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Full text of "Nord und Süd"

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■  ,  - 


iVord  un  Süd 


Xlotb  unb  Sü& 


(Eine  beutfcfjc  HIonatsfdjriH 


herausgegeben 
von 

paul  £tnbau. 


mit        portraiis  von:  5«nny  Ctwalb,  Mbolf  Saffian  anb  mattin  ©reif. 


23  r  e  gl  a  u. 

Drncf  unb  Ocrlog  pon  5.  Sdfottlaenber. 

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3nfjalt  bes  50.  &anbes. 

3IuU.  —  Slugiift.  —  &eptemött. 

1889. 


Ctyomas  Zldjelis  in  Bremen. 

Hbolf  Boftton  

^raneois  €opp£e  in  Parts. 

(Eine  ^byfle  roflljrenb  ber  Belagerung.   Ztooelle.  I.  II   2*8.  585 

folget  Dradnnann  in  Dänemarf. 

Pier  IlTeerlieber   f>8 

^einriefy  €fjrlicfy  in  Berlin. 

Der  ITTufiMDinter  *888—  J889    2*0 

EDolfgang  €ras  in  Breslau. 

Die  $i(dje  im  fjausljalt  ber  Hatur  unb  in  ber  Küdjc   63 

23u6olf  ron  <Bottfd)aü*  in  £eip$tg. 

$anny  £eu>alb     3* 

2TTartin  (Breif  in  ZHündjen. 

Drei  fjerbfxgebidfte   297 

St.  Ijemmann  in  fjerrliberg  am  «gündjfee. 

Sealsjtelb  pofd   337 

2TTori$  tjoernes  in  JDien. 

Die  Kelten  in  5u><Detrerreid?   *so 

fjans  ^opfen  in  Berlin. 

€s  rjat  fo  foDcn  fein.   Spricr/roort  in  einem  2Ict   139 

fjermann  r>on  3fyering  in  Hio  (ßranöe  bo  Sul,  Süöbraftlien. 

Kio  be  Janeiro   3*3 


M4841? 


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ZXovb  unb  Süb. 


(Eine  öeutfdje  ZTTonatsfdjrift. 


herausgegeben 
von 

Paul  £tnbau. 


L.  Sank  —  3ult  (889.  —  £)eft  ^8. 

(Hlir  rinrm  Portrait  in  Kaoirung:    $amiy  Cttoalb.) 


05  r  e  ?ll  au. 

Drucf  uuö  Verlag  von  5.  Sdjottlacubcr. 


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JsZ-       -\  c 


Jrütjltngsftimmcn. 

Hopeüo 
l>on 

CDtto  Koquctte. 

—  DarmjtaM.  — 

„(ri  brechen  im  frtaöenben  Weißen 

Xic  tfrüf)ling*ftimmen  Io3; 

Sic  föunen'ä  nicfjt  länger  berfdmmgcn, 

Die  SBonnc  ift  gar  ju  groß. 

iWot)in? 

Sie  afmen  eS  felber  faum. 

(S*  rübjt  fic  ein  alter,  ein  füget  Xraum." 

3)a3  ute(gefungene  ßieb  ftang  aus  bem  Öartenfaat  fjerauf  in  ba$ 
3tmmer,  in  roeldjem  Hubert,  über  ein  grofcc»  3e^en^rett  gebüdt,  mit 
beut  ©riffel  befajäftigt  war.  ©r  t)atte  ba3  %en$ex  geöffnet,  um  bie  batfamifaV 
l'urt  fyereinftrömen  ju  laffen,  unb  aud)  unten  fd^ien  bie  ©laStljür  nadj 
ber  Xeraffe  offen  ju  ftefyen,  benn  beut(idt)  tönte  bie  jmeite  Strophe  an 
fein  ©etyör: 

„3>ie  .QnoSben  fdiroctten  unb  glüljcn, 
Unb  bringen  fief)  an  bao  £id)t, 
Unb  toarten  in  fcljnenbem  lÖlüfjen, 
$a&  tiebenbe  £anb  fic  bridjt. 
ifiiotiinV 

Sic  abnen  c3  felber  faunt. 

($S  rübrt  fic  ein  alter,  ein  füßer  Iraum. 

@s  roar  eine  Überaul  jarte  Stimme,  bie  ifjm  eigentlidj  *u  ber  ©eftalt 
ber  Sängerin  nid)t  511  paffen  festen.  $enn  er  glaubte  biefelbe  geftem 
bereite  gefetyen  5U  fyaben.    Sie  mar  groß  unb  fa;[anf,  ba£  @efiä)t  uietleidjt 

l* 


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  ^rüljliitgsftimmen.    5 

erfüllte  £uft.  2luf  abwärt!  geneigtem  Voben  blühte  ber  ganje  ©arten, 
^lieber,  ©olbregen  unb  Schneeball,  baju  purpurne  Päonien  auf  beut  diafen, 
Apfelbäume  in  rofiger  Jütte;  feitwärt!  ber  Vuchwalb  im  erften  ©rün,  unt» 
barüber  frinau!  bie  2anbfd)aft  mit  ihren  Mügeln  in  fonmgem  grühling-3: 
glanje.  Der  iunge  Wann  empfanb  ben  lebhafteren  Xriebr  ben  ©riffet 
weg^uroerfen  unb  in'!  greie  $u  eilen.  2X6er  bie  Stunbe  ber  9Jiu§e  war 
nod)  nicht  ba,  unb  fo  überwanb  er  fic§  unb  ging  §u  feinen  3cidmuugeu 
jurücf.  — 

Xex  ©egenfafc  feiner  augenbticftidjen  £age  *5u  feinem  büherigen  geben 
in  ber  geräufdwollen  £auptftabt  befchäftigte  feine  ©ebanfen.  (Siner  feiner 
ehemaligen  £ehrer,  $u  überbürbet,  um  eine  neue  2lrbeit!laft  auf  fid;  >u 
nehmen,  harte  ihn,  al!  ben  ©efdncfteften,  beoorjugt  unb  Um  für  bie  9luf= 
gäbe  corgefchlagen.  £*!  galt  bie  Erweiterung  einer  großen  Einlage  für 
Wafajinenbau.  Hubert,  eigentlich  2lrchvteft,  hatte  bodj  in  ber  3)?af  deinen - 
tedjnif  genügenbe  Stubien  gemacht,  um  für  ba!  umfangreiche  Sßerf  geeignet 
-,u  erscheinen.  Vom  ©efühl  eine!  unoerhofften  ©lüde!  beflügelt,  hatte  er 
einige  3clc^nUT19cn  entworfen  unb  fte  bem  ©ut!*  unb  #abriff)erru  über= 
fenbet.  Siefer,  fehr  befriebigt  baoon,  lub  ilm  ein,  fo  balb  al!  mögtidj  ju 
ihm  $u  fommen  unb  alle  Vorarbeiten  an  Crt  unb  Stelle  $u  ooüenben. 
Dafc  Hubert  nxdjt  allein  burch  feine  3e*c*mun9en>  fonbern  aud;  briefüd) 
burch  feinen  ^rofeffor  fein*  gut  empfohlen  mar,  jeigte  ihm  gleich  ber  (Smpfang. 
Gr  melbete  ftc^  juerft  in  ber  gabrif.  Die  ©ebäube  berfelben  lagen,  burd) 
ben  $arf  getrennt,  uon  bem  äöofjnf)aufe  ab,  unb  meber  ilu*  ©eräufch,  nod) 
ihr  Dampf  flörten  ba!  Veljagen  ber  gamilie.  Da&  für  öubert^  die\& 
bretter  in  ber  alten  Weberlaffung  fein  recht  $wecfmäj?iger  9iaum  ju  finbeu 
fei,  hatte  £>err  ^ormann,  ber  gabrifherr,  bereite  erfannt.  3lüar  tefanb 
fid}  ein  geräumige!  $au!  bort,  welche!  &err  Xhormann  bi!  5um  Vau  ber 
Villa  felbft  bewohnt  hatte;  aber  nirgenb!  ba!  begehrte  9?orblid)t  für  bie 
3eidmer.  So  nahm  er  feinen  jungen  Vaumeifter  ohne  Umftänbe  hinüber 
in  bie  Villa  unb  wie!  ihm  einen  Saat  3ur  »rfftatt  unb  ein  baran  ftofcenbc! 
3tmmer  jum  Sd)lafgemad>  an.  ©!  waren  eigentlich  prächtig  ausgeftattete 
©efeüfchaftäräume,  bie  ben  ©afi  nicht  wenig  in  Verlegenheit  festen.  SSic 
foüte  er  in  biefer  ungewohnten  Umgebung  feine  Sifche  aufhellen,  ohne 
©efahr  für  ©olbleiften,  feibene  ^olfter  unb  foftbare^  «|3or$cllan?  Slber 
ba  ber  ©ut!herr  ihm  eingefd)ärft,  ftd)  gan$  nach  ©utbünfen  einjuridjten, 
fo  hatte  «  burch  *>en  Diener  Dielerlei  hinausräumen  laffen,  wa!  mit  feinen 
3wecfen  unoereinbar  war,  unb  wohnte  nun  feit  fünf  Sagen  immer  nod; 
gldnjenber  al!  er  e!  büher  gefannt  hatte,  um  ungeftört  feiner  Arbeit 
5U  pflegen,  ©in  höflicher  Diener  beefte  ihm  auf  unb  forgte  pünltüch  für 
feine  3Kabfjeiten;  eine  freunbliche  Sitte  hielt  ba!  ©ohnjimmer  in  Crbnung. 
Veibe  fprac^en  nur  wenig,  unb  Hubert  fcheute  fia),  fie  nadj  ben  SÜerhältniijeu 
ber  Hausbewohner  ju  fragen,  obgleich  er  nun  bereit!  etwa!  neugierig  würbe. 
Möglich  hörte  er  bie  liebe  «eine  Stimme  ihre  grühlingsltcber  fingen  unb 


^    Otto  Koquctte  in  Darmflaot.   

fonfttge  weiche  ©efäntje,  bie  für  ben  Umfang  tr)rer  Stimme  unb  für  ir)rc 
9luSbrucfSfäbigfeit  befonberS  gewagt  511  fein  Lienen. 

(Sin  SöenigeS  aber  erfuhr  er  bei  einem  ©ange  nad)  ber  $abrif  boch 
jufäUig  burd)  ben  alten  SSerfmeifter.  £err  X^ormann  mar  Söittroer. 
Xie  fdjöne  SBitta  hatte  er  für  feine  grau,  bie  immer  leibenb  getoefen,  er= 
bauen  laffen.  Sie  mar  uor  brei  Sauren  barin  geftorben.  $er  9Ilte 
mochte  oorauSfefeen,  baj?  ber  ßerr  Saumeifter  über  2WeS  unterrichtet  fei, 
baf>er  erjagte  er  nichts,  unb  Hubert  entnahm  nur  biefeö  unb  jenes  aus 
feiner  Unterhaltung.  9luf  bem  ^üefioege  begegnete  er  noch  einmal  ber 
jungen  3>ame,  welche  ben  9ioHfituf)l  oor  fid)  t)erfc^ob.  Obgleich  etwas  ent* 
feint  unb  burdj  eine  breite  SHafenflädje  oon  ifn*  getrennt,  grüßte  er  boch 
wieber  unb  empfing  ben  ©egengrufc;  ja  audj  bic  uerfchleierte  $)ame  beugte 
fid)  oor  unb  oeraetgte  fidt)  mehrmals,  ©r  fchwanfte,  ob  er  näher  treten 
unb  fid)  tjorftetten  follte?  9lber  ba  oon  ben  $amen  fein  3e^en  bex 
3lufforberung  augging,  unb  er  fid^  fdjeute  —  oieffeidjt  gegen  ben  3Bunfcr) 
beS  Hausherrn  —  oorjubringen,  fo  bog  er  fdmett  in  einen  Seitengang  ein. 

£rofebem  bafj  feine  Arbeit  rüftig  uon  Statten  ging,  begann  bie  (Suis 
famfeit  bem  jungen  3)?anne  unbehaglich  ju  werben.  $a,  er  empfanb  e£ 
fd>on  nicht  mehr  lieblich,  bafj  aUe  £age  ju  beftimmter  Stunbe  unter  ir)m 
bie  grühlingSftimmen  „losbrachen."  (Et  begann  Heine  ^efanntfdjaften 
machen.  3uerft  tnit  bem  ©ärtnerjungen,  ben  er  an  einem  ÜMumenboSfett 
befdjäftigt  fanb.  $)iefe  SBejielmng  führte  it)n  bann  3U  bem  ©ärtuer,  von 
bem  er  fid)  im  ©efprädj  über  botanifd)e  $ingc  belehren  lieft.  Gr  fnüpfte 
mit  einigen  älteren  Arbeitern  in  ber  gabrif  Unterhaltung  an  unb  fanb  in 
i^nen  orbentlidje  £cute,  welche  oon  ben  Vertorfungen  ber  „Arbeiters 
bewegung"  nod)  unbeirrt  geblieben  waren.  @nbtid)  fühlte  Hubert  ben 
£rang,  ftet)  einmal  etioaS  weiter  umgehen,  als  im  Umtreife  beS  £aufe3 
unb  ber  gabrif.  ©r  nahm  ben  SBeg  burd)  ben  SBalb  nach  bem  eine 
Stunbe  entfernten  Stäbtdjen.  &ier  fanb  er  eine  alte  ftirdje,  beren  bau- 
liche 33erhälrniffe  ihn  überrafchten,  unb  bie  er  [ich  00m  tfüfter  auffchliefjen 
liefe,  ©r  trat  in  einen  öffentlichen  ©arten,  wo  Tijroler  Sänger  ein  $obeU 
con^ert  gaben,  unb  genoj?  feinen  2lbenb  mit  ben  ^Bewohnern  beS  StäbtchenS. 

@S  fchien  eine  fpäte  Stunbe  für  baS  $auS  $u  fein,  als  er  gegen 
jehn  Uhr  wieber  in  ber  SBiUa  anlangte,  £er  Liener  trat  bei  ihm  ein, 
mit  ber  Anfrage,  ob  es  ihm  genehm  fei,  ,§errn  Xhormann  nod)  $u  em- 
pfangen? $erfelbe  fei  gegen  2lbenb  jurüefgefehrt.  Hubert  erflärte  fich 
bereit,  ihn  unten  $u  begrüfjen,  erfuhr  aber,  bafe  ber  Hausherr  es  oorjiehe, 
hier  oben  mit  ihm  ju  fprechen. 

©leich  barauf  trat  4?err  £h°rmamt  Gefolgt  oon  bem  Liener, 
ber  eine  auSerlefene  Slafdje  unb  ©läfer  h^intnig.  freut  mid)/' 

rief  ihm  ber  ©utsherr  entgegen,  baß  Sie  fid)  einige  Unterhaltung  außer = 
halb  meines  Bereiches  geflieht  haben,  ba  fie  bergleichen  im  $aufe  nicht 
finben  tonnten!   3$  bin  länger  ausgeblieben,  als  ich  oorauSfal).  Sftun 


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  ^rnblingsjiimmen. 


5 


aber  unUfornmen!"  Cr  bot  ifjm  baS  gefüllte  ©las  bar,  unb  fuf>r  fort: 
f,3hre  ©infamfeit  in  meinem  $aufe  barf  ju  ©übe  fein,  wenn  Sie  felbft 
bie  ©efeüfd)aft  ber  ÜJJeinigen  tb,eilen  wollen,  $ie  Herf)ältniffe  in  meiner 
gamilie  finb  leiber  nidjt  fo,  bafe  fie  einem  lebensvollen  jungen  SWanne 
üiet  bieten  fönnten.  3J?eine  Sdjroefter,  n>eld)e  feit  bein  Sobe  meiner  grau, 
bie  3üQel  bes  §aufeS  fübjt,  mar  bei  meiner  Slbreife  frauf,  fo  baj?  idj  Sie  — 
roie  fonft  bie  Singe  liegen  —  nid)t  gut  als  ©aft  unb  Xifdjgenoffen  ein* 
führen  fonnte.   9hm,  ©ott  fei  2)anf,  fie  ift  ia  roieber  auf  ben  ^Beinen!" 

,,3a)  glaube  ber  toürbigen  Dame  fd)on  ein  paar  SJfal  begegnet  ju 
fein  — "  fagte  Hubert. 

„Sem?  deiner  Sdjroefier?  rief  ber  £auSf>err. 

„Sie  würbe  oon  SQrem  gräulein  £od>ter  im  ÜRollftub,!  burd)  ben 
©arten  gefahren.    Cber  —V 

$err  Xtjormann  fdjüttelte  ben  £opf  unb  fd)roieg  einen  9lugenblt<I, 
roäbjeno  ein  trüber  Statten  über  fein  ©efid)t  flog.  „Sie  fiub  im  %xx-- 
ttwm!"  entgegnete  er.  „£ie  ©eftalt  im  ftoüftuljl,  roela)e  Sie  oermutt); 
£idr>  nur  bidjt  oerfdjleiert  gefefjen  Ijaben,  mar  nid)t  meine  Sdjroefter, 
fonbern  meine  £od)ter  (Säcilie,  ein  junget  üDiäbdjen  oon  adjtjefm  Sauren. 
Tie  Slnbere,  meldte  if)r  ben  SiebeSbienft  ernneS,  ift  gräulein  itoae,  irjre 
©efeüfdjafterin  unb  greunbin,  eine  junge  $ame,  roeldje  mein  &auS  nad) 
bem  2obe  itycex  eitern  als  baS  irrige  anfeilen  barf." 

Hubert  mar  verlegen,  unb  fud)te  feinen  STttfjum  3"  entfajulbigert. 

„Qdj  merfe,  futjr  ber  ßauSfjerr  fort,  bafe  man  $\)x\exi  über  meine 
gamilie  nod)  nidjts  zugetragen  fjat.  SWeine  £eute  fdjetnen  bie  Slnmeifung, 
meine  £eimfef)r  abzuwarten,  ganj  gef)eimnifeüoll  genommen  ju  fyaben. 
Unb  bocf)  ift  nid)ts  babei  5U  uerfdjweigen.  SDfeine  Sodjter  ift  ein  überaus 
?arte3  unb  gebredjlidjes  Siefen,  um  meines  mir  bie  Sorge  niemals  los* 
»erben.  9?ad)bem  mir  brei  fwffnungSuoHe  Söf)ne  geftorben,  ift  biefes 
einzige  flinb  mir  geblieben,  unb  —  roie  lange  icb,  es  nod)  behalten 
werbe?  (?S  gilt,  ifmt  jeben  Sag  fo  erträglid)  unb  erfreulid)  als  möglid) 
>u  machen,  unb  baS  Sßenige  was  ib,m,  bei  fo  oielem  ©ntfagen,  an  ©enuft, 
beS  XafeinS  möglid)  ift,  ju  gewähren.  Säcilie  ift  nid)t  eigentüd)  gelähmt 
—  fie  geljt  burd)  bie  Limmer,  ermübet  aber  fo  leidet,  bafj  fie  im  greien 
auf  ben  ga^rftuljl  angewiefen  ift.  9ld),  es  ift  2lHeS  fdjwadj,  Einfältig, 
fümmerlicb,  an  ir/r  —  unb  bodj  ift  fie  ein  fo  liebes  5tinb!  ©in  ©Ifid*  ift 
if)r  geblieben  —  wenigfienS  fafjt  fie  bie  f leine  9?aturgabe  fo  auf:  ein  wenig 
Stimme  für  ben  ©efang.  ©igentlidj  nur  ein  Stimmten  ju  nennen,  aber 
flar  unb  b,ell,  baS  mit  ben  Sögeln  in  bie  SBette  fingt.  $ä)  f)öre,  fie  l)abe 
in  ben  Sagen  meiner  2lbwefeub,eit  fogar  meb,r  unb  frör)ltd;er  gefungeu,  als 
fonft.  £offentK<$  ift  ber  Älang  nidjt  ftörenb  bis  5u3()nen  herauf  gcbrungen?" 

Hubert  oerfid)erte  baS  ©egent^eil.  $m  Stillen  aber  freute  es  ilm, 
baB  baS  fleine  Stimmten  nid)t  ju  ber  großen,  fd)lanfen  ©eftalt  Südens 
geborte,    ^perr  2t)ormann  fuljr  fort: 


I 


6    Otto  Hoquettc  in  Darmftao  t.   

„ftun,  für  morgen  labe  id)  Sie  an  unseren  tfamilientifd)  ein.  Ct» 
Sie  unfer  täglid)er  £ifd)genoffe  fein  wollen,  wirb  uon  Sfyntn  allein  abfangen. 
Sie  finb  $u  nid^ts  oerpflia)tet." 

2)a  Hubert  baran  lag,  £erm  S^ormann  gleid)  einige  feiner  (Entwürfe 
oorjulegen,  na^m  biefer  bie  Sampe  unb  ging  mit  ifntt  jutn  3eid)entifa).  ©r 
mar  erfreut,  nnb  mit  2lHem  einoerftanben.  Gnblid),  nad)bem  er  fidr)  wieber 
niebergelaifen,  feufjte  er  unb  begann: 

„3ttan  fönnte  mia)  fragen  —  unb  metleid)t  tf)un  Sie  es  aud)  — 
roarum  tdf)  nod)  fo  viel  bauen  laffe?  SBarum  idr)  meinem  ©efdjaft  eine 
immer  nod)  größere  2lu£bef)nung  gebe?  Unb  für  wen  id)  bal  Stilen  in*5 
2ßerf  fefce?  &abe  id)  bod)  feinen  Soljn,  bem  id)  es  einmal  übergeben 
fönnte!  3J?ein  armes  Ätnb  ift  meine  einzige  Grbin  —  wenn  fonft  — "  Gr 
brad)  ab,  um  feinen  traurigen  ©ebanfen  uidr)t  SBorte  51t  geben.  „2Senn 
id;  mid)  nod)  tn'3  ©rofje  ausbefjne,"  futjr  er  fort,  „fo  gefd)iel)t  es  wirf(id)  um 
ber  2öiffenfd)aft  unb  £ed)nif  im  SlUgcmciuen  mitten.  SRüfcig  fann  i<$  nidjt 
fein!  So  fud)e  id)  Söefriebigung  in  bei*  2lrbeit.  2Ber,  wie  id),  in  ber 
Sage  ift,  fid)  nüfclid)  51t  mad)en,  ber  tyat  aud)  bie  ^>f(id)t,  c3  $u  tr)uii. 
3eber  gortfdjritt  auf  unferem  ©ebiete  reist  mid),  il)n  ausbeuten.  Unten 
in  unferm  Söibtiotjjetjimmer  finben  Sie  2lfle£,  wal  an  93üd)em  unb  SciU 
fa)riften  für  unl  oon  Gelang  ift.   SBenufcen  Sie  e3  nadj  Setieben!" 

£er  &au3l)err  fagte  feinem  ©afte  gute  9tod)t  unb  entfernte  ftd&. 
Hubert  aber  lehnte  nod)  lange  am  genfter,  badjie  über  bie  ^erljältniffe 
bei  ßaufeä  naa)  unb  fragte  im  Stillen,  wie  rootyt  bie  Stimme  Sucienl 
flingen  werbe?  Gr  fonnte  nid)t  uml)in,  fta)  auf  bie  Begegnung  unb  auf 
ein  ©cfpräd)  mit  if)r  3U  freuen. 

©in  grüljlingSgewitter  50g  mit  leidstem  erquidenbem  Siegen  burd)  bie 
9tad)t.  borgen!  funfeite  ©arten  unb  $Balb  roieber  im  Sonnenfd&ein. 
Hubert  gab  fdfjon  in  aller  grüf)e  feinem  Crange  nad),  fid)  im  greien  §u 
ergeben.  Gr  lief  burd)  ©arten  unb  Sfi>alb  unb  fefjrte  fröfylid),  fogar  mit 
einem  Straufc  gelber  Jameln,  bie  er  uon  ber  SSHefe  mitgenommen  f)atte, 
jurüdf.  Ginen  fa)eu  forfd)enben  SBlid  warf  er  nod)  nad)  ber  Xerraffe  unb 
ber  £f)ür  bei  ©artenfaalä.  2lber  für  bie  weiblid)en  33ewofmer  bei  £auie3 
war  bie  Stunbe  wof)l  nod)  $u  friu),  um  fid)  rjier  fd)on  fidjtbar  ju  mad^en. 
Gr  ging  au  fein  3eiÄ)ttwrett,  aber  er  war  jerftreut,  unb  bie  Arbeit  wollte 
nid)t  re$t  förbem.  Mittlerweile  fiel  i&m  auf,  bafj  l)eute  feine  9)?ufif  $u 
il)m  l)eraufflang.  Gl  war  bod)  md)t  wieber  3emanD  *m  &öufe  franf 
geworben?  Gr  war  brauf  unb  bran,  bie  alte  Stufwärterin,  roeld)e  er  im 
9tcben$immer  walten  f)örte,  ju  fragen.  2lber  er  unterfagte  eS  fid)  bennod) 
unb  fud)te  ftd)  jur  2Irbeit  §u  faffen.  Gnblid)  —  bie  HHittagftunbe  fyatte 
nod)  nia)t  gefd)lagen  —  erfd)ien  ber  Liener  mit  ber  2lnfrage,  ob  bie  tarnen 
um  feinen  33efud)  bitten  bürfteu? 

2Ul  Hubert  in  bal  Gmpfanglsimmer  trat,  erhoben  fid)  bie  brei  tarnen  ju 
freunblid)em  ©ruße.   9Iud)  (Säcilie  ftanb  aufregt  unb  faf)  itjm  läd)elnb  ent= 


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,früblirtgsfiimmen. 


7 


gegen,  um  bann  wieber  $lafc  ju  nehmen.  Sein  erfter  $ltcf  galt  $war 
Furien,  aber  ber  2lnblicf  Saalten*  überrafchte  ilm  gleich  in  unerwarteter 
S&eife.  Qx  fah  eine  jierlidhc,  faft  elfenhaft  jarte  ©eftalt  cor  fid),  ein  läng* 
lidjcä  feines  9lntlifc,  au*  welkem  ihm  jwei  bunfle  9lugen  entgegenblicften  — 
fo  groß,  baB  fie  mit  ber  Äleinljeit  ber  ^üge  im  2Biberfpruch  ftanben,  unb 
ifm  faft  unheimlich  berührten.  $te  betben  jungen  Samen  waren  in  gelten 
Sommerfleibern,  unb  e*  entging  bem  ßintretenben  niefy,  baB  jebe  einen 
Keinen  Strauß  twn  gelben  ^rimeln  oor  ber  ©ruft  trug.  $rau  Steinbad), 
bie  £ante,  trat  ihm  entgegen  unb  bot  ilmt  bie  ^anb.  Gine  ftatttic^e  alte 
Xame  mit  frönen  hellgrauen  Dorfen. 

„£err  Hubert  SBitting  — ?"  begann  fie,  inbem  ftc  iljn  ihrer  Richte 
unb  ßueieu  oorfteßte.  „s2iMr  haben  bi^f)cr  bie  ©aftlidtfeit  nur  mangelhaft 
aueüben  fönnen,"  fagte  fie,  „wollen  nun  aber  ba3  ^erfäumte  nachholen." 

„Sie  fyaben  fidjerlich  bisher  oon  une  nur  fct)r  wenig  geraupt,  $err 
SBitting,"  begann  Sude,  gleich  einen  heiteren  £on  ber  Unterhaltung  an* 
fdjfageub,  „wenn  Sie  uns  aua)  täglidj  muficiren  hörten  unb  ein  paarmal 
gefetjen  höben." 

Hubert  beforgte  fein*,  fie  würbe  ihn  mit  feinem  S^thum  anziehen, 
in  Gädlien  eine  „alte  £ame"  oermuthet  ju  tyiben;  allein  fie  fuhr  fort: 
„$l*tr  aber  wiffen  fdjon  fehr  oiel  oon  3hnen>  oenn  wir  haüen  dnen  Spion, 
ben  wir  freiließ  nicht  hinter  $\)t\en  hcr  9cfd)idt  hoben,  ber  unä  aber  frei^ 
willig  täglich  uon  ^^nen  erzählt.  Unb  biefer  Spion  ift  nod>  baju  ein 
guter  ^reunb  oon  3fonen!" 

„23er  fönnte  basfdn?"  fragte  &ubcrt,  bie  brei  lääVlnben  Tanten 
ber  diefye  nach  anfehenb. 

„2lud>  3fae  mangelhaften  flenntniffe  in  ber  53otanif  hat  er  un£  ucr= 
rathen!"  fuhr  £ude  fort.  „2Bte  fann  man  aber  auch  eine  Magnolie  mit 
einem  Xulpenbaum  oerwedjfeln?" 

„3(d>,  ber  ©ärtnerjunge!"  lachte  ßubert,  ber  fich  erinnerte,  bei  ben 
tulpenartigen  weifjen  ÜJJagnolienblumen  eine  ßaienfrage  an  ben  ©artnev 
getljan  ju  haben. 

„3luch  wiffen  wir/'  fuhr  Sude  fort,  „baB  Sie  für  ^obelgefang  febr 
eingenommen  finb,  unb  geftein  in  einem  ©artenconcert  lebhaft  applaubirt 
$aben." 

„91ein,  fo  weit  bin  idh  wirf lid>  nidjt  gegangen !"  rief  Hubert.  „?(ber 
wer  fann  mid)  benn  bort  auägefpürt  fyoben?" 

„Xerfelbe  fleine  Safob  !"  entgegnete  ßueie.  „Gr  war  in  ©efdjaften  nach 
ber  Stabt  gefdneft  worben,  wollte  fich  ba$  (Sonccrt  nicht  entgehen  [äffen, 
unb  fletterte  auf  ben  3aun/  um  °&ne  ©intritt^gelb  ju  genießen.  Unb 
bort  von  feiner  &öhe  aus  entbeefte  er  Sie  unter  ben  3"^rern.  Unb 
fo  höt  er  un*  audh  heute  oerrathen,  ba§  Sie  fdjon  in  aller  *#rül)e  fpajireit 
gegangen  unb  mit  einem  Straufe  juruefgefehrt  wären." 


8    (Dtto  Hoquctte  in  Parmfta&t.   

„3a,  unb  baburdj  erfuhren  ivir  erft,  ba{$  bie  Sd)lüffelblumen  fcfjou 
aufgeblüht  finb,"  fuf)r  Gäcilie  mit  finbUd)etn  £äd)eln  fort  —  unb  fo  fyahe* 
mir  uns  aud)  aufgemalt,  um  uns  Sträuf$en  ju  tjolen." 

„linier  Sd)inucf  beroeijt  es!"  befd)lojj  Sucre  ben  93erid)t. 

2llfo  barum  unterblieb  (jeute  bie  Sttufif!  backte  Hubert,  inbem  er 
umt»iüfürtid)  einen  Sölid  nad)  bem  Jylügel  toenbete.  Sie  Xante  bcmerfte 
es.  „SBenn  Sie  mufifalifd)  finb,  jagte  fie,  fo  rieten  Sie  nur  nid)t  $u 
ftreng  über  unfre  t)äuSlid)en  Seftrebungen!" 

3<6  fa&e  l"e^  Gern  Pgetyört,  entgegnete  er,  unb  Ijoffe  eS  fünftig  aud) 
in  ber  S^äfjc  trjun  ^u  bürfen."  (5r  oernetgte  fid)  leidjt  oor  (SäriHen, 
ftufete  aber,  als  er  itjre  Sangen  plöfelid)  lebtjaft  gerottet  fal),  märjrenb  itjrc 
großen  3lugen  ifm  glänjenb  unb  faft  ocrroirrenb  anblidten.  GS  war  it)m 
lieb,  bafj  bie  Xante  bie  grage  an  tt)n  tljat,  ob  er  ftlaoier  fpiele?  Gr  er= 
r)ob  fid)  unb  fäjritt  juin  glügel,  nur  rafdj  ein  paar  Slccorbe  unb  £äufe 
anfdjlagenb,  inbem  er  fid)  fdjon  baburd)  ben  Tanten  als  geroanbt  unb 
funbig  auf  ben  Xaften  oorfteüte.  Söenn  graulcin  Sucie  6i-?t)er  bie  25e; 
gleitung  beS  ©efangeS  übernommen  bat,  fagte  er  aufftefjenb,  fo  ift  eS  mir 
uieüeidrjt  geftattet,  jumeilen  itjre  Stelle  ju  oertreten?" 

„3a!"  rief  Gäälie  lebhaft  —  aber,  mie  erfd)redt  unb  eingeflüstert, 
fuljr  fie  leife  fort:   „3Benn  id;  fonft  —  babei  fingen  fann!" 

£er  £>auSl)err  trat  ein,  freute  fid),  ben  ©aft  fdfjon  bei  feiner  JycLiixitte 
ju  finben,  unb  man  ging  511  Xifd&c.  £uäe  zeigte  fidt),  bei  aller  9?atür= 
lidjfeit  beS  &>efenS,  als  bie  formenfunbige  2Beltbame  unb  lieft  bie  Unter* 
Haltung  nid)t  ausgeben.  Sie  mar  in  ber  &auptftabt  erroadtfen,  rjatte  im 
&aufe  irjrcr  Gltern  tunftlerif^e  unb  miffenfd)aftlid)e  ßretfe  rennen  gelernt, 
unb  raupte  fomit  $efd)eib  in  ben  Umgebungen,  aus  melden  Hubert  f)er; 
gefommen  mar.  GS  mürbe  il)r  Ieia)t,  ilm  reben  unb  erjagen  $u  madjen, 
unb  ba  fid)  mandje  gemeinfame  $e$iel;ung  511  ^erfönlia)feiten  fanb,  fo 
erwärmte  er  fidr)  mcrjr  unb  mefjr  in  ben  ©efprädjen.  £in  unb  roieber 
ftörten  ilm  bie  rätselhaften  2lugen  GäcilienS;  im  ©anjen  blieb  feine 
Haltung  jebod)  fo,  bafe  bie  gamilic  fid;  feiner  als  eines  guten  ©cfellfdjafterS 
freuen  fonnte. 

2113  man  fidt)  erl;ob,  flüfterte  bie  Xante,  mit  einem  Slicf  auf  Gäcilien, 
ilmi  ut:  „9?adj  Xifdje  pflegen  einige  oon  uns  eine  Stunbe  ju  rul;eu. 
Xürfen  mir  Sie  $ur  Kaffee$eit  mieber  einlaben,  um  unfere  ®efpräa>  fort* 
5ufefeen?M 

£ubert  füllte  fid)  nad)  längerer  Giufamfeit  burd)  biefe  Stunbe  am 
gamilientifdje  fel)r  angeregt.  Wlit  GäcilienS  SBefen  mußte  er  freilidj  noch 
nidit  surea^t  ju  fommen.  Sie  mar  meift  fdjmeigfam  gemefen;  menn  fie 
aber  fprad),  fo  gefdjal)  es  in  ber  2lrt  eines  5tinbeS,  roelajeS  l)alb  fragenb 
umljerblidt,  ob  es  aud)  baS  -Hid)tige  gefagt  fyabe't  Unb  bod)  brang  ein 
paar  3)ial  ein  beftimmteS  9?ein  über  il)rc  kippen,  unb  es  jeigte  fia)  augen= 
fällig,  baf?  fte  oermölmt  mar  —  r»ielieid)t  oermö^t  merben  mufjte.  Älar 


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rütylingsflim me  n. 


utib  lebensvoll  ftanb  ifjm  baffir  SucienS  Siefen  oor  ben  2lugeu,  unb  er 
freute  fi$,  bafj  ber  erfte  Slnblicf  if>n  nid^t  getäufdjt  fjatte.  9?ur  fonnte  er 
fid)  nidjt  barein  finben,  bof?  fie  fcf)on  ftebenunbäwaujtg  3af)re  alt  fein 
follte!  2Iber  fie  Ijarte  e?  felbft  bei  £ifdfje  unumwnnben  ausgebrochen,  als 
ue  bei  irgenb  einer  3eitbeftimmung  jurücf  regnete  unb  oon  ir)rer  „ba; 
maligen  Sugenb"  fprad).  Siebenunbjwansig !  £ann  mar  fie  ja  gleiten 
Hilters  mit  ilmi!  Unb  fie  faf)  bod)  fo  jung,  fo  Ijerrlid)  unb  beftrtcfenb  aus! 

Gr  fanb  bie  gamilie  bereite  wieber  oerfammelt,  als  er  in  ben  ©arten* 
faal  jurücffe^rte.  Gr  würbe  aufgeforbert,  etroaS  oor$ufpielen,  unb  lief] 
fid)  nic^t  nötbigen.  2llS  er  geenbet  fyatte,  trat  Sucie  ju  ilnn.  „2Benn  mir 
Sie  uon  biefer  Seite  idjon  ge!annt  Ratten/'  fagte  fie,  „bann  würben  wir  und 
fd)n:erli($  adjt  £age  überwunben  fyaben,  Sie  ju  uns  ju  nötigen!  2lber  — 
ba  liegen  unfre  gewöhnlichen  Sieber  aufgefdjlagen  —  wie  immer!  fügte 
fie  läct)elnb  binju.  SBollen  Sie  Sfyx  2>erfpred)en  wafjr  madjenV  Oetjört 
fjaben  Sie  unfre  Äünfte  nun  bo<$  fd)on  — " 

„Xarf  id)  mid)  jur  ^Begleitung  anbieten,  gnäbigeS  gräulein?"  unter; 
brad)  er  bic  Sprecherin,  gegen  Gäcilie  gewenbet. 

$)tefe  erfwb  fid),  unb  trat  befangen  unb  mit  leidstem  Grrötljen  51t 
itjm.  2>ie  Sumte  brachte  forglid)  einen  Stu^l  herbei,  Sucie  aber  winfte 
tyr  unb  30g  ijm  feife  bei  Seite.  So  begann  er  benn  mit  bem  üblichen 
Slnfang:  „GS  bredjen  in  fdfjallenben  Zeigen  bie  grül)lingSftimmeu  los!" 
Gäcilie  fang  juerft  fc$ud)tetn  unb  jitternb;  aber  er  nicfte  ifu*  2)iutl)  51t, 
unb  balb  Ijatte  fie  fid)  geiammelt,  unb  ließ  erf  lingen,  was  iljr  an  Stimme 
gegeben  war.  £teS  war  aber  fjeute  meljr,  als  bie  ^Ijrigen  jemals  oon 
iljr  gehört  Ratten,  unb  man  war  überrafd)t  burd)  bie  größere  gülle  uon 
£on,  bie  fwf)  glei^fam  über  92ac^t  bei  U)r  entwicfelt  fjatte.  Unb  als  fie 
geenbet,  wenbete  Gäcilie  fid)  um  unb  fal)  mit  triumpfnrenbem  2lusbrucf 
bie  .»jH^re*  ant  oenn  fü&lte  eine  (Senugt()uung,  aufredet  fteljenb  ba* 
ganje  Sieb  burdjgefungcn  ju  f)aben.  ^efct  erft  fd)ob  Sucie  ibr  leife  ben 
Stuf)l  l)in,  auf  welchem  fie  unaufgeforbert  ^ßlafc  uaf)m.  greilid)  mur>te 
nun  eine  gan5e  SRetfje  if)res  2?ortatf)S  burcfygenommen  werben,  benn  Gäcilie 
haftete  förmlid)  aus  einem  Siebe  in  baS  anbere,  wäfyrenb  Sucie  oergeblid) 
rerfud^te  einige  ©efpradjSpaufen  bajwifd&en  ju  fcfyieben. 

Gnblidj  gebot  ber  ^auStjerr  Ginljalr.  £emt  er  fal)  bie  SBangcn  feiner 
£od)ter  glühen  unb  erfannte  eine  unerwünfd)te  Erregung  in  itjrem  iü>efcn. 
3t)xe  3lugen,  bie  nod^  großer  geworben  ju  fein  fdjienen,  funfeiten  uuftet. 
SUIeö  in  2lHem  fc^ien  fie  in  ber  ge^obenften  greubenftimmung.  Gs  tt>at 
bem  S3ater  leib,  biefelbe  jn  unterbred)en;  aber  er  wußte  aus  Grfafynmg, 
ba§  Slufregungen  fd^äblid)  auf  Gäcilien  wirften. 

Hubert  empfahl  fid^  nac^  einiger  Seit,  um  an  feine  9lrbeit  ju  geljcn. 
9)?an  wollte  i^n  ni$t  langer  jurücf galten.  Sucie  aber  rief  il)tn  beim  i}lb- 
fd^teb  ju:  „^üten  Sie  fxc^  cor  bem  f leinen  ^afob,  wenn  wir  einmal 


  (Dtto  2\oqucttc  in  Darmftabt.   


nicht  erfahren  follen,  wie  Sie  (e6en!  (Sr  bringt  uns  jeben  borgen  frifd&c 
Blumen  uom  ©ärtner  unb  ift  eine  ^pfaubertafdje!" 

2lls  Hubert  gegen  2lbenb  einen  Spaziergang  burd)  ben  $arf  maä)te, 
trat  ihm  aus  einem  Seitenwege  grau  Steinbach,  bic  £ante,  entgegen. 
(5S  machte  ftdj  non  felbft,  baß  er  fid)  ihr  im  ©efprädj  anfdjloß.  „Sie 
haben  beute  fehr  2)ierfroürbigeS  bei  uns  beroirft!  fagte  fie.  Gäcilie  ift  in 
einer  Söeife  aus  fid)  heraufgegangen,  wie  mir  es  nodj  nie  an  ihr  gefehen 
^aben.  9lber  wenn  Sie  fonft  nicht  »erfdunaljen,  wieber  mit  it)r  31t 
muiicieren,  bitte  —  bann  fchränfen  Sie  bie  Slnjafil  ber  ©efänge  etwas 
ein!  GS  wirb  Sie  ja  wof)l  feine  Ueberwinbung  foften!" 

w3ft  Sröukw  Gäcilie  fein"  teibenb  ?"  fragte  Hubert. 

„Sic  muß  fo  bebanbelt  werben,  obgleich  bic  Sierße  uns  tröften,  baß 
tf)r  £er$fet>Ier  nid)t  unbebingt  jn  fürchten  gebe.  3£ie  bem  aud)  fei  — 
Sie  haben  felbft  gefehen,  weld/  ein  partes  sJ>flänsd)en  wir  in  unserem 
&aufe  ju  behüten  haben.  Sie  ift  wie  ein  Stinb  —  swar  geiftig  fehr 
entwicfelt,  fo  baß  man  gelegentlidj  über  fie  erfiaunt,  bennodj  aber  in  fid) 
oerfchloffen,  unb  es  ift,  als  ob  fie  aus  ihrer  inneren  $Selt  mit  Grftaunen 
auf  ihre  Umgebungen  blitfe." 

„3a,  biefe  2lugen!"  fagte  Hubert.  „3$  l)<xbe  mid;  in  ber  erfteu 
Stunbe  faft  gefdjeut  oor  ihnen." 

„GS  geht  uns  9lnbern  auch  wof)l  fo,  entgegnete  bie  alte  ©ante.  Sir 
müifen  ftets  fehr  genau  hincinKhen,  um  baS  9iid)tige  barin  $u  lefen. 
l'ucte  allein  oerfteljt  biefe  Spradje  ganj.  Sie  werben  begreifen,  baf? 
unfre  Gäcilie,  bei  ihrer  #infälligfeit,  ein  uerjogeneS  unb  eigenwilliges 
flinb  werben  mußte.  9)ton  oermieb  9IUeS,  um  ihren  Gigcnftnu,  ihre 
#eibcnfchaftlid)feit  ju  werfen,  ©iefe  aber  fprid)t  juweilen  bennod)  aus 
ihren  3lugen,  ja,  id)  oerfidjere  Sie,  es  $udt  in  gewiffen  2tugcnblicfen  fogar 
etwas  SämonifdjeS  barauS  h^oor,  was  fid)  mit  biefer  uon  ber  ÜWatur  fo 
windig  auSgeftatteten  ©eftalt  gar  nicht  vereinbaren  läßt.  %a,  bie  £eftigfeit 
beS  ftinbes  gewinnt  bann  aud;  SBortc,  bie  —  ad),  unfre  Sucie  ift  eigentlich 
bie  Ginjige,  bie  fie  richtig  $u  beljanbeln  weife!  Sie  ift  ber  gute  ©eift 
unfres  Kaufes,  oljne  ben  wir  faum  ju  leben  wüßten!" 

DiefeS  Hob  SucienS  tl)at  bem  Sutyoxev  fehr  wohl,  boch  »erfdjloß  er 
es  mit  Schweigen  in  feiner  SBruft.  $ie  £ante  aber  fuhr  fort:  „Gäciliens 
SBater  unb  id)  fönnen  in  unfrer  Sorge  eben  nicht  umhin,  baS  junge 
ÜKäbdjen  als  eine  ßranfe  ju  behanbeln.  £aS  aber  will  Gäcilie  nid)t. 
Sie  fennt  feinen  anbern  3uftanb  als  ben  ihrigen,  unb  nimmt  ihn  in  einer 
3trt  oou  ftarfwißiger  ©enügfamfeit  fyn,  wie  er  ift.  Sucie  aber,  wie  fie 
auch  bie  einzige  ganj  ©cfunbe  in  unferem  £aufe  ift,  beftärft  bie  kleine, 
in  bem  ©efühl  ihrer  Sufriebcnheit,  wenbet  im  Stillen  ab,  was  fie  reiben 
ober  ftören  fönnte,  unb  forgt  in  fluger  Söeife  beffer  für  Tie,  als  wir 
beiben  9lltcn  cS  rermögen.  9lber,  oerjeihen  Sie!  Sie  müifen  biefer 
Sd)ilberung  längft  mübe  fein  —  mir  ift  es  bod>  lieb,  mit  ffinen  gefprocheu 


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  ^  rüljlingsfiimmcn.    {{ 

tu  fjaben.  ©inige  $erf)altungSregeln,"  fugte  bie  alte  Taute  lädjelnb 
f)in$u  „werben  Sie  meinen  iDlitt&eilungen  ja  audj  freunblid)  entnehmen!" 

(Sine  SBodje  barauf  ljatte  ficr)  Hubert  oollfommeu  mit  ber  gamilie 
eingelebt.   3war  fragte  er  fid&  juweilen,  ob  er  red)t  tfme,  bie  ©ajtlia> 
feit  in  biefer  Sßeife  auszubeuten;  allein  er  wufete  nun  fd^on,  bafe  man 
ir)n  auSgelacfjt  (jaben  würbe,  wenn  er  fidr)  aus  folgern  ®ruube  r)ättc  jurücfs 
jiefjen  wollen.   Sßar  bod)  ber  3>erfef)r  mit  ben  £auSgenoffen  immer  nur 
auf  wenige  XageSfhtnben  befdjränft.   Ter  S3au  auf  ber  gabrif  fjatte  be* 
gönnen,  unb  forberte  r)aufxg  feine  ©egenwart;  aud)  an  feinen  9teijjs 
breitem  madjte  er  fid)  nod)  oiel  ju  fdjaffen.   Tajj  bei  Tifdje  unb  fjin  unb 
roieber  SlbenbS  baS  ©efpräcr)  jwifcrjen  ifmt  unb  bem  Jabriffjerra  fidr)  audp 
über  XecrjnifdjeS  oerbreitete,  liejjen  bie  Tarnen  fidr)  fdjroeigenb  gefallen; 
bafür  mufjte  er  ifjnen  audj  oon  feiner  gamilie,  feiner  SJtutter  unb  <£djwefter, 
er$äfjlen  unb  fanb  fiets  freunbltcr)e  ,8uf)örer.   @r  freute  fid),  bajj  Sucie  fidt) 
immer  gleid)  blieb  in  it)rer  natürlichen  SiebenSwürbigfeit  unb  iljrem  jus 
gleidj  fo  tactoollen  SBefen;  bagegen  tonnte  er  ficr)  in  CSäcitieu  je  länger 
je  weniger  ftnben.    6ie  fpradt)  wenig,  ifjre  2lugen  aber  waren  faft  unoer* 
roanbt  auf  ifm  gerietet.   SBon  itjrer  geiftigen  ©ntwicfelung,  welcher  bie 
Xante  baS  SBort  gerebet,  t)atte  er  nod)  nichts  entbecft;  im  ©egentjjeil  gab 
ee  Slugenblicfe,  wo  er  awifctjen  Scr)recf  unb  3Tiitleib  bie  Sieben  eines 
imbecilen  ÄinbeS  $u  rjören  glaubte,   ©r  bemerfte,  wie  Sucie  in  folgen  gaffen 
fctjnell  für  fie  eintrat  unb  ir)rc  2ßorte  ber  Unterhaltung  anjupaffen  wufjte. 

2(lS  Hubert  eines  XagcS  in  ber  gabrif  nact)  einigen  3lbbilbungen 
fragte,  bie  nid&t  gleid)  $u  finben  waren,  fagte  ber  alte  ©erfmeijter:  „Tann 
werben  fie  in  ben  ^immern  beS  &errn  SKeinfjolb  fein."  <5r  fd)idte  bar)in, 
um  fie  ju  fuct)eu.  Hubert  erfuhr,  bafe  ein  SRcffe  beS  £errn  Tormann, 
9tomenS  iJteinfjolb,  ber  in  ben  SBerfftätten  feine  »raftifdjen  Stubien  gemadjt, 
nocf)  feine  2Sofmung  in  bem  alten  #aufe  rjabe.  Ter  Dljeim  r)atte  irjn, 
$um  Xtjeil  in  ©efd)äften,  mefjr  aber  ju  feiner  2luSbilbung  auf  ein  ftalir 
nacf)  2lmerifa  gefdjitft.  Hubert  ermähnte  feiner  nicrjt,  ber  #auSf)err  felbft 
aber  tfyxt  es  eines  XageS  bei  Stfdje,  inbem  er  erjäljlte,  er  f)abe  einen 
Srief  oon  9ieinr)olb  erhalten,  auf  weldjen  bie  SRücfferjr  beS  Detters  wof)l 
balb  folgen  werbe. 

(Säcilie  futjr  auf,  als  fie  biefen  tarnen  nennen  Ijörte.  ^Ijre  klugen 
funtelten  wie  jornig,  unb  mit  ^eftigfeit  rief  fie:  „Qx  barf  nicfjt  In'er  bei 
uns  wohnen !  9?ein,  ^aoa,  er  barf  nicfyt !  <sr  würbe  bei  uns  21ÜCS  uer* 
änbern  unb  jerftören!" 

„3lber,  mein  UebeS  tfinb,  er  rjat  ja  braufjeu  feine  woljleingeridjtcte 
■ilSofmung!"  begütigte  ber  SSater. 

Gäcilie  aber  ful)r  erregt  fort:  „Tu  follteft  ilju  gar  uidjt  311  uns 
wieberferjren  laffen!  @r  ift  mir  oerrjaßt.  2ßenn  id;  fein  wiberwdrtiges 
©eftajt  fünftig  oon  Beuern  unb  alle  Xage  fer^n  fotl,  bann  werbe  \d)  franf 
oor  3lerger!  Qx  foll  nid)t  $u  uns  5urüc!fer)rcn  —  nein,  id)  will  es  uitt)t!" 


\2    (Dtto  Koqacttc  in  Dcmnftabt.  

©ine  fo  lange  9iebe  fyatte  Hubert  oon  (£actlien  nodfj  nidjjt  gehört,  uub 
es  überragte  it)n  sugleid)  bie  Energie,  mit  melier  bas  Heine  SBefen  ihrem 
©rolle  2luSbrucf  gab.  üttan  fudjte  baS  iungc  2fläbchen  §u  beruhigen.  (rs 
fei  ja  immer  nod)  eine  2Heile  InX  bis  er  9iem=2)orf  oerlaffen  tonne,  unb 
es  liefee  ftd)  oielleidht  eine  fonftige  Stellung  für  ilm  finben. 

Söon  biefer  Stunbe  an  mürbe  Hubert  etwas  aufmerffamer  auf  (Säcüten, 
richtete  Sßorte  unb  fragen  mc*)r  an  fa/  unD  empfing  mandje  Statroort,  bie 
er  nid)t  erwartet  tjatte.  Sie  wagte  ficlj  aus  ihrem  inneren  9tücfhalt  hcroor, 
oerlangte  f leine  Xienfte  oon  if»n,  unb  beoorjugte  ilm  augenfällig.  Sie 
übte  fidj  Sieber  ein,  bie  er  als  befonberS  fdhön  bejeid^net  hatte,  unb  bat 
bann,  bafj  er  fte  begleiten  möd)te.  ©ine  ©ntmicfelung  festen  fidt)  in  ihr 
5U  oolljieben,  über  meldte  ihre  9lngehörigen  überrafdjt,  unb  jwar  freubig 
berührt,  waren,  bie  ihm  aber  ein  unbehagliches,  ja  peinliches  ©efüfjl  gaben. 
£enn  fo  ungern  er  es  fidt)  geftehen  mochte,  ©äciltens  Singen  fugten  ihn 
allein,  fpradjen  allein  ju  ilmt,  unb  nur  ifmt  friert  tf)r  ganzes  Sßefen 
gehorchen!  Sie  las,  wooon  er  mit  Seifall  gefprodfjen;  [\e  $e\lte  93lumen 
vor  fid)  auf,  bie  er  im  ©arten  bemunbert  fjatte.  @r  jätete  fidj  bereite, 
irgenb  etwas  als  ilmt  angenehm  $u  bezeichnen,  benn  es  mufjte  für 
ihn  ba  fein,  ober  ihre  eigene  Umgebung  fdjmücfen.  2Baren  es  immer 
ttleinigfeiten,  fic  fonnten  nicht  »erborgen  bleiben.  @S  gefd)ah  oor  Silier 
2lugen,  unb  2llle  täfelten  nur,  wie  man  fid)  über  baS  ©lücf  eines  ÄinbeS 
freut.  Ober  wufcten  fie  nur  flug  ju  oerbergen,  was  fte  innerlich  boch 
beunruhigte?  SDiefe  grage  taufte  in  bem  ©emüth  beS  jungen  Cannes 
plöfetia)  erfd)recfenb  auf,  unb  er  fnüpfte  bie  anbere  baran:  ob  er  in  Meiern 
§aufe  länger  oenocilen  bürfe? 

Unb  mit  Sucien  hatte  er,  obgleich  balb  ein  3)Jonat  oerfloffen,  noch 
nicht  jelm  Sorte  ollein  gefprodjen,  roie  fehnlich  er  aud)  bie  (Gelegenheit 
baju  fudjte.  ©leidmwhl  beftanb  bereits  ein  fchwetgenbeS  Vertrauen  jwifeben 
ihnen.  $e$og  es  fid)  aud)  immer  auf  Gäcilien,  fo  beglüefte  es  i^n  bodj. 
Gin  ftummer  "Mnt,  bieS  ober  jenes  ju  th'un,  ein  paar  geflüfterte  23orte 
etwas  3U  oermeiben,  ein  heller  Slicf  beS  ©inoerftänbniffeS  —  baS  war 
ihre  Sprache  unter  einanber,  welker  er  felbft  auch  wof>l  nod)  einige  beionbere 
3eid)en  feiner  (Smpfinbung  hinjufügte. 

2lls  er  eines  Borgens  bie  Xf)ür  beS  93ibliothef$immerS  öffnete,  um 
in  einem  2I*erfe  über  3lrd)iteftur  etwas  nach$ufd)lagen,  fufjr  er  faft  jurücf, 
beim  er  fanb  fiueie  an  einem  ber  Sdnänfe,  roetdje  literarifd^e  unb  poetifebe 
5li>crfe  enthielten. 

„C  —  fo  früh  Won  bei  ben  Suchern  V  rief  er  in  freubiger  lieber* 
rajehung.    ©S  war  in  ber  %\)ai  erft  fieben  Uhr. 

„Guten  borgen!"  entgegnete  fie  unbefangen.  „34)  mufe  mich  eilen, 
um  beim  grühftücf  beweijen  ju  fönnen,  bafc  id)  geftem  9lbenb  !KcdE)t  gehabt. 
&Mr  ftritten  nämlid)  über  ben  ^erfaffer  eines  ©ebid)teS.    Gäcilie  befwtete 


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  ^riüjlntgsjtimmen.    \3 

fct  oon  Geitau,  bte  Xante  fchneb  e$  Ufilanb  $u,  unb  ich  wollte  dltötxt 
$um  9?erfaffer/' 

„2£cnn  Sie  mir  ben  Xitel  ober  Anfang  bejeidmen,  fönnte  id)  Shnen 
»ielleidjt  Reifen.        habe  früher  oiel  in  Spoefie  gefdjroelgt." 

„X)a$  tjl  nun  frei(idt)  ©ebeimnifj  ber  #rauengemächer!"  jagte  Sucie. 
„9lber  wenn  ich  bebenfe  —  ba  flehen  allein  oon  9iüdfert  fünf  öänbe  ©ebichte, 
jtoei  von  £enau,  unb  Uhlanb  baju  —  ich  fönnte  redj)t  lange  fudjen !  2llfo  — 
ba3  ©ebidjt  beginnt  mit  ben  Söorten*  .Gr,  ber  &errlichfte  oon  Slllen'" 

—  fiucie  blicfte  babei  fcheinbar  gleichgültig  in  ben  Südjerfchranf,  toährenb 
Hubert  ftufcte  unb  fich  ebenfalls  abroenbete. 

„©3  tft  oon  ßhamijfo/'  entgegnete  er  trotfen;  „au3  beut  Gncluä: 
grauenliebe  unb  &eben." 

„2öo  r)atte  ich  meine  ©ebanfen?"  rief  £ucie.  „Sie  rjaben  3ied^t! 
Unb  Robert  Schumann  fjat  e$  in  Sftufif  gefefet.  SSMr  befifcen  ja  ba$  &eft. 
2tlfo  ba|er  bat  fie  es!  —  £>ann  werben  mir  e£  rooftf  balb  einüben.  3$ 
banfe  3hnen,  §exx  Eitting,  bafc  Sie  mid)  be3  langen  Suchend  über; 
hoben  haben!" 

Sucie  fd)loß  ben  Sdjranf  unb  fajien  bie  iMbliotfjef  oerlaffen  ju  motten, 
toährenb  Hubert  jroif^en  Verlegenheit  unb  Gntfdhlufe  fämpfte.  £ann  rangen 
fi<$  plöfelich  oon  feinen  Sippen  bie  SBorte: 

„^raulem  £ucie  —  ratzen  Sie  mir!  2Bär'  e$  nicht  am  beften,  id; 
oeTliefce  ba§  £au3  —  ?" 

finde  blicfte  ihm  mit  ruhigem  ©ruft  entgegen.  Xann  fagte  fie:  „gür 
Sie  felbfi  märe  ba«  oielletdjt  angenehmer  —  aber  roaS  toirb  aus  uns, 
roenn  Sie  gehen?" 

„3lu$  —  unäV  rief  er  mit  freubigem  ©rrötljen.  „0,  Jräulein  i'ucie, 
mürben  Sie  meine  ©egemoart  ein  wenig  oermijfen?" 

Sie  unterbrad;  tr)tt  fd)nell.  „20a«  Gäcilie  trifft,  fann  nicht  ohne  25e= 
beutung  für  bie  gute  Xante  unb  fürmidj  bleiben.  2Öir  fönnen  \l)x  nidjt 
erfefcen,  toa3  fie  jefct  an  ©lud  befifet  —  roenigftens  ju  befifcen  träumt. 
2£er  möchte  für  ben  Ginbrud  beim  (Srroadjen  fter)en  ?" 

„3lber  barf  ber  Xrauin  benn  f ortbauern  ?"  rief  er  erregt.  „Unb  barf 
ich  iMcfy  aud;  fragen,  roaä  baratfS  toerben  foll?  3<h/  ber  ich  mich  im 
anberen  #alle  hodjbeglficft  fühlen  fönnte  —  füllen  Sie  mir  nach,  bafj  ich 
mir  faft  lächerlich  oorfomme?" 

„9fein,  lieber  &err  SBtttiug,  baS  fann  ich  3hn<m  nicht  nachfühlen!" 
entgegnete  fie  lädjelnb.  „2lber  baß  Sie  fid)  unbehaglich  fühlen,  unb  baf? 
3(men,  al^  einem  rechtlich  unb  ebel  gefinnten  jungen  9)iann,  bie  Situation 
im  §auje  etroa«  peinlich  fein  mufj,  baö  erfennen  .§err  Thontiann  unb  bie 
gute  Xante  Techt  wohl.   Unb  roa^  mich  betrifft  —  ich  benetbe  Sie  nicht 

—  bei  allem  Mitgefühl  für  Gäcilie." 

;,3lber  roa«  foll  idj  baoon  benfen/'  rief  er,  „bafj  ^err  Xhormann, 
roa^  er  mit  9lugen  fieht,  fo  ruhig  gehen  läfit  V  3)Jüf}te  er  mich  nicht  eigeutlid; 


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  (Dito  Hoqucttc  in  DarmftaM. 


felbft  oeranlaffen,  fein  &auS  3U  meiben,  gleid()üiel,  ob  id(j  oerbredfjerifdje 
£{)orf)eit  im  ^erjen  nährte,  ober  nur  ®egenftanb  —  für  ein  oieüetd&t 
fjerannafjenbeS  Unheil  bliebe!" 

„&err  Sljormann  unb  bie  £ante  galten  ju  oiet  von  Sfyuen,  um  ^i)ve 
bauernbe  ©egenwart  im  &aufe  nidjt  ju  wünfdjen!  Sitte,  faffen  Sie  feinen 
übereilten  ©ntfdjlufj!  hieben  Sie  mit  feinem  oon  Reiben  von  einem  9U>= 
fd)ieb!  Vertrauen  Sie  mir!  3$  roiß  wacfjfam  fein.  Unb  wenn  ia)  nidjt 
eine  gefiederte  Ueber^eugung  in  mir  trüge  —  mürbe  id&  Sie  fo  geladen 
juriic!  falten  ?" 

Sie  lefcten  2ßorte  Hangen  boppelfinnig,  unb  Hubert  beutete  fte,  von 
greube  burdfoudt,  nad)  feinen  2$ünfdjen. 

„Sucte!"  rief  er,  i§re  £anb  ergreif  enb.   „2Benn  id^  Ijoffen  bürfte!" 

„£aS  müffen  mir  laffen,  He6er  greunb!"  fagte  fie,  ifmt  ityre  £anb 
rafä)  cnt5ier)enb.  „Sie  £age  forbern  mid)  t)ter  ganj  unb  gar.  3$  fntfre 
^flidfjten  —  gebenfen  Sie  aud)  ber  ^fjrigen!" 

Somit  eilte  fte  aus  bem  ^immer. 

£mbcrt  aber  ftanb  in  lebhafter  ©rregung  unb  oergafc,  baS  Sud)  nadf); 
jufdflagen,  um  beffen  willen  er  gefommen  mar.  (£r  Ijatte  im  reinften  Sers 
trauen  mit  &ucien  fpredjen  bürfen,  unb  audj  baS  rafdfje  Söort,  weldfjeS  er 
gewagt,  mar  von  iljr  oerftanben  worben.  (Sine  uöllige  Slblefjnung  wollte 
er  aus  it>rcr  lefcten  SSenbung  nidjt  gehört  faben,  fonbern  e&er  ein  ftiHeS 
(rinoerftänbnijj,  unb  auefj  wieber  ein  Vertrauen  auf  feine  2luSbauer  unb 
ruhige  Haltung.  Unoerftänblid)  blieb  ifmt  freiliaj  bie  Sorglofigfeit  beS 
Kaufes  in  Setreff  GäcilienS  unb  baS  3umficf)tlia;e  in  beu  2Borten 
l'ucienS,  wäf)renb  er  felbft  bodf)  feiner  günftigen  £öfung  entgegen  fe^en 
fonnte! 


Ser  Sommer  braute  Regentage,  meldte  bie  Hainen  auf  baS  ,§auS 
beföränften.  &ubert  fjatte,  um  baS  oiele  Sfluficiren  3U  oermeiben,  £ucien 
fdjon  öfter  im  Striefen  abgelöft.  Sa  man  if)m  gern  juljörte,  rourbe  er 
nad)  unb  nacb  in  feinen  9)Ju§eftunben  ber  eigentliche  Sorlefer,  unb  man 
burfte  fia)  auf  feine  Vlu3maf)(  oerlaffen.  @s  mar  an  einem  oöllig  oer* 
regneten  Sonntag,  als  fid)  bie  ganje  §amilie  9tod)mtttagS  in  baS  33ibliotr)ef- 
jimmer  begab,  um  es  fia)  an  bem  runben  Xifd)  bei  einem  Sudje  befiaglidj 
ju  madjen.  £ubert  I>atte  Gtdjenborffs  ItebenSwürbigen  „Taugenichts"  au» 
bem  Sdjranfe  genommen,  eine  ©efdjiajte,  meldje  ber  ©efellfdjaft,  aufecr 
fiueien,  nod)  unbefannt  mar.  %lad)  einer  Ijalben  Stunbe  3uf)öreuS  waren 
2lllc  in  bie  fjeiterfte  Stimmung  werfest. 

Sa  öffnete  ber  Siener  bie  £f)ür  unb  rief  in'S  ^i'un^r: 
„Ser  £err  Meinljolb  ift  plötilid)  angefommen!  Gr  legt  im  Sorfaal 
bereite  ab." 

3lüeö  blidte  nicf)t  ofme  Seforgnifc  auf  Gäcilie,  beren  kippen  fic^ 


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^rnfilingsfHmmeri. 


15 


aufeinanberprefcten,  wäfjrenb  es  rote  glühenber  3oxn  aus  ihren  STugen 
fprühte.  25er  Hausherr  ging  hinauft,  ben  Neffen  ju  empfangen,  mefteidjt 
auct)  fein  ©intreten  oerjögem.  Slber  fdjon  jwei  Schritt  oon  ber  Schwelle 
tarn  SHemlwlb  ihm  entgegen  unb  trat  mit  ger&ufchooUer  33egrüf?ung  in  bas 
3ünmer.  ^ebe™  bie  $anb  fchüttelnb,  ging  er  oon  einer  ber  tarnen  pr 
anbern,  mit  oielen  SBorten  beS  SöiflfommenS,  (adjenb  unb,  wie  es  fd)ien, 
oon  ber  greube,  meldte  fein  fiberraf<f>enbeS  Eintreffen  erregen  mufjte,  feft 
überzeugt. 

„Unb  Du,  mein  Keiner  Sdjafc!"  rief  er,  fidt)  neben  Gäeilie  nteber; 
laffenb.  „91a),  was  für  ein  fleine«,  fa)maleS  2lffenhänbd)en  Du  noa)  immer 
fjaft!  Unb  fo  folt,  fo  falt!  $a)  will  es  Dir  in  meiner  &anb  warnten!" 

„Ungejogener!  Unterjteh'  Dtd)!  2Beg  oon  mirl"  tief  (Säcilte,  über 
feine  Annäherung  aufgebracht. 

tReuu)olb  aber  Iad)te:  „&oho!  2Bie  böfe!  SSarte.nur,  la)  oerföhne 
Dia)  balb,  wenn  ia)  Dir  jeige,  was  id)  Dir  mitgebracht  tyabe!" 

©r  würbe  barauf  mit  Hubert  befannt  gemalt,  oor  bem  er  fid)  nur 
flüchtig,  bodj  nicht  ohne  einen  fcharf  prüfenben  SBIicf,  oerneigte. 

Hubert  fah  einen  jungen  3Kann  oon  etwa  ffinfunbjwanjtg  fahren 
oor  fid),  gut  gewad)ien,  ein  wenig  jur  ftülle  geneigt,  mit  fdjönem  Schnurr* 
bart  unb  in  mobemfter  Steifefleibung.  Seine  3uaA  fein  ganjeS  SBefen, 
fpraa)en  bas  oollfommenfte  Sia)erheüSgefühl  aus,  ofnte  bafj  er  ftd)  fd)on 
anmafeenb  ober  formwibrig  betragen  t)ätte.  2faa)  fajien  weber  $err  ^ormann 
noa)  bie  £ante  (SäcilienS  ftarfen  SöiberwiHen  gegen  itnt  ju  teilen,  Sie 
liefen  ifnt  plaubern  unb  erjagen,  fragten  ü)n  allerlei,  ladeten  über  manage 
feiner  Späfje,  fo  baj?  er  ftd)  ihnen  gegenüber  beS  angene^mften  SBtHfommenS 
getröften  fonnte.  Hubert  fd)wieg,  ba  er  feine  Gelegenheit  fanb  in  bie 
Unterhaltung  einjugreifen.  Der  junge  SSeltmann  mißfiel  ihm  nta)t  gerabe, 
er  glaubte  fogar  mannen  faßbaren  on  ihm  ju  erf ernten;  adein  ein 
befttmmtes  Gefühl  wollte  ihm  oorauSfagen,  bafj  oon  9ieimjolb  aus  fid)  ihm 
ein  ßonflict  oorbereiten  werbe,  ber  feine  33ejief)ung  5um  &aufe  Xlwrmann 
oeränbern  muffe.  Diefen  Gonflict  wollte  er  jebodj  mÖglia)ft  lange  oer* 
meiben,  unb  er  befa)lofj  beshalb  heute  bie  Jamilie  unter  fich  ju  laffen.  211$ 
man  fia)  erhob,  um  in  baS  Speife^immer  5U  gehen,  wo  um  ber  SBewirtfjung 
9teinholb$  willen  ber  9lbenbtifd)  etwas  früher  hergerichtet  worben  war,  unb 
er  fi«h  ftillfchweigenb  entfernen  wollte,  faf)  er  plöfclia)  Gäeilie  an  feiner  Seite: 
„flammen  Sie  $u  uns!"  flüfterte  fie.  „3a)  fpeife  mit  Sucien  allein." 
„Unmöglich,  gnäbigeS  #räuletn!"  gab  er  jurücf.  „3a)  bitte  fogar 
mia)  für  ben  SReft  be3  9lbenbS  oon  ber  ©cfellfchaft  ju  beurlauben." 

„SBenn  Sie  bod)  nicht  bei  uns  bleiben  wollen/'  entgegnete  fie  fd&moffenb, 
„fo  ift  es  mir  gleich,  wohin  fie  gehen!"  Schnell  aber  wieber  in  freubtgen 
ion  übergehenb,  fut)r  fie  fort:  „2lber  morgen,  nicht  wahr?  2Öir  fingen 
wieber,  unb  oiel  —  unb  immerju,  bafe  ber  oerhafete  SWenfo)  gar  nia)t  mehr 
ju  Söorte  fommen  foü!" 

Kail  unb  6ib  L.,  1«.  - 


16 


  0tto  Roquctte  in  DarmftaM.   


(Sin  paar  £agc  «ergingen,  olme  bafj  eine  2lmtäfarung  ber  beiben 
jungen  Scanner  ftattgefunben  fatte.  Hubert  fud)te  fie  nid)t,  unb  Weiiu)olb 
friert  fic^  irtel;r  auf  baS  Beobachten  beS  unerwarteten  ®afteS,  ben  er  im 
&aufe  oorgefunben,  $u  befdjränfen.  25er  junge  Baumeifter  füllte  fid)  in 
biefen  Sagen  befonberS  unbefagltd)  in  ber  gamilie,  benn  (Säcitie  tfat 
2llleS,  um  bie  ©unft,  in  ber  er  bei  ben  Sfaigen  unb  bei  ifa  felbft  ftanb, 
red)t  in  baS  £td)t  p  fcfeen.  Um  biefe  2tuffälligfeit  ju  befd)ränfen,  liefe 
er  jwei  Sage  [einen  Sßlafc  am  3ftittagStifd)e  unbefefet  unb  entfdjulbigte 
fid)  mit  Besorgungen  in  ber  Stabt.  9lbenbS  fonnte  er  aber  ber  ©inlabung 
in  bie  gamilie  nid)t  entweichen.  ®r  muffte  am  Glauier  (SäcilienS  ©efang 
begleiten,  bie  „grüf)lingSftimmen"  unb  2llleS,  was  fie  fonnte.  Sie  gab 
bem  Detter  §u  faren,  was  fie  geineinfam  gelefen,  unb  mar  lebhafter,  als 
biefer  fie  jemals  gefefan  fatte.  Unb  ber  Bater  unb  bie  £ante  fafan  unb 
Nörten  baS  an  mit  einem  2äa)cln,  falb  beglücft  unb  falb  wehmütig  — 
fetbft  Hubert  begriff  es  nicht;  um  fo  mehr  muffte  es  bem  Better  auffällig  fein! 

ftcinljolb  gab  fidj  gleid)woh(  ganj  gelaffen  unb  leidet,  als  beobachtete 
er  ma)ts  BemerfenSwertfaS.  ©leidjwohl  füllte  er  fid)  innerlitt)  auf  baS 
Stärffte  farauägeforbert.  CDic  Bergröfcerung  unb  baS  Bauen  in  ber 
gabrtf  moa)te  lungeren,  e$  tag  it)m  wenig  baran;  ber  Baumeifter  aber 
fd)ien  ifai  ein  ßinbernifj  §u  werben,  war  eS  üiclleid)t  fd)on  geworben! 
SJton  fatte  biefent  bie  Limmer  im  oberen  Stocfroerf  ber  Billa  eingeräumt, 
mäfaenb  er  felbft  in  ber  ftabrif  wofaen  muffte;  £err  £fannann  unb  bie 
£ante  waren  feines  £obeS  ooU;  ©äcilie  beoorjugte  ifa  ganj  offen;  fein 
©tnflufj  im  £aufe  war  unuerfennbar.  $)em  muffte  gefteuert  werben,  unb 
9ienü)olb  faffte  es  in  ber  einfad)ften  äöeife  ju  tfan. 

Hubert  ftanb  eines  Borgens  über  fein  9iei§brctt  gebeugt,  um  feine 
lefete  große  .JJddjmmg.  ju  ooÜenben.  2£ar  biefe  fertig  —  unb  er  faffte 
fie  bis  morgen  ju  bewältigen  — ,  bann  war  ein  fo  großer  9tam  für  feine 
Slrbeit  nid)t  mefa  nöthig,  unb  er  wollte  &errn  S^ormann  bann  bitten, 
Um  nad)  ber  gabrif  überfiebeln  ju  laffen.  Gr  war  nerfrimmt  über  feine 
Stellung  in  ber  gamile,  mefa  nod)  bebrütt,  bafj  &ucie  ilmt  in  feiner 
SGBeife  entgegen  fam,  ihm  fogar  jebe  Annäherung  ju  crfd)weren  fud)te. 

$a  würbe  ftarf  an  feine  £()ür  gepod)t,  unb  farein  trat  9ieim)olb, 
ofae  &ut,  mit  angejünbeter  Gigarre,  wie  ju  einem  ganj  familiären  ©efpräd). 
„©Uten  £ag,  #err  Baumeifter!  Staffen  Sie  fid)  bei  ber  3lrbeit  nicht 
ftören!  3<h  fomme  auf  ein  $piauberftünbd)en,  weld)es  wir  einanber 
eigentlid)  fd)ulbig  fmb."  Gr  betrachtete  Huberts  Zeichnung  einige  klugen* 
blicfe.  „Ellies  fefa  fcfan!"  fuhr  er  fort.  „$er  Dnfel  fann  fid)  gratuliren  !" 
£ann  warf  er  fid)  in  bie  Gcfe  beS  SopfaS,  Hubert  gegenüber,  unb  be= 
gann  in  ebenfo  bequemer  Söeife  ein  ©efpräd),  weld)eS  er  balb  auf  bie 
fauslid)en  Berfattniffe  übersuleiten  wuBte.  „(5S  ift  am  Beften,"  fu^r  er 
fort,  „wenn  id)  ^faen  fage,  wie  id)  jum  ^aufe  meines  CfaimS  ftefa. 
3d)  werbe  nämlid)  meine  Coufine  Gäcilie  fairatfan/' 


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^rnfylingsftimmen.   


Hubert  futjr  von  feinem  3ei<$en&rett  ßuf  unb  fal)  Um  erftaunt  an. 

„9hm?  2Öa«  fiufeen  Sie  benn?"  fragte  9ieinf)olb  mit  einem  fd)arf 
prfifenben  ^licfe. 

„2$erjetf)en  Sie",  entgegnete  Hubert,  ,,e«  ift  §tytt  eigene  Singelegen - 
^eit  — " 

„33erftef)t  fia)!  2lber  Sie  fdjeinen  überrafd)t  burd)  meine  Sttittyeüung. 
SSas  faßt  ^t)nen  babei  auf?  Sieben  Sie  ganj  offen!" 

„sBenn  Sie  bereit«  mit  gräulein  GäcUie  unb  öftrer  gamilie  barüber 
einig  finb,  bann  f>abe  id)  feine  Meinung  barüber  au«sufprea)en." 

„So  fefcen  Sie  einmal  ben  gall,  ta)  märe  —  mentgften«  mit  meinem 
Ctyeim  noa)  nid)t  einig  barüber  — " 

„$ann  mürbe  ta)  meine  SBerrounberung  nid)t  oer&ef)len,  roie  ein 
9Wann  baran  ben!en  fömtte,  ftd)  eine  fo  —  fo  fränflia)e  junge  $ame  $ur 
©attin  §u  wählen/' 

„So?  Seiter  nid^t^  ?"  entgegnete  9ieinf>oIb.  ©leia)  barauf  fing  er 
an  ju  lad)en.  „Sie  fdjerjen!  ßäctlie  ift  eine  ber  reid)ften  Partien  auf 
weit  unb  breit.  3d)  bin  ja  nid)t  ber  ©injtge,  ber  ba«  in'«  2tuge  faßt. 
2Ber  fie  $ur  grau  geroinnt,  ber  ift  burd)  ba«  <£rbe  Dnfel  £fwrmann« 
gefta)ert;  unb  fo  roünfdje  id;,  rote  id)  tfmt  unb  ifjr  einer  ber  9Md)ften  bin, 
aud)  mir  felbft  ber  9täd)fte  5U  fein/'  iWein^olb  ftredte  fid)  ber  Sänge 
nad)  auf  bem  Sofa  au«  unb  warf  einen  Settenblid  auf  ben  3^örer. 

„Ta«  ift  Stiles  flar  unb  oerftanblid),"  fagte  biefer,  an  einem  SBlet* 
ftift  fpifcenb;  „unb  roenn  gräulein  (Säcilie  Sfmen  ü)re  3uneigung  fd)enft  — " 

„3)tad)t  mir  feine  Sorge!"  fiel  9?einf)olb  ein.  „Sie  meinen,  weit  fie 
jefct  etroa«  fpifcig  gegen  mid)  tfmt  ?  $d)  fjabe  immer  gut  mit  it)r  geftanben, 
unb  tfjre  böfe  Saune  roirb  »ergeben,  greiltd)  fann  id)  mit  tf)r  nidjt  muficiren, 
wie  Sie  e«  fo  gerne  tf)un  — " 

„So  gerne  —  ?"  rief  Hubert  bajtoifd)en.  „9iun,  ja,  ba  e«  tf)r  unb 
i^rer  gamilie  eine  fleine  greube  berettet,  fo  fyxbe  id)  e«  aud)  gern  gettjan. 
Uebrtgen«  —  fjabe  id)  fd)on  bejfer  fingen  Ijören!" 

„flarat  td)  mir  fd)on  benfen!  $d)  aud)!"  rief  9ieuü)olb  lad)enb.  „2llfo, 
Sie  Ratten  nid)t«  einjuroenben  gegen  meine  &eiratf)  mit  Zaditen  ?" 

„2iMe  foüte  id)?  2lber  —  offen  geftanben,  beneiben  mürbe  td)  Sie 
eben  nid)t  um  biefe«  ©lücf.   ©in  fo  jarte«,  hinfällige«  junge«  2Sefen  — " 

„$af>!"  rief  SReinfjolb  mit  abroefjrenber  $anbberoegung.  „Äann  fein, 
fie  lebt  ntd)t  lange  —  u)r  Vermögen  bleibt  bod)  bei  mir!  Cime  Sentimen= 
taütät  —  Sie  f)Ören,  id)  bin  aufrid)tig!"  Gr  jünbete  eine  neue  (Sigarre 
an,  unb  ba  Hubert  nid)t  Sufl  ^atte  etroa«  ju  entgegnen,  fo  entftanb  eine 
firrje  ^ßaufe. 

£ann  begann  biefer:  ,?&m  feften  Sie  aber  einmal  einen  anberu 
galt.  £err  Tormann  ift  nod)  in  rüjtigen  ^xtw,  wenig  über  fünfzig. 
S^enn  er  fid)  roieber  üer^eirat^ete,  unb  Umt  in  ber  jroeiten  (£l)e  ein  Solm 
geboren  mürbe  —  ?" 

2* 


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18 


(Dtto  Soquctte  in  Dormfiabt. 


9tattf)olb  fuljr  vom  Sofa  auf,  augenfdjeinltdj)  im  Grnft  erfdforoden. 
„2SaS?"  rief  er  f>alblaut.  „Unfinn  —  es  tft  ja  lä#erli#!  Ober  wie  — 
tyit  fid&  etwa  in  meiner  2lbwenfenf)eit  bergCcid^icn  angefponuen?  34  war 
aufria^tig  gegen  Sie  —  jefet  fein  Sie  es  gegen  midj!  SHeben  Sie!" 

,,©S  iffc  ja  nur  ein  (SinfaU  oon  mir!  9lber  fo  ganj  abjumeifen  ift 
ber  ©ebanfe  bod&  ni4t!" 

„9Jein!  Sie  f)aben  91e4t.  Unb  plöfclidj  fommt  aua)  mir  fo  ein 
(SinfaU  —  ba  ift  eine  ^erfon  im  &aufe,  biefe  Sucie!  34  fa&c  fi*  n*e 
leiben  tonnen.  Söenn  bie  am  (Snbe  i^re  Stfefce  nad)  ifmt  ausgeworfen 
tyitte  -!" 

Hubert  füllte  fidj  oon  3°m  burd&judt,  Südens  tarnen  in  biefer  2>ers 
binbung  unb  oon  foldjeu  kippen  oerunefjrt  &u  Dören.  S)aS  39Iut  fajofj 
ilnn  m'S  ©cficr)^  er  jerbradf)  ben  unfdmlbigen  ©riffet  in  feinen  &änben 
unb  warf  bie  Stüde  hinter  fidf).  9ieüu)olb  mar  innerlich  ju  befajäftigt, 
um  es  ju  bemerfen.  §r  ging  ein  paarmal  rafdfj  im  Simmer  auf  unb 
nieber,  bann  blieb  er  fteljen  unb  fagte  ruln'g:  „34  glaub'  es  bodj  nidjt1- 
es  liegt  nidu*  in  ber  Statur  beS  2llten.  ftenfen  mir  nidjjt  me^r  baran! 
Unb  nun,  &err  Söttting,  nadjbem  \$  m{%  f0  rüdtjaltSloS  gegen  Sie  aus* 
gefproajen  f)abe,  tf)un  Sie  es  gelegentlidt)  audj,  unb  oiellei$t  fönnen  mir 
^ier  ganj  gut  neben  einanber  beftetyen.  3df>  will  jefct  meinen  Traunen 
nodj  etroaS  tummeln,   ©uten  borgen!" 

9ieinbolb  liefe  feinen  Traunen  anfangs  fd>arf  auSgreifen,  lenfte  tfm 
aber  im  SBalbe  balb  in  gemäd)lid)eren  Stritt.    GS  ging  ifmt  t>iel  im 
.tfopfe  umtjer.    Seine  (Siferfud&t  gegen  Hubert  burfte  er  oietteia^t  311m 
Sdjweigen  bringen,  fo  backte  er;  aber  bie  ©egenwart  beSfelben  im  #aufe 
feines  Dljeims  fdt)ien  ifwn  immerhin  gefäl;rlia).   Cb  &err  Tormann  bie 
2Ibfid)t  l;egte,  feinen  Neffen  im  SobeSfaUe  feiner  £odf)ter  junt  ßrben  ein* 
pfefcen,  mar  fraglich   $enn  SHemljolb,  oon  $aufe  aus  felbft  wot)lf)abenb, 
gehörte  aud)  nad)  bem  SBerwanbtfc&aftSgrabe  nid;t  ju  ben  nädtften  ©rb= 
berechtigten.    Sein  SBater,  ber  Sd&wager  beS  gabriffjerrn,  l)atte  ben  Solm 
oor  einigen  3^^r^  fcierfjer  gefdjidt,  bamit  berfelbe  anfange,  fid&  ernulidf* 
mit  etwas  511  bef  duftigen.   9ieinljotb  fam  bann  aud)  fo  leiblid)  in  bie 
3lrbeit  tyineiu,  mufjte  fid^'ä  jebod)  nadf)  berfelben  ober  in  Raufen  wofyl  fein 
ju  laffen.  wie  er  es  liebte,   £er  ©ebanfe,  ftdj  burd)  eine  &eiratfy  mit 
(SäcUien  in  ^efife  ber  ©rbfdjaft  5U  fefeen,  war  ilnn  fo  naa)  unb  nacr) 
gefommen,  jumal  Gäcilie  bis  ju  feiner  3lbreife  nad)  2lmerifa  fia^  feines 5 
wegS  fo  ablefmenb  unb  wiberwiflig  gegen  ifm  gezeigt  ^atte,  wie  bei  ber 
3iüdfe()v.    ©in  öcbeufen,  ob  ein  fo  gebrea^lia^eS  Siefen  überhaupt  $u 
Ijeiratljen  fei,  war  iljm  no6)  nia^t  gefömmen.    Seine  Sclbftfudjt  unb 
fflüd|id)t£lofigfeit  Ratten  nur  ben  $ortl)eil  beS  23efifeeS  im  9luge,  ofnte  ba§ 
man  feine  ©emütl)(oftgfeit  fdwn  Ijätte  ^öosljeit  nennen  fönnen;  es  war 
er)er  etwas  9iaioeS  in  feinem  (SgoiSmuS.  3>on  |)aufe  aus  oermölmt,  brauste 
er  viel  für  fidj,  woUte  uiel  befi^en  unb  fdjeute  nid^t  baoor  juruef,  burdb 


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^rütjlingsflimmen. 


\9 


ein  Littel  bahin  $u  getanen,  roeldjeS  bem  jungen  Säumet jier  faft  uer* 
breä)ertfch  oorfam.  ftun  hatte  biefer  feinen  ©ebanfen  ptöfelid)  bod)  eine 
anbre  s23enbung  gegeben  burd)  bie  au$geiprod)ene  9Jtöglichfett,  bafj  £err 
Xfjormann,  ben  iHeinfwlb  faft  fcfjon  für  einen  uralten  Sftann  gehalten, 
iid)  nodj  einmal  »er^eirattjeit^  unb  itd)  nod)  eines  männlichen  ©eben  er= 
freuen  tonnte.  3n  biefem  JaHe,  fo  meinte  er,  g'ibe  e$  aud)  roof)l  beffere 
<pariieen  als  Gäcilie!  Unb  wie  ihm  juerft  £ucie  aU  bie  Jeinbin  feiner 
3Sünfd)e  eingefallen  war,  fo  taufte  ber  Sßdrbacht  gegen  fte  roieber  auf, 
unb  wollte  ihn  nid)t  loalaffen. 

Da  er  oiel  Selbftbeherrfchung  befafj,  fo  beobachtete  er  in  ben  nachften 
Zagen,  fdjeinbar  in  ber  beften  ßaune,  ben  gefelligen  SJerfehr  im  $aufe. 
Daß  Hubert  ftd)  jurü^altenb  genug  l)ielt,  roährenö  (Sacilie  ihn  in  jeber 
SSeife  beoorjugte,  mar  ju  augenidjeinlich,  als"  bafc  er  e3  nicht  hatte  erfennen 
follen.  3mmerl)in  ärgerte  e$  ihn,  benn  fein  $lan  auf  (Säcilten  war  nicht 
fd)on  aufgegeben.  gleifeiger  richtete  er  feine  Beobachtung  auf  bie  33e- 
Stellungen  Südens  $u  £errn  Xhormann.  Obgleich  er  mußte,  baß  fie  feit 
Selm  $atyren  roie  eine  Xodjter  be»  &aufe3  in  ber  gamilie  lebte  unb  ben 
Hausherrn  unb  beffen  Schroetter  als  Dnfel  unb  Xante  anrebete,  jog  er 
jefct  au3  unfdmlbigen  Korten,  :ölicfen,  t leinen  Dienften,  allerlei  Lerbach  t, 
ber  bei  ihm  nur  lebhafter  um  fid;  griff.  SBenn  e3  gelänge,  Süden  aus 
bem  £aufe  ju  entfernen,  fonnte  ba  nid)t  mancherlei  oerhinbert  roerben? 
Da  er  es  nicht  liebte,  baS  roaS  ilm  aufregte,  lange  in  ftch  herumzutragen, 
unb  fdmell  uon  (Sntfchlüjfen  mar,  nahm  er  ftch  oor,  ftd)  juerft  einmal  mit 
ber  Xante  über  Sude  $u  unterhalten. 

Gr  fpraa)  ©iniges  ju  ihrem  Sobe,  roorin  ihm  grau  Steinbad)  bei- 
pflichtete, unb  fam  bann  fo  leife  barauf  gU  fpredjen,  roie  er  ftch  eigentlich 
nmnbre,  bafe  Sucie  ftd)  nod)  nid)t  oerheirathet  l)abe.  „Der  Dnfel  roürbe 
fie  bod)  gerotfj  fehr  gut  ausftatten,"  fügte  er  ^inju,  „ba  er  fie  wie  jum 
,§aufe  gehörig  betrachtet!" 

„Das  glaube  idt)  aud),"  entgegnete  bie  Xante.  „Doch  baoon  abgefehen, 
tonnte  man  bem  9Hanne  nur  ©lücf  roünfdjen,  ber  ein  fo  oorjügliche* 
3Käbd)en  als  Jrau  heimführte." 

„freilich!  greilich!"  fuhr  er  fort.  „Unb  es  giebt  ja  aud)  Männer, 
bie  über  ben  Langel  an  Vermögen  hinipegfehen,  menn  fte  felbft  reid)lid) 
genug  bamit  bebadjt  unb." 

grau  Steinbach  rourbe  aufmerffamer  unb  betrachtete  Meinholb  nach* 
benflia)  prüfenb. 

„2&is  meinen  Sie  roohl,  Xante?"  fuhr  er  fort,  fid)  nadjläfftg  in 
einem  23iegeftuhl  auf  unb  nieber  beroegenb.  „üb  Sucie  nia;t  fa)on  im 
Stillem  jemanb  roeife,  bem  fie  ihre  £anb  3U  fd)enfen  \)oftt%" 

„Darüber  ^abe  ich  ^i"e  Meinung,  lieber  ^Heinholb,  meil  id)  nid)t$ 
baüon  roei§.  9lber  mie  f ommft  Du  auf  folch  ein  ©efpräch  über  üueien  ? 
Siegt  barin  etrca  ein  ÖefenntniJ?  2öie  roerth  Dir  Sucie  immer  fein  mag 


20 


Otto  Hoquette  in  Darmftabt. 


—  fei  etwas  auf  ber  #ut!  3$  glaube  nidjt,  bafc  idj  CDir  oiel  &offnuna, 
machen  formte,  bie  £anb  Südens  ju  gewinnen  I" 

„2ßaS?  3d&  unb  Hoffnung  auf  —  ?  33)  Sude  ^cirat^en ?"  rief  er, 
laut  auflactjenb  unb  fcf)r  beluftigt  burd)  biefe  überrafdjenbe  SSenbung. 
„Sie  ift  ja  aud)  ein  paar  $af)re  älter  all  idjt"  Mr  er  fort.  „Die  mufc 
einen  alten  Herren  Ijeirattjen,  ben  fie  pflegen  unb  warten  fann!" 

grau  Stetnbad)  Rüttelte  oerwunbert  ben  tfopf.  „3$  glaube  nidjt, 
bafc  baS  nötfjig  wäre!"  fagte  fie.  „UebrigenS  —  ift  Sucie  flug  genug,  in 
it)rer  2£af)l  ba£  9?id)tige  &u  tf)un,  felbft  wenn  fie,  nur  iljrem  &er$en 
folgenb,  itpre  £anb  einem  SHanne  fdjenfte,  ber  jünger  wäre,  als  fie." 

güt)lte  fid)  SHeinljolb  oon  biefem  ©efprüdje  wenig  befricbigt,  fo  würbe 
fein  SSiberwiCe  gegen  Sude  nur  nod;  gefteigert,  ba  ifrm  allerlei  einfiel, 
wofür  er  ifn*  eigentlich  nod)  Vergeltung  fdnilbig  fei.  Denn  fie  Ijatte  irm 
tjäufig  ein  wenig  getjänfelt,  foweit  eine  Ii  eben«  würbige  Dame  es  barf, 
wenn  ein  jüngerer  9Jiann  in  ^usfprüdjen  unb  33et)ouptungen  fid)  flößen 
giebt.  Unb  baran  liefe  es  9teinl)olb  nidjt  fehlen,  ba  er  wenig  gelernt 
fjatte,  in  literartfdjen  unb  fünftleriföen  Dingen  ganj  unwiffenb  war  unb  in 
feinem  Selbftgefüfjl  gerne  fdmeH  aburteilte  ober  bodfj  breinfprad). 
Südens  Entgegnungen  Ratten  bann  nidjt  feiten  baS  @eläa>ter  ber  3ln= 
wefenben  fjeroorgerufen.  Die  Erinnerung  baran  regte  ifjn  nad)trägli(i) 
mefjr  unb  mel)r  auf,  unb  er  fann  parauf,  if)r  bafür  in  irgenb  einer  2£eife 
räd)erifd>  beijufommen. 

* 

Gäcilie  war  feit  einigen  Dagen  hinfälliger  unb  müber  all  fonft,  ofnte 
bafe  fie  fia)  franf  füllte.  9?aa)  bcm  SßiHen  beS  SlrjteS  follte  fie  möglid)ft 
oiel  in  ber  Suft  fein.  Sie  t)atte  im  ^arf  einen  SieblingSplafc,  nid^t  weit 
oom  &aufe,  ben  man  in  ber  gamilie  einfad)  „bie  9Iu^fid^t"  nannte.  3m 
dürfen  t)od>aufgefd)offenes  ©ebüfd),  fprang  ber  flieSboben  im  £albfreife 
etwas  fd)roff  gegen  bie  Diefe  oor  unb  bilbete  eine  9lrt  oon  33aftei,  unter 
welker  fidt)  Derraffeu  mit  SBeinfpalieren  abfenften.  Söalb  unb  &ügel 
gegenüber,  ber  Söltcf  in  bie  freie  Ebene  gaben  ein  einfaci)  freunblid&eS 
SanbfdiaftSbilb.  ©artentifdf)  unb  Seffel  luben  $um  SluSruljen  ein  unb 
würben  fjäufig  gegen  Slbenb  benutzt,  um  bie  füf)lere  Stunbe  5U  genießen. 
Da  Gädlie  es  wünfdjte,  würbe  nad)  einem  Ijeifeen  J3ulitage  l)ier  ber  Difd) 
für  bie  9lbenbmal)l$ett  gebeert.  Sie  felbft  oerliet}  ityren  gai)rftut)l  nidjt, 
gab  fid)  aber  Reiter  unb  aufrieben  mit  ifjrer  Sage,  inbem  fie  if>re  5lugen 
balb  auf  Hubert  balb  in  bie  Sanbfdjaft  richtete. 

Da  flog  oom  2£albe  t)er  ein  2lbler  auf,  unb  fdfjwebte  in  mächtigen 
Greifen  burd)  ben  Suftraum. 

„0  fef)t,  wie  fd)ön!"  rief  Gäcilie.    „^er  ba  mitfönnte!" 

Unb  nad)bem  fie  eine  Steile  Ijinaufgeblicft,  begann  fie  wieber: 


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  tfrüliltngsjHmmen.    2\ 

,,2ld)!  p  beS  ©eiftcS  5-lügeln  wirb  fo  leidjt 

ftein  förtxrlictjer  Slügcl  fidj  gefeilen! 

$od)  ift  es  jebem  eingeboren, 

Xafc  fein  ©efüfjl  fjinauf  unb  uortt)ört8  bringt, 

2ßenn  über  und,  im  blauen  9iaum  öcrloreu, 

3f)r  fcrjmetternb  ßieb  bie  ßerc&e  fingt, 

il^enn  über  fdjroffen  t$id)tcnf)öf)en 

3)  er  2tbler  ausgebreitet  fdnoebt, 

Unb  über  Stadien,  über  «Seen 

$er  flranid)  nad)  ber  §cimat  ftrebt!" 

Hubert  füllte  ficr)  innerlidjft  gerüful  burdj  ben  2luSbrucf  ber  ©timme 
GäciltenS,  unb  aud)  bie  gamilie  blidte  mit  fdjroeigenber  33en>egung  auf  bie 
jarte  ©eftalt  unb  bie  ftiUe  23erflärung  in  ben  $tyci\  beS  jungen  9Häbdjen£. 
Mer  wie  auf  gaujte  (*rgu§  tieffter  ©mpfxnbung  Söagner  mit  ber  trodenften 
$rofa  entgegnet,  fo  fragte  iefct  9ieinf)olb,  mit  bem  £one,  urie  man  jid; 
etwa  an  ein  ftinb  roenbet: 

„ftleine,  n>a3  beclamirft  $u  benn  ba  für  ein  üDerfä^roängUd^el  $oem?" 

Gärilte  roürbigte  ü)n  feinet  SötideS,  bie  Uebrtgen  lächelten.  $)a  be= 
gann  £ucie:  „@t,  ei,  ^err  SHeinfjolb!  &aben  Sie  ^rjren  2i>allenftein  fo 
oergeifen,  bafc  ©ie  fia)  ber  SSorte  £t)ef(a3  nidpt  mef)r  erinnern?" 

„9ld>  fo!  9ttd)tig!"  rief  3tein()olb,  inbem  er  mit  Ueberseugung  beibe 
§änbe  in  bie  ©eitentafdje  fteeftc.  „3$  bin  feit  lange  in  feinem  beutfdjen 
Sfyeater  geroefen." 

Xarauf  folgte  aber  ein  allgemeines  Sadjen,  roäfjrenb  beffen  ^Mein^olb 
fragenb  unb  ärgerlidj  aufgeregt  oon  ©inem  jum  2(nbcrn  bliefte. 

„Öieb  $id)  jufrieben!"  fagte  ber  Cfjeim.  „211$  id)  fo  alt  war,  iuie 
£u,  tonnte  mir  aud)  allerlei  begegnen,  benn  meine  literarifdje  ^ilbung 
mar  nidjt  ftarf,  unb  ©oetrjeS  gauft  modfjte  noef)  batnatö  nid)t  fo  populär  fein, 
roie  heutzutage.  Sucie  mar  e$,  bie  unfere  fünftlerifdje  ©rjieljung  erft .begann 
unb  ju  förbern  roujjte.  Smmerfnn  fonnteft  $u  $idj  nad)  biefer  9tid)tung 
aud)  etroaS  mef)r  umfef)en!" 

^telletdjt  l>ätte  fid)  9ieinf)olb  5U  anberer  3eit  über  eine  folcfje  flehte 
£emüt^igung  ladjenb  rjinroeggefefct  ober  audj  fie  gar  nid)t  empfunben;  in 
bieiem  Slugenblitf  aber  füllte  er  ftdj  in  feiner  ©elbftüberfdjäfeung  auf  ba£ 
SHtterfte  beleibigt.  @r  warf  einen  jornfunfelnben  »lief  auf  Furien,  bereu 
Rederei  ifm  in  bie  gaUe  gelodt  unb  bem  ©elä<f)ter  auSgefefct  r)atte;  er 
blidte  grimmig  auf  Hubert,  roeldjer,  wie  es  ifyn  oorfam,  am  lauteften  ge= 
ladjt  hatte  unb  fid)  jefet  leife  mit  Gäcilien  unterhielt. 

„Unb  er  fpielt  bennodf)  meinen  Nebenbuhler  bei  ihr,"  fo  baa;te  er. 
„3HIe*  mar  SBerfteOung  unb  £eudjelei!  $er  Ginbringling  foß  mich  noch 
fennen  lernen!" 

* 


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22 


  (Dtto  Koquctte  in  DarmfU&t. 


(Säcilie  würbe  von  £ag  ju  Sag  fdjmädjer,  aber  in  ifjrer  flinblidtfeit 
^uflleic^  ItebenSwürbiger,  als  Hubert  fie  nodj  femten  gelernt  f)atte. 

,,3d)  bin  jefct  immer  fo  mübe  unb  mag  nid)t  fingen!"  fagte  fie  511 
ifnn.  „Spielen  Sie  mir  unfere  lieber  r»or,  bie  grfif)lingSitimmen,  unb 
was  Sie  mir  fonft  begleitet  Ijaben.  Sie  madjen  baS  fo  fd)ön,  bafj  mir 
ift,  als  fange  idj  es  felbft!" 

Unb  Hubert  folgte  ,it)rem  2öunfdje  jefct  lieber  als  bisher,  benn  fein 
SWitgefüljl  für  baS  gute  5?inb  fieigerte  fid)  mit  GäälienS  &infäöigfeit. 

Ser  ^plafe  mit  ber  9luSfid)t  würbe  jefct  täglidj  ber  Sammelplafc  ber 
&auSgenoffen,  ba  bie  9Ibenbe  lau  waren  unb  Gäcilie  borten  begehrte. 
(SineS  Xages  war  Hubert  etwas  früher  bafjin  gegangen,  innerlid)  befdfäftigt 
mit  feinem  wunberlidjen  SBerOältmft  ju  bem  £l;ormann'fcr)en  Jamilienf reife. 
Ser  &auSl)err  Jjatte  feinen  2ßunfä),  ifm  nad)  SBoQeubung  ber  3eidjnungen 
in  ber  gabrif  ©ofmung  nehmen  ju  laffen,  freunblidj  aber  entfdjieben  ab- 
geleimt  mit  ben  ©orten,  bie  9tenberung  laffe  fidj  iefct  nidjt  gut  tyerftetlen. 
Unb  fo  lebte  er  nad)  wie  »or  in  ber  gamilie,  im  täglichen  $erfef)r  mit 
Sucien,  für  bie  fein  $ers  immer  lauter  unb  bringenber  fprad),  olme  baf$ 
fie  ifmt  bie  fel)nlid)ft  gewünfd&te  2lnnäf)erung  geftattete. 

Sa  fd)lenberte  audj  SNeinlwlb  bem  ^lafce  ju,  bie  fteitpeitfdje  nodj  in  ber 
£anb,  ba  er  von  feinem  Traunen  abgeftiegen  war.  „9iun?  Ser  &err  23aiu 
meifter  nod)  allein  ?"  rief  er  Hubert  in  nid;t  eben  freunbfdjaftlidjem  £one 
in.  Sa  Hubert  nid)t3  entgegnete,  fo  fd)mieg  aucr)  SHeinfjolb  einige  2(ugen* 
bliefe.  Sann  begann  er  wieber :  ,ßlxt  Gäcilien  gef)t'S  waljrfdjeinltd)  51t 
£nbe.   Den  2Ilten  aber  fd>int  bie  <perfon  wirflid)  im  Sacfe  5U  t)aben!" 

„$on  wem  reben  Sie?"  fu^r  Hubert  auf. 

„$on  wem  werbe  ia;  benn  reben,  als  oon  ÜDtamfeÜ  £ucien,  biefer 
erbfdjlcidjenben  SBeftie,  bie  fidt)  fn'er  eingeniftet  f>at  — " 

„&err!"  rief  Hubert  auffaf)renb.  „Sie  werben  in  anftänbigerem  Xone 
oon  einer  Same  fpredjen,  bie  ju  Styxex  gamilie  gehört!"  ■ 

„©aS  fällt  ^Ijnen  benn  ein?"  entgegnete  Sfainfwlb  fdjeinbar  gelaffen. 
„ÜöaS  ge^t  Sie  meine  ganülie  an  ?  3<f)  barf  über  jeben  ©injelnen  reben, 
wie  id)  Suft  Ijabe!" 

,/)tta)t  ungeftraft!  ftdj  werbe  für  jeben  ©in^elnen  eintreten.  Sa« 
ungezogene  ©ort  gegen  gräulein  Sucie  werben  Sie  jurfidneljmen ! 

„©arum  nidjt  gar!  ©egen  fo  ©ine  — !"  entgegnete  9ieinf)olb  mit 
gezwungenem  Sadjcn. 

„Sie  werben  es!"  rief  £ubert  jur  &eftigfeit  aufgeftadjelt.  „Cber 
Sie  werben  mir  —  mir,  fage  id)!  —  ©enugtlmung  bafür  geben!  5Benn 
Sie  gräulein  Sucie  beleibigen,  fo  belcibigen  Sie  aud)  mid)!  Sinb  Sie 
ein  (^renmann,  fo  werben  Sie  aud)  wiffen,  wie  biefer  £anbet  auSju= 
tragen  ift!" 

„3$  foll  mid)  boa)  nia;t  gar  mit  3l)uen  fdjiefeen?"  fagte  ^einlwlb 
rjölmifd)  lad)elnb.    „gür  gewiffe  Seute  ift  mir  bie  fteitpeitföe  gut  genug!'' 


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  ^rüfylincjsfiimmcn.    23 

„eienber!"  rief  «pubert,  unb  mit  rafd)em  ©riffc  rijj  er  feinem  ©egner 
bie  3Baffe  aus  ber  £anb  unb  fd)leuberte  fie  weithin  in  baS  ©ebüfeh. 

darauf  war  SReinholb  nicht  gefaßt  gewefen.  W  ber  in  tf)m  aufge= 
fantmeltc  ©roll  mar  plöfelid)  jum  töbtlidjen  $afc  gefteigert,  unb  in  oöHtger 
©elbftoergeffenheit  ftürjte  er  fu$  über  ben  3einb,  um  i(m  oon  ber  ÜBajtei 
,u  werfen,  an  bereu  9tonbe  fie  fidj  nur  ju  nahe  befanben.  2lber  er  hatte 
feinen  3J?ann  gefunben,  benn  Hubert  ftanb  ihm  unb  fuchte  ftdg  nur  aus 
feiner  Umfdjlingung  loszumachen.  Den  ©djrei  aus  weiblichem  Sttunbe, 
welcber  in  ber  9fähe  laut  würbe,  ^örte  Hubert  mit  ©rfd^reden,  roä^renb 
3leinholb  im  Ungefdjtcf  feinet  wüthenben  Angriffs  ftraudjelte,  unb  Hubert, 
nicht  im  ©tanbe  fia)  fd^nett  genug  oon  ihm  ju  befreien,  ben  33oben  oerlor 
unb  mit  ihm  in  ber  Xiefe  oerfchwanb.  Angriff  unb  6turj  waren  baS 
©djaufpiel  weniger  2lugenblicfe  geroefen. 

©in  neuer  2luffchret,  ein  3urufen  DC^  GntfefcenS  oerfdnebener  ©tiim 
men  folgte  bemfelben.  Die  Samen  waren  in  bie  SRähe  gelangt,  Ratten 
mit  angesehen,  wie  9ieinholb  fid)  über  Hubert  warf,  unb  ben  unerhörten 
Vorgänge  beigewohnt.  Da  fprang  ßäcilie  mit  neuem  ©djrecfenSruf  aus 
ihrem  5at)rftul;t  unb  flog  bem  2lbhang  entgegen,  wo  fie  ohnmächtig  jufam= 
menbrad)  unb  oon  Furien  unb  ber  Dante  in  ben  Sinnen  aufgefangen  würbe. 
Seibe  fühlten  fich  felbft  wie  gelähmt  oor  ©djrecf ;  boct)  hatte  fiueie  ©eifteS; 
gegenwart  genug,  Gäcilien  nur  fdjneU  in  ihren  gat)rftut)t  jurücf  $u  tragen, 
fie  in  baS  £auS  ju  fchaffen  unb  nadj  bem  Strjte  in  bie  ©tabt  ju  fdjufen. 

9ttcht  lange  barauf  fam  Hubert  bie  ©teintreppe  sur  ©eite  ber  Saftei 
herauf,  ©einen  ©egner  hatte  er  aus  ben  9lugen  oerloren.  Der  ^att  war 
nicht  ferner,  weil  nicht  gar  tief,  gewefen,  unb  eine  ernfte  s#erlefeung  glaubte 
er  nicht  zu  fpüren.  Slber  in  bem  ©efüf)le  einer  unerhörten  ©dnnach  hätte 
er  fi<h  oor  ber  ganzen  SBelt  oerbergen  mögen.  Denn  ihm  mar  bie  ©egemuart 
ber  gTauen  nicht  uerborgen  geblieben,  unb  er  wollte  verzweifeln,  oor  ben 
2lugen  Südens  in  fo  gemeiner  Situation  betroffen  worben  zu  fein.  Dafi 
er  fich  gegen  ben  Angreifer  nur  oertheibigt  hatte,  bradjte  er  faum  in  3lnfa)lag, 
ba  bie  SHeberlage  bod)  bie  gleiche  gewefen  war.  2Bie  oernichtet,  ging  er, 
um  9ttemanb  ju  begegnen,  auf  weiten  Umwegen  nach  &aufe  unb  in  fein 
3immer.  ©eines  Bleibens  burfte  \)kt  nicht  mehr  fein,  fo  war  feine 
Meinung.  Siefi  fid;  in  ber  gabrif  feine  Söofmung  für  ihn  finben,  fo  wollte 
er  im  benachbarten  ©tabtehen  ein  Unterfommen  fuchen,  fo  lange  feine 
■Hufficht  über  ben  33au  nod)  nöthig  war.  33or  SlHem,  galt  es,  fich  Imt 
$errn  ^ormann  auSeinanber  zu  fefcen. 

2öie  eS  um  biefe  3ei*  in  ben  grauengemädjern  ausfah,  wufjte  Hubert 
nicht.  211S  er  unten  nach  bem  Hausherrn  fragte,  entgegnete  ihm  bie  alte 
Dienerin,  er  werbe  ihn  iefet  fdnoerlid)  fpredjen  fönnen,  ba  er  mit  bem  2lr$te 
bei  gräulein  Gäcilie  fei.  3Iuf  feine  grage,  was  ihr  gefct)et)en  fei,  fuhr 
bie  3(lte  fort: 

„(sin  &erjframpf  hat  baS  liebe  ßinb  niebergeworfen.  (SS  fodte  immer 


2^    (Dtto  Koquette  in  DarmfiaM.  

oor  Aufregung,  oor  Sdjrecf  befonberS,  bewahrt  werben,  ba  bergteidjen  auf 
ba£  liebe  f leine  &er5djen  jebeämal  f<f)äblid)  gewirft  fyat;  nun  aber  mufe 
etwas  porgefallen  fein  —  e$  fdjeint  red)t  bebenflid)  mit  bem  graufein  $u 
ftefjen!" 

£ubert  roenbete  fid)  rafdj  ab  unb  ging  in  fein  3imwer  hinauf,  crfl 
red)t  beftürjt  über  bie  empfangene  92adjrid)t.  $afj  er  felbft  oermutfilid)  mit 
bie  ©eranlaffung  $u  ber  ©efafyr,  in  welker  GäcUie  fdjmebte,  gegeben  hatte, 
rief  neue  Sorgen  in  fein  ©emütf).  2Benn  er  nur  $emanb  oon  ber  gamilie 
l)ätte  fragen  fönnen!  2iber  einzubringen  toagte  er  ntd)t,  ba  bie  5kfd)ämung, 
ifm  nod)  ju  brücfenb  be^errfajte.  Um  bodj  etmaä  ju  tfmn,  fing  er  an, 
feine  Siebenfadjen  einsparten.   @£  mußte  ja  bod)  bemnädjft  gefd)ef)en. 

2)a  würbe  an  bie  £f)ür  gepod)t,  unb  bie  alte  Wienerin  trat  ein  mit 
ber  grage,  ob  ber  Xoctor  audj  ju  ifmt  heraufkommen  folle? 

,,3d)  wufjte  ja  gar  nid)t,  bafc  $(men  etwas  fehle?"  fügte  fie  fnnju. 
„gräulein  Sude  ift  beforgt  mn  Sie,  weil  Sie  geftürjt  fein  f ollen'/' 

„gräulein  Sucie?  So?"  rief  Hubert.  „SÄadjen  Sie  ir)r  meine 
@mpfef)(ung  —  ber  gaH  f)at  mir  gar  nichts  angetfjan ;  idj  bin  ganj  worjl 

—  id)  laffe  bauten!" 

»3a  aber  —  wie  fief)t  es  benn  tyev  aus?"  fufn*  bie  2llte  mit  einem 
©lief  burd;  ba$  gimmer  fort-  >/^er  Meifefoffer  mitten  in  ber  Stube,  unb 
fflxe  Sadjen  rings  um^er  —  was  giebt  es  benn  nur?  SBoffen  Sie  wer« 
reifen?" 

„2?teHeid)t  —  jefct  aber  fpredjen  Sie  graulein  l'ucie  meinen  £>anf 
aus,  unb  —  fragen  Sie,  ob  fie  mir  nid)t  unten  für  ein  paar  SBorte  ©efjör 
fd;enfen  motte  ?"  ©S  mar  heraus!  Ser  f  filme  ©ntfd)lu&  tyatte  fid)  im  91u 
über  bie  Sippen  gebrängt. 

25ie  gute  2Ilte  ging  oerwnnbert  hinunter.  Hubert,  burdj  (Erwartung 
ju  aufgeregt,  um  feine  33efd)äftigung  wieber  aufnehmen  ju  fönnen,  burdj* 
fdjritt  eine  S5?eile  baS  Limmer.  2lber  feine  SBotiu  fam  nicht  roieber. 
Statt  irjrer  trat  ber  ^aul^err  in  baS  3immer.  „Sie  moüen  oerreifen  ?" 
rief  er.  „SaS  geht  iefct  nicht,  lieber  greunb!  ©leiben  Sie!  3$  bitte 
Sie  —  gerabe  jefet  finb  Sie  meinem  &aufe  nöthig!" 

„Wach  bem,  was  oorgefallen  ift,  entgegnete  Hubert  —  nach  bem 
fd)mad)üolIen  2luftritt,  ben  Sfyxe  Samen  mit  eigenen  9tugen  anfeilen  mußten 

—  fann  ich  jemals  wieber  uor  ilmen  erscheinen?  ton  id>  länger  in 
Shrem  &aufe  oerweilen?" 

„2BaS  bie  grauen  gefeljen  haben,  fann  feinen  9)iafel  auf  Sie  werfen. 
Wicht  Sie  werben  mein  $au$  oerlaffen,  fonbern  ^Ijr  ©egner,  ber  meine 
Schwelle  nid)t  me^r  betreten  foll.  Senn  er,  ber  5um  ^aufe  gehörte,  \)at 
ba$  ©aftredjt  in  ber  plumpften  unb  infamften  Steife  oerlefet!  68  freut  mid), 
bafe  Sie  bei  bem  Stur$  feinen  Stäben  erlitten  fjaben.  3)?einem  Neffen 
gefdjiel;t  eä  9?ed)t,  bafe  er  übler  baoon  gefommen  ift.   W\t  einer  tüd)tigen 


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rättltngsjltmmeti. 


25 


$erjtau$ung  beS  Wirmes  Ijat  er  feine  Normung  erreicht.  £er  2lr$t  ift 
eben  von  uns      itjm  gefahren." 

„Sie  befinbet  fid)  aber  gräutein  Gäcilte?"  fragte  Hubert. 

Xtx  Qauifyetx  feufete.  „Keffer  —  nun  ja,  beffcr!  Sefeen  wir  uns, 
lieber  greunb,  id)  Ijabe  ^nen  ein  lange«  53efenntni§  ju  tfmn!  Unfer 
§auSar$t  ift  mein  grewtb  fa*  SToanjig  ^afjren  —  ein  ebrltdjer  Wann, 
ber  midj  nidjt  mit  £äufdmngen  Jjinljält,  wo  es  nidjts  ju  hoffen  giebt. 
Sdwn  im  tfriifjjaljr  uertraute  er  mir,  baß  meine  £od>ter  üielleidjt  ben 
JOcrbft,  f<$roerlid>  ben  hinter  nod)  fieranleben  werbe.  9Sir  fottten  bem 
lieben  Äinbe  bie  rurje  3«t  fo  freunbltä)  als  mögliä)  geftalten.  2öir  fugten 
es  auf  unfere  SBeife  ju  tfmn,  aber  es  fam  anberS,  über  alle  Erwartung! 
(Säcilie  nmrbe  glüd ltd),  ja  in  ifjrer  SSeife  glüdlid) !  £enn  Sie  erfdjienen 
bei  un«,  unb  oon  ffiex  erften  Begegnung  an  roaren  (SäcilienS  ©ebanfen 
nur  nodj  mit  ^fynen  befd)aftigt.  Sic  fdnen  bem  Seben  nod)  einmal  ge* 
geben,  fie  fdjien  auf$ublüf)en,  ein  noä)  unbefanuteS  ©lüd  oerfd)önte  ir)r 
Xafein.  siBir  faf)en  es  mit  'Jiüljrung,  unb  mir  liefjen  es  eben  gefjen,  benn 
wir  erfannten  3(jre  tactooUe  Haltung,  unb  mir  banften  3!)nen  im  Stillen 
bafür. 

„Sie  brausen  mir  ntd&ts  ju  entgegnen,"  fut)r  &err  Sbonnann  fort, 
ba  er  beobadjtete,  roie  Hubert  mit  verlegener  3)?iene  nad)  Störten  fudjte. 
„Sie  follen  nur  erfahren,  bafj  Sie  uns  9lHen  ein  unenblidjeS  ©lüd  gebracht 
tyaben,  ein  ©lüd,  roeldbeS  Sie  nadj  unferer  ©mpfinbung  $u  bem  Unferen 
mad)t.  ßäcilienS  ©efütyl  für  Sie  ift  oieHeid)t  finblidj  raunfd)loS,  roenigftens 
fd)ien  fie  ftetS  glüdlid)  aufrieben  mit  bem  Sftafc  freunblidjen  ©ntgegen* 
fommenS,  baS  Sie  ifp  boten.  3°)  a^r  fdjäfee  Sie,  lieber  ftreunb,  um 
fo  f)öf>er,  baß  Sie  biefeS  2Ha§  niemals  Übertritten  ^aben  —  nein,  id) 
brüefe  mia?  nid)t  richtig  aus  —  baß  Sie  oielmefjr  rfidftdjtSüoll  genug 
waren,  ein  entgegenkommen  über  fidj  ergeben  ju  laffen,  bei  weldjem  Sie  — 
überwinben  f)atten!  SBenben  Sie  nichts  ein  —  id)  bitte  Sie  barum! 
Uns  aber  follen  Sie  nidjt  oerfennen,  bafj  mir  fd)einbar  gelaffen  jufatjen 
bei  einer  augenfälligen  Neigung,  weldje,  wenn  meine  Xodjter  gefunb  wäre, 
nur  bann  t)ätte  gebilligt  werben  tonnen,  wenn  fie  auf  ©egenfeüigteit  beruhte. 
3efct,  ba  bie  £age  meines  armen  ßinbes  gejagt  finb,  roenn  es  i&m  aud) 
augenblidlid)  beffer  gct»t,  jefet  bürfen  Sie  uns  nid)t  uerlaffen!  $ie  reine 
SebenSfreube,  meiere  burd)  3f>re  ©egenwart  in  ein  junges  .'perj  gebrungen 
ift,  laffen  Sie  fie  noä)  fortroirfen  —  rootjl  nur  nod)  für  fur^e  $z\V. 
bleiben  Sie  bei  uns!  2Bir  2ltte  bitten  Sie  inftänbig  barum!" 

Hubert  fal)  in  bie  feud)ten  9lugen  beS  befümmerteu  Katers,  unb  bewegt 
jeine  §anb  ergreifenb,  rief  er:  banfe  %i)nen  für  bies  Vertrauen! 

3*  bleibe!" 

311s  er  am  anberen  borgen  fia)  ju  einem  ©ange  nad)  ber  gabrif 
anfa^idte,  trat  u)m  Sucie  plö^lid)  entgegen.  Sie  trug  sJtofen  in  ber  £anb, 
bie  fie  für  Gäcilien  aus  bem  ©arten  geholt  Ijatte;  unb  fie  felbft  faf),  für 


26 


  Otto  Hoquette  in  Darmftafct. 


Huberts  Augen,  fd)öner  aus  als  olle  SRofen.  „Sie  wünfdjten  mich  geftern 
Abenb  5U  fprechen,"  rief  fie  tlmt  entgegen;  „ict)  war  aber  burdj  bieSpflidht 
gebunben.   Sie  wollten  nad)  <£äciliens  Sefmben  fragen,  nicht  wahr?" 

,,30)  war  nicht  minber  erfüllt  oon  meiner  eigenen  Angelegenheit !  Sie 
haben  mid)  bei  bem  befd)ämenbften  Auftritt  gefetjen  — " 

„Waffen  (Sie  uns  baoon  nicht  reben/'  fagte  Tie.  „Suchen  mir  eS  $u 
oergeffen.  (Säcilie  ifl  beglüeft,  bafj  Sie  gefunb  fmb.  Sie  wirb  aufgehen 
unb  will  ,fingen',  baS  fyeijjt,  fid)  oon  mir,  ober  lieber  noch  oon  3hncn' 
ihre  f leinen  lieber  oorfpielen  laffen.  Unb  Sie  tfwn  eS  —  gewtfj!  Sein 
Sie  noch  eine  SSeile  gütig  unb  —  gehorfam!" 

„dürfte  iä)  nur  ein  2öort  oon  ^fyxen  oerneljmen,"  rief  er  „baS  mir 
meinen  ©ehorfam  troftreid)  unb  boffnungSooU  machte!  Sucie,  Sie  müffen 
erfannt  haben,  was  in  mir  oorge()t!  fta)  fann  bie  Sprache  meines  ßerjcnS 
nicht  mehr  5urüdE^alten  —  ad),  ^ucie,  was  foll  barauS  werben  V" 

Sie  fal;  il;n  mit  einem  23licfe  an,  ber  ifm  befeligte,  unb  fagte:  „sBaS 
aus  uns  Reiben  merben  foll?  £f>euerfter  greunb,  baS  oerfierjt  fid)  \a  von 
felbft."  Aber  als  er  ir)re  &anb  an  fidj>  rifj  unb  einen  ßufj  überftrömenber 
greube  barauf  brüefte,  fut;r  fie  haftig  fort:  „Still!  9lo$  bürfen  roir  (ein 
eigenes  ©lud  oerlangen,  ba  bie  Sorge  um  uns  tyx  roolmt,  unb  bie  Trauer 
fdion  auf  bie  Schwelle  tritt.  Ueberwinben  Sie  fid)!  3$  baue  auf  Sie!" 
Sie  eilte  an  ihm  oorüber  unb  in  bie  ©emädjer.  Aber  eine  oon  ben  9tofen, 
bie,  ihrer  $anb  entfallen,  am  iüoben  liegen  geblieben  roar,  t)ob  Hubert 
auf  unb  ftedte  fie  oor  bie  33ruft.  Gr  fdjritt  haftig  feines  SBegeS,  oon 
einein  Hochgefühl  getragen,  barin  ijm  alles  Sdjroierigfte  beS  SebenS  leicht 
unb  ausführbar  erfchien. 

3n  ber  gabrif  fanb  er  einen  33rief,  ber  bafelbft  im  ©efdbäftSsimmer 
für  tr)u  liegen  geblieben  roar.  (Sr  erfannte  bie  Sd^riftjüge  feiner  3)2utter 
unb  50g  baS  &latt  baftig  aus  ber  Umhüllung.  $)ie  3Jtutter  fdnieb  ifmi, 
fie  fei  in  ber  legten  Seit  oiel  unwohl  geroefen,  unb  tjabe  redete  Sehnfucfyt 
nad)  Db  er  fich  nid^t  ju  bem  33efua;e,  welchen  er  ihr  5um  &erbft 
oerfprochen,  fdjon  etroaS  früher  rüften  fönne?  (SS  waren  nodj  ®efd)äfte, 
aus  beS  oerftorbenen  33aterS  legten  £agen  her,  abjutbun,  für  welche  Uire 
Sadjfenntnijj  nicht  ausreiste,  unb  bie  fie  gern  in  bie  praftifdjen  $änbe 
it)reS  Sohnes  legen  möchte.  Hubert  fannte  biefe  ©efdjäfte,  unb,  bewegt 
burd;  bie  liebeoollen  iüorte  feiner  3)iutter,  wäre  er  gern  nod)  beut  w  üfre 
Arme  geeilt.  Aber  hatte  er  nicht  geftern  erft  &errn  Xhormann  baS  $$er= 
fprechen  gegeben,  fein  &auS  jefct  nicht  $u  oertaffenV  gür  eine  SReife  $u 
feiner  eigenen  gamilie  würbe  ihm  ber  gabrifberr  unter  anberen  35erbältnifyen 
unbfDingt  Urlaub  gegeben  haben,  ja  er  hätte  ihn  fich  fogar  ohne  Anfrage 
nehmen  bürfen;  allein  wie  bie  2)inge  augenblidlia)  ftauben,  glaubte  er 
nid)t  einmal  Urlaub  ocrlangen  ju  bürfen.  Unb  auf  wie  lange  er  ftcb 
burch  fein  &Sort  tyitx  gebunben  fühlen  follte,  war  nicht  absufehen.  X;er 
Gonpict  jweter  gamilienoerpflichtungen  machte  ihn  für  ben  Augenblid 


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  ^rfifjltngsfiimmen.   


27 


ratlos  unb  roirfte  wie  ein  oernid&tenber  9?üdf3>lag  gegen  ba$  ©effil)l 
be*  ©lüdeä,  roeldf>e$  iljn  nur  eben  nodf>  gehoben  fyxtte. 

Da  begegnete  ifmt  im  glur  ber  alte  £au$arjt,  weiter  bie  Streppe 
fjerabfam. 

„@ut,  bafe  id&  $f)nen  begegne,"  rief  berfelbe  if)m  entgegen. 
tybe  ba  oben  einen  feljr  ungeberbigen  «Patienten,  bei  bem  Sie  mir  trieHeidtf 
$u  &ülfe  fommen  fönnen." 

„Sie  meinen  bodfj  roof)l  ni$t  £errn  9tönf)olb?"  entgegnete  Hubert, 
„eben  ben.   Äommen  Sie  in  fein  >$immex." 
„Urlauben  Sie/  roenbete  Hubert  ein,  „idj  jroeifle  bafe  mein  23es 
fud&  ifmt  angenehm  fein  werbe,  roie  id&  benn  befenne,  bafe  t#  nudfj  irid&t 
baju  entfdjiliefeen  fann.    @$  liegt  ein  ernjter  ßanbel  äroifd&en  uns  -— " 
,3$  weife,  ^err  £f>ormann  fjat  mir  baoon  erjagt.    DennodEj,  fein 
Sie  grofemütf)ig,  unb  tl)un  Sie  ben  erften  Schritt  entgegen!" 

„fleineSroegä!"  rief  &ubert  erregt.  „<Sr  ift  mir  bie  ©enugtlmung 
no<$  fdjulbig  — !" 

„$a  boay  greiltay.  316er  ba$  Ijat  ia  nodfj  3^*!  93orerft  ift  er  ber 
burd)  feine  eigene  Sdfmlb  Unterlegene,  audj  moralifdE)  feiner  gomilie  gegen* 
über;  Sie  aber  fterjen  in  ber  2l<f)tung  be$  ^paufe^  gefid&ert.  <5r  fjat 
fu$  in  Gonflict  mit  feiner  Familie  gefefet.  3$  rjoffe  auf  eine  3)iöglidf)feit, 
benfelben  noa)  gütlidf)  beijulegen,  unb  baS  roirb  burä)  Sie  unb  ^l)ren  guten 
©illen  am  beften  ju  beroirfen  fein." 

„3$  wägte  roirflid)  nid)t,  roie  mir  ba£  gelingen  follte!" 
Hefter,  %fynen  fmb  fd&on  merfroürbigere  Dinge  im  &aufe  £f)ormamt 
gelungen!  Der  ©ntfd&lufe  junt  SBerfudfj  roirb  Sie  bie  SWittel  fd&on  finben. 
laffen.   Blfo  fommen  Sie,  unb  tfjun  Sie  nodfj  ein  Uebrigel!" 

So  ferjr  Hubert  innerlia)  roiberirrebte,  er  liefe  es  gefd&efjen,  bafe  ber 
SSrjt  irm  unter  ben  9lrm  fafete  unb  mit  fid&  führte.  Der  alte  &err  öffnete 
bie  £fjür  bei  tfranfenaimmers,  f<f>ob  ben  unerroarteten  Gtojt  hinein  unb 
entfernte  fid),  um  nadfj  ber  $iHa  ju  fahren. 

2U^  3ieinf)olb  ben  iBaumeijter  eintreten  faf),  futjr  er  auf;  aber  bie 
rafdje  Bewegung  üerurfadjte  ilmt  heftige  Sd)mer$en,  fo  bafe  er  laut  fd>reienb 
jurüdfauf. 

„2£er  l)at  Sie  l)ergei3>idt  ?"  rief  er  jornig.  „SoOen  ober  roollen  Sie 
midfj  oerljöfmen?  Speeren  Sie  fia)  $um  Xeufel." 

„3$  oerfid&ere  Sie,  bafe  idfj  e$  bei  biejem  angenehmer  finben  mürbe, 
als  bei  Sfimen !"  entgegnete  Hubert  mit  ruhiger  Raffung.  ,,3d)  mürbe  aud> 
nid)t  au$  fpdffljerjiger  Biegung  3^  3^mcr  betreten  l)aben,  nur  bafe  ber 
Doctor  midf)  überrebete,  feiner  5lur  bei  3lmen  ju  $ü(fe  511  fommen.  SStenn 
3^ncn  an  ber  $>er$eifmng  unb  3lu5fö^nung  3l)ie^  Cficinis-  liegt,  roa$  ia^ 
oermut^e  —  gut,  fo  roiU  ia^  bei  üjm  ein  2t^ort  für  Sic  roagen." 

,,3ct)  »erbitte  mir  jebe  (Sinnüfdjung  in  meine  eignen  9lngelegenl)citen !" 

„Um  3^etroiUen  mürbe  id[>  es  aua^  geroife  nia^t  tljun,  fonbern  nur 


28    Otto  Koquette  in  DarmftaM.   

auä  £f)eünaf>me  für  &errn  £lwrmann,  ben  id)  Ijöljer  fdjäfce,  als  Sie. 
öftrem  C&eim  gef)t  e3  meljr  $u  &er$en  aU  Sfmen,  bafe  er  fernem  Schwager, 
Syrern  Sßater,  fdjreibeu  mufe,  er  f)abe  fid;  genötigt  gefefjen,  Sie  um  3§rcr 
2luffüljrung  willen  aul  feinem  &aufe  ju  weifen!" 

9hm  fjatte  Steinlwlb  freilidj  in  ber  legten  3ctt  unb  oorwiegenb  Hubert 
gegenüber  meljr  bie  rol;ere  (Seite  feiner  f)odjfal)renben  9iatur  fjeroorgefetjrt; 
gleidjroof)[  waren  feine  ©mpfinbungen  im  Innern  unb  für  feine  gamtlie 
feineSwegS  oöllig  ftumpf  geworben  ober  in  Selbftfudjt  oerfunfen.  Sluf  ba3 
ftrofcnbe  $erweifung§wort  feine!  Dljeimä  fjatte  er  wenig  ©emidjjt  gelegt, 
ba  er  es  ntdt)t  für  ganj  emfujaft  nalmt;  als  er  es  aber  jefct  oon  Hubert 
all  eine  2^atfad)e  auSgefprodjen  l)örte,  erfdjraf  er  bod).  $er  ©ebanfe  an 
ben  ftummer,  ben  er  baburd)  feinen  Gltem,  befonberS  feiner  2Rutter, 
bereiten  würbe,  beftürmte  ifm  fo  ftarf,  bajj  er  plöfclidj  in  bie  f^eftigften 
S^ränen  auSbradj.  ©3  war  ein  ^üdfdjlag,  5U  welkem  feine  förpcrlrdfe 
SWteberlage  ba«  ^rige  beitragen  modjte. 

Hubert  ftufete,  als  er  il)n  fdjludjjen  f)örte,  unb,  fdfjon  an  ber  S'tyur, 
feljrte  er  um  unb  betrachtete  iljn  aufmerffam.  SBudjS  audj  feine  fQoty 
ad}tung  nid}t,  fo  regte  fid)  bod)  etwas  oon  9Witleib  für  feinen  ©egner.  ©r 
nalmt  am  Sager  ^ßlafe  unb  fd&wieg  einige  Slugenblicfe,  um  abjuwarten,  bafe 
berfelbe  ftd)  beruhigte,  all  bieS  gelungen  war,  begann  Dteinlwlb:  „Sie 
tonnten  feinen  größeren  Xriumpf)  über  mid)  gewinnen,  all  biefen!  3<f) 
nmfe  Stynen  nodj  mein"  jugefte^en  —  idt)  fjabe  Unredjt  gegen  Sie  begangen. 
Srofebem  bitte  td)  Sie  —  ba  Sie  ©eltung  bei  meinem  D^eim  §u  faben 
fa;einen  —  fprca>n  Sie  bei  ilmt  für  mid)!" 

würbe  ba«  aud)  ofme  3^re  befonbere  Sitte  getljan  f)aben,"  ent-- 
gegnete  Hubert,  „benn  id&  felbft  überwänbe  eS  nid)t,  wenn  burd)  meine 
^eranlaffung  ober  aud)  nur  burd)  meine  ©egenmart  im  &aufe  ein  Senoürfniß 
in  ,$f)rer  gamilie  auffäme."  @r  erljob  ftd);  jugletd)  aber  trat  ber  SBärter 
ein,  ber  ilmt  ein  $8riefd)en  überreizte.  Hubert  rannte  bie  £anbfd)rtft 
nid)t,  aber  er  las  mit  freubepodjenbem  £er$en  ben  tarnen  ber  Sd)reiberin 
unter  ben  3*ifen.  „Slommen  Sie  fo  balb  all  mogltd)  nad)  ^aufe!  Gäcilie 
ift  fein*  matt,  unb  fragt  fortwä&renb  nad)  3fyten.  —  Sucie." 

©r  mad)te  fid)  in  Gile  auf  ben  2Beg.  £er  SJrjt  ^atte  ifm  uom 
genfter  aus  fommen  fe^en  unb  trat  ^inaul,  it)m  entgegen.  „9öal  Sie 
braufeen  aulgeridjtet  ^aben/'  begann  er,  „bamad^  werbe  id)  Sie  fpäter 
fragen,  ^efct  folgen  Sie  mir  an  ein  anberelj  Äranf enlager !  Unb,  wenn 
eä  ^^neu  möglid)  ift,  mit  einem  red)t  unbefangenen  unb  freunblidjen 
©efid)t!" 

Sie  fanben  (Säcilien  in  i^rem  ga^rfeffel  im  Sßolnwmmer,  oöllig  an; 
gefleibet,  aber  mübe  jurürfgelefjnt  unb  mit  l)albgefd)loffcnen  2lugen,  um- 
geben  oon  ben  Ölungen.  i)ie  SBlicfe  ber  beiben  Weiteren  unb  Öucieno 
fagten  bem  9lnfommenben,  bafe  er  mit  Selmfudpt  aud)  oon  i^nen  erwartet 
worben  fei.  Gr  näherte  fidt)  reife  ber  Traufen  unb  fagte  mit  leifer  Stimme: 


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  ^rüblinqsftimmen.   


29 


„@uten  Xag,  gräutcin  Goalie!" 

£a3  junge  Räbchen  fd&lug  bie  9lugen  grofc  gegen  ifnt  auf,  unb  eine 
fprad>lofe  Jreube  burdjriefelte  fie  unb  belebte  ihre  3u9e-  ®r  reifte  ihr 
bie  §anb,  in  meldte  fie  bie  irrige  legte,  fo  flein,  fo  §art,  bajj  Hubert 
nicht  umhin  fonnte,  fie  wie  bic  eines  SlinbeS  ju  [treideln. 

„36)  freue  mich  fo  fef)r,"  fagte  Gäcilie  mit  fchroadjer  Stimme,  aber 
mit  frohem  2lu3brud,  „bafe  Sie  ganj  gefunb  finb!  Unb  audj  —  ba§  Sie 
roieber  ba  finb!  Denfen  Sie  nur,  idj  fyabe  immerfort  geglaubt  3Wufif  $u 
hören  —  bie  „grühlingSfrimmen",  unb  bas  „erfte  $eild)en"  unb  bann 
ba£  „liebttdt)e  ©eläute!"  Bitte,  nun  fpielen  Sie  e$  mir  oor  —  ad)  nein! 
Shicie  foll  e3  fpielen!  3$  fann  Sie  bann  6effer  anfehen!" 

£ucie  fdjlug  baS  £ieberheft  auf  unb  fpielte  ba$  Begehrte  in  jenem 
^iano  unb  ^taniffimo,  an  welche«  fie  fidj  bei  ber  Begleitung  nun  fdjon 
gewöhnt  ^arte.  Gacilien«  3u9e  zeigten,  bafc  fie  innerlich  jeben  %on  unb 
jebe«  2£ort  mitfang,  unb  plöfelicf)  ftredte  fie  beibe  3lrme  gegen  Hubert 
au«.  6«  mar  nur  ein  SBerf  ber  Sarm^ersigfeit,  bafj  er  fid)  auf  ein  flnie 
oor  ihr  nieberliefe  unb  fein  ©cfid&t  bem  irrigen  näherte.  Sie  aber  legte 
beibe  &änbe  auf  fein  £aupt,  unb  er  hörte  bie  geflüfterten  2öorte:  „31$, 
ich  bin  fo  glüdlid)!  So  glütfltch!"  $ann  fanf  fte  in  ba«  ßiffen  jurfid, 
liefe  bie  9(rme  fmfen  unb  fchlofc  bie  2lugen.  Sucie  hörte  auf  $u  fpielen, 
bieUebrigen  traten  beforgt  näher. 

Gäcüte  feinen  nur  ju  fdtfummern,  bo<$  überlebte  fie  biefen  $ag  nicht, 
äbenb«  Ijörte  i^r  £erj  auf  ju  ichlagen,  ba«  fleine  junge  &erj,  ba«  einen 
grüftfing  unb  Sommer  lang  fein  betreiben  Xl)eil  ©lud  bod)  aud)  empfunben 
tjatte.  <Qerr  2^ormann  fah  fein  $au«  finberlo«.  2luch  einem  lange  er= 
warteten  Sdnnerje  wirb  nicht«  oon  feiner  Sd^merjlid^feit  genommen.  Selbft 
ba«  Aufhören  einer  Sorge  im  #aufe  fann  nrie  Beröbung  nrirfen. 


£er  &au«herr,  bie  £ante  unb  fiueie  fafjen  im  SBofmsimmer  bei  ber 
fcampe,  ber  alte  &au«arjt  leiftete  ilmen  ©efeUfchaft.  $a«  nur  fpärlidje 
Öefprädj  l)atte  bie  legten  £age  Gäctlien«  $um  3nhaß-  Hubert  fam  leife 
bura)  ben  fDtufiffaal  gefd)ritten;  ba  er  aber  in  ber  Unterhaltung  feinen 
tarnen  nennen  hörte,  fo  trat  er  nicht  ein,  fonbem  fdjritt  nach  ber  ©arten; 
oeranba,  roo  er,  an  einen  Pfeiler  gelernt,  ftetjen  blieb.  $er  Xag  hatte 
ihm  eine  medjfeloolle  EHci^c  oon  Ginbrüden  gebraut:  ©lud  am  borgen, 
SJeforgnifc,  grollenbe«  Unbehagen,  barauf  ben  roiberftrebenben  Blid  in  bie 
lonnnenben  Statten  be«  £obe«.  Unb  er  mürbe  ein  peinliche«  ©efühl 
nicht  lo«,  bafe  er  hier  eine  5lrt  oon  Wolle  gefpielt  habe,  für  rcelche  er  innere 
lid)  nicht«  aufjutoenben  hatte,  al«  9iüdfid)t  unb  Selbftüberminbung.  Da 
hörte  er  ein  leife«  ©eräufd)  unb  erfannte  finden,  bie  au«  ber  Saaltl)ür 
trat  unb  ftdj  ihm  näherte. 


5anny  Sopctld. 

Von 

H  i^olf  oon  <5ottf  djall. 

—  £cip3ig.  — 

ie  2?eteronin  ber  heutigen  ftoman^rtftfteu'erinncn,  gann« 
öeroalb,  blieft  auf  eine  reiche  literarifdje  £f)ätigfeit  juruef,  unb 
obfdjon  fie  fidj  mit  ftarfen  Stritten  ber  2llterggrenje  ber 
S$giget  nabt,  ift  iljrc  Jeber  feineSroegä  erlafjmt.  Gtft  oor  tfurjem  fjat  il)re 
©rjä^lung  „3ofia3",  bie  in  ber  „©artenlaube"  erfdjien,  beroiefen,  bafe  it)re 
fdjriftftellerifdjen  SSorsüge  nidjt  uerblajit  finb,  ba§  fie  mit  unroanbelbarer 
©eifteäfraft  auf  ©emutf)  unb  SBerftanb  ber  £efer  ju  roirfen  weiß.  Wobc- 
fcrjrififteQerinnen,  bie  in  beftimmten  ©podjen  ben  £on  angeben,  mögen 
ihren  3hu>n  überleben,  ©ine  fold)e  Üttobefdjriftftellerin  ift  gannu  £etualb 
nie  geroefen;  baju  ift  fie  ju  eigenartig,  unb  fie  Ijat  nie  bie  Stuftet  einer 
großblumigen  ober  fleinbeblümelten  $arftetlung  sur  Sdjau  geftellt,  meldte 
in  ben  Sabcnfenftern  ber  Unterljaltungäblätter  bie  grojje  Stenge  anlotfen. 

#annn  fieroalb  ift  eine  Cftpreufjin;  in  ber  ©tabt  ber  reinen  Vernunft 
tjat  fie  baä  Siajt  ber  S5>elt  erblicft,  roo  ber  fategorifdje  ^inperatiu,  aud) 
nad&bem  ber  ^fjilofopfyenbamm,  auf  bem  einft  ftant  mit  bem  Wegenfrf)irm 
promenirte,  bem  neuen  (Sifenbarjnoiertel  ben  ^>lafe  geräumt  Ijat,  bodj  nod) 
gleid)fam  auf  ben  ©trafen  fpajieren  ger)t.  %n  ber  Xbat,  ba$  oftpreufeifdje 
Naturell  fjat  etwa*  ©efunbeS  unb  ftritif<f>e3,  nid)t  im  Sinne  moberncr 
£>9perfritif,  fonbern  in  bemjenigen  ruhiger  oerftanbe*mäf,iger  Grroägungcn. 
Tie  Cftpreufjen  baben  flopf  unb  &erj  auf  bem  redeten  ^le<f:  fo  ein 
ebelfter  XnpuS  ift  ein  Genfer  roie  tfant. 

Hamann,  ber  3Jfagu3  aus  bem  Horben,  unb  Berber,  ber  grofte  3ln= 
empfinber  ber  3Polfs=  unb  Weltliteratur  aller  Reiten,  tragen  biefen  2npu$ 

«ort  unb  2  üb  L..  14-.  3 


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33 


$is  jum  1832  ^atte  gannn  Seroalb  bie  ^regelftabt  ntd&t  uer= 
laifen.  Xann  machte  fie  mit  ihrem  Sater  eine  Steife  nad)  Berlin  uub  Saben* 
Saben  unb  mit  ber  Emilie  if»rc^  Dnfels  an  ben  9iljem  unb  nact)  Schienen. 
3n  33reSlau  oerroeilte  Tie  längere  Seit  bei  ihren  Serroanbten;  fner  trat  ein 
für  ihr  innere^  Seben  entfdjeibenbeS  (§jreignij}  ein,  ihre  Siebe  &einrid; 
Simon,  bem  Sof»i  ihrer  £ante  3Jtinna,  ber  fidj  fpater  als  ein  bebeutenber 
^olitifer  geigte.  X>och  biefe  Siebe  war  eine  unglücflidhe ;  lange  tjarrte 
gannn  oergeblich  anf  irgenb  eine  21euf?erung,  aus  ber  fie  auf  eine  Qx- 
roieberung  ihrer  Neigung  hätte  fdjliefjen  fönnen.  25a,  bei  ihrem  3Ibfd)ieb 
von  SreSlau,  begleitete  er  fie  nach  &aufe,  unb  bort  fanfen  fie  fid)  bitterlid) 
roeinenb  oor  ber  Xrjür  ber  äBormung  in  bie  2lrme.  „$ann  raffte  er  fid) 
jufammen,  mir  gaben  uns  bie  §änbe  unb  trennten  uns  —  um  uns  nach 
einer  ^Heifje  oon  mir  fdjroer  burcfjlittener  Safyxe  ju  einer  greunbfdjaft 
toieber  jufammenjufinben,  bie  bis  ju  bes  unoergefjlidjen  Cannes  £obe 
uns  in  nicfjt  roanfenber  Xreue  unb  geftigfeit  uerbunben  hat."  Sange  ftanb 
fie  in  Gorrefponbenj  mit  bem  Setter;  im  ^aljre  1839  erfuhr  fie  enbltch 
bura)  einen  oon  irjr  oeranlaj&ten  Örief  Heinrich  Simons,  bafe  ihr  ©e? 
liebteT  —  unb  jroar  ebenfo  hoffnungslos  roie  fie  —  eine  2lnbere  liebe,  £en 
(SemüthSjuftanb,  in  ben  Tie  bura)  biefe  SJtittheilung  oerfefct  rourbe,  ^at  fie 
in  ergreif eitber  Seife  in  ber  jroeiten  3lbtf)eilung  ihrer  SebenSgefchidjte: 
„SeibenSjaljre"  (2  £l>eile.  1861—62)  gefa)ilbert.  3Jr  Seben  in  ÄömgS= 
berg  roar  in  ber  änuichenjeit  ein  ferjr  etnfameS  unb  unbefriebigtes  geroefen. 
©inen  com  Sater  empfohlenen  etn-enoollen  $eiratf)Sanirag  hatte  fie  trofe 
ihrer  finblid&en  ^ietät  jurüdgeroiefen;  trug  fie  bod)  bamals  noch  eine 
fdjönere  Hoffnung  im  ßerjen.  Sie  liefe  es  nid)t  an  Selbftanflagen  fehlen 
unb  harte  bas  rranft)afte  Seftreben  fia}  nü&lid)  5U  mad)en  unb  biefen 
ftufcen  faft  in  geschäftsmäßiger  gönn  naefonroeifen.  So  führte  fie  ein 
#uch,  an  welchem  fie  mit  peinlicher  Sorgfalt  nachrechnete,  roie  oiele  Xafchen= 
tücher  fie  an  einem  Xage  geiäumt,  roie  oiele  $aar  Strümpfe  fie  geftopfr, 
roaS  fie  überhaupt  für  bie  Samilie  mit  Spähen,  Sdjneibern,  Sftufifunterj 
rieht  geleitet  hatte,  um  es  am  ©nbe  beS  3)fonatS  naa)  feinem  (Selbroertf) 
berechnen  $u  fönnen. 

söalb  follte  fie  aber  in  bie  (Sine,  für  ihr  ganjeS  Seben  SluSfchlag  gebeube 
$atm  gelocft  werben.  3leujjeren  Slnlafe  ba$u  gab  ihr  Setter  2luguft  Scroalb, 
ber  bamals  bie  3eüf<hrift  «(Europa''  in  Stuttgart  rebigirte  unb  überhaupt  ju 
ben  oielgenannten  ^ournaliften  uno  Schriftftelleru  gehörte,  (rr  hatte  oljne 
ihr  Skiffen  fchon  einige  Stellen  aus  ihren  Briefen  über  Äönigsberger 
3ufiänbe  jum  3lbbrud  gebracht;  bann  rourbe  fie  oon  ihm  aufgeforbert,  einen 
Äuffafc  über  bie  &ulbigungSfeicrlid)feiten  ju  fdjreiben,  bie  bamals  1840  in 
.Königsberg  ftattgefunben.  Sie  fommt  biefer  iUufforDeruug  nach;  ihr  Sluffafc 
finbet  Beifall.  So  fchreibt  fie  gegen  ben  Hillen  ihrer  Familie  fclbftftänbig 
ein  Härchen,  eine  9cooelle,  unb  ba  3luguft  Seroalb  bics  alles  lobt  unb  honorirt, 
fo  faßt  fie  ben  Gntfchlufc,  fid)  gan$  ber  fchriftftellerifchen  Xf)ätigfeit  $u  rotbmeu. 


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3^    Kubolf  oon  öottfdjall  in  £cipjig.   

3f)r  3?ater  machte  ju  biefem  ©ntfdjlufc  eine  bebenflidje  SJJiene;  bod)  trat 
er  if)r  nid;t  Ijinbernb  in  ben  5£eg,  fonbern  roünfdjte  ifjr  oon  ^cr^en  ©lud 
baju.  Sie  war  gerührt,  unb  roa$  fie  in  jenem  SDfoment  feierlidjer  2Bci^e  em* 
pfunben,  ba$  ©elübbe,  ba3  fie  bamalä  abgete^t,  wollen  mir  mit  irjren  eignen 
Sorten  fyier  nieberfdjreiben ;  fie  ift  in  ber  Xljat  bemfelben  nie  untreu  ges 
roorben.  @ä  war  !ein  unberoufeteS  &erumirren  in  ben  3<*ubergarteu  ber 
v$oefie.  ,,3d)  fjatte  eine  große  Sßorfteüung  oon  ber  2Had)t  be3  $ia)terä  auf 
ben  ©eift  feines  23otfe$  unb  oon  ber  ©eroalt  be$  2öort3  über  baä  fterj  ber 
Sflenfdjen.  Unb  roeil  id)  bie  2öat)rl)eit  fudjte  unb  bie  2Ba&rf)ett  über  alles 
fd)äfcte,  reo  id)  fie  erfannt  Ijatte,  fo  naf)tn  tdj  mir  uor,  ifjr  in  feiner  3eile  unb 
mit  feinem  ©orte  jemaU  abtrünnig  §u  roerben,  unb  roie  grofc  ober  gering 
mein  (rinflufe  jemals  roerben  fönnte,  tfm  nie  anberä  als  im  Xienfte 
beljenigen  ju  otrroenben,  was  mir  Sd)önl)eit,  greift  unb  2öaf)rl>eit  ^eißt. 
Unb  biel  $erfpred;en  habe  id)  mir  treu  gehalten." 

3m  3al}re  1842  erfdjien  il)r  erfter  Vornan,  „fllementine",  meiner  an 
©ufcforoS  „SBerner  ober  ^erj  unb  SÖelt"  erinnern  mochte,  ©r  befyutbelte 
bie  Störung  ber  ©fje  burd)  eine  frühere  3ugenbliebe,  eine  Störung,  roeldje 
burd)  $fltd)tgefüf)l  unb  23erjid)tleiftung  ausgeglitten  roirb.  «anbelte  e$ 
fid)  (jier  um  einen  ßerjenafonflift  innerhalb  ber  £f)e,  fo  bilbete  biefelbe 
als  religiöä=bürgertid)e3  ^rtftitut  in  ben  bciben  foigenben  Romanen  ben 
SHittelpunft  ber  #anblung.  Xer  flare  $erftanb  ber  $erfafferin  fd)redte 
fo  wenig  cor  oerroidelten  9ied)t3fragcn  jurütf,  bajj  fie  biefelben  eingeljenb 
mit  einer  geroiffen  Vorliebe  bef)anbelte.  .^ierju  fam  ber  ©rang  nad> 
(ftnancipation  in  23ejug  auf  confeffionelte  gragen,  ber  bamals  in  ber  Sfujt 
beS  ftönigSberger  StberaliSmuS  lag.  ®ine  biefer  fragen  war  bie  jübifd)- 
d)riftlid)e  3J?ifd)el)e.  (riner  ber  SBorfämpfer  ber  liberalen  Partei,  Dr.  gerbinanb 
Jfalffon,  ber  oor  Sturjem  feine  intereffanten  (Erinnerungen  aus  ber  oft= 
preujjifd)en  BeroegungSepodje  r»eröffentlid)t  hat*),  oermod)te  in  ^reufjen  für 
feine  (£f)e  mit  einer  (Sljriftin  nid)t  bie  Bewilligung  ju  erhalten  unb  gab  alle 
betreffenben  9lctenftude  lierau^.  2>ie  grage  ftanb  bamalS  auf  ber  S'ageSs 
orbnung,  unb  gannn  Seroalb  mit  ihrem  lebhaften  Sinn  für  2llle3,  roa$ 
fcaö  öffentliche  Seben  betraf,  unb  mit  ihrem  eifrigen  Beftreben,  für  ba3 
3ubentl)um  unb  bie  ©leidjberechtigung  ber  Gonfeffionen  eine  Sanje  ju 
bred)en,  bemächtigte  fid)  biefer  Stoffel  in  ihrem  Vornan  „Sennn"  (1843), 
welcher  wohl  ber  ^eroorragenbfte  ans  it)rer  jugenblid)en  Sturmi  unb  Drangt 
periooc  ift.  Sie  gab  bem  Gonflift  feinen  oerjöt)ulid)en,  fonbern  einen 
trarttidjen  9lu^gang  unb  liefe  it)rt  in  einer  Doppel^anblung  ftdt)  abfptelen. 
$rjre  eigenen  Veben*erfal;rungen  f)at  fie  mit  grofjer  Offenheit  unoer^üllt  in 
bemfelben  bargcftellt:  nad)  biefer  Seite  Ijin  entl)ält  ber  Vornan  i^re  Con- 
t'es.sions.  3ennV  ift  wie  fie  felbft  au^  Siebe  §u  einem  Alanbibaten  ber  Al>eo; 

*)  "Sic  liberale  ^etucflunn  in  .QöntqSbcrg  (1840— 1848).  9ttcmotren-83lätter  oon 

■Jcrbiitanb  galffon.   Ü*rc*fan,  3.  SdjPttlaenber. 


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logie  jum  Ghriftentrmm  übergegangen,  bereut  aber  triefen  Stritt,  weit  fic 
ftch  mit  bem  firctjlichen  Dogma  ber  Dreteimgfett  nid)t  oerftänbigen  fann. 
Der  (beliebte,  ein  orthoborer  Xtjeologe,  tuenbet  fid)  von  if)r  ab,  als  er 
ftä)  überzeugt,  bafj  trofc  ber  Xaufe  bie  flluft  ihrer  religiöfen  3lnf<hauungen 
nic^t  ju  überbauten  ift.   ßierju  fommt  nodj  ein  SJcotir»  ber  ©iferfucht. 
Senng  wirb  baburdj  getröftet,  bajj  ein  ®raf  il)r,  ofme  Nüctficht  auf 
©tanbe3Dorurtr)eüe,  $ers  unb  £anb  bietet:  bodj  fällt  ber  Verlobte  in 
einem  Duell,  in  welchem  er  einen  unoerfchämten  ^öfterer  $u  süchtigen 
fudjt,  ber  natürlich  bie  öffentliche  Meinung  in  aufbringlicher  Söeife  »ers- 
tritt,   ^ennp  frirbt  mit  gebrochenem  ^cr3en  an  feiner  Seiche.   Da$  ift 
in  ber  einen  .ftälfte  ber  Sebensroman  ber  #amii)  Veroalb:  Derjenige  be3 
Dr.  5«tbinanb  galffon  fpielt  fich  baneben  ab.   (Sin  junger  jübifdjer  2lrjt 
liebt  bie  Dochter  eines  SBanfierS:  bod)  wegen  ber  ftluft  ber  (Sonfeffionen 
tarnt  er  fie  nicht  heiraten;  er  felbfi  null  nicht  jum  ßhrijtenthum  übergeben, 
mit  er  für  bie  bürgerliche  unb  poIiti|ct)e  ©maneipation  feiner  ©laubenS' 
genoffen  ju  nrirten  fuajt.   So  oerjichtet  er  unb  finbet  einen  Droft  barin, 
ba§  einer  feiner  greunbe,  DCr  fo(dr)es  ©lücf  oerbient,  feine  ©eliebte 
jum  2Utare  führt.    3luch  h^cr  weicht  ber  Vornan  oon  feiner  thatfächlicfjeit 
®runblage  ab,  benn  Jalffon  r^at  feine  Sraut  in  (Snglanb  geheirathet.  25er 
Vornan  \\t  frifch  aus  bem  £eben  ber  bamatigen  3«it  gegriffen ;  bie  iübifche 
@efeUfchaft  in  ihren  #oupttnpen,  forooht  in  ihrem  patriarchalischen  Jamilien; 
leben,  roie  in  ihren  anmafjtichen  lleberhebungen  ift  getreu  gefcf)ilbert;  bei 
einzelnen  (Hjarafteren  fehlt  auch  bie  rminorifUfche  Järbung  nicht.  Nüchterner 
unb  oft  in  bie  jurifiifche  $rofa  rjinabfinfenb  roar  ber  nächfte  Vornan: 
„©ine  SebenSfrage"  (2  Sbe.  1845).    (Sin  dichter,  ber  eine  5änfif<he  unb 
üerftänbnifjlofe  grau  hat,  fleht  h^r  *m  SÄittelpunfte  be$  Vornan«,  ber  fich 
gan5  um  bie  Jrage  ber  Ghefcrjeibung  brecht. 

tiefer  Vornan  beratet,  baf?  ba«  Dalent  ber  SSerfafferin  bie  Sebent  - 
oerhältniffe,  in  benen  fie  fta)  beroegte,  fchon  erfchöpft  hatte  unb  leicht  hätte 
üerfümmem  tönnen,  wenn  ber  „Äneiphof"  unb  bie  „i'aftabie"  ber  Sßregel« 
ftabt  für  alle  3eit  bie  Dekorationen  ihrer  £eben$bürmen  geblieben  mären. 
Dod)  e$  trat  eine  glüefliche  Beübung  ein,  bie  fie  00m  ^regel  an  ben 
Xiber  führte,  Sie  r;at  biefe  ©poche  unter  bem  Xitel  Befreiung  unb 
2£anberleben"  in  ber  britten  Abteilung  ihrer  £eben$gefchichte  gefchilbert 
(2  Xheile.  1862).  Schon  bie  grofee  Sahl  bebeutenber  $erfönlid)feiten, 
mit  benen  fie  auf  ihren  Reifen  jufammentraf,  erroeiterte  ihren  ©e|tcht$fretd 
unb  gab  ihr  eine  güUe  oon  Anregungen.  Sie  jeigte  aU  ^ortraitmalerin 
einen  fcharfen  Slicf  unb  eine  gute  Beobachtungsgabe,  unb  bie  Silber,  bie  fie 
oon  Dörnhagen  oon  @nfe,  Xheobor  Sttunbt,  ßlara  TOhlbaa),  föerroegh,  u.  31. 
entnrirft,  fmb  treffliche  ©hnraftertöpfe.  &at  fie  boer)  oon  ihrer  ftunft  ber 
^ßortraitmalerei  in  ben  „3roölf  Silber  aus  bem  Seben.  Erinnerungen" 
(1888)  erft  neuerbingä  roieber  eine  Sßrobe  gegeben,  bie  jum  ^heil  noch 
an  jene  SBanberepoche  anfnüpft. 


5ö 


Subolf  ton  CöottfdfaU  in  Ceipstg.   


3m  $al)xe  1845  unternahm  fic  bie  9Jeife  nach  ^olien,  bie  für  ihr 
ganjeS  fpätereS  £eben  fo  bebeutfam  werben  fottte.  &ier  fanb  jie  2lns 
regungen  jeber  9lrt;  baS  fatte  lanbfchaftlicr)e  Äolorit,  baS  bunte  SÖolf  Sieben 
befristete  ihre  $^antafie  nnb  gab  auch  ihrer  ganjeu  Darftellung  lebhafteren 
Schwung.  Xie  Sajjaroni  am  ©olf  oon  Neapel  waren  bodj  ein  Sftenfdjeiu 
fdjlag  mit  mehr  sJ>oefie  als  bie  £a|iträger  ber  JtönigSberger  Saftabte,  unb 
bie  fchöngefdmmngenen  Sinien  btefeS  ©olfs,  ber  Stranb  mit  feinen 
Bulfanen  unb  93ergeSfuppen  t)atte  bod)  einen  ganj  anberen  3aubev  als 
bie  baltifdjen  ©eftabe  mit  ihren  einförmigen  ^alroen.  £>a$u  bie  güüe 
ber  Jhmftfchäfee,  bie  garbenpradjt  ber  ©emälbe,  bie  $oefie  ber  Some, 
bie  SJteifterwerfe  ber  Slrdjiteftur,  bie  burd)  bie  flunftwerfe  in  ihrem 
Innern  großen  SNationalmufeen  gleiten  —  baS  mar  für  bie  jfibifdje  unb 
proteftantifdje  2Beltanfchauung,  in  metd&er  fich  gannn  fieröatb  bisher 
beroegt  hatte,  mit  ihren  bilblofen  ©laubenSfäfeen  unb  Berftanbesbegriffen  an= 
fang«  etwas  grembartigeS,  baS  aber  einen  madigen  (Einfluß  ausüben,  nicht 
Mos  ben  geiftigen  &orijont  momentan,  fonbern  auch  baS  fa^riftfteUerifd)e 
Talent  beleben,  ja  jutn  £heil  in  neue  tabuen  lenfen  mußte.  9Jo<h  ent* 
fchetbenber  mar  für  gannp  l'emalb  bie  Sefanntfchaft  mit  9lbolf  Statjr: 
ber  Safe,  baß  entgegengefefete  Naturen  bie  größte  SlnsiehungSfraft  auf= 
einan  berausüben,  betätigte  fid)  tyev  ooHftänbig.  greilid),  baS  ©emeinfame 
buvfte  nicht  fehlen,  unb  baS  mar  l)ier  bie  gleichmäßig  fyofye  ©eifteSbilbung, 
baS  gleiche  ^ntcrreffe  für  S5kil>rt)eit,  <5d)önr^eit  unb  ein  ebleS  9)tenfä)en= 
t()um.  Doch  bei  Staljr  gewann  baS  2llleS  einen  entt)ufiaftifd)en  SluSbrucf, 
welcher  bergreunbin  gänzlich  fcrn  ^9;  1°  warm  fic  empfntben  mochte,  es 
überwog  bod)  bei  iljr  bie  ruhige  Prüfung  unb  Grwägung,  bie  23efonnen; 
heit  gegenüber  ber  Begeiferung.  SUber  baS  fonnte  nicht  ausbleiben,  baß  fic 
oon  StahrS  oft  überfchwänglidjer  (EmpfinbnngSweife  mit  fortgeriffen  mürbe 
unb  fo  aus  ber  bisweilen  fühlen  Harmonie  ber  eigenen  heraustrat.  $)ies 
farbenhellere  ßolorit  ber  Schreibweife  jeigte  fich  fchon  in  bem  „3taltenif<hen 
Silberbuch"  (2  33be.  1847);  unb  wenn  mir  baran  gleich  baS  fpäterc  9tach= 
fchlagebuch  „(Snglanb  unb  Sdwttlanb"  (2  Bbe.  1851—52)  reihen,  fo 
haben  mir  eine  bebeutenbe  unb  feljr  hoch  Su  ftcllenbe  Seite  it)rer  litterarifd)en 
^hdtigfeit  oor  Slugen,  biejenige  ber  9ieifefchriftfteUerin.  2lber  ganm;  l'eroalb 
ift  feine  Xourifitn  gewöhnlichen  Schlags ;  auch  reifebilbert  fie  nicht  mit  bem 
©fprit  ber  &eine'fchen  Schule:  in  iljrer  maßooUen  $arftellung  prägt  fi<h  fcharfe 
Beobachtungsgabe,  ber  aufgefchloffene  Sinn  für  alles  Schöne,  Rumäne, 
geiftig  Bebeutiame  aus,  unb  ber  (Sinbrucf  einer  bebeutenben  SßerfÖnlichfeit 
tritt  uns  faft  lebhafter  in  biefen  Schriften  entgegen,  als  in  manchen  ihrer 
Romane.  Sie  tragen  oft  baS  maßoolle  ©epräge  einer  apoftolifchen  Senbung 
unb  jeigen  jenen  gattenwurf  ber  rebnerifchcn  Eoga,  welche  bem  aus 
innerer  Ueberjeugung  quettenben  iöort  ein  würbeootteS  3lufehen  giebt. 

3hren  Romanen  felbft  merfte  mau  sunächft  ben  ©influß  ber  italienifdjcn 
fHeifc  nur  in  ber  freieren  Stoffwahl  an;  eS  war  nicht  mehr  bie  Suft  bes 


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  Sanny  iewalb.   


37 


Äönigeberger  flneiphofS,  bie  man  früher  auSfchließlidj  in  ihnen  athmete. 
3n  bas  3ahr  1847  fällt  i^rc  ^erfiflage  ber  &ahns£ahn'fchen  Nomone 
„Diogena",  eine  $arobie,  bie  au«  fd^arf finniger  Beobachtung  ber  Schreib = 
weife  ber  ©räfin  h«toorging  unb  jum  X^eil  mit  einer  ber  Dichterin  fonft 
fremben  äfcenben  Scharfe  abgefaßt  mar.  £>er  große  ©egeniafc  jwifchen  ber 
ben  ßapricen  bes  &erjens  unb  ©etfteS  fmlbigenben  3lriftofratin  unb  ber 
bemofratifdjen  ^übin,  beren  fiojung  bie  (Smanripatton  unb  ber  flampf  gegen 
bas  Sorurtheil  mar,  genügt  nicht,  um  ben  £on  unb  bie  Haltung  biefer 
Schrift  ju  ertfären;  bie  ©iferfutfct  fam  hinju,  unb  fie  oorjugSweife  ^at  baS 
^aSquiH  biftirt.  SBeibc  Jrauen  liebten  ftemvid)  Simon,  unb  biefen  50g 
fein  £er$  jur  ©räfin,  bie  aber  nicht  ben  SWuth  befaß,  ihre  StangjMung 
ihrer  2eibenfd)aft  ju  opfern.  ©anj  unrecht  mag  man  ber  Berfafferin 
einer  SebenSbefchreibung  ber  ©räfin  &ahns£ahn,  3Karie  Helene,  nicht  geben, 
wenn  fie,  atterbtngs  in  einer  ju  fd&arf  betonenben  Söeife,  fagt:  „2BaS  immer 
unb  welche  ©rünbe  bie  berebte  ^eber  für  bie  Veröffentlichung  ihres  bie 
berühmte  Sd)riftfteu*erin  parobirenben  Romans  „T>iogena"  angeben  möge: 
wir  füllen  uns  511  ber  Sinnahme  berechtigt,  baß  es  ber  ,§aß  gegen  bie 
beoorjugte  Nebenbuhlerin  mar,  ber  fie  leitete  unb  ber  bem  tiefoerrounbeten 
^erjen  Sd)mäfwngen  entlocfte,  bie  ebenfo  maßlos  finb  wie  baS  ©efüf)l, 
öaS  jenen  &aß  erzeugte." 

Ser  SSerfeljr  mit  SBarnhagen  oon  (Snfe  unb  in  ben  berliner  Greifen, 
welche  manche  (Erinnerung  an  frühere  3e^en  pflegten,  ^atte  fie  ju  einem 
geschichtlichen  Cornau  angeregt,  in  beffen  SHittelpunft  fie  ben  „grinsen 
£ouiS  Jerbinanb"  (3  33be.  1840)  ftellte.  $atte  boch  Stahel,  VarnhagenS 
©attin,  in  ihrer  3u9cno  *n  nahen  freunbfä)aftlid}en  Beziehungen  ju  bem 
§oheu$oHern  geftanben.  $)er  Aufgabe,  aus  feiner  ©pod)e  heraus  bie  ©es 
ftalt  beS  gelben  $u  erflären,  mar  gannn  fiewalb  nicht  ganz  gewachfen. 
Der  preufcifcbe  3IlcibiabeS  fyxtte  auch  einen  fjelbenhaften  3«9/  mährenb  er 
in  bem  Vornan  wefentlich  als  S)on  $uan  auftritt;  bod)  audh  als  folcher 
erfdjemt  er  ju  gemeffen,  es  f etjCt  bem  ©anjen,  obfd)on  bie  Siebesabenteuer 
in  ben  35orbergrunb  geftellt  finb,  ber  leictjt  plänfelnbe  £on  ber  bamaligen 
frtoolen  ©efeöfchaft.  2tu<h  9tohel  ift  ju  fchmärmerifch,  es  fehlt  ihr  bie 
idjlagfräftige  ©igenart  mit  ben  Treffern  eines  genialen  JfaftinfteS.  £>ie 
Sdn'lbenmgen  finb  im  Uebrigen  lebenbig  unb  einige  Gharafterföpfe  mit 
feften,  fd)arfen  Umriffen  gejeicemet.  £>aß  inbeß  ihr  Talent  beweglicher, 
ihre  ^ß^antafie  erfmbungSreicher  geworben  mar,  bemies  fie  burch  eine  Steihe 
rafd>  aufeinanberfolgenber  Veröffentlichungen,  f feinerer  (Stählungen,  wie 
bie  „Lünens  unb  öerggefdjichten"  (2  5tt)ei(e.  1856),  „ßiebeäbriefe  eines 
©efangenen"  (1850),  in  benen  Sieflerionen  über  Staat  unb  Sieligion  übers 
wiegen,  „Stuf  rother  @rbe"  (1850),  einen  Vornan  aus  ber  preußischen 
fteoolutionSseit,  welcher  !lar  unb  lebenbig  bargeftellt  unb  in  weld;en  ber 
fctebeSroman  mit  ©eichtet  oerwebt  ift.  2tffe  biefe  Schriften  ftanben  unter 
bem  ©inbruet  ber  SRärjreoolution,  welche  bie  ©emüther  mächtig  bewegt 


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38 


Hufcolf  von  (Sottfdjall  in  £eip3tg. 


unb  eine  SJienge  uon  gragen  aufgeworfen  hatte,  bie,  fufm  geftcttt,  auch  fühn 
beantwortet  würben. 

$od>  bie  legten  9iaä)f länge  be§  gewaltsamen  politifdjen  9Iuffchwunge3 
»erhallten  allmählich;  bie  Äritif  trat  in  ibre  SHedjte  ein  unb  bie  fchärffte 
ßritif  übte  ber  ftortgang  ocr  Greigniffe  felbft,  ber  baä  Unreife  unb  lieber* 
[türmte  oerurtheitte,  inbem  er  pnächft  in  gänjttch  anbere  Sahnen  lenfte, 
faft  ofme  5lnfnüpfung  an  bie  Sofungeu  jener  ftürmifchen  Sage.  <£&  trat  eine 
3eit  trüber  9ieaction  ein,  unb  mancherlei  Staublungen  ber  Ueber^eugung, 
befonberä  auch  ber  religiöMirchlichen,  bie  unter  ber  Regierung  be$  5lönig$ 
griebridj  Söilbetm  IV.  ftetS  befonberä  betont  würbe,  waren  an  ber  £age3* 
orbnung.  2lu$  biefer  Stimmung  heraul  fdnHeb  JJannn  Seroalb  ben  Vornan 
,,©anblungen"(4$änbe.l853),  obfd)onfiebenfelben  mehr  in  bie  oormärjtic^e 
3ett  »erlegte.  Ofian  würbe  freilief)  bem  Vornan  Unrecht  thun,  wenn  man 
ihn  ihm  einen  Keffer,  ber  (Spod)e  unb  eine  @hronif  uon  lauter  2Banblungen 
ber  ©efinnung  fuchen  wollte:  es  hanbelt  ficr)  in  ihm  ebenfo  um  SSanblungen 
ber  Neigung,  unb  ber  ©runbgebanfe  wirb  nicht  burch  alle  SBerwtcflungen 
be3  9ioman3  gebetft,  fonbern  nur  burch  bie  Schief  fale  ber  jwei  £aupt= 
perfonen.  griebrieb  33ranb,  ber  Solm  eineä  XifchlerS,  befreunbet  fich  auf 
ber  Uniocrfttät  mit  bem  53aron  ©rieh  uon  ^eibenbrücf,  wirb  in  bie 
Jyamilie  eingeführt  unb  lernt  bie  Schwerem  ©ridjg,  bie  fajöne  Helene  unb 
bie  intereffante  Cornelia,  feunen.  Gr  lernt  Helene  lieben,  fie  fd^enft  il;m 
iljre  ©egenliebe,  aber  als  er  um  ir)re  £anb  anhält,  wirb  er  jurüefgewiefen ; 
ber  junge  Geologe  erfdjeint  ber  93aronStod)ter  nicht  ebenbürtig,  feierte 
heiratet  einen  ^Diplomaten,  ben  ©rafen  oon  ©aint^ajau,  bewahrt  aber 
im  &er$en  bem  jungen  Stubenten  ihre  Neigung,  tiefer,  befreunbet  mit 
einem  jübifdjen  Slrjt,  in  beffen  6t)araftcrfopf  man  wohl  bie  3äge  be§ 
&ierfragenmanne$,  beö  Dr.  ^acobu,  wiebererfennen  fann,  wirb  bem  ©lauben 
untreu,  ben  er  befennen  unb  lehren  fofl.  9?aa)  mancherlei  gafjrten  heiratet 
er  eine  33erwanbte  be$  freiherrlichen  £aufe8,  2lugufte,  bie  ihn  in  einer 
Äranfheit  gepflegt  hat,  fchon  aus  ©itelfeit,  um  bem  fiaufe,  ba$  eine  SBerbtnbung 
mit  ihm  für  unmöglich  gehalten,  bodt)  noch  uerwanbt  ju  werben.  $ie  ®he 
ift  inbeffen  unglüeflich;  griebrich  geräth  in  Gonflift  mit  bem  (Sonfiftorium, 
wirb  feines  9tmte$  entfefct,  nachbem  er  längere  3eit  in  9iom  feinen  äftctr>t= 
fchen  Neigungen  gelebt.  $ie  ©he  wirb  gefchieben.  Sugufte  r)eiratr)ct  ben 
^Pfarroifar,  ber  ihn  währenb  feiner  9lbwefenheit  oertreten.  Helenen«  ©atte, 
ber  Diplomat,  oergiftet  fich,  als  er  feinen  fieberen,  burch  SÄuSfchroeifungen 
jeber  9lrt  h^ocigeführten  9iuin  oor  9lugen  fielet,  unb  Helene  wirb  julefct 
bie  ©attin  jriebrichö,  ben  Tie  nie  $u  lieben  aufgehört  hat.  3hre  Schroetter 
Cornelia  geht  juerft  in'3  Sager  ber  ^iietiften  über  unb  heiratfjet  bann  ben 
rabtfalgeftnnten,  freigeiftigen  2lrjt.  ^i)xen  früheren  Bräutigam,  ben  ^ßictiftett 
^leffen,  finben  wir  als  3Hönch  in  einem  italienifchen  JUofier  wieber. 

3wifchen  biefen  25>anblungen  verfließt  natürlich  eine  geraume  3eü- 
£ie  ganblung  felbft  ift  überreich:  außer  ben  erwähnten  perfonen  treten  nod> 


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$a  nny  £cn>al  6. 


39 


bie  beiben  jüngften  Sö^ne  be«  53aron«,  @ridj  unb  ©eorg  mit  iljrer  Siebe 
SU  ber  llnteroffi$ier«tocf}ter  Regina  in  ben  $orbergrunb.  Ter  Vornan  ift 
etroa«  ju  fef)r  in'«  breite  gearbeitet,  unb  bie  ftd)  f)in*  unb  jjerroeubenbe 
Tt)eilnat)me  ber  £efer  ermübet  btemeilen  gegenüber  einer  fidt)  in  3irf5atf; 
linien  bemegenben  £anblung.  SBojjl  aber  gehört  er  ju  ben  gebauten* 
reiften  SBerfen  ber  SSerfafferin,  unb  biefe  ©ebanfen  ftnb  in  einem  <Stit 
von  tfarem,  feiten  ©epräge  au«gebrücft.  $n  SBejug  auf  fdjarfe  Beobachtung«* 
gäbe  unb  feine  Seelenmaleret  nimmt  ber  Vornan  eine  heroorragenbe  Stellung 
ein;  bie  Anatomie  ber  geiftigen  Dichtungen  unb  bie  ©eftnmmg  biefer 
•Kegion  be«  innem  -JHenfchen,  in  meiner  ©eift  unb  ^erj  oerfchmeljen,  er= 
innert  an  bie  Romane  ©ufefon)«,  mit  benen  er  auch  gemein  f)at,  bafj 
er  au«  einem  leitenben  ©ebanfen  ^erau«  gefchaffen  ift  unb  au«  biefem  bie 
^emncflungen  unb  Sdjicffale  ber  -Dienfdjen  erfinbet  unb  regulirt.  Tie* 
geflieht  feiten  ofme  ©mbufee  an  jener  Seid^tigfeit  ber  (Stählung,  meldte 
fid)  bequem  unb  behaglich  bort  geltenb  macht,  wo  ein  beliebiger  tfjat* 
fachlicher  Stoff  au«  bem  Seben  aufgegriffen  unb  ofme  jeben  9lnfpruch  auf 
geiftige  ^ebeutung  bet)anbelt  wirb. 

^eben  ben  „Söanblungen"  ift  ba«  umfangreichfte,  in  größerem  Stil 
angelegte,  22erf  ber  Tidjterin  ber  9tomancnflu«  „33on  ©efchlecht  511 
@efchlecht"  (8  $be.  1864—68).  tiefer  Vornan  hat  ein  burd)fid)tigere« 
(Befuge  al«  „bie  Sikmblungen";  er  fpielt  fidr),  roie  fdfjon  ber  Xitel  ergiebt, 
in  einer  ftolge  ber  a&/  foba§  nicht  juoiel  ©leich&eitigfeit  aufgehäuft 
ift.  Tie  Tenbenj  be«  Sßerfe«  ift  eine  bemofratifche,  roie  in  allen 
Schriften  ber  gannn  £eroalb;  fie  ift  auf  bte  2tu«gleidmng  ber  Stäube 
gerietet,  unb  folcbem  IJortfd&ritt  ber  (Sultur  nachjufpüren,  folgt  fie  bem 
Verlauf  ber  Seiten  unb  ber  Schicffale  ber  Gi^elnen,  roie  fic  fid)  in  ben  auf* 
einanberfolgenben  Safn-jehnten  geftalten.  Ter  ©egenfafe  snnfehen  ben  ©efehiefen 
ber  oollbürtigen  Sprößlinge  einer  arifto(ratifd)en  gamilie  unb  berjenigen 
eine«  bürgerlichen  33aftarbgefa)lea^te«  bilbet  ben  Slngelpunft  be«  SBerfe«. 
9lm  bebeutenbften  erfdjeint  un«  bie  erfte  2lbtf)eilung-  „Ter  greiherr"  mit 
ihren  leben«ooüen  SRococobilbern ;  fie  fpielt  in  Teutfd)lanb  jur  3eit  ber 
franjöfifa^en  SHeoolution.  2Bäf)renb  ba«  ©migrantenthum  fid>  in  beutfd>en 
Sajlöffern  einniftet,  erhebt  ba«  öürgertfmm  ftoljer  fein  &aupt  unb  felbft 
ba«  ^ubentlmm  lernt  fich  immer  mehr  al«  eine  gefeUfd)aftlidje  SHacht  burch 
feinen  Deichtfmm  fütjlcn.  fllopft  bodj  ber  £elb  biefe«  Vornan«,  ber  alte 
greiherr  oon  2lrten,  al«  33ittenber  an  bie  Pforte  be«  reiben  3uben 
SJliep.  Ter  93aron  ^at  ein  SBerhältnife  mit  einem  S3auemmäbd^en 
^auline,  ba«  er  einer  fdjredlidjen  Seuche  entriffen  r)at  unb  ba«  mit  inniger 
Siebe  an  ilmt  hängt.  9(u«  biefem  33erl)altnifj  ftammt  ein  Sofm,  ber  fpäter 
ein  eigenwilliger,  ftarrföpfiger  Änabe  oor  be«JBater«  unnatürlicher  Strenge 
in  bie  weite  SSelt  entfliegt.  Tie  SRutter  aber  fu$t  ihren  Tob  im  Saffer 
be«  Ärtener  Söurggraben«,  al«  ber  33aron  jur  ^och^eit  mit  ber  jungen 
©räftn  angelita  fä^rt.  Tiefe  empfinbet  balb,  bafj  ben  ©aUen  ein  Sdjmers 


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^0    Knbolf  von  ©ottfdjall  in  £eip5tg.   

bebrücft,  ber  einer  früheren  Siebe  gilt.  $odj  balb  wirb  bas  eljelidy 
33erf)ältnifj  bnrd)  33erwtcflungen,  bie  an  ©oetljeS  „SMjloerwanbfdjaften'' 
erinnern,  nodj  mef)r  geftört ;  eine  franjöfifdie  .fterjogin  unb  if)r  $  ruber,  aus 
granfreid)  uertrieben,  fudjen  ein  9lfnl  auf  ©cfylofc  2lrten.  2)ie  pifante 
£>erjogin  erobert  fidj  ben  greifjerrn,  roäfyrenb  ein  junger  3lrd)iteft,  ber  um 
eine  ßapeUe  unb  Äirdt)e  ju  bauen  auf  ba3  Sdilofc  eingelaben  ift,  altmäljlid) 
bie  Neigung  ber  öaronin  erwirbt,  ©ie  gefielt  biefe  nur  geiftige  Untreue 
bent  ©arten.  £>od)  btefer,  in  feiner  ©telfeit  Deriefet,  wenbet  fidj  ganj  von 
\\)x  ab:  fie  Derfättt  in  eine  fdjwere  ßranfljeit  unb  ftirbt.  hinein  6tamm= 
kalter  beS  Kaufes  r)atte  fie  inbefe  fdjon  cor  biefer  @poä)e  ber  2öaf)löer= 
manbfdjaften  ba3  Seben  gefdjenft.  60  fann  benn  gannn  Seroalb  ben 
gaben  roeiterfpinnen  „von  ©efdjledjt  ju  ©efd)lecf)t".  &er  Sobn  SPauIinen$ 
unb  ber  ©of)n  9lngelifa3  werben  bie  Präger  ber  fidj  weiter  entwicfelnben 
.§anblung,  bie  in  ben  folgenben  2lbtf)eilungen  bargefteüt  wirb. 

£)ie  33erwanbtfcf)aft  be£  (Stoffel  ber  erften  21btl)etlung  mit  beni 
@oetf)efd)en  Vornan  fjat  aud)  ber  2)arftellung  einen  geroiffen  goetlnnrenben  3ug 
gegeben.  $cr  Stil  f>at  l)ier  roie  in  bcm  ganjen  Sß>crfc  einen  burdjauS  eblen 
Xon,  einen  würbeooUen  2lu$brucf,  unb  bie  ©ebanfen,  benen  e£  an  Briefe  nia)t 
fel)lt,  eine  fdjöne  burdjfidjtige  gaffung.  3ßir  fönnen  f)ier  nidjt  nä^er  auf 
ben  $nl)alt  ber  folgenben  Sänbe  be$  Vornan«  eingeben,  audj  ift  uns  sBe- 
fa)ränfung  geboten,  gegenüber  ber  anbauernben  fdjöpferifdjen  £f)ätigfeit, 
welche  bie  $id)terin  im  Saufe  langer  Sa^elnite  entwtcfelte.  9tor  ba£ 
SBebeutcnbe  unb  Cfiarafteriftifdje  tonnen  mir  f)ier  fjeroor^eben ;  benn  audf> 
bie  fleinen  (vr$äl)lungen,  bie  einzeln  ober  in  Sammlungen  erfdjienen, 
tragen  ba3  gleichartige  ©eprnge  wie  bie  größeren,  roenn  e$  aud)  nidjt  fo 
fajarf  ^eroortritt. 

gannn  Seroalb  fyatte  ftd)  nad)  i^rer  italienifd^en  ■'Weife  in  Berlin 
niebergelaffen,  roo  fie  fidj  1854  mit  Slbolf  Stafjr  oerf>eiratbete.  3lud)  nad) 
bem  £obe  be*  geiffreidjen  ©elef)rten  im  Saljre  1876  blieb  fie  ber 
preufeifdjen  &auptftabt  getreu,  bie  ft<^  nidjt  lange  barauf  in  bie  beutfdje 
^Heia)$f)auptftabt  »erwanbelte.  £a*  rege  geiftige  Seben  ^Berlins  übte  auf 
eine  grau  roie  gannn  Seroalb  bauernbe  Slnjiefnmg  aus.  ©ine  bebeutfante 
9iad)wirfung  ber  großen  nationalen  ©reigniffe  inbejl  läfjt  fidj  in  i^ren 
Romanen  nidjt  gerabe  nad)  weifen:  luelt  bodj  mit  ber  nationalen  Gnt; 
wicfelung  Diejenige  ber  liberalen  ^rineipien,  wie  fie  bie  oftpreu&ifa^e 
Bewegung  am  2lnfang  ber  weniger  %a\)tc  oertrat,  nid&t  Stritt,  unb  aus 
bem  Sanne  ber  2lnfd)auungen  eines  Sodann  3ac001J  ift  gannu  Seroalb 
fdjwerlidj  herausgetreten.  9lucf>  tt)re  eigenen  SebenSerfaljrungen  tonnten  itjre 
p^antafieuoUen  ©rfinbungen  roenig  bereichern,  minbeftenS  fprad)  baö  5lutos 
biograpJifa)e  in  i^ren  neuen  Romanen  nid&t,  roie  in  ben  früheren,  mit  unb 
jroar  mit  einem  oft  warmen  &er$en8antf)eil.  60  finb  roir  bei  ben  Herfen 
ber  lefeten  ^a^rje^nte  bura)  feine  innere  9iötf)igung  an  baS  ^^"o^öiWc 
gebunben  unb  fönnen  fie  nad)  anberen  ©efidjtSpunfteu  äufammenftellen. 


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3u  ben  trefflid&ftat  gehören  roof)l  bie  jtoci  Romane:  „Dag  SWäbcljcn 
oon  &ela"  (2  SBbc.  1860)  unb  „Die  Grlöferin"  (3  33be.  1873).  Der 
erfte  I>at  ein  oorjüglidjeg  Socalcolorit.    .§ela,  eine  in  bie  Dftfee  Inn* 
einragenbe  #albinfel,  bic  nur  burdj  eine  fd)male  unb  md)t  leidet  ^u 
pafftrenbe  Sanbenge  mit  bem  geftlanbe  sufarnmenfjängt,  bietet  für  baltifd)e 
vBeemalerei  miCtfornmenen  Stnlaß,  unb  gannn  Seroalb  roar  baju  burd)  bie 
Erinnerungen  ttyrer  Sugenb  berufen.    Die  33eroof)ner  jener  $albinfet 
haben,  abgefperrt  oon  ber  übrigen  SBelt,  einzelne  finnige  33olfgfitten  be- 
roalul,  bie  in  bog  Seben  ber  ftelbin  unb  if)re  &er*engoerf)ältniffe  miteins 
greifen.   Diefe  abgefd)loffene  Söelt,  biefe  Stranbibulle  mit  iljrer  geizigen 
unb  fittlia)en  ftlaufur  fyit  bie  Did)terin  mit  realer  9Sal)rr)eit  gefdjilbert. 
Tie  <ganblung  ift  etnfadj  unb  unb  fpannenb.    „Dag  Sttäbdjen  oon  &ela" 
bürfte  ber  oolfgtfyüinlid)fte  Montan  ber  gannn  Seroalb  fein.    9tud)  „bie 
ErlöfeTin"  fpielt  an  ben  balttfdjen  ©eitoben.  Die  £elbin  ift  ein  oftpreu&ifdjeg 
^Pfarrergfinb,  unb  eine  ^ßfarribnlle,  ber  bie  fpeciftf  d>en  (Bereden  ber 
SJefnungen  in  Cftpreufcen  nid)t  fehlen,  inbem  bie  Jyrau  ^ßfarrerin  felbft 
im  ^reibfanbe  ju  ©runbe  gef)t,  bilbet  bie  ^ntrobuetion  $u  einer  traultd) 
anljeimelnben  21ugfü()rung.   Die  Siebe  ber  jungen  $u(ba  ju  bem  33aron, 
einem  eblen  (S&arafter,  ber  aber  nidjt  glaubt,  baft  ein  roeiblid)eg  SBefen 
ilm  lieben  fönne,  roeil  er  trofc  feiner  feelenoollen  2lugen  etroag  oerroadjfen 
ift,  bie  rHfitffidjten  ber  Emilie,  beg  SBaterg  2Bunf<f>  unb  9lbratf>en  be= 
roirfen,  bafj  bie  fd^roererfranfenbe  £ulba  rejignirt,  ein  $Ber5td)t,  ber  ben 
$aron  felbft  an  ber  Siebe  feiner  23raut  irre  mad)t.    ®r  oerlobt  fid)  mit 
einer  jungen  SBeltbame,  ßonrabine,  roeldfje  burd)  eine  Keine  ^ofaffaire 
in'g  ©erebe  gefommen;  bod)  furj  cor  ber  &od)jeit  roenbet  fie  fid)  roieber 
bem  gürften  ju.   Da  gebenft  ber  23aron  feiner  &ulba,  bie  injroifdjen 
in  bie  weite  aBett  JjmauSgeflüd&tet,  unb  (rolt  fid)  feine  ©rlöferin  oon  ben 
roeltbebeutenben  23rettern;  benn  $ulba  tyatte  fid)  mit  fd)önem  unb  road)fenbem 
Erfolg  ber  #üfme  geroibmet.   Die  ßanblung  ift  fefjr  einfad),  aber  mir 
folgen  berfelben  mit  regem,  roadrfenben  2lntf)eil.   Die  ©faraftere  fmb  mit 
2Bärme  unb  2Ba^r^eit  gefd&tlbert.   Dag  Seben  im  ©djlofc,  im  ^farrfjaufe, 
in  ber  Süfmenroelt  ift  mit  augbrucfgooller  £reue  bargefteUt.   2Bie  ber 
Setter  einer  ruhigen  Kontemplation  über  bem  ganjen  2öerfe  blaut,  mit 
einer  Dura)fid)tigfeit,  bie  fid)  aud)  bem  meiftert>aften  Stnl  mitteilt,  fo 
fpiegelt  er  fid)  aud)  in  einer  Spenge  oon  flar  auggeprägten  Sammlungen 
unb  3fefIertonen. 

6g  iommt  in  biefem  SRoman  eine  Söeltbame  ftrau  oon  SBilbenau 
cor,  bie  über  Siebe  unb  ©f)e  feljr  fefeerifdje  3lnfid)ten  fjegt  unb  augfprid)t: 
ni<$tg  fei  fo  trügerifdj  roie  bie  fogenannte  Siebe  unb  nid)tg  weniger  ber 
Prüfung  roert^,  alg  bie  Sßerfon,  mit  ber  man  fid;  oerbinbet;  man  roürbe 
balb  über  bie  Siebeg^eirat^en  roie  über  Ätnberfpiele  (adjen,  unb  fein  ^enfa; 
roürbe  metyr  glauben,  ba§  man  aug  Siebegfummer  fterben  ober  fia;  bag 
Seben  nehmen  fönnc.    @ine  £a\)l  ber  Seroalb'fdjen  Romane  fdjeint  biefer 


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^2    Kubolf  ron  <ßo  tif  d?all  in  fetpjifl.   

ffeptifchen  Tarne  SRedjt  ju  geben;  fie  mad>en  gront  gegen  bie  SHomantif 
ber  Neigungen  unb  plaibiren  für  eine  folibe,  oernünftige  ©he.  So  „Slbele", 
bie  einen  jungen  9tomanfd)riftfteller  liebt,  aud)  bann  noch,  als  er  ber 
reidjen  Söittwe  eines  $ud)hänblers  vox  it>r  ben  SBorjug  gegeben.  <£rft  al§ 
er  if)r  nachher  noch  mit  einem  SiebeSantrag  naf)t,  wenbet  fie  fidj  von  iljm 
ab  unb  t)eiratl;et  ihren  Detter  Samuel,  eine  fetjr  profaifdje  9?arur.  Tiefer 
Detter  oertrttt  bie  bürgerliche  Solibität,  er  ift  ber  „Samielhilf",  ben  bie 
HebeSüerjücften  üfläbchen  anrufen  follen,  um  ins  redete  ©teiS  ju  fommen, 
berrettenbe  Tritte!  „Tie  flammerjungfer"  aber  (2  33be.  1856)  ift  eine  jmeis 
bänbige  Tarnung  für  3J?äbd)en,  nicht  über  ihren  Staub  5U  r)eiratr)en.  2öenn 
aber  grau  von  Söilbenau  meint,  es  werbe  3?iemanb  mehr  an  Selbftmorb 
aus  Siebe  glauben,  fo  tfyeilt  bie  Tidjterin  feineäwegS  bie  91nfchauungen 
ber  freigeiftigen  Tarne;  fonft  hätte  fie  nicht  jwet  Fontane  gefd)rieben,  rote 
„Öenebift"  (1874)  unb  „Senoenuto"  (2  &be.  1876),  in  benen  bieS  ltn= 
glaubliche  uns  mit  pfndjologifdjer  Sßat)rf)eit  gefdjilbert  wirb.  $n  bem  erften 
liebt  ein  9Jtöndj  ein  reijenbeS  SBeltfinb  unb  enbet  burdj  Selbftmorb;  in 
betn  ^weiten  liebt  ein  9)tobe!l  ©loria  einen  uornetnnen  SJtaler  unb  nimmt 
ftdj  baS  Seben,  als  fie  uon  it)m  oerlaffen  wirb.  SeibeS  ift  wohl  unb 
glaubwürbig  motünrt;  aber  wo  bie  ßeibenfchaft  ftd)  3U  tragifdjer  ©eroalt 
erhebt,  oermiffen  wir  baS  fdjwunghaft  ftinreifjenbe  ber  TarfteHung. 

2>on  ben  ©Zählungen  ber  $anm;  Sewalb,  welche  unter  einem  gemein = 
famen  Xitel  sufammengefteHt  finb,  erwähnen  wir  nur  noch  bie  „bleuen 
Romane"  (4  33be.  1859),  in  benen  sunt  T&eil  baS  oftpreujjifche  Jlolorit 
»orjüglia)  getroffen  ift.  TaS  gilt  befonberS  oon  „Schlofc  £annenburg",  in 
welchem  uns  gebiegene  (Sharaftere  oorgefüljrt  werben,  wie  fie  in  jenen 
baltifdien  ^rooinjen  heimtfö  finb.  Tie  fpannenbfte  biefer  Stählungen  ift 
„ber  Seelwf."  3n  „&illa  SJteunionc",  Stählungen  eines  alten  XanjmeifterS 
(2  Ü3be.  1864)  finbet  fidj  nad)  bem  SJtufter  Boccaccios  eine  sJ?abinener$äl>lung; 
bod)  er§äfjlt  hier  ber  Xanjmeifter  allein.  Tie  erfte  ©efdjithte,  bie  Siebe 
einer  ^rinjefftn  ju  einem  jungen  Äunftreiter,  ift  ein  9J?otiu  oon  abenteuerlicher 
SRomantif,  für  meines  gannn  Seroalb  nicht  bie  regten  garben  hat,  welches  uns 
beShalb  falt  läfct.  Ter  junge  Äunftreiter,  wenn  er  auch  nad;her  ein  gefreuter, 
weltgewanbter  Xanjmeifter  wirb,  ift  boch  eigentlich  ein  bummer  3unäc> unD 
bafj  bie  ^rinjeffin  zeitlebens  biefe  blöbe  $ugenbefelei  in  ihrem  £er$en  ein* 
balfamirt  haben  foUte,  baS  würbe  boch  ^uf  eine  geroiffe  ©eifteSbefdjrftnft* 
heit  beuten.  Tie  zweite  Grjählung  „eine  traurige  ©efchtduV'  ift  pfncho= 
logifch  intereffant,  aber  im  Tetail  ju  weitfchweifig.  Tie  9)toral  ift,  bafj  cS 
auch  in  ben  Greifen  beS  SBolfS  innerlich  unbefriebigte  ©h«n  giebt,  bie  ju  9lu3* 
fdjreitungen  uerlocfen.  „@in  ©chiff  aus  Äuba''  ift  eine  etwas  511  feierlich 
erjählte  21necbate.  Tie  befte  biefer  ©rjäh^"9^  ift  „Tominico."  Tie  33er* 
fafferin  beS  altrömifchen  33ilberbuchs  bewegt  fidh  h'er  in  ihrem  Clement. 
6in  alter  oerfaüener  römifd)er  ^alajso,  ein  anberer  in  bracht  unb  ©lanj, 
3(bel  unb  ÄleruS  in  9iom,  bie  geiftliche  ^polisei,  bie  genrehaften  93olf$= 


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gehalten  wie  Die  Cftftuerfauferin,  unb  bie  Schuhmacher,  bann  roteber  bie 
rtunftgegenftänbe  unb  ©emälbe,  bie  fte  bis  in  ba$  Xetail  hinein  fcnnt 
unb  beren  fcf>rounghafte  SBefdjreibung  fie  gelegentlich  in  bie  £anblung  $u 
oerroeben  roeijj  —  ba$  bilbet  einen  tebenbige«  farbenreichen  &tntergrunb, 
von  bem  fi<h  ba£  Söilb  einer  fchroärmerifchen  Siebe,  roie  fie  ber  SJJaler 
£omimco  ju  ber  oerarmten  ©rafentochter  empfinbet,  mit  grofjer  Sebent 
raahrhett  abgebt.  3lu<h  ift  ber  ©ang  ber  (Sreigniffe  nicht  ohne  üBechfel 
unb  Spannung. 

£ie  beutfchen,  italienifdjen  unb  engltfchen  3)taler  in  dlom:  baS  mürbe 
ein  Sieblingathema  ber  3>erfajferin,  roie  aud)  ihr  bereits  oorerroähnter 
„SSenoenuto"  beroeifi.  Sie  ^atte  offenbar  bie  Slbfid&t,  einen  ©nfluä  foldjer 
ÄünfueruooeUen  5U  treiben,  bodj  erfdnencn  fie  einzeln  ohne  jufammen* 
paffenbe  £itel.  Qiextyx  gehört  „Jgelmar"  (Berlin  1880),  roelcheS  $um 
Hauptinhalt  bie  Siebe  eines  beutfchen  Malers  ju  einer  italienischen  ©räfin 
hat,  beren  $anb  eT  am  Sdjlujj  erwirbt,  roährenb  bie  Einleitung  ber  ®e* 
uhidjte  auf  ojfcpreuBifchem  93oben  fpielt  unb  bie  patriarchalifchen  3uftänbe 
auf  einem  l5belf)ofe  ber  Jfteimatprooinj  mit  ibnliifchem  9Reij  unb  oteler 
SebenSroabrheit  f Gilbert,  genier  gehört  fyextyx:  „Stella'',  (3  23be.  1883) 
in  meinem  Vornan  jroei  ©efchidjten  oerfnüpft  finb,  bie  glücflich  ablaufenbe 
Samiliengefchichte  eine*  italienifchen  ©rafenhaufeS  unb  bie  tragifd)  enbenbe 
Her^enSgefdjichte  eines  2J?äbchenS  aus  bem  3?olfe.  £iefe  nämlich,  Stella, 
liebt  einen  uomefjmen  englifd)en  9Waler,  SRilarbo,  auf  ben  ein  leibenfcbaft^ 
lieber  junger  Börner,  ber  ebenfalls  Stella  liebt,  einen  Sttorboerfud)  macht, 
babei  aber  Stella  töbtlid)  trifft.  $rei  SJlaler  fpielen  in  biefem  Vornan 
eine  9Me:  man  möchte  juriel  ^talicn^  juoiel  2ltelierS,  juoicl  ^infel  unb 
Palette  in  biefen  Äünftlergefa)id)ten  finben.  3n  ber  (Sr$äl)lung  „-Treue 
Siebe"  (1883)  beroegte  fia)  bie  Serfafferin  mehr  auf  bem  s3oben  bes 
idjlichten  ©efühlS,  ber  einfachen  £erjenSroahrheit :  anjieljenb  ift  bie  £elbin 
Ulrife,  welche  burch  ihre  pflichttreue  ben  Sieg  über  bie  fembltchen 
©eroalten  baoon  trägt,  ihr  Seben  ftören.  &ier  fpielt  bie  ßanblung  in 
SSejiphalen,  unb  aud)  ^ier  ift  bas  Socalcolorit  rtihmenSroertf).  3n  „$atcr 
unb  Sofm"  (1881)  $eigt  fia;  in  »ielen  Säuberungen,  befonberS  im 
e^arafterbilb  ber  jungen  Rumänin,  baS  Talent  ber  ^erfafferin.  $odj  ift 
ber  Stoff,  ber  an  „bie  beiben  ftlingsberg"  erinnert,  eigentlich  ein  £uftfpiel= 
ftoff  unb  bie  33eljanblung  bafür  ju  ernft  unb  fajroer. 

Huch  auf  bem  ©ebiete  ber  touriftifchen  Literatur,  auf  welchem  fie 
mobeme  Lorbeeren  errungen,  fjat  bie  Schriftftellerin  noch  mehrere  Erzeug; 
niffe  oeröffentIid)t,  benen  man  biefelben  ^orjüge  nachrühmen  muß,  roie  ben 
früheren  unb  roeldje  im  ©runbe  Ergänzungen  berfelben  bilben.  Staden 
unb  ©nglanb  finb  unb  bleiben  bie  Sänber,  in  benen  fie  immer  roieber 
einfehrt;  nur  einmal  führt  fie  ihr  2£eg  nadj  ber  ftönigeftabt  im  Horben, 
unb  ein  anbereS  9)?al  raftet  fie  am  ^uroel  ber  Schweiber  Seen  bort,  roo 
fid)  ber  3öuberblicf  auf  bie  Saooner  3llpen  auftl;ut.   ffie  sJieifeid)rtften 


4$    Kubolf  roti  <8ottfd?alf  in  £etp3ig.   

au£  fpäterer3eit  finb:  „fteifebriefe  aus  Teutfdjlanb,  Italien  unb  granf- 
reia?"  (1880).   ,,»om  Sunb  jum  ^ofilipp"  (1883). 

Stile  SBerfe  ber  ofipreuf$ifd)en  Sdjriftftellerm  laffen  fidj  unter  einen 
<jemeinfamen  ©efidjtapunft  bringen.  Sie  f>at  fid)  nid^t  in  verriebenen 
bid^terifd^en  formen  oerfudtf;  fie  hat  feine  ©ebidjte,  feine  Dramen  oerfaBt; 
fic  hat  als  tjerüorragenbe  Sßrofaiftin  in  ihren  SHomonen  unb  9looelIen  roie 
in  ihren  ^eifefdjriften  eine  roohlenoogene,  nie  äfcenbfcharfe  Äritif  unferer 
gefeßfd^aftlid^en  3uftänbe  gegeben  unb  Reformen  aus  bem  innerften  ©rang 
ihrer  Üeberjeugung  fjerauö  geprebigt.  3l\6)t  blofe  in  romanhafter  ©in* 
fleibung  hat  fie  biefem  Sleformbrang  gefwlbigt,  fonbern  auch  in  felbft= 
ftdnbigen  Schriften  über  bie  grauenfrage,  roeldje  baber  ben  Ärete  U)rer 
itterarifdjen  Söirffamfeit  oerooaftänbtgen.  %n  ihren  „Dfterbriefen  für  bie 
grauen"  (1863),  bie  juerft  in  ber  Siationaljeitung  erfchienen,  roenbet 
fie  fid)  jum  Sejten  ber  ununterrtdhteten,  ber  unerzogenen,  ber  in  jeber 
^infid)t  oernachläffigten  &anbarbeitermnen  an  bie  unterridjteten  unb  er- 
logenen grauen  ber  SSohlhabenben  unb  ©cbtlbeten.  Sie  nimmt  fich  ber 
Sienfhnäbdjen  an,  unb  bie  sJiat(rfä)Iäge,  roeldje  fic  ben  ftauäfrauen  unb 
£öä)tern  für  bie  $ef)anblung  berfelben  erteilt,  jeugen  ebenfo  oon  Humanität 
wie  oon  @infid)t.  Sie  oerlangt  für  bie  Tienftmäbdjen  £ehre  unb  gort= 
bilbung,  Speifehäufer  unb  Verbergen  für  bie  3eiten,  too  fid)  ein  3Jläbd)en 
aufcer  Tienft  befinbet  ober  um  einen  folgen  ju  fudjen  in  bie  große  Stabt 
fommt,  ftranfen=  unb  2lltcr$oerforgung3faffen,  Vereine  jur  Unterhaltung 
für  bie  Sonntage,  bie  oon  gefitteten  $erfonen  geleitet  unb  übermalt  werben. 
Ter  gleiche  praftifdje  Sinn,  ber  fet)r  weit  entfernt  ift  oon  bem  jungbeutfdien 
4£manapationdbrange,  fprid)t  fidt>  in  ihren  „Briefen  für  unb  toiber  bie 
grauen  (1871)  aus.  (Sine  üftenge  praftifdjer  ©efidjtSpunfte  wirb  in  biefen 
33 riefen  erörtert;  baS  Streben,  bie  grau  ju  bilben  unb  fie  tüchtiger  unb 
beffer  $u  machen  unb  3rcar  ftets  auf  ©runblage  ber  ©rfaljrungen  Oes 
roirflichen  £eben§  finbet  überall  einen  flaren,  beftimmten  2lu£brucf. 

So  tritt  ba$  ©efammtbilb  biefer  Sdhriftftellerin  oor  un£  hin;  man 
mag  fie  in  ihrer  (Eigenart  erfaffen  unb  nicht  mit  einem  frcmbartigen 
unb  unpaff enben  SWafjftab  mejfen.  3iid)t  auä  einer  überqucllenben  £uft 
am  gabulireu  gingen  ihre  Romane  tyxvox:  fie  fajjte  mit  flarem  Tenfen 
(Srlebtcä  auf  unb  fdjuf  anbere  ©rlebniffe  aus  ben  ©ebanfen  h^auS,  Die 
bei  ihr  ftets  eine  reformatorifche  9tid)tung  hotten.  $iyc  Stil  hat  ftets  etwa* 
©ebiegeneS  unb  9JiafeoolIeS;  er  hat  SBarme,  aber  nicht  ^egcifterung ; 
fie  wirft  nicht  Inn,  fie  fuajt  ju  überzeugen,  ja  ihre  oerftanbeSmäfcige 
Äritif  serfefct  oft  ben  Sauber  jener  SUufionen,  an  benen  phantaficooüc 
Naturen  fid)  ergehen,  bisweilen  felbft  auf  Soften  beS  poetifdjen  Clements, 
baS  il;nen  eigen  ift.  Tie  SHomantif  ber  ifiebe  liegt  il;r  ferner  als  bie 
'^hvfiologie  ber  Ghe,  welche  fchon  für  ihre  elften  SBerfe  charaftcriftijaj 
mar  roie  für  Diele  fpäteren.  ä£er  geroöhnt  ift  mit  fieberhafter  £afl  eine 
gülle  oon  ©reigniffen  ;u  ucrfchlingen,  welche  ihm  ein  gefälliger  9tomanbid)ter 


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  janny  £emüli>. 


*5 


oorfefct,  her  roirb  bei  gannn  l'eroalb  nid)t  feine  Medmung  ftnben  unb  fid)  mel= 
leidet  über  bie  magere  unb  bürftige  Äoft  beflagen,  bie  man  auf  iljrem  ftoft- 
tifd)  finbet.  2Ber  aber  empfänglid)  ift  für  eine  2tntf)eU  roedenbe  Gfjaratteriftif, 
bie  aümäljüd)  mit  ben  ©ebanfengängen  unb  &er$en3gel)eimmifen  ber  oorge= 
führten  ©eftalten  oertraut  madjt  unb  fic  un£  liebgeroinnen  tefyrt,  oljne 
bajj  fte  un3  aufbringlid)  in  bie  2lrme  gefdroben  werben;  roer  für 
ba£  2Sot)(erfannte  unb  forgfam  9lu$gefüt)rte  innerer  Sßanblungen  unb  Um= 
ftimmungen  <3inn  fyxt  unb  für  eine  jroar  ntd)t  oon  (Sfprit  funfelnbe,  aber 
bod)  immer  auf  ba$  geiftig  33ebeutenbe  gerichtete  2)arftellung:  ber  wirb 
in  ben  Romanen  ber  Seroalb  w>He  33efriebigung  finben  unb  baS  epifd)e 
33etyagen,  baä  fie  atlnnen,  mit  einer  geroiffeu  Sidjerfjett  be$  ©enuffesi 
nad&empfinben. 

2>a3  aber  roirb  jebe  unbefangene  tfritif  ber  Ijoajbetagten  6a)riftfteüerin 
jur  6tn*e  nadjfageu  müffen:  fie  fyit  nie  eine  3eile  gegen  if)re  Ueberjeugung 
gefdnneben,  nie  ben  roed)felnben  Meinungen  unb  Saunen  beä  £age£  ge^ 
nulbigt,  nie  ber  (jerrfd&enben  9J?obe  3ugeftänbniffe  gemalt.  Unbeirrt  ift 
fie  ifjren  2öeg  roeiter  gefd)ritten,  con  3"9enb  auf  ftetä  ein  fefteS  3iel  im 
Sluge  fjaltenb:  Humanität  unb  ed)te  3reif)eit! 


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Die  pro^c^foftcn 

<£inc  Stuoie 


ron 


—  rolinotcn.  — 

ii  ben  nacf>folgenbcn  3eilen  foll  ber  SBerfucJ  gemalt  roerben,  in 
einer  ber  brennenbftcn  fragen  ber  Giegenirart  eine  ^erftanbiguna, 
(jerbcijufürjreu,  eine  l*erftänbigung,  bie  inbejj  tyier  wie  überall 
5iinäd)ft  ein  nolkä  2>erftänbnif?  be£  «ctreitgegcnftanbeS  norauSiefet.  Unb 
KK$t  als  irgenbiüo  fonjl  märe  gerabe  bei  biefer  grage  ein  nolleS  SSex* 
ftänbnife  31t  nmnfdjen;  benn  ber  Langel  an  r>  ollem  SSf.rftäntotij?  trübt 
nnb  uerfälfd)t  gerabe  I)ier  tagtäglid)  baS  gefunbe  Urtr)eif. 

SBir  3lnroä(te  föimen  faft  taglid)  bie  (Srfatjrung  maä)en,  bajj  in  <yolge 
ber  ftetigen  klagen  fidt)  baS  icd)t*iud)enbe  $u6Uftun  ein  ganj  faljdje* 
öiÖ)  uon  ben  ^rojeöfoften  mad)t.  ftn  ber  £f)at  fmb  bie  Soften  beffer, 
als  iljr  9tttf.  3«  iljrer  Weiammtfjeit  ftnb  fie  fanm  auSreidjenb. 
bie  ttofteu  beS  ftaatlid)eu  ^uftijapparateS  bcden  unb  ben  9lnroälten  ein 
ItanbeSgemäjjeS  Ginfommen  ju  fid)ern.  Stuf  bie  Ginjelfälle  aber  fmb  fie 
—  unb  bal)er  rühren  bie  häufigen  unb  bereinigten  Htagen  —  fo  unange= 
meffcn  unb  1*0  unbiltig  uerttjcilt,  bajj  in  üielen,  nieten  fallen  ganj  un= 
angemeifene,  ja  oft  gcrabeju  fjimmelfdjreienbe  ^iejultate  fid)  ergeben.  Leiber 
liegt  es  nun  in  ber  9iatur  bes  9Renf$en  bcgrünbct,  bafe  bie  %ä\lc,  in 
benen  bie  Soften  aufeer  2>ert)a(titi|  Sur  6ad)e  ftcljeu  —  |"o  gerin  gaud)  itjre 
3al)I  gegenüber  ber  großen  ftkiammtfjeit  ift!  —  laute  JUagen  beruorrufen, 
roäljrenb  alle  bie  Salle,  in  benen  ein  nötigeres  £ta$ftftmB  jtattfiinbet, 
mit  2tilIjd)U)eigcu  uorübergetm. 

3«  rceldjem  5>ert)ältniB  fallen  benn  bie  Soften  5itr  Sad;e  fteljenV  Xie 


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  Die  prosefcf often. 


4? 


often  fotten  fo  ücrt^ctlt  fein,  bcifc  bie  f (einen  Sad&en  wenig,  bie  größeren 
Socken  tnefn-  Soften  tragen,  weil  eben  bie  größeren  <5ad)en  mel)r  Soften 
oertragen  tonnen.  Leiter  aber  erfd)eint  e3,  namentlid)  was  bie  .ftonormutg 
her  Anwälte  anbelangt,  atö  eine  ber  erften  ftorberuugen  ber  SHttigfett,  baß 
eine  fangwierige  mfirjeooüe  £r)ätigfeit  entfprecr)enb  fwa)  bejaht,  eine  einfaa)e 
mübelofe  Seiftung  bagegen  and)  mit  entfpredjenb  geringem  (Sntgelt  bebaut 
tuerbe.  £tefe  Slbjiufung  nad)  einem  boppetten  (SefidjtSpunft  ift  trjeoretifct)  un* 
oergleidjlid)  fdjön.  Unfere  floftengefefce  fdjtiefeen  ftcr)  berfelben  an,  unb  fud>en 
tf)r  auaj  naa)  beiben  Seiten  l)in  ju  entfprea)en.  Sel)en  wir  an  einigen  33et* 
ipielen,  mit  meinem  (Srfolg! 

3a;  fjatte,  ate  idj  noa)  am  £anbgeria)t  5U     tfyätig  mar,  etneS  Xage* 
brei  SBedjfel  für  ben  namlicf)en  5ftanbanten  cinjuflagen,  2Bed&fet  über 
17000,  14  500  unb  11000  9Kf.    Xie  ©adjen  gelangten  gfeidj  beim 
beginn  ber  <Sifeung  jutn  Aufruf,  unb  in  weniger  al£  brei  Minuten  waren 
bie  Urteile  erwirft.   3Heine  ©ebürjren  betrugen  340  Wl f.;  bie  (*ntrüftung 
meinet  3Kanbanten  glaube  td)  nod)  t)eute  ju  fel)en.   %n  berfelben  Sifcung 
jianb  aud)  einer  von  beu  rrielen  Terminen  an,  in  benen  id)  bie  i)ted)te 
eines  Sdjäferg  ju  oertreten  I;atte,  ber  mit  bem  ©igentt)ümer  feiner  beerbe 
in  Streit  geraden  mar.   Der  SWanu  flagte  feinen  £irtenloIm  non  etroa 
30  9Hf.  ein;  ba$  2lmt3gerid)t  rjatte  il)m  nur  12,50  2J?f.  juerfannt,  unb 
er  tjattc  bagegen  Berufung  eingelegt,   Der  (5igentf)ümer  fanb  ben  Sofmfafc 
an  fia)  ju  r)od);  e$  feien  aud)  $u  Diele  £age  in  9iea)uung  gefteüt.  Dann 
aber  tjabe  ber  Schäfer  jugefagt,  für  bie  &ütung  ber  @d>afe  ©aaren  bei 
bem  Gigentfjümer,  ber  gleid^eitig  einen  flehten  Specereifjanbel  betrieb,  & 
entnehmen,  r)abe  aud)  oerfdjiebene  Sßaaren  entnommen,  aufeerbem  ein  Dar= 
lefcn  erhalten.    Den  (Empfang  tos  Darlehens  fonnte  mein  Sa)äfer  nid)t 
befreiten,  weigerte  fia)  aber,  baäfelbe  auf  feinen  9(rbcit§tor)n  oerredjnen  511 
lajfen,  jumat  e£  nodj  nidjt  gefünbtgt  fei.   SSaaren  tjabe  er  atterbing*  ent= 
nommen,  bem  aber  [tünben  anbere  Seiftungen  feinerfeite  gegenüber;  fjabe 
er  bod)  im  »ergangenen  3ar)re  Arbeiten  auf  bem  Gmte  feinet  ©egners 
angenommen,  wofür  er  nadj  übergebener  2üiffteüung  115,50  W.  5U  er= 
falten  ^abe;  es  fei  irmt  hierauf  nur  73,95  3Rf.  baar  gejagt,  unb  aua) 
gerbet  oereinbart,  bafi  ber  9?eft  an  SBaaren  $u  entnehmen  fei,  unb  nun 
habe  er  bie  fraglidjcn  Söaaren  auf  biefen  9teft,  nia)t  aber  §ur  9lnrea)nung 
auf  feinen  .§irtenlor)n  entnommen.   Die  Entgegnung  hierauf  —  .  .  .  boa) 
ia)  will  bie  ©ebulb  meiner  Sefer  nid)t  mit  einer  Mögen  3lufjäI)Iung  ber 
ctreitpunfte  ermüben;  e5  genüge  anjufüfjren,  ba§  in  biefer  Sad)e  14  ober 
15        oor  bem  ®eria)t  oerljanbelt  würbe,  ba^  jebe  3>err)aublung  eine 
langwierige  Vorbereitung  erforberte,  bafj  meine  Partei  fia)  wenigftenS 
^n>an3igmal  mit  mir  über  bie  Sad)e  befprea)en  mufete,  ba§  bie  fdjrift* 
lia)e  girirung  ber  Streitpunfte  ein  btcfeö  3lftenrjeft  füllte,  unb  bafe  biefe 
Öemü^ungen  fa)liefelid)  tarmäfjig  mit  —  fea)ö  Wart  entformt  worben  fmb! 
^  wären  nid)t  fed)^  Warf  gewefen,  fonbern  oier,  wenn  nid)t  ein  Xu^enb 

Korb  unb  Sitb  L.,  14S.  4 


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^8    Kedjtsanroalt  33.  IToeft  in  Solingen.   

3eugen  waren  »ernommen  werben.  Unb  bodj  befdjroerte  fidj  mein  (Slient,  . 
als  er  ben  $rocefe  t>ertoren  ^atte,  bitter  über  bie  &öhe  ber  Äoften.  ^er 
9ftann  fyatte  allerbingS  von  feinem  ©tanbpunfte  nid)t  Unrecht;  fyatte  er 
bocb  aufeer  meinem  Honorar  ein  gleiches  für  ben  ©egenanroalt  unb  7,20  'Sit. 
an  ©erichtsfoften  aufjuroenben  gehabt,  aujjerbem  aber  an  Auslagen  (SabungS; 
foften,  Sdhreibgebühren,  $orti,  3^U9«n9ebü^ren/  ^SfänbungSfoften)  mehr 
als  40  Tit.  bejahen  muffen,  fo  ba§  ber  geringfügige  ?$ro5ef$  i!m  mehr 
als  60  Tit.  gefoftet  hatte! 

3d)  gebe  gern  ju,  biefe  beiben  gäHe  finb  ertreme;  aber  gerabe  bie 
ertremen  ftälle  finb  es,  meiere  laute  fllagen  ^eroorrufen,  unb  biefe  ßlagen 
rieten  fich  bann  nicht  gegen  bie  UnbiQigfeit  im  <Sin$elfatt,  fonbern  gegen 
bie  angebliche  $öhe  beräoften  überhaupt. 

©ehen  mir  nun  baju  über,  unfere  floftengefefee  rennen  ju  lernen,  ü)re 
SBorjüge  unb  it)re  großen  gehler  ju  betrauten,  unb  fchliefelict)  Darüber  ju 
ftatfje  ju  get)en,  roie  biefe  5>orsüge  bemalt,  biefe  get)ler  aber  befeitigt 
merben  fönnten.  SSerjeihe  mir  ber  geneigte  Sefer  hierbei  üon  nom  herein, 
ba£  icr)  als  ^Rechtsanwalt  baS  mir  3unäd)ft  Siegenbe,  bie  9lnwaltSge= 
büfjren,  uorsugSweife  in  23etract)t  jiehe! 

XaS,  tr)eoretifö^  fo  fd)öne,  ^ßrinctp  unferer  floftengefefee  ift  alfo.  ba§ 
bie  5toften  befto  pt)er  fein  fotten,  je  gröfcer  baS  Sßrocefjobject  ift,  unb 
wieberum  befto  höh«  fein  foüen,  je  größer  ber  Umfang  beS  ^rocejfeS  ift. 
9iun  ift  aber  btefeS,  tbeoretifd)  ia  fo  tjortreffttd^e,  ^rinjip  leiber  praftifa) 
gan$  unausführbar.  3)ie  gebadeten  ©efefce  fyabcn  es  bur<fy$ufüf>ren  üerfudjt, 
unb  fte  haben  ftatt  ber  erftrebten  3lngemeffenf)ät  ber  Äojten  bie  !raffeften 
Unebenheiten  fjeroorgerufen,  oft  bie  geringfte  5Rür)e  mit  unnerhältmfjmäfjig 
hohem  £ot)n,  oft  bie  größte  Wlüty  mit  fläglid)  geringem  (Entgelt  bebadjt; 
oft  baS  Dbject  burd)  Soften  oerfd^Iingen  laffen,  unb  oft  für  bie  fd)leunigfte 
unb  erfolgreiche  &ülfe  üerfct)minbenb  geringe  betrage  angefefct! 

Um  junäd)ft  bie  Soften  nad)  ber  ©röjje  ber  ^ßrocefjobjecte  ab jufhifen, 
greift  baS  ©efefc  &ur  SMlbung  beftimmter  Kategorien,  fog.  3£erthfiufen. 
Sie  erfte  2öertr)ftufe  begreift  bie  Cbjecte  bis  ju  20  Tit.  einfdjliefelidj,  bie 
zweite  biejenigen  bis  ju  60  Tit.,  bie  britte  bis  3U  120  Tlt;  bie  fünfte 
5Uaffe  greift  oon  200  bis  300  Tit.,  bie  sehnte  non  1200  bis  1600  Tlt 
3eber  biefer  (Stufen  entspricht  eine  fefte  ©ebühr,  fog.  $ßaufd)gebühr, 
unb  $war  beträgt  biefe  ©ebül)r  für  bie  oben  herausgegriffenen  2Berth= 
(rufen : 

1  2,40       4,60      11      unb  38  Tit.  für  baS  ©eridjt, 

2  3  4         10      unb  32  Tlt  für  ben  2lnwalt. 
me  unooUfornmen  biefe  Slbtheilung  nach  »rthltufen  it)rem  3wecf  ent* 

fpridjt,  werben  mir  in  Der  gotge  fct)en,  9Iocr)  weit  unoollfornmener  aber  ift  ber 
gefefclia>  ed)emattSmuS,  roo  eS  fich  barum  t)anbelt,  bie  floflen  nad)  bem  Um= 
fange  beS  ^roceffes,  nach  ber  2öeitläufig!eit  ber  ©adje  abjuflufen ;  hier  gerabe 
fdjlägt  bie  theoretische  Crbnung  in  bie  beut 6ar  größte  praftifd)e  Sßtberfmnigreit 


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Die  pro3c§foftcn. 


49 


über.  «Statt  ber  unenbltd&en  SJiannigfattigfeit  ber  gäße  aua?  nur  einigen 
Spielraum  ju  geroäfjren,  Reibet  ber  ©efe&geber  ben  ^Jroce§  in  3  ©tabien 
unb  beftimmt  für  jebeS  ©tabtum  bie  einmalige  $aufa)gebüf)r,  in  ber  oben 
angegebenen  ^öl)e.  3>a3  ©eridjt  ergebt  bie  jeweilige  ^3auf($gebüf)r  für  bie 
33er&anblung,  für  bie  Beroetequfnafmte  unb  für  bie  ©ntfdjeibung ;  ber  Anmalt 
ergebt  fic  für  bie  ^rocefjleitung,  für  bie  Berljanblung  unb  für  bie  Beweis 
aufnähme  nebft  Darlegung  berfelben.  SDian  braucht  fidt)  nun  lebiglid)  eine 
33orfteflung  baoou  -m  machen,  was  9lße$  unter  einer  folgen  Kategorie  ent* 
galten  ober  audj  nid^t  enthalten  fein  fann,  um  fo  viele  klagen  über  bie  &öf)e 
ber  ^rocefefoften  ju  oerftet)en  unb  ju  mürbigen.  Bon  ben  beiben  oben  bar* 
gelegten  Beifpielen  waren  im  erften  gaße,  im  SHed&felprocefe,  Vi*  (Statten 
be$  SßroceffeS  in  einer  fwt)en  Söertljftufe  burcr)gema<$t,  wäfjrenb  ber  $rocefs 
bed  (SdjäferS  3  <Stabien  in  einer  niebrigen  2£ertljftufe  erfüllte;  in  beiben 
gäflen  ift  bas  2Rifeoerl}ältnifj  ber  Äoften  in  bie  2lugen  fpringenb. 

Unter  ber  burä)  bie  jeweilige  $aufd)gcbüt)r  $u  entgeltenben  ^rocefes 
leitung  be$  Anwaltes  ift  3U  r>erftef)en  fein  münbttdjer  ober  fd)riftli#er 
«erfetyr  mit  ber  Partei,  bie  gertigung  ber  klagen  unb  Sdjriftfäfce, 
enblid)  bie  Beaufficftigung  unb  Betreibung  ber  Saa^e  burä)  Sabungcn, 
3ufteßungen,  Mitteilungen.  (Sin  Xljeil  biefer  9JhUiemaltung  ift  fiber= 
roiegenb  medjanifdjer,  ein  anberer  übermtegenb  geiftiger  9totur.  @£  ift  aber 
flar,  bafc  bie  geiftige  fowoljl  als  bie  medjanifdje  £ljätigfeit  in  bem  einen 
#afle  fefyr  umfangreich  unb  fd)wierig  fein  wirb,  in  bem  anbern  gaße  ba* 
gegen  faum  merflia)  ift.  3n  bem  einen  ^rocefc  genügt  es,  bafj  ber 
SRanbant  einen  RedmungSauSsug  beibringt,  melden  ber  2lnwalt  prüft  unb 
feinem  Bureau  jur  weiteren  Besorgung  übergiebt;  in  einem  anbern 
gaße  erforbert  bie  (5ad)e  bie  ©rforfcfmng  eines  oerwtcfelten  ^atbeftanbe^, 
ein  Stubium  |d)wieriger  Rechtsfragen,  eine  mannigfache,  anftrengenbe,  aß; 
jeitige  Bemühung.  2£äre  es  ba  nid)t  bie  erfte  5or^eru"9  Der  Billigfeit, 
baß  in  bem  teueren  gaße  baS  Honorar  ein  Arnual  ^ö^ere»  märe,  als  in 
bem  erfteren?  Unter  ©efefo  genügt  biejem  <£rforbernif}  aber  in  feiner  Steife, 
ftanbelt  eS  fiel)  um  baS  nämliche  Cbject,  fo  ift  in  beiben,  einanber  faum 
gleich  ju  fteßenben  Säßen  baS  Honorar  baS  gleite;  finb  aber  bie  Cbjecte 
oerfchieben,  fabelt  es  fidj  etwa  im  erfteren  gaße  um  2000,  im  lefeteren 
#aße  um  20  9JIf.,  fo  ift  bie  mürjelofe  Xljäigfeit  im  erften  gaße  mit 
36  3Rf.,  bie  3Jtuf)e  bes  $weiten  gafleS  mit  2  9Hf.  entlohnt.  2Bäl)renb 
in  bem  einen  gaße  im  föanbumbrefjeu  eine  l'iquibation  entfterjt,  bie  man 
fid)  fdjämen  möchte  ju  präjentiren,  wirb  im  anberen  gaße  bie  (Stunbe 
geiftiger  anfpannenber  X^ätigfeit  mit  20  Pfennigen  unb  weniger  gelohnt. 

Unb  um  nichts  beff er  ftebt  es  mit  ber  B  e  r  h  a  u  b  l  u  n  g  S  g  e  b  ü  h  r ;  auch 
tner  baS  offenbarfte  SJftfwerhältnift  jwifchen  Seiftung  unb  Öolw,  oft  hoher  gofm 
für  geringe  fieiftung  unb  oft  eine  Xagelöhnerbesafjlung  für  mütjeooße 
geiftige  Arbeit.  Zuweilen  mu6  oer  Client  für  eine  einjige  Berl)anblung 
50  3Wf.  erlegen;  aber  wie  oft  fommt  es  Dagegen  uor,  ba^  nad)  ,^ebn  ober 

4* 


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50 


HedjtsaniDalt  33.  ZTocft  in  Solingen. 


jmölf  Terminen,  beren  jeher  eine  eingefjenbe  SSorbefpredmng  unb  Vorbereitung 
erforberte/eine  (Scbü^r  oon  3  ober  4  3J?f.  fällig  geworben  ift!  Steigt  oft  bem 
91  n matt  mit  SHedfot  hierüber  ber  Unmutf)  auf,  fo  mag  er  fidj  bamit  tröften 
ba§  bie  erfteren  %aüt  bie  lederen  au^gleidfoen,  unb  fajliejjltdE)  ein  ange» 
mcjfeneä  ©efammtrefultat  erhielt  wirb,  $em  Sftanbanten  bagegen  fann  man 
c$  ntdjt  oerargen,  wenn  er  in  bem  erfteren  $aHe  laute  klagen  ergebt.  9fur 
gefjt  er  in  99  unter  100  gäflen  ju  weit,  inbem  er  nidjt  bie  unbillige  2Birfung 
ber  Äoftengefefce  in  feinem  ftalle,  fonbem  generell  bie  ^>Öt)e  ber  Äoften 
besagt;  er  glaubt  f elber  unb  oerleitet  aua;  feine  Mitbürger  ju  bem  irrigen 
©lauben,  alä  fei  ein  burdjgreifenber  Sftifjftanb  oorfjanben,  ber  nur  buraj  eine 
grünblidje  £erabfefeung  ber  Soften  511  begeben  fei.  2Ber  unfern  obigen 
2lu£füf)rungen  gefolgt  ift,  nrirb  erfennen.  wie  feljr  ber  SJZann  im  Srrtfjum  ift, 
aber  aud),  wie  )*ef)r  reform b eb ürftig  unfere  ftoftengefefce  finb.  3^ 
wenigftenä,  bie  Soften  ber  9Jlüf)ewaltung  möglidjft  angaffen,  fyaben  fie 
mit  i^ren  brei  ^aufd^gebüf)ren  oollftänbig  oerfeljlt. 

2tber  aud)  mit  bem  anberen  sJ>rincip  ift  co  nidjt  beffer  gegangen,  mit 
bem  $>rincip  ber  2lnpa|fung  ber  @ebüf)ren  an  bie  £ölje  be£  Streitgegen* 
ftanbeS.  2öiU  fid)  ber  geneigte  Sefer  bie  üftülje  mad)en,  unfere  Skmerfungeu 
über  bie  SBertfrftufen  ju  recapituliren,  fo  nn'rb  er  ftnben,  bafe  nad)  bein 
gefefelidjen  SdjcmatiSmuS  ber  Sßrocefe  über  5  W.  genau  fo  oiel  foftet, 
wie  ber  über  20  9)if.,  ber  ^rocejj  über  21  W.  aber  ebenfo  oiel  wie  ber 
über  60  *D?f.   Unb  bodj  gefjen  Soften,  bie  bei  einem  Streitwerte  oon 
60  9Jif.  angemeffen  finb,  bei  einem  betrag  oon  21  2Jif.  über  alles  <Sv* 
träglidje  fjinauä.  Xaä  ift  alles  2tnbere  eljer  als  2tnpa|fung  ber  Äoften  an  ben 
Streitwert!)!  Unb  bodj  wäre  mit  einer  genaueren  2lnpaffung  ber  ©ebü^ren 
nodj  wenig  geholfen;  bie  fidt)  immer  gleidjbletbenben  2luSlagen  oerberben 
bie  ganje  iHed)nung.  Söofjer  fommt  bie  allgemeine  Klage  über  $rocefefoften 
bei  geringen  Dbjecten?  weshalb  f)at  mein  Schäfer  mef)r  als  60  2Hf.  für 
feinen  Meinen  Sprocefe  ^a^len  müffen?  2)ie  ©ebüfjren  waren  io  gering,  ba£ 
fie  für  bie  erljeblidje  9Jtül>emältung  eines  afabemifdj  gebilbeten  Wannet 
wie  &ofm  dingen;  fein  2k5t  würbe  für  gleiten  £ofm  eine  gleidje  Sfjättgfcit 
übernehmen.  2lber  nun  eridjeinen  bie  2luSlagen,  bie  in  flehten  Sadjen  ganj 
biefelben  finb  wie  in  ben  größeren;  in  ben  größeren  Saasen  bilben  fie  ein 
blofceS  2liU)ängiel  ber  ©ebüfjren,  bei  fleinen  Sadjen  aber  brängen  fie  bie 
©ebneren  gänjüd)  in  ben  &intetgrunb,  unb  fie  finb  es  jumeift,  bie  „bas 
Cbject  bura)  Soften  uerfd)lingen."    <3ft  aber  aud)  biefe  Älippe  glücfltcf) 
oermieben,  fo  fdjjlagen  fdjliefjlid)  bie  ©eridjtsfoften,  bie  ©ebüljren  beiber 
2lnwälte,  bie  l'abungS^,  ^fänbungS*  unb  ScitreibungSfoften,  bie  3cugens 
gelber,  2llIeS  über  Ginem  Raupte  Mammen;  unb  wenn  fo  alle  Soften  auf 
©inen  2)?ann  getrieben  werben,  auf  bie  unglüdlidje  oerlierenbe  Partei,  ba 
mu§  allerbingS  aud)  bei  ben  geringfügigen  ©cbüfjrenfäfeen  in  fleinen 
Saasen  bie  3(ngemeffcnl)eit  ber  sJ>rocefefoften  ju  bem  äi>ertt)e  beS  Streitgegen= 
ftanbeS  ein  frommer,  ein  feljr  frommer  ©ebanfe  bleiben!  — 


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Die  pr<>3e§fofkn. 


51 


$a$  fittb  unjerc  Koftengefefce,  iln*  fchöneS  ^rincip  unb  ihr  wenig 
erfreuliche^  9tefultat.  ©egen  biefeS  Enbergebnifj  ift  oor  Kurjem  ein 
©efefcentrourf  in'S  gelb  geführt  roorben,  welker  im  3öefent[td)en  golgenbes 
oorfchlug:  (Sine  r)albe  ^aufchgebühr  beä  2lnroalte£  fommt  in  Fortfall,  in 
$erfäunmifefacben  toirb  bie  93erhanblung£gebfihr  oon  fünf  3ehuthttkN  auf 
brei  3*()ntf)eüe  berabgefefet,  bie  Schreiberlöhne  be£  9lnroalte$  roerben  ihm 
nicht  erftattet,  feine  SReifefoften  ermäßigt,  bie  ©erid)töfofteu  bleiben  bie 
nämlichen.  Es  roar  bieS  ein  9iecept,  geeignet  SlUtnben  511  fchlagen,  rtict)t 
2£unben  $u  Reiten.  2Bärc  biefer  Gntrourf  ©efefe  geworben,  fo  roäre  ber  2lns 
roaltjumb,  beffen  Stellung  ohnehin  feit  ^aljrjefjnten  ntc$t  fo  prefär  geroefen 
ift,  roie  jefet,  auf  bie  Stufe  eines  geiftigen  Proletariats  gebraut,  bem 
^ublifum  aber  roäre  bodj  nicht  geholfen  roorben.  £enn  eine  jur  Seiftung 
aufcer  allem  Verhältnis  ftefyenbe  h°he  ©ebülu*  roirb  nidt)t  baburdj  erträgt 
lieber,  bafe  man  fie  um  einige  9Jlarf  ermäßigt,  unb  ebenforoenig  roirb  ber 
Öefefcgeber  begrünbeten  Klagen  baburch  gerecht,  bafj  bie  Soften  ftellenroeifc 
ftort  100%  beS  StreitroertheS  fortan  nur  95%  beSfelben  betragen  roürben. 
Ta  roo  Klagen  berechtigt  finb,  l>atte  bie  SRooeHe  feinerlei  roefentliche  21b* 
hülfe  gefcr)affen,  bagegen  roare  in  taufenben  oon  gaUen  bie  jefct  fcf>on  un* 
angemeffen  geringe  Entlohnung  beS  SlnroaltS  noch  wnt  einige  ©rabe  färg* 
lia)er  bemeffen  roorben.  £urch  einfeitige  sJiebuction  einiger  Säfee  fann 
ba  nicht  geholfen  werben,  roo  baS  ganje  Softem  fo  fehr  in  feinen  SBurjeln 
franft,  bafj  bie  finnreichften  ^rineipien  ein  ijerrbüb,  ein  roiberfumiges 
^efultat  ergeben. 

II. 

$ae  mangelhafte,  ben  SSerhältniffen  ber  ©injelfälle  fidj  nicht  genügenb 
anfdjmiegenbe  Softem  unferer  Koftengefefce  ruft,  roie  roir  gefehen  tyiben, 
in  Verbinbung  mit  ber  $öhe  ber  2lu3lagen,  felbft  bei  Keinen  Dbjecten, 
unb  in  Verbinbung  mit  bem  Sßrinrip  ber  Koftenabroäljung  auf  bie  oer* 
lierenbe  Partei  bie  lebhaften  Klagen  über  bie  &öf)e  ber  procefcfoften 
heroor,  Klagen,  bie  in  oielen  Einzelfällen  berechtigt  finb,  aber  bodj  mit 
Unrecht  generalifirt  roerben.  Eine  9lbf)tilfe  biefer  Klagen  ift  auf  bem 
2Sege,  welchen  bie  9?ooelle  00m  Qabre  1886  einfchlagen  rooüte,  nicht  ju 
erreichen;  vielmehr  ift  burapgreifenbe  2lbf)ülfe  nur  ju  erroarten  oon  einem 
Verlaffen  be£  fehlerhaften  Softem  3.  Unb  fo  erroädjft  uns  jefct  bie 
fchroerere  Aufgabe,  barjuthun,  roie  fid)  eine  beffere  Vemeffung  unb  2lb- 
ftufung  ber  Koften  erreichen  liejje. 

9iun  roäre  nach  3Tnficr)t  beS  VerfajferS  fchon  eine  ganj  roefentliche 
Verbefferung  ju  erzielen,  roenn  man  ben  fchlimmften  gehler  be£  geltenben 
Softem^,  bie  Starrheit  feiner  2Bertf)ftufen  unb  ^aufchgebühren 
abflogen  wollte.  35enn  e3  ift  roiberfinnig,  oon  einem  ^rocefj  über  21  2Jcf. 
biefelben  ©ebühren  ju  erheben  roie  oon  einem  foldfcjeu  über  CO  Uflf.,  unb 
nicht  minber  roiberfinnig  ift  e$,  für  bie  Vernehmung  eines  einzigen  3euöen 
biefelbe  ©ebühr  roennf  bie  2Bertr)ftufen  gleich,  oieüeicht  fogar  bie  sehnfach 


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52    Hedjtsanroalt  23.  Tioeft  in  Solingen.   

f)öf)erc  ©ebüfjr  wenn  bie  2Bertf)ftufen  oerfdjieben  finb ,  51t  gewähren,  rote 
für  bie  SBernefjmung  oon  $wölf  Senden  in  einer  anberen  6aä)e.  Um 
folgen  Söiberfmnigfetten  3U  begegnen,  madje  man  bie  2öertf)ftufen  unb 
^auidjgebüfjren  gefdjmeibiger  gegenüber  ber  9Jtonnigfaltigfeit  ber  (SinjeU 
fälle,  man  fel)e  fie  ate  baS  an  was  fie  nnr  fein  fönnen,  al$  dornten, 
niä)t  at§  fefte  SJtofeftäbe,  ba  fie  in  ber  £l)at  feine  conftanten  ©röfcen  fmb. 

©3  wäre  leiä)t  burdjjufü^ren  unb  würbe  fo  mand)er  Älage  bie  Spifce 
nehmen,  wollte  man  ftatt  naä)  weitfaffenben  2Bertf)ftufen  eine  $emeffung 
ber  ©ebüf)ren  naä)  ^rocenten  be$  ©treitgegenftanbeS  oorfd)retben ;  wer 
über  21  2flf.  proceffirt,  t)ätte  bann  ceteris  paribus  aud)  nur  ein  drittel 
ber  Soften  $u  tragen  wie  ber,  ber  über  60  proceffirt.  ^nbeffen  wäre 
e3  reicht,  einen  (Stritt  weiter  ju  tl)un,  unb,  wenn  einmal  naä)  ^ßrocenteit 
beä  Streitwertes  gemeffen  wirb,  ben  ^rocentfafc  etwas  glei<$mäf$iger  511 
geftalten,  unb  baburä)  bie  t leinen  Dbjecte  §u  entlaften.  Die  heutige 
^aufä)gebüt)r  für  jebeS  ^rocefjftabium  beträgt  bei  einem  \itrevtmertfje  001t 


2  »H. 

2  m. 

=  100  "/u  beS 

8treitgegenftonbe§ 

20  SRI. 

2  aw. 

=   10  0/0 

s 

21  3»f.v 

3  9Jlf. 

=  14% 

60  sjh. 

3  m. 

=■     5  °/o 

120  <mt 

4  30. 

=    3 «;« 

121  sjh. 

7  3Wf. 

=  6> 

- 

1  600  SM. 

32  3Wf. 

=  2u/o 

16000  m. 

80  SM. 

=  y2  °/o 

Säre  eä  ba  niä)t  angebradjt,  bie 

Keinen  Dbjecte  ju  entlaften,  unb  über= 

all  eine  ©ebüljr  oon  3  <M>  für  jebe^  ^Jrocefjftabtum  ju  ergeben?  ober,  roifl 
man  niä)t  fo  rabifal  uorgetyen,  bie  l)öä)ften  Streitwerte  immer  mit  2°/o, 
bie  geringften  aber  niemals  mit  mefjr  als  5%  ju  belaften? 

3n  gleicher  aßeife  mären  bie  für  jebeS  ^rocejjftabium  beftimmten 
<ßaufä)gebül)ren  um$ugeftalten.  Die  @ebüt)r  ift  Ijeute  unabänberlidfj  oor= 
beftimmt.  Sie  beträgt  bei  einem  Streitwert*)  3wifä)en  200  unb  300  3Jif. 
für  bie  ^rocejjleitung  beS  Anwalts  10  3flf.,  niä)t  mefjr  unb  nidf>t  weniger; 
mag  bie  ^rocefjleitung  in  ber  faft  medjanifdjen  gormulirung  einer  einfad&en 
ftlagefä)rift  befielen,  ober  mag  fie  weitgreifenbe  Stubien,  anfjaltenbe,  im* 
auSgefefcte  9ftül)eroaltung  erforbent.  2BeSf)atb  biefclbe  ftarre  ©ebüfyr,  wärjrenb 
bie  9Hüf)cwaltung,  bie  fie  oergüten  foH,  nidjts  weniger  als  oorbeftimmt  ift  ? 
©erabeju  notljroenbig  ift  es,  will  man  niä)t  £ag  für  £ag  bie  anfdjetnenb 
begrünbetften  klagen  f)eroorrufen,  biefen  ftarren  ©ebüf)renfäfeen  eine  gewiffe 
^atitübe  ein3uräumen,  ein  minimuni  unb  ein  maximuru  feftjufefcen, 
jwifdjen  wetzen  beiben  je  naä)  ben  Söefonberfjeiten  beS  Einzelfalls  bie  ©ebü^r 
311  bemeffen  ift.  Dann  enblid)  wirb  ber  Hnwalt  niä)t  me^r  genötigt  fein, 
tyeute  für  eine  geringe  3Jiül)e  anftöfetg  ljol)e  ©ebüljren  ju  ergeben,  unb 
bafür  morgen  fid)  für  eine  lange  mü^euolle  XJättgfeit  mit  einem  jammer* 
ooUen  ©ebüljrenfa^c  abfinben  ju  (äffen. 


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Die  prosejjfoften. 


53 


25iefe  beiben  ISorfötäge,  bie  Semeffung  ber  ©ebüf>ren  nad) 
^rocentfäfcen  beS  (Streitwertes,  unb  bie  iöeftimmung  oon 
.§öd>ft;  unb  SJHnbeft*  ©ebüf)renfäfceu  feinen  fid;  allerbingS  cinanber 
auSjufdjliefjen.  Bebe  einjelne  biefer  9ieforroen  würbe  nun  für  ftd;  allein  fdjou 
ben  heutigen  Uebelftanb  burdjgretfenb  inilbern;  tnbeffen  ift  eS  burdjauS  ans 
gängig  beibe  Reformen  miteinanber  $u  oerbtnben.  3U  biefem  3wede 
möge  man  ^olgenbeS  erwägen. 

9tod)  bem  tfjeoretifct)  richtigen  fßrineip  unferer  Jtoftengefefce  follen  bie 
©ebü^ren  einerieits  bem  SSertlje  beS  ©trettgegenftanbes,  anberfetts  bem 
Umfange  ber  £fyatigfeit  entfpreerjen.  3MefeS  2)oppelprinäp  rjat  jebodj  baS 
3Hij$lidje,  bafj  es  aud)  tjier  unmöglidj  ift,  3meien  Herren  3ugleid)  ju  bienen. 
Xem  3<ifjtongSpflidjtigen  erfdjeint  nad)  üerseifuidjer  menfdjilidjer  <Sdjmäd>e 
jebe  3ötyung,  bie  er  leisten  mufc,  efjer  su  fwdj  als  3U  niebrig,  unb  unfere 
Xoppelbemeffung  geftattet  it)m,  fidj  nadj  belieben  auf  ben  einen  ober  ben 
anberen  ©tanbpunft  ju  ftellen,  um  fein  2Kijjoergnügen  ju  begrünben. 
9Jun  mujj  na#  unferem  Eoppelprinap  bei  einem  fjofjen  Dbject  bie  ©ebüln: 
l'elbft  für  eine  geringe  2Jrüf)ewaltung  eine  gemiffe  &öf)e  meinen;  ebenfo 
imm  aber  aud)  bei  einem  Keinen  Dbject  bie  ©ebütyr  für  eine  bebeutenbe 
SRüljewaltung  im  8erf)ältmj3  $um  ©trettgegenftanb  fyofy  erfajetnen.  2luf 
biefe  Sßeife  bietet  ftd)  bem  3af)lungSpfIid)tigen  ein  anfd&einenb  ganj  be* 
grünbeter  2Inlafe,  bie  ©ebürjr  als  ju  fwdj  ju  oerfdjreten,  iubem  er  fie  ganj 
naa)  belieben  balb  nur  mit  bem  Streitwerte  oergleidjt  unb  bie  bebeutenbe 
2Jiüf)ewattung  aufeer  3Idj)t  läfct,  balb  mit  ber  geringfügigen  9)iül?e  oergleicrjt 
unb  ben  tjorjen  Streitwertf)  oergtfct  möchte  behaupten,  bafc  bie  9Jtef)r; 
>ar)f  ber  Sefdjwerben  auf  biefe  wtllfürlidje  2Sa^l  beS  StanbpunfteS  3urücf= 
jufüljren  ift.  3<$  barf  an  bie  (Eingangs  oon  mir  bargelegten  beiben  JäHe 
eiinnem.  2Wein  großer  SÖedjfelprocefj  erjeugte  löefdjwerbe  wegen  bes 
3Rijjöerr)ältni|feS  meiner  geringen  Srjätigfeit  3U  ber  jäoljen  ©ebüln-;  bat* 
ein  fo  r)ot)eS  Dbject  in  grage  ftanb,  würbe  oon  meinem  SHanbanteu  nicr)t 
genügenb  bebaut.  £)er  Sd)äfer  bagegen  flagte  über  baS  fdfflieBlidje  SMifc- 
oerfyältnife  ber  Soften  3U  bem  geringen  Strettgegenftanb,  wätjrenb  bod; 
wa(>rüdj  meine  müfjeoolle  ^ätigfeit  farg  genug  bejaht  war. 

Sflun  gäbe  es  meines  SradjtenS  wotjl  ein  Littel,  um  unter  33eibe= 
Haltung  beS  an  fia)  ja  oortrefflidjen  XoppelprincipS  biefem  SRigftanbe  ab= 
Reifen,  llnfer  3)oppelprinctp,  2lbflufung  ber  Soften  nad)  bem  Streit-- 
roerttje  unb  nad)  bem  Umfange  ber  Xfjätigfeit,  ift  nämlidj  eben  fo  uor= 
trefflidj  unb  praftifa)  für  bie  Semeffung  ber  ^kocejjfoften  im  ©anjen,  aü 
fe^ler^aft  unb  unausführbar  für  bie  $3emeffung  ber  ©eria)ts=  unb  ber 
Slnwaltäfofien  je  für  ficr).  $ie  ©erid^tsfoften  werben  oon  bem  red)tfucr)enbeu 
^ublÜum  mit  !Recr)t  als  3ufti5fteuern  betrautet,  welche  oon  einem  Ijoljen 
Cbjeft^och,  oon  einem  geringen  Cbject  gering  3U  ergeben  geredet  unbnatürlia) 
erfdjeint.  ©0113  anberS  aber  ift  es  mit  ben  2lnwaltSgebül)ren.  3um  9iea)te= 
anwalt  fommt  baS  $ubli!um  wie  jum  2lrjt,  es  bejaht  itmt  feine  XJ)ätigf  eit. 


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  Hedjtsartroaft  8.  Hocft  in  Solingen.  - — 

(Sl  ift1  mof)l  geneigt,  eine  aufopfernbe,  müheooUe  X^ätigfeit  reidjltdh  §u 
vergüten,  fclbft  bei  einem  geringen  Dbject;  el  empftnbet  el  bttgegen  all  un- 
billig, wenn  für  eine  ganj  geringfügige  £t)ätigfeit,  menngteid)  bei  fjoljem 
Streitgegenftanbe,  eine  lwhe  ©ebü^r  in  9ted)nung  geftettt  wirb. 

Hub  biefem  vJied)tl=  unb  iöilligfeitlgefühle  fdjlägt  unfere  jefeige  ©ebühren: 
orbnung  gerabeju  in'l  ©efi^t.  Sie  bemifct  ©eridjtlfoften  unb  Slnmaltl; 
Honorar  nad)  ganj  benfelben  «ßrineipien,  wäfjrenb  bodj  bei  ben  erftereu  bal 
Cbject,  bei  bem  lederen  bie^atigfeit  cl  ift,  na<$  meiner  ber  Zahlungspflichtige 
mit  dlefy  feine  3al)tungäpflic^t  bemifjt.  ^eformire  man  baher  biete  ©e= 
bührenorbnung  bahin,bafj  bte©erid)tlfoften  wefentlidj  na$#öhe 
bei  Streitgegenftanbel,  bie  9lnwaltlgebühren  ober  wefentlid) 
nad)  bem  Umfange  ber  2l;ätigfeit  bei  9lnwaltl  bemefien  werben! 

Sie  ©eri.djtlfoften  feien  wefentüch  nadj  ber  &öl)e  bei  Streitgegen= 
ftanbel  bemeffen;  nur,  mödjte  idj  vorfdjlagen,  mit  Unterfdneb  banad),  ob  bal 
Urteil  ofme  Streitoerhanblung  im  Sßerfäumnifwerfahren  ergebt,  ober  ob 
eine  Strettverljanblung  ftattfinbet.  SBenn  ber  Kläger  gehalten  ift,  5%  bei 
Streitwerte!  all  Öeria^tl!oftenoorfd)u6  einjujahlen,  unb  ber  $3eflagte, 
weldjer  ben  2lnfprud)  beftreitet,  ebenfall!  5°/o  bei  Streitwerte!  ju  erlegen, 
fo  wirb  bie  ©eridjtlEaffe  mit  ber  ©rhebung  von  5%  bej.  10%  bei  Streit; 
werthe!  ftatt  ber  bisherigen  (Gebühr  fdjtverlidj  einen  2lu!fall  erleiben,  wäfjrenb 
cl  eben  fo  wenig  jeber  ber  ftrettenben  Parteien  jur  übermäßigen  :öefä}werbe 
gereichen  wirb,  5%  bei  Streitwerte!  all  ©eridjtltoften  jn  erlegen. 

2)ie  Slnwaltlgebüljren  bagegen  feiert  hingegen  wefentlid)  nach  ber 
Xl^ätigfeit  bei  Slnwalt!  bemeffen,  mit  ber  Unterfd^eibung  etwa  von  Sachen 
großen,  mittleren  unb  geringen  Streit wertfjel.  $rei  ©ebührenfäfee,  ent* 
fpredjenb  biefen  brei  Kategorien,  feien  vorgefehen  für  bie  gormulirung  ber 
Klage;  unb  (5in(affunglfd)rift,  für  jeben  Dermin  unb  für  jebe  SBafation,  b.  h- 
für  iebe  Stunbe  in  anberer  SBeife  auf  bie  Sache  verwenbeter  Xl)atigfeit.  Xa 
aber  bie  2lbfaffung  einer  Klagefdjrift,  bie  3Bahrnehmung  einel  Xerinml  :c. 
in  ben  verfd^iebenen  ©in^elfäHen  ein  feljr  verfd)iebenel  3Jlaa&  von  ^hätigfeit 
erforbert,  fo  fei  jebe  ber  hierfür  beftimmten  ©ebühren  mit  einem  £ödjft= 
unb  einem  3)Unbeftbetrage  aulgeworfen. 

(Sine  berartige  Drbnung  ber  (Gebühren,  bal  glaube  td)  annehmen 
5U  bürfen,  würbe  geftatten,  bie  ©efammteinnahme  bei  ^uftijfilful  unb 
ber  Anwälte  auf  ber  billigen  &öf)e  $u  erhalten,  von  ber  fie  ohne 
Sdjäbtgung  ber  äufaSPflege  unmöglich  abgeben  fonn,  unb  gleichwohl  bie 
klagen  bei  ^ublifuml  ju  beheben,  ba  biefelben  wefentlidj  auf  ber  iefeigen 
fehlerhaften  Slbftufung  ber  Soften  beruhen.  2&ünfchenlwerth  wäre  el  bann 
noä),  aud)  bie  beiben  weiteren  Duellen  berechtigter  Unjufriebenheit  ju  ver* 
ftopfen:  bie  jefcige  £öf)e  ber  2lullagen  felbft  bei  geringen  Dbieften,  unb 
bie  fä)liefeltd)c  2Ibwäl$ung  ber  Roften  auf  eine  Partei. 

$ie  Stullagen  finb  el,  welche  vordem  bie  fleinen  $roceffe  ver* 
theuern,  ba  fie  in  f  leinen  s£roceffen  benfelben  unoeränberlidhen  Safe  auf* 


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  Die  pro3C§f often.    5f) 

weifen  rote  in  großen.  $ur$  zweierlei  Littel  ift  bem  Uebelftanbe  ab= 
Reifen.  §inmal  foHten  überhaupt  bie  ^lu^Catjen  etngefcr)ränfr  werben,  wenn 
ber  Streitwerth  gering  ift;  unb  fobann  follte  man  bie  2lu3tagen  in  f leinen 
Sachen  tfjeilweife  auf  bie  größeren  Saasen  abwäl&en.  60  fonberbar  ba$ 
ledere  flingt,  fo  einfad)  ift  e$  burefouführen,  inbem  man  bie  regelmäßig 
unb  annät)ernb  gleichmäßig  wieberfehrenben  2lu3lagen,  wie  3uftellung$foften, 
Nortis  unb  Sdjreibgebühren  nicht  befonberd  liquibiren  läßt,  fonbem  an 
it)rer  Stelle  einen  3uWa9  Su  oen  ©ebürjren  bewilligt,  meldte  ja  bei  ben 
©erichtsfoften  burchauä,  unb  einigermaßen  auch  bei  ben  2lnwalt3gebühren,  mit 
ber  §öl)e  beä  Streitgegenftanbea  fteigen  unb  fallen  foHen. 

(rine  ßinfehränfung  ber  2lu£lagen  in  fleinen  Saasen  ließe  fidr)  leidet 
burch  Vereinfachung  cor  SlHem  ber  3ufteHungen  bewirten.  Sobann  märe, 
rooJ  allerbingä  im  SBefentltcfjen  nur  burcr)  ©erichtsgewofmheit  §u  erreichen 
wäre,  auf  eine  23efcr)ränfung  beä  Sd>rcibwerte  unb  oor  Mem  auf  eine 
(sinfa)ränfung  be$  foftfpieligen  3euÖen^erDC^feö  in  Weinen  Saasen  ju  galten. 

SBerben,  nacr)bem  auf  biefe  SBetfe  bie  ©ebürjren  angemeffener  abge= 
ftuft,  bie  2(u$lagen  oerminbert  finb,  bie  fämmtlidjen  ftoften  ber  oerlierenben 
Partei  auferlegt,  fo  wirb  fie  an  biefer  ftoftenlaft  erl)eb(tdt)  leidster  al£  gegen- 
wärtig 5U  tragen  haben.    Unb  bodj  wäre  worjl  al3  Sdt)lußftein  ber  Reform 
su  erftreben,  baß  mit  ber  unfeligen  9JIetr)obe  gebrochen  werbe,  bem  uer* 
lierenben  ^t)eil  unter  allen  Umftänben  bie  gefammten  Soften,  bie 
®eria)t^fo  ften,bie. Sofien  b  eiber  Anwälte,  fämmtlicheSluSlagen  beibe  r  Xtyeik 
$ur  £aft  $u  legen,   ©3  liegt  biefer  SJiaßnahme  wie  ben  meiften  unnötigen 
3Jtoßnahmen  ein  berechtigter  ©ebanfe  $u@runbe:  wer  einen  ungerechten 
^3roceß  füt)rt,  ber  fou*  feinen  ©egner  nicht  burcr)  feinen  ungerechten  Angriff 
fdjäbigen  bürfen,  er  foU  it)m  jum  SDiinbejten  ben  fofort  liquibe  ju  ftellenben 
Schaben,  feine  Auslage  an  ^Sroceßfoften,  vergüten.   9c*un  befielt  aber,  eben 
fo  wenig  wie  bie  Ält  nur  au£  Ingeln  unb  Teufeln  ä  la  3)?arlitt  befteht, 
ba*  proceßfütjrenbe  ^ublifum  ganj  unb  gar  nict)t  eineätheilS  aud  beuten, 
bie  mit  Unrecht,  Habgier  unb  G^ifane  fich  auf  ihr  Dpfer  ftürjen,  unb 
anbererfeitä  au$  frommen  rechtlichen  beuten,  bie,  00m  Unrecht  bebrängt, 
nia)t$  als  ihr  gutes  SRedn"  oerfolgen  ober  oertheibigen.        fteht  oielmefir 
in  nicht  ftreitigen  (33erfäumniß=)  Saasen  ber  unjweifelhaft  im  3ied)t  be= 
fmblidje  ©laubiger  burct)weg  einem  Schulbner  gegenüber,  ber  gern  jaulen 
möchte,  aber  nicht,  memgftenS  nicht  fofort,  satjlen  fann.   $a  ift  es  um 
gebührlich  f)art  gegen  bie  Schulbner  unb  in  feiner  SBeife  gerechtfertigt  für 
ben  ©laubiger,  bie  fämmtlichen  ^roeeßfoften  bem  Schulbner  jur  Saft  su 
fefcen.    Wlantyx  Schulbner,  ber  fonft  noch  wieber  empor  gefommen  wäre, 
ift  burch  flojten  mehr  als  burcr)  3infen  ruinirt  worben.    £er  ©läubiger 
hingegen  erlangt  burch  feinen  ooUftrecfbaren  Xitel  ein  unjweifelhafteä  wirth* 
fcfjaftücheS  ©ut;  Sicherung  feiner  bebenfltcr)  geworbenen  gorberung;  unb 
ba  ift  e£  bod)  billig  unb  recht,  baß  er  biefeä  wirthfehaftliche  ©ut  wie  jebes 
anbere  bejah len  muß.    5ß5e«r>alb  fott  benn  ber  ©läubiger,  ber  bereit = 


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56 


Kedjtsanroalt  23.  Hoefi  in  Solingen.   


willig  einem  9lu3funftäbüreau  für  erteilte  3lu$funft  ober  einem  3nfaffo= 
inftitut  für  ©injielmng  feiner  gorberung  einen  Sßrocentfafc  berfelben  über= 
läfjt,  nur  bann  nidjt3  zahlen  Dürfen,  wenn  ihm  bieStaatäanroaitfdjaft  ihremad)t: 
oolle  &ülfe  uerleüjt;  nid)t£  jahlen  tum  Wafytyil  bt$  genugfam  bebrängten 
SdjulbnerS,  bem  er  oielleicht  leidjtfinnig  geborgt  hatte,  unb  sunt  SRadjtheil 
ber  übrigen  ©laubiger,  bie  ba$ jenige  für  ihre  gorberung  nicht  mehr  t>er= 
werben  fönnen,  wa$  er  ihnen  auf  Rechnung  feiner  Äoftcn  oorweg  ge= 
nommen  ^at! 

Unb  noch  weniger  ift  e$  in  ftreitigen  Saasen  gerechtfertigt,  bem  Unter = 
liegenben  bie  Äoften  färnrntlid)  aufjuerlegen.  ftn  ftreitigen  Saasen  trifft 
es  boäj  burdjweg  nicht  $u,  bafj  bem  geredeten  Spanne  ber  argliftige  tüdtfcfje 
9led)t§feinb  gegenüber  ftefrt* ;  in  ber  weitaus  größten  3^t  ber  gälte  glauben 
beibe  Steile  in  iljrem  Stecht  ju  ftehen.  Unfere  3ttetf)obe  märe  berechtigt, 
wenn  ber  Unterliegenbe  Durchweg  ber  (Schulbige  unb  Schulbbewufcte 
wäre;  nun  wäre  aber  im  ©egentfyeil  bie  Behauptung  mehr  als  fülm,  bafe 
ber  objectiu  Schulbige  Durchweg  unterliegt  unb  ber  objectio  im  Stet^t 
ftet)enbe  oben  bleibt.  Denn  ob  ich  Siecht  behalte,  baS  hängt  ja  in  erfter 
^inie  nicht  baoon  ab,  wie  bie  Sache  fid)  wirflich  jugetragen  bat,  fonbern 
baoon,  nrie  Tie  fidj>  auf  ©runb  ber  Seroeigführung  bem  3iicr)ter  barfteUt. 
•gäbe  ich  für  meine  Sehauptung  feinen  3eugen,  °ber  brü<ft  mein  3*uge 
nid}t  richtig,  nicht  benimmt  au$,  fo  »erliere  td>  ben  ^rojefc  trofc  meinet 
beften  JfedjteS!  ^Jfft  aber  bie  Seweiänahme  erfchöpfenb  genug  auSgefaÜen, 
fo  lä&t  fie  fia),  ba*  weife  jeber  praftifche  Surift  jur  ©enfige,  mit  ©rünben 
bieSfeitä  unb  jenfeitä,  nach  biefer  ober  jener  Seite  barftellen  unb  beuten. 
Unb  wenn,  ein  in  ftreitigen  Sachen  immerhin  feltener  gatt,  ba$  <Sa& 
oerhältnife  über  allen  3it»eifet  flar  geftellt  ift,  fo  ift  oft  bie  9techt$frage 
mehr  als  sweifelhaft.  Dem  Seufjer  ,/Ba3  ift  2Baf)rheit  V"  fönnen  mir 
wahrlich  ben  Seufjer  anreihen  „sBa$  ift  Siecht?"  SBie  oiele  treffliche 
©rfenntniffe  oerfdnebener  ^nftanjen  über  biefelbe  Sache  unb  benfelben 
Sadwerhalt  entfdjeiben  jebeä  anbevä  wie  baS  anbere!  9llle  Hochachtung 
oor  unferer  ^Rechtspflege ;  aber  fie  ift  unb  bleibt  ein  9)ienfdjenwerf  mit 
allen  menfchlichen  Unoottfommenheiten.  Sei  ben  beften  ©efefeen  unb  ben 
beften  dichtem  wäre  e£  eine  pharifätfche  Ueberljebung,  ben  Unterliegenbeu 
burdjweg  aU  ben  Sdmlbigen,  gefdjweige  als  ben  Sct)ulbbewuj3ten  anäufefm. 
können  wir  ba3  aber  nicht  —  wie  fönnen  wir  e$  rechtfertigen  ober  nur 
entfa)ulbigen,  bafj  bem  unterliegenbeu  £heil  eine  fo  fchwere  Strafe  auf  er  * 
legt  wirb,  ale  es  bie  Prägung  fämmUicher  Soften  aller  3«ftanjeit  unb 
aUer  Setheiligten  ift? 

3ft  bie  gerügte  9Jietf)obe  ungeredjt,  fo  ift  fie  nicht  minber  f (haben - 
bringeub  für  alle  Setheiligten  unb  für  bie  gefammte  SiedjtSpflege.  Demi 
wer  erwägt,  wela;  eine  ©efammtfoftenlaft  ihn  im  gaHe  be3  Unterliegend 
treffen  wirb,  ber  mu§  fidt)  breimal  bebenfen,  einen  ^proce§  an3ujteHen  ober 
aufzunehmen,  beffen  3lu^gang  nid)t  ganj  zweifellos  unb  oerbrieft  ift.  3^ber 


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  Die  pr<>3e§foftcn.   


57 


Sforoolt  weiß,  wie  oerantroortlid)  e$  ift,  einem  ÜRotyfudienben  bie  Slnfteffung 
eme$  $roceffe$  ju  empfehlen;  je  na<§  bem  2tu3faff  ber  SBeioeteaufnafjme 
unb  ber  ©ntfdjeibung  ber  9led)t3frage  ift  ein  Unterliegen  bei  ber  geredjteften 
Sa<$e  möglid),  unb  auf  ben  Unterliegenben  regnen  von  äffen  «Seiten  bie 
flojten  pfornnten.  3ft  leiber  nad;  menfdjlidjer  Um>oflfommenf)eit  jeher 
^roje§  fdjon  ein  Sßagfpiel,  fo  foffte  man  ben  (Stnfafe  nidt)t  nod&  baburdj 
er^en,  baß  man  bem  Dbfiegenben  ooffftänbige  ßoftenfreif>eit  auf  Soften 
be3  unglücfltdjen  Unterltegera  oerfpridjt;  ba3  fjetßt,  ben  ftedjtfudjenben  von 
ber  Verfolgung  aud)  ber  gerea)teften  <Sad)e  abfdjretfen  unb  baburd)  gerabe 
bie  G&ifane  unb  bie  Slrglift  ermutigen,  bie  man  jurfidforängen  will. 

ferner  aber  —  unb  baä  füfjrt  un$  auf  unfer  £f>ema  jurficf  —  ift 
e$  platterbingS  unmogtid),  eine  berartige  uon  äffen  (Seiten  jufammenges 
Raufte  floftenlaft  in  einem  anftänbigen  Verf)ältniß  jum  2öertf)e  beö  (Streit* 
gegenftanbeS  ju  galten,  e3  fei  benn  bei  ganj  großen  Cbjecten.  SRögen 
bie  Äoften  no$  fo  finn?  unb  fa<$gemäß  abgeftuft,  bie  ©ertdjUfoften  nodjj 
jo  niebrig  gehalten,  bie  2InroaIt^foftcn  nod)  fo  betreiben  bemeffen,  bie 
Auslagen  naä)  affer  SWöglidjfeit  eingejcfyränft  fein:  fo  roirb  bod)  bie 
Summe  aller  biejer  Äoften  nadj  einigermaßen  langwieriger  SBerfjanblung, 
gefdjrocige  benn  nadj  2lbfobirung  mehrerer  Qnftanjen,  ba3  Streitobject 
erreidjen  ober  überfteigen  muffen.  Soweit  bie  heutigen  klagen  über 
tjotye  Sßroceßfoften  bie  ©ejammtf oftenfumme  unb  beren  9Wißoerf)ältniß 
jum  Streitgegenftanbe  betreffen,  finb  fie  nad)  beutiger  Sage  ber  ©efefcgebung 
einfad)  unvernünftig.  Denn  meun  ber  $roceß  über  50  2J?f.  nad)  SJefd&reitung 
jroeier  $nftan$en,  nacffbem  er  ein  %ai)x  f)inburd)  ober  länger  oier  Sttidfjter 
unb  oier  Stmoälte,  ben  ©ericijteoollätefier,  eine  SJtenge  oon  3eu9*n  in 
S^ätigfeit  gefegt  f)at,  an  ©efammtf  often  be£  ganjen  Apparates  nidjt 
mein*  ate  r;öd)|len3  20  3Rf,  foften  foflte,  fo  müßten  bic  beteiligten  Drgane 
ilnre  3)ienfte  ja  um  ©otteS  Sofm  oerridjten.  Unrecht  aber  ift  e§,  bem 
fdjließltd),  oieffetajt  nad)  oieten  (Sdjroanfungen  be£  ,3üngtem3/  Unter« 
liegenben  bie  ganje  große  ©efammtlaft  aufjubürben;  trägt  ^ber  feine 
eigenen  Äoften,  fo  ift  ein  fadjgemäßeä  23crr)ältnt§  überall  n>of)l  $u  erreichen.  — 

$a3  mären  9ieformoorfd)läge,  oon  bereu  $urdjfüf)rung  id)  mir  eine 
jebenfaltö  beffere  ©ejtaltung  be3  ÄoftenroefenS  oerfpredje,  als  e3  bie  heutige 
ift  Ueber  bie  3n>e<fmäßigfeit  unb  $ur$füf)rbarfeit  berfelben  mag  fidfj  ja 
irreiten  laffen,  unb  id)  bin  geroiß  weit  baoon  entfernt,  biefelben  für  nid^t 
oerbejferung$fäf)ig  unb*  bebürftig  5U  galten.  Sefentltdf)  baran  ift  mir 
gelegen,  unb  ba$  modjte  id)  bur$  bie  oorftefjenben  feilen  bargetyau  §aben, 
baß  man,  um  au«  ber  heutigen  Äoftcnmifcre  fierau^ufommen,  nid)t  bie  2öege 
roanbeln  foffte,  roeldje  ber  ©ntrourf  oom  3af>re  1886  befd)ritt,  fonbern 
eine  burdjgreif enbe  Reform  be«  Ijeutigen,  in  feinen  ©runb* 
jügen  oerfeljrten,  6nftem«  oorneJimen  muß  unb  foU. 


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Vier  IWcevlxebev. 

Von 

^olger  Drad|maun. 

—  Dänemarf*)  — 

Allein  auf  6cm  Ded. 

uf  bcr  Zlorbfee  bafyer  fommt  ein  Sdjiff  im  Sturm, 
So  fdjiucr  auf  bcr  See  ift  fein  Sdjroanfen; 
Den  33ng  roafd?t  IDaffer,  unb  iDaffer  quillt 
Dura?  mannen  £e<f  in  ben  planten. 
Die  lüaaren  im  Sajiffsraum  burdmätjt  es  im  ZTu. 
„3nm  Teufel  bie  IDaaren,  nnb  gab'  es  nur  Hut}' 
t?or  ber  pumpen  ero'gem  Speftafell" 
Der  Sdfijfsfyerr  fatjt  felber  am  Steuerrab  311, 
Das  Sdnff  „Icri3t  cor  Copp  nnb  Cafel."  l) 

So  fdjroanft  es  von  bannen  in  mäßigem  £anf; 
Das  IPaffer  im  Haume  fteigt, 
Sd>on  balb  an  bie  Detfbalfen  fdjlägt  es  tnnauf, 
Unb  rings  fein  fanb  ftd}  3eigt. 
„„So  pumpt  nun  alle  ITIann, 

pumpt  3UI   Das  märmt  eud?  bie  frofrigen  Singer!"" 
„Der  2llte  fpridjt  luftig,  unb  t?5rt  man  iqm  3a, 
Steint  2IIJcs  in  (Drbnung  unb's  Hab  in  Hut}'; 
2lls  ob  mir  nidjt  fdjon  jmei  (Lage  lang  nu 
rnfi§tctt  Hinbert  nagen  fo  b,art  mie  ein  f  djub,; 
IHit  bem  ^Ieifdje  ging  es  3a  <£nbc, 
Unb  t>om  Pumpen  fdjon  bluten  bie  £}3nbe!" 

■J  21ns  btm  Dänifdjrn  überfetj«  von       ^tdjalig  in  Drrsbim. 

I)  Impn  i>or  Zopp  unb  lafcl      bei  fdjtocrfm  Sturm  ganj  ob,ne  St$tl  oor  bem  tthnbr  fabren. 


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Pier  Utecrlieber. 


59 


Der  Sturm  evbxanft,  uno  bte  Stur3fee  brofjr, 
Der  Gimmel  um3iertt  ftdj  fupferrotb,, 
Biteft  nnfjeilfünbenb  herunter. 
„Kameraden,  3t»ei  (Eagc  lang  liefert  roir's  geb/n; 
Dodj  was  nns  erwartet,  muß  3*&*r  KÖ*  Wn. 
KHr  finfen  mitfamt  Dem  plunber! 
Dort  fegelt  ein  #fdjer  »inbroarts  ja  noeq, 
3dj  benfe,  roir  geb,en  3nm  Kapitän; 
Unb  rpiH  er  nidjt  mit,  fo  bleibt  er  bort  fteb/n, 
2IUcin  als  IHatrofe  unb  Stemarb  unb  KocbJ" 

Sie  prei'en  bie  Scbmarf ; *)  unb  bie  Sdjmacf  „brety  bei '.  2) 
„Kapitän,  wir  fönnen's  nidjt  änbern; 
Do  et»  vernünftigen  gweef  tjat's  feinerlci, 
dtüetgt  mit  ber  Barf  noeb,  3U  fentern, 
Die  fo  morfdj  unb  alt  fcfjon  feit  3at)ren! 
tt>ir  paefen  nun  ein  unb  fabjen, 
(Erlaubt  ober  nidjt,  roir  fragen  nicfctt  mebj, 
Unb  nur  für  bas  pumpen  noeb,  banfen  roir  feb,r; 
IDir  fatjren  mit  anberem  „(Bange",  s) 
So  ging  es  furvabr  fdjon  3U  lange!" 
Sie  fetjn,  vir's  bem  2IIten  an  UPorten  gebricht ; 
<£r  br tieft  ben  Sübrvefter  tief  ins  (Seftcbt 
Unb  läßt  einen  Blicf  auf  fte  fallen. 
Der  bringt  bureb,  bie  (Deljacfen  2Wen. 

„„3tjr  geljt!    Hun,  (SlficF  auf  bie  Eetfe  rounfeb/  icb, 
Da  3fa  *s  nimmer  fönnt  änbern; 
Do*  von  Bauern  gefragt  unb  oon  Binnenlänbem, 
X>ctge§t  nidjt  3U  fagen:  3fc  ließet  im  Stieb, 
Den  2iften,  ber  brausen  mag  fentern! 
3br  fagt,  bie  Barf  fei  alt.   Das  ftimmt, 
eßeburt  unb  (Eanfe  pereinte  uns  Beibe; 
fjab1  mit  itjr  gefegelt  in  ^reub'  unb  im  £etbc 
Unb  tfoff' ,  baß  ein  gleicb.es  <£nbe  es  nimmt. 
tt>tr  3met  ftnb  €ins,  3^r  fonnt's  niettt  oerfterm: 
3br  fegelt  ja  nur  für  bie  fteuerl  *) 
n?ir  Beibe  muffen  3ufammengefm ; 
Hun  fürjr'  ict»  allein  benn  bas  Steuetl"" 

Sie  nefjmen  bie  Kißen  unb  anberen  Kram 
hinunter  in  ben  norroeg'fcr/en  pratjm; 
Der  fet»anfelt  fo  gut  auf  ben  IDogen. 
Sie  faßen  im  prafym  unb  rttberten  n>eg, 
Unb  blieften  3U  ib,m  auf  bas  öbe  Decf, 
Pon  ferneren  (Sebanfm  burebjogen. 


I)  prfirn     anrufen;  54?  marf     ^ifdjerfnrtrjrug,  rorifer  unten  Qia  t]  m  genannt.  2|hrit>tehrn 
kidjt  beim  IPinbm  bolttn.  langfam  rojjrfn.  5)  £tn  ©ana  ift  bft  H>c$,  l>rn  ein  SAiff  btim  tavitrtn  in 
geratet  Htdftonq  bti  ttm  {Pinto  mad?t,  bis  <s  trir&cr  u*n{*t.  4)  tjcutr  =  Coljn,  miftlie  t*s  Sdfiffsoolts. 


60 


fjolger  Dradjmanh  in  Danemarf. 


„Hocb,  fann  er  ja  fommcnl"  3fc  3rrtlmm  mar  gro§l 
3n'#  faufenbc  dafelroerf  fdjwingt  er  fidj  ferf, 
(Er  fappt  ben  Befd?lag,  bie  Segel  finb  los. 
^at  feine  ITTannfcbaft,  boeb,  ftdjres  Se^erf,  *) 
Unb  Hilles  madjt  „flar"  2)  nun  ber  2IIte-  — 
<£s  brauft  bie  See,  ber  Sturmwinb  brüllt, 
Das  IPaffcr  ba  unten  im  Sdjiffsraum  fdjwillt, 
21ls  ob  bas  ^ab^eng  ftcb,  f palte. 
Die  $auft  umflammert  bas  Hab,  unb  es  fradjr, 
€r  fieuert  ben  Kurs  in  bie  wilbc  ZTadjtl 
Sein  Sd?iff  war  einfad?,  er  fetbji  gebret|t 
21ns  bem  £70(3,  bas  im  Sturme  nie  untergeht! 


&  c  r  n  ft  c  t  n. 

Sie  weilten  am  wogigen  ItTeer, 
Unb  Hillen  rjüpften  im  <Can3e 
Dab>  mit  bem  fajaumfeudjten  Kranje. 
Sie  wanberten  langfam  fjanb  in  fjanb 
Unb  bfirften  ftcb,  oft  unb  fud?ten  im  Sanb 
XIacb  Bernjlein  untrer. 

IPas  b,eim  3um  (SebenFen  fte  trug  — 
Sdjön  warb  es  gcfdjltffen  unb  würbe  ein  Eje^e. 
<Es  leuchtete  tjcll,  wie  bie  ljerrlid$e  Ker3e. 
Sie  trug  es  am  iJufen  unb  fü§f  es  gar  febr, 
(5ab  bafür  iijr  eigenes  fyer, 
Dod>  bas  war  ein  fytit,  bas  fa>(ug( 

€r  fuin:  auf  bas  wogenbe  IHcer, 
Sie  fatj  ib,n  nimmer  wieber. 
Sie  trug  fein  fjer3  unterem  ITCieber 
21m  etg'nen  l^e^cn  in  ^reub'  unb  Ceib, 
Sie  wn§te  nimmer  3U  fdjeiben  fie  beib'; 
Unb  feines  war  Beruftem  —  nichts  mein:! 


I)  Scftfff  iil  i»if  Örrfvimundi  unb  öfitMiimung  i>f*  thtti  6e*  Sd?iffes  nae^  &«t  Statte. 
:j  21  Uf»  Mar  madjen       MUfs  tu  Ö)t&nuri<j  bringen  unb  Mrnjiffttii  halten. 


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  Vier  Hleerlieber.   

Kannft  Du  erflären  mir,  Illeer  —  ? 

Kannft  Du,  erflären  mir,  IHecr: 
lUojtt  in  ber  IDelt  idj  ringe  unb  flrebe? 
EDestpilb  ia?  bjer  fitjenb  im  ^nnerften  bebe, 
üerge|Te  bie  OTab^eit  unb  ftarre  tfernieber, 
^nb,r  faum  nod)  bie  naffen,  burdjfrorenen  (ßlieber, 
Unb  fdjaue  fynab,  beftänbig  bebad?t 
§n  faffen  all'  Beine  (Bröfje  unb  HTacbt, 
§u  fdjaffen  ans  Deiner  Stnrmmelobic 
mir  done  ureigner  poefte? 

2Id;r  n>enn  mein  fdjönftcs  Spiel  Dcrraufdjt  — 
IPie  viele  fmb  es,  bie  itmi  gelaufdft? 
IDie  Diele,  bie  redjt  oon  I7er3en  es  meinen, 
<Db  ^reunbe  fic  halb,  gan3  ITtacenc  erfdjeinen? 
(Db  tfreub'  meinem  t onb  idj  gebradjt,  ob  (ßenünn, 
Da  idj  ein  Spielmann  roorben  bin? 

„Du  frageftl  Um  Jlntroort  ijt  mir  faji  bang. 
ZTur  loenig  oerfteb/  id)  oon  Didjtung  unb  Sang, 
Ejab'  nie  genommen  b'rtn  Unterridjt, 
Unb  Sinnen  unb  (Srübeln  besagen  mir  nidjt. 
Dod)  nrillft  Du  u>ob,l  tptffeit  fonft  meine  UTeinung: 
IXnn  mob.1,  1D03U  linge  unb  ftreb'  idj  hmauf, 
Der  Z£>inb  unb  idj  in  Dereinung? 

„rüir  folgen  beftänbig  bem  alten  £auf, 
Unb  braufeu  unb  faufeu  unb  beulen  unb  pfeifen, 
Hnb  mürben  gereift  es  fdjroerlicb,  begreifen, 
U?enn  3*manb  uns  mahnte:  £^alt  einl 
3df  finge  mein  £ieb  unb  möge  barein, 
Bin  meifi  auf  ber  ^arjrt,  unb  feiten  in  Hut}'. 
XDir  ftnb  auf  ber  Keife  —  mas  fd)eert  uns  bas  £anb? 
Unb  fragen  niemals:  ID03U? 

„3<b,  fönnte  ein  mübUeid}  oielleidjt  audj  fein 
Unb  fönnte  ein  OTubJenrab  breb.cn; 
(gern  wollte  idj,  mödjt'  es  nur  gcb,ent 
Dodj  bin  idj  nun  einmal  fo  3at?m  nidjt  unb  f lein ; 
ITCau  grolle  bem  IDaffer  noäj  fo  fein*: 
3a>  fann  nidjt  anbers.   3d>  bin  bas  HTeer!" 


Die  $tfd}c 

im  f?aust)alt  bev  IXatuv  unb  in  bex  ßüdjc. 

Von 

IDolfgangi  €ras. 

—  Breslau.  — 

3br,  #üb  btr  5r<il»tit,  ltb<n*r'rof)t  ,t!''c1k! 
it'if  lieb'  id>  tue*  —  arbratcn  auf  beut  Xi'i)t  1 

3-  $•  Btfi. 


ou  ben  brei  9ieiä;en:  2uft=,  SBaffers  unb  (Srbreicfj  ift  baS  sweite 
wof)l  ba*  oon  gieren  am  reichten  beoölferte  unb  üiefleidjt 
aud)  ba3  an  2Irten  reidjfte.  äßeldj  riefiges  Kontingent  [teilen 
allein  bie  ^ifdje!  Sftan  fennt  etroa  neuntaufenb  ber  ©egenroart  angef)örige 
unb  jroeitaufenb  uorweltlidfje;  aber  watjrfdtjeinlidj  bat  man  erft  ben  ge= 
ringeren  Xf)eil  atter  iefct  lebenben  Slrten  beobachtet,  alfo  bis  jefet  oon 
ber  ^annigfaftigfeit  biefer  ^ierflaffe  noch  feines  w*eg3  eine  ber  2öirf = 
lichfett  entfprefj£>enbe  SBorfieHung  gewonnen.  :örec)m  fagt  in  feinem 
„Zfnerleben" :  „2Me  gäfjigfett  ber  gifcfje,  in  ben  oerfchiebenarttgften  ©e= 
trjatH'nt/  unter  ben  oerfchiebenartigften  Umftänben  unb  ^erhältniffen  ju 
reben,  ijt  ebenfo  aufjerorbentlich  wie  bie  Sdjmiegfamfeü  ber  SBögel  anberen 
©Muffen  gegenüber.  GS  giebt  äufeerft  wenige  ©etüfiffer,  in  benen  mau 
feine  tfifctie  finbet.  «Sie  fteigen  oon  ber  Weberung  au$,  ben  Strömen, 
giüffen  unb  Saasen  entgegen)^ roimmenb ,  bis  in  baS  ©ebirge  empor 
unb  oerfenfen  fiel)  im  Stteere  bis  in  Siefen,  ju  bereu  genauer  Grforfa)ung 
uns  noch  heute  bie  Wittel  mangeln,  einzelne  oon  ihnen  beoorjugen  bie 
oberen  2Bafferfdtjichten,  anbere  halten  fid)  im  ©egentheil  in  ben  nieberften 
auf  unb  [eben  hier  unter  bem  2)rucfe  einer  aöafferfdute,  beten  ©ewiebt 
wir  mor)[  beregnen,  uns  aber  faum  oorfteUcn  fönnen.  Den  neueßen  ftunbeit 
jufolge  bürfen  wir  glauben,  baß  bie  Sfleerestiefen  oiel  bidjter  beuölfert 
finb,  als  wir  malmen.  9fodt)  bie  höh*™«  SJreitengmbc  fefcen  ber  $ev* 
breitung  ber  Stfdjc  fein  Biel.    9lHerbing$  fmb  bie  $cecrc  bes  [jei&etl  unb 

«Irrb  unb  2ii$.  L..  U*.  ,  "> 


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  Die  ^tfdje  im  ^ausbalt  ber  Hatur  unb  in  ber  Küdje.    65 

trad)tigt,  wie  bieg  bei  ben  warmblütigen  Diaub  tfjicren  bei* 
galt  ift,  roenigftenS  ber  gall  fein  foll. 

tarn  ein  eigenes  Urtfyeil  abgeben  über  geräucherte  SBarenidnnfen, 
gebacfene  SBärenflauen  unb  gebratenen  gifdjotterrücfen.  Weines  Grad)tenS 
gehören  biefe  gefugten  Stüde  von  raubenben  SBierfüjjlern  nidjt  eigentlich 
unter  bie  Eelicateffen,  fonbern  unter  bie  Guriof  itäten  ber  mobernen 
äüdje.  gaft  alle  Golfer  —  cultioirte  wie  9totun>ölfer  —  oerfdmiäfjen 
baS  gleifd)  warmblütiger  9iaubtf)iere,  unb  wenn  eine  9(uSnaf)me  gemalt 
wirb,  fo  erftredt  fte  fidj  immer  nur  auf  einjelne  Xl)eUe  bes  betreffenben 
SSübeS.   Xiefe  Abneigung  fann  nur  auf  örfatjrung  berufen. 

$ei  einer  3agbpartie  auf  ber  £ber,  bie  furj  na$  eingetretenem  ©is* 
gange  ber  ©nten  wegen  unternommen  würbe,  fonnten  wir  leiber  fold&e 
nia)t  ju  6ö}ub  befommen,  weil  fie  immer  $u  frül;  aufgingen  ober  beim 
^orüberftreidjeu  für  uns  ju  Ijodj  waren.  @S  würbe  nun,  in  Ermangelung  . 
con  Reiferem,  ein  flräbenfdjie&en  oeranftaltet.    2ln  ben  nod)  mit  ©is  be= 
fefcten  $lu§ufern  fletterten,  9tof)rung  fud)enb,  oiele  6d)mar$fräl>en  unb 
9?ebelfräf)en  untrer,  welche  gut  gelten.   SRadfj  einiger  3eü  bemerfte  idj, 
ba§  mein  $tafjnfüt)rer,  ber  jebe  tobte  <Sd)mar$fräf)c  forgfältig  einfammelte, 
bie  gefdwffenen  9iebelfräf)en  liegen  liefe.  2luf  meine  grage,  warum  er  biefe 
ni<f>t  audj  mit  nad)  &aufe  nehmen  wolle,  erroieberte  er:  „Die  fdjmecfen 
Ttiä)t!"  £afc  bie  auSgelöfte  $ruft  einer  iungen  ©d&marjfräfje  einen  cor* 
treffUä)en  traten  liefert,  weife  id)  aus  @rfaf>rung.   £augt  bagegen,  — 
wa3  idj  gern  glauben  will,  —  bie  SRebelfräfje  ntd)t,  fo  wirb  man  bie  Ur* 
fadje  woljl  in  bem  Umftanbe  fudjen  müffen,  bafe  fie  rjauptfädjlidj  von  ant* 
malifdjer  9torjrung  lebt  (junge  Sßögel,  aud)  fleine  föafen  würgt  unb  frißt), 
wcü)renb  bie  3<$warsfräf)e  eine  SSegetarianerin  oon  ber  ftrengcn  Cbfer= 
t?an$  ift.*) 

33ei  ben  Sifdjen  geflaltet  fidr)  baS  33erf)ältnife  beinahe  umgefefjrt.  Unter 
aßen  Slrten  oon  Süfe*  unb  6eemafferfifcr)en  übertrifft  feine  bie  (Salmo* 
niben  an  ©ofylgefdmiacf.  Unb  was  für  fred)e  Räuber  finb  biefe!  ^d)  fjabe 
ein  33eifr»iel  oon  ber  ©efräfeigfeit  ber  bei  uns  oerbreitetften  Salmart  —  ber 
goreüe  —  bereits  angeführt. 

Ter  SSertj)  ber  Jytfdje  als  Nahrungsmittel  ift  frül;  erfannt 
roorben;  aber  bodj  nid)t  fo  frül),  wie  einige  ältere  Sd^riftfteDler  uns  gfaubcn 
mad&en  wollen,  bie  aus  etumologifd)en  ©rünbcn  annehmen,  gifdje  feien 
überhaupt  baS  erfte  Nahrungsmittel  ber  9)?enfa>n  gewefen.  Sie  SliaS 
fpridjt  alleTbingS  fd)on  uon  bem  gifd^er,  bel- 
auf Dorra^cnbc  fllipOe  gefetjt,  ben  gewaltigen  ajJccrfifrf) 
Aufwärt*  jietjt  au^  ben  3rlutl)en  an  ©dimtr  unb  eherner  Ütriflet."  (XVI,  406  f.) 

*)  3^  bntf  mit  f)icr  t)ieffetd)t  noä)  anjumerfen  erlauben,  bafj  betbc  Sträfienartctt 
qan3  airägeseidmete  Gncv  leßfn,  bie  nadi  meiner  Meinung  bem  Ätebiyei  nur  tpcitig  uadj- 
fielKU  unb  Diel  feiner  oon  ©eidjmae!  fiub  als  2Jlöoeneier.  äüenn  nur  utd)t  ba^  31  uö* 
nehmen  eine  fo  gefährliche  ®efd)id)tc  »ärc! 


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66 


Ittotfgaug  <£ras  in  Srcslau. 


316 er  bie  rjomerifchen  gelben  greifen  pr  $ifd)foft  nur  bann,  roenn  fic  fein 

3leifd)  Ijabcn.   £a3  jeigt  unsiueibeutig  jene  Stelle  in  ber  Dbnffec,  reo 

r»on  ben  &ungeroualen  bie  9tebe  ift,  welche  bie  S^fa^rer  auf  Stjrinafia 

ju  erbulben  haben,  unb  bie  fo  ftarf  finb,  bajj  fich  bie  ©efährten  beä  götb 

liehen  SulberS  ^liefet  an  ben  Ijeiligen  SRinbern  beä  $elio$  oergreifen. 

„%bcx  ber  Süb  burdrftürmte  bcit  ganjen  9Jtonat,  unb  niemals 

#ub  fid)  ein  anberer  2Binb,  alö  ber  Oft  unb  ber  I)errfd>enbe  -Sübuunb. 

$od)  fo  lang'  ci  an  (Spetf'unb  rott>cin  SSeine  nicht  fel)ttc, 

3d)oneten  3cne  bie  Otinber,  ifjr  füfeeS  2eben  gu  retten. 

Unb  ba  enbtid)  im  @d)iff  ber  ganje  Jöorratf)  Derart  mar, 

Streiften  fie  2Ule  an8  9totI),  Don  nagenbem  junger  flefolteri, 

3>urd)  bie  Snfel  untrer,  mit  frummer  SIngel  fid)  ftifdje 

Cber  SBögcl  ju  fangen,  —  loa»  ifcreu  £änben  nur  oorfam." 

(XII.  325  ff. 

meine,  bafj  bie  3ubercitung  ber  gifdje,  —  obgleich  fie  ja,  roie 
unfere  tfüftenüölfer  unb  bie  S8eroof)ner  ber  Sonaunieberungen  uns  rjeute 
nod)  lehren,  hö#  primüiu  fein  fann,  —  immerhin  geroiffe  ^orfehrungen 
unb  Apparate  erfordert,  bie  ben  bamaltgen  Gtulturmenfchen  nur  feiten  jur 
£anb  gewefen  fein  mögen.  3ebenfaß$  mar  e3  für  bie  3ctt9*n°fTen 
fürfttid^en  $od)fünftler$  Ütd>ide^  eine  meit  leichtere  Hufgabe,  einen  flaffifchen 
Spießbraten  anjufertigen,  als  einen  größeren  gifa?  äujubereiten.  &ie 
grage  ber  tecrjnijdjen  föerftellung  bürfte  ber  §auptgrunb  ber  $erna$s 
läffigung  ber  gifchfoft  im  (;omerifa;en  3eita^er  geroefen  fein,  dagegen 
afe  man  jur  2Jlüthe$eit  2ltl)eu$  mit  befonberer  Vorliebe  unb  ent= 

wicfelte  in  ir)rer  HuSroaljl  unb  3«bereitung  eine  unglaubliche  ^einfchmecferei, 
r>on  ber  nur  bie  menigften  jefct  lebenben  greunbe  einer  guten  Skrföjltgung 
eine  3llmung  haben  bürften. 

23aron  uon  SBacrft  hat  in  feiner  „©aftrofophie"  eine  recht  in= 
itruetioe  unb  unterhaltenbe  ^Befd;reibung  jener  £afeleten  gegeben,  meldte 
bem  t>ornef)men  2Itl)ener  gleich  hoch  geftanben  haben  muffen,  mie  ^ptjitofop^ie 
unb  Staatsfunft*).  £er  Jvifchfoft  ift  in  bem  umfangreichen  gefiberichte,  ber 
fid)  faft  fo  gut  wie  ein  Feuilleton  unfere^  trefflichen  Submig  ^piet f dt) 
lieft,  befonbere  Slufmerffamfeit  gemibmet,  unb  ich  tonn  m^  lu<h*  oerfagen, 
hier  einige  Stellen  barauS  mitjutljeilen. 

„®a3  9)ieer"  —  fagt  ber  &a)t  3wn>3  —  „rjergiftt  nicht,  feinen 
33el)errfd)ern  ben  fdmlbigen  Tribut  ju  jaulen.  Sifcfje  finb  bei  ben  ©riechen 
überhaupt,  unb  oorjugSweifc  bei  uns  Athenern,  noch  mehr  Sadje  ber 

*)  „$cä  2tnad)arii3  £efd)reibung  eines  atljenifdjen  (Saftmal)!*"  —  ©afrrcfoprjie, 
IT.  11)1.,  6.  186  u.  ff.  —  ift  burd)  fterrn  oon  Söaerft  nad)  J8artl)eIemttS  „Voyage  du 
yjuno  Anacharsis  en  Gricc.  Taris.  1788*'  mit  äJenu^ung  Oerfd)iebener  alter  Sdjrift^ 
ftcUcr  telbftitäubig  componirr.  2ttl)enäui  unb  Xiuciau  bürften  baö  ^auptmatertal  basu 
geliefert  tjaben,  locuigftenS  finbet  fid)  faft  alle§  ba§,  )oa8  Ijter  üon  ben  (Säften  jum 
greife  be§  ^arafitentl)itni3  gefagt  wirb,  311m  Xfyil  iuörtlid),  bei  ßueian. 


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  ZHc  ^iftte  im  ^anstjalt  ber  tfatur  unb  in  ber  Küdje.    67 

Scibenidjaft  als  ber  Gfjbegierbe;  ficbt  man  bod&  bie  SBorncfmiften  felbft  auf 
bem  gif($marft  fidj  um  bcn  3Serfäufcr  brängen.  2lud>  (äffen  mir  uns  nid)t 
nur  aus  3tol"n,  nein  uon  ben  fpanifd&cn  lüften  Secfiftfie  fommen.  ©in 
Xifytev,  ber  feinen  Nebenbuhler  oerfludjen  wollte,  fanb  feinen  ftärferen 
SluSbrucf  als:  9Köd>teft  Xu,  wenn  Xu  auf  ben  Wlaxtt  fommft,  um  2(ale 
$u  faufen,  feine  flnben ! 

„Xer  <£ompiluS  ift  uns  fogar  ein  ^eiliger  gtfdj;  er  ift  ber  trüber 
ber  2?enuS,  wie  biefc  aus  bem  SMute  ber  ©otter  unb  bem  Sdjaume  bes 
leeres  erjeugt.  derjenige  gifd)  aber,  bcn  man  in  3tyoboS  ben  gudjs, 
unb  in  3nrafuS  ben  §unb  nennt,  ift  fo  berühmt  in  ganj  ©riedjcnlanb, 
bafc  $Unig  S^efrop^*)  (naaj  SgnfatoS  oon  8amoS)  einen  geringeren  3iuf 
bat  als  er.  Xiefcn  gifdj  muß  man  ftd)  §u  allen  greifen  anzueignen  fud)en, 
ibn  effen,  aud)  wenn  man  ifm  niajt  bejahen  fann  (sie!),  unb  fyernad)  über 
f\ä)  ergeben  (äffen,  mag  irgenb  ein  unmenfdjlidjer  (Gläubiger  null  unb  fann. 
2i?aS  finb  ade  Greigniffe  beS  menfd&lidjen  £ebcuS  im  3>ergleid)  mit  bem  (Würfe, 
btefen  Jifd)  genoffen  $u  fjaben!  SBer  einmal  biefen  ©lanjpunft  erreidjt  fjat, 
ber  fjat  nid)ts  meljr  uom  <2ä)idfal  ju  fürdjtcn.  ffi?aS  bcn  gifdj  2(per  anbe* 
langt,  fo  fönnen  nur  bie  9ieidn"tcn  baran  benfen,  Um  ju  genießen;  cS  ift 
ein  ©erid)t  für  2Bud)erer,  ftinancierS  unb  ©nbariten.  Gr  ift  fooiet  roertl), 
als  er  ®olb  wiegt,  unb,  um  mid)  ber  ©orte  eines  Xid)terS  $u  bebienen, 
er  ift  ein  ©ericfjt  ber  Gföttcr,  er  ift  bie  lölmne  beS  ütteftar»! 

Xer  9Ial  ift  baSjenige  unter  ben  5iWen>  u>aS  föelena  unter  bcn 
Jrauen  ift.  3lber  man  mufj  if)u  in  SJIangolbblätter  eingetuicfelt  fodjen, 
um  fein  ^leif^  luftiger  unb  fdjmadljafter  ju  erhalten.  Xer  Gomöbien= 
bia^ter  3lntfjipf)aneS  gef)t  fo  roett,  ju  behaupten,  bafj  bie  unfterblidjen  ©ötter 
wohlfeiler  ju  faufen  feien  als  2tafe.  „Xenn,"  fügte  er  erflärenb  fjinju, 
„burd)  baS  Cpfer  einiger  Cbolen  erfaufe  ia)  mir  baS  2Sol)lgefaUen  Jupiters, 
aber  für  jefin  gute  Xradnnen  fann  id)  nodj  feinen  guten  2lal  fiubcn!" 

„Gin  großer  Jyifdjeffer  glaubte  fdjon  burd)  biefe  Gigeufdwft  ein  2bt; 
red)t  auf  baS  £>of)lmollen  aller  Bürger  2ltf)enS  $u  ^aben  unb  fe&te  uorau«, 
ba&  er  felbft  als  ©taatSoerbreajer  Önabe  finben  mürbe.  Xer  SHebner 
$nperibeS  ^atte  fidj,  roie  oiele  anberen  iRebner,  oom  geinbe  beftea^en 
laffen.  XimofleS  fagte  (naa)  ^aufaniaS)  in  feiner  SBertljctbigungSrebe  ,su 
bem  atf>enifa^en  5öolfe:  ^erjei^et  ilmi!  Gr  liebt  fo  fe^r  bie  gifd)e,  bajj  bie 
Syif^rei^er  nidjts  gegen  i^n  finb;  wenn  il;r  i^m  eine  grofee  ©elbbuße  auf= 
erlegt,  fo  ruinirt  i^r  oiele  gifa)l)dnbler. 

„Xer  gemeine  &aufe  läfet  fia)  oom  Namen  blenbcn  unb  finbet  3lffc^ 
gut  bei  einem  Xinge,  baS  nur  einmal  Nuf  f)at,  SBir  aber,  bie  mir  baS 
roa^re  $erbienft  bis  3U  feinem  Urfprunge  oerfolgen,  mir  effeu  oom  Säubling 
nur  baS  Storbertffeil',  ben  Äopf  uom  sJ)teerat,  bie  ^ruft  uom  £f>un,  ben 


*)  J)er  3?eßriinber  ber  ©urg  üon  SU^en. 


68 


IPoIfgong  <£ras  in  örcslan. 


dlüdew  vom  Noamen;  ben  !Heft  überladen  wir  foldjen  Scuten,  bie  uid)t  $u 
effen  uerfteben." 

Senn  man  foldje  cptraoagante  $erjenSergüffe  tieft,  fo  fann  man  Oer* 
fielen,  wie  ein  Gato  baju  fam,  von  Seuten  ju  reben,  „bie  all  ü)ren  Ber= 
flanb  im  ®aumen  baben!" 

2lua)  bei  ben  Römern  ftanben  bie  gifc&c  al§  ©enu&ntittel  in  f)o$em 
2lnief)en.  9flan  braucht  nur  ba$  Haffifaje  SBerf  be3  Äod&s  ?Iptciu$  „de 
re  coquiuaria  libri  decenr4  —  roeldjeS  neucrbingS  Don  Grn\  £1).  S#ud> 
(&eibelbcrg,  2Binter,  1874)  ebirt  roorben  ift  —  na<$jufd)lagen,  um  einen 
Begriff  baoon  ju  befommen,  roie  forgfaltig  unb  auf  rote  mannigfaltige 
Seife  bie  Börner  if)re  gifcrje  jusubereiten  roufctcn. 

einen  d>arafteriftifa>n  Beleg  für  bie  3Sertl)fd)äfcung  ber  gifdfe  Seiten* 

ber  römifdjen Säjlemmer  bilbet  bie  m'erte  Satire  be3  3ut>enal,  ber  äroifdjen 

47  unb  132  n.  tyv.  lebte.  $er  £>id;ter  djarafterifirt  in  berfelben  ein  befonberä 

oerädjtlidieä  ©remplar  beS  ftofgefdjmeifeea,  ben  fd)on  in  ber  erften  Satire 

genannten  ßri3pinu£,  weiter  als  ebenfo  fütenlos  unb  blutbürfrig,  rote 

l;abfüd)tig  unb  oerfdjroenberifcr)  geidjilbert  roirb.   tiefer  (SriSptnuS  fjabe 

eineö  XageS  um  ben  roalmftnnigen  ^reiä  oon  GOOO  Sefterjien  (ungefähr 

1000  SJcarf)  eine  aufeerorbentlid)  grojje  Seebarbe  getauft  —  au£  reiner 

Berf$roenbung3fud;t.    2lu3  bem  treiben  biefeä  Höflings  roirb  nun  auf 

feinen  faiferltdjen  £erm  gefdjloffen  unb  bei  biefem  eine  2lnefDote  äfmlüfjen 

§nfjalt£  jum  9)lafeftabe  ber  Beurteilung  gemalt.    Unter  Domitian* 

Regierung,  berietet  3uoenal,  rourbe  einft  bei  21ncona  (an  einer  Biegung 

ber  Jtfifte  be3  abriatifdjen  9Jieere3  im  ©ebiete  ber  ^Jicenter  gelegen)  eine 

Butte  üon  ungewöhnlicher  ©röfee  gefangen,  roeld&e  ber  betreff enbe  gtfdjer 

für  ben  5taifer  beftimmte  unb  foglei$  ttpn  felbft  überbrachte.   Xer  gtfd(> 

mar  ntdjt  fletner  aU  einer  au£  ber  3)toeoti$,  bem  jefeigen  afoiofdjen  SJieer, 

roie  folä)e  bort  im  Sinter  unter  bem  ßife  gebeten  unb,  wenn  biefed  im 

grüf)iaf)r  aufgebt,  in  ben  ^Jontu3,  b.  i.  ba3  fdjroar^e  9Jceer,  getrieben 

werben.   211-5  fid)  ber  gifd)er  mit  feinem  gange  auf  bem  2ßeg  maä)t,  tffc 

bie  falte  3at)re*3jeit  bereite  eingetreten  unb  für  bie  ^altbarfeit  ber  Barbe 

bafyer  nichts  ju  fürchten.    $er  Äaifer  befinbet  ficb  in  3llbanum,  in  ber 

Öegenb  beS  jefoigen  Älafteff  ©aubolfo,  feinem  Sieblingäaufentljalt: 

 „9ümm  f)in  ^icr,"  forad)  ber  $tcenter, 

„*3a&  für  ben  §erb  öon  un&  Zubern  ju  grofe  ift;  feftltd)  begangen 
ihkrbc  ber  lag;  madf  etlenbs  ben  klagen  gum  fÖftIid)en  gang  »weit 
Unb  bann  fpetfe  ben  ftifdj,  ber  eigens  für  $>id)  ja  üerfpart  toarb; 
Selber  jum  gang  ja  bot  er  fid)  an."  

3lber  leiber  ftellt  fid)  Ijerau^,  bafj  für  biefen  gifa^  jebe  int  faiferlidjeu 
^Sauöljalt  uorljanbene  Sdjüffel  ju  fletn  ift.  %\\  golge  beffen  roirb  eine 
(Berjeimeratlj^fitjung  berufen.  (Silenbä  mufe  ber  Sflaoe  bie  &errn 
Senatoren,  fofern  fie  nidjt  bereits  im  Borsimmer  roarten,  berbei^olen. 
Sie  werben  uom  ^ia)ter  namentlich  angeführt  unb  fa^arf  a^arafterifirt. 


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 Ute  ^i|'*e  im  ßjusfjalt  ber  ITatur  unb  in  ber  Küd?c. 


69 


6rifpinu3  fommt  babei  fdjlcdit  weg:  fdjon  frül)  am  borgen  pomabiftvt  er 
fta),  um  feinen  angeborenen  ©djroetfegerud)  bamit  jujubeefen.  $ejeuto 
beutet  ba3  (*reigni§  be3  gtfdjfangeä  als  ein  3e^en  ^on  glänjenbem 
6ieg.  (£nblia)  wirb  ber  2$orfd)lag  be3  3KontanuS  angenommen,  eine 
befonbere  tiefe  6cf)ü}fel  für  ben  gewaltigen  gifcf)  anfertigen  ju  laffen. 
Unb  nun  fommt  bie  SRoraC: 

„Dann  ergebt  ftd)  ber  Surft,  entläßt  ben  9tatl),  nnb  bie  ©Dien 
Können  nad)  £au&.   Sic  foattc  ber  mächtige  $errfd)er  berufen 
3n  bie  albantfc^e  2Jurg,  unb  (Site  befohlen  unb  Sdjrecfen 
3&nen  erregt,  als  f>ätt'  er  oon  (Statten  unb  wilbeu  Sngambrern 
©twaS  31t  jagen,  als  war'  oon  üerfdjiebeneu  X^eileu  ber  Srbc 
Oben  ein  ängftlid)er  ©rief  mit  eitenber  Sdjwingc  gefommeu. 
Unb  bod)  beffer,  er  rjatt*  auf  ät)nlid)c  hoffen  bie  ganzen 
Seiten  be3  SBütljena  öeramnbt,  ftatt  ftraflo*,  otme  SBergelter, 
3&rer  erlaudjteften  Sölme  bie  Stabt  unb  ba8  dttid)  311  berauben!" 

SJefonbcrä  fwd)  ftanben  bem  Börner  bie  8d)nurrpfeifereten  be3  Modj; 
unb  SaucenfünftlerS  beim  (?ifc$fo$en.  ^on  SucuU  wirb  erjagt,  er  fjabe 
einen  Karpfen  oon  feiner  Xafel  mit  bem  $3emerfen  jurüdgeroiefen:  „^ßfui 
Teufel!  biefer  Karpfen  fd^medt  ja  nadj  Karpfen."  9lnbererfeit3  will  man 
uns  arme  ©pigoneri  glauben  madjjen,  ba§,  wie  fdjon  bie  atfjenifdjen  ^ein* 
fdjmecfer  es  oerftanben  Ratten,  am  ©efdmtatf  bei  §:ifd)eä  mit  Seftimmtfjeit 
ju  erfennen,  an  melier  ber  3af)lreidjen  gried)ifd)en  $nfeln,  an  weldjer 
Külte,  an  meinem  gluffe  er  gefangen  mürbe,  ebenfo  audj  bie  römifdjen 
®ourmet£  gleich  geroufjt  hätten,  ob  ein  gifdj  3mifd)en  ben  £iberbrücfen  ober 
weiter  unterhalb  gefangen  werben  fei*)  (Brillat-Savarin  niGditation  IT,  14). 
3dj  halte  btes  für  ein  Stficfdjen  gafteofophifcher  Menommtfteret ,  bem  ich 
nur  bie  in  ber  „Physiologie  du  goüt"  gleich  barauf  folgenbe  2lngabe 
SrillatsSaoarinS  an  bie  ©eite  ftetlen  fann,  bafe  bie  franjöfifdjen  gein= 
fehmeefer  ju  feiner  3*tt  am  ©efehmaef  ber  Stänber  beä  gelbrjufmä  ju 
erfennen  permodjt  hätten,  auf  meldten  Stänber  ba3  Qufyn  bei  £ebjeiten 
ju  ruhen  pflegte.  $5a3  Unfinnige  einer  folgen  Behauptung  geht  fd)on 
barauS  §eroor,  bafc  alle  SBögel,  meldte  im  Sifc  einen  ©tauber  emjUjiehen 
pflegen,  balb  ben  redeten  unb  balb  ben  linfen  ausruhen  laffen ;  fte  roechf ein 
ben  (Stänber  fogar  im  6cr)laf,  ohne  aufzuwachen,  —  wie  idj  aU  Knabe 
in  meinem  elterlichen  &üfmerjtoll  (um  midj  im  Stile  eines  befannten 
Parlamentariers  auSjubriirfen)  oft  beobachtet  Ijabe. 

*)  äöenn  3uüenal  in  ber  fdjon  enuäljnteu  Satire  Don  bem  Senator  2Houtanuä  fagt : 

 3)cr  erfaijrenftc  6ffer  311  meiner 

3eit  war  er.   (Sr  erriet^  oon  3tuftent  beim  erften  ^iiteinbife, 
Ob  fte  Äirfeii  geboren,  ber  ©runb  oon  Wutuptä,  ober 
Cb  ber  lucriniiaje  gelS  fte  babe  ju  Xagc  geförbert  — 
fo  Witt  bie*  ntd)t  üiel  ^ageu.   (Sine  englifa^e  ?lufter  oon  einer  italieuif(l)eu  311  uuter- 
fd)eiben  Oermag  id^  aud).  5jdj  bxaud)t  utd)t  einmal  I)ineui3u0eiften.   iHutupiä  war 
eine  ^afenftabt  in  Süboftcn  ber  heutigen  ©raffdjaft  .^ent,  Äirfeii  ift  ber  fieutige  Monte 
Circello,  ber  Sucrinerfce  liegt  bei  »ajä 


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70 


  21? o  1  f ^ a ii a  €ras  in  Srcslau. 


£ie  ©egenmart  hat  fid^  bie  Aufgabe  gefteüt,  bie  Jifdje  nicht  Mob 
als  ©enufjmittel,  fonbern  als  Nahrungsmittel,  nicht  b(o§  auf  ihren 
Sßoblgefchmacf,  fonbcvn  auf  ihren  Nährwert!)  $u  prüfen  unb  hiemach 
nU  würbigen.  $iefe  Untersuchungen  lieferten,  ba  bie  organifcfje  chemifdje 
9lnafpfe  erft  neuerbings  511  wirfltd)  juoerläffigcn  Sttctfjoben  gelangt  ift, 
anfangt  Nefultate  oon  jweifelhaftem  Üüerthe.  3lber  immerhin  bieten  bie 
bisherigen  gorfdjungen  genügcnben  3X«l)ttft  für  bie  Behauptung,  baft  bie 
gifdje  jtüar  an  Nährwert!)  bem  gleifch  im  Allgemeinen  nicht 
gleich  fommen,  aber  erheblich  mehr  Nährwerte;  befifcen  als  bie 
©emtife.  Ginjelne  billig  ju  befdjaffenbe  Seefifcbe  ftehen  in  genüffer  ftinficht 
(nämlich  an  (Siroeiftgefyalt)  fogar  bein  Jyreifdr>c  gleich,  wenn  nicht  über  bem* 
felben.  311  biefer  &inficf)t  ift  namentlich  ber  gering  unb  ber  Stodfifd) 
$u  nennen. 

oüjjwafferfifche  finb  oorläufig  —  bei  uns  in  Seutfdtfanb  weuigftens 
—  5u  feiten  unb  $u  treuer,  um  ein  SSolfSnabruugSmittel  $u  werben.  SJei 
rationeOer  ^croirtl)id)aftung  unferer  SMnnengewäffer  (Bäche,  glüffe,  Seen 
unb  Xe\d)c)  fönnte  bieS  anberS  fein.  Unb  es  follte  anberS  fein,  benn 
©raf  fünfter  (unfer  franjöfiicher  Botfehafter)  fagt  mit  Ned)t  in  ber  3>or= 
rebe  ju  bem  uon  ihm  in  beutfdjer  Ueberfefeung  herausgegebenen  flod)budh 
feiner  oerftorbenen  ©emablin  (einer  (Snglänberin)  : 

„35 ic  tfifdjerci  ift  nüfelidjcralS  bicjaflb  unbljatben  großen  S3or= 
ttjeil,  baß  3fifä)c  niemals  fdjaben,  im  ®cgentl)cil,  beu  (Bemäffcrn,  in 
benen  fic  leben,  91  mjen  bringen.  iPct  übermäßiger  (Sdjonung  ber  3agb  tann 
ÜötlbfrfHibcii  Slnlafe  y\  begrünbeten  klagen  geben;  bei  ber  tytfdjcrei  fann  baS  niemals 
ber  fall  fein  .  .  . 

Klüfte,  Xetdic  ober  Seeen  ntd)t  mit  tfifd)en  gut  befefct  ju  galten,  ift  eine 
ebenfo  große  2?erfd)toenbung,  als  loollte  man  guten  9lder  nncultiütrt  liegen  [äffen." 

So  gifdjäitdjt,  gifchfang  unb  gifchbanbel  in  rationeller  Seife  betrieben, 
100  für  Einbürgerung  ber  gifdjnahrung  in  geeigneter  Seife  geforgt  wirb, 
ba  erroäd)ft  einer  großen  3af)l  birect  unb  inbireet  beteiligter  ©eroerbs 
treibenbev  toi)nenber  Serbien ft,  ba  wirb  ber  BolfSnahrung  unb  mithin 
ber  £etftungsfäf)igfeit  beS  Golfes  mistiger  Borfdjub  geleiftet.  Sei 
im*  in  £eutfd)laub  ift  bie*  leiber  nur  in  fehr  befcheibenem  Wabe  ber  gatt. 

„(Gebratene  SJögcl  unb  ^i)i)c 
3inb  gute  Speife  bei  Xtfdje" 

fo  lieft  mau  häufig  auf  irbeneu  unb  metallenen  Slurichtefdniffeln,  ©rjeug* 
niffen  beS  ^eutfdjen  flunftgewerbes  aus  vergangenen  ^^Wunberten.  fieiber 
ift's  aber  nicht  immer  wahr,  was  ber  Spruct)  fagt.  3$  l)abe  fdjon  fehr 
häufig  „gebratene  Bogel  unb  Jifdie"  uorgefefct  befommen..  bie  fidj  bei 
näherer  Unterfud)ung  burdjaus  nid)t  als  „gute  Spcife"  erwiefen.  Unb 
wenn  id)  jurüdblicfe  auf  meine  langjährigen  Erfahrungen,  fo  miß  eS  mir 
f feinen,  als  ob  bie  Jifdje  weit  häufiger  nichts  getaugt  hätten,  als  bie 
Bogel.    Es  ift  5.      Diel  leichter  „eine  jute  jebratene  5U  erlangen, 


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  Die  ^tfdje  im  Jjausfult  ber  ITatur  unb  in  ber  Küdjc.    7{ 

—  roeldje  nidjt  nur  nadj  her  Meinung  be£  Berliners,  fonbern  fo  jicmüd) 
nadj  3ebermann3  2tnftd)t,  jumal  um  Wartim,  „eine  jute  3abe  Rottes"  fein 
fott  — ,  ate  einen  fdjmadfjaften  Salinen.  3dj  t)abe  bie  meiften  Staaten 
SuropaS  bereift,  unb  mit  :öefd)ämung  mufe  idj  befennen,  bajj  nirgenbs  bie 
oerabreid&te  gifd^foft  burd)fdf)nitttidj  auf  einer  fo  niebrigen  Stufe  ftef)t  unb 
fo  oernadjfäffigt  ift.  roie  in  $>eutfd)fanb. 

Soran  famt  bie$  Hegen?  Söenn  man  bebenft,  bafc  eiue  rationelle 
^errcertfmng  be*  gifdjreidjtbumä  unferer  9)?eere  unb  SMnnengeroäffer  für 
ben  25o$lftanb  unb  bie  (Ernährung  beS  beutfdjen  SBolfed  tum  f)öd)fter  33c-- 
beutung  fein  würbe,  fo  lolmt  ed  ftdj  föon,  ben  Urfadjen  biefer  betrüben* 
ben  (ftfdjeinung  naäjjufpüren. 

£a§  bie  gifd)f  oft  in  einem  Sanbe,  roetdjeä  nid)t  nur  pr ästige  Ströme 
unb  Sanbfeen  aufeuroeifen  bat,  fonbern  aud)  mit  au£gebefmten  $üften= 
fireefen  fifdjreid)en  beeren  näd)ftbenad)bart  ift,  qualitatio  unb  quantitatiu 
prürfftebt,  ba£  fann,  abgefef)en  uon  einer  oerf  elften  ®efdjmad£rid)tung 
ber  Seroofmer  (bie  in  unferem  Zeitalter  nid£)t  oon  langer  2>auer  fein  mürbe) 
nur  Dreierlei  Urfadjen  fjaben:  1.)  relatiue  Seltenbett  beä  SftatertaU 

—  wenig  5Iu3roabl  bei  tyojjcn  greifen;  2.)  ©eringroertf)tgfett  bc^ 
3J?atcri(f£ 5  —  bie  gifdjej  taugen  nidjtö;  ober  enbltd)  3.)  9ttanget  = 
baftigfeit  ber  3u&ercilun9  —  ßödje  unb  flödjmnen  tljun  nidjt 
i^rc  Sdmlbigfett. 

$dj  roiu*  mit  meiner  21nfid)t  nidjt  $urüdf)a(ten  unb  behaupte,  bafj  in 
£eutfd>lanb  mef)r  ober  minber  alle  brei  Urfadjen  jufammenroirfen. 

Sttan  Ijalte  mid)  nidjt  für  einen  Krittler,  bem  ntdt)t^  red)t  ju  machen 
ift,  ober  für  einen  Unbanfbaren!  3$  befenne  offen,  bafj  id)  audj  in 
Eeutfdtfanb  mandjen  ^errlidjen  gifd)  gegeffen  Ijabe.  3lber  leiber  roaren 
bie  gifdjgeridjte,  roetdje  eine  fd)led)te  Genfur  cerbienten,  oiel  3af)treidjer 
al$  jene,  benen  man  mit  gutem  ©eroiffen  eine  III— II  ober  gar  eine 
I  geben  fonnte! 

treten  mir  alfo  siue  ira  et  studio  ber  grage  näfjer,  warum  in 
$eutf<$lanb  nid&t  beffere  gifdtfoft  oerabreidjt  wirb? 

9todj  metner  Meinung  liegt  uor:  erftenä  wenig  2lu3waf)l  bei 
relatio  fjofjen  greifen.  3n  @roj?britannien  beförbert  man  auf  ben 
föfenbatmen  befonbere  gifa^roagen,  bie  gleidj  ben  9Jiila>  unb  Sktterroagen 
in  bie  Schnetts  unb  Gourierjüge  eingefteUt  werben,  $a,  fogar  feparate 
giid)train£  für  frifd)  gefangene  Seefifdje  giebt  es  in  (Snglanb.  2Bo  tonnen 
nur  $eutfdjen  eine  äfmlidie,  bie  ÜKarftfüCfe  ungemein  mefjrenbe  unb  gfeia> 
jeitig  unoerborbene  gute  2llaare  bem  ßonfumenten  garantirenbe  (Sinria^tung 
aufweifen?  £ie  einjige  erfreuliä^e  2Iulnabme  mad)t  uieHeia^t  Berlin  mit 
feinen  9)2arftballen,  in  benen  grofee  Senbungen  fdjöner  Seefifa)e  anfommeu 
unb  rafdj  in  ben  39efi|  be«  JUeinfyänblerS  übergeljen.  SBir  armen  ^xo- 
oinjiaten  aber  bleiben  in  ber  &aupt)adje  barauf  angetoiefen,  uxi$  in  ber 
3Bmter3$eit  bei  an^altenber  Äälte  per  $oft  „ein  roenig  gifebe"  oon  ben 


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72    lUolfjjang  (Eras  in  Breslau.  — 

©eftaben  ber  9torb=  ober  Cftfee  fommen  ju  laffen.  m$  ia>  1871  nad) 
*8re«lau  fam,  wußte  man  in  ber  äweitgrößten  Stabt  be«  preußifdjen 
Staate«  faum,  wie  ein  frifdjer  gering  au«fief)t,  gefdjwetge  benn,  wie  er  ge= 
baden,  gebraten  ober  gefotteu  fdjmedt.  2Ran  fannte  ben  gering  mir  in 
jenen  3"&erettung«formen,  welaje  f)ier  §u  Sanbe  in  ben  fogenannten 
„^ommerfdjen  i'äben"  ju  finben  finb  nnb  biefen  in  ben  Stugen  jebe« 
£rinfer«  oon  ^Jroj effion  befonbere  2ln5iefmng«fraft  oerleüjen :  al«  gefallenen 
gering,  9täud)erfif($  unb  „föollmop«"  (faurer  gering). 

§eute  werben  oon  $re«lauer  SetaiEUften  jur  2ötnter«$eit  fdjon  große 
^Partieen  frifdj  gefangener  geringe  bcjogen  unb  billig  abgegeben,  greilia) 
oielfaa)  in  einem  3ufuwbe,  ber  bem  geinfdjmeder  ein  gelinbe«  ©rauen 
oor  ben  barau«  bereiteten  gifdjgeridjten  bereit«  auf  mehrere  Schritt  &nU 
f  emung  beibringen  muß !  911 «  id)  einmal  oor  mehreren  ^fl^en  einen  ßorb 
geringe  jur  2Beifmad)t«$eit  au«  Stettin  belogen  unb  biefen  in  einem  mad)= 
tigen  Gi«berge  auf  meinem  SBalcon  fyatte  einfrieren  laffen,  oerfügte  id) 
mehrere  2Bod>en  lang  über  einen  fein*  woljlfdmtedenbengifd),  unb  meine  greunbe 
erftaunten  über  bie  SJfannigfaltigfett  ber  au«  gering  ^erjufteHenben  ©peifen. 
3lm  heften  ift  ber  gering,  wenn  er  gleidj  nad)  bem  gange  luibfdj  fruftig 
gebaden  wirb.  3lud;  fann  mau  if>n  auf  einem  9iofte  braten,  muß  ifm  aber 
wäf)renb  be«  Skaten«  bann  tüd>tig  mit  SButter  ober  gett  befdjöpfen.  <*r 
fömedt  naa)f)er  aud)  falt  fer)r  gut  mit  etwa«  ©ffig  ober  Gitronenfaft.  £)er 
gefaljene  gering  ift  meine«  ©ragten«  eigentlich  nur  bann  wotjlfdmtedenb, 
wenn  er  eben  gar  geworben  ift.  ?lber  nid)t«beftoweniger  bleibt  aud)  ein 
alter,  fein*  fdjarf  gefallener  unb  jiemlid)  Ijart  bejw.  troden  geworbener 
gering  ein  gute«  unb  oor  allen  Singen  ein  billige«  9iaf>rung«mittel.  £ie 
Gnglänber  müffen  ficf)  ofjne  ben  Salmering  bereifen,  benn  fic  oerwetfen 
benfelben  al«  „rol)"  unb  be«f)alb  ungenießbar  mit  großer  Gntrüftung  uon 
i^rem  Stfdje.  6«  gehört  ju  ben  oerfdjiebenen  Lebensarten,  mit  benen  ber 
Gnglänber  fid)  über  ben  Seutfdjen  luftig  mad)t,  aud)  bie  $5ef)auptung,  baß 
wir  „rolje  gifaje"  äßen,  unb  bamit  ift  unfer  Saljljering  gemeint.  2lußer 
bem,  10a«  an  unferen  Äüften  gefangen  wirb,  bilbet  eine  jäf)rli<$e  (Sinfuljr 
oon  etwa  1100  000  Xonnen  ba«  Littel  5m:  öefriebigung  unfere«  Ste 
barf«  in  Xcutfd'lanb.  "üJian  fann  übrigen«  —  naa)  ©retnn«  (Sd&äfcung 
—  annehmen,  baß  an  ben  europäifdjen  ftüften  jäljrlid)  mel)r  al«  jefmtaufenb 
Millionen  geringe  gefangen  werben,  unb  mit  beren  5ßerwertl)ung,  be3w. 
(Sonferoirung  wäre  e«  fcl;r  fd)led)t  befteflt,  wenn  mir  ba«  SSorurtfjeü  ber 
Gnglänber  feilten.  Ser  &ollänber  ift  im  birecten  ©egenfafc  $u  feinem 
englifdien  Sßetter  ein  großer  ^ereljrer  be«  gefallenen  gifdje«,  unb  ben  frifd) 
eingeladenen  „9)iatje«"  ober  Sungfernfjering  entgrätet  er  funftooll  olme 
2lnwenbung  oon  9J?effer  unb  ©abel.  Sie  <£eefifd;e  finb  gleia)  iljren  (£üß= 
waff er co liegen  fel)r  letd;t  bem  SBerberbcn  au«gefe^t;  fie  geraten  oiel  fd)neller 
in  gäuluiß  al«  ba«  au«gefa)lad)tete  gleifd)  warmblütiger  Xl)iere,  2iHlb= 
pret,  au«genommenex>  ©eflügel  unb  bergl.    „griffe  gifd^e  —  gute 


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  Die  Jfifdjc  im  Jjanstjah  bei  ZTatnr  unb  in  bet  Kfidje.    73 

gif  che"  ift  ein  gar  wahre*  s^ort;  man  ifct  aber  in  beutfdjen  £anben  mit 
wahrhaft  rührenber  ^affion  Seefifa)e,  bie  nichts  weniger  als  frifd)  finb. 
(Sljren*  ober  Schanbenhalber  barf  bei  gewiffen  feftlia)en  Gelegenheiten  ein 
ein  Nein  wenig  aus  bem  9)iunbe  riechenber  Seejanb,  Schellfifch  ober  35utt 
auch  auf  bem  Difa)  unserer  Kleinbürger  nicht  mehr  fehlen.  Die  nötige 
£anbratte  hat  fich  an  biefe  eigentf)ümlia)feit  ber  Seefüdje  fa>n  gewöhnt 
unb  finbet  nichts  mehr  babei.  Sehr  djarafteriftifch  ift  bie  2lnecbote,  meiere 
Saron  o.  Vaerft  in  feiner  (vJaftrofoptjte  oon  bem  befannten  Dr.  Sa) alt 
(geb.  1780,  ge»t.  1833,  Suftfpielbidjter  unb  SBegrünber  ber  23reSlauer 
3eitung)  erjagt. 

SdjaU  war  ein  grofjer  33eref>Ter  ber  2luftern  unb  oerjehrte  fie  in 
SWengen;  aber  sum  $erbrufj  beS  guten  SBaerft  gab  es  in  Breslau  bamalS 
nur  fef)r  geringe,  burdj  bie  lange  SReife  fyalboerborbene  Sluflern.  Der 
®aftrofopb  befdtiloft  bafyer,  als  bie  erften  SdjneHpoften  eingerichtet  mürben, 
feinem  greunbe,  bem  Literaten,  einen  befonberen  ©enufe  51t  bereiten.  ®r 
lieg  auf  bem  fa^neflften  SBege  ein  göfjchen  frifdje  fd)öne  3luftent  oon 
Hamburg  fommen  unb  lub  i^n  jum  grühftfirf.  Schall  oerfa)tang  ein  Sßaar 
Dufcenb,  bann  legte  er  baS  2)ieffer  weg  unb  fagte  ju  o.  SBaerft:  „3$ 
begreife  gar  nicht,  wie  Du  mir  foldj  fdjaleS  3eug  oorfefeen  fannft!" 

Sutt)  mir  ^at  einmal  ein  SreSlauer  ©ourmet  gefagt:  fyabe  es 
gern,  wenn  ber  Seefifa)  etwas  nad>  ber  See  fchmedt,"  worunter  id)  mir 
nichts  für  ben  Sprecher  Schmeichelhaftes  benfen  tonnte. 

$6)  foüte  meinen,  bafc  bei  jwecfmäijtger  Organifation  beS  Seefifchhans 
bels  —  ein  förberfameS  (httgegenfommen  ber  StaatSbahnoermaltung  oorauS= 
gefefct  —  jebe  ßurier$ughalteftation  im  nörbliajcn  unb  in  2)iittel=Deutfchlanb 
mit  frifchen  Seefifchen  wetyrenb  beS  gansen  3al)re*  ju  oerforgen  fein  müßte! 

9iia)t  minber  übel  ift  es  um  bie  23efriebigung  unfereS  SebarfS  an 
S  üfjwa  ff  er  fifajen  befteHt.  Der  gifa^reid)tf)um  ber  beutfdjen  Ströme 
hat  im  neunzehnten  Safn^wibert  ungemein  abgenonunen.  2Jiand)e  &albs 
nrifter  meinen  refignirt,  hiergegen  anjufämpfen  fei  überhaupt  ausftdjtslos ; 
bie  gortentwidelung  ber  gabrinl)ätigfeit  unb  bei  glu&fchifffahrtoerfehrS, 
(infonberheit  ber  Dampffdjifffahrt)  führe  mit  9tothmenbigfett  baS  allmälige 
StuSfterben  ber  gifa^beoölferung  unferer  Ströme  herbei. 

2öir  unterfchäfeen  ben  Stborua)  nidht,  ber  bem  gifd;beftanbe  bura)  ben 
inbuftrieHen  gortfehritt  erwädjft  unb  erwachfen  muß;  aber  mir  finb  über= 
jeugt,  baß  ber  glufefiicherei  burch  irrationelle  25ewirthfd)aftung  weit 
größerer  Stäben  jugefügt  roorben  ift,  als  bura)  jene  ftörenben  äußeren 
tSinflüffe.  <5S  lägt  fich  nach  weifen,  bafc  biefelben  bura)  geeignete  3)tafc 
regeln  fehr  wefentlich  abgeschwächt  werben  fönnen. 

Sßenn  man  feine  $orfel)rungen  trifft,  um  bie  Vergiftung  ber  äöaffer« 
laufe  burch  bie  grofeen  Stabte,  burä)  gabrifen  unb  iüergwerfe  möglichft 
ju  oerhinbern,  fo  wirb  baburch  nicht  nur  bas  l'eben  ber  glufefifche  fonbern 
auch  baS  beS  SSieheS  unb  bie  Öefunbheit  ber  3J?enfa)cn  gefährbet.  Die 


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  IPoIfgang  <£ras  in  3reslan. 


Untersuchungen  ber  com  cngttfc^en  Parlament  eingelegten  River  Pollution 
Commission  (1868—1874)  fyaben  bie$  in  unanfechtbarer  2i>eife  bargethan. 
Xurcr)  flohlenwafchen  5.  V.  fann  ein  gfufj  in  beut  3)fafee  mit  flohlenftaub 
uerunreinigt  werben,  bafj  biefer  bei  bem  2lustreten  beS  ^luiteS  bie  be- 
nad;6arten  2Beiber»lä§e  unb  SBicfen  oergiftet.  3ln  ben  Ufern  be3  gluffed 
9iotbcr  unterhalb  Grjefterftelb  entftanb  in  Jolge  beffen  ein  grofjeS  Viel)s 
fterben.  9J?an  fanb  im  SRagen  einer  gefallenen  £ul)  nicht  weniger  al»3 
$wei  Duart  &of)lenftaub.  Viele  von  ber  Gommiffion  vernommene  $lb~ 
jacenten  englifdjer  ^ylüffe  fagten  aus,  bafe  fie  wegen  ber  junehmenben  Ver*- 
giftung  be£  2öafferlaufS  feine  Gnten  unb  ©anfe  mehr  galten  tonnten,  ba 
biefe  nach  furjer  Seit  eingingen.  Xie  genannte  varlamcntarifche  Unter* 
fucr)ung§'6ommiffion  gab  it)r  ©utaäjten  über  bie  beiben  ^lüffe,  welche 
Bonbon  mit  29affer  oetforgen,  über  bie  Xtyemie  unb  ben  £ee,  auf  ©runb 
forgfältigfter  Prüfung  bal)in  ab,  baß  beibe  ^lüffe  jur  Vefriebigung  beä 
häuslichen  VebarfS  an  SBaffer  nicht  mehr  bienen  fönnten! 

3ur  Verhinberung  ber  Verunreinigung  ber  Sßafferläufe  burdj  geroerb = 
tic^e  2Jnlagen  fann  in  ber  £l)at  uiel  gefc^et)ett.  Gin  Söeifpiet  bieten  hier 
in  6d)lefien  bie  3ucferfabrifen.  $>äf)renb  einige  uon  ihnen,  welche  burdj 
bie  lUnfiichtebehürbe  jur  2lu$führung  ber  ©icherungSanfagen  mit  Strenge 
angehalten  mürben,  baS  2'ßaffer  ber  ©räben  unb  Väcfje  in  ber  Umgegenb 
uoüfommen  flar  unb  blanf  laffen,  erfüllen  anbere  meilenweit  jeben  SBajfcr« 
lauf  mit  weißer  Schlief  erbilbung. 

£ie  River  Pollution  Commission  hat  fich  ein  wefentlicheS  Verbienft 
baburch  erworben,  ba§  fie  juoerläffigc  Erhebungen  über  ben  ©rab  ber  fo* 
genannten  Selbftreinigung  ber  SBJafferläufe  aufteilte.  2ln  jwei  $lüffen,  am 
^rwall  unb  am  Carmen,  würbe  uachgewiefen,  ba§  bie  3uiammeniefcmig 
be£  2Baffer£  eines  uerunreinigten  Stromes  fich  währenb  eines  Saufet  uon 
11—13  (englifchen)  teilen,  auch  wenn  feine  neuen  Verunreinigungen 
hinsufommen,  faft  gar  nicht  änbert. 

2ßic  bie  (Snglänber  im  $a\)xe  1877  $u  einem  wirffamen  ©efefc  wiber 
bie  Verunreinigung  ber  2i>aff erlaufe  gefommen  fino,  fo  hoben  auch  mir 
in  Greußen  in  unferem  gifchercigefefo  uom  30.  9)Iai  1874  eine  ^anbhabe 
gewonnen,  um  einer  weitereu  Vergiftung  unterer  Ströme  3U  fteuern.  &ier 
wie  bort  §at  ber  ©efefcgeber  Vebadjt  barauf  genommen,  baß  buret)  ben 
8chuv^  ber  2$afferläufe  gegen  Verunreinigung  bie  oaterlänbifche  .^ubuftrie 
nicht  ungebührlich  belüftigt  werbe.  21(3  ich  wich  meinem  oerehrteu  greunbe, 
bem  Dr.  2£ebSf«:2t<üftewalterSborf  (^itglieb  beS  SieiäjStagS  unb  bes 
StaatSratl)*)  gegenüber  einmal  abfällig  über  bie  oielfact)e  Verunreinigung 
ber  ©ewäffer  im  &}albenburgcr  ^Heoiere  geäußert  unb  auf  bie  2ttÖglichfeit 
eines  energifcheren  Eingreifens  ber  2luffid)tSbchörbe  hingewiefen  hatte,  er* 
wiberte  mir  berfelbe:  „SitaS  ift  ^nen  lieber,  bie  «Surücfoerfefeung  ber 
bieftgen  Vädje  unb  ^lufeläufe  in  einen  ber  ftoreüenfifcherei  unb  £a<hs$ud)t 
bienlichen  3uftanb,  woburch  r)ödr)ften5  einige  Saufenb  3Karf  im  3ahre  ge* 


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  Die  3ifd?e  im  ffausfyill  ber  tfatnr  unb  in  bcr  Küdje.    75 

wonneu,  ober  £aufenbe  oon  Arbeitern  ihrer  heutigen  Erwerbsquelle  beraubt 
werben  mürben,  ober  bie  2lufrechterhaltung  beS  yi)nen  fo  mißfälligen 
Status  quo?" 

3er)  mußte  jugeben,  baß  bie  gragftellung  im  fpecielleii  Salle  berechtigt 
fei,  fonnte  aber  anbererfeits  auf  ©runb  meiner  Erfahrungen  unb  Stubien 
conftatiren,  baß  im  3lilgemeinen  ber  9?ationalöconom  bei  ber  8id)erung 
ber  glußläufe  gegen  Verunreinigung  einem  folgen  „Entrocber-Cber"  nid)t 
gegenüber  fiebt-  ES  fann  —  unb  wirb  hoffentlich  —  in  biefer  53ejiel)ung 
in  ^eutfdjlanb  nod>  red&t  oiel  gefchehen,  ofme  baß  baburd)  bie  inbuftrielle 
2^ätigfeit  ber  23eüölferung  im  ©eringfteu  laf)m  gelegt  mürbe. 

SaS  preußifdje  gifchereigefefc  bebeutet  einen  wefentlicf)en  gortfdjritt 
namentlich  burd)  bie  in  ihm  ausgesprochene  gänjHrf;e  Öefettigung  ber  wilben 
gifdjerei  unb  burch  mancherlei  im  Sntereffe  bes  gifchfdjufces  in  ausflickt 
geftellte  Einridjtungcn ,  welche  jum  tycii  in  bie  £änbe  ber  SBe5irfe= 
regierungen  gelegt  worben  finb. 

3ur  Ausführung  bes  ©efefeeS  fmb  für  bie  einzelnen  ^rooinjen 
königliche  Verorbnungen  erlaffen,  bie  sunächft  bie  3)iimmalgröße  ber  ju 
fangenben  giferje  beftimmen.  Eremplare,  weldje  bie  vor  geschriebene  ©röße 
nicht  h«ben,  bürfen  nicht  in  ben  §anbcl  gebraut  werben,  mögen  fic  nun 
aus  gefchloffenen  ober  nicht  gefdjloffenen  ©ewäffem  entnommen  fein.  ©e; 
fdjloffene  ©eniäffer  finb  einer  (£cr)on$eit  nicht  unterworfen;  alle  nicht  ge= 
fct)loffenen  einer  wöchentlichen  unb  einer  jährlichen  Sdjon^eit.  £>ie  wöcrjent= 
liehe  Scrjonjeit  bauert  oon  Sonnenuntergang  am  Sonnabenb  bis  jum 
Sonnenuntergang  am  ©onntag.  $ie  jährliche  <Sd)on$eit  bauert  entroeber 
oom  15.  Cctober  bis  sunt  14.  £)ecember  i&Mnterfdwnseit),  ober  tont 
10.  9lpril  bis  jum  9.  Suni  (grühjahrSfdjonjeit).  (Sine  unb  biefelbe 
Strede  eines  ©ewäffcrS  fotX  immer  nur  einer  jährlichen  Sdjonjeit  unter- 
liegen. 91efce  mit  weniger  als  2,5  cm  ÜRafchenweite  (oou  knoten  ju  knoten) 
gehören  ju  ben  verbotenen  ganggeräthen,  welche  ber  (Einziehung  unterliegen. 

iöei  ber  9lnorbnung  ber  Sdwn$eiten  ift  man  in  bcr  Söeife  »erfahren, 
baß  biejenigen  ©ewäffer,  in  benen  (naer)  9lnnah»ne  ber  Herren  gifchmeifter) 
bie  GnprinuSarten  oorherrfdjen,  ber  grühjahrSfcr)onseit,  anbere,  in  welchen 
bie  Salmoniben  ftärfer  oertreten  finb,  ber  £erbftfdwn$eit  unterworfen 
würben.  £abei  ift  bie  Sßiberftunigfeit  herau^gefommeu,  baß  man  5.  33.  in 
bem  einen  ©ebtrgSbacfje  (wie  es  aud)  ganj  in  ber  Drbnung  ift)  im 
Wouember  feine  gorelle  fangen  barf,  bagegen  in  bem  anberen,  weldjcr 
jenfeits  beS  wafferfcheibenbeu  ©ebirgSrüdens  feinen  &>cg  311m  sJJieere  fud;t, 
mit  hoher  obrigfeitlicher  Bewilligung  bie  armen,  uom  Xiaichgefchäft 
abfrrapejirten  Ebelfifche,  bereit  gleifch  um  biefe  3eit  birect  ungefimb  ift, 
ausfifchen  unb  in  ben  &anbel  bringen  fann.  3lud;  mangelt  nun  jebe 
Eontrole  im  gtfdrt)anbcl.  Xem  gefangenen  gifdj  fann  man  es  uid)t  a\u 
fehen,  ob  er  aus  einem  ©ewäffer  flammt,  baS  ber  ^erbftfd^onjcit,  ober 
aus  einem  anberen,  welches  ber  grülijahrSfchonjeit  unterliegt,    £er  ^er= 


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76 


  lüolfgang  <£ras  in  Srcslau. 


fäufer  roirb  immer  in  ^erfudmng  fein,  biejenigen  Slngabe  $u  madjen, 
roeldje  if)m  gerabe  paßt. 

Gbenfo,  roie  im  Sfagbfdrongefefc  bie  Sdpnjeiten  für  bic  einlernen 
$>ilbarten  gefonbert  normirt  finb,  fo  müßten  audj  im  gifdjereigefefc  bte 
oerfdjiebenen  gifdje  ir)rc  nerf$iebenen  Sdjonseiten  tjaben.  $ie  batrifdje 
gifdjereigefefcung  bringt  biefen  allein  nötigen  ©runbfafe  bereits  jur 
©eltung,  unb  ber  fünft(erifd)  fo  fd)ön  auSgeftattetc  2Hünd)ener  tfalenber 
bcS  Vereins  für  trdjenbau  ($u  be$ief)en  bur$  Wlipp  &x$,  CbeonSplafe 
9?r.  15)  erwarb  fid)  ein  SCerbienft  um  bie  bairifdje  £ifa>ret,  inbem  er 
pro  1887  eine  fortlaufenbe  btlblidjc  Earfteüung  ber  roidjtigften  gifdje, 
ityrer  Sc&onjeiten  unb  9)iinimalmaße  braute. 

3lud)  in  SJe^ug  auf  öilbung  von  l'aidjfdronreoieren,  bie  in  bem 
^>reußtfcr)em  ©efefe  fel)r  nerftänbiger  2£eife  in  9luSfid)t  genommen  ift,  Ijaben 
mir  $ef)(grtffe  &cr  SSerroaltung  ju  oer^eidmen.  2£aS  fott  man  s.  93.  baju 
fagen,  baß  im  s3reSlauer  SftegierungSbejirf  baS  fog.  SHittelroaffer  in  ber 
Stabt  Breslau,  ein  Softem  oon  SBafferfträngen  änrifdjen  ber  oberen  unb 
unteren  Stauftufe,  faft  aulnafnnetoS  eingefaßt  burdj  Ufcnnaueni  unb 
r)öl$ernc  Spunbroänbe,  bebedt  burd)  einen  nia)t  unbeträdjtltdjen  SdjifF5 
farjrts«  unb  glößereibetrieb,  jum  „Said)fd)onreüter"  erflärt  roorben  ift? 
Lucus  a  non  lucendo!  2atd)fd)onreüier  wirb  baS  ©eroäffer  genannt,  weil 
e3  fo  gut  roie  gar  nid)t  oorfommen  bürfte,  baß  gifdic  bort  laidjen. 

Unfer  gifd)eretgefefe  t)at  anfdjeinenb  ber  ^nitiatioe  ber  Sntercffenten, 
ber  ©emeinben  unb  communalen  $?erbänbe  51t  otel  überlaffen.  2)ie  Sin« 
tage  oon  SadjSftegen  unb  gifdjpaffen  ift  in  2luSfid)t  gefteUt;  aber,  of>= 
gleidj  feit  bem  (Srlaß  beS  ©efefeeS  faft  15  3af)re  in'S  £anb  gingen,  er 5 
fdjetnen  nod)  oiele  glüffe  in  i^ren  Oberläufen  unb  beren  Söerjroeigungen 
für  bie  Söanberftfdje  abgefperrt.  2£enn  man  lieft,  baß  bie  £ad&Sfifrf)erci 
in  ben  brei  fd)ottifd>en  glüffen  £roecb,  Spei)  unb  £an  allein  allen 
800,000  9Jif.  jäljrlic&c  ^ad)t  einbringt,  fo  roirb  man  mit  geredetem  S3e= 
bauern  barüber  erfüllt,  baß  in  unferen  fdjönen,  für  ben  £ad)S  fo  geeigneten 
Strömen  biefer  eble  gifd)  faft  gan*  ausgerottet  werben  tonnte!  3In  ber 
rapiben  9tbnaf)mc  ber  91ljrinlad)fe  tragen  bte  .^ollänber  bie  £auptf<§nlb, 
roeldje  itt  unucrantroortlidjer  SBeife  alle  Eeftrebungen  $ur  $>teberbeoölferung 
beS  Stromes  mit  biefem  gifd^e  bura)  iljrc  Sperr:  unb  gangoorridjtungen 
an  ben  Stvontmünbungen  *u  nickte  madjten.  9ln  bem  Verfall  ber  £adjs* 
fifdjeret  in  ben  anberen  beutfdjen  Strömen  finb  mir  auSfdjließlid;  felbft  fajulb. 
üln  ber  oberen  (5lbe  benufetc  man,  rote  Dr.  gric  beridjtet,  ben  £ad)Slaid) 
früEier  als  Sdjweinefutter,  roaljrenb  bte  (Siiglanbcr  bte  9iaturgefd)td)te  be$ 
Sad)fes  längft  raunten  unb  mußten,  bafe  jeber  ^aa^S  oon  feinen 
Ausflügen  tn's  9Weer  bal)itt  roieber  jurüeffe^rt,  roo  er  jung  getuorben  ift. 

dkfyt  erfreulid)  ift  bte  ^batfadje,  baß  bei  bem  SluSbau  unferer  3^affer- 
laufc  im  Sntereffe  ber  Sd)ifffal)rt  unb  w  ^ermeibung  oon  ^odjroaffer: 
fa^äben  nenerbtngS  Seitens  ber  föntgüdjen  Staatsregierung  bte  gifeberei* 


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  Die  ^Jifdje  im  Rausfjalt  ber  Hatnr  unb  in  ber  Küdje.    77 

intereffen  nidjt  mefjr  unberüdndjtigt  bleiben.  <So  rourbe  5. V.  bei  Anlage  ber 
Stauftufen  im  canalifirten  3)?ain  für  jtoecfmäBig  confrruirte  gifdjpäffe  geformt. 

23enn  befmfs  2lbftelhmg  ber  in  ben  legten  $af)ren  fo  oerljeerenb  ge= 
toefenen  Ueberfdjroemmungen  in  unferen  (MtrgSbiftricten  jur  2lntage  oon 
(SammelbaffinS  in  grofcem  9)Ja&ftabe  bemnädjft  wirb  gedrittelt  werben 
müffen,  fo  erhält  bie  £eidjfifd>eret  baburdj  einen  neuen  unb  roefentlidjen 
Smpuls.  @s  würben  bie  niebergefjenben  ©eroitter  unb  2öolfenbrüdje  im 
9tte|engebirge  beifpielStoeife  nid)t  fo  gro§en  <5d)aben  getf)an  fjaben,  roeun 
bort  nid)t  grofee  glasen,  bie  etyemats  £etd)e  unb  ©ümpfe  geroefen  finb, 
im  £aufe  be£  ^[a^rfjunbertä  in  2Biefen  unb  3lecfer  oerroanbelt  roorben  nmren. 

$ie  £et$u>irtyf$aft  l)at  lange  3al)r$efmte  lang  in  3)eutid)lanb  als 
unrentabel  gegolten;  neuerbingS  liefern  ^eroorragenbe  ßanbroirtfje  ben 
SJkdjioeis,  bafj  bei  einer  rationellen  3u$ln)£M)t  uno  auSreidjenbem  <3djufc 
ber  gifdje  gegen  Zauber  aller  9trt  bie  £eic$urirtf)fdjaft  fef>r*  gute,  ja  fogar 
glänjenbe  9iefultate  5U  liefern  in  ber  £age  ift.  <So  fjat  beifpielStoeife 
©raf  greb  granfeubergsSittonufe  als  Karpfen  jüdjter  gro&e  Erfolge  auf  jus 
loeifen.  (5r  forgte  aber  aud)  für  bie  Vertilgung  ber  in  feinen  auSgebelmten 
Sßalbungen  gern  tyorftenben  ^eitjer  —  bie  in  ganj  unglaublicher  Sßeife 
unter  ber  Äarpfenbrut  aufzuräumen  pflegen  —  inbem  er  feinen  Jörftern 
an  (BdMBprämie  12  2Harf  pro  Stücf  bejahte.  £>iefe  erfjeblidje  2luSgabe 
für  Vertilgung  ber  9ieif)er  erroieS  fid)  als  gut  angelegtes  ®elö.  £5ie  Ver= 
nxiltung  eines  befannten  föntglidjen  ©djatullenguteS  in  ©djlefien  fonnte 
nod}  oor  je^n  S^rat  für  $ad)t  ber  gorellenfifdjerei  in  bem  bie  ©uts= 
lanbereien  burd)fd)neibenben  ®ebirgSbad)e  jäf)rltdj  einige  80  s3Jtarf  oereiu- 
nofjmcn.  $)a  ftellten  fidj  in  einem  garten  SSinter  bie  gifd)ottern  ein, 
roeld)en  uon  unferen  geroöf)nUdjen  Sägern  unb  Syattettftettcrn  nur  aus= 
na^mSroeife  beijufommen  ift.  Sttan  badete  baran,  einen  Dtternjäger  aus 
©eftjalen*)  fommen  ju  laffen;  aber  biefer  oerlangte  aufjer  ber  Veute 
150  SRarf  SHeifefoften,  unb  bafür  gab  es  feinen  Soften  im  etat  ber 
Domäne.  Sie  Cttem  oerridjteten  itjr  SBerf  mit  gerooljnter  ftrünblidjfett. 
£eute  tfk  baS  glü&djen  abfolut  forettenrein  unb  bringt  aud)  nidjt  mefir 
einen  Pfennig  ^adjt! 

2luf  ber  jroeiten  ©anberauSfteUung  ber  Eeutfdjen  SanbioirtljfdjaftS' 
gefeafdjaft  in  Breslau  fanb  eine  prächtige  Karte  ber  im  gürftentlmm 
£rad)eiiberg  oortyanbenen  Xeid)e  unb  bie  jugeljörige  (SrtragSberedjnung  ber 
bortigen  beroäiferten  Xeidje  pro  1886  oiel  Veadjtung.  @S  gab  im  £radjem 
bcrgtfajeit  27  Xci^e  mit  1752  ha  ©efammtflnd)e,  1418  ha  aöafferfpiegcl. 
Von  biefen  auf  ber  Äarte  oerjeiajneten  Seiden  loieS  bie  sJied)nungSüber- 
ftdjt  17  betoäfferte  mit  661  ha  2£afferfpiegel  in  it)ren  5öefa^=  unb  3w- 
roachSoer^ältnifien,  mit  Unterfdjeibung  ber  Jifdjarten  unb  Qualitäten, 
foroie  in  Ve^ug  auf  ben  SEertlj  beS  3uroad)feS  nad;.   531  (Sentner  ^ifdje 


*)  2>en  rü^mli(ftft  befannten  (Stoatb  6(^mibt  3U  Sdxtbt§mü6(c  bei  ^aßcit. 


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78 


i&olfgattg  <£ras  in  Breslau. 


würben  eintiefest,  1898  Gentner  auSgefifd)t;  ber  (SewidjtSäuwadjS  war 
atfo  1367  Gentner,  entfpredjenb  einem  SSertfouwadj*  oon  64192  9)torf! 

£er  Grtrag  pro  ha  mar  mithin  im  Satire  1886  runb  97  Sttarf  ober 
pro  borgen  etwa*  über  24  Sflarf.  2BaS  bie  Ginridjtung  biefer  Xeidje 
beut»,  baS  Seichen  unb  Seftfdjen  an  Speien  t;efoftet  f)at,  war  freüid;  ni$t 
gejagt,  aber  immerhin  wirb  man  bem  &errn  dürften  &afcfelb  feinem 
ftefultat  gratuliren  bürjen. 

roenbe  mid)  511  bem  5 weiten  fünfte  meiner  ^etradjtung,  $u 
ber  Sefymptung  nämlid),  bajj  baS  in  ber  beutfdjen  .Uüdje  jur  S3er  = 
wenbung  fommenbe  gif  d)  =  2Jfatenal  oielfad)  geringwertig  tft 
ober  gar  nidjts  taugt.  9tid)ts  märe  tt)önd;ter  als  §u  glauben,  ein 
Äarpfen  fei  eben  ein  Karpfen,  eine  Sd)leie  eine  Schleie;  es  fönnten  feine 
Dualität$unterfd)iebe  oorfommen!  2Iuf  bie  Xtyatfadje,  bafj  l)äuftg  birect 
oerborbene  gifd^e  jubereitet  werben,  will  idj  Iner  erft  gar  nid)t  eingeben, 

9lud)  oon  ifjnen  abgefefjen,  weldje  uncnblidje  SNeifje  uon  QualitätS^ 
unterfdn'eben  bei  jeber  gif  djgattung !  2£enn  bie  2IIten  tr)re  geinfd>meeferei 
fo  weit  trieben,  bafi  fie  einzelne  gifdje  nur  bann  effen  wollten,  wenn  fic 
in  einem  beftimmten  ©ewäffer  gefangen  waren,  fo  gingen  fie  hierin  ent* 
f Rieben  51t  weit.  2(ud)  r)alte  id)  'es  für  ein  abgefdnnacfteS  SBorurtfyeU, 
wenn  man  fyeute  behauptet,  ber  SöeferfadjS  fei  fd)led)ter  als  ber  9if)etnladjs. . 
2£agenlabung3weife  geljen  prädjtige  2Seferlad;fe  oon  Jameln  nad>  -äflains, 
werben  bort  geräudjert  ober  frifd)  in  ^anbel  gebracht  unb  finb  nun  natura* 
Iifirte  „r)ocr)feine  9it)einladjfe".  2lber  baS  ift  gemifj,  nidjt  jebeS  ©ewäffer, 
nidft  jeber  See,  jeber  Seid)  ift  im  gleiten  9J?a§e  geeignet  $ur  2Iuf$ud)t 
einer  beftimmten  gifdiart.  91amentlid>  weidje  gifdje  nehmen  gern  etwas 
oon  bem  ©efömacf  eines  unfauberen  fte^enben  ©ewäfferS  an,  in  bem  wir 
fie  aufhellen  ober  in  baS  wir  fie  einfefeen.  «Die  Karpfen  unb  Sdjleten 
aus  mannen  Seiten  unb  ©räben  finb  wegen  eines  wiberlidjen  3)?obers 
gefdmtads,  frifdj)  gefangen,  gar  nia^t  ju  effen;  fie  muffen  erft  eine  9teinigungS* 
cur  in  gefunbem  SSktffer  burdjmadjen.  Xem  glufefifd),  ben  man  fjeute  auf 
bem  9Jtorfte  tauft,  fann  man  es  nietjt  anfeljen,  aus  welker  <Pfufce  er 
geftern  auSgeftfdjt  würbe;  unb-  fomint  er  nun  gebraten  auf  unferen  Xxfd): 
welaje  Gnttäufdmng! 

2)er  Hauptfehler  ift  aber  ber,  bafe  man  in  2)eutfd)lanb  ganj  allgemein 
bie  giftfje  jur  Unzeit  ifet.  GS  giebt  feinen  gifdj,  ber  wätjrenb  beS 
gansen  ^al;reö  gleid)  gut  $u  effen  wäre.  -üJtondje  gifdje  fmb  wäfjrenb 
einer  gewiffen  ^'eriobe  im  3<xfyxe  ungenießbar,  anbere  nid)t  tyalb  fo  gut 
als  fonft,  unb  alte  fter)en  nur  jeitroetfe  auf  ber  £>öf>e  tlnrer  Gntwicflung 
als  Material  für  bie  ftüdje.  flurj  r>or,  wäfjrenb  unb  nod)  eine  3*itlang 
nad)  bem  £aid>gcfd)äfte  follte  man  jebe  gifd)art  mit  bem  gange  uerfajoneu. 
SSäfjrenb  in  Gnglanb  in  ben  eigentlidjen  23intermonaten  felbft  ber  geringfle 
9)ianu  feinen  Saltneu  i§t,  ber  um  biefe  $e\t  nod)  ganj  gefajwäd^t  00m 
l'aid)gefd)äft  im  gcfod;ten  ^uftanbe  ein  blaffet,  trorfeneS,  ungefunbeS  gteifdi 


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  Die  ^ifdj«  im  fyiusbalt  ber  «atur  unb  in  ber  Küd^c.  ?9 

beftfct,  finbet  man  in  beutfdjen  Sanben  aua?  auf  bcn  tafeln  fyofjer  $errs 
fünften  unb  nielfadjer  Millionäre  roäfjreub  ber  ganjen  Sallfaifon  ben 
bleiä)füc()tigen  £a<$$.  Ungefähr  um  Mitte  Mär$  rafft  fiaj  biefer  tfifdj 
roieber  auf,  e£  beginnt  bie  gliegemnaft,  unb  nun  befifct  fein  gleifa?  gefodjt 
eine  fdjöne  rofenrotfje  garbe;  er  ift  fett  unb  beticat,  aber  jefct  fagt  bie 
©efyeimratfysf  ödn'n :  „Meine  jnäb'jen  $errfcf)aften  fjaben  fidt)  ben  £a$3  fd&on 
jum  Ueberbrufc  jejeffen;  jefct  muffen  mir  ifmen  anbere  gifdje  rjorfefcen!" 

£a  faft  jeber  gifdj,  ber  im  &au3f)alte  in  Eetradjt  fommt,  eine  anbere 
fcaidjäeü  f)at,  fo  ift  e*  allerb  tngä  feine  gan$  leiste  Aufgabe  uon  jebem 
mit  Sidber^eit  au$  bem  (Stegreif  511  fagen,  mann  er  gut  ift.  3$  fjabe 
barum  für  ben  vereinten  Sefer  bie  naajfteljenbe  Xabetle  entworfen,  au3 
melier  mit  einem  SBlicf  ju  erfefjen  iftf  mann  bie  einjelnen  gifajarten  ge= 
geffen  roerben  foHten  unb  mann  nid)t. 

^tfcfyfalenber. 

®aftrofop^ifa)e  Jang=  Q  unb  6cf>on*  |§  3eit  unferer  giföe. 


3ifd)art. 

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&er  Mögltd)feit,  gute  gifdje  auf  roeitere  Stretfen  uerfenben  unb  biers 

burdj  ba3  örtliche  Material  für  bie  ftüdje  ergänzen  unb  oermebreu  gu 

tonnen,  ftef)t  in  £eutfdjlanb  üielfaü)  ba$  23orurtfjeU  entgegen,  bafj  $lujj= 

fifdbe  ftet$  nod)  lebenbfür  ben  tfüdjenbeb arf  eingefauft  roerben 

müßten.   34  &aIte  *>tä,  wie  gefagt,  für  ein  $or  urteil  unb  fann 

mid),  n>enn  i#  unter  geroiffen  Umftänben  ben  tobten  gifd)  bem  lebenben 

fogar  r>or$iel)c,  auf  ben  treffttdjeu  §orrotf$  berufen,  ber  in  feinem  bereit-? 

genannten  28erfe  hierüber  fagt: 

3n  $eutfcbtanb  ift  c8  jur  ©etuebnbeit  artoorben,  bic  ftlufififcbe  m«  lebenb  311 
ücrfaufcn;  bic  ®erüObnb,eU  aber  ift  eine  9)tod)t,  unb  beutsutage  roiÜ  «einer  einen 

«Ptb  nah  6üb.  L.,  148.  6 


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80 


  IDolfgong  €ros  in  Breslau. 


tobten  8fifd)  taufen,  dagegen  werben  in  (Snglanb  alle  gij'dje,  mit  £infd>lu&  ber  Soreüen 
uno  Steffen,  tobt  üerfauft.  3d)  floi>  mir  grojje  2)tül)e,  ju  unterfudien,  roeldjeS  baS 
beftc  Verfahren  fei,  unb  finbe,  bafj  fid)  für  unb  gegen  beibe  Birten  mand)cS  auffmben 
läfjt.  3-  ®-  loirb  tt>of)l  9ltemonb  in  Jlbrebe  fteQeu,  bog  eine  Oforelle  ober  SlefdK, 
bie  1  bis  2  Stunben,  nadjbem  fie  gefangen,  getöbtet  toorbeu,  fdjmadijafter  ift,  als 
eine,  bie  £ag$  äuöor  gefangen,  in  einem  ftorbe  uerpaeft,  tueit  fortgefd)i(ft  mürbe. 
2)cnnod)  fdmtecft  fte  nodj  meit  beffer,  als  ein  Srtfctj,  ber  nadj  beutfdjer  Srt  erft  tage= 
lang  in  einem  gifdjfaften  aufbemaljrt  mürbe,  ©in  foldjer  <yifd)  oertiert  ntdjt  nur 
an  @efdnnacf,  fonbern  aud)  bebeutenb  au  (§kmid)t,  ei  mirb  mager  unb  gefdmtacfloS. 
3n  $eutfd)(ant>  beachtet  ober  fennt  man  biefe  £l)atfad)e  nid)t  unb  tauft  benfelbeu 
nur  tcbenbig  gern.  2>aS  aber  ift  ein  grofjer  Segler,  unb  id)  oerfic&ere  meine  £efer, 
ba&  eine  am  ftadjmittag  ober  2lbenb  gefangene  ober  fofort  getöbtete  Srorelle  ober 
Slefdje  am  nädjften  Xag  nod)  bie  £afcl  eincS  geinfdmtcdi'rS  gieren  fann.  Um  biefe* 
äu  ermöglichen,  folge  l)icr  eine  Siegel,  beren  forgfame  23ead)tung  id)  als  unbebingt 
nothwenbig  empfehle.  Sofort  nad)  ber  Slnfunft  gu  £>aufe  öffne  man  ben  ftifd)  unb 
reinige  benfelbeu  auf's  «Sauberfte,  momoglich  mit  Oueumaffer,  reibe  ib,n  barauf  leicht 
mit  einem  leinenen  Xuche  aus  unb  fülle  tön  mit  ©als,  reibe  biefeS  tt)eilmcife  mit 
ben  3-ingeru  leid)t  ein  unb  lege  ben  gifdj  auf  eine  trotfne  $orsetianfdjüffel ;  trage 
ihn  in  einen  füllen  SMer,  aber  lege  ihn  nie  in  Gaffer.  3d)  bchanbele  ftet§ 
meine  ftifebe  nad)  biefer  Lanier,  menn  fie  £agS  barauf  gegeffen  merben  füllen. 
Sluch  länger  fann  man  ftifche  fo  aufbeben,  bod)  ift  bieS  nicht  gerabe  ju  empfehlen." 

2£a*  ben  britten  unb  legten  ©egenftanb  meiner  $rebigt:  bie  oft 
aufcerorbentlid)  mangelhafte  3uoerettung  ber  gifdje  anlangt,  fo 
meine  idfj,  bafj  in  einem  Sanbe,  roo  ber  gifdjeretfport  (eiber  ®otte3  nodt) 
in  ben  ßinberfdjufjen  ftedt,  ber  roidjtigfte  J^ntpuU  für  bie  9lntoenbung 
rationeller  3UDere^tun9^arten  W*-  $er  ©nglänber,  roeldjer  mit  Slufs 
menbung  großer  fluuftfertigfett  nadb.  langem  ^emüljen  einen  frönen  6almen 
an  ber  gltegenrutb,e  gefangen  unb  gelanbet  hat,  toa<$t  mit  bem  3luge  be3 
^rotectora  über  ber  3ubereitung  feinet  ganges.  9tt<$t  feiten  unter$icf)t  er  ftdj 
felbft  biefer  9flüf)emaltung;  e3  bürfte  in  (Snglanb  fourn  einen  gtfd>ereiliebf)aber 
geben,  ber  fid)  nidjt  auf  bie  3ubereitung  ber  gifdje  oerfiünbe.  ©ine  ber 
gebräuajlidtften  englifa^en  gifdjfaucen,  biejenige,  toeldje  auä  fetter  6alme 
(SHafnn,  Dberä)  unter  3uiafe  rjou  Senfpuloer,  3"<fo  unb  etroaS  Gurrt) 
bereitet  wirb,  ift  eine  (hfinbung  jenes  £erbu,  ber  ben  $ratfpie§  ebenfo* 
gut  &u  Ijanbfjaben  nm&te,  roie  bie  gliegenangel  unb  bie  ^irfc^büa^fe.  $er 
beutfaje  ©djlofc  ober  £au$h,err,  beffen  gifa^c  burä^  irgenb  einen  Sebieufleten 
gefangen  ober  um  fdjnöben  9Wammon  in  ber  3)torftf)alle  erworben  merbeu, 
nimmt  an  bem  Sdbicffal  berfelben,  beoor  fie  auf  ben  Xifd;  fommen,  nur 
ben  halben  3lnt^eil.  9iid)t  mit  Unrast  fagt  ^örillat^aoarin:  „(Sin  ge= 
biatene^  gelbfmljn  gerätl)  am  heften,  menn  c$  in  ®egenmart  beS 
subereitet  mirb,  ber  ei  gefcöoffen  Ijat." 

©ebratene  unb  gebarfene  gif^e  finb  in  ber  9iege(  beffer  als  gefönte. 
^DaS  Giroeife,  ber  £eim  unb  anbere  6ti(fftofftrager  foa^en  l)erau3  unb 
werben  meggegoffen.  Wati)  meinem  dafürhalten  ift  ba^3  (Sintaud)en  be$ 
gifd;e«  in  fiebenbe<5  friferje^  Del  ober  gett  bie  befte  3ubereüung$metlwbe ; 
babei  incruftirt  er  gut,  mirb  rafa;  gar  unb  bleibt  fdjön  faftig.   9JZan  fann, 


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  Die  ^ifd?e  im  Jjansljalt  ber  ilatnc  nnb  in  ber  Kiidje.    8^ 

nachbem  man  irm  mit  bem  (£cr)öpfgitter  ausgehoben  hat,  jebe  beliebige  (Sauce 
Zufügen.  3m  oe  ^iüe  511  Xrieft  habe  ich  3.  Sö.  fo  jubereitete 
gifche  in  einer  »ortrefflichcn  ^rofecco= Sauce  gegeben.  $er  ^rofecco  ift 
ein  halbfüfcer,  an  ber  balmatinifchen  Äüfte  reifenber  unb  von  9totur  etwas 
tnouffirenber  2Bein,  ben  fa;on  bie  Kölner  fannten  unb  I)odjjd)äfeten. 

©egen  bie  Slnwenbung  beS  ClioenölS  (mir  fefccn  oorauS,  bajj  es  von 
tabellofer  griffe  unb  Feinheit  beS  ©efdnnacfeS  fei)  $u  eifern,  ift  baarer 
Unfmn.  ©S  giebt  fein  beffereS  3Rebium  jum  Skcfen  unb  traten,  unb  es 
ift  unwahr,  wenn  einjelne  9ieifeube  behaupten,  in  Italien  fdjmecften  ade 
©peifen  unangenehm  nach  Del.  3$  babe  gefunben,  ba&  bie  in  guten 
italtenifcf}en  ©peifehäufern  juberciteten  ©endete  in  erfreulicher  SBeife  beS 
SeigefctmiacfS  von  ranjiger  Butter  unb  fehlerem  sJftnbStalg  ermangeln, 
welchen  man  fo  oft  bei  ben  ^robucten  ber  beutfdjen  tffict)e  beobachtet. 
UebrigenS  weiß  ich  in  bieder  ^Bejiehung  ein  ergöfelidjeS  ©efchichtchen  ju 
erzählen,  ©iner  meiner  greunbe,  SöerufSofftjier,  mar  im  franjöfifchen  gelb* 
juge  bei  ©raoelotte  fdjwer  oerwunbet  worben.  2US  er  nothbürfttg  roieber 
bergeftellt  mar,  fchicfte  man  ihn  ,ur  SJefdjfeunigung  feiner  ©enefung  in 
irgenb  einer  t)al6arnt(idr)en  Function  nach  9lom.  6r  miethete  ficr)  bort  in 
einem  ©afthaufe  ein  unb  oerabrebete  mit  bem  Söirtf),  bafe  ihm  täglich  ju 
einer  geroiffen  6tunbe  ein  33eeffteaf  —  „aber  nach  beutfdjer  3(rt  in  guter 
93utter  gebraten"  —  feroirt  werben  follte. 

Xie  SBeeffteafS  waren  fer)r  gut  unb  fdjmecften  meinem  greunbe  aufeers 
orbent(ict)  worjt  oierjerm  Xage  lang  ober  langer.  Xa  brachte  man  ihm 
eines  XageS  ein  Seeffteaf,  welches  nach  feiner  Meinung  faum  ju  genießen 
mar;  es  tjatte  feine  fo  fcr)öne  bunf elbraune  Trufte  rote  bic  früheren,  es 
war  in  ber  3Kttte  noch  roh  unb  an  ben  9tänbern  grau,  roährenb  bie  anberen 
burch  unb  burdj  fchön  blafcrotf)  geroefen  waren;  eS  war  auch  wicht  fo  faftig, 
unb  cnblicr)  hatte  eS  einen  unangenehmen  -öeigefchmacf  nach  oem  5ett,  in 
bem  eS  jubereitet  worben  war.  3)er  ©aft  rief  ben  Äellner,  unb  biefer  mußte 
ben  95>irth  citiren.  £er  2Birtf)  uerfprad)  bie  fchleunigftc  unb  grünblichfte 
Unterfuchung.  9toch  einiger  fttit  fehrte  er  jurücf  unb  fagte  unter  oielen  Gnt= 
fdjulbigungen,  burch  ein  bebauerlidjeS  ^erfeljen  in  ber  ftüdje  habe  man  bis 
heute  alle  auf  baS  Limmer  beS  £errn  Lieutenants  gelieferten  23eeffteafS  auf 
bie  gewöhnliche  9lrt  (mit  Del)  zubereitet;  tyute  wäre  aber  burch  einen  3it4 
faU  ber  Dbertoch  baran  erinnert  worben,  bafj  ber  beutfche  Cffijier  feine 
SeeffteafS  in  SButter  gebraten  fyiben  wollte!  —  60  würbe  mein  wacferer 
greunb  oou  feinem  $orurthetl  gegen  eine  3ubereitung  ber  Speifen  in  Dliuenöl 
geheilt.  Sie  Teilung  ber  Sdmfjfractur,  bie  er  fid)  auf  bem  gelbe  bel- 
ehre geholt,  war  leiber  nid)t  ebenfo  fdmeu"  unb  glüdlich  ju  bewerffteliigen. 

sBenn  ber  gijfy  ia  gefocht,  b.  h-  Behufs  feiner  ^Übereilung  in  ftebeus 
beS  Söaffer  geworfen  werben  mug,  bann  empfehle  id)  feljr,  bie  ^rübe 
nicht  ju  breit  ju  machen  unb  irm  nid)t  ju  lauge  311  fod>cn.  ©ie  ©räfin 
fünfter  treibt  in  ihrem  bereits  erwähnten  tfod)bud)e,  aus  weldjem  man 

6* 


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82 


  tDotfgang  €ras  in  Breslau. 


unenblicf)  otel  lernen,  nach  beffen  Vorfchriften  man  aber  nicht  ofme  Sßeüere* 

oerfahren  fann,  unter  3h.  169  über  bie  SJtatelote  oon  Jtarpfen  ober  Waten: 

„(Sincn  Qiofeen  ober  jroet  deine  Karpfen  fc^netbe  in  7  ober  8  ©tücfe,  brate  Re  in 
ein  njenig  Söutter,  füge  bann  '/»  ßtter  SWotljtoetn,  einen  grofeen  Söffet  ftraftbru&e 
3wtebeln, fträuter, ©eroürj  unb Salj  fn'nju,  unb  todbe  fie  langfam  3|*©tunben." 

3df)  habe  mir  erlaubt  ranbfchriftlich  in  meinem  (Somplar  beS  gräflichen 
4lodjbucf}3  anjumerfen:  „$)ann  wirb  (auter  Suppe  baraud!" 

9Jian  foll  ben  gifch  nicht  ju  lange  fieben,  aber  unter  allen  Umftänben 
lange  genug,  um  bie  Garanten  ju  tobten,  benen  ber  gifch  otelfact)  als 
2öohnftätte  bient  unb  welche  bem  sUienfc^en  gefährlich  werben  tonnen, 
fofem  fie  noch  lebenb  bejw.  entwicflung$fär)ig  beim  Verfpeifen  be$  gifches 
aufgenommen  werben. 

Unter  ben  ©elerjrten,  bie  neuerbing«  auf  biefem  ©ebiete  burd) 
wiffenfchaftliche  gorfchung  [ich  oerbient  gemacht  haben,  ift  namentlich  ber 
$orpater  Zoologe  <jkofeffor  23 raun  ju  nennen.  (Sr  hat  u.  91.  nachge* 
wiefen,  bafe  für  ben  3Wenfchen  ber  £ed)t  unb  bie  Ouabbe  als  3roifcben= 
roirthe  für  Bothriocephalus  latus  ansehen  finb;  ferner  baß  oon  ben 
in  ber  Siflänbifchen  Unioerfitätäftabt  sunt  SJtorft  fommenben  fechten  nidht 
weniger  als  90  >  mit  Sothriocephalenfinnen  inficirt  finb,  unb  baß,  ba 
in  ßiflanb  ber  £ecf)t  oielfadt)  nur  fdrwach  geräuchert,  alfo  ^atb  roh,  forote 
fein  at£  eine  9lrt  Gaoiar  jubereiteter  £atch  gegeffen  wirb,  ber  SBurm 
majfenhaft  bort  auf  9ttenfchen  übertragen  wirb.  $ie  Verbreitung  beä 
Bothriocephalus  latus  unter  ben  SHenfchen  oorpgSweife  gerabe  in  folchen 
©egenben,  wo  oiel  ungenügenb  jubereitete  gifche  oerjehrt  werben,  alfo 
in  ßoHanb  unb  Belgien,  in  Schweben,  in  ben  ruffifchen  Oftfeeprooinjen, 
in  Cftpreußen,  in  ber  weftlichen  Schmeiß  unb  in  ben  angrenjenben  franjöftfdjen 
$>iftricten,  beftatigt  SkaunS  2lnfiä)t,  baß  ber  Bothriocephalus  oorjugSweife 
burch  gifchnahrung  bem  SJienfchen  jugefütjrt  wirb. 

ÜDiein  !Ratt)  geht  bat)in:  3fe  wie  einen  gifch,  ber  am  9tücfgrat  bejro. 
bort,  wo  Äopf  unb  9iü<fgrat  fid)  oerbinben,  noch  blutig  ift.  25a  ber  otogen 
unb  bie  3Witct)  meift  f  eparat  ab  gefocht  werben,  fo  erheifchen  biefe  Stüde, 
wa£  ba£  23lutigfein  anbetrifft,  ganj  befonbere  9lufmerffamfeit.  2)ie  ginnen 
fifcen  houptfächlich  im  ©efd)eibe  unb  in  ben  2öeid)theilen  ber  gifche. 

Uebrigenä  fann  ich  eine  wenig  befannte  unb  oortreffliche  SJcetfjobe 
angeben,  um  fechte  unb  anbere  t)arte  gifche  fo  aufbereiten,  baß  eine 
^nfection  burd)  ^otriocephalenfinnen  für  benjenigen,  ber  ben  gifch  ifft 
gänjlich  auägefchloffcn  ift.  (Rod)  ober  J^ödnn  freilich,  welche  ben  gifch 
fchlachtcn  unb  jubereiten,  bleiben  immer  gefätjrbet,  fofem  fie  fich  nicht  ber 
größten  Sauberfeit  befleißigen  unb  etwa  bie  ginger  ^um  SKunbe  führen, 
mit  benen  fie  eben  noch  ben  rohen  gifch  angefaßt  rjaoen.)  2Jiein  9?ecept 
ftammt  au$  bem  £aufe  beä  (SommerjienratheS  S.  3)?.,  beffen  ftüaje  unter 
ben  jDeoorjugten,  benen  ihre  ^robucte  femten  ju  lernen  oergönnt  war, 
fich  eines  oorjüglichen  9iufeä  erfreut. 


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 Die  #fdje  im  fjansbalt  ber  Hatur  unb  in  ber  Küd?e.    83 

ftauft  fletne  £edjte  —  wenn  fic  mef)r  als  einen  guß  lang  finb, 
fo  f ann  i$  fie  f djon  nid)t  empfehlen,  ba  bie  9teget  beS  33aron  oon  SBacrft : 
oon  Ijarten  Sif^en  junge,  oon  weisen  Sifajen  alte,  ausgeworfene  ©remplare 
ju  wägten,  beim  §e$t  jutrifft  —  unb  werft  ben  oorfjer  aufgenommenen 
in  fiebenb  ^ei§ef  SBaifer,  weldjeS  i^r  oon  ber  platte  herunter  ge* 
nornmen  tyabt.  9tod&  ein  $aar  Minuten  wirb  ber  gifdj  fid)  bequem  ab* 
fäkalen  unb  entgräten  laffen.  £)ann  serfdjneibet  u)n  in  (Stüde  oon  mittlerer 
©röfee  unb  legt  ilm  2  ©tunben  lang  in  SDJild).  &at  er  biefe  Skbecur 
abfoloirt,  fo  fiebet  ilm  in  $ett  ober  Del  nur  furje  Seit,  fo  baß  er  fd&ön 
^eU  unb  $art  bleibt.  1  X^eil  9iinbsfett  auf  3  Xfjeile  Sdjwetnefdjmalä 
ift  eine  bewährte  SHifdmng.  9ftan  fann  bie  Stücfe  aud)  oorljer  paniren; 
inbeffen  tyibe  idj  gefunben,  baß  bieS  ben  eigentlnimlidjen  2Bof)lgefdjmacf  bes 
.§ed)tS  einigermaßen  oerfümmert.  9llS  einjige  2Bür$e  ju  biefem  gtfdjgeriajt 
ift  junge  ^eterfilie  $u  geben,  beren  f leine  Steige,  ebenfo  wie  oorfjer  ber 
gifdj,  in  bem  befannten  $raf)tforbe  bem  fiebenben  gett  übergeben  unb  naä) 
furjer  3«ü  fäön  gebaefen  unb  fnuSprig  roieber  heraufgezogen  werben *). 

Säfet  man  giia>  in  einer  wäffrigen  ftlüffigfeit  (öritye)  längere  3eü 
fod>en,  fo  löft  fid)  alles  gleifdj  oon  ben  ©räten,  unb  gießt  man  fobann 
ben  ganzen  Sub  burd)  ein  genügenb  feines  Sieb,  fo  erf)ält  mau  eine 
tjalbflare  JJifdrfuppe.  3ur  91ot()  fann  man  beS  Siebe«  aua)  entratyen, 
ba  bie  ©raten  unb  bie  ausgetobten  gleifdrfafern  oermöge  tyreS  größeren 
fpecifrfdjen  ©ewid&tS  $u  93oben  iinfen,  fobalb  man  ben  Äeffel  oom  geuer  rüdt 
unb  feinen  ^nr;alt  erf alten  läßt.  $ie  Suppe  fann  bann  abgegoffen  ober  ab- 
gefeböpft  werben.  So  bereitet  ber  ungarifa>  gifa>r  feine  tägliche  Stoljrung, 
baS  ©alädjle,  feine  gifdjfuppe.  $aS  „flleinjeug,"  was  er  beim  2luS-- 
werfen  be§  WefceS  tagsüber  fängt,  wirb  in  einen  Aeffct  geworfen,  ber 
wäljrenb  bes  ganjen  SagewerfS  über  fd&waajem  flofjlenfeuer  eine  SBrülje  aus 
Üßtoifer,  Sal5,  3rotebeln,  oiel  Sßaprifa,  unb  oft  woljl  aud)  etroaö  fauren 
©ein,  in  gelinbem  33robeln  erhält.  Mefjrt  ber  %i\$ex  bann  bei  ftnfenber 
9to$t  naa)  feiner  fiagerfiätte  am  Stranbe  jurüd,  fo  ift  bas  tfoljlenfeuer 
niebergebrannt,  bie  gtfdjfuppe  ift  im  21bfüf)len  begriffen,  bie  ungenießbaren 
Steile  bes  Äeffelinfjalts  fjaben  fidjju  33oben  gefefct,  unb  nun  wirb  gefuppt! 

$(f)  habe  bie  ungarifdje  gifdjfuppe  entfpredjenb  ben  2lnforberungen 
unterer  mobemen  Äüa)e  5U  oerbeffern  gefugt,  unb  meine  Jreunbe  behaupten, 
baß  mir  bieS  gelungen  fei.  maa)e  ju  biefem  Söcljufe  einen  3ufa& 
oon  ÄrebSbrü^c  unb  SRinbsbouiUon.  Ärebfe  werben  rol)  in  einem 
Dörfer  jerftoßen  unb  in  Butter  angebraten,  e^e  ia;  fte  austobe,  ^er 


*)  Äcccptc  für  bic  3nbcrettung  ber  ^fifd&fpeifcn  $u  liefern,  foim  im  SlUflcmcincii 
fcter  nubt  meine  Aufgabe  fein.  me^rt  fid)  ja  täglid)  bie  3nt)l  ber  in  allen  Spradjen 
bei  SBelt  afdjcinenben  ffod)büd)er.  3nbeffen  ift  mir  eine  3)Jonoflropoie  befannt,  bte  id)  auf 
bad  &*ärmftc  empfehlen  barf:  Mba8  öfifdjlodjbud)  beS  fti|"d)öercin8  für  öen  Streit 
Horben,"  n>eld;cä  öon  Hermann  Jbraa^utS  in  Horben  unb  ^oibernet)  jum  greife  oon 
25      beißen  werben  fann.  $ier  b.cißt  ei  einmal  auäna&memeife  „billig  unb  gut". 


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8^  ^    IDolfgang  <£ras  in  Breslau.   

3ufafe  uon  uiel  ©rünjeug  unb  einer  geeigneten  Sorte  2Bein  (Sfjerrr;  ober 
Ungarwein)  unb  einer  genügenben  Portion  Sjkprifa  ifit  bei  ber  Grtraction 
ber  fämmtliajen  ,3*ngrebien$ien  eine  &auptfad)e.  gleifd)*,  ftrebSs  unb  gifdbs 
brüfje  muffen,  nadjbem  man  fie  burdj  baS  Sieb  gegoffen  unb  mit  einanber 
Bereinigt  f>at,  nod)  entfprea)enb  einfoa^en.  9lud)  fann  man  beim  3(6= 
fdjmeäen  etwas  ,3u<ier  äufefcen.  2>iefe  Suppe  ftef;t  in  ihren  Sirfungcn  nad> 
meinen  langjährigen  Erfahrungen  ben  uon  ^rillatsSauarin  im  Reimten  2tyiie$ 
feiner  berühmten  ^udjes  angegebenen  „SiärfungSmüteln"  mmbeftenS  gleidj. 

$em  bered&tigten  SBunföe,  beim  Sieben  eines  gifdjeS  jener  närjrenbeu 
unb  wofjlfdnnedenben  SBeftanbtljeile,  weld>e  berauätodjeu,  nid)t  uerluftig  ju 
geljen,  uerbanft  aud)  bic  SKatelote  it)re  <*ntftef)ung.  Sie  fcfpn  ber  sJtome 
anbeutet,  rjaben  mir  eS  mit  einem  9ftatrofengerid)t  ju  trmn,  alfo  mit  einer 
Grfmbung  uon  öeuten,  bie  burdj  tyr  ©ewerbe  auf  baS  feuchte  Clement  unb 
feine  Sewofmer  Ijingewiefeu  werben.  3ur  SJiatelote  nrirb  in  granfreia)  in  ber 
Siegel  ein  wetdjer  unb  ein  fetter  gifd),  j.  33.  Äarpfen  unb  Slal,  uerwenbet. 
$ie  gifa>  werben  in  Stüde  gefdmitten  unb  in  fü&em  feurigem  s™etn,  manty 
mal  aud)  in  2JJo[t,  gefotten.  £aS  ©eridjt  tomint  mit  ber  23rülje  auf  Den 
Xifd),  bie  man  burdj  (Sinfodjen  mit  einem  23rot=  ober  2)tel)ljUfak  uoiljer 
eingebidt  bat.  Unfer  jefet  in  ganj  $eutfdjlanb  befannter  „polnifdjer 
Karpfen''  ift  eine  SHatelote,  bei  weldjer  iöter  unb  ^fefferfua)en  au  bie 
Stelle  ber  28einf»rflf)e  getreten  finb. 

9tud)  bie  sJ)?atelote  fann  man  feljr  wefentlid)  uerbeffern,  wenn  man, 
was  id)  auf  baS  Särmfte  empfehle,  sunäd)ft  eine  „uerbefferte"  gifdjfuppe 
unter  23enufeung  uon  allerfjanb  „illeinjeug"  aus  bem  nädjften  gifdjtroge 
berftellt  unb  bann  in  biefer  gifdifuppe  ben  gifd)  fiebet.  6s  uerfiebt 
fid)  uon  jelbft,  ba§  bie  2hüf)e  bis  auf  Saucenconfiftenj  eingefoebt  werben 
mu§  unb  bajj  man  fie  burd)  3ufafc  1,011  ftrebsfd)  wänden,  gefüllten  ÄrebS* 
nafen,  9Jiord)eln,  3lmorettcn  u.  bergl.  auf  baS  SMnmutfngfte  ucrjieren  fann. 

Ter  SMftänbigfeit  wegen  barf  id;  nid)t  unerwähnt  laffen,  bafj  man 
im  ganzen  Mittelalter  bem  gifdjgenufe  anregenbe  2£trfttngen  ;>ufd)rieb 
äfmlid)  jenen,  weld)e  ber  Trüffel  unb  bem  Sellerie  ein  gewiffcs  Sienommo 
uerfdjafft  l;aben.  9Wan  erjagt  in  biefer  üBe&iet)ung  oiele  ergofclidie 
2lnecboten,  uon  benen  bie  uom  Sultan  Safabiu  unb  ben  beiben  £erwifd)en 
bie  bemerfcnSroertf)efte  fein  bürfte.  Salabin  wollte  fcl)eu,  wie  cS  mit  ber 
(Srjarafterfeftigfeit  ber  $erwifd)e  eigentlidj  befteHt  fei.  (£r  liefe  jtuei  ber 
frönunften  in  feinen  v}Jalaft  fommcu  unb  tynen  wod)cnlang  eine  auSgefudjt 
fräftige  gleifdjfoft  uerabreidjen.  Sie  triumpf)irten  über  jebe  s^erfudjung. 
9cun  foütcn  fie  jur  2Jelotmung  nod)  eine  Solang  bei  ^ofe  bleiben  unb  mit; 
effen  bürfen,  was  3af)re*$eit  unb  ^lücben^ettel  eben  bringen  würben.  Zufällig 
gab  es  mehrere  £age  Ijintereinanber  gifd^geria^te  —  unb  ftel;e  ba,  bie  Ter* 
wifa^e  würben  ihrem  ©elübbe  untreu.  (Biillat-.Savarin,  ru6diiation  VI,  41.) 

Tanad;  wäre  bic  gifdtfoft  freilia^  ganj  unb  gar  uia)t  geeignet  als 
gaftenfpeife!   


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21us  bem  (Drient. 

Slüdjtiqe  Huf$eii?nungen.*) 
Don 

Paul  Cinbau. 

—  Berlin.  — 
XI. 

Hm  Konftantinopel. 
$ie  dauern.  —  f^a^rt  na*  bcr  afiatifcf)cn  ftüfte.  —  ÜlWoba  unb  ftabiföt.  — 
$er  arofce  »irdtfof  üou  ©futari.  —  $tc  afiatifdjc  XürfenftaM.  —  (Sin  munber» 

lieber  fceiltacr. 

8  wäre  eine  SBermeff entyeit,  wollte  idj  jene  ftoljen  Tenfmäler 
au3  ber  bi)$anttmfd)en  3eit/  bie  ba$  entfte  Stubium  be$ 
2lrd>äologen  erforbern,  bie  iä)  aber  nur  mit  bem  23licf  bc$ 
£aien  im  Sßorüb ergeben  geflreift  tyabe,  in  ben  .Kreis  meiner  oöllig  <mfpru$£« 
lofen  3luf$eiö)nungen  jiefjen.  gür  mid)  waren  aU  biefc  Säulen  unb  Cbc* 
liefen,  bie  jefct  lieblog  ber  S3erwaf)rlofung  überlaffen  finb,  biefe  Gifternen 
unb  Xrümmer  großartiger  Sauten,  cor  3111cm  aber  biefe  cnflopifdjen 
dauern,  mit  benen  äonftontin  feine  ßauptftabt  befeftigt  Ijat,  nur  bie 
berebten  3*u3en  ber  mutigen  SBergangenljeit,  efjrmürbig  meland;olifcf;e 
2£afn-$eia>n  ber  gefallenen  ®röfce. 

„.  .  .  ©ine  £aüartnbe 
Siegt  aufgefaltet  über  bem  ©efunben, 
Unb  jeber  fjitBtritt  toanbclt  auf  3crftöru!tg." 
SMefe  2Borte  be3  £>id)ter$  werben  uns  mit  einer  £inbringlid)feit 
fonbergleid&cn,  namentltd)  burd)  bie  gewaltigen  dauern,  in'^  0ebä$tnift 
jurütfgerufen.    So  oiel  aud)  jerfallen  ift,  bas,  was  bem  Sturm  ber  $eit 

*)  2lbfd>lufe  bet  fteifebüber  in  fceft  139  unb  140. 


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86 


panl  Ctnban  in  Berlin. 


getrofct  hat,  ift  nodj  von  übermalttgenber  ©röjje.  $iefe  riefiQcn  Stein* 
auffdfjichtungen ,  aus  benen  jefct  baS  biete  ©eftrüpp  ^erooriüudVrt  unb 
mächtige  33äume  aufftreben,  machen  auf  uns,  wenn  mir  ben  grofjen  Spajier* 
ritt  um  bie  ©tabt  unternehmen,  ber  uns  all  bie  Schönheiten,  bie  mir  fchon 
berounbert  haben,  nrieber  in  neuem  Sid;te  unb  in  immer  neuen  ^erfpec* 
ttuen  $eigt,  ben  unauSlöfchltchen  ©inbrucf  ber  granbiofen  $erlaffenheit. 

£)ie  SWauern  haben  eine  Sange  non  natjeju  Heben  Kilometer  unb  ner* 
birtben  etwa  hunbcrt&wan}ig  meift  oiereclige  Thürme  miteinanber.  Seit 
langen  3a^rt)unberten  hat  man  ben  colojfalen  fteinernen  Mng  bis  auf  wenige 
unerhebliche  Strecfen  ber  langfamen  gerftörung  burdj  bie  3eit  preisgegeben, 
hat  man  ruhig  oerfallen  laffen,  was  eben  oerfallen  ift,  unb  feines  SWenfdjen 
&anb  hat  bie  raftlos  fchaffenbe  SRatur,  bie  bie  ©rbe  jroifchen  ben  Stein* 
häufen  befruchtet,  in  ihrem  oerf  ähnlichen  ©rjeugungStoerfe  geftört.  3u 
unburchbringlichem  ©eftrüpp  hat  ftch  baS  Unfraut  »erbietet,  unb  auf  ben 
£öhen  fchaufeln  fich  iefet  breitäftige  Säume  im  SBinbe.  Stuf  unferm  £rb* 
theil  roüfete  ich  faum  d*t«i  ^au  3U  nennen,  ber  bie  trofcige  nnb  boch  oer= 
gebliche  Auflehnung  beS  3J?enf<$emperfeS  gegen  bie  unauffjaltfame  3erftörung 
burch  bie  3eit,  ber  bie  2?ergänglia)feit  alles  Qrbif a>n  in  erfchüttemberer 
SBeife  jum  2luSbrucf  brächte,  als  biefe  riefenhaften  Ruinen. 

35er  rounberfame  Gontraft  jtDtfd^ett  ber  feierlichen  Stille  hier  an  ben 
dauern  unb  bem  roüften  Öärm  in  ben  engen  ©äffen,  biefe  9tochbarfdjaft 
ber  fchroffften  ©egenfäfee,  tritt  uns  auch  fonft  in  Gonftantinopel  oft  in 
befremblicher  2Beife  entgegen,  bitten  in  ben  oolfreidrften  ©egenben  finben 
mir  bie  Trümmerhaufen,  bie  unangetaftct  bleiben,  unb  auf  benen  baS 
Unfraut  wuchert.  Unb  inmitten  beS  ooflften  unb  lännenbften  Sebent  ber 
©rofjftabt  finben  roir  bie  ^uheftätten  für  bie  Tobten:  aufcer  ben  großen 
Kirchhöfen  sahireiche  f feinere  Segräbnifjpläfee,  bie  überaä  jerjlreut  in  ber 
Stabt  umherliegen.  Ter  größte  unb  roichtigfte  griebhof  ber  ganzen  Türfei 
ift  ber  oon  Sfutari,  auf  beffen  fdjroermüthig  finfteren  (Snpreffen  unroiH^ 
fürltch  fich  unfer  33licf  jebeSmal  roieber  hiulenft,  roenn  wir  über  bie  grofce 
örficfe  gehen.  T>er  griebhof  oon  Sfutari  ift  nicht  nur  an  fich  eine  Sehend 
roürbigfett,  er  bietet  nebenbei  aud)  ben  uieHeicht  fchönften  3luSfichtSpunft 
auf  Gonftantinopel  unb  baS  ©olbene  #orn,  auf  bie  ^rinjeninfeln,  baS 
2Jiarmara  =  9J?eer  unb  ben  Bosporus. 

5ln  einem  herrlichen  fonnenhellen  Tage  fuhr  ich  mit  meinem  liebend 
roürbtgeu  ©aftfreunbe,  bem  Ingenieur,  ber  mich  i,n  23ajar  herumgeführt 
hatte,  nach  ber  afiatifchen  Hüfte  hinüber.  2ln  ber  grofjen  33rücfe  nahmen 
mir  ein  ftaif,  eines  jener  f$(anf  gebauten  leichten  33oote,  bie  pfetlfdmeu* 
burdh  baS  ©affer  fdnefcen.  Xk  beiben  iöootfüf)rcr  roaren  rounberherrlidhe 
©eftalten,  9)JobeUe,  wie  fie  fich  ein  9)?aler  nicht  fchöner  hätte  rounfdjen 
fönnen.  Namentlich  ber  eine  war  eine  prachtoofle  Ghrfcheinung.  Gr  mar 
oon  ber  Sonne  ganj  fdjroars  gebrannt.  Unter  bem  gej  quoll  baS  oolle 
#aar  heroor,  ein  ganj  fraufer,  ziemlich  bünner  Sottbart  umrahmte  baS 


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  2Ius  bem  (Drtent.   


87 


ebelgefdjmttene  ©efidjt,  aus  bem  jtoei  brennenb  heiße  bunfle  2Iugen  funfeften. 
Seiner  ^cefe  hatte  er  fidj  entlebigt;  er  trug  nur  baS  $emb  unb  breite 
ioei§e  ^luberrjofen,  bie  bis  über  bie  ftniee  reiften.  £aS  &emb  roar 
nicht  gefchloffen,  unb  man  fah,  rote  Srabantio  fagtr  „beS  UnholbS  ped)= 
fchroarje  33ruft".  <5r  hatte  bie  £embärmel  aufgeftreift  unb  jeigte  ein  paar 
arme  oon  wahrhaft  tyerfulifdjer  SftuSfulatur. 

Sahrenb  unfer  Keines  Schiff  unter  ben  wuchtigen  9toberfchlägen  bie 
blaue  glutf)  burdjfaufte,  tummelten  um  unfer  ftahrjeug  ^unberte  oon 
luftigen  Delphinen,  bie  bie  lächerlichften  flooffprünge  matten.  ©S  fah 
beinahe  fo  aus,  als  ob  Tie  uns  eine  (Srtraoorftettung  geben  wollten.  Da* 
bei  jogen  in  langen  Letten  bie  tieffliegenben  Sögel  an  und  uorüber,  unb 
bie  Sonne  gierte  in  bem  cnanenblauen  Sßaffer,  baS  eine  f)errlid)e  Äüt)le 
oerbreitete.    GS  roar  ganj  wunberooH. 

gür  bie  SBewofmer  oon  ßonftantinopel,  bie  gewiffermafjen  ä  cheval 
srotfdVn  jroei  2Belttt)eilen  ftfeen,  fyat  Sfutart  mit  ben  anliegenben  Ort* 
fcfcaften  nidr)t^  befonberS  (SinbrucfSoolIeS  met)r.  2Iuf  mich  aber  machte  eS 
bod)  eine  eigentümliche  SBirfung,  als  ich  ben  gu&  jum  erften  Sflat  auf 
ben  Soben  3lfienS  fefete. 

SHoba,  baS  oberhalb  ber  gleichnamigen  Sucht  in  wunberooHer  Sage 
auf  fdjroff  abfallenber  &öbe  aufgebaut  tft,  bilbet  gewiffermafjen  bie  33ors 
ftabt  ju  ßabiföi,  bem  alten  Gbalcebon,  ber  Stfachbarftabt  oon  Sfutari. 
$n  SHoba  unb  ftabiföt  leben  fef)r  oiele  Deutfd&e,  bie  fid)  ba  inmitten 
Keiner  blüt)enber  ©ärtajen  befdjeibene  pbfdje  Käufer  gebaut  höben.  3Ran 
tyit  oon  f)ier  aus  eine  entjücfenbe  SluSftcht  auf  baS  Warmara^eer  unb 
namentlich  auf  bie  ^Srinjeninfeln,  bie  wärjrenb  ber  Sommermonate  oielen 
Seioofmern  (SonftantinopelS  unb  unter  biefen  auch  namentlich  oielen  unferer 
Sanbsleute  eine  fühle  3uffucht3ftätte  aus  ber  aisbann  unerträglich  ^eifeent 
Stabt  bieten.  3n  flabiföi  rjerrfdjt  währenb  biefer  3C^  em  re3e5  Sabe* 
leben.  2htfeer  ihrer  unoergleidjlich  frönen  Sage  bieten  bie  beiben  Drte 
nichts  SefonbereS.  2öir  bura^farjren  fie  fchneU,  um  uns,  roieberum  auf 
einem  unmöglichen  2£ege,  jur  &öhe  beS  großen  Kirchhofs  oon  Sfutari 
fjtnaufrfitteln  ju  laffen. 

©in  ungeheurer  Gupreffenhain.  ber  über  eine  Stunbe  lang  ift,  nimmt 
unS  auf.  Die  Saume  oon  ungeroöfmlicher  Stärfe  unb  Schönheit  beferjatten 
taufenbe  unfc  abertaufenbe  oon  ©rabfteinen,  bie  ben  Soben  gan§  bebeefen. 
3u  Äopf  unb  }u  ffi^en  jebeS  lobten  ift  fenfrecht  ein  etwa  fünf  bis  fecf)S 
Ju§  Ijo^er  SRarmorftein  aufgerichtet.  %t\>e  männliche  Seiche  ift  baburef) 
gefennjeichnet,  ba&  einer  ber  Steine  einen  Durban,  neuerbingS  auch  mit= 
unter  ein  ftej  trägt.  2Jiit  funftooU  oerfchnörfelter  Ornamentif  —  bie 
tfirfifchen  Stetnmefee  bergen  bafür  eine  befonbere  Oefchicflichfeit  —  unb 
mit  langen  Sluffchriften  finb  biefe  Steine  gefchmfitft.  Die  «erjierungen 
unb  Schriften  finb  häufig  in  bunten  Sorben  ausgeführt,  oergolbet  ober 
blau,  roth  unb  grün.   $a,  roo  ber  ftopffchinuä  grün  unb  fchroarj  gefärbt 


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88    panl  £inbau  in  Serlin.  — 

► 

ift,  ruht  ein  Semrifch.  Sie  eigentümliche  ©leichgültigfeit  ber  dürfen  au 
ber  (Spaltung  be$  ©efdjaffenen,  if)r  uns  unbegreiflich  erfcheinenber  &ang, 
ber  jerftörenben  ©eioalt  ber  ©lemente  unb  ber  3«t  in  träger  ©elaffenheit 
5U$ufdjauen,  jeigt  ftch  auch  hier.  So  herrlid;  bie  Steine  finb,  mit  benen 
bie  dürfen  it)re  lobten  ehren,  fic  laffen  fie  ruhig  oerberben  unb  r>cr: 
wittern  unb  fümmern  fich  nicht  im  ©cringften  um  bie  ^nftaubhaltung  ber 
©räber.  Sie  junädjft  fenfredjt  eingetriebenen  fcr)maten  Steine  oerlieren 
fet)r  balb  burd)  ihr  eigenes  Schroergenricht  il)rc  urfprfinglidje  Stellung;  fie 
fenfen  fich  balb  nach  rechts,  balb  nad)  linfs,  balb  nach  oorn,  balb  naa) 
hinten,  unb  fein  3Weufct)  benft  baran,  fie  roieber  in  Mefy  unb  ©lieb  $u 
rieten.  So  macht  beim  biefer  rieftge  5lird&l)ofr  ber  größte  beS  Oriente, 
bei  bem  roüften  Surcheinanber  unb  ber  völligen  Unregelmäßigfeit  ber 
©rabfteinc  trofc  ber  Schönheiten  im  (Sinjelnen  benfelben  (Sinbrucf  gren*en= 
lofer  ^enoahrlofung,  wie  mir  Um  l)ier  ju  Sanbe  auf  Schritt  unb  Sritt 
empfangen.  Sie  große  Sobtenftabt  unter  ben  efjrroürbigen,  fchtoermüthigen 
(Snprejfen  ift  gerabe  fo  oernrinfelt  unb  oernad)läfftgt,  nrie  bie  Stabt  ber 
Sebenben. 

3lber  bie  ungeheure  HuSbehnung,  bie  Waff enhaftigfett  ber  unzählbaren, 
jum  ^tjeil  fet)r  funftooll  gemeißelten  3Jtormorfteine  unb  oor  3lUem  bie 
Sa^önf)eit  ber  finfteren  SJäume  ergreift  bod)  mächtig. 

Sfutart  felbft  mar  bie  erfte  unoerfälfdjte  afiatifd&=türfifdr)c  Stabt, 
bie  ia^  fenneu  gelernt  Ijabe.  Sie  &ol$h$ufer,  in  benen  jebeS  Stocfroerf, 
oon  föroadhen  eisernen  Stüfeen  getragen,  über  baS  anbere  heroorfpringt, 
ftnb  unansehnlich  unb  unfd)Öit.  iHlle  Jenfter  finb  mit  einem  boppelteu 
©itterioerf,  einem  Ijöljernen  nach  ber  Straße  3U  unb  nach  ber  SBofmung 
ju  noch  mit  einem  aus  9iof)r  geflochtenen,  abgefperrt.  iöiStoeilen  fpringt 
noch  ein  ebenfalls  bid)t  oergitterter  Haften,  ber  genau  wie  ein  Ääfig  aus* 
fieht,  roof)l  eine  2lrt  Grfer,  aus  ber  Stirnfeite  hervor.  Sic  Stabt  ift  rote 
ausgeftorben.  §ier  Ijört  man  fein  SSagengeräufch,  hier  fieht  mau  faft 
feinen  3Jienfd)en.  Sie  SJiänner  finb  iool)l  311m  großen  Sbeil  unten  am 
Stranbe,  vielleicht  and)  im  ^ajar,  wo  fie  ihre  haaren  feilbieten,  unb  bie 
grauen  finb,  oor  9lÜer  üBlicfen  oerborgen,  in  ihren  frcublofen  ©emächern 
ober  in  jenen  buftenben  unb  blühenben,  aber  einfamen  ©arten,  bie  bura) 
hohe  dauern  2lller  flirten  entzogen  finb.  Sritt  einmal  eine  bidt)t  ver* 
fd;leierte  Sürfin  auf  bie  Straße  unb  wirb  fie  beS  gremben  anfichtig,  fo 
hufcht  fie  mit  einer  hier  auffälligen  ScbueÜtgfeit  oorüber. 

3n  einer  ber  oben  Straßen,  bereu  Traurigfeit  hier  im  blenbenbcn 
Sonnenglan^e  noch  befonbers  traurig  roirfte,  fal>  ich  ein  merftoürbiges 
Sdjaufpiel.  ^on  jroei  jer  lumpten  Serroifdjen  rourbe  auf  einer  Sänfte  ein 
fd;rcdlicbcS  menfcbliajes  Gefeit  getragen,  ein  oertrottelter  Mrfippel,  aus  beffen 
blöben  9lugeu  ber  Stumpffinn  ftarrte.  Sic  beiben  Männer  fangen  gatij 
merfioürbig  mit  überlauter  Stimme,  6  s  toaren  tforanfprüche,  bie  fie  vor- 
trugen.  Sa$tvifd)en  lallte  ber  arme  SMöbfinnige.   Sie  Ärüppel  fmb  ben 


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  Mus  &em  Orient. 


89 


9J?uf)amebanern  f>eüig.  (5$  toar  alfo  ein  fettiger,  ber  ba  umhergetragen 
unb  für  ben  ocrmuthlidh  bie  2Nilbthätigfeit  ber  fteajtgläulngen  antjerufen 
rourbe.  9Jirgenb$  ift  mir  bie  (5igcittt>ütuUcr)feit  be$  ffiam  anfa)aulid)er 
geworben,  als*  in  biefer  feltfamen  Gruppe  ber  plarrenben  Träger  unb  be$ 
(aßenben  3bioten. 

Unb  roie  Jjter  überaß  bie  ©egenfäfce  getoaltfam  aneinanberftoßen,  fo  faf>en 
roir,  ate  wir  um  bie  nä<$fie  (Srfe  bogen  unb  ben  Ginbrutf,  ben  ba$  miber* 
»artige  Sdhaufpiel  auf  un£  gemalt,  faum  übernmnbert  Ratten,  aus  all  biefem 
Jammer,  au$  all  biefer  Sraurigfeit  unb  SBerlaffenfjeit  hinaus»  auf  ba§  in 
ber  golbigen  Sonne  glänjcnbe  blaue  3fteer  unb  auf  tie  gegenüberliegenbe  Alfifte 
oon  ftonfiantinopel,  baä  nun  gan$  oerfdnoommen  im  Sonnenbunfte  in  buftigen 
Umrißlimen  wie  ein  phantaftifa)  märchenhafte*  33itb  oor  un£  lag  unb  in 
flimtnembem  ©Limmer  aus  bem  Gaffer  aufftieg.  Unb  mir  bauten  nun 
nid^t  mehr  an  all  bie  «päßUchfeiten  unb  Sraurigfeiten,  an  benen  unfer  23eg 
un*  oorbeif üt)rte^  wir  hatten  nur  nod)  bie  eine  (Smpftnbung :  e$  giebt  nid)U 
Schönere*  auf  ©otteä  fdjöner  SBelt! 

3u  meinem  ^ebauern  Ijatte  ich  erfahren,  baß  wenige  Tage  oor  meiner 
Ümfunft  in  Alonftantinopel  unfer  Sotfchafter,  &err  oon  sJiabonnfe,  ber  mir 
jebesmal,  roenn  wir  uns  getroffen  Ratten,  mit  außerorbentltdier  ,311001-= 
fommenhett  begegnet  mar,  unb  bei  bem  ich  eine  freuublidje  Aufnahme  $u 
fiitben  geroiB  fein  burfte,  feinen  Urlaub  angetreten  Ijatte.  «Dafür  mürbe  mir 
aber  bie  große  greube  bereitet,  £errn  Dr.  (Siemen«  2(uguft  Sufdj,  unfern 
früheren  Unterftaatäfecrctar  in;  3IuStoärtigen  2lmte,  bisherigen  ©efanbten 
in  Stfufareft  unb  jetzigen  ©efanbten  in  £totft)o(m,  ber  mit  ber  Leitung 
ber  s43otfc§aft3gefchäfte  in  ßonftantinopet  betraut  mar,  loieberjufehen. 
3<b  fann  ^errn  Dr.  $ufch  für  alle  £ieben*ioürbigfeiten,  bie  er  mir 
roährenb  meine«  2(ufentf)alte$  in  rtonftantinopel  erioiefen  fyat,  uia)t  Ijer^ 
lieh  genug  banfen.  ©3  mar  mir  audj  oergönnt,  ba  er  fid;  in  einer 
amtlichen  Angelegenheit  nach  bem  Sommerpalato  ber  ^otfe^aft  in  2:i)erapia 
,u  begeben  hatte,  unter  ben  angenehmften  ^ebinguugen  oon  ber  Sitelt  in 
ieiner  öefellfcr)aft  ben  SJoäporu«  unb  bie  beiben  lieblidt)ften  ^ospontefletfen, 
XI)erapia  unb  2Beutmf=b£rö,  fennen  ju  lernen. 

$a  ber  21ufenthalt  roährenb  ber  beißen  2)Jonate  in  ^ßera  felbft  ge= 
funbheit$fcr)äblich,  ja  unerträglich  ift,  fo  haben  bie  großen  9)iäd)te  für  ihre 
Vertreter  in  Xljerapia  unb  23eut)ufsb6r6  Ipxxiiä)  gelegene  fd)öne  Sommer* 
reftbenjen  errietet,  3Me  ^erbinbung  mit  tfonftantinopel  wirb  burd)  eigene 
Heine  £ampf:?)ad)ten,  bie  fogenannten  3J?oud)e3,  oermittelt.  Siefe  allein 
liebften  f(hneUfahrenben  Keinen  Schiffe  tragen  bie  sJieid)$farben  ber  be= 
treffenben  Sotfd;aften  unb  werben  oon  ben  ÜDlannfdhaften  ber  oor  Gon* 
ftantinopel  ftationirten  tfriegsfduffe  bebient.  Unfer  fleiner  beutfdjer  "SoU 
fchaftebampfer,  oon  bem  au«  id;  bie  .§crrlid)feiteu  ber  iüodporu*4lfer 
betounbern  burfte,  rjat  leiber,  n>ie  fpeiter  in  ben  3eituugen  311  lefeu  ftanb, 
öurdt)  3ufammenftoß  mit  einer  anbern  „Pouche",  ich  glaube,  mit  ber 


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90 


paul  £inban  in  Seriin.   


ber  ruffifdjen  SBotfdjaft,  fdjweren  ©djaben  erlitten;  irre  idj  midj  nid&t,  fo 
ift  er  fogar  gefunfen. 

©djabe  um  ba$  faubere,  fd)öne,  fd)nelle  fleine  6djiff! 

XII. 

^af^rt  auf  bem  Bosporus, 
»lief  bon  bem  bcutfdjen  $öotföaft3Ualai&.  —  Stuf  bem  SBaffer;  2>eiDfcinc  unb  wüer* 
bamratc  Seelen".  —  2)ie  Ufer.  —  $ie  rumeltfdje  unb  anatoüfdte  SSefte.  —  X&eraoia 
unb  Söeunuf-bere.  —  $cr  SommerRö  unferer  23otfd)aft.  —  2>ie  Cuaifira&en.  —  Durd) 
Sariiar  nad)  bem  SHofentfjaf.  —  äkrüfjmteS  2Baffer.  —  (Sin  SHettcrftücfdjen.  —  SRücf* 

faljrt.  —  Slbfdjieb  öon  Sonftantinopcl. 

mar  ein  fonnenheller,  wunberooller  Dag,  an  bem  mid)  &err 
Dr.  93ufd>  von  unserer  33otfdjaft  jur  Dampferfahrt  abholte.  Da«  beutfdje 
^alate  ift  auf  ber  hödjften  £öf)e  uon  $era  errietet.  ijt  ein  ftattltd&es 
©ebäube,  ba$  bem  gremben,  ber  uom  9Jtormara=9tteer  ober  oom  33o$poru3 
^er  in  ben  &afen  oon  Gonftanttnopet  einfahrt,  fogleidj  in  bie  2lugen  fallt. 
@3  hat  in  Einzelheiten,  fo  in  ber  ©lieberung  ber  beiben  unteren  6toä= 
werfe  unb  in  ber  Krönung  be«  ©iebels  mit  ben  9iblern,  eine  gewollte 
ober  ungewollte  3lefmlid)feit  mit  bem  fdjlichten  föniglidjen  ^oiaiä,  baS 
unfer  grojjer  tfaifer  bewofmt  hat  unb  in  bem  er  geftorben  ift.  2lber  ba= 
'  burch,  bafe  man  nod?  ein  Stocfwerf  aufgefegt  hat  haben  fid)  bie  Verhält* 
niffe  uöllig  oerfdpben,  unb  bie  Söirfung  ift  eine  ganj  anberc  geworben 
—  eine  weniger  harmonifdje  unb  oornerjme.  Da«  SBotfdjaftSgebäube  hat 
jefct  eine  unermünfdjte  2lehnliä)fett  mit  ben  2)Jieth«fafernen  ber  neuen 
berliner  Viertel  unb  imponirt  mehr  burd)  feine  ©röfje  als  burd)  feine  <Sdjön* 
heit.  2lber  bie  Sage  ift  herrlid).  3?on  bem  oor  bem  (SmpfangSräume  liegen = 
ben  2Utan  aus  hat  man  ben  freien  Slueblicf  auf  ganj  $era  unb  Stambul, 
auf  bie  6eraifpifee  unb  bie  9ttoSfeen,  unb  bann  tjinübcv  auf  bas  3Heer 
unb  bie  nmnberbare  afiatijdje  ©ebirgsfette  mit  beren  uon  blauen  sJSeßen  ums 
flutteten  93orfd)iebungen,  ben  fogenannten  ^rinjeninfeln.  3wr  fechten  oer* 
liert  fid)  in  blauem  Dufte  in  weiter  gerne  baS  $ruffas@ebirge,  au«  bem 
ber  afiatifche  Dlnmp  heroorragt  —  ber  falfdje  Dlnmp,  beffen  fdmeeiger 
©ipfel  fich  mit  ben  r>on  ber  Sonne  befchienenen  ebenfalls  fd)neetg  wirfen« 
ben  2Bolfen  oermiid)t.  Wngäumljer  grünt  unb  blüht  e«.  Die  bunten 
Käufer,  bie  jur  23otfd)aft  hinaufklettern  freuten,  geben  bem  ©anjen  einen 
freunblidjen  luftigen  (Sharafter.  Unb  unten  in  ben  r)crrlid)en  ajurenen 
glutfjen  raften  bie  mäd)tigen  <5d)iffe,  unb  bie  StaxU  unb  fleinen  Dampfs 
?)ad)ten  tummeln  fröt>tidr)  um  fie  her,  gegängelte  filberue  gurdjen  hinter 
fid)  jiehenb. 

©ine  gahrt  auf  bem  93o«poru«  bei  golbigem  Sonnenfdhein,  in  ber 
föftlichcn  Srijche,  bie  ba«  tiefblaue  SBaffer  uns  ^ufädjelt  —  e«  giebt  nid)td 
(Sntjücfenbcre« !  3lu«  bem  faftiaen  ©rün,  oon  blflhenben  ^ofen  unb  Oleanbem 
umfränjt,  treten  bie  9)?armorpaläfte  mit  ihrem  sierlidjen  luftigen  <Sa^mucf; 
werf  funfelnb  am  Ufer  heroor.   Da«  Panorama  ber  farbigen  Doppelftabt 


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  2Ius  5em  (Orient. 


mit  iljren  fuppelförmigen  Ueberragungen  unb  fpt^en  ftfjtanfen  £f)ürmd)en 
oerfd)iebt  fu$  in  reijoollfter  Söeife,  wirb  unbeftimmter,  traumhaft  unb  oer= 
fdjroinbet  ftt)liefe(id)  in  fltmmernben  3^e6et.  £ie  Sonne  befprenfelt  ba$ 
unoerglcic^üc^e  Xiefblau  be$  3Öaffer3  mit  golbigen  tupfen,  ©ro&e  Sdjaaren 
oon  $elpf)inen  begleiten  unfer  Keines  Sd)iff  unb  ftellen  mit  biefem  eine 
%ti  2ßettlouf  an,  in  ben  übermütyigften  ^urjelbäumen  balb  aus  bein  SBaffer 
auffdjneüenb,  bann  roieber  fopfüber  barin  untertaud&enb.  Unabläffig  sieben 
in  größeren  unb  fteineren  fletten  oon  fecf)$  bis  über-  breifeig  unb  in  &iemliä>r 
Siefe  fonberbare  SßögcC  über  bie  äöafferflädje  Inn.  Salb  fommen  fte  uns 
entgegen  oon  ber  sJtia)tung  be$  ed^roarjen  ÜHeereS,  batb  überholen  fie 
unfer  Sdjiff  com  2)tonnara:9tteer  rjerflatternb.  SBon  weitem  gefefjen  er* 
fa)einen  fie  wie  f^roarae  ^Seitenlinien  über  bem  28affer.  2ßenn  Tie  ftd) 
und  näjjern,  fo  fetyen  roir,  wie  in  ber  Sonne  ifjre  Leiber  fdjneeig  roetfj 
glanjen-  Sie  fjaben  in  iljrem  rjaftenben  gluge  etwas  merf  würbig  Sdjeues 
unb  2lngftootte$.  2)ie  Seute  oon  ßonftantmopel  behaupten,  bafe  man  biefc 
Sögel  nie  rjabe  rufjen  fefjen.  Sie  fdjwännen  beftänbig  fu'n  unb  roieber,  in 
ber  engen  äöafferftrafee  ber  2)arbanellen,  roie  in  ber  breiteren  unb  ferneren 
be$  SoSporuS,  ojme  9^aft  unb  9fuf)e.  Xefyalb  nennt  man  Tie  aua)  in 
Gonftantinopel  bie  „oerbammten  Seelen."  3nroieroeit  bie  wiffenfc&aftlidje 
JeftfteUung  mit  bem  ©tauben  im  2$olfe  übereinftimmt,  wei§  id)  nidjt. 
3a)  glaube,  man  järjlt  biefe  $ögel,  bie  id)  f)ier  jum  erften  9Wal  gefefjen  rjabe, 
ju  ben  «galcnonen.  ^ebenfalls  aber  ift  bie  oolfstfyümlidje  SBejeidmung  fe^r 
jutreffenb;  fte  madjen  einen  mu)eimlid)  rufjelofen  traurigen  (Sinbrucf. 

Unb  gerabe  fner,  in  biefer  munberf>errlid)en  greubigfeit  ber  Statur, 
über  biefem  äBaffer,  an  beffen  fräftig  fd)önem  23Iau  man  ftdj  ntdjt  fatt* 
feiert  fann,  in  biefer  erquidenben  flüt)le,  in  biefer  behäbigen  grieblidtfeit 
ber  grünenben,  blüljenben  Ufer  wirfen  bte  jappelnben  angftooHen  @es 
ja)öpfe,  bie  ba  beftänbig  auf  unb  nieber  fcrjwirrcn,  boppelt  befrembtid)  unb 
gefpenftifd). 

2>ie  Ufer  be3  33o£poru$  fmb  oon  ben  2luäläufern  oon  Gonftantinopel 
an  bis  naljeju  rjinauf  jum  ©ingang  in  ba3  Sd)warje  Sföeer  faft  gan$  mit 
Käufern  unb  §äusa)en  bebaut,  glecfen  reifet  fid)  an  glecfen.  3ebe 
Ginjelfjeit  unb  2ltle3  jufammen  ftrarjlt  in  luftigfter  garbigfett,  in  fjeiterftem 
@lanje.  greüid)  barf  man  aud)  rjier  ba3  ©injelne  nid)t  aH$u  fct)arf  in'$ 
äuge  faffen.  2lud)  an  ben  wunberfcfjönen  Ufern  be3  Bosporus  würben 
nur  o^ne  2)2ü!)e  bie  berebten  3tu$zn  ber  orientalifdjeu  ©igent^ümlid)feit 
unb  bed  traurigen  3uftanbe3  oer  ^ürfei  in^befonbere  beutlia)  roafuTietmten : 
öte  grenjentofe  Sorglofigfeit,  ben  SBerfaü*  o^ne  Äummer,  ben  fanget 
o^ne  Älage.  3lud)  l)ier  roolmt  in  ben  genfterbö^en  ber  eingeäf^erten  ©c- 
baube  baö  ©rauen.  -öenlid^e  Sommerfi^e,  bie  ficr)  in  befferen  3eiten  bie 
roo^I^abenben  Seute  oon  ßonftantinopel  t)ter  errietet  l;abenf  fielen  nun 
oertaffen  unb  oerroa^rloft  ba,  unb  bie  frönen  ©artenantagen  oon  efjebem 
finb  in  erjd^redEüa)er  9ßeife  oerroitbert.   2tber  ba«  ©anje  ift  bod;  fo 


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I 


92    paul  £inbau  in  Berlin.  - — 

urnnberooH,  bafj  man  fidj  burdj  biefe  2Barjrnef)mungen  nid)t  oerftimmen 
unb  baS  wohlige  Serjagen,  baS  uns  bie  ©efammtf)eit  bietet,  nidjt  oer* 
fümmern  läflt.  2Bir  Miefen  über  all  bie  Serioarjrlofungen,  über  bie  <Sc^utt- 
unb  £rümmerf)aufen  Ijinroeg  unb  freuen  uns  ber  ladjenben  &äuSd)en,  bie 
an  ben  fanft  auffteigenbeu  Ufern  aufgebaut  ftnb,  an  bem  £iefgrün  ber 
alten  Säume,  bie  fie  begatten,  unb  an  ber  Slütrjenpraa)t  ringsumher. 

3n  baS  friebltdje  ^bnll,  baS  fid)  auf  beiben  Seiten  beS  blauen 
SßafferjS  entlang  jierjt,  tritt  plöfclid)  unoermittelt  unb  trofeig  bie  Oeroalt 
friegerifcr)er  bauten. 

Unroittfurlid)  mufjte  idj  an  bie  £elI=Cuoerture  benfen:  roie  in  baS 
liebliche  QbpU  beS  5fuf)reigenS  rot)  unb  jär)  bie  friegerifa^en  Trompeten 
beS  brutalen  (Eroberers  rjincinbrüUen.  2luf  beiben  Seiten  bei  UferS  beS 
SosporuS,  ber  fid)  Iner  am  meiften  oerengt,  erleben  fid)  impofante  unb  grofc 
artig  unb  geioaltfam  roirfenbe  geftungSbauten:  ju  unfererSinfen  bicrumelifdje 
Sefte,  bie  gröjjte  unb  bebeutenbfte,  ju  unferer  9ted)ten,  gegenüber,  bic 
anatotifd>e  —  SHumili  &iffar  unb  2lnaboli  £iffar  —  warjre  3'^ngburgen, 
bie  wie  lauernbe  Ungeheuer  auf  ber  &öl)e  liegen,  mit  (loggen,  runben, 
auSgejadten  Stürmen,  bie  miteinanber  bura)  mächtige  dauern  oerbunben 
finb,  unb  oon  benen  ebenfoldje  plumpe,  fd&toerfällige,  flofeige  dauern  jum 
Ufer  Innabfüfjren.  Die  hellgrauen  Steinhaufen  ragen  aus  bunflen 
Gopreffenfjainen  auf,  unb  am  Ufer  ftef)t  man  unter  biefen  Gpprejfen 
lüieberum  bie  formalen,  nnllfürlid)  äufammengeJjäuftcn  Steine,  bie  nad) 
allen  sBinbrid^tungen  r)in  fidt)  gejenft  haben,  toieber  einen  ber  jarjKofeu 
$Urd)t)öfe.  fyfy  W  fia)  in  biefe  fnegertfdje  3ianr>r>eit  bie  ®emäd)ltd)fett  beS 
befdjaulidjen  ©euiefcenS  ^incingefiljt.  3rotfd)en  ben  trofcigen  dauern  finb 
hübfd)e  Sanbljäufer  angebaut,  bie  fid)  um  iljre  mächtigen  unb  brof)enbeu 
fteiuernen  9iad)barn  nidjt  mehr  fümmern.  3ftau  wirb  an  baS  befanute 
Silb  oon  spaul  Wenertjeim  erinnert:  an  baS  ännfd)en  ben  flauen  beS  Sötoen 
gemütl)lid)  fdjlafenbe  &ünbd)cn  im  S^n^r.  Die  runben  rumelifä>en 
Dtjürme  mit  tfjrem  Seitenftüd  am  anbern  Ufer,  ben  anatolifchen,  bilben 
einen  ber  fdiönften  fünfte  beS  Bosporus.  Die  Sljürme  finb  ein  ^abr 
oor  ber  (Eroberung  ftonftantinopels  burd)  bie  dürfen  oon  SKuhameb  H. 
1452  erbaut  roorben.  Die  alten  bij^antinifd^eu  Gfjronifcn  berichten  in 
fer)r  berebter  Spradje  oon  ber  fürd)terlid)cn  Aufregung,  oon  bem  finnlofen 
Sdjreden,  ber  fid)  ber  Scroolmer  beS  alten  Sosauj  benuidjtigte,  als  jene 
foloffalen  Sauten  in  beängftigenber  9todjbarfcf)aft  aus  bem  Soben  auf- 
ioud)ien.   Unb  bie  iUngft  war  nur  3U  begrünbet. 

SiMr  bampften  frohgemut!)  an  ben  Stürmen,  bie  jefct,  ba  fie  alles 
Sdjredljaftc  oerloren  Ijaben,  nur  noch  oon  unbefcbreibltdjer  becoratioer 
Sdjönbeit  finb,  oovüber  unb  fliegen  erft  in  Xljerapia  an'S  £anb. 

£ljerapia  unb  baS  benadjbarte  Seuouf  =  b6r6  finb  bie  beliebteften 
unb  elegantefteit  Soinmeraufteblungen  beS  Bosporus,  in  einer  Sage  wie  mau 
fie  fid)  ^errlidjer  faum  oorftellen  fanu.  (SS  ift  nid;t  bloS  bie  Bereinigung  oon 


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2Jus  bcm  OJrient. 


93 


9Jaturfchönheiten  unb  SWenfcbemoerf:  ba$  nnmberooüe  Gaffer,  bie  malerifchen 
Ufer  mit  bcm  bunflen  ©rün,  bie  freunbltchen  Käufer,  bie  Jjerrlicfyen 
Slumen,  bie  biefem  gefegneten  Jletfchen  ßrbe  feinen  &auptreij  oerleiljen,  e£ 
ift  oor  3lUem  bie  föftlidje  2uftr  eine  frifdje  tfüljle,  eine  Feinheit  unb 
s®ürse,  bie  bie  Sruft  erweitert  unb  mit  einer  ©enufefreubxgfeit  ohnegleichen 
erfüllt.  5t Ue  Sporen  öffnen  fich,  um  biefe  frifdje  freie  #uft  einjujiehen. 
2Jian  atfmtet  langfam  unb  bebächtig  unb  mit  magrem  ©enuffe,  man  fdjlürft 
biefe  fiuft  wie  einen  £abetrunf.  Selbfi  in  ben  fjeifeeften  Sagen  roetjt  oon 
ber  benachbarten  grofcen  2£afferfläche  be$  Schwarten  9J?eere$  burch  ben 
So»poru3  biefer  auffrifdjenbe  ,§auch,  ber  mit  £eben$freubigfeit  erfüllt. 

%n  biefen  beiben  Jlecfen',  bie  fich  nur  wenig  ooneinanber  unter* 
fajeiben  —  ob  mau  bem  reijenben  £herapia  ober  bem  ebenfo  lieblichen 
Seuimf=bt?r6  ben  Sorpg  giebt,  ift  Sache  bc3  persönlichen  ©efäjmacfö  — , 
^aben  aud)  bie  Sotfdjaften  i^re  Sommerrefibenjen. 

Da3  neuerrichtete  ©ebäube  ber  beutfchen  Sotfdjaft  in  £l)erapia  fyxt 
eine  pradjtooHe  £age  am  So3poru3,  in  einem  herrlichen  alten  $arf,  im 
fa)attigen  @rün  alter  fräftiger  Säume,  eingefchloffen  oon  bichtbeftanbenen 
lieblichen  Anhöhen.  Da«  ©ebäube  ift  in  einem  etnmS  nnUfürlidjen 
Phantaftifchen  Sittenftit  aufgeführt,  in  bem  fid)  bie  Elemente  ber  norbifdjen 
Saufunft  mit  benen  be£  SchioetjerhäuSchenS  oerfchroiftem,  unb  für  bie  Dma= 
mentif  auch  bie  ©inmifchung  ber  maurifchen  unb  ber  orientalifchen  tfunft 
bulbfam  jugelaffen  ift.  @d  fteht  in  biefer  lanbfchaftlichen  Umgebung  mit  feiner 
bräunlichen  garbe  oietteicht  nicht  anmutig  unb  luftig  genug  au$,  aber 
immerhin  ift  e$  ein  ftattlicher,  wohlgefälliger  Sau,  unb  bie  innere  @in= 
richtung  fott  fefjr  praftifd;  unb  bequem  fein.  $n  bem  «gauptgebäube  finb 
bie  ©efeüfchaft«;  unb  2ßohn$immer  be*  Sotf  dufter*,  in  bem  9lnbau  bie 
©efchäftäräume. 

Sei  £h*rapia  bilbet  ber  SoSporu*  eine  (leine  Sucht,  bie  als  &afen 
für  bie  Sergnügungsbampfer  unb  fonftigen  galjrjeuge  benufot  mirb.  ßängS 
ber  Ufer  ift  hter  tote  in  Seui)uf*b6r6  eine  nad>  ben  Serhältniffen  be* 
Oriente  ungeroöhntich  gutgehaltene  Strafce  angelegt  mit  jum  Dheil  recht 
hübfcheu  Käufern  unb  leiblich  guten  ©afthöfen.  Stuf  biefen  freunblichen 
Cuaiftrafeen,  bie  an  bie  eleganten  ^romenaben  uuferer  fchönftcn  Seebaber, 
CftenbeS,  ScheoeningenS  u.  f.  10.,  erinnern,  ergehen  fich  in  ber  Äüljle,  bie 
ba3  Gaffer  fpeubet,  bie  QHücflidjeu,  bie  ber  quälenben  &ifee  oon  5lonftan= 
ttnopel  höben  entrinnen  bürfen.  Da  treiben  fich  auch  bie  Serfäufer  umher, 
bie  ihre  SBaaren  fchreienb  feilbieten,  bie  Sermiether  oon  Ziagen,  ^ferben 
unb  ßfeln  uub  bie  unoermeiblichen  Settier;  unter  biefen  natürlich  serlumpte 
3igeuner  mit  rounberoollen  2Iugen,  bie  gelähmte  täppifdje  Saren  unb 
fchäbig  auägepufete  alberne  2(ffeu  heimführen  unb  Schauluftige  um  fich 
fammeln.  Die  Öuaiftra§e  in  Seupuf^böre  ift  tpof)l  noch  eleganter  aU  bie 
oon  £f)erapia. 

3ur  3eit/  ba  ich  bie  So$poru3*Drtfchaften  befudjte,  c)atte  bie  eigent- 


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9* 


paul  £in&aii  in  Berlin.   


lict)e  ©aifon  nod)  iticht  begonnen.  (£S  Ratten  fid^  bamals  erft  wenige 
Soinmergäfte  eingefunben.  ftie  großen  Rotels,  in  benen  man  gut  aufge- 
hoben ift,  tearen  alfo  noch  fpärltd)  befefct.  3)ie  5Utfmffif)rer  unb  ^>ferbe* 
oermiether,  bie  lang  auSgefirecft  am  Vobeu  lagen  unb  fich  bie  ©onne  auf 
ben  (Scheitel  brennen  ließen,  betrachteten  uns  noch  mit  befonberer  9hifmerf= 
famfeit  unb  boten  uns  mit  ber  Vetjarrlichfeit  ber  Orientalen  ihre  $ienfte 
an.   Srofe  unserer  Abwehr  oerfolgten  fic  uns  oiertelftunbentang. 

3Wit  magrem  Vergnügen  erinnere  ich  mid)  nod)  beS  prächtigen  dürfen, 
ber  uns  burchauS  $mci  feiner  $ferbe  auffdjwafeen  rooUte.  @S  mar  noch 
ein  Stürfe  oom  alten  6d)lage,  wie  er  im  33ud)  fteht:  ben  Xurban  um 
ben  opf  gefd)lungen,  ein  ebelgeid)nitteneS  ©eftc^t  oon  tiefbrauner  gärbung 
mit  faft  fchwarjen  ©ommerflecfen,  mit  großen,  fchmermüthig  braunen  &ugen, 
fdmeeweißem  Vollbart,  in  ber  edjten  orientalifd)en  Xrad)t:  ber  furjen  ^aefe, 
ber  breiten,  bunten  Schärpe,  ben  weiten  ^Uberhofen  unb  ben  geftidten 
6affiau=Sd)uhen  mit  aufgeschwungenen  Spifcen.  ©r  ^atte  fein  «Hofelein, 
einen  ftarfen,  filbergrauen  ^onnn  mit  langer  3Jiärme  unb  langem  Schwans, 
fofett  auSgepufet:  mit  SHofenfnoSpen  an  ben  Chren  unb  einem  großen 
Vouquet  am  Scrjwanj,  unb  er  wollte  burd)  Vorführung  feines  hftf>fchen 
XhiereS  in  uns  bie  Suft  entfachen,  mit  ihm  in  geschäftliche  Unterhanblungen 
ju  treten.  ©r  parabirte  mit  feinem  ftoljen  f leinen  ©aul  cor  unferen  3Iugcn 
in  allen  ©angarten.  (£r  ließ  baS  Sßferbchen  fpringen  unb  pirouettiren. 
Unb  wenn  mir  uns  nicht  im  §ote(  gum  grühftücf  angefagt  hätten,  fo  r)ätten 
mir  tiefen  Socfungen  aud)  fdjwerlich  roiberftehen  tonnen. 

3n  ben  SRachmtttagSftunben  machten  mir  oon  Veunuf=b<§r6  aus  einen 
größeren  Spaziergang,  ber  uns  $unäcr)ft  burch  ein  türfifcheS  $orf,  baS 
Sarijar  heißt,  führte. 

$)as  $orf  ift  an  ben  Ufern  eines  f leinen  JluffeS  aufgebaut,  über 
ben  oerfcfjiebene  etenbe  ^oljbrücfen  führen.  Stein  SRenfch  ließ  fich  in  ben 
Straßen  fehen.  £ie  oergitterten  Käufer  roaren  allefammt  wie  auSgeftorben. 

©leid)  h^ter  bem  £orfe  wirb  es  wunberooü.  Vor  uns  breitet  fiel) 
ein  liebliches,  in  reichfter  Vegetation  prangenbeS  Styil  aus,  baS  9iofenthal  ge= 
nannt,  baS  tangfam  auffteigt  unb  ju  einer  §öhe  hwanführt,  auf  ber  ftch 
ein  im  ganjen  Sanbe  weit  unb  breit  berühmter  Vrunnen  befinoet.  £aS 
Duellmaffer  hat  feine  anberen($igenfd)aften,  als  bie  allerbingS  fehr  refpectablen 
ber  oölligen  Feinheit,  ber  grifd)e  unb  beS  äSohlgefchmacfS.  2)ie  Sürfen 
finb  große  SBafferfreunbe  unb  fommen  aus  weiter  9iachbarfchaft  barjer,  um 
hier  ihre  großen  £h°nfrüge  mit  bem  fühlen  reinen  äikxffer  $u  füllen.  2£ir 
begegneten  einem  ftämmigen  Ü3urfd}en,  ber  fo  einen  gewaltigen  flrug  fd)leppte, 
unb  ber  fich  mit  ber  SiebenSwürbigfeit  unb  2lrtigfeit  ber  Xürfen  als  frei^ 
wiütger  3ül;rer  unb  Begleiter  uns  anfd)loß.  (Sr  unterhielt  fich  mit  $erm 
Dr.  iBufch  fehr  angelegentlich  unb  erzählte  biefem  SBunberbinge  über  bie 
heilfame  üiMrfung  beS  berühmten  2&ifferS.  ©r  ftettte  Theorien  auf,  benen 
unfere  Vrunnenärste  wohl  nicht  ohne  Weiteres  beipflichten  werben.  Er 


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2Ius  bem  (Drient. 


95 


behauptete  unter  2lnberm,  man  fönne  ein  ganjeS  Samm  aufeffen;  wenn 
man  bann  oon  bem  Gaffer  nur  $mei  ober  brei  @las  trinfe,  fo  löfe  fid^ 
baS  Samm  im  Ziagen  ooüüanbtg  auf  unb  fjinterlaffc  nid)t  bte  gcringften 
$ef  anwerben. 

$a  oben  am  Brunnen  tyxt  ftdj  eine  2ßirtbfd)aft  aufgetfjan.  2ßir 
tranfen  guten  türfifdjen  ßaffee  unb  mehrere  ©las  beS  aHerbingS  föfc 
Hajen  3£afferS.  ^ox  uns  lag  baS  fdiöne  grüne  £bal,  oon  bidjtbe* 
roadn'enen  Mügeln  eingefdjloffen,  in  ber  oollen  griffe  bes  jungen  Sommers, 
©in  beraufdjenber  2£of)lgerudj  oon  ^lütfjen  unb  »turnen  bampfte  ju  uns 
auf,  unb  Eufcenbe  uon  SGaa^tigallen  flöteten  unb  feufjten  baju.  (£s  waren 
mwergleidtftd)  fdjöne  Stunben,  bte  wir  ba  in  gemäajlidjem  ©eplauber 
utrtiraajten. 

2lls  wir  ben  $eimweg  antraten,  mürben  mir  mieberum  oon  spferbe* 
oerlei^ern  beftürmt,  unb  nun  entfdjloffen  mir  uns  enblia),  baS  fidj  immer 
roieberf)olenbe  bringenbe  Stnerbieten  anjunelmten.  3$  fjabe  mta)  niemals 
für  einen  Kunfrreitcr  ausgegeben.  $aS  eble  Sfoft,  baS  id)  beftieg,  mar 
Qua)  ein  ganj  uernünftigeS  Xljter,  baS  meine  wofjlmeinenben  ?lbfid)ten 
burajfOKiute  unb  $u  bem  tdj  batb  in  ein  rea^t  gemütfjltdjeS  2Jer&altm§  trat; 
aber  es  f)atte  feine  Surfen,  eS  gehörte  $ur  äufcerften  fiinfen,  es  fjatte  einen 
$rang,  na<f>  linfS  fnnüberjuidneben,  ber  mir  um  fo  unangenehmer  mar, 
als  gerabe  linfs  oom  21'ege  bie  #öf)e  $temlid&  abfäjüfftg  unb  fdjroff  abfiel. 
9Rein  Begleiter  oergnügte  ftd)  fönigtid)  über  meine  oergebliäjen  »emüfnmgen, 
baS  2^ier  nadj  redjts  ju  bringen,  $er  3unge,  ber  uns  bie  ^ferbe  ge= 
geben  f)atte,  trabte  fdjmetfjtriefenb  hinter  uns  brein.  9JUeS  ging  audj  ganj 
gut,  bis  mir  in  baS  £orf  jurüeff ehrten.  2)a  fam  mein  $ferb  auf  ben 
unglfitflid&eu  (Einfall,  $u  galoppiren.  3$  &at  bringenb,  biefe  überflüfftgen 
cd^erse  su  unterlaffen;  benn  baS  spflafter  mar  miferabel,  unb  id)  rourbe 
burdjgefdjüttelt  roic  eine  SHebicinflafdjc.  3lber  es  fyalf  nia^ts.  (5s  galoppirte 
nun  einmal  unb  jwar  gehörig.  £abei  wafule  es  in  öejug  auf  ben  2öeg, 
ben  es  nalmt,  baS  freie  9Jed)t  ber  Sclbfibeftimmung.  2Bäl)renb  Dr.  33ufd^ 
mit  bem  jungen  über  eine  ber  ^Brüden  Ijinmeg  an  ber  redeten  Seite  beS 
JluffeS  entlang  trabte,  blieb  mein  Sßferb,  feinen  politifa^en  Ueberjeugungen 
treu,  auf  ber  linfen  Seite  unb  galoppirte  in  eigenmääjtiger  gröl)lid)feit 
mit  mir  fdjarf  ItnfS.  2tber  es  giebt  im  Sebcn  ein  SBieberfeljen,  unb 
fd)ltefjlid)  Bereinigten  mir  uns  gemädjlidj  am  SluSgangc  beS  Dorfes. 

25a  trafen  mir  audj  ben  alten  dürfen  mieber,  ber  nodj  immer  auf 
feinem  filbergrauen  ^Jonni;  renoimniftifdj  parabirte.  Gin  fo  grünbltdj  vex- 
ädjtlidjer  2Utd,  mie  aus  ben  5(ugen  biefeS  braoen  sDianneS,  als  er  mid) 
in  ungewolltem  (Mopp  auf  bem  wenig  reijooüen  f>5aule  oorftberfaufen  fab, 
fjatte  mid)  nod)  nie*  getroffen. 

Sie  Sonne  ftanb  fa^on  jiemlid)  tief,  als  mir  mieber  an  33orb  unferes 
Reinen  Dampfers  ftiegen.    Xie  frifa^e,  ftarfe  Suft  würbe  atfmäfjlid) 

tlvxi  nnb  Süb.  I«,  HS.  7 


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96 


  paul  £iit&au  in  Berlin.   


empfinblid^  fu^ter.  2Bir  jogen  unfere  roarmen  9tocfe  an  unb  faljen  nun 
im  golbigen  £id)te  bcr  fdjeibenben  Sonne  bie  traumhaft  frönen  Ufer  an 
uns  ooriiberjiehen.  9ied)t3  unb  linfs  oon  unä  fchurirrten  nodj  immer  in 
langen  Stetten  bie  Keinen  $ögel,  bie  „oerbammten  Seelen",  neben  un$  tyer. 
@rö&ere  unb  fleinere  Dampfer  begegneten  un$,  pfeUfd^nelle  StaiU.  Unb 
unter  bem  glutljrotf)en  Gimmel  falj  ba3  Ijerrlidje  Äonftantinopel  roie  in 
(Mb  getauft  au3,  als  mir  an'3  fianb  fliegen. 

Selten  habe  ich  frohere,  genußreichere  unb  behaglichere  Stunben  oer* 
bracht,  aß  an  biefem  unuergeßtichen  Sage  auf  bem  33o$poru3  in  ber  ®c= 
fetlfchaft  be§  anregenbften  unb  tiebenSroürbigften  Begleiters  .  .  . 

$er  einige  3roecf,  ben  ich  bei  meiner  Steife  nach  flonftantinopel  uer= 
folgt  hatte,  mar  nun  erfüllt,  3$  hatte  ba3,  roaS  auf  ber  Oberfläche  liegt, 
ba3  SlugenfäHigfte,  auf  mich  mirfen  laffen,  ohne  mir  burä)  ben  unglüd* 
liefen  $erfuch  be3  tieferen  Einbringend  bie  &armlofigfeit  meiner  ©inbrürfe 
ju  uerberben.  Unb  fo  burftc  id)  benn  mit  23efriebigung  auf  meinen  2lufent* 
halt  jurücfblitfen  unb  au  bie  fteimfehr  benfen. 

ftonftantinopel  gehört  nid)t  §u  ben  Stäbten,  bie  ben  gremben  burch 
anbere  ^eije,  ati  bie  Schönheit  ber  9?atur,  beä  Goloritd  unb  ber  orientalifäen 
Eigenart,  langer  fehlten.  $ie  Stabt,  felbft  baS  von  Europäern  be* 
roofmte  ^pera,  ift  nach  meinem  ©efehmaefe  oottfommen  rei$lo§.  2Benn  man 
fidt)  nicht  an  eine  gamilie  anfaulte  ßt  —  unb  ber  grembe,  ber  ber  freie 
&err  feiner  Bewegungen  fein  will,  pflegt  foldje  Stnfnüpfungen  nicht  $u 
fudjen  — ,  fo  ift  man  am  9lbenb  jiemlidt)  ratt)lo£.  Sobalb  bie  Somte 
untergegangen  ift,  weife  man  nicht  mehr,  roa§  man  machen  foK.  £ie  beiben 
beutfcfjen  Glubg  finb  recht  anftänbig,  aber  fie  ftnb  ziemlich  fpärlid)  befugt; 
unb  man  geht  boch  nicht  gerabe  nach  ßonftontinopel,  um  3e^nden  ?n 
lefen  ober  eine  Partie  Seat  ju  fpielen.  <5ä  finb  aud)  nod)  einige  SSirtb- 
fd)aften  ba,  in  beneu  beutfdje»  33ier  oerjapft  nrirb  unb  unfere  Sanbäleute 
fid)  &um  abenbltchen  gemütlichen  Älatfch  jufammenfinben.  2lud)  ba$  ift 
ja  gan§  nett,  aber  e§  ift  bod)  eben  ein  mäßiger  ©enujjj.  (5$  giebt  fein 
einigermaßen  anftänbtgeS  £f)eater,  unb  felbft  bie  £ingels£angel,  bie,  roie 
man  mir  fagte,  eigentlich  nur  bie  Vorhatten  51t  jroeifelhaften  Spielhöllen 
bilben,  finb  oon  einer  Sangroeiligfeit  unb  Sebernheit  fonbergleichen.  3)ie 
Slbenbftunben,  bie  in  anberen  europäischen  Stäbten  bem  gremben  an  3erc 
ftreuungen  unb  ©enüffen  gerabe  am  meiften  bieten,  finb  in  Slonftantinopel 
von  fürchterlicher  Cebe.  &ätte  mir  mein  liebenäroürDiger  früherer  Goüegc 
3uliuS  ©roffer  nicht  ©efeüfchaft  geleitet,  ich  wäre  oor  langweile  franf 
geroorben. 


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21us  bem  Orient.    CJ? 


XIII. 

Port  tfonftantinopel  über  öas  Sdjroa^e  IXleet  nad}  BuFareft. 

Sin  3?orb  bcr  „Mta".  —  Ungcmütfjlic^tcit  auf  bem  ©dfaargen  3Rcer.  —  lieber  S»arna, 
9iufrfcfiuf  unb  ©iurgetoo  nad>  23ularcft.  —  (Sfjaralter  bet  ©tobt.  —  $te  ffetnen  Käufer 
imb  Öärten,  —  2>ie  guten  Sagen  unb  bie  ruffifdjen  Sfutfd>cr.  —  $)ie  (Sfjauffee 
ßifieleff.  —  XoitettenlufuS  ber  Samen.  —  58öfe  9tad)rebc  —  2>a3  Sdjmtnfen.  — 

Sttrdjen  unb  Capellen. 

3u  ben  9fad)mittagSftunben  eines  fonnig  frönen  SMtageS  begleiteten 
mid)  meine  «yreunbe  unb  Sefannten  in  ßonftanttnopel  an  ^Jorb  beS  2(onb= 
bampferS  „Stefta".  35>ir  oerabfcfyiebeten  uns  jjerjlia).  Um  brei  Ul>r  mürben 
bie  2infer  gelittet.  XaS  ©d)iff  n>ar  überfüllt,  unb  mit  SJfitye  unb  9?otl) 
^atte  idj  in  einer  engen  Kajüte  als  dritter  im  33unbe  ein  notdürftiges 
Unterfommen  gefunben.  Unter  ben  $aff agieren  befanben  fid;  mehrere  mir 
befannte  Familien  aus  Berlin  unb  Jranffurt  unb  aud)  ber  alte  ungarifdje 
föeuolutionjSgeneral  £ürr.  £ie  fiatyrt  liefe  fict)  gut  an.  Stuf  bem  ruljigen 
SoSporuS  bampfte  unfer  ©djiff  norbwärts,  unb  nodj  einmal  fallen  mir  in 
golbigfter  23eleudjtung  bie  malerifdjen  Ufer  au  uns  porüberfliegen.  2lber 
je  weiter  roir  fiu)ren,  befto  jtumpfer  würbe  baS  Sidjt.  $er  Gimmel  be$og 
ftd).  Unb  als  mir  an  ber  2luSfal)rt  aus  bem  Bosporus  angelangt  waren 
unb  in  baS  Sd)mar$e  9Jteer  einliefen,  mar  baS  Detter  ungemütylidj,  raul) 
unb  roinbig  geworben. 

3luS  meiner  6ecunbaner5eit,  in  ber  id)  burdj  CoibS  £riftien  bie  erfte 
natyere  Stefanntfdjaft  mit  bem  ^ontuS  ©urinuS  madjte,  fjabe  td)  eine  un= 
üfcerwinblidje  abergläubifdje  2(ntipatl)ie  gegen  baS  Sdjwarje  2tteer  beibe- 
halten. 3$  wufjte,  ba&  es  mir  ba  nidjt  gut  geljeu  mürbe.  Unb  idj 
täubte  mid)  nid)t.  $ie  lebhaften  Unterhaltungen,  bie  fi$  unter  ben  33e= 
tonnten  entfponnen  Ratten,  Perftummten  allmäljlia;.  ®aS  mirfltd)  rea)t 
ungaftlid)  auSfefjenbe  2Baffer  mar  fel;r  bewegt,  unb  unfer  fümmerlidjeS  gabr= 
jeug  würbe  unbaruu)ersig  f)in=  unb  fjergefdjaufelt.  3uerft  jeigten  bie  Hainen 
eine  intereffante  SBläffe,  unb  eine  naaj  ber  anbern  oerjdjwanb  ganj  fachte 
com  $ecf.  SBalb  folgten  aud)  SiberftanbSfräftigere.  GS  würbe  immer  unge-. 
mütylidjer.  Smmtx  bitter  unb  unfreunblia^er  jogen  fid)  bie  Wolfen  §u- 
fammen,  unb  lange  oor  ber  falenbermäfjigen  brad;  baS  Tuntel  fjerein. 
©in  rauher  2öinb  peitfdjte  bie  Spellen  auf,  unb  nun  unterlagen  aud;  bie 
Stanbljafteften.  ga|t  alle  ^aftagiere  mit  nur  feljr  wenigen  MuSnafymen 
würben  feefranf.  fnelt  eS  mit  ber  3ttef>rl)eü.  9)iir  war  in  ben  2lbenb* 
ftunben  in  ber  engen  fajwülen  Kajüte  unb  in  ber  GJefeUfdjaft  pou  jmei 
mir  unbetonten  unb  nod;  oiel  fränferen  Gnglänbem  gottSjämmcrlid;  ju 
9)httt)e.  Unb  in  biefem  3uftanbc  Faum  ertraglidjen  UnbefjngenS  unb 
idSmöbefter  SBeltoeradjtung  fielen  mir  auf  einmal  alle  möglidjen  ^erfe  oon 

7* 


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98 


paul  £inban  in  Berlin. 


Cüib  ein,  an  bie  id)  fett  smanjig  Sauren  unb  länger  nidjt  gebaut  f)atte. 
Suft,  ShJojfcr  unb  £anb  waren  mir  gleichermaßen  abfdjeultd),  unb  id)  citirte 
in  apatljifdjer  9iiebergefd)lagenl)eit: 

N«'c  caclum  patior,  nec  aquis  adsuevimus  istis, 
Terraque  nescio  quo  non  placet  ipsa  modo. 

316er.  enblid)  fd^tief  id)  bodj  cor  Girmattung  ein,  unb  id)  Ijabe  nie 
roonniger,  befcligenber  geträumt,  mict)  nie  freier  gefüllt,  als  auf  bem 
garten  9iotl)bett  in  ber  engen  Äajüte  ber  „$efta"  unter  bem  unbarmherzigen 
Sdjroanfen  beS  Schiffes  unb  in  ber  benfbar  unangenefpnften  9tod)barfd)aft. 
Der  Draum  !;atte  mir  $lüget  gegeben,  unb  td)  fdjroang  mid)  über  alle£ 
Ungemad)  fn'enieben  in  föftltdjer  gretfjeit  (jinroeg.  Boraus  id)  fdjlie&e,  bafj 
man  am  2lbenb  nidjt  5umc(  effen  foü;  benn  mit  geleerteretn  2Ragen  bin  id) 
nie  eingefdjlafen,  unb  füfjer  fjabe  id)  nie  geträumt. 

$d)  ertoad)te  hirj  r»or  Sonnenaufgang.  Die  ÄriftS  mar  vorüber,  id) 
füllte  mid)  ganj  oergnügt.  Gtroa  um  tjalb  fedjs  Uln*  Borgens  fafjen  mir 
baS  feljr  malerifdje  $arna  am  Ufer  aufzeigen,  Die  2)tinaref)S  laffeu  er= 
fennen,  bafj  in  biefer  mistigen  Stabt  ^Bulgariens  nodj  niete  dürfen  an* 
fäffig  fiitb.  9lber  neben  ben  fdjtanfen  Dljürmdjen  ragen  aud?  bie  Äreuje 
auf  ftattltdjercn  Capellen  auf,  unb  cor  2lllem  fällt  unfer  *Uid  auf  eine 
fdjöne  große  tfira>,  bie  Meranber  oon  Sattenberg  errietet  Ijat  —  „als 
er  nod;  Spring  war  uon  Slrfabien!"  9(ua)  baS  ©ebäube,  baS  auf  ber  ftorb* 
feite  ber  $ua)t  unfere  33lidc  oor  Mein  feffelt,  ift  eine  SBiOa  beS  früheren 
bulgarifdjen  gürften. 

Der  Dampfer  fann  nid)t  bis  ans  Ufer  gefangen.  Die  Sanbung  auf 
fleinen  23ooten  ift  redjt  fdjuierfätlig  unb  unbequem.  9Sir  trafen  es  nod& 
gut,  benn  bie  glutf)  Ijatte  einigermaßen  nad)gelaffen.  216er  immerhin  mußten 
bie  Schiffer  ocrjroeifelte  9Inftrengungen  maa)en,  um  uns  burd)  bie  jiemlidj 
fjoajgefymben  2öeUen  glütflia)  ans  &mb  ,u  bringen. 

2Jian  fttFjtt,  fobalb  man  in  Stoma  nur  einige  Sdjritte  gemalt  t)at, 
baß  man  fid)  kfct  in  einem  anbern  Sanbe  befinbet.  Der  Unterfajieb  sioifajen 
ben  Beamten  unb  Solbaten  in  ^Bulgarien  unb  in  ber  Dürfei  ift  augenfäUig. 
Dort  gemäd)lid)e  $erlotterung,  Ijier  ftrammere  Sud&t.  Die  ^olijiften  an 
ber  SBalm,  bie  Solbaten  in  ir)ren  burdjauS  bem  rufftfa)en  Sdjnitte  fidj 
anfdjließeuben  Uniformen  fefjen  fauber  unb  orbentlid)  aus.  3ttan  füf)lt, 
baß  mau  jefct  tuieber  in  engeren  3ufammenf)ang  mit  bem  übrigen  ßuropa 
tritt.  Die  35ei>ölferung  freilid;  hat  nod)  gan3  ben  (Sf)arafter  beS  Orients. 
Die  Dradjten  haben  bie  bunten  garben  mit  Stidereieu,  man  fleht  ben 
Durban  unb  bie  ftopf6efleibungen  aus  3tf$  unb  ^ßel§.  DaS  SRätfrfel,  baß 
man  gcrabe  ba,  wo  bie  Sonne  am  meiften  brennt,  fidj  ben  .ftopf  mit  ben 
jdjroerften  unb  roarmften  ,Oüten  unb  Pütjen  bebedt,  t)abe  id)  bis  jefct  noa) 
ntd;t  511  töfen  uermodjt. 

DaS  Stüd  Bulgarien,  bas  wir  nun  burd)fat)ven,  ift  Ianbfd;aftlid) 
fetjr  fdjön.  (5s  iü  bergiger  23 oben.   sIl!nr  feljen  intereffante  unb  abfonberlia> 


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2lus  bem  (Orient. 


99 


Sanbftrinformationcn,  üppiges  ©tun,  bicf)t6eruad^fene  &öEjen  unb  Serge. 
216er  baS  £anb  fdjeint  wenig  beoolfert  511  fein.  3n  großen  Stbftänben 
liegt  hier  unb  ba  ein  Söeiler  unb  Jlecfen  mit  rohgefügten  Steinbauten  in 
einfachftem  Sroedmäjjigfeiteitüe,  ohne  irgenb  meldte  fünftlcrifchen  Slnfprüdje. 
Mitunter  feJ>en  wir  auch  beerben  oon  9iinbern  unb  3^e9en/  unb  nber  bie 
cümpfe,  an  benen  wir  oorbeifahren,  jiehen  btdjte  SKogelfchaaren  ba^er. 

D(me  ein  befonberS  aufregenbeS  Scrjaufpiel  oor  2lugen  gehabt  5U  haben, 
gelangen  mir  fo  in  hirjer  nach  SRuftfdjuf,  wo  wieber  eine  £orbe 
oon  Srägern,  serlumpte  Äerle,  fchweifjtriefenb,  in  fielen,  bie  $uin  UebeU 
roerben  nadj  ßnoblauch  unb  nad)  Schlimmerem  buften,  fid^  auf  uns  ftürjen 
unb  uns  unfer  ©epäcf  entreißen. 

©S  ift  eine  recht  liifiigc  unb  befcr)werliche  3fleife!  2Öir  müffen  jefct 
über  bie  Donau  fefeen.  Sie  Ueberfalnt  nach  ©iurgewo  wirb  burä)  er= 
bärmtid)  Meine  unb  fdjlecfjte  Dampfer  beroerfftelligt.  Sa  beftetgen  mir 
roieber  bie  2Jafm  unb  fahren  nun  burdj  eine  lanbfdjaftlid)  siemlid)  reijlofc 
6tr«fe  bis  jur  &auptftabt  Rumäniens,  wo  wir  Nachmittags  gegen  fünf 
Ityr  eintreffen. 

2lufeer  Äonfiantinopet  giebt  es  wof)l  !aum  eine  Stabt,  über  bie  bie 
Urteile  weiter  auSetnanbergingen,  als  über  SBufareft.  Sie  ©inen  nennen 
es  ein  Älein^ariS  —  jebenfalls  mit  mehr  9cecf)t  als  Seipjtg  — ,  rühmen 
ben  gro&ftabttfchen  2lnftrich  ber  öauptftrafeen  unb  bes  StrafjenlebenS,  bie 
Scheit  ber  £äben,  bie  ©legan$  ber  Soiletten,  bie  ^orjügltchfcit  ber 
öffentlichen  guf>rwerfe.  Sie  3tnberen  fd)impfen  über  ben  miferablen  3u* 
ftanb  ber  (Strafjen,  in  beren  Äoth  man  bis  über  bie  Jtniee  oerfänfe,  ben 
roiberwärtigen  Samt,  baS  renommiftitdje  ©etjabe  unb  ©ethue.  Sie  Se* 
fdjwerben  über  bie  abfcheultcheu  ungepflafterten  Straßen  mit  ihren  Ijals* 
bredjerifdjen  Slbgrünben  flammen  jebenfalls  aus  einer  früheren  3«t.  öe^t 
wären  Tie  burdjauS  unberechtigt.  Unb  ich  meine,  baS  Urttjeil  überhaupt  roirb 
gewiß  recht  wef entlich  burd)  ben  Umftanb  mit  beftimmt,  ob  man  aus  bem 
Orient  ober  aus  bem  SBeften  nach  Sufarcft  fommt. 

©ufareft  bilbet  in  ber  Xt)at  fo  jiemlidj  bie  Scheibe  jwifchen  bem 
Cfien  unb  2£eften.  GS  Bereinigt  in  fich  charafteriftijche  SJJerfmale  bes  ©inen 
unb  beS  3lnbern.  Sie  00m  SBeften  ßommenben,  bie  \)\ex  jum  erften  sJ5Jal 
baS  orientalifche  Straßenleben  fehen,  baS  fich  in  ocm  neuen  33ufareft  allers 
bings  fchon  aus  bem  (Sentrum  hat  oerbrängen  laffen,  fich  nach  ben  Peripherien 
$u  oerfrochen  unb  fo  recht  unb  echt  eigentlich  nur  nodj  im  ^ubenotertel  unb 
in  benSSorftäbten  fich  erhalten  &at,  werben  fidjerlid)  erftaunt  unbnicht  angenehm 
überrafcht  fein  oon  biefem  unfaubem,  lauten,  oorbringlidjeu  ©ewimmel  unb 
Öeroühl,  oon  biefen  rjalbjerfallenen  SBeljaufungen,  für  bereu  ^nfianbhaltung  fo 
gut  wie  nichts  gefdneht,  oon  biefem  miferablen  tßflafter  mit  ben  offenen  ©offen, 
bie  baS  ©egentheü  beS  SBoljlgeruchS  oerbreiten.  ihJer  aber  bie  entfefclichen 
(Baffen  b<S  alten  Stambul  gefeiert  hat,  bem  fallen  biefe  JUeinigfeiten  faum 
noch  auf,  ber  betrachtet  fie  eben  als  berechtigte  (Sigentljümlichfeiten  beS 


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\00    paul  Einbau  in  Berlin.   

Crientö  unb  nwnbert  fidj  nid^t  mein-  Darüber;  ber  bellet  im  ©egentheil 
nur  ba£  empfänglich^  2luge  unb  bic  ooflfte  Daufbarfeit  für  baä  faubere, 
frcunblid)  anfpredjenbe,  mitunter  fogar  großartige  Straßenbilb,  wie  e3  ifmi 
ba$  neue  33ufareft  bietet  —  bie  elegante  Stabt  mit  ihren  uortreffliä)  ge= 
pfTaftcrten  Fahrwegen  unb  gußfteigen,  mit  ihren  bequemen  unb  gefchmaef; 
Döllen  Käufern  — ;  ber  bat  feine  fyetle  greube  an  ben  ungewöhnlich  wty* 
reiben  unb  guten  2Bagen  unb  ^Sferben,  an  ben  gefdunadoollen  unb  reiben 
Toiletten  ber  Tanten,  an  bem  Stuljertfmm  ber  begünftigten  spflaftcrtrctcr^ 
an  ber  (Sauberfeit  ber  abretten  Offiziere;  ber  fühlt  tyier  jum  erften  Wale 
roieber,  baß  er  fic^  ber  Heimat  nähert. 

3[a)  ^abe  Sufarejt  nur  uon  ber  angenehmften  Seite  rennen  gelernt 
unb  eine  banfbare  Erinnerung  an  bie  bort  r>erbrad)ten  £age  bcroaljrt. 

Die  $auptftabt  ber  Rumänen  fjat  entfebieben  einen  burdjau3  t>or= 
nehmen  unb  großftäbtifdjen  (Sharafter.  ES  nüfct  ihr  »ietteid)t  nicht  »ief, 
baß  fie  noch  großftäbtifcher  n>ir!en  möchte,  aU  fie  tt)atfadt)ltdt)  ijt.  Xa$ 
Eigentümliche,  ba$  jebem  ^remben,  ber  Sufareft  befugt,  in'*  2Iuge  fpringt, 
ift  bie  glüdlidje  UeberfüHe  an  größeren  unb  fleineren  ©arten  unb  in  ben 
&auptoierteln  bie  beneibenäroertye  Eigenheit,  baß  bie  Söofmhäufer  faft  alle* 
fammt  in  befdjeibenen  ©rößenuerhältniffen,  sunt  söeino^nen  für  nur  eine 
gamilie,  eingerichtet  fmb.  ^loeiftödtge  Käufer  gehören  in  33ufarejt  fdjon 
51t  ben  Seltenheiten.*  ^Nichtige  9Jiieth3faferuen  giebt  e$  fo  gut  wie  gar 
nicht.  SLUele  ber  liebenäroürbigen  $äu$d)en,  bie  überroiegenb  in  einfachem 
Stil  gehalten  finb,  trenn  auch  felbftuerftänblid)  ber  SBohlftanb  ber  Seftfcer 
auf  bie  33efä)affenheit  beS  2)iaterial£  unb  bes  fünftlerifchen  9lu*fd)mud$ 
ber  grontfeite  eingenrirft  hat,  Hegen  im  ©rün  verftedt.  9(uf  weite  Steden 
ftehen  biefe  &äuSdjen  in  ihrer  grünen  Umrahmung  00m  benachbarten  ©ruub* 
ftüd  loSgelöft  ba,  unb  nur  in  ben  großen  $yerfehr$ftraßen  unb  in  ben 
ärmeren  Vierteln  reihen  fidj  bie  Stein*  unb  £ol3bauten  $u  eigentlichen 
Straßen  jufammen.  2lu3  biefer  Eigenthümlichfeit  ergiebt  fidj,  baß  öufareft 
einen  für  feine  Einwohnerzahl  ungewörmlidj  großen  Flächeninhalt  bean= 
fprucht.  Die  Entfernungen  fmb  größer  als  in  irgenb  einer  anbern  gleich* 
beüölferten  Stabt. 

Eine  anbere  Eigenthümlichfeit  ift  bie,  baß  es  on  einem  eigentlichen 
monumentalen  3)cittelpunft  fehlt.  Das  oornehme  Seben  concentrirt  fi<$ 
freilid)  in  ber  ©egenb  t>om  23ouleuarb  unb  ber  Siegesftraße  bis  $ur 
Ef)fluffce  ttiffeleff.  3tt  biefer  Stabtgegenb  finb  bie  fchönften  2)?aga$ine, 
ba  rollen  bie  oornehmften  Equipagen  bafjer,  ba  fieht  man  bie  bemerfen^ 
wertheften  ftäbtifcheu  Erfdjeinungen,  bie  gute  ©efeöfchaft  unb  wa§  fxc3t>  ba$u 
rechnet.  Die  Käufer  finb  wol)l  auch  fd)öner  als  in  ben  anberen  Straßen. 
2tber  im  Uebrigen  nnterfdjeibet  auch  biefer  reid)fte  unb  elegantefte  5^ei£  ber 
Stabt  fid;  nid)t  befonberS  oon  ben  weniger  begünftigten  Vierteln. 

^ergeblid)  fpäljt  baS  3luge  nach  einem  großartigen  Sau,  ber  burd) 
feine  impofanten  $erl)ältniffe  auffiele,  uad)  einer  mächtigen  flathebrale, 


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 aus  bem  Orient    \0\ 

nad)  einem  gebieterifdjen  s}>alafte,  nad)  einem  monuäieäftfcft'i&umteit:-. 
finb  biefelben  f leinen  Käufer,  biefelben  freuubtid^eit"  (Säften "  wie  überall. 
So  wirft  bie  Stobt  wie  ein  oorneljme«  Viertel  311  /atcr  ^»atffcgä? 
ftabt,  bie  nicr)t  oorbanben  ift,  etwa  wie  ba«  Giertet  be«  £(jiergarten«  von  ' 
^Berlin  ofme  Seipjigerftrafee,  Sinben,  Sd)lofjplatj  nnb  ßbnigftrafee,  wie 
Bonbon«  5Beitenb  orjnc  Xrafalgar  Square  unb  Gitn,  wie  bie  Straften 
jroifdjen  ben  (£fyamp«-'©(of6es  unb  bem  ^Sarc  Sflonceaur  olme  33ouleoarb 
unb  9?otre*2)ame.    3lber  fa'ibfdi  bleibt  e«  be«wegen  006),  befyaglidj  unb 
freunblidj,  unb  in  biefer  33efcr)ränfung  audj  burä)au«  groBftäbtifd). 

3a,  in  einigen  58e$ier)ungen  ift  ba«  oerrjältniBinäöig  nidjt  übertrieben 
arojje  Sufareft  nie!  gro&artiger,  al«  bie  ftoljeren  unb  mächtigeren  &aupt= 
ftäbte  be«  SBefien«. 

So  auägesetdjnete«  unb  sugfeid)  fo  billige«  öffentlidje«  Jutyrwerf 
wie  in  «ufareft  giebt  es  nirgenba  in  ber  äöelt.  33eim  ftrengften  &errn 
fönneu  bie  eleganten  unb  Teilten  Goup6«  nid)t  beffer  unb  fauberer  gehalten 
fein,  al«  biefe  3metr)«wagen.  Unb  rote  fef)en  bie  Äutfdjer  au«!  Eie 
meiften  unb  Muffen,  bie  jener  fanatifdjen  Secte  ber  ßiporoaner  (Sfopjen) 
angehören,  bie  wegen  iljrer  unmenfdpliajen  «erftümmelungen  au«  9tufelanb 
ausgewiesen  finb  unb  in  Rumänien  9lufnalwne  gefunben  tyabeu.  Sie  tragen 
ben  langen,  oon  ber  $üfte  an  tuet  gefalteten  ruffifdjen  Sammetrocf,  ber 
bi«  ju  ben  Äuödjeln  herabfällt,  gewöfmliä)  in  bunfelgrüner,  bunfelblauer 
ober  fdjroarjer  garbe,  mit  jroei  9?eif)en  biä)t  aneinanber  ftefjenber  SRetaH* 
fnöpfe,  bie  r»om  fragen  jur  £üfte  immer  weiter  au«einanbergeljen,  um 
ben  £eib  eine  breite  feibene  Sdjärpe,  bie  meiften«  tiejrotf)  (sang  de  boeuf) 
ober  oud)  lummelblau  ift  auf  bem  Ätopf  bie  breittellcrige  ruffifdje  9Jttifce. 
2tUe«  in  tabeUofer  Sauberfeit  unb  2lccurateffe.  9ftd)t  ein  Stäubten  ift 
an  ber  Äleibung  biefer  Äutfdjer  ju  bemerfen.  <£«  ifl  mir  rein  unbegreiflid), 
wie  biefe  £eute  im  öffentlichen  Xienfte  bei  2Binb  unb  Sßetter  tr)re  fleib* 
famen  Sraäjten  in  fo  mufter^aftem  ^uftanbe  erhalten  fönnen.  Sie  alle 
roirfen,  al«  l)ätten  fie  eben  itjreu  größten  Staat  angelegt. 

Xie  ruffifdjen  ftutfdjer  fefjen  einanber  fatnmt  unb  fonber«  311111  $er= 
wedtfeln  afmlid),  unb  e«  ift  fdjwer  3U  beftimmen,  ob  fie  adjtjetm  ober 
fünfzig  3afjr  alt  finb.  Sie  finb  infolge  ber  fdjauerlidjen  SSerftümmelung 
bartlo«.  Q^re  ©efid)t«farbe  ift  lebem  galliggelb,  bie  2lugen  liegen  ^iemlid) 
tief  in  ber  &öl)le,  unb  bie  ^adenfnodjen  fpringen  uor;  ba«  ftumpfblonbe 
ftarfe  £aar  ift  am  Warfen  in  geraber  Sinie  glatt  abgefdjnitteH.  (£«  finb 
rurjige,  orbentlidje,  ftille  Seilte,  bie  in  söufareft  feljr  beliebt  finb,  unb  bie 
Diel  ©elb  oerbienen.  Xenn  in  feiner  Stabt  wirb  fouiel  gefahren  wie 
gerabe  hiev.  Safe  oon  3ett  $u  Seit  $erbred;cn  au«  religiöfem  ganati«mu« 
Dorfommen,  ift  befannt;  aber  biefe  bleiben  immer  innerhalb  ber  Secte 
felbft.  3m  Nebrigen  finb  bie  Sipowaner  burdjau«  ungefäbrüäje  braue 
Männer,  bie  fiä)  nie  an  frembem  (Sigentlmm  oergreifen  unb  rutjig  i^r 
öbe«  l'eben  für  fiä)  leben.  Sie  feljen  ernft,  ja  frcublo«  au*,  fie  uerfel)ren 


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\02 


paul  £inöan  in  Berlin.   


ultb  ;f cremen  ^tt-^ii  ,§altepläfcen  fcfjr  wenig  miteinanber.  lja6c  fie 
nie', ''wie  untere  Wttdj.er,  ein  Älatföfränjd&en  btlben,  idj  tyabc  fie  nie 

ßftne  lligeVtf)umlt$feit  biefer  ftutfdjer  ift,  baß  fie  bie  Tanten  felbft 
ber  widjttgften  Strafjett  nidjt  feimcn.  Senn  man  einen  Sagen  befteigt, 
fo  giebt  man  ümen  nidjt  etwa,  wie  bei  un£,  bie  Straße  nnb  Hausnummer 
an  —  ba3  oerftefjen  fie  niajt  — ;  fie  werben  wäfyrenb  be§  gafirenS  oom 
galjrgafte  felbft  birigirt.  £ie  Söewofmer  oon  Sufareft  (jaben  e£  barin 
einer  gertigfeit  gebraut,  bie  bem  gremben  oiel  Vergnügen  berettet.  Slber 
ber  grembe,  ber  in  ber  Stabt  felbft  nidjt  Sefdjeib  weiß,  ift  $iemlid)  übel 
mit  ben  Seuten  baran.  (£r  fann  fid)  nidjt  mit  ifynen  oerftänbigen,  unb 
ber  Äutfdjer  fät)rt  einfadj  in  geraber  ^idjtung  barauf  lod.  Senn  er  nadj 
red)t£  abbiegen  folf,  berührt  man  mit  bem  Stoo!  ober  SRegenfdurm  feinen 
regten  2(rm,  natf)  linf*  ben  linfen,  unb  wenn  er  galten  foU,  fäfn*t  man 
ifjm  gerabe  über  ben  dürfen,  gür  Crtsfunbige  ift  ba3  ja  ganj  einfad), 
aber  ber  grembe  ift,  wie  gefagt,  in  einer  redit  übten  Sage.  Xie  leisten 
Sagen,  bie  mit  fefir  guten  f  leinen  ^Pf  erben  befpannt  fittb,  ftnb  außer  * 
orbentlid)  angenehm,  unb  bie  ^ferbe  taufen  wie  ber  33lifc. 

2>aS  ga&ren  in  Mareft  ift  ein  wirflid>e$  Vergnügen.  Säfrrenb  ber 
guten  3eit  ift  benn  audj  jeben  sJtod)mittag  affgemeine  Spazierfahrt,  ein 
wirfli$  großartiger  Gorfo,  wie  ifm  faum  eine  anbere  &anptftabt  beftfct. 
2ltte3  fä^rt  nad)  ber  f)übfd&en  Gfymffee  Äiffeleff  fjtnauä.  3ft  n«w  einmal 
an  ber  G&auffce  angelangt,  fo  brauet  man  fid>  um  niajts  weiter  sm  fümmern> 
bann  weift  ber  Äutfa^er  gan$  genau,  ma3  er  $u  tjwu  f)at.  Gr  fäfjrt  w~ 
nädjft  ben  langen  unb  bequemen  Seg  bis  ans  ©nbe.  $a  fie^t  man 
Ijunbertc  oon  eleganten  ^rioat*-  unb  3ttietf)3wagen,  bie  tjier  faum  oon  ein* 
anber  ju  unterfdjeiöen  ftnb,  mit  Herren  unb  tarnen  ber  oornefmtften  ®e* 
fettfdjaft  befefct.   21m  ßnbe  oben  Ijält  ber  Sagen  mit  ben  anberen  an. 

weiß  nidjt,  weshalb,  aber  e£  gefdjieljt  immer.  9tod)  einer  Seile  fa^rt 
ber  ftutfdjcr  wieber  lo$,  etwa  bis  $ur  Hälfte  ber  (£l>auffee,  ba  Ijält  er  in 
ber  9tötye  MaffeefjaufeS  unb  raftet  wieber  einige  SJUnuteit,  um  al£s 
bann  bie  gafjrt  fortjufefcen.  £a$  Vergnügen  mieberljolt  fidt),  fo  oft  man 
ed  eben  wünfajt. 

Siefe  nad)mittäg(id(>en  (SorfoS,  bie  fid)  wie  ber  „tour  du  lacu  im 
öoulogner  öefjölj  f)ier  311  einer  wirflid)en  ftäbttfdjen  GHnridjtung  unge* 
$wungen  tjerauagebübet  unb  mit  ben  f  tnbifajen  unb  ftnbliajen  9tad)almuingen, 
bie  bei  un£  in  regelmäßigen  Stbfiänben  uerfua^t  worben  finb,  uiajt  0a5 
Gieringfte  gemein  Ijabeu,  bieten  ben  Gin^eimifd^en  unb  gremben  biefelben 
2lnuel)mltd)feitcn.  3(uf  ber  „Gfyauffee"  treffen  fid)  3lUe,  bie  $ur  oome^men 
©efcllfdjaft  geboren  ober  gehören  motten,  tauften  ©ruße,  treffen  3?erab= 
rebungen,  fofettiren,  banbeln  an,  fd)nwlten  unb  flatfd)en;  unb  ber  grembe 
fielet  ba  in  einer  Ijalben  Stunbe  alle  bemerfenöwertljen  unb  iutereffanten 
^>erfÖnlid)feiteu  ber  erften  Greife  oon  öufareft. 


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2(u5  bem  ©ticnt. 


\0o 


tiefer  arglofe  grembe  fommt  oor  Grftaunen  gar  nicht  ju  fidj,  wenn  er 
feinen  33lüf  auf  bie  im  SSerhältnifc  $ur  ©röfje  ber  ©tabt  oerblüffenb  ftarfe 
Stojahl  präd)tigfter  äöagen  unb  $ferbe  unb  auf  ben  £oilettenluru3  ber  in 
ben  Goup63  läffig  angelernten  tarnen  fajmeifen  läfjt.  2ttan  fieht  auf 
biefem  Spazierwege  mehr  Hainen  in  ^öä^fter  unb  rafftnirtefter  ^3arifer 
ßleganj,  al*  fie  eine  ©roßftabt  oom  boppelten  ober  bretfadjen  Umfange 
unter  normalen  Sebingungen  aufzubringen  oermöchte.  ^an  rotrb  batyer 
nothgebrungen  $u  bem  <Sdjluffie  geführt,  bafj  bie  Sßerhältniffe  nicht  normale 
fein  tonnen,  bafj  es  nicht  mit  redeten  fingen  jugehe,  unb  bebauert  bie 
annen  Seemänner,  oon  benen  bodj  nur  ein  iörud)tf)eil  im  Stanbe  fein 
bürfte,  ben  fabelhaften  £uru»,  ber  t)ier  oon  ben  gndbigen  grauen,  ben 
heranblühenben  unb  oerblühenben  Töchtern  jur  <5d)au  getragen  wirb,  aus 
einem  richtig  oertheilten,  roohlgeoibneten  iöubget  ju  beftreiten.  Senn  roenn 
bie  SluSgaben  ber  Hainen  für  ir)rc  Toiletten  als  Rorm  für  bie  Ginnahmen 
ber  «Könner  bienen  füllten,  fo  mürbe  33ufareft  oon  2Mllionären  roimmeln 
muffen. 

GS  fc&etut  aber,  als  ob  SBufareft  in  aöar)rr)eit  nid)t  reicher  fei,  als 
eine  anberc  Stabt,  unb  als  ob  ber  $ang  ber  gluthaugigen  Rumäninnen  $um 
$ufc  aUerbingS  geroiffe  mtfjlitt>  Serhältniffe  herbeigeführt  \)abe,  bie  $um 
®lücf  nidjt  als  normale  ju  bejeidmen  fmb.  S3öfe  gütigen  unb  aud)  fola>, 
bie  nia^t  einmal  böfe  finb,  behaupten,  bafe  es  nic3t)t  immer  ber  Ghegemahl 
fei,  ber  bie  Soften  für  biefen  übertriebenen  £uruS  ber  grau  trage.  2)tan 
erzählt  —  man  flüftert  es  nidjt,  man  fagt  eS  laut  — ,  bafj  bie  ^öroimten 
ber  „Ghauffee"  jum  nicht  geringen  5Tr)cite  jener  Kategorie  ber  GoaStödjter 
angehörten,  bie  Gmüe  iugier  „lionnes  pauvres"  getauft,  unb  oon  benen 
er  in  feinem  ergreif enben  6djaufptel  ein  graufigeS  ^öeifpiel  t>ingefteUt  fyat 
in  jener  (Seraphine,  bie  es  junächft  bulbet,  baß  iljrc  ©eroiffenSbifie  roegen 
beS  33rud)S  ber  ehelichen  £reue  burch  jarte  ©efchenfe  einigermaßen  be* 
fchroithtigt  roerben,  unb  bie  fdjlie§lich  fold)e  GJefchenfe  in  weniger  jarter 
gorm,  fchliejültcr)  fogar  in  ber  unjarteften,  nämlich  in  flingenber  2)iün$e, 
in  ber  Stählung  oon  Rechnungen  ber  <5d)neiberm  unb  «Dcobiftin,  forbert. 

bin  natürlich  roe^  baoon  entfernt,  gegen  bie  anmuthigen  Samen, 
bie  auf  ber  „Ghauffee"  an  mir  oorübergerollt  finb,  unb  an  bereit  Grs 
fcheimmg  tcr)  meine  arglofe  greube  gehabt  habe,  eine  fo  ffyroere  unb  be» 
leibigenbe  Slnflage  3U  erheben.  33)  fyabe  nur  ju  confiatiren,  baft  biefe 
Staffage  oon  ben  CrtSfunbigen,  unb  nid)t  etroa  oon  ben  eingeroanberten 
gremben,  nein,  oon  ben  S3oUblutrumänen  felbft  in  rücffid)tSlofe|ter  Seife, 
ohne  alle  Sefchöniguug,  ja  fogor  ohne  alle  Gntrüftung,  rote  etroaS  Setbft* 
oerftänblicfjeS,  erhoben  roirb.  2£enn  bie  Samen  oon  ^öufareft  nicht  im 
beften  Rufe  ftehen,  fo  fyaben  M  lebiglidj  bei  ihresgleichen  bafür  ju 
bebauten.  3$  habe  nie  eine  Stabt  gefehen,  in  ber  mit  einem  folgen 
Langel  an  Refpect  oon  ben  befannteften  Samen  gefprodjen  wirb,  rote  in 
^ufareft. 


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I 

  pjul  £inbau  in  Serlin.   

Unb  fie  felbft  Ijaben  ftd)  nebenbei  auch  einigermaßen  ju  befchulbigen, 
ba§  fte  burdj  bcn  übertriebenen  2lufroanb  für  ihre  äu&ere  Repräsentation 
ben  2>erbadjt,  fich  jur  Beftreitung  itjrcr  foloffalen  Ausgaben  verborgene 
unb  nidr)t  gan$  lautere  Duetten  ber  einnahmen  ju  erfchliefeen,  Raum  geben. 
2Benn  man  ftd)  nach  ben  intereffanteften  unb  auffälligften  Crfcheinungen 
auf  ber  ,,(£f)auffee''  erfunbtgt,  fo  erhalt  man  unter  sefmmal  neunmal  bie 
9lntmort:  2>a3  ift  grau  Sounbfo,  bie  ©elicbte  mm  bem  unb  bem!  (5£ 
ift  eine  einfache  2luäfunft,  bie  ofme  aüe  (Sntrüftung  gegeben  unb  entgegen^ 
genommen  roirb. 

3um  Sheil  ftnb  bie  frönen  tarnen  von  Bufareft  Blenberinnen.  ^ei 
ber  erften  flüchtigen  Betrachtung  roirfen  Tie,  namentlich  au«  einer  geroiffen 
Entfernung  gefehen,  wie  rounberbare  Schönheiten,  Sie  grofeen  bunflen, 
feurigen  9Iugen  mit  ben  ftarfen,  fchroarjen,  monbfichelgeformten  Brauen, 
ba«  roorjlgeorbnete  fchroarjie  $aar,  bie  üppige  Büfte,  bie  runbe  Xaitte,  bie 
f (einen  güfje,  bie  burchau«  nicht  oerfteeft  merben,  unb  ber  ©lanj  ber  ge* 
fehmaefoottften  unb  reichften  Variier  Toiletten  —  9ltte$  ba$  bietet  bem 
2luge  ein  mohlgefättige«,  heiter  fchöneä  Bilb  bar.  2Bie  fehr  oornefmte 
tugenbhafte  Xamen  fehen  fie  atterbing«  nicht  aud.  SBenn  mir  unter  unferm 
farbenarmen  Gimmel  im  ^Thiergarten  einer  foldjer  weiblichen  ©rfcheinung 
begegneten,  wie  mir  bereu  fehoefroeife  auf  ber  „(Hjauifee"  in  Bufareft  fehen, 
fo  mürben  mir  ihr  oermuthlich  in  ber  fllaffification  ferneres  Unrecht  an= 
thun  unb  nicht  ahnen  fönnen,  bafj  bie  betreffenbe  2)ame  bie  befte  ©eiellfchaft 
befucht  unb  bei  fiel)  empfängt.  2lber  wie  ber  &umor,  fo  ift  auch  D<*3, 
ma3  mir  im  meiteften  Sinne  beö  2Borte3  einmal  als  $ecen$  ober  2Bohls 
anftänbigfeit  bezeichnen  motten,  boch  etroa«  mehr  ober  minber  SocaleS; 
unb  ba«,  maS  fyex  anftöfcig  mirfen  fonnte,  ift  bort  nicht  bloä  juläffig,  e$ 
ift  nicht  einmal  auffällig.    GS  ift  felbftoerftänblich. 

3er)  mitt  natürlich  nicht  behaupten,  bafj  es  in  bem  fcfjönen  S3oIfS- 
fcfjlage  ber  Rumänen  nicht  auch  in  ber  grofjftäbtifchen  ©efettfehaft  lieblich» 
frifche,  jugenblidje  grauen  unb  Räbchen  gäbe,  roirflidhe  Schönheiten,  Die 
eine  aufmerffamere  unb  forgfältigere  Betrachtung  ihrer  Rei^e  oertragen. 
9lber  bei  fef>r  oielcn  biefer  auf  ben  erften  Bltcf  fo  entjücfenben  ©ef$öpfe 
ift  atterbing«  bie  Berliner  Sßarnung  angebracht:  „Rieh  fo  bichte  ran!" 
Xie  Rumäninnen  treiben  mit  ber  3lnmenbung  ber  fo^metifchen  &ülf3mittel 
5ur  Erhöhung  ber  natürlichen  Reije  unb  jur  9Iufbefferung  ber  S8cfcr>äbi= 
gungen  burch  bas  unerbittliche  9llter  mitunter  roirflich  übertriebenen 
brauch,  3m  Vergleich  ju  ihnen  fmb  fogar  bie  2lmerifanerinneu,  bie  fid> 
in  biefer  Begehung  ja  auch  temen  3TOan9  auferlegen,  unbeholfene  Äinber. 

Sdmüufen  ift  unter  ben  Manien  Rumänien«  eine  faft  allgemein  oer- 
breitete Unfitte.  Unb  nicht  blo£  ba$  oberflächliche  SdEmunfen,  baä  eins 
fache  2luflegen  oon  S&eif?  unb  Roth.  9Nit  forgfältigfter  Äunft  bemalen 
fiel)  bie  Manien,  ^u  feinften  Schattirungen  lagert  fid)  ein  rofiger  £aucb 
über  bie  fangen.   Tie  fchiuellenben  Sippen  erglänjeu  in  feurigem  Roth 


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2tns  bem  Orient.   


105 


ber  üppigen  3ugenb.  £ie  uerrätf)ertfd)en  gältdjen  an  ben  Slugemuinfeln 
werben  jugebeeft,  unb  ein  jarteä  Söeifj,  burd)  ba$  gemalte  blaue  2lbem 
liebrei^enb  flimmern,  oern)ifd)t  bie  unnad)fid)tigen  ©ingrabungen  be$  bitter* 
böfen  SlltcrnS.  3axte  fd)roar$e  feine  Striae  unter  ben  9lugen  laffen  ba3= 
felbe  größer  erfdjeinen  unb  oerleif)en  bem  $Micf  einen  oieloerfpredienben 
feurigen  ©lan^.  $te  33rauen  fmb  fd)n)ar$  nadjgejogen,  unb  bie  fd)Öne 
SRunbung  ift  burd)  funftooHe  9tetoud)e  1x06)  intereffanter  geworben.  .Hurj 
unb  gut,  fte  ReUen  aus  tfjreu  ©efid)tern  oollfonmiene  sJ)?auoai3=©enrebilber 
fyer.  Sie  Unfaire  be3  Scr)minfen$  ift  übrigen^  nid)t  nur  in  ber  ftöbtifd)en 
unb  oornelmten  ©efeUfdjaft  Rumäniens  verbreitet,  aud)  bie  Sienftmäbdjen 
unb  bie  Bäuerinnen  fdjminfen  fid). 

fät>rt  fid)  angenehm  auf  ber  „Gfriuffee"  unb  auf  ben  guten,  neu* 
gepflafterten  ©tragen.  2lber  es  läßt  fidt)  aud)  in  ber  SSiUenftabt,  aus 
beren  jaljUofen  ©arten  im  ÜJtoi,  namentlid)  nad)  Sonnenuntergang,  bie 
ftiedjroetbe  unb  ber  gaulbaum  iljren  beraufdjenb  fiarfen,  fd)arf  füfjlid)en 
CDuft  auSftrömen,  red)t  bel)agltd)  fd)lenbern;  unb  man  famt  feine  sroanjig 
Stritte  mad)en,  olme  an  einer  ftird)e  üorbeijufommen. 

Hütt)  in  23e$ug  auf  Ktrd)enreid)tfmm  fteljt  Sufareft  roofjl  jiemlitt) 
einzig  ba.  9Hau  behauptet,  bie  Stabt  jal^e  genau  365  ©otte^äufer,  fo 
bafc  alfo  ein  frommer  9ftann  an  jebem  Xage  im  -3af)re  eine  neue  93et= 
ftätte  befudjen  fönnte.  barf  aUerbingä  nid)t  üerfd)n)iegen  bleiben,  ba§ 
aud)  bie  oornefjmften  biefer  Ktrd)en  ben  red)ten  großartigen  unb  roeit)e= 
t>ou*en  (Sljarafter  oermiffen  lajfen.  2lud)  bie  bebeutenbften  finb  jiemlid) 
unanfetjnlid)  unb  befd)eiben  in  ben  Sßerfjälrniffen,  unb  bie  überroiegenbe 
3J?er)rf)eit  finb  einfad)e  Kapellen  unb  $etf)äuter.  Sie  finb  jum  größten 
£f>etf  unter  2Inleljnung  an  ben  bü3antmtfd)en  Stil  erbaut,  mit  mehreren 
in  Kuppeln  auilaufenben  Stürmen,  bie  baS  Kreuj  als  Krönung  tragen, 
lieber  bem  £auptportal  unb  an  ben  Slufeenroänben  finb  grobe  Malereien 
in  finbifd)er  3c^nun9  uno  bunten  garben  angebrad)t,  mitunter  aud) 
Sttofaifbilber.  £>ie  $äd)er  finb  mit  glattem  23led)  be|"d)lagen,  ba$  im 
<8onnenfd)ein  freunblid)  leud)tet  unb  funfeit. 

XIV. 

Das  rumäntferje  Königspaar. 
£önia  (Sarol.  —  ©in  Attentäter.  —  Ghntjfanflääimmer  ber  ÄÖnigin.  —  93ibliotlicf  bc3 
ÄönißS.  —  Sönifltn  (Slifabeth,  unb  (Sannen  ©tjloa.  —  (Sin  23auermäbd)en  ou3  Sieben* 
bürgen.  —  3iflcuner.  —  3Nufif  ber  rumänifdjen  unb  unßarifdjen  Bißeuner. 

Unter  ben  ^Srofanbauten  $ufareft£  fallen  einige  ^aläfte,  bie  311m 
großen  £t)eil  im  Sefvfc  ber  gamilien  ber  früheren  ^o^pobare  finb,  burd) 
tyre  oornelmte  6d)önf)eit  auf.  Slber  aud)  biefe  finb,  nrie  aUe  2Jaulid)feiten 
in  Bufarejt,  oon  mäßigem  gormat.  £a$  gilt  aud)  uon  bem  freunblid)en 
unb  eleganten,  aber  fetneSroeg«  impofanteu  fönig  Ii  cfjen  ^alafte.  3Me 
innere  ®inrid)tung  bagegen  ift  oon  roatjrljaft  fürftlidjer  ^rad)t  unb  befunbet, 


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\06    paul  £ini>au  in  Scrlin.   

rote  alte  35>erfe  be*  tfönigS  unb  ber  Königin,  ben  fein  geläuterten  fünftle* 
rif^en  ©efcfjntad  be£  rumänifd;en  &errfd;erpaareg. 

34  !>attc  bie  El;re,  gleidj  am  Xage  nad;  meiner  Munft  oon  gijrer 
üttajefiät  ber  Königin  unb  an  bcn  folgcnben  £agen  forootyl  uon  ber  lw£>en 
grau,  roie  con  ©einer  Sfajeftät  bem  ftöntg  $u  roteberfwlten  Sflalen  empfangen 
5U  werben  unb  ftunbenlang  in  ©efellfdjaft  ber  erlaubten  $errfd;aften  »er= 
roeilen  ju  bürfen.  34  geftefje,  baß  id;  uon  ^Befangenheit  nid;t  frei  bin, 
wenn  id;  über  biefe  etunben  hier  fpred;en  fott.  2i>oUte  td)  wahrheitsgemäß 
berieten,  mit  welker  unenblichen  ©üte  unb  ^er^tdifeit  ba$  rumänifcr)e 
Äönigspaar  mid;  aufgenommen,  wie  bei  Urnen  ba*3  rein  2)?enfdr)ltc^e  bie 
23erfd;iebenheit  ber  ©eburt  beseitigt,  roie  bie  ©mfad$eit  unb  SSabrheit  ber 
Empfinbung  ben  ftarfen  2lbftanb  überbrüdt,  roie  man  nad;  wenigen  9higen* 
bilden  nur  noch  baS  beruf)igenbe  SBeroußtfein  \)at,  »omelmt  fithlcnben  unb 
üornctjm  ^anbefnben  Naturen  gegenüberstehen  —  rooHte  td;  baä  in  bartf * 
barer  Erinnerung  an  91lle3  ba*,  roa£  id;  empfangen  unb  empfunben  tyibe, 
hier  fo  fdjilbcrn,  roie  id;  es  möchte  unb  müßte,  fo  würbe  id)  bem  s£or= 
rourfe  brj$antimfd;er  £iebebienerei  unb  höfifdher  Seroilität  faum  entgegen, 
fo  unuerbient  biefer  Vorwurf  thatfädtfid)  aud)  wäre. 

Xen  ftönig  (Sarol  faf;  id)  juerft  bei  einem  ^arffefte,  ba$  511  irgenb 
einem  wohltätigen  3roecfe  oeranftaltet  worben  war.  Xex  ftönig  ift  etma£ 
über  mittelgroß,  oon  fdjlanfer  unb  jugleid;  männtid)  fräftiger  ©eftalt. 
£a3  von  bem  Vollbart  umrahmte  ©eftdjt  J)at  ben  cblen  Schnitt  ber  fürft« 
lidjen  &ol;en$oUern.  35a3  bunfelgraue  fmnenbe  9(uge  giebt  bemfelben 
einen  ernfteu,  nad;benflid)en,  nicht  forgenfreien  9lusbrud.  ®aS  Haupthaar 
ift  braun  unb  l)ie  unb  ba  fdwn  uor  ben  3<4™n  ergraut. 

£er  Einbrucf  be3  Ernften  unb  ^fliajtgetreuen,  ben  ba$  SJeußere  mad)t, 
wirb  nod;  oerftärft,  wenn  man  mit  bem  Könige  fpriajt.  3)?tt  freiem  $licf 
bc^errfd^t  er  einen  weiten  0efia;t$fret2>.  Er  ift  be£  2öorte3  in  ungemöfm* 
lieber  2ßeife  mäd&tig.  Er  fprid;t  fd&arf,  flar,  unb  fein  2lu$brucf  ift  immer 
elegant.  Er  fpricrjt  mit  großer  Freiheit,  immer  rul;ig  unb  befonnen,  aber 
ohne  alle  ängftlidje  <Sd;eu,  fein  Urteil  burch  bie  3iüdfid)t  auf  feine  28ürbe 
einengen  $u  laffen.  (St  weiß,  baß  er  md;t3  $8efonbere3  ju  tlnm  brauet, 
um  biefe  Sürbe  ohnehin  311  roal;ren.  Er  ift  unbefangen  unb  wohlwoüenb 
in  ber  33eurtl;eiluug  ber  |>erfonen  unb  3terl)ältmffe.  3ebem  feiner  Sorte 
^ört  man  an,  wie  ernft  er  feinen  fürftlichen  33eruf  auffaßt,  wie  er  unab= 
läffig  bemül;t  ift,  ba$  3iid)tige  ju  erfaffen,  ba3  3iü<jlid;e  ju  t^un,  bie 
<Sd;äben  ju  befeitigeu.  Er  ift  oon  allen  5>erl;ältniffen  feinc§  Üanbel  genau 
unterrid;tct,  unb  nid;t  burd)  gefällige  3"red;tmaa;ungen,  fonbern  burä)  eigene 
9Infd;auung,  burd;  <3elbftftubium.  3»  ^ög^"  ber  fyofyen  ^olitif,  ber 
internationalen  ^e^ieljungen  $eigt  er  eine  feljr  bemerfengwerthe  Sd;ärfe  ber 
Sluffaffung.  Er  ift  feft  ol;ne  Eigenfinn,  ein  ed;ter  ^lohenjoüer,  ber  feine 
^utdjt  fennt,  unb  ber  fid;  au*3  feiner  genauen  ilcnntniß  ber  ^crhaltniffe, 
wie  fie  fid)  burd;  bie  gefd;id)tlid;e  Entwidlung  geftaltet  r^ben,  feine 


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Uns  &cm  Orient.   


107 


beftimmten  unb  unoerrücf  baren  Anfielen  gebilbet  fjat  ü6er  bie  Aufgaben, 
bie  ber  ©egenwart  obliegen,  um  allen  Anforberungen  einer  wahrscheinlichen 
3uhinft  gegenüber  gerüftet  bajufteljen.  ©in  Staatsmann  ofme  phantaftifcbe 
3been,  ein  fachlich  nüchterner  Siealpolitifer  unb  oortrefflicber  Solbat.  £abei 
auch  ein  greunb  unb  görberer  ber  fünfte.  @S  war  fein  anempfunbener, 
ffinjtliä)  aufgepfropfter  (^tbufiaSmuä,  e*  mar  bie  echte  unb  wirf  liehe  greube 
am  Schonen,  mit  ber  ber  tfönig  mir  feine  Sd)ä&e,  nament(id)  bie  frönen 
Silber  oon  Gireco,  oon  £i$ian  unb  anberen  alten  italienifchen  9Jteiftern, 
jeigte.  Unb  nur  ein  oon  lauterer  Segeifterung  für  bie  Jtunft  burch* 
brungener  gfirft  r)at  im  herein  mit  ber  eben  fo  funftbegeifterten  ©emabün 
jene*  flarpatbenwunber  heroorjaubem  fönuen,  ba*  Schloß  spelefch  Reifet. 

Als  id)  ben  £önig  unb  bie  Königin  im  ^arfe  GiSmegiu,  in  bem 
alle  möglichen  £*erfauf*buben  aufgefd)lagcn  waren,  luftwanbeln  fab,  umringt 
oon  einer  Schaar  oon  Äinbern  unb  Neugierigen  au*  allen  Stänben,  ofme 
alle  mUitairifche  Segleitung,  ja  ohne  Abiutanten,  mitten  im  $olfe,  ba 
fleHte  fidt)  in  meinem  öeifte  neben  bie  ruhig  männliche  6*rfd)einung  bei 
Äönig*  Garol  plöfclich  ber  gewaltige  Sultan.  §ier  ber  £errfä)er  mitten 
im  ©eroüf)l,  in  größter  ©elaffenheit  unb  Nulje,  ohne  aud)  nur  oon  bem 
©ebanfen  an  eine  fdjuöbe  X^at  behelligt  $u  werben,  bort  ber  ©rojfterr 
aller  Moslem,  emgeferfert  in  feinem  ^ßalaft,  unb  bei  ber  einzigen  uner= 
läfjücben  Ausfahrt  ber  3Boche  oon  taufenben  bt*  an  bie  3ähne  bewaffneten 
argwöhnisch  bewacht.  Unb  ich  backte  an  ben  $er*  unferer  Nationalhymne, 
ber  mit  ben  SBorten  beginnt:  „Wicht  sJlo§  nicht  Neifige  .  .  ." 

Unb  eigentlich  hätte  Äönig  (Earol  bod)  wof)l  einige  Heranlaffung,  etwa* 
t>orfia)tig  ju  fein.  $)afj  er  fidr)  auf  einen  Soften  geftcUt  bat,  ber  feine*« 
roeg*  gefahrlos  ift  —  Niemanb  weifj  es  beffer  als  er  fclbft.  &af}  fid) 
in  bem  com  ^parteifjaber  burä)wüblten ,  burch  lange  lange  3fltßf)errfd)aft 
jemifenen  Sanbe,  bem  er  mit  Aufopferung  aller  feiner  Gräfte  geftigung 
unb  Stube  geben  toill,  auch  ein  burch  Fanatismus,  ©rojjinannSjudjt  ober 
eine  fonftige  Art  be*  SöabnfinnS  aufgereihte*  ^nbioibuum  finben  fann, 
ba3  unter  Umftänben  $ur  äöaffc  bei  Stteucbelmörber*  greift  unb  ba* 
Seben  bei  gürften  bebroht  —  er  hatte  es  foeben  erft  erfahren  müffen. 
Seit  bem  Attentat  waren  nur  wenige  Sodjen  oergangen.  (Sin  SDtenfd), 
ber  früher  Solbat  gewefen,  au*  ber  Armee  ausgesogen  unb  wegen  oer* 
brecherifdher  £anblungen  im  ^uchthaufe  gewefen  war,  ber  ftd)  ein  halbe* 
Safjr  oor  feinem  Anfd)lage  all  ^eibbiener  beim  Könige  gemelbet  hatte, 
feuerte  oon  ber  Stra§e  au*  jwet  wohlge^ielte  3dt)üffe  burch  bie  erleuchteten 
Sä)eiben  in  ba*  3immer  ftönig*.  25er  Äönig  war  jufälligerweife  im 
3immer  nebenan.  vi3enn  ber  ßönig,  wie  gewöhnlich  um  biefe  3eit,  an 
feinem  Arbeitsttfcbe  gefeffen  hatte,  fo  wäre  ba*  Sdhlimmfte  oielteidjt  ein« 
getroffen.  £er  Äönig  fprach  mit  größter  SHufje  unb  ol)ne  bie  gerinqfte 
(rreiferung  über  biefen  Vorfall,  beffeu  trauriger  .§elb,  wie  e*  feinem  3,veifel 
unterliegen  famt,  ein  ^ahnfinniger  ift.   ^er  Attentäter  wollte  um  jeben 


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JOS  ^    paul  finbau  in  Berlin.   

$reU  berühmt  werben,  ©r  l;at  feinen  3roed  nia)t  erreicht,  ©ein  9Jame 
ift  in  Rumänien  fdwn  oergeffen,  unb  im  2Iuslanbe  erft  red)t. 

©£  eriftiren  oon  biefem  SHenfd&en  ocrfd&iebene  ^Photographien,  bie  für 
bie  9iidjtigfeit  ber  £ombrofo'fd)en  £f)efe  ju  fpredjen  feinen:  bafj  es 
SJienfdfjen  giebt  mit  einer  angeborenen  oerbrecf)erifa)en  ©runblage,  bie  nacr) 
ber  2luffaffung  be$  berühmten  ^ßf^drjiaterS  nur  eine  Unterart  jener  grofeen 
Äranffjeit  btlbet,  bie  unter  bem  ©efammtnamen  ,,2ßaf>nfinn"  $ufammenge= 
fafet  wirb.  Der  Attentäter  f)at  fid)  fdjon  ein  halbes  ^a^r  cor  bem  Attentat 
alä  Selbftmörber  Photographien  laffen.  Gr  fteht  ba,  ben  9feooloer  auf 
bie  öruft  rict)tenb,  neben  ifjm  feine  23raut,  bie  ihm  in  ben  2lrm  fällt  unb 
ihm  ben  Sfteooloer  ju  entreißen  fuä)t.  $ch  beftfee  bie  merfmürbige  tyfyoto- 
graphie,  bie  mir  ber  Honig  gefdfjenft  jjat.  ©in  anbereä  3Jilb  jeigt  ben 
Attentäter  in  ber  fofetteften  rumänischen  9lationaltrad)t,  ftarrenb  im  Saffen* 
fdjmutf.  Der  SHenfdji  hatte  eine  ^uchthauöftrafe  wegen  2)iorbe$  abjubüjijen 
unb  ift,  wegen  guter  Rührung  an  ben  5lönig  empfohlen,  oon  biefem  naefj 
einigen  fahren  begnabigt  worben.  So  I)at  er  benn  feinem  2£of)ttf)äter 
gebanft.  Gr  ift  burdh  ben  Sprud>  ber  Sadjjoerftänbigen  bem  Srren^aufe 
überwiefen  worben,  in  ba$  er  freilich  etwas  &u  fpät  gefommen  ijt,  ba3 
er  nun  aber  hoffentlich  uid)t  wieber  oerlaffen  wirb. 

Die  2£ofm;  unb  ©mpfangSräume  im  föniglid)en  Sdjloffe  fmb  pradjt= 
ooll  unb  jeugen  oon  auSerlefenem  ©efd&macf.  Der  SHaum,  in  bem  td)  bie 
©hre  hatte,  Stytx  9Jtajeftät  ber  Äönigin  ©liiabetf)  jum  erften  2flal  gegen* 
überjutreten,  ift  ein  grofjer,  in  anmutiger  Söiüfur  geglieberter  Saal, 
©r  wirb  abgefchloffen  burdfj  ein  ©abinet  mit  erhöhtem  ^Sobium,  baS  im 
reitt)ften  orientalifa^en  Stil  eingerichtet,  mit  f  oftbaren  Stiefereien,  Deppichen, 
niebrigen  ^olftern  u.  f.  w.  in  behaglichfter  SBeife  auägejtottet  ift.  Daran 
fd)liefjt  fid)  ein  fdnnaler  Wintergarten  mit  ^Jahnen  unb  fonftigen  großen 
^lattpflanjen,  ber  ben  ©ingang  bilbet.  Der  &auptraum  ift  ber  Sänge 
nad)  burdj  eine  Duerwanb  mit  breiten  Spüren  oerengt,  fo  ba§  ftdj  neben 
biefem  nodt)  ein  langgeftredtcS,  fe(?r  gemütliches  3immer  beftnbet. 

9ludj  biefer  £auptraum  ift  bura)  bie  oerfdjiebene  Joöfje  ber  ^ßobien 
unb  burch  eine  ©alerie,  ju  ber  eine  Dreppc  oon  ber  ©rhöhung  hinaufführt, 
in  feiner  Monotonie  in  erfreulicher  Söcife  unterbrochen.  $ier  fielen  in 
ber  9)titte  jwei  gute  Jlugel  unb  an  ber  2öanb  eine  fdjöne  Drgel,  baueben 
bie  Nürnberger  Stfabonna  in  £ol$.  3ln  ber  £>auptmanb  befinbet  fid)  neben 
fetjr  frönen  Silbern  oon  Hubens,  oan  ©pfenS,  9lo|fo  SHoffi,  Dominica 
Söenejiano,  ^ereiba  :c.  ein  9)feiftcrwerf  oon  Nembranbt,  ©ftfjer  unb  Alja^oer 
barftellenb.  Ueberau*,  wo  irgenb  s^Iaft  ift,  unb  aud)  ba,  wo  erft  ^piafe  fytf 
gefd;aff en  werben  müjfen,  finb  Äunftwerfe  angebracht,  unter  Anbenn  eine 
fefyr  fa^öue  9icprobuction  beä  9)?ofe£  oon  3)2id)el  Hngelo.  Die  IjerrUdjften 
Stictereien  unb  ^Teppid;e  bebeden  ben  33oben  unb  alle  ©erät^e,  unb  ba£ 
©anje  mad)t  in  feiner  Leitern  ©runbfarbe  unb  in  feiner  launigen  unb 
bod;  fo  fein  abgeftimmten  ©unt()eit,  in  feiner  jwar  etwa^  fraufen,  aber 


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  2Ius  öcm  (Drient.    J09 

babci  boä)  fo  ruf)tgeix  iünorbnung  mit  all  btefen  auserlesenen  tfunftfdjäfeen 
unb  ber  fä)arfftnmgen  ^ert^cilung  beS  SRaumS,  bie  aHecorten  laufdjige 
Sdjmottwmfet  unb  reijenbe  ^lauberpläfcdjen  gefdjaffen  fyat,  einen  ebenfo 
reiben  wie  liebenSrourbig  anmutljenben  Gmbrutf.  Der  ganje  Gompler. 
von  3imment  wirb  burä)  Oberlidjt  erhellt. 

&eroorragenbe  9Jtenfä)en  reiften  tyrer  Umgebung  meift  etwas  von 
iljrem  eigenen  SSefen,  ben  Stbglanj  if)rer  Snbioibualität  ju  uerleifyen. 
3Wan  empfängt  einen  gan5  fonberbaren  ©tnbruef,  wenn  man  aus  ben  eigens 
artigen  3immern  b*r  Königin,  aus  biefer  buntfd)iflemben  SBerfd&ioiftcrung 
öon  gewagten  Jarben  unb  frembartigen  Sinien,  aus  biefer  reiäuoHen 
fammenmürfelung  oon  ©egenftänben,  bie  urfprunglid)  nidjt  jufammengefyören, 
bie  in  weit  auSeinanberliegenben  Seiten  unb  Räumen  entftanben  finb,  f)ier 
aber  $u  einem  Reitern  unb  f)armonifd)en  ©anjen  jufammenfliefeen  —  wenn 
man  aus  bieten  ©emädjern  einer  für  bie  Sd)önf)eit  begeifterten  fyof)en 
grau  in  bie  nid)t  minber  inbiotbuellen  3inwter  tyres  foniglid)en  ©emafjts, 
etwa  $uerft  in  feine  SBibltotljef,  tritt. 

Da  ijt  oor  ber  ftrengen  marfigen  Stilifirung  alles  Soielenbe  unb 
gefällig  2Billfürliä)e  oerfdjwunben.  Qn  bem  ganjen  großen  Raunte  (es 
mar  ber  frühere  Xfjronfaal)  Ijerrfdjt  eine  fo  einfaä)  confequente  2tn; 
orbramg  ber  arä)iteftonifä)en  unb  becoratioen  Elemente  —  21lleS  getauft 
in  bie  ruf)ig  bunfle  garbe  beS  (5tä)enf)olseS,  baS  überall  wteberfefjrt:  in 
ber  Täfelung  ber  Sßänbe,  in  ber  reid)gefdmifcten  Xreppe,  bie  &ur  ©alerie 
fnnanfüfn-t,  in  ber  Ealuftrabe  biefer  ©alerte,  in  ben  weit  uorfpringenben 
23üc^erfa)rän!en  felbft  unb  an  ber  Decfe  — ,  baß  man  $uerft  !aum  wagt, 
aud>  nad)  ben  ©injetyeiten  ftd)  um5ufef)en,  um  noä)  etwas  mefjr  als  nur 
jenen  faa)liä)  ftrengen,  großen  ©efammteinbrud*  mit  &tmoegsunef)men.  Unb 
bod),  wie  rounberbar  ift  biefeS  ©injelne!  2öie  oortrefflid)  t)at  es  ber  SKeifter 
ber  ®$nifefunft  oerftanben,  bei  ber  Überall  geroaljrten  Energie  unb  ©roß* 
Unigfeit  beS  ©anjen  bod)  liebeooll  unb  biScret  ju  fein,  auf  baS  flleinfte 
unb  3artefte  einjuge^en,  ofme  nur  ein  einziges  2Wat  burd)  baS  aufbringe 
lid&e  heraustreten  einer  folä)en  (Sinjelljeit  baS  2Iuge  beS  $efdjauerS  ju  uer* 
wirren!  ^n  biefer  ernften,  faft  möd)te  man  fagen:  feter  lid)  büftern  Um- 
gebung pflegt  ber  ftöntg  mit  feinen  9fatf)gebern  ju  arbeiten.  GS  ift  nid)ts 
SÄblenfenbeS  unb  3erftrenenbeS  in  biefem  Raunte.  Selbft  bie  grelle 
ntmämfdje  Sonne  muß  tf)r  £id)t  gebämpft  unb  abgetönt  burd)  bie  matt* 
gefärbten  Sdjetben  ergießen,  unb  oon  bem  sJiaffeln  unb  Sännen  bev  lauten 
SiegeSftraße  ba  unten  bringt  faum  ein  bumpfeS  DioHen  in  biefc  arbeit« 
fame  Stille  .  .  . 

Die  Königin  ift  eine  wa^rljaft  fürftltdje  Grfäjeimtug.  Die  f;ot>e 
(Seftalt  ift  oon  flafftfd)em  Gbenmaß  in  ben  äJcrljältmffen,  rul)ig,  fid)er 
unb  elegant  in  ben  ^Bewegungen.  Der  cbelgefd)nittcne  Mopf  mit  ber  Ijofyen 
Stirn,  bie  oon  üppigen,  fd)on  oorjeitig  oon  Silberfträfinen  burd)jogenen 
paaren  umrahmt  ift,  mit  ber  feingefd^mungenen  sJ?afe  unb  jenen  „fd^ön 


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UO    paul  £inöau  in  Berlin.   

gereimten  Sippen/'  bie  man,  nrie  feilte  fagt,  nur  bei  Dichtern  finbet, 
erhält  namentlich  burd)  bie  Hauen  glänjenben  Slugen,  bie  mit  wahrer 
Sünblidrfeit  um  ftdj  bltäen,  ben  d)arafteriftifchen  2luSbruct  oon  ©üte  unb 
Klugheit,  ©ine  forgenbe  gälte,  bie  fid)  in  bie  Stirn  eingegraben  hat, 
giebt  bem  @efid)te  aber  .Migleidj  auch  etnjaS  fchroermüthtg  traurige*, 
DulbenbeS.  Die  beutle  gürftentochter,  bie,  nrie  ihr  fönigtierjer  ©emahl, 
ir)re  Aufgabe  als  gürftin  auf  bem  X^ron  Rumäniens  fe^r  ernft  nimmt, 
hält  fid)  oon  allen  Staatsangelegenheiten  grunbfafclich  oollfornmen  fem. 
Sie  fudjt  ihre  Aufgabe  nur  in  ber  Sinberung  ber  Noth  unb  beS  (Slenbs, 
in  ben  SBerfen  ber  33armberjigfeit  unb  in  ber  görberung  alles  beffen, 
bas  national  fdjön  unb  erbaltensroerth  ift.  2ln  ben  2Berfen  ber  mmänifd>en 
flunft  unb  ßiteratur  nimmt  fie  baS  regfte  unb  förberfamfte  ^ntereue.  Sie 
fammelt  bie  eigenartigen  33olfSgefänge  unb  fudjt  burch  ihr  Söeifpiel  bafnn 
5U  mirfen,  bafc  bie  aufeergeroöhnlich  malertfche,  farbenprächtige,  fdböne 
rumänifdhe  Nationaltracht,  bie  [ich  eigentlich  nur  noch  auf  bem  platten 
Sanbe  erhalten  hat,  in  ber  ©rofcftabt  aber  burd)  bie  fränfifche  ü)iobe 
oöHig  oerbrängt  ift,  erhalten  bleibe  unb  auch  in  ben  Greifen  ber  SBeoor-- 
jugten  roieber  ju  Ghren  fomme. 

5Dte  Königin  befifct  eine  burdjauS  ibeal  angelegte  Natur.  Sie  ift 
oölltg  wahr  unb  begreift  baher  auch  nicht,  bafe  man  lügen  fönne.  2sknn 
fie  auch  mitunter  fchmerjlidje  Erfahrungen  hat  machen  müffen,  fo  ift  ihr 
Vertrauen  511  ben  9Nenfd)en  barum  bod)  unerfchüttert  geblieben.  Sie  liebt 
baS  ©ute  unb  glaubt  baran.  Sie  ift  eine  einfache  gerabe  Natur,  raftloS 
fleißig,  unb  hat  an  ihren  (Erfolgen  als  Dichterin  aufrichtige  greube.  Sie 
beftfct  bie  loärmfte  @mpfänglid)fett  für  alles  Schöne,  eine  unglaubliche 
fieid)tigfeit  in  ber  ©eftaltung,  eine  rege  unb  erftaunlich  fruchtbare  ^hantafie. 

lieber  ihre  fchriftfteUerifche  Befähigung,  bie  fie  als  ©armen  Sgloa 
in  ben  zahlreichen  Dichtungen  unb  in  ©emeinfehaft  mit  grau  SKite 
Hremnifc  in  ben  befannten  Erzählungen  unb  Nomonen  oon  „Dito  unb 
3bem"  („2luS  jtoei  Helten",  „9Jftra"  u.  f.  n>.)  mit  noüftem  ©elingen 
betätigt  hat,  ftef)t  baS  öffentliche  Urthcil  feft.  Das  &auptroerf  ©armen 
SnloaS,  bie  grudjt  oon  mehr  als  jroanjig  arbeitsreichen  Satyrn,  ift  eine 
Sammlung  oon  etioa  oierhunbert  Inrifdjen  ©ebichten,  biß  fie  unter  bem 
£itel  „sJ)?eine  Nul/'  oeröffentlicht  hat. 

Diefer  £itel  „3J?eine  Nuh"  entfpringt  nicht  nur  ber  pietätoollen  unb 
fefmfüdjtigen  Erinnerung  ber  Königin  an  ihre  herrliche  &eimat,  an  ben 
raufchenben  Nljein,  reo  in  bem  ©rün  ber  fdjlanfen  Suchen  baS  anmutige 
Sagbfdjlofe  SNonrepos  liegt,  baS  ber  Sieblingsaufenthalt  ber  jugenblict)en 
^rinjefftn  oon  &>icb  geroefen  mar.  „Sfteinc  Nuh"  offenbart  ben  Sefem 
mehr  als  irgeub  ein  anbereS  3i>etf  ber  hohen  grau,  wie  bie  s$oefie  ihr  ber 
liebreiche  unb  tvöftenbe  3uflud)tSort  oor  allem  ßurnmer  unb  allen  £aufchungen 
ftetö  gemeien  ift  unb  noa)  ift.  Styct  ganje  Sebensfreube,  ihr  tieffter 
Sdjmerj,  ihr  fcharfer  Spott,  2tlleS,  toaS  ihre  Seele  freubig  unb  fdmterjlich 


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  2las  Dem  Orient.    \l\ 

berührt  hat,  3)lutterg(üdf  unb  Mutterleib,  bie  begeifterte  unb  tiefe  Siebe 
jur  Üftatur,  namentlich  jutn  beutfd&en  SBalbe,  aber  and)  bie  bittere  9?er= 
adjtung  unb  bie  beifeenbe  Verhöhnung  all  beS  fiebrigen  nnb  ©eineinen, 
baS  eine  ßönigin  oieUcid;t  noch  mehr  als  anbere  (Sterbliche  $u  flauen  unb 
ju  ertragen  gezwungen  ift  —  mit  einem  Söorte:  ihr  ganzes  ä&fen  hat  hier 
feinen  berebteften  2tuSbrucf  gefunben;  unb  echter  unb  wahrer,  als  alle 
biographifäen  Mitthetlungen  fünben  uns  biefe  brei  33änbe  Sieber  nnb 
Satiren,  wie  Carmen  Snloa  warb,  was  fie  liebte  unb  litt,  was  fie  wirfte 
unb  fchaffte. 

Xie  Königin  befifct  aber  auch  neben  ihrer  allbekannten  bichterifchen 
Begabung  großes  Xalent  jum  3eidmen  unb  Scalen.  Sie  hat  für  bie 
fchönfte  bnjanttnifche  Äirche  ^Rumäniens  —  unb  oielleicht  ber  äöelt  — ,  für 
Gurtea  be  Slrgefch,  ein  rumänifcheS  ©ebetbudjj  in  reichfter  Crnamentif,  im 
®efchmarfe  beS  bnjantinifchen  Mittelalters  gemalt,  baS  oon  Sachkennern 
als  ein  wahret  Meiftermerf  gerühmt  wirb,  unb  beffen  Schönheit  auch  ber 
fcaie  rückhaltlos  benmnbert.  Slua)  für  bie  Mufif  ift  bie  oon  ber  9tatur 
üerfcrjwenberifch  auSgeftattete  gürftin  in  tjo^em  ©rabe  ueranlagt. 

ÜBdhrenb  meines  SlufenthalteS  in  $3ufareft  würbe  bie  Königin  oon 
einem  jungen,  ernften  unb  fehr  begabten  englifchen  3Mlbf)auer,  <g.  ßitfon, 
mobelürt.  3U  biefen  Sifcungen  mar  ich  gewöhnlich  eingelaben,  unb  mir 
unterhielten  uns  täglich  ftunbenlang  über  alles  Mögliche,  namentlich  über 
fünftlerifche  unb  literarische  ^erhältniffe  unb  ^erfönlichfeiten. 

öei  einer  biefer  Stfeungen  ereignete  fich  nun  eine  wirtlich  rührenbe 
Scene.  @ine  Mlbluibfche  unb  blutjunge  rumämfche  33äuerin  aus  Sieben* 
bürgen  hatte  ben  weiten  Seg  oon  ihrer  Heimat  bis  jur  ^auptftabt 
Rumäniens  jurücfgelegt,  nur  um  bie  Königin  unb  ben  Hönig  $u  fehen. 
Xie  Äönigin  liefj  baS  Mäbchen,  baS  feine  fleibfamfte  unb  reichfte  National; 
rracht  angelegt  hatte,  in  baS  fleine  jum  3ltelier  hergerichtete  3immcr  ein« 
treten. 

$5aS  Mäbchen  blieb  wie  gebannt  auf  ber  Schwelle  flehen.  Unb  in 
ber  £hat,  fo,  genau  fo  hatte  fich  ber  SPhantafte  ber  Bäuerin  bie  Vor* 
fteflung  oon  einer  richtigen  Äönigin  bilben  muffen.  $ie  Königin  fafe  bem 
Äünftler  in  gro&er  Salltoilette.  Sie  trug  ein  tiefgelbes,  golbfunfelnbeS 
3ltlaSfleib  mit  langer  Schleppe  unb  auf  bem  Raupte  ein  herrliches  £iabem 
oon  feiten  frönen  £\>alm  unb  diamanten.  $te  reijenbe  Bäuerin  glaubte 
unzweifelhaft,  bajj  bie  £errf<herin  ^Rumäniens  bejtänbig  in  biefer  Xradjt 
bahergelje.  So  mufcte  es  fein  unb  anberS  tonnte  es  nicht  fein!  3a,  bae 
war  eine  rechte  unb  echte  ftönigin!' 

2US  bie  gürfiin  bem  Mäbchen  freunbltchen  ätuafomm  geboten  unb 
ü)r  bie  &anb  entgegengeftreeft  hatte,  trat  bie  Bäuerin  heran,  oerneigte  fich 
teljr  tief  unb  füfete  bie  #anb  mit  einer  ©rajie  unb  einem  lUnftanbe,  um 
bie  fie  manche  &ofbame  hätte  beneiben  bürfen.  9ta  würbe  baS  #inb 
com  Sanbe  auch  gan$  unbefangen,  wenngleich  fie  ihre  befcheibeue  Haltung 


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paul  £inbau  in  Scrlin.   


nidjt  einen  2lugenblirf  aufgab.  2tuf  bie  fragen  ber  Königin  e^lte  ne 
mit  fa;ttd)ter  9lnmutf),  was  üe  na$  ber  £auptflabt  ^Rumänien*  geführt 
Ijabe.  Sie  überreizte  ber  gürftin  ein  bübfd>e*  ®ef$enf,  eine  funittwUe, 
oon  iljr  felbft  gefertigte  Stieferei,  unb  fagte,  ba&  fie  um  bie  ©nabe  bitten 
mödjte,  immer  bei  3()rer  ^Kajeftat  bleiben  5U  bürfen;  ein  f leinet  3immera)en 
werbe  fiaj  in  bem  grofeen  Sdjtoffe  \i)on  finben,  unb  fic  brause  nidjt  Biel 
$lafc;  fte  möchte  eben  nur  bie  @f)re  fjaben,  in  ber  52ä^e  ber  Königin  bleiben 
ju  bürfen. 

2He  Königin  madjte  baä  fuibfdje  ftinb  lä<f>elnb  barauf  aufmerffam, 
baB  fic^  ba£  bodfj  nidjjt  fo  olme  SöeitereS  madjen  taffe;  wenn  aber  irgenb 
eine  ©teile  frei  werbe,  fo  werbe  fie  fid)  bes  jungen  9ttäbdjen$  gern  er* 
innem.  SJian  faf}  e3  ber  Königin  an,  ba§  ifjr  biefe  SSorte  febr  ernft 
gemeint  waren;  benn  ber  liebliche  9lu3brud  be3  frifdfjen  runben  ©eftdjtesi, 
bie  9trtigfeit  ifjreS  Auftretens,  bie  freunbltdfje  9?aioetät  ttjrcs  ganjen  2öefen3 
matten  auf  bie  gürftin  offenbar  einen  fer)r  angenehmen  GHnbrurf.  £a 
aber  antwortete  bie  Bäuerin:  3$re  SJiajeftät  fabe  fie  mtfjoerftanbcn;  fie 
fei  majt  naa)  Sufarefi  gefommen,  um  eine  Stelle  $u  fudfjen.  ^n  unferer 
gamilie  bient  man  nid)t,"  fagte  fie  mit  rutjigem  Stolj.  Sie  wollte  eben 
nur  in  ber  9töf)e  ber  ßömgin  bleiben,  nid)ts  weiter!  2)ie  ftonigin  fonnte 
nur  wiebcrf)o!en,  bafj  bie  ©ewäbrung  biefer  Sitte  bod)  nidjt  ganj  fo  einfach 
fei,  wie  e3  ba£  gute  Mbd>en  fidj  oorjufteHen  fdjeine.  2)ie  anbere  Sitte  ber 
Säuerin  aber,  ben  flönig  oon  3(ngefidf)t  §u  ?tngefidjt  3U  fe^en,  würbe  itn* 
bereitwillig  gewährt,  obwoljl  ber  JJürft  gerabe  in  jenen  £agen  ungemein 
befd)äftigt  unb  fd)tocr  sugängliaj  war. 

Sei  jenem  Sßarffefte  in  ßtemegiu,  ba§  oon  ben  3J?ajeftaten  unb  allen 
Vertretern  ber  oornelmten  ©efeßfdfjaft  oon  Sufareft  befugt  würbe,  fpielten 
aufjer  oerfajiebenen  regelrechten  Capellen  aud)  rumänifdje  3iscunerbanben. 

3<$  mufe  fagen:  biefe  „Sigeunermufif,  oon  ber  man  behauptet,  es  fei 
bie  urfpnmglidjfte  unb  alleredjtefte,  biejenige,  bie  oon  ber  Mtur  am  meiften 
verfd&ont  geblieben  fei  —  mir  will  fie  gar  nid)t  besagen!  $a  mag  benn 
meinetwegen  lieber  bie  2llle$  belcrfcnbc  Kultur  ein  bissen  mitmadjen  unb 
bie  Uriprünglidfjfeit  fajäbigen,  wenn  fie  jenen  einzigen  <Sbarafter,  jene  feltfam 
ergreif enbe  Klangfarbe  Ijeroor^ubringen  oermag,  wie  fie  ben  ungartf  djen 
3igeuncrfapeflen  $u  eigen  ift.  ftier  aber  war  nidjts  waljrjunelnnen  oon 
jenem  wunberfam  wefmmtfjigen  Schlucken,  SBimmern  unb  finnlid&en  2luf* 
jaudjjen,  baä  bie  ungarifd)en  3i9euner  ^rcn  ©eigen  unb  (Stjmbeln  5U  ent* 
locfen  wiffen;  unb  mit  fdjmerslicfjem  Sebauern  gebaute  ta^  ber  fiebelnben 
braunen  jungen,  bie  id)  in  ^>eft  gebort  fjatte,  unb  bie  idj  ju  meiner 
größten  ftreube  in  Sdjmcfd ,  ober  Xatia^üreb,  wie  eä  jefct  Ijeifct,  wieber « 
treffen  füllte  —  ber  eckten,  ber  wahren,  ber  alleinigen  3^9c"ner^  —  i<t 
ber  edjten,  wenn  fie  meinetwegen  aucr)  tjiftorifd)  nid;t  fo  ed)t  finb  wie  bie 
^Rumänen,  ber  unocrgleidjlidfjen  (Sjarbaefpieler  au-S  Äafd^au,  mit  ibrem 
eleganten  ^riinaä  dlac)  05i)ula  an  ber  Spifce.   2)a3  waren  bie  wabren 


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  2lns  bem  (Orient.    U3 

Naturrunftler !  @ljen!  Unb  im  $ergleid)  ?u  biefen  Ungarn  roaren  bie 
rumdnifdjen  Qi^vmet,  bic  man,  glaube  id;,  aud>  Sautari  nennt,  elenbe 
Stümper! 

$ier  tjörte  idj  nur  ein  entfefclidjel  Öeftebel,  tarantellenartige  £än$e 
oon  ermübenber  Monotonie,  ein  unerfreulidjel  ©ebubel,  begleitet  oon  ben 
grillen  £önen  ber  9iof)rpfeife,  wie  totr  fie  nur  nodj  an  ben  Statuen  bei 
tßan  erblicfen,  eine!  2Jtorterinftrumentl,  auf  beffen  Sötern  bie  Sippe  bei 
braunen  ^^mmermannel  frampffjaft  tyn-  unb  Ijerrutfdjt,  unb  oon  ben 
bumpfen  Sa)lägen  einer  erbärmlidj  fleinen,  cor  ben  &eib  gebunbenen 
tragbaren  Gmnbel,  bie  t)tcr  blol  f)äf?lid)  unb  tf)öria)t  flingt. 

Jyranj  £ifjt  behauptet  in  feinem  $ud)e  über  3i9cunermuftf>  Da&  bie 
Gjarbal  unb  $olfllieber,  bie  bie  ungarifdjen  3i9euner  auffpielen,  nidjt 
magnarifd>er  ^erfunft,  fonbem  nrirflid)  aul  bem  3igeunerftamm  fjeraulge= 
machen  ieien.  3$  roilt  gegenüber  einem  fo  fyeroorragenben  2Mftcr  ber 
STonfunft,  ber  über  biefel  Xc)ema  ftdjerlid)  eingefjenbe  Stubien  gemadjt  fjat, 
natürlidj  feine  roiberfpredjenbe  33emerfung  toagen;  aber  bie  25ec)auptung 
£'tf$tl  fefct  midj  boa)  einigermaßen  in  ©rftaunen.  2Bol)er  fommt  el  benn, 
bafc  bie  fingenben  ^iflßuner  -RuBlanbl  in  ijjren  ©efangen  ftarfe  2lnflänge 
an  bie  flaroifd>e  3Wufif  fyaben?  bafj  ifjre  Sieber  mit  benen  ber  ungarifd)en 
3igenner  nid)t  bie  geringfte  $erroanbtfdjaft  aufroeifen  ?  Unb  wofjer  fommt 
es,  baß  roieberum  bie  rumänifdjen  3i9euncr  ßine  9an5  befonbere  9flufif  für 
ftd)  fiaben,  bie  roeber  mit  ber  ruffifdjen,  nodj  mit  ber  maggarifdjen  3t9cuners 
mufif  gemeinfame  3"9e  auf meifk  ?  2Belj)alb  haben  benn  bie  fpanifdjen 
3igeuner  überhaupt  feine  Sftufif  ?  3$  glaube,  baß  bie  3^eunermufif  bodj 
fefjr  fhvrf  oon  ber  Nationalität,  innerhalb  beren  bie  3t9eu«er  leben,  beein-- 
flufct  wirb.  Ungarifd^e  3i9«w«ennuftf,  bal  Reifet,  bie  a)arafterijtifd)fte, 
merfroürbigfte  unb  padenbfte,  fpielen  nur  bie  aul  Ungarn  ftammenben 
3igeuner  auf.  Unb  id)  glaube,  3of)annel  33ral)ml  bat  dledjt  gehabt,  baß 
er  bie  oon  ifmt  in  Ungarn  gefammelten  3i9eunerioeifen  unter  bem  Namen 
„Ungarifd&e  Sänje"  herausgegeben  ^at. 

3n  Rumänien  finb  übrigen!  bie  3igeuner  bie  9)tourer  unb  3immer= 
leute  bei  Sanbel.  2>te  Rumänen  arbeiten  ntdjt  fefjr  gern,  wie  man  fagt. 

XV. 

Sinaja  unö  Sctyloj?  pelcfdy. 

Sie  früheren  2Htmficr.  —  Sinaja.  —  3)a8  fllofter.  —  $a$  Äarpatljenidjlofe  v}Me?ch. 
—  @d)»terigleiten  beim  S3au.  —  $te  innere  ©inridjtunß. 

$}ei  ber  Älürje  meine!  3lufcnt^altl  im  Sanbe  roerbe  id)  nidjt  fo  ge; 
fdjmacflol  fein,  mir  ein  Urtt)eil  über  bie  nationalen  (rigentFjümlidjfeiten 
ju  erlauben.  3$  fönnte  übrigen!  ben  Rumänen  nur  ba£  33cfte  nad)fagen, 
benn  id)  bin  in  iöufareft  00m  ©lücf  in  ungeroölmlidjer  ^i>eife  beoorsugt 

8* 


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\\$    Pau l  £int>an  in  33erlin.   

worben  unb  l)abe  birect,  ober  inbirect  burd)  bie  mir  befreunbete  umjetnein 
liebenäwürbige  Familie  be$  Dr.  Äremnifc  unb  feiner  Jrau,  ber  <Sduift* 
ftetterin  SJtttc  .Üremnit},  nur  tüchtige  unb  ausgezeichnete  Männer  fennen  ge= 
lernt:  ben  überaus  freunblidjen  unb  gefällicjeu  GantacujSne,  ben  r)er= 
twrragenben  Ueberfefeer  ber  8d)openhauerfd;en  philofoplnfdjen  SBcrfe  iu'v 
gra^öfifche;  ben  bamaltgen  Stttnifterpräfibenten  äiofetti,  ber,  wie  feine 
früheren  Gollegeu  im  SJiinifterium,  beren  persönliche  23efanntfd)aft  id> 
ebenfalte  Gemacht  fyabe,  ber  2Rimfter  be$  Sleufcern,  Garp,  unb  ber  AMtu3* 
minifter  Sftai'oreäco,  eine  gebiegene  beuffdje  Silbung  befifet.  Die  Drei 
genannten  ÜJJinifter  haben  lange  Qahre  auf  beutfdjen  Uniuerfitäten  frubirt. 
Garp  mar  actiuer  Gorp3burfd)e  in  Sonn  bei  ben  ^reufcen,  alfo  unter 
9lnberm  audj  ein  Gorpäbruber  unfereä  jefoigen  StaatSfecretärä  ber  2lu3= 
wärtigen  Angelegenheiten,  be3  ©rafen  Herbert  Siämarcf.  Sflofetti,  Garp, 
unb  2Hai'ore$co  betjerrfdf)en  bie  beutfdje  Spradje  nollfommen.  -Der  Äuttui- 
minifter  9Jiai'ore$co  fprid)t  fogar  ein  auffällig  elegantes  Deutfdj,  mit  fub= 
tilfter  Unterfdjeibung  ber  nerwanbten  fprad)lichen  begriffe.  Gr  l)at  audj) 
eine  phUofopl)ifd)e  2lbhanblung  in  beutfdjer  Sprache  erfcfjeinen  (äffen. 

G3  mar  mir  gegönnt,  mit  meinem  lieben  grcunbe  Dr.  Äremnifc  ba3 
herrlidje  föniglid>e  Suftfchlofj  in  Sinaja  unb  mit  bem  Slultusminifter 
3ftaiore3co  unb  beffen  ©efellfdjaft  ba3  ueuerftanbene  SSunber  ber  bpjan^ 
tinifdhen  Saufunft,  bie  .Htrdje  von  2lrgefd),  ju  befudjen. 

Die  iKumänen  fmb  ein  befyenbeä  Solf  unb  in  Sejug  auf  Socomotion 
mel  weniger  fd)  werfällig  al$  mir.  SluSflüge  nach  fünften  wie  ben  eben 
genannten  erfctjeinen  ilmen  ate  etwas  tjanj  Selbftoerftänblidjea.  Unb  bodj 
ift  ber  nad)  Sinaja,  ber  inSgefammt  für  ijin  unb  jurüd  eine  Gifenbahnfabrt 
uon  neun  6tunben  ucranlafct,  md)t  ofme  3lnftrengung  in  einem  Dage  ju 
bewältigen.   Der  nad)  Gurtea  be  Slrgefd)  erforbert  jwei  uolle  Dage. 

Der  Üh>eg  nad)  <3inaja  ift  junäapft  ziemlich  langweilig.  SJiit  über* 
rafdjenber  linmittelbarfeit  finb  wir  auf  einmal  mitten  in  ben  Karpathen. 
Der  Uebcrgang  ift  uerblüffenb  jäl).  2i>ir  burdjfaufen  eine  bergige  etredfe 
uon  <Ed)iefer,  Öerött,  mit  fallen  gclfen,  zwifchen  bie  fia?  ab  unb  $u  bid)t* 
beftanbene  anmutige  Serge  in  fanften  UmrtBlimeu  einfeilen.  Da  feljen  * 
wir  benn  baS  frifdje  ©rün  bes  £aubf)ol$e3  unb  ba3  bunfle  ber  Nabeln, 
namentlich  mächtige  Gbeltaunen.  Die  Salm,  bie  bem  Saufe  beä  gluffeS 
folgt,  ^at  uiele  £>tnbcrniffe  mit  Srürfen  unb  Dunnels  $u  überwinben. 

»cinaja,  bas  bem  jefcigen  Mönigspaare  fein  mächtiges  Aufblühen  uer* 
banft,  ift  in  bcrrlidjer  Sage  eingebettet  jwifdjen  l)ot)e  Serge,  beren  ©ipfel 
noch  mit  Sdmee  bebeelt  finb.  3?on  wunbeiuoller  ©irfung  ift  namentlidt) 
ein  $öl)eiuug  in  bijarr  jerriffenen  Linien,  ber  in  bem  fchönen  malerifdjen 
Garaiman* Reifen  mit  feinem  fmaragbgrünen  hatten,  bie  wie  ein  ^Jolfter 
in  baö  Grau  bes  Steinet  eingefügt  finb,  großartig  abfd)lie§t.  $\\  biefem 
weiten  Äeffel  finb  nun  in  feljr  furser  3^it  eine  2lnjar)l  freunblid)er  Hillen 
in  meift  gefdnuacfuoHer,  wenn  aud;  feine^weg^  ftilgerea^ter  Sauart,  mit 


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  2tus  bcm  Orient.   


allen  möglid)en  Xtjürmcn  unb  Tdürmc^en,  mit  3innen  uub  3a(&n/  inmitten 
hübid)er  ©artenanlagen  erftanben.  2luS  biegen  ragen  einige  größere  bauten 
auf,  Rötete,  iBabeamtalten  u.  f.  ro.  2llleS  mad)t  beu  (Sinbrucf  bes  eben 
gertiggeroorbenen,  Neuen.  2luf  baS  £ebhaftefte  erinnerte  mid)  ber 
auf  3inaja  an  bie  frifd)  erftanbenen  Stäbte  beS  amerifanifd)en  SikftenS 
uub  gan*  befonbers  an  baS  fiuruSbab  SaS  $egaS  in  9ieits<Dterico.  Unb 
aud)  t)ier  roef)t  biefelbe  herbe,  auffrifdjenbe  fiarfe  Suft,  aud)  bier  erfreut  fia) 
baS  2luge  an  bemfelben  faftigen  (Brün,  unb  2llleS,  roaS  ?tteuid)em)anb 
gemalt  hat,  ift  aud)  hier  fo  neu  unb  frifd)ba<fen  wie  brüben  im  Söeften. 

£od)  nid)t  Mcs!  .frier  im  ttarpathenfetTet  finb  bod)  SBahrjeidjen 
einer  alten  (Sultur  oorbanben. 

3>a  fteht  im  fd)önften  fünfte  ber  £anbfd)aft  baS  alte  ßloiter,  baS 
con  feiner  $öf)e  herab  baS  roeltlid)e  treiben  ber  fröt)tidr)en  Sommerfrifd)ler 
beberrfdit.  Um  bie  flöfterlid)e  Strenge  ber  9Wönd)e  unb  Tonnen  foll  es 
übrigens  md)t  gar  fo  fd)limm  befteUt  fein.  sBton  erjafjft  fid)  über  baS 
rea)t  roeltlid)e  treiben  ber  brauen  ttlofterleute  ^ter  allerlei  SBunbergefd)td)ten, 
bie  id)  nid)t  roieberboten  mag,  weil  id)  fie  eben  auf  ihre  ©laubiuürbigfeit 
nid)t  t)abe  prüfen  fönnen.  9lber  es  fdjeint:  ein  freies  l'cben  führen  fie! 
$n  einem  Dingel- Langel  niebrigfter  ©attung,  baS  id)  eines  fd)önen  ?lbenbs, 
als  ia)  nidjts  SeffereS  ju  tl)un  rjatte,  befugte,  fanb  id)  unter  ben  3m)örem 
ober  beffer:  3uid)auern  —  war  eigentlid)  mehr  ;,u  fd)auen  als  511 
hören  —  aud)  einen  efjrroürbigen  ©eiftlta)en  ber  orthobojren  .Utrd)e,  ber 
feine  langen  .fraare  —  bie  griechifdHatholifd)en  ©eiftlia)en  bürfeu  baS 
Haupthaar  nid)t  fd)eeren  —  in  einen  3°Pf  gefloa)ten  unb  unter  bem  Mragen 
geborgen  fyaite.  3JJein  Begleiter  rounberte  fid)  barüber,  baS  id)  mid) 
barüber  rounberte,  ben  geiftlid)en  £errn  in  biefer  fdmöben  2Beltliä)feit 
anzutreffen,   ©r  fanb  baS  ganj  felbftuerftdnblid). 

£aS  Älofter  ba  oben,  baS  roir  befia)tigten,  mad)t  einen  gan,}  bettern 
(Jinbruc!.  $n  ber  Keinen  ftloftcrfirdie,  auf  beren  getünd)ten  SSänben  fid) 
allerlei  fteif beinige  ^eilige  unb  roibcrroärtige  Srafccn,  bie  meüetä)t  feljr 
durafteriftifd)  fmb,  aber  unenblid)  häfjlia)  auSfd)auen,  herumtreiben,  unb 
*  bie  ©ortlob  oerroittem,  ried)t  es  fehr  ftarf  naa)  Mnoblaud),  unb  in  ber 
3efle,  in  bet  ber  eljrtuürbige  3)iönd),  ber  uns  herumführt,  häuft,  riea)t  es 
nod)  uiel  fd)limmer.  15  s  ift  faum  jutn  Aushalten.  9lber  ber  üWä*  oon 
biefer  rtapeüe  auf  bie  SSiUenftabt  unb  bie  &öhen',üge  ift  cnt;>ücfenb. 

3JiS  iefet  läjjt  inbeffen  nod)  nid)ts  ahnen,  roela)es  Sunbcr  fia)  in  ber 
nädmen  9iäf)e  unferen  33licfen  barbieten  foll. 

3luf  fd)attigem  th*ege  fahren  roir  faum  eine  fnappe  ^iertclftunbc, 
burd)  ^ud)en,  ilaftanien  unb  Mannen,  als  plöfelia)  roie  burd)  einen  3rtU^^f 
ein  h«rlid)es  <Sd)lofe,  ein  wahres  3Jtärd)cnfd)loB,  oor  uns  roie  aus  ber 
Söerfenfung  auffteigt.  ©anj  abgefdjloffen  00m  Srciben  bes  9)Jobebabes, 
in  einem  fdmtalen  Seitenthale,  baS  ber  luftige  ^elefd)  fröhlid;  burd)s 
plätfd)ert,  über  Äiefel  raufd)enb  unb  t)üpfcnb  unb  fia)  nur  eine  fur.jc  Mab 


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\\6    paul  £inbau  in  Berlin.   

gönnenb,  um  bann  in  muntenn  gall  thalwärtS  weiterjufpüugen  —  ba, 
wie  ein  ftleiuob  in  grünen  Sammet  eingefchachtett,  liegt  es  ba,  baS  un* 
uergleichlich  fd)öne  <Sd)lofe!  ©ine  Serwirflidmng  ber  phantafitfehen  flünftler* 
träume  eines  ©uftau  ®or6! 

3a,  ein  SJcarchen!  Sie  Schöpfung  eines  gürjten  unb  einer  Dichterin! 

greilid)  fjat  bie  91atur  eine  föftlid)e  Bereinigung  beS  ©ewaltigen  unb 
3lnmuthigen  l)ier  gefäjaffen.  2lber  fo  tyxxliä)  unb  gar  fo  gütig,  wie  fie 
uns  jefct  Iu'er  erfcheint,  ift  fie  uon  uornherein  bodj  nicht  gewefen.  3fian 
t)at  it>r  etwas  nachhelfen  muffen.  Xer  SBalb,  ber  früher  bis  an  ben  glufj 
hinabfletterte,  tyat  jurüctroeidden  unb  für  ben  Sau  'kaum  geben  muffen. 
Unb  nicht  in  fo  lieblicher  Senfung  roie  jefot  ftrebte  bie  &öhe  cor  bem 
Schlöffe  bem  £ljale  5U.  3Wan  ^at  thatfächlicr)  Serge  uerpflanjt,  baS  eine 
Ufer  geebnet,  ba  &öf)en  abgetragen,  unb  auf  bem  anbern,  wo  fidj  baS 
neue  Säjlojj  ergeben  follte,  eine  &öf)e  aufgetürmt.  Sie  Schwterigfeiten 
bei  biefer  ©eftattung  beS  wiberfpänfttgen  Kobens  waren  unglaubliche, 
bitten  in  bie  halbfertigen  2lrbeiten  ber  ©runblegung  fprubelten  auf  einmal 
Duellen  fnnein,  bie  2lHeS,  was  müheuoll  gef Raffen  mar,  wieber  $u  Sä)anben 
matten,  unb  bie  erft  abgeleitet  werben  mußten.  Millionen  finb  uerfchlungen 
worben,  ehe  ein  fefter  Untergrunb  für  ben  Sau  h^geftellt  werben  fomtte! 

Sann  galt  es  bie  ©rbe,  bie  $unäcr)ft  eben  nur  ein  unerfreulicher  Sanbs 
hügel  war,  ju  beleben.  Sa  würben  weiche  SHajen  gelegt,  Slumen  gepflanjt, 
ba  würbe  ©ras  gejät;  unb  nun  grünt  unb  toht  3lHeS  ringsumher;  in* 
mitten  bes  faftig  grünen  ©rafeS  ber  £öweu5afm  unb  aü  bie  lieblichen 
bunten  Slumen,  bie  blauen  unb  gelben,  bie  ftcr)  in  greiheit  unb  Unbänbig* 
feit  im  ©rün  fo  woljl  fühlen. 

60  liegt  benn  baS  Sdhlofe  im  tyai  uerfteeft  auf  einer  fanften,  bid)t= 
bewad)fenen  grünen  21ul;öt)e,  im  sJiüden  gebeett  uom  uralten  Salb  mit  beu 
gefunbeften,  fräftigften  Säumen,  rings  eingefchloffen  uon  mäßigen  Sergen, 
als  bereu  ftärffte  fteinerne  &>acht  jener  fd)ön  $erflüftete  gelfenfamm  ba- 
ftefjt,  ber  in  bem  trofcigen  Garaiman  enbigt.  So  liegt  baS  Schlofc  ba, 
befpült  uom  $elefa),  beffen  gall  ftarf  genug  ift,  um  einen  hohen  Spring* 
brunnen  oor  bem  Schlöffe  aufjujagen  unb  bie  Sttaidunen  jur  eleftrifchen 
Seleuchtung  ju  treiben. 

SaS  Schlofj,  im  Stile  ber  beutfdhen  Surgen,  wirft  in  ber  frohen 
jKMÜfür  feiner  ©lieberung  unb  2lnorbnung,  mit  ben  oieredigen  unb  runben 
Sl)ürmen,  ben  ©iebeln,  (Srferu  unb  ©alerien,  ungemein  malert)*.  9lber 
uon  gerabeju  uerblüffenber  Schönheit  unb  bracht  ift  bie  innere  Einrichtung. 
3ebe  Giujelfjeit  ift  ein  ÜJieifterwerf  in  ihrer  2lrt.  Son  uoflenbeter 
fünftleiifcher  2)ieifterfd)aft  finb  oor  2lü*em  bie  &oläfcfmifcereien,  bie  uon 
einem  uor$üg(id)eu  Äünftler,  Stöfjr,  herrühren,  ben  ber  Äönig  eigens 
aus  Seutidjlanb  berufen  hat.  Sie  £hürett  unb  genfter,  bie  ©laSmalereicn, 
bie  Secfen  unb  2i!änbe,  bie  Wobei  unb  all  bie  taufenb  Ueberflüfftgfeiten, 
bie  in  gejcjmacfoüllfter  Slnorbnung  5um  3(uSiä)mucf  angebracht  finb;  baju 


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2lus  Dem  Orient.   


bie  herrlichen  Äunftwerfe,  bie  meifterlidjen  ©emälbe  ber  2lltcn,  bie  ®e* 
rät^aften,  ©täfer,  iüedjer  unb  Ärüge,  theils  au»  Gbelmetall  Jetrieben, 
theils  in  Elfenbein  unb  ^olj  gefdbnifet,  t^eilö  au«  gebranntem  Sljon, 
2Jiajolifa  unb  Xerracotta  gefonnt  —  alles  baS,  all  biefer  feltfam  fd)öue 
Wirrwarr  oon  äSunbern  ber  ftunft  ift  gerabe§u  beraufd)enb  in  feiner 
Wiriung. 

£in$elne  Zäunte  fmb  in  bem  einheitlichen  Stile  ber  Seit  ober  beS 
fcanbeS,  2lnbereS  ift  wieber  ofme  alle  anbere  iflütfficht  als  auf  bie  fd)öne 
Wirfung  luftig  aus  alten  unb  jungen  Xagen  unb  oon  nah  fern  $u* 
fammengefteUt,  anfd)einenb  rein  jufäüig  hingeworfen.  9lber  ein  wie  feiner 
äftf)etifcher  Sinn  fyit  hier  orbnenb  gewaltet! 

Unb  baju  biefe  wahrhaft  fürftliche  $;ad)t!  (SS  ift  21HeS  aus  bem 
Voüften  gegriffen  unb  bod)  als  oberftes  ©ebot  bie  33ehaglid>feit,  bie  ruhige 
Vornehmheit,  bie  SSermeibung  alles  sJ>ro&en=  unb  s}>runfhafteu  aufgeftellt. 
9)ian  fühlt  fid)  in  liefen  Diäumen  wie  gebannt.  Unb  forfcht  man  nad) 
bei  Urfadje  biefer  überwältigenben  Wirfung,  fo  ift  es  gerabe  baS  Wohn- 
liche, baS  ©emüthliche,  baS  frauliche.  3Kan  fief)t,  9iüe^  baS  ift  heraus* 
gemachten  aus  ber  innerften  unb  wahrften  greube  am  eigenen  £eim.  (SS 
ift  nicht  ba,  um  tUnberen  gezeigt  ju  werben,  es  ift  ba,  um  bewohnt  $u 
werben.  9iid)t  ein  Sct)au|tütf  für  grembe,  ein  freubigeS  (Stgcnthum  ber 
^nfaffen.    GS  ift  ganj  inbiuibueü. 

£aS  gilt  fowol)l  oon  ben  ©emächern  beS  Königs,  bie  auch  in  biefem 
Buen  retiro  ftrenger  im  Gharafter  ber  Arbeit  angelegt  fmb,  als  oon  ben 
3immern  ber  Königin,  bie  hier  ein  wenig  ungeftörter  als  in  ber  ^efibenj 
ihrer  Sieblingsneigung,  bem  Sd)önen  fdjöpferifd)  ju  bieneu,  nachgehen  barf. 
Sie  hat  ftch  ^ier  ein  wunberbares  £>id)terheim  gef Raffen,  jugleich  3)iufifs 
faal  unb  9Nalerwerfftatt.  Sa  ftchen  ^nftrumente  aller  21rt:  ber  glügel, 
bie  Crgel,  bie  &arfe,  bie  Gittjer,  bie  2)tonboline  unb  fonfttge  Saiten* 
inftrumente.  Sa  ftel;t  aud;  in  gutem  ßid)te  bie  Staffelei,  baneben  auf 
bem  Xifd)chen  ber  2Halfaften;  unb  in  einer  9?tfche  ber  f leine  anfprud)S; 
loie  Xifdj  mit  Sdjreibjeug,  au  bem  (Sannen  Snloa  bid)tet. 

SllleS,  21UeS  ift  gleichermaßen  fd)ön  unb  erfreulid)  in  gorm  unb  garbe. 
Wohin  baS  9luge  blirft,  überall  ftreift  es  baS  9iei$enbfte  unb  £ieblid)fte, 
was  Stenfchentjanb  fchaffen  fann.  Unb  fdjweift  ber  33lict  burch  baS  genfter, 
bura)  biefe  mächtige  Ceffnung,  beren  bunte  glügel  weit  offen  ftel)en  — 
unb  baS  gan$e  genfter  wirft,  als  ob  es  geöffnet  fei,  beim  bie  grofce 
Smegelfcheibe,  bie  aufjer  ben  bemalten  glügeln  bie  genftei Öffnung  fchliew, 
ift  oöUig  unerfenntlid);  man  bemerft  fie  erft,  wenn  man  ben  ^erfud)  madjt, 
ben  Äopf  hinauSäufteden,  unb  bann  plöfclid)  auf  ben  burd)ftchtigen  Wiber* 
ftanb  ftöfet  — ,  blidt  mau  hinüber  ins  grete,  bann  fielet  man  nod;  Schöneres, 
als  baS  gelungenfte  3)ienfchenwerf ;  man  fieljt  baS  Sd)önfte,  baS  bie  9iatur 
fchaffen  fann:  Walb  unb  Eerg,  ben  blauen  Gimmel  ba  oben  unb  ben 
luftig  föäumenben  gluß  im  Xljal. 


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  paul  Siitbaa  in  Berlin.   


3d>  will  hier  nid^t  als  grembcnfufjrer  alle  GJemädjer  burdjwanbern 
unb  auf  bie3  unb  ba$  aufmerffam  machen.  %&)  mag  mid^  nidjt  loSlöfen 
uon  .bem  ©inbrucf  beä  ©efammten.  Unb  wo  war  es  am  fdjönften? 
Unten  in  ben  $rad)träumen  ober  oben  in  ben  (itoftjtmmem  ober  auf  ber 
©aleric  beä  XfnmneS?  3a>  weife  es  nid)t.  2lber  idj  hatte  bie  ©mpfiubung: 
I)ier  lä&t  fidj  niljen  unb  träumen,  I)ier  läßt  fid)  benfen  unb  planen,  hier 
lagt  fid)  ferjaffen  unb  bieten. 

XVI. 

y  Curtea  öe  2lra.efcr). 

Unfer^^cifeflefeUfdiaft.  —  *)er  äUeg  nai)  9Iraefd).  —  3>ic  2Mfd)of3fird)e.  —  Ter 
2i\jKx  ältoiroobe  9Jcagoc.  —  £a§  Saptifterton.  —  35aa  ^tciifjcrc  ber  ftirdje.  —  35tc 
(uffiunbenen  2l)ürme.  —  innere:  SJorfoxlle,  2Hittelfdjiff,  ätoeiter  £aupttl>etl, 
^anchiarium.  —  Sie  Silber  bc8  ftöntßä  unb  ber  Sfontgiti.  —  2er  Sifdjof  (Shcnabitö, 
—  Ter  bifd)bflid)c  Sdjaö.  —  £ehnfef)r.  —  ffiuffifdje  i*ropaßanba.  —  Xic  Xradrten 

ber  Sauern. 

9Wit  nidjt  geringer  greube  benfe  icf)  juriuf  an  unfern  2lu*flug  nadj 
Gurtea  be  2lrgefd}. 

Untere  f leine  Gtefellfdjaft  beftanb  aus  bem  ÄultuSminifter  2Wai'ore3co 
unb  beffen  Damen,  feiner  grau  unb  Schwägerin,  bem  franjöfifdjen 
SIrdjiteften  £ecomte:bu*9io üu ,  ber  bie  $ifdEjof3tin$e  uon  Slrgeict)  oon 
©runb  auf  reftaurirt  r)at,  bem  ?lbgeorbnetcn  Tjuoara,  einem  jungen, 
fet)r  begabten  unb  berebten  ^olitifer,  unb  mir. 

2)Jan  braucht,  um  uon  Öutareft  nad)  (Surtea  be  Slrgefd)  :>u  fommen, 
gute  adjt  Stunben:  brei  Stunben  s*8at)n  bis  ^itefti,  bort  raftet  man  etwa 
anbertljalb  Stunben  unb  fär)rt  bann  oier  Stunben  im  ÜBagen  bura)  eine 
liebliche,  wenn  aud)  uid)t  gerabe  großartige  l'anbfdjaft. 

ift  ein  Vergnügen,  *n  Rumänien  \w  fahren,  icr)  mufc  e$  nod)  ein- 
mal fagen.  Tic  oier  ^ferbe,  bie  uor  unfern  Sagen  gefpannt  finb,  laufen 
wie  ber  Satan.  2luf  unferm  Segc  begegnen  wir  $af)lreid)cu  dauern,  bre 
nod;  fammt  unb  fonber*  bie  fofette,  t^eatraltfdr)  fleibfame  Nationaltracht, 
gewöhnlich  weiter  Wrunbftoff  mit  fdjwarjen,  rotten  unb  blauen  Stidereien, 
tragen  —  faft  burdnueg  ernfte  3»änner  mit  fovgenoollen  9lugcn.  2llie 
geigen  eine  gemeffen  ehrerbietige  Haltung,  alle  finb  Ijöflid)  unb  grünen. 
■Hud)  3igeunertrupp$  $icf)eu  an  \m  oorüber.    Ta3  Setter  ift  herrlid). 

ftaubt  nur  wenig.  SPon  3eit  $u  Seit  fällt  ein  btedjcn  biegen  herab, 
gerabe  genug,  um  ba$  grüne  Vfanb  aufmfriferjen  unb  ben  fanbigen  2£eg 
$u  befiucngcu.  %m  üintergrunbe  jeigen  fid;  bie  frönen  Linien  ber 
Karpathen.  (5*  gel;t  bergauf.  Tie  ^ferbe  laufen  im  fdtjarfen  Öalopp, 
augefeuert  burd)  ben  JRutfä)cr,  ber  feine  ^eitidje  oon  unenblidjer  l'änge 
uon  3eit  ju  3eit  aufhebt  unb  etwa  wie  Xbeobor  Sattel  aU  ^oftillon 
uon  l'oujumeau  mit  einer  etwa*  affectirt  grajiöfen  ^anbbewegung  fd)wingt, 
jebod)  ohne  ju  fuaflen  unb  olme  ben  9iücten  ber  ^?ferbe  aua)  nur  m 
berühren.    Mer  bie  ^hierc  t)aben  offenbar  2tugen  auf  bem  dürfen; 


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  21ns  bem  Orient.   

beim  fobalb  ber  Äutfdjer  bic  Speitf^enfd^nur  in  ber  Suft  tanjen  läßt,  jieljen 
fic  fcfcärfer  an. 

?lUmäf)lid)  fließt  fiefc  um  uns  ber  äreis  ber  Serge.  25ir  finb  in 
einem  großen  weiten  Xf)ale,  baS  nun  ringsum  oon  Sergen  in  großer 
^eripberie  umgrenjt  ift.  £ie  Gfjauffee  ift  auf  ber  ganjeu  langen  ©trerfe 
por^üglia)  gehalten.  2öir  gelangen  nun  enbltd;  an  unfer  3iel:  baS  ^anb- 
ftäbtdien  3lrgei<$,  baS  mit  feinen  artigen  Semofmern,  bie  allefammt  refpect* 
vott  ben  &ut  lüften,  als  mir  oorüberfaljren,  einen  redjt  freunblidjen  (Siubrurf 
madjt.  sii>ir  fahren  eine  ©trerfe  weiter,  unb  ba  uor  ber  ©tabt  liegt  baS 
3i*unber  oor  uns  .  .  . 

(rs  mirft  glcid)  auf  ben  erften  Slitf  entjütfenb.  $u  biefer  SSeltab« 
gcfd>iebenf)cit,  in  biefer  freunblid)  füllen  9totur,  in  biefer  weiten  grünen 
(rbene,  gan$  umrabmt  von  bofyeu  Sergen,  bie  in  allen  färben  fd)iüern, 
liegt  bie  Mirdbe  ba  —  ein  wafjreS  ftuwel,  nid|t  übertrieben  groß,  feinet • 
wegS  gebieterifd)  unb  impofant,  aber  oielleidjt  baS  lieblidjfte  £>auS,  baS 
bem  Ziemte  beS  &öd)ftcn  überhaupt  in  ber  Glnüftenwelt  errid)tet  ift.  (5  s 
fiefjt  aus  wie  bie  jarte  2lrbeit  eines  GJolbfdjmiebS.  (5s  fd)illert  in  grüner 
unö  blauer  garbe  unb  glifeert  golbig.  Der  9luSfdnnucf  ift  von  großartigem 
?{eidjtfnim  unb  babei  bodj  in  ber  äStrfung  uon  uornel)mer  DiScretion. 

£ie  mäßigen  Serf)ältniffe  beS  SaueS  finb  erflärlid)  aus  feiner  ur- 
fprunglidjen  Seftimmung.  2U8  Sotiufircf)e  war  er  angelegt  unb  auSges 
fütjrt.  (£in  walad)ifd)er  ftürft,  ber  2£oiwobe  9feagoe,  wie  er  auf  ben  $n- 
fcr>riften  tjeifct,  9iogoje,  Dtyagon  ober  9?nagor,  wie  er  aud)  fonft  genannt 
unb  gefdjrieben  wirb,  ber  uon  1511  bis  1520  regierte,  ein  gar  göltet 
fürdrtiger  unb  frommer  $err  —  was  aUerbingS  nid)t  oerljinberte,  baß  es 
unter  feiner  £errfd>aft  mandjmal  $u  einigen  gelinbcn  Horben  fam,  an 
benen  er  felbft  uieUeidjt  nidjt  ganj  unbeteiligt  war  — ,  füllte  ob  feiner 
^erworfenlieit  ©ewiffenSqualen  unb  wollte  ftdj  mit  feinem  ©ort  abfinben. 
%n  ber  Grfenntnife  feiner  fajwcren  3Ki|fetI)atcn,  bie  freiließ  weber  feine 
^eitgenoffen  nodj  feine  Stodtfommen  baoon  abgehalten  Ijaben,  ben  cuergifc&eu 
dürften  als  ben  ebelften  unb  gläubigfteu  djriftlidjen  £>errn  *u  pretfen  unb 
ilnn  ob  feiner  22cisl)eit  ben  Seinamen  beS  walad)ifd)eu  8alomo  beizulegen, 
flagte  fid>  ^eagoe  an,  baß  er  ein  ©ünber  fei,  wie  es  einen  größeren  in 
ber  Gbriftcn^eit  oom  Aufgang  bis  $um  Untergang  ber  (Sonne  nidjt  gebe, 
baß  er  gearbeitet  f)abe,  mit  uieler  sJJJüljc  unb  8d)roeiß  unb  junger  unb 
£urft  unb  ©djmadj  unb  ©d>anbe  unb  8d&cltwort,  baß  er  ein  ueröbetcr 
Weinberg,  ein  unfruchtbarer  Feigenbaum,  ein  in  ber  Stifte  fierumirreubc* 
©djaaf  fei.  Um  nun  bie  rcinfte  3Jiutter  GwtteS  $u  ocrfiHjnen,  errichtete 
er  biefeS  Sct^auS  unb  bat  fic  um  gütige  gürfpradje  bei  bem  Sobu,  auf 
bap  biefer  am  Xage  bes  ©eria^ts  iljm,  bem  oerworfenen  :3ünber,  ein  tnilber 
$Hid)ter  fei,  unb  ba§  aud)  er,  ber  fünbige  Mnea^t,  ber  sii>oiwobe  ^;ol)anu 
9?eagoe,  in  ©naben  eingebe  sur  ewigen  8eligfeit.  2llfo  nia)t  für  eine 
grofee  ©emeinbe  ift  bieS  &auS  gebaut,  cS  folltc  nur  als  ßrabftätte  bieneu 


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\20    panl  £inban  in  Serlin.   

für  ben  fromme«,  bu&fertigen  SBottooben  unb  beffen  ©emal)lin  unb  ein 
SBethau*  fein  für  ben  gürftcn  unb  bie  bem  gürften  Rädjftftehenbeu.  3ur 
3ett  ber  Regierung  biefef  föerrn  fameu  am  tfonftantinopel  geflüchtete 
ftünftlcr  burct)  ba$  ßanb,  unb  e$  unterliegt  reinem  Zweifel,  baf>  Reagoe 
einen  ober  mehrere  biefer  tunftlcrifchen  Flüchtlinge  bei  fid).  aufgenommen 
unb  biefe  mit  bem  23au  ber  Jttrdhe  beauftragt  hat.  $a3  ©lücf  hat  irm 
unterftüfct.  Ed  finb  grofee  TOeiftcr  getoefen,  bie  biefen  33au  aufgeführt  haben. 

Vor  ber  Kirche  unb  mit  biefer  jefct  burdj  eine  einheitliche  Einrahmung 
organifch  jufammengefügt,  wenige  (Schritte  oon  ber  treppe,  bie  jum  £>aupt= 
portal  führt,  ftef>t,  wie  bieS  bei  ben  bnjantiuifchen  Mirdjenbauten  fehr  fjdufig 
oorfommt,  ein  f (eineref  ^uppelgebäube.  baf  ben  technischen  tarnen  Äantharuf, 
alfo  etwa  „ßanne"  ober  pumpen",  führt,  ba3  ich  an  Crt  unb  Stelle 
aber  „Vaptifterion"  fyabe  nennen  hören.  £en  tarnen  beä  .§umpen£  ober 
eines  SSafferbebälterS  hat  &  jebenfallf  oon  feinem  urfprünglichen  3roecI^ 
benn  in  biefen  t leinen  ©ebäuben  mürben  bie  oor  bem  betreten  bef  ©ottef* 
häufet  oorgefchriebenen  Reinigungen  unb  Söafdmngen  oorgenommen:  be*3 
©efichtä,  ber  &änbe  unb  ber  güjüe.  $n  bem  flantharuf  unferer  Wirdbe 
aber  ift  oon  berlei  Vorrichtungen  jur  3i>afd)ung  nichts  wahrzunehmen. 

Subroig  Reifeenberger,  ber  im  „Jahrbuch  ber  f.  f.  Eentralcommiffton 
Sur  Grforfdnmg  unb  Erhaltung  ber  Vaumerfe"  (SBien  1860)  bie  bifchöfliche 
fllofterfirchc  oon  2lrgefd)  oor  ihrer  Reftauration  jum  ©egenfianbe  eines 
fehr  eingehenben  StubtumS  gemacht  hat  (1.  c.  4.  Vanb,  Seite  177  —  224), 
ift  baljer  ber  3lnfi<ht,  bafj  baf  fleine  ©ebäube  fykv  nur  eine  fgmbolifche 
Vebeutung  gehabt  unb  ben  S^ecf  oerfolgt  haben  mag,  bem  ©laubigen  oor 
feinem  Gintritt  in  bie  fettige  8tätte  ju  einer  geiftigen  Reinigung,  $ur 
Sammlung,  jur  Einfehr,  jur  2lnbad)t  5U  bienen.  Siefeä  fleine  t\o$U 
artige  Vorgebäube  ift  burdjaue  im  Stile  be$  &auptgebäube3  aufgeführt. 
Ef  enthält  bie  9lnbeutungen  jener  9)iotioe,  bie  in  bem  &auptgebäube 
großartigerer  Entfaltung  gelangen  folien. 

Von  biefem  Gantharuf  ober  Vaptifterion  auf  betrachten  mir  nun  biß 
unmittelbar  oor  um  liegenbe  Kirche.  Sie  erhebt  fid)  auf  einem  jiemlicr) 
hohen,  feften  gunbament,  fo  baft  511m  &auptportal  eine  'JHarmortreppe  von 
sroölf  Stufen  hinaufführt. 

Tm  ©ebäube  ift  in  einen  obern  unb  untern  Sau  gegliebert.  Ter 
Unterbau  ift  in  oiereefige  gelber  eiugetheilt,  bie  in  ben  oerfchiebenartigfteit 
unb  rcidjften  farbigen  Cruameuten,  namentlid;  in  golbburchjogenem  mattem 
Vluu,  bie  £'ia)töffnungen,  bie  man  faum  geufter  nennen  fann,  enthalten. 
Es  finb  formale,  in  bie  flauet  oertiefte  Rifeen,  bie  mit  buntem  ©laä, 
ba*  fid)  in  ber  garbe  ganj  ber  Crnamentif  anfchlietjt,  bebeeft  finb,  fo  bat? 
man  oon  außen  eigentlid)  nur  bie  reiche  bunte  Verzierung,  ben  arcf)iteftonifd)en 
3lu*fchmucf,  ntd;t  aber  bie  Sidjtöffuumj ,  baf  eigentliche  genfter  ficht. 

lieber  Meiern  Unterbau  \\d)t  fich,  zugleich  alf  Sd>eibung  00m  Cber^ 
bau,  ein  mäd;tigcr  Sltolft  in  gorm  eine*  großartigen  Sa)iffötauef  um  ba$ 


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  Uns  bem  (Orient.    \2\ 

ganje  ©ebäube  fjerum,  baS  aus  Pier  Strähnen  pon  oerfdjiebener  Crnamentif, 
balb  mit  <Sdmppen,  balb  mit  Saubroerf,  balb  mit  ©infurdmngen,  unb  ebenfalls 
in  perföiebener  gärbung,  hellblau,  fjellgrün  unb  ©olb,  äufammengeflodjten 
ift.  Xiefc  ard)iteftontfd)e  funftpolle  Umfdmürung  ift  oon  ^errtid^fter  äl>irfung. 

2>er  Cberbau  ift  ringsum  mit  fäjübartigen  23er$ierungen  in  ben  mannig* 
faltigften  unb  fjerrlic&ftcn  duftem,  jum  £f>eil  in  burdjbrodjener  Arbeit, 
gefc&mücft.  %on  ben  oierjig  biefer  fd&ilbartigen  33er$ierungen  gleicht  audj 
nidjt  eine  ber  anbern  in  ifjren  gefdjmacfpollen  unb  fjerrlidjen  SBerfajlingungen. 
:!lbgefd)loften  wirb  ber  Oberbau  burd)  ein  prad)tpolleS  Äranjgeftmfc,  baS 
mit  feinen  £öf)lungen  unb  2lnfcf)n)euungen,  mit  feinen  gerablinigen  unb 
frummlinigen  2luSfdmitten  bie  Serounberung  aller  gadjmänner  rjerporruft. 

£en  tiefften  ©inbruef  biefeS  ungemein  reiben,  jierlidjen  unb  jugleidj 
roürbepoüen  unb  oornefmten  iöaueS  madjen  bie  Pier  &uppeltf)ürme.  iNed)tS 
unb  linfs  an  ber  ^orberfeite  ergeben  fia;  5toei  feinere  Xfjürme,  bie  au» 
einem  niebrigen  quabratiidjen  Unterbau  aufmachen,  $iefe  beiben  Stürme 
haben  eine  6igentl)ümlid)feit,  bie  id)  nirgenbroo  gefefjen  fjabe.  3)ie  gaitj 
fdmtalen,  rifcenartigen  Ceffnungen,  bie  $um  Ginbringen  beS  &idjts  bienen, 
unb  bie  aud)  fjier,  wie  im  Unterbau  bes  ©ebäubeS,  burd)  bie  reiche  bunt* 
farbige  unb  golbige  Crnamentif,  pon  außen  betrautet,  faft  unerfenutlidj 
fmb,  fter)en  fd)rag,  fo  bajj  bie  Stürme  mit  biefer  febrägen  Crnamentirung 
alfo  fpiralfönnig  roirfen,  als  ob  fie  gerounben  ober  gebreljt  waren.  (Ss 
ma$t  einen  ganj  feltfamen  Ginbrucf!  Unb  biefe  beiben  f leinereu  £l)ürme 
geben  bem  ganzen  ©ebäube  etwas  burdjauS  Originelles. 

hinter  biefen,  in  ber  SHitte  bes  ©ebäubes,  fteigt  mäd>tiger  unb  grofj- 
artiger  ber  mittlere  fluppeltljurm  auf,  ber,  roie  alle  (Sinjel^eiten  biefeS 
söaueS,  mit  bem  prädjtigften  unb  jterltdjften  9luSfd)mu(f  perfefyen  ift.  Unb 
rjinter  biefem,  ben  mittleren  ftuppelttyurm  nodj  ein  roenig  überragenb,  er* 
fjebt  fict)  über  bem  großen  Cuerfd)iffe,  ebenfalls  auf  pieredigem  Unterbau 
unb  in  berfelben  reiben  unb  pradjtoollen  ardnteftonifdjen  Seforation,  ber 
£auptfuppeltf)urm. 

STie  ganje  Mirale  r)at  alfo  pier  Stuppeltljfirme:  redjts  unb  linfs  am 
Eingänge  bie  beiben  gerounbenen,  bann  einen  größeren  unb  mäßigeren  über 
ber  mittleren  fluppel  unb,  biefen  nod)  überbietenb,  über  bem  (cdjiff  ben 
fuppelförmigen  £aupttrmrm. 

Unb  alle  £t>eile  biefeS  ©ebäubes,  bie  uieretfigeu  gelber  beS  Unters 
baueS,  bie  <Sdjilber  beS  CberbaueS,  bie  Stürme,  bie  ^roifdjeugüeber :  jener 
fa^iffStauartige  SSßulft  $roi)djen  Ober--  unb  Unterbau  unb  bas  ttran$geiuinbe, 
baS  bie  Sdjeibung  beS  ©ebäubes  Pom  Sadje  bilbet  —  Silier  baS  ift  mit 
ber  finnreid)ften,  gefdjmadooüften  unb  $ierliä)ften  Crnamentif  be*  Clients, 
in  fauberfter  2luSfüf)rung  —  roafjrer  Jiligranarbett  in  Stein  — ,  in  ent* 
jücfcnber  gärbung,  in  jattem  ©riin,  in  mattem  2Mau  mit  ©olb  burd)tutrft, 
unb  in  unerfdjöpflidjer  Sftannigfaltigfeit  ber  Biotine  gefajmüdt.  GS  ift  pou 
einer  6auberfeit,  pon  einer  3lnmutl)  unb  ^radjt  unb  jugleid;  oon  einer 


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{22   paul  Cinbau  in  Berlin.   

geierlidtfeit  unb  Sdjönfyeit  fonbergleidjen;  unb  jefof,  in  feiner  munberbaren 
2öieberr)erftellung  burd)  bcn  geiftuollen  unb  bebeutenben  2lra)tteften  £ecomte= 
bu=9toüij,  einen  ber  fyeruorragenbften  teuer  ber  bnjantinif<$en  2taufunft, 
ber  ein  Sa^ermt  eifrigften  unb  unablaffigften  6tubium3  unb  funftfreubigfter 
2lrbett  auf  bie  Sßiebererfteljung  biefed  l)errlid;en  23aue-3  uerroanbt  &at,  mel= 
leidet  ba$  einzige  sJ)ionument,  ba$  und  bie  ganje  Eigenart  unb  &errlic§fett 
bed  bnjantini^en  iöauftiU  in  einem  feiner  reijüoaften  Söerfe  in  unner= 
fester  $rad)t  uor  bie  Singen  säubert. 

2i>ir  treten  ein,  unb  ein  frommer  Stauer  überriefelt  und.  £a3  innere 
madjt  einen  überroaltigenben  ©inbrud,  r»or  2(ttem  burd)  bie  $eleud)tung. 

9lu3  ben  fdjmaleit  £id)töffnungen  beS  Unterbauet,  ben  burdjbrod&enen 
Arbeiten  ber  Sd)i(ber  bed  CberbaueS  unb  t>on  ben  fluppeln  rjerab  flutten 
burd)  bie  bunten  ©djeiben  bie  farbigen  Sidjtroellen  ju  einer  rounberfamen 
geljeimnifjoollen  Harmonie  sufammen.  ($3  ift  eine  unbefdjreiblidje Dämmerung, 
ein  feltfam  farbiges  &albbunfel  in  fanften  Xönen,  ba$  ganj  mäd)tig  er= 
greift.  UunüUfurlid)  ruft  man  mit  gauft  aud:  „SBillfommen  füfjer  Cammers 
fd)ein,  ber  bu  biet  &eüigtlnim  burdjioebft!" 

£a£  GJebäube  ift  im  Innern  in  brei  Steile  georbnet.  2>er  erfte 
ouabratifaje  Xbeil  ift  roieberum  in  verfdjiebenc  2lbtl)eilungen  gegliebert. 
Cr£  ift  junädjft  diaxim  für  eine  2lrt  $torl)alle  gelaffen.  &ier  ruljt  ber  ^e- 
grünber  ber  Mirale,  ber  jültoimobe  9Jeagoe  unb  feine  fromme  öemafjlin 
®efptna,  bie  in  einem  f inblidjeu .  &3anbgemälbe  mit  if)ren  fed)3  Äinbem 
bargefteüt  finb,  bie  Äird)e  ber  Butter  ©otted  barbringeub. 

£er  3Kittelraum  bicfcs  erften  Sljeite,  ber  burd)  bie  jroölf  Sauten 
eingefaßt  mirb  unb  geroiffermafjen  baä  9Jftttelfd)iff  bilbet,  über  bem  fid) 
ber  erfte  grotfeftuppeltlmrm  roölbt,  l;at  redjtd  unb  linfs  sroei  fleine<Seitenfd)iffe. 

2ln  biefeu  &auptt^eil  fd)lie|jt  fid)  ein  ^weiter  au,  über  bem  fid)  ber 
.§auptfuppeltl)urm  ergebt.  5Ter  2lra)iteft  fteifjenberger  fyat  nid>t  Unrecht, 
roenn  er  fagt,  bafj  biefe  3weitf)eilung  ein  rcenig  oermirrenb  wirft  unb  baß 
ein  gemeiufamer  iDiittetpunft  für  alle  Söautfyeile  baburdj  oerloren  geljt. 

Sin  biefeu  jiunten  <paupttf)eil  fttjlicfjt  fid)  bad  ©anctuarium,  ba$  burd) 
einen  praajtoollen  Sdnnutfbau  oon  ben  übrigen  Räumen  getrennt  ift:  £rei 
Xljiiren  in  nwnberbarer  oergolbeter  Arbeit  fügten  in  biefen  !öau.  lieber 
ber  mittleren,  ber  größten  £l)ür,  ift  ber  tfopf  ^efu  (Sljrifti  bargeftellt,  unb 
an  bem  reidjen,  l;errlidjen  ©eftmd,  baS  über  biefer  Xijüx  quabratifdf)  auf; 
fteigt,  Gljriftus  am  .sTrcu^e.  2lud)  über  ben  anberen  Spüren  finb  ^eiligen; 
bilber  in  ÜDiebailionform,  unb  redjtd  unb  ltnf$  oon  ber  &aupttl)ür  in  ber 
Hatte  finb  uneberum  CSljriftuö  unb  bie  beilige  ÜNutter  ©otteä  mit  bem 
Clniftfinb  bargeftellt.  £iefer  malerifd)e  ^anbfdnnud  ift  tyeifS  in  gredco; 
färben,  tbcils  aua)  in  3)iofaifarbeit  au^gefüljrt  unb  natürlid)  faft  immer 
auf  (^olbgrunb,  bad  (üansc  in  frifdjer  garbenpraa^t;  bie  3)tetalltl)üren  ftnb 
in  Aeuer  ucrgolbet,  fd;öne  getriebene  Arbeiten  mit  Gmail  unb  bunten 
Steinen  befüt.   Dura^  biefe  Xhüren  blidt  man  alfo  in  bad  <Sanctuarium, 


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  21ns  bcm  Orient.    [2o 

in  betii  ber  f^errttc^e  3lltar  ftefn*  mit  feinen  großartigen,  nach  ben  fdjönften 
■Kuftern  geformten  £>eiligengeräthen. 

3n  beut  bem  Sanctuarium  nädjftliegenben  9iaume  fterjen  bie  £hron; 
feifei  für  ben  «König  imb  bie  Äönigin  unb  ber  Xfjronfeffet  für  ben  93ifcf)of, 
ebenfalls  Sßerfe  ber  mobemen  ßunft,  aber  nach  ben  oorsüglidjften  9)?uftern 
ftTeng  im  Stile  ber  3eit  unb  be*  SanbeS,  entmeber  uorliegenben  Urfunben 
nachgebilbet  ober  bodj  burd)  bie  tfunftwerfe  ber  Seit  angeregt. 

3lud)  im  Innern  $eigt  fid)  biefelbe  erftaunlid)e  flraft  in  ber  Grfinbung 
ber  becoratioen  SRotioe,  bie  mir  fdjon  6ei  ber  Betrachtung  be$  9(eufcern 
anijcftauitt  fyiben.  Sie  Kapitale  ber  --wölf  Säulen,  bie  ba$  Schiff  ein= 
faften,  fmb  ganj  wunberooll.  3n  einigen  ber  Säulen  feljrt  in  ben  Schäften 
bie  fdjräge  3lu$f$mürfung  wieber,  bie  biefe  fpiralförmig  erfahrnen  läfct, 
unb  bie  mir  in  fo  eigenartiger  $urdjbilbung  an  ben  beiben  Keinen  tfuppel* 
türmen  3ur  ^ec^ten  unb  5ur  Sinfen  beä  (Eingangs  fdjon  brausen  bewunbert 
toben.  'gier  im  Innern  wirft  biefe  fcheinbare  SBinbung  ber  Säulen  im 
3fo|"a;lu6  an  bie  gewöhnlichen  womöglich  nodj  ftärfer.  fommt  gemiffer* 
maßen  in  bie  fteinerne  Starrheit  Bewegung  hinein.  GS  wirft  wie  [ein 
Jaltenrourf  in  einer  ©ewanbung  aus  unbeweglichem  Stoff,  Sie  ganje 
innere  Einrichtung  ift  ofme  irgenbroeldje  übel  angebrachte  Sparfamfett  aus 
ebelftem  2Jiaterial  mit  gewiffenhaftefter  Sorgfalt  unb  mit  großartigem  ©e- 
lingen  burchgeführt.  5>om  3Wofaif  bes  gufebobens  bis  ju  ben  Kapitalen, 
bie  bie  herrlichen  Seelen  tragen,  bis  hinauf  ju  ben  kuppeln,  bie  fidt)  ba 
oben  wölben,  erftrahlt  2tlIeS  in  Farbenpracht  unb  ©olbesglanj. 

Safe  baS  ho<hh^räiöe  Sürftenpaar,  baS  biefeS  SBunber  uor  ber  W\t- 
R>elt  unb  für  fünftige  ©efdjlechter  auf  ^ahrlmnberte  hinaus  ju  anbäd)tiger 
Serounberung  neu  \jat  erfterjert  laffen,  in  biefer  t)errüdöen  .Üirche  oerewigt 
werben  mufj,  ba§  tyex  ben  alten  Sarfteflungen  oon  3teagoe  unb  Sefpina 
fict)  bie  Silber  oon  ftönig  $arl  unb  .Königin  Glifabetf;  anjureihen  tyiben, 
bebarf  feiner  Begrünbung.  GS  gebietet  fid)  oon  felbft.  2lber  bie  ©emiilbe 
bes  ÄömgSpaareS,  bie  jefet  in  ber  bifchöflichen  ftlofterfirdje  ju  3Jrgcfd|  an= 
gebracht  finb,  wollen  mir  gar  nicht  behagen.  Namentlich  ba»  S3ilb  ber 
Äöuigin  roitft  fentimental  anfpruchSoofl.  Siefe  burd)  unb  burdj  mobernen 
unb  nicht  einmal  gelungenen  SKalereien  finb  burd)  bie  3eitwibrigfeit  ihres 
ßljarafterS  ftörenb;  unb  es  ift  ju  hoffen,  bafe  ein  gefchmarfooller  ßünftler 
Wh  finben  wirb,  ber  ber  Aufgabe,  baS  fürftliche  ^aar,  baS  Gurtea  be 
2lrgefch  wieber  hergeftellt  hat,  fyex  an  Crt  unb  Stelle  bilblid;  bar^uftellen, 
in  einer  Söeife  fich  gewachsen  jetgt,  bie  bie  fchroffen  ©egenfäfee  3wifdjen 
ber  alten  unb  neuen  3eit  fünftlerifd;  «ermittelt  unb  biefen  Schmud  ein* 
hettlich  in  ben  Stil  beS  ©anjen  einfügt. 

3n  ber  anregenben  ©efeüfchaft  beS  flugen,  hochgebilbeten  unb  beftridenb 
tiebenSwürbigen  sJNinifterS  SMoreSco,  beS  auSgejeidjneten  ßünftlerS  £ecomtc* 
bu^oüü,  ber  biefe  SBicberherfteUung,  ein  Weifter werf  beS  ÄunftuerftänbniffeS 
nnb  ©efchmadd,  gefchaffen,  beS  lebhaften  jungen  «politifers  unb  ber  an* 


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[2^    panl  £inbau  in  Berlin.   

mutagen  jungen  tarnen  verbrachte  tdj  in  bem  fHtten  Stäbtdjen,  in  bem  iefct 
auch  wegen  ber  $ahlreid;en  gremben,  bie  biefc  einzige  Äird)e  heranlocft, 
ein  recf>t  gutes  ©afthauS  entftanben  ift,  fef)r  heitere  unb  genußreiche  Stunben. 

Ter  SBifc^of  ©henabios,  ein  fajöner  9J?ann  unb  ein  fiterer  Gumpan, 
ber,  roie  id)  ^öre,  nebenbei  auch  bie  ^ntereffen  feines  JttofterS,  feiner  rounber* 
»ollen  Stirpe  unb  feiner  eigenen  ^erfon  mit  großer  Umfielt  unb  weltlicher  £lug: 
heit  roaf)ren  foll,  roar  ungemein  liebenSrofirbig.  Ta  meine  SReifegefährten 
bie  ^tedjte  beS  fwd)roürbigen  #errn,  an  beren  Zeigefinger  ein  mächtiger 
gifcherring  funfeite,  ehrerbietig  fügten,  worauf  ber  Söifdwf  jebem  ©injelnen 
bie  beiben  fangen  füßte,  fo  machte  id)  es  gerabefo.  Ter  Sifchof  in 
feinem  langen  faftanarrigen  ©eroanbe  mit  weiten  2lermeln,  auf  bem  oon 
einem  braunen  Vollbart  umrahmten  ftopfe  bie  hohe  barettförmige  93efleibung, 
von  ber  ein  langer  Tuchfchleier  über  bie  Schultern  ben  Etüden  herabfällt, 
in  ber  $anb  einen  fehr  großen  Stab  mit  funftooH  eifelirtem  golbenem 
©riff,  immer  gefolgt  oon  einem  Tufeenb  fdjwarjgefleibeter  5JiÖndje,  machte 
einen  fefjr  feierlichen  unb  ftattliajen  Ginbrutf.  Gr  felbft  führte  uns  burdj 
feine  üirdie  unb  hatte  bie  größte  ftreube  barau,  uns  alle  &errlid)feiten 
im  Ginjelnen  bewunbern  su  laffen.  Gr  bebauerte  nur,  baß  mir  unfere 
3lnfunft  nicht  oorher  angefünbigt  Ratten.  GS  roar  ifjm  baran  gelegen, 
uns  ben  ganjen  bifa^öflidjen  Sajafc  ju  jeigeru  5Dtefe  2Iu3fteHung  orbnete 
er  für  ben  nädjften  borgen  an.  3Heine  Begleiter  fannten  bie  Saä>n  bereits. 

Ter  !öifd)of  holte  mich  alfo  allein  ab  unb  empfanb  einen  rül;renben 
Stolj  über  aH  bie  £errlichfeiten,  bie  er  in  ber  tfirdje  felbft  ausgebreitet 
hatte,  über  bie  prad)töotten  ©eräthe,  SSeihbeden,  Tauffdjaalen,  Steldje, 
!23ifd)of$ftäbe,  SBifdwfSfronen  unb  ganj  befonberS  über  bie  wirflid)  unuer; 
glei^lid)  herrlidjen  ©ewänber.  Gr  ^attc  beren  roohl  ein  paar  Tufcenb, 
baS  eine  immer  foftbarer  als  baS  anbere,  sunt  Theil  alte  Stidereien  aus 
bem  fechjehnten  unb  ftebjeljnten  Qahrrmnbert,  jum  Theil  moberne 
Slrbeit,  alle  aus  ©olbs  unb  Silbcrbrofatftoff,  aus  fchwerftem  Seibenjeuge 
in  farbigen  9)Juftern  gefertigt,  $on  befonberer  Schönheit  roaren  einige 
SHeliefftidereien,  bie  bie  heilige  Jungfrau  mit  bem  Äinbe  ober  ^eilige  bar; 
ftellten.  Tie  ©eroänber  roaren  in  allen  garben.  3Sorroiegenb  roaren  bie 
(Stoffe  auf  ©olbgrunb  mit  Sdjarlachroth,  Tiefblau,  Smaragbgrün  beftieft 
unb  burchroirft,  mit  funfelnben  Steinen  unb  perlen  befefet  unb  mit  luftig 
flappemben  Sdjcüen  an  ben  Säumen  ber  Stola.  SJefonbere  greube  machte 
bem  23tfd)of  ein  großer  Stab  aus  Glfenbein,  mit  in  ©olb  unb  Silber 
getriebenen  Slrbeiten,  unb  bie  golbene  tone  mit  echten  Gbelfteinen,  gefrönt 
von  bem  ftreuj  in  großen  brillanten.  $on  auSerlefener  Schönheit  roaren 
bie  zahlreichen  Grucifire.  9(uch  bie  prad)tuoHen  Ginbänbe  ber  heiligen 
Schriften  unb  ber  SJfeßbüdjer  hatten  bebeutenben  fünftlerifchen  ©ertrj. 

Schmunjelnb  fyob  ber  £Ufdrof  ein  prachtoolleS  ©eroanb  nad)  bem 
anbem  auf  unb  geigte  es  mir.  Gr  murmelte  babei  mir  unoerftänblicf?e 
Saute;  aber  ich  hörte  bem  Tonfalle  bie  behäbige  greube  unb  ben  f inblichen 


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Uns  bem  <T>ricnt.  — 


\25 


Stol^  an.  Senn  unfer  ©efpräd^  war  naturgemäß  nid)t  fefjr  geiftreid). 
Ser  Sifdjof  fprach  nur  rumänifch,  bic  anberen  flulturfprachen  waren  ihm 
nur  beut  tarnen  nach  befannt.  21Ur  unterhielten  un$  trofebem  ganj  gut. 
3$  oerabfchiebete  mid)  oon  bem  freunblidjen  £errn  mit  lebhaftem  Sauf. 
Gr  reichte  mir  wieber  bie  £anb  $um  Äuffc  bar  unb  brüdte  mid)  bann  mit 
aartlidjen  Hüffen  an  feine  Sruft. 

3n  befter  i'aune  traten  mir  ben  9iüdmeg  an.  21U  mir  in  einem 
Sorfe  5roifa)en  Gurtea  be  9lrgefch  unb  ^itefti,  um  unteren  $f erben  Seit 
5U  laffen,  fich  ein  wenig  31t  oerfdmaufen,  furje  S^aft  matten,  fiel  mir  in 
bem  f leinen  ©ajtyofe  ber  fonberbare  Simmerfchmud  auf:  Silbniffe  be$ 
3aren  unb  feiner  ©emahlm  unb  nod)  anbere  Silber,  meldte  ben  Saxen  an 
ber  Spifce  rufftfdjer  Gruppen  barftellen.  <5$  waren  elenbe  garbenbrude 
in  billigen  Stafnnen.  $ch  wunbertc  mich  einigermaßen  barüber,  baß  man 
^ier  in  Rumänien  bei  ben  Sauern  bie  Silber  be3  rufufdjen  $aifer$  fäfje, 
wäfjrenb  bie  be3  rumänifdjen  5tönig$paare3  burdj  ir)re  9tbmefcnl)eit 
glänzten.  3)ian  erzählte  mir  nun,  baß  bie  3lgenten  ber  panflawiftifchen 
^ropaganba  beftänbig  ba$  Sanb  burchjiehen  unb  mit  allen  Mitteln  bie 
Sauern  bearbeiten,  um  Stimmung  für  ba£  große  3arenreid)  ju  machen, 
befonberS  burd)  Sertheilung  von  ruffenfreunblid^en  Schriften,  »on  ruffifd)en 
^eiligen*  unb  gürftenbilbern. 

.fcier  auf  bem  £anbe  ift  bie  nationale  Sradjt  nod)  »orherrfchenb.  Sie 
ift  ungemein  fleibfam,  aber,  mie  ich  fd)on  fagte.  für  eine  Solfätrad)t  vieU 
leicht  ein  bischen  $u  fofett.  Sie  Männer  tragen  meift  (Stiefel  mit  hohen 
Schäften,  in  bie  bie  weißen  Seinfleiber  geftecft  finb.  Sic  ©runbfarbe 
ber  ganjen  .dleibung  ift  faft  auSnahmeloä  weiß.  3lm  Seinfleibe,  aber  nod) 
mehr  an  ben  furjen  Soden,  ftnb  sahlretche  Stiefereien  in  ferjr  frönen 
Sftuftern,  entmeber  fchwarj  ober  blau  ober  roth,  angebracht.  (Sinige  tragen 
auch  ba3  gefridte  £emb  über  ben  Seinfleibern,  über  ba$  bisweilen  nod;  eine 
hirje  ärmellofe  3ade  gejogen  roirb,  fo  baß  ba$  £emb  fdjurjartig  herabfällt. 

ftod>  oiel  reifer  ift  bie  Sracht  ber  äöeiber.  Scr  faltcnlofe,  aber  immer 
reichgejtidteStod  fcbjießt  fid)  eng  an  ben&örper  an  unb  fällt  bi$  sumünie  herab, 
ein  breiter,  ebenfalte  üppiggefchmüdter  ©urt  ift  um  bie  &üfte  gewunben.  Sie 
3acfe  mit  ihren  fc^r  weiten  Slermeln,  bie  bisweilen  frei  herabfallen  unb  ben 
naeften  9lnn  fefjen  laffen,  bisweilen  auch  am  öanbgelenf  jufammengerafft 
getragen  werben,  $eigt  benfelben  oerfchwenbertfeheu  Sdmtucf  an  bunten 
©tiefereien.  Um  ben  Äopf  ift  ein  burchfidjtiger,  oft  ftarf  gemufterter  Sdjleier 
gefdjlungen,  ber  gewöhnlich  über  ber  Sruft  jufammengefügt  wirb,  fo  baß  er 
bae  ©eficht  einrahmt  unb  über  ben  3tücfen  lang  herabfällt.  Sie  gatue  2rad)t 
ift  in  gorm  unb  Schnitt  außerorbentlich  malerifch,  aber  etma^  tl;catralifd>. 

3u  oorgerüdter  2lbenbftunbe,  nach  fechSunbbretßigftünbiger  9lbwefenl)eitf 
fuhren  wir  in  ben  Sahnhof  oonSufareft  ein.  3$  brüdte  meinen  sJ{eifebegleitcru, 
oor  3lllem  meinem  lieben^würbigen  33ir  t  tjc  5D?ai  0  r  e  ?5  co ,  mit  wahrer  Sauf  barfeit 
für  bie  herrlichen  unoergeßlichen  Stunben,  bic  id)  ihm  uerbaufte,  bie  $anb. 


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[26         ^    panl  Sinban  in  Berlin.   

Sjr  xvii. 

€in  Kinoer  feft  im  parfe  <£otroceni. 
»^,k.'rmo>NO  dVnfants".  —  Der  %<sx\  Oon  (Sotroceni.  —  Die  ©efcüfcftift.  — 
Sie  Gofrünte  ber  ftinber.  —  Der  Stufjug.  —  Der  äßaflen  ber  Königin.  —  55er  9Rarft. 
—  Merlet  23elutftfliuiflen.  —  Der  (Sremit  —  SlbfeitS  Dom  «jfeftc.  —  DaS  ©rab  ber 

fleinen  ^ritijcffin  SJtaria.  —  21bf<f)ieb§tt>ort. 

Das  2öenige,  baS  idj  oon  Üiumänien  ^atte  fefyen  wollen,  fjatte  idj 
nun  ungefähr  gefeljen,  unb  id)  wäre  woljl  am  onbern  9Rorgen  baoou= 
gebampft,  wenn  mir  ni<$t  bie  Königin  bic  @ljre  erwiefen  Ijätte,  mid)  $u 
einem  großen  ßtnberfefte,  ba£  bie  f)ot»e  grau  im  ^arfe  tl)re$  Sommer^ 
fd)loffeä  Gotroceni  oeranftaltet  f)atte,  einjulaben. 

3u  biefem  flinber;Ctoftümfeft,  ba£  bie  Königin  felbft  geplant  unb  in 
allen  (ftnjelfyeiten  burd)gefüf)rt  fyatte,  waren  feit  langen  SBodtjen  3>or= 
bereitungen  getroffen.  2tUe  9Jtitglieber  ber  erften  Q$efeHfdt)aft  oon  23ufareft 
waren  mit  irjren  ßinbem  ju  biefem  lanbltd;en  gefte  gelaben.  Die  allge= 
meine  Sßorfdjrift  lautete:  gür  bie  flinber  bie  Drad)t  beS  oorigen  3aln*= 
lumbert*.  91ud)  bie  ©inlabung  war  nad)  bem  SJiufter  be3  fönigliä)en 
SBerfaille*  im  granjöfifa)  be§  oorigen  3a$r(mnbert3  abgefaßt. 

Seit  2Boa)en  bilbete  biefem  geft  bie  Dual  ber  Altern,  ba3  ©nt$utfen 
unb  frolje  Erwarten  ber  Äinber  unb  ben  ©egenftanb  ber  fteten  ieun= 
ruljigung  bei  ber  f)of)en  Skranftolterin.  2llIeS  mar  auf  Suftbarfeiten  im 
greien  angelegt,  unb  ber  Gimmel,  ber  wätjrenb  ber  legten  Dage  redjt 
unjucerläffig  gewefen  mar,  madjte  allen  Setfjeiligten  bange  Sorge.  2lud) 
am  gefttage  felbft  fal)  e3  SBonnittagS  nodj  redjt  bebrofjlid)  aus.  3e  nafoer 
aber  bie  gcfteSftunbe  rüdte,  befto  freunbliäjer  rourbe  ba$  SÖetter.  Unb 
biefer  ßauptmitarbeiter  an  bem  gefte  t^at  fdjltefclidj  feine  Sdjulbigfeit  in 
ooHftem  3J?afje.  ©3  mar  ein  warmer  unb  fonniger  Dag,  oon  füllen 
Sßinben  aufgefrifdjt,  ein  Sommertag,  roie  er  fdjöner  gar  nidjt  §u  benfen  war. 

Sie  @efellfd)aft,  bie  fid)  oon  Ijalb  brei  Ut)r  9tadmüitagS  an  in  bem 
Ijerrlidjen  ^arfe  mit  feinen  fd&attigen  #aubgängen  unb  freunblidjen 
SBiefen,  bie  burd)  GJartenanlagen  unb  $eete  f)ier  unb  ba  anmutf)ig  unters 
brod)eu  werben,  oerfammelte,  bot  ein  ganj  einziges  23ilb  bar.  9lHe3,  was 
in  SBufareft  Wang,  Stellung  unb  Slawen  tjat,  war  fjier  in  farbenluftigem 
©emifd)  oereinigt:  bie  l)öa)ften  ÜSurbenträger  beS  Staate,  bie  ©efanbten 
ber  fremben  9Jfäa)te,  unter  biefen  aud)  unfer  ©efanbter,  &err  ^ernfyart» 
oon  ^ülo  w,  einer  unferertüd^tigften  unb  juf  unft^reia;ften  jungen  Diplomaten, 
mit  feiner  entjudenben,  geiftoollen  unb  funftfinnigeu  grau,  geborenen 
^rinjeffin  Gamporeale,  ber  Stieftochter  be^  italicnifd)en  Staatsmannes 
SJlingljetti,  alle  l)o^en  Beamten  bed  Giuil3  unb  ber  SWilitärberjörben,  bie 
Präger  ber  ebefften  Tanten  be^  £anbe3,  bie  dürften  oon  ®eburt,  bie 
Marone  ber  Jyinan^  —  bie  Königin  rief,  unb  21Ue,  2tUe  !amen! 

^on  ben  Damen  Ratten  aHerbingö  fel)r  oiele  unb  oon  ben  Herren 
na^eju  aüe  oon  bem  ücedjte  ber  s^id)tcoftümirung  ©ebraud)  gemalt. 


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  Xus  öcm  (Dricnt.    \27 

5lber  bie  reijenben  gefdjmadoollen  Sommertoiletten  bcr  frönen,  bunfeU 
äugigen  grauen  liefcen  bieten  fanget  faum  erfennen.  Die  tarnen  aber, 
bie  freunbltdj  genug  geroefen  waren,  mit  ben  flinbern  ^ugCeid^  bie  Xradjt 
be$  achtzehnten  ^aJ)r^unbert^  anzulegen,  fafjen  mit  ihren  roeißgepuberten 
öaaren  ober  auch  mit  ben  weisen  ^errüefen  in  ben  ertraoaganteften 
formen,  mit  ben  fofetten  Sd)önf)eit$pfläiierd>en,  unb  jeitgemäfj  noch  ein 
biScben  mehr  als  gewöhnlich  gefchmtnft,  ganj  entjüdenb  aus.  Die  Laniers 
unb  (Sotillone  unb  audj  bie  Schleppfleiber  waren  gan$  richtig,  jumeift  aus 
geblümten  Stoffen,  in  ben  buftigen  färben  beS  jarten  SBIau  unb  Stofa 
gefertigt.  Sarunter  mifd^ten  fia?  aber  aud)  brachten  in  fräftigereu 
Farben:  ttefrotfje  mit  grofjen  SBlumen,  faffrangel6e.  flurj  unb  gut,  es 
war  ein  höchft  erfreuliches,  bunte«  S3itb.  ßu  ben  lieblidjften  @rf Meinungen 
gehörten  bie  (rhrenbamen  ber  .Königin:  bie  eine  mit  ben  ftrengen  eblen 
3ugen  unb  ben  gebanfenoollen  9lugen,  bie  anbere  mit  ihrem  entjüdenben 
feinen,  lebenSoollen  (Berichte,  „rote  gemalt  oon  SWeifter  ©reuje." 

diesmal  aber  Ratten  bie  (Srwadjfenen  befa^eiben  in  ben  £tntergrunb 
;u  treten,  bemt  es  mar  eine  „kermesse  d'enfants".  SJlan  fann  fid^  nichts 
^er^igereS  benfen,  als  biefe  fleine  Sanbe,  com  jarteften  2llter  an  bis  jur 
Örenje  beS  33adftfchthumS,  tfinber  oon  brei  bis  oier  fahren  bis  5U  jener 
?UterSgren$e,  wo  baS  9)Mbe(  beinahe  fdjon  jum  gräulein  herangereift  ift,  unb 
ber  halbwachfene  ^unge  bie  ungelenfen  2lrme  unb  Seine  für  bie  entbefjrlichften 
unb  läftigften  Dinge  ber  Schöpfung  hält.  2ln  ©efa^mad  unb  5Heichthum 
ber  Goftüme  Ratten  {t$  bie  SWütter  überboten.  Ginjelne  ber  Keinen  puppen 
waren  oon  unroiüturlid)  retjenber  Storni!,  unb  ein  mebltcheS  flinb  Mte 
bad*  anbere  immer  in  ben  Statten.  Sie  waren  jum  ^eit  jum  £obt= 
lachen  in  ihrem  feierlichen  ©rnfte,  biefe  jungen  Marquis  oon  fed>S  fahren, 
mit  ben  rotten  Warfen,  mit  Dreimafter  unb  ftaarbeutel,  ben  ©alanterie- 
begen  an  ber  Seite,  ber  unbeholfen  jmifd-en  ihren  33eind)en  fdj lotterte; 
biefe  Keinen  2Rmiatur=2lbb6S=galantS  mit  bem  ganj  fchwarjen  ^JMnteldjen 
aus  ftarrer  Seibe;  biefe  jungen  DoctoreS  mit  bem  fyofyen  £ut  unb  ber 
großen  NJ$errüde  —  2llIeS  baS  in  einem  Duft  unb  ftaud)  pon  ölau  unb  9iofa. 

3(ber  baS  adjtjehnte  3«Wu"Dcrt  —  bie  oorgefdjriebene  3ei*  —  ift 
long,  unb  roenn  auc|  bie  ©epuberten  unb  33ejopften  bie  TOet)rf>eit  bilben, 
fo  finb  bodj  auch  aus  bem  Anfange  beS  3ahrhunberts  finblidje  Xräger 
ber  ftrengeren  Sofrüme  jur  Stelle:  mit  Sdjnfirröden,  ben  „SurgraoeS", 
ben  breiten  ^ßluberhofen,  ben  $öuteSs,ct)auffe$  unb  Sdjnallenfchuheu,  bie 
auf  biefen  J^rpfen  reijenb  lächerlich  roirfen;  unb  aus  bem  @nbe  beS 
^ahrhunbertS  bie  brachten  beS  GonoentS:  fchon  ber  hohe  &ut  mit  ertra= 
oaganter  Ärämpe,  bie  lächerlichen  fträcfe  unb  r)or)en  §embfragen,  unb  bie 
bie  3lntife  parobirenben  SBetbertrachten,  —  bie  ^ncronables  unb  Wer: 
oeifleufeä.  Das  S^obelanb  granfreia)  bominirt  natürlich,  inbeffen  finb  aua) 
anbere  Sänber  oertreten.  Da  fehen  roir  einen  florentinifchen  Sänger  mit 
ber  SRanboline,  fo  em^üdenb  albern  unb  lieb  jugleid)  —  ein  tfinb  jum 

9JfTb  unb  6ib.  L  .  14«.*  9 


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\28    paul  £in&au  in  Berlin.   

Slnbeifjen.  2lu<$  erotifdje  (Srfdjeinungen  fmb  ba,  aus  bem  Reiften  SKorgen* 
lanbe  unb  aus  ben  falten  3onen,  aus  üftorb  unb  ©üb,  GbeUeute  unb  ^Bauern. 

Um  r»ier  Ufpr  fommt  in  bic  bunt  bewegte  Spenge  eine  fonberbare  23e= 
roegung.  $aS  Drdjefter  ftimmt  einen  SWarfd)  an.  £er  Jtönig  erlernt 
auf  ber  2Biefe,  unb  ber  3U9  orbnet  fid)  nun.  2luf  Söagen  unb  Äarren, 
auf  bepatften  ©fein,  bie  programmwibrig  fd)reien,  werben  bie  SEBaaren,  bie 
von  Äinbern  an  ßinber  oerfauft  werben  foHen  —  Sittel,  was  fo  ein 
ßinberljerj  fid)  nur  erfefynen  fann:  Äüdjen  unb  Surgen,  SHöbel  unb  Qn= 
ftrumente  — ,  ju  attarfte  gebraut.  2lud)  für  baS  nötige  (Mb  ift  geforgt. 
£ebeS  Äinb  befommt  ein  33eutel<$en  mit  jwei  blanfen  ©olbftüden,  bie 
eigens  für  baS  geft  geprägt  finb.  ©S  finb  freilid)  nur  Gentimes,  aber 
ftc  funfein  wie  eitel  ©olb. 

SBäfjrenb  fid)  fo  ber  ÜDtarft  bilbet,  barf  natürlid)  aud)  ber  Gfyarlatan 
nidjt  fehlen,  ber  auf  feinem  SBagen  Söunbertränfe  aller  2lrt  für  Grwad)fene 
feilhält,  ©eine  ©e^eimmittel  feilen  bie  bebenttid)ften  ©a>äd)en:  ©itelfeit 
unb  gautyeit,  Sßerlogen^eit  unb  Neugier. 

©an$  am  ©dtfujfe  bes  3«9^  lommt  ber  präd)ttg  ausgefdjlagene 
SBagen,  r»on  oier  ifabeflenfarbenen  $onnn*  gejogen,  auf  bem  bie  Königin 
bes  JJefteS,  bie  nebenbei  audj  bie  Königin  bes  SanbeS  ift,  thront,  £ie 
eblen  unb  reijenben  Spiere,  ein  ©efajenf  bes  ÄönigS  oon  ©d&weben,  fmb 
mit  SRofenfetten  gefdjmfirft,  unb  bie  ©tallfnedjte,  bie  auf  ij)rem  9Jüden 
fifcen,  tragen  ebenfalls  bie  Hautfarbene  £rad)t  beS  fofetten  föoeoco.  2>ie 
Königin  ift  unjweifelfKift  in  iljrer  impofanten  Grfd^einung  bie  grofeartigfte 
©d)ön^eit  beS  gefteS.  ©ie  trägt  ein  ijerrlid&eS,  ftilgeredjteS  «Pompadour; 
fleib  aus  golbigem  ©toff,  allerbingS  ojme  bie  baufd)igen  Uebertreibungen, 
bie  unfer  bem  ©rtraoaganten  entwöhntes  3luge  niä)t  mein"  mtragen  mürbe. 
$)ie  t&urnü)o§e  ^errüde  ift  mit  33änbern  umfdjlungen. 

2öäf>renbbem  t>aben  nun  bie  9?erfäufer  it)rc  ©tänbe  aufgefc&lagen. 
$ie  fdjönften  ©adjen  liegen  jum  Söerfaufe  ba.  Slber  bie  bummen  Meinen 
Käufer  ftefjen  fdnldjtern  baoor  unb  glauben  nidjt  red)t,  bafj  fie  all  bie 
bargebotenen  #errlid)feiten  erfdjwingen  fönnen.  Xie  Äöntgtn  rebet  ben 
deinen  freunblidj  ju.  GS  bauert  jebod)  eine  ganje  SBeile,  e^e  ber  Warft 
in  redeten  ©djwung  fommt.  ©djliefelidj  f)ilft  3m*eDen«  Slttmä^lia^  legt 
fia;  bie  ©djüd&terntjeü,  ein  3ebeS  greift  ju,  unb  alsbalb  r)ört  man  bie 
fd)redlid)en  Saute  aller  möglichen  Slinberinftrumente.  Unb  fobalb  ber  Särm 
ba  ift,  ift  aua)  bie  ©tinmmng  ba. 

■iftun  entwidelt  fid)  ein  äufjerft  lieblid)eS  ©d^aufptel  non  ftinberluft 
unb  Äinberübennut^.  GS  bauert  gar  nid;t  lange,  unb  alle  SSorrät^e,  bie 
junädjft  unerfd)öpflid)  fd^ienen,  fmb  roie  weggefegt.  ©S  ift  auSoerfauft. 
SSenn  fid)  nur  uid^t  bie  2lengftlid;feit  ber  auf  bie  ©djönfieit  ifjrer  Äinber 
aUju  ftoljen  Gltern  aU  temperirenbes  Clement  f)ineinmifd)te!  2öir  mürben 
balb  baS  auSgelaffenfte  treiben  unb  bie  finblid^fte  Unbäubigfeit  fe^en. 
Slber  bie  ©Item  paffen  auf,  unb  bie  liier  vereinigten  5ttnber  Ijaben  nur 


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21ns  bem  Orient. 


\29 


einen  geiler:  fie  finb  ju  artig.  Der  2lnblicf  ift  barum  nicht  minbcr  ent* 
jüctenb.  ÜJtan  faim  fich  nichts  #übfct)ereS  benfen,  als  biefed  ©eroirr  unb 
©etreibe  oon  mehreren  hunbert  in  ^öd^fter  ßleganj  fofett  coftümirten  Äinbern, 
mit  ben  thöridjt  lieben  ©efidjtern,  bie  fo  ernft  bretnfdjauen  unb  babei  fo 
luftig  falb.  3mmer  bilben  fia)  neue  ©nippen,  bie  ber  3uf°^  in  garben 
unb  Snpen  föftti<her  compontrt,  als  es  ber  größte  SJJeifter  oermoä)te. 
SDaS  2luge  fchweift  oon  einer  ©nippe  auf  bie  anbere.  2J?an  weife  nicht, 
welche  bie  reijenbfte  ift.  £a$u  ein  fä)Öner  leichtberoölfter  Sommerhimmel 
mit  bem  tiefften  3)lau,  in  wechfelnben  Sonnenblinfen,  bie  beftänbig  neue 
garbeneffecte  ^eroorjaubem. 

2luf  bein  ^ahnnarfte  giebt'S  natürlich  aUerfjanb  Seluftigungen.  $a 
ift  ein  Äafperle=£(jeater;  ba  werben  33auerntän&e  in  nationalen  Goftümen 
aufgeführt;  ba  marfchiren  bie  Turner  auf;  ba  fieht  man  fd&erj&afte 
bUber.  Unb  auch  für  bie  ©rofecn  ift  geforgt,  obwohl  es  eigentlich  gar 
nicht  nött)ig  wäre,  benn  biefe  haben  mit  ber  Söewunberung  beS  S<f>aufpielS, 
baS  bie  kleinen  Urnen  bieten,  ooüauf  ju  thun.  3$  mufc  aber  boct)  wohl 
annehmen,  ba&  ber  weife  ©Temit  eigentlich  nur  für  bie  recht  ©rwadjfenen 
ba  ift  $enn  bie  SRathfchläge,  bie  biefer  fromme  3Wamt  feinen  23e= 
fudjem  erteilt,  finb  oon  auSgeroachfenfter  Soweit,  ©S  finb  bie  Sebent 
regeln  beS  grünblid)ften  ^effimiSmuS.  Unb  bie  Sßerfafferin  biefer  guten 
SRathfchläge  ift  roieberum  Carmen  Snloa.  ©S  finb  Sprühe  oott  ©eift 
unb  Schlagfertigfett,  aber  oon  einer  recht  trüben  3luffaffung  ber  SJtoifdjen 
unb  2>inge. 

Snbeffen  ber  gute  ©remit,  ber  fchredfliä)  umftürmt  wirb,  ift  mit 
feinem  Latein  in  aHju  fchneUer  3«ü  P  ©nbe.  Gr  hat  wof)l  bie  ©mpfinbung, 
bajj  es  i^m  nicht  ganj  leicht  werben  wirb,  jefct,  ba  ihm  ber  Souffleur 
fehlt,  in  bemfelben  Stile  feine  fcharffinnigen  Slubienjen  fortjufefeen.  ©r 
macht  ed  fidi  bequem  unb  erflärt,  ba§  er  nichts  mehr  weifj.  $en  SKatt)* 
bebürftigen  giebt  er  nun  anftatt  ber  böfen  Sehren  lieber  ein  fleineS  ©ouoert 
mit  ben  rooljtgetroffenen  3Hiniaturbilbniffen  beS  ßönigSpaareS  —  eine  liebe 
©rinuerung  an  baS  herrliche  geft. 

SBährenb  bie  steinen  fich  tummeln  unb  bie  ©ro&en  über  bie  Sehren 
beS  ©rennten  nachbenfen,  bie  Capellen  ihre  SBeifen  aus  bem  oorigen  3<*hrs 
hunbert  auffpielen  unb  bajroifd)en  bie  roalachifchen  3ijJ€uner,  bie  Sautari, 
in  ber  alten  echten  bracht,  mit  faftanartigem  ©eroanbe,  mit  bunten  Dorfen 
Darüber  unb  fonberbarer  ftopfbefleibung,  einem  riefigen  främpelofen  §ut, 
ber  fich  ungeheuerlich  nach  oben  erweitert,  auf  ber  alten  glitte  pfeifen,  auf 
ber  giebel  fragen,  bie  ©uitarre  hupfen  unb  baS  $a<fbrett  fchtagen,  ent: 
fernen  wir  uns  burch  einen  ber  fdjattigen  ©änge  ein  wenig  oom  Schau* 
plafc  beS  hatwfos  auSgelaffenen  Treibens,  ber  f  inblich  frohen  Suft. 

©S  wirb  ftiUer  unb  ftiHer.  93on  ber  gerne  bringt  faum  noch  ein 
bumpfer  Saut  beS  f eftlichen  Rubels  bis  ju  uns.  SRun  wirb  es  ganj  frieb* 
lieh  unb  ftitt.   2Bir  hören  nur  baS  fehnfüchtige  gidten  ber  Nachtigall. 

9* 


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  8ibliograptpfd?e  Hotijcn.    \5ö 

Stutfjcu  be8  (Bebüfd^ed  über  ifnn  3ufammenfd)lagen.  (Sr  fonntc  bic  mächtigen,  ?lUe§ 
jennalmenbcn  Cäufe  mit  bcr  fiano  berühren  l 

3eb,r  bebeutfam  ftnb  bie  Urtbeile  liBißmannS  über  ben  (Sbarafter  ber  oerfd)iebenen 
Sfcgcrftämme  unb  über  bie  Ütfirffamfeit  bcr  Araber  im  öftlid>en  (Sentralafrifa.  (Sr 
hält  ci  in  $ejug  auf  biefe  für  burcbattS  unrichtig,  ben  ©HaDcnhanbel  unb  bie  S3er* 
müftung  burd)  bie  2Jcubammebaner  nad)  unferen  eigenen  ^efürjlen  ui  beurteilen  unb  gu 
richten;  benn  fomohl  Sflaöerct.  al§  auch  rüdftd)tSlofe  SluSnufcung  bcö  tiefer  ftebenben 
Solted  nertrügen  fid)  mit  (Glauben  unb  (fr3icb,ung  ber  Araber,  ia  ftc  würben  burd)  beibe 
gerabeju  fanetionirt.  35er  Strenggläubige  oerabfebeue  wohl  Xrunffucbt,  llnreinlicbfett 
unb  Feigheit,  febe  aber  im  3ftaDenbaitbel  unb  in  ber  Vernichtung  tiefer  ftetjenber  Un* 
gläubigen  nid)t3  VerädjtticbeS.  2)ie  Araber  feien  barum  nicht  als  Derbred>crifd)e  Räuber 
angufehen.  (£inc  gang  anbere  3ragc  freilich  fei  e3,  ob  ba$  ciDiüfirenbc,  tonangebenbe 
(furopa  mit  aufeben  Mine,  baf$  öerb<Utnifjmäöig  wenige  Zugehörige  einer  nicht  mehr  mit 
ben  iHnfcbauuugen  be$  3abrhunbertä  in  (Sinflaug  ju  bringeuben  JReligion  bie  flttgentein- 
tjeit  fdjäbigten,  bie  Vernichter  gleichberechtigter  Kreaturen  mürben  unb  bie  fjödjfteu  ®üter 
ber  iifcnfcbhcit  mit  tyüfcen  träten,  wie  bie3  bie  Araber  im  oollfteit  Tlabt  burd)  ©flauen* 
jagben,  Kaub  unb  rücffichtSlofe  Verbinberuug  jeglicher  europäifdjer  ßoncurretu  thäten. 
äiUßmann  fchlicfet  biefe  2Jiebitationen  mit  folgenbcn  fchöuen  Korten:  w9?ad)bem  id) 
je^t  fiebeu  $af)xt  lang  mit  unb  unter  ber  auf  focialem  ftinbe&ftabium  ftebenben 
^eger^affe  gelebt  habe,  mürbe  e£  mein  böfbfteS  3«!  U'm,  meine  (Erfahrungen  für  bie 
fo  wichtige  2/tiffion  ber  Srgiefwng  berfclben  öerwenben  gu  tonnen."  3eöt,  wo  er 
«cicfaScommiffar  für  baä  öftliche  Slfrifo  geworben  ift,  bat  er  ©elcgenhcit  genug,  feine 
Erfahrungen  gur  Geltung  511  bringen. 

3n  ber  $anbbabung  ber  Spradje  wenig  gefdiult,  befifct  Sifemann  boch  ein 
wunberbareö  (srgä&lertalent.  (5r  fdjreibt  anfehaulich  unb  führt  ben  £efer  oorrrefflid)  Ist 
ba*  bunte  Slatur-  unb  Völfcrtcben  ein.  'Sie  3ßuftrationcn  üou  SHubolf  Sjellgrcwe, 
ber  sroar  ba$  äquatoriale  2lfrifa  ebenfalls  fclbft  bcfudjt  hat,  aber  bic  fteifefttHeii  nur 
nach  2!*iBmannS  eingaben  macheu  mußte,  föunten  beffer  fein ;  immerhin  »erben  fie  ba-- 
3U  beitragen,  baS  Sutereffe  an  bcr  ficetüre  be8  fdjöncn  Vudjeä  3U  fteigeni.     H,  J. 


Bibltograpfytfdje  Ho^en. 


Oubtftc  Mrifrffi.non.  Von  9tid)arb 
®arbc.   Jöerlin,  ©ebrüber  $aetel. 

X\t  oorliegcnbcn  9teifeffig3en  fmb  Don 
ihrem  Vcrfaffer  auf  ®runb  forgfältig  ge* 
führter  Xagebüdjer  aufgearbeitet  morben, 
Welche  biefer  mäbrcnb  cincS  nahezu  anbert- 
halbjährigen  'Jlufentfjaltä  gu  wiffenfeftaft-- 
licben  3roeefen  in  Derfchicbencn  Orten  9torb* 
inbienö,  befonberSiu  Venarcä,  unb  währenb 
einer  (ihrfwlungäreife  in  (Schlott  geführt 
hat  (£»  finb  im  (Sangen  ad)t  früher 
tn  oerfchiebenen  3«itfcfjriftett  erfdjienenc 
Arbeiten  fjier  —  mit  2lcuberungen  unb 
3ufäöen,  bie  iebodj  nidjt  cinfdjneibcnber 
Slrt  ftnb  —  ju  einem  einbrucfdoollen  ©angen 
Dereiuigt:  1)  oon  irieft  nadj  Combat);  2) 
»ontba«;  3)  bic  inbifdjen  ^Jrachtftäbtc; 
4)  ein  SrubtenjahrinÖcnareS;  5)  bie$aupt= 
ftabtbe«inbtfchenS?aifcrreiaje8;  6)  Sommer^ 
friiehe  im  ftimalaoa;  7)  (SrholungSrcife 
nach  Getjlon;   8)  fieben  bcr  (Suropäcr 


in  3nbidt  (ben  Seferu  öou  „9brb  unb 
3üb" au*  bem^ulihcft  lsss betannt).  Sieje 
äluffä^e  gehören  gu  bem  SJeften,  \va$  über 
baS  eutigc3nbicn  gefchrieben  ift,  unbbtlbcn 
eine  Portrefflid)e  (^rgängung  ber  ehoa-5 
einfeitigett  Steifebriefe  Rädels,  welcher  über 
feinen  3ecthiercn  unb  ^flanjeit  bic  oid« 
taufeubjährige  Vergangenheit  ber  i'iciifdicn 
in  3"bieu  nahegu  uergijjt.  2freunbcn  ber 
6ulturgefd)id)te  fann  baä  frifch  unb  Ieb= 
haft  gefchriebene  Such  bc8  ^önigdberger 
3an8fritprofe|for8  auf*  iüärmfte  empfohlen 
werben,  ba  feine  Sarftellung  bcnmit3ubicn§ 
Vergangenheit  innig  öertrauten  belehrten 
Derräth  unb  gugleid)  oou  llebertreibungcu 
jeber  2lrt  fid)  fern  hält.  (SS  ift  fchabc, 
ba\i  bie  VerlagSbud)hanblung  bem  2)ud)e 
nia)t  aud)  einen  äußeren  3d)mud*  burd) 
Beigabe  oon  3Huftrationen,  bic  feinen  ÜBertb 
nod)  erhobt  haben  würben,  Dcrlieben  hat. 


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  Sibliogra  pfyi 

DiefcS,  benSutberfeftfpielen  entgegengebracht 
bat,  ift  ein  tjübrcr  burd)  blefe  £tteratur 
millfommen,  meld)e  älter  unb  reicher  ift, 
ai»  oen  meinen  oeiannt  tetn  ourTic.  <saion 
gu  Rüthers  Scbgeitcn  entftanben  Dramen, 
bic  ben  ©öarafter  Don  Sfampfipielcn  trugen ; 
ebenfo  ift  baS  17.  3abrbunbert  reich  an 
l'utberbramcn.  3mrationaliftifcben  18.3abrs 
hunbert  ift  cS  ftiü  baoon,  bagegen  fülirt  ber 
SJcrfaffer  au$  bem  neungclmtcn  nicht  toeniger 
als  breite hu  beutfebe  unb  ein  Italien  ifdjcS 
auf.  -Die  referirenbe  Darfteilung  beB 
erften  DbeilS  acht  allmäblid)  in  eine  Iritis 
ftrenbe  über,  JttefonbcrS  eingefjenb  lourbe 
aus  bem  Anfange  unfcreS  Sabrhunberts 
3ad)ariaS  ferner  unb  Älingc* 
mann,  aus  ber  ©egenmart  Mengen, 
Deoricnt,  fcerrig  unb  Xrümpcl* 
mann  bcfjanbclt,  mobei  DeDrient  bcrSBreiS 
guerfannt  ttirb.  3uui  Scblufe  tyebt  Söer* 
faffer  bie  SBebeutung  biefer  Spiele  für  bie 
Äircbe  unb  bie  Sütjnc  beroor;  bod)  fann 
er  $errig$  SSeftrcbungen,  foweit  He  auf 
eine  Umgestaltung  beS  gefammten  SÖütmen* 
tocfcnS  gerichtet  fmb,  fid)  nidjt  anfdjliefecn. 

K  J. 

Silber  nuo  ber  fron göfifdK n  ftebo> 
Intion.  3Wit  befonberer  5Öerücfftd)tigung 
ber  Sdtfcffale  ßubmig  XVI.  unb  feiner 
§amüie  nach  gebrueften  Quellen  gu* 
fammengefieltt  Pon  C5.3JI.  §  ö  ü  e  r.  2  2Jbe. 
(fünfter,  2lfd)enborff). 

Cbmobl  eS  nid-t  an  Darftellungen  ber 
frangofifdjen  SReoolntion  feblt,  fo  muffen 
mir  bod)  bem  Sfcrfaffer  Dant  toiffen,  bafj 
er  bicr  bem  qebilbeten  i?efer  ein  SBerf 
bietet,  mcldic*  bte$auptepifobcn  biefeS  mclt= 
gefdncbtlicben  xHbfdmittes  in  angenehmer 
(Srgäblung  üorfübrt  Der  S?erfaffcr  be* 
nu?t  bie  äßerfe  beS  »opalifteu  SöeaucheSne, 
ber  SRepublifancr  ßouiS  SBIanc  unb  XbierS 
unb  enblid)  beS  9capoleoniften  ?  urup.  3Jfau 
merft  beSfjalb  häufig  einen  gemiffen  6in= 
ftafc  ber  ober  jener  Cuelle  unb  Dermifet  biS= 
meilen  baS  eigene  Urtbcil.  immerhin  aber 
genügt  baS  SSBert  ben  ^Infprüdjen  Demjenigen 
3hiblirumS,  für  baS  es  beftimmt  ift;  es 
gemährt  bem  Derftänbigen  £'aien  gugleidj 
Belehrung  unb  Unterhaltung.  pa. 

La   premiere  republfque  fron^alse 

en  46  gravurea.  Keproduction  de 
l'edition  du  coinmcucement  de  ce 
liecle.   fieipgig,  IL  Xmietmeper. 

3u  ben  gasreichen  älteren  unb  neueren 
Derlen  über  bie  frangöftfebe  JReDolution 
bilbet  biefe  Sammlung  Don  faft  gleichzeitigen 
;jumrranonen,  c*eren  erue  Den  'cenmur  im 


fdje  ITotigen.    (37 

»aflbaufe  barftcllt,  roährenb  bie  jüngfte 
Napoleon  als  „erften  Gonful"  Deran* 
fdiaulidjt,  eine  tpillfommcne  örgänjung. 
Xic  mobernen  üid)tbru<fe  erreichen  ^toar 
nicht  Dollfommcn  bie  Schärfe  ber  Stupfer, 
meldjc  bie  erfte,  am  Slnfangc  biefcS  3abr= 
hunbertä  erfdjienenc,  2lu»gabe  fdmiücften ; 
boeh  genügen  fte,  um  ein  anfdjaulicbeS 
j  S3ilb  ber  ergretfenben  bargefteüten  3.^or= 
gänge  ut  geben,  unb  ber  $rei«  Don  2 
SKarf  40  $f.  ift  bei  ber  guten  2lu*ftattung 
be»  J8änbd)cn8  ali  ein  fetjr  mäßiger  gu 
begeidjnen.  P. 

^avic-  unb  Worbfrantretd).  Xritte 
Auflage,  ßeipgig ,  SBibliograPhifche» 
3nftitut. 

2lud)  biefer  Xty'ü  Don  M5Dccper8  Steife* 
büchern"  ift  in  neuer,  an  Crt  unb  Stelle 
umgearbeiteter  Auflage  erfaiicnen  unb  bilbet 
ein  überaus  lun Mirko ,  bem  prattifdien 
iHeifebebürfni^  genau  angepaßte»  %uch  mit 
gahlrcidicn  fdjbnen  Plänen  unb  Starten  unb 
einem  iüJegtoeifer  burd)  bie  aßeltauSfteüung. 
ör  gibt  ein  getreue»  SMlb  beS  heutigen 
SPariS  mit  feinen  SehenSmürbigteiten, 
ffuuftfcbäeeu  unb  iJufrbarfeiten  unb  ift  ein 
guoerläffiger  Führer  in  bie  prächtige  Um» 
gebung  ber  Seineftabt  unb  nad)  ben  bc= 
fudjteften  Orten  Worbfranfreid)«. 

<£ic  beiben  Sdjtueftern  unb  anbere 
Stobeüen  au»  bem  sJteugried)ifchen.  llon 
».  m.  SRangabe.  SöreSlau  u.  ßeipgig, 
S.  Sdjottlaenber. 

fteinc  biefer  9coDellcn  hat  ihren  Schau» 
plafc  in  ©riedjenlanb:  ber  Söeri affer  Derfcöt 
un»  nad)  Italien,  i^nglaub,  ?lmerita,  hirj 
überall  babin,  mo  3lnbere  ebenfo  gut  gu 
^»au8  finb,  als  er  felbft  c8  ift.  Uns  märe 
eS  i  utereff  auter,  ihn  ßanb  unb  ßeute  feiner 
Heimat  fdjilbcrn  gu  hören.  (Sine  ber 
WoDcllen  freilich  ergäfjlt  er  gmei  jungen 
ÖJriediinnen,  bie  aber  burd)  ihre  erftaunteu 
3tDifd)cnfragen  nad)  ielegraph  unb  (£ifen= 
bahn  befunben,  bafe  bie  Wooellen  in  einer 
meit  hinter  uns  liegenben  3«it  entftanben 
fmb.  Saraus  erflären  mir  es  uns,  bafj 
biefelben  in  ihren  Sujets  unferer  Öe= 
fdjmacfsrichtung  nid)tmchrreditentfpred)eii ; 
bod)  befenneu  mir  gern,  Dafe  ber  feinfinnige 
Skrfaffer  allen  feinen  2HotiDen  eine  ed)t 
tünfilcrifche  Jöehanblung  gu  Xhcil  merben 
läfet  unb  ihnen  baburdj  merthDoUcn  ©c» 
halt  Dertciht.  mz. 

^croeffene  Sieber  Don  9cahiba 
I    Sturmhöfcl.  Seipgig,  ©ufiao  ftoef. 

35ic  Dichtungen  biefer  fehr  Derchrteu 
Dame  lann  man  nicht  ernft  nehmen.  Der 


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{7>8 


Horb  unb  5üb. 


oon  ifjr  auf  ben  Parnaß  fjinaufgequälte 
^egafuä  muß  redjt  unmufifalifd)  unb  and) 
lab,m  geiocfen  fein.  3clbft  bic  größte 
sJlaioetat  in  mctrifdjcii  Singen  faitn  i  oldjc 
SJerfe  ntdjt  rechtfertigen,  iMudj  bic  llnge- 
uirtbeit,  mit  ber  bie  Serfaffcrin  2lnletb~eu 
madjt,  ift  riifjrcub.  Stein  2id)ter  ift  uor  iljr 
ftdjer,  fein  &egenftaub,  feine  ^crjon.  3a 


fclbft  über  ben  tobten  aifer  ftrtebrid)  mac^t 
tte  i  Li  vc  unpaffenben  Serie,  bei  benen  mau 
nidjt  meifj,  ob  man  lachen  ober  fiefj  ent* 
ruften  foll!  ISingefjenber,  als  e3  und  ber 
ocrfügbare  iHaum  geftattet,  lia;  ftd)  in  Ijbdjft 
ergötjlid)er  äöeife,  bie  w$eutfdK  ^idjtung" 
in  il)reni3lprUI)eft  l&Wmttbicfer  w2)id)term 
ber  Öegeuwart"  beidjäftigt. 


Eingegangene  Bücher.   Besprechung  nach  Auswahl  der  Redaetion  vorbehalten. 


Ach  «jus,  Der  Werth  der  Berliuer  jwlitischeu 
Presse.    Berlin.  Brachvogel  je  Ranft. 

Kall  eilt  rem,  Kufomi.i  Gräfin,  Die  l'london  Frauen 
von  Ulmenriod.  Dresden  u.  l.-i;  ziif,  E. Pierson. 

Bantn*x*wMsrh,  K.  S-,  Die  Sklavin.  Roman. 
Dresden  und  Leipzig,  Heinrich  Minden. 

Bruhiuen,  l)io  drei  gestrengen  Heiligen  und  andere 
Novellen.    Hamburg,  Hoffmami  \.  Ciunpo. 

Bugsier.  Lexikon  der  musikalischen  Harmonien. 
Hültsbuch  für  Unterricht  und  Selbststudium. 
Berlin  S\V.,  C.  Habel. 

4  onrad,  M.  G.,  Pumpiujella.  hin  Bach  für  geist- 
reiche Loute,  die  abseits  «oheu. 

—  Fantasio.    Geschichten  und  I^ebembildor. 
Leipzig,  W.  Friedrich. 

DondorfT,  Das  hellonisehe  Land  als  Schauplatz 
der  althelleniscJien  Geschichte.  (Getneinvor- 
standl.  wissensch.  Vorträge.  Neue  Folge 
Heft  72).    Hamburg,  Verlagsanstalt. 

Duktilerer.  Fr  ,   Joseph  und  Atvid.  Gedichte. 

—  l'ietro  Aretino.  Drama  in  fünf  Acten. 

—  Spurius  Carvilius  Huga.    Drama  in  fünf 
Acten. GGtiMII.  Paul  Schottler  in  Comini»siou. 

K.rnestl,  L.,    Aus  den  Fluthon  des  Lebens  No- 
vellen   Breslau,  S.  Schottiaouder. 
Feilmann,  J.,    Sturm  und    Stille.  Novellen. 

Dresden  und  I/'tpzig.  E.  Pierson. 
iUsper,L,  Goethe  al«  Dramatiker.  Leipzig,  G.  Fock. 
Holl  in. inn.  H.,  Iwan  der  Schreckliche  und  «»inHund. 
Roman.  Stuttgart,  Deutsche  Verlags-Anstalt. 

Chr.,  Halligenbuch.  Kino  unter- 
gehende  Inselwelt.  2.  Aull.  Schleswig,  Julius 
Borgas. 

-nimel,  0.,    Deutsche  Geschichte.    Heft  l. 
Dresden,  C.  Hockner. 
Kirchhof!.  A.,   Länderkunde  von  Europa  Liefrg. 

04.  ti5.   Prag  und  Leipzig,  F.  Temisky. 
Klcinsrhmldl.   Dr.  A.,    Charakterbilder  aus  der 
fr;uizösischen  Revolution.     Mit  «4  Portrait«. 
Wien,  A.  Hartloben 
kraulchfeld-tiardner,  M.  v,  Minuie  Hartford,  or 
,,Otlii'rs  not  seif".    Hamburg,  Verlagsanstalt. 
La  prent lere  Kepnbllque  t.  \i\  uiseon  t'i  Gravures, 

Leipzig,  A.  Twietinoyer. 
Mllencron,  D.  Freiherr  v.,  Gedichte.  taipzig, 

W.  Friedrich. 
Mantejruzza,  1%  Das  heuchlerische  Jahrhundert 
Autor.  Lebers.  aus  dem  Italien,  von  Hulda 
Meistor.    Jona,  H.  Cost^noble. 
Mejera,  ,Paris  und  N'ord-Frankroich".  Leipzig, 

Bibliogr.  Institut. 
Mlchelb,  A,   (Adolf  Gumprechti,  Reiseschule. 
Alletloi  zu  .\uu  und  Kurzweil  für  Touristen  und 
Kurgast-».    4.  verb.  Aufl.  Leipzig,  H.  Hassel. 
Meli,  A„   Der  Hypnoüsmas.    Berlin,  Fischer  s 

Median.  Buchhandlung. 
Muschi,  J.  B  ,  Anhalt't*chas  Üescbi  rhtonbueh  für 
Jung  und  Alt.    Bimburg,  A.  Menrhardt. 


»utnann,  Jenny,  Von  aner  eigenen  Um' 
Wiener  Bilder    Wien,  A.  Hart  leben. 

N'orer,  J.,  Richard  Wagner  und  die  deutsche  Sago. 
(Sammlung  gemeinvorst.  Wissenschaft.  Vor- 
trag*.   Heft.      )    Hamburg,  Verlagäanstalt. 

Orell,  M.  u.  J.  Allyu,  Bruder  Jonathan  und  sein 
Lind.  Autoris.  Ueberä.  a.  d.  Franz.  von  E. 
Bechor.    Stuttgart,  J.  Engelhorn. 

Ostwald'*  Klassiker  der  exaeten  Wissenschaften. 
Nr.  1 :  Helmholtz,  Aber  die  Erhaltung  der 
Kraft.    Leipzig,  W.  Engelmann. 

Paulen,  Fr.,  Das  Realgymnasium  und  die 
humanistische  Bildung.  Berlin,  W.  Hertz 
(Bosserscho  Buchhandlung). 

Pesrhkau,  E.,  Frau  Regiuo.  (Engolhonis  allg. 
Riman-Bibliothek.lS»  Stuttgart,  J.  Engelhorn. 

Pollack,  E..  Französische  Spraciifilhror.  Kon- 
vers.-Wörterbuch  für  Reiso  und  Bans.  II. 
Aull.   Leipzig,  Bibliogr.  Institut. 

Blchter,  W.,  Die  Aullosung  des  Karolingischen 
Reiches  und  die  Grüudung  dreier  selbst- 
ständiger Stuten.  (Sammlung  gemeinverst. 
wissensch.  Vorträgo.  N.  F.  Heft  70).  Ham- 
burg, Verlagsaustilt. 

Salinger,  E ,  Zu  häßlich!  Roman  einJs  Kindes. 
Broslau,  S.  Schottlaendor. 

Schiller,  Fr.,  Die  Künstler.  Gemeinverständlich  er- 
läutert von  A.  Cless.  Stuttgart,  A.  Bonz  &.  Co. 

Srhlügl.  Fr.,  Vou  den  besten  Büchern.  Auch 
ein  Gutachten.    Wien,  A.  Hartleben. 

Schubin,  O.,  Unheimliche  Geschichten.  2.  Aufl. 
Dresden  u.  Leipzig,  H.  Minden. 

Spieltagen,  F.,  Em  neuer  Pharao.  Roman. 
3.  Aufl.  I^il>zig,  L.  Staackiikum. 

Steiner,  R.,  Goethe  ah  Vater  einer  neuenAesthe- 
tik.    Wien,  Pornerstorrer. 

Stendhal  (Henri  Beyle).  Lanaiel.  Roman  ineüit. 
publi6  par  Casimir  Stryieniki.  Parif,  Maison 
yuaiitiu. 

Tausend  and  eine  3ach(.  Liefg.  11—15.  Stutt- 
gart, Riegor'sche  Verlugsbnchh. 

Telmaun,  K  .  Aus  der  Fremde.  Gedichte.  Min- 
den i.  \V.,  J.  C.  C.  Bruns. 

Vtichcr,  F.  Th.,  Altos  und  Neuas.  Noue  Folge 
Stuttgart,  A.  Bonz  Sc  Comp. 

Vogt,  C,  Pfiffig  und  Genossen.  Novellen.  Breslau, 
S.  Schottlaender. 

Voss,  R.,  Nubia.  Erzählung.  Stuttgart,  Deutsche 
Verlags-Anstalt. 

Walrker,  K.,  Grundriss  der  Statistik  der  Staaten- 
kunde.  Berlin,  Mayer  &  Müller. 

Wehl,  F.,  Aus  dem  früheren  Frankreich.  Kleine 
Abhuidlungen.   M.nden  i.  W.,  J.  C.  C.  Bruns 

Wllda,  Joh.,    Marine-Novellen.  2. 
von  ,,Aur  hoher  See  und  im 
Schleswig,  Julius  Bergas. 

/citsrhrln  d.  hist  Gesolls-rhaft  für  die  Provinz 
Posa«.  Herausg.  v  R.  Prümers.  Jahrg.  IV. 
lieft  3—1.    Posen,  Jol  'wicz. 


a#öiairt  unter  Vt rantt»ortIid}ft it  brs  l^cruusgcbrrs. 
Dru<f  unb  üfrld^  Pon  5.  Scb,0ttlaeubec  in  Urcslau. 
Unbfrrdjtigter  lladj&ruJ  uu>  t>tm  3nbalt  birjer  5flt)d?rift  unterin^t.    llrbfnrftunijsrrdjt  Dorbeboirrn. 


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fe.fe*fe*».fe.fe>fe>fe»fe.fe.fe.fe.fe.fe.fe. 

****          ******  ^**. 

KARLSBADER 

Natürliche  Mineralwässer 

1889Er.  Frische  Füllung.  1889tr. 


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Täglicher  Versand 


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und 

leren  Wärmegrade. 


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ommmnii 


P  r  0  q  n  c  t  e 


KARLSBADER 
Sprudel-Salz 
pulverförmig 

und 
krystallisirt. 

KARLSBADER 

Sprudel-Seife. 

KARLSBADER 
Sprudel  Pastillen. 

~K4- 


Himiiiiiii  111111111111111111  111111111111111111111  1111111111 


Die  Karlsbader  Mineralwässer  und  Quellenproducte 

lind  zu  beziehen  durch  die 

Karlsbader  Mineralwasser-YerseDflung 

Löbel  Schottländer,  Karlsbad  i  Böhmen 

sowie  durch 

alle  Jlineralwasser-Handlüinren.  Apotheken  und  Drogisten, 

Ueberseeische  Depots  in  den  grössten  Städten  aller  Welttheile. 


fc-W.fc.fe.feWWfc-Wfe.»^Wfc. 


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"SECURUS  JUDICAT  ORBIS  TERRARUM." 

* 


NA  TÜRLICH 
KOHLE  NSA  URES  MINERAL-  WASSER. 


Die   Füllungen    am  Apollinaris-Brunnen 
(Ahrthal,  Rliein-Prcusscn)  betrugen 

im  Jahre  1887  * 

11,894,000 

und  im  Jahre  1888 

12,720,000 

Flaschen  und  Krüge. 


THE  APOLLINARIS  COMPANY,  Limited, 

LONDON, 

UND  REMAGEN  A.  RHEIN. 


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•  • « 


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Zlotb  xrnb  Süb. 

(Eine  öcutfdje  2X1  o  n  a  t  s  f  dj  r  i  f 


fjerausgegeben 
ton 

paul  Ctn&au. 


L.  23anö.  —  2lugufl  J889.  —  fjeft  W). 

(ITlir  rinrnt  pottroit  in  Ka&irung:    Jl>o!f  Saftiati.j 


23 1  e  £  I  a  ii. 

Drucf  unb  Pcrlag  pon  5.  Sdfottlaenber. 


<£s  fyat  fo  follcn  fein. 

Spricfytport  in  einem  21  et 
Von 

fjans  £}opfen. 

-  Berlin.  - 

2tn  kühnen  gegenüber  SRanufeript. 

^erfotten : 

SHartfa  bort  Stro&bcrß.  I   Gin  retfenDer  fcartbtoerteburfd). 

(5gon  bon  (Sicfrftäbt.  2Salbb,iiter  PtauS. 

SFacfetträßer. 

fctditung  tot  Söolb«.  fctnf«  jiebt  füb  ein  2ikg  in  bie  Oöbe,  ber  fiel)  im  vtntergrunb  unter  Zäunten 
•«rliert.  ifcinf»  unb  reefcta  immer  Dom  3«f*fluer  ?u  nehmen.)  3m  2ttittclirntnb  neben  yvn  ooer  brei 
beben  Räumen  eine  ofte  3aa>bütte,  unter  beren  gebeertem  Sorraum  in  ber  'JJlttte  eine  in  halber  fflantü: 
*öb<  gefcMojjene  Sretterthür,  ju  beren  beiben  Seiten  ie  eine  Öonf. 

1.  Scctte. 

3Ji(irtf)(l  (einen  groften  Strohhut  im  JJacfen,  ber  ihr  beim  fcau;en  Dom  Srfieitel  genttidit  ii'i, 
3Ravpi,  SRoIfoften  uub  ein  3(it):nbud)lein  unterm  Ärtn,  fommt  haftig,  ftuditarttg  ben  §iigefuKg  aui  beut 
£intergrunbe  linf»  herab,  juroeilen  änoftlidj  nlcfiBärtS  febenb.  3m  «ortoärUeileu).       ^(fy  rtlftUbC 

gar,  er  folgt  mir!  .  .  .  £er  Um>erfd)ämte !  ...  s2Bie  fommt  ein  frembcv 
Wann  in  unfern  Sparf?  ...  Gr  faf)  aus  wie  ein  ÜHUbbieb  .  .  .  9fa! 

Cie  ift  in  ber  v«ft  in  Uiitte  ber  $übne  Uber  ihr  Vfleib  unb  eine  JBauuuuurjfl  gruolpert,  in'ö  stniee  ntJ 
brachen  unb  bei  u>a9  fte  in  $änben  gehalten  theilroeife  faHeit  laifen.  3"bem  fte  bie  Sachen  ipict>cr  uifamueni 
Heft  unb  fkb.  langfam  mit  3eicben  be»  Scfimenel  erhebt)  2)a£  fomint  baüOn!  Jff !  2L>ariUU 

fürdjt'  \d)  m\ä)  auti)  am  fyeüen  £ag  nor  einem  fremben  Wlaxm  unb  Taufe 
roie  oerrüeft  oor  tfmi  baoon!  9$,  mein  armer  itnöa^et  .  .  .  m  *»m*» 
3<5)  glaube  gar,  ba  ift  er  fdjon  roieber!  Cf)!  vw,  ohne  e« »  mett«,  bas  etiwtu. 

buch  an  ber  Orbe  liegen,  unb  frürmt,  beutlidi  bin'enb,  redjt«  im  SÖorbergnmb  ob). 

10* 


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  <£s  tjat  fo  follen  fein.    ^ 

Wlt'm  SiebfingSpIafc,  nod)  einmal,  ei)'  id)  fdjeibe, 
2BiU  id)  $id)  tief  in  meine  flugen  faffen, 
$en  Xburm,  ben  ©ec,  bie  bunflen  Sölättermaffen 
£ier  feftigen  mit  ungefdjidter  Sfreibc. 

2cb*  toobl,  $u  meiner  Sugenb  Shiflentocibc ! 
(Sinft  toarft  2>u  mein,  nun  mu&  id)  2>id)  Derlaffen 
llnb  tann  nidjts  tbun,  als  einen  @dmrfen  Raffen, 
$en  id)  um  meinen  SJieblina&plafe  beneibe. 

SJiein  SBatet  ftatb  aus  ©ram  ob  bem  SBerlufte, 
91  dein  bei  ©cfjelm,  ber  tr)n  beftof)len,  tmiftte 
3)en  JRaub  311  ftd)ern  biefer  2Mbe8grünbe. 

£a  nabt  fein  (Stbe,  ba&  er  mir  toerfünbe, 
äßie  id)  für  immer  2Üd)  ücrlieren  mufjte  — 
Söer3cib'  mir'S  ©otr,  id)  baff*  ibn,  tote  bie  <3ünbe! 

öraoo!  ...  Sic  bietet!  fte  matt!  fie  ift  bilbfdjön!  fie  läuft  uor 
mir  bauon!  $aS  ift  ja  ein  unuergleiä;lidjeS  ©efdjöpf !  .  .  .  Unb  bas 
muß  ein  ganj  erbännlidjer  9Renf$  fein,  ber  foldj  einem  ©efdt)öpf  fold&e 
Gefühle  einflößt.  „3dj  ^aff'  Um  wie  bie  Sfinbe."  3$  audj!  (n^benm*. 
.  .  .  2Ben?  2>en  ©igentyümer  ifjres  £iebling$plafeeS  ?  .  .  .  2lber  ber  bin 
\a  idj!  Dfro!  .  .  .  25er  ift  benn  fie?  «blättert  Mti«  wr  unb  }urüd)  flein  9tome! 
(erbu*  tn&ii*  jwti  «umtoben  auf  bem  (^inbonb)  9li<f)tig!  3.  äöiH  fagen  9ttartf)a 
Studberg!  $ie  Softer  beS  früheren  SefifeerS  biefer  ©egenb,  meine  fefjr 
entfernte  (Soufine,  bie  icr)  feit  unferer  flinberjett  nidfjt  tne&r  gefeljen  tyabe. 
SBerrofinfdjteS  ^ed)!  SBarum  gerabe  $ie,  feiiger  Dnfel  Dtto?  Sie  gefiel 
mir  Ijeute  fo  fein*!  Unb  fie  fjafjt  midj  .  .  .  roie  bie  Sünbe?  dummes 
3eug!  %l)t  SSater  oerfpielt  fein  @elb  unb  nad)  btefem  ein  gut  Xtjeil 
feines  ©runbbefifcea  an  meinen  Dnfel  Dtto.  Unb  nun  bin  td>  in  tyren 
frönen  3(ugen  ein  Sdjeufal,  weil  mein  Dnfel  in  „9Mne  Xante,  Xeine 
Xante"  mefjr  ©lud  gehabt  f)at,  als  if)r  fjödjfteigener,  f)öä)ft  leidjtfinniger 

GrjeUgerV  21$,  Wag!  (ßttA  ärgert^  bat  Sud?  in  feine  Zafcbe  unb  loenbet  fi*  jum  Öeben). 

3.  $cene. 

Sagbarer  <&auö  unb  ber  SSoriae. 

(SlttUS  (b«r  f<t»on  loä&rmb  ber  Ickten  SBorte  hinter  (?aon  aetr<tett  ift  unb  ihm,  rote  biefer  fleh 

ummenbet,  bart  fleaeniiberftebt).  #alt  ba !  .  .  .  9tebe  geftanben!  2i>ie  f)eijät  erV 
S5>aS  fudjt  er  In'er?  unb  roie  fommt  er  fjier  herein? 

©gon  (fltianen).  bleiben  roir  bei  ber  lefeten  grage!  3d>  fam  in  biefeS 
mein  fteoier  burd)  meines  ^aufeS  X^üre.  SBerfte^t  er?  —  benn  roir 
erjen  uns,  roie  id)  eben  oemommen  f)abe  —  bamit  ^ottal);  unb  roie  fommt 
er  in  mein  ©e(>ege? 

Glaus.    Sein  ©e^ege!  . . .  &ef)e!  25ie  glinte f)er,  2öilbbie6,  ober! . . . 

(5g  on.    £bu'  er  mir  ben  ©eroeljrlauf  oon  ber  3iafe  roeg,  alter  ©rb= 


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\%2    fyans  topfen  in  Berlin.   

förfter!  9Jur  feine  tragifdfjen  Gonflicte,  roenn'S  beliebt.  3ft  bet  ©runb 
f)ier  Strobbergtfdj  ?  .  .  . 

Glaus.    Seit  ffinfjig  Selxen  bin  ia*j  .  .  . 

©gon  (»>n  unterbrtdjenb).  Seit  fünf  38o<$en  bin  id)  f)ier  £err!  Seit 
fünf  Sauren  vaax  es  mein  Cnfel!  stet)  ©ott  l>abe  $)iä)  feiig,  SDnfel 
Ctto!  (3u  Glau*)  Söenn  bev  Selige  aus  ©rünben,  bie  mirf)  uidjtS  angeben, 
ftd)  ferne  oon  feiner  Sefifeung  fydt,  .  .  .  melleidjt  um  9tiemanb,  ber  früher 
Ijier  gebot,  ju  fränfen,  fo  oerjidjtete  er  barum  nidf)t  auf  fein  gutes  9ied)t. 
beweis  beffen,  bafe  er  bas  ©igenttium  an  biefem  $oben  nad)  feinem  %b- 
leben  auf  mid)  »ererbte. 

Glaus.  &ätt'  er  fidj  f)ier  blirfeu  laffen,  mit  biefer  meiner  glinte 
mürb'  id)  ilmt  gejeigt  fjaben,  roaS  für  ein  sJJed)t  if)m  gebührte,  .  .  . 
Stanbred)t! 

©gon.   £1)0,  grauer  2$albmcnid),  er  fotf  ftd&  nidjt  oerfünbigen! 

Glaus.  3$  mid)'?  9(n  bem?!  .  .  .  Söenn  er  unferen  alten  §erru 
gefefjen  f)ätte,  wie  id)  in  biefen  unfeligen  ^atjren,  mie  er  am  £erb  fafc 
unb  fid^  bie  Stiefel  mannte  unb  an  feinem  grauen  iBart  faute,  weil  er 
nidjt  reben,  roeil  er  ben  Unmutl)  nidt)t  laut  werben  laffen  rooüte!  ©S  mar 
feine  SieblingSjagb  gerabe  fjier  f)erum.  Unb  baS  $erj  r)at  es  iljm  abge* 
briieft,  bafe  er  Ijtcr  feine  Flinte  mefjr  Ijat  abbrüefen  bürfen. 

©gon.   Cnfel  Dtto  f)ätt'S  ilmt  nid)t  gemehrt! 

Glaus.  2lber  fein  Stol$  roeljrt'  es  ifmt.  ©r  »ergab  es  fidj  felbffc 
nie,  baß  er  ben  fd)önen  Seftfe  in  tollen  9iäd)ten  oerfdnoenbet  Ijatte. 
£rittbalb  %al)x  fdjleppt'  er  fidj  mit  feinem  ©ram  fo  (jerum,  bis  er  ifnn 
3U  fdnoer  rourbe.    ©ineS  £erbftmorgenS  in  aller  grüfje  .  .  . 

©gon  (abmcbrenH  3$  roeifj,  id;  roeifj  .  .  . 

Glaus.  ...  £a  fanb  id)  feine  blutige  Seid;e.  3luf  bem  neuen 
©renjftein  fifeenb,  f)atte  er  fta),  als  ber  £ag  aufging,  mit  feinem  eigenen 
^agbgeroe^r  erfdj  offen. 

©gon.   $er  anne  &err!  £aS  gottoerbammte  Spielen! 

Glaus.  3^  i«i  £er  2lnbere  roufcte  roo^l,  warum  er  fid;  nidjt  fjiers 
fjer  traute!  .  .  . 

©gon.  l'affe! 

Glaus.   Unb  roenn  ia)  feinem  9tad)f olger  ratfjen  barf,  fo  .  .  . 

©gon.  Xer  9tad)f  olger  beS  Seligen  bin  id).  Sein  Proben  madjt 
auf  mid)  nid)t  ben  geringften  ©inbrurf.  £en  freunbliajen  9?ad)barn  roerb' 
id)  allemal  millfommen  f)eijjen.  £em  ©robian  roeif  \<fy  bie  2Bege.  3Kad)' 
er,  bafj  er  mir  aus  ben  3lugen  fommt!  SJtarfdj! 

(3tummeS  £i>itf.  ßlouS  grtH  nodj  tininaC  nad»  txr  5liutf,  mit  um  on?ufd)iaflttt  tfgon  bleibt  brob^nb 
tmb  gflantn  oor  ihm  fteben.  J<r  Ultt  btfmnt  ftdi,  lotuba  fidj  unb  fä&rt  mit  b«r  ^>onb  ftb«  bie  «ugenk 

©gon  (^.ftcr).  ©t  war  an  ben  alten  ^errn  oon  Srrol)berg  rool)(  fc^r 
gewöhnt? 

©laus.   $a,  £err.   3d)  mar  fein  Sagbgenojj  oon  ÄinbeSbeinen  an. 


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  €s  bat  fo  follen  fein.    H5 

Gr  mieb  in  ben  lefcten  $af)ren  allen  anberen  Umgang,  felbft  feine  Xamen. 
Seine  £unbe  nnb  idj,  baS  waren  feine  befte  ©efellfdjaft. 

Ggon.   9hm,  unb  bie  tarnen  beS  §aufeS? 

Glaus.   Xie  #rau  weinte  uiel  ü6er  ben  ^erluft  befferer  jjtxten. 

6g  on.   3ft  nidjt  aua)  ein  gräulein  ba? 

Glan1?.  tetewifj.  35aS  Jräulein  nxxr  Damals  in  ?ßenjion,  bort  unten 
wo  am  Genfer  ©ee.  £er  &err  fjatte  niajt  uiel  ©inn  für  weibliajen 
Umgang.  Um  fo  mef)r  liebten  ifm  bie  Frauensleute.  liüie'S  fo  gef)t  .  .  . 
Seine  £od)ter  lebt  unb  webt  im  &aß  gegen  ben  f(f>led)ten  ÜRadjbarn  .  .  . 
^a  fo!  .  .  .  9Jid)tS  für  ungut,  £err  .  .  . 

Ggon  ua*t>.  ffi  werbet  Gud)  2llle  miteinanber  an  ben  fd)led)ten 
5?aa)bar  gewönnen  tnfiffen.   9JMr  gefällt'S  Iner  auSgejeidjnet. 
Glaus.   £aS  giebt  ein  Unglütf! 

Ggon.  ^a)  liebe  bie  3agb.  &alte  was  auf  meine  Unb 
ba  er  jum  Unterfdjiebe  oon  feinem  feiigen  .öerrn  bie  iKedjte  —  beS 
fd)lea)ten  9toa)barS  —  md)t  anerkennt  unb  nadj  wie  uor  feine  äöalbgänge 
auaj  auf  mein  9teoier  auSbeljnt,  fo  la§  er  fief»  jefct  meine  Tarnung  ge- 
fallen. 3d)  will  fold)  einen  feinbfeligen  alten  £rofefopf  in  meinem  Dfcoier 
mcb,t  wieber  begegnen,  nid)t  mit  ber  ^linte  begegnen  —  bis  id)  if>n  etwa 
felber  ba$u  aufforbere. 

Glaus.   Sie  mia)? 

Ggon.  3a  wol;l  .  .  .  2ßeun'S  midj  melleid)t  einmal  gelüftet,  nodj 
metir  oom  feltgen  &errn  unb  ben  .  .  .  anberen  lieben  9tod)bam  $u  er* 
fahren. 

Glaus.  &on  mir  erfahrt  Eiemanb  was.  Unb  iaj  will,  nidjts  für 
ungut,  mit  bem  $errn  nia)ts  ju  fajaffen  f)aben,  wenn'S  mir  nid)t  oon 
meiner  &enrfd)aft  geboten  wirb.  Unb  baoor  finb  mir  äße  iüeibe  itrfjer. 
SSenn  idj  $i)nen  aber  als  guter  9iaa)bar  gut  ratljen  barf,  fo  laffen  Sie 
ben  SMenft,  welken  td)  aus.  bummer  ©ewofmfjeit  fo  fort  oerfefyen  Ijabe, 
bura)  einen  juoerlaffigen  3Jtonn  an  meiner  Statt  oerfefjen.  $ie  Sanbftrafee 
jie^t  Ijart  an  unferm  .  .  .  ad),  oerjeiljen  Sie,  an  3fn*em  SiJalb  oorbei, 
unb  nid)t  feiten  treibt  fia)  barin  ©efinbel  fjerum,  auf  baS  man  2ld)t  fjaben 
muß.    Grft  fjeute  .  .  .  boa)  genug  baoon!  .  .  .  Unb  ©ott  befohlen! 

(i&nbct  \uS)  unb  fl«J)t  laneiom.btit  Sttifl  Ginau',  offne  fkf>  no$  einmal  uinjuftljrcit), 

Ggon.  (Gleichfalls!  ...  ticm  «wen  «kWc*«*.)  2Mn  id)  beliebt  t)iex* 
unter  ben  beuten!  äßaS?  .  .  .  $aS  finb  ja  red»t  gemütfylidje  ^erfjält* 
niffe,  in  bie  id)  f)ier  arglos  eintrete!  SHomeo  unter  ben  GapuletS.  9?ur 
mit  beut  Unterfdneb,  bafj  mid)  meine  3ulia  nid)t  auSftefjeu  fann.  Unb 
warum  ma)tV  GS  ift  ju  bumm!  .  .  .  2lber  mie  bem  fei,  bange  laff'  id; 
mir  nidjt  mad)en.   3lua)  uon  Xir  nia)t,  alter  äßänoolf!   «-v(au*  vn^n.;^ 

tten  utiltr  Ixn  JPdmntn.) 


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W    F?ans  r?opfcn  in  Berlin.  — 

4.  Gceite. 

Ggon  allein. 

(SgOU  (bie  Trimtf  beifeitc  ftetfeub,  bie  3aflbtafrf)e  in  bic  Mtle  hdnqenb).    ü£l)UU  VOIT,  wiß 

wenn  wir  bafyeim  wären !  34  Ijabe  junger.  Unb  über  beu  2öalb  $iel)t 
ein  ©ewitter  herauf.  34  fatt'*  ni$t  gemerft  oor  lauter  Gifer  im 
©efpräd).  2lber  id)  werbe  ntid^  f)üten,  in  baS  Sßetter  Inneinjulaufen. 
GS  ift  weit  bis  in'S  £erren!jauS  jurücf.  <*on  etwa«  ja  efie«  o«»  feiner  iaf*t  »no 
f«*t  rtd)  tot  bie  satte.)  3Jiir  ift  alle  £aune  vergangen,  ber  9Ierger  Ijat  Tie  auf = 
gefreffen,  wie  bort  über  ben  SBipfeln  bie  graue  Sßolfe  baS  fä^öne  lichte 
himmelblau  einfd)(urft.  mtn\>\  2BaS  fie  für  fdjöne  blaue  Slugen  Ijat!  .  .  . 
©djabe!  ...  Sie  ift  nun  wof)l  lange  baljeim  unb  madjt  ber  9Hama 
graulid)  mit  bem  fremben  SWann  im  2Balbe,  ber  wcujrf^einii^  Sßiemanb 
anbers  ift,  als  .  .  .  ber  fd)led)te  Setter  unb  neue  Stod&bar.  bem  3a«t» 
päfd4i<n  in  ber  «onb):  $anf  $ir,  feiiger  Dnfel  Dtto,  nudj  für  biefe  9to45 
barfajaft!  .  .  .  Slber  was  ift  baS?  Gin  SBUb?  (««in  nad,  ber  äüw)  21$ 
nein!  an«  >«  bie  *fi«e 

5.  ®ccne. 

(igon  in  ber  J&iittc.  2Jiartl)a  Don  redjtä. 

3)iartr)a  (bjntenb,  fid)  an  ben  feigen  botienb,  oon  redjt*  born,  ruienb):    (SfaUS!  .  .  . 

(rcoenb>  2£ar  mir  bo<^,  als  r)ätt'  idj  ben  alten  Glaus  reben  gehört  .  .  . 
34  fann  nidjt  weiter,  ber  Änöa)et  fc^merjt  ju  fel)r.  34  fann  faum  auftreten. 
34  fafj  auf  einem  33aumftamm  unb  glaubte,  ber©ä^merj  würbe  fid)  verlieren. 
Slber  nun  id)  aufftanb,  füfjlt'  id),  bafj  id)  fo  nid;t  weit  gefjen  fann,  nidjt  bis 
nad)  &aufe .  .  .  Unb  eS  jieljt  ein  SBetter  auf.  214  ©Ott!  .  .  .  SHir  fdjemt, 
ia)  tjabc  in  ber  SSerroirrung  ber  Slud)t  ben  Seg  r»erfel)lt.  äßar  id)  nid)t 
fd)on  eben  t)ier  gewefen?  .  .  .  %a,  baS  ift  bie  alte  33orfenf)ütte!  .  .  . 
Sllfo  no4  fo  weit  oom  £aufe!  .  .  .  ^nn^rljin  ein  ©lütf,  bafj  id)  t)ier 
mid)  bergen  fann,  wenn  ber  sJiegen  loSbrid)t.  mz  eintreten,  $m  bewerfen*,  tritt 

fte  eniM'cbrcienb  jnnief.)  9ld)! 

Ggon  (ebrerbictifl  gniHenbj.    3Jlein  Jräulein  .  .  . 

SOlartlja.   2SaS  wollen  ©ie  fö)on  wieber  l)ierV! 

Ggon.  34 ?  •  •  •  3°)  midj  mübe  gelaufen  auf  ben  unbefannten 
SBafbpfaben  unb  wollte  mid)  in  biefem  &üttd)en  ein  wenig  ausrufen  unb 
ftärfen.  ftreilid)  nun,  ba  baS  Unwetter  fo  naf>e  ift,  bafj  man  es  fd)on  in 
ben  Gipfeln  fpürt  ...  nun  möa)t'  id)  mit  3^rer  ©rlaubnifj  woljl  länger 
gerinnen  auSbauem. 

gjZart^a  Co&ne  iD«  a«jufeöen).    £aS  ift  fe^r  f d)abe !  ^erfucW  weiter  su  fcöreüen). 

Ggon  (»erbeuflt  fid,  ww.  für  fw».  Xer  Anfang  ift  nid)t  fef)r  aufmuntemb. 
Slber  warte!  .  . .  (scm>  Sie  l)infen,  gräulein?  Sie  leiben  ea)mer3en?  .  .  . 
2BaS  gefa)cu)V 

3)Iartl)a.  3er)  warb  burd)  einen  aufbringti^en  aflenfdjen,  ben  ia)  nia)t 
fenne,  beim  9)ialen  geftört;  lief  baoon,  ftolperte  unb  fiel  .  .  . 


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€s  fjat  fo  follen  fein.   


Ggon  i&tfiöv  &ierV 

SHartha  (W  umfrbenb^  3^  glaube:  ^icr. 

(5g  OU  (auf  *>»  *ii*Itin  in  feiner  2afd>e  Hopfenb,  für  ftd>).    3l^j!  Uttb    fo  üerticrt 

man  ^otijbficher!  (2ant)  Söerjeihen  Sic  bcm  aufbringlichen  Sftenfchen,  bcn 
3ie  nicht  fenncn  unb  ber  Sic  nicht  tarnte,  wenn  er  eS  wagt,  g^nen 
feine  Sienfte  an$ubieten.   Sie  bebärfen  ber  #ilfe. 
Hartha.   Seiber!  Selber! 

(Sgon.  £arf  ich  Sie  nicht  bitten,  f)ier  einjutreten,  es  fict)  bequem 
ju  machen  unb  ben  «Regen  abjuwarten,  ber  in  einer  ber  nächften  Minuten 
losplafcen  muß?  Sie  tonnen  tyx  £eimroefen,  roie  nah  es  auch  r>or  bem 
SSalbe  fein  mag,  alfo  ^infenben  tfufjeS  nicht  erreichen. 

9J2artha  (mit  «m™ xbräneio.  Seiber!  Seiber!  iSini*)  $a§  ber  SHenfch 
auch  noch  9iedjt  haben  mu§! 

©gon.  Sfox  ^ub  bebarf  ber  Schonung.  £er  weite  2Beg,  bie  über? 
rnä&ige  Slnftrengung  tonnten  leicht  eine  gefährliche  (Sntjünbung  oerurfachen. 
Unb  babei  würben  Sie  tropfnafe  bi^  auf  bie  &aut,  unb  eine  (Srfältung 
wäre  Sfmen  ficr)er  .  .  . 

Sflartha  <f«r  m>u  Qx  hat  fd)on  wieber  stecht! 

6g on.  ^d)  bitte  bringenb,  üerjeiljen  Sie  bie  Ungezogenheit  oorfnn 
.  .  .  ba  broben.   treten  Sie  unter  $adj  unb  pflegen  hier  ber  9huje! 

Hartha  (für  m.  Säuerlicher  9Wenfch!  £f)ut  er  nicht,  als  war  er 
hier  ju  &auS  unb  lübe  mich  ein,  unter  feinem  £act)e  s}>lafe  $u  nehmend 

(Jsknbet  fiii  ju  <&$on  unb  ficht  ifcn  ai\\ 

(Sgon  <brinöenber).  bitte! 

Hartha  <^«r  ^titte  ju^infenb,  n«it  einem  SciifjerV  mufj    T00t)t !     2Beil  \d) 

nicht  anberS  !ann!  .  .  .Oh! 

ßgon  (beifphnfltnb).  Qeber  Schritt  fchmerjt  Sic!  is«  onw««5)  £)arf 
ich  mir  erlauben,  mein  gräulein,  Sie  ju  ftütjen? 

Hartha  (i&9trnb,  nu^t  oijue  .tod^muth).  Unb  mit  wem  ha&'  i$  eigentlich 
bie  ©hre,  Wx  *m  JBSalbe? 

Ggon  mrm.  Sag  ich  ihr,  wer  ich  fo  läuft  fie  mir  trofe  Stegen 
unb  Schmerlen  baooit.  SWein  9tome  flingt  nicht  fct)öu.   £f)ut  aud) 

nichts  5ur  Sache.  3er)  bin  ein  luftiger,  ehrlicher  fei,  ein  alter  ^urift, 
ber  suweilen  in  feiner  Sflenfchenfreunblichfeit  etwas  ju  weit  geht  .  .  . 
Sie  erinnern  fteh,  mein  gräutein,  bort  brüben  (no*  im»  <*<»  beut«*,  »<m  «o*  iü 

iß  ber  erften  Scere  gefotntnen). 

Hartha.   D  ja! 

(Sgon.  3lber  ich  bin,  genau  betrachtet,  ein  braoer  3)tonn,  unb  Sie 
bürfen  ineinen  3lrm  getroft  annehmen.  3$  mW  nichts,  als  Styxen  be* 
hüflid)  fein  unb  Sie  fo  rafch  als  möglich  aus  biefer  unangenehmen  Sage 
befreien. 

Hartha,   immerhin  eine  feltfame  2Irt  fuh  uorjufteUen! 

©gon  (f*jur*fttte  fleitUenb).  SBenn  auch!  ...  So,  nunfefcenSie  fich, 


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  Fians  ^opfen  in  Berlin.   

ftreden  fia)  aus,  fdjüfcen  fid)  oor  bem  biegen.  GS  ftnbet  fia)  aud)  etwas 
SRimboorratl)  ba  brin.  Unb  fowie  bcr  alte  2Salbf)üter,  ben  baS  Unwetter 
rooty  auä)  nad)  $aufe  treibt,  wieber  oorüberfommt,  fa)iäen  wir  ifm  su 
^rer  grau  9J?ama  unb  laffen  ben  Söagen  Ijolen.    Sitte  einjutreten. 

(Seibe  bitf)t  »or  t*r  Sbilr). 

2ttartf)a  üfm  r*arf  w§  «U0e  foffenbx  Sie  tfum  l)ier,  als  ob  Sie  ein  9iea)t 
flätten,  ^fenmnb  in  bicfe  &ütte  laben? 

©gon  (etwa»  ocrttflf«).  ©i,  bie  ift  ja  wofjl  für  Hermann,  ber  t>orüber= 
foimnt  unb  ermübet  ift  .  .  . 

aJcart^a.  So  lange  fie  meinem  SSater  gehörte,  mar  baS  ir)re  33e= 
ftimmung  ma)t.   $er  neue  ©igentf)ümer  .  .  . 

©gon.   28irb  fidler  nia)ts  bagegen  tyaben! 

9Jiartf>a.   SBiffen  Sie  baS  gemife,  mein  &err? 

©gon.        glaub'  es  §u  wtjfen,  mein  gräulein. 

2)  ?artl)a.  Stnb  Sie  oietleia)t  felbft  biefer  neue  ©igentf)ümer £ 
Sautet  ber  9?ame,  ben  Sie  mir  fo  feltfam  oerl)eimlid)en,  üieöeia)t  ©gon 
©idrftäbt? 

©gon  oiad»  furstm  3ööern).  91HerbingS,  liebe  ©oufine,  ia)  bin  ©gon 
(Eicftftäbt  in  leibhaftiger  ^erfon. 

9)Jartf)a  (ü<d  a«*  ftmem  ann  reifjtnb,  ouöer  fi*>.  Unb  Sie  wagen  eS,  midj 
ansufprea^en ?  Sie  fa)ämen  fia)  nid)t,  mir  in  ben  2£eg  §u  treten?  gort! 

(Do»  Sluftrtten  madjt  it>r  fldjtlict)  Schuten). 

©gon.  gräulein  -Jftartfja,  Sie  oergejfen  $ljren  Sa)merj!  treten 
Sie  boa)  nia)t  fo  beftig  auf!  $f)r  armer  gufc!  3a)  bitte  Sie! 

3)  J artrja.  $0)  bebenfe  nid^td !  $a)  fü^le  feinen  förperüa)en  Sa)mer$ 
mein*!  3$  fm)le  nur,  baß  ia)  baS  Slinb  meinet  SSatcrg  bin.  Unb  tcf) 
fe^e  ben  alten  5)tonn  uor  mir,  ber  ben  ginger  über  fein  graues  #aupt 
aufgebt  unb  fagt:  „SBergife  eS  ifjnen  nie!  Sie  f)aben  mia)  arm 
gemaa)t,  fie  fyaben  mir  meine  SebenSfreube  genommen,  ben  ©runb  unb 
Stoben  genommen,  worauf  meine  Hölter  gefeffen;  fie  Ijaben  mia)  oor  ber 
3eit  in'*  ©rab  gebraa)t!"  3a)  werb'  eS  nia)t,  id^  roill  es  nidjt  oergeffen. 
&err  oon  ©id)ftäbt,  ia)  bitte,  gelten  Sie  mir  aus  ben  91ugen!  Cber  wenn 
Sie  nidjt  geljen  wollen,  fo  werbe  ia)  gef)en,  fo  Ijart  es  mia)  anfommt, 
unb  ben  ©runb  unb  23oben,  ber  jefct  hinten  gehört  unb  auf  bem  ju 
wanbeln  ta)  fein  $ea)t  me^r  l>abe,  räumen,  ©ntfa)ulbigen  Sie  mia)  nur, 
wenn  eS  fo  langfam  gefa)ief)t.  (ww  ob.) 

©gon  (it)r  ben  sjjea  oertretenb).  üHein,  Sie  bleiben,  unb  ia)  werbe  geben! 
3a)  werbe  nad)  $l)xcm  ^aufe  gel)n  unb  forgen,  ba§  man  fflnen  ben 
äßagen  fa)idt. 

9)Jartl;a  (toio.  ^d)  bitte  barum. 

@gon.   21ber  oorljer  laffen  Sie  mia)  ein  guted  SSort  reben! 
SKart^a.    9?ein,  fein  SBort!   3^  m^  ^in  2öort  työren,  ia)  miß 
Stye  Stimme  nia)t  l)ören!  Sie  ift  bie  Stimme  eines  geinbes,  meines 


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  <Hs  fjat  fo  follen  fein. 


fdjlimmjten  fteinbeS.  3()r  Cnfel  ift  tobt.  Sie  finb  gern  fein  (Srbe.  (Srben 
«Sie  audj  unferen  §afc!  (5r  wirb  ^neu  in  ungebrodjener  güfle  jugemeifen! 

©gon.  Unb  warum?  23a$  fjab  idj  %fonen,  ma§  fjab  id)  3()rem 
feiigen  3?ater  getfjan? 

3Rartf)a.  2Öa3?  Sie  fterjen  auf  biefem  $oben  unb  nennen  ifm  ben 
übrigen! 

Ggon.   Cr  ift  e3! 

9Rartf)a  u^nb,.  Unb  burd)  weldjeS  3iedjt! 

©gon.  £urd)  ein  SRed^t,  ba3  nidjt  beftritten  werben  fonnte,  ba$, 
wie  3*ire  gamilie  in  allen  brei  Snftanjen  erprobt  f)at,  unanfechtbar  ift. 

3)cartrja.  O  über  ba3  fdjöne  »tedjt!  2lm  Spieltifd),  in  ber  2£ein= 
laune,  in  ber  ftifce  tf)öridjter  Seibenfdjaft  wirb  e$  gefdjaffen  jwifdjen  5Jtodjt 
unb  borgen,  wie  ein  $erbre$en,  ba3  ben  Sag  fdjeut.  Gine  oornefmte 
^Jaffion!  (Sine  oomefnne  Sadje  ba3  um  fo  ein  SRect)t!  ...  unb  cor* 
netmr  wafjrlidj,  wenn  man  ftdj  barauf  beruft  unb  e3  auSnfifct! 

©gon.  Sflein  Gimmel,  (Soufine,  Sie  rebcn,  als  ob  itf)  9lermfter 
•Obren  &errn  2?ater  —  ©ort  t)ab*  ir)n  feiig!  iljn  wie  meinen  guten  ünfel  Dtto ! 
—  mit  gebunbenen  &änben  511m  Spieltifdj  gcfct)(cppt  unb  ifmt  allba  ©elb  unb 
©ut  geroaltfam  aus  ber  Xafdje  gebogen  f)ätte.  3<$/  ber  idj  feine  5tarte  fenne ! 

3)Jartf)a.   3§i  faubercr  £err  Cnfel  fannte  fie  um  fo  beffer! 

©gon.  ©r  fannte  fie  nidjt  beffer,  al$  —  oerjeijjen  Sie  ber  2i>aljrf)eit, 
bie  laut  werben  will  —  Onfcl  Dtto  fannte  bie  toten  nidjt  beffer,  als 
3fc  eigener  £err  3?ater  fie  fannte;  er  liebte  ba$  Spiel  nicrjt  mefjr,  ate 
eben  biefer  e$  liebte  unb  übte. 

Wartha.   Sagen  Sie  nidjte  gegen  meinen  tobten  $ater! 

©gon.  3a)  benfe  nid)t  baran!  91  ber  glauben  Sie  mirfltd),  ber 
Selige,  ben  Sie  lieben,  würbe,  wenn  mein  Cnfel  ©elb  unb  ©ut  oer= 
fpielt  t)ätte,  nid)t  aud)  genommen  unb  behalten  fjaben,  was  il)m  mit  Jyug 
unb  iftedjt  jufam?  ©i  ber  £aufenb,  wer  ftd>  jum  Spiel  fefct,  ber  willigt 
uon  oom  §erein  in  ben  2?erluft!  (^*  >f«  oamaijUd)  no^  bunti«  [nidjt  fmfttr]  amort*«.) 

2Jfartf>a.   Unb  grämt  fid)  bann  511  £ob  cor  Beib  unb  tfinb! 

«StTtmÜt  fü*  bie  Huflcn.) 

©gon  (tfctinctonenb).  9J?ein  ©Ott  .  .  .  ©oufine .  . .  gräulein  2Hartf)a  .  . 

3Diart^a  (a«wn*nb  in  %d)  verbitte  mir,  bafe  Sie  mid&  bei 

meinem  Sßomamen,  bafe  Sie  mid)  oerwanbt  nennen!  3$  bitte  Sie,  baft 
Sie  mid>  allein  laffen  unb  tmdj  nia)t  wieber  fenncn,  fouY  e$  ber  böfe 
3ufall  rooaen,  bafc  mir  uns  noa^  einmal  begegnen. 

©gon.  ©erben  Sie  boa^  ru^ig!  nehmen  Sie  boa^  Vernunft  an! 
3d)  bin  roirflid^  nid^t  aufbringlidj  unb  roünfdje  oon  ^erjen,  £l)ren  Seiners, 
fo  fränfenb  er  fidj  gegen  mia^  geberbet,  ju  fronen.  9lber  ia)  fann  Sie 
bod&  je^t  nia^t,  ^ier  im  SBalbe  nia^t  allein  laffen!  ^3ei  biefem  Better! 
Xer  3lbenb  finft,  ba3  SKetter  bria^t  lo^,  unb  auf  eine  f)albe  Stunbe  ift 
feine  9)?enfdjenn)ofmung  ju  erreichen. 


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W    fja„s  topfen  in  Berlin.   

9ttartf)a.  ©feichoiel!  3<h  bin  oertraut  mit  bem  Sföalbe.  Unb  ta) 
bitte  Sie  bringenb,  mich  ju  oerlaffen! 

Ggon.   gürchten  Sie  fi<h  benn  nicht? 

Wartha.   3<h  fürchte  nicht.   3<h  ImfFe  nur. 

Ggon.  3n  ©otteS  tarnen,  Raffen  Sie  mich,  aber  bulben  Sie  mich 
in  %t)xex  Stfähe,  nur  fo  lang  bis  anbere  £ilfe,  anbere  Begleitung  für  Sie 
fommt.  3dj  will  fein  ©ort  mit  3fmen  reben,  ich  will  Sie  nicht  einmal 
anfeljen,  fo  leib  nuYs  thäte,  id)  will  nur  3hr  SBddjter  unb,  wenn'«  fein 
mufc,  3hr  Sd)ufc  im  Söalbe  fein. 

Hartha.   3>aoor  fei  ©ort!  @gon  @iä;ftäbt  mein  Schüfeer.  Qatyityxl 

Ggon.  9iu  nu!  Sie  Sanbftrafee  geht  ^art  am  Söalbranbe  vorbei. 
3hr  Glaus  fjat  mir  vor  Äurjem  felbft  gefagt,  bafj  fich  oft  red)t  nerbächttgeS 
©efinbel  Ijter  herumtriebe,  barauf  man  Sldjt  haben  müjste. 

SRartha.  3*  nun,  mir  foll  jebeS  £anbftreid>erS  ©efellfchaft  lieber 
fein,  als  bie  eines  Bttenfchen,  ber  fic3t)  an  unferem  Unglücf  bereichert  hat, 
ber  am  £obe  meine*  Katers  sunt  9Witfä)u(bigen  geworben  ift. 

(Sgon  OKrftw.  $rr!  baS  ift  fehr  Deutlich  .  .  .  3<h  fytbe  bie  &)te, 
mich  bem  gräutein  uon  Strohberg  ju  empfehlen,  unb  wünfebe  nur,  bafe 
3hnen  hto  nic^tö  Unerfreuliche  res  begegnen  möge  als  bero  ergebender 

Liener.     (Verbeugt  fidtj.) 

SKartha  (f»»ittf<f)>  2)aS  lXnerfreu!idt)ftc  geht  eben  worüber, 
©gou.   3<h  ban!e  oerbinblichft!  (»<w  u?r  bie  srmte  i>in->    Sehalten  Sie 
wenigftens  mein  ©ewet)r  fyiet.  ^n  fann  3ubringliche  bamit  erfdjrecfen . . . 

(Stellt  e«,  ba  ftc  nidjt  antwortet,  in  bie  §iltte  unb  wenbet  ftd;  bann  rafdj  jum  Hbgebn  nad;  rtdfll,  für  ftdj) 

£rofcfopf!  Unb  fie  hatte  mir  fo  oerbammt  gut  gefallen  l  m  »m  «tobn 
no^mot»  no^  swart&a  um.)    Sie  ift  wirflich  bilbhübfeh  ! 

(©äbrenb  SRartba  unter  bal  »orbad)  ber  viMe  linf»  tritt  unb  <5gon  abgeben  will,  fdimettert  tut  Sinter« 
gnmb  rem  ein  »lib  burd»  ben  SSalb,  unb  ber  Bonner  groß:  langatmig  barnadj.        wirb  nod)  buntter, 

unb  tnoit  bi>rt  e*  beutlid)  regnen). 

Hartha  (bie  Hugen  öertjiiUenb),     2U) ! 

ßgon  (M  wäijrenb  e»  bo.mert,  noct)  t&r  um»«nb:ub)  #aben  Sie  gerufen  ?  .  .  . 
3ft  Shnen  .  .  . 

Hartha.   Vichts,  nichts!  .  .  .  3lbieu! 

©gon  (adrftljurfenb  fie  betradjtenb)  .  .  .  2lbieu!  (Sie  madjt  am  gan»en  8:ib<  jiüernb 
eine  fertige  Öewegung,  a«  wollte  fl«  ibn  juriiirufen,  fampft  aber  bie  »nwonblung  nieber  unb  brfteft  ftb 
abgewanbt  in  bie  <Sdt  unter  bem  SJorbadj  IintJ.  Gr  fetjrt  fidi,  t\)  er  abgebt,  nod;  einmal  Wie  fragenb, 
wie  eine  beffere  SRegnng  erwartenb  nad»  i^r  um  unb  gebt  bann,  ba  fte  iUm  ftarr  abgewanbt  bleibt,  rednl 
weiter.) 

©gon.   3ch  meine,  bie  güfee  rourjeln  mir  in  bem  SBoben,  wenn  ich 

fiC  noch   lang  anfehe.     Ä  »o«  »egen  burd)fd)auert,  nacb  oben  bliefenb.)    Unb  biefeS 

Schanbroetter !  9hd)t  meinen  3«9bh"nb  fehieft'  idh  oor  bie  21)ür!  Vichts 
befto  weniger  2lbieu!  21  ber  weit  geh  ich  nicht.  $rr!  ^eiliger  Dnfel  Dtto, 


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  €s  tjat  fo  follen  fein.    H9 

^aft  £u  nidjt  irgenbmo  im  Sßalb  einen  SRegenfdjirm  ftefjen  (äffen?  .  .  . 

<(*r  f*Iä«  feinen  Tüfingen  bod»  ober  nimmt  fonft  eine  £ü>'e  gegen  b«n  fliegen  bor,  ftetft  bie  .fränbe  in 
bie  lafdjen  unb  geht  mit  großen  Griten  linf»  in  ber  jmeiten  Cxmltfie  ob.) 

7.  Zceue. 

3J?art^a  (c^tn  unter  bem  Sorbadj  ber  glitte.  SKoit  bört  e»  immerfort  beutlirf)  regnen,  t<odi 
fo,  bös  ti  webrenb  ber  SRebe  bie  2Sorte  be»  »daufptelert  nie  ftdrt,  gefduoeige  gor  übertönt).  3JZit 

jtttern  alle  ©lieber  .  .  .  oor  Sdjred  .  .  .  oor  gura)t.  $fui  über  baS 
fd&roadje  ©efd)led)t!  SBäV  idj  ein  2ttann,  id)  ladjte  ber  ©djreden  ber 
9laä)t,  beS  UngemitterS  unb  ber  (Sinfamfeit,  toäl)renb  id)  f)ier  im  biegen 
fdjaubernb  f)ane  unb  bie  $änbe  aufgeben  mochte,  um  ju  bitten:  £affen 
Sie  mid)  nidjt  allein  fjier!  3d)  fomme  mir  oor  mie  ein  Äinb,  baS  feinet 
33aterS  Sdjmert  511  führen  fidr>  üerma&  —  unb  bem  bie  fdjneibige  £ajt  rotber 
2£iüen  aus  fdjroäd)ltd)en  &anben  gleitet.  So  füfjl  idj  mid)  ju  fdjroädjltdj, 
ben  £afj  meines  58aterS  ju  galten  unb  ju  führen,  unb  er  entgleitet  meinem 
9)hitt>  —  roarum?  weil  fid;  eine  2öolfe  über  bem  SSalb  ausfluttet. 
S^mac&ling,  Jeigling,  elenbeS  armfeligeS  $>ing,  baS  id)  bin,  unb  baS 
nichts  fann  als  meinen,  meinen  unb  fid)  fürd)ten!  .  .  .  9lber  nein,  id)  mid 
nidjt  meinen!  SÖeint  bod)  ber  Gimmel  gerabe  genug!  Unb  id)  will  mid) 
nidit  fürdjten,  roiU  mid)  nid)t  von  mäbdjenfjafter  3lngft  nieberbrüefen  (äffen. 
•Nein,  id)  bin  eine  Strofjberg!  %d)  roiU  nia)t,  roiU  mid)  nidjt  fürdjten! 

8.  £ceite. 

SS  0  r  t  fc  a  unter  Icd* .  Son  reditt  aus  ber  erften  (Jouliffe  f  ommt  ein  reifenber  ^anbu  erftburfdie. 
«Ron  b,ört  be*tig  regnen,  unb  in  ber  Jerne  bonnert  unb  Mifct  eft  julueilen,  rote  in  ben  beiben  eongen 

Seenen. 

^anbmerfS6urfd)   (re<f,t  mie  ein  Stroit  au*fe$enb,  einen  Hegenidiirm  in  ber  *anb, 

ber  aber  bie  idneften  &öd>«r  t»ot.  3m  Hutten).  9iun  foK  mir  ein  er)rlidt)er  SRenfcf)  fagen, 
in  maS  für  (Kalamitäten  fo  ein  armes  Suberd&en  mie  unfereinS  geraden 
fann.  C  roef),  o  roef),  o  roel)!  92a§  bis  auf  bie  «gaut!  Unb  fein  $ad), 
fein  £adj  feit  Stunben!  Unb  babei  baS  SMtfecn!  Witten  imSßalb!  2IMe 
(eidjt  idjlägtS  an  fo  'nem  ©aumftamm  runter,  ber  anne  SKenfd)  gebt  gerabe 
baran  oorbei,  unb  futfd)  ift  er,  ©Ott  f)ab  ifm  feiig!  &err  ^efeS,  baS 
Segnen!  Unb  ber  <Sd)irm!  (»tnnt  gegen  einen  Poum.)  2lu,  au!  Unb  bie  ginfter* 
niß!  ^Ter  2«alb  ift  mie  oerljert. 

Wartha  <%  m.   ©el)t  ba  nidjt  mer?  2Bagt  er  es  suriidjufel^ren  ? 

^anbmerfSburfd)  im  H4»  an  ber  rediten  ffefe  ber  t»iitte  fleftosen,  für  fü*).  J^aS 

ift  benn  baS  roieber  für  eine  egnptifdjc  ^>lage?  daft«  we  *oiten  entlang)  ^>aS 
ift  ja  ein  &aus  ober  fo  was  berg(eid)en?  3ud>l)e!  Unter  %ati)\  ©efc^ioinb! 
Wartha  <f*rcimb).  ©er  ba? 

^anbmerfsburfd)  (unter  bem  »orbod».  ©ut  greunb!  21M II  fagen  ein  armer 
Reifenber.  den  $ut  in  ber  «anb.)  ^ute  gar  fd)öu  um  einen  3e()rpfennig.  6ie 
bürfen  ft<$  bei  ber  ginfternifc  aud)  in  ^^rem  werten  Portemonnaie  oer= 
greifen  unb  es  mehrere  Pfennige  fein  lajfen. 


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\Ö0    £?ans  £jopfcn  in  Berlin.   

SKart^a.   öefjen  Sie! 

&anb werfe b urföö.   Xa  müßte  mein  £erj  ein  Dtorr  fein! 

9Hartf)a.   ©efm  Sie!  3öa*  motfen  Sie  Iner? 

£anbn>erfaburfd).  2Me  ftrage!  Unterfte^en  roitt  id).  SBci  bem 
§unberoetter  werben  Sie  einem  armen  teufet  bod)  fooiel  gönnen! 

2Jiartr)a  cur  m.  3d)  fürd>te  midj  $u  £obe  neben  biefem  unljeim- 
Hajen  Strold). 

£>anbruerf  3burfdj  genau«  bctTaAttnb).  £ören  Sie  einmal,  Sie  finb 
ja  bilbfjfibfd)!  unb  ba  ftfcen  Sie  ganj  mutterfeetenaHein  im  roilben  2£alb 
fpajieren?  9fa,  na,  na!  <sdjaut  n*  mn>.  SSirflidj  ganj  allein?  «9*antin  bte 
mu,  für  m.  mxUiä)  allein!  9tf),  bas  ift  gut! 

9)Jartt)a  (angim*».    ©efjen  Sie  bodf)! 

&aubn>erf  Sburfd).  23ci  bem  SBetter?  23eUeibe!  .  .  .  (•■reanMidrfo 
diMen  Sie  lieber  ein  wenig.  Gelegenheit  madjt  £iebe,  unb  e*  fyaben 
roofjl  unfer  jroei  auf  ber  33anf  ba  ^lafe  <f»"at> 

Unb  neben  fchöuen  ^ränlein,  ba  fifct  ftd)'<&  tDunberfcfyön! 

(fpridit)   Sdjafcfinb,  wie  haben  Sie  fid)  benn  hierher  «erlaufen? 

9JIartt)a.    Steden  cte  auf!  dtufnren  Sie  mid)  nidjt  an! 

^anbroerfSburfd)  (jubrinand».  ifiur  ein  gauj  Keine*  biffel.  Xa* 
Söetter  mad;t  einen  gar  fo  fdjaurig,  unb  ba  rüdtt  man  gern  näfjer  $u* 
fammen. 

Sftartfja  (ftm«at  auf,  trflrdft  ba*  Ortoetir  uub  febrett).  £affen  Sie  midj  ober 
id)  fdjiejje!  &Ufe!  Glau«!  .  .  .  i»*b  ««««a«  uebeminbuna.)  Ggon!  Ggon! 

^anbroerfiSburfd).   ^ädjerlid^!  <3<W  ba*<3<toel>r,  fie  ringen  unbbtr 2vfcub  gebt  loa). 

9.  Scene. 

Sie  Vorigen,   Ggon  öon  red)t3  au*  ber  jioeiten  Goultfi'c  mit  fliegenbem  Schritt. 

Ggon.  $a$  mar  ja  ein  Sdmfj  ober  narrt  mtd)  ber  Bonner  .  .  . 
SBar  mir'«  bod)  aud),  id)  fjörte  mid)  beim  tarnen  rufen  ? 

£>anbn>erf*burfa)  (bot  jwaff«  o«  ft*  B«nommtn).  Spiele  nid)t  mit 
Sdjiefegeroefnen! 

Ggon  (oor  ber  ^ütte).  gräulein  uon  Strobberg!  .  .  .  Siub  Sie  nodj 
t)ier  .  .  .  unb  in  ©eieflfdmft  ? 

2){artf)a.   Um  (SottedmtQen,  befreien  Sie  mid)  uon  biefem  Stroldj! 

.ftanbroerfsburfd).  311),  ab,  af)!  Strold)?!  s#itte  feljr!  §ä)  bin 
ein  eljrfamer  "panbroerfer. 

Ggon.  2ßer  Sie  aud)  fein  mögen,  rote  fommen  Sie  ju  meiner 
^■linte?  £er  bamit! 

^anbioerf  sburfd).  Sad)te,  9)länndjen!  $er  jroeite  £auf  ift  nod) 
gelaben! 

Ggon.    .per  bamit,  fage  id)!  <^<<  nwn  um    samt.  <$wn  wirb  einen  nuw- 

lltcf  juriiifjcit'tJrütt.   Mit  er  lutt&er  aitßrdfett  Witt): 


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  <£s  tjat  fo  follen  fein.    \3\ 

#anbwerf$burfcb  (ntr  ftd.).  £alt  9totur!  Safe  c$  an  einem  3M 
genug  fein!  .  .  .  Unb  Du,  o  £err,  ftu)re  uns  md)t  in  $erfua)ung! 

(Egon  fi>«  fi#  »ä&renb  btr  üortfltn  JBortc  einen  Vauatafi  oom  »oben  ourgeicftn  l>ot  imb  nun 

äum  ÄHagtn  ausboru    £er  mit  ber  SSaffe!  .  .  . 

£anbwerf3burfa).  92a,  meinetwegen!  Da  tyaben  Sie  fxe!  2öei( 
Bie  gar  fo  fjöflid)  barum  bitten  unb  weil  baS  SBetter  gar  fo  fa)ön  ift .  .  . 
Seben  Sie  woljl  alle  Scibe  miteinanber!  2Beiter  um  einen  2BaIb!(cw* 

IMl  ab.) 

10.  Zeent. 

ößon.  Wartha. 

3)iartf)a  '«»  *™t  faf««».  9Wein  ©ott!  3$  bin  mefjr  tobt  als 
lebenbig. 

©gon  (bm  tonbnwrttburfcfKit  nadffeqtnb).     (&X    ggf)t  (nad>  oben)  unb    ber  9?egeU 

f>at  aufgebort  . . .  3°)  ty&e  &eibe$  nid)t  erwartet.  2lber  gut  war'$  bod), 
baß  id)  mtc^  nid)t  ju  weit  entfernte.   (3«  Partim.)   äöie  ift  3*)nen? 

3Wartt)a.   3$  oanfc-         Sa)recf  fifet  mir  in  allen  ©liebem. 

Ggon.   Unb  ber  Jujj? 

SJlartfja.  Sd)mer$t  .  .  .  3$  fann  nid)t  auffielen  .  .  .  3lber  id) 
möchte  3^ncn  banfen.  ($3  mar  brao  oon  Sfyxitn,  bem  bewaffneten  9)lann 
fo  energifd)  entgegen  ju  treten.  Sie  finb  ein  mutiger,  ritterlicher  ÜJtenfa). 
3$  oerfage  3tmen  Danf  unb  Hnerfennung  nid)t.  (5$  brauet  fonft  in 
unferen  Sejielmngen  nia)t$  geänbert  ju  werben. 

(rgon.  2lber  Sie  begreifen  nun  boa)  aud),  bafe  id)  Sie  Ijier  nid)t 
allein  laffen  !ann.      swortöa  fdm>tiat)   Darf  id)  bleiben? 

SHartlja  («laernc«.  3d)  fann  leiber  nia)t  nein  fagen.  3d)  muß  Sie 
fogar  bitten  $u  bleiben  .  .  .  aber,  bitte,  brüben  auf  ber  anberen  Seite! 

(£km5  Weit  brüben!  «*«ou  fallt  fein  Okacin  in*«  Sau«,  nimmt  bamt  am  anötreit  tfnbe  air  ber 
Sfcwf  Unf*  cor  t*r  2t)ü«  Watj.) 

3Wartf>a  (für  tu»,   Gourage  fiat  er!   csiüfi  txnwen  na«  n»m.> 
©gon.   Darf  id)  mit  3^en  reben? 

9Ji  0  r  1 tj  a  <  fdjiittelt  ba»  #aupt  »e  rntinenb). 

Ggon.   33on  ganj  gleia)giltigen  Dingen?  .  .  .  SBom  Söettcr? 
9Hartf)a.   Da$  Detter  wirb  bura)  Sieben  nid)t  ben  er  gemaa)t. 
©gon.   3«  oer  Sljat.   (53  tropft  fd)on  wieber!  (£«e  &mb  ou*ftrt*nb.) 
@d  regnet. 

3ftartf)a  (n*  ein6airenb\  gießt!  2ld),  Du  meine  ©üte!  £Sätten  nur 
boa)  ben  Strola)  nad)  bem  Sa)lo[fe  gefanbt  um  einen  Ziagen!  .  .  . 

(Sgon.  2öir  fonnten  if)m  ia  ben  2Beg  nid)t  angeben.  Seien  Sie 
frof),  bafe  er  fort  ift. 

3Kart^a.   Cb  ia)  frot>  bin! 


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\52 


  Vians  ^opfcn  in  Berlin.   


11.  Brette. 

#aubu>erf*burfdb  fe&rt  |u  twn  SBoriflen  t>on  t'mt»  «urürf. 

£anbmerfsburfdj.  3ft  baS  bie  ßütte?  ...  3a,  ©Ott  fei  Sauf! 
3J?artI)a.   $a  ift  ber  9Kenfd;  mieber! 

@gOU  <auffpriitfl«nb).  gurÜcf! 

$anbmerf sburfdj.  9ttein  gutefteS  §err$en,  meine  uerefjrtefte 
$ame,  gräulein  ober  grau,  nidjtä  für  ungut!  33ei  beut  SKetter  jagt  man 
feinen  &unb  oor  bie  Xl)ür.   3$  bitte,  laffen  Sie  mid)  unterftefm. 

ßgon.  33croa^re! 

£anbroerf£burfdj.  Sagen  Sie  maS  Sie  motten,  tljuu  Sie  roa§ 
Sie  mögen,  fließen  Sie  meinetwegen  ein  gan§e3  Siottenfeuer  allein  ab  .  .  . 
idj  bleibe!  .  .  .  (irftt  unter  Ja*.) 

©gon.    üDtein  ®eroef)r!  (»ur  «jut  na*.) 

ÜJlart^a  (Mt  auf  unb  öda  i6n  om  «nn  feft».  Saffen  Sic  i§n!   ^Ucr  arme 
Xcufel  ift  tropfnaö,  unb  ber  Siegen  fdjüttet  fo  unbarmljerjtg  herunter  .  .  . 
@gon.   2lber  .  .  . 

SWartfja  (f«w  fl*  »u«b«r>.  SBenn  Sie  f)icr  finb,  fürdjt'  id)  midj  nidjt. 
Unb  genauer  betrautet,  ift  er  roof)l  aud)  nidjt  fo  furd)tbar. 
©gon  am*  $<mb  bleibt  in  f«tticr).  SBenn  Sie  meinen. 

^anbroerf  ^burfa^  (t»eu  ttoDf  au«  b«  xbürt  ftrerftnb).  9to  fef>n  'Sie:  jefct 
»ertragen  mir  uns  äße  £)rei  l)übfd)  frieblidj  miteinanber. 
■Dlartfja  (bie  &mt  $nru£fjicbtnb).  2IUe  XxeVi 

£anbroerf  Sburfdj.  6i  ja!  3$  nüd)  Ijier  brinnen  unter  $adj  unb 
gadj  unb  Sie  fid)  mit  öftrem  &errn  ©cma^l  ober  Bräutigam,  roa£  er 
nun  eben  ift! 

3Kart^a  (cntmft«).  $er  &errV! 

6g  on  (Info.  9lber  id)  bitte  Sie,  gräulein,  ber  brauet  bodj  nidjt 
ju  miffen,  bafj  mir  un£  fymtc  jum  erften  3Jtal  fpred)en.  2öie  fott  man 
ba$  fold)  einer  Statur  in  Äürje  erflären! 

£anbmerf3burfdj  <»u  &gon).  SBarum  fe|en  Sie  ftd)  berni  md)t  nafjer 
ju  ^i)xem  gräulein  33raut?  3mntcr  bidt)te  ran!  T(mn  Sie  bodj,  mie 
wenn  Sie  Ijier  ju  -Jpaufe  wären !   3d)  roW  nidjt  ftören.    3$  oerfd^voinbe. 

( blc  Xliürc  btr  gattc  juriief.) 

Sflartfja  <»u  ^oo«.  ber  r«4  nöo«  ne&en  i«  8cf<«t  hat,  reift).  £a$  ift  roiber  bie 
2lbrebe,  mein  &err. 

egondnfe).  Xulben  Sie  mid)  bod)  in  3l)rer  Stäfje!  können  Sie 
mir  ein  Sort  im  Vertrauen! 

3)Jartl)a  ^«icötnb).  3$  nuif?  ja  mol)l! 

(5gOU.     ÜJiÜffen?    9?ein!  WH  auffteöew.   ?a  «Meint) 

^anbroerfsburfd)  o»teber  »ber  ber  2f,ürv  erlauben  Sie  gütigft!  &ter 
brinueu  auf  bem  Xifdj  ftefjt  fo  roaS,  ba$  fief)t  au$  .  .  .  ba«  buftet  fo, 
wie  .  .  .  mie  ein  3ägcrfrüf)ftüd.    3a)  Ijabe  fett  fieben  Stunben  feinen 


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(Es  tjat  fo  follcn  fein.   


153 


Siffen  gegeffen,  Bin  feit  fünf  Stunben  $u  guß,  feit  jroei  Stunben  im 
Siegen.  SStain  Sie  bie  ©aftfreunbfdjjaft  fo  roeit  treiben  wollten,  mir 
nur  einen  Keinen  Rappen,  fo'n  öemmchen  mit  toaS  brauf  .  .  . 

(Sgon.  Pehmen  Sie  roaS  Sie  wollen,  effen  Sie,  fouiel  ^nen  be-- 
liebt,  ober  (äffen  Sie  uns  in  grieben! 

äanbroerfsburfd).    3flit  bem  benfbar  größten  Vergnügen! 

feȊbct>, 

(Sgon  (nir  M).  ^öffentlich  giebt  er  nun  9hü)e!  esetfe  m  m<mfia)  (Soufine! 
Hartha.    «Wein  £err! 

6gon  (teif«).  9K$t  fo  föroff!  tlnb  war  es  nur  beS  Heben  Scheines 
wiffen,  gönnen  Sie  mir  freunblidje  9iebe!  2Öo(Ien  Sie  oor  bem  9Renf$en 
ba  mich  fchlecfjt  ber)anbeln?  2öaS  foff  er  benfen?  Unb,  wenn  mir  uns 
janfen,  roirb  er  für  einen  oon  uns  Seiben  Partei  ergreifen.  28ünfcr)en 
Sie  ftet)  folcfjen  Parteigänger? 
arrha,    ©etoiß  nidt)t! 

(Sgon.  9hm  alfo!  £enfen  Sie  für  biefen  furzen  -flegenabenb,  es 
wäre  nichts  gefd^e^en,  roaS  uns  entjroeite  .  .  . 

9Jiartha.   £aS  benft  jtä)  auch  fo  leidfjt  .  .  .  fo  auf  (Eommanbo! 

@gon.  Unb  ift  benn  mir  flieh  etwas  gefdjeljen,  was  uns  entjroeien 
mu§!  23m  ich  für  ben  9lechtSfinn  meines  DnfelS,  finb  Sie  für  bie  Spiel* 
routr)  ^fjreö  SBaterS  oerantroortlich?  2ßenn  es  ber  SBefife  ift,  ber  uns 
entjroeit:  ich  roerf  ihn  oon  mir.  ^ä)  bin  reicr)  genug,  bie  paar  borgen 
2£alb  unb  5«lb  ju  entbehren,  unb  bin  glücflicr),  wenn  Sie  fic  toieber  jurücf= 
nehmen  motten,  als  3hr  rechtmäßiges  Grbe  .  .  . 

Hartha.  Niemals! 

©gon.  SBarum  nicht?  3$  ha&e  ^ine  3rcuoc  mehr  an  biefem 
(rigentfmm,  wenn  3hf  #aß  barauf  roäcrjft.  2ttir  ift  eS  als  öefife  nur 
roertbooll,  wenn  eS  micr)  ju  Sfoxem  lieben  Machbar  madjt;  mir  ift  es  ein 
föräuel,  wenn  eS  mich  nur  oon  $r)neu  trennt  .  .  . 

«Wartha.  SWeine  Butter  roürbe  nia)t  in  fold)  ein  Verbieten  willigen. 
Unb  roenn  auch  fte  .  .  .  tcr)  niemals! 

(Sgon.    3tber  oielleid^t  in  ein  anbereS,  baS  mir  noch  lieber  wäre. 

3Jtartlja  (ttmMwn»).  Sie  meinen  boefj  nicht  etwa  gar?  .  .  . 

6g on.  3aroof)l,  baS  mein'  ich  .  .  .  Unb  eS  liegt  in  unferer 
Situation  fo  nahe,  baß  felbft  <ncd>  ber  $utu  beut«*)  folrfj  ein  SHauhbein  biefe 
£öfung  erraten  muß. 

«Wartha.    Sie  mißbrauchen  meine  traurige  Sage! 

£gon.  «Rieht  bodj!  ^ct)  r»erfter)e  fte  nur,  rerftelje  ben  tieferen  Sinn 
biefer  Sd^icfung. 

«Wartha.  Scljictung?! 

ßgon.  3a.  «DJvr  ift  nicht  anbers  ju  SRutlj,  als  hätte  ber  herbe 
Stile  unferer  oerflärten  Sitten  uns  heut  unb  fo  jufammengeführt.  IHHeS, 
roaS  roir  feit  einer  Stunbe  erlebt  habe«,  muthet  es  nid)t  aud)  Sie  an 

Jlotb  unb  6ub.  L ,  149.  11 


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  frans  Jjopfen  in  öerlitt.   

tüte  Sdnchmg  üon  oben?  3^ei  junge  2)Jenfdjen,  bie  arglod,  o^ne  an 
einanber  ju  benfen,  am  borgen  ftd)  ergeben  unb  2lbenb$  an  einem 
menfdjenöben  Crt  mitten  im  Sßalbe  gefangen  ftfeen,  olme  ftd)  trennen  jtt 
bürfen,  unb  fo  ju  Sdntfc  unb  £rufe  aufeinanber  angerotefen,  roie  mir.  $a, 
mein  Fräulein,  id)  glau6e  fefi,  ba&  bie  betben  alten  greunbe  broben  in 
2öalf)all  ftd)  gefunben,  oerglidjen  unb  attlgeföfmt  ^aben  unb  bafe  fic  broben 
bei  etttanber  fifcenb,  wie  wir  l)ier  unten,  nur  ctroaS  näljer,  (ni*  nahen 
befd)loffen  rjaben  roie  folgt:  ?luf  ftreitigem  ©runb  unb  33oben  fuhren  mir 
bie  uttroiffenben  Äinber  jufammen,  binben  bem  Gilten  ben  gu&  unb  bem 
3iubern  ben  2lrm  unb  löfen  fic  nid)t  el)er,  benn  ba§  audj  fte  bem  &af$  unb 
£aber  ein  fröfjlid)  ©nbe  bereiten  unb  ftc§  bie  £äube  reiben  jum  eroigen 
33unbe,  ben  ®egenftanb  be$  Räbers  in  gemeinfamen  iöefifc  nefmtenb,  bamit 
unferer  Sünbe  golge  oom  ©rbboben  oerfdjroinben  unb  mir  $eibe  roieber 
rurjig  barunter  fdjlafen  fönnen.  —  3)tartf)a  .  .  .  graulein  2ttartf)a,  fpridjt  in 
3l;rem  ^erjen  feine  folaje  Stimme?  (aRnrtua  mt  innen«*  (önwenb,  Nrom  »u»oben>. 

^anbroerf  Sburfd)  un»  b<r  $mtte,  aber  ber  H)»ir  erf^emenb).  Gntjdmlbigen 
Sie,  ift  baä  Gaoiar? 

GgOU  (entntftei  über  bie  Störung    $a!    .   .  .     Ultb   (Sauiar    ffiVS  ^olf 

roie  mir  fdjeint! 

^anbmerf^burfä)  Cnicrt  »eranüflt  unb  laut,  mit  3etcfteit  be»  Jagens  über  bie  .v>ail>.- 
t&iire  ßeleljnr,  rubjg  weiter). 

Ggon  (fer  aufflefpnmoen  ift,  mr  m    ©egen  ben  muß  idj  einmal  meine 

Serebfatnfeit  ilt'3  ©efed)t  führen.    (@eflcn  ben  <?aubU>eTi*burfd>en  mit  erhobener  Summe.) 

2)ienfd),  mir  Ijaben  ^Imen  Dbbad)  geroäfyrt  cor  bem  Unwetter,  wir  Ijaben 
Sutten  ein  ebettfo  unerwartete^  roie  unoerbtenteä  Slbenbbrot  in  ©eftalt  oon 
laltcm  Gntenbraten,  Gamarfdmitten  unb  Gognac  aufgetifdjt  .  .  .  wir  er^ 
roarten  bafür  nid)t3  weiter,  aU  bafj  e3  Slmen  gut  fdjmetft  unb  Sie  und 
in  unferer  Unterhaltung  nidjt  ftören.  Sie  aber  ftören  uns  immer  roieber! 
Slöoücn  Sie  bei  ben  fogenannten  gebilbeten  Stdnbcn  ba3  a$orur%ü  wad)= 
rufen,  bafi  e3  bem  beutfdjen  Arbeiter  an  3artgefül;l,  an  Sä}icfltcf>fcit3= 
gefüljl,  an  cblen  9tüdfid)ten  gegen  Slnbere  gebräche  .  .  . 

&anbwerfsburfdi.   £crr  jemine,  bie  Stimme!  3«  freilid)!  baö 

ift  .  .  .  tSBerfdrtDinbet,  um  ßWidj  borauf  beroii»mfommen). 

Ggon  (bewnien  ludttrperorirtnb).  2Bte  foll  ber  aufrichtige  §reunb  ber 
arbeiteuben  Waffen  foldj  fopflofem  ©ebatjren  gegenüber  .  .  . 

.^anbroerföburfd^  (H*  q»  (5(ion  bräHflenb).  §a,  ja,  Sie  ftnb'3!  .  .  . 
Xie  Stimme  in  biefem  £on  fettn'  id)  am  jüngften  Sag  nod)  aus  Iiunberten 
herauf!  £a§  \<b  Sie  nur  nid)t  gleidj  erfannteV!  £aran  ift  ba^  uer= 
bammte  Unroetter  Sdjulb.    9ld)  ©ott,  a.a^  Öott! 

Cr g ott.   2i>a3  l;at  er  benn? 

.c^attbroerf dburfd;.   $a,  fennen  Sie  mid)  benn  uidjt  roieber? 
(5*gon.   Xurdjau^  nid)t!  Sie  irren  fid)  in  ber  $crfon! 
^anbroerf*burf$.   ^d)  mia^  irren? 


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  (Es  Ijat  fo  follen  fein.    \55 

9JJartf)a.   2Ba^  fott  bal? 

£anbwerf3burfdj.  2£aren  Sie  ntajt  einmal  in  3«>idau  beim 
fönigliajen  Strafgerid)t  ? 

(Sgon.  2lllerbing3!  3$  oerbientc  mir  bort  meine  Sporen  $um 
SftKffor.   3d)  oertyeibigte  bort  einige  Spifobuben  .  .  . 

£anbroerf3burfd).  9?un  fefjen  Sie,  einer  oon  ben  Spifcbuben 
war  idj! 

2)  cartl)a  (fprinat  geantftst  auf).    Um  ©otteSroitten! 
§anbroerf3burfä)  uu  sjiartk)   2ldj,  benfen  Sie  nidjt*  23öfe3!  9hir 

fo  sroei  3äfjrlein  3udjti)au£.  ©in  bteajen  tförpcruerlefcung  ofnte  <5§roerfuft. 
(r$  war,  weife  @ott,  nid^t  bös  gemeint  geroefen  .  .  . 

SJiart^tt.  ©in  3^t()än5ler!  91$ !  (f*«ii  au-"  unb  »IC  bawnlaufen,  tommt  aber 
uiät  uxu  unb  fc«t  fuft  »ietxt). 

Ggon.    Surften  Sie  nidjtä! 

$anbroerf3burfd).  9Jein,  gräulein,  fürd;ten  Sie  nidtfv>!  ÜJiein 
Seben  für  ben  SJiann! 

3)  fart()a.   Sie  fennen  ben  §erm? 

^anbroerfsburfd).  £errn  2lffeftor  oon  Gidjftäbt?  (Sgon  oon  eiaV 
itäbt  ?       ben  nieftt  feinten  ¥  CJ! 

vJ)iartf)a  <J«r  f^>.  Sirflidj?  Seltfame  Begegnung! 

&anbroerf3burfd}.   SBenn  Sie  ben  SJlann  rennten  wie  id;  .  .  . 

(Sgon  «untertredKnb).  Seien  Sie  nur  rutjig!  2£a3  ift  benn  audj  an 
unferer  öef anntfdjaf t  ? 

HJfartfja  «r.r  ,id,..  £ie  ^Befanntfdjaft  mit  einem  Spifebuben!  (3»*  w 

^anbioerfäburfd).  Senn  Sie  ifm  gefeljen  fjätteu,  nrie  er  fo  baftanb 
im  langen  Xalar  roie  ein  fcrjroarjcr  Sdmfcengel!  Senn  Sie  itm  gehört 
Ratten,  roie  er  fpradj  .  .  .  mit  b er  Stimme  fpradj:  Steine  Herren !  fpradj 
er,  unb  .  .  .  9?a,  id)  armeä  2uberd;en  fanu'ä  ilnn  nid)t  nadnnadjen,  id) 
roeifj  aud)  bie  Sorte  nidjt  mefjr  .  .  .  5lber  id)ön  war'*  .  .  .  2Jtir  liefen 
bie  bideu  tränen  über  beibe  ^aden,  fo  gerüljrt  mar  id)  .  .  .  3$!  .  .  . 
2lber  bie  Herren  Jttdjter,  bie  ^artgefottenen  9J?enfd)en,  bie  waren  nidjt  ge* 
riü)rt.  £ie  Ratten  Sad)3  in  ben  Cr)rcn,  oon  bem  2£aäj3,  woraus  bie 
9iafe  ber  ®ered)tigfeit  gemalt  fein  foll  .  .  unb  fie  oerfuurrten  mtdj  nn- 
barmber^ig,  roie'S  ber  2lnbere,  ber  &efcl)unb  ber  ©credjtigfeit,  ben  Staate 
anroalt  mein'  id),  oorgefläfft  fjatte.  itollgeftridjene  jwei  3<xl)xe  mufjt'  id) 
auäljalten!         lange  3afjre!   Sa^  für  3alne  jioei!   emm  v*>  bie  «u,Wi,. 

Ggon  «unatbuieifl).   g^a,  alfo! 

3Kartr)a.  Unb  für  jroei  3afjre  3ua)tl)au§,  bie  Sie  nid)t  einmal 
oerbient  ju  t)aben  glauben,  finb  Sie  tyxem  ungefd)idten  SBertfjeibiger  fo 
banfbar  ? 

$anbwerf$burfd).  3a!  baS  bin  idj!  ...  2)enn  ma^renb  id) 
mir  in  ben  sroei  3a§ren  bie  kippen  abnagte  oor  ©ram  unb  Sorge,  baß 


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\56 


^ans  topfen  in  Berlin. 


meine  alte  SRutter,  befdjimpft  unb  oerlaffen,  &ungerS  fterbcn  würbe,  gab 
ifir  bet  2J?ann  ba,  ber  ungefd)idte  2?ertheibiger,  ehrlich  ju  oerbienen  .  .  . 
Unb  als  idj  wieber  an'S  Siebt  ber  greirjett  (jeraugfam  unb  nicht  au«, 
nid)t  ein  wuftte,  wie  ben  geregten  9JHtmenfd)en  unter  bie  SJugen  treten  unb 
reo  einen  Lebensunterhalt  erarbeiten,  unt  nid)t  roteber  ber  grauen  $ade 
ju  verfallen  aus  Verzweiflung :  ba  hatte  ber  ungefdjidtc  9Wann  bafür  ge* 
forgt  burdh  ein  gute«  Söort  ^ier  unb  bort,  ba§  id>  toieber  toie  ein  ehr* 
lieber  C^riftenmenfa)  mein  33rot  enoerben  unb  mia)  attmählidj  toieber  unter 
bie  3lnberen  einreden  burfte,  meiner  felbft  fidler. 

Hartha  (ju  <Hon\  Das  haben  Sie  getfjan?  gür  einen  fremben 
9Kenfdjen? 

©gon.  2Hetn  ©ott,  was  ift  babei!  Gr  mar  mir  ja  ni<f>t  mehr  fremb, 
unb  ich  füllte  midj  gewiffermafeen  oerpflid^tet.  $ei  einem  gewanbteren 
Vertf>eibiger  mär'  er  unfehlbar  freigefproeben  worben.  3$  (jatf  ihm  bureb 
mein  Ungefd)id  äwei  ^aljre  3udjthau£  auf  ben  £als  gerebet  —  was 
&>unber,  bafe  icb  ihm  bann  ein  toenig  behilflich  mar,  nicht  ganj  ju  oer= 
tommen!  $ft  ntebt  beS  Aufhebens  wertb! 

Hartha  (mwmm*)  ,§err  oon  ©icbftäbt,  Sie  ftnb  ein  braoer  3Hann! 
£gon.  Hartha! 

ftanbwerfsburfcb  <ju  3Worti»o).  hänfen  Sie  ©Ott,  bafe  Sie  an  ben 
9flann  gefommen  ftnb! 

Hartha.   2SaS  fällt  3ftten  ein?! 

$aubn>erf  Sburf  dt)  (om  m  im  machen  »u  tonen).  3$  weift  ja  freiließ 
nid)t,  wie  lieb  Sie  ihn  ba6en,  gräulein!  9lber  id)  fag'  3hnen/  ®ic  fönnen 
ihn  gar  nicht  lieb  genug  h<*&en.  ©r  wirb  Sie  glüeflich  machen!  Gr  ift 
ber  befte  9Wann  unter  ber  Sonne!  9lber  wenn  audj  Sie  ihn  einmal  reebt 
glüeflich  ntachen  werben,  .  .  .  wenn  Sie  einmal  feine  liebe  Hausfrau  unb 
bie  SJJutter  feiner  frönen  Äinber  fein  werben  .  .  . 

Hartha  <fWI  abiuenbenb\  Olj! 

.§anbwerfsburfcb  <fortfat>renb).  Xann  foü  er  baran  benfen,  ba§  ein 
armes,  altes  Mütterchen,  Das  er  oor  bem  ärgften  (ilenb  bewahrt  unb  ba$ 
ihm  bie  Rettung  ihres  Sohnes  gebanft,  fleißig  für  ihn  gebetet  höt,  auf 
bafe  es  ihm  wohlcrgefje  auf  (Srben! 

SKartha      abrombenb,  reife  für  fidj).  3$  fann  nidjt  .  .  .  $cb  barf  niebt! 

(5g on  (b*r «» bemerft  bot,  ^um  vanbiperfsburfciKn).  Sie  irren  fich,  lieber  SRann. 
$aS  Fräulein  .  .  .  ift  gar  nicr>t  meine  Vraut  .  .  . 

.§anbwerfsburfcb.    5iid)t  $\)xe  SBraut?  .  .  .  9?a,  waS  benn? 

(ig  011.  9?ur  ber  3uTaI*  •  •  •  baS  Unwetter  h«t  uns  fax  5ufannnen 
aufgehalten. 

.ftanbrnerfsburfd).   3S>ie  f cr)abe ! 

Ggon.  Sic  bringen  bie  Tarne  unb  mid)  felbft  in  Verlegenheit  mit 
folgen  Lebensarten. 


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—    €s  Ijat  fo  follen  fein.   


157 


^anbroerföbtirfd)    (batb  bte  <5tne,  bafo  btn  «nbereii  enrtdufdJt  anblWtiib). 

baure  unenblidj! 

6g  on.    2lber  Sie  fönnten  un$  Seiben  einen  grofjen  ©efallen  timn. 

ßanbroerfaburfd).  3$  .  .  .  ^rmen?  3eben,  reellen  Sie  be* 
fehlen,  &err  Slffeffor. 

(Sg on.  311$  Sie  bed  Sege*  rjerfamen,  bemerken  Sie  ba  nidjt  nafje 
an  ber  Sanbftra&e  ein  Sdjlöfjapen  mit  oier  Xf)ürmen,  in  einem  grojjen 
©orten  gelegen? 

£anbroerf äburfdj.  Qaroofu'!  ©in  breitet  Stjor  aus  SJjmiebeeifen 
unb  red)t3  unb  linfs  auf  einem  Sanbfieinpfeiler  einen  ßöroen,  ber  roie  ein 
9*ubelf)unb  aufwartete  unb  bie  ^Pfötdjen  gab,  etwa  fo! 

SJiartlja.   ©ans  red)t,  ba£  ift  ba3  ©artentljor  tum  Studberg. 

<5gon.   Würben  Sie  ben  2Beg  jurueffutben? 

£anbroerf$burfa).  3$  glaube  roof)l,  toenn'S  ntdf)t  au>  rafd; 
finfter  wirb. 

©gon.  25er  Stegen  tjat  nadjgelaffen,  unb  Sie  rjaben  fid)  geftärft. 
(Silen  Sie  borten  unb  berieten,  ba3  gräuletn  oon  Stro&berg  rjabe  fid), 
im  Salbe  über  eine  SBaumrourjet  faHenb,  Sdjaben  getrjan  unb  fifee  tjier, 
unfähig,  mit  bem  3ufj  aufzutreten,  cor  ber  Sorfenfjutte.  3Han  folle  un^ 
Derjüglia)  anfpannen  unb  fie  mit  einem  bequemen  Sagen  abholen,  hoffen 
Sie  ba*  beftetten? 

^anbroerfaburfd).  Sa*  Sie  befehlen,  £err  äffeffor,  fa)nurfrradte. 
9htr  .  .  .  .  n>a$  ba3  Setter  anbelangt,  ba  guden  Sie  fid;  einmal  bie 
Solfe  an,  bie  bort  rjeraufaieljt,  ein  föroarjer  JHiefenfadt  ooll  &agel,  23lt$ 
unb  Schlag.  9lber  gleidjoiel,  toinbelroeid)  ober  firolnroden,  für  Sie,  £err 
Sifeffor,  burd^  Saffer  unb  Seuer!  («<>  in  Me  $«tte). 

SJfartfja.   Jtöftlidjer  Gtnfall!  Senn  er  nur  ben  Seg  nidjt  oerferjlt! 

©gon.   Senn  nur  ba£  Setter  nidjt  ju  frur)  losbricht! 

^anbroerf^burfd)  (erfdKint  »Uber  mit  $ut  unb  Stanjert  unb  Sdjirm). 

(5g  on.   Gilen  Sie! 

3ttartr;a.   $a,  bitte,  eilen  Sie. 

$anbroerf$burfd).  Saä  ofme  Flügel  an  ben  Jü&en  gemalt 
werben  !ann,  fott  gef^etjn.  2lber  e$  ift  weit!  Soffen  Sie  fid)  unterbeffen 
bie3eit  nid)t  lang  werben,  unb  ©Ott  befohlen,  meine  $errfd>aften!  im™* 

red**.  (Jgon  ftebt  i&m,  fytlb  in  ber  Qoulifft,  natb.) 

12.  tocent. 

2)lattt)a  allein,  (Sgon  in  ber  (Soultne. 
aWar  trja  (*or*enb).  Sein  Sdjrttt  t>erl)aflt . . .  Sann  fommt  er  wieber  ? ! 
Salb  .  .  .  SaS  jammert  ba$  tf)örid)te  £er$  fo  fjeftig?  2lu£  Ungebulb?  . . . 
(hatten  .tKrnemfnb  ben  sh>po.  9fciii!  Seil  $u  wieber  mit  $enem  ganj  allem 
bift!  C&! 

egon  an  bie  coaiifie  mfenb):  $rauo !  9Iur  fo  frifd)  weiter !  . .  ^opp,l)opp! 


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\58    fjans  £jopfen  in  Berlin.   

}Jiattf)Cl  (»«<  ÖalWout«*  Jenten  fdtfidit  bor  ftdi  tyntufpredjen): 

2Rein  gaujeS  (Sein  füb,lt  fidj  ju  ifjm  getrieben. 
Sdjön  ift  fein  2(ngefid)t,  fein  $era  üott  9Jiutf), 
Unb  ebel  ift  er,  fnlfreid),  treu  nnb  gut, 
Unb  bod)  .  .  .  icf)  borf  mid)  nidjt  in  tr)tt  öcrlicbenl 

3d)  foll  ifm  Raffen,  ift  mir  toorgcfdfriebeu, 
©efdjrteben  mit  beS  eignen  SßaterS  Sötut, 
3>a8  er  bergofe  in  ungefüllter  2Butb, 
2a  nidjtS  ibjn  als  fein  §af$  unb  id)  geblieben. 

2tfot)l  bünft  mid)  f>eut,  er  läcfielt  in  »erflärung, 

3)ern>cil  mid)  bange  3roetfcl  f)ier  befdjlcidjen 

Unb  Neigung  fämpft  mit  <JSflid)t  imb  mit  2kreh,rung. 

£arf  Üiebe  jenen  alten  §a&  begleidjeu? 
$anu  gönne,  2?ater,  deinem  ffinb  Söeleljrung! 
3d)  fiel)'  £id)  au:  gieb  mir  ein  ficfjtbar  3eid)cn! 

13.  Zcewc. 

i'Jartlja.   6g on  (Don  red)U  jurütffcfjrenb). 

ßgon     (bie  tfaiib  ouaitrfcfcnb  unb  nadi  obm  fdunb).        ©.g    fängt,    1t»etft  ©Ott, 

nneber  uon  Beuern  an  ju  rennen  unb  ju  Maien,  $uf),  bie  fdjtoarse 
Söolfe!  <3«  ^rtijo  iKicnb,  fie  tinbtiiicnb)  ©etroft,  mein  gräulein,  noa)  btefen  legten 
ärgften  ®uft  aufgehalten,  nod)  bie  lefcte  SBiertelftunbe  in  ®ebulb  oerbrad)t, 
unb  bie  ©rföiung  ift  ba.  3m  bequemen  &>agen  forgfam  gebettet,  rollen 
Sie  bann  fad)te  bem  $eimatf)aufe  ju  unb  täfeln  morgen  frülj  über  baS 
fleine  Abenteuer  im  &>albe,  ba3  Sföritn  ein  23i«?d)en  bange  gemalt  ^at. 
'SWart&a.   ©in  Jöisdjen?  3a)  banfe! 

(5  g  on.  £arf  id;  mta)  morgen  —  ober  übermorgen  naa)  öftrem 
iöefinben  erfunbigen? 

3ftartr)a.  2t)uu  Sie' 3  lieber  nid)t! 
CSgon.   3()rcr  5rou  SKutter  roegen? 

9Wart^a  (idiittclt  imi  .fcaupt  Dcnuintnbv 

(Sgou.   Sterben  mir  uuö  nia)t  nneberjeljen  ? 
aRarttja.  Sieht! 

Ggon.  3lf)!  '«lein«  ipoufo.  Raffen  Sie  mid)  noa)  immer  ...  wie  — 
bie  SünbeV 

sJJiartI;a.  9Jein,  id)  f)ane  Sie  nid)t  mefjr.  Sarum  fott  id)  lügen ? 
3d)  ^abe  —  rotber  Hillen,  ja  bod)!  —  idj  t><*be  Sie  als  einen  braoen, 
uornefmt  benfenben,  liebenSroürbtgen  9Hen|d)en  erfannt.  Unb  —  roiber 
Hillen,  ja  boa) !  —  e£  tf)ut  immer  vooty,  einen  guten  9)ienfd)en  mefjr  auf 
biefer  &>elt  ju  nriffen,  bie  oon  fä)lea)ten  wimmelt. 

Ggoiu  £ie  9Jienfcr)cn  fiub  gar  nid)t  fo  fa)lea)t,  mie  e£  3fmen  ein 
bequemer  ^effum£mu3  einrebet.   ©lauben  Sie'3  mir,  ber  id)  Safu-elana, 


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<£s  tjat  fo  follen  fein. 


*59 


Spifcbuben  oertfyeibigt  fjabe .  .  .  unb  mit  roeldfjem  Erfolg!  ?lber  gefegt  bcn 
ftaü,  bic  ©uten  roären  roirflidj  fo  rar,  roär'3  mdjt  ein  ©runb  mef)r,  ba& 
ftd)  bie  ©uten  enger  an  einanber  fdfjloffen? 

SWartfja.   3d)  bin  nidfjt  gut. 

Egon.   D  ja! 

Sftartfja.   3Öiffen  Sie  ba3  fo  benimmt? 

Egon.  33)  ^iauhe  e$  ju  roiffen.  Unb  felbft  wenn  Sie  nid&t  fo  gan$ 
gut  wären,  wie  Sie  finb,  (»ärmer)  bas  roei&  i<$  beftimmt,  bafc  i$  Sie  in 
meinem  Seben  nidfjt  mefcr  entbehren  fann. 

3ttartf)a.  SBeld&e  SpradEje!  SSoCen  Sie  mit  ben  testen  2lugenbliden 
unteres  3ufarouttifeina  mir  bie  gonje  Erinnerung  baran  verleiben? 

Egon.  3m  ©egentljeif,  iü)  roitt  Sie  redfjt  oft  unb  red)t  freunblid) 
an  biefe  rounberfom  fdjaurige  Stunbe  erinnern,  in  ber  idfj  Sie  roie  eine 
$lume  im  roilben  3Salbe  fanb,  fo  Ijolb  erblüht  unb  fd&ön  wie  ba§  ©lud 
meinet  Sebent! 

2Hartf>a.  Still! 

Egon.  Seien  Sie  roaf)rf)aft!  Eine  9totur  roie  bie  Sfcrige  fann  nidjt  lügen. 
ES  ifi  unmöglich,  bafe  ein  fo  fjeftiges  @efüt)l,  roie  ed  jefct  bo  brinnen  in 
meiner  Sruft  tobt,  einfeitig  auf  bie  SSelt  fäme  unb  nid)t  ben  anbern  mit 
ergriffe  in  groeigejüngter  glamme!  3fjren  alten  &afc  in  Efjren,  id;  bin 
3^nen  fo  roenig  gleid&giltig  roie  Sie  mir! 

3ttartf)a  <^xmt  am,  »in».  3ßer  jagt  ^nen  ba$? 

Egon.  Um  ©otte£  mitten,  bleiben  Sie  fifcen!  Sie  roerben  fidjj 
melj  tfnm! 

2Rartfja.  3$  roitt  mir  roel;  tlmn.  3$  will  mir  förperlidje  Sdjmerjen 
ocrurfad^en,  um  ben  Sdjmerj  ba  brinnen  ju  übertäuben.  3fl/  ®te 
fef)enber  £f)or,  ja,  Sie  (jaben  9?ecfjt!  Sie  finb  mir  nid)t  mef)r  oerfjafct. 
Sie  finb  mir  niajt  gleidjgtltig.  9lber  Sdfjanbe  auf  mtdjj,  wenn  biefe  3ln= 
manblung  über  meine  fjeiligften  Erinnerungen,  über  meine  SUnbe^liebe,  über 
meine  &inbeäpfltd)t  &err  roürbe!  3$  nmfj  biefen  2Iugenblid£  oergeffen, 
unb  id)  rotll  unb  roerbe  eä!  SBerlaffen  Sie  fid)  barauf! 

Egon.  Unb  id}  fage  nein!  Sie  roerben  nid)t  uergeffeu!  .  .  Cber 
uielleidjt  einmal  in  fpäten  3a(jren,  roenn  uns  füfee  Erinnerungen  nidjt» 
metjr  angaben  fönnen.  tUber  fo  lang  $t)t  &er$  noü)  fdfolägt  in  3ugenb= 
luft  unb  $afeinsfreube,  fo  laug  bie  ^Blumen  unb  ber  Söalb,  ber  fprubelnbe 
Cuell  unb  ber  roolfenjagenbe  Gimmel  $foxe  23ruft  nod)  iaudjsen  unb 
weinen  laffen,  fo  lange  roerben  Sie  meiner  gebenfeu  unb  biefer  Stunbe  mit 
umdfjfenbem  Seelenfdjnnerj  geben!en,  roenn  fie  bie  tefete  bleibt  jroifd&en 
3*men  unb  mir. 

5J?artf)a.   3$  benfe  '"ir  mein  Seben  lange  fdjjon  als  fein  t)eitere^  .  . 

WÜ&  tf)Ut  3  !  (23i«bcrl)0ltti,  toenn  nocf)  (eifere*  23(i?cn  unb  Xonnern  begleitet,  otjttc  bo«  epredutt 
iu  ndren  bie  ßonje  Scene.) 

Egon.   2^örid;tel  5tinb,  ba$  mit  bem  geuer  fpielt  unb  ben  Teufel 


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\60 


$ans  ijopfen  in  Berlin. 


cm  bie  SBonb  malt!  .  .  .  2öa$  ift  bas  tnenf$K$e  Seben  bcnn? 
Gine  SRacht  im  nrilben  2Balb  wie  biefc!  Der  SRegen  raufdjt,  bic  SMifce 
fprühen,  unb  bcr  2Binb  rüttelt  an  allen  $foften  2)eineS  Räuschen«.  23eh 
$ir,  wenn  £u  nicht  eine  ©teile  haft,  too  $u  cor  ben  ärgften  Unbilben 
$icf)  flüchten  magft  unb  einen  treuen  ©enoffen,  ber  SHdj,  bie  Schaubernbe. 
an  fein  fixeres  ^erj  steht,  um  mit  $ir  bie  lange  gefahrumfluthete  Sebent 
nacht  $u  burdjroachen.  £a$  Seben  ift  arm  genug  an  fich  .  .  man  brauet' 3 
nicht  noch  mit  SüiHen  ärmer  &u  machen!  Unb  wenn  ba3  ©lue!  ftch  jetgt, 
fafc  es  bei  ber  &anb  unb  halt  e3  feft  ober  $u  freoelft!  .  .  .  Wartha! 

(er  reitet  lf>r  feine  $änbe  &in). 

9flartf)a  (oD«e  r«  äu  um™).  3roifd)en  3t)nen  unb  mir  fteljt  ein  Statten, 
ber  meine  £änbe  feifeit. 

Ggon.    (Sin  Schatten?  Gin  «Phantom,  eine  Ginbilbung,  ein  9ttdjt*l 
9flartf)a.   Gin  furchtbarem  GtroaS!  2Hein  heüigfteä  Gmpfinben! 
Ggon.   Unheüig  ift  ber  &ajj,  unchriftlid)  unb  oenoerfltch ! 
Sflartha.   Äinbe8pflid)t  ift  immer  gottgeboten. 
Ggon.   §at       33ater  ^nen  geboten,  mich  3U  Raffen? 
Hartha.  3a! 

Ggon.   Gr  ^at  mich  nie  im  £eben  gefefjen. 
9Jtartf)a.   Gr  nahm  feinett  au«  oon  ber  gan$en  Sippe! 
Ggon.   2)a$  mar  nur  in  einem  Jteberroafm  möglich- 
Hartha.   Schmähen  Sie  bie  lobten  nicht! 
Ggon.   £obte  ober  Sebenbtge,  ich  trofee  3lflem,  iua$  mich  *>°n  3htten 
trennt. 

Hartha.   Sluch  meinem  eigenen  Gmpfinben,  S^orV 
Ggon.   9Iud)  öftrem  eigenen  Gmpfinben,  Xhörin!  . .  . ( swbeibe«  &&nbe« 
foffettb)  Raffen  Sie  mich        wenn  Sie  tonnen! 

SJiartha  (f«4  «bm  miib,fam  unb  l>eftig  entwlnbenb).     gludj,  S^am  Unb  Schanbe 

über  mich,  wenn  ich'3  nicht  fann!   3<h  fyab'  getonnt.   3<h  ro^b' 

es  toieber  lernen!  .  .  .  Uno  lernt'  id/S  nicht,  fo  raouY  ich,  fo  wahr  mir 
©ort  helfe,  ba3  SSetter,  ba£  bort  oben  näher  unb  immer  näher  jüngelt, 
es  baüte  feinen  fchroerften  23Itfe  jitfammcn  unb  fchlüg'  ihn  geraberoegS  auf 
mia)  nieber,  bafj  ein  Gnbe  märe,  beoor  ein  närrifcheS  ^erj  an  ft<h  felber 
3um  SSerräther  wirb! 

Ggon.   Sic  freoeln! 

9Jtartf)a.   Sei'S  brum!   3lmen!  .  .  . 

(Um  Artigem  ifconnerMlaa  jutft  ein  »Ii*  über  bie  Süijne  unb  jcripltttert  linfi  ber  £ü:te  einen  »cum, 

ber  aHniäl)Ü4>  ju  glimmen  beginnt). 

3)iartha  (fareit  auf)  3e|*US!  falrjt  W  in  ffgon«  Hrme,  ba»  «naefi$t  an  femer 

»ruft  turbergenb.  SUoufe). 

Ggon  U'td)  a(Imä$ficn,  nad>beu»ber  Xonnerfttjlaa »erbaut  ift,  faffenb,  3)iartbabo»$aar  fire icbelnl>> 

£a  ftefjft  $u  nun,  geliebtes  HRcnfcf>enfinb, 
mt  tl)örid)t  oft  bcr  9?ienfrfjeu  SBünfdK  fmb, 


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€s  tjat  fo  follcu  fein. 


Unb  nie  bic  ®ottl)eit,  bie  man  ftift  oerblenbet 

Um  Untfjat  angefleht  unb  Untergang, 

35  ir  halmoiUfaljrenb  e&  jum  Söeften  wenoet! 

3>u  riefft  bcn  2Jli$,  er  tarn,  er  fdjlug  unb  fdjlang 

$en  9tod)bar  »aum,  ber  nun  in  Rammen  cnbet; 

2)irfj  aber  toarf  er  jäljlingS  Doli  (Erbarmen 

9ln  meine  ©ruft,  unb  S>u  enoadrft  in  meinen  2trmcn! 

3)cart^a  (ambiiefenb).  O  roet^  ein  armfeligeS,  fdjroäcf)ltd)e$  ©efdjöpf 

t)t  baä  Sßeib!  ...  Dl) !  (ö*  faaubert  2Rartba  not*  einmal  über  ben  «amen  Üeib,  unb  fif 
birst  obtrmal*  baS  Seilet  an  Gflon»  »ruft). 

&QOXI  (iftr  fanft  eiaen  Äub  in'i  «aar  briiefenb).  ßattett  Sie  nid)t  b«t  ©eltgen 

um  ein  S^djen  gebeten? 

3Kartf>a  (auwwenb).  Sott  id)  für  einen  Stfrcffaläroinf  nehmen,  n>aä 
3^nen  niemals  etroaS  2lnbere3  als  ein  blinber  3ufall  fein  wirb! 

Ggon.   9iidjt  fo  ganj  gufall  .  .  .  Sammeln  Sie  fid&!  Rommen 

Sie  5U  fidj!  (Sr  geleitet  fU  balb  getragen  »u  btr  Bant,  worauf  fte  fidj  erfAüpft  nieberläfet.  ögon 

neben  ti,r).  2flir  fällt  ein  Sieb  ein,  ba$  ia)  iüngft  gelefen.  ©3  pafjt  fo  gut 
Ijier&er.    23ie  roar'3  boa)  gleidj?  (Sucbenb.) 

3*  fiel  im  Salb  unb  biinfte  mid)  öerloren  .  .  . 

SHartlja.   3$  lernt'*! 
CS^on.    (So  fag1  es! 

l^artlja.     Sdjelm!  (flacb  furjem  »efinneifl: 

3d)  fiel  im  Salb  unb  mahnte  mid)  üerloren; 
2>er  ©ötter  Statur  unb  ber  2Renfd)cn  Sie, 
35er  Silbnife  (Sdjreden  unb  be8  Rimmels  23Iit$, 
Bit  fdjienen  alle  miber  mid)  öerfdjworen. 

3>a  tarn,  ein  SRofenfrängletn  auf  ben  Clären 
Unb  in  ber  $anb  ben  $fetl,  fo  fdjarf,  fo  fpilj, 
3u  meinem  I>offuung8lofen  ^afenftö 
2>cr  flehte  (Sott  ber  Sdjmärmer  unb  ber  Sporen. 

(£<&auberr.  flotft  unb  ötrbirgt  bas  Okfkft  mit  ben  >>dnben). 
(5gOn  (fortfaftrenb,  fonft  ihre  fcänbe  berabjiefjenb). 

£u  Ijältft  bor  fefj'nben  21ugen  eine  Sinbe, 
©firaa)  er,  allein  mie  fruchtlos,  fdmiad)  unb  ficht 
3ft  Siberftanb  oou  einem  9Wenfd)cnlinbe, 

Senn  bie  9totur  befahl!  tergteb  $id)  brein! 
$f}U  ab  aü'  alten  ©roll  unb  ©ram  gefdnoinbe 
Unb  glaube  mir:  eö  f)at  io  follen  fein! 
(»leine  $anfe,  bann  hört  mon  hinter  ber  Scene  rufen  unb  Börner  Hafen). 

SJlarttja.   £or$!  ...  ©in  &ornruf  .  .  .  2Nenfd)enftimmen ! 
(Sgon  (unmiaifl  ouffteb.enb).  Unmöglta)!   £er  $anbroerteburfd)  fann  bodj 
in  ber  !urjen  3«t  ben  2Öeg  jum  Sä)lo&  niajt  (nn*  unb  jurüdgelaufen  fein. 

(iSieberbolte  Kufe  hinter  ber  Scene,  ober  fdion  näher). 


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\62    170ns  fiopfen  in  Berlin.   

3Jtartl)ö.  &ören  Sie  bod)  nur!  .  .  .  t«u«  m  bie  Qouim  £ier!  &ier! 
Stimme  mt«  ber  ecem).   Sir  fommen!  .  .  .  So?  .  .  .  §ier! 

(.^ornnife). 

9J?artf)a  (wenb).       mir!  (Sprcaenbv  3dj  er f enne  ben  alten  Glaus  an 
ber  Stimme  .  .  .  3ft  ba»  nidjt  gacfetlid)t?   £ort  brüben! 
Ggon.    ©ig  fdjeint  fo. 
9)tartt)a.  (Snblic^! 

Ggon.  ©Ott  uergeir)  mir's:  mir  fommen  bie  guten  fieute  uiel  &u  friUi! 
■Wartha.  Sie  mögen  Sie  nur  fo  reben!  Qd)  fiebere  cor  Sdmierjen. 
Ggo  n.   3$  fiebere  aud)  —  aber  nid)t  oor  Sdjmerjen! 

14.  uttb  Iel|te  Scettc. 

35ie  Hörigen.    ftaubtoerfSburfd)  unb  Glaus  treten  mit  tJacfelträgern  unb 
einer  Xragbabre,  bie  aus  3tocigen  bergcftetlt  fein  mag,  in  fettem  Raufen  auf. 

Glaus  mtx  atiKmio«).  ©ort  fei  getobt!  Xa  finb  Sie  ja,  gräuleiu! .  .  . 
Sir  Jaben  Sie  gefugt,  nrie  eine  Stednabel  im  «gaferfaef  ...  unb  oer* 
zweifelten  fä>n  Sie  ju  fmben  .  .  .  ba  begegneten  mir  pm  ©lücf  bem 
trüber  Straubinger,  ber  fitf)  im  Salb  oertaufen  ^atte. 

Ggon.  Verlaufen?  3d}  badete,  mir  Ratten  i|m  auf  bie  ridjtige 
gdrjrte  genuefen! 

$anbiuerfsburfa)e.  9?ette  gäl)rte  ba«!  $ei  biefer  ginfternife! 
SJJein  Lebtag  bätt*  idj  aus  biefer  Silbnife  nia)t  bcrauSgefunben,  wenn  ber 
Salbteufel  ba  nidjt  mit  feiner  Laterne  gefomtnen  wäre. 

^artlja    (währenb  man  ihr  auf  bie  Iraflbotjre  hilft).      ©Ott    fei    Xaitf !    .   .  . 

Seife  meine  SHutter? 

Glau*.  &ie  gnäbige  grau  bat  fidj  balb  tobt  geängftigt.  Sie  banb 
uns  auf  bie  Seele,  Sie  ju  fudjen  unb  5U  finben,  unb  wenn  mir  biuter 
jeben  23aum  im  Salbe  leuchten  fotlten.  3<b  jagte  il)r,  ba§  taj  .  .  .  bem 
&errn  ba  begegnete  .  .  . 

3)iartl)a.   9tun  unb  .  .  .? 

Glaus.  3)aS  erfdbreefte  fie  iu'S  tieffte  &er$.  Anfangs  .  .  .  Sann 
faltete  bie  gnäbige  grau  bie  £änbe,  wie  3um  ©ebet  .  .  .  unb  fagte  nad>, 
einer  Seile  .  .  . 

9ttartba.   9iun  toaS  beim? 

Ggou.   §erau$  bamit! 

Glaus.  Detter  Gid;ftäbt  ift  ein  ©jrenmann,  fo  oiet  idj  t)öre  —  fagte 
fie  —  ©eb'S  ©ott,  bafc  er  mein  Minb  finbe  [unb  belnite!  £afj  fidj  bie 
Süiiben  ber  58äter  nia)t  audj  an  ben  ftinbern  rächen !  ©otteS  Sille 
gefdjelje ! 

(5g Olt  (frcubiß<.    2lmen!  .  .  .  *3»>  Hartha,  bic  it«t  auf  txn  2d>ultem  ber  Iraker  er* 

hoben  unb  x>s>n  ben  5a<t« unfern  timhngt  wirb).  SJfartlja!  .  .  .  £arf  idj  Sie  nunmefjr 
iüieberfe()en? 


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  <£s  bat  fo  follcn  fein.    J63 

SJJartlja  (tf»n  tu  venb  b<rcb«üienb)  2.UelIeid)t ! 
Ggon.   3ldj  n>a$,  id)  gel)'  gleidj  mit.   3$  muß  Sie  bodj  Sfyrer 
£?rau  Warna  heimbringen  .  .  .  Xa3  ift  nidjt  mefjr  als  fd)idlidf}. 
Glau3.    2}orroärt3  3l)r  Seute!    91id)t  ftilfgeftanben ! 

(?Q0n    <nod>  immer  2Rartba4  $afc  haltcnb,  tȊbrenb  \xr  3"fl  M  formt).     D^Ult  gc{)t'v2> 

ruie'-j  im  Siebe  Reifet: 

34  bringe  2)id)  311m  lieben  2Jiütterleiu 
8RÜ  .^örncrflang  unb  3racfelfd)ciu  .  .  . 
Unb  tüill  um  2>id)  in  aller  Crbnung  frci'n! 

2s?a3  iagen  beim  3ie  baju? 

9fattb<)    <bi<  Stamm  jiirfcrtb,  ladKlnb). 

Saft  glaub'  id)  felbft :  es  fjat  fo  follcn  fetal 

©a,o n.   Xu  Siebe!  19*«  m  b«n  cm  uiftcab  g<gt»  boa  >4Jubiifuni)  <gabe  Xanf, 
feiiger  Cnfel  Ctto,  ba£  l)aft  Xu  fd)ön  gemadjt! 
Glaus.   SßorroärtS,  $f)r  Seute,  mit  föurralj! 
Uran  es.  £urralj! 

<2?äbrenb  fit  Wtt,  (?gon  bUftt  ntbtii  Ulartba,  mit  #urrab.  unb  ^önurflang  über  bit  2ccue  ßtöen, 

fallt  b<r  Sorbang.) 


21öoIf  Saftian. 

Von 

(Ef|otnas  2t  dj  e  1  i  s. 

—  Bremen.  — 

|üt  bie  ©ejd)id)te  ber  mobernen  ihMffenfchaft  ift  Lichta  charafte; 
viftifd^er  al£  baä  V)bd)\t  oeränberltche  Sßerhältnifj,  in  welchem 
ctroa  uom  Gnbe  be$  oorigen  ^rljunberta  ^^iloi'op^ie  unb  Natur 
nriffenföaft  ju  einanber  geftanben  h<*ben.  Smroer  ift  e3  bie  lefote  geroefen, 
welche  ihrer  älteren  Schwerer  bie  unentbehrlichen  Materialien  für  bie 
Gouftruction  einer  sufammenhängenben  Sßeltanfchauung  geliefert  hat,  bi$ 
fie  fiel),  in  feltfamer  3>erfennung  ihrer  eigentlichen  23eftimmung,  ju  einer 
OJebietäüberf  Breitling  Herleiten  liefe  unb  bie  Probleme  ber  ©rfenntnijjtheorie 
ober  gar  ber  roeltentrücften  3)ietap^pfif  in  ben  5trei3  ihrer  Unterfuchung 
50g.  tiefer  Streit  über  ©renjoerlefeungen,  biefer  jähe  6turj  ber  erhabenen 
ääeCttoeid^eit  uon  ihrer  fo  unnahbaren  ,§öbe,  biefe  Äataftrophe  be$  ebenfo 
einseitigen  unb  ucrblenbeteu  Materialismus  finb  &u  befannte  ©pochen  be£ 
logifchen  ?ßrocejfe£,  als  baß  fie  h^r  noch  weitläufig  erörtert  ju  loerben 
brauchen;  aber  es  ift  betn  gegenüber  feltfam,  baf?  eine  Sßiffenfchaft,  welche 
jo  recht  ba£  innere  ^erbinbungSglieb  junfehen  ben  beiben  alten  Gegnern 
bilbet,  bie  Gtlmologie  ober,  mit  bem  geläufigeren  tarnen  bezeichnet,  bie 
SJölferfunbe,  fo  wenig  OJegenftanb  einer  eingehenben  Söürbigung  geroorben 
ift.  greilich  ift  fie  bie  iüngfte  Tochter  ber  f inberreichen  9Jaturroiffenfchaft ; 
aber  nidjft,  wie  roir  hinzufügen  möchten,  ihre  unbegabtefte.  3hrer  über= 
rafchenb  fchuellen  (Entfaltung  roegen  fyat  fie  fich  faum  in  größeren  Greifen 
bie  erforberliche  2lnerfennung  oerfchaffen  fönnen.  {Jn  ber  Meinung  ber 
meinen  Menjcheu  figurirt  bie  genannte  2i3iffenfchaft  gewöhnlich  noch  al*  eine 
encnclopäbifchc  ^tfammenfteHung  alles  Üitonberbaren  unb  Merfmürbtgen, 


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  Jl&olf  Bafiiau. 


\6o 


wa«  auf  unterem  (ShrbbaH  erifttrt ;  fic  ift  ein  unterhaltenbe«  5)iaritätencabinet 
ohne  weiteren  entsaften  .guntergrunb,  t^öd^ftenS  eine  Unterabteilung  ber 
©eograpfne,  auf  jeben  JaDi  a6cr  jeber  cutturgefchicfjtlichen  Jorfcrjung  bei 
weitem  untergeorbnet.  $aß  mir  e«  hter  nur  mit  einem  hergebrachten 
2*orurtr)eil  51t  tlmn  haben ;  baß  bie  Gtfmologie  ober  pfncf)tfche  Anthropologie  • 
eine  SStffenfchaft  ift,  werth  be«  allgemeinften  unb  ernfteften  Sntereffe«; 
baß  erft  fie  bie  inbuctioe  fiöfung  aller  berjenigen  9?äthfel  ermöglicht, 
an  welchen  eine  füfme,  a6er  erfahrungafeinblidje  Speculation  fidj  fo  oft 
uergeblich  verfugt  hat  —  biefe  SBahrfjeit  fort  unb  fort  mit  prophetifcher 
Stimme  oerfünbet  ju  Ijaben  ift  ba«  Verbienft  be«jenigen  2flanne«,  ber 
jugleidj  in  unermüdlicher  9lrbeit  auf  feinen  au«gebefmten  Reifen  bie 
Eaufteine  jufammengetragen  bat,  au«  benen  eine  fünftige  (Generation  bie 
SSiifenfchaft  oon  3)Zenfc^en  errieten  fann,  Slbolf  23aftian«. 

$a«  Seben  eine«  beutfchen  ©ele^rten,  fo  reid)  e«  an  inneren  (5rleb= 
niffen  unb  großen  ©rfolgen  fein  mag,  pflegt  meiften«  ftill  unb  fdjlidjt  ju 
oerlaufen;  wenig  bringt  oon  feiner  emfig  fdjaffenben  2:f)ätigfeit  an  ben 
lauten  Warft  be«  öffentlichen  Sehen«.  $a«  ift  auch  ber  gatt  bei  unferem 
forfcher.  ©eboren  am  26.  Sunt  1826  in  Bremen,  fanb  er  feine  ßnttoicflung 
in  ber  ©poche  ber  mächtig  aufftrebenben  9toturwiffenfchaft,  bie  fi<h  mi« 
ben  Sanbeii  ber  allein  herrfdjenben  <Philofophie  befreite  unb  auf  eigene  pffe 
[teilte,  unb  be«halb  haftet  feinem  ganjen  Senfen  bie  charafteriftifche  mbuc* 
tioe  3)lethobe  unb  Dichtung  an.  9tod)bem  er  anfang«  ju  &eibelberg  3ura 
ftubtTt  hatte  —  ein  Umjtanb,  ber  ihm  fpäter  für  bie  ^Beurteilung  oermorrener 
ftechtSDerhältniffe  ber  9?aturoölfer  fehr  &u  Statten  fommen  folltc  — , 
uwnbte  er  fich  in  Serlin,  3ena  unb  SBürj&urg  ben  SRaturwijfenfchaften  511 
unb  pollenbete  als  Dr.  med.  feine  2(u«bilbung  in  ^JSrag.  9ta  erfaßte 
irjn  ein  umoiberftehlicher  £rteb,  ba«  2Saä)«thum  ber  menfajlichen  ©cfeH* 
ichaft  unb  ©eftttung  an  ben  einzelnen  Vertretern  auf  ben  oerfchiebenen 
kontinenten  möglichft  anfd&aulich  fennen  &u  lernen.  Somit  begann  er 
im  3af)re  1851  feine  weltumfpamtenben  Reifen,  bie  er  mit  einzelnen  Unter; 
Brechungen  über  ben  3citraum  üon  ^  fahren  au«bel)nte,  unb  jwar 
größtentheil«  auf  eigene  Äoften.  (S«  würbe  ennüben,  biefe  oerfchiebenen 
Etappen  in  topographischer  Umftdnblichfeit  genau  aufzählen  $u  wollen; 
wir  begnügen  un«  be$r)alb  au«  ber  ganzen  gülle  nur  einige  bemerfen^- 
roerthe  Stationen  fjerau«$ugreifeit,  bie  für  bie  ©efchidjte  ber  ©tlmologie 
überhaupt  bebeutfam  geworben  finb.  £aljin  gehört  ber  33efuch  in  San 
£alöabor,  ber  £auptftabt  be«  Königreich  Äongo,  eine  ^ftcife,  bie  ben  jungen 
Srjt  alfo  mitten  in  ben  bunflen  (ftbtheit  führte.  £ie  literarifche  Frücht 
biefer  fiehen  3<*hre  bauernben  Jährt  um  bie  ©rbe  war  außer  einer  fpccietten, 
ben  afrifanifchen  ©rforfdfmngen  gewibmeten  Arbeit,  ein  größere«,  bret* 
bänbige«  Sammelwerf :  ®er  9ftenfch  in  ber  ©efcfjichte,  mit  bem  bejeidmenben 
3ufafc:  3ur  93egrünbung  einer  pfpdjologifchen  Sßeltanfchauung.  Sie  zweite 
Cfrpebition  war  bem  Stubium  be«  in  Gruropa  bamal«  noch  oöllig  unge^ 


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{66 


Cfjomas  21  droits  in  Bremen. 


uügenb  befannten  33ubbf)i$mu3  gewibmet,  unb  btefer  3wecf  würbe  baburdj  be* 
fonberä  gefördert,  bafj  Vaftian  wäfjrenb  eineä  fedj$2Wonate  bauernbcn  jroangä^ 
weifen  2lufentf)a(t§  in  9J?anbalao  burd;  bubbt)iftifd)e  ^riefter  in  bie  oer* 
fdjtungenen  SJJfabe  biefeä  wettoerbreitefien  aller  religiöfen  Sr,fteme  auf 
ba3  grünblidjfte  eingeführt  würbe.  3U9^4  würben  aber  auf  biefer  fünf» 
jäfjrigen  9fleifc  ^apan  unb  Gr)tna  burd)forfcr)t  unb  bie  ©rgebniffe  in  einem 
fünfbänbigen  2Berf :  £>ie  Völfer  be3  öftlidjen  2lfien3,  oeröffentlid)t.  9tod)= 
bem  Saffian  1869  im  herein  mit  SBirdtjoiti  unb  91  #artmann  bie  3citftt)rift 
für  Gtfmologie,  9(utr)ropologie  unb  Urgefd;ia)te  gegrünbet  (im  ^r  1868 
war  er  mit  ber  Verwaltung  ber  ©trjnofogifcfien  Slbtljeilung  ber  föniglidjen 
sJRufeen  in  Söertin  betraut),  unb  nad)bem  fid)  im  fotgenben  Saljre,  wefentlidj 
mit  auf  feine  Veranlaffung  r)tn,  bie  ©efeHfd)aft  beSfelben  Hainen«  in  ber 
9ieid)Sf>auptftabt  gebUbet  unb  ber  fülme  Gntberfer  fid)  fobann  als  $rioat= 
bocent  ber  (Senologie  bort  Ijabilitirt  fjatte,  fdjlofe  er  fid)  fd)on  1873  ber 
befannten  beutfdjen  Grpebition  an  bie  £oango*5tüfte  an,  um  bie  weft- 
afrifamfäjen  Vertjaltniffe  grünbltcr)  fennen  &u  lernen.  Von  feinen  übrigen 
Steifen,  bie  fidj,  wie  fd)on  angebeutet,  auf  fämmtlidjc  kontinente  erftrerften, 
erwarmen  wir  nur  noa?  bie  überaus  fruchtbare  (Srforfdjung  ber  pohjneftfdjen 
Snfelwelt,  wo  e£  Vaftian  burd)  bie  ©unft  be3  Königs  Älalafaua  ge- 
mattet war,  ein  für  bie  5*enntnijj  ber  t)aroaiifd)en  9)h)tlw(ogie  unb  Xrjeogonie 
grabeju  unfaßbares  2)tonufcript  ju  überfein  unb  beibeS  literarifd)  $u 
oerwertljen.  9teben  biefen  unermüblidien  Säuberungen  über  ben  ganzen 
©rbbad  unb  aufjer  ber  oöUig  etnjigartigen  wiffenfdjaftlidjen  Sßrobucttoitat 
SaftianS  —  feine  2ikrfe  füllen  allein  fdjon  eine  ganj  aufe^uUc^e  Vibliotljef 
—  oerbient  nodj  ber  Umftanb  befonberS  Ijeroorgelwben  §u  werben,  bafe 
3taftian  mit  raftlofem  (Sifer  beftrebt  war,  für  bie  reidjen  Sdjafee  ber  ifnn  an- 
oertrauten  Sammlungen  ein  würbiges  Slful  §u  gewinnen.  @r  faun 
im  gewiffen  Sinne  ber  geiftige  GJrunber  be£  ftoljen  ÜDiufeumS  für  Vblfer= 
funbe  in  ber  9?eid^^t)auptftabt  genannt  werben,  wie  er  überhaupt  immer = 
fort  bemüht  ift,  oon  allen  Seiten  Mitarbeiter  ju  werben  für  bie  xneU 
feitigeu  Aufgaben  ber  umfaffenben  Sßtffenfdjaft  oom  Menfdjen.  So  ift 
er  eine  ganj  eigenartige  ^erfönlidjfeit;  auf  ber  &öl)c  eines  arbeitäooUen, 
immer  im  3Menft  ber  Ijoljen,  ifm  oöHig  beljerrfdjenben  $bee  tljdtigen  Sebent 
ftetjenb,  ein  SSanberer  auf  unferem  Planeten,  wie'  fein  Ruberer  je  juoor, 
oertraut  mit  ben  oerfäjiebenften  ^biomen  ber  Völfer,  ein  Sdjriftfteller 
trofc  ber  reifereu  ^cfyxe  unb  ber  oielfadjen  anberweitigen  33eruf£pfltd)ten 
oon  fo  erftaunlict)er  SdjaffenSfraft,  babei  oon  äufeerfter  ©enügfamfeit  in 
ben  materiellen  2lnfprüa)en  an  ba$  Eafetn,  ift  er  bodt)  fern  oon  jenem 
unliebenäwürbigen  Stolj,  ber  fo  manche  ßoropljäen  unferer  mobernen 
Siffenfdjaft  für  gewöhnliche  Sterbliche  fo  unnahbar  madjt.  Unb  baäfelbe 
gilt  für  fein  literarifdje*  2luftreteu;  wäbreub  für  manche  sünftige  Vertreter 
unferer  afabemtfdjen  Söilbung  ein  geioiffer  rautjer  Vruftton  grabeju  uneut- 
be\)xl\%  3U  fein  fc^eint,  namentlid}  wo  e$  fid)  um  fogenannte  offene  fragen 


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  2Ibolf  Saftian.    \67 

Ijatibelt,  oerltert  bcr  Slltmeifter  ber  Gtfjnologie  trofc  aller  garten  unb  un- 
gerechten  Angriffe  nie  bic  oornefune  dlvfye  unb  ©elaffenheit,  welche  immer 
ein  5tenn$cid)en  einer  reifen  unb  ttefburchbadjten  £eben$anfd)auung  ift. 

Um  nun  einen  näheren  ©inblicf  in  ben  Slufbau  ber  mobemen  Golfer» 
hmbe  §u  gemimten,  wie  fic  eben  höuptfädjlich  burd)  Saftian  ftd)  geftaltet 
hat,  bebarf  es  cor  Slllem  einer  furjen  Darlegung  ber  2)?  et  hob  e,  weil  von 
biefer  Vorfrage  felbftrebenb  2tlle$  anbere  abfängt.  2öie  fid)  biefe  gleich* 
fam  erft  an  ber  £anb  ber  leitenben  (Erfahrung  entwickelte  —  trofc  gewiffer 
allgemeiner  ^Srincipien  — ,  ba£  laßt  fich  am  anfdjaulichften  an  ber  £ar* 
ftellung  unferes  ©ewahrSmanneä  felbft  beobachten,  ba  fid)  in  unb  an  ifmt 
bie  Stlbung  feiner  ©iffenfehaft  tnpifd)  abfpiegett.  SDte  ganje  übermältigenbe 
Schroierigfett  ber  Ausführung  beS  neuen,  faum  erft  fonuulirten  Programms 
ftanb  bem  jungen  ®el  ehrten  fdwn  Aar  oor  9lugen,  als  er  fidt)  ju  feiner 
erften  großen  -Reife  einfdnffte,  aber  ba»  fchmad)te  feinen  9Jtuth  nicht  „^n-- 
befj  ift  in  allen  Singen  ein  erfter  Anfang  ju  machen.  $ycrn  von  (Suropa 
unb  lange  &eit  befajränft  im  fprad)lid)en  Serfehr,  feimten  bie  hier  nieber; 
gelegten  3been  unter  Slnfdjauung  ber  mannigfaltigen  Serhältniffe,  in  roeldjen 
bie  SSölfer  auf  bem  (SrbbaUe  jufammen  leben.  $n  ber  Stille  ber  2öüften, 
auf  einfamen  Sergen,  in  SHexi  "ber  weite  3Jieere,  in  ber  erhabenen 
SRarur  beS  SübenS  reiften  fie  im  itoufe  ber  3af)re  empor  unb  fchloffen 
fich  jufammen  in  ein  harmonifcheS  Silb.  2Bof)lbefannt  mit  ben  oerfdnebenen 
3roeigen  ber  Literatur,  habe  ich  mich  junaajft  bemüht,  bie  in  ben  Sdmlen 
aufgenommenen  Dogmen  möglidtft  auf  ber  Xafel  beS  GJebäd)tniffeS  ju  oer- 
wijchen.  (Srft  wenn  baS  aus  einer  rein  objectioen  unb  fo  oiel  tlmnttd) 
oorurtheilsfreien  Beobachtung  erwachfene  Sßrobuct  iene  beftätigte,  oon  felbft 
ju  ifmen  führte,  liefe  ia;  fie  auf's  9teuc  als  berechtigtes  ©lieb  in  bie  Sor= 
fteüungSretheu  wieber  eintreten.  3n  uuferer  ©egenwart  beS  lebenbtgen 
6ebanfenauStaufcheS  aber  mufc  jebes  allzulange  3foliren  jur  Ginfeittgfeit 
fuhren,  unb  ia)  würbe  bei  forgfamerem  Uebcrarbeiten  gefürchtet  fyaben, 
felbft  in  ben  $ef}(er  beS  1fyoxe\i)\xen$  $u  oerfaHen,  Snüeme  aufstellen, 
bie  immer  nur  falfdje  unb  ungtücf  liehe  Halbheiten  bleiben,  wenn  fie  in 
bem  ßopf  eines  ©meinen,  aus  bem  Sparren,  ber  in  bem  5topfe  ber 
Slutoren  fteeft,  sufammengejimmert  werben,  ba  fie  orgauifa)  nur  aus  ben  fich 
rectificirenben  iiScuffionen  ber  Literatur  erwachsen  fönnen."  ($er  2flenfd) 
in  ber  0ef djieffte,  Sorwort  S.  16).  £rofc  biefer  objectioen  unb  fubjectioen 
Sdjwierigfeiten,  trofcbem  es  galt,  bie  neue  2Btffenfd)aft  erft  frttifd)  ju  be- 
grimben,  fal)  Saftian  fogar  fd)on  baö  enoünfd)te  3iel  tiax  vox  2lugcn,  unb 
ba«  Littel  baju  mar  bie  auf  naturroifienfctyaftlidEjer  5Uafi^  errichtete  oer^ 
glridjenbe  ^pfochologie.  2)a3  mar  ber  Äernpunft  ber  neuen  2Öeltanfd)auung, 
unb  Deshalb  richtet  unfer  Serfaffer  gleid)  oon  2lnfang  an  barauf  fein 
9lugenmerf.  „Sie  ^Jfnchologie"  —  fo  erflärt  er  —  „barf  nid)t  jene  be= 
fdjränfte  SiSciplin  bleiben,  bie  mit  unterftüfeenber  ^erbei^iehung  Pathos 
logifdjer  5pf)önomene^  ber  oon  ben  ,3mnhäufern  unb  burch  bie  ©rjiehung 


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(68    CLbomos  2Jrfjelts  in  Srcmen.   

gelieferten  Säten  fic^  auf  bie  Selbftbeobadjtung  beS  SnbioibuumS  befdjränft. 
Ser  Sftenfdj  als  politifdieS  2f)ier  finbet  nur  in  ber  ©efellfdjaft  feine  (5r= 
füllung.  Sie  3JJenfdjf)cit,  ein  SSegriff,  ber  fein  &öf)ereS  über  fid)  fennt, 
ifi  für  ben  2luSgangSpunFt  ju  nehmen,  als  bas  einheitliche  ©anje,  inner: 
fjalb  roeldjeS  baS  einselne  3nbiuibuum  nur  als  integrirenbes  S3ruc^tr)eit 
figurirt. . .  Ser  in  bie^orjeit  gurit<ff$auenbe33(icf  folgte  bem  gegebenen  ^faben 
ber  Srabition,  fo  weit  fie  ilmt  einen  bcutlidjen  2öeg  oorseidjnete,  bis  $u  ber 
331ütt)e3ett  einer  Literatur,  jur  2luSbilbung  ber  Sdjrift,  bie  erft  bauernbe 
Ueberlieferung  ju  bewahren  oeTmodjte,  unb  bie  lange  SHeifje  ber  SPorftabien 
überfebenb,  bie  ber  9ftenfdjengeift  überrounben  fiaben  mußte,  bis  er  biefe  §öbe 
erftieg,  fdjloß  er,  uon  ilirer  £eße  geblenbet,  mit  einer  UrmeiSfyeit  ab,  oon  ber 
fpäter  nur  ein^erabftnfen  benfbar  mar.  <Bo  gab  bie  ©efd>td)te  bisher  ben  ©nt= 
roictlungSgang  einzelner  haften,  ftatt  ben  ber  9Jienfcr)l;eit,  ba§  glänjenbe  £ictjt, 
baS  r>on  ben  6pifeen  ber  ©efellfdmft  auSftrcmte,  oerbunfelte  bie  $reiten= 
grunblage  ber  großen  9J?affen,  unb  bod;  ift  es  nur  in  ibnen,  baß  beS 
(Staffens  Gräfte  feimen,  nur  in  ifmen  fretft  beS  Sebent  3aft  .  .  .  Ser 
innere  Organismus  beS  pf)ilofopf)ifd)en  SSerbenS  fann  einsig  in  ber 
<pft)d)ologie  erfannt  werben,  ber  ^fndjologie,  bie  nid)t  allein  bie  ©nt« 
roidfelung  beS  3«buribuumS,  fonbern  bie  ber  2Henfd)f)eit  aus  uerfolgt,  bic 
fid)  auf  ber  33afiS  ber  ©efcf>id;te  bewegt/'  (a.  a.  D.  6.  11).  Sie 
lanbläufige,  rein  inbioibueüe  £anbf)abung  ber  pfnd)ologifdjen  Unterfud^ung 
ift  bamit  enbgültig  oerlaffen;  ber  -JJtenfdj  eyiftirt  niibt  mein,  wie  ber 
UtilitariamSmuS  immer  noer)  behauptet,  als  fvnguläreS  Snbtoibuum,  fonbern 
nur  als  orgamfdjeS  ©lieb  ber  gefeßfa;aftliä^en  Crganifation,  bie  ifm  ge= 
boren  fmt,  unb  fein  ganjeS  Söefen,  ade  feine  nerfdnebenartigen  Styätigfeiten 
finb  nur  bie  6traf)lenbred)ungen  biefer  gemeinfamen  pfi)djologifd>en  ßraft, 
bie  ftd)  trofc  aller  topograprjtfdjen  unb  etnograpf)ifdjen  Unterfdjiebe  bis  auf 
geroifTe  übereinftimmenbe  3üge  überall  gleichmäßig  offenbart,  liefen  magren 
XnpuS  beS  oft  fälfdjlid)  als  allgemein  menfdjlidjen  angegebenen  GljaraftcrS 
bat  erft  bie  üergletcfjenbe  Senologie,  ju  golge  i^reS  umfaffenben,  alle 
Golfer  beS  Crrbballs  umfpannenben  Materials  entbeefen  tonnen,  obwohl 
Um  fdjon,  freilief)  in  befdjränfterer  £?orm,  bie  SBölferpfndjologie  erfaßt  bat. 
(SS  ift  legten  GnbeS  nur  bie  ^cnuirflidjung  beS  alten  ariftotelifdjen  SatyeS, 
baß  ber  5)ienfa^  tum  9?atur  ein  gefclliges  ©efd)öpf  fei,  bie  fid)  in  biefer 
i'luSfüljrung  Salm  bricht ;  unb  wie  bie  Spradje  längft  als  ein  gemeinfames 
(Srjeugniß  biefes  focialen  ^ufammenlebens  aufgefaßt  wirb,  fo  galt  uon  nun 
au  biefer  ©runbfaft  aud)  für  alle  anberen  9ftamfeftationen  beS  menfa^lidben 
©elftes,  für  Religion,  9ied)t,  Sitte,  tfunft  u.  f.  w.  „Saß  nidjt  mir  benfen, 
fonbern  baß  es  in  uns  benft,  ift  bemjenigen  flar,  ber  aufmerffam  auf  bas 
*it  fein  geroolmt  ift,  roas  in  uns  Borgest.  GS  märe  im  ©runbe  ein  gleicr)- 
nülttger  3Bortfheit,  ob  man  biefe  unfere  ©efammt^eit  betreffenben  ^roceffc 
als  unfere  eigene  Xl)citig!eit  be^eidjnen  bürfte,  menn  nid^t  in  ilmen  felbft 
rirabueae  9?erfdneben^eiten  ftattfanben,  bie  es  fefterer  Definition  roegen 


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  2lboIf  Baftian.    \6<) 

wünfdjensmertf)  madjten,  ben  begriff  be*  felbftänbigen  eingreifend  nur 
auf  befonbere  *u  befdjränfen.  25a*  9tfaturer$eugm&  ijt  au»  ber  Wählt  er= 
*eugt,  e*  mädjft  fjeroor  au*  jenem  bunUen  Stytjo*,  ber  nidjt  wegen  weiterer 
Entfernung  be*  Anfange*  ben  2lugen  entgeht,  fonbern  wegen  ber  Unmög= 
liajfeir,  bie  bort  laborintifd)  oerfd)lungeneu  gäben  oon  Urfacfye  unb  Sßirfung, 
be*  &ntjte§en*,  23ergef)en*  unb  SBieberwerben*  mit  ben  33 liefen  ju  ent; 
wirren;  benn  nur,  wo  fidj  bie  2öed)felbe$iefmngen  be*  &rei*laufe*  ju  ber 
Unabf)ängigfeit  einer  neuen  Schöpfung  gestalten,  barf  für  biefe  ein  relatioer 
Slnfang  gefegt  werben,  ben  als  abfohlten  unferc  auf  Unenbli<$feit  unb  (Swigfeit 
bafirte  SBeltanfajauung  nid)t  fennen  barf."  (Seiträge  jur  oergletd^enben 
"ty'ndjologie,  S.  1).  SMefe  (Erwägungen  betreffen  fo  fefjr  ben  ganjen  Aufbau 
unfere*  mobernen  @mpiri*mu*,  bafc  wir  genötigt  finb,  einige  2lugenblicfe 
bei  ilmen  ju  oerweilen;  fjängt  bod)  oon  biefer  Vorarbeit,  oon  ber  gefttgfeit 
ber  tragenben  gunbamente  bie  Sicherheit  be*  ftoljen  ©ebäube*  ab,  ba* 
ua)  bie  SBiffenfchaft  com  3Wenfd^en  errietet  fyatl  $ie  gefammte  mobeme 
gorfdjung  bearbeitet  ein  oerhältni§mä6ig  eng  begrenze*  ©ebiet,  ba*  nad) 
beiben  leiten  hin  (Anfang  unb  ©nbe  be*  ©efö)ef)en*)  oon  ben  Wallensen 
Stögen  eine*  unburd)bringlid)en  9iebelmeere*  ben  fpähenben  ©liefen  entzogen 
wirb.  £af)er  finb  alle,  häufig  mit  beregnetem  emphatifdjen  Sfachbrucf  ein- 
geführte  Unterfudjungen  über  bie  fogenannten  Urfprünge  be*  ©eins  ebenfo 
wiffenfcfuifthd)  unjuläffig  unb  unberechtigt,  wie  alle  auf  fabenfdjeinige 
Analogien  geftüfcte  (Stomatologien  über  bat  ©übe  aller  £inge  9Iber  wof)l 
lajfen  fid)  oon  biefer  fo  abgemeffenen  Sphäre  ber  beutlichen  (Srfenntnifj 
fid;ere  Sdjlüffe  über  unfere  ^Beziehungen  jur  Statur  im  2lllgemeinen  unb 
*um  Sßeltatt  überhaupt  jiehen  —  foweit  foldje  Probleme  natürlia)  mit  ben 
Mitteln  ber  eracten  flritif  lö*bar  finb.  darüber  fann  man  nad)  bem  über* 
einftimmenben  .Seugnife  aller  competenten  Snftanjen  fein  3weifet  mehr 
auffommen,  ba§  bie  gäocentrifdje  unb  anthropomorphe  Anficht  über  bie 
beoorjugte  Stellung  unfere*  Planeten  in*befonbere  unfere*  fmgulären 
eine  unberechtigte  unb  überwunbene  ift,  oielleicht  noch  wirffam  in  ben  breiten 
Schichten  ber  nieberen  2lufflärung,  aber  nicht  mehr  in  ber  fdjärferen 
?ltmofpl)äre  ber  wiffenfd)aftlid)en  Beurteilung.  £rofc  biefer  ßinfälligfeit 
be*  3nbioibuum*  ift  biefe*  aber  unleugbar  ber  einzige  Präger  jeber  weltbe* 
wegenben  3bee,  jebe*  gortfehritte*,  jeber  2ßat)rt)eit ;  es  fommt  baljer  2llle* 
barauf  an,  bic  Stellung  eben  biefe*  gactoren  $ur  Umgebung,  jur  Söelt, 
jum  tfo*mo*  flar  ju  erfaffen.  Siefe  lefete  entfeheibenbe  Sejeidmung,  welche 
unfereiu  flüchtig  oerrinnenbeu  2>afein  bcn  Stempel  ber  Gwigfeit  aufbrüdt, 
finbet  Saftian  in  ber  uuau*gefefcten,  freiließ  inbioibueU  l^ödjft  oerfdnebens 
artig  abgeftuften  2öed)felwirfung  be*  Subject*  mit  bem  l;armonifd)en 
&o*mo*,  unb  bie*  f>od)  erhabene  unb  tief  ernfte  33ilb  l)at  er  mit  einer 
Segeifierung  unb  Spänne  entrollt,  wie  e*  nur  auo  einem  übcrquellenben, 
fid)  felbft  gewiffen  (Befüfjt  fommt.  „sBir  fdjweben  in  einem  unermeßlichen 
31U,  wo  fid)  ber  9iaum  auf  allen  Seiten  in  unabfeljbarc  gönnen  oerliert; 

*totb  unb  Süb.  L.,  HO. 


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Ctjomas  2Idjclis  in  Srcmcn. 


nur  leben  in  ber  Spanne  ber  Seit,  beren  fcfjroaä)  ffacfernbe^  Sicht  bafb 
in  bem  Tuntel  ber  Vergangenheit,  balb  in  bem  £unfel  ber  3«^nft  er» 
lifd)t;  mir  benfen  in  bem  SShmber  bes  33ewui3tfeinS,  ein  9tätf)fel  unterer 
Umgebung,  ein  Mäthfel  uns  felbft.  3Bo#  mag  ber  ©eift  fidj  jurücffefjnen 
nad)  jenen  £agen,  wo  ein  fefteS  Firmament  fid)  unserem  Raupte  ummölbte, 
wo  in  if)m  ein  liebenber  SBater  thronte;  er  mag  fid>  gern  uerfenfen  in  bie 
träumerifdje  9Jiorgenbämmerung  feiner  tfinbhcit  —  aber  mürbe  es  it)n  jcfct 
befriebigen,  mieber  Äinb  ju  werben?  .  .  .  2Bof)l  jiefjt  bittere  SBehmuth 
ein,  ber  bange  Sdjmerj  ber  Verzweiflung  in  manches  &er$,  wenn  es 
plötjlid)  3WeS  fo  öbe  unb  leer  um  fiöt)  erblicft,  wenn  alle  bie  Vetteren 
^^antafiegebi(be,  bie  freunblid>en  ©öttergeftolten,  an  beren  ÜWunbe  er  als 
5lnabe  fo  gläubig  hing,  bie  glänsenben  ^beale,  für  bie  fidj  ber  3üngling 
begeifterte,  wenn  alle  wie  in  ein  9Jidjt3  Derfdjwvnben,  in  teere  9Zebel  5er * 
fließen.  GS  finb  bie  klagen  eines  oerjärtelten  SdjwächlingS,  ber  bie 
9?atur  nur  aus  ben  genftern  ber  äfomtenftube  r)atte  fennen  lernen,  ber 
jefot,  mo  man  ifjn  hinaufgetrieben,  cor  jebem  SBinbftojj  jittert  unb  fldt)  nadj 
feinem  meinen  Sette  jurücfroünfcht.  2Bäre  unfere  ©eneration  in  ber  Sdmle 
pfndjologifcher  ©runbfäfoe  erlogen  worben,  mir  mürben  bie  alberne  $eriobe 
beS  SeltfdmterjeS  uns  erfpart  tyaben.  3n  feiner  Volifraft  ausgeworfen, 
rnufc  ber  Wann  in  fidt)  bie  genügenbe  Vefriebigung  füllen.  2Bohl  fehen 
mir  ring«  um  uns  nur  baS  SBalten  in  ttjrer  legten  Urfad&e  unoerftänbli^er 
©efefee,  aber  mir  fefjen  fie  jufammenwirfen  im  harmonifäjcn  ©inflang.  2iMr 
haben  fein  fefteS  3iel,  bem  mir  entgegenftrcben,  aber  mir  haben  audj  bie 
£üge  entlarot,  bie  uns  burdj  Suftfpiegelungen  taufd)en  wollte;  wir  haben 
nidjt  bie  tnranmfchen  Saunen  eines  eiferfüdjtigen  ©otteS  ju  tragen,  wir 
fürchten  nicht  mehr,  wenn  ein  mächtiger  jeinb  unferen  Sdjüfeer  auf  bem 
©inmtel  treibt,  mit  ihm  in  ben  Slbgrunb  ber  Vernichtung  5U  oerfinfen,  wir 
jitterit  nicht  mehr  bei  bem  entfefclidjen  Sdjaufpiel,  wo  ber  SBelt  allmäcfrtger 
Schöpfer  fidt)  felbft  $um  Opfer  barbringen  mu§,  um  brohenbe  ©efafjren 
abjuwenben  .  .  .  Unb  was  ift,  es  was  baS  Sttenfchenberj  begehrt?  £af 
©anjc  5U  fennen,  von  bem  es  felbft  nur  ein  integrirenber  %l)e\i  ift.  flann 
ef  hoffen,  biefeS  ©anjc  jemals  anbers  $u  oerftehen  als  in  bem  Moment  feines 
eigenen  WitwirfenS  in  bem  allgemeinen  3ufammenhange?  formt  ihm  ein 
fidjererer  unb  erhabenerer  Sroft  geboten  werben,  als  fid)  felbft  ein  3ltomtu  ber 
Unenblidjfeit  unb  Groigfett  ju  wiffen,  unenblidj  unb  ewig  wie  biefe?  .  .  . 
Xer  fünftlidje  ^orijont  ber  2)färd)en  unb  Anthologien  ift  burdj  bie  5Ratur= 
rotffenfdjaften  jerriffen.  Unfer  2luge  blieft  tyvavß  in  bie  Unenblichfeit  — 
warum  fie  leugnen?  Suche  felbft  unenblid)  ju  werben,  wenn  Sich  bie 
Unenblichfeit  umgiebt!  33alb  wirft  £u  bie  ©ebanfen,  bie  3been  au3= 
ftrömen  füljlen  in  bie  Groigfeit  bes  2111s,  bu  wirft  fie  Söurjeln  fdjlagen 
fühlen  überall  in  ben  ©efefcen  beS  h^w^W611  Kosmos,  bu  wirft  mit 
ihm  vermachten  unauflöslich,  ewig,  unenblich  wie  er  unb  bid)  felbft 
erfüffen  in  bewußter  Harmonie,    ^idjt  nur  jeber  Sölicf,  ber  uns  mit 


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  2lbolf  Baftian.   


ben  ©lernen  üerfnüpft,  jeber  9ltf)emsug,  ber  bie  ftets  oerjüngte  2ltmofpf)äre 
affimilirt,  fidjert  baS  ewige  gortbefteljen,  fonbern  mefjr  nodj,  frei  oon 
ollen  planetari^en  unb  foSmifdjen  ©djranfen,  bie  göttlichen  Sbeen,  roo= 
bura)  rotr  bie  ©efefee  be£  21HS  in  uns  probuciren."  (Sex  Sflenfd)  in  ber 
ttefajidjte  I,  29). 

fDa$  mag  3)?and)em  auf  ben  erften  33li<f  pf)antaftifdj  unb  fcfyroärmerifcf) 
»orfommen,  oöllig  über  bic  ängftlidj  gehütete  ©renje  ber  fritifr^en  ©r-- 
fafjrung  tn'nauägefjenb !  Unb  bennod)  Ijoffe  idj  im  weiteren  Verlaufe  ber 
5EarfteUung  $u  erroeifen,  baß  roir  es  luer  mit  einer  tneüeidjt  poetifdj  ans 
Qcfjaudjten,  aber  ber  SBegrünbung  nad)  völlig  roiffenfdjaftlid)  eracten  9iuf- 
fajfung  ber  2Belt  ju  tfnm  ^aben.  Vorläufig  mu§  e£  genügen,  wenn  ia) 
ben  für  ba£  S8erftänbni|  ber  ganjen  (Senologie  ma&gebenben  ©afe  roieber^ 
Ijole,  baß  ba£  roafjre  unb  eigentliche  Cbject  it)rer  Untersuchung  nidjt  baS 
einzelne  $nbtoibuum  ift,  fonbern  ber  gefetlfdjaftlidje  2)tenfd&  auf  ben 
Derfa)iebenen  ©tufen  feiner  focialen  ©ntroiäelung;  unb  ba  biefe  oerfdnebenen 
Stabien  lefcten  ©nbes  roieber  nur  bie  9iefleje  ber  geiftigen  Entfaltung,  furj 
beS  menfa)tia>en  öeroufetfeins  felbft  finb,  wie  e$  fid)  in  SRed^t  unb  (Sitte, 
Sieligion  unb  Äunft  betätigt,  fo  umfaßt  unfere  SBiffenfa^aft  von  if)rem 
unioerfellen  pfi;djotogifd)en  ©tanbpunft  au£  baS  pfnd)ifa>  &tad)8tf)um  beS 
menfdjliajen  ©elftes  auf  unferein  Planeten.  Unb  eben  burdj  biefe  focial* 
pfijdjologifdje  gormulirung  roirb  ber  unmittelbare  3ufammenf)ang  beS  fonft 
fjaltloä  im  fieben  fdjroebenben  einzelnen  ju  bem,  rote  SJaftian  fid)  auSbrücft, 
^armonifd^en  Kosmos  verbürgt,  als  beffen  integrirenbes  ©lieb  fid)  &u  füllen 
freilia)  nur  SBenigen  unb  aud)  biefen  nur  in  roeifjeoollen  ©tunben  befd&ieben 
fein  mag. 

2Benn  nun  audj  biefe  pfudjologifrfie  SBafiS  unb  9luffaffung  fidj  niebt 
mefjr  red)t£fräftig  anfechten  läfct,  fo  roirb  es  fid)  in  sroeiter  Sinie  um  bie 
Sef Raffung  beS  SKateriaU  ^anbeln,  baS  ber  weiteren  fociologifdfjen  S3er= 
arbeitung  (jarrt.  ®er  grofee  ©djöpfer  ber  Gflmologie  in  unferem  SSater* 
lanbe  fyxt  nun  roie  fein  2lnberer  burd)  eigene  unermüblidje  ^f)ätigfeit  bie 
SBaufteine  für  bie  fünftige  Söiffcnfdjaft  f)erbeigefd)afft.  9toftlo£  bemüht  auf 
feinen  roeltumfpannenben  Reifen  bie  burd)  bie  uerfjängmjgoolle  3lbforption 
ber  Gimltfation  rettungslos  ber  Vernichtung  geroeif)teu  Xnpen  ber  9Jatur* 
oölfer  in  perfönlid)er  2lnfdjauung  fennen  311  lernen  unb  oon  il)ren  etroaigen 
Grjeugniffen  in  ben  SJtufeen  ju  bergen,  roaS  fid)  ber  Vergeffenfjett  entreißen 
liefe,  läfet  er  immerfort  feinen  malmenben  5Huf  erfüllen,  ntcfjt  bie  3^it  51t 
oerfäumeit,  et)e  es  5U  fpät  ift.  SSie  unglaublia;  rafa)  biefer  nioellirenbe 
^rocefe  fid)  ooÜ5iel)t,  baS  mufete  er  felbft  5.  in  Sßolnnefien  erleben,  roo 
bie  europäifd^e  ©efittung  alle  originellen  Slütljen  ber  l)öa)ft  intereffanten 
3nfelroelt  überroudjert  ^at,  unb  baS  Ijaben  in  unferem  3al)r$ef)nt  bie  Gr* 
fa^rungen  2Bi§mannS  in  Gentralafrifa  roieberum  beftatigt.  ©oll  bie 
©tfntologie  roirflid)  mit  ber  ©ia)erljeit  ber  inbuetioen  ^aturroiffenfd^aft 
arbeiten,  fott  fie  frei  bleiben  oon  ben  oerbangnißoollen  fpeculatioen  2"rug= 

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(Lljomas  2Idjelis  in  Cremen.   


idjiüifen,  ^euen  ja  bie  ©efchidjte  ber  mobernen  s^f)ilofopt>te  fo  reich  in, 
fo  mufj  felbftoerftänblich  ber  Stoff  fd)ier  unüberfel)bar  oor  bem  gorfdier 
aufgefdjidjtet  fein.  3n  ber  Xfyat  ift  bas  für  gewiffe  grunblegenbe  gragen 
fd)on  jefct  ber  gall,  fo  bafe  nur  nach  bem  ^eftanbe  bes  bisherigen  Kiffens 
mancher  ^Bericht  eine«  ^eifenben  olme  weitere  Prüfung  man  fönnte  fafi 
faqen,  apriorifc^  beftätigt  ober  oerworfen  werben  fann.  bie  ^erfön* 
lidjfett  beS  33erid)terftatterS  felbft,  wenigftens  mittelbar,  eine  gewiffe  9ioHe 
babei  fpielt,  ift  ju  natürlich,  um  weiterer  Söegrünbung  ju  bebürfen;  aber 
eben  beärjatb  ift  es  charafteriftifd),  bafj  man  $u  golge  einer  $u  ein= 
feitigen  l)iftorifdjen  23eurtheilung  ein  Verbiet  über  einen  SdjriftfteUer 
fällen  fonnte,  beffen  ©laubwürbigfett  im  Uebrigen  nicht  bezweifelt 
würbe.  60  ift  es  j.  33.  bem  SSater  ber  ©efdjidjte,  bem  alten  $erobot, 
ergangen,  ber  fid)  wegen  feiner  23emerfung  über  bie  Sufier,  baß  fic  fid) 
nach  iljrer  Butter  nennten  —  unb  bafj  bie  Äinber  einer  Bürgerin  mit 
einem  6claoen  ebenbürtig  wären,  bie  eines  Bürgers  mit  einer  (Sclaoin  aber 
nidjt,  bie  bitterften  Urteile  über  feine  ^annlofe  ©infalt  t)atte  gefallen 
laffen  müffen.  Grft  bie  comparatioe  23el)anblung  biefer  (Streitfrage  burd) 
bie  9lcten  ber  (Senologie  tyti  bie  ©fjre  beS  oieloerfpotteten  &iftorifer3 
wieber  Ijergeftellt,  inbem  fid;  jefct  auf  einmal  herauSftellte,  bafe  ber  fragliche 
üBrau$  thatfächlid)  eine  weit  oerbreitete,  bei  ben  oerfdjiebenften  unb  $wat 
ftammfremben  3>ölfern  ber  Grbe  wieberfehrenbe  ^echtsinftitution  war,  nämlid) 
ein  2luSbrutf  eines  für  bie  primitioen  ßntwidelungSftufen  äufcerfi  wichtigen 
^rincipS,  ber  ©onäfofratie.  3lber  biefe  Umwanbluug  ber  ganzen  <3aa> 
läge  fonnte  natürlid)  erft  erfolgen,  als  eben  Material  genug  oorljanben 
war,  um  bie  bis  bal)in  oielleid>t  aud)  noch  gebrauste  Grflärung  einer 
feltfamen  (Saricatur  oollftänbig  ju  befeitigen.  freilich  fefct  tjier  eine  immer 
nod)  falfdj  oerftanbene  SNethobe  ber  9iüdfdjlüffe  ein,  bie  nach  einem,  auf 
ben  oerfd)iebeuften  ©ebieten  ber  mobernen  9iaturwiffenfd)aft  geläufigen 
unb  erfolgreich  angewanbten  biogenetifchen  ©runbfafc  eS  geftattet,  bei  gleiten 
Sirfungen  biefelben  treibenben  Urfadjen  oorauSjufefcen ,  einerlei  ob  im 
Uebrigen  ber  örtliche  unb  zeitliche  Sufanwumljang  fid)  entfpredjen.  £iefe 
£ljeorie  bat  gan*  befonberS  unter  ber  £anb  beS  befannten  engltfdjen 
gorfdjers  (sbw.  Xylor  fict>  glänjenb  entwidelt,  fpecieU  burdj  baS  überaus 
fruchtbare  Littel  ber  oon  irmt  fo  benannten  survivals,  b.l).  berd)arafteriiHfd&en 
Uebcrbleibfel  eines  s3raud)eS,  bie  eben  für  baS  3luge  beS  funbigen  gorfchers 
baourd)  bie  innere  ©efdjidjte  ber  bie  6itte  fdjaffenben  3bee  oerratben. 
£iefe  sJieconftruction  ift  aber  nur  möglich,  menigftens  in  ber  unbegrenzten 
3lnwenbung,  wie  fie  bie  moberne  (rtlmologie  fennt,  wenn  über  bie  gewöhn  * 
lid)eu£d)ranfen  bertopograptnfd)enuub  l;iftorifd)cnsJluffaffung  hinweg  eine  gc- 
meinfame,  allgemein  mcnfd)lid)e  ^erfpectioe  fid)  eröffnet,  jene  pfndjifche  ©leid)= 
artigfeit  unferer  Jiaffe,  bie  felbft  bis  auf  bie  merfwürbigften  Abirrungen 
hin  fid)  nicht  oerleugnet.  9iur  unter  biefer  anerfannt  erften  mafegebeuöen 
^orausfcfcuug  (511  ber  unter  auberen  bie  fdwn  früher  erwähnte  fociale  $er* 


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21  b o I f  Saftian. 


*75 


anlagung  be£  9)?enfd)en  gefjört)  fann  eine  berartige  uergleidjenbe  3eit  unb 
Crt  ignorirenbe  Unterfudjung  unb  (Kombination  fieser  unb  frei  uon 
phantaftifdjen  (Sinf  allen  arbeiten,  ganj  nad)  2Irt  einer  inbuetiuen  SiScipliu; 
aber  bes^alb  ift  um  fo  mehr,  wie  bereite  angebeutet,  eine  nüchterne 
fdjränfung  auf  bie  wiffenfd>aftlidj  eracten  Probleme  erforberlidj.  33  e* 
trauten  mir  aber  biefe  bebingt  bura)  bie  allen  3roeifcfn  entrütfte  fociale 
9iatur  beä  2flenfd)en,  fo  würben  nach  biefem  SJtaßftab  alle  bie  jefct  tuel= 
fach  fo  beliebten  Erörterungen  über  bie  Stabien,  weldje  uor  biefem  fünfte 
liegen,  5.  23.  über  ben  Urmenföen,  uon  ben  Aufgaben  ber  fritifdjen 
^orf(J)ung  auägefchloffen  werben  mfiffen.  „3n  allen  9toturgegenftänben,  bie 
5um  Stubium  geftellt  finb,  räthielt  ba£  Senfen  an  fidj  felbft  Ijerum,  an 
ben  Problemen  eigener  Griftenj  im  Safein.  %xi  mel)r  ober  weniger 
bewußtem  ober  unbewußtem  ©efühl  einer  folgen,  menfchliche  söeftimmung 
audfüllenben  Aufgabe  locft  leidu"  bie  Sßerführung,  im  Sturmesangriff  ju 
nehmen,  wa$  nur  nach  langfam  umftänblich  befdjroerlicher  3lrbeit  metlp- 
bifdjen  gorfdjer3  am  ©nbjiel  bejfelben  mit  ber  Siege^palme  lotmen  fann 
unb  wirb.  So  wirb  bie  Urfprungä frage  rorangcftellt  unb  baburdj  in  alle 
Sgfteme  ber  Speculation  ihr  ^wxov  'föZcz  eingeführt,  ba  unenblicfye 
Leihen  5U  äffen  f)aben,  fo  lange  nid)t  ber  Galcül  einer  integral;  unb 
Sifferentialredmung  ju  ihrer  ^Bemeifterung  erfunben  ift."  (Sie  &ef)re  von 
ben  geographischen  ^rooinjen,  Berlin  1886,  S.  57).  liefen  uerhängni|> 
uollen  Sprung  in'3  SJietaphnfifdje,  welken  bie  neuere  9toturroiffenfdjaft 
in  ber  ^Ijat  gelegentlich  nicfyt  gefreut  l)at,  oerurtl;eilt  23aftian  fomit  auf 
ba3  Sdjärffte,  waljrenb  er  im  Uebrigen  ein  offener  2lnf)änger  be3  großen 
Darwin  ift.  Siefen  fpeculatiueu  (Srbid)tungen  gegenüber  ^at  er  in  ben 
fogenannten  „geographifd)en  ^rouinsen"  einen  fefteu  2lu$gang3punft  für  bie 
iSttmologie  gefajaffen.  ISr  oerfteht  barunter  bie  oerfdjtebenen  topograpf)ifd)en 
SÜariationen  be$  2Nenfcf)engefchlecht$,  wie  e$  fid)  trofo  feiner  allgemeinen 
pfudjifdjen  ©leidjartigfeit  bod;  unter  ben  einseinen  £immel*ftrichen  äußerlich 
unö  inuerlid)  abmeichenb  geftaltet  Ijat.  „Sie  geographischen  ^rouinjeu 
ergeben  n<J  aU  gefefclich  umfdjriebene  2lreale,  innerhalb  weldjer  als  ©e= 
fammtprobuet  pfwftfalifdjcr  3lgentien  im  gezogenen  gaät  ein  feft  geprägte* 
4>robuct  organif a)eu  Xnpuä  in  bie  (rrfdjeinung  tritt,  mit  ber  s4>flan5e  in 
botanifcher,  mit  bem  ^iere  in  joologifd)er  ^rooinj  unb  mit  bem  3)ienfd)en 
in  antl)ropologifd;er  (unter  ber  in  öc)djia)täben)egung  gc$ogenen  Seite 
eihnologifchen  <pori$onte*).  (Sie  Seit  in  ihren  Spiegelungen,  Berlin  1887, 
S.  101).  MerbingS  wirb  e$  häufig  feljr  jd)wierig  fein  bie  inneren  Hk-- 
jietjungen  swifchen  bem  getftigen  Verhalten  be$  9)fenfdjen  unb  ber  um= 
gebenben  9iatur  (monde  ambiante  ober  surroundinfr)  jn  befttmmen,  unD 
aua)  hierin  finb  früher  bie  ^erfud;e  gerabe  nid)t  immer  glücflic^  au^gefd)lagen 
(fo  trofc  alfer  umfangreichen  ©elcljrfamfeit  nod)  bei  i^udle) ;  aber  biefe 
anfängliche  Sdnoierigfeit  unb  Sunfell;eit  wirb  fd)wiubcn,  je  mehr  eben 
bae  jur  33ergleichung  oerfügbare  3)?aterial  junimmt.    „311^  mit  beginn 


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  QCljomas  2Idjelts  in  33rcmcn.   

ernftlidjer  gorfdmng  in  ber  (Ethnologie  baS  barin  angefammelte  Material 
fid)  ju  mel)ren  begann,  als  es  roud)S  unb  roud)S,  rourbe  bie  2(ufmerffamfeit 
balb  gefeffelt  burdj  bie  ©leid)artigfeit  unb  Uebereinftimmung  ber  Vor= 
ftellungen,  roie  fie  aus  ben  oerfdnebenften  ©egenben  fid;  mit  einanber 
bedten,  unter  ihren  localen  Variationen,   grüner  war  man  burd)  folche 
manchmal  bei  oberflächlicher  Veobachtung  getäufebt  roorben,  mit  näherem 
(Einbringen  liefe  \\ö)  balb  jeboa)  bie  nur  local  bebingte  gärbung  von  bem 
überall  gleichartigen  barunter  roaltenben  ©efefc  Reiben.   Anfangs  mar 
man  nod)  geneigt,  raenn  frappirt,  com  3ufaK  Su  fpredjen,  aber  ein  ftet§ 
roieberholter  .ßufall  negirt  fid)  felbft.   2>ann  rounberte  man  fid)  über 
bie  rounberbaren  Goincibenjen,  unb  balb  war,  roie  immer  ber  .geheime 
Vautrieb'  bereit,  feine  ^npothefen  aufstellen,  in  Uebertragungen  unb 
.tiünfteleien  monftröfe  Völferbe$icl)ungen  fchür^enb.   EieS  war  ber  gefäljr* 
lidjfte  geinb  für  ben  gefunben  gortidjritt  ber  (Ethnologie,  befonberS  auf 
fo  fd)lüpfrigem  ©ebiet  roie  baS  $fi;d)ifche  .  .  .  ^efet  in  golge  beS  fic^ 
tljeilroeife  erichöpfenben  Materials  haben  leitenbe  ©efefee  fidj  uon  felbft 
3ufammengefd)loifen  unb  bürfen  fo,  als  nid)t  mit  fubjectioer  2lbficht,  foubem 
rein  objecto  gewonnen,  auf  naturgemäße  Vegrünbung  2tnfprud)  machen. 
Von  allen  Seiten,  aus  allen  (Eontinenten  tritt  uns  unter  gleichartigen 
Vebingungen  ein  gleichartiger  SHenfdjengebanfe  entgegen,  mit  eiferner  Diotfc 
roenbigfeit  .  .  .  3lUerbingS  ift  unter  fltmatifchen  (ober  localen)  Variationen 
anberS  bie  Sanne  beS  Horbens,  anberS  bie  ^alme  ber  Tropen;  aber 
in  beiben  fchafft  ein  gleichet  ä£ad;SthumSgefefc,  baS  fic^  für  baS  pflanzliche 
©anje  auf  roiffenfehaftliche  formen  $urüdjühren  lafet.  Unb  fo  finben  roir  ben 
©riedjen  unter  feinem  heiteren  Gimmel  oon  einer  anbereu  ©btterroelt 
geiftiger  Schöpfungen  umgeben,  als  ben  Scanbinaoier  an  nebliger  ftüfte, 
anbers  bie  3)tntr;ologie  beS  Snbexä  in  rouubeibaven  ©eftaltungen  beS 
UrroalbS,  um  biefen  su  entfprecheu,  unb  fo  über  weite  9)ieereSflä<hen  treibenb 
bie  bes  sJ*olunefterS.   Ueberali  aber  gelangt  ein  fdjärfereS  Vorbringen  ber 
iUnalwfe  ju  gleichartigen  ©runboorftellungen,  unb  biefe  in  iljrem  primären 
(Elementar  gebauten,  unter  bem  ©ange  beS  einroohnenben  (EntnndelungSs 
gefefee»,  fefauftellen  für  bie  rcligiöfen  ebenforoohl,  roie  für  bie  rechtlichen 
unb  äfthetifchen  2lnfdiauungen.    3llfo  biefe  (Erforfdmng  ber  in  ben  gefell- 
fdjaftlichen  Xenffdjöpfungen  manifeftirten  äßadjstlmmsgefe&e  beS  3)ienfcr)en* 
geifteS,  baS,  roie  gefagt,  bilbet  bie  Aufgaben  ber  (Ettnnologie,  um  mit^u* 
Ijelfen  bei  ber  Vegrünbung  einer  SKiffenfchaft  oom  9J?enfd)en!"  (Tier  Vötfer* 
gebanfe,  im  3lufbau  einer  2£iffenfchaft  uom  3)tatfd)en  Verlin  1881 
6.  8  ff).    XeSfjalb  betrachtet  auch  unfer  gorfdjer  feine  ganje  riefenhafte 
Arbeit  als  Material  ju  einer  ©ebanfenftatiftif,  im  Ueberblid  beffen,  roaS 
in  Religion  unb  ^>^iCofoptyte  auf  bein  (Erbenrunb  jemals  unb  überall 
gebaut  ift ;  als  eine  (freiließ  noch  in  ^xen  srften  ©runbjügen  faum  begonnene) 
inbuetioe  ©efduchte  ber  menfdjlidjen  Vernunft,  frei  uon.  allen  fuftorifchen 
unb  linguiftifchen  Schranfen,  eine  (Entroidelung  beS  menfchlichen  ©eifteS. 


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  Jlbolf  Bafliau.   


316er  wirb  mit  biefer,  wenn  auch  füfjnen,  fo  boa)  nicht  unbebenflichen 
©leichgiltigfeit  gegen  bie  gleichfam  burdj  bie  9?atur  oorgefd>riebenen  9iubrifcn 
ber  geschichtlichen  Betrachtung  nicht  ein  wilbeS  Gf)aoS  ber  bunteften  s2£>ill= 
fürlichfeitcn  unb  &>iberfprüche  hevaufbefchworen?  Diefe  Befürchtung  ift 
es  namentlich,  welche  feitenS  beS  ftreng  gefchulten  .§iftoriferS  immer  nod), 
wie  fcfwn  bewerft,  eine  unbefangene  3£ürbigung  ber  (£tfmologie  er^ 
fdjwert.   3unää}ft  mufi  man  fich  erinnern,  bafe  unfcre  SBiffenfchaft  es  in 
erfter  Sinie  mit  ben  Anfangen  ber  focialen  Gntwicfelung  ju  tfjun  hat,  bie 
eben,  wie  oerfchiebentlich  heroorgefwben,  burd&weg  eine  überrafchenbe 
©leidjförmigfeit  3eigen,  bie  ©efchichtSwiffenfchaft  bagegen  mit  ben  coim 
plicirteren  ©ebüben  einer  befonbcren  oölfergefchidjtlicheu  Differenjirung; 
je  weiter  oorgefchritten  biefe  ift,  befto  inbioibueller  mujj  fic  fein  unb  bem= 
tjemäfc  rwn  anberen  charafteriftifd)  abweichen.   Sobann  ergiebt  fich  ohne 
weiteren  Beweis  oon  felbft,  bafe  jene  oergletchenbe,  pfnchologijche  Be= 
hanblung  feines  befonberen  Gahmens  mehr  bebarf,  wie  ihn  bie  &tftorio; 
graphie  in  ber  Chronologie  befifct;  was  foüte  fic  auch  mit  ber  Seitbe^ 
uimmung,  wo  es  fich  ««r  u»1  oie  Jeftfteüung  allgemeiner  pfnchologifdjer 
Otefefce  banbelt?  „2llS  erfte  ift  hiev  bie  grage  $u  fteüen,  wie  weit  ein 
geschichtlicher  ©efichtSpunft  in  bie  Gtlmologie  überhaupt  tjinetngetrajjeit 
werben  barf  ober  wie  weit  er  für  biefelbe  juläffig  ift.   ^ebenfalls  bod) 
nur  foweit,  wie  eine  gefdjidjtlid)  gefiederte  Baus  gebreitet  ift  als  an  fich 
erforberliche  Unterlage,  um  überhaupt  feften  gufj  5U  f äffen.   Die  Öefchichte 
hat  aus  ben  uerfduebenen  Gpochen  ihrer  ©efchichtSuölfer  bie  Documentc 
vor  fich  liegen,  unb  ihre  Äunft  erweift  fidt)  barin,  ben  hier  hiftorifch  oer- 
Mnbenben  gaben  für  belehrenbe  2lufflärungcn  weiter  ju  weben.  Dicfer 
ganje  Apparat  jällt  oon  uorne  herein  aus,  wenn  eS  fich  w«1  fc3t)rifttofe 
9Jaturoölfer  hobelt.   2Bir  treffen  fte  fo.  wie  fte  beim  Auftauchen  in  bei* 
(Sntbecfung  fich  för  &ie  DarfteUung  geftaltet  haben,  oielleicht  noch  mit  bem 
f erwachen  üftad)hatl  einiger  Drabitionen  in  bie  lefot  oergangenen  ^ahrlmnbette 
^urücf.    darüber  hinaus  2lUed  bunfle  9tacht,  baS  Sollen  beS  ^0  im 
polnnefifchen  2luSbrucf.    2i>aS  alfo  wäre  hier  alt,  was  jung?  .  .  .  Uralt 
ftingt  meinem  Cfn*  baS,  worin  UrfprünglidjeS  noch  tönt,  unb  uralt  beShalb 
jene  Üieberflänge  Hawaiis,  gleich  alt  oielleid)t  mit  benen  £eftobs  .  .  .  Sie 
lrtl»notogie  hat  nun  aber,  um  ihre  wiffenfehaftliche  Beljanblung  burd;  bie 
^inbuction  $u  ennöglichen,  folche  etlmiidje  ©eiftesorganismen  $u  fammeln, 
trjpifthoriginell  in  fämmtlichen  Bariationen,  um  bann  mit  ben  Differenzen 
irjre  Differentialgleichungen   anjufefcen.     Das  (Sntfcheibenbe  über  bie 
Originalität  beS  Dnpus  liegt  babei  für  uns  flar  oerftänblid)  barin,  baS 
$Hlb  ber  9?aturftämme  ungetrübt  ju  gewinnen  00 r  bem  (Sontact  mit  unferer 
(Sioilifation  ober,  ba  bieS  untlmulich  ift,  in  Meiern  Moment  beS 
(SontacteS  felbft."   (3ur  Alenntniö  Hawaiis,  Berlin  1883,  S.  125  ff), 
ftür  bie  Probleme  ber  uergleichenben  (Senologie  hat  bie  Begrenzung  beS 
(Stoffs  nach  ben  Dafeln  Der  fogenannteu  ^cltgefchidjte  burajauS  feinen 


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\<6    Stomas  2td?dts  in  öremcn.   

3öertf)  unb  Sinn,  £anbelt  es  fid;  5.  um  ba3  SBorfommen  irgenb  einer 
bebeutfamen  fitttidjcn  ober  redjtlid;en  ^nftitution,  fagen  wir  be£  Matriarchat «, 
fo  ift  es  offenbar  gan$  gleidjgittig,  weil  für  ba3  SBefen  biefe£  fociologifdjen 
Begriffes  nidjtöfagenb,  06  idj  bie  einzelnen  SBölfer,  bei  benen  biefe  Structur 
nadjroetölid)  oorfornrnt,  innerhalb  itjrer  gefdjidjttidjen  Chronologie  aufführe, 
alfo  bie  £nfter  3.  23.  neben  bie  heutigen  SJtalanen  auf  Sumatra  fefce. 
Tagegen  ift  entfdieibenb  bie  gleidj  fociale  CrganifationSftufe,  bie  eben  über 
bie  Höffens  unb  3ettunterfä}iebe  fjinweggreift  unb  in  gewiffen  allgemein 
menfd)lidjen  Anlagen  biologifcfyer  unb  focialer  Watur  fid;  lefcten  (rnbc* 
begrünbet.  „SMfyrenb  bie  Gtjmologie  bie  pfi;d)ifd)en  ßlementaroorgänge 
im  tl)?enfd)enleben  comparatio  für  bie  emjelnen  .ftreifuugen  überblicft  unb 
in  jebem  berfelben  nad)  ben  2lnlagen  einrourjelnber  tfeime  genetifd)  uer= 
folgt,  liegt  eä  ber  concreten  ©efdn'dne  ob,  ber  aus  ben  SRefultaten  geo* 
grapf)ifd)er  9?atureinflüffe  für  ben  Silbjuftanb  fowof)l,  wie  auö  ben  geiftigeu 
sH?otoren  bei*  in  9led;t£wtrfungen  erblüljenben  (Eultur  gefdjürjten  Jinoten  bee 
Problems  für  leben  einzelnen  gall  erflärenb  ju  löfen."  (2lUg.  ©runb= 
$üge  ber  (Senologie,  $orrebe  S.  11.  Berlin  1884).  Teäfjalb  fann  aud; 
bei  einigermaßen  oorurtl;eil$freier  Prüfung  be3  Tl;atbeftanbe3  $wifcf>en  ber 
uniucrfellen  etfmologifdjen  unb  ber  d)ronologifd)en  unb  topograpfjifdj 
bebingten  Ijiftorifdjcn  Huffaffung  fein  Streit  beftefjen,  fonbern  e£  müßte 
—  was  leiber  aber  nid;t  zutrifft  —  ba$  befte  einuernetjmen  l;errfd;en. 

Ta3  märe  in  großen  3ügen  bie  fritifd;e  ©egrünbung  Der  3fletI?obe 
ber  naturroiffeufdjaftlidjen,  auf  bem  weiten  ^Material  ber  $ergleidmngen 
fuifenben  ^fijdjologie  ber  (Senologie;  i()rc  Aufgabe  aber  I;ier  aud)  bem 
ganzen  Umfange  nad;  fdjilbern  ju  mollen,  mürbe  un3  felbftrebenb  oiel 
5u  weit  führen.  (5$  muß  oietmeljr  genügen,  wenn  mir  au£  ber  uncnblid)en 
gütte  be$  Stoffe  nur  einige  befonbere  intereffaute  Gapitel  l>erau$f)eben, 
um  in  ilmen  jugleid)  bie  ^ilbung  unb  (Sntwirflung  unferer  religiöfcn  unb 
fittlidjen  ^bcen  51t  oeranfdmulidjen.  2lbftraf;iren  mir,  fomeit  bieS  eben 
möglid)  ift,  von  bem  ganzen  ©ewebe  unferer  fpeculattoen  begriffe,  bie  un* 
feft  umfd)lingcn,  fudjen  mir  ben  (rnbpunft  biefer  logifd)en  ©ebilbe  $u 
erf äffen,  inbem  mir  uns  bie  ftrage  uorlegen:  meld)eS  finb  bie  einfachen 
ftrunb^üge  bev?  $seltbilbe$,  mie  es  fid)  im  ftopfe  eine*  oon  ber  SWbung 
uod)  nid)t  uerfälfdjten  stfaturmenfd;en  abfpiegelttf  Tarauf  antwortet  ^aftian 
folgenbermaßen:  „3nbem  ber  IshMtbe  in  ber  anah;tifd)en  SerfefcungSarbeit 
beffen,  was  er  cor  ftd)  fieljt,  rajd)  erfdjlafjt,  inbem  er  bie  (Jrtftenj  bes 
Unbefannten  fold;en  $ugiebt  unb  mit  ben  zugeteilten  Tanten  in  feine 
©ebanfenreiljen  einführt,  fo  l;at  er  fid;  bamit  felbftroiHig  einen  Tc^poten 
gcfcjjt,  bem  er  fuca)tifd;  unb  bemütt;ig  ju  bienen  l;at,  el;e  e»  bem  Tenfen 
fpäter  einmal  gelingen  wirb,  ifjrt  tu  feine  conftitnirenben  demente  aufju* 
löfen  unb  biejetben  im  fortfdjreitenbcn  ^erftäubnifj  §u  bemeiftern.  Ter 
9)ienfd)  lebt  im  ^orijout  feiner  eigenen  3lnfd;auungen,  innerhalb  ber  objecto 
projectirten  Sdjöpfungen,  bie  ilm  in  einer  engen  Kreislinie  feftbannen,  btö 


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  2IJ>oIf  Safttan.   


er  fiä)  auffdjwingt,  bie  ^bentität  ber  fubjectioen  öefefce  mit  benen  beS 
21US  jU  erflären.  Gr  ift  ftets  oon  ben  Borftellungen  befjerrfd^t,  bic  in 
il)m  baS  Uebergewid)t  geroinnen,  in  bem  Stubtum  ebelfter  &umanitätsblütt)e 
fowohl,  roie  in  bem  fri)  ptogamif  djen  ber  SBilben.  9)iit  2Utfnal)me  beS 
llnbefannten  hat  ber  2Mbe  eine  unbegrenjte  ©röfce  in  feine  öebanfenreüjen 
jugelaffen,  ein  £  Don  nicht  befinirtem  unb  nicht  befinirbarem  SBerthe,  baS 
bei  allen  geiftigcn  Berechnungen,  bei  jebem  Abwägen  neben  einanber  fdnoingem 
ber  ©ebanfcnfeiten  für  biejenigen,  roorin  es  eingebt,  ben  2luSfd)lag  geben,  biefe 
als  bie  fdjwerfte  §ur  bominirenben  machen  muß.  2)er  SÖilbe  ift  fortan 
rettungslos  ber  £nrannei  biefes  Unbefanntcn  unterworfen.  (5r  fieljt  es 
überall  um  fid),  aus  jebem  9?aturgegenftanb  heroorblidenb,  er  wagt  feinen 
bcrfelben  5U  berühren;  felbft  bie  ^flan^e,  bie  als  -Nahrung  $ur  Sebents 
Unterhaltung  nothmenbig  ift,  barf  nur  unter  fütjnenben  (Serimonien  gepflüdt 
werben.'"  (Beiträge  juroergleichenben  5pfnd)ologie  8.  Off).  deshalb  fühlt  fid> 
ber  üJiaturmcnfch  auch  immer  unter  Seinesgleichen  am  wohlften,  wäljrenb 
altes  Anomale  —  fei  eS  übermenfchlid),  fei  es  cretintjaft  oerfümmert  —  ihm 
ein  unbeftimmtcS  gura)tgefül)I  erwerft.  Saher  and)  ber  übermächtige,  er* 
greifenbe  ©inbrud,  welken  ber  £ob  auf  feine  fenfible  Sßhantafie  ausübt. 
„33enn  ber  Siebenmenfd)  (mit  bem  er  bis  baf)m  ruhig  formlos  oerfeljrt 
jjat)  bem  £obe  anheim  fällt,  bann  ift  biefe  ^bentität  gebrochen,  bann  fieht 
er  aua)  in  ber  förperUc^en  &ülle  feines  bisherigen  3)Jitmenfa)en  ein  ihm 
frembeS  üHaturobjcct,  bann  fühlt  er  auch  aus  ihm  ben  Sdjauer  bes  Un* 
befannten  auSftrömen,  unb  bann  bringt  er  $ttternb  &ulbtgung  oar,  bis  eine 
cblere  9£>eltanfchauung  bie  Climen  ber  Slbgefdjiebenen  aus  fpufenben  ®e* 
fpenftern  in  gütige  unb  fdjüfcenbe  fieroeu  uerwanbett."  Unb  wie  ber  Sob 
bem  2ßilbeu  nur  crflärliä)  ift  als  ein  plöfclicher  (Singriff  in  ben  normalen 
Sauf  bes  Gebens,  fo  ift  für  ihn  auch  bie  tfranfheit  baS  äöerf  eines  fdjaben= 
frohen  Xämonen,  gegen  ben  felbft  bie  heilkräftige  Jürbitte  eines  ^>ricfters 
oft  machtlos  ift.  60  erflärt  fid)  unter  bem  $injutritt  anbermeitiger  Momente 
23.  oon  2raumerfd)einungen)  ober  2lnalogien  förperlidjer  2lrt  (5.  33.  beS 
2lthemS  unb  Blutes)  ber  ertreme  Spiritualismus,  oermöge  beffen  bie  regfame 
einbilbungsfraft  beS  Silben  bie  ganje  ihm  jugängige  äöelt  beoölfert  mit 
einer  Schaar  geiftiger  2Sefen,  oon  ben  frauenhaft  oerjerrten  ©eftalten  eines 
blöben  3ctifd)iSmuS  bis  3U  ben  erhabenfteu,  im  Sichte  bichterifcher  3>er^ 
llärung  hellglänsenbcn  göttlichen  Öeftalten,  wie  fie  uns  in  bunter  gulle 
bie  ÜJinthologien  ber  ocrfd)iebenften  Golfer  aufbewahrt  haben.  $n  ben 
Göttern  lebt  unb  fpiegelt  fich  ber  3i)cenfch,  unb  beSljalb  ift  bie  $efd)id)te 
fetner  Religion  $ugleid;  auch  unmittelbar  ein  getreues  Bilb  feiner  ge= 
fammten  geiftigen  unb  fütlidjen  (Sntwidelnng.  2lu«  ben  urjprünglid)  auf 
einen  engen  Bejirf  befdjränften  divi  manes  wirb  bann  im  ^aufc  ber  Seit, 
bura)  Berfd)iebung  localer  Beziehungen  unb  Bübung  oon  größeren  Stammes  - 
genoffenfehaften  ein  göttlich  verehrter  &eroS  unb  in  noch  weiterer  3lus« 
behnung  für  ein  ganzes  Bolf  ein  fiegreidjer  Öott,  ber  im  Kampfe  mit  ben 


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^ 78    (Thomas  2td}clis  in  Bremen.   

finalen  ftd)  alä  ber  mächtigere  erroeift  unb  bie  alten  Ctmnpier  entthront. 
£iefe  finfen  bann  im  SBoIf^glauben  $u  ^otenjen  sroetten  unb  britteu  9tange£ 
herab,  ober  fte  werben  in  fdjarf  bualiftifchen  Snftemen  gar  jur  ,§öUe  I)in= 
abgefanbt  —  ba$  roiberfubr  5.  ben  inbifd)en  ©ottheiten  bei  ben  Verfem. 
2luf  ber  anberen  Seite  entroidelt  fid)  mit  ber  fteigenben  (Sioiltfation  unb 
ber  philofophifcfym  Schulung  be3  ©laubens  ber  begriff  ber  Seele  in  immer 
neuen  gormen  weiter,  bis  er  in  ber  furdjtbarften,  alle  perfönliche  %xe\tye\t 
fd)led)terbing3  au3fd)liefjenben  £ärte  ber  ^etempfudrofe  (roie  in  ben  ägi)pti* 
fdjen  unb  inbifd)en  Snftemen)  gipfelt;  fyat  bod;  gerabe  bie  verheißene  Gr= 
löi'ung  von  biefetn  entfestigen  Kreisläufe  ber  Gyiftenjen  bem  üBubbfjtömuä, 
ber  bafür  bie  »Kühe  be$  unperfönlidjen  9tirroana  einfette,  bie  ungejäblten 
Scfcaaren  feiner  heitebebürftigen  Sefenner  in  bie  2trme  getrieben.  Unb  bod) 
mar  in  biefer  urfprüuglidj  ait|eibnifd)en  Religion  bie  alte  ^bee  bet  Biebers 
geburt  fo  roirffam,  bafj  felbft  hier  in  ber  fid)  eroig  erneuernben  ^erfon  be$ 
Xaiai  £ama  ber  fleifdjgeroorbene  ©Ott  ben  ©laubigen  bi*  an  ba*  £nbe 
aller  Sage  erfdjeint. 

äöie  fo  bie  uergleidjenbc  (£tlmologie  ba$  2£ad)Stfwm  ber  religio fen 
^been  in  il;ren  oerfd)icbenen  Entfaltungen  als  einen  naturgefefcücfjen, 
jeglid;er  inbioibuellen  &>illfür  entrüdten  ^rocefj  fennen  gelehrt  t)at,  fo  er* 
öffnet  fie  unö  jugleid)  einen  wollen  (Sinblid  in  bie  Struftur  beS  gefeüfchafu 
liehen  Sebent  unb  bamit  in  bie  Einrichtung  beä  9ied)t3.  3lud)  bier  wirb 
man  fidj  geroöfmcn  muffen,  oon  ber  bisherigen,  nur  fpecutatioeu  Ableitung 
au»  beftimmten  apriorifd)en  Wahrheiten  2lbftanb  511  nehmen  unb  bie  einzelnen 
MedjtSbeftimnmngen  oiclmeln*  als  concreten  9Üeberfd)lag  ber  focialen  ©efefce 
aufjufaffen.  £al)er  roedjfelt  ber  3ul)alt  biefer  formen  je  mit  bem  Gharafter 
biefer  mafegebenben  focialen  Üterl)ältniffe,  unb  waä  ber  einen  Stufe  alä 
heilig  unb  billig  erfcheint,  uerjällt  auf  ber  anberen  ftrenger  i?Xr)nbung.  2ln= 
fänglidj  auf  ben  flciuen  ^e$irf  ber  bluUuerroanbten  StammeSgenoffenfdjafteii 
befdjränft,  bie  fid),  forocit  eben  möglid),  nad)  2lufjen  hermetifd)  abfchliefceu, 
tritt  mit  bem  (rinfefcen  erogamifdjer  Ghebimbniffe  unb  bem  2(bfd)lufs  eines 
bamit  bebingten  £anbelsocrfcl)r3  eine  Erweiterung  biefer  engbegrentfen 
Med)t3fäfce  ein,  bis  aus  ben  fleinen  iUcrbänben  im  £aufe  ber  gelt  fid) 
ein  2>olf3tf)um  unter  monarchischer  Verwaltung  entroidelt.  „Unter  Einfefcen 
gefchichtlidjer  Bewegung  erhält  baS  Mönigthum  bann  eine  uöllig  oeränberte 
^hafenroanbluug,  burd)  .v^erabftnfen  ber  eingeborenen  Sdjidjtung  beim  Ueber* 
fdjieben  einer  ariftofratifa^en  ber  Eroberung,  beren  fiegreicher  Seiter,  aUS 
Surft  auf  ben  6d)ilb  erhoben,  nun  bie  ©etreuen  beä  aus  ben  ©teichaltrigeu 
gebilbeten  ©efolgcS  mit  SanbeSuertheilnngcn  belohnt  unb  fo  bei  ber  ibefifcs 
ergreifnng  auf  Xerrain  bie  ^uftitutionen  beS  JeubaliSmuS  auf  ^iftorifc^en 
"Woben  uerpflanjt."  (Mg.  ©runbjüge  S.  49).  Unb  auä)  hier,  uüe  in 
ber  9)i!)tl)ologie  fiuben  fid)  tro^j  ber  unenblidjen  3lbroeichuugen  in  Den 
einzelnen  ^oltetypeu  geroiffe  fd)lechthin  unioerfelle  v3eftimmungen  bes  focialen 
VebenS,  bie  fid;  uberall  roiebovholeu.  p,u  folchen  primären  ober  Elementar^ 


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  a&olf  Saftian.   


179 


gebauten  gehört  (um  ben  9aftian'f$en  3lu3brucf  beizubehalten)  23.  bie 
eigentümliche  matriardjale  Struftur  ber  primitiuen  ©cfcVechtSgcnoffenfchaften 
mit  ftarf  ausgeprägten  communiftiföen  3u9eu/  Gntnricflung  ber  föäupt; 
lingfdjaft,  be3  5c"baK3mu£  in  feinen  oerfdnebenen  Verzweigungen,  be* 
priefterfönigthuntö  u.  f.  w.  9iaffe  unb  ^ahrfjunbert  fpielen  auch  l)ier  feine 
ftolle;  entfäjeibenb  ift  nur  bie  gleidje  feciale  Crganifationäftufe,  ob  fid) 
biefe  nun  bei  ben  ßhinefen,  ©ermanen,  SDialanen  ober  anberen  uöllig 
ftammfremben  Golfern  oorfinbet. 

3um  Schluß  noch  ein  2Sort  über  ben  oiel  angefochtenen  Stil  $3a(Hatt'£. 
freilich,  wer  feine  Schriften  als  blofce  UnterrjaltungSlectüre  benufcen  wollte, 
eine  bunte  Jyotge  oon  ^eifeabenteuern  erroartenb,  ber  würbe  ftd)  fdjwer  je* 
täufcht  f er)en ;  aber  auch  für  bie  Vertreter  anberer  wiffenfd)aftlid)en  Sisciplinen 
älteren  Datums,  wie  ©efdjichte  unb  Philologie,  ift  bie  abfällige  Atritif  fel)r 
wohlfeil,  ba  fie  felbft  in  ausgetretenen  ©leifen  wanbern.  2lnber$  t)ier  in 
einer  neuen,  faum  gegrünbeten  Jorfdjung,  100  erft  bie  jüngfte  Gegenwart  bie 
©runbfäfce  ber  methobifchen  llnterfudmng  feftgefefct  unb  begrünbet  hat ;  unb 
eben  aus  biefem  ©runöe  ftnb  biefe  Vorwürfe  ungerechtfertigt,  weil  e$ 
unferem  Gewährsmann  in  erfter  Sinie,  mie  er  öfter  auSgefprodjen,  nur 
auf  eine  möglichft  auSgebefntte  SKaterialanfammlung  anfommt,  märjrenb  er 
Die  formelle  9lbrunbung  unb  derart eitung  ber  gefammelten  Sd;ä|je  gern 
ber  3uhmft  überlädt,  ©üblich  barf  man  nicht  uergeffen,  ba&  für  eine  fo 
meit  auöfdjauenbe  Vergleichung,  n)ic  fie  eben  bem  2Utmeifter  ber  (Senologie 
möglich  ift,  wo  oon  allen  Seiten  bie  gleidjartigen  Sbeen  unb  parallelen 
dou  felbft  fia)  aufbrängen,  bie  Schwierigfeiten  einer  flar  abgegrenzten  Stil* 
orbnung  eine  unenblid)  oiel  größere  ift,  als  für  ben  engen  ^ejirf  Oer 
meiften  l)iftorifcr)en  unb  linguiftifchen  Jacher.  3ft  biefe  ©efal)r  loächft  um 
fo  mehr,  als  fia)  bie  Probleme  ber  pfpct)ifd;en  Anthropologie,  wie  wir  hoffent* 
lieh  erwiefen  haben,  auf  baS  engfte  mit  ben  bunfetften  fragen  ber  Gr* 
fennrnifetheorie  berühren  unb  fomit  geeignet  finb,  eine  oollftänbige  Um: 
mäljung  ber  ganzen  ^eltanfchauung  herbeizuführen. 


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Die  Helten  in  Süö*(Defterreid? 

€in  Kapitel  curopäifcfjcr  U  r  g  c  f  et)  i  d)  t  c  *) 

Don 

21Tort5  £joerncs. 

—  Wien.  — 

M  f^püv  ^*  **U9C  CWwto*  W  Rittet  jeber  gefdjidjtlidjen 
fl  KT?^  (s3röf5e  eine  bräuenbe  Sdjattengeftalt,  bie  —  9tad)rid)ter  unb 
ILS^  ^"rbc  5ugleid)  —  fid)  allntäljlid)  uerbid)tet  unb  riefig  anfdmuflt, 
bi£  jene  junt  ft-alle  reif  unb  iljre  eigene  3eit  gefonunen  ift,  bie  3^it,  tu  ber 
fie,  uon  ber  &>eltfonne  befdjienen,  Ijeroortritt  unb  in  baS  2lntlifc  ber  (Srbe 
iljre  ftnfjtapfen  cinbrüdt.  <2o  fteljen  bie  9iorbuölfcr  (Surouaä  hinter 
jenen  be*  clafftfdjen  3Ütertlnnn3.  &>ät)renb  bie  altclafftfdjen  3>ölfer  jur 
^enmnberung  aller  ft-olgejeiten  an  ber  (Erfüllung  Ujrer  3Jiifiton  arbeiteten, 
bie  eble  anttfe  öefittung  fd^ufen,  bcn  Orient  Ijellenifirten  unb  Stalten  als 
ben  6ifc  einer  fünftigen  &*eltmadjt  einrichteten,  roetterleucf)tete  es  fdt)on  Iiinter 
ben  bergen,  roelcfye  bie  Vanbfefte  unfereä  Grbtf)eU3  uon  ben  .§albtnfeln  im 

*)  3n  bcu  lagen  oom  5.  bis  10.  Slngufi  finbct  in  Sien  eilt  gemeinfamer 
(Songres  ber  Seutfdjcn  unb  ber  Liener  Slnt&ropologifd>cn  ©cfcllfdiaft 
ftatt,  toeldjcr  3uglcid)  bie  XX.  regelmäßige  Söcrfammlnng  ber  beutferjen  antfyropologifdjen 
Gefell  fdiaft  bitbet.  Sie  2ikl)t  biefeS  SkrfammlungSortcS  rechtfertigt  ftd)  unter  Anbetern 
bind)  ben  au{jerorbcntlid)en  i)teid)tf)um  au  urgefdud)tl  tdjen  £en  finalem,  roelcbe 
in  Sien  onfgefammelt  finb.  Xiefclbcn  mürben  igröfetentrjcilS  in  bcn  legten  Satiren 
für  bie  piüöiftortid)e  Sammlung  beS  f.  f.  natuvrjiüorifcfjen  ftofmufeuma  bureti  tnn> 
faffenbe  Ülusgrabungcu  im  ©üben  ber  2Honard)ic  gewonnen.  2tn  biefen  Ar- 
beiten, bie  Don  allen  llrgcfd)id)t3forfcf)ern  (ftiropaä  —  bem  2tltmctfrer  biefer  SSifienfdjait 
in  £cut|"d)lanb,  £errn  Stubolf  SStrdjoio,  uoran  —  als  epoerjemadjenb  anerfannt  tourben, 
bat  ber  öerfaffet  feit  einer  JHcük  tum  3al)ren  burd)  Bettung  Derfdjicbcner  Ausgrabungen 


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  Die  Kellen  in  Süb-CDefterreid}.    \8\ 

(Sübeu  abfe^eiben,  roie  oon  einem  bi$  in  bie  SBoIfen  gefdjroungenen  WfyU 
beil ;  unb  manchmal  brörmte  ein  bumpfer  Sonnerf  djlag  roie  $ur  ^erfünbigung, 
bat?  ba£  ©eroitter  fid)  nidit  oersielje,  fonbern  Ijerannafje.  <£in  foldjer  Bonner, 
oor  bem  Italien  erbebte,  roar  ber  ©inbrudj  ber  Atelten  unter  23rennu£  atn 
•Beginne  be£  oierten  3af)rf)unbert3  oor  unferer  3eitred;nung.  $a$  junge 
:Hom  fanf  roie  geblenbet  in  bie  tfniee;  aber  atebalb  raffte  es  fi<*>  toieber 
empor,  ergriff  Sdnlb  unb  Sdjroert  unb  begann  ben  &ermdjtung3fampf 
gegen  bie  ftodjsljaarigen  einbringlinge.  !Rid)t  lange  naef^er  oernafjm  aud) 
ber  Cften  ber  antifen  SBelt  ein  fernem  ©rollen.  2lte  2Ueranber,  be$ 
iphilipou*  8ofm,  auf  feinem  gelbjuge  gegen  bie  jenfeite  be*  Skifans 
roormenben  Sfjrafer  roeit  in  ben  Horben  ber  &al6infel  o  orbrang,  famen, 
roie  ^olemäu$*£agt  (bei  etrabo  93ud)  VII.  pag.  301)  berietet,  leiten, 
bie  um  bie  2lbria  herum  fe§(jaft  roaren,  ju  bem  Könige,  um  greunb= 
i<f)aft  unb  ©aftoerbinbung  mit  itjrn  ju  fdjltefjen.  $er  große  2Ueranber  nahm 
fic  freunblid)  auf  unb  unterhielt  fid)  mit  ümen  beim  Xrinfgelage,  roobei 
er  unter  3lnberem  fragte,  roa$  fte  am  meiften  fürd)teten.  6r  erwartete, 
Tie  roürben  ifm  felbft  als  ben  ©egenflanb  ihrer  größten  Sorge  bejeidjnen. 
Sie  Helten  oom  Sianbe  ber  2lbria  anroorteten  jebodj:  „9itdjt$!  aujjer, 
baB  etwa  ber  Gimmel  einfrürje/'  £od)  roürben  fie  bie  #reunbf$aft 
eines  ÜJianneS,  roie  bes  AdnigS  oon  SJfacebonien,  über  9lllc3  h0(hfd|äfcen! 
XiefeS  SBort  erinnert  an  ben  2Iu3fprud),  welchen  oor  nia^t  langer  3^it  ber 
größte  Xeutfdje  im  §inbti(f  auf  broljenbe,  friegSluftige  ©ren5nad>barn  ge* 
tljan  hat.  Strabo  citirt  e$  aU  Söeleg  für  bie  furd)tlofe  ©erabljeit  unb  berbe 
llnerfdjrodenheit  ber  norbifa^en  Sarbaren  nebft  anberen  3eu9mffcn  //einer 
gegriffen  oolfethümlidjen  Einfalt",  rooburd)  fid)  bie  9?orblänber  nach  ber 
Meinung  biefeä  ©rieben  oon  ben  Süboölfern  auSjeidjiteten.  ift  ja 
befannt,  ba§  bie  Hellenen  in  SHrjtrjen  unb  bunflen  9Jadjrichten  feit  uralter 
3eit  bei  ben  3folf$ft&mmen,  bie  rjod)  oben  „jenfeitö  be$  23orea$"  häuften, 
eine  ?(rt  ^}arabie$  ber  fd)lid)ten  Üöieberfeit  unb  ©eredjtigfeit  oermuthet 
haben.  Unb  mit  -Red)t  fagt  flafpar  3eu6  von  oer  Urjeit  ber  Äelten  unb 
©ermanen:  „9113  &erobot  am  Spontuä  nad)  ben  Golfern  ber  ^iorbroclt 
forfdjte,  faften  fie,  oon  bem  wißbegierigen  ©anberer  nidjt  einmal  erfragt, 


unb  biird)  «Öiiit&cilung  iprer  (?rgebniffe  in  ft-acbäeitfdjrirten  teilgenommen.  ;<c»ier  ücr= 
fuept  er  e§,  eines  ber  nridjtigftcn  Probleme  ber  öfterretd)tfd)cn  ^räfjiftoric,  nämltd)  bie 
Jlblöfung  be8  fogenannten  Jpallftätter  "  3°rmcnf  reifes  burd)  bie  üa^Xuite* 
(Sultur-  unb  ben  (Sfjarafter  ber  leötgenannten  an  ber  £>anb  ber  <yunbtf)atfad)en  für  ein 
qröfcere§  publicum  barsufieOen.  (5r  l)offt  babnrd)  ehnaö  baju  beijutrnfleit,  bafe  bie 
jene*  GongrcffcS  in  einem  »eiteren  »reife  befannt  »erben,  unb  ba»  feine  Jtrüdjte  jene 
allfeitige  X^eilnaljme  finben,  toelaie  fic  getoiß  Oerbienen  inerbeu.  ^)ie  Stefultate  ?,a\)U 
reicher  oon  Sien,  Slaibcuh  unb  Xrieft  au«  untentontmener  ^ocalforfdjuimcn  an  fpeeifi- 
iaVn  ßa^Xine^duIturftatten  Marren  [bereit  nec^  irjrcr  $ubIicatton,  locrben  jebod)  ben 
^efudiern  bti  eongreffe«  burdi  21utot)fie  jugänglid)  fein.  3n  ben  SliisftcUungcn  unb 
Ceröanblungen  beSfelben  njirb  mau  fonad)  and)  bie:  Smiftrattoiien  unb  nafjercu 'Jlni^ 
fü^rungen  bea  fjicr  befianbelten  ©egenftanbeS  finben. 


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  .  ITT o r i 3  fjoerncs  in  IPteit.   


in  ruhiger  Stille  an  ben  SHorbfüften,  ebenbürtig  ben  gebilbeten  SBölfern 
beS  Sübens,  welche  ihre  benmnberten  ©eifteSbenfmäler  burä)  bie  glüeflier) 
unter  ifmen  entwidelte  $uchftabenfd)rift  ber  Fachwelt  überlieferten  unb  in 
ber  üppigen  belebenben  Statur  beS  SüblanbeS  ftdj  ber  ÜluSbilbung  ber 
t)iebe  unb  &unft  imwanbten,  wäf)renb  jene  im  rauheren  Horben,  oon  ber 
^oriefmng  wie  juin  ÄriegSwerfjeug  aufbewahrt,  um  eine  neue  Selige  ^ 
ftaltung  herbeizuführen,  als  fräftige  ftaturfölme  lebten." 

$ie  9ieufa;öpfung  ber  gealterten  „claffiiehen"  Seit  burdj  bie  Golfer 
Nüttel-  unb  StorbeuropaS  ooü>g  fid)  unter  furchtbaren  Grfchütterungen, 
nach  einem  fingen  23ruft  an  törujt,  aus  welkem  bie  anttfe  Seit  Slnfang« 
fiegreia)  f)eruor3ugef)en  fd^ien-  6eit  jene  gallifchen  Helten,  wie  eine  erfte 
SHolfSwoge,  bie  ben  unbefchüfcten  Stranb  überfpült,  in  Italien  unb  fpäter 
in  ©riechenlanb  einbraugen  unb  bis  nadt)  2lfien  Ijinüberflutheten,  machte 
bie  Seit  beS  Sübens  immer  entfdjiebener  gront  gegen  ben  Horben  unb 
baute  £amm  auf  2)amm,  fdjob  ir)re  Sehren  unb  Schufcbauten  immer 
höher  tjinauf  in  bie  unwirklichen  ©ebirgS*  unb  Salblänber  Mitteleuropa^. 
Grft  mußten  bie  2llpen,  bann  bie  $)onau  unb  ber  $f)em  als  unoerlefcliche 
©renjfdfjeibe  gegen  bie  Barbaren  Italien,  £eflaS  unb  alle  im  Greife  um 
bas  3)iittehneer  gelagerten,  oon  gellerem  Sonnenftrahl  befchienen  £anbs 
fchaften  oor  bem  Einbruch  ber  Dtochtoölfer  beäen.  3n  biefem  Ufingen 
würbe  bie  erfte  Sd)lad)tenrethe  ber  lederen,  bie  Sielten  (farnmt  $>em, 
was  fia)  oon  germanischen  Stammen  gemaltfam  bajwifchen  fdwb,  wie  bie 
(Simbern  unb  Teutonen)  naljeju  oöllig  aufgerieben,  nicht  oernichtet,  aber 
atomifirt,  feiner  Selbftftänbigfeit  beraubt,  burdj  5triege  gebrochen,  unter = 
worfen  unb  affimilirt.  Xiejer  :Uft  bes  großen  SramaS,  mit  bem  bie  neuere 
@efd)id)te  beginnt,  füllt  eines  ber  ältefteu,  aber  aud)  ber  merfwürbigfteu 
(Sapitel  in  ben  Sollen,  welche  bie  ©efd)ide  unfereS  SKaterlanbeS  aufgezeichnet 
bewahren.  2>er  allgemeine  Hergang  ber  Greigniffe  ift  längft  erfannt  unb  in 
ben  äußeren  3uÖen  Den  Berichten  alter  Schriftfteller  unzweifelhaft 
feftgeftellt.  Sie  füblid)ften  Xtyile  beS  gegenwärtigen  Üaiferftaateö  Cefter= 
reid),  bie  Cftalpenlänber  unb  baS  flfiftengebiet,  waren  in  ben  ältefteu  3eiten, 
aus  welken  uns  Sölfernamen  überliefert  finb,  bewohnt  oon  Stämmen, 
bie  —  ben  Süboölfern  oerwanbt  —  gleichfam  eine  Vormauer  berfelben 
gegen  ben  Horben  bilbeten.  60  fafjen  in  Xirol  unb  ber  Cftfchmeij  bie 
Mbätier,  ein  $olf  gleicher  3lbftammung  wie  bie  ©truSfer,  bie  auf  ber 
füblia;  angrenjenben  £albtnfel  feit  unoorbenflicher  Seit  eine  mistige 
Molle  gefpielt  unb  burd)  Uebernalmte  ägoptifcher  unb  norbaftatifcher  (fpäter 
griechifdjer)  Gulturelemente  bem  Ginfluß  beS  DrtentS  auf  baS  2lbenblanb 
eine  breite  Salm  geöffnet  haben.  So  befmten  fid^  weiter  öftlidr)  oon  ben 
Wfyitiem,  in  Kärnten,  flrain  unb  auf  bem  ßüftenlanbe  bie  3 linder  aus, 
lange  3*it  in  ununterbrochenem  3"fantmenhange  mit  tt)ren  StammeSbrfibern, 
welche  an  ber  Cftfüfte  Italien!  tynab  bis  an'S  Gnbe  ber  $albinfel  uno 
ebenfo  im  heften  ber  23alfanf)albinfel  bis  ju  ben  ©renken  ber  griedjifcben 


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  Die  Kelten  in  5üb.0eftcr  rcid?.    J83 

3unge  fefchaft  waren.  Siefen  Golfern  fiel  ein  eigentümliches  £oo3.  3n 
ber  Urjeit,  beren  Schleier  burdj  Ausgrabungen  unb  tiefere  Cueüenftubien 
ju  lüften,  erft  unferen  £agen  vergönnt  war,  befanben  fic  fid)  im  SBeüfce 
gleicher  Gultur  mit  ben  nadmtal3  clafftfdjen  Süboölfcrn.  %ene  alters 
thümlidjen  Lebensformen,  welche  in  ben  (Oeffingen  &omer£  unferer  2ln= 
fdjauung  erfcfcloffen  finb,  tjerrfd)ten  gleichmäßig  im  UrfprungSgebiet  biefer 
lieber,  wie  bei  ben  nörblichen  Nachbarn  ber  ©rieben,  ben  X^rafem  unb 
^lluriern.  Ser  $>erbreitung$bejirf  biefer  Gultur  in  Mitteleuropa  fdt)eint 
fid)  ungefähr  mit  bem  ju  beeren,  was  man  nad)  bem  gormenfehafc  beS 
reidjften  urgefchid)tlichen  ^unbpla^es  in  ©uropa  als  „&allftätter 
©ulturfreiS"  bejetdmet  t)at.  Ser  (Stil  biefer  Lebens  unb  biefer  5lunft, 
bie  uns  auö)  t)öd)fl  belefjrenbe  figürliche  Sarftellungen  ^intedaffen  t)at, 
ift  im  Vergleich  jur  fpäteren  claffifd)en  ©ioilifation  ein  primitiver,  ar= 
djaifcher.  ©r  beruht  in  ber  $auptfadje  auf  einem  Jortleben  jener  ©r= 
fcheinungen,  welche  in  einer  früheren  ^eriobe  ber  menschlichen  5lraftent= 
faltung,  ber  fogenannten  ^ronsejeit,  fid)  auSgebilbet  r)aben,  unb  ift  be- 
reichert burch  bie  Aufnahme  beS  ©ifens  unter  bie  ju  2Baffen  unb  28erf; 
jeugen  oerarbeiteten  Stoffe,  fowie  burä)  einen  (namentlich  in  ber  äfthetifdjen 
Seite  beS  Gebens)  unoerfeimbar  h^roortretenben  ©influfe  beS  femttifchen 
CrientS.  Siefe  alterthümliche  Stufe  tourbe  unter  ber  wärmeren  Sonne 
beS  Sübens  balb  überwunben,  unb  fpät  erft,  in  unferer  überall  auf  ben 
Örunb  einbringenben  ©egenwart,  finb  [\e,  tief  unter  bem  Schutt  ber 
fpäteren  CultuS*  unb  2Bolmftätten  in  Unteritalien  wie  auf  ber  ^elopSinfel 
roieber  3U  Sage  geförbert  roorben. 

$ei  jenen  nörblichen  Stämmen,  namentlich  bei  ben  ^Uuriem,  blieb 
aber  biefe  feltfam  gemengte  Gultur  mit  ihrer  Sedjnif  unb  ihrem  Stile 
noch  lange  in  ©eltung.  ©S  trat  tytx,  nad)bem  ein  geroiffer  «gö^epunft 
ber  ©ntrokflung  erreicht  mar,  ein  Stillftanb  ein,  ber  für  bie  gefchichtliche 
Betrachtung  nothwenbig  bie  gorm  eines  StucffchritteS  annimmt.  Senn 
mährenb  bie  füblichen  üfladjbarn  unb  Stammoermanbten  bem  Öipfel, 
antifer  (iköjje  jueilen,  werben  jene  3lnbent  anne  unb  verachtete  Barbaren. 
Surd)  bie  ©ntwicfelung  ber  griechifchen  Golonifation,  burch  baS  ^errifd;e 
Auftreten  ber  aeferbautreibenben  hochcioilifirten  Hellenen  an  ben  -Jiorbfüften 
ber  mittellänbifchen  ©ewäjfer  bilbet  fid)  bann  jener  fd)arfe  unb  feinbfelige 
©egeniafc  r)crau3,  Der  °*e  ©ingeborenen  gleichfam  in  bie  Üßüfte  jurücf  fließ 
unb  alle  33erbinbungen  mit  itmen  aufhob.  Ser  norbifche  33ernfteiu,  ben 
bie  illnrifchen  Stämme  fonft  ben  (kriechen  ^brachten,  wirb  nicht  mebr 
gefchäfct.  Sie  arbeiten  noch  emfig  in  ihrer  alten  uorsüglidjen  fDietaUtechnif 
fort,  aber  fie  machen  feine  gortfehritte,  feine  ©rftnbuugen  mehr;  felbft  wo 
fie  ftch  9U  bilblichen  Sarfteäungen  aufschwingen,  uerfallen  fie  einer  unfäg* 
liehen  Sürftigfeit  ber  9J?otioe,  bie  auf  einige  uralte  3Sorbilber  jurüefgehen. 
So  erscheinen  fie  reif  jum  Salle;  unb  bie  @efä}id)te  fäumt  nicht,  biefer 
Urtheil  §u  ooüftrecfen.   Sie  Vormauer  ber  Süboölfer  wirb  oon  jroei 


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18$    DT o r 1 3  fjocrnes  in  IDicn.   

Seiten  unterwüfjlt  unb  burd)brod)en :  r>ou  Horben  I;er  burd)  ben  Slnbrang 
ber  Helten,  uon  £üben  burd&  bie  9)fad)tau§breitung  9iom$.  Xie  italifdjcrt 
^ünrier  werben  f)elleniftrt  unb  fpäter  romanifirt,  ber  ittprifd^e  6taat  auf 
ber  iBalfantjalbinfel  von  ben  Römern  bejmungen;  in  baS  ©ebiet  ber  norb= 
illnifdjen  6tämme  finb  fd)on  früher  bie  feltifdjcn  Gröberer  jerruttcnb 
unb  auflöfenb  eingebrungen. 

tiefes  gefdjaf)  ungefähr  um  biefelbe  ^eit,  wie  jener  Stofj  in'* 
.§erj  ^tßtienö,  oor  welchem  3tom  betäubt  l;infanf.  $amaU  f)at  ba£ 
gallifd)e  9iorboolf  in  ungeftütnem  2lnpraH  auf  wette  Streden  bie  ©djraufeu 
niebergebrodjen,  weldje  it)re  Heimat  uon  ben  blttyenben  Süblänbem 
trennten,  unb  pm  Xtjetl  von  ben  lederen  23efvfc  genommen.  G3  mar  ein 
äufjerftcf)  fefyr  äfmlid;e£  Sßorfpiel  ber  grofjen  conftitutrenben  S3ölferwanbe= 
rung,  als  bercn  &auptactorcn  viele  3af)rfmnberte  fpäter  bie  germanifdjen 
Golfer  auftreten.  Unb  im  ©runbe  ift  bie  3iel)nlid)feit  ber  bciben  Greig= 
ntffe,  wie  uerfd)ieben  aud)  irjre  $vtnenftonen,  ,§auptrid)tungen  unb  Göns 
fequensen  gewefen  finb,  nidjt  6loj3  eine  äufjerlidje.  G$  ift  fetjr  bebeutfam, 
bafe  uns  uon  ben  alten  Sdjriftfteßern  be3  Sübens  nafyeju  bie  gleiten 
antl)ropologifd)en  3Jlerfmale  für  Helten  unb  ©ermanen  überliefert  werben. 
s^l)t)fifd)  von  gleicher  s3efd)affenf)eit  roie  bie  (Germanen,  meldten  fie  nact) 
ben  Seugmff  cn  bes  (Säfar  unb  £acttu$  etyebem  überlegen  waren,  Ijaben  bie 
Helten  burd)  iljre  längere  Sefjfjafttgfeit  im  milben  weftlid^en  (Europa  unb 
watyrjdjeinlid)  aud)  burd)  bie  ^errfdjaft  über  eine  bort  einljeimifaje  fd)wäd)ere 
Pfaffe,  uon  ber  fie  it)re  gelber  beftellen  lie&en,  manage  ber  ftrengen  £ugenoen 
abgelegt,  welche  bie  ©ermanen  im  raupen  9iorbbeutfd)lanb  treu  bewahrten. 
Sie  gleite  2£ud)t  be$  2lnfturm3,  auö  bem  gleiten  6ä)Oofe  entf  prangen, 
fällt  bodj  nidjt  mit  bem  gleiten  ©ewidjt  in  bie  2Öagfdjale,  ba  nia)t  bie= 
felben  Dualitäten  Ijinter  il)r  ftefjen.  G$  war  ju  allen  Seiten  ba3  6d)irffal 
5rantreid>3,  jweigrunboerfd;iebene9iaf)enclemente  51t  beherbergen,  oon  melden 
ba$  eine,  l)errfd)füd)tig  unb  friegSluftig,  00Ü  Gnergie,  aber  burd)  ben 
Gontact  mit  bem  anberen  Glemente  moralifd)  gefd)wäd&t,  feine  Unter* 
nefmumgen  in  bie  gerne  ridjtet  unb  Guropa  erfdjüttert  (Heltens  unb 
Jvranfenjüge,  ttreu^üge,  Napoleon  Ü),  wäfjreub  ba$  anbere,  emfig  unt» 
fricbferttg,  bie  frua)tbare  8d)olIc  bebaut  unb  bie  ©unben  l)eilt,  welche 
jenes  bem  9?ationalwol)lftanbe  fd)lägt. 

Xie  Vorläufer  unb  präbiftorifcfjen  Urbilber  ber  tfriegSfdjaaren  flarU 
be*  ©rofjen,  ÖottfriebS  oon  Bouillon  unb  be£  corfifdjen  £tctatord  jogcn 
uon  ifyren  6ifcen  am  weftlid&en  Ccean  auö  unb  fälligen  oerfd&tebene  SBege 
ein,  wie  bies  bei  planlofen,  elementaren  Bewegungen  faft  natürlich  ift. 
Gin  STieil  flieg  über  bie  grajifdjen  2llpen  in  bie  ^abuelanbfdjaft  hinab 
unb  grünbete  fid)  bort  auf  Soften  ber  GtruSfer  neue  auSgeberjnte  2£obu= 
fifce.  Rubere  3)?affen  wälzten  fid;  über  ben  9il)cin,  unb  bie  ©onau,  an 
bereu  fmd;tbaren  ©elänben  fie  fid)  niebalienen,  warb  il;neu,  wa$  jenen 
ülnbereu  ber  ^auptftrom  Cberitalicnö.    %n  fpäterer  3^  erjäljlte  mau 


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  Die  Kelten  in  f  üb- ©efterrci*.    J85 

tfjre  iKtanberungen  in  ©eftalt  einer  ©efd>td)te  von  ben  6eiben  Königsnefjen 
öellooefuS  unb  SigooefuS;  bie  $iftorifer  glaubten  auf  ben  ©runb  ber 
(Sreigniffe  $u  gerjen.  toenn  fte  biefe  Sage  oerwarfen  unb  von  angeborener 
Sföenteuerluft  be3  feltifdjen  StannneS  fpraa)en.  20  ir  erf  ernten  and)  tyier 
jenes  9taturgefe$,  weldjeä  bie  gefdjtd)tlidjen  Umwälzungen  bef)errfd)t :  ba0 
©efefc,  nad>  welchem  fdjwädjere  Golfer  bie  33eute  ber  [tarieren  werben 
muffen,  fowie  fid^  öejielnmgen  $wifdjen  ifynen  anfnüpfen.  ©cnau  fo,  wie 
bamals  bie  ©truSfer  jwifdjen  Römern  unb  Kelten  serquetfajt  würben,  ftnb 
fpäter  bie  Helten  fctbft  jwifdjen  Römern  unb  ©ermanen  aufgerieben  worben. 
XamalS  aber  waren  fie,  wie  bereite  ermähnt,  nia^t  nur  ben  ©ermanen, 
fonbern  an  KriegSfunft  fogar  ben  Römern  überfegen,  unb  bie  9iömer  felbft 
fjaben  anerfannt,  baft  eä  ifjnen  befdjieben  fei  mit  allen  anberen  Hölter n 
um  <%e  unb  (Gewinn,  mit  ben  Kelten  aber  um  il)re  (Sriftcu$  unauff)örtid) 
$n  ringen. 

Um  wieoiel  mefjr  mufeten  fiä)  bie  Kelten  als  geborene  Herren  unb 
Eroberer  ber  JÖarbarenlänber  an  ben  Duellen  ber  Donau  unb  Den  fruajts 
baren  Ufern  biefeS  Stromes  betradjten !  Sie  fie  uns  oon  ben  griednfdjen 
unb  römtfdjen  $erid)terftattern  in  fatten  färben  gefdjilbert  werben,  erfdjeinen 
fie  jubem  fo  redjt  gefajaffen,  als  unerbittliche  unb  nad)brüdlidf)e  SBollftreder 
jenes  9farurgefe$eS  (Strusfern  unb  Syriern  gegenüber  aufzutreten,  ^troftfä) 
pon  ben  Süboölfern  burd&auS  cerfdn'eben,  f)od)gcwad;ieu ,  mit  wetfeer 
Hautfarbe,  blonbem  £aar  unb  blauen  klugen,  jeigen  fie  aud)  in  ifjrem 
©eift  unb  Gbarafter  eine  oon  claffifdjer  3uä)t  unb  Sitte  uöttig  abweidjenbe 
2lrt.  Dem  Rillen  treiben  bes  gelbbauS  unb  ber  länblidjen  Se^aftigfeit 
abfwlb,  lieben  fie  bie  ©motion  entweber  in  ber  ©eftalt  eines  ungebunbenen 
£irtenlcbens  ober  in  beut  turbulenten  ©etäebe  itjrer  Sieden  unb  Stäbte, 
wo  if)re  ^ratjlfuajt  unb  rKebeluft  ein  weites  Jfetb  unb  reid)tid)e  Wahrung 
finbet.  »m  willfommenften  aber  ift  tynen  ber  Kampf,  fowoljt  in  ber  bem 
claffifdjen  2lltertfmm  unbekannten  £orm  beS  Duells,  als  im  fingen  ber 
ausjie^enben  ©ewaltljaufen  nadj  neuen  Sofmfifcen  unb  rufjiuooller  iöe= 
tfjätigung  auf  bem  Sa)laa)tfelbe.  UcbrigenS  gar  fo  auSia)lie6lid)  $um 
Unfegcn  unb  gar  fo  ofjnmädjtig  ju  9ieufd)öpfungen  an  Stelle  ber  von  Urnen 
aufgelösten  Drbnungen,  roie  manage  .§iftorifcr  (aud)  3)iommfen)  naa)  ben 
feinbfeligen  "Serid&ten  ber  altclaffifa)en  Sdjriftfteller  bie  Kelten  fdiilbem, 
ift  biefe  Nation  uiä)t  geroefeu.  Die  Kelten  l)abcn  tl)atfäd)lid)  —  was  man 
früher  nidit  rotffen  fonnte,  jefct  aber  auf  ©runb  tieferer  bura)  IHuS- 
grabungen  gewonnener  £infta)teu  ausfpred)en  barf  —  eine  neue,  iljneu 
eigentljümlidje  Gultur  in  weiten  ^anberftreden  jur  £errfd)a(t  gebrad)t. 
3ene  Gulturftufe,  über  weldje  fie,  lange  oor  ber  Süislulbung  ber  prouinjial  = 
römifa^en  Gioiltfation,  oerwüftenb  Ijingefaljrcn  finb,  war  bie  alt* mittels 
europäifdje,  in  ben  6rrungenfa)aften  ber  reinen  ^ronjejeit  wur^elube 
,^aüftdtter  Gultur."  ^re  Ueberwinberin  unb  Wadfjfolgerin,  jugleid;  bie 
^'orftufe  ber  proüin$ialrömi)d)en  Lebensformen,  ift  bie  felttidje,  auf  einem 


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(86    IITori3  tjocrncs  in  Wien.   

oiel  auS^ebelmteren  ©ebraudje  bes  ©ifenS  beruljenbe,  Gultur  oon  2a  = 
Xune",  fo  genannt  na$  einem  berühmten  ??faf)lbaufunborte  am  Heuens 
burger  See  in  ber  Sdjroeij. 

#aüftatt;  unb  ^a=$cne=Gultur,  baS  finb  bie  bciben  jüugften  präs 
tnfiorifajen  (Stufen,  bie  wir  faft  in  bem  ganzen  weiten  Sänberfreife  Defter^ 
reidj=UngarnS  an  überreichen  ^unbtfyatfadjen  ftubiren  tonnen,  unb  weld)e 
namentlid)  im  Süboften  ber  9J?onarä)ie  oon  gefdjidjtlidj  beseugten  Stämmen 
—  bie  erftere  oon  ben  Sönnern,  bie  (entere  oon  ben  Helten  —  ge^ 
tragen  würben.  $iefe  beiben  Kulturen  fielen  einanber  im  Sunfel  ber 
Sßälber  unb  Xl)alfdjfud)ten  Mitteleuropas  gegenüber  roie  bie  oorberften, 
bem  Untergange  gemeinten  Sd)lad)treif)en  oon  Süb  unb  9torb,  als  hexen 
Xriarier  unb  unfterblidje  £auptfämpfer  bie  antife  römifdje  unb  bie  mittel  - 
alterlid)e  germanifdje  Gultur  erft  oiel  fpäter  jum  Streit  antreten.  3>ie 
.s^aÜftatt: Kultur  ift  ameifeßoS  unter  (Sinflüffen  entftanben,  bie  mir  oom 
Crient,  für  (Suropa  fpeciell  oon  ben  füblidjen  &albinfeln  beS  SalfanS  unb 
beS  2lppeninS,  herleiten  müffen*).  lieber  ben  erften  Urfprung  ber  £a* 
£öne=£ultur  finb  wir  bagcgen  im  Unflarcn.  2Hir  fefjen  nur  aus  ben  (£r* 
gebniffen  ber  in  unferer  3rit  fo  fd)wungl)aft  betriebenen  SluSgrabungS* 
ttjatigfeit,  bafj  biefe  ßultur  in  ben  ä&ftlänbern  Europas  (©aUten) 
topifd>er  2luSbtlbung  gelangt  ift  unb  oon  bort,  offenbar  burd)  bie  feltifäjen 
SSanberjüge,  naa)  bem  ©üben  unb  Cften  oerbreitet  mürbe.  2öela>  ©in* 
flüffe  fic  im  feltifajen  Stammlanb  in'S  £eben  riefen,  melden  glft<f(ia>n 
Umftänben  baS  Grwad&en  biefes  ©ebietes  ju  neuer,  oielfadj  an  fpätere 
(SntwidlungSftufen  ber  9ttenfd)f)eit  erinnember  Styatfraft  unb  Äunftfertig= 
feit  su$ufd>reiben  ift,  barüber  enoarten  mir  3luffd)lüffe  oon  ber  3Htunft, 
unb  fic  werben  nia^t  ausbleiben.  Vorläufig  fjat  man  erfannt,  bafc  bie 
Kelten  an  ber  ftonau  unb  an  ber  2lbria  nidjt  als  oerwüfteube  Barbaren, 
fonbern  als  Xrager  einer  neuen,  f)öf)eren  (Sultur  erf Lienen  finb.  Unb  roie» 
oiel  fie  ftdj  audd  oon  bem  SBefito  ber  unterworfenen  ^olferjdjaften  angeeignet, 
jebenfaDS  ^aben  fie  bie  (feineSwegS  unbebeutenbc)  (SntwidlungSjtufe,  auf 
weldjer  bie  Börner  baS  ftüftenlanb  im  Horben  ber  3lbria  unb  baS  Dftalpen= 
gebiet  antrafen,  3ur  33ollenbung  gebrad)t.  ®ie  &ts££nes(Sultur  ift  aber 
nidjt  nur  bis  fjod)  in  ben  ffanbinaotfdjen  Horben  Ijinauf,  wof)in  nie  eines 
Sielten  gufj  gebrungen,  als  gortfdjritt  unb  3>erbefferung  ber  äußeren  £ebens= 
formen  bantbar  aufgenommen  worben;  fie  Ijat  audj,  wie  bereits  erwähnt, 
ber  prootnjtalrömifdjen  Gultur  ben  33oben  bereitet.   $a  unter  ber  9legibe 


*)  Weiteren  2(nnaf)meu  sufolgc,  loeldje  gegentoärttg  inSbcfonbere  pon  &  i  r  cb,  o  w 
berrreteu  loerben,  bärten  mir  Otalieit  al8  tai  UrfprungSgebict  beu  §aQftatt=Kultur  in 
Mitteleuropa  angufeljen.  (Meacn  bie  au^fdjlicfelid)c  frerlcirung  berfefben  uon  biefrr 
.ftalbinfel  babe  id)  in  ben  ÜDlittfjeilungen  ber  Liener  JlntbropoIogifdKn  ©efcüfdjaft, 
ibanb  18  <5it}una>25er.  @.  58  («Sur  tfiage  ber  älteften  Jöcätefntngen  jtt)ifd)en  2WttteI* 
unb  ©übeuropa")  bie  ßJriinbc  gcltenb  gemadjt,  wouacb,  aud)  bie  S3 a lf  a  n b a  1  b  i  u  f  e l 
tbetltüeifc  als  MusgcmaBpunft  Dicfer  Gultur  in'i  ^luge  511  faffen  tüäre. 


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  Die  Kelten  in  f  ti&-(Dcfierrcicb. 


berfelben  lebt  fie  eigentlich  fort,  unb  mau  erfennt  if)re  Slusläufer  noch 
in  ben  Grfchetnungen  ber  VölferroanberungSjeit  unb  in  bem  Gulturbefv| 
germanifcher  Stämme  niäbrenb  be£  neuen  3eitraum£,  ben  jene  eröffnet. 
So  laufen  grofje  gefdjichtliche  Gonflicte  immer  auf  einen  Verf<hmel$ung£s 
procefc  hinaus,  wie  ja  auch  ber  £auptfampf  ätuifchen  ber  antifen  unb  ber 
gennanifchen  ©eftttung  unb  Ältanfchauung  nid)t  $u  einer  Vernichtung  beS 
unterliegenben  feiles,  fonbem  $u  einer  gegenseitigen  2>ura)b ringung  beiber 
Elemente  geführt  tyat. 

9la<fy  biefer  Darlegung  be£  Suiaiumenfwnges,  welche  sroifchen  ben 
prätjiftorifdt)eu  Völferbeioegungen  im  Cftalpengebiete  unb  ber  Gulturgefduchte 
©efammteuropaS  beftef)t,  bürfen  mir  für  jene  Sielten,  roeldje  bem  grojjen 
2Ueranber  eine  fo  überrafchenbe  2tntroort  geben,  ein  geioiffeS  l)ör;ere^  3ntere[fe 
bei  unferen  Sefern  oorauSfefeen.  äöir  bürfen  oermuthen,  baß  es  ihnen 
nic^t  ummllfommen  fein  wirb,  eingeführt  511  werben  in  bie  ^intevlaffenfchaft 
jener  Männer,  aus  bereu  Sorten  an  ben  größten  Slonig  beS  Sllterthumä 
ber  «Qauch  beS  SBeltgeifteS  roehte,  ber  bie  9corboölfer  $u  furchtlofem  Vor- 
bringen gegen  ben  Süben  befeelte  unb  antrieb. 

II. 

$amit  treten  mir  an  ben  9ianb  jahtlofer  ©räber  unb  Schutthaufen; 
nnr  überfdjretten  bie  Schwelle  eines  ftillen  emften  £obtenreuheS,  bem  faft 
jroei  ^ahrtaujenbe  ungeftörter  dlufye  oergönnt  waren,  fochten  bie  tarnen 
ber  Sllpenfelten,  wie  fie  SßtolemäuS,  Strabo  unb  ^linius  überliefern,  in 
ben  ©efchidjtsbücbern  fortleben  —  ihre  Slfdje  unb  ihre  &abe,  wie  fie  bie* 
felbe  in  ©r&bern  geborgen,  unter  SBalbmooS  unb  3lcf ererbe  jurücfgelaffen, 
blieben  unberührt.  Grft  baS  lefete  ^ahrjehnt,  ja  erfl  baS  lefete  Suftrum  fal) 
bie  Sluferftehung  ber  $ocumente,  welchen  mir  bie  über  ben  Söortlaut 
alter  Schriftquellen  weit  hinauSreichenben  Ginfichten,  bereu  in  ben  r»or= 
ftehenben  Seiten  gebaut  ift,  oerbanfen.  3Kan  oerfuchte  wohl  fchon  früher,  fett 
ben  Anfangen  ber  prähiftorifchen  2Biffenfchaft,  eine  Verfnüpfung  ber  archäolo* 
gifchen  gunbe  beS  SRorbenS  mit  ben  3eugniffen  ber  clafiifchen  Schriftfteller. 
Slber  bis  oor  ganj  turjer  3C^  führten  biefe  sBeftrebungen  nur  5U  bem  (nod) 
heute  in  oielen  ungrünblichen  £)arftellungen  feftgehaltenen)  Qrrthum,  2lUeS 
was  fia)  nicht  unjweibeutig  als  römifdjc  ober  germanifche  &interlaffenfd)aft 
ju  erfennen  gab,  ben  ftelten  jujufchreiben.  ©an$  abgefehen  oon  bem 
3Kißbrauch,  ber  mit  bem  tarnen  unb  begriff  biefeS  alten  SBolfeS  getrieben 
würbe»  inbem  man  bemfelben  eine  mit  ben  ä^öwfte"  ber  Claffifer  ganj 
unoereinbare  SHuSbelmung  gab,  mar  es  5U  einer  2lrt  oon  ©laubenSartifel 
geworben,  bajj  33ronjen  mitteleuropäifcher  gunborte,  wenn  fie  nicht  römifch 
feien,  nothwenbig  feltifch  fein  müfjten.  2BaS  römifch  unb  was  nid}t:römifch 
war,  unterfchieb  man  leicht,  gür  baS  Sefetgenannte  gab  Mathias  Äod) 
in  feinem  2ßerfe  „über  bie  ältefte  Veoölferung  Cefterretd)S  unb  Vaierns" 
(2etp$ig  1856  S.  23  f.)  bamals  folgenbe  binbenbe  Slnweifung:  „©räber, 

13* 


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\SS    niorij  tjocrncs  in  lüicn.   

bereu  ganje  2Öaffen=  unb  2lnticaglienbeigabe  au3  ^ronje  befielt,  finb  auS; 
gemacht  felttfch  unb  werben  nie  anberS  gebeutet  werben  fönneu.  Das* 
felbe  gilt  oon  ©rabern,  beren  33eftanbthei(e  nur  Stein  unb  Söronje  mit 
Sronjenjaffen  finb.  Stein  allein  unb  Stein  mit  (£ifen  berechtigt  5U 
einem  giltigen  Schtufj  auf  ©ermanen  (!),  was  ooöenbä  uon  (Stfen  allein 
fidr)  jagen  läjjjt.  SBronje  unb  (Sifen  tonnen  auf  Helten  unb  ©ermanen  be* 
pgen  werben;  aber  in  foldjen  gälten  entf Reibet  bie  ©efdnchte  ber  ©egenb, 
reo  bie  gunbftätte  fich  befinbet." 

$on  biefen  Säfcen  fleht  heute  faum  einer  mehr  aufredet.  £>ie  reine 
Sronjeperiobe  ^at  in  unferen  ©egenben  lange  oor  ber  feltifdjen  ^noafion 
ihr  ®nbe  erreicht.  2fi>er  aud)  öronje  unb  CSifen  in  ihrer  innigen  Schmefter* 
fdjaft,  wie  fie  unter  ber  £errfdt)aft  ber  &aUftatts(5ultu:  auftreten,  gehören 
^ier  einer  93ölfergruppe  an,  bie  welthiftorifd)  in  einem  gewiffen  ©egenfafce 
§u  ben  Letten  fleht.  Ueberhaupt  ift  man  jefet  bauon  jurücfgefommen,  aus 
bem  3)?ateriale  ber  ©rabbeigabeu  allein  Seelüfte  auf  bie  Nationalität  ber 
begrabenen  $u  sieben.  9^tdr)t  einmal  aus  ben  gormen,  welche  gleichfam 
ben  ßomparatio  511  ber  in  bem  SHateriale  gegebenen  erften  93ergleidmng$: 
[rufe  bilben,  fann  man  bie  etfmologifche  3ugel)örigfeit  ber  einfügen  Sefifcer 
ober  fertiger  beS  prähiftorifdjen  $au£rathe3  mit  Sicherheit  erfchliefeen. 
SJton  fann  nur  mehr  ober  minber  ftidjhaltige  3jermutt)ungen  auffteUeu, 
wobei  allerbings  bie  literarifch  bezeugte  Vergangenheit  be3  ©ebieteS,  in 
welchem  bie  gunbfteUe  liegt,  ein  entfcheibenbeS  Sort  mitfpricht.  3luf 
biefem  SBege  ift  man  bahin  gelangt,  nach  ben  legten  grofeen  ©ntbecfungeu 
archaifdjer  Metropolen  in  Cberitalien,  Qfrrien,  tfrain  unb  bem-  Äüftenlanbe 
bie  h^r  fo  glänjenb  oertretene  ^attftatt^ultur  ben  ganriern  Mufchreiben. 
3a,  $aolo  Crfi  in  SnrafuS,  welcher  juerft  in  biefem  (Sinne  „snlle  nuo- 
vissime  scoperte  neir  Istria  e  Delle  Alpe  Ginlie  o  sulla  necessitä 
di  costituire  un  nuovo  gruppo  archeologico"  gefchrieben  fyat,  benft  fchon 
baran,  illnrifchen  Stämmen,  bie  ja  einft  oiel  weiter  nach  Horben  hinauf 
fe&haft  waren,  aud)  bie  fjaUftatt = ähnlichen  ©enfmäler,  welche  in  Steter; 
marf  unb  9tieberöfterreid)  füblich  ber  ionau  gefunben  finb,  wie  auch  bie 
berühmte  oberöfterreidjifche  Metropole  felbft,  als  (Sigenthmn  ju  oiubiciren. 

9luf  bemfelben  Sege  fyxt  »nein  burd)  Ausgrabungen  in  2Be)leuropa, 
namentlid)  in  bem  feltifchcn  Stammlanb  ©aflien,  ben  3ufamme"han9  Dßr 
l'a^ene^ormen  mit  biefem  norbifchen  SBolfSelement  feftgeftellt.  ©8  tyxt 
eine  an  ©emifcheit  grenjenbc  Sahrfdjeinlichfeit,  bat}  int  Bereich  ber  ^errs 
fdjaft  unb  ber  Säuberungen  feltifcher  Stämme  baS  ftärfere  Auftreten  jener 
formen  ba£  (Srfdjeinen  ber  Mteu  auf  ber  gefä)ichtlld)en  Schaubühne  an« 
seigt.  Sir  werben  ben  bezüglichen  ftonnenfreis  unten,  wo  wir  baS  ftn* 
oeutar  frainifdjer  unb  füftenlänbifcher  ©räber  betrachten,  näher  fennen 
lernen.  $ier  fei  nur  eines  Stüdes  gebadet,  baS  als  werthoollfter  XnpuS 
bie  3ioUc  einer  Seitmufchel  in  ben  präqiftorifdjen  Sdn'djten  ^Mitteleuropas 
fpielt  —  ber  Jyibef.  Sie  gibel  ber  £a*£one=3eit  unterfcheibet  fich  auf's 


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  Die  Kelten  tu  Süb.CJefterretdj.    \8<) 

3tt)ärffte  oon  ber  früheren  ©eftaltung  biefeS  £oilettenftüdeS  burdj  bie 
SJilbung  bet  beiben  Gnben  beS  Bügels,  inbem  baS  rüdioärtige,  ber  febernbe 
Äoof,  eine  in  meljrjaäjen  äöinbungen  beiberfeitd  nad)  auSioärtS  gebogene 
6r>irale  bilbet,  roät)renb  baS  oorbere  Gnbe,  ober  ber  guß,  nad)bem  eS  ben 
9iabclbalter  gebilbet,  fd)räg  nad)  oben  emporfteigt,  fid)  roieber  ber  SJtttte 
be»  Bügels  näljert  unb  mit  bemfelbeu  burd)  einen  Jtnopf  oerbunben 
in.  Siefe  geringfügigen  £etails  in  ber  Formgebung  eines  an  fid)  un* 
roefentlidjen  Stüdes  unter  bem  Gulturbefifc  ber  nicr)tclaffifcr)en  33ölfcr  beS 
2lltert&um8  finb,  roie  bie  $>tnge  in  ber  präfjiftorifdrjen  9lrcr)aologte  Ijeute 
legen,  oon  ber  allergrößten  3i>id)ttgfett  für  bie  33eftimmung  ber  djrono- 
logifdjen  unb  etlmologifdjen  Stellung  eines  gunbeS.  2(ip&  ber  ©efellfdjaft 
mit  fo  geftalteten  ©eroanbrjaften  bat  man  erft  bie  roarjre  iöebeutung  anberer 
£npen  ber  &a=X(>ne=Gultur,  foldjer  £ppen,  voeldje  ben  Grjarafter  ber  letzteren 
mel  ftarfer  jum  SluSbrucf  bringen,  iuie  ber  langen  C5i f enf et) ro e vter ,  ber 
breiten  eifernen  Sd)ilbbudel,  geroiffer  fdjlanfer  Streitärte  u.  f.  ro.,  er 5 
formt  unb  gelernt,  biefelben  als  3ü"uftration  eines  ber  roidjtigften  gactoren 
ber  europäischen  Urgefcrjidjte  5U  oerroenben. 

2US  man  foroeit  gefommen  mar,  geigte  fid)  golgenbeS.  Sidjere  Spuren 
ber  oftroärts  genuteten  gaUifdjen  Si>anberungcu  —  oon  ben  nörblidjen 
3lu5ftrar)lungen  ber  feltifdjen  Gultur  abgeferjen  —  fanben  ftdj  überaus 
jatjlreia)  in  allen  £änbern  anriföen  granfreid)  unb  bem  meftlia^en  Ungarn 
roie  aud)  (nur  an  3af)l  geringer)  in  Cberitalien.  3n  Deftcrreid)  erroieS 
fid)  nament(id)  SBölnnen,  baS  £anb  ber  feltifcben  23ojer,  mit  einigen  claffifdjen 
gunbpläfeen  (ftrabiste  bei  Strabonic,  $ur  u.  f.  ro.)  an  foldjem  Material 
ergiebig.  Mein  merfroürbiger  Seife  wollten  bie  öfterreid;ifd)en  Sauber 
füblia)  ber  $onau,  roorjin  bod)  fo  nafmujafte  feltifd&e  Stämme,  roie  bie 
Saurisfer  unb  ftaruer,  i^ren  SSeg  gefunben  r;aben,  mit  fpärlid)en  3luSnarjmen 
(türenberg  bei  ^allein  in  Salzburg)  su  biefem  9)toteriale  feinen  Beitrag 
liefern.  GS  fdjien  alfo,  baß  bie  Cftalpen  unb  baS  ßüftenlanb  im  Horben 
ber  2lbria  tro$  ber  Sdjriftftellcr,  roelcr)e  fjier  ein  reidjeS  Seben  feltifctjer 
$olf*elemente  bezeugen,  aus  bem  &errfd)gebiete  ber  Sa«Xene^ultur  aus* 
jufa)ließeu  feien.  ftoer)  im  %a\)xc  1883  fdjrieb  einer  ber  eifrigften  Gr? 
forfajer  urgcfdr)idr)tCic§er  Ueberrefte  in  Ccfterreidj,  Jerbinanb  oon#oa> 
ftetter,  in  feiner  otelangefoajtenen  2lbl)anblung  über  ben  „Guiturfreis  ber 
^allftatter  ^eriobe"  (S.  42):  „Sir  fennen  uodj  feine  ©räber  in  ben 
öfterreid&tfdjen  2Upen,  beren  Qnfjalt  auf  eine  Gulturperiobe  r)init>eifen  mürbe, 
bie  fid)  5roifd)en  bie  &allftätter  ^eriobe  unb  bie  römtfdje  $eriobe  ber 
erflen  Oafjrlmnberie  nadj  Gljrifto  einfdjalten  ließe ;  rootjl  aber  ©räber,  beren 
^nrjalt  ben  unmittelbaren  Uebergang  ber  einen  ^eriobe  in  bie  anbere 
barftellt."  Gr  mußte  alfo,  tror^  feiner  oon  älteren  9lnfdjauungen  unah- 
gängigen  Haltung,  glauben,  baß  roenigftenS  in  bie  Cftalpen  bie  gcfa^id;ttid^ 
bezeugten  Äcltenftämme  oöUig  unter  bem  Ginfluß  ber  $aHftätter  Gultur 
geftanben  Raiten,  womit  er  fict)  nod)  gan$  auf  bem  Soben  beS  alten  3ftatf)iaS 


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19<> 


 JTTort3  ßoernes  in  Wxtn. 


$o<h  unb  feiner  £ef)rfä|je  befanb.  2fud)  greiljerr  oon  6aden,  ber 
aüerbing«  fein  berühmtes  33udj  über  ba«  ©rabfelb  oon  £aüftatt  um 
anbertt)alb  ^arjrjefptte  früher  fchrieb,  roar  ja  ber  9lnjid)t,  bafe  bie  ^e* 
grabenen  jenes  oberöiterreid)ifchen  33ergroinfel«  mit  ifjren  ©djäfcen  an  fünfte 
doH  gearbeiteter  23ronje  nidjt«  anbere«  at«  Helten  geroefen  fein  tonnten; 
unb  fo  glaubt  man  e«  in  bcn  minber  unterrichteten  Greifen,  welche  fia> 
für  jene  epochemadjenben  gunbe  intereffiren,  auch  beute  nod>  roeit  unb 
breit.  3um  ©M  ftrccften  aber  bie  begrabenen  roirflicfjen  Sielten  auch 
im  2ltyen*  unb  flüjtcngebiet  balb  tjie  unb  ba  einen  ginger  aus  ber  beefenben 
8d)otte.  2J?an  mürbe  unter  beut  Ginbrud  ber  anberroärt«  (namentlich 
oon  C  Xifajlerin  &önig«berg)  fo  erfolgreich  betriebenen 2a ^«ne*Stubien 
auch  bei  un«  auf  biefe  gingerseige  aufmerffam;  unb  fietye  ba!  ba«  iüngftc 
i'uftrum  brachte  un«  eine  gan^e  9ieif)e  ber  roid)tigften  Gntbedungen. 

3m  3al;re  1885  [tiefe  ber  CSuftoö  be«  frainifd)cn  &mbe«mufeum« 
G.  2>efd;mann  juerft  auf  eine  ©räberftätte  au«  ber  &ts£ene^ßeriobe 
ober  ben  Dörfern  eiepfdief  unb  ßeiligenfreuj  bei  9?affenfufe  in  Unter» 
frain.  ^icfelbc  grenjte  unmittelbar  an  eine  au«gebelmte,  mehrere  3od)  um* 
faffenbe  ^Jefropolc  au«  bei  £allftätter  speriobe,  roooon  über  400  ©ruber 
mit  siemlid)  reichen  gunben,  tfjeü«  8felett=,  tlieit«  Sranbgräber  mit  ober 
ofme  Urnen,  aufgebeeft  morben  waren.  „SBir  Ratten/'  erjagt  Sefcrmiarm 
in  feinem,  auf  ber  .Sllagenfurter  2i>anberoerfammlung  ber  SEtcner  antrjro* 
pologifchen  ©efcüfchaft  am  19.  2tuguft  1885  erftatteten  Senate,  „iene§ 
grofje,  ber  £aUftätter  ^ßeriobe  angef)örige  ©räberfelb  beinahe  ganj  au«ge* 
beutet,  al«  roir  an  bem  über  biefen  ©räbern  beftnbltcrjcn  £ügelrüden 
loeitere  9iachgrabung«Derfucbe  machten.  2a  überrafdjte  un«  plöfclich  bie 
eigenttuunlidje  3lrt  unb  Ütfeife  ber  ^eftattung,  bie  oon  ?IHem,  roa«  roir 
bisljer  in  Jlrain  gefefyen  fyatten,  oollfommen  abroia).  G«  roaren  feine 
Sfelette  oortjanben,  fonbern  jerftreut  in  größeren  ober  geringeren  Gut* 
fernungen  in  bem  $oben  unb  jroar  in  bem  brödligen  Solomitfel«  au«ge* 
böfylte  colinbrifdie  ©räber,  beiläufig  V-  m  tief  unb  im  $m.  ca.  25  cm 
breit.  3m  ©anjen  roaren  beren  etlidje  sioamig.  2(uf  bem  ©runbe  ber* 
felbcn  befanben  fidj  bie  roeifeen  ftnodjen,  roeldje  au«  bem  Seid&enbranbe 
eigen«  au«geflaubt  $u  fein  fdjienen,  obne  irgenb  eine  Beigabe  oon  ftoblen, 
nur  mit  Xolomitfanb  übcrfdjüttet.  $u  bieten  ©rc.bern  ober  oielmeljr 
2öd;em  ftedten  bie  boppelt  sufammengebogenen  ©chroerter  unb  nebftbem 
bei  einzelnen  auch  noch  Van$enfptfccn,  oon  benen  einige  ganj  umgebogen 
roaren,  anbere  aber  eine  fdjroadje  .Urümmung  batten;  ferner  6dnlbbudel, 
grofee  S)ic;"fer,  2lerte  mit  horizontalem  6djaftlod)  u.  a.  m. 

„2)ort,  reo  Jrauengräber  roaren,  fanb  man  fa)alenförmige,  geglieberte 
Armringe,  jeboch  alle  jerbroa^en,  ferner  Fragmente  oon  ilkonjefibclu,  aber 
auch  einige  gai^e  Gifen*  unb  ^ronjefibeln,  einen  ©la«riug,  dic]ic  oon 
gläfernen  2lrmbänbern." 

^öei  ben  Schroertern  ber  feltifdjen  Männer  fanben  fich  t^eitroetfe  auch 


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  Die  Kelten  in  Süb  (Deftcrrct dj.    \9\ 

noch  bie  eifemen  Ketten,  woran  jene  getragen  würben.  Sie  beftefjen  aus 
jopfförmig  geflochtenen  ©fiebern,  welche  mittels  eiltet  furjen  föäfchenS  unb 
eines  Tinges  um  bie  2Jfitte  beS  SeibeS  befeftigt  waren.  £a$u  ftintmt  ber 
Bericht  beS  römifchen  £iftoriferS  &iobor  uon  Steiften,  baft  bie  Helten  ihre 
Sanierter  mittels  Metten  an  ber  redeten  Seite  beS  Körpers  getragen  hätten. 
$ie  Schwerter  felbft  finb  ibentifd)  mit  ben  anerfannt  feftifd)en  Ufingen  ber 
3£eftfd)roei5  unb  5ran^re^^-  @k  unterfcheiben  fid)  oon  ben  Schwertern 
ber  ^aflftatt^eriobe  burc^  eine  uicl  brauchbarere,  namentlich  jum  fechten 
tauglichere  §orm.  £>or  2lllem  finb  bie  ©riffe  länger  unb  frei  oon  jenem 
Verliehen,  aber  im  ©ebraua)  fein:  tnnbertichen  Knäufen  ober  gefchweiften 
'iluffäfcen,  worin  bie  &allftatt*Sdjwerter  (wie  man  fidt)  aus  Sadens 
^ublication  überzeugen  f ann )  großen  Suru*  unb  manchmal  eine  wahre 
bracht  entwideln,  inbem  ba  Soppelipiraleu  ober  3ieri<heiben  aus  Sronje, 
Irlfenbeinfnäufe  mit  58ernftetn= (Einlagen  unb  bgl.  auftreten.  SaS  Duer- 
ftüd  jroifchen  ©riff  unb  Glinge  ift  fchwad)  in  bie  .fcölje  gefchweift,  unb 
biefer  ?luSbiegung  entfpricht  eine  baju  paffenbe  glodenförmige  Grhöhung 
in  bem  Scheibenranbe.  Sie  Sdjwertfcheibe  ift  fel)r  ^erlief)  mit  einer  9?anb= 
einfaffung  umgeben,  welche  an  bem  unteren  ©nbe  burd)brochen  ift.  Sie 
Klinge  mifjt  ca.  1  in  unb  hat  an  beiben  Seiten  parallele  Sdjneiben.  Sie 
in  oon  üorjitglicher  $ärte,  ©lafticität  unb  Reinheit.  XaS  untere  (Snbe 
ift  ftumpf  abgerunbet.  $aS  gaüifche  Schwert  war  bemnad)  mehr  eine 
$au*  al*  eine  Stichwaffe.  $ic  gorm  beofelben  ift  übrigens  nicht  gan* 
conftant,  fonbem  erfuhr  im  £aufe  ber  legten  3ahrf)unDerte  *>or  Ghrifti  ©?s 
burt  oerfdnebene  fleine  3)?obificationen,  wie  Ctto  £ifd)ler  in  feinem  &or* 
trage  „über  bie  ©lieberung  ber  &u£tmess}kriobe  unb  über  bie  Secorirung 
ber  (Sifeuwaffen  in  biefer  3^*"  (auf  Dßr  ÄarUruIjer  ^erfammluug  ber 
beutfehen  anthropologifcheu  ©efellfchaft  1885)  beS  Näheren  §eigte.  Diefer 
treffliche  ©elehrte  untertreibet  in  ber  feltifdjen  (Sulturperiobe  brei  Hilters* 
ftufen,  welche  fich  äufeerlicf)  bura)  bie  2i'anblungen  ber  für  um  midjtigften 
£i)pen  jener  ^periobe,  ber  Schwerts  unb  gibeltnpen,  charafterifiren. 

2öie  lange  hat  bie  ©Zählung  com  Sdjwert  beS  ^Bremms  unb  uon 
bem  Uebermuth,  mit  welchem  ber  gaüifche  ^eerfbnig  fein>  Gifen  in  bie 
^gfdjalc  ber  äugftlichen  römifdjen  Stabtbürger  warf,  in  ©efchidjtsbücbern 
unb  2lne!boteufammlungen  ihren  pafe  behauptet,  bis>  es  enblid;  gelang,  ben 
sü!alb  oon  ©ifeu,  ber  bamals  auf  diom  heranrüdte,  in  weiter  ä^rftreuung 
wieber  aufjufinben  unb  bamit  allenfalls  auch  ber  SUuftratton  jenes  s^or- 
ganges  unter  bie  2lrme  $u  greifen!  2lber  biefer  abgebrofehene  ©efd;id)tchen 
—  ob  nun  Jabel  ober  Wahrheit  —  hat  {ebenfalls  einen  hiftorifchen  Sinn, 
unb  in  uaetter  Kürje  fyat  ihn  Salluft  ausgesprochen,  wenn  er  ber  feltifchen 
Nation  ben  23orjug  im  äßaffenwerf  oor  ben  -Körnern  sugeftefjt.  £aS 
23rennuSfct)wert  als  halbmuthifdje  23erförperung  ober  bie  feit  wenigen  ^aljreii 
an  fo  oielen  Crten  ausgegrabenen  feltifchen  Klingen  oon  formibabler  i'äuge 
unb  Cualität  —  baS  finb  Stüde  jenes  langoerborgenen  Kriegs  werf  ^ 


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\<)2    IHori3  Ijoerncs  in  HHen.   

jeugea,  als  weldje*  ber  bcutföe  ftiftorifer  bie  9Zorboölfer  in  itjrer  elften 
©rfdjeinung  auffaßt.  2lber  ba$  fettijdje  Sdnuert  verbitterte  an  bem  mit 
©olb  versierten  8tal)lpan$er  ber  antifen  Gultur,  nnb  erft  ber  germanifdje 
Speer  vermodjte  beffen  brüchig  geworbene  glanfen  51t  burdjbringen. 

Die  merfwürbige  gunbftelle  bei  9iaffenfufe  liegt  ungcfäljrt  in  ber  SHitte 
jroifd)en  l'aibad)  unb  i'lgram,  nur  wenig  füblid)  von  ber  allen  iNeifenben 
befannten  Gifenbalmftation  Steinbrüd  an  ber  Saue,  wo  bie  Sübbalmlinie 
fid)  gabelt  unb  cinerfeits  na<J)  ber  öauptftabt  Kroatiens,  anbererfetts  nad) 
Saibad)  unb  trieft  weiterführt.  Die  9tod)grabungen  würben  mit  anbauernbeu 
Grfolgen,  an  benen  audj  ba$  SBiener  .ftofmufeum  partieipirte,  fortgefefot. 
geigte  fid),  bafj  bie  l'ocalität,  ät)ulidj  jener  von  3i>atfd)  unb  uon  St.  2)iid>ael, 
mehrere  größere  unb  Heinere  9Jefropolen  umfaßte,  meldje  bie  &ügellanbfd>aft 
jwifdjen  brei  Dörfern  einnehmen  unb  bauptfädjlidj  ber  ^allftattperiobc  ange= 
ijören.  3n  ber  unmittelbaren  iHadjbarfdjaft  biefer  Metropolen  liegt  auf  erster 
Stette  ba3  JBranbgräberfelb  ber  fcltifdjen  (Somiuiftaboren.  (Sine  zweite 
33egräbninftätte  biefer  erobernb  ©üigebruugeueu  würbe  atebalb  in  bemfelbeu 
Sterglanb,  in  bem  weiter  füblidj  gelegenen  WeridjtSbestrfe  Seifender  g,  bei 
SBallitjcrjenborf  aufgefunben.  3lud)  l)ier  tarnen  gallifdje  8  d)  werter, 
£an$enfpifcen  mit  befonberS  breitem  äUatt,  riefige  Keffer  unb  fd)lanfe 
Streitärte  vor.  Das  fdjönfte  ftunbftüd  war  ein  vor^üglid)  erhaltener 
geglieberter  $roir3egürtel  mit  einem  fdjön  gearbeiteten  vJ>ferbefopf  aU 
£afen. 

Munmefjr  reiben  fidj  bie  (Sntöeduugen  feltifdjer  ©rabftätten  in  ben 
Cftalpen,  iüo  man  fte  fo  lange  vermifst  r)atte,  in  ununterbrochener  golge 
an  einanber,  unb  audj  an  Siebelftätteu,  von  meldten  man  annehmen  barf, 
bafc  ifjr  ctrjnologifdjer  ©runbd)arafter  burd)  bie  feltifa)e  3iroafion  —  jo= 
wie  fpäter  burd)  bie  römifdje  Cccupation  beä  Raubes  feine  33eränberung 
erlitt,  würbe  bie  ^a=Tnie*^eriobe  als  2ttittelglteb  swtfa)en  ber  .ftafljtätter 
unb  ber  römifdjen  Gulturftufc  nadjgewiefen.  Soldje  2lnfieblungcn  von 
fefjr  langer  £ebensbauer  fiub  in  Süb-Xirol  (bei  Gl e£),  im  Kärnten  (auf 
ber  Wurina  bei  Dellad)  im  ©aUÜ)a(e)  unb  in  Kroatien  (bei  ^ro$or  im 
Ctacaner  NegimenUbejirf)  conftatirt  unb  burd)  ausgebeizte  9iad)grabungen 
für  bie  9?iufeen  in  Xrieut,  2üien  unb  iHgram  ausgebeutet  worben.  Sdwn 
auf  ber  .vUagenfttrter  ^crfammlung  gefdjalj  aud)  beS  merfwürbigen  Junb* 
planes  von  St.  3)Jid;acl  bei  ^Oelsberg  im  fübweftlidjen  tfrain  (Sr= 
wä^nung,  weldjer  unmittelbar  nadjfjer  (1885  unb  1886)  für  bie  Slntrjro* 
pologifdje  ©efellfdjaft  fnüematifd)  unterfingt  würbe. 

Der  Junbort  von  St.  ^Nidjael  befteljt  in  einem  von  (Srb  wällen  unb 
JyelSabljängen  umgebenen  natürlia)en  Maftcll  unb  in  iöegräbni^pläfeen,  bie 
auf  mehreren  fanftgeneigten  ^v(äd)en  in  ber  Umgebung  bes  lederen  ange^ 
legt  finb.  Siefer  auSudjtreidje  unb  bod^  gut  verborgene  „(»kab"  occupirt 
eine  ^orftufe  be£  ftcilen  Waltos,  beS  SBetterpropljeten  ber  Sdjiffer  im 
©olfe  von  Srieft,  unb  bel)errfa)t  bie  frud}tbare  X^alflur  ber  <|ioif,  burd) 


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  Die  Kelten  in  Süfr-tDefterreicb.    193 

reelle  jefct  bie  ©tfenbalm  ber  nafyen  Seefüfte  jueilt.  (5$  war  für  Barbaren, 
bie,  oljne  felbft  Seefahrt  ju  treiben,  oon  ber  9?äf)e  be3  länberoerbinbenben 
2fteere$  gerne  9tofeen  gießen,  ein  fef)r  günftig  gelegener  $unft,  nidjt  unälnu 
M)  jenem  uralten  SKnfenä  „im  Söinfel  ber  roffenäf)renben  2lrgo$."  iie 
Metropolen  biefer  ÜiMburg,  bie  oieÜeid)t  aU  SNaubneft  nod)  §u  Gäfarä 
Reiten  eine  Spotte  gefpielt  Ijat,  al£  pürier  m<t>  Helten,  wie  -Uppian  beridjtet, 
£ergefte  unb  Slquileja  mit  ^lünberung  bebrof)teu,  tonnen  fid)  allerbingS  mit 
ben  Söurggräbern  ber  „golbgefdmiüdten  &errfd)erftabt"  i?lltgrieti;enlanb£ 
mcf)t  entfernt  meffen.  2)odj  boten  fie  be3  ^ntereffanten  immerhin  über= 
genug,  9tamentlid)  mar  iljr  ^nl)alt  tnpologijd)  leljrreidj  für  ben  Ueber= 
gang  ber  (Suiturformen  auö  ber  fpät^altftättifdjen  in  bie  oolte  l'a=£öne= 
^'eriobe.  Qn  einer  großen  SZn^at)!  oon  Braubgräbem  treten  nämlia)  £npen 
biefer  beibeu  Venoben  neben  einanber  auf  unb  ifluftriren  fo  eine  3)iifd)- 
cultur,  meiere  aud)  ber  ©eograpb  Strabo  anbeutet,  wenn  er  bi£  an  ben 
Cfra  (Binibaumer  SSalb,  im  2iüden  beS  9?ano$)  ein  iünrifaVfeltifdjeä 
v])ii|tt}Dolf  roofmen  läfjt,  ba0  ftd)  tätomirte  unb  audj  fonffc  illurijdje  Sitten 
beibehalten,  aber  bie  feltifdje  Bewaffnung  angenommen  Ijatte.  2lrd)atfd)e 
Snpen  oon  biefem  gunborte  finb  bie  grojjen  bronjenen  „Gertofasgibeln," 
bie  jdnnalen  ^anjenfpifeen  mit  ftarfem  ®rat  unb  fur$er  2>üUe,  foroie  bie 
einidjneibigen  langen  $old)meffer  ober  Jlrummfdjmerter,  wela)e  bie  ©rieben 
unter  bem  Tanten  „9)todwira"  ober  „5bpt$"  tl;eiU  felbft  im  ®ebraud)e 
Ratten,  tljeils  bei  barbarifd&en  Elfern  a($  9iationalwaffe  beobachteten, 
jüngere  gönnen  geigen  bie  geraben  breiten  Schwerter,  fd)Ianfe  Streitäxte, 
breite  &m$enipifcen,  äöurffpeere  mit  Keinem  Blatt  unb  langem  (Sifenftab 
jioifajen  SdjaftbüUe  unb  Spifce,  femer  £a=£ene«gibeln,  Sdjwertfettcn, 
9Ke[)er  unb  bgl.  2Iud>  in  St.  m$ad  lag  unfern  ber  ©rabftätten  aus 
ber  Mtenperiobe  ein  Seidjenfelb  au^  ber  <gaüftätter  ^eit,  in  weldjem 
tty&S  unoerbrannte,  tljeils  oerbrannte  menfdjtidje  tiefte  (bie  lefeten  ent= 
roeber  in  Urnen  ober  in  ber  blofeen  Grbe)  beigelegt  waren.  ^Die  gönnen 
ber  &rabbeiQabt\\  in  biefer  festeren  Metropole  finb  oon  bem  ^noentar 
ber  erfteren  bura>u$  oerfdneben  unb  bejeugen  eine  ganj  erljeblid;  ältere 
Sulturftufe,  für  welche  inäbefonbere  bie  au$  Bronjebraljt  ^ierlid)  gewunbenen 
XoppelfpiraUgibeln  unb  allerlei  S#murfaiU)ängfel  d&arafteriftifd)  finb. 

(Gegenüber  ben  Mtengräbem  oon  ^affenfufe  oertritt  ber  oerwanbte 
Öegräbnifjplafc  oon  St.  2Hid)ael  ein  früheres;  ©ntwidluug^ftabium  ber  i*a= 
Sine* (Sultur  in  ben  Cftalpen.  2>a3felbe  ift  bejeidmet  burd)  bas  gort: 
leben  einiger  §ailftatt*£i)pen,  fenter  burd;  ba$  Ueberwiegen  ber  Streitäpte 
über  bie  Sdjwerter  unb  burdj  ba$  get)len  ber  großen  eifernen  Sdjilbbutfel. 
3ln  beiben  Drten  tjat  man  überbieS  eine  äi5ab/rnetjmung  gemacht,  beren  ge^ 
id>ia)tlid)er  Sinn  nod>  fefeuftellen  fein  wirb,  $ie  gibein  oom  Va*3:«%nes 
Xnpud  zeigen  nämlia)  audnalmtelo^  nia^t  bie  oon  £ifd)ler  in  weftlia^en 
unb  öftlia)en  ©rabfelbern  biefer  ^eriobe  al^  ältere  gorm  erfannte  Bilbung 
„mit  unoerbunbenen  Sdjlufjftüd,"  fonbern  finb  fämmtli(§  fo  gehaltet,  wie 


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\W    IUorij  Ffotxnes  in  Wien.   

fic  her  genannte  gorfcher  für  baS  mittlere  unb  fpätere  Stabium  ber 
feltifdjen  (Sultur  djaraftertftifd)  finbet.  hierin  offenbart  fidj  ein  roefent= 
lieber  Unterfd)ieb  ber  galltfcheu  #interlajfenfchaft  in  ben  Cftalpen  oon  ben 
3)epötS,  roelche  bie  &errfd)aft  jener  (Sultur  in  nörblicheren  ©ebieten  £  efter; 
rcidjs,  namentlich  in  üööhmeu,  bezeugen.  28ahrenb  bort,  im  deiche  ber 
felttfcr)en  SBojer,  alle  brei  Sßhafen  ber  jüngeren  oorrömifchen  eifenjeit  oers 
treten  ftnb,  fehlt  bie  grü^-Sa^ne*  Stufe  im  füböftlidjen  X^eile  ber 
Monarchie  oöUig,  ober  rid)tiger:  fie  erfdjeint  nnr  in  cin$elnen  f  leinen 
groben  (Jibeln)  auf  ©rabfelbem ,  meldje  fonft  ben  ooüen  Gfyarafter  ber 
ard)aifcr)en  ^periobe  an  fidj  tragen  (föallftatt,  SiSatfd;.)  (£S  fdietnt  fonadj, 
bafe,  roährenb  in  nörblicheren  ©ebieten  bereite  bie  Jyrü():£a5^ne;(iultur 
berrfdjte,  fjiev  bie  $aHftatts(Sultur  noch  in  ooller  ©eltung  mar  unb  erft 
nach  ber  SluSbilbung  jener  ju  ihrer  mittleren  Stufe  oon  berfelben  abgelöft 
mürbe.  JQ;u  ben  Cftalpen  tyat  ja  bie  ^allftatt^ßultur  it)re  feftefte  2htrg, 
hier  entmidelte  fie  ifjr  jähefteS  Seben,  unb  mir  bürfen  annehmen,  bafc  fie 
nicht  oor  bem  beginn  ber  Wömerberrfdjaft  gänjlid)  unb  auf  allen  fünften 
aus  bem  gelbe  gefd)lagcn  morben  fei. 

iHujjer  ben  bereite  genannten  ©rabftätten  hat  flrain  noch  an  mehreren 
Crten  —  Seifefirdjen,  St.  2)tarein,  ^objemelj,  91ltenmarft  unb  ^lantna 
im  2öippac^tl;ale  —  Sa^enesgunbfadjen  geliefert,  fo  bafj  es  jefct  unter 
ben  Säubern,  welche  baS  Stubium  biefer  Gultur  ermöglichen  unb  förberu, 
in  erfter  iHcilje  fteht.  Tie  berliner  ©efellfchaft  für  Anthropologie,  (*tlj* 
nologic  unb  Urgcfdnd)te  fonnte  fidj  oon  biefer  £bötfa<he  überzeugen,  als 
ibr  cor  etma  einem  «oatjre  $ird)oro  —  nadjbem  er  fur$  juoor  einen  fetjr 
inhaltsreichen  ^Bericht  über  feine  Säuberung  burd)  bie  SHufeen  Süböfter= 
reicf)S  gegeben  —  baS  ptjotograpt)ifd)e  9llbum  ber  ard;äologifchen  Schäle 
beS  £aibad;cr  9)iufeumS  uorlegte.  9lu  ben  Sdjlup  unferer  ©räberfchau 
[teilen  mir  —  gerabe  weil  fte  eine  ber  allerbebeutfamften  Metropolen  ber 
feltifchen  Gulturperiobe  in  ben  Cftalpen  ift  —  bie  ©räberftätte  oon 
Sbria  bi  iBaca  im  vitorale.  Dicfer  gunbort  liegt  an  ber  ftbria.  oier 
Kilometer  aufwärts  oon  beren  3Jiünbung  in  ben  3fon$o.  ?(n  ber  lederen 
ergebt  fid;  baS  Dorf  Sta.  Sucia,  unb  unfern  berfelben  birgt  ein  fchräg- 
geneigter  Jelb;  unb  sii>iefcnplan  eine  ber  auSgebehuteften  ©räberftätten  aus 
ber  £aUftatt^eriobc.  Sin  biefem  Crt  fmb  in  ben  legten  3afjren  taufenbe 
unb  abertauf enbe  oon  letjten  sMuheftätten  einer  iUnrifchen  (oenetifchen) 
^eoölferung  mit  bem  Spaten  geöffnet  unb  beren  in  ^ron3e  unb  Ttjon= 
gefäfjen  fomie  in  Sdjmucffadjen  —  faft  niemals  in  Waffen  —  beftchenber 
Inhalt  tbcils  nach  2iMen,  theilS  nad;  Xricft  beförbert  morben.  Xk  3«bl 
ber  töräber  oon  Sbria,  bie  mir  nad)  ber  Sage  biefeS  JfynborteS  ben 
feltifdjen  Hamern  juf abreiben  müffen,  ift  bagegen  fcfjr  gering,  boch  bie 
3Henge  ber  beigaben  im  2)urd)fchnitt  größer  unb  baS  I5nfemble  inbioibueller, 
charafteriftifcher.  SaS  ^noentar  biefer  ©räber  fteht  hinRchtlich  feiner  3"; 
fammenfe^ung  unter  9lttem,  maS  uns  prahiftorifche  ©enerationen  oon  ihrem 


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  Die  Kelten  in  Sü&.Oefterrci*.   ■  J95 

Gulturbeüfc  Jjinterlnffen  fjaben,  gan3  einjig  ba.  sJT\<bt  ber  Meid)tf)iim  an 
uollenbet  gearbeiteten  papierbünnen  Sronjegefäfcen  —  (Sintern,  Giften, 
Ueffeln,  Xöpfen,  «Skalen,  Sehern  unb  (Sieben  — ,  nid)t  bie  oerfdjiebenen 
Jormen  efyerner  nnb  eiferner  &elme,  Sdjilbe  unb  Xrufcroaffen,  nodf>  bie 
baroefe  ©eftaltung  ber  Sdnnucffad&cn,  fetbft  nidjt  bie  auf  Srnnjen  graoirten 
„norbetruefifd)en"  unb  römifdjen  ^"Wnften,  bie  fid)  in  biefen  Arabern 
fanben,  begrünben  ben  eigentbümlidjen  2Bertf>  berfelben.  tiefer  ift  x>\eU 
metjr  r)auptfäd)lid)  beftimtnt  burd)  baS  maffent)afte,  in  ber  9iad)barfd)aft 
jener  berfömmlidjen  Seigaben  boppelt  befremblidje  Sorfommen  foldjer  Glinge, 
bie  man  am  aflerroenigften  in  ©rabern  oermutljen  würbe:  eifemer  Pflugs 
fdjaaren  unb  ^flugmeffer,  (£enfen,  <Scf>aufe(n,  föaefen  unb  Seile,  Sdjöpf- 
löffei,  Steuerungen  u.  f.  ro.,  furj  einer  langen  gormenreilje  oou  ©egen* 
ftänoen  beS  £auSratf)eS  unb  ber  ^anbroirtljf dtjaft ,  bie,  ebenfo  neu  als 
nüchtern,  uns  einen  f)öa)ft  belefyrenben  (Sinblicf  in  baS  £eben  ber  Männer 
geroät)ren,  bie  cor  beut  beginn  ber  SRömerberrfdjaft  baS  öftlidje  2llpen= 
lanb  unb  baS  abriatifd^e  ßüftengebiet  im  9iorboften  3ta^eniS  bewohnten. 

siluS  biefen  roenigen  ©räbern  taua;t  in  plaftifd)er  gülle  baS  eifen: 
reidie,  friegerifdje  unb  überoölferte,  baS  Sergbau  unb  £anbnrirtbfd)aft 
treibenbe  Borkum,  tuie  es  bie  Börner  gefannt,  gefürdjtet,  ausgebeutet 
—  unb  erobert  f>aben,  empor  unb  ragt  mit  bebeutfamen  Ueberreften  in 
unferen  Denfmälerbefifc  fjerein.  60  unfdjeinbar  biefe  plumpen  oerrofteten 
Saften  unb  3Berfjeuge,  &auS=  unb  3ldergerätl)fd)aften  fein  mögen,  —  für 
bie  nur  auf  ardjäologifdjem  Sege  ju  ermerbenbe  tiefere  Jtenntnifc  oon  bem 
2Bertb  unb  bem  Seien  unferer  felttfdjen  21f)tten  finb  fte  ebenfo  roid)ttg, 
roie  bie  (rntbeefung  beS  pergamenifa^en  ©igantenfriei'es  für  unfere  Ginfidjt 
in  eine  lang  oerfannte  s£eriobe  griedjtfdjer  .Uunftgefd)id)te.  9flan  mufe  nur 
abfrra^iren  von  genriffen  uns  in  ber  £d)ule  anerzogenen  Segriffen  über 
©lanj  unb  ©röfje,  3iel  unb  Seftimmung  ber  Sölfer  biefer  Grbe.  Sir 
fmb  fein  ßunftuolf  luie  bie  ©rieben;  au  Sergbau,  £anbroirtf)fd;aft  unb 
3nbuftrie  ranft  fid)  baS  Säumten  ber  mobernen  Gultur  fdum  tn  feinen 
3ugenbtagen  müfjfam  aber  fidjer  empor.  9iid)tS  ift  bafjer  berechtigter,  als 
bajj  roir  biefe  älteften  3engniffe  einer  rationellen  Seroirtljf^aftung  unfereS 
heimatlichen  SobenS  burd)  tüdjtige  SJienidjen,  beren  Slut  aus  unteren 
91bern  nodj  md>t  gefdjumnben  ift,  forgfältig  famnteln  unb  mit  g-leifc 
ftubiren. 

SaS  für  3«oien  baS  Elfenbein,  für  Arabien  ber  Seifiraud),  für 
GfyoS  ber  Sein  unb  für  ^aroS  ber  Marmor,  baS  roar  für  unfer  Borkum 
Gifen  unb  <Star)I.  Das  norifcfje  <3d)»r>ert  ftellt  ber  römifdje  £id)ter  als 
ScbrecfenSioerfjeug  bidt>t  neben  bie  ^turmbranbung  beS  3)JeereS,  neben 
Slifc  unb  £onnerfd)lag.  $aS  Sd;roert  ber  Seftfelten  mar  fd)Iea)t  gcftäblt, 
norifdjes  Gifen  bagegen  nad)  Coib  „bärter  als  unerroiberte  üiebe."  Um 
ben  Seginn  unferer  3eitrecr)nung  genügten  bie  6 cf)mel Kütten  unb  ^dmiiebei 
öfen  Storejas  unb  ber  einfamen  SUpentfjäler  uia)t  meljr,  ben  fteigenben 


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J96    lTTori3  ^ocrncs  in  Wien.   

Sebarf  ber  Monier  §u  becfen;  eine  Äette  berühmter  2öaffenfabrifen  fpanu 
fic^  oon  Garnuntum  über  2Iquincum  (2llt*Cfen)  unb  Sormium  bi$  Verona, 
2ttantua,  Gremona  u.  f.  m.  im  breite  um  Dioricum,  beffen  33erge  ihnen 
ba£  metallene  £eben£blut  in  reiben  Strömen  jufüfyrten.  3öie  jähe  manche 
gönnen  feftgehalten  würben,  toeldje  norifd^e  Sdnuiebe  ihren  Herfen  gaben, 
fehen  mir  barauä,  bafe  bie  fdjioere  oorrömifche  ^flugfd&ar,  roie  mir  fte  in 
ben  ©rabern  oon  ^bria  unb  auf  ber  ©urina  im  nahen  ©ailthale  oor= 
ftnben,  in  einigen  Steilen  Ürainä  unb  be$  ftüftenlanbeä  noä)  heute  im 
©ebraudje  ftet>t.  gür  bie  Technologie  ber  lanbmirthfd)aftlichen  ©eräthe 
liefert  ber  gunb  oon  ^bria  eine  Weihe  ber  bclehrcnbftcn  Slluftrationen. 

£a§  fleine  ©räberfelb  liegt  an  einer  oon  9)touern  geftüfeten  gahr* 
ftrafje  unb  mar  burch  bie  2lnlage  ber  lederen  tbeilmeife  jerftört.  Sie 
Gntbecfung  gefdjal)  1886  burdj  ben  CSufto^  ber  präl)iftorifchen  #offammlung 
in  2iMcn,  £errn  3.  Sjornbathu,  $u  ber  3eit,  aU  berfelbe  auf  bem 
nahen  gunbplafoe  oon  Sta  Sucia  mit  ber  3lufbecfung  oon  ©räbern  aus 
ber  £aüftätter  v^eriobe  befchäftigt  mar.  3uerft  mürben  21,  im  nädtften 
3af)re  fernere  25  ©räber  geöffnet.  211$  groben  biefer  unfchäfcbar  loerth* 
oollen  £epot£  führen  mir  ben  ^nfialt  einiger  ©räber  au.  Ta$  erfte 
enthielt:  jmei  Sbronseftbeln  (eine  baoon  mit  9  fingen  als  2lnl;ängfeln), 
einen  Söronse^alöring  <ui$  fä)raubenförmig  sufammeugeiounbenen  Srähten 
(„ton|iiisa),  2  einfdmeibtge  nad;  abmärta  gefrümmte  Solche  ober  ©ürtel* 
fdjioerter  au3  Gifen  (1  baoon  in  bronjener  Scheibe)  ähnlich  ben  9)?acbairen 
oon  <3t.  3)iia)ael,  2  furje  ftrummmeifer,  eine  £ansenfpifce,  1  <Sä)roertfette, 
1  Senfenflinge,  1  Baumfrevel,  1  Spifchmie,  3  große  Sdjaftfelte  Oöeile) 
mit  glocfenförmig  gefduoungenenen  Clingen,  2  SKeißel,  ein  üHeifetfen  unb 
bioerfe  Gifenftäbe  unb  Bleche  (Befdjläge  ober  Srudjftücfe  oon  &>erf$cugen). 
Ta*  fünfte  ©rab  enthielt  mehrere  Sronjegefäue,  al$:  1  großen  Meffel, 
1  Topf,  1  Gimer,  1  &cnfelfchale,  1  Sieb,  1  Bedjer,  1  Schöpf  becherchen 
(oon  ber  flaffifchen  gorm  be£  tfalathus  ber  ©rieben),  bann  aus  Gifen: 
1  großen  Schöpflöffel,  1  £elm  oon  ber  tnpifchen  gorm  be£  römifchen 
Solbatenljelma  mit  runber  flappe,  9(acfenfcfm|j  unb  beweglichen  Baden* 
fdnrmen,  ferner  1  Sanjenfpifce,  1  Streitart,  3  gelbbarfen,  1  9)ieißel, 
1  Senfenflinge,  1  ^flugfchar,  1  s4>flugme|*fer,  1  geuerjange,  Gifenftäbe, 
fobann  9 — 10  gibein  jum  Xljeil  oorrömifdjen  GharafterS,  jum  Ttjcil  oom 
Topuö  ber  prooin^ialrömifa^en,  in  9ioricum  unb  ^pannonien  gebräuchlichen 
©emanbnabeln.  ©ine  ber  erfteren  ift  mit  einem  originellen  2Jufiafc  oon 
(eine  <3d)lingenreif)e  bilbenbem)  33ronjebral)t  gefdunüdt^  melier  fünf  am 
^3ügel  aufgejapfte  s^aarc  oon  ^ernfteinperlen  f efthält.  5Diefe  eigentlntms 
lidje  gibelbecoration  ift  bisher  nur  oon  biefem  ©rabfelbe  befannt,  l)\er 
aber  in  mehreren  (Sremplaren  oertreten.  Sußerbem  enthielt  biefes-  ©rab 
noch:  1  SchnaUe,  Chrringe,  2lnhängfel  aus  ^ronje,  gragmente  einer 
Torquiö,  ÜefchlagftUcfchen  oon  Sron^e  unb  GHfenbledh,  ^»oljrefte,  ^iägel, 
1  ^efferchen  unb  gragmente  oon  2  Th°n9«frt»V«-   3«  bem  achtzehnten 


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  Die  Kelten  in  Süt»'©ef*erretd\ 


(>>rabe  fanben  fidj  ror:  1  $ron$ef)elm  ber  befannten  gorm,  roie  fie  in 
©rabfelbern  ber  £au7tatt4'eriobe  (2£atfdj,  ^aUftatt)  unb  in  bem  $epöt; 
funb  oon  9iegau  (Steiermatf)  fd)on  nneberholt  beobachtet  mürbe,  t)ter  mit 
frityrömif<I)er  5lrafcinfd)rift  („Protenius1-),  uerjinnte  Sronjeblec^ftreifen  uon 
einem  ©ürtel,  1  Lanjenfpifoe,  3  Keffer,  1  §ohlmeifeel,  1  ibaumftd)el, 
1  ^?flugfd>ar  unb  1  Spflugmeffer,  1  S Raufet ,  1  Senfe,  2  gelbharfen, 
1  Sdhroert  mit  oerjinntem  unb  graoirtem  freiärunbem  Stidjblatt,  1  Sron^e* 
fieb  ron  feinfter  Ausführung,  2  £a*£<me:gibeln,  1  freiärunbe  ^öronjes 
^naüe,  1  Stücf  ^olj  mit  Gifenroft.  £te$  waren  einige  ber  reidjeren 
©räber.  &ine$  ber  ärmeren  (9?r.  4)  enthielt  nur:  Sommert  fammt  Scheibe 
unb  Äette,  San^cnfpifoe,  33ron5efibel.  2lnbre,  in  roeldjen  feine  Staffen  unb 
SSerfjeuge  gefunben  würben,  finb  roohl  grauengräber,  fo  3lv.  2  mit 
folgenbem  Inhalt:  Skonjctopf,  &al3ring,  Cljrringe,  2  bronjene  unb 
1  eiferne  gibet,  Sronjeringeld^en.  9Jtef)rerc  ©räber  enthielten  nur  £f)on* 
gefäße  unb  jroar  je  2  Stücf,  jumeift  rothgelbe  jtoeihenflige  5fr  üge,  auf 
ber  Drehfd>eibe  geformt  unb  römifdjem  ©efd^trr  fefjr  ähnlich. 

$)ie  im  $atytt  1887  geöffneten  ©räber  erroiefen  fia)  babura)  nrieber 
befonbcrS  lefnretch,  bajs  fic  theilroeife  eine  ältere  (Sutturftufe,  auf  meiner 
noch  einige  Ausläufer  ber  ftallftattperiobe  ^tafe  fanben,  erfennen  ließen. 
2)ie*  mären  fonad}  Analoge  $u  ben  jüngeren  ©rabfunben  ron  6t.  sJKid;aeI. 
@ine$  biefer  ©räber  (29)  jeigt  folgenbe  2tu$ftattung:  Sanjenfpifce  unb 
Streitart,  1  Gertofa=  unb  1  2lnnbruftfibel,  £1)x*  unb  gingerringe.  Sin 
jroei  Heineren  ^ronjegefäfeen  unb  einem  33efd)lagfragment  fanben  fia)  ßrafc* 
iniduiften  in  oonömtfchen  Gharafteren,  bie  mit  ben  fogenauten  norbetruäfis 
feben  3Upbabeten  ber  2Upenoölfer  in  eine  ($ulefet  ron  Carl  ^au(i  in  £eip$ig 
bef>anbelte)  ©nippe  gehören.  ©inc$  ber  roia)tigften  gunbftütfe  ift  ein 
altertfjümlicheä  :Bron$efigürchen,  einen  behelmten  tfrieger  barftellenb,  ber 
eine  ärmellofe  £umca  trägt  unb  mit  Mingen  an  2lrm  unb  33ein  gefdjmüdt 
ift.  $ie  Haltung  ift  bie  eines  Sdnlfcen;  bod)  pafct  fie  genau  roeber  $ur 
Rührung  be£  Vogens,  noch  juc  Gntfenbung  be3  ü&urffpeerS.  rermuthe 
in  bem  gigürchen  einen  Schleuberer,  alfo  eine  Waffengattung,  bie  aud)  im 
römifchen  &eere  faft  auSfchliefelich  au$  Barbaren  beftanb. 

2ßie  ber  Sefer  fieljt,  flammen  biefe  gunbe  fchon  auä  einer  ^criobe, 
wo  bie  römifche  Gultur  Ginflufc  auf  bie  Lebensformen  ber  2llpenuölfer 
gewonnen  hatte.  3Bir  betreten  bamit  einen  S^itabjchnitt,  über  welchen  bie 
römifchen  ,§iftorifer  theilweife  bereite  näheren  2luffdhlut5  geben,  unb  ber 
nicht  mehr  auäfdjliefelich  ber  2$orgefd)irfjte  (hiropa*  angehört.  Tie 
?{epublif  hat  fia)  um  baS  treiben  ber  norböftlichen  ©renjnachbam  ^talien^ 
im  ©anjen  fefjr  wenig  befümmert.  3roar  würbe  ^ftrien  bejmungeu,  Ülimileja 
angelegt,  felbft  friebliche  (Sinroanbererfchaaren  am  ?ioricum  in'e  ftüften- 
gebiet  nicht  jugelaffen  unb  in  2>erhanb(ungen  jroifdjen  bem  Senat  unb  ben 
gürften  ber  3(lpenftämme  ber  ©runbfafe  proclamirt,  baf?  bie  3(lpen  a(c> 
unoerle§liche  Ü)farffa)eibe  ^oifchen  Helten  unb  ^talifern      gelten  hätten. 


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 ITIorij  Jjoernes  in  Wien   

3Ülein  im  legten  ^ahrrjunbert  oor  unferer  3eitredjnung  Tagen  bie  Verhaltniffe 
fo  im  2lrgen,  baj?  roä'hrenb  baS  feltifche  Stammlanb  ©allien  burd)  Gäfar 
erobert,  ©ermanien  unb  Britannien  oon  römifd)en  $ee  rfchaaren  juerft  be- 
treten mürben  —  bie  norböftlidje  2tprfdjn>elle  Italiens  oon  ben  räuberischen 
unb  friegSluftigen  Slmoolmern  unauSgefefct  bebrof)t  unb  erschüttert  rourbe. 
Die  (Einfälle  ber  ßarner  unb  SauriSfer  haben  oiel  2lermlid)feit  mit  bein, 
roaS  in  unteren  Sagen  oon  Sllbanefen  unb  Montenegrinern  häufig  berichtet 
wirb,  yinx  manchmal  gönnten  fte,  mie  Strabo  erjagt,  ben  Seioohnern 
ber  ©benen  9iuhc,  um  oon  irrnen  SBobenprobucte  ju  erhalten.  Sie  gaben 
bagegen  &arä,  ^ed),  Äienljolj,  2Baa)S,  &onig  unb  ßäfe,  mooon  fte 
Uebcrflufe  Ratten.  Die  Dolche  ber  Gäjarmörber  haben  ben  ^lan  abge 
fchnitten,  tycx  Drbnung  ju  fc^affen  unb  baS  tfüftenlanb  oon  biefen  unruhigen 
©aften  ju  befreien.  2luguftuS  nahm  Um  roieber  auf,  unb  feine  Stiefsöhne 
haben  tfm  burchgeführt.  Die  römifchen  9lbler  brangen  auf  allen  Siegen 
über  bie  befiegten  3llpen  gegen  ben  «Rhein  unb  bie  Donau  oor.  Der  erfte 
Stet  in  bem  grofeen  geschichtlichen  Drama,  bem  unfere  moberne  Gultur  ihre 
©ntftehung  oerbanft,  mar  abgefcfjloffen. 

£ier  beginnt  erft  bie  unmittelbare,  burd)  Schriftquellen  oerminelte 
Seridhterftattung  über  bie  3$ölferoerhattniffe  Gentrals(EuropaS.  gür  untere 
Später  (mie  noa)  l)ttitt  für  bie  9lnhänger  oeralteter  2lnfd)auungen)  fteht 
hier  erft  baS  portal  jur  ©efd}id)te  unferer  £eimat.  2BaS  barüber  hinauf 
lag,  barum  bekümmerte  man  fich  fo  menig,  rote  Äaifer  SiberiuS  um  bie 
Mutter  ber  £efuba.  Seither  ift  mit  ben  gefctjilberten  Ausgrabungen  eine 
gülle  oon  ©rfenntnifc  auf  uns  eingebrungen.  Das  pofitioe  Söiffen  eines 
Mannes,  mie  2(riftoteleS,  oon  ben  Golfern  Mitteleuropas  reichte  niebt 
meiter,  als  bis  ju  ben  iöyrifchen  SribaHern  an  ber  unteren  Donau. 
Diefen  Strom  läjjt  er  noch  —  tnttifen  ©eographen  oor  ihm  —  fich 

gabeln  unb  mit  einem  3irm  in  ben  ^ontuS,  mit  bem  anbern  in  bie  2lbria 
fich  ergießen,  ^p^itipp  unb  Sllerauber  ftnb  eben  nicht  meiter  nach  Horben 
oorgebrungen,  als  bis  ju  ben  Driballern,  unb  fo  bezeichnet  biefes  $$olf 
mit  bem  Sfter  bie  ©renje  ber  geographifchen  (Einfluten  nach  biefer  Dichtung. 
Das  ift  ein  hödtft  bürftigeS  SBiffen,  namentlich  im  Vergleiche  §u  ber  grofcs 
artigen  (Sntfchleierung  ber  Orients,  roelche  ber  3lleranber$ug  nach  ^erfien 
unb  $nbien  ben  ©rieben  gebracht  \)<xt.  Die  antife  äöelt  ^at  unferem 
armen  Horben  einfad;  ben  SHücfen  gejeigt  unb  hier  eine  Sücfe  gelaffen,  bie 
mir  auf's  Sdmierjlid)fte  empfinben.  %n  biefe  £üc!e  ift  feit  relatio  fur$er 
3eit  bie  prähiftorifche  gorfdmng  ergdnjenb  eingetreten.  Sie,  nicht  bie  alte 
Literatur  in  iljren  flüchtigen  unb  fa)manfenben  Silbern,  liefert  bie  gro§e 
Einleitung  jur  ©efetjichte  beS  Horbens,  £>ier  ift  nur  ein  fleiner  2luSfdmitt 
biefer  (Einleitung  gegeben;  bod)  I>at  uns  fdjon  biefeS  Gapttel  9luSblide 
naä)  ben  oerfchiebenften  Dichtungen  geftattet. 

äÖitt  mm^emanb,  bie  gefdnlbertenSßenbungen  überfchaueub,  ben  tieferen 
Sinn  berfetben  berühren,  fo  mirb  er  oieUeia)t  fragen:  Sßarum  mufften 


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  Die  Kelten  in  Süfr-Oefterreid}.    1<)9 

bie  Metten  fo  fpurloä  oerfdjroinben,  ein  grofjeä  mit  glcmjenben  Gigens 
fcrjaften  auSgeritfteteä ,  ben  ©ermanen  nafye  oerroanbteä  $olf?  darauf 
erroiebern  mir  mit  einer  ©egenfrage  bie  etroaä  fettfam  Hingt:  2Boju  finb 
bie  Slaoen  ba?  Sttoa  um  ber  gennanifd&en  9ßett  untätig  brotjenb  im 
«Huden  ju  ftefjen?  ©eroig  nidjt.  Unb  boä)  ift  bie$  irjre  roeltgefdjidjtlicfie 
Politur,  .§infiä)tlicr)  ber  2lblöfung  ber  3(ntife  burct)  eine  neue  Söeft* 
orbnung  finb  bie  (Sinen  p  frür),  bie  3lnberen  ju  fpät  gefommen.  Sarum 
finb  jene  aufgerie6en,  biefe  jurüdgeftaut  roorben.  -Dabei  gewahrt  man 
eine  geroifje  ©egenfäfclicfjfeit  in  bem  SBefen  biefer  grüfiling^  unb  jener 
Üerbftfinber  be$  Horbens.  Sie  flelten  roaren  äu&erUaj  brillant  oeranlagt, 
eine  ritterfictje ,  aber  unftete  Nation,  fd)led)te  9(derbauer  unb  fd&leajte 
Staatsbürger,  ©erabe  ba£  Umgefefjrte  gilt  oon  ben  Stauen.  Urfprünglid) 
geroiB  oon  gleicher  2trt,  erfuhren  fie  burdj  it)re  ©efdnde  eine  fo  oer= 
fdjiebene  ©rjie^ung.  SBenn  aber  bie  Stetten  auf  freier  23at)n  ge- 
fdjeitert  finb,  toär)renb  ben  Slaoen  ber  2Beg  oerrammelt  rourbe,  fo  er* 
fennt  man  barin  abermals,  wie  bie  Sftatur  i()re  großen  Aufgaben  (oft. 
Sie  fpart  niäjt  mit  itjren  Gräften,  fie  oerfdjroenbet  fie.  Ungleich)  bem 
müfjebelabenen  Sterblichen,  brängt  fie  mit  ben  unerfct}öpfUcr)en  Mitteln,  bie 
üjr  &au3(}aft  barbietet,  ben  Sielen  3«  unb  erreicht  fie  über  ben  ®rab= 
Ijügeln  unb  ^eidjenfelbern  ungezählter  ©enerationen.  Unb  enbltcf)  finb  bie 
oerfajoüenen  rufjelofen  Helten  ja  nicr)t  fo  fpurlos  oerfduounben,  roie  Sd)nee 
in  ber  Senjfonne:  fie  bilben  ein  gutes  Stüd  ber  etfmologifct)en  Safts  ber 
gegenwärtigen  Seoölferung  SübbeutfdjlanbS  unb  Defterreid)S.  -Diefjr  als 
einem  rührigen  Stamme  ber  Ginroot)nerfä)aft  ©uropaS  ift  feltifct)eS  23lut 
betgemengt,  unb  ifjm  fann  sunt  Xtjeile  bie  ©emeinfamfeit  beS  GfjarafterS, 
roelcfje  biefe  Stämme  oerbinbet  unb  oon  anberen  im  Horben  beS  ©rbtt)eiles 
trennt,  §ugefd>rieben  werben. 


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f?  o  l  g  e  r  Dracffmann. 

<£ in  6antfcf}er  Dieter. 
Von 

fjeinrtd}  §fd?alig. 

—  Dresben.  — 

 „Seit  $f)auccr  frof)  gefebt, 

3oß  burrf)  bic  Straften  unä  fein  i'tonn,  beS  ©djritt 
(£o  cmftg,  beffen  2Ing'  fo  forfeftenb  toar. 
X es  3ungc  fo  gewanbt."  

X^icfe  $ulmteS$eilen,  roetdje  Saoage  £anbor,  ber  Genfer «  unb 
Xidjtercinfieblcr  non  giefole,  feinem  ^eitgenoffen  Robert  Sronming  in  etwas 
übertriebener  SBcgeiftcrung  roibmete,  roüfjte  td>  aus  &olger  SanSfeS  rafttoS 
rtngenbem  33ifinger=  nnb  efalbengefd^lec^te  auf  feinen  21>ürbigeren  anju= 
roenben,  als  auf  £  olger  £rad) mann,  ber  ben  Sefem  biefer  ^onatsfa)rift 
fd>n  aus  beut  ^ulibefte  als  Sänger  beS  SttecreS  befannt  ift. 

Xie  bänifdjen  Mritifer  unb  £iterarf)iftorifer  fetern  $rad)mann  als 
einen  ber  fjeröorragenbften  unb  glänjenbften  Vertreter  beS  jüngeren  $id)ter: 
gefriedetes  in  itjrem  £anbe.  „tfein  bänifdjer  Sidjter,  mit  2luSnal>me 
*3lid)crS,"  fdjretbt  Söinfel  £orn  in  feinem  muftergiltigen  £anbbudj  ber 
bänifdjen  Literatur,  „Ijat  baS  bänifdje  SltolfSlebcn  mit  fotdjer  3Sat)rr)eit 
unb  foldjer  voetifd;en  äßirfung  gefdjilbert,  wie  Sradjmann  in  feinen  Silbern 
aus  bem  Stfdjer*  unb  Seemannsieben.  Seine  ftärffte  Seite  jetgt  er  jebodj 
als  Snrifer."  lUeljnlia)  urteilt  ©eorg  SranbeS.  „@r  (Sradmtann)  erfafu 
bie  bänifdje  ^alblanbfdjaft,  roie  wenig  9lnbere,  unb  eine  bänifdje  Äüften« 
lanbfd)aft  wie  fein  2lnberer.  3lües,  was  jur  See  gehört,  üerftelu*  er  beffer 
51t  fdn'lbern,  als  es  je  einer  uor  ilnu  in  bäutfdjer  Spradje  getrau  bat." 


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Jjolger  Dradjmami.   


20  ^ 


3?obSfot),  auf  beffen  oortrcfflid&e  2lbt)anblung  über  &olger  $>ract)mann 
(ogl.  Spredte  Studier,  rooty  baS  Söefte,  roaS  bämfd)  über  $rad|mann  ge= 
fdjrieben  iffc !)  nid)t  weniger  2öertf>  ju  legen  ift,  weil  er  fict)  ntdjt  fdfjeut, 
aud)  ©dnoadjen  rficff)altlo3  §u  tabeln,  roeiji  boef)  fo  Diel  an  &olger 
Xracrjmann  ju  rühmen,  bajj  alle  SDtängel  baneben  oerfdmrinben,  wie  bie 
Unregelmä§igfetten  an  einem  geifiooll  fdjönen  ßrjarafterfopf.  $ie  ^aupt* 
fadje,  meint  er  r)infid)tlici)  feiner  Snrif,  fei  2lllen  flar:  „frifetje  3"flenbs 
lid)feit,  bie  ifjreä  2Öege8  ba^infd)lenbert  unb  über  3llle3  fingt,  roa3  i^r 
oorfommt;  bie  reid)  genng  an  Stimmung  ift,  um  eS  felbft  mit  bürftigen 
unb  jufäHigen  Stoffen  aufzunehmen.  —  $a3  flaffifci)e  ^od),  b.  f).  ba£ 
Senmfetfein,  bafc  alle  näcbjHiegenben  unb  beften  Stoffe  fdjon  längft  t>on 
gro§en  Didfjtern  aufgenommen  feien,  ein  $ocr),  ba$  fo  mannen  jeit» 
genöffifcljen  £id)ter  fo  ^art  brüeft,  fufjlt  $ract)mann  faum.  .60  fd&eint  er 
berufen  ju  fein  ber  £elb  be3  £age3  ju  werben,  ber  eroig  junge  SMdjter, 
her  mit  reicher  §anb  füfnie  ©enrebilber  unb  pracfnooUe  SrimmungSlurif 
nad)  allen  Seiten  auSfrreut." 

Dfme  Uebertreibung  fann  bafjer  auet)  3.  (S.  Spoeftion,  ber  treffliche 
Äenner  unb  Vleberfe^er  auf  bem  ©ebiete  ber  norbifdjen  Literaturen,  oon 
£racr)mann  fagen:  „Gr  ift  ni<r)t  nur  ber  probuctiofte,  fonbern  ot)ne 
3n>eifel  auet)  ber  begabtere  unter  ben  seitgenöffifdjen  2>id)tem  ftänemarte. 
©leidproofjl  ift  er  außerhalb  be<3  Horbens  oiel  roeniger  Defannt,  als  §.  33.  feine 
nonoegifdjen  $icr)terbrfiber  SBjörnfon,  Sbfen,  Sie,  tftellanb  ober  ber  Sdjjroebe 
Strinbberg,  ja  felbft  als  fo  manage  fetner  älteren  unb  jüngeren  bidjtenben 
Sanbsleute,  bie,  roaS  Begabung  betrifft,  roeit  hinter  Stahmann  prüeffteben."*) 

Xer  Sefer  oerjei^e  bie  sielen  ßitate.  Sie  follten  nur  baju  bienen, 
XradjmamiS  Iitcrorif<^c5 '  2Infe^cn  in  feinem  SBaterlanbe  unb  bei  uns  ju 
Dergleichen  unb  bie  grage  ju  rechtfertigen,  ob  biefer  $icf)ter  in  $eutfd> 
!anb  mcf)t  boct)  oieüeicr)t  ein  roenig  mef)r  Mannt  unb  gelefen  $u  werben 
uerbient. 

$en  ©runb  bafür,  bajj  ifmt  nod)  fo  roenig  23ead)tung  §u  ^r)eit  ge« 
roorben  ift,  erblich  <poeftion  in  bem  Umftanbe,  bafc  feine  ßauptbebeutung 
in  ber  Srjrif  liegt  unb  bafc  feine  oirtuofe  Spracttfunft  einer  bem  Originale 
and)  nur  naf)e  fommenben  Ueberfefeung  faft  unbeftegbare  Scr)roierigfeiten 
barbietet.  $af)er  fommt  e£  root)l  auet),  bafe  er  bieder  nod)  feinen  poetifdjen 
Ueberfefcer  gefunben  l)at.  Unb  roenn  ict)  e$  im  Jyolgenben  wage,  ben  fct)on 
im  3ulifyefte  gegebenen  Uebertragungen  nod)  einige  neue  groben  an;,us 
Teilen,  fo  fjoffe  id),  bafe  ber  Sefer  biefelbe  ^ad^fidjt  üben  roerbe,  roie  fie 
ber  Ueben^rofirbige  ^)ia)ter  felbft  geübt  t)at. 

3lber  ber  ^oauptgrunb,  roe$l)alb  ^rad^mann  bem  beutfajen  s^ublifum 

*,  33gL  Dr.  @djn>eiö«'8  tbtn  erfd)iencne  w@cf<f)id]te  ber  ©tanbinaDifdjen  ^iterotur", 
Xiftü  III.  S.  358,  »0  toir  2>racf)mamti  »egen  feiner  »ebeutimg  ßleicfjfaüö  an  bie 
Spifce  b««  jüngem  2>id)tergefd)Iecf>t$  in  Xanemar!  geftettt  finben,  roenngleid)  aud)  I)ier 
flewiffe  Mängel  nid)t  öerfdjwtegen  merben. 

3Qotb  unb  €itb  L..  149.  1^ 


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202    £?euuid?  dfdjaltg  in  Dresden.   

nod)  fremb  geblieben  ift,  mag  bodj  otel  tiefer  liegen.  finbe  u)n  in 
be$  $id)terg  eignem  SBejen.  ©r  ift  ein  2Jiagnet,  ber  auf  bie  gerne  feine 
2lnjiel>ung$fraft  ausübt,  ber  aber  Seben  feft  an  ftd)  f  abliefet  unb  deinen 
roieber  loaläfct,  ber  ilmt  när)er  tritt,  gern  oon  bilcttarrtif^cr  ©efallfu$t 
ober  oon  Siebäugelei  mit  ber  ©unft  feiner  &örer,  bringt  er  als  edjter 
grofjer  £)idjter  nur  baS,  roaS  feine  Sp^antafie  anregt  unb  ioa3  fein 
3nnerfte§  beruegt.  sJSie  oerädtflid)  irjm  baffer  jene  füfelidje  SBobeltjrif  ift, 
ber  mir  —  ad%  fdt>on  fo  oiele !  —  „ßnoäpen,  Blatter,  S3lütr)en  unb  )8lumen= 
frrffufje"  oerbanfen,  ba3  gel)t  aus  feinen  eignen  SBorten  §eroor: 

„SBotjl  fönnf  id)  mid)  lispeln  gar  leicht  unb  geltnb 

3n  manche  gefüljfootte  £er$en 

2Rtt  SBitten  unb  fanften  Xönen : 

3d)  lernte  ba3  Singen  bei  ftarfem  2Binb, 

2lu8  ber  SBogen  frreuben  unb  Sdmtcräcnl" 

2Bie  fet)r  er  es  ferner  oerfd)inäl)t,  fi$  ben  3"fP™d)  De^  großen 

<Publifum3  burd)  wohlfeile  fiodfmittel  unb  ©inurrpfeifereien  ju  erfaufen, 

ba$  fpridjt  er  mit  ftol^er  s#efd)eibenr;eit  in  feinem  liebenätoürbig  r)umor* 

oollen  ©ebid&te:  „Ad  libitum"  au3: 

«3d)  iW  nidjt  mit  ttnegenbem  Spiel  einher 

"Mit  fiuureidjen  tflötenfiguren, 

2)en9Wunb  gefpifct,  bie  9?afe  quer 

Unb  totrbclnben  ftotoraturen. 

3Rein  Spiel  ift  nur  fd)ltd)t,  oieUcid)t  aU"äU  fd)tid)t; 

2)  od)  toiU  eS  eud)  fo  nidjt  besagen, 

9fun  »ol)!,  fo  bejaht  nur  ben  Eintritt  erft  nidjt, 
üNögt,  Jreunbe,  gur  Seite  eud)  fdjlagen! 

3dj  gel)'  meinen  iJßeg,  unb  biete  mein  ÜHat)l 

Unb  flöte  gemad)  meine  Steifen, 

Unb  fe&\  toic  ba8  Wittum  Hein  toirb  an  3atf, 

Um  ?lnbre  gu  fudjen  unb  preifen; 

S)od)  ift  nod)  geblieben  ein  Heiner  ftreifc, 

3)  em  id)  trau*,  e8  merb*  ilmt  betjagen; 
3l)tn  oerbeug'  id)  mid)  böflid)  unb  rufe  lei§: 
?(uf  bie  Seite  lafet,  Sreunbe,  un8  fdjlagen! 

?luf  bie  Seite  ein  toenig,  unb  f)ört  meinen  Sang; 

3m  Stillen  bie  £Öne  erflingen, 

So  ooll  unb  fo  ftarf,  aus  fo  el)rtid)em  25rang, 

8i*ie  wem  nur  oergönnt  ift  au  fingen! 

3a,  etjrlid)  ber  $rang.  bem  bergen  eutftammt; 

$odj  miU  eS  eud)  nimmer  besagen  — 

9htn  tooljl,  fo  ift  ber  Sänger  oerbammt, 

Sid)  fclbft  auf  bie  Seite  3U  fdjlageu!" 
Gbenfo  wenig  roie  um  bie  große,  urtfjeilslofe  5)ienge,  fümmert  er 
fid)  jebo<$  audj  um  ba£  Heinlid)  mäfelnbc  „©emerfe"  gegnerif^er  Ärititafter 
unb  befielt  ifmen  gegenüber  feft,  \a  IjerauSforbernb,  auf  feiner  Eigenart. 

3d)  trage  ben  $ut,  tote  id)  tottt, 

3d)  finge  mein  iiieb,  tote  id)  rottt 

Unb  tote  td)  fann; 


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f^ol^cr  Dradjmann. 


205 


3d)  fte^Ie  nimm«  aus  Slnbrer  SBerfe. 
SBin  id)  bruin  ein  üerfc&mter  SHann? 
<3ofl  mtd)  brum  ft^cltcn  ba8  „©enterte'"* 
S)ie  ©änaeraunft  fei,  n>a8  fte  tottl, 
3dj  bin,  bet  id)  bin,  aus  eignet  Srärfe! 

Um  aber  DradjmannS  Eigenart  ridjtig  311  würbigen,  mu&  man  fie 
cor  5iüem  riäjtig  oerftefyen.  SÖerfudjen  mir  baljer,  fo  gut  e$  bei  ber 
gebotenen  #ürje  möglidj,  $u  jeigen  ober  wenigftens  anäubeuten,  worin 
biefe  ©igeuart  beftefyt. 

@in  ^auptjug,  ben  aud)  Sergföe  ebenfo  wie  Sranbes  einmütig  ber= 
t>orf>ebt,  ift  sunäd#  eine  gewiffe  Unbeftänbigfeit  be£  Did)ter3.  „Die 
23  SBänbe,  bie  mir  bis  jefct  von  ilnn  befifeen,"  treibt  Sßobdfoo  im 
3af>re  18S4  (nunmehr  fmb  e$  fdjon  über  30!),  „jerfallen  in  8  ober  10 
weit  abroeidjenbe  ©nippen,  bie  fidj  nidjt  nur  im  ©toff,  fonbern  aud) 
in  ber  Xonart  untertreiben ;  unb  jwar  ift  e$  nidjt  nur  bie  Stimmung, 
fonbem  bie  £eben3anfd)auung  felbft,  bie  ju  wed)feln  fdjeint."  Demnadj 
tonnte  man  bie  Eigenart  beä  DidjterS  ober  roenigjlenS  einen  raefentlidjen 
3ug  berfelben,  in  einer  wed^felreidjen  SHielartigfeit  erbtiden. 
9iäf>er  betrautet  [äffen  fidj  jeboct)  in  feinem  bid)terifd>en  Staffen  jwei 
Örunbelemente  erfennen,  oon  benen  ba§  eine  ifmt  felbft,  ba£  anbere  bem 
3eitgeift  unb  feiner  Umgebung  entftammt,  was  ber  geifireidje  bänifd^e 
.Hritifer  burd)  einen  23etgleid)  auSbrüdt:  „Der  ÜBebftuljl  mit  feinen 
oielen  ungleichen  gaben  war  bereite  oorgerid)tet  ju  einem  reidjen  unb 
bunten  dufter,  als  ber  Jlampf  be3  £age3  ba$  Sdjiffdjen  erfaßte  unb 
balb  mit  ber  Segeifterung  9totf),  balb  mit  bee  3weifels  unb  ©ebanfens 
törau  feine  Seibenf djaften  unb  Saunen  l)tneinoerwebte." 

9US  Xraa)mann  im  ^atyre  1872  fein  erftes  Jöänbdjen  ,,©ebtd)te" 
Verausgab,  fjatte  SranbeS,  bem  baäfclbe  geroibmet  ift,  eben  feine  „Weoolutton 
ber  ©etfter"  begonnen,  bie  ber  bis  batnn  l)errfd)enben  alten  SteffenS'Detjlens 
idjlägerfdjen  ober  beutfdHbealeu  Siteraturridjtung  bie  neue  franjöfifap 
realiftifdje  3luffaffung  entgegenfteüte.  $tor  es  ein  äBunber,  wenn  ber 
oon  gäfyrenber  ,3ugenbbegeifterung  erfüllte  Didier  ftd)  biejer  mächtigen 
Strömung,  meld)e  bie  fjeimifd^e  ^oefie  31t  verjüngen  oerbiefj  unb  bie  ifm 
fogleiäj  3U  iljrem  poetifdjen  SJfittelpunfte  machte,  00U  unb  ganj  überliefe  ? 

Salb  ieboc3r),  unb  im  ©runbe  fdjon  an  feinen  erften  ©ebidjten,  fonnte 
man  merfen,  bafe  ber  ungeläuterte  finnlidje  9feali£mu£,  bem  nid)t  ber  3lbel 
eines  fittlidt)  füfylenben  unb  3ugleid)  pfymtafiebegabten  ©etftes  aufgeprägt 
ift*),  nid)t  feine  Eigenart  war.  <5£  ging  ifmt,  wie  3lnbr6  (Sinter, 
2öorb3roortl)  u.  21.  mit  ber  erften  franjöfifdjen  Revolution:  er  50g  ftd)  fpäter 
rerfrimmt  jurüd. 

Dem  erften  SluSbrud)  einer  ftünHH"a)en  Did^tematur  folgten  bereite 

*)  Sßl.  Dr.  Älendc«  ©ebanltn  jur  Reform  unfeter  ßiteratur  in  feinem  geiftüoüctt 
»od«:  „am  fflebfmöl  ber  3"t,"  Xbeil. 

14* 


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20^    fjctnrt^  gfdjaitg  in  Bresben.   

1875  „gebämpfte  SMobien"  (Dämpede  Melodier);  barauf  1877  feine 
herrlichen  „ÜJteereSgefänge"  (Sange  ved  Havet),  in  benen  gleidjfam  feine 
eigenfte  9totur  jum  Durd)bruch  fam  unb  bie  faft  nur  ©eflärteS  enthalten; 
bann  „9ianfen  unb  9iofen,"  worin  er  baS  $öchfte,  wenigftenS  ^infi^tlid) 
beS  SBohllauteS  5.  33.  in  „Safuntala"  erreicht  tyit,  unb  enblich  bie,  feine 
ganje  Sugenbperiobe  gleichfam  abföliefeenbe  Sammlung  ^ugenb  in 
Dichtung  unb  Sang!" 

Der  ibeale  ©runbjug  feines  SBefcnS,  ber  fich  felbft  in  ben  Dichtungen 
nicht  ganj  verleugnet,  in  benen  er  uns  als  „SoUblutrealift"  entgegentritt, 
äußert  fid^  befonberS  in  feiner  Siebe  jur  traumhaften  Vergangenheit,  bie 
ihn  jum  (Sagen*  unb  SJtärchenbichter  macht.  2lls  foldjer  ^at  er  fidj 
nid)t  nur  oortrefflich  als  poetifdjer  (Srjähler,  5.  in  ben  -Reim* 
bichtungen:  „bie  tßrinseffm  unb  baS  r)a(6e  Jlönigreid;,"  ber  Often  für  bie 
Sonne,  ber  Seften  für  ben  2)fonb"  u.  21.,  fonbem  auch  oli  auSgejeichneter 
Dramatifer  bewährt.  Der  glänjenbe  ©rfolg  feiner  ^ärdjenf  omöbie : 
„GS  mar  einmal"  erwarb  ihm  1886  ben  Danebrogritterorben.  Unb  feine 
neueften  bramatifdjen  Arbeiten,  jugfeich  bie  jule^t  erschienenen  beS  Dichters: 
(„Tyrkisk  Rococo"  unb  „Esther"  1888,  fowie  „Tusind  og  en  Nat44,  3JZüte 
2Jtoi  biefes  Jahres)  werben,  foweit  fie  aufführbar  finb,  gewiß  auch  außer« 
gewöhnlichen  Beifall  erringen,  befonbers  „Daufenb  unb  eine  Stacht"  mit  ber 
herrlichen  Sagengeftalt  föarun  al  Dtafchibs. 

2IIS  3Kärd)enbichter  bietet  Drachmann  überrafä)enbe  Vergleichs5 
punfte  mit  unferem  ihm  aud)  perfönlich  befreunbeten  9fr.  Saumbach. 
3n  einer  Slnmerfung  ju  „@fther"  äußert  er  fich  über  bie  $erwanbtfd)aft 
ihrer  Stoffe  felbft  fo:  „(Sin  3ufammentreffen  mit  Saumbad)  —  tief  im 
beutfchen  Sinnenlanbe  —  überjeugte  mich  auf  baS  flarfte,  in  welch  naher 
$erwanbtfdhaft  unfere  ffanbinat)ifd)e  ^omantif  5iir  germanifchcn  fteht.  2ßir 
fchöpfen  aus  berfelben  Duelle  —  ber  ©ine  in  ben  blauenben  thüringifdhen 
Sergen,  ber  anbere  an  ber  fdjwermüthigen  9?orbfee." 

«Rieht  mit  Unrecht  wirb  er  baher  oon  ^oeftion  als  „Xräger  ber  91eu- 
SRomantif  in  ber  ffanbinaoifchen  Literatur",  auch  in  ftinficht  auf  feine 
gleidjjeitig  meifterhaften  naturaliftifchen  Schilberungen  als  eine  „Doppel* 
natur"  ^ingeftellt.  Da  jeboä)  ein  wirfticf>er  9IuSgleidj  beiber  Naturen, 
ein  harmontfcheS  „Vereinwefen"  noch  nicht  $u  Stanbe  gefommen  ift,  fo  möchte 
id)  ih«  Weber  zugleich  mit  Sejiehung  auf  fein  gefammteS  menfdjlicheS 
Denfen  unb  güf)len  unb  Sollen,  wooon  alle  feine  Dichtungen  ftets  nur  ber 
fünftlerifche  2IuSbrucf  finb,  als  eine  ßweifeelens  ober  gauftnatur  bezeichnen. 
Die  eine  Seele  will  ficr)  fortwährenb  oon  ber  anberen  trennen;  an  bie 
finnliche  3i*irflid)feit  flammert  fich  bie  eine,  $u  einer  reineren  3been=  unb 
Traumwelt  ftrebt  bie  anbere  empor.  Unb  biefes  fingen,  biefer  innere 
Mampf  wieberholt  fid)  baher  in  gewiffem  Sinne  auch  in  jebem  feiner 
SÖerfe.  Daraus  erflärt  fid)  feine  ewige  Unruhe,  fein  fortwährenbeS  2tufs 
holen  unb  Söteberanfangen,  feine  immer  wechfelnbe  Stellung  ju  ben 


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ftolger  Dradjmann. 


203 


literarifdjen  unb  polttifdj Socialen  Strömungen  feiner  Reit,  baS  herein* 
jie^en  fo  oerfcrjiebenartiger  Elemente  in  feine  btd^teriid^e  Stoffwelt,  alle 
bie  äu&eren  unb  inneren  kämpfe,  an  benen  fein  l'eben  fo  rei<$  ift,  unb, 
ba  er  bei  aflebem  eine  leibenfd)aftlid)e  9latur  ift,  audj  einerfeits  bie  jag= 
Ijafte  Selbfioerjmeiflung,  bie  il)n,  wie  wir  wiffen,  wteberrjolt  fdwn  bei 
feinem  Streben  nad)  33olIfommenf)eit,  nadj  ber  benfbar  rjödrften  SBottfornmen* 
fieit,  erfafct  t)at,  anbrerfeits  baS  ftarfe  Selbftbewufetfein,  weldjeS  er  $u* 
weilen  jeigt.  Sflag  aber  ber  Xrang  nadj  Vorwärts  oft  aud)  ein  bunfeler 
fein,  ber  gute  SDienfd)  unb  ber  grofje  $id)ter  ift  ftä)  beS  regten  SSegeS 
bod)  bewußt! 

So  »iel  über  2>radmiannS  ftidjterperfönltdjfeit  im  allgemeinen.  Um 
bie  Ijier  nur  in  groben  Striaen  angebeuteten  djarafteriftifd>n  3fige  nodj 
fprecrjenber  rjeroorjurjeben,  müßten  mir  frciüct)  etwas  mef)r  nad)  bem  Sebcn 
malen  tonnen.  Leiber  waren  bie  wenigen,  in  ©efeHfdjaft  beS  ©idjterS 
oerlebten  fdjönen  Sommertage  beS  oorigen  3al)reS  ju  fdrjnctt  oerraufdjt, 
als  bafj  wir  aus  feinem  eigenen  SRunbe  villIeS  baju  äßiffenSwerttje  Ratten 
erfahren  fönnen;  unb  eine  auSjüljrlidje  £ebenSbefd)retbung  beS  $)td)terS 
bürfte  erft  nadj  ©rfdjeinen  feinet  bereite  angefünbigten  größeren  9iomaneS 
$u  erwarten  fein,  ber,  falls  wir  bie  bei  unferem  SBefudj  oemommenen 
Slnbeurungen  ntdjt  mijjoerftanben  tjaben,  eine  2lrt  Sclbftbtograprjie  enthalten 
foll.  $)ie  barauS  in  ber  bänifcrjen  3eitfa)rift  „Literatur  og  Kritik"  im 
3)cär$  biefeS  ,3a^eS  abgebrucften  ©ebidue  („Ulf  Brynjulfens  Digte  og 
SaDge")  fdjeinen  für  bie  9iidjtigfeit  unferer  3lnnoI»ne  ju  fpredjen. 

(£iue  auf  perfönlidjen  SWittfjetlungen  berufjenbe,  juoerläffige  unb  mit 
liebeooüem  Slerftänbnifj  oerfafjte  für  je  Sfi$se  oon  2)rad)mannS  Sebent 
gange  giebt  ^oeftion  in  feiner  oon  und  bereits  meljrfadj  ftittfdjweigenb 
benufcten,  lefenSwertfjen  (Sinfeitung  ju  ben  oon  ifjm  trefftidt)  überfefoten 
„See*  unb  Stranbgefd)id)ten"  (Unioerfalbibliotfjef  2478  unb  79).  äöir 
müffen  uns  r)ier  barauf  befdjränfen,  nur  biejenigen  Momente  aus  feinem 
äußeren  £eben  Ijeroorju^eben,  bie  unferem  flüchtig  entworfenen  Silbe  tf)eils 
jur  Umrahmung,  tfjeils  oteUeidjt  audj  nod)  jur  .^injufügung  einiger  ge= 
legentlidjer  £id)ter  unb  Statten,  einiger  nod)  fa^einbar  oergeffenen  3üge 
bienen  fönnen. 

£ie  im  3uli^efte  oeröffentlidjten  SMdjtungen  follten,  fo  weit  bieS 
einige  furje  groben  eben  oemtögen,  3eigen,  welaje  5Jteifterfd;aft  2)rad)mann 
als  SDteereSbidjter  befifct.  ©in  9)feereSbia)ter  foüte  eigentlid)  für  ein 
£anb,  baS  rings  oom  3Jteer  umwogt  ift  unb  baS  fd)on  fo  mannen  oor= 
treffliche»  Seemaler  fjeroorgebradjt  tjat,  fein  allju  großes  &>unber  fein, 
roie  es  benn  aud)  in  ber  £rjat  ber  banifd)en  Literatur  nidjt  an  ©ebtctyten 
unb  ©efd&id&ten  über  baS  9)ieer  fel)lt.  Unb  bod)  bilben  $rad)manns 
SKeereSgefänge  eine  ganj  neue  @rfd)einung,  ja  eine  gan$  neue  lt)rifa> 
eptfc&e  ©attung;  benn  er  fdjtlbert  uns  barin  nidjt  nur,  was  an  unb  auf 
bem  2Heere  ju  fe§en  ift,  fonbem  enthüllt  uns  oor  9lHem  aud;  bie  geheime 


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206 


^einrieb,  ©fdfalig  in  Dresbcn. 


Sprache,  gleidjfam  bie  gewaltige  ©eele,  bie  grojje  ^In'lofopfcie  be«  3Heere«. 
Sie  9totur  fctbft  fä^eint  ifjn  jum  Solmetfä)  if>rer  gewaltigften  ©rfdjeinung«= 
form,  be«  Ccean«,  beftimmt  $u  fyxben;  bcnn  feine  meerblauen  Etagen,  fein 
frauSgelocfte«,  gletdjfam  oon  jittemben  SBeHen  umwogte«  £aupt  unb  feine 
an  bie  9J?eere«riefen  ber  SSorjeit  erinnembe  (Seftalt  freuten  bem  Stteere 
$u  entftamtnen.  ÜBa«  aber  ber  göttlidje  ©eift  ber  9?atur  befdjloffen  tyat,  ba« 
fonnen  9Renfdjen  nidjt  fjmbem.  $er  Skter  2)rad)tnann«,  ein  oerbienter 
ÜJtorinearjt  unb  fpäterer  Sßrofejjor  ber  Ortfjopäbie  in  Äopen^agen,  wollte 
jwar  anfangt  ben  am  9.  Cctober  1846  geborenen  öolger  $ur  (See  fenben, 
nafjm  it)n  aber  bodj  balb  au«  ber  ju  biefem  Qmede  befugten  Schule,  um 
ifni  für  feinen  eigenen  33eruf  auäbilben  ju  (äffen.  So  würbe  $olger  1865 
Stubent  ber  9)lebicin.  9lflein  bie  Siebe  jur  ßunft  überwog  bei  ifjm  bie 
l'iebe  jur  2Biffenfd)aft,  unb  balb  fefjen  wir  ifjn  (al«  eifrigen  ftunft  jünger 
unb  ©d&üler  be«  befannten  Sflarinemaler«  ©örenfen),  wof)in  fein  ^>erj 
Um  30g,  am  9tteere! 

£amt  begab  er  fidjj  jur  weiteren  2lu«bilbung  auf  längere  Reifen  nacf> 
ber  ^orbfee  unb  bem  mittellänbifdjen  ÜWeere  unb  oerbradjte  ein  t)aCbe^ 
3af)r  auf  ©icilien.  Gittfdjeibenb  warb  für  ifnt  ein  Sfafentfjalt  in  Sonbon, 
wo  er  längere  3«*  al«  S^uftrator  unb  2ttaler  oft  gar  tummerlid)  fein 
33rot  oerbiente.  daneben  trieb  er  mit  faft  gleidjem  ©ifer  ÜDhiftf,  2lefu)etif 
unb  ^oefie.  £ter  war  e«  aud),  wo  er  1871  bie  glüdjitlinge  ber  ^arifer 
Commune  unb  bie  willigen  foctalen  Söanblungen  rennen  lernte,  weldje  ber 
Ärieg  in  granfreiä)  mit  fid)  gebraut  r)atte.  2Ba«  er  lu'er  flaute  unb  f)örte, 
mit  bem  Sßinfel  ju  malen,  oermodjte  er  nid)t;  ba  oerfuä^te  er  e«  mit 
Sorten,  unb  fo  entftanb  fein  berühmte«  ©ebid)t,  ba«  nod)  jefct  ju  feinen  Sieb* 
HngSgebidjten  gefjört:  „£>ie  eng(if<$en  Socialiften".  Unb  wie  er  fie  ju 
malen  oerftanb,  mögen  folgenbe  Seilen  jeigen: 

©cfdmöt  doc  bem  2Binb  unb  falten  SNebeln, 
lim  beS  SoljlenbecfenS  qualmenbe  ®tuten  — 
$ie  ftoljlen  ftnb  Dom  Straube  gefio&len, 
28o  ber  Scautmann  löfdjt  bie  belabenen  <5<bütcn  — 
Sifct  eine  Sdjaar.  SBebedt  ftnb  mit  SKufee, 
2>tc  tnotigcn  Sirme  in  fdmtuötger  &tnfe; 
2Bof)I  Dierjelm  finb'8,  fie  löfdjteu  bie  ©ajutc, 
2>ie  §aut  geugt  Don  Slngclfadjfenblute. 

Gie  murmeln  unb  fangen  bie  tönernen  pfeifen, 

3)a6  x'ilc  gcb,t  ()erum  in  tlappcrnben  Scannen; 

2Jlan  fjat  etwas  Dor,  mödjt'  etwas  ergreifen, 

3Kan  rotU  aus  ber  9?ottj  unb  möd)te  fie  bannen; 

3Me  3trme  erbeben,  hrie  Sriebertranfen ; 

2>te  ÜÖorte  fehlen  ben  Dielen  ©ebanten! 

2)dü^  ofcne  ©qftem  mufe  yMci  erftiefen. 

£a  erfjebt  ftd)  ein  SDlann  mit  fuufelubcu  dürfen  u.  f.  to. 

Xer  Erfolg  feiner  erften,  1872  erfd)iencnen  „©ebia^te"  unb  me^r 


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•          Böiger  Dradjmann.    207 

nodj  ber  einer  balb  barauf  unter  bem  Xitel  „33on  jenfetts  ber  ©renje" 
(Derovre  fra  Gracnsen)  herausgegebenen  Sammlung  oon  ©fijjen,  in  benen 
er  berebt  unb  ergretfenb  bie  ^eroifdje  2luSbauer  ber  bänifdjen  Solbaten  in  ber 
$üppelfteflung  fd^ilbcrte,  liefen  enblid)  nadj  längerem  Scfyroanfen  ben 
$id)ter  über  ben  Sftaler  ftegen;  unb  nun  fdjiuf  er  mit  rafttofem  gleite 
arbeitenb,  bie  ganje  ftatttid^e  [9ieü)e  von  ©ebid)tfammlungen,  STCooellen, 
Romanen  unb  Dramen,  bie  mir  jefot  oon  ilmt  befifcen  unb  bie  feine  viel- 
fettige  ^Begabung  in  fo  berounberungSroürbiger  2£etfe  offenbaren. 

©röfcere  9teifen,  meiffc  oeranlafjt  burd)  innere  unb  äufeere  (namentlich 
aua)  politifäe)  Äätnpfe  im  Skterlanbe,  unternahm  er  bann  nodj  1876  bis 
78,  befonberS  nach  ben  europäifdhen  ßauptftäbten. 

3mmer  mieber  aber  mar  es  bie  Sefmfucht  5"*»  ^aterlanbe  unb  be* 
fonberS  jum  §eimifa)en  9tteere,  bie  ifm  ber  #etmat  jurüefgab.  ©in  tief* 
empfunbeneS  poetifcheS  3e«9^§  ffir  biefe  Sefjnfucht  ift  fein,  gleichseitig 
oon  flampfeSmuth  erfülltes  ©ebicht:  „SBogelfchau"  (im  Suüfceft  S.  62). 
2Sela)e  frohen  3iele  er  fi<$  als  ,,<MeereSbichter''  ftettt,  rote  er  ringt  unb 
ftrebt,  „bie  ©rö§e  unb  SJtodjt  beS  StteereS  ju  erfaffen  unb  jt<h  aus  feiner 
Sturmmelobte  bie  Tom  ureigner  ^oefie  $u  fchaffen",  baS  liefe  uns  bie 
oorhergefjenbe  Dichtung  er!enneu.  $)afe  er  fidj  jebod)  aud)  oortreffltdh 
auf  „©eitrebilber" ,  bie  baS  Stranbleben  barbietet,  oerfteht,  (>at  baS 
fleine  annnuthige  33ilb  beroiefen,  baS  er  „Stenftein"  betitelte  (ebenba  S.  60). 

Die  Siebe  jum  Sfleere  rote  5ur  9totur  im  Allgemeinen  §ai  ttnt 
jum  oertTauten  greunbe  ber  3*  Wer  unb  Seeleute  gemacht,  ju  benen  er 
fid)  ftets  flüchtet,  roenn  er  ftch  oon  allju  angeftrengtem  Arbeiten  erholen 
roiH,  ober  roenn  er  es  unter  ben  „9)ienfchen"  wegen  etwa  3U  offen  ge= 
äufcerter,  freier  2lnfichten  einmal  nidt>t  mehr  ausmalt.  So  lebt  er  auch 
gegenwärtig  mit  feiner  oortrcfflidtjen  ©atttn  unb  feinen  „füfjen  oier 
flinbern"  an  einem  Keinen  ©tranborte  nörbltdj  pon  &elftngör,  nach  feinem 
eigenen  9luSbrucf  „jroifchen  2Bälbern,  SHöoen,  Jvtfchern  unb  Seefapitänett." 
Safür  wirb  er  aber  audj  oon  ben  gifchern  geliebt  unb  oerehrt,  roie  nicht 
leidet  ein  anberer  Dichter  oom  $olfe  geliebt  roerben  fann.  3Wan  brauet 
nur  feinen  tarnen  ju  nennen  unb  ju  fagen,  bafj  man  ir)n  gern  1)at,  fo 
ift  man  auch  ihr  Jreunb.  Söefonbers  berounbern  fte  feinen  Sleifj.  „Hau 
er  meget  flittig"  fagen  fie.  „2ßenn  wir  2lbenbS  aus  bem  &rug,  roo 
roir  miteinanber  trinfen,  raudjen  unb  uns  ©efdjichten  erzählen,  nad) 
$aufe  fchlafen  gehen,  bann  fefct  er  ftd)  noch  hin  unb  fchreibt  unb  fchreibt." 
2öaS  er  bann  ioot)l  fdjreibt,  roas  er  uns  fojufagen  „frifdj  oom  3a$"  giebt, 
ift  leidet  5U  erraten.  SefonberS  ift  er  ein  unübertrefflicher  3Keifter  furjer 
Silber  unb  ©ef<hid)ten  aus  bem  Seben  unb  Xreibcn  ber  gifd;er  unb  See* 
leute.  ©r  perfte^t,  rote  ^oeftion  treffenb  fagt,  „bie  fa^roere  Äunft,  oon 
einer  ^erfon  in  wenigen  3"gen  ein  abgerunbeteS  "Mb  ju  geben,  baS  bem 
l'eier  unoergefelid)  bleibt,"  unb  baS  er  lieb  geroimtt,  fügen  roir  funsu« 
^Das  ifk  benn  aud)  bie  einige  Seite,  oon  roeldjer  $raä)mann  bem  beutfd)en 


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208 


fjeinridj  gfdjalig  in  Bresben-   


&efer  fdjon  einigermaßen  befannt  ift.  Deutfdje  Ueberfefcungen  $rad> 
mannfäjer  <Seegefd)tdjten  finb  aufjer  ^oeftiona  bereite  ermähnten  prächtigen 
<5ee*  unb  @tranbgefcf)id^tcn  erfdjienen  r»on  31.  <5trobtmann:  2tu$  bcn 
(Sanbregionen  unb  anberen  ©r&ählungen  von  &  Drachmann  unb  S. 
Sacobfen;  ferner  jroei  größere,  fejfelnbe  ©tranbnooeden  (,/^aul  unb  SBirginie 
unter  nörbttdjen  breiten''  unb  „%u$  ber  gamUiengefchidjte  be^  $jörn; 
gefdjlechteä")  oon  %.  u.  ©ngelharbt,  ^eipjtg  1881.  * 

2öa3  enblid)  Dradmtannä  erjählenbe  9Jieere$gebichte  anlangt,  fo 
fei  nur  furj  noch  erwähnt,  bafe  fidj  in  Urnen  befonberS  ba£  &elbenhafte  fetner 
9totur  funbgiebt.  <Sd)iffbrfidje,  türme  ÜHettungäoerfudje,  grauen  bie  mit  bem 
ütettungStau  um  ben  £eib  ftdj  in  bie  Sßogen  fturjen,  um  ben  ©eliebten 
ju  retten,  Kapitäne,  bie  bas  ftnfenbe  Schiff  nicht  oerlaffen,  oerfteh*  er 
uns  jo  ergreifenb  unb  fd>auerooH  oor  bie  Seele  %\x  säubern,  bafc  n>ir 
meinen  fönnten,  wir  roären  felbft  zugegen  unb  nähmen  ^ei(.  ©ine«  ber 
befannteften  ©ebtdjte  biefer  2lrt  ift  baä  großartig  bramattfä)  aufgebaute 
unb  gewaltig  ergreifenbe  ©ebtcbt  „$on  ber  $üne." 

fr3  ift,  als  ob  man  bie  furchtbare  33ranbung  be$  fturmerregten  SHeereS 
fetbft  üernärmte,  roenn  man  bie  SBorte  uortragen  hört: 

Stürme  faulen,  20og.cn  brüllen, 
Sanb  unb  Saljflutfitropfen  füllen 
Bttterob  bange  2uftbereid>c  


S'itrgenbS  ätfiberftanb  nod)  Set>r. 
2Bo  ber  UfertoaU  gefdmmnben, 
Jöafjnt  ftd)  mad)tPDll  uugebunben 
Seinen  Ȇben  2Beg  bert  2Rcer. 

SdjtDcrc  iüJogenmafien  fditeBcn 
Unb  ocrfließcn, 
UebeTgtefeen 

2öcitt)tn  ftcf)  mit  meinem  Sajanm; 
SHingd  im  Waum 
flehte  nod)  fo  tleinc  Stelle, 
iöietet  ftd)  bem  5üf$  alä  Sdtfoelle, 
2tfo  bu  trogen  fannft  mit  ÜRutb, 
S?ranbungSbonnenoirbclflutl) ! 

3Bie  feffelnb  ift  nid)t  bie  Säuberung  ber  uon  ber  Düne  atemlos 
au^fpähenben  ©eliebten: 

Unb  inamifdEpcn  gan,  bort  oben 
iUui  ber  $üne  nmibumtooben, 
SJor  ben  2lugenbrau'n  bie  ftanb, 
Späf)enb,  fpannenb,  ftarrcnb  ftanb 
Sic,  beö  Mätljfels  ßöferin. 
*ana  ber  Slt&em,  blafe  bie  Sippen, 
Smmer  ftarrenb  nad}  ben  flippen, 
9lad)  bcni  fdjmaräcn  ^untte  f)tn 


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folget  Dradjmann. 


209 


2üie  ein  3tanbbilb,  auSaeljaueit 
Srtrann  in  Stein,  folßt  fie  bent  2Joot, 
ScuTjenb  in  bc3  6rurme§  (Brauen, 
3itternb,  bebenb  toie  ein  2aub. 

Unb  bann  roieber  ba$  Sfteer: 

Unb  Üidjt  unb  3d)atten 
2Becftfeln 

lieber  bem  3fleere. 
Sie  iagenbe  §unbe, 
©ie  toütf)enb  fid}  beißen, 
kommen  etlenb  bie  SBogen; 
Unb  eS  bellt  and  ber  Xiefc 
Dtaub,  brüüenb.  

Eiefer  ©attung  gehört  aud)  baä  im  3ulif)eft  Seite  58  abgebruefte 
fa)öne  ©ebidjt  „Mein  auf  bem  2>ecf"  an.  9luf  eine  anbere  nidjt  minber 
bramatifdj  ergreif enbe  £id)tung:  „2)ie  tefetc  itorabe"  (beutfdj  erf Lienen 
im  „SHagasin  für  bie  Literatur  be$  $n=  unb  2lu$lanbe$,"  1889,  9ir.  6) 
fei  fjier  nur  rurj  rjtngenriefen. 

liefen  ©ebbten,  tote  allen  feinen  ©r$äljlungen  unb  ebenfo  feinen 
Dramen,  gereidjt  eä  ju  uni>ergleid)ltd)em  SBortyeil,  bafe  er  ate  $id)ter  bod) 
jtets  jugleidj  geblieben  ijt,  rca$  er  non  <Qau$  aus  mar,  ein  genialer  2flaler. 
IWödjte  e$  uns  gelungen  fein,  burd)  unfere  nodj  lücEen^aft  gebliebene 
Sfij5e  bie  in  mandjer  ^infic^t  gan3  eigenartige  Didjtergeftalt  £radmtann$ 
ber  beutfdjen  i'eferoelt  netter  ju  bringen!  2Bäre  er  berfelben  fa>n  oer* 
trauter  geroefen,  fo  f)ätte  er  aua)  ,u  einer  ausgeführten  üergleid>cnb=  ftitifdien 
Serraa)tung  reiben  ©toff  unb  frud)tbare  Anregung  bieten  tonnen. 


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Der  JlTufiMDinter  \  888— 1889. 

Don 
—  33crlin.  — 

I  ift  unbenfbar,  ba&  im  politiföen  unb  focialen  £eben  ftarfe 
©egenfäfce,  üerfd^iebenartigfte  SBefirebungen  fidj  entroicfelten  unb 
$ur  ©eltung  gelangten,  unb  bajj  im  ÄunjMeben  9We3  redjt 
rut)ig  unb  glatt  oor  fid^  ginge,  von  allen  Vorgängen  in  anberen  Legionen 
unberührt  bliebe;  als  ob  Siebter  unb  SRufifer  unb  bilbenbe  Äünftler  auf 
einem  anberen  Planeten  Ijauften  unb  uon  bort  herab  itjre  SBerfe  in  bie 
irbifcfjen  Xtyeater,  ^erlagäbucrjfjanblungen,  Goncertfäle  unb  flunftauSfteüungen 
|  eubeten ! 

(SS  märe  oielmefn  nia^t  fdjroer  ju  bewegen,  baß  aüe  Seroegungeu, 
bie  im  öffentlichen  Seben  bura)  f)öl)ere  ^been  ober  niebere  ©ebanfen 
hervorgerufen  würben,  im  fluuftleben  2lu£brucf  —  nidjt  etwa  $ars 
ftellung!  —  erhalten.  Xer  ©eift  beS  ÄünftlerS  ift  eine  2lrt  oon  lörenn* 
fpiegel,  ber  bie  oerfd)tebenartigen  ucretnselten  ^beenftrablen  (ober  aua) 
niebere  ©ebanfen)  in  fidj  5ufammenfaf$t  unb  auf  einen  $unft  leitet.  $och 
nochmals  fei  es  f eftgeftellt :  baS  Äunftroerf  ift  2luSbrucf  uerfchiebenartiger 
Bewegungen,  nid)t  etwa  Sarftettung  oon  ^been.  ©S  märe  ein  Unfmn  $u 
behaupten,  bafi  bie  Beetbooen'fchen  Smnpbonien  cor  beut  ungeheuren 
Umfchrounge  in  ber  beutjdjen  Dichtfunft  unb  cor  ber  franjöfifdjen  SReoolution 
bätten  entfteljen  fönnen;  ein  noch  größerer  Unfinn  aber  märe  eS,  fie  als  bie 
Xarftellung  ber  Sturnu  unb  £rang=  unb  ber  DieoolutionSibeenfcu  bezeichnen. 
Unb  wenn  9tid)arb  2Bagner  einerfeits  „mit  ©ntjücfen"  bie  beutfehe  9Kothe 
preifet,  in  melier  if»n  ber  wahrhaftige  „natürliche  Sflcnfch"  in  feiner 
Jansen  Schöne  entgegentrat,  anberer|eitS  benmnbemb  oon  ber  Sdwpen; 


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  Der  ITTnfif  •  IPinter  isss—ieeq.    2U 

fjauer'fdjen  SBeltanfdjauung  fpritf>t,  nad)  roeldber  gerabe  ba£  9totürlicr)e  im 
9Renfa)en  aus  bem  SBiflen  sunt  Seben  entftet)t,  ber  nur  Setben  unb  ©lenb 
bringt  unb  in  ber  33efriebigung  fid)  felbft  jerftört ,  fo  ift  baS  ber  befte 
Seroeis,  wie  mef  unoerföt)nlict)e  SSiberfprfidje  im  ©eifte  be£  ftünftferä  fi  dj 
freien  unb  bennod)  jum  Staffen  eines  großartigen  Äunftroerfs  beitragen 
fönnen. 

9?un  Ijaben  bie  legten  Sa^re  fo  oiel  ©eroaltigeS  unb  ©eroaltfameS, 
§od)ftrebeube£  unb  6treberifdje£,  allgemein  SHnregeubeS  unb  gemeinen 
Regungen  DienenbeS  gebraut:  unb  bie  flunft  foHte  oon  aß  £>em  unbe* 
riujrt  geblieben  fein?  unb  gar  bie  Sonfuuft,  biefe  oerbreitefte,  fo  3U  fagen 
gefeüfdjaftlidrfte  aller  flünfte? 

Suf  bem  gelbe  ber  Dper  tonnten  bie  ftarfen  ©egenfäfce  ber  oer= 
fdjiebenartigen  neueren  ©runbfäfee  nidjt  jur  ©eltung  gebraut  roerben,  benn  in 
ü)r  erf feinen  SBagnerS  SRufifbramen  nod)  immer  allein  gegenüber  ben  älteren 
flaiiifdjen.  Seine  beutfä^en  3eit(jenoffen  baben  nict)t^  fjeroorgebrad&t,  roaS 
ibnen  entgegen  geftellt  werben  fönnte.  Unb  felbft  bie  3lnl)änger  italiemfdjer 
Cpernmufif  nrüffen  gefielen,  bafc  Serbin  lefeteS  SBerf  „CtfjeHo"  gar  «ietee 
enthält,  baS  nicf)t  gerabe  eine  9fadjatmumg  2£agnerS  $u  nennen  ift,  aber 
gcnr3  beftimmt  ofme  ben  burd)  ifm  gegebenen  3mpul«  nid)t  beftänbe.  Siefe 
3trt  ber  £armonifation,  ber  Seclamation,  ber  3nftrumentation  r)ätte  $erbi 
niemals  angeroenbet,  toären  nidjt  bie  2Bagner'fd)en  ©runbfäfee  aud)  fo  tief 
in  bog  Seroufjtfein  fejr  oieler  italienifdjen  SJJufifer  unb  ifufiffreunbe  ge= 
brungen.  3Me  23emerfung  fotl  burdjauS  nidjt  bie  2(nerfennung  ber  grofjen 
Begabung  beS  SOtfanneS  beeinträchtigen,  ber  ben  „ballo  in  maschera-1,  ben 
britten  9(ct  beS  „©rnani",  bie  erfte  Hälfte  beS  sroeiten  Stetes  in  „9iigoletto" 
unb  bie  „Wühl"  componirt  f)at*);  fie  foll  nur  bartfyun,  bafe  eben  gemifte 
Obeen  nadj  ben  entfernteren  Legionen  auSftrat)len.  Die  Meinungen  über 
ben  flunjtroertf)  ber  Sßagner'fdjen  6d)öpfungen  mögen  fcr)r  uerfct)ieben  fein ; 
bafe  fie  aber  bie  beutfdjen  33ül)nen  bef)errfd)en,  bafc  fie  bie  größten  Qm- 
nahmen  bringen,  ift  eine  feftftet)enbe  Sfyitfadje.  Unb  wenn  —  md)t  mit 
llnred)t  —  behauptet  wirb,  bafj  it)r  ©rfolg  nidjt  burdj  £aS  allein  beftimmt 
nrirb,  roaS  fie  als  Äunfrroerf  finb,  fonbern  in  nidjt  geringem  ©rabe  burd> 
burd)  baS  oon  9lidt)arb  SBagner  felbft  angeregte  föineinsieljen  lcibenfd)aft= 
lidjer  ©treitigfeiten  unb  Sßoranfteüen  oon  9febenfragen,  bie  jur  flunft  felbft 
in  oft  fefu*  entfernter  Sejietjung  flehen :  fo  bietet  biefe  üöefjauptung  nur 
einen  neuen  ftarfen  33eioeiS,  toie  baS  ftunftleben  fjeute  in  nod)  oiel  ftärferent 
^afje  als  efjebem  oon  allen  geiftigen  Regungen  berührt  roitf),  unb  mie  jefet 
aud)  bie  unfyaltbarfte  3ufanimenfleHung  pl)ilofopl)ifdf)er  6i)fteme  mit  fünfte 
lerifdjen  ©rjeugniffen  gläubige  2lnl)änger  finbet.  Ueber  3)iufif  pljilofop^iven 


*)  3*ber,  beT  ScbetS  „ßunjantfic"  Ijört,  muß  crfcimcit,  baß  tu  üjr  bic  ©nutö- 
Iage  bererften  Opern  9i  Sßagnerä  (^ollänber,  Xannljäufcr,  JL'o^enfltin)  ru^tc;  ex^. 
berum  baS  foloffale  ®enie  beS  ^idjter^omponiften  als  ein  geringere«  ? 


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2\2    Ijeinridj  (Ebrlicb,  in  Serlin.   

ift  ja  eine  Sieblingäbefdjäfttgung  her  gebilbeten  ©efetlfd^aft,  unb  felbft  ernft* 
J»afte  ©ele&rte  leiften  ber  ©d&önrebnerei  Sßorfd&ub.  3113  SWo^art  bie  „3aubers 
flöte'7,  als  Seetyooen  bie  unermeßliche  „Neunte"  fd)uf,  fiel  e$  feinem  3Jlenfd^en 
ein,  bie  ganj  fixeren  $e$iefmngen  ber  erften  jut  greimaueret  barjulegen, 
ober  aus  bem  ©oetye'fdjen  „3aufi"  ein  Programm  für  ba$  Mefenwerf  yi* 
fammensufefcen.  sprogamme,  b.  lj.  Ueberfajriften,  unb  mitunter  bie  fonber* 
barften,  c)at  e3  oon  jef)er  gegeben:  aber  bie  2lu3legerei  ift  erft  in  ber 
SReujeit  jur  sollen  9ieife  gebradjt  worben.  2öir  finb  jefet  fo  weit  ge= 
fommen,  bajj  bei  ^eurtfjeüung  oon  ßunftwerfen  eine  SDtaffe  Vorfragen  ju 
gruubliajer  iBefpredjung  gelangen,  bie  &auptfad)e  aber:  wie  benn  ba* 
Jöerf  gefdjaffen,  gebietet,  componirt,  gemalt  ift,  faft  nebenher  bel;anbelt  wirb. 

Unb  wenn  man  bie  oerfdn'ebenen  Goncertprogramme  be3  oerfloffenen 
Linters  prüft,  fo  mödjte  man  faft  behaupten,  bafe  felbft  im  ©eifte  mand&e£ 
Gomponiften  ni<3t)t  ba3  9J2uftfalifd)e  als  ba£  2£idf)tigfte  waltete,  fonbem 
ba$  Söefrreben,  ©reigniffe  unb  &anblungen  bura)  £öne  barjuftellen,  bie 
ber  befdjreibenben  $id)tfunft  unbebingt  angehören,  ber  3)ialerei  in  nur 
bebingtem  SHafee  jugänglidj  finb,  ber  3nftrumental:9Wufif  aber  entfdjieben 
ganj  ferne  liegen.  &ä  finb  im  legten  äßinter  jwei  „6i)mpf)onifcbe  £id)s 
tungen"  mit  bemfelben  £itel  „granceSca  ba  9iimini"  aufgeführt  worben,  bie 
eine  oon  Sajjini  in  SKatlanb,  bie  anbere  oon  XfdjaifowSfi)  in  Meters» 
bürg.  SBajjini  (geb.  1818),  eljemalä  ein  berühmter  ©eigenfünftler,  beffen 
ebler  £on  unb  fdföner  Söortrag  ifmt  befonberS  in  $eutf3>tanb  allgemeine 
Snmpatfjieen  erworben  fyat,  ift  jefct  2)irector  be3  SJtailänber  Gonferoatorium* 
unb  in  feinen  Gompofitionen  ein  ^Inbänger  ber  neubeutfdjen  Sdjule. 
2fd)aifomSfo  (geb.  1840),  juerft  ^urift,  bann  9)iufifer  unb  Seljrer  am 
Petersburger  Gonferoatorium,  ein  ungemein  geiftreiajer  Gompontft,  gebort 
ber  jungruf fifdjen  ©djule*)  an,  bie  fein  anbereS  Äunftgefefc  anerfennt, 
aU  bie  eigene  SBiflfür.  Gr  ift  allerbings  ber  bei  weitem  bebeutenbfte 
biefer  Sdmle,  benn  er  f)at  aud)  eniften  Stubien  obgelegen,  oiel  gelernt 
unb  fef>r  gefd)idte  ^anb^abung  ber  gönnen  erworben.  3n  einer  2uite 
oon  ilmt  befinbet  fia)  ein  ^rälubium  unb  guge,  bie  ju  ben  geifiretd>ft 
erfunbenen  unb  trefflidtft  gearbeiteten  SBerfen  ber  9ieu$eit  gehören. 
3lber  ba£  Streben  uad)  Drigincllftem,  9itebageroefenem  füb,rt  auo) 
ifm  mandjmal  ju  Gypertmenten  unb  Kombinationen,  bei  bcnen  jebe  9)hmf 
aufhört.  Xic  Gptfobe  au$  Danteä  3nfc™0>  oie  Grfdjetnung  unb  Qx- 
^aljlung  ber  granceäca  ba  Siimiui  als  Vorwurf  einer  3nftrumental= 
compofition  ju  mäblen,  war  fdjon  oon  oon^erein  ein  oerfel)lter  ^erfud). 

ber  X>ia)ter  in  SBorten  anfdjaulia)  befa^reibt,  fann  ber  ÜWuftfer  nid)t 
toiebergel^en,  benn  iener  bat  beftimmte  äöort  für  fidj,  biefer  fann  nur 
3mammenfteaung  oon  (Sinseltönen  in  2lccorben  bieten.   Sa*  ber  ^id^ter 

*)  £ie  ältere  ruffifdje  sJKufiff^ule,  bereit  bebeuteubften  mämicx  Stuoff  nnb  ©Utita 
waren,  fufetc  gans  auf  bcutfdjer  Xrabitiou,  mit  nationalen  ihJeiibnngen. 


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  Der  iriuf tf  •  IPinter  1888 — \esq. 


2*3 


bem  £efer  in  brei  SBerfeu*)  er;,ärj(t,  tnufe  bcr  SJhififer  bem  ßörer  in  einer 
langen  -Heilje  oon  harten  begreifltd)  $u  matten  jucken.  Sie  Dualen  ber 
armen  com  Sturme  gejagten  ©eifter  mufj  ber  SDfufifer  burcr)  eine  9?ett)e 
Don  $iijonan$en  5U  ©erfinnUdjen  trauten,  bei  benen  julefet  ber  mufifalifaje 
£örer  ein  ©equälter  wirb,  ^oetifdje  2?ergletd)e,  wie  bie  oon  ben 
ctaaren,  bie  mit  breitem  ^lügeC  im  falten  Söinter  bafu'n  fliegen,  ober  oon 
ben  flagenben  flranicfjen  (SB.  40—50)  fann  bie  Sflufif  nidfjt  wiebergeben. 
Tie  wunberbare  Sa)önt)eit  ber  Slufpradfoe  SanteS  unb  ber  Sintroort  granceSca* 
ift  ein  ©igenfteS  ber  Sidjtfunft;  oiefleicr}t  wäre  e$  möglid),  bur$  ben  ©efang 
eine  äfmlidje  2$irfung  $u  erzeugen.  2lber  was  foff  bie  ^ftrumentamtuftf 
bamit  beginnen?  Sie  beiben  ermahnten  „Snmplwmfajen  Sidjtungen"  (ber 
2itet  ift  baS  8a)önfte  an  bem  Singe!)  fonnten  einen  ungeteilten  ©rfolg 
niajt  erringen;  bod)  fanb  bie  $3a$$ini3  jebenfallS  nod)  merjr  Xrjeilnafjme, 
roeil  in  i&r  boef)  ber  italtenifdje  3)hififer  bie  9Mobie  nia)t  fo  gan$  oer= 
bannte,  wie  ber  geniale  Stoffe.  weniger  ©inbruef  alz  bie  beiben 

^anceScaS  er$eugte  ein  3Wwfifftüc!  oon  6t.  BaenB  „^fiaeton",  in  welchem 
nur  bie  mufifaftfdfjen  Orrbarmen  erfennbar  waren,  auf  roeld&en  ber  (fetjr 
geiftreidjie,  aber  offenbar  eine  3«ü  fong  überfdjjäfete)  Gomponift  fidj  Berums 
treibt.  Crä  erjd&eint  mir  notfjwenbig,  f)ier  meine  Ueberjeugung  gegen- 
über ber  ^rogrammsSflufit1  auäjufpred&en.  3ebe3  wafjre  Xonfunftwerf,  aud) 
baä  fleinfte,  ift  «jSrogrammmufif,  b.  i).  es  mufe  im  gebilbeten  &örer  @m= 
pfutbungen  erroeefen,  bie  er  mit  geroiffen  SJorflettungen  in  SJerbinbung 
bringt  unb  io  gu  fagen  jum  Programm  auSbilbet.  Sie  2J}ufif,  bie  fola)e 
Gmpftnbungen  unb  Sltorfiellungen  nidjjt  rjeroorruft,  taugt  wenig.  3lber  nod) 
nxniger  taugt  bie  3Hufif,  ju  beren  i*erftänbnif$  ber  gebübete  &brer  erft  einer 
2>orfd)rift  für  feine  ©mpfinbungen,  fojufagen  eines  äftr)etiid)en  JRecepteS 
bebarf.  ©ntfrtelten  be$  rjodjgeniafen  33erIio$  Smnpfjonieen  „Gpifoben  au* 
bem  Jtünfilerieben",  „£arolb"  u.  f.  ro.  nic^t  fo  oiel  edjt  mufifalifd&e  Sdjöns 
Reiten  in  2)lelobie,  rrjutfmufdjer  ©igentrjümlicrjfeit  unb  Xonfärbungen,  fie 
mären  fdjon  lange  ber  Süergeffenfjeit  anheimgefallen.  Sie  Cuoertüre 
..Carneval  Romain"  wirb  bei  guter  9Iuffüt)rung  immer  jünbenb  roirfen,  ofme 
bafc  bie  §örer  bei  jeber  ^fjrafe  baran  bähten,  wa§  fie  bebeuten  foll. 

©ute  3luffüf)rungen  $Jertto$'fd)er  2£erfe  fjaben  wir  nur  bem  unoei^ 
^eiä)lid&en  &an£  oon  iöülow  $u  banfen,  beffen  Leitung  bie  ^rji(fjarmonifcr)en 
(Soncerte  ju  f)öcr)ftem  ©fanje  unb  §u  groftartigfter  Sirfung  gebraut  ^at. 

biefe  Goncerte  no$  unter  ber  Verwaltung  einer  ©cfeüfa^aft  unb  unter 
fünftlerifcrjer  gürjrung  beä  ^errn  ^profeffor  Dr.  ^oadjim  unb  ^errn  Rimb= 
loortf)  fumben,  ba  brauten  fie  nur  järjvÜdje  2lu§fäße,  wetd)e  bie  reiferen 
ÜJlitglieber  ber  ©efeüfdiaft  beeften,  bis  fie  e$  bequemer  fanben,  fie  nid)t  me^r 


J'  vienui  ia  loc<»  d'ogni  luce  muto 
Che  niugghia  rome  f»  mar  per  tempesta 
Se  (Iii  contrari  vouti  6  .  nmbattuto. 


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fjeinridj  €tjrüd}  in  Berlin.   -  - 


ju  becfen,  unb  jurücftraten,  worauf  bie  9XufIöfung  ber  ganjen  SSerbinbung  notf)* 
wenbig  erfolgen  mufete.  3efet  finb  biefe  Soncerte  sJ$riDatunternehmungen  be* 
„Goncertbirector"  &errn  äöolf  unb  bie  bei  weitem  einträgltchften  —  felbftoer; 
ftänblid)  burdj  23ülom£  3auber;Xactftab.  2ßie  er  begeifternb,  jortreiftenb, 
eleftrifirenb  auf  ba$  Drdjefter  unb  baS  'publifum  wirft,  ba£  fann  nur  gebort, 
nicht  befcfjrieben  werben.  „2lltclaffifche"  28eurtr)et(er  unb  £iebhaber  meinen  I)ie 
unb  ba,  er  tüftle  m  oiel,  er  fua)e  fo  oiel  einzelne  intereffante  3üge  tyenwr, 
bafj  ber  ©inbruef  beä  ©anjen  beeinträchtigt  werbe.  ©3  ift  ba3  ber  fonber* 
barfte  Vorwurf  in  einer  3eit,  ba  fo  oiele  gelehrte  unb  geiftreidje  9Hanner 
an  jebem  2>erfe  oon  ©oett)e  unb  S^afefoeare  herumftubiren,  bis  fie  irgenb 
eine  neue  SBebeutung,  eine  ^ttejiehung  tyerauSfmben,  an  bie  bisher  fein 
2)?enfd)  gebaut  ^at,  oieUeicht  ber  dichter  felbft  am  wenigften*).  2ßer  aber 
$eetf)0t>en$>  A-dur:6mnphonie,  bie  fo  oft  gehörte  A-moll  („©chotttfdje" ) 
oon  9ttenbel3fof)n,  ja  felbft  bie  fdwn  abgeleiert  ju  nennenben  Duuertüre 
5um  „Xannfjäufer"  unter  SülomS  Leitung  gehört  fyat,  ber  mufete  geftehen, 
bafc  ba  neue  ungeahnte  Söirfungen  herausgeholt,  nicht  etwa  I)tneiuget^an 
waren,  bafe  bie  tfjemattfdjen  Eurowährungen,  bie  rf)9thmifd)en  ©lieberungen, 
bie  Sonfärbungen  in  einzelnen  ^nftrumentatgruppen**)  nodj  niemals  in 
folcher  fllarljcit,  in  foldh  fünftlerifch  ooUenbeter  Ausführung  tjeroorgetreten 
waren.  Unb  t)at  er  nid)t  baS  oorauS  oiel  befprodjene,  fpöttifd)  ange* 
zweifelte  SSBunber  oollführt  unb  bie  „Neunte"  am  felben  9Ibenbe  jweimal 
aufgeführt,  wobei  bie  übergroße  3JIel)rjal)l  be$  ^ubltfumS  bis  an  ba* 
lefcte  ßnbc  uerweilte,  olmc  (*rmübung  ju  jeigen?  Unb  welche  Littel  ftanben 
ihm  hierbei  eigcntlidt)  §u  (Gebote?  SaS  $Inlf)armomfd}e  Drdjefter  war  feiner 
Leitung  gewohnt,  aber  ber  CS^or  (ber  oon  &errn  Cd)S  gegrünbete  foge- 
nannte  „pn^harmomfehe")  eriftirte  faum  feit  brei  Sauren  unb  hatte  unter 
iÖülow  nod;  nie  gefungen,  auch  bie  Stiften  wirrten  jum  erften9J?al;  unt> 
gerabe  bie  Stiftung  ber  beiben  lefctgenannten  gactoren  erregten  Gnthufiasmu*. 
£a£  fo  fdjwere,  faft  unüberwinbliche  Dnartett=6olo  war  nodj  nie  fo  fdiön, 
fo  fidler  unb  frei  aufgeführt  worben.  Söenige  SBochen  oorher  hatte  ber 
neue  Gapellmeifter  ber  ,§ofoper,  &err  Sudler,  baefelbe  ftiefenwerf  oorgc= 
führt  mit  ber  fönißlidben  Capelle,  mit  ben  erften  6ängcrn  ber  &ofopcr; 
aber  bie  2i>irfung  war  nid)t  annähernb  ju  uergleichen. 

$n  ber  $öniglid)cn  Dper  bewegt  man  fid)  feit  jwei  fahren  in  allerhanb 
$erfud)en,  ohne  3U  jener  einheitlichen  geftigfeit  ber  Meinungen  $u  gelangen, 


**)  So  3.  58.  bie  ^igur  bc$  Öaffe«  am  Subc  be»  erften  SageS  ber  Jöcrttjoocit' 
fdjen  A-durjeump^onie. 


*)3ag'  beutltd)cr  U)ie  unb  locim, 
Xu  bi)t  un*  nid)t  immer  flar; 
ftute  Seilte,  mifet  3Ör  beitn, 
Ob  id)  mir'ä  felbec  war?" 


(Moct^e. 


3m  Auslegen  fetb  frtfd)  unb  munter; 
X?cflt  3b,r  ntdjt  au*,  fo  legt  maS  unter 


Xcrfeltie. 


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  Der  IKufif  •  IDutter  J888— JB8').    2\o 

bie  ju  gleicher  3eit  ö^  erftc^  Borrecht  unb  erfte  Pflicht  bcr  größten 
unb  rcid^ft  unterftüfeteni  Bülme  bcr  beutfdjen  Meieh3h<*uptftabt  gelten  müßte. 
§err  2>eppe,  ber  erfte  neue  Capellmeijter  an  beffen  Berufung  bie  neue 
©eneralintenbenj  bie  größten  äuoerfichtlichften  Hoffnungen  fmtpfte,  erwies 
[ich  als  ein  Üttuftfer  von  feiner  2luffaffung,  ber  aber  gänstief)  ber  Sicherheit 
unb  be£  Ueberblicts  ermangelte,  bie  altein  burä)  langjährige  Ue6ung 
unb  ©eroolmheit  am  ^ulte  erworben  werben,  unb  bie  feine  noch  fo 
bebeutenbe  Begabung  ju  erfefeen  oermag.  ©r  war  57  Satjre  alt  geworben, 
ohne  jemals  eine  Dper  einftubirt  unb  geführt  5U  haben,  unb  foltte  ba$ 
nun  mit  einem  SNale  an  ber  flönigl.  föofoper  in  Berlin  ju  Stanbe  bringen! 
.Hein  äöunber,  baß  bie  Borftellungen  fehr  ungleich  würben,  baß  manche 
Sceue  gan$  gut  oon  Starten  ging,  anbere  wieber  in  Verwirrung  gerieten. 
§err  Seppe  mußte  julefet  ben  ^rrthum  einfehen,  ben  er  bei  ber  Annahme 
l'old)  ia)wieriger  Stellung  begangen,  unb  trat  surftet.  9fun  würbe  &err 
Sucher  berufen,  ber  bisher  am  Hamburger  Stabtheater  gewirft  hatte,  ber 
®emaf)(  ber  berühmten  Sängerin,  bie  ebenfalls  in  ben  Berbanb  ber 
königlichen  Cper  trat,  ©r  ift  ein  fel;r  tüchtiger,  fo  ju  jagen,  fattelfefter 
Gopellmeifter,  ben  feine  Unficherheit  ber  Sänger,  fein  Sdjwanfen  bes 
Chorea  in  Unrube  bringen  fann,  ber  2ltle3  $ufammenhält,  unb  auch  feurig 
leitet.  3tber  tieferes  ©inbringen  in  bie  Schöpfungen  ber  großen  SJteifter, 
poetifche  Sluffaffung  liegt  nicht  in  feiner  SBeiemjeit,  baS  hat  feine  Bor= 
fuhrung  ber  „Neunten"  fattfam  bewiefen.  Seine  ©emahlin  ift  noch  immer 
eine  fehr  bebeutenbe  Sängerin ;  in  früheren  fahren  entjücftc  fie  burch  ben 
herrlichen  Wohllaut  ber  Stimme  unb  bie  Schönheit  ihrer  Bewegungen;  in 
neuerer  3eit,  ba  bie  gülle  ber  Stimme  ein  wenig  ab»,  bie  beSÄörperS  junimmt, 
läßt  fie  fich  in  bebenflicher  "©eife  ju  Uebertreibungen  in  ©efang  unb  Spiel 
hinreißen.  9?eben,  ihr  finb  jwei  neue  männliche  Sterne  in  bie  Bahnen 
ber  königlichen  Oper  geleitet  worben.  Der  £enori[t  Herr  Süloa,  ber 
eine  fehr  fchöne  Stimme  befifet,  aber  ber  beutfehen  Sprache  nicht  gauj 
mächtig  ift,  unb  baher  oft  mit  Starrheit  be*  SlusbrucfeS  fingt;  unb  ber 
Sächuichc  tfammerfänger  &crr  Bulß,  ber  r)crrtid>c  Stimme  mit  feurigem 
Vortrage  unb  lebhaftem  Spiele  oereinigt,  aber  nicht  feiten  bie  r)öt)erc 
fünftlerifche  3luffaffung  ben  augenblicflichen  Xheatereffecten  opfert.  Dafc 
bie  größten  äBirfungeu  unb  ebetfte  äiHebergabe  bes  JtunftwerfeS  fich  3au? 
gut  oertragen,  fyit  ber  große  fünfter  ®ura  aus  München,  oon  bem  noch 
fpäter  Die  iHebe  fein  wirb,  fiegreich  bewiefen. 

2Öie  ich  fchon  bemerft  habe:  eS  fehlt  ben  Borftellungen  ber  königlichen 
fcofoper  bie  funftlerifäe  einheitlichfeit.  Xie  2öiebergabe  bes  „Sriftan"  im 
SJtoi  biefeS  S^eS  war  bie  wenigft  befriebigenbe  unter  aflen  bisherigen, 
tfrau  Sucher  fchrie  im  ^weiten  Stftc,  wo  ^folbe  nicht  mehr  atS  bie  heftig 
Erregte,  b«i  £ob  Suchenbe,  fonbern  als  bie  in  befriebigter  l'iebe  Schwelgende 
erfcheim,  gerabe  fo  wie  im  erften  2lcte,  wo  bie  ßanblung  ein  Uebermaß 
ber  üeibenfehaft  einigermaßen  rechtfertigt.  £err  Stritt,  aus  Hamburg  für  ben 


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2\6 


  fjcinrtdj  €^rltdj  in  Berlin. 


einen  2tbenb  f)ierr)erberufen,  ein  fef)r  fdjafcbarer  (Sänger,  ift  ber  £riftan; 
Aufgabe  nidjt  gewadjfen;  unb  &err  33ulfi  gab  ben  ßuroenal,  ben  treuen, 
alten,  büftern  Liener  unb  ©efäfirten  bed  gelben  mit  fdjneibiger  Seb= 
l)aftigfeit  bed  3lu$brucfe£  als  war'  er  ein  junger  Seutenant,  ber  auf 
2loancement  fingt."  &ier  fei  noä)  bemerft,  ba&  bie  neue  Oberleitung,  bie 
im  Anfange  gan&  befonbereS  ©croid^t  auf  bie  Stärfung  ber  rein  floffifc^en 
Opernwaljl  legte  unb  bem  SBagnercultuä  ein  ©egengewid)t  ju  bieten  gewillt 
fdjien,  in  allerneuefter  3e^  nur  no$  äÖagner*(Sr>clen  mit  fleinen  Opern 
jweiten  9?ange£  abwedtfeln  liefe.  33or  biefer  S&mblung  würbe  in  Äönigl. 
Opernf)aufe  28tlbenbrud)S  Srama  „2)ie  Quifcom'3"  gegeben,  weil  bie 
9täume  be3  SdjaufpielfjaufeS  bem  2lnbrange  ber  '23efud)er  md)t  genügte: 
bagegen  befam  Seetfjooena  „gibelio"  Quartier  im  Heineren  Sdmufpielfjaufe. 
5ln  neuen  Opern  erfdjienen  „£uranbot"  oon  Xfjeob.  3iel)baum,  bie  in 
£ert  wie  in  3fluftf  faum  ben  -Kamen  einer  mißlungenen  Operette  oer* 
btente,  unb  „Soreler/'  oon  bem  oerftorbenen  ?ßrof.  (Smil  Naumann,  bie 
nad)  wenigen  2luffüf>rungen  in  bas  9iid)t3  $urücffel;rte,  au$  bem  fie  ge« 
fommen  mar. 

ß&  muß  allerbingS  5ugeftanben  werben,  bafj  bei  bem  jefcigen  SWangel 
an  guten  £ertbüdjern  unb  Opemcomponiften  ieber  ^eaterteitung  bei  ber 
Sud)e  nad)  Sfteuigfetten  eine  fefjr  fdpwere  Aufgabe  zufällt.  9lber  fie  wirb 
nidjt  erleichtert,  wenn  man  ein  unbejetdjenbareS  SMng  oorfüfjrt,  ba$  gar 
ntdjt  in  ben  9taf)men  ber  Äöniglidjen  Oper  gehört,  ober  eine  Oper  bie 
bei  Sebjetten  be$  Gomponiften  nirgenbs  2tnncu)me  finben  fomtte.  So  er= 
iajeint  es  benn  leid)t  erflärltcr),  roenn  bie  £f)eilna§me  be3  Spubltfumd  fid) 
ber  Ärofl'fajen  Oper  juwanbte,  in  weldjer  juerft  eine  ^talienifdje  Operu= 
gefeUfcfjaft,  bann  im  -Kai  bie  f)errlid}e  3Karcetta  Sembrid),  bann  Marianne 
$ranbt,  (£telfa  ©erfter,  enbltdj  ber  berühmte  Söaritonift  9teid)mami  auf= 
traten.  Sie  italiemfdje  ©efeHfdjaft  jeidmete  fidj  fdjon  baburdj  aus,  bafe 
fein  einjiged  bebeutenbed  SKitglieb  Italiener  war:  bie  ^rimabonna  von 
3anbt  entftammt  ben  oereimgten  Staaten  oon  ftorbamerifa,  ber  £enori|t 
diavelli  Reifet  eigentlich  9iaoel  unb  ift  granjofe,  bed  Skritoniften  b'2lnbrabe 
Altern  finb  $ortugiefen.  Sie  9Jlänner  haben  uns  wahrhaft  «it$cft,  weit 
fie  wahrhaft  fdjöit  fangen;  ber  ^rimabonna  ungemeine  ßehlcngeläufigfeit 
hat  uns  SBcrwunberung  erregt,  aber  und  falt  gelaffen.  Sonberbar  genug 
erfaßten  e$  auch,  ba§  btefe  „3taliener"  mit  einer  franjöfifchcn  Oper 
„Stocfme"  begannen.  Sänger  unb  Oper  waren  alfo  eigentlid)  nur  in'£ 
Stalienifdje  überfefct. 

2Ba$  folt  man  nun  oon  Sttarcella  Sembrid)  fagen?  Siefe  grofee 
tfünftlerin  ift  in  fletem  2Bad)fen  begriffen;  unb  feine  lebenbe  ©ängerin 
fann  fidj  rüfimen  gleid)  i^r  bie  ooHenbetfte  italienifd^e  ©efangfd^ule  mit  ber 
innigften  beutfajen  5>ortrag^weife  ju  oereinigen.  2ttit  2ße^mutb  erfüllte 
und  bagegen  bie  einft  fo  gefeierte  C^telfa  ©erfter.  3^ur  wenige  Momente 
gab  e$,  wela>  bie  füf3C  Stimme,  ben  natürlichen  Siebreij  bed  Vortrage« 


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Vex  ITTnfif hinter  \88S~\mu. 


2\7 


in  ba$  ©ebäd)tniß  $urüdriefen;  bie  meiften  geigten  nur  oerblaßteu  ©lanj 
einer  auf  £I>eatereffecte  3ielenben  ^rimabonna!  Marianne  39ranbt  ift  noa) 
immer  bie  erfte  bramatifdje  Sängerin,  fie  fingt  fdjöner,  maßooHer  benn  je, 
ift  nodj  immer  an  ber  &ofoper  unerfefct;  baß  man  fie  nidjt  jurüdruft, 
gehört  ju  ben  oielen  unerflärlidjen  ^nternte  ber  Verwaltung*). 

Der  größte  beutfa)e  Gtefangsfünfiler  ift  ©ura;  er  f)at  jwei  Sieben 
concerte  gegeben,  unb  bie  £örer  bura)  ben  Vortrag  ber  fd)  werften  Sdmbert; 
idjen,  Sdjumannfajen  unb  Sömefd>en  ©efänge  in  bie  größte  Segeifterung 
oerfe^t.  Unb  babei  fingt  er  mit  ber  anfdjeinenb  größten  dlütye,  ofme  irgenb; 
roeldjen  Slufwanb  oon  befonberen  C^ff ef tmitteln !  Unb  wie  pacft  er  ben 
£örer!  ,,^rometf)eu£"  unb  „©riedjengefang"  oon  Säubert,  ber  „9tö<f"  oon 
Söroe  werben  Qebem  wtoergeßltd)  bleiben!  ©r  ift  aber  nidjt  etwa  nur 
als  Sieberfänger  f o  groß !  3$  §aüC  $n  üor  einem  $af)re  in  9J?ünd)en  ben 
„3ago"  in  kerbte  Ctfyello**)  fingen  (jören  unb  fpielen  feljen,  unb  fann 
oerfid^ern,  er  überragte  ben  ^taltenifdjen  $ago  ber  erften  3Jtoüänber  $or= 
ftellung,  ber  id)  beigewohnt  (jabe,  geiftig  um  Haupteslänge. 

Öei  biefer  (Gelegenheit  fei  einer  oernjunberlia^en  (£rfd)einung  im  ßoncerts 
leben  gebadit,  bie  ein  ©rseugniß  ber  üfleuseit,  au$  ben  allgemeinen  Ver* 
tfältniffen  31t  erflären  ift.  3n  früheren  3eiten  mar  baS  Sieb  eine  Beigabe 
ber  ^nftrumentalconcerte,  ber  (nrifdje  9M)epunft  jroijcrjcn  brillanten  :öraoour= 
Huden,  ba3  feelifdt)e  SWoment  $wifd)en  ben  großen  tedmifdjen  Seiftungeu. 
§eute  finb  bie  Sieberabenbe  2Wobe,  in  melden  ber  Sänger  ober  bie 
Sängerin  ofme  irgenb  wetdje  anbere  mufifalifdje  Steilnlfe  ganj  allein  wirft, 
15  bi$  20,  wof)l  aud)  nodj  mef)r  Sieber  unb  Anetten,  (Ijie  unb  ba  ein  Duett 
mit  einem  ßoHegen)  oorträgt.  Der  oerfloffene  hinter  t>at  16  berartige 
Sieberabenbe  gebraut.  Daß  hierbei  baä  feelifdje  Moment  $utefet  in  ben 
§intergrunb  gebrängt  werben  muß,  Hegt  !lar.  &$er  foll  eine  fotdje  3)iaffe 
oon  Siebern  mit  gletd&er  Stimmung  unb  Sammlung  anhören '? 

aber  ba£  ganje  Seben  ift  iefet  auf  bie  Äußerung  oon  großer  Alraft  unb 
Energie  gerietet,  ofme  oiele  SWüdfidjt  auf  3(nbere«.  Von  biefer  Wartung 
geben  aud)  bie  Goncertprogramme  3eugniß,  bie  ber  Virtuofen  roie  ber 
Sänger.  Unb  fo  märe  id)  auf  Umwegen  auf  ben  ^unft  jurüdgelangt, 
con  betn  idj  ausgegangen  bin,  unb  fann  fdjließen. 

*)  Wlan  tagte,  üe  fjabc  bor  Saljreu  trgenbwddjc  ^ormcniel)(cr  begangen.  iJlun, 
idtfimtner  mit  Sltoblifum  unb  3ntenban;j  umfpringen,  als  5rau  Succa  getban,  bürfte 
iw>W  feiner  mogltd)  fein,  llnb  wie  würbe  ftc  empfangen!  DaS  .öofordjefter  bltcS  einen 
£üicf>7toie  nur  beim  (Srfdjeiiicn  ber  allerrjödjftcn  fcerriaWten  in  Gtala«Opcrn! 

**)  Der  überaa  in  Deutfdjlanb  gegeben  worben  ift  unb  in  Berlin  3U  ben  „er= 
©arteten"  Steilheiten  gehört.  —  Dafür  fjaben  wir  aber  „Xnranbot"  unb  „i.'orclet)"  gehabt! 


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(Eine  2>bytte  iräfyrenö  bev  Belagerung. 

Don 

^ran^ois  €  o  p  p  £  e.*) 

—   paris.  — 

!i^SSllc^en  ^  3^re*3  1870  berootjute  eine  alle  Tarne  mit 

LiSSf  m  ^rcm  ^°^ne  cm  M'djeibeneS  Quartier  im  fünften  6tod  einel 
!P*^yjr3l  Ö^ufeö  be3  Quai  6aint:5fttd)el. 

$rau  Jontaine  fyatte  ifjren  ©atten,  ber  als  sJkofeffor  am  Soceum 
&oui3=le:@ranb  angeftedt  mar,  uerloren.  3t)r  <Boi)n  ©abriel  befafc  ein 
gebiegeneä  SBiffen  unb  wollte  ftdj  gcrabe  im  2lugenblicf,  too  ber  Spater 
ftarb,  jur  2lufnalmteprüfung  an  ber  Gcole  normale  melben.  $er  £ob 
i^res  ©rnä&rerä  mar  ein  furä)t6arer  Saplag  für  bie  gamilie.  ©err 
Sontaine  hatte  roeber  ba3  9Uter  noä)  bie  Tienftjaljre,  bie  Um  jur^enfiomruna, 
berechtigten;  feine  SBittroe  erhielt  baf)er  von  ber  Regierung  nur  eine  gan$ 
unbebeutenbe  Unterftüfcung.  ©abriet  mufcte  auf  bie  l)öf)ere  Unterrichte 
carriöre  Oermten  unb  auf  augenblicfltd)en  Söerbtenft  bebaa)t  fein,  nur 
um  feine  Butter  ju  erhalten.  £er  Xirector  bes  Snceumä,  ein  freunb= 
lieber,  rootyrooHenber  &err,  fefetc  e3  buref),  bafj  ber  junge  SJiann  im 
UnterridjtSmintfterium  mit  einem  ©efjalt  non  1500  #ranc$  jäfu-liap  angefteüt 
nmrbe;  unb  biefeS  Sümmchen,  uerbunben  mit  ber  t leinen  ^enftou,  bie 
grau  Fontaine  erhielt,  unb  einigen  f  (einen,  bei  .^ebjeiten  beS  Katers  ge= 
matten  (Srfparniffen  reifte  für  ben  täglichen  Unterhalt  beiber  auä. 

Sfjre  befdjeibene  2öol;nung  beftanb  aus  brei  fleinen  ©tuben  unt> 
einer  Küche.  £a*  Speifejimmer  trug  mit  feiner  unoermeib  liehen,  eidjeiu 
farbenen  Xapete  unb  bem  rotbraun  geftrichenen  gufjboben  einen  unenblich 
banalen  (Sljarafter.    (S$  enthielt  ganj  oorfchriftömäftig  ein  9Jtof)agoni* 

*)  3lui  bem  Jyrau^öfifdjcn  überfe^t  t»on  IV.  SmU  ©urfjcr. 


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— -   (Eine  3&Ylle  »ästend  öer  Belagerung.  — —  2(9 

buffet,  einen  mit  2öad)3leinwanb  überzogenen  Difd)  unb  fed)£  ^o^rftü^le 
nebft  ben  üblichen  Strof)teu*ern.  Die  meinen,  an  Stangen  befeftigten 
©arbinen  nnb  ber  flad&elofen  mit  grüner  Sdjilbpattfärbung  waren  eben= 
falte  oertreten,  unb  ber  einjige  Sdjmud  ber  2öanbe  beftanb  in  eingerahmten 
SajmetterlingSfammlungen,  bie  3eugmfe  ablegten  oon  ben  entomologifdjen 
Siebfjabereien  be3  feiigen  ßerrn  gontainc.  Das  Sdjlafsimmer  ber  SBittwe 
biente  sugleidj  aU  ©mpfangSfalon.  Den  größten  $Iafe  naf)m  ^ier  baS 
frühere  Gljebett  ein,  baS  unter  grünen  Damaftoorljängen  oerftedt  war.  Die 
©arbinen  waren  aus  bemfelben  Stoff;  grauleinene  Ueberjüge  bebedten  bie 
Stühle  unb  bie  ju  beiben  Seiten  be£  tfamins  fteßenben  Sefcnfefiel.  $wei 
23ouquet£  fünfUidjer  Blumen,  unter  ©laSgloden  ftefycnb,  fowie  eine 
alabafterne  Stufcutyr,  Stil  ßmpire,  fdjmüdten  ben  Mamtnauffafc.  Darüber 
r^ing  ber  Spiegel,  in  welken  gerabe  gegenüber  baS  Portrait  beS  oerftorbeneu 
&errn  gontaine  rjineinfd&aute.  ©in  pietätloser  Saufewinb  r>om  gadj  Ijätte 
biefem  fogenannten  Äunftwerf  baS  energifdje  @pitf)eton  „Subelei"  wol)l 
faum  erfpart.  (Ss  ftellte  ben  würbigen  Sßrofeffor  in  fd)war5er  Slmtätradjt 
bar,  wie  er  mit  bem  Barett  auf  bem  Raupte  oor  einem  cnlinberförmigen 
2lrbeit3tifdj  fifcenb,  beffen  Original  übrigens  unter  bem  ©emälbe  ftanb, 
gerabe  einen  BerS  aus  Birgit  mit  einer  ©änfefeber  nieberfa^rieb.  SBenn 
ber  SRaler  in  einer,  mafn*f)aft  fünfilerifdjeS  ©mpfinben  änjgerft  uerlefoenben, 
2Beife  ben  grellen  Gontraft  jwtfdjen  bem  fef)r  weiften  &aar  unb  ber  febr 
rotten  ©efia)t$farbe  beS  £errn  gontaine  marfirt  r>atte,  fo  geigten  ftd)  bod) 
toenigfienS  fein  guter  SBiHe  unb  feine  ©ewiffentyaftigfeit  in  ber  ©enauigfeit, 
mit  ber  bie  gauteutlnägel,  ba3  £intenfafj  unb  bie  ©olboerbrdmung  ber 
£oga  wiebergegeben  waren. 

SBenn  wir  noö)  Ijinjufügen,  baf$  ein  fdjmaler  £eppid)  einen  £f)eil  beS 
ftetS  mit  Sdgefpänen  beftreuten  gtiefenfufebobenS  bebedte,  bafc  $met  Äupjers 
ftidjenadj  Delarodje,  Sbonnementsprämien  irgenb  einer  3eitfa)rift,  neben  bem 
nidjtsfagenben  Bilbe  beS  oerftorbenen  gamilienoaterS  bie  ganje  fünftlenfdje 
2lu3fd)mfidung  beS  3i,nmer3  ausmachten,  bafe  auf  einem  runben  £ifd)djen 
neben  bem  einen  £et)nfeffel,  auf  bem  grau  gontaine  gewöhnlich  fa§,  ein 
angefangener  Strumpf,  eine  filberne  Brille  unb  ein  „GhriftlicheS  £age-- 
roerf"  lagen,  unb  enblidj,  bajj  2lUeS  in  einer  jwar  fchmudlofen,  aber  bis 
auf '5  Äleinfte  fidt>  erftredenben  9?einlid)feit  funfeite,  fo  wirb  ber  Sefer  ein-- 
fehen,  wie  beutlich  fich  in  biefer  freublofen,  füllen  ßäuslichfeit  baS  tugenb; 
Ijafte,  anfpruchslofe,  beS  eigenen  2£ertf)eS  faft  unbewußte  Seben  ber  &Httwe 
unb  ilpeS  Sohnes  wieberfpiegelte. 

Das  britte  Limmer,  weites  noch  fleiner  war,  als  bie  beiben  anbem, 
biente  ©abriel  5um  Aufenthalt.  @S  war  mit  einer  unfeinen  Tapete  be= 
fleibet,  blaue  Blumen  auf  weitem  ©runbe.  ©in  fehr  niebriger  janence* 
ofen,  beffen  fd>war$es  dloty  an  ber  Stelle,  wo  eS  bie  9)iauer  burdwrach, 
eine  Biegung  machte,  biente  ju  feiner  &et$ung.  Das  ©efammtmobiliar 
beftanb  aus  jwei  Stro^ftüblen,  einem  furjen,  formalen,  eifernen  Bett  ol)ne 


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220 


^ran<;oi5  <£opp<ic  in  parts. 


Borl)änge,  oon  faft  fpartanif^cr  Ginfadräeit,  einem  {(einen  Xifaj  mit  Secfe, 
einer  (Sommobe,  bie  Söäfdje  unb  ÄleibungSftüde  enthielt  unb  auf  ber  ein 
Safdjbeden  ftanb,  unb  enbltdj  aus  einer  bie  Bibliotljef  beS  jungen  3RanneS 
einfdjliefcenben  Gtagöre.  &ier  befanben  fidj  Älaffifer  unb  Söörterbüdjer 
in  Setnmanb  gebunben  neben  einer  2lnjaf)l  oon  Bänben  in  ©olbfdmirt, 
3eugen  ber  2luS$eidmungen  unb  Prämien,  weldje  ©abricl  auf  bem  ©gm= 
nafium  bei  oerfdjiebenen  ©elegenfyeiten  erhalten.  9lm  Kopf  beS  Bettes  §ing 
bas  Portrait  feiner  Butter,  eine  jener  alten  $>aguerrot«pien,  bie  man  bei 
»oller  Beleuchtung  nidjt  anfeljen  fann,  ofme  geblenbet  §u  werben. 

$iefes  (Sabinet  mar  noa;  ärmlicher  unb  trauriger,  als  ber  übrige 
£I?etl  ber  Sßofmung;  aber  man  burfte  nur  baS  Jenfter  öffnen,  um  eine 
wunberoolle  2lu^fid&t  oor  fidj  ju  fyaben.  $ßenn  fidj  ber  Bewofmer  biefes 
fjoljen  Simmers  an  einem  f)eHen  borgen  jutn  genfter  hinauslehnte,  fo  fonnte 
er  eine*  ber  erf)abenften  Sd)aufpiele  geniejjen,  bie  ^aris  $u  bieten  oermag, 
beim  biefe  Stabt  ift  in  ihrer  rein  lanbfa^aftli^en  Schönheit  oon  Schrift* 
ftellern  unb  $id)tcrn  noch  lange  nicht  genug  gewürbigt  worben.  £er  9ting= 
blief  umfajjte  ben  ganjen  Sauf  ber  Seine,  ir)re  oon  SHenfdjen  mhnmelnben 
Quais  unb  Brüden,  bie  aus  bem  ©eroirr  ber  Xadjer  emporfteigenben 
monumentalen  Äunftroerfe.  3ur  ftie<hten,  gan$  in  ber  92cu)e,  ber  imponirenbe, 
maffige  Bau  ber  Äirdje  9?otre;$ame,  oor  ihm  bie  £f)ürmdjen  beS  3uf^5s 
palafteS  unb  ber  oergolbete  Änopf  ber  8ainte;(5f)apeHe;  weiter  unten 
jur  fitnfen,  erglühte  in  ber  gerne  burch  bie  SDtorgennebel  hinburdj  jenfeitä 
ber  anmutigen  Biegung  beS  gluffeS  unb  ber  Statue  Heinrich  beS  Bierten, 
bie  ^armonifaje  Sinie  ber  ^aläfte  beS  fiouore,  in  ber  rounberoollen  Ilms 
rahmung  ber  Git6  unb  ber  Käufer  beS  Cuai  beS  9lugujtinS.  Bon  aflcn 
Seiten  fliegen,  oerftärft  burd)  ben  machtoollen  3Biebcrr>an  beS  Stroms,  bie 
taufenb  unb  taufenb  SebenSlaute  ber  ermadjenben  Stabt  ju  ilmt  empor, 
bie  feud^enben  Stofefeufjer  ber  $Dampffd)iffe,  baS  Sollen  ber  Cmntbuffe 
unb  Söagen,  ber  9cuf  ber  ©rünjeug=  unb  Cbftfjanbler  unb  baS  £rompeten= 
gefdnnetter  ber  aufjiehenben  2öad)e.  Gr  fonnte  fidr)  lange  an  biefem  intens 
fioen  Seben,  an  biefem  blenbenbeu  Bilbe,  an  biefem  jauberfjaften  £<f)o 
beraufdjen  unb  mit  »offen  Hungen  bie  freie,  reine  fiuft  biefeS  weiten,  oon 
Schwalben  burchsogenen  £immelSraumeS  einatlnnen. 

©abriel  Fontaine  war  barnadj  angelegt,  fo  großartige  (Smpfinbungen 
iu  fid)  aufzunehmen,  obgleich  baS  Seben,  baS  er  bis  balnn  geführt,  nicht 
baju  angetan  fchien,  fie  in  ihm  ju  entwideln. 

3m  9lugenblid,  wo  biefe  ©rjählung  beginnt,  war  unfer  &elb  ein 
junger  3)?ann  oon  faum  jroanjig  3^en,  oon  mittlerem  SBudjS  unb  jarter 
WeftchtSfarbe,  immer  fchwarj  gefleibet  unb  bis  obenhin  jugefnöpft.  £>anb 
unb  gu§  oerrietljcn  i)iace.  Gr  tjattc  ooffeS,  faftanieubrauneS,  welliges 
,^»aar  unb  grofje,  braune,  leibenfa^aftSglü^enbe  unb  boaj  babei  fd)üa)teme 
9lugen.    Sein  ©efid)t  oon  matter,  fjeifjer  Bläffe  jeigte  eine  entfernte  3letm= 


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  (Eine  3öyUe  »ä^rettD  ber  Belagerung.    22{ 

lid^feit  mit  bem  grancia'fd&en  „Homme  noir"  im  ßouore,  nur  mit  bem 
Unterfdneb,  bafe  er  felbft  jünger  war. 

Sein  Seben  war  einförmig.  Gr  ftanb  frülj  auf,  tranf  feinen  Kaffee, 
fteefte  ein  mit  &htrft  ober  Sd)infen  belegtet  23röta)eu  ju  fid)  unb  begab 
fid>  auf  fein  Bureau.  £r  ging  langfam  baf)infa)lenbernb  an  ber  $ruftroef)r 
ber  DuaiS  entlang,  betrachtete  baS  &eben  auf  ben  Sdjiffen,  fat)  beu  3lnglern 
ju  unb  blätterte  roof)l  aud>  bisweilen  in  einem  alten  23ud)e  ber  bort  it)re 
äSaare  feilbietenben  Antiquare.  ©ern  las  er  ein  ©ebidjt;  aber  er  faufte 
nie  etroas,  benn  er  mar  fein*  arm  unb  Ijörte  oft,  wie  feine  9)iutter,  eine 
ängftlidje,  fparfame  grau,  oon  !©irtt)fd)aft*forgen  fpraa). 

„Res  angusta  domi,u  mie  fein  $ater,  ber  feiige  ^rofeffor  ju  fagen 
pflegte.  33ei  feinen  9ImtSbrübem  im  SRinifterium  mar  er  beliebt.  (Sr 
noinn  fdjeinbar  Slntfyeil  an  ifjren  ©efpräd)en,  lädjelte  über  ibre  SiMjje  unb 
oerria)tete  gem  bie  Arbeit  eines  2lbroefenben.  9JbenbS  feljrte  er  langfam 
unb  auf  Umroegen  nad)  bem  Quai  SaintsSJftdjel  jurütf,  na^m  in  ©efell= 
fa;aft  feiner  Butter  ein  befdjeibenes,  frugales  Slbenbbrot,  bie  reine  puppen* 
maf^eit,  ju  fiaj.  3&nn  bann  bie  SBittroe,  bie  oom  fianbe  mar  unb  genuffe 
©eroofmfjeiten  beS  £anblebenS  beibehalten  t)atte,  fidj  um  acr)t  Ufu*  ju  Seit 
gelegt,  50g  er  fid)  auf  fein  3imtner  prücf,  um  5U  lefen  ober  $u  träumen; 
ober  er  ging,  wenn  aud)  $iemtidj  feiten,  nodj  einmal  fort  unb  befugte 
irgenb  einen  ©nmnafialfreunb,  ber  3ura  ober  2Jiebicin  ftubirte. 

Sonntags  führte  er  feine  SKutter  in'S  <pod)amt,  in  bie  Saint=Seoerin= 
flirre.  Dort  erfa^ien  bie  fleine,  magere,  alte  grau,  bie  unter  iljrem 
95>ittn>enfdjleier  nod)  ben  länbliajen  flopfpufc  unb  bie  altmobifdje  ftaarfrifur 
beS  ^eimatlidben  Dorfes  trug,  mit  tyrem  langen,  ranjiggelben  ©efidjt,  üjrer 
fmf>en,  anbac&tsuollen  Stirn  unb  irjren  auSbrucfSoollen  3lugen  mie  eine 
jener  mnftifajen  ©eftalten,  toeldje  ber  «ßinfel  &olbeins  oeremigt  fjat.  Sie 
folgte  bem  3lmt  nad)  ben  2lngaben  eines  biefen  9He§buä)cS,  beffen  ©inbanb 
in  fajroarjeS  £udj  eingeioidelt  mar,  unb  fang,  mie  in  einer  Dorffiraje,  bie 
Slntroorten  auf  ben  ©efang  beS  ^riefterS  laut  lateinifa;  mit.  ©abriet,  ber 
als  flinb  fefjr  fromm  geroefen,  in  beffen  Seele  jebod)  ber  ^roeifel  längft 
eingebogen  mar,  ^atte  bie  unbeuttia;e  ©mpftnbung,  als  müffe  er  fid)  feiner 
9J?utter  fernen ;  aber  aus  Sldjtung  oor  \i)x  Ijatte  er  es  nie  geroagt,  ifjr  ben 
Dfaxtf)  $u  geben,  auf  biefe  ea)t  bäuerifdje  Sitte  ju  oerjidjten. 

9?ad)  ber  2fte|fe  madjten  fte  einen  Spaziergang  in  ben  Einlagen  beS 
Sujembourg  ober  beS  Harbin  beS  Alantes,  ©abriel  30g  ben  legten  roegen 
fetner  frembartigen,  buftauSftrömenben  Säume  unb  feiner  langen,  melam 
ä)oi\)<S)en  2HIeen  ganj  befonberS  oor. 

Um  es  mit  einem  Söort  ju  fagen,  ©abriel  mar  ein  fanfteS,  rufjigeS, 
ftilleS  SBefen  mit  angeborener  Neigung  jur  Träumerei,  ©r  betrat  nie 
ein  6af6  unb  mar  aüem  2lnfd)ein  nadf>  immer  feufd)  gemefen. 

Miemanb  frrtte  ilm  je  eine  politifc^e  2lnnd)t  äufeern  f)bren. 


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222 


^ranvots  £oppcc  in  paris. 


II. 

Xtm  ©efefce  folgenb,  wclc&es  bie  Grtreme  sufammenfüfirt,  f)atte  ©abriet 
jum  ipeaeüen  greunbe  einen  Stubenten  ber  2Webicin,  mit  bem  er  auf 
bem  ©umnafium  sufammen  gewefen,  unb  beffen  2Sefen  baS  gerabe  ©egen* 
tfjeil  von  bem  feinigen  war. 

©r  t)ieü  2)Jariu3  Gajaban  unb  war  aus  $alence=b'2(gen  gebürtig, 
ftlein,  oierfa^rötig,  mit  wütljenb  rollenben,  feurigen  9iugen,  tjatte  er  einen 
fein  ganzes  ©efidjt  überwudjernben  33art.  Obgleid)  faum  majorenn, 
fc^ien  er  bod)  fdwn  35  ^afyre  alt,  in  Jyolge  jenes  eigenttnlmtidjen  33orred)t3 
ber  Süblänber,  bie  jroar  nie  jung  auefetyen,  bei  benen  fidj  aber  bafür 
bie  5lennseia)en  beä  2Uter3  erft  fpät  einftellen.  SJiit  einem  weidjen  gilj 
auf  bem  Äopfc,  fiel  er  bura)  fein  greHrotljeS  .§alstuti)  unb  fein  ftets 
furseä  ftaquet  auf;  fein  jpemb  fam  oor  jmifdjen  einer  bt3  auf  bie  öruft 
(jtnaufgerutfd&ten  Söefte  unb  einem  fjeUen,  fo  enganliegenben  23einfleib,  bafc 
man  jeben  3lugenblicf  fürd)ten  mußte,  es  werbe  plafeen  unb  irgenb  ein 
id)anU)afte3  2luge  beletbigen. 

5)i<\riu*  Qa^aban  mar  2lt()etft,  Waterialift  unb  ein  Unüerfötjn'tia^er. 
£a3  2öort  mar  bamafö  9)Jobe.  3m  (Saf6  be$  #ouleoarb  Saint=^id)el, 
auf  beffen  gepolfterten  SBänfeu  er  ftd&  fo  red)t  breit  madjen  fonnte,  I)ielt 
er  mit  jenem  fa)recflid)eit  3lccent  be$  Sübfranjofen  bie  reinen  5kanbreben. 
irr  tjatte  beim  Söegräbnifc  Victor  dloixä:  lebe  bie  ftepublif!"  ge= 
rufen,  unb  mar  ber  feften  Ueberjeugung,  er  werbe  oon  ber  ^oli^ei  im 
©eljeimen  beobadjtet.  ©r  ging  oft  be$  9fad}t$,  mit  einem  ungeheuren 
tfnüppel  bewaffnet,  auf  ben  einfamften  Straßen  ber  Stabt  fpa^ieren,  in 
ber  übrigens  nid)t  ganj  ernft  gemeinten  Hoffnung,  oon  einem  sJ>oli$etbeamten 
abgefaßt  3U  werben.  Unb  bie  wütljenben  &iebe,  bie  er  bei  biefem  ©ebanfen 
nad)  allen  Seiten  füfjrtc,  trieben  bie  oerfpäteten  ^affanten  in  bie  gludjt. 

(£r  bewolmte  ein  3immer  in  einem  £otel  ber  Ruc  de  l'Ecole-de- 
M6dccine.  £er  enge  &au*flur  würbe  burd)  eine  formale  Xtjür  gcfdjloifen, 
über  welker  man  auf  burd)fid)tigem  ©lafc  bie  Sluffdjrift  la§:  Hotel  du 
Progres  et  du  Tarn-et-Garonne  meuble.  oerfefjrte  barin  meift 

jene  Sorte  oon  Hainen,  weldje  fidj  ungefämmt  unb  in  ber  9?adjtjade  über 
ba3  Xreppengelänber  leimten  unb  nad)  bem  .*Mner  riefen.  SHartuS  be* 
fua^te  ben  3kU  23ullier  unb  wußte  längft,  wa$  Siebe  fyetßt.  6r  fagte: 
..le  quartier",  wenn  er  oom  Quartier  latin  fprad),  unb  fjatte  er  eine 
©eliebte,  fo  nannte  er  fie  nadjbrucf*DOU* :  „meine  grau". 

©r  war  fonft  gutmütfug  unb  befaß  jene  leicf)t  erregbare  Stimmung 
unb  jene  ^lUerweltfjerjilidtfeit,  wie  fie  ben  Sübfran$ofen  eigen  ift.  2Iuf 
bem  Secirboben  raupte  er  feine  pfeife,  beren  tfopf  bie  bamal«  fo  aü= 
gemein  beliebten  ©efi$t$3üge  beä  3°u™ftKftcn  &enri  9iod>efort  trug.  2tüe$ 
in  Mem  genommen  war  (Sajaban  unau*ftef)lidj. 

(5:3  war  baber  aua)  nidrt  eine  waf)rc,  innere  3uneigung,  weldje  ©abriet 
5U  ibm  Ijinjog,  fonbem  oie!mel)r  eine  unflare  ^ewunberung,  bie  bei  einem 


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— -    <£ine  3i>ylle  »äljrenb  i»er  Belagerung.    223 

unerfahrenen  jungen  SJlanne  leid)t  erflärlidj  ifl.  %a,  mir  muffen  e$  aus* 
fpredjen:  ©abriet  fonnte  fid)  fogar  nidjt  eines  gewiffen  9feibe$  erwehren, 
wenn  er  ba£  unerfdjütterliaje  Selbfbertrauen  unb  bas  wunberbare  juoer= 
fid)tlid)e  Auftreten  bes  Sübfranjofen  fo  tägliaj  cor  2lugen  fab. 

64  ift  ganj  felbftoerftänbltd),  bafj  bie  georbnete,  fittenreine  Sebent 
weife  ©abriete  feinem  ^reunbe  unerfdjöpflidjen  Stoff  }u  fpöttifd)en  SWanb* 
gloffen  unb  fdjledjten  SBifcen  bot. 

DI. 

3ln  einem  ber  lefcten  ^uliabenbe,  einige  Xage  alt'o  naa)  ber  Kriegs* 
erflärung,  ging  ©abriel  um  bie  £ämmerungSftunbe  aus. 

©r  mar  mi^geftimmt.  Seim  (£ffen  fjatte  feine  9)Jutter  oerfdjiebene; 
mal  bie  Sefürdnung  geäufjert,  er  fönne  ifjr  burd)  ben  Ärieg  entrifien  werben, 
unb  er  fjatte  it>r  nadjbrudlid)  unb  roieberr>oIt  bie  Serfidjerung  geben  muffen, 
baß  er  als  einziger  Soljn  einer  28ittwe  feine  ©efaf)r  liefe,  eingeftellt  511 
werben. 

9lber  in  biefer  jugenblidjen,  nad)  wed)felnben  ©nbrütfen  bürfteuben 
Seele,  ber  baS  SBewufjtfem  beS  täglid)  abgewtdelten  ^enfums  niajt  ge^ 
nügte,  grollte  ber  Sturm  ber  Empörung. 

£aS  ftanb  ja  ailerbingS  feft,  Solbat  wie  bie  lUnbcren  fonnte  er  niebt 
werben,  baS  burfte  er  fd)on  feiner  Butter  nicr)t  antf)un.  3{ber  er  fagte 
nd),  ba§  ü)m  baS  ©efc&td!  bod)  einen  fefjr  beengten  unb  wenig  erfreulidjeu 
2£irhmgSfreiS  angeioiefen  Ijabe.  Unb  erbaute  an  bie  langen  SRadjmittage 
auf  feinem  mit  oergilbten  9lctenftüden  ooügepfropften  Sureau,  an  ben  (Sfel 
erregenben  ©eruef»  ber  alten  Rapiere,  an  bie  beftänbige,  naf)e  Serüljrung 
mit  Kollegen,  mit  benen  fein  ©ebanfenauStaufdj  möglid)  war,  an  bie 
Straße  ooll  greube  unb  Sonnenfdjein,  ber  er  jeben  -Btorgen  ben  dlüden 
fefjren  muffte,  um  in  ben  langen,  jeudjten  ßorribors  beS  sJ)iinifteriums 
ju  oerfdmrinben.  (sr  fab  fidj  fa)on  im  ©eifte  als  alten,  fdjrullcnljaften,  oer; 
bummten  Beamten,  feine  9todärmel  mit  ©lan^fittei  umfüllt  unb  mit  iüaum* 
wolle  in  ben  Dfjren. 

©abriel  ftellte  biefe  traurigen  $3etrad)tungen  bei  feinem  Spaziergange 
auf  bem  Öouleoarb  Sebaftopol  an,  auf  beffeu  Srottoirs  fid)  eine  bid)t= 
gebrängte  3)ienfd>enmenge  fortfdjob.  $er  9lbenb  war  feljr;  ^eifj.  Gben 
fjatte  man  bie  ©aSlaternen  angeftedt.  £>ie  Scutc  fafjen  oor  ben  lid^t- 
ftra^lenben  GafSS,  $Mer  trinfenb  unb  lebhaft  bebattirenb,  ^eben  tUugenblicf 
tjernafnn  baS  C^r  ©abrielS  fürs  abgeriffene  Säfce  wie:  „$er  .Uaiicr  f)at 
fid)  geftem  auf  ben  tfriegSfd)auplafc  begeben  .  .  .  Sie  fönnen  fid)  barauf 
perlaffcn,  Se  33oeuf  ift  ernannt."  Ungeheure  3}fenfd)emnaffen  umlagerten 
bie  Äiosfe,  unb  biejenigen,  weldje  fid)  bem  bunflen  ftnäul  müljfam  ent* 
wanben,  fdjwenften  über  tf)rem  ßopfc  eine  entfaltete,  nod)  naffe  3eitonö- 
$eulenb  unb  jof)lenb  jogen  bann  unb  wann  ganjc  Sd)aaren  oon  Straßen^ 
jungen  unb  Sloufenljelben  oorüber,  wütf)enb  unb  in  monotonem  Tonfall 


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22$    £rati{ots  £oppee  in  paris.   

ben  Sdjrei  ausftOBenb:  „9fadj  Berlin!"  Sann  übertönte  plöfclid)  lauter 
Xrommelwirbel  ben  ganzen  Särm.  (Ss  waren  bie  ©aroeregimenter,  welche 
nadj  betn  Dftba^n^of  $ogeu,  unb  ©abriel  bemerfte  auf  betn  galjrbannn, 
über  ben  ftöpfen  ber  Neugierigen,  in  bem  SSirrwarr  ber  fd)warjen  Sd)afo3 
ber  (Sfrjaffeurä  be  $incemte£  unb  ber  ^öärenmüfcen  iber  ©renabiere  >ben 
t3olbenen  2lbler  einer  galjne  ober  ben  .pelmbufd)  eines  Cberften  p  sterbe. 

Siefe  friegerifdje  Stimmung,  biefed  militärifdje  Sd^aufpiel  werften 
in  bem  ©eifte  be$  jungen  Cannes  Xräume  oon  Stampf  unb  Nufnn.  (rr 
fielet  am  borgen  ber  3d)laa)t  bie  bunften  £ruppenmaf)en  ftd)  enbloS  ba; 
binden  unb  bie  Ülbjutanten,  bem  t>luge  faum  erfennbar,  bie  (Sbene  im 
Garrtfre  burdjftürmen.  9lud)  er  fteljt  bort,  ©eweljr  bei  #ufj,  im  crjtcn 
©liebe  ber  2lngriff$folonne.  @r  uernimmt  ben  bumpfen  Bonner  ber  ita* 
nonen,  tjört  ben  fd)metternben  Sdjall  ber  trompeten;  mit  gefälltem  Sajonnet 
ge^t'0  auf  ben  fteinb  loa,  &elbenftüo?lein  nadj  alter  gouauenart  werben 
ooHbradtf.  Unb  fiel)e!  bort  am  äufjerften  Gnbe,  twd&  oben  auf  bem  &ügel, 
neben  einer  com  flartätfajenfeuer  &erfd&metterten  3flüljlc,  inmitten  ber  bei 
irjren  ©efdmfeen  im  STobelfampf  röaSelnben  Äanoniere,  erfennt  er  fid) 
roieber  in  jenem  gemeinen  Solbaten,  ber,  oon  Sßuloerbampf  gefd)wär$t,  im 
fetten  Sonnenfd)ein  eine  gafme  aufpflanjt! 

So  bal)infdjlenbernb,  gelangte  er  junt  Stra&burger  s3armtwf ;  aber  ein 
Umljergeljen  mar  luer  faft  umnöglidj  geworben.  Sie  Solbaten  Ratten  fid) 
unter  bie  Spenge  oerttyeilt,  begeiftert  reid)te  man  Urnen  Gigarren  unb  ©elb, 
unb  in  allen  Kneipen  fat»  man  fic,  ba$  ©eroeljr  an  ber  Seite  unb  ben 
Xornifter  auf  bem  9iü<fen,  ben  Gtutliften  jutrinfen. 

©abriel  madjte  e$  wie  alle  9lnberen,  er  blieb  auf  bem  Xrottoir 
ftetjen  unb  faf)  $u. 

£nippen,  9)hmitionäwagen,  Äanonen  brängten  ftet)  rjier  jufammen  unb 
oerfperrten  einanber  ben  SSeg.  ^?ferbe  bäumten  udj,  Cf  friere  flutten. 
9iur  mürjfam  oermoajten  bie  ^oltjeifergeanten  bie  sJ?eif)en  ber  Neugierigen 
$u  beiben  Seiten  ber  Strafjen  jurüdjubrängen.  ©affenbuben  begrüßten 
jaudfoenb  eine  ooruberfarjrenbe  -Hiitrailleufenbatterie  unb  riefen:  „Sa 
fommen  bie  ftaffeemürjlen!"  Ser  3etger  ber  33arml)of$uf)r  wies  auf 
neun  Ityx. 

3n  biefem  Olugenblicf  füllte  ©abriet,  bajj  ^emanb  feinen  3lrm  be- 
rührte, unb  f)örte,  roie  eine  weibliche  Stimme  $u  ifmt  fagte:  „5ld>,  bitte 
mein  &err,  laffen  Sie  unö  r>or,  bamit  mir  audj  etwas  fefyen." 

Unb  in  ber  Xfyat  brängten  ftd)  jwei  jugenblid)e  ©eftalten  in  tyeuen 
Kleibern  oor  ifm. 

Sie  größere,  eine  brünette  mit  federn  ©efid)t$auebruc!,  wanbte  fid) 
um,  ein  Üäa^eln  bes  Sanfeä  auf  ben  Sippen;  bann  neigte  fie  ftd)  $u  trjrer 
©efälnlin,  um  ifu*  etwas  tn'S  Diu-  3U  fagen.  Sie  fa^miegten  fid)  eng  an« 
einanber,  wie  crfdjretft  barüber,  ba&  fte  fid)  auö  i^rer  füllen  einfachen 
<Oäii^lid)feit  in         ©etümmel  gewagt  Ratten. 


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  <£ i n e  3&yUe  roäbrcnb  &er  BciagcniHcj.    225 

©abriet  beamtete  fie  anfangs  gar  nicht;  aber  ber  fjinter  ihm  ans 
roadjfenbe  SJcenfdjenftrom  brängte  ilm  nach  oorn  unb  sroang  feinen  jers 
ftreuten  Slicf,  fict>  mit  ihnen  ju  befchäftigen.  Sie  unterhielten  fia)  leife 
unb  lachten.  SaS  ©eftcht  ber  .Kleineren,  welche  fd)ä<^terner  festen,  als 
ir>re  greunbin,  war  burd)  einen  Soleier  oerhüttt.  ©abriet  ftanb  ganj  nahe 
neben  ihr,  unb  bei  jeber  Bewegung,  bie  fte  machte,  würbe  er  oon  ihrem 
bleibe  berührt. 

3n  biefem  Slugenbticf,  als  gerabe  ein  3U9  fernerer  £rainwagen  int 
Xrabe  uoruberfam,  brängten  bie  (unten  Stehenben  ungeftüm  na<f>  oorn  unb 
bie  fteinere  grau,  bie  uor  ©abriet  ftanb,  würbe  mit  ©ewatt  auf  ben 
tfahrbamm  gefdjleubert.  s3)tit  einem  9Iuffd)rei  fanf  fie  $u  53oben  unb  märe 
meüetcht  unter  bie  9iäber  geraten,  wenn  ber  junge  3)?ann,  ber  gleichfalte 
vom  Xrottoir  ^eruntergeftofeen  roorben  mar,  fic  nicht  aufgefangen  hätte. 

Sie  ruhte  lauttos  unb  wie  «ergangen  oor  2tngft  brei  ober  oier  Secunbcn 
in  feinen  9lrmen,  bann  raffte  fie  fich  plöfcluf)  auf;  aber  ©abriet,  ber  bei 
bem  Unfall  itjre  £anb  ergriffen  hatte,  behielt  fie  in  ber  feinen  unb  nahm 
medhanifch  ihren  2lrm,  wie  von  bem  inftinetioen  Verlangen  geleitet,  fie  nod; 
weiter  $u  beidnifeen. 

„deinen  Sie  nid)t  auch,  ©ugenie,  bafe  wir  von  ©tücf  fagen  fönnen, 
baft  ber  &err  gerabe  tjier  geftanben  t)at?  2ßa*  hätte  3hr  9Rann  wohl  ge» 
fagt,  ber  ^fyxen  »erboten  hatte,  ausgehen  ?  Ser  hätte  mich  tjeut  2tbenb 
gut  angefefm!  Slber  nicht  wahr,  lieber  <Qerr,  Sie  werben  uns  hier  ntct)t 
im  Stich  (aifen?  Sie  muffen  uns  aus  bem  ©ebränge  forthelfen.  öS  ift 
Ijeut  gan$  wie  neulich  am  15.  2tuguft,  wo  td)  beim  geuerwerf  beinahe  er- 
brüdt  morben  wäre.  %<i),  hab'  ich  'ne  9lngft  gehabt!  .  .  .  Sie  wiffen 
roof)l  gar  nicht,  ©ugenie,  bafe  ber  ,§err  uns  baS  £eben  gerettet  hat?  — 
Sft  baS  rjubfeh!  ®an3  roie  m  einem  Vornan." 

Sie  $ufammenhangSlofen  2£orte  foraefj  bie  große  brünette.  Sie  hatte 
ben  anberen  silrm  ihrer  greunbin  genommen  unb  begleitete  ihre  sJfebe  mit 
[eifern  Äichern. 

„3a  wohl,  meine  ©amen,"  tagte  ©abriet  mit  ;>itternber  Stimme, 
„wir  muffen  ^unädjft  fehen,  wie  wir  aus  bem  ©ebränge  berauöfommen." 

Sie  ftanben  wieber  auf  bem  £rottoir  unb  ©abriet  fühlte  immer  noch 
auf  feinem  2lrm  bie  föanb  berjenigen,  welche  ihre  greunbin  ©ugenie  ge= 
nannt.  (£r  war  im  höchften  ©rabe  aufgeregt.  3"m  erften  2)lal  in  feinem 
^eben  hatte  eine  grau  an  feiner  33ruft  geruht. 

Sie  brachen  fich  mühfam  burdh  baS  SßolfSgetümmel  :8ahn,  balb  aufs 
gehalten  uon  einer  gamilie,  bie  in  ^ränen  aufgetöft  einen  $oltigeur  sunt 
2Ü>fd)teb  umarmte,  balb  bei  Seite  gefetjoben  »on  einem  ^ouauen,  ber  aus 
einem  Gaf6  h*rauSfommenb  feiner  Gompagnie  mit  flirrenbem  Äochgefchirr 
unb  ftappernber  gelbflafche  nachjagte. 

2tls  fie  auf  bem  SBouleuarb  3)?agenta,  au  einer  Stelle,  wo  ba*  ©c= 
brdnge  weniger  biäjt  war,  angefommen  waren,  fühlte  ©abriel,  wie  bie 


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226 


$ranrois  CLoppee  in  paris.  


junge  grau  ihren  2lrm  freimachte.  Tiefe  Trennung  oerurf  achte  i^m  ein 
feltfameS  Unbehagen. 

„Sefct,  mein  #erT,w  fagte  fie  ju  ihm,  „haben  wir  Sfynen  noch  unfeTen 
Xanf,  unfern  großen  Xanf  aussprechen." 

Sfyxe  Stimme  ftang  fanft ,  etwas  gebnmpft,  oietteicht  wegen  beS 
ScbrecfenS,  bet  ir)r  nod^  in  allen  ©liebern  lag.  Sie  ftanb  unbeweglich 
nor  ©abriet #  ber  fie  betrachtete.  GS  war  ein  ungefähr  jwanjig  3ahr 
altes  grausen  oon  jarter,  wo£)lgebilbeter  ©eftalt.  Sie  trug  ein  ooüftänbigeS 
Moftüm  aus  tjellgrauem  Stoff  unb  einen  etwas  fofetten  &ut  mit  einer 
gafanenfeber.  Unter  bem  Soleier,  ber  nur  einen  flehten,  feingefönittenen 
3Hunb,  fowie  ein  InttfcheS,  wohlgenährtes  Stinn  fefjen  liefe,  [trauten  ir)rc 
p  ©abriel  emporblicfenben  2lugen.  3n  bem  rings  ijerrfdjenben  $albbunfel 
fdjien  es  ilmt,  als  mären  fie  fefjr  grofe  unb  uoller  ©lanj. 

91odj  einmal  legte  fict)  bie  große  brünette  in'S  Littel. 

„Me  Gugenie,  Sie  motten  ben  $errn  jo  fortfehiefen?  3m  ©egentyeil, 
ba  er  fo  freunblia)  ift,  will  icf>  ihn  bitten,  uns  auf  unferen  sBeg  jurüefs 
^bringen.  Ueberhaupt  finbe  id)  mich  in  biefem  Giertet  aud)  gar  nicht 
aurecht.  Vielleicht  tonnen  Sie  uns  fagen,  mein  &err,  roo  ber  Omnibus 
be  la  ©tariere  oorüberfommt  V  2Bir  molmen  in  jener  ©egenb." 

„Slber  liebfte  grau  &enrn,  mir  bürfen  boer)  bie  ©üte  beS  £errn  nicht 
fo  febr  in  2lnfprudj  nehmen/'  fagte  Gugenie  mit  leifem  9facr)brucf. 

Xa  ermannte  fid)  ©abriet  ju  einer  bei  it)m  ungewöhnlich  fühnen 
üleuBerung.  Gr  betonte,  bafe  er  bie  Tarnen  junäcbft  in  Sicherheit  bringen 
unb  fie,  wenn  fie  es  geftattten,  ju  bem  CmnibuS  führen  wolle,  ber  bort 
ganj  in  ber  91ähe,  -)ine  9{od)echouart,  oorübertam. 

grau  &enrn  nahm  fofort  an,  unb  fte  machten  fid)  auf  ben  2£eg,  alle 
brei  in  einer  SHeifje,  bie  beiben  grauen  3lrm  in  2lrm. 

Tie  9lad)t  war  pradjtooU.  9ttd)t  eine  Seele  war  auf  biefem  langen 
Swuleoarb  $u  fetjeu.  tfein  HJionbfdjein,  aber  ein  milchblauer,  mit  Sternen 
überföeter  Gimmel.  Tos  ©aS  leuchtete  fcr)r  hell,  ©abriet  ging  neben 
ber  großen  brünette;  er  hatte  es  nicht  gewagt,  fid)  ber  Slnberen  anju* 
fd)lie§en.  9iod)  nie  hotte  er  fid)  in  ©efeü*fd)aft  unbefannter  grauen  be* 
funben;  fein  ftcr^  poditc  heftig.  Gr  hörte,  wie  bie  Stiefeletten  auf  bem 
3lSphalt  beS  Trottoirs  fnarften.  (Sin  leifer,  füt)(er  9cad)twinb  erhob  fich 
unb  bewegte  fanft  bie  .Uteiber  unb  bläutet  ber  beiben  grauen. 

„Sie  bürfen  ja  nid)t  etroa  glauben/'  nahm  grau  ^enrn  baS  ©efpräer) 
in  jenem  familiären,  etwas  gewöhnlichen  Tone  wieber  auf,  ber  ©abriet 
fo  fehr  in  Grftaunen  oerfcfcte,  „bafe  meine  greunbin  unbanfbar  ift  unb 
oergeffen  tonnte,  was  Sie  für  fie  getl)an;  aber  etwas  fä>u  ift  meine  fleine 
Gugenie.  3ft  fie  bod)  erft  feit  norigem  3ahre  in  ^aris,  unb  ihr  9)tonn 
lä&t  fie  nicht  oon  £aufe  fort.  Sie  ift  noch  nicht  an  baS  gefeu*fa)aftliche 
Veben  gewöbnt." 

©abriet  fal),  wie  Gugenie  bei  biefen  Sorten  ihre  greunbin  jum 


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  (Eine  3&Yllc  roäbrenb  &er  33elagerutuj.    227 

Seichen,  bafj  fie  fc^toeigen  möchte,  am  9lenne(  jupfte;  unb  grau  &enrn, 
roeldjer  bie  ßunft,  einen  paffenben  Uebergang  ju  einem  anbern  ©efpräd)£s 
ttjema  $u  finben,  unbefannt  ju  fein  fdnen,  fragte  ©abriel  urplöfclid),  olme 
ifrni  3e^  5ur  Antwort  $u  (äffen: 

„2£ie  alt  finb  Sie  benn  eigentlidj?  Sie  müffen  boa)  nodj  ganj  jung 
fein  —  jroanjig,  einunbjiuanjig  Satjr  fjödjftenS,  nidjt  roaf)r?  SBie  fd)ön  ba$ 
ift/  erft  sroanjig  $a\)x  alt  5U  fein!  Söarum  Iaffen  Sie  ftd)  feinen  23art 
ftetjen?  3ldj  fo,  Sie  ftnb  otelleidjt  Sdjaufpieler.  $od)  nein,  Dülmens 
tunftler  tragen  längere  §aare.  Üaffen  Sie  mid)  mal  ratzen.  (SommiS  in 
einem  Sttoberoaarengefdjaft  finb  Sie  bod)  aud)  ntdjt,  ba$u  fefyen  Sie  ju 
fein  aus  .  .  .  2tya,  jefct  glaub'  id),  fcabe  id)  e3  .  .  .  e3  brennt!  .  .  . 
Sie  finb  im  3)Uniftaium  angefteUt." 

@3  ift  ba*  eine  allgemein  gültige  Siegel:  bem  SHanne  aus  bem 
2>olfe,  bem  Bürger  in  befajeibenen  $erf)ältniffen,  foroie  allen  mit  $er; 
toalrungefaa)en  unbefannten  Prionen  fd)toebt  nur  ein  einziges  9)iinifterium 
aU  unflarer,  unbeftimmter  begriff  oor. 

©abriel  gab  ju,  bafc  er  in  ber  Xf)at  Staatsbeamter  fei. 

grau  $enrn  fuf)r  fort: 

„£a$  finb  gute  Stellen,  weil  man  ein  girum  f)at.  Sie  ^abeu  ja 
gar,  wie  id)  fefje,  einen  Trauerflor  an  ^fjrern  $ute.  Hnner  junger  «Diann, 
trauern  Sie  um  3bre  grau  9flama?  9iein.  2)amx  roofmen  Sie  jeben* 
falls  bei  if>r.  SaS  fief)t  man  fofort,  bajj  Sie  bei  Qljren  2tngel;örigeu 
leben.  Sie  finb  wirflid)  feljr  liebenSroürbig  gegen  uns !  .  .  .  2i>ie  Reiften 
Sie  mit  Stycem  Vornamen?'' 

„©abriel." 

„©abriel.   £er  Statue  gefallt  mir  fefjr  gut.   Unb  ^Imen,  ßugenie? 

mürbe  jebod)  Seo  oorsiefyen.  9iur  ja  md)t  Victor!  So  t)ei^t  nämlid) 
mein  Sd)eufal  oon  2)iann.  SRa,  ©ott  fei  ^anf,  ben  bin  id)  los,  er  ift 
mir  burd)gebrannt,  {ebenfalls  baS  Söefte,  roaS  er  ttmn  (onnte  .  .  .  92un, 
^err  ©abriet,  roaS  meinen  Sie  ju  bem  ftriege?  ^a)  glaube,  rotr  werben 
geroinnen.  greilidj  roerben  gar  mandje  oon  ben  armen  Solbaten,  bie 
tjier  cor  unferen  2lugen  abmarfd)irt  finb,  tobtgefdwffen  roerben.  ühMffen 
Sie,  beim  blofeen  ©ebanfen  baran  tfyut  mir  baS  ^erj  roef).  Sdjliejslid) 
aber  roar  ber  Statfer  bodj  gejroungen,  ben  Ärieg  311  erflären!  Sie  fjabeu 
ifm  mit  bem  ^ßlebiScit  gerabe  genug  gefränft." 

söei  foldjen  Dieben  oergafj  ©abriel.  feine  Sdjüdjtenujeit;  er  gab 
fdjliefjtid)  31ntroort  unb  fo  rourben  ber  junge  3Jiann  unb  grau  $enrij 
mit  einanber  befamvt.  $od)  führte  eine  getjeimnifjooHe  9ln$tebung3fraft 
immer  roieber  feine  ©ebanfen  511  ber  füllen  jungen  grau  mrücf,  roeldje 
fie  begleitete. 

^n  feiner  Sd>fidjtenu)eit  ging  ©abriel  einen  ober  jroei  Stritt  oon 
ben  beiben  greunbinnen,  unb  feine  unb  ©ugenienS  iölide  begegneten  fic^ 
oon  3eit  ju  Seit.   2lber  bann  f djlug  er  unroillf ürlia)  bie  3lugen  nieber, 


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223 


^ranvots  (Zoppte  in  paris. 


unb  nicht  ein  einjigeS  2)Jal  wagte  er  es,  fie  an$ureben.  grau  &enrn  jdjien 
baS  SBohlgefallen,  welches  (Gabriel  an  ihrer  greunbin  fanD>  rea)*  9^  Su 
bewerfen;  aber  fie  mar  weit  entfernt  baoon,  fidj  irgenbwie  ungehalten 
baräber  $u  jeigcn.  Sftein,  ganj  im  ©egentheü,  menn  fie  ilm  inmitten  ihres 
©efchwäfceS  unaufmerffam  unb  mit  ihrer  greunbin  beschäftigt  fah,  liefe  fie 
jenes  muntere,  fcheinbar  grunblofe  Saasen  hören,  baS  ihren  rofigen,  oon 
^erlenjähnen  blifcenben  SWunb  fo  gut  fleibete. 

(Snbltch  waren  fie  auf  ber  9iue  SHochechouart  angelangt.  $>er  Omnibus 
fam  gerabe,  unb  man  fafj  in  ber  gerne  feine  beiben  großen  rothglühenben 
Slugen. 

„&err  ©abrief,"  fagte  jefet  grau  &enrn  mit  ihrer  gewöhnlichen  Un= 
uerfrorenheit,  „ich  weife  beftimmt,  bafe  Sie  gern  wiffen  möchten,  ob  bie 
f  leine  (Sugenie  ftdjj  oon  ihrem  Schrecfen  erholt  hat-  $amit  Sie'S  roiffen, 
ich  mohne  gaubourg  Saint  Jacques  9ir.  17.  Sie  werben  ftetS  will« 
fommen  fein.'' 

©abriel,  oon  biefer  unoerhofften  ©inlabung  ganj  entjücft,  wollte  ant= 
Worten,  aber  ber  Omnibus  ftanb  oor  ihnen  unb  grau  ^enrn  ^attc  bem 
ftutfcher  gewinft.   Sie  reifte  bem  jungen  Wanne  bie  &anb  unb  fagte: 

„3luf  SBieberfehen,  nicht  wahr?" 

©abriel  gab  ihr  bie  &anb,  bie  fie  famerabfdjaftlich  fchüttelte.  Vielleicht 
hätte  er  ftd)  ju  bem  (S*ntfd;luffe  aufgerafft,  auch  ©ugenie  bie  feine  511  bieten; 
aber  fie  fagte  ju  ihm  fdmell,  mit  einem  legten  33licf  fidf)  anmuthSuoll 
oemeigenb:  ,/Jlbieu,  mein  &err,  nochmal«  meinen  beften  £anf!"  unb  eilte 
ihrer  greunbin  nach. 

©abriel  fah  fie  in  ben  Omnibus  einfteigen,  ber  fid&  oon  Beuern  in 
Bewegung  fefete.  (Sr  hörte  ben  sweimaligen,  furzen  Älingelton  beS  @on= 
bucteurS  unb  blieb  unbeweglich  auf  einer  Stelle  flehen,  bem  fchwerfäüig 
bahinroHenben  SBagen  nachfchauenb,  wie  er  ben  fteilen  2lbf)ang  hinunter = 
fuhr  unb  enblich  an  ber  Strafcenbiegung  oerfchwanb. 

(Sr  fehrte  in  fchnellem  &auf  nach  &aufe  jurucf.  Sine  feltfame  3(uf= 
regung  fyatte  fich  feines  ganzen  SSefenS  bemächtigt,  Sie  fleinften  ©tnjel= 
heiten  feines  2lbenteuerS  ftanben  ihm  flar  oor  ber  Seele.  (Sr  erbebte  bei 
bem  ©ebaufen,  bafc  bie  §aare  ber  jungen  grau  fein  ©efidjt  faft  geftreift 
hatten,  als  fie  in  feine  2lrme  gefunfen  war;  noch  fühlte  er  auf  feiner  £anb 
ben  ®rucf  oon  (SugenienS  &anb;  er  erinnerte  ftd),  ba§  ihre  ^anbfchuhe 
aus  fchwebifchem  Üeber  waren,  ©r  fagte  fich,  ba&  er  fie  wieberfehen 
werbe;  er  forad)  laut  $ufammenhangSlofe  SÖorte.  @r  wieberholte  fich 
wohl  hundertmal  grau  &enrt)S  2lbreffe,  gaubourg  Saint*3acqueS,  üftr.  17, 
als  fürchte  er,  fie  ju  oergeffen.  @r  fam  fich  ftarfer,  gefchmeibiger  unb 
leichter  oor  wie  gewöhnlich;  ja,  fein  Ölut  fdjien  ihm  feuriger  in  ben  9lbem 
;,u  freifen. 

2US  er  über  bie  iörücfe  Saints3Wichel  ging,  fah  er  auf  ber  Sftirte 
bes  gahrbammeS  eine  Schaar  Stubenten  baherfommen,  unter  benen  er 


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  €ine  ^bylle  n>äl}renb  5>er  Belagerung.    229 

in  ber  gerne  feinen  greunb  (Sajaban  erfannte.  2lffe  brüllten  bie  9War= 
feiflaife. 

„3^  s'ift  ja  wat)r,  s'ift  flrieg;  ba3  Ijatt'  ich  ganj  oergejfen." 

IV. 

©rft  nach  brei  Sagen  entfctjlofe  fiel)  ©abriet  3U  einem  Befuch  bei 
grau  §enru. 

&  erfdjien  ifmi  bie3  als  ein  äu&erft  gewagtes  unb  fehr  fchwterigeä 
Unternehmen.  Seine  ©ebanfen  weilten  beftänbig  bei  ben  beiben  greunbinnen. 
$ie  (Erinnerung  an  ba$  oerfchleierte,  fdjweigfame  grausen,  mit  ber  er 
nur  einige  fdjüchterne  33licfe  gewechfelt,  fjatte  feine  Seele  gan$  gefangen 
genommen,  ©r  raupte,  bafc  fie  uerheirathet,  ba§  fie  fcheu  unb  unerfahren 
mar;  er  ahnte,  bafj  fie  fia)  unglücflich  füllte,  ©r  wollte  fie  wieberfehen 
unb  fagte  (ich,  bafj  e3  baju  fein  anberes  SfJlttteC  gäbe,  als  grau 
£enro  einen  Befuch  absuftetten.  2lber  ba3  ©ilb  ber  frönen  Brünette 
mit  ben  feurigen  klugen,  bie  fo  ungezwungen  in  ihrer  2lu3bructeweife 
war,  beren  Cirfc^rotrje  Sippen  beim  Saasen  fo  weifee  Sßerlenjäfme  jeigten, 
rief  in  feinem  ©eilte  eine  Unruhe  fyeroox,  bie  faft  an  2lngft  grenjte. 

©tneö  XageS  jebodt)  ging  er,  geleitet  oon  ber  (Erwägung,  bafc  fein  gan*e£ 
bi^^erige^  Verhalten  eigentlich  fein  befonbereS  3ntere[fe  oerrieth,  unb  bafe 
feine  2lufnaf)me  eine  um  fo  fühlere  fein  muffte,  je  länger  er  feinen  Befuct) 
hinausfdjob,  etwas  früher  aus  feinem  Bureau  fort  unb  lenfte  feine  ©abritte 
nad)  bem  gaubourg  ©atnt^acqueS. 

2Bie  jeber  geigling,  ber  einer  ©efatyr  entgegengeht,  ^atte  er  ben 
längften  2£eg  gewählt  unb  mattete  immer  langfamere  ©abritte,  je  näher 
er  feinem  Siele  tarn. 

2luf  bem  Bouleoarb  ütflontparnaffe  blieb  er  fünf  Minuten  oor  einem 
Xröblerlaben  ftehn  unb  unterwarf  eine  Lithographie  be£  ©eneralä  2lthalin, 
be£  früheren  .§ofcaoalier3  ber  Äönigin  Slbelai'be,  einer  näheren  Betrachtung. 

Um  feine  ©ebanfen  uon  bem  ©abritt,  ben  er  5U  thun  im  Begriff 
ftanb,  abjulenfen,  oertiefte  er  fia)  in  baS  2lnfchauen  btefeS  EtilitairS  unb 
oerfefcte  fid)  im  ©eifte  in  bie  gemütliche,  fpiefebürgerliche  3eit  -ouil5 
^ß^ilipp^.  2lCe  ^oljfchnitte,  bie  er  je  aus  biefer  3eit  gefehn,  ftanben 
flar  oor  feinem  geiftigen  2luge.  ©r  fah  ben  flönig,  einen  grauen  &ut 
in  ber  §anb  haltenb,  bie  Königin  nach  englifa^er  2)tobe  frifirt,  mit  langen 
£ängeloden  ju  beiben  ©eiten  beS  ©eftchta,  bie  $rin$en  in  altmobifchen 
Uniformen,  unb  &errn  ©uipt  auf  ber  Mebnertribüne ,  bie  Linfe  in  ber 
Brufttafct)e  beS  graefs  oerfenft. 

3ln  ber  ©de  beS  Bouleoarb  b'ßnfer,  wo  an  jenem  Tage  grabe  ber 
^ferbemarft  abgehalten  würbe,  blieb  er  oon  Beuern  ftehn.  £>ier  trieben 
Strafjenjungen  ganje  ©eipanne  fdt)öner  meifjer  ^ercfjerons  uorbei,  beren 
Schweif  mit  ©trohbunbeln  aufgebunben  war.  2uidj  fah  er,  wie  jwei 
3<o§täufd)er  in  fehr  langen  Bloufen  unb  mit  hod;auf  gebautsten  SJiüfeen 


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230 


^raii9ois  Coppee  in  paris.   


cor  ber  £I)ür  einet  Sranntroeinfdjenfe  über  ben  ^reiS  einer  alten  Sdnnbs 
mäfjre  mit  einanber  oer()anbetten  unb  abroedjfelnb  i^re  ©angart  probirten. 

Selbft  auf  bem  place  be  l'Dbferoatoire  fonnte  er  nod)  ju  feinem 
©ntfdjluffe  fommen  unb  umf reifte  jroecfs  unb  jielloS  bie  Seilt änjerbuben. 

9?ad)bem  er  fo  oiel  fteit  oergeubet,  fefcte  er  fid),  ganj  roieber  roie 
ber  richtige  ^afenfufc,  in  fd)neUe  Bewegung  unb  blieb,  nadjbem  er  faft 
rennenb  auf  bem  gaubourg  3aint=$acqueS  angelangt  war,  genau  oor  jener 
Plummer  17  fielen,  beren  beibe  3Wern  ifa1  *m  Traume  fo  oft  in  feurigen 
3ügen  oorgefdjroebt  Ratten. 

©S  mar  ein  altes,  formal  gebautes  &auS,  frifd)  geftridjen  unb  mit 
einer  nriberioärtigen,  gelblichen  äßafferfarbe  bemalt.  ©S  r)atte  nur  brei, 
wenn  gleid)  fe^r  f)of)e  Stocftoerfe,  unb  jroei  genfter  SSorberfront  Oben 
auf  bem  3iegelbad)e  \afy  man  eine  Sobenlufe  mit  einer  eifemen  Duerjtange 
unb  einem  f)erabf)ängenben  glafdjenjuge.  Unten  befanb  fid)  neben  ber 
&auStf)ür,  bie  5U  einem  fein*  bunflen  ©ange  führte,  eine  Speifetoirtf)fdjaft, 
in  beren  Sdjaufenjter  fid)  bie  unoermetbltdje,  aus  3u^crf^^n  aufgebaute 
Sßnramibe  jroifdjen  jroei  gro§en,  mit  9ieiS  unb  (Sl)ocolabe  angefüllten 
Unterfäfeen  präfentirte.  £ie  mclanc$oltfcf)e,  ben  2lnfrrid)  beS  ©eroölmlidjen 
tragenbe  plmfiognomie  beS  Kaufes,  bei  ber  man  unroillfürlid)  an  baS 
©eftdjt  eines  armen  iganbroerferS  badjte,  gab  unierem  ©abrtel  3)httf). 
9JUt  heftig  pocfyenbem  iperjen  ftürste  er  hinein  unb  eilte  im  ginftern  jur 
Portierloge,  $u  ber  ifmt  ber  butd)bringenbe  ©erud)  einer  3wtebelfuppe  ben 
2öeg  roieS. 

„5öofmt  hier  grau  £enrn?"  murmelte  er  leife  jum  ©ucfloch  hinein. 

„Söofmt  ^ier  grau  #enrn?"  fragte  er  etroaS  lauter. 
„3m  ^weiten  Stod,  gerabe  aus,"  antwortete  bie  Stimme  einer 
alten  grau. 

Unb  bei  jeber  Stufe  ber  bunflen  Stoppe  ftolpernb,  taftete  er  fid)  im 
ginftern  an  bem  altertümlichen,  plumpen  ^oljgelänber  in  bie  $öl>e  unb 
fam  enblid)  oor  ber  bezeichneten  £hür  an,  blieb  f)icr  flopfenben  &er5enS 
ftelm  unb  50g  bann  mit  jitternber  &anb  bie  Mngel,  naa)bem  er  noa) 
einmal  fo  red)t  tief  Sltbem  gefd)öpft  r)atte. 

grau  &enrn  öffnete  fofort. 

,,2ld),  £err  ©abriet !"  fagte  Tie.  „Slber  bitte,  treten  Sie  bodj  naher, 
bitte,  fefcen  Sie  fid)!  &Me  liebenStoürbig  oon  3Imen,  bafe  Sie  nod)  an 
midj  gebad)t  haben!" 

$aS  Limmer  bilbete  einen  ebenfo  glücflidjen  roie  unerwarteten  ©egem 
fafe  jum  Hausflur  unb  ber  treppe.  ©S  machte  mit  feinen  t)oh*n  genftern 
einen  äufeerft  freunblia)en  (Sinbrucf,  unb  &idjt  unb  Sonne  brangen  in 
breitem  Strome  herein,  $ie  Xapeten  beftanben  aus  gelbem,  mit  fleinen 
!öouquetS  überfäeten  3ife-  ^<*S  3immcr  fattc  einen  £epPÜ*)/  niebrige 
Seffel,  einen  Stuan  unb  einen  bis  auf  bie  (Srbe  reidjenben  Spiegel,  in 

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  (Eine  n>ät?ren&  öer  Belagerung.    25\ 


bem  man  itd)  in  uotler  gigur  fe^cn  konnte.  Unter  ben  jurücfgefd)obenen 
©arbinen  be£  SUfooenS  bemerfte  man  baS  f)of)e,  breite  53ett,  unb  an  feinen 
©nben  eine  mit  feibenen  granfen  befehle  gu&berfe.  2Beiblia)e  ^hifegegens 
ftänbe  lagen  überall  in  malcrifd)er  Unorbming  untrer,  auf  bem  runben 
9tipptifd)a)en,  ben  ein  buftenbeS  SRofenbouquet  jierte,  auf  bem  Äamine, 
bem  eine  fa)öne,  oergolbete  Uf>r  ©laus  verlief),  ©abriete  2lufmerffamfeit 
entgingen  aua)  nid)t  bie  bläulia)en  ßerjen  ber  ßanbelaber,  foroie  ein 
bemalter  fleiner  Sßorjellanpantoffel,  ber  mit  Streidjljöläern  gefüllt  mar. 

„Sie  fef>en,  id)  mar  gerabe  im  Segriff,  meinen  Sögeln  ©rfines  §u 
geben/'  fagte  grau  $enrn,  als  ©abriel  auf  einem  gauteutl  ^Slafc  genommen 
fjafte.    „Sie  geftatten,  ba§  td)  ju  @nbe  füttere." 

$)er  Ääfig,  in  iüeld)em  ein  3^9  uno  ßw  ^Dompfaff  fjerumfnipften, 
ftanb  auf  bem  Stifdje,  unb  grau  $enrrj  mufete,  um  bic  bünnen  ftalme 
$roijd)en  ben  Stäben  ljinburd)fd)ieben  5U  fönnen,  ftefjen,  wobei  fie  ifjr 
gkofil  fyiib  abgeroenbet  jeigte,  benn  fie  fefjrte  ©abriel  ben  dürfen,  ^n 
iljrem  langen  föauSfleibe  au£  feinem  rotten  £ud),  baS  faum  ifjre  Taille 
erfennen  liefe  unb  etwas  auf  ber  (Srbe  nad)fd)leppte,  erfdjien  fie  fefjr  grofc. 
3br  prad)tt>otfeS  fd)marjeS  £aar  mar  rjeraufgenommen  unb  bilbete  auf  bem 
Sdjeitel  einen  ßlngnon,  meiner  burd)  einen  grofjen  Sdjtlbpattfamm  feftge- 
galten  würbe.   2lm  Dfjrläppdjen  lung  eine  fleine  golbene  Äugel. 

„$aS  fd)merjft  mal  präd)tig,  baS  ift  bod)  was  geines!  nid)t  waf)r, 
ifyc  fügen  Eäuba)en?"  flüfterte  bie  fajlanfe  »rünette  in  fd)meia)elnbem 
Xone,  beugte  fid)  über  ben  ftäfig  unb  afjmte  mit  ben  Sippen  baS  Sd)mafeen 
eines  Ijer^afren  ÄuffeS  nad). 

©abriel  mar  geblenbet.  $ie  9tfäf)e  biefer  frönen  jungen  grau  im 
9leglig6  fjielt  ilm  wie  mit  einem  ßauber  gefangen,  ©ebanfenloS  hafteten 
feine  23li<fe  an  ber  golbglänjenben  &aut  ifjreS  SRacfenS  unb  an  ben 
Keinen  rebellifdjen  ßaarloden. 

Dbgleid)  fie  nid)ts  faf),  afinte  fie  mit  bem  wunberbaren  3nfttn!t  ber 
grauen  biefe  ftumme  Sewunberung,  füllte  fid)  angenehm  gefd)metd)elt  unb 
beeilte  fid)  nid)t,  fid)  umjuwenben. 

^löfclid)  trat  SugenienS  33ilb  vov  ben  ©eift  ©abriels.  ©r  erinnerte 
fidj,  ba&  er  um  ifjretroiüen  gefommen,  unb  warf  es  fid)  feltfamerweife  wie 
eine  Sünbe  üor,  bafj  er  fta)  einen  2lugenblid  oergeffen  unb  feine  Sinne 
fo  gefangen  nefnnen  laffen  fonnte,  nad)  bem  23efifo  einer  ?lnberen  §u 
»erlangen. 

„Unb  &at  fia)  benn  ^re  greunbtn,"  fragte  er,  „oon  irjrem  neu(id)en 
Sdjreden  fd)on  erholt?" 

grau  $enrn  roanbte  fid)  lad)enb  um.  „ßugeme?"  fagte  fie.  „2lf)a, 
id)  fef>e  fa)on,  baS  junge  &erra)en  fyaben  nur  au  fie  gebad)t.  Sie  meinen'* 
fefjr  gut,  ^err  ©abriel;  aber  ©ugenie  ift  oerfjeiratfyet  unb  tugenb^aft  .  .  . 
So  etroaS  müffen  Sie  fid)  aus  bem  ßopfe  fd)lagen." 

„2Iber  id)  oeriid)ere  Sie,  grau  ©enrn  — " 


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I 


232  ■          ^ranvois  £oppec  in  Paris.   

„Sdfjon  gut,  fd^on  gut.  2ÜS  ob  id)  nculid)  gar  nidjtS  bemerft  Ijätte ! 
Sie  ^aben  ja  bie  ganje  %t\\  über,  wo  wir  ben  Souleoarb  SRagenta  ent* 
fang  gingen,  fein  2Iuge  oon  ifnr  oerroanbt.  2lber  eS  ifl  fo,  roie  i<$  ^^nen 
fage  .  .  .  fittfam  roie  ein  &eiligenbilb !  Unb  offen  geftanben,  bas  will 
oiel  jagen  in  ifjrer  Sage,  ©in  netter  33urfdjc,  biefer  ©lement.  Söunbert 
mid)  übrigens  gar  nidjt.   Gr  ift  mit  meinem  Sftanne  befreunbet  geroefen." 

„Oft  fte  unglücflidj?"  fragte  ©abriet  mit  tf)eilnef)meiiber  Stimme. 

„3um  Steinerbarmen!  2lrmeS  grausen!  2luf  bem  Sanbe  bei  ifjren 
©Item,  reiben  ©utSpäd)tern,  groß  geworben,  ift  baS  arme  2)ing  uon  allen 
Seiten  gef)ätfdjelt  unb  auf  &änben  getragen  roorben.  Unb  ba  fommt  fo 
ein  langer  tferl  —  er  roar  aus  ifjrem  $orfe  unb  rjattc  fid)  in  sJtariS  als 
3immermeifter  niebergelaffeu,  Sie  roiffen  f$on,  auf  bem  Souteoarb  b'^talie 
—  rjeirat&et  fie,  befommt  natürlich  eine  ganj  l)übfd&e  Mitgift  mit,  unb  nun 
finb  fte  fd)on  über  anbertrjalb  fjier.  ©S  f)at  aber  gar  nidjt  lange 
gebauert.  ©r  t)at  fdf)on  faft  2HIeS  burdfjgebrad&t,  unb  i$  fürd&te,  er  ma<$t 
feine  guten  ©efdjäfte.  Unb  babei  roill'S  mit  bem  $auen  aud)  nia)t  oor= 
roärts.  —  2ßenn  er  noa)  roenigftens  ju  feiner  grau  nett  roäre!  2iber  er 
benft  gar  nid)t  baran.  $er  reine  gleifdjer,  biefer  ©lement,  unb  brutal 
unb  grob  babei,  unb  alle  9Ibenbe  in  ber  ftneipe  .  .  .  2Öenn  fie  midj 
nidjt  l)ätte  unb  bei  mir  ifure  3lbenbe  jubringen  fönnte,  fte  ftürbe  cor 
Sangeroeile,  bie  arme  Seele!  9todj  ein  wahres  ©lütf,  bafc  er  xfyc  erlaubt, 
mia)  5U  befugen,  roenn  er  ju  Wittag  gefpeift  i)at.  Sie  bringt  fidj  bann  if>re 
Slrbeit  mit,  roir  fodjen  uns  Kaffee  unb  plaubern.  Sie  erjagt  mir,  roaS 
Tie  MeS  ju  leiben  tjat.  So  was  tf)ut  einem  immer  roo^l,  nid&t  roaf)r? 
©S  roäre  bodj  fein:  fjübfa)  uon  $\)nen,  $err  ©abriet,  wollten  Sie  mana> 
mal  ein  Stünbdjen  ju  uns  fommen.  Sie  tonnten  uns  immer  baSs^etit 
Journal  oorlefen.  2)aS  roirb  jefct  fet)r  intereffant  roerben  roegen  beS 
HriegeS.  3a)  weife  ja,  ber  fann  nid&t  lange  bauern,  roir  finb  in  oierje^n 
Xagen  mit  unferen  XurfoS  in  Berlin.  $)ie  sJ>reufjen  f)aben  boa)  feine 
SJUtratüeufen." 

Unb  fo  fdjwafcte  grau  £enrn  unauff)örli<f)  in  einem  2ltl)emjuge  weiter 
unb  entfernte  fict)  $u  ©abriels  großem  Seibroefen  oon  bem  einzigen  ©egen* 
ftanbe,  ber  ben  naioen  Jüngling  fo  fein1  intereffirte.  Äunfi  unb  Sogif 
roaren  il)r  unbefannte  begriffe,  unb  bie  ©injeln^etten  ir)reS  eigenen  letdjt= 
finnigen,  mit  9iid)tStr)un  sugebradjten  SebenS  ftanben  unvermittelt  neben 
ben  feltfamften  9lnfid)ten  über  Literatur,  Religion,  Ärieg  unb  ^olittf. 
3n  wenigen  2tugenblicfcn  erfuhr  ©abriel,  ba&  fie  in  ©lignancourt  geboren 
fei  unb  für  ben  Sdfiaufpieler  9Mingue  fdnoärme;  ihr  2Jtonn  Ijabe  fie 
wegen  einer  Herumtreiberin  r»erlaffen;  fie  »erriete  regelmäßig  Borgens 
unb  SlbenbS  if)r  ©ebet;  bie  Söäfa^e  fofte  fie  ein  fdjwereS  ©elb;  fie  fei 
ber  2tnnd)t,  bie  iJUjeinufer  müßten  von  granfreid)  anneftirt  werben;  ityre 
3)fabl^eiten  laffe  fie  fid)  tyier  unten  aus  ber  Speifewirt^fdjaft  jjolen;  fie 


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<£ine  tDätjrcnb  ber  Belagerung. 


255 


lefe  bie  2Berfe  §einridi  Bürgers  leibenfdjaftltdj  gern,  fei  eine  glütjenbe 
Verehrerin  ©aribalbiä  unb  habe  ber  ßinridhrung  £roppmann3  beigewohnt. 

Sie  fafc  auf  einem  gauteuü,  ©abriel  gegenüber.  3ftre  ©Öbogen 
ruhten  auf  ben  tfnieen,  mit  ben  ßänben  ftüfete  fte  if)r  Äinn,  unb  in  biefer 
Stellung  fprad)  fie  ju  ©abriet  unb  far)  tljn  babei  unoerroanbt  an  roie 
ein  3Hann. 

Seinen  ganjen  3D?uth  aufbietend  madjte  ©abriet  nodj)  einen  fäxoafyn 
Verfuch,  ba3  ©efpräd)  auf  ©ugenie  ju  bringen;  aber  grau  &enro  liefe  ihrer 
ßeiterfeit  fo  ungehütbert  bie  &ü$el  fdjiefjen,  fie  brach  in  ein  fo  lautes, 
fpöttifcheS  Saasen  aus  unb  machte  fo  boshafte  Semerfungen  über  feine 
Seharriichfeit,  immer  roieber  baSfelbe  $hema  anzuregen,  bafe  ©abriet 
fünfte,  wie  ihm  ba3  ftoth  in'3  ©efid)t  ftieg  unb  feine  Ofjren  brannten. 
$af)er  gab  er  felbft  bem  ©efpräd)  eine  anbere  2öenbung  unb  ftanb  einige 
Sftinuten  nachher  auf,  um  fich  ju  oerabfehieben. 

Gr  mußte  jebod)  twrher  oerfpreäpen,  bafc  er  am  nächften  2lbenb  feinen 
öefuch  roieber^oten  mürbe;  bagegen  oerfpradj  ihm  grau  $enrn,  als  er  fdjon 
an  ber  Xt)ürfä)roette  ftanb,  bafc  er  bann  auch  ©ugenie  antreffen  werbe.  Sie 
begleitete  biefe  Semerfung  mit  einem  fo  bejeidjnenben  Säbeln,  baß  er  beim 
2tbf<hiebnehmen  oor  lauter  Verlegenheit  faft  bie  finftere  treppe  hinunterge* 
fallen  märe. 

3lber  !aum  mar  er  auf  ber  Strafe,  fo  burdjbrang  bei  bem  ©ebanfen, 
bafj  er  (Sugenie  toieberfehen  foHe,  ein  unbefchretbltdjes  2Bonnegefüt)l  fein 
ganjeS  ^erj..  Gr  beglücfmünfchte  fidt)  ju  feinem  Sefud)  bei  grau  &enrt), 
als  t)ätte  er  eine  ftelbentbat  t>oflbrad)t.  2Rit  ho<h  erhobenem  Raupte,  mit 
fdmellem,  fto^em  Stritt  burchmafj  er  beim  9todjf)aufegef)eu  ben  fiu? emburger 
^arf,  über  unb  über  beftaubt  unb  in  Schweif?  gebabet  in  golge  ber  ©luth* 
hifce  ber  §unbätag$fonne. 

Unter  ben  fdpnen  Platanen  ber  gontaine  SHebiciS,  in  jener  2ÜIee, 
roo  Sonnen  unb  SRütter,  unter  Säumen  gelagert,  eifrig  ftriefen  unb  bie 
auf  bem  Sanbe  f)ingefauerten,  fptelenben  Äinber  bewachen,  traf  ©abriel 
feinen  greunb  Gajaban  in  büfterer  Stimmung,  ben  J&ut  tief  in  bie  Stirn 
gebrüdt. 

©abriel  mar  in  fo  froher  Stimmung,  bafc  er  bie  gan$e  SÖelt  hätte 
umarmen  tonnen.  @r  brütfte  bem  SJtanne  be£  SübenS  bie  £anb  unb  ers 
funbigte  itd)  mit  $ärtlid)em  ^ntereffe  nad)  ber  Urfache  feiner  £raurigfett. 

„Unb  Xu  fragft  nod)?"  fagte  Gasaban  'unwillig.  ,,$od)  'S  ift  ja 
wahr,  Xu  bift  fein  9tepubltfaner!  &aft  2)u  benn  nirfjt  bie  £epefd)e  ge= 
lefen  .  .  .  oon  bem  Qungen,  unb  baf;  er  bie  flugel  aufgehoben  t)at  .  .  . 
2öemt  nämlich  Sabinguet*)  fiegt,  $ummfopf,  fo  ift  feine  Snnaftte  bt- 
grfinbet,  unb  bann  fyaX  er  granfreidj  fo  gut  wie  in  ber  Tafdje." 

©abriel  lag  biefer  3beenfreis  fo  fem,  bafe  er  $unächft  gar  nid;t  baran 

*)  Spottname  9?apofeonS. 
•Reib  unb  €üb.  L.,  U9.  10 


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23^    ^ran^ois  doppec  in  Parts.   

baä)te,  wie  wenig  patriotifä)  bie  33efürä)tung  Gajaban^  war.  SRur  baran, 
bafj  Krieg  war,  erinnerte  üjn  bie  Steuerung  be«  Sfibfranjofen.  Dod)  war 
in  SBesiefning  herauf  grau  &enri)3  frolje  3uoerfid)t  audj  auf  Um  überge* 
gangen. 

„Um  fo  fölimmer  für  bie  9tepublif,"  fagte  er  Reiter.  „3a;  bin  fia;er, 
baft  wir  auf  ber  ganjen  ßinie  fiegen  werben." 

V. 

2lm  nädjften  £age  war  ©abriet  pünftlid)  an  Drt  unb  ©teile. 

®r  fanb  grau  föenrt)  bannt  befäjdftigt,  ßaffee  ju  fodjen,  unb  ber 
2Inbli<f  breier  Sßorjettantaffen,  bie  auf  einem  Keinen  ^räfenttrteffer  ftonben, 
oerfefcte  tfm  in  nidjt  gelinbe  Aufregung,  benn  fte  waren  ein  33ewete  bafür, 
bafe  (Sugenie  fommen  würbe. 

grau  $enr»  fajien  feljr  erregt,  unb  aU  ©abriet  fidj  l)öfli<$  na<$  ifjrem 
33efinben  erfunbigte,  antwortete  fie  ifmt: 

„3$  weife  wal)rf)aftig  ni$t,  wo  mir  ber  Hopf  ftel)t.  Der  ©ebanfe 
läjjt  mir  feine  3ftilje,  bajj  oteHeiä^t  gerabe  in  biefem  2lugenbli(fe  untere 
Solbaten  fid)  mit  biefen  abfd)eulid>en  5ßreufjen  fyerumfd&lagen.  2ld>,  e£ 
giebt  Momente,  in  benen  idj  es  als  ein  Unglücf  empfinbe,  fein  SRarat 
ju  fein!" 

Diefe  Sorte  flangen  ©abriel  wie  ein  Vorwurf.  Seit  geflern  lebte 
er  nur  in  ber  fieberhaften  Erwartung  be$  gegenwärtigen  2lugenbli(f3,  imb 
er  mußte  ftdj  fagen,  ba§  er  audj  feine  eecunbe  an  ba$  Sd&itffal  unfere* 
&eere$  gebaut  Ijatte.  Der  ©ebanfe,  bafj  ifpn  eine  grau,  olme  e$  ju  afyten, 
feine  $flid>t  bem  SBaterlanbe  gegenüber  fo  t>or  9lugen  führte,  fjatte  etwa« 
ungemein  23efdjämenbe8  für  ilm.  $alb  feitwärt«  an  bie  33rüftung  be* 
genfter«  gelernt,  blieb  er  eine  3eit  lang  in  Sttllfdjweigen  oerfunfen  unb 
berradjtete  bie  oon  ben  fd;rägen  ©trafen  ber  untergeljenben  Sonne  uer= 
golbete  Kuppel  ber  Sternwarte,  fowie  bie  ©ipfel  ber  Saume,  weld>e  über 
bie  r)o^e  üflauer  auf  ber  gegenüberliegenben  Seite  ber  Strafje  iunau«* 
ragten. 

9lber  plöfcliä)  öffnete  fid)  bie  XJür,  unb  (Sugenie  trat  in'3  Qbnmtx, 
genau  fo  gefleibet  wie  an  bem  2lbenb,  wo  er  fte  jum  erften  2Rat  gefefjen. 
311«  fie  ©abriel  erfaraite,  blieb  fie  ganj  beftürjt  fiefm. 

„Da  fmb  Sie  ja,  mein  &erj$en!"  rief  grau  föenrw  ber  jungen  grau 
SU,  fügte  fie  unb  mu>n  tl)r  &ut  unb  Sttantel  ab.  „Sie  fmb  bo$  Iwffentlid) 
mit  meiner  Ueberrafd&ung  aufrieben.  (Srfemten  Sie  ben  &errn  nid^t 
wieber?  @3  ifl  ja  unfer  fleiner  23efd)üfcer  von  neultdj.   3ft  er  nid)t  nett?" 

Dann  fagte  fie,  in  fdjerjtyafter  Seife  bie  «erbütblidjen  gormen  einer 
Dame  ber  oornefmten  SBelt  ftbertreibefib  unb  tyren  9J?unb  jum  anmutet* 
ooUflen  £äd)eln,  über  baS  fie  gebieten  fonrtte,  sufpifeenb: 

„grau  Clement  ....  &err  ©abriel  —  #err  ©abriel  ....  grau 
Clement";  unb  braä)  fdjlieglidj  in  laute«  &tdjen  au*. 


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—   €»ne  3&y11*  »atjrenb  ber  Belagerung. 


255 


©abriet  mad&te  eine  tinfifd&e  Serbeugung,  grau  Element  ftammette 
faum  oerneljmbar  einige  SBorte. 

$er  Jüngling  faf)  fic  an,  aber  er  erfannte  fie  nidf)t;  er  fyörte  fie 
fpredjen,  aber  er  oerftanb  fie  nidjt.  Sftn  quälte  ein  unerträglid&er  $)urft; 
er  roufjte  mdfjt,  roaS  er  mit  feinen  $rinben  anfangen  follte.  2Bte  burdfj 
einen  9?ebel  f)inbur<i)  faf)  er  bie  f leine,  jiertidjje  ©eftalt  oor  fidj)  ftefnt. 
3bre  9lugen  roaren  ju  Soben  gefenft.  3tyr  graues  SUeib  f>atte  einen 
allerliebften,  mit  9ftuffelm  befefoten  SftieberauSfdfjnitt.  3n  ben  Rauben  trug 
fie  ein  9lrbeitStäfd)d(jen  aus  fa^roarjem  Seber. 

Da  mad&te  ©abriet  eine  ungeheure  3Infrrengung,  fufjr  fid)  mit  ber 
£anb  über  bie  fdjroeifjbebedte  Stirn,  unb  fragte  fie,  nodf)  ganj  faffungSlos 
cor  Aufregung,  ob  fie  nid£)t  audf)  fänbe,  baß  es  fefjr  Ijeifj  fei? 

grau  ßenrnS  lautet  £ad&en  übte  auf  Seibe  eine  erlöfenbe  SBirfung. 

„9to,  fefct  eud&,  Äinberd&enS,  ber  Äaffee  wirb  fonft  falt.  Sie  mflffen 
fia)  metyr  3ucfer  bineintf>un,  #err  ©abriet  .  .  .  9ta,  mein  ©d&äfe#en, 
febon  roieber  mit  ber  ©ttderei  befd&äfttgt?  ©inb  ©ie  fleißig !  2Bo  mag 
id)  nur  mein  Stobeletui  ^ingeftedt  fjaben?  2la>  fo!  ba  f)ab'  id)'S  in  ber 
£afa>.  3<f)  bin  bodj  &u  oerge&lia)  .  .  .  $aS  f>at  mir  fajon  taufenberlei 
Unannef>mlid)feiten  bereitet.  3um  Seijptel  geftern  früt),  wo  tefc  midfj  mit 
bem  OmibmuS'Eontroleur  auf  bem  $lace  ©aint=3JH$el  Ijerumgejanft 
fabe,  weil  idfj  baa)te,  ia)  t)ätte  ilnn  mein  killet  fdfjon  gegeben." 

©ie  mar  roieber  einmal  im  3"9e  uno  fp^ang  in  tyrem  ©eplauber 
oon  einem  ©egenftanbe  jum  anbern  über,  ©ie  befd&rieb  bis  auf  bie 
fleinften  ©injeln^eiten  bie  2luSftattung  einer  Eoufine,  beren  Sater,  $ol$< 
bänbler  in  la  ©Capelle,  fid&  fein  Sein  nidjt  um  stoeimalfjunberttaufenb 
grancS  f)ätte  abnehmen  laffen;  ober  geriet^  ganj  aufeer  fid)  oor  3°™  bei 
ber  Erinnerung  an  bie  Begegnung,  bie  fie  neulidf)  auf  ber  treppe  gehabt, 
wo  ein  &auSberoof)ner  im  ^weiten  ©tod,  Unterarzt  in  ber  geburtsf)ilflid)en 
fliinif,  fic  im  ginftern  t>atte  füffen  wollen. 

©ie  fa§en  alle  brei  an  einem  runben  Sifdjje.  grau  £enrn  Ijatte 
tyren  Spiaj}  in  ber  5Witte  unb  fdjnitt  fiel),  olme  ir)re  Klauberei  ju  unter: 
bred&en,  nadf)  ben  3e^nun9cn  emer  fltten  Sflobejeitung  bie  oerfdnebenen 
Sfjette  eines  9tterinofleibeS  3uredf)t.  Eugente  fttdte  frampfljaft  weiter  unb 
oerroanbte  lein  2luge  oon  ifjrer  Arbeit,  ©abriet  roar  oor  lauter  ©d)üdf)tern= 
Ijeit  nod^  immer  nid)t  fo  recr)t  ju  fidfj  gekommen  unb  ftubirte  bie  Malereien 
auf  feiner  Äajfeetaffe.  SBenn  er  ja  bie  3lugen  auffdfjlug,  fo  roagte  er  es 
ma)t,  fie  auf  Eugeirie  ju  rieten,  fonbern  betradfjtete  baä  oon  ben  genftern 
eingeralmtte  33 lau  beS  ^immets>  an  bem  teilte,  gotbig  fd^tmmernbe 
Si>ölfc^en  ba^infd^roebten  als  tefcte  Erinnerung  an  bie  ju  Stufte  gegangene 
©onne. 

3l(S  Umi  grau  ^enn;  baS  $etit  Journal  reiajte  mit  ber  Sitte, 
etumS  oorjulefen,  glaubte  er  nid^t,  baß  er  jemals  barmt  ju  ©tank  foitnnen 
lörerte.  ©S  fd^ien  ü)m,  als  08  fia)  bie  3«kn  in  fa^langenartigen  sMnbungen 


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236 


  (Jran^ois  £opp£e  in  paris. 


üor  if)m  bewegten,  unb  alä  ob  bie  Sudjftaben  fortwät)renb  tf)re  garbe 
oeränberten.  ©leiddroo^l  braute  er  e£  fertig;  aber  bie  SBorte,  welche  er 
auäfprad),  Famen  if)m  nidjt  fo  red)t  flar  jum  ©emufetjein.  ®r  fyxttc  eine 
unbeutltdje  33orfteQung  bauon,  bafc  von  einem  franjöfifdjen  9Jcarfd)alI  bie 
sJiebc  mar,  ber  ein  Gommanbo  bei  ber  $Rt)ein?2lrmee  erhalten  t)atte.  3lu$ 
ber  Sebenäbefdjreibung  bicfeö  Cffoierä  würbe  eine  f)etbenmütt)ige  Sfjat 
berietet,  als  er  nod)  3Sla\ox  in  Slfrifa  war  unb  irgenb  einen  Sturm  mit 
beut  Spajierftocf  in  ber  #anb  unb  ber  Gigarre  im  9Jhmbe  mitmachte. 

Xie  9tod)t  bradj  attmä^iä)  fjerein,  unb  if)re  Statten  füllten  nad)  unb 
nad)  baS  3immer.   grau  &enrn  ftanb  auf,  um  bie  Sampe  an$u$ünben. 

(Srft  jefct  fafjen  ©abriet  unb  ©ugeute  einanber  an,  einem  inneren 
Crange  folgenb,  ber  mäd&tiger  mar,  als  it)r  Söitle. 

9lur  eine  Secunbe,  eine  einige  nur,  trafen  fid)  ifjre  SBIide;  bann 
fenfte  bie  junge  grau  fofort  mieber  i&r  &aupt  auf  itjre  ©tieferei,  obgleidt) 
faft  ni^tS  meljr  ju  feben  mar.  2lber  ©abrief  f)atte  tr)rc  Stugen  wieber* 
erfannt,  jene  großen,  im  föalbbunfel  Ieu<$tenben  2lugen.  ©anj  fo  Ratten 
fie  it)n  einft  auf  bem  Souleoarb  SJtogenta  beim  Sdjimmer  be3  ©a3lid)te£ 
angefdfaut,  unb  er  füfjlte,  wie  fein  Stut  madjtooU  bem  ^erjen  suftrömte. 

9todjbem  grau  &enrn  bie  Sampe  angejünbet,  fefcte  fic  fidj  wieber 
t)in  unb  pfauberte  mit  itjrer  greunbin.  Sie  fragte  fie  um  SRatf),  wie  fic 
tf)r  flleib  jufc&neiben  fofle;  unb  (Jugenie  gab  Antwort,  legte  tyre  3trbeit 
bei  Seite  unb  jeidjnete  mit  ü)rem  ginger,  auf  bem  ein  «einer  gingerfwt 
fafe,  Striae  auf  bem  Stoffe  beä  ÄleibeS.  $abei  fat)  fic  ©abriet  md>t 
ein  einziges  3Hal  an;  aber  man  füllte,  bafe  e$  it)r  Ueberwinbung  foftete, 
fo  bebarrlidj  feinem  Slicf  auszuweisen.  Qx  bagegen  würbe  breifter.  3a, 
einmal  trieb  er  bie  Äüt)nt)eit  foweit,  ba$  2Bort  an  fie  ju  ridjten.  Sie 
beantwortete  feine  33emerfung  nur  mit  wenigen  Korten;  babet  blieb  jebod> 
i^re  Stimme,  bie  füt)l  unb  abweifenb  flingen  foHte,  fanft  unb  mitb. 
Sann  unb  wann  fat)  grau  &enrt)  baä  ^ärdjen  mit  einem  langen,  tnel* 
fagenben  33licfe  an,  unb  ein  feltfames  Sadtjeln  umfpielte  if)re  Sippen. 

ßnblid)  oerfünbeten  bie  oier  ober  fünf  ftirdjtfjürme  beg  SBiertelS  bie 
$elmte  Stunbe.  ©3  war  eine  fternenljeUe,  warme  Stacht,  ßein  2Binbi)aud> 
war  bemerfbar.  ©in  grofcer  5?ad)tfd3metterling  war  au£  ben  ©ärten  ber 
Sternwarte  $um  genfter  hereingeflogen  unb  flatterte  in  bem  Sidjtrrafe 
über  ber  Sampe  an  ber  £>ecfe  unü)er. 

©ugenie  legte  i^re  Stieferei  in  ba$  leberne  £äfdjdjen  unb  ftanb  auf, 
um  nad)  .§aufe  ju  geljn;  aber  grau  $enrn  fagte  $u  il;r  mit  halblauter 
Stimme,  als  fie  it)r  bie  3)lantiüe  ansehen  t)aff: 

„2i>a3  meinen  Sie,  ©ugenie?  GS  ift  fo  einfam  auf  ben  äufjereu 
Öouleoarbä  .  .  .  Senn  Sie'«  wünföen,  fann  £err  ©abriel  Sie  begleiten." 

„C  nein,  grau  ^enru,  ba3  ift  uumögtid).  2Bal  würbe  mein  9Rann 
fagen,  wenn  er  mify  träfe?" 

,,^er?    Sie  wiffen  boef}  gan^  genau,  ba§  er  nie  vor  jwölf  Ul)r  au5 


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  <Eine  3dylle  »äljrenb  ber  öclagernng.   23? 

ber  Änetpe  fommt  ...  Sin  3förer  Stelle  würbe  idj  mid)  füllten,  fo  allein 
$u  gef)en  .  .  .  $ie  3eüungen  bringen  alle  Xage  (ange  ^orbgefdfndjten!" 

„Saffen  Sie  midj,  befte  JJreunbin  .  .  .  e3  gef)t  nidj)t." 

Unb  grau  Clement  gab  ifjrer  greunbin  einen  Slbfd&tebäfuB,  ntdte 
Gabriel  ju  unb  war  uerfd&wunben. 

©leitd  nad)f)er  empfafjl  fid)  audj  ©abriel  bei  grau  fö^rn,  bie,  oor 
bem  Äamin  ttefyenb,  eine  9)lelobte  trällerte  unb  fidt)  behüte,  rote  3emanb, 
ber  fo  ret^t  fcf>läfrig  ift.  hierauf  begab  er  ftd)  über  ben  einfamen,  von 
ben  Straelen  be3  SJtonbeS  taghell  erleuchteten  Souleoarb  Sainbattidjel  auf 
ben  $etmweg  ju  fetner  Butter. 

25a  über!am  ifm  plöfclid)  eine  tiefe  9Ziebergefd)lagenf)eit.  ©r  war 
mit  ftdj  unjufrieben.  ©r  fanb  ©ugenienS  33enef)men  falt  unb  äurücfmeifenb, 
unb  ftd)  madjjte  er  Vorwürfe,  bafc  er  fid)  bunmt  benommen:  er  f)ätte  am 
Uebften  meinen  mögen. 

3n  ber  9lär)c  be£  Glun«  *  SRufeum*  faf)  er  bid&te  2Henfd)enfa)aaren, 
bereu  2(uäfef)en  ifmt  unf)etloerfünbenb  erfdjjien.  Bürger,  etubenten  unb 
Seute  aus  bem  SSolf  fprad>en  (eife  mit  einanber.  Siefe  Trauer  lag  in 
ifjren  Lienen.   9)te#anif<f>  blieb  er  ftet)n,  um  tfjnen  5Uju()ören. 

Sßeifcenburg!  ©eneral  Xouat)  überfallen  unb  getöbtet!  2>te  Xuxto* 
itacfc  2ßunbern  ber  Sapferfeit  aufgerieben!  $er  getnb  im  Sanbe!  %a* 
erfuhr  ©abriel  in  wenigen,  mit  oerbiffenem  ©rintm  Eingeworfenen  Säfccn. 

©r  war  fein  ©goift;  er  liebte  fein  3>aterlanb  nid)t  weniger,  alä  irgenb 
ein  2foberer,  unb  biefe  fa)redlid>e  9todj)rid)t  fjatte  jundajft  bie  2Btrfung, 
fein  Stebe^felmen  surücfjubrängen.  2lber  als  er  wieber  ju  £au$  war, 
ba$  £icf)t  auSgeblafen  fyatte  unb  in  feinem  f  leinen  33ette  lag,  in  jenem 
2(ugenblicfe,  wo  alle  anberen  fparifer  an  bie  SRiebermefoelung  einer  ganzen 
2>tDtjion,  an  baä  baljinftromenbe  33lut  fo  oieler  granjofen  badeten,  flaute 
©abriel,  beffen  ©eift  fta)  oon  bem  Silbe  ber  f)eifjbegef)rten  grau  nidjt 
lo$mad>en  fonnte,  nur  bie  fwlbe  ©eftalt  ©ugenienä,  wie  fie  in  bem  3tmmer 
beä  gaubourg  Saint  ^QacqueS  ifyrer  Sttderet  oblag,  unb  2ljränen  finblidjer  . 
Sfäfirung  traten  in  feine  2lugen,  wenn  er  fid)  nod)  einmal  oergegeiu 
wärtigte,  wie  fie  fi<$  in  ifjr  gtngerdfjen  ftad),  e$  befyutfam  jwifdjen  itjre 
^erlen$älme  preßte,  unb  auf  itjrem  weißen  ©runbe  ein  einziger,  ganj 
fleiner  Xropfen  33lut  jum  &orfd)etn  fam! 

VI. 

Unb  nun  nahmen  jene  langen,  fdj)iner$en3retd)en  2lugufttage  tyren  2lu- 
fang,  wo  bie  Sonne,  wie  jum  &of)n  in  beftänbiger  $ßrad)t  erglänjenb,  ifyre 
glüfjenb  Reißen  <2ftraf)len  auf  bie  geängftete,  entfette  Stabt  {jerabfanbte. 

3unäd)ft  würbe  ^iartä  mit  einer  Unjafjl  un^eilooHer  9todjrta)ten  über; 
fajwemmt.  $te  SRteberlage  bei  ^eid^d^ofen*)  würbe  befannt,  jenes  enlfefclidje 

*)  So  benennen  franjöfif^e  a)iilttärf(öriftfteUer  bie  2Mt  bei  ©ort^.  %mn.  b.  llel^rf. 


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258    ^ran^eis  £opp£e  in  paris.   

Unglücf,  baS  ber  Patriotismus  beS  Spießbürgers  burdj  bie  £egenbe  oon 
bem  tobeSmuthigen  9litt  ber  ftol$en  ©arbe*flüraffiere  ju  befdjönigen  fudjte. 
Tann  famen  in  fdmeller  Aufeinanberfolge,  Sd&recfen  oerbreitenb,  unKare 
Telegramme:  ßeine  Nachricht  oon  Jroffarb.  3llle$  fann  noch 
gut  werben,  ^aris  ift  fchleunigft  in  2$ertheibigungS$uftanb  ju 
fefeen.  Unb  gorbach?  Aßgemeiner  9iücf$ug  *>er  Unfrigen!  Strafeburg  be= 
lagert!  3Kefe  eingefchloffen !  Schon  werben  bie  Sanken  ber  erften  Ulanen 
fid)tbar,  an  aüen  fünften  ring«  im  Äreifc  tauten  Tie  auf,  in  immer  größerer 
9fäf)e.  Tie  Kammern  erftären  ftd)  in  permanens,  baS  vMnifterium  fällt 
ber  allgemeinen  2i>uth  $um  Opfer,  bie  Sinfe  tjcbt  brohenb  unb  gebietertfdj 
il)re  Stimme,  9Jothgefefee  werben  gefd&affen,  3Waueranfd)läge  uerfünben  ben 
BelagerungSsuftanb.  Tann  plöfcliche  Stille,  baS  Ausbleiben  jeber  Nachricht, 
beängftigenber  als  bie  fdjlimmften  Nachrichten.  Tie  $äuSlichfeit  wirb  auf 
bie  Straße  uerlegt;  bort  werben  bie  3«hmgen  porgelefen,  lauge  hieben 
gehalten,  Tebatten  aller  Art  geführt.  Tie  große  SDlaffe,  oon  £eid)tgläubigfeit 
unb  Hoffnung  betf)ört,  nimmt  alle  ÜKärä)en  oon  Siegen  vor  2Wefe  unb  in 
ben  Steinbrüchen  oon  .^aumont  für  baare  SJiünje.  ^Saris  erhält  jeben 
Tag  ein  anbereS  2luSfehen.  9iod)  geftern  fah  man  überall  bie  lächerlichen 
Uniformen  ber  Feuerwehrleute  aus  ber  ^roomj.  Tie  Regierung,  welche 
ooüftanbig  ben  flopf  oerloren  hat,  ^at  fie  herbeigerufen,  um  einen  möglicher: 
weife  auSbredjenben  Slufftanb  $u  unterbrücfen.  .freute  finb  bie  Straßen 
gebrängt  ooll  oon  fd&mufcbebecften,  unooUftänbig  auSgerüfteten  früheren 
Solbaten  unb  ^eferoiften  in  meift  betrunfenem  3uftanbe.  borgen  be= 
gleiten  lieber  unb  rafenbe  $urraf)S  bie  Abfahrt  ber  noch  unbewaffneten 
SDtobilgarben.  &eute  ()at  ^aris,  burä)  eine  fcüfdje  SiegeSnachricht  betrogen, 
einen  Tag  lang  geflaggt;  morgen  ftrömt  es  in  bellen  Sd)aaren  ju  ben 
geftungSwerfen.  £HS  baljin  waren  fie  nur  3^u9cn  DC*  Schäferftunben  beS 
tKefruten  unb  feiner  Siebften,  ober  bienten  ben  2>orftabtSbewofmern  als 
Tummelplafc  ihrer  SonntagSoergnügungen.  £eute  finb  fie  burch  bie  SchaufeC 
ber  (Srbarbeiter  aufgewühlt,  mit  ^ferben  unb  Arbeitern  bebedft.  Ringsum 
*  hört  man  bie  oon  ben  Abtheilungsführern  gegebenen  befehle,  ^ie  unb  ba 
funfeit  im  ®rafe  ber  Söfchungen  bie  SBrouje  ber  großen  33elagerungSge= 
fchüfce.  SBom  ßriegsfieber  erfaßt,  lernen  bie  Bürger  in  ben  tfafernenböfen 
erercieren;  fie  finb  rottenweife  aufgeteilt  unb  ihre  ©ewehrfolben  erbröhnen 
auf  bem  pflafter.  2luS  ben  Thüren  ber  3Wairien,  an  benen  bie  bid)tgefchaarte 
^enge  bie  noch  feuchten  2lnfcf)lag$ettel  lieft,  treten  Bürger  heraus.  3eber 
trägt  ein  @ewehr  auf  ber  Schulter,  aber  er  hält  baS  Bajonett  oerfebrt.  Schon 
treibt  bie  gurdjt  oor  ber  ^noafion  bie  Bewohner  ber  Umgegenb  frrom« 
weis  3U  ben  jyaubourgS  herein.  3hr  armfeligeS  2)iobiliar  befinbet  fid) 
auf  einem  &anbwagen,  ber  2Rami  hat  fid)  oorn  eingefpannt,  bie  grau 
ftößt  oon  Ijiuten,  bie  Äinber  finb  mit  karteten  belaben.  Unb  als  lefcteS 
Srmiptom  ber  nahenoen  Belagerung  fielet  man  sahireiche  beerben  magerer 
abgehefeter  Cdjfen  unb  ftaubbebecfter  Schafe  in  Umzäunungen  eingepfercht, 


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— -   (Eine  3by1^  roäljrcnb  ber  Belagerung.    259 

bie  in  aller  (Site  inmitten  ber  öffentlichen  ©ärten  unb  auf  ben  oorftäbtifdjen 
Bouleoarbs  angelegt  worben  finb. 

2lber  berjenige  ^arifer,  ber  fid)  am  wenigften  um  biefe  rafenbe  2Iuf* 
regung,  biefe  förnerpoHen  Befürchtungen,  biefe  tf)öridjten  Hoffnungen  be* 
fümmerte,  mar  ganj  beftimmt  unfer  ©abriel. 

@r  hatte  grau  &enrt)  wieber  befugt,  (Sugenie  wiebergefehen.  SlnfangS 
roar  er  alle  brei  ober  oier  £age  Eingegangen,  bann  öfter,  bann  alle  2lbenbe, 
unb  je&t  lebte  er  nur  noch  für  bie  jwei  Stunben,  bie  er  in  jenem  3tmmer 
beS  gaubourg,  an  ber  «Seite  ber  beiben  bei  Sampenfchein  arbeitenben 
grauen  jubrachte,  mährenb  ju  ben  offenen  genftern  ber  würjtge  £>uft  beS 
Raubes  ^ereinftrömte,  unb  am  Gimmel  bie  Sterne  ber  fdfoönen  Sommer* 
näd)te  funfeiten. 

3n  ber  erften  Seit  fdjien  es,  als  fei  bie  ©egenwart  beS  jungen 
9)2anneS  ©ugenien  unbequem,  benn  fie  hatte  fid)  it»m  gegenüber  ftets  äußerft 
füjjt  unb  jurücfhaltenb  gezeigt;  aber  ba  fie  urie  er  naio  unb  fchüdjtern  war, 
hatte  fie  fein  ftttleS,  fanfteS  SBefen  julefct  gerührt,  unb  einige  alltägliche 
Lebensarten,  bie  er  mit  einer  oor  tiefer  Aufregung  jitternben  Stimme  oor= 
zubringen  gewagt  hatte,  waren  oon  ihr  mit  größerem  3utrauen  beantwortet 
roorben.  Bisweilen  ruf)te  tr)r  33licf  ooUer  Sympathie  auf  bem  ©efidjte 
©abrielS.  (SineS  2tbenbs  richtete  fie  fogar  suerft  baS  2Bort  an  ihn,  unb 
unwillkürlich  glitt  ein  trauriges  Sädjeln  über  ihre  Sippen,  als  fie  bie  un* 
auSfprechliche  greube  bemerfte,  welche  in  biefem  3lugenblicfe  in  feinen 
klugen  aufleuchtete. 

(Gabriel  mar  augenfeheinlich  grau  §enrnS  Schübling,  3)iefe  grau 
ohne  ©rjiefmng  unb  oon  vielleicht  nicht  ganj  vorwurfsfreien  Sitten  fotmte 
in  SiebeSangelegenheiten  unmöglich  ein  aHju  ftrengcS  SRidjteramt  üben. 
Sie  hätte  vielleicht  ihrer  greunbin  gerabe  feinen  fd)led)ten  9iatl;  gegeben; 
aber  es  machte  ihr  Vergnügen,  ju  fehen,  wie  bie  Siebe  im  fersen  beS 
jungen  Cannes  feimte  unb  wuchs,  unb  in  ihrer  unbewußten  Unmoralitat 
hegte  fie  faft  ben  ftiUen  SBunfch,  baß  biefe  Siebe  geseilt  würbe. 

©abriel  liebte  mit  jener  leibenfehaftlichen  ©luth,  welche  bie  erfte  Siebe 
fennjeichnet,  unb  bie,  ach  leiber!  nur  einmal  im  Seben  unfer  £er$  entjünbet. 
2£aS  ihm  grau  &enr«  oon  ihrer  greunbin  erjagt,  was  ihm  (Sugenie  oon 
ihrem  SBefen  unb  ihrem  Seben  in  ihren  2lbenbunterhaltungen  offenbart  hatte, 
bies  SlUeS  hatte  in  feiner  SBruft  ein  glühenbeS  geuer  ber  3ärtlidrfeit  unb 
bes  3RitleibS  entflammt.  ©r  ahnte  jefct,  welch  trauriges,  qualvolles  £afein 
bie  fleine  grau  in  ber  ©he  führte.  Einfachen  ^e^enS,  oon  jarter,  liebe* 
voller  ÜRaturanlage,  war  fie  mit  einem  Arbeiter  oerbunben  worben,  ber  fid) 
jwar  über  feinen  Stanb  erhoben,  aber,  oon  &aufe  aus  roh  unb  heftig,  jefct 
noch  burä)  bie  fchled)ten  3eitverhältmffc  »erbittert  war.  Unfer  &elb  fühlte 
wie  elenb  unb  oerlaffen  fie  fid)  in  ber  unermeßlich  großen  Stabt,  in  ber 
fie  Sfäemanb  fannte,  oorfommen  mußte.  Sein  geiftigeS  2tuge  folgte  ihr 
in  ihre  &äuStichfeit;  er  fal;,  wie  fie  einfam  unb  allein,  ohne  Sienftmäbdjen 


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240 


^rati^ois  Ctoppec  in  pari«.   


3ltle3  beforgte  unb  ihrem  Manne  ba3  ©ffen  fod^te.  3m  9lrbeitSrocf  fam 
er  aus  bcr  ©erfftatt  herüber,  blieb  oft  noch  an  ber  £hürfchtoelle  ftehen, 
um  irgenb  einem  [einer  Seute  einen  SBerroeiä  ju  erteilen,  unb  oerjehrte 
bann  in  aller  (Sile  [ein  Mittagbrot.  Seine  ganje  Unterhaltung  beftanb  in 
einigen  furjen,  mit  rauher  Stimme  an  feine  grau  geästeten  Korten, 
wobei  feine  umbüfterte  Stirn  nicht  einen  21ugenblicf  Reiter  würbe,  benn  er 
^atte  beftänbig  2lngft  um  einen  falligen  SBechfel.  ©abriet  fannte  bie  un; 
enblidj  langen  2lbenbe,  welche  ©ugenie  oor  ihrer  33efanntfchaft  mit  grau 
&enri)  in  bem  bürftig  auägeftatteten  &och$eit£$immer  jugebraa^t,  beim  Sicht 
einer  ßerje  nähenb  unb  bie  Mitternachtöftunbe  erwartenb,  wo  Un*  Mann 
enblid)  aus  bem  2Birth$hau$  tarn.  Seine  Sloufe  trug  bann  gewöhnlich 
weifee  Slretbeflecfe  oom  33iHarbfpiel,  fein  Slthem  roch  nach  ©lühroein,  unb 
oor  bem  Schlafengehn  flopfte  er  bie  21fdje  feiner  legten  pfeife  auf  bem 
Marmor  bc£  5iamm3  aus.  $m  Sauf  ber  mit  (Sugenie  gepflogenen  Unters 
Haltungen  hatte  ©abriet  oft  nur  burch  einen  Seufser,  burch  einen  $um 
Gimmel  empor  gerichteten  33li<f,  burch  ein  fchmer^lich  ironifdjeä  Säbeln 
erfahren,  roeldje  Seiben  fie  erbulbet,  welch'  bittere  Xljränen  fte  im  ©eheimen 
fdjon  uergoffen.  2£eld)  Marter  für  ben  armen  Verliebten,  ber  fia)  noch 
baju  fagen  mufete,  ba§  es  barauS  feine  Rettung  gab,  ba§  fte  oerheiratbet 
unb  mithin  alles  Mitleib  oergeblich,  aller  3°™  ohnmächtig  war. 

©inen  £roft  ieboch  hatte  er:  er  bemerfte,  ba&  jene  Stunben  harmlofer 
Klauberei,  bie  fie  alle  brei  bei  grau  &enru  oereinten,  einen  gewtffen  Räuber 
auf  ßugenie  ausübten.  (Sr  hatte  in  feiner  £er$en§etnfalt  feine  2lbnung 
unb  ©ugenie  hatte  ftü>rlidj  felbft  feine  fo  redete  Vorftettung  baoon,  welch 
tief  innerem  ©lücf  fie  bei  bem  ©ebanfen  empfanb,  oon  biefem  Sfowtoia. 
geliebt  unb  beiounbert  ju  werben.  Sein  fanfteS,  ftiUeä  2ßefen,  feine  3urücf * 
haltung,  feine  $u  ßerjen  gehenbe  Stimme,  feine  fchöne  weifte  £anb,  bie 
jum  Streicheln  unb  Sicbfofen  wie  gefchaffen  faxten,  fein  träumerifche*,  ans= 
brucfäoolleä  fchwarjeS  31uge  hatten  ihr'S  angetan,  3n  feiner  Unf(hulb  fah 
er  ni(ht,  welche  gortfdjritte  bie  Siebe  fchon  in  bem  ^en  ber  jungen 
grau  gemacht  hatte;  aber  fooiel  mar  ihm  flar  geworben,  bafe  Tie  bei 
ihren  traulichen  ^ufammenfünften  auf  bem  3immer  beS  gaubourg 
Saint*3acque$  gar  fchnett  ihr.  fdnoermfithigeS,  trauriges  Sefen  ablegte, 
ja,  bafe  fie  fogar  manchmal  ganj  fröhlich  unb  oergnügt  lachte,  wa$  ihn 
ungemein  beglüefte. 

3eben  Slbenb  las  er  ben  beiben  greunbinnen  baS  $etit  Journal 
oor.  (S§  mar  bieä  allen  dreien  fchon  jur  lieben  ©ewohnbeit  geworben,  unD 
für  grau  &enrp,  bie  nach  ben  erften  ftieberlagen  aufgehört  hatte,  Öona* 
parttftin  ju  fein,  eine  ©elegenheit,  bie  Siepublif  *u  prebigen,  unb  ba$ 
Maffenaufgebot  unb  ben  Sieg  bei  ben  Älängen  ber  Marfeillaife  $u  forbern. 
©abriet  freute  fid)f  wenn  fich  bie  fchöne  brünette  biefen  patriotischen 
#er$en$crgü))en  hingab;  nicht  ate  ob  er  ihnen  fonoerlid)e  3lufmerffamfeit 
gefchenft  hätte,  fonbern  weil  er  bann  feine  Seftüre  unterbrechen  unb  fich 


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  €tne  3&VlIe  H>äljren&  ber  Belagerung.   

fo  re$t  in  ben  2lnbli<f  (htgemenS  oertiefen  tonnte.  SiSroetlen  braute  er 
aud),  um  bie  Sifeung  ju  uerlängern,  ein  üBudj  mit  unb  roürjte  bie  tägliche 
3ettungdfofi  burd)  ben  Vortrag  einiger  SBerfe  ober  eine«  feffelnben  SKomanS. 
So  madjte  er  bie  beiben  grauen  mit  ben  unfterblidjen  ©rjählungen  be* 
i>lbb£  $reooft  unb  einigen  ber  letbenfäaftUdjften  Eichungen  SHfreb  be 
Sttuffetä  befannt;  unb  roieber  einmal  bienten  bie  frönen  93üd>er,  bie  von 
£iebe  fpredjen,  jroei  fdjücfjternen  Siebenben  aß  Vermittler. 

VII. 

3In  einem  ber  lefcten  Sluguftabenbe  hatte  bie  £eftüre  länger  ate  ge* 
wöfmlich  gebauert,  unb  auf  grau  £enrn$  einbringlidje*  Sitten  gab  ©ugenie 
fd&liefelich  ihre  (Sinroißigung  baju,  bafj  ©abriel  fie  nad>  &aufe  begleitete. 
3hr  Wann  mar  nidjt  in  s$ari3,  er  hatte  ftd)  in  gefdhäftlidjen  Angelegenheiten 
auf  furje  3eit  naa)  Ghartres  begeben,  unb  bie  ©efaljr  einer  Begegnung 
war  ba^er  au3geid)lof[en. 

3um  erstenmal  in  feinem  fieben  füllte  ©abriel,  roie  ber  3lrm  ber 
jungen  grau  ftd)  oertrauenSoou"  in  ben  feinen  legte,  roäfjrenb  fie  ©eibe  lang: 
famen  v2d)ritt^  unb  fchroeigenb  ben  einfamen  gaubourg  entlang  gingen,  tuo 
i^re  Schritte  in  ber  ftillen  Sommernadjt  auf  bem  über  bie  Jtatafomben 
fü^renben  ÜBege  einen  bumpfen  SSieberhaÖ  fanben. 

So  gelangten  fie,  olme  ein  äöort  miteinanber  geroedjfelt  ju  haben,  auf 
ben  breiten,  fd)önen  ©ouleoarb  be  la  ©lacu're,  beffen  t)or)e,  heut  oer= 
fd^rounbene  23äume  ir)re  bunflen  SStpfel  jur  sJ>rad)t  be£  Sternenhimmel 
emporftreeften.  $n  ber  Witte  ber  Ülllee  bemerfte  man  eine  fid)  roeit  fun* 
3ie^enbe,  aus  fd)Ied)ten  ^Brettern  jufammengefügte  Verjäunung,  über  roeldje 
bie  fdjroarjfarbenen  Börner  ber  rjier  roegen  ber  brobenben  Belagerung  $u= 
fammengepferd)ten  Jiinber  hinausragten. 

2ll£  fie  fidj  im  ©chatten  beS  ©ouleuarb  befanben,  mäßigte  ©ugeute 
plöfclicf)  ihren  Stritt  unb  fprad)  mit  bebenber  Stimme: 

„&err  ©abriet,  id)  mufj  3hnen  etroaS  fagen,  ba§  Sie  mir  fjoffentlidj 
nid^t  übel  nehmen  werben.  Qdj  felje,  bafj  Sie  mir  feit  einiger  Seit  51t 
arofje  3lufmerffamfeit  roibmen,  unb  baS  macht  mir  oiele  Sorge.  9tur  um 
midj  mit  ffinen  barüber  in  aller  Cffertbeit  auSjufpredien,  habe  id)  3hre 
Begleitung  angenommen.  3$  roill  nidjt,  bafe  Sie  fidr)  um  meinethalben 
Hummer  machen.  SBiffen  Sie,  roaä  Sie  tl)un  müfcten,  wenn  Sie  oerftänbig 
mären  '$  grau  &enn)  ntd)t  mehr  befugen.  2i>ohin  follte  es  uns  führen,  wenn 
mir  einanber  gut  mürben  ?  Sie  mürben  barunter  leiben,  unb  aua)  idj  bin 
fo  fd)on  unglütfltdj  genug.  $abei  tft'e  gar  nid)t  red)t  oon  mir,  bafj  id) 
flage  .  .  .  benn  ba$  2eben  ift  nun  einmal  fo." 

Sie  mar  ftebeu  geblieben,  fie  fprad)  fd)nell,  in  größter  Auflegung, 
unb  hatte  ntd)t  bemerft,  ba&  ihre  ^änbe  fd)on  in  beuen  bes  jungen  Cannes 
ruhten.  3lber  plöftlia)  hörte  fie  ein  Säjluchjen,  unb  fie  fühlte,  wie  ein 
alühenbheiBer  Xropfen  auf  ihre  &anb  fiel.    Gabriel  meinte. 


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242    ^raucots  <£opp*c  tu  paris.   

2öa£  f prägen  fie  bo  miteinanber  ?  9ldj,  tfrc  wifjt  es,  bic  ihr  etnfi  im 
2)unflen  am  SBufen  eines  SBeibeS  geweint,  bie  if>r  einft  baS  Sßort  „auf  ewig" 
mit  tteffter  lleberjeugung  auSgefprodjen,  bie  ihr  bett  tootmigen  Sd)mer$  ber 
Siebe  fettnt!  3h*  allein  wißt  e$,  bie  ihr  burd)  einen  oorwurfSootfen  23lict 
teurer  Sfagen  benimmt,  bie  heiligften  Schwüre,  fefi  unb  tugenbljaft  §u  bleiben, 
oerrathen  habt !  9toioe,  erhabene  föerjen,  bie  ihr,  in  einer  einzigen  Stunbe 
eurer  $ugenb  baS  ganje  $beal  eures  Sebent  oerwirf H<3t)t  ju  fehen  geglaubt ; 
bie  |if)r  mit  jenem  göttlichen  Xraum  baS  ©lücf  eures  $)afeins  begraben, 
beren  9Iug'  .fett  jener  Stunbe  erlofajen,  beren  Stirn  feit  jenem  Moment 
gebleicht  ift  —  ihr  allein  werbet  9)iitleib  haben  mit  ben  beiben  armen  2Befen, 
benen  baS  ©efc^icf  fo  wenig  2roft  unb  greube  gegeben,  unb  bie,  verloren 
in  ber  ©infamfeit  jener  Ijeifjen,  r»on  2Sof)lgerücf)en  burdjwürjten  (Sommers 
nad)t,  bei  bem  milben  Sidjt  ber  Sterne  bie  ^flidjten  ber  ©efellfchaft  ner= 
gafeen  unb  ganj  in  ber  UnenbUdtfeit  ber  Siebe  aufgingen. 

Sie  Ratten  fid>  auf  -eine  33anf  gefefct,  ©abriet  weinte  bitterlid). 
Gugenie  fuäjte  ihn  5U  beruhigen,  ju  tröften;  fie  troc!nete  feine  S^ranen  mit 
ihrem  £afd)entud)e  unb  flehte  ihn  an,  ihr  ein  Säd>eln  ju  fd^enfen. 

£ann  ftanben  fie  auf,  liefen  &anb  in  £anb,  bt<f|t  an  einanber  ge* 
prefet,  unter  ben  ^Baumen  umher  unb  plauberten  mit  leifer  Stimme.  Sie 
erzählte  ihm  ihre  ganjc  SebenSgefdhichte :  wie  fie  als  flinb  bei  ihren  (Altern 
auf  bem  Sanbe  gelebt,  wie  man  fie  ju  jung  oerhetrathet,  unb  wie  fie  fid) 
oor  ber  rauhen  Stimme  unb  bem  ftruppigen  &arte  ihres  Cannes  ge* 
fürchtet  habe,  ^aris  fei  ihr  oerhafjt,  es  fei  ju  grofe.  Unb  auch  manchen 
(inblichen  3ug  uerflocbt  fie  in  ihre  9iebe,  unb  berichtete  ihm,  bafe  ber 
grofee  sil>achh«nb  ju  §aufe  fie  nie  erfenne,  unb  bafe  er,  wenn  fie  in  ber 
9Jacht  heimfehre,  an  ber  Mette  reifeenb  ihr  nachbelle. 

©abriet  hörte  ihr  511  wie  im  £raum;  er  blitfte  fie  an,  baS  2luge 
umflort  »on  Kranen.  2)ann  überfdjüttete  er  fie  plöfclich  mit  fragen;  er 
wollte  ihr  ganjeS  Sdjitffat  erfahren,  bie  unbebeutenbften  (£in3elhetten  ihres 
SebenS,  bie  geheimften  ©ebanfen  ihrer  Seele. 

deiner  fpradj  jum  anbern  von  Siebe;  fie  beburften  beffen  nid)t. 
(higeniens  gefaltete  &änbe  hielten  ©abrieU  9lrm  feft  umföloffen,  unb  fo 
fatjen  fie  einanber  in  bie  3(ugen. 

Sie  blieben  in  bem  Steile  bes  Söouteuarbs,  weldjer  über  bie  33uore 
führt,  am  9tanbc  ber  fteinernen  33ruftwcf)r  ftehen  unb  flauten  einen 
3lugenblicf  Inn  auf  bie  in  ber  finfteren  9fadjt  nur  nocfy  fd)wer  erfennbare, 
büftere  Sanbfchaft,  auf  baS  bunfle,  fdmiale  SBett  bes  gluffeS,  bie  unbe- 
weglichen, hodjragenben,  ben  gernblid  bejdjränfenben  Rappeln  unb  bie 
freien  s}?läfee,  wo  an  Sdmuren  2^äfct)e  jum  Xrocfnen  aufgehängt  war. 

Sangfam  ertönten  @lodenfd)läge  in  ber  gerne,  es  war  Mitternacht. 

,/M),  ift  baö  fpät  geworben!"  rief  Gugenie  erfchroden;  „ich  follte 
fdjon  läiiöft  $u  £au*  fein.    Sdmelt,  fchneli!" 


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  €ine  3&ylle  »ä^rcnb  i>cr  Belagerung.  - — 


2^3 


Sie  beeilten  ihre  Stritte  unb  befanben  ftd)  in  wenigen  Minuten  auf 
bem  Souleoarb  b'^talie,  vor  ber  2£ofmung  ©ugenien«. 

Seim  Schein  einer  ©a«laterne  bemerfte  ©abriet  inmitten  einer  halb 
jerfaffenen  2Wauer  eine  große,  roh  gearbeitete  höljerne  Xfyüx.  Ueber  ber= 
felben  mar  ein  roeij?  geftrichene«  33rett  angebracht,  auf  welchem  fid)  in 
ft^roarjen  Settern  folgeube  S5>orte  befanben,  bie  ber  Siebenbe  nur  mit  ge= 
pre§tem  &erjen  $u  Iefen  oermod)te:  „(Element,  3immermeifter."  fie 
bamt  ganj  nahe  an  biefer  £f)ür  fianben,  unterfchieb  ©abriet  unbeutltch 
burd)  bie  au«einanberftef)enben  Fretter,  au«  benen  fte  gejimmert  war,  einen 
jiemltcb  grofjen  33auf)of,  in  meinem  eine  Unjatjl  Satten  unb  Sohlen  auf= 
aefdjichtet  lag,  unb  wo  ein  wfitbenbe«  &unbegebell  erfd)ou\  9lm  äufjerften 
©nbe  be«  &ofe«  fah  man  ba«  niebrige,  flache  £ad)  ber  Serfftätte,  unb 
jur  Sinfen  enbtid)  ba«  fleine,  im  regelmäßigen  Stered  erbaute  SBolwhauS, 
ba«  nur  einen  Stod  hoch  mar.  @«  war  nod)  gan3  neu,  unb  macfite  mit 
feinen  fnrnmetrifchen  ^entfern  unb  feiner  fchmudlofen,  jeber  Ser$terung  ent= 
bebrenben  gacabe  einen  trübseligen  ©inbrud.  &ier  alfo,  in  fo  nicht«: 
fagenber,  reijlofer  Umgebung  lebte  ©ugenie  mit  bem  3lnbern  $uiammen; 
unb  bei  biefem  ©ebanfen  tonnte  fid)  ©abriet  eine«  ©efür)(«  ber  Sitterfeit 
rrict)t  erwehren.   (Sugenie  hatte  fd)on  ben  Schlüffet  in'«  Schlofj  geftedt. 

„Sehen  mir  un«  morgen?"  fragte  ber  junge  3ttann  unb  feine  Stimme 
flehte  um  (£rl)örung. 

Sie  t)atte  feine  Segleitung  nur  angenommen,  um  itm  3U  bitten,  auf 
ein  Sßieberiehen  ju  r»er$id)ten;  aber  jefot,  im  entfdjeibenben  2tugenblide, 
ließ  fie  ihr  SKutf)  ooflftänbig  im  Stich. 

„3a,  morgen!"  antwortete  fie,  inbem  fie  mit  ber  einen  £anb  bie 
fernere  Xfffir  öffnete,  unb  bie  anbere  ilmi  entgegenftredte. 

(£r  ergriff  bie  bargereidjte  $anb;  unb  plöfclich,  einem  inneren,  uns 
TDiberftefylidjen  Crange  nachgebenb,  fanfen  bie  Siebenben  einanber  in  bie 
2lrme,  unb  oon  leibenidjaftlidjem  Seinen  erfaßt,  feiner  Sinne  faum  machtig, 
prefjte  ©abriet  feine  fjeifcen  Sippen  auf  ©ugenien«  Stirn,  it)rc  gefenfteu 
Slugentiber,  itjren  halbgeöffneten  5Hunb. 

,,$a«  ifi  Unrecht!  Saffen  Sie  mich,  £err  ©abriet!  $a«  ift  fcr)r  Un= 
red)t!"  murmelte  ©ugenie,  am  ganjen  Seibe  erbebenb;  ftd)  ben  3lrmen  bc« 
jungen  3)?anne«  entwinbenb,  ftürjte  fie  in  ben  £of  unb  fd)lug  bie  5Tr)ür 
heftig  hinter  fid)  5U.  9tfit  lautem  ftradj  fiel  biefe  in1«  Schlofj  unb  gitterte 
nod)  lange  nachher. 

©abriel  fah  fie  entfliehen  unb  in  bem  Käulchen  oerfchromben.  ^c)i- 
gebannt  blieb  er  oor  bem  bfifteren,  abgelegenen  Saubofe  flehen,  in  weldjem 
man  ba«  beulen  eine«  im  £unfel  verborgenen  ßunbe«  nernahm.  Sein 
2luge  richtete  fich  empor  jum  ^immet^sett,  an  welchem  unzählige 
Sterne'  funfeiten.  Seine  $änbe  gitterten  wie  bie  eine«  ©reifet. 
3hm  jauchste  ba«  £er$  laut  auf  in  ber  Sruft.  Gr  l;ätte  am  licbftcn 
fterben  mögen. 


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2<\\    ^rati^ois  <£oppee  in  Paris.   

VIIT. 

©tneS  £ages  ging  ©abriel  gegen  brei  Ufir  DtodjmittagS  ben  Quai 
b'Crfan,  ber  ftdj'  am  ©arten  beS  GorpS  SegiSlatif  entlang  $ief)t  unb  im 
«ogen  um  baS  GingangStfwr  beS  SHintfterium*  beS  Wurmartigen  menbet, 
(angfam  auf  unb  nieber. 

GS  mar  ein  fef)r  fdjöner,  aber  babei  fcr)r  feiger  £ag.  9Han  merfte 
es  bem  jungen  SJtonne  an,  bafe  er  auf  feine  Toilette  bie  mögliche  Sorgfalt 
oerroenbet  fjattc.  @r  trug  ein  graues,  elegante«  Sommerbeinfleib  unb  einen 
$ut  r»on  imitirtem  Manama.   ®r  wartete  auf  ©ugenie. 

2tm  Xage  nad)  bem  oon  uns  befdjriebenen  nädjtltdjen  Spa5iergange 
fcfjrte  if)r  SHanu  oon  feiner  3ieife  jurücf,  unb  ©abriel  burfte  in  gotge 
beffen  bie  junge  grau  nid&t  mein-  bis  nadj  &aufe  begleiten.  2lber  feit  ber 
IMebenbe  bie  SSonne  beS  3ufammenfeinS  ju  Speien  fennen  gelernt,  genügten 
il;m  bie  SBefudje  bei  grau  föenrn  nid)t  mefjr.  ^eben  9lbenb  oerabfa;iebete 
er  fidj  jugleidj  mit  ©ugenie  oon  ber  fdtfanfen  Sörünette,  ging  einige 
Sdjritte  mit  unb  bat  fo  lange  unb  fo  bringenb,  bis  fie  ifym  eingeftanb, 
*ie  gef)e  mandjmal  allein  aus.  „$8ieHeid)t  fönnen  mir  uns  fogar  gleidj 
morgen  treffen;  idj  f)abe  gerabe  eine  Seforgung  auf  bem  ©roS^Gaillou. 
3ft  Üe  erlebigt  bann  gefje  id)  über  ben  Dual  b'Drfau  nadj  &aufe."  Unb 
an  biefer  SteUe  ift  es,  roo  mir  unfern  greunb,  gepeinigt  r»on  allen  Qualen 
ber  (*rroartung,  roieberfinben. 

Dbgleia)  bie  Stunbe  bes  DtenbejoouS  nod)  nidjt  gefdjfagen  fjatte, 
fonnte  fid>  ©abriel  oor  Ungebulb  faum  faffen.  £>en  Reißen  Straelen  ber 
Sonne  fdjufelos  preisgegeben,  ging  er  unruhig  auf  bem  2lSpf)altpflafter 
Inn  unb  Der.  £)ie  glüljenbe  &ifce  Ijatte  es  ertoeidjt,  fo  bafj  ber  2lbbrucf 
jebeS  gufjes,  ber  es  betreten,  beutlidj  erfennbar  mar,  oon  ben  formalen, 
bid)t  neben  einanber  Ijinlaufenben  Spuren  nieblidjer  $amenfd)uf)e  bis  ju  ben 
breiten  Sohlen  fdjroerer  iReiterftiefel,  bereu  9iägel  man  fyätte  jä^lcn  fönnen. 
©abriel  Ijatte  fa>n  alles  ÜDiöglidje  oerfud&t,  um  bie  Seit  f)in$ubringen 
unb  feinen  ©eift  ju  befdiäftigen.  Gr  roufete  bie  3<#  oer  eifernen  Stäbe 
auSroenbig,  roeldje  bas  ©ittertljor  beS  SJiinifteriumS  bilbeten,  er  fonnte 
genau  angeben,  wie  oiel  $äuma>n  auf  bem  Srottoir  gegenüber,  bie  $ruft= 
metyr  entlang  snrifd)en  bem  s$ont  be  la  Goncorbe  unb  bem  Vßont  beS 
^noalibes  ftanben.  Gin  ober  zweimal  war  er  fogar  fd>on  über  ben  gafyr: 
bamm  gegangen  unb  Ijatte  feine  2lugen  an  ben  mit  2lnnoncen  bemalten 
©laSroänben  ber  3eitungS*ftioSfe  auf*  unb  niebergleiten  laffen,  ofme  ficr> 
in  fetner  ©ebanfenlofigfeit  über  tfjren  Sinn  flar  ju  roerben.  Slufmetffam 
t)atte  er  bie  Profile  aller  gefrönter  Häupter  auf  ben  ^reiSmebaillen  be-- 
tradjtet,  meldje  ber  C olonial=®efeÜfa)aft  auf  ben  oerfd)iebenfteu  2luSfteHungen 
für  jpcrftellima,  oor^üglidjer  (Sljofolabe  juerfannt  roorben  waren,  unb  mit 
ftarrem  ^licf  Den  sJ)totm  mit  oem  ftruppigen  £auptl)aar  gemeffen,  ber  bie 
■)lacftl)eit  feines  £orfo  l)tnter  einem  ^ute  oerbirgt. 

Gr  backte  an  bie  sJ)iöglid)feil,  bafe  fie  nicr;t  fommen  fönnte;  oiettei^t 


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  <£inc  3&YIle  n>ättreni>  ber  Belagerung. 


245 


hatte  fic  irgenb  eine  Abhaltung  gelobt,  ba$  wäre  boch  fchliefjlich  ganj 
natürlich.  ©leich  barauf  fd^ien  e3  ihm  wteber,  als  mü&te  er  6ei  bem 
blojjjen  ©ebanfen  hieran  vor  Schmer^  vergehen,  unb  er  fagte  fid),  bafe  fie 
bamit  eine  unglaubliche  ^erjlofigfeit  an  ben  Tag  legen  würbe. 

^löfclich  fat)  er  fie  unter  ben  Zäunten  ber  ©äplanabe  im  fchnellen  Saufe 
auf  fid^  juformnen.  ©r  eilte  it)r  entgegen,  fie  fdjon  oon  fern  mit  freubigem 
Säbeln  begrüfeenb.  Salb  ftanben  fie  bei  einanber,  noch  ganj  außer  Sltfjem. 
©ugenie  nahm  feinen  2lrm,  unb  noH  ©lücffeltgfeit  blieften  fid)  bie  Siebenben 
in'S  2luge. 

Sie  trug  Un*  grauet  Äoftüm  unb  ihren  gafanenfeberhut.  Die  £i$e 
unb  ba$  fa^neHe  Saufen  hatten  ihr  ©ejicht  leidet  gerötet.  Schweißtropfen 
perlten  auf  ihrem  Warfen.  $er  geftärfte  &al$fragen  tjatte  bort  eine  jarte, 
rofige  Sinie  gejeidmet.  3^e  2lugen  [trauten,  ber  buftige  ßaudj  ihres 
SlthemS  ftreifte  ©abriete  ©eficht. 

„2tä)  ©ort/'  fagte  Tie,  „ich  W  folche  2lngft.  Senn  uns  3emanb 
begegnete  .  .  ." 

„3$  bäajte,"  fagte  ©abriet,  „mir  gingen  über  bie  SBrücfe  unb  fefcten 
uns  in  ben  Dampfer.  9Hit  biefem  fahren  mir  bis  jum  <point*bu*3our, 
fieigen  bort  in  bie  ©urteleifenbahn,  unb  fommen  fo  bequem  bis  jur  ^Sorte 
b'3talie,  ganj  in  bie  ftähe  3hrer  Sohnung.  —  Unbentbar,  bafc  wir 
Semanben  treffen  .  .  .Sollen  Sie?" 

Sie  niefte  ihm  $u,  unb  als  fie  jum  SanbungSplafc  heruntergegangen 
waren,  blieben  fie  cor  bem  Stege,  ber  jur  ftampferftation  führte,  flelm.  25er 
Kämpfer  n>ar  eben  fort,  unb  fie  fajjen  ifm  auf  ber  Seine  in  oollem  Saufe  bahtn= 
jagen,  feine  luftig  wtrbelnben  9iaud)wölFchen  jum  Sichte  emporfd&leubemb. 

beruhigt  blitfte  (Sugenie  um  fid).  Siiemanb  mar  auf  ber  ftdj  fanft 
t)in  unb  ^r  roiegenben  SchiffSbrüde  ju  fer)n.  SeiS  raufchenb  ftrömten 
bie  Sogen  f^ran,  welche  bie  gahrfpur  beS  Dampfer«  begleiteten.  Sluch 
auf  bem  langen,  fchmalen  gufewege  ben  glufj  entlang  zeigte  fia)  feine  Seele. 

„Sollen  wir  nicht  einen  t leinen  Spaziergang  machen?"  fragte  ©abriet, 
ben  Suufd)  feiner  greunbin  ahnenb,  „mir  fönnen  ja  am  <pont  b'tHlma 
einzigen." 

Sie  machten  fid)  auf  ben  Seg.  3ur  fechten  ragte  bie  hohe,  maffioe 
Cuaimauer  mit  ihren  runben  ^uSguf$tf)üren  unb  ihren  großen,  eifernen, 
in  gleichmäßigen  3rot<$ienräumeu  in  baS  9J?auerwerf  eingelaffenen  fingen 
empor.  Cben  am  SRanbe  ber  fteinernen  33rufttoer)r  waren  33aumfpifoen 
ftchtbar,  auch  bann  unb  mann  ein  über  bie  23rüftung  gelehnter  Spanier* 
ganger.  Sur  Sinfen  floß  in  ber  Dichtung  ihres  SegeS  bie  Seine.  $on 
ihren  frifchen,  reinen,  in  munterem  Saufe  bahinftrömenben  ©ewäffern 
toefjte  ein  erquiefenber  Sufthauch  rjertiber.  2Me  §ifce  mar  nicht  mehr  fo 
brüctenb.  ©in  leifer  Sinb  hatte  fich  erhoben,  unb  weiße  Sölfdjen  bilbeten 
fief)  am  Gimmel,  ber  ein  weniger  tiefet  Ölau  jeigte.  Qm  2luguft  herrfcht 
fdwn  in  ben  fpäteu  9tochmittagftunben  eine  herbftlich  milbe  Temperatur. 


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2^6 


ijraitsois  £oppee  in  paris. 


9luf  ber  anbern  Seite  bei  Stoffes  fahen  fic  Sännet  bamit  befchäftigt,  bte 
langen  Staune  austoben,  bte  auf  Kanälen  auä  glanbem  angefommnen 
waren,  unb  auf  bem  Quai  b'Drfao,  hinter  bem  Vorhänge  ber  ihres  Starter* 
ichmuds  fdwn  tyatb  beraubten  ßinben  erfd)ienen  bie  langen  Dää)erreif>en 
ber  £abafS*gactorei  unb  ber  faiferticheR  Stalle. 

„Kenten  Sie  auch  manchmal  an  mich?"  fragte  ©abriet  bie  junge 
grau,  unb  brücfte  it)r  bie  &änbe.  Gugenie,  bie  tr)te  $anbfcbuhe  ausgesogen 
hatte,  erwiberte  biefe  grage  burch  einen  leichten  £änbebru<f. 

2tuf  ihrem  2Bege  famen  Tie  bei  einem  Angler  oorüber,  ber,  am  Ufer: 
raube  ftfcenb,  feine  Seine  jum  äßaffer  herunterlangen  lieft.  2)er  Sftamt 
breite  fid)  um  unb  warf  irrten  einen  jerftreuten  Slicf  ju.  ©abriet  muftte 
(rugemenS  &anb  loSlaffen.  Sie  felbft  errötete  tief  unb  fd)lug  bie  3lugen 
nieber. 

2llS  fie  bie  jum  Sßont  b'üllma  fanft  emporjteigenbe  Söfchung  ^inauf^ 
gingen,  fiel  ifjr  Stiel  jufäßig  auf  bie  bort  jum  Schmucf  ber  Sriicfenpfeiler 
aufgehellten  fteinernen  giguren  beS  (ShaffeurS  unb  beS  3ouaoen. 

„2öie  grofc  finb  fie  bo<h,  in  ber  9lä>  gefefm!"  fagte  ©ugenie,  unb 
geigte  mit  ihrem  Sonnenfdjirm  auf  bie  bciben  ßoloffalftatuen. 

©abriet  antwortete:  „©leid)  baS  erftemat,  als  i<h  Sie  bei  grau 
#enrp  fah,  fjatte  ich  bie  (Sinpfinbung,  baft  id)  Sie  auf  eroig  lieben  müftte." 

Unb  bie  junge  grau  fenfte  baS  .§aupt  unb  feufjte. 

3113  fie  roieber  auf  ber  anbern  Seite  beS  $ont  b'Sllma,  am  gtuffe 
unten  ftanben,  tjiett  ber  Dampfer  gerabe  an  ber  SanbungSbrücfe.  Sie 
mar  gebrangt  ooll. 

„2ßoflen  mir  mitfahren  V  fragte  ©abriet  eingeflüstert. 

„92etn!"  antwortete  ©ugenie,  „gehen  roir  lieber." 

Sie  festen  ihren  Spaziergang  längs  beS  Ufers  fort.  3ur  Stedten 
hatten  fie  jefct  ben  frönen,  mit  Säumen  befehlen  Quai  oor  bem  ©arbe« 
9J?euble.  Sor  ihnen  tag  ber  $ont  b'^ena,  auf  welchem  oier  ftot$  einher» 
fdjrettenbe  Stoffe  ihre  weiften  Silhouetten  am  Gimmel  abzeichneten. 

Sie  gingen  fefjr  langfam.  ©ugenie,  nad)  oorn  gebeugt,  fd)ien  bie 
Steine  ju  jählen.  ©abriet  preftte  irjren  2lrm  fanft  an  ben  feinigen  unb 
betrachtete  il;r  Profit.  ÜJlit  järtltcher  9tüt)rung  haftete  fein  2luge  auf  einem 
flatternben  Södfchen,  baS,  uom  Sßirtbe  bewegt,  an  GugenienS  Dt)r  erbitterte. 

„GS  ift  alfo  waljr,  baft  Sie  mir  ein  wenig  gut  ftnb?"  fragte  er. 
©in  fo  inniger  Stic!  traf  it;n  aus  ihren  fd)onen  groften  2lugen,  baft  jebe 
anbere  Antwort  überplüffig  war. 

„SBeShatb  fprechen  Sie  fo  ju  mir,  trofcbem  Sie  ganj  gut  wiffen,  baft 
bieS  nicht  fein  barf'?" 

Sie  traten  unter  bie  niebrigen,  finfteren  Sogen  beS  ^ont  b'3etta, 
wo  baS  äöaffer  tauter  ranfchte  unb  ber  dharafter  ber  Sanbfd)aft  fidt)  ooU-- 
ftänbig  änberte.  Stiles  ^atte  fdjon  einen  mehr  tänblichen  Slnftridt).  2&r 
ihnen  lag,  mitten  im  gtuffe  hiugefrrecft,  bie  lange,  fchmate  ©eftalt  ber 


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(Eine  3&yllc  roäljrcnb  btv  Belagerung. 


2^7 


©<$roanemnfel,  prangenb  im  fdjönften  ©rün;  graue,  nad)  Süben  51t  ftdj 
neigenbe  SBolfenfäulcn  entftiegen  ben  vielen  Sajornfteinen  ber  gabrifen  in 
©renelle,  unb  in  blauer  'Seme,  weit  ienfeits  ber  ^otjbrucfe  unb  be£  ^eü- 
fdjimmemben  Viabucte  jeigten  ficf)  bie  unbeutlidjen  Umriffe  ber  &ügeh 
fetten  oon  SReubon,  umfränjt  non  Ijeifeem  golbigen  9?ebel. 

mar  mir  ein  roafjreä  ^ersenäbebürfnifc,  Sie  einmal  ju  fpredjen," 
fagte  ©abrief.  „Söenn  id)  allein  bin,  fo  lege  idj  mir  9lü*e£,  roa$  idj  Qfmen 
fagen  möd&te,  in  ©ebanfen  &ured)t;  aber  wenn  tdj  bann  bei  3fmen  bin, 
babe  idj  3Hle3  roieber  oergeffen,  idj  fann  mir  9fid)t3  behalten.  Unb  bod) 
fmb  Sie  baä  einzige  2Befen,  in  be)7en  ©efellfdjaft  id)  nidjt  fdjüdjtern  bin. 
©3  liegt  etwa*  fo  £erjlid)e3  in  3^rem  ©lief,  Sie  fönnen  ftdr)  gar  nidjt 
benfen,  roie  glürflidj  idj  bin,  bafe  (Sie  fjeute  gefommen  fmb.  Vor  vier 
2Bod)en  babe  idj  Sie  jum  erften  2ttal  gefefm,  unb  babei  bilbe  idj  mir  ein, 
idr>  fyätte  Sie  fdjon  immer  gefannt.  jeber  einsige  Xag,  an  bem  idj 
mit  Stylen  jufammen  mar,  bleibt  mir  feft  im  ©ebädjtni§,  2llle$  ift  mir 
nod)  gegenwärtig  .  .  .  SGßiffen  Sie  nad)  ben  3lbenb,  roo  ba3  Singen  uor; 
überjie^enber  9Wobilgarben  Jrau  $enrn  an'§  genfter  lorfte?  Sie  fafyen 
muf>  an,  aU  mir  im  jjinftern  allein  waren!  .  .  .  3$  gitterte  roie  (Stepen^ 
laub  .  .  .  Unb  roie  Sie  fieb  in  ben  ginger  fragen  unb  it)n  §rotfdjen  bie 
3ä^ne  preßten  .  .  .  Unb  bann  aud)  ba$  blaufeibene  &al3tüd)lein,  ba3 
Sie  nur  einmal  umhatten,  unb  ba3  Sie  fo  gut  Heibete  .  .  .  2öo  ift'3 
beim  fchtgetommen,  baß  Sie  e£  nidjt  mef)r  tragen?  2ld),  ahnten  Sie, 
rote  &ei§  idb  Sie  liebe!" 

(Sugenie  antroortete:  „2öie  leidjt  tonnten  roir  einmal  SBefannten  be* 
aegnen!" 

Tie  kniete  uon  ©renelle  lag  fdjon  hinter  if)nen.  $ie  Quote  Ratten 
aufgehört.  Sparlidje,  fonnenoerbrannie  ©raSljalme  bebedten  bie  oon  ben 
Sttogen  befpülte  Vöfdmng.  3ur  9ted)ten  faf)en  Tie  Vaufjöfe  unb  von  ©arten 
umgebene  £anbf)äu$d)en,  am  anbem  Ufer  be$  ^luffeS  bie  ^abrif  anlagen 
3auete,  unb  unmittelbar  cor  ilmen,  je^t  fdjon  in  größerer  Vltye,  ftiegen 
bie  mäßigen,  jroei  Stodroerf  fjofjen  Bogengänge  be$  Vtabucts  empor. 

©abriet  unb  (Sugenie  blieben  oor  einer  ©ittertfjür  fielen,  bie  ju  einem 
fdjmuden  Sa)roeiäerf)äu3djen  führte.  ÜJtit  feinen  $aar  Väumletn,  feinen 
großen  ©laäfugeln  unb  Springbrunnen  fa^  es  au3,  als  fdme  es  birect 
au«  ber  Sptelfdjadjtel.  %n  feinem  ©efammteinbrud  bilbete  e^  ba^  $ur 
SBirflia^feit  geroorbene  3oeal  be^  für  Sanbeinfamteit  fa)roärmenben  Spie^= 
bürgert.  9lber  fie  fa^en  barin  nur  ben  SieblingStraum  aller  Verliebten, 
ein  SRcft  im  ©rünen.  3Wit  fe^nfäa^tigem  Verlangen  flauten  fte  auf  bie 
bo^en  ^pappelu,  bie  @berefd)en,  in  beren  Slattroerf  bie  rotten  Trauben 
flimmerten,  bie  reiche  $rad)t  ber  9lftern  unb  ^erbftrofen. 

Unb  leife  flüfterte  ©abriel  ber  ©eliebten  in'«  üfyc:  „Die^  9Ült^ 
beii^en  .  .  .  unfer  eigen  nennen  .  .  .  unfer  £iebeäglüd  brin  bergen  .  .  . 
fuer  leben  ...  auf  immer,  auf  eroig  .  .  .  roeld)  feligeS  ©ntjüden!"  Sie 


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248 


^ran^ois  <£oppec  in  Parts. 


ernriberte  nid^t^ ;  ober  fie  feinte  fid;  beim  Seitergefjen  mit  f)ingebung$uolIer 
3ärtli$feit  auf  feinen  9lrm. 

So  gelangten  fie  bis  junt  ipointsbu*3our,  am  $yu§e  beS  $Biabuctö. 
$on  f)ier  ab  jeboa)  foüte  ber  Spa3iergang  jeben  9iei3  für  Tie  oerlieren. 
£ie  Ml)t  ber  (Sifenbafmfation  fot  am  Ufer  ber  (Seine  eine  Unja^l  #er* 
gnügung^etabliffements,  Gaf^s  unb  Äneipen  in'S  Seben  gerufen.  2lud) 
GarouffelS  finben  jid&  unter  ben  9lf  ajien,  unb  rufftfdje  Schaufeln,  fürs, 
baS  Sanb  wirb  fner  $ur  23orftabt.  Siaj  nidjt  me&r  fo  gan$  fiäjer  füfjlenb, 
eilten  fie  f ähnelt  weiter,  heftig  f d&rafen  fie  jufammen,  als  plöfclidj  auf 
einem  Sdjetbenftanbe  ein  Sdmfc  abgegeben  würbe.  Sie  gingen  bie  £oljs 
treppe  hinauf,  in  ben  $a(mf)of  t)tnein,  unb  ©abriel  löfte  3wei  SBiUetS 
$weiter  Älaffe.  $ann  festen  fid)  23eibe  auf  eine  33anf  beS  SBartefaalS 
unb  ftarrten  gebanfenlos  auf  bie  ^ßlacate. 

„©ürtelbafm,  etnfteigen,  ©renelle,  SSaugirarb,  SJJontrouge,  f^orte 
b' Statte!"  Sie  traten  auf  ben  Sßerron  hinaus,  gingen  an  ber  laut 
jifdjenben,  bampfenbcn  Socomotioe  vorüber  unb  ftiegen  in  ein  leeres 
(Soupt.  Gin  $fiff,  ein  plöfcltdjer  SHucf,  ein  laute«  Gaffeln  unb  fllirren, 
unb  fjeibt,  fort!  £>a  umfdjlang  ©abriel  feine  (Beliebte  mit  beiben  Sinnen, 
brfirfte  fie  feft  an  feine  $ruft,  unb  bie  Sippen  ber  Siebenben  fanben  fidj 
in  einem  langen,  füfeen  Hüffe. 

„©renelle!"  rief  ber  Sdjaffner  mit  gellenber  Stimme  unb  rifj  bie 
£f)ür  heftig  auf.  Unb  ein  3)tonn  mit  rotf)em  SBomnonbSgertdjt,  bem  man 
ben  33ief)f)änbler  auf  ben  erften  23licf  anfalj,  flieg  in  ben  SBaggon  unb 
liefe  fid)  fäjroerfäHig  auf  ber  33anf  ben  Siebenben  gegenüber  nieber.  <5r 
trug  über  feinem  dloäe  eine  ganj  neue,  furje  blaue  33loufe,  ein  fyober 
£ut  bebedte  feineu  Kopf,  in  ber  §anb  fjielt  er  eine  $eitf$e  unb  in  bem 
einen  9Wmtbnrinfel  ftedte  ein  fdjwarjer  ^fetfenfopf. 

„%d)  fjab'  Tuar)rr)aftig  geglaubt,  id)  mürbe  ben  3«9  oerpaffen,"  fagte 
er  uergnügt  ju  ©abriel,  wobei  fein  2ltf)em  einen  ftarfen  2Beingerudj  oer- 
breitete. „So  ein  bummer  Gonbucteur!  will  mein  $ünbd>en  mit  einer 
Suttbogge  jufammen  in  ein  Goup6  fteden!  So  unoorrtdjtig  ju  fein  .  .  . 
ber  Herl  ift  oerbrcljt  .  .  .  ^radjtoolleä  ai^etter  übrigens  sunt  Weifen  .  .  . 
nid)t  waljr,  £err  9toä)bar?" 

Gugenie  Ijatte  if)ren  Soleier  Ijeruntergelaffen  unb  oerwanbte  fein 
3luge  oon  bem  Jenfter.  ©abriel  beobad&tete  bie  äufeerfte  3urü<fljaltung 
unb  tf)at  wie  Giner,  ben  man  anborgen  will. 

©lürfliäjerweife  fuhren  fie  gleid)  wieber  weiter,  unb  jwar  famen  fte 
jefct  burd)  einen  langen  Tunnel,  wo  baS  ©etöfe  beS  3u9e^  Deni  miber= 
wärtigen  Weifegefäljrten  ba*  2Hort  abfdmitt.  33iö  auf  baS  fdjwadje  Sidjt, 
weldjea  feine  glimmenbe  pfeife  oerbreitete,  war  cS  bunfel  im  SBaggon, 
ba  man  bic  9iaa)tlampe  an  ber  Sede  anjufteden  uergeifen  Ijatte;  unb  im 
^vinftern  borte  man  bie  fdnoeren  2ltf)em$üge  beS  £runfenen.  ©abriel  be- 
nutzte bie  ©elegenljeit,  GugenienS  .§anb  $u  erf äffen;  aber  er  war  bod> 


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 (Eine  3&?llc  n>äl?renl>  ber  Belagerung.    2^9 

über  biefen  SroiKhenfatt  im  P^flcn  ©rabe  erbittert,  namentlich  wenn  er 
an  bie  Dielen  leeren  £oup<?3  erfter  5Uaffe  badfite,  bie  er  beim  ©infteigen 
bemerft  hatte. 

2113  fie  wieber  an'3  2age3lid)t  famen,  fiatte  ber  58ief$änbfer  feine 
klugen  gefdjtoffen,  a6er  er  raupte  immer  noch  feine  abfdjeultdje  pfeife, 
unb  bie  Siebenben  wagten  faum,  fid?  in  ©egenwart  be3  fremben,  im 
&albfd)lummer  rubenben  2Jtonne3  einen  33Hdf  ju$uwerfen.  fte  an  ber 
Station  ^orte  b' Stalte  anfamen,  empfanb  fie  es  afe  eine  2(rt  ©rtöfung. 

Unb  bodj  mußten  fte  fi^  fn«  trennen,  nod)  beoor  Tie  ben  öafmhof 
»erließen,  benn  fie  waren  gan$  nahe  bei  ber  SBofmung  (StementS,  be$  ge= 
fürchteten  ©atten.  ©ugenie  ging  bafjer  voxavß  unb  eilte  bie  ©trajje 
entlang,  olme  fidj  ein  einzige«  2flal  umjufe^en.  ©abriet  folgte  ihr  lang* 
famen  Schritte!  oon  fern,  beglüeft  burd)  bie  ©efiänbniffe,  bie  fie  ihm 
gemalt,  unb  befeligt  burd)  bie  (Srimterung  an  bie  fiiebfofungen,  bie  fie 
geftattet  unb  ermibert  hatte.  ©r  faf),  wie  fte  fia;  in  ber  Sttenge  oerlor 
unb  fa)(ie§lia)  an  ber  @cfe,  wo  bas  alte  3°flfKiuä  jtanb,  oerfc^wanb,  um 
nad)  bem  äußeren  Souleoarb  einbiegen. 

Unb  bann  litten  fte  ja  audj  mit  einanber  bie  Serabrebung  getroffen, 
fiel)  übermorgen  um  ein  Uf>r  Nachmittags  an  berfelben  ©teile  ju  treffen! 

IX. 

9hm  trug  aber  ber  £ag,  an  bem  ifjr  ^enbejoou«  ftattfinben  fottte, 
ba3  Saturn  be§  4.  Septembers  1870! 

Jrau  Fontaine  ^atte  ihrem  ©ofme  beim  grühftüd  bie  un^eiloolle 
Hataftrophe,  bie  fie  burd)  bie  3Wild>fraujeTfahren,  mitgeteilt :  bie  Kapitulation 
oon  ©eban,  bie  SSerwunbung  9Jlac*9Jlahon!3,  bie  ©efangennalmte  beä  itaifers 
mit  80000  3ftann!  3S>ie  fel)r  aud)  ©abriet  burdj  ben  ©ebanfen  an 
fein  beoorftehenbeä  DflenbejoouS  in  Smfprud)  genommen  mar,  fo  hatte  ihn 
biefe  fchrerfltdje  Nachricht  bod)  in  ungeheure  Hufregung  »erfefct. 

911s  er  bie  Quais  entlang  wanberte,  fah  er  nichts,  als  befrfirjte  ©es 
ftd}ter;  an  ben  ©trafjeneden  fammelten  fich  ©paaren  9?ationalgarben;  ein 
<0auch  ber  Steoolution  ging  burd}  bie  ©tabt. 

9lad)bem  ©abriet  ben  feften  ©ntfchtujj  gefaxt,  fic§  auch  ein  ©ewehr 
5U  holen,  feine  Pflicht  wie  alle  3lnberen  ju  erfüllen  unb  für  bie  93er* 
theibigung  beS  SBatertanbeS  unb  ber  &auptftabt  einzutreten,  fet)rte  fein  ©eift 
$ur  ©eliebten  jurütf.  (5r  badjte  an  bie  ftreube  be£  SBieberfelmS,  an  ba£ 
bejaubembe  ©tüd,  mit  ihr  auf  bem  einfamen  föottoir  beS  Duai  b'Drfan 
jufammenjutreffen  unb  wieber  einen  Spaziergang  an  ben  Ufern  ber  ©eine 
5U  unternehmen.  Unb  machte  ihm  bie  ©timme  be£  ©eroiffenS  Vorwürfe, 
ba§  er  fich  $w  wenig  um  bie  bem  9?aterlanbe  brohenben  ©efahren 
befümmere,  fo  brachte  er  fie  buret)  bie  bei  einem  Siebenben  erflärltche  (Sr= 
roägung  jum  ©chroeigen,  bafc  er  als  Gin$elncr  bod)  nichts  weiter  $u  thun 
oermöchte. 

?fcrb  unb  8iib.   L-,  145«.  17 


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250 


^ran^ots  <£opp£e  in  paris. 


©egen  Ijalb  ein  Ufjr  ging  er,  gern*  erfüllt  oon  bem  öebanfen  an  bie 
©eltebte  feiner  Seele,  ben  Dual  b'Crfat)  entlang,  als  er  am  äußerften 
(Snbe  be$  33ouleoarb  Saint*©ermain  Bajonette  blifcen  faf),  welche  ba3 
Corps  £egi£latif  $u  umringen  fdjienen. 

Slngfrooll  beflügelte  er  feine  Stritte,  unb  mit  einem  einzigen  Ölicfe 
überfaf)  er  ba3  für  ilm  fo  fd)Tecflid&e  Sd)aufpiel.  (Sine  bid)te,  tobenbe 
2flenge  l)ielt  ade  3ugänge  ju  ben  Räumen,  in  benen  bie  BolfSocrtretung 
tagte,  befefct.  Sie  beftanb  aus  Bannern  aller  ©efellfdjafteflaffen,  unb 
Bürger  im  eleganten  Wod  wie  £anbwerfer  in  einfacher  Slrbeitsblouie 
waren  oermengt  mit  Sd)aaren  jwar  ungeorbneter,  aber  bewaffneter  9totional= 
garben,  bie  trjcil^  nod)  bie  alte  Uniform  mit  ben  weißen  ©pauletten  unb 
ber  ^ktrontafdje,  tf)eil$  als  einziges  mtlitärifd)e$  3lb$etd)en  nur  ba£  tfept 
trugen.  2lud)  granetireurs  in  bunflen  9lnjügen  mit  amerifanifd)en  Sflfifcen 
unb  ben  Beinflcibern  in  ben  ©amafd)en  befanben  fiä)  barunter,  $er 
^ont  iHonal,  ber  Bouleoarb  Saint  =  ©ermain  unb  ber  ganje,  am  ©orps 
X'cgislatif  liegenbe  ^eil  be8  Duate  wimmelten  oon  Seuten  unb  ftarrten 
von  blifcenben  ©ewetyrläufen.  Äecfe  Straßenjungen  untren  an  ben  in  ber 
9idt>e  befinblidjen  Saternen  f)inaufgeflettert,  anbere  Ratten  fidt)  auf  ben 
Socfeln  ber  oier  großen  Bilbfäulen  oor  bem  ©ebäube  eingeniftet.  ßinen 
langgebelmten,  immer  wieber  oon  Beuern  ertönenben  3ornc3ruf  ^eß  mcfc 
SJtenge "  fjören.  ©abriel'3  D^r  rjattc  balb  biefen  aus  9Wer  9Jhmbe  bringen  - 
ben  S$rei  untertrieben :  „3lbbanfen!  2lbbanfen!" 

$>er  Slufftanb  fjatte,  um  midp  ber  unübertrefflich  fdjönen  parlamenta= 
rifd)en  2lu£brucf£weife  ju  bebienen,  baS  &eiltgtf)um  beS  ©efefceS  offenbar 
fd)on  oerlefct;  benn  bie  breiten  2lufgangStreppen  be^  Calais  waren  unter 
bem  Strom  ber  (Sinbringlinge  oerfd)wunben,  unb  ©abrtel  faf),  baß  oben 
in  ber  (Solonnabe  eine  große  Aufregung  ^errfä)te.  ^lofelid)  fjörte  er  einen 
madjtüoHen  !Huf  erf drallen,  ber  fid)  blifcfdjnell  oerbreitenb  bis  $u  ben  unten 
bid)t  jufammengebrängten  Sdjaaren  gelangte,  unter  benen  er  ftdj  einen 
2£eg  ju  bahnen  oerfudjte.    Sie  riefen  9lUe: 

,,©S  lebe  bie  ftepublif!" 

©abriel  far)  bem  ganjen  Sd&aufpiel  ootl  Sdjrecfen  unb  Seirürjung 
ju.  3ln  ber  Stelle,  wo  er  Gugenie  treffen  fottte,  unb  bie  er  erft  entbecten 
fonnte,  nadjbem  er  auf  eine  33an(  beä  Quais  geftiegen  war,  bemerfte  er 
ein  wilbeS  £urd;einanber  oon  $üten,  flepis  unb  Bajonetten.  Sie  fdjred- 
lid)e  ©enrißfjeit  trat  oor  feine  Seele,  baß,  felbft  wenn  fidt)  bie  junge  grau 
in  biefeS  ©ebränge  gewagt  t)ätte,  es  ifmt  unmöglich  gewefen  wäre,  fic 
^erau§sufinben.  ©r  ftteg  oon  ber  33an!  wieber  herunter  unb  ließ  ftd&  in 
feiner  Verzweiflung  unb  Sutl)  willenlos  com  Strom  ber  2Renge  fort* 
tragen,  o^ne  ftöj  weiter  um  bie  große  f)iftorifd)e  Sfyitfadje,  bie  ftdj  oor 
feinen  2lugen  uolljog,  $u  befümmem. 

„Nun  haben  wir  boeb  enblid)  bie  längft  erfe^nte  SRepublif !"  ließ  [ich 
bie  burdjbringenbe  Stimtne  Gajaban^  oerne^men,  bet  eine  Secunbe  oor= 


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<£ine  3&ylle  roätjrenb  bcr  Belagerung. 


25  { 


f)ex  ©abriet  am  2lnu  gepacft  tyatte,  „unb  $u  bift  aud)  babei,  bei  ber 
SHeoolutton  nämlidj!  ...  60  mufete  es  fommen!  .  .  .  SKauS  mit  bem 
SBonapartiftengefd&meifj!  ...  Gin  f)errlid>er  Xag!  2td)  greunb,  id)  bin 
aufeer  mir  oor  ©tüd.  3)en  ganjen  geftrigen  2Ibenb  fjabe  idj  weiter  nichts 
getljan,  als  2öappenfd)ilber  fyeruniergeriffen  uub  faiferlidje  2lbler  serbrodjen 
.  .  .  diesmal  ift'S  bie  roafyre,  richtige  JHepublif  roie  im  Safyxe  93  .  .  . 
unb  man  foll  uns  nid)t  um  fie  betrügen  .  .  .  Sief)  mal  oben  in  ber 
Säulenhalle  ben  ©ambetta,  roie  er  burd)  feine  9tebe  alles  begeiftert  .  .  . 
Sraoo!  GS  lebe  ©ambetta!  .  .  .  Steifet  £>u,  roetdjer  es  ifl?  $>er  mit 
bem  :öarte  unb  ben  Wen  Schultern  .  .  .  SHeinft  2)u  oietteidjt,  idj  roerbe 
2Md>  loSlaffen?  £enf  gar  nia)t  bran,  roir  ge^en  pfammen  nad)  bem 
&6tel  be  3?iUe." 

©abriet  faty  i&n  an  mit  fchmerjerfülltem  SBlicfe.  2tufregung  unb 
Srunfenfjeit  prägten  fidj  in  ben  3ügen  GajabanS  aus,  ber  budrftäblidj  von 
Sdiroeife  triefte,  unb  beffen  roeidjer  %il$ut  burcf)  einen  gauftfdjlag  einge* 
brücft  mar. 

SötberftanbSunfäfjig  überlief  fid)  ©abriel  bem  3Hanne  beS  Sübens, 
ber  fortroafjrenb  brüllte  unb  fidj  oergebenS  abmühte,  oorroärtS  $u  fommen 
unb  ftd)  mit  feinen  Ellbogen  einen  2Beg  jum  @ingangSt()or  ber  gefeft5 
gebenben  SBerfammlung  ju  bahnen,  ©abriet  folgte  tym  ganj  ju  33obeu 
gefd)mettert  unb  liefe  feine  Slide  felmfud)tSooU  über  bie  SHenge  fdjroeifen, 
ba  er  auf  bie  unbeftimmte,  roenn  aud»  unter  folgen  Umfiänben  tl;örid)te 
Hoffnung  md)t  oerjidjten  mod)te,  ©ugenie  fjerauSäuftnben. 

£ie  Stunbe  beS  SRenbepouS  mar  längft  oorüber.  ©abriel  r)arte  ftdt> 
buraj  bie  fdron  gelitteten  Sdjaaren  t)inburdj  mef)r  als  tmnbert  9M  baoon 
überzeugen  tonnen,  bafe  fidr)  bie  junge  grau  nidr)t  an  ber  oerabrebeten 
©teÖe  oor  bem  9)tinifterium  ber  auswärtigen  2lngelegenf)eiten  befanb. 
^rofcbem  rourbe  es  itnn  unenblid)  fd>roer,  oon  bort  fortzugeben,  als  ©ajaban 
ifnt  mit  fid)  fdjleppte  unb  über  ben  ^Sont  SRotjal  führte,  bamit  fie,  roie  er 
fid)  auSbrüdte,  ©elegenfjeit  tjätten,  fid)  an  bem  erhabenen  3lnblid  beS  be= 
freiten  ^*aris  ^u  erfreuen.  9?ur  mit  bem  äufeerften  SMberftreben  folgte 
©abriel  feinem  greunbe,  obgleich  er  root)t  etnfaf),  bafe  ein  längeres  3?ers 
roeilen  an  jener  Stelle  feinen  Sinn  hatte.  $n  büfteres  Sdjroeigen  oer^ 
funfen,  fdjritt  er  neben  Gajaban  baf)tn,  ber  in  feinem  reoolutionären 
^Taumel  gar  nidjt  bemerfte,  roie  fdjmersltd)  beroegt  baS  9lntli|  feines 
^reunbeS  war. 

„5öaS  fann  fie  root)t  abgehalten  ^aben?"  fragte  fid)  ber  Ötebenbe 
t>oll  2lngft.  SBa^rfc^einlia)  t)at  fie  ft^  gefürchtet,  baS  ©ebränge  roar  ju 
gro§,  fie  fonnte  überhaupt  nicht  I)in  .  .  .  Ober  follte  fie  oieHeid;t  gar  nia)t 
gefommen  fein?  Sie  fam  mir  geftern  2lbenb  bei  i^rer  greunbin  fo  oer* 
legen  oor  .  .  .  Cb  ia;  jurüdge^c?  SDlöglic^erroeife  ift  fie  jefet  gefommen, 
n>o  ftd^  bie  9Hepge  oerlaufen  ^at.  $)oä)  nein,  baS  ift  nia^t  benfbar,  el 
ift  ja  fdjon  jroei  U^r." 


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252 


^ran^ois  <£opp£e  in  Parts. 


Unb  e«  ftanb  für  ilm  fefi,  baß  nur  ifyn  fo  etwa«  paffiren  tonne, 
unb  baß  er  ein  ausgemalter  ^edwoget  fei. 

Sie  gingen  über  bie  ^lace  be  ta  Goncorbe  unb  bie  -Hiuoliftraße  entlang. 

(Sajaban  ^atte  feinem  greunbe  ein  großartigem  Schaufpiel  oerfprochen, 
aber  ©abriet  fonnte  baoon  nid)t«  entbecfen.  @r  fanb  im  ©egenthetl  bie 
greuben«au«brfiche  be«  <pöbel«  für  fein  ©efühl  ^öd)ft  oerlefeenb  in  einem 
2lugenblicfe,  wo  ein  fo  entfefelidje«  Unglücf  über  ba«  Sanb  hereinbrach  unb 
fo  furchtbare  ©efahren  e«  bebrohten.  da«  feftliche  2lu«iehen  ber  prägt« 
ooüen  Straße  mürbe  nod)  erhöht  burdj  ben  im  fdjönften  Slau  ftrahlenben 
Gimmel  unb  ben  {jerrlidtjen  Somtenfchein,  beffen  reicher  ©lan$  fig  über 
bie  weißfchimmernben  ©ebäube  be«  duileriengarten«  unb  feine  im  frifajen 
©rün  prangenben  $arfanlagen  ergoß,  »ttationalgarben,  theil«  truppmeife 
maridnrenb,  theil«  einjeln  ihren  2Seg  oerfolgenb,  begegneten  ümen  in  großer 
3afu\  Sie  roanberten  heim,  getragen  oon  bem  ftoljen  SBewußtfein,  bie 
neuefte  9iet>olution  ju  Stanbe  gebraut  ju  Ijaben.  diejenigen  unter  ilmen, 
welche  ju  ben  Bataillonen  ber  $orftabt«oiertel  gehörten,  unb  bie  neben  ber 
Sloufe  ober  bem  2lrbeit«fittel  ein  nagelneue«  Äepi  unb  ein  ^3ercuffion«= 
gemein*  trugen,  jeigten  in  ihrer  aufrichtigen  greube  über  bie  wieberge* 
wonnene  9iepub(tf  bodj  wenigften«  einen  geroiffen  ©rab  oon  SRaioetät. 
denn  gerabe  fie  t)atten  ja  oon  jeher  bei  allen  Hufftänben  bie  Rotyen  au* 
bem  geuer  geholt,  unb  beraufcht  burdj  bie  Segenbe  oon  92  lebten  ne  ber 
froren  ^uoerficht,  ba«  Baterlanb  noch  retten  ju  fönnen.  5lber  ein  ruhiger 
Beobachter  hätte  über  bie  SBidjtigtfmerei  ber  in  (rpauletten  einherftoljtren= 
ben  Spießbürger  gelächelt.  diefe  9ficht«thuer,  welche  ftdc)  an  jenem  dage 
al«  gelben  auffpielten,  marfchirten  mit  rofirbeoollem,  abgemeffenem  Schritt 
in  ber  SDUtte  be«  gahrbamme«,  mit  wohlgefälligem  Sluge  oon  ber  großen 
■Jflaife  betrachtet,  bie  in  ihrem  befriebigten  9ia<hegefüf)l  bie  tiefe  drauer 
be«  Baterlanbe«  oergaß.  denn  fchon  hatte  °ie  blinbe  3erftörung«muth, 
bie  unoermeibliche  Segleiterin  aller  93olf«aufftänbe,  ihr  finnlofe«  2£>erf  be- 
gonnen. SöieCc  taufenb  £änbe  roaren  bamit  befdjäftigt,  alle  äußeren  feigen, 
welche  an  bie  faiferliche  Regierung  erinnerten,  3lbler  unb  ©appenfchilber 
au«  (?rj  ober  au«  Stein  gebilbet,  $u  oernid)teu,  unb  fo  oerlor  man  bret 
foftbare  Sage  in  einem  Slugenblicfe,  wo  noch  nicht  einmal  bie  28älle  annirt 
waren.  3ln  ben  dauern  ber  duilerien  fonnte  man  neben  obfcönen,  auf 
bie  faiferliche  Jamilie  bezüglichen  Sfambgloffen  unb  Seleibigungen  mit 
Äof)le  gefchrieben  auch  ba«  berüchtigte  SBort:  „dob  ben  dieben!"  lefen. 
©«  fprach  bie«mal  wenigften«,  ba«  muß  jugeftanben  werben,  nicht  allen 
Xl)atfachen  berartig  £>ofm,  wie  im  Qahre  1848,  wo  ein  paar  arme  Äerle 
oon  Spifcbuben  ohne  Urtel  unb  !Hed)t  füfilirt  würben,  nachbem  ber  ^ktlaft 
00m  s$öbel  fchon  oollftänbig  au«geplünbert  worben  war. 

■Dfartu«  (Sasaban,  ben  unglüdlidjen  ©abriel  immer  t)tntcr  ftd)  her 
fchleppenb,  rafte  wie  ein  voller  burd)  bie  Straßen.  Sein  SBafmnn'tj  hatte 
ben  ©ipfelpunft  erreicht,  unb  fein  -Teuf:  „(£«  lebe  bie  iRepublif!"  mar 


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€tnc  35yUe  o>ät}reit&  ber  Belagerung. 


253 


fdjon  mein*  ein  ©ebrüU  ju  nennen.  5XÖc  sroanjig  Stritt  fließ  er  tfm  aus 
unb  erroeefte  bamit  regelmäßig  ein  rounberbareS  (Scfjo  bei  ben  National* 
garben,  roeldje  in  ber  9Jlitte  ber  Straße  mit  ttjren  XambourS  an  ber  Spifce 
marfd)trten.  3115  fie  in  bie  9täf)e  beS  Souore  gefommen  roaren,  ritt 
©eneral  £rod)u,  über  nnb  über  mit  Drben  bebeeft,  mit  einem  glänjenben 
©eneralftobe  im  ©alopp  oorüber,  unb  GajabanS  £urra$  trug  ifmt  einen 
banfenben  93licf  beS  berühmten  SretagnerS  ein.  £>en  ganjen  2Beg  entlang 
begegneten  SRariuS  fdjroarjbärttge  junge  2ttänner,  bie,  nrie  er  aus  bem 
©üben  ftommenb  unb  in  bemfetben  greubentaumet  befangen,  jubelnb  feine 
Umarmungen  erroiberten. 

Gabriel  fat)  bie«  9töe3  wie  im  Xraum.  $aS  alte  &ötel  be  Sitte, 
ber  non  3Renf$en  roimmelnbe  $lafc  r-or  bemfetben,  bie  ©rfd&einungen 
auf  bem  Salcon,  baS  golbene  Stq>i  SrodmS,  ber  fjalsbanbförmige  Sart 
3?uleS  gaoreS,  bie  ^roftamirung  ber  Stepublif,  ber  im  Sriump^  ^erumge= 
tragene  SRoajefort,  nid)ts  fonnte  ifm  r»on  ber  foen  3bee  abbringen:  er 
Ijatte  fein  9ienbe$oouS  werfest!  2llö  ©abriet,  immer  hinter  (Sajaban  f)er* 
jietyenb,  in  baS  #ötel  be  Sitte  getreten  mar,  unb  if>n  biefer  einem  W\U 
gliebe  ber  neuen  Regierung,  einem  SJtonne  mit  ungeheurem  Sadenbart  unb 
einer  &abia)tsnafe,  oorftellte,  badjte  er  im  2lugenblid*e,  roo  er  feine  Sers 
beugung  madjte,  an  eine  junge  Platane  beS  Cuai  b'Drfan.  ©ine  Stange 
biente  als  Stüfee  für  tf>ren  jarten  Stamm,  unb  iljr  guß  mar  oon  einem 
runben  eifemen  (Sitter  umgeben.  9ln  ber  Stelle  ftanb  er  neulidj,  als  er 
©ugenie  unter  ben  Säumen  ber  ©Sptanabe  auf  fu$  jueUen  fat),  unb  es 
foftete  ifnt  ungemeine  Selbftüberroinbung,  auf  baS  $u  ^ören,  roaS  iljm 
ber  Staatsmann  mit  bem  bieten  Sacfenbarte  jagte,  unb  it)n  ju  r»ert)inbern, 
augenblicflidj  feine  Ernennung  jum  SouSpräfeften  ju  unterjetdjnen. 

©nblid)  gelang  eS  ifmi,  bie  läftige  ©efettfd)aft  (SajabanS  loSjuroerben. 
5>or^er  mußte  er  itjn  jebod)  noef)  nad)  bem  Ouartier  Satin  begleiten,  bie 
frof)e  92ad)rid)t  bort  in  brei  bis  oier  Äneipen  oerfünben  unb  oerfdjiebene 
Sdjnäpfe  mit  ifjrn  vertilgen.  £alb  tobt  cor  3Jtattigfeit,  gequält  oon 
Unruhe  unb  Sangeroeile,  fam  er  $u  &aufe  an.  Seim  2Ibenbbrot,  baS  itnu 
jur  ©roigfeit  rourbe,  weit  feine  üflutter  if)m  alles  3)tögltd)c  r>on  bem  &er= 
anrüefen  ber  geinbe  unb  ben  brofjenben  ©efatyren  oorjammerte,  nalnn  er  nur 
einige  Stffen  ju  ftcf)  unb  eilte  bann  fofort  nad)  bemgaubourgSaint^acques. 

grau  $enn;  roar  auegegangen.  9ttd)tS  roar  felbftoerftänblidjer,  als 
bie  2lbroefenf>eit  ber  frönen  Srünette,  bie  {ebenfalls  burd)  baS  bramatifaje 
^nterejfe,  roeld)eS  baS  Stra§enleben  in  biefem  3lugenblidfe  barbot,  00m 
4?aufe  fortgelodft  roorben  roar;  aber  bie  ^f)antafte  eine«  Siebenben  ift  nur 
ju  leid)t  geneigt,  fid)  2:ruggebilbe  ju  f Raffen,  unb  fo  falj  aua;  ©abriet 
barin  eine  fd^limme  Sorbebeutung  für  feine  Siebe.  9Bobl  fagte  er  fid), 
ba§  ©ugenie  Äenntni§  baoon  l)aben  müßte,  baß  grau  ^enrn  fie  fjeut 
3lbenb  nidjt  erwarten  roürbe;  aber  ber  ©ebanfe,  er  folle  fia)  bis  jum 
näd}ften  Tage  gebulben,  roenn  er  feine  ©eliebte  roieberfefjen  rooüte,  roar 


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25^    $ran<;ois  <£eppde  in  paris.  — 


ifnn  unerträglid).  So  irrte  er  benn  bis  tief  in  bie  •ftad&t  hinein  auf 
ben  belebten,  oon  aufgeregten  23olf£maffen  burdjwogten  Strafen  umt)er 
unb  glaubte  in  jeber  oorübergefjenben  grau  ©ugente  ju  erfemten. 

Dodj  mußte  er,  als  e3  auf  bem  Dtmrm  ber  ßirdje  Saints3acque3 
bu  ^aut^toS  sefm  U^r  fd)lug,  aud)  auf  bie  lefcte  Hoffnung  uerjtditen  unb 
woljl  ober  übel  ben  2Beg  nadj  föaufe  einfdjlagen. 

Die  ^adjt  würbe  ifnn  entfefelid)  lang,  unb  am  nädjften  SÖlorgen,  in 
aller  grütye,  nod)  oor  feiner  Süreauftunbe,  eilte  er  ju  grau  &enrp,  benn 
er  füllte  ba3  unabweisbare  SBebürfmfe,  etwa«  9fäljere$  über  ba3  Sdjicffal 
(£ugenien3  3U  erfahren. 

2115  er  ben  iljm  mohlbefannten  Älinge^ug  in  Bewegung  gefegt,  rourbe 
eä  plöfclid)  im  3imnier  tebenbig,  unb  ganj  gegen  ihre  ©ewoljnheit  lieft 
itm  grau  #enrn  einige  Seit  lang  warten.  911$  fte  enblidj  in  ber  tyilfc 
geöffneten  £$ür,  mit  ungefammtem  &aar  unb  einem  in  aller  ©ile  übeT= 
geroorfenen  3J?orgenfleibe  erfdjien,  entfloh  ein  letfer  3luäruf  be£  ©rftaunenS 
it)ren  Sippen. 

„&Me,  Sie  finb'3,  £err  ©abriel  ?  .  .  .  unb  ju  io  früher  Stunbe?" 
rief  fie  ooüer  Verlegenheit.  .  .  .  ,,3d)  habe  nämlid)  Vefud)  .  .  .  9lber 
ba$  tfmt  md)t$,  bitte,  treten  Sie  näher  ...  Sie  fönnen  gleid)  bie  39e* 
fanntfd)aft  meines  Vettere  Robert  madjen,  ba  ijt  weiter  nidjtä  Dabei." 

©abriet  in  baS  3immer  fanb  er  e$  in  größter  Unorbnuug. 
9luf  einem  £ehnftuf)l  ^ingegoffen  lag  ein  btlbhübfdjer  junger  23lonbin,  ber 
joeben  mit  feinem  grühftücf  fertig  war  unb  in  aller  ©emüthlidjfeit  eine 
(Sigarette  raupte,  ©r  war  Seconbelieutenant  bei  ber  Sflobtlgarbe,  benn 
er  trug  auf  ben  Slermeln  feiner  aufgefnöpften  Uniform  bie  golbenen  treffen. 
(Sin  Cffaierfepi,  barunter  ein  Säbel,  lag  neben  ilnn  in  ber  ©de  3wifdjen 
bem  flamin  unb  ber  2i*anb. 

Die  fdjlanfe  brünette  30g  in  aller  (Sile  ifjr  SJlorgenfleib  über  ber 
Vruft  sujammen,  ftrid)  mit  betben  $änben  ihr  ^erjauftes  $aar  glatt  unb 
jagte  mit  lebhafter  Stimme: 

„Robert,  id;  ftelle  Dir  Ijier  &errn  ©abriet  gontaine  cor." 

Dann  neigte  fie  fid)  jum  Cl;r  be£  Dffaierä  nieber,  bem  ©abriete 
ülnfunft  eine  fein*  unangenehme  Ueberrafajung  31t  bereiten  fajien,  unb  fügte 
mit  halblauter  Stimme  t)in5u: 

„Dir  fann  iay$  ja  fagen,  er  fommt  wegen  meiner  greunbiu." 

Der  Slngerebete  war  aufgeftanben,  oerneigte  fid)  leid)t  unb  fefcte  fict) 
fofort  wieber,  nad)bem  er  bem  2lnfömmling  einen  äufjerft  mifctrauifdjen 
Vlicf  zugeworfen. 

Öabriel  wußte  oor  lauter  Verlegenheit  nidjt  au$  nodj  ein.  (£r  war 
jwar  febv  naio,  aber  bie  Verwanbtfd)aft  grau  &enn;3  unb  be$  CffijierS 
ericfjien  ilnu  bod)  mehr  at$  jweifelljaft.  £r  fat)  bie  oon  Speifereften  be= 
beeften  Detter,  bie  geleerten  3i?einfla|d)en,  untrügliche  3e^en  eme*  üor 
5lur$em  ftattgefunbenen  geftmaljle*,  ba3  ungeorbnete,  mit  ©arbinen  nur 


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  <£htc  n>äl]rcnb  bei  Belagerung. 


255 


fd)ledjt  oerbedte  23ett  in  bem  äUtooen,  ba*  fyalbnadte  &?eib,  ben  jungen 
9)iann,  ber  hier  fo  gemütl)lid)  raupte  unb  ftdj  fo  3roanglo3  benahm,  ate 
wäre  er  bei  fid)  ju  &aufe,  unb  ein  unnennbares  ©efüf)t  be$  (Sfelä  über* 
fam  irm  bei  bem  ©ebanfen,  ba§  er  bie  SBefanntjdjaft  Gugeniens  in  foldjer 
Umgebung  gemadjt.  Der  ©egenfafc  jnrifajen  bem  garten,  unfdjulbigen  jungen 
Sßefen  unb  biefer  Scene  grob  gemeiner  <Sinnlid)feü  rief  in  feinem  ©eifte 
tief  fa^merjlid^e  ©ebanfen  toadj.  Gr  hatte  Sßta^  genommen,  aber  er  fa§ 
auf  bem  äujjerften  9^anbe  beä  Stul)le3  unb  roufjte  nid)t,  roa£  er  fagen  fottte. 

„Slermfier  &err  ©abriet/'  fagte  grau  &enrt)  plöfclid),  ,,id)  habe  Q^nen 
eine  traurige  SRaajridjt  mitjut^eilen.  3a)  fyabe  unfere  fleine  greunbin 
gejteni  um  oier  Uljr  geforodjen  .  .  .  2Bie  fie  mir  fagte,  ift  fie  geftern  früh 
mit  in  ba$  ©etümmel  am  Gorr»£  SegtSlatif  geraten  unb  l)at  babei  eine 
roafn-e  £obesangft  auSgeftanben  .  .  .  ©ie  tonnen  fid)  ja  benfen,  Seute 
com  Sanbe  .  .  .  Dann  nodj  etioaS  .  .  .  3t)r  3Hann  hat  il;r  erflärt,  er 
fonne  fid)  nid)t  toährenb  ber  Belagerung  mit  einem  2ßeibe  befaffen  unb 
motte  fie  nodj  ^eut  2lbenb  nadj  ber  Barm  bringen,  um  fie  3U  ihren  Glteru 
511  fanden.  2lbcr  roaS  fehlt  3^ncn  benn?  6ie  finb  ja  ganj  blafe  geworben/' 

©abriet  roare  nrirflid)  beinahe  in  0^nmaa)t  gefunfen.  Der  ©ebanfe, 
üon  Gugenie  getrennt  ju  fein,  tarnte  ben  «jsuläfchlag  feinet  ^erjenä. 
^efiimift  roie  alle  Siebenben,  natjm  er  ba$  erft  brofjenbe  Ungtücf  at*  fd>on 
gefcfjehen  entgegen. 

Gr  fitste  ba3  Öebürfnifc,  ^inau^jueilen,  aufjuatlmien.  3um  fiw&en 
(Srftaunen  be$  Cffi$ierä,  bem  ber  gan3e  Vorgang  unuerftänbtid)  blieb,  ftanb 
er  auf,  loanfte  jur  £t)ür,  oerabfd)iebete  fid)  mit  leifer,  faum  oerneljtnbarer 
Stimme,  brüdte  grau  &enr«  bie  £anb,  unb  floh,  ben  Dob  im  &er$en, 
bie  heroorbredjenben  tränen  nur  mühfam  unterbrütfenb,  bura)  bie  froh= 
belebten,  im  golbigen  Sonnenfa^ein  blinfenben  Strogen. 

X. 

©abriet  rjatte  gar  nidjt  einmat  erfahren  fönneu,  ob  Gugenie  audj 
loirflid)  5pari^  oerlaffen  f;atte.  Den  näd)ften  unb  bie  folgenben  Dage  »er* 
fudtfe  er  oerfd)iebene  2)?ale,  aber  immer  oergeblia),  bei  grau  .§enro  oor* 
$ufprea)en.  Der  Sortier  tfjeilte  ilmt  mit,  bafi  fie  faft  nie  5U  ,§aufe  roäre, 
feit  ihr  Detter  mit  feinem  üDtobügarben^ataiUon  nad)  ^aris  gefommen, 
unb  bafj  bal>er  aud)  grau  Clement  uiajt  mehr  anzutreffen  fei. 

Gr  mar  in  33ersioeiftung.  Die  ganje  9iatur,  meldte  ifjm  bie  3aubers 
fraft  ber  Siebe  roäfjrenb  be3  frönen  2Iuguftmonat^  mit  neuer,  ungeahnter 
garberipradjt  au^geftattet  t)atte,  erfa^ieu  i^m  nun  in  ein  £rauergeroanb  ge= 
tjüHt.  Uebrigen»  übte  ber  Sajmerj  auf  iljn  bie  iöirfung,  bie  er  nur  bei 
uornefmten  Naturen  tjeroorjubringen  pflegt :  er  ftimmte  ilnt  noa)  fanfter. 
Die  Siebe  ju  feiner  3)hitter  oerlangte  naa)  lebhafterer,  äußerer  ^ctl)ätigung. 
5iur  auf  bem  Süreau,  feinen  (Sollegen  gegenüber  mar  er  ftiller,  surücf= 
I^attenber  geworben. 


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256 


^ran^ois  <£oppec  in  Paris. 


llnterbeffen  belagerten  bie  ^reujjen  $ari*,  unb  (Gabriel  war  bem 
Seifpiel  ber  Uebrigen  gefolgt  unb  bei  ber  ftationalgarbe  eingetreten,  3n 
einer  @tfe  be*  Speifejimmer*,  beffen  fämmtlia>  oerfdjliefcbare  ftäume 
3rau  gontaine  mit  köpfen  eingeinaajter  grüßte  unb  Sarbinenbüdjfen 
ooHgepfropft  hatte,  funfeite  ber  Sauf  eine*  £interlaber*.  ©abriel  erercierte 
täglia)  im  £uremburger  Sßarf  unb  50g  mit  feinem  Bataillon  jmei  bis  brei* 
mal  wödjentlid)  auf  SBorpoften.  2)en  Tornifter  auf  bem  dürfen,  ba*  ©ewehr 
auf  ber  Sd)ulter,  rütften  Tie  oon  bem  ^antheonplafee  nadj  Iber  $orte 
b'^talie  unb  oerfahen  hier  ihren  2>tenft.  (Sr  ftanb  bei  einem  gleidf)  3U 
Slnfang  be*  Äriege*  fonnirten  Bataillon,  ba*  fid)  faft  nur  au*  ^Jrofefforen 
unb  heroorragenben,  becorirten  ^erfönlichfeiten  jufammenfefete.  @*  fannte 
nur  einen  Sdjlad&truf :  „G*  lebe  granfretd)!"  unb  ftanb  batjer  im  jHufe 
reactionärer  ©efinnung.  Sein  Nebenmann  im  ©liebe  mar  fein  früherer 
^J^ilofopl)iele^rer  am  Snceum  Som*:le»©ranb,  ein  ^armlofe*  Männchen, 
ba^  in  ben  bienftfreien  Stunben,  auf  bem  geftung*roaüe  ftfcenb,  feinen 
Seneca  ftubirte.  ©abriel  mar  am  liebften  in  ©efeüfd>aft  btefe*  Satteren, 
benn  er  50g  fie  bei  weitem  bem  finbifdjen  3eitoertreib  ber  ^arifer  Spiefc 
bürger  oor  unb  hatte  aud)  nid&t  immer  £uft,  ben  fabelhaften  Ärteg*aben* 
teuem  feine*  rotbärtigen  3nftruction*4tnteroffiäter*  jujuhören,  ber  mit 
feinem  ©eroef)r  alle  möglichen  2lfrobatenfunft|"türfe  au*führte  unb  gern  auf 
Unfoften  2luberer  einen  Sdmap*  tranf. 

Xer  Seg,  welchen  bie  9tationalgarbe  einfdjlug,  um  3ur  SBaftion  ju 
gelangen,  mar  für  ©abriel  ooü  fchmerjlicher  Erinnerungen.  Senn  fie  bie 
dlue  Sttonge  entlang  gegangen  waren,  (amen  fie  über  ben  33ouleoarb  b'^talie, 
unb  oon  hier  au*  fonnte  ©abriel,  in  SRei^  unb  (Blieb  marfdjirenb,  hinter 
einer  halboerfallenen  3J?auer  ba*  $ad;  jene*  $aufe*  fehen,  wo  feinet 
2tnfid)t  nach  Gugenie  nicht  mehr  fein  fonnte,  unb  er  la*  oon  Seitem  auf 
bem  Scr)ilbe  über  ber  2pr  jene  Sorte,  bie  ihm  fo  fehr  meßten:  Clement, 
3immermeifter.  Gtwa*  weiter  oben,  im  gaubourg,  befilirte  bann  ba*  SataiUon  " 
an  ber  ftingbafmftation  worüber,  wo  fidt)  ©abriel  einft  oon  feiner  greunbin 
getrennt,  nadjbem  fie  ben  benf  toürbigen  Spa3iergang  in  ber  Umgegenb  oon 
^arte  unternommen!  2ld),  wie  laut  fd)lug  jebe*mal  fein  &era,  wenn  er 
bort  oorbeifam! 

Unb  boaj  hatte  biefe*  ungebunbene  hieben  unter  freiem  Gimmel  auf 
ben  Sailen  einen  eigenen  9tei3  für  ©abriel,  benn  er  fonnte  fid)  fo  gan$  . 
feinen  Träumereien  Eingeben.  Sie  oiele  Stunben  lang  ftanb  er  nia)t  Ijier 
auf  feine  S3üd)fe  gelernt  unb  betrachtete  bie  fülle  fcerbftlanbfdjaft  ring** 
um^er,  in  ber  auf  allen  Seiten  Tob  unb  $crberben  lauerte,  währenb  ber 
unglücklich  Viebenbe  in  ben  bunflen  Umrijfen  ber  fernen  &ügelreihen  unb 
ber  blaffen  gävbung  be*  Gimmel*  nur  einen  Sieberfdjein  ber  eigenen  traurigen 
Stimmung  fal; !  Sie  oft  oertiefte  fid)  ©abriel,  wenn  fchwere,  oon  geuer** 
brflnften  Ijerrühreube  Mauchmaffen  über  ben  Sälbern  lagerten,  wenn  ba* 
©rollen  be*  Slanonenbonner*  oon  Ga>  ju  (Seho  getragen  würbe,  unb 


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  €tne  3HIIe  n>äljren&  ber  Selagcrnng.    257 

ring!  um  ifm  ba3  wilbe  ßagerleben  tobte,  in  eine  föftliche  unb  bod)  ba= 
bei  fd^merjüoUe  Erinnerung,  oeffunfen  im  Einbauen  ber  geuergrotten  ber 
untergehenben  ©onne! 

Sud)  be3  9tod)t$  ftanb  er  gern  auf  Soften,  wenn  er  mutterfeelenallein 
bei  einem  ungeheuren  33elagerung$gefchü&,  welches  ber  Söinb  mit  fchauer* 
liefen  Älagetönen  erfüllte,  $urüdblieb,  unb  feine  2lugen  ftdj  an  beT  $rad)t 
be$  geftirnten  ßimmete  weibeten.  Siäwetlen  fd&wieg  bie  (Stimme  ber 
gorta,  unb  es  f>errftt)te  bann  eine  fo  tiefe  ©title,  bafj  ©abriet  ganj  beutlid) 
ben  fchweren,  gleichmäßigen  ©abritt  ber  bie  3ionbe  machenben  ^atrouifle  unb 
ben  Stnruf  ber  ©chtlbwache:  &alt,  wer  ba'?  »ernennen  tonnte,  ©erabeju 
entjüdenb  mar  es  bei  SWonbfd^ein.  3Iuf  ber  einen  ©eite  »erlor  bie  fich  in 
bläulichen,  burdrfichttgen  Dunft  getaufte  Sanbfchaft  in  unerme&lidjen  gernen, 
auf  ber  anbem  fah  er  bie  Fächer  beS  gaubourg  ©aint*9Jtarceau  unb  beS 
Sergej  ©ainte=@eneoR'oe  gleich  unzähligen  ©tlberftufen  ^um  $om  beS 
^antfjeon  emporfteigen.  9tngefichtS  biefeö  zauberhaften  Silbe«,  in  bieten 
<Stunben  nächtlicher  (Sinfamfeit,  wo  bie  frifdje,  gewiffermafjen  gereinigte 
£uft  ^pt)antafie  unb  ©inne  fchärft  unb  ifmen  eine  höh*?*  aj?aä)t  oerletrjt, 
brängten  fid;  bie  in  ber  Xrunfen^eit  ber  erften  Siebe  empfangenen  ©in  5 
brüdfe  maffenroeife  im  ©etfte  ©abrief  jufammen.  SRoch  einmal  burdjlebte 
er  all  bie  wonnigen  ©tunben,  bie  er  in  ©ugentenS  dltye  zugebracht,  ©r 
brauchte  nur  bie  3lugen  ju  idjliefcen,  um  fie  bei  grau  £enro  nrieber$u= 
felm,  im  Sid)tfreis  ber  Sampe  mit  ©tiderei  befdjäftigt.  $aS  Köpfchen 
roar  oornüber  geneigt,  ber  Äörper  im  Sehnftuhl  etwas  eingefunfen,  fo  bafj 
baS  Ätnn  faft  ben  33ufen  berührte,  ©r  t)örte  irjre  ©timme  wteber,  ihren 
frifdjen  hellen  ftlang  oerftärft  burd)  bie  Sogengewölbe  ber  Srüden,  unter 
benen  fie  burchgegangen  waren,  als  fie  ben  Spaziergang  bie  ©eine  entlang 
matten.  (5r  füllte  ben  fanften  £rud  oou  (SugemenS  9trm  auf  bem  feinen, 
unb  auf  ben  Sippen  bie  Söonne  ber  beiben  einzigen  töüffe,  bie  fie  ihm 
hatte  geben  tonnen.  33on  Kummer  oerje^rt,  glühenbe  ©efmfucht  im  föerjen, 
richtete  er  bann  wof)l  zum  gtrmament  empor  ben  erhabenen  Slid  ber  &er= 
zweifelten,  als  ob  er  ben  Gimmel  zum  3eu9*n  feines  ©chmerjeS  anrufen 
wollte,  lehnte  fidj  an  bie  (frbfäde  beS  SSktßeS,  barg  fein  §aupt  in  ben 
£änben,  unb  meinte  Jeije  Xfyränen. 

ÜD7od)te  auch  bie  Hflgemalt  ber  Siebe  ben  ©inn  beS  jungen  9J?anneS 
immer  mehr  ablenfen  oon  ben  um  ihn  herum  fid)  abfpielenben  (Sreigniffen, 
fo  ging  baS  bodj  nidjt  fo  roeit,  bajj  er  nicht  offenes  3lug'  unb  £f)r  für 
fie  bewahrt  hätte.  SiSweilen  erfd)ien  ihm  feine  ©leichgültigfeit  gegen  bie 
©efahren  beS  SaterlanbeS  fogar  äußerft  oenuerflia)  unb  er  madjte  fid)  bie 
birterften  Vorwürfe,  ©inmal  ganj  befonber^  trat  ihm  ba£  aüen  brohenbe 
33erberben  in  ergreifenber,  ja  entfe^enerregenber  ©eftalt  entgegen,  unb  ba 
er  eine  ebel  beanlagte  9Zatur  mar,  fo  empfanb  er  faft  oor  fia)  felbft  Slb« 
[cheu,  roenn  er  bebaä)te,  roie  wenig  er  fidh  bityev  barum  befümmert  t)attt*. 

2ln  jenem  £age  ftanb  er  an  ber  3u9brüde  bcr  s^orte  b'^talie  auf 


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258    ^ranvois  <£opp6e  in  poris.   

SBorpofteu,  a(£  bie  krümmer  unfereS  uuglücfliäjen,  roieber  einmal  bei 
SMllejuif,  Gfyeoilln  ober  fonfl  roo  gefd)  (eigenen  $eere$  aus"  bem  Äampfe 
surücffefjrten. 

9Jitt  flotl)  bebetft,  abgebt,  beftaubt,  burdjeinanbertaufenb  rote  eine 
Hammelherbe,  äufammenbredjenb  unter  ber  Saft  t()rer<Sf)affepots"  unbSorntfter, 
fo  famen  fie  an,  unb  boten  mit  ir)ren,  in  golge  ber  9(nftrengungen  fiebere 
fjaft  gerotteten  SBangen,  if>ren  befcfynufcten  ©amafdjen,  unb  it)ren  alten 
auf  ben  mageren  SRücfen  flebenben  Mänteln  einen  erfdjrecfenben  2lnbltä\ 

Sinienfotbaten,  (Sfjaffeurä  ju  gufc,  £urfo$,  GaoaHeriften  olme  ^ferbe, 
ba3  StlteS  ffieft  Ijier  im  bunten  ©eroirr  mit  SDfunitionSroagen  unb  ©efpannen 
jeber  2Jrt  feinen  ©injug.  $ie  3lrtiumften,  finfter  breinfdjauenb,  fafcen 
mit  oerfdjränften  9lrmen  auf  ifnrem  haften,  bie  galjrer,  fyxib  eingejd)tafeu 
auf  if>ren  jottigen  abgetriebenen  ^ferben.  Cffaiere  fünften,  auf  Stöcte 
geftüfct,  oorbei. 

©n  ©eneral  ritt  tangfam  auf  feinem  Traunen  ooruber,  ben  9)ienfd^en= 
ftrom  befjerrfdjenb  unb  bodj  oon  ibm  fortgeriffen.  ©r  trug  einen  grauen 
(Schnurrbart  unb  r)atte  ein  ä^tes"  <5olbatengefid)t,  ftreng  aber  ef)rlidj  unb 
im  garten  ßriegsbtenft  alt  geroorben.  %<a$  tfepi  roar  itnn  über  bie  2lugen 
gerueft,  feine  Haltung  gebeugt,  gebrüeft  burdj  ba$  Öeroufetfein  ber  9iieber* 
läge.  92ur  roenige  Stabäoffijiere  in  fdnnufetgen  Uniformen  folgten  t&m, 
foroie  einige  rottye  ©pal)t$,  bereu  fdpöne,  oon  ber  Heimat  träumenbe 
klugen  fetmfudjtsooll  3um  fjerbftlid)  beroölften  Gimmel  emporblidten. 

3>er  Storbweftroinb  trieb  bie  großen  grauen  2Bolfen  oor  fidj  ty*- 
2?on  Qeit  5U  3^it  feuerte  baS  ganj  in  ber  9?äf)e  liegenbe  gort  iBic*>tr 
einen  Sdmjj  ab,  um  ben  ^fücf^utj  ju  beefen. 

Gnblia)  famen  bie  .tfranfenroagen.  .fttngeftrecft  auf  bie  Ii'etnroanb 
ber  Xragbabre  ober  auf  ba$  Strot)  ber  Marren,  jufainmengefunfen  auf 
ben  8cffeln  ber  Sxagförbe,  jogen  bie  $errounbeten,  oon  ber  fDfenge  be= 
grüßt,  worüber.  sJD?and)e  fließen  Säjmerjenslaute  aus;  bie  ganj  jungen 
roeinten. 

SNandje  roaren  aud)  auf  Omnibuffe  gepaeft  roorben,  auf  benen  nebeu 
bem  Ahitfct)er  bie  'roeifje  galme  mit  bem  rotten  Mreuj  roet)te.  3ötc  sunt 
£ofnt  trugen  biefe  ©efäljrte  an  ben  8eitettroänben  bie  -Namen  ber  i*er= 
gnügungäorte  im  Umfreife  ber  Stabt,  roeld;e  bamalä  für  bie  ^arifer  $u 
ibrem  großen  Sdmierj  bie  ©renjen  tfranfreid)^  geroorben  roaren  .  .  . 
©eroebrläujc  ragten  311  ben  Sljüren  fjerauS,  unb  alle  ftbpfe  roacfelten  beim 
geringften  Stojje. 

Gitter  biefer  unfyeimlidjen  Üföagen  l)ielt  gerabe  oor  ©abrief.  ©in  ^er= 
rouubetct,  ein  armer,  fleiner  Sinienfolbat,  bem  ein  ©ranatfplitter  ben 
Veib  auf gerijjeu  (jatte,  roar  olmmädjtig  geroorben,  uub  man  fd)affte  ifm 
heraus,  um  Um  bort  auf  ber  ^trafce,  bei  ftrömenbent  9fegen,  oerfdjeiben 
ni  Inffcn.  (Sin  gerabeju  entfe&enerregenber  Umftanb  ift  hierbei  $u  er= 
malmen.    Sil*  bie  Mranfenroärter  biefe  leblofe  Waffe  aufhoben,  ging  ber 


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  €iuc  3&Yllc  irat}reu6  ber  Sclacjcrung.    259 

in  ber  <5ife  angefegte  2?erbanb  los,  unb  ein  grofjer,  über  unb  über  blutiger 
Änauel  (S^arpie  fiel  auf  ba3  5Pftafter. 

flaum  lag  er  auägeftrecft  auf  einer  SRatrafce  in  einer  -Diaueretfe,  roo 
bie  9?ationaIgarben  in  ber  9tod)t  gefd&lafen  Ratten,  fo  5ucfte  er  jum  festen 
9Wal  jufammen  unb  oerfdjieb.  6s  war  baä  ber  gemeine  9Jtann,  am  Slbenb 
»orljer  SKefrut,  geftem  nod)  33auer.  (5r  ^atte  ba3  biebere  ©eftdjt  bes 
i'anbmamts,  tn'3  lflötf)li$e  r)inüberfpielenbe  £aare,  Sommerfproffen  auf 
ber  'Stirn  unb  Sdjroielen  auf  ben  £anben  in  golge  ber  faseren 
gelbarbeit. 

Sange  ruljte  ©abriet!  33lid  auf  bem  £eidf>nanf  be3  befdjeibenen  Solbaten, 
ber  in  einent  unbebeutenben  treffen  gefallen  rcar  unb  nadj  einem  freubfofen 
Seben  einen  rurmtlofen  £ob  gefunben  fyatte.  (£r  überlegte  bei  fta),  bafj 
^unberttaufenbe  wie  biefer  f)ingeopfert  roorben  feien;  unb  wenn  er  fein  eigene^, 
infjaltlofeS,  in  fermfud)t$oollem  Verlangen  fid^  öer5el)renbe3  Sein  mit  bem 
Öefdjicf  biefeä  armen  Sflärttjrerä  be3  ©er)orfam3  unb  ber  Aufopferung 
perglid),  frieg  i\)m  bie  9totlje  ber  Sd)am  in  bie  SSangen,  unb  er  fragte  ficf) 
allen  6rnite3,  ob  er  ntd)t  ein  Ungeheuer  fei. 

£er  arme  Qunge  mar  ganj  einfadj  oerliebt  unb  trofe  aller  SBorroürfe, 
bie  er  fid)  im  Stillen  madjte,  außer  Stanbe,  fid)  ber  Snrannet  biefer,  fein 
ganje<§  Siefen  erfüllenben  ßmpfmbung  ju  entstehen,  bie  man  fo  rid)tig  bie 
Selbftfudrt  ju  3w^cn  genannt  f)at.  3)ie  ©rinnerung  an  Gugenie  lieft 
ir)m  feine  9tuf)\  9Jtond)mal  oerftieg  er  fidj  fogar  jur  tf)örid)ten  Hoffnung, 
baft  er  fie  toieberfinben  roerbe,  unb  bafj  fie  oielleidjt  in  ^ßariä  geblieben 
fei.  3lber  er  roagte  e$  nidjt,  ju  grau  $enrn  jurücfjuferjren,  um  nähere 
2(usfunft  barüber  ju  erlangen,  ©in  eigentl»unlid)e$  ©efufjl  be$  Unbef)agen3 
nberfdjlia)  irm,  wenn  er  fid)  oorftellte,  wie  ber  junge  Cffijier,  an  ber 
gebedten  Safel  fifcenb,  ber  fdjönen  brünette  ben  dlauti)  in'!  ©eftdjt  blie$, 
an  berfelben  Stelle,  roo  feine  junge  fd)üd)terne  Siebe  entftanben  mar. 

Sein  Seben  floß  baljer  jiemlid)  einförmig  bafjtn,  geteilt  jioifäjen  ber 
Erfüllung  feiner  militärifdjen  unb  amtlichen  Cbliegenfjeiten.  Oft  mußte  er 
aucd  bie  klagen  feiner  SHutter  anfjören,  bie  mit  Sdjreden  bemerfte, 
roie  ir)rc  33orrätr)e  abnahmen.  Seine  Abenbe  verbrämte  er  meift  in  @e= 
feQfctiaft  (SajabanS, 

Xie  Segeitferung,  mit  weite  ber  9)?ann  be»  SübenS  ben  oierten 
September  begriifct,  tjatte  nid>t  lange  oorgefjalten  unb  fdjien  mit  bem  Luft- 
ballon, roeldjer  ©ambetta  entführte,  oerflogen  ju  fein.  9tod)bem  er  ner; 
geblia)  bie  ftrengften  Maßregeln  geforbert,  roie  $um  ^cifpiel  bie  Waffen; 
t)inrid)tung  ber  glüdjtlinge  oon  (itjatiUon,  fing  er  an,  bie  Regierung  ber 
Sc&lafffjeü  $u  bejidjtigen,  gatts  befonberS  ober  Srodnt,  ben  er  Lump  unb 
geigling  titulirte.  (§r  rourbe  oon  Sag  511  Sag  cncrgifdjer  in  feiner  3lu$* 
brucfSroeife  unb  fonnte  feine  jelm  äBorte  mel)r  ^eroorbringcn,  oljue  fie  mit 
ben  gröbften  glühen  unb  jenen  berüd)tigteu  Ärafttoorten  >u  tourjen,  roeldjo 
balb  barauf  im  $<-re  Xua^e^ne  oereroigt  werben  follten.    Seine  bemagogifdie 


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260    Jcanvois  £oppee  in  paris.   

Stiftung  trat  immer  fd^ärfer  heroor.  Gr  las  bie  »ort  ölanqut  rebigtrte 
3ettung  unb  »erlangte  ben  ßrieg  bis  auf's  Mejfer.  3eber  waffenfähige 
Mann  foöte  jum  ÄriegSbienft  herangezogen,  MaffenauSfäHe  unternommen, 
unb  £orpeboS  in  ben  2lb$ugSfauälen  gelegt  werben. 

dabei  ging  er  felbft  immer  nur  in  (Sioil.  3113  einziges  Stbseic^en 
trug  er  baS  Äept  ber  Militärärzte,  ba  er  jeber  Möglichkeit  einer  ®efaf)r 
entrficft,  in  irgenb  einem  Sajaretf)  mitten  in  ber  Stabt  beschäftigt  war, 
roo  es  nach  feinem  eigenen  3u9eftänbnifj  noch  mannen  fetten  3Mffen  gab. 

XI. 

Seit  Sßodjen  belagerten  nun  fdjon  bie  ^reufcen  ^ariS,  unb  ber  Monat 
Cctober  nal)te  feinem  @nbe.  diejenigen,  meldte  fidj  inmitten  ber  allge; 
meinen  Aufregung  fo  oiet  Ueberlegung  bewahrt  hatten,  um  bie  SBerhältnijfe 
fachgemäß  zu  beurteilen,  ließen  bie  Hoffnung  finfen,  unb  trofc  aller 
begeifterten  Slnfpradjen,  trofc  aller  Prahlereien  am  Siertifd)  fah  gar  mancher 
ruhig  denfenbe  mit  Schrecfen  in  bie  3ufunft.  die  ^frofagnomie  ber 
£auptftobt  nahm  allmählich  einen  immer  büftereren  ©harafter  an,  ber  mehr 
im  ©inflang  jwnb  mit  ber  fo  zu  fagen  in  ber  Suft  fdjwebenben  Unruhe, 
mit  bem  plöfclid)  ftnfter  geworbenen  Gimmel  ber  legten  .§erbfttage.  $m 
©egenfafc  ju  ben  polizeilichen  Verfügungen  fahen  bie  Strafeen  unorbentlich 
unb  fdjmu^ig  aus,  unb  bie  allgemeine  9toth  gab  fidj  in  taufenb  beun* 
ruhigenben  Slnjeichen  funb.  buntfarbige  Settel  aller  3lrt  aufteilten  bie 
gacaben  ber  Käufer,  nur  feiten  begegnete  man  einem  SBagen;  ein  Qauä) 
ber  Trauer  unb  beS  @lenbs  fc^ien  burd)  jene  fdjlecht  gefleibete  Menge  $u 
gehen;  faft  alle  Männer  trugen  bie  Uniform  ber  Dtotionalgarbe,  aber  fic 
war  immer  fehr  nadjläfffg  gehalten  unb  in  ben  meiften  gäHen  be|<hmufct. 
9toch  ganz  neue,  fdjöne  Käufer  würben  ben  cor  ben  geinben  geflohenen 
Sanbleuten  eingeräumt,  unb  biefe  lie&en  in  ben  f oftbar  ausgeflutteten 
3immern  ganz  gemütlich  tfantnehen  unb  $üfmer  herumlaufen.  3ln  gar 
vielen  fünften  ber  Stabt  ftanben  in  eublofen  Leihen  dienftmäbä)en  unb 
grauen  aus  bem  Sßolfe  auf  ben  £rottoirS  unb  warteten  an  ben  Spüren 
ber  ftäbtifd^en  S<hlad)tl)äufer  auf  bie  für  fie  beftimmte  Nation  ^ferbe* 
fleijd).  9todjtS  würbe  ber  2lufenthalt  in  $ariS  gerabeju  unheimlich. 
2luSgenommen  bie  (SafeS  unb  bie  3lpothefen  würben  fämmtliche  Säben  fehr 
fettig  gefchloffen.  die  Hälfte  ber  ©aSflammen  blieb  unangejünbet,  unb 
nichts  war  schauerlicher,  als  in  biefer  halb  erleuchteten  ginfternifc  einzelne 
Schatten  oerjpäteter  Paffanten  herumirren  ju  fehen. 

die  Sonntage  aber  waren  wa^renb  biefer  3eü  ber  ^Belagerung  aus* 
nahmSweife  jehön,  unb  bie  Parifer  fugten  maffenweife  ihre  Lieblings* 
fpajtergänae  auf.  ?(ud)  (Gabriel  l)atte  einen  biefer  hellen,  oon  milbem 
Sonnenlidjt  uerflärten  9todnuittage  benüfct,  um  mit  feinem  greunbe  Gazabau 
auf  ben  groften  ^ouleoarbs  herumjufchlenbern,  als  er  ein  ganz  uner* 
wartetes,  ja  fchiev  unglaubliches  (rrlelnüfe  hatte. 


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  <£iite  3bflle  u>är?ren&  ber  Belagerung.    26\ 

Seit  einiger  3rit  mar  Eugenienl  93ifb  bet  Erinnerung  bei  3öng= 
lingl  fdron  etroal  entfdirounben,  unb  gerabe  an  jenem  £age  f)atte  er  nod> 
feinen  2lugenbli<f  an  ftc  gebaut.  Gajaban  fjatte  ilm  naä)  bem  fjrü^ftäcf 
oon  &aufe  abgeholt,  unb  ©abriet  war  mit  feinem  greunbe  fortgegangen. 
Mit  magrer  ÜBonne  überlief  er  fidj  bem  ©effityl  ber  greityeit.  Er  burftc 
gemütf)lid)  plaubern,  bie  &änbe  in  ben  23loufentafd)en  behalten,  unb 
jroanglol  umfyerfpajieren;  er  fonnte  fi$  bie  Sonnenfeite  ber  Straften  unb 
DuaiS  auffudjen,  el  mar  if)m  geftattet,  aufjuatfmten,  Menf  djen  ju  fefjen. 
So  famen  bie  beiben  greunbe  btl  jum  Bouleoarb  Montmartre  unb  fcf)ritten 
langfam  burd)  bie  Menge,  bie  immer  bidjt  gebrängt  bie  3ugängc  bcr 
?>aftage  3ouffrop  belagerte. 

€a3aban  mar  eben  im  begriff,  feinem  greunbe  bie  rounberbare  Er= 
finbung  einel  2lrjtel  bei  Duartier  ßattn  ju  erflären,  bem  el  gelungen 
war,  eine  £i;pfmls  unb  Etyolera^Effenj  Ijerjuftellen.  ©in  fleinel  gläfd)d)en 
baoon  genügte,  biefe  Epibemien  unter  ben  ^reuften  ju  oerbreiten,  unb  er 
erging  fidj  gerabe  in  ben  leibenfdjaftlidjften  Stulfäflen  gegen  bie  uns 
patriotifdje  Weigerung  ber  Regierung  biefel  energifdje  23ertf)eibigunglmittel 
jur  Slmoenbung  ju  bringen,  all  ©abriel  plöfelid)  in  einer  Entfernung  oon 
ffinfjeljn  Stritt  Eugente  am  Eingänge  ber  ^ßaffage  erblicfte.  Sie  ging 
am  9lrme  einel  fjodjgeroadjfenen  Mannel,  ber  gleidjfattl  ber  9totionalgarbe 
angehörte.  Er  trug  auf  ben  Slermeln  feinel  Mantell  bie  gourriersUnters 
offtjiextrcffcn  unb  mar  allem  9Infdr)etn  nad)  i^r  ©arte. 

©abriel  blieb  ptofclid)  fief>n.  Er  fyxtie  bie  Empfinbung,  all  roäre 
tlmi  r»on  Semanbem  ein  heftiger  Sd)lag  auf  ben  Magen  oerfefet  roorben, 
eine  Erfdjeinung,  bie  burdj  ftarfe  neroöfe  Aufregungen  fyeroorgerufen  ju 
roerben  pflegt.  Sofort,  toie  in  Jolge  ^ör)crer  Eingebung,  mar  iljm  flar, 
bafc  bie  junge  grau  $aris  oom  Moment  ber  Einfdjliefjung  an  nidjt  oer= 
laifen,  unb  bafj  fie  roetyrenb  ber  fedjl  2ßod)en,  roo  fufj  feine  ©ebanfen 
unabläffig  mit  tyr  befdjäftigt,  in  berfelben  Stabt  wie  er,  ja,  in  feiner 
nä$ften  9täl)e  gelebt  Ijatte.  3m  2lugenblirfe,  roo  itjm  bal  unoerfjoffte 
©lücf  ju  Sfjeil  rourbe,  fie  roieber^ufinben,  burfte  er  nid)t  auf  fie  jueilen; 
el  mar  if>m  oerfagt,  if)re  $anb  ju  fallen,  fie  in  ber  9tä&e  ju  betrauten, 
fie  ju  berühren,  Ujr  Sittel,  Sittel  ju  fagen;  unb  jum  erften  Mal  traf  ei- 
ne am  2lrme  beljenigen,  ber  fid>  'i()rel  33eftfeel  im  tarnen  bei  ©efefeel 
unb  ber  ©efeüfdjaft  rühmen  burfte,  jenel  oon  ifjr  fo  fein*  gefürdjteten, 
oon  ifim  fo  fcr)r  oerabfdjeuten  ©atten! 

©abriel  fyitte  in  bem  großen,  fräftigen  Manne,  beffen  falte,  ^erjlofe 
Sttugcn  unter  bem  Sdjilbe  feinel  sXcp'i  (jeroorblifcten,  unb  ber  ftdj  in  feinem 
ferneren  Mantel  oon  grobem,  blauem  £ud)  fo  breit  mad)te,  augenblicflia> 
ben  3immermeifter  Element  erfannt,  unb  in  ben  Slugen  bei  Siebenben 
bilbete  bic  lieblidje,  jarte,  burd)  bie  Entbehrungen  ber  Belagerung  fdjon 
etroal  abgemagerte  ©eftolt  Eugenienl  in  ir)rer  bunflen,  enganliegenben 
ÄIcibung  neben  biefein  Äolofc  einen  fdnnerslidjen  ©egenfafc.   9lud)  Eugenie 


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262 


^ran^ois  <£opp6e  in  parts. 


erfannte  ©abrief  als  fie,  von  ifjrem  ©atten  geleitet,  an  ü)m  oorüberfam. 
2£ie  f eftgebannt  blieb  fic  ftefjn,  if>r  ©efiäjt  rourbe  tobtenblafc,  unb  iljre 
9lugen  öffneten  fidj  meit  oor  (frftaunen  unb  Aufregung.  $>ie.ganje  Scene 
bauerte  faum  eine  Secunbe.  $>ann  roanbte  fie  mit  einer  plöfeltdjen  33e= 
roegung  tlu*  £aupt  jur  Seite  unb  oerfdjroanb,  von  ifjrem  a^nungälofen  2Jtonne 
fortgejogen,  in  ber  Sflenge. 

„SöaS  ift  £ir  benn?"  roanbte  fid)  ber  2Rann  be£  Sübenä  an  ©abriel, 
ber  nod)  wie  »erfteinert  bajknb,  „3)u  fieljft  ja  gans  merfroürbig  aus." 

„9tidjt3,"  braute  ©abriel,  ber  nid)t  oon  ber  Stelle  tonnte,  fjeroor, 
,,id)  bin  mfibe,  fomm  mit  in'3  Gaf6." 

„Sefjr  gern,"  fagte  Gajaban,  ber  eine  foldje  (SHnlabung  niemals  ab* 
lehnte. 

2lber  ber  Spaziergang  fanb  fo  einen  für  unferen  gelben  äufjerft 
nnberroärtigen  Stöfdjlujj.  flaum  atlmtete  er  bie  Ijeijje  Suft  be3  2öirtt)$s 
fyaufeS/  fo  füllte  er,  wie  ifmt  ba$  23lut  ju  ßopfe  ftieg,  unb  er  wollte 
roieber  fort.  dajabanä  ©efdjroafc  betäubte  tfm;  er  f)örte  roofyl  2öorte, 
aber  er  oerftanb  tfjren  Sinn  niajt.  3)emt  fein  ©eift  ging  gan$  unb  gar 
in  bem  einen  ©ebanfen  auf,  bag  (Sugcnie  in  $ari3  mar,  unb  er  fann 
fdron  auf  ÜJtittel  unb  2Bege,  fie  roieberjufefjen.  £obtmübe  fam  er  ;bei 
feiner  Üflutter  an. 

$ie  3Haf)l$eit  mar  nur]  furj,1fie  roaren  e£  alle  ju  jener  3"tr  unb 
fobalb  grau  gontaine  ba$  £ifd)gebet  gefprodjen,  »erliefe  ©abriel  fic  unb  eilte 
inftinetio  nad)  bem  gaubourg  Saint*3acque£.  gaft  f)ätte  er  laut  aufge^ 
fd)rieen  oor  greube,  als  er  £id)t  an  grau  &enrn$  genfer  bemerfte.  £r 
fam  erft  gar  md)t  auf  ben  ©ebanfen,  bafj  fein  23efud)  ifjr  unbequem  fein 
unb  er  möglidjerroeife  nn'e  neultdfi  ein  traultdjeS  3ufammenfein  mit  bem 
ÜJiobilgarbenC ffiäier  ftören  fönne;  olme  lange  über  eine  ©ntfdjulbiguug 
megen  feinet  2lu3bleibenS  nadpbenfen,  flog  er  in  langen  Säfoen  bie  treppe 
hinauf. 

„2Sie?  Sie  finb'S,  abfdjeulidjer  SHenfdf)?"  rief  grau  ^enrp,  bie 
glücfltdjerroetfe  allein  mar,  beim  Empfange  aul.  ,,3d)  backte  fä)on,  es 
roare  3^r  ©eift.  3n  meiner  ßersenSeinfalt  bilbete  ia)  mir  ein,  Sie  waren 
üietteid&t  gar  $u  ben  granctireurS  gegangen,  unb  Ratten  bei  benen  roa* 
abgefriegt.  'S  ift  redu1  nett  uon  Zftnen,  ba§  Sie  3^re  greunbe  fo  im 
Stia)  lallen !  SaS  Ijabcn  Sie  roof)l  ju  Styrer  (Sntfd&ulbigung  ansufüljren, 
<perr  Unbanf barer  V  2öo  f)aben  Sie  fo  lange  geftetft?" 

iHber  ©abriel  mar  oiel  ju  glucflid)  beim  2lnbli<f  biefer  grau  unb 
biefeä  3"nmer^  °ie  f°  m^e  föftlidbe  Erinnerungen  in  feinem  ©eijte  roadV 
riefen,  bie  fro^e  Hoffnung,  Eugenicn^  Spur  gefunben  5U  Ijaben,  ja,  fie 
meUeid>t  in  üöalbe  roiebersufeljen,  lebte  ju  mäd^tig  in  feiner  Seele,  aU 
bafc  ibm  eine  paffenbe  Antwort  auf  bie  SBorroürfe  eingefallen  märe,  bie 
ibm  grau  .'penro  mit  er^eudjeltem  30rne  mad)te. 

„5lber  grau  ^enrn,"  gab  er  enblid)  etroaij  unbefonnen  jur  2lntroort, 


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  <£tue  3&yllc  wäljrenö  der  Belagerung.    263 

„idj  fjabe  Sie  fd)on  oerfdjiebene  3)tol  oergeblid)  aufgefudjt,  unb  bann  babe 
idj  aud),  offen  geftanben,  gefürchtet,  Sic  ftören,  ba  icb  Sie  neulich  fo 
.  .  .  in  gamilie  traf/' 

Die  fd^öne  brünette  ladete  laut  auf. 

„Na,  na,"  fagte  fie,  „id>  felje  fcfwn,  Sie  fmb  ebenfo  bo^aft  wie 
alle  Stnberen.  9ttan  barf  atfo  feinen  Goufin  mef)r  haben?  2lrmer  Robert! 
xoaz  bab'  Ii)  um  ben  au$ftel)en  muffen  ...  Unb  babei  fontmen  mir  gar 
nicht  mehr  ^ufammen,  benn  fein  Bataillon  fteht  im  SftoulinsSaquet*).  Sie 
fmb  gerabe  wie  biefe  häßliche  ©ugenie,  bie  nid)t  mehr  mieberfommen  wollte, 
weil  fte  itm  *3roet=  bis  breimal  bei  mir  getroffen  hatte.  GS  ift  Sftnen 
fdwn  ganj  9ted)t,  warum  haben  Sie  fid)  fo  lange  nicht  feben  lajfen! 
©ugenie  ift  nämlich  in  sparte  geblieben,  unb  faft  acht  Bochen  finb  Sie 
mit  itu-  nicht  jufammengefommen.  Eigentlich  oerbienen  Sie  gar  nicht,  baß 
ich  Qfmen  fage,  roie  oft  fie  Qbrer  gebad)t,  unb  wie  traurig  fie  mar,  wenn 
wir  nach  bem  ©runbe  %1)U$  gortbleibens  forfd)tcn.  Df),  biefe  Männer! 
<SMe  wollen  Sie  fid)  benn  entfdmlbigen,  fie  muß  jeben  9lugenbli(f  fommen!" 

(Sin  unenblid)e3  Wonnegefühl  burchbebte  ©abriete  £er$.  Der  eine 
®ebanfe  6et)crridr)te  ihn:  ©ugenie  hatte  tt)n  nicht  oergeffen,  bie  Trennung 
mar  auch  für  fie  febmerslicb  geioefen!  ©inem  unroiberftcl)lid)en  Crange 
folgenb,  feinen  ©efühlen  in  irgenb  einer  Weife  Suft  ju  machen,  faßte  er 
grau  £enrt)S  ,§anb  unb  fab  il;r  in'3  @efid)t  mit  9lugen,  in  benen  i^ränen 
tiefinnerfter  ©lücffetigfeit  glänzen.  So  fef)r  rührte  bie  Wahrheit  unb  2luf= 
rid)tigfeit  feiner  ©mpfinbung  bie  fd)öne  brünette,  baß  fie  fi<h  oerantaßt 
füllte,  ifmt  2ttuth  sujufpre^en  mit  beu  Korten: 

„Seien  Sie  boa)  fein  Sltnb,  fte  liebt  Sie,  fie  wirb  Sftnen  oerjeiben." 
Unb  in  biefem  9lugenbltcfe  trat  (Sugenie  jur  Xfyüx  herein. 

Die  beiben  Siebenben  ftanben,  nur  burd;  wenige  Stritte  getrennt, 
unbeweglich  einanber  gegenüber,  jitternb,  blaß,  feinet  Wortes  oor  2luf= 
regung  mächtig.  Sie  waren  iöeibe  ju  uornehm  angelegt,  als  baß  fie  ihrer 
^ärtltchfeit  oor  3e"gen  freien  Sauf  gelaffen  hätten,  unb  e$  trat  bafjer  ein 
^SugenblidE  peinlichen  Schweigens  ein.  grau  ,\Senrn  l)atte  bie  ganje  SadV 
läge  fofort  überfebaut  unb  trat,  geleitet  oon  jenem  Xactgefüf)l,  ber  nid)t 
feiten  ben  5r<*uen  felbft  ber  niebrigften  3>olfsflaffen  eigen  ift,  auf  ©ugenie 
$u,  nahm  ifjr  .'put  unb  Hantel  ab  unb  lub  fie  ein,  am  Stfäje  ^lafc  $u 
nehmen.  Dann  machte  fie  fidj'S  felbft  bequem,  bot  ©abriel  einen  Stubl 
an  unb  tagte  lädjetnb: 

„Siun,  $err  ©abriel,  bitte,  lefen  Sie  uns  wie  fonft  etwas  aus  beut 
^Setit-^ournat  oor." 


*)  SReboute  beim  gort  ^ittejutf,  fiiblid)  oon  $ari*. 

(Sdihi  B  folgt  im  nädu'tti'  vrt.) 


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3lluftrirte  Bibliographie. 


$er  2diiuür:,iunlb  Don      i I f> e  1  m 

mann,  (5.  ihigo,  2tt.  ÜRoman  u.  31. 
14  Sieferungcn  gu  1,50  3?iarf. 


3enfen.  9Hit  OUufrrationen  oon  2B.  §afe 
Berlin,  <q.  fteutfjerS  »erlag. 


3n  12  bis 


en  „blaffen  9Jicnfcb,en  allerorten",  roeldje  über  Die  Sd)alljeit  be8  2fwn8  ber 
(begemoart  Hagen,  rätl)  ber  „ftiUe  9Hann"  in  Sd)effel8  toalbfroljem  Xrom= 
peter,  jum  Jungbrunnen  be8  ©ebirgtoalbeS  ju  toanbern,  um  b,ier  ade  ®e= 
bredjen  unb  Scummerniffe  grünblid)  loa  gu  lueTbcn. 

Xoxt,  Derftecft  Don  Stein  unb  ÜHoofe, 
ftaufenet  frifd)  unb  bell  bie  28eHe, 
£ort  entftrömt  ber  (jrbe  Sdjoofce 
(5roig  jung  bie  äBunberqueüe. 

• 

Tort,  umraufcfjt  Don  SMbeSfrieben, 
ÜNag  ber  tranfe  Sinn  gefunben, 
Unb  bc§  Wenses  junge  Älütbcn 
«sprofien  über  alten  SBunben! 

Sieier  Qttajmruf  iü  glüdlidjermeiie  nidjt  ungefybrt  Derr)alli.  2Bir  fennen  fie  nodj, 
bie  Heilquelle  für  alle  qnälcitben  Reiben  ber  ©roftftabt;  roem  bie  Stifdje  unb  ÜJiarfcb« 
fäfjigfeit  nod)  nidjt  ganj  abfjauben  gefommen  ift,  ber  benutzt  bie  geferjafts*  unb  forgen* 
freien  Xage,  um  fid)  in  frönlidier  Säuberung  ben  Staub  be8  33eruf8  absufdjütteln 
unb  megpbaben ! 

Sdiaarcu  Don  fröl)lid)cn  Xouriften  burdijicljcn  aud)  jur  fdjönen  Sommerzeit  bie 
ftrone  ber  beutfdien  Mittelgebirge,  ben  fjerrlidicn  Sdttoarjmalb.  Unter  anberem  forgt 
ein  ftattltd)er  „herein"  mit  jablreidien  Sectionen,  Hier  umliegenbe  Uniöerfitätcn  unb 
t>iele  einzelne  ^crfönlidifeiten,  bie  attB  bem  iöergfteigen  eine  ©eioo&nljcit,  ja  ein  Gebern 
amt  gemad)t  fjaben,  bafür,  bais  es  nidjt  menfdjenleer  »oirb  auf  biefen  roalbumfrän.sten 


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8ibüo<3rapt?i|dje  nötigen. 


269 


Öfeidtbeit  aller  Bürger  foff  eine  Söerüdfuffttgung  ber  2llterS=,  SöilbungB*  unb  Sbeft&eS= 
unteTfdjtcbe  unb  ber  militärtfdjen  Meinungen,  fomic  eine  JKepräfentation  ber  ftrauen 
unb  unfelbfiänbigcu  fliuber  burdj  iljren  ©emalt&aber  eingeführt  werben,  unb  gtoar  inbem 
ber  Urfrimme  iebeS  Wählers  Sufaöftimmen  Einzutreten,  «orberljanb  bürfte  biefeS  Protect 
loofjl  ebenfo  geringen  Sflnfprud)  auf  praltifcbe  öcbeutung  ergeben,  roie  ber  5öorfd)lag, 
bie  23erattntng  unb  Stebaction  üolfSmirtbfdjaftlidjer  ®efe&e  einem  aus  gadjleuten  unb 
ber  (Sitte  ber  3utercffenten  gu  bilbcnben  thllS*  bt$v.  9teid)Smirtf)fd)aft8ratl}  gugmoeiien 
unb  bem  Parlament  lebiglid)  bie  iHnnafjme  ober  Ablehnung  eu  bloc  mit  2luSfd)luß 
jeber  Slmenbtrung  gu  belaffen. 

2MeS  in  2lUem  mirb  aud)  Derjenige,  ber  mit  ^artmannS  3Infict)ten  nidjt  überein* 
nimmt,  einen  mannen,  biSioeilcn  felbft  erumS  djauoiniftijd)  angebaudjten  Patriotismus, 
lebhaftes  3ntereffe  unD  einbrtngenbeS  SBerftänbniß  für  alle  geitbctocgenben  politifdjen 
fragen,  gefunben  Sinn  unb  nüdjterttcS  Urtf)cil  ifmt  fidjerlid)  nid)t  abfpredjen.  8Üldj 
bie  äußere  Srorm  ber  3)arfteUung  fpiegelt  ben  Gljarafter  beS  Tutors,  ©ein  Stil  bat 
nidjtS  ©länaenbeS,  23eftcd)enbe3,  §inreißenbe8;  aber  er  ift  flar,  burdjfidjtig  unb 
prägnant.  (£r  gebt  feinem  ©egenftanb  energifd),  man  möd)te  fagen,  folbattfd)  bcrb  gu 
i*eibc  unb  finbet  für  aHeS  treffenben,  anfdjaulidjen,  ungtueibeutigen  iUuSbruct.  Unb 
fo  mirb  toobl  faum  3*manb  baS  iöud)  lefen,  of)nc  oielfeitig  gcförbcrt  ober  311m 
minbeften  bod)  angeregt  51:  merben.  Dr.  H. 


(Befdjidjtlidje  Literatur. 


Sic   $ortfd)rtüe   ber  fteilfc&rift« 
Toifrfiuna  in  neuefier  3cit.  <ou 

Garl  söegolb.  &ird)om^oltgenborft, 
Vorträge  9i.  fjf.  III,  £eft65.  Hamburg, 
ätolagSanftalt  (öormalS  3-  fr  ^  idjter). 
Dbu>of)l  bie  crft  junge  2iMffenfd)aft 
ber  Slfftiriologic  gcrabe  in  ben  le&ten  3al)reu 
große  Erfolge  gu  Pergetdmen  jjat,  ift  bod) 
bie  .scenntntfj  btefer  l£rrungenfd)afteu  nod) 
nidjt  in  meitere  ftreife  gebrungcu.  XeS* 
halb  ift  bie  üorlicgcnbc  flehte  Sdjrift  redjt 
banfensmertl).  Sie  giebt  einen  fnappen, 
aber  Haren  unb  faßlichen  Uebcrblicf  über 
bie  feit  1878  auf  bem  äikge  ber  2luS* 
grabung  feiten*  Xcutfdjlanb,  isnglanb  unb 
Sfranfreid)  ergieltcn  ftortfdjritte  ber  ftcil- 
fdjriftforfdjung.  ISS  giebt  breierlei  Cuellen, 
meldte  imS  bie  ftunbe  oon  uralter  (Sefdjidjtc 
unb  Gultur  ber  Xigris=(Supl)rat-^änber 
übermitteln:  gunädjft  bie  auf  Xi)OW- 
pri&men  unb  Xtumctylinbem  angegeidmeten 
Staatsbocumcnte ;  3  m  e  i  t  e  n  S  bieXtjontaf  ein 
ber  moljlgeor^neten  babulonifa>afft)rii"d)en 
SMbliotbefeu  mit  ibrem  mannigfaltigen  3n= 
balte.  Tiefe  umf äffen  Sagen  unb  iiegenben 
in  JlkrS  unb  profa,  liturgi|d)e,  aftrologtfdje 
unb  Cntenfammlungen,  grammatifdje  unb 
anbere  rein  biDaftifdie  Sdjrtfteu,  t)iftorto= 
(rrapbifd)eunbcfaonologifd)eMufgcid)nungeu, 
burd)  mcldje  eS  gelungen  ift,  bie  babt)lontfa> 
affprifdjc  Chronologie  bis  ungefähr  in  bie 
SWitte  beS  '6.  3al)rtaufenb8  ü.  (S^r.  gurüd* 
3itfüt)ren.  9lid)t  geringe  33ebeutung  i)at 
enolid)  aud)  bie  britte  Sflaffe  ber  ISntbecP* 
ungen:  bie  in  Xrümmern  oon  ftömgfc 


paläften,  -lempeln  unb  ©rabanlagett  ge* 
fuubencn  Shtuftgegenftänbc ,  nantentlid) 
lebensgroße,  mit  3nfd)riften  oerfeljeue 
Statuen  oon  Königen  unb  dürften.  Tiefe 
füljren  uns  in  eine  nod)  mett  ältere  3^it, 
nämlid)  bis  in  ben  2lnfang  beS  4.  §af>r» 
taufcnbS  d.  (Sljr.,  mo  in  lUefopotamien  nod) 
nid)t  bie  3)ionard)ie  beftaub,  fonberu  ein 
ftcubalroefen  in  feinen  friiljeften  Anfängen 
tjcrrfdjte.  9lm  Sd)litß  beS  Kerfes  ftnb  bie 
)al)lreid)eu  X^ontafeln  ermähnt,  meldte 
iöriefe  mcfopotamifdjcr  itönige  an  ben  £of 
3u2legt)ptcn  aus  beut  15.  3al)rf).  o.  6br. 
entljalteu  unb  fomit  ben  frü^eitigen  'ikx= 
feljr  beiber  Üänber  bejeufleu.  sh. 

TcutfrfK  ^iloerreifen  und)  »cm 
Zeitigen  Sanfte,  ^on  ^teiuliolb 
JHö^rid)t.  Öotlja,  5-  31.  Perthes. 

58or  einem  3al)rgel)nt  bat  yieiul)olb 
9töl)rid)t  in  SBerbinbuug  mit  $>einiid) 
lUeißner  fdjon  ein  größeres  Ä*crf  unter 
gleidjem  Xitel  oeröffcmlidjt.  Ten  ,s?ern 
bcSfelbcn  bilbeteu  bisljer  uugebrudte  Pilger* 
fdjriften  in  mittclt)od)beutfd)er  Spradie  unb 
\tb.x  mertlmolle  bibliograpbifdic  Beiträge 
jur  ÜJeograpbic  ^aläftinaS.  2a  biefe  M* 
fdjnittc  baupt[äd)lid)  für  wiffenfd)aftltd)e 
.Streife  3ntercffe  tjatten,  fo  fameit  anbere 
Xljctle  beS  5öud)e8,  meldjc  für  bie  größere 
3Nenge  ber  Öebilbeteu  beftimmt  maien, 
nid)t  redjt  jur  (Geltung.  XcSfjalb  t-nt* 
fdjloß  fid)  ber  l^erfaffer,  eine  tleiuere 
Ausgabe  gu  Derauftaltcn,  in  meldje  nur 
bie  l)iftorifd)e  Tarftellung  ber  ^itgerretfen, 


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270 


Horb  nnb  f  üb.   


baS  ^ilgcrrcifenoergcidmife   unb   einiges  ] 
anbere  aufflcnomntcn  würbe.  3ebod>  ban* 
belt  cd  iid)  nidjt  um  eine  blofee  üiiiebcr-  , 
boluug  ber  älteren  Arbeiten;  baS  frühere 
Material  ift  bcbeutcnb  erweitert,  unb  neu 
bcrüdficbtigt  ift  Alles,  waS  bie  raftlofe 
^aiäftiitaforfcöung  in  bem  testen  3ahr5cbnt  | 
gclciftet  bat 

Sdjon  lange,  beuor  bie  Äreuggügc  be* 
gönnen ,   nnb   nod)  lange ,  uadjbem  fic  | 
aufgehört  haben,  finb  Xaufcnbe  unb  ober  | 
Jaufcnbe  über'S  SWeer  gegogen,  um  bie 
c  lauen  51t  fchauen,  wo  (SbriftuS  gelebt  ' 
unb  gelitten  hatte  unb  wo  burd)  eine  immer  | 
weiter  ftd)  ausberjuenbe  Xrabition  bie  Spuren 
feine«  (£rbcnwallenS  befeftigt  waren.  TaS 
i^otto   gur  flteife  mar  balb  fromme 
Scheucht,  balb  bie  Hoffnung  auf  Herges  , 
bung  ber  Sünbcn,  balb  ber  Tant  für  eine 
Rettung  aus  XobcSgcfabr,  balb  bie  Ab* 
lojung  einer  auferlegten  Strafe,  ober  baS 
Verlangen  ^Reliquien  gu  erwerben;  gubiefen 
rcligiöfen  2?ewcggrünben  aber  traten  na« 
mentlidi  in  fpäterer  ;}cit  oft  genug  rein 
meltlid)e  töüdficbten,  uub  jo  finbet  mau 
beim  unter  ben  pilgern  aud)  militärifebe 
£erid)tctftatter  unb  politifchc  Agenten, 
2$ergnügungS*    unb  frorfdnmgSrcifenbc, 
Abenteurer,  Stüter,  welche  auf  ääunfdj 
einer  launenhaften  ©eliebteu  über'S  2)Jeer 
fahren,  Äaufleutc,  Aldromiften,  meldje  bei 
bcnükifen  beSÜDtorgcnlanbcs  ibretfenutniffe 
bereichern  wollten.   öbenfo  mannigfaltig 
ift  aud)  bie  31  rt  beS  DtetfenS.  2Man  | 
fnnn  eS  bei  JHöbrieht  felbft  nadjlefen,  mie  ! 
bic  4-Mlger  ftd)  auSrüfteten,  Derproüiantirtcn, 
wo  fie  Verberge  nahmen,  wie  fic,  gewöhn* 
lid)  in  3?enebig,  ftd)  einen  Sdn'ffsplaö 
mietbeten,  unb  was  fic  mährenb  ber  fedjs 
bis  adjt  Podien  langen  #abrt  anSguftebeu 
hatten;  mie  fie  cnblidi  in  ^aläftiua  felbft 
berumgeführt  unb  mandimal  aud)  naSge* 
führt  mürben,  um  fdtlicfelicb  nad)  langer 
Abwefenbeit  in  bie  fteimat  gurüdgufebreu, 
mo  man  fic  febon  als  oerfdiollcn  ober  gar 
geftorbcu  betrauerte!  iKöbricbt  theilt  aud) 
eine  eingabt  Pilger  lieber  mit,beutid)eunb 
lateinifche,  uebft  ber  mufifalifchen  Dotation,  j 
Tie  beutfeheu  Pilger  fangen  gewöhnlich 
[ehr  ernfte  lieber,  in  betten  (Motte*  5öei= 
ftanb  erfleht  mirb,  bic  frangöfücben,  aber 
fchr  laScioe.  9iid)t  ohne  3nteref)"e  öernimmt 
mau  eine  Mahnung  Stephans  oon  ^our< 
bon  aus  ber  Sftitte  beS  13.  3abrbunbertS, 
an  feine  ifaubSleute,  fie  feilten  eS  auf  ben 
Keifen  wie  bic  Teutleben  machen.  —  Ten 
grofjten  Xbcil  beS  iöudic*  nimmt  baS  ä?er= 
jeichnife  fämmtlieher  nadjgcwiefenen  Pilger 
iwm  onhre  1300— 16i>9  ein,  mit  größter 


Sorgfalt  gufammcngeftellt  unb  au»  einer 
fiiteraturfenntnife  beroorgegangen,  wie  fie 
auf  biefem  ©ebiete  aufecr  Röhricht  fein 
belehrter  in  Teutfcbfanb  befifct.  L 

&cfdH4tc  ber  Normannen  in  Zici* 
Iteit.  9Jon  A.  fr  ©raf  oon  Scharf. 
2  »be.  Stuttgart,  Tcutfcbe  Verlaß*» 
Auftalt. 

3um  erften  ÜJiale  tritt  uns  ber  gc* 
feierte  Tid)ter  als  ®efd)id)tid)reiber  ent* 
gegen,  unb  gmar  mit  einer  Arbeit,  welche 
bie  ausgereifte  Frucht  iabrgcbntelanqcr 
Stubien  unb  OrTfdmngen  ift.  Tic  erfte 
©efdüdjte  ber  Normannen  in  Sicilien  bilbet 
einen  ber  intereffanteften  Abfdiuitte  ber 
mittelalterlichen  ®efd)td)te,  baS  bisher  nur 
ftiefmütterlid)  oon  ber  froridmng  bchanbelt, 
ift.  Ter  3$erfaffer  giebt  in  einer  (5in= 
leitung  juuäd)ft  bic  ©efd)id)te  ber  Nor- 
mannen im  Horben,  bic  äBifingcrjügc,  bic 
9?icberlaffungcu  ber  9iormauncn  in  (*ng= 
lanb,  3Slanb  unb  ber  9?ormanbie  unb 
bann  bic  @cfd)id)te  ber  9formannen  oon 
Robert  ©uiScarb  bis  gu  Tanfrcb  unb  beut 
Untergange  beS  iHormaunenreidjeS  in  3U 
eilten.  Tic  äJorfrubien  fmb  jum  Theil  in 
Stellten  felbft  gemacht,  auch  i*iterarur=, 
Sitten^  uub  ßulturgefdncbte  berüefftchtigt. 
TaS  (IV.)  Kapitel  über  geiftige  »ilbung, 
2Biffcnfd)aft  unb  Üiteratnr  auf  Sicilien 
gur  ÜJormannenjcit  ift  etwas  mager  ge= 
rathen.  ferner  wäre  eine  gröficre  ?luS- 
führlidifeit  uub  Sorgfalt  ber  OueUcnnad)- 
weife  erwünfeht  gewefen.  —  öine  JRcibe 
fllänjenber  uub  farbenreidjer  9?ilbcr  entrollt 
fid)  oor  unferen  9lugcu.  3n  cbelftcr 
Sprache,  frei  oon  fwblem  Pathos,  mit 
ficherem  Tacte  unb  ruhiger  Obfectioität 
leitet  ber  2krfaffer  ben  Scfer.  TaS  2?ud)  ift 
ftreunben  guter  f)iftorifd)er  i'ectüre  bringenb 
anzuempfehlen.  ss. 

TntM'd)c  Wefrljirtjii'.  Sßon  5JJrof.  Dr. 
Ctto  Äacmmel.  £>eft  L  TrcSben. 
6  arl  §ödner. 

TaS  genannte  SBerf  wirb  in  etwa 
10  heften  ju  1  aflart  erfcheinen.  3m 
Ü>egcnfa6e  p  wiffenfehaftlichen  iBerfen,  bic 
ihren  SWertb  unb  ihre  Berechtigung  in 
fid)  felbft  tragen,  hängen  populänoiffcn« 
fcbaftlidje  TarftcÜungen  gunädift  oon  ber 
^ebürfnifefragc  ab;  unb  gewife  ift  ber 
ÜBunfd)  oorhanben,  auf  gefieberter,  wifien* 
fd]aftlid)er  ©runblage  ein  iBucb  gu  haben, 
baS  ben  Stoff  übcrfidjtlid)  gufammcnftcüt 
unb  bcnfclbcn  in  einer  Sronn  oorirägt,  bie 
t»ca  ©eift  unb  Sinn  gleidjmäBtg  befrie^ 
bigt   unb  anregt.    Sichcrlid)  eine  nicht 


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öibliograpr/if d?e  Hoti)*«« 


27\ 


leiste  Aufgabe !  Cb  biefclbe  in  bem  2öer!e 
geloft  werben  wirb,  ift  eine  ärrage  ber  3»** 
fünft  ^ebenfalls  berechtigt  baS  erfte  fceft 
3U  ben  beften  Hoffnungen.  Xie  Spradje 
jeigt  betncrfcnSwertbe  unb  straft 

beS  3luSbrud*S.  Xie  SorfehungSrefultate 
fdjeinen  untüchtig  üerwerthet  gn  fein. 

Dr.  Wd. 

Wcfdjidjtf  8d)(cdlotg>^oIfietu6  oon 

ber  Erhebung  bis  jur  ©egenwart  (1848 
bis  1888).  S?on  Dr  6.  ©obt.  TO 
einer  Starte  unb  7  planen.  Altona, 
&  Heber. 

Horlicgenbe  ©efehiebte  ber  „meemm- 
fcblungenen*  fcalbinfel  ift  bic  brittc  2lb* 
tbeüirng  ber  Don  GaiuS  2Jiöllcr  unb  Dr. 
IS.  ©obt  herausgegebenen  ®cfd)id)te  beS 
SÜanbeS  Don  ber  älteften  3«it  bis  auf  bie 
©egenwart  Xie  Xarfteüung  beruht  auf 
bem  oorbanbenen  gebruefteu  Material, 
i^enueung  ber  2lrd)ioe  ift  unterblieben. 
Xer  Ükrraffer  wollte  ein  treues  $ilt>  ber 
genannten  Sfccriobc  in  allgemein  oerftänb* 
lieber  gönn  geben.  Xie  Xarfteüung  wirb 
burm,  Äartcn  unb  glätte  oeranfcbaiüidjt. 
3m  Slnbang  ftnb  jum  SJortbeil  bes  Ruches 
aus  ber  wMg.  Xcutfd).  äJiograpbie"  unb 
anberen  Herten  biograpbifdie  Kotigen  über 
berühmte  <sd)leSwig'§olfteincr  äufammen* 
getragen.  In 

find  meinem  ftrieflötageftudie.  Sr= 

inncrungen  an8d)le8wig»&olfteiu  (18G4) 
von  <S.  $ungc.   JKatbcnow,  iöabenjien. 

XaS  23ud)  wirb  nicht  nur  bic  Weiteren 
feffcln,  bie  jene  3*tt  mit  SBcWUßtfein  burü> 
lebt  haben,  fonbern  eS  ift  auch  benen  feljr 


5U  empfehlen,  bic  noch  in  jüngerem  Sllter 
ftebu,  namentlid)  angetjenben  Solbaten. 
@S  giebt  bic  (ftnbriicfe  beS  fjelbjwgcS  unb 
ber  ganjen  bewegten  3cit  fo  unmittelbar 
wieber,  baß  jebem  ein  icbeubigeS  3üilb 
üor  bie  Seele  tritt.  rj. 

3eüf4ri?t  tev  btftorifdjeu  flefeU- 
idjafi  für  Die  $rototns  $ofen  K. 

herausgegeben  Don  Dr.  9tobgero 
SlhümerS.  3abrgang  IV.  SJJofen, 
3of epfj  3olowicj. 

(£in  mannigfaltiger  ^sittiaLt  wirb  uns 
in  bem  oorliegenben  £>cfte  geboten;  aber 
cS  ift  eine  üJtonnigfaltigteit,  bic  (Sinheit 
gewinnt  unter  bem  ©eiicbtSpunfte,  bat} 
alle  (Hnjelforjcbuugcu  baju  beitragen  uns 
bie  Itcrgangcnbeit  nnb  bamit  aud)  bie 
©egenwart  beS  ©ren;$lanbeS  s$ofeu  Oer» 
fteben  ju  lehren.  Xie  3eitfebrift  will 
nidjt  in  erfter  ßinic  Vergnügen  bereiten, 
fonbern  fie  Will  bilben  unb  tu  weiterem 
Stubium  anregen.  Xaber  ift  aud)  bie 
t$oxw  ber  einzelnen  lUrtifel  rein  wiffen* 
fchaftlid)  im  wobltbuenben  ©egenfaljc  tu 
anberen  ^roOtngia[geitfd)riften,  wie  fie  bie 
unb  ba  als  älblagerungSftätte  populären 
SJcifdjmafdjcS  benufct  werben.  Xie  deinen 
aWittbeü'ur'ßen  unb  Jyunbberidjte,  ebenfo  bic 
Siteratnrbericbtc  bef  riebigen  bieMßbegicrbe 
unb  felbft  bie  Neugier  oollauf;  bie  umfang» 
reidjen  Simingaberidjte  mannigfachen  3n» 
halts  je  ugen  oon  reger  ÜLUrffamteit  burd) 
baS  leben d in. c  i&ort  befouberS  foldjeu  i'i-t- 
glieberu  gegenüber,  bie  etwa  in  bem  rein 
miffenfcbaftlidjen  Iljeil  nidjt  uoüe  Söe= 
friebigung  finben  follten.       Dr.  Wd. 


Xa&  tpuäfletifät  Ctobrbuuöcrt.  $on 

3Jaul  SWantcgaj^a.  fluS  bem  3ta* 
Henifdjcn  oon  $ulba  SWeifter.  3cna, 
^ermann  (Softenoble. 
2i*a8  2Jia?  Zorbau  in  feinen  „conoeiu 
tionellcn  ßügen"  mit  wiffenfd)aftlid)cm 
(Trufte  unb  einer  gewiffen  ©rünbüdi^it 
berfudjt  bat,  nämlid)  ben  9lad)WeiS  ber 
äkrlogcn^eit  unb  llnwabr^aftigfett  uufercr 
mobernen  2}erbältniffe  ju  liefern;  was 
norbifdie  Xidjter  uns  in  bramatifdjen  ®e* 
bilben  mit  großem  ^ufwanbe  oon  fitt= 
ltd)em  5Patb,oS  oon  ber  §öbe  ber  rueltbe= 
beutenben  Sretrer  qerab  oerfünben:  baS 
roieberb,olt  ber  Italiener  äRantegansa  in 
ber  Sorm  einer  licbenSwürbigcn,  unter» 
r)altcnben  Klauberei.   Cb  unfer  fo  ftarf 


oerleumbcteS  3ul)rf)uubcrt  in  ber  Xbat 
baS  Su^rljunbert  ber  üüge  unb  ,^eud)elei 
par  excellence  ift,  wie  man  uns  glauben 
machen  will,  oDer  ob  mau  il)m  uid)t  mit 
größerem  9tcd)te  ein  anbereS  weniger  bis» 
crebitirenbeS  (Sbaraftcrifiifum  beilegen 
tonnte,  tonnen  wir  bier  nid)t  entfdjeiben; 
oicüeidjt  aber  urteilen  fpäterc  3al)tt)imberte 
günftiger  unö  ridjtigcr,  als  mandje  Sdirift» 
fteUer  beS  gegenwärtigen  mit  ihrer  aUjit= 
febarfen  ©clbftfritif. 

Xer  üierfaffer  ftellt  übrigens  baS 
ju  allen  Reiten  oorlommcnbe  Auftreten 
Der  üüge  unb  öeudiclci  nidjt  in  Ülbrebc 
unb  giebt  einige  4*eifptelc  bon  iljrcm  3.lor* 
fommen  fogar  in  ber  Xbierwelt.  Xen 
Anfang     ber     nieni'djlidjen  Heuchelei 


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272 


l\oxt>  nnb  Süb. 


ficht  er  t'djon  in  ber  Söenußung  Don 
Feigenblättern  burd)  baS  fid)  feiner  lla&U 
beit  fdjämenben  erften  3Menfd)cnpaar« ! 
2 ich  Angabe  genügt  iuof)l,  um  baS  )Befen 
beS  Stterfd)enS  51t  fcnnäeid)ncn ;  eine 
metbobifdjc,  miffenfd)aftlid)e  Jöcbanblung 
ber  t$xa$t  bat  ber  S3erf.  weber  öerfudjt 
)i cd)  bcabfidjtigt.  Sr  bat  eine  itteibc  Don 
glängcnben,  untcrbaltcnben  Feuilletons 
fdireiben  wollen  unb  bat  biefe  Aufgabe 
friliftifd)  meiftertjaft  gelöft.  2>er  rein 
praftifebe  9lnljang,  wcld)er  einen  Si atalog 
ber  befannteften  Sd)önbeitSmittel  mit  ber 
Söeäcidmung  ibreS  Iwgienifdjen  iUertbeS 
giebt,  nimmt  fid)  an  biefer  Stelle  etwas 
wunberlid)  aus.  £ie  Ueberfeöuug  lieft  ftcr) 
glatt;  nur  baS  abjectio  „vergeben"  (S.  37: 
„meine  oer gebe  neu  Sßerfudx")  ftatt 
„oergeblid)"  bürftc  nicht  ftattfjaft  fein. 

in  ima 'funbeu!  Liener  2L*citjnad)tS= 
(Somöbie  in  3  2lften  oon  üubmig 
Nnjengruber.  Bresben,  (£.  s#ierfou. 

35er  Xitel  beS  SramaS  giebt  in  einem 
ihJorte  treffeub  baS  3^1  ber  £aubluug  an. 
Der  an  große  SJerbältniffe  gewöhnte  ab= 
oofat  l>r.  Jammer  Ijat  gcrabe  am  33or- 
abenb  beS  itBcibnacbtSfefreS  erfannt,  baß 
er  burd)  fein  großartiges  Auftreten  unD 
bie  oerfebweuberifebe  !Wirtbfd)aft  feiner 
©attin  unb  feiner  IG  jährigen  £od)ter 
gum  SJettler  geworben  ift.  iÖeim  £>cran= 
nahen  ber  uod)  jum  ftefte  gclabeuen  (Säfte 
ftürmt  er,  ben  ©einigen  wenige  3eilcn 
beS  WeftänbnifteS  äurücflaffenb,  aus  bem 
$aufc,  um  feinem  tfeben  braußeu  ein 
(lube  ju  mad)en.  3ufällig  begegnet  ifjm 
fein  Sruber,  ein  gar  einfadjer,  frcujbraoer 
Spielmaarenbäubler,  ben  er,  cbenfo  loie 
bie  alte  Butter  baljcim  fett  fahren  nid)t 
mehr  aufgefudjt  bat,  ba  fie  unter  feinem 
Staube  loaren.  Dem  treuen  trüber  ge* 
lingt  es  ben  aboocateu  oon  feinem  büftern 
Horbaben  abzubringen  unb  ilnt  !u l:u su- 
nt bron  nad)  bem  befdjeibenen  £>äu$d)en  au 
ba»  $crj  ber  Butter;  bier  foll  er  im 
erften  3tod!  ber  befdietbenen  Wohnung  fid) 
eine  fleine  Jfanslei  cinridjtcn  unb  oon 
Weitem  ein  hieben  fricblidien  Streben«  bt-~ 
ginnen.  3efct  bat  fid)  ber  lcid)tfcrtigc  <ylüd)t= 
liug  „beimgefunbeu",  unb  nur  ben  einen 
älhinfd)  trägt  er  uod)  im  fcersen,  feine 
Wattin  unb  feine  bodn'abreubeZocbter  möchten  1 
fid)  betuegen  (äffen,  bkieä  befdieibene  Wlüct 
mit  it;m  31t  tbeüen.  2>er  23iuber  XbotuaS 
wirb  abgefanbt,  unb  es  gelingt  ibm  audj 
bie  beiDeu  <yumilien,  bie  fid)  bieber  feinblid)  | 
gegenübergeftanben,  unter  ben  tferjen  be-3 


SBcibnadjtSbaumS  am  treuen  3Rutterbcr3en 
ju  oereinen 

$aB  ift  in  ffürje  ber  3nbalt  bcr 
^Ingeugruberfdjen  3Bcibnad)tS=6omöbie.  X  ie 
©eftalten  beS  bieberen  Spielmaaren = 
bänblcrS  XbomoS  Jammer  unb  feiner 
braben  i'iuttcr  unb  mcifterlau  gejeidjnet ; 
bie  Xicfe  ber  (fmpfinbung  unb  äiktt)r= 
beit  ber  DarfteUung  werben  gewiß  leinen 
i'efer  baS  Söud)  unbefriebigt  aus  ber  £>aub 
legen  laffen.  aud)  auf  ber  SBülmc  muß 
bie  ßomöbic,  ber  eS  bei  allem  Grnft  audj 
an  #umor  nidjt  fehlt,  oon  großer  28ir^ 
fung  fein.  pa. 

Qttiatt  ber   «djretfü^e  unb  fein 

vuitt».  Cornau  oon  ^>ans  v  offma  n  n. 
Stuttgart,  SJcntf^e  ^erlagS-^nftalt. 

55er  liebcnSmürbige  Junior  beS  ä>er* 
faffers,  ber  für  bie  ßefer  oon  w9?orö  unö 
<Süb"  fein  Unbefannter  ift,  burdjwärmt 
aud)  biefen  Vornan  unb  mad)t  üm  ju  einer 
böd)ft  erfreulidjen  @abe.  2)aS  £cbrerleben, 
baS  üiel  ju  oft  in  afd)grauem  Golorit  er» 
fdietut,  fann  biefen  Gonnenfcbein  braueben. 
2Me  ^auptperjoucn  fiub  mit  liebevoller 
Miniaturmalerei  ausgeführt.  9?cbcn  bem 
nur  febeiubar  fo  fd)recf(id)cn  jungen  2d-n:-- 
turaunen  bei  rieiuftäbtifdjen  ©qmnafiumS 
crfd)eint  auf  ber  einen  Seite  bie  üor-- 
trefflid)  gejeid)nete  3Jläbaicngcftalt  Helene, 
toclct)e  ftdb  im  Jöefiöc  eines  beliebig  anju= 
joeubenben  §eiligenfd)cinc*  befinbet  unb,  feit- 
bem  ein  ^tral)!  ber  SeutnantSfonnc  auf 
fie  fiel,  eine  3*itlaug  (SntfagungSgebanfeu 
begt ;  auf  ber  anberen  Seite,  bie  mit  aüen 
Wlücfagütern  oerfebmenberiid)  auSgeftatiete 
(5ommev5ienratb8to4)er  Jllma.  Der  lUbfdiluB , 
toeldtem  bie  redjt  bemegte  ^anblung  gu= 
gefübrt  wirb,  ift  ber  angenommenen  ®runb= 
läge  ber  l^erbältniffe  unb  Sbarattere  obdig 
entfpred)enb.  ?lud)  unter  ben  jablreidjen 
9?ebenperfonen  finb  einige,  toic  ber  „leiblid) 
bumane"  ©i)tnnaftalbirector  oortrefflid)  ge- 
3eid)net.  3ft  eS  erlaubt,  an  einem  fo 
burd)bad)ten  unb  abgerunbeten  Äunftioerfc 
eine  kJlusftellung  111  macben,  fo  modjten 
wir  behaupten ,  bafe  im  ßbßtatter  ber 
SÜma  bie  färben  einige  ÜJiale  m  ftarf 
aufgetragen  feien.  So  wie  fie  im  arbeite« 
äimmer  3U  ibrem  äJater,  unb  befouberS  in 
feiner  iHbwefcnbcit  oon  ibm  fpridjt,  bürfte 
fief)  boeb  aud)  baS  Pcnoöbnteftc  örbtöditer- 
leiu  nid)t  äußern. 

allen  Sfreunben  gefunber  l'cftüre,  be= 
fonberS  foldjen,  bie  als  Altern,  ßebrer 
ober  Sd)toeftern  mit  Tertianern  ju  tbun 
unb  unter  ibnen  ju  leiben  babcu,  fei  baS 
iöüdjlein  beftenS  empfohlen !  M. 


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  Sibliograptfif 

Stationen   meiner  eebenoptlgcr 
fd»aft.   Bon   Robert  $>amerltng. 
Hamburg,  BerlagSanftalt  (3.  3r.  &ich> 
ter). 

Xer  mit  9tedjt  gefeierte  ö|torcidjtfd)c 
X)irfjtcr  lägt  uns  in  liödift  angicfjenbcr 
SÖeife  iSinblicfe  in  bie  hridjtigftcn  „Statio« 
nen"  feines  rocdjfelooUen  Lebenslaufes 
tbun ,  Don  ber  ftmbfjeit  an  burdj  baS 
„tfriegSjabr  im  SJienfte  ber  Freiheit", 
burdj  bie  „ßefuialjre"  unb  „üianbertage" 
btnbutd)  bis  gu  ber  reifften  3«tt  feines 
Schaffens.  (SS  ift  cbenfo  intereffant,  ben 
üRenfchcn  Jpamcrling  feine  peinlichen 
(hlebniffe  barfrellcn  gu  hören,  als  cS  an= 
regenb  unb  belefjrenb  tft,  wenn  ber  X>  idjter 
.^amerltng  feine  eigene  Stellung  gegen- 
über jebem  feiner  größeren  SHerfe  flar 
unb  offen  auSfpridjt. 

Neue  Auflagen  oon  fcamerling'S 
„Sdjroancnlieb  ber  Stomantif,  foroie 
oon  wBcnuS  im  ©jH"  finb  in  gleichem 
Berlage  bübfdj  auSgeftattet  erfdjicnen.  0. 

,>»trd)ett.   Neue  Lobelien  oon  §errm.  | 
2ingg.  Stuttgart,  %  Bong  &  Comp.  | 
XaS  Befte  an  biefer  bübfdj  auSge*  I 
ftatteten  Sammlung  bon  NoüeUen  tft  ber  j 
gute  illang,  ben  ber  Name  beS  Tutors 
bat.     :h>cr  ftd)  aber  oon  ben  Noöcllen 
mehr  als  Mittelgut  oerfpridjt,  ber  bürfte 
»obt  enttäufdjt  roerben.  SRan  rannte  biefe 
Nooellen  beffer  Sfiggen  nennen,  benn  cS 
fehlt  ihnen  bie  innerliche  SluSgeftaltung 
eines  Problems,  bie  folgerichtige  iSnttoicfe; 
lung  ber  §anbluna,,  bie  Slbrunbung  unb 
oor  2lllem  bie  feeltfdje  Vertiefung.  XaS 
finb  nicht  Sharafterc,  nidjt  SBefen  uoit 
<}leifdj  unb  Blut,  fonbern  nur  änfäfce  gu 
folcbei;.  Xex  Xon  ift  oft  djronifenartig 
unb  ermübenb  ss. 

«c« rennte  Serien.  Nobetle  Pon  6ugen 
3abeL  Berlin,  ©ehr.  SPaetel. 

Xicfc  in  Petersburg  fpidenbeöefdjidjte 
ergäbet  unS  ein£crgenScrlebnifj  eines  jungen 
Xeittfcben  mit  tragifdjem  Ausgange  XaS 
Pon  itmt  geliebte  Stäbchen,  roeldjcS  ber  Ber* 
füfjrungSfunft  iljrcS  früheren  Bräutigams, 
eines  geroiffenlofen  SdjioinblerB,  erlegen  ift, 
fudjt  unb  finbet,  im  Bettm&tfcin  beS  ge= 
liebten  Cannes  untoiirbig  gu  fein,  ben  lob 
auf  ben  Schienen  ber  (Sifcnbafjn.  Xer  junge 
Xeutfdje  ferjxt,  nadjbem  er  bie  folgen  eines 
Xuelle  mit  einem  Nebenbuhler  unb  eine 
barauf  folgenbe,  heftige  ftranfljeit  über* 
tounben  hat.  gebrochenen  £ergenS  in  bie 
Heimat  gurüd.  Ueberau  geigt  Partei  ein 
nicht  unbebeutenbeS  (Irjäblcrtalcnt,  baS  fich 
erfolgreich,  an  ruffifdjen  Sttufteru  gefdjult 


$c  notigen.    273 

gu  haben  fdjeint.  vi  ber  bennodj  oermag 
uns  baS  Schicffal  beS  SiebeSpaareS  nidit 
bis  in'S  3nnerfte  gu  erpreifen,  weil  bie 
ÜWotioirung  nidjt  forgfältig  unb  flar  genug 
unb  bie  3«cfjnung  ber  Gharafter  nidjt 
frei  Pon  äöiberfprüdjen  ift  Namentlich 
ift  eS  bem  Sßerfaffer  nicht  gelungen,  bie 
heterogenen  (demente  im  JEBefen  ber  ftclbin 
Natalie  gu  einem  glaubhaften  ©angeu  51t 
Perfdjmelgen.  2ln  eingelnen  glängenb  ge= 
fehriebenen  Stellen  fehlt  eS  bcrNooelle  nidjt. 
Die  genaue  unb  lebhafte  Sdjüberung  bei 
ßebenS  in  Petersburg  unb  bie  mit  roemgert 
Strichen  hiugcioorfenen  Umriffc  ruffifdjer 
ÖefellfdjaftSrrjpen  ertueefen,  »neun  ftc  audj 
bie  Sdjärfc  Xurgenjen/fcher  3t»chnung  nidjt 
erreichen,  ben  (Sinbrucf  beS  Selbftgefchauten 
unb  Sclbfterlebten  unb  madjen  bie  Üccrürc 
beS Büches  gu  einer  feffclnben.  ow. 

WuS  «lt««nöbadKr  3ett.  ©rgähfang 
Pon  ftricbridj  ßampert.  Stuttgart. 
Jlbolf  »ong  &  (Somp. 

Tic  (£rgäljlung  gruppirt  ftdj  um  bie 
trefflid)  gefdjtlbertc  ©eftalt  beS  Jüiarfgrafen 
ftarl  ^riebrief}  Pon  JlnSbadj^-Bapreutlj  unb 
feine  Umgebung.  3*oci  Liebespaare,  pon 
benen  baS  eine  nach  fdjtuerer  Probe  Peretut, 
ba*  anbere  burdj  Xrjrannenfauft  unb  sJj£äb- 
dKnfdjmadjljeit  getrennt  mirb,  führt  uns 
ber  dichter  bor. 

$ie  (Srgäljlung  hätte  burdj  fnappere 
3ufammenfafiung  getoonnen;  bie  Spradje 
tonnte  hier  unb  ba  ettoaS  burdjftdjtiger 
unb  gefdjmeibiger  fein.  ü)odj  ift  bie  ISittioitfe- 
lung  ber  ^>anblung  intereffant  unb  ber 
2luSbrud  burdj  bidjtcrijdjeS  (^mpfinben  be= 
lebt.  25ie  3uftänbe  finb  lebeubtg  unb  au= 
fdiaulid)  gefchilbert,  bie  iriguren  marfig 
unb  lebenSmahr,  pfpdjologifdj  Pertieft.  2)tan 
fann  baS  Buch  mit  Bergnügcu  lefen.  s>. 

92 oo e Uni  Pon  £>an8  31  r  110 Ib.  2  Sfaflf. 
Berlin,  ©ebr.  Paetel. 

S)ic  Berfafferin  magt  ftdj  nidjt  an 
hohe  Probleme  unb  giebt  feine  ausgereif- 
ten Äuufhoerfe;  eS  finb  eigentlich  nidjt 
Kooetten,  fonbern  flüchtige  3eichnungeu, 
aber  liebenSioürbig  unb  aumuttjtg.  3u 
frifchem  Jone  fmb  fie  flott  unb  feef  ljiu= 
geroorfen;  ber  ^urnor  ioirb  btSioeilcu 
poffenhaft  unb  bie  Umuanrfdjeinlidjfeiteu 
übeTToiegcn  adguftarf.  «Uber  man  ladjt 
Dabei,  unb  toeife  ber  Berfafferin  für  eine 
fröhliche  Stunbe  Ijerglidien  Xanf !  u, 

^rütje  Wvaber.  Bon  OSfat  C^bcnfee. 
Berlin,  SJtofenbaum  unb  ^ art. 

9(djt  Erzählungen,  bie  alle  mit  beut 
Xobc  beS  gelben  enben:  traurig,  aber  ab- 


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27* 


Horb  unb  Sfib. 


medifelungSreid).  Dem  i^crfaffer,  einem 
Öfterretdiifdten  Offigier,  flelingcn  (Srlebniffe 
aus  bem  ftelbguge  am  beften;  fein  (h- 
gafjlungStalent  ift  anguetfeuuen,  ba  e&  ilmt 
fogar  gelingt  in  ben  „Dödttetn  beS  2Hitgcr= 
meifterS"  einen  gang  abgebrofdjeucn  Stoff 
mirtlid)  fpanncnbgu  befjaubeln.  Aud)  bie  3n* 
trigucn  ber  Diplomatie  ftnb  treffenb  gc= 
fdiilbert.  DerStil  iftim  Allgemeinen  gut;  nur 
wo  betSBetfaffer  feinet  Neigung  gutn  f  omif  djen 
^ergleidie  frbfmt,  geigt  fid)  Unlogit  unb 
unfteitoiflige  ßomif.  Orr  Dergleidit  g.  SB. 
ba§  (Srtötljen  oeS  meiblidjen  $alfe$  unb 
baS  Alpenglüben;  baSDutdjeinanbertoirbeln 
ber  Dauben  in  einem  Daubettfdtfage,  toenn 
bet  (Seiet  fid)  nat)t,  unb  ba&  Durd)einanbcr= 
mögen  in  ben  Steifen  bet  Dorneljmen  Öe* 
fellfdtft,  bet  Ttd)  bie  Auäfid)t  auf  fd)öne, 
glängenbc  Dffigiete  eröffnet !  Dergleichen 
ift  menig  gefdmtadDotl.  3*u  Uebtigen  fei 
ba8  2ßctf  empfohlen.  x. 

Ütvci  törjäfjtuitflnt  Don  ©life 
CrgeSgfo.  Autorifirte  Ueberfefcuttg 
aus  bem  ^Solnif djen.  ©erlitt,  S.  $  i  f  d)  e  t . 

©ei  bet  Ucbetprobuction  auf  bem 
Gebiet  be8  iHoman«  unb  bet  9tobelle  in 
Deutfd)lattb  ift  ein  3urücf  greifen  auf 
frembe  Literaturen  nut  bann  begreif* 
lid),  menn  es  gilt  eine  berDorragenbe 
bidjterifdic  S?raft  burd)  bie  Uebertraguttg 
bem  beutfd]cn  Sttublifutn  3um  SBerfiänbnife 
SU  btingen  unb  baSfclbe  baburd)  mit  bem 
iSnlturleben  eines  anberen  ©olfeS  im 
Spiegel  bet  Didjtuug  befannt  gu  madjen. 

(Slife  CrgeSgfo  ift  eine  talcutöoHe 
Sd)riftftellerin,  mit  felbft  Ijaben  fdjon  ©uteS 
Don  ifjr  gelefen;  abet  e8  Ijätte  feine 
Sdjmälerung  trjreS  SlübmeS  gu  bebeuten 
gebabt  unb  ebenfo  menig  einen  Sktluft 
füt  bie  beutfd)e  Sefermclt,  toenn  biefe 
beiben  9toDetlcn  nid)t  überfefet  tootben 
toäten.  niz. 

ttttfere  Zoten. 

iKomangen  Don 

einem  Anfjang:  ©efänge  füt  Dater= 
lanbifdjc  ©eben  f  tage,  ^ktberborn,  ftcr= 
binanb  Sdiöningl). 

Die  ©ebidjte  ftnb  bem  Anbeuten  bet 
dürften  unb  gelben  au*  Deutfdjlanbö 
iüitgftet  großer  3<-'it  gemeibt.  3u  allen 
fpridjt  fid)  ein  nmrmeS  DatcrläubifdjcS  Ü5e= 
füt)l  aus,  einige,  namentlid)  bie  beS  Atu 
bangS,  empfehlen  fid)  butd)  Sd)but)eit  bet 
Sbradjc  unb  gefdjicftcu  ©au  bet  äkrfe. 
Anbete  freilid)  ftnfeu  311t  ^rofa  berab,  ja 
bin  unb  miebet  (3.  ©.  S.  31,  39,  74!) 
ftöfet  matt  auf  Stellen,  betten  man  felbft  in 
s4>iofa  nidjt  sern  begegnen  mürte.  R.  J. 


Deutfdje  Siebet  unb 
uftao  SKeA  9?ebft 


u Dobmta  ö  »of e.  3m  fcodigeitSreife; 
©teoiet  beS  2ktet8  DanubiuS  gefirnben, 
SBon  Anton  öteitnet.  3Wüncr>en. 
3.  Sdjmeifeer. 

3nboppeltet  AuSftattung  mitb  bernßefer 
biefe  ©abe  geboten,  fotooljl  in  ©udrform  am 
unbefdmittenem  fiumpenpapier  in  Antiqua 
gebtudt,  als  aud)  inftorm  einet  altrömifdwn 
©iid)erfd)ad)tel  (capsa),  jebeS  ©ebieftt  auf 
befonbetem  gufammengerotlten  JÖIart.  Cra 
finb  gang  nette  ©ebidjtc,  meift  rein  Itjrifd) 
gehalten,  entftanben  auf  ber  #od)geit3rtife 
be*  SJerfaffer«  burd)  Stalten,  angeregt 
tt)cil8  butd)  antüe  (Erinnerungen,  trjeiis 
butd)  bödjft  mobeme  §etgen8»  unb  9tetfe= 
ertebniffe,  alle  abet  butdtgogen  Don  an= 
bänglidjen  ©ebanten  au  bie  Äaiferftabt  an 
ber  Donau.  2Bof)ltoolIcnbe  jöeuttf>eitcr 
toerben  fid)  an  bem  23üd)lein  erfreuen,  ba§ 
als  ^rafent  ieöenfallS  ben  Steig  ber  rjödm 
originellen  AuSftattung  füt  fidt  bat.  ftüljlctc 
Söeutt^eiler,  bie  ettoa  finben  fönnten,  bafe 
bie  ©efüble  unb  (Srnpfmoungen  nict)t  alle 
neu  unb  bie  ©ebanfen  unb  Gilbet  nidjt  alle 
flat  unb  fdjarf  Bub,  obet  baß  g.  i*.  unter 
Dictfiifjigen  Xtod)äcu  fid)  bie  3«le 
„§0d)  imHutel  de  (ien»^ve-  (3. 112)  etmaS 
oeteinfamt  ootfommen  timfe,  metben  beffer 
tl)un,  baSȟd)lein  ungelefen  gu  laffen.  O. 

lieber  unb  ttitber  vom  Srutfdyeit 
Wt'cr.  herausgegeben  von  £Ruboli 
©cfart.   3Jorbcn,      ftifdjer  9Jad)f. 

(5ine  fdjöne  unb  reid)l)altige  Samm- 
lung Don  ©cbidjten  über  bas  3Wecrt  f)auot= 
fäd)lid)  oM  neuefter  3f».  Die  AuSmabl 
ift  mit  @efd)macf  unb  $)ebad)t  gefd)cr)en; 
nur  ift  gu  bebauent,  bafe  ber  Herausgeber 
nid)t  ettoaS  meiter  gurüefgegriffen  bat.  Daf? 
eine  fold)e  Sammlung,  troö  aller  S^orfidjt 
in  ber  AuStoaljl,  Stücfe  Don  ungleidjem 
3ßcrtb  enthält,  liegt  in  bet  Wahrt  bet 
Sadje,  unb  met  nad)  SJlinbenuertbigem 
fudjen  toollte,  mütbe  c8  aud)  finben.  Dodt 
ift  ba8  gebotene  ©utc  bei  Weitem  über= 
toiegeub,  unb  jeber  5rell"b  beS  3)?eercS 
toitb  fid)  bet  finnigen  ©abe  fteuen. 


9Karttta.  Sin  Sieb  Dom  SJotbfeefttanb. 
in  12  ©cfängen.  3Jon  6tjr.  Söenfarb. 
Hamburg,  ^erlagSanftalt  (oonnal* 
3.  3f.  Siebter). 

DiefeS  fletne  (EdoS,  ein  ©rufe  be* 
SBerfafferS  an  Xijeooox  Storm,  fdiilbert 
eine  öpifobe  auS  ber  ©cfdjidjte  ber 
Ditbmarfdteu  @nbc  beS  15.  3ab^unbcrt?. 
Sine  2iebc8gefd)id)te  ift  cingemoben.  Die 
poetifdje  Sprad)c  ift  glatt  unb  abgerunbet: 
bas  ift  aber  aud)  bet  grbfete  ^orgug  be$ 


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  3?iblio 

«einen  ßiebeS,  ba  bie  tfharaftertftif  mentg 
gelungen  unb  bie  etngeftreuten  ßieber  farb= 
los  unb  matt  ftnb.  SaS  ©po»  erwärmt 
ben  2cfcr  nicht,  e»  Hingt  Sitte«  fo  auSge* 
leiert,  unb  bie  £anblnng  fcblcppt  fieb  nur 
mit  l'i uro  bis  gum  Schluffe  fort.  ss. 

trüber  Jonathan  unb  fein  Sanb. 

Sic  ameriiamfchc  ÖefeÜfdiaft.  3*on 
•JRasO'rcII  unb3acf  SKllöc.  Huto* 
rifirleUeberfeöung  au»  bem  ^ranjofifchen 
oon  ©mmt)  Becher.  Stuttgart,  3- 
öngclhorn. 

amerif anif  che  SR  eifeeinbrücf  e,  im  leichten 
jemmalifrifcben  ^laubertone  wiebergegeben. 
Tie  fteflenweife  eingemengten  febr  ober* 
flächlidxn  Bemerfungen  übet  politifchc 
unb  religiöfc  fragen  hätten,  wenn  ber 
Berfaffer  auch  öiclleicbt  bei  feinen  ttanbS; 
leuten  baburch  ©tnbruef  jjtt  machen  gehofft 
bat,  wenigftcnS  in  ber  beutfeben  lieber* 
fefeung  fortbleiben  fotten.  P. 

Von  aner  eigenen  tHafi  .  Liener 
Silber  oon  3*nnn  SWeumann.  9?iit 
einem  »onoorte  oon  B.  (Shiaüacci. 
2lMcn,  2t.  fortleben. 

3n  leben  smabren  unb  oon  ftotffoll 
burd^ogenenSfijijn  jeichnet  bie  Bcrfafferin, 
wel i  c  beu  erften  ©abritt  al»  Sdjriftftetterin 
tljut,  ba»  2eben  unb  Xrcibcn  in  Sien, 
ba»  Öebaben  ber  „eigenen  Stoff",  oon 
welcher  baS  SEÖiener  Bolfslicb  erzählt. 
3enn»  9fcumann  befifct  eine  (ftgenfdiaft, 
bie  bei  fchreibenben  grauen  recht  feiten 
f>erü  ortritt:  feinen  §umor  in  Beobachtungen 
unb  Scbilberungen.  Äein  Beffcrer  tonnte 
bie  Berfafferin  literarifch  einführen  al» 
Binceng  ghiabacci,  ein  unbestrittener 
Sleifter  auf  bem  (SJebiete  be»  Liener 
2;  ialcft»  unb  beräöiener  Gharafterjeichnung. 
Üöenn  biefer  einer  neuen  fiocalfchriftftetterin 
feine  &nertennung  bezeugt,  fo  barf  man 
ftcher  fein,  bafe  e»  gilt,  ein  wirtliches 
Salent  $u  förbern.  u. 

^ntigbritnuen  ©ebichtc  oon  O.ft.  ©en= 
fidjen.   »erlin,  ©ebrüber  $actcl. 

©in  rechter  9tome  für  biefe  fchöne 
Sammlung  oon  Sichtungen!  £ier  quillt 


jrapbic.    275 

|  echte  ^oefie,  bie  in  äffen  ftarben  ber  (Sm= 
pfinbung  fchiffert.   Sic  heiteren  wie  bie 

|  ernften  lieber  jeichneu  fief)  burch  tünftle* 
rifche  Slbrunbung   unb  Sformbottenbung 

\  aus.    35a»  Bänbchcn  mirb  bem  t'efer 

I  brenne  machen.  ss. 

$er  a  ben  t  euer  (i  die  Pfaffe  So«  3uan 

ober  bie  Gbebetcbtcn.  Sin  Sag  geben 
burch  Jranj  &elb.  3n  Srucf  ge= 
fertigt  bei  bem  Bcrleger  2tfilhelm 
ftriebrich,  Ücipjig. 

6»  giebt  bielc  Bücher,  toeldje  nur 
oon  bem  gebulbigcn  unglüctiicben  9ieccn: 
fenten  gelefen  toerben  —  aus  ^fttchtgefüljr 
unb  Öewiffenbaftigfcit.  3"  benen  gehört 
toobl  auch  ba»  öorliegeiiöe. 

Plattheit  hält  ber  Berf affer  fürBoefie: 
bie  «Sprache  ift  berbrealiftifch  unb  oft 
unfehön,  ooffer  gärten  unb  Mängel  unb 
ohne  Slbrunbung  beS  fluSbrucfS.  Sa» 
Bud)  wimmelt  oon  ©cfdmtacfiofigfeitcn 
unb  Berirrungcn.  Bom  9tealiSmuS  jum 
<5d)mu&  ift  noch  ein  weiter  ilikg,  unb  beu 
hat  ber  Berf  äff  er  oft  unb  gern  3urücfge= 
legt  ss. 

^apa  fcamlet.  Bon  38.  %  jöo(mfeu. 
Uebcrfe&t  unb  mit  (Einleitung  oerfehen 
oon  Dr.  Bruno  Jran^iuS.  Ceipätg, 
(Sari  Weifencr. 

Sa»  Bud)  enthält  mehr  al3  ber  Xitel 
Perfpridit.  Slußer  „^apa  Hamlet"  ift  nod) 
barin:  „Ter  erfte  2d)ultag"  unb  „(*in 
l  Xob".  äiJenn  mir  auch  biefen  «einen 
i  Öenrebilbcrn  eine  unbeftreitbare  Origina= 
lität  jugeftcheu  müffen,  fo  fiub  fie  boch 
noch  3U  unreife  Serfd)en  eines  ringenben, 
wenn  aud)  begabten  Sichters,  als  bafc  fie 
ju  einer  Uebcrfeöung  beredittgten.  Sic 
oor  feiner  Gonfequenj  gurücffdirecft'nbe 
(Energie  feiner  Sarftelluugsrocife,  »eiche 
ber  lleberfetjer  Ijeroorhebt,  artet  auslieft 
in  unfehöne  dJefpreijthcit  unb  ©efdnnatf= 
Ioftgteit  aus.  Sie  fdiarfe  Beobad)tungs= 
gäbe  oerfeljlt  baS  würbige  öbject,  ber 
hic  unb  ba  aufleuditenbe  .Junior  wirb  burd> 
äRafetoflgfeit  bes  SiuSbrucfS  erftieft. 

8S. 


Bücher.   Baqivhaug  nach  Auswahl  der  R»larti<>n  vorbehalten. 

Köniirinhnfer  Han-lschrinen.    Twhe-  !    Bode,  Dr .  W.,  RiirnarJ  .«  I.irboswcrko  in  l/>n<ion 

«^lischo  «ie&chichton  aus  1001  Nacht  Dussel-  ,        (\v>lks*-..hWhrilton  Hoft.J).  Leipzig.  Duncker 

i<.rf,  F.  hffL  &  Bnvbl  t. 

fiirkhrtf,  W.,    Im  Spiel  der  Wogeu.    L«.}>zig,  i   Bratser,  Annie,  Letzte  F.hrt  au  p.inl  Jo>  Suu- 

W.  Friedrich  beäm.    NhcIi  dem  Kuglischeil.    Mit  188  1!  )/- 

Uli.  ni.  h- n.  1>«t  lustige  H«<Jeker.    II:  Drehten.  echu.  und  20  Linzel  drucken.    Lern/ig,  Jhrt 

IV :    Stuttgart.    Stuttgurt,  L*vy  u.  Müller.  I         Je  Sohn. 


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27Ö 


Horb  ntiö  5ub. 


Cornet.  G.,  Wie  schützt  mau  sich  gegen  die 
Schwindsucht''  l Sammlung  gemeinverstandl. 
Vortrage  N.  F.  IV,  77).  Hambarg,  Verlags- 
anstalt  (vorm.  Richter). 
0er  Stein  der  Weltes.  Illustrirte  Halbmonats- 
schrift füi  Haus  und  Familie.  Unterhaltung 
und  Belehrung  an*  allen  Gebieten  des 
Wissens,  "Wien,  A  Hnrt'eben. 
Deutsche  Encyklopadle.   Lief.  30— 3*.  Berlin, 

Wiegandt  de  Grieben. 
Die  Nordseeblder  auf  Sylt.   Herausg.  von  der 

Seebadedirection.   Hamburg,  0.  Meissner. 
Die  preussische  Ader  in  der  deutschen  Literatur. 
Berlin,  R.  Eckstein  Xachf. 
J.  v.,  Lord  Byrons  Don  Juan  übersetzt, 
a.  M-,  M.  Schauenburg. 
Elf  Jahre  Balkan.   Erinnerung«^  eines  Preussi- 
sefcen  Officiers  aus  den  Jahren  1876 — 1887. 
Breslau,  J.  U.  Kern  (M.  MiÜlor). 
Ernst,  P_  Leo  Tolstoi  und  der  sWischc  Roman 
(Deutsche  Literarische  Volkshefte  1)  Berlin 
Brachvogel  &  Ranft 
Felix,  G.t  Die  frarzös-scho  Revolution  178»  bis 
17U5.  Mit  15  Abbildungen.  Leipzig,  0.  Spamer. 
[Klar  goschnebtno  i«opuliire  Darstellung  Tom 
conservativen  Standpunkt.] 
Fischer,  Kuno,  Ueber  den  Witz,  2.  Aufl..  —  Shake- 
speares ( harnkterentwicklurg  Richards  III. 
2.  Ausg.  —    Die   Erklärungsversuche  dos 
G.xtho 'schon  „Faust  "  Heidelberg.  C.  Winter. 
Frlcdlaender,  I.,  Darstellungen  aus  der  Sitten- 
geschichte   Roms    von    Auirustus  bis 


Ausgang    der  Antonino.    fi  neu  bearb.  Auf-  | 
läge.    Leipzig,  S.  Ilirze). 
Friedrich  der  Meise,   Kurfürst   von  Sachsen. 
Ein  Charakterbild  aus  dem  doutachen  Volke 
und  fir  das  deutsche  Volk.    Neu  herausge- 
geben zur  $00  jährigen  Jubelfeier  de«»  Hauses 
Wettin.    Breinon,  M.  Heinsius.  [Populiire, 
pietätvolle  und  klare  Darstellung] 
Gerstärker,  Fr.,   Ausgewählte  Werke.  Volks- 
u.  Familien-Ausgabe,  herausg.  v.  D.  Thedon. 
Liefrg.  ?t — 1*.   Jena,  H,  Costenoble. 
Geschichte  der  deutschen  Kunst,   Liefrg.  23-28. 

Berlin,  G.  (irote. 
Grcy,  R.,  Jacobs  lütter  and  uther  stories.  Ham- 
burg Verlags mstalt  (Vorm.  J.  F.  Richter). 

N\  .,  Kriernhild  Volksgesang  der  Deutschen, 
f.  d.  12.  Jahrh.  (Deuts  her  Bücherschatz. 
Band  ti.  Eisenach,  J.  Bacmeistor.  «Neue 
lebersotzung  dos  Nibelungenliedes,  in  frei 
b»h  itidoltr-n  Versen). 
Heigel,  Karl  v    D»r  "Weg  zum  Himmel.  Roman 

.München,  Fr  B.issermann. 
Hecker,  Carl,  Caajna-GwcfetcMta.  Illnsbirt  tob 

H.  Sehlingen.    Stuttgart,  Citri  Krabbe. 
Hepp,  G ,  Wegweiser  auf  Sylt.  Tondem,  Dröhse. 
Heyden,    A.    v.,    Dio  Tracht  der  Kulturvölker 
Europas,    (Seemanns  Kunsthiindbücher  IV.) 
Leipzig.  E.  A.  Seemann. 
Hoc  hat  Bdt,  Mix,   Much  der  Liebe.   Berlin.  NW., 

Kompners  Kommissionsverlag. 
Jaenlcke,  I*  .  Der  Enthusiast  von  Fichtonst'idtel 
und  andere  Novellen.   Berlin  W.  Roseubaum 
A-  Hart. 

Jahrbuch  d>r  Naturwissenschaften  1881s— 1889. 
Herausg.  von  M  Wil  lei  mann.  Fieiburg  i./B. 
Herior. 

Jansen,  K  ,  Deutsche  SoMnchtendonkmäler.  Wie 
Me  sind  und  wie  sie  sein  sollon.  Deutsche 


Zeit-  und  Streit-Fragen  IV,  .'.9.  St.)  Hrm- 
bürg,  Verlagsanstalt  (v  »rm.  Richter). 
Jenson,  W.,  Jahreszeiten.  Roman.  2  Bie  2.  AufL 

Leipzig,  B.  Elischer  Nacht 
Israels,  L.  V.,  „Wat  de  Kiewit  sprok."  Olden- 
burg, G.  Stalling. 
Kilian,  E.,  Die  Mannheimer  Bühneubearboi  tur.g 
des  ,, Götz  von  Berlichtngen"  Tom  Jahre  X786 
Mannheim,  J.  Benshoimer. 
Kniest,  Ph.,  Wind  und  Wellen.  Neue  Geschickten 
und  Bilder  a  d.  See-  und  Kaufmannslebea 
Oldenburg,  G.  Stalling. 
Knortz,  Karl,   Amerikanische   Dichtungen  der 
Neuzeit  Frei  übertragen.  Leipzig,  E.  W  artig. 


Land,  Hans,  Die  am  Wege  sterben. 

Zahlungen.   Berlin,  Alfred  n.  Fried  A:  Cie. 
Ijinire,  Kr.  I-othar.   Ein  modernes  Epos  in 

Gos'lngen .    Hamburg,  Verlsgsanstalt. 
Llrhtenow,  W.  v,    Die  Ahnen.    Dichtung  ra 
einem  Cyclus  lebender  Bilder  nach  Frey  tags 
Ronuno    Leipzig,  O.  Teich. 
Litzmann,  B,  Schillor  in  Jona.   Festgabe  zum 

2ti.  Mai  1889.   Jens  Fr.  Mauke. 
Maupassant,  Ü.  de,   Zwei  Brüder.    A.  d.  Fran- 
zi*. (Eiigolhorns.  allg.  Roman-Bibl.   V,  l*Oj 
Stuttgart.  J.  Engelhoru. 
Moser,  A.,   Deutsche  Kaiserlioder.   Dresden  und 

Leidig,  H.  Klomm. 
Münsterberg,  H.,  Gedankenübertragung  Freiburg 
J.  C.  B.  Mohr. 

r,  Fr  ,  Dor  Pegasus.  Tragi  komiseiws 
Geschichte.  Dresden  u.  Leipzig.  Heinrich 
Minden. 

3lyllna,  <».,    Die  rotlie  Gräfin.   Roman   in  drei 

Banden.    I^ipzig,  W.  Friedrich. 
Nalhuslus,  M.,   Ausgo wühlte  Schriften.  Volks- 

Ausg.    Leipzig,  (i.  Fock. 
Opitz,  R.,    Schauspio1  und  Theaterwe*on  der 

Griechen  uud  Römer.    Mit  Illustr.  Leipzig, 

Arthur  Seemann. 
Paulsen,  Prof  ,  Dr.  Fr.,  Das  Realgymnasium  und 

die  hum  mis tische  Bildung.  Berlin.  W.  H«»rtr_ 
Pelyblhllon.  Revue  bibliographique  universelle. 

Livraisorw  de. <uin.  Paris,  2 et.  5rue  St.  Simon. 
Post,  J.,  Mustorstation  persünl icher  Fürsorg-»  von 

Arbeitgebern  für  ihre  Geschaftsantrehorigec. 

Bd.  I:    Die  Kinder  und  jugendlichen  Ar- 
beiter Mit  U  Abbilden.  Bertin,  R.  Oppenheim 
Sulinger,  E.,  Vor  Tagesanbruch.  R.man.  3  Bande 

Berlin,  o,  Jauke. 
Schmldl-Cahanis,  R.,  XcrvQse  Humoresken.  Illustr. 

von  Wilhelm  Sprenger.   Berlin,  Herrmaun 

Lizarus 

Spielbern,  nans  v,  Gräfin  Langeweile.  Ihr  BiM 

Berlin,  Rudolf  Mückenborger. 
Splrlhaircn,  Fr.,    Ein  neuer  Pharao.  Leipzig, 

L.  staackmann. 
Slrnadt,  J.,  Dor  Kirnborg  bei  Linz,    und  der 

Kurenberg-Mythns    Linz,  E.  J  Ebenhöch 
Tausend  und  eine  Sacht.   Liefg.  n<— 20.  Stutt- 
gart, Riegersche  Verlagsbuchhandlung. 
Thelnerl-Mlrkley,  E.,  Die  Schauspielkunst.  Ein 

Capitol  der  Seelenkunde.  München,  J.  Lir- 

dauer  in  Comra. 
Verhandlungen  <ler  Gesellsoh.  f.  Erdkunde  zu 

Berlin.  XVI,  4  und  5.  Berlin.  D.  Reimor 
Zobeltitz,  F.  v.,  In  der  Welt  verloren.    R  man 

2  Bde  Jeua,  H.  Costenoble. 


Urbiaitt  unter  IVrantwortlid^frit  bei  ISrraasjfbfrs. 
Drurf  mit»  Vttla<}  oon  5.  SdjOttlaOlbcr  i"  örrilau. 
Unbnrditialct  rtdcr^rnf(  iiiis  ^rlu  3nbatt  öiefer  ^eitfdjrift  unttrfajt.    lleberffenne«ei:t  uorbchalten. 


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KARLSBADER 

Natürliche  Mineralwässer 

1889er.  Frische  Füllung.  1889er. 


n 
n 
n 

B 

ife 

n 

•n 

n 
n 


Proflncte !; 


KARLSBADER 
Sprudel-Salz 
pulverfbrmig 

und 
krystalliBirt. 

KARLSBADER 
Sprudel-Seife. 

KARLSBADER 
Sprudel-Pastillea. 

-«+  -  I 


iiiiriTiiiiniiiiiiiiiiiiitiituiiittiiiuiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiitiiiiiiiiiiiiiiiii 


Die  Karlsbader  Mineralwässer  und  Quellenproducte 

tind  zu  beziehen  durch  die 

Karlstiafler  Mineralwasser-Verseoflimg 

Löbel  Schottländer,  Karlsbad  '  Böhmen 

sowie  durch 

alle  Mlflcralwasser-Ilandlüngen,  Apotheken  und  Drogisten. 

Ueberseeische  Depots  in  den  grössten  Städten  aller  Welttheile 


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"SECURUS  JUDICAT  ORBIS  TERRARUM." 


Apollinaris 

NA  TÜR LICft 
KOHLENSAURES  MINERAL- WASSER. 


Die   Füllungen    am  A pollinaris- Brunnen 
(Ahrthal,  Rhein- Preussen)  betrugen 

im  Jahre  1887 

11,804,000 

und  im  Jahre  1888 

12,720,000 

Flaschen  und  Krüge. 

THE  APOLLINARIS  COMPANY,  Limited, 

LONDON, 

UND  REMAGEN  A.  RHEIN. 


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€me  öeutfdje  2ttonatsfd?rift. 


n  unfccc 


öonncntcu! 


ir  fyaben  fcurdj  Heuörucf  6ie  bisher  feljlenfcen  f)efte 


öer  bereits  erfcfytenenen  3änbe  oon 


„Horb  unb  Süb" 


ergänzt,  unb  fönnen  oafjer  otefelbcn  enttoe&er  in  complet  ßroCdjirten 
ooer  fein  ge6ttitbetteit  Bänoen  pon  uns  nad}be$o§en  werben,  preis 
pro  Banö  (=  3  £)cfte)  brofdjirt  6  2TCarf,  gebun&en  in  feinftem 
£>rtgmal'€tnbano  mit  reicher  <55olopreffung  uno  Sdjnwrjorutf  8  ZTTarf. 

(Einsetne  Qcf tc,  n>ekr)e  n?ir  auf  Verlangen,  foroeit  6er  üorratf; 
reicht,  ebenfalls  liefern,  foften  2  2Tlarf. 

€benfo  liefern  mir,  wie  bisher,  gefdjmacfüolle 


im  Stil  6es  je^igen  f)ef t « Umfdjlags  mit  fcfyroa^er  un6  (ßolöpreffung 
aus  englifa^er  Ceinmanö  un6  ftefjen  foldje  $u  Banö  L  (3uli  bis 
September  1889),  wie  aud)  $u  6en  früheren  Bänöen  1 — XLIX 
ftets  $ur  Verfügung.  —  Der  Preis  ift  nur  \  ZXXaxt  50  Pf.  pro  Decfe. 
§u  Beftellungen  rooüe  man  fta?  bes  umfteljenoen  Settels  beoienen 
unb  öenfelben,  mit  Unterfdjrift  t>erfefyen,  an  bie  BuajfyanMung  ooer 
fonftige  Bejugsquelle  einfenoen,  ourdj  n>ekfye  öie  ^ortfe^ungs^efte 
belogen  ir*er&en.  Tlndf  ift  6ie  unter$eidmcte  Perlagsfjanölung  gern 
bereit,  gegen  €infenöung  öes  Betrages  (nebft  50  pf.  für  francatur) 
öas  (Betrmnfa^te  $u  erpetoren. 
Breslau. 

Die  PerlagsbudfljanMung  oon  S.  Scfyottlaenber. 


g>rtgmaC  -  (Smßcmddec&m 


(Softe  I^ettel  nmftefienb.) 


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Zloxb  unb  Süb. 


(Eine  6  e  u  t  f  dj  e  ZTTonatsfd}rtft. 


herausgegeben 
von 

paul  Cinbau. 


L.  Sani).  —  September  (889.  —  fjeft  (50. 

(Mit  einem  Portrait  in  JlaNrung:    III  artin  ®rrif.) 


23  r  eglau. 

Dratf  unö  Verlag  von  5.  rdjotilaenber. 


3afobäus  IXlayev. 

Hopelle. 
Don 

Dillinger. 

—  Karlsruhe.  - 

ie  $err  2)Jauer  $u  feinem  ©eljülfen  9)toldju3  tarn, 

gefdjaf)  folgenbermafjen.  Der  ftramme,  bürre,  ftetö  mit  Sorgfalt 
gefleibete  &err  ftanb  uor  feiner  £abentl;üre  unb  btidte  bie 
@affe  be3  fleinen  StäbtdjenS  entlang,  ba3,  roemt  nidjt  SWarfts  ober  Sonntag 
mar,  ben  ßinbruef  madjte,  als  läge  e3  im  <2d)laf.  Da  erfaßten  plöfclicj) 
bie  fd)n>ar$e  langaufgefdjoffene  ©eftalt  eines  fyeulenben  Sdmfterjungen  auf 
bem  Spiafc,  unb  &err  3afo6äu3  SRaner  rifc  bie  funfelnben  5lugen  weit 
auf,  legte  bie  £änbe  auf  ben  SRücfen  unb  rief  bem  Surften  ein  barfdjeS 
„&er  ba!"  entgegen,  ©r  fam  fd)lotternb  unb  fd)lud)$enb,  ftd)  oor  &oa> 
ad^tung  beinahe  friimmenb,  fyerbei. 
„<Ba3  fjat'3  gegeben?" 

„3a  —  adj  ©ott  —  ber  2J?eifter  —  fortgejagt  fjat  er  midy 
„Söarum?" 

JO  &err  3o'0Dü"^  3ttaoer,  roeil  idj  nod)  baä  anbere  Butterbrot 
gegeffen  —  su  meinem  Inn,  aU  ftdj  ber  2Jfeifter  breite." 

„^iatürlidj,"  braufte  &err  ^afobäuS  auf,  „ba  I)aben  mir  ifm,  ben 
^auptpunft  —  fo  ift'ö  mit  (fttrer  Religion  —  roenn  Jjftt  TO0  ein  Butter* 
brot  fet)t,  ba$  3f>r  nidjt  Ijaben  follt,  gleidj  frefct  Qljr'S  auf." 

3ttald)u$  fdjüttelte  ben  ßopf:  „3dj  gewiß  nidjt  mefjr." 

„SBarum  nid^t,  tdj  mitt  miffen  warum?" 

Der23urfdje  fdjaute  ifm  ganj  ocruutnbert  an:  „2£eU  mir**  fo  fdjlerfjt 
gegangen  ift." 

„%l\o  barum!"   ßirfdjrötf)e  färbte  bie  fangen  be$  alten  £etrn.  „So 

19* 


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3afobäus  Mayer. 


279 


unbefefct,  fein  ©efd&aft  waljrenb  be«  ©otte«bienfte«  offen.  £ie«  2ltfe« 
batirte  von  bem  Seitpunfte,  ba  ^afobau«  mit  #ülfe  feiner  pf)ilofopfnfd)en 
SBerfe  unb  feine«  23erftanbe«  f)erau«gebrad)t  Ijatte,  ba§  e«  feinen  lieben 
©ott  im  Gimmel  gäbe. 

2lber  ber  3Jtenfd)  mufj  etwas  fjaben  —  eine  f)öd))le  Qnftanj,  oor  ber 
er  fidj  beugt;  barüber  fann  nun  ber  SJtann  unoerbroffenen  ©emfitlie« 
Qaljr  au«,  3af)r  ein  nadj.  3ur  3e*t  a^  er  Den  Sftaldju«  aufnahm,  war  er 
gerabe  mit  feinem  ^auptpunft  im  Steinen,  unb  nun  follte  e«  beginnen,  ba« 
2Berf  ber  Verbreitung,  unb  9Mdju«  mar  au«erfef)en  bie  Stermittelung  §u 
bilben  äwifdjen  ber  tföclt  unb  ber  neuen  fiefjre. 

2lÜein  über  be«  SBurfdjen  frruppige«  £aupt  waren  bereit«  triefe  Semefter 
gebogen,  unb  er  mufcte  nodj  immer  nid)t,  roa«  fein  &err  eigentlid)  wollte. 
(£r  beforgte  beffen  ©efd&äft  mit  gleiß  unb  ©ewiffenf)afttgfeit,  führte  $ud% 
unb  nur  ba«  SBerfaufen  liefe  fid)  &err  3af°Däw«  SWaper  nid)t  nehmen. 
3)e«  9tadjmittag«  fajritt  er,  bie  lange  pfeife  im  9ftunbe,  oor  bem  £aben= 
tifd>  auf  unb  ab  unb  boctrte.  3U  Anfang  fafj  3)taldm«  mit  offenem  SJhmbe 
auf  feinem  $ref)ftüf)la;en  unb  machte  feinen  &ef)l  oon  ber  Unjulänglid^feit 
feine«  Verftänbniffe«.  2(ber  bann  würbe  ber  2Ute  wütfienb,  feine  grojjen 
blauen  Äinberaugen  famen  in'«  9Men,  er  fufjr  fid)  mit  beiben  &änben  in 
ba«  fdjneewetije  lorfige  &aar,  ba«  wie  ein  £eiligenfdjein  fein  jugenbltdj 
gefärbte«  2lntltfe  umgab,  unb  fdjrie,  baf?  mau'«  bi«  über  bie  ©äffe  f)ören 
f  onnte : 

„X\x  ©fei  —  $u  SJlaulaff'  —  $>u  fn'rn=  unb  gebanfenlofe  Greatur! 
toiüft  $u  aufpaffen,  fott  id>  ^Dir  ben  Äopf  jwifdjen  bie  D^ren  fefeen  — 
giebt'«  benn  etroa«  auf  tor  2Belt,  ba«  fonnenflarer  wäre;  ©Ott  ift  ma)t  — 
aber  ber  &auptpunft,  ba«  ©ewiffen  ift!  Senfe  $tr,  auf  bem  Xf)ron  ber 
©wigfeit,  ba«  ©ewiffen,  jene  SMadjt,  bie  nidjt  belohnt  unb  nidjjt  beftraft 
unb  nid)t  beweifpräudjert  wirb  unb  fein  will,  mit  ber  ,'wir  aber  wie  mit 
einem  £>raf)t  jufammen^angen  burdj  unfer  eigene«  ©ewiffen,  ba«,  wie  ein 
Solbat  feinem  Cberften,  bem  SBeltgemiffen  Untertan  ift;  fo  bajj,  wenn  wir 
eine  fd)led)te  Xljat  getrau,  etwa«  ©djimpflidje«  ool!braa}t,  woburaj  unier 
©ewiffen  im  3uftanb  be«  Sefdnnufctfein«  fia)  befinbet,  bie«  unmiberruflidj 
einen  trüben  6d)ein  be«  allgemeinen  SBeltgewiffen«  oerurfadjt  unb  bilblid) 
genommen  eine  2(rt  3erf<$metterung  unferer  Seelen  in  golge  l)at,  ba  wir, 
burd)  ben  £raf)t,  sufammen^ängen.  —  &aft  $u  mid)  jefet  oerftanben? 
—  giebt'«  benn  auf  ber  28elt  etwa«,  wa«  fonnenflarer  ift  V  ober  bift  Xu 
oieHeid)t  ein  (Simpel,  unb  id)  alter  9Jtann  reb'  in  ein  leere«  £od)  hinein  ?" 

^Darauf  oermodjte  3)iald>«  nid)t  mit  einem  „3a"  ju  antworten;  er 
war  banfbaren  ©emütye«  unb  eradjtete  e«  für  feine  &auptpflid>t,  e«  feinem 
gütigen  2Bof)ltf)äter  in  allen  fingen  red&t  ju  mad>n.  60  lieft  er  benn 
in  ©otte«  tarnen  bie  wunberlidjen  Sieben,  ofme  audj  nur  bie  Slugen  aufs 
juf  ablagen,  über  fia)  ergeben;  unb  wenn  tym  ber  9llte  mit  ber  ©djlufjfrage 
auf  ben  £eib  rüdte: 


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280    r?.  Dilltnger  in  Karlsruhe.   — - 

„9?un,  roie  ift'*,  caput  ber  ßerl  —  ifk  tfjm  ber  .§auptpunft  enblidj 
flar?"  —  fo  ermiberte  3Raldml,  ofme  ftdj  weiter  ein  ©eroiffen  baraul  $u 
madjen,  mit  einem  2lulbrud  unoergleidjlitfier  Selbftüerftänblid&feit: 

„©omtenflar!" 

9lber  feine  £üge  braute  ilnn  böfe  Jrfidjte. 

„2öal  gef)ft  T)u  benn  nod)  in  bie  Jttrdje,"  fuljr  tfyt  3afobäul  eines 
(Sonntags  9ftorgenl  an,  „wo  £ir  ber  £auptpunft  flar  ift  —  unb  ba$ 
3ufammenftef)en  mit  ben  Sümmeln,  bie  rote  Vierbeinige  in  ben  £ag  leben  — 
roal  tyaft  $u  bei  biefen  nod)  $u  fudjen?  2Bal  tjilft  mir  all  &etn  Ver* 
ftänbnift,  wenn  $)u  nidjt  befennft  —  unb  roal  tjeijjt  befennen  anberl,  als 
nad)  feiner  ©eftnnung  leben?  3dj  f)offe,  el  ift  $ir  flar,  Äerf,  bafe  $>u 
nadj  ntdjtl  ju  fragen  fjaft  auf  ber  Söelt,  all  nad)  bem  ^auptpunft." 

„©onnenflar,"  murmelte  9ttaldjul,  bem  immer  gleia)  ber  ©abreden 
in  bie  ©lieber  fuljr,  fobalb  ber  9tlte  mit  ben  3lugen  rollte.  Gr  blieb  oon 
ber  Äirdje  roeg  unb  raupte  bei  9?ad)nuttagl  fein  Sßfeifdjen  einfam  auf 
ber  23obentreppe.  2lbcr  el  fd&medte  ifmt  nidjt;  bal  ©efdjrei  unb  ©elänn 
feiner  2llterlgenoffen,  bie  ßegel  f djoben,  tönte  ifmt  an'l  Dfjr,  unb  er  fprad> 
mandjmal  im  £one  tieffter  Erbitterung: 

„$er  Xeufel  Ijol'  ben  ßauptpunft!"  — 

„$al  ift  ein  tferl,  mein  9J?aldml,"  erjäljlte  3afobäul  SNener  be3 
2lbenbl  im  (Sternen;  ein  eminenter  Slopf  —  $f)r  Herren  —  fo  ju  fagen 
einer,  ber  mir  meine  jufünftige  ©emeinbe  grünben  roirb  — " 

„9lIfo,  eine  fogenannte  &auptpunftgemeiube,"  fagte  ber  Steruenrotrtl), 
ein  ungemein  bider  9Jtonn,  ben  man  nie  anberl  all  in  ^embärmeln  falj  — 
aufeer  er  ging  sur  Äirdje,  aber  bann  feudjte  er  baf)er,  all  t)abe  er  bie 
Saften  bei  ganjen  fttrdjfptell  ju  fdjleppen. 

//3o,"  fahrte  ftafobäul,  /rja  rooljl,  eine  £auptpunftgemeinbe,  roal 
ba  Reifet,  eine  ©emeinbe  ber  ©eroiifenfjaftigfeit,  in  ber  feine  — " 

„9tul)ig,  rufng,"  legte  fidj  ber  SJcufler  in'l  Wittel,  „alter  &ifcfopf, 
el  roirb  bod&  l)eut  nidjt  roieber  gleidj  beim  erfien  ©lal  losgehen." 

„iHlfo  id)  mein'!  aua)/'  fagte  ber  Sternenroirtl) ,  „alfo  roir  Wegen 
eine  £>auptpunftgemeinbe,  bie  ©emeinbe  ber  fieben  mageren  &ül;e;  beim 
roenn  fic  2)ir  bal  g-aften  alfo  2llle  nadjmadjen,  fo  ift  nid)t  viel  an  £ud> 
5U  oerbienen." 

6djon  roieber  fdjnellte  ftafobäul  in  bie  &ö()e,  obroof)l  ilm  redjtl  ber 
l'ebertyänbler  unb  linfl  ber  SWüller  feftfyielt. 

„gaft'  idj?  —  idj  efj*  mid)  reblid)  fatt  —  id)  tfm'l  nur  nidj)t  für 
jeljite  roie  ein  geroiffer  5^erl,  ber  auf  ber  Söelt  nia^tl  ^ö^erel  leiftet, 
aufeerbem  baf?  er  atte  Jym^rllang  ,alfo'  fagt  — " 

„9Ufo  id;  —  id)  foll  immer  ,atf o*  fagen,"  fiel  i^m  ber  <Hternen= 
roirtl)  mit  feinem  gewaltigen  SBajs  in'l  i^ort;  „nein,  bal  ift  mir  boa> 
bumm  —  alfo  einer,  ber  in  einem  fort  £auptpunft  — " 


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  Zatobäns  rtlaycr.    28( 

„3dj  bringe  meinen  &auptpunft  nnt  ba  an,  tdo  er  ^inge^ört",  überfdjrie 
ilm  3af°bäuS,  „f$limm  genug,  bafc  irjr  ilm  nodj  immer  nidfjt  capirt!" 

„s3(lfo  freilidf)  capiren  mir,"  erflftrte  ber  Sternenroirtf),  „alfo  roaS  iffc 
ba  lang  3U  capiren,  als  bafj  Du  uns  unferm  Herrgott  abfpenftig  matten 
roiüft." 

„Danft  Guerm  ©djdpfer,  bafc  es  feinen  gtebt,"  ereiferte  fid) 
3afobäuS,  benn  fonft  fäm'  er  herunter  (Sud)  eigen&änbig  burdj$uprügeln, 
bafür,  ba§  ü)r  meint,  wenn  if>r  bei  Sonntags  ein  tfirdjenlieb  brüllt, 
müßt'  Gudj  eine  ewige  ©lüdfeligfeit  sunt  2of)n  werben.  3lber  (Suren  ©e= 
lüften  leben,  ßuren  9?ää)ften  überoortfjetlen,  t^jun  als  gab'S  feinen  £aupt* 
punft,  fein  ©emiffen  —  jene  3Rad)t  — " 

„Um  ©otteSaiillen,"  fufir  ber  Wtilex  auf,  „einmal  in  ber  3ßod)' 
fönnteft  Xu  uns  roenigfienS  mit  ber  (yetm^fenSgefdndjt'  ©erfdjonen  — " 

„@ut !  <gerr  SafobauS  SJtooer  fnüpfte  feinen  9lod  ju,  „an  @udj  finb 
&opfen  unb  2Mj  verloren!  Da  ift  mein  3)tolä)uS  ein  2lnberer,  ber 
madjt  (5ud&  2lHe  ju  ©djanben  mit  feinem  23erftanb." 

„sÄlfo  baS  glaub'  id)  meiner  Sebtag  md&t,"  erflärte  ber  ©ternenroirtf); 
„ber  ßerl  fjat  ja  3lugen  im  Äopf  wie  ein  uerfd)lafener  SJtopS." 

„Dtein  2Rald)us!  ©ternenn)irtf>,  baS  mar  unfere  lefcte  Unterf)altung!" 
fprad)'s,  rifj  feinen  £ut  vom  9togel  unb  ftännte  baoon. 

Da  fifeen  wir  nun  roieber,"  fagte  ber  -iMHer;  „roaS  foH  man  jefct 
reben,  ber  ©ternennrirtfj  fjat  feine  iHu&e,  bis  er  bauon  läuft." 

Der  bide  SJtonn  fäjlng  auf  ben  £ifd). 

„2Ilfo  bieSmal  freut  mia)'S;  alfo  maS  braudjt  er  $u  behaupten,  id) 
fag'  immer  ,alfo4!" 

SRaldmS  merfte  eines  XageS,  bafj  ifnt  bie  £eute  mit  einer  geiuiffen 
Sdjeu  betradjteten,  unb  bajj  ifjm  fogar  baS  Xaoerle  aus  bein  2£ege  ging.  8ie 
beforgte  feit  ü)rem  fünfzehnten  3cu)r  ben  £ausljalt  beS  alten  &errn  unb 
säljlte  iefot  jroeiunbjwanjig.  Des  2lbenbs  ging  fie  nadj  &aufe  5U  ifjrer 
üJiutter,  ber  fienberin ;  unb  ba  fte  nod)  anfjerbem  für  baS  fjalbe  ©täbtdjeu 
^otenbienfte  $u  üerridjten  hatte,  fo  fal)  man  fie  nie  anberS  als  im  3U; 
ftanbe  ber  2ltf)emtofigfeit,  mit  fliegenbem  diod  unb  tjalbroegS  Ijerabfallenben 
3öpfen. 

3afobauS  SRaoer  mar  in  SBerfjaltniffen,  bie  Unit  alle  möglichen  33e= 
quemliajfeiten  geftattet  Ratten,  audj  baS  galten  einer  tüdjtigen  Sflagb;  allein 
bei  bem  alten  #errn  fam  bie  23equemlid)feit  immer  erft  lange  nad)  bem 
:&*of)le  ber  &ülfbebürftigen.  Die  alte  Senberin  nun  war  eine  grau,  bie 
er  füYS  Seben  gern  unterftfifet  fjätte,  aber  fte  nafjm  feine  SUmofen;  if)r 
Sfiann  mar  2Haurermeifter  geroefen,  unb  fte  glaubte  in  guten  &erl;ältniifen 
ju  leben,  roa^renb  er  Sdmlben  machte  unb  3ltteS  »ertranf.  9Jun  iuar  fie 
la^m,  faf?  ben  ganjen  2ag  in  Ujrem  Sebnftu^l  unb  l)ielt  Mleinfinberfc^ule. 
Saüerle  fleibete  fte  beS  Borgens  an,  gab  iljr  beS  Wittags  &u  ©Ifen  unb 
bradjte  ne  beS  3lbenbs  ju  33ett. 


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282 


Vf.  DUIinger  in  Karlsruhe.   


$ie  Senberin  fagte:  So  lang  leb'  id),  bi«  ich  bic  Sdjulben  meinet 
SHanne«  abgejagt  hab',  unb  bann  leg'  ich  mich  hin  unb  fterb'." 

Unb  Sebermann  war  überjeugt,  baß  fie'«  am  Schnürten  ^atte. 

£err  3afobau«  97laner  aber  tonnte  5U  feinem  großen  Herger  nicht« 
Slnbere«  für  fie  thun,  al«  il)re  Tochter  in'«  $au«  nehmen  unb  bafür  forgen, 
baß  Tie  nebenher  noch  Einige«  ju  oerbtenen  oermoajte.  Unb  e«  war  im 
ganzen  Stäbtchen  ein  ©eretße  um  ba«  Sauerle,  benn  feine  $dnbe  waren  eben 
fo  flinf  al«  fein  allezeit  frohgemute«  Hflunbroerf.  «Rur  einen  fd)tuar$eu 
$unft  gab'«  in  ihrer  Seele  —  fie  tonnte  nicht  lefen.  911«  Äinb  burfte 
fic  eine«  langroierigen  ^üftenleiben«  wegen  bie  Schule  nicht  befugen; 
fpäter  f tarnte  fie  fidj  aU  aufgefchojfene«  Stfäbchen  in  bet  Jttajfe  ber  steinen 
ju  fifeen,  ber  £ob  be«  SBater«  unb  bie  ©ntbeefung  feiner  Schulben  warf 
bie  Sttutter  auf«  ßranfenlager  —  fo  tonnte  uon  9to<hholen  be«  SSerfaumten 
nicht  mehr  bie  Siebe  fein.  £>er  tfummer  über  ihre  Unwiffenheit  brüefte 
ba«  Sauerle  aber  erft  uon  bem  9lugenblicf  an,  als  Tie  hörte,  baß  Sttalchu« 
ganj  auf  feinen  $errn  f>erau3fomme  unb  fdjon  balb  fdjier  fo  gefchetbt  fei 
wie  biefer. 

„Kein/  feufjte  e«,  „baß  er  ba«  fo  ^eimlid;  uor  mir  Ijat  galten 
tonnen  —  ba  oerlaff'  ftch  einer  auf  bie  SHenfdjen!" 

Unb  wenn'«  nun  wie  ber  23life  in  ben  Stuben  ober  im  fiaben  beä 
&errn  ftafobäu«  ^erum^antirte,  fo  flog  wohl  juweilen  ein  33Iid  ju  bem 
redjnenben  ober  fchreibenben  3Katc&uö  hinüber;  aber  mit  ihrem  froren,  un= 
befangenen  ©eplauber  war'«  au«,  Einmal  aber  nahm  fie  all  itjren  9Ruth 
Mammen,  um  i^n  ju  fragen,  wa«  in  bem  33u$e  ftefje,  ba«  er  immer 
neben  ftä)  liegen  ^abe.  ©r  antwortete:  „^Uofopljie".  Sie  mar  gan^v 
erfd)rod£en  über  ba«  2Bort,  ba«  fie  nie  gehört,  nun  aber  immerfort  uor 
fich  ^in  fagen  mußte  —  wie  beljerr. 

,,2Ba«  murmelt  fie  benn  ba/'  badete  9)falchu«,  „ihr  ©ereb'  mar  ja 
nody«  Ginjig',  wa«  id)  auf  biefer  2Belt  gehabt  h<*b\ 

er  oerfolgte  ihre  behübe  ©eftalt,  bie  balb  f)0(h  oben  auf  einer  Seiter 
ftanb,  balb  in'«  lefcte  sBinfelchen  be«  Saben«  frod);  nur  uor  bem33üä)er* 
fchaff  ftoefte  itjre  SBehenbigfeit.  9ld)  immer  bie  tyxlbe  SSoche  nad)  ber 
großen  Siäumerei  fteefte  it>r  bie  9lngft  in  ben  ©liebern,  ob  bie  33ü$er, 
beren  9luf  jehrift  fie  nicht  ju  lefen  oermochte,  auch  fo  ftanben,  wie  fie  ftet)en 
mußten! 

„£>enn,"  feufjte  ba«  Sauerle,  „wenn  er,  ber  bie  Sßl)Uofopr)ie  lieft, 
müßte,  baß  id;  nicht  einmal  «'  Natürliche  le[en  fann." 

3n  ber  2lngft  ihre«  ^erjen«  fing  fie  bann  jebe«mal  oon  biefen 
SBfichern  an: 

„21$  ©ott,  3Kald)u«,  ba  fdjau  her,  mit  ben  23üd>rn  ifl'«  nia}t  rid)tiö, 
beim  Stubiren  tynb'  ich  mich  oerroechfelt  —  ja,  wenn  man  aber  audj  Qar 
fo  rounberfifcig  ift  unb  immer  Me«  toiffen  muß,  roa«  brin  fteht!" 


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3afobäns  OTayer. 


235 


„2fter  es  fleht  ja  aHeS  gan3  recht,"  erflärte  her  afjnungslofe  9)ialdjuS 
jebeS  Wal,  worauf  baS  3-aoerle  crtetd&tert  aufatmete. 

(*S  almte  freilid)  nid)t,  bafj  es  ber  £err  3afobäuS  2)ianer  felber 
mar,  weiter  bic  üerfefjrt  unb  bunt  burdjeinanber  ftehenben  S3üd)er  allemal 
in  Crbmmg  brachte;  benu  XaoerleS  Unroiffenhett  roar  ihm  fein  ©eheimnife, 
aber  er  refpeftirte  fie. 

Sben  bas  roar'S,  warum  jeber  ben  alten  ^i^fopf,  ber  immerfort  auf 
beit  lieben  ©Ott  fchatt,  lieb  r)attc.  $)a  mar  feiner,  bem  er  nicht  fd&on 
burcr)  9totf)  unb  ^at  geholfen  unb  beigeftanben  ^ätte ;  aber  baS  gefdfcjah 
immer  in  aller  &eimlid)fett,  unb  fdjon  im  naä)jten  2lugenbltcf  tr)at  ber  alte 
£?err,  als  roüfete  er  nichts  mehr  baoon.  Unb  alfo  beurteilte  ihn  jeber 
nach  feinem  heimlichen  £fnm  unb  mar  überzeugt,  ber  Gimmel  machte  es 
auch  fo,  unb  nahm  in  ©otteSnamen  bie  fchliinmen  Sieben  in  ben  ßauf. 
SRur  ber  &err  Pfarrer  mich  bem  &err  3afobäuS  9tta«er  mit  einiger  SSor- 
ficht  aus,  beim  es  mar  gefdjefjen,  baü  bei  einem  Bittgang,  als  bie  Sauern 
betenb  über  bie  gelber  jogen,  ber  alte  &err  ihnen  frebSroth  oor  3°™ 
nachrief:  ,,©ef)t  heim  unb  fjolt  SJiift  unb  haltet'S  2Raul." 

®er  £err  Pfarrer,  ein  unterfefeter  9flann  mit  etwas  rother  Üftafen* 
fpifce,  ^ielt  eS  für  nötf)ig,  nach  biefem  Vorgang  bem  £errn  3afobäu$ 
3)ianer  einen  iBefudj  atyuftatten.  £er  alte  $err,  welcher  oiel  ju  oft  in 
(Sifeu  gerietf),  als  bafj  tlmt  bie  SBeranlaffung  baju  jebcSmat  im  ©ebächtnifj 
hatte  bleiben  tonnen,  empfing  ben  $errn  Pfarrer  mit  bem  neugierigften 
2hiSbrucf  feiner  blauen  Slugen  unb  fragte  mit  lebhafter  33efliffenr)eit, 
rooran'S  fehle,  unb  ob  er  Reifen  fönne.  $er  ©eiftlidje  faß  auf  einmal 
oor  einem  guten  ©las  3öein  unb  fanb  fidj  in  ein  ©efpräd)  oerroicfelt  über 
bie  Senberin.  3af°bäu$  9)touef,  ber  immer  fo  aufredet  fafj,  bafj  man, 
ob  man  wollte  ober  nid)t,  ju  ir)n  auffchauen  mufcte,  erflärte  mit  ber  ganjen 
2Bärme  feines  ^erjenS: 

„S)aS  ift  eine  grau,  $ut  ab!  ein  eminent  eigenfinnigeS  Sßeib!  Sßenn 
ich  fie  fo  unter  bem  Äinberoolf  fifceit  fehe,  mit  bem  unbeweglichen  ©eficf)t, 
auf  bem  geschrieben  fteht :  ,id)  tlm'  meine  Sßflidjt'  —  Xeufel  noch  einmal, 
aus  ber  &aut  fönnt'  ich  fahren,  bafj  man  iljr  nicht  Reifen  barf!  Unb  bod)! 
2SaS  meinen  Sie,  &err  Pfarrer,  wenn  idj  benfe,  ich  habe  iljr  fo  ju  ©e1 
roiffen  gerebet,  baß  fie  mürbe  ift  —  was  fagt  fie  %  Hilter  ÜDcenfch,  fcfjämt 
(Sud),  baß  3f)r  mid)  baSfelbe  gingerwefen  fpüren  macht  rote  bie  Äinber, 
wenn  fie  nicht  begreifen  wollen'  —  unb  babei  5äf)le  id)  jufäHig  ^eute  aa)t« 
unbfed)Sjig  —  benfen  Sie!" 

„©ratultre,"  fagte  ber  ©eiftlia)e. 

„Danfe."  ftafobauä  rüdfte  ilnn  nä^er.  ,ßlati)  jahrelangem  5(ampfe, 
nad)  jahrelangem  3lerger  mufj  id)  mein  gute«  Stücf  gleifch  täglid;  mit  bem 
Oebanfen  geniefeen:  Unb  biefeö  franfe  SBeib  hat  nichts  als  eine  Schüffei 
ßaffee!  $ch  frage  Sie,  §err  Pfarrer,  fann  ©inem  bas  anfchlagen  —  einem 
2J?enfdjen  anfchlagen,  bei  bem  bas  ©eroiffen  ber  ^auptpunft  — " 


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28<\ 


£7.  Millinger  in  Karlsruhe.  


Ter  $err  Pfarrer  erfwb  fidj;  ber  Sprung  von  ber  £enberin  jum 
$auptpunft  oerfefete  in  Steden.  <5r  tranf  fein  ©la$  au«,  rooltte 
enblid)  iriit  feiner  33ittgangangelegenf)ett  f>erauärü<fen;  aber  ba  legte  ilnn 
ber  munberlidje  Sttenfd)  beibe  &änbe  auf  bie  Sd)ultem,  flaute  tyn  mit 
einer  Ereutyerjigfett  an,  bafe  bent  ©eiftlid&en  ganj  meid)  ju  ©emütf;  mürbe, 
unb  begann  in  einem  £on,  ber  fo  ftnbltd)  unb  fdmteidjelnb  flang,  ba& 
man  gar  nid^t«  Stimme*  klärte  baf;inter  vermuten  fönuen: 

„Sagen  Sie  bodjj,  lieber  £err  Pfarrer,  tonnten  Sie  benn  ni$t  in 
bes  Xeufete  tarnen  einmal  oon  ^Ijrer  flanjel  herunter  prebigen,  bafj  baä 
©eroiffen  mirflid)  ber  &auptpunft  ift?" 

Ter  ©eiftlidje  fudtfe  fid)  uon  ben  eifernen  $änben,  bie  feine  Sdmltern 
umflammerten,  lo^juroinbeu ;  &err  SafobäuS  f)ielt  ifm  feft:  „Tenfen  Sie 
fid)  bie  oottfommene  Seit,  roenn  jeber  auf  bie  Stimme  feinet  ©eroiffeniS 
Ijörte;  wenn  in  ber  Sdjule  gelehrt  mürbe:  Tu  Summet  e£  giebt  nur 
eine  92ummer:  ber  föauptpunft,  melier  ift  ba$  ©emiffen  —  nur  eine 
Xobfünbe:  fein  ©eroiffen  beleibigen  —  unb  nur  eine  $8elol)nung:  feiig  fmb 
bie  reinen  ©eroiffenS  ftnb,  benn  fie  tragen  sum  ©lanje  be$  95>eltgeroiffen3 
bei!"  Tie  3(ugen  be§  Sprechers  leuchteten  in  feltfamen  ©lanje  auf  ber 
geiftlid)en  &errn  tjerab,  ber  ftdj  enbltd)  logrifj  unb  im  nädnlen  2lugen= 
bltcf  bie  Sabentreppe  f)inunterflog,  babei  ein  paar  SBorte  murmelnb,  bie 
nid)t  gerabe  roie  ein  SegenSrounfdj  lauteten. 

„&a,"  freute  fid)  ^afobäuS  unb  rieb  fidt)  bie  &änbe,  „ba  gef)t  er 
f)tn  im  3°"1  w»o  föimt*  mid)  fteinigen!  darauf  tratfs  fidt)  jeber,  ber  eine 
neue  ^bee  in  bie  2Belt  bringt,  gefafet  machen/' 

„*D?ald)u3",  fagte  er  ein  paar  Tage  fpäter  $u  feinem  ©efjülfen,  ben 
man  hinter  bem  Gomptoirttfdj  faum  faf),  fo  f)od)  maren  bie  ^ücfier  oor 
tf)m  aufgepflanzt,  „Tu  btft  bod)  ber  roirflidje  23üdjernmrm  —  Tu  — " 

2Rald)u3  niefte;  er  mar  nun  oöHig  jum  Sügner  geworben  unb  füllte 
ficö  in  feiner  &aut  fo  unbeljagltd),  ba|  er  fid)  fd)on  eine  ganje  SBetle 
nidjt  meljr  unter  bie  3Jienfd)en  traute,  ©r  faf)  roirflid)  aus  roie  ein  2J}op3, 
mit  feiner  runben  dla]e  unb  bem  gutmütigen  SUhmb,  unb  e£  gehörten 
fdjon  ganj  merfroürbige  2lugen  baju,  um  einen  Genfer  in  biefen  «3üg,en 
§u  entbeefen. 

&err  3afobäu8  3)?aver  fjatte  aber  in  biefem  3lugenblicf  noe$  etroaä 
2lnbere$  auf  bem  &erjen  atö  feinen  &auptpunft.  2113  er  Tags  juoor 
9Wal<$uS  in  feiner  Stube  Ijatte  auffudjeu  motten,  fanb  er  ben  ©e^ülfen 
nia)t,  mie  er  erwartet,  fjinter  feinen  25ü<$ern,  fonbern  über  ben  flehten 
Käfig  gebeugt,  in  bem  ein  Äanarienoogel  5toitfd)erte.  Unb  $erT  ^afobau^ 
3Kai)er  blieb  ganj  oerrounbert  über  baö  ©eba^ren  beö  fonft  fo  ftummett 
V-Imrjd;en  unter  ber  £f)üre  fteljen. 

„%a,  2)u  mein  fleiner  Spafc,"  flötete  9Kal^u«  in  ben  jarteften  2öneit 
feiner  >{el)le,  „Tu  Sdmfeele  Tu  —  roiHft  mid)  beiden  —  fa  roart',  gelt^ 
tl;ät  Tir  gefallen,  fo  eine  Unterhaltung  ben  ganjen  Sag  —  ja  wol)l  — 


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3afobäns  ITTayer.   


2S5 


rjt  f)i  — -"  unb  er  fidjerte  unb  fdjroafete,  ftetfte  bic  ginger  jurifdien  bic 
£räf)te,  blies  ben  Vogel  an  unb  lachte,  bafe  bie  Stube  bröfmte. 

#err  3<ifobäu3  fdjtofe  letfe  bie  £f)fire,  trat  feinen  (Spaziergang,  an 
unb  oerfanf  in  ©ebanfen.   Sßlö^Üd^  fdjlug  er  fidj  gegen  bie  ©tirne: 

.  ,/3$  <5fcC  —  ja  natürlich!  idj  alter  flerl  —  ber  3Mdju>3  ift  ja 
in  ben  3af)ren  ber  järtlidjen  ©efüf)le  — " 

Unb  nun  rooflte  fid)  ber  alte  $err,  mit  feinem  ®el)ülfen  über  biefe 
©ntbedung  oerftänbigen.  Stodj  nie  mar  er  fo  umftänblidj  geroefen;  bie 
Sonne,  bie  er  fonft  liebte,  unb  bie  ben  ganjen  Saben  füllte,  genirte  tt)rt 
fieute;  er  oergafe  feine  pfeife  mit  Xabaf  ju  füllen,  wollte  fte  anfteefen 
unb  rourbe  ganj  mfitfyenb  über  bie  (Sdjtoefetyöljer,  bie  nid)t  jünbeten. 
©nblid)  fefcte  er  ftd)  in  Xrab,  paffte  in  feine  leere  pfeife,  bafc  es  pfiff, 
unb  6egann  mit  einem  ©eftcf)t  nrie  ba3  einer  oerfd&amten  alten  3ungfer: 

„3a,  mein  lieber  9)?ald)u£,  audj  idj  1)abe  cinft  geliebt  — " 

$er  ©elnilfe  f)ord)te  auf;  ba3  war  ein  ganj  neuer  Anfang,  unb  er 
tarn  il)m  fefpr  tounberltdj  cor. 

„(53  mar  ju  greiburg,  unb  fie  roofmte  in  ber  (Saljgaffe,"  fut)r 
^afobäuS  ju  fpredjen  fort;  „wenn  eine  (Stirne  im  (Staube  mar  ben 
,§auptpunft  in  feiner  ganjen  Tragweite  ju  begreifen,  fo  mar  e§  bie  it)re. 
3Wein  lieber  9Mdju$,  bie  Siebe  foll  eine  fjeilige  Seite  im  Sebcn  bed 
■Bßenfdjen  bleiben  —  fdjlagen  mir  fie  mit  2lnbad)t  um.  3$  Wte  midj  als 
Xräger  einer  3bee  unb  wagte  nidjt  eine  jarte  grauenfeele  in  meinen 
Kampf  Dineinjujiebeu.   $)u  aber,  2Wald)u3  — " 

3n  biefem  Slugenblid  erfaßten  ein  fleiner  Käufer  unter  ber  offenen 
£abentf)ür  unb  oerlangte  für  brei  Pfennige  ßudererbfen.  ,§err  3afobäu$ 
ri§  eine  $ute  aus  ber  £abe,  ftopfte  eine  &anbooH  be$  Verlangten  hinein, 
ftrid;  bem  Vuben  über'3  <paar  unb  brüdte  if)m  bie  £üte  in  bie  ftanb. 

„Salt,  ber  &auptpunft,  ßerltf" 

„'3  ©eroiffen!"  fä^rie  ber  Vengel  unb  mar  fd>on  auf  ber  Xreppe,  als 
9Hal$uS  t)intcr  bem  (Somtoirtifdj  fjeroorfdjofe,  ifjn  beim  Cfjr  padte  unb 
tfmi  bie  brei  Pfennige  abforberte. 

„Der  (jat'S  nun !"  freute  fid)  unterbeffen  £err  3afobäu3 ;  „ja,  bie  flmber, 
mit  benen  ifl  nod)  maä  anjufangen." 

3lber  audj  SttaldjuS  I)atte  e<S  inne,  bafe  bie  fttnber  gar  ju  gern  ben 
Slugenblid  abpaßten,  §errn  3afobäuS  allein  im  Saben  ju  treffen.  £arum 
bie  oielcn  Vüd&er,  reelle  er  oor  ftä)  aufgepflanjt  fjatte;  oon  biefem  ftinterljalt 
aus  fonnte  er  ben  jerftreuten  Vertaufer  unb  bie  getoiffenlofen  fangen  fdjarf 
im  2luge  behalten.  9)tand)mal  mußte  er  fogar  ganj  biebere  Väuerlein  an 
ben  ©elbbeutel  mahnen. 

„tyo%  Vlifc!"  rounberte  fieft  £>err  SafobäuS  3)iai)er,  „ba  Ijabe  id)  fd)on 
meinen  ganjen  £abaf  aufgerauht;  idj  werbe  mir  aber  nod)  eine  &anb  ooll 
gönnen,  benn  es  ifl  eine  ju  ernfte  Sad)e  auf  bem  Xapet  —  ja,  mein 
lieber  3Ral$u3"  —  ber  alte  &err  mürbe  förmlid)  affectirt  oor  Verlegenheit 


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286 


f?.  Millinger  in  Karlsruhe. 


—  „9Haldm$letn,  ei,  et!  nun  ia,  aud)  $u  bift  in  bem  2llter  ber  järtlid&en 
©efüf)le  angelangt." 

$er  junge  SJtenfd)  fuf)r  in  gellem  ©ntfefeen  mit  bec  9tofe  bU  auf 
feine  3a$len  fyerab,  f°  bafe  nur  nod)  ein  paar  fwd)rotf>e  Dfirenfpifeen  von 
itmt  ju  fefjen  waren. 

,,3ld)  ©ott,  ad)  @ott,  $err  3afobäu3  SJianer,"  jammerte  e£  in  biefem 
2lugenblt(f  unter  ber  Sabentljüre,  unb  eine  ©eftalt  mit  erhobener  flüdjen= 
iä}ür$e  ftolperte  unter  tjerjbreajenbem  ©efdjlud&je  über  bie  Sdjiroelle. 
„2lber  Sine,"  ärgerte  fidj  &err  SafobäuS,  „fdwn  wieber!"    „Hdj  ©ort,  ja, 

—  Tie  war  Jjalt  wieber  fo  grob  —  unb  ia)  bin  boa)  fiebenunb}wau$tg, 
3a^re  alt  unb  t)ab'  auf  gretburg  gebient,  wo  man  weife,  was  ber  Sraudfj 
ift  —  unb  bie  grau  ift  bod)  erft  fed&Sunbjwanjig  unb  will  mtdj  Slnftanb 
lehren  unb  fauere  Sratenbrülj:  grau  SIpotfjefern,  f)ab'  idj  gejagt  —  unb 
nia)t$  weiter  auf  meine  <5£)r'  —  Sie  fommen  mir  oor  wie  eine  gef<$offene 
Spargel  —  unb  wer  gleid)  fdjon  wieber  fünbigt,  ift  fie  —  unb  jwar  auf 
ber  Stell'  —  o  unb  mir  ift  bie  grau  fo  an'«  &er$  geworfen,  unb  bie 
Äinber,  unb  eine  Spargel  ift  bod)  fein  £f>ter,  unb  bringen  Sie'«  bodf> 
wieber  in  Orbnung,  lieber  guter  £err  3afobau$  2ttatjer,  '3  foU  genü§ 
nimmer  »orfommen  —  auf  @f)r'  unb  Seligfeit  —  id;  will  jagen,  auf 
mein  ©ewiften  —  tjerbefferte  fie  fidj." 

„$a§  Eid)!"  murmelte  ber  alte  &err  unb  langte  naä)  feiner  3)töfee. 
„Slber  Sine,  bteje«  3Jtol  nod),  unb  bann  nie  wieber." 

Sie  rannte  oorauS,  immer  nod)  bie  Sdjurje  oor  bem  ©efidjt,  unb  er 
folgte  bebaajtig  unb  langfam,  einen  bitten  JQualm  oor  fidj  bwblafenb. 

„211)0/'  fagte  ber  2lpotr)efer,  „ba  fommt  er  mit  ber  griebenSpfeif'  !" 

3m  nädrften  9Iugenblidt  ftürjten  bie  swei  Söfmletn  be«  &au|e3  auf 
ben  alten  £errn  lo«,  unb  er  büefte  fid)  unb  nafym  fie  auf  ben  9lrm.  £>a 
fafeen  fie  nun  unb  lachten  unb  dufteten  in  ben  Oualm,  unb  ber  2lpot§eferin 
oben  am  genfter,  meldte  fidj  bieSmal  feft  oorgenommen,  fid;  ntcfyt  erroeidjeu 
ju  laffen,  mar  es  fdwn  ganj  oerföbnlicf)  ju  sJftutl)e. 

ÜJlald^uö  aber  fdjüttelte  fein  traurige«  ©eftajt,  ben  33li(f  irubfelig 
auf  ein  fleineS  Spinngewebe  (jeftenb,  in  bem  eine  eingefponnene  gliege 
gitterte. 

„9?un  wirb  gleid)  bie  Spinne  über  biör)  Verfallen",  fpradj  er  leife,  „unb 
fo  get)t  mir'3  —  alle  Xag',  jeben  2lugenbli<f  fann'ä  entbeeft  werben,  ba§ 
ia)  ein  (5jel  bin  unb  ein  Sügner  —  ben  Spott  ber  ßeute  wollt'  id)  nodf) 
ertragen,  aber  if)n  fränft'3  unb  baS  l)at  er  nidjt  um  midj  oerbient  —  ba$ 
Sefte  war'  ein  früher  Xob!" 

„SUöglein  im  Ijofjen  Jöaum 
tfleiit  tft'ä,  t&r  fefjt  ti  faum"  — 

jang's  mit  t)eller  Stimme  au«  ber  Hinteren  Stube  —  f(ttjd)  —  flatfd;  — 

„Singt  bod)  fo  f^ön"  - 


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  3afobäns  nTaycr. 


2sr 


fiel  äflaldjuä  mit  sittrigem  Safj  ein.  2la),  rote  mit  9)tod)t  rijj  e3  ifm  ju  bem 
(Befdjöpf  f)in,  ba£  feine  Spraye  fprad)!  Sie  ftanb  mit  tfjren  runben 
tfüfcdjen  bis  an  bie  ßnödjel  im  SBaffer,  benn  e3  mar  Samftogabenb,  unb 
i&re  Söangen  glühten  von  ber  boppelten  2lnfrrengung  be$  33ürften$  unb 
Singenä. 

„Tu  bift  aber  oergnügt,  laoerfe!"  feufjte  er. 
„3$  —  ba  tyxb'  id)'$  ganj  oergeffen,  benn  eigentlid)  bin  idj 
traurig  — " 

„63  wirb  Dir  Ijatt  ein  wenig  triel  werben  mit  bem  Staffen;  man 
fiel)  Didj  ia  nie  anberS  als  im  ©dmfe." 

„?Hein,  baS  ift'S  nidjt"  —  fie  bife  in  iE/r  ^Butterbrot,  ba$  auf  bem 
£ijd)  lag  unb  fuJ>r  aU6atb  mit  if>ren  beiben  2lrmen  in  ben  Äübel 
SSaffer. 

„Sber  fo  fefo'  Didj  bodj  ein  wenig  jum  2$e3pem  — " 
9hm  mufjte  fie  tacken.   „Da$  mär'  fdjön,  idj  bin  in  meinem  ganzen 
Seben  nid)t  $um  CSffen  gefeffen  —  aber  Du  bift  ja  jefet  ein  ganjer  £err 
®ele(jrter  roorben  —  barf  man  benn  nodj  in  fetner  Dummheit  mit  Dir 
reben?" 

„91$,  Ijaft  Du  oielleidjt  barum  nid)t  mef)r  mit  mir  gefprodjen  ?"  fragte 
er  ganj  erftaunt. 

„greilidj,  benn  wenn  id)  lef  wie  gebrueft,  bie  ^(jitofop^ie  ift  mir 
falt  bodj  md)t  tyanblid)  — " 

6r  Ijätte  fo  gern  gefagt  ,ßlix  audj  nidjt!"  —  ftatt  beffen  erflarte 
aber  er  mit  einem  ©efidjt,  als  oerfüube  er  eine  Dobe$nad)ritt)t : 

,/3  ift  eben  ber  ßauptpunft  — " 

3n  dauerte  ftieg  ein  @efüf)l  ber  DrofUofigfeit  auf,  fie  uaf>m  iljren 
Äübel  unb  fluttete  baS  SBaffer  mit  einer  foldjen  ©emalt  über  bie  Dielen 
f>in,  bafc  2Jtola)u3  fia)  fdjleunigft  oon  ber  Dfjüre  äurücf$ief}en  mufete.  Site 
er  wieber  erfaßten,  erflarte  fie  unter  ed)lud)$en,  dürften  unb  (Sffen: 
„SSenn  eine  füetienb  lefen  fann,  braudjt  fie  fidt)  nodj  lang'  nidjt  ju  fdjämen; 
unb  bie  £eut'  fagen  alle,  unb  ber  £err  Pfarrer  felber,  bafj  ba3  mit  bem 
§auptpunft  Unfvnn  ifl.  Daj?  aber  Du  Didj  aud)  barein  mengft,  ba$  r)ätt* 
id)  nimmermehr  gebadet  oon  Dir,  unb  bafe  tdj'3  nur  gerab'  fag'  —  barum 
bin  id)  traurig.  2lber  benfe  mir  nid)t,  ba&  id)  mia)  oerad)ten  laffe  —  wo 
id)  ben  ganjen  Südfjerfdjaff  auSwenbig  fann  unb  nur  nidjt  bauon  reb', 
weil  id)  3U  nobel  bin;  aber  ba$  fag'  idj  Dir,  2)toldju3,  wenn  Du  wirft 
roie  ber  £err  ^°oöuS  unb  ben  lieben  ©Ott  uerlcugneft,  ba$  überftel)' 
idj  nidjt  •—  benn  Du  wirft  bod)  nidjt  behaupten  wollen,  bafe  bie  ^fjilos 
fopfjie  ein  SBort  ift,  ba$  oom  lieben  ©Ott  flammt  —  wenn  id)  aud)  ntd)t^ 
oon  ifn*  weife,  fo  oiet  oerftet)'  idj  bod),  benn  wenn  id)  aud)  nid)t  gefdjeibt 
bin,  fo  ifv*3  wenigfteu^  meine  SKutter,  ba  fie  ben  ganzen  Xag  fi^t  unb 
iljre  ©ebanfen  beifammen  galten  fann  —  aber  id)  werb',  fo  ©ott  will, 
aud)  enblid)  einmal  sum  Sifcen  fommen  —  unb  bann!  ja  bann  werb'  ia) 


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288 


  Pillntger  in  Karlsruhe. 


©ir'S  beweifen  —  bann  foll  ©ir'S  furios  gehen  —  bann  wirft  ©u  mid) 
um  SBerjetfjung  bitten  wegen  deiner  $eräd)tlid)feit,  unb  eS  foll  ©idj  ge* 
reuen,  bafc  ©ir  ber  §auptpunft  über  jebe  menfdjlidje  Kreatur  ging.  — 
So,  unb  jefct  ift'Ä  fedtfe,  wo  mtdj  bie  2lpotheferin  erwartet"  —  fdjmub, 
flog  nod)  eine  ^anboott  weifjen  SanbeS  über  ben  23oben  —  im  nädjften 
2lugeubltcf  war  bie  behenbe  ©eftalt  auf  ber  ©äffe. 

,,©ie,"  fagte  2Jtoldm3,  ihr  ooH  Sewunberung  nadfjblicfenb,  „bie  fprid&t 
ftd)  aus  —  wenn  i<$  nur  audj  fo  einer  war'!" 

©er  arme  Sünber  fdmardjte  tängft  mit  einem  Rehagen,  um  baS  ilm 
ein  ©ered)ter  hätte  beneiben  fönnen,  all  er  plöfelidj  mitten  in  ber  9tfad>t 
taut  angerufen  unb  fräftig  gef<$üttelt  würbe.  Sdjlaftrunfen  fperrte  er  bie 
2lugen  auf;  ba  ftanb  fein  &err  in  ber  Sipfe^öppe,  baS  Sicht  in  ber  §anb, 
am  gufeenbe  beS  S3erteö. 

„9)fein  lieber  SJtoldmS,"  fpra<h  er,  „in  Anbetracht  unferer  heutigen 
Unterrebung  erfahre  folgenbe  3bee:  ©u  mufet  ^eirat^en!  Slber  mit  ben 
Ijieftgen  3Wäbd)en  ift  nidjtS;  ich  fenne  feines,  baS  im  Stanbe  wäre,  unfere 
Sehre  ju  begreifen.  3n  ©einer  6^e  aber  mu§  natürlich  ber  §auptpunft 
bie  &auptfad)e  fein,  unb  ©u  mufet  Sttnber  erziehen,  bie  fdjon  in  ber  SBiege 
bie  ©ewiffenhaftigfett  f elber  finb.  0  •JJtoldmS ,  ©u  glaubft  nicht,  mal 
für  eine  wunberooUe  Qbee  idt)  habe!  3$  fahrc  nämlich  auf  greiburg  unb 
ijole  ©ir  bie  Öraut  —  id)  hole  fte  aus  ber  Saljgajfe  —  benn  fidjerlich 
hat  jenes  t)errlic^e  Stäbchen  geheiratet  unb  ©ödster  befommen  mit  eben 
folgen  f lugen  Stirnen.  Uebermorgen  reife  ich;  benfe  ©ir,  was  für  eine 
3ufunft  fid)  uor  uns  auftaut!  träume  oon  u)r  —  träume  t>on  ihr,  mein 
Solm!"  fprad)  &err  QafobäuS  ÜJlener  mit  aufgehobenem  3ciöcPn3^r  u*tb 
fajlurfte  in  feinen  Schlappen  oon  bannen. 

s3)tolchuS  aber  liefe  baS  träumen  bleiben;  baS  ftinn  auf  bie  empor: 
gezogenen  ftniee  gefiüfct,  fann  er  über  bie  3u^unft  nad),  welche  ifmt  fein 
§err  in  2luSficht  ftellte,  unb  fam  ju  bem  Sd)lufj,  bafc  fie  nicht  nur  nichts 
VerlocfenbeS,  fonbern  gerabeju  etwas  älbfdjredfenbeS  für  ilm  hatte. 

„Wein,"  erklärte  er,  „nein,  ich  halt'  biefe  SSerlogen^eit  nicht  länger 
aus  —  eS  ift  mir  MeS  eins  —  MeS  eins  —  ob's  einen  ©eufet  giebt 
ober  feineu  —  ob  id)  in  ber  $ölle  braten  mufe,  ober  oon  bem  SSelt» 
gewinen  jerfchmettert  werbe  —  jeber  3«ftanD  W  m^  angenehmer,  als  ber 
meiner  Verlogenheit." 

(Sr  wollte  in  ber  Morgenfrühe  baS  &auS  oerlaffen;  allein  £err 
3afobäuS  Liener  hielt  ihn  am  9iodj<ho&  fejt.  ©er  alte  £err  war  fd^on 
mit  bem  erften  ©rauen  bes  ©ageS  aufgeftanben.  2BaS  er  an  SBäfche  befafe, 
lag  in  feinen  beiben  Stuben  auf  £if$en,  Stühlen  unb  Gomoben  auS= 
gebreitet;  t)ier  oerftaubte  ."golstruhen  hatte  er  im  Sd) weiße  feines  2lngefidhts 
oom  53oben  herunter  gefd)leppt. 

,/Bo  wilift  ©u  benn  hin,"  fuhr  er  2Md)uS  im  aufgeregteren  2"one 
an,  „wir  haben  ja  alle  &änbe  ooU  3U  tljun  mit  bem  ^aefen!  3n>ci  wei&e 


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3afobäus  ITTayer. 


289 


Söefien  finb  nodj  bei  ber  SBafd&erin,  idj  fcabe  nur  oier;  wie  foH  idj  mit 
oier  wei&en  Söeften  in  greiburg  au«fommen.  G«  ift  entfefeliay.  SSenn  nur 
enblidj  ba«  Xauerle  fäm' !  6«  müfete  gleia;  jur  2Bäfd)erin  rennen.  2iud^ 
mit  ben  Stiefeln  i|Y«  fatal;  [teile  fie  einmal  in  9teil)  unb  ©lieb  I)ier 
mitten  in  bie  Stube  —  bie,  weldje  mir  am  bequemsten  waren,  f>ab'  id) 
neulia)  fo  einem  oerflu$ten  äerl  gefdjenft  —  fie  wittern'«  aber  aud) 
immer;  id)  brauay  nur  ein  $aar  gut  auggetragene  Stiefel  ju  tjaben,  gteid) 
ftefjt  einer  ba  unb  Ijat  feine." 

9flit  bem  Sd&lage  fünf  erfd&ien  ba«  Xaoerle. 

„9Ja,  wa«  giebt'«  benn  ba !"  fdjrie'«  auf  beim  Slnblitf  ber  Unorbnung 
unb  be«  aufgeregten  £erm  3<tf°&äu«. 

„35u  mußt  gletdj  fort/'  rief  biefer,  „$ur  5öäf<§erin,  t$  müßt'  bie 
jtuei  weifjen  28e)len  tyaben  —  '«  preffirt  —  idj  fa()r'  auf  jreiburg  — 
idj  fjof  bem  &erl  bort  bie  23raut." 

„2)a  fyxben  nur '3,"  feuf jte  Saoerle  unb  fanf  auf  ben  nädjften  beften 
Stuf)l. 

„3efct  madjt  fid)'«  bie  Greatur  noc|  lange  bequem/'  entfette  fid) 
£err  3af°bäu«;  ,,f)ab'  idj  nidjt  gefagt,  '«  preffut?" 

Säuerte  fdjnellte  auf  unb  fiujr  wie  ber  $lifo"  jur  Xfjüre  f)tnau«. 
SJfaldm«  ftanb  immer  ba,  bie  &änbe  in  ben  Xaföen  unb  ftarrte  auf  bie 
Stiefel,   'iplöfclidj  työrte  er'«  im  Saben  braufjen  „pft,  pft!"  rufen. 

Gr  ging  f)iuau«. 

„3dj  toeifj  ja  gar  ni$t,"  fdjlud)$te  ifmt  Säuerte  f)änberingenb  ent* 
gegen,  „weife  ja  gar  nidjt,  wa«  idj  bei  ber  Söäfdjerin  foH." 

„3ioei  2Öeften!"  würgte  er  fjerau«,  unb  nun  beulten  fie  mitetnanber 
ein  l)er3brett)enbe«  $uett  unb  fdjauten  fid)  burd)  tyre  grauen  an,  unb  tyre 
ganje  Siebe«  nnb  Sdmter$en«gefdj)td)te  fanb  if)ren  2lu«brucf  in  einer 
Bewegung  be«  Saunten«,  womit  9)Jald)u«  nad)  ber  Stube  jeigte,  unb 
einem  Süden  be«  9)?äbdjen«,  ba«  genau  begriff :  Ijier  bleibt  ni$t«  Slnbere« 
übrig  al«  gefjorajen. 

£e«  9todjnüttag«  entfernte  fidb  &err  3af°Dau«  3)toner,  um  fid),  wie 
er  fagte,  einen  neuen  $ut  für  ba«  Abenteuer  ju  raufen.  Untermeg«  be= 
gegnete  ifyxi  ein  &oljf  aller,  ben  er  gut  fannte  —  bie  Sinnen  waren  alle 
feine  guten  Gerannten  —  unb  alfo  fal)  er'«  bem  SHann  gleid)  an,  ba§  er 
n>a«  auf  bem  £er$en  t)atte. 

,,2£a«  giebt'«?"  fragte  er  jtefjen  bleibenb,  „3t)r  fdjaut  ja  brein  wie 
ein  oevbrieBlia^er  Regentag." 

„£er  Sflann  juefte  bie  Staffeln:  „3$  f)ab'  l)att  fdwn  wieber  eine 
Seid)'  —  ba«  Sterben  frifet  mir  meinen  ganzen  ^erbienft  auf  —  erft  legt 
fla)  ber  3>ater  Inn,  bann  bie  Butter,  fjernad)  bie  Sdjwefter  unb  jefct  — 
'«  Äinb;  bie  Slrmutf)  mad)t  ©inen  fo  Ijart,  bau  man  nimmer  fyeulen  fann 
über  bem  ©ebanfeu:  wie  foll  iay«  $alu"enV" 


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290  — -   f).  Dülinger  in  Karlsruhe.   

„Safobäu«,  unb  £)u  nrittft  Xir  einen  neuen  #ut  faufen,  roo'«  gar 
nid)t  nötf)ig  ift!"  fpradf)  be«  alten  &errn  ©eroitTen,  unb  er  50g  ben  33eutel. 

„£eult,  guter  greunb,  l)ier  ift'$  (Mb  für  bie  Seid)'  —  rote  alt  mar 
ba«  flinb?" 

„@rjt  jroei  3ar)r/'  erroiberte  ber  SHann,  „ein  fyerjig  $>tng,  '»  t)at 
ftd>  fo  gefreut,  roenn  id)  fjeimgefommen  bin"  — -  er  rotfd&te  fidj  mit  bem 
Bermel  über'«  ©efid(jt  —  „id)  banf  3f)nen  aud),  &err  3afobäu«  Sttaner, 
idf)  f)ab'  fd&on  geglaubt,  idj  bin  ein  Unmenfä)." 

3)er  alte  £err  ging  weiter;  er  (am  immer  baljer  roie  au«  einer 
SBelt  ber  Drbnung  unb  ©auberfeir,  ber  ^ßünftUd^fett  unb  be«  SBoblnroHen«, 
unb  jeber  Storfibergefjenbe  grüfjte  i^n  mit  einem  fomifdjen  ©einifdb  oon 
&odjadjtung  unb  SSertraultdjfeit.  Gr  trat  in  eine  &intergajfe  unb  r»on  ba 
in  ein  feine«  £äu«cJ>en,  au«  bem  if)tn  ber  fröfjlid&e  ©efang  ^öd^ft  unge* 
fajulter  Äinberftimmen  entgegentönte,  bie  aber  augenblirflid)  oerftummten, 
al«  ^afobäuä  SWaner  gebüdten  Raupte«  über  bie  6d&roelle  trat.  SMefe 
Heine  edfjaar  bel;anbette  ifm  ganj  at«  ifjreSgleid&en,  ober  oielmefjr  ate  eine 
roanbelnbe  Düte,  benn  in  feine  ftorf*  unb  ^ofentafajen  fuhren  fofort  ein 
$ufeenb  «einer  ßänbe,  unb  Reiter  laa>nbe  9(ugen  jtra&lten  5U  ilmt  empor. 
„9Jton  ift  feine«  Seben«  nid)t  ntefjr  fidler/'  brummte  3afobäu«  unb  ffreute 
einen  biegen  oon  3utfererbfen  über  bie  Häupter  ber  kleinen  f)in,  „fo  ~ 
unb  bamit  3f)r  feljt,  bafc  e«  fertig  ift  — "  er  50g  alle  Mafien  fjerau«, 
fogar  bie  ber  Söefte,  unb  trat  bann,  Ufjr  unb  <Sd)nupftudj  in  ber  &anb, 
oor  bie  Senberin  Inn. 

„SRämlicIj,  ia)  Jabe  eine  3bee,  id)  reife  in  &ersen«fa$en,  unb  3t>r 
werbet  midj  ein  paar  Sage  nidjt  feljen,  Saoerle  r)at'«  ©udf)  roofjl  fdfjon 
erjä^t." 

„Hein  2Bort ,"  erroiberte  bie  grau,  „'&  roar  f)eut'  befonber«  eilig." 
„(SS  rjanbelt  fid)  um  ÜKaldm«,  tdfj  roiü"  bem  SHaldju«  eine  grau 
fjolen." 

„3W" 

„3a,  id;!  roeil  id)  am  beften  weife,  roa«  er  für  eine  braudjt,"  er- 
eiferte fidj  ber  alte  $err  unb  fing  an  burdj  bie  Stube  ju  rennen,  roobei 
er  olle  Slugenblid  über  ein  tftnb  ftolperte;  „er  brauet  eine,  bie  meinen 
unb  feinen  ©runbfäfeen  entfpriä^t,  bie  im  Stanbe  ift  un«  ^u  r>erftef)en,  bie 
benft,  roie  roir  benfen,  unb  Rubelt,  roie  roir  Rubeln  —  jaroof)l  i'enberin  !" 

,,£ab'  id)  G*udj  benn  roiberfprodjen,  bafc  3*)r  fofd&reit?"  fragte  fte. 

„Watürlidj  l;abt  l^\)v  —  (Sure  2lugcn  —  al»  ob  bie  jemal«  ju  einer 
meiner  3been  ,jal  gejagt  r)ättert  —  roenn  einer  ben  ^eiligen  Stomas  malen 
roill  —  empferjl'  id)  ifjm  ©ure  9lugen ." 

„3a*obäu«,  fo  fefet  @ua)  bod)/'  unterbraa;  fte  ir)u,  „fel)t  3^r  beim 
ntd;t,  bafe  bie  ^inber  fid)  einen  Spa&  barau«  machen,  (5uaO  unter  bie 
$eine  ju  rennen^' 


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  3afobäus  maycr.    2${ 

„3a  rtd)tig,"  meinte  er,  fie  roie  abbittenb  anfdjauenb,  „idjj  f)abe  ja 
nur  einen  f>erjlidfjen  2tbfd)ieb  von  @ud)  nehmen  roollen." 

Sie  fdjüttelte  ben  ftopf.  „Der  sJJ?aldju$  fommt  mir  06er  gar  nid^t 
vor,  als  rooHt'  er  eine  Jrau  oon  fo  weit  §er;  ben  fd&raubt  3()r  hinauf, 
bem  i|Y*  gar  nid)t  roofjl  in  feiner  £aut,  ba3  fef)'  idj  buräys  genfer." 

„Dem  3Mdfju3,"  fd^rie  t>er  alte  &err,  „burdys  genfter  —  wenn 
erroaS  Ftdfjer  ifk  auf  biefer  Söelt,  ift  es  ba$:  ber  unb  idj  fmb  eins  — 
ber  nimmt  bie  grau,  bie  id)  ü)m  Dorfd&lag'  —  er  nimmt  fie,  roeil  er  roei&, 
mid)  beftimmt  nichts  2lnbereS  als  ber  ßauptpunft." 

„Der  ift  nod)  <5uer  Unglüd,"  erflärte  bie  ßenberin,  „er  madjt  ©udjj 
Minb  unb  taub;  ©Ott  fiel)'  mir  bei,  wenn  idj  ben  ßauptpunft  aus  (Suerm 
fieben  roegpufcen  fönnt\" 

„steine  $oet  aus  meinem  Dafein  roegpufcen!"  freifdjte  ber  alte  ßerr, 
firfct)rotr>  uor  3orn,  „roi&t  3()r  benn,  roaS  3()r  fagt?  —  begreift  3ftr  benn 

—  nidjts  begreift  3^r  —  aber  eines  DageS,  es  fommt  ber  Sag,  ba  wirb 
fie  triumptnren,  meine  3bee  —  unb  Qljr  werbet  —  roerbet'S  Iroffentlidfc 
erleben." 

@r  rannte  baoon,  unb  bie  fienberin  fdjidte  ifjm  einen  Söuben  naa), 
ber  ifmt  bie  ljerauSf)angenben  £afä>n  in  ben  91od  fteden  mufete. 

&err  3afobäuS  roanbte  ben  Stritt  jur  2lUee,  roeld&e  hinter  bem 
©täbtd&enlben  ^t)ein  entlang  führte;  jjier  roar  eS  einfam,  ftitt  unb  luftig, 
flaum  faf)  it>n  jebodfj  ber  Sternenroirtf),  beffen  ßtuterljauS  auf  bie  2lHee 
münbete,  als  „er,  roie  immer  |unterf)altungSbebürftig  unb  fjembsärmelig, 
bem  &errn  3afobäuS  nad)gefeuc$t  faro, 

„Du  fommft  jur  guten  ©tunbe,"  brummte  ber  sptyilofoplj,  „id&  bin 
gelaben." 

„2tlfo  idf>  roar  franf,"  oerfünbete  ber  (Sternenrotrtl),  „unb  roer  miä) 
fein  einpgeä  9M  befugt  f>at,  ba»  roarft  Du." 

„Unb  wer  am  Gfjarfreitag  faflet  jum  Umfinfen,"  erroiberte  3afobäuS, 
„unb  am  Ofterfonntag  fidys  fdmteden  läfct,  bafj  er  faft  bran  ftirbt,  ber  ift 
in  meinen  3lugen  ein  9)?enfdj,  beffen  ßranffjeit  nüd)  uid)t  intereffirt." 

„2llfo  eS  ift  mir  nur  ein  3 tütf djen  £ad)S  in  ber  flef)le  fifcen  geblieben," 
erflärte  ber  Sternenroirtf', 

„3n  ber  flefjle!"  fdjrie  3ttfobäuS,  „Dir  roirb  ein  gan$er  £ad;S  im 
Hftagen  gefeffen  ^aben!  $fui  Deufel,  Sternenroirtl),  roie  mufj  eS  in  Deinem 
©eroiffen  ausfegen,  baS  nie  im  (Sinflang  ftefjt  mit  ben  Slnforberungcn  beS 
^auptpunfteSf  baS  nid)t  roeifj,  roaS  froljloden  ift." 

„2Ufo  roer  fagt  baS,"  ereiferte  fid)  ber  Sternenroirtf);  „in  mir  frof)* 
lodt'S  jreilid)  —  alfo  roenn  mii'S  fdjmedt,  ober  roenn  ber  ^ein  gebeizt 

—  unb  ober  aud3  $um  Seifpiel  — " 

^err  3«fobäuS  fjatte,  roäljrenb  ber  ©temenroirtl)  fprad),  auf  ben 
9M)einftrom  lungefd^aut,  ber  fonnenbefd)ienen  ba^in  glitt.  s|>lö^lid)  ftie^ 
ber  alte  &err  einen  Sdbrei  be$  ©Bredens  au»?,  mit  beiben  £änbcu  auf 

Kort)  unb  ۟b.  L.,  ir*.  20 


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- 


292    I?.  Dilltnger  in  Karlsruhe.  — 

bie  SMen  jeigenb,  aus  benen  ein  geifter^afteö  2lntli|j  aufrauhte  unb 
eben  fo  fdmeU  wieber  uerfdjjwanb.  3m  uä<jjften  2lugenbli(f  Ijatte  ftdj 
3afobäu3  feinet  SflocfeS  entlebigt  unb  war  mit  einem  Safe  im  SBaffer. 

„Qm  tarnen  ©otteS,"  brüllte  ber  Sternenwirtl)  unb  plumpfte  i()m  nadj. 

(Sine  SÖeile  fämpfte  ein  oerworrener  SRenföenfnäuC  in  ben  Stetten, 
bann  jogen  biefe  allein  weiter,  unb  bas  weifie  £aupt  beS  §errn  3ato&öus 
Stauet  taufte  au£  bem  2Baffer  auf  unb  ttjat  einen  tiefen  2Uf)emjug:  gleidr) 
barauf  erfdjienen  bie  beiben  2lnberen  auf  ber  £>berflä<$e:  eine  Sanbbanf 
mar  itjre  Rettung  gewefen. 

$a$  Gaffer  ging  aber  immer  noef)  Iwdfj  genug,  unb  nur  SafobauS 
t>ermod)te  bequem  barüber  weg  §u  feljen;  ber  (Gerettete  war  fyx\b  bewust- 
los, unb  ber  unglücfüdje  SternenwirtI)  uermodjte  fetner  Xide  wegen  nic^t 
feften  gufe  ju  faffen. 

2Bie  mit  JUammern  Ijielt  S^bofäu^  bie  s3eiben  feft. 

„3um  teufet,  was  fpringft  Xu  benn  in'3  Söaffer,  wenn  Xu  nidjt 
f<f)wimmcu  fannft,"  fujr  er,  fobalb  er  wieber  fpredjeu  fonnte,  ben  pufienben 
SternenwirtI)  an. 

„9tlfo  bilbeft  Xu  Xir  oietleidjjt  ein,  Xu  grober  3Jtenfd),  id;  laffe 
Xia)  uor  meinen  3lugen  erfaufen,"  feudjte  biefer,  „alfo  &ütfe,  &ülfe, 
baä  SBaffcr  nimmt  midj)  —  o  lieber  ^tttobäu^  f)alte  midjj  fefl  —  aljo 
im  2)fai  im  Sßaffer  biö  an  ben  «gall,  unb  9ttemanb,  ber  uns  ftef)t  — 
alfo  wer  ift  benn  ber  &erl,  ber  uerflud)te,  ber  uns  baS  eingebroeft  — " 
„9iic$tig,"  fagte  Safo&ä^  unb  wanbte  fid^  Unte,  „wer  ift'3?" 
,,3ld)  idj,  jgerr  Safobäuö  3Jtower,"  greinte  9ttaldju£;  ,,id)  bitt'  ferjr 
um  (Sntfdmlbigung,  &err  ^öfobäuö  9)toner  — " 

„2£aS,"  fufjr  biefer  auf,  „unb  ber  Stoben  —  unb  feiner  auf  feinem 
Sßoften,  ja,  ba3  finb  mir  ja  fd)öne  ©efd)id)ten  —  bas"  — 

„2llfo  iti)  bin  \ä)on  ganj  fteif,  unb  ber  9ttenfd)  jammert  um  feinen 
fiaben,  £ülfe  —  .'Qülfe  —  alfo  25aterunfer  — "  äd)ste  ber  Sternenwirtlj. 

3afobäu$  lief?  ein  wenig  los  unb  ber  biete  SDtann  fdjjnellte  erft  ein 
Stücf  in  bie  &öf)e  unb  oerfanf  gleid)  barauf  unter  SBaffer. 

,,.§ülfe,  £ülfe,"  beulte  er,  „alfo  —  ©ort,  mein  Seben  ftef)t  in 
deiner  £anb  — " 

„(Sntfdjulbige,  in  meiner,"  erflärte  ^atobäuö,  „id?  braudfr'  2)ict)  nur 
toä  511  laffen,  unb  Xein  gett  treibt  Xid)  ben  3it)ein  hinunter  — " 

„9llfo  ja,"  pflidjtete  if)m  ber  SternenwirtI)  bei;  „alfo  idj  bin  ein 
unmäßiger  2)tonn,  unb  idj  will  gleid)  erlaufen,  wenn  id)  midj  nid)t  beffere 
—  0  Xu  3Jhifter  r»ou  Sfläfeigfeit,  lieber  Safobäu«,  alfo  l)ilf  mir  {freien 
um  be*  £immel$willen,  beim  id)  Ijalt'  nimmer  länger  aus  — " 

2llSbalb  fingen  fie  alle  Xrei  au  ifjre  Stimmen  5U  ergeben  unb  3war 
mit  ber  ganzen  tfraft  Üjrer  Mellen  unb  f)örten  nid)t  auf  bis  enblidt)  ein 
SWcnfdr)  bie  Äöpfe  über  ber  35affcrfläd}e  entbedfte. 


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  3afobäus  Ulayer. 


293 


©aS  DiettungSroerf  ging  vor  ftd);  baS  f)al6e  Stäbtd)en  ftanb  am 
Ufer,  als  ber  gifdjerfaljn  mit  ben  ©reim  lanbete. 

„9htr  gteic^  einen  Reißen  ©rog  für  ben  ©ternenroirtl),"  fagte  3<rtobäuS 
ju  ber  grau  beS  Sefcteren,  bie  iljren  triefenben  ©atten  fyeulenb  umfdjlang 

—  „marfd)  oormärtS,  es  ift  feine  3eü  5U  2luSeinanberfefcungen  jefet  — 
in'S  33ett  mit  ©ir,  9Md)uS,  id)  fomme  gleid)  nad)  — " 

©r  felbft  ging  mit  in  ben  (Sternen,  bwfte  ben  SBirtl)  bis  an  bie  9iafe 
$u,  reichte  ilnn  ben  ©rog  unb  fd)ieb  mit  ben  SBorten: 

„9iun  fdjraifc',  2llter;  toenn'S  ©id)  aber  bod)  nehmen  fönte,  fo  fannft 
©u  roenigftenS  mit  bem  33enm§tfein  f)tnfal)ren,  mit  biefer  einen  £f>at  baS 
Söeltgeroiifen  oerföfmt  5U  f>aben." 

TOtten  in  ber  9?a<^t,  —  §err  3afo&auS  ^atte  ein  paar  Stunben  eines 
erquicfenben  Sd)lafeS  genoffen  —  fiel  il)m  plöfclid)  ein:  3a,  toie  $um  ßucfucf 
fam  benn  eigentlid)  ber  Reil  in'S  SSaffer? 

@r  ftanb  auf,  jünbete  fein  £id)t  an  unb  roanberte  hinüber;  fajon 
betrat  fein  gufc  bie  Sdjtoelle  von  9Md)uS'  Sa)Iaffammer,  als  ein  lautes 
edjludfoen  beS  alten  $errn  CI)r  traf:  <5r  blieb  ftef)en:  £at  er  am  @nb' 
ein  gieber  — 

„D  Xaoerle,  f)ieß  eS  brinnen,  nid)t  einmal  fterben  foU  id)  —  nun 
J)olt  er  mid)  gar  aus  bem  SBaffer  —  unb  jefct  ift  2lUed  aus  snüfdjen  uns 

—  0  laoerle,  Xaoerle,  alles  ifi  aus!" 

Seife  auftretenb  oerfügte  ftd)  &err  ftafobäuS  in  fein  ©djlafjimmer 
Surucf. 

„£m,  f>m,  fenn'  einer  bie  SSelt  unb  bie  SWenfdjen  aus  —  f>m,  f)m 

—  ein  fo  eminenter  Äopf  unb  fd)nurftracfs  in'S  Gaffer  aus  Siebe  $um 
3faoerle  —  ©eufel  nod)  einmal  —  ja  £>immelbonnerroetter,  roer  I)at  it)n 
benn  eigentlich  hineingejagt  —  bu  SöfobduS  —  ja  ja,  nur  Ijübfd)  ein* 
geftanben  —  in  ©einer  Öltnbfjeit,  £rfibfjeit  unb  93erranntl;eit  —  unb 
toiaft  toaS  33effercS  fein  als  ©eine  SBiberfadjer  !" 

Unb  £err  3afobäuS  blies  fein  2id)t  aus,  benn  er  tonnte  bie  £elle 
niäjt  mefjr  ©ertragen. 

2lm  folgenben  ©ag  jeigte  er  fid)  über  alle  begriffe  §erftreut,  bajj 
3Rald)uS  ju  feinen  eigenen  Sorgen  f)in  nod)  bie  f)eimltd)e  2lngft  überfam, 
ber  alte  &err  f^abe  am  ©nb*  bei  bem  unfreiwilligen  33ab  ben  SSerftanb 
oerloren.  2WinbefienS  jroan^ig  3M  im  Saufe  beS  Vormittags  fat)  man 
itm  im  Sturmfa)ritt  jum  Sternen  eilen,  oon  roo  er  läd)elnb  unb  fjänbe* 
reibenb  jurücffam,  lauter  confufe  ©inge  rebenb.  ©es  Slbenbs  fu^r  er 
gar  mit  bem  Traunen  beS  (Stemenroirtfys  bei  ber  Senberin  oor. 

©ie  alte  grau  war  allein  unb  roenbete  if)r  gebulbig  ernfteS  ©efidjt 
bem  ©intretenben  entgegen. 

„3^r  fü^rt  roieber  roaS  im  ed;ilb,  SafobäuS." 

©r  ntcfte:  „3^r  feib  eine  große  9ttenfd)enfenncrtn." 

«SBiBt  3^  audj,  bafe  id)  meine  ©ebanfen  über  ben  SflaldmS  Ijabe." 

20* 


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  f}.  Dillingcr  in  Karlsrnt}c.  - — 


„3a,  baS  i ft  ein  flerl!"  unterbrach  fic  3afobäuS.  ,/Jiimmt  ba  ein  Sab 
im  hellen  3Jiat  —  3ugenb  ^at  feine  2ugenb"  — 

„2lch  gc^t  mir  boch,  ben  l)at  was  gan$  SlnbereS  in'S  Sßaffer  ge* 
trieben  —  fo  ift'S,  wenn  man  ben  SJtenfchen  bie  Religion  raubt  —  fo 
weit  ^abt  3()r'3  gebraut  mit  ©urem  §auptpunft." 

„Unb  merb'S  ^offenUid^  nodt)  weiter  bringen,  liebe  Senberin",  fagte 
3afobäuS,  büefte  fid^,  t)ob  bie  fpradt)lofe  grau  oom  Stut)l  unb  trug  fie 
cor1«  #aus.  3»"  nächften  Slugenblicf  fafc  fic  neben  bem  luftig  barauf  los 
futfehierenben  SafobauS. 

„0  wie  jueft  mir'S  jefet  mieber  in  ben  gingern,"  fnirfchte  bie  grau. 
„3(t  baS  eine  2lrt  eine  lar)me  alte  grau  ju  behanbeln?" 

„Sin  ich  oteHeicht  nicht  auch  alt,  unb  3hr  wollt  mich  immer  ohr; 
feigen. —  übrigens  feib  ruhig,  eS  geflieht  (Such  nichts,  ich  h°l'  nur 
in  bie  Eifite." 

Sie  hielten  oor  bem  fiaben. 

Söenige  Minuten  fpäter  fafe  eine  t)öthft  oerwunberte  ©efeHfchaft  um 
ben  feftlich  gebeerten  2if<h  im  StaatSsimmer  beS  $errn  3afobäuS  3ttaner. 
2M<huS  raupte  nicht,  was  er  benfen  fottte;  £aoerle,  welches  ganj  almungS* 
los  gefommen  war  bie  9(benbgefchäfte  ju  beforgen,  faf?  nun  oor  Staunen 
unb  Unbehagen  fo  tief  gebüeft  am  Xifd),  als  wollte  es  alle  Hugenblicfe 
barunter  oerfchwinben.  Die  Senberin  aber  hielt  &errn  3afobäuS  feft  im 
2luge,  als  fuche  fie  ihm  bis  m'S  Stmerfte  ber  Seele  ju  bringen;  er  lie§ 
fie  ruhig  fchauen,  lächelte  blofj  geheimni&oott  unb  trieb  ben  Sterneimurth, 
ber  mit  wichtiger  SNiene  einen  traten  ^erlegte,  jur  Gile  an. 

„3a,  nun  werbet  3(n*  balb  erfahren,  warum  ich  gelaben,"  fagte 
ber  boshafte  alte  &err,  fid)  bie  £änbe  reibenb ;  „e&t  nur  recht,  bamit  3t)r 
einen  ^uff  oertragen  fönnt  —  fä)enf*  bie  ©läfer  ooü,  3MdmS,  unb 
fchau  nicht  aus  wie  eine  £rauerwetbe;  unb  Du,  Saoerle,  fifc'  um  ©orte« 
SSiüen  einmal  richtig  —  heut'  füttere  ich  bie  Sttutter  —  unb  mir  bünft  — 
nicht  5um  lefeten  Wal" 

„Daraus  wirb  nichts,"  wollte  bie  Senberin  proteftiren;  allein  fdjon 
hatte  ihr  $err  3afobäuS  mit  grofeer  gürforge  unb  3ärtlid&feit  einen  SMffen 
in  ben  2Runb  gefteeft,  bafj  fie  oollauf  ju  tfmn  hatte. 

„ßinber,"  fpraa)  er,  „bie  Sache  ift  nämlich  bie:  ich  eine 
3bee  -" 

„Sllfo  'raus  bamit/'  fchrie  ber  Stemenwirtt),  mitten  in  feinem  2?er* 
tilgungScifer,  „alfo  wär's  benn  jum  Aushalten  oor  Sangerweil',  wenn 
biefer  ^enfcf)  feine  3been  t)dtt* !" 

3afobäuS  räufperte  fidj,  naf)iu  fein  ©las  unb  hielt'S  gegen'S  genfter. 

„Schaut  her!  biefer  2i>ein  hat  lang  im  Heller  gelegen,  brum  ift  er 
fo  flar;  auch  ber  SKenfdt)  flärt  fia)!  3k  bem  Slugenblicf,  als  ber  Sternen» 
wirtl)  im  tarnen  ©otteS  t)iuter  mir  in'S  SBaffer  plumpfte,  fiel  mir'S  wie 
eine  Siube  oon  ben  klugen:  3afobäuS,  ift  btefe  £f)at  weniger  gut,  ba  fie 


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3afobäus  HTaycr. 


295 


im  tarnen  ©otteS  gefdjah,  als  wenn  fie  im  tarnen  beS  ßauptpunfteS 
gefcherjen  märe?  —  2öir  müffen  mit  ,9?einl  antworten,  mein  lieber  2JtalchuS, 
es  #lft  $ir  alles  Strauben  nid)ts  —  unb  alfo  mägigen  mir  unferen 
©ifer  —  beruhige  $idj,  nicht  inbem  mir  unfere  Verehrung  für  ben  £aupt» 
punft  etnfdjränfen,  fonbern  infofern  als  mir  unfere  Staffen  ftreefen,  mit 
benen  mir  gegen  ©Ott  fampften,  um  fürberfjin  als  fanfte  Verbreiter  beS 
SicfjteS  ju  mirfen,  baS  enblid)  ftegen  mu§! 

„£)ieS  2lergernig  aufgehoben,  welches  mir  burch  unfere  3nto(eranj  ben 
SWenfdjen  gegeben,  wirb  hoffentlich  bem  2öunfcr)e  Seines  &er$enS,  ben  ich 
erlaufet,  fein  weiteres  &inberntg  im  2Bege  ftehen  —  unb  alfo  fd&Iage  td) 
feierlichft  bie  Verlobung  meines  Heben  3tta£dm3  mit  ber  hier  anwefenben 
iaoerl  fienber,  meinen  lieben  ©äften  r>or,  falls  bie  Vetreffenbe  bie  &ärt* 
Hajen  ©efürjle  beS  Obigen  teilen  foUte." 

3afobäuS  er^ob  fein  ©laS;  eS  ftieg  aber  9iiemanb  mit  ifjm  an,  als 
ber  Sternenwiru}.  Saoerle  mar  t>erfd)rounben;  fie  rutfe^te  unter  bem  Xifdj 
ju  ihrer  SHutter  hin,  in  beren  Sdjoog  fie  baS  purpurrothe  ©eft^t  barg. 

SMdmS  hatte  fidt>  erhoben;  er  war  fehr  blag,  unb  flaute  $um  erften 
2M  roie  oöilig  erwacht  aus  ben  2lugen. 

„£err  SafobäuS  ÜHaner,"  begann  er,  „es  ift  nicht  SllleS  ©olb,  was 
glänjt,  unb  ber  Ärug  gel)t  fo  lange  jum  3llaffer,  bis  er  bricht !  3<h  ™ug 
3hnen  einen  5tummer  bereiten,  &err  3afobäuS  SJianer,  aber  ich  fann  nicht 
anberS.  3d)  habe  immerfort  belogen,  benn  ich  habe  ntdjt  r>er* 
ftanben;  ich  habe  m^<h  int  3lnfang  cor  3hrem  3°™  gefürchtet,  unb  mit 
£ei<htigfeit  bie  Süge  auf  mich  genommen.  $ann  aber  faß  ich  brinnen, 
unb  eS  würbe  mir  fcf)roerer  unb  fernerer,  benn  ich  habe  *eme  Ahnung 
oon  ber  5pt)t[ofop^te  unb  feine  00m  SSeltgewtffen;  ich  bin  ein  bummer 
3J?enfch,  ^err  3afobäuS  -Kager,  unb  roenn  ich  ntt<h  auch  nicht  mehr  DOr 
3hrem  30rn  fürchtete,  fo  fürchtete  ich  mich,  Sie  mit  bem  ©eftänbnig 
meiner  Dummheit  $u  fränfen.  3$  lebte  roie  in  ber  &öHe,  unb  als  Sie 
mir  gar  wollten  eine  gefcheite  grau  fyoicn,  Da  oerlor  id)  ben  flopf  unb 
fprang  in'S  SBaffer.  Sie  haben  mich  mieber  (^ausgeholt,  £err  3afobäuS 
SJfaner,  unb  ich  fann  nun  nicht  langer  leben  ohne  mein  ©eftänbnig  unb 
3frre  2Bohltfjaten  annehmen:  es  ift  möglich,  bag  ®ie  iwi<5  fortjagen,  oer= 
achten  unb  bef dampfen,  unb  bag  bann  baS  gan$e  Stäbtd)en  auf  mid) 
$eigt  als  auf  einen  Sügner,  unb  ich  nirgenbs  eine  Stellung  mehr  befomme 
im  Seben;  aber  roenn  ich  auf  offenem  gelbe,  oon  allen  3)tenfchen  oerlaffen, 
fiterben  mügte  —  mein  ©eroiffen  lagt  mir  feine  9?uhe  mehr,  unb  alfo  befenne 
id):  ich  habe  ®i*  n^c  uerftanben,  §err  3afobäuS  2)taner!" 

£)em  alten  &errn  jueften  bie  SJtunbwinfel,  in  feinen  Slugett  blinfte 
es  feucht. 

„6  $u  oollfommener  Gfel!"  rief  er  aus.  „£er  ganje  Äerl  ift  sunt 
Märtyrer  feines  ©eroiffenS  geworben  unb  will  mief)  nicht  oerftanben  haben. 
9BaS  habe  ich  benn  3lnbereS  gewollt,  SWalchuS,  als  bag  £>u  lernft  biefer 


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296 


f}.  Millinger  in  Karlsruhe. 


Seiner  inneren  Stimme  folgen,  burd)  Sief  unb  Sünn,  ma«  aud)  barau* 
cntftet)e?  Safe  Su'«  fogar  of)ne  bie  $l)Uofopf)en  begriffen,  burd?  bie  id)'& 
gelernt,  ba«  beroeift  mir  eben  oon  Beuern,  bafe  Su  ein  eminenter  ftopf  bift  — 
ja  toof)l,  Sternenroirtf),  ja  roofjl  £enberin,  e«  bleibt  babei,  mein  2Jtold)u& 
ift  ein  eminenter  tfopf !  So,  unb  jefct  ^ol'  Seine  33raut  unter  bem  £if<£ 
rjeroor,  fatt^  bereu  Sttutter,  bie  grau  Senberin  nidjt«  bagegen  etnju= 
roenben  fjat." 

«31V«  benn  mögltd)?"  ftammefte  biefe,  „mein  Saoerle  unb  fo  eine 
fteiratf).'' 

„&alt,"  fprady«,  ba«  bunfelrotye,  ganj  von  Sf>ränen  überflutfjete 
©efict)t  oon  ber  9Jtotter  Sdjoojj  erbebenb,  „id>  —  idj  bin  nidjt  würbig  ben 
9M$u3  ju  §eiratf)en,  obgleid)  idj  geftorben  mär',  wenn  er  eine  3lnbere 
genommen  f|ätte." 

„Su,"  unterbrad)  fie  bie  Butter,  „unb  baoon  fagft  Xu  mir  fein 
Sßort?" 

„2Beü  Su  fdjon  Äummer  genug  tjaft,  unb  i<$  r)dtt'd  audj  oerfdjhuft, 
unb  äeit  jum  Sterben  r)ätt*  id)  audj  feine  gehabt;  aber  bafe  idy«  nur 
gerab'  fag\  idj  fann  nidjt  Ufen,  id)  §ab'  nie  lefen  fönnen  —  aber  i# 
r)ab'£  immer  behauptet." 

Unb  bie  Sünberin  taudjte  roieber  unter. 

&err  3ö^obäu«  SJlaoer  aber  lädjelte  mit  boshafter  Seligfett! 

„Sa  b<U)en  xoix'ä,  Hebe  fienbevin,  audj  Kummer  jmei  capirt  ben 
£auptpunft.  9Jel)mt  mir'«  nidjt  übel,  aber  feine  $bee  triump^iren  feigen,, 
ift  ein  ju  grofje«  ^(aijir,  als  bafe  man  ben  3Kunb  galten  fönnte  —  bod) 
lebe  ba«  Brautpaar,  aber  tyodj  lebe  audj  ber  ^auptpunft!" 

Unb  bie  Senberin  mußte  trinfen,  ob  fie  rooöte  ober  niefct,  faft  ba& 
fie  ficr)  oerfdjlucfte. 

„3&r  fetb  unb  bleibt  bodj  ein  alter  ßinbsfopf,"  fdjalt  fie  mit  feltfam 
unruhigen  2lugen,  „fd)on  roieber  jurft  mir'«  in  ben  gingern ;  biennal  aber, 
roeil  id)  <5udj  bie  &anb  brütfen  möt&tf  unb  nid)t  fann.  2Ba«  meint  3!>rA 
Sternemotrtj),  wenn  er  ficr)  mit  unferm  Herrgott  oertragt,  motten  mir  un£ 
in  ©otteSnamen  aud)  mit  feinem  ftauptpunft  oerföfmen,  er  lebe  $0$!" 

„2Ufo  2Imen,  3lmen,  mir  fommt'3  ni<$t  barauf  an,"  fd&rie  ber  Sternen* 
nurrt;;  „atfo  id)  ftift'  einen  £aa)S  $ur  fcoefoeit." 

„SKenfä),"  fufjr  3afobäu«  auf,  „mußt  Su  benn  in  bem  erfjabenften 
2lugenblicf  an'«  greifen  benfen!"  Sa  befann  er  fidj  plöfelid)  unb  fpra$,  ben 
ginger  an  bie  Sfafe  legenb:  ,,5lud)  fo  ein  5terl  fann  getegentlid)  jum  ©tanje 
be«  ©eltgenrijtenS  beitragen!" 


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Drei  £?er£>ftgeöid}te. 

Don 

maxtxn  (Sreif 

—  mündjen  — 

(Erinnerung  an  den  Sommer. 

Hofenroolfen  jierfn  im  Blauen, 
IPätjrenb  fdjon  ber  IDinter  nah,', 
Unb  bic  geit,  ba  Hebel  braneu 
Uno  fidj  ^locfen  tnmmeln,  ba. 

2Iber  um  fo  metjr  gerurjrct, 
£  4 .iiion  n>ir  bie  ßimmelspradjt, 
Bis  fie  eilenb  ftdj  sedieret, 
Denn  fcben  frütje  fommt  bie  Ha^t. 

Hoffnung  im  £)erbft. 

ITod)  liegt  ein  grüner  Schimmer 
2Xuf  EDiefen  unb  auf  2Ju*n, 
Cäßt  ftdj  audj  uirgenb  nimmer 
(Ein  blütjenb  fjälmlein  ^aa'n. 

Unb  trägt  bes  Jjerbftes  färben 
2iadj  fdjon  bes  IPalbes  £anb  — 
tfidjt  alle  Blätter  fiarben 
Dem  erjten  $toft  3um  Kaub! 

(Senug  ftnb  nodj  geblieben, 
Um  mätjlidj  3U  cergcrj'n; 
Unb,  wenn  fie  aud?  serfticben, 
Die  Hoffnung  bleibt  befreb/u! 


298 


  Iltartin  <Sreif  in  JTTüncben. 


<3u  Merfeclen. 


nid?t  lägt  ftd?  für  bie  (Lobten  oicl  mehr  tlmn : 
3rjr  (Lageroerf  ift  um,  fte  bürfen  rub/n. 
Dodj  fdjläft  Dir  unter  einem  ^ügel  nab/ 
(Hin  fjerj,  burdj  bas  Dir  liebes  nur  gefdjar?, 
Unb  bas,  um  Did?  beforgt  bei  (Eag  unb  ZTadjt, 
Allein  an  Didj,  an  Did?  aüein  gebad?t, 
Dagegen  Du  ben  Danf  itjm  oft  entsogft 
Unb  es  um  feine  ^ärttidjfeit  betrogft: 
Dann  geh/  rnnaus  unb  wirf  Dieb,  auf  fein  (Stab 
Unb  bitte  irjm  im  Staub  bie  Sdjulb  nod?  ab! 


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V 


21Iarttn  (ßrctf. 

Karl  Sdjtjfner. 

—  <Sra3.  — 


of)[  feiten  ift  in  unferen  £agen  über  ben  2ßertf)  unb  ba3  Talent 
ettied  noä)  lebenben  $>id(jter$  ein  fo  heftiger  ©treit  entbrannt, 
nie  bei  3)i artin  ©reif.  2fuf  beiben  ©eiten  fmben  wir  be= 
beutende  Männer,  wetdien  weber  blinbeS  2>orurtl;eU,  nodf)  leichtfertiges 
Urteil  oorgeworfen  werben  !ann.  9Bir  wollen  fyier  biefen  Streit  feinet 
roegS  fcf)lid)ten,  fonbern  ueriudjen,  ben  ^sid^ter  auf  neuen  2Begen  ju 
oerfiefyen. 

Martin  ©reif  ift  am  18.  3uni  1839  als  ber  ©olm  eines  Ijöfjeren 
9tegterung3beamten  §u  ©peoer  geboren,  ^ßon  früt)er  3^it  befjerrfajte  tfjn 
nur  eine  Neigung  —  ©olbat  ju  werben,  bie  mit  ber  Ueberfiebelung  feiner 
ßltem  nadfj  3)iüna^en  neue  9tof)rung  befam.  1857  mürbe  er  Slrtillerie* 
cabett  in  bem  baierijäjen  föeere,  1859  Lieutenant.  3eüroetlig  trat  er  in 
$i$ponibilitat  jurüd,  um  ftdj  tjumaniftifdjen  ©tubien  ju  wibmen;  1865 
unternahm  er  jene  füfme  unb  abenteuerlidje  t>ieife  nadj)  ©panien,  um 
baä  bort  fpurlos  oerfdfjmunbene  ©fyepaar  &  off  mann  aus  Dürnberg  ju 
iudjen,  unb  rourbe  baburd;  für  einige  3e^  Der  &e(b  be3  XageS.  1866 
ftanb  er  im  baierifdjen  föeere  gegen  ^reufeen  unb  naf)m  ein  Satyr  fpäter 
ben  2lbi"d)teb,  um  ganj  bem  neuen  Berufe  ju  leben,  ben  er  erft  fpät  als 
feinen  mafjren  erfannt  fyatte.  9Wmäf)lid)  nämlidj  mar  in  feinem  2Befen 
ein  oölliger  Umfdjwung  eingetreten:  er  roar  3um  Xräumer,  jum  2)tdj)ter 
geworben,  unb  baburdj)  oft  genug  mit  feiner  äufeeren  ©tellung  in  3»oiefpalt 
geraden;  enblidfj  reifte  in  ifmt  ber  ßntfcfjlufi,  nur  als  ©ajriftfteHer  wirfen 
ju  wollen.   Dlbenbourg  in  2)?ündf)en  war  bereit,  feine  ©ebid&te  311  oer* 


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500    Karl  Sc^tffncr  in  <5ra3.   

legen,  wofern  ©ei bei  fte  günjtig  beurteile,  ©reif  legte  fie  bem  ©e* 
feierten  oor.  „3t)re  33erfe  finb  re$t  nett/'  (agte  biefer,  „unb  werben 
gewijj  in  SreunbeSfreifen  ganj  gut  gefallen.  9?atürlid&  für  baS  große 
*Publifum,  für  eine  frrenge  flritif  .  .  ."  ©reif  wufjte  genug,  wollte  aber 
ein  ganj  beftimmteS  Urteil.  £a  wies  ©eibel  auf  bie  flacfernben  flammen 
im  Cfen  unb  fpradj:  „9tun,  wenn  Sie  baS  wollen,  fo  ift  es  baS  SBefie, 
Sie  werfen  biefelben  ba  hinein:  bann  fjaben  Sie  bie  Sadje  fjintcr  n<$." 

Äein  Sßunber,  bafj  ©reif  an  feinem  können  irre  warb.  <5rfi2lbolf 
SBanerSborfer,  ber  feinfinnige  Jtunftyiftorifer,  erfannte  fein  gro&eS  Talent 
im  oottem  Umfange  unb  nannte  if)n  einen  „elementaren  Snrifer,"  atfo 
urfprünglid)  unb  frei  r>on  Slnempfinbung.  ©r  munterte  iljn  auf,  es  bei 
(Sotta  ju  oerfudjen.  ©reif  reifte  felbft  nad)  Stuttgart,  wo  (Sbuarb 
9Jförife  fein  Talent  felbft  gerne  anerfannte.  9tun  galt  eS  nod)  GottaS 
£auptbeiratf>  Sllaiber,  ben  Sdjreden  aller  jüngeren  SBerfemadjer,  &u  ge* 
Winnen.  2llS  biefer  erfuhr,  um  was  es  fidj  fyanble,  naf)m  er  ©reif  fef)r 
füf)[  unb  jurüdfjaltenb  auf;  aber,  als  er  mehrere  Sieber  gelefen  fyatte,  war 
er  gewonnen  unb  oerfünbigte  bem  tyarrenben  Xidjter  fein  ©lüd  mit  ben 
2Borten:  „Sie  fommen  ju  Gotta". 

So  erfd&tenen  1868  bie  ,©ebid)te  oon  Martin  ©reif,  aber  fie 
tonnten  lange  feinen  ©rfolg  erringen.  Grft  1881  würbe  eine  jweite  Auflage 
nfltfng;  jefet  liegen  fie  bereits  in  ber  fünften,  bebeutenb  oermefjrten,  r>or. 

Stiele  23eurtf)eiler  fanben  bie  ©ebidjte  fd&roadj,  alltäglidj,  funftlos  in 
ber  gorm  unb  fef)lerf)aft  in  ber  Sprache  unb  begriffen  nidjt,  wie  anbere 
oon  biefem  „©eftammel"  bodj)  fo  oiel  SöefenS  machen  fonnten.  25er  fie 
aber  mit  unbefangener  Seele  lieft,  $u  bem  reben  fie  eine  wunberbare 
Spraye,  ©reifs  Stoffe  finb  »ielfaa;  alltäglich,  aber  nid)t  feine  2Irt,  fie 
anjufd^auen.  (£r  oermeibet  faft  immer  Reflexionen,  nur  manchmal  tnüpft 
er  foldje  an  9?aturerfd)etnungen  auf  bent  btd)terifd)en  25>ege  beS  &ergleid&eS. 
2)er  unenblictye  igimmelSraum  über  uns  mit  feinen  wanbelnben  SBolfen* 
gebitben,  mit  feinen  ©eftimen;  bie  atlbetebenbe  Sonne,  weld^e  bie  ^ages* 
unb  3a^reSjeiten  beftimmt  unb  beeinflußt;  ber  wedjfelnbe  9J?onb  unb  bie 
Sterne,  weldje  baS  fdjaurige  ober  t)eimlic^e  Tuntel  ber  9toapt  erhellen; 
baS  SBalten  unb  bie  Sßradjt  ber  üRatur,  bie  uns  umgiebt,  bie  Elemente 
in  if)rer  ©röfce,  bie  unfer  $afein  freunblicfc  ober  feinblid)  beftimmen, 
enblid>  baS  !leine  9Kenf^enl;erj  mit  feinen  bunflen  ©emütf)Stiefen  mit  feinen 
Seibenfdjaften  unb  feiner  Siebe  —  baS  finb  bie  $auptftoffe  feiner  Sorif. 
3f)re  EarfteHung  ift  frifd)  unb  farbenreid),  babei  fdjlidjt  unb  mafeooH; 
oiele  feiner  Steber  fdjliefcen  mit  einer  a^nungSooHen  Slnbeutung,  bie  mädjtig 
wirft,  weil  fie  fräftig  angefangen  in  ber  Seele  beS  SeferS  oott  auStönt. 
Uebermütf)iger  unb  feua;tjrö^lid)cr  &umor  ift  ilnn  ebenfo  fremb,  wie 
ftrafenbe  Satnre;  Siebe  unb  ftaturbetradjtung  walten  oor.  SRand&mal 
finbet  er  für  Weiteren  SebenSgenufc  ein  berebteS  SSort,  öfter  aber  für  ftiUe 
28ef)mutl),  bie  geftaltlos  aus  bunflen  Seelentiefen  auftauet;  fein  Sdjmerj 


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Martin  (greif.   


gibt  ftd)  ni<$t  Icibcttfd^aft(i<f»,  fonbern  er  bämpft  ilm  gerne  tyxab  ju  letf 
oerljallenbem  ßlagelaut.  £rofebem  ift  er  fein  SBeltflüdjtling.  gür  if)it 
beftety  jnrifd&en  ftatur  unb  2ttenfd>en  fein  fdt)roffer  ©egenfajj;  er  empfinbet 
fein  Seinen  nad)  i()r,  n)ie  ber  fentimentalifdje,  fonbern  er  lebt  unb  roebt 
ganj  in  if)r,  wie  ber  naioe  Didier. 

Seine  ^antafie  umfaßt  alfo  junädjjt  baS  gefammte  Sttaturleben  an 
fia),  ober  in  SBejiefiung  ju  feinem  ©emütljSleben  im  befonberen,  ober  jum 
9Jienfa)enIeben  in  objeettoer  Mgemeinfjeit.  3ur  erften  ©ruppe  gehören  bie 
trefflichen  „ftaturbilb  er",  bie  größtenteils  ein  gan$  allgemeines  ©epräge, 
ober  baS  unferer  fübbeutfa>n  §eimat  trogen;  einige  weifen  auf  bie  fpanifc^en 
unb  italienifajen  galten  £)in.  Seine  ^erfon  tritt  meifl  gan$  jurücf,  baS 
Stumme  unb  Unberoußte  befommen  Seben  unb  ©efül;l,  feine  mädjtige  (Sin* 
bilbungSfraft  oerroanbelt  3"f^nbe  in  &anblung,  2lnfdjauung  in  2lnbad)t. 

23iel  fubjectioer  ift  ÜR.  ©reif  in  feinen  „Siebern".  £ier  tritt  fein 
©effif)l  oft  ftarf  fjeroor,  inneres  unb  2teufjereS,  Seelenteben  unb  Sanb* 
fd&aft  flingen  sufammen,  Statur  unb  StebeSgefüljt  oerfetten  fidj.  S^od)  lieber 
fa>int  er  aber  frembe  ©efütyle  ju  begreifen  unb  ju  geftalten,  oft  fogar  bie 
mehrerer  Sßerfonen  äugleid).  Solare  Sieber  fmb  bann  bramattfd)  ber 
gorm,  Inrifd;  bem  3nfyitt  nad;.  Diefe  2lrt  pflegt  er  befonberS  in  feinen 
„91  o manjen",  in  meldte  er  faft  immer  aus  fremben  ^erfonen  ljerauSfprid)t. 
Sann  oerfenft  er  fidj  tief  in  baS  Seben  nid)t  reflectirenber  9toturmenfa)en. 
$er  Sauer,  ber  £irte,  ber  3äger,  ber  &anbioerfSburfd)e,  ber  Solbat,  baS 
^atrofentiebd^en,  bie  Solbatenbraut,  afmungSooll  liebenbe,  abergläubifdje 
sJftäbd)en,  bie  £reue,  bie  ftingebenbe,  bie  ©efallene,  bie  SBerlaffene,  fie 
ade  ftef)ett  mit  greifbarer  Deutlid)feit  in  tfjrer  ganjen  Eigenart  oor  uns. 

$ier  motten  mir  bem  einen  oft  gehörten  SSormurf  begegnen,  baß  bie 
äußere  gorm  feiner  ©ebtdjte  mangelhaft  fei.  ©reif  fjat  ein  reines 
Sprados  unb  gormgefüljl,  baS  fief)  überall  in  feinen  rnrifdjen  unb  bramati* 
fdjen  $id£)tungcn  jeigt.  Dies  wirb  aber  junt  £f)etl  anberS  in  jenen  Stebern, 
wo  er  aus  einer  fremben  Spotte  fjerauS  fprid&t.  Da  fjört  ber  fajöne  gluß 
ber  SScrfe  auf,  ber  2luSbrucf  wirb  holperig,  ber  3nf>alt  oft  IjauSbacfen  unb 
lappifd),  aud)  munbartlidje  SBenbungen  fdjleiajen  fia)  ein.  Das  beruht 
nun  feineSmeges  auf  biajtertfdjem  Unoermögen,  fonbern  oielme^r  auf  bem 
Streben,  feine  Sflenfdjen  genau  fo  fpred&en  ju  lajfen  mie  fie  benfen  unb 
füllen. 

2Bte  geläufig  i(m  übrigens  oerfdjiebene  gönnen  ftnb,  baS  erfennt 
man  aud)  aus  feinen  „SBallaben",  „Sinngebtdjten"  unb  „3Btbmungen". 
3hir  orientalifdje  gormen  fehlen,  wie  ifun  überhaupt  bie  Ijalb  betradjtenbe, 
^alb  befdjaulicfje  Snrif  fremb  ift.  2Bof)l  aber  finben  mir  fdjön  gebaute 
Sonette,  aua)  fließenbe  £erameter  unb  Diftia^en;  23or5üglid)eS  leiftet  er 
aud)  in  freien  9tf)9tfmten,  in  roeldjen  er  prächtige  ggmnen  gefdjaffen  r)at. 
SReligiöfe  ober  p()tlofopf)ifdje  ©ebanfenlnrif  pflegt  er  nirgenbS;  er  ift  fromm, 
aber  nia)t  finfcengläubig.  23ei  if)m  §ört  eben  baS  Sieb  niemals  auf,  Selbft* 


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502 


  Karl  Sdjtffner  in  (Sra3, 


jwetf  ju  fein;  baljer  oerfdjmäbt  er  wofjl  bie  politifdje,  aber  nid)t  jene  ßr>rif, 
bie  einer  fräftigen  unb  warmen  nationalen  ©eftnnung  2lu«brucf  nerleifjt. 
©eine  „Eeutfdjen  © ebenf b lätter"  bieten  bafür  ben  beften  SBewei«;  fic 
ftnb  feinem  tiefften  nationalen  ©mpftnben  entquollen. 

2öir  fjaben  bei  ber  93etrad)tung  ber  ©ebtttjte  ©reif«  gefunben,  ba& 
in  tf)m  ber  2)rang  nad)  objectioer  2lbtöfung  feiner  ©eftalten  von  feinem 
3$  seitroeilig  fefjr  rege  wirb.  Söei  einer  folgen  Stiftung  feine«  Talente« 
mufjte  neben  bem  Snrifer  audj  ber  2?ramatifer  jur  ©eltung  fommen, 
wofern  fid)  eben  feine  Silbnerfraft  mädjtig  genug  erwie«.  Unb  bie«  war 
ber  gaH,  freili#  nid)t  in  frü&efter  geit,  au«  ber  mir  nur  ein  l«rifa> 
bramatifdje«  ©ebiajt  ,,£an«  Sad)«"  (1866)  befifeen.  $ieie«  foUte  bei 
ber  <)Srei«bewerbung,  bie  ba«  Sttüncfmer  33olf«tl)eater  au«gefdjrieben  fjatte, 
ben  erften  ^prei«  erhalten.  Gin  iöeififeer  jcbocr)  erfwb  (Sinfpradje  bagegen, 
weil  iljm  fteinbarbftein«  ,,&an«  ©adj«"  babei  ftarf  benufet  fdjien,  ben 
©reif  gar  nid)t  fannte.  öeiöe  $ia)ter  Ratten  nur  sufällig  au«  berfelben 
Duette  gefdjöpft. 

©rft  in  ben  fiebenjiger  fahren  trat  ©reif  mit  »offen  2) r amen  her* 
vor,  bereit  33ebeutung  ber  feiten  irrenbe,  feinfühlige  Sau be  fofort  erfannte. 
©«  waren  brei  £rauerfptele,  bie  in  oerf)ältnifjmäfcig  furjen  3wtfchenräumen 
an'«Sidjt  traten:  Marino  galieri"  würbe  1873,  „Gorfij  Wfelbt"  1875, 
„9?ero"  1876  am  Liener  ©tabtljeater  wieberfwlt  unb  mit  großem  Setfalk 
aufgeführt.  £a«  $ublifum  lernte  Ijier  ©reif  auf  einmal  oon  einer  ganj 
neuen  Seite  fennen  unb  fud^te  begierig  in  ben  gramen  nach  bem  — 
finrifer;  jebodj  jiemlidj  oergeben«,  benn  er  ift  mit  fogenannten  Inrifd^en 
©teilen  im  £>rama  fet)r  fparfam  gewefen.  SDfan  rjört  wohl  fonft  ^aufig 
bie  Meinung,  bafj  ein  au«gefprod)en  lijrifdje«  Talent  im  Xrama  an  ber 
oerfd)wommenen  Gr)arafteriftif  ber  ^>erfonen  erfannt  werbe ;  aber  bie«  mar 
fner  nid)t  ber  JaH.  ©reif«  ©eftalten,  foioofjl  Banner  al«  grauen,  §aupt= 
unb  Nebenfiguren  finben  wir  mit  großer  ©orgfalt  unb  2ttenfchenfenntnifj, 
anfdjaulid)  unb  lebenooff  gebilbet.  2ludj  ein  anberer  Vorwurf,  ben  man 
gegen  $)ramatifer  mit  au«gefproa)en  lijrifdjem  Talente  ergebt,  bajj  ihnen 
nämlidj  eine  größere  föanblung  unter  ben  gingern  $erflie§e,  trifft  tycx 
ntd&t  3U,  benn  feine  Dramen  jeigen  meifl  ftreng  gefd)lof)enc  ßinbeit  im 
2lufbau  unb  in  ber  ©ntwtcfelung. 

$iefe  unb  äl)nlicr)e  Beobachtungen,  brängen  ju  einem  ßrgebnife,  baS 
mit  ber  oerbreiteten  2lnfiä;t  ftarf  im  SBieberfprud)  ftefjen  bürfte:  ©reif 
befifet  eine  oorwiegenb  bramattfcr)e  ßraft.  prüfen  wir  auf  bie  iRidjtigfeit 
biefer  2lnnafmte  l)in  feine  l^rif.  $iefe  erfdjeint  oft  farg  bi«  jur  Xrocfenbeit, 
fnapp  bi«  jur  $unfelbeit;  @cfüf)l  unb  ©mpfinbung  finben  fid)  meiffc  nur 
fur$  angebeutet;  e«  läfet  oiel  erratl;en,  uerfchmeigt  oiele«  ganj,  weil  e« 
eben  unfagbar  ift  unb  burd)  feine  ©prad)tnufif  auch  nur  annäbernb  fo  au«= 
gebrüdtt  werben  fann.  ©erabe  barum  bewegen  aber  üiele  feiner  lieber  fo 
tief.   3luf  ben  ftramatifer  weift  aud)  ba«  ^urücftreten  feiner  ^erfon  in 


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  ITUrtin  (greif.   


303 


bot  ftaturbilbem  unb  befonberS  jene  Sieber,  in  roeldjen  er  aus  fremben 
Kotten  fjerauS  fprid^t. 

23on  biefem  ©efidjtSpunfte  aus  begreifen  wir  audj  baS  rjarte  Urtfjeil 
(Seibels  ooüfommen.  liefen  jog  cor  allem  baS  fubjecttoe  ©lernen:,  bie 
(griffe  Seilte,  ber  HuSbrud  beS  <£mpfinbungslebens  an.  $af>er  mufjte 
ifm  eine  fo  ganj  anbere  -ftatur  fremb  berühren.  Uns  jeigt  jenes  ©rlebmfj 
ober  beutlta;,  meiere  feinen,  aber  bod)  oöüig  trennenben  Unterfdjtebe  inner« 
fyalb  berfelben  SMdjtungSgattung  oorljanben  fein  tonnen,  o^ne  ba§  bamm 
bie  ©röfce  beS  einen  $id)terS  auf  Soften  beS  anberen  gefd&mälert  ju 
werben  brauste. 

©eibel  trat  als  Sdjüler  SßlatenS  beroor;  beibe  fjatten  unenbtidj  oiel 
ron  ber  2(ntife  gelernt,  ©reif  bagegen  ging  von  ©oetf)e,  Ufjlanb,  -JRörife 
aus;  biefe  r)atten  aus  bem  Urquell  beS  23olfSltebeS  gefd&öpft.  2IIS  Eramatifer 
tyti  er  mandjeS  mit  ©rittparjer  gemeinfam,  ber  als  eine  ebenfalls  nid&t 
reflectirenbe  Statur  feinem  Sßefen  innig  oerroanbt  roax.  SBäfjrenb  feiner 
mehrmaliger  längeren  2Biener  Sefudje  fanb  er  in  £aube  einen  roaf)rf)aft 
oäterlidjen  greunb  unb  treuen  Seratfjer,  bem  er  aud)  ein  banfbareS  %n* 
benfen  beroarjrt. 

2Bir  wollen  f)ier  nodj  auf  ein  ÜWerfmal  in  ben  Dramen  ©reifS  oer* 
weifen,  bas  er  mit  ©rillparjer  tlieilt.  2öie  biefer  fielet  audj  er  roärjrenb 
beS  XiajtenS  genau  feine  ©eftalten  auf  ber  SBürme  fjanbeln  unb  unterlagt 
Deshalb  mand&eS  ju  fagen,  was  bie  ©ebärbe  beS  SdjaufpielerS  einfadjier 
ausbrüden  fanu.  $>al)er  rüf)rt  audj  bie  oft  gerügte  SJtogerfett  feiner  brei 
erften  Dramen,  bie  eben  nur  als  öürmenbramen  gebaut  unb  gefdjaffen 
falb.  Hflit  ©rWparser  tfjeüt  er  aud)  baS  Sajidfal,  ba&  tfjm  bie  norb* 
beutfdjen  Sühnen  bisher  oerfd&loffen  blieben,  mäf)renb  SBien,  2Hündjen, 
$rag  nnb  Sörünn  feinem  Xalente  geredjt  mürben,  ©reif  iffc  jtoar  eine 
ausgefprodjene  fübbeutfdje  9tatur;  aber  f ollen  fief)  fjeute  9^orb  unb  <Süb 
nott)  immer  fo  fd^roff  gegenüber  fterjen,  roie  oor  einem  falben  3af)rfmnberte? 
SSir  glauben  et)er  an  bie  Ungunft  anberer  23erf)ältnit7e. 

3Hü  feinem  £rauerfpiele  „Marino  fjatieri"  Ijat  er  einen  oft  oer* 
werteten  Stoff  oon  mannen  neuen  gefdjid&tlidjen,  fünftlcrifd)en  unb  fittltdjen 
©efid)tspunften  glüdlidj  roieberbe^anbelt.  Um  bie  ©eftalt  beS  greifen  aber 
nodj  immer  jugenbfrifdjen,  letbenfa^aftlid^en  unb  bennodj  roürbeoollen  Sogen 
aruppirt  ©reif  mit  fefter  &anb  bie  übrigen  ^erfonen.  Spiel  unb  ©egen* 
fpiel  meffen  in  lebenbigen  Kampfe  iljre  lange  faft  gleiten  Kräfte;  enblidjj 
bewirft  ein  3ufaff  ben  Umfdjnmng  unb  ben  Untergang  beS  Reiben,  ber 
eine  boppelte  2lufgabe  p  löfen  fucfjt:  Sie  übergreif enbe  2J?acf>t  ber  $m 
feinblidj  gefinnten  3"QwiUtoren  ju  bredjen  unb  bie  Ungebühr  eines  oer* 
rotteten  2lbelS  su  beftrafen,  bem  felbft  bie  gamilie  md)t  mefjr  heilig  ift. 
SaS  £auptgeroid)t  liegt  unftreitig  auf  ber  Süfmung  ber  Q\)xe  beS  Kaufes 
unb  ber  gamilienfitte.  dreimal  wirb  biefeS  3)iotio  bebeutfam  oerroenbet: 
Steno  tjat  bie  grau  beS  Sogen  beleibigt  unb  biefem  ben  entefjreubften 


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30* 


Karl  Sdjiffner  in  <5ra3.   


Sdnmpf  angctfjan;  2)anbolo  ^at  bem  2Beibe  beS  SlrfenalmeifierS  ^farer 
nadjgeftellt  unb  ein  anberer  3lbeliger  bie  £od)ter  beS  23ilbf)auer3  (Salenbaro 
jerftört  unb  in  ben  Xob  getrieben.  ©ie  ^nquifitoren  fmb  auf  Seite  beS 
2lbelS  unb  gegen  biefen  ungerecht  milbe.  3)eSf)alb  fdjafft  ber  $)oge  fid& 
unb  feinen  bürgern  Sfifme  im  offenen  Kampfe,  hierin  liegt  $uglei<$ 
feine  Sdjulb,  ba§  er  baS  föedjt  in  ber  23efämpfung  beS  einen  XTjeilS 
feiner  Untertanen  burd)  ben  anberen  fud&t  unb  ftd)  an  bie  Sptfce  ber 
5Berfd)roörung  fteßt.  Um  baS  büftere  33ilb  burdj  ein  lidjtereS  ©egeuftfref 
ju  erhellen,  jetajnet  ©reif  baS  traute  Familienleben  beS  3)ogen  mit  großer 
©emiitfjSroarme  unb  f)at  mit  befonberer  geinljeit  baS  33er^ältni§  ber  finb« 
liä)  reinen  $ogareffa  ju  if)rem  alternben  ©einöle  beljanbelt.  £)er  Um« 
fdjroung  tritt  burd)  einen  3u\aU  ein,  aber  burdj  einen  tief  tragifd&en.  £e£ 
SDogen  eigene  £oa)ter  oerrätf)  bie  $erfdjroörung,  inbem  fie  ben  oermemt* 
lidjen  2iebf)aber  if)rer  Sdjroefter  warnen  will;  ju  fpdt  ftef)t  He  i^ren 
3rrtlnim  ein.  ftiefe  Xragif  beS  SufattS  wirb  oon  ©reif  oft  unb  gerne 
oerroenbet;  man  fann  fie  aud)  nidjt  au«  bem  £rama  oerbannen,  ba  fie 
im  2Jienfd)en  unb  SBölfedeben  eine  fo  grofce  9folIe  fpielt.  $afc  er  fie  oer* 
roenbet,  fann  man  iljm  alfo  nidjt  5um  Vorwürfe  madjen,  fonbern  nur,  ba§ 
fid)  ber  Umfdjroung  ntd>t  im  inneren  beS  gelben  oou*3ief)t.  Srofebem  ift 
biefes  28erf  bebeutenb  unb  büfjnenroirffam. 

SlnberS  oerfjalt  er  fta)  mit  feinem  na#en  Xrauerfpiele,  beffen  Stoff 
ber  bänifaVn  ©ef$itt)te  entnommen  ift:  „Gorfis  Ulfelbt."  tiefer  ift 
ein  großartig  angelegter  UHenfd)  mit  wenig  eimtefmtenben  <5igenfd)aften. 
SBei  Sttariuo  galieri  wirb  mefjr  bie  ©emütjjs*,  bei  Ulfelbt  me^r  bie 
SQMHenSfeite  betont.  £cr  ©id^ter  fteQt  ilm  getreu  ber  gefd)ia)tlidjen  Ueber« 
lieferung  als  fjodjfaljrenb,  rüdtfid)tSloS  unb  felbftifd)  f)in.  $te  Xragtf 
feine«  SebenS  beftefjt  barin,  bafj  er  ber  £ücfe  unb  SUeinltd&fett  oon  3)lenfdjen 
unterliegt,  bie  nidjt  entfernt  au  if»n  fjeraufragen.  ©ein  Streben  ift  im 
©runbe  ebel,  roaS  ©reif  jtellenroetfe  burdjbltden  lagt :  ©r  will  fein  3$ater* 
lanb  grofj  unb  ftarf  madjen.  (Sr  tf)ut  es  aber  ntd&t  in  fo  felbftlofer  SBeife, 
rote  etroa  SJtorino  galieri,  fonbern  um  jugleidj  feinem  (^rgeije  ju  genügen, 
ber  ftd)  balb  3ur  oerjeljrenben  £eibenfd)aft  entroicfelt,  ba&  er  fein  3iel 
aud)  bann  nodj  oerfolgt,  als  cS  bereits  nur  mef)r  burdj  ben  oer= 
jroetfelten  Äampf  gegen  fein  Stoterlanb  erreidjt  roerben  fann.  Cbgleidb 
bie  gefdjid)tUd)en  ©reigniffe  im  SSorbergrunbe  ftefjen,  ift  bo<$  ber  (Styarafteriftif 
ber  ^erfonen,  befonberS  beS  gelben  grofee  Sorgfalt  jugeroanbt.  ©er 
©id)ter  arbeitet  roie  fonft,  audj  ^ier  gern  mit  grofjen  ©egenfä^en;  f(^on 
UlfelbtS  ^eben  ift  reidj  an  folgen.  3lls  Sd)öpfer  beS  ^ünbniffeS  mit 
^oKanb  ftetyt  er  ju  2lnfang  beS  StücfeS  auf  bem  ^öa^ften  ©ipfel  feiner 
2)iad)t,  bann  roirb  er  burd)  bie  Diänfe  bei  erbärmlid^en  Sefyfiebt  aHmäljs 
liaj  baju  gebrdngt,  feine  Stelle  als  9fleid)Sl)ofmeifter  nieberjulegen  unb 
roirb  baburd)  iebeS  ©influffeS  beraubt.  £n  biefem  3u^be  tieffter  (£r* 
niebrigung  roiüigt  er,  oon  Cljrgeij  getrieben,  in  ben  aSorfd^lag  beS  fa)lau 


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  ITlartin  (Srctf   


5or> 


beredjnenben  fchroebifdtjen  ©efanbten  ein  unb  füf>rt  als  Oberbefehlshaber. 
baS  fchroebifche  £eer  fiegreid)  nach  Eänemarf.  2)ie  Sdjroeben  mißtrauen 
ü)m  aber,  fc^Ciefeen  einen  günftigen  grieben  unb  geben  ihn  preis.  SBon 
beiben  feilen  geästet,  flüchtig,  fdmfeloS  unb  oogelfrei  enbet  er  burdj 
Selbfhnorb.  —  2>er  Stoff  ift  alfo,  wie  ber  £elb  einer  bramattfehen  ®e* 
ftaltung  fef>r  günftig.  Um  lirfelbt  aber  nicht  allein  als  Staatsmann  unb 
gelbfjerm  fonbern  auch  als  2Wenfdjen  uns  näher  ju  bringen,  Ijat  ©reif 
auf  feine  ©ejiehungen  ju  2Beib  unb  Äinb  ©enridjt  gelegt.  Seonore,  feine 
ftolje,  aber  eble  unb  aufopfembe  ©atttn,  meldte  jur  ^errfd)jüd)tigen  unb 
niebrig  benfenben  Königin  Sophie  31malie  in  lichtem  ©egenfafce  ftel)t,  tritt 
breimal  bebeutfam  unb  mitfjanbefab  in  ben  Vorbergrunb:  juerft,  um  ihren 
©arten  $u  warnen  r»or  einem  Vünbniffe  mit  ben  Schweben;  bann,  als 
biefeS  gefdjloffen  unb  eine  Umfehr  unmöglich  ift,  um  feinem  SöiQen  ju 
gehorchen  unb  ihm  ohne  SBanfen  3U  folgen,  enblidj  nacf>bem  alles  oerloren 
ift,  um  als  ©efangene  ben  glüdjtigen  ju  oertheibigen.  —  ©reif  läfet,  ab= 
roeid)enb  oon  ber  gefd)tchtlichen  Ueberlieferung,  ben  gelben  bur<h  einen 
3ufafl  enben.  3"  ber  finfteren  -Wacht  hält  er  bie  5U  feiner  Diettung  tyran^ 
jiehenben  Söhne  für  Häfcher  unb  um  biefen  nicht  in  bie  #änbe  5U  fallen, 
erbold&t  er  ft<$.  2llfo  roteber  ein  3ufall,  <*&er  geroife  tragifdj  unb  fet)r 
bühnenroirffam. 

$n  bem  britten  £rauerfpiele  „Wero"  behanbelt  ©reif  einen  Stoff, 
ber  einer  bramatifdjen  ©eftaltung  weniger  günftig  ift,  als  einer  epifdjen, 
unb  einen  Gfyarafter,  meldjer  roeber  grojj  im  ©uten,  noch  imponirenb  im 
Schlechten  ift.  2)af3  ©reif  einer  ber  feltenen  3Mdjter  ijt,  bie  fid)  mit  einer 
oft  peinlichen  ©enauigfeit  an  bie  ©efdn'chte  galten,  erfdjroerte  ihm  gerabe 
bei  biefem  2Serfe  feine  2lrbeit  befonberS.  9lber  rote  faft  burdjroeg,  fo  ift 
eS  it)m  auc^  tyex  gelungen,  ben  Stoff  fo  ju  bilben,  bafj  er  gefchichtlidj 
tüar)r  blieb  unb  sugleid)  bichterifch  roirffam  mürbe.  5lud}  bie  in  bem 
„9tero"  *  Stoffe  befonberS  nafjeliegenbe  ©efafjr  ber  ©ffeethafcherei,  ber 
anbere  nicht  ganj  entgangen  finb,  fud)te  ©reif  ju  oermeiben,  begab  fidj 
aber  babei  mancher  Söort^cile.  Sein  ftero  ift  nidu"  ber  roillenSftarfe, 
treibenbe  &elb,  beffen  grauenhafte  ©röfje  sugleid)  Slbfdjeu  unb  SBers 
tounberung  einfloßt,  fonbern  ber  mafjlos  begefjrenbe  jügellofe  SDZenfdt),  roie 
ilm  XacituS  gefchilbett  r)at.  Gr  fte^t  sroar  in  ber  Mitte  ber  ^anblung, 
aber  bie  treibenben  ©eroalten  finb  auf  ber  einen  Seite  bie  bämonifdje, 
fd)öne  Verbrecherin  $oppäa  unb  tr>r  cynifdjer  Helfershelfer  £ig  ellin,  auf 
ber  anberen  Seite  bie'hercföbegterige,  aber  hoheitSooUe  2lgrippina,  bie 
ihre  größten  Verbrechen  aus  blinber  Mutterliebe  beging.  SReben  biefen 
?erfonen  roirb  biefer  9?ero  ohne  einnelmtenbe  unb  imponirenbe  Gigen* 
fchaften  ftarf  gebrüeft.  £eibenfd)aftlid) ,  rafch  gereist,  btinb  entfchloffen, 
unb  boch  balb  roieber  roanfenb  ift  er  ein  SKenfd),  auf  ben  felbft  nur  bie 
§älfte  feiner  Sdmlb  fällt,  unter  beren  Saft  er  im  2iJaf)nfmne  jufammen* 
bricht.   Um  biefem  Söerfe  alfo  oöüig  gerecht  ju  roerben,  müffen  roir  bie 


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306 


Karl  Sdjiffncr  in  <Srü3 


erften  brei  Sfafaüge  als  „ßampf  um  9Jero"  betrauten,  erft  in  ben  tefcten 
jwei  2luf$figen  nehmen  wir  größeren  2lntf)eil  an  bem  gelben  unb  feinem 
©efä)itfe.  SSon  gewaltiger  SBirfung  ift  3.  33.  ber  2luSbrudj  feinet  Söafms 
finnS  im  eierten  2luf$uge;  perfönliä)  näljer  tritt  er  uns  im  fünften,  als  er 
uon  feinen  „greunben"  oerlaffen,  flüaptenb  oor  bem  ^eranjie^enben  ©alba, 
bei  flarem  Sberoußtfetn  olme  3a9en  Deu  ^0D  fu$t- 

2Wää)tig  wirft  unter  anbern  bie  Stelle,  wo  ber  einft  allgewaltige 
SRero  auf  ben  Seidmam  eines  Bt lauen  ftößt  unb  biefen  um  ben  grieben 
beS  XobeS  beneibet.  ©in  Stteifterftücf  wirffam  oermenbeter  ©egenffifce 
unb  einer  roarjrfjaft  tragifäjen  gronie  bleibt  aber  ber  brüte  Stufjug:  3u*rf* 
ein  liebliä)  ausgeführtes  Sbyft  glücfltäjen  3ufammenfeinS  t>on  SRutter  unb 
©otyn,  bann  ber  tragtfdt)e  Untergang  2lgrippinenS.  bie  noa)  furj  tjor^er 
coli  2Bonne  über  bie  oermeintltä)e  SBefiegung  tr)rer  ©egner  unb  oott 
Hoffnung  auf  itjre  glänjenbe  3u^unft  roar« 

9tfero  füfjrt  feine  dloUe  mit  iwllenbeter  $eüd)elei  burä).  ^ur  beim 
2lbfcr)iebe  von  ber  3J?utter  fühlt  er  einen  Stugenblid  bie  furäjtbare  Saft 
feiner  Unthat  unb  bie  lefcte  Regung  ftnblidfjer  Siebe.  $iefe  ©teile  giebt 
in  ihrer  fdmetbenben  Hürje  ein  gutes  33ilb  ber  $)id)tweife  ©reifs.  $\ex 
fann  ein  guter  ©äjaufpieler  bie  ganje  ©röße  feines  XalenteS  jeigen. 

21  g  r  i  p  p  i  n  a :  Stuf  Sieberfehen,  mein  £ljeucrcr,  lebe  tool)l! 

91  e  t  0:  D  Glittet!  (5r  umarmt  Wgrippina  unb  diät  fle  micbtrljolt.) 

31  g  r  i  p  p  i  n  a  :  SttaS  betpegt  $id)  ptö&lid}  foV 

9tero:  9tidjt3.  —  Sinket! 

X  i  g  e  1 1  i  n  u  $ :  (Sr  ift  fdjon  fort  311m  Stranb. 

91  c  r  0 :  (»griDpintn»  $anb  umfafltnb)  ßeb'  too&l !  3«       nur  lebe  unb  regier'  i<f>. 
21  g  r  i  p  p  t  n  a :  2Iit  Seine  SMebe  glaubt  mein  §erj  fo  gern. 
9? ero:  (oerftört)   O  9Jhttter! 

%  i  g  e  1 1 1  n  u  8 :  (ijeimitd)  *u  mtvt»  Raffung !  $>u  oerrättift  SMcf),  Gaefar. 
9t  c  r  o :  <r«#  befcrrfrfKnb)  9tad>  Sauli  lab'  id)  mtdj  ju  S)ir  auf  morgen. 
2t  g  r  i  p  p  i  n  a :  2Öär'  eS  fetjou  morgen,  unb  $u  märft  bei  mir!  — 

9J?an  hat  ©reif  öfter  »orgeworfen,  baß  feinen  Srauerfpielen  ber 
bramatifä)e  Stfero  fehle.  ^Die  Urfaäje  biefer  Meinung  liegt  jum  £f)eil  barin, 
baß  bei  ir)m,  entgegen  bem  gewöbnlid)en  ßerfommen,  bie  ©egenfäfce  nid)t 
mit  it)rer  ganzen  (Sdr)roffr)eü  aufeinanderprallen  unb  feine  gelben  fiä)  auch 
nicht  in  leibenfchaftliäjem  ©efühlSauSbrua>  Suft  maä)en.  6r  legt  aua> 
überaß  auf  innere  Vorgänge  baS  <S$TOergen)id)t  unb  fommt  babura^  in 
Stoc&tljeil  einem  ^ublifum  gegenüber,  baS  bur$  bie  großen  gortfajritte 
unferer  SBüfmentedjnif  üerrcö^nt,  faft  immer  me^r  auf  äußere  SBirfung 
fte^t.  2)a  es  au$  gerne  unauftjaltfam  fortgeriffen  werben  will,  fo  finbet 
es  an  Keinen  Auftritten,  bie  ©reif  mit  großer  fünftterifa>er  Sorgfalt 
herausarbeitet,  weniger  ©efaüen.  ^Diefe  (jum  größten  El)eU  fäjeinbaren) 
gebler  mußten  oerfditoinben,  als  fid)  ©reif  bem  <Sa;aufpicle  juroanbte. 

^as  erfte  „^rinj  (Sugen''  würbe  1880  jum  erften  s3J?alc  am  SBiener 
$ofburgtl;eater  gldn'5enb  auSgeftattet  unb  mit  großem  SöeifaÜe  aufgeführt 


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marttit  ©reif. 


30? 


unb  ^tcranf  in  ^rag,  23rünn  unb  SJZündjen  mit  gleichem  (Srfolge  wieber* 
holt  gegeben.  Srofcbem  e3  ein  Sugftücf  ju  werben  üerfpract),  fefcte  e$ 
Dingelftebt  unb  nach  ilmt  noch  hartnädiger  Sötlb raubt  oom  Spielplane 
be»  ©urgtfjeaterä  ab. 

Diefeä  Sdjaufptel  befjanbelt  ben  glän^enben  Sieg,  ben  Sßrin§  (Sugen 
gegen  ben  33cfet)I  be3  flatferä  errungen  Jjat  unb  beffen  Solgen.  tfarl  VI. 
hätte  alä  ÜHenfch  bem  greunbe  $war  gern  oerjiefjen,  al$  Äatfer  burfte  er 
aber  bem  eigenwilligen  Untertanen  einen  fo  offenfunbigen  Ungehorfam  nicht 
hingehen  laffen.  Die  bem  grinsen  feinbliche  Partei  möchte  bie  Jreunbe 
gern  entjweten,  bei  bem  „flaifer"  Starl  fäüt  @ugen  in  Ungnabe,  ber  „9Jtenfä)" 
Äarl  reicht  bem  langjährigen  greunbe  aber  bie  £anb  jur  Serföhnung  unb 
gewinnt  ben  trofcigen  gelbtjerm  in  einem  fünftlerifch  unb  feelifch  fer)r  be- 
beutenben  Auftritte  fo  fef)r,  bafc  biefer  bem  5laifer  öffentlid)  9lbbitte  leitet. 
—  £iefe3  Sct)aufpiel  ragt  nicht  nur  burch  einen  ed)t  bramatifd)en  3nhalt, 
fonbern  auch  buraj  feiner  trefflichen  Gljarafteriftif  weit  Ijeroor.  <55teidt> 
ooüenbet  fmb  ber  geniale  gelbherr  unb  ber  milbuerftänbige  Äaifer  gefdu'lbert. 
Um  fte  gruppiren  ft$  jwangloS  bie  anberen  ^erfonen.  Cbwof)l  ©reif 
überall  bie  ©emütcjsfeite  be3  gelbfjerrn  heroorleuchten  läfet,  fo  betont  er 
boct)  aua?  ganj  befonberä  beffen  ©enie,  ba3  ber  Gegenpartei  ein  Dorn  im 
5luge  ift. 

9?ia)t  weniger  ate  brei  ^tof™™  fafat  5"  biefer  Seite  feines  SBefenS 
im  ©egenfafc:  bie  alten  unb  pebantifchen  Generale  Schlid  unb  Stavern* 
berg,  bie  ba$  ©enie  Raffen,  weil  fie  es  nicr>t  begreifen  fönnen  unb  ©eneral 
£eifter,  welker  bie  flägltche  5iotte  be§  oerfannten  ©enieä  fpielt.  Diefer 
tu  übrigens  bie  einzige  gigur  in  ©reifs  Söül)itenwerfen  bie  mit  einem 
gewiffen  h^ben  $umor  gewidmet  ift,  wenn  man  oon  bem  gemütlich* 
fomifchen  Sergeant  ,@id)enauer'  unb  bem  mehr  tragUfomifchen  ,Ctho'  im 
„9Jero"  abfieht.  —  91ei}uoll  ift  bie  SBetbchaltung  ber  Sprache  beä  ftebjehnten 
SahrhunbertS  mit  ihren  oft  ungelenfen  SBenbungen  unb  ihrer  fchredlichen 
2)urchfe$ung  mit  grembwörtern.  ©inen  ähnlichen  gelungenen  $erfudj,  bie 
3ettfarbe  auch  burd)  bie  Sprache  täufäenb  wieberjugeben,  hatte  ©reif  bereite 
im  „&an3  Sachs"  gemacht. 

2fad>  im  nächften  Sdjaufptele  „$einridh  ber  £öwe"  (1887)  bilben 
greunbfehaft  unb  23afallentreue  bie  ßauptmottoe  ber  ßanblung.  Dort 
werben  biefe  nur  einen  Slugenblid  getrübt,  um  aber  fofort  in  hellerem 
Sichte  aufstrahlen;  hier  werben  fie  jerftört,  weil  ber  ungemeine  Ghrgeij 
unb  bie  jügeUofe  ßerrfchbegier  Heinrich  be3  Söwen  jum  Treubruche  unb 
S?errathe  gegen  feinen  &erru  unb  greunb  griebrid)  23arbaroffa  oerführen. 

Die  #anblung  reicht  oom  Starnberger  ^Reichstage,  wo  ber  Sombarben* 
ßrieg  angefagt  unb  3riebrt<h3  fünfjähriger  Sohn  Heinrich  $um  römifchen 
flönige  erwählt  wirb,  bis  $ur  enblichen  Demütigung  bed  £öwcn  unb  ber 
Selehnung  Otto«  oon  9Bittel*bach  mit  bem  £evsogthume  33aiern.  3m 
3Hittelpunfte  fteljt  ber  gufefatt  beä  ÄaiferS  oor  ber  Schlacht  bei  ßegnano; 

Kort  unb  €fl:>.  L  ,  150.  21 


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308 


Karl  Sdjiffncr  in  <Sra$.   


ber  ftolje  SBelfe  bleibt  aber  unerbittlich  unb  führt  baburch  bie  9iieberlage 
beS  5latferö  unb  jene  weltgefchtchtliche  SScnbung,  aber  auch  befielt  23er' 
fölmung  mit  ^fabft  2flercmber  ilL  unb  feinen  eigenen  Sturj  gerbet.  Qu 
biefem  Sdjaufpiele  nimmt  bie  SarfteHung  ber  gefchid)tlichen  Gegebenheiten 
naturgemäß  einen  bebeutenben  9faum  ein;  bem  entfprechenb  ift  auch  bie 
(Sypojition  fef)r  breit  angelegt,  ©reif  erponirt  überhaupt  fe^r  flar  unb 
genau;  bie  „ftimmenben  2lccorbe"  finb  glüdlidj  gemäht,  unb  bie  „erften 
erregenben  Momente"  von  fehr  ftarfer  &>irfung.  XaS  Qntereffe  oert^eilt 
fid)  in  biefem  Stüde  auf  m'ele  ^erfonen.  ©letd)wohI  treten  bie  £aupt* 
gestalten  beS  ßaiferS  unb  feines  großen  ©egnerS  überall  in  ben  Gorber* 
grunb.  $iefe  ftef>cn  bereits  in  ber  ©efdjtchte  als  faft  gleichwertige 
S)oppelhelben  ba,  ein  Umftanb,  ber  bie  $idjtung  gleichwohl  nicht  gefdjäbtgt 
hat.  Obwohl  baS  Sd>ufpiel  ben  Eitel  „Heinrich  ber  Stfwe"  trägt,  fo 
erfd)eint  boch  ber  gewaltige  Staufenfatfer  als  ber  bebeutenbere,  unb  ber 
Söelf  trofe  mancher  großen  ©igenfdjaften  als  ber  geringere,  tiefer  hanbelt 
oft  nid)t  einmal  felbftänbig,  fonbem  oon  feinem  r-erberblidjen  Gerader, 
3orban  oon  Glantenburg  beeinflußt,  woburdj  aud)  bie  £älfte  feiner  Sdntlb 
auf  frembe  Schultern  abgewälzt  erfdjetnt.  2lnjie^enb  ift  aber  ber  2>or* 
gang  beS  £idjterS  für  bie  beiben  £aupthelben  ein  faft  gleiches,  aber 
bodE)  ©erfchtebeneS  Qntereffe  ju  erweden.  $)as  gefdn'eht  im  legten  Auftritt. 
£)er  Haiier,  obgleich  im  »ollen  iHechte  ftrenge  ju  ftrafen  behanbelt  ben  ferner 
oerfdjulbeten  3einb  in  Erinnerung  an  frühere  £age  milb  unb  oerföhnltdj,  ber 
gebemüthigte  ftolse  SBelfe  macht  burd)  feinen  fajmerjlia^en  2lbfa)ieb  oom 
einftigen  ^reunbe  unb  oom  Gaterlanbe  unfere  Teilnahme  rege.  $er  Sieger 
ermedt  alfo  unfere  23ewunberung,  ber  Unterliegenbe  unfcren  3lnt§eil; 
bamit  ^at  ber  Siebter  bie  Soppetyelbenfrage  t)ier  glüdlidj  gelöft. 

9Kit  großer  Sorgfalt  hat  er  nebenbei  baS  Gerhältniß  3)?edjtf)ilb3  ju 
ihrem  ©arten  Heinrich  gejeichnet.  ©reif  oerherrlicht  überhaupt  mit  33or= 
liebe  ©attentreue.  $n  folgen  Scenen  treten  uns  eben  bie  gefd&idjtlidjen 
gelben  menfd}lid)  näher.  3Bie  rührenb  fdjilbert  er  bie  faft  finblldje  Siebe 
unb  Xreue  ber  jugenblichen  Snnunjiate  ju  ihrem  alternben  ©atten  SJZarino 
galieri,  ober  bie  £reue  ber  ftarfmütlngen  Seonore  §u  Gorftj  illfelbt  9)ttt 
biefer  hat  2J?cct)tI;t(ö  bie  größte  ^chnlichfeit:  S3eibe  warnen  juerft  ihre 
©atten  uor  nerberblichen  Sdjritten;  als  aber  biefe  gefdjeben  finb,  feilen 
fie  bcren  SooS  unb  oertljeibigen  beren  SHedjte. 

3u  biefem  büfter  großartigen  Sdjaufpiele  bilbet  baS  näcbfie:  „Sie 
Spfalj  im  SUjein"  (1887)  ein  r)eiter*oerf5l;nenbe^  ©egenftüd.  Obgleich 
jebes  ber  beiben  Dramen  —  bie  fdjon  im  $eft  129  oon  „9Jorb  unb  Süb" 
eingchenbcr  geiuürbigt  finb  —  für  fiel)  ein  ftreng  gefchloffeneS  ©anjeS  barftellt, 
fo  fdjließen  fie  bod)  ju  einer  höheren  ©inbett  sufammen.  (5s  r)anbelt  ftdj  hier 
weniger  um  gefd;icbtüd)C  Gegebenheiten,  obfehon  auch  biefe  nicht  oentachläffigt 
werben.  Sic  (Sharafteriftif  ber  «ßerfonen  ift  auch  bieSmal  fehr  forgfältig  unb 
gelungen.   %m  Gorbergruube  ftct)en  ber  junge  flaifer  Heinrich  Vlv  gewaltig 


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IHartiTt  (Steif.   


309 


unb  Ijeftig,  ^einriß  ber  Söroe,  alt  unb  gebroßen,  milb  unb  oerföfmltß, 
ßonrab,  ber  ^Pfaljgraf  bei  dtyein  fiarf  unb  gewalttätig  unb  feine  ©atttn, 
bie  liebeooll  einfißtige  3rmengarb.  $te  £auptperfonen  fmb  jeboß  ein 
2iebe«paar:  $ie  innig  jarte  spfaljgrafentoßter  2lgne«  unb  ber  eble  mutige 
©oJ>n  ^einriß«  be«  fiöroen.  2115  ßinber  bereit«  für  einanber  beftimmt 
von  ben  noß  nißt  oerfeinbeten  gamilien,  fe^en  fie  ftß  naß  langen  3af)ren 
roieber  jum  erften  Sttale  al«  3üngling  unb  Jungfrau,  ©egen  if>re  mäßtig 
l)eruorbreßenbe  Siebe  fmb  natfirliß  &au«*  unb  ©taat«polittf,  aber  ßr 
treuem  3«lan^«n!)ölten  befiegt  enbltß  alle  &mberniffe  unb  füfjrt  bie  33er« 
fö^nung  ber  SBelfen  mit  bem  Waiblingen  f)erbei.  —  &ter  tritt  junt  erften 
2Rale  in  ©reif«  SSerfen  eine  £iebe«gefßißte  an  bie  erfte  ©teile.  23i«&er 
fyitte  er  folße  nur  als  ©pifoben  in  bie  £anblung  eingeflößten,  bie  aber 
erfennen  liefen,  ba§  fein  Talent  in  biefer  9iißtung  befonber«  (Srfprieg* 
liße«  leiften  werbe.  $ie«  beftätigte  fiß  f)ier  oorjügliß,  wo  ber  Sißter 
auf  einem  breiteren  SRaume  feine  ganje  Äraft  entfalten  fonnte.  $iefe« 
£iebe«paar  f)at  er  mit  einem  wunberbaren  3*ubex  umgoffen,  ©eine 
©tärfe  rißt  eben  Oauptfäßliß  in  ber  ©ßilberung  be«  @emütf)«leben«  unb 
je  einfaßere  Wittel  er  ba$u  oerwenbet,  befto  glütflißer  ift  er.  <5r  uer* 
ftel;t  in  gleißer  SBeife  ba«  von  fietbenfßaften  burß  wühlte  ©emüß  be« 
ef)rgei$igen,  wiflen«ftarfen  Spanne«  ju  fßilbern,  wie  ba«  traumhafte 
£er$en«leben  junger  2Räbßen?no«pen,  bie  im  erften  ©onnenftrafjle  ber 
Siebe  ju  neuem  Seben  erblühen.  ÜReben  biefen  ftefjen  bie  unenbltß 
rüfjrenben  ©eftalten  ber  oerlaffenen  ©eliebten,  wie  bie  ©claotn  3lfte  ober 
ber  oerlaffenen  ©attin,  5.  33.  Dctaoia  ober  ftrmengarb. 

©leißroof)l  bürfen  mir  bei  2Inerfennung  ber  fjoljen  ©ßönf>etten  biefe« 
©ßaufpiel«  gegen  feine  geiler  nißt  blinb  fein:  55er  Umfßwung  in  ber 
©efinnung  be«  $fal$grafen,  ber  am  meiften  gegen  bie  Sßerbinbung  ber 
Siebenben  ift,  wirb  baburß  fyeroorgebraßt,  bafj  ifm  ^einriß  oon  23raun* 
fßroeig  in  einer  ftürmifßer  Staadt  au«  ben  glutl)en  be«  9if)ein«  errettet. 
SRoß  weniger  befreunben  tonnen  mir  und  aber  mit  bem  (übrigen«  leißt 
ju  tilgenben)  Dperneffect  am  ©ßlujj  be«  merten  Slufjuge«,  mit  weißem 
ber  $ißter  ber  baierifßsbnnaftifßen  £enben$  be«  ©tücfe«  ein  Opfer  bringt. 
Sei  ber  $arfieHung  fjat  man  biefe  ©ßwäßen  freiliß  nißt  fefyr  ftarf 
empfunben  unb  fo  errang  bieje«  ©ßaufpiel,  wie  ba«  oorige  bei  jeber 
Stujfü^rung  am  2)?ünßener  föofßeater  einen  ooüen  Erfolg. 

Söebeutenber  noß  erfßeint  un«  be«  £>ißter«  jüngfte«  2Berf,  ba« 
£rauerfptel:  „ßonrabin,  ber  lefcte  &of)enftaufe"  (1889).  2ln 
©röfje  ber  $anblung  unb  ©emalt  ber  25>irfung  überragt  e«  bie  Vorgänger 
gemifc.  ©ßon  ber  erfte  2luf$ug  ift  ooU  Seben  unb  Söeroegung.  £er 
jugenbliße  Honrabin  will  bie  Spiäne  feiner  Sinnen  wieber  aufnehmen;  um 
aber  in  2)eutfßlanb  maßtooQ  l)en)ßen  ju  fönnen,  mufe  er  junäßft  fein 
alte«  ©rbe  in  Italien  wieber  erobern.  <Sie  eben  au«  3talten  fommenben 
gf)ibetlinifßen  ©efanbten  beftärfen  tljn  in  feinem  33orf)aben  unb  fteUen  il;m 

21* 


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5*0 


Karl  fdjif  fner  in  <Sza'y   


ben  fixeren  Sieg  in  2Iu$fid)t;  bie  beforgte  Butter  warnt  ifjn  oor  all3U* 
frühen  Sdjritten  unb  oermag  ihn  mit  bcm  Aufgebote  aller  33erebfamfeit 
umjufiimmen.  Sin  Spottlieb  ber  baoonrubernben  Sdjiffer  jebodj  oer* 
munbet  fein  (Ehrgefühl  fo  tief,  baß  er  aller  Sßarnungen  ungeachtet  ben 
Italienern  feinen  9tömer3ug  oerfpricfy.  2>ie  §anblung  nimmt  nun  tfjren 
gefa^iajtliajen  Verlauf.  £abei  flicht  ©reif  bie  fefjr  wirffame  SiebeSepifobe 
Äonrabinä  mit  33iolante  ein,  ber  Eodjter  be$  2>erräther3  grangipane.  2U$ 
fie  ben  jungen  flönig  jum  erften  Sttale  fah,  oerwanbelte  fid)  tf>r  ^ei§er 
&aß  gegen  ifm  plöfeUä)  in  Ijeifee  Siebe;  um  berentwillen  oerfeinbet  fie  ji$ 
mit  ihrem  2kter,  bura)  fceffen  2>errätf)eret  ber  junge  Staufe  gemagert 
wirb;  bem  flüchtigen  ©eliebten  bietet  SBiolante  Sdmfc  unb  Littel  jur 
Rettung.  211$  fte  aber  erfährt,  baß  er  ihre  Siebe  nia^t  erwibern  fönne, 
erfaßt  fie  neuerbingS  leibenfdjaftlidjer  &aß  unb  fie  liefert  ihn  ben  ^eran* 
5iet)enben  ^einben  aus.  £er  fünfte  2luf$ug  enthält  wieber  Auftritte  oon 
erfdjüttembcr  SBirfung :  ßonrabin  unb  feinem  greunbe  griebrid)  wirb  ba3 
£obe$urrt)eU  oerfünbet;  bann  bie  Butter  ßonrabins  an  ber  33abre  iljreS 
Solmea.  So  ergiebt  fid)  naturgemäß  eine  großartige  Steigerung  für 
biefeS  2öerf,  ba3  außer  einer  feffelnben  unb  ergreifenben  $anblung  noc£ 
eine  reidje  Entfaltung  unb  fixere  33eherrfd)ung  ber  Staffen  jeigt.  2>arin 
offenbart  fid)  oft  bie  ©röße  eines  bramatifeben  Talentes,  gdft  jebeä  Stucf 
©reif$  befifct  eine  ober  mehrere  foldjer  SJtoffenfceuen,  bie  mit  großer  SUar= 
beit  gebilbet  finb,  fo  5.  33.  in  „Gorfij  Ulfelbt"  bie  ^erfammlung  im  &aag, 
ber  bämfd)e  9ieid)$tag  unb  ba£  Sager  ber  Sdjweben  ober  im  „^rinj  <£ugen" 
baS  23olf£feft  im  ^rater,  bie  Schladt  $3elgrab,  im  „flonrabin"  ber  (Sinjug 
be3  jungen  Äönigd  in  SRom  unb  bie  Srfjladjt  bei  Xagliaca^o  u.  f.  ro. 

©reif  arbeitet  fjier  fo  genau,  baß  felbft  bie  legten  Sollen  oon  ifjm 
nodj  flüchtig  swar  aber  bod)  beutlid)  c^arafterifirt  werben.  Seine  2(rt 
fdjaffen  jetgt  aber  nid)t£  beffer,  als  ber  Umftanb,  baß  er  alle  Dertltdj* 
feiten  in  feinen  Stücfen  (mit  2lu3nafnne  oon  Seigrab)  aus  eigener  3ln= 
fdjauung  nadjgebilbct  bat  unb  bamit  aud)  bie  Socalfarbe  genau  trifft,  bie 
man  in  Eramen  menigftenS  fonft  gern  oernaa^läffigt.  X'xe  (Sljaraftere  finb 
t)icr  wieber  mit  großem  gleiße  fjerauägebilbet  unb  abgerunbet.  3unäd)ft 
tritt  und  natürlich  flonrabin  entgegen,  ber  uns  unenblid)  fmnpatfnfd)  be* 
rührt.  Seine  tragifdje  Sdjulb  liegt  oor  allem  barin,  baß  er  in  leiben* 
fdjaftlid)  jugenblidjer  &aft  erreichen  will,  was  nicht  einmal  bie  gereifte  ßraft 
erfahrener  üJJanner  oermod^te.  2lber  er  f)at  feine  anbere  Söaljl.  ^er 
SHuhm  feiner  Sinnen  unb  ber  eigene  ßf)rgei$  oerpflia^ten  i^n  ju  jenem 
flampf  auf  Sieg  ober  2ob.  Unerfahren  unb  oertrauen^ooll  tritt  er  einer 
Sßelt  oolt  feiger  ©raufamfeit  entgegen.  $>er  eigentliche  Urheber  feined 
Unglücte,  i{arl  oon  2Znjon  gefjt  im  $rama  ftrafloö  au§,  aber  mir  treiben 
mit  ber  3uoerfidht,  baß  fid)  ber  gludj  ber  Butter  Äonrabin^  an  i^m  er« 
füllen  werbe;  mir  haben  hier  einen  ähnlichen  3all,  roie  in  ©oethes'  ßgmont. 
Sieben  Äonrabin  flehen  befonberS  h«rü°rra3cno  öie  ^odcitöooae  ©eftalt 


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  Martin  (Sreif.   


feiner  SRutter  ©lifabeth,  ber  leibenfchaftlichen  bämonifchen  Söiofante  unb 
feinet  treu  ergebenen  greunbe«  griebrief)  oon  Vaben.  ©reif  r)at  ba« 
9Rotit>  ber  5reunbe«treue  in  jebem  feiner  Stüde  balb  in  ber  £aupt«  balb 
in  ber  Dtebenhanblung  in  allen  Variationen  glüdlid)  oerroenbet.  3lm 
fünften  ausgeprägt  erfdjeint  in  „^rinj  Gugen"  ba«  Vilb  treuer  greunb* 
fa)aft  jnrifchen  gereiften  Scannern,  ^ier  jroifchen  jroei  aufftrebenben  3üngs 
lingen,  ba«  burdj  ifjr  gemeinfame«  tragifdje«  ©efdjid  nur  noch  mehr  oep 
flärt  roirb.  9U«  bunfle  ©egenbilber  roirfen  oor  allem  ber  habgierige  Vers 
rotier  5ran<;ipani  unb  ber  graufame  Marl  oon  9lnjou.  3ln  biefe,  rote  an 
jene  fdjltejjen  fid)  eine  SReihe  ber  oerfdjtebenften  Gharaftere,  fo  bafe  auch 
hier  £idjt  unb  Statten  gleichmäßig  oertr)etlt  erfdjeinen.  2luf  bie  Sühnen; 
nrirfung  ift  überall  genau  bebadjt  genommen,  bafjer  fann  biefem  SBerfe 
bei  einer  Aufführung  auch  ein  ooüer  Crfolg  nicht  fehlen. 

2Wit  ben  angeführten  Dramen  ift  jebod)  ber  flrei«  oon  ©reif«  bidjterifcher 
^ätigfeit  nur  jum  tycil  umfd)rieben.  2öir  haben  noch  p  ermähnen  ba« 
geftfpiel  jum  70.  ©eburt«tage  Raubes  (1876)  „(Sin  ©hrentag,"  ba« 
aber  nicht  aufgeführt  rourbe,  meil  fich  biefer  bie  ihm  jugebachte  unb 
bereit«  bi«  in'«  flletnfte  vorbereitete  &ulbigung  im  „eigenen  &aufe,"  roie 
er  ftch  au«brfidte,  au«  23efcheibeuheit  verbat.  Sie  fdjöne  Sichtung  rourbe 
einige  Söhre  fpäter  in  2Nonat«fd)rift  „Von  $o(  ju  ^ol"  abgebrudt. 

©in  anbere«  geftfpiel  fdjrieb  ©reif  $u  ©unften  be«  2Salther*Sent% 
mal«  in  3nn«brud:  ,,2öattl)er«  9iüdfcf)r  in  bie  &etmath".  (5« 
rourbe  $u  3nn«brud  unb  Vrünn  mehrmal«  gegeben.  G«  roirft  bei  affer 
flürje  fehr  ftimmung«oolI,  befonber«  burdf)  bie  glüdliche  Verroenbung  ber 
berühmten  ©fegie  &>altf)er«  6  wc  war  sint  vers wunden  .  .  .  — 

Slufeerbem  roiffen  roir  nod)  oon  jroei  bi«her  roeber  aufgeführten  nodj 
gebrudten  Srauerfpieleu.  Sa«  eine  flammt  au«  ben  legten  fechjiger 
3af)ren  unb  befjanbelt  einen  romanttfehen  Stoff:  „Vanarb,  ber  bitter 
ohne  gurd)t  unb  Säbel."  Sa«  anbere  behanbclt  bie  Gefliehte  ber 
„3ranci«fa  oon  9iimini."  2Sie  roir  erfahren,  \)at  ber  Sidjter  ba«  äßerf 
nur  be«halb  jurüdgehalten,  roeil  er  untere  iöülmenoerhältniffe  au«  Erfahrung 
?ur  ©enüge  fennt  unb  fich  unoerbienten  unb  fränfenben  3urüdroei)ungen 
nicht  au«fefcen  roiff. 

2Bir  rooffen  nur  nod;  fürs  ben  Sichter  unb  Sflenfdjen  au«  feinen 
©erfen  ju  begreifen  fuchen.  ©eine  Sichtungen  tragen  ein  fehr  beftimmte« 
©epräge;  (Schlichtheit  unb  ®emüth«roärme  finben  fich  mit  funftlerifcher 
Seinheit  unb  Sicherheit  gepaart,  roie  fie  eben  nur  bei  einem  roirf liehen, 
inftinttio  fdjaffenben  Sichter  möglich  ift,  ben  ein  mächtiger  innerer  Srang 
jur  ©eftaltung  treibt.  2lu«  feinen  Sramen  unb  oielen  Siebern  ift  für  bie 
Crfenntnifc  feiner  ^erfönlidjfeit  birect  roenig  ju  geroinnen,  ba  er  hinter 
ben  Stoff  ganj  unb  gar  jurüdtritt.  Un«  bleiben  baher  nur  roenige 
fubjectioe  fiieber.  9lu«  biefen  erfennen  roir  eine  »ornehme  ÜHatur  nod 
männlichen  Selbftberoufjtfein«,  aber  mit  einem  weichen,  jarten  ©einütfie 


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3\2    Karl  fdjiffner  in  <Sra3.   

unb  biefe  ©igenfd&aften  feines  SBefen  betätigen  inbirect  aud)  alle  übrigen 
tnef)r  objectio  gehaltenen  SBerfe.  @r  fennt  baä  treiben  ber  grofjen  SBelt, 
ifm  todft  e$  aber  oiel  mef>r,  ftd)  in  bie  gef)eimnifeootten  liefen  be£  eigenen 
ober  fremben  Sßefenä  ju  oerfenfen;  fdjeu,  aber  nia)t  menfcf)enfeinblid&  jie^t 
er  fid)  gern  in  bie  ©infamfeit  jurücf,  um  ben  SBiberftreit  feiner  ©efü^Ie 
ju  fä;lidjten,  ober  unoerbiente  Äränfungen  unb  23itterfeiten,  bie  ifmt  ba3 
fieben  sur  ©enüge  braute,  su  oernrinben.  £)afjer  fommt  aber  aua}  yam 
£f>eil  bie  ungenügenbe  Slnerfennung  feinet  2öirfen3,  ba  freute  ber  £>idjter 
ober  feine  greunbe  am  lauten  2Jtorfte  ftet)en  mfijfen,  um  rafd)  unb  weit 
befannt  ju  werben,  ©leia^rco^l  tyaben  fidj  ©reifs  SSerfe  langfam  aber 
mit  immer  toadjfenbem  ©rfolge  23af)n  gebrod&en,  unb  ba£  fpridjt  geroijs 
entfa^eibenb  für  it)rcn  roirflia^en  inneren  2öertf). 

3m  3uni  1889  feierte  ber  Eidjter  fein  fünfsigfte^  ©eburtsfeft 
9)iöd)te  unfer  Söotf  einem  fo  eigenartigen  Talente  bie  oerbiente  9lner* 
fenuung  ffirberrjtn  nid)t  oerfagen;  ifjm  felbft  aber  rufen  mir  für  fein 
ferneres  Söirfen  feine  eigenen  frönen  SBorte  su: 

<Sing  nur  ftetö  aus  »oder  öruft 
3>ettt  SöebrangniB,  Seine  ßuftl 
WlaQft  Su  3nncrfrc8  offenbar, 
3ft  e3  baS  !Wed)te,  glaub'  füroafjr. 
ging  nur  f)erälid)  für  unb  für! 
Sic  ©eiröfteu  bleiben  fte&n; 
Sie  Ruberen  lafc  Dorübergcfju. 


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Kto  6c  Janeiro. 

Don 

fjermatm  von  3^cring. 

—  Hio  «Sranbe  &o  Sul,  Sübbrafilien.  — 

h  FT io  De  Janeiro,  bie  gröfjte  unb  ftolsefte  unter  ben  6täbten  6üb* 
P  ij  aiuer^a§'  ^ie  //SMtftabt  unter  ben  Tropen/'  rote  fie  3öller 
ffiJäi^I  nannte,  gilt  burd(j  feine  unoergleid)lid)  fajöne  £age  unb  ben 
.Viebreij  jetner  Sßorftabte  unb  Sanbfifee  fett  lange  mit  3^ect)t  für  eine  ber 
fcf)önftge(egenen  (Stäbte  ber  (Srbe.  2öer  felbft  nadf)  monotoner  Seefahrt, 
an  üppig  überroadjfenen  5e^"ene^anoen  uno  an  °en  Ratterten  ber  bie 
$8ud)t  oollig  ftdjernben  gorts  oorbet,  in  ben  &afen  eingefahren  ift,  roirb 
9üo  bie  3(nerfennung  nid&t  oerfagen,  ba§  es  mit  Neapel  unb  Äonftans 
tinopel  um  bie  ^atme  ber  <Sdnmf)eit  ringen  fann. 

GS  ift  oteUetd&t  ein  müfciger  Streit,  über  baS  3J?eIjr  ober  9J?inber 
in  ber  GJrofcartigfeit  oerfa^iebener  malerifa)  gelegener  Drte  ftreiten  ju  rooßen. 
2öir  ftnb  uns  roof)[  oft  felbft  niajt  redfjt  beffen  beroufct,  roie  oiel  Umftanbe 
bei  ber  23eurtl;eüung  romantifdf)er  ©egenben  unfer  Urtfjeil  beetnfluffett, 
betten  im  ©runbe  genommen  fein  ©et)ör  gefdjenft  werben  bürfte.  2Bir 
fönnen  3.  33.  ben  ©olf  oon  Neapel  nia)t  überbauen,  ofjne  mit  bem  Ölid 
auf  ben  fdjjlummernben  iUtlfan  unfere  Spfjantafte  mit  Silbern  ber  $er*  • 
gangenfjeit  ju  erfüllen.  2Bir  fa^roeifen  bann  oiettetajt  in'S  ferne  2Utertf)um 
jurücf,  erinnern  uns  ber  (Säuberungen  bes  piniuS  über  ben  Untergang 
ber  blü^enben  Stäbte,  bie  bura)  2lfa)e  unb  £aoa  getilgt  rourben,  fefjen 
unglaitbüdje  ^aucfjmaffen  oon  geuerfdjem  burdjbrungen  l;ör)er  unb  immer 
^öt)er  ftdf)  tf)ürmen  —  unb  roenn  bie  9iur)e,  bie  über  bie  Sanbfdfjaft  r)tn= 
gegoffen  ift,  unfere  ©ebanfen  f)emmr,  fo  laßt  uns  bod;  unfere  Ueberlegung 
bie  9ttöglid&fett  eines  neuen  2luSbrucf)eS  ntd)t  leugnen.  $ie  an  unb  für 
ftö)  malertföen  Gontouren  beS  23efuoS  würben  uns  minber  anfpredjen, 


1 


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I 


3^   ßermann  ron  3t|cring  in  Hio  (Sranbe  bo  ful.   

wenn  nicht  bie  Erinnerung  an  eine«  ber  grofcartigften  9?alurphänomene 
mit  ihnen  oerfnüpft  wäre.  Unb  roenn  fol<je  Erwägungen  auch  nid^t 
jeberjeit  fid^  uns  aufbrängen,  fo  roirfen  fie  bodj  unberoufet  auf  uns  ein. 
2Md)  anbcrcn  (Straftet  leiht  fdjon  eine  SHuine  bem  Jlufcthale,  auf  baS 
fie  fett  3af)rf)unberten  ^inabfd^aut,  als  etroa  eine  mobeme  Babeanftalt 
ober  ein  $otel!  Unb  folche  Erinnerungen  mögen  wohl  auch  mit  im  (Spiele 
fein,  wenn  mir,  nadjbem  ich  auch  ftonftanttnopel  unb  t)iio  be  Janeiro 
fennen  gelernt,  bodj  immer  baS  göttliche  9topolt  als  bie  foftbarfte  Sßerle 
aller  oergleichbaren  £anbfdt)aftsbilber  erfahrnen  will. 

2BaS  aber  ber  Sage  von  sJiio  befonberen  9teij  üerleifjt,  finb  bie  in 
groteSfen  formen  $um  £hetl  unmittelbar  aus  bem  Otteere  emporjtogenben 
©ranitfegel;  bie  ©eOirgSferten,  bie  5um  £f)eil,  rote  baS  Drgelgebirge,  in 
ben  bijarrften  Gieftalten  erfdjeinen;  bie  rounberbar  lieblichen  Borftäbte, 
bie  ftd)  ben  umliegenben  &öhenjügen  anfchmtegen  unb  mit  ihren  2htS* 
läufem  in  alle  9Zebentf)äler  unb  Schluchten  ^ineinflettern;  enblict)  ber 
manne  £audj  ber  gemäßigten  £ropenregion,  ber  in  all  ben  rounberbaren, 
bem  9iorblänber  neuen  unb  eroig  reijtroUen  ^flanjengefialten  ber  Tropen 
ftd)  beftänbig  $ur  Öeltung  bringt. 

Ueber  bie  Stabt  unb  ihre  Umgebungen  ift  fo  oiel  oon  älteren 
Sieifenben  berietet  roorben,  ba&  eine  neue  Beitreibung  überflüffig  erfdjetnen 
fönnte.  3lüem  baS  9tto  be  Janeiro,  welches  Sprtnj  Dieuroteb  fah, 
unb  jenes,  roeldjes  uns  Burmeifter  unb  St.  oon  Scheper  fchtlbern, 
hat  fo  roenig  2lehnlta)feit  met)r  mit  ber  heutigen  Söeltjtobt,  bafj  eine 
©dn'lberung  berfelben  gerabe  mit  9iüdffid)t  auf  bie  jüngften  gortfchritte 
in  oieler  £inftcht  oon  ^ntereffe  fein  bürfte.  2tuch  roetfj  rooljl  baS  2luge 
bes  9?aturforf<herS  unb  2lr$teS  manches  ber  Beaduuug  2£ertf)e  aufjufinben, 
über  baS  2htbere  hinroegblicfen.  60  fotten  beim  auf  ben  folgenben  Blättern 
jumal  bie  Errungenschaften  be«  mobernen  9tio  auf  ben  ©ebieten  ber 
BerfehrSanüalten,  ber  &wgiene,  beS  Unterrichtes  u.  f.  ro.  ben  ©egenfianb 
ber  Betrachtungen  bilben.  Sie  tonnen  in  biefer  Beziehung  geroiffermafcen 
eine  Ergänzung  bilben  5U  ben  überaus  frtfchen  unb  lebensvollen  ed&ilbe* 
rungen  beS  gütigen  3iio  be  Janeiro,  welche  E.  oon  ttofertfc  1885  in 
feinen  „Bilbem  aus  Brafilien"  veröffentlichte. 

<Mo  be  Janeiro  galt  früher,  noch  in  ber  erften  Hälfte  unferes  3afjr5 
hunberts,  für  eine  ber  fajmufcigften  Stäbte  ber  Erbe.  Sie  eigentliche  Stabt 
ift  eng  gebaut  unb  bic  Straften  müffen  früher  bobenlos  geroefen  fein.  211$ 
man  bamtt  begann,  biefelben  ju  pflaftem,  unb  jroar  junächft  bie  breitere 
dina  biretta,  lte§  man  baS  Material  baju  aus  Englanb  fommen,  trofcbem 
eö  aus  ben  ©ranitbergen  ber  unmittelbaren  Umgebung  oiel  billiger  unb 
bequemer  roürbe  ju  ^aben  geroefen  fein,  ßbenfo  oer^ert  Burmeifter,  ba§ 
man  noch  bis  in  bie  fünf5iger  3cu>e  unfereS  3al)rhunberts  3J?auer3iegelu 
aus  Europa  fommen  liefj.  Xie  etrafeen  ber  6itn  finb  babei  bura)roeg  feljr 
eng  gebaut;  unb  erroägt  man,  baft  frütjer  Einerlei  regelrechte  gortf*affung 


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Hio  bc  Janeiro. 


3(5 


beS  flef)rid)te3  unb  Unratfje«  ftattfanb,  fo  fann  man  e«  leicht  begreifen, 
bajj  altere  SHeifenbe  über  ben  Schmufc  unb  ©eftanf  ber  Stabt  fidj  entjefcten. 

3n  ben  legten  Secennien  l)at  ftch  ba«  Sittel  ooüfommen  geänbert, 
unb  man  fann  ben  Seiftungen  auf  bem  ©ebiete  ber  Stabtoerfd)önerung, 
ber  SBer f et)r er^ättni ff e  unb  ber  öffentlichen  ®efunbheit«pflege,  welche  man 
in  9^io  be  Saneiro  heute  begegnet,  bie  größte  2lnerfennung  nicht  oerfagen. 
$ie  Strafeen  felbft  unb  alle  gut  gepflaftert,  unb  ber  Sßerfe^r  in  benfelben 
wirb  burch  ba«  fetjr  entwicfelte  Snftem  von  Xramwan«,  ben  fog.  33onb«, 
bebeutenb  erleichtert.   Die  Stfaultfnere,  welche  bie  2Bagen  auf  ben  meift 
nur  etngleiftgen  Schienenwegen  mit  erftaunlicrjer  ©efchwinbigfeit  bahinjiehen, 
fmb  für  biefen  3roecf  unübertrefflich.   2>ie  £ramman«  mögen  aber  auch 
an  wenigen  Crten  ein  fo  eminent  wichtige«  unb  oielbenufcte«  ^nftitut  fein 
wie  in  SHio.   Würben  boch  fc^on  im  Safjre  1872  ü6er  10  3MHionen 
^erfonen  mit  ihnen  beförbert,  obwohl  ba«  23onb«nefe  noch  nid^t  bie  Hälfte 
feiner  jefcigen  2lu«bcl)nung  erreicht  hatte.   2flan  fährt  in  bemfelben  SSagen 
mit  bem  Staatsrate  unb  Senator  wie  mit  ber  fch  warben  ©emüfehänblerin. 
$er  Umjtanb  jebodj,  bafc  auf  Bielen  Linien  auch  Söagen  $meiter  klaffe 
ju  halbem  greife  gehen  ober  nebenher  noch  Cmnibuffe  al«  ein  billigeres 
33eförberung«mittel  eriftiren,  l)ält  wenigften«  bie  bunfleren  Nuancen  be« 
colored  people  ben  meiftbenufeten  SonbSmagen  fern,    Sie  £are,  welche 
auf  ben  größeren  Sinien  burcfjweg  10  Lintern  (ca.  40  Pfennige)  beträgt, 
ift  jiemlta)  hoch  bemeffen.   Da«  war  wohl  auch  ber  £aupigrunb  be«  gia«fo§ 
ber  berühmten  Lintern:  Steuer,  mit  welcher  fich  bie  Regierung  1880  eine 
moralifche  unb  finanzielle  empfinbliche  9?ieberlage  bereitete.    £er  bamalige 
Sinanjmtnijter  SUfonfo  delfo  r)atte  eine  oon  $errn  SBuarque  oorge* 
fdjlagene  neue  Steuer  oon  1  Lintern  (4  Pfennig)  pro  53illet  ber  !öonb«s 
fahrt  eingeführt;  ba«  ^ublifum  aber  wtberfefcte  fid>  ber  ßtnjiehung  ber 
Steuer.   Stein  banerifche«  <JJublifum  fann  fich  ber  ©rhöfmng  be«  2Mer* 
preife«  energiieher  wiberfefeen,  al«  e«  bie  Seoölferung  9iio«  ber  Lintern? 
Steuer  gegenüber  burdt)füt)rtc.   21m  1.  Sanwx  1880  fam  e«  ju  einem 
bebauerlichen  StrajjenfrawaU.   SSicle  SBagen  unb  anbere«  Gigentf)um  ber 
33onb«linien  würbe  serftört;  unb  al«  bie  Beljörben  mit  bewaffneter  3J?ad)t 
cinfehritten,  fam  e«  $ur  ©rfd)ie&ung  oon  bürgern  —  ein  bebauerlicher 
Vorfall,  ben  bie  Regierung  bie  £actlofigfeit  hatte  noch  gehäfüger  ju  machen 
burch  öffentliche  Belobigung  bc«  befehlführenben  Cffijiere«.   3,üar  würbe 
bie  9iube  weiter  nicht  geftört,  aber  bie  (Sinjtehuug  ber  Steuer  bilbete  eine 
ftete  Duelle  ber  Unjufricbenheit.   211«  2lnfang  September  bie  Angelegenheit 
im  Parlamente  jur  Sprache  fam,  oerurtheilte  ber  50Un i ft er = ^ r ä fib ent 
Saraioa  bie  $intem=Steuer  al«  uneinjiehbar,  ba  er  nicht  wiffe,  wie  er 
bie  in  ben  Bonb«  fifoenben  ^affagiere  jur  3ahhin9  fingen  fönne.  2lm 
Sage  barauf  oerweigerte  ba«  gefammte  ^ublifum  bie  3fl^)lunÖ  Der  Steuer. 
Xie  ^olijei,  welche  oon  einer  33onb«gefelIjchaft  requirirt  würbe,  oer* 
weigerte  jegliche  Ginmifcbung,  unb  bie  Regierung  l;ob  einige  £age  barauf  bie 


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3\6    fjermann  von  gering  in  2\to  (Sranbe  bo  5nl.   

■ 

uneinjieh6are  Steuer  auf.  Statt  einer  neuen  (Einnahmequelle  f)atte  bie 
Regierung  fid)  eine(Ertras2lu§gabe  von  593,699  9Jiilrei3  (ä  2  5flarf)ge)  Raffen, 
ba  fie  ben  SBonbSgefeüfchaften  ben  erlittenen  Stäben  erfefeen  mußten. 

SBenn  mir  mit  ber  Sd)übenmg  biefc^  23onb3sSfanbale3  oon  unferem 
£f)ema  etwas  abgefd^ioeift  finb,  fo  ift  baS  33ergef>en  wof)l  fein  unoer$eih* 
Itd^eS,  ba  e3  ein  Schlaglicht  wirft  auf  bie  ginanjoerwaltung,  wie  fie  unter 
oielen  3Jiinifterien  in  Srafilien  fchwunghaft  betrieben  worben.  Sei  befferer 
SBürbigung  ber  (Eigenthümlichfetten  beS  SßublifumS,  fowie  ber  befonberen 
3eitumftanbe  Ratten  btefe  jur  SBlamirung  ber  Regierung  führenben  23or* 
gänge  oermieben  werben  müffen.  £er  bamalige  ginanjminifter  aber, 
2llfonjo  (Selfo,  mar  feineSfaßS  ber  richtige  9)tonn  für  biefen  oerantroortungS* 
ootten  Soften.  2Bar  er  boa)  berfelbe  ginanjminifter,  welcher  ji<h  mit 
Staatsgelbern  in  gewagte  flaffeefpeculationen  einlieg  unb  mit  biefen  ßaffee* 
geftt)äften  jtatt  beS  erhofften  ©ewinneS  einen  »erluft  oon  ca.  800,000  Warf 
für  bie  StaatSfaffe  erhielte!  (SS  ift  überhaupt  ein  Unglücf  für  Sraftlien, 
baß  für  bie  Slbminiftration  bie  politifehen  ^arteioerljdltniffe  allein  beftimmenb 
finb  unb  bie  SRinifter  aus  ber  9ieihe  ber  maßgebenben  ^erfönlid)feiten  ber 
herrfchenben  Partei  ermaßt  werbe,  einfad)  nad)  bem  principe:  2£em  ®ott 
ein  9lmt  giebt,  bem  giebt  er  aud)  ben  &erftanb ;  unb  jmar  wirb  mit  bem 
2Bed)fcl  ber  Partei  in  Örafilien  aud)  baS  ganäe  &eer  ber  ^Beamten  ge* 
wedjfelt  unb  bamit  aud)  bie  in  biefen  oerförperte  Erabition  unb  Routine  in 
abminiftratioen  fragen  befeitigt.  £aher  aud)  wof)l  bie  bebauerliche 
Snftemlofigfeit  ber  Regierung,  namentlich  in  GolonifationS*2lngelegenheiten, 
woburd)  beim  beften  SBiHen  unb  trofc  Opfern,  wie  fte  fein  jweitcr  Staat 
gebracht  f)at,  SBrafilien  bie  (EinwanberungSfrage  bisher  nicht  befinittu  ^at 
regeln  fönnen. 

$ie  (Sitn  oon  9iio  be  Janeiro  ^at  nod)  feinem  ber  SRetfenben  unb 
fremben  Sejucher,  welche  oon  if)r  berichteten,  einen  anbern  als  einen  un= 
freunblid)en,  ja  felbft  unheimlichen  (Einbrucf  hintcrlaffen.  $ie  Straßen  finb 
faft  alle  fefjr  eng  unb  baburd)  etwas  bumpf.  $)ie  Käufer  felbft  fmb  nichts 
weniger  als  freunblia);  ftolje  ^aläfte  ober  monumentale  öffentliche  bauten 
feljlen  ober  fommen  bod)  burdj  bie  Ungunft  it)rer  Umgebung  nicht  $ur 
©eltung.  Ueberrafdfjenb  ift  bied  nur  für  ben,  welcher  nicht  weiß,  baß  bie 
vornehmen  Greife  bie  Stabt  für  gewöhnlich  meiben,  unb  baß  felbft  bie 
Äaufleute  unb  Beamten  fie  nur  wäfjrenb  ber  ©efchäftSjeit  befugen,  fich  aber 
nachher  mit  Xramwan  ober  Dampfer  nach  ihren  in  ben  gärtenreichen  SSor« 
fläbten  gelegenen  Sanbfifcen  jurüefbegeben.  So  bleibt  benn  in  ber  3Kehr$ahl 
ber  fdjmaleu  Straßen,  unter  beren  fleinen  Äaufläben  faft  nur  bie  Schau* 
fenfter  ber  jahllofen  ^w^eliere  bie  3lufmerffamfeit  auf  fid)  lenfen,  ber 
Sßerfefjr  ein  wenig  gefälliger;  unter  ben  gußgängern  wiegt  baS  farbige 
Clement  fehr  oor.  SBagen  unb  Xrofd)fen  werben  ihres  fyotyn  ^reifes 
halber  in  9iio  wenig  benufet;  für  (Equipagen  eriftirt  fein  Gorfo  ober  eine 
bafür  geeignete  2lnlage.   än  ber  eleganteften  unb  belebteften  Straße  9tio$ 


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  Hio  be  Janeiro.    3^7 

bürfen  überhaupt  f  einerlei  gurjrioerfe  pafftren,  ba  bie  Straße  ju  eng  ift. 
So  finbet  man  bie  dlua  bo  Duoibor,  in  roeldber  bie  9teif)e  eleganter 
9)?aga$ine  unb  Sdjaufenfter  nur  buref)  <5af63  unterbrodjen  wirb,  jeber  >$e\t 
von  eleganten  Müßiggängern  gefüllt  ober  oon  Seuten,  roeldje  an  einer  ber 
einntünbenben  Duerftraßen  auf  baS  ©tntreffen  ber  rafdj  oorüberetlenben 
33onb$  warten.  2ln  befonberen  Sagen  ber  Sßodje  ift  ber  23erfef)r  ein  be= 
fonber$  ftarfer  unb  bann  ijt  e£  roirflidj  ein  feffelnbeä  33tlb,  ba$  fidt>  ent* 
rollt.  UeberaH  fterjen  ©nippen  oon  feingefleibeten  Herren  in  lebhafter 
Gonoerfatton,  bie  3JZagajine  finb  überfüllt,  £amen  in  glänjenben  Toiletten 
jiefjen  oorüber,  unb  in  ben  fpiegelüberlabenen  (Saf63  ift  fein  Sifc  frei. 
Unter  ben  Herren,  bie  fid)  überroiegenb  im  fdjroarjen  9toct  unb  (Snlinber 
präfentiren,  ferjen  wir  bann  oiele  ber  befanuteren  Xeputirten,  (Senatoren 
unb  fonftige  bemerfen$n>ertf)e  ^erfönlidjfeiten.  2lm  metiten  3lbbrucr)  er* 
leibet  noa)  bie  &errf$aft  beS  (SnltnberS,  märjrenb  ber  fd&ioarje  fernere 
9*od,  trofc  feiner  Unjioeämäßtgfeit  in  biefem  fllima,  unoermeiblid)  ift. 
Uebrigen^  ijt  bie  &ifee  toeber  in  «Rio  nod)  im  nörbltdjen  Srafilien  fo 
brüdfenb  unb  unerträglid;,  wie  in  3nbien  ober  im  malagifd&en  3nfelgebiet  — - 
©inen  33ortt)eil  fyxt  fid)  bie  &erremoelt  in  Sraftlien  übrigen^  bem  5tlima 
gegenüber  errungen:  ben  &anbfdjuf)jtoang  läßt  fie  nierjt  gelten.  2öeber 
auf  ber  Straße,  nod;  in  ©efeafdjaft,  bei  SBefucr),  ober  im  2ttinifterium 
bebarf  e$  für  bie  Herren  ber  ©lac6f)anbfd)uf)e. 

$ie  dtua  bo  Duoibor  erhalt  burdj  btefe*  2lu*e3  einen  oornef)meren 
Slnfrridj,  unb  fie  labet  jum  Umrjerfc&lenbeni  aud)  befonberS  baburdj  ein, 
baß  fie  nur  ben  gußgängern  geöffnet  ift.   @ine  ftäbtifdje  SBerorbnung  oer* 
bietet  für  biefe  Straße  ba3  Surdrfafjren  oon  2Bagen  bei  Strafe  oon 
10  aflilrei'S  (20  9ttarf).   5ßor  einigen  3af>ren  befahl  ber  flaifer  2>om 
^Sebro  II.,  morjl  in  Unfenntniß  biefer  33ejtimmung,  feinem  ßutfdjer,  burd) 
bie  9toa  bo  Duoibor  ju  fahren,  n>a3  einem  übereifrigen  ^olijeibeamten 
ben  2ln(aß  jur  Slnjeige  gab,  auf  welche  fjin  ber  Jlaifer  jur  3aWwng  ber 
Strafe  oerurttjetlt  rourbe.    $)a$  Dberfjof=2lmt  jaulte  ben  betrag  aus. 
3Wan  wirb  babei  unroitlfürltd)  an  ba3  gebügelte  SBort  jeneä  2)tüller£  oon 
SanSfouci  jur  3e^  griebridjS  beä  ©roßen  erinnert:  „6ä  giebt  nod; 
SRtcfjter  in  33erlin."   ©leid)ioorjl  n>ar  eigentlich  bie  Strafe  ungefefelidj,  ba 
ber  Äatfer  für  feine  Sßerfon  über  ben  ©efefeen  unb  ^erorbmmgen  ftefjt 
unb  nadj  ber  SGerfaffung  „inviolavel"  ift. 

555ie  Öffentlichen  ©ebäube  9tio'£  finb  jiemlid)  unfcfjeinbar,  roo  nicfjt 
unferjön.  £a3  gilt  aud)  oon  bem  am  Sargo  bo  ^a<?o  gelegenen  ^alaft 
beö  ÄaiferS,  einem  unfd^etnbaren  einftoefigen  Sauroerfe,  roeldjeä  jd^on  feit 
lange  für  ooHfommen  baufällig  gilt.  Xer  Äaifer  beroofynt  i^n  aud)  nid)t 
unb  benufct  i^n  nur  juroeiten  für  feierliche  3lubiensen.  ^>ie  gcn)ör)nli^c 
9?efibens  be3  Äaiferä  ift  ein  ^alaid  in  ber  Sßorftabt  S.  Gl)riftooao,  ba3 
freier  unb  freunblid^  gelegen,  nur  wegen  ber  92ar)e  bc3  großen  Sdjlad)ts 
ijofe«  feine  befonberä  günftige  Sage  befifet.   2öäf)renb  ber  feigeren  Monate 


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3(8    ßermcmn  von  3^cring  in  Wo  (Sranbe  bo  Su\.  

weilt  ber  Monarch  nur  oorübergehenb  hier,  inbem  er  für  gewöhnlich  ben 
Sommerauf  enthalt  in  bem  höher  gelegenen  fd&önen  Metropolis  oor$ief)t. 

SSä^renb  fo  bie  öffentlichen  Sauten,  üiefletdjt  mit  SluSnafjme  be£ 
2Werbau=2JHnifteriumS,  fi<h  wenig  ftattCidt)  ausnehmen,  ijt  für  bie  $ers 
fchönerung  ber  ^piäfce  t»icl  gefdjehen.  Gine  ber  freunbliä)ften  unb  befudjteften 
Anlagen  ift  ber  ^affeio  publico,  bie  öffentliche  ^ßromenabe.  2Ber,  aus 
ber  ©tabt  fommenb,  fid)  nach  ber  artflofratifcfjen  93orftabt  Gatete  ober 
nach  ber  retjenben,  oon  lieblichen  Hillen  umfäumten,  oornehmen  23orjtabt 
SBotafogo  begtebt,  fahrt  au  biefcr  fcfjon  lange  beftefjenben  Strafe  unb  bem 
SKeere  ftd)  hm&iebenben  Slnlage  worüber.  S5>er  bann  auSfteigt  unb  fidt) 
nach  wenigen  Schritten  im  Schatten  mannigfacher  Sropengemachfe  auf  einer 
33anf  niebergelaffen  f>at,  ber  möchte  faum  glauben,  bafj  fich  bieS  laufdjige 
^läfcchen  faum  einen  ©tetnmurf  weit  oon  einer  ber  belebteften  SöerfehrSabern 
entfernt  beftnbet.  $ie  Anlagen  fmb,  wie  jefet  faft  burchroeg  alle  in  9iio,  im 
englifchen  ©til  gehalten,  namentlich  oerftef)t  man  fich  im  heutigen  9tio  gut  auf 
bie  Pflege  beS  englifchen  sJfafenS.  Unfer  2luge  fchweift  über  üppig  grünenbe 
^afeuteppiche  fun,  weitt  auf  einer  gontaine  ober  heftet  fid)  auf  eine  ober  bie 
anbere  berherrlidjen^flanjengruppen,  welche  eine  3ierbe  biefer  Anlagen  bilben. 
SöefonberS  retjooH  finb  bem  3luge  bie  einfachen  eleganten  gormen  ber  Jahnen, 
oon  benen  im  <JJaffeio  publico  namentlich  bie  gächerpalme,  Latania 
borbonica,  in  herrlichen  großen  Gremplaren  fteht.  ©ine  anbere  befonbere 
3ierbe  finb  riefige  Gremplare  ber  Urania  speciosa,  einer  3)?ufacee,  welche 
auf  baulich  hohem  ©tamm  eine  jweitheiltge  ßrone  riefiger  breiter  SBlütter 
trägt,  welche  fämmtlicf)  in  §wei  entgegengesetzten  Leihen  angeorbnet  fmb. 
$>iefe  aus  3JtabagaSfar  eingeführte  ^flanje  ift  übrigens  ebenfo  ein  Gin* 
bringling  in  bie  brafilianifche  glora  wie  bie  genannte  Saline. 

2)aS  als  „botantfcher  ©arten"  bejeicfmete  Gtabliifement  entfpricht  burdj- 
aus  nicht  bem,  was  man  gewöhnlich  barunter  oerfteht,  fo  wenig  wie  etwa 
ber  berliner  Xluergarteu  einem  joologifchen  ©arten.  GS  ift  eine  öffentliche 
Slnlage  mit  frönen  SlOeen  unb  prächtigen  SambuSbicficf)ten,  in  ber  aber 
oon  wiffenfchaftlicher  Leitung  bis  oor  tfur$em  nur  wenig  ju  merfen  war. 

2(ls  ©cherjer  einmal  einen  33rafilianer  fragte,  wie  lange  ber  bota= 
nifche  ©arten  oon  diio  fdwn  beftehe,  erhielt  er  bie  treffenbe  Antwort:  feit 
Grfchaffung  ber  2öelt.  S)ie  &auptjierbe  beS  ©artenS  fmb  bie  prächtigen 
2lHeen  ber  Königspalme,  bereit  mächtige  gerabe  ©tämme  gleich  ©äulen  jum 
Gimmel  r)oct)  emporftreben,  burch  bie  ^aubfrone  wie  mit  bem  Gapitäl  ab= 
fchliefeenb.  £>iefe  Jahnen  gehören  ju  bem  monumental  ober  ardnteftomfdj 
SemerfeiiSwertheften,  was  baS  ^Pflanzenreich  barbietet;  fte  brängen  ben  0e= 
banfen  auf,  baß  für  bie  hiftorifche  2IuSbilbung  bes  ©äulencapitäleS  gerabe 
bie  ^alme  ein  mafjgebenber  gactor  qemefen  fein  müjfe.  ^iefe  ^almenallee 
ift  eine  ber  größten  ©ehenSrourbigfeiten  oon  9iio,  einzig  in  ihrer  9lrt ;  ihre 
bilbliape  £arftellung  auf  ben  örafiliamfdjen  Sanfnoten  bilbet  baher  eine 
feljr  paffenbe  SBerjterung  berfelben. 


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  Kio  bc  Janeiro.   3^9 

3Xn  einer  (Seite  bes  ^paffeio  pu6lico  ift  ein  £f)eil  für  SHeftaurationS* 
jroeefe  referoirt.  £ier  pflegte,  als  ich  im  3Jlonat  2lpril  in  9iio  weilte, 
allabenbltch  eine  beutfdje  SJhtfif  Capelle  ju  concertiren.  Deutfdje  STlwfifcorpä 
fetjeinen  jefct  in  Sübamerifa  beliebt  31t  werben.  Sluch  bie  Äöppelmann'fche 
Capelle,  toetd^e  wäfjrenb  ber  Zustellungen  bes  3at)re3  1881  in  Sporto 
Sllegre  unb  in  Buenos  SlnreS  concertirte,  errang  fidj  gro§en  Beifall,  woran 
jum  großen  Stjeile  auch  baS  gebiegenere  Programm  Sdjulb  gewefen  fein 
mag.  Die  Capelle  in  9iio  be  3fl"eiro  übrigens,  von  weldjeT  mir  fpradjen, 
hatte  fich  bem  ©efchmatfe  beS  brafilianifdjen  ^ublicumS  bereits  bebenflidj 
aecomobirt.  25er  9ttufiffemter  fann  baS  nur  für  einen  SRücffdjritt  galten, 
wobei  natürlich  eine  befonbere  Ausnahme  $u  ftatuiren  ift  für  bie  Gotnpos 
fittonen  beS  talentvollen  brafilianifdjen  Gomponiften  Carlos  ©omes,  oon 
beffen  Opern  namentlich  „©uarann"  auch  in  (Suropa,  jumal  in  Statten, 
gut  aufgenommen  morben  ift.  Der  grembe,  beT  fidj  in  Wio  oorübergehenb 
aufhält,  wirb  ficher  mit  biefen  ©artenconcerten  fich  befreunben.  9?a<h  bes 
£ageS  Saft  unb  &ifee  in  einer  eleganten  ©arten  wtrthfchaft  ben  Xönen 
einer  guten  (Sapelle  3U  lauften,  bie  milbe  würjige  Suft  be«  SübenS  ju 
genie&en,  währenb  ber  33litf  mit  SQefriebigung  oon  ben  fd)lanfen  gormen 
beS  itfominirten  ffiirthfchaftSpaoillonS  ju  bem  Äranje  oon  Sträuchern  unb 
Säumen  fdjweift,  bie  ringsum  ben  $lafc  umgeben,  an  ben  sierlidjen 
2«ebeln  einzelner  über  baS  Unterf>ol$  emporragenber  ^almfronen  haftet 
unb  fid)  fchliefelich  in  tTäumerifa)em  Selbftoergeffen  in  bem  fternbefäeten 
girmamente  oerliert  —  baS  ift  ein  ©enufj,  ben  ber  Steifenbe  boppelt  §u 
fa)ä|en  weife.  3hm  bietet  ja  9tio,  jumal  bei  Abenb,  fonft  wenig.  Die 
flehten  Ztyatex,  bereu  Aufführungen  fdwn  ber  Spraye  wegen  nicht  lange 
3ieij  für  ifm  haben,  geftatten  erft  nach  Mitternacht  bie  föeimfehr  burch  bie 
unheimlich  tobten  Straften.  @in  flotteres  Seben  in  ©aftwirthfehaften  unb 
größeren  3teftaurantS  fennt  man  nicht.  Die  eleganten  ^arifer  Gates  mit 
i^ren  Heinen  SJJarmortifchen,  in  benen  baS  faft  auSfdjlieftlich  aus  jungen 
beuten  unb  einigen  gremben  beftehenbe  publicum  fid;  jeitungSlefenb  ober 
in  Unterhaltung  begriffen  aufhält,  finb  minbeflens  feine  behaglichen  Orte. 
3m  28ef  entlichen  trifft  baS  3Mlb  noch  beinahe  ju,  welches  Burmeifter  oor 
bretftig  3<*hren  oon  9T\o  $eidmete.  „2£anbelt  man,"  fo  meint  er,  „am 
Nachmittag  bura)  bie  Strafjen,  fo  fieht  man  wohl  h*er  unb  ba  Damen 
auj  bem  33alcon;  man  begegnet  inbeffen  weit  mehr  Leitern  unb  Gqutpagen, 
welche,  bie  Stabt  oerlaffenb,  auf's  l'anb  eilen,  um  bafelbft  im  Äreife  ihrer 
gamilien  ber  Erholung  ju  pflegen,  ©üblich  gar  am  3lbenb,  wenn  es 
bunfel  geworben,  erfcheint  bie  Stabt  völlig  wie  oon  aller  anftänbigen 
2£elt  oerlaffen;  nur  fd)war5e  unb  weifte  Summier  beiberlei  ©efchtedjtS 
lagern  auf  ben  Straften  ober  an  ben  ©den,  unb  nirgenbS  bietet  fich  eine 
Secne  bar,  bie  Suftwanbelnbe  Ijeroorloden,  anjiehen  unb  unterhalten  fönnte. 
£in  eigentliches  öffentliches  £eben  eriftirt  nidbt.  SSM  man  fid)  ohne 
nähere  SBefanntf (haften  in  9iio  amüfiren,  fo  bleibt  wahrlich  nichts  anbercS 


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320    fyrmantt  pon  3fy*ring  »t      ©ran&e  bo  SuL   

übrig,  als  bie  Ginfefn*  in  fi$  fetSfi  ober  bic  Sefdjäftigung  mit  ber 
ftatur." 

SfteuerbingS  iffc  iebodg»  eine  Neuerung  ^injugefommen,  bic  fielen  bcr 
frembcn  Sefudjer  nid;t  unlieb  fein  mag.  6«  ift  bie  (Sröffnung  ber  trefflidjeii 
2Merf)atte  beS  £errn  ^efeolb,  gerabe  ber  Sßoft  gegenüber,  reo  jeben  Sor* 
mittag  unb  3Kittag  frifd^cö  Gulmbadjer  Sier  com  gafc  oerjapft  wirb. 
$a£  33ier  fommt  auf  @is  per  Steamer  unb  wirb  audj  in  9tto  auf  ©i3 
gehalten,  fo  baß  man  fid;  feinen  befferen  grüfyfdjo ppen  toünf<$en  fann. 

2lufjer  einer  unb  ber  anberen  beutfdjen  ©efettfdjaft,  meldte  f)ier  ieben 
aJlittag  am  Stammtifdj  3um  grüftftüd  fi(§  jufammenfinbet,  fie^t  man  f)ier  oiele 
grembe  oerfef)ren,  $u  benen  beutfdje  SdjiffScapitaine  ein  ftets  oertreteneS 
Kontingent  ftellen,  fonrie  neuerbingS  in  fteigenbem  SHafee  audj  Srafiltaner. 

©iner  ber  fdjönften  fünfte  in  9lio  be  Janeiro  ift  bie  ^erraffe,  meiere 
jiä)  hinter  bem  Sßaffeio  publico  tyart  am  2Jieere  ergebt,  £ier  liegt  bie 
ganje  weite  Sud)t  als  ein  entjüdenbeS  Panorama  oor.  2lm  guße  ber 
großen  Xerraffe,  ju  ber  man  an  einem  mäßigen  Springbrunnen  oorbei 
burdj  breite  treppen  emporfteigt  unb  bie  nad)  jeber  Seite  l)in  buraj  einen 
flehten  ^aoiüon  gegiert  ift,  bredjen  [\6)  bie  fjter  natürlid)  fdjon  gemäßigten 
SBogen  beS  9Jteere3.  OiingSum  gleitet  ber  Slid  an  ben  Uferbergen  ber 
Sudn"  an  Stabttljeilen  unb  f leinen  %n\e[n  Inn;  unb  wenn  bei  91ad&t 
taufenbe  unb  abertaufenbe  oon  flammen  bie  (Eontouren  ber  ßüfte  unb  ber 
fie  überjiefjenben  Sorftäbte  fdjarf  aus  bem  ^albbunfel  f)eroorl)eben  unb 
bie  SReflere  beS  £id)tmeere$  fiö^  auf  ben  SBogen  mit  bem  matten  Silber* 
fdjein  be£  9)tonbe3  begegnen,  fo  wirb  man  geftefyen,  baß  mit  biefem  2tn* 
bliefe  fid)  nidjts  9tcr)nücr)e§  in  anberen  Stäbten  meffen  fann.  SRadj  rechts 
t)tn  befonberS  wirb  ber  SBlidf  burd)  freunblidje  Silber  gefejfelt.  %m  Sorber* 
grunbe  ftefjt  fjier  ber  etwas  oorfpringenbe  SDtorro  ba  ©loria,  beffen  über= 
einanberftet)ßnbe  Käufers  unb  ©artenmauern  burdj  sroifdjenburdj  lugenbe 
Taimens  unb  Sananengruppen  ju  einem  malerifdjen  Silbe  oereint  werben, 
über  bem  fid),  bem  tarnen  jur  9ie<$tferttgung,  ftolj  ttyronenb  bie  f)übf$e, 
mit  einem  £t)urm  gejierte  ®loria*.<Urd)e  ergebt.  2ßeiterf)tn  fdjließen  fi<^ 
bie  jur  Sudjt  oon  Sotafogo  füfjrenben  Stabrtfjeile  an,  unb  ben  2lbfdjluß 
bilbet  jener  fonberbare  gelsfegel,  ber  unter  bem  tarnen  be$  3"^r^^ 
(Pao  de  assucar)  befannt  ift.  2luf  einer  oielsadigen  Sanbjunge  ergebt 
fid)  ber  1212  guß  f)of)e  ©ranitfegel  mit  feinen  fallen,  unberoadjfenen  büftem 
Söänben  fteil  aus  bem  Stteer  empor,  naaj  allen  Seiten  $tn  fdjarf  gegen 
ben  blauen  Gimmel  fid)  abjeidmenb. 

$er  „3uderf)ut"  ift  fd&toer  ju  erfteigen  unb  aud)  nur  feiten  erflettert 
toorben.  e$  lofmt  aud)  jebenfaHS  fd)on  um  beSfjalb  wenig  ber  ÜKü^e, 
weil  ber  bebeutenb  f)öl)ere  Gorcooabo  fefjr  leidjt  jn  erfteigen  ift.  Oegen^ 
wärtig  gelangt  man  leid;t  unb  rafd)  auf  ben  ©ipfel  beS  (Eorcooabo  bur$ 
bie  er.  4  Kilom.  lange  3aÜnrabba(nr  rocla^e  in  überaus  malerifd^er  gal)rt 
mit  Steigung  oon  oft  30a/o  balb  auf  fülmen  Sogen  Sd^lud^ten  überfa^reitet, 


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  Hio  be  3aneiro.    o2\ 

balb  mitten  burd)  ben  üppigsten  Urroalb  fiinbura)  fü^rt  nad>  bcm  710  m 
$o§en  ©ipfel,  befielt  fäjmate  5trone  ein  2lusfi<$tstempel  siert,  oon  roeldiem 
man  ein  großartiges  entjüdenbeS  Panorama  genießt.  3m  Süboften 
gewahrt  man  bie  ©Apia,  eine  ungefüfn*  1000  SWeter  f)of)e,  einem 
ÜJtojtforb  gfei^enbe,  Erhebung,  unb  etroaS  näljer  im  fippigften  ©rfin  ein 
Srüd  beS  botanifdjen  ©artenS;  nad)  Süben  aber  burdj  eine  fdjmale  niebrige 
flüftenftrede  oon  einem  Keinen  See  abgefc&loffen,  betjnt  ft<$  baS  3Reer  un= 
abfefjbar  aus,  unb  aus  ifmi  tauten  in  aumätylia)  weiter  gerüdten  Entfernungen 
bie  oielen  3nfeln  fjeroor,  toeld>e  gerabe  com  Gorcooabo  aus  überfein 
werben  tonnen.  Söeiter  rechts  erfäetnt  baS  anmutige  Glemente=£f)at 
mit  ber  großartigen  3rrenanftalt  «Dom  $ebroS  II.  unb  bem  gort  oon 
$raoa  oermelf)a ;  hierauf  bie  liebliche  oillengefäumte  33otafogo*33ua)t,  unb 
hinter  berfelbeu  ber  unmittelbar  aus  ber  SHeereSflutf)  fü^n  auffteigenbe 
Suder^ut,  ber  aber  jefct  raie  ein  ^roerg  erfa>int.  SBölItg  ftar  überblidt 
man  ben  ©ingang  in  bie  33ai  mit  bem  gort  oon  S.  3oäo  am  guße  beS 
>Juderf)utS  unb  bem  großartigen  gort  oon  Santa  (Sruj  am  gegenüber* 
liegenben  Ufer.  'Die  Entfernung  beiber  gelungen  beträgt  nur  5000  guß, 
unb  bie  baburdj  bebingte  Siajerung  beS  Einganges  ber  33ua^t  toirb  no$ 
burä;  eine  in  ber  SJtitte  jmifa^engelagerte  gelfeninfel  erfjöfjt.  3U  Dcn  Söfcen 
beS  SBefd&auerS  liegt  bie  Stabt  dlio  felbft  ausgebreitet  nebft  if)ren  SBor* 
ftäbten  in  ben  £f)älern  oon  £arangetras  unb  Gatumbn,  unb  babinter  bie 
I>errlid>e  93ai,  in  toeld&er  man  bei  ttarem  Söetter  fämmtlia;e  größeren  toie 
Heineren  %n\dn  fd^arf  unterfdjeibet.  Mm  jenfeitigen  Ufer,  diio  gegenüber 
erbltdt  man  -Jiictfieron  ober  ^rana  granbe,  bie  burdj  große  ftampffäbren 
in  beftänbigem  lebhaftem  23erfef)r  mit  dlio  ftef)enbe  $auptftabt  ber  Sprooinj 
5lio  be  3ön^ro>  unb  enblidj  gegen  Horben,  in  weitem  S3ogen  bie  33ai 
umfaffenb,  bie  getfterfjaft  auffteigenbe  ©ebirgSferte  ber  Drgelberge,  roeldje 
burdj  if>re  blauen,  roie  Orgelpfeifen  an  einanber  fidj  reifjenbe  gelsfpifoen 
fo  letdjt  erfenntliä;  finb.  „flaum  fdjeint  es  benfbar,"  fo  äußert  ftd) 
Sdjerjer,,  „baß  baS  3luge  oon  einem  Stanbpunfte  aus  ein  großartigere«, 
mannigfaltigeres  33ilb  überbauen  tonne.  2öir  oenoeilten  ftunbenlang  auf 
bem  ©ipfel  beS  Gorcooabo  unb  oermodjten  uns  bodj  nid^t  fatt  ju  fet)en 
an  aßen  ben  #errlidjfeiten,  roeldie  bie  Statur  mit  oerfajtoenberifdjer  &anb 
über  biefe  Stelle  auSgegoffen  fyat." 

«Der  größte  Pafe  SRio  be  S^neiroS  ift  ber  äiemlidj  im  Stttttelpunft 
ber  Stabt  gelegene  Gampo  be  Santa  3lnna,  nadj  ber  gleichnamigen,  an 
ber  SRorbfeite  beS  ^plafoeS  gelegenen  ^farrfirdje  fo  benannt.  DffkieH  füf)rt 
ber  ca.  600  Sfteter  lange  unb  f)alb  fo  breite  Pa&  bie  S8e$eidmung  ^raca 
b'  acclam9ao.  $um  2lnben!en  an  bie  fjier  am  12.  October  1822  oon  «Dom 
$ebro  I.  oerfünbete@rflärungbcrUnabl)ängigfeitSrartlienS.  33iS  in  bie  neufte 
3eit  roar  biefer  ^lafc  ein  roüftes  gelb,  baS  faft  nur  ben  $af)lreidjen  fa^ioarjen 
SBäfdjerinnen  in  Statten  fam,  bie  Ijier  ein  großes  gemauertes  33affm  als 
gemeinfdjaftüäjen  Söafa^trog  benu^ten  unb  bann  auf  bem  SHafen  beS  $lafeeS 


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522 


Hermann  ron  ^bertucj  in  Kto  (Sran&c  i>o  ful. 


bie  SBäföe  511m  £rocfenen  auslegten.  2113  Surmeifter  cor  mehr  aU  breiig 
Sohren  Mio  befugte,  entwarf  er  von  btefcin  ^pCafec  folgenbe  Sdjilberung: 
„£ter  fieht  man  neben  ben  ungepflafterten  fotogen  fiaty:  unb  gußmegen 
atterbingS  Äehrichthaufen,  alte  Sumpen,  serriffene  Schuhe  in  Wafit,  $erfefete 
£üte  unb  fteUenweife  nodj  viel  unbelifatere  ©egenftänbe  herumliegen;  aber 
ber  spiafc  ift  außerhalb  beS  befferen  StabttheilS,  hat  nur  wenig  gute  Käufer, 
obgleid)  ba$  Senate*  unb  9NufeumS:@ebäube  feine  beiben  langen  Seiten 
gieren,  unb  gleist  mehr  einem  abgelegenen  gelbe  a(3  bem  Zentrum  einer 
großen  £auptftabt,  wofür  er  bod)  in  mancher  Sejiegung  gelten  foH,  benn 
hier  werben  bie  großen  ^araben  jur  geier  ber  Unabhängigfeitäerdärung 
SraftlienS  unb  ber  Annahme  be$  conftitutioneüen  Regiments  abgehalten." 

Sdum  2£appäu3  meinte,  baß  biefer  ücnualjrloftc  unb  burch  ben  barauf 
angehäuften  Unrath  mahrhaft  efelhafte  ^lafc  nach  feiner  £age  unb  31ujSs 
behnung  ganj  baju  angethan  wäre,  jum  hrctKdjen  $arf  umgewanbelt  §u 
werben,  welcher  ber  Stabt  nicht  allein  jur  ,3ierbe,  fonbern  auch  in  hngieinis 
fd>er  Sejiehung  51t  großem  SortfjeiI  gereichen  würbe.  $iefe  Umwanblung 
hat  fich  nun  in  ben  legten  3ahren  1X1  überrajehenb  gelungener  SBeife  ooUs 
jogen.  $er  ganje  bura)  ein  elegantes  ©itter  umfriebigte  $la|j  ift  in  eine 
herrliche  frifdt)c  Anlage  ücrmanbelt,  oon  2Daffer  bura)3ogen,  mit  r)tlbfd)en 
Äunftbauten,  Srürfen  unb  ©rotten  unb  mit  ber  aUermannigfachften  Vegetation 
gejiert.  £abellofer  englifcher  iKafen  überfleibet  als  fafttg  grüner  Xeppidj 
baS  leicht  wellig  erhobene  Terrain,  unb  bie  SoSquetS,  welche  bie  2Bege 
begrenjen,  finb  trofo  ihres  furjen  SeftanbeS  h°<h  uno  kräftig.  3Jttt  mtrfltdjem 
©efdmiacf  finb  namentlich  bie  oerfebiebenen  (leinen  Srücfen  aufgeführt, 
inbem  fie,  obwohl  burdjauS  mit  «Stein  unb  Gement  hergeftellt,  föoljbauten 
auf  unbehauenen  Stämmen  imitiren.  2£enn  mau  biefe  ferneren  Saums 
ftämme,  welche  ben  Srücfen  als  Srüftung  bienen,  nicht  ganj  genau  be* 
trachtet,  fo  glaubt  man  nicht,  baß  es  bem  ßünftler  höbe  gelingen  fönnen 
ben  Stamm  bis  auf  bie  SUeinigfeiten,  wie  ben  Cuerfdfmitt  ber  abgehauenen 
2tefte,  fo  täufchenb  nachjuabmen.  $ie  Slnorbnung  ber  Säume  unb  Sträucher 
in  SoSquetS  bie  Verkeilung  ber  auffälligeren  großblätterigen  SPffonjen,  wie 
namentlich  ber  in  nieten  2lrten  oertretenen  Jahnen,  über  bie  Mafenfläche 
ift  fehr  gefchmaef 00H ;%  ben  Qamvo  be  Santa  2mna  halte  ich  fur  ein*n  D*r 
fchönften  ^läfee,  ben  es  im  inneren  größerer  Stäbte  geben  mag.  Unb 
biefer  (Sinbrucf  wirb  um  fo  mehr  h^ortreten,  je  höher  bic  «ßahl  ber 
größeren  öffentlichen  Sauten  fteigt,  welche  ben  <piafc  umgeben,  unb  welche 
befonberS  in'S  Sluge  fallen,  wenn  man  einen  höhten  Stanbpunft  wählt, 
wie  5.  S.  jene  fehr  funftooll  errichtete  gelfenpartie,  in  beren  innerem  fiä) 
bie  ©rotte  befinbet,  währenb  außen  (leine  GaScaben  über  bie  Sorfprünge 
unb  3lbfäfee  ber  gelsblöcfe  hinabftürjen.  $er  $lafc  würbe  in  Se$ug  auf 
feine  Umgebung  mehr  $ur  2Btr(ung  (ommen,  wenn  bie  öffentlichen  Sauten, 
bie  ihn  umgeben,  wiebaS2)iufeum,  baS  SenatSgebäube,  baSÄnegSmimfterium, 
ber  Sahnhof  u.  f.  w.,  ftattlichere  ga<?aben  aufwiefen.  ^nbeffen  mag  aua) 


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523 


baS  immer  mehr  fidj  änbem;  g.  23.  wirb  baS  neue  ©ebäube  ber  SHuniapaU 
fammer  nid&t  minber  roic  bie  flirre  Santa  2lmta  mit  ir)rem  fchlanfen 
'3r)urme  $u  einer  3to&«  bes  ^lafeeS. 

gragltch  bleibt  freilich,  ob  es  praftifd)  war,  biefc  Anlagen  fo  gan$ 
offen  unb  relatio  fdjattenlos  $u  galten.  2)ie  Sluöbitbung  wenigftenS  eines 
XhetleS  ber  2lnlage  in  einen  bieten,  fühlen,  fchattenfpenbenben  $arf 
würbe  für  bie  tjcifee  £ageS$eit  f/tdjer  jwecfentfprechenber  gewefcn  fein. 
Vielleicht  ift  auch  biefer  Umftanb  ein  ©runb  für  ben  oerhältni&mäfjig 
unbebeutenben  Öefud)  ber  frönen  ^romenabe.  3m  itebrigen  finb  fdjöne 
3iarfantagen,  in  benen  man  Statten  unb  erquicfenbe  5\üf)le  finben  unb 
baS  2luge  an  frönen  9toturbilbern  unb  föftlidjen  ^ffanjengruppen  roeiben 
fann,  für  bie  Öeoölferung  9ttoS  wie  wohl  überhaupt  für  bie  SBrafilianer 
weniger  Sebürfnijj  wie  für  (Europäer,  ©iner  meiner  33efannten,  ber  cor 
einigen  fahren  oon  einer  halbjährigen  Steife  nadj  23rafüien  nach  ^eutfch* 
lanb  prücff  ehrte,  fonnte  nia)t  genug  feinem  SBebauern  barüber  SluSbrucf 
lieben,  bafj  oon  ben  oielen  9iaturfc^önr>eiten,  bie  er  in  fidj  aufgenommen, 
fo  wenige  für  ihn  burd)  gute  ^prjotograp^iea  ju  einem  bleibenben  Slnbenfen 
lief)  geftalten  liefen.  $on  einer  au  Diaturfdjönheiten  überreichen  ©egenb, 
welche  Durch  bie  (Sifenbarm  5ugänglid)  geworben,  war  nichts  an  SPh°t°9rflPhten 
\\i  haben,  als  baS  noch  °aSu  oößig  einfache  unb  unfehöne  StationSgebäube. 
28tfl  man  oon  ber  ©rofeartigfeit  ber  £ropenoegetation,  oon  ben  entjütfenbeu 
Silbern,  wie  fie  bie  ^Salbungen  felbft  noch  in  unmittelbarer  ■Jtahc  oon 
■Hio  auf  ber  £ijuca,  am  Gorcooabo  ober  bei  Metropolis  barbieten,  irgenb 
welche  bilblichen  $arftellungen  hoben,  fo  mufe  man  auf  bie  2i>erfe  älterer 
beutfeher  3?eifenben  jurüdgreifen,  nicht  aber  fich  einbilben,  in  ben  Äunft= 
hanblungen  unb  unter  ben  bürjtigen,  aber  tfjeueren  ^p^otograp^ten#  bie 
in  9lio  fäuflich  finb,  baS  finben  $u  fönnen,  waS  man  fu$t.  2Öie 
anberS  fommt  in  biefer  &inftd)t  in  Italien  bie  ^pr)otograpt)ie  ben  Söünfdjen 
bes  9ieifenben  unb  9?aturfreunbeS  entgegen! 

XaS,  was  wir  im  SßorauSgehenben  oorgefüfjrt,  bürfte  genügen,  um 
ben  (Sinbrud  ju  rjiuterlaifen,  bafj  baS  moberne  3iio  in  Öejug  auf  feine 
23erfehrSmittel  es  mit  jeber  anberen  <5tabt  ähnlicher  ©röfje  aufnehmen 
fann,  unb  bafj  für  bie  $erfd)önerung  ber  Stabt,  jumal  ihrer  öffentlichen 
vJHäfee,  in  ben  legten  Selxen  oiel,  feljr  oiel  gefct)et)eu  ift.  2)iefe  £er= 
fchönerungen  fmb  aber  auch  eben  fo  oiele  gortjehritte  in  $ejug  auf  bie 
©efunbheitSpflege. 

©ben  biefe  ^Beziehungen  ju  prüfen  unb  $u  uuterfudjen,  was  in  Mio 
in  hogienifcher  33esiehung  gesehen  ober  uuterlaffen  ift,  möge  im  golgeuben 
unfere  befonbere  Aufgabe  fein.  3uoor  a&er  bie  grage  erörtert  unb 
flargefteüt  fein,  was  benn  in  biefer  ftidjtung  oon  ©rofeftäbten  im  3lüge= 
meinen  unb  oon  9?io  be  Janeiro  im  Speciellen  erwartet  unb  v erlangt 
roerben  fann.  %n  biefer  $infid)t  wirb  man,  meine  ich,  erwarten  fönnen, 
baß  bie  6trafjen  gut  gereinigt,  gepflaftert  unb  beleuchtet  finb,  baft  für 

Jiort  mtf>  Sttb  L.,  im.  22 


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52^    ^ermann  von  3f}ering  in  H:o  (Sranfce  bo  Sul.   

gutes  Söaffer  geforgt,  her  2lbflu&  regulirt,  bie  Entfernung  beS  Spaltes 
bcr  Senfgruben  auf  gemeffene  SBetfe  georbnet  ift,  bie  erforberlid&e  lieber; 
wadjung  ^infi^t(id)  beS  33er f auf eS  ber  SebenSmittel  nicht  f etile,  bei 
herrfdjenben  Epibemien  alle  möglichen  SorjtchtSma&regeln  ergriffen  werben 
unb  für  genügenbe  pflege  unb  Sehanblung  ber  Grfranften  coigeforgt  fei. 
Sagegen  wäre  es  ein  offenbar  thöridjteS  Verlangen,  wollte  man  bie 
fämmtli<$en  engen  Straften,  b.  h-  alfo  bie  ganje  innere  Stabt,  umgebaut 
miffen.  ©benfowenig  laffen  fidj  bie  niebrige  Sage  ber  Stabt  unb  bie 
baraus  refultirenben  SBerhältniffe  beS  ©runbwafferS  änbern.  ©erabe  biefer 
Umflanb  aber,  bie  Sage  ber  Stabt  an  beT  nieberen  Äüfte  unb  bie  gleich5 
fall«  nicht  ju  änbemben  Einflüjfe  beS  tflimaS,  bringen  es  mit  [\$,  ba§ 
Rio  nicht  nur  benfelben  Spibemten,  benen  bie  Seoölferung  jeber  großen 
Stabt  ausgefegt  ju  fein  pflegt,  fonbern  befonbers  aud)  bem  gelben  gieber 
leidet  jugänglidj  ift.  %a  biefeS  Serhältnift  mürbe  fid^  aud)  bann  nicht 
änbern,  wenn  an  Stelle  ber  heutigen  engen  Straften  breite  luftige  traten. 
Sie  ©efunbheitsbebtngungen  einer  Stabt  finb  baS  Refultat  jmeier  ©nippen 
uon  gactoren,  foldjer,  bie  in  ben  natürlichen  93erhältniffen  ber  Sage  beS 
Ortes  unb  feines  tflimaS  gegeben  finb,  unb  foldjer,  meldte  burd)  bie 
£hätigfeit  beS  Sttenfchen  regulirt  werben.  @S  ift  begreiflich,  baft  eine 
Äritif  ber  Setfhmgen  RioS  auf  bem  ©ebiete  ber  ßngiene  eS  nur  mit  ber 
testen  Kategorie  ju  tfmn  hat;  unb  behalt  man  baS  im  2luge,  fo  !ann  man 
ber  Stabtbehörbe  baS  Sob  nidjt  oerfagen,  baft  fte  wahrhaft  groftartige  unb 
hödhft  anerfennenswerthe  2lnfrrengungen  gemacht  \)at,  um  bie  Stabt  ju 
einem  ben  Serhältniffen  nach  gefunben  Orte  ju  gehalten. 

Sei  allen  Erörterungen  über  Rio  follte  man  nie  oergeffeu,  baft  bie 
(Situ  von  Rio  baS  ©efchäftSoiertel  ift  unb  audj  für  ^yrembe  nichts  anbereS 
fein  follte,  nicht  aber  ber  SBofmort.  2Bo$u  finb  benn  alle  bie  jahllofen 
SonbSlinien  ba,  moju  alle  bie  fptilityn  gefunberen  Sorftäbte,  wenn  ber 
grembe,  ber  nicht  einmal  bie  2lbfia)t  fycA,  fidj  gu  acclimatifiren,  nicht  im 
^ntereffe  feiner  ©efunbheit  unb  feines  2Bof)lbefmbenS  in  ihnen  fein  Somicil 
auffchlagen  follte?  Sie  innere  Stabt  ift  einmal  ein  niebrig  an  ber  Äüfte 
gelegener  Ort,  mit  engen  bumpfen  Straften  unb  unfreunblichen  alten  oer* 
wohnten  Käufern,  ber  nodj  feinem  ber  Dielen  Reifenben,  bie  über  fie  be= 
richtet,  einen  anberen  als  einen  unfreunblichen  ober  felbft  unfjeimlidhen 
einbruct  hinterlaffen  hat.  Siefer  unbehagliche  (Sinbruct  aber  ift  golge  ber 
Sage  unb  Sauart  ber  Stabt,  nicht  aber  ber  SluSbrucf  oernadhläffigter 
Reinhaltung,  früher,  wie  fd>on  erwähnt,  muft  Rio  eine  ber  fdhnwfcigften, 
unfauberften  Stäbte  gewefen  fein;  aber  baS  ift  längft  anberS  geworben, 
unb  in  ben  legten  Secennien  ift  jum  5H)cit  unter  Sarbringung  enormer 
Opfer  3llleS  gesehen,  was  $ur  Rein*  unb  ©efunbhattung  einer  ©roftftobt  nur 
gefdjefjcn  fann.  Herfen  wir  in  golgenben  auf  biefe  3)toftregeln  einen  Slicf. 

Ein  Sejug  auf  reid)lid;fte  Serforgung  mit  oorjüglichem  Söaffer  ift 
Rio  eine  ber  günftigft  fttuirten  Stäbte.    Sie  bewalbeten  waff erreichen 


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Kio  &e  Janeiro. 


323 


ßöhenjäge,  welche  dixo  umfließen,  [teilen  feftr  ergiebige  Duellgebiete  bar. 
6<$on  ©cherjer,  ber  im  Allgemeinen  über  9tio  als  ©tabt  fefjr  abfällig 
urteilt,  tonnte  bodj  nicht  umhin,  jrocien  ber  öffentlichen  @inrid)tungen  bie 
oerbiente  Anerkennung  ju  sollen:  ber  ©aSbeleudjtung  unb  ber  SBafter-- 
leitung.  @r  rühmt  bie  großen,  ftattlichen  Brunnen,  roeldje  bie  öffentlichen 
$Iä|e  jchmücfen.  gaft  an  jebe  ©traßeneefe  fprobelt  au«  sierlidjem  ÜKetaH= 
haf>ne  frtfcheS  Duelltoajfer,  baS  auf  grogartigen  Aquabucten  3efm  bis  groölf 
englifa>e  teilen  weit  aus  ben  benachbarten  ©neiß*  unb  ©ranit*93ergen 
ber  £ijuca=Äette  hergeleitet  wirb.  „TO  Ausnahme  ber  £riton=2Baffers 
leitung  in  ber  Umgebung  oon  9lem4)oxt,"  bemerft  ©d>rjer,  „welche  biefe 
herrliche  ©tabt  täglich  mit  40  SHillionen  ©attonen  SSaffer  ju  oerfehen 
im  ©tanbe  ift,  erinnern  mir  uns  nicht,  in  irgenb  einem  ifjeile  ber  (Srbe 
eine  berartige  Einrichtung  oon  größerer  AuSbehnung  gefefjen  ju  fyaben." 

SDie  33erforgung  mit  SBaffer  ift  in  9tio  auf  brei  große  fieitungen  oer* 
theilt,  welche  eine  ©efammtauSbehuung  oon  über  36  beutfd)en  teilen  ober 
260  Kilometer  befifeen  unb  in  24  ©tunben  36  ÜHiHionen  fiiter  SBaffer 
liefern.  $)ie  ältefte  ber  brei  Seitungen  ift  biejenige  ber  Garioca,  welche 
bereit«  fett  ber  TOte  beS  oorigen  3aWunbertS  in  ©ebrauch  ift.  $iefe 
großartige  Seitung  führt  baS  SBaffer  oom  Gorcooabo  in  einem  überwölbten 
(Sanale  oon  behauenen  ©ranttquabern  an  ben  Abgängen  beS  $hereften= 
berge«  hin  unb  überfdjreitet  baS  Xfyal  &wif<hen  btefem  Serge  unb  bem 
SRorre  be  Santo  Antonio  auf  einem  18  9Keter  frohen  au«  jroei  übereil 
anber  ftet)enben  Sogenreihen  gebilbeten  Aquäbucte.  2>a3  SBaffer,  welches 
ber  Aquäbuct  nach  ber  ©tabt  führt,  ftürjt  am  (Sorcooabo  auf  feiner  falben 
$öl>e,  ungefähr  eine  ©tunbe  oon  ber  ©tabt,  au«  einer  großen  SRenge 
oon  Duellen  als  reiner  biefer  äBafferftrahl  in  frönen  GaScaben  über  bie 
©ranitfelfen  ^inab  unb  bilbet  einen  mit  ber  f)errliä)ften  £ropenoegetation 
umgebenen  93ach,  naä)bem  noch  eine  bebeutenbe  Anzahl  oon  Duellen  burdj 
ebenfo  oiele  ben  SBergabljang  entlang  ftdt}  winbenbe  Kanäle  bamit  oereinigt 
roorben.  Eine  jToeite  Leitung  be$iefjt  ihr  Gaffer  aus  bem  fleinen  auf 
ber  ©erra  ba  £ijuca  entfprtngenben  SUtoracan&sgluffe.  Sie  jietjt  fidj  am 
nörblichen  Abfall  beS  StyerefienbergeS  f)in  unb  oerforgt  ben  weftlichen 
2$eil  ber  ©tabt  mit  SBaffer.  ©ine  brüte  unb  neuefte  SBafferlettung  enb* 
lid),  bereu  ftetige  Erweiterung  unb  Sterbefferung  noch  fortbauernb  einen 
Öegenftanb  eifriger  gürforge  feitenS  ber  Regierung  bilbet,  ift  biejenige  ber 
SHjuca,  meldte  baS  SBaffer  nad)  einem  riefigen  SReferootre  in  ©.  Shriftooäo 
führt.  Diefe  Seitung  unb  bie  riefigen  gemauerten  unb  cementirten  Sttefer; 
ooire  für  biefelbe  auf  ber  Xijuca  ftnb  eine  ebenfo  ftattlidje  wie  feheuS= 
werthe  Seiftung.  3Me  ©rfenntniß  ber  SBichtigfeit  beS  SBalbbeftanbes  ber 
£ijucaberge  für  bie  ©rgiebigfeit  ber  Duellen  ^at  bie  Regierung  oeranlaßt, 
baS  ganse  in  33etrad)t  fommenbe  ©ebiet  ju  erroerben  unb  bie  Vegetation 
besfelben  ju  hegen.  Ausgezeichnete  gahrftraßen  führen  nad)  ben  ^ijuca= 
bergen  ^inaufy  an  einem  herrlichen,  in  üppigften  ^ropenmalb  eingefaßten 


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526    ^ermann  ron  3fa™,9  in  Kio  (ßranbc  bo  Sul.   

SBafferjaH  oorüber  unb  nadt)  ben  ati  glorefta  bejeici>neteit  neuen  Magen. 
$er  Söalb  felbft  roirb  nachgepflanzt,  unb  jroar  all  erfter  Serfud)  $u  einer 
rationellen  gorftroirtljfdjaft  in  Srafilien  mit  roirflid)  nüfetidjen  unb  roertt)* 
ooüen  Saumforten  unb  unter  .§eranjiel)ung  von  Saumfctjulen.  Gtne 
gar)rt  unb  refp.  ein  Spaziergang  in  biefen  Anlagen  gehört  für  ben  Statur* 
freunb  ju  bem  ©enufjreidjften,  roaä  nur  freunblid&e  ©ebirgöfceneric  unb 
üppigfte  Sropenoegetation  im  herein  mit  einanber  bieten  tonnen.  @3  ift 
gar  nidjjt  5U  betreiben,  meldte  güUe  unb  2)tonnigfattigfeit  von  Vegetation 
f)ier  bie  9totur  auf  ben  fleinften  SRaum  jufammenbrängt.  Qmmer  oon 
Beuern  ftöfct  ba$  2luge  auf  unbefannte  formen.  Stanen,  bie  Seilen  gleidj  oom 
Soben  jur  $rone  unb  fidj)  fpaltenb  oon  Saum  &u  Saum  ju  erftrecfen,  dlofyx* 
gras  unb  f)au3f)of)e  Sambuäftangen,  ^arafiten,  bie  bicr)t  gebrängt  gletdj 
Xeppid^en  bie  bicfften  2(efte  überjiefjen,  breitblättrige  fairen,  blüfjenbe 
lorbeerartige  Säume  ober  feingefteberte  3Jftmofengeroäd)fe,  bie  großen  frönen 
Slütfjen  einer  Sd(jlingpflan$e  frod)  oben  im  Saubroerf  eines  Saumes  ober  bie 
mehrere  üfteter  langen  Steifer  einer  ^almenfrone  lenfen  bie  9lufmerffamfeit 
auf  immer  neue  ©ruppe  unb  Sßradjteremplare  f)in.  Unb  fo  oiel  man 
baoon  in  fidj  aufnimmt,  nirgenbs  fcl)rt  bod)  genau  baS  ©leidje  roieber. 

Söenn  fcfjon  am  ©eftabe  be3  Speeres  ba£  eroig  fidt)  erneuernbe 
Scfyaufpiel  ber  anftürmenben,  fia)  überfturjenben  unb  fcf>äumenb  gurucf« 
roUenben  2Bogen  un$  immer  neue  unb  feffelnbe  3lnblicfe  geroäljrt,  wie 
oiel  mef)r  erft  ber  Urroalb  mit  feiner  unerfdjöpflidjen  9)Zannigfaltigfeit  uon 
^ßflanjengeftalten.  äHäljrenb  im  beutfä)en  SBalbe  Sudf)e  ober  tarnte  unb 
tu'nfidfctlid)  beS  UnterfroljeS  einige  wenige  Sorten  oon  Süfd&en  unb  hänfen 
fidf)  immer  roieberfrolcn,  fo  fdjeint  fjter  jeber  Saum,  jeber  Straudj  einer 
anberen  3trt  anzugehören.  9?aflj  hunberten  jä^lt  bie  9)?enge  ber  Saum* 
forten,  welche  im  Urroalbe  oertreten  finb,  unb  nie  trifft  man  ungemifdite/ 
Seitänbe  irgenb  eine«  Saubroalbeä  an.  gilt  uom  brafilianifa^en  2i?albe 
roaä  ©oettje  ron  ber  9totur  fagt:  „Sie  fajafft  eroig  neue  ©eftalten; 
roaä  ba  ift,  mar  nofy  nie,  roa$  mar,  fommt  nidjt  roieber.  Meä  ift  neu  unb 
bod)  immer  ba3  2Ute."  Unb  fo  roirb  man  bem  beutfa>braftlianifcJ)en  £ia)ter 
2i>.  Sauer*)  beiftimmen,  roenn  er  biefe  Ginbrürfe  in  bie  Serfe  fleibet: 

2o  bab  idi,  fdtöned  Stoib,  bidi  ablieft, 
2ae  in  Suöenbtraumen  midi  fdjon  entäücft, 
3>idi,  blauer  Gimmel  ber  etwa,  ladit, 
Xid)  Jyrcifjeit,  bie'*  Üeben  uuö  Ijeiter  madit! 
21*  0  bic  Saline  Ijod)  in  ben  Wolfen  fdjiuanfr, 
2i?o  am  üarfen  ^aurne  bic  Sdjlinflpflanje  ranft, 
2i*o  nimmer  bic  2l£t  ber  ^ftonjer  fdjtuaug 
Unb  nie  be8  2Wcnfdjcit  Stimme  erftaiifl, 


*)  Unter  Dicfem  ^feubonqm  bat  ein  anfltfe^ener  bcuti'dier,  in  ber  ^roüins  3iio 
Wvanbe  lebenber  3iiflciüeur  eine  3iei[)e  febr  flelunfleucr  ^id)tmiflcn  ücröffentlid)t,  bereu 
einer  au*  ber  „  Jcutidje"  Rettung"  uon  1SS0  $h.  Gl  mir  bie  folgenben  'Stropbcn 
eutiiebmeu. 


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J 


— -   Hio  be  Janeiro.    327 

2Bo  nid)t  ber  junger  SUmofen  fle&t, 

23ei  jcbcm  Sdjritt  neueä  2üunber  erftel)t  — 

$a  gefyt  er  ftill  unb  ganj  allein, 

Unb  Slnbadjt  bringt  ifun  in'£  fterj  hinein! 

$ie  Ijerrlidfjen  2Balbungen  ber  Xtjuca*23erge ,  bie  fdjöne  ©ebirgS= 
feenerie,  bie  Dielen  511m  TfjeU  aujjerorbentlich  reiäoollen  SSafferfäHe  ber 
Umgebung  machen  bie  Etjuca  5U  einem  ganj  befonberS  freunblidjen  unb 
burd)  bie  oorjüglichen  ©trafen  audhju  @rcurfionen  emlabenben  Slufent* 
haltsorte.  Xev  grembe,  fofem  er  nicht  gerabe  befiänbig  in  Rio  oefd&af* 
ttgt  ift,  wirb  baher  roeit  angenehmer  unb  gefunber  roofmen,  wenn  er  eines 
ber  guten  £otelS  ber  £ijuca  aufluvt.  $oft  unb  $ferbebafin  ermöglichen 
es,  fa)on  früf)  in  Mio  ju  fein  unb  3lbenbs  jurücfjufel)ren. 

£aS,  roaS  mir  l;ier  von  ben  Sßafferfeüungen  3?ioS,  oon  ben  großen 
SReferooiren,  ber  pflege  ber  SBalbungen,  au«  benen  bie  Dueflen  heroor* 
fommen,  gejagt  fjaben,  jeugt  gennf?  für  ootteS  aSerftanbniß  für  eine  ber 
roidjtigften  Aufgaben  ber  öffentlichen  ©efunbheitSpflege.  Dbroohl  bereits 
cor  ^a^ren  über  70  Siter  SBaffer  auf  ben  Hopf  ber  Seoölferung  täglich  ent= 
fielen,  fährt  bie  Regierung  bodj  fort,  bie  SBafferbesugSquetten  5U  oermehren. 
&ier  ift  nrirflich  Süchtiges  gefeiftet,  allerbingS  wie  faft  immer  unter  2luf= 
roenbung  unoerhältniSmäfjig  ty)l)ex  Soften.  (SS  ift  einmal  in  SBraftlien 
£rabition,  bie  oom  Staate  auSgefdjriebenen  öffentlichen  Arbeiten  als  be= 
quemeS  Sflittel  ju  rafdjer  unb  enormer  Vereiterung  ju  bemifeen.  Unter 
folgen  Umfiänben  pflegt  bie  Ue6erroetfung  bebeutenber  Aufträge  nid)t  an 
bie  £üä)tigften  unb  an  bie  geeigneten  Unternehmer  $u  gelangen,  fonbern 
an  bieienigen,  welche  ben  jwecfmäfctgften  2i>eg  ein$ufdjlagen  oerftanben. 
So  ift  beim  auch  baS  rieftge  neue  SBafferreferooir,  weldjes  für  bie  Xijuca= 
Leitung  in  ^ebregulljo  gan$  in  ber  9Jäl)e  beS  !aiferlid)en  Calais  oor 
einigen  ,^ahren  erbaut  würbe  unb  oiele  Millionen  SDtarf  oerfdjlungeu  hat, 
gleich  nach  ber  erften  23cnufeung  geborften.  2ßieber  geflidt,  jeigt  eS  balb 
neue  Kliffe,  bie  ben  2Bafferftanb  nur  auf  brei  2)2eter  ^Qöt)e  fommen  liefen 
unb  bie  enormften  neuen  Ausgaben  üerurfad)ten.  (Sin  mit  folgen  Arbeiten 
oertrauter  geroiffenrjafter  Ingenieur  würbe  mit  ber  £älfte  ber  oerwenbeten 
SHilKonen  VeffcreS  geleiftet  haben. 

9luf  biefe  SSeife  baut  ber  Staat  in  SBraftlten  enorm  tfjeuer  unb  muß 
noch  frof)  fein,  wenn  überhaupt  etwas  brauchbares  babei  entfteht.  So 
rourbe  @nbe  ber  fiebjiger  3ahre  in  9ito  ©ranbe  für  Millionen  ein  neues 
3oU'©ebciube  errichtet.  1880  mujjte  bereits  ein  'Zfytii,  roeil  er  im  Gin* 
frühen  mar,  roieber  eingeriffen  werben.  2>er  Unternehmer  aber  foö  bei 
bem  Gontracte  bic  flleuügfeit  oon  CO  pßt.  für  fief)  gerettet  haben.  3)aS 
ift  nun  an  unb  für  fid)  nidjt  jum  ^crnmnberu,  roohl  aber  bie  JiScalifatton 
bes  Staates,  bie  baS  ©ebäube  als  contractgcmäfj  ^erejeftettt  abnahm. 

l'lufcer  für  bie  21'afferleitungen  hat  bie  braftlianifche  ^egienmg  in  ben 
legten  fahren  auch  enorme  Cpfer  gebraut  für  bie  (Sa na lifation  ber 


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I 


328    Betmann  von  3*!*""$  »*»       <5ranbe  bo  £ul.   

Stabt  SRio  be  3aneiro  unb  ihrer  SBorftabte.  ftrüher  mar  bicfer  $unft 
ein  befonberS  bunfler.  Die  Entleerung  ber  Aborte  erfolgte  burch  bie  9teger 
tnittelft  tjöljemer  flübel,  bie  fie  SlbcnbS  auf  bem  Äopf  junt  Stranb  trugen. 

Dies  ift  auch  in  ben  anberen  brafilianifchen  ffuftenftäbten  noch  Jjeute 
baS  übliche  Softem.  9Jtan  fann  Raj  leidet  benfen,  ba&  bie  abenbliche 
Säuberung  ber  9teger  mit  ben  „DigreS"  auf  bem  flopf  für  bic  Strakens 
paffage  feine  angenehm*  Suttykt  ift,  namentlich  wenn  bie  Schwarten  §u 
früh  bamit  beginnen.  3n  $orto  Sllcgre  wirb  bie  Verorbnung,  welche  ben 
Negern  bie  Entleerung  ber  Kübel  am  frühen  Slbenb  «erbietet,  burch 
gelegentliche  polizeiliche  Slbfaffungen  aufregt  erhalten,  wobei  bann  fämmt* 
liehe  Delinquenten  mit  bem  Corpus  belicti  über  9tod&t  in'S  <PoIijeigefängm§ 
roanbem.  3n  9iio  be  3aneiro  ift  man  feit  1867  $ur  Ganalifation  über* 
gegangen,  inbem  burä)  eine  englifche  ©efeOfchaft  Sielbauten  (ESgotoS) 
jur  Abführung  be«  UnratheS  aus  ben  Aborten  unb  sur  Ableitung  beS 
:)iegenwafferS  ausgeführt  mürben.  Diefe  nadh  bem  Softem  oon  Seicefter 
ausgeführten  EanalifattonSarbeiten  finb  gleichfalls  als  eine  grofjeSBerbefferung 
anjufeh^n.  3m  3ufammenhange  bamit  ift  an  oielen  ©teilen  ber  f eicht  aus* 
laufenbe  Stranb  burch  üorgefdwbene  Ouaibauten  oerbeffert  worben,  inbem 
baburch  bie  feiert  auslaufenben  Uferftrecfen,  welche  befonberS  5ur  gäulnifc 
hingeworfener  ober  angefpülter  thierifcher  Stoffe  geeignet  ftnb,  befeitigt 
mürben.  2We  biefe  Arbeiten  waren  befonberS  beShalb  fchwierig  burchsuführen, 
weit  bie  inneren  Stabttheile  wie  j.  $3.  jene  am  Eampo  be  «Santa  9lnna 
nur  um  etwa  3  SKeter  über  ben  normalen  SBafferftanb  fich  erheben. 

Die  Sielbauten  bilben  jeboä;  nur  einen,  wenn  auch  befonberS  wich- 
tigen Xheil  ber  sur  Entfernung  beS  UnratheS  beftimmten  Einrichtungen. 
Sie  werben  ergänzt  burch  bie  SBirffamfeit  ber  StrafeenreinigungSgefeflfchaft. 
Diefer  Eompagnie  liegt  es  ob,  bie  vielerlei  KüdjenabfäHe,  Kehricht  unb 
allen  auf  bie  Strafte  geworfenen  ober  jur  3lbrjolung  hingefteUten  Unrath, 
fowie  enblich  bie  (Sabaoer  ber  gefallenen  Xfyiexe,  als  #unbe,  Kafcen,  hatten 
2c,  5U  entfernen.  Es  Hingt  faft  unglaublich,  wenn  man  bie  Berichte 
über  bie  £f)ätigfeit  biefer  ©efellfchaft  lieft,  welche  1881  jur  Einrichtung 
oon  Cefen  behufs  Verbrennung  thierifcher  deichen  perpflichtet  würbe  unb 
taglich  per  Dampfer  bie  Dbjecte  ihres  Sammeleifers  oon  diio  be  Janeiro 
nadh  ber  %n\tl  Sapucaia  fortfdjafft.  Die  StrajjenreinigungSgefellfchaft 
hat  beifpielsweife  im  2luguft  1878:  3]/io  Millionen  Kilogramm  Sdmiufc 
unb  SlbfäUe,  fowie  2237  tobte  £l)ierc  fortgefchafft,  welche  an  ber  Küfte 
umher  lagen.  3m  Cctober  beffelben  3ahreS  würben  5  Mionen  Kilos 
gramm  Sdnnufc  unb  3664  tobte  £fnere,  im  Slpril  1880  5"  >  «Millionen 
Kilogramm  Schmu$  unb  3850  tobte  Dl;iere  abgeführt. 

Dafe  bic  9ieinlichFeitSüerhältni)fe  oon  Mo  fia)  feit  ber  SSirffamfeit 
biefer  Eompagnie  unb  feit  ber  Einrichtung  ber  Eanalifation  ganj  wefentlich 
oeränbert  haben  müffen,  ift  ol)ne  Weiteres  flar.  Dabei  wirb  in  Mo  bas 
^flafter  nicht  nur  oon  Schmufc  gereinigt,  fonbem  auch  burch  an  ben 


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  Hio  be  3«»ctro.   329 

SBatTerleitunglröfiren  angebrachte  ©d)läuche  vor  bem  gegen  gefpült.  ßurj, 
man  oermifet  feine  ber  mobernen  ©rrungenfdjaften  jur  Reinhaltung  ber 
©trafeen,  unb  roenn  bei  aliebem  bie  (Situ  oon  Rio  be  3aneiro  all  2öofnt* 
ort  roeber  angenehm  noch  empfeblenlroertb  erfcbeint,  fo  liegt  bal  in  ber 
Sage  unb  Bauart  ber  ©tabt  begrünbet,  nicht  aber  in  SBerfäumnifj  ber 
burd)  bie  öffentlichen  ©efunbbeitlpflege  erheifd)ten  SWafmahmen. 

2luch  in  anberen  bie  Sicherheit  bei  Sebent  wie  bei  Gigentbumel 
ber  Seroormer  betreffenben  Öesiefumgen  fteht  Rio  hinter  ben  europäischen 
©rofcftäbten  nicht  jurüd.  Sär  ©chlächtereistoecfe  ift  ein  befonberel  in  ©an 
Ghriftooäo  gelegene!  (äabtiffement  oorhanben.  Die  sablreidjen  Slalgeier, 
welche  fidj  bafelbjt  aufhalten  unb  ben  Pa&  beftänbig  uinfreifen,  oerrathen 
bie  33efttmmung  beffelben  fa>n  oon  Settern.  Da&  nach  brafilianifcber 
8trte  bie  SlbfäHe  bei  gefdjlachteten  Siehe!  ben  ?lalgeiern  jugetoenbet 
werben,  ift  roof)l  bei  unoermeiblichen  ©eftanfel  falber  in  fanitärer  $e= 
jielmng  nicht  ju  tilligen,  aber  eine  in  ganj  33raftlien  übliche  Einrichtung. 
9tfur  in  ber  burct)  ihre  oielen  Schlächtereien,  Sarqueabal,  befannten  ©tabt 
^elotal  im  äufeerften  ©üben  bei  &aiferretcr)el  oerroert^et  ein  beutfdjer 
gabrifant,  $err  £.  Gifte,  bie  fonft  unbrauchbaren  Slbfäfle  jur  £erftellung 
eines  Funftlichen  @uano:3Heble!  unb  anberer  einfchlägiger  ^robucte. 

®an$  auf  ber  ^öt)c  ber  3eit  ftcrjen  in  Rio  bie  Söfdjanjtalten,  fo  baß 
nur  relatio  wenige  unb  geringfügige  33ranbe  oorfallen.  Dalfelbe  gilt  aucb 
oon  ber  ©albeleudjtung,  bie  fdjon  oor  mehr  all  jioet  Decennten  oon 
©d)erjer  fefyr  gerühmt  tourbe.  ,,©o  unfdjön  Rio  bei  Sage  ift/'  faßte  er,  „ebenfo 
herrlich  unb  ftratjlenb  nimmt  e!  ficf)  bei  Racf>t!  bei  ©albeleuchtung  bejonberl 
oom  $afen  gefehen  aul.  2lll  roir  am  Slbenbe  nach  unterer  2tnfunft  bie 
r)eU  funfelnbe  ©tabt  oor  unl  liegen  faben,  glaubten  roir,  el  fänbe  aul 
irgenb  welcher  feierlichen  33eranlaffung  eine  befonbere  ^Beleuchtung  ftatt,  unb 
bemerften  erjt  fpäter,  bafj  Rio  jebc  Radjt  ebenfo  feenhaft,  all  bei  Xage 
grauenhaft  aulfieht."  ©in!  toie  bal  9tnbere  ift  übertrieben,  wiewohl  na- 
mentlich ber  impofante  9lnbli<f  bei  beleuchteten  Rio  oon  ber  Öai  aul  gefehen 
nicht  in  9lbrebe  ju  ftelfen  ift.  Der  ölid  ift  ar)ntid)  jenem,  meldten  in 
Hamburg  bei  Rächt!  bal  2Ufter=33affxn  gewährt,  unb  wirb  nur  nod)  groß* 
artiger  burdj  bie  2lu!behnung  ber  Straßenbeleuchtung  bil  auf  bie  £öhen 
unb  bie  fernften  2Iu!läufer  ber  Sorftäbte.  Die  ©algefeflfd)aft  ift  ein 
engtifdje!  Unternehmen,  welche!  mit  ber  Regierung  einen  oon  biefer  feit  langer 
3eit  unbequem  empfunbenen  Gontract  beftfet.  ©I  fcheint  bal  nationle 
©elbfigefühl  fcfjroer  ju  oerlefcen,  baß  bei  fo  oielen  großartigen  öffentlichen 
Unternehmungen  bie  Gnglänber  ben  ^ahm  abschöpfen.  So  ift  aufeer  ber 
©alcompagnie  bie  ilüftenreinigunglgefeUfchaft  eine  englifdje,  unb  lieber 
Gnglänber  haben  bie  v5onbllinien  in  Rio  eingeführt,  bie  enormen  Gana= 
lh"ationl=9trbeiten  übernommen  unb  aulgeführt,  Diele  Gifcnbafjnen  gebaut 
unb  auch  bie  Äüftenbampffchiffahrt  lange  mit  großer  Suboention  in  ben 
.^änben  gehabt.   Dal  mag  benn  toot>t  aud;  einer  ber  Gkünbe  geioefen 


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330 


^ermann  ron  3^cri»g  in  Sio  (Srattbe  bo  Sul. 


fein,  toeälja(6  bie  Regierung  oor  fünf  3af)ren  ben  abgelaufenen  Eontract 
mit  ber  ©aS*Eompagme  niö^t  gleid)  erneuerte.  Sarauf  f)tn  fdjraubte 
bie  Gompagnie  il;re  greife  in  bie  &öhe,  roaS  eine  mächtige  2lufregung 
im  ^ubtifum  jur  fyolge  hatte,  beren  Spifee  ftd)  t^etCd  gegen  bie  Regierung, 
theils  gegen  bie  ©a8=©efellfchaft  richtete-  3n  einer  ^olfsoerfammlung 
befd)lojj  man,  ben  ^ßrioat-Eonfum  oon  ©a£  einstellen.  9Hit  Etnbrud) 
ber  9tod>t  fdjtofeen  oicle  ftaufläben  bie  Shüre,  anbere  beleuchteten  mit 
Petroleum.  Sie  Spenge,  meldte  bic  Strafen  burdjjog,  zertrümmerte  bie 
©aslaternen,  bie  Strafeen  blieben  in  ginftemife.  Gruppen  mürben  in  ben 
5tafernen  conjignirt.  Patrouillen  burdfoogen  bie  Stabt,  ber  flaifer,  ber  au* 
bem  Sweater  ^eimfe^rte,  tiefe  feine  33egleitmannfdjaft  befonberS  serftärfen 
unb  eine  untjeiluerf ünbenbe  Stimmung  beherrfdjte  bas  Stoff.  2lm  anberen  Sage 
trat  bie  Regierung  mit  ber  ©a3:@c)eHfdjaft  nrieber  in  Unterhanblung 

•JJtau  folltc  meinen,  bie  Erfahrungen,  roeldje  bei  Einführung  ber 
Lintern*  Steuer  für  bie  23onb3*Sinie  gemacht  roorben,  l)ätte  bie  Regierung 
uorfidjtiger  madjen  müffen  —  inbejj  waren  ja  feit  jener  3«t  fd)on  zweimal  bie 
Sttinifterien  oon  ber  33ü^ne  abgetreten.  3m  Uebrigen  mufj  man  einräumen, 
bafe  bie  Regierung  fid)  bem  fBolh  unb  refp.  bem  Sßöbel  oon  9fio  be  3a«eiro 
gegenüber  in  einer  mißlichen  Sage  befxnbet.  Sie  9fepublifaner  machen  fidj  bei 
allen  Söaljlen  breit,  erringen  auch  namentlich  bei  ben  2Baf)len  §u  ben  %xo- 
utnjiallanbtagen  immer  bebeutenbere  Erfolge;  ihre  geitungen  treten  für  bie 
sJiepubltf,  anbere  für  bie  Oteoolution  ein.  ©ine  9ter>oloer=  unb  Sdmmfcs 
treffe  erplorirt  in  infamfter  SBeife  ben  Sfanbal  unb  gefällt  fid)  namentlich 
bavin,  bie  etjrroürbige  ^erfon  be£  ftaiferS  jum  ©egenftanbe  be£  ©efpötts  ju 
machen.  3a  —  iyreifyeit,  bie  id)  meine!  28er  bie)"e  Sorte  greifjeit  fein 
3beal  nennt,  ber  fann  ba£  monar<hifd)e  23rafilien  als  Sttufter  für  $rcfj* 
freiheit  ^inftellen.  23ei  irgenbroie  brücfcnbeu  ober  unbequemen  Neuerungen 
entiteljt  unter  bem  Srucf  ber  &efc  treffe  eine  $u  ben  gröbften  Erceffen  füfjrenbe 
Aufregung.  Tritt  bie  Regierung  feft  auf,  fo  fd)reit  ba£  uergoffene  Ü3ürgerblut 
5um  Gimmel  um  9iaä)e;  giebt  fie  nach,  fo  gilt  fie  für  blamirt  unb  bie  9iadj= 
giebigfeit  erfdjeint  als  Sdhruädje.  Einer  folgen,  ohnehin  fo  leicf)t  erregbaren 
SJolfSmaffe  gegenüber  ift  bie  Aufgabe  ber  Regierung  feine  leiste. 

&öd)ft  intereffant  ift  bie  oben  berührte  ^atfad)e  beS  SBornnegenS  ber 
Englänber  bei  allen  großen  Unternehmungen  unb  Eapitalanlagen.  Sabci 
ift  nad)  ber  in  ^rafilten  üblichen  $ranS  aud)  naa)  ber  finanjiefleu  Seite 
fein  3tifico  für  fie  oorhanben,  ba  bie  Regierung  7  ober  6  ^rocent  äinfen 
beS  firirten  EapitaleS  garantirt.  So  mar  bie  erfte  Eifenbafm,  raeldje  in 
ber  ^rootU3  dlio  ©raube  bo  Sul  erbaut  rourbe,  ein  englifdjeS  Unternehmen, 
welches  feit  fahren  ber  ^rooinj  burd;  baS  grofee  jährliche  Seftcit  enorme 
Soften  oerurfad)t.  Sie  Sirection  nimmt  auf  bie  Söebürfitiffe  beS  ^ertehrS 
nid)t  gebührenb  Diüdfidit.  So  ift  eine  $u  niebrig  gelegte  Eifenbafmbrüde 
bei  S.  Seopolbo  ein  fehleres  ^inbentife  für  bie  Schifffahrt  auf  bem  9iio 
bos  SinoS.    ES  märe  leidet  jroifc^eii  smei  ^feilem  eine  Einrichtung  511m 


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9 


  Kto  &e  Janeiro.    33J 

Surcblaifen  ber  Skiffe  einjurichten,  allein  baS  liegt  ja  nicht  im  Qntereffe 
ber  Salm  unb  barum  wiberfefct  fic  fid).  9Iuch  bie  granpfen  treten  in 
Sübamerifa  namentlich  in  neuerer  3*it  als  Bauunternehmer  :c.  auf.  2)a3 
beutfehe  Gapitel  aber,  baS  wenigftens  für  Sübbraftlien  am  meiften  ©runb 
hätte  einzutreten,  jeigt  feine  ^nitiatioe.  Unb  geht  \a  von  einer  großen 
beutfehen  girma  ober  ©efelifchaft  ein  großes  Unternehmen  aus,  wie  j. 
bie  Ausbeutung  ber  £of)lenbecfen  in  ber  ^rooinj  Nio  ©ranbe  bo  Sul,  fo 
weiß  2Rißgunft  unb  Neib  nicht,  wie  fie  fid)  aufblafen  unb  bagegen  intri= 
guiren  follen.  Unb  babei  ift  es  ^t)atfad&e,  baß  ber  3mportf)anbel  oon  dlio 
(Branbe  faft  ganj  in  beutfehen  §änben  ift:  baß  bie  beutfehen  Kolonien  ber 
Sßroomj  profperiren,  baS  2)eutfd)thum  fich  noch  nirgenbs  fo  fer>r  eine  ge= 
achtete  unb  feinen  Söerhältniffen  angemeffene  Stellung  errungen  hat,  als 
eben  in  biefer,  burdj  ihr  milbeS  flüma  bem  Xeutfdjen  befonberS  jufagen= 
ben  93rouin3 ;  baß  enblich  ber  @rport  beutfeher  3nbujrrieprobucte  nad)  Nio 
©ranbe  ein  fetjr  bebeutenber  ift  unb  es  nod)  mehr  fein  mürbe,  wenn  es 
noch  eine  beutfehe  (Simoanberung  nad)  biefer  ^rooins  gäbe.  (Sine  ftarfe 
beutfehe  (Simuanberung  nach  Sübbrafilien  fdmfft  ber  beutfdjen  ^nbuftrie  ein 
bebeutenbed  unb  immer  wadjfenbeS  2lbfafcgebiet,  inbeß  bie  ©inwanberung 
nad)  ben  bereinigten  Staaten  Goncurrenten  großzieht.  So  märe  es  un= 
bebingt  bie  Aufgabe  ber  beutfajen  ©irthfdjaftSpolitif,  ber  beutfehen  (5oloni= 
fation  SübbrafUienS  alten  möglichen  SSorfdjub  ju  letften.  Statt  bellen  hat 
bie  beutfehe  Regierung  ber  2tuSftelIuug  beutfeher  ^nbuftrieprobuete  in  ^>orto 
2üegre  feine  £f)eilnahtne  gefchenft  unb  ftatt  bie  ©inroanberung  nach  Süb* 
brafitien  ju  begünftigen,  hält  fie  baS  StuSwanberungSoerbot  nad;  Srafilien 
aufrecht,  wa*  ungerecht  beutfehen  Elementen  in  Sübbrafilien  gegenüber  unb 
unflug  sugleia)  ift  im  Sfetereffe  ber  beutfehen  ©trtbfchaftSpolitif. 

Unter  benjenigen  Neuerungen,  burd)  weldje  Nio  be  Qaneiro  im  Saufe 
ber  legten  Safyxe  ben  an  moberne  ©roßftäbte  ju  ftellenben  3lnforberungen 
ju  entsprechen  fich  beftrebt  hat,  ift  auch  bie  für  ein  heißes  ftlima  boppelt 
wichtige  Srage  ber  (sisoerf orgung  nicht  3U  oergeffen.  2>aS  (5iS  fpielte 
bis  in  bie  lefcte  £t\t  eine  untergeorbnete  Nolle  in  ben  braftlianifchen 
ftüftenftäbteu,  woran  oor  Willem  fein  hoher  ^Preiä  fchulb  mar.  9Jton  hat 
Dielfad)  norbamerifanifeheS  ßiS  importirt.  Noch  bis  in  bie  neuefte  $dt 
bejog  Sporto  2tlegre  norbamerifanifeheS  GiS  00m  Sa  ^lata  h^,  wobei 
benn  ber  $retS  pro  Äilo  auf  2 — 3  9)?arf  ju  ftehen  fam.  (£rft  in  neuefter 
3eit  hat  man  in  S.  $aulo,  Nio  be  Janeiro  unb  Sßorto  3llegre  große 
mit  Sampj  betriebene  3Kafd)inen  eingeführt,  welche  auf  fünftlichem  ißege 
(SiS  herftelleu.  in  thätige  (SiSmafdjine  ift  eine  ber  größten, 
welche  epiftiren;  fie  oermag  in  ber  Stunbe  1500  Mogramm  @is  ju  er* 
jeugen  unb  baS  .Hilo  ju  8  Pfennigen  3U  oerfaufen.  Seit  biefer  Seit  ift 
bie  93erwenbung  oon  ©is  natürlich  fchr  geftiegen.  3JMn  ftellt  fich  fd)wer  oor, 
wie  empfinblid)  ber  fanget  von  Gtö,  namentlid;  auch  für  ärjtlidje  3wc^e/ 
bem  baran  ©eroötmten  wirb.   2luf  ber  beutfehen  Kolonie,  wo  ber  berfaffer 


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352    ^ermann  ton  3ljering  in  Sio  (Sranbe  bo  rnl.  — - 

btefeä  AuffafeeS  lebte,  ift  natürliches  §iä  nie  fjafcen,  e$  fei  benn  einmal 
in  befonberS  falten  SBintem  in  aller  Sritye  auf  ben  2Bafferpfüfcen. 

$or3äglidj  finb  in  9iio  bie  für  bie  Seljanblung  ber  ftranfen  ge^ 
troffenen  93orfef)rungen.  @3  eriftirt  eine  größere  2ln$al)l  oon  &ofpitälern, 
u.  a.  ein  portugiefifdjes,  wie  benn  ein  fold>e§  aua)  in  Sßorto  2llegre  befiefjt. 
£ie  $5eutfdjen  bagegen,  bie  in  Gfjile  unb  Argentinien  je  ein  eigenes  Äranfen* 
f)au£  gefa)affen  Ijaben,  finb  in  Srafilien  trofc  ifjrer  numerifa)  ftärferen 
Entfaltung  noa)  nirgeubä  jur  ^egrünbung  eines  beutfdjen  ÄranfenfyaufeS 
gefommen;  bodj  mag  biefes  Sebürfnijj  woljl  gerabe  in  9iio  weniger 
empfunben  werben,  weil  bort  bie  flranfenflege  im  Allgemeinen  feljr  gut 
georbnet  ijt.  9tomentlid)  baS  grofce,  180  SJteter  lange  ÄranfenfjauS  ber  Santa 
Gafa  be  9Hifericorbia  mit  einem  flranfenbeftanbe  oon  über  1000  ^erfonen 
entfpridjt  feiner  Seftimmung  in  treffüdjer  SBeife.  2)ie  Säle  finb  Iwd), 
geräumig  unb  luftig,  unb  bie  Pflege  unb  33et)anblung  läfet  nid)t$  ju 
wünfdjen  übrig,  ein  junger  beutfd)er  .Kaufmann,  weldjer  einige  Seit 
bafelbft  in  Söe^anblung  gewefen,  wufjte  mir  bie  aufmerffame  pflege  unb 
^ebienung  feitenS  ber  Sd)meftern  nid)t  genug  ju  rühmen,  £er  junge 
SJtonn  ftammte  aus  guter  gamilie  unb  mar  als  Kaufmann  namentlid) 
aud)  in  Spraken  wof)l  auSgebilbet.  3^enb  ein  bummer  Streid)  fjatte 
ilm  über  ben  Ccean  geworfen,  er  f)offte  auf  Slnftellung  als  GommiS  in 
einem  beutfdjen  ©efd)äfte.  3n  23afn'a  fanb  er  baS  nid)t,  unb  nad)bem  er 
bura)  einen  improoifirten  ßaufirrjanbel  mit  lebenben  Sögeln  fid)  wieber 
etwas  SReifegelb  erworben,  ging  er  nad)  9iio  be  3aneiro.  Vergeben« 
wanbte  er  fid)  an  oiele  ber  angefefjeneren  beutfd)en  ftaufleute  unb  baS 
Gonfulat  —  er  fanb  feine  33efd)äftigung  unb  würbe  enblid),  rjalb  oer= 
hungert  unb  franf,  auf  ber  Strafte  aufgelegen  unb  in'S  ,§ofpital  gefa)afft. 
$arauff)in  naf)m  man  ftd)  in  beutfd)en  Greifen  bod)  etwas  feiner  an  unb 
fd)affte  tym  bie  Littel  jur  £erfteöung  feiner  ©efunbrjeit.  Qd)  fyabe  feit 
ber  3e^  nod)  manage  Seifpiele  berart  erlebt  unb  erfahren,  wie  gewagt 
unb  bebenflia)  es  ift,  wenn  gebilbete  Seute,  Ingenieure,  £ef)rer,  Äaufleute 
orme  2luSfid)t  auf  fefte  Stellung  nad)  Sörafilien  auSmanbern.  2lud)  in  ben 
bereinigten  Staaten  gef)t  es  barin  faum  anberS.  ©ünftige  Chancen  bieten 
fid)  lebiglia)  bem  Acferbauer  unb  allenfalls  bem  &anbwerfer. 

T»aS  grofte  erwäfmte  £ofpital  bient  ganj  in  ber  gleiten  Steife  wie 
älmlia)c  Gtabliffements  an  ben  beutfa)en  Uniuerfitäten  jugleid)  bem 
afabemifd)en  Unterrichte,  Xie  Stubenten  begleiten  ben  ^rofeffor  bei  ber 
äStfite  bura)  bie  Hranfenfäle  unb  ^ören  Vortrage  Über  widrige  ftälle  an. 
3nt  Grbgefd^ofe  bepnbet  fid)  für  Sectionen  ein  geräumiger,  lururiöS  auö^ 
geftatteter  Saal.  D^idjt  weit  com  ^ranfenljaufe  entfernt  ift  ba3  ©cbäube 
ber  mebicinifa)en  gacultät,  wo  fia)  bie  oerfd)iebcnen  ^örfäle,  Laboratorien 
unb  Sammlungen  befinben.  ?ltte5  l)ier  ift  neu  unb  elegant  Ijergeriajtet. 
^efonberö  intereffirte  eS  mid),  bie  naturwiffenfa)aftlid)en  Sammlungen 
unb  Laboratorien  fennen  511  lernen.   2)en  günftigften  (Sinbrucf  mad)te  bad 


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Ö53 


cbemifcfje  Saboratorium,  baS  ganz  in  ber  für  beufelben  $med  in  Deutfch* 
lanb  üblichen  SBcife  eingerichtet  mar.  §\ex  ift  wenigftens  bei"  Apparat 
DÖÜtg  in  Drbnung,  um  bei  rüstiger  Leitung  eine  gute  praftifdhe  2luS* 
bilbung  ber  Schüler  zu  ermöglichen.  Cb  biefe  oorfjanben  ift,  weift  id> 
nicht;  auf  ben  anberen  ©ebieten  ift  fie  offenbar  nicht  f)inreid)enb.  Das 
botanifche  Qnftitut  wenigftens  war  weber  gut  georbnet  noch  binreidjenb 
wiifenfchaftlich  burdjgearbeitet.  DaSfelbe  machte  fid)  namentlich  auch  im 
soologifdjen  (Sabinet  empfinblich  geltenb.  Die  auSgeftopften  Spiere  unb 
Präparate  waren  fajt  alle  aus  ©uropa  bezogen,  fonnten  mittun  für  bie 
Äenntnifc  ber  heimlichen  Tierwelt  feinen  befonberen  9öertr)  haben.  2fujjers 
bem  aber  trugen  fie  Stummem,  ju  welchen  bie  zugehörigen  ©tiquetten  motu* 
noch  gef ^rieben  werben  folten,  fofern  ber  ftatalog  nicht  unterbeffen  oerlegt 
roorben  ift.  eine  oergleichenbe  anatomifebe  Sammlung  zumal  aud)  oon 
3f  eierten  fehlte  ganz,  greilich  ift  ja  9tio  auch  in  Sejug  auf  3oologie 
fehlest  befieüt,  inbem  ber  Vertreter  beS  gadhes  wohl  alles  2lnbere  eher 
fein  mag  als  ein  300^9e-  ®™e  oon  bemfelben  im  3lrchio  beS  9)cufeumS 
publicirte  2lbf)anblung  über  eine  grofee  grofdjtaroe,  bie  unter  bein  Manien 
,/8atrachnchthr)S''  —  wenn  es  nur  wenigftens  richtig  33atracr)idt>tr)pS 
fnefje!  —  als  ein  fabelhafter  Uebergang  zwifeben  gifcb  unb  grof<h  betrieben 
unb  natürlich  als  SBelegftücf  für  ben  Darwinismus  ausgebeutet  würbe, 
gehört  zu  bem  Guriofeften,  was  bie  neuere  zoologifdje  Literatur  auf5uweifen 
hat.  Sehr  oortheilhaft  ftid)t  bagegen  bie  Sotanif  von  Dr.  ßaminboa  ab,  wohl 
baS  befie  23ucb,  welches  bis  iefet  in  örafilien  bem  naturwiffenfehaftlichen 
Unterrichte  zu  &Ufe  fommt.  ©inen  oortheilhaften  ©inbruef  machte  audh  bie 
pathologtfa>  anatomifche  Sammlung,  bie  inftruetio  aufgefüllt  ift  unb  in 
Zahlreichen  guten  SöachSprä  paraten  ein  werthoolles  fiehnnaterial  beftfet. 

3m  Allgemeinen  mu§  man  anerfennen,  bajj  in  neuerer  fteit  wefentliche 
gortfehritte  in  ber  Organisation  beS  mebicmifdjen  Unterrichtes  gemacht  finb. 
2Benn  es  auch  nicht  angeht,  ben  Stanb  beS  mebicinifdjen  Unterrichtes  in 
diio  jenem  ber  europaifchen  unb  zumal  beutfehen  £>ochfcbuleu  jur  Seite  §u 
fefcen,  fo  unterliegt  es  boer)  feinem  Zweifel,  baft  jefct  Denjenigen,  welche 
ein  ernfteS  Streben  befunben,  bie  SRögtichfeit  geboten  ift,  fid)  tüchtig  aus* 
Zubiiben,  gretlich  wollte  es  mir  fchetnen,  als  ob  bie  ,3ahl  berer,  welche 
mit  mirflichem  ßifer  unb  gutem  Grfolge  bie  gebotene  Gelegenheit  benutzen, 
eine  geringe  fei,  unb  als  ob  feitens  ber  Stubenten  5U  oiel  2Öertt)  auf  ihre 
Sücher,  zu  wenig  auf  bie  practifchen  Uebungen  unb  Gurfe  gelegt  würbe. 

Die  GJefunbheitS^erhältniffe  oon  9tio  be  Janeiro  finb  nicht  ungünftig, 
nur  baS  gelbe  lieber  hat  biefelben  in  lefctere  3eit  mißlicher  geftaltet. 
2Bährenb  an  unb  für  ftd;  bie  Sterblichfeit  in  9iio  feine  ungünftige  ift,  fo 
haben  23lattern  unb  gelbes  lieber  oiele  XobeSfäUe  *ur  golge  gehabt. 
Weniger  oerheerenb  trat  bie  (Sfjolera  auf.  Unter  90,KU  Sterbef  allen, 
welche  in  ben  fahren  1862—1872  ftattfanben,  unter  benen  über  6000 
£obtgeborene  fielt)  befanben,  entfielen  9625  auf  epibemijche  flranfheiten. 


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55^    fyrmantt  ron  3^cr"!9  »n       <Srani>e  bo  Svl.   

3lm  fdjtimmften  hat  in  Mio  baS  gelbe  Sieber  gewütet,  weldjeS  bort 
äuerft  im  3aljre  1850  erhielt.  $iefe  luftig  auftretenbe  anfterfenbe 
5tranff)eit  führt  unter  Erbredjen  unb  Durchfällen  3ur  ©elbfudjt  unb  bewirft 
unter  Erbred)en  fd^roarjer  Stoffen,  oft  aud)  SlutauStritten  aus  ben  ©efäjjen, 
häufig  rafd)  bie  Sluflöfung  beS  ftörpcrS.  3h*  erliegt  ein  Giertet  bis  ein 
Drittel  ber  Erfranften,  unb  in  gan$  befonbers  h°hem  ©rabe  biejenigen, 
meld)e  an  ben  betreffenben  Ort  nid)t  acctimatifirt  finb,  grembe  forooljl 
wie  $rafiltaner  au«  bem  3nn^"-  3«  ba$  Rxmexe  beS  SanbeS  nämlta) 
bringt  baS  gelbe  gieber  nid)t  cor;  es  befä)ränft  fid)  auf  bie  Mften,  wo 
es  rwn  ben  Sübftäbten  ber  Bereinigten  (Staaten  an  bis  nad)  Buenos 
2lnreS  hin  bie  £afenorte  l)eiingefud)t  hat.  3«  ben  fünfziger  unb  fedjSjiger 
3af>ren  trat  eS  in  Mio  nur  jroei  ober  breimal  auf ;  nad)  ber  heftigen  Epibemie 
oon  1872  unb  1873  aber  ift  es  faft  jebcs  3ßhr  erfd&ienen  unb  fd)eint 
jefct  aus  bem  epibemifd)en  in  ben  enbemifd)en  Gf)arafter  überzugehen. 
Die  ©cfafjr  beS  gelben  Biebers  tft  fur  Mio  be  3oneiro  jumal  aud)  wegen 
ber  burd)  ben  riefigen  (Sd)iffSoerfef)r  bebingten  33erfä)leppung  eine  ftetS 
brohenbe.  Die  $afengcgenb  unb  bie  innere  Stabt  finb  baljer  aud)  in 
befonberem  ©rabe  ben  Erfranfungen  auSgefefet.  Die  Sewolnter  ber^or* 
ftäbte,  jumal  ber  etwas  höher  gelegenen,  unb  alle  diejenigen,  benen  es 
il)re  äkrhältuiffe  geftatten,  etwas  weiter  ab  oon  Mio  ju  wohnen,  finb  ber 
©efafjr  ber  Erfranfung  relatio  wenig  ausgefegt.  Es  entfprid)t  baS  gan$ 
ben  aud)  anberweitig  gemalten  Erfahrungen.  (So  ^aben  3.  33.  bie 
granjofen  auf  ©uabeloupe  bie  Erfahrung  gemalt,  ba§  bei  IHuSbrudj  ber 
Epibemie  bie  Entfernung  ber  ©arnifon  nad;  bem  fünf  Kilometer  uom 
9J?eere  entfernten  unb  550  Sfteter  über  bem  ifeere  gelegenen  Etabliffemcnt 
„du  camp  Jacob"  ooHfoinmen  bem  gewünfd)ten  Smede  entfpradj. 

Unter  biefen  Umftänben  war  es  fefjr  anerfennenSwertf),  bafj  bie  bras 
filianifd)e  Regierung  bei  ber  heftigen  Epibemie  ber  ^al)xe  1872  unb  1873 
bie  anlangenben  Einwanberer  gar  nid)t  in  Mio  auSfd)iffte,  fonbem  fie 
fogteid)  per  $af)n  nad;  ber  brei  <Stunben  oon  ber  Mefibens  entfernten 
Station  vBarra  be  ^irahu  tranSportiren  liefe.  Die  fo  beförberten  2600 
Einwanberer  blieben  uor  ber  Erfranfung  am  gelben  gieber  bewahrt, 
welkes  unter  anberen  Umftänben  unter  ilmen  als  nid)t  3lcclimatifirten  be- 
fonberS  ftarf  aufgeräumt  l;aben  würbe.  Ob  bie  Hoffnungen,  benen  man 
fid)  in  Mio  bejüglid)  einer  2krbefferung  ber  fanitären  23erl;ältniffe  in 
golge  ber  oielen  $erbefferungen  auf  rwgienifc&em  Gebiete  Eingeben  51t 
bürfen  glaubt,  fid)  realiftrcn  werben,  bleibt  ber  .Sufunft  anheimgegeben. 
3ebenfallS  bat  bie  Megterung  jeberjeit  bie  erforberlid)eu  9flaferegeln,  jumal 
aud)  burd)  bie  Örünbung  befonbever  £a$arethe  für  ©elb fiebert raufe, 
Gf)ofcrafraufc  u.  f.  w.  ergriffen. 

ES  ift  aufjerorbentlid)  fduuierig  511  ermitteln,  in  welcher  3Beife  fidj 
ftattftifd;  bie  Sterblia)feitSs^erl)ältni)|e  in  Mio  barftetten.  Äeiu  (Gebiet  ber 
Sffiiffenfdjaft  ober  ber  3lbminiftration  liegt  in  ikafilien  wol;l  nod;  fo  fe^r  im 


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Hio  be  3aneiro. 


535 


Slrgcn,  als  eben  baSjenige  ber  Statiftif.  2Bof)l  finb  neuerbingS  lieber  bie 
Beamten  ber  ^rooinäial^räfibenturen  jur  9tafteUung  ftatiftifdjer  Grabungen 
angewiefen  worben  —  allein  foldje  nebenher  betriebenen,  ber  fnftematifd)en 
unb  oerftcmbnifwollen  Leitung  unb  $urdjfüf)rung  entbefjrcnbcr  Slufnafcmen 
fönnen  nur  fefjr  geringen  SBertf;  beanfprud>en.  9tid)t  einmal  bie  feiten  oor= 
genommenen  $olfS§äl)lungen  finb  einigermaßen  juoerläfftg.  60  ift  benn 
audj  ber  jeweilige  Staub  ber  ©inmofmeräafjl  ber  SRejibenj  nia)t  genauer  be* 
fannt.  $te  oerfdjiebenen  Angaben  uariiren  3wifdjen  250,000  ober  300,000 
bis  450,000.   $ie  lefcte  wof)l  $u  fjoaj  gegriffene  3al)l  legte  1874 

ba  @iloa  2Ilcanan  in  feiner  ju  23af)ia  erfdjienenen  ^Doctor^iffertation 
einer  23ered)nung  ju  ©runbe,  ber  ju  $olge  er  bie  Sterblid)feit  von  9iio 
bc  Janeiro  aufeerorbentlia)  günftig  finbet,  nämlid)  311  23 : 1000  pro  3afn*. 
$aS  fei  ein  nod)  günfttgereS  &erf)ältni§,  als  es  Sonbon  mit  25 : 1000 
aufjuweifen  fjabe.  @S  ift  aber  Mar,  baß  baS  23erl)ältnifj  fta;  fofort  änbert, 
wenn  e3  fidj  IjerauSftellt,  bafj  bie  (Siuwoljnerjafjl  erfyeblid)  geringer  ift.  $m 
3af)re  1872  fjatteSHio  1 0,065  £obeSf  alle.  33ei  einer  SBeoölferung  oon  450,000 
Seelen  mürbe  baS  allerbingS  nur  22,4  auf  £aufenb  betragen.  Giner  ^8e- 
oölferungSjabl  oon  nur  300,000  mürben  aber  33,5  Sterbefälle  auf  1000 
öemofmer  entfpredjen.  ©dwn  &>appäuS  Ijob  biefe  Unfidjerf)eit  ber 
ftatiftifdjen  $)aten  unb  33eredjnungen  fjeroor  unb  führte  gegen  bie  2lnnal)me 
einer  fwfyen  33eoölferungS5af)i  ben  Umftanb  an,  baß  bie  3al)i  ber  ©eburten 
in  SRio  fo  enorm  hinter  jener  ber  £obeSfälle  jurüdftefje.  3$  glaube,  bajj 
SSappäuS  bier  auf  einem  Irrwege  fid)  befanb,  inbcm  er  bie  3<rf)l  ber  ©eburten 
mit  ber  ber  ©etauften  ibentificirte.  @S  ift  in  SBrafilien  burd)auS  nictjt^ 
felteneS,  bajj  bie  Xaufe  erft  fefyr  fpät  erfolgt.  GS  finb  mir  gar  manage  5ätte 
befannt  geworben,  roo  fyalbwüdjftge  jungen  bei  ber  £aufe  bem  ©etftlidjen, 
als  biefer  fie  mit  SSaffer  befprengte,  ein  lanbeSübliajeS,  f)ödjft  gemeines 
Sdjimpfwort.  an  ben  ßopf  warfen,  $ermutf)lid)  wirb  in  Dtio  bie  lange 
$inauSfd)iebung  ber  Saufe,  $untal  mof)l  bei  ber  farbigen  SeoÖlferung,  feljr 
2ttobe  fein ;  oiele  ßinber  mögen  bann  ungetauft  fterben,  unb  jebenfalis  ift  bie 
3af)l  ber  ©etauften  fein  suuerlaffigcr  9)?afjftab  für  bie  3<#  oer  ©eburten. 

2Me  3lbf)anblung  über  ^ortalitätsoer^ältniffe,  weldje  oben  angeführt 
würbe,  ift  ba&er  nod&  weniger  wie  ältere  ^ublicationen  eine  fixere  ^afiS 
für  bie  be$üglid)en  Ermittelungen.  Sie  ift  olmeljin  nidjt  aus  CueOeu- 
werfen  gefä)öpft,  wie  fdjon  baraus  t)eroorgebt,  bafj  fie  bie  eterbliajfeit  oon 
9?ew^)orf  ju  70  oon  £aufenb  angiebt,  wälireub  biefe  bod)  1881  in 
einem  ungünftigen  3af)re  ficr)  nur  wenig  über  31  erfjob,  unb  anbererfeits 
ber  beutfdfjen  Kolonie  am  2J?ucuru,  bie  feineSwegS  ju  ben  günftigftfituirten 
gefjört  eine  8terbli<f)feit  oon  nur  2,8  auf  £aufenb  anbietet.  9tatürlid) 
liegt  bie  Sdmlb  baoon  an  ber  Unbraua)barfeit  ber  beuufcteu  9toti$en, 
bie  ja  natürlid)  nidjt  fammt  unb  jonberS  unb  oljne  Äritif  benufct  werben 
burften. 

Ser  in  dlxo  fia^  oorübergeljenb  aufhält,  tl)ut  am  beften  feinen  3iufent- 


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330 


fjermann  von  3l}ering  in  Hio  (ßranbe  &o  5n!. 


tjalt  auf  ber  Etjuca  $u  wählen,  wof>in  woljl  balb  fdjon  bic  (Sifenbafm 
führen  wirb. 

9(uf  einer  ausgezeichneten  gafjrftrafje  gef>t  es  bergan,  bie  Reifen, 
jum  £t)eil  oon  flehten  SÖafferfäQen  gebabet,  treten  näl)er,  unb  ber  Slicf 
erwettert,  ftdj  bis  enblidj  ein  gro&er  2t)eil  oon  dixo  unb  ber  Sai  oor  uns 
ausgebreitet  liegt.  9iadjbem  bie  £(%  erflommen  ift,  fenft  fiä)  ber  2Beg 
wieber  etwas,  unb  an  freunbliäjen  junt  %l)e\l  fein*  lururiöS  ausgestatteten 
unb  als  Sommerfrischen  benufcten  Siüen  oorfiber  ftrebt  ber  Söagen  bem 
3iele  ju,  bem  in  einem  Weinen  oon  flarem  Sßaffer  burchraufd&ten  Seitens 
tl;ale  ibnHifdj  gelegenen  &otel. 

ÜBer  bie  lange  JJa^rt  fd&eut  unb  ^ö^er  an  ben  bergen  wohnen  modjte, 
wirb  am  £f)erefienberge  wof)l  leiäjt  baS  finben,  was  er  fucfjt.  31m  Sßaffeio 
yublico  $meigt  fi<h  bie  SonbSlinie  ab,  meldte  bortf>in  fü^rt  unb  unter  ben 
rwl;en  Sogengängen  beS  mächtigen,  baS  i$al  äberbrücfenben  Stquäbuct 
f)inburdj>  3ur  Station  ber  2>ral)tfeilbaf)n  beförbert.  3n  leidstem  SBagen, 
geräufchloS  unb  ber  treibenben  Äraft  uns  faum  bewu&t,  ergeben  mir  uns 
auf  bem  „<piano  tncltnabo".  2luf  bem  9iebengeleife  fommt  uns  ein  ^weiter 
SBagen  entgegen,  faft  als  folte  er  mit  bem  unfrigen  äufammenftofcen,  unb 
nad)  wenigen  Minuten  finb  wir  oben,  wo  fd>n  ber  SonbSwagen  jur 
Sßeiterbeförberung  bis  ^u  ber  Gatra  b'agua,  einem  Äeferooir  ber  SBaffcr* 
leitung,  bereit  ftef)t.  Oben  genie&t  man  eine  fdjöne  2lu3fic3E>t  auf  einen 
£1) eil  oon  iRio  unb  feineu  Sorftäbten,  jumal  Gatumbo,  unb  auf  bie  in 
fünf  bis  fedjs  Linien  fta)  übereinanber  fdnebenben  Gonturen  ber  oer-- 
fdnebenen  bem  Hüftengebirge  angerjörenben  33ergfetten.  2)er  S^erefienberg 
ift  nur  fiellenwetfe  bitter  bebaut.  $ie  Strage  führt  an  zwei  Rotels  oor* 
über,  oon  benen  namentlich  baS  $uerft  fommenbe  fc&öne  gelegen,  fauber  unb 
bequem  eingerichtet  ifl. 

Unb  fo  wirb  9iio  be  Janeiro  jebem  ©efdmiacf  unb  jebem  Sebfirfniffe 
burtt)  fein  milbeS  fllima,  bie  Ülnmutr)  unb  Steblichfeit  feiner  Sorftäbte  unb 
bie  ©rofjartigfeit  feiner  herrlichen  Umgebungen  Rechnung  tragen  fönnen. 
2öeun  ber  Italiener  in  feiner  feurigen  jur  Uebertreibung  geneigten  9luSbrucfS'- 
weife  Neapel  als  bie  ^erle  beS  Schönen  preift,  als  bie  9?ealifirung  beS 
,§Öd)ften  unb  ©rofeartigften,  was  bie  ^pt)antarte  auszumalen  oermag,  nad) 
beffen  (SemiB  feine  Steigerung  mehr  mög(ia)  fei  unb  bafjer  nichts  übrig 
bleibe  als  ber  Xob  —  fo  wirb  oon  9iio  be  ^öneiro  wenigftens  baS  ohne 
Uebertreibung  gefagt  werben  müffen,  baft  fidj  rjier  baS  4?errlt<hfte  oereint, 
was  lanbfchajtliche  Schönheit  unb  üppigfte  güße  ber  üRatur  §u  bieten 
im  Staube  finb,  unb  ba&  auch  bem  Sielgereiften  im  reiben  Jtranje  ber 
GrinuerungSblätter  baSjenige  eines  ber  ftrahlenbften  bleiben  wirb,  welkes 
bie  üluffa)rift  trägt:  9lio  be  Janeiro. 


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\ 

I 


Sealsfielb  poftl. 

Don 

fr.  ^entmann. 

—  fjerrliberq  am  ^üridtfee.  — 

(S  iti),  von  ber  SRebaction  ber  „©egenroart"  baju  eingelaben, 
in  „9?orb  unb  ©üb"  («September  1879)  meine  Erinnerungen  an 
SealSfielb  jufammengefafjt  f>atte,  roar  es  für  midj  ein 
angenehmer  ©ebanfe,  bicfeö  ©egenftanbeS  für  immer  entlebigt  ju  fein. 
Siur  wenige  mir  bamalS  befannte  Umftänbe,  roelcfye  über  baS  Seben  beS 
9JianneS  in  ber  Sdjroeij  ein  £id;t  5U  »erbretten  üermodjten,  waren  in  jenem 
Sluffafce  unerwähnt  geblieben,  fo  bafo  id)  annehmen  fonnte,  baS  SBefentlidfje 
fei  erfd)öpft.  ©leid)roof)l  lieft  mid)  bie  ©adje  nidjt  rufyen.  Einmal  ein* 
getreten  in  baS  md&t  gerabe  furjroeilige  ©efdiäft,  ein  ©ef)eimnife  be= 
brüten,  wirb  man  von  ber  magifdjien  ßraft  besfelben  feftgefjalten;  unb  ber 
gebulbige  Eifer,  ber  babei  entroidelt  werben  mujjte,  läfjt  eine  geroijfe  Söärme 
jurüd.  2lud)  tyxtte  idj  bie  3lrbeit  mit  bem  ©efüf)l  üerlajfen,  bie  vom 
6anb  5ugeroef)te  Sp^inr  nur  jutn  ^eit  ausgegraben  ju  haben.  211S  bafjer 
bie  Hnfdjauung  ber  offen  gelegten  ©liebmafjen  bie  Umriffe  ber  nodj  vti- 
bedten  $ur  2lf)nung  braute,  ermatte  au$  ber  Trieb,  nod)  einmal  in  bie 
Xiefe  unb  feitroärtS  $u  fd&aufetn. 

@leidj$eitig,  aber  unabhängig  von  meiner  Arbeit,  roar  üon  Dr.  Victor 
Hamburger  eine  inhaltreiche  <Sd)rift  über  SealSftelb  mit  einer  SReit)e  non 
Briefen  beffelbcn  an  #rodhauS,  Gotta  unb  Erljarb  herausgegeben  roorben, 
aus  benen  mir  baS  gleite  33ilb,  baS  ich  fdjon  r»on  ber  perfönlidjen  93efannt- 
fdjaft  r)er  in  mir  trug,  roieber  entgegentrat.  Siefer  Sd)riftfteller,  ber  mit 
fritifdjerem  93Ud  als  bie  früheren  in  ben  ©egenftanb  eingebrungen  roar, 
ftetlte  brieflich  einige  fragen  an  mid),  über  welche  er  entroeber  in  befonberer 


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538    £  f?cmmann  in  fjerrlibcrg  am  5"ticbfcc.  — - 

^Beantwortung  au  ilm  ober  in  einem  $weiten  3luffafee  3luäfunft  $u  erhalten 
wünfd&te. 

$ie  ertfe  betraf  bie  beiben  Öudjftaben  C.  1\,  weld&e  nadj  Seatefietbs 
9lnorbnung  über  feinem  Sd>riftftetlernamen  auf  bem  ©rabfteine  ftefjen.  3« 
golge  einer  mir  unerftärlid)en  tfünftelei  fiub  in  £amburger$  Sdjrift  biefe 
2lnfang$bud)ftaben  be$  wirflidjen  Tanten«  in  bcr  SBeife  ju  einem  einigen 
oerbunben  worben,  ba&  burdf>  SJerfefeung  ber  inneren  Sßölbung  be3  C  auf 
bie  erfte  &älfte  be*  jweiten  33uc&ftaben$  ein  P  cntftanben  ift,  wäljrenb 
©ealsfielb  in  ber  an  mid>  gerichteten  Reifung  einfadj  ein  C  (Ssi)  unb 
bal)inter  ein  P  (Pi)  gewünfdjt  r)atte.  $er  Auftrag  lautete  ofnte  weitere 
(ftflärung:  Waffen  Sie  ein  Ssi  Pi  über  meinem  Tanten  cinmeifeln! 
fann  ntd)t  cinfefjen,  was  ju  bieiem  Sflttwerfhrnbnifj  9lnla§  gegeben  fyat, 
wenn  i#  e3  nid&t  bamit  erflären  barf,  bafj  man  häufig  o^ne  befonberen 
©runb  ba$  ©infame  überfielt,  um  $u  irgenb  etwaä  Söerwicfelterem  ju  ge= 
langen. 

£>ie  jweite  grage  berührte  bie  3roifd)enftation  3üri#  auf  £ealäftelb£ 
Jludjt:  @ra$,  3ürid>,  9tew=Cr(ean£.  $dj  fyatte  oon  biefer  3rovftf)en:: 
ftation  nur  oermutrmngSweife  gefprodjen  unb  wage  audj  jefct  nod)  nid)t, 
beftimmtere  Angaben  ju  tnadtjen.  Cbne  meine  Sdjulb  tyaben  anbere  $ar= 
fieller  biefe  SBermuttnmg  aufgegriffen  unb  barin  eine  feftftebenbe  Sfyitfadje 
gefeljen.  Xer  Umftanb,  bafe  Sealäficlb  fdwn  im  3lnfang  feinet  fpäteren 
Auftretens  in  ber  Sdjweij  mit  ben  f)eroorragenbften  3)2itg[iebem  ber 
3üridjer  Soge  in  3?erbinbung  ftanb,  unb  mehrere  Anbeutungen,  über  bie 
id)  nudj  nid)t  äußern  will,  brauten  mta)  auf  ben  ©ebanfen,  bafj  er  fcfyon 
im  3Hai  ober  ftuni  1823  in  $üx\ä)  ^ur5c  3gü  oerweüt  fjabe,  um  bann 
weiter  nad)  9few=Drleanä  5U  reifen,  bem  23eftreben,  biefe  3>ermutbung 
$ur  ©eroifcbeit  $u  erbeben,  ftiefj  ia)  auf  fo  etgcntf)ümlid}e  unb  rjartnädtge 
Sd)wterigfetten,  baft  id)  biefe  ftrage  auf  fid)  berufen  laffen  muü.  2£urbe 
bodjj  oon  berufener  breite  bie  falfdje  iMjauptung  aufgestellt,  SeaUfielb  fei 
gar  nid)t  Freimaurer  gewefen!  Aud)  oon  anberer  «Seite  würbe  mir  in 
Allem,  wa£  bie  i'oge  betreffe,  $orfid)t  empfohlen  unb  biefe  3Wabnung  mit 
ber  gurdjt  begrünbet,  baß  511  weit  getriebene  aSißbcgicrbc  bie  2>ernid)tung 
ber  nod)  oorl)anbencn  Cuellen  $ur  ftolge  baben  tonnte.  Cbwotyl  td)  nur 
für  Ceüerreid),  fonft  aber  nidjt  begreifen  fann,  weldje  iöcbenfeu  ber  9iaa> 
forfebung  in  biefer  9üd)tuug  oor  Anbrud)  beä  uädrften  SalnlrnnbertS  ent* 
gegenfte^eu  fönnen,  würbe  id)  es  fel;r  bebauern,  burd)  9HittI;eitung  meiner 
©rfalmmgcn  einem  trüber  ben  8d)immel  fa^eu  511  maajen,  um  fo  mebr, 
ate  mir  uerfidiert  wirb,  ba|?  ba^  unfluge  ^citerfpinnen  bura)  einen  anberen 
^orfa^er  bereite  gefd;abet  bat.  6»  würbe  baburd)  ber  einige  toa(,  in 
weldjem  bie  ^bentität  oon  siaxi  ^oftl  unb  Charles  ©ealdpelb  gerid)tlid) 
bewiefen  werben  fonnte,  zugemauert. 

Xagcgen  fann  id)  auf  bie  britte  #xa$c  ^amburger^  eintreten,  wefdje 
baiin  befteljt,  ba^  er  nict)t  begreifen  fann,  „wie  3ea(£fielb  fid)  fo  lange 


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Sealsfielfc  poftl.   


339 


in  Brugg  auffalten  fonnte  (1844  unb  45),  ba  eine  Srnjalil  oon  Briefen, 
bie  et  tf)eil*  mitteilte,  tyeil*  nid>t,  au*  ber  3^it  feine*  Brugger  Stufent* 
falte*  immer  oon  anberen  Drten  batirt  feien."  3n  feiner  Sdjrift  „Seatetjelb* 
^oftf,  bi*f>er  unoeröffenttid^te  Briefe  unb  Stttttfjeilungen  ju  feiner  Biographie, 
2Sien,  fi.  9to*ner  1879''  finbet  fid&  aber  gerabe  au*  ber  3eit  be*  Brugger 
Aufenthalte*  fein  einziger.  Bon  bem  am  16.  1842  oon  Säger* 
wettert  batirten  «rief  an  ©rf)arb  in  Stuttgart  ift  eine  Sücfe  M*  jum 
9.  3ult  1846,  unter  roeld&em  Saturn  ©eateftefo  roieber  oon  geuertfjalen 
au*  föreibt.  ©ben  in  biefe  Sürfe  fällt  ber  besroeifette  Aufenthalt  in 
'Brugg.  3"  einem  t>on  ber  eigenen  $anb  gef^riebenen  Briefe  ma$t 
Seafefielb  am  16.  Sluguft  1845  in  feiner  2öoj)nung  su  Brugg  bie  W\U 
Teilung  an  9iegierung*ratl)  (Sulinger  in  3önä),  ba§  er  oorgeftern  nad;  einer 
Rur  oon  89  Sagen  in  ber  2BafferI)eUanftalt  Breftenberg  am  $attnmlerfee 
in  feiner  Häufung  in  Brugg  roieber  angelangt  fei.  Gr  fagt  in  biefem 
Briefe,  ben  bie  9todjfommen  be*  Slbreffaten  al*  2Iutograpf)  aufbewahrt 
haben,  au*brüdlidj,  bie  5htr  habe  nur  89  Sage  gebauert,  nidjt  roie  ed)te 
2ßaf)erfuriften  motten  9  ober  gar  18  SRonate.  <5t  fprad)  feine  bereit* 
toilligfeit  au*,  bem  bura)  ©ölinger  oermittelten  SBunfch  greiltgrath*,  mit 
ihm  jufammensutreffen,  511  entfpredjen  unb  fdjlägt  für  biefe*  9ienbe$oou* 
vöaben  ober  Sdhinjnadj  oor.  „3öiU  mir  hingegen  §err  grctligrath  ba* 
Vergnügen  ertoeifen,  mid)  in  Brugg  al*  ein  werter  ®aft  51t  befugen, 
fo  ift  er  tyxiiid)  ju  2lllem,  toa*  meine  ober  oielmehr  meiner  £au*frau 
Äfidje  unb  mein  Äetter  barbieten,  roiHfommen.  #aben  Sie  felbft  einen 
£ag  3C^  unD  emc  mäfeige  Sofi*  Suft  mitjufommen,  fo  oerftebt  fid^  oon 
felbft,  bafj  Sie  gicia^faH*  ^erjlitt;  roillfommen  finb.  Sie  fennen  sroar 
Brugg,  Sd)insnad;,  &ab*burg  2c  bereit* ;  aber  biefe  Stellen  abermal*  ju 
feiert  unb  fid)  oon  ihren  (sie)  geroifj  nidjt  fet)r  crroünfdjten  Regenten* 
forgen  ein  ober  jroeg  (sie)  Sage  ju  erhoben  (sie),  fann  jebenfaQ*  audj 
nid)t  fdjaben.  9(ua)  bemerfe  id),  ba&  wir  in  'Brugg  nebft  tolerablem  2Bein, 
oon  bem  Sie  roie  id)  weif?  fein  großer  Liebhaber  finb,  ercettente*  SSaffer 
haben."  9?eben  biefem  birecten  Beroei*  feine*  längeren  Aufenthalte*  in 
bem  fogenannten  Sprophetenftäbtdjen  fann  angeführt  roerben,  bafj  bort  nodj 
immer  ^erfonen  leben,  roeldje  mit  ihm  oerfefjrt  haben,  Herren,  bie  er 
jum  Abenbeffen  in  feiner  JBolmung  einlub  unb  bie  baran  SljeU  nahmen, 
Jrauen,  bie  ihn  beroirtheten.  £)ie  beiben  nun  oerftorbenen  3eugen  feine* 
mit  @rt)arb  oon  Stuttgart  in  Brugg  abgefdhloffcnen  unb  bort  getriebenen 
Vertrage*,  bie  Herren  Dr.  SHpfyonS  9iof)r  unb  Bejirteoenoalter  Keffer, 
ber  $au*befifcer,  würben  einzig  genügen,  feine  DJieberfaffung  in  Brugg 
aufjer  3rocife^  3U  fteöen.  Anbere  fdjrtftlidje  Spurcjt  fonnte  id)  atterbing* 
m'd)t  finben.  $m  polijeilia^eu  grembenoerjeidjnit}  ift  fein  Starne  nid)t 
eingetragen,  unb  e*  lär)t  fid)  annetjmen,  barj  fein  ^au*ljerr,  beffen  Bc= 
amtung  jum  Bejirf*amtmann  in  naljer  Bejicljung  ftel)t,  biefe  Reibung 
oielleidjt  auf  feine  Bitte  unterlieg.    Seal*fielb  ift  aud)  au  anbern  Drten 

»orb  unt>  €iib  L.,  ISO.  23 


3^0    Ejfmmann  in  fjerrlibcrg  am  düridjfee.  

nicht  ohne  Slbficht  tiefen  fdfjriftltchett  Ginträgen  fo  oiel  als  möglich  auS; 
gewichen.  2lber  auch  im  ©afthaufe,  wo  er  ben  SHirtagStifch  ^atte,  pnbet 
fid)  fein  Nachweis  einer  Bejahung  beSfelben.  5Dtc  35Mrtt)in  erflärte  biefen 
Langel  bamit,  ba§  er,  wie  fic  ft<h  genau  erinnere,  jebeS  Gffen  fofort  baor 
bejahte,  womit  feine  Sprung  unter  ben  onbern  nicht  fpecifkvrten  £ageS* 
einnahmen  oerfchwunben  ift.  Söeim  nun  ober  bie  £odfjter  beS  bamaligen 
Hausherrn  beute  noch  bie  oon  6ealSftelb  bewohnten  ^romer  seigt ;  wenn 
ber  Sofm  beS  Bauers  im  benachbarten  Dorfe  SRnnifen,  ben  er  fefjr  oft 
befudjte,  3of).  Dbrift,  2HüHer  in  ©chinjnadf),  in  einem  Briefe  mittheilt, 
„Herr  ©ealsftelb,  nach  feinen  eingaben  ein  2lmerifaner,  aber  beffenunge= 
achtet  ein  geborener  Deutfchlänber,  ber  fid)  £ag  unb  92a<ht  mit  bem  Stubium 
oon  neuen  Büchern  bemüht  höbe,  fei  in  feinen  QünglingSjahren  oft  oon 
Brugg  ju  feinem  Bater  hiitouSgef  ommen" ;  toenn  enbltch  bie  HauSgenoffen 
ber  2lpotf)efe  ©toefar  fagen,  er  habe  nach  bem  Gffen  ben  Kaffee  bei  ihnen 
getrunfen  unb  mit  feinem  red&tfjaberifdjjen  Sßolitifiren  ben  Bater  unb  fie 
geärgert:  fo  fann  meine  Angabe  gar  nidt}t  mehr  beff er  beglaubigt  werben. 
(Sinb  gleichwohl  aus  biefer  3eit  Briefe  oon  ihm  aus  anberen  Drten  batirt, 
fo  ift  bieä  nicht  auffallenb,  wenn  man  bebenft,  bafj  er  SBodfjen  lang  abwefenb 
fein  fonnte,  wie  jener  lange  Kuraufenthalt  im  Breftenberg  beweijt. 

Hamburgers  oierte  §rage  betrifft  bie  ©efdjidfjte  bes  Banferotts  feines 
©efchäftsfreunbes  in  üRew=DrleanS.  ^Diefe  fönne  fi<h  nicht  fo  zugetragen 
^aben,  wie  er  fie  mit  erjagt  hat.  Da  ich  für  bie  2Bahrheit  biefer  unb 
noch  Dieter  anberer  Grjählungen  aus  feinem  2ftunbe  nie  eingeftanben  bin, 
oielmet)r  bie  meiften  oon  Anfang  an  nur  als  feine  Darfteilung  gegeben 
habe,  fo  fann  idh  auch  hier  nichts  weiter  oerbürgen.  6eine  Angabe,  er 
habe  in  ber  erften  3eit  feines  Aufenthaltes  in  ber  Schweis  bie  beutfa)e 
Sprache  nur  mangelhaft  gefd&rieben  unb  gefprodhen,  wahrenb  bodh  mein 
JDhr  einen  fo  naturwü<hfigen  Dialeft  erfannte,  bafj  biefe  Behauptung  fofort 
oerbädjtig  war,  machte  mich  gegen  alle  feine  Gelungen  mifctrauifch.  Gr 
fpradh  „SigSbe"  ftatt  eiehft  Du,  „fiteren"  ftatt  führen,  „3Winäe"  ftatt 
3Künje.  GS  fann  ja  ebenfalls  nidjjt  wahr  fein,  was  er  oon  feinen  beiben 
in  SBeftpoint  ftubirenben  Söfmen  unb  oom  Gebernfplitter,  an  bem  feine 
Braut  geftorben  fei,  erzählt  tyA.  AIS  er  oon  ber  2Birtf)in  in  Brugg  ge- 
fragt würbe,  warum  er  an  einem  greitag  nie  &um  Gffen  fomme,  antwortete 
er:  „Der  greitag  ift  für  midh  ein  oerworfener  £ag;  benn  an  einem  Jreitag 
habe  ich  meine  grau,  mein  einiges  $inb  unb  mein  Bermögen  oerloren,  an 
einem  greitag  habe  idh  Schiffbruch  gelitten."  2Bar  eS  ihm  jnerft  nur  barum 
3U  thun,  mit  folchen  aufeerorbentlicijen  Antworten  bie  ^eugierbe  abjufpeifen, 
fo  gab  er  julefot  bie  erftaunlidfjen  Dichtungen  auch  unaufgeforbert  3um 
Beften.  Da  bie  fühuften  Gelungen  Dcm  3"^rer  feine  Södfjer  in  ben 
Slopf  fd;lagen,  fo  gab  fidh  auch  9fiemanb  3Wüt)e,  fie  &u  beftreiten.  2ßenn 
bagegen  Anberes,  baS  er  nicht  erzählt  r)at,  wahr  fein  foUte,  fo  fann  er  bei 
jenem  Banquier  in  9?ew=DrleanS  gan$  wohl  eine  bebeutenbe  Summe  beponirt 


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  Sealsf ielb  poftl.    3<H 

fjaben,  unb  in  biefem  gafle  giebt  bie  £f)atfad)e,  bafj  er  fid&  ain  29.  3anuar 
1827  in  fionbon  in  äufcerfter  ©ctbnott»  befanb,  ber  (Srjäljlung  oon  bent 
plöfeltdjen  93erluft  burdj  ben  Sanferott  feines  ®efd&äft«freunbe«  einige 
^atyrfdjeinltdjtfeit.  ©«  ift  aber  audj  möglidEj,  bafe  bie  ganje  ©efdfjidOte  nur 
feinem  23eftreben,  ftd)  in  ben  2lugen  2lnberer  ein  2tnfef)en  ju  geben,  bienen 
foHte,  inbem  er  e«  bem  3^örer  überlief  barüber  nadfoubenfen,  wie  $iele« 
er  oerlteren  gehabt  fyxbe.  $er  Sine  fd^neibet  auf  mit  Summen,  bie  er 
beftfce,  ber  Rubere  mit  folgen,  bie  er  ju  oerlteren  im  ©tanbe  gewefen  fei, 
unb  beibe  wollen  bamtt  ben  gleiten  ©inbrucf  mad&en. 

S3on  jef>er  reijte  mid)  bie  Aufgabe,  meldte  ba«  innere  fiebenSbilb 
6eal«fielb«  bem  $Beobad)ter  gebellt  tjat,  mefjr,  a£«  bie  Verfolgung  feine« 
äufjeren  ßeben«laufe« ;  i$  glaube,  ben  Sd)lüjTel  jur  Söfung  ber  Söiber- 
fprüd&e  in  jenem  2luffafce  im  Septemberfieft  oon  „ftorb  unb  Süb"  1879 
geboten  ju  f)aben.  <5«  mar  mir  barum  $u  tfiun,  benen,  bie  ba«  wedfjfelnbe 
Spiel  oon  Offenheit  unb  $erfd£)loffenf)eit,  SBetd^ett  unb  ^arte,  greigebigfeit 
unb  ©eij  «i^t  begreifen  fonnten,  einen  (Sinblitf  in  biefe«  oon  faum  ge= 
ahnten  inneren  dampfen  serriffene  äerj  su  oerfd)affen.  Xaju  bewog  tntdf) 
befonber«  ber  31.  ^falm,  ben  er  juerft  ju  feiner  ©rabfdbrift  toaste,  nad> 
$er  aber  mieber  fallen  liefe,  al«  er  ben  23er«  au«  bem  143.  gefunben  f)atte: 
,,©e^e  nidjt  m'«  ©ertd)t  mit  deinem  Älteste;  benn  oor  £>ir  ift  fein 
ßebenbiger  geredfjt."  $ener  31.  Sßfalm,  ber  alfo  mit  Unredfjt  auf  feinem 
©rabftein  ftefjt,  ift  bod)  eine  3«*  ^ng  oon  ifmt  feftger)alten  worben,  bi« 
er  bie  jufagenbere  Stelle  fanb.  @r  fyat  an  ben  2Borten  eine  fd&merälid&e 
@enugtf)uung  gefunben:  „item  fieben  f)at  abgenommen  oor  Setrübnifj  unb 
meine  3a^re  oor  Seufjen;  meine  $raft  ift  jerfaUen  oor  meiner  3Riffetf)at, 
unb  meine  ©ebeine  finb  oerfd)madf)tet.  SBor  all  meinen  Orangem  bin  i<$ 
eine  grofee  Sd&madlj  geworben,  aud)  meinen  9tad)baren,  unb  eine  Sd&eu 
meinen  SSerroanbten;  bie  miä)  fel>en  auf  ber  ©äffe,  fliegen  oor  mir.  Sfteiu 
ift  oergeffen  im  £erjen  roie  eine«  lobten;  idfj  bin  getoorben  roie  ein  5er = 
brodfjene«  ©efäfc.  $enn  id&  r)öre  SSieler  fjeimlid)  Spelten;  gurdjjt  ift  ring« 
umljer."  $)iefe  2Borte,  auf  benen  fein  2luge  geruht  f)at,  bezeichneten  mir 
bie  Aufgabe,  bie  idjj  &u  löfen  Ijatte.  Stauer  legte  id)  weniger  ©eroidjt  auf 
bie  ftrenge  golge  feine«  äu&eren  £eben«gange«. 

211«  aber  jene  3roeifel  über  feinen  2tufentf>att  in  Srugg  auftaud&ten, 
wanbte  id)  mic&  aud)  biefen  gragen  ju.  6«  war  nadfj  fo  langer  3eit 
nidjt  meljr  leid&t,  al«  ^Sfabfinber  ben  gu&fpuren  su  folgen,  bie  ber  leife 
auftretenbe  ©aft  in  ber  Sd&roeij  prücfgelaffen  tjat.  ^nbeffen  ift  e« 
gelungen,  ein  weniger  lü<fenl)afte«  SÖUb  feine«  fdjjweiscrifd^en  2)omicil« 
^erjufteaen.  Sei  biefer  9trbeit  t)atte  id^  bie  greube,  eine  9ieil)e  neuer 
^atfadjen  in  @rfaf)rung  ju  bringen,  weldfje  wieberum  3ur  Äennjeicimung 
feine«  3«nern  beitragen;  unb  nid)t  oljne  Sefriebtgung  wirb  man  erf ernten, 
bafe  auc^  biefe  3%*  m^       bereit«  entworfenen  übereinftimmcn.  <3o 

23* 


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3^2 


^.  fjemmann  in  Ejerrliberg  am  güti^fce.   


viele  3«"9™  i<h  oeruommen  habe:  in  feiner  AuSfage  begegnete  mir 
ein  Stria),  ber  oon  ben  früheren  abroeidjt. 

&öa)ft  roahrfa)einlia)  fjat  Äarl  ^oftl  ben  tarnen  SealSfielb  erft  in 
Amerifa  angenommen,  roo  er  im  Auguft  1823  (anbete,  9tod)bem  er  biefes 
■  unb  baS  folgenbe  3al;r  theils  in  Soutftana,  theils  in  ben  mittleren  Staaten 
langfam  reifenb  unb  beobad)tenb  jugebraa)t  hotte,  maa)te  er  in  ber  nörblta) 
von  ^ittsburgfj  gelegenen  Stabt  Äittaning  unter  beutfdjen  garmem  einen 
längeren  Aufenthalt.  3m  Dctober  1825  reifte  er  roieber  in  ben  ©üben 
unb  hielt  fitf)  btd  jum  SJtoi  1826  in  Souinana  auf.  $tt  ber  Abftd)t, 
feine  33eobaa)tungen  ju  reröffentUdjen,  fam  er  nad)  $eutfd)lanb  jurüd* 
unb  bot  im  (September  1826  von  granffurt  aus  bem  Jrei^errn  oon  Cotta 
eine  in  jroei  feilen  befteljenbe  9?etfebefd)reibung  an,  roe(d)e  mit  bem  $er= 
faffemamen  G^arle^  SibonS  rotrflia)  erfd)ienen  ift.  ,3ug(ei$  ftclltc  ilm 
Cotta  als  amerifanifd)en  Correfponbenten  für  bie  „AugSburger  Allgemeine 
Leitung"  unb  für  baS  „9J?orgenblatt"  an.  9?aa)  Abfa)lu6  tiefet  ©eföäfteS 
reifte  er  nad)  Sonbon,  roo  er  baS  9ieiferoerf  in  englidjer  Sprad)e  unb 
eine  jroeite  Sdrrtft  über  Cefterreid)  IjerauSgab.  $ier  geriet!;  er  in  ©elbs 
notf),  roeld^e  einjugefterjen  ben  ftoljen  5J?ann  gerotfj  gro&e  Selbftübers 
roinbung  gefoftet  ^at.  9?ad)bem  er  feinen  Vertrag  mit  SRurran,  bem 
englifd)en  Verleger,  als  $fanb  an  Cotta  gefanbt  hatte,  half  ihm  biefer  mit 
einem  Vorfdjufe  oon  40  ^f.  St.  aus  ber  Verlegenheit.  3m  Quni  1827 
reifte  er,  roieber  neue  Arbeiten  für  Cotta  in'S  Auge  faffenb,  nad)  9?ero=5)orf, 
begab  fia)  naa)  furjem  Aufenthalt  oon  ba  nad)  ^t)^Qbelprjia,  roo  er  fieben 
2Boa)en  lang  angeftrengt  arbeitete.  Da  er  r)icr  roieber  in  ©elbnotf)  fam, 
ging  er  nad)  Äittaning  jurücf,  roeld)e  Stabt  er  feine  Heimat  nennt.  £ier 
ooflenbete  er  feinen  erften  Vornan,  ben  er  anfänglid)  „Canonbah",  bann 
„Xofeab  ober  bie  roeifce  SRofe"  nannte,  ben  er  aber  fpäter  in  oeränberter 
ftorm  unb  unter  bem  Xitel  „Der  legitime  unb  bie  SHepublifaner"  aud) 
beutfd)  Verausgab.  1828  reifte  er  noa)  einmal  in  ben  ©üben  unb  fam 
bis  nad)  SHerifo.  1829  trat  er  in  bie  9iebaction  beS  bonapartiftifdjen 
Blattes  ,Xo  courrier  dos  otats  unis",  roeld)eS  ber  in  SRero  3erfen  lebenbe 
©rfönig  Sofeph  angefauft  hatte.  Doa)  balb  gab  er  biefe  Stellung  roieber 
auf.  Denn  1831  begab  er  fia)  mit  bonapartiftifd)en  Auftragen  nad)  bem 
Süben,  hielt  fia)  am  9ieb  9iioer  in  Souifiana  auf,  roo  er  fein  entbebrlia)eS 
©elb  anlegte,  unb  fam  enblid)  als  Agent  SofcphS  unb  als  Correfponbent 
ber  Siero^orfer  3eitung  „The  morning  Courier  and  Eiiquirer"  nad) 
(Suropa.  9faa)bem  er  abroed)felnb  in  $aris  unb  Sonbon,  roo  er  aua)  mit 
bem  Monthly  Koview  ,,The  Englishman"  in  Verbtnbung  ftanb,  ein  3arjr 
lang  gearbeitet  hatte,  fam  er  1832  in  bie  Sa)roei$  unb  fefete  tyex  in 
größerem  2Hafjftab  unb  in  Auffeheu  erregenber  SBeife  feine  literarifd)e 
Xhätigfeit  fort. 

Der  erfte  ^unft,  auf  bem  er  in  ber  Sa)roeis  auftaua)te,  war  Aarau, 
unb  3ioar  im  hinter  1832/33.   Wemanb  roufcte,  ba&  er  ber  Verfaffer  beS 


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  Sealsftelb  po{H.    3^3 

eben  anonpm  erfdjeinenben  2Berfe£  „$er  Segitime  unb  bie  9?epublifaner" 
unb  ber  fchnell  auf  einanber  folgenben  „$er  Viren  unb  bie  Slrtftofraten," 
„XranSatlantifche  iReticifijjen/  ,/JebenSbilber  au£  bciben  &ämifphären'' 
fei.  Xer  bei  Creü ,  Süfjli  u.  (Sie  1835  ^erauSgefornmenen  „Krauts 
fa^rt  9tolph  2)oughbo'£,  III.  Xfyeil  ber  TranSatlantifdjen  SReifejfwen" 
ift  eine  9ieifje  oon  3ie$enfionen  au£  beutfchen  3e^i [Triften  oorgebructt, 
welche  fich  in  ber  23ewunberung  biefer  glänjenben  Säuberungen  über* 
bieten.  2113  SealSfielb  an  einem  Siegenfonntag  beS  Sommert  1833 
einer  ©efetlfchaft  in  2larau  oon  3lmerifa  erjagte,  fxet  einer  Same,  welche 
baS  erfte  SEerf  gelefen  hatte,  2£ort  unb  SSenbung  ber  münblicben  Scbilbe* 
rung  fo  auf,  bafc  fie  nachher  fagte:  „Sßenn  ich  mich  nicht  fct)r  triufche,  fo 
ift  biefer  &err  ber  gro§e  Unbefannte  felbft".  £>iefe  iöemerfung  mürbe  ihm 
fdierjroeife  mitgeteilt  unb  oerftimmte  ilm  febr.  £aS  SBerftecf  hinter 
feinem  amerifanifdjen  tarnen  war  ihm  nicht  genug;  gletdjfam  als  wollte 
er  fein  $afein  auch  no<^  hinter  einem  ^weiten  Verhau  fiebern,  fürchtete 
er  auch  als  Säjriftfteüer  befannt  $u  werben,  $n  3Iarau  hotte  er  einige 
greunbe,  mit  benen  er  fi<h  regelmäßig  su  einem  Sfuftabenb  jufammen* 
fanb.  2)iefeS  Spiel  betrieb  er  mit  einer  folgen  3Heifierfd)aft,  ba§  Dr. 
$oh-  Sajerr,  ber  ifm  fpäter  beobachtete,  bie  Vennuthung  ausgeiprocben 
hat,  er  !önne  oon  ^prag,  wo  man  in  ben  höheren  ßreiien  hoch  fpielte,  aus 
feinem  ©ewinn  fefjr  wotjl  eine  beträchtliche  Summe  für  feine  gludjt  ge* 
fammelt  hoben.  @r  roolmte  im  testen  £aufe  ber  neuen  Vorftabt  bei 
Bierbrauer  @rnft  unb  hotte  feinen  Tifch  im  ©afthof  jur  ßrone.  Stoiber 
fam  er  noch  oft  5U  einer  befreunbeten  Familie  auf  23efuche  oon  acht  Tagen 
nach  3larau. 

3m  (Sommer  1833  50g  er  nadj  Stein  am  dtyein.  #ier  begegnet 
und  jum  erften  SJtol  eine  2ldullcSferfe  beS  gelben,  ber  fid>  groüenb  mit 
ber  URenfchbeü  unb  mifttrauifd)  gegen  alle  (Sterblichen  in  fein  3elt  5urucfs 
gejogen  hatte.  T)enn  bie  ftolje  ©infamfeit  brüdt  fein  SBefen  nicht  ooll* 
ftänbig  aus.  ^Dreimal  oerfuajte  er,  aus  berfetben  herauszutreten  unb  ben 
3auberring,  in  ben  ü)n  ber  23rucb  mit  feiner  #eimat  unb  bie  Verleugnung 
feines  Familiennamens  gebannt  l)atte ,  $u  burdjbrecben.  2)er  natürliche 
£)rang  nach  einem  oertrauten  föerjen,  ben  ein  [tarier  2SilIe  mof)l  getoaltjam 
unterbrücfen,  beffen  aber  auch  ber  Stärffte  fich  nicht  gänzlich  entlebigen  fann, 
rifj  ihn  ju  einem  Sa)ritt  r)in,  beffen  2Jttfjlingen  unfer  SHitleib  oerbient,  ob* 
roohl  babei  bie  unbdnbige  3lrt  feinet  Temperaments  beinahe  fomifch  ju 
Tage  trat.  $ie  folgenbe  ©pifobe  ftammt  au£  ber  per  fönlichen  3Jiittheilung 
ber  noch  lebenben  Srau,  welcher  barin  eine  Hauptrolle  zugefallen  ift 

Sealsftelb  wohnte  in  Stein  im  &aufe  beS  ^erm  ißräceptor  ^35fchen- 
ftein.  @S  waren  alte  Seute,  bie  ihm  ßoft  unb  Sogis  gaben.  3"  bem 
gegenüberliegenben  §aufe  „$im  SRofenect"  befanb  fich  ein  Spejereigeichdft, 
beffen  $etailoerfauf  bie  jmanjigidhrige  Tochter  ber  gamile,  bie  ältefte 
unter  eilf  ©efä)wiftem,  beforgte.   SealSfielb  fam  häufig  in  ben  Saben 


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3^    ^.  fjcmmann  in  fjerrliberg  am  gütidjfee.   

um  (Sigarren  y\x  taufen,  ohne  bei  biefen  Befudjen  mehr  ju  fpredjen  als 
nötfug  mar.   Söenn  aber  bie  £od)ter  2lbenbS  mit  ihrem  oierjährigen 
Schwefterdjen  auf  ber  Brücfe  fpajierte,  ©erliefe  er  ebenfalls  feine  2Bof)ming 
unb  näherte  fid;  if>r.   £ange  ging  er  mit  ihr  fjtn  unb  her>  wobei  er  mit 
bem  SRagbalendjen  anwerft  liebenSwürbig  tfyat.  2luf  biefen  Spa$iergängen 
gab  er  fid^  als  2lmerifaner  ju  erfennen,  erjagte  oon  feinem  Beftfethum  in 
Souifiana,  r>on  feiner  bortigen  Haushälterin,  einem  alten  9?egerweib,  unb 
beamtete  einmal  mit  Bergnügen,  man  habe  ihm  gefdjrteben,  bafc  if>m  im 
©ergangenen  3a&re  f°  UTl°  f°        Sieger  geboren  worben  feien.  2Benn 
er  biefe  Bemerfung  in  ber  BorauSfefcung  fallen  ließ,  bafe  fic  ihn  unmtber* 
ftehlid)  madje,  fo  Jatte  er  fidj  ooflfommen  getäufdjt.  ©ine  SluSbrucfSmeife, 
bie  fiä)  für  einen  Schafhirten  fchitft,  welcher  bem  ^eerbenbefifcer  berietet 
bafj  tfmt  feine  Lämmer  fo  unb  fo  oiele  3unge  geworfen  f^ben,  fonnte 
einer  Brautwerbung  in  ber  Schmeij  faum  jur  Empfehlung  bienen.  3ur 
Unterftfifcung  feiner  9lnftd^ten  richtete  er  an  bie  Altern  feiner  Sluserforenen 
bie  ©inlabung  ju  einem  SRadjteffen,  bie  fie  aber  auSfchlugen.   2ÜS  fia) 
hierauf  bie  £ochter  surücfhaltenber  benahm,  rüctte  er  offener  heraus  unb 
oerfpradj  ihr  für  baS  3aroort  all  Brautgefdjenf  baS  Schlojj  GafteH  am 
Unterfee.   Stefe  Befifoung,  baS  Eigentum  ber  gamilie  oon  Scherrer, 
hatte  fcfwn  bamals  einen  2Berth  oon  200,000  ©ulben,  eine  (Summe,  meldte 
SealSfielbS  Vermögen  bei  weitem  überftieg.  (£S  ift  auch  fraglich,  ob  baS 
©ut  überhaupt  oerfäuflich  war.   9lber  es  begegnet  uns  In'er  wieber  bie 
©ro&fpredjerei,  $u  ber  ilm  feine  Steigung,  ju  imponiren,  öfters  oerleitet 
r)at.   Sie  machte  abermals  einen  bem  beabftd&tigten  entgegengefefoten  6in= 
brudf.   Sie  £oä)ter  erflärte  ben  Altern  beftimmt,  fie  möchte  nicht  um 
Millionen  bie  grau  biefeS  unheimlichen  2ttanneS  werben. 

3luf  ber  Bleibe,  einer  otelbefudjten  Sommerwirthfchaft  am  $lingen= 
berg,  wohin  SealSfielb  am  Sonntag  3lbenb  fpajierte,  traf  er  mit  itjr 
wieber  jufammen.  2US  fajweigfamer  Beobachter  fah  er,  bafc  ein  junger 
#err  ihr  jene  harmlofen  ^ulbigungen  barbrad)te,  bei  benen  -Wiemanb  an 
etwaö  Böfes  benft.  $a  biefelben  freunblid)  aufgenommen  würben,  fo  er- 
beb fia)  SealSfielb  auf  einmal  in  grofjer  Aufregung  unb  ftürmte  nach  §aufe. 
£ort  tobte  er  wie  ein  Unfinniger,  ftiefj  bie  heftigften  Bermfinfchungen  aus 
unb  brohte,  biefen  9Kenfa)en,  feinen  ocrmeintlidjen  Nebenbuhler,  ju  er= 
fted)en.  Sod)  über  Stacht  befann  er  fidt)  anberS.  Senn  am  SWorgen 
hatte  er  feine  ßabfeligfeiten  sufammengepaeft  unb  oerliefj  Stein  für 
immer. 

%n  Stein  ^atte  er  fonjt  feine  Befannte,  unb  obwohl  er  ben  ganzen 
£ag  faft  unauSgefe^t  fd^rieb,  wujjte  9iiemanb,  bag  er  Sajriftftetter  fei. 
Seine  Koftfrau  f Gilberte  it)n  als  geijig;  er  habe  fpärlia)  gelebt  unb  nur  fein* 
oiel  ÜJlild)  unb  Butterbrot  oerlangt,  baS  er  immer  fofort  bejahlte.  Seine 
5tteibung  war  fajl  fd^äbig,  fo  bafj  bie  Seute  fanben,  biefes  SluSfeljen  reime 
fid)  gar  nia}t  mit  feinen  aRitujeilungen  unb  5Berfpred)ungen.   Bon  Stein 


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Sealsfielb  pofll.   


ging  er  luieber  nach  33abeu  uub  wofmte  im  borauf  folgenben  äßinter  1833/34 
im  ©aftfjof  $um  ©ngel  in  (Snnetbaben.  Ta  er  mäfjrenb  bei  9ftebitirenl 
Inn*  unb  ^ergc^en  mußte,  fo  waren  upm  bie  oon  ber  Duelle  erwärmten 
Gorribore  angenehm,  fo  baß  er  andf)  in  ber  golge  nodb  oft  bie  fälteften 
SWonate  r)ier  jubrachte.  $ie  &aulgenoffen  berieten,  übereinftimmenb 
mit  ben  früheren  unb  fpäteren,  oon  feiner  großen  ©parfamfeit. 

1834  unb  1835  oerlegte  er  feinen  SBofmftte  in  bal  &aul  „aum 
©teinboct"  in  Unterlaß  bei  Sfixii),  welches  £errn  ©emetnbammann  Sar 
gehörte,  £ier  arbeitete  er  wieber  auf's  ©trengfte  an  ben  Sßerfen,  bie  im 
Verlag  oon  Drell,  güßli  &  Gie.  gebrucft  würben.  2)er  jweite  SSerfudfj, 
innigere  33anbe  ju  fnüpfen,  fällt  in  biefe  $eriobe.  9li<$t  weit  vom 
„©teinboct"  rootjnte  ein  bei  genannter  $trma  angeheilter  ©dhriftfefcer, 
beffen  ©ofm,  ©dfniler  bei  unteren  ©nmnafiuml,  bie  (Sorrecturbogen  oom 
ßlfaffer  ju  ©ealsfielb  fun*  unb  jurücftragen  mußte.  Xiefer  ftnabe  jog 
bie  3uneigung  bei  einfamen  SRanneS  auf  fich,  unb  wir  glauben  ber  £ar* 
Rettung  bei  jefet  nod)  lebenben  einfügen  ©nmnafiaften  gerne,  baß  er  oon 
ihm  freunbliä)  behanbelt  würbe.  $enn  überall,  wo  ©ealsfielb  jur  &ütung 
feine!  ©eheimniffeS  unb  jur  2ib  weifung  forfdfjenber  9?eugieTbe  nidf)t  gleia> 
fam  auf  ber  2ßad)t  fielen  mußte,  alfo  gegenüber  Jlinbern,  Sanbleuten  unb 
bürgern,  bie  mit  almungSlofer  Unbefangenheit  oor  it)n  traten,  ließ  bie 
Spannung  feine«  2BefenS  nacf)  unb  er  fonnte  eine  ungewohnte  Sieben!* 
würbigfeit  entfalten.  Stoajbem  ber  änabe  eine  3eit  lang  feinen  Xienft 
oerriajtet  hatte,  fpraa)  fein  ©önner  beut  SBater  ben  SBunfch  aus,  ben  tfarl 
ju  aboptiren.  Stber  ber  ©chriftfefeer  nahm,  wie  er  feinem  ©olm  bie  ganje 
Unterhaltung  erft  an  beffen  ßocfoeitstage  mitteilte,  biefeS  9lnfinnen 
juerft  all  Schern  auf.  2tt!  ©ealsfielb  bringenber  würbe,  antwortete  er 
mit  einer  entfdjnebenen  Ablehnung;  boa)  jener  lieg  fidj  oon  feinem  33or* 
haben  nicht  abbringen,  ©ein  Anbringen  würbe  nur  ungeftümer  unb 
julefct  warf  er  bem  93ater  oor,  baß  er  feinem  Sohne  in  ber  ©onne  ftehe. 
$a  oerlor  ber  SJtonn  bie  ©ebutb  unb  erflärte  runb  heraus,  baß  er  feinen 
Sohn  nidjjt  oerfaufe.  tiefer  2luSbrucf,  ber  ©ealsfielb  gewiff ermaßen  in 
ben  9tof  fteüte,  all  fei  er  ein  ©flaoenhänbler,  erbitterte  ihn  fo  fehr,  baß 
er  nidfjt  nur  iebe  SBerbinbung  mit  5Bater  unb  (Sohn  abbrach,  fonbern  auch 
Unterlaß  ganj  oerließ,  weil  er  fid^  mit  nodfj  anberen  gamilien  überwarf, 
bie  auf  bei  ©cljriftfefeerS  ©eite  jtonben. 

Um  ben  britten  93erfudj  biefer  Slrt  anjufügen,  müffen  wir  eine  fpätere 
^ßeriobe  feine!  Sebenl  vorausnehmen.  $m  J^fatjre  1855  fchrieb  er  oon 
simerifa  aus  an  ben  Stüfermeifter  ©dfjenfel  in  ©dljaffhaufen,  bei  bem  er  mehrere 
3ahrc  gewohnt  hatte,  einen  93rief,  beffen  Hauptinhalt  bie  SBttte  war,  ümi 
feine  3wei  iöc$ter<hen  hinüber jufenben;  er  weTbe  für  fie  forgen  wie  ein 
SBater.  $)ie  Äinber,  bie  ben  einfügen  #aulgenoffen  wegen  feiner  grei* 
gebigfeit  in  gutem  3lnbenfen  behalten  hatten,  wären  fehr  gern  gegangen. 
Mein  ber  Sßater  gerieth  in  heftigen  3°rn  unb  würbigte  bie  Slnfrage  feiner 


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3^6    £  {^entmann  in  fjerrlibcrij  am  §üria)fce.   

Antwort.  $iefe  Vemüfnmgen  [äffen  al)nen,  toeld^e  ©ef)nfudjt  na<§  2tn* 
fdjließung  baS  ^erj  biefeS  abftoßenben  2ftanneS  bewegt  fyit,  unb  wie  feine 
©djroffljeit  nur  bie  SflaSfe  war,  unter  ber  er  fein  ßlenb  oerborg.  ^nbem 
mir  uns  biefer  Vorfteüung  Eingeben,  erfaßt  uns  wieber  baS  SJHtleib  mit 
einem  ©djitffal,  aus  bem  er  bie  nötige  £ofung,  bie  Verbinbung  mit  fetner 
eigenen  gamilie,  nid)t  finben  fonnte! 

9Han  fyat  gefragt,  warum  er  biefe  Verbinbung  nie  mefjr  gefugt, 
warum  er  überhaupt  fein  ©ef)eimniß,  beffen  Sefanntwerben  tfmt  gemt§ 
nid)t  mein*  gefäljrliä)  werben  fonnte,  mit  fidj  in'S  ©rab  genommen  (jat. 
Vergegenwärtigen  wir  uns  aber,  wie  empfinbliä)  fein  ftoljeS  ©elbftgeffiljl 
war,  fo  liegt  bie  (Srflärung  na^e.  SRecenftonen  aushalten,  oerurfad&t 
einem  ©d&rtftftefler  gewiß  fein  befjagliajeS  ©efüljl.  2öaS  ift  aber  erft  eine 
Viotfection  beS  perfönltcfjen  Sebent,  weldje  mit  ber  Deffnung  beS  ViftrS 
unfehlbar  an  i&m  oorgenommen  worben  wäre!  2ludj  genügte  einem  folä)en 
G&arafter  fa>n  ber  ©ebanfe,  oom  interejfanten  Slmerifaner  jum  fimpeln 
Defterreiäjer  f>erab$urmfen  unb  bamit  auf  ben  Söorfprung  ju  üerjid&ten, 
ben  il)tn  ber  bloße  9tome  »erlief  3a)  glaube,  er  f)ätte  baS  Vefanntmerben 
feiner  Vergangenheit  niä)t  ertragen. 

Von  Unterlaß  30g  er  in  bie  ©tabt  3üria).   $ort  wohnte  er  oom 
27.  October  1836  bis  §um  17.  9)iai  1837  bei  Sanbjäger^auptmann  Jel)r 
in  ber  f leinen  ©tabt.  1837  reifte  er  in  ^rioatangelegeiujeüen  naä)  9torb= 
3lmerifa,  traf  aber  am  18.  9iooember  1837  wieber  in  3&x\$  ein  unb 
blieb  rner  bis  sunt  15.  $ecember  bei  9iorborfS  Grben  in  ber  großen  ©tabt. 
2>en  SSinter  1837/38  braute  er  in  Vaben  §u,  oon  wo  aus  er  jenen  33efudj 
in  Slarau  maä)te,  bei  bem  er  mit  .fterrn  ikofeffor  Slodjlwlj  jufammenfam. 
$en  Auftritt  fjabe  ia)  in  „ftorb  unb  ©üb"  ©eptember  1870,  ©.  326 
erjäf)lt.   %m  ©ornmer  1838  wohnte  er  in  geuert^alen,  im  SBinter  in 
Vaben,  1839  in  geuertf)alen.  ©r  erhielt  in  biefetn  ©ommer  einen  $efu<$ 
oon  ber  befreunbeten  2larauer  gamilie.   ©ie  fjolte  it)n  in  einem  SBagen 
ab,  befuäjte  in  feiner  ®efeUfä)aft  ben  Sirenenberg,  ftonftanj  unb  Ueber= 
lingen,  wo  fie  fiä)  etwas  länger  auffielt.   3uerft  war  cr  $x  m$s 
r)er  wollte  er  fie  frei  {galten,  aber  unter  feiner  fieitung  ging  es  formaler 
ju.   Vom  24.  ©eptember  bis  311m  30.  9iooember  1839  wolmte  er  wieber 
in  3ürid|  bei  ©eorg  oon  Gfä)er  in  ber  flehten  ©tabt.  3fn  biefen  Sauren, 
welä)e  auf  feine  9tü<Jfel)r  aus  2lmerifa  folgten,  arbeitete  er  wieber  unauS* 
gefegt  an  ben  „fteuen  &mb*  unb  ©eebilbern  (1838),  bie  bei  %x.  ©ä)ultf)eß 
tjerausfameu,  ju  welkem  Verlag  er  fid)  fdwn  mit  bem  „^ftonjerleben" 
unb  mit  „9totf)an  ber  ©quattersregulator"  gewanbt  f)atte,  bann  am  „Äajfitem 
buä}"  (1840).   1841/1842  war  er  in  Sägerweilen,  oon  wo  er  mit 
ber  S3ud)l)anblung  in  ©tuttgart,  bie  fpäter  bie  ©efammtauSgabe  übernahm, 
correfponbirte.  &ier  oerfaßte  er  fein  lefcteS  2Berf,  bas  oeröffentliä)t  würbe, 
„©üben  unb  Horben".   Gr  lebte  fitU  für  fid),  fpajierte  oiel,  am  liebflen 
am  SBaffer  ober  im  2Balbe,  unb  war  freuubliä),  ofnte  gerabe  gefpräajig  ju 


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  Sealsficlt»  pofH. 


3^7 


[ein.   $in  unb  roieber  befugte  er  ben  im  nahen  flreujlingen  roohnenben 
Senrhtarbirector  Xh-  Scherr.   3n  ben  SBintem  1841,  1842  unb  1843 
toar  er  roieber  in  Saben,  roo  ihm  3rau  ßüpfer  ermäßigte  greife  bewilligte. 
Sein  3ntimuS  in  SBaben  war  bcr  bamalige  ^rofeffor  unb  fpätere  9iebacteur 
Utepomuf  Schleuniger,   ©erne  befuäjte  er  bie  borttgen  SWaSfenbätte,  um, 
toie  er  jagte,  bie  Sitten  ju  jrubiren.    3n  23aben  lernte  er  ben  Slrjt 
Dr.  SllphonS  Sftofn:  aus  bem  nahen  33rugg  fennen,  ben  er  roegen  feiner 
2Tugen  confultirte.   ,3m  3um  1844  50g  er  bann  nach  Srugg  unb  blieb 
bort  auch  im  folgenben  ^aljre.  9Son  ba  raanbte  er  fidj  roieber  nach  geuer* 
traten,  hierauf  nad)  Schafföaufen  (1847—53).  CSr  roofmte  tljeits  im  be- 
nachbarten §otel  Sßeber,  theils  in  ber  Stabt  felbft,  hier  juerft  im  $aufe 
ber  gamüie  Sftener,  bann  in  bem  neu  ^ergeri ästeten  bes  JtüfermeifterS 
Schenfel.   3m  ^ote(  Söeber  traf  er  mit  ber  injroifchen  oertyetratheten 
Xodjter  von  Stein  jufammen,  bie  feine  Sßerbung  ausgeflogen  t)atte.  Sie 
faß  mit  einer  ©efeflfctyaft  an  ber  Xafel,  als  er  eintrat,  auf  fie  jufam,  fie 
freunblich  grüßte  unb  fragte:  Sinb  Sie  nun  glücflidj?  1853  reifte  er 
nach  2Tmerifa,  oerroeilte  juerft  in  £outfiana,  bann  in  Stendorf  unb 
93rooflon,  bis  er  1858  burch  $errn  SRationalratf)  ©uferoißer  baS  &auS 
in  Solotlmrn  faufte,  in  welchem  er  am  26.  3Rat  1864  ftarb. 

3u  biefen  2lufenthaltSangaben  ift  ju  bemerfen,  baß  SealSftelb  ja^t- 
reid>e  21bfte<$er  machte,  befonberS  in  bie  2Bafferfuranftalten,  auf  bie  er 
großen  2Bertf)  (egte.  2tuä)  ju  &aufe  fefote  er,  fo  weit  möglich,  bie  Söafferfur 
fort.  Gr  ftanb  in  Schaff  Raufen  bei  .fterrn  Schenfel  bes  Sommert  um 
rrier  Uhr  auf,  ging  oor  baS  £f)or,  tranf  oon  einem  beftimmten  Grumten, 
nahm  jroei  glafchen  baoon  mit  fia)  ^eim,  babete  baljeim,  roicfelte  fiä)  in 
wollene  $ecfen  unb  legte  ftdj  roieber  in'S  33ett  bis  acht  Uhr.  3n  2llbiS* 
brunn  bei  Raufen  ßt.  3ürich  mar  er  als  flurgaft  »on  1846—52  eilfmal. 
1852  im  Suni  traf  er  in  ber  neu  errichteten  Slnftalt  2öolfSberg  im  Efmrgau 
ein.  ©inem  Äurgaft,  ber  bort  mit  ihm  oerfehrte,  ift  noch  beutlich  in  ®c- 
innerung,  roie  er  im  £one  abfoluter  ©eroißheit  oon  ber  fa>n  eingetretenen 
ober  no<§  roerbenben  9tichtigfeit  ber  meiften  ©roßmäd)te  im  Vergleich  $u 
ber  9llIeS  Überflügeinben  norbamerifanifä)en  Union  fpraä),  neben  ber  er 
nur  noch  SRußlanb  gelten  ließ.  $)abei  gab  er  ju  oerftefien,  baß  er  biefe 
Urtr)cttc  nicht  aus  ber  fiuft  gegriffen,  fonbern  unmittelbar  aus  bem  9totf) 
ber  polüifchen  Halbgötter,  $u  bem  er  fid&  auch  regnete,  gefchöpft  fyabe. 
Seine  näa)fle  Umgebung,  bie  Sdjroeis,  fam  babet  nidjt  am  beften  roeg. 
Dbroo^  er  fie  jebem  anbern  Slufent^att  oorjog,  hatte  er  an  ihren  ©in* 
richtungen  mehr  ju  tabetn  als  ju  bittigen.  Xie  Seroegung  oor  unb 
roährenb  beö  SonberbunbSfriege«  mar  ifjm  unbehaglich  unb  be5  Spottes 
fonnte  er  fid)  nicht  immer  enthalten.  ©8  ift  ber  gleiche  3U&  oer  ^m 
fajon  bie  Un$ufriebenheit  beS  ©roßmeifterS  feines  DrbenS  jugejogen  hatte, 
roelcher  fxä)  nach  feinem  Serfchroinben  folgenbermaßen  über  ihn  oernehmen 
ließ:  3ch  muß  ber  ©ahrheit  gemäß  beifügen,  baß  ich  feit  beinahe  jroei 


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3^8    ^entmann  in  Ejerrliberg  am  §nrid?fcc.   

Sauren  mit  biefem  CrbenSmitgliebe  unjufrteben  $u  fein  gerechte  Urfadjje 
^atte  unb  ihm  feine  £auigfeit  unb  flälte  in  geiftlidhen  Functionen,  fein  fecfeS 
einbringen  in  höhere  ftamilienf  reife,  fein  ftoljes  Benehmen  gegen  bie 
Brüber,  fein  anmafeenbeS  Urteil  über  prioate  unb  öffentliche  2lngelegen= 
tjeiten  wieberholt  unb  ftreng  oerwiefen  habe  unb  jwar  mit  bem  Beifafee, 
bafe  ich  einem  anberen  OrbenSbruber  bie  SecretariatSgefchäfte  anoertrauen 
mfijjte,  faffö  in  feinem  betragen  feine  wefentüche  2lenberung  erfolgen 
foßte."  2lber  biefer  3"9  erhielt  eine  noch  gefteigerte  Scharfe,  als  er, 
loSgeriffen  oon  jebem  Berbanb,  an  bem  ber  3J?enf<h  feinen  natürlichen 
$alt  finbet,  biefen  9Jtongel  auf  anbere  SÖeife  ju  oerbecten  unb  jugleich 
bie  Unwahrheit,  bie  feinem  ganjen  gefellfchaftlichen  $)afein  ju  ©runbe 
lag,  mit  einer  3UDerficht,  bie  Slnbere  oerblüffen  foßte,  ju  oerhüflen 
fudhen  mujjte.  Jür  Slnbere  unerflärlidh  unb  ihm  felbft  nicht  immer  bewufjt 
befanb  er  fidt)  eigentlidh  in  einem  fortwährenben  ftriegSjufianb.  Wix  tarnen 
biefe  grellen  Behauptungen,  mit  benen  er  fo  Biele  oor  ben  Stopf  ftiefi, 
oft  wie  baS  pfeifen  eines  3Wenfd£)en  oor,  ber  fi<h  im  £)unfeln  fürchtet. 
(£r  fühlte  fidh  auch  in  ber  ©efeßfcljaft  wiffenfchaftlidj  unb  harmomfö 
gebildeter  Banner  nidht  behaglich-  Sßiet  mehr  fagte  ihm  biejenige  oon 
Beamten,  Äaufleuten  unb  einfachen  Bürgern  ju,  wo  bie  ©efahr,  fleh  auf 
ben  3°hn  fühlen  $u  (äffen,  nicht  fo  gro§  ift  &ter  fet)rte  er  mit  Borliebe 
ben  Befifeer  amerifanifcher  SBerthpapiere  heroor  unb  fudt)te  2lße,  bie  bafür 
Sinn  r)attenr  jur  Anlage  it)reö  ©elbeS  in  biefen  bamals  nodh  weniger 
befannten  Unternehmungen  ju  bewegen.  Bon  ber  beutfehen  Siteratur  wufete 
er  fo  wenig,  ba&  infofern  fein  amerifanifcheS  Bürgerthum  glaubwürbig 
erfdhien.  Sein  ganzes  ©laubenSbefenntnifj  in  biefer  ßinficht  war  ber  oft 
wieberholte  Safe:  ,,©oetf)e  ift  ber  einzige  ©entleman  unter  ben  beutfdhen 
Tutoren."  hingegen  wenn  <SeaI«ficlb  eine  3eitung  in  bie  &anb  nahm, 
jo  las  er  jwifchen  ben  Seilen  mehr  als  jehn  anbere. 

2lUe  biefen  Eigenheiten  lajfen  ftch  erflären  theils  aus  feinem  früheren 
Seben,  in  bem  fta)  feine  herrifdhe  Stfatur  erfolglos  gegen  bie  gejfeln  ^ex 
Suborbination  aufgebäumt  rjatte,  theils  aus  bem  fortwährenben  (Streben, 
burdh  fchroffeS  Auftreten  jeben  Berfudfj  eines  ©inblicfeS  in  fein  ©eheimnifc 
jum  Boraus  ju  entmuthigen.  £aju  famen  aber  einige  Bijarrerien.  Bon 
feiner  abergläubifchen  Abneigung  gegen  „Sflenfchen,  bie  ©ott  gezeichnet 
hat/'  ift  fdjon  bie  SHebe  gewefen.  Es  genügte  auch,  ba§  er  auf  feinen 
frühen  Ausgängen  einer  alten  grau  begegnete,  um  fofort  gänjlich  »er* 
ftimmt  nadh  ßaufe  jurücfjufehren.  Srgenb  eine  anbere  Schrulle  fonnte 
ihm  ben  ganzen  Xag  oerberben.  Niemals,  fagt  eine  feiner  beftat  Be- 
fannten,  ift  mir  ein  Sttann  begegnet,  ber  feine  böfen  Saunen  weniger  ju 
jügeln  wußte,  als  Sealsfielb.  $n  biefer  Beziehung  oerbienen  einige 
fpred^enbe  obwohl  lächerliche  Auftritte  erzählt  $u  werben. 

2lls  Sealsfielb  bei  Hauptmann  SJefjr  in  Rurich  wohnte,  würben 
einem  anberen  $enfionär,  ber  unwohl  war,  gefachte  3roetf<hgen  auf  baS 


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  Sealsfielfc  pofU.    5^9 

3immer  gebracht.  Salb  barauf  mußte  SealSfielb  baS  3inmier  5ütcn  unb 
erhielt  gefönte  2lepfe(.  ^ahrfdjeinlid)  weil  er  ber  Meinung  war, 
3roetfdjgen  feien  feinet  ober  nobler  als  Slepfel,  fdjlug  er  fidrm  unb  be* 
flagte  fid)  fo  heftig  über  bie  oermeintlidje  3urü(ffefcung,  baß  üim  §aupt* 
mann  gefjr  bie  Sßo^nung  ffinbigte.  Gin  ähnliches  3uf dtnmerttr eff ett  tarn  in 
6olot|urn  oor.  ©ealsfielb  begegnete  eines  SJlorgenS  feinem  üRadjbar, 
£errn  ©olbfdjmieb  ©raf,  unb  flagte  ifmi,  was  er  oon  einem  anbern  ÜRad)* 
bar  iu  leiben  fjabe.  &err  ©raf  wollte  ihn  beruhigen  unb  fagte:  „XaS 
ift  eben  ein  fonberbarer  Apoftel,  ©ie  follten  fidr>  bieS  nid)t  fo  anfechten 
laffen."  $>te  lefeten  2Borte  aber  fonnte  er  6ealSfielb  nur  nod)  nadjrufen. 
Senn  !aum  mar  baS  SBort  „Apoftel"  heraus  OPoftU),  fo  wanbte  ihm  biefer 
ben  9fficfen  unb  eilte  ofme  2Ibfd)iebSgruß  unb  ofme  baS  @nbe  ber  @r* 
nrieberung  abzuwarten,  baoon.  Sßon  ba  an  wid(j  er  ßerrn  ©raf,  ber 
jt<S  gar  nid&t  erflären  fonnte,  worin  er  gefehlt  habe,  immer  aus.  —  Als 
er  in  Sdjaffhaufen  bei  Äüfermeifter  6d)enfel  wofmte,  burfte  jum  Auf* 
räumen  Siiemanb  baS  3immer  betreten  als  grau  ©djenfel,  bie  ftet)  burdj 
i^re  6d)weigfamfeit  fein  befonberS  Vertrauen  erworben  hatte.  @S  fiel 
ihr  auf,  baß  fie  unter  bem  £ifd;  ober  in  ben  SBinfeln  häufig  ©olbftütfe 
liegen  fah,  meldte  fte  auftob  unb  auf  ben  £ifdj  legte.  Ueber  biefe  gunbe 
würbe  smifdjen  ihr  unb  ifmt  nie  ein  SBort  geroedjfelt.  Aber  ber  SDtann 
nahm  biefeS  oon  ilmt  als  ehrlidjfettSprobe  empfunbene  Segen  einer  gatle 
übel  unb  fdjlug,  wenn  er  baran  backte,  ben  Jammer  mit  boppelter  ßraft 
auf  feine  gäffer.  —  Als  man  ©ealsfielb  währenb  feinet  Aufenthalts  in 
Sarau  ben  ©enferfee  unb  baS  Serner  Dberlanb  anpries,  weigerte  er  fich, 
biefe  ©egenben  ju  befugen,  weil  er  ficr)  bie  aus  Amertfa  mitgebrachten 
Silber  nidjt  burdj  anbere  9toturerfdjeinungen  oermifchen  laffen  wolle.  3n 
Saben  fagte  er  einmal,  bie  größte  ©efafjr,  bie  einem  einzeln  ftehenben 
6d}rtftfteller  brofje,  fei  bie,  fid)  bem  £runf  ju  ergeben.  „3$  Ijatte  mir 
beShalb  ^albe  G^ampagnerflafd^en;  fie  werfen  beim  (Somponiren  meine 
(SinMlbungSfraft,  ohne  fie  $u  betäuben."  „2Benn  es  nur  auf  biefe  ©in* 
fd)ränfung  anfäme,  würbe  nod)  Sttandjer  unter  bie  edjriftfteller  gehen," 
erhielt  er  §ur  Antwort. 

60  oorfid^tig  ©ealsfielb  in  ber  münblidjen  Unterhaltung  war,  nodj 
oiel  jurücf^ttenber  waren  feine  Sriefe.  9Jian  fud&t  in  Urnen  umfonft  bie 
Spuren  bes  ©eijieS,  ber  in  ben  Schriften  pulfirt.  Auch  biejenigen  an 
Gotta  unb  Grfarb  legt  man  n\a)t  ofjne  (Snttäufd)ung  aus  ber  £anb.  $enn 
fchr  feiten  finb  bie  «Stellen,  bie  fich  oon  trioialen  dingen  ober  ©efd)äfts* 
fragen  $u  einem  allgemeinen  3ntereffe  ergeben,  diejenigen,  bie  mir  als 
Ulanufcript  ju  ©efid&t  gefommen  ftnb,  matten  ben  (Sinbrucf,  baß  ber 
Sdjreiber  abjid)tlid)  eine  möglic&ft  gefd^wäiige  güUe  oon  SBorten  auf 
tnöglid^ft  nid)tsfagenbe  ©egenftänbe  Ijabe  oerwenben  wollen.  3lls  id^  mid) 
bemühte,  bie  Sriefe,  bie  6ealSftelb  an  SRationolratt)  ©u^wiffer  gefajrieben 
hat/  $ur  (Sinfid)t  ju  befommen,  traf  oon  bem  &erm,  ber  ©ufc willers 


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350    £  fjemmann  in  £?errliberg  am  ^üridjfee.   

Rapiere  jur  ©id)tung  erhalten  fyatte,  folgenbe  Slntroort  ein,  bie  nodj  für 
ciele  anbere  gelten  mag:  „Sie  ©ealsfielb'fchen  Briefe  ließ  id)  mir  feiner 
3eit  nicht  um  beS  ©Treibers,  fonbern  um  beS  2lbreffaten  ©t.  @ufcroiller£ 
nriHen  mitteilen.  3<jj  fammelte  nämlich  oon  jeher  Stiles,  mag  mit  $u 
einem  ©trich  an  bie  Siographie  ©ufenrillerS  irgenb  einen  Seitrag  giebt. 
Sie  Briefe  ©ealsfielbs,  ihrer  oier  an  3«hl  ^ocn  mir  eine  große  Säufchung 
berettet.  9iicf)t  ein  SBort  tonnte  ich  ercerpiren;  über  bie  geroörmlichften 
conuentioneUen  Semerfungen  oon  2Better,  ©efunbhett  ober  ber  greube  über 
neulid)es  3ufammenlreffen  u-  ^9^  ^iuauS  enthielten  fie  feinen  Saut  einer 
gebilbeten  ober  fühlenben  ©eele.  3$  fanbte  fie  aud)  fofort  roieber  aurficf. 
s3JHt  großer  Grroartung  t)atte  idj  ben  3*ugniffen  twtä  SluStaufcheS  ber 
Seiben  entgegengefehen.  2lber  als  ich  bie  Sriefe  in  ben  &änben  hatte, 
erfdn'enen  fie  inhaltlich  als  nichts.  Sarum  habe  td)  fie  auch  nicht  copirt." 
©eunß  fteht  aud)  biefer  erjroungene  SBortreichthum  feiner  bebeutungSlofen 
Briefe  im  3"faiumenhang  mit  feinem  Sefireben,  über  feine  ©puren  ©anb 
aufjuroirbeln.  2Bir  muffen  baljer  bem  Serhalten  feiner  Umgebung  gegen 
ihn  nod)  einige  Sfofmerffamfeit  fdhenfen. 

2llS  $einrtdj  3W°^e  m^  ©ealsfielb  in  Uebertingen  äufammentraf, 
fagte  er  &u  ihm:  „2öir  ©chriftfteUer  fodten  leben  wie  bie  ©ötter  unb  uns 
nur  feiten  ben  Sterblichen  jeigen."  Samit  ift  ber  große  Unterfdjieb 
jroifchen  bem  ©djriftfteller  ©ealsfielb  unb  feiner  perfönlichen  ©rfcheinung 
gefennjeicfmet;  ein  Slbftanb,  fo  auffallenb  für  bie  Urteilsfähigen,  baß  es 
nicht  an  Zweifeln  fehlte,  ob  ©ealsfielb  roirflich  ber  Serfaffer  ober  nur 
ber  Ueberfefcer  ber  ©d)riften  fei,  bie  unter  feinen  Tanten  befannt  ftnb. 
Schon  baS  gänzliche  Serfiegen  feiner  ©djaffenSfraft  in  einem  fonft  nod) 
fähigen  2llter  befrembet.  Gr  hat  freilich  felbft  bei  jenem  3ufammentreffen 
mit3fchoffe  geäußert:  „Wan  fottte  mit  bem  fünfjigften  ^ahre  aufhören  311 
probuciren ;  mit  fünfzig  fahren  fleht  man  auf  ber  SebenShöhe,  unb  nachher 
gehen  leibliche  unb  geiftige  Gräfte  föneU  abwärts."  ftäthfelhaft  bleibt 
aber  bie  grage,  roaS  mit  feinem  legten  2£erfe  vorgegangen  ift.  ftarl 
SWorea  stud.  jur.,  ber  fpätere  fchroetserifdhe  Sichter  unb  ©efdjicfyfchreioer, 
ben  ©ealsfielb  1847  in  3llbisbrunn  fennen  gelentt  fyattt,  befud)te  ihn 
auf  ber  SHüdreife  oon  fteibelberg  in  ©d)affhaufen  unb  fam  begeiftert  non 
feiner  Aufnahme  nacf>  &aufe.  ©ealsfielb  hatte  ihm  aus  bem  SDtonufcript 
feines  neuen  9tomanS  oorgelefen.  öS  muß  ber  jenige  geroefen  fein,  oon 
bem  er  in  feinen  Sriefen  an  Grharb  immer  fprid)t  unb  ber  nicht  mehr 
jur  Seröffentlicbung  gelangte,  3$  habe  früher  mitgeteilt,  warum  td) 
nid)t  glaube,  baß  er  biefes  Uflanufcript  in  ©olothurn  noch  befaß.  9ttcht  nur 
oon  biefem,  fonbern  überhaupt  oon  allen  feinen  SBerfen  fprad)  er  ftets  mit  ficht* 
lichem  SöiberwiHen.  Sßarum  aber  foU  ein  ©chriftfteUer  ber  Sefpredjung 
feiner  Sßerfe  fo  ängftlid)  ausweichen,  wie  ©ealsfielb  es  gewöfmlidj  tr)at  V 

SaS  Solf,  burd)  welches  ©ealsfielb  währenb  31  fahren  unerfanut 
gewanbert  ift,  leibet  im  2lügemeinen  nid)t  an  bem  gehler,  burdh  att^u 


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— -   Sealsfielb  pofH.   


lebhafte  ^beilnabme  an  f^riftfteHcrifd^cn  (Sr^eugniffen,  bie  aus  feiner  2)titte 
fyeroorgeben,  fein  Stferoenfnftem  berunterjubringen.  SBenn  Sealsftelb  fürchtete, 
bafj  beim  23efanntroerben  feiner  Söerfofferfc^aft  ein  beläftigenbes  Nachfragen 
entf^eljen  unb  ihm  ©efahren  onf  ben  #als  sieben  roerbe,  fo  war  feine 
Unruhe  unbegrünbet.  25ie  £eute,  an  beren  £ifd)  er  fa§,  haben  %er  ©e* 
funbheit  burd)  öüdjerlefen  fo  wenig  gefebabet,  bafc  er  $af)xe  Tang  unter 
ihrem  £ad>e  roofmen  fonnte,  olme  fich  über  aufgeregte  literarifdje  3U; 
bringliebfett  beflagen  ju  müffen.  ©ine  angefel;ene  Sßirthstodjter,  weiter 
er  eine«  feiner  Sucher  fdjenfte,  ^at  e3  ^eute  noch  nicht  gelefen.  Ratten 
mir  geahnt,"  fdjreibt  ein  anbereS  gamilienglteb,  „welchen  bebeutenben 
©cbriftfteller  wir  beherbergten,  fo  würbe  er  mehr  3ntereffe  bei  uns  erregt 
haben."  2öie  fidj  ba*  &olf  §u  biefer  X^ätigfeit  oerbalt,  jeigt  eine  @r= 
ää&Iung,  bie  Seatefielb  felbft  mit  Rehagen  oortrug.  „3d)  fafe  in  einer 
2öirtf)f($aft  bei  Eägerweifen.  9lu  einem  jweiten  Eifcb  unterhielten  fidt> 
halblaut  jwei  dauern.  „$u,  fagte  ber  eine  jum  anbern,  „was  ift  wof)l 
baS  für  einer  bort  brüben  mit  bem  Spiegel  auf  ber  9tofe?"  „$er?" 
entgegnete  ber  ©efragte,  „id)  meine,  baS  ift  Gitter,  ber  ©efä)i$ten  fajreibt ; 
weifct  2)u,  folche  ©efc£}ichten,  wie  Tie  im  Menber  fteben."  ,,©old)e?" 
erwiberte  ber  (Srfte  unb  fdhenfte  bie  ©läfer  bis  jum  Nanb  ooü  —  „bann 
wollen  roir  fdmell  auStrinfen  unb  maa>n,  bafj  roir  fortfommen,  fonft 
fommen  roir  aud)  nod)  hinein." 

©S  ift  richtig,  bafj  SeatSfielb  feinen  2lnfd)lu&  überall  nach  oben 
fudjte  unb  auf  eine  für  gemerftehenbe  unerflärliche  Söeife  auch  fanb.  £ie 
©pifcen  ber  ©efeflfebaft  fühlten  fich,  fo  roenig  fie  fid^  aud)  in  feiner  ^ers 
fönlichfeit  jurechtfanben,  oon  feinem  Umgang  geehrt.  2lber  roahre  ftreunbe 
tonnte  er  beSr)alb  nicht  finben,  roeil  über  feinem  Raupte  ftets  bie  SSolfe 
beS  Argwohns  ruhte.  3unäcbft  9a^  cr  a^  5rcimaurer.  bringt  man 
baS  SBorurtbeil,  baS  bamals  noch  vielfach  gegen  bieten  Crben  im  33olfe 
f>errf<f)te,  in  SBerbinbung  mit  ben  ungenügenben  SluSfagen  über  feine  per* 
fönlichen  33erbältniffe,  fo  begreift  man,  ba&  feine  Söorte  mit  3roeifel  auf* 
genommen  würben.  3^ict)t  einmal  fein  2lugen(etben  fanb  ©lauben,  fonbern 
man  nahm  lieber  an,  er  trage  bie  blaue  Frille  nur  ju  bem  3md,  bamit 
er  befto  fieberer  oor  Ueberwacfiung  feine  Umgebung  beobachten  fönnc. 
(Schatten  biefeS  9J?ijjtrauenS  rouchfen  abfonberliche  S3erbäcf)ttgungen.  Sie 
©olbftücle  auf  feinem  Limmer  hieben  einfach  ©ünbengelb,  roomit  man 
bie  im  Sflaoenhanbel  erworbenen  ^ieiebthümer  bezeichnen  wollte.  $em 
SBolfe,  baS  ja  überhaupt  ben  3n>ecf  regelmäßiger  Spaziergänge  nicht  ein* 
fieht  unb  oon  ber  2Belt,  bie  einen  SdhriftfteUer  bewegt,  nur  unflare  $or* 
ftellungen  hat,  fd)ienen  aud)  feine  einfameu  ©änge  in  2öalb  unb  gelb  oer* 
bäd)tig.  2)a  er  fich  nad)  ber  Siücffebr  fofort  sum  Schreiben  nieberfefote, 
fo  fam  er  balb  auch  in  ben  9tuf  eine«  beja^Iten  Spions.  $ie  ohne 
3roectangabe  gemachten  Reifen  beftärften  biefe  3Kuthma6ung,  ba  man  fich 
barunter  nichts  anbereS  benfen  fonnte,  als  bie  Serichterftattung  atteS  beffen, 


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352  — -    $.  Jjemmann  in  tjerrlibcrs  am  ^ntid^^ee.   

roaS  er  roieber  gebammelt  ^atte.  %n  ber  aufgeregten  3eit  oon  1848  reichte 
©ealsfielb  bem  aunftgertdjt  SBenfemfiaufen  eine  Älagefd&rift  gegen  ßerrn 
Med.  Pract.  grtebnd)  Soviel  ein,  weit  tfm  biefer  am  .13.  Cctober  be= 
fäimpft  unb  burdj  beißen  unb  Silagen  förperlic$  oerlefct  l;abe. 
Ijätte  biejen  Sufammenftofj,  ben  fdjon  3of).  ©d&err  furj  erroälmt  f)at,  über; 
gangen,  roenn  er  niä)t  ein  3^$*"  ber  Stimmung  märe,  roeldje  an  Dielen 
Orten  gegen  ben  rätljjelrjaften  SJtonn  Ijerrfdjte. 

@in  roirflid)  gutes  2Inbenfen  r)at  er  nur  in  jenen  Greifen  Jjinterlaffen, 
wo  roeber  bie  9)Jenfd)enfenntmj}  nod)  bas  SBebürfnijj  nadj  53eobad)tung 
bebeutenber  ©rfdjeinungen  lebhaft  genug  entroitfelt  ift,  um  bas  SSorfyanbenfein 
unauSgefprod^ener  <$xaQen  jum  93eroujjtfem  «m  bringen.  3)em  9iad)fragenben 
begegnete  barjer  unter  bieten  Seuten  oorroiegenb  Sob  unb  freunblidje 
Erinnerung,  bei  aüen  anberen  lauter  5topffdnitteln  unb  auSroeid&enbe  2lntroort. 
2Rit  ben  meiften  urteilsfähigen  ^perfonen,  bie  ifmt  einft  naf)e  traten,  Ijat  er 
fidj  in  ber  golge  überroorfen.  3lm  roenigften  aber  gelang  es  ifnn,  mit 
fein  gebilbeten  grauen  in  jenes  SBerfjältnife  eines  ^er§(id^en  SBerfeljrS  ju 
treten,  bas  gereift  aud)  ifnn  erroünfdjt  mar.  9JZit  bem  roeiblidjen  ©djarfblicf, 
ber  feiner  langen  Unterfud^ung  bebarf,  erfannten  fie  ben  ©Ratten  feiner 
©rtftenj  unb  midien  fdjon  bei  ber  erften  23erüljrung  fdjeu  tror  ifmt  jurutf. 

Styn  felbft  mar  unb  blieb  es  unmöglidj,  über  feinen  eigenen  Sdjatten 
gu  fpringen.  6o  wirb  es  pfndjologifd)  begreiflidj,  bajj  er,  von  ben 
2JJenfd)en  immer  mef)r  gemieben,  non  ber  Seit  t>erge[fen,  in  bem  $aufe, 
in  bem  er  fia)  ^ulefct  Derjdjanjt  harte,  nodj  einen  33erfud)  madjte,  frifc3t)c 
Suft  |U  fd)öpfen,  unb  bann  fdjroeigenb  barjintanf,  wie  eS  in  meinem 
früheren  2luftafc  erjagt  roorben  ift.  ©ein  ÜRame  roirb  ba,  wo  er  fo  lange 
geroeilt  fjat,  faum  nod)  genannt.  9?ur  bie  3°8lin9e  Der  °rei  2Baifenf)äufer 
©d^aftfjaufen,  3ur^  un&  ©olotrmrn,  ju  bereu  ©rjie^ung  er  Segate  geftiftct 
§at,  erfahren  bei  ber  s4>rämirung  i^rer  Seiflungen,  bafj  ßiner  if;rcr  gebadet 
fyit,  ber,  felbft  unglüäliajer  als  fie,  unbeflagt  unb  boa)  mitfü^lenb  fein 
fdjroereS  £ooS  ju  tragen  »entroste,  baS  £oos  ber  SSerroaifung. 


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Der  Berliner  Dom. 

Don 

©bepHegierungsrattj  CoM. 

-  Köln.  - 

aft  jroci  3af)rf)unberte  finb  feit  bem  erften  (Sntrourf  jur  ©eftaltung 
eines  großen  unb  mürbigen  euangelifdjen  $omeS  in  Berlin 
oerftoffen.  fleht  geringerer  als  Schlüter,  ber  6d)öpfer  beS 
25enfmalS  beS  @rofjen  Jturfürften  unb  beS  oornef)mften  unb  fd)önften 
feiles  beS  königlichen  (Sd&loffeS,  ber  Mitarbeiter  am  3eu9§aufo  ^attc 
Anfangs  beS  oorigen  3af)rf)unbertS  einen  $lan  für  ben  £)om  gejeia^net 
unb  als  ©tanbort  ben  meftlidjen  Xljeil  beS  SdjlofcplafeeS  in  9Iuäfi^t  ge* 
nommen.  $ie  5Urd)e  f)ätte  barnad;  bie  gorm  eines  griedjtfd&en  (gleidj= 
fcf)enf(igen)  ßreujeS  mit  einer  Äuupet  über  ber  23terung  unb  einem  mächtigen 
«Portat  an  bem  ©djlofjplafc  gegenüber  ber  Sangen  33rücfe  erhalten.  $ie 
Verlängerung  beS  SdjloffeS  bis  jur  ©dtfofcfreiljeit  madjte  bie  2luSfüf)rung 
bes  planes,  von  bem  nidjt  feftfieljt,  ob  er  überhaupt  ernftyaft  gemeint  mar, 
ofmel)m  unmöglich  —  ©egen  Mitte  beS  oorigen  3af)rf)unbertS  mürbe  bann 
ber  gegenwärtige  $om  im  Suftgarten  errietet,  ein  9ied)tecf  oon  70  Meter 
Sänge  unb  20  Meter  £iefe,  mit  ber  in  biefem  3ajjrfmnbert  bur$  6djinfel 
zugefügten  ^orljalte  unb  Heineren  Ausbauten  am  Dftenbe  einen  gläd&en* 
räum  oon  etwa  1800  Duabratmetem  bebeefenb.  $aS  innere,  burd)  ein* 
gebaute  Emporen  breifdnffig  geftaltet,  jeigt  ein  10  Meter  breites  Mittel* 
fdßff  unb  je  5  Meter  breite  eeitenfd)iffe  unb  enthält  1100  Sifeptöfee, 
baoon  600  im  Mittelraum,  500  auf  ben  Emporen,  aufeerbem  900  ©tefjpläfce. 

5Dtc  ©rö§en=2lbmeffungen  finb  für  berliner  ßirdjenoerljältntffe  nidjt 
eben  gering.  2Benn  man  berficffidjtigt,  ba§  fämmtlidje  45  eoangelifdje 
Sttrd)en  SSerlinS  etwa  46  000  ©ifcpläfce  enthalten  (baneben  finb  nodj  eine 
iUnja^l  oon  Capellen  mit  einigen  taufenb  (eifeen  in  9lnftalten,  Öefänguiffen 


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55^    (Dberregterungsratfi  CoM  in  Köln.   

oorfymben)  unb  baß  alfo  auf  jebe  ©emeinbe  oon  bur$f<$nittlidj  27  000  Beeten 
etwa  1000  Sifepläfre  entfallen,  fo  ift  bie  nur  10  000  Seelen  umfaffenbe  $om* 
gemeinbe  mit  tf)rem  5Urcf>enraum  fd)on  jefet  fef)r  günftig  bebaut.  ©leidjmoftf 
J)o6en  bie  SBeftrebungen,  an  bie  Stelle  beS  gegenwärtigen  ©otteSljaufeS 
ein  räumlidj  unb  fünftlerifa)  größeren  2lnfprüd)en  genügenbes  ©ebäube  311 
fefeen,  feit  70  3af)ren  ju  wieberfyolten  Entwürfen  geführt.  £>ie  fünftlerifdje 
vJlrmfeligfeit  beS  oorfjanbenen  löaueS,  weldjer  mit  feiner  ©igenfdjaft  als 
&aupt=  unb  jQoffird^e  Berlins  in  fo  unerqutcflidjem  ©egenfafe  ftefjt,  forbern 
$u  SBerfuajen  einer  würbigeren  unb  angemeffeneren  ©eftaltung,  wobei  audj 
bie  gefteigerten  9touinanfprüd)e  nid^t  unberüdfidjtigt  bleiben  fönnen,  ju  fefjr 
fierauS.  Sd)infel,  Stier  unb  Stüter  befdjäfttgten  fid)  mit  mef>r  ober 
minber  großartigen  planen,  bis  es  enbü<$  bem  legten  oergönnt  5U  fein 
fdjien,  ben  gemaltigen  SBaugebanfen  Äönig  grtebrid)  2öilf)elm  IV.,  biefeS 
ebeufo  tief  reiigiofen  wie  hmftbegeifterten  $errfd)ers,  bie  jur  2IuSfüf)rung 
geeignete  funftlerifdje  gorm  ju  geben.  3)er  erfte  aus  bem  9lnfang  ber 
oier^iger  3at)re  ftammenbe  ©ntwurf  StülerS  jeigt  einen  etwa  70  SWeter  im 
©coiert  faffenben  fünffdnffigen  flirdjenraum,  beffen  3Jtittelfa)iff  25  SHeter 
breit  unb  45  3Jleter  jwd)  mit  geraber  Salfenbeäe  überfpannt  war.  9Wit 
ber  tiefen  93orfKtüe  umfaßte  ber  in  ben  gönnen  altä)riftlia;en  Safilifenftileä 
geplante  Sau  eine  glätte  oon  6700  Duabratmetern,  wo$u  bie  &errfd)ers 
gruft  (wunpo  santo)  mit  60  3Ketern  im  ©eoiert  fam,  im  ©anjen 
10  000—11  000  Duabratmeter  23aufläd)e.  SDie  no$  oor^anbenen  dauern 
..  •  unb  gunbamente  gehören  biefem  Saumerf  an. 

9iadjbem  bie  politifdjen  ©reigniffe  bie  görberung  beSfelben  gehemmt 
Ratten,  entwarf  Stüler  1855  für  ben  $)om  felbft  einen  anberen  ^Slan. 
©in  mit  ©mporen  auSgeftatteteS  Ouabrat  oon  70  Steter  Seite  umfaßt  ein 
mit  mächtiger  Büppel  überbecfteS  ©eoiert  oon  50  Bieter  lichter  SÖeite. 
$)te  Äuppel  auf  ad)t  Pfeilern  rufjenb  f>at  50  9J?eter  äußeren  unb  42  SJteter 
inneren  SDurdjmeffer  unb  bis  sunt  guß  ber  Saterne  100,  bis  jur  Äreu^ 
fpifce  140  Bieter  &öf)e.  ©infdjließlid)  ber  SBorfjalle  bebedt  baS  ©ebäube 
eine  gläaje  oon  6500  üuabratmetern.  2)ie  Sauformen  geigen  eine  mit 
romanifa^en  2lnflängen  gemifdjte  9tenai)7ance. 

25er  Sau  gelangte  in  golge  beS  2lblebenS  ftönigS  griebridf)  2Bilf)elm  IV\ 
nid)t  jur  2luSfüf)rung.  3llS  nad)  bem  politifdjen  (Srfolge  beS  SfaljreS 
1866  bie  $)ombau=2lngelegenf)eit  wieber  auf  bie  XageSorbnung  gefefct 
würbe,  ließ  man  ben  Stülerfdjen  Entwurf  fallen  unb  fdjrieb  einen  allgemeinen 
Wettbewerb  aus.  6s  mürben  bie  ^>läne  für  einen  eoangelifdjen  $)om  in 
Berlin  oerlangt,  als  Sauplafe  ber  Waum  jroifc^en  canipo  santo  unb  ber 
jefeigeu  StaiferSfiilfjelmSbrücfe  mit  ber  Maßgabe  beftimmt,  baß  bie  UmfaffungSs 
mauern  beS  carapo  santo  nidjt  angetaftet  werben  bürften.  £aS  campo  santo 
follte  alfo  nadj  ben  urfprünglidjen  planen  oollenbet  werben.  $m  Uebrigen 
enthielt  fidt>  baS  9luSfd)reiben  jeglid^er  2lnbeutung  über  ©röße,  3roec^/ 
orbnung,  Stil,  überließ  9lUes  ben  Bewerbern  unb  braute  bura)  biefe 


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Der  Berliner  Dom. 


335 


^rogrammlofigfeit  oon  Dorn  herein  ein  fold)e  Unflarhett  in  bie  ganje 
Slncjelegenljeit,  baß  ihr  ergebnißlofer  Söertauf  mit  Sicherheit  üorau^ufefyen 
war.  2öenn  man  bauen  will,  f o  muß  man  vor  allen  fingen  wiffen,  was 
man  mit  beut  geplanten  Sauwerf  bejwecft.  (Sin  mögliche  tlav,  fcharf  unb 
erfd)öpfenb  abgefaßtes  33auprogramm  ift  bet  erjte  unb  nothwenbtgfte  (Stritt 
jur  Serwirflichung  bes  Vorhabens,  eine  foldje  gormultrung  ber  33au= 
gebanfen  fehlte  liier  oollftanbig.  ©leichmohl  beteiligten  ft<h  50  Ardjiteften 
an  bem  SBettjtreit  —  ein  SewetS,  welche  Anziehungskraft  ber  ©egenftanb 
t)atte  unb  wie  feljr  man  trofc  ber  Unflarhett  ber  Austreibung  oon  bem 
SBertrauen  befeett  mar,  baß  eS  bieSmal  @mjt  werben  würbe.  $ie  &älfte 
ber  eingereihten  Entwürfe  hatte  berliner  Architeften  in  Serfaffern. 

$aS  naä}trägliä)  eingefefete  SeurtheilungSgericht  erfannte  an,  baß  je^n 
Entwürfe  als  bebeutenbe  Äunftleijhmgen  anjufpreä)en  feien.  (Ss  befanben 
fidj  barunter  8  von  berliner  Architeften  ^errü^renbe,  bereu  SBerfaffcc  jum 
großen  Efjeil  noä)  ^eute  t^ätig  finb  unb  in  ber  SMfraft  ihres  Staffens 
fielen,  $aS  weitere  greifbare  ©rgebniß  beS  Gewerbes  bejtonb  barin,  baß 
baS  33eurtheilungSgericht  nachträglich  baSjemge  tf>at,  was  oor  ber  Aus* 
fdjreibung  hätte  gefc^eljen  muffen,  nämlich  ein  öauprogramm  aufjufleUen. 
2)aSfeIbe  fiel  im  Sinne  ber  &erfleHung  einer  für  bie  Sebürfniffe  bes 
eoangeltfchen  ©otteSbienfteS  brauchbaren  $ofs  unb  $auptfirä)e  aus:  eines 
©ebäubeS  von  immerhin  ftattlicher  Abmeffung  mit  1600  Sifcpläfeen  im 
&auprraum  unb  200  Sßläfcen  auf  ben  Emporen  für  bie  fürftlichen  Sßerfonen,  ben 
#of,  ^ot)e  Staatsbeamte,  unb  mit  ben  nötigen  9ßebenräumliä)feiten.  $)te 
2Jfet)rheit  beS  ©erichtS  hielt  außerbem  ein  ©ebäube  im  Spifcbogen|Ul  an  ber 
beftimmten  Stelle  nicht  für  juläffig  unb  als  Saumaterial  bie  Serwenbung 
von  3tegelftetnen  für  auSgefchloffen,  biejenige  oon  $auftein  für  erforberlia). 

3)aS  nachträgliche  Programm  ftanb  in  fdjroffem  ©egenfafc  ju  bem, 
waS  bie  große  9Wehrjahl  ber  Bewerber,  namentlid)  bie  burejj  befonbere  An« 
erfennung  ausgezeichneten,  als  3roct*  SßettftreiteS  aufgefaßt  hatten  unb 
nad)  Sage  ber  Umjtänbe  wofjl  auch  Ratten  annehmen  müffen.  Xie  nun« 
mehr  geforberte  ©emeinbefirche,  welche  lebiglidj  wegen  ihrer  gleichzeitigen 
©igenfehaft  als  ^ofKrdje  in  etwas  ftattlidjeren  Abmeffungen  unb  mit  größerem 
Aufwanbe,  befonbers  im  SRebenraume,  gebaut  war,  als  fonjt  in  Sertin 
üblich,  wäre  mit  einer  ©runbfläche  oon  2000—2500  Duabratmeter  unb 
einem  Äoftenaufwanbe  oon  einigen  Millionen  SRarf  fehr  gut  §u  gewinnen, 
©efehieft  entworfen  hätte  Tie  fidj  immerhin  leiblich  in  bie  Umgebung  ein» 
fügen  laffen,  auf  einen  monumentalen  Abfdjluß  bes  SßlafeeS  hätte  mau 
bann  aber  ein  für  affemal  Serjicht  geleiftet. 

3m  ©egenfafe  htoju  tyüttn  W  bic  Setoerber  an  bie  Stülerfche  Auf* 
faffung  angelehnt  unb  eine  große  geftfirdje,  meift  mit  ^or)er  ßuppel,  ent= 
roorfen.  3Bie  bei  Stüter  mußte  bie  prafttfdje  33rau<hbarfeit  ber  Äirche 
für  bie  ^wette  beS  ©emeinbegotteSbienfteS  unter  einer  folgen  Auffaffung 
natürlich  leiben,   ftäume  oon  3000  bis  4000  duabratmeter  ©runbflache 

»«b  nnb  eflb.  L.,  150.  24 


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556    <L>berregieruiigsratt{  Co&t  in  Köln.   

(fünf  bis  fieben  3JJal  fo  groß  als  bcr  weiße  Saat  beS  königlichen  SchloffeS) 
mit  ber  entfprechenben  &öt)e  unb  Äuppeln  von  40—50  SWeter  $urchmejfer 
unb  60—80  Metex  innerer  §öl>e  fuib  für  bie  Sßrebiflt  fchledjterbtngs  m<$t  su 
gebrauten;  es  giebt  feine  menfäHdje  Stimme,  weldje  fid&  in  foldjen  Rollen 
aerftänblich  machen  tonnte.  2luch  im  SKufbau  beherzten  bie  Stülerfdjen 
©ebanfen  fo  fehr  baS  gelb,  baß  bie  iDcehrjahl  ber  ©ntwütfe  fiä)  als  mehr 
ober  weniger  gelungene  Variationen  berfelben  barfieHten.  Sie  Abweichungen 
beftanben,  abgejehen  von  Stilfrageu,  oornehmlid)  in  ber  Verfchiebenheit  ber 
ÄuppeU&uwicfelung  unb  ber  ßuppeU2lbmeffungen.  ©in  £r)eil  fud^te  an 
Stelle  beS  einfachen  DuabratS,  SlchtecTs,  ÄretfeS  eine  organifche  ©lieberung 
unb  ©ntwicfelung  ju  fefcen,  was  bei  einigen  Entwürfen  ju  einer  ^tjrilung 
beS  Raumes  in  eine  gefts  unb  eine  5prebtgtfirct)e  führte,  So  bilbete  Orth  bie 
erftere  als  Vorfirct)e  unb  bie  lefctere  als  eigentliche  ^aupt!ird}e  au«,  was 
jur  golge  $attc,  baß  feine  fluppel  mäßige  $>imenfionen  (35  9)?cter  äußerer, 
30  SHeter  innerer  Eurchmeffer,  ^ö^e  big  sur  fiaterne  80  3)?eter)  jetgte 
unb  fia)  bei  fchlanfen  Umrißlimen  befonberS  glücflich  in  bie  Umgebung 
hinetnfügte.  Slnbererfeit*  fügten  ©nbe  unb  Soecf mann  ber  großen,  als 
"  geftfirdje  gebauten  ßuppelfirche  nad)  ber  Spree  ju  eine  Sprebigtfirdje  oon 
mäßigen  2lbmef)ungen  an,  meiere  mit  erfterer  ein  einheitliches  ©anjeS  unb 
gleichfam  ben  Glwr  beS  föauptraumes  bilben  joUte.  föenben unb  ftudmann 
fdjloffen  fidj  wieber  ber  Drth'fchen  Stilauffaffung  an,  matten  aber  bie 
Vorfirdje  jur  ^rebigtfirdje,  welche  fie  mit  glaä)fugeln  ü6erbecften,  währenb 
bie  bie  geftfirche  überragenbe  £auptfuppel  gleiä}faH^  nur  mäßige  2lbs 
meffungen  (30  9)?eter  innerer  Surchmejfer,  40  SWeter  äußerer,  70  Stfeter 
innere  .£>öhe)  jeigte.  Stefe  unb  anbere  (Entwürfe  wiefen  eine  gütte  oon 
Schönheiten  neben  mannigfachen  Schwächen  auf;  in  ber  StUfaffung  folgte 
bie  Sflehrjaht  einer  burch  roinanifche  9lnflänge  conftruetio  etwa*  ftraffer 
erfaßten  SRenaiffance.  $od)  fanb  auch  ein  gotif d)er  Kuppelbau  (Clingens 
berg)  ben  SBeifall  beS  SBeurtheilungSgerichtS. 

9lbgefehen  oon  biefen  Verfudjen,  ben  oerfügbaren  9toum  in  geft=  unb 
sprebigtfirdje  ju  jerlegen  unb  baburch  einerseits  bem  praftifdjen  ©emeinbebe* 
bürfniß,  anbererfeits  ben  9lnforberungen  an  einen  großen  monumentalen 
SBau  unb  an  eine  mächtige  9?aumnrirfung  3U  genügen,  l>atte  ber  SSettftreit 
fein  ©rgebniß,  weichet  man  als  einen  befonberen  gortfehritt  über  bie 
Stüler'jchen  Vaugebanfen  unb  ihre  Verförperung  burch  beffen  ©nttourf  oom 
Sahre  1855  bejeichnen  fonnte.  GS  ift  bieä  jeboch,  toie  bewerft,  in  erfter 
fcinie  ber  mangelhaften  Vorbereitung  beS  SewerbcS,  bem  9Jcangcl  an  einem 
Karen  Programm  5U5ufcr)reiben.  deiner  ber  Entwürfe  entsprach  bem  naa> 
träglich  aufgehellten  Programm,  welches  fich  auf  ben  einfachen  9iü^lic3t>- 
feitsftanbpunft  fteüte  unb  baburd)  in  auSgefprodjenem  ©egenfafo  31t  ber 
feit  ben  mer$igcr  fahren  maßgebenben  2luffaffung  gerieth,  welche  ben 
Stüfer'fchen  ^rojecten  3U  ©runbe  lag. 

Xie  politifchen  ©reignifte,  welche  balb  nach  Veenbigung  bei  33ett« 


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Per  Berliner  Dom. 


357 


fireite«  folgten,  waren  ber  weiteren  görberung  ber  Angelegenheiten  ntd^t 
günflig;  unb  al«  ber  glorreid^e  gneben  unb  ber  roadfrfenbe  SBohlfianb  be« 
gfü<fli4  geeinigten  beutf4en  Volfe«  ben  ©ebanfen  an  bie  Ausführung 
wieber  nahe  fegten,  ba  motten  bie  Erfahrungen,  roeldje  mit  bem  miftglücften 
Anlauf  be«  3a^red  1869  gema4t  waren,  5unä$ft  baoon  abgalten  an  einen 
erneuten  Verfud)  $u  gehen.  £)em  bef4eibenen  unb  fdjlidjten  (Sinn  itaifer 
SBilhelm«  I.  war  oielleidt)t  ber  ©ebanfe  ber  Jgerftellung  einer  großen  unb 
prunfoollen  eoangelif4en  $offird>e  an  fi4  nidr)t  befonber«  jufagenb;  er 
wollte  bei  feinem  §of)en  Sltter  bie  Au«füf)rung  feinem  9to4folger  um 
fo  lieber  überlaffen,  al«  ihm  beffen  rege«  3ntefelfe  füt  bie  fdjwierige 
grage  bie  fid^erfte  ©eroähr  für  eine  befriebigenbe  Söfung  ber  gegenfäfcttd&en 
Auffaffungen  $u  bieten  geeignet  mar. 

i)ie  erfc^üttemben  ©reigniffe  be«  3a$re£  1888  erft  gaben  ben  $om* 
Bauplänen  neue  görberung.  SSenige  Sßodjen  nad)  feinem  9iegierung«an* 
tritt  erlieft  Äaifer  griebridj  folgenben  ©fjarlottenburg  ben  29.  üftärj  batir* 
ten  tfabinet£;33efef)l,  meiner  für  ben  weiteren  Verlauf  ber  Angelegenheit 
oon  maftgebenber  Sebeutung  bleiben  wirb: 

„34  will,  baft  fofort  biegrage  erörtert  werbe,  wie  burdj 
einen  Umbau  be«  gegenwärtigen  £ome«  in  Berlin  ein  würbige«, 
ber  bebeutenb  angewad)fenen  feiner  ©emeinbe*3Witglteber 
entfpredjenbe«  ©Ottenaus,  welchem  berßaupt*  unb  Siefibenj* 
ftabt  sur  3ierbe  gereift,  gefdjaffen  werben  fann." 

©ine  3mmebiatcommif|ion,  beftehenb  au«  brei  ©eiftlidjen,  oier  ?lrd)i- 
teften  unb  3ngenieuren,  brei  flunftoerftänbigen  unb  jwei  Verwaltung« * 
beamten  würbe  gebilbet.  3n  ber  furjen  3eit,  welche  ftaifer  griebrid)  31t 
regieren  oergönnt  war,  tonnte  eine  fidjtbare  görberung  ber  fo  beftimmt 
ju  erfennen  gegebenen  Abfielen  jroar  nicht  heroortreten.  ©ein  Nachfolger 
tnbeft  lieft  feinen  3"^^  barüber  auffommen,  baft  ber  9iegierung«we4fel 
bie  33auabfid)ten  be«  oerewigten  &err)d)er«  nid)t  ftörenb  beeinffuften  foffte. 
bereit«  unter  bem  9.  3uli  1888  erging  folgenber  Allerhö4|ter  SBefct)C  an 
ben  9Jiinifter  ber  geiftlidjen  Angelegenheiten : 

„©«  ift  3Wein  Sßille,  baft  ba«  ^roject  ber  ©rrtdjtung  eine« 
2)ome«  in  deiner  £aupt«  unb  iWef ibenjftabt  Serlin,  weld)e« 
burch  ben  2lllerf)ö4[ten  ©rlaft  2ttetne«  in  ©Ott  ruhenben 
&errn  Vater«  oom  29.  3)iä rj  biefe«  3af)*e«  oon  Steuern 
angeregt  worben  ift,  mit  allem  9Zaä}bru<f  geförbert  werbe. 
3Me  Au«führung  biefe«  ^ßlane«  na4  ben  Abfidjten  be«  &oä)* 
feiigen  Äaifer«  unb  ftöntg«  griebrid)  ift  3JHr  ein  heilige«  Ver* 
maa^tnift.  34  wünfdje,  baftba«2öerf  bie  Arbeit  fröne,  weldje 
be«  oerewigten  ftaifer«  unb  Slönig«  üftajeftät  feit  3<*hren  auf 
ba«  $)ombaupro ject  oerwnnbt  l)at.  34  genehmige  l)ier nadt), 
bafc  bie  auf  Befehl  Steine«  ."gerrn  Vater«  gebildete  3mmebiats 
eommiffion  unoerjüglid)  ihre  Arbeiten  beginnt/' 

24* 


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558 


©berregierungsrallj  lobt  in  Köln. 


211«  erfte«  ©rgebniß  ber  £hättgfeit  her  (Sommiffion  tjt  woljl  bie  an  ben 
fianbtag  ber  Sflonardjie  gelangten  Vorlage  jn  betrauten,  nadj  weldjer  oon  ber 
Äonigltd&en  ©taat«regierung  al«  erfter  Seitrag  sunt  Neubau  eine«  £ome«  in 
Berlin  «nb  einer  ©ruft  für  ba«  ^Preußifd)e  5tömg«l)au3  bie  Summe  oon 
600,000  2Hf.  geforbert  würbe.  $a«  Etbgeorbnetenfjau«  unb  ihm  folgenb 
ba«  &errenhau«  f prägen  bie  Bewilligung  au«,  jebod)  in  folgenber  gaffurig: 
„$ur  2luffteflung  oon  planen  unb  ju  Vorarbeiten  sunt  SReubau  eine«  $ome« 
ju  Verlin  unb  einer  ©ruft  für  ba«  preußifdhe  5tönig«hau«." 

92ad)  einer  fo  (angen  unb  wechfelooflen  Vorgefaßte  fleht  ber  beab* 
ficfytigte  Sau  wieber  einmal  an  einem  entfd)etbenben  SBenbepunft.  9tadh 
ben  wieberholten  ergebnißlofen  Anlaufen  fann  bei  ber  2Biü*en«fraft  unfere« 
SSQer^öd^ften  #errn  unb  nad)  ben  oon  $hm  fo  feierlich  unb  beffcinunt  au«« 
gefprod)enen  2tbfid)ten  fein  Steifet  barüber  auffommen,  baß  bie  nädjfte 
3eit  eine  enbgültige  (Sntfcfyetbung  bringen  wirb,  baß  an  Stelle  ber  un< 
fcf)lfiffigen  Ueberlegung  Saaten  treten  werben.  $)a  in  Verlin  ohnehin  eine 
Sleihe  oon  großen  ftaatlkhen  Monumentalbauten  —  2Jhifeen,  Vibliothefen, 
£anbtag«gebäube  —  für  weld)e  ein  brtngenbe«  Vebürfniß  bereit«  feit 
Sauren  bejte^t  unb  anerfannt  ift,  ihrer  enblidjen  2lu«füf)rung  harrt,  fo  fann 
e«  nur  freubig  begrüßt  werben,  baß  bie  ohne  bauernben  9todjt$eU  ni<$t 
aßjulange  ^tnau«  ju  fd)iebenbe  Vauaera  mit  bem  ibealjlen  unb  am  lang* 
roterigften  behanbelten,  oom  reinen  9lüfelichfett«jtanbpunft  au«  aber  oiel* 
leid)t  am  wenigen  eiligen  ^rojecte  begonnen  werben  foO. 

$te  Vergangenheit  tel)rt  einbringltch ,  um  eine  n>ie  außerorbentlid) 
fdjwierige  Stufgabe  e«  ftd)  gerabe  bei  bem  SDombau  fymbelt  unb  wie  ferner 
eine  Vefriebigung  ber  gegenüberjtehenben  9lnforberungen  —  praftifche  Vraud> 
barfeit,  fünftlerifche  ©roßarttgfeit  unb  Schönheit  ber  (Srfchemung,  harmonifcfce 
Einfügung  in  bie  Umgebung  —  ju  erjtelen  ift.  $)ie  sa^reid^en  Entwürfe, 
welche  feit  70  Satyen  oon  ben  heroorragenbften  flünftlern  angefertigt  ftnb, 
^aben  ju  feinem ©rgebniß  geführt;  unb  man  muß  e«  heute a(«  ein  ©lücf  anfeljen, 
baß  e«  fo  gefommen  ift.  SBare  ber  am  Söeiteften  gebiehene  Stfiterfdje  6nt» 
wurf  jur  2lu«führung  gelangt,  fo  hätte  Verlin  jwar  ein  mächtige«  Sau? 
werf  oon  großen  Schönheiten  im  Gin$elnen  gewonnen,  welche«  fidj  jebod)  in 
bie  Umgebung  nicht  paffenb  eingefügt  unb  überbie«  eine  etwa«  foftfpietige 
Sefjre  bafür  geboten  hätte,  wie  man  eine  brauchbare  eoangelifdje  Äird^e  nid^t 
bauen  fott.  3n  bemfelben  ©eleife  beioegten  fidj  bie  Entwürfe  be«  2Bettftrette« 
oon  1869,  of>ne  baß  barum  ben  Bewerbern  ber  geringfte  Vorwurf  ju  machen 
wäre.  Erfahrungen  wie  man  e«  nicht  ju  machen  tyit,  um  ben  junächjt 
angeftrebten  3wecf  —  ^erftellung  einer  ber  9letdj«hauptftabt  würbigen  &of* 
fird)e  —  ju  errieten,  liegen  alfo  jur  ©enüge  oor.  Sie  nufcbar  ju  maä)en 
nad)  ber  pofitioen  Seite:  biefe  Aufgabe  wäre  junäd^ft  Sadje  ber  jur  görberung 
be«  ^ombaue«  berufenen  3mmebiatcommiffton  gewefen. 

3njwifdjen  ijl  ein  Greigniß  eingetreten,  wetd)e«  basu  beftimmt  erfdjelnt, 
bem  weiteren  Verlauf  ber  Angelegenheit  eine  entfd^eibenbe  SBenbung  ju 


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Der  Berliner  Dom. 


359 


geben.   Unter  bem  Xitei  „(Sin  Entwurf  <&x.  SWaieftät  beSJtaiferS 
unb  ßönigS  Sriebrid)  m.  jum  Neubau  beS  3)omeS  unb  jur 
SSollenbung  beS  königlichen  SchloffeS  in  Sertin.   9Äit  Alter* 
höchfter  (Genehmigung  ^erauggegeben"  hat  ber  ©eheime  SHegierungS* 
rat!)  SRafchborff,  ^erDorragenber  £ehrer  für  Architeftur  an  ber  technlfcheti 
$oa)fä)u(e  in  Charlottenburg  unb  auSgejeichneter  Architeft,  ber  feine  fünft« 
lerifd)e  3Weifterfa>aft  bereite  in  einer  9feif)e  oon  ausgeführten  SBerfen  be* 
funbet  hat,  ein  SBerf  herausgegeben,  welches  mehrere  ©tHjjen  für  ben  $om 
unb  jwar  in  Serbtnbung  mit  einem  9teiterftanbbUb  äaifer  2BUf)elmS  I.  unb 
mit  $enfmälern  für  anbere  &errfä;er  unb  um  ben  Staat  oerbiente  3flänner, 
foroie  3«ä}nungen  für  einen  partiellen  Ausbau  beS  Äöniglid)en  Stoffes 
enthalt.   3n  rote  roeit  ber  Herausgeber  berechtigt  roar  ben  Eombauentwurf 
als  folgen  beS  oerewigten  ftaiferS  ju  bejeichnen,  ift  au«  ber  oon  £errn 
SRaf  c^borff  oerfafeten  fehr  ausführlichen  Sorrebe  nicht  flar  3U  entnehmen. 
Sie  Semerfungen,  bag  bem  SSerfaffer  baS  fyoty  ©lud  ju  £hetl  ije* 
worben  fei  an  ben  Erörterungen  über  bie  —  oorher  nä^er  auSelnanber 
gefegten  —  Sauibeen  theilnehmen  ju  bfirfen  unb  biefetben  baufünftlerifä) 
umjugeftalten,  ergeben  nur  fooiel,  bajj  flaifer  Jriebrich  bie  ©runbgebanfen 
bes  SaueS  bejttmmt  hat,  ba§  bie  Ausarbeitung  beSfelben  im  einzelnen, 
bie  ©eftoltung  unb  ffinflleriföe  gaffung  aber  bas  geizige  Eigentum  beS 
Herausgebers  beS  Entwurfes  ftnb.   2Bie  roeit  femer  ber  oererotgte  öerrfajer 
bie  oon  Herrn  SRafdjborff  entworfenen  Sßläne  auSbrücflich  gutgeheißen  hat, 
ift  aus  ber  nach  biefer  Dichtung  an  Stlarheit  unb  Sefttmmtheit  oiel  ju 
n}ünfd)en  ju  laffenben  Sorrebe  nicht  §u  erfehen.    $)a  bie  'erften  ©ft^en 
fä)on  im  3ahre  1885  entlauben  furo,  fo  haben  Jene  Erörungen  in  einer 
jiemltch  roeit  jurficfliegenben  3«*  ftattgefunben.   Es  fdjeinen  bann  aller* 
bings  fpäter  roeitere  Sefpredjungen  gepflogen  $u  fein,  inbem  ein  ^weiter 
Entwurf  mit  nicht  unerheblichen  2tbänberungen  ber  erften  Sfijje  als  „$ur  $ar« 
ftettung  einer  weiteren  Afferhöchften  Sauibee  aus  bem  Qcfyxt  1888"  bejeichnet 
wirb.  Db  ber  jroeite  unb  ungleich  reifere  Entwurf,  welcher  augenfcheinlich 
erft  in  ben  legten  SebenSmonaten  beS  Äaifer  griebriä)  entjtonben  ift,  bem 
Men  Herrn  überhaupt  nod)  oorgelegt  werben  fonnte,  geht  aus  ber  Sorrebe 
nia)t  h^roor.  —  Sitte  biefe  Entwürfe,  fagt  ber  Serfaffer  jum  6chluffe,  jinb 
als  ©fijjen  uub  Seiträge  jur  Entwicflung  ber  Sauibeen  entftanben  unb  als 
folche  $u  beurteilen.  Hiermit  ift  oon  bem  Sßerfaffer  fetbjt  jugeftanben,  bag  es 
fith  nicht  um  wirtlich  fertige  unb  reife,  oon  bem  oerewigten  ßatfer  gebilligte 
^rojecte  unb  Ausarbeitungen,  fonbern  nur  unb  bie  ffijjenhafte  Aufzeichnung 
oon  Saugebanten  bes  H^rrfcherS  hanbelt.  $iefe  ftnb  baS  Sleibenbe, 
Jeftftehenbe  in   ben  Stilen;  ihre  Ausarbeitung  burch  Herrn  5iafchborjf 
bebeutete  augenfcheinlich  ben  Serfuch  feftjuftellen,  in  welcher  jwecfmägigften 
unb  bejten  SBeije  ftch  bie  ©ebanfen  oerwirflichen  liegen.    iDie  SBerfudje 
waren  augenfcheinlich  noch  nicht  abgefchloffen,  bie  fünftlerifche  AuSgeftaltung 
war  noch  in  ber  6chwebe,  als  ber  faiferliche  ^ulber  fein  Seben  ausatmete. 


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560 


(Dberregternngsratfi  do&t  in  Köln. 


©inen  £t)eU  bes  baulichen  ©runbgebanfenS,  nämlich  bie  SSerbinbuitg 
beS  3)omeS  mit  einem  $enfmal  für  flaifer  2Bilr)elm  I.,  f)at  man  infofern 
bereits  faden  gelaffen,  als  bekanntlich  bezüglich  bei  ÄaifersHWonumentS 
ein  öffentlicher  Wettbewerb  auSgefdjrieben  ift,  welker  ben  3"fanwieni)ang. 
jmtfchen  $)om  unb  $)enfmal  feineSmegS  jur  Sebingung  ftellt,  bie  Sßlafc* 
frage  oielmebr  offen  läßt  unb  gerabe  jum  &auptgegenftanbe  beS  33emerbe$ 
macht.  Soweit  femer  bie  Sfi^en  bei  £errn  SHafchborff  ben  partiellen 
Umbau  bei  ScbloffeS  betreffen,  fdjetben  biefelben  oon  btefer  Betrachtung 
auS;  es  ^anbett  fi<h  l)ier  vielmehr  nur  um  bie  £)ombaus@ntwurfe  felbft, 
(Sine  Äritif  berfelben  fann  um  fo  weniger  unflattfyaft  erfcheinen,  als  bie 
ihnen  ju  ©runbe  liegenben  Saugebanfen  Äaifer  griebrichs,  alfo  ba£ 
eigentliche  ©igenthum  beS  &errfcherS,  aus  ben  Sfijjen  unfdjroer  ju 
erfennen  finb  unb,  wie  bie  nädjftfolgenben  Grörterungen  bartfmn  werben 
—  nur  rfidhaltlofe  ©ittigung  finben  fönnen.  $er  ßritif  unterworfen  wirb 
mitbin  r)tcr  lebigliä)  bie  oon  ßerrn  SRafdr)borff  feiner  eigenen  Angabe  gemäfc 
oorgenommene  fünftterifdje  2luSgefialtung,  roetd^c  als  fein  (Sigentfnim 
ber  öffentlichen  Beurteilung  nicht  wot)l  entzogen  ju  werben  oermag.  Unb 
bie«  um  fo  weniger,  als  in  fünftlerifäjen  Streifen  augenfd&einliä)  bie  Huf» 
faffung  weit  oerbreitet  ift,  baß  bie  5iafd)borff  fdjen  Stilen  ber  2luSffihrung 
bemnächft  ju  ©runbe  gelegt  werben  follen,  bie  #rage  *>er  fünftlerifchen 
©eftaltung  fomit  bereits  entfärben  unb  ber  oön  ben  berufenen  Slrdjiteften 
augenscheinlich  lieber  gefet)ene  2Beg  ber  Ermittelung  burdj  einen  Wettbewerb 
auSgefchloffen  wäre.  3Rag  biefe  Meinung  begrünbet  fein  ober  nic^t,  jeben* 
falls  forbert  bie  93orgefd)ichte  bes  Baues  ju  ber  Beurteilung  eines  wenn 
auch  ffisjenl^aften  planes  tyxatö,  ber  bei  ber  weiteren  Sehanblung  ber 
grage  unzweifelhaft  eine  wichtige  9loHe  fpielen  wirb. 

$)er  9iafdE>borff'fä)e  3>om  ber  zweiten  Sfizje,  welche  als  bie  entfehieben 
reifere  anziehen  ijt,  bem  legten  Saugebanfen  beS  oerewigten  ÄaiferS 
entfpriebt  unb  bafjer  auSfcbließlich  ber  Beurteilung  unterworfen  werben 
foU,  fteHt  im  ©runbriß  eine  redjtecrtge  &auptmaffe  oon  105  SJJeter  Sänge 
unb  55  Sfteter  £iefe  mit  einer  ©runbfläd)e  oon  6000  Quabratmetern  bar. 
$>ie  SängSfeite  erftreeft  fidj  parallel  bem  Suftgarten  unb  ber  Spree,  bie 
Sd)malfeite  ift  fenfred)t  jutn  $lafe  unb  jum  Schloß  gerietet.  3ln  ber 
nach  bem  fiuftgarten  febauenben  Borberfeite  befinbet  fidj  ein  85  SJieter 
langer  unb  10—12  Sfteter  tiefer  Vorbau;  Heinere  mehr  quabratifd^e  Sauten 
finb  ben  Schmalfeiten  oorgelegt.  Wlit  benfelben  erreicht  bie  größte  Sänge 
140  Sfteter,  bie  größte  STiefe  75  SReter;  baS  ganze  Sauwerf  bebeeft  einen 
gläd^enraum  oon  8—9000  Cuabratmeter.  3um  Vergleiche  fei  bemerft, 
baß  baS  alte  SWufeum  etwa  80  9J?eter  grontlänge,  50  3Keter  Siefe 
unb  —  einfd)ließlicb  ber  beiben  £öfe  —  einen  glächeninhalt  oon  4000 
Duabratmeter  fyat;  baS  Schloß  nach  bem  fiuftgarten  ift  180  9fleter  lang 
unb  bebedt  mit  ben  &öfen  etwa  18000  Duabratmeter. 

£urch  biefen  ©runbriß  wirb  ber  gan$e  oerfügbare  SRaum  jwifchen 


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  Der  Serltner  Dom.    36^, 

Äaifer  SöityelmSbrütfe  unb  ber  verlängerten  glud&tlinie  be3  SJhtfeum« 
einerfeitd,  ämifd&en  ber  oertängerten  SJUttelare  ber  91ationalgaHerie  unb 
bem  eingeengten  ©preebett  anbererfetts  audgenufet.  $er  oon  ben  Ruinen 
beä  campo  santo  eingenommene  $lafc  ift  in  bie  Bebauung  mit  hinein 
gejogen,  bie  alte  ©örfc  muß  gleichfalls  befeittgt  werben.  3)aS  innere 
jerfäöt  in  brei  &aupttf)eile:  bie  ^rebigtfirdje  in  bem  füblid)en  bem 
©djlofc  gcgenüberliegenben  glügel,  bie  geftftrd)e  in  ber  SJHtte,  bie  ©rab* 
firdje  in  bem  nörbltdjen  glügel  am  SJtufeuin.  2)te  brei  Stirnen  ftet^cn 
burd)  mächtige  etwa  18  2JJeter  im  Sitten  weite  >Bogen  miteinanber  in 
SBerbinbung  unb  bilben  jufammen  einen  Sfauin  oon  100  SJteter  Sänge 
unb  burd^fdjnittltd)  35  steter  Xiefe.  3§v  gefammter  glädjeninfyalt  wirb 
etwa  3800  Cuabratmeter  betragen,  wooon  auf  bie  geftfird&e  gegen  1800, 
auf  jebe  ber  ©ettenfirdjen  1000  Duabratmeter,  entfallen.  Die  geftftrdje 
bilbet  ein  Duabrat  oon  35  2Heter  üdjter  ©eüe,  mit  eine.r  im  2leufjeren 
50  SWeter  fjaltenben  5tuppet  äberbeeft.  $rebigt*  unb  ©rabfirdje,  oon 
gleicher  ©rö&e  unb  gorm,  entfpredjen  in  it)rer  Sangfeite  ber  ©d)malfeite 
ber  ©efammtanlage;  it)re  gröfjte  Sänge  ift  47,  bie  größte  breite  22  Stteter. 
S5ie  übrigen  iWäume  werben  oon  einer  9tebenfird)e  neben  ber  5ßrebigtfird&c 
(180  Duabratmeter),  ©afrifteten,  23ort)allen,  SßerbinbungSgängen  einge* 
Tiommen.  ©otteSbienftlidjen  3n?e(ien  bient  alfo  etwa  bie  §älfte  ber  ganzen 
Einlage;  ein  93tertel  nehmen  3Sor^aHen,  unb  ©änge,  ben  SHeft  SJtouer,  Pfeiler, 
SRifäen  ein.  $ie  ©efammtflädje  würbe  etwa  berjemgen  beS  Äölner  $ome$  ent* 
fpred&en,  wogegen  ber  innere  Äirdjenraum  bei  biefem  oiet  beträd)tft<$er  ift. 

Seflimmenb  für  ben  äußeren  2lnbltd  ift  bie  tfuppel,  welche  ft4  über 
ber  geftfird&e  in  folgenben  9lbmeffungen  ergebt :  &öf)e  beS  ßauptgefimfeS 
beS  ©ebänbeS  30  SHeter  (©<§lof$  32  3Weter),  beS  £auptgeitmfe3  beS  kuppet* 
ringe«  55  3Reter  (©d)lo&fuppel  43  2)teter),  ©nbe  ber  ßuppelwölbung  be* 
jieljungSweife  gujj  ber  Sateme  85  SHeter  (©djlofcfuppel  60  Sfteter),  ©pifce 
beS  äreuses  110  SReter  (©d)lo&fuppel  66  3Rcter).  $er  äußere  Xmfy 
meffer  oon  50  Detern  ift  boppett  fo  grofj  als  ber  ber  ©djlofjfuppel.  Xie 
beiben  Sflebenfuppeln  ^aben  unbebeutenbe  Slbmeffungen;  fie  liegen  in  ber 
2Hitte  ber  SängSaßfen  ber  Sprebigt*  unb  ©rabfird)e,  überbeden  aber  unter» 
georbnete  SRäume,  bie  Gcffelber  ber  weftlidjen  Söorfjalle  am  Suftgarten. 

$>er  ©til  ber  3*i<$nung  jeigt  eine  £odjreuaiffance  oon  fetyr  fdjweren 
gormen  mit  leifen  2lnftängen  einerfeits  an  ben  S3aro!fo  beS  äfefuttenfliC«, 
anbererfetts  an  bie  afabemifdje  SRüdjterntjeit  ber  SpaulSfirdje  in  Sonbon. 
$>ie£  unb  ber  llmftanb,  bafc  ber  SBerfaffer  ben  in  ber  3?orrebe  fefn*  nadj* 
brücflidt)  betonten  ©ebanfen  eines  $antl)eon$,  einer  nationalen  geft*  unb 
9iuf)me$t)alj(e  im  2(eufjeren  audj  buret)  jat)lreid)e  $enfmäler,  oon  benen  jwei 
am  Suftgarten  unb  an  ber  nörblid^en  ©d^matfeite  in  gewaltigen  oon  ©äuten 
flanfirten  unb  triump^bogenartig  überwölbten  SRifdjen  fte^en  follen,  jur  @r* 
fdjeinung  ju  bringen  fud}^  giebt  ber  gefammten  äußeren  3lrd)ite!tur  einen 
auSgefprod)en  weltlid^en  ß^arafter.   5Dtc  ©djaufette  am  Suftgarten  fteUt 


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362  —   ©berregiernngsratJj  lobt  in  K51n.   

ftcf)  tote  eine  mafftge  unb  fernere  Spalaftardtjiteftur  bar;  bie  wuchtige 
Kuppel  allein  oermag  baS  firchliche  Gleichgewicht  nicht  herjufteHen. 

Vergleicht  man  ben  ©ntwurf  mit  ben  früheren  Plänen  oon  ©tfiler 
unb  ben  Bewerbern  im  Qcfyxt  1869,  fo  ift  ber  Unterfdhieb  in  ber  ©es 
fammtanlage  in  bie  2lugen  fpringenb.   (58  iji  bei  9taföborff: 

1.  ber  SReft  beS  campo  santo  gefallen; 

2.  aus  ber  3tteit§eilung  in  campo  santo  unb  Xorn  bie  5Drei* 
tljeüung  in  geft*,  ^ßrebigts  unb  ©rabfirche  geworben. 

3Jlan  wirb  nicht  fel)[gel;en,  wenn  man  bie  {|ierbur$  gewonnene 
fiöfung  ber  Schwierigfeiten,  meldte  ftch  ben  ©tülerfchen  unb  ben  fpäteren 
Entwürfen  entgegenstellten,  recht  eigentlich  auf  bie  Vefttmmung  beS  ßaiferS 
griebrich  jurüdtfü^rt.  GS  finb  bieg  bie  eigentlich  grunblegenben  Sauge* 
banfen  beS  ^errföerS,  welche  ihn  augenfeheinlich  feit  Dielen  3at>ren  be* 
fdtjäftigt  ^ben.  Unb  biefe  93augebanfen  wurjeln  ganj  offenbar  in  ben 
Erfahrungen  beS  2BettftreitS  oon  1869.  3nbem  biefer  flar  machte,  ba& 
baS  Seftehenlaffen  unb  ber  2lu3bau  bes  campo  santo  eine  befriebigenbe 
ßöfung  ber  Aufgabe  nicht  gemattete,  unb  bafj  bie  unmittelbare  Bereinigung 
unb  3ufammenfaffung  oon  ^rebigts  unb  geft*Äir<he  &u  praftifchen  lln* 
möglidt)feiten  führten,  reifte  je  länger  ie  mehr  in  bem  funftfinnigen  gürften 
bie  Anficht,  ba§  es  eine  falfdtje  Pietät  gegen  bie  in  ihrem  galten  Umfange 
boch  nicht  mehr  ausführbaren  «Pläne  griebrich  SBilhelm  IV.  fein  mürbe, 
wenn  man  einen  Xheil  berfelben,  baS  campo  santo  beibehielte.  $n  einem 
früheren  ©tabium  ber  ©ntwicfelung  glaubte  ber  bamalige  Äronprinj  griebrich 
2Bilhelm,  bafe  bie  gefonberte  SBebanblung  ,ber  ßerrfchergruft  empfehlend 
werth  wäre.  3n  ben  fiebriger  fahren  würben  oom  ßanbtage  bie  erften 
9JHttel,  welche  bie  Regierung  jum  Ausbau  beS  campo  santo  forberten, 
bewiüigt.  Stach  einigen  SBerfudjen  nahm  man  jebodj  oon  einer  weiteren 
Verfolgung  2lbftunb,  unb  ber  Vau  unterblieb.  Augenfeheinlich  ^atte  fidt)  ber 
hohe  &etr  oonber  Unjmecfmäfjigf eit,  auf  biefem  2öege  oorroärts  ju  fommen, 
überjeugt  unb  machte  fi<h  mehr  unb  mehr  mit  bem  ©ebanfen  oertraut, 
baS  campo  santo  ganj  fallen  ju  laffen  unb  ben  baburdh  oerfügbar 
werbenben  9taum  ju  ber  ftom* Anlage  hin3u3Ujief)en.  ©o  entftanben 
allmählich  bie  Vaugebanfen,  benen  $err  9tofchborff  bie  fünftlerifche  gaffung 
gegeben  hat  —  bie  breitheilige  Einlage  mit  geft*,  Sprebigt*  unb  ©rabfirdje. 
^ierburch  wirb  es  möglich  bie  praftifchen  Vebürfmffe  ber  3)omgemeinbe 
beliebigen,  einen  mächtigen  unb  würbigen  9iaum  für  grofje  firdjtiche 
geierlidfjfeiten  ju  gewinnen,  bie  über  ben  Bereich  ber  3)omgemeinbe  weit 
hinausgehen,  unb  enblidh  eine  angemeffene  ©ruft  für  baS  §errf<herhau3 
in  unmittelbaren  3ufammenhang  mit  bem  $om  herjuftellen. 

$ie  Tragweite  ber  genialen  Vauabfichten  äaifer  griebrich«  ift  nicht 
hoch  genug  ausschlagen.  Gin  Smcfblidf  auf  ben  SBettfrreit  oon  1869,  bie 
programmlofe  Unflarheit,  welche  ihm  jur  Unterlage  biente,  bie  programm* 
mäßige  Eürftigfett,  welche  fein  Grgebnifc  war,  genügt,  um  ben  gortfehritt 


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Der  Berliner  Dom. 


363 


ju  erfennen.  (Sin  ooflfommen  flore«  Programm  (legt  nunmehr  cor,  roeldjeS 
allen  Anforberungen  9>iedjmtng  tragt;  bie  2ttögli<hfeit,  etroa«  toa^r^aft 
©roße«,  3roedmäßige«  unb  Schöne«  ju  fchaffen,  ift  geboten.  Um  bie«  aber 
311  erreidjen,  fornmt  es  barauf  an,  baß  bett  ebenfo  großen  unb  flaren  rote 
jroedmäBtgen  ©ebanfen  ber  entfprechenbe  fünftlerifdje  AuSbrud  gegeben 
wirb,  baß  ber  ©ntrourf  3roetfmaßigfeit  in  ber  Anlage  ber  Sßrebigtfirche 
mit  ©roßartigfeit  unb  geierlidjfeit  ber  geft*  unb  ©rabfirdje  oerbinbet,  baß 
er  bie  oerfdjiebenen  £f>eile  $u  angemeffener  ©rfdjeinung  bringt,  biefelben 
aber  gfei<hjeitig  ju  einer  fcarmonifdjen  Einheit  jufammenfaßt  unb  in  bie 
Umgebung  pajfenb  ^ineinffigt.  S)aS  ift  bie  oon  Äatfer  griebrid)  bem  Söer* 
faffer  beS  oorliegenben  Entwurfs  gefteüte  Aufgabe  geroefen;  betrauten  mir 
näher,  roie  er  |te  gelöjt  ^at! 

3unäd)ft  eine  S3emerfung  über  bie  $erm  3lafd6borff  fpecteH  gegebenen 
SBeifungen.   £>a  ber  SJerfaffer  in  feiner  SBorrebe  umftänblidj  au«einanber= 
fefet,  welche  ©ebanfen  maßgebenb  für  bie  Ausarbeitung  waren,  jegliche 
beftimmte  Anbeutung  aber  über  bie  feiner  fünftferifdjjen  ©ejtattung«fraft 
burch  bie  erhaltenen  Reifungen  gezogenen  @ren$en  oermeibet,  fo  ift  ber 
Seurtheiler  natürlich  nur  auf  3Hutfmiaßungen  angemiefen,  weld&e  ieboch 
jum  erheblichen  Sfjeil  unmittelbar  auf  bem  Entwurf  felbft  $u  entnehmen 
fmb.  hierhin  gehört  oor  Allem  bie  SBerbinbung  ber  Anlage  mit  ben  $enf* 
malSprojecten,  welche  jum  $heil  beftimmenb  für  bie  äußere  ©eftaltung  burch 
bie  Einfügung  ber  großen  Stiften  geroefen  ftnb.   Db  ber  ©ebaufe  üon 
bem  hohen  ^Bauherrn  fejtgehalten  wäre,  naäjbem  für  ba«  §auptbenfmal 
Äaifer  2öilhelm«  fo  r»iel  weitergehenbe  «Pläne  aufgetaut  ftnb,  muß 
minbeften«  sweifelfjaft  erfahrnen.   3ebenfallS  ift  $err  Siafapborff  für  bie 
©eftaltung  biefeS  Steile«  feine«  ©ntwurf«,  welcher  bie  äußere  Archtteftur 
in  maßgebenber  2Beife  beeinflußt  haben  mag,  nicht  oerantroortlid)  ju  machen. 
Aua)  erübrigt  fi$  ^ier  jebe  weitere  Jtritif,  ba  fdfron  mit  «Rficfftcht  auf  ba« 
für  ^aifer  Söilhelm  geplante  fcenfmal  bejügltch  biefeS  fünfte«  ba«  lefcte 
SBort  jebenfatls  noch  nicht  gefprodjen  ifr     gerner  ift  heroorguheben 
bie  innere  93erbinbung  ber  brei  5?ir$en  $u  einem  großen  SRaum.  SBahr« 
ftheinlich  ^anbelt  es  fich  auch  hierbei  um  einen  SBunfdj  beS  h°h*n  S3au* 
herrn,  bem  ber  $erfa[fer  beS  (SntwurfS  geredet  ju  werben  fud^te.  Qnwte* 
roeit  es  ihm  gelungen,  ift  noch  weiter  ju  erörtern,   fiier  genügt  es,  barauf 
fiinjuwetfen,  baß  ber  ©ebanfe  an  fich  feineSroegS  oon  ber  £anb  ju  weifen 
ift,  inbem  er,  richtig  ausgeführt,  ju  einer  großartigen  SRaummirfung  führen 
wirb.   <5s  fommt  aber  eben  auf  bie  Ausführung  an;  unb  wenn  bie  SBer* 
iua}e  ergeben,  baß  ohne  empfinbUdje  S3eeintrda)tigung  mistiger  praftifa^er 
Sebfirfnijfe  eine  jwedmäßige  Söfung  ber  gefteßten  Aufgabe  niä}t  ju  er* 
reia>n  ift,  fo  hätte  Äaifer  griebria)  bei  feinem  Waren  33lid  unb  S3erftänbniß 
gewiß  feinen  Anftanb  genommen,  ben  ©ebanfen  ju  ©unften  ber  praftifa;en 
^raudhbarfeit  fallen  ju  laffen. 

gaßt  man  junäajit  bie  3we(fmäßigfeit  be«  ©ntrourf«  in'«  Auge,  fo 


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36^    CDbertegiemngsraitj  (tobt  in  Köln.  — 

faßt  alsbalb  ba$  ungünftige  Serfjöltnifj  äwifa^en  ber  gefammten  Saufladje 
unb  bcn  gottesbienftlicrjen  3wecT£n  befitamtcn  Sfiäun  en  auf.  5E)ie  brei 
flirren  »Ott  Rammen  etwa  4000  Quabratmetern  glääpe  erreichen  eben 
ben  Umfang  eine«  großen  fatrjolifd&en  ©otteSfHUtfeS  (£om  in  Mn  6300, 
fünfter  in  Ulm  5100,  etrafeburger  SWünfter  4100,  et.  Stephan  in 
SBien  3200,  3Hünfier  in  greiburg,  3C00  Duabratmeter  Itd^te  SSeite  im 
Innern)  unb  nehmen  nur  bie  $ätfte  ber  gefammten  Saufläd&e  ein.  fßoi* 
fallen,  ©änge,  SRebenräume  ftnb  bagegen  fef)r  reid)lid)  bemeffen  unb  mürben 
eine  SeTfleinerung  feJ»r  wof)I  erfahren  tonnen.  $ie  ^rebtgtfirdje  jumaf 
mit  ifyren  etwa  1000  Cuabratmetern  gläd&e  weift  niäjt  mef)x  Raum  für 
bie  ©emeinbe  auf  als  ber  gegenwärtige  $om.  SSie  bei  fo  beferjeibenen 
Räumen  bem  oorfjanbenen  firäjlidjen  Sebürfnifj  genügt  werben  foff,  ift  niefft 
recr)t  flar.  2>er  jefeige  $)om  fafjt  1100  Sifepläfce  unb  ift  ntd&t  auSreidjenb. 
$ie  $Prebigtfird)e  beS  Entwurfs  würbe  audj  bei  fct)r  guter  SRaumauSnufeung 
wenig  mef)r  ^läfce  gewinnen  laffen.  $ie  SeurtyeilungScommiffion  von  1869 
erfennt  bereits  ein  Sebürfnifc  ju  1600  Sifcpläfcen  an,  £err  SRafäpborff  bejtffert 
baSfelbe  auf  1600—2000.  Sei  ber  8lis$enf)aftigfeit  ber  3ei$nungen  lägt  fat) 
nid)t  erfennen,  wo  bie  ferjlenben  600—800  Sßläfoe  fteefen. 

Ein  fernerer  3J?angel  ber  ^ßrebigtfirdje  ift  bie  2lrt  unb  SBeife  irjrer 
Serbinbung  mit  ber  Jeftfird)e.  SWitten  in  bem  fletnen  JRaume  öffnet  ficr} 
ein  foloffaler  Sogen,  18  SJfeter  im  Sitten  breit,  faft  boppelt  fo  rjocfy,  natr) 
ber  geftfir<$e.  Er  nimmt  über  2/5  beS  nörblidjen  2BanbraumeS  fort,  roeldjer 
fonft  ju  Emporen  jwedmäfeig  t)ätte  auSgenufet  werben  tonnen.  Es  ift  ni$t 
abjuferjen,  wie  bie  maffige  2lrä)tteftur  biefeS  Sogend  mit  ben  befdfjeibene 
Sbmeffungen  ber  ^prebigtfirdje  in  Einflang  gebraut  werben  foH;  nodfj  rriel 
weniger  aber,  wie  eine  nacfjtrjeiltge  SeeinfTuffung  ber  SIfuftif  beS  Raumes 
oermieben  werben  fann.  ^n  ber  ^rebigtfirerje  mu§  ben  Sttnforberungen 
ber  leisten  Sernerjmbarfeit  ber  Stimme  beS  ^rebigerS  unter  allen  Um* 
ftänben  SRedjnung  getragen  werben;  bie  gewaltige  33ogenöffnung  nadjj  bem 
weiten  ^aume  ber  geftfirdje  Ijebt  bie  9J?öglicf)feit  ber  Serftänbücr) fett  maljrs 
fdjemliä)  ganj  auf.  Cber  follte  auf  eine  Sä)lief}ung  ber  Ceffnung  wärjrenb 
beS  ©ottesbienftes  burä)  Solange  gerechnet  fein?  $aS  wäre  ein  %vß* 
frtllfSmittel,  welkes  mit  ber  ard&iteftonifd&en  Sebeutung  beS  £aufeS  wo# 
faum  im  Einflang  ju  bringen  wäre.  $ie  ©rabfirelje  cntfpriä)t  im  ©runbrifc 
unb  3lufbau  genau  ber  ^rebigtfirdje  —  ein  3ugeftänbifj  an  bie  äufcere 
Symmetrie,  weld&es  im  fdjroffen  SBibcrfprudj  mit  ben  oeifd)iebenen  3n>eden 
ber  9täume  fteljt.  Sie  Sorrebe  enthält  feine  näheren  9lnbeutungen  über  bie 
2lrt  unb  SBeife  ber  Senufeung  ber  ©rab!ircr)e,  bie  Einrichtung  ber  ©ruft 
u.  f.  w.  3n  ber  3etd^nung  madjt  fte  ben  ©nbruc!,  als  ob  fie  rjauptfäctyia) 
ben  3med  ber  frmtmetrifdjen  Ausfüllung  beS  ^pfafeeS  r;ätte.  ftrgenb  welche 
d)arafteriftifd)e  it)rer  Seftimmung  entfpred&enbe  ©eftaltung  fe^lt. 

2)ie  geftfird;e,  ber  berjerrfd&enbe  3)iitte(punft  ber  Anlagen,  bilbet  ein 
abgeftumpftes  Ouabrat  oon  35  Stfeter  lichter  Seite  =  1225  Duabratmeter 


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Der  Berliner  Dom. 


565 


glächeninhalt.  $>ie  S3erbinbung£f;aHen  na<$  ben  Settenfirctyen,  bie  Stttarnifdje 
(eine  nadj  ber  Spree  gewenbete  hnlbfretefönmge  SlpfiS;  ebenfoldje  2Ipfiben, 
aber  von  fletnerem  £albmeffer  befifeen  bie  Seitennifchen),  ber  ber  lefoteren 
gegenüberliegenbe  mit  ©mporen  ausgestattete  dlaum  erhöhen  bie  perwenb* 
bare  glad&e  auf  1800  Duabratmeter.  2500  ^ßerfonen  fönnen  bequem  barin 
untergebracht  werben,  namentlich  wenn  Sifopläfce  in  befchränfter  auf» 
gefledt  werben.  33i$  ju  welcher  innern  lichten  $Öf>e  bie  ßuppel  auffteigen  foll, 
ifl  aus  ben  3*id)nungen  nidn"  3U  erfehen;  bod)  muß  eine  3Htnbefthöhe  oon 
60 — 70  9Reter  als  nw^rfdjeintid)  angenommen  roerben,  wenn  anberS  bie 
Äuppet  mit  ihren  gewaltigen  2lbmef[ungen  nicht  als  bloße  SttaSfe  erfdjeinen 
foü*.  93ei  foläjer  &öhe  ift  bie  fluppel  für  ben  eoangelifchen  ©otteSbienft 
nicht  $u  oerwerthen.  $)ie  wirflidje  ©ebraudjSfähigfeit  beS  9toumeS  wäre 
jebenfalls  auf  einen  fefjr  engen  flretS  von  Jeterltdtfeiten  befchränft.  — 
£>aS  SBerhältniß  beS  ftuppelraumeS  3U  bem  ©efammtraume  ber  gejtfircfje 
ift  nicht  günftig  (35  $u  hö<hftenS  50);  erfterer  nimmt  einen  ju  großen 
£heil  berglädje  ein.  9)ton  tritt  faft  unoermittelt  unter  bie  h°he  Stuppel, 
ber  Sehminfel  ifl  ju  fur$  unb  fteil,  um  bie  &öf)e  ofme  emporreefen  beS 
ÄopfeS  auf  fu$  wirfen  Iajfen  5U  fönnen,  baS  ©benmaß  jmifchen  #öbe  unb 
breite  beS  Raunte«  fehlt.  ©S  ift  baS  ein  fanget,  welcher  mehr  ober 
minber  allen  Gentratbauten  anhaftet,  welche  aus  bem  Duabrat  ober  fonftigen 
SSielect  conftruirt  ohne  weitere  ©lieberung  unb  Reifung  in  Schiffe,  Sang* 
haus,  ßreujarme  einen  einheitlichen  mit  (jo^er  kuppet  überfpannten  3toum 
barfteHen.  &err  SRafchborff  weift  in  feiner  SBorrebe  fc^r  richtig  auf  eine 
feltene  Ausnahme  tyn,  baS  Pantheon  in  Rom,  welches  allerbingS  feinen 
Rupvelbau  im  Sinne  ber  ftenaiffance  bilbet,  unb  feine  günftige  2Birfung 
burdj  bie  oerhältnißmäßig  geringe  £öfje  erjielt,  bie  ftch  jur  breite  roie  1:1 
»erhält.  —  28enn  aber,  rote  in  bem  9tofchborfffchen  Entwürfe,  bie  ^ör)c  jur, 
breite  fich  roie  1:2  ftettt,  bann  liegt  um  fo  bringenbere  SHothwenbtgfeit  oor  ben 
Äuppetraum  burd)  niebrigere  Anbauten  oon  ausgiebiger  Sange  5U  oergrößern. 

®a$  2leußere  roirb  burd)  bie  fluppel  beherrfcht,  welche  jiemltch  bie 
£alfte  ber  $orberanfia)t  einnimmt,  ©äirjltch  oermißt  roirb  eine  äußere 
Slnbeutung  ber  $reitheiligfeit  bei  3nneren;  bie  niebrigen  Settenfuppeln 
genügen  um  fo  weniger,  als  fie  lebigltch  $ecoration$=3utl)aten  ftnb  unb 
nur  al«  ©locfenthürme  oerwenbet  werben  fönnen.  £ie  gefammte  S3au* 
maffe,  welche  bie  brei  Hirzen  enthält,  ergebt  fich  nach  2lußen  ju  einheitlicher 
^öt)e.  £ierbur<h  unb  burdjj  bie  foloffale  SBeite  ber  Äuppel  wirb  ber  ©in« 
bruef  beä  Schweren  h^njorgerufen.  ^ie  Sfi53entjaftigfeit  beS  <5ntwurf$ 
tritt  baburd)  am  meiften  ju  2:age#  ©ine  ©lieberung  be3  2(eufjeren  nad) 
ben  brei  Äirc^en,  eine  @infcf>ränfung  bei  äußeren  Äuppelburd^meffer«  liegt 
mit  Siucfftcht  auf  bie  Umgebung  fä)on  fo  nahe,  baß  bie  3lußerachtfaffung 
beffen  nur  etwa  bur<$  bie  6ile  ju  erffaren  ift,  mit  melier  ber  SBerfaffer  — 
oietteiccjt  burdh  bie  Um|tänbe  oeranlaßt  —  feine  9lrbeit  ju  einem  oorläufigen 
2lbfd}(uß  bringen  mußte. 


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366    (Dberregierungsratt?  (Cobt  in  Köln.   

3n  feiner  gegenroärtigen  ©cjlatt  würbe  ber$om  beS  $errn  SRafdjborff  baS 
unmittelbar  babei  gelegene  SJlufeum  oollftänbig  in  ©runb  unb  Soben  fd&lagen. 
5Die  ben  entwürfen  beigefügte  Stnftd^t  giebt  ein  ^öd^ft  unoottfommeneS  23ilb 
vtm  ben  33er$ältnijfen  beS  2)omeS  ju  ber  Umgebung.  6ie  maa)t  ben  ©in* 
brud,  als  ob  jwiföen  beiben  ©ebäuben  ein  er&ebli<$er  3wif$enraum  oer* 
bleibe,  wätjrenb  berfelbe  t&atfäd)tid;  mir  40—50  Stteter  betragen  mürbe. 
23  ei  fold&er  üftä^e  ift  eine  gebü^renbe  sJlü(Iiidjtnaf)me  um  fo  notfjmenbtger. 
6<$öne  SSer^ältniffc  jwifd)en  ©ebäuben  unb  ben  ^läfcen,  auf  unb  an 
melden  jte  fielen,  ^erjuflellen,  ifl  eine  ebenfo  fd)n>ierige  wie  banfbare  ßunft. 
5Ro<$  fdjwteriger  wirb  fic,  wenn  ber  9lal)men  burd)  anbere  2ttonumental* 
bauten  jum  großen  ^eil  bereit«  gegeben  ift  unb  es  nur  auf  bie  ooH* 
flänbige  2lusfuu*ung  anfommt.  3n  Berlin  §at  man  von  je^er  ein  feines 
SBerftänbnifjfür  biefeÄunfrübung  gehabt.  Äetner  Ijat  fie  mit  größerer  3Weifters 
fdjaft  betätigt,  als  6$infel.  (Seine  neue  SBadje,  ©djaufpiel&auS,  SRufeum 
finb  9ftu)1ter  beS  ©efdjicls  Monumentalbauten  beS  oerfd)tebenften  UmfangeS 
in  eine  bejUmmte  Umgebung  mit  ooHer  Harmonie  Ijineinjucompomren  unb 
nid)t  nur  ben  hinzugefügten  bauten  felbft,  fonbern  aud)  ben  bereits  oorfjanbenen 
ben  ifjnen  gebüfcrenben  @tnbru<f  ju  fiebern.  Sßon  ben  2lrd)iteften  Ijat  aud)  bie 
monumentale  Sßlafttf  Berlins  jenen  93orjug  überfommen,  unb  baS  an  unb  für 
ftd)  tü$tige,  aber  burd)  originelle  (Srfinbung  fetneSroegS  Ijeroorragenbc  $)enf  * 
mal  Jriebrid;  2BilI)elmS  III.  im  fiuflgarten  ift  ein  bejeid)enbeS  33eifptel 
bafür,  in  meinem  SJla&e  ein  foldjes  Öilbwerf  burd)  glüdlid)  getroffene 
SBer^ältniffe  unb  guten  Aufbau  ftd)  felbft  unb  feine  Umgebung  f)ebt. 

©d)infel  f>at  es  oerjtonben  feinem  neuen  ÜÄufeum  trofo  beS  gegenüber? 
liegenben  GoloffalbaueS  beS  ©Joffes  eine  fjeroorragenbe  monumentale 
2Birfung  ju  ftd)ern;  SBolff  fein  ÄönigSbenfmal  mit  ©efd&td  unb  ©efömad 
in  bie  mächtige  Umgebung  ^ineingefefet  —  ob  beibe  nidjt  aus  i^ren 
wohlerworbenen  9ted)ten  burd)  ben  maffigen  Xombau  beS  ßerrn  9tofd)borf 
oertrieben  werben  mürben,  baS  bebürfte  jtd)erltd)  einet  fefcr  ernften  unb  jeben* 
falls  juoerläffigeren  Prüfung,  als  fte  burd&  bie  menig  glücflid&e  2lnftd)t 
beS  Entwurfes  ermöglicht  wirb. 

$>ie  33ebenfen  gegen  benfelben  mürben  fic$  in  folgenben  ©äfcen  jn 
fammenfaffen  laffen: 

1.  £rofc  beS  berräd)tlid)en  UmfangeS  ber  ©efammtlage  erfd)einen  bie  2lb* 
meffungen  ber  inneren  äird)enräume,  namentlich  ber  ^rebigtfirdje 
nid)t  jureidjenb; 

2.  ©ie  ^rebigtftrdje  genügt  ben  praftifdjen  2tnforberungen  bes  eoangelifd)en 
©ottesbienjteS  niety; 

3.  $He  Sauformen  zeigen  einen  ju  menig  ausgeprägten  firdjlidjen  (Sfjatafter; 

4.  SDie  Anlage  mürbe  fid)  in  bie  Umgebung  nidjt  f)armonifd)  einfügen,  baS 
jefct  oortjanbene  (Sbenmafc  oielmef)r  empftnbltdj  beeinträchtigen. 

@S  fragt  ftd),  ob  biefe  S3ebenfen  burd)  bie  nodj  auSfte^enbe  3)urd)ar* 
beüung  beS  ©ntwurfs,  ber  nur  eine  ©fi$$e  barftettt,  befeitigt  werben 


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  Der  Berliner  Dom.   


56? 


fönnten.  Die  93ebenfen  ridjten  fidj  gegen  bie  ©intyetlung,  alfo  ben  ©runb* 
ri&,  gegen  ben  Huf  bau,  gegen  bie  ©auformen,  b.  Ij.  fo  jiemlid)  gegen  bie 
ganje,  wenn  auä)  ffisjenfjafte  2lu8geftoltung  bet  Saugebanfen  be8  »er» 
ewigten  ÄaiferS.  Sollten  bie  SBebenfen  gehoben  werben,  fo  müfete  eine 
ooUftänbige  Neubearbeitung  erfolgen,  wel$e  bie  ©runbgebanfen,  baS  33au* 
Programm  in  aßen  wefentltd&en  feilen  feftyält,  in  ber  Ausgestaltung  beS* 
felben  aber  bem  Slrä^iteften  freie  §anb  lägt. 

(Sin  SBergleiä)  beffen,  was  in  bem  oorliegenben  Entwurf  gefdjaffen 
ift,  mit  ben  bereit«  früher  entftanbenen  Plänen  eine«  Stüler  unb  beS 
2BettftreitS  oon  1869  bfirfte  foldje  Auffaffung  betätigen.  3war  !ann  ber 
SBergleid)  nur  in  bef<$rän?tem  2Jto§e  ftattfinben,  weil  baS  <5tülerfd)e  campo 
santo  nunmehr  befeitigt  unb  bie  Teilung  in  gefc  unb  ^rebigtfird&e 
als  feftftefjenb  anjunefjmen  ift  2Bof>l  aber  erf<$eint  es  burdjauS  juläfftg 
parallelen  jtüif^en  ber  geftfird&e  beS  #errn  SRafdjborff  unb  ben  früheren 
Dombaus(5ntmürfen  $u  jieljen,  ba  biefe  tl)atjäcf)ltcf)  auf  baSfelbe  fjüts 
ausliefen,  was  mit  ber  jefcigen  geftfirdje  beabftdjttgt  wirb.  Aua}  ber 
^auptunterf  d&ieb ,  bafc  in  golge  ber  Dreiteilung  nunmehr  für  bie  geft= 
fird&e  ein  geringerer  3fomm  jur  Verfügung  fteljt,  als  für  bie  frühen  Doms 
bau^rejecte  allein  unter  (Spaltung  beS  campo  santo,  ift  oon  feiner 
erf)eblid)en  33ebeutung,  weit  bei  gefd)id*ter  9laumauSnüfcung  für  bie  geft* 
firdje  fid)  ntdjt  oiel  geringerer  $la|}  oermenbbar  madjen  lägt.  3Kit  ben 
Ijierburdj  oon  felbft  gegebenen  (SHnfdjränfungen  wirb  man  nid)t  behaupten 
tonnen,  bafj  bie  SiRafc&borfffd&e  ©eftoltung  einen  gortfd&ritt  über  bie  bereite 
non  ©tüler  unb  ben  belferen  1869  er  ©ntmürfen  gebotenen  Anregungen 
hinaus  barftettte.  3m  ©egentf>eit,  bie  aKe^rja^l  berfel6en  trifft  ben  fpeciftfd> 
firdjlta)en  (^arafter  beS  SauwerfS  burd)  eine  ftrengere  gormengebung 
beffer,  einige  fügen  fid)  burä)  eine  mafeoollere  unb  fdjlanfere  AuSbtlbung 
ber  Stoppel  ungleich  Pfiffiger  in  bie  Umgebung  ein.  Dabei  Ratten  bie 
Bewerber  oon  1869  mit  bem  burd)auS  unffaren  programmlofen  Suftanbe 
beS  bamaligen  AuSfd^reibenS  ju  fämpfen.  2Ran  fann  bafjer  bie  33er* 
mutfmng  nidjt  oon  ber  &anb  weifen,  bafc  biefelben  Sttmftler,  unter  ben 
jefeigen  fo  wefentlidj  oeränberten  unb  geflärten  SBer^ättniffen  &u  einem 
erneuten  SBettbewerbe  auf  ©runb  eines  beftimmt  formutirten  Programms 
aufgeforbert,  ju  fein-  oiel  günftigeren  unb  brauchbareren  ©rgebniffen  gelangen 
würben.  SBurben  bamalS  fd)on  oon  (Sinjelnen  33erfud)e  gemad)t  Dom  unb 
campo  santo  ju  einem  wirffamen  ©ruppenbau  ju  geftalten,  fo  liegt  eS 
auf  ber  $anb,  bafc  bie  9Jte!)rjaf)l  jefet  fid)  ntd)t  ben  SBortljeil  entgegen 
laffen  würbe  bie  brei  Steile  aud)  im  Aeufeeren  in  möglid)ft  d^araf teriftif rfjer 
©nippe  erfd)einen  ju  laffen  —  eine  wenn  aud)  fd)mierige,  bod)  fo  banfs 
bare  Aufgabe,  bafc  es  gar  nid)t  ju  oerfteljen  ift,  weshalb  SRafd^borff  ftatt 
beffen  bie  ©intönigfeit  langgeftredCter  horizontaler  fiinien  unb  bie  aufammen* 
gebrängte  Sülaffen^aftigfeit  oorgejogen  tyd.  Der  geglieberte  ©ruppenbau 
fü^rt  oon  felbft  5U  einem  wo^lt^uenben  ©egenfafe  gegen  bie  $ufammenge= 


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368 


©berreaierunasratb,  lobt  in  Köln. 


fafjten  Staffen  be§  SdjtoffeS  unb  be$  3Jiufeum$,  $u  fd^Ianfen  ÄuppekUm* 
rifclinien  im  ©egenfafc  $u  ber  breit  gelagerte«  ©d&fofcfuppeT.  ©erabe  tyier= 
burdj  fantt  ein  roof)ttf)uenber  9(bfdjlufe  bes  ^ßta^e^  erreicht  unb  bie  ©efaljr 
ber  Umgebung  ju  na^e  ju  treten,  fic  ju  erbrüicfen,  (eidjt  oermieben  roerben. 
Zweierlei  ift  als  ßrgebnifj  »orfteljenber  Unterfud&ungen  ju  betrauten: 

1.  bie  von  ^errnStofc^borff  perfudjte  fttnfUerifdje2tu$gejtottung  berSSau* 
gebauten  Äaifer  griebrid^^  ftef)t  nidjt  auf  ber  §bty  biefer  ©ebanfen  felbft: 

2.  bie  2lu3fid)ten  burdj  einen  erneuten  SBeroerb  befonberä  berufener 
Slrdjiteften  $u  einem  nadj  aßen  SWid&tungen  Ijin  brauchbaren  ©ntnmrfe  ju 
gelangen,  finb  berart  günftige,  bafj  ein  SRifclingen  na^eju  au£gefd)l  offen 
erfc^cint.  33orau3fefcung  märe  nur  f(are  unb  befUmmte  gormutirung  ber 
©augebanfen  be3  oeremigten  Äaiferä  unb  richtige  3lu$nxxf)l  ber  jum  SBettbe* 
werb  aufouforbernbenÄünftfer;  beibeä  märe  Sadje  ber  ^mmebiatcommiffion. 
©in  fold)e$  93orgefcn  mürbe  bie  benfbar  befie  ©ernähr  bafür  bieten,  bafj 
ben  ^flidbten  ber  Pietät  gegen  ben  f)od)fetigen  flaifer  unb  bie  uon  3§m 
lange  ^a^re  gehegten  unb  gepflegten  unb  fdfjUefeüd)  p  üoHer  Ätar^eü 
burdigereiften  23augebanfen  oolle  9ied)nung  getragen  roirb;  bafc  aber  aud) 
ein  23auroerf  jur  2luäfüb,rung  gefangt,  welkes  nadj  bem  SBunfdj  be$  ^ol>en 
£erm  ber  £aupt*  unb  ^tefibenjftabt  Berlin  jur  3ler^c  gereift  £a3 
Slnbenfen  an  ben  funftfinnigen  dürften  unb  feine  Ijodjfjerjigen  33efxrebungen 
fönnte  md)t  glüctlid&er  ber  9?ad)roelt  überliefert  werben,  als  burd)  einen, 
in  feinem  Sinne  geplanten,  jroecfmä&ig  unb  großartig  geftalteten,  ba£ 
ed)önf)eit$gefüb,l  befriebigenben  unb  in  bie  Umgebung  fid)  ebenio  jroang* 
los  roie  eigenartig  einfügenben  £>om.  3uni  1889. 

9iad)fd)rifr. 

3118  borfteljenbe  Auiäeidmungen  bereits  bem  Trucf  übergeben  waren,  beachten  bie 
offentlidjen  ©lätter  iöerlinS  mehrfach,  »einerfungen  über  ben  weiteren  Verlauf  ber 
3)ombau*2lngelcgcnbeit.  Site  Afabemie  beS  SBauwefenö,  gu  einem  ®utad>ten  über  ben 
5Hafd)borfffd)en  (Snttourf  aufgeforbert,  foü  fid)  gegen  benfelbcn  auSgefbrodxn,  £err 
9tajd)borff  glcidnool}!  ben  Auftrag  gur  eitbgültigen  Ausarbeitung  ber  $läne,  tbcilroeife 
unter  Abänberung  feiner  Sfijgcn,  erhalten  beben.  2L*aS  namentlicb  ber  legten  Angabe 
!Ef)atfäd)Ud)e&  ju  ®ntnbe  liegt,  entsiefjt  fid)  ööQtg  ber  2?eurtf)eilung  be«  3?erfaffer3 
biefer  3*ifrn.  Aber  aud)  unter  ber  SJorau&fefcung  ber  9iid)tigfeit  mödjtc  eS  feiiic&tücgS 
iiberflüffig  erfd)einen  bie  Aufmerffamfeit  weiterer  ftreifc  auf  ben  bisherigen  Verlauf  ber 
Angelegenbett  unb  tbre  gegenwärtige  Sage  gu  Icnfen.  fllarbeit  in  einer  bie  baufünft* 
lerifrtcn  Sntereffen  ber  SReidräfcu&rftabt  fo  tief  berübrenben  Srage  ?u  gewinnen  ift 
jebenfaHS  ein  2?ortbeit  unb  ein  Stücfblicf  auf  bie  gefi)iditlidjc  fentwicfelung  berfelben  am 
meiften  geeignet  iener  Abfidjt  näljer  ju  fommen. 

Auguft  1880. 


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f)crmann  &un\bevt  Tleumann. 

Von 

JFcboc  bon  Stoppen. 

—  Berlin.  — 

.  23o»  brat  Wann  bat  2<btn 

9lur  halb  crtbcUt,  foß  oanj  bie  WaAwelt  geben!" 

(Soetfce, 

"flOt^l  flict)t  SDUjter,  benn  Stonen  bei  8e&|etten  fawn  über  genüffc 
L  i£Orj  begrenze  Greife  ^inau^  gebrungen,  beren  SBcrfe  nur  von  2Benige 
gefannt  unb  gelefen  finb;  nidjjt  nur  fold&e  Srtdjter,  roeld&e  ba$  ^eajt 
ftd&  fo  ju  nennen  nur  uon  einzelnen  gelungenen  ©rjeugmffen  herleiteten,  beren 
bid^terif^e  Straft  aber  ennattete  unb  erlofclj,  alä  bie  Sdjroiertgfeiten  ber 
Sfofeemoett  i^rem  (Streben  fjemmenb  in  ben  2Beg  traten,  fonbern  au(%  Didier 
von  ©otteä  ©naben,  bie  ba-5  3beal  tief  unb  toaljr  in  ber  SBruft  getragen 
unb  if)r  Sebelang  treu  unb  rebliä)  banadf)  gerungen  §aben,  e$  ju  oerroirf? 
li^en.  $flia)t  ber  Ueberlebenben  ift  es,  aud&  auf  biefe  fjinjuroeifen,  bamit 
ber  ©otteSfunfe,  ber  in  ilmen  geglimmt  hat,  nicht  oerlorcn  gehe,  fonbern 
andj  noch  anberen  ©eiftern  leitete  unb  anbere  £er$en  ermanne.  3U  ^nen 
gehört  ber  Sichter,  beffen  Seben  unb  SBirfen  mir  f)ier  im  engen  Malmten 
unferen  £efern  uorjuführen  gebenfen. 

^ermann  Kunibert  92 eu manu  fyatte  jeitlebenS  mit  ber  Ungunft 
ber  realen  5öerfKütniffe  ju  fämpfen;  aber  baäfelbe  2oo3  Ijaben  anbere 
beutfdfje  $idfjter  mit  ibm  geteilt,  beren  tarnen  bennod)  berühmt  geworben, 
§u  (S^ren  unb  2(nfef)eu  gcfommen  finb.  SBenn  St.  9Jeumann,  trofebem 
er  ein  geborener  unb  echter  Sichter  mar,  bie  uerbiente  3lnerfennung  bei 
ber  SJJitroett  nicht  gefunben  l)at,  fo  muffen  hierfür  noch  befonbere  ©rünbe 
obgewaltet  haben,  bie  fia;  au3  ber  Betrachtung  feinet  SebenSbilbeS  ergeben 
werben. 


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370 


gefror  doh  Koppen  in  Berlin. 


£  ermann  fluntbert  nmrbe  am  12.  SRocember  1808  ats  ©ofm  be$ 
SRegterungSratljeS  unb  gorftmeifterS  SReumann  in  SWartenroerber  jugleidj  mit 
einem  3ro^ina^bmber  geboren,  Die  beiben  trüber  waren  ooUftänbtg 
oerfdjteben.  ^ermann  mar  ber  fä)n>ädjlt<&ere  unb  jartere,  unb  munberbarer 
SBeife  roanbte  ftä)  baä  $erj  ber  9Jlutter  mef>r  bem  gefunben,  munteren 
33ruber  ju.  Die  geringe  Zuneigung  ber  SRutter  mod&te  neben  ber  fd&roäd&s 
lid^en  ©efunb&ett  bes  flnaben  bie  Eltern  ba$u  befümmen,  i^n  fdjon  in 
feinem  vierten  3a^re  au£  bem  £aufe  unb  ju  alten  görfterSleuten,  Unter- 
gebenen be$  93ater8,  in  Pflege  ju  geben.  5Die  einfame  SBafoeaftille,  in 
ber  er  aufroudjg,  unb  ba8  ^eimroe^  ba$  fein  junget  £er&  erfüllte,  werften 
in  if)tn  ben  $ang  jur  Sd&roermutf),  bte  ifm  bur<$  fein  ganjeS  fieben  begleitete 
unb  and)  burdj  feine  Did&tungen  f)inbur$füngt. 

3n  feinem  jroölften  3a$re  marb  er  in  ba8  Elternhaus  jurürfgenommen 
unb  (ernte  jefct  erft  lefen  unb  fdjreiben.  Er  entroidfette  fidj  aber  fdmell 
unb  glfitflidj,  befudjte  baä  ©mnnajium  ju  SJtortenroerber  unb  fd&eint  ein 
geroedter  unb  fleißiger  Stüter  geroefen  ju  fein,  ©egen  feine  SReigung, 
bie  ifm  pm  (Stubirttfdje  Innjog,  warb  er  auf  ben  9totf>  eine«  aSerroanbten, 
eine«  fjod&geftellten  aWilitärS,  für  bie  mtfttärifd&e  £aufba$n  benimmt,  Er 
trat  mit  a<$tjef)n  Safycen  in  bie  21rmee  unb  ftanb  als  junger  Dffijier  bei 
bem  17.  Infanterieregiment  in  SEBcfet. 

Die  einförmige  MtagSbefd&äftigung  ber  griebenSgarnifon  fonnte  i&m 
bei  feinem  reiben  inneren  Seben  feine  93efriebigung  gemäßen,  ebenfo 
roenig  bie  gefetligen  Jreuben  im  Umgange  mit  ben  Äameraben.  Die 
träume  ber  Äinberjeit  flangen  in  ber  reinen  Süngtingäfeefe  nadj  unb 
führten  ifm  jur  Diajtfunfl.  So  entjtonb  feine  Didjtung:  „Des  Dieter« 
£ers"  (Söefet  1836,  3.  StufL  Heiffe  1859),  n>ela>  bem  Dieter  «.  oon 
Gtyamiffo  geroibmet  mar  unb  an  beffen  Seben  anfnfipfte.  Es  ift  baS 
Traumleben  bes  ÄinbeS,  baS  fid)  in  biefer  rü^renben  Didjtung  fpiegelt. 
©ef)r  jart  unb  innig  Hingen  bie  Erinnerungen  an  bie  früf)  uerftorbene 
Sftutter.  Die  3urfief)"efcimg,  bie  er  als  Äinb  neben  bem  älteren  3miUing^- 
bruber  erfahren,  tyatte  in  feinem  fierjen  feine  SHtterfeit  ermetft  unb  ber 
SRemljeit  ber  flinbeSliebe  feinen  Eintrag  getfjan. 


„@8  toat  ein  Ilster,  gotbner  ftrüblingS* 

morgen, 

2Ü8  id)  ein  $nabe  burdj  ben  ©arten  lief, 
SKiO)  fröblidj  tummelnb,  too  nod)  obne 

Sorgen 

3u  neuer  3?reube  jebe  ©tunbe  rief. 
Unb  fdxm',  e8  nafdjf  im  »lütbenfdjoofc 

geborgen 

Gin  ©dmietterting  ou8  füfjcm  Äeldje  tief; 
3d)  toouY  ttjn  fangen,  bod)  er  flog  bon 

bannen 

Unb  fefcte  fern  fief)  auf  bie  bofrn  Mannen. 


Unb  al8  id)  nun  mit  Xfjränen  in  ben 

»liefen 

SBcrfangenb  nad)  bem  bunten  Söget  fdxm\ 
3>a  fübl'  id)'8  fanft  auf  meine  Sdwltcr 

brüefen, 

Unb  neben  mir  ftebt  eine  bleicb«  5rau; 
3a)  feb*  fie  freunblid)  T»dj  b«mieber  bilden, 
©eb'  nod)  ber  Stugen  munbertiefe8  ©tau: 
w2Bein'  nidjt,  mein  Äinb,  benn  febc  deiner 

Xbränen 

2Nub  mübfam  ia  ^ein  lieber  diiflet 

gablcn." 


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> 


 ^ermann  Knnibcrt  tteumann.    37 ( 

„£at  auch  mein  tfugcl  hübiche  bunte  ftlügel? 
.Scann  er  auch  fliegen  bis  auf  unfer  ftauä?" 
„2ld),  IiebeS  ftiub,  wohl  über  Dbal  unb  £>ügel 
fliegt  etnft  Dein  (Sngel  weit  mit  Dir  hinaus, 
Dann  Köpft  er  au  ein  Xhor  mit  golbnem  Siegel 
Unb  führet  Dich,  in  feine«  2*ater«  $au8; 
Doch,  barfft  Du  Deinen  ©ngel  nie  betrüben 
Unb  foUft  bor  Mem  feinen  2kter  lieben." 

£a$  23tlb  ber  bleiben  grau  mit  bem  fanften  Hauen  9luge  unb  bem 
fe^uenben  23li<fe,  uielä>3  ben  tfnaben  fettbem  im  äBadjjen  unb  im  Traume 
begleitet,  wirb  biefem  fpäter  burd;  ben  SBater  gebeutet. 

C  JÖaterberj!  —  (53  mar  nach  jenem  '  Unb  gleich  erzählte,  wie  ich  eS  gefangen, 

Draume,  Dem  SSater  iubelnb  ich  nad)  $inbe8braucb. 

27tich  rief  hinaus  ber  warme  Sonnenfdjein,  „ÜBir  bürfen  nid)t  bas  arme  SBoglein 

Da  raub  beim  Spiel  idmntermcinemSöaume,  nehmen, 

öclbfchnäblig  noch,  ein  artig  »ögelein;  ($8  würbe  bann  fich  feine  Butter  grämen." 

5lu8  warmem  Weft,  ücrtrauenb  feinem  „  , 

Staurae,  ^c       cS  m  oa8              3K»ttet  eilte 

Schwang  er  in'*  Sieben  fröblid)  fich  hinein,  ®m  "äd""tcn  *flUm  mit  ®r»& 

Unb  mußte,  mübe  balb  uon  furjem  fliegen,  herbei, 

9?un  ohne  SduUi  auf  harter  (Srbc  liegen,  j        m*uin  untcr  ^rcm  Sflögel  weilte 

i  Unb  hob  ben  ttopf  mit  Switfchern  unb 

3ch  hc-b  e§  auf  unb  legt'  cS  au  bie  Saugen  Öefchrei. 

Unb  wärmte  e3  mit  meine*  9Kunbe&  £aud),  Da,  als  id)  jubelnb  feine  ftreube  theiltc, 

Schon  lange  war  einSBögleiu  meinHerlaugen,  Mief 'S  plöfclidj  mir,  wo  meine  Butter  fei. 

Wach  ihm  burchfuchte  ich  fdion  manchen  Jlcb,  ätoter,  fag',  warum  ich  armer  Änabe, 

Strauch,  Wdjt  wie  ba8  Siöglein  eine  2Kutter  habe?" 

£cr  $atcr  aber  fab  Um  mit  ernjmn  23ltde  unb  übcrtljauenben  2lugen 
an  — 

Unb  wie  ein  Seufzer  Hang  e8:   „ülrmer  ftnabe, 
Dir  ruht  bie  äRutter  lange  fchon  im  ftrabc!" 

Sann  nalnn  er  ifm  bei  ber  $anb  unb  füfjrte  ib,n  fdjmeigenb  in  fein 
SdjlafgemacJb,  hinauf,  roo  bi^tüerfdjleiert  brei  Silber  fingen.  &on  einem 
na&m  er  ben  Vorhang  ab,  unb  ber  tfnabe  erfennt  entwirft  —  bie  bleibe 
grau. 

„2HeiBt  Du,  mein  Stinb,  warum  Dir  immer  bange, 
Sie  hü  Du  im  3Jionbenlicht  bie  bleiche  ^rau? 
Die  Butter  tft  e*,  unb  in  lidtfen  £öhen 
Dort  werben  wir  fie  ewig  wicberfefjeu." 

3ludj  ber  (Sngel  follte  für  ib,u  fein  Traumbüb  bleiben,  jonbern  er 
nalmt  bie  ©eftalt  ber  lieblichen  ©efptelin  an,  bie  fid)  $u  Unit  gefeilte  unb 
ilnn  feine  JUnbljeit  uerflärte. 

?lotb  unb  Süb.  L.,  r,o.  25 


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572 


  ^cbor  pou  Köppcn  in  Berlin.   


„9?id)t  fern  bomftaufe  blübtc  toeifecr  lieber, 
Unb  auf  bem  Straudje  faß  ein  SBögelein, 
DaS  fang  fo  belle,  wunberbare  fiieber 
!öon  SBlumenbuit  unb  golbnem  Sonnen* 

fdjein. 

Unb  feben  borgen  fam  ber  Sänger  toteber 
Unb  rief  mid)  locfenb  in  ben  2Mb  hinein, 
Dod)  folgte  id),  burdjfdjnitt  et  fdjnell  bie 

3cäume 

Unb  liefe  ftd)  uieber  auf  bie  nädjften  »äume. 

Dod)  plöfclid)  roar  üerfrunrmt  unb  aud)  ent= 

fdjhmnben 

Der  Keine  Sänger  bon  bem  nädjften  23aum, 
Unb  öötdjenb  ftanb  id>,  ftnnenb,  toie  um* 

tounbeu 

Wad)  bem  6rwad)en  nod)  Dom  fdjöuen 

Draum, 

Dod)  feine  5£öne,  Sänge  gaben  ftunben 
2hn  bem  Gntflob/nen  in  bem  toeiten  9laum; 
Da  fd>auf  id)  traurig,  ad)  mir  war  f  o  bange 
5>luf  nie  betret'nem,  toalbeSbunfelm  ©ange. 

Der  SEßalb  umlag,  ein  farbenreicher  $ügel, 
Den  fdjbncn  See  im  grünen  Jblättcrfrana, 
Unb  aus  frnftaflitem,  mnnberbarem  Spiegel 
Stieg  auf  fein  Söilb  im  lidjten  SBeUcntan^  I 
Unb  jeneä  groftc  Xifox  mit  golb'nem  Stiegel, 
(£S  toinfte  mir  aus  2lbenbrotbe8  ©lan§, 
Dod)  toie  idj'8  fdjimmem  fab  aus  SeeeS 

Diefe, 

äöar'S  mir,  als  ob  mein  lieber  (Sngel  riefe. 

3dj  ftanb  unb  fab  unb  fdjaute  immer  toteber, 
9ltd)t  faffen  fonnt'  id)  biefcS  Sßunberbtlb, 
3d)  fab  bie  bellen  mallen  auf  unb  nieber 
Unb  borte  tote  im  Xraume  freunbtid)  miß) 
Die  oft  geahnten,  langerfebnten  ßieber, 


23on  ibnen  mar  bie  Diefe  tlangerfüUt 
Dodj  bord)!  ßs  raufd)ten  nod)  beS  SBafferS 

Söogen, 

3toei  toeifee  Sdjtoäne  famen  angejogen. 

Unb  roieber  bort'  id)'S  rufen,  leife  tönen, 
3d)  fdjaute  um,  unb  ad),  mein  ©ngel  ftanb, 
SWein  (gngel  neben  mir,  ber  meine  Dljränen 
So  lang  gesagt;  ein  toetfeeS  2id)tgetoanb 
Umgab  bie  ©lieber  ümt,  bie  bimmlifd) 


Unb  mit  ber  flcinen,  tounbeqarten  £anb 
Sßarf  in  baSÜBaffer  er  benSdjtoäncnSpcife 
Unb  locfte  fic  bei  ibren  tarnen  letfe. 

„Du,  lieber  (Sngcl,  fommft  mir  (Srüfee 

bringen 

5Bon  Deinem  SJatcr,  bon  ber  bleiben  Stau; 
Dod)  ad),  Dir  fehlen   ia   bie  toeifeen 

Sd)toingen, 
.§tnabjuftnfen  in  beS  Rimmels  ©lau?"  — 
So  fdmed  ©ebanfen  in  ©ebanten  ringen, 
Dod)  in  bie  klugen  tritt  mir  füfecrDbau, 
?U8  mir  je&t  &eibe,  bebenb  in  öntjüden, 
Un8  lang  unb  tief  bis  in  bie  Seele  bilden. 

Das  SDläbdjen  ftrid)  juruef  bie  blonben  fiotfen 
Sa^  balb'  ben  JSobcn,  balb  ben  Änaben  an, 
Den  Sdnoänen  warf  fic  bin  bie  toeifeen 

iöroefeu 

Unb  ftanb  bann  toieber  lange  ba  unb  fann: 
Sie  fpradj  unb  fdnoieg  unb  fragte  bann 

mit  Stoden; 
„mt  beifet  Du?"  —  „©uftao".  —  „2ld> 

ben  9?amen  !ann 
3d)  fd)on  bebalten;  ©uftao,  fornm'  gum 

©arten, 

Du  foQft  mir  t)dfcn  meine  93lumen  märten." 


$ie  Safyxt  fcrjroanben.  Der  ßnabe  reifte  tyeran.  GS  fam  bie  216= 
fd)ieb*ftunbe  mit  bem  ©egensrounjdje  beS  Katers,  mit  bem  2lbfdjieb3gru§ 
ber  fwlben  ^ugeubgefpielin.  ©r  [türmte  voü  Sfyitenbrang  in  bie  2ßelt 
f)inau$,  bodf;  „im  23ufen  flangen  bie  Töne,  bie  von  $ott  unb  Ingeln  fangen." 
2U3  ber  Jüngling  roieberfefjrt  auf  rooijlbefannten  SBegen  ju  bem  [ritten 
$aterfjaufe  im  2Mbe,  audj  worüber  an  bem  uon  üBufd)  unb  $ügel  um- 
rahmten  See  unb  in  ben  ©arten  eintritt,  wo  er  mit  ber  ©efpieltn  Ginnten 
pflärfte  unb  .stränge  flod&t,  ba  [te^t  er  im  9Jtonbenfd)eine  —  „ein  frifd&es 
0rab  mit  bletd^em  2ei$en[teine".  mar  baö  ®rat)  feiner  Sugenb* 
gefpielin,  feines  fa^önften  Alinberlraum«.    Slber  ber  Dieter  [iel)t  niä)t 


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^ermann  Kunibert  Itenmann. 


373 


flagenb  unb  §agenb  cor  bcn  Statten  ber  $Bergänglid)feit.  (fr  fic^t  aus 
bem  33lüttyenftau6e  neuen  grüf)ling  erblüljen,  über  ©räbern  neues  ßeben 
fid)  entfalten  unb  er  rettet  aus  bem  entfliefjenben  Qugenbtraum  eroige  2$ku)r= 
ijeit  für  baS  £eben.  <£o  fonnte  benn  aud)  unfer  $id)ter,  ber  (i.  1836) 
bem  $5id)ter  »on  (Sfjamiffo  fein  (SrftlingSroerf  „3)eS  2>i$terS  Qextf'  nribmete, 
nod)  bretunbsroansig  3al)re  fpäter  (bei  ber  britten  Auflage  1859)  fagen: 

„Ob  aud)  baS  2eib  mir  bleichte  (Stirn  unb  fangen, 
Xönt'8  bod)  im  bergen  fort  tüte  bamalS  Hat: 
2>rei  ftlangc  finb  burdj'S  £eben  mir  geblieben: 
®ott,  reiner  Sang  uub  eioig  junges  Sieben!" 

3RU  feiner  $)id)tung  „$eS  $id)terS  ßerj"  trat  ber  $id)ter  aus  bem 
Traumleben,  bem  er  fid)  gern  Eingab,  offenen  Südes  unb  entfd)tebenen 
SBtllenS  in  bie  nnrflid)e  SHelt.  ©in  ßncluS  oon  ©ebtd)ten,  ben  er  im 
folgenben  3af)re  (1837)  unter  bem  Xitel  „Grs  unb  9Jtarmor"  heraus* 
gab,  erfdjeint  uns  als  ein  SSerfud),  fid)  feinen  S3eruf  uor  fid)  felbft  $u 
oerflären  unb  fid)  an  ben  ©eftalten  beS  „eifemen  Deiters"  auf  ber  langen 
SBrücfe,  beS  frommen  ÄönigS  mit  bem  eifemen  flreuje  oon  1813,  14  unb 
15  aufjuridjten  unb  über  ben  Jammer  einer  nüchternen,  profaifd)en  &it 
p  ergeben;  aber  baS  friegerifd;e  Mftjeug  wirb  ju  ferner  in  ber  ßanb 
beS  Diopters,  ber  ©ott  unb  Siebe  fingt.  £.  Steumann  falte  fid)  nid)t  aus 
Steigung  für  ben  rnegerifa)en  SBeruf  entf Rieben.  9kd)bem  er  in  Söefel 
bie  ©eltebte  beS  &erjenS  gefunben,  nahm  er,  um  feinen  Söunfd)  nad)  $er* 
einigung  mit  ihr  unb  nad)  ©rünbung  eines  eigenen  &erbeS  oemurflid)en 
ju  fönnen,  feinen  3lbfd)ieb  aus  bem  Sttilitärbienfi  unb  trat  jur  Smititär- 
oertoaltuug  über,  ©r  erhielt  1840  eine  2lnftellung  als  ftnfpector  ber 
©arnifonoerroaltung  in  -Düffelborf. 

$aS  rege  geiftige  Seben  in  ber  rheinifd)en  flünftlerftabt  besagte 
bem  $ta)ter  fehr  u>of)l.  3m  &aufe  beS  2)irectorS  ber  SMerafabemie 
oon  ©d)aboro  roar  er  ein  gern  gefeljener  ©aft  unb  trat  in  lebhaften 
Söerfehr  mit  £)üffelborfer  Äünftlern,  foroie  anberen  geiftoollen  ÜDMnnem. 
3n  feinem  £agebud)e  finben  fid)  intereffante  Urteile  über  einige  berfelben. 
9lct)enbad)  erfd)eint  ihm  als  ber  red)te  9lepräfentant  beS  leid)tleOigen, 
„immer  beweglichen,  00m  ©eifte  beS  SRebenbluteS  burd)brungenen,  jeben 
Äajtengeift  oerad)tenben  9tf)etntänberS."  Sei  £)eger  oerehrt  er  ben 
feufdjen,  gläubigen  6inn  beS  frommen  ftünftlers,  ber  bie  2lpoHinariSs 
firä)e  bei  Remagen  mit  greSfengemälben  fd)mücne.  SÖenig  oortheilbaft, 
aber  getoifc  treffenb  ift  baS  Silb,  u>eld)eS  ÜReumann  oon  bem  ju  berfelben 
3eit  in  £üffelborf  lebenben  unglücflid)en  $iä)ter  ©rabbe  entwirft,  „jenem 
^arabieSoogel,  ber  oon  ber  &rone  eines  blfifyenben  ^almbaumes  burd) 
bie  $anb  beS  Sa)icffals  in  ben  ©taub  gefd)leubert  mürbe  unb  ber  aus 
(Sigenfimt  unb  «Stolj  fid)  felbft  im  beutfa)en  dltym  bie  fd)illernben  gebern 
nid)t  rein  n>afd)en  wollte." 

„(SS  mar  im  3^re  1836,"  erzählt  9?eumann,  „als  id)  in  ftolge 

25* 


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$cbov  roit  Koppen  in  Berlin. 


eines  fonberbaren  SBriefwechfelS  ben  Xifyiex  fennen  (ernte.  Von  einer  SHcife 
jurfidfehrenb,  fuchte  ich  irm  an  einem  Nachmittage  auf.  ©r  wohnte  in 
einer  engen  ©äffe,  id)  ftieg  jwei  treppen  empor,  flopfte  mehrmals  an 
feine  2\)üxef  unb  auf  ein  mattes  .^crein!1  öffnete  ich  biefelbe  unb  trat 
in  bas  3ünnter.  9Mit  einem  Vlide  mar  baS  fleine  ©elafe  in  überfein, 
ein  Vett,  eine  alte  Stommobe,  ein  Xifd)  unb  ein  paar  Stühle  gaben  bas 
ganje  2)ieublement  ab,  unb  au&er  einem  ftaubigen  Spiegel  geigten  bie 
SBänbe  feinen  Sdmtud;  ja  felbft  Vorhänge  festen  an  ben  genftern,  ob= 
gleich  biefe  ferjon  vom  Slnftanb  »erlangt  werben  mufften,  weil  man  fonft 
von  brüben  baS  gan3e  3i,limer  uberfetjen  fonnte.  ©rabbe  lag  im  -Öctte; 
ber  einjige,  rot^gebei^te  Xifch  war  biajt  an  baS  33ett  gerüeft  unb  mit 
papieren  aller  2lrt,  einigen  Vüdjeru  unb  Schreibmaterial  wie  gefliffentlich 
unorbentlidj  überhäuft.  2lm  gufeenbe  beS  Settel  ftanb  ein  Stul)l  mit 
5UeibungSftüden,  am  ßopfenbe  ein  alter  Schemel,  befefct  mit  ©Idfern  unb 
glafchen.  $6)  [teilte  mich  ©rabbe  oor.  (Sein  grofjeS  fiellblaueö  3luge 
fuchte  ben  Vlid  ju  fvriren,  fdjweifte  aber  unftät  mehrere  Minuten  \)\n  unb 
^er;  er  fonnte  oor  Verlegenheit  lange  nicht  3U  einer  jufammenhängenben 
9iebe  fommen,  wärjrenb  id),  um  ihm  3eit  ju  laffen,  einen  am  genfter 
ftehenben  Stuhl  oon  ftaubigen  ©egenftänben  befreite,  ihn  an  ben  Xtfä) 
rüdte  unb  mich  barauf  nieberliefj. 

„$ch  bin  and)  Cffijier  getoefen  unb  trage  and)  Uniform  unb  $orteep6e/ 
fagte  er  mit  mehr  (Smft,  als  mir  für  einen  fo  bebeutenben  Sichter  würbig 
fchien.    ,$ie  alte  Schachtel,  meine  9luf Wärterin,  hat  wir  aber  baS 

<ßorteep6e  geftohlen;  wo  nur  ber  9t  bleibt!  2ld>,  trinfen  Sie 

einmal4  —  babei  holte  er  unter  bem  Sdjemel  ein  ©las  mit  §iueifelt)afteii  Inhalt 
heruor  unb,  als  er  meine  ableflnenbe  3fliene  unb  ©ebärbe  bemerfte,  er-- 
wiberte  er:  ,(*S  ift  nicht  SdmapS,  hol'  wich  —  — !  ich  will  oerbammt 
fein,  wenn  es  nicht  Vier  ift/ 

„Sie  Schüchternheit  oerließ  ©rabbe  nach  unb  nach,  wo  mit  fd)5ner 
Vegeifterung  fprad)  er  oon  feinen  projectirten  Herfen:  ,9Ueranberc  unb 
,3cfuS'.  ©r  entioidelte  I)crrlid;c  ©ebanfen  unb  $beeu,  aber  bie  babei 
gewählten  9luSbrüde  waren  oft  fo  gemein,  bafe  id)  unwiflfürlich  meinen 
Slerger  Darüber  nicht  oerbergen  fonnte.  ©rabbe  ftellte  fich  swar  befd)eiben, 
aber  eine  namenlofe  Gitelfeit  war  gcrabe  fein  Verberben.  <£r  wollte  in 
Mem  außergewöhnlich  geuial  fein,  unb  beSfjalb  würbe  er  unwahr  unb 
rebete  fid)  oor,  nur  Spaß  ober,  wie  er  311  fagen  pflegte,  Dummheiten 
ju  machen.  @S  war  fläglich,  biefen  ^errlidr)  begabten  ©eift  unter  ber 
fleinlidjen  ©ewalt  beS  (rgoiSmuS  fich  frünmien  unb  winben  3U  feljen;  feiten 
fchüttclte  er  fie  oon  fich  ob,  unb  bann  erfchien  ein  &eroS  fowohl  in  lijrifcher 
als  in  epifcfjer  Sdjönhett. 

„Xrofc  feiner  unangenehmen  (S'igenfchaften  fonnte  man  fich  nid^t  einer 
tiefen  bauernben  2l)eilnarjme  für  biefen  unglüdlidjen  Sichter  erwehren; 
benn  wenn  er  in  bem  Öcfpräd)e  enblich  —  es  fei  mir  erlaubt,  fo  3U 


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ßermann  Kunibert  ZTcumann.  — - 


575 


jagen  —  $ur  SSernunft  fam,  bann  war  feine  33egeifterung  eine  edjte,  bie  jeben 
£örer  f)erau$rücfte  au3  ber  ©emöfmlidjfeit  unb  il;n  in  ben  Äreis  führte, 
ber  bie  wunberbarften  unb  fjödrften  ©ebanfen  entwicfelte.  Seiber  bauerten 
biefe  3nterme&503  nur  SBiertelftunben,  bann  fajlug  ©rabbe  feinem  ©eifle 
felbft  ein  6dmipp3>en,  inbem  er  über  feine  .Xummfjeit'  ladete  unb  ju 
ber  gewohnten  gemeinen  Rebeweife  jurfidfefjrte." 

Sir  muffen  eä  unä  rerfagen,  f)ter  nodj  bie  Urteile  ReumannS  über 
anbere  bamalS  in  $üffelborf  lebenbe  ©djriftfteUer  unb  Sinter,  wie 
Söenebir,  greiligratf)  u.  31.,  ansufü^ren.  (?ine  tief  unb  ernft  angelegte 
Ratur,  fünfte  fia)  Reumann  burd)  ben  Umgang  mit  ilmen  um  fo  mefjr  $ur 
ftitten  Ginfeljr  in  fid)  felbft  angeregt,  um  bie  im  ©efprädje  mit  tynen 
gewonnenen  SSafjrfjeiten  in  fidt)  aufzunehmen,  ju  vertiefen  unb  in  anberer 
©eftalt  wieber  jur  (£rfd)einung  ju  bringen.  2lu3  bem  Greife  ber  ftreunbe 
in  bie  6tiUe  feinet  SlrbeitSjimmera  jurürfgefeJjrt,  befdjäftigte  nd)  Reumamt 
mit  ben  tiefften  gragen,  von  ©eburt  unb  Sob,  von  ßwigfeit  unb  $eit, 
uon  ©ott  unb  Unfterblidtfeit,  unb  fudjte  an  ber  ^>anb  ber  ^oefie  Söfung 
für  bie  Rntfjfel  beä  Sebent,  tiefem  (Streben  be$  3Mä)ter3  uerbanfen 
eine  3ietl)e  von  p^ilofopfyifdjsrelxgiöien  £>id)tungen  üjre  ©ntftefjung,  bie  ifmt 
in  ber  Äritif  oielfadj  ben  Ramen  be$  ,,©ottfud)er$"  oerfdjafft  fjaben,  wie 
„baä  lefete  9Henfd)enpaar  (1844),  „Sajaruä"  (1858),  „Sie 
Streiften"  (1869),  „Sie  2luf  erfterjung"  (1870)  unb  ba$  bi^er  nur 
im  2)Janufcript  oorljanbene  „^ofjelieb". 

Unftreitig  rannte  unfer  £id)ter  ben  2luäfprud)  £effing$:  „2ßenn  ©Ott 

in  feiner  Siebten  alle  2£al)rl)eU  unb  in  feiner  i'infen  ben  einzigen  immer 

Tegen  £rieb  nad)  2Saf)rr)eit,  obfd)on  mit  bem  3uiafee/  Im<*)  immer  unb 

ewig  §u  irren,  oerfajloffen  Ijielte  unb  fprädje  ju  mir:  jUBätjIe!4  —  id) 

fiele  mit  £emutf)  in  feine  Sinfe  unb  fagte:  ,$ater,  gieb,  bie  reine  2Baf)rs 

fjeit  ift  ja  bod)  nur  für  Sid)  allein!1"         ift  bem  3)Jenfd;en  nicr)t 

gegeben,  mit  feinem  ^erftanbe  bie  grofeen  Rätt)fel  be$  Sebent  31t  ergrünben 

unb  bur$  bie  Sßolfen  jur  ootten  £immel$flarl)cit  bura)jubringen,  ober  aud&: 

„hinter  ben  Sölten  ben  Gimmel  3U  abnen, 
^eilifle  läufäuug,  wie  bift  $it  fo  fdjön!"  — 

fo  fcr)lie&t  eine  ber  $mnnen  an*  bem  genannten  ßi)flu$:  „£>a£  ^otjclieb"; 
unb  mir  fönnen  unfere  lebhafte  unb  $um  Xljeil  fogar  bennrnberung^ooHe 
Xtjettnafnne  bem  Sftanne  nicr)t  oerfagen,  ber  mit  raftlofem  gorfdmngS* 
eifer  banad)  ftrebt,  bie  2Baf)rf)eit  aller  Religionen  ober  oielmefjr  bie  Satjrs 
t)eit  über  allen  Religionen  ju  finben  unb  poetifd)  3U  geftalten.  3lber  bie 
,3eit,  in  welker  biefe  $ict)tungen  erfduenen  —  eine  3e^  ber  polittfdjen 
©äfjrung  unb  ber  fladjen  greigeifterei  auf  religöfem  ©ebiete  — ,  mar  il;nen 
nidjt  günftig.  Wan  freute  fia)  an  ben  9Jad)flängen  ber  Romantif,  audj 
an  mand;em  jarten  3Jiinnetiebe  ober  an  ben  pridelnben  Siebern  be$  „jungen 
^eutfa^lanb" ;  aber  man  fyatte  wenig  Neigung,  fidj  in  biefe  metaplmfifaV 
religöfen  ^)id^tungen  ju  oertiefen.  Unb  —  wir  geftefjeu  e$  offen  —  and) 


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376 


gefror  pon  Koppen  in  Berlin. 


wir  §egen  Steife!,  °&  D*e  ^oefic  ba£  richtige  ©ebiet  ift,  um  religiöfe 
unb  ptyifofopfjifdje  fragen  ju  erörtern,  beren  Söfung  bod)  nur  für  tybtn 
eine  fubjectioe  fein  fann;  —  um  fo  mec)r  fubjectio,  je  mel;r  bei  ben 
meiften  2)tenfd)en  bie  ©emüttysfeite  über  bie  SBerftanbeSfeite  »onoiegt. 

$)ie  genannten  Tötungen  9ieumann$  fjaben  aber  neben  ben  poetifdjen 
aud)  ein  prmdjologifdjeS  Qutereffe,  in  fo  fern  fie  uns  bie  Kampfe  einer 
eblen  £td&terfee(e  lebenbig  oor  2lugen  führen,  ©ine  befonberä  merf- 
rofirbige  Etdjtung  ift  in  biefer  ^ejiefjung  Meumannä  „SajaruS",  ein 
(Stylus  von  188  (Sonetten,  in  welchen  ber  an  einem  ferneren  9ieroen= 
leiben  erfranfte  ftiajter  £roft  unb  Befreiung  fudjte.  £>aj$  ir)m  aber  feine 
reflectirenben  religiofen  Eichungen  fötalen  Xroft  nidjt  geben  tonnen,  ba3 
fcören  mir  au«  biefen  Sonetten  fetbjt  t)erau$.  £a  fpridjt  er  in  einem 
Sonette  (9fr.  149)  mit  fetner  3ronie  oon  bem  $roeifell>aften  refigiöfen 
£roft,  ben  ber  ^aftor  bem  Äranfen  jufpredjen  toiH: 


„3u  meiner  8*au  fam  jüngftber$crr$aftor, 
Stieb  ftd)  bie  Jgänbe,  fdjaute  febr  bebädytig, 
Unb  t)iclt  bann  ben  Sermon  —  '8  toar 

toirflid)  präd)tig, 
ÜHecrjt  nad)  ber  Stimmung  für  ein  toeiblidj 

Cfcr. 

3a,  rübrenb  toar  e8,  tote  er  fte  befdjtoor: 
2?  od)  nur  auf  ©Ott  gu  bauen,  ber  aümädjtig; 
Unb  nidjt  auf*  fträutertoeib.  baS  nteber* 

trädjtig 

$)en  Icufel  fid)  äur  $üfe  auBcrfor. 


Jpeut  fam  bie  ftrau  Sßaftorin  unb  begann : 
„%dl.  Siebe,  ad)!  mein  ftinb  ift  franf,  e« 

fann 

Stein  %nt  mebr  Reifen,  bod)  id)  min  eS 

toagen,  — 

3a,  nad)  ber  tfräuterfrau  toottt'  id)  Sie 

fragen." 

„iföaS  aber  toirb  ber  #err  $aftor  toofjl 

fagen?" 

w$erV  —  ßieber  ©Ott,  mid)  fenbet  ja 

mein  3Jiann!" 


3n  einem  anberen  Sonette  (9fr.  75)  ift  ber  £id)ter  bagegen  auf= 
richtig  genug,  ju  befennen:  „£er  befte  £roft  im  Seiben  ift  ber 
©laube,"  unb  er  fdjliefjt: 

MS>a8  arme  2öeib,  baä  oon  bem  Streu  j  bon  Stein 
2)a8  »nie  ftd)  tounb  rutfdjt,  tüfet  beö  fceilanb«  Qrüfee 
Unb  fietjt  bie  Sttutter  ©orte»  an,  bie  füfec  — 

3bt  toirb  im  Seiben  ftetö  geholfen  fein, 
Unb  t)ier  fcfjon  gebt  fte  in  ben  Gimmel  ein, 
Snbefe  id)  3toeiflcr  obne  Hoffnung  büße." 

Qm  3af)re  1841  mar  ftcumann  a(3  SBorftanb  ber  ©amifonoerroaltung, 
nad)  2Befclar,  1842  alä  ©amifonoerma(tung3sDberinfpector  nad)  Xorgau 
oerfefct  roorben.  £er  Xaufd)  bcS  fdjönen  romantifdjen  StyetnlanbeS  mit 
ber  ftiUen  ©tbgegeub  roollte  ünu  wenig  besagen.  <5r  l;atte  feine  3tnfteÜung 
bei  ber  ©arnifonoerroattung  überhaupt  nur  aU  Uebergang  ju  einer  t)ö^eren 
fiaufbafjn  betrautet  unb  mufete  fid)  nun  mit  bem  ©ebanfen  oertraut  mad&en, 
oieu*eid)t  jeitlebenä  in  einer  ilmt  wenig  sufagenben  Stellung  ju  oerbleiben. 
Xie  Siücfncfjt  auf  feine  5at)treid)e  $amUie  t)inbertc  i(m,  fein  2lmt  aufju^ 


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fjertnann  Kunibert  Henmann.   


577 


geben  unb  fidj  frei  madjen.  ©r  füllte  fia;  gefränft  unb  jurücfgefefet. 
$aju  tarn,  baß  ber  ©rfotg  feiner  $td)tungen  im  ^Jublifum  feinen  ©r= 
Wartungen  nidjt  entfpraa).  „Da«  ift  ba«  &>o«  be«  beutj^en  Eidjter«," 
ruft  er  in  einem  feiner  Briefe,  „fein  genriffe«  £00«,  je  treuer  er  bem 
ftbeale  bient  unb  bie  Sßerirrungen  ber  HHobe  abtveift  unb  befampft!" 
Seine  bittere  Stimmung  mochte  roofjl  von  ©influß  auf  fein  3)iä)ten  unb 
aud)  auf  fein  politifdje«  Söerljalten  in  ber  näajfien  >$t\t  fein. 

ÜWeumann  lebte  in  tiefer  gurücfgejogenfyeit,  big  tyn  bje  Bewegung  be« 
3al)re«  1848  in  ü)rem  Strom  fortriß.  ©r  tvurbe  Leiter  Dieler  Vereine 
in  £orgau  unb  Ijatte  2lu«fidjt,  bafelbft  all  Stbgeorbneter  jur  ^ationaloers 
fammlung  nad)  Berlin  gewählt  3U  werben,  erhielt  jeboa)  von  ber  Regierung 
ben  2Jefef)l,  fein  bisher  geführtes  2lmt  in  iorgau  mit  bem  gleiten  in 
©lafe  $u  vertaufäjen.  ©r  na^m  aua)  fjier  an  ber  politifdjen  ^Bewegung 
lebhaften  2intl)eit,  warb  jum  3lbgeorbneten  gewallt  unb  trat  in  bie  Partei 
SBalbetf«  ein.  2öir  verjidjteu  barauf,  feine  politifdje  £f)ätigfeit  in  ber 
preußif<$en  SHationaloerfammlung  $u  verfolgen.  Seine  ©egner  rühmten 
feine  ©eredjtigfeit  unb  wir  jiveifeln  nid)t  baran,  baß  er  bie  9lid)tfdlmur 
für  fein  polittfdje«  Verhalten  allein  au«  feiner  23aterlanb«liebe  entnafnn, 
wenn  er  aud)  ba«  3öoI)C  be«  33aterlanbe«,  bie  greil;eit  unb  ©inigfeit 
Deutfdjlanb« ,  auf  einem  anberen  2£ege  anftrebte,  al«  feine  früheren 
flameraben  unb  viele  feiner  älteren  greunbe. 

Sdjon  in  feinem  ©po«  Jürgen  Söullenroeber"  (Seipjig  1846) 
lägt  fid)  ber  revolutionäre  ©eift  erfennen,  ber  einen  £$etl  be«  2*olfe« 
ergriffen  fjatte  urtb  ber  balb  barauf  in  ber  Bewegung  be«  3al>re«  1848 
5um  2lu«brud)e  fam.  3n  bidtferifdjer  33e$tef|ung  fönnen  mir  biefem  ©po« 
einen  leeren  95>ertf)  nid&t  juerfennen.  ©«  fdjetnt  un«,  al«  ob  ber  $i$ter 
ba«  Qntereffc  oer  fiefer  für  ben  &auptf)elben  ber  $>iä)tung,  ben  füfcnen 
unb  rjod)finnigen  Demagogen  SBMenroeber,  nidjt  genug  feifeite  unb  al«  ob 
ein  föaupterforberniß  be«  ©po«  ber  einfjeitlidje  ©ang  ber  £anblung  nidjt 
erfüllt  märe,  wie  ja  aud)  fdjon  ba«  in  allen  ©ejängen  medtfelnbe  S3er«maß 
bie  burdjgefjenbe  ©inljeit  ftört.  Xa«  hineintragen  von  polittfdjen 
tenbenjen  aber  rjinbert  ben  Eidjter,  große  gefdjidjtlid&e  unb  culturgefdjidjt: 
lid>e  ^ßerfpectioen  —  5.  s#.  auf  bie  großartige  Vergangenheit  i'übecl«  unb 
auf  bie  23lütf)e$eit  ber  £aufa  —  ju  eröffnen. 

©in  anbere«  ©po«  „&o«ciu«$f  0",  iveldje«  SReumann  felbft  für  fein 
befte«  erflärte,  ein  fllagelieb  für  ^Jolen  unb  eine  33errjerrlid)ung  feine« 
volf«tf|ümliä)en  gelben,  ift  nur  bnidjftüdtveife  in  bie  Ceffentlidjfeit  gelangt, 
ba  bie  3^^er^ä(tniffe  bie  $eröffentliä)ung  be«  ©po«  niajt  gematteten. 

$e«  ®id)ter«  eigentf)ümlid)e«  Talent  finbet  feinen  voUfommenften 
3lu«brucf  in  feinen  erotifdjen  ©pen,  vielleidjt  beffer  „9loueüen  in  Herfen" 
genannt,  $u  benen  mir  außer  bem  fa)on  befprodjenen  „2)e«  ^Dia)ter« 
^erj''  (Jiiefel  1836),  „9iur  ^e^an"  (2.  Auflage,  »re«lau  1852), 
„Xinon^p  (Seipjig  1865)  unb  „92orbra"  jä^len.   5Senn  wir  von  ber 


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378   $cbor  von  Koppen  in  Berlin.  — - 

lefetgenannten  $id)tung  abieben,  bte  bisher  (eiber  nur  Stfanufcript  geblieben 
tft,  fo  erfa>int  un3  „Wut  Setyaxi"  nadf)  gorm  unb  ^ntjalt  ate  bie 
uotfenbetfte  unter  9?euinann3  Sichtungen.  G$  fei  uns  be^alb  geftattet, 
l)ier  auf  biefelbe  nod)  etwas  näfjer  einjugcljen. 

25er  6djauplafe  ift  jene  mit  allen  Dleijen  ber  9ktur  oerfdjroenberifd) 
au3geftattcte  £anbfdjaft  3"bien$,  in  roeläje  bie  Sagen  uieler  Golfer  baä 
^Jarabieä  ber  9)fenfcf)f)ett  oerlegeu,  ba$  oon  ben  Ijoljen,  l;immelanragenben 
gelfemnaffen  bc3  &imalai)agebirge$  umfdjloffene,  von  jaftfreid&en  glüffen 
unb  Seen  beroäfferte  Xf)al  oon  5tafdjmir.  .£>ter  in  bem  beftänbig  milben 
SUtma  gebeten  bie  föftlidjften  grüßte,  bie  9iofen  blühen  l)errlicf)er,  aU 
trgenbmo,  unb  erfüllen  bie  £uft  mit  ifjrem  2Bof)lgernd)c: 

„"öon  eto'getn  Schnee  bebcefet  finb  bie    X er  93efjut  ift'*,  ber  feine  Reitern  2£ogeu 


£>öfjen, 


Xüxd)  Strinagur*  falle  Steuern  rollt: 


2ief  unter  tf)ncn  jieljt  ber  Söolfen  <3d)ar,  |  3fin  überipringeu  fdjlanfc  SJrücfcnbogen, 

Unb  tiefer  glänzen  blanfe  ©tctfrfjcrfccn ,  (5«  fpiegelt  fid)  ber  Xcmpelbädxr  &olb 

Unb  tiefer  roufdjt  ber  Xannt  grüne*  £>aar,  3"  feiner  3Intfj,  bon  harten  bunt  burdj; 

5öi8  burd)  ben  Xepptd)  üpp'ger  ©ramineen  I  flogen, 

2tu3  SalbeSnadtf  ein  äöaffer  breit  unb  !  3n  Partie  füfjrcnb,  n>a*  bie  (Srbe  goUt : 

Aar  \  Xtn  »oflften  ©egen  Don  ber  ^rudu  ber 


(Sief)  braufenb  gic&ct  uicber  gu  bem  I&ate,  ftalmc 
2öte  Süberfäjmmi  311m  golbenen  fötale.     2M§  jn  ber  3J2U<f>  ber  füfjen  ttofoäpalmc. 

Sdjattige  S3aumgänge  führen  aus  Stafdjmir  ober  Sirinagur  (b.  i. 
UBofmung  beä  @lücte)  511  ben  grofjen,  munberbaren  Seen  Ijcrab,  au$  beneu 
•wtjUoie  blüljenbe  (ftlanbe,  gleidj  grünen  Sdjiffen,  emporfteigen.  9luf  ben 
Uferterraffen  jenfeitä  ber  Seen  l;at  ber  &errfa>r  $nbien$  ^cl^angir  ben 
f)errlicf)en  ©arten  „Sf)altmar"  (b.  i.  ÄonigSgarten)  angelegt  mit  Duellen, 
Söädjen,  ©rotten  unb  mit  einem  bejaubernben  sMd  auf  93erge,  £f)al  unb 
Seen,  liefen  Sommerfifo  l;at  ber  #aifer  burd)  ein  golbenen  23anb  fa)roung= 
«oller  Brüden  mit  ben  Unfein  511  einem  rcunberooUen  ©artenlaburintf)  oer* 
einigen  laffen: 

,Mo  bie  SHatur  ei»  Gbcu  bjngebidjtet, 

$>at  3e&angir  ein  ^arabieS  erbadjt, 

£a&,  wenn  ein  (Mott  auf  (Srben  tooQte  »ootjnen, 

3n  Sljalimar  er  würbig  tonnte  tfjroneu." 

ülber  alle  tyxatyt  ber  iHofengärtcu  uon  Sirinagur  unb  Sljalimar  oer= 
mag  nidjt  foldjen  iJteij  auf  baö  ^erj  be^  Äaiferä  ju  üben,  wie  auf  einem 
ber  fleinften  ©ilanbe  be^  Sees  bie  ärmlia^e  .^ütte,  meldte  für  tlm  ba^ 
foftbarfte  iUeinob,  baö  ljöa)fte  3l>unber  ber  SBelt,  birgt.  Mumela  ift'^, 
ba^  einfache  grua)tl)änblermäbd)en  —  „Melonen  pflegt  fie  auf  bem  fleinen 
J^anbe  unb  bietet  fie  geringen  S|keife$  bar"  —  für  ben  Maifer  aber  be-- 
beutet  fie  bie  ^öd)fte  i&onne,  ba^  i'ia^t  feiueö  ^ebenö:  „9?ur  ^eljan" 
(b.  i.  ba§  „2ia)t  ber  3Bclt"). 

2Benu  auf  ben  weisen  Jelfen^auptern  bie  legten  Sounenftral)len  golbig 


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  ^ermann  Kunibert  ZTeumantt.    o?9 

oerglüfjen  unb  bie  ^>rad)t  ber  SHofengärten  von  Sirtuagur  in  bie  Dämmerung 
jurüdfinft,  bann  trägt  ben  Äaifer  ^ctjangir  fein  Staden  fjinüber  nadj  jenem 
©üanbe,  xoo  Äumela  feiner  fjarrt  unb  9iur  3ef)an,  ba$  £id)t  ber  2Belt, 
ifmi  teuftet.  2Iber  nid)t  als  flauer  na^t  ßeljangir  ber  ©eliebten;  er  nrill 
bie  freie  Siebe  ÄumelaS  genießen,  unb  bem  ftaifer,  bem  SIbbilbe  3nbra$ 
auf  Crben,  wirb  aU  folgern  Siebe  nie  511  £I)cU.  So  fennt  tonela  Um 
nur  aU  £aimabor,  als  einen  ber  Mannen  be£  ftaiferS,  ber  mit  ü)m 
$ur  fjeifjen  $nbia  gebogen  unb  nun  mit  ifnu  fjeimgefefjrt  naa)  Styalimar. 
©0  uergefjen  ^e^angir  bie  9täd)te  gleid)  fjolbem  Xraumglüd  unb  bie 
fttetjenben  £age  in  Sefjnfudjt  nad)  bem  Sidjte  feinet  Sebent,  naa)  9?ur  3ef)an. 

2>er  flaifer  nninfa)t  fein  Xraumbilb  jur  2öar)rr)cit  fia)  geftalten  ju 
feljen  unb  5Rur3eIjan  in  feinen  ^ßafoft  naaj  Sljalimar  tjeimjufu^ren ;  benn 
nur  für  fie  r)at  er  ©^alimar  mit  allem  ©lan$,  ben  ^nbien  bietet,  ge* 
fdjmücft.  3woor  aber  foH  Äumelaä  £reue  auf  bie  ^robe  gefteßt  werben; 
benn  bem  tfaifer,  bem  nur  Unterrotirfigfeit  begegnet,  roo  er  freie  Siebe  be* 
getjrt,  fefjlt  bod)  $u  feinem  üoUfommeneu  ©lüde  ber  ©taube  au  bie  Siebe, 
ba£  Vertrauen  in  bie  Xreue  be3  2$etbe$: 

„Unb  fonnf  ein  ^fraueit^erj  ben  Wann  belügen, 
So  wtiT,  ftumeta,  and)  $ein  fterg  fonn  trügen." 

31mt  entgegnet  ßumela  bie  frönen  SSorte : 

„ftennft  Xu  bie  3at)i  ber  unsagbaren  ;  £cun  wofmt  bic  2Baljrf)eit  in  bem  ftret* 

Sterne?  ber  «Sterne, 


Saftr  2)u  bie  SBunber  in  bcö  üWeercS 

«lau* 

ftannft  2)u  $iä)  fdjtoingen  ju  beS  Rimmels 

Qfernet 

fterniebertrauietn  mit  ber  ftäd)tc  2f)au 
Unb  nieberfieigen  311  bem  (Srbenfernc? 
$ann  liegt  2)ir  offen  aud)  baS  £er3  ber 

Srau.  u 
$odj  fannft  3>u*S  tüc^t  erreidjeu  unb  er^ 

fdjaucn, 

So  glaube  nur  bem  fjolben  2Öort  ber 


Unb  fdjläit  bic  ©ottf>eit  in  bc«  5Meere3 

»tau, 

Unb  reicht  bie  Hoffnung  in  bc8  Rimmels 

vyerne, 

Unb  träufelt  Stegen  in  ber  9Iäd)te  2f>au, 
Unb  rufjt  ein  iHätljfel  in  bem  (Srbenfente; 
So  rul)t  ein  Stätfncl  in  ber  Öruft  ber 


SJod)  faßt  ber  ßiebc  2id)t  in'i  fccrj  ber 

Sfrauen, 

fannft  2>u  bic  Snnbcr  aller  SSclt  er* 
ftrauen.  fajauen." 

3n  ben  ©arten  be3  töaiferä,  in  6l)alimar  wirb  mit  befonberer  ^radjt 
ba3  tfofenfeft  gefeiert,  äöie  unter  alt  ben  Slumen  Stafdmiirä  ber  taufend 
blättrigen  ftofe  ber  s}kei£  ber  Sdjönljett  gebührt,  fo  null  ^efjangir  bei 
bem  Stofenfefte  unter  ben  grauen  Snbienä  biejenige  füren,  bie  feinem 
Xraumbilbe  9hir  ^e^an  gleist.  2)ic  foll  e^  fein,  melier  ber  Äaifer,  um= 
geben  uon  bem  ßranje  ber  fa^önften  grauen,  ber  ebclften  gürftinnen  ^nbienö, 
oon  feinem  £l|rone  ^crab  bie  golbene  ^ofe,  baS  ^fanb  feiner  Siebe,  in 
ben  Sc&oof?  wirft: 

w35enn  toie  bieS  SBeib  an  Sdjön^eit  oljtie  ©leiten 
SoÜ  auef)  \f)t  §tii  an  Xreuc  feinem  loeidjeu." 


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580 


^ebor  ooii  Koppen  in  Serltn. 


Äumefa  treibt  ein  bremtenbes  Verfangen,  bem  gelte  —  fei  e$  audt) 
nur  aus  ber  gerne  —  3u$ufdjauen  unb  felbft  bie  f)errlid)jte  ber  grauen 
ju  erbtiefen,  bie  ber  Äaifer  auf  feinen  ifiron  ergebt.  Sie  tf)eilt  ifjren 
SBunfdj  bem  ©eliebten  mit.  £aimabor  giebt  mit  fdjeinbarem  SBiberftreben 
feine  Einwilligung  unb  geleitet  tfumela  biä  ju  einer  oerborgenen  ©rotte; 
t)ter  läjst  er  ba3  jitternbe  attäbajen  allein,  bie  mit  beftommenem  ßerjen 
atte  bie  überirbtfdje  ^raajt  ber  9tofengarten  oon  (Sottmar  bis  naef)  bem 
Sonnent^rone  bes  ßaxfer«  Inn  fiaunenb  überfd&aut. 


„Stteidj  fdmtüden  mit  fjcll  fönmmernbem 

©efieber 

$>e8  s4krabiefe8  S3ögel  ringö  ben  fcain, 
3n  golbnen  fingen  wiegen  auf  unb  nie* 

ber 

tJafauen  fid)  unb  bunte  ^apagei'n. 
@in  fajlanfeS  SRcfj  fommt  f)ier  jur  fterbe 

wieber, 

©in  ftolger  $irfd)  fleuäjt  einfam  bort 

allein, 

Unb  rufjig  burd)  bie  golbnen  ©itterftangen 
©d)aut  ernft  ber  £öwe  in  be8  &efte8 

Sßrangen. 


ftoef)  brüber  Ieua)ten  ftiwpeln,  Xrjürm' 

unb  Sinnen, 
3aI)Ilofe  23lumen  auf  ber  @rbe  glü&'n; 
S)a8  SBaffer  Witt  als  äöaffcr  nid)t  merjr 

rinnen, 

2118  ©über  mufe  e8  burd)  ben  ©arten 

m% 

Unb  iebe  fjarbe  will   fjeut'  reetjt  ge= 

Winnen, 

$od)  über  atte  barf  bie  JRofe  blüf>'n, 
3Me  weifte  balb,  wie  ©dmec  im  ©onnen« 

(idjte, 

!  2)ie  rotlje  balb,  rote  Siebe  im  ©ebid)tc." 


ftumela  |iet)t  bie  reijenben  gürftinnen  um  ben  Xfyxon  fidj  fd^arett, 
fie  ftef)t  ben  Äaifer  ben  Xtjron  befteigen,  im  reict)  uon  diamanten  ftra^len- 
ben  ©eroanbe,  bie  Ärone  auf  bem  Raupte,  —  toie,  faf)  fie  ilm  fdwn  §us 
uor?  —  $od)  nein,  e«  ift  ja  Setjangir,  ba$  ßbenbtlb  SnbraS,  be«  ©ottes 
ber  SBelten! 


9tod}  wallt  ber  ©d)Ieier  um  bie  2frauen= 

bliitljen, 

Wod)  blifct  bie9tofe  in  bc8Äaifer8  §anb, 
$ie  golbene,  an  ber  Rubinen  glühten, 
Unb  bereu  Blatter  $erlcntt>au  nmwanb. 
©ie  ift'S,  um  bie  bie  $>olbcfteu  ficrj 

müßten, 

2)er  ©djönljcit  unb  ber  tfaiferliebe  Sßfanb! 
3He  ift  erwägt,  bie  trägt  bie  reifte 

Jerone, 

3n  beren  ©d>oo&  fte  fäüt  oom  ftaifer= 

throne. 

2er  $errfdjer  winft,  unb  ^lotentönc 

toallcn 

2lu$  weiter  <ycrne  fdjmeidjlerifdj  unb  leif; 
©ie  rufen  fanft,  unb  aüe  ©djleier  fallen, 
Unb  Staunen  rauftet  burd)  ben  weiten 

SfreiS. 


2Öot>l  wätjlt  ber  ©lief  bie  fdpnfte  unter 

allen, 

3)enn  wo  er  fjaftet,  giebt  er  aud)  ben  SßreiS ; 
$odj  fliegt  er  weiter,  mufc  er  wieber 

weilen 

Unb  wieber  neu  ben  böäjften  s£rei8  er- 

teilen. 

SBor}[  unter  ©lumen  magft  £u  ftdjer 

wählen, 

$cnn  Jfön'gin  bleibt  bie  9iofe  inrmerbar; 
Unb  unter  ©temen  tann  fid)  niajt  üer= 

^e^len 

2er  5öenu8  2idjt,  fo  unbefdjreiblid^  flar; 
Unb  wollteft  2u  §u  Diamanten  $ä^len 
25  ie  grauen  ^ier  fo  reid)  unb  wunberbar,  — 
Unb  warft  ein  Äenner  2u  Don  allen 

Steinen, 

©leid)  toftbar  würbe  iebe  £ir  erfd)cineu. 


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^ermann  Kunibert  ITenmann. 


58\ 


Senn  mu&te  $ari8  fclbft  fo  lange  Tinnen, 
Sen  golbnett  9tpfel  jögernb  in  ber  £anb, 
Ser  nur  ju  toählen  unter  brei  (Göttinnen, 
Unb  boch  berlocft  nur  ber  ihn  juerfannt, 
Sie  ttug  tote  (eine  mu&te  gewinnen 
SeS  flnaben  ^erj  unb  fo  baS  theurc  Sßfanb  — 
2ßer  fönnte  ba  bem  trunfenen  2(uge  trauen, 
Sähü'8  unter  Imnbert  göttlich  fernen  grauen! 


3ef)angir  fyat  feine  2Baf)t  getroffen,  er  f)e6t  bie  golbene  SRofe  unb 
fc^Ceubert  fie.   Sie  fltngt  burd)  bie  Süfte  unb  faßt  —  fo  toeit, 

So  weit  üom  ÄretS  ber  reijenben  gurftinnen; 
Sin  anber  2Öeib  mufe  folgen  SßreiÄ  gewinnen  I 


21m  golbuen  ©Itter  bleibt  bie  Siofe  fangen, 
Surd)  baSftumela  nach  bem  gefte  fpäf)t; 
Sod)  wagt  fte  »ob,!,  baB  $fanb  f>erabäu= 

langen, 

Sa»  nur  ber  3ufatt  i&r  bat  jugetoeht? 
Sie  ficht  ben  $rci8  bor  ihren  Slugcn 

fangen, 

Ite  rubelt  ihr  fcerj  ftd)  tounberbar  erhöbt, 
Unb  folgenb  bem  nur,  toa«  fte  beife  burd> 

glühte, 

$ebt  fte  bie  $anb  unb  öflücft  bie  golbnc 

»liithe. 


Sie  2Renge  fteht'3  unb  toeift  e«  nicht  ju 

faffen. 

2Ber  war  e8,  ber  bie  SRofe  bort  etttroanb  ? 
9Hd)t  üriner  will  e8  ungeabnbet  (äffen, 
Sin  3eber  retten  ba8  geraubte  $fanb. 
Schon  öffnen  fid)  beS  »reifes  bunte  ®affen, 
Senn  felbft  ber  flaifer  fcheint  üon  3om 

entbrannt ; 

©r  fteigt  bom  Shron,  unb  nach,  ber  ©rotte 

eilet 

(Sr  burd)  bie  beenge,  bie  ftd)  ftaunenb- 

theilet. 


Äumela  trat  leuäjtenb  Ijeroor  au«  ber  bunfeln  ©rotte,  bie  blinfenbe 
flatferrofe  an  ber  Sruft: 

„3urüc(gebeugt,  bie  21rme  fanft  erhoben, 
21bmchrenb  mit  ben  §änben,  wa$  fid)  naljt,  — 
So  ftanb  fte  regungSlo»,  ben  ©lief  nach  oben, 
2Ber  wußte,  ob  fie  broijte,  ob  fte  bat!" 

2>a«  33otf  briajt  bei  iqrein  2tnbttd  in  taute«  3audjjen  au«: 

„Senn  SBahrheit  ift  getoorben,  toa»  im  Spotte 
(Sin  3cber  noch  belächelt  furj  juDor: 
Sa8  Sicht  ber  üüclt,  ttur  3eban,  ift  erfchienen, 
Unb  21Ue  fnien,  ber  Äaiferin  ju  bienen." 

Äumela  aber  fliegt  oor  beut  neuen  ©lüde  unb  oor  ben  Xritten  be« 
Äaifer«,  ber  if)r  folgt;  fie  fliejjt  au«  ben  Sfafengarten  oon  Rottmar  burd) 
gtur  unb  S3erge«inatten  unb  birgt  fid)  enblidj  in  bie  Statten  ber 
gelfenroilbnife. 

25er  Äaiferbote,  ber  if)r  folgt  unb  fie  fmbet,  ift  Xaimabor  felber. 
wirft  Stumela  oon  ibjem  gelf entthrone  jefct  bie  golbene  SHofe,  ba$ 
$fanb  ber  Siebe  3ef>angir«,  entgegen  unb  ruft  tym  ju: 


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582 


  £ebot  von  Koppen  in  Berlin.   


 jllQt  m$  im  g.efg  geboren, 

SRidjt,  ma3  öom  51utenfd)ofee  mirb  gehegt, 
9Jud)  nidjt  bte  9Nad)t,  bie  fie  binaufbefdjmoreii, 
Xie  eine  ißelt  in  ihre  Sd)a(e  legt  — 
Xaimabor  nur  ift  baju  auäerforen, 
2tfeit  er  ba8  meiebfte  £>cra  im  »ufen  trägt; 
$er  einige  Sßreiä,  für  ben  SfuntelaS  £eben 
3m  Xaufd)  ber  Siebe  toiüig  ftd)  ergeben!" 

Sann  eilt  fie  $um  Ufer  be3  6ee$,  löft  bert  9toä)en  unb  f ü^rt  mit 
raffen  9toberfd)lägen  Saimabor  nadf)  ifjrem  3nfellaub  hinüber,  £aimabor 
fpradj : 

„2i>eifet£u,  o SPläbd)en,ba&  aufaßen  28cgen  I  Senn  an  ben  ricf'gen  DJiarmorfäuIcn  flehet 
35er  Sfaifer  fpüret  feinem  iMdjte  nadj?  :  3toIj  fein  Öebanle  ju  bem  ©onnenlidjt; 
25cnn  feine  SBelt  min  er  311  früfcen  legen,  $ier  too  baS  Heine  9ftcufd)enlcben  fdjmeiget 
9iur  3cl)an,  £ir,  £u  riefft  bie  Siebe  toadj  Unb  Snbra  nur  auS  bunflen  §öf)len  fpridjt, 
3n  feiner  ©ruft;  brum  ob  £u  arm  geboren,  $icr  fteigt  ber  fiepte  3U  bem  $öd)ften  toieber, 
3ur  Sraifertn  bift  2)u  allein  erforen  !'*        £er  §öd)fte  aber  ju  bem  Seiten  nieber. 


„UHnbobeSiBunber  bab'  id)$  ir  erfcbloffeu," 
@rtmb  Stumela  ibr  erregtes  äßort, 
wUnb  SdjatimarS  gebenf  icb  faft  berbroffen; 
5fik>8  ift  be*  .Vcaiferö  eitles  prangen  bort! 
23erfd)umitbcu  ift  c8  rafd),  toa*  fdjwer  ent= 

fproffen, 

3>od)  btefer  S3au  lebt  burd)  bie  3«itc»  fort* 
Unb  nur  menn  alle  giften  bonnernb  beben, 
©türgt  er  3ufaminen  mit  bem  äßcltenlcbeii. 

3n  biefen  ungeheuren  Siaumen  beuget 
25er  Sflabe  felbft  ftdj  oor  bem  Herren  nidjt, 


£rum  roünfdjte  idi,mein  armer  9iad)en  trüge 
Ten  ffaifer  3efa"0ir  wnb  f*»n  ©lüa*; 
§ier  fagt'  id)  iljm,  bafe  feine  §ol)eit  £üge, 
Sagt'  ibm  mit  ftolscm  äöort  unb  ftoljem 

»lief, 

$af$,  menn  mein  ftcrj  an  Seinem  £er3en 

frfjlügc, 

3d)  gern'  berladj'  fein  glänjenbeS  ©efdjicf ; 
Unb  menn  jum  fdjönften  2ßeib  er 

mid)  erforen, 
(fr  an  bem  treuften  feine  Sieb 

Dcrlorcn." 


TieZ  ift  in  allgemeinen  ^ügen  ber  3nrjalt  ber  brei  erfien  ©efänge 

oon  9ieumann3  „Wur  3el)an".    Sßir  bürfen  es  lei#t  ber  Sßljantafie  be3 

SeferS  überlaffen,  fid)  ben  vierten  unb  lefcten  ©efang  lu'njujub  i#ten,  falls 

er  es  nid>t  oorjiefjt,  in  ber  reijenben  5DJärd)enbid)tung  felbft  nadfoulefcn, 

roie  tfumela,  nad)bem  fic  jebe  Prüfung  iljrer  £reue  beftanben,  oon  Saimabor, 

ber  fie  fdjeinbar  rjerratljen  fjat,  eingeholt  unb  in  prächtigem  3lufjuge  nad> 

6trinagur  geleitet  roirb,  um  f)ier  oon  bem  beliebten  auf  ben  flaiferttyron 

erhoben  §u  werben. 

„Ter  ftaifer  hat  baS  2id)t  ber  2öclt  gcfnnbeu, 
9?ur  3erjan  ift  mit  3d)anair  oerbunben!"  ~ 

2Han  rjat  bie  genannten  oier  evotifa^en  &pen  aU  eine  Söer^errlid;ung 
ber  Siebe  in  tt)ren  »erfa^iebenen  ©traf)leubrea)uugen  d^araf terifirt :  ber 
ßiebe  be3  iiinbe^  (/#bcä  SifyteTZ  §evf),  be3  Jünglings  („52ur  aeljan"), 
beS  2Jianne3  („X'monW')  «nb  be^  ©reifet  („^orbra").  ^a§  eine  fola)e 
t^eorettferje  Jlategorifirung  uid;t  ganj  jutreffenb  ift,  baS  ge^t  roo^l  fa^on  au§ 


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fjermann  Kunibert  ITenmann. 


583 


ber  obigen  £>arftellung  tjeruor.  25Mr  fefjen  nid&t  ein,  inroiefern  e$  gerabe 
ber  Siebe  be£  ^üngüngg  entfpredjen  foß,  bie  Xreuc  be3  geliebten  2Beibe3 
fo  idjroeren  Prüfungen  ju  unterwerfen.  „9fur  3ef)anM  fajeint  uns  vieU 
mefyx  als  eine  £?erl)errlid)ung  ber  über  allen  3roeifcl  erhabenen,  in  ollen 
Prüfungen  beroäfulcn  £reue  be£  von  reiner  Siebe  befeelten  ÜßeibeS. 

„9torbra"  gewinnt  nodj  einen  befonberen  9iei$  baburd»,  bafc  ber 
Xidjter  un§  t)ier  in  bie  bis  jefet  in  ber  ^oefie  nod)  roenig  gefd&ilberte 
35>unberu>clt  3ämnb£  einführt  unb  bie  falte  norbifdfje  Sanbfdjaft  mit  bem 
gleiten  nmnberbaren  garbenreidjtlmm  auSfiattet,  wie  in  „9iur  $eljan"  bie 
■Jiofengärten  ftafdjmirS.  3Köd)te  bod)  aud)  biefe  treffliäje  £id)tung,  bie 
un£  bei  ber  £urdjfid;t  beS  3Jtanufcriptc3  mädjtig  ergriffen  f>at,  burd)  ben 
Dxvid  balb  einem  größeren  ^ublifum  jugänglid)  werben! 

$ie  lefetgenannten  £>idjtungen  ÜHeumannS  entftanben  fajon  unter  bem 
Srucfe  fdnoerer  förperlidjer  i'eiben.  S3ereit£  im  %ahxz  1850  erfranfte  er 
in  ©lafc,  unb  brei  $a\)xe  fpater  balb  nad)  feiner  SBerfefeung  naä)  9?eiffe  nodj 
einmal  unb  jroar  faft  töbtlidj.  Xer  fdjon  obengenannte  6onetten=Grjclu£ 
„SajaruS",  welcher  um  biefe  gelt  entftanb,  erfdjeint  als  ein  $erfud>  be£ 
SMdjterS,  fia)  bura)  bie  ^Joefie  über  fein  Setb  $u  ergeben.  @r  erregt  unfere 
^erounberung  in  einem  um  fo  fjöfyeren  (Srabe,  roenn  wir  bebenfen,  bafe  ber 
2)i(f>ter  unter  ben  entfefelia)ften  Sd;mer$en  ber  Äopfneroen  niajt  mübe  warb, 
tiefe  unb  eble  ®ebanfen  in  funftooüen  formen  ju  geftalten.  3m  $af)rc  1860 
warb  bem  $idjter,  ber  übrigens  für  einen  tüdjtigen  Beamten  galt,  eine 
Anerkennung  ber  Regierung  burd)  bie  Ernennung  jum  ©arnifonuerroaltungS* 
2>irector  unb  bie  3Serleil;ung  beS  iHotfjeu  2tt>(erorbenS. 

3m  $af)re  1866  sogen  brei  feiner  eölme  mit  in'S  Selb,  unb  1870 
flarb  ein  DoffnungSoolIer  unb  begabter  Sofm  ben  £ob  für  baS  SBatcrlanb. 
£er  <Sd)iuer$  über  biefen  SBerluft  beugte  ben  3Sater  tief  nieber.  5Die 
„^erjenSlieber"  (Seipjig  1870)  gehören  ju  ben  legten  äßerfen,  toeldje 
Hermann  Kunibert  9? eumann  ber  Deff entlief eit  übergab.  2)er  roarme  ©emütf)$= 
ton,  weldjer  in  ben  meiften  biefer  Sieber  anflingt,  giebt  il)nen  einen  befon* 
beTen  28ertf).   9tor  eine  furje  ^robe  barauS  fei  tyer  angeführt. 


©ine  fdjmer$f)afte  SNeroenfranffjeit  feifelte  ben  £id)ter  nad)  bem  Kriege 
1870  fünf  2Ronate  lang  an  ba$  Äranfenlager,  unb  bie  nui^rc  Sebensfraft 
fefjrte  feitbem  nie  roieber.  3lm  8.  Dfooember  1875  enbete  ein  fanfter  Stob 
feine  jahrelangen  Seibeu. 


^veube  unb  £d?mer$. 


3mei  flammern  fjat  baä  #ers, 
Drin  tooljnen 

55  ic  i$xeubt  unb  ber  Sdnnerj. 


Sad)t  ^reube  tu  ber  einen, 

£aun  f Plummer t 

Xer  2d)tner3  ftill  in  ber  ietnen. 


C  Sreube,  fabt  «d)t! 
Sprid)  leife, 

£at5  nidjt  ber  Sdjmerj  ermaßt ! 


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38^    ^cbor  von  Koppen  in  Berlin.   

SBicr  3a{jrc  barauf  gegen  7  Uhr  SlbenbS  bewegte  fidj  ein  langer  3«3 
von  gttcfelträgem  nach  bem  ©arnifonfirdjhofe  in  Reifte  unb  fd^arte  fid&  bort 
um  ein  ©rab,  auf  bem  ein  oerfnlüteS  $>enfmal  ftch  erhob,  ^tefe  ©Ratten 
lagen  über  bem  einfamen  gnebhofe.  &erbftnebet  wogten  auf  unb  ab,  ba 
erflang  ber  feierliche  Grjorgefang: 

Stumm  fdjtäft  ber  (Sänger,  beffen  Dbj 
©elauf d)t  beretnft  an  anbrer  SUcltcn  Xfyox; 
(Sin  na^er  SBalbftrom  braufte  fein  (Befang 
Unb  fäufclt  aud)  wie  ferner  OueÜcn  Älang. 

2>u  fcfclummerft  ftille,  fdtfummerft  leicht, 
2Benn  über  2)id)  ber  Sturm  unb  3*Plför  ftreirfit ; 
35er  Sturm,  ber  2>tr  ben  Sd)lad)tgefang  burdjbröb,nt, 
£er  fcaud),  ber  fanft  im  frommen  Siebe  tönt. 

2£ährenb  be$  ©efangeS  fiel  bie  $üüe,  unb  oon  bunfelgrauer  2Warmor= 
faule  blicfte  ber  in  9ieliefarbeit  aufgeführte  eble  Äopf  beS  oerflorbenen 
$icr)ter3  ^ennann  Kunibert  9Ieumann,  beleuchtet  oon  gacfelfchein  unb  auf* 
^uefenben  glammen,  ernfl  hinein  in  bie  bewegte  Söerfammlung.  ©in  Stacht* 
fchmetterling  flog  in  ben  £icr)tfrei3  unb  fefcte  ftc^  auf  ben  langroallenben 
S3art  be3  dichter*,  —  ba«  einnbitb  ber  Unfierblidhfeit. 

SJlödjte  ber  oerftorbene,  letber  halb  oergeffene  dichter  noch  in  feinen 
SBerfen  eine  9luferftehung  feiern,  unb  möchte  unfer  SSolf  fich  freubig  unb 
banfbar  erheben  an  bem  Schaffen  eines  dichter«,  ber  fein  Seben  hinburcr) 
feinem  3beale  treu  geblieben: 

„$rei  ftlänge  ftnb  burdj'ä  ßeben  ilrnt  geblieben, 
(Sott,  reiner  Saug  unb  ernig  junges  Sieben!" 


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(Eine  3öylle  toäfyrenö  bev  Belagerung. 

Don 

ß  x  an  qo  ts  £opp£e.*) 

—  paris.  — 
XII. 

ou  jenem  Xage  an  gaben  fia)  ©ugenie  unb  ©abriet  nrieber  ganj 
if)rer  Siebe  f)in,  toeldje  bie  Trennung  nur  gefteigert  fyatte.  Sßie 
|  früher,  fanben  fic  fia)  aHabenblid)  gemütfyttd)  jufammen.  ©abriel 
lad  uor,  oDer  fie  plauberten  miteinanber;  unb  ftodfte  ba3  ©efprä(f>,  ober  trat 
oorüberge^enb  ooUftänbige  Stille  ein,  nur  unterbrochen  oon  ber  rjmtl)mif<$en 
Seroegung  ber  auf  unb  niebergetyenben  Nabeln,  fo  taufd)ten  fie  5ärttid)e  Slicfe. 
Senn  ifjr  9ftann,  ber  feinen  3)ienft  als  9tationalgarbift  mit  magrem  Feuereifer 
oerfaf),  auf  SBorpoften  ftanb,  fo  gemattete  (Sugenie,  ba§  ©abriet  fte  nad) 
&au3  begleitete.  Sie  liefen  feine  ©efaf)r,  auf  biefen  abgelegenen,  büfteren 
SouleoarbS  erfannt  ju  roerben,  reo  fparfam  oertfjeilte  OcHampen  bie  lityU 
funfelnben,  in  enblofen  5ieifjen  fid)  f)injief)enben  ©aäfanbelaber  erfefet 
Ratten.  !$ti  biefer  einfamen,  finfteren  ©egenb  erjätjlte  bie  junge  grau 
if)rem  greunbe,  roä^renb  fic,  auf  feinen  3lrm  gelernt,  langfam  an  feiner 
Seite  tuanbelte,  roaS  fie  in  lefeter  3eit  alles  erbulbet  habe,  unb  wie  fie  oer= 
laffener  unb  einfamer  benn  je  fei,  feit  Clement,  ber  feine  2lrbeit  mefn 
fjatte,  ganj  unb  gar  in  Jlrieg  unb  ^3olitif  aufgegangen  war.  Sie  flagte 
©abriel,  er  fdjlafe  in  ifjrer  Söofmung  nur  noa)  in  ben  92äajten,  roo  fein 
Bataillon  feinen  ^Dienft  t>ätte ;  ein  £runfenbolb  fei  er  geworben,  rol)  unb 
5u  ©eioalttf)ätigfeiten  geneigt,  unb  fie  ftünbe  jebeSmal  eine  roafjre  Xobel= 
angft  aus,  wenn  er  au£  einer  fllubfitjung  ober  oon  einer  Dfftjier^toafjl 
beraufä)t  nad>  $aufe  fäme,  ftudjcnb  auf  bie  23errätf)cr  unb  23ourgeoi$  lo^ 

*)  2lu3  bem  3franaBRfd>n  überfefct  üon  Dr.  ©mll  »urger. 


4 

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."80 


^ran^ois  <£opp£e  in  parts. 


bonnere  unb  in  einem  Slt^cm  ben  £ur$6rucf)  burä)  bie  feinblichen  Linien 
unb  bie  2lbfchaffung  bes  Kapitals,  bie  Vernichtung  ber  ^reufjen  unb  bie 
&errfd)aft  ber  So5ialiftcn  forbere.  2luf  ©abriete  drängen  unb  8ra9cn 
räumte  fie  aua)  ein,  bafc  fie  fia)  tief  unglücflich  gefügt  habe,  als  er  fiel)  fo 
lange  nicht  hatte  fefjen  fallen,  unb  bafc  ihr  &er$  ber  Verjroeiflung  nahe 
geroefen  fei  bei  beut  ©ebanfen,  er  fei  unbeftänbig  unb  flatterhaft.  Unb 
überwältigt  von  bem  Uebermafj  ttjrer  ©efüf)le,  fdjnmren  fie  fid)  Sreue  bis 
$um  Sobe.  3(jr  herbes  ©efehief  beflagenb,  fudt)ten  unb  fanben  fie  Xro  ft 
in  ben  letbenfajafttidjften  Siebfofungen.  Süü  war  ihr  ßufj,  oou  2^rancn 
benefct,  unb  fo  ftürmifd)  ihre  Umarmung,  bafj  fie  Urnen  ben  9ltJ)em  raubte, 
roährenb  ber  9?ad)troiub  ben  bumpfen  ftanonenbonner  ber  <yortS  unb  manch* 
mal  auch  bas  knattern  beS  ©eroehrfeuers  ber  Vorpoften  über  ihre  Häupter 
bahintrug. 

$n  iljrer  Schüchternheit  unb  ^aiuetat  fiel  es  ben  Siebenben  gar  nidt)t 
ein,  eine  oollftänbigere  Befriebiguug  ihrer  Siebe  ju  fudfjen,  ia,  nicht  ein= 
mal  ber  blofje  2£unfc$  regte  fich  in  ihnen;  ftüffe  unb  Üöorte  genügten  ju 
ihrer  Seligkeit.  Unb  bod)  wäre  (higenic  ©abriel  gegenüber  nribcrftanbs= 
los  geroefen,  hatten  bie  Umftänbc  biefem  geftattet,  feinem  Verlangen  2lus= 
bruef  ju  geben.  2lbcr  Jrau  ^enrn  liefe  fie  nie  allein,- unb  fie  felbft  mären 
unfähig  geroefen,  in  beroufeter  Steife  oorsugeljen  unb  ein  ^läfcchen  aus* 
finbig  ju  machen,  roo  fie  ihre  h^imatslofe  ^br;IIe  hätten  bergen  fönnen. 
Sie  beichränften  fich  i*fct  auf  einen  faft  aUabenttid)  ftattfinbenben  Spajier* 
gang  bei  büfterer  Beleuchtung  unb  unter  ben  graufenerregenben  Umftänben, 
roie  fie  in  ben  dächten  jur  Seit  ber  Belagerung  natürlich  waren. 

So  gingen  für  fie  jene  entfefeliä)en  3Nonate  SKooember  unb  Secember 
uorüber,  roährenb  bereu  bie  unglüefliche  Stabt  alles  Unheil  bes  Krieges 
über  fid;  hereinbrechen  faf).  2lbcr  roaS  flimmerte  fie  junger  unb  Surft, 
roaS  fragten  fie  barnad),  ob  Elenb,  Entbehrung  unb  3lngft  um  fie  herrfd)ten  ? 
Sic  liebten  fich,  unb  bieS  (Sine  genügte,  fie  über  alles  3J?enfd)enleib  $u 
erheben.  2Öas  fümmerten  fie  Schlachten,  Slufftänbe  unb  Empörungen  $ 
Tie  Siebe  fchliefet  fich  unb  fteht  auf  einfamer  £öh',  erhaben  über  ben 
Xhorbeiten  ber  ÜJienfdjen.  ftaum  bafe  fie  einen  Blicf  hatten  für  bie  un* 
heilooücn  Greigniffe,  bie  fid)  in  ihrer  Umgebung  abfpielten.  ©abriel  fragte 
uiel  barnach,  ob  am  31.  Cctober  Srochu  ober  Blanqui  jur  Regierung 
fam,  benn  am  9tbenb  uorljer  hatte  er  feine  ©eliebte  roiebergefunben;  unb 
als  fpäter  bie  Schlachten  in  fdjneUer  9tufeinauberfolge  gefchlagen  mürben, 
fo  trieb  fein  ©ebäd)tnife  mit  ihnen  ein  gerabe$u  oerbred)erifd)eS  Spiel, 
benn  alle  biefe  blutigen  Taten  erinnerten  ihn  nur  an  ein  järtlidjes,  be- 
jaubernbeS  äitort,  bas  fie  ihm  an  jenem  Sage  gefagt,  an  einen  füfeen, 
lcibenfd)aftlid)en  Kufe,  ben  er  il;r  geraubt  hatte. 

Eines  3lbcnbs,  in  ber  legten  Hälfte  beS  Secember,  roaren  fie  aud) 
bei  <"vrau  ^genri),  als  fie  Diefc  für  ben  näcfjften  Sag  ju  einem  Siner  einlub 
unb  il;neu  mittheilte,  iljr  im  Vorpoftenbienft  thätiger  Detter  Robert  ^abe 


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<£ttte  3&ylle  njäljrenb  5er  öelagerung. 


587 


einen  oierunbjwanjigftünbigen  Urlaub  erhalten  unb  werbe  eine  oon  ben 
lefcten  ©änfeleberpafteten  mitbringen,  bie  in  ^aris  nod)  aufzutreiben  ge* 
wefen  wären. 

©in  fletjenber  33licf  ©abrief,  ber  in  biefer  ©inlabung  nur  eine  ®e= 
legenbeit  fab,  einige  tHugenblitfe  länger  bei  feiner  Slngebetetcn  ju  oerweilen, 
beftitntnte  (Sugenie  anzunehmen ,  unb  am  mußten  2tbenb  famen  beibe 
Siebenben  jur  beftiirmiten  Stunbe  an. 

@S  war  bieS  einer  ber  glfidlidjfien  Slbenbe  ir)reä  SebenS. 

£aS  Keine  3"™"^  Öatte  ein  feftli<heS  SluSfeben.  (Sin  mächtiges 
£ol$feuer,  in  jenen  £agen  ein  feltener  SujruS,  flammte  im  Äamin.  Sampe 
unb  Herfen  brannten  bell  unb  warfen  ihren  ©lanj  auf  baS  blütbenreine 
Xifc^tua).  Sie  fcblanfe  brünette,  meldte  über  ihrem  fajönflen  feibenen 
bleibe  eine  mit  Stecfnabeln  befeftigte  Mdjenfdjürje  trug,  bearbeitete  Heller 
unb  ©läfer  mit  wahrem  Feuereifer,  unb  Gugenie,  angeftecft  burdj  bie 
heitere  Saune  trjrcr  ftreunbin,  war  ihr  beim  Xifdjbeden  beljülflidj. 

£er  9)tobügarbeii'£ieutenant  Hejs  audj  nid)t  fange  auf  fid)  warten. 
(£r  erfa}ieu  in  friegSmäfeiger  SluSruftung  unb  trug  fyobe,  robleberne  Stiefeln; 
an  ber  Seite  beS  2)tantels  war  ber  ©riff  eines  Offijierfäbels  fidt)tbar, 
unb  unter  bem  9lrm  barg  er  bie  ftfftliche  haftete  in  einer  breifaa)en  Sin» 
wicfelung  oon  grauem  Rapier. 

Sofort  fefcte  fid)  2llleS  in  fdjönfter  Stimmung  ju  2ifd).  2>er  oer; 
traute  SBerfebr  ber  Siebenben,  bie  bei  aliebem  bie  größte  3urfidhaltung 
bewahrten,  hatten  ben  anfänglichen  Söerbadjt  beS  fogenannten  GoufinS  be= 
feitigt,  unb  ^erjlicbfeit  unb  grofjfinn  würzten  baS  2Habl  wäfjrenb  feiner 
ganjen  2>auer.  3öot)C  empfanb  ©abriet  ein  ©efüf)l  beS  Leibes,  wenn  er 
feinen  gemeinen  Solbatenrocf  unb  feine  befäjeibene  Stellung  als  ftäbtifdjer 
9totionalgarbift  mit  ber  eleganten  Uniform  unb  ben  friegerifcben  ^(irafen 
beS  DffijierS  oerglia).  ©inmal  fogar,  als  ber  fd)öne  Stöbert  ©ugenien 
einige  fabe  Gompltmente  machte,  marterten  alle  Dualen  ber  ©iferfudjt  fein 
unruhiges  £er$  unb  er  fann  auf  3florb  unb  £obfd)lag,  aber  alles  in  allem 
genommen  waren  fie  uroergnügt,  unb  nadjbcm  fie  bie  gewiffenljafteften 
Ausgrabungen  im  Innern  ber  haftete  oorgeuommen  unb  eine  Unjaljl 
patriotischer  Soafte  ausgebracht  Ijatten,  trennten  fie  fid)  als  bie  bcften 
greunbe  oon  ber  äöelt. 

$ie  9fad)t  war  falt  aber  fteruenfjell,  unb  ©abriel  begleitete  ©ugenie 
nad)  &aus.  3bre  Unterhaltung  unter  ben  alten  Säumen  beS  Souleoarb 
b'^talie  mußte  wol)l  an  jenem  3lbenb  fef)r  järtltd)  gewefen  fein,  unb 
bimmlifdj  füß  ber  2lbfcbiebSfufe;  beim  ©abrief  wollte  ntd)t  gleid)  nach 
&aufe  gelten.  Aufgeregt  burd)  ben  fo  froh  oerlebten  3lbeub  unb,  wir 
müffcn  eS  leiber  jugefteljcn  —  fdjwad)  fiub  unb  bleiben  nun  einmal  bie 
armen  9Kenfa)enfinber  —  wotyl  aud;  aufgeheitert  burd)  baS  reidje  2flal)l 
unb  bie  genoffenen  ©etränfe,  begab  er  fid)  in  baS  (Saf»'-  beS  Duaniev 
Satin,  wo  (Sajaban,  umgeben  oon  einem  Greife  lärmenber,  übcrfpannter 

CTctb  unb  6üb.  L.,  1  r.o.  2(> 


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388 


^ran^ois  <£oppee  in  Paris. 


Subfranjofen  afiabenblich  bic  Regierung  beS  gemeinden  Herraths  anfragte 
unb  bic  burchgretfenbften  SJfaftregeln  gegen  ben  getnb  forberte. 

3um  allgemeinen  Grftaunen  machte  fid)  ©abriel,  ber  als  fdjüchtern 
nnb  gemäßigt  galt,  an  jenem  Abenb  burd)  feine  £eibenfchaftlid)feit  unb 
feine  SBegeifterung  6emerf6ar.  Gr  gab  einen  $unfch  &um  heften,  ^iett 
eine  reine  Branbrebe  nnb  Iran!  auf  bie  Ausrottung  ber  geinbe  be3 
SBaterlanbeS;  unb  Borgens,  lange  uachbem  baS  ßoeal  gefchloffen  mar, 
ging  er  noch  am  Cluai  SaintsüRichel,  am  Arme  GajabanS  fpajieren,  roeldjer 
ilmt  mit  Aufbietung  feiner  ganjen  Serebfamfeit  bie  oorjügHchen  @igen= 
fd&aften  bes  $nnanuts  unb  bes  pifrinfauren  Äali  anpries. 

XIII. 

Am  4. 3anuar  gegen  jroei  UE>r  9tochmUtagS  begann  baS  33ombarbement, 
mit  bem  bie  ^reuften  ber  ©tabt  ^aris  fdjou  tängft  gebroljt  Ratten,  unb  eine 
ihrer  erften  ©ranaten  fdjlug  an  ber  Gcfe  ber  SHue  ©aint=3acqueS  unb  ber 
SRue  beS  geuillantineS  ein. 

$)ie  ^todjricht  mar  batb  im  ganjen  Viertel  befannt,  wo  fie  —  jur 
(£f)re  ber  23emofmer  fei  es  gefagt  —  viel  mehr  Unwillen  als  ©chreefen 
erregte,  unb  fo  gelangte  fie  auch  ju  grau  gontaineS  Äcnntnift,  meiere  fie 
©abriet  mitteilte,  als  er  jum  Gffen  nach  £aufe  fam. 

$)er  junge  Sftann  mar,  wie  wof)l  faft  äffe  ^arifer,  gegen  bie  ©chreefen 
ber  Belagerung  gefeit  unb  an  ©efahr  gewöhnt,  unb  fo  aft  er  benn  in  ©e= 
fellfd)aft  feiner  SHutter,  ohne  fid)  weiter  um  biefen  neuen  ÄriegSgreuel  $u 
befümmern,  feine  magere  Portion  $ferbefteif<h  nebft  einigen  eingemachten 
grüßten.  $>ann  ging  er  fort  unb  richtete,  wie  Uim  baS  roieber  jur 
lieben  täglichen  ©ewofmheit  geworben  mar,  feine  Stritte  nad)  grau 
£enrt)S  £aufe. 

Aber  als  er  an  jenem  Abenb  in  baS  einfame  Viertel  fam,  matten 
bie  oeröbeten  (Straften  unb  bie  unburdjbrtnglidje  ginfternift  einen  gerabeju 
fd)auerlichen  Ginbrucf  auf  ihn.  Bisweilen  oernafnu  er  über  feinem  flopfe 
ein  feltfames  aHmätjttd^  immer  ftärfer  werbenbes  ©eräufch,  bem  ©dt)w  irren 
eines  riefengroften  ^nfeftö  t>ergleid)bar.  3Rit  rafenber  @ef<hicfltchfeit  faufte 
baS  Ungeheuer  burch  bie  Suft,  um  eine  ©ecunbe  fpäter  mit  lautem  ÄTadj 
in  ber  gerne  3U  jerfpringen.  @S  waren  bies  bie  nieberfallenben  ©ranaten. 
Gr  brüefte  fid)  btcfjt  an  ben  &auSwänben  entlang,  wobei  fein  guft  oft  im 
©d)mufce  ausglitt,  £enn  bie  fdjmale,  futftere  Strafte  ©aint*3facqueS  mar 
nur  burd)  bie  raud)enben  Sampen  einiger  nod)  offener  Säben  erleuchtet. 
Alle  Augenblicfe  richtete  fid)  fein  Auge  jum  pechfehwarjen  $immelSraume 
empor,  burd)  ben  bie  unftdjt6aren  ©efdjoffe  b rauften.  Allmählich  mürben 
büftere  ©ebanfen  in  feiner  Seele  wad).  £ob  unb  Söerberben  umringten 
ihn,  unb  $u  bem  Allem  fam  noch  feine  unglücflidje,  fdjmlböolle  Siebe. 
£icfe  Serjmciflung  erfaftte  fein  £>erj,  unb  jum  erftenmal  fdjlng  es  nicht 
höl;er,  als  fein  Auge  Sicht  an  bem  trauten  genfter  erblicfte. 


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(Sine  3&YIIe  Ȋtiren&  &er  Belagerung. 


589 


23ebädjttgen  Stritt*  flieg  er  bie  alte  Xreppe  hinauf  unb  flingelte. 
5Ta  jeboa)  ber  Sa)lü|fel  ftafte,  fo  wartete  er  niajt,  bis  geöffnet  würbe, 
fonbem  trat  ohne  SßeitereS  ein. 

XaS  3^mmer  war  ungefjeijt,  bie  ßampe  nidjt  angejünbet,  nur  ein 
fiidhtftumpf  brannte  auf  bem  ftamin,  an  bem  ©ugenie  einfam  fajj.  Sie 
hatte  ihren  SWantel  unb  ihre  SBinterfapotte  nicht  erft  angelegt,  unb  fyeit 
ihr  ^rbeitstäfchdjen  in  ber  #anb,  als  ob  fie  gerabe  fortgeben  wollte. 

„3<h  f)ßbe  auf  Sie  gewartet/'  fagte  fie  mit  unfidjerer  Stimme  su 
©abrief,  ber  ganj  erftount  baftanb,  „benn  ich  wollte  nicht,  bafj  Sie  Jeut 
2lbenb  umfonft  fämen.  grau  &enrn  ift  eben  fort,  fie  tyxt  ju  grojje  2lngjt 
oor  bem  33ombarbement  unb  fu$t  ein  Unterfommen  bei  ihren  SBerwanbten 
in  2a  Capelle.  Da  ich  9Ziemanb  in  $ariS  fenne,  bei  bem  ich  eine 
3uflud)t  finben  fönnte,  unb  ba^er  in  unferem  Viertel  wohnen  bleibe,  fo 
hat  fie  mir  ihren  Schlüffel  bagelaffen,  bamit  ich  jwei  Sßofmungen  hätte  im 
gall  eines  UnglücfS.  Sie  wußten  bod)  aber  oon  nichts,  unb  ba  bin  ich 
auf  einen  2Iugenblicf  hierhergefommen  —  benn  ich  bad)te  mir,  es  fönnte  Sie 
betrüben,  wenn  Sie  9ttemanb  fyex  antrafen. 

„2ßie  gut  Sie  finb!"  antwortete  ©abriel  gerührt. 

Unb  er  nahm  einen  niebrigen  Stuhl  unb  fefote  fic^  5U  ©ugenienS 
güjjen. 

„9lber  id)  mufj  balb  wieber  fort,"  fagte  bie  junge  grau  sögernb. 
„9Rein  Sflann  hat  feinen  $ienft;  er  ifk  su  &aufe  geblieben,  unb  idj  fyxbe 
ihm  gefagt,  ia)  ginge  nur  auf  einen  2lugenblicf  aus." 

„SSie  ...  auf  ber  Stelle?"  fagte  ©abrief,  it)re  &änbe  erfaffenb  unb 
fie  mit  fanftem  $)rucfc  feftljaltenb. 

3um  erften  3Ra(  waren  fie  in  biefem  3immcr  ollein.  ©in  eigen* 
tfnlmliäje«  @efüt)l  ber  9lufregung,  fyxlb  SiebeSfefmen,  halb  Hngft,  hatte  fid) 
ihrer  bemächtigt. 

„bleiben  Sie  nur  eine  einjige  Secunbe!"  flehte  ©abrief.  „34  hab' 
ja  faum  3*it  gehabt,  Sie  einmal  orbentlid)  anjufe^en  .  .  .  unb  id)  hatte 
3hnen  bod)  fo  Sieles  ju  fagen  .  .  .  28aS  werben  Sie  benn  wät)renb  biefeS 
fchrecflidjen  33ombarbementS  anfangen?" 

„34  weife  ni4t  Clement  hat  feine  SJcatrajen  in  ben  Keffer  gefa^afft. 
©r  fagt,  Xob  fei  beffer  als  (Kapitulation  .  .  .  2lber  mag'S  fommen,  wie'S 
will  .  .  .  mir  gef)t'S  ju  f4led)t!  ...  34  fann  3hnen  fagen:  augen= 
blicfli4  wäre  mir  ber  £ob  ganj  gleichgültig." 

„GS  ift  bod)  gar  nid}t  fjübfd;  oon  $\)nen,  bafj  Sie  fo  reben  .  .  . 
Sieben  Sie  mid>  benn  gar  nicht  i  2BaS  foHte  woljl  aus  mir  werben,  wenn 
id)  Sie  nia)t  met)r  hätte?" 

(ftigenie  fenfte  traurig  baS  ßöpf4en  unb  erwiberte  nichts,  ©abriel 
hielt  fie  fefi  mit  feinen  2lrmen  umfd)lungen,  fein  $licf  ruljte  liebenb  auf 
i^r,  in  feinen  Slugen  ftanben  grünen. 

„Soffen  Sie  mid)!"  fagte  fie  unb  fudjte  fi4  IoS3umad)en  .  .  .  „laffen 

26* 


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590  — -   <fran9ots  <£opp£e  i«  Paris.   

Sie  mid>!  .  .  .  id)  fjabe  2lngft .  .  .  9fodj  nie  ftnb  toir  fo  allein  geniefett 
wie  fieut.   2ßaS  roir  f)ier  trjun,  ift  nid)t  red&t." 

$er  junge  9Jtonn  geborgte  jroar,  aber  fdjludjjenb  bereit  er  bie 
#änbe  ber  ©eliebten  in  ben  feinen  unb  bebeefte  fie  unaufljörtia)  mit  Siebs 
fofungeu. 

Sie  tonnte  ni^t  anberS,  fie  gab  ifjm  üjre  fieberheißen  £änbd)en  Inu- 
Sie  befaß  bie  Äraft  nia)t  mebr,  aufjufteben  unb  fortjugeben.  (Sine  fuße 
Betäubung  behielt  fie  gefangen;  vergeben«  fudjte  fie  fia)  aufzuraffen,  immer 
roieber  brang  ber  eleftrifdje  Strom  ber  Siebe  oon  ben  gingerfpifeen  jum 
ßerjen  empor  unb  (dornte  if>ren  Sillen.  2ludj  ©abrieC  mar  feiner  Sinne 
niä)t  mebr  mäditig;  an  (Sugenicns  Ante  gefdmuegt,  füßte  er  fortroabrenb 
ir^re  &änbe. 

$a3  3»utner  mar  eidfalt  —  unb  bod),  rote  beiß  wallte  baS  ©tut  in 
ifyren  2lbern!  Stille  fjerrfä)te  ringsum.  ^Draußen  ^örte  man  in  ber  gerne 
baS  bumpfe  ftradjen  ber  plafcenben  ©ranaten,  n*etä)e  unaufbörtid)  auf  bie 
Stabt  nieberJ)agelten.  XaS  £iä)t  roar  ganj  niedergebrannt,  ofme  baß  fie 
barauf  geartet  Ijatten;  ber  £odj)t  lag  am  Dianbe  bes  Seudf)terS  unb 
flacferte  cor  bem  (Srlöfdjen  nod)  einmal  fyoti)  auf.' 

„9iein,  roabrbaftig,  unfer  Seib  ift  nid^t  mebr  ju  ertragen!"  rief 
©abriet  aus,  „unb  roenn  baS  Sdjicfial  (Srbarmen  mit  uns  bätte,  fo  roürbe 
feine  &anb  eine  jener  ©ranaten  auf  unfer  «§auS  fdjleubern,  um  uns  $u 
jerfetymettern." 

3n  bemfelben  9lugenbli<fe  börten  fie  ein  entfefolidjeS  flradjen,  bie 
genfterfdjeiben  jerfprangen  unb  fielen  flirrenb  5ur  (Srbe,  baS  ©ebäube 
roanfte  in  feinen  geften.  (Sin  ungeljeues  ©efa>ß  roar  auf  bem  Srraßen= 
pflafter  geplagt,    £as  2i$t  uerlofd)  gan^lid?. 

Hngft  unb  (Sntfefeen  trieben  bieSmal  (Sugenie  in  ©abriets  2lrme. 
Sie  roaren  allein,  oon  biajter  Eunfeltjeit  umgeben;  fidj  feft  umfdtfungen 
baltenb,  3Jiunb  auf  2Wunb  gepreßt,  ifjren  2lti)em  oermäbleub,  taufdjten  fie 
leibenfdjaftlicbe  Mffe,  unb  unterbeffen  ergoß  fid;  ein  bitter  (Stfen*  unb 
geuerregen,  ber  00m  Sdncffal  roie  sum  &olni  ba$u  auScrfeben  roar,  $wet 
fiiebenbe  ju  oereinen,  roolfenbrudjartig  über  bie  niebergefd)metterte  Stabt. 
9)Jit  furdjtbarer  ©eroalt  ^ermahnte  er  $ädjer  unb  3)?auem,  gab  armen 
SBerwunbeten  in  ibren  Letten  im  5Bafcbc*@räce  ben  legten  9ieft  unb  töbtete 
fleine  tfinber  in  ber  Siege  .  .  . 

2tls  ©abriet  jroei  Stunben  nad&ber  in  getjo bener  Stimmung  unb  nod) 
ganj  außer  fia)  oor  Sonne  unb  (^ntjücfen  auf  ben  Quai  Saint=3fiid)el 
jurücffetjrte,  fanb  er  feine  2)futter  am  einfamen  5tamiu  oor  einem  Stutjte 
fnieenb.  Sangfam  unb  anbaajtSooll  ließ  fie  bie  Äügeldjen  bes  ftofen« 
frankes  burd)  il)te  ginger  gleiten  unb  murmelte  ba$u  leife  ©ebetc. 

„iUber  liebe  SJiama!''  rief  tfjr  ©abriet  ganj  erftaunt  ju,  „noa^  niajt 
5U  s^ctt ...  um  11  UI)rV  Sarum  beteft  Tu  noa)  311  fo  fpdtcr  StnnbeV" 

„Unb  Xu  fannft  nod)  fragen?"  antwortete  ilnn  grau  gontaine  auf« 


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  <£tne  3i>yllc  n>af}renb  &er  Belagerung    59 ^ 

ftetjenb,  unb  ihre  Stimme  nahm  babei  einen  fafk  ftrengen  ftlang  an. 
,,.§örft  Xu  nic^t  ba3  Äraren  ber  ©ranaten?  3d)  bete  für  alle  diejenigen, 
reelle  in  biefer  grauenootten  9tod)t  fterben  werben ;  ich  bete  für  bie  armen 
alten  Sftürter  wie  ich,  welche  morgen  ben  £ob  eines  ßinbeS  beweinen 
werben !" 

©abriel  fagte  nidjtS;  er  fügte  feine  Butter  unb  eilte  fcfjnell  auf  fein 
Limmer,  oort  @ntfefcen  über  ein  ©lücf,  ba$  jebeS  2JHtgefüf)l  für  baS  fieib 
Ruberer  fo  ganj  aud  feiner  Bruft  hatte  »er bannen  fönnen. 

XIV. 

Unb  fie  liebten  fidh  weiter  im  ©Ratten  ber  ©ranaten. 

3u  einem  ^arabiefe  würbe  ihnen  ber  Aufenthalt  in  ^aris  wafjrenb 
biefes  fdt)recfen$teidjen  Monats  3anuar,  wo  bie  ^arifer  oon  £ag*  unb 
9taa)tbtenft  erfd^öpft,  ausgehungert,  unaufhörlich  befdjoffen,  ein  Schwaß 
brot  a&en,  baS  ein  3w^tjaudflrftfling  mit  Berachtung  oon  fiaj  gewiefen 
hätte,  unb  wo  fie  nodj  obenbrein  ju  &aufe  oor  Äälte  flapperten,  weit 
baS  nur  burd)  najfe  Baumjmeige  genährte  flaminfeuer  nicht  genügenb 
Söärtne  Derbrettete. 

Seitbem  ©ugenie  ben  erften  gef)ltritt  begangen,  war  fie  fühner  ge* 
luorben.  Sic  liefe  ir)ren  9flann  in  bem  ©tauben,  fie  bringe  tf)re  9lbenbe 
bei  grau  &enrn  ju,  unb  fudjte  ©abriel  auf.  Bon  Sef)nfud)t  getrieben, 
eilten  fie  burd)  bie  gefahrooüe  ginfterni§  f)in  nadj  bem  Rauschen  in  bem 
alten  gaubourg,  ber  oon  SBurfgefdwffen  fiberfdjfittet  würbe. 

Sie  bauten  an  feine  ©efafjr;  fie  hörten  erft  gar  ntdjt  mehr  ben 
Bonner  ber  Ärupp'fdjen  flanonen  unb  baS  Strafen  ber  plafeenben  ©ranaten. 
Sie  lebten  nur  noch  ihrer  Siebe,  flaum  fanb  baS  Gcho  ber  allerlefcten 
Äataftrophen  ber  Belagerung  ben  2Beg  $u  ihrem  Dhr.  Sie  waren  glücf; 
feiig  an  jenem  2lbenbe,  wo  baS  blutige  ©emefeel  bei  Bujenoal  ftattfanb, 
glücffettg  am  22.  Januar,  glücffelig  —  ol)  Schmach!  —  am  Xage  ber 
Kapitulation! 

Slber  burd)  eine  feltfame  gügung  bes  3ufalls  waren  fie  es  an  jenem 
3lbenbe  jum  lefctenmal. 

(Sugente  ^atte  feine  fehr  fraftige  ©efunbheit,  unb  es  wirften  baher 
bie  Entbehrungen  unb  Sdjrecfen  ber  Belagerung  nachteiliger  auf  fie  als 
auf  jeben  Slnberen.  Sie  würbe  ernftlid)  franf  unb  mufete  fed)S  SBodjen 
lang  baS  Bett  hüten. 

grau  ,§enrn  tyitte  tt)re  frühere  2Bof)nung  wieber  bejogen  unb  war 
für  ©abriel  bie  ganje  3*ü  eine  treue  greunbtn,  ber  er  all  fein  ^erjeleib 
unb  feine  Befürchtungen  anoertraute.  ©r  befugte  fie  jeben  Xag,  um  oon 
feiner  angebeteten  ©eliebten  fpreajen  ju  fönnen  unb  ju  erfahren,  wie  es 
ihr  ginge,  unb  mit  fieberhafter  Ungebulb  erwartete  er  ben  2lugenblicf,  wo 
(Sugenie  wieber  ausgehen  burfte.  die  erften  Sifcungen  ber  National* 
oerfammlung  in  Borbeaur,  ber  feuchtem  triumphirenbe  ©injug  beS  beutfd)en 


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392 


^rattfois  <£opp6e  in  patxs. 


&eereS  in  SpariS,  bie  Äunbgebungen  ber  SRationalgarbe  an  ber  gulifäule, 
bie  flanonen  beS  Montmartre  unb  aß  bie  furchtbaren  3tnjeid)en  ber 
nahenben  SReoolution  matten  bagegen  nicht  ben  geringsten  (Sinbrucf  auf  if>n. 

er  am  17.  9ftär$  früh  bei  grau  &enrn  erfdjien,  würbe  ihm  bie 
freubige  Ueberrafdjung  $u  %fyc\l,  (£ugenie  anzutreffen.  Obgleich  faum  aus 
bem  Bette  aufgejtonben,  fjatte  fle  bodj  ihren  Befud)  nicht  langer  hinaus = 
fdneben  wollen,  fonbern  war  trofc  beS  Schnees  ausgegangen.  Seine 
^fjränen,  Xtjränen  beS  ©lücfes  unb  ber  greube,  benoten  ©ugenienS  abge* 
magerte  &änbe.  Eaufenb  fdjöne  $läne  entwarf  er  für  bie  3«fanfc  25>eit 
fort  oon  hier  wollte  er  fie  führen ,  um  gan$  ihrer  Siebe  leben,  bie  f)err? 
lidrften  ^artieen  in  bie  freie  ©otteSnatur  machen  ju  fönnen.  2tber  als 
er  fie  beim  2lbfchieb  fo  forglidh  in  if)re  ShawlS  unb  tfranfentücher  ein* 
gefüllt  an  ber  2$ürfd&wette  ftehen  faf),  ein  traurige«,  mattes  Säbeln  auf 
ben  Sippen,  ba  machte  ein  furchtbarer  ©ebanfe  baS  ßerj  bes  Siebenben 
erbeben,  unb  er  hatte  bie  unbeftimmte  Slfnutng,  «l*  würbe  eT  ©ugenie  auf 
eroig  ocrlieren! 

21m  folgenben  £age  fugten  fidh  bie  SftegierungStruppen  mittelft  eines 
^anbftreichS  ber  Kanonen  beS  2Jiontmartre  &u  bemächtigen;  aber  fie  mufeten 
mit  Schimpf  unb  Schanbe  abgehen.  (Sin  Slufftanb,  bem  gleich  &ei  Seginn 
jwei  Menden  jum  Opfer  fielen,  brachte  binnen  wenigen  Stunben  bie 
&auptftabt  in  feine  ©eroalt;  bie  Bewohner  ber  erften  Stabt  (SuropaS 
geigten  fich  unfdjlüffig,  ob  fte  ihrer  Pflicht,  bie  gefefemäfjige  Regierung  ju 
unterftüfcen,  ober  ben  befehlen  nadjfommen  follten,  weldje  ihnen  eine 
^anboott  gemeiner  Sdwrfen  oorfd)rieb.  So  fah  [ich  ©abriet  in  bie 
9totl;wenbigfeit  oerfefct,  mit  ber  Regierung  nach  BerfailleS  $u  fliehen. 

XV. 

9llle  biejenigen,  welche  burch  Begehungen  jur  Regierung  ober  burd) 
Sorge  für  ihre  perfönlidje  Sicherheit  genötfn'gt  waren,  BerfailleS  wäfirenb 
ber  Commune  gu  bewohnen,  werben  niemals  ben  merfwürbigen  2lnbli<f 
üergeffen,  welchen  biefe  aus  bem  Stegreif  gefchaffene  $auptftabt  barbot. 

Sie  meifien  ^arifer  waren  bisher  nach  BerfailleS  aus  feinem  anbertt 
©runbe  gefommen,  als  um  feine  großartig  angelegten  Springbrunnen 
bewunbern.  9iur  Wenige  halten  baher  an  fid)  felbft  bie  SSirfung  erfahren, 
welche  biefe  bicht  an  ben  Thoren  oon  Starts  liegenbe  ^rooinjialftabt  in 
ihrer  ©infamfeit  unb  XobtenftiUe  auf  ben  Beobachter  heroorbringt.  ^t;eop^iC 
©autier  nennt  fie  „bie  Xobtenftabt  ber  Siönige",  unb  biejenigen,  welche 
©elegenheit  hatten,  bie  tiefe  Sattheit  biefeS  EidjterworteS  fennen  511 
lernen,  mochten  in  jenen  £agen  nicht  wenig  erftaunt  fein. 

9tod)bem  baS  alte  Schiff,  beffen  Bilbnifj  s$ariS  in  feinem  2£>appeu 
trägt,  elenbiglid)  ju  ©runbe  gegangen,  war  BerfailleS  baS  aus  feinen 
Prummern  äufammengejimmerte  Moffalflofe  geworben.  Bon  (*nbe  2)fär3 
bis  2lnfang  3Wai  befanben  fich  in  biefer  Stabt,  bie  für  gewöhnlich  faum 


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  (Eine  ^bylle  Ȋlirenb  ber  Belagerung.    593 

breifeigtaufenb  ©inroohner  hat,  über  $roeimathunberttaufenb.  Dichte  Sc^aaren 
wogten  in  feinen  rounberfchönen  ^arfanlagen,  in  feinen  prachtooHen  Strafjen, 
in  feinen  herrlichen  2lHeen  auf  unb  nieber,  fo  ftörmifö  bewegt,  fo  leiben* 
fdjaftlich  aufgeregt,  roie  es  nur  eine  ganje,  utu  ihr  Däfern  ringenbe  Nation 
fein  !ann.  2luf  bem  auSgebehnten  (Syercierplafee  jeigten  fid)  ungeheure 
Slrtitteriemaffen  unb  manöorirten  gan$e  Regimenter,  als  ob  fie  ber  fro<h 
auf  bronjenem  Roffe  thronenben,  gebieterifdjen  ©eftalt  beS  „Grand  Roi" 
gehorchten.  3n  jenem  fagenhaften  ^alafte,  beffen  Räumlichfeiten  vom 
©efchtcf  baju  auSerlefen  $u  fein  fdjeinen,  allen  tragif^en  (Sreigniffen 
unferer  ©efchtdjte  als  Decoration  $u  bienen,  tagte  inmitten  beS  allgemeinen 
Tumults  eine  mit  fouoeräncr  SHadjt  auSgeftattete  SBerfammlung,  umgeben 
oon  ihren  9)Unifterien  unb  einem  unjahligen  SSerroaltungSperfonal1,  unb 
lieji  alle  Gräfte  beS  ßanbeS  tyex  äufammenftrömen.  3n  ben  Käufern  ber 
Stabt,  in  Äellern  unb  auf  $öben  brängten  fidj  Flüchtlinge  aus  aßen  ©e= 
feflfchaftsflaffen  sufammen  unb  f erliefen  auf  Stühlen,  Difdjen  unb  93illarbS. 
Dffijiere  unb  Beamte  aller  mögltd&en  Rangftellungen  befanben  fid)  barunter, 
furj  2llleS,  roaS  von  ben  ©lementen  ber  $arifer  ©efellfchaft  noch  oorhanbeu 
war:  ber  geniale  Äünftler,  roelä)er  feinem  Atelier  ben  Rüden  gefehrt,  roie 
ber  Schümann,  ben  man  aus  feiner  efenben  Sßofmung  gejagt  hatte;  ber 
beräumte  Staatsmann,  ber  vox  bem  Slufftanbe  geflogen  roar,  roie  baS  ge* 
meine  greubenmabäjen,  roelcheS  ber  junger  hierher  getrieben  hatte. 

Die  in  fo  ungeheuren  Waffen  auSgeroanberten  ^Sarifer  roaren  ben 
Xrabitionen  franjöfifdjer  £eicf)tfertigfeit  treu  geblieben.  Cljnc  fich  beffen 
beroufjt  ju  roerben,  gehorchten  fte  fflauifd)  ber  Üftadjt  ber  ©eroohnfjeit  unb 
geigten  alle  Sid^t=  unb  Schattenfetten  »ergangener  3eüen.  ®s  fam  ilmen 
babei  baS  ^errlid^e  SBetter  511  Statten.  S3on  fo  rounberbarer  Schönheit 
roaren  jene  grühlingStage,  bafj  es  fdjien,  als  wolle  bie  Ratur  ben 
armen  'äWenfcfjenfinbern  ju  erfemten  geben,  roie  fcr)r  fie  auf  ihrer 
unnahbaren  &öhe  ihre  Torheiten  unb  Verbrechen  oerachte.  Die 
bunflen  Drauergeroanber  ber  oornefmien  Jrauenroelt  fugten  trofc  ihres 
einfach  gehaltenen  ©runbtonS  an  ©leganj  il;reS  ©leiten,  unb  in  ben 
fdjiatttgen  2Ween  unb  auf  ben  grünen  Rafenplfifecn  bes  alten  Sterfaiflcr 
$arfs  traf  man  Toiletten  »on  fo  feinen,  3artcn  Ruancirungen,  roie  fie 
nur  ein  ^od^cntiotrfeltcr,  bis  jum  Raffinement  fich  fteigember  ©efdjmacf 
erfinben  fann.  SBorte  ber  Siebe,  leichtfertige  Semerfungen,  heiteres  Sachen 
uemahm  man  unter  jenen  frohen  Räumen;  bajroifchen  baS  fröhliche  ©e= 
jTOitfdjer  ber  23ögel,  bereu  helle  Stimmen  ben  5lauonenbonner  in  ber  gerne 
nicht  ju  ubertonen  oermochten.  3unge  ©legants,  nach  ber  neuften  3ttobe 
gefleibet,  tranfen  nach  &em  Dejeuner  ihren  Ätaffee  auf  ber  Derraffe  beS 
£ötel  beS  ReferootrS,  bliefen  beljaglich  ben  Raud)  ihrer  Zigaretten  oor  fich 
hin  unb  fahen  ju,  roie  neben  ber  offnen  (rqutyage  einer  befannten  Dame 
ber  Demimonbe  bie  fchroeren,  mit  ©ranaten  betabeuen  3lrtiHerieroagen  oor* 
überfuhren.    2lbcnbs  fpielten  bie  Schaufpieler  beS  StabttljeaterS  luftige 


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394 


£rait{Ots  £oppee  in  parts. 


^Soffen,  unb  in  ben  äwifdjenpaufen  eMen  °ie  ^ufdjauer  t)iuau«,  um  [ich 
ba«  Brüllen  ber  gefwng«gefchüfce  anjuhören. 

©abriet  tjatte  mit  fetner  9Jcutter  Unterfommen  in  einer  flammer  ber 
9iue  be  Ia  ^J>aroiffe  gcfunben,  welche  ftatt  aller  9Keubet  nur  jwei  fteine, 
burdj  eine  bünne  fpaniföe  SBanb  getrennte  Letten  enthielt.  Xa  ©abriet  im 
Unterricht«minifterium  angefteltt  war,  fo  hatte  er  mit  bemfetben  nad)  Berfaille« 
au«wanbern  müffen,  wo  feine  Bureau?  in  ben  Schuträumen  be«  bortigen 
©nrnnaftum«  untergebracht  waren.  Sefmfüchtig  wie  alte  Uebrigen  harrte 
er  be«  Momente«,  wo  e«  ihm  oergönnt  fein  würbe,  prücfsuf  ehren;  aber 
9ttemanb  burfte  baran  benfen,  fotange  niäjt  bie  in  aller  Site  orgamftrte 
Armee  bie  Stabt  in  Befifc  genommen  unb  ben  unnatürlichen,  oer* 
bred}erifd)ften  Aufftanb,  ben  granfretch  je  gefehen,  niebergefdjtagen  h«tte. 

2>ie  guten  (Elemente  ber  ^arifer  ©efeUfchaft  feilten  biefc  .ftoffnuna, 
wobt  fämmttid);  aber  wir  tonnen  nicht  uerfdjweigen,  bafc,  wenn  fte  ftd) 
gerabe  in  ©abrief  Söruft  fo  lebhaft  regte,  unb  er  ein  fo  gtühenbe«  Ber* 
langen  nach  bem  gall  ber  oon  ben  Gommuniften  uertheibigten  gefte  trug, 
bie«  jumeift  be«balb  gefdjah,  weit  fte  ilm  oon  ber  Angebeteten  feine« 
$er$en«  trennte, 

©r  hatte  ^kirt«  oerlaffen  müffen,  ofme  von  ihr  Abfdneb  nehmen  $u 
fönnen,  unb  ^atte  nicht«  mehr  oon  ihr  gehört.  Xa  fie  ihm  mit  allen 
Reichen  be«  größten  Schreden«  »erboten  hatte,  je  ein  Schreiben  nach  ihrer 
SBofmung  ju  ridjten,  fo  hatte  er  einen  SBrief  nach  bem  anberen  ber  jeberjeit 
fo  gefälligen  grau  &enrn  überfanbt.  Sie  waren  fämmttich  unbeantwortet 
geblieben.  Bon  Unruhe  oerjehrt,  hatte  er  fu$  eine«  Xage«  mit  Benufcung 
ber  ÜRorbbahn  über  <5aint*2)eni«  nach  ^ßari«  begeben.  £te  Stabt  machte 
auf  ihn  einen  unheimlichen  ßinbruef,  benn  bie  Käufer  waren  über  unb 
über  mit  lügnerischen,  watjnwifeigen  $lacaten,  ben  Bürgerkrieg  betreffenb, 
bebeeft.  £arum  hielt  er  ftch  nicht  lange  auf,  fonbern  eilte  grabenwegs 
nach  bem  gaubourg  <Saint=3acque«.  grau  $enrn  halte  fidr)  fdjon  feit 
längerer  3eit  uid)t  mehr  in  ihrer  2Hof)nung  bliefen  taffen,  unb  ©abriet, 
bem  ba«  unruhige  Siefen  be«  Sortier«  auffiel,  unb  ber  noch  wor  Dem 
achtjehnten  Sttärj  ©etegenheit  gehabt  hatte,  bie  rabicaten  Anflehten  ber 
fchlanfen  brünette  t ernten  $u  lernen,  erinnerte  fich,  bafe  er  fte  feit  ihrem 
testen  Sufammenfein  mit  bem  angeblichen  Goufin  nicht  mehr  ju  &aufe 
angetroffen,  unb  er  fragte  ftch  unwiltfürtid),  ob  fie  nicht  »ielfetcht  gar  ben 
glänjenben  9)?obi(garben- Lieutenant  burch  einen  noch  oerführerifcheren 
göberirten^Dberft  mit  unwiberftehtichen  ©otbtreffen  erfefet  härte. 

Gr  irrte  auf  bem  Bouleoarb  b'^talie  umher,  welcher,  feitbem  bie 
Zäunte  währenb  ber  Belagerung  umgehauen  worben  waren,  einen  ab* 
fdjeultdjen  Anbltcf  barbot  unb  ftch  in  eine  glühenbe  Sanbwüfte  oerwanbelt 
hatte.  SBoIjt  eine  ©tunbe  lang  ging  ©abriet  in  refpectooHer  Entfernung 
r»or  ber  2Haiter  auf  unb  meber,  hinter  welcher  ba«  $au«  feiner  Angebeteten 
ucrfiecft  tag.   ^n  bemfetben  Augenbticle,  wo  er,  feine  3ag^aftigfeit  über* 


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  «Eine  3&ylle  wä^rcnb  ber  Belagerung.    395 

roinbenb,  jtdj  ber  £hür  be«  ßoljhofe«  nähern  wollte,  um  uieHeid^t  (Sugenien« 
©eftalt  cor  bem  £aufe  ober  am  genfter  ju  erblicfen,  fah  er,  rote  ein  hoch* 
geworfener  9Wann  in  ber  Uniform  eine«  ÜWattonalgarben^apitän«  mit 
rotier  Schärpe  unb  einem  ferneren  (Saoallericfäbel  an  ber  (Seite  quer  über 
ben  Bouleoarb  ^erüberfam  unb  gerabe  auf  bieje  X^ür  juging.  (Seine 
Sllmung  betrog  ©abriet  nicht;  auf  ben  erften  Blicf  hatte  er  ihren  ©atten 
erfannt  unb  floh  ooHer  Berjmeifluug,  ohne  ftch  über  ba«  (Schicffal  feiner 
©eliebten  2lufflärung  oerfd)afft  §u  f>aben. 

■Jtodj  Berfaille«  jurfiefgefehrt,  mußte  er  auf  jeben  weiteren  berartigen 
Berfuch  ©erstchten,  benn  bie  Commune  tyxtte  foeben  jene  wiberrechtlidje, 
hödjft  unbillige  Verfügung  erlaffen,  meldte  bie  gefammteSJtonnfdjaft  oonjwanjtg 
bt«  oier&tg  3ar)ren  ü)ren  Bataillonen  einreihte,  unb  jeber  SReifenbe  würbe 
be«r)alb  am  Storbbahnhofe  unb  an  ben  Sporen  ber  (Stabt  einer  genauen 
Ueberwadjung  unterworfen,  Qätte  e«  ©abriel  barjer  nod)  einmal  gewagt, 
Sßari«  ju  befudjen,  fo  fonnte  er  babei  fein*  leicht  oerhaftet  werben.  Unb  bann 
burfte  er  auch  in  einer  3ri*/  wo  ein  fo  allgemeine«  SIMfjtrauen  Ijerrfd^te, 
nicht  wieberr)olte  SHeifen  nach  ber  aufftänbifd^en  §auotftabt  unternehmen, 
olme  bafür  einen  beftimmten  ©runb  angeben  $u  fönnen;  fonft  hätte  er  fidj 
ber  ©efahr  au«gefefct,  ben  befd^eibenen  Soften,  ber  ilm  unb  feine  97tutter 
narrte,  ju  oerlieren. 

©r  führte  in  golge  beffen  ein  höchit  traurige«  Xafein.  (Seine  amt* 
liehe  Shätigfeit  ließ  ifmt  wenig  freie  3eit,  unb  biefe  benüfete  er  baju,  bie 
einfamften  unb  entlegenften  fünfte  be«  Berfailler  tyaxU  aufsuiuehen.  216= 
ftd^tlid)  mieb  er  bie  oolfbelebten  Strogen,  benn  er  fonnte  feine  fünf 
(Schritt  thun,  ofme  einigen  Kollegen  ober  fonftigen  gleichgültigen  Befannten 
ju  begegnen,  "bie  alle  ba«  Bebürfmfj  fügten,  fid>  mit  iljm  oom  £obe 
glouren«',  oon  ber  (Srftürmung  be«  (SchlotTe«  Seeon  ober  irgenb  einer  anberen 
S^auergejc^idjte  ju  unterhalten;  unb  bo<$  ^ätte  er  ficfj  um  2We«  in  ber 
Söelt  für  bieten  entfefelidjen  Jlrieg  ntd)t  intereffiren  fönnen,  unb  er  oer* 
wünfc&te  i^n  nur  be«halb,  weil  er  ein  £inberni&  btlbete  äwifdjen  ilmt  unb 
feiner  Siebe. 

£äglid)  erfunbigte  er  fi<$  auf  ber  $oft,  ob  ein  (Schreiben  für  ihn 
angefoimnen  wäre.  9)cit  BeFtimmtheit  redjnete  er  aHerbing«  nicht  barauf, 
ein  fold>e«  oon  ©ugenien«  &anb  oorjufinben,  benn  bie  ängftliche  junge 
grau  fyatte  nie  an  ihn  gefdjrieben;  aber  biefer  ©ang  war  trofcbem  eine 
3lrt  SBaHfahrt  für  ihn  geworben,  bie  er  regelmäßig  antrat,  unb  beren  @r* 
gebnifj  er  mit  gittern  unb  Beben  erwartete.  @«  war  bie«  bie  ftet«  gleich* 
lautenbe  Antwort  be«  Beamten:  „Weht«  ba!" 

©ine«  £age«  jebodj  —  e«  war  gegen  ©nbe  2lpril  —  hatte  ©abriel  wie 
gewöhnlich  feine  am  (Schalter  leiber  nur  allju  gut  befannte  Bifitenfarte 
oorgejeigt,  al«  ber  Beamte  beim  durchblättern  ber  Briefe  innehielt,  einen 
au«  bem  ^aefet  herau«nahm  unb  ihn  ©abriel  überreichte. 

D  Söonne,  o  ©ntjuefen!  ©abriel  ergriff  ihn  mit  5itternber  ^anb, 


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396    ^ran^ois  <£opp£e  in  paris.   

legte  itm  an  fein  $er$,  in  bie  innere  £afd)e  feinet  feft  jugefnopften  9tocfe3, 
unb  eilte  nacj  bem  SoSquet  be  ta  SReine,  um  ihn  bort  fo  red)t  behaaUdj 
unb  in  aller  SJtofee  lefen  ju  fönnen.  <5r  liefe  fid)  auf  einer  $anf,  neben 
einer  £agebud)enhe<fe  nieber,  unb  hier,  unter  ben  pradjtf  ollen  oom  griU)litig$= 
hauet)  bewegten  33äumen,  erbrach  er  in  fieberhafter  £aft  ba$  Gouoert,  entfaltete 
ba3  Schreiben  unb  la$  golgenbeä: 

Eatence  b'Stgen,  ben  27.  Slpril. 

„Hefter  Jreunb,  iä)  {abreibe  Dir  oom  <Eaf6  be  la  6om6bie  au£, 
too  id)  mit  einigen  greunben  oortreffltd)  gefpeift  habe.  2öir  haben  auf 
ba£  3Bor>C  ber  Commune  unb  bie  Weberlage  ber  SJerfailler  getrunfen. 
Dod)  ba$  gehört  nid)t  l)ierr)er.  Denfe  Dir  nur,  biefe  geberfud)fer  im 
ÜriegSminiftenum  haben  mir  nid)t  bie  ©quipirungSgelber  au^ahlen  laffen, 
auf  bie  ia)  bod)  als  £a$areth=Unterar$t  toährenb  ber  Belagerung  2üt= 
fprud)  ^abe.  ©5  ift  ja  richtig,  id)  habe  mir  feine  Uniform  angefd)afft, 
nur  ein  &epi,  für  baä  id)  jehn  £ranc3  bejaht  habe;  aber  Gquipirungö= 
gelber  mufj  id)  bod)  erhalten.  Du  bift  ja  alä  Büreaubeamter  mit  aUen 
kniffen  ganj  genau  oertraut,  Dir  wirb  e£  ein  £eid)te3  fein,  burdhsu« 
fefoen,  bafj  biefe  offenbare  Ungerea)tigfeit  roieber  gut  gemacht  werbe. 
Set  fo  freunblid),  Dich  bamit  $u  befaffen,  unb  fd)i(fe  mir  ba$  ©elb  fo 
balb  al$  möglid)  $u. 

3Wit  brüberlid)em  ©rufe 

SHariuS  Gasaban." 

Stfadjibem  ©abriet  biefen  93rief  getefen,  bemächtigte  fid)  feiner  eine 
tiefe  9?iebergefä)lagenhett  unb  er  ging  betrübt  nad)  §au3,  um  mit  feiner 
Butter  5U  ÜJHttag  5U  fpeifen.  2lber  biefer  £ag  brad)te  ihm  nod)  eine  fehr 
unangenehme  Ueberrafd)ung.  211$  er  über  bie  9tue  be«  9feferooir3  ging, 
Köpfte  ihm  ^emanb  oertraulid)  auf  bie  Schulter,  ©r  toanbte  fia)  um  unb 
erfannte  grau  ßenrnS  angeblichen  ©oufm,  ber  nod)  bie  9)iobilgarben^ 
Uniform  trug. 

„SBie  fommen  Sie  benn  higher ?"  fagte  ber  fd)öne  Robert  .  .  ,,3ld), 
ift  ja  wahr,  Sie  finb  mit  bei  ber  SBenoaltung.   3d)  war  nad)  bem 
ßriege  ju  meinen  (Sltern  jurüefgefehrt ;  aber  als  ber  Gommune*2lufftanb 
ausbrach,  ftellte  ich  mich  felbftoerftänblid)  bem  aWarfd)aU  toieber  jur  2Jer- 
fügung." 

„Stehen  Sie  bei  bem  &eere,  roeld)e$  $ari$  belagert?"  fragte  ©abriet, 
um  bod)  etwas  ju  fagen. 

„■Mein,  e3  follen,  wie  e£  fd)eint,  nur  bie  regulären  Gruppen  Skr* 
roenbung  fiuben,  Sie  wiffen  fd)on,  bie  ©efangenen,  bie  aus  Deutfa)lanb 
^urüdfornmeu  ....  2lber  id)  bleibe  trofcbem  hier,  ich  mifl  fe^en,  wie'S 
enben  wirb.  Unb  bann  ift  e3  ja  in  SSerfailteS  aud)  ganj  hü&W'  &  finb 
oiele  reijenbe  Leiber  hier." 

£rofc  be^  inneren  SiberwiUenS,  ben  ihm  ber  junge  SHann  einflößte, 


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 •   €tne  3bylle  n>äl?renb  ber  Belagerung.    397 

fe^tc  ©abriet  bie  Untergattung  fort.  3n  ber  Hoffnung,  etwas  oon  Gugente 
ju  ^ören,  fragte  er  ben  Dfftjter,  rote  es  fetner  Goufine  ginge. 

„deiner  (Soufine?  —  2Bte  fo,  metner  Gouftne?  .  .  .  .  9td)  ja,  ber 
3ofepbine  .  .  .  ftrau  &enrn  .  .  .  ja,  id)  erinnere  nttd)  jefct,  fie  f)at 
midj  für  ibren  $erwanbten  ausgegeben.  .  .  .  Unb  Sie  ftnb  barauf  rein* 
gefallen?  .  .  3$  f)ab'  wabrbafttg  feine  Slfmung,  roo  fte  fteefen  mag.  Sie 
war  febr  überfpannt,  {ebenfalls  bat  fte  ftdj  ber  Commune  angefdjloffen. 
.  .  .  UebrigenS  toll  oerliebt  in  mid)  ....  etwas  gemöbnlid),  aber  einen 
Äörper!  .  .  .  3$)  fann'S  3|nen  ja  gegeben,  einen  9tugenblict  mar  iä)  faft 
ciferfüd)tig  auf  Sie.  S)aS  bat  aber  nid)t  lange  gebauert.  3d)  bflb'  bod> 
gleid)  gefeben,  ba§  Sie  wegen  ber  Stnberen  famen  ....  2öaS  fj^ben 
Sie  benn  übrigens  mit  ber  {(einen  (Element  angefangen,  alter  $unge  ?" 

©abriet  ftanb  roie  auf  Nabeln,  ©mpört  über  bie  SHobbeit/  mit  roetä^er 
ber  Cfnjier  baS  ©ebeimmfc  feiner  Seele  entwerte,  gab  er  eine  auSmeidjenbe 
Stntwort  unb  febrte  ibm  unwillig  ben  9tücfen. 

S)aS  (£nbe  beS  unfetigen  Krieges  ftanb  nabe  beoor,  unb  wabrenb  bie 
Commune  in  ^ßartS  SdjrecfenStbat  auf  Scf>rec?enStbat  Raufte,  unb  eine 
Tuabmoifcige  SluSfdjreitung  nadj  ber  anberen  beging,  näherte  fid)  baS  3tacbe* 
fjeer  langfam  aber  fteber  jenem  2öaCte,  oon  bem  es  gar  balb  bie  rotbe  gatjne 
fjerunterretfjen  foHte.  Sdion  ^atte  baS  38.  Sinienregiment  baS  gort  b'3fft) 
genommen,  bie  täglicb  ftattfinbenben  Äämpfe  fielen  fämmtltd)  su  ©unften 
ber  Solbaten  ber  9lationaloerfammlung  aus,  unb  fortwabrenb  rourben  er= 
oberte  Kanonen  unb  Sd)aaren  ©efangener  im  Sriumpb  eingebraebt. 

©erabe  an  bem  Sage,  an  weitem  ber  Sturj  ber  SBenbömeSfäule  in 
SBerfaitteS  befannt  würbe  —  jenes  entfefeliä>  SSerbredjen  an  ber  TOajeftät  beS 
SSaterlanbeS,  begangen  angeftdjtS  ber  jubetnben  «Preußen !  —  ging  ©abriet  auf 
bem  Grercierptafc  fpajieren,  als  er  plö&lid)  ben  gellen,  burebbringenben 
Älang  ron  Gaoallerietrompeten  oemabm  unb  oon  ber  Sloenue  be  Saint* 
Gloub  ber  einen  £rupp  gefangener  Gommuniften  fommen  fab,  bie  jroifdjen 
jroei  Reiben  berittener  GbajfeurS  marfdjirten.  Dbne  Äopfbebecfung,  in 
fdmtufcigen  Uniformen,  mit  Staub  bebeeft,  ^at6  tobt  oor  Grmübung,  sogen 
ungefähr  fünfzig  biefer  Gtenben  jwiiajen  ben  gejogenen  Säbeln  ber  Leiter 
an  ©abriet  oorüber.  Seiber  mufe  gejagt  werben,  bafe  fie  mit  jornigem 
3uruf  empfangen  unb  mit  Sdjmabungen  überhäuft  würben,  bie  fid)  faum 
burd)  bie  Erbitterung  ber  5ftenge  entjdjulbtgen  liefen,  oon  benen  ftd)  aber 
baS  SftenfcblicbfeitSgefübl  mit  2lbfd)eu  abwenben  mufete. 

„$te  treffen  'runter!"  fdt)rie  ein  Bürger  mit  roütbenber  Stimme,  bie 
geballte  gauft  ben  ©efangenen  entgegenftreefenb. 

3u  btefem  2tugenbltcfe  bemerfte  ©abriet  unter  ben  eingebrochen 
Gommunijten  einen  boebgewaebfenen  2ttann  mit  wettergebtäuntem  ©efidjt 
unb  wilbem  33art,  ber  oon  feinen  UniformSärmeln  bie  ^auptmannstreffen 
berunterrife;  unb  eS  fäjien  ibm,  als  fäfje  er  jenem  2)tanne  äbnlidj,  ben  er 
$meimat  in  feinem  #eben  gefeben,  ben  ©atten  ber  grau,  welcbe  er  liebte! 


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9 

598    <Jrait9ois  doppec  in  paris.   

2tber  beoor  er  noch  biefen  ©efangenen  näher  in'«  2Tugc  faffen  formte, 
war  ber  unheimliche  3"Ö  fä™  vorüber  unb  in  bem  at«  ©efängnife  be* 
nutzten  £ofe  ber  Reitbahn  oerfd&wunben.  $on  töbtlicher  Unruhe  gequätt, 
fling  ©abriet  oon  bannen,  ©r  [teilte  ftdjj  bie  2lngft  ber  armen  (higeme 
oor,  bie  in  bcm  aufftänbifdjen  $ari«  allein,  hilflos,  ofme  greunbe  unb 
#erwanbten  surücfgeblteben  war;  unb  obgleich  fich  in  feinem  £erjen  ein 
tiefer  $afj  gegen  it)ren  ©atten  angefammelt  hatte,  fo  hätte  er  boa)  in  biefem 
3tugenblicf  gewünfct)t,  ber  SJtonn,  ber  foeben  im  3uge  oorübergefommen 
mar,  wäre  nicht  jener  Clement  geroefen. 

Gnbtidt)  30g  ba«  Söerfaitter  $eer  in  ^ari«  ein,  unb  bie  rafenben 
Starren  ber  Commune,  beren  Rieberlage  jefct  entfdjieben  mar,  überfchwemmten 
bie  Stabt  mit  Petroleum  unb  ftecften  fie  in  33ranb.  Slber  als  ©abriet 
in  ber  Rad)t  00m  24.  9Wai  auf  ben  #öfjen  oon  SRontretout  farj  unb  ju 
feinen  gütjen  ben  gtühenben  geuertjeerb  betrachtete,  beffen  gerottete  Raudjs 
roolfen  jum  bunften,  oon  ©ranaten  burdjjogenen  £tmmel«raume  empor* 
fttegen,  ba  backte  er  nict)t  an  bie  SÄeifterroerfe  be«  ftmore,  nicht  an  bie 
Sdjätje  ber  Rationatbibliotr)ef,  nicht  an  bie  Reichtümer  ber  SÖanf,  an 
feines  jener  Söunberwerfe  ber  Gioilifation,  bie  bei  bem  unermeßlichen, 
allgemeinen  Unglücf  mit  &u  ©runbe  gingen  ober  in  ihrer  Griftenj  bebrofjt 
waren,  fonbern  einjig  unb  allein  an  ba«  $au$ct)en  auf  bem  Souteoarb 
b'^talie,  100  feine  ©eliebte  roor)nte;  unb  ba  bie  weite  Entfernung  unb  ba« 
Tuntel  ber  Rächt  ein  genaue«  ©rfennen  unmöglich  matten,  fo  fuchten 
feine  oor  9tngft  unb  Scheden  weit  geöffneten  9lugen  nur  ju  unterfct)eiben 
ob  fich  bie  ungeheure  geuer«brunft  nach  biefer  Seite  hin  auSbefmte. 

Rachbem  ©abriet  bie  nöthigen  Schritte  getl)an  unb  oerfduebene  ©e= 
fuche  an  bie  2Jlititärbehörben  gerichtet,  gelang  es  ihm  als  einem  ber  ©rften, 
einen  ©rlaubnitjfchein  jur  Rfitffehr  nach  ber  noch  brennenben  &auptftabt 
$u  erhalten,  (*s  mar  nur  eine  fteine  Reife,  aber  fie  hätte  ihn  breirjig 
bis  Diesig  grancS  gefoftet,  wenn  er  felbft  bie  befdjeibenfte  2)rofct)fe  be* 
nufet  hätte.  Da  er  über  eine  folche  Summe  nidjt  oerfügte,  fo  mutjte 
er  fie  fdwn  auf  ber  ftaubigen  fianbftra&e  ju  gut)  unternehmen,  mitten  unter 
ben  fiegreich  in  ^ari«  einbringenben  Regimentern.  (*r  ftieg  über  bie  ein* 
geftürjte  Ringmauer,  er  fam  burch  Sluteuil,  welche«  in  Krümmern  lag 
nach  ber  Stabt  felbft,  bie  gleichfalls  einen  bejammernSwerthen  2lnblicf  barbot. 
2Me  Käufer  waren  oon  Rauch  gefehwärjt,  bie  dauern  oon  Kugeln  unb 
©ranatfplittem  burchlöchert,  auf  allen  Straften  wimmelte  e«  oon  Solbaten 
mit  umgehängten  (S^affepot^ ;  aber  ©abriet  blieb  nirgenb«  ftehen,  ja,  er  warf 
nicht  einmal  einen  Slicf  um  fich,  fonbern  taumelte,  getfjettt  jwifchen  gurdjt 
unb  Hoffnung,  ijatb  bewujjttos  weiter,  ©r  fletterte  über  bie  noch  blutigen 
$arrifaben,  fein  gut}  ftrauchelte  über  bie  in  aller  (Site  wieber  in'«  Strafjen* 
pftafter  eingefügten  Steine,  bie  an  ben  Stellen,  wo  man  bie  ©efallenen 
vorläufig  beftattet  hatte,  oon  Garbolfäure  gerötet  waren,  er  lief  immer* 
fort  gerabeau«,  mechanifch  wie  ein  oon  einer  firen  3bee  Söefeffener,  an 


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<£ine  ^bylle  irä^renb  ber  Belagerung.   


399 


all'  biefen  Scenen  be$  ©rauenS  unb  SntfefeenS  oorüber,  unb  fam  enblidj 
fo  nadj  bem  gaubourg  Saint*3acquea. 

©inige  Sage  oor  bem  ©insuge  ber  Gruppen  war  grau  £enrt)  au$= 
gebogen,  ofjne  i^rc  neue  Dlbreffe  ju  ^interlaffen. 

Um  jeben  ^3ret3  a6er  wollte  er  erfahren,  was  au3  ©ugenie  geworben 
wäre.  @r  fannte  feine  S$üd)ternf)eit,  feine  SBorfid&t  mef>r.  @r  ei(te  naä) 
bem  iöouleuarb  b'fttalie  51t  jener  £f)ür,  über  wetdjer  nodj  immer  ba3 
Sdnlb  mit  bem  tarnen  Glementö  befeftigt  mar.  @r  faf)  ittiemanb  im 
£ofe;  2t)fir  unb  genfter  beä  £aufe3  waren  gefdjloffen.  @r  f (ingelte.  ©3 
rjeulte  fein  &unb.  (£r  wartete.  ©r  fltngette  wieber.  flein  aWenfct)  gab 
Slntwort,  ba£  £au$  war  leer. 

9ftebergefd)tnettert  bura)  biefen  unerwarteten  Sä)tdfal3fd)lag,  50g 
©abriet  in  allen  Säben  ber  9?adjbarfdjaft  ©rfunbigungen  ein;  aber  fein 
F)of)läugige£  2faäfef)en,  fein  beftürjteä  ©efid)t  matten  bie  Seute  mifjtrauifdj. 
Sie  wollten  niajt  mit  ber  Spraye  IjerauSrüden  unb  traten  jum  £f)eil  fo, 
a($  ob  fie  gor  nidjt  wüjjten,  wa3  er  meinte,  ©ine  alte  ©rünjeugljänblerin 
tfjeilte  ifjm  enblidj  mit,  bafe  Clement  jum  Hauptmann  bei  ben  ßommunes 
truppen  ernannt,  in  einem  ©efedjt  oor  ^ßarte  gefangen  genommen  worben, 
unb  feine  grau  oor  einigen  Sagen  ju  ityren  SBerwanbten  in  ber  ^rooinj 
jurüdgefefnl  fei. 

„3n  welker  ©egenb  fann  baä  wofyl  fein?" 

„$n  ber  9iormanbie,  um  Saint^Sö  Ijerum." 

9Jiel)r  muftte  bie  gute  grau  nidjt.  ©abriet  leiber  audj  nid)t.  SRie* 
mal*  t)atte  (higenie  im  Saufe  ber  Untergattung  ben  tarnen  ir)reö  #eimat3= 
borfe«  erwähnt.  „3$  bin  in  ber  Umgegenb  oon  Saint=£ö  5U  &au3," 
fctte  fie  einmal  äufälltg  su  ifnn  gefagt.  $a3  war  ba$  (Stnjige,  woran  er 
ftdf)  noa)  erinnerte. 

„Sie  wirb  wieberfommen,"  bad)te  er,  „ober  mir  f  abreiben,  td)  fann 
fte  nidjt  fo  oeTlieren." 

2lber  ber  lefete  £offnung£fa)immer  evlofd)  in  feiner  23ruft,  unb  er 
fjatte  bie  unflare  ©mpfinbung,  ate  ob  2lHe3  oorüber  fei. 

XVI. 

@r  fefjrte  mit  feiner  SHutter  in  bie  alte  2Bof)uung  jurüd.  Xk  SBittroe, 
beren  ruhige,  georbnete  SebenSweife  buräj  bie  (Sreigniffe  ber  legten  £age 
eine  ttefgeljenbe  Störung  erfahren  fjatte,  füllte  fid)  ganj  glüdlid;,  ba&  fte 
it)re  alten,  liebgeworbenen  ©ewofjnljeiten  wieber  aufnehmen  burfte,  unb 
wunberte  fia)  nur  über  bie  fortwätyrenbe  Xraurigfeit  il)re<S  SofjncS. 

„5?ann  e3  wof>l  anberä  fein,"  lautete  feine  2lnttuort,  „nadj  all  bem 
(Jntfefclidjen,  wa3  wir  erlebt?" 

2lber  er  fagte  iljr  nidjt  bie  S&afjrljeit.  3lm  quälte  eittjig  unb  allein 
eine  unbejwinglidje  Selmfudjt  nad)  feiner  ocrloreneu  Siebe.  Cft  fuajte  er 
ben  Souleoaib  b'3talte  unb  alle  jene  Crte  auf,  wo  er  einft  mit  feiner 


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^ran^ois  Coppie  in  paris.   


(Beliebten  geluftmanbelt.  3)  er  arme  3unge  war  ein  tßarifer  ßinb,  unb  fo* 
weit  er  aud)  juriicfbenfen  modjte,  feine  Erinnerungen  zeigten  ilmt  nichts, 
«l«  winflige,  frumme  Strafjen  unb  ba«  oon  h<>hen  SWauern  etngefdjtojfene 
©nmnaftum.  9?ie  hatte  er  ba«  ^immlifd^e  ©efüfjt  gefannt,  ft<$  auf  freiem 
Sanbe  hentmmtummeln,  Staunt  unb  igorijont  cor  fidj  ju  fef)eu.  9Benn 
er  an  einem  fonnigen  grühling«morgen  einen  Spaziergang  burdj  ben 
Luxemburger  Sßarf  gemalt  unb  fid)  am  $)uft  be«  glieber«  beraufd)t  tyitte, 
fo  mar  für  if>n  ber  ganze  >$au.bet  ber  wonnigen  grfif)ling«zeit  erf$öpft, 
unb  bie  tief  büftere  Stimmung  ber  t)erbfttic^en  3a|re$jeit  fanb  er  einzig 
unb  allein  in  ben  röthlid)  grünen  Xinten  eines  Sonnenuntergang«,  ben 
er  in  ber  33orftobt  zu  berounbern  ©elegenheit  gehabt.  Unb  fo  gemährte 
e«  it)m  audj  bamal«  fein  reine«  ©lud  unb  feinen  ungetrübten  ©enujj,  int 
Sabnrintb  ber  ©rofjftabt  umherzuirren  unb  all  bie  Orte  aufzuführen,  an 
bie  fid)  bie  Erinnerungen  an  feine  erfte  Siebe  fnüpften. 

©lütffelig  berjenige,  bem  e«  in  tiefen  fdjönften  Slugenblicfen  be« 
Sebent  oergönnt  ift,  auf  bem  Sanbe  zu  molmen!  ©in  3ttoo«lager  unter 
(Siefjen,  ber  ftanb  eine«  lei«  raufcfjenben  3Jm^lbad)3f  eine  SHulbe  im  Xfjal, 
eine  Siefe  mit  Slumen  unb  Sdjmetterlingen,  ^eitere,  Ueblidje  Sanbfdjaft«* 
bilber  werben  bie  tiefen  Einbrfitfe  feiner  jungen  Siebe  bemalen  unb  feiner 
trauernben  Seele  $ur  Erquidung  unb  Beruhigung  bienen,  wenn  ihr  ©lud 
einfi  geflogen  ift.  2Mte  ©abriet  bagegen  ba«  S3ilb  ber  heißgeliebten  f>erauf= 
befdjwören  unb  fein  &er$eleib  oergeffen  in  ber  Erinnerung  an  bie  föft= 
Xid)en  unb  bo<$  fo  fd)merzen«rei<hen  Stunben,  bie  er  an  ihrer  Seite  oer* 
lebt,  fo  blieb  ihm  nidjt«  übrig,  al«  bie  enblofen  9iäume  ber  DUefenftabt 
Zu  burdjwanbern,  in  ber  er  geboren,  unb  über  beren  2öeid)bilb  er  nie 
l)inau«gefommen  mar.  2$enn  feine  33ureauftunben  oorüber  waren,  fo  ging 
er  bie  ihre«  Sauinfdjmude«  beraubten,  ber  glüfjenben  3ulifonne  prei«* 
gegebenen  93ouleoarb«  entlang,  warf  einen  oer$meiflung«oo0en  SBltd  auf 
ba«  nodj  immer  unbewohnte  &au$  be«  Söouleoarb  b'^talie  unb  fefule 
über  ben  gaubourg  Saint^cque«  nad)  &au«  jurürf.  Sein  langfamer 
©ang,  feine  gebeugte  Haltung  legten  ein  berebte«  3cu9ni§  aD  oon  fetner 
tiefen,  mit  jebem  £age  zunetmtenben  Entmutigung  unb  Sßiebergefdjlagenhett. 

Enbliaj  fat)  er  eine«  £age«  an  ber  Xl)ür  be«  $aufe«,  weldje«  einft 
bie  ©eliebte  bewohnt  ^atte,  einen  3ctttf  han9cn  unb  la«  folgenbe  SSorte 
barauf:  Söobnung,  &olzhof  unb  Sßerfftatt  ju  oermiethen.  Xie 
fo  lang  gehegte  Hoffnung,  er  werbe  Eugenie  nod;  einmal  wieberfehen, 
fdjwanb  aUmäbltd)  au«  feiner  Sruft. 

211«  er  einige  £age  nachher  mit  zerftreutem  SBlid  bie  3«tong  burd&* 
flog,  fanb  er  ganz  zufällig  bie  9tod)ridjt  barin,  bafj  ber  3öberirten=6apitain 
Element  zur  Deportation  nad;  einer  überfeeifeben  geftung  oerurt^eilt  worben 
fei,  unb  nun  ahnte  er  bie  ganze  traurige  2Baf)rbeit,  bafc  fid)  nämlid)  bie 
junge  grau  zu  ihren  Eltern  auf«  Sanb  begeben  habe,  ba  fie  nidjt«  mehr 
in  $ari«  zurüdbtelt. 


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  (Eine  3bylle  ©ährettb  ber  Belagerung.    <{0\ 

©in  ©erber  mietete  ba«  fiau«  auf  bem  93ouleoarb,  unb  ©abriel« 
ßerj  jurfte  fchmerjlich  sufammen,  al«  er  über  ber  £f)ür  nid&t  mehr  jenen 
tarnen  „Clement",  ben  er  boä)  feiner  £eit  fo  fehr  oerabfcheut  hatte,  la«. 

S3on  jenem  £age  an  fam  feine  Xfyatfad&e  mehr  ju  fetner  tfenntnifj, 
bie  ilmt  über  ba«  Schicffal  feiner  ©eliebten  hätte  Slufflärung  beschaffen 
fönnen.  3Me  3e*t  übte  ihre  milbembe  SBirhmg,  unb  er  lernte  allmählich 
entfagen.  2lber  e«  bauerte  fehr  fange,  beoor  e«  ihm  gelang,  felbft  blofe 
ber  2lufcenwelt  gegenüber  feine«  Sd&merjeS  #err  ju  werben,  unb  berfelbe  blieb 
barum  nicht  weniger  tief.  Gajaban  war  aud)  nach  <ßari«  jurücfgefehrt, 
um  feine  mebicintfä>en  Stubten  fortjufcfeen,  unb  ©abriet  fud)te  jefet  feine 
©efellfchaft.  Grinnerte  fie  ilm  bod>  an  jene  fchöne  3«t,  wo  Gugenie  noch 
in  $ari«  mar  unb  er  fie  jeben  2tbenb  fetjcn  burfte! 

25er  ÜJtonn  be«  Süben«  mar  rabicaler  benn  je;  aber  fein  3ugenb= 
fibermutf)  foHte  gar  balb  ausgetobt  fyiben.  $enn  fein  SBater,  ein  beliebter 
3lrät  in  3?alence  b'3lgen,  beffen  umfangreiche  Sßrari«  er  fpäter  übernehmen 
fodte,  hatte  fdjon  eine  äu&erft  oortheilhafte  Partie  für  ihn  in  2lu«ficf)t, 
unb  e«  liefe  ftdj  oorau«fehen,  bafc  bei  junehmenbem  2llter  ba«  2Öof)lleben 
in  ber  ^3rooinj  ihn  in  einen  getreuen  Anhänger  ber  conferoatioen  Stiftung 
umroanbeln  mürbe. 

$er  fdfc)öne  Stöbert,  Gr*£teutenant  bei  ber  SRobilgarbe,  bem  ©abriet 
einige  3)/al  begegnete,  gehörte  §u  ben  Grften,  für  welche  ba«  ^ßarifer  9lrgot 
bie  fprachliche  9teubübung  ©ommeur  erfanb.  Gr  mofmte  regelmäßig  ben 
Dienftag  s  93orftellungen  im  £heätre=grancat«  bei  unb  trat  ftet«  in  tabel; 
lofer  Xoilette  auf,  weifce  ^anbfchuhe,  weifte  Graoatte,  ein  gelbes  93änbä)en 
im  Knopfloch  be«  gracfe«.   Gr  f^tte  nämlich  bie  ÄriegSmebaiHe  erhalten. 

2ln  einem  herrlichen  Sonntagmorgen,  ber  oiele  Spajiergänger  in'« 
Sreie  gelocft  hatte,  ging  ©abriel  äufälltg  burch  ben  ©arten  be«  $alai« 
SRoual,  al«  er  plöfclich  Jrau  £enru  gegenüber  ftanb.  Gr  ftiefc  einen 
greubenfchrei  au«,  benn  er  hoffte  beftimmt,  oon  ihr  etwa«  über  Gugenie 
ju  erfahren. 

$ie  fchlanfe  Srünette  reichte  ihm  läajelnb  bie  $anb.  Sie  far)  ganj 
oeränbert  au«,  ja,  e«  fdjien  ihm  faft,  al«  fei  fie  fdjöner  geworben.  3hrer 
eleganten,  oon  ©olb  unb  Juwelen  ftrofeenben  Toilette  entftrömte  ein  ftarfer 
^Parfümgerudj. 

„Sie  fmb  ja  au«  bem  Viertel,  ba«  Sie  früher  bewohnt,  ganj  fort; 
gejogen,"  jagte  ©abriel,  ba«  ©efpräch  anfnüpfenb.  ,,£a«  ift  bod)  recht 
fchabe !  G«  war  3U  gemüthlich  in  öftrem  ruhigen,  ftiUen  3immer^en  ,mt 
ber  fchönen  Slu«ficht  auf  bie  ©arten." 

Gr  fonnte  nicht  weiter.  Gin  wahrer  Strom  berauf chenber  ©rinne = 
rungen  brang  ihm  $u  §er$en." 

wa«!"  antwortete  5rau  ©cnrn,  ,,e«  würbe  mir  bort  §u  lang; 
weilig.  Giue  ganj  tobte  ©egenb.  3aj  bin  recht  froh,  Da6  ^  ^n  ^öattg- 
noHe«  gemiethet  fyabe.   Xoxi  wohnen  oiel  feinere  Üeutc  .  .  .  3lch,  '«  ift 


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3üuftrtrte  Bibliograph 


«cidMdite  be*  önttfdjn»  Äunf*.  Jöaufunft,  5JHaftif,  2Mcrei,  »upfciftid)  uub  £ol3-- 
fdutitt,  ScunftgciDerbe.  Berlin,  ®.  Örote'fdjc  2krlag3bud)l)anblung. 

Von  biefem  großartigen,  mit  üoräiiglidjcu  3lbbif= 
buugen  auSgefratteten  v4kad)tmerfe,  beffcn  einjcluc 
Xfjeilc  bon  bcn  berufcitfteii  Vertretern  ber  betreffen- 
ben  2Btffenfd)aften  bearbeitet  »erben,  liegen  uns 
feefä  nene  Lieferungen  üor.  $>rci  babou  bringen 
beu  ?lbt"d)luf$  ber  ©efdndjte  be3  ftunftgemerbeS  öon 
3afob  d.  ftalfe,  unb  juuar  öon  ber  erften  ?lb- 
tbeilung  „^rüljjeit  unb  Mittelalter"  nod)  beu  JMeft 
ber  wgotifd)cn  (jfyodje",  uämltdj  bie  Arbeiten  in 
§ol$,  iJeber,  tejtilcr  ftunft,  Xfjou  unb  ÖlaSmalcrei, 
fobauu  bic  gau^e  jtueite  Slbttjeilung  „Tic  9?eU3eit" 
uon  ber  sJtcnatffauce  bis  311m  1*.  ßabrtjunbert. 
lieber  beu  Sßertt)  einer  berartigen  gcfdjidjtttdjen  23e= 
banbluug  be3  gefammteu  beutfdien  ifunftgeiücrbcS 
brautfjen  n>ir  fein  äüort  31t  Derlicren;  mir  rönnen 
nur  ber  3frcube  barüber  2lu3brucf  pcben,  bafj  bic 
betuäbjte  Äfraft  eines  3afob  uon  $alfe  biefe  Arbeit 
übernommen  bat,  unb  im  3"tereffe  ber  3adje  unb 
ber  weiteren  Verbreitung  bcö  gaujen  2ikrfe3  beu 
äüuufcf)  ausfpredien,  bafj  bie  einzelnen  Ülbtbeiluugeu 
beä  (*Jefammttuerf8  aud)  gefonbert  fäuflidi  werben 
mögen.  Tic  ©eietjidite  beS  ftunftgemerbe«  fdilicfjt 
mit  beut  18.  Saljrlnmbert,  mit  ber  Üüabruetjmung, 
bafc  bic  ftunft  im  GJeroerbe  foft  in  allen  feigen  ab-- 
ftirbt,  um  im  neunjebnten  anfänglid)  üöllig  311  Dcr= 


fdjtüinben,  bis  in  ber  siueiten  ftälite  unferea 


3ahr- 


Oiri<iBe(|,nru«  o«t  bn  eamatung  ut  a.  buuberU  baä  ueueriDadjte  2?ebitrTiiit}  nad)  (iiiiülc- 
f.^V-^ilVVi'ri^Sr.«  i,,^t.*•,/  riffrr  Wnfeit  eine  neue  lebenbige  Bewegung  In 


Jloib  unb  6ÜÖ  L.,  1  so. 


27 


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  3llujUirte  Bibliographie.    ^03 

Dom  erftcn  Slbfdmitt,  ber  bis  jum  Gnbe  be&  15.  3ahjbunbert3  fiitjrt,  bic  ilorftufen 
unb  Slnfänge  unb  bic  Srupfcrftetberci  bc8  15.  SabjbunbertS.  Mupferftid)  unb  fcol^-- 
fdmttt  ftchen  in  engftet  Herbinbung  mit  ber  ©rfinbung  ber  23ud)brucfcrfitnft ;  erft  feitbem 


■Mo'.n'.o  ^autcuil  au»  Per  Witte  cta  18.  3abrbunt>ert4. 
«ud:  WtfdjiAte  btr  b'eutfdjtn  ftunft.   »erlitt,  0.  (Mrott. 


ftc  als  ÜJlittcI  ber  3fluftration  gebruefter  Xerjc  häufigere  Bcrtoenbuitfl  finben,  nefnneu 
fte  aud)  unabhängig  non  biefer  einen  böseren  2luf|"d>umng.  3.  9 — 11  roeroen  toir  mit 
ber  alterten  Xedinif  bea  5?uüferftid)ä  befannt  flemad)t;  bann  folgen  anonyme  ÜJleifter 
unb  Wonogrammifieu,  ber  ÜJJeifter  ber  Smelfarten,  ber  Üfteiüer  ber  ^iebcSgärten  lt.  a.  m.: 
enblid)  in  auMübilidier  v£ebanbluiig  Martin  Sdjongaucr  unb  feine  Schule.   SQJkdl  ber 


y  Google 


^06    tforb  nnb  Süb.   

(tfefdiiditc  be8  ffujjferftidjS  unb  fcoläfdniitteS  eine  fo  boljc  2?ebeutung  berleifjt,  t fr  ber 
Umftanb,  bat?  gerabe  bie  bebtutenbften  altbeutfdjen  2Naler  in  biefen  ledntifen  eine  iHc'ük 


aJiofcnna  aur  ber  ^RoncfutKf.  XupfcrfiicD  nicbcrrlKintfd*.   ^ainuuunfl  tf.  iHot&'dulb  in  <ßari». 
«ii»:  «efAidjtc  ber  beutfdjen  *tun(t.  SPttltn,  <».  «totf. 


tfjrrr  bebeuienbfteit  ©etfte&probncte  nlebergelegt  fpabeit,  51t  bereit  9(u9fuljruna  in  ber 
grofeen  srunft  eS  ihnen  an  ©elegtnnett  unb  Aufträgen  fenlte,  unb  bau  baber  t&re  Vfeiftuune n 
ötif  biefen  Öcbtetcn  eine  uxfentlidjc  ©rgänjunfl  be*  ÜkfnmmtbilbeS  ihre«  liiiiftlcrifdien 


  3llufirtrte  Sibliograptpc.   ^07 

Staffens  überhaupt  bilbcn.  öS  ift  bcfcfjalb  bcr  ftortfefcung  gerabe  bicfer  ?lbtl)eilung  ber 
bcutfd)cn  tfunftgeicrjicrjte  mit  Spannung  entgcgenjufeben. 

Lieferung  2-4  unb  27  bringen  bie  ^ortfeQung  von  3anit\<S)tV  8  ©efdjicfjte  ber 
alteren  beutfcfjen  3Merei  unb  beljanbelu  bie  sIRünd)ener,  2Bicner,  ^nftertbafer  unb  fdjlefifdje 
Schule,  fobann  inSbcfonbcre  bie  Xbätigfcit  2llbred)t  SürerS  unb  ber  £>auptträger  feiner 
9tid)tnng  (Sdiäufclin,  3ue&,  bie  JöefjamS,  $eng).  2lud)  (jicr  Derbicnt  ber  illuftratiue 
SdnniKf  rü&menbftc  ftcrDorljebung ;  td)  nenne  nur  XürerS  Sigur  eines  ftefjeuben 


Pörtftu*  unb  *4ktru*  auf  btm  TUttt.  StftnftCH«  »JlailonaU3Jtuf«uni. 
«lud :  OJcf djieftte  bcr  btutfdjen  ilünh.  Berlin,  (9.  (Mrotc. 


flpoftelS,  fcanbjeidmung  im  St.  ftiipferftidjfabinet  ju  Berlin,  alz  2tubie  ju  bcr  3. 
abgebilbeten  „^immelfaljrt  9Nariä";  bie  ^ditbrucfroiebcrgabc  oou  XürcrS  „Mcrl)eiligcn= 
bilb",  boppelfettig;  SWartln  Sdjongauer*  „ÜDiabonna  im  ftofenfrlg";  ütt.  siiiot)lgemutbö 
„Äreusabna^me";  bei  älteren  iIufa*Mranad)l,aJiabonuo  mit  ber  Iraube"  unb  „lyrugifirus" 
aus  bcri&cimarifdjen  3tabtpfarrttrcr)c;  &olbcinö„£armftäbter  sJUtobonna";  bann  im  lejte 
befonberS  $ürer*  „flbam  unb  (£ua",  „Xie  iDfabonna  mit  ber^irne"  in  ber  taifcrlidjen 
(ikiUcric  gu  ÄBten,  ein  ÜMlb  doU  reijenber  Httmtltft,  unb  cnblidi  bie  berühmten  Dier 
l'lpoftel  au8  bcr  alten  ^inafotb,cf  in  ^iündjen.   2lud)  bic  ernftljeitcren  Wanb3cidmungeu 


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$08 


  Horb  uni>  5iib. 


T 


XürerS  sunt  (Mebctbudi  .sfüifer  3)tarjmiliauS  I.  ftnb 
butdi  mehrere  groben  bertreten,  üon  beneu  toir  eine 
hier  mitteilen.  3luf  ben  trefflichen  3nt)alt  biefer 
iricfcruitflcn  näher  einzugehen  maugelt  uns  Der  9taum; 
es  fei  beShalb  nur  auf  bic  trcffettDe  SBürbiguiifl  uon 
2)ürerS  iöebcutuiifl  Uenoiefeu,  au*  ber  toir  folgenbe 
Säße  ausheben:  „2l*aS  Ütoetrjc  2)ürer  uub  ben  übri= 
gen  £>eutfd)cu  ber  älteren  $cit  jum  Vorwurf  macht, 
fie  hätten  alle  mehr  ober  weniger  ctmaS  peinliches, 
inbem  fie  gegen  bie  ungeheuren  Ökgenftänbe  bie  Frei- 
heit be*  Hillens  bcrlieren,  ooer  folchc  behaupten,  ttt* 
feferu  ihr  Weift  groß  unb  bemfcllieii  gemadifcn  ift,  baS 
finbet  sunt  minbeften  auf  Dürers  Steifejeit  feine  31h* 
incnbung  mehr.  (5t  erhebt  fich  über  fflabifche  3lbhän= 
gigfeit  Don  ber  einjeluen  i'taturerfdwtnung,  unb  er  be* 
fämpft  bic  i^ilifür,  bic  hoebmütbig  bie  SRatur  gu 
metftertt  fudie.  9lud)  $ürer  trat  mit  perföulicher  ©roß* 
heit  an  bie  Watur  heran,  aud)  er  hat  bic  geringere 
reale  Äatttt  »ur  i?öhc  feines  (HciftcS  emporgehoben; 
aber  bic  fünftlcrifd)c  Sdtöpfnng  bei  uorbifchett  ftünft* 
erS  fah  bann  bod)  aubcrS  aus,  als  Die  eines  PhibiaS 
ober  Stafflet.  Xie  periöulid)e  (#roöbeit,  mit  ber  ber 
O  uorbifd)e  Miinftlcr  ftdi  au  bic  Statut  loanbtc,  mar  eben, 
Dem  Waffenaturtfl  cntfprcd)cnb,  nicht  äühetifdier,  fon« 
Deut  ttiifdxt  ;'lrt.  iü  eben  baS  Unerinc&ltdie 

ber  i'eiftuug  Xürera,  baß  er  bie  beutfehe  ftunft  frei 
machte,  ohne  fie  heimatlos  31t  macheu.  i*ou  Deutfdieii 
hobelt,  nidit  auf  fcettflS  ober  Stauen«  ift  barum  ber 
äfthetifche  SMaimab  für  bie  >fiiimlergrötK  lürcrS  31t 


holen. 


P.  w . 


'AM  Xitrcr«  'JtauMciwtiumgtn  \mn  QkfeditUfe  0ntf(T  l'torimitian*  I.  in  ber  »gl.  ÜMbliotbcf  ?n  :3Jlüru1)<n. 
Hut:  OcfAuttc  ber  txutfdcn  «unft.   ^crlii',  9.  '^rote. 


uigitizGu  oy 


Goo 


3iblio<jrapfji|d?e  n oti3cn. 


^Tao  tteatatputiaftum  ttttb  bie  t)w 
mauifttfrtK  ©iioung.  SBon  $rof. 
Dr.  Sfricbrid)   ^aulfen.  SBerlin, 

aa*.  $»ere. 

^rofcffor  ^aulfen  in  ©erlin  nimmt 
in  ben&ämpfen  für  „ttaffxfcfj-tjumatiiftiftrje*' 
ober  „mobermrealiftifdjc"  Sugcnbbilbung 
eine  eigentümlich  Permittclnbc  Stellung 
ein.  .ftumaniftifdje  SBifbunß  nennt  er 
biejenige,  welche  bie  SBefchäfriaung  mit 
Sprad>e  unb  Literatur  (nidbt  blofj  ber 
altclaffifcben !),  mit  ©efd)id)te  unb  ©eifteS= 
totffenfehaften   überhaupt  jur  ®runblage 
bat;  realiftifche  eine  folcbe,  bie  roefent* 
Iid)  auf  ÜDiattjernatif  unb  9toturttriffen= 
fehaften  beruht.   (Sr  tritt  nun  Iebbaft  ba= 
für  ein,  bafe  ben  höheren  aüflemeinen 
IBilbungSanftalten  in  Xeutfdjlanb  ber  hu= 
mauiftifd)e  (Sbarafter  bewahrt  bleibe,  mäb: 
renb  nad)  feiner  Meinung  bie  realtftifeben 
7räd)er  erft  injacbfchulcn  äum^auptfiürfbcS 
UntcrricbteS  werben  föuneit.  (Milien  buma- 
niftifeben  ßbarafter  aber  baben  nad)  feiner 
STuffaffung  nid)t  nur  bie  alten  ©pmuafien, 
bie  er  nid}t(uur  öorläufig  nicht  ?)ocrbrangeu 
miß,  foubern  auch,  unb  stoar  namentlid) 
feit   ber  SReuorbnung  nou   1882,  bie 
ittealflomnaficn.  9118  bie  2Üege,  auf  welchen 
bicfclbcn  bem  bejetdmetem  ,i  werfe  narfjjus 
ftreben  baben,  begeidjnct  $au(fen:  1. 
grünblidje  ^Betreibung  be8  beutfdjen 
Unterrichtes,  ber  gerabe  auf  bem  9tcaU 
gt)mnartum  bie  centrale  Stellung  cinneb* 
men  foü,  bie  ibm  ba8  alte  GJnmiiafium 
bisweilen  oerfagt  bat,  unb  jumr  aud)  mit  an= 
gemeffener  SBcrürffidjtigung  ber  ungemein 
bilbenbeu  unb  lebrreieben  ©efchidjte  ber 
älteren  beutfdien  Sprache  unb  ber  Pbilo* 
fopbtfcben   ^ropäbeutif.    2.  ^Betreibung 
beS  Sraujbfifdjcn  (biefes  suerft)  unb 
(Snglifcheu  mit  Stürffidji  auf  beu  3iu 
fammenbang  ber  europäifeben  Literaturen. 
3.  ^Betreiben  bc8  Lateinif che n  ,  wcldjeS 
als  Sprache  be8  augufteifebeu  Zeitalters 
unb  al8  mittelaltcrlidic  äßettfpradK  eine 
»ertiefte   biftorifche  SBilbung  üermitteln 
fönne  unb  folle,  wäbrenb  e8  genüge,  bie 
Sd)äöc  ber  gried}ifd)cn  Literatur  burd) 
Ueberfe^ungen  jugänglid)  31t  macben.  33ei 
(Erfüllung  biefer  Sorberungeu  Pcrlangt 


Wulfen  für  bie  Abiturienten  ber  9leal= 
gnmnafien  unbefdjränften  3utritt  gn  ben 
UniPerfitätSftubten. 

Die  Aufgabe  unb  ber  SHaum  biefer 
3eitfdjrift  geftattet  e8  nid)t,  eine  fpe= 
cieUe  Srritif  biefer  mit  Klarheit  unb  in 
mafjooller  Sprache  Porgetragenen  Säfte 
gu  Pcrfiidjeu.  9hir  baS  (Sine  fei  äuge* 
beutet,  bafe  ber  3Jerfaffcr  bo:b  Pielletcht 
äWifdjcn  bem  Wealgrjmnafium ,  wie  e8 
wirflieb  ift,  unb  wie  eS  nacb  feiner  SRel* 
nung  fein  foUte,  niebt  beftimmt  genug  untere 
feheibet.  Soweit  beS  Referenten  Scenntnift 
reidjt,  haben  3.  JB.  für  ein  Söetreibeu  beS 
beutfebeu  Unterrichtes  in  ^kulfenS  Sinne 
bie  9fealgt)tnuafien  meift  piel  weniger 
Neigung  bewiefen,  als  bie  ©qmnafien. 
SJoUfornmcn  einüerftanben  aber  fann  jeber 
Sfreunb  ber  Sd)itle  bamit  fein,  bafe  SßauU 
fen  niebt  für  eine  neue  Umwälgung  unb 
fchärfere  9teglementirang  ber  Lebrpläne, 
foubern  für  größere  inbiPibueüe  Freiheit 
ber  Lebrenben  unb  ber  Lerueuben  eintritt. 
„2flan  mufe,"  fagt  er  S.  71,  „wieber  3»t= 
trauen  311  ber  menfehlichen  9totur  faffen!" 

P. 

bem    f  in  Ijivcn  irraiifreirh. 

Meine  ?lbbaublungcu  Pon  ftcobor 
äüebl.  ^iinben  in  äikftfaleu.  3.  S. 
(S.  SB r uns  »erlog. 

^er  JBcrf.  mill  mit  biefem  SBücbleiu 
ben  ibm  Don  feinen  beutfdien  LanbSleuteu 
gemadjten  »ortourf  äurücfmcifen,  bafe  er 
ein  „befebränfter  unb  fopflofcr  5-ransofcn« 
freffer"  fei.  Ob  cS  ibm  gelungen,  baS  ift 
feine  Sadje,  fourie  berer,  bie  ibm  beu  33or* 
lourf  gemaait  haben.  Unferc  Sadjc  aber 
ift  es,  !ur3  fefuufteücn,  toeld)en  allgemeinen 
ä»iertb  bieie  ©djrift  bat  als  bie  „%niä)t 
langjäbriger  58cobacbtunqen  unb  eingeben- 
ber  Stubicn."  2Ber  rjinreicf>ertb  franjöfifd) 
fann,  toirb  fidjerlid)  beffer  tbun,  fclber 
biefe  „Stubien"  311  mad)eu  unb  bie  fran= 
j'öfifdjeu  2)üdhcr  311  lefeu,  beren  uns  ber 
verf.  mebrere  nambaft  mad)t,  meil  er  nad) 
ibneu  uns  feine  Ü)cittbcilungen  unterbreitet. 
Sollte  er  auf  ÖJrunb  feiner  „SBeobadjtun* 
gen"  noch  mcljr  bieten  als  fte?  2)ann 
muft  er  flar  unb  beutlid)  fagen,  morauf 


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Horb  unb  Süb. 


fid)  biefc  w58cobad)tungen"  frühen.  9Ittbern« 
fall«  müffen  mtr  fagcn,  baß  baS  Siffen, 
fomcit  es  in  Buchform  »erliegt,  burd) 
feine  'Jlbbanblungen  nidjt  ertoeitert  fei. 

$m  llcbrigcu  lagt  fid)  behaupten,  baß 
bie  einzelnen  Arbeiten  eine  getranbte,  tl)cil= 
toeife  gläii3ciibe  ©pradjc  mit  ionmal  iftifdjcm 
JHnftrid)  geigen.  Sie  merfen  grelle,  in  bie 
klugen  foUcnbc  Sdjlagltdjter  auf  franjöfi* 
fd)e  ^erfonen  unb  3uftänbc  ber  iBcrgan* 
genljeit;  fte  gleiten  SWeteoren,  bie  für  ben 
Vlugciiblief  SÖergnügcn  bereiten,  aber  oljne 
$auer  finb.  l'iebljaber  leidjter  t)iftorifd)cr 
2>arftcIIungen  unb  geiftrcid)cr  GffanS  »erben 
bei  ber  Ccctüre  bcS  ^üd)lcins  gmeifclloS 
auf  if>rc  Soften  fommen.       Dr.  Wd. 

«Ute*  nnb  tteitcd.  8on  Sr.  Sfcob. 
2Mfd)er.  Üteuc  ftolge.  Stuttgart, 
iUbolf  2?ons  u.  Comp. 

Stöbert  Eifcber  bat  bier  eine  Steide 
oon  iHuffäfcrn  feines  Katers  gufammenge- 
ftcflr,  bie,  mit  Slusnabmc  ber  SlpfjoriSmen, 
fdiou  in  oerfd)iebcnen  3*itfd)riftcn  Oer» 
öffentlich  toorbeu  finb,  ber  erftc  1847. 
$a  aber  faum  Semanb  alle  gelefcn  Ijabcn 
bürfte,  fo  Bütten  alle  ©ebilbeten  bem 
Herausgeber  banfbar  fein,  $cr  O'tfjalt 
ift  fcb,r  reid);  literarifd«  Slufiäfce  toccbfcln 
mit  pbilofopbjfcfien,  iHcifebriefc  mit  ein» 
gerjenben  JScurtfyeilungcn  oou  ^üdjem. 
Jöcluftigenb  unb  äugleid)  beleb, renb  finb 
bie  „Reiben  bcS  Söud)ftabcn  K  auf  feiner 
Sanberung  burd)  £cutfd)lanb",  eine  ©traf» 
prebigt  für  aüc,  bic  biefen  23ud)ftabcn 
fd)led)t  fpredjcu.  rj. 

Ter  .vnptuMK'iiuio.  Ston  Dr.  med. 
Gilbert  SHoIl.  Berlin,  5ifd)crS  mebic. 
$ud)f>anblung. 

3Vr  Skrfaffcr  giebt  in  fur$cm  Um* 
rifj  "neu  llebcrblicf  über  ben  £>npnoti8* 
muS  oon  feinen  Anfängen  bis  ju  feinem 
heutigen  ioiffenfd)aftlid)en  Stanbpunfte. 
£ic  Wcfdüditc  bcS  $W»otiSmuS,  bic  2lrt 
bes  ftnpnotifirens,  ferner  bic  plmfiologifcbeu 
unb  pfpdjologifdieu  Vorgänge  beim  £>np» 
uotifirten,  fdilicfelid)  bic  mcoicinifd)c  unb 
forenfifdx  ikbeutung  beS  ftppnotiSmuS 
loerbeu  in  einzelnen  ßapitelu  ftar  unb 
anfdjaulid)  befprodjen.  2Ber  ben  Sunfd) 
bat,  fid>  auf  biefem  (Gebiet  311  orientiren, 
bem  loirb  baS  ibud)  in  jeber  SPcäicfjuug 
feine  $icnfte  leiften.  ®B  ift  ftreug  ob* 
jcctiP  gefdjriebcn,  giebt  in  furgeu  3ügcn 
nur  baS  Sc  f  entliehe  unb  bat  ben  SUorsug, 
liidit  nur  miffenfcbaftlid)  bcgrüubct,  fon* 
bem  aud)  allgemein  oerftäublid)  3U  fein. 

Dr.  Ii. 


Z rtö  '^iidi  Oer  vernünftigen  Mi  an* 

f  rup fit  ßc    ^raftifdjc  feinte  unb  ©c* 
lebrungen  für  Scibcnbe  unb  Öcncfcnbe 
oon  $rof.  Dr.  (Sari  «eclam.  3u 
ISnbe  gefübrt  oon  Dr.  med  3.  Äuff, 
ßeipjig,  Sinter. 
$cr  «erfaffer  fdiilbert  in  auSfü&r» 
lidicr  unb  für  ben  iiaien  leid)t  oerftänb* 
lidjer  Seife,  mic  man  bei  tfranftjeitafällen 
in  ber  gamilic  für  ben  Patienten  unb 
[eine  Umgclutiig,  neben  ber  Befolgung  ber 
ärjtlidKit  Söorfcfjriften,  am  beftett  unb  ra« 
tionellftcn  311  forgen  bat. 

$aS  33üd)lcin  cntfjält  oiele  prattifche, 
burd)  gasreiche  9lbbilbuugcn  erläuterte 
Siufe  unb  wirb  bei  bem  beutigen  regen 
3ntercffc  für  $>qgiene  bcS  ^au^ljalte?  ge» 
uuß  SUJandjcm  loiDfoinmen  fein.  Dr.  B. 

Dr.  ^obauueo  Omaner.    Ia-i  geben 
eine«  bcrübmtcn  Sdjmciscr  ?lr3tcö  im 
17.  3al)rl)unbert   oon  Dr.  med.  (5 
Brunne r.   Hamburg,  iltolag&anfialt. 
Ginc  fur3e  unb  tntereffante  Jbiogra- 
pfjic  ieneä  bcrül)tntcn  5?trjtc*,  ber  im  17. 
Sabrbunbert  an  ber  $?eibelbcrger  ^>od)* 
fd)itlc  gelehrt  bat.   Hillen,  bie  ftetj  für  bie 
(Mcfd)icbte  ber  SWebicin  intcreffiren,  fei  baS 
Sdiriftcben  mann  empfoblcu.     Dr.  B. 

tiäft  auf  ben  f&ea.  (Sine  3dtjrift  sunt 
frommen  berer,  loclcbc  unbetannt  mit 
be«  IRorgcnlanbcS  äBct*l)cit  unter  bereu 
öinfluB  gu  treten  begebren.  9Hebergc» 
fd)riebeu  oon  lUabel  Solling,  lieber* 
feßt  aus  bem  6nglifa>n.    2.  Slufl. 
mit  i'lnmerfungeu  unb  Erläuterungen, 
geipgig,  &  rieben. 
$on  ber  SciS^eit  beS  Ü)iorgeulaube« 
ift  in  ber  oorliegcuben  3dirift  9Md)!S  gu 
finben ;  cö  ift  eine  fpiritiftifdje  Offcnba* 
rttng,  bie  ja,  mie  cd  fd)eint,  aud)  ihre 
(Bläubigcn  geftmben  bat,  ba  fie  fdjon  bic 
jiDritc  Auflage  erlebt.   2>ie  Ucberfcöung 
ift,  toie  beroorgeboben  merben  foll,  äugen» 
fd)einlid)  mit  Siebe  gemaebt.   (Manje  ^<ar> 
tiecn  bcrfclbcu  (£.  21.  22.  u.  ff.)  bewegen 
fid)  in  jambifd)em  9tt)tb,muö;   cS  mirb 
aber  toobl  nur  äBenigen  gelingen,  ben 
*3inn,  ber  fid)  unter  ben  fdjnnntgooncn 
Sorten  oerbirgt,  3U  euträtbfeln.  9?cfc* 
reut  beneibet  fic  nid)t  barum.  F. 

3it>ei  vlabre  in  flb^fftniett  ober 
<5d)Uberung  ber  ©itten  unb  bc8  ftaat* 
lieben  unb  rcligiöfcn  ScbcnS  ber  ftböf» 
finier  oon  ^kitcr  Ximotl)eti§.  (?lnnc* 
nifd)c  »ibliotbcf,  ^eft  8  u.  9.)  ücipäig, 
Sricbridj. 

$a8  5öud)  entbält  ben  9ieifebcrid)t 
eines  3ur  3eit  bcS  ÄricgcS  ber  (Sngläubcr 


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Bi bltograptjifdjc  ZTottjen. 


gegen  ben  Stonig  Xbeobor  Don  2lböfftnien 
öon  bem  armemfcben  Patriarchen  gu  bicfcm 
entfanbtcn  ßegaten.  3n  naioer  Sprache 
fdjilbert  er  getreulich  bie  militarifdjcn, 
politifdjen  unb  religtöfen  ä^er^öltniffe  beS 
itaubeS,  in  welchem  er  ftd)  gwei  3abre 
lang  aufgehalten  hat.  3n  politifaxr  93c* 
giebung  fteüt  er  fid)  burd)auä  auf  Seite 
bcr  (Snglänber;  bod)  fommt  bieS  Jöorur* 
tbcil,  ba  er  mcfentltd)  feine  eigenen  mcrf= 
würbigen  ßrlcbniffe  berichtet,  Wenig  in 
iöctracbt.  XaS  Surf)  fann  jebcnfallS  als 
€lucllcnfd)rift  für  bie  neuere  @efa)id)te  beS 
merfwürbigen  £anbc8  gelten.  F. 

*m  2©eb?tufM  bcr  3eit.  ^oefien  aus 
bem  mobernen  lieben  öon  3uliu8 
©efell  hofen.  ©ro&enhatu  unb  Seipgig, 
^Baumert  unb  Monge. 

SSenn  biefe  Sßoefien  aud)  feincSmegS 
alle  öon  gleichem  Gerthe  finb  unb  picleu 
öon  ihnen  in  ftorm  unb  Inhalt  noch 
eine  Slbflärung  unb  SluSrcifuug  gu 
töünfcben  gewefen  wäre,  fo  ftnb  ftc  bod) 
ba»  3euguife  einer  fräftigen  Xid)ternatur 
unb  ber  SluSbrud  einer  gefunben  ethifchen 
©eftmtung.  freilich  ift  eS  ein  gewagtes 
Unternehmen ,  fo  gang  moberne  (Stoffe 
bichterifd)  geftaltcn  gu  motten ;  nicht  SllleS 
ift  poetifd)  oerwertbbar,  woran  fid)  ber 
SBerfaffer  gewagt  hat,  unb  bahcr  ift  eben 
bie  Sammlung  fo  ungleich  ausgefallen. 
Sobann  ift  bie  äftfjetifcbe  ©renge  im  <$t-- 
brauche  beS  erlaubten  SluSbrudS  allzuoft 
bart  geftrcift;  baS  mag  fräftig  fein  — 
fdjön  ift  eS  nicht  immer,  Dagegen  flingt 
eS  oft  banal.  Xa  aber  biefe  ©ebid)te 
mannigfaltige  unb  gefdjicft  pointirte  pro* 
bleme  behanbeln  unb  biefelben  meift  mit 
©cwanbthcit  unb  bichterifchem  Sd)Witnge 
poetifd)  aefialten,  fo  werben  fie  ohne 
3n>eifel  btelc  Sreunbe  finben.  Uebcrflüffig 
freilich  ftnb  bie  öiclcn  Xrudfel)lcr,  bie 
manchmal  red)t  ftörenb  Wirten,  ss. 

©an  Frühling  ju  ftrüblittg.  33it= 
bcr  unb  Sfiggen  öon  äans$of?* 
mann,  Setltn,  ©ebr.  $actcl. 

£an8  §offmann8  (Srgäblertalcnt  geigt 
ftd)  in  bicfer  ©ammlung  in  feiner  öoüen 
JCielfettigteit.  3»ölf  IWoüellcn  fiub  in 
biefem  Söanbc  üercinigt,  jebe  einem  be- 
stimmten SJionate  beS  SabjeS  nach 
(Stimmung  ber  ©cfühlc  unb  Sarbe  ber 
Sdjilbcrung  cntfpredjenb.  (So  lommt  ei, 
baß  mir  fein  humoriftifdje  unb  heiter» 
freubige  ©rgäblungcn  wie  „Xhauwinb", 
„Himmelfahrt",  „Sonncnmenbe"  neben 
emft  reftgnirten  („Spätglüd")  unb  biU 
fter  •  fdjwermütbigcn   („SJteereSftimmen" , 


„Sinterfriebe",  beibe  cinft  in  „9h>rb  unb 
©üb",  3Jtai  1888,  unter  bem  Xitel  „Strand 
gut"  öerciuigt)  ftehen  fehen.  XcSljalb  bürfte 
in  ber  Xbat  mohl  jeber  Sefcr  unb  jebe 
Seferiu  etwas  ihrem  ©efdmtad  unb  ihrer 
Neigung  3ufagenbcS  in  bicfcm  5Bud)e  finben. 
ftur  bic  unheimliche  Moüelle  „Srrlidjt"  er- 
öffnet  fo  grauenhafte  Sblicfe  in  bie  dlatyu 
fetten  beS  2Henfd)enbafein8,  baß  toir  bic- 
fclbe,  fo  meifterhaft  fie  auch  in  ihrer  8lrt 
gejchrieben  ift,  öon  biefer  Sammlung  lie* 
ber  auSgefdil  offen  gefehen  hätten.  0. 

9er  Sttt^uftaft  bort  iyidjtritftöbtcl 

unb  anbere  Lobelien.  JBon  Äarl 
3  ä  n  i  d  e.  »erlitt  5BV  ftofenbaum  unb 
Hart. 

2ln  bie  unferen  ßefern  bereits  aus 
bem  üorjährigen  3uniheft  befannte  'Hlo- 
öeUe  hat  ber  23erfaffer  nod)  brei  anbere 
Jrüdjtc  feines  reichen  unb  öiclfeitigen  Xa* 
IcntcS  angereiht:  „(Sine  iöeidjtc",  „3nt 
ÜBaftenfttüftanb",  w3)cr  meland)olifd)eSüu= 
ber."  Unter  ben  Sorgügen  berfelbcn  heben 
mir  befonbcrS  bie  pfqdjologifdje  Vertiefung 
in  baS  2Befen  merfroitrbiger  ©haraflere 
heroor.  Xer  gmifchen  gmei  ^tremen  feit? 
fam  fa^oaufenbe  §elb  ber  legten  9ioöelle 
fönnte  als  Seitenftüd  gu  bem  originellen 
„Xoctor3eh)U"  beS  ©nglänberS  Stcöenfon 
betrachtet  werben,  auf  ben  wir  im  Sftärgbcft 
aufmerffam  madjten.  3Jieift  ^at  ifarl 
3änide  feineu  (Srgählungen  noch  befonberen 
yieij  baburd)  gegeben,  baß  er  fie  ben  3Jtittel= 
punft  bcr  gcielligcn  Unterhaltung  eines 
beftimmten  SfreifcS  öon  perfonen  btlöen 
läßt;  auf  biefe  ÜÜeife  wirb  ber  Gontraft 
ber  beiben  unter  9tr.  3  öereinigten  2ebcnS- 
bilber  bcfonberS  beutlid).  Xie  neueren 
9(0öelli!'teu  geben  fid)  fonft  gewöhnlich  nid)t 
mehr  bie  Geithe,  bie  eine  fold)c,  aus 
©oethes  unb  XiecfS  3cttcu  l)er  woh'.bc 
fannte,  aumuthige  Umrahmung  fleinerer 
&rgät)lungen  erforbert.  Xod)  giebt  eS 
hoffentlich  nod)  oicle  üefer,  weldjc  biefelbe 
gu  wiirbtgcn  wiffett.  u. 

Stau  Santtbättfer.  9Joöellen  öon 
X  ohm.  23reSlau,  @.  Sdjottlaenber. 
Xie  erfte  ÜRoöclle,  weldjc  bcr  gangen 
Sammlung  ben  tarnen  gegeben  hat  Wirb 
ben  älteren  fiefern  öon  „9lorb  unb  Süb" 
nod)  in  angenehmer  (Erinnerung  fein;  bic 
britte  „Ob  Schein,  ob  ÜiJefcnr  bilbete 
eine  3icrbe  unfereS  legten  2lprill)cfteS. 
(fbenfo  wie  biefe  hobelten  haben  auch  bie 
gwei  neu  hingugefommenen  („Sterben  im 
&cben"  unb  „9Jterie")  mehr  ober  weniger 
enge  2Jerüt)ruug  mit  ber  ftrage,  ob  bic 
Stellnug  ber  grauen  innerhalb  ber 


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<k\2    ZTorb  m 

milic  unb  ber  mobernen  ©efcUfd>aft  eine  i 
reformbebürftige  f ct.  Seit  bei  oornrtbeilS* 
freier  (Srwägung  biefer  Srragc  fid)  ergeben* 
ben  ^Problemen  fchaut  fcebmig  So&m  mit 
einem  flttlidtyctt  (Srnfte,  bcr  bor  feiner 
Gonfequeng  äuriitffchricft,  in'S  2luge ;  ber 
(Srnft  ihrer  ©cftnnuug  wie  bic  irlarbeit 
irjrer  Sarfretlung  erinnert  biclfad)  an 
#annn  Scwalb,  beren  Streben  ©ottfcball 
neulich  in  unferem  3"Ur)cfte  fo  licptboll 
gefchilbert  bat.  SlirgenbS  aber  brängt  fid) 
bei  fcebwig  Softm  bie  Xeubeng  unfunftle- 
rtfd)  h«rbor;  btelmebr  ift  jebc  ihrer  9to- 
bcllen  auch  poetifd)  fein  entworfen  unb  in 
fuapper  Sarftellung,  in  einer  oft  wahrhaft 
flafflfehen  Sprad)c  ausgeführt.  2Jiit  be« 
fonberer  Siebe  ift  baS  Reiben  unb  fingen 
Perfdnebenartigcr  ^rauennaturen  bargen 
fteHt;  bie  männlichen  (eigentlich  recht  un= 
männlichen '.)  ©tjaraftcre  bagegen  finb  jutn 
3^r>ei£  ftarf  in'S  ©raue  ober  ©räulidje  hinein 
gemalt.  Namentlich  gilt  bicS  oon  bemfcelben 
ber  inerten  ftobclle  („3Haric"),  bei  bem  noch 
aufeerbent  eine  red)t  unpaffenbc  2*ergleid)ung 
mit  ©oetbe  einigemal  angebeutet  wirt. 
SBenn  alfo  auch  Manches  in  biefem  Suche 
iöebcufen  ober  ätfiberfprud)  erregt,  fo  ift 
cS  bod)  ohne  ftrage  gehaltooder  als  manche 
Siethen  oon  Stäuben  bcr  neueren  {Kornau* 
literatur.  (SS  ift  nicht  eine  tfefebeinung 
oon  nur  momentanem  3ntercffc,  fonbern 
mufe  bielmenr  als  ein  20er!  oon  hohem 
unb  bauernbem  2i*ertbe  in  ber  Literatur 
unferer  3eit  bejeidmet  werben.  0, 

«u&flftoä&lte  Sichtungen  oon  £cr* 
mann  oon  ©Um,  herausgegeben  oon 
SMrnolb  oon  bcr  Raffer. 
fyevmann  »Ott  i»Hmt  fein  Sehen  unb 
feine  Sichtungen  oon  Slrnolb  P.  b 
Raffer,  Seipjig,  s*-  ®.  SicbeSfinb. 
Sie  Sichtungen  beS  trefft idjen  Zx\-- 
roler  Sängers,  feit  beffen  fciufdieiben  be* 
rcitS  ein  iMertcljahrhunbcrt  berftridjen  ift, 
unb  ben  bie  oon  Slrnolb  bou  ber  Stoff  er 
oeranftaltcte  Ausgabe  unb  SebensbefdircU 
bung  einer  unPerbicntcn  JBcrgcifcnbeit 
entreifet,  ^erfüllen  bcr  £>auptfadjc  nach  in 
juoei  ©ruppen,  in  politifdie  unb  crottfdje. 
($S  märe  fchwer  $u  cntfdjcibcn,  auf  wel= 
eher  Seite  bcr  Schwerpunft  oon  ©ilms 
Begabung  liegt.  Ser  macbtoollc  3ngrimm 
beS  gegen  alle  g-infterlinge  mutljooll  unb  ( 
riicfüchtSloS  fämpfeuben  JHittcrS  bom 
Weifte,  wie  er  uns  3.  58.  in  ben  „3efui-- 
tcnUcbcrn"  entgegentritt,  reifet  uns  eben* 
fo  umoiberftchlich  fort,  Joie  bie  füfee  SDic*  I 
lancholie  feiner  SiebeSbicfjtuug,  bie  fdmntng* 
oollcn  Sthnthmeu  ber  monatSgcbidUc 
(Xbeobolinbe)  iid)  uns  in  ftcrj  unb  Cnr 


b  f  üb.   

fdmtcichelu.  Sie  ©lutl)  ber  Smpfinbung, 
baS  machtoolle  Pathos,  über  baS  bcr  Sieb- 
ter gebietet,  lallen  eingelne  formelle 
SDlängel  als  unmefentlid)  überfebeu.  2ttan* 
cheS  in  reinfter  Inrifdjer  Stimmung  auf' 
gehenbe  Sieb  forbert  gerabeju  gu  mufita= 
lifchcr  Snterpretation  heraus,  wie  fold>e 
3.  83.  bem  oolfSthümlid)  geworbenen 
„SUlerfcelcn"  („Stell'  auf  beu  Xifd)  bie 
buftenben  Otefebcn")  bereits  s"  X^eil  ge= 
toorbeu  ift.  ow. 

ttom  beutfdieu  Stamme,  dtoman 
bon  fterbinanb  Scbtfforn.  SreSbcn 
unb  ßcipjig,  fteinrid)  9JHnbcn. 
Sic  3uftänbe  in  Ungarn  um  bte  3*»* 
beS  legten  franjöfifdjcn  SrriegcS,  im 
fonberen  bic  ©cgenfäfcc  00m  9Jlagparenthum 
unb  Seutfdjthum,  btlbcu  bic  ©runblage, 
auf  welcher  bie  ctgentlidie  ^fabel  beS  oben 
erwähnten  SKomanB  ftdi  aufbaut.  Sin 
Heiner  Stamm  nieberfädiftfcher  ?lnftcbler 
lebt  in  SRitten  beS  gtofeeu  3JcagparcnooIfeS, 
gehafet  unb  unterbriirft  bon  ben  SJiädjtigen. 
31  IS  eblcr  Vertreter  beutfdjeu  ©tammcS 
tritt  ein  SJcann  herbor,  ben  bcr  Skrfaffer 
mit  allen  SBorjügen  beS  ©crmanenthnmS 
auSgcftattct  bat,  fowohl  in  ber  nufecren, 
fraftooaen  örfepeinung,  als  aud)  in 
Gharafter  unb  ©efinnungen.  @r  weife, 
bafe  er  nie  bie  Siebe  ber  Ungarn  erringen 
faun,  wohl  aber  ilpre  Sichtung,  unb  er 
haubelt  bemgemöfe.  2llährcnb  er  aber 
fo  auf  eigenes  SebenSglücf  berjichtet  unb 
feine  Ihatfraft  nur  2lubcrcn  wibmet,  erntet 
er  bod)  nur  Unbanf  unb  3JH&trauen.  3bm 
gegenüber  fteht  Sela,  bcr  wilbc,  ftol^c 
l'cagpareniüngling,  oon  hoher  geiftiger  93c* 
gabung,  in  beut  aber  unter  bem  berberb* 
lieben  öinfluffe  feines  ChctmS  böfc  Seiben* 
fchaften  bic  Obcrherrfd)aft  gewinnen.  @rft 
als  Sela  bte  ganjc  Nicbrigfcit  feines  2?er= 
wanbten  erfennt,  fte^t  er  wiber  2BiDen 
bezwungen,  befdiämt  bor  bcr  Öröfee  beS 
beutfehen  aJcanucS  ba.  3"  biefen  beibeu 
©eftaltcn  finb  bic  ^aubtgegenfäße  ihrer 
Ttd)  feinblid)  gegenüber  ftehenben  IWationali* 
täten  bertreten. 

Cb  biefer  ftaft  ber  berfchiebenen  JRacen 
je  fdiwinben  toirb?  Cb  bcr  3Wagpar  je 
aufhören  wirb,  int  beutfehen  9)tannc  feinen 
?Vcinb  ju  fehen?  ©rft  bic  3ufunft  fann 
cS  uns  lehren.  Scr  Hcriaffcr  glaubt,  bafe 
bie  SJebrücfcr,  wenn  auch  bieUetcht  erft  |n 
fpät,  jur  l^rlenntnift  fommen  toerbeu  unb 
bafe  baSÜWachtgebäubc  cinft  jufammenbrechen 
tnirb  unb  mufe.  Senn  „nidit  attf  baS  2Öoht 
beS  SattbmanncS  unb  Bürgers  ift  cS  ge= 
baut,  fonbern  auf  ben  SBortbeil  ber  oberen 
3chntaufenb;  nicht  burch  bic  »anbe  Per 


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Bibüograptitfdje  ttoH3en. 


iiiebe  freier  Staatsbürger  wirb  eS  gehalten, 
fonoern  burd)  bie  etfernen  klammern 
nationalen  fcaffeS  unb  nationaler  $crrfa> 
fudjt." 


Sannt»  ärdrfler.  Vornan  bon  3*>a 
BofGb.  Stuttgart,  Seutfd)e2fcrlag8* 
Slnftalt 

fceräenBfämpfe  in  alten  formen  bilben 
ben  Snbalt  biefeS  Vornan»,  fo  baß  ber 
«efer  faft  in  Sßerlegcnhdt  gerät!),  auf 
welche  ber  fämpfenben  grauen  er  fein 
3ntereffe  concentriren  fott:  ob  auf  bie  ftd) 
unoerftauben  glaubenbe  junge  ©attin,  bie 
erft  bann  jutn  SBctoufetfciu  tr)rer  fdjiefen 
Üage  gelangt,  als  ftd)  ihr  ber  Sröfter  naf)t; 
ober  auf  bie  gereifte  ftrau,  bie  als  SBittwe 
unb  ©rofegrunbbeitijcrin   ftd)   einen  fo 
fegcnSreicheu  sIBirlungSfreiä  gcfd)affen  hat, 
baß  tu  ihr  barmonifdjeS  Safein  bie  Siebe 
als  ein  Störenfrieb  tritt.   ISS  ift  aber 
auch  eine  ungcfuube  ßiebe  su  einem  letd)t* 
lebigen  jungen  SJcanne,  bem  EiebeSgetänbel 
SebenSbebürfniß  ift,  ber  mit  bem  ßetchtfinn 
ber  3ugenb  SiebeSfchwürc  mit  stoci  grauen 
auf  einmal  taufcht  unb  fclbft  nicht  recht 
weiß,  mit  welcher  bon  beiben  er  eS  ehrlich 
meint.  Sie  Herfafferin  bemüht  fid)  um 
baS  tiefere  3ntereffe  beS  ßeferS  bureh  äSor* 
fi'thrung  feelifcher  Gonflicte;   aber  mir 
tonnen  il)r  bei  ber  Sluffaffung  unb  Surch* 
fübrung  berfclben  nidit  immer  beifrimmen. 
0h  ftnben  eS  j.  50.  hödift  fouberbar,  baß 
fic  bie  beiben  (Schlechter  mic  |Wci  feinb* 
lidie  Parteien  „bis  an  bie  3ähne  bewaffnet" 
gegen  einanber  fämpfenb  barfteltt.  „(Siner* 
Iei  ob  baS  SBeib  tlüger,  beffer,  nüfctidjer, 
riditiger  auf  ihrem  ^laßc  ift,  als  ber  8B* 
tagSmann,  bem  fic  unterliegt  —  f  i  e  unter- 
liegt bloß  meil  fic  2&ib  ift,  er  fiept  bloß 
weil  er  3Jtonn  ift!"    2L*aS  auf  folcher 
SBoraudfcöung  fid)  aufbaut,  baS  muß  bin* 
fällig  fein.    SBenn  Sieg  unb  Wieberlage 
fchon  bon  boruherein  Dom  Sdjicffal  bor* 
gegeiebnet  ftnfc,  mo$u  bann  ber  nufclofc  ftampf 
gegen  ein  unabänberlidieS  2ooS?  ms. 

$er  fcelfettfteitter.    ©in  (Sang  aus 
bem  93auerntriege  bon  3ofef  2  auf  f. 
fföln,  Stlbert  Slljn. 
Qinc  langatfmtige  (Stählung  im  Stile 
ber  enblid)  bod)  abgetbanen  Söufceufdjeibcn* 
poefie.    SaS  gange  Repertoire  berfelben 
ift  nod)  ein  2Jlal  aufgewärmt  morben, 
bie  alten  abgebrausten  3)Jotbe,  bie  ttr* 
alten  Situationen,  bie  formelhaften  9tebcnS* 
arten!  Sie  (Sbaratteriftit  ift  recht  fchwad), 
itid)t  einmal  für  ben  fcaupthelben  bermag 
ber  Sichter  uns   recht  gu  erwärmen. 


SS  fe&tt  baS  btebterifche  fatter  unb  ber 
Schwung;  ber  hje  unb  ba  ocrfudjte  $umor 
ift  mäßig  unb  mirhtngSloS.  ss. 

Sperre  ber  ^rtefler.  9?ormcgifd)e 
flönigSgefd)td)te  aus  alter  3«t-  2$on 
fcenrtt  Scharling  (Nicolai).  Seutfd) 
bon  3.  äßillaöen.  »remen, 
2R.  fccinfiuS. 


(Sin  romanttfeher,  ja  märthenhaftcr 
3ug  gebt  burd?  biefe  uns  tr>aufrifd)  an* 
ntuthenbe  (hjählung  beS  bänifchen  SlutorS, 
ber  fid)  mit  jmei  trefflichen  ftamiltenge-- 
mälbcn  bortheil  haft  aud)  bei  unS  etuge* 
führt  bat.  Sie  fcblidjte  unb  babet  bod) 
feffelnbe  SarfteUung  bleibt  freilid)  ftetlen* 
weife  etwas  an  ber  Oberflädjc  ber  Singe 
haften,  fo  baß  mau  mitunter  ben  Ginbrucf 
einer  ßectüre  für  bie  reifere  3ugenb  ertjält. 
SBentger  »reite  unb  mebr  Siefe  märe  |U 
empfehlen.  ow- 


3m  »anne  ber  Ätebe.  23on 
^uöler.  »ertin,  3-  fc.Sdjorer. 
Sie  5Berfafferin  beljanbelt  in  bem  uns 
oorliegenben  Vornan  einen  bod)tragifd)eit 
ßonflict.  3n  ber  pftjdjologifdKu  2)tott= 
birung  bleibt  ftc  unS  'iDcandicS  fdjulbtg;  ne 
hat  «oar  ben  SHutb,  bie  Urtjeberin  ber  tut- 
glüdfeligen  llerljältniffc  itjrc  Scbulb  mit 
bem  Sobc  büfeen  ju  laffen,  aber  für  bte 
beiben  anbereu  Sbetheiligteu  bleiben  bte  er* 
febüttembeu  Gifahrungen  eine  ©pifobe  oljnc 
(Sinflufe  auf  ben  SluSgang  ber  <öanblung. 
(Sin  bef  riebigenber  Sdjluß  gebört  nun  31001 r  311 
ben  (5;igenfd)aften,  bie  ein  großer  Xbetl  beS 
rontanlefenbeu  ^ublicumS  in  ber  ttjm  ju= 
fagenben  2ectüre  ju  ftnben  wünfd)t;  wer 
aber  gefonnen  ift,  foldje  (Soncefftoucn  ju 
macben,  ber  foüte  nidit  ben  Slnlauf  su  einer 
Sragöbie  uebmen,  um  enblid)  ben  Sd)luH 
cineö  L'uftfpielc*  berbei  311  führen ! 

3n  ber  Sübrung  ber  ftanblung  be* 
merlen  Wir  eine  fprungbafte  .^aft,  weldje 
baS  genußreiche  »cbageu  beS  fiefcrS  beetn* 
trädnigt.  Sie  tereigniffe  wadjfcn  nicht  tn 
logifdjer  Gnttoicfelung  aus  ben  Ihatfachen 
heraus,  fonbern  fie  werben  wiüfürlid)  bon 
ber  5öerfafferiu  tjerbeigeführt.  Keffer  gc^ 
ratben  ihr  bieSchilberungen  ber&hcuKtucre. 
9htr  berjenige  ber  fomifchen  Sitten  fdietnt 
uns  ber3eid)net;  ber  polternbe  Xon,  hütter 
bem  ftd)  baS  weidjftf  fterj  berbergen  foU, 
ift  ber  iterfafferin  nicht  recht  gelungen. 

(Srin  Xalent,  wie  Dasjenige  Sara 
ßuölerS  muß  eS  ftet»  gcfaUett  laffen,  mit 
böber  gefteUten  fritifdien  2lnfpriid)en  be- 
urteilt su  werben,  als  baS  Surcfafd)ntttS= 
maß  ihrer  fd)riftfteUernben  (SoÜegiuneu,  bte 
fie  weit  überragt.  fflZ- 


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Horb  unb  Süb. 


ftaUabctt  unb  «riefe  bott  «arl 
«treibet.  2>reöben,  ^icrfon'a 
Vertag. 

saialjrfdjctnlid»  ift  bicS  Söänbd)cit  auf 
be5  Gerrit  iierfaffer«  ifoften  f)ergeftellt 
worben,  um  feinet  3>id)tcreitclfeit  ju  f  rötmen ; 
benn  fdnbedid)  totrb  ein  SBcrlcfler,  ber  uu* 
burd)  mand)e  fd)önc  $erlc  beutfdjer  ^oefie 
erfreut  f)at,  an  biefen  S3erfen  foldjeu  (Be- 
fallen gefunben  rjaben,  bafe  er  biefc 
2)id)tungen  weiteren  Streifen  nid)t  oor^ 
enthalten  31t  bürfen  glaubte.   ©leid)  ba8 


erfte  ©ebidjt  „pr  bie  2Rutter*  ift  an 
dufter  oon  ©efdjmacfloflgtcit  unb  geugr 
Don  ber  gan§  geringen  Begabung  bei 
2>id)ter8.  «erfe  wie: 

Unb  5u  iinbeft  bod,  bie  SefleY 
3mmer  Hu  bie  Straße  eilft, 
4M»  Za  an  ber  tftfe  tocilft 
'Bon  ber  stirefoe  über  Icbrajc  — 

finb  bod)  roof)(  feine  SJJoefie. 

terwaS  beffer  bc&err|dit  flarl  Streibel 
ben  $e£amcter,  obwohl  aud)  t)ier  meb> 
fadje  Unebenheiten  oorfommen  unb  bon 
einem  Xalcnt  fcineSfaHS  bie  Diebe  fein  tonn. 

  1>8- 


Eingegangene  Bücher.    Ilesprechuug  n 

Aehleitner,  C,    Weil  oa'  in  d'  Welt  tiug'n'. 

Gedichte  in  oberösterr.  Mundart.  Uambiug, 

Verlagsanstalt. 
UokIit,  Ph.,  Verbrauchte  Waffon.  Boman.  2.  Aufl. 

-  Die  Macht  der  Fedor.     2.  Aufl.  Danzig, 

C.  Hin-torff. 

<  repicnx-Jaraln.  J  ,  Die  Graphologie  und  ihre 
praktische  Anwendung.  Herausg.  von  H. 
Krauss.    Berlin,  J.  H.  Schorer. 

Farina,  S.,  Mein  Sohn.  Autoris.  Uobers.  a.  d 
Italien,  von  Duhm  und  Hoffraann.  Kngel- 
h.jrn'8  alkem.  H<>man-Bibl.  V,  21.  it.)  Stutt- 
gart, J.  EiaieUWn. 

Fischer,  K.,  Friedrich  Bunkert  in  seinom  Leben 
und  Wirken.    Trier,  H.  S'ephfinus. 

Flsrber,  0..  Salve  Regina.  Novelle.  Danzig. 
C  Hinstorff 

«•re'vllle,  II .  J..sias  Tochter.  Aus.  d.  Französ. 
▼•»n  E  Hechcr  (Engelhorn's  allgem.  Boman- 
bibl.  V.,  23)  Stuttgart,  J.  Engelhurn. 

Held,  Fr.  Ein  Fest  am  der  Bagtille.  Schauspie' 
in  2  Acten.    Berlin,  Bosonbaum  k  Harr. 

Herbst,  W,  HilMuoh  lür  dio  Deutsche  Lite- 
raturge*-\iditw.  5.  Auflage,  herausgog.  von 
Dr  11.  ZuiUrg.  [Auf  engem  Räume  vieles 
Gute  und  Treflliehe.  Giündlicher  und  vuver- 
lässiger  als  viele  anderen  Leitfaden  der 
Litoraturgeschicht» !] 

Helm»,  P.  <;.,  ]n  stillau  Winkeln.  Skizzen  und 
Stimmungsbilder.   Kiel,  Uneaeler. 

Hlnricbscn.  A.,  Das  literarische  Deutschland. 
Mit  Einleitung  \<>n  ('.  Boyer.  Berlin  und 
R<stoek,  A!bumstirtung  (C.  Dinstorf!.) 

Ibsen,  11.,  Ct<BOdta  der  Liel>e.  Comödie  in  3 
Acten.  Deutsch  von  M.  v.  Burch.  Berlin, 
S.  Fischer. 

Ilkstrirte  (beschichte  Deutschlands.  Lier.  47— BS, 

Stuttgart.  Süldoubches  Verlags-Institut. 
Klnder-Ssrtenlanbe,    Band    VII.    Na  «-12. 

Kiirnberg. 

Kaemmel,  O.,  Deutsche  Geschichte.  Heft  2-4. 
Dresden,  Hiekner, 

V,    Wir  von  der  Kavallerie!  Heitere 
und  ernste  Bilder  a.  d.  Clanenlebon.  Berlin, 
B.  Ec  ksteins  N;c>.f. 
Llngcn,  (  .   Mm-suU*.      Dichtung.  Nürnberg, 

Friedrich  Korn. 
Lle,  J.,    Der  I>it^e  und  sein  Weib.    Uebers.  von 
M    ller/feld.    iEngelhons  allgein.  Homan- 
Bibl.  V,  24. )   Stuitj-ait,  .1.  Engelhorn. 
I-orella,  («,     Zur    deutschen   Dante  -  Literatur. 

Leipzig,  B.  G.  Teubner. 
Mohr,  J.  J.  Neu  Gesammeltes.  Fr.uikfurt   a/M  , 
Mali  lau  und  Wal  Iscl.miot. 


ich  Aiisw'ühl  der  Bedaction  vurbehaltdu. 

Mflnrhener  Stadt-ZcItnnK.  Pionier  für  die  gross- 
städtische  EntwickeiunK  Münchens.  (Dieses 
gutg")leitete  Blatt  schenkt  n.  a  der  Fr?uen- 
frago  hosonlore  Aufmerksamkeit.] 

Mcerhcimb,  Ii.  v ,  V-m  Kickelh;»hn  bis  zum 
Brocken  und  KyrThllus  r.  Drei  Prologe  zum 
Weitiner  Fest    Dresden,  Fr.  Oohlmann. 

Meinhard!,  A.,  Weshalb?  Neuo  Novellen.  Braun- 
schweiit,  Ge>>rg  Wester jjann. 

Neue  literarische  Volkshcfle.  No.3:  Die  socialen 
Kämpft«    im  Spiogel    der    Poesie.  Berlin,. 

B.  Eckstoin  Naehf. 

Pogoskl,  A.,      Bussische  Teurolsgeschichten. 
L'obers.  von  Ida  Braudel. 
Brünslow. 

Polyblnllon.  Revue  bibliographique  untrere 
Juilltft  1889.    Paris,  2 et.  5  rue  St.  Simon. 

Iiiii.n  l.  L,  liediciite.  Mit  Einleituni:  von  Felix 
Dahn.    Leipzig,  Br^itkopf  Sc  Haertel. 

Kerne  de  1'  ensidgnoment  de»  lam'ues  Vivantes. 
Directeur-g<<raiit  A.  Wolfiomm,  prufesseur, 
9  rue  (.'.»simir  Pörier,  Havre. 

Rosegger,  F.  K  ,  Ausgewählte  Werke.  Mit 
«w»  Illustrationen  v..n  Greil  und  Sihnüd- 
hummer.  Lief.  49-.'.rt.    Wien,  A.  Hartleben. 

Seblosiberger,  A.  v  .  P-Htisrhe  und  militärisch» 

C.  rrospondenz  König  Friedrichs  von  Wdrtt»m- 
berg  mit  Na]>olwii  I  (18a%— 18131.  Stuttgart, 
A\ .  Kohlh  untner. 

SeJitteliertsehe-Portralleallerle.  Heft  10.  Zürich, 

Grell  Füssli  vV  Co. 
Serdel,  B.,   Dor  SchHissel  z-im  objecti\-en  Er- 
kennen.  Gegen    Kaut   uud    F.  A.  Lange. 

Hallo,  C.  K.  M.  PrVfTer. 
Tausend  und  eine  Nacht.     Mit  Illustrationen 

Liefg.  21— 2">.    Stuttgart,  Rieger. 
Tiroler  Schnadahüpfeln.     Gesammelt  und  her- 

au^uegeben      \'"R    Greinz     und  Kapferer. 

Loip/m',  A.  0.  Liebeskind. 
Trenenfcls,  E,    Fata  Morgana.  Hambur,',  Ver- 

lagsaiistnlt. 

Vaearesro,  11.,    Der  Rhapsodo  der  Dimbiivitz«. 

In 's  Deutsche  übertrafen  von  Carmen  Sylva, 

Bonn,  E.  Stmuss 
Verhandlungen  der  Gesellschaft  f.  Erdkunde  zu 

Borlin.  XVI,  No.      Berlin.  D.  Beimer. 
Welzhofer,  H.     (Ks  hichte    des  Griechischen 

Volkes  bis  zur  Zeit  Sulon?.  Gotha.  Fr.  A.Perthef. 
Wiehert,  B.  v.,    Dio  ewigen  iläthsol.  Populär- 

paUotOph.  Vortrüge.    Halle,  C.  E-  M.  Pfeffer. 
M  itte,  I.  EL,    Sinnen  und  Denken.    Halle,  C.  E. 

M.  Pfeffer. 

Wolf,  Th.  L,  Walthari  und  Gertrudis.  1  lauen, 
F.  E.  Neupert. 


Brbijirt  upter  üfrantwortlidjffit  bes  fSrraasgcbrrs. 
Drucf  unb  Cerldj.  oon  5.  SdJOttUenber  in  Sicslun. 
llnbrrfdjtijtcr  l^ni^rurf  ans  br  n  ^ntjalt  biefft  5eitfd?rift  untrrfjar.    UtbrrfeBnngsrcdjt  norbebulten. 


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KARLSBADER 

latürliche  Mineralwässer 

1889er.  Frische  Füllung.  1889«. 

 >-Zr5<&fr>  


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  1  |   1 1  ■ 

üT  Täglicher  Versand 


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Proöncte 


KARLSBADER 

Sprudel-Salz 
pulverformin, 

und 
krystalliairt. 

KARLSBADER 

Sprudel-Seife. 

KARLSBADER 
Sprudel-Pastillen. 

-+<+- 

iiil"iii|ii|li'i"iii;iiiiiM~ 


IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII 


Die  Karlsbader  Mineralwässer  und  Quellenproducte 

find  za  beziehen  durch  die 


Löbel  Schottländer,  Karlsbad  '  Böhmen 

sowie  durch 

alle  Mineralwasser-Handlungen,  Apotheken  und  Droguisten. 

berseeische  Depots  in  den  grössten  Städten  aller  Welttheüe. 


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"SECURUS  JUDICAT  ORBIS  TERRARUM. 


Apollinaris 

NATÜRLICH 
KOHLENSAURES  MINERAL-WASSER. 


Die  Füllten  gm   am  A pollinaris-Brunnen 
(Ahrthal,  Rhcin-Preussen)  betrugen 

im  Jahre  1887 

H,804r,OOO 

und  im  Jahre  1888 

12,720,000 

Flaschen  und  Krüge. 

•  _ 

THE  APOLLINARIS  COMPANY,  Limited, 

LONDON, 

UND  REMAGEN  A.  RHEIN. 

* 

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Zlovb  unb  Süb. 


(Eine  beixt^dfe  ZTT  o  n  a  t  s  f  d?  r  t  f 


herausgegeben 
von 

paul  £tnbau. 


(Einunbfünf^gjkr  Bank 

Olli  *n  portraUs  doii:  3allus  «roffe  «taftppe  DerM  anb  Cubroig  pf«u. 


55 1  t$\  a  u. 

Drucf  un&  Perlag  ©on  5.  Sdjottlaenber. 


3nfjalt  bes  5\.  23cmöes. 

<©ttoöet.  —  Jßobem&ct.  —  ®ecemöer. 

(889. 

5  fit« 

3u  nnfcrem  tMnberteinunöfünf3igfieii  £)cftc   I 

<8efammt*Kegifier  über  bie  erften  150  fjefte   V 

Portraits  ans  ben  erfien  \50  tieften   XVI 

K.  <B.  ^norefen  in  Bonn. 

Die  beutfdjcn  3mPerat'onamcn   536 

^eön?ig  Benöer  in  €tfenacfj. 

Die  erfie  beufdjc  Iteberfe&ung  oon  äiorbano  Sruno's  „Heformarion 
bes  Rimmels"   28* 

ii.  Hogalla  oon  Bieberitetn  in  Breslau. 

<Ein  3(icf  auf  bic  (gefaxte  turemburgs  unb  ber  „tnremburger".  72 

Qeinrid?  <£ljrlid}  in  Berlin. 

öiufeppe  Derbi   W 

€rnft  II,  fyt$o$  oon  Sa<fyfen=<Eoburg*<J5otr?a. 

£eo$>olb  I.,  König  ber  Belgier  

Karl  Cfjeooor  <ßaeoer£  in  Berlin. 

(Soetb^Crinnerungen  einer  ^enetifcriii   370 

Karl  (ßjellcrup  in  Pänemarf. 

<&*Dur.   (Eine  KammermuftMTooeUc  I.  II   2*5.  3<w> 

3ulius  (Sroffe  in  ^Hüncfjen. 

£iterarifdjc  HrfaAen  unb  lOirfnugen   32 

<£ouaro  r»on  fjartmann  in  Berlin. 

rt»tc  jrabirt  man  am  befteu  pb,ilofopl{ie?   50 

Hugufte  Qaufcr/ner  in  Berlin. 

ITTagbalena.   Zlorelle   I55 


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gu  unferem  {jun&ertrinunbfünf3tgften  £)efte. 


2US  baS  faattbertf»«  #eft  unfcrcr  MonatSfchrift  feinen  2öeg  antrat,  ba  hat  eine 
große  3ahl  unterer  Mitarbeiter  ihm  „warmen  3lnt^eit  flern  ueifünDct"  burd)  Beiftcuer 
Don  größeren  unb  Heineren  ftuffäfeen,  Sprüchen  in  Herfen  mtb  ^rofa,  mannigfaltigen 
groben  ber  fünftlerifchen  unb  literartfcheit  (Sigcnart;  unb  Diele  unter  tönen  gaben  ber 
3citfd)rift  bamalS  ihre  freunblichen  5lnerfennungen,  ©rmuthigungen,  2Bünfd)e,  Mahnungen 
mit  auf  bie  fernere  ßaufbahn. 

SEBenn  mir  nun  jefct,  in  bem  Monate,  wo  ein  falbes  jpunbert  üon  Sßänben, 
wo  bretmal  fünf 31g  unfercr  Monatshefte  bem  beutfd>en  publicum  äugegangen  ftnb, 
auch  nicht  in  gleicher  iöcife  ben  gaujen  ftreiS  unferer  üerebjten  Mitarbeiter,  bon  beffen 
fernerer  (Srmeiterung  baS  reichhaltige  ©efammtregtfter  an  ber  Spiee  biefcS  £cfteS 
Sluubc  giebt,  um  ihre  actiüc  Mitmirfung  angefproeben  höben,  fo  fd)eint  eS  bodj  biefem 
im  Ücben  einer  3eitfchriit  bebeutungSOotten  Momente  angemeffen  jeyt  im  iJiücfblicf 
auf  ben  Inhalt  ber  ftattlicben  fünfäig  SBänbe  unferen  alten  unb  unferen  neu  biuju» 
tretenben  Sefem  in  fdiliditeu  Korten  ju  fagen,  maS  mir  mit  ftiilfe  biefer  unfcrcr  Mit* 
arbeiter  auf  ben  ocrfd)tebenen  ©ebieten  ber  frfjriftftellerifchen  Jljätigfeit  in  „üflorö  unb 
2 üb"  gemoHt  unb  erftrebt  haben,  maS  mir  jum  Xtjeilc  mcnigftcnS  gelciftct  unb  erreicht 
3U  haben  glauben,  maö  mir  für  bie  ^otgegeit  ferner  31t  leiften  hoffen  uul>  münfd)cn. 

£ic  ttotoede  mit  ihren  ©enoffinnen:  (Stählung,  Cbarafterbilb,  Sftäje  ift  ein  • 
&ieblingSfinb  ber  mobernen  $iditfunft  in  Seutfcblanb  gemorben  —  Tic  hat  auch 
bei  uns  in  befonberS  heroorragenbem  Maße  Pflege  gefnnben.  2.UcHcid>t  bürfen  mir 
fagen,  baß  unfere  3"tfchrift  an  bem  Sluffdmntnge  biefer  in  unferem  Blatter  befonberS 
reidi  unb  mannigfach  entfalteten  ?lrt  ber  erääblenben  $id)tung  ihren  Slntfjeü  unb  einige» 
SUerbienft  in  2Infr»ruJ)  nehmen  barf. 

Sehr  berfdjiebene  Dichtungen  freilich,  fehr  Pcrfdnebene  3d)aupläfce  unb  SebmSfreife, 
fehr  öerfchiebene  Stüarten  ftnb  in  ben  ^rofaersählungen  Dcrtretcit,  boten  mir  mit 
Jyreuben  in  „9torb  unb  @üb"  Aufnahme  gewährten,  bie  mir  jum  XI>cit  burch  mtiere 
birecten  unb  nicht  immer  befchetbenen  bitten  ben  üerehrten  greunben  unb  Srcunbinneu 
unfcreS  SöratteS  abgemonnen  haben.  Xa  folgt  auf  eine  „berliner  9?ot>cHe-  ein  Gebens* 
bilb  aus  Sübbcutidifanb  ober  ben  Säubern  beS  halbflamifcbcn  SüboftcnS;  ba  flehen 
neben  (Stählungen  mit  reich  geglteberter,  maffig  fortfehrcitenber  §anblung  anbere,  in 
beuen  bie  pfndjologifdtc  ©rfaffuug  merfmürbiger  Gharaftere  ben  föauptrei}  für  ben  Slutor 
ausmachte  unb  für  unfere  Eefer  anSmadjett  muß;  ba  mtrb  bie  in  ^coneflenform  fiiitftCer tf.f> 


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  §u  unfecem  fjunberteinunbf  ünfatgfien  fjcf  te.    Iii- 

gefd)rieben  toaren.  SBir  Ijaben  meber  im  ©anjen  nod)  auf  einzelnen  ©ebieten  eine 
foftematifd)  abgefdtfoffenc  äu&ere  Sollftänbigfeit  erfteebt;  mir  Ijaben  —  bismcilen 
mit  Iteberminbung  —  barauf  berjicfjtet,  regelmäßige  »eridjte  über  bie  gfortfrf)titte 
auf  einzelnen  3-elbern  ber  3Btffcnfd)aft  ober  übet  baS  literartfdje,  miffenfdjaftlicfa, 
tMtlerifdje  geben  beftimmtet  ßänber,  SBÖlfcr  ober  ©rofeftabte  ju  bringen  —  eben  meil 
toir  un8  unb  unfere  2efer  nid)t  an  bie  ftcffel  binben  moflten,  meldje  bie  ftete  9iücffid)t 
auf  eine  foldje  söoflftänbigfcit  unb  Sftegelmäfeigfeit  eiforbert  Ijaben  mürbe.  2lber  bei 
aller  3rreif)eit  ber  2lu8mat>l  auf  ben  oerfdjiebenften  ©ebieten  beS  menfd)lid)cn  3Biffcn8, 
©trebenS  unb  ftönnenS,  bie  mir  uns  gematteten,  bei  affem  Ofteimut&c  ber  9Jfeinung8« 
äufeerung,  ben  toir  oou  nnferen  Mitarbeitern  ermarteten,  mirb  mof)l  3eber,  ber 
eine  längere  Steide  unferer  £efte  überblicft,  fittben,  bafe  faum  irgenb  ein  ©ebiet  be8 
geiftigen  geben«  unberücffidjtigt  geblieben  ift,  unb  bafe  auef)  fein  einjcCneS  §eft  ba8 
Streben  nad)  Manntgfaltigfeit  unb  anregenbem  3ntereffe  bermiffen  läfet. 

2llte,  neue  unb  neuefte  ©efd)id)te,  mit  ($infd)lu&  ber  Gut  tu  r=  unb  ber  2ite* 
raturgefd)id)te  ift  in  (Sinjelbarfteffungcn  reid)lid)  berücffidjtigt  morben.  2>cr  mobernen 
(Sntmicfelung  berSBaufunft  unb  $laftif,  ber  Malerei  unb  Muftf  fmb  mir  mit 
2#eilnaf)mc  gefolgt;  intereffante  fragen  au8  ber  Spradjmiffenfdjaf t  unb  ber 
Wlofop&ie,  au«  ber  9ted)t8f  unbe,  ber  S3olt8mirtf)fd)aft8lef)re  unb  ber 
2$ölterpft)d)ologie  ftnb  unferen  2efern  üon  berufenen  gadjmänncrn  unb  Sdjrift* 
ftettern  nalje  gebraut  morben.  2luf  lebenbige,  oon  beutfdjen  Steif euben  aus  eigener  2ln= 
fdjauung  gcfdjöpfte  2)arfteIIungen  beS  2ebenB  frember  Holter  unb  Sauber  fjatunfere 
3eitf4jrift  fietS  befonberen  Serif)  gelegt,  ©ern  Ijätteu  mir  häufiger  naturmiffen* 
fdjaftlicrje  (£ffap8  gebraut,  menn  e8  nidjt  gerabe  auf  biefem  ©ebiete  fo  fdjtoer  fiele, 
Tutoren  au  gewinnen,  bie  mit  poller  Sadjtunbe  bie  ftäfugfcit  unb  bie  2uft  gu 
Perftänblidjer,  in  gutem  Sinne  populärer  $arfrettung  berbinben. 

©8  ift  für  eine  MonatSfdjrift  »egeu  ber  längeren  ftrift,  in  ber  bie  einzelnen 
$e?te  fjergefteUt  unb  oorbereitet  merben  muffen,  nidjt  leidjt,  Erörterungen  foldjer 
^fragen  §u  bringen,  bie  gerabe  in  bembeftimmten  Moment  beS(Srfd)einen8  bcr3cits 
fdjrift  tum  befonberem,  „actueffem"  3utcreffe  finb.  SBcnn  mir  aud)  in  biefer  9?ejie^ung 
mit  ber  XageSpreffe  uirfjt  Stritt  galten  tonnen  o)er  wollen,  unb  toenn  mir  aud)  bie 
Erörterung  rein  polttifdjer  unb  fird)tid)-religtöfer  fragen  grunbfätjlid)  auSfdjloffen,  fo 
war  e8  un8  bod)  ljäuru  möglid),  einzelne  baS  befonbere  3"tereffe  gerabe  unferer  3cit 
unb  unfereS  SBaterlanbeS  in  Slnfpruij  nefnnenbe  2trtifct  über  bebeutungsoolle  (Sreigniffe 
ber3citgefd)id)te,  über  SilbungSfragen,  über  fünftlerifdK,  literarifefa,  juriftifd)e  Reformen, 
über  gubüäen  unb  ftefrüerfammluugen  redjtscitig  au8  fadjtunbiger  Sebcr  ju  erhalten  unb 
jum  2lbbru<f  ju  bringen. 

3n  ben  ^ilbttiffen  l)eroorragenber  3eitflcnoffen,  meldje  regelmäßig  bie  einzelnen 
J&efte  bon  M9lorb  unb  3 üb"  fdjmürfen  —  eine  eigcntbümlicfje  Q;inrid)tung  unferer 
2Jtonat8fd)rift  —  fud)teu  mir  ftet8  burd)  fdjarfe  sJluffaffuitg  ber  3«bioibualität  unb 
fümtlerifdje  8tu8fübrung  ein  mirflid)  treues  ÜbilD  ber  ^erfönUdjteit  ju  geben  unb 
basfelbe  jugleid)  burd)  biograpfjifcbe  35arftedungen  Pon  berufenden  unb  gefdjicfteften 
^änben  gu  ergänzen.  93ei  @i)riftftettcru  mar  e8  uns  oft  oergönnt,  bem  23ilbnifj  unb 
ber  (Stjaratteriftif  aud)  nod)  eigene  literarifdje  ©aben  beS  ©efeierten  beijufi'tgcn,  fo  baß 
„ftorb  unb  Süb"  nod)  in  ben  2lugeu  einer  fernen  3ufunft  jitgleid)  als  ^ortraitgatterie 
unb  als  «pred)faal  für  eine  grofee  31njabl  bebeutenber  «PerfÖnIid)teitcn  unferer  3cit 
erfdjeinen  bürfte. 

«iterarif^e  Äritif  ift  in  beutfdjeu  3cttfd)riften  su  äffen  Seiten  geübt  morben; 


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Aber 

fcte  erft  en  \50  fjefte  (50  3ärrte)  £>er  beutfdjen  IHonatsfcfyrift 

„Horb  unb  Süö"- 


«bei  C«tl  in  Berlin.  2pra  be  unb  «egnptifcbe 
Spraidbe.  veft  37. 

—  Ueber  bie  Unterfcbeibung  ftnnnertoanbter  äöörter. 

V<ft  72. 

—  6nflli|d»e»  3eitung»beutfdt.   $«ft  100. 
tieften*.  Xb,e>m«#  in    Temen,    «bot*  Baftian. 

i»cft  149.    RU  bem  Portrait  Baftian'». 

—  SBilbelm  2Bunbt.  veft  1». 

«Met,  «kor«  in  *rt»(au.   Sie  fiebren  ber  5Mnar= 

djtftciu   v<ft  96. 
Wlbteent,  veinridi  in  Berlin.   Sßaut  Boerner. 

veft  104.  aJht  beut  Portrait  $aul  Boenter"». 

—  Da*  bDnamo=eleftrii,t:e  Brincip  in  feiner  bngienW 

feben  unb  cultureden  Bebeutung,  -€>rft  120 

—  Ute*  unb  iReue»  über  ben  vonnoti»mu».  Or-'i  136 
«Uan,  «eorae  in  Bufareft.  iRumanifcbe  Gkfell« 

fdjaft.   Scenen  aa»  Buforeit.   .freft  41. 

—  HJlargoretbe.  Sonette.   .$e*t  98. 

UQcicricr,  Jullu»  in  <Dcnrtd>eit.  Betrauungen 
über  bilbenbe  Punit   fceft  52.  53. 

—  Hu*  «nfelm  3«"rbad>»  üeben.  ©eft  127. 12*.  129. 
«Itftais«,  i*ti*»rtdi  in  Sonbon.   fferbinanb  ®re« 

goroniu».  Ein  Ueben»bilo.  veft  09.  <Dlit  beut 
Portrait  non  (Sregorootu». 

—  (Jcrinnerungtn  an  ütottfrieb  ÄinTel.  v«ft  71.  73. 

—  Der  »abre  ßorb  Btjroit.   fiefi  SL. 

—  Dboma»  Gorlnle.  Ein  öebenibilb.  £>e»t  121. 
Sinti) ittor,  Wcr/jarö,  ».  in  Botabaut.   Ein  bober 

Ödjulmeifter.  .<ö«ft  110. 
«ii>t«,  «.  in  Weapel   Ein  dbriftul.  erjäbiung. 
Veft  116. 

fliibxcfeit,  Statt  MuH«»  in  Bonn.  Ueber  bie 
Wanten  unb  bie  Wamengebungbcr  alten  Deutfdjen. 
Jpeft  123. 

«nncnfoiv,  S9.  in  Berlin.  (Sin  fed)*idbriger 
Bnettoecnfel  mit  3roan  S.  Durgenietn.  Ueber» 
fefct  non  «.  «rebft  in  B«er*burg.  f>e»'t  10«. 

«niftiü ruber,  t'uMinfl  in  BJien.  Sur  Bfncfco* 
logte  ber  Bauern:  2Bie  ber  v»ber  ungldbig 

—  D^öttSrfegene  Jacob.    v<ft  5.   Mit  bent 

Portrait  »njengruber*. 

—  Die  fromme  itatbrin'.  v<ft  10. 

—  Dos  6ünefjnb.   veft  17. 

—  Sein  Spielzeug.  #ct  30. 

—  Der  Einfam'.  Erjabluug.  vrtt  60. 

—  Hin  böfer  Waft.   ffikibna#t»märcben.    §eft  69. 

—  Da*  Eberäutlein.  .tieft  78. 

«rminifi,  3.  in  Effegg.  Bon  ben  ffikgen  be» 
ifeben*.  Qcfl  12«. 


«itetbaA,  Bettt)«!»  in  Berlin.  Der  eofm  be* 
sfdtbdjen  oor.  ^eilbronn.  Erjäbjung.  v«ft  14. 
SMt  beut  Portrait  «uerbad*. 

—  Jerbinanb  «Iba  nnb  Glarcnen.    Eine  Briiffeler 

Erinnerung.   veft  52. 

—  Briefe  an  2l*ilbelm  SJofffobu.  veft  125.  126. 
Huer  buch,  ftelit  in  Breslau,  vermann  ^elmbolQ 

unb  bie  tnitfeafdjaftlidjen  Wrunbtagen  beriJiufif. 
\>c't  56.  Tin  bem  Portrait  oon  .^elmbolQ. 

—  Unfiditbare  (Gebirge.  $<ft  85. 

—  Die  tfntroicfelung  ber  beittfdien  UntberfitSten. 

Mi  104.  105. 

«uflict,  Cfmile   in  ^axxt.  Fragment.  $eft  25. 

Iiaa*.  3.  X>crm.  in  £)orm*.  2ftaiam  vorne» 
ber  Begrünber  ber  neuen  iübnfiologie  unb  ibrer 
IFietbobe.  im  tftdtfe  ber  Qulturgefd)id)te.  v«f<  37. 

—  Ueber  bie  Wrenjen  be»  ärjtlicben  (Srfemien*. 

Vcft  54. 

—  Ueber   bie   Wremen   bei   ärjtlicben  Dörmen». 

£>eft  72. 

—  Die  Brille.   .Oeft  85. 

'Bat di tolo.  3afnb  in  3ftricfc.   Hu»  veiurieb  Scut' 

bolb»  Wadilaij.  ve't  39. 
iWaroti,  3.  in  Berlin.    (Memeintoirtl)fd)aft  unb 

*|Jrinatn)irtbfcbaft.  v<ft  b. 

—  Der  WormalarbeitÄtag.  &t*t  15. 

-Die  neuen  tHeidtfjuftijgefe&e.  3«nt  1.  Dctober 
1879.    veft  30. 

—  Die  Jraurn  im  römifeben  9led)t.   v'ft  112. 
'Bartfef),  «Tarl  in  £etbelberg.  Soft'  Bictor  oon 

edteffel.  veft  16.  Ü)fit  bem  Portrait  non 
edieffel». 

—  Jtolieitifdje«  3rauenleben  im  Seitalter  Dante*. 

veft  3/t. 

—  Da»  altfranjäflfdje  BolfWieb.  veH  62. 

—  (Vifriebe,   (frjablung.  vrft  80. 

—  3ean  Boul  in  veibelberg.  &t:t  97. 

iBart),  «f.  nc  in  Strasburg.   Ueber  bie  Bebeutung 

ber  Blumen,  veft  13. 
önfdl,  «.  »Ott  in  Wien.   Da»  üllefcn  be»  «rei;. 

lanf«.  &H  45. 
»aurtnfclb,  OF».  in  2Sien.    Qorrefponbenj  mit 

Wnafiaftu»  (Mrim.   Erinnerungen.  4>e*t  6. 

—  SWorM  Sditoinb  jum  tMebädUnifj.   veft  9. 

—  Sabme  Xenien.  v«ft  143.   ÜJltt  bem  Portrait 

Bauermelb'«. 

ftaumbaet],  IHubolf  in  Trieft.   Weite  Diditungen. 

fctft  74.   -"i:t  bem  Portrait  Baumbaa>'*. 
Baut,  9.  in  üeipjig.   Der  Eifas  ol»  eine  Pflege« 

flätte  bentfeben  xJcbeit»  unb  beutfebtr  ökfinnung. 

Veft  16. 


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VI 


Baur,  9>.  in  £«ipjtg.  Xie  Saljburger  (hnigronten. 
Wn  Reibens  unb  2eben»bilb  au«  ber  <t>an8<lifd)(n 
Xiafpora,  jugletd)  ein  3«"6"*B  für  bu  Ittrcrtn- 
politif  ber  ©obenjollern.  ©eft  26. 

Wtd,  Harl  in  28itn.  Erinnerungen  an  Äleronb« 
Sfietöft  (18461  ©ift  25. 

Benber,  £ebtt>ig  in  flifenaeb.  ©iorbeno  »runo. 
©tft  146. 

Berger,  «trnolb  9.  in  »onn.  »SSertber",  »'Souf'" 
unb  bte  Anfänge  bei  „SBilbelm  SJUift«-. 
©tft  141. 

Bttnhöft,  9r«m  in  SRoftoct.  Ucber  bie  Stellung 

b<r  grauen  im  Stltertbt'm.  J£»tft  89 
BitPtrftcitt,  Woflolla  x>tn,  V.  in  »rc*latt.  Xie 

ftraugifdjtn  »erbaltniffe  Xeutfeblanb»  «u&lanb 

gegenüber,   ©eft  142.  143. 
»itberm<»mi,«crl  in  £cipiig.  3"r  (htttPtdYlmtg«; 

gtfcbtdjtt  ber  OSottbe'fcben  ftauftbicMung.  Jccft  8. 

—  Scfflna  in  Ihtglanb.  ©tft  18. 

—  »u»  €>tinridi  Pon  ftltiit*  Üeben»«  unb  8it6e*. 

gefdridjte.  Ungebrucfte  »rieft  be*  XidjlerS. 
©eft  65.  66.  67. 

—  Xie  Hatur  all  0»egenftanb  poctifeficr  Gmpfmbung 

unb  Xarfteflung.   ©eft  76. 

—  Ort«  Sturf  Scben»*  unb  3<><fltf*i*te.   ©eft  86. 

3Jlit  bem  Portrait  »iebermann». 

—  3ur  ßiteratur  be*  biutfdv-franjbTtitforn  ttriege». 
©eft  120. 

Btgot,  tMiariee  in  Sßari*.  3ule»@repn.  ©eft  108. 

l'Jit  bem  Portrait  (Mrept;'*. 
Björttfow,  tMörnfMema.    Staub.  Erjählung. 

SMu»  beut  9!on»egifd)en  mit  (^rlaubnife  be»  »er* 

faffer*  iiberfc^t  eon  Helene  Sd)rbt<r.  ©eit  69. 
Blumtier,  jöwflo  in  äürtdi.   Ucbtr  Xraoeftie  unb 

SJJarobie  in  ber  Uaffifcbeu  ßiteratur.  ©eft  67. 
BobenftcM,  arittri«  in  SSie»baben.  Prolog. 

—  3JMchelangtlo  unb   »ittoria  Col  onno  in  ihren 

fltttabfdjaftßdmi  »ejicbungen.  ©eft  100. 

—  AUut§  yebm".  ©et  lfö. 

—  Xit  beiligtn  Statten  in  ihrer  »ebeutung  für 

SHufjlanb.  ©eft  117.  Wil  bem  Portrait  »oben= 
ftebt'*. 

—  Safuntala.  ©eft  127. 

Bohlau,   ©tWiie   in  SSelmar.  ©erjen»tt>aljn. 

iflopette.  ©eft  S8.  89. 
BoiosMenmtn»,       tut  in  »erlin.    lieber  ra* 

i'lationolgenibl.  "Jlebe  utr  <Mcburt»tag»feier  be» 

Maifer*  in  ber  Mfabemie  ber  fiLMfienfdiaften  ju 

»erlin  om  2s.  SJlärj  1878  gehalten,  ©eft  15. 
BölfdV,  ÖMlhtlm  in  »erlin.   lelepatbje.  Xa» 

ÜHärcben  pou  einer  neuen  2t<ifftnfcraft.  ©tft  137. 
Boerner,  'Haut  in  »erlin.   :Hubol?  »irdiom  bis 

jur  »tnmtng  na*  SSJürjburg.  ©tit  61.  3Jlit 

bem  Portrait  »ird;otD*. 

—  griebridi  Ibeobor  pon  V^reridi».  Jöert  66. 
JBocttiditr,  «bolf  in  »erltn.    Ite  etabt  be* 

lantalo*.   «^eft  49. 

—  Xie  ueueften   «usgraburtflen   ber  (Mrieebifcben 

ardiaologifdien  ®efellfd?oft.   ^eft  67. 

—  Tie  Slu»grabungen  ber  &ranjofen  auf  lelo«. 

«eft  93. 

^or,;caut>,  öf).  in  »erltn.  Wne  SWonbnadit.  Wobelle. 
©eft  132. 

Sormann,  Voller  in  !DIünd)en.  ©ermann  ^ittgg. 
veft  124.   W\t  bem  Portrait  Singg'«. 

—  Slbamantio»  Worai»  eis  3euge  ber  franjoftidifn 

!H«t»oIution.   ftin  2+Iatt  ber  »ortrinnerung  jur 
buiibertiäbritien  23ieberfeljr  be»  SRebolution*» 
9    tage*.  f>cft  145. 

5Bnii=^&,  3bd  invitbeel  Sein  S'ditiler.  JioöeHe. 
veft  109.   Tlit  bem  Portrait  i'ingg'S. 

—  Sturm.  Hobelte,  ©eft  137. 

Bradiooael,  Ubo  in  Cmabo.  »ret  ©artt.  ©eft  44. 
sJJht  bem  Portrait  itfret  ©orte'*. 

—  Coriediun.  \xft93.  5Jlit  bem  Portrait  con6d5Urj. 
»roftm,  Cito  in  »erlin.   ediiHer  auf  berStutt* 

garter  ahlitärafabenue.   ©eft  133. 

Seotfl  in  «openbagen.  ©enrif  ^b\tn. 
.  «DIU  bem  Portrait  3bfen'». 


©eft  SO. 


»tünlti,  9ectQ  in  fiopeubogen.  Scbccf  ven 
etaffelbt,  ein  beutfd^bänifdjtr  WdAtr.  ©eft  111 
114.   aJJit  bem  Portrait  pon  »ronbe». 

!Brourt,f.  Cberft  j.  SD,  in  »erlin.  $0»  «eben  üob 
öol;n  CampbeU,  üorb  Clpbe.   ©eft  53. 

—  »Uber  au»  ^nbien.  L  ©r*t  60. 

—  »über  au*  ^nbien.  II.   ©eft  67. 

»tanof,  9t.  ».  m  spefing.  eprodj«  unb  eebrift 

ber  t5bii"fen.  ©eft  78. 
etaun:»!«»«!«»!«.  «atl  in  geipjig.   Pine  un* 

finbbore  *'rtie  5Rcid*ftabt.  Cuiturfltfd)i<ttHd)e 

eftlic    £eü  20. 

—  92ur  (in  Gcbneiber.    »ilber  au*    ber  ätein* 

ftoatereu  ©eft  31.  32.  33. 

—  2L!eItrolüif  unb  Mleinftoaterei  1660.  ©e  t  67. 

a)Ut  bem  Portrait  »raun**. 
2i!cr  bat  ba»  {pumer  erfunben?   <5ii  *  culturge» 
fdjiehtlicbe  lUaUberei.  ©eft  76. 

—  Hurotf  Pon  3berinc.  ©eft  t>7.  9Kit  btm  SPortroit 

üon  ^bering'*. 

—  la»  Attentat  auf  bem  Siiebeitpalb.  ©eft  &7. 

—  9<etfeeinbrü(fc  au*  »oznien  unb  ber  ©erjegotttna. 

©eft  105. 

—  ffbuarb   Cimfon.    111.    3J!it    bem  Portrait 

€imfon'*. 

—  Un'diulbifl  ocrurtbctlt.    Wne  (Sriminalgefd  id)te 

au*  bem  fiebjebntm  3öbrbunbert.  ©eft  114. 
Brehm,  «.  9.  in  »erim.    23ilbpferbe  in  btn 

afiotifdjen  Steppen,  ©eft  6.(  >j 
Bteitinaer,  ^.  in  3nridj.   Sie  entmicfelung  be« 

9(eali*mu»  in  ber  hanjöfif(b«n  Xid)tung  be* 

neunjebnten  ^lobrbunbert*.   ©eh  ». 

—  Xer  biutige  Woman  Italien*,  ©eft  60. 

Bret  *axtt  in  >.m  !.jrr.  Xer  SDiann  oon  Solono. 

itmeritanifdie  6ti^e.  (.llcbert ragen  con  Ubo 

»ratbPogeD  ©eft  t 
»tuet,  «n(»n  Ih.eobal»  in  Canabrücf.  Xa» 

Älter,   ©(ft  61. 

—  i'adien  unb  Steinen,  ©eft  77. 

—  Xie  etiguiattfirten.  ©eft  88. 

Brütfner,  «Ufaitier  in  Xorpat.  3ur  Hotur« 
gefdjicbte  ber  ißrätenbenten.  ©eft  44. 

—  3ofef  II.  in  {Rufelanb  f.  3.  1780.  ©eft  77.  78. 

—  Xie  (Vefd)id:te  Der  XobeSftrafe.  ©eft  119. 

—  Xer  Sortfdmtt  in  ber  0»efetid)tt.  ©eft  99. 

—  Xie  Öeidndjte  ber  Meinungen  übte  bie  Xobe** 

ftrafe.  ©eft  123. 

—  3"r  Gbaratterifttf  be»  ffoifer*  $aul.  Urtbeile 

Pon  3eitötnoflcn,  in  ben  «ettn  bt»  28oronio»» 

fdjen  «retip».   ©eft  144. 
BiMfeer,  Bruno  in  äBirn.  3"r  ^oputoririruna 

ber  «unft.  ©e<t  10. 
Buitiner,  viax  in  äJJüntbfn.  3){ttomorpl>oftn  be* 

übriftentbum»  bei  ben  Siegern,  ©tft  139. 
Bult  hautot,  x>citif  d)  in  »rtmen.  (Vartmib. 

Hopelle,   ©eft  122. 
Bunfttt,  IRnrie  0.  in  »erlitt.    lieft  Slntbtn. 

©e't  »7.  ' 
Bürger,  üueian  in  «Itona.   Xtmitri.  S?ooeflc. 

©fft  119. 

Buftl»,  fj.  in  »onn.   Xer  ftufe  unb  feine  »c 

lltlbung.  ©eft  25. 
Conlor,  IMrrirj  in  ©eibelbtrg.  Cir  3foac  Newton, 
©eft  46.  47. 

—  8luö  Untotrütatlfrcifm.  ©fft  Bt 

—  »ier  berttbmte  «ftrologen.  ©eft  133. 
Oorricrc,  Worih  in  SWündjtn.    ®ei"d;m<t(f  unb 

Öeteiffen.   ©eft  4. 

—  Xer  Untcrfcbicb  bc*  plaftifeben  unb  molerifcten 

Stil*.  ©e*t  9.   SKit  bem  VortrcU  CarTicre*. 

—  3obanne* ©über,  ©tft  27.31'Ht  btm  Portrait  ©über*. 

—  aßetbfettejitbunge::  beutfdier  unb  italienifcter 

ftunft.  ©eft  48. 

—  öolberon*  Jlrjt  feiner  ffbrt  unb  ©baftfptarei 

Clbetto.  ©eft  50. 

—  »ettino  Pon  «mim.  ©eft  116. 
Saffff«  B«ulu#  in  »erltn.  Xie 

SdUeier».  ©eft  121. 


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3n^altsoe 


«Um,  2Ben  trifft  bie  6tfutt>?  flobelle. 
JEveft  12«.  12». 

«op9<<.  frrancoi*.  Clioier.  MoPelle  in  Serfen. 
3m  "Bertmaftf  be»  Original»  ilbcrfcQt  oon 
Solf  fflra'tn  Waubiffin.  £eft  32. 

—  dm  löeaterfinb.    llebcrfe^t  pon  B<rbinanb 

.friller.   Oe*t  69. 

—  (*ine  3öoUe  rodbrenb  ber  Belagerung.  Wooelle. 

•Öeft  14'».  150. 
ttorvui.  SR.  in  l'eibjiß.   In  omnibus  Charitas 
Ulooette.   fctft  64.  65. 

—  Ter  ^Jrcfcffor.   Lobelie.   .$eft  93. 

—  Toctor  l'omnifc.  WopeÜe.   $>e»t  133.. 
«urttue.   9mH   in    Berlin.   ©rieduicbe  ?lu** 

grabungen.    1876-1877.   4>cft  L 

—  Jluguft  iPörfn.  veft  in«. 

»•Uli,  ftelfr  in  »re»lau.  ©ebicbt  |U  tintm  iBilbe 
«aifer  ©ilbelm».  veft  49.  9Jtit  bem  «Portrait 
rtotfer  Söilbelm*  I. 

—  Briebricb  SRürfcrt  (mit  ltngebrucftrn  »rufen  unb 

Ükrf.  be»  TicMer*.)     61.  Sttit  b.  iportait  Xabn*. 

—  Ter  Streit  um  bie  Jtronr.   »aHabe.   £>m  56. 

—  Wacfiruf  an  iNidiarb  SJagner.   £>eft  73. 

—  Com  armen  £d*lein.   »allabe.  £tt»t  76. 

—  Ueber  yubtpig  Steub.         78.  Mit  b.  Portrait 

Steub». 

—  3ung.-»i»manf.  ©ebicbt.  ftett  97. 

—  »n  Rarmtn  S'oloa.   £>cft  140. 
*«nile»»fij,  S.       in  et.  Betertburq.  Wein« 

Babrt  naeti  3aB"aja  Boiiana,  btm  ©utt  bt» 
«ratai  £'.  ».  Zolftoj.   veft  125.    SDltt  bfm 
Portrait  Tolftoi'». 
Ttd)tnt>,  £«n#   in   SRarburq.     (*in  bopptlttr 
BriebenSfcfelUB  92apoleon«  I.   fteit  98. 

—  Gin  ^raniofifcne*  fNäntefpitr  in  Zeutfdlanb  jur 

3eit  ?topoleon*  I.   £>eft  117. 
Tflifjcti,  $rani  in  2ci><§ig.    ©CT  Talmub  unb  bie 

Sorben,   veft  14. 
Temntiit,    Vuauft   in   2öie»bobcii.  Sammler, 

Sammeln  unb  Sammlungen.  £>t»"t  28. 
Xetnur,  W.  in  3ena.    lieber  infectenfreffenbe 

Uflanjen.   £>eft  106. 
lUli,  Vernimm  in  »erlitt,   «mite  fceilnmnber. 

£>eft  130. 

Till infl,  £ar*  f.  Te»  Tacbbecfer*  Butter.  See* 

(dnber  3tu$e.  £>ert  133. 
f  ito  trnb  3*«m  (Adntain  CHifabett)  unb  flfraw 

2Wite  «  rcmnihj  in  »ufareft.      toar  ein  3"« 

tbum-   MooelXe.   veft  113. 
lohnt,  <?rnu  in  .Perlin.   Braflmtnt.   Hu»  einem 

unooUenbfttn  t'uftfpiel  (*mile  ttugier»  (lieber« 

fe«ung.)  .fceft.  25.  3Jht  btm  Portrait  «ugier». 
Tohn»,  £cbtt>ig  in  Berlin.    Brau  Xamibäufer. 

Wne  Steifenopelle.  £>eft  124. 

—  Cb  Schein  ob  äöefat?  *JJoöeUe.   £th  145. 
ItHK,  *.  in  «re»lau.  (MuftaD  Bremaq.  Jöeft  29. 

l>?tt  bem  Portrait  Bremaß«. 
Tractimauii.  *oU\cr  in  Xäntmarf.   Sier  SReer* 

Iteöer.  148. 
Tubec.  ^iiliu«  in  Ire»ben.  Ter  Pauernjjf)iIofopf) 

ifonreb  I>tnbler.  .Oeft  117. 
Tulj«,  flf.  tonn  in  fceibelbera.   lieber  bie  «nfänfte 

ber  «nitftnfommlunßen  in  Stalten.  $eh  45. 
Xulin.  J.  von  In  xxiöelbir,}.  lieber  bie  iBanb« 

öeforatiouen  eine*  römtt'ditn  Oaufe«  im  öarten 

ber  Barndina.   Ceft  77. 
»ber«,  Ktot«  in  £eip?ie.  «liitteration  unb  «eim 

im  Sllta&tiptifdien.   veft  1. 

—  2Kein  fflrab  in  Ibeben.    ve»'t  10.    3Rit  btm 

Portrait  oon  l*btr5. 

—  Ta»  «Ite  in  Mairo  unb  In  btr  arabifeben  Gultur 

feiner  i'eroobner.   üxH  74.  75. 

—  Tie  Brtiltaunfl  be*  Xemocl*  t>on  fcuqfor,  mit 

einem  äSorte  über  bie  ©erfcbleppunj  ber  Cbe« 

litten   unt»    ihre   ÄuffttUuug    in  moberntn 

Stdbten.   sxft  100. 
« berl»,  JMHt  Gl  *re«lau.  la»  Wefe 0  im  Ceben.  £\47. 
•bfjrrnstf'fflcr,  H.  DI),  in  Stodliolm.  XaSÄinb. 

'Jloottte.  »uj  bem  Schwcbifcben  übtrftet.  $tH  143. 


3  e  t  et?  n  t  jg. 


•bhr,  Statl  9ttm.  in  SBitn.  Wne  öloefnerfobrt. 

9iooelle.  f»cft  20. 
Cfhrüfl»,  *tinrtth  ui  Berlin,  «nton  «ubini'tein. 
#eit  26.  mi  btm  Portrait  iHubinfteini. 

—  Sölaildnber  ivhnnerungen  au»  btm  Sommer  1861. 

—  XiT berliner  SRuftt  =  Saifon  1881/1882.  9iücf* 

blitft.   vt^t  60. 

—  flobannt»  iPrabut*.  $tH  62.  «Kit  btm  Portrait 

Brahma. 

—  (Jbarle»  (Mounob.  .^eft  102. 

—  «oben  Srai'i-         112.  3Rit  bem  Portrait 

Branj'. 

—  Tie  ^nttpicfelunfl  ber  oramatifdjen  2Ruf»f  in 

Italien.   £eft  126. 

—  Clara  Sctjutnann.  4>eft  128.  SDiit  bem  Portrait 

Sdjumann'*. 

—  Jim  ber  mufifalifdjeu  Soflelperipectioe.  £>eft  135. 

—  Ter  Stftofif*a8inter  1888—188«.  £>e»'t  149. 
«i«rnb»rfT,  Jofeph  Ar.«i)frr  oon.  BreuHtn 

unb  bie  Goni'titution.  "tont  feinem  »adjfaife 
mitgetbeilt  pou  £>einrid)3Kei»nerina9erlin. 
$tft  13». 

Alfter.  Ghrtftian.  Wne  flreusträfjerin.  tfnW»«fl. 

»u*  bem  «onpccji^dien  liberftät  öon  «hnma 

»linqtu'tlb.  .'iHn  72. 
«hrae,  »olffldn«  in  *rt«lau.  Tit  S»unft  S?owltn 

§u  brautn.   .v»t't  101. 

—  Tit  Bi'dit  im  ftauftbalt  ber  9tatur  unb  in  ber 

Mitdie.  vcf:  14s. 
Chrbmann,  C.  in  *re*lau.    ^roftfforen  unb 

Srubentrn  auf  ber  ^iihne.  ^eft  138. 
(rtrnfi,  C.  in  ftonftantinopci.  tit  SRtntgatin.  9ine 

t.(r}dbluncj  au*  bt;n  Critnt.  vtft  29.  30. 
SuTrnbnrg,  Ohtlitib  }u  in  J.Win.ixn.   Slu«  ber 

ber  Slrt.   t^uie  martifebe  Stubie.   £>tft  63. 

—  Tit  legten  21'ttBonj.  'JlootUt.  4>eft  113. 

—  Trei  Sti^tn:    «m  Sonntafl,  »Ptnn  btr  Blitbcr 

blüht.  -  L^in  «ritf.  -  v«int  Spajitrfobrt. 
£>tft  115. 

—  (hn  »(ott  prt uf3ifd)tr  ^olitif  por  bunbert  3ol)ren. 

J£»eft  131. 

<Vnff f  niiarp t ,  ^fran,}  In  Cximburfl.   Ter  Urfprung 
btr  romaitiicben  Sprachen,  .^eft  36. 

—  5J}ert grino  *laro.  $ert  124. 

grolfr,  3o<ob  b.  in  SKien.   Ta*  B<nf«r  in  ber 
SBobnung.  £xft  2. 

—  3eitgtmdHt  »otinofragen.  £>tft  67. 

—  Ter  tnglifdie  öarttn.  £>eft  92.  2Kit  b.  Portrait 

oon  Bolft'4. 

—  3bttn   ja   tintr  Oefdiicfite  bt*  2öobnboufe*. 

£>eft  137.  138. 
Baiicnratt),  Johann«!  in  £tö(n.     Ton  ^ofu 
(Mjegarat).  veft  120.   »JJht  bem  Portrait  tfdjc» 
aarool. 

Bifdicr,  Mnutf  in  £>tibelberg.   Uin  literarifeber 
Binbling  all  „SefftMl  Bauft".   £>eft  2. 

—  lieber  Qt,  (r.  ifeffing.  I.  Utffing*  reformatorifebe 

S3ebeutung  in  ber  beutfdieit  Literatur.  II.  Scffing* 
Ulinna  pou  Marnheim.  ,t>eft  38.  39.  HI.  Öefftng» 
^miUaöalotti.  veft  41.  Utit  b. Portrait  Bifdxr'*. 

—  Tie  bunbertidbrige  iMebdcbtntfjrettr  ber  „itriiif  ber 

reintn  Stniuiiff.   §tH  51. 

fifdt«»,  *0.  »rif't  Pon  5Wicbnrb  ffiagner.   £>eft  76. 
llfleT,  »I.  in  Wremen.  Tai  S)hiftcriuni  be*  großen 
Bau.   veft  tOö.    Blit  bem  Portrait  Bitger**. 
arolticiiti-ano.  M.  in  »erlin.   l'anb  unb  iieute  in 

»ulgaritit.   frit  134. 
Bontauf.  Thcobar  in   »errin.    (Mrete  OJ'inbe. 
Wad)  tiner  altutärfiftiben  Wironif.   £>eft  26.  27. 

—  Ü'Äbulttra.   »oocllc.  $eft  89.  (9RÜ  b.  Bortrait 

Bontane*».   £>tn  40. 

—  Wroebtn  unb  Sittbtn.  Wn  marlifdit»  Gapitel. 

j>tft  55.  66. 

—  Ter  Sdicirnhorit-.Pcördbni(V.)la6  auf  btm  »trlin;r 

Clnoalibtttfirdibo'.   £eft  56. 

—  3unc« Pi*marrf,   ©cbidjt.   £>eft  97. 
S-ordihnintncr.  ^J.  0.    in  Miel.    Ta»  golbeue 

iUitt»  unb  bie  Irtrgonauten.   £>eft  17. 


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VIII    3nt)Qltsü 


Äoriu-r,  V.  in  Sperrt.  Uebtr  bie  «tum  ffrbbebcn*  I 
»ataftroiUicit  unb  SBulfanauabriidx  bt*  3ül>rt8  I 
lb*3  mtb  iibtr  bitUrfad>tn  btrtfrbtrfdnitttrungtn. 
freft  Hl. 

»drfttr  4»rijr  in  SDhindxn.  3«>n  3*aul  in  SBtimar. 

9facn  Crvinalbrirftrt.   4?cft  13S. 
ftranio«,  «arl  ChttU  tn  ühJiot.   Xit  fiocfe  ber 

utiiigcit  Slgatlu.  tfine  mobtrne  Üvgeube.  freft  19. 
Vir« »Ii orai h.  ftcrbinanb.   Ueberiteungtn.  Slu» 

beffen  'Jiadilarj.  ((Miöiduc  pou  flobert  fr  errief 

unb  Ib.  «.  Hlbridit.   frtft  11. 
S»r««»n>tfT.  9   in  ftöitingtn.    Xit  (httftepunfl 

btr  franft.  frtft  12. 
ftr<n$el,  flarl  in  «erlin.   2i5it  id>  in  bic  Literatur 

fonu  frtft  142.  9)Ht  btm  «-Portrait  3rtn*ef'». 
»rertd»*,  Sbeobor  in  Berlin.  Sin  «rief,  freft  s4. 

2Rit  btm  Portrait  ooi  ^rerid>*. 
fbrrunb,  ^rit|  in  Stra&burg  im  Wfaft.  Xa» 

llrtlieil  ber  Uorjia  in  Sfatcipcare»  Kaufmann 

Bon  SSenebig.  freft  94. 
ftriebbtra,  (v-mil  in  Stipjig.    Xa*  alte  btutfdK 

SHcid)  mr  3<ü  ftine»  Mebeniange».  freft  76. 
Qptifbtnann,         ta  ftttÖH.  Xa»  £i*d)tn  £lraf= 

gtftebucr.   freft  107. 
ririf orirti,  ftrlcbrid)  in  t'jipjig.     Xit  3Ud<nb> 

freunbe.  Woocrie.  fre't  60. 
«\r  i  i  briifi,  J.  in  äNundicn.  ^obann  3oF<Pb  3gna* 

pon  Xoellinger.  ©eft  32.   2J!it  btm  Portrait 

X  Oellingen». 

ftrUbrtdiä,  Ermann  in  3)Wüna.    Xa»  flreuj 

btr  üitbe.  WootUe.   fre't  121. 
atlf»:2dit»fii|t«i,      in  Berlin.   2Jlarit.  Nor* 

iwgiidw  ttoocUe.   £>ett  125. 
ftulb,  fcfubteta.  in  3Raht).    Xie  (rrmorbunu  be» 

^olijeiratbS  Dr.  Stumpf  in  ftrantfurt  a.  S». 

freit  H»2. 

«ane,  9t.  MnbrtJ  ."rlorea,  btr  rjurcan.   5lu»  btm 

tNumänifdjen  nadj  btm  lUamifcriptt  unb  unter 

SWitwirfung  te»  Straffer»  überfebt  pon  Witt 

.<iremni&=:Parbeleben.   fren  33. 
«arbc,  DHdjarb  I  Königsberg.  Sieben  ber  Guropäer 

in  3nb:en.  frtft  136. 
•arfmm,  88    in  «Uttertburg.    3"><i  SWördjen. 

llebcrfe&t  pon  ^uiit  iliomm.  I.  2Üa»  nlegetoefen 

II.  Vlttalea  prineep».   freft  95. 
C»cbl»r,  Marl  ».  in  hieran.  SUeffanbro  SJlanjoni. 

frt  t  3. 

—  Tic  3ung'rcu  pon  Crlean».  .freft  34. 
Qkihfcu,  Jb.  Jfrtinridi  in  Strasburg  i.  Q.  Xa» 

Problem  be»  T>ö.ftrred)tS.   frtft  32. 
«eiiui,  t* m au iirl  in  Vitbect    Xt|tid)en  au»  bem 
StSiutertajebudi.  freft  1. 

—  Xte  3ago  »on  iHnter*.   »orfpitr  einer  «Ibin= 

geniertranöbie.  frt  t3.  STOt  b.  Portrait  ffltibel'9. 

—  €iebtn  Cötn  bc»  frora<.  frt't  20. 

Wri,u-r,  tfuMoi«  in  Berlin.  Itr  breinigiabrigt 
Mritg  unb  bit  beutfdie  Literatur,   freft  27. 

<Scia«r,  fBilhrlm  in  i*rlaniicn.  Xit  Uftutlitn  Pom 
lob  unb  pom  3enfiitS  bei  ben  3"b0oermanen. 
freft  31. 

—  Xie   ältefte  fiiteratur  bcS   inbifmen  SPolfcS. 

frtft  4ü. 

—  Xit  Raffen  in  Xurfe'tan.  freft  101. 

Wrnrf,  tXubalpi)  in  Xretbtn  Xcr Inmbtrtiäbrigt 
framitt.   5int  bramatnrgiidie  Stubit.  frtU 

<B(rb«r»,  Pari  ütSonn.   XaiXraiimen.  freft  2^. 

Scrlattb,  Oirorn  in  3traf»burg.  Xaä  (Mefe&  ber 
Jöererbuug  unb  bie  'JiPefie.   freft  5. 

—  Gentralaü.-n  unb  («biiia.  freft  12. 
«errunti,  1R.  in  Üviien.    Ilicobor  SMinrotb  in  BtcB. 

frt't  141.   vH!it  bem  Portrait  «iarotl)1*. 
Sc»er.  tl.  i.t  SR  nAen.   Xie  VntfdiiibigiUig  frei« 
fleiprodwiier  »natdadten.   frt''t  53. 

—  2»otn  frobfuftaufeu  iutn  frolictt^llern.  fre't  79. 
»ifawber,  >-u,o  (Dr.  *.  tfrtmnnn)  in  fratle 

a.  2.  Whtarb  oon  «oilmann.   t^in  beutid«r 
Wr^t  unb  Xiditcr.  fre't  131». 
«iclebreoit,  Silhrlm  oon  in  SRSndVtt,  Unfert 
(Mttmnaiien.    $abogOOjlfdM   trifft,    frtft  71. 
£ht  bem  Portrait  con  tMieffbrcdjt'4. 


Wut i ii,  Wubolf  in  Berlin.  Xie  neutfitn  Reformen 
btr  tnglifd>tn  UniPertftäten  im  9:rbältnifi  ;um 
nationaltu  UnterridUAitmein  btt  Vanbt».  fr.  91. 

—  Xit  ntut  StabtPenafiunft  pon  Bonbon,  freft  9& 

»Kit  btm  Portrait  <Hntift'8. 
SoebeaTr,  Ä«rl  in  (Höttingen.    Pmanutl  <5»tibtl. 
freft  3.   ilMit  btm  Portrait  Okibtl'S. 

—  Ilaul  frtnfe.  frc't  7.  2JJit  b.  Portrait  frepfe'S. 
Woltj.  <>.  Ä«'i)«tr  b.  b.  in  Berlin.  €fi»enau» 

ber  .vertegSMilirung  ber  Oiegentpart.  freft  49. 
«drina,  4>u0o  in   •  -fa  a.  b.  Sikrra.  föilbelm 

3orban9  Vornan  „3iP<i  biegen*,  freü  134. 
o;oltf(tuU,  SKubolf  von  in  Öeipjig.    Xtr  ardjäo^ 

logifdit  Roman,  frtn  94.  mx  bem  Portrait 

pon  «ottfdiair«. 

—  llictorien   Sarbou.     (fin   literarifdjtr  Öffan- 

freft  123.   »Utit  bem  Portrait  6arbou'i. 

—  ffleerlin»  SPanberungen.    Wne  Xidnung.  frffr 

125.  126 

—  «arl  ^rtnjtl.   fcin  littrariidjer  (^ijan.  fr.  142. 

>3Jht  btm  Portrait  »trtnier«. 

—  Saunt)  Beroalb.    frrt  14S.  Wit  bem  Sßortrait 

jaiinu  ^eroolb'*. 
OrtAdroniui,  >frbinnnb  in  9iom.    Xie  StCla 
iStonvMO.    «fn   a?ruitnfiB  ber  ©ojvobini  in 
«oloniia.  freft  69.  üJtit  bem  Portrait  pon  ®rt t 
gorooiu«. 

©reif,  SRortiit  in  Wüncbtn.  Xrti  frtrbitgtbtdjte. 
.frtft  150.   3Jht  btm  SJortrait  (M^ifa. 

f|rrbinanb  in  SSicn.  l*in  irrtbentifrüdieS 
fptnft  In  aöitn.  i<roce&  3altto«ti.  fr.  12s. 

—  Sllpbonfe  Xaubet.  frrt  131.  SUfit  btm  Portrait 

Xaubtf*. 

—  Oouarb  pon  9?aucrnfcib.  fr«H  143.    2Rit  bem 

Fortran  «auenuelb1». 
ffirotlj,  Miau«  in  Stiel.   Stronprinjenl  infrolfteeu. 
©in  Cntlu«  plattbeutfcbtr  Okbiditt  über  Sattb. 
ütnU  unb  Sagtn.   frtft  25. 

—  steine  Stellungen  iu  C^manuel  ©eibel.  freft  89. 

$lit  bem  Portrait  (Mrotb'4. 

—  3un3-*M*mar<f.  (M:bid)t.   frort  97. 

—  (rtiic  neue  plattbeuttdit  «ibtlauSiiatH.  frtft  101 
Wumnr«d)t,  Ctto  in  Berlin,  »obert  ediumann. 

freft  71.  72. 

—  9Ro}artl  Cpern.  I.  II.  III.  freft  94.  95.  96. 
Wimiticri,  3nliii»  9rnf<   oott  in  Stuttgart. 

Rrlnncrumj  au  3  Wltii  pon  6<btffel.  i>.  HL 
fturifoto,   Aarl   in    -2ad)feubaufen.  S*ogumii 

Xatoifou.  freft  18.  lUit  b.  Portrait  (Wu^roro'«. 
^»amerltng,  Kobcrl  in  (Mrav  flmor  unb  1*  ndre. 

C^cbidit.  .frtft  64.  SDiitbem  Portrait  framerling«. 
dämm,  CÜilhtlra  bon.  conntag8finber.  freft  4S. 
#an#lid\  9buarb  in  SSiett.   «belina  $atti.  (?r. 

inneningeiu   frer't  5. 

—  SJhifi:  unb  SRunfer  in  $ari«.  freft  22.  2Rit 

bem  Portrait  franSlicf'i. 

—  3ofepb  3oa*im.  frrt  63.   3?ltt  btm  Portrait 

3oad)im'*. 

ISaraatf,  CPri*  in  frotte.  Xa*  Cocain,  .frtft  105. 
varimann,  <Pb<*arb  wen,  in  SBtrlin.   Xit  0c« 
beutunfl  bt*  «tibts.  frt't  34. 

—  Xit  Miifi«  bt3  (Jbrifttutlnimi.   frt't  42. 

—  Xit  tragifd)t  iiertitnmg  btr  9laturrtU(rion  im 

(Mtrmanentl)um.  freft  52.  3)ht  bem  Portrait 
frarlmann'4. 

—  staut  atö  «earünber  ber  moberutn  «tftbttif.  freft90. 

—  HntM  Itieobalb  «riirf  t.   frt't  102. 

—  Xa»  Problem  btr  Scrbinbung  btr  Stünftt  i.t 

ber  mobernm  «eftbetif.  frth  115. 
jfrarfer,  Ä>.  in  «rcilau.   «alemo.  freft  7 

—  «lpen'aiirteu  in  Ruberer  Seit,   frtft  112. 
Vtiftr,  Varl  in  fcuMt>u»burg.  Unbine.  VluÄben 

Strmolren  eine»  Lieutenant».  .frt*t  109. 

—  Xie  rotbe  Xafdit.  i>iopcnt.   freft  132. 
«Mibcrn.  «ermann  in  «erlin.    äsJei&alb  mir 

ba«?  «opeac.  frt't  136.  Mit  btm  Portrait 
freibtrn'». 

je>tmmann,  ?^r.  in  frtrrlibtrg.    Gbarlt»  €tal«» 

ficlb.   frtft  30. 

—  ScaUfielb  Poftt  freft  150. 


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IX 


«(nnicTc.  3f.  in  SPcrlitt.    Xie  Zclegraptne  in 
«erlin.   vrt  113. 

—  Xa*  Sernfprerfittjefen.  «eft  114. 

«mit.  3«  in  ©Otlingen.    Xer  mebidntfdx  unb 
ber  religiöfe  Xuali»mu*.  «eft  13. 

—  lUbtr  ba»  Grröthen.   «eft  65. 

«ermann,  «an«  in  «realau.    Steeple  >  Gfjafe. 

WooeUe.   «eft  144. 
«cttt,  »artin  in  «««lau.     Sie  Steifen  be» 

Kotier»  «abrian.   «eft  147. 
«ert).  Wilhelm  in  OTiindjen.  Xie 

•■Parjioal  unb  bem  GJraL  «eft  52. 

—  «conmlf.   «eft  86. 

—  3n»ti  NoDellen  in  «erfen.  «eft  104. 
«cttnrr,  «ermann  in  Xre«ben.   XU  Srantf*. 

faner  in  ber  srunftacfdndjte.  «eft  57.  SWit  b. 

Portrait  Lettner'«, 
«enben,  «.  ban  in  «erlin.  einGoftümnxrf.  «.  115. 
«<bf'#  Vrtui  in  Jeiincben.  3ppolito  Jlicoo.  «eft  7. 

Kit  tiem  Portrait  «eofe'». 

—  «eppo,  öer  Stcntfeber.   Wooefle.   «eft  9. 

—  «eifebriefe:  Hn  Hrnolb  SPbdlin  in  JJlorenj.  Hn 

Ctto  Mibberf  in  Öetpjig.  «eft  16.  —  Hn  SSil» 
beim  «er*  in  Berlin,  «n  bie  §u  «aufe  &o 
bliebeneu.   «eft  17. 

—  Hu»  ber  italicnifdicu  Mcifemappe.   «eft  22. 

—  Xie  ÜHabonna  im  Celrcalb.  WoocOc  in  Berfen. 
«eft  27.  28. 

—  Xte  Gfelin.   Mopelle.  «eft  40. 

—  Xer  lalime  Gngel.  flopeHe.   «eft  46. 

—  Xer  UNöncb  oon  2>contaubon.   Wooefle.   «eft  52. 

—  U.ipergtBbare  SBorie.  »tooefle.  «eft  67. 

—  Xa»  Sagott.  Zrauerfpiel  in  einem  Hft.  «eft  92. 

—  *i»marcf»üi<b.  «eft  97. 

—  Gine  Xante «  Seetüre.    GbarafierbtTb  In  einem 

Hft.   «eft  112. 

—  Xie  fdwerfte  W\<bi.    Zrauerfpiel  in  einem 

Htt.  «eft  131. 
«ilbrbranbt,  ».  in  Naumburg.   Xer  Sfat.JDnfef. 

Gnä&lung.  4>eft  10L 
«tller,  3cr»inan»  in  Söln.  Hn  3ran§  ßifjt. 

«ert  6.   ilJlit  bem  Portrait  8if§»'». 

—  Hbolpbe  Ronrrit.   «eft  28. 

—  3n  iSien  oor  52  fahren,   «eft  35. 

—  äRapme  bu  Garn»,  «eft  37. 

—  äronffurter  Xonfüniücr  eerganflener  3eit. 

3Jlit  bem  "-Portrait  «iarr'». 

—  Gin  Ibcoterf  inb.  »ort  jyran<;oU  ffoppöe.  «eft  69. 

(Siebe  andj  Go:>p6e.> 
«irf<b1eli>,  «afiav  in  rtoniaaberü,  ^eftfetern  unb 
fflebenftoge  im  grieebifeben  Hltertbum.  «eft  38. 

—  trin  txuticber  Okfanbter  bei  eoliman  b.  «roßen. 

Veft  S4. 

—  Graft  Gurttu».  «eft  106.    «Kit  bem  «Portrait 

t»on  Gurtiua. 

—  sPreuHen  unb  bie  Hntife.   «eft  144. 
6irf«f«l»,  Vubwifl  von  in  Berlin.  Gntgleift. 

Trine  5fi«e.  veft  107.  108. 
«offtnann,  4>an#  in  Stettin,  fpäter  in  «erlin.  Xer 
fcbö.ie  ßöecco.  SioPeQe.   veft  42. 

—  Xer  aWönd)  pon  ^aläofaftriMa.  Woperie.  «.  108. 

—  €rranbgut.   ^ooetle.   veft  134. 

—  Erfüllter  «ertif.  öri)ie.  .f>e*t   144.   SDlit  bem 

Portrait  .!£toffmann'4. 
*oI8fnbprff,  {tränt  von  in  3«iin(fcen.  Social« 
politttoe  «eiieftitKrt  an«  Sdiottlanb.  J&eft  47. 
Wt  b.  Portrait  oon  vol&fnborff*.  4H.  49.  50 
üombtxttx,  v  ei und]  in  Berlin.  Xer  Soften  ber 
»jrou.  ivrt  69. 

itfl^cr,  3.  3.  in  .Stirirf).   ?lleranbre  XumaS 
ftl».  vt't  2s.   3Jtit  bem  '.Portrait  oon  Xuma». 
«o»fen.  «an*  in  Berlin.    3«ifd>cn  lorf  unb 
Stabt.   «oneUe.   ve^t  2. 

—  glinferl»  C*l»d  unb  (htbe.   Hui  ben  (He?d>id)ten 

be>  «iator*.  veft  23.  3JJ.  b.  Portrait  vopr'en'rf. 

—  ^*  hat  fo  ioaen  fein.   Spti&roort  in  einem 
Hft.   veft  14'». 

»oerneo,  «ati|  in  Söien.     Xie  «nfänfle  ber 
»unft  in  («ricchenlanb.   «tfl  90. 

—  Xa»  vtroon  oon  Miöibai«i.   V«ft  122 


«oernri.  in  3öiett.    25er  falfcfie  <5jar 

■iPeter  III.  Ihne  <5pifobe  aus  ber  (Mefdjidjte 
Montenegros.  Vc't  137. 

—  Qrine  ßibumirung  in  «oanien.  v«ft  144. 

—  üe  itelten  in  Sitb«Oeiterreid).  veft  149. 
«über,  30(|annt#  in  3Ründ)en.  üJcoberne  l'fagie. 

«eft  27. 2H.   Sßit  bem  ^Portrait  vuberf«. 
«fibner,  CP.  in  Öerlin.   iJaotoon.  «  ft  24.  105. 

—  Hutonio  GAnopaS  bei  GaniUo  ai«  äithetifeber 

€djrift('teUer.  «eft  129. 

—  voraj  in  Spanien,   «e^  186. 

«nbntt.  3uUu«  in  Xreaben.   Zintoretto.  $•  81. 

—  Xal  äBiebererwaAen  ber  Shinft  in  3talien  unb 

bie  italienifcben  Sdjulen.  Veft  W. 
3acni<Cr,  Marl  in  8re»Iau.  Hnnette  bon  Xrofte* 
VÜf*boff.   >Seft  99. 

—  ^Xuftine  Xantmar.  ^topedfi.  veft  116.  117. 

—  Xer(*ntl)itfiaft  Pon^iditenftäbtel/Jiopeac  veftl35. 
Sartrow,  3*  Xie  ^arienburg.  Irin  oftbeutfcbel 

Xenfmal.  veft  116. 
3bfcn,  ventif    SPoetiFcfje  Opiftel.    Ueberf.  pon 

B.  iPaffarge  in  iebntgaberg.  veft  107. 
3«annlnc,  W.  in  -Pari*.  Seltfame  «anbe.  1W0« 

öt«e.  Defi  130. 

—  Gine  3b»Ue  in  ber  iMroijftabt.  9looeae.  «tft  142. 
3<nfen,  »»beim  in  jreiburg  in  *r.   Hu4  ben 

Jöanben.  ^iooeUe.  $<H  1. 

—  SKouifa  SSalboogel.  «opette.  J&cft  4. 

—  »obemunb.   SlooeÜe  in  Serfen.   <>eft  10. 

—  Gin  ^rübltuganacbmütag.  &t>t  15. 

—  3m  SWai.  Gute  Sumpbonie.  «eft  24.  3Rit  bem 

Portrait  3<nfen'*. 

—  ^aira.   (Hn  erjäfjlenbe»  03ebid)t.  fyrt  34.  35. 

—  Hm  Hfcfieufrug.   (5*ebid)t.   fyrt  55. 

—  Irin  Sdjatten.   (Mebidjt.  v<ft  63. 

—  Xer  aöitte  be»  ver§en«.  «OPette.   v«ft  75. 

—  3ung*;Piatnanl  (Mebicbt.  v<ft  97. 

—  Um  bie  SJffingitjeit.  ^opeUe.  $tfl  103.  104. 

—  Hu»   meiner  Baterftabt.     Xie  ^erftanifdjen 

Vdufer.   veft  139.  140. 
3ficrinfl,  «ermann  t>.  in  fieipjig,  fpäter  in  «io 
(Hranbe  bo  Sul.  Xie  Xhienoeit  ber  Hlpenfeen 
unb  tiire  «ebeutung  für  bie  ärage  itacti  bcr  GnU 
ftebung  ber  Hrten.  -fxft  29. 

—  9ito  be  Janeiro.  Veft  160. 

3l)rrtna,  iHuboiph  b.  in    l Hingen.   Xa8  i?eben 
für  unb  bureb  Hnbere  ober  bie  (Mefettfdwft.  «eft  L 

—  «onorar  unb  (Mebalt.   «eft  5. 

—  Xie  Sitte  im  HJhrnoe  bcr  Spradje.   «eft  49. 
3o«ft,  JW   in  «erlin.  «efueb  einiger  Säulen  b. 

Hflgemcinen  3iraelitifd)en  Hflians  (^V]li:ince 

I»rn«lite  LniverwUi»  in  2Haroffo  uub  Stlcin» 

aiien.   HytH  147. 
3ofai,  Worii  in  «ubapeft.   ftürit  unb  ??ra  Xia. 

Dolo,  veft  81.  ü»it  bem  Portrait  3ofai'». 
3or*nn,  IWar  in  «erlin.   L'ubioig  «itau».  «•  40. 

3Rit  bem  "Portrait  pon  Sfnaua. 
3orban,  fBi'hrlm  in  ^ranffurt  a.  Tl.  Waufyrct'. 

(Mebicbt.  «eft  65.  9JHt  b.  Portrait  Oiorban'*. 
3rmcr,  Ocorfl  in  «annooer.    Xer  5iorb  •  Cftfee* 

öanal.  «eft  104. 
3unabana,  Cobbit  in  Seaffel.   0)iulio  Salort. 

»HodcUc.   «eft  48. 
Mdibd,  ou-oro  in  C4reif»tt>atb.   HUgemeine  «il« 

bung  in  bcr  römifdien  itaifeneit.  «eft  Iii. 
«alifdifr,  «Ifr.  in  «crlin.  ßubroigoan  «eetbopen 

in  «erlin.   «eft  116. 

—  «cetbooen  uub  ber  prcu&Kcbe  «önigabof  unter 

."rricorieb  aBitbelm  III    «eft  146. 
Aabbcr,  2  ienlnrb  in  Pifa.   «löfter  unb  Mloften 

leben  in  ber  «erccgouiita.  «eft  21. 
ftarborff,  vIMlluim  l».  in  iUabnie     Xie  tuirtf>= 

frtiaftliclien  unb  finanziellen  Jicformproiecte  be» 

:HcirtUfa!i?lcr».   «eft  23. 
Mnimer.  BHUb  in  Hltenburg.  Garina  «ionba.«.  120. 
ÄeUr,  ^«bann  in  '-Prag.   Xie  «crroälfdjung  ber 

brutfdien  Sprache,   «e't  62. 
tttiu-r.  «ottfrirb  in  3ii"<*-         Hpetbefer  bon 

Gbamounir.   Fragment  au»  einem  älteren  G)e« 

btd!te.   «eft  60.   «Kit  b.  Portrait  jecUer1». 


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3nfialtsoet3e«d?tuf5- 


ltn«rt,  flf.  in  Stuttgart,  ©in  »tfueb 
in  Siffabon.  &tH  79. 

—  ©in  ifleiud)  auf  ber  Älbambra.   Heft  90. 

—  tfirbtnanb  oon  l'tfftp».    He»t  99.    2Hit  bem 

Portrait  pon  XJeficp'*. 
tf  irAhoff,  ndrc»  in  Hatte  a.  b.  S.  XanoiniSmu* 

in  ber  SBölferentroidelung.   $th  93. 
«II«,  3«»lcf  in  BttbctKfc  3ehooal).  ©utt  pottlfcbt 

(Srjablung.    Utbtrftfct  Pon  3oftT  Stttnbad). 

Het  123. 

«Hiner,  Wlphon«  in  flönia»btrg.  Hi)Pnoti*mu» 
in  ©nglanb  unb  3rranfrtid).  Htft  1U. 

Äioibtr.  Jullu«  in  Stuttgart.  35»ilfalm  H«uff- 
Heft  14. 

«Üb«,  ff.  in  3firtd).  Sdjäblidie  WaörungBmittel. 
©in  *citrog  jur  ©ntftebung«gefd)icbtt  btr 
Kranfbttten.   Heft  11. 

—  2ie  Umgeftaltung  bc»  2Jlenid)tngtfdiltd;tl,  in*« 

btfonbtrt  burd)  Kranfbeittn.  .Orft  83. 
MI  *  i  ti  ,*u(io  in  2Uicn.  3auberf  finita.  IFloneÜc.  Heft  141. 
«Witt,  SWarttn  in  !ört*lau.  2ikUanfcbauung, 

fötligion  unb  SZBiflcnfctiaft.  ©ine  Krittf.  H-  128. 
«Uiii,  Hciur  i  di  von.  lieber  bie  allmäblidit  ©er» 

ftrtigung  ber  Webonfen  beim  Sieben.  Pittge* 

leitet  burd)  einen  Britf  an  ben  Herausgeber 

con  Hboli  23ilbranbt.   vtft  10. 
«HiKfotoftröm,  «gm»  Mrnfiii  in  Berlin.  9lbr. 

Woottlt.   HeM  122.  123. 
«noll,  VhüiP»  in  *rag.  lieber  bie  ©nttpirftlung 

unb  bie  Störungen  ber  Spracht.   Heft  121. 
«ober  nein,  «arl  in  treiben.  Vrinj  Hunridj 

uon  Urtufjtn  unb  feine  Stellung  jur  Xrabitiou 

unb  (Mefctjicrtte.  Heft  3a 

—  Karl  ijricbridi  Öefftng.  Heft  42.  3JI.  b.  Portrait 

Ü.  Reifing'«. 

—  2er  2iditcr  be*  JJrübling*.  Heft  49. 

—  ©in  marfifdjer  Runter.   Heft  68. 

—  Oin  xictjtcr  com  iHcgiment  (HtnSb'arme*.  H-  84. 

—  Tjrriebridj  ber  tvkofje  unb  SiUlbtlmine  pon  »au* 

rtutb.  Heft  97. 
«od?,  «.  in  Wcufe«.   Ter  beutfd>e  »rabmane. 

(Jr.  liefert.)  Ht*t  65. 
«Oppen,  ftebor  »Ott  in  Berlin.    iDcoltfe  unb 

feine  Kriegführung.  Heft  4«.  üülit  b.  Portrait 

bt*  Selbtnarfdjalla  (trafen  oon  UJloltft. 

—  Hermann  Kunibert  ifteumann.  £>.  150. 
«offmann,  «.  in  ^Ktbtlbera.   2ie  Ü*ebeutung  be» 

©injelleben»  in  ber  Xarroiniftifdien  äkltaii= 

fdianung.   Ht't  36. 
«rauf;,  ^ri^  in  3tiricfr.  Sbafefptare  unb  feine 

Sonette.   fytH  23. 
«rcll,  «p.  flf.  tu  3ttiincf>en.   2L'ien*  ardntettonifd;e 

^btulognomie  I.  II.  Heft  134.  135. 
.sitt ;n tut',.  Wi  tt  in  »utartft.    Garmen  Snloo. 

Heft  58.   amt  km  Portrait  Parmen  SnlPa'* 

(Königin  ©lifabttb  oon  Nutnänicn). 
«reQcr,  Vlat  in  iflerliu.   2ic  iPlinbe.  giobeOe. 

Heft  yo. 

«rtnenberg,  «otinolb  in  3ferlobn.   2ie  neue 

irrjitbung.  Heft  5'.». 
«retiffttt,  Jrr.  t  sPörai  gtr  unb  Courier.  Heft  68. 

—  Hier*  unb  feine  Hei'-   Heft  93. 

«rufe,  Hcittrid)  in  '.bürg.  2er  tänlicim. 
Heft  14. 

—  ^bullen:   Tic  2ad)rtiter.    2l>iber  2öinb  unb 

21'eaen.   Heft  21. 

—  2ie  Siegelbeioalirtr.   ©ine  Scegefd  idjtc  $.  *^>- 

—  SÄbelaibe.   ©ine  Sccncfdinlite.   Heft  54. 

—  2er  üalit'ornUr.  ©ine  Cecgefd)id,te.  H<ft  117. 
«unj,  ^«rmann  in  Berlin.  Katfer  Wilhelm  unb 

bie  Steorganifation  btr  prcufjifdien  armet. 
Heft  135. 

«ürnbcrfltr,  Strbittanb  in 2i*ien.  Sninftlerbräute, 

Woücllc.  Heft  3. 
«urnif,  Mar  in  Breslau.  Karl  pon  Holtti.  ©in 

Ütbcnsbilb;  Heft  35.  Mit  b.  Portrait  p.  Holtei«. 
«urj,  JfolM  in  Alorenv  Hafdiifdt.    Wu*  bem 

Xagebtidi  eint*  ^bilofopben.  Heft.  3ö. 

—  2i«elt'Kritf.   $tft  119. 

—  Auno  Pestis.   VloPcttc.   He-'t  129. 


Voiuntr,  £uol»i0  in  ^uneben.    2er  gerautte 

Spielmann.  Lobelie.  51. 
Ü amt ni ti.        Sraf  »on  in  Men.  Uebtr  mtnfd?» 
litte  8BiHen»freibtit  unb  ftrafrtdjtlidx  Snrt*- 
nung.  Heft  37. 

—  2ie  naieften  (Sriminal'äHe  tn  28ien.  I.  2it  SBer^ 

milbtrung  in  ben  (i»ro«itäbttn.    ftft  85.  — 

II.  Hngo  Sdjcnf  unb  feine  (Mtnoffcn.  H«ft 

III.  SttHmaobtr  unb  Kammtrtr.  H<ft  91.  1*2. 
gatta,  «ari  in  Cfftnburg.    Utber  altgriedjifctic 

iHcuftf.   Heft  37. 
£anae,  »rieorit»  «Iber*.  Uebtr  pbilofopbifdge 

Silbuug.  Heft  31.  32.  35. 
jj'Ärranflc,  »oal»h  in  Berlin.    2aB  Xbrater 

unb  bie  Wttotrb^frtibeit.  Heft  55.  3Rit  beut 

Portrait  yarronge». 
VafjwUj,  «nrb  in  (Hotba.  2te  poettft&c  unb  bie 

wifftnfd)aftlid)t  ^etradjtuncj  btr  Slatur.  H-  l22- 

—  3Jlirar.   Irdume  tint*  moöernen  Gkifterftber«, 

trläuttrt  burtb  Xräume  moberner  «BlelapboftC. 
Heft  138. 

£aubc,  £>finrid»   in  2öien.  ©buarb  2ebricnt. 

Heft  15.  BHt  bem  Portrait  i'aubeS. 
y auirue,  W.  in  Berlin,  ©rjitbung  unb  @<fcbicbte. 

Heft  48.  2Ktt  bem  Portrait  oon  äajaru*.  l. 

—  Garnapal.   ©ine  pfijcbologiicbe  Stubte.  Heft  C 

—  2it  Sonntag»ftier.   ©ine  Stfbn.  Heft  109. 
*eouharb.  tKuboiPb  in  HoÜe.   2ie  Uniberfttat 

»ologna  im  !Dtitttlalttr.  HtH  89. 
iJcuthoib,  veinr.  au*Heinridj  Ütutbolb« 92acbl ait. 

Pingtltitet  unb  berauig.  p.  3otob  spaetbtolb  in 

3ürid».   Heft  39. 
Siebrcidi,  «idtarb  in  fionbon.  »eali»mu*  unb 

3beali*mu*  im  ißortrait.  Heft  s. 
Vtftfitcinicut.  Wub.  rfurn  tu   in  SJeulcnGbadj. 

2ie  Kinber  bt*  Dfttn«.  3ioptttt.   Heft  3^S. 
jMnbaw,  «nna  in^trlin.  2er  Sonnenelf.  H- 127. 
Jtfinbau,  Vawl  in  Berlin.   Serb.  «affaCc»  feete 

Mebc.  ©ine  periönUdw  (h-t.tnerung.  Heft  2. 

—  Sictor  H"ß*>  »or  Der  «erbennung  ( 1802— 1&51). 

Heft  4.  Mit  Dtin  Portrait  Hugo«. 

—  3n  unb  nad)  ber  SDtrbannung  (1851— 1S77). 

Heft  5. 

—  Mltjelm  Wd).  Heft  11.  351.  b.  Portrait  »ufdj**. 

—  iVtlion  Scbmibt  unb  ber  „SdiHerprei*".  H-  22. 

—  ©mile  Jlugier.  Heft  20.  SBHt  b.  Portrait  Wugitr'*. 

—  tfrnft  2o5m  unb  ber  „Klabberabatfd)-.  Heft  31. 

2Jlu  btm  Portrait  2obm'». 

—  ^trfönlidie  iöegegnuugen :  (*lifc.  Heft  34. 

—  Olottbt*  »Sauft"  als  Jflübnemp»  rt.   Heft  42. 

—  $eriönlicbe  *  gegnungtu:  Henri.  Heft  43. 

—  2it  Äönen.   Otu  Sioman  oon  Ouftao  Srctjtag. 

3)iit  tiium  Holjfdinitt  „3mmo  unb  HÜbegarb", 
nad)  tiner  3''*nung  pon  H-  Kaulbod).  (Snl 
ber  HÖuftao ^rtmag-Walerit-.)  Heft  47. 

—  JHtcbarb  BoaKlt   „«ing  btr  «Ribtlimgen"  in 

iötrlin.  Heft  61. 

—  Htrr  unb  ftrau  «tmtr.  Sloptat.   Heft  55.  56. 

—  3ur  naturaliftifditn  i'ittrarur.  (»ic^epin.)  H-  £ö. 

—  „Vlngtla".    «oman  oon  Jri  bria>  Spiclbagen. 

Htft  56. 

—  2it  Karolinger.  2rautrfpitl  in  4  Slcten  bon 

©ruft  0.  asJilbtnbrud).  Heft  57. 

—  (fin  ntutS  2rama  oon  Heinridj  Krufe.  (SUieiao 

p.  iHügeu).  Heft  58. 

—  2it  ejrau  ^urgtmtilttritt   SHoman  p.  ©ber». 

Htft  69. 

—  Öentigt  Hntignuugtn  unb  Begegnungen.  ®c- 

legentlid)  bt«  Scbaufpitl»  „Cbtttt"  P.  iöictoricn 
Sorbou.   Heft  60. 

—  2oggenburg.  "«ooettt.  Heft  61. 

—  2it  ©tfdjtpifttr.   Vornan  in  oitr  »Pitcbem  pon 

Karl  Sreii3el.  Heft  62. 

—  2aS  neueftt  üßtrt  btft'JiaturalilmuS.  Pot-Bouillo 

pon  ©ntilt  3ola-  H<ft  63. 

—  3*orftlt8  unb  4-lorfcleffa  Bon  3ofi.  Stfitrr.  H-  64. 

—  8luf  btm  2ötgt  nadi  ükinrfutb.   Wne  Sommen 

fahrt  burd?  ben  Bat>erifdien  äöalb  mit  btn 
i'titmotiprn  bt*  2octor».   Heft  6«. 


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3ntialtsüer5eid}ntj$. 


XI 


fiinbau,  Boul  in  Berlin.   MHerlii  ©ebiepte  au» 
florbunb  Gut>.  Gpatiotnmerlidjer  »rief,  freft  67. 

—  iHcchcl.  Stu«  ibrem  Veben  unb  Gdjreiben.  fr.  6». 

—  tein  Montan  für  terujcdjfine  pon  einem  jungen 

Bläbdjen.  freft  70. 

—  Jetoro  pon  Bictorieti  Sarbou.    Beft  einigen 
liber  bie  Bubneniertigf  eit  frantk 

t.  .freit  71. 
Vornan  oon  tetnile 


ftfdjer  unb  beutfeber  Stüde,  .freft  71. 
s  Darnes 

3olo.   freit  73 


—  Au  Uor.htur  dt* 


—  Die  termoroungbeSÄboocaten  »ernatj«.  freft  74. 

—  Der  3ulunft*itaat,    freft  7«. 

—  Söie  btnfen  Sie  über  Slmerifa?  freft  81. 

—  Äu»  ber  berliner  Berbrediertoelt.   freit  62. 

—  Baebtrag  w  bem  KufiaQc:   „Äu»  ber  berliner 

BerbrecfcenDelt".  freu  h3. 

—  Brennenbe  üiebe  t>on  fran»  fropfen,  freft  84. 

—  SRano.  'JJooelle.  freft  »6.  bts. 

—  Die  neueften  iHomane  pon  Datibet  unb  3ola. 

I.  Sappbo,  Bariier  Stttenbilb  doh  «Ipljonfe 
Dauöet.   .yeft  Hl». 

—  II.  La  Joie  do  vivro  oon  temile  Sola.  fr.  90. 

—  teilt  neuer  SRoman  pon  C4tor  oon  JHetroiß:  ' 

freu»  BJortenbrrg.   freft  ».»3. 

—  Der  3toinan  einer  oontebtnen  Dome,  BMnter« 

lider  Briei.  freft.  95. 

—  3obonn  Strauß,    freit  96.  BHt  bem  Portrait 


—  frelene  3ung.   tenatjlung.   freft  97  .  98. 

—  Btarionnen»  Bhitter.   Sdjaufptel  in  Pier  Meten. 

freit  lon. 

—  Serien  im  tengabtn.  freit  108. 

—  3beali»mu*  unb  Baturali*inu*  in  Berlin,  Brocefj 

(Mrof.  freit  104. 

—  ftünftlerruttm  unb  Bergänglidifeit.  freit  106.  107. 

—  tein  Sluaflug  nad)  Bari»,   freit  109. 

—  Blolürt  unb  bie  beiben  »4iart.  freft  in. 

—  Blein  ($reuiit>  früariu».   Botxtte.   .freft  112. 

—  Sominertage  in  2iMcn  unb  lltngegenb.  freit  115. 

—  Berbredjen  ober  BJaünfinu  ?  Dai  Sdiulmäbd)en 

Btarie  ScbneiDer.   frett  116. 

—  (Haleotto.  Drama  in  brei  IHcten  unb  einem  Bor* 

fpi  L  91ad)  beut  Spanifdj.n  be«  3of6  teepe» 
garan  iür  bie  beut  dje  Bübne  bearbeitet,  fr.  119. 
«Kit  bem  Portrait  teepegaran'». 

—  Die  fleine  Biabonna.  fr.it  121. 

—  Der  Btörber  bt«  seaufmann  Blas  ßrei».  Do» 

Blufter  eine«  3nbidenben>eiie«.   freit  124. 

—  BUerlei  über  Xqeoier  unb  wo»  bomit  jufammen» 

bangt,   freft  125. 

—  3m  Banne  be»Baturali»mu«.  „teilt  ScrtjaltniH-. 

Vornan  pon  Jfarl  pon  Bcr'aU.  freft  129. 

—  »kr  ift  ber  Wörter  ?  3i«lben=3öill)elm.  fr.  130. 

—  College  Sdjnobel.    Erinnerungen  au»  ber  3te* 

baction»ftube.  freft  133. 

—  »uf  bit  Spi&e!   freft  138. 

—  Hu»  bem  Crient.    ^nichtige  Bufjeidmungen.  I. 

II.  III.   freft  139.  140.  14». 

—  Hu»  ber  guten  alten  3«'t  be»  Burgifieater». 

freit  142. 

—  3m  lieber.  flobeBe.  freft  146.  147. 
Jiinbau,  tKueolph  in  «erlin.  Der  Geber.  BopeHe. 

freit  5. 

—  Da»  rotp«  Dueft.  ftopelle.  freit  8. 

—  Döbtlidx  5eb,be.   teine  Sfijje.  fre't  12. 

—  tein  Perfeqrte«  geben,   «fopeße.  freit  16. 

—  «ute  «efeUfdiaft.  «otnan.  fr.  22.  23.  24. 

—  Ireu  bi»  in  ben  Dob.   terjäqlung.  freit  45. 

—  teilt«  Somnurlaune.  freit  54. 

—  3m  Borf  pon  Silier».  flopetle.  fre't  59. 

—  Der  Otatt.  Slopeüe.   £>eft  70.  71. 

—  Die  Oefdjtcpte  be»  flegeriüfiten  3Jfiofo  floango. 

fre  t  91. 

—  »ui  ber  gaqrt.  Bier  furje  @efd)td)ten.  freft  94 
Viitbenbern.  Vaul  in  Berlin,  «uitap  p.  ffiofer. 

freit  11«.    2Rit  bem  Portrait  OToier'». 

—  ßubwig  Wettd?.  freft  137.   SKit  bem  {Portrait 

Bietidi'». 

—  fran»  froffmarn.  freft  144.  OTit  bem  Portrait 

froffmann'*. 


SinMubortt,  Htt«lf  in  2<JeöIar.    ©oetlje  unb 

88<»Iar.  fre-t  108. 
l'iusin-r,  Ulbert  in  Berlin.  Do»bänif<lje  Didjter» 

jubiläum.  freit  s;t. 
^inÄ0.  vcmiamt  in  2Künd)cn.   Diotletian  in 

ealona.  Gcenifdje  Didjtuug.  fr.  67. 

—  Die  Gdjloditielber.  ^reic  3<bptb,men.  freft  124. 

3Mtt  b«m  Portrait  «ingg'a. 
fcito**,  2t\totot  in  Bonn.  Ueber  bie  epmbolif 
unferer  Äleibuno-   frtft  99. 

—  lieber  5 ormenfdjönbett,  tn*befonbere  be»mtnfd> 

lidien  fldrper».  fren  134. 
Vorm,  äv eroittimue  in  Dre»ben.  Die  WetaPbofit 

ju  tenbe  be*  19.  3obrlninbert».  freft  116.  Kit 

bem  Bortrait  form'». 
l'oiheincii.  Ä«»«»««»«*'n2i5»n-  Die  terjablungen 

ber  «önigm  pon  ^aParra.   freit  58. 
i'piic .  iv  Die  Brincipien  ber  tettjif.  freft  63. 
Von?« uf riö,  Wnphnci  in  Berlin.  Hu»  bem  i'oger 
ber  Sübilii't.  n.   freit  85. 

—  Snift  pon  2tiilbenbrua>.    freft  91.    3Jlit  bem 

Bortratt  pon  BJilbrnbrucb'». 

—  SRuffifcbe   (>»eiellfd;ait»tt)pen    im  Gpiegel  ber 

Dicttuiifl.   freit  102. 

—  H.  Jitger  unb  feine  Didjtungen.  freit  105.  Blit 

bem  Bortrait  Sitger'». 

—  frieronpmu»  mm.  fr>e  t  116.  Bttt  bem  Bortrait 

form'». 

—  in  Berlin.  (Jonrab  Serbinanb  Bleuer,  fr.  130. 

BHt  bem  Bortrait  Weener'«. 

—  frermann  freiberg.  .freft  136.  BHt  bem  Bortrait 

freiberg'«. 

i»äbtV,  «Öilnelm  in  ftarl»rub.e.  Brter  Baul 
Stuben»,  freft  3. 

—  SRembronM  oan  »nn.  freft  8.  Dtt  bem  Bortrait 

l'iibte'». 

—  Die  Gultur  ber   Sriirjrcnaiffance  in  Stalten. 

freft  11. 

—  Die  öulttir  ber  frodirenaiffonce  in  3toiieu.  freft  22. 

—  Die  perganieniidien  Junoe.   freft  3s. 

—  Die  »filmt  unb  ber  Wauimann.  freft  41. 

—  S"1  franjbfi»cben  Stenatffance.  freit  64. 

—  «u»  ber  fromiltou Sammlung.  BottieeUi'* 

Donte«3eid)itungen.  freit  73. 

—  Die  Bian.iiDerebrung  in  ben  erft<n3fl^rbunberteit. 

freit  79. 

—  9teali»mu»  unb  monumentale  ilunft.  freft  100. 

—  tennnerungen  eine«  alten  ©ebirgifliigel».  fr.  106. 

—  freinridi  edUiemonn  unb   fane  tentbecrunfieu. 

freft  109.   Blit  bem  Bortrait  ed)liemonn*«. 

—  .König  üubmifl  II.  uttb  bie  itimft.  freft  115. 

—  Söeitnar  unb  feine  Sfunftfdiäöe.  fre  t  121. 

Bl aami*.  vuno  in  Bre«lau.  Die  Sarbenblinbbeit. 
£v>'t  21. 

Btdrttn.  3afob  in  Bafel.  Die  ihinft  be»  lieber* 
feoen«.  freft  107. 

Blarfob.  ^aul  in  Btfindien.  Siliert  Wiemanu. 
tein  Beiblatt  jur  Xneatcrgeidndrtc  b<r  @egen> 
mort.   freit  122.   Bfit  b.  Bortrait  9iiemonn'8. 

—  fran»  pon  Biilow.  freft  133.  Biit  bem  Bortrait 

pon  Bülott)'«. 

—  Banreutbiana.     Betrod)tuitgen    eine«  Unab* 

bangtgen.  freft  145. 
»loner,  «. ».  in«arl*nipe.  Die  «euPermdbltett. 

9iootUe.  freft  54. 
»eier.  Cito  in  Böttingen.  Der  römifdje  Refhter. 

freft  60.  66.  69. 

—  tebemolige  GtubentenPerbiubungen.  fre't  85. 
BleinhatM,  »bolticrt  in  framburg.  ©eorg fronfen. 

freft  lio. 

—  3m  Wonneitgarten.  Bopellen.  freft  118. 
Bleiütier,  «llfrrb  in  Bregenj.    lonL  BoPelle. 

freft  37.  38.  Blit  bem  Bo'trait  Bteifiner*». 
Blemm inner,  tinltn  in  BJiirjburg.   Die  SBege 

nad)  Nein  Crient  unb  3nbien.  freft  116. 
aHen^olofl1|)n  ■  Startl)oI»ü,   ?%t\\r.   Briefe  an 

Bfofdele*  unb  feine  Srmi.   Beröffentl  cbt  oon 

ifelii  Btofcteie»  in  L'onbotu  freft  131.  132. 
BicrM,  »r.  in  SHoftocf.   1er  flufj.  teine  ontbro* 

poloöifdje  Stubi«.  freft  24. 


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XII 


3K«t|ir,  Sürßen  Bona  in  «oun.  3ur  V:v.c-- 
f opf>ie  ber  Öegenmart.  «etradtfungen.  I.  Der 
2)tateriali»mu*.  4?m  12.  II.  Dribring»  23«rt* 
liä)feit»pbilofopbie.  .^>eft  43. 

IWcner,  (Bunan  in  Wraj.  Heber  Spraye  unb 
Literatur  ber  «Ibaneien.   veft  71. 

—  öiit  »u«flug  nad)  »rgoii».   teü  117. 
SNcner,  Votftat  in  Illingen,   lieber  afabemüd* 

Üernfreibeit.  $<ft  28. 
»euer,  t>.  «Balbcd*,  tfriebrid)   in  ^ibelberß. 

iJtufftfcbe  Genfur.  veft  4. 
SRener,  ü».  2Bül)elm  in  Berlin,  lieber  Jinfter» 

niffe  unb  ibre  biitoriidje  «ebeutuitg.  veft  125. 
WUthliöfcr,  «ItlDut  in  «erlin.  «einrieb  Scblie* 

mann  unb  feine  2üerfe.  fceft  61. 
3»ilö»,  Ztept)an  in  (Hocrj.   Durd)  ben  Sobn 

enoa.cn.  flooetfe.  4>efl  95. 
Äiimlictü,  Ware«  f.   iHafacl  Santi'8  3remtbe»* 

frei«  in  fHom.  &th  120. 
»toller,  Wbolf  in  «re»lau.    Der  Sturm  au? 

bte  <5tomnaii:n.  14«. 
SRitUer,  ttuejufi  in  itönig*berg.    Gruft  Stenan. 

Vfft  135.  iütit  bem  Portrait  ftenan'». 
2RüUcr,  Van»  in  «erlin.    3uliu»  Stodlbaufrn 

unb  fein:  rteiong8metbobe.    4>eft  119.  2tit 

bem  Portrait  Stocfbauien'8. 

—  Weitere  babiicbe  ,yiir>'tenbifbniffe.  fteft  131. 
ÄüU«,  Viu  i ,ni  in  St.  Dcteräburg.  römitdjer 

Did)terau8ber3e  t  be8»faifer»Gonftantin.  vrftlO. 
SRüUcr,  SRar  Vt.  in  ürforb.   lieber  {yettfdjiÄmu*. 

L  II.  v<rt  22n.  i. 
»ulWr  •  (Buttenbrunn,  «baut  in  23ien.  Die 

3rau  vofratuin.  '.ftnc  roabre  <Wd)id):e.  v-  72. 

—  Der  Sobn  feiner  Butter.   ve;t  102. 
■tftttf,  2  legt*  unb  inttom.  ßeo  XIII.  V-  115.  116. 

2Kit  bem  Portrait  t'eo'«  XIII. 
flaumann,  CPmil  in  DreSbetu  Glaoierfpiei  oljne 

G*nbe.   $>e'l  1«. 
9tiffen,      in  (Böttingen.  >fleopatra.  fleft  15. 
9ti>eft,  ©.  in  Solirtg  it.  Die  DrojeBfoüeu.  .0.  US. 
9toirt-,  viitiv  g  in  2Jtainv   3Har  'JRtiller  unb  bie 

isprodipbilofopbie.   &h  19.  3)tit  b.  Portrait 

ÜHiilkr«. 

—  Da«  Problem  ber  Anthropologie:  bie  meitfdi« 

lidie  stutift  unb  ihre  «ebirtgungen.  $eft  81. 

—  «rtbur  Sdiopenba  ter.  3«  feiner  bunbertjäljrigen 

Öeburt»f<i£r.   «cft  132. 
C*lfd)läg«r,  germann  in  Üeip?ig.  »ernarbo. 
Skti  44. 

—  Ginlabung  nadj  Gannftatt.  Ktt  Sari  (Sauer.  $.  75. 
Cmpti^a,  tfubWig  ,>n  il)  rr  höh  in  2Uie»baben. 

«Uber  aus  engüfcbcn  üanb*ieen  unb  deinen. 
V«ft  19.  20.  24. 

—  EJoburn  ?lbbci).   $eft  32. 

—  Die  Xrinffranttrit  in  G-rtglartb.   veft  33. 

—  Der  .öaarant.   Vlu»  bcit  vunbitaga'crieit  eine» 

<9i)ntiiafuloberlebrcr8.    ve*t  45. 

—  Ia«  gouftnbiltte  A>an*.  Gute  Grjäbluttg.  v-  G3. 

—  Der  terbtrtag.   veft  9S. 

C|>»KiiDcim,  ».  in  «crlin.  3ur  «eoifton  ber 
Wtiuerbcorbnuini.    yjeft  14. 

—  Da«  allgemeine  Stimumdit.   .Oeft  22. 

—  «rmant  Darrel.  Sin  xfcbcnibilb  au«  ber  ©e* 

fdiidite  bt»  Stournftlilmul.   i>e«t  81. 

—  Jlti«  ocu  ^iiütricn  ber  altrrati^üfifdjen  Diplo* 

matie.   öert  35. 
Crr^cn,  (Hcarfl  »».  in  SßarfciBe.    Sorti«.  Crin 

ifhird)en.   .v>eft  W. 
Ont4%to,  «lif«  in  2iJilna.  flcbelbilber.  tenäbtung. 

J&efl  101.  102. 

—  ttftt  oolotner  ("vaöcn.  vioocUc.  llcberfeöt  pon 

VI.  JnM'uer  iit  'J^arfdiau.    v<;t  108. 

—  SJttle.  Km  Crjatiiuuö.   llebirfcet  d.  «.  Ptlicb. 

Veft  120. 

Cfenbrüflaen,  Cfbuarb  in  3'irid).  eaweijerifdje 

Qcrflfecn.  &efl  15. 
Cetttt,  ifrlcbrtdi  In  «affd.   3um  «cginn  bei 
«»eitert  'i*orfa>fung4fampfc8  in  Wttr^eflen.  fi.  31. 

—  Die  öeräeliuiM  ber  furbeififdjen  iüeraiiung  Im 

orublobr  18  i2.   ^eft  42, 


Jacutin,  &mil  in  Qlenf.  ^tttro  SicilianL  &t(t  US. 
Hdteiiur,  <fraft  in   Darmtabt.    Der  fliegcnbe 

Wollart  >er.  ^eft  S1*.  89. 
ipaulfcn,  30h"  in  Norwegen.    <Sia  rbmi'dje« 

»benteiur.   Jtooell^   v:'t  36. 
'Datier.  Sultuft  in  iJrantfurt  a.  3».  Die  enflUfdx 

iiorspolerpebitton  oon  l->75  bi»  1>>7«.  veft  l. 
•4Je4t,  ftr.  in  l'tiincben.    moberne  JÄaler:  tyroaj 

Üenbad).   vt«  1. 

—  Wmolb  *b\Tiin.  (eft  12.  iöfit  bem  Vortrat 
BfieKlttt. 

Vcttfitfofer,  War  V.  in  iWiinAen.  lieber  Ser^ 
giftung  mit  «euä)tga».  $tn  82.  2Ku  b.  Porträt 
^ettenfofer*. 

—  Die  Gfioiera.  Qtft  91.  92. 

Vfau.  V  löioifl  in  Dan«,  temife  3ola.  veft  37. 
Seit  b.  Portrait  3oia'«. 

—  in  Stuttgart,    »u*  ber  2ßiindxner  i'tunftau*^ 

fteUung  be«  Oobre«  188S.  §ctt  139.  140.  141. 
!|)fluaf=jearttuaa,  J.  ».  in  4»afel.  Um  'Dbatua.t 
auf  bem  tfjifertbn);te.   veft  «•». 

—  Die  älteite.t  tiulturen.   ve;t  13  i. 

!Dld)Ur,  «ba(f  in  ^tmabruet.    L«i«e  Ougenbliebe 

in  aüieit.   v«*t  52.  53.  54. 
^icti.ti,  üu»wia  in  löerlin.    SBilbtlm  ^ubfe. 

veft  8.   3Äit  bem  Portrait  Subfe«. 

—  3n>an  Durgerictu.  -4«eriön.t.t»c  wrinntrungeji. 
Veft  20.   Urttt  bem  Portrait  X  ;njeniew«. 

—  «einbog  iÖe«a».  $th  30.  ärtu  bem  ^onratt 

oo.t  «ega*. 

—  «oolf  iWcnjel.    v<*  33.    ffllit  bem  ^Jortwu 

ÜJleuiel*. 

—  «nbrea«  Hd)enbad).  Qcft  45.  Wtt  bem  ^ortrett 

Ädjenbad)». 

—  ^}aul  Wenerbeim.  vtft  &o.  mt  bem  Sport  roü 

iDletjerbeim«. 

—  Slnton  »on  2ikmer.   v«tt  52.  IUI  bem  tymroit 

Don  ferner«. 

—  Gtabriel  -Mat.  veft  72.  Hl.  b.  Portrait  Bon  3Rar. 

—  SBaffUI  SafltfidilUfefi  ätferefd^agtiu    v«ft  75. 

SJfit  bem  Portrait  2lieTeidwgin«. 

—  Die  3"ternaxionale  ieumtau«fteUung  i 

1863.   veft  79.  NO. 

—  Sorenj  (Mebotu  v«ft      "Mt  bem  SPortrait  ( 

—  £rci  Vlii*|teUungen.   v'tt  103. 

—  ,yran}  »on  üenbad).   v<ft  132.  2«it  b.  'portra;t 

Venbad)'*. 

—  tepiflonen  ber  Stomantifer    (»ine  3ugenbennne^ 

rung,  veft  137.  SPttl  bem  Portrait  4>iftfdj«. 
Dort,  ^rieba  in  IVündKn.   jacopone  »on  Zooi. 

vioocat.  v<r£  ItA  L1L 
Drei.  i»arl  Mi  in  3Jhind>en.   Da8  i»ette  "H>;^.:. 

Dfydiologifdie  Stubie.   vtft  ö4. 

—  Da»  Ülebaufeulefen.   v«ft  94. 

—  Gin  Problem  für  Dafcbenfpieler.  $rt  Ml. 

—  Btgft»  ber  alten  tSriei1)e.i.  btfi  127.  128.  12l>. 
$rct|cr,  8».  in  3euo.    Die  Uoneuntn}  in  ba 

Jlatur.  v«ft  23. 
»to<lft,  3ol)«"»«*  'n  Sranffurt  a.  SR.  Der 

tjetuge  Vlmor.  !Ro»etIc.  £»cft  141. 
Du t it rj.  «ufta»  }i*  in  searl»rube.   llein  Wtern« 

bau»,  veft  90.  2R.b.  Portrait  oon  »u  Dutli». 
Diitifinnu  rr,  «II»(rta  »an  in  Strasburg.  Äu» 

einem  Gi)clu«:  (Jin  Sommergliidf.  «ot>cUe  io 

leriinen.  vtft  88. 
Diabcitod".  9aul  in  «re»Iau.  Wenie  uub  SJabn» 

ftnu.   v"'t  8ti.  n7. 

—  Crinnerungitaufdiungen.  v^t  95. 
iHanaabr,  «.  K.  in  «erlin.  2it  beiben  Sdjroeftern. 

Ütooefle.   veft  47. 
Wanr,  3ofef.    Cnn  iöoU»bramatifer  au»  Ccfrer» 

reid)    ©efl  5. 
{Raufe,  geopol»  ».  in  «erlin.    3"r  Okfdjictte 

ber  italienifdien  ftunft 
L  örunMage  unb  »ifange;  II.  ©iotto  unb  feine 

vJlad)foiger ;  III.  Cuattrocentiften;  IV.  lieben 

gang  »om  15.  in  ba»  IC.  A    rtmnbert.  §tH  13. 

mit  bem  Dortrait  »on  Saufe».   V.  Erinnerung 

an  Vionarbo  unb  Xhcbelangelo ;  Vi.  «Kapbaei ; 

VII.  Ii jian  unb  einige  feiner  Jeitgenoffen.  Qcfl  14. 


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3ntialtsrcrjcid?ni§. 


XIII 


Mann,  »riebridl  in  mündxn.   Sie  »ettrtbeilung 
ber  Sölfer.  jjjeft  17. 

—  Sie  Sstoilerfätte.   fcen  41. 

iRahd,  i-ctiuidi  i«  SJJiindjen.  Sahara  unb  Suban. 
$eft.  34. 

:Hmuin,  War  e  Mit  in  WUxan.  Seine  a-,ch. 
Lobelie.   $eft  53. 

—  3<uma  Barnim.  iHopetfe.  £eft  68. 

—  Sie  fteilige  ber  Steppe.   SJoDfCe.   v*rt  107. 
«ebwth,  C«far  tum  in  meran.  6in  »rauttranj 

in  Sonetten,   £eft  36. 
(Rcinfe,      in  Böttingen.   Sie  Drganiimen  unb 

ibr  llrfprung.   i>ett  53. 
«cuiea*.r,  fr.  in  »erlin.  lieber  Seutfcblanb»  ge. 

toerbiidje  »citrebungen  uub  Kufgaben.  $*ft  14. 

—  Heber  ben  WnfluB  ber  «Jtafcbinc  auf  ben  ©e< 

toerbebetrieb.   .v>e*t  25. 
Rrumont,  «lfr<»  p.  in  Motten.  Ser  Sidjter  bc» 
Dies  irae.   ftr't.  108. 

—  Mouline  be  montmorin.    Gin  2eben»bifb  aui 

ber  5Hebolutiou*iett.   £eft  12t.  122. 
!Rcner,       'HMo4cana.   §th  80. 
Siebter,  Ätarl  SJummitnllSrag.  Sie  ©rotimutter. 

v3i0ötUe.    J£*H  15. 
Kiditer.  «arl  Iliomno  in  *rag.    Sie  »raut. 

Iloixüt.   Qcfl  21. 

—  magbalcna.   flobelle.  £eft  57. 

Wieftl.  ®.  ft.  in  SKiincben.  Wette  muftfalifebe 
tfbarafterföpfe  I.  3roei  beutfebe  Äapcamcütcr. 
ffarl  ©ubr  unb  rtarl  xiuMoig  Srobtfd).  £c't  1. 
Ultt  Portrait  9liebl'». 

—  Jos  berlorene  Varabie«.   WobelTe.   vcft  25. 
MitteriDou»,  ffinil  in  »armen.  Mm  ©eftabe  ber 

£ee.   £>eft  58. 
Stöbert,  «atl  in  miincbeu.  mannela.  $eft  82.  83. 
notier,  ttuauft  in  S5kilb«but  a.  SRf».  (Wahrungen 

nber  9teebt»itreitigfeüen.  jfScft  142. 
«ooufüe.  Cito  in  Sarmüabt.  Sie  3Jhifchcr.  fieft  46. 

—  Ser  Sacbrciter.   flooelle.  jpeft  49. 

—  iJiaturftimmen.  £fft  51. 

—  Sic  Vertrauten.   «opetle.  fieft  73.    mit  bem 

Portrait  5Hoquette4. 

—  Ser  Sdiiilerdior.   gitft  96. 

—  ftinalbo.    Woocllc.   #e't  105. 

—  Sa»  (5aptte(  über  bie  rfrauen.  Lobelie.  .£>cft  126. 

—  »yriibtütü»»timmen.   .fceft  148. 

Rofcfxt-,  2»tli)«!m  in  i'eipjig.  3ur  Or-rtniteruna 
an  rrriibridi  i.'ift.  Ungebrucfte  »riefe  beffelben. 
Mit  einer  tfmlcitunfl.  $ct  7. 

—  »etrarbtunaen  iiber  bie  neuen  preu&tfdjen  ©efefce 

wr  <*rbaltuna.  bc«  »aiicniftaitbc».   ixh  66. 
Wofeflflcr»  V-  St.  in  ©rat.    Sic  (*beitanb*p  rebigt. 

tnne  Sorgefchi.tte  au»  Steiermart.   £cft  10f>. 
iRefenthal,  3.  in  (*rlan$cn.    tfmil   bu  »oi8» 
ittenmonb.   Ifin  Kebcnabiib.   .fceft  17.   mit  bem 
Portrait  bu  »oii^enmonb'a. 
Wühl.  »t«iti  in  iföni6»berg.   Ibeobor  oon  Sdiön. 
_veft  17. 

—  ("triteridi  Cbriuopb  Sdiloffcr.   £>e»t  39. 

KH  ü  iir  w ,  flR.  in  ,'tiiridi.  SaS'fd  lüeijerifdie  .'eveernttfen. 

(?in  »eitrag  jur  »eanttoortung  ber  ,irage  nadj 

bcrallficmdncu  «ntoeiibbarfett  be»  milijfijftetna, 

auch  uir  öie  .freere  ber  (MrOßmcicbte.  veft  ft. 
«nbbetfl.  Victet  in  «(orfbolm.   ^rometbeu*  unb 

9lba40cru*.   ish  121. 
2««.  fterbinanft  t».  in  Kitn.    Ser  Wencrar. 

t^in  );ox>ta<  01t»  Cefterreid).   .w't  28. 
«adür.aRafodi,  Vcopolbo.  in  Sittbbeim  i/Oeffcn. 

3«)ci  «öniaintten.   *JJooeffe.   $ett  99. 
cal inner.  (*-„„cn  irt  ^ranf  urt  a.  m.  3a  bcfelidi! 

Vornan  eine»  «tinbc».   -öeft  128. 
«anber,  üricDridi  in  »armen,   lieber  flute  unb 

fctilcdite  Vuft.   i>ett  10. 
Sanfter*,  I«».  in  «ItttrefitJ.   Hui  ber  Jöer.ftatt 

etitf»     2öbrterbtid:icbrcib<r».  »lai^ercicn. 

-^'t  134    mit  ^fut  Portrait  oon  Saurer*. 
2<ft*tf,  «»olf  $rifbrtd)  «raf  ».  in  munden. 

Siditungen:   I.  Ctinar.  Tl.  SldjiUe«.  .frc't  59. 

mtt  bent  Portrait  uon  Scbad"». 

—  Sibiitß  Qbtovi.   kcH  61. 


&ttnkatb  in  Sarmftabt.  »riefe  oon 
mori(j  oon  isdjmlnb.  4>eft  iO.  45. 

«diafer,  TktriiU  in  »reBlau.  Sa»  neue  Seutfa> 
lanb  uno  feine  «aifer.  .fceft  13s. 

«dianbort»!»,  9opt)u§.  Stine  roirb  3rau  »äueriru 
&tH  96. 

«Aeibert,  Suftui  in  StHtlgart.  ?ln  ben  ©renjen 

ber  Strategie  unb  laftif.  totH  21. 
2d)  tit,  <?buar»  in  Sien.   Widjarb  fflagner.  \-»eft 

21.  mit  bem  Portrait  2l>agner*#. 
«dureitbcrfl.   ffmft    in    Lhberfelb.  ©ebic&te. 

•t>eft  48. 

edicrr,  3ei|Annci  in  3»rt<b.  Seut.djlanb  bor 
bunbert  iJaljren.  .C>eft  61. 

—  Sreißig  3ab«  beutfeber  ükfd;id)te.  ^eft  65. 

—  Gin  3arenmorb.   $tH  70. 

—  Sa»  *4Jaflwn»ipiel  oon  ömiinb.  tfine  3uflenb« 

erinnerung.  j£»e't  73. 

—  „Cou.|uratio  sulfurea"  ober  AUti  fdion  einmal 

bogeloefen".  j&«fi  7ü.  y«t  bem  Portrait 
Stberr'». 

—  ftöuig  unb  ^Jrtcfter.   Qtfi  83. 

—  tfiite  SiiaUfabrt  nad)  maria^inrtebeln.  fceft  103. 
«ditffner,  Atari  in  ©raj.  martiu  ©reif.  £>eft  150. 

mit  beut  Portrait  «reif», 
edilcflnaer,  2iamunP  in  Söten.   Ser  Sbcater* 
mann  Singeluebt.  ^eft  36.  mit  bem  »ortrait 
StngclficDt'*. 

—  Rbarlortc  Holter.   Sie  Sragöbin  einer  Sturm* 

unb  Sraugjeit.  ^eft  126.  mit  bem  Portrait 
Wolter'«. 

Cditcttcrer  ^.    W.  in  8lug»burg.    Sie  erften 

framöilfdun  Cpirnberfudje.  Jöert  78.  79. 
2dimtöt,  ffrldt  in  SBJ.en.    «bolf  Sonuentbal 
J&eft  101.   mit  bem  »ortrait  Sonnentbal'*. 

—  in  äöeimar.     CHn  iRtifetagebud?  ©rtUpar^er» 

oom  v^abre  1820.  £>cft  112.  5 
«djmib.,  «ubolf  in  ifopenbagen.  Sic  flammer« 

berriu.  v«rt  123. 
<2dimfb!=!Himplcr,  ^ermann  in  marburg.  Uebcr 

»linbfeiu.  ivft  45. 

—  Sdiule  unb  Vlugc  ,v»e  t  136. 
S<t)twc0an«,  H.  in  Genua.  Strofjburg  nad)  ber 

llcbcrgabe  an  Jranfreidi.  1681— l6;i».  ,f>cft  46. 

—  (ftirifleia.   tfin  bulgarifcbe»  ©enrebilb.   \>eft  74. 

—  Sirenengolb.   ^oöcUe.  «veft  93. 

Sdjoertir,  «.  m  Woav  Ser  Halalin  unb  feine 
Vlu«örabunget:.   .\>  ft  18. 

—  Sic  neue  iUompciu^orfd 
24oentnc«t, 

jablu'ig  1 
•Vcft  141. 

2dior  jt,  Cttö  t>.  in  «tiniberg.  Sa*  ©roteSfe  unb 
*(omtid)c  in  ber  Jfunft  unb  im  Jrunftgcroerbe. 

4>cft  29. 

2dtott'H.  '.Kidhirn  in  »rellau.  9luS  ber  (Mijeit 
ter  norDteutfdien  iiefebene.   ^>cft  127. 

2dirarcr,  C.  in  ^ena.  ?lu»  ber  ©efdiebte  ber 
^au»tbnrc.   tftne  linsuiftifdic  Stu&ic.  vcft  45. 

—  Carl  Xiubvoig  bon  Knebel,  fteft  84. 

2di uit hui,  tUtian  in  var^burg.  Spicflelbirber 
Dom  »o»pom»:  Sic  mönnn.   .Ocr't  54. 

ed)ü<fhtfl,  Vtvtn.  märtnrer  ober  »erbredjer? 
^ooclic.  .Oeft  79.  mit  bem  Portrait  Sdutding'». 

2rtuilt;,  ä.  ifj.  in  Sanjig.  ©efiilint.  iliopeac. 
.^cft  62. 

«efturj,  »arl  in  ?Jctpr?)orf.  (?ifcnbabn=  unb 
Iclcflrapbcn-Streit  in  ben  »ereinigtcn*2taatciu 
fftft  91. 

2eibcl,  *>cinria)  in  »crlin.  ©ebiditc.  $tH  72 
Crianobo«,  0h.  in  ^ari».  ^ulc»  »crue.  vet  114' 

mit  bem  Portrait  »crue'». 
«emper,  *>art»  in  Onnabmcf.  3talicnifd;c  Stubicu. 

Wl  39. 

—  mutflaltcrlidic  »a.rfunfi  in  Italien.  £rt  58. 
eerao,  ffJtatilPd  in  ^caper.   (Mriediifdic  vlooclie. 

UcbcrfcBt  i»ou  HlfrtbSrlcbmaniL  frät  u:. 
Ztntci,  Wubolf  in  öcituifl.    Ia»  Slofiufrcta  eilt 
Sinnbilb  bc»   ffftrtfteiUfyunl   Im  lUbcrflannc 
?ur  ^utnanitctarttii.ion.  .C>cm  40. 


ungec.   4»  ft  18. 

il<otiipciu("torfcbung.  .Cxft  48.  50.  51. 
t,  *>•  in  »erlin.  SUaltraut.  W,lc 
au»  ber  3<it  ber  »efreiungafriege. 


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XIV 


«ertbel,  {Rubolf  tu  Il'cidwj.  Mubol*  verrmann 
>io$t.   ve't  «3.   Wtt  bem  Portrait  *.'08c'*. 

—  »ubbba  unb  tfbrimi«.   &th  so. 

—  SatnUifetytang  mit  bem  Xartpiniamu».  ve;t  108. 
«ieafricb,  V.     in  »onn.     Jüufionen.  eine 

pfndHJlogi'dje  Stttbie.   veft  62. 
ZUPrrnein.  «tuaufl  in  SBicn.  Der  üaben  be« 
Jlaj.   «ooelle.   veft  35. 

—  Xer  »leibbrauS.    eine  heitere  Xorfgefdjidite. 

Veft  Iii. 

«olloboub,  «Barbara  «Brätln  (Xanine)  in  St. 

'-Uetcraburg.   «ater  Xionnfiua.  ve;t  53. 
Soanomefi,  SR.  <f.  t».  in  'Hofen,  ituno  ^tfcber. 

Veft  4t.   U)ht  bem  Portrait  ^ifdier'a. 
2onfa.  r*ti»«*  in  aJiündjen.   lieber   ben  gegen» 

tnäritijeii  Staub  ber  i^cftfrage.  veft  26. 

—  Xiettuft  alt  Iraj  rinoon«rantbeit«leimcn.  V<ftö7. 

—  eolonifation  unb  Mlima.  £>est  os.  9!*. 
ZpiiUmiuit  ^rlcbrii).   ein  »rief  an  ben  £>er» 

auageber  oon  „Wort  nnb  Süb".    9RÜ  einer 
»orbemerfung  ber  Wcbaction.   .Oeft  43. 
«pinola,  »ernljarb  in  Berlin.  Xte  »cftrebungen 
be»  «eretu«  gegen  ben  1'ÜBbraudi  geistiger  OJe* 
trän!e.  veft  06. 
«»rinaer,  ttnton  in  fceip}ig.   Xie  beutfetoe  Shtnft 
unb  ihre  bütorifdx  »cbanbltttig.  veft  124. 
trn,  ttlfrcb  in  »ern.    Marl  oon  Glaufetpi*. 
v«*t  44. 

«lein,  tforrtti  *.  in  2flictt.   Xer  araerifattifebe 

So;tali»mu»  unb  Pommuniamua.   fceft  43.  44. 

—  %J7lufU  uno  2taat*roiiieitFd>aft.   veft  73.  74. 
8lcin:9torbtKtM,  9.  n.  in  '.Neapel.  Xie  monteneg» 

riniidien  grauen.   veft  Sl. 

—  Xie  2tHitjafcn  unb  ihre  Sitten.   ve't  143. 
«teinbadi.  f«uftat>  in  SBUti   Mronprim  «Rubolf 

bon  Oeücrretd).   ve*t  14«.   mit  bem  Portrait 

Jrroitpniu  :Ruöolf». 
«leinen,  «arl  von  ben  in  »erlin.  Samoage« 

fdnditeu.    ix'i  123. 
«lerne,  tforu«  in  »trlin.  ernft  vaecfcl.  veft  im. 

SRil  beut  Portrait  vaccfel'*. 
«tenb,  fcubwia  in'inüiicticn.   mein  Scben.  ftefl 

78.   Mit  bem  Portrait  Steub'a. 
«tieler,  Morl  in  l'Ninrfxn.    eine  Winterreife  an 

ben  Mönigafre    ve-t  :iv 

—  %?'j^w  *aitr-  (i[nc  SWM«*rt  im  Slmmergau. 

«totfmar,  «mit  »wiherr  ».  in  »erlin.  Tie 

Öludit  be«<WraTtnron»ror.encca'uC>u>  gXVllI.) 

am  21.  Juni  1791.  $«ft  10. 
«trantbera,  *.  fc.  in  »erlitt   3m\  fragen,  bie 

nidit  brennen.   veft  20. 
«pobab«,  «Dalben  «.  in  3Riindien.  5H. 

iRofe^iger.   eine  t'cbeit*-  unb  «^liarnftcr^ S.;>»c. 
JÖcft  l'*3.   dju  tem  'tfortrait  iRofcggcr'4. 

—  »rratu  oon  £:»'regger.    f»eft  l'»7.    iffit  beut 

Portrait  I:'rfg,icr'a. 
«t|l»a,  «armen  (9öni(|ln   ffltfabeth  »on 
{Rumänien.)     Xa4  t'etben.    ein  SnüiÄol 
\vft  5s.    jJUt  beut  Portrait  (»armen  SiHua'*. 

—  i'tcber  aua   fem  Xim'jDDioathal.     'Am  bem 

ü>-'lf*ntiinbf  gcfamnclt  Mti  .«>cltnc  Hacarcsco. 
i>c't  145. 

laubert,  «mil  tu  i'crlin.  Srau  ftfitftt  Stovefft 
H5.  14«. 

2«rc*fin  ,9t.  in  »erün.  I-rrabanoff  unb  riptiitoff. 
<«ettrcbtib  au*  bem  ruifitebtn  Vtb-.n.  veu  134. 
135. 

Xh«ile,  !»r  t»Uh.  tu  W;itnar.   laa  ^icnMiritgt-- 

fdilidit.   veft  33. 
2 hier f di,  Varl  in  ßetotfg.   g?ec^icit:i'"cf><r  (Mloffcn 

}ttm  öatnlct.   ßefl  17. 
2l)omna,  («arl  in  ^raj.  Ii:  (HroMmuttcr.  ".'lobette. 

SkH  15. 

—  i'itirnijlciia.    'JJoöcrie.   .v."'t  57. 

—  lie  »raui.   iveft  21. 

Jabt,  über  WegierungSralt)  in  sich'..  Xer  »er» 

liuer  Xotn.   \\m  l.V> 
2olf<o|,  tfftf  «raf  in  ^a,naia  Zollamt  Ter 

lob.  'Jiou.-lle.   .\?e-*t  b7. 


I oi  «toi .  £r«  Sraf  in  .taia  ^oliana.  Xer  ente 
»ranntroeibrenner  ober  wie  ber  Iturel  ba* 
»rotrdn^tel  abgebient  bat.  t'uftfptel.  £e*'t  125. 
ffllit  beut  atortratt  Xolfiofi. 

Itiuiit»,  'iluftuii.  in  »erlin.  ein  vumorif» 
roiber  Söillen.  Jöeft  97. 

Irojan,  3ob,annti  in  »erlin.  Xie  Xor^tdtte. 
.Veft  5.5. 

—  Das  Minalein.  «veft  IIS. 

Itirgcniftti,  3t»an.  ;:nlel  unb  Xon  Cuitote. 
ein  «ort rag.   .£teft  K2. 

—  2er  SRaufbolb.   ^iooelle.  (Äu*  bem  SRufÜKfcen 

oon  iJiUibelm  üange.)  veft  84. 

—  ein  Äbenb  in  Sorrent.  Suftpiel  in  einem  Äuttjuge. 

^rur  bie  beutfdie  »ubne  itberfe^t  unb  bear« 
bettet  bon  engen  Säbel.   ve*t  130. 
Uql,  ^riebrid)    in  SBien.  vcr)«nit>dn"n«runij. 
5iooeQe.   QtH  11. 

—  Sie  utuvj  und)  füllen.   er|äblung.   .'öe't  114. 

—  lie  Ttra u  ein  Wann,  ber  Statut  ein  2ikib.  ^ooelle. 

veft  136. 

tinaer,  Zlirobor  in  vonnooer.  i(unftfd)reiben  unb 

«unfttreiben.   Ve»t  6. 
»eraa.  «.  Satanla  in  Sictlien.   2er  »rieg  ber 

Veiligen.    ,yrei  bearbeitet  oon  Ctfip  Sd,nibtn. 

•Veft  !'0. 

HiUtnger  Ä>.  in  «arUrube.  ^in.  ^ooelle.  $:n.  131. 

—  ein  fchroerer  Sie&.  ^JopeUe.  -t>cft  13!». 

—  aafobau»  Staoer.   ^looea-.     ve't  150. 
»iolet.  Xtam  in  »erltn.  Di:  Sage  pom  ewigen 

Jubcn.   Vtft  Hf>. 
tUfdier,  ffr.  in  Stuttgart.   SBieber  einmal  über 
bie  Wobe.   veft  12. 

—  Vleue  inrifdie  (Mange.   .Cxft  70. 

Utifener,  {Robert  in  »reaiau.  X'eutfdx  ftenaiffance 

einit  unb  teöt.   .C»eft  04.  05. 
Ooflcl,  «>.  B.  in  »erlin.  TaS  Spectrum  unb 

bie   rtiemifd>en  SiUrlungen  bc»  i;idit*.   veit  7. 

—  Xt:  XelegTapbenicbrift  bc»  vimtnel*.  ve't  1^. 
»oat,  Garl  in  («en».   ein  •rommer  Angriff  au' 

bie  bfuttge  2?iffenfcbaft.   vc't  2. 

—  eine  vJ!atitr*'orfcb'?r=Jinee  im  .öocb^3ura.  vtT't  25. 

—  Sur  itlumologie  ber  Scbri't    $Vi  34. 

—  Vllgierifdiea.   .\>e^t  54. 

—  etutürb  Xefor.   veft  64.  «5. 

—  (V>oetb:5  geologifdt«  Stubten  in  Harl»bab  unb 

bei  '.Tranu-nSba.--.   veft  75. 

—  Strmbiicfc  auf  ba«  UnioerfiTätStoefcn  im  beutfeben 

9ieirt>.   veft  OH.  Mit  b.  Portrait  »ogt«. 
--  Xer  »'"arrcr  nun  SPofttano.   -Oeft  120. 

—  Hefdtidite  be«  iuugeu»ft»'ig.?ioPetle.  §vt  142.143. 
©oit,  9.  tu  aJliindien.   lieber  b'e  »cbeutnng  Pe» 

»Inte*.   ve*t  16. 
»oirelt,    Jobonnc«    in    Jena,    ebnarb  »on 
.t>artmaiin.   inn  52.   99Kt  bem  Portrait  pon 
Vartmantt'a. 

fiolj,  ».  in  •i>ot^^am.  Stirn  sraunit».  Ven  36. 
4»oft,  «fora  in  »erlin.     ,lri8  Sdiaper.  ein 

Miinftlerbilb.    -veft  147.    ä'itt  bem  «ortrait 

.JritJ  Sdtaper'8. 
©oft.  {Rietiarb  in  »erd)t(«gaben.   Tie  33lntter  ber 

(.^atoiien.  veft  127.  Üht  bem  Portrait  pon  «oft. 
Srhnicftuf  f  l^ine  unbeilpolle  veiratb.Serbifdte» 

CMtlturbilb  au*  ber  vercegoioina.   ?lu*  bem 

Serbtfeben  Pott  9L  b.  S.   &efl  137. 
Sßaaener,  »»ernharb  in   Miel,   ^roifcbeu  «oet 

Vfrjeu.   VioueUe.   J&cft  6. 

—  »iffer  aus  X:iitfebtanb*  Sfriegimarine.  $th  10. 

—  ^oiiiatlia.  ^onelle.  .ve*t  88. 

»aeiner,  !Rl<Harb  »riefe  an  3t«.  ^ifeber.  Sx*  77. 

tMaffertWI)er,  tftnft  tu  Sranfnirt  a.  Dl  Sopbte 
(Mcrmaina  3^eal  ber  mot>-ntcn  Xtdituttg  unb 
feine  er-ittliutg  bttreb  X'öilbelm  >rban.  £>e;t  143. 

21} «eil,  »riebridj  ».  in  MariarutK.  «oetbea  t'tti. 
veft  39, 

(Beilen,  Jofef  in  Wien.  2itdbrenb  ber  Mm. 
eine  endbiung.  veft  13s.  l»!tt  bem  »ortrait 
3tH-tlett'a. 

ÜBeiAbrobt,  Qiufiao  t.t  EJieit.  Jntentatienalel 

ßolonialreart.  frtft  im. 


Digitized  by  v^OOQle 


3ul{altspct3ci^tii§. 


XV 


9)cl<(rr,  £  ermann  in  $alle.  Sie  ptrfifcbt  iBier* 

jäile  unb  bcr  btutfdit  $olf»rtim.   veft  30- 
SBrllmer,  Urnalb  in  2*(anttnburg  a.  ftrain. 

Singelues!»  „Sditoabcnftreiche**.  Jptft  59.  60. 
HMtrich,  Rtdjati  in  SJiündjen.  ftriebrid)  iUfdjer 

al»  '4?oet.  j£>cft  70. 
SÖerefdiaain,  Oaffitt.  «rinntrungtn  aus  btm 

ruiHfttHumfdjtn  Jelbjuge.  .fctft  7«.  77. 
Ä>frifitd»,Ä.in4K«nnoi)er.  6ufe.  Lobelie,  frft  115. 
ÄHdiert,  ffmtt  in  Moniberg.  6ommtrfrifd)< 

am  baltifdien  Stranbe.  .&eft  19. 

-  ifandjott.  iNooeUc.   #tft  77. 

-  Sit  'JJlntter.  Lobelie.  £>e*t  106. 

Sifiu-t,  i»  Jdtipjig.  Sit  mobtrnt  ©tttögebung 
gegenüber  ber  2i3aarenfälfdmng.   £*  t  13. 

»icfmcr,  *>crmrtnn  in  33trlllt.  3rautn*8rbtü 
in  iütrlin.  £itft  110. 

Bilbranbt,  »bolf  in  iRoftocf.  Sramaturgifcbt 
Unterboihingen.  SDttin  jjrtunb  €cäpola.  £eft 
2.  SJht  btm  Portrait  töilbranbt'a. 

-  Str  2ootftncommanbeur.  yiobellt,  $tft  7. 

-  «inltittnber  »ritt  ju  eintin  Slun'a&t  Don  Stinrid) 

bon  Äleift.   *tft  10. 

-  Untrennbar.   WobtHt.  $tft  13. 

-  Str  SJHtfdiufbige.  «obette.  £ttt  18. 

-  Zob  unb  Iroft.  Sin  Gnclu».  $tft.  33. 

-  Str  Skmalttr.  Wopttlt.   §eft  43.  44. 

-  «r  unb  idj.  «in  ©efpräd).  t*ft  106. 

-  3»ei  Webidjtt.  fveft  142. 
SJUbeubrud),  «ftuft  ».  in  »erlitt,  »runbilb. 

Sloptat.   i>tft  66. 

-  Sa»  ©erenlitb.  $tit  79. 

-  Sit  betligt  ftrau.  £eft  M-         b-  Portrait 

bon  äBilbenbrudt».  .öeft  92. 

-  3ung*iöUntarcf.   (^cbidjt.   .Cxft  97. 
SBtUomtner,  3ofcf  in  Stfrag.    Sin  ©dbaufpttl 

für  Öötttr.  flobtüttte.  .fceft  US. 
»inbfdKib.  ».  in  t'eipjifl.    Sit  gefcmdiUiffit 

6<bult  in  btr  tHtdjt»roitienfcbaft.  fceit  10. 
»inter,  «cot«,  in  Harburg.   Sit  flataftropfje 

SBaUtnftttn».    iMacb  btr  ntutfttn  artbibalifditn 

$ubli  ation.  Qeß  72. 


»intet,  «eorg  in  9Rarburg.  ühidtt,  Jitcfn,  JRanfe, 
Seft  103. 

—  «rinntrungtn  an  Stopolb  bon  Wanfe.  Seft  113. 

—  «in  Sauptf.ibrtr  be»  beutfdjen  $uutani»mu». 

©iftorifcnt  Qtim-  139. 

—  Str  8.  Xbtil  bon  9ta  -fe»  2Btltgefd)icbtt.  fctft  132. 

—  iitopolb  bon  SRanfe»  üJiar=2torltfungtn,  £>tft  142. 

»Intetfelb,  V.  ».  Str'-ßofttn  por  beut  Gotnman* 
btur.  $eft  106. 

»Ulf,  3.  £>.  in  »onn.  flont  unb  bit  3frautn. 
$tft  19. 

»olbt,  9t.  in  Berlin,  «in  39efuc&  im  aftropfrofU'ali* 
fdjen  Cbftrbatorium  b.i  $ot»bam.  $tft  102. 

—  Sit  btutfcbt  Öetptrbt'.«u»fttUung  in  »trtin  188a 

fitfl  109. 

—  Sit  SBifftnfebaft  bom  SDltnfdjtn  unb  ba»  SKuftum 

für  ajölftrfunbt.   £»tft  119. 

»olü,  Chili uo  in  Berlin.  Sit  9rau  btB  9iatb9- 
btrrn.   «attabt.  .£«tft  68.  Tixt  btm  Sßortrait 

©»in. 

»oltmann,  «Ifrrt  in  $rag.  Sa*  SPrtufitntftum 
in  btr  ntucrtn  ttunft.  .^tft  4. 

Semin.  Wcbtjatb  in  Sarmftabt.  Sit  Orntwtidjung 
bt*  -JJJarMiQii*  2&a}aint  aufl  btm  (StfängniH 
bon  6t.  aJlargutritt.  9lad)  btn  aJHttbtilungtn 
btl  ©roftn  i»6riffon.  ^tft  140. 

3ttmff(it,  Vubwlfl  in  «tufttttin.  ftritbrid)  6pitl» 
b.agtn.  .Otft  43.  ÜJlit  btm  Portrait  epitl« 
bagtu'4. 

3*1«,  Chntle  in  ^Jaria.  »aljac  (in  franjöTtfdxr 
€prad)t)  (in  btutfdjtr  epradx,  libtrftot  bon 
V.  2.)  Stft  37.   WH  btm  Portrait  3ola9. 

—  Str  WiidKr.   Jloptttt.   $tft  76. 

„•Jörn,  'Dhtiipp  in  jrönigsbtrg.  €tein  unb  bit 
«tform  btr  prtu&ifdjtn  »erroaltung.  Ocft  79. 

—  8lua  altfranjöfiid)tu  Sidjttrinntn.  J&tft  144. 
3M«ti0,  «rincidk  in  Srtabcn.  tfolgtr  Srad>= 

mann,  «in  bänifebtr  Sidjttr.  ixft  149. 


Än»  btr  trittn  fran<öufd)tn  iJlationalbtr. 
fatnmlunfl..  —  1871.  —  Wach  Statin  au»  btm 
'Jiadilaß  tint»  SUlüglitbt«  btrf.  QtH  6. 
«Riticu*.  Sit  ftaatlicbt  unb  focialt  «ntroidclung 
3apan«  in  btn  te|tCD  J«b.n  3abrtn  (1868  bi* 
1H7S).  4>tft  26.  27. 
«titf nitio,  ».  3ftttaccc.  ffilrft  S9i«marrf  an  btr 
C\abr<»rotnbe  l«79.  .\jtft  34.  SJlit  btm  Portrait 
bts  t^ünttn  ViSmarcf. 

*  t  *  £a«  Stutfd)th.um  in  btn  ruf R'd.itn  Cilftc* 

prooinwn.   (cfi  35. 
—  «n  m\d  pon  btr  polit.  SSartt.  j>tft  40. 
:Khtiianuo.    Sa»  btutfd^öittrrtidjifdjt  «präocntio« 

«ünbniB.   Wl  46. 
3.  «.  Sit  unganfdit  etaat»ibtt.  i>«rt  67. 

*  «  •  Vrtufttu  in  »urbtfftn.    Erinnerung  tlltcl 

alttn  Cffijicr«  an  bic  ^rtuHif*e  «rptbition  m 
ifurbtfitn  1^50.    jQ%<ft  68.  75.  »I- 
"  *  *  (Ötbin  Sdjiirt'itig.)  In  memoriam.    S>ct  79. 

*  •  *  Str  lUtramoutaniiinu*  in  Jtrau:rt.di  unttr 

btr  Jltftauration.   \>cft  i>2.  b3. 


*  »  *  3ur  Sbarafttrifticf  «buarb  8a»fer«.  $cft  85. 

mt  btm  Portrait  iiaaftr'*. 
TO.  ».      in  .vfonftantinoptl.   «in  Sanbfdjaftabilb 
au»  JHtin^iitn.   fttft  92. 

*  ,  *  itarl  Wnion  tfiirft  pon  .C»oljtiupIItrn*2ig» 
maringtn.  ixrt  92. 

J».  in  Jötrlin.  »eim  Heid>»:onjIer  ju  ®aft. 
4>tTt  97. 

*  1815.  —  1837.  —  \s^ä.  3«nt  Rcbjigfttn 
(MtburtStag  unb  fiinfjtgiäbrigtn  Sitnuiubildum 
unfert»  .«anjltr».  xvft  97.  3JMt  btm  Portrait. 
3ung:»i»marcf»  au»  b.  3  1834. 

*  ttoloman  Sisja.  j^ft  107. 

*  iPattr  ^tefr.  ^th  121. 

*  Grüner  ^tfunftfbaulcn.  SCxft  130. 
I.  Ibfobor  «torm.  «in  ffltbtnfblatt.  veft  140. 
-Sin  bem  Portrait  Storm'». 

*  *  •  »ifrtb  Ärupp.  .veft  145.   SRÜ  bem  sportrait 

Jrrupp*». 


* 
ff 


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XVI 


3  rt  Ija  1 1  sperjetAntfi. 


Porträts  aus  „Zloxb  unfc  Süfc". 


Vlnbrtad  Wrfienbadi.  Vt't  45. 
8,  «nwigrubtr.   vtft  6. 
iPtuhciö  ittuerbadi,  v.'t  14. 
ihmie  Wüßter,  Ve't  26. 
Wbolt  »afiion,  frft  149. 
Gbuarb  pon  JPaiitrrtfelb,  Vtft  143. 
Stubol'  Haimbach,  Vtfl  74. 
Ätinbolb  2*tflo»,  Vtft  30. 
ftarl  ^itotrnionn,  <yfi  86. 
Xttobor  iiUUrotl).  Vtft  141. 
fturft  iPiamartf,  Vtft  3t. 
3uno-^i«nwrcf,  vtft  »7.* 
Wrnoib  *»bcflin.  t»cft  12. 
ftritbricb  tfoötnfttbt,  vtft  117. 
Gtrtti  bu'-Poi^iHenmonb,  Vtft  17.** 
Vaul  Börner,  Vtft  104. 
3obanne«  löraliin8,  Vtft  63. 
Ofcorg  itfranbt«,  vtft  113. 
Äarl  :£raun-2ätttbabrn,  vtft  67. 
#rtt  Varte,  veft  44. 
Van»  t>cm  ^nlow,  Vtft  133. 
Wilbtlm  iSufcb,  V<ft  11. 
3Mori(j  Garrtort,  .vtft  8. 
Grnft  Gurtiu».  vtft  106. 
gtlir.  ia&n,  ixft  51. 
füvbonl  2aubtt,  vtft  131. 
ftranj  pon  2>tfrtgatr,  $t»t  107. 
Jran?  Pon  tingtlitebi,  vtft  36. 
iSruft  Xohm,  Vtft  31. 
3  3.  3.  »on  XoeUtnfltr,  vtft  32. 
Wtejantxr  üuma»  Als  veft  28, 
Gkorg  Gber«,  <&eft  10. 
3ofö  Gditgarap,  Ji>eft  120. 
3acob  pon  »"volft,  Vtft  92. 
ttuno  fttfditr,  Vt*t  41. 
Slrtlutr  fvitfler,  Vtft  105. 
Jbcobor  ofontant,  vtft  39. 
«oben  erram.  Vt  t  112. 
Warl  Ski  1  .,  vom  142. 
2bto:>or  Port  .vrend«*,  ^eft  84. 
ü»u'tap  irrentofl,  vt't  2*.». 
Xforeuj  Gkbou,  vtft  ss. 
Gtnauutl  (Mäbel,  Vtft  3. 
iWiibdm  Dan  (tytfebrtd)t,  #cft  71 
SRubolf  Omtn't,  t»«ft  95. 
Gbarle»  Olounob,  Ve't  102. 
SHubol*  Port  (Mpttfdwü,  Vtft  94. 
fttrb.  (Mrei-oroviuft,  Vtft  6J<. 
3ulf«  <Wr.:  t»o,  vt't  10s. 
»flau*  Olrotb,  Vt't  Eft 


»Tarl  OJueforo,  Vtft  18. 
Or.ift  .t>Qaf<I.  vtft  110. 
iMobttt  vaintrling,  ^eft  94. 
GbuarD  Van4lirf.  Vtft  22. 
Gbuarb  Don  Vartmann.  Vtft  52, 
Vtrmamt  Vttberg,  -,i>c»t  136. 
Vtrmann  pou  vtimhon,  vtft  66. 
Vtrmamt  Vtttuer,  vtft  57. 
^aul  V«>ft,  Ve't  7. 
•itrbittanb  v«Utr,  $tH  54. 
Vau»  Voffmaun,  $cfr  144. 
«arl  l>on  voller,  Jcef tt  35. 
[fallt)  Don  Voletnborff.  47. 
Vai.»  tupfttt,  Vtft  23, 
>lio:::;i!  vubtr,  vtlt  27. 
lUctor  Vugo,  vtft 
fienri  3bftn,  vcm  BO. 
%ii*ilbtlin  ijcnfcit.  veft  24. 
3i.  bolf  con  3hcriitg,  £tft  87. 
3off»b  3oa*tm,  ^»e*t  83. 
JNoriB  3öfo»,  \Hfl  81. 
BBUftdM  Horben,  i^ft  65. 
Viarl  ifllcfQHbfr,  (MroBbtrjcnj  »on 

Jiüitnor,  v<tt  121. 
(Momrieb  Sleller,  &tit  60. 
^uMüiij  Mndn»,  vtft  40. 
VUtrto  Sfnipp,  Ve't  145. 
Vltolpi)  i.''«rroii3c,  £>til  55. 
Gbuarb  »  aiftr,  t>«ft  s-}. 
vctiiridi  iiaubt,  C><'t  15. 
vJ)torij  Vfl^iru*,  .pt;i  48. 
'^raiu  i.'«iibact>,  x?t'l  132. 
«<0  XIII,  V<ü  1  lö. 
Ktrbinanb  pon  xitfltp«,  §th  99. 
»farl  ^rKbricl)  t'tfltnfl,  .vtft  42. 
•tan iw  VtipalP,  .vret  US. 
qjaul  üinbflu,  vt't  100. 
\xrmortit  fiuea,  .vt«"t  124. 
'r^ran^  iiitm,  $tH  6. 
XMtroitrjinu»  form  116. 
Dliibol'"  ötrinon:!  iroet,  vtft  63. 
äüilbtlin  X'iibfe,  vt't  ». 
i^abricl  War,  j£<eft  72. 
«l'rtb  l'iciHiitr,  vt't  33. 
Äbolt"  i'Jtujd,  vt't  33. 
(5.  5.  Wtntr,  .Vt't  I3n. 
l4.laitl  i'ltDtrbtirn,  Vt't  50. 
ftclbmarMiall  dlmi  ÜJäiitft,  .Vf't  46. 
t«.  0.  lUoftr,  \x't  113. 
i'fa:  a'tuUcr,  f-eft  19 


Slll'trt  Üiitmann,  *en  122. 
War  pou  ilkttenfo'cr,  ^<ft  82. 
i_'„bipid  thrtfd),  vt't  137. 
WuHcp  bon  *wtli*.  t«ft  90. 
ütopolb  Pöit  sRanlt,  ^itfi  13.  t 
Grnü  :Na<. an,  vtft  135. 
SU.  V.  iHitbl,  Vtft  1. 
Ctto  Dtoquttte,  $fft  73. 
C.  >r.  «oitflgtr,  V«'»  103. 
SBilbaw  Jlofdxr,  <xft  «6. 
Muten  'Jftibinfttin.  v«ft  26. 
Mrottyrittj  rfhabol',  j&eft  146. 
Xanttl  Sauber*,  vt't  134. 
Btctortttt  Carbou,  c»^  128. 
Ä5oi'  ,?ricbritfc<«rof  P.€tbacf,  $JJ9. 
Ttrtö  »Aaptr,  (cfi  147. 
3o  tH)a)ictorPon€tbfffd,  ^eftl6. 
3i>lmuitt#  «dxrr,  v«ft  76. 
Vtiuridi  Sctlitmann,  4>tft  109* 
Ittuin  Sftucftna,  V^*t  79. 
&lara  €i!)umann,  vtft  128. 
Garl  «rdiun,  £»e't  93. 
l"i?uarj  2tmfou,  .vtft  lll. 
Vtcolf  €enntnthcf(  $eft  10L 
Sntbricb  SpKlbagtn,  ^,ft  43. 
ttubtoig  «ttub,  $fifi  78. 
3uliui»  «locnwuitn,  i&tH  119. 
ilicojijr  Ktomt,  Vtft  140. 
C<U)battn  ^tratiä,  t^ift  96. 
tM.r.ictt  ü:>r.>uiMi>nifl'tn  (Hifcbttb 

uoit  Mumattltit),  v«*t  5». 
l'to  t'^ra'  iolftoi,  *v<n  136. 
3)uau  Iurgtiijetr,  vtft  20. 
^\uU3  2>tmt,  114. 
ftiibc>l;  iHirctioip,  i>tft  61. 
tsarl  iipflt,  vtft 

iRul  ar>  von  iBoIfmonn,  vtft  139. 

lUidiaro  'MK  Vc't  127. 
lUidicrb  Sita^ntr,  vtft  21. 

SW<i  Otiten,  vtft  isa 

öyafflti  ^jüfiuinpttidj  2i«trtf*ogin, 

Vt't  75. 
Wittern  poh  ^iWruer,  fiteft  63. 
Gruft  ^idtrt,  .txft  77. 
m>p:*  'ivUbrautit,  vt't  2.ft 
<*ru»"t  von  iL'ilbtnbrudj,  v«ft  91. 
»fairer  Älil!>tltn,  .Vtft  49. 
3iiJiu4  Wotff,  Vtft  68. 
OiHtrliMte  Wofttr,  vtft  126. 
ü-JUhfiju  J'Juuit,  -vtn  129. 
Gmilc  ;]ola,  vtft  37. 


*J  *'odi  tiittr  im  iVatnilienbtfH  btfinblidicn  3tidinung  aus  btm  ?abrt  1^34. 

**>  ?iact)  ber  CrißmaUtidmuna  pon  ÄbDlf  Vicitjc!  in  s4.lriotograPÜrt  POn  Woupil  u.  Go.  in  ^ari« 

+>  'J(art)  btm  C:ik.t inuiDc  pou  3uitu4  Sdirabtr. 

tt)  Jiadi  btm  Gkmalbe  doh  oraiij  ircnbadi. 


Sämmtlictjc  portratls  ftnb  in  31PC1  2lnsaabcn  t»orrättjtg: 

a)  (SroT,  c  2lus<jabc  (ertrafetn  auf  <£binoiS'papter,  ^ormat  58/49 
1»)  Kleine  2IuSijabc  (^ormat  unb  JJusitatturuj  wie  in  „Horb  unb  Süb.") 


Sämmtlte^c  fyftc  von  „.Oorfa  imb  ^üt)^,  fotrie  6te  Portrait» 
ftno  —  fotreit  öcr  rorratt?  reidjl  —  öas  ^eft  5UT»  Pretfc  ^4  2.00, 
6as  Portrait  $um  preifo  pon  «^4  (.50  für  bic  aro^e,  cWL  (.00  für 
6ic  fletnere  2Iusaabe  6urd?  je&e  BudyljünMung  un6  poftanftalt  ocs 
3n?  un6  Hu5lan^sy  oöer  aud>  otrect  von  ber  £>erla$sbud^f}anMung 

4$d}0ttlarnl>tr  in  Breslau,  Steben^ufenerftr.  2/3,  511  bojicl^en. 


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(Dctofor 


Seite 

Valbert  ZHeinfjarM  in  fjamburg. 

Der  £ot>ro.  Horeffe   J 

Paul  ZTleyerljeim  in  Berlin. 

Die  englifdje  maierei  in  ben  legten  fünfjig  3ab,ren,  mit  befonbercr 
Berüdfid}tigHng  ber  (Senre^  unb  (Lttierbilber   \7 

3ulius  <5rof)e  in  ZlTündjen. 

£iterarifdjc  Urfadjen  anb  iüirfungen   32 

€öuar&  Don  ^artmann  in  Berlin. 

lüie  ftnbirt  man  am  heften  ptylofoptne?   50 

TL  Hogalla  oon  Sieberflein  in  Breslau. 

(Ein  ölicf  auf  bte  öefdjidfte  £njemburgs  unb  ber  „£uremburger"#  72 

3n>an  (Eurgenjero  f. 

Der  3unggefeHe.   Sdjaufpiel  in  3tt>et  Meten   91 

Paul  Cinfcau  in  Berlin. 

2luf  bcr\fatirt  nadj  Spanien   U3 

Clemens  Sofal  in  tDien. 

Ctn  Koman  ber  ejperimcntirenbcn  pfydjologie   131 

Bibliographie   138 

€.  Sdjlogintofit,  3nbien  in  IDort  unb  öilb  (mit  Jüujtrattontn).  —  <Srea.otopius, 
«cfdjldjte  ber  Stobt  illben  im  OTUUlalter. 

mufifalifaje  £iteratnr   \\\ 

BibliograpWdje  HoH3en   \\\ 

^ter^u  ein  Portrait  von  Julius  <S reffe. 
Habirung  von  3obtann  £inbner  in  iTtündjen. 

»Horb  unb  Süb*  erfdjdnt  om  Jlnfana.  jrbes  OTonats  In  Qeften  mit  je  einet  KunjlbeilafC. 
--  i    preis  pro  Quartal  (3  $efte)  6  mar!.  — — 
Ilde  »udjb.anbluna.en  unb  pojtanftalten  nehmen  jeberjrit  öefleHungen  an. 

21Ue  auf  ben  refcadionellen  3nfyalt  von  ,,4Dorb  unb  <&üb"  bc- 
3ÜaHdjen  Senöungen  ftnö  ofrne  Angabe  eines  Perfonennamcns  $u 
richten  an  öie 

Hefcaction  oon  „J&otb  unb  jg>ub"  Breslau. 

Siebcnfyufenerftr.  2/3. 
Beilage  5U  6iefem  fjefte 

oon 

3.  «»flclljortt,  Stuttaart.  («ngel^orn's  allaem.  Homanbibliotljef). 


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Verlag  von  S  &fo4itanchr in  3f*»t*u 


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ZXoxb  unb  5ü6. 


(Eine  6  e  u  t  f  d}  e  tflonatsfdjrift.  • 


herausgegeben 
con 

Paul  Cinbau. 


LI.  Sanb.  —  ©ctober  (889.  —  fjeft  (5(. 

(mit  einem  Portrait  in  SaNruna,:    Julius  fitojfe.) 


23reglau. 

DrncF  uub  Pcrlag  von  5.  £d?ottlaeubcr. 


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Der  iovvo. 

Von 

Valbert  ItteinfjctrM. 

—  Ratnburc.  — 

m  Sd)lofef)of  ftanb  ber  tfutfdjterroagen  angefpannt.  £er  lange 
SHauric  madjte  fidj  nod)  mit  ben  Spf erben  511  fd^affen.  Gr  6e* 
füllte  Ditemen  unb  3ü$el,  50g  bie  Xrenfe  fefter,  Köpfte  be- 
gütigenb  bem  £anbgaul  ben  fd)lanfen  tfopf  unb  flaute  bajroiidjen  unruhig 
ju  ben  genftern  Innauf.  G3  war  ein  fd)roüler  Septembernadmtittag.  3tuf 
bem  £ofe  rurjte  bie  Arbeit,  fein  flned)t  unb  feine  9ftagb  liefe  ftd)  bliden, 
2llle3  [tili.  —  Gin  blonber  flnabe  fam  au£  bem  &aufe  herbeigelaufen, 
ba3  5tinb  be3  £eutfd&en,  roeldjer  ba$  Sdjlöfedjen  f)ier  beroofmte,  feitbem 
er  brunten  im  Saoetrjal,  in  ben  ftabrifen  ber  frainerifdjen  3nbuftriegefeH= 
fdmft  als  Xirector  angefteflt  mar.  X)er  kleine  t)attc  fein  Slooenifa)  mit 
bem  (Sprechen  sugleid)  erlernt  unb  mar  gut  greunb  mit  allen  Seutcn.  Gr 
fprang  auf  ben  Sfiauric  5U,  erroartenb  ber  alte  StaHfnedjt  merbe  tfm  wie 
fonft  auf'3  ^>ferb  beben  unb  mit  Unit  fpielen.  Ter  aber  ftanb,  ben  ftopf 
oorgebeugt,  mit  gcfpreijtcn  deinen,  in  fjordjenber  Stellung  unb  beamtete 
tlm  gar  nid)t.  Tag  ftinbergefidjtdjen  oer$og  fid)  jum  ©einen.  Gnttäufdjt 
madjte  er  fierjrt  unb  flctterte  mit  feinen  finden,  runben  ^Beina^cn  bie 
Stufen  mieber  hinauf,  feiner  Xante  entgegen,  bie  ifjm  gefolgt  mar.  £a3 
Jyräulein  3lnna  führte  iljrem  trüber  ben  <gau£ijalt  feit  bc$  Knaben  Sftutter 
geftorben.  ^n  ben  roeuigen  Monaten  ^atte  fie  nod)  ntd)t  $eit  gefjabt,  bie 
fianbeefpraa^e  ju  erlernen.  Sie  ging  auf  ben  9)iauric  ;>u,  rote  §ülfe  be* 
gefyrenb,  unb  ftanb  unb  brüefte  it)re  .§ünbe  ratfjloS  ineinanber. 

2lber  jroei  gute  unb  erjrlid)e  sD?enfcf»en,  bie  be*  gleiten  Sinnet  ftnb, 
foßten  jfid)  oerftänbigen  fönnen,  felbft  roenn  bie  Gine  eine  Xeutfdje,  ber 
SInberc  ein  frainer  Slooenc  in.    Xer  ßned)t  begriff  bie  bange  9tngft  in 

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1 


  Der  £ooro.    3 

ben  Reiben.  SBieber  fal)  fic  mit  ftefjenbem  33licf  ben  2)?auric  an,  als  fei 
von  bem  nodj  ^filfe  möglid).  Der  ßnedjt  war,  als  er  ben  &erm  fommen 
faf»,  ifnn  entgegen  getreten,  fo  weit  bie  ijügel  es  erlaubten  unb  lüftete 
refpectuoU  bie  SJiüfee.' 

„&err,"  begann  er  mit  bittenber  Stimme,  „£err,  neljmt  midj  mit 
auf  bie  galjrt  ju  bem  ßirdjlwf.   iBebenft  bod),  ber  Sooro  .  .  ." 

,,2lü)  ja,  ber  £ooro,"  fiel  2lnna  ein,  bie  enblia;  begriffen,  mo^u  ber  92ame 
beS  Zaubers  nujj  fei;  „et  lauert  Dir  auf,  er  fott,  erjagt  man,  fidj  gerühmt 
^aben,  alle  Deutfd)en  töbten  ju  motten.   Sßenn  er  Did)  träfe  .  .  ." 

^oljner  mar  nochmals  ftel)en  geblieben.  Sangfam  fat)  er  oon  (SHnem 
jum  9tnberen.  —  „&abt  3()r  wof)l  gegen  midj  uerbünbet,  bafc  idj  nid)t 
fort  fott?  Unb  mit  bem  Räuber  roollt  $l)x  mid)  fdjrecfen?  Steine  idfj  Gua) 
fo  furcfjtfamer  9Irt  ?  Den  £ooro  Ijat  nod)  9!iemanb  gefefjen,  als  ein  paar 
ängftlia)e  33auernburfd)en  unb  ber  alte  Curat.  9Kid)  fällt  ber  nid)t  an,  ba 
bürft  3fjr  ruf)ig  fein.    Unb  trenn  aud)  —  £ebt  wol)l,  idj  muß  I;iuauS." 

„60  nimm  ben  SJiauric  jum  2Jtinbeften  mit,"  rief  3lnna,  „baft  Du 
nidjt  ganj  allein  bift." 

Unb  SWauric:  „&err,  lagt  mid)  @udj  fahren,  mie  icbeSmal  bisher, 
id)  bitte!" 

Sie  Ratten  fidj  Seibe  an  ilm  gebrängt.  Unb  nun  fing  baS  ftinb, 
bas  mof)[  oon  ben  5Reben  mefjr,  als  ilwt  gefunb  mar,  uerftanben  fjatte, 
flefjentlid),  bitterltdj  an  ju  meinen:  „23tetb,  Später,  bleib!" 

6r  Rüttelte  linfs  unb  redjts  bie  Seiben  oon  fidj  ab.  9ftit  rafdjem 
®riff  fwb  er  ben  Knaben  auf  feinen  9lrm:  „Du  roeinft  nid)t,  rjörft  Du! 
Du  bift  mein  tapferer  Surfd)  unb  wirft  Deinen  $ater  nid^t  leiten  motten, 
roo  ilm  baS  &er$  ju  gelten  treibt.  SSemt  Du  erft  groß  bift,  roirft  Du'S 
begreifen,  bafe  er  fort  mufe.  Sei  ftitt,  fei  brao.  itofc  Dir  oon  ber  £ante 
ersten,  roie  fdjön  es  bei  ben  ©rofeeltem  bafjeim,  in  Deutfd)lanb,  ift. 
Unb  bann  bringt  fie  Dicr)  in'S  Seit  unb  Du  fd)läfft  gleid).  Du  oer* 
magft  es  ja  noa;.   3Hein  flinb,  leb'  wol)l!" 

Gr  fjatte  ben  flnaben  ju  23oben  gefegt,  liatte  3"<jel  unb  ^ßeitfdje  er* 
griffen,  fia;  aufgefd&roungen,  ben  gieren  baS  3^<§cn  jur  gafjrt  gegeben, 
beoor  if>n  bie  Ruberen  $u  galten  oermodjt.  fiaut  auffdjreienb  mollte  ber 
ftleine  ben  ^ferben  nad)laufen.  gaft  märe  er  unter  bie  dläoex  geraten. 
Der  2)touric  mujjte  ilm  bei  Seite  reiften,  gräulein  Huna  if>n  3U  be* 
ruhigen  fua;en.  Unb  injtoifajen  mar  ber  2$agen  jum  ^oftf)or  hinaus 
baoon  gerollt,  unb  fdjon  nid)t  me^r  su  feljen. 

3n  breiten  Söinbungen  für)rt  ber  ga^rroeg  um  ben  bidjtberoalbeten 
Sd)lo§berg  jum  See  ^inab.  (SS  fä^rt  fia^  gut  auf  ber  glatten  Strafte, 
gut  unb  fdjnett.  ^oljner  ^ob  ben  ftopf  aufat^menb.  Das  feige  Sdjroanfen 
unb  Verjagen,  baS  i^n  biefe  ©odjen  3U  Soben  gebrüdt,  loar  überrounben. 
@r  mollte  roieber.  Cb  fdjledjt,  ob  red)t  —  baß  er  nur  mußte,  roaS  er  mollte, 
war  fa>n  ©eroinn.    Qx  ließ  bie  2lugen  über  baS  weite  Sanbfd^aftSbilb  gelten. 


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4    2Il»albert  OTcinfjarM  in  fjamburg.   

war  if)m  früher  Reiter  erfdfjiencn.  9?un  meinte  er,  bafc  See  unb  Serge, 
unb  fiuft  unb  £aub  mit  itjm  Trauer  trügen.  Proben  auf  bem  fernen  Schnee* 
fe(b  bes  h°hen  Xerglou  lagen  fdjwere  SEolfenfdjatteu,  brüclenb,  wie  bie  Safien 
be$  Schmer^  auf  feiner  Seele,  @in$ig  ber  grüne  fteiSrunbe  See  mar  von 
einem  Sonnenftraf)le  licr)t  getroffen,  baß  bie  alte  9BaÜfa^rtefitd^e  auf  betu 
Snfeldjen  in  ber  Sflitte  weiß  erfchimmerte  —  wie  in  Sfjränen.  Unb  au£ 
ben  ©arten  ber  Hillen  am  Ufer  beugten  hohe  Xrauerweiben  fid)  nicber  auf 
baä  fülle  SBaffer;  leifeflnthenb  nefcte  e$  ihre  feingefieberten  3weige.  2>a£ 
©lödchen  vom  Onfefujörtr)  flang  flagenb,  fein  Sufthaud)  regte  ftch,  bie  23lätter 
flüfterten  faum:  nur  Inn  unb  wieber  löfte  fich  eines,  gelb  geworben  unb 
flatterte  herab  unb  blieb  am  Soben  liegen,  weif  unb  tobt,  $odj  weiter, 
ba  er  $u  bem  Sorf  fant,  Hang  ihm  lautet  £adjen  entgegen  unb  mifjtönenbe 
SJiufif.  $n  einer  Sdjeune  warb  getanjt.  £ie  rotten  diöde  ber  2J?äbchen 
flogen;  in  bem  bidjten  Staubnebel,  ben  bie  nägelbefajlagenen  Schuhe  aufge= 
wirbelt,  breiten  fidj  bie  emfigen  $aare,  mit  Sauden  unö  Stampfen, 
«flach  ber  feierlichen  2lnbad)t  oom  borgen  beburfte  ba3  SSolf  $u  feiner 
©rfjolung  einer  lärmenben  greube. 

3ied;tS  unb  linfs  in  ben  sÄirtl)ol)au^gärten  faj^en  bie  3e^er«  ^a 
&oljner  oorüberfufjr  fdjrieen  fie  ihm  Merlei  nach,  was  nicht  freunblia)  flang. 
©3  waren  Slrbeiter  barunter  aus  ben  gabrifen  unb  Anette  oom  Schlofj, 
benen  er  £ofm  gab,  benen  feine  junge  grau  ©uteS  gethan.  (Siner,  ferner 
betrunfen,  Ijob  fid)  oon  ber  iöanf  unb  taumelte,  fa^wang  einen  Stein  unb 
fdjleuberte  ifm,  bafc  er  beö  Jahrenben  Schulter  ftreifte.  <Sr  hemmte  bie 
^Jferbe,  er  blitfte  fich  um.  Xa  'brücfte  ber  Mann  fa^cu  fich  in  ben 
Statten  jurütf,  bie  Sdjimpfreben  fdjwiegen,  unb  &ol$ner  fuhr  weiter. 

(J3  war  ü)m  gatt3  redjt,  bajs  er  wieber  einmal  bicfen  2lu3bruch  be£ 
unbefiegbaren  ÜHationalitätenhaffeS  erfahren  hotte;  ganj  red)t,  fo  wieberholte  er 
fid).  Sie,  fein  armes  junges  :2£eib,  mit  ihrer  Jreube  am  2Bof)lthun,  war  eS 
gewefen,  bie  il;m  immer  jurebete,  5um  ©eftcu  ber  Arbeiter  Sßläne  $u  machen. 
3n  ber  erften  &'ti  i()rem  Xobe  ^atte  et  in  einer  3lrt  oon  pietätoollem 
Aberglauben  nod)  an  jenen  Seftrebungen  feilgehalten,  bis  allmählich 
feine  Gräfte,  oon  ihr  nicht  mehr  geflutt,  erlahmten.  Unb  fo  war  auch  in 
biefem  £lnm  iljm  eine  erbittembe  lieber  läge  nach  ber  anberen  geworben, 
wie  in  2lUcm,  feitbem  baS  ©lüd  oon  ihm  gewidjen!  ^eslr)al6  erfd^ieneu 
il;m  jene  Schimpf reben  unb  ber  Steinwurf  glcichfam  wie  eine  $robe  auf 
ba3  Jacit,  baö  er  fid;  felber  auö  feinem  Scbeu  unb  Sirfen  gebogen. 

Gx  hatte  bei  bem  fchneHen  Jahren  bie  ©ebanfen  nach  innen  gerichtet  unb 
nid)t  auf  feinen  ^>eg  geachtet,  ßin  altes  äöeiblein,  barfuß  gebüeft,  auf 
bem  5lopf  einen  großen,  flachen  ilorb  mit  bunten  Büchern  jugebeeft,  fam 
bie  Strafe  baljer,  gerabe  auf  bie  ^ferbe  51t.  &citte  fie  nicht  im  legten 
SWoment  noch  ihn  angerufen,  er  würbe  fie  überfahren  haBen.  3lnn  lenfte 
er  rechtzeitig  auf  bie  Seite.  Cr  fannte  bie  ^änblerin,  bie  mit  alten 
Stidereien  unb  2)auernfd;murf  fid)  überall  haufirenb  umhertrieb.   3m  legten 


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  Der  tovvo.   5 

5J£iuter  f>atte  er  fie  einmal  com  &ofe  geroiefen,  weil  er  glaubte,  fie  auf 
einem  £iebftaf)l  ertappt  $u  faben.  Aber  fein  SSeib,  ba*  iljr  fdfan  früher 
manefa*  f)übfcfa  Stüd  oon  sweifelfafter  Antiquität  abgefanbelt,  fatte  fie 
in  Sdfafc  genommen.  2ßem  fie  gegeben,  beu  tonnte  er  jefct  uid)t  mit 
leeren  £änben  von  fidj  gefan  taffeit,  3m  2>orüberfal;ren  griff  er  nad) 
fetner  Sörfe.  $ie  Alte  jebod),  bie  fonft  feit  jenem  Vorfall  einer  ieben 
Begegnung  mit  ilmt  ängftlid)  au*gewid)en  mar,  fd)ien  feilte  au  ber  ein- 
maligen ©efaf)r  nod;  nidjt  genug  ju  faben.  Statt  fidj  für  feine  ©abe  $u  be= 
banfen,  falte  fie  nod;  ben  Jtorb  vom  tfupfe  unb  fteßte  tjm  falb  auf  ifa 
${nie,  falb  auf  ein*  ber  9iäber,  fo  bafj  &ol$ner  notfaebrungen  falten  mu&te,  , 
wälnrenb  fie  begann,  ifjre  Söaare  ifat  anjupreifen. 
,,3d)  taufe  nid)t^/'  fagte  er. 

„kaufen  V  wer  rebet  benu  baoon,  lieber,  gnabigfter  £err!  SBeifc  id) 
bod)  wof)l,  bafj  3fa  bergleidjen  jefet  nimmer  braudjt.  sJhir  anfafauen  tlmt'*, 
weil  bie  gnäbige  grau  iljre  greube  an  ben  Sadjeit  gefabt  faben  würb'. 
Scft  ba  ba*  flettt  mit  bem  Äreuj.  2i>enn  fie  nod)  lebte,  fie  faufte  mir'* 
ab.  Unb  mir  fanbelten  brum  unb  ladjten  baju,  weil  fie  fo  f)übfd)  unf're 
gute  Sprache  ju  reben  uerftefjt.  $a,  ba*  &al*fettlein  würb'  ifa  geftanben 
tjaben!  3$  möd)t',  id)  tonnt'*  il;r  nod;  perraufen,  um  ben  falben  $rei* 
wollt'  tay*  i\)x  gern  laffeu.  2£iffet  3l;r  nm*,  £err?  —  Sfyx  fatjrt  §um 
ftirdjfaf  jefct,  ntd)t  roal;c  ?  faljrt  $l)x  bod)  immer  borten;  alfo  faut  aud)? 
9tun,  fo  nefait'*  unb  legt'*  ifa  auf*  Gkab  oon  ber  alten  Urfel." 

„33efalt  $eine  Jlette,"  fagte  er  rauf).  (£*  tfat  ifat  wef),  bafj  aufjer 
ü)m  3em<*no  ifa  gern  nod)  eine  $reube  gemacht  faben  mürbe. 

£ie  Alte  tiefe  fiel)  leicht  erbitten  ba*  Sd)mudftüd  wieber  an  fid)  $u 
nehmen,  $aftig  fdfab  fie  e*  jurürf  in  ben  Horb :  „sJJun,  wie  3fa  wollt. 
£od)  3fa  farjrt  jefct  junt  Äird&faf?'' 

,,30!''  fagte  er.  Gr  fab  bie  ^eitfdje,  bie  beibeu  Traunen  trabten 
r»on  bannen. 

2)ie  Alte  ftanb  nodj  unb  blirfte  unter  ifaen  meinen  brauen  mit 
fpäfanben  Augen  bem  ^agen  naa).  3n  eine  3i>olfe  mirbelnben  Staube* 
eingefüllt  uerfdjwanb  er  balb.  ®a  nafat  fie  ifjren  Horb  wieber  00m 
tfopfe,  fteUte  Um  unter  bie  nafa  <gede,  bog  noef)  3ioeige  unb  Blatter  bar= 
über,  bafj  man  ilnt  nia)t  fefan  foUte,  fd;lug  mit  jroei  Ringern  ba*  3eidjen 
bc*  Äreuje*,  unb  nad)bem  fie  alfo  tr>r  (Sigeutfjum  in  ben  Scfut  be* 
Gimmel*  gegeben,  blirfte  fie  nod;  einmal  um  fid),  nad;  allen  Seiten,  fafjte 
bann  ir)re  Diode  rafa;  jufammeu,  fcflüpfte  smifd^en  ben  Räumen  l;iu= 
burc§  unb  lief  querjelbein,  grabeau*,  fo  fd;nell  iljre  nadten  güfee  fie 
tragen  wollten. 

^)em  gortfafjrenben  waren  bie  Begegnung  mit  ber  &änblerin  unb 
ifre  gragen  längft  wieber  au*  bem  Sinn  gefdjwunben.  Ohe  fatte  ba* 
Xorf  im  Dlütfen  gelaffen.  2)ie  (Sfauffee  überfteigt  l;ier  einen  ^ügel,  ber 
riegelartig  ba*  Herfen  bc*  See*  oou  bem  tieferliegenben  Saoetfal  fd^eibet. 


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21  Valbert  tlTcintjarbt  in  Hamburg. 


2luf  ben  blättern  ber  Sogelbeerbäume  §u  beiben  Seiten  lag  bitter  ©taub, 
faum  bafe  bie  rotten  grucljtbünbet  bajwifd&en  aus  bem  allgemeinen  ©rau  ju 
erfennen  waren.  2>ic  fremben  SaQfa^rcr,  bie  in  ©paaren  ben  oorigen  2ag 
unb  bie  9fad)t  I;irtburd)  oorübergejogen  waren,  um  fjeut  in  ber  grüt)e  bei  ber 
9Keffe  auf  ber  ^nfel  im  See  ju  fein,  festen  jefet  noa)  nidjt  fjeim.  9hxr 
ein  Settier  ftapfte  bat)in,  auf  feinen  Steden  gelernt,  mäljrenb  ifjm  $mei 
mübe  ßunbe  ein  Sßägeldfoen  feudfienb  naä^fajieppten.  Unter  bem  ßinnenbadj 
be$  Äarrenä  tag  feine  2Ute.  gur  ftc  fjatte  er  bie  muffelige  Öittfatnt  unter= 
nommen.  Sie  mar  franf  unb  getarnt,  aber  boefj  nodt)  am  Seben,  bodj  nodj 
bei  ifun.  —  $ol$ner  wenbete  ben  flopf  ab.  9luf  ber  anberen  Seite  be3 
2L*ege3  ging  ein  ©eiftlidfjer.  2Bie  rüftigen  3JhitJ)eö  ber  alte  $err  bie  Strafe 
ehujerfajriit;  bie  argbeftaubte,  geftidte  Soutane  aufgefdjürst,  bie  ^ofen  in 
ben  Stiefclfdjäften,  ba$  rot^e,  gutmütt)ig  runbe  ©efio^t  ftrat)lenb  oon  Se* 
friebigung  über  bie  gehabte  (Erbauung !  Xa  er  be$  gafjrenben  Stiel  bemerfte, 
lüftete  er  ben  großen  £>ut,  unb  inbem  er  mit  feinem  blaufarrirten  Xudtje  ben 
perlenben  Schweife  oon  ber  Stirn  trodnete,  rief  er  mit  fräftiger  Stimme 
jum  ©rufce:  „Saloe!  rcünfd/  eine  gute  gatjrt  unb  glüdtidfje  £eimfel)r, 
©ud)  wie  mir  felber." 

£er  Silagen  ftürmte  jagenb  oon  bannen. 

©lüdlidje  .§eimfel)r!  $Uang'$  nidjt  wie  #ofm  auf  ba$,  was  er  im 
Sinne  führte?  Sßieber  fal)  er  ber  Sdjjwefter  angfterfüüteä  ©efia)t,  feines 
ßnaben  Xfjranen.  2lber  er  wollte  nid;t  rüdwärta  bltden.  2Bie  er  biefe 
Söoäjen  oerlebt,  fdt)laffo£  unb  bodt}  f)alb  wie  im  £raum,  ba3  mar  fein 
Seben  rnetjr.  £)iefe  lefete,  fdjredlidfje,  enbloS  tange  9taä)t  mar  er  mit  ftdj 
fetbft  fertig  geworben,  Ijatte  abgefcfjloffen  mit  feinem  ©ewiffen.  @3  giebt 
feine  ^flidrt,  bie  t)ötjer  ftet)t,  atS  bie  gegen  fidt)  felbft.  Unb  fein  eigenfteä 
Selbft,  fein  ganjeö  Siefen  mar  ifjm  gemanbelt  unb  oergiftet,  bafe  it)m  oft 
bang  warb  um  feinen  Serftanb. 

3a,  er  war  einft  mit  ooUen  Segeln  fjinauS  in  baä  Iaa>nbe  £afein 
gefteuert.  3a,  er  tjatte  fjofje  «Pläne  im  £im  getragen;  für  fid&,  wie  für 
Rubere,  fjatte  ben  beften  Hillen  gct)abt,  (5twa§  $u  leiften.  2lber  e$  mar  oorbei 
mit  bem  9flutl)  unb  oorbei  mit  bem  Sßitten,  feit  fie  gefiorben!  3n  feinen 
©ebanfen  fniete  er  nrieber  an  itjrem  £ager,  auf  bem  fie  leblos  auSgeftredt 
lag,  Slumen  $u  Raupten,  Slumen  in  it)ren  tobten  &änben.  — 

9lm  borgen,  ba  er  fortreiten  gewollt,  t)atte  fie  it)n  nod)  bie  Xrcppe 
fjinabbegfeitet,  war  auf  ben  Stufen  oor  ber  £auätl)ür  fteljen  geblieben, 
ifjm  äusufefjauen,  wie  er  auffafj.  93om  ^ferbe  nieber  t)atte  er  fidt)  ju  ifn* 
gebeugt  unb  ifjre  blaffe  Stirn  gefüfjt.  (rr  fragte  fie,  wie  fie  fidt)  füljle. 
^a  wiegte  fie  iljren  blonben  ßopf  lädjelnb  unb  fdfjalt  i^n  überängftlic^. 
2tls  er  fcfjon  am  ,^oftt;or  war,  rief  fie  it)m  nodt)  nad),  fidt)  nidtjt  ju  eilen, 
nidt)t  um  fie  511  forgen.  Sennoäj  t)atte  er  ben  Umweg  ju  bem  alten  31r§t 
gemadjt,  ber  am  See  unten  wolmte.  Xer  tjatte,  wie  fie,  ben  flopf  ge» 
fdt>uttelt ;  es  fei  nidt)t^,  unb  er  bürfe  rut)ig  fein.   #reiltcf>,  wenn  ba«  5linb 


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Der  £ooro.   


erft  ba  fei  —  er  felje  burdjau«  feinen  ©runb,  biennal  ängftlidjer  \n  fein, 
al«  uor  brei  Sauren,  bei  ßarl«  ©eburt  — ,  bann  müffe  grau  9)?arie  naa) 
Seutfdjlanb;  benn  ma«  fie  blaft  unb  ftitl  gemalt,  fei  nur  ba«  &eimmefj. 
Söenn  fie  e«  aua)  nic§t  geftefjen  würbe,  weil  fie  wijfe,  baft  if)r  Sftann  nid)t 
fortgeben  fönne,  unb  fie  fiä)  nie  von  ifmt  trennen  wolle,  ba«  Sefnien 
jel^re  an  irjren  Gräften.  2lber  e«  fei  babei  für'«  (Srfte  nid;t«  5U  tlnm 
unb  nta)t«  $u  fürajten. 

2llfo  von  bem  alten  #reunbc  für  ben  9(ugenblid  beruhigt,  war  &oljner 
naa)  ber  gabrif  geritten.  erft  gegen  2lbenb  fefnle  er  f)eim.  2>e«  Doctor« 
2$agen  ftanb  im  Sd)loftf)of.  2lber  ber  Doctor  lieft  fidj  nidu"  bliden. 
S«  faxten  ifmt  befrembenb  itiH  im  £au«flur.  2luf  ber  treppe  traf  er 
feinet  Knaben  Wärterin.  „©«  ift  ein  3Jiäbd>en",  fagte  bie  Slawin,  fonft 
weiter  nia)t«,  unb  lief  oorüber.  —  (Sin  Sfläbdjen!  ©r  muftte,  wie  feljr 
fein  SBeib  fia)  bie«mal  ein  2öd)terd)en  gewünfajt  l)atte.  <*r  fprang  bie  alte 
treppe  rn'nauf,  jwei  Stufen  3ugleid>,  unb  ba«  &er$  fä)lug  ifmt  tjöfjer.  Die 
Steife  naa)  Deutfdjlanb  war  fdjon  befdjloffen.  Cb  bie  gabrif  barüber 
ftillftanb,  ba«  foUte  ilm  nidjt  Ijinbem.  ©r  ging  mit  i^r  unb  beiben  Äinbern! 
So  trat  er  ein.  Der  Doctor  padte  ifm  am  2lrm  unb  f)ielt  it)n  jurüd. 
£«  war  bunfel  im  Limmer.  Unb  uom  23ett  r)er  flang  e«  wie  Stölnten. 
Der  Sitte  rang  mit  feiner  Stimme,  wollte  reben  unb  brachte  fein  2£ort 
fjeroor.  ©r  aber  lieft  fid)  nidjt  galten,  er  ftieft  ben  2lrjt  bei  Seite,  maajte 
jitt)  frei  —  „SKarie!"  Da  richtete  fie  fia)  auf,  bie  weifte  ©eftalt.  „SWeln 
£iebfter,  nun  fcrje  idj  bie  £eimat  nid)t  wieber,  nun  muft  iä)  Dia)  boa) 
QÜein  laffen,  unb  .  .  .  leb'  wofjl,  leb'  wof)l!" 

Damit  war  e«  gefa)ef)en.    Still  lag  fie  oor  ilmt,  ftarr  unb  falt.  — 

2öa«  bann  mit  ilmt  geworben  war,  wie  ber  Doctor  tt?n  fortgefa)(eppt 
&atte,  tyalb  mit  ©eroalt,  unb  wie  er  boa)  immer  wtebergefefjrt  ju  ifjrcm 
Öette  unb  fta)  oerjweifelnb  be«  Sttorbe«  gejieljen,  faum  wuftte  er'«  meljr. 
Der  alte  3lr3t  f)atte  ifmt  mit  oielen  ©riinben,  mit  langen  mebictnifa)en 
tarnen  ju  berocifen  gefugt,  baft  nia)t  £eimwefj  an  ifjrem  Dobe  bie  Sdmlb 
tragen  fönne.  s28a«  lag  aua)  baran,  ma«  fie  getöbtet!  Sie  war  tobt. 
Unb  fie  tjatte  &eimmer)  gelitten,  .fia)  fortgefefmt,  obwohl  fie  bei  ifmt  war. 
2ln  biefen  jwei  Dl)atfaä)en  war  nia)t«  3U  änbern.  23ie  bie  eine  ©egen* 
wart  unb  3ufunft,  1°  »erbitterte  i^m  bie  anbere  feine  gan3e  Vergangenheit. 

6r  tjatte  fia)  genug  3)?üf)e  gegeben,  bie  2Boa)en  l)ex,  fein  Seben  ju 
leben,  wie  er  muftte.  ©«  ging  einmal  ma)t.  Seit  i^m  ba«  ©röftte  mift* 
lungen  war,  fein  2L>cib  ju  beglüden,  3weifelte  er  an  feinem  können  in 
allem  Slnberen.  ^)ie  Arbeit  erfd)ien  tym  fa)aal  unb  jwedlo« ;  bei  Dingen, 
bie  er  bi«f)er  felbftoerftänblia),  ol)ne  oiel  naa)äubcnfen,  getljan,  muftte  er 
fta)  jefet  immer  fragen:  SBoju  ba«  3llle«?  Sem  jur  greube?  —  Unb  bei 
bem  meiften  £f)un  auf  (Serben  lautet,  wenn  man  bie  Jrage  erft  fo  [teilte, 
nur  ju  oft  bie  traurige  Antwort:  deinem!  —  Jür  wen  bie  Verbefferungen 
in  ben  gabrifen,  für  wen  bie  Strenge  gegen  bie  Arbeiter,  für  wen  bie 


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8 


Valbert  OTeintiaröi  in  ftambnrg. 


fetbftgefd^affencn  $flia;ten?  gür  baS  9Sotf  bier?  2)aS  ^afetc  ibn  nur,  betrog 
if)it,  wo  er  ben  dürfen  gewenbet.  gür  bie  Seinen?  —  £aS  f  leine  9Hübdben 
mar  geftorben,  am  3Tage  nad)  ber  3J?utter.  2)er  Änabe  modjte  fünftig  fidj 
felber  belfen,  wie  er  felbft  es  einft  getban.  Ginftweilen  foflte  er  fort  von 
bier,  fort  aus  ber  flaoifc&en  Umgebung,  bie  ibn  oerweidbtidfjte  unb  oerjog. 
GS  war  fa;on  beftimmt,  baß  er  nadj  $eutfd&lanb  gefeiert  werben  follte, 
5u  feinen  eitern,  bie  fidb  bes  Gnfels  freuen  würben.  $ort  brauste  er 
ben  SSater  nidjt,  mürbe  ibn  balb  genug  uergeffen.  Unb  wenn  baS  ßtnb  ging, 
mußte  3lnna  es  begleiten.  Sie  füllte  fidt)  bier  wie  in  ber  Verbannung. 
Gr  wollte  ntajt  auf  fein  ©ewiffen  audb  bie  jweite  Sünbe  laben,  baß  feine 
Scbwefter  wie  fein  Söeib  fyex  an  £>eimweb  $u  ©runbe  ginge.  2lnua  batte 
erflärt,  fie  fönne  ibn,  fo  wie  er  jefet  fei,  nid)t  oerlaffen.  Nun  gut.  So 
gab  es  eben  nur  baS  eine  ©Uttel  fie  frei  p  madjen  unb  fid)  unb  2We! 

2So  oon  ber  breiten  Gbauffee  ein  Jelbweg  gen  Horben  fid)  abzweigt, 
ba  lenfte  föoljner  feinen  2Bagen  jur  $ölje.  SDie  Dornbeden  ju  beiben  Seiten 
waren  mit  großen,  wctßblumigen,  buftenbeu  Sßinben  bid)t  überwachen, 
auf  ben  gelbem  ftanbeu  Cbftbäume  frudjtbelaben,  unb  $in  unb  wieber 
blifete  awifdjen  bem  grünen  ©ejweig  ein  :8lid  auf  ben  fernen  £erglou* 
glctfdjer  auf,  auf  ben  fleinen  See  im  ©runbe,  mit  ber  2ßaUfar)rtdfird^e 
inmitten  unb  bem  Sd)loß  auf  bem  &ügel  am  Jianbe.  2Iuf  ber  &öbe  aber, 
3U  welker  ber  3£eg  burd)  bie  gelber  emporftieg,  §ob  fidb,  ^on  ben  fdjwer* 
grauen  Wolfen,  bie  ben  2(benbbimmel  bebedten,  fa)arf  abgejeia^net,  bie 
lange  weiße  2)touer  bes  HirdbbofS.  Xort  lag  fie.  Dort  war  fein  3**1 
für  beute  —  unb  für  immer.  GS  gab  ibm  ein  ©efüf)l  ber  9tube,  wie  er 
lange  es  mä)t  mebr  empfunben,  biefem  3'el  fo  nabe  3U  fein.  $ie  2i>ange 
in  bie  Sinfe  geftüfet,  faß  er  auf  bem  (leinen  ätfagen,  ben  bie  beiben 
Traunen  im  jdjaufelnbcn  Sdjritt  burdj  bie  ausgefallenen  gurren  bes 
gelbweg»  gemäajlid)  aufwärt»  fd)leppten.  $>te  $anb  mit  ben  3u3em  fu'ng 
läffig  nieber,  bie  ^eitfdje  ftedte  in  ifjrem  £>alter.  Gr  träumte  uor  ftdr) 
bin;  ein  Sädbeln,  faft  bes  ©lüdeS,  ging  um  feine  Sippen.  £>enn  er  war 
nidjt  allein  jefet,  war  niajt  traurig.  Sie  war  bei  ibm.  Gr  fab  fie  als 
flinb,  als  9Jtöbcben,  als  2kaut.  Gr  fdjaffte  in  bem  Sdblößcben  bort,  bie 
oerwabrlofteu  alten  Zäunte  für  fie  Ixrjuricfjten.  Gr  füljrte  fie  ein,  bie 
junge  Herrin,  in  ibr  neues  £eim;  er  fab  fie  am  geufter  fteben,  wie  fie 
mit  berounbernbem  Slid  baS  Sanbfa^aftsbilb  betraajtete ;  iab,  wie  fie  mit 
einem  reijenben  Grrötben,  ftammelnb  noa),  bie  erften  Sporte  in  ber  fremben 
Spradjc  fagte,  feinen  2Irbeitern  jur  Begrüßung;  fal;  fie  im  33oot  über 
ben  See  rubernb  an  bem  erften  2Jfarientag,  ben  fie  bier  mit  ibm  oerlebt 
Die  großen,  fladjcn  Sattfabrerfäbne  glitten  oorüber  unter  eintönigen 
iöittgefängen,  weiß  flimmerten  bie  Hopftüdber  ber  aöeiber,  unb  oon  ber 
3uje(  flang  baS  häuten.  GS  gebt  bie  Sage  unter  bem  $olf,  wer  bort 
am  ÜHarientag  bie  ©lode  ^iebt,  baß  fie  &ell  flingt,  bem  erfüllt  ftcb  ber 
iöun|d),  ben  er  babei  im  &erjen  Ijegt.  Gr  t)atte  fie  gefragt,  ob  fie  aud) 


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Der  £ooro.   


9 


an  bem  ©locfeuftrang  läuten  wolle?  Sie  aber  fjatte  —  er  wufete  e3  fo  gut 
noa)!  —  ifjren  feinen  Äopf  gefdjüttelt;  if>r  (jabe  baS  2ßunfa)glödlein  nid)t£ 
mefjr  Iju  geben,  fic  beftfce  ja  9llle3,  in  i()m  unb  mit  ifjm,  was  nur  ba$ 
^erj  begehren  tonne.  —  Unb  bann  faf)  er  fie  neben  fia)  §ier  auf  bem 
fleinen  STUagen,  auf  biefem  2?ege.  Proben  bie  weifee  Äira)f)of3mauer,  an 
ber  (Sde  baoor  bie  fjalbrunbe  Capelle  mit  ber  grofeen,  grellbunten  5freu$i= 
gungägruppe.  —  „9iia)t  mafjr,  jagte  fie  leife,  f)ier  f äf>rft  Xu  mia)  nid)t 
mein"  oorüber?  ÜRir  ift  bang  f)ier.  3°)  fürdjte  mia)  cor  bem  $ird)f)of. 
3a)  möchte  nid)t  fterben,  noa)  lang',  fefjr  lang  nia)t.  ©rft  ein  reid)eS 
Seben  mit  Xir,  mir  wollen  fror)  fein  Söeibe,  Xu  follft  oiel  nüfcen  unb 
roof)ltf)un.   Unb  bann,  wenn  e3  fein  mufe"  .... 

„6$  mufe  fein!"  fpraa)  er  laut  in  bie  Seere  fjinauä. 

Xa  tft'3,  als  foßte  ifyn  Antwort  werben.  63  gel)t  ein  plöfelid)er 
£on  bura)  bie  Suft.  ©ine  Secunbe  ftef)t  ilmt  ba3  #er$  ftiU.  Xann  flopft 
e£  befto  lauter,  t)ämmernb  in  ber  ©rroartung  beS  Unbefannten.  ©in 
Sa)wirren  flingt  ilmt  am  Cfjr,  ein  Saufen,  ©r  wirft  fia)  rüdroärts,  er 
reifet  an  ben  3"9el«/  ba&  bie  $ferbe  fia)  bäumen.  3uötöd)  jueft  e3  if)m 
burd)  baä  £irn:  Xa3  ift  ber  Räuber!  2llfo  boa)!  —  Unb  beoor  er  nod) 
rea)t  weiß,  bafe  if)m  bie  ftugel  fjatmloS  am  Cljr  corübergefauft,  ift  er 
fa)on  com  Socf  gefprungen,  ftef)t  auf  ben  Stufen  ber  5lreu$igung3fapeHe, 
jerrt  hinter  bem  ljöl$eraen,  blauen  -ÜJJantel  ber  ©otteämutter  einen  2ftenfa)en 
f)eroor  unb  ringt  mit  ifjm  unb  wirft  ifm  &u  23oben.  2Sa3  er  babei  benft? 
er,  ber  nod)  foeben  ben  Xob  fid)  erwünfa)t  fjat?  ©r  benft  nidjt,  er  fefct 
feine  Kräfte  ein  unb  fämpft  unb  wefjrt  fid)  feines  Gebens  mit  inftinetioer 
£eibenfa)aft.   Unb  ba  er  ifm  naa)  hartem  fingen  in'3  Äniee  gebrüdft: 

„Xu  bift  ber  #ouro,"  fpridjt  er  auf  flrainerifa),  „oor  bem  alle  Seute 
gittern.  Xu  meinft  wof)l  aua),  ia)  foüte  mia)  beugen  unb  bei  Xir  für 
mein  Seben  betteln?" 

3ener  fua)t  nur,  fia)  frei  ju  madjert. 

„9Ua)tS  ba!"  ruft  ^o^ner;  „Xu  bift  t)ier  in  meiner  ©ewalt,  nid)t  id) 
in  ber  deinen.  Sa)au  fjer"  —  unb  er  jiel)t  aus  feiner  23rufttafa)e  baS 
^ifiol,  ba3  er  in  einer  ganj  anbeten  3l£>fidt)t  mit  fia)  genommen.  —  „Xa£ 
baa)teft  Xu  nidjt,  als  Xu  Xia)  t)ier  auf  bie  Sauer  legteft?  Xu  trauteft 
mir  fold)e  5Jeigr)eit  nia;t  §u?  9^un,  id)  banfe  für  bie  gute  Meinung." 

Xer  Sooro  fauert  sufammengebuett,  wie  er  il)u  niebergeworfen  ^at. 

„Unb  wenn  Xu  j'micj)  nun  erfa^offen  (jätteft  unb  bätteft  wirflia)  bie 
paar  ©ulben  erbeutet,  bie  ia)  bei  mir  trage,  was  tljäteft  Xu  bann?" 

Heine  Antwort. 

„2lus  Xeutfd;en^aB  treibft  Xu  ben  Straßenraub?  Xa3  mögen  Xir 
bie  dauern  glauben.  3a)  nid)t!  3$  weife,  Xu  fielft  mid)  ftn,  um  mia> 
5U  befielen.  Xu  bift  ein  Xieb,  ein  gemeiner  Xieb,  ber  nadjfjer  mit 
feineSgleia)eu  bie  Seute  oertrinfen  wirb  ober  oerfpielen." 

//^err!"  fo  fäljrt  jener  in  bie  ^öl;e.  Xer  Hantel,  mit  bem  ersinn 


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{0    Valbert  ZTTeinf}arbt  in  Hamburg.   

unb  fangen  ftdj  oer^üllt  Ijat,  will  i^m  nieberglcitcn;  er  jiefjt  ifm  fefter. 
2lu«  ben  tiefliegenben  flaotfd^en  9lugen  blifct  e«  unljeimlidfj.  @r  fjat  mit 
ben  gingern  taftenb,  oorfidfjtig,  feitmärt«  gegriffen,  wo  feine  glinte  liegt, 
bie  ^ol^ner  ilnn  au$  ber  #anb  gefd&tagen. 

Der  aber  fieljt  bie  uerftetfte  Bewegung.  „9?ur  ju,"  fpridjt  er  falt  unb 
freuet  bie  9trme,  „wenn  Du  mein  Seben  begefjrft,  fo  nimm'«.  Du  finbeft 
bei  mir  etwa  fünfjig  ©ulben.  Dafür  wirft  Du  oerfolgt  werben  —  anber«, 
fein*  otel  f>artnädiger  al«  bi«  f)eute.   Unb  gefangen  unb  hingerietet." 

„3  a,"  fpridjt  jener  bumpf,  „id;  weife  e«.  6«  ift  fd&on  fdfjltmm  genug, 
wie  e«  ift;  e«  wirb  nod)  arger  fonuuen.  2lber  id&  fann  nimmer  jurücf, 
wenn  td)'«  audj  mö<$t\   Denn  lafe  id;  @ud>  (eben,  fo  jeigt  3§r  midi  an." 

„$?einft  Du?"  fprid)t  ^otjner.  „So  lafe  nur  Deinen  3Jtantel  fallen. 
2Ba«  fdfjabet'«  benn,  wenn  Du  midj  töbteft,  ob  id)  oorljer  Deine  ,3üge  fat)  % 
Dann  «errate  id;  Didj  gewife  nidjt.  Unb  wenn  Du  midj  nid&t  töbteft  — 
ebenfomenig.  Du  willft  mir  nid;t  glauben?  9ttein  SBort  barauf.  55>c^r)at6 
idj  Di<^  nid)t  oerrattjen  fann,  ba«  tfjut  f)ier  nicr)t5  jur  Sadje.  2lber,  ein 
9lnbere«:  —  Du  felbft  wirft  Did)  ben  (Gerieten  [teilen.   Unb  ljeute  nod)/' 

Der  Slaoe  fdjüttelt  nur  mit  bem  flopf.   Drofeig  feljrt  er  fidj  ab. 

„3$  will'«/'  ruft  föoljner,  „Du  foUft  gefjordfjen.  $er|lel)ft  Du 
mid;?"  —  (5«  fjat  t^tt  ein  ©elüfte  ergriffen,  bie  furje  £eben«frift,  bie  er 
fid)  fämpfenb  noa;  errungen,  burd)  SBobltlnm  ju  nüfeen.  Den  oerftoeften 
©efellen  ba  beffern,  ba«  wäre  eine  lefcte  gute  Df)at  in  ifjrem  (Sinne.  — 
„Du  lieferji  Did;  au«.  Unb  wenn  Du  fpäter  au«  bem  ©cfängnifj  ent= 
laffen  wirft,  foll  man  Dir  fünflmnbert  ©ulben  jaulen,  ba«  3ermfad;e 
grabe  oon  bem  ©elbe,  ba«  Du  bei  mir  gefunben  ^atteft.  9?un,  ma« 
finnft  Du  nodj?" 

„&err,"  murmelte  ber  Sooro,  „id),  wer  war'  id)  benn,  ba§  id)  midfj 
weigern  fottte  ju  tinin,  wa«  3$r  befohlen.  2lber  id;  fann  e«  niajt.  Sttein 
2Beib  .  .  ." 

„Dein  Seib!"  fd^reit  ^oljner  auf,  „Du  f)aft  ein?,  9Kenfd;,  fie  lebt! 
Unb  Du  lauerft  am  ütfeg,  um  ju  rauben  unb  morben?" 

,,£f)ät'  iay«,  wenn  e«  nid;t  um  fie  wäre,  bafe  fie  nidjt  oerlmngert?" 

^o^ner  t)at  fid;  abgemenbet.  ®a§  ift  ba$  für  eine  2öelt!  De3 
9iauber§  SBeib  lebt,  ba^  feine  liegt  in  f alter  ©rbe.  6$  überfommt  i^n 
ein  brennenber  ütteib,  ein  ."oa§  auf  ben  9)?enfä)en,  ber  ba  oor  ifjm  fteljt. 
9lber  jugleid)  erwacht  aud)  in  ifmt  ba«  grenjenlofefte  Erbarmen,  mit  bem 
Glenb  be«  Sßolfe^,  ba«  oon  ^otl)  unb  Unwif|enf)eit  bem  Sßerbred&en  in  bie 
2lrme  getrieben  wirb;  bem  felbft  bie  fiiebe  nid)t  Rettung  bringt.  „9iun 
wof)l,"  fpridjt  er  langfam,  „fie  foll  nid)t  me^r  barben,  alfo  erl)öfjen  wir 
bie  Summe.  Da«  3e^llfa<^e  bann:  füuftaufenb  ©ulben,  SÖillft  Du 
bafür  Deine  Strafe  leiben  unb  oon  bem  wüften  £eben  laffen  V 

Der  Sooro  ift  jett)  3itrürfgewid)en.  Der  Hantel  fäüt  ibm  oon  ben 
Sd;ultern.   5iid;t  wie  ein  Sttörber,  oor  bem  man  ftdfj  fürdjten  fönnte. 


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  Der  £ooro. 


blitft  er.  Gin  armer  ßrainer  Skuernburfdj  ift'S,  wie  fie  äffe  flnb,  ooll 
unterwürfigen  SRefpectS  oor  einem  Gerrit  unb  beffen  9)tod)t.  3tu5  feinen 
tiefgefunfenen  2lugen,  feinen  l>of)(en  Sangen  fprid&t  nur  ber  junger;  aller 
£rofc  ift  if)tn  »ergangen.  —  „2öaS  fagt  3^r/'  ftottert  er,  „$err,  was 
fagt  ^r?  tyx  rebet  jutn  Spott  fo.  Das  meint  3^r  im  ©rnft  nid)*, 
baS  !önnt  %\)x  niajt  meinen,   günfmaltaufenb  ©ulben  unb  —  mir!" 

§ol$ner  jie&t  ftatt  aller  2lntwort  fein  Xafa>nbudj.  (Sr  fdjreibt  auf 
bem  flnie,  ben  regten  gu&  auf  bie  ftapelienftufe  gefteüt.  —  „$ier,  fannft 
Du  Icjen?"  fragte  er,  ba  er  geenbet;  „nein?  9ta,  fo  wirft  Du'S  mir 
glauben  muffen.  Der  3*^  ift  an  oen  23aron  3°^  gerietet,  meinen 
#reunb  auf  ©örfdjifcfyof.  Du  weifet  oon  ifjm.  Dem  Ueberbringer  biefes 
Stattet,  wer  es  aud)  fei,  SJiann  ober  Söeib,  wirb, er  fünftauf enb  ©ulben 
baar  auSjafjlen.  23of>loerftanben  —  nur,  wenn  er  erfährt,  bafe  juoor  ber 
Sorenj  ober  Sooro,  welajer  lefctljin  in  biefer  ©egenb  etliche  Räubereien 
oollfüfnt,  audf)  ben  efyrwürbigen  $erm  Pfarrer  nädjtliajer  Steife  mit  ©eroalt 
in  ben  &od)walb  gefd^Ieppt  f)at,  fia)  felbft  bem  ©eritt)t  auslieferte. 
Dann  giebt  er  ©elb.   So  fteljt'S  Ijier  gefdjrieben." 

„Unb  weiter?"  fragt  atfjemloS  ber  £ooro. 

„Leiter?  nia)ts.  2Ber  baS  ©elb  ergebt,  barf  bamit  madjen,  was  er 
will:  es  felbft  oerroenben,  ober  oerwafjren,  bis  Du  einmal  frei  fommft 
unb  auSmanbern  fannft." 

„Unb  fie,  bie  baS  ©elb  l;olt,  roer  es  aud)  fei  —  fie  fommt  niä)t 
in'S  ©efängnife?" 

„3Sie  fann  iä)  wiffen,  roen  Du  fenbeft  unb  ob  fie  mitfdjulbig  ift  ober 
nia)t?" 

„§err,  fie  tfyat  nichts,  fie  wufcte  nidjtS!  Sfidjt,  bafc  idj  ben  Pfarrer 
frolen  ging,  md)t,  baß  id)  fjeute  (Sita)  aufgelauert,  gar  nidjts !  Unb  roenn 
fie  es  f)ört,  fo  meint  fie  unb  betet,  bafc  uns  bie  Sdmlb  oerjie^en  werbe." 

„9ttaa)e  bas  bie  9tta)ter  glauben,  fo  wirb  man  £>eine  grau  niajt 
rerfjaften.  Sie  werben  forfdjen,  ob  MeS  wafjr  ift,  was  Du  fagft.  2llfo 
fjalte  Didj  ftreng  an  bie  2£af)rf)eit." 

„Das  will  id)  fajon.  3$  fann  ja  nid)t  anberS.  2lber  eS  ift  fdjwer 
mit  folgen  Herren  $u  reben.   2öenn  fie  alle  wären  wie  $f)r"  .  .  . 

„<Kir  fönnteft  Du'S  fagen?  9tun  fo  fpritt).  $a)  f abreibe  auf,  waS 
Du  mir  beridjteft,  Du  jeigft  ben  örief  bann  auf  bem  2lmt,  wenn  Du 
Dia;  melbeft,  unb  meine  23eftätigung  wirb  Dir  nüfcen,  als  ein  3eugnif5 
ju  Deinen  ©unften." 

Der  Sooro  jtarrt  nur  in  fia)  hinein,  $n  Sßorte  ju  faffen,  was  er 
erlebte,  bünft  ifm  unmöglid). 

$oljner  warter.  •  Sein  &\d  hinter  ber  langen  Litauer  bort  broben, 
—  bie  Sonne  finft  fdjon,  unb  ie  büfterer  ber  Gimmel  fia)  färbt,  befta 
weiter  fjebt  fia)  bie  fdmurgrabe  fiinie  00m  föintergrunb  ab  —  fann 
ü)tn  niä)t  entgegen.   2lber  bie  betroffene  Dljat  aud)  nur  um  Minuten  auf* 


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\2 


Valbert  ITIeinblar&t  in  Hamburg.  ■ 


fdjieben  ju  müffen,  baS  bünft  ilm  bart.  Unb  bodj  ift  e3  ifmt,  als  fei  er  veu 
pflichtet,  ben  33eiftanb,  ben  er  bem  Sooro  oerfjeifcen.  ganj  ju  leiften.  „So  fprtdj 
bod),"  fagt  er  nod)mal3.  „SSM*  fatnft  Du  baju?   Du  bift  nid)t  uon  fjier?" 

„9fein,  &err.  ^d)  bin  oon  jenfeitä  ber  Serge,  oon  9toibl  gebürtig,  roo 
e5  jum  ^rebilpafj  Ijinaufgeljt.  Sei  ben  ©almeigruben  mar  id)  in  2lrbeü." 

„Unb  was  führte  Dia)  fyevV 

„$d)  badjt'  mein  ©lud*  ^ier  ju  oerfudjen.  &ier  fei  jefot  bei  bem 
jpüttenwerf  ein  neuer  Director,  bei  bem  l)ätt'  man'3  gut,  wenn  mau 
fleifng  fei;  fo  tiefe  mir  bamals  bie  alte  23afe,  bie  Urfet  fagen." 

„Die  Urfet?  Die  £>änblerin?  60,  alfo  bie  bat'S  $ir  Ijeut'  ge* 
ftedt,  bafc  Du  mid)  jefct  Ijier  treffen  würbeft?  Unb  auf  ifjren  2lnlafj  bift 
Du  in  bas  Dorf  gefommen?   2Bann  mar  benn  ba§?" 

„Um  gronleid)nam  mar'3,  im  »ergangenen  Sommer/' 

„ftaft  Du  Did)  auf  bem  &üttcnwerf  gemelbet?" 

„^ein,  $crr.    Da$  war'S.   $ä)  tarn  am  Sonntag." 

„9iun,  unb?'' 

„%m  Montag  mar  e£  ju  fpät.  %\)x  wolltet  wiffen,  weSfjalb  id)  bieS 
Seben  führen  mufete?  2£enn  man'S  rea)t  bebenft,  fo  ift'S  fdmell  aefagt. 
Denn  an  bem  9tbenb  fing  es  an.  Unb  in  berfelben  9tod)t  mar'*  ge- 
fdjefjen  unb  blieb  wie  es  ift,  unb  mar  fein  3urü(f.  —  2tlfo  am  Sonntag 
2lbenb  fomme  id).  3d)  gebe  in'S  3Birtf)$f)au3.  GS  ift  eine  #od)$eit  bort. 
Sie  tanken.  Die  erfte,  bie  id)  febc,  ift  bie  fd)marje  Sttarifea.  Die  fannt' 
id)  fd)on,  £err.  SSir  waren  einmal  früljer,  als  id)  mit  meiner  franfen 
SJiutter  bie  5h>aHfal)rt  nad)  3)iaria  im  See  get^an,  jufammen  getroffen. 
Unb  wie  fic  mid)  nebt  unb  wie  id)  fie  fefje  . .  .  „Du!"  fagt  fie  unb  fommt 
über  ben  Xanjbobcn  t)er  auf  mid)  ju.  Gin  furjnacfiger  Surfd)  mit  fud)S= 
rotten  paaren,  ber  fd)on  ftarf  getrunfen  batte,  fd)iebt  fia)  bajwifdben: 
,3aS  miß  benn  ber  ba/'  ruft  er.  „sDJari^a,  Du  tan$t  jefot  mit  mir!" 
Sie  lad)t,  fo  ein  wenig,  nur  mit  ben  kippen,  unb  nieft  mir  ju.  Das 
mad)t  il)n  roilb.  Gr  paeft  fic  an,  id)  will  fie  befreien.  Da  läßt  er  fie 
unb  greift  bafür  mid)  an.  9Bie  id)  mid)  jur  2ßcfu-  fefce,  jiebt  er  fein 
Keffer.  Sie  will  il)m  in  ben  2lrm  fallen,  ifm  51t  t)iubern.  Da  ftid)t 
ber  rol)e  Wenfd)  nad)  üir.  3ln  ifjrer  Sdjulter  feb'  id)  baS  Keffer.  3d) 
fpringe  bereit.  5lber  fie  bat  fid)  fd)on  felbft  geholfen,  mit  aller  ©ewatt 
bat  fie  il)u  jurücfgefd)lcubcrt.  Gr  taumelt  unb  wanft.  Unb  bann  ftürtf 
er  £u  Soben,  mit  langem  Stöhnen.  Das  2tlleS  ging  fdjneller  als  ia)'S 
Gud)  fage.  Die  $urfd)en  Ijaben  abfeit^  geftanben.  9Jun  fommen  fie 
näber.  „Der  ift  Jjtn,"  fagt  Gincr.  „9iun,  iiari^a,  baft  Dir  felbcr  Deinen 
reid)en  freier  erfd)lagenV  Sift  nun  aufrieben?"  —  Sie  wirft  nur  ben 
.stopf  in  ben  9iacfen.  ,,©ieb  2ld)t/'  ruft  ein  2lnberer,  „ftolje  9Karifca! 
glcid)  werben  bie  05en§bannen  fommen,  bie  Did)  in'd  (^efdngnife  führen ; 
t)ielieiä)t  gefällt^  Dir  beffer  bort,  als  bier  bei  uns,  wo  bod)  Meiner  Dir 
gut  genüg  war."   $ä)  fet)'  wie  fie  gittert  unter  all'  ben  fpifeigen  hieben,  ob« 


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  Der  iovxo. 


wotjt  fie  ttjut,  als  ob  fie'S  nidjt  fümmert.  „ßomm,"  fage  id&,  nef)me  fie  bei 
ber  £anb  unb  jiel)  fie  oom  Xan^boben  IjinauS;  ,,tdf)  will  Sicj)  fd^ou  fdjüfeen, 
folg'  nur  mir."  —  Cime  ein  2Bort  läfjt  fie  fid)  ftill  oon  mir  fortführen  aus 
bem  Särmen  in  bie  9toä)t.   Unb  baS  ift  2lü*eS.  Unb  fo  war'S  gefd)el)en." 

„2&xS  mar  gefdyf)en?  S)eSr)alb,"  ruft  &ol$ncr,  „l;aft  2)u  ein  Räuber 
werben  muffen,  ein  2luSgeftofjener,  um  weiter  nidjtS?  Seil  bei  einem 
3öirtt)ör)au^ftteit  ber  rotfje  getrau  —  es  ift  boerj  ber  Sofm  bes  ©aft; 
wirtfjs  geroefen,  ber  Trunfenbolb,  mit  bem  3^  rauftet?  —  eine 
Seule  am  Jlopfe  baoontrug?" 

„So  ift'S  $exx.  Leiter  mar  es  nid)ts.  ßs  tonnen  oieleSeute  be* 
5eugen.   £>er  ^Setran  lebt  freute  nod).   $lber  mir  —  mir  mußten  es  nid&t." 

„ftrjr  mußtet  nid)t,  bafe  ber  Spetran  am  Seben? 

„2iMe  follten  wir'S  fjören  ?  £>te  9)iarifea  mar  in  it)rer  5lngft  in  ber* 
felben  9ia$t  nodfj  l)inauf  in  bie  Serge  mit  mir  geflogen,  roo  mir  oor 
Serfolgung  ftdjer  waren.  —  ,S233eigt  £)u,  l)at  fie  $u  mir  gefprodjen,  weSf)alb 
baS  2llleS  gefommen  ift?  SS>eil  mir  5wet  mitfammen,  bajumal,  an  bem 
Sßunfdjglödlein  in  bev  3nfelfir$e  gewgen  traben.  @S  l)at  für  uns  beibe 
jugletd)  geflungen.  $a  l)at  bie  l)etltge  Jungfrau  3J?aria  £id)  mir  be* 
ftimmt.   Unb  fo  ftnb  mir  jueinanber  gefommen.   @S  t)at  fo  fein  muffen.1" 

„2trme  ßinber!" 

„£err,  baoon  wujjten  toir  bamals  noaj  nidjts.  $er  Söatb  iftgrof3, 
unb  ber  Serg  rjat  oiel  ^öt)ten;  ber  Sommer  mar  mann.  3u  effen  gab'S 
Seeren  unb  allerlei  grüßte,  id)  fteüte  Sulingen  um  Sögel  $u  fangen,  es 
ftörte  uns  Üftiemanb.  2Bir  waren  frei  unb  waren  beifammen.  ,$)er  arme 
$etran,  fo  tjat  bie  W.axifya  oft  gefragt,  bafe  ber  rjat  baran  glauben  muffen, 
unb  baß  wir  jwei  nun  fo  glücflid)  ftnb !'  —  2lber  einmal,  erft  jum  &erbft, 
ba  Tie  Seeren  fudien  gegangen,  rjat  fie  auf  bem  &>eg  meine  Safe,  bie 
Urfel  getroffen.  £ie  fjat'S  ilrc  geiagi,  bajj  ber  rotlje  getrau  am  £ebeu  ift 
unb  bafe  Keiner  ibr  nadfjfteHt.  Unb  nun  will  fie  jurücf  unb  miß  wieber 
jur  Seilte  unb  will  ben  £errn  (Suraten  bitten,  bafc  er  uns  fdmell  w- 
fammengiebt.  Sie  f)üngt  mir  am  £als  unb  lad)t  unb  weint  unb  füfjt 
mta)  bajmifdjen  unb  roeij}  oor  greuben  fid)  nid&t  su  (äffen.  £a  t)ab*  id) 
es  if)r  eingeben  muffen,  was  mid)  bebrüdt  Ijat,  fdfjon  feit  Tagen,  v^efct 
fannft  2)u  surüd,  9Jtarifca.  9lber  ia)  nidjt.  ßd)  bin  mit  bem  großen, 
ftarfen  ©ensbarmen,  ber  bie  äßälber  begefjt,  bem  Seutfdjcn,  weit  id)  ge; 
glaubt  rjab',  er  ift  Xiv  auf  ber  Spur,  aneinanbergeratljen,  bafj  er  fein 
Sebtag  bran  benfen  wirb.   Unb  feine  ^linte  l;ab'  ia^  behalten/ 

,,^err,  oon  berfelbigcn  Stunbe  an,  ba  id)  iljr  bas  l)ab'  fagen  muffen, 
ift'S  mit  il)rcr  i)k^e  oorbei  geroeien.  3um  Unglücf  t)atte  i(jr  aud;  bie 
Urfel  fd)on  erjä^lt,  bafe  man  im  2)orf  nad)  ©inem  fuct)t,  ber  ben  ©enSbarmeu 
angefallen.  9iun  3itterte  fie  oor  jebem  2aut,  weil  fie  meinte,  bie  Solbaten 
würben  fommen  unb  würben  midj  greifen;  für  fid^  felber  war  fie  nie  fo 
fura^tfam  geroefen.   Son  Tag  ju  Tag  ift  fie  nur  trauriger  geworben  unb 


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 2Ibal b c r t  UTetntiarbt  in  Qambnrg. 


oerjiörter.  Unb  als  i$  ihr  jugerebet  hab',  fie  foüc  $ur  $afe  hinuntergehen, 
bie  abfeitö  oom  Torf  wohnt,  bie  fdjwere  Stunbe  bort  abjuwarten,  bie 
if)r  beoorftanb,  ba  f)at  fie'^  nicht  wollen,  ©ei  id)  ihretwillen  ausgeflogen 
worben,  fo  bürfe  fie  jefct  mdr)t  midj  oerlaffen.  9iur  el;  fie  fter&e,  möchte 
fie  einmal  noa)  einen  ©eiftltdjen  fet)en,  bem  fie  beizten,  ber  ihr  bie  Sünbe 
oergeben  fönne.  Söeiter  wünfdjte  fie  nichts  merjr.  £enn  fie  bad>t'  fdjon 
nidn"  anberS,  als  baft  fie  balbigft  fterben  müfcte.  Unb  bann  fei  idj  frei, 
bann  follt'  id)  fliegen,  über  bie  ©renje,  in  ein  anbereS  Sanb.  £ietfeid)t 
mär'  eS  ihr  beffer  geroefen,  wär'  fie  geftorben.  3lber  eS  tarn  nidjt  fo. 
£enn  jum  grübling  —  eS  war  im  9Jtars,  ber  Sd>nee  mieber  frifa)  ge* 
fallen,  es  ftürmte  bie  9?aa)t  unb  fror  baju,  ärger  als  im  tiefften  2Binter 
—  ba  f)at  fie  ben  $3uben  jur  2itelt  gebracht.  Sie  meinte  bamalS,  eS  fei 
baS  if)re  lefete  Stunbe.  Unb  ich,  wie  ich  fie  fo  fterbenSfranf  faf),  nur 
flagenb  unb  weinenb  um  geiftltdjen  3ufprud>,  babaajt'  ich:  was  liegt  benn 
baran,  wenn  fie  mid)  greifen,  fo  ber  2Jtorifca  geholfen  wirb!  —  Xa  lief 
ich  hinunter  in'S  nädjfte  $orf  —  wir  bargen  und  bamalS  in  einem  leeren 
«geuftabel  broben  im  2öalb,  Iwd)  über  bem  2Sod)einer  See;  —  bie  fünf 
Stunben  2$eg'S  mad)t  ich  in  ber  Rathen  3^it  unb  ging  jum  Pfarrer  unb 
bat  ben,  mit  mir  §u  einer  Sterbenben  ju  fommen.  Unb  ba  er  nidjt  wollt' 
in  ber  tiefen  9tod)t,  mit  mir  burd)  ben  SSalb  —  ba  t)ab'  id)  freitidt)  mid) 
oergangen.  3$  tym  bie  2lugen  f eft  oerbunben,  it)n  mir  auf  ben  SRücfen 
gelaben  unb  fo  burdj  Sdjnee  unb  3ßinb  unb  tfälte,  fo  fdmell  i<$  nur 
fonnt',  hinauf  getragen  ju  ber  SHarifea.  2£aS  fie  ihm  ba  unter  SfjrJmm 
geftaub,  war  Seidjtgeheimnife,  baS  burft'  er  tüd;t  fagen.  Safe  er  uns  ju* 
fammengegeben,  mit  heiligem  Segen,  unb  ben  Suben  getauft,  baS  fyit  er 
wo^l  felber  nicht  gern  oerrathen.  Sem  er  tt)at'ö  aus  gurcht  oor  meiner 
$tinte.  9lber  cafe  idr  ifm  geholt,  mit  Gewalt  unb  weldje  2ingft  er  aus* 
geftanben,  aud)  bafe  id)  ber  fiooro  fjet&e  unb  fremb  in  ber  ©egenb  fei, 
baS  2ltleS  hat  er  auf  bem  2lmt  erjählt.  SBenn  fettbem  hier  am  See  etroa£ 
oorfäHt  unb  wo  immer  ein  Unglütf  geflieht,  ba  heifet'S:  $aS  Ijat  ber 
l^ooro  getl;an.  3mmer  ber  Sooro !  £er  #err  Pfarrer  hat  oon  ber  Jtanjet 
herab  mir  mit  ben  ärgften  Strafen  gebrofjt,  fyev  unb  im  ^enfeü^.  3a) 
fjab'S  oon  ber  Urfel.  2)er  hat  bie  Sftarifca  längft  iljre  rothen  perlen  ge= 
gegeben  unb  ihre  filberne  Sfabel  ba$u,  ba&  fie  fie  oerfauft  unb  uns  S3rob 
bafür  bringt.  geljt  uns  nid^t  gut,  wie  im  oorigen  Sommer.  2Bir 
finb  immer  auf  ber  giltst  oon  bem  einen  fterfted  $um  anbern.  Xic  3Kari^a 
ift  jd)wadj  oon  Äranfheit  unb  Kummer.  Sie  fann  bem  Üinb  nid)t  Nahrung 
geben,  weil  fie  felbft  nia^ts  mehr  ju  effen  hat.  Unb  bie  2lltc  fagt  $u  mir: 
,2Benn'3  §um  Söinter  fo  weiter  geht,  fommt  bie  3)iari^a  um  ihren  ^erftanb 
unb  baS  ftinb  fürbt  ^Dir  ^unger^.  ^u  ^aft  einmal  ben  Tanten,  ba^  iid> 
2ltle  oor  ^ir  füra)ten,  obfdjon  2)u  bis  heut  nid)t  gar  fo  oiel  oerbrodpen 
haft.  Da  oerbien'  ilm  gleid)  lieber!  Suxüd  fannft  ^u  nimmer.  So  tr)u 
bod),  was  bie  £eut'  oon  ^ir  glauben;  oerfudh'S  einmal  ©inem  fein  ©clb 


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  Der  forro.    \5 

weg§unef)incn.  Dann  ift  Dir  geholfen,  Dir,  ber  Sflarifca,  bem  SBuben  unb 
mir.1  —  &err,  ia)  (jab'S  oerfuä)t!  —  Unb  baS  ift  bie  <&al)rf)eit.  Uub  wenn 
ia)  brum  beftraft  werben  mufj,  ia)  will'S  fa)on  tragen.  2lber  mein  2Öeib, 
mein  SBeib  ift  fdmlblos!  Die  wei&  nia)ts  baoon.  Die  muß  frei  aus* 
gefjen,  fte  tjat  nichts  oerbroä)en." 

&ol$ner  fyxt  fa)weigenb  sugef)ört.  Die  @rjäf)lung  beS  £ooro  nieber= 
5iifa)reiben,  fjat  er  oergejfen. 

„£err,"  fagte  biefer  ängftliä),  ba  er  jenen  noa)  immer  fo  regungslos,  in 
na)  oerfunfen,  auf  ben  (Stufen  ber  Capelle  fifcen  fic^t,  ,,.§err,  ia)  miß  ja  tfwn, 
was  3f)r  forbert,  will  mia)  felber  auf  bem  2lmt  ftellen,  f)eute  noä),  nrie 
tyx  geboten.    2lber  werbet  3{jr  (hier  23erfpreä)en  mir  aua)  galten?" 

„2Belä)eS?  Dir  fünftauf enb  ©ulben  $u  jaulen  V 

„3a  —  unb  cor  ben  9tfä)tern  für  mia)  &u  jeugen.  Unb  noa)  eins. 
Die  alte  Urfel  fagt,  3l)r  hättet  ein  25?eib  gehabt,  baS  ©ua)  lieb  mar. 
9iun,  &err,  bei  Gurer  tobten  grau  bitt'  iä)  (Suä):  forgt  mir  für  bie  meine!" 

„28a*  rebeft  Du  ba?  3a)  foll  für  fie  forgen!  Das  fann  ia)  nia)t. 
3a;  gebe  baS  ©elb,  bamit  fie  niä)t  wteber  in  9iotf)  gerade.  SBeiter  »er* 
mag  iä)  ma)ts  p  tfwn.  Denn  iä)  felbft,  ia)  .  .  .  ia)  muß  fort  uon  Ijier. 
Darum  fann  iä)'S  nia)t.  9ietn.  Unb  ia)  will'S  mä)t!"  —  9fia)t  gegen 
ben  Sooro,  gegen  fein  eigenfteS  ©ewiffen  tyit  er  fiä)  ju  wel)ren. 

„3()r  i»oHt  jefct  oerreifen,  £err?"  fTagt  traurig  ber  Sooro.  ,,3ä) 
bitt*  6ua),  tlmt'S  nia)t,  iä)  ftct)e  ©ua)  an!  Denn  fef)t,  wenn  iä)  gefangen 
bin,  wenn  u)r  deiner  betftefjt,  was  foll  aus  ber  ÜJJarifca  bann  werben?  2lber 
wenn  $fyc  ^<&t  öeben  wolltet,  baf?  man  fie  nid)t  f)öl;nt  im  Dorf,  bafe  ber 
Öub'  red)tfa)affen  aufwädjft  .  .  ." 

,,3ä)  fann'S  niä)t,  ia)  fann  es  nia)t,"  murmelt  ^oljner. 

„&err,  tfjut'S.    2luS  öarm^ersigfeit!  Die  3J?ari^a  ftirbt  mir  fonft." 

&oljner  antwortet  niä)t.  9iia)t  an  bie  Ktarifca  benft  er,  an  fein 
eigenes  SÖeib.  35$aS  fie  wünfa)en  würbe,  baS  weife  er.  SBteber  meint 
er,  brinnen  in  ber  geheimen  Cammer  feinet  ^er^enS,  wo  er  oorfnn  it)rc 
Stimme  oernommen,  wie  leife  Sflalmung  bie  2Borte  ju  fjören:  „(£rft  ein 
langes,  ein  reiä)es  Seben,  oiel  mofjltlnm,  oiel  nfifeen  —  unb  bann,  wenn 
es  fein  mu§  .  .  ."  2$enn  eS  fein  mu&! 

„So  ma\)x  3()r  @u*r  2Bcib  geliebt  Ijabt,"  flefyt  ber  £ooro  noa) 
einmal,  „bleibt  $err,  forgt  für  mein'S."  —  — 

*  * 

©S  ift  2JJitternaa)t.  3luf  bem  Sdjtofefwf  ftefjt  ber  lange  9)touric 
wartenb  unb  f)orä)t  unb  fräf)t  in  baS  Dunfel  fjinauS.  Die  ^>auet|)ür 
geljt.  gräulein  2lnna  tritt  fjerauS.  (rS  litt  fie  nia)t  länger  bei  bem 
fd)lafenben  Änaben,  im  füllen  3''"^^r-  s^öS  fie  martert,  ift  nid)t  lUngft 
meljr,  es  ift  ffiewiBfyeit.  —  „(?r  fommt  nia)t  wieber",  fagt  fie  ju  bem 
Gilten.    Der  nirft  nur.    Cb  er  bie  ätlorte  rerftanb,  bie  fie  furaa),  bc.ü 

Wort  unb  IM.  - 


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Die  ertglifdje  2Ttal<?rci  in  öcn  Ickten  fünf3tg  j 

3aJ?rcn  *) 

mit  befonöerer  Serüdfidjiijung  6er  <Senre<  unb  €fnerbil&er. 

Don 

paul  Zneyerfyetm. 

—  Berlin  — 

!  H  fef  mit  feen  bre*  Söorten  abgetan,  bie  ein  berühmter  aber  fdjroeig* 
j^H^a  i  anter  9)(ünd)ener  SJfater  einftenS  ausfprad). 

•ikrttjolb  3luerbad)  crjäfjlte  mir,  bafj  er  fetbft,  um  fidj  über  ba£ 
Sßefen  ber  alten  ßunft  büben,  einen  2Mer  unb  greunb  bat,  mit  ifnn 
in  bie  alte  $inafotf)ef  ju  fommen.  2>ura)  triefe  6äle  fajritt  ber  3Mer 
mit  bem  $td)ter,  erfterer  immer  roortfarg,  enbltd)  bleibt  er  cor  einem 
Dtembranbt  ftefjen.  9Iuerbadj  mar  nun  gan$  Cljr,  roa£  fommen  würbe  unb 
ber  analer  fagt  raürbeooll  ju  tym,  glänjenben  2luge*  auf  ba$  23ilb  mit 
bem  Saunten  jeigenb:   „Sdjau  Serttjolb:  18  g'molt."  —  $er 

2leftf)etifer,  ber  geuiUetonift  mu§  fd;on  für  feine  Sefer  mef)r  fagen,  aber 
für  ben  2>Ja(er  verfallen  bie  Silber  3unäd)ft  in  bie  beiben  Ableitungen : 
bie,  mcifye  roirfüclj  gematt  finb,  unb  bie,  toetd;e  metjr  gebaut  unb 


*)  Seine  Grcetteus  ber  GultuSminifter  £>err  Dr.  oon  Gofeler  bat  feiuerjeit  bie 
Herren  i*rofcfior  3anffeu,  Sirector  i*ücfc,  ^rofeffor  93rad>t  unb  ^rofeffor  i*aul  2)ietiep 
beim  beauftragt,  bie  2lu*ftetlung  in  3ftand)efter  gu  befudien  unb  ifjm  Söericbt  abiuftatteu 
über  ben  ^tM'tanb  ber  Sfunft  in  (Snglaub.  Sic  Herren  3anffetl  unb  Üücfe  follten  babei 
befonberd  bie  r)iftorifcf)cu  Söitber,  iperr  SBradit  bie  Üaubfdjatteu  unb  5^aut  lUenerbcim 
bie  ®enrc=  unb  Xbierbitber  tn'B  2luge  fafjen.  3"bcffeu  bat  feiner  ber  genannten  Herren 
ftd)  pebanttjd)  innerhalb  ber  tym  gefteeften  Örenjcn  fjatten  fönuen.  Sem  Dorftebcuben 
Slufiaö  liegt  ber  an  ben  £errn  IWnifter  erftattetc  triebt  ^aut  üMenerbcimS  31t  Gkunbe. 

Sie  »ebttctUn. 
2* 


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—    Die  englifdjc  maleret  in  ber  legten  füiifjta,  3d^rcn-    19 

2ltelier  oft  bewerft,  baß  ftinber  ein  ganj  merfwürbigeS  erftaunlidjeä  flunft* 
oerftanbniß  ()aben.  2£enn  ein  ficbenjäl)riger  9)fo$art  fdwn  componirt  unb  äffe 
Gmpfinbung  für  bie  2Wufif  f)ar,  warum  foff  bie  Gmpfinbung  für  bilbenbe 
Stunft,  aud)  wenn  fie  nod)  niajt  ausgeübt  werben  famt,  bei  tfinbem  fdjwädjer 
fein,  roarum  foff  man  ben  flinbern  ben  tfunftgenuß  entstehen?  3a;  t)a6e  bei 
einem  folgen  Knaben,  ber  oft  mein  Atelier  befugt,  meljr  ^erftanb  unb  Sinn 
für  bie  mobemetfunft  gefunben,  als  au  mandjem  berufenen  ©elcfnien,  ber  oer-- 
geblid)  nad)  ben  Üeimen  ber  neuen  beutiajen  flunft  unter  allen  Slättern  fud)t 
unb  babei  ba$  üppige  Slüljen  unb  bie  ftrofcenben  grüdjte  nidjt  finbet. 

X»ie  englifd>en  tfornptjäen  tjaben  alfo  bie  3Tu5ftelIung  jeber  mit  einer 
anfelmlidjen  ©ruppe  oon  Silbern  befdneft. 

2Benn  ia)  mit  bem  erwähnten  Sttündjener  in  ber  2lu£fteßung  geroefen 
wäre,  fo  roürbe  er  junädjft  gefunben  fjaben,  baß  nur  wenige  Silber  fo 
redjt  eigentlia)  gemalt  finb. 

2Ilie*,  was  mau  in  ben  2tfabemien  be3  ContinentS  erftrebt,  mit  faiw- 
blüf  auf  Xijian,  Sela$quej,  9iembranbt,  burd)  fdjöne  $iufelfül;rung  einen 
Äopf,  einen  nadten  Körperteil  tjcrsufteHen,  2llle3  ba^  ift  in  ber  englifdjen 
2lu$ftellung  eigentlia)  nur  auf  einem  &ufcenb  Silbern  $u  ftnben,  bei  granf 
&oü,  bei  Culeß  unb  bei  9JiiHaiä.  9llle  übrigen  Alünftler  arbeiten  mit 
einer  ftarmlofigfeit,  tftublidtfeit  unb  mit  einer  @eringfd)äfeung  ber  guten 
SMacrje,  bie  in  irjrer  9toir>etät  einen  großen  9ieij  f>at  unb  eben  bie  ganje 
moberne  englifdje  flunft  oon  ber  beä  kontinente  unterfdjeibet.  2lußerbem 
fämpft  unb  wetteifert  bei  un£  ber  größte  £l;eil  ber  SJtaler  mit  ber  nodj 
niajt  erfunbenen  farbigen  Photographie. 

2Bar)rrjeit  unb  9üd)tigfeit  wirb  erftrebt,  „ingeniuni"  unb  „unima"  wirb 
barüber  allerbingä  oiel  oeradjtet.  £a£  &aupt$iel  be$  mobernen  Sicaliften 
fdjeint  ju  fein,  gletdjfam  ein  £od)  in  bie  2Banb  511  fdjlageu,  burdj>  ba3 
man  ein  Stticf  üNatur,  wie  es  gefjt  unb  ftef)t,  erfdjaut. 

£ie  Gnglänber  traben  btetjer  ftetö  2lnbere3  gewollt,  fie  Ijaben  eine 
lange  SMcultur  l)inter  fid),  unb  lange  oor  ben  granjofen,  bie  wofyl  me^r  al$ 
bie  geborenen  9)?aler  gelten,  fjaben  fie  erftrebt,  nadj  guten  yiunftprincipien  ju 
fdjajfen.  Obenan  tjat  Sir  ^o\ua  Jfennolbä  fid)  bemüht,  eine  2lrt  ©encraU 
baß  ber  Malerei  fjerjuftellen ;  er  t)atte  bie  Üßrincipten  ber  beften  jebeS  £anbe$ 
aufgenommen,  oerarbeitet  unb  barau3  neue,  für  ben  9tynilmiu3  ber  £idjt=  unb 
Scfjattenoertfjeilung,  ber  garbengebung  muftergültige  Sä)öpfungen  rjingeftellt. 

gür  bie  Sanbföaft  war  Gonneftable  fein  würbiger  Partner,  Sie 
Sefyren  Seiber  würben  in  gremfreidj  grünblidr)  ftubirt,  unb  eä  fdjeint  mir, 
baß  bie  SSerfe  ber  großen  3dt  ber  fran$öfifd)en  Gotoriftcn  in  jenen  englifdjen 
Äunitregeln  ifjren  Urfprung  fjaben.  (53  finb  biefeä  jarjllofe  9)?eifter:  Xecamp^, 
^ronon,  (Souture,  ^Houffeau,  Gorot  :c.  Später,  in  unferer  Seit,  finb  all  bie 
golbnen  Regeln  über  ben  Raufen  geworfen,  unb  fybex  erfämpft  fid)  feine 
eigene  neue  gormtofigfeit  oon  Beuern.  3»  iener  3e^  oeraa^tete  3^r^en/ 
wie  tjellgrün,  rofa,  lila,  blauweiß,  bebeden  je^t  3al)l(ofe  Seinwanbe. 


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20    panl  nTeyert>eim  in  Scrlin.   

Son  biefen  materifdjen  Gontrapunftiften  ift  auf  ber  3(uSfteUung  faum 
nod)  etwas  ju  fefjen*). 

$er  einzige,  ber  nadj  allen  Regeln  bes  ©efdjmadeS  bis  an  fein  (Snbe 
gearbeitet  f>at,  unb  beffen  ©Uber  aua)  in  golge  beffen  nod)  Ijeute  in  jeber 
Stabt,  in  jebem  ftunftlaben  auf  bie  wettefte  Entfernung  fa>n,  gan3  ab= 
gefefjen  oom  Sujet,  baS  2Iuge  burdj  bie  fdjöne  gorm  feffeln,  ift  (£.  Sanbjeer. 

3)?an  fagte  mir  früher,  itanbfeer'S  Silber  feien  eigentlidj  nid)t  gut 
in  ber  garbe  unb  fdjled)t  gemalt.  $eute  ift  er  fdwn  nrieber  mobern  in 
feiner  Slonbfjett  unb  £i$tfülle.  ©r  ift  aud)  auf  biefer  2tuSftellung  bie 
aufjerorbentltd)fte  ©rfdjeinung  ber  jüngft  vergangenen  ©podje.  2)er  oollenbete 
2lbel  beS  ©efdnuads,  bie  beifpiellofe  2eid)tigfcit,  mit  ber  bie  Silber  l>er= 
gefteflt  ju  fein  fdjeinen,  bie  Sd)öuf)eit  ber  ©mpfmbung  werben  tym  nod> 
lange  feine  Sewunberer  erhalten  unb  neue  erwerben.  2lud)  in  poetifa^er 
Sejielmug  ift  er  ein  SDiefjrer  beS  9ieid)CS;  er  Ijat  feinen  ©efd)öpfen  eine 
Seele  emgefjaudjit,  bie  oor  ilnn  nod)  üRtemanb  am  Xljier  entbedt  fjatte. 
5llle  feine  föirfdje  finb  waf)re  Könige  unb  gfirften  ber  2öälber,  uor  benen 
man  ben  £ut  jieljt,  unb  auf  bie  $u  fdn'efcen  als  Attentat  Seftraft  werben 
müßte. 

2)ie  ^unbe  fjat  er  als  wirflidje  gemütvolle  greunbe  ber  2Wenfdjen 
erfannt  unb  für  alle  3^iten  fijirt.  3$  weif}  nid)t,  welken  feiner  #unbe 
idj  mein*  bewunbem  foQ. 

£aS  Silb  „Dnfel  £om  unb  feine  grau"  ift  für  mia)  eins  ber  fdiönft 
componirten  Silber  ber  Slusftellung,  an  itym  würbe  id;  Sd)ülern  alle  Siegeln 
ber  Gompofition  erflären. 

Sublim  ift  ber  2lffe,  in  beffen  Hrmen  ein  junger  franfer  2lffe  rufyt; 
über  bie  beiben  unb  bie  SlcceffoireS  ift  eine  trübe  Jtranfenatmofpfjäre  aus* 
gegoffen,  wäljrenb  hinter  Urnen  als  ©egenfafc  ein  junger,  gefunber,  energifdj 
gefärbter  (Sapujineraffe  lebenefrof)  in  einige  Slpfelfinenftüde  beijjt. 

£anbfeer  tfjcilt  ben  SBorjug  uieler  wahrer  3)ieijter,  er  ift  fef)r  oiel= 
feitig,  feine  gtguren  mad)en  tym  feine  Sa)anbe,  unb  Titanic  mit  3***^ 
als  ©fei  inmitten  einer  liebenSwürbigen,  graziös  erfunbenen  geeengcfcüfdjaft 
ift  ein  entjfidenb  anmutiges  Silb.  5?eben  biefem  einzig  bafteljenben  frifd^en 
tfünftler  bitbete  fidj  in  (fttglanb  eine  Secte,  bie  all  biefe  ^rineipien  oer* 
artete,  bie  ben  SerfaU  ber  tfunft  oou  Stofael  an  batirte  unb  beSfjalb  etwas 


*)  (Sin  enatticher  3Jlalcr  S3urnet  Ijat  e§  uor  längerer  3"t  unternommen,  ein  treffe 
liebes  Berf,  ie  ilrincibien  ber  SDtalerfuuft",  ju  fdjrcibcn.  3»  ben  brei  fcauptabfehnitten, 
über  ßinicmGombofitton,  ©djattentjertbeUuna.  unb  ftarbeitßcbung,  betoeift  er  burch  Seifpicl« 
ber  beften  Stteiftermerfc,  nxähalb  ein  Silb  aut  au&fehe  unb  ein  anbere«  nietjt,  er  berechnet 
mathematifd),  toie  toentq  ßidit  dtembranbt  amuenbe,  tmb  loie  biet  StubeuS,  unb  urie  lijtan 
bas  fd)önftc  Ebenmaß  an  H'icbt  unb  Sdjattenuertbeitunfl  unb  an  Otobenßcbunfl.  l)at. 
^aS  Üüert  ift  rjodnritercffant  uub  follte  in  feinem  9lteltcr,  bei  feinem  SJMfter  unb 
feinem  Sdjiiler  fehlen,  aud)  bei  deinem,  ber  Silber  tntifd)  ?u  beurtbeilen  unternimmt, 
ba  fid)  3cbcr,  ber  ftd)  unfidjer  fühlt,  barau8  S)lath  holen  fanu.  (Sä  ift  in  einer  neuen 
llcbcrfefcuiig  erschienen. 


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  Die  englifdje  ITTalerei  in  ben  legten  ffinfjig  3atjren.    2\ 

früher  anfnüpfen  $u  müffen  glaubte /  um  bic  ßunft  neu  5U  ocuüren. 
CDergletd^cn  paffirt  in  manchem  £anbe,  unb  aud)  wir  fyaben  eine  foldje 
Secte  gehabt,  welche  baS  ©ebenen  ber  ftunft  lange  $al)xe  aufgehalten  hat. 
die  unteren  fnüpften  nod)  an  Iftafael  an,  aber  Tie  fmb  eigentlich  fdjlimmer 
als  bie  erwähnten  ^rärafaeliten.  diefe  (ehrten  jwar  ganj  jur  genauen 
9todjaf)mung  ber  9iatur  jurütf.  flenntniß  ber  Anatomie  unb  Sperfpecttoe 
hat  feine  ber  beiben  ©ruppen  beim  Staffen  geftört,  Söetbe  aber  »ergaben 
in  ber  Anbetung  ihrer  ibealen  Sorbilber,  baß  eben  biefe  Senojjo  ©ojjolt 
unb  Oiafael  boa)  gan3  anberS  gemalt  höben  würben,  wenn  fie  heute  lebten. 

die  ^Jrärafaeliten  finb  eine  gleidj  auf  ben  erften  Slicf  merfwürbige 
©rfdjeimmg.  diefe  bes  ©ebanfenS  bis  jur  gänjlid)en  Unfinbbarfeit  beS= 
felbeu  jeidmet  fie  aus,  oft  eine  Untiefe  beS  ©etfteS,  in  bie  fein  Sauger 
fommt,  aber  —  fie  haben  bod)  Stücf  für  Stütf  du'nefifdj  genau  nach  ber 
9iatur  gemalt,  oft  mifroffopifdj,  unb  barauS  mußte  immer  etwas  ©uteS, 
StarfeS  entftehen.  33)  übergehe  ben  oerftorbenen,  ganj  unbegreiflichen 
9teftor  ber  Sippe,  ben  9Mer  unb  dichter  Stofetti,  er  hat  wtrfltd)  nichts 
gefonnt,  aber  er  hat  in  ben  Urmalb  ber  wüften  ©ebanfeu  einen  2£eg  ge* 
fyauen,  auf  bem  anbere  leichter  wanbeln  fonnten  unb  eher  an  ein  3iel 
tarnen. 

SJiabbor  Srown,  Söatts,  (*.  Surne  3oneS  unb  SMUaiS  waren  bie 
vereinten  greunbe,  bie  ihm  folgten.  daß  an  ber  Dichtung  etwas  ©uteS 
war,  geigen  uns  diejenigen,  welche  erft  bem  Irrweg  folgten,  fid)  bann 
feitlidj  aus  bem  Urroalb  fangen  unb  SBege  tn'S  ^ellc  dageSlidjt,  in  be* 
wohnte  ©egenben,  ju  lebenben  9Henfd)en  wählten. 

Lüllau  war  einer  ber  Abtrünnigen,  unb  er  fteht  jefct  als  erfter  unter 
benjfiebenben  ba.  Seine  Stelfeitigfeit  ift  erftaunlid).  $n  feinen  früheften 
prärafaelitifchen'. Silbern  ift  fdjon  eine  enorme  ftenntniß  beS  SHenfdK» 
unb  ber  Sanbfdjaft,  unb  heute,  wo  er  beibeS  freier  behanbelt,  entjücft  er 
bura)  feine  ^rifche  ber  Auffatfung-  ßr  r>at  fehr  oiel  auSgeftellt.  5Trcff- 
liehe  3Jtännerportraits,  hM'torifche  Scenen,  ©enrebilber,  £anbfchaften  2c. 
die  perlen  feiner  (Mection  finb:  ein  alter  Seemann,  lebensgroß,  bem 
feine  dod)ter,  ju  feinen  $üßen  fifeenb,  über  bie  nörblidhe  durchfahrt  oor* 
lieft,  dem  blifcenben  Aufleudjten  in  ben  Augen  beS  alten  Seefahrers 
ficht  man  eS  an,  welch  großer  ^3lan  in  ilmt  gewedt  wirb,  die  energifche 
£anb  auf  ben  difd)  fd)lagenb,  fpridjt  er  bie  Söorte:  „(iS  muß  gehen, 
©nglanb  wirb  eS  machen !" 

dann:  die  #rau  beS  Spielers,  eine  rüfjrenbe^eftalt,  bie  nad;  ben 
Starten  mit  Sßehmutf)  greift,  welche  all  ihr  Unglüd  gebracht  fyaben.  die 
Tonnen,  welche  ein  ©rab  graben;  baS  fdjlafenbe  Sabn  mit  ber  profaifdjen 
ftridenben  Äinberfrau  im  .§intergrunb.  das  finb  alles  äScrfe  ooller 
2J?eifterfd)aft.  ©inige  feiner  ^ortraits  finb  eminent  in  ber  3luffaffung,  fo 
baS  eines  i^upferflichfammlerS,  ber  ein  riefigeS  Statt  in  ben  &änben  hält, 
unb  ben  Sefa^auer  anbtidt. 


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22    paul  ITlcyerbeim  in  Serliu.   

£eine  meiften  neuen  Portrait*  fmb  naa)  anberen,  ia)  mödjte  fagert 
£enbadyfd)en  ^rincipten  gemalt:  ein  Kopf,  ein  einfacher  neutraler  hinter* 
grunb  unb  bunfle*  flüchtig  gemalte*  Goftüm.  Die  5löpfe  baben  ba*  mit  bert 
£enbadyfd)en  gemein,  bafe  fie  pfndwlogifdj  gut  ftubirt  fmb  unb  genau  ben 
(Stjarafter  ber  Sßerfon  wiebergeben,  waljrenb  fie,  rein  al*  malerifd)e  fieiftung 
betrachtet,  binter  £enbad)  3urüdftef)en.  2i>er  malt  aud)  unter  allen  Sebenbcit 
ein  ^aar  2lugen  wie  ßenbaa).  Ueberrafdfenb  ift  e*,  bafe  auf  ber  ganzen 
2lu*fteHung  faum  ein  Jrauenportrait  ju  feljen  ift. 

Da*  befte  aller  Portrait*  fjat  ^xant  &oll  au*geftellt,  einen  alten 
£erra  mit  Kinberaugen  im  :}iollftuf)l,  es  ift  roofyl  ba*  befte  Stüd  Malerei 
ber  ganjen  2lu*fieUung;  bicfe*  unb  einige  anbere  erinnern  an  bie  guten 
.ftenenbilbniffe  öuftau  3Hd)ter^.  SSeldjen  enormen  (rffect  roürbe  ein 
Damenportrait  9üd)ter*  auf  ber  3lu*ftellung  gemacht  rjaben! 

sJteben  #rauf  ,§oll  glänzt  Culejj,  beffen  sJ)taunerportratt  geredete  Se= 
lounberung  auf  ber  berliner  Jubiläum*  s2lu*fteUung  fanb. 

2lud)  Dabema  ift  mit  einem  meifterfjaften,  aber  etwa*  abfonberlidjen 
Portrait  eine*  2tr$te*  oertreten,  ber  am  -öette  einer  Kranfen  fifeenb,  ben 
s|>uU  ber  lederen  mit  ber  linfen  £anb  fütjlt,  roäjpenb  er  in  ber  rechten 
bie  Uf)r  l;ält;  ber  Kopf  ber  Patientin  ift  nid)t  ju  feljen. 

Silber  be*  gefeierten  &  er  fom  er,  beffenNJ?ame  oon  bem  2)iifj  Qkant*  jefct 
uujertrennlid)  ift,  oermögen  nidjt  in  ät;itlid)c?  Sßeife  anhieben,  nidpt  eins 
mal  ba*  25 üb  feine*  alten  33ater*.  —  ä&a*  galt  ba  uon  aller  Skwunberung 
bem  2ftaler  unb  wa*  bem  9ftobeUVV  2lud)  iMidnuonb  unb  Sant  finb 
burdj  originelle  unb  tüd)tige  Portrait*  feljr  bemerfen*wertf).  Sefcterer  f)at 
febon  lange  oor  &erfomer  feine  brei  Död)ter  in  SSJeife  auf  meinem  Örunbe 
gematt.  Der  oerftovbene  Öorbon  il>atfon,  ein  Spotte  unb  ^ortraitift 
aUcrerfteu  :Hange*,  ift  leiber  nur  burd)  ein  oor$üglid)e*  iÖübnifj  repräfentirt. 

311*  uädjftcr  fjalb  abtrünniger  «JJrärafaelit  erfdjeint  ©.  ÜBatfon.  <*r 
l)at  intereffante  Portrait*,  etwa  smanjig  an  ber3af)l,  au*geftettt;  alle*  Krufts 
bilber,  aüc  im  gleiten  ftormat,  alle*  fet)r  berühmte  Männer.  $fmi  ift 
c*  um  bie  fdjöne  Malerei  eine*  Kopfe*  gar  nid>t  51t  tf)un,  er  bujjlt  nidjt 
barum,  mit  oan  D«f  ober  Dijian  511  wetteifern;  auf  einer  (Sdjülerauäftellung 
ber  berliner  2lfabemie  würbe  faum  ein  Kopf  eine  2lu*$eid)nung  erhalten. 
3luf  ber  afabemifdjen  2Ju$fteHung  würben  fie  fogar  refüfirt  werben.  Unb 
bod)  moljnt  nieten  eine  Glrojjartigfeit  unb  8d)tid)tf)eit  ber  2luffaffung  inne, 
bie  fublim  ift.  Die  ^erle  ift  wofyl  ba*  Portrait  Denngfon*.  Wan  fief)t 
jebem  $ilbe  an:  Da*  ift  ein  2)ialer,  ba*  ein  Dieter  unb  ba*  ein  ®e* 
leljrter.  Diefe  swan^ig  Portrait*  umgeben  einige  anbere  SSerfe  bcffelben 
3)ieifter*  ooll  tiefer  3nnerli$feit  unb  poetifdjer  (irfinbung.  ^ßfud)e,  nodj 
prärajaelitifd),  b.  I).  mit  gänMid)em  Langel  an  i)icij  be*  nadten  Körper*. 
2£enn  fd)on  bie  v^rärafacliten  3llle*  unb  S^oe*  genau  nad)  ber  9?atur  malen, 
fo  fdjeinen  fie  eine  alleinige  2lu*nal)me  mit  ben  nadten  ©eftalten  ju 
maäjen,  bie  alle  wie  nad)  bem  fd)led)t  gepolfterten  Mannequin  gemalt  au*= 


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  Die  eriglifdje  maleret  in  fcen  legten  fünf3uj  ^arfren.   ■  23 

fef)en,  auch  bie  graue  garbe  ift  behalten,  bie  weiblichen  giguren,  ftet* 
mit  bürftigen  Ruften  au*geftattet,  finb  nur  baran  atz  weibliche  fenntlid), 
baß  $wei  nothwenbige  Attribute  am  £orfo  fchüd)tern  angebracht  fttib.  $n 
bieier  Sluffaffung  wetteifern  äftittS,  sBmne  3one*,  ^iofetti  unb  9)tobbor 
Srown.  „£er  £obe*engel"  unb  „Sie  Hoffnung"  finb  bie  fa)önften  oon 
2£att*  Gompofitionen.  2lucr)  ben  Serg  2Irarat  l>at  er  gemalt,  beinahe  im 
Sinne  22erefd)agin*.  Gin  hohe*  fdnuale*  Silb,  ein  fpifcer  bunfelblauer  Serg, 
ein  5Jaa)ti)immel  mit  einem  Stern  Darüber,  ba*  ©anje  ein  £eijrung,  bie 
bequem  in  jwanjig  SWimtten  fier^uftellen  ift,  aber  bennoch  felw  einbrudteooll. 

2)iabbor  Srown  malt  meift  unergrünbliche  9tebu*,  urie  Wofetti,  aber 
er  tjat  aud)  ferjr  intereffante  Sachen.  Sein  alte*  Silb  r»on  1852,  „Work" 
betitelt,  hat  fogar  in  feiner  Seftrebung,  bie  SRatur  auf  ber  Straße  $u  er* 
reiften,  manche*  mit  9)?en$el  gemein.  (Sr  eutfdjulbigt  fidt)  in  einem  Briefe 
förmlich,  baß  er  e*  wagt,  ben  englifa^en  Straßenarbeiter  unb  Settier  für 
eben  fo  berechtigt  jum  2Ibgemaltmerben  $u  tjaltcn,  wie  ben  Neapolitaner, 
unb  fo  hat  er  mit  tmfroffopifcher  ©enauigfeit  jene*  merfwürbige  „Söerf" 
gefdjaffen.  3n  heller  Sonne  graben  gewöhnliche  Arbeiter  in  einer  Strafe 
eine  örube  für  ®a*anlagen,  alle  im  Schweiße  trjre^  9lngefid)t*,  grauen 
unb  arme  Äinber  umgeben  bie  ©ruppe  im  Sorbergrunb,  ein  Settier,  ber 
Vergißmeinnicht  feil  halt,  welche  auch  unter  ber  fiupe  ju  bewunbern  finb, 
geht  linf*  $um  Silbe  herauf  9ied)t*  im  ©chatten  eines  Saume*  flehen 
$roei  Herren,  Arbeiter  be$  ©eifte*,  im  ©efpräd):  Garlnle  unb  2).  Maurice. 
$ie  Sonne  fcfjeint  burch  bie  Säume  unb  befäet  iljre  fdt> warben  9iöcfe  mit 
unzähligen  heöen  $ünfta)en,  ein  gewagte*  techmfehe*  (Sjpertmcnt  ber  Malerei, 
ba*  erft  bie  neueren  Italiener  wieber  aufgenommen  haben.  3n  ber  3Kitte 
be*  Silben  fuchen  ein  Weiter  unb  eine  reitenbe  $ame  fich  einen  2Beg  jwifchen 
all  ben  Arbeitern  funburdj.  £a*  sJ0falen  be*  Sonnenlichte*,  ba*  bie  alten 
tflafftfer  nie  erftrebt  haben,  unb  mit  bem  fich  bie  ganje  moberne  malenbe  2Belt 
meift  oergeblid)  abmüht,  ift  auf  biefem  Silbe  eigentlich  juerft  aufgenommen 
roorben.  2>ie  Äfifmheit  ift  $u  bewunbern,  wenn  auch  bie*  Wefultat,  wie 
bie  weiften  anberen  beffelben  Streben*,  beweift,  baß  ba*  grelle  Sonnenlicht 
mit  feinem  harten  Schatten  eben  mit  unferem  garbenmateriat  nicht  $u  cr= 
reichen  unb  baß  e*  überhaupt  nicht  feljr  malerifch  ift.  3d)  übergehe 
anbere  ü&erfe  oon  SNabbor  Srown,  feinen  (Sromwell  auf  ber  ganu 
unb  bie  GompofUion,  bie  ju  enträthfeln  ich  ""<h  oergeblich  bemühte,  5.  S. 
Don  Juan  Diseowered,  by  Haydie  unb  the  Coat  of  many  eolours  2c.  :c, 
unb  fomme,  einen  Slugenblirf  bei  kalter  (Srane  oerharreub,  beffen  The  bridge 
of  Life  in  ber  Serliner  3ub iläum*=2lu*ftellung  feine  befcheibenen  SWeije 
entwicfelte  unb  ber  mit  einer  großen  3al)l  trefflicher  englifcher  Hinber= 
bücher  ©roß  unb  ßlein  ber  ganzen  SLBclt  erfreute,  fchließltdj  $u  ©.  Sume 
3one*,  bem  jüngften  noch  jefet  blühenben  ^rärafaeliten.  ^unächft  muß 
man  fich  einen  Stoß  geben,  um  bei  ben  Silbern  ruhig  $u  oerhaVreu 
unb  ber  wiberftreitenben  ©efüljlc,  bie  fofort  auftauchen,  fierr  $u  werben. 


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2<t    panl  nTcyerlieim  tu  Scrlin.  — - 

$at  man  aber  mit  gutem  SßiHen  oerfudjt,  fid)  in  jebeS  $ilb  $u  oertiefen,  fo 
rotrb  man  bod)  belohnt.  @3  ift  roaljr,  sMe£  ift  unnatürlich,  gejiert,  manierirt, 
bie  SJienfdjen  alle  gejc^lec^tstos  wie  bie  ßngel,  fic  irren  auf  ben  Silbern 
an  einanber  uorüber,  in'3  Seere  glofoenb,  rote  bie  ©olbfifche  im  ©lafe,  äße 
haben  bie  ähnlichen  lieben  ©efidjter,  biefelben  $änbe  unb  gfifje,  aber  bennodh 
—  eä  ift  ein  (Stroa£  barin.  Der  Chant  d'amour  erinnert  an  gute  Italiener, 
bie  <yarbe  fommt  ^ian  nahe;  es  finb  colorifttfd)  berounbern§roerthe  Starten 
auf  bem  33ilb,  beffen  Gompofition  ganj  thöricht  ift:  2luf  ber  Söiefe  vor 
einer  Stabt  fifet  ein  ^räulein  unb  fpielt  bie  Crgel  inmitten  beS  3MtbeS. 
SinfS  fniet  ein  9iitterjüngling,  redfjtä  hinter  ber  Crgel  ein  merfroürbiger 
©eniuS,  bem  bie  9)iufif  Sajmerjen  $u  oerurfadjen  fcrjeint.  9lUe  Drei  hoben 
9totf),  ihre  ©lieber  nod)  innerhalb  be$  Gahmens  $u  placiren.  2>te  Malerei 
ift  ganj  finblich  einfach,  mit  fpifcem  Sßinfet  ift  alles  genau  ^ingemalt, 
jebeS  &aar,  jebeS  ^älmdjen,  unb  biefe  9lnbaa)t  bei  £erfiellung  ber  Details 
ift  es  wof)l,  bie  auch  ben  -befdjauer  länger  oor  bem  intereffanten  33ilbe 
feffelt.  Seine  Sibyllen  erinnern  an  Pompeji,  ber  GnfluS  oon  oier  Silbern 
bes  ^ßngmalion  hat  uiel  Schönes  in  ber  (Smpfinbung;  jer)r  hübfd)  ift  baS 
$ilb,  auf  bem  ber  £'ebcnSengel  erfcheint  unb  ber  ©alatea  mit  einem  Ringer 
auf  bie  &er$gegenb  tippt,  um  ihr  l'eben  einjuhaudjen.  Die  Scene  ift 
Heblidj  unb  reijenb  erfunben.  ftreiltd),  bie  ftarre  ©alatea  will  fdjliefelich 
nid)t  ganj  lebenbig  unb  frifd)  werben,  baS  ©lieberpuppenhafte  l)aftet  ihr  su 
fef)r  an,  unb  ber  ^ßijgmalion  fcheint  mir  allmählich  ju  »erfteinern. 

Die  brei  ©nget  an  Gljrifti  ©rab,  tho  Morning  of  the  resurrection, 
finb  foftbar  naio  empfunben. 

Gin  großes  SBilb  ftellt  eine  grotje  golbene  äSeubeltreppe  oor,  auf  ber 
eine  Schaar  engelhafter  ©efdjöpfe  hcrabfteigen,  gänjlidj  jiel=  unb  jroecflos, 
mandje  mit  SJtuftfinftrumenten,  bie  ilmen  aber  nicht  red)t  oertraut  fdjeinen. 
Der  ©runbgebanfe  ift  mir  nicht  flar,  baS  2Mlb  leibet  auch  $u  fein*  an  ber 
Verachtung  ber  ^erfpectiue.  Die  entfernteren  (rngel  finb  faft  gröfecr  als 
bie  oorberen,  alle  l;aben  genau  bie  gleiten  güjjchen  unb  roeifcgrauen 
©eroanber. 

DaS  2ßirrungSuollfte  ift  the  wheel  of  fortune.  (Sine  lebensgroße 
^ortuna  im  grauen  ©eroanbe  ftef)t  an  einem  großen  9tobe,  auf  beffen 
breiter  2luftenfeite  eine  2ln^al)l  naefter  ©eftalten  uon  je  Ijalber  SebenSgröfee 
einanber  auf  tfopf  unb  Sdmltem  fteigen,  manche  fyat  eine  tone  auf, 
eine  liegt  unter  bem  9iabe,  eine  ift  fdjon  balb  über  bic  £öt)C  roeg. 

Sie  5llle,  biefe  ÜJieifter,  t>aben  gebaut  unb  gemalt  unb  geben  eben 
mel)r  ju  beuten,  alo  bie,  roelaje  blo»  malten,  ol)ne  ju  benfen.  (S$  ift  ja 
auf  biefem  3Bege  mel;r  unb  ©rofje^  5U  erreichen,  niie  bie  oben  ermahnten 
abtrünnigen  s|>rarafaeliten  beioeifen. 

^d>  h^be  mitt)  über  biefe  3JJeifter  etmad  auSfüljrlidjcr  geäußert,  aU 
mir  als  Stljiers  unb  ©enremater  jufommt,  aber  fic  finb  bodj  bie  originellfte 
©ruppe  ber  2lnSftellung,  unb  fie  finb  bei  uns  fo  gut  roie  unbefannt.  2Sir 


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 Die  englifdjc  HTalcm  tu  bcn  legten  fünf3ig  3atjreit.    25 

fyjben  feinen  einigen  5lünfUer,  ber  bem  2Iefjnfid^e3  letftet.  2lm  nädjften 
fäme  rnelleicht  Söcflin,  bod)  ift  biefer  gewaltiger,  tmpofanter  in  ber  garbe 
unb  mannigfaltiger. 

Die  alten  »ergangenen  ©enremaler  fonnten  mid)  nicht  ret$en.  deiner 
erreicht  ben  großen  2Stlfie,  t»ie(e  haben  in  ihren  2£erfen  etroaS  vom  frönen 
9tyt)tf>mu$  ber  £oÜänber,  aber  fte  alle  finb  bod)  rote  oertroefnete  Slumen 
eines  Herbariums,  bie  einft  in  ihrer  Slüthe  ent$ücft  ^aben,  bod)  es  fmb 
feine  ^mmorteüen.  Da  tauten  unter  tfmen  bie  alten,  in  (Snglanb  beliebten, 
großen  Warnen  auf.  2llS  bie  beften  hebe  ich  tjeroor  @tto,  geft.  1849,  ber 
riet  oon  Diaj,  bem  grojjen  granjofen,  {>at,  beffen  Seftreben  war,  ba§ 
feine  figürlichen  Silber  junächft  einem  frönen  S3ouquet  glichen,  gerner 
gritl),  SSebfter,  ber  im  ©enre  (Sbuarb  3tfenerf)eimS  malte,  nur  leichtfertiger 
unb  unrichtiger,  abernod)  im9t!rothmu3  beS  alten £ollänberS,  ßl.  Stanfielb, 
ber  roieber  an  ben  granjofen  Sepoiteoin  erinnert,  unb  3B.  9)iüller,  ber 
theils  noch  in  ber  fd)önen  Lanier  beS  (Sonneftable  malt,  uon  meinem 
fämmtlidje  guten  Goloriften  ber  franjöftfchen  £anbfchaftSmaleret  lange 
gejelnl  ^aben.  Die  fpäteren  Silber  SRüllerS  finb  gan$  üorjügltd^  com* 
ponirte,  fchön  gemalte  Drientfcenen  ßr  ift  nicht  ju  uerroechfeln  mit  bem 
SSiener  ^rofeffor  Füller,  beffen  meifterhafte  Crientbilber  ju  bem  Sdjönften 
gehören,  roaS  bie  mobeme  Xedmif  leiften  fann.  (5in  Silb  von  biefem  t)ätte, 
was  bie  Sehanblung  allein  anbelangt,  ganje  Säle  ber  englifa)en  Silber 
in  Statten  gefteHt.  2luch  Xurner,  ber  grofje  füfjnfte  ^oct  unter  ben 
£anbfd)aftSmalem  aller  Sänber,  ift  noch  bur<f>  einige  aHerbingS  nidjt  feiner 
beften  Silber  oertreten,  bie  an  ©röfje  ber  ©mpfmbung,  an  3Kud)t  unb 
^oefie  nod)  ^eute  unerreicht  baftehen;  freilich  haben  fie  alle  mit  ben 
$>rincipien  ber  täufchen  roottenben  photographif  djen  9iichtigfeit  nicht«  gemein. 
3n  biefer  Dichtung  leiftete  baS  ©taunenSroerthefte  3-  g-  SeroiS,  geft.  1876. 
Sein  Crientbajar  ift  ein  wahres  2Sunber  ber  Äleinmalerei.  Die  nicht 
fleine  £afel,  einen  hohen  Sajarraum  barftellenb,  in  bem  jahlreidje  dürfen 
allerlei  feilhalten,  ift  oon  einer  £reue  unb  Öenauigfeit,  von  einer  2Xb= 
geroogenheit  unb  SoUenbung,  wie  2lelmlicheS  noch  nie  gemacht  ift.  ©bem 
bürtig  finb  feine  trefflichen  3lquarellen  unb  ein  orientalifcher  &of. 

Der  näd)fte  lebenbe  ift  bann  SB.  %  gritl;.  (Sr  hat  *m  Dufcenb 
Silber  auSgeftellt.  Sein  Derbn  unb  fein  Sabeftranbbilb  fmb  gute  erprobte 
SHemtpferbe,  bie  baS  ^ublifum  mancher  2luSfteUung  erfreuten.  @S  giebt 
faum  Silber,  auf  benen  fooiel  $u  fetjen  ift,  wie  auf  griths  SBerfen. 
Derb«  ift  immer  ein  auSge$ei<hnete$  5Berf;  bie  SeobadnungSgabe  unb  bie 
güHe  ber  3Jiotiod)en  auf  bem  Silbe  fmb  erftaunlid),  unb  für  bie  ba* 
malige  3^it  ift  2llIeS  f)Ödt)ft  refpectabel  gemacht,  bie  ferneren  giguren  unb  ber 
föintergrunb  fmb  meifterhaft,  nrie  mit  Stecfnabeln  ausgeführt.  Seine 
übrigen  jefm  Silber  aber  wollen  uns  heute  nicht  fdmtecfen. 

(S'h*  ich     oen  lebenben  ©enremalern  übergehe,  muß  idt)  noch  greberief 


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26 


paul  nievertietm  in  Berlin. 


2öalfer3  gebenfcn,  ber  in  jwanjig  Hummern  oertreten  ift,  Silbern  unb 
Slquarellen. 

©eine  3eit  foü  ilm  md)t  anerfannt  haben,  unb  heute  ift  er  eine  $aupt= 
jxerbe  ber  2lusfteHung.  Gr  malte  ©enrefcenen  mit  Figuren,  bie  fid>  nur 
etwas  über  Staffagengröfee  im  93err)ältnife  jum  Bilbe  ergeben,  einfädle 
Wotioe,  wie  „ba3  alte  2"l)or  am  Äirdjfjof",  an  bem  fid;  eine  trauembe 
©reifin  unb  eine  junge  Jrau  begegnen;  angelnbe  Bauemfinber  in  einer 
unglaubtid)  flüchtig  gemalten  Saubfdjaft,  ber  bliube  Söanfarer  2c.  2Balfer£ 
ift  feljr  uielfeitig  unb  oon  unglaublicher  geinfüfjligfeit.  Seine  einfachen 
Silber  finb,  wie  man  bei  genauer  Betrachtung  fiebt,  oft  umcompomrt,  oiel 
übermalt  unb  Durchgearbeitet.  (Seine  grofje  i'anbfchaft,  eine  Slrt  norbifdje^ 
Alpenglühen  auf  fleinen  Sergen,  mit  einem  pflügenben  Bauern  im  Borbet 
,   grunbe,  bleibt  eine  ber  fjeroorragenbften  Grfcheinungen  ber  2lu$fteuung. 

3hm  etwas  oerwanbt  ift  ber  1872  oerftorbene  ©.  Wafon.  Seine 
ad)t  Bilber  finb  oon  entjüdenber  .föarmlofigfeit,  etwas  im  ©eure  3.  Breton: 
fletne  länbliche  Gden  unb  2$ege,  auf  benen  Sanblente  einljergehen,  ftinber 
einzelne  Xfyiere  treiben  2c. 

Sie  Bilber  feljcn  alle  aus,  als  wenn  ber  flünftler  fie  nur  ju  feinem 
Vergnügen  gemalt  l;ätte,  unbefümmert  barum,  ob  fie  3«nanb  für  fertig 
hält  ober  fauft.  Sie  Walerei  biefer  Bilber  fjat  etwas  oon  ber  ber  guten 
Jranjofen.  Wöglid),  bajj  killet  unb  Breton  erft  oon  Wafon  gelernt  ^aben. 
3d)  Ijabe  biefe  fleinen  Bilber  mit  bem  gröfeten  Gntjüden  immer  wieber 
betrachtet. 

Bon  ben  lebenben  ©enrcmalem  imponirt  mir  am  meiften  ber  Schotte 
Drajarbfon.  Gr  ift  ber  Waler  beS  SittenbilbeS  par  excellence,  feine 
Bilber  erinnern  an  Scenen  aus  Sarbou,  Stoma*  :c.  Gr  fd^eint  nur  ge= 
legentlid)  §u  feinem  Bergnügen  ein  Bilb  ju  malen,  wenigftenS  ift  an  feinem 
bie  2lrbeit  oon  überheiztem  Sampffeffcl  wahrzunehmen,  oießeidjt  befyalb 
tjabeu  feine  Serfe  etwas  fo  fpontan  SBirfenbe*.  3wei  Bilber  Mariage  de 
convenance  unb  Alono  finb  beioe  bemfelben  Montan  entnommen.  Gine 
alte  ©efchichte !  2luf  bem  erften  fifct  ber  oerheirathete  alte  9iou6  an  langer 
Xafet  mit  ber  jungen  ©attin  —  weit  auscinanber.  Ser  Liener  fchenft 
ilmt  ein,  fie  hat  gar  feinen  2lppettt  unb  benft  an  etwas  anbereS.  Sex 
grofce  Saal  mit  ber  einzigen  £ampe  über  bem  Xifdj  ift  fo  grojj,  oornehm 
unb  unfreunblid; ,  fo  unintereffant,  bafs  auch  ber  Waler  ihn  nur  gan$ 
ftüdjtig  behanbelte,  ebenfo  wie  auf  bem  anberu  Bilbe,  wo  wir  ben  alten 
&crrn  allein,  oerlaffen,  tief  betrübt,  mitten  im  Limmer  fifcen  fchen. 

Sies  einfachfte  aller  Bilber,  ein  alter  £err  im  grad,  aüein  im  großen 
©emad),  im  £iutergrunb  bas  unberührte  tfriif)ft"tf/  ift  em§  Der  Ö^öfeten 
Weifterftüde  ber  malerischen  Grjahlungöfunft,  bie  ich  je  fat);  nur  ber  flopf 
beS  £errn  ift  mit  grofcem  gleifc  unb  ausgezeichnet  gemalt,  aber  baS  Bilb 
würbe  langweilig  werben,  wenn  es  nicht  fo  ffi^enfjaft  wäre. 

Crdjarbfon  ift  oielfcitig,  er  ftellt  auch  SßortraitS,  Scenen  aus  ber 


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Die  enalifrte  Walerei  in  ben  letjtcn  fünf3i^  Rohren. 


27 


3eit  ber  ^ncronables,  unb  ein  fe^r  eminentes  #iftorienbilb  au$:  Napoleon  I. 
am  33orb  bes  SBeßeropljon  1815,  einen  lefcten  $licf  auf  bte  franäöfiidje 
äüfte  roerfenb,  treffltd)  unb  einfad;  componirt  unb  roeit  burd)gebilbeter  al$ 
feine  anberen  2öerfe. 

©ine  eigentümliche  @rfcf>einung  ift  Stioiere.  ßr  ift  ein  auägc 
Seidjneter  Stf)iermaler  unb  fudjt  nadj  flaffifd)en  Stoffen,  bei  benen  Xf)iere 
anzubringen  fmb.  Die  giguren,  bie  er  babei  braucht,  finb  gefdnnacfooll 
unb  fein  d)arafteriftrt.  Sein  Daniel  in  ber  Söroengrube  ift  nur  oon  rjint^n 
fid)tbar  unb  barum  boppelt  embructeooll.  Die  £öroen  finb  oorjüglid).  Girce 
mit  ben  Sdjroeinen  ift  liebenSroürbig  unb  einfad).  Der  arme  ßnabe,  ber 
am  lefcten  Sfleilenftein  oor  ber  Stabt  jufammengebrod)en  ift  unb  oon  feinem 
&unb  beroad)t  roirb,  ift  ergreifenb.  Da$  t)öct>fte  aber  erreid)t  ber  Äünftler 
in  feinen  PJayfellows.  Der  eine  Spietgenoffe,  ba$  ßutb,  ift  franf  unb 
fifct  mübe  im  £el)nftuf)l,  mit  Äiffen  jugebeeft;  fein  greunb,  ber  grofje 
£unb,  fifct  oor  ifmt,  t)at  eine  £afce  auf  ben  Sd)oo§  beä  ftinbeä  gelegt 
unb  blieft  baffelbe  mit  einer  fotdjen  3n"crlid)feit  be$  2lu$bruc?e$  an,  roie 
ifm  Dorbem  nur  fianbfeer  malen  tonnte.  Daä  £mtbeauge  getjört  ju  ben 
auabrucföoollften  perlen  ber  ganzen  Huäftellung. 

33on  ben  l)auptfäd)(id)ften  mobernen  ©enremalern  ermähne  id)  nod) 
SeSlie,  ber  etroaä  im  ©enre  unfere$  Imberg  malt.  Sein  befiel  Sßerf 
ift  Waiting  for  the  ferry.  ^n  eine  fein*  unintereffante  Sanbfd^aft  ift  ein 
entjücfenbeS  gräulein  f)inetugemalt,  bte  bie  i'angroeile  ber  Umgebung  voü- 
fommen  oergeffen  madjt.  £e3lie  überbietet  fid)  in  fd)önen  tarnen,  meift 
gräuleinS  auf  bem  £aube.  $ier  fifcen  einige  am  SBaffer  unb  (äffen  ge« 
banfenüoH  SRofen  fdjroimmen,  bort  jijjen  jroei  gegen  ein  grofeeä  genfter 
unb  prapariren,  roie  id)  glaube,  &äring£falat,  bann  roieber  finb  jroei  an 
einer  Duelle,  2We3  füfj  lieblid)  reijenb,  mäßig  gefdjtcft  ber)anbeltr  aber 
jebeä  Silb  roie  ein  ®ebid)t.  . 

&enrn  2öoob  ift  unferem  ^affini  oerroanbt,  er  malt  lauter  «ßafftnte 
in  Del.  Sie  Ijaben  in  ber  £edjnif  ntd)t$  <5ngltf<$e$,  finb  alle  meifterljaft 
burdjgefütnl,  lid)t  unb  f  lar,  aber  ein  bissen  ju  fa)ön  gefeljen.  ©in  trefflidjeS 
Sfleifterroeif  ift  ba$  Silb  oon  fiuf  e  gilb  ed.  ©in  £od)$eit3jug  burdjroanbert 
ba$  Dorf,  ba$  iunge  ^ßaar  wirb  oon  ben  Dorfberoofmern  berart  beworfen, 
bafe  es  nidjt  weife,  roie  e$  fid)  beS  SMumcnregenS  erwehren  fott.  Die 
jiemlid)  grofjen  giguren  finb  bie  beften  en  plein  air  gemalten  ber  2lu$* 
ftellung,  bie  ßompofition  ift  ooUenbet,  unb  bem  ©efdjauer  roirb  eine  güüe 
ber  reijenben  ©in^et^eiten  geboten,  an  benen  man  fid)  m$t  fattferjen 
fann!  gür  baä  Sujet  ift  ba3  Jöilb  oieaeidjt  ju  grofe. 

Sllma  ^abema  brause  td)  nia)t  ju  erwähnen;  er  nimmt  meljr  benn 
eine  2öanb  ein,  an  bie  nur  fd)roer  ^u  gelangen  ift,  unb  oon  ber  man  bann 
ebenfo  fd)roer  fid)  lodreifet. 

21(3  ©enremaler  parabirt  &erfomer  mit  feiner  „legten  9J?ufterung" 
ber  alten  gelben,  bie  mannen  Krieg  unb  mand)e  2lu^fteaung  fiegreia)  mit^ 


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28    poul  UleYcrfycim  in  Berlin.   

gemalt  haben.  (SS  ift  eiu  9)ieifterroerf,  baä  an  unfern  9J?enjet  erinnert. 
9iiä)tS  ift  auf  bem  JÖtlbe  in  Unflartjeit  gehüllt,  Sittel  mit  fetter  $arbe  foüb 
unb  fenntnifereid)  Inngemalt.  Sttinber  bebeutenb  ift  fein  „Hard  times-4  : 
eine  2luSroanbererfamilie  auf  ber  &anbftrafje,  auet)  plein  air,  aber  bie 
ftiguren  finb  nicht  feljr  intereffant.  &erfomer  möchte  bem  nad)  Sentimentalität 
ftets  burftigen  englifdjen  ^ublifum  gern  etroaS  Einwerfen,  aber  er  trifft 
nicht  baS  Nichtige  unb  engliftrte  fein  3)?otto  eben  nur,  roährenb  feine 
Stärfe  ganj  roo  anberS  liegt,  aber  ntdjt  in  ber  (Srfinbung  unb  (Smpfinbung. 

©in  Meines  Quroel  ift  (5.  35 urt on  Larberg  SMlbd)en.  (Sin  rei3enbeS 
blonbeS  9)iäbcr)en,  gan$e  Btgur,  mit  einer  3)?üd;fa)aale  in  ber  &anb,  beren 
Inhalt  mit  einem  ftäfedjen  ju  teilen  fie  gar  feine  Suft  hat.  jjd)  ermähne 
es,  weil  eS  in  ber  #arbe  unb  £ect)nif  baS  energifdjfte  ftärffte  Vilb  ber 
2luSftellung  ift. 

(rs  ift  mir  nid)t  möglich,  annähernb  alle  bie  ©enrebilber,  beren  3ah* 
fet)r  groft  ift,  eiujetn  aufzuführen,  $n  allen  mad)t  fid)  baS  Öeftreben 
geltenb,  ben  33efct)auer  lachen  ober  meinen  $u  machen,  unb  nie,  ©fei  $u 
erregen,  rote  baS  bei  fielen  mobernen  beutfetjen  ©enrebilbern  ber  galt  ift, 
bie  beu  Vefct)auer  in  bie  unangenehme  Sltmofpljdre  ber  Spelunfen  ober 
Mranfenftubcn  hinetnjroingen  roollcn.  $aS  9)Jotto  „shocking"  hält  ben 
©nglänber  uor  mand>en  füuftlerifchen  ^arfteflungen  juriief.  Vielleicht  ^at 
baS  „suocking"  ben  plaftifd)  füuftlerifchen  Sinn  (SnglanbS  oon  jeher  unter* 
graben,  beim  ju  feiner  3eit  ift  in  ©nglanb,  meines  21MffenS,  in  ber  <4$(ajrtf 
etroaS  roirfltcr)  VoltenbeteS  geleiftet  roorben.  (Srft  in  neuefter  3eit  fommt 
bie  Sculptur  ju  tyxen,  roooou  mir  fd)öne  Veroetfe  auf  unferer  3"biläumS-- 
2lusftellung  far)en. 

2luf  ber  3)iancr)efter  2lusftellung  finb  in  jebem  Saal  ^öd)fken^  oier 
bis  fed)S  plaftifche  Arbeiten  aufgeftellt.  2>aS  „shockingkk  ift  aud)  baran 
fcbulb,  oafj  bie  Pflege  beS  9tocften  in  ber  Malerei  fo  üemaajläffigt  rourbe. 
Daher  ftammt  ber  Langel  an  Sdjönheitsfinn  für  bie  tförperformen  bei  allen 
^rärafaeltteu.  Die  einige  Ausnahme  macht  oielletdjt  £e igt) ton,  ber  roof)l 
im  Staube  ift,  feine  Jiguren  beffer  als  alle  Ruberen  ju  seiebnen;  bafür 
fehlt  ihm  aber  roieber  bie  malerifche  2lbcr.  <5r  ift  bis  tyuie  nodj  nicht 
„feiner  eignen  Meinung".  Crr  oerbinbet  sJiafaelifd)eS  mit  ^rärafaelifcbem, 
mifcht  Xabema  mit  ^iajoltfa^Infdjauungen,  tjor)teu  Pathos  mit  falfchem 
sXoel  in  feinen  Silbern,  fo  ba&  man  bie  otelen  guten  (Sigenfdjaften  barin  fchroer 
geniest.  iSr  hat  eine  fet)r  tüchtige  große  Sculptur  auSgefteHt,  einen  3JJann, 
ber  oerjroeifelt  mit  einer  Schlange  ringt.  2$are  biefe  ©ruppe  in  Berlin 
geroefen,  fo  hätte  er  oieileicbt  nicht  allein  bie  3)?ebaille  für  2ßtffenfd)aft 
bauongetragen. 

Von  neuefter  'X^ierma(er(ei  baoe  i$  roenig  ©uteS  auf  ber  Sttusftettung 
entbceft,  unb  uon  Sanbfdjaften  haben  mir  eigentlich  nur  bie  herrlichen  beiben 
Karinen  uon  3°hn  Ör.ett  wahrhaft  imponirt.  Sie  finb,  obgleich  oon 
i'cbeutenbcm  Jormat,  mit  ben  fpifccftcn  ^infeln  ausgeführt,  boch  ift  bie 


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 •    Die  cualifdjc  malerci  in  ben  Ickten  fünf3nj  ^aljrfn.    29 

Totalität  babei  nitfjt  verloren.  Stefe  unb  feine  übrigen  Söerfe,  fein 
Ijertlidjer  ©ebirgSbad),  §äf)len     ben  beften  Sanbfdjaften  ber  9?eujeit. 

Sebutenartige  2\>erfe  finb  uon  ©rafjam  „A  Spate  in  the  Highlands" 
unb  jroei^f^öne  SÖiCber  von  Sicat  (So tc.  „JRornfelber  unb  £od)fommer" 
jaulen  3U  ben  etnbrudäoollften  £anbfd)aften  ber  (Sammfang,  wenn  fie  audj 
in  £edmif  unb  Sluffaffung  nichts  9?eue3  bieten,  fielen  l'anbfdjaften  fietjt 
man  e£  an,  baß  it)rc  Urheber  in  ^aris  ftubirt  $aben  unb  fid)  bie  eble 
(Sinfa^eit  Xaubignn'S  unb  3tnberer  anjueignen  uerfudjen.  3m  ©roßen 
unb  ©an$en  genommen  ftef)t  bie  SaubfdjaftSmalerei  nidjt  auf  ber  &öf)c, 
bie  mir  in  £eutfd>lanb  geroofmt  finb.  SJieifier  von  bem  ©efdjmacf  unb 
ber  ©efdjicflicftfeit  ber  beiben  9fdjeubadj,  ©ebirgSmaler  roie  ^ubroig 
».  tftameefe  unb  anbere  intimere  £anbfdjafter  nrie  ber  2Siener  Sd)inbfer,  nrie 
Düder,  Sajönleber,  9Jiuntlje,  ©übe,  Sradjt  unb  bereu  befte  Sajüler,  fjabe 
id}  nid;t  in  Gnglanb  gefunben,  unb  bod)  ift  bie  englifcfye  £anbfdjaft  fo 
nmnberfd)ön  malerifd).  2tm  aUerbeften  finbe  id)  fie  roiebergegeben  in  ben 
berrlidjen  2Mfterroerfen  in  &o($fd)nitt  uon  Sirfet  gofter,  ber  aber 
mit  ber  garbe  unb  bem  $infe£  nid)t  genügeub  umjugefyen  oerftet)t. 

£a$  ©ebiet  be3  <StilIleben3  liegt,  roie  mir  fdjeint,  gan^lid)  bradj. 
3n  Sejug  auf  bie  £otalerfd)einung  bes  Silber  babe  id)  bie  Semerfung  ge= 
mad&t,  baß  alle  ©nglänber  bemüht  finb,  U)ren  Silbern  ein  ganj  befdjeibeneS 
3lu$feben  §u  geben,  audj  burd)  bie  Umrahmung,  ä*>äbrenb  man  bei  uns,  me^r 
al$  irgenbroo,  banadj  ftrebt,  bie  Silber  in  möglid)ft  foftbare,  fd&roere  unb 
fmnuermirrenbe,  leiber  meift  gefdnnarflofe  SRafnnen  ju  fteden,  finb  bie 
englifdjen  iDfaler  nur  bebad)t,  bem  Silbe  einen  nidjt  ftörenben  9lbfd)tuß 
5u  geben.  3d)  miß  Gnglanb  nid&t  al$  ba$  Sanb  beS  guten  ©efdmtads 
für  Me3  (jinftelfen,  bafür  3eugte  bie  9Kand)efter  3lu3ftellung  in  ifjren 
meiften  inbuftriellen  Seftrebungen,  namentlich  auf  feramifajem  unb  Suroeliers 
gebiet  feinesroeg*,  aber  in  Sejug  auf  2iu3ftattung  unb  9tu$ftellung  ber 
Silber  baben  bie  ©nglänber,  fd&eint  mir,  ganj  9icd)t.  31U  ^rineip  fd&eint 
ju  gelten:  ber  befte  'Jtofnnen  ift  ber,  ben  man  nidjt  fie^t. 

2lud)  bie  6äle  waren  in  ifjren  Serf)ältniffeu  muftergültig  erbaut. 

Sei  uns  pflegt  eine  SilberauSfteHung  leiber  ftetä  ein  Silbermaffem 
morb  5U  fein.  £)te  befannte  ©röße  ber  8äle  »erfüllt  bie  flünftler,  um 
fid)  bemerfbar  ju  machen,  baju,  alle  if)re  ©egenftänbe  auf  oiel  ju  großen 
üeinroanben  ^erjufteden.  £er  Xotaleinbrucf  eines  sJtiefenfaale$,  ber  mit 
Silbern  angefüllt  ift,  ift  immer  entfefelid)  unb  lälnnenb  für  ben  ©in* 
tretenben.  3n  (Snglanb  finb  bie  Silberfäle  alle  flein  unb  überfid)tlid), 
roie  ba«  )ä)on  ermähnte  3trrangement,  bie  24>erfe  eine»  Müuftlerö  ftets 
oereinigt  ju  laffen,  auf  ben  Sefdjauer  I)ödt>ft  angenehm  roir!t.  Um 
originell  $u  bleiben,  baben  freilief)  bie  englifeben  Stfabemifer  eine  enge 
djtnefifcbe  ÜJiauer  um  itjre  2lfabemie  gesogen,  fie  wollen  einmal  feine 
fremben  Äünftler  bei  fid^  einlaifen.  3ft  eS  bod)  oorgefommen,  baß  Silber 
Don  ©uftao  9iid)ter  unb  31.  3ldjenbad>  auf  ber  Sonboner  Koval  academy 


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50    panl  tneyertteim  in  Berlin.   

nidu"  zugelaffen  würben.  Sie  ©aftfreunbfehaft  gegen  frembe  äunft  ift 
leiber  eine  fel)r  geringe. 

Von  ben  3)ieifterroerfen  ber  berühmten  englifchen  Slquareüiften  habe 
ich  leiber  auf  ber  SJtanchefter  2lu3ftetlung,  trofc  grünblia)en  Suchen»,  nicht» 
finben  fönnen.  waren  außer  jroei  Aquarellen  £abema£,  eineö  entlüden = 
ben  3lteliers^ntevieuv5  oon  ©regoru  unb  einigen  blättern  oon  2&Ufer  burcr>= 
aus  feine  ausgezeichneten  Blatter  ju  fefyen,  9Jicht$,  wa3  ftdj  mit  Der  $üüe 
bc£  Vortrefflichen  meffen  fonnte,  was  bie  bie$idi)rige  3lquareÜs2luefteÜung 
in  Sre^ben  bot,  oon  3Kenjel  unb  paffini  erft  gar  nicht  zu  reben.  &in= 
gegen  bot  bie  Abteilung  ber  Siabirungen  unb  Zeichnungen  oiel  Slufcers 
orb  entliehet. 

Sie  9Jceifter  be3  tym\a)  Ratten  eine  ganze  ßollection  Originale  jener 
trefflichen  3etämingen  gefanbt,  bie  aUiüödjentlidt)  bie  ganze  2£elt  beglüefen, 
beren  tjof)er  fünftlerifcher  SBertr)  im  ^ßublifum  noch  gar  nicht  genug  ge* 
würbtgt  wirb.  3n  fpäteren  3eiten  wirb  man  erft  ben  beiben  ©enrejeidtmem 
6.  $ean  unb  Su  Saurier  banfbar  fein  bafür,  wie  gut  fie  ba3  mobeme 
fiebeu,  im  Sßolf  unb  in  ber  ©efellfchaft,  oerewigt  haben.  2Bie  aufjerorbent; 
lief)  wahr  unb  treffenb  ift  ba  jebe  jigur  beobachtet  unb  wiebergegeben! 
9luch  bem  Surft  nach  bem  Realen  unb  Stilootten  wirb  «Stoff  geboten. 
Sambro  wne  ift  ein  Stilift  erften  langes  unb  £at)lor  nicht  weniger  in  feinen 
ibcal  flaffifd)  gehaltenen  politischen  Vlättern. 

(SinäBort  über  bie  treffliche  Einrichtung  ber  englifchen  ifluftrirtenÄataloge 
möchte  ich  ™<*>  hinzufügen.  ®S  ift  bei  un3  ben  2lu3ftellern  überlaffen,  bem 
Verleger  beä  flatalogeä  nach  belieben  Zeichnungen  unb  Photographie  bei 
aufgeteilten  Sßerfe  einjufenben.  Sie^olae  baoonift,  baöbie  mebiofrenflünftler 
fehr  zahlreich  ganze  Seiten  bebeefenb  in  ben  Katalogen  oertreten  finb,  währenb 
bie  bebeutenberen,  bie  biefe  Sieclame  nicht  nöthig  zu  haben  meinen,  allmählich 
auö  bem  Katalog  ganz  oerfchminben.  60  bietet  fchliefelid)  ber  Äatalog  nie  eine 
richtige  VorfteUung  ber  2lu3fteHung  unb  beftärft  ba$  $ublifum  in  ber  bei 
jeber  2lu3ftellung  immer  laut  merbenben  Meinung,  e£  fei  bieSmal  eine  gan$ 
befonberä  fchted)tc  2lu^fteüung.  3m  englifchen  Äatalog  werben  oon  ber 
9lfabemie  auägehenb  fämmtliche  bebeutenben  Vilber  ber  2lu3ftellung  in 
fleinen  Zeichnungen  hergeftellt  unb  in  ben  £ert  gebrueft,  oft  fed)3  bis  acht 
auf  einer  Seite.  Siefe  fleinen  Zeichnungen  in  (Sonturen  genügen,  um  ba$ 
©ebächtnijj  be£  9lusTtellungsbefucher£  frifch  zu  halten,  unb  geben,  ganz  im 
Kleinen,  ein  richtiges  Vi(b  ber  (Sompofition.  Unfere  unb  bie  ^arifer  fla« 
taloge  be£  Salon  bilben  ein  unerfreuliches,  oiel  $u  bufes  Vilberbud)  mit 
meift  gleichgiltigen  unerfreulichen  Sachen.  -$n  biefem  Verfahren  ift  leiber 
nichts  zu  änbern,  fo  lange  bie  Verausgabe  be$  illuftrirten  Katalogs  einfach 
einem  Vuchhänbler  zur  ^rioatfpeculation  überlaffen  bleibt. 

Vei  meiner  .^etmreife  hielt  ich  mich  noch  in  Bonbon  auf  unb  befugte 
flüchtig  einige  3Jiu|"een.  ©ine  fehr  naä)af)meu$werthe  Ginrichtung  fiel  mir 
im  S.  tafington  9)iufeum  angenehm  auf.  Sort  finb  nämlich  feimmtliche 


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  Die  CTigltfdjc  Ittalrrei  in  ben  legten  filzig  3al]rcu. 


31 


©npSabgfiffe  berühmter  ffafftf<^er  ©egenftänbe  burd)  einen  imitirenben  ge« 
fdjtcften  2lnftriä)  genau  bem  Material  beS  Originals  gleidj  gemadjt.  $5er 
£otaleinbrutf  eines  foldjen  Saales  »oller  Sculpturen  ift  ungemein  xoofy* 
tfjuenb  —  ein  ©cfüfjl,  baS  mir  beim  Surdjfd&reiten  unferer  ©npSfammluugen 
nie  auffeimt.  £ier  roäre,  wenn  audj  \\\d)t  ^olnd&romie,  fo  bod^  eine  ein; 
faaje  Tönung  fetjr  am  <piafce.  Sie  2lbgüffe  über  SJtormor  fmb  fteingrau 
gegarten,  unb  bie  über  23ron$e  im  Originalton  copirt. 

SSenn  id)  aus  allem  ©efefjenen  nun  ein  furjeS  9iefume  jiefo  roaS 
unfere  ftunft  burd)  Cculirung  oon  ben  ed)ten  Stämmen  ber  englifd)eu  für 
SWufcen  ableiten  tonnte,  fo  tft  es  in  erfter  £inie,  baß  bei  einem  Untcrrid)t 
barauf  $u  galten  märe,  bie  ©acuter  in  grünblidjerer  3öetfe  auf  bie  $rin* 
eipien  unb  ben  9?f)ntlmmS  ber  alten  SJictfter  aufmerffam  ju  madjen.  (*S 
roirb  jroar  bei  uns  aud)  copirt,  aber  planlos  unb  ofme  2Inroeifung;  bie 
copirenben  Sd)üler  arbeiten  meift  im  2)2ufeum,  ttm  ©elb  §u  oerbienen;  nie 
faf)  id;  einen,  ber  ftdj  garben|fi3$en  nad&  berühmten  3Jfeiftern  fammelte. 
(*S  genügt  aud)  nid)t  baS  einfache  Gopiren.  ©in  Schüler  fann  ein  33ilb 
meifterf)aft  copiren,  ofme  eS  im  ©cringften  ju  uerfiefjen,  gerabe  fo  roie  ein 
ilnabe  eine  Söeetljooen'fdje  Sonate  fpielen  fann,  ofme  baS  SBerftänbniß  ba= 
für  ju  fjaben.  SaS  einfache  9taä;mad)en  genügt  nid&t.  Ser  Sinn  für 
bie  Sdjömjeit  eines  JlunftroerfS  müßte  in  ganj  anberer  2£eife  geroedt 
roerben.  Sie  englifa^en  Älüuftfer  fdjienen  mir,  nebenbei  bemerft,  oiel  mef)r 
mit  ifjren  Sßoeten  unb  mit  bem  Sweater  im  guten  Sinne  oertraut.  &at 
ftd)  bodj  3llma  £abema  ein  SSergnügcn  barauS  gemaajt,  baS  „2öintermärd)en" 
für  ein  Sonboner  Sweater  bis  auf's  fleinfte  Setail  ausstatten,  —  eine 
Seiftung,  bie  beifpiellofen  ©rfotg  t)atte,  unb  aus  ber  ljunbert  afabemifdje 
Saxler  einige  ^unbert  flaffifdje  Silber  entwerfen  fönnten.  3)Ur  fdjeint, 
geroifj  fjaben  unfere  unbemittelten  jungen  tfünftler  ju  wenig  ©elegenfjeit, 
gute  Stücfe  auf  guter  33üf)ne  $u  fefjen,  um  iljre  in  ben  Slfabemieflaifen 
einfdjlafenbe  ^fjantafie  etioaS  ju  befrudjten.  3$  bin  ja  gerotfe  nid)t  bafür,  ba& 
gaufte,  ©retten,  £errmann  unb  Sorotfyea  gemalt  roerben,  aber  als  Uebung 
5ur  erften  begeiftemben  Anregung  für  ben  tfunftjünger  mögen  Tie  oielleiajt 
bienen,  ber  nodf)  nia)t  im  Stanbe  ift,  eigene  ©cftalten  feiner  Pjantafie 
fo  fjinjuftellen,  bafe  fie  ein  roirflidieS  Seben  für  alle  Seiten  fjaben. 

Unb  fo  oerlaffe  id)  mit  frönen  (Erinnerungen  bie  HuSfteHung  in 
SHandjefter,  roenn  audj  nidjt  jerfnirfc^t  unb  serfa^mettert  ob  beS  Verfalls 
unferer  fjeimifd)en  ftunft.  2öir  brauchen  uns  bem  Hillen  gegenüber  nidjt 
flein  ju  füllen.  SMeHeidjt  roerben  roir  aud)  einmal  eine  2luSftellung  oon 
fünfzig  $af)ren  beutfdjertfunft  erleben,  aber  ooUjäf)(iger  als  ber  f  leine  Slppeubi? 
ber  ^ubiläumSauSftellung,  unb  —  ein  frommer  Sunfd)  —  enblidj  in 
9idumen,  bie  roürbig  finb,  mit  .Qunft  gefajmüdt  31t  roerben,  in  benen  eS 
ftdj  be^aglid)  roaubelt,  in  benen  man  in  &kit)e  unb  5lnbaa^t  baS  ©ebotene 
auc^  roirflia^  unb  roatjrfjaft  uub  oljne  ^aft  geniefjen  fann. 


3 


Siterarifdje  llrfad}?n  unö  tDirfungen. 

Streiflichter  unb  fragmcntarifdje  DenfMätter. 

Von 

3ulius  (Broffe. 

l'anae  l»ab'  tcb  mid)  (jefträubr, 
C-nbltdj  fleb*  tcb  naeö  — 
2ö«m  ber  alte  SDltnfdi  jerftäubt. 
23irb  ber  neue  »ach. 
2skf»  X'r!  Hm»  ?u  bie*  niebt  baff, 
liefeS  Stirb  unb  iöerbe  — 
2Meibft  tu  nur  ein  intiber  Waft 
Huf  ber  trüben  örbe.  (M0<^ 


ie  legten  oicr  Reifen  werben  iebem  ftoetfjefreunbe  au$  bem  weft; 
öftlid)en  Tiuan  befannt  fein,  aber  reo  fielen  bie  etilen  Seilen  ? 
Tiefe  £rage  ^at  9)?and)en  fcf;on  irrgefüf)rt,  unb  bodj  finb  fie 


eine  ed)te  Reliquie,  wäljrenb  bie  legten  wer  5ugleidj  beweifen,  baß  ber 
alte  Tidjterfürft  unter  Umftänben  aud>  bei  fid)  felbft  eine  3(nleif)e  niä)t 
üer)d)inöl)te.  tHt§  er,  um  läftigen  ,§ulbigungen  au3$uweid)en,  feinen  legten 
©eburtstag  (28.  Sbsguft  1831)  in  Ilmenau  oerlebte,  machte  er  im 
Saufe  bicfeS  Tages  aud)  einen  3lusflug  nad)  ber  Äörnbad)tbalmüf)le  bei 
Elgersburg.  Tort  trug  er  jene  acfjt  Seilen  in  ein  aufliegenbes  gremben* 
bud;  ein,  freilid)  nicfjt  almenb,  baß  er  jum  legten  Wale  feinen  ©eburtstag 
erlebte;  unb  bod;  flingt  es  au3  ben  fibnLinifdjen  SBorteif  wie  ein  ergreifen ; 
ber,  welimütl)iger  Slbfdnebägrufe.  Tiefer  unfreiwilligen  9lctualitat  r)atber 
fdjrieb  id)  bie  Seilen  öfy  öl3  ia)  fie  oor  neun  ^afjren  im  (Sommer  1880 
bort  entbedte;  mögen  fie  beim  Ijier  ^ur  „nadjbenf liefen"  Ginleitung  beim 
9iüdblid  auf  oerfloffene  ^nljre,  9)ienfdjen  unb  Tinge  bicuen. 

Sie  Ijaben  midj  erfud)t,  %fynen  fragmcntarifdje  9)tittf)eÜungen  au*  bem 
eigenen  ßeben  gii  geben.  2lber  es  miH  mir  flehten,  a(£  märe  es  ba$u  nodj 
»iel  jit  fvttb  —  als  ftänben  bie  9)icuftf,eu  unb  Greigniffe  nodj  ntdrt  fern 
genug,  um  aus  SBatyrljeit  mieber  jur  Tiäjtung  su  werben  —  ju  jener 
freien  buftumgebenen  i'luffaffung,  weldje  bie  l;öt)erc  SBafp^eti  enthält.  3lbcr 


—  Hlundjcn.  — 


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 £iterarifd?c  Urfadjen  uub  tDirfungcn. 


33 


einjelne  2lctualitäten  aus  her  Vergangenheit  tonnte  idj  voofy  herausgreifen, 
—  idj  meine  Vesielmngen  beS  litcrarifd)  ©efdjaffenen  jur  ©egenwart  — 
jeitgemäBe  Vejielntngen,  bie,  unbeabfichtigt,  fld^  ptöfclich  als  oortjanben 
geltenb  machen,  manchmal  in  fomifcrjer,  ein  anber  2)cal  in  oerbängnitwoHer 
2lrt  —  jene  ^Improoifattoneit  beS  3"?°^,  Pointen  ber  2lugenblicfSauf* 
nannte,  bie  ebenfo  oft  glücfbringenb,  als  jum  Unheil  werben  fönnen. 

(SS  giebt  neben  ber  befannten,  gleiehfam  officiellen,  £iteratur=  unb 
Stunftgefduchte  noch  eine  verborgene,  unterirbifdje,  bereit  Vorgänge  man<hs 
mal  erft  bie  richtigen  erhellenben  (Streiflichter  auf  bie  wahren  3ttotioe  beffen 
werfen,  was  alle  Söelt  erlebte  ober  erlebt  $u  ha&en  glaubte,  ©er  weife, 
jum  Veifpiel,  weshalb  Gourbet  bie  Venbomefäule  umftürjte?  —  eine 
Barbarei,  bie  für  einen  flünftler  gerabeju  unerf(ärlidt)  wäre,  wenn  fie  nidjt 
anbere,  bisher  unbekannte  3Jcottoe  gehabt  hätte.  %n  jenen  Sagen,  ba  bie 
Commune  fct)on  if>r  $aupt  erhob,  planten  bie  ftnownothingS  unb  2lnardjiften 
ber  ftabicalen  einen  Angriff  auf  baS  Calais  £uyemburg.  2BaS  babei  aus 
ben  bort  oorhanbenen  ftunftfehäfeen  geworben  roäre,  roar  unberechenbar. 
Um  biefelben  ju  retten,  hielt  (Sourbet  eine  flammenbe  9iebe  unb  wußte 
mit  gut  gefpieltem  3onie  bie  3erftörungSwutf)  auf  ein  minber  werthooHeS 
Cbject  ju  lenfen.  So  foH  bie  Venbomefäule  jum  Cpfer  gefallen  fein  für 
ben  Suremburg.  —  2llfo  ift  e$  mir  oor  einiger  3eit  erjärjft  roorben. 

Cber  wollen  Sie  lieber  eine  ädere,  beutfdje  3lctualität?  ©in  berühmter 
dichter  in  fietpjig,  ber  bem  £omer  mehr  in  ber  Vlinbheit  glich,  als  in 
ber  Vorjüglid>feit  feiner  Verfe,  he9te  oor  etwa  45  fahren  ben  lebhaften 
SBunfct),  ber  erften  Auflage  feiner  ©ebidjte  eine  sroeite  folgen  511  laffen. 
2lber  er  roottte  fich  weber  oor  bem  Bruder,  nod;  bem  Verleger  blamiren. 
$ie  noch  umfangreichen  Vorrfitlje  ber  erften  2Iuflage  mußten  unbebingt  oer* 
fchroinben.  *£a  gab  ein  unoorfichtiger  greunb  einen  gefährlichen  9tatl). 
Veibe,  ber  ^ßoet  unb  fein  ^ulabes  beluben  fidj  mit  ben  Valien  ber  (£rem= 
plare  unb  fchritten  in  S^aapt  unb  üftebel  in'«  Siofenthal,  um  bie  unfchulbigen 
3Wufenfinber  in  ber  gleiße  ju  ertränfen.  Unb  alfo  roarb  ber  betlehemitifche 
9J?affenmorb  auch  ausgeführt  —  leiber  aber  oolljog  fich  bie  ©recutton  in  ber 
nächtlichen  Stille  mit  einem  berartigen  Särin,  baß  bie  wachfame  £ermanbab 
alsbalb  machte  auf  bie  fliehenben  SJJiffcthäter,  fie  einhotte,  unb  in  fixeres 
©ewahrfam  abführte,  bis  bie  Sonne  es  an  ben  Sag  brachte,  baß  baS  Gaffer 
nur  feines  ©leiten  oerfdjlungen  hatte.  So  eilten  nachher  boshafte,  vielleicht 
erfinbertfehe  3«"^«;  aber  bie  jroeite  Auflage  ift  bann  wirf  lieh  erfebienen. 

Cber  möchten  Sie  eine  2lctuatität  aus  ©oetheS  £eben  felbft,  wie  fie 
l;eute  noch  in  weimarifcher  Xrabition  fortlebt?  2IIS  ber  2lltmetfier,  uielleicht 
aus  Vorficht,  feinen  „Vürgergeneral"  auonnm  aufführen  lieft,  faßen  oor 
feiner  Parterreloge  einige  3J?ufet  föt)tie  aus  %ena,  unb  im  ©lauben,  VulpiuS 
fei  ber  Verfaffer,  ließen  fie  ihren  frititdjen  Vemcrtungen  freien  Sauf,  ^lö^ich 
erhob  fich  Jupiter  tonans  hinter  ihnen:  „3Jteine  Herren,  id)  bitte  mir 
^ul;e  aus,  baS  Stücf  ift  uon  mir!"  —  <*s  würbe  weiter  gefpielt,  unb  man 

3* 


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3* 


3»Iius  (Sroffc  in  ITlündjctt.   


beiounberte  ©oetfjeS  3Wut^f  mit  folcher  Arbeit  beroorjutreten,  bie  fid^  mefjr 
unb  mehr  als  fetner  unwürbig  erwies.  $er  <Sa)luf5  fott  lauttos  »erlaufen  fein, 
©oetfje  aber  wanbte  fich  lachelnb,  beoor  er  bie  Soge  verliefe,  nochmals  an 
bie  ^enenfer :  „3Reine  Herren,  baS  Stücf  ift  bod)  oon  StolpiuS."  £aS  gefdjaf) 
ungefähr  $ur  felben  3eit,  als  JUeiftS  jerbro^ener  £rug  auf  ber  Sßeimarer 
£ofbüf>ne  oor  einem  <publifum  burcbftel,  baS  Damals  für  baS  Öuftfpiel 
feinen  anberen  SJtoftftab  fannte,  als  Äofcebue.  2luch  eine  9lctualität  oon  iöe= 
weisfraft  bafür,  bajj  ©rfolg  ober  9J?if$erfolg  noch  fein  bleibenbeS  Äriterium 
für  ben  innern  SBertt)  ober  Unwerth  eines  ÄunftwerfeS  fein  fönnen. 

£aS  2IlleS  ift  freilich  lange  her.  ^^nen  würbe  oieHeicht  eine  2lctualttät 
aus  unferen  £agen  willfommener  fein.  2öot)fan  —  obfchon  id)  baS 
golgenbe  nur  mit  oorfichtiger  &anb  berühre  unb  aus  ©rünben  ber  $>is* 
cretion  oon  jeber  Namensnennung  abfegen  mufe.  $or  einigen  Qafyren  fam 
311  einem  berühmten  ^oeten  ein  oerfcbollener  ^ugenbfreunb  unb  ^arteiges 
noffe.  Reiben  mar  oor  oierjig  3[a[jren  in  ben  £agen  ber  nationalen  23cs 
weguug  eine  oerbältnifemäing  bebeutenbe  5Hode  zugefallen.  Seitbem  bie 
6türme  fid)  gelegt,  rjatte  ber  ^Soet  injwifdjen  eine  beträchtliche  SReibe  oon 
Herfen  geliefert  unb  einen  Gtjrenplafc  auf  bem  beutfchen  ^aroafj  errungen, 
wäbrenb  ber  3lnbere,  politifdjer  Agitator,  angeblich  in  allerlei  internationale 
Sffiirbelftürme  oerwirfelt,  im  2luSlanb  oerfdwllen  mar.  ^ßlöfcticb  erfchien  er 
aber,  unb  jwar  mit  fatcgori fdjem  Ultimatum:  „öieber  Jreunb,  es  nrirb 
enblidj  $e\t,  bafj  mir  2lbredmung  galten.  $)u  wirft  Xiä)  of)ne  3roeifet 
erinnern,  bafe  $)eine  6d)öpfungen,  bie  3Mch  berühmt  gemacht  haben,  eigenU 
Iidt>  bie  Ausbeute  meiner  Arbeiten  fmb  unb  mir  gehören,  beweis  ber 
bort  unb  bort  beponirte  Koffer  mit  Schriften,  bie  mir  nunmehr  an  baS 
Tageslicht  $teben  werben."  (Sprach'S  unb  oerfdjwanb  wieber.  ilur^e  grift 
barauf  berichteten  bie  3*itongen  oon  bem  plöfclidjen  £obe  beS  Joelen 
unter  Uinftänben,  bie  anfangs  ben  SBerbadjt  nahe  legten,  bafe  er  freiwillig 
aus  bem  i'eben  gefdjieben  fei.  3lad)  forgfältiger  9?achforfd)ung  über  ben 
Mern  biefer  bunflcn  £egenbe  fann  i<3t>  einftioeilen  nur  conftatiren,  bafj  ber 
berühmte  dichter  in  golge  einer  ©efurnentjünbung  am  Sdjlagflufe  geftorben 
ift,  roie  bieS  auc^  baS  SectionSprotofolI  ber  2ler$te  feftgefteflt  l>at.  2tud)  ift 
nunmehr  nach  ^erflufe  mehrerer  Sabre  wof)l  ju  hoffen,  bafj  ber  ©egner 
injroifchen  fo  weit  $ur  Söefinmmg  gefommen  ift,  um  ton  feinen,  im  3luge 
jebes  dritten,  unberechtigten  Auflagen  unb  3lnfprücheu  absufteben.  3$ 
habe  biefen  gall  tyex  «ur  ™  ber  2lbfid)t  erwähnt,  um  eine  immerhin 
mögliche  £cgenbenbilbung  im  Äeim  ju  oerhinbern.  ©lüdlidjerweife  war 
es  b*^  leichter,  ber  25ktbrl)eit  auf  ben  ©runb  311  fommen,  als  in  ber 
analogen  Streitfrage,  ob  <Sf>afefpeare  ober  23acon  ber  ^erfaffer  ber  un» 
fterblichen  2Heifterbramen  fei  —  eine  $rage,  bie  fich  fürjlidj  faft  auch  ju 
einer  acuten  „ftrifis  ber  Literatur"  au^juwachfen  brorjte. 

Unter  jener  Spifemavfe  brad;te  oor  einigen  Monaten  bie  iDlünchener 
ungemeine  3*itung  einen  pifanten  unb  burd;  Sparaborieen  blenbenben 


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  Eiterartfdje  Urtadjen  unb  IDirf  uitgen. 


55 


2lrtifel  über  ben  ^Deutf^s^tattener  ©raf  in  SDtailanb.  —  3<h  wunbere  mich,  ba§ 
jene  fjöchft  geiftoolle,  boch  fachlich  tjeraudforbernbe  Arbeit  feine  Entgegnung  ober 
roenigftens  fritifche  Beleuchtung  gefunben  ^at.  2Beun  ©raf  unter  2lnberem 
behauptete,  in  ber  heutigen  Literatur  (hiropaS  überwiege  bie  Snrif,  fo  weif? 
man  nicht,  was  er  bamit  meint,  wo  in  aller  2Belt  btefe  fiegreichen  Snrifer 
eriftiren.  2Kit  viel  größerem  9iecf)t  hätte  er  fagen  tonnen,  unter  aaen 
fünften  überwiege  heut  bei  weitem  bie  2tfufif  —  fie  habe,  wie  ein  SHufer 
im  (Streit  fich  fcinerjeit  ausbrücfte, .  bie  gü^rung  übernommen  unb  bie 
eigentliche  Siteratur  einftroeilen  an  bie  äöanb  gebrängt,  wenigftens  in 
Deutfchlanb.  Unb  fo  oiel  ift  3£af)rf)eit,  bafj,  von  ber  Sflacht  ber  £öne 
ganj  abgelesen,  bie  (Sompontften  felbft  jur  geber  beS  (SchriftftellcrS  greifen, 
um  ihren  Sieg  ju  ooHenben  unb  tf)re  ^räponberanj  fo  einbringt  unb 
unaufhörlich  als  9lriom  5U  oerfünben,  bi^  jeber  Söiberfpruä)  ocrftummt. 
3$  will  nur  ein  Statt  $ur  3ttufiration  biefer  £t)at|aa>  liefern. 

3m  £erbfi  1865,  als  id)  noch  baS  literarifche  SHorgenblatt  ber 
officiellen  23anerifchen  3^t«"9  rebigirte,  fam  eines  £ageS  eine  Sefd&werbe, 
refp.  Anfrage  aus  bem  St.  Gabinet.  2BeSf)alb  mir  eine  2lrbett  iRicharb 
SBagnerS  jurücfgewiefen  Ratten?  Der  berühmte  SJtetfier  fjabe  fich  beim 
Äönige  befchwert,  bafc  ihm  in  ganj  33anem  feine  einjige  3eitung  ju  ©ebot 
tfänbe,  um  feine  3been  bem  2>olfe  $u  »ermitteln.  Sir  fonnten  mit  gutem 
©ewtffen  bie  Goflectioerflärung  abgeben,  bag  mir  niemals  in  ber  Sage 
gewefen,  eine  2lrbeit  3?.  SÖagnerS  abzulehnen,  weit  uns  niemals  eine 
foldje  angeboten  worben.  6djon  bamalS  fiel  feitenS  eines  ber  Siebacteure 
bie  33emerfung:  „hinter  biefer  Söefchwerbe  ftecft  offenbar  etwas  SlnbereS. 
3n  folgen  gälten  bient  bie  Unwahrheit  nur  als  Littel,  um  irgenb  etwas 
burchjufefeen!"  <5s  war  auch  fein  3af)r  oergangen,  als  mit  ber  %<xl)xe$: 
wenbe  »on  1866  ju  67  ber  3n>e<f  jener  Unwahrheit  ju  Sage  fam.  Die 
Regierung  fah  fich  plöfelich  oeranlafet,  bie  faum  fünf  3^r  juoor  erworbene 
officieHe  3e^n9  fur  immer  auf5ugeben,  unb  jwar  ju  ©unften  einer  neuen 
„6übbeutfcf)en  treffe",  bie  dou  SuliuS  gröbel  auf  Soften  ber  fönig: 
liehen  GimKijle  herausgegeben  werben  follte.  ©S  war  baS  eine  merf* 
würbige  neue  ©türm*  unb  Drangperiobe.  9JJit  gröbel  erfaßten  eine  2lns 
jal)l  alter  greunbe  unb  ^arteigenoffen  als  ©eneralftab  bes  2ßagnertf)ums, 
nicht  blofj  in  ber  üftufif,  fonbern  hinfort  auch  in  ber  treffe. 

©leidj  bie  erfte  Kummer  ber  neuen  3ettung  bradjte  am.  1.  Cctober  1867 
im  geuiUeton  9i.  SBagnerS  2frbeit:  „Deutfa)e  Äunft  unb  ^olitif.  Dies 
alfo  war  jene,  angeblidj  oon  uns  oerfchmähte,  2lrbeit;  bas  ^ronuncia= 
mento  ber  neuen  9)?aa}t,  für  welche  jene  3e^un9  a^  literarifa^eS  $aupt* 
quartier  gefdjaffen  werben  mufjte!  Leiber  naljm  biefer  glänjenbe  2lnfang 
eine  unerwartete  9Benbung.  SÖä^renb  noa^  bie  erften  Hummern  beS  ©ffanS 
burch  fc^einbar  patriotifdje  ^arbe  blenbeten,  trat  fef)r  balb  bie  wa^re 
^enbenj  ^etootf  bie  nach  ber  Seofung:  6te  toi,  que  je  m'y  mette  aus* 
nahmelos  alles,  was  flönig  9Waj  II.  literarifa)  unb  wiffenfchaftlich  ge* 


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36 


Julius  (Sroffe  in  IHünfben. 


förbert  tjatte,  mit  rüdfidjtslofer  Slmnafeung  in  ben  Staub  50g.  tiefer  burdj* 
aus  unprooocirte  2Ingriff  erfd^ien  felbft  Jrröbel  berart  maßlos,  bafj  er 
biefeS  literarifche  2lutobaf6  nicht  mehr  mit  feinem  tarnen  beden  mochte,  nod) 
weniger  bie  &uperbetn  btjjantinifdjer  ©efinnung.  Gr  uerroeigerte  alfo 
feinem  Jreunbe  runbroeg  ben  3£eiterabbrud,  wenn  er  nicht  einige  roefent* 
liehe  2lenberungen  träfe;  sugteid)  erflarte  er  als  (5f)renmann,  bafj  er  unter 
foldjen  Umftänben  aud)  nicht  mehr  in  ber  Sage  fei,  bie  Leitung  auf 
fönigliche  Äoften  51t  leiten,  fonbern  fie  nunmehr  auf  eigene  Rechnung 
meüerfüfjren  werbe. 

3)iit  biefer  (rrfläruug  fam  es  gleich  im  erften  2)?onat  ber  neuen  2lera 
jum  unheilbaren  33rud)e  snnfchen  ben  alten  ^arteigenoffen;  unb  wenn  aua> 
ber  ©ffai;  fpater  mit  größerer  *Retoud)e  erfdjien,  fo  fam  es  meines  SiffenS 
bod)  ju  feiner  uollen  2luSföf)nung  mehr.  $ie  Sübbeutfdje  treffe  warb 
gröbelfdjeS  ©igentlmm  unb  mürbe  auf  feine  Äoflen  rocttergebrudt.  ©einer 
Energie  unb  geiftooHen  Seitung  ift  es  mit  $u  banfen  gemefen,  bajj  bie 
hochgehenben  2öogen  ber  baperiföen  SSerftimmuug  nad)  1866  fich  allmählich 
fomeit  glätteten,  um  bie  öffentliche  Meinung  für  bie  SWianj  oon  1870  oor= 
jubereiten.  Später  mürbe  bie  Sübbeutfdjc  treffe  an  ein  Sanfconfortium 
oerfauft,  unb  gröbel  ging  als  Gonful  beS  bcutfchen  Geichs  juerft  nad) 
Smnrna,  fpater  nad)  Algier,  mo  er  beut  nod)  im  3lmte  wirft,  unb,  falls  es 
erforberlid),  bie  Correctheit  meiner  Mitteilungen  mürbe  betätigen  fönnen. 

2£aS  jene  officieUe  „Süanerifche  Leitung"  betraf,  bie  ein  fo  rafdjeS 
(Snbe  nahm,  fo  (jabe  id)  -m  benötigen,  baß  fie  nur  fünf  ftaljre  eriftirte. 
^m  Öegentfjeil  hatte  fie,  bie  fdwn  jmanjig  Qafyx  3Uoor  als  balboffiäelleS 
-ölatt  bei  2Bolf  gebrudt  mürbe,  ein  gan3  refpectableS  2llter  erreicht  unb 
|e  nad)  ben  medjfelnben  (£podjen  aud)  ben  £itel  mehrmals  geänbert.  3nt 
$af)re  1855  tyiefj  fie  nod)  „9teue  Mndjener  Leitung"  unb  mürbe  als 
foldje  unter  JHteblS  Oberleitung  auserfeljen,  gleichfam  bie  9iepräfentation 
ber  bamals  com  Äönig  berufenen  ©elebrten  unb  Sdjriftfteller  ju  über* 
nehmen.  Sie  ©efd)td)te  biefer  3e^Utt9  3"  ichreiben,  mit  meld)er  aller* 
hanb  Umgeftaltungen  unb  ©rperiniente  oorgenommen  mürben,  bis  fie  1862  in 
ben  2HIeinbenfc  ber  Regierung  überging,  müibe  ben  9iaum  roeit  überfchreiten ; 
aber  einige  Streiflichter  feien  mir,  als  bem  »ormaligen  üftitrebacteur,  ge* 
ftattet.  3d)  mar  fcfion  im  3)?ai  1855  eingetreten,  aber  id)  fann  mof)l  fagen, 
bafj  biefe  jroölf  $ahre  bis  Gnbe  1866  eigentlich  eine  3eit  ununterbrochenen, 
menn  aud;  oerftedten,  Kampfes  gemefen  finb.  3$  miß  bie  (Segner  t)ier 
nicht  flaffifficiren;  a6er  es  mareu  meit  roeniger  bie  Ultramontanen,  als 
mechfelnbe  Stimmführer  ber  Socalpreffe,  roelche  eine  principieße  (Begner- 
fdjaft  gegen  äffe  9?ia)tbanern  als  löbliche  patriotisch«  Xenbenj  pflegen  ju 
müffen  glaubten. 

ftmgelftebt  hat  in  feinen  „2)Jüncheuer  SMlberbogen"  jene  ^ßeriobe  mit 
cbenfooiel  .^umor  als  SBahrheit  ffijjirt.  Leiber  befa)leunigte  er  felbfl 
feinen  Sturj  bmch  eine  unbegreifliche  ^nconfequenj.  ^enn  er,  ber  liberale 


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  üterarifdje  llrfadjcn  unb  IPtrfungcn.    37 

93orfämpfer  unb  „IWa^twäd^ter  mit  gortfäjritUbetnen''  tjegtc  alö  Sweater* 
Sntenbant  -ntdjta  weniger  als  etwa  Sichtung  cor  ber  ©ebanfenfreifjeit.  2113 
bie  9Jeue  9Nünd)ener  3*üung  bei  23efprednmg  ber  ^ar)re^überfid;t  oon 
1857  einige  pia  desideria  erlaubte,  eilte  SMngelftebt  fofort  51t  ©raf  9ieiger3* 
bagg,  bem  al3  9)ftmfter  be3  Snnern  bamalS  bie  offtcietle  grelle  unterteilt 
war:  „S&ie  fönnen  Sie  als  f.  Beamter  mir,  ber  iti)  ebenfalls  Beamter 
bin,  Dppofition  madjenV" 

£er  3)iinifter  erwiberte,  baß  Xljeaterreferate,  (0  wenig  wie  flunftberidjte, 
bod)  feine  amtlichen  flunbgebungen  ber  Regierung  feien.  ,,©an3  gleia> 
oiel!"  rief  Eingelftebt,  „ba$  $ublifum  fafct  bie  Sadje  fo  auf,  ba§  felbft 
bie  officielle  Leitung  Auftrag  fjabe,  gegen  mid)  ju  agitiren!"  —  XenWu 
nifter  oerblüffte  biefe  Sogif,  er  oerfpradj  9iemebur  unb  gab  SMngelftebt 
antjeim,  felbft  einen  beriajterftatter  ju  ftellen.  tiefer  SUtSroeg  würbe  jwar 
angenommen,  aber  bamit  war  bie  Sadje  feinet  weg$  3U  ©übe. 

Sofort  namlidf)  begab  iid)  Dr.  ber  ßfjefrebafteur,  jum  3)iinifter,  um 
il)m  3U  erfläreu,  bafj  er  ben  neu  oorgefdjlagenen,  al3  beftecfjlidj  befannten, 
$3erid)terftatter  im  3ntercffe  be3  guten  sJiufe5  ber  3e^tun3  ni$t  annehmen 
fönne.  „28a8  wollen  Sie?"  rief  ber  3Jiinifter.  „Unter  ^ctjn  Siteraten  finb 
neun  Sumpe.  Xa  fommt  es  auf  einen  merjr  ober  weniger  nicfyt  an!" 

Dr.  SB.  nafnn  biefe  Erläuterung  fo  empfinblio)  auf,  ba&  er  fajriftlict) 
feine  ©ntlaffung  anbot;  aber  im  ©cfüljl  feiner  Unentberjrlid) feit  war  er  fo 
unoorfid)tig,  für  ben  gall,  bafe  man  ifm  behalten  wolle,  err;eblid>  l;öt)ere  23ebin* 
gungen  ju  ftellen.  Einige  Stunben  barauf  war  er  wirfltd)  entlaffen.  3lm 
felben  Xage  reifte  ftönig  3Ha£  nadj  Italien  unb  liefe  auf  feinem  Sdjreibttfdr) 
bie  ©ntfjebung  Singelftebts  jurücf.  2lHe  535>ett  wufjte  oon  biefer  ©utfdjeibung 
früher,  a(S  ber  betroffene  felbft.  lieber  einen  £ag  fpäter  fam  ©enerat 
ü.  3rai^  auf  bie  -Nebaction  ber  leiten  9Nünajener  3e^unÖ  unD  bat,  aüe3 
beim  3llten  $u  laffen.  „Sdjreiben  Sie  über  ba£  £ljeater,  wa$  Sie  wollen, 
nur  laffen  Sie  meine  ^perfon  au3  bem  Spiel  —  ia)  alter  9ftann  (jabe  baö  3lmt 
ber  3ntenban,j  nur  übernommen,  um  bem  flönig  einen  ©efallen  311  tr)un." 
Gin  (jalbes  3ar)r  fpäter,  e$  war  im  3af)r  1857,  übernahm  Xingelftebt 
bie  Leitung  be3  22eimarifcf)en  #oft£eater$,  baä  er  in  jelmjäljrigem  SBirfen 
ju  neuem  ©lanje  ertyob. 

3ene  ©egnerfdjaft  ber  ©inljeimifdjen  gegen  bie  Sremben*)  —  ein 
£f)ema,  beffen  3ufammenl)ängenbe  XarfteHung  fetner$eit  mand)e3  Scnfblatt 
füllen  wirb,  jeitigte  mancherlei  wunberbare  33lütf)en.  6ine3  £age$  fam  ein 
SJiuntfjener  ©elefjrter  (idt)  will  feinen  tarnen  Ijier  mdjjt  nennen)  unb  brachte 
einen,  ber  3bee  nad),  (jödjft  banfenäwertrjen  Beitrag  für  ba3  -Dforgenblatt 
ber  33.  3-        Arbeit  enthielt  nur  wenige  3eileu  £ert,  be3  3^«^^/  bafc 


*)  ftüx  eine  moberne  gro&e  flunftftabt  eigentlich  ein  toollfommcn  unmöglicher 
®eßenfa^.  Geitaus  bie  SDle^rjaf)!  ber  Wiinchener  Äünftler  finb  9iicf)tbat)eru,  unb  nie* 
malS  hat  man  fie  bteS  empfinden  [äffen.  3ebc  Uniöerfität  ber  äöclt  recrutirt  ihre 


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38 


3nlius  (Sroffe  in  IHündjen. 


and)  bie  barjerifdjen  Unioerfitäten  ber  2?ergangenfjeit  Ongolftabt,  £anbs= 
rmt  2c.)  eine  große  9ieif)e  »on  Gelebritäten  in  allen  ftädjern  aufjuweifen 
Ratten,  darauf  folgte  ein  umfaffenbeS  SNamenocrjeidmiß  oon  etwa  Rimbert 
ftornpfyäen  nebft  ben  ^a^re^a^en  ifjrer  ä^irffamfett,  wie  iljreS  XobeS  — 
fonft  aber  f einerlei  weitere  Grläuterung. 

23ergebli#  bemühte  id)  midi,  bem  berühmten  ®elcr)rten  oorjuftellen, 
baß  eine  naäte  9?omenc(atur  nod)  fein  genießbarer  (Sffan,  baß  es  bod; 
wof)l  wünfdjenSwertl)  fei,  bie  ßfjarafterfopfe  jener  Hainen  etwas  ausfuhr* 
fürjrltd^er  mobetlirt  ju  fefjen.  2lfleS  umfonft.  £>ie  ein3ige  Antwort,  bie 
idj  erhielt,  waren  2IuöfäUe  über  norbbeutidje  Anmaßung,  fowie  bie  Sofortige 
,3nrü(fäie^nng  beS  Beitrages.  Ginige  ÜWonate  fpäter  aber  benufcte  ber 
£err  SSerf  affer  meine  2lbwefeiü)eit  anf  Sommerurlaub,  um  bei  meinem 
Stcttoertreter  bie  2lufnaf)me  jenes  9?amenSoer$etdmtffeS  pure  burdfoufefcen 
—  unb  fo  ifi  e5  auaj  gebrudt  worben.  Sie  bisherige  Sompatyie  beS 
berühmten  ©eierten  aber  l)atte  id;  freiließ  für  immer  oerfd&erjt;  er  I)at 
fogar  für  nötljig  gehalten,  nod)  lange  ^al;re  nad^er  in  einem  fafirifd)  fein 
follenben  öebidjt  feine  9ieuand)e  an  mir  ju  nehmen,  eine  SJenbctta,  bie 
woljl  allen  etwaigen  i'cfcru  rätf)fell)aft  unb  unoerftänblidj  geblieben  fein 
wirb,  weil  fie  bie  ^ejielwngen  unb  3)iotioe  nid)t  fannten. 

3m  erwähnten  gad  alfo  rjatte  eine  UnterlaffungSfünbe,  bie  befanntlid» 
Ijäufig  »erfjängnißoolier  ift  als  baS  ©egentbeil,  böfe  fixufyl  getragen,  ©ine 
anbere  UnterlaffungSfünbe,  aud)  feitens  ber  treffe,  wirb  oielleidjt  letyrreid) 
für  Dramaturgen  fein.  £n  ber  Seit  von  1868—70  fyatte  id)  als 
literarifd)cr  Söeiratl)  ber  ©eneraU^enban^  u.  21.  bie  ^Obliegenheit,  auf 
ältere  wertlwofle  Stüde  etnrjeimifdjer  unb  frember  Literatur  aufmerffam  ju 
madjen.  So  würbe  auf  meine  SJeranlaffung  im  2lpril  1869  Dolbergs 
„^olitifdjer  flannegießer"  gegeben,  jene  unfterblidje  Momöbie,  beren  £itels 
rotte  junt  geflügelten  &>ort  geworben  ift.  9iuu  hätte  in  unferer  bamaligen 
Leitung,  bie  id)  mit  Dr.  (üranbaur  rebigirte  (3)cünd)ener  ^ropuläen) 
ein  orientirenbeS  Sh>ort  gefagt  werben  follen,  baß  es  fid)  tyei  um  ein 
älteres  bänifdfjes  Stüd  Ijanble.  Siefe  ^orfidjtSmaßregel  unterblieb,  id} 
weiß  felbft  nidjt  meljr,  weshalb;  unb  bie  Jolgc  n>ar,  baß  baS  $ubli!um, 
baS  im  Tanten  Dolberg  mof)t  einen  2lnflang  an  .§olbein  ober  &oltei  fanb  — 
jene  iiomöbie  als  moberneS  ^robuft  auffaßte,  bann,  über  biefe  21rt  Satire 
erftaunt  unb  enttäufdjt,  baS  Stüd,  trofc  ber  oortrefflia^en  SarftcHung  mit 


Eefjrfrafte  au&  ber  fferne  unb  muß  bie  it»tffcnfd>aftlic!t)e  Cualität  bcrfelben  fyöljer  ftelten, 
als  baS  Snbigenat.  3n  2Jiünd)eu  bagegen  mirfte  ber  confefftonelle  Öegenfae  ebenjo 
bergiitenb,  luic  baS  bajuüarifdje  Selbftgefüfjl.  "Ulan  lebte  in  ber  tfyöridjtcn  fturdjt  uor 
ben  Freimaurern,  irter  man  tljat  memgftcu*  fo.  Saber  ber  faft  fanatifdje  £af$  gegen 
jene  Söcrutenen.  Söian  l)ielt  ben  fremben  Import  für  eine  3"rüdfe&ung  ber  einbeimifdjen 
Gräfte,  olme  baß  jemals  eine  foldic  tfraft  genannt  werben  tonnte,  bie  mirflidj  gurücf- 
gefe&t  moibcn  ift.  Mber  jene  faMe  convenue  beS  ^arteigciftcS  ift  felbft  ftente  nadj 
mebj  als  breifeig  3anrcn  nod)  lange  nidjt  als  übermunben  ju  betrndjten. 


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£iterarifdje  ilrfadjen  unb  Häufungen.   


39 


Entlüftung  ablehnte  —  ahnungslos,  bafc  es  ein  9fleiftermerf  fallen  liefe! 
Sehr  natürlich  —  bie  Satire,  welche  $u  Dolbergs  3eit,  b.  h-  vor 
160  3a^ren,  reo  politifirenbe  S3ürger  noch  als  2Rfi&iggänger  unb  3ett* 
oerberber  galten,  wot)l  angebracht  war,  traf  tynte  alle  2Belt,  weil  heute 
atle  2Belt  oon  3eitungen  beherrfcht  wirb.  £>ie  Satire  würbe  nicht  mehr 
verftanben,  ja  fie  wirfte  als  birecte  Söeleibigung.  3$  glaube,  man  würbe 
j.  ÜB.  mit  2HolioreS  femmes  savantes  eine  ähnliche  Erfahrung  machen, 
wenn  man  fie  anonnm  bem  ^ublifum  als  mobernes  Stücf  bieten  wollte. 

9Jod)  oiel  empfinblidjer  mar  man  gegen  eine  anbere  SIctualität;  benn 
unfere  3eit  ift,  wenn  auch  milber,  bod)  bei  weitem  neroöfer  geworben,  als 
jemals  eine  frühere  Epoche.  3m  granfreich  beS  vorigen  QahrhunbertS 
mürbe  tnan  einen  9lutor,  ber  in  einen  Montan  wahre  ober  erfunbene 
3Jhjfterien  ber  vornehmen  2Mt  auSplauberte,  unfehlbar  in  bie  SaftiHe 
geftecft  hoben,  $n  unferer  &\t  genügt  es,  wenn  foldfer  Slutor  burch  ben 
Verleger  freunbfchaftlich  veranlagt  wirb,  ben  betreffenben  Vornan  abju* 
änbem.  2)en  Sßerfaffer  läfct  man  bann  laufen,  unb  ber  Verleger  wirb  nach 
Umftänben  vielleicht  mit  einem  Drben  belohnt,  3<h  übergehe  biefe  fehr 
<$arafteriftifche9lctualität,  thetls  weil  fie  noch  befannt  ift,  tfieits  weil  fie  nicht 
blofc  neroöfe  ©emüther  noch  ^eute  unb  jwar  mit  Stecht  oerlefeen  tonnte. 

UebrigenS  ift  es  noch  Öar  ™fy  \°  lan9e  her/  Da6  man  au$  Dei  un* 
noch  bie  Saftitle  bictirte.  9luf  ber  9)?agbeburger  GitabeHe  fafc  im 
£erbft  1846  ein  berliner  9lutor,  ber  bereits  bie  Morgenluft  oon  1848 
witterte  unb  in  einem  SSifeblatt  fich  unliebjame  ^Betrachtungen  erlaubt 
hatte.  ES  war  ein  junger,  otelverfprecf)enber  3J?ann,  ber  es  fpäter  auch 
bis  jum  &oftheater=3ntenbanten  gebracht  hat.  damals  milberte  man  fdwn 
nach  farjer  3eit  feine  &aft  unb  geftattete  ihm,  in  einem  &otel  ber  Stabt 
ju  wohnen.  2)ort  flickte  ich  als  blutjunger  Anfänger  ben  „SHärtvrer"  auf 
unb  brachte  ihm  mein  tirocinium ;  ich  glaube,  es  war  eine  Ueberfefcung 
beS  „3efuit"  oon  $ucange  unb  pr6r6court.  &err  geobor  Sehl  — 
warum  fotl  ich  feinen  Tanten  verfebroeigen  ?  —  nahm  mich  auf  baS  SiebenS; 
würbigfte  auf,  fpradj  oon  coaegialem  ßufammenhalten  unb  ermutigte  mein 
Streben.  Schabe,  bajj  ihm  auch  ber  Soben  oon  ^arthenope  balb  ju 
warm  würbe.  Er  ^atte  als  £heaterrecenfent  ein  paar  Lieblinge  beS 
*ßublifumS  unb  in  golge  baoon  auch  ben  ©efdjmacf  beSfelben  getabelt. 
iarob  Entfefoen  unb  Sturm,  ber  ftd)  fogar  $u  perfönlichen  Drohungen 
fteigerte.  geobor  3Sef)l  fdjüttelte  alsbalb  ben  Staub  ber  funftfinnigen 
geftung  oon  ben  güfjen  unb  ging  nach  Hamburg,  wo  er  noch  h*ut  fein 
otium  cum  dignitatc  oerlebt. 

3<h  möchte  mit  jener  Erwähnung  meiner  geliebten  ^weiten  Heimat, 
ber  ich  fo  oiel  oerbanfe,  burchauS  nicht  su  nahe  treten;  brachte  mir  boch 
berfelbe  £erbft  1846  bort  eine  anbere  werthootle  Berührung  mit  einem  ber 
bamals  gefeiertften  dichter  —  mit  feinem  geringem,  als  £arl  o.  &oltei, 
ber  feine  weltberühmten  Shafefpeare^o riefungen  tyelt,  benen  an  jebem 


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  Julius  (Sroffe  in  Ittündjcn.   


2lbenb  als  3"9<>&e  eineä  feiner  Suftfpiele  folgte  —  fo  beut  Mdjarb  II.  fein 
„38  Minuten  in  ®rüneberg."  3dj  frute  nocr)  ftolg  barauf,  mit  bem  greifen 
£öwen  —  grau  war  er,  obwohl  er  nod)  nicbt  fündig  erreicht  Dottel  —  einige 
©orte  gefprodjen  §u  f)aben,  aU  idj  mir  perfönlid)  mein  23iHet  ^olte.  (£r  hinter« 
liefe  bamals  bei  einem  ^reunbe  einen  großen  goliobanb  mit  feinen  fämmtlia^en 
(id)  glaube  60  bis  70!)  Dramen  unb  Singfpielen.  £er  ^radjtbanb,  bejfen 
bunten  3nt)alt  id)  mit  fritiflofem  £>eifef)unger  oerfdjlang,  fdjeint  nur  in  wenigen 
(?remp(arcn  gebmcft  morben  ju  fein,  benn  idj  f)abe  mid)  fpnter  auf  2Jibliou)efen 
nergeblid)  bemüfjt,  feiner  wieber  fyabljaft  ju  werben.  $n  ber  9lrt  feiner 
bramatifdjen  SBorlefungen  ift  £oltei  oon  SHtemanb  wieber  erreid)t  worben, 
Unoergleid)lidj  war  feine  flunft,  bie  ^?erfonen  jebeä  2llter3  unb  ©efd)led)t$ 
in  oerfdjiebenen  Stimmen  auSeinanber  $u  galten,  babei  in  ÜDlimit  unb 
löeroegung  bie  oollenbetite  ^laftif  unb  bramatifaje  Söefeclung. 

$ielleicf)t  am  nädjften  fam  ifmt  @mil  $alle£fe,  ber  nur  wenige  ^afjre 
barauf  im  Söinter  1851  feine  fiaufbafm  begann,  unb  jwar  im  Salon  oon 
Robert  ^?rufc  ju  Halle.  Seine  3nf)örer  waren  außer  ber  Jamilie  beä  ^profefjor^ 
nur  wir  paar  Stubenten:  „Otto  ^oquette,  tcr)  unb  9Iuguft  Jörfter,  ber 
bamalä  fdwn  ben  9)Jarfd)all£ftab  ber  ^utenbanj  in  feiner  $atronentafd)e  trug. 
Unoergcfelid)  finb  mir  bie  Üftadjinittage,  an  benen  er  in  einer  (Sonbitorei 
ber  Steinftrafee  ben  Sajaufpielem  tieffinnige  SHorlefungen  über  Sfyafefpeare 
f)ielt;  ebenfo  unuergefelidj  jener  2lbenb  be3  21.  9?ooember3  1851,  als  er 
felbft  bie  erfte  gröfeere  9iolle,  unb  jwar  bie  Titelrolle  meines  erften  SuftfpielS 
„Sljafefpeare",  im  Stabttl)eater  fpielte.  $em  Dreiacter  folgte  bann  nodj  ein 
©inacter  „2&albeinfamfeit"  oon  Cito  SHoquette.  2£ae  bem  2lbenb  aber  gan$ 
befonbere  SBeifje  ücrliet),  war  ber  Umfianb,  bafe  e$  ber  ^otterabenb  2luguft 
ftörfterS  war,  ber  am  Sage  barauf  bie  rei3enbe  Xodjter  bes  Sirector*  SBrebow 
freite  unb  bann  mit  ber  ganzen  ©efeUfd;aft  f)tnau3  in  bie  weite  SÖelt  50g, 
id)  weife  nidjt  mef)r,  ob  juerft  na$  Sonber^aufen  ober  9)?einingen. 

£a  id;  einmal  beim  Sfjeater  bin  —  wem,  ber  jemals  baä  3auber= 
retdj  ber  weltbebeutenben  Fretter  bcfdjritt,  fallen  nidjt  fnmbert  Hiftördjen 
ein,  wie  eä  gemalt  wirb,  um  ©rfolge  ju  erringen,  unb  anberfeits,  um 
errungene  wieber  ju  oernid)ten!  $d)  will  nur  jwei  erjäfjlen,  bie  eine 
oon  Ijarmlos  tragifomifdjer  2lrt,  bie  anbere  oon  $ö$ft  fataler  2lctualität 
für  ben  betroffenen  unb  fein  2Serf. 

3ln  einem  großen  Hoftljeater  würbe  mein  TiberiuS  gegeben.  9Zodt) 
auf  ber  Hauptprobe  war  ber  berühmte  2)?ime,  ber  bie  Titelrolle  fpielte, 
oerbroffen  unb  fdjläfrig,  in  befter  $i$pofition,  jeben  Moment  franf  ju 
werben,  ©rft  aU  am  Sdjlufe  ber  $robe  ber  Slaffenrapoort  fam,  bafe  baö 
&au3  oorau^fia^tlid&  auöuerfaujt  werbe,  gellte  fid)  bie  Sajaru§miene  be$ 
5{ori;pl)äen  auf;  nun  erft  war  er  entfdjloffen  ju  fpielen,  wa3  bis  batjin 
Ijöa^ft  zweifelhaft  gewefen.  ^ad;bem  bie  Hauptprobe  ju  ©nbe,  rief  er  mit 
lauter  Stimme  einen  £l)eaterbiener  beran  unb  befletlte  für  biefen  2lbenb 
—  jwei  Üorbeerfrdnäe,  bie,  wie  fidj  fpäter  ^eraueftellte,  für  ben  Sc&lufc 


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  £iterarifdje  Urfadjcn  unb  Wittn  ncjcn.    $\ 

beregnet  waren.  Siefe  tlngenirt^eit  beS  savoir  faire  erfaßten  mir  fyödjfi 
amufant,  aber  id)  burd)fd)aute  fie  bodj  nid^t  gan$.  Ser  ©rfolg  beS  Stüdes 
war,  Sanf  ber  befonberen  SiebenSmürbigfeit  beS  $publifums  ein  überaus 
marmer  unb  mid)  berart  bejtürjenber  befonberS  am  Sd)£u§,  bafj  tä;  alle 
SJefonnenfjeit  oerlor  unb  bie  ©ebote  ber  Sd)idlid)feit  oöüig  oergafj.  Sie 
S$idlid)feit  nämlidj  gebietet,  in  foldjer  Situation  &anb  in  &anb  mit  bem 
kirnen,  bem  ber  ©rfolg  $u  banfen  ift,  ju  erlernen.  Siefer  pftjdjologifdje 
Moment  mürbe  oerpafet,  idj  tarn  allein.  (Srft  mehrere  £age  fpäter,  als  bie 
2Öieberf)olung  fein  follte,  warb  mir  flar,  maS  idj  gefünbigt.  2ln  ben  ©den 
prangten  rotf>e  Settel.  Ser  SiberiuS  mar  abgefegt,  meil  ber  grofee  Sflime 
erfranft  fei.  2lnftatt  SiberiuS  mürbe  „©röijenroatm"  gegeben.  2l(s  iaj  ben 
Äranfen  auffudjte,  mar  er  fpajieren  gefahren,  3efct  etft  roarb  es  mir  flar:  ia) 
Jjatte  if)n  burd)  jenen  oerpafeten  Moment  um  ben  erhabenen  2Iugenblid  gebradjt, 
mit  ben  befteüten,  nun  natürlidj  ntd)t  gefommenen,  Sorbeerfränjen  irgenb  eine 
rüfjrenbe  Alomöbie  aufzuführen.  SaS  Stüd  ift  sroar  fpäter  mieberfjolt 
morben;  aber  es  beburfte  ber  ganzen  ©nergie  ber  3ntenban3,  um  if)r  ge= 
gebeneS  ©jjrenroort  einjulöfen  unb  &u  3eigen,  bafj  fie  ber  £err  im  ßaufe  fei, 
nidjt  aber  ein  gefränfter  SJHme. 

3n  einer  anberen  Stabt  ging  es  mir  nod)  meit  fd)limmer,  inbem 
Söo»^eit  ober  £f)orfjeit  eine  oerniajtenbe  2lcrualität  fdjuf,  eine  foldje,  bie 
in  ber  9ieif)e  alier  ilHifjgefdiide  obenan  fteF)t,  meil  fie  burdj  nid)tS  repaTirt 
merben  fauu.  (@S  mar  fd)on  feit  ^afjren  eine  2lrt  gemetnfameS  Problem 
gemefen,  ben  antifen  (Säfarroaf)nfinn  bramatifd)  ju  gestalten;  fo  rourbe  ber 
SRero  oon  ©ufcforo,  Sd)lei$,  2Bilbranbt  unb  ©reif  in  Scene  gefefot,  ber 
(Saligula  oon  §alm,  fpäter  oon  $enfe.  Ser  XiberiuS  ift  im  ©anjen  audj 
brei  bis  oiermat  bramatifirt  morben,  juerft  oon  einem  Säuen  $aud),  bann 
oon  ©regoroüiuS,  meiter  oon  einem  Moftoder  ^Jrioatbocenten  Glafon.  SDiein 
Stüd  ift  im  2lufbau  ber  föanblung,  roie  in  ber  Sluffaffung  ber  (Sljaraftere, 
uadj  ben  neuen  gorfdjungen  beS  &iftoriferS  greotag  gearbeitet.  Sie 
gigur  SejanS  erfaßten  barnadj  a(S  ein  politifa>r  Streber  nad)  ber  ^öd)ften 
SNadjt  —  f)mftd)tlidj  ber  grauen  als  ein  antifer  Son  3uan).  Ser  Erfolg 
beS  SramaS  mar  au#  fjier  berart,  bafj  nod;  bie  oierte  33orfteUung  oor 
faft  auSoetfauftem  &aufe  ftattfanb.  Sa  gefiel  es  einem  boshaften  Jiecenfenten, 
bem  Sejan,  als  ber  regten  &anb  beS  greifen  Siber,  btlbhct)  ben  tarnen 
unfereS  grölen  Staatsmannes  ju  geben.  —  2£aS  gehört  auf  folaje  %\u 
famie?  ©emifc  eine  eremplarifdje  Strafe.  Siefe  traf  aber  nidjt  ben  ©r= 
finber  beS  „mal  motu,  fonberu  baS  Stüd,  bas  fofort  unb  für  immer  ab* 
gefefct  mürbe.  3Slan  erfd^raf  bis  in  bie  ßnodjen  t)inein  oor  einer  albernen 
poli$etrcibrigen  3Ictualität,  bie  nie  unb  nimmer  nrirflidj  oort)anben  mar,  aber 
nunmehr  nia^t  aus  ber  2Belt  gefa^afft  merben  fonnte. 

3n  einer  anberen  Stäbt  mar  mir  einige  3a()re  oorljer  eine  nid>t 
minber  merfroürbige  ©rfaf)tung  bef Rieben,  bie  nämlid),  ba^  man  als 
Slutor  nie  ungeftraft  in  ber  Samfappe  beS  Siegfrieb  ober  mit  bem  9iing 


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^2    3uIius  <ßroffe  in  ITIündjen.   

beS  ©ngeS  erföchten  barf.  $ie  33efcheibenheit  beS  3ncognito  wirb  ftets 
eine  Sdmlb,  roo  es  Pflicht  war,  eine  SHoIIe  ju  fpielen!  —  9tuf  ber  2llbrechtS= 
bürg  oon  3Heifeen  führten  bie  ftreSbener  äünftler  im  $uni  1871  mein  3ejt* 
fpiel  „Sllbredjt  $ürerS  ErbenroaHen"  auf,  unb  jroar  auf  SSeranlaffung  oon 
21.  i>.  3-  3$  war  ebenfalls  oon  SBeimar  eingelaben  toorben,  hatte  jebodj 
$ur  SBebingung  gemalt,  nur  incognüo  als  „&err  3ttfiHer"  ju  erfdjeinen; 
einfad;,  um  mir  bic  läftige  9iepräfentatton  als  33erfaffer  ju  erfparen. 
2) er  £ag  unb  baS  geft  verlief  auf  baS  ©lonjenbfte.  Es  fonnte  nid^t 
fehlen,  baf?  am  3lbenb  nad)  bem  geftmafjl  baS  ^ncognito  burch  roof)l; 
meinenbe  Jreunbe  bennod)  gelüftet  rourbe,  unb  t)ier  begannen  bie  feltfamen 
Erfahrungen.  2£ol)l  mannen  neuen  lieben  greunb  geroann  ich  unb  auf 
SebenSjeit;  aber  aud)  mancherlei  ©egner.  -Namentlich  eine  berühmte 
Sängerin  fyat  midj  noch  3ahre  nachher  ihre  äufcerfte  ©eringfd)ä&ung  em« 
pfinben  laffen  —  roie  Einen,  ben  man  als  &ord)er  an  ber  2$anb  ertappt 
hat.  Sel)r  erflärlid),  benn  ber  iHing  beS  ®rjges  mürbe  in  ber  heutigen 
Söelt  feinen  Inhaber  unter  allen  Uuiftänben  oerbädjtig  machen. 

ES  mar  bamals  baS  lefote  9)tal,  bafj  id)  ben  ljoa)begabten  Alunft= 
forfdjer  31.  u.  3/  ben  ich  eigentlich  fd)on  oon  3ugenb  auf  gefannt,  be- 
grüben follte.  3roei  3ahr*  fpäter  mar  er  nid)t  met)r  unter  ben  Nebenbei!, 
als  Cpfer  oieHcid)t  eines  SBafmS  —  jebenfalls  aber  einer  Slctualität, 
bie  tragifd)  für  il;n  ausging.  Huf  31.  o.  3-'s  betreiben  mar,  um  bie 
ftaubaufroirbelnbe  Streitfrage  3U  entfajeiben,  roelche  oon  ben  beiben 
2Jtobonnen  bie  ed)te  fei,  ob  bie  ftreSbener  ober  bie  $armftäbter  —  enb= 
lid)  bie  Gonfrontation  beiber  Söerfe  erfolgt,  offenbar  weil  man  mit  Sicher* 
heit  auf  ben  Sieg  ber  SreSbener  rechnete.  3lber  91.  u.  3-'S  Unternehmen 
roanbte  fxd)  gegen  it)n.  Er  mar  unbefangen  genug,  nad)  feiner  Ueberjeugung 
ber  S®at>rl;eit  bie  Efjre  ju  geben;  als  er  beibe  Silber  nebeneinanber  fal), 
entfdjieb  er  fidt)  felbft  für  bie  £armftäbter.  Er  oerleugnete  alfo  bie  ^eilige 
beS  Drts,  roaS  ilnn  oielleicht  einjelne  flirdjthurmpatrioten  auf's  Jterbholj 
gejehrieben  rjaben.  Cl)ne  allen  3roeifel  itonb  man  an  mafjgebenber  Stelle 
über  ben  Parteien;  aber  als  3-'$  Stellung  —  er  hatte  baS  Äunftreferat  über 
baS  ganje  Königreich  —  eine  35eränberung  in  günftigftem  Sinn  erfuhr,  roäfmte 
er,  oon  franfhafter  9iei$barfeit  bel)errfd)t,  in  jener  öeförberung  nach  ber 
SKarime  „promovetur,  ut  amoveatur"  —  eine  SBirfung  feines  unparteiifd)en 
©utad)tenS  $u  fet)en.  3(nbere  ©rünbe  famen  baju,  um  bie  Sa)mernmtl) 
beS  bis  bafjin  glüeflid)  Verlobten  ju  fteigern,  unb  er  entwich  freiroillig  einer 
Eomplication,  bie  er  roäfmte,  f)eraufbefd)rooren  $u  haben.  Xiefe  mahren 
©rünbe  feines  SajcibenS  blieben  bamals  perfd)n)iegen;  ein  naher  3>erroanbter 
beS  Unglücflidhen  theilte  fie  mir  jerjn  3af)re  fpäter  in  Ems  mit. 

9lpropos  Ems  unb  Hornburg  —  baS  erinnert  mid)  an  ein  anberes,  bis 
heut  nod)  unaufgeflärteS  $orfommni&,  auch  ein  93eleg  yax  actueHen  SBirfung 
literarifchcr  Erjeugniffe. 

^m  .§erbft  1869  lernte  ich  in  2)fünd)en  eines  3(benbS  „bei  3tbam"  ben 


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  Ctterarifdjc  llrfadjen  un&  tPirfnngen.    ^3 

trafen  6t.  au$  Diujjlanb  fennen,  unb  jroar  genau  in  berfelben  SQBcife,  wie 
id)  e$  im  Gingang  bcr  ©rjafftung  „©rajiana"  berietet  J)abc.  ©raf  6t. 
wollte  mir  eine  üftooelle  in  Auftrag  geben ,  ungefähr  fo,  rote  man  eine 
Büfie  beim  Bilbf)auer  beftellt,  ober  ein  paar  ©tiefei  beim  6dmfter.  Diefe 
3lrt,  einen  fremben  9iof)ftoff  jur  Bearbeitung  geliefert  ju  befommen,  retjte 
mid);  bisher  ^atte  id)  meift  nur  eigenes  Grlebnifj  ober  eigene  ©rpnbung 
oerroenbet.  91m  nädjften  Dage  erfdjjien  ©raf  6t.  bei  mir  unb  crsätjUe 
mir  au3  feinem  Seben  einen  $iemtid)  oerroicfelten  Vornan,  ber  tfjeils  am 
dltyine,  tfjeite  in  SRu&lanb  unb  ^iariä  fpielte.  3Han  I)atte  ifyn  feine  Der- 
lobte  Braut  burd)  eine  raffinirte  gamiliemntrigue  entfrembet.  Um  fid) 
6attefactton  5U  oerfdjaffen,  glaubte  er  bie  brei  Brübcr  ber  Braut  t>er= 
antwortlid)  madjen  ju  müffen  unb  forberte  fte.  Der  3n>eifampf  fanb  am 
©eftabe  be3  baltifdjen  ÜWeereS  in  £ieflanb  ftatt  —  führte  aber  in  feinen 
golgen  gerabe  jur  Berföbnung  mit  ben  Brüberr.,  wäljrenb  insroifä^en  bie 
6djroefier  in  bie  £anb  eine«  Unroürbigen  gefallen  unb  für  immer  oer* 
loren  blieb.  Da3  Meä  roar  oor  langen  Satiren  gcfajefjen,  unb  ©raf  6t. 
fjatte  längft  eine  anbere  fierjenSwaf)!  getroffen.  2Sie  e3  mir  aber  fdjien, 
wollte  er  mit  ber  SNooelle  bennod)  irgenb  eine  9iancune  üben,  jumal  er 
bie  Strbeit  3U  oöüig  eigener  Verfügung  »erlangte.  Diefe  Slctualitat  oer* 
barb  mir  bie  greube  an  bem  fonft  (wdjintereffanten  6toff,  unb  id)  lehnte 
bamalS  ben  Antrag  überhaupt  ab.  (Einige  Qaljre  fpater  fiel  mir  in  SBeimar 
eine  anbere  Gntmitfelung  bes  ungelöften  Problem«  ein,  eine  2lenberung, 
reelle  $um  optimiftifdjen  6d)luffe  unb  jur  Sßieberoereinigung  mit  ber  ent* 
riffenen  Braut  führte.  3n  bieier  neuen  SBenbung  gefiel  mij  bie  21ufgabe, 
unb  fo  ift  ber  Vornan  gefdjrieben  roorben.  Gr  erfaßten  juerft  in  einer 
granffurter  Leitung,  fpäter  als  Bud)  in  ber  6erie  Offene*  Söunben". 

Äaum  aber  roar  bie  Cr^lung  gebrucft,  all  td)  burd)  bie  SRebaction 
jener  granf  furter  3eitung  einen  an  mid)  geridjtcten,  ganj  unglaublidjen  Brief 
einer  Dame  au«  Hornburg  empfing,  be3  fabelhaften  ^nljaltä,  bafe  id),  naä> 
bem  td)  einige  3*it  mit  ifn*  gelebt  unb  fte  böslidj  oerlaffen,  nun  audj  nod> 
bie  Bermeffenfjeit  Ijabe,  unfere  ©iftorie  ber  ganzen  SÖelt  5U  er$äf)leu! 
2*>a3  roar  ba£?  ,§atte  irgenb  3emanb  meinen  Tanten  mifjbraudjt? 
ober  gab  es  einen  Doppelgänger  besfelben  9?amen3,  ber  in  2)Jtttel=Deutfd>= 
lanb  ebenforoenig  feiten  ift,  roie  fonft  SHütter  unb  6dnilje ?  33)  antwortete 
fofort  unb  bat  um  näheren  Sluffdjlufj,  um  eoentueH,  falls  eine  ftrafbare 
SJlnftiftcation  »orlag,  ben  25>eg  be£  9ied)t$  ju  befdjreiten.  Darauf  folgten 
f)öflid)e,  aber  auSmeidjenbe  Briefe,  bie  einen  3rctfmm  jugabeu,  aber  fia> 
jugletd)  in  immer  längere  pbantaftifdje  Diraben  unb  £>aHuctnationen  oec= 
loren.  Um  nur  (5in£  anzuführen :  Die  Dame  ging  alltäglid)  mit  6onnens 
aufgang  in  ©efeüfdjaft  ifjrer  fleinen  ^oa)ter  auf  einen  Ijofyeu  Berg,  um  bort 
„bie  ©emeinf(f)aft  mit  bem  ©roigen  $u  feiern''.  Äetn  3weife^  i^  e^ 
mit  einer  religiöfen  6d}roärmerin  5U  tl)un.  Da  bie  Briefe  immer  mnfteriöfer 
unb  qjofalnptiftt^er  würben,  blieb  mir  niajts  übrig,  aU  bie  unerquicflid)e 


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1 


W    3ulius  (Stoffe  in  OTündjen.   

Gorrefponbenj  abjubredjen.  3dj  fyabe  nie  2lufid)lufe  ermatten  fönnen,  wer 
bie  Tarne  mar,  aud)  nie  erfahren,  roo  ©raf  St.  geblieben  ift.  3?ieffeid;t 
bient  biefeS  33(att  baju,  ifmt,  falls  er  nodj  lebt,  $u  fagen,  bafe  feine  Aufgabe 
vom  %al)x  1869  längft  jum  Montan  geftattet  morben  i\t  unb  jene  l)öd)ft 
feltjame  2Birfung  gehabt  t)at*). 

SJJandjer  meiner  Sefer  rcirb  oielleidjt  argroöljnen,  bafe  bidjterifd&e 
<pfymtafie  an  biefen  Mitteilungen  atljugrofeen  2lntt)eit  Ijabe.  Sodj  fann 
id)  oerfidjern,  bafe  idj  bie  bürrfte  SStafjrfjeit  in  bie  fürjeftc  gönn  gefleibet. 
(£3  wäre  ja  ein  £eid;te3,  ganje  Seiten  jener  rätselhaften  Briefe  &u  repro= 
buciren,  roenn  bieS  nid)t  ben  bemeffenen  Maum  mifebraudjen  fjiefee. 

Q$  fei  geftattet,  f)ter  nod)  anbere  intereffante  9lctualitäten  unb  Belege  von 
SBirfungen  burd)  bie^reffe anjufd)liefeen,  tfjeitS  felbft  erlebte,  ttjeils  oongreun= 
ben  mitgeteilte.  $ie  erfte  betrifft  einen,  roof)t  nod)  lebenben,  5ttÖnc(j  in  SHom. 

$m  2lpril  1856  tjatte  ein  Aunftberidjt  ber  9?euen  3)iüncr)ener  ^^""S 
ba§  anfprud)3oolle  SBerf  eines  2Infanger$  jiemlid)  fdjarf  mitgenommen. 
GS  mar  ein  „ßain  an  ber  £eidje  2lbelS"  —  baS  fdjulerfjafte  ©rgebnife 
oon  fflaoifdjen  Stubien  am  lebenben  Mobeil  roie  am  Secirtifdj  ber  9tnatomte. 
Einige  Xage  nadj  (?rfd)einen  be»  53erid)te$  fam  mir  eine  bringenbe  Sfttrnung 
ju.  Man  fär)c  in  ber  ftritif  persönliche  Motioe,  benn  ber  Äünftler, 
ein  junger  Sdjroeiser,  t)abe  cor  jroei  ^a^ren  wochenlang  mit  mir  am 
Starnberger  See  »erlebt.  SMefe  £l)atfadje  mar  richtig;  aber  roer  fann 
alle  Hainen  im  ©ebacr)tnife  behalten,  $umal  fonft  fein  $erfer)r  befianb!  3<h 
banfte  bem  SBaruer,  erklärte  aber  jugleid),  bafe  mein  Urteil  unter  allen  Um* 
ftänben  ebenfo  aufgefallen  märe,  ba  pcrfönlidje  9iütfftdjten  für  midj  nid^t 
eriftirten.  einige  Slbenbe  fpäter  liefe  fid)  nadj  bem  Xfjeater  im  5Heftaurant  uon 
S.  aud)  jener  Äünftler  bliden,  oermieb  jebod)  jebe  Begegnung  mit  mir.  <5s 
mar  anberS  geplant,  unb  feine  9lnn>efenf)eit  ein  t>orau3bebad)te$  2llibi. 

2US  idj  gegen  Mitternacht  in  bie  ftäfje  meiner  5ß>or)nung  in  ber 
Sopfjienftrafee  fam,  fiel  mir  unter  bem  Säulenportal  beS  botanifdjen 
©arten*  eine  ©nippe  Menfdjen  auf.  Sie  gorm  ber  «püte  oenietl)  fie  als 
ßünftler.  SWfcartig  mar  mir  ffar,  bafe  ich  im  begriff  mar,  in  eine  gaffe 
ju  geraden,  ©enau  geregnet  f)atte  idj  fünf  Secunben  gext,  um  einen 
(Sntfdjlufe  su  faffen.  Xie  Gcfe  ber  Sopljienftrafee  bilbete  ein  Keines  oietbe* 
fudjtes  &Mrtl)öf)auS  „3um  Söioengarten".  9iafa^  bog  id;  in  basfelbe  ein  unb 
liefe  mir  ein  Limmer  geben.    S3om  genfter  beefelben  im  Dberftorf  fonnte  i# 


*)  2?ci  biefer  iMbrcfic  an  ben  fernen  fällt  mir  eine  5tnfraßC  ein.  Habout  sna 
fata  —  nidjt  b!o»  23iidicr,  midi  3eitnnßcn  unb  2}ianufcrtptc.  aJiir  fmb  in  meinem  i'eben 
brei  unflcbrucfte  ?hbetten  aM;anbcn  gefornmen,  auf  bie  id)  feiner  3«t  flrofeen  2i?crtf)  Ieflte. 
3»ftft  ein  S?uftfpiel  („$er  Temofrateuljut"  ober  „Öeift  unb  Sdiulc",  9Waabebnrfl  1849); 
bann  ein  biirflerlid}e&  Xraucrfpiel  (f,ii;Q^n  unb  vi}erföl)nuiig"  £aUe  1851);  uxiter  eine 
9loücnc  („(iKne  efjrtidie  .^aut",  lsr»7;  in  Gaffel  berfd)ir>unben).  OJiößlid),  bafe  ba»  eine 
ober  anbere  oon  ben  betben  Griten  mein  bmnnligeS  ^feubonnm  „2!:albemar  SJagel" 
tnifl.  3o(lte  btefe  aKittOetlima.  irflcubioic  auf  bie  St»ur  ber  aJJauufcripte  leiten,  fo  fei 
hiermit  mein  (Sigcntfjum  vcflamirt. 


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  £itcrarifdje  Urfadjcn  unb  IPirfungeti.    ^5 

bei  ber  monbheflen  9?ad)t  nunmehr  ben  ganjen  Vorgang  beobachten.  ;$ene 
Schaar  jwar  faxten  oerfchwunben,  offenbar  war  fie  in  bie  Strafte  hinein* 
geftürmt ;  nach  einer  2öeile  aber  f  am  fie  jurücf  in  boppelter  Stärfe,  jweifelloS 
hatte  bie  anbere  Hälfte  mich  oor  ber  £auStf)ür  erwartet.  3efet  war  bie 
ganje  ©efeUidjaft,  etwa  jwanjig  ßöpfe,  beifammen,  nm  ju  beraten,  was  ju 
tf)un  fei.  üftad)  geraumer  grift  fam  einer  ber  Schlaukopfe  auf  ben  ©ebanfen, 
vom  &of  aus  in  bie  unteren  9täume  beS  SBirthStjaufeS  ju  fpähen,  ob  ich 
mid)  meUeidjt  borten  geflüchtet  hätte,  ©nblid)  gegen  ein  Uf>r  entfernten  fie  fi<h, 
unb  bie  ©efahr  war  oorüber  —  bie  ©efahr  nicht  nur  thätltdher  Snfultcn; 
fdjwerer  märe  ber  moralifdje  Schlag  gemefen,  ber  meiner  £aufbalm  als 
Sfebacteur  fet)r  warjrfcheinlid)  ein  rafdheS  (Sntbe  gemalt  höben  würbe. 

2lm  Wittag  beS  folgenben  £ageS  begab  ich  mich  in  ben  weltberühmten 
©arten  „$um  2l<$afc",  wo  an  taugen  tafeln  bie  Häupter  ber  Umoerfität 
unb  Stfabemie  mit  ben  fogenannten  fteuberufeneu  bei  Sonnenfchein,  9JMif 
unb  23oä  tägliche  93erbrüberungSfefte  feierten;  an  ben  benachbarten  Xifdjen 
war  bann  meift  aud)  bie  jüngere  unb  iüngfte  flünftlerfdjaft,  unter  biefen 
aud)  meine  ©egner,  oerfammelt.  £ort  erjagte  idt),  natürlich  ot)ne  jegliche 
Namensnennung,  greunb  Saniere,  bem  Secretär  ber  2Xcabemie,  was  mir 
in  uerwichener  9tod;t  begegnet  mar,  unb  mit  welchen  ©efabren  noch  heute 
ein  unabhängiger  tfritifer  $u  rennen  habe,  hautlos  laufdjenb  fafeen  bie 
Attentäter  unb  erfuhren  auf  biefe  Steife  erft,  wie  ihnen  bas  fidt)er  gefteflte 
2öilb  entfommen  mar.  £aS  Sraftifche  ber  (Situation  gab  mir  fo  oiet 
£umor,  um  bie  £a<her  auf  meine  Seite  31t  befommen.  2lud)  nachher,  aU 
bie  greunbe  gegangen  waren,  blieb  ich,  unb  erlebte  bie  erfreuliche  ©enug* 
thuung,  bafj  oon  jenem  anbern  Stifte  ein  geroiffer  $urfinj6,  ein  genialer, 
etwas  jerfahrener  ©efell,  Sofm  beS  berühmten  ^rager  ©elefulen,  ju  mir 
t)erüberfam  unb  mir,  ba  ihm  offenbar  biefe  Sdjlufcentwidlung  gefallen 
hatte,  feine  greunbfehaft  antrug  —  leiber  nur  auf  furje  3eit,  benn  einige 
£age  fpäter  reifte  idt)  nach  3talien,  unb  mir  verloren  uns  aus  ben  2Iugen. 
Srft  jelm  3ohre  fpäter  tauchte  ^>urfinj6  wieber  in  München  auf  unb 
erjagte  mir  ladheub,  baft  er  bamals  ber  eigentliche  -NäbelSführer  gewefen. 
„Sie  haben  übrigens  ganj  9?e<ht  gehabt.  2luS  bem  5B.  —  jenem  Schweiber 
nämlich  —  ift  nichts  geworben.  £er  hat  fpäter  in  SRom  conoertirt,  unb 
ift  bort  in  ein  ßlofter  gegangen,  wo  er  l;eut  noch  feine  ftunft  treibt." 
„Unb  was  war  in  jener  3?adr)t  Qhre  3lbjid)t  ?"  —  „£m,  ^Imen  einen 
tüchtigen  £enf$ettel  ju  geben.  Sie  tonnten  aber  auch  5um  ftrüppel  ge= 
fchtagen  werben.  XeShalb  war  ber  2B.  nicht  mit  babei,  um  fein  3llibi 
ju  beweifen,  falls  bie  Sache  fchief  ging." 

3ur  2lbwed;fefung  möge  eine  ^eitere  Gpifobe  aus  berfelben  3e^ 
folgen.  München  ftanb  bamalS  (im  HTJärj  1856)  unter  bem  ©eftirn  ber 
^acherliabe.  £ie  91.  3-  ,m*  fcheinbar  apobiftifdjer  ©ewifeheit  be= 
wie'en,  ba§  ber  „JJedjter  oon  ^ianenna"  urfprünglich  oon  einem  SdjuU 
meifter  fächert  in  Pfaffenhofen  gefchrieben,  bafc  aber  ,§alm  von  bem  in 


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46 


  3nlius  «Sroffe  in  irtüncbcn. 


2ßien  eingereihten  Stütf  Alenntnife  genommen  unb  fid)  rafcher  unb  glücf* 
lieber  beSfelbcn  Stoffel  bemächtigt  Ijabe.  91  (S  bicS  SenfationSbrama 
enblidj  in  Sttündjen  gegeben  würbe,  bemonftrtrte  baä  ^ublifum,  inbem  es 
am  Scbluft  mit  £eibeuf<haft  nach  33aa>rl  rief  unb  nicht  meinen  wollte, 
bis  Xingelftebt  baS  ©aS  ausbrehen  liefe  —  ein  Vorfall,  ber  jweifelloS 
mitwirfenb  für  feinen  Sturj  würbe.  Saft  33ad)erl  in  Seutfchtanb  t)erum* 
jog,  feine  fog.  Spoefieen  las  unb  ftcf)  gebulbig  auSladjen  lieft,  julefct  aber 
am  befien  lachte,  als  er  ein  fleines  Vermögen  heimbrachte  unb  —  3Jiildh* 
mann  mürbe  —  bieS  nur  nebenbei.  Später  ijt  er  als  Schulmeifter  in 
9tebraSfa  geftorben.  Xodj  id)  wollte  SuftigeS  erzählen,  damals,  nach 
2luffüf)rung  beS  Stüdes,  fiel  in  literarischem  reife  bie  2leufterung:  „SMefer 
„Rechter  oon  9taoenna"  ift  eigentlich  bod)  nur  ein  sBallabenftoff,  aber  fein 
£>rama,  weil  bie  eigentliche  Sßerwidelung  fehlt.  SLMe-  nun,  wenn  &alm 
rote  fächert  gleichzeitig  nach  einer  oerfchollenen  ^allabe  gearbeitet  hätte?" 
„£alt,"  rief  ©eibel,  „biefe  33allabe  muft  erfchaffen  werben!"  Ginige  £age 
fpäter  las  ^>aul  &et;fe  ein  foftliajeS  ©ebid)t,  im  echten  Stil  jener 
Schiller') chen  Grpigonen,  wie  fte  lange  ^at;re  befonberS  ben  XreSbener 
^arnaft  betjerrfcr)ten  —  ich  nteine  bie  Gonj,  ttinb,  5lrug  oon  9ftbba, 
SSadenrober,  Sfoftis,  5lalfreuth  u.  9t. 

„3nt  «bleu  2luge  Siionnctbräncn,  |  3't  cnblid)  bcS  Surannen  9tad)c 

Ten  md  gerietet  tymmetait  —  ('»efättigt  an  Slrmin»  ©cidjlcdjt, 

Sdmtiegt  ftd)  in  langem,  bittrem  ©eftnen    Tab  unter  (Säjarö  cig'nem  Tafte 


£cfl  fdjauen  ifloma'S  golbenc  3i»ncit  5luf  be3  Spalajte«  ^armorftnfen, 


Unb  in  biefem  fentimcntal  erhabenen  ^>atfwS  ging  es  noch  fünfse^n  Strophen 
fort.  SaS  ?ßoem,  welches  in  höchft  gefdjidter  ©eftaltung  ben  ganjen  flern 
ber  Xragöbie  enthielt,  würbe  auf  Umwegen  inbaS  granffurter  ßonoerfationS* 
blatt  gefchmuggelt,  als  oon  einem  gewiffen  3.  3-  Cppermann  in  ftaifers* 
lautern  herrüljrenb,  ber  es  oor  langen  fahren  aus  ber  Dreebener  2lbenbs 
jeitung  abgeschrieben  haben  wollte.  $ie$aüabe  ging  binnen  einer  2Bod)e  burd) 
bie  ganje  beutfehe  treffe,  unb  mänmglich  war  erfreut,  bie  oerborgene  Cuelle 
beS  SenfationsbramaS  enblid)  aufgebeeft  ju  fehen.  $ou  allen  blättern  war 
bie  SlugSburger  2lllgemeine  3e^un9  °ie  cinstge,  welche  fofort  eineSJinjttftcation 
witterte.  3n  Bresben  aber  foH  man  fich  wochenlang  bie  ^\n%ex  wunbgc« 
blättert  haben,  um  in  ben  alten  3ahriJä"3en  Der  2ibenbjeitung  bie  merf* 
würbige  ^aUabe,  welche  mit  „Sotfjar"  unterjeidmet  war,  aufjufinben. 

3enes  war  eine  geplante  unb  wohlgelungene  fchershafte  9J?nftiftcation. 


Tie  Butter  an  ben  3üngling  «»• 


Tai  üJhitterljeiä  erlangt  fein  9red)t? 


Slut  ber  Vereinten  ©lüd  berab, 
Unb  bie  (SrinnnS  fdjlcidjt  öon  binnen 
Unb  fenfet  ibren  3d)langenftab. 
So  battet  cnblid)  3br  (Erbarmen! 
J&feligt  ruft'S  Xfjuänelba  au«. 
3br  ©ötter,  barf  id)  ibn  umarmen, 
Xcu  Liebling,  in  bc3  $affc3  $au8? 


Xte  id)  mit  ^ylüd)en  einft  betrat, 
Soll  id)  fte  jubelnb  ioibenufen? 
Äennt  5Homa  eine  Ji'icbeStljat? 
So  wäl§'  in  deinem  fdjlammigen  Sctte 
O  Xibcr  Deine  ey(utr>  jurüd! 
25enn  um  JljuSnelbcnS  ISifcnfette 
Sd)liugt  Stofeu  biefer  Slugcublicf  I" 


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  fitcrarifdjc  Hrfadjen  unb  Wwf ungen.    ^7 


(£$  giebt  aber  audj  unbea6fid^ttcjtc  SMoftificattonen  unb  3Monen,  bic 
bura)  bie  treffe  in  empfänglidjen  ©emüthern  ermedft  werben  fönnen. 

Gtä  ift  noch  fein  Safyx  her,  als  bie  „ßunft  für  2IUe"  meine  3^ooeUe 
„Selfmabcmen"  braute,  in  weiter  ein  2flacen  gefdr)iCbert  würbe,  ber  ein 
Talent  von  ber  Sanbftrafce  auflag,  um  e3  auf  feine  ftoften  erstehen  $u 
(äffen.   Sofort  erlieft  id)  einen  langen,  tjöd)it  beroegüdjen,  33rief  oon  einer 
gamilie,  bie  mich  bei  allen  Zeitigen  befdjwor,  ifjr  bie  wahre  2lbreffe  jenes 
SDtäcenS  ju  geben;  man  wiffe  einen  jungen  hochbegabten  SJiann,  ber  fidjer 
bie  gleite  2Bohltf)at  uerbiene.   Seiber  mar  jener  3ftäcen,  ber  allerbingS 
feine  erfunbene  gigur  war,  fd>n  oor  $a1)xen  geworben,   ©ine  etwas  weit* 
läufigere  analoge  Erfahrung  machte  greunb  9111  mers,  „ber  bitter  oom3fteer", 
mit  feinem  S3ua)  „SRömiföe  Schlenbertage" ;  nämlich  in  ber  Söirfung  beS* 
felben  auf  einen  ^ßljantaften.   2(uS  Breslau  fd^ricb  if)m  ein  junger  Wann 
unb  bat  ifm  um  Empfehlung  nad)  iflom,  benn  9lom  fei  fein  einziger  ©e= 
banfe  2dg  unb  9tod)t,  feit  er  jenes  wunberbarc  $ud>  gelefen,  MmerS 
tfmt  wirflicr)  allerlei  Sd)ritte  betl©efanbtfdjaften,  aber  es  war  feine  Stelle 
frei,   ^löfcltcf)  melbete  ber  (Sntlmfiaft,  er  ijabe  eine  <5rbfdt)aft  oon  breitaufenb 
Sttarf  gemacht  uub  gelje  fofort  mä)  9iom.   2>ie  Summe  mar  fef)r  balb 
oerbraucht.  Witt  bem  legten  £unbert  begann  er  einen  flramrjanbel  mit  ^Iwto* 
graphteen  in  ber  via  Condotti;  fpäter  ging  er  nadj  Neapel  uub  §apri 
unb  heiratfjete  bort  eine  ^fulanerin,  oerlieü  aber  aucr)  biefe  balb,  unb 
würbe  nadj  Örafilien  oerfdjlagen.   3m  legten  33rief  oon  bort  melbete  er 
SWmerS,  er  habe  einen  mufifalifdjen  9Jeger  entbecft,  unb  befdjmor  ihn  lummels 
r)odj,  biefeS  ©enie  auf  Subfcription  $Deutfcr)lanbS  loSjufaufen,  roeil  er  fo 
göttlidj  —  baS  tflapphorn  bliefe!   greuub  MmerS  mochte  wof)l  täfeln 
über  biefe  lange  ftette  oon  folgen  —  bie  eigentlich  alle  ber  SBirfung  feines 
$ua)eS  entfprungeu  waren. 

^ermann  2lllmerS  —  warum  nannte  id)  i(m  ben  9iitter  beS  3)ieereS? 
2ludr)  baran  hängt  ein  £>iftörd)en,  wenn  aud)  oon  anberer  31rt. 

(SineS  2lbenbs  würbe  im  Xom  von  Bremen  ber  9)Je)fiaS  oon  &äubel 
aufgeführt.  2lllmerS  madjte  babei  bie  33efanntftt)aft  eines  oorneljmeu  alteren 
Jremben,  ber  oom  £anbe  hereingekommen  —  eines  23arouS  v.  (*.,  ben  er 
am  felben  31benb  auch  im  Münftleroerein  einführte.  2)ian  bemerfte  an 
feiner  £>anb  einen  9iing  mit  einem  intereffanten  2£appeu,  aber  ber  ßrone 
beSfelben  festen  jwet  3infen.  darnach  befragt,  erwiberte  ber  23aron:  „3a 
leiber  —  wir  fjaben  einmal  gegraft  werben  follcn  oor  etioa  fiebrig  3af)ren, 
uub  e5  war  Me$  bereits  im  deinen.  2)a  ftarb  griebridj  ber  ©rofee  unb 
naa)t)er  ift  nid)t$  barau^  geworben  —  aber  Sie  Ijaben  ja  aua;  einen 
Siegelring  mit  Wappen  — 

„2llIerbingV  war  bie  Antwort,  „uub  bort  an  ber  Sanb  l)ängt  ba$ 
farbige  3Bappenfd)ilb :  weifee  ^iofen  auf  rotfjem  ©runb  unb  jur  Seite 
ein  halber  faiferlidjer  ülbler.  Xa*  29appen  ftammt  nod)  oon  ^öarbaroffa 
her,  ift  alfo  700  3a&re  alt,  unb  feitbem  finb  wir  bie  bitter  oom  ^Jeer." 

5l«»b  unt)  ©üb.  LI..  JM.  4 


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$8    Julius  (ßroffe  in  mündjen.   

„2Bie  ift  baä?" 

„(Sanft  einfad).  SBir  ^riefen  waren  vor  uralten  3*ton  oon  allem 
Striegäbienft  unb  fonftigen  grolnten  frei,  weil  wir  unauägefefct  mit  bem 
SJteere  ju  fämpfen  Ratten,  bem  wir  unfer  £anb  burd)  SDämme  unb  Sdmfc* 
bauten  gerabeju  abgerungen  fiaben.  £rofcbem  melbeten  ftd)  einjtmate  fünf = 
jerm  junge  griefen  au«  ben  beften  gamilien  unb  erboten  fidj,  freiwillig 
perfönlid)e  $ienfte  beim  großen  flaifer  ju  tlnm.  33arbarof[a  mad)te  fieju 
feiner  Seibgarbe:  als  foldje  follen  fie  in  SRom  einftmats  eine  ©uelfenoers 
fdmwrung  entbedt  unb  bem  Äaifer  ba3  fieben  gerettet  §aben.  3um$anf 
wollte  33arbaroffa  fie  $u  Gittern  fd)tagen. 

„Sie  aber  fagten:  ,$)a§  finb  wir  fdjon  feit  alten  $t\ten  im  Äampf  mit 
bem  3Jieere. 

,2Bof)l,  wenn  3$r  bitter  beS  9J?eere3  feib,  fo  fotlt  5f)r  wenigftenS  ein 
SBappeu  f)aben  —  fd)webt  bodfj  be$  ÄaiferS  2lbler  aud)  über  SWeereSwelleit. 
Vor  9)?enfd)enbo£f)eit  fonntet  $fox  mid)  retten,  oor  bem  Clement  fann  e§ 
nur  ©ott!'  Unb  alfo  gab  er  ben  falben  SReid)Sabler  in  jebe«  einjelne  if)rer 
ftamiltenwappen.  Setber  festen  bie  ©etreuen  beim  lefcten  Rreu&ug. 
33ietteiöt)t  hätten  Tie  ben  tfatfer  au<$  au«  ben  tüdttfdjen  SßeHen  be$  Selepl) 
errettet.  Unter  biefen  fünf$efm  war  aud)  ber  Uroater  ber  gamilie  2lHmer$." 
$er  Varon  o.  &  mußte  jugeben,  baß  bie«  jebenfallS  ein  weit  älterer 
Sttbcl,  al$  ber  feine  fei.  %ä)  fjabe  bie  2Bappenfage  tjier  erjagt,  weil  Tie, 
urie  mid;  bünft,  wof)l  aud)  einen  VaUabenftoff  enthalt. 

$aS  ©eföid  VarbaroffaS  erinnert  mid)  an  ben  tragijdjen  £ob  eines 
mobemen  3Härd)enfönigs,  ber  audj  in  ben  glutf)en  enbete.  Unb  Iner  bin 
td)  wieber  bei  bem  problematifdjen  £f)ema  ber  Slctualüäten,  bei  ber  fonber« 
baren  Verfettung  oon  3ufaH  unb  Sd)icffal,  aud)  in  ber  Gntftefymg  unb 
SBirtung  oon  literarifdjeu  Sßerfen. 

9tod)bem  mit  bem  {Jajre  1866  bie  2toi)erifd)e  Leitung  ju  ©unften  ber 
in  2lusfid)t  genommenen  SNeugeftaltungen  eingegangen,  mar  and)  meine 
journalifttfd)e  £f)ätigfeit  nad)  äwölfjäfu*iger  £auer  ju  (Snbe.  GS  begann 
ein  neuer  SebenSabfdmüt,  ber  mid)  1868  in  baS  Vureau  ber  ^ntenbanj  beS 
&oftl)eaterS,  1870  nad)  Weimar  führte. 

Vorläufig  aber  ftaub  id)  banials  vis  u  vis  do  rien,  unb  eS  galt,  einen 
entfd&eibenben  Gnt|d)luß  5U  faffen.  So  troftlos  bie  Sage  fd)ien,  eröffnete  fie 
mir  bod)  mefyr  als  eine  neue  Val)n.  $e$t  n>ar  bie  Seit  gefommen,  größere 
Arbeiten  ju  beginnen.  mufterte  meine  aufnotirten  Stoffe  unb  entfd)ieb 
mid)  für  jioei,  bie  id)  fajt  gleichzeitig  begann.  $>er  eine  Stoff  mar  ein  politifd) 
fojialer  Vornan  aus  ber  ©egenroart,  ber  unter  bem  £itel  „©egen  ben  Strom" 
bereits  1868  oollenbet  würbe  unb  im  3at)re  1871  erfaßten;  bie  anbere  9lrbeit 
mar  ein  ^ramenftoff  (9Jlarie  3JJancini),  ben  id)  fd)on  oor  ^afyren  feit  bem 
Grf feinen  oon  31.  Dienet  ,^id)ten  ÜJiaftarinS"  in'«  2luge  gefaßt  l)atte. 

^er  .ftampf  einer  geiftreid)en  unb  fd)öncn  flönigSbraut  gegen  bie  3n= 
triguen  eine«  allmächtigen  30linifterS  oerfprad)  loirffame  Scenen.  SWasarin 


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—   literarifffje  Urfadjen  unb  IPirfungcn.    ^9 

begünfligte,  rote  berannt,  bie  fiiebe  SouiS  XIV.  jU  [einer  9Kd)te.  SllS  er 
aber  merfte,  baß  2Haria,  bie  3bcatiftin,  ihm,  bem  3Rinifter,  an  SSittenS* 
traft  unb  2fla<$t  beS  ©elftes  überlegen  war,  feu)  er  fia)  in  ber  Sage,  baS 
fd)lau  eingefäbelte  ©erf  nrieber  ju  jerftören.  @r  oereitelte  bie  bereits 
perfecte  Verlobung  unb  fd)icfte  feine  9tid)te  auf  bie  gefhtng  93rouage,  n>o 
fie  bleiben  mußte,  bis  bie  SSermäljlung  beS  ßönigS  mit  einer'  fpanifd)en 
^Pringeffin  &hatfad)e  geworben  mar. 

tiefer  (Stoff  geftaltete  fidt>  mir  juerfl  jum  Erama;  baS  Stücf  mürbe 
im  3anuar  unb  gebruar  1867  gefd)rteben,  ifl  aber  bis  heute  ßoneept  geblieben 
—  es  mar  nid)t  gan$  nad)  meinem  2Bunfd)  ausgefallen,  r)ciuptfäd)lidh,  weil 
ber  Sdjluß  feine  bramatifd)e  Stetgerung  enthielt.  2Bof)l  aber  fah  td),  bafe 
in  ber  Slrbeit  ein  fpannenber  Vornan  t)orf)anben  mar,  menn  eS  gelang, 
benfelben  fjerauSjubilben.  Siefe  XrauSpofition  begann  id)  fofort:  eine 
3leife  nad)  ^ariS  im  9Hai  gewährte  bie  münfd)enSwerthefte  görberung  fit 
Topographie  unb  fiofatcolorit,  unb  fdjon  @nbe  3«li  tonnte  id)  ben  fertigen 
Vornan  ^aöberger  anbieten,  ber  ihn  fofort  annahm,  um  ben  Slbbrucf  im 
Oftober  ju  beginnen. 

3näwifd)en  aber  waren  wichtige  $inge  gef<$ehen.  $ie  im  ftrühiahr 
Donogene  Verlobung  bes  ßönigS  Subwig  II.  ,mit  ber  fpateren  ^erjogin 
ton  2llen<?on  mar  im  Sauf  beS  (Sommers  wteber  jurüefgegangen.  So  tarn 
es,  baß  mein  Vornan,  als  er  im  Dftober  erfd)ten,  burdj  baS  Spiel  beS 
3ufaUS  theilmeije  eine,  roenngleidj  oödig  unbeabfid)tigte,  weil  djronologifch 
unmögliche,  bennedj  fatale  Slctualitdt  erhielt!  $)er  Vornan  würbe  fofort  in 
baS  3talienifa}e  überfefot  —  an  ben  Schaufenftern  erfd)ien  bie  Photographie 
3)iaria  3)tanciniS  nad)  bem  Portrait  9)ttgnarbs  im  berliner  9Jtufeum. 
Einige  3dt  fpater  machte  ftd)  föerr  3«  9ß«  über  baS  33ud)  unb  fdjrieb  fein 
3)rama  „9)ia$arin,"  inbem  er  jene  an  fid)  münfa)enSroerthe,  leiber  aber  ganj 
mißlungene,  Steigerung  erfanb:  £ie  Sßermdljlung  beS  ftönigS  mit  SHaria 
toirb  nur  beStyalb  unmöglich,  weil  fie  ber  heimlichen  ©he  ber  Königin  2lnna 
mit  2)fa$arm  entfproffen,  alfo  angeblich  feine  Sdjwefter  mar.  2)aS  Stücf 
tft  mehrfad)  gegeben  worben,  unb  bie  „91.  3-"  hat  fetnerjeit  nad)geroiefen, 
ban  ber  „finbige"  $ramatifer  ben  Slufbau  roie  ganje  Sjenen  meinem 
9toman  entnommen  §at,  ohne  aud)  nur  bie  Duelle  ju  nennen« 

9(ber  bie  eigentliche  9?adjwtrfung  beS  Romans  ift  vielleicht  noch  eine 
aubere  gewefen,  fo  baß  ich  ^  Ijeute  noch  fa)wer  bereuen  möchte,  bieS  SiSerf 
gefd)rieben  $u  hoben.  Ob  es]  roirflid)  wahr,  wie  mir  berichtet  würbe,  baß 
ber  Äönig  burch  meinen  Montan  juerft  $u  weiteren  Stubien  über  SouiS  XIV. 
oeranlaßt  roorben,  roeiß  ich  nicht.  52Tr)atfacr)e  aber  ift,  baß  erft  nad)  biefer 
Seit  jene  ©erhängnißooHe  Vorliebe  ,für  ben  rui  soleil  erwad)te  unb  bie 
ent3Ünblid)e  Sß^antafie  bei  Königs  in  einer  SSeife  beraufd)te  unb  beherrfd)te, 
bie  in  ihren  Solgen  juerft  ju  finanjietten  SSerwicfümgcn,  fpäter  jum  tragifd)en 
Untergang  geführt  h^t.   


4* 


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Wie  ftuinrt  man  am  heften  pfylofopfyc? 

r>on 

von  fjattiftaiut 

-  Berlin.  - 

* 

|ä  lijl  fein  aüju  f)ol)er  ^kocentfafc  ber  aWcnföen,  ber  prjilos 
fopf>ifd)e«§;  Vebürfnift  unb  entfpreajenbe  Veranlagung  bcfi&t; 
aber  aud)  bei  einem  rcdjt  Keinen  ^roceutfafc  fonunt  beten  bod) 
eine  redjt  anferjnlidje  abfolute  3a^  m  e*nem  Gulturlanbe  wie  SeutfaV 
lanb  ljerau$.  9liä)t  nur  bie  ftubirenbe  Sugcnb  weift  foCd^e  ©eifter  auf, 
bie  nad)  einer  jufammenljängenben  Seltanfdjauung  Jüngern  unb  bürften, 
fonbern  aud)  anbere  Verufäarten  unb  reifere  Lebensalter  bergen  eine  SJJenge 
foldjer  2Beiäl)eit$liebl)aber  in  fid),  meldje  Verlangen  banadj  tragen,  ityre  oft 
fpät  errungene  3)?uj}e  jur  ÜJefriebigung  itjre^  pbilofopl)ifd)en  23ebürfniffe£ 
anjuwenben.  Ta  ftel)t  beim  ein  foldjer  3lbept  gar  oft  t)ülfloä  oor  ber 
fd&wierigen  ?yrage,  wie  er  e&  anzufangen  fjabe,  ben  regten  3ugang  Sum 
Tempel  ber  Stffenfdjaft  511  finben;  unb  nid)t  ^eber  wirb  ba£  ©lüa*  Ijaben, 
einen  rcoljlberatljeneu  Siatljgeber  311  finben  ber  ifjm  bie  Dual  ber  Sabl 
auf  bie  rid)tige  Seife  erleichtert  unb  ifju  cor  ÜJiijjgtiffen  unb  abfdjtef* 
fenben  (Snttaufdmngen  fdjüfct.  Unb  roatyrlid)  ift  ba3  iHatrjgeben  in  folgern 
galle  feine  leid;te  Sad)e,  unb  am  luenigften  läjjt  fidj  eine  für  alle  gällc 
jutreffenbe  ülnweifuug  geben,  ba  oiel  auf  bie  inbioibuelien  Neigungen,  bie 
fonftigen  Verufsintercffen,  aud)  auf  bie  Vorbilbung  unb  geiftige  Veran= 
lagung  be$  Velcfjrung  3ud;enben  anfommt.  2lber  e$  lafjen  |t$  bodj 
mefjr  ober  minber  allgemeingültige  Tarnungen  uor  ben  ju  oermeibenben 
Slbmcgen  unb  einige  leitenbe  ©efidjtspunfte  für  bie  pofitioe  Regelung  be3 
6tubiengange$  auffteüen,  mit  benen  fdjon  oiel  gewonnen  ift.  greilidj  nidjt 
in  }toet  Sorten  läfst  fid;  beut  diati)  £etfd)cuben  Stuffdjlufj^  geben; 


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  TOit  ftubirt  matt  am  bcficn  pf^ifof opl?ic?    5\ 

besbalb  will  ich  in  bem  9?achfolgenben  oerfudjen,  foldje  oft  an  mich  heran« 
getretenen  fragen  einmal,  fo  {jut  ich  ocrmag,  im  3ufammen^an9e  5U  ^ßs 
antworten. 

3?orauSgefetJt  ift  uon  oornherein,  ba&  ber  ü8elet)rung  Sudjenbe  bereite 
bie  fHeife  beS  Gl)araftcrS  nnb  ben  (Smft  beS  33ilbungSftrebenS  befifct,  um 
ein  umfangreichere^  roiffeufchaftlicheS  SBerf  im  einfamen  (Stubiersimmer 
mit  SJerftänbnife  unb  3luSbaucr  tefen  ju  fönnen.  9öem  bie«  nod;  ferner 
fällt,  ber  roirb  olme  ^weifet  befTcr  tl)un,  bem  ^fjüofophieftubium  fern 
bleiben,  wenn  baSfelbe  nidjt  etroa  für  bie  abjulegenben  SBerufSprüfungen 
trorgefdjrteben  ift.  @S  fann  fid)  t)ier  alfo  nicht  barum  hanbeln,  roie  bie  Un* 
beouemlidjfeiten  einer  anhaltenben  wiffenfchaftltchen  Seetüre  $u  umgehen 
feien,  fonbern  nur  barum,  welche  21  rt  oon  Sectüre  bie  geeignetfte  jur 
Einführung  in  baS  ©ebiet  fei. 

£a  ^abeit  mir  benn  $unä<hft  feftjufteüen,  ba&  biejenigen  ©egenftänbe, 
auf  roelche  fidj  oorjugSmeife  bie  Staatsprüfungen  rieten,  teid;t  abidjredfenb 
roirfen  fönnen  unb  i>erbältm§mäfjtg  wenig  pl)ilofopl)ifche  33ilbung  oer= 
mittein*).  23aS  baS  pt)ilofopf)tfche  iöebürfniü  ju  feiner  Sefriebigung  fudjt, 
ift  eine  jufammenhängenbe  2Mtanfd)auung,  in  roelcher  bie  l)öd)ften  unb 
febmierigften Probleme  nicht  nur  berührt,  fonbern  auch  in  irgenb  meiner 
2Irt  beantwortet "  obejr  bod)  geflärt  unb  ber  £öfung  näfjer  gerüeft  werben. 
5Die  Sogif  oor  3lHem  ift  ein  trauriger  9ieft  unferer  mittelalterlichen  fc!t)os 
laftifdjen  Vergangenheit,  beffen  formaliftifdje  llnfrud)tbarfeit  jeben  3utt9er 
abfct)recfen  muß.  Erträglich  wirb  fie  nur,  wenn  ihr  9tome  baju  benufot 
wirb,  um  entmeber,  roie  bei  &egel,  Cutologie  unb  9)ietap^pfif,  ober,  roie 
in  neuerer  3ctt  wicht  feiten  oorfonimt,  ©rfenntnifjtljeorie  unb  ÜKethobologie 
5U  treiben;  bann  fpll  man  aber  bie  irreleitenbe  überfommene  33e$eidmung 
auch  enblich  wegwerfen,  welche  bodt)  immer  roieber  ba$u  oerführt,  ber  £ehre 
oon  ben  Kategorien,  UrtheilSs  unb  (Sdjlufjformen  einen  ganj  unoerfinltnifc 
mäßigen  2öertb  beizulegen,  um  fid;  auf  it)rer  bürren  &aibe  in  ennübenber 
SBeitfdjmeifigr'eit  31t  ergchen. 

Sie  ^fndjologic,  roie  fie  bisher  behanbelt  ift,  fteHt  fid)  tbeils  als 
eine  Äette  oon  Trivialitäten  bar,  tf)ei(S,  namentlich  in  ber  ^crbart'fchen 
(Schule,  als  ein  ©ewebe  auSgeflügelter  Spifefinbigfeiten  aus  oöüig  will* 
fürlichen  unb  unfruchtbaren  ©efichtspunften.  ©inen  mehr  wiffenfdjaftlichen 
Gfjarafter  ha&en  bie  neueren  6tubien  über  bie  pf)t)notogifd)en  ©runblagen 
ber  pfpehologifchen  ^roceffe,  roelche  in  ber  Siegel  als  phufiologifche  ^Sfndt)os 
logie  beseichnet  werben;  biefe  bilben  eine  feljr  roerthoolle  unb  in  oieler 
^inficht  unentbehrliche  &ülfSwiffenfd)aft  ber  <Pf«d)ologie,  ftetjen  aber  eben 
barum  an  unb  für  fid)  noch  außerhalb  ber  ^hilofophie.  $ie  roirflich 
roerthootten  pfod)ologifchen  Äenntniffe  unferer  Seit  finbet  man  jerftreut  in 


*)  lieber  ben  nad)tf)eiligen  (?üxffu&  ber  StaatSDrüfungen  auf  baS  <3tubtum  ber 
5J3f)ilofoD&ie  OflI.  meine  „Mobernen  Probleme".  2.  3(ufl.  ßeip^ifl  1888,  Wr.  IX. 


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52 


€bnar&  von  Fjartmantt  in  Serlin. 


Soolo^xe,  Biologie,  spfnd&iarrie,  Sehre  vom  Somnambulismus,  urgefci)id)t* 
lieber  2tnt^ropotogte/  (Senologie,  dulturgefchtchte,  t>ergleid)enber  Rechts* 
unb  ©pradjnnffenfchaft,  (Srfenntni&theorie,  GtJ)if,  2lefthetif,  SHeligionS* 
ptn'lofophie  unb  SNetapfmfif.  @S  fann  nur  oberflächlich  matten,  roenn  oon 
allebem  ein  wenig  Schaum  abgefcfjöpft,  jufammengerührt  unb  ;bem  Heuling 
unter  bem  Site!  „^pfndjologie"  bargeboten  nrirb. 

Schlimmer  aber  noch  als  mit  £ogif  unb  ^fodfjologie  fteht  eS  mit 
bem  britten  ©egenfianbe,  mit  ber  allgemeinen  Ueberficht  über  bie  ©efd&idjte  ber 
^P^ilofopljte,  welche  in  bem  legten  3Wenfd)enalter  mehr  unb  mehr  bie  beiben 
anberen  oerbrängt  unb  jutn  eigentlichen  £auptgegenftanb  bes  $f)ilo|'optne= 
ftubiums  an  oielen  Umoerfitäten  geworben  ift.  2£ef)e  bem  SBeiSheitsburftigen, 
ber,  um  ju  erfahren,  waS  bie  Söelt  unter  SP£)i(ofop^ie  »erfte^t,  nach  einem 
„©runbrifc  ber  ©efchid)te  ber  W lof opbie"  greift  unb  au*  ihm  bie 
£uinteffen$  ber  2ÖeU^eit  aller  bisherigen  ©efdf)lechter  fich  anjueignen  fudt)t! 
(§S  wirb  ihm  5U  3)iutl;e  fein,  wie  einem  Ausgehungerten,  ber  naaj  einem 
orbentlidfjen  Stücf  9iinbsbraten  Serlangen  trägt  unb  ein  3)Uniaturbüd)ödjen 
00H  Siebigfdfjen  ^leifd^er^racteS  oorgefefct  befommt;  ober  wie  einem  flranfen, 
ber  Teilung  fuchenb  in  eine  2lpotl)efe  tritt  unb  fid;  mit  bem  Slnblicf  ber 
Sluffdjriften  all  ber  oerfchloffenen  Schübe,  fläftchen,  23üd&fen  unb  ©läfer 
begnügen  foll/  ju  beren  ^nh^t  i^m  ber  Scf)lüffel  fehlt.  $e  fürjer  gefaßt 
ber  ©runbrifc  ober  Seitfaben  ift,  befto  unfmniger  unb  oerrüdter  müffen  ifmi 
bie  aufgewallten  Spijjcn  ber  oerfchtebenen  (Sebanfenfnfteme  oorfommen, 
beren  breiterer  Unterbau  ihm  oerborgen  bleibt;  je  ausführlicher  bagegen 
bie  Xarftetlung  ift,  befto  eher  wirb  ihm  fyex  unb  ba  eine  2lfmung  baoon 
aufgehen,  bafj  hinter  all  ben  paraboren  SKefultatcn  boef}  wohl  philofopbtfdjeS 
Senfen  fteefen  fönne,  wenn  er  es  aud)  niäjt  begreifen  fann,  wie  bie  £eute 
auf  foldje  fonberbare  ©ebanfenwege  gerieten.  2S*enn  er  aber  mit  ber 
Seetüre  felbft  eines  mehrbänbigen  ©iunbriffeS  ju  (£nbe  gelaugt  ift,  fo 
wirb  ihm  oon  aHebem  fo  bumm,  als  ging'  ihm  ein  9Jcüf)lrab  im  flopfe 
herum;  er  erftidt  fötmlid)  unter  ber  SJkffe  ber  oerfchiebenartigen  $enf* 
ergebniffe,  oon  benen  er  feines  contreliren  unb  mit  innerem  SSerftänbnifc 
reprobuciren  fann. 

gragt  er  fidj,  was  er  für  fein  philofophifdjeS  33cbürfnif?  gewonnen 
hat,  fo  ift  baS  birecte  9iefultat  fo  gut  wie  9iid)tS;  inbirect  aber  ift  baS 
negatioe,  bafj  er  auf  eine  lange  oerlorene  3eit  unD  3)iüt)e  jurüdblidt,  bafc 
er  fich  ben  Äopf  mit  unoerbautem  unb  unoerbaulidhem  Saflaft  ooHgepropft 
unb  oenoirrt  hat  unb  fetjr  häufig  oon  feiner  Neigung  für  ^btlofopln'e 
grünblich  geheilt  ift.  9)cujj  er  eine  Prüfung  in  bem  ©egenftanbe  ablegen, 
fo  geht  er  nun  an's  tSinpaufen,  b.  h-  an  baS  med&anifdje  9luSioenbiglemen 
unoerftanbener  Antworten  auf  beftimmte  ^rüfungSfragen ;  bie  golge  für'S 
Seben  ift  bann,  bafj  er  fid)  entroeber  mit  bem  überftanbenen  philofophifchen 
etubium  brüftet,  ohne  eine  2Ifmunfl  uon  philofophifchem  Kenten  ju  haben, 
ober  baß  er  aus  feiner  Nichtachtung  unb  feinem  2lbfdheu  gegen  ben  „Unfinn 


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 ■   U?ie  flubirt  man  am  heften  ptjtlof opt(ie ?    53 

ber  Spin'lofoplu'e"  fein  mad)t.  Studj  bie  beften  ©runbriffe  ber  ©es 
fdjidjte  ber  ^pf)Uofopf>ie  fönnen  an  biefem  ßrgebnifj  nichts  änbern;  fie 
werben  fo  wenig  jemals  ben  ©efdjmact  an  ber  $f)Uofopfne  förbem,  wie 
ein  fieitfaben  ber  2öeltgefd)id)te  ben  ©efdmiacf  an  f)iftorifd;en  Stubien. 
So  unentbeljrlid)  jufammenfaffenbe  Seitfäben  als  SBegroeifer  in  biblio* 
grapf)tfd)er  unb  anberer  ^infic^t  ftnb,  fo  roerfyooU  fie  für  bie  3ßieber« 
Rötung  einer  ausfülltet)  Durchgearbeiteten  ©efdjid)t3periobe  finb,  fo  unge« 
eignet  ftnb  fie  jur  felbftftänbtgen  Seetüre.  Xabet  r)at  ber  troefene 
©efdjidjtslettfaben  nod)  ben  33ortf>eil,  bafe  er  Xl)atfad)en  beridjtet,  bie, 
wenn  auef)  in  intern  praamatifdjen  3ufammenf)ange  unoerftänblid),  bodj  in 
tfnrer  naeften  £^tfäcf)li<$fett  bem  SCerftänbni§  feine  Scfnoierigfeit  bereiten, 
roäf)renb  ber  ebenfo  troefene  ©runbrifc  ber  ©efdfjiäjte  ber  ^pf)iIofop^te  t^at» 
fäcbltdje  9)iittf)eüungen  5ufammenretf)t,  bie  fo  lange  unoerftänblid)  bleiben 
unb  großenteils  ben  Äöpfen  SBerrücfter  entfproffen  f feinen,  als  fie  wie 
grüßte  unbefannter  fterfunft  oon  ben  ©ebanfenbaumen  abgelöft  finb,  auf 
benen  fie  einft  würfen. 

9ton  giebt  es  aber  feine  $f)üofopf)ie,  bie  nidjt  ber  ®efd)id)te  ange* 
Ijörte;  wenn  man  alfo  $pf)üofopf)ie  fennen  lernen  will,  fo  ift  baS  in  ber 
£f>at  gar  ntd)t  anberS  möglich,  als  baburdj,  baß  man  in  irgenb  melier 
SBeife  ©efdndjte  ber  $f)ilofop^ie  treibt.  £er  geiler  ber  heute  üblichften 
Einführung  in  bie  ^^ilofop^ie  liegt  al)*o  nicht  battn,  bafc  man  mit  ber 
©efcfjidjte  ber  $f)ilofopf)ie  anfängt,  fonbern  nur  barin,  baß  man  mit  einer 
oberflächlichen  gebrangten  Ueberfidjt  beS  ganzen  ©ntroicfelungSgangeS 
beginnt,  anftatt  junädjft  einen  £l)eil  berfelben  bem  grünbli aperen  33er* 
ftänbnijj  näher  ju  rüden.  <5S  fommt  nod)  rjinju,  bajj  unter  ber  Bezeichnung 
,,©efcf)id)te  ber  $f)ilofopf)te"  in  ben  ©runbrijfen  unb  Seitfaben  meiftens 
nur  ober  bod)  oorjugSroeife  @efa)id)te  ber  2Ketapf)nfif  behanbelt  wirb,  unb 
baß  bie  SKetaphnftf  eines  jeben  ©wftems  in  ber  Siegel  nur  ju  oerfter)en 
ift  im  3ufammen^ange  unb  in  ber  2ßed)fetnrirfung  mit  beffen  ©rfemttniß* 
tfjeorie,  9?aturphilofophte,  et^if,  9leftf)etif  unb  fteligionSp&ilofopfjie.  2ßenn 
man  alfo  unter  bem  Eitel  einer  allgemeinen  ©efdndjte  ber  $hilofopI)ie  in 
ben  ©runbriffen  berfelben  in  ber  ßauptfadje  boch  nur  bie  ©efchtchte  einer, 
unb  aroar  ber  roid)tigften  wenn  auch  fd)rcer  oerftänblichften  Special* 
bisriplin  erhält,  fo  fann  man  audj  gleich  mit  ber  ©efcf)id)te  einer 
anberen  leichter  oerftänblid)en  SpecialbiSciplin  3.  8.  ber  Rechts* 
pfnlofophie,  (St^if,  ober  2lefthetif  beginnen.  tiefes  Verfahren  M  ofnte 
^weifet  große  SBorjüge,  unb  eS  ift  3uriften,  Geologen,  Äunftl)iftorifem, 
Äunftfritifern  ober  Äünftlem,  toelcfje  nur  ben  il)rem  gadje  benachbarten 
3n>eig  ber  $f)ilofopf)ie  als  £ülfsroiifenfchaft  fennen  lernen  wollen,  aber 
fein  allgemeines  unb  tieferes  philofophifches  ^ntereffe  ^aben,  nur  5U 
empfehlen.  GS  roirb  baburdj  eine  in  ihrer  9lrt  jiemücr)  grünbliche,  wenn 
auet)  einfeitige  pfjilofopfnfaje  Schulung  erjielt,  unb  ed  ift  entfdn'eben  rat^= 
famer,  fiel)  unter  2>er$iä)t  auf  TOctapr>i;fif  mit  einer  foldjen  Special 


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5$    <£i>uari>  von  JjartmantTin  Berlin.  

biSciplin  begnügen,  als  fyinterljer  nodj  bie  allgemeine  ©efdjidjte  ber 
^fulofopbie  oberfläd&lidj  burcbeilen  unb  bann  mit  einer  bodj  nid>t  oor= 
banbenen  SBübung  in  tyftematifcber  9tyi(ofopf)ie  prunfen. 

2Ber  aber  auf  bem  2£ege  ber  ©efdn'cbte  ber  SpecialbiSciplinen 
^bilofopbie  ftubiren  wollte,  ber  bürfte  fid)  nid)t  mit  einer  ober  jmei 
folgen  XiSciplinen  begnügen,  fonbern  müfete  minbeftenS  alle  mistigeren 
berfelben  burd)arbeiten,  um  bann  fdjliejjlid)  bod)  §ur  ©efd)id)te  ber  sJ)?eta- 
pbnftf  als  ber  .tftönung  beS  ©ebäubeS  jurüdsufebren.    Seben  mir  nun 
bauon  ab,  baf?  mir  bie  jefct  nodj  feine  ju  foldjem  3"Jede  geeignete  2öerfe 
über  ©efd)id)te  ber  Gtfenntnifjtbeorie  unb  ber  9taturpbilofopbie  befifcen,  fo 
mürbe  bod)  bie  Aufarbeitung  aller  $iSciplinen  ber  P;ilofopbie,  meldte 
einerseits  baS  ^erftänbnife  in  manajer  &infid)t  erleid)tert,  eS  audj  roieber 
in  anberer  £>inftd)t  erfahrneren.   Denn  saljlreidje  Sßieberbolungen  finb  bei 
folgern  ^erfatyren  unuermciblid),  unb  nirgenbs  mirb  ein  jufammenbängenbeS 
Söilb  eines  einbeitlidjen  pbilofopljifdjen  ©uftems  gewonnen,  es  fei  benn, 
bajj  ber  £efer  fid;  fdjliefelid)  fclbft  ein  foldjeS  aus  ben  fämmtlidjen  erhielten 
Ginjelrefultaten  jufammenfefot.   ^batfädjlia)  geboren  aber  bie  allermeiften 
gefd)id)tüd)en  Stufen  in  ber  Gntroidelung  bev  (SpecialbiSciplinen  als 
organifd)e  ©lieber  einbeitlidjen  pbilofopbifdjen  Sflftemen  an  unb  finb  nur 
aus  beren  3ufß""lieubang  geroaltfam  loSgeriffen.  @S  mufj  beSbalb  fd)liefjlidj 
bod)  rationeller  febeinen,  biefe  ft)ftematifd)en  @im)eiten  ungeftört  ju  laffen, 
b.  f).  bie  ©efd)id)te  ber  ^ß^ttofo^te  fo  ju  bel>anbeln,  bafj  bie  2Öeltan= 
fdjauung  eines  jeben  AenferS  im  3ufammem)ange  ^rer  ©lieber  bargeftellt 
unb  aufgefaßt  mirb.    9?edjnet  man,  bafj  für  bie  ©efd)icbte  einer  jeben 
(SpecialbiSciplin  bei  einer  grünblidjcn  23el)anblung  ein  bis  brei  3tänbe 
erforberlidj  finb,  fo  ergiebt  fid)  obnebin  eine  fo  grofee  3aW  ü0n  Sänben, 
baß  in  biefem  Umfange  aud)  ebenfo  gut  eine  sufammenfjängenbe  allgemeine 
©efdndjte  ber  ^Ijilofopbie  möglid)  ift. 

Gin  einziges  &>erf,  baS  in  biefem  ©inne  bie  allgemeine  ©efdndjte  ber 
5p^ilofop^ie  burdjfülnte,  eyiftirt  bis  jefot  nta^t;  bie  jroölfbänbtge  ©efdjicbte 
ber  ^bilofopbie  beS  £djlciermadjerianerS  ^einrieb  Sütter  reicht  nur  bis 
flant  unb  ift  für  bie  alte  $l;ilofopl)ie  burd)  StUtv,  für  bie  neuere  burd& 
3.  G.  erbmann  unb  fluno  ftifdjcr  überholt.  GrbmannS  ©efdjtdjte  ber 
neueren  Spbilofopbie,  bie  im  ^aljre  1853  abgefdjloffen  ift,  f)at  leiber  feine 
jroeite  Auflage  erlebt;  nur  aus  ben  neueren  Auflagen  beS  ©rbmannfeben 
„©runbriffes"  fann  man  uermutben,  mie  febr  ber  SBerfaffer  bei  einer  neuen 
Bearbeitung  feines  größeren  SerfeS  ben  sJlnfprüdjen  ber  ©egenmart  SHedmung 
getragen  l;aben  mürbe.  gifdjerS  ©efd;id)te  ber  neueren  Pjilofopbte  ift 
nod)  unoolienbet  unb  reid)t  bis  jefet  nur  bis  $u  ber  UebergangSpertobe 
von  Stellings  ^beutitätSpljilofopbie  ju  feiner  pofttioen  ißjilofopjie,  lä§t 
alfo  biefe  lefctgeuamtte  ebenfo  mie  ^egel,  <Sä)openbauer  unb  bie  fämmtlio^en 
übrigen  $bilofopl;en  beS  19.  3o^^uubertS  noeb  uuerörtert.  9lu&erbem 
bat  fie  einen  ©rganjungSbanb  über  Bacon,  beffen  englifd^e  9tad)folger  nur 


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  Wie  ftubirt  mau  am  beften  pfjiiof opt?ic?    55 

<mhangSweife  ganj  fur$  behanbelt  finb.  gür  baS  Mittelalter  ift  ber 
Stubirenbe  noch  tjeute  in  bcr  ftauptfacbe  auf  Zitters  ©efd)id)te  33b.  V". 
bis  VIII.  angeratenen,  obwohl  biefelben  ben  heutigen  2lnfprücben  nicht  in 
jeber  £mftä)t  genügen  Fönnen.  (Sine  Neubearbeitung  ber  ©efchichte  ber 
^p^Uofop^tc  bes  Mittelalters  wäre  baher  jebenfalls  ein  jeitgemä&eS  unb 
»erbienftliehcs  Unternehmen. 

SSenn  nun  ein  s$hi(ofophiebefliffener  ben  5Jhitfi  hat,  fid)  burch  fünf 
23änbe  geller,  oier  23änbe  Nitter,  lieben  Väube  gifcher  unb  bie  nötigen 
monograpf)ifchen  Grgäujungen  für  bie  neuefte  3eit  hindurchzuarbeiten,  fo 
fragt  fidj  weiter,  ob  er  wol)t  rtmt,  bei  ber  Seetüre  bie  ct)rouologifche 
Reihenfolge  inne  zu  galten,  ober  ob  er  eine  anbere  wählen  foff.  Ohne 
3wei[el  r;abcit  bie  älteren  Stufen  ben  Vorzug  einer  gerotffen  ^infac^tjeit, 
unb  ihre  tontntß  erleichtert  baS  VerftänbutB  ber  nacbfolgenben  Stufen, 
welche  fich  auf  fie  ftüfcen.  2tubercrfeits  ift  baS  Vcrftänbnife  um  fo  leidster 
je  entroicteltcr  bie  gönnen  unb  ©lieber  eines  SnftemS  finb,  unb  je  naher 
fie  ,ber  uns  oertrauten  Gulturatmofphäre  ftehen.  $aS  fcheinbar  Ginfache 
ber  primitioeren  GutmicfelungSitufen  ift  oft  nur  eine  feimartige  Verhüllung 
ber  nod)  latenten  Mannigfaltigfeit,  welche  in  fpäteren  GntroicfelungSftufen 
heraustritt;  bie  embrnonifche  ^nbifferenj  aber  ift  uiet  fehlerer  3U  oer* 
ftehen  als  ber  entwicfelte  unb  ausgereifte  ÖebanfenorganiSmuS,  unb  baS 
SBerftänbniB  beS  erfteren  pflegt  nur  in  bem  Mafce  fich  ju  erfct)lie§en ,  als 
man  bie  ßenntnifj  beS  (enteren  fdwn  mitbringt  unb  als  Schlüffel  benufet. 
$aS  ooHe  Verftänbnift  für  bie  früheren  Stufen  erfchliefjt  fid)  beShalb 
niemals  bem  2lnfänger  bei  bcr  erften  Vefanntfchaft,  fonbern  erft  bei  einer 
Zweiten  Seetüre  bemjenigen,  ber  ben  ganzen  GntwiefelungSgang  bis  51t  Gnbe 
oerfolgt  hat;  bie  ^umuthung  einer  zweimaligen  Seetüre  fo  oieler  Vänbe 
wäre  aber  offenbar  zu  hoch  gefpannt.  flann  man  mit  Sicherheit  barauf 
rechnen,  ba§  bie  2lusbaucr  beS  Semenbcn  nicht  oor  Veenbigung  ber  ganzen 
Aufgabe  erfchöpft  ift,  fo  wirb  man  hoffen  Dürfen,  bajj  bic  Grnte,  welche 
aus  ben  zuerft  gelefenen  ^erioben  in  bie  üßorrathsfammer  beS  ©ebäd)tniffeS 
eingebracht  ift,  unter  bem  Gmfluffe  ber  Seetüre  ber  übrigen  ^erioben  noch 
in  aller  Stille  nachreift,  unb  3 war  gle.idjoiel  womit  man  begonnen  l)at. 
Unter  biefer  VorauSfefcung  wirb  man  zugeben  fönnen,  bafe  eS  ziemlich 
gleichgültig  ift,  mit  weldjer  ^eriobe  man  beginnt,  unb  welche  man  &ulefet 
oorntmmt;  bie  Vortheile  unb  Nachtheile  ber  fed>S  möglichen  Reihenfolgen 
unter  ben  brei  &auptper loben  bürften  fid)  ungefähr  ausgleichen,  wenn 
burch  unbewußte  ober  bewu&te  Öebanfcnoerarbeitung  baS  früher  ©elefene 
burch  baS  fpäter  Öelefene  bie  nöthige  Nachreife  beS  VerftänbniffeS  empfängt. 

9lnberS  liegt  bie  Sache,  wenn  man  auf  eine  folche  SluSbauer  im 
Stubium  nicht  mit  Sicherheit  rechnen  fann  unb  man  baran  benfen  mufj, 
auch  beim  Slbbredjen  bcr  Seftüre  nach  ciuer  °Der  5roei  &auptperioben  für 
ben  Semenben  ben  h&chftmöglid)en  ©eroinn  aus  ber  aufgewanbten  3^ 
unb  3lrbeit  5U  §iehen.   £>ann  ift  bic  Sachlage  ähnlich,  wie  wenn  ber 


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56 


CEbnarb  von  fjartmanit  in  Berlin. 


Sernenbe  von  oornherein  erflärt,  aus  äufeeren  ©rünben  auf  ein  fo  aus* 
gebef)nte3  Stubium  oersichten  511  muffen,  ober  bereit  ift,  eine  geringer  be* 
meffene  Aufgabe  ju  berechtigen ,  toenn  er  baburä)  einen  entfprecr)enben 
©eroinn  für  feine  allgemeine  pt)Uofophifcr)e  SUbung  erzielen  fann.  Stellt 
man  alfo  bie  grage  baejin,  welche  ber  brei  ^erioben  für  fid)  allein  ge* 
nommen  bie  bilbenbfte  fei,  fo  mürbe  ict)  fein  33ebenfen  tragen  ju  behaupten, 
bafj  bie  ©eferjichte  ber  neueren  ^^ilofop^ie  einen  mehr  al3  boppelt  \o 
hohen  33ilbung3roerth  befifce,  a(S  biejenige  be3  3lltertl;um«  unb  Mittel* 
altera  jufammengenommen. 

2)a3  2Utertf)um  ftet>t  uns  nid)t  nur  seitlich,  fonbern  aud)  fulturgefchichtlidj 
am  femften;  unb  ioa3  uns  mit  it)m  oerbinbet,  ift  einerfeits  bie  Äunft  ein* 
fchliefelicr)  ber  frönen  Siteratur  unb  anbererfeits  bie  begriffe  besS  SRedn** 
unb  Staatslebens,  aber  nicht  bie  ©runbgebanfen  ber  $^ilofopt)ie  unb  am 
allerroenigften  bie  ber  Metaplmfif,  bie  erft  an  ber  ©ren&e  beS  UebergangeS 
in'S  d)riftlia;e  Mittelalter  unb  in  SBe^felmirfung  mit  bemfelben  uns  »er* 
roanbte  Saiten  anfragen.  SBon  bem  SUtertfmm  ferjeibet  un£  eine  ge* 
fcbicbtlidjer  öruet)  unb  eine  culturgefchid)tliche  flluft,  mährenb  mir  bem 
Mittelalter  burd)  eine  gerichtliche  Stetigfett  ber  ©ntioidetung  oerbunben 
ftnb.  3n  ber  mittelalterlichen  ^^ilofopbie  fmben  mir  biejenigen  ©runb* 
anfajauungen  erörtert,  meldte  mir  t>on  tfinbeSbeinen  an  burd)  bie  meta* 
phofifche  unb  religiöfe  3ttmofpf)äre  unferer  Seit  t)alb  unbewußt  eingefogen 
haben,  unb  meiere  burd)  bie  breifadje  Slutorität  ber  gamilte,  Sd)ule  unb 
£irct)e  fanetionirt  finb;  in  ben  griedjifchen  unb  römifdjen  $l)ilofopl}en  bagegen 
begegnet  felbft  bemjenigen  eine  oöllig  frembartige  ©ebanfenmelt,  meiner  auf 
bem  ©omnafium  mit  ben  alten  $id)tern,  ^iebnern  unb  ©efd^ic^tfd)reibern 
oertraut  geworben  ift.  2Benn  nun  felbft  baS  Stubium  ber  mittelalterlichen 
^l)ilofopf)ie  für  nd)  allein  nicht  ben  Slnfprucr)  erheben  fann,  eine  einiger* 
maßen  auSreidjenbe  pI;itofopf>ifdt>e  Silbung  $u  oermitteln,  fo  fann  ba$* 
jenige  ber  alten  ^^ilofopljie  es  nod)  weit  weniger. 

3n  ber  mittelalterlichen ^Intofopljie  bie  philofophifche$ilbungfu<henfara^ 
nur  ber  ftatljoliäämuS,  welcher  als  ber  in  bie  9<eu$eit  herüber  conferoirte' 
JWeft  bes  Mittelalters  §u  betrachten  ift;  in  ber  alten  Pjilofophie  fie  fudjenl 
wollen,  fann  nur  eine  bem  l'eben  entfrembete  unb  oor  ber  ©egenwart  bie ' 
3lugen  oerfdjliefeenbe  Philologie.   $on  einer  Ueberfd)äfeung  ber  mittel* 
alterlidjen  5ß^i(ofop^ie  ift  man  in  proteftantifchen  Greifen  fo  fern,  ba&  oiel« 
mel;r  eine  ungerechte  Unterfd)äfcung  unb  ungebührliche  33ernad)läffigung  ber- 
felben  3U  beflagen  ift.   Sie  Ucberfdjäfeung  ber  alten  Sß^itofop^ie  ift  ba^ 
gegen  an  unferen  Unioerfitätcn  noch  immer  an  ber  £ageSorbnung,  weil 
gerabe  in  bereit  phUofophiWeit  gacultäten  noch  immer  bie  Spi)i(oCogte  eine 
mafegebenbe  ©teile  l)at  unb  weil  unfere  prüfungSorbnung  gerabe  bie 
Philologen  am  meiften  3ur  $efd)äftigung  mit  Philosophie  hinbränßt.  gür 
einen  flaffifchen  phi^^gen  liegt  eS  ja  fel;r  nahe,  wenn  er  nebenbei  aud) 
pinfofopln'e  treiben  will  ober  muß,  fid;  oor  allen  anberen  mit  ben  griea)iia> 


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t 


  Wie  ftn&irt  man  am  bcjlen  ptjtlofopfjie?    5? 

römifchen  $f)ilofophen  ju  befdjäftigen,  weit  er  babei  in  [einem  Berufe 
ihatig  bleibt  unb  einen  boppelten,  nämlich  phUofogtfdjen  unb  philofophifchen 
©eminn,  einjufjeimfen  hoffen  barf.  EiefeS  t^atfäd^Ud^e  Uebergewicht  bes 
StubiumS  ber  alten  $l)Uo|op§ie  an  unieren  Unioerfitäten  hat  bann  aber 
inbirect  wieber  baju  beigetragen,  ben  SchäfcungSma&ftab  für  beffen  philo* 
fop^if<^en  SBilbungSmertf)  jn  oerrüefen  unb  in  neu  ßinjutretenben  ben 
©tauben  ju  erwecten,  als  ob  baSjenige,  was  am  meifteu  getrieben  wirb, 
aud)  wohl  baS  empfehlenswerthefte  fein  müjfe. 

Gin  £iebhaber  ber  2Beiät)eit  am  Ausgange  beS  römifchen  9Jeid)S,  ber 
bamals  fdjon  ben  3nhalt  oon  Kellers  „^itofoptjie  ber  ©rieben"  fid)  an* 
geeignet  hätte,  hätte  felbft  für  feine  Seit  nicht  auf  ber  £öl)e  ber  philo* 
fophifdjen  Silbung  geftanben,  wenn  er  nicht  auch  bie  fiehre  ber  d)riftlid)en 
Äird)enoäter  ftubirt  hätte,  alfo  baSjenige,  was  wir  jefct  als  erften  Slbfcljnitt 
ber  mittelalterlichen  ^ßtjibfop^ie  ju  bejeidmen  pflegen.  60  feto*  bilben 
fdjon  in  bem  erften  falben  Qahrtaufenb  nad)  @f)rifti  ©eburt  bie  atte  unb 
mittelalterliche  ^Uofopf)ie  jwet  Seiten  ber  pr)tlofopt)ifc^en  Speculation, 
bie  einanber  abflogen  unb  bod)  jur  ©rgänjung  f orbern.  $ie  alte  fyfyüo: 
fophie  ftarb  baran,  bafj  ihr  bie  Talente  fehlten,  um  bie  iübiid)=ä)rifüiä)e 
Speculation  in  fidj  aufzunehmen  unb  ju  oerarbeiten;  bie  mittelalterliche 
ip^itofopljie  aber  fonnte  an  ir)re  Stelle  treten,  weil  ihre  Präger  bie 
fpeculatioe  ßraft  befejfen  r)atten,  bie  wefentlicbften  Momente  ber  alten 
$fn'lofopf)ie  in  fid)  ^eräberjujierjeu  unb  fid)  anjueignen.  So  ift  bie  mittel» 
alterlic^e  $|Uofop^ie  in  geioiffem  Sinne  ein  Theres  als  bie  antife  unb 
fpiegelt  biefe  in  fid)  wiber,  währenb  man  baS  Umgefehrtc  nicht  fagen  fann. 
2ßer  bie  mittelalterliche  ^h^ofophie  ftubirt,  erhalt  zugleich  einen,  ailerbtngS 
fehr  getrübten,  Siefler  ber  antifen  mit,  aber  nicht  umgefehrt.  2Ber  beibe 
ftubirt,  gewinnt  bamit  jroei  einanber  ergänjenbe  äöeltanfchauungen  oon 
ungleichem  Gerthe,  aber  ohne  jeben  gingerjeig  $u  einer  anberroeitigen 
Snnthefe  als  berjenigen,  welche  bie  Sßhilofophie  beS  Mittelalters  bereits 
oerfucht  unb  auf  ihre  sBeife  burdhgefüljrt  hatte. 

£ie  höhere  Snnthefe  beiber  Seiten,  welche  bie  ©efdn'chte  geliefert  hat, 
ift  eben  erft  in  ber  brüten  ßauptperiobe  finben,  b.  h-  in  ber  ©efchühte 
ber  neueren  «pr)itofopr)ie.  SMefe  enthält  bie  beiben  oorhergehenben  als  auf» 
gehobene  Momente  in  fid)  unb  ift  beShalb  im  Staube,  eine  geroiffe  33e* 
fanntfd)aft  mit  benfelben  burch  ben  oon  ihnen  geworfenen  9iefle£  §u  oer* 
mittein.  Dabei  ift  aber  bie  neuere  Pjilofophie  nur  baburch  fähig,  Snnthefe 
ber  antifen  unb  mittelalterlichen  ju  fein,  bafe  fie  jugleid)  §u  einem  eigen» 
artigen  höheren  Stanbpunft  fortfehreitet.  2BaS  oon  biefem  höheren  Staub« 
punft  aus,  ber  allein  ber  mobemen  (Sulturatmofpfjäre  entfpridjt,  ber 
haltung  unb  SBerwenbung  werth  erfdjeint,  baS  conferoirt  fie  oon  ben  ©es 
banfenfeimen  ber  alten  unb  mittelalterlichen  Sß^tlofop^te ;  was  fid)  nicht 
in  ben  Xienft  biefer  r)ör)eren  Söeltanfchauung  fteUen  läfjt,  baS  läfet  fie 
fallen.  3n  tiefer  2luSlefe  ber  ©ebanfen  unb  Aneignung  ber  bejianbfähigen 


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58 


<£iutari>  von  Rartmann  in  i?crliu. 


DOÜ^ie^t  fte  bic jenige  Verbauung  an  bem  ©ebanfenoorratf)  ber  alten  unb 
mtttelalterlidjen  $l}itofopf)ie,  burd)  weld)e  allein  biefe  beiben  5ur  getitigen 
@rnäf)rung  be3  mobernen  9)tenfd)cn  braud;bar  werben  unb  ifnn  in  Jleijcfj 
unb  Slut  übergeben  fönnen. 

©er  auf  biefe  Vorarbeit  ber  ©efdjidjte  uerjidjten  unb  mit  feinen 
eigenen  Mitteln  benfelben  Slffimilationeprocei?  für  fiaj  allein  rornefmten 
will,  ber  gleidjt  einem  Senfdjen,  welcher,  anftatt  oon  dlom  nadj  Berlin 
mit  bem  Courierjug  51t  fahren,  auf  eigenem  iDiaultfjier  querf  elbein  nadb, 
Horben  reitet.  2Ber  aber  bie  gefcfyid&tlicfye  Verarbeitung  ber  alten  unb 
mittelalterli  d)en  *pl)ilofopl)ie  in  ber  neueren  burd)  baä  Stubium  ber  ©e* 
fa)id)te  ber  letztgenannten  »erfolgt  Ijat,  ber  fann  $ur  Dtotf)  baS  birecte  Stubium 
ber  beiben  erften  aud)  entbehren,  unb  bodj  ein  p^Uofop^ifd^  ©ebilbeter 
beiften.  $n  früheren  Sexten  pflegten  fogar,  wie  fo  mandjeS  Vetfpiel  be* 
weift,  bie  grofcen  uub  batmbredjenben  s^t)ilofop^en  red)t  lücfenf)afte  unb 
mangelhafte  ftenntniffe  oon  ber  ©efd)id)te  ber  ^Ijtlofopfn'e  jubefifeen:  wenn 
nun  audj  feit  Stelling  unb  föegel  in  unferem  gefdndjtlid)  benfenben  $afyx: 
Imnbert  bie  genaue  Crientirung  über  bie  Vorgänger  unerläfjlidje  iöebingung 
für  jeben  £ef)rer  unb  (SdjriftfteUer  im  Vereide  ber  $f)ilofoptjte  geworben 
ift,  fo  ift  bod)  für  ben  pl)ilofopl)ifd)en  Dilettanten,  ber  nur  Vefriebigung 
feines  eigenen  $ebfirfmffe3  fudjt,  nad&  wie  cor  bie  lücfenlofe  Vollftänbigs 
feit  feiner  gefdjidjtlidjen  5lenntniffe  feine£weg3  geboten.  2Ber  fidt)  eine 
nähere  ftenntnife  ber  neueren  ^ilofoplne  angeeignet  f)at  unb  mit  wenig 
9Küt)e  biefelbe  5U  oerooHftänbigen  fud)t,  ber  wirb  fogar  burd)  bie  fdjon 
erlangte  Viloung  unb  bie  bereits  aufgefangenen  Meflere  ber  früheren  Venoben 
befähigt  fein,  ol)ne  Sd&aben  einen  fiettfabett  oor$unel)tnen,  etwa  ben  3effers 
fdjen  ©runbrift  für  bie  alte  unb  ben  (Srbmaunfdjen  ober  Ueberwegfdjen  für 
bie  mittelalterlidje  ^tjilofopljie. 

SÖer  bie  ©e|d)id)te  ber  neuen  $f)ilofopbie  in  einem  3uge  burdjarbeiten 
unb  oon  einem  $arfteller  ftdj  oorfül;ren  laffen  will,  ber  wirb  audj  f)eute 
nod)  am  beften  tljun,  fid)  an  Grbmann  §u  galten  unb  nur  für  bie  neuefte 
.Seit  beffen  ©runbrift  $ur  VerooUftänbigung  ber  Ueberfidu"  l)eran$u$ief)en. 
2lber  id)  mufe  geftetyen,  bafe  mir  bie  Grbmannfdje  S>arfteHung,  audj  ganj 
abgefeben  oon  ber  Sftobification  ber  2lnftd)ten  be8  VerfafferS  für  bie 
älteren  Steile  berfelbcn,  bod)  nod)  ntd)t  auSfüfjrlid;  genug  erfdjeint,  um 
in  ben  feineren  inneren  3«fammenl)ang  ber  Snftemc  unb  beren  ßinjetyeiten 
in  folgern  Safee  eimufüfyren,  bafj  nid>t  blofj  ba$  gefd)id)tlid)e  Qntereffe, 
fonbern  aud)  baä  pf)ilofopf)ifd)c  Vebürfnifj  babei  feine  9Iedmung  finbet. 
3d)  meine,  bafj  biefem  3  werte  nur  bann  genügt  werben  fann,  wenn  jebem 
widrigeren  ^l)itofopr)cn  eine  Sonographie  oon  ber  ©tärfe  eine!  eigenen 
23anbe3  gewtbmet  wirb.  Vielem  ?lnfprud)  genügen  bie  erften  Sanbe 
$ifd)er3  unb  fein  Vudj  über  Vacon;  e$  wäre  nur  5U  wünfdjen,  bafe  er 
fid)  entfdjlöffe,  £ode,  .^ume  nnb  Serfelen  einen  eigenen  33anb  &u  wibmen 
unb  naa^  ©pinoja  unb  £eibni$  aud)  bie  Darfteaung  oon  Sßolff,  Seffmg 


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  II? ic  ftnbirt  man  am  bcften  pijilofoptjie?    59 

unb  Berber  anjufchließen,  über  weldje  ber  6tubirenbe  jefct  in  anbcren 
üuellen  Belehrung  fuchen  muß.  9lud^  SHalebranctje  fommt  bei  gifc^er 
nic^t  fo  §ur  ©eltung,  wie  er  e$  oerbient.  SDic  DarfteUung  be3  Seibnij 
ift  ifmi  in  ber  oorfantifchen  ^eriobe  jebenfaH»"  am  beften  geraden. 

9ton  liegt  bie  ©efafn*  nalje,  bafc  berjenige,  melier  in  folä)er  SBeife 
bie  corf antike  ^eriobe  ber  neueren  ^fjttofopdie  burä)gearbettet  fyat,  mit 
feiner  ©ebulb  unb  3^it  am  Gnbe  ift  unb  nia)t  mehr  baju  gelangt,  bie 
©efä)ta)te  ber  neueren  ?ßt)iiofopr)ie  grünblia)  fennen  §u  lernen,  ©in  fold)er 
wirb  bann  ofme  3roeifet  mehr  p(>Üofop()ifa)e  33ilbung  erlangt  ()aben,  als 
roenn  er  bie  gleite  Arbeitszeit  auf  bie  alte  ober  mittelalterliche  ^>f)ilofop^ie 
oerroanbt  hätte;  aber  er  wirb  boä)  immerhin  im  vorigen  ^afjrljunbert 
fteefen  geblieben  fein,  unb  bie  lefcte  unb  r)ödt)fte  @ntroicfelung3phafe  ber 
Sßf)üofopt)ie  wirb  ihm  fremb  geblieben  fein,  roela)e  allein  ben  ßulturftrömungen 
ber  ©egenroart  erfa)öpfenben  pl;i(ofopt)tfdr;en  9üt«brucf  ju  geben  uermag. 
2Ber  ganj  fia)er  ift,  bafj  er  niä)t  auf  falbem  2Öege  abfpringen  wirb,  ber  tf)ut 
ofme  3weifel  befier,  mit  ber  oorfantifa)en  ^eriobe  ber  neueren  ^bilofopljie 
ju  beginnen,  roeldje  bie  23e$ielmngen  jur  alten  unb  mittelalterlichen  s$)is 
lofopl)ie  flarer  enthüllt,  bie  Probleme  in  einfacherer  ©eiialt  ftcllt  unb 
löft,  unb  auf  ba3  ^erftänbni^  ber  fa)roierigen  neueften  ^l)ilofopl;ie  in  ge* 
eignetfter  SSetfe  oorbereitet.  2lber  roer  bie  3^it  unb  2lu$bauer  für  eine 
fo  umfaffenbe  Aufgabe  fict)  niä)t  5ir»eifeÖo^  jutraut,  ber  roirb  boa)  nodj 
einen  roett  größeren  ©eroinn  baoontragen,  wenn  er  fogleid)  an  ba$  Stubium 
ber  neueften  ^htlofophie  herantritt.  Dieter  oberfte  Sttng  beä"  fpiraligen 
©ntroicfelungSgange»*  nimmt  alle  früher  bejubelten  Probleme  auf  Ijö^erer 
Stufe  roieber  auf  unb  giebt  betreiben  tiefere  ßöfungen,  fügt  aber  aua)  eine 
9Henge  neuer  Probleme  ^tnju  unb  führt  mandje  ber  bisher  nur  geftreiften 
epectalbteciplinen  $ur  ooHen  ßntroicfelung.  Diefe  ueuefte  ^l)ilofopl)ie  ift 
alfo  jugleia)  tiefer,  feiner  unb  fnftematifa)  umfaffenber  al$  alle  früheren 
$jfen,  beren  für  bie  ©egenroart  brauchbare  Grgebniffe  fie  in  fia)  aufgebt 
unb  roeiter  verarbeitet. 

Leiber  tritt  babei  nur  bie  Schroierigfeit  ein,  baß  mir  für  ba£  Stubium 
ber  ©efa)ichtc  biefer  neueften  ^>^iIofopt;ie  noch  nia)t  mit  ebenfo  bequemen 
Uterarifa)en  £ülf$mittelu  oerfehen  finb  roie  für  bie  früheren  ^erioben;  e$ 
erflärt  fia;  ba£  barau^,  baß  biefelbe  ber  ©egenroart  noa)  ju  nahe  fleht.  Die 
jroei  legten  Öänbe  be$  <5rbmanuta)en  21'crfed  fönnen  ihrem  Umfange  naa) 
für  ben  hier  in's*  3luge  gefaxten  3>^cf  noa)  weniger  genügen,  roenn  es* 
fia)  um  ba3  Specialftubium  ber  neueften  ^htlofophie  feit  5lant  tjanbelt, 
aU  ba3  gan$e  Üi>erf,  roenn  e3  fia)  um  ba$  Stubium  ber  ge)ammten 
neueren  ^^ilofop^te  hanbelt;  bie  noa)  ruberen  Darftelluugen  aber  fönnen 
hier,  aua;  wenn  fie  nid&t  ueraltet  finb,  erft  recht  nicht  in  2ktraa)t  fommen, 
ba  fie  fia)  fa)on  mehr  ober  weniger  ber  Haltung  eine»  ©nmbriffe3  nahem. 
Das  ftifctjerjtfje  äßetf  bagegen  entfernt  fia)  oon  bem  wünfcheuöwertheii 
3Jlittelmafe  wieberum  naa)  ber  anberu  Seite.   äl>er  $wei  ftarfe  Söänbe 


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60 


Cgbnarb  oon  £}artmann  in  Berlin. 


burdjarbeiten  foH,  um  bic  ßantfdje  ^f)t[ofop^ic  fennen  $u  lernen,  ber  wirb 
es  in  ber  SRegel  oorjiehen,  auf  eine  $)arfteHung  aus  britter  &anb  ju  oer* 
jidjten  unb  gleich  unmittelbar  bie  Jtantfchen  $auptroerfe  oorjunehmen. 
Sei  Stelling  nimmt  bie  biograplnfche  Einleitung  einen  ganj  unoerhältnif?» 
mäfjigen  9toum  ein;  unb  bafür,  bafc  bo<h  bie  lefcte  unb  roiehtigfle  Ent= 
roidelungSphafe  fehlt,  ift  ber  Sanb  oiel  ju  umfangreich-  2lud)  ber  Sanb 
über  Richte,  ben  id>  inhaltlich  für  ben  am  beften  geratenen  fjalte,  ift  felbft 
bann,  wenn  man  bie  Einleitung  über  bie  ßantf$e  Sdjule  in  Abrechnung, 
bringt,  aroet  big  brei  9M  fo  ftarf  ausgefallen,  als  bie  Sebeutung  $i$tt$ 
es  rechtfertigt,  ber  für  bie  SpecialbiScipltnen  am  nienigften  oon  allen 
grojjen  neueren  ^t)ilofopl)en  geleiftet  §at  unb  auch  in  principieHer  &infid)t 
bodj  nur  eine  UebergangSftufe  von  flaut  5U  Stelling  ofme  große  felbft= 
ftänbige  Sebeutung  repräfenttrt.  Sollte  $egel  in  entfpred)enber  SluSführ» 
lid)feit  roie  feine  Vorgänger  bargeftellt  roerben,  fo  mürbe  er  brei  bis  wer 
Sänbe  beanfpruäjcn.  3<h  meine  bagegen,  bafj  ein  Sanb  oon  15  bis 
30  Sogen  für  ttner  Slutor  baS  l;oa^fte  3Kafj  ift,  roeldjeS  eine  Sonographie  nid)t 
überfdjreiten  follte,  alfo  etroa  ber  Umfang,  rote  Um  bie  Slöberfche  2Hono= 
grapse  über  Schopenhauer  unb  bie  Saffonfche  über  EcE^art  beiden;  unb 
ich  roürbe  es  für  bie  geeignetfte  Einführung  in  baS  Stubium  ber  5p^itofop^ie 
galten,  roenn  mir  eine  ®e)a;id)te  ber  ncueften  ^hilofophte  in  folgen  9ftono* 
graplnen  befäfeen.  Solange  eS  an  einer  folgen  fehlt,  mufe  man  ft<h  eben 
mit  ben  oorljanbenen  Mitteln  behelfen  fo  gut  es  geht. 

darüber  barf  man  fich  natürlich  (einer  £aufd)ung  hingeben,  bafc  alle 
EarfteUung  philofophifdjer  Snfieme  au«  britter  £anb  felbft  noch  fein 
phtlofophifcheS  Stubium  im  eigentlichen  Sinne  beS  SBorteS,  fonbern  nur 
bie  Einführung  in  ein  folcbeS  $u  geben  oermag;  bafj  fie  bie  Serfenfung 
in  bie  Driginalroerfe  niemals  erfefeen,  fonbern  nur  oorbereiten  unb  erleichtern 
fann.  2i>er  fich  fo  triel  Seichtigfeit  beS  SerftänbniffeS  unb  ©eroanbtbeit 
beS  £>enfenS  jutraut,  ber  mag  getroft  biefe  Sorfdjjule  überfpringen  unb 
ohne  weiteres  mit  ber  Seetüre  eines  grofjen  $hil°f°Phcn  beginnen;  roer 
joghafter  ift  unb  oorfichtiger,  aber  auch  fixerer  gehen  roiö,  roirb  fich  jener 
Soridmle  fchon  Deshalb  nid)t  entziehen,  um  ftch  9Jtifegriffe  unb  Ent* 
täufchungen  in  ber  £iku)l  fetner  Seetüre  51t  erfparen.  $te  ©efehichte  ber 
Pjtlofoptne  läßt  ben  Sernenben  erfennen,  roelche  Genfer  ihm  roahloerroanbt 
finb  unb  roeldje  nicht;  unb  fdt)on  bies  allein  ift  ein  unfehlbarer  Sortheil, 
ba  es  unmöglich  ift,  in  Setreff  ber  3luSroahl  eines  ein$elnen  einen  für 
alle  Snbtoibualitäten  gleich  paffenben  Dath  ju  geben,  faat  aber  baS 
gefd;id;tltche  Stubium  ben  Erfolg  gehabt,  bafj  ber  Serneube  oon  einem 
Snftem  befonberS  angefprochen  unb  finnpathija)  angezogen  ift,  bann  fann  er 
nta)ts  SefjereS  thun,  als  biejes  Softem  grünblid}  unb  nach  allen  Dichtungen 
burefouarbeiten  unb  an  bemfelben  ebenfo  jehr  feine  congeniale  iHeprobuction 
roie  feine  felbftuanbige  .Üritif  $u  üben. 

E*  ift  roeit  bilbenber  imt>  förbernber,  alle  wichtigeren  Schriften 


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  Wie  ftuöirt  man  am  beften  pt} tlof optjte?    6\ 

eines  ^pfjilofopljen,  100  möglidj  2töeS,  roaS  er  getrieben  §at,  ofme  SRcft 
ju  lefen,  als  oon  mehreren  blojj  je  ein  ßauptmerf;  benn  im  festen 
Stalle  er$ielt  man  bodj  nur  ein  fjalbeS  unb  fragmentarifdjeS  SSMffen  unb 
SBerfteljen,  roäfyrenb  man  im  erften  gafle  nid&t  nur  lernt,  was  ein 
p^UofopI;ifd^ed  ©nftem  fonbern  aud)  toaS  biefeS  befUmmte  Snftem 
bem  pf)ilofopf)ifdjen  SBebürfnifj  ju  leiften  oermag  unb  roaS  ni$t.  $amit 
ift  bann  erft  ber  entfdjeibenbe  $unft  gewonnen,  roo  baS  eigene  Xenfen 
einlegen  unb  in  frudjtbarer  SRiaptung  feine  flraft  erproben  fann,  inbem 
es  oerfudjt,  bie  2lporien  beS  SnftemS  ju  übernrinben,  fei  es  aus  ben 
SSorauSfefoungen  beS  ©nfiemS  felbft,  fei  es  aus  (Srgänjungen  oeSfelben 
oon  anberer  Seite  I)er.  Grft  berjenige  fann  pf)ilofopf)tfd)  gebilbet 
Reiften,  ber  minbeftenS  eine  ^eriobe  ber  ©efdjidjte  ber  <pf)ilofopf)ie  in 
frember  £arfteu"ung  unb  minbeftenS  ein  pbi(oiopf)ifdjeS  Softem  aus  ben 
Criginalroerfen  grünblidj  bis  in  äße  galten  !ennen  gelernt  unb  burd> 
baä)t  fyit.  T<ab  feiner  Ijterbei  fteljen  bleiben  fann,  ber  in  ber  $fnlofopf)ie 
emfttid)  weiter  fommen  miß,  t>erftet)t  fidj  r>on  felbft;  aber  ein  fötaler  ift 
bann  genügenb  oorbereitet,  um  fid>  feinen  2öeg  allein  ju  fudjen,  unb 
bie  allgemeinen  Diatfrfdjläge  über  bie  befte  2lrt  beS  StubiumS  fönnen  fidj 
nur  auf  bie  3eit  bis  jum  3lbfd)lu6  biefer  erften  pl)ilofopl)ifd)en  Söilbung 
bejiefjen. 

2Benn  es  einen  einzigen  beftimmten  ^f)ilofopf)en  gäbe,  ber  aner* 
fannter  2)ia§en  alle  bie  für  bie  2luSroaf)t  in  33etrad)t  fommenben  Sßorjüge 
in  fid)  Bereinigte,  fo  märe  es  sweifellos  ber  rid)tigfte  unb  einfad)fte  2Beg, 
unmittelbar  mit  ber  £ectüre  feiner  fämmtlidjen  $Öerfe  ju  beginnen,  meldte 
bann  aud)  jugleid)  bie  befte  Ginfü^rung  in  bie  ©efd)id)te  ber  neueften 
^f)ilofopt)ie  unb  bamtt  in  bie  ©efd)id)tc  ber  $f)ilofopf)ie  überhaupt  gewähren 
mu§.  3n3befonbere  fo  lange  mir  fein  ben  oben  aufgehellten  Jorberungen 
entfpred)enbeS  SÖerf  über  bie  ©efdjidjte  ber  neueften  $pf)ilofopf)ie  befifeen, 
fonbern  nur  jroifdjen  afljufurjen  unb  ausbreiten  £arftellungen  5U  mahlen 
fjaben,  wäre  biefe  SBerfefcung  in  medias  res  jeber  anberen  SJletlwbe  beS 
StubiumS  r»or$u$ief)en.  316er  gerabe  bie  gegenwärtige  ^f)ilofopf)te  ift  nodj 
alljufe^r  in  ber  ©äf)rung  begriffen,  um  ben  ,3cttgenoffen  ein  umfangreiches, 
juoerläffigeS  unb  unroiberfproa^eneS  Urteil  in  biefer  &infid)t  §u  geftatten; 
unb  fo  lange  bie  Saaje  fo  liegt,  wirb  ein  2Beg,  ber  eine  vorläufige 
9iecognoSirung  unb  Drientirung  ermöglicht,  bodj  tr>or)l  flauerer  jum  Siele 
führen.  @s  war  feine  ungünftige  Seit  für  ben  ©rroerb  ptyilofopfjifdjer 
Söilbung,  als  es  für  felbftoerftänblidj  galt,  bafc  man  mit  .§egel  beginnen 
nrüffe  unb  uon  ifmi  aus  bie  ©efdnc&te  ber  ^fnlofopln'e  rücfroärts  ju  oer- 
ftetjen  fud^en  müffe;  nod)  freute  wunbern  mir  uns  manchmal  über  bie  £eb* 
rjaftigfeü  unb  Sßärme  beS  pljitofo  pljtf  d)en  ^ntereffcS  ber  in  jener  3eit  auf; 
geroadtfenen  ©enerationen,  beren  Siefte  noa)  in  bie  ©egenroart  Ijerüberragen. 

2)er  $bitofopl),  beffen  genauerem  ©tubium  ber  Sernenbe  fid>  roibmen 
miß,  wirb  o^ne  Zweifel  aus  berjenigen  g?eriobe  3U  roäljlen  fein,  mit 


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62 


(Ebuarb  üon  ^artmann  in  Berlin.   


weldjer  er  ftdj  berette  in  einer  $arftellung  aus  britter  £anb  befdjäftigt 
f>at.  Ser  alfo  bie  ganje  ©efd)id)te  ber  ^f)ilofopf)ie  gleidmiäfcig  bur<$« 
gearbeitet  f^at,  bem  ftefjt  bie  2Saf)l  au»  bein  ganzen  ®ebiet  offen;  wer 
nur  ba3  Slltertrjum  unb  bie  neuere  3*it  ftubirt  bat,  ber  foütc  einen  mittel: 
alterlid)en  ^rjilofopben  au3fd)ltetien,  wie  berjenige,  ber  nur  2J?ittelalter  unb 
neuere  &\t  ftubirt  r)at,  einen  antifen.  2$er  fid)  auf  bie  ©efd)idf)te  ber 
neueren  ober  gar  ber  neueften  ^p^ilofop^ie  befdjränft  f)at,  wirb  audf)  in 
feiner  2Baf)l  auf  biefe  befdjränft  fein.  £enn  offenbar  fann  ba3  gefd)id>t= 
tid)e  ©tubium  ba3  Sßerftänbnife  oorbereiten  unb  erteiltem  nur  in  33ejug 
auf  fold)e  ^fjilofop^en,  bie  e»  umfpannt,  nidfjt  in  $e$ug  auf  foldje,  bereu 
©efd)id)t3periobe  eS  fern  geblieben  ift.  2Bie  bebenflidfj  e»  ift,  bie  neuefte 
3eit  ober  gar  bie  ganje  neuere  ^tyüofopljie  oom  gcfdfnajtlidjfen  ©tubium 
auäjufdfoliefcen,  ba»  seigt  fid)  erft  jefct  mit  ooller  £eutlid)feit,  wo  audfj  bie 
2öaf)l  be3  su  ftubirenbeu  ©nftem»  oon  ber  uorrjerigen  2£af)l  ber  *)3eriobe 
abhängig  erfa^eint. 

£>ie  ferneren  nadjfolgenben  ©efid)t*punfte  werben  fogar  bemjenigen 
oon  duften  fein  fönnen,  ber  bie  $orfd)ule  be»  ©efa)id)t»ftubium3  übers 
fpringen  unb  fofort  mit  ber  Seftüre  ber  Criginalwerfe  eine»  beftimmten 
^rjilofopben  beginnen  will. 

Unbebingt  au»gefdjloffen  fmb  für  einen  Anfänger  foldje  $f)ilofopl)en, 
bereu  (Softem  nur  aus  ben  ©ertasten  dritter  ober  aus"  jerftreuten 
fleineren  söruajftüden  ju  conftruiren  finb;  alfo  5.  «Bofrates  unb  bie 
oorfofratifd&en  ^rjilofopf)en.  Ungünftige  Umftänbe  finb  e$,  wenn  Unffar= 
bett  barüber  ^errfdr)t,  weldje  Sdjriften  edjt,  unb  welaje  untcrgefdwben 
finb  (wie  bei  ^lato),  ober  wenn  bie  überlieferten  edjten  Sdjriften  erbeb' 
lidje  Süden  unb  ilmftellungen  jeigen  (wie  bei  9lriftotele»);  aber  biefe 
9tod)tf)etle  fönnen  wenigftenä  burd)  $orjüge  anberer  9lrt  überwogen  werben, 
wäljrenb  ber  gänjlidje  Langel  §ufammenf)ängenber  JCrigiualwerfe  ju  einer 
conjecturirenben  9ieconftruction$arbeit  nötrjigt,  weldje  bie  Gräfte  eines  9ln= 
bängers  weit  überfteigt.  Ungünftig  ift  e»  ferner,  wenn  ber  9lutor  bei 
ber  2lbfaffung  feiner  Sdjriften  nod;  anbere  ald  rein  tl;eoretifd;e  unb  willen* 
fdfjaftlidje  ©efid)t*punfte  balle/  wenn  er  j.  jugleid)  literarifdje  Äunft* 
werfe  $u  fajaffen  beabfidjtigte;  benn  bann  treten  Siüdftdjten  in  ber  Gom- 
pofition  unb  im  ©til  tyxvor,  welche  baä  SBerftänbnifj  oerbunfeln  unb  ben 
3ugang  jum  $nl)alt  erfdjweren.  9llle  pl;ilofoprjiid)cn  iWbanblungen  in 
@efpräd)»form  Oplaton,  23runo,  ©a^elling)  leiben  an  biefem  llebelfianbe, 
aber  aud)  alle  fonftigen  Söcrfe,"  bereu  Olutoren  fid)  in  „fd)öner  Spradje" 
unb  blcnbenben  2lper<,*u»  gefallen  unb  bei  ber  3BatjC  itjrer  9lu»brüde  nia)t 
oollfommen  felbftuerleugnenb,  fcf)lid)t  unb  fadjlidj  oerfafjrcn. 

Ungünftig  für  ba*  Stubium  ift  e»  weiterhin,  wenn  bie  ju  wäblenben 
Sßerfe  nia^t  in  ber  3)iut  ter f pradt)c  be$  Semenben,  fonbern  in  einer 
grembfpradje  oerfafet  finb.  Xenn  wenn  er  bie  frembfpradngen  Originale 
ftubirt,  fo  wirb  feine  2lufmerffamfett  swifdjen  fpracf)lid;er  gorm  unb  faa)^ 


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  Wie  fiubirt  man  am  heften  pl}ilo|"op^tc? 


63 


lid&em  3uf)alt  getfjeilt  unb  f)in  unb  f>er  geriffen,  unb  felbft  wenn  er  bie 
Spraye  gut  befjerrfd)t,  wirb  er  viel  langfamer  oorwärtS  fommen,  melletcf)t 
jroei  bis  oier  2)Jal  fo  oiel  brauchen,  als  wenn  biefelben  Söerfe  in 
[einer  SJcutterfpracrje  getrieben  wären;  wenn  er  aber  eine  Ueberfefeung 
oornimmt,  fo  fyat  er  mit  beren  uncermeiblid)en  Ungenauigfeiten  31t  fämpfen 
unb  ift  niemals  üößig  flauer,  bie  wahre  Meinung  beS  2lutorS  erfaßt  ju 
haben.  2Öer  bennoa)  einen  folgen  ^pljilofophen  wäl)lt,  ber  wirb  iebenfalls 
am  beften  ttjun,  juuäajft  eine  möglidjft  gute  Ueberfefcung  in  einem  3U9^ 
burdjjulefen,  um  einen  ungeftörten  ©ejammtetnbrucf  $u  erhalten,  unb  bann 
bie  unartigeren  Stellen  ober  Stbfdmitte  im  Original  nadjjulefen.  9htr  fefjr 
leiten  wirb  3emanb  eine  tobte  ober  lebenbe  Srembfpradje  ebenfo  gut  oer; 
ftehen  unb  ebenfo  rafdj  unb  geläufig  lefen  wie  feine  ÜDhttterfpradje;  im 
Xurdjfdmitt  werben  unfre  Stubirenben  in  gleidjer  3cit  mit  geringerer  2J?üf)e 
3wei  bis  oier  philojophifaje  Snfteme  in  beutfdjen  Ueberfefeungen  unb  eines 
in  ber  Urfpradje,  in  gleid)er  3e^  fämmtliaje  2£erfe  eines  ^tyilofoptjeii  in 
beutfdjer  lleberfefcung  unb  ein  einzelnes  ^auptwerf  beSfelben  in  ber 
Urfpradje  burajarbeiten. 

GS  fann  fein  S^eifcl  obwalten,  auf  welcher  Seite  ber  größere  philo* 
fopfnfcfje  ©ewinn  für  beu  Anfänger  liegt.  Söenn  bie  UuioerfttütSphilofophie 
btefe  X^atfadje  ignorirt  unb  gegen  bie  £ectüre  oon  Ueberfefeungen  eine 
entfd&iebene  Mißachtung  3ur  Sd)au  trägt,  fo  ift  baS  nidjt  aus  philo* 
ioptjifdjen  ftüdfidjteu  3U  rechtfertigen,  fonbern  nur  aus  pf)ilologiftt)en 
9?ebenrüdndjten,  bie  für  uns  rjier  nicht  in  löetraajt  fommen.  Unuerfennbar 
freiließ  bleibt  ber  Vorteil,  wenn  man  einen  foldjen  ^fjilofophen  jum 
Stubium  wählt,  bei  welchem  bie  Vorzüge  beS  Originals  mit  beneu  einer 
l'ecrüre  in  ber  9ftutterfprad)e  sufammentreffen;  unb  ber  beut fdje  Stubirenbe 
hat  ben  ungeheuren  Vortheil  gegen  alle  anbern  Golfer,  baß  bie  l)b äfften 
(Srgebmffe  beS  bisherigen  (SntioidelungSgangeS  ber  <pl)i(ofophie  gerabe  ihm 
unb  iljm  allein  in  feiner  3ftuttcrfprad)e  oorliegen.   £er  $eutfcf)e  wäre 


aber  fein  richtiger  Xeutfdjer,  wenn  er  nid)t  biefen  Vortheil  mißartete  unb 


mit  Vorliebe  nach  ben  ©rjeugniffen  beS  2luSlanbeS  ober  aud)  einer  fernen 


Vergangenheit  griffe;  unb  biefe  Veifeitefd)iebung  beS  £eimtfd)en  wirb  bura) 
bie  philologifd)e  afabemifche  ^rapis  fanftionirt  unb  unterftüfet. 

2ÜS  ein  ungünftiger  Umftanb  ijt  eS  femer  bei  ber  2i>af)l  eines  5pt;i[ofopt)eri 
in  Vetradjt  ju  stehen,  wenn  berfelbe  feine  befonberen  pt)itofopt)ifcr)en  2lb* 
hanblungen  ©erfaßt,  fonbern  feine  pfjilofoprnfdjen  2Infia)ten  nur  gelegene 
lidj  in  anberem  Sufammenhange  fyat  eingießen  laffen,  ober  wenn  feine 
rein  pfjilofoprniäjen  2tuffä$e  felbft  nur  flüdjtige  Sfijjen  oon  geringem 
©efammtumfang  fxnb,  welche  aus  ben  anberwärts  eingeftreuten  23e» 
merfungen  ber  (Srgänjung  bebürfen.  £ieS  maa)t  3.  33.  unfere  Xidjter* 
heroen  (Seffing,  Berber,  ©oethe,  Sd)iü*er)  ungeeignet  3U111  ©egenftanb  eines 
pjjUofophifdjen  StubiumS  für  2lnfanger;  wäljrenb  für  Vorgefdjrittene 
gerabe  ein  befonberer  9fei3  barin  liegen  fann,  baS  an  einsehen  Stellen 

Hort  unb  ۟b.  IJ ,  im.  T) 


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6$    (Ebuarb  von  fjartmanti  in  Berlin. 

3erftreute  5U  einetn  einf)eitli<f)en  Silbe  ju  fammeln  unb  in  einanber  $u 
fügen.  «Selbft  baS  wirft  nod)  $ödjft  erfdjwerenb  für  baS  SBerftäubniß, 
wenn  ein  9lutor  jwar  3al)tretd)e  p()ilofophifdje  3tbf)anblungen  öerfafet  ^at, 
aber  jebe  berfelben  blo&  au«  Aphorismen  unb  Apercus  beftel)t,  bie  ber 
Sefer  erft  ju  einem  ©anjen  oerfnüpfen  muft;  ober  wenn  jebe  ber  9Ibhanblungen 
monograpljtfd)  nur  eine  untergeorbnete  pr)irofop^if<3r)e  $rage  erörtert  unb 
nur  gelegentlid)  bie  pljilofophifdhe  ©runbanfidjt  beS  SBerfafferS  burd)fd)einen 
läfet.  dagegen  ift  nidjts  fo  förbcrlidt)  für  baS  ^erjtänbniB  als  baS  3>or- 
fjanbenfein  eines  ober  mehrerer  rein  pf)ilofophifd)er  unb  fnftematifdj  ge= 
haltener  &auptwerfe,  an  weld)e  bann  bie  anberen  monograpf)ifd)en  Arbeiten 
über  fecunbäre  fragen  ftdj  anlehnen.  2ln  foldjcn  fijftematifdjen  £aupt* 
werfen  fehlt  es  j.  23.  bei  Hamann,  23aaber,  unb  in  ftrengerem  ©inne 
felbft  bei  Seibnij  unb  ^laton. 

3n  ber  neuften  Qcit  ha*  bie  fortfdjreitenbe  9lrbettstheilung  aud)  auf 
plnlofopljifd^em  ©ebiete  jur  golge  gehabt,  bafe  manage  Genfer  ihre  SebenS* 
aufgäbe  auSfdjliejjlidj  in  ber  ^örberung  einer  ober  mehrerer  (SpecialbiSctplinen 
(5.  SB.  ber  ©rfenntnifetbeoric,  SHedjtSpbilofophie,  9Iefthetif,  ffieligionS- 
philofopfjie  u.  f.  w.)  fudjen,  unb  barin  oft  etwas  Xfid)tigeS  Ieiften.  2Sie 
Ijod)  aud)  ber  Söertl)  foldjer  Arbeiten  für  bie  mit  fpeciatiftiidjem  ^ntereffe 
an  fie  ,§erantretenben  fdjäfcen  fein  mag,  fo  fönnen  fic  bodj  nidjt  als 
jwedmä^ige  Nahrung  für  baS  allgemeine  pl;ilofopljifd;e  öebürfnifj  be* 
trautet  worben,  wofern  bie  betreffenben  9lutoren  nidjt  jugleid)  eine  eigen* 
artige  allgemeine  äUcltanfdjauung  in  auSreidjenber  23eife  entwidelt  unb  ba* 
burd)  einen  ^lafc  in  ber  allgemeinen  ©efd)id)te  ber  ^(jilofopljie  errungen 
haben. 

58on  nidjt  ju  nnterfdjätjenbcm  ©ewidjt  für  bie  2$ahlentfdjeibung  ift 
bie  JMarjjeit  ober  2>unf elf)eit  beS  ©cbanfengangeS  unb  bes  fprad)lidjen 
»lusbruefs.  Gine  gefdjidte  Stoffuertheilung,  eine  moljlgeorbnete  (Sompofition 
unb  eine  bura)fid)tige  ardjiteftonifdjc  ©lieberung  erleichtert  ungemein  baS 
aterftänbmfj  eines  philofoptjifchen  SBerfeS,  sumal  eines  größeren  fnftematifdjen 
£auptwerfeS.  ßs  giebt  Tutoren,  welche  unflar  benfen,  weil  fie  fi<^  aus 
ber  trüben  SMinfelljeit  einer  gölmenben  Briefe  nod)  nidjt  sunt  fonnigen  £id)t 
hiuburchgcbrungen  haben  (j.  58.  Sööhnte,  ^aaber);  es  giebt  aber  aud)  anbere, 
bie  jroar  flar  benfen,  aber  bei  ber  fprad)lidf)en  Darlegung  ihrer  ©ebanfen 
in  Sdjwierigfeitcn  geraden,  tljeils  weil  bie  ©pradje  für  ihre  neuen  ©e= 
banfen  noch  nicht  genug  gemobclt  unb  aufnahmefähig  gemalt  ift,  theils 
weil  fie  ju  ungefdjidt  finb,  um  bie  oon  ber  Spraye  gebotenen  SüiSbrudS- 
mittel  richtig  31t  benutzen,  tljeils  weil  fie  nad)  bem  <Sä)eiu  einer  Xiefe 
ftreben,  weldje  baS  tl)atfäajlid)e  SNioeau  ihrer  ©ebanfen  übertrifft  (5.  2). 
SHfdjer).  9lm  größten  finb  bie  Schwicrigfeiten  ber  Spraye  für  biejenigen, 
weldje  eine  neue  Gpodje  beS  pl;ilofopl)ifd;eu  XenfenS  inauguriren ,  5.  ^. 
$laton,  5vant;  am  geringften  für  biejenigen,  welche  am  ?Ibfd)lu§  einer 
foldjen  (S-podje  flehen  unb  ihr  $acit  jiehen.  &  uneigeutlidjer  unb  bilb= 


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  Wie  ftu&trt  man  am  heften  ptfilofoptpc?   


65 


ftdjer  ein  Sßfjilofopf)  5U  benfen  pflegt,  befto  Cetd^ter  bietet  bie  Spradje  fid? 
feinem  SMenfte  bar  (3.  23.  Sdjopenfiauer);  je  logifdj  ftrenger,  je  abftracter 
er  fid^  in  ben  reinen  2letfjer  ber  Speculation  aufjufdjwingen  wagt,  befto 
tnetyr  oerfagt  ifjm  bie  Spraye  bie  Erfüllung  feiner  Intentionen  (5.  23.  .§egel). 

©rfdjwerenb  für  ba£  ^öerftänbnifs  wirft  aber  audj  bie  ©mmifdjung 
unfadjtidjer  ©efidjtSpunfte,  unfrudjtbarer  9iücffid)ten,  nufelofer  Spifcfinbigs 
feiten,  wiüfürlidjer  gormen,  eigenfinniger  Schablonen;  ,e>3  fmb  bie3  bie 
(Beladen  be$  menfdjlidjen  Senfen3,  meldje  im  Fortgang  ber  ®efd)idjte 
auägefonbert  unb  abgeftofien  werben  ($.  23.  bie  Xriaben  be$  ^rofluä,  bie 
SuHifdje  tfunft,  ßattta  burdjgängige  ©intljeilung  nadj  feiner  Kategorien* 
tafel,  £egel'fd)e  Sialeftif).  2lber  grabe  an  foldje  2leufeerlidjfeiten  heftet 
fidj  oft  im  Hreife  ber  Sd>ule  ba$  größte  Slnfeljen,  bafjer  fie  unter  bem 
tarnen  „fdwlaftifaV'  jufammengefafct  werben;  ba$  Sa>laftifd)e  in  biefem 
Sinne  gehört  feine^megs  blofc  bem  Mittelalter  an,  fonbern  es  ftnbet  fid) 
fd)on  im  2(ltertljum  unb  gerabe  aud)  in  ber  fpeculatioen  Gpodje  oon 
5lant  bi$  &egel,  wo  man  e$  al$  „Weofdjolajtif"  be$eid)net  (jat.  9ttdjte 
Ijat  bem  2luslanbe  ba3  Einbringen  in  unfere  beutfdje  ^>f)ilofopf)ie  fo  fefjr 
erfdjroert,  als  bie  2>erbinbung  biefer  SReofdjolaftif  mit  ben  oljneI)in  fdwn 
nidjt  unbeträchtlichen  Sdjwterigfeiten  ber  beutfdjen  Spraye;  unb  nid)t3 
hat  ber  2lu3länberci  unb  2lltertt)ümelei  ber  Seutfdjen  im  prnlofophifdjen 
Stubium  fo  fein*  2?orfd)ub  geleiftet,  als  bie  Ungeniefjbarfeit  biefer  9?eo= 
föofafrif,  oon  ber  felbft  Schopenhauer  noa)  feinc3weg3  ganj  frei  ift*). 
2lm  fdjlimmften  ift  bie  Dteofdwlaftif  unferer  fpeculatioen  Genfer  in  ben* 
jenigen  2ßerfen,  bie  fidj  in  ben  2lbftractionen  ber  ©rfenntnißt^eorie,  Sogif 
unb  SJietapfjofif  bewegen  (Äant*  Ärttif  ber  reinen  Vernunft,  ftid)te$ 
SBiffenfchaftälehre,  ScheHingS  Snftem  be$  tranäcenbentalen  ^bealiemu^, 
&egel$  £ogif);  besljalb  follte  ein  &ernenber,  ber  fid)  für  ba$  Stubium 
eineä  biefer  ^fjilofopf)en  entfd)ieben  l;at,  niemals  mit  biefen  fa^wierigften 
unb  oerwirrcnbften  föauptwerfcn  beginnen,  fonbern  fid)  biefelben  bi£ 
julefct  auffparen,  nad)bem  er  alle  übrigen  Schriften  beäfelben  2lutor3 
burchgearbeitet  t)at. 

So  berechtigt  bie  2lbneigung  gegen  eine  unnüfe  erfdjwerenbe  unb  in* 
haltlich  unfruchtbare  Sdjolafiif  ber  Jvorm  ift,  fo  unberechtigt  ift  bie  naments 
lid)  in  ben  Greifen  ber  .'palbgebilbeten  weit  oerbreitete  2lbneigung  gegen 
bie  eigenartige  pfjilofophifche  Terminologie  eines»  Si)ftem3,  insbefonbere, 
wenn  biefelbe  am  fremben  Spraken  geköpft  ift.  9?un  laffen  ftöt)  aber 
feine  neuen  begriffe  auffteüen,  oljne  neue  SBortbejeidmungen  ju  prägen, 
unb  aller  ftortfehritt  in  ber  fllarljeit,  ^räcifton,  Goncentration  unb  l'eidjtig; 
feit  ber  ©ebanfenbilbung  ift  burd)  eine  terminologiidje  gortbilbung  ber 
Spraye  bebingt.    Gin  Senf  er  oljnc  beftimmt  ausgeprägte  wiffenfcbaftUdje 


*)  »fll.  Tlon\}  2?cnctiancr:  „ediopcn^cucr  als  Sdiolaftifer."  Berlin,  Gart 
Sunfer*  Verlag  1872.   21  iüogen. 

5* 


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(56 


(E&narb  von  ^artmann  in  Sctlttt. 


Terminologie  fann  nidjt  mef>r  fein  als  ein  populärer  Sdjriftftetfer,  ber 
bie  ^enfergebniffc  2lnberer  in  Keine  SHünje  umfefct.   Tie  Terminologie 
eines  (SnftemS  mufc  um  fo  origineller  augfallen,  je  origineller  baS  ©nftem 
ift.  2öer  ftdjj  alfo  oon  ber  fremb  amnutfjenben  Terminologie  eines  (softem* 
abfänden  läfct,  ber  mujj  überhaupt  auf  baS  pl)ilofopf)ifdje  ©rubrum  oon 
oornfjerein  oer^idjten,  ober  fidj  mit  bem  trioialen  ©efdnuäfc  einer  umoiffen* 
fdjaftltdjen  ^opularptyilofopfjie  begnügen.   3ft  aber  einmal  eine  eigene 
artige  Terminologie  jebem  eigenartigen  ©nftem  unentbeljrlidj,  fo  ift  es  weit 
weniger  ftörenb,  roenn  biefelbe  frembfprad^lid),  als  wenn  fie  beutfd)  ift. 
Tie  SBurjelbebeutung  ber  ^embroörter  fann  aud)  ber  Ungebitbete  in  iebem 
grembroörterbud)  ober  frembfpradjltdjen  Serifon  nad;fd)tagen,  unb  bann 
aus  bem  3ufammenljang  unb  ben  oom  3lutor  gegebenen  ausbrücflidjen  ©r- 
flärungen  fer)r  mofy  oerftefien,  meldte  93ebcutung  ber  2luSbru(f  im  ©oftem 
fyd.    Tagegen  roirb  burd)  bie  Umprägungen  beS  geroöfmlidjen  ©pradj* 
finnS  beutfdjer  Sorte  nur  Sßerroirrung  geftiftet  unb  burd)  fprad)ioibrige 
2£ortoerrenfungen  unb  3ufammenfefeuu9cn  Da^  ©prad)gefüt)l  weit  tnefu- 
beleibigt  als  burd)  frembfprad)lid)e  Tennini.    Tie  Grfafjrung  beftätigt, 
bafc  biejenigen  s}>l)ilofopt)en,  meldte,  wie  5.  $3.  Straufe,  oerfudjt  §aben,  fidj 
eine  rein  beutfdje  Terminologie  für  ifn*  ©njtem  5U  bilben,  gerabe  ber  fpradjs 
lidjen  Unerträglidtfeit  biefeS  2RifegriffS  einen  großen  T^eil  it)rer  9Jti§= 
erfolge  sujufd&reiben  fjaben.   ©erabe  in  ber  neueften  Seit  ift  burd)  ben 
toadjfenben  ftiliftifd)en  (Sinflufj  SefftngS  unb  ©djopenfjauerS  unb  unter  ber 
SHüdfnrirfung  ber  naturmiffenfdjaftlidjcn  unb  f)iftoriograpf)ifdjen  ©djreibroeife 
bie  pt)ilofopl;ifd)e  2luSbru<fSart  roteber  in  natürlichere  unb  fad&gemäfrere 
Halmen  eingelenft ;  leiber  ijt  nur  biefer  formelle  ©eroinn  in  ber  Siegel  mit 
einer  Sftinberung  berjenigen  fpeculatioen  Tiefe  oerfnüpft,  roeläpe  mir  an 
ben  großen  ^Inlofop^en  oon  Äant  bis  &egel  berounbern. 

Tie  bisher  erörterten  formellen  ©efidjtSpunfte  bürfen  ofjne  3»eife( 
bei  ber  Sßafjl  eines  ^ilofop^en  für  baS  ©tubium  nia)t  unbead&tet  bleiben; 
aber  mistiger  als  fie  finb  bod)  jebenfaßs  bie  fadjlidjen  ©efic&tspunfte, 
benen  mir  nun  netyer  treten.  %n  erfter  SHeiöe  fommt  tjier  in  Serra^t 
bie  geiftige  SBebeutung  eines  ^ilofopljen  im  Allgemeinen,  ber  ©rab 
feiner  pt)ilofopf)ifdjen  Begabung,  oermöge  beren  er  bie  Tinge  mit  anbem 
9lugen  anfielt  als  ein  geioöf)nlid)er  «Sterblicher.  3e  genialer  ein  Tenfer 
geroefen  ift,  befto  mefjr  roirb  er  für  bie  (rroigfeit  gebaut  haben,  toäf)renb 
bie  33ebeutung  ber  flehten  Talente  fct)on  nad)  einem  ober  jtoei  Sttenfdjeu* 
altern  erlifdjt.  Unter  fonft  gleiten  Umftönben  oerbient  alfo  oor  mehreren 
jur  engeren  2öal)l  ftetyenben  5pt)itofopt)en  ber  geiftig  bebeutenbfte  ben  SSor* 
pg;  leiber  ift  nur  häufig  baS  Urtljeil  fet)r  ferner,  welcher  oon  jroei 
^ßr)ifotop^en  ber  geiftig  bebeutenbere  fei,  unb  nod)  weniger  finbet  ©lei<hs 
f)eit  ber  fonftigen  Umftänbe  ftatt.  9iur  in  einem  gaUe  pflegt  fein  3\Betfe{ 
über  ben  ©rab  beS  Talentes  ju  beftefjen,  nämlid)  bei  bem  Vergleich  eines 
3)ZeifterS  mit  ben  Jüngern  feiner  ©d)ule;  unb  besfjalb  ift  es  für  ben 


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  tPie  ftubirt  man  am  bejUn  pf^tlof opt{te ?    67 

<Stubtrenben  unbebmgt  ratsam,  ntd^t  mit  ben  SBerfcn  irgenb  eines 
—  iferS  ober  —  ianerS  $u  beginnen,  fonbern  fidj  birect  an  einen  9J?eifter 
3u  galten.  Sßenn  er  bagegen  mit  bem  ©tubium  eine!  foldjen  9)?eijterS 
fertig  ift,  bann  ift  es  aüerbingS  ferjr  empfefjlenSroertl),  fidj  aud)  mit  ben 
•Diobiftcationen  unb  UmbilbungSoerfudjen  ber  betreffenbe  ©djule  einiger? 
maßen  oertraut  madjen,  weil  grabe  burdj  biefe  beutlidjer  als  burdj 
irgenb  etroaS  anbreS  bie  Unäulänglt<f)fetten,  SSiberfprüdje  unb  Stporien 
beS  ©gftemS  bloßgelegt  werben. 

23on  §roei  gleid)  bebeutenben  $f)ilofopben  berfelben  ©efdn'djtsperiobe 
wirb  für  ben  Anfänger  baS  Stubium  beS  f  pätere'n  oon  beiben  ben  Söor* 
§ug  oerbienen,  infofern  in  if)m  ber  Vorgänger  jiä)  gefdjid)tlidj  reftectirt, 
aber  nid)t  umgefefjrt.  ©er  Spätere  f>at  ben  Vorteil,  bie  geiler  beS 
Vorgängers  oermeiben  unb  feine  pojitioen  ©rgebniffe  als  33aufteine  benufcen 
in  tonnen;  er  fann  gleid&fam  auf  beffen  Sdjultern  fteigen  unb  barum 
©eiter  um  fidj  fef)en  als  jener,  audj  of)ne  an  2öu<$S  größer  als  er  ju 
fein.  2lm  raenigften  geeignet  ift  bemna$  unter  fonft  gleiten  Umftänben 
in  jeber  ©podje  berjenige,  melier  fie  einleitet  ($.  33.  SofrateS^laton, 
$eScarteS,  ßant),  toeil  in  if»n  nodj  alles  im  Äeimen,  2Bad)fen  nnb  SBerben 
ift  unb  erit  auf  bie  ^ufunft  als  auf  bie  (Erfüllung  feiner  Verheißungen 
Innbeutet ;  am  meiften  geeignet  bagegen  ijt  berjenige,  roeldje  eine  (Spodje 
ju  einen  ©ipfel  unb  2lbf$luß  bringt,  auf  ben  nur  nod)  ber  lieber* 
gang  Jolgt  ($.  23.  SlriftoteleS  für  ben  flaffifd^en  ^etteniSmuS,  ^(otin 
für  bie  fjellenifrifdje  $ßl)ilofopf)ie,  Stomas  oon  2lquino  für  bie  mittelalter* 
lidje  <S<$olaftif.)  Von  jroet  annäfjernb  gleichzeitigen  ^ilofopl)en  oon  uns 
gefä^r  gleicher  Originalität  unb  fad)liä)er  Vebeutung  toirb  für  baS 
<Stubium  allemal  berjenige  roert^ooHer  fein,  meiner  baS  flarere  ge= 
fdjidjtlidje  Veroußtfein  über  bie  (Singlieb erung  feines  SnftemS  in 
ben  allgemeinen  (SntroirfelungSgang  ber  $f)ilofop^ie  beftfot  unb  einen 
größeren  SluSfdjnitt  aus  ber  ©efd)idjte  ber  ^ilofopbie  in  beutliä;eren 
SReflerm  roiberfpiegelt.  Unter  biefem  ©efidjtSpunfte  ift  3.  33.  £etbni$ 
lehrreicher  als  ©pinoja,  £egel  lehrreicher  als  ber  ungefdjidjtlidje  unb  ge* 
fd)i^tsfeinblid)e  ©djopenhauer.  2Bo  jroei  gleichseitige  tßhitofophen  ein« 
anber  als  polare  ®egenfäfoe  ergän$en,  3. 23.  £egel  unb  6d)opent)auer,  ba  ift 
es  ratfjfam,  nach  bem  ©tubium  beS  einen  oon  beiben  auch  ben  anbem 
grünblich  fennen  3U  lernen,  um  nicht  mit  ber  ©infeitigfeit  beS  erften  be* 
haftet  ju  bleiben;  unb  bieS  ift  um  fo  bringenber  ju  empfehlen,  je  mehr 
ber  3ioeite  bei  ber  oerfud)Sn>etfen  fieetüre  ben  Sefer  abftößt,  weil  barin 
ein  Deutliches  -Dterfmal  liegt,  toie  fer)r  berfelbe  burdj  baS  Stubium  beS 
erfreu  bereits  in  ben  beftridenben  unb  umnebelnben  Vann  feiner  ©infeitig* 
feit  geraten  ift. 

Von  mehreren  gleid;  bebeutenben  ^^ilofop^en  aus  oerfd;icbenen  &e- 
fc^ic^tSperioben  ift  unter  fonft  gleiten  ilmitänben  bemjenigen  ber  Vorzug 
3U  geben,  roeldjer  ber  fpäteren  $eriobe  angehört,  weil  er  auf  einer 


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68 


€l>uar&  von  fjartmann  in  Berlin. 


$öf>eren  23arte  ftef)t.  2Benn  e3  waljr  ift,  bafc  ber  gefdjidjtlidje  Gut* 
widelungSgang  ber  Sp^itofopf^ie  einer  Spirale  gteidr)t,  unb  jebe  fpätere  ^eriobe 
einer  weiteren  unb  f)öfjeren  Sßinbung,  }o  fcfjren  in  jcber  ^eriobe  bie  alten 
Probleme  auf  f)öf)erer  Stufe  wieber,  wäfnenb  sugleidj  bie  ÜJfütel  ju  üjrer 
£öfung  gewadjfen  finb.  $>enn  ber  fpätere  ^prjifofopt)  oerfügt  bei  einem 
gleiten  Sftafce  oon'  Begabung  einerfeifco  über  bie  ftenntnifj  ber  früheren 
^Problemstellungen  unb  £öfung$oerfud)e  unb  anbererfeitl  ü6er  ein  breitere^ 
empirifdjeS  3J?atevtat,  wie  e£  bie  fortgefdjrittene  9fealwiffenfd)aften  bar* 
bieten.  3n  Jyolge  beffen  begnügt  er  ftd)  aud;  nid)t  mit  ber  Neubearbeitung 
ber  alten  Probleme,  bie  nun  in  oeranberter  culturgefd)idjtlia;er  33eleud)tuna, 
auftreten,  fonbern  e£  brängen  fidj  tlnn  nebenbei  nodj  eine  9J?enge  neuer 
Probleme  auf,  oon  benen  frühere  Venoben  nidjts  almen  fonnten,  unb  für 
bie  fie  nodj  gar  fein  SSerftänbnife  gehabt  Ratten,  ^a3  oben  für  bie 
Stellung  ber  ^erioben  *u  einanber  2lu3gefüf)rte  gilt  Iner  aurf)  für 
$()iloiopljen,  weldje  in  ben  oerfd>iebenen  ^erioben  eine  analoge  Stellung 
einnehmen. 

2>on  sruei  pf)ilofopf)ifd)en  Softemen  gebüfjrt  unter  gleiten  Umftänben 
beinienigen  ber  2>or$ug,  weldjeä  bie  unmittelbarftc  23eriu)rung  mit  ber 
(Sulturatmofpljäre  unb  ben  geiftigen  Strömungen  ber  ©egenwart  f)at. 
Xenn  jebcä  pf)ilofopfnfd[)c  Softem  ift  mef)r  ober  weniger  culturgefdjid&tlid) 
bebingt  unb  gefärbt,  unb  jebe*  Ijat  bie  2lufgabe,  ein  ©efammtausbrucf 
unb  Spiegelbilb  ber  geiftigen  33ebürfniffe  unb  2lnfdjauuugen  feiner  3eit 
iu  fein;  be£f)alb  mufc  jebe  P;ilofopl)ie,  bie  einer  un$  fremben  culturge* 
gefdjidjtlidjen  ©podfte  ben  Spiegel  ber  Neflejion  oorljält,  und  frembartiger 
anmuten  unb  fdjwerer  uerftänblid)  fein;  ate  ein  au3  ber  ©egenwart  ents 
fprungeneS  Softem,  $ierburdj  gewinnt  bie  $fjilofopf)ie  ber  ©egemoart 
einen  culturgef(J)td)tlid)en  $orfprung  oor  aller  $t)ilofopf)ie  ber  l'ers 
gangenljeü,  weldjer  oon  bem  3>or$uge  eine£  erweiterten  pljüofopljifdjen 
©efid)t$freife$  gan$  unabhängig  ift  unb  in  biefem  nod)  Innjufommt.  $n 
ber  ©egenroart  felbft  aber  wirb  wiebemm  baajenige  Sijftem  bei  fonft 
gleichem  pl)ilofopf)ifd)em  SBertbe  ben  &or$ug  oerbienen,  weldjeä  mit  ben 
Sntereffen  unb  Neigungen,  ben  SBebürfniffen  unb  Strebungen  be3  ßeiU 
getfteä  bie  engftc  güljlung  Ijat  unb  am  treueften,  allfeitigften  unb  um* 
faffenbften  bie  ©eifteöftrömungen  ber  ©egenwart  wiberfpiegelt.  ^nfofern 
bie  ^?l)ilofopl)ie  neben  bem  nad)  rüdwärtä  gewanbten  2lntlifc  aud)  ein  nad> 
oorwärts  gewanbteS,  propl>etifdje£  befifct,  wirb  e$  babei  wefenttidj  barauf 
anfommen,  bafe  fie  nidjt  blofc  bie  Cberflädjenftrömungen,  bie  jebem  ülide 
fidjtbar  finb,  wiebergiebt,  fonbern  aud;  ben  meljr  oerftedten  Unter* 
ftrömungen  be3  3eitgeifte3  Nedmung  trägt,  in  bereu  bunflem  Sdwofj 
bie  ©efdnd)te  ber  3"  fünft  fidj  oor bereitet. 

Unter  fonft  gleidjen  Umftänben  wirb  allemal  Dasjenige  oon  jwei 
Softemen  ben  SBorjug  oerbienen,  welkes  auf  ber  breiteren  unb  folibereu 
@rfal)rung$gruublage  errietet  ift.   Xarin  ftefjt  5.  33.  2lriftotele$  fo  eiujig 


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  Wie  flubtrt  man  am  bcjUn  pifilofopbtc? 


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ba  unter  ben  Sß^tCofop^en  be3  9lfterthum3,  bafj  er  ein  für  feine  3eü  Ö^nj 
erftaunlid)e$  Maafe  von  empirifchcm  SSiffen  befitjt ;  barunt  oermiffen  wir 
an  ber  ?pi;i(ofop!)ic  beS  Mittelalters  nidp  fo  fehr  als  biefe  empirifcrje 
SafiS,  an  beren  3teffe  bie  oermeintlidje  GrfahrungSgrunblage  ber  geoffens 
barten  @fauben$;2Baf)rheit  getreten  ift.  sJhm  ift  aber  flar,  ba&  in  Bejug 
auf  naturwißenfchaftlidje,  etlmologifche,  ftatiftifdje  unb  gefd)id)tliche  <5r= 
fahrung  ba$  Söiffen  ber  Menfchheit  burchfchnittltdj  mit  ber  3*it  wädjft, 
unb  bafs  fdwn  wegen  be3  breiteren,  jur  fixeren  Verfügung  ftefjenben 
(*rfahrung3material3  bie  Pjilofophen  fpäterer  Reiten  burchfdmtttlich  einen 
Vorfprung  Dor  ben  früheren  ^abeu.  Senn  e3  fommt  offenbar  bei  biefem 
oergleichenben  ©djätjungämagftab  nid)t  barauf  an,  meld)  eine  ©rfafjrung^ 
grunblage  ein  philofophifches  Snftcrn  für  feine  3eit  befaß,  fonbern  welche 
e3  für  unfere  Seit  befifet,  ba  boch  mir  ^efcttebenbeu  eä  finb,  bie  auä 
bemfelben  eine  um  möglichft  befriebigenbe  philofophifd>  2£cltanfd)auung 
gewinnen  wollen. 

SEenn  bie  ^eriobe  oou  Se3carte3  unb  Bacon  bi3  3U  Älattt  einfd^Iiejg- 
lieh  fid)  baburd)  auszeichnet,  baß  bie  meiften  b^roorragenben  ^>()ilofopI)en 
auch  auf  naturwifienfchaftlid)em  ©ebiet  mol)l  bcfdjlagen  finb,  fo  jeigt  bie 
fpecutatioe  Gpodje  ber  beutfdjen  ^hilofopbie  oon  §idj>te  bis  £egel  eine 
gewiffe  2lbfet)r  ber  ^>t;iCofopl)ie  oon  ber  9?aturwiffenfd)aft,  ätjntid)  wie  bie 
mittelalterliche  ^Ijilofopljie;  unb  auch  ©d)openf)auer  i)at  fid)  erft  in  fpäteren 
fahren  bemüht,  für  fein  bereite  fertiget  fpefulatiueS  ©nftem  nachträglich 
natum)ineni"dt)aftlid)e  Betätigungen  aufw(efen.  Sie  ^pl)itofopl)te  ber  ®egen* 
wart  jeigt  in  mehreren  ihrer  heroorragenben  Vertreter  wieberum  ba3  Bc= 
ftreben,  bie  geföften  Beziehungen  ju  ber  injwiichen  mächtig  fortgefchrittenen 
^aturwiffenfehaft  auf's  9icue  unb  um  fo  fefter  ju  fnüpfen,  unb  e£  ift 
bejeidjnenb  für  unfere  3e'tr^mn9/  Da&  getabe  folche  ^^itofoptjen  am 
meiften  (Sinflufj  unb  2tnfef)en  gewonnen  (jaben,  felbft  bann,  wenn  ihre 
fpeculatioe  Begabung  unb  bie  Klarheit  u;res  gefchidjtlichen  BewitfetfeinS 
hinter  ihren  großen  fpeculatioen  Vorgängern  weit  juriidftanben  ($.B.  Rechner, 
Siofce,  Sunbt). 

5?un  liegt  e£  aber  auf  ber  £anb,  bafj  man  $war  aus  einer  unooff^ 
ftänbigen  <5rfaf)rung3gnmblage  bei  großer  fpeauatiuer  Äraft  immer  noch 
werthuolle  philo  fophifche  ^rgebniffe  gewinnen  faun,  aber  aus  ber  breiteften 
GrfahrungSgrunblage  bei  mangelnber  fpeculatioer  ßraft  gar  feine;  mit 
anberen  Sorten:  baß  für  bie  Bebeutung  eiltet  philofophifdjen  ©nftemS 
nicht  berjenige  Factor  ber  wichtigfte  fein  wirb,  welchen  cS  mit  ber  sJtotur-- 
wiffenfehaft  unb  ®efd}id)te  gemein  hat,  fonbern  berjenige,  burd)  welchen  es 
fid)  oon  beiben  unterfdjeibet  unb  über  fic  fmtauSftrebr.  &>er  ber  natura 
wiffenfd)aftlid)en  OUrunblage  bas  entfeheibenbe  ©ewid)t  beimißt,  ber  wirb 
beffer  timn,  ber  ^hilofopln'e  fern  $u  bleiben  unb  fid;  ganj  an  bie  9?atur* 
wiffenfehaften  3U  galten,  was  ja  auch  neuerbingS  vielfach  als  baS  allein 
richtige  Verhalten  angeprieien  worben  ift.   Sßer  fid)  aber  bie  9Jtüf)e  giebt, 


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70    <£buarb  pon  ^artniann  in  Berlin.   

^itofopl)ie  treiben,  von  beut  mufj  man  uorauafefcen,  bafe  fein  roijfens 
föaftlidjeS  Eebürfnijj  in  beh  (Srfa&rung$roiffenfd)aften  eben  fein  volle*  @e= 
nüge  gcfunben  f)at  unb  nad)  einer  pl)ilofopl)ifd>en  Grroeiterung  unb  ©rganjung 
be$  empirifdjen  StanbpunfteS  fuäjt.  £b  bie  pfjüofop&ifc&e  Speculatton 
ilmt  bie  gefugte  Grgänjung  gemäßen  fann  ober  nid)t,  barüber  fann  er 
jebenfaHs  erfi  bann  ein  fixeres*  Hrtl;etl  l;aben,  wenn  er  ftd)  mit  beren 
^eroorragenben  Stiftungen  uertraut  gemalt  f)at,  unb  nid)t  früher.  dasjenige, 
roaS  er  in  ber  ^t)ilofopf)ie  allein  fud)en  fann,  ift  unb  bleibt  ba$  fpeculatiue 
hinausgehen  über  bie  Crfaf)rung,  ba  fie  nur  biefeä  ober  gar  nidjtS  5U 
bieten  Ijaben  fann;  fo  lange  ber  i'ernenbe  alfo  bie  Hoffnung  auf  irgenb 
meldten  au«  ber  ^lulofopljte  ju  fdjöpfenben  ©eroinn  ntd;t  ganj  fahren 
laffen  roitt,  muß  er  bodj  bie  fpeculatiue  Äraft  be$  $lulofopben  ate  ben 
fjödjften  SJtaafcftab  gelten  (offen,  an  roeldjem  ber  2$ertf)  feinet  Softem« 
ju  aÜermetft  bemeffen  werben  rnufc.  So  treten  benn  bod>  roieber  bie 
fpeculatioen  ^ilofopljen  erften  SHangeä  in  if)r  9ied)t  gegenüber  ben  mit 
geringerer  ptyilofoplnfdjer  Veranlagung  unternommenen  93erfud)en,  9?atur* 
roiffenfdjaft  unb  S|3^ilofop^ie  ju  uerföfwen. 

Q$  bleibt  enblidj  nod)  ein  lefoter  ©efid)t3punft  ju  ermahnen,  ber 
gerabe  für  ben  £efn*roertf)  eine«  Syftem$  von  großer  Sebeutung  ift.  ©3 
ift  bie$  bie  möglid)ft  ooöftänbige  foftematifdje  21u$brettung  beäfelben  über 
möglicbft  mele  Gebiete  be3  Riffen«,  ober  bie  möglidrft  oielfeitige  £urd> 
arbeitung  ber  pf)Üofopf)ifd)en  SpccialbiSciplinen  (©rfenntnifetfjeorie,  Sftatur* 
pf)iIofopf)ie,  $fnd)ologie,  Gtluf,  Sleft^etif,  9ieligion8pf)ilofopI)ie,  SftedjtS* 
pf)ilofopf)ie,  ^äbagogif,  Staat«:  unb  ©efellfdjjaft^le^re,  ^Inlofopfjie  ber 
©efdndjte,  ©efd)id)te  ber  ^pl)ilofopf)ie  u.  f.  ro.).  2ludj  tner  roädjfi  roieber 
ber  Vorteil  mit  ber  Slnnä^erung  an  bie  ©egeuroart.  3m  2lltertf)um  ift 
e$  faft  nur  2lriftotele3,  ber  mehrere  biefer  Specialbiäciplinen  umfpannt, 
roenn  aud)  bei  ifnn,  roie  in  ber  gcfammtcn  griednfdjen  ^Inlofop^ie,  bie 
9?eligionöpljilofop^ie  nod)  ganj  fefjlt  unb  bie  ©rfenntnijjtfjeorie  noa)  jiemlid) 
embrnonifa)  bleibt.  Ser  mittelalterlichen  <pinlofopl)ie,  bie  roefentlid)9icltgion$* 
p^ilofopljie "  ift,  fel)lt  roieber  bie  21eftr,etif,  unb  Grfenntnifetfjeorie  unb 
ftaturpfnlofopljie  bleiben  im  Steinte  ftecfen.  Grft  im  ad^elmten  3al>r* 
Ijunbert  finbet  bie  erfenntmfetljeorie  unb  bie  Siefüjetif  felbftftänbige  Pflege, 
unb  flaut  barf  rooty  als  ber  erfte  gelten,  ber  biefe  beiben  ebenfo  gleia> 
mäfeig  umfpannt  roie  bie  ftaturplnlofopfjie,  ßifnf  unb  9teligion$pfnlofopf)te. 

ift  alfo  roeientlid)  erft  bie  neuefte  ©ef$ia)te  ber  ^fjilofoplne  feit  flaut, 
in  beren  Suftemen  eine  gennffe  SMftänbigfeit  $u  finben  ift,  aber  feinet 
roegä  bei  allen.  So  entbehrt  3.  $8.  bei  gidjte  bie  9?aturpf)ilofopf)ie  unb 
2Ieftf)etif,  bei  Sdjelling  bie  Gt^if  einer  genaueren  2lu£ffil)rung,  roä^renb 
bei  Sajopemjauer  eigentlid)  gar  feine  Specialbteciplin  burdjgefüljrt  ift, 
fonbern  alle  nur  im  ffi^enfyaften  Gntrourf  bargeboten  finb,  unb  bei  £egel 
gerabe  bie  roidjtigften  ©ebiete  nidjt  00m  21utor  felbft  für  ben  $rucf  aufs 
(je3eid;net  finb.   3mmerf)in  fiaben  in  ^ejug  auf  ft;ftematifd)e  Voaftänbigs 


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  Wie  ftnbirt  man  am  heften  pfyilofopt{te?    7\ 

feit  ber  Durchführung  9lriftotele3,  Rani  unb  £egel  einen  $orfprung  cor  allen 
übrigen  $fn'(ofopI)en  erften  langes.  Unter  ben  ^f)ifofopi)en  ber  ©egen= 
wart  f)aben  ft$  jumeift  nur  bie  weniger  originellen  jur  fnfteniatifdjen 
Durcharbeitung  ber  (specialbiSciplinen  gebrängt  gefügt,  unb  gerabe  bte= 
ienigen,  welche  felbftftänbiger  oorjugehen  fugten  ober  burdt)  größere  $erücf= 
fichtigung  ber  9iaturwiffenfchaften  ©influfj  erlangten,  haben  bei  ihrem  Stöbe 
meift  nur  einen  rea)t  lügenhaften  33au  hinterlajfen  (3.  33.  geeinter  unb  Sotje). 

©3  ift  oom  Saufe  ber  9ktur  nach  allen  unterer  geföid&tüd&en  @r= 
fahrung  oon  oornherein  nicht  ju  erwarten,  ba§  [ich  jemals  alle  SSorjüge 
im  f)öd)iten  ©rabe  auf  ein  cinsigeö  menschliches  £aupt  oereinigen.  De3= 
halb  werben  wir  auch  bei  ben  hier  erörterten  S?orjügen  eine«  philofophiichen 
<2nftem3  für  baS  6tubium  eines  Sernenben  nur  mit  ber  Sßerbinbung 
mehrerer  in  höherem  (Brabe,  ober  oieler  in  einem  genrijfen  ©rabe  rechnen 
bürfen.  $n  ber  Abwägung  ber  £idn>  unb  ©djattenfeiten  ber  oerfchiebenen 
(Snfteme  gegeneinanber  bleibt  fomit  immerhin  noch  ber  ^nbioibualität  beS 
Semenben  ein  genügenber  Spielraum,  um  bie  ihr  befonbers  $ufagenben  $or* 
jüge  bei  ber  21uSwaf)l  in  erhöhtem  Sftaafje  ju  berüdtjichtigen.  9tichtS  wäre 
auc^  ungünftiger  für  ben  gortgang  ber  pfjilofopfufdjen  ©ntwicfelung,  als 
roenn  burd)  eine  unantaftbare  Slutorität  (etwa  Diejenige  einer  centralen 
SHeichSafabemte)  baS  Sß^ilofop^ieftubtum  aller  Sernenben  bauernb  in  eine 
einförmige  Schablone  gezwängt  werben  fönnte!  Dajj  aber  bis  jefet  ben 
mirflia)  ma&gebenben  5ßor3ügen  nicht  überall  in  bem  wünfchenSwerrrjen 
■äJfaajje  Rechnung  getragen  wirb  unb  barin  gar  manage  2lenberung  ju  er* 
ftreben  Ift  baS  glaube  ich  in  ben  oorfiehenben  Slnbeutungen  gezeigt  ju 
^aben. 


(Ein  Hicf  auf  bie  (Scfdjtdjte  Suremfcurcjs  unb 

ber  „Surembunjer". 

Don 

21.  Hogalla  oon  Bieberfteiu. 

—  Breslau.  — 

ot  wenig  Socken  gefd;al)  es,  ba£  ber  9tome  £uremburg  oou 
Beuern  in  ben  Sörennpunft  beS  politifd&en  SageSintereffeS  trat 
unb  bie  mannigfaltigen  Erinnerungen  in  und  road;  rief,  bie  fid> 
für  Xeutfcfje  an  biefen  tarnen  fnüpfen.  $m  ^orbergrunbe  berfelben  ftefjt 
in  9lUer  ©ebädjtnijj  bie  «Seit,  in  roetdjer  Sanb  unb  geftung  fiuremburg 
baS  GompenfationSobiect  ber  ^olitif  Napoleons  III.  Seutfdjlanb  gegenüber 
bilbeten,  bie  3eit,  in  roelajer  ber  ftönig  ber  9?icberlanbe  bereit  mar,  baS 
®rof$ljei$ogtf)um  an  granfreid)  burd)  Söerfauf  absutreten;  eine  ?lbfid)t,  gegen 
bereu  2lu3füf)rung  J-ürft  $)i$maref  unb  Äaifer  SSilljelm  ifjr  33eto  einlegten, 
um  bie  Integrität  beS  £anbe3  unb  bes  beutfa^en  ©ebieteö  aufredet  ju  er= 
galten.  MerbingS  fonnte  biefes  9JefuItat  nur  burd)  bie  ÜNeutralitätSer« 
flärung  beS  GkofjlierjogtlmmS,  bie  Aufgabe  be^  preufcifdjen  SBefafcungSredjts 
unb  bie  Schleifung  ber  Söerfe  beö  berühmten  fteftungScoloffeS  erteilt  werben. 

3n  jenen  Sagen  ber  Suremburger  gragc  fjatte  ein  Detter  Napoleons  III., 
ber  bamalS  uielgenannte  ^rinj  gierte  23onaparte,  eine  Sd^rift  über  bie 
ftrategifdje  ^ebeutung  Suremburgs  veröffentlicht,  unb  ber  3^11  fügte  es, 
bajj  ©dureiber  biefer  ßeilen  eines  ber  erften  Gremplare  biefer  Sdjrift  bem 
gelbmarfdjall  3Jioltfe,  ber  fidt)  für  biefelbe  intcreffirte,  sufteüen  fonnte. 

Mein  nod)  anbere  Erinnerungen  fnüpfen  fid)  für  uns  an  £uremburg« 
£er  erfte  talentüolle  fiaifer  aus  bem  Surcmburger  &aufe,  beffen  nationalen 
©ejfrebunflen  ein  oor3eitiger  Stob  auf  feinem  9iömer$uge  ein  frühes  Siel 
fefcte,  lebt  in  ber  ©efdjidjte  fort,   desgleichen  fein  trüber,  ber  ftaats* 


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  <£in  Bliff  auf  bie  (ßefdjtdjtc  £uremburgs.   


73 


fluge  unb  einflußreiche  Grjbifdjof  33albuin  oon  Xrier,  foroie  £einridjs 
fielbenmütf)iger  Solm  ^ofycmn  üon  £uremburg,  ßönig  uon  ^öljmen,  ber 
friegerifd))le  $ürft  beS  14.  Safyrtyunberts,  ber  uns  erft  in  neuerer  ßeit 
burdj  bie  3Mograpf)ie  ScptterS  in  feiner  oollen  f)tftorifdjen  öebeutung  bar* 
geftellt  rourbe.  2Bir  gebenfcn  femer  flatfer  ftarls  IV.,  #6nig  SÖenjclS,  ßaifer 
SigiSmunbS  unb  iljrer  für  baS  gefammte  9?etd)  bebeutfamen  9?cgierungS= 
afte,  unb  erinnern  uns  ber  fo  tucc^fetüoüen  fpäteren  ©efd)icfe  beS  beutfdjen 
©renjlanbes.  ©in  23licf  auf  bie  £auptmomente  ber  ©cfajidjte  beS  neuerbings 
roieber  fo  oft  genannten  ßanbes  bürfte  batyer  nicfyt  unzeitgemäß  erfdjeinen. 

$aS  £anb  sroifdjen  ber  mittlereren  3Jlaaß  unb  mittleren  3)tofel,  sroifdjen 
bem  GfjierS  unb  ben  Buellflüifen  ber  Durte,  vom  öftltdjen  Sfyul  ber 
2lrbennen  unb  jafjlreidjen  3uflüffen  ber  genannten  ©eroäffer  burdfoogen, 
bitbete  bie  alte  ©raffdjaft,  fpäter  baS  &er$ogtl)um  Suremburg.  EaSfelbe 
mar  mein*  als  boppelt  fo  groß  mie  baS  gütige  ©roßljer$ogtl)um. 

©raf  Siegfrieb  aus  bem  $i)naftengefd>lea)t  ber  ©rafeu  oon  ben 
2lrbennen  braute  936  bie  bereits  $ur  ^ömerjeit  entftanbene  auf  bem  auf 
brei  Seiten  oon  ber  2U$ette  umfloffenen  23ocffclfen  belegene  Süfeelburg  in 
feinen  33efifo  unb  madjte  fie  $um  Vorort  feiner  im  Slrbennen*,  SBaore*  unb 
3)iofelgau  liegenben  Stefifcungen.  Gr  mar  ber  Stammvater  beS  arbennifd&= 
luremburgifdjeu  Kaufes. 

Sucilinbucf  —  niajt  Öuältnburuf),  wie  manage  meinen  —  mar  ber  ur* 
fprünglidje  sJJame  ber  iöurg;  er  bebeutet  fleiner  iöoef  ober  iöerg.  Gin 
beutfdjeS  ©rafengefd)lcd)t  roäjjlte  bie  33urg  3um  &>ol)nfife.  $aS  arbennifdj* 
Iuremburgifdfic  &aus  erlofd)  im  3)JanneSftamme  1136  mit  Gonrab  II.,  unb 
£uremburg  ging  burdj  bie  2>ermäl)lung  mit  ber  weiblichen  Grbin  an  bie 
©rafen  oon  9iamür  über,  bie  fid)  banadj  oon  Supemburg^amür  nannten. 
23eim  £obe  ^einrid;  IV.,  bei  legten  ©rafen  uon  £urmtburg=9iamür,  ge= 
langte  üftamür  an  bie  ©rafen  oon  föennegau;  Suremburg  aber  fiel  feiner 
einjigeu  Xodjter  Gnnefinbe  su.  Xiefe  oermäljlte  fid)  mit  Söalram  III., 
jQersog  oon  Simburg  unb  SKarfgraf  oon  2lrlon,  nad)  beffen  erfter  Gfie, 
unb  el  mürbe  smifdjen  ifmen  feftgefefct,  baß  itjre  9?ad)fommen  aus  beiben 
Glien  bie  ©raffdjaft  fiujremburg  getrennt  oon  Himburg  erljaltcn  follten. 
So  entftanb  bie  fürjlid)  oft  genannte  ältere  unb  jüngere  Salramfaje  Sinie. 
$ie  91ac$fommeu  2i3alramS,  aus  beffen  erfter  Gfye,  erhielten  nad)  feinem 
£obe  baS  ^erjogtlmm  Himburg.  25er  Sofyn  GrmeftnbeS  unb  2öalramS, 
igeinrid)  ber  SBlonbe,  erhielt  bagegen  Suremburg  unb  mürbe  ber  Stifter 
be$  Snnaftenfjaufe»  Suremburg^Simburg.  <&\c  ältere  aöalramfd^e  Sinie 
l)errfd)te  in  Simburg  bis  $um  ^aljre  1288,  nämlidj  bis  biefeS  ^erjogtljum 
burc^  bie  S^laa^t  oon  Moringen  an  Trabant  fiel. 

Sem  Gnfel  ^einria;  beS  SBlonben,  &einrid)  bem  Sü^elbuger,  mar  es 
beftimmr,  als  ^cinria)  VII.  feit  1308  bie  beutfdje  ^aiferfrone  §u  tragen, 
unb  mit  biefem  Greigniß  finben  mir  uns  auf  bie  befannteren  ©ebiete  ber 
beutfe^en  unb  ber  luremburgifc^en  ©ef^ic^te  oerfefet. 


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7^    21.  Rosalia  von  Siebctftein  in  Srcslau.   

Obgleich  erft  26  $afyxe  alt,  als  [ein  Bater  mit  breien  feiner  Brüber  in 
ber  blutigen  Schlacht  Sei  23öringen  1288  fiel,  Ijatte  er  bennod)  bis  $um 
ftahre  1292  bie  Regierung  mit  feiner  Uttutter  Beatrir  gemeinfchaftlidj  ges 
fü^rt.  3ur  Herbeiführung  eines  5tuSgleidf>eS  ber  alten  getnbfchaft  mit 
Trabant  oermählte  er  fid)  mit  Margaretha,  ber  älteften  £oct)ter  Johanns 
von  Brabant,  unb  übernahm  barauf  allein  bie  Regierung. 

©raf  Heinrich  mar  bie  auSge$eid)netfte  ritterliche  ^erfönliajfeit  feiner 
3eit,  nicht  nur  in  tfrieg  unb  allen  Surmerfunften  erfahren,  fonbern  aua) 
ein  geregter,  bie  Crbnung  unb  Sicherheit  in  feinem  Sanbe  in  bamaliger 
Seit  berounberungSniürbig  aufregt  erhaltenber  gürft;  feine  @üte,  £eut= 
feligfeit  unb  grömmigfeit  mürben  roeithin  gerühmt.  Seine  ©emahlin  mar 
eine  leutfelige,  rooblthätige,  chriftliche  gürftin  unb  ihm  eine  liebeooHe 
Lebensgefährtin,  fytyxixfy  Stiftungen  unb  Befreiungen  uon  Älöftem 
unb  Hospitälern  bezeugten  nicht  nur  ben  frommen  Sinn  beS  Herrfdjer- 
paare«,  fonbern  auch  fein  Berftänbnifc  für  bie  ihm  5ugefallenen  Aufgaben  ber 
©ntroiclelung  feines  £anbeS.  Gin  fu^er  in  bas  erfte  ^ahr  ber  Regierung 
Heinrichs  fallenber  2lufftanb  ber  Bürger  SuremburgS  mar,  fomeit  es 
fidj  feftftellen  läjjt,  gegen  bie  SBillfur  beS  an  ber  Spifec  ber  SanbeSoer* 
roaltung  ftehenben  Herrn  ^offroiö  oon  ber  ©fdt)  gerietet;  ber  Sufftanb 
mürbe  balb  gebämpft  unb  gefühnt.  3m  %a\)xe  1301  gerieth  Heinrich 
in  golge  oon  3°öftoitigfeiten  iu  Ärieg  mit  bem  Grjftift  £rier,  ber  unter 
gegenfeitigen  BerrofiftungSjügen  mit  einer  oergeblidjen  Belagerung  Triers 
enbete,  aus  ber  iebodj  Heinrich,  mit  bem  Bürgerrecht  oon  £rier  beliehen, 
als  Schirmherr  biefer  Stabt  heroorging. 

Bon  befonberer  Bebeutung  für  2)eutfdjlanb  mürbe  ber  Umftanb,  bafe 
Heinrich  feine  ©rjiehung  oorjugSioeife  am  franjöfifdjen  Hofe  erhalten 
hatte  unb  bafj  er,  fo  lange  er  nur  Regent  oon  fiuremburg  mar,  in  fteten 
Beziehungen  $u  granfreid)  blieb,  £iefe  Beziehungen  nahmen  bei  feinem 
ebenfalls  in  $aris  erzogenen  Sohne  bem  flönig  3°hann  ütm  Böhmen  einen, 
mie  mir  fehen  roerben,  bem  beutfdjen  deiche  nicht  ^eilfamcn  intimen 
^harafter  an.  Öraf  Heinrich  »erpflichtete  fid^  gegen  6000  £urnofen  bem 
ßönig  Philipp  »on  Sranfreidj  jur  Heerfolge  gegen  bie  (Snglänber  unb 
erflärte  fid;  unb  feine  ©rben  gegen  eine  QahreSrente  jum  Bafallen  ber 
tfrone  gratfreid),  mas  ihn  bei  feiner  Stellung  als  beutföer  SanbeSherr 
jeboa)  nicht  abhielt,  1295  ju  Dürnberg  bem  beutfdjen  tfönig  Sbolf  oon 
9kffau  5U  hw^igen,  ber  ihn  gleichfalls  gu  feinem  unb  beS  beutfehen 
SteidjeS  Bafatten  annahm,  inbem  er  it)m  oerfd;iebene  Bereinigungen  machte. 

3llS  JTaifer  Sllbredjt  I.  1308  uon  3ohann  ^arrieiba  ermorbet  mar, 
renfte  ber  Manier  beS  Meiches,  ber  Gr$bifd)of  $eter  oon  3ttain$  —  oon 
Balbuin  (Sr$btfchof  oon  £rier,  bem  Bruber  Heinrichs,  unterftüfet  —  bie  2öaf)( 
ber  urfürfien  unb  bie  Empfehlung  beS  ^apftes  Clemens  V.  auf  Heinrich 
oon  £uremburg,  beffen  frommer  Sinn  ber  flirre  unb  beffen  iHegierungSs 
talente  unb  ritterlidjen  Gigenfchaften  ben  meltlichen  gürfien  jener  Seit  um 


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<£in  Slitf  auf  bic  (Sefdjidjte  £uremb nrgs. 


75 


fo  wißfommener  waren,  ba  $einridj  gleidjjeitig  fidj  nidjt  im  Vefife  einer  &au3= 
madjt  befanb,  bie  if)m  ein  bauernbeS  UcScrgc!t)t(§t  im  dleifye  gefidjert  f>ätte. 
Von  ben  Angelegenheiten  be£  SietdjeS  ju  fetyr  in  2lnfprudj  genommen,  trat 
ßeinrid)  1310  feinem  Solme  3o^ann  £uremburg  förmlid)  ab.  2Bie  fein 
Später  unb  C^eim  Valbuin  oon  Trier  fjatte  audj  3of)ann  ben  witfctigften 
Xr)eil  feiner  erjieJjung  am  franjöfifdjien  £ofe  erhalten.  $aum  Ijatte  3o$ann 
bie  Regierung  oon  Sujembnrg  angetreten,  als  if)m,  ba  bie  ^rsemteliben 
in  Vöfynen  mit  Sßensel  III.  auSgeftorben,  waren  nadjj  furjer  ßerrfdjaft 
9iubolfS  oon  Cefterreid)  unb  £einria)S  oon  Mammen  bie  Ärone  VöfmtenS 
angeboten  mürbe,  flömg  §einri$  ergriff  biefe  erwünfdjte  ©elegentyett  jur 
Vergrößerung  feiner  £auSmad)t,  fidjerte  bie  3I>ar)I  feines  14  jährigen  SofmeS 
3um  ßönig  oon  Vöfmten,  unb  befeftigte  beffen  neue  «Stellung  burd)  bie  Vers 
binbung  3of)annS  mit  ©lifabetf)  oon  Voigten,  ber  Xodjter  2BenjeU  III. 
2luf  einem  &offefte  ju  6pener  fanb  1310  bie  Vermählung  ftatt. 

ilöntg  &einridj  6efanb  fia>  3U  beginn  feiner  Regierung  brei  großen 
Aufgaben  gegenüber.  SDie  wid)tigfte  berfelben  war  für  it)n  fein  JHömerjug,  um 
feine  £errfa)aft  in  Italien  fefoufteUen  unb  fia)  in  «Horn  bie  flaiferfrone  auf« 
<gaupt  fefeen  ju  laffen.  gerner  fymbelte  es  fid;  barum,  ben  Unruhen  unb 
©cmalttfjättgfeiten  beS  ©rafen  (Sberljarb  oon  SBürttemberg  ein  Gnbe  ju 
mad&en;  unb  enblicd  barum,  ben  jungen  König  3o{jann  in  bie  ßerrfdjaft 
SBöfnuen*,  weldjeS  fi<§  nod)  in  ben  &änben  &einria)S  oon  flammen  unb  feines 
!öunbcSgenoffen  griebridjs  oon  beißen  befanb,  einsufefeen.  $ret  §eere 
würben  für  biefen  3wed  gleid)3eittg  oon  ßeinridj  aufgeboten,  baS  ftärffte  ber= 
felben  war  für  ben  SHömerjug  beftimmt.  £aS  gegen  Vöfmten  beftimmte  $eer 
war  oom  ©lü<f  begünftigt  unb  $rag  würbe  nad)  furjer  Belagerung  genommen, 
&einrid)  oon  Äärntfjen  entflof)  in  fein  £anb  unb  5tönig  3of)ann  würbe  feierlid^ 
jum  böf)mifdjen  Könige  gefrönt,  $er  junge  flönig  begann  feine  Regierung 
bamit,  feine  &errfäaft  in  Vöfnnen  unb  SHäfjren  &u  befeftigen  unb  fdjloß  mit 
bem  ^erjoge  oon  Defterreid)  ein  greunbjd^aft^bünbnig. 

3n5wifd)en  ^atte  Äönig  $einrid)  feinen  SRömersug  angetreten,  ber  3uerft 
oon  Erfolgen  begleitet  war.  3n  SJtailanb  würbe  er  mit  ber  lombarbifd^en 
Ärone  gefrönt.  Allein  balb  empörten  fidj  oiele  lombarbifdje  unb  anbere 
italtemfdje  Stäbte  unb  gürften  wiber  tt)n,  unb  er  faf)  fidt)  $u  langwierigen 
Belagerungen  unb  garten  Maßregeln  genötigt,  ©rft  im  3unt  1312 
gelangte  er  nad)  bem  oon  feinblidjen  Parteien  befefeten  9iom,  eroberte  es 
jebodj  nur  tbeilweife  unb  ließ  fid),  ba  ber  $apft  in  Aoignon  refibirte, 
oon  ben  (Sarbmäfen  im  Lateran  frönen.  2lllein  baS  mittlere  unb  füb= 
lid&e  3ta(icn,  befonberS  flönig  Robert  oon  Neapel  unb  felbft  ber  Sßav\i 
toiberfefeten  fid3  energifd)  ber  Ausbreitung  feiner  ^errf^aft  auf  ber  ^alb= 
infel.  3"  ten  Vorbereitungen  3um  Äriege  gegen  Robert  oon  Neapel  be= 
griffen,  erfranfte  ber  Äaifer  unb  ftarb  in  Vuon  conoento  bei  6iena  1313. 

$einrtd)  ber  Suremburger  na^m  nadj  ^ominicuS  „ben  Diuf  eines 
tapferen,  großmütigen  unb  geredeten  ÄaiferS  mit  in'S  ©rab."    (5r  ^atte 


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76    2J.  Kogalla  non  Sicberfieitt  in  Breslau.   

■ 

bie  ibealen  unb  realen  3tele  beS  beutfdjen  Äaifertfmmä  voU  erfaßt  unb 
fanb  in  müheoollem  Kampfe  um  biefelben  feinen  £ob.  Obgleich  üor$ua> 
roeife  franjöfifd)  gebilbet  unb  früher  in  nahen  Sejielnmgen  jum  franjöfis 
fdjen  £ofe,  mürbe  er  ati  beutfdjer  König  bodj  ^ierburd;  in  feiner  2£eife 
beeinflußt.  Sa3  Seftreben  burd)  bie  ©rroerbung  Söf}mensi  für  feinen  Sotjn 
feine  &au£mad)t  511  erweitern,  fann  bei  bem  fräftigen  materiellen  dlüd- 
halt,  beffen  bas  beutfdje  Königtum  jener  £age  beburfte  nur  als  gerechtfertigt 
erfcheinen,  ba  er  über  ben  böhmtfd)en  Angelegenheiten  bie  be£  dkifyä  nicht 
nernatf>läffigte. 

2Bir  fdjreiten  jur  Betrachtung  ber  ®efd)td)te  bc$  jmeiten  großen  Suterns 
burger£,f  eines  6ohne»,o*0hani1  t>on  Böhmen,  unter  befonberer  Serfidfichtigung 
ihrer  Sebeutung  für  fein  Stammlanb  Suremburg. 

Johann  uernadjläffigte  als  König  uon  Böhmen  fein  Stammlanb  feinet 
megS.  ßr  faufte  ©üter  unb  Surgen,  uermehrte  bie  ißaty  feiner  SehnSleute 
unb  fd)lid)tete  alte  SfechtSftreittgfeiten  (roie  bie  mit  ben  Sölmen  be£  £errn 
uon  Slanfenhein  unb  bem  ©rafen  uon  S005  unb  (Hu'nn)  burdt)  Scrgleidj.  ©r 
30g  einflußreiche  Männer  gegen  bebeutenbe  ©elbabfinbungen  in  feinen 
SehnSoerbanb,  um  feine  ^ausmacht  $u  uermeljrcn  unb  bamit  fein  3lnfef)en 
auch  in  Böhmen  3U  erhöben. 

3ugleid)  ftrebte  Sodann  trofc  feiner  $ugcnb  befonberS  au£  bem  ©runbe 
nach  ber  beutfd)en  KönigSroürbe,  um  im  Seilt}  berfclben  feine  ©teöung  in 
Böhmen,  bie  burch  Heinrich  uon  Kärnten  unb  bie  öfterreidnfehen  &er$öge  un* 
auSgefefct  bebror)t  mürbe,  ju  befeftigen.  £ie  Anhänger  ber  Suremburger gartet, 
an  ihrer  (Spifee  bie  ©rjbifchöfe  von  £rier  unb  ÜJiainj,  begünftigten  biefen  ^pian, 
unb  Johann  begab  fid)  $ur  Betreibung  bcSfelben  aus  Böhmen  auf  ein  .Jahr 
nach  itoremburg  unb  an  ben  dltym  unb  begann  $ahlreid)C  Sicnfhnannen  an$u* 
merben.  AÜein  bie  Abfid)t  Thanns  fanb  bei  ber  9ttebr$abl  ber  Kurfürften 
in  Anbetracht  feiner  Sugenb  unb  ihr  gegenüberftehenber  anberer  ^«^reffen 
feinen  Beifall;  jebodt)  gelang  e$  3ofjann  feine  Stimme  für  Subroig  uon 
Säuern  gegen  beträchtlidje  Summen,  Seftfeüerpfänbungen  unb  fonftige  Se* 
miüigungcn,  bie  jum  Xl;eil  auch  ^uremburg  511  ©ute  famen,  ju  uerroertheu. 

Üöährenb  Johann  in  Böhmen,  befonberä  als  feine  Kaiferroahl  nicht 
geglüdt  mar,  einen  fdjrocren  Stanb  gegen  bie  ©roßen  beö  i'aubes  hatte, 
gab  e£  aud;  in  ber  ©raffdmft  £uremburg,  mclche  in  feiner  Abrocfenheit 
uon  Stttter  Arnolb  uon  ^ittingen  unter  Leitung  be£  fiuremburgerS  Salbuin 
uon  Xrier  uermaltet  mürbe,  mannigfache  Streitbänbel  ju  fchlichteu.  §3 
maren  bieS  ein  Waubs  unb  ^lünberung^frieg  jroifchcn  bem  Sifdjof  Abolf 
uon  &üttidj  unb  £uremburg,  ferner  Streitbänbel  mit  bem  bitter  ^ßoince 
uon  &?olmcrange  unb  bem  ©rafen  feindet)  uon  Sianben,  ben  Herren  r>on 
Surfdjeib,  uon  s2Balcourt  unb  Wodjefort.  Ulucr)  fern  uon  ßuremburg  blieb 
Johann  unau^gefe^t  bemüht  neue  £ef)u3=  unb  Xienftmannen  für  bie  ©rafj 
frfjaft  ju  geroinnen,  unb  er  uergröfjerte  biefelbe  burch  9lnfauf  non  Surg  unb 
^>errfchaft  galfenfteiu.   Xen  jum  beutfdjen  5lÖnig  gemahltcn  Subroig  uon 


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  (Ein  Slitf  auf  t>te  <5efd>idjtc  furembtirgs.    77 

Söanern  unterste  Sei  beginn  feiner  Regierung  bie  gefammte  fiuremburgifdje 
Partei,  an  if)rer  ©ptfoe  ftönig  ^oljann,  bie  @r$bifcf>öfe  oon  £rier  unb 
SKainj  gegen  ben  ©egenfönig  griebridj  oon  Ceflerretä)  auf  ba$  fräftigfte,  unb 
man  fdjlofj  mit  Submig  ein  befonbereä  <£d;ufcs  unb  £rufobünbnif3  unb  einen 
£anbfrieben.  $iefe»  üBünbnin  mürbe  für  beibe  Steife  oon  großer  2Bid)tigfeit; 
ofme  ben  Ginflufe  ber  £uremburgtfdjen  Partei  ,im  9feid)e  oermodjte  fid) 
Äöntg  fiubroig  ber  SBawer  nidjt  ju  behaupten.  9113  baf)er  bie  ©fiftenj  be3 
Dberf)aupt'3  berfeI6en,  ÄönigS  So^an^  burdj  neue  2Iufftänbe  ber  böljmifdjen 
©rafen  bebroljt  mar,  fd)ritt  ftönig  Subroig  ju  ©unften  3of)ann3  ein  unb  ' 
oenntttelte  einen  93ergleicf). 

^njtöifdjen  r)atte  in  ^uremburg  &eiuridj  uon  23caufort  baS  2anb  im 
©anjen  in  dlvfye  oerroaltet,  bie  nur  burd;  einen  ßrieg£$ug  gegen  ben  SMfdjof 
oon  Süttidj  geftört  tuorben  mar. 

33ei  einer  abermaligen  Slnroefenfjeit  ^ofjannS  ™  Suremburg  im 
3(U)re  1320  mürbe  tfjm  für  bie  35,000  Wart  Silber,  meldte  flöntg  Subroig 
ber  öaner  ifnn  fdjulbete,  ein  Tf)etl  ber  $fa(j  oerpfänbct.  %ol)am  fuf)r 
fort  neue  Se^mannen  ju  gewinnen  unb  erraarb  bie  ©raffdjaft  3lutreo, 
forgte  für  ba$  ©ebenen  ber  ßlöfter  unb  legte  um  bie  Drtfdjaften  Siefirdj 
unb  flönig$madjer  geftungSroerfe  an;  in  äfmlidier  SBeife  »erfuhr  Sofjann 
bei  einer  fpdteren  2lmoefcm>it  in  fiujemburg.  Um  biefc  3eü,  1322,  fudjte 
er  burd)  SBerfieiratlmng  furemburgifdjer  ^rinjeffmnen  bie  2Rad)t  feines 
£aufe£  $u  lieben,  unb  e$  gelang  if)m  feine  <Sd;toefter  3)torie  mit  ßarl  IV. 
uon  granfretd)  511  oermäfylen, 

Sen  insroifdjen  lange  Satye  ftdj  l)in$ief}enben  ©treit  in  Seutfdjlanb, 
ob  bie  luremburgifdje  Partei  unb  mit  if)r  ßönig  £ubroig  ber  23auer  ober 
bie  öfterreidnfdje  gartet  mit  ßönig  griebrid)  bem  6d)önen  bie  Dberljanb 
behalten  follte,  entfdjieb  ftönig  Soljann  in  ber  oon  ifjm  geleiteten  <Sd)lad)t 
uon  9Jiüf)lborf,  an  melier  ftönig  Subroig  feinen  tätigen  Slntljeil  genommen 
tyatte,  3U  ©unften  be»  Seiten.  9teid;e  3öHe  Selefniungen  unb  Skrpfänbungen 
belofmten  bie  &üfeleiftungen  ^ofjann^.  CiT  begab  fid>  einige  3eit  nadj  bem 
©iege  bei  3J?üf)lborf  nad)  sparte,  um  ber  Krönung  feiner  Sdjioefter  Sttaria 
oon  Suremburg  $ur  Königin  oon  granfreid)  beijuioofmen  unb  feinen 
älteften  Sofnt  ßarl,  ber  am  franjöfifd)en  &ofe  feine  (£r$ief)ung  erhalten 
follte,  bort  einzuführen.  9tod)  einem  Slufentljalt  in  fiuremburg,  mäfyrenb 
beffen  er  bie  6trettl)änbel  mit  bem  ©rafen  oon  $8ar  beilegte  unb  33e= 
mittigungen  für  bie  2lbtei  fünfter  in  Surcmburg  unb  be^  grauenftift  SKarien« 
t^al  mad)te,  fet)rte  er  nad)  TOjinen  jurücf. 

^m  3af)re  1324  finben  mir  ^ot^ami  abermals  in  granfreid^,  roo  bie 
6tabt  Xouloufe  Äarl  IV.  ben  ©efyorfam  aufgefünbigt  l)atte.  3?on  Slarl  III. 
ju  £ülfe  gerufen,  50g  er  mit  einer  Sdjaar  2uremburgifd)er  9iitter  nad; 
^?ari)§  unb  gegen  ^ouloufe,  metd;e^  fia)  jebod;  oljnc  tfampf  ergab.  Won 
bort  nad;  Surcmburg  jurüdgefefjrt,  unternahm  er  im  $unbe  niit  bem  ©rafen 
2)?ilf)elm  oon  &oflanb  einen  ^rieg^^ug  gegen  ben  (Sr$bifd)of  ^einrid^  oon 


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78 


  II.  Hogalla  oon  iSieberftetn  in  Srcilaa. 


Göln,  welker  oon  feinem  ©djloffe  SSoßmeritein  an  ber  Stuhr  aus  bie  r»or; 
beijiehenben  Kaufleute  gemaltfam  branbfdhafcen  lieg.  3<>!)ann  belagerte  mit 
feinen  £uremburgern  SBonn  unb  smang  ben  @r$bifd)of  jum  SRadjgeben." 

3n  bem  nun  begimtenben  Kampfe  swifdjen  König  Subroig  bem  SJaper 
unb  Sßapft  ^ofyim  XXII.  nahm  ^otymn  junäa^ft  eine  abmartenbe  refer- 
oirte  Stellung  ein. 

fiehnSftreitigfetten  unb  bie  Haltung  ber  ©tabt  9flefc,  weldje  ben  König 
Subnrig  nidjt  anerfennen  wollte,  oeranla&teu  ihn  fowie  feinen  Ctyim  53albuin 
von  Xrier,  ben  ^erjog  oon  Lothringen,  unb  ben  ©rafen  oon  Sar  in  einem 
KriegSäuge  gegen  3Jte{j;  bie  SBefagerung  ber  ©tabt  blieb  erfolgtos  unb 
baS  luremburgtfdje  ©ebiet  würbe  bura)  ©treifjüge  ber  3)iefeer  Stefafeung 
ftarf  oerwüftet;  ber  (Streit  gegen  :3ftefo  fanb  mit  einer  ©elbja^tung  ber 
©tabt  ein  6nbe.  $er  friegsluftigc  nie  raftenbe  König  erhob  hierauf  9ln= 
fprudje  auf  Trabant  unb  unternahm  mit  fetner  Suremburger  -Nitterfchaft 
einen  KriegS$ug  borthtn,  ber  jebodj  feine  weiteren  Grgebniffe  fyatte,  als 
ba&  3of)ann  feine  2lnfprüdje  auf  iöra&ant,  gegen  eine  ©elbfumme  aufgab. 

3n  bem  Kampfe  s^l)ilipp  VI.  dou  granfreid),  beffen  ©djwejter  mit 
bem  älteften  ©ofme  ^o^annS,  Karl,  oermählt  rocr,  gegen  ©buarb  III.  r»on 
(Snglanb  unb  in  ben  ©treithänbeln  König  $f)Uipp§  mit  glanbern  fiellte 
fidj  3of)ann  mit  feinen  fiuremburgern  auf  ©eite  beS  König!  oon  granfreidj. 

Grneute  ©treitigfeiten  3or)ann§  mit  bem  ©rafen  ©buarb  oon  Öar 
würben  nadj  einem  Kampfe  bei  glorenoille  burä)  einen  ©d)tebSria)ter* 
fprud)  feines  33erbünbeten  $l;iIippS  VI.  r»on  granfreidj  beigelegt.  2öä§renb 
feines  häufigen  Aufenthalts  in  Suremburg  fuhr  Qo^ann  fort,  2Menftmannen 
5U  gewinnen  unb  buraj  ©elbfummen  unb  Seime  ju  belohnen,  ©r  manbte 
audj  ferner  feine  ©orgfalt  bem  2i'of)le  ber  Allöfter  unb  ©tdbte  3U,  unb 
madjte  einige  neue  Erwerbungen;  barunter  bie  ^errfa^aft  SHeulant. 

Die  aufjerorbenttich  eretgni&retdje  unb  wedjfeloolle  £aufbafm  biefeS 
luremburgifdjen  gürften  geftattet  uns  nur  in  aller  Kürje  bie  ©reigmffe 
ber  legten  Hälfte  feines  SebenS  51t  berühren. 

3m  %ai)xt  1327  richtete  3ol)ann  fein  2lugenmerf  auf  bie  Erwerbung 
beS  föerjogthumS  Kärnten,  inbem  er  ein  £eirathSoerfpred)en  feines  jmeiten 
©olmeS  3°fann  &einrt$  mit  Margarethe  SJtoultafd),  ber  £odjter  beS 
bejahrten,  feine  mannlidjen  Erben  befifeenben  fierjogS  Seinrtd)  oon  Kärntfjen 
in  ©tanbe  braute,  fowie  burd)  bie  Vermählung  einer  Scrwanbten  beS 
luyemburger  &aufeS,  Searrir  oon  ©aoonen,  mit  bem  &er$og. 

Kämtfjen  war  bamals  als  Söinbeglieb  ScutfdjlanbS  mit  3^i^n  foroohl 
für  König  Cubwig  ben  23aper  wie  für  bie  öfterreid)ifd)en  fierjöge  unb  für 
König  3°f)Gnn,  ber  mit  feinem  2Jejt|}  ben  2öeg  nad)  3tafon  beherrfa^t 
unb  feine  $auSmad)t  fel;r  bebeutenb  oerftärft  haben  würbe,  oon  ber  häuften 
&>id)tigfeit.  2^rofe  ber  guten  Sejiehuugen,  in  bie  fid)  30^nn,  in  ber 
2lbfia)t  Kärnthen  bereinft  5U  erwerben,  ju  ben  öjierreia)if<jhen  §erjögen  unb 
ju  König  i'ubroig,  ben  er  mit  bem  ^apfte  auSäuföhneu  oerfua^te,  ju  fefcen 


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  €in  23Iicf  auf  bie  (Scfdjidjte  £ur  emburgs.   79 

bemüht  war,  unb  bie  5unädjft  audj  oon  ©rfotg  begleitet  waren,  oerbünbeten  fid) 
bafjer,  fobalb  bie  23ermäf)tung  3)Jargaretf)e  SJtoultafdjä  mit  3otjann  fteinrid) 
[tattgefunben,  unb  König  3°fH*nn  für  baS  3lbtcben  be£  &er$og3  .^cinrid^  oon 
Kanuten  bereite  ben  £ulbigung£eib  von  Kärnten,  Xixoi  unb  ©örj  ermatten 
^atte,  König  Subwig  ber  $aoer  unb  ber  &erjog  Ctto  von  Defterreid)  gegen 
3of)ann.  3nsroiWen  würbe  3°fcnn  oon  ber  welfifd&en  in  33reScia  burd) 
bie  ©tiibettinen  (wrt  bebrängten  Partei  naa;  3talien  gerufen  unb  ifnu  bie 
&errfd)aft  über  S3re3cia  angeboten  worben.  ©r  $og  nadj  Italien  unb  fteffte 
bie  9iube  in  SreScia  wieber  I>er.  $ie  wiajtigften  Stäbte  Dberitattenä  folgten 
bem  33eifpiel  33reääa3  unb  mähten  3ofjann  ju  ü;rem  Oberhaupt. 

25er  ^ßapft  betrachtete  jebod)  ba3  23orgcf)en  3of)ann£  mit  grofjem 
trauen,  unb  in  gotge  ber  3J?aferegefa  3o^annö  in  ben  italienifdjen  Stäbten, 
ber  Eroberung  oon  GafteHen,  ber  2lu3ftattung  feiner  bitter  mit  ©runbftüden 
unb  ber  Strenge  feiner  Beamten  mürben  aud)  bie  itatienifd)en  Stäbte  ifmt 
roieber  abgeneigt.  Unterbeffen  aber  fjatte  König  Submig  nid)t  nur  ein  SBünbnifj 
mehrerer  beutfdjer  gürften  gegen  3°()ann  ju  Staube  gebracht,  fonbern  aud) 
bie  Könige  oon  Ungarn,  oon  ^olen  unb  oon  9ieapet  gegen  Sodann  aufgeregt 
unb  Ödemen  rourbe  oon  atfen  Seiten  bebrof)t.  3ol;ann  eilte  baljer  nadj 
2>eutfd)(anb  jurücf,  einigte  fiefc  jebod)  gegen  3af)fang  einer  grofcen  ©elbfumme 
mit  König  Subroig  balun,  bie  i'änber  unb  Stäbte  ber  ftmtbarbei  unb 
Xoäcana  mit  bem  König  gemeinfam  ju  oerwalten. 

Gin  KriegSjug  gegen  ba$  injwifdjen  oerfammelte  §eer  bes  ßerjoga 
Otto  oon  Defterreidj  unb  ben  König  oon  Ungarn  enbete  junädjft  ofme 
©ntfdjeibung  mit  bem  ^tücfsuge  jenes  &eereS,  unb  Kaifer  Submig  mürbe 
jur  Sajlidnung  beS  Streitet  angerufen.  3m  3anuar  1332  begab  fid; 
ber  rafUofe  $o\)ann  abermals  nad)  gtoris,  gewann  ben  König  ^ilivv 
uon  granfreidj  unb  jaf)lreid)e  xr)einifd)e  unb  meberlänbifdje  gürten  unb 
Herren  &u  einem  s-8ünbniB  gegen  ben  §erjog  oon  Trabant,  oermäf)lte 
feine  Stoc^ter  ?)utta  mit  bem  Sofme  ^InlippS,  bem  Krouprinjen  oon 
Jranfreid),  3of>ann,  unb  fdjlof?  mit  König  ^r)iUpp  ein  Sdjufe*  unb  £rufe* 
bünbnife.  Ter  tfmi  nun  burd)  boppelte  oerwanbtfd)aftlid)e  Söanbe  na^er 
getretene  König  ^ilipp  übernahm  es  ben  Streit  mit  Trabant  51t  fdjlidjten. 
JJutta  oon  Suremburg  mürbe  bie  Sllmfrau  aller  fpäteren  Könige  aus  bem 
&aufe  93aloiS  foroie  ber  £er$öge  oon  33urgunb.  Um  biefe  erwarb 
3o^ann  bie  £errfd)aft  ^Öaftogne  für  Suremburg  unb  es  gelang  ifmt  mit 
bem  &er$oge  Ctto  oon  Cefterreidj}  unb  bem  Könige  oon  Ungarn  wieber 
Jrieben  ju  idtfie&en;  ebenfo  glüelte  e^  ibm  in  bem  Streite  König  £ubwig$ 
mit  ben  meberbarierifdjen  ^crjögen,  beren  einer  ber  Sd)wiegerfofjn  3o()ann§ 
mar,  ein  geeignetes  3lbfommen  ju  treffen  unb  ein  :8ünbnif3  mit  £ubwig 
ein$ugef)en.  $m  3af)re  1334  begab  fid)  3o^nn  ^um  3titterfd;tag  feinet 
•SdimiegerfoImeS,  bei  Kronprinjen  3o^ann  oon  granfretdj  naa)  ^ari^, 
unb  ging  bann  naä)  3loignon,  um  mit  bem  Zapfte  über  feine  italienifd)en 
2lngelegenl)eiten,  über  bie  3(u^fÖ^nung  König  Subwig3  mit  ber  Kivd}e 

«erb  unb  IM.  ö 


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21.  Hogaüa  oon  Sicbcrftcin  in  Breslau.   


unb  über  einige  $ermä()lungSbiSpenfe  $u  unterljanbeln.  £ie  geplante 
SluSfölmung  fdjeiterte  jebod)  an  ben  gorberungen  beS  9*apfteS.  Sein 
nunmehr  auf  einem  neuen  3«9«  Italien  unternommener  ^erfud)  feine 
bortige  &errfd>aft  ju  bef eftigen,  fdjlug  in  Solge  beS  SiberftanbeS  ber 
italienifdjen  ©tabte  unb  Surften  ferjl,  unb  oeranla&te  ilm  &ur  gän$lid)en 
Aufgabe  beS  in  Valien  ©ctuonnenen. 

Um  biefe  Seit  fajste  3ol;ann  in  golge  beS  (ftitfd>luffeS  flönig  SubroigS 
311  ©unften  beS  &er$ogS  #einrid)  von  Stteber^anern  beS  ©djnuegerfofmeS 
$oI)annS  abjubanfen,  unb  bie  2ßa^  jum  beutfd)en  Slönig  auf  ilm  ju 
lenfen,  einen  $lan,  roeldjer  für  baS  beutfdje  :fteid>  oon  größter  unb  sunt 
£Ijeil  nadjtf)eiliger  iöebeutung  ju  werben  oerfprad).  ^oijann  oerpflidnete 
fid)  $u  einem  ©dmfc=  unb  Srufebünbnif)  mit  £ubnrig  uon  Samern  für  ben 
gaH  von  beffen  2lbbanfung;  baSfelbe  tljat  föerjog  £einri$  von  9iieber= 
batjern,  unb  %\vax  beibe  unter  ber  33ebingung,  bajj  &er$og  &einrid)  ber 
9tad)folger  £ubroigS  in  ber  £errfd)aft  mürbe.  Wlipp  oon  granfreid)  foltte 
fämmtlidje  nod)  in  ben  ©istlnunern  Strien,  2loignon,  Drange,  ct.  ?ßaul, 
9)Jarfcille,  Valence,  Gmbrun,  SBienne,  ©enf,  £«on,  SBioierS,  (Sambrai, 
©Uten,  fiaufanne  gültigen  Regalien  ferner  bie  ©raffd)aften  unb  £änber 
^irooence,  ^orcuolquier,  $elfxnat,  Salbonne,  Jyoffignn,  ©auouen,  ©reffe, 
Söurgunb,  tiberljaupt  alles  £anb  von  ber  grämte  (Somto  bis  an'S  2Jteer 
oon  SJtarfeille,  unb  von  ber  9tyr>ne  unb  ©aöne  bis  $ur  Sombarbei  als 
s#fanb  erhalten,  bis  ilnn  von  SubroigS  Dlaajfolger  im  Meid)  300  000  2)2arf 
Silber  in  ^?aris  ausgesagt  roorben  feien. 

Sir  fetjen  in  biefer  Gombination  tfönig  ^ofjannS  einen  9lft,  ber, 
wenn  er  jur  £ura)fül)rung  gefommen  roäfn*cf  geeignet  mar,  bie  9ted)te 
beS  beutfd&en  HönigtfmmS  empfinblid)  ju  ©unften  3ranfreid)S  ju  fd;äbigeu, 
eine  ©djabigung  bie  aud)  bereits  aus  ben  mel;rfad)en  mit  tfönig  ^^iüpp 
uon  granfreid;  abgefdjloffenen  ©ünbniffen  ^ol;annS  fyätte  Ijeroorgefyeu 
fönuen.  ^uyemburg  mar,  roie  ein  neuerer  ©efcf;id)tsf<$reiber  richtig  be- 
merft,  feine  Vormauer  für  Xeutfdjlanb,  fonbern  bie  Pforte, 
bura)  tueldjc  f ranjö fif d;ev  Ginflufj  politifdjer  unb  fokaler  Slrt 
nad)  $eutfd)lanb  Ijiueinbrang.  3um  ©lüd  für  baS  beutfdje  ftetd) 
änberte  ftönig  l'ubioig  feinen  £ntfd;lufj,  ba  &er$og  <geinrid)  vorzeitig  fidj  in 
ber  Mjeingegenb  unb  in  3lad)en  ben  Cib  ber  Xreue  reiften  liejj. 

3u  biefer  3eit  zwangen  anl;altenbe  ©elbuerlcgen^eiten  ben  Äönig 
^o^aun  3ur  ^erpfänbung  ber  Suremburger  Drte  dtemiä),  (Sajtemad;  unb 
iMttburg,  forote  ^ur  Veräußerung  feiner  33efitjungen  in  ber  ©raffdjaft 
."genuegau  unb  ber  ^robftei  ^oiluad)e;  er  ermarb  hingegen  bie  &errfä)aften 
^iirouart  unb  2)al)l^eim. 

8m  $af)re  1334  üermäl^lte  fid)  ^oljann  in  jroeiter  G^e  mit  Seatrice 
ber  Xodjter  beS  .'ocrjogS  uon  Süourbon,  unb  blieb  längere  3eit  i"  Jranfreid). 
®äl)renb  er  nod)  bort  weilte  unb  an  einer  im  furnier  erhaltenen  Suube 
fraut  baniebcrlag,  erfolgte  ber  2:ob  bes  alten  £er$ogS  con  Äänttl;en,  unb 


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  €tn  Slirf  auf  bie  (ßefdjtAtc  £urembura.s.    81 

eä  bilbete  fidj  fofort  unter  Hönig  Subroig  unb  ben  ^erjogen  Ctto  imb 
2lI6red^t  oon  Defterreid)  ein  banerifdjsöfterceidjifdjeS  23ünbni§  gegen  ,gof)amt; 
erftere  würben  com  Äaifer  mit  Äärntljen  unb  ftratn  belehnt  unb  traten  ben 
23efife  biefer  Sanber  an. 

(Sine  brofyenbe  Koalition,  befte^enb  au$  bem  ßönig  Subroig,  ben  ^erjögen 
von  Cefterreid)  unb  ben  Königen  oon  Pfoten  unb  Ungarn  erfyob  fid)  gegen 
3of)ann,  ber  uad)  feiner  ©enefung  nadj  SBö&men  geeilt  mar  unb  ein  ftarfeä 
&eer  jur  53ef)auptung  fetner  2lnfprüd)e  auj  itämttjen  unb  Ärain  in'£  gelb 
ftcüte.  ©3  glücfte  it)m  bie  beiben  Könige  burd)  befonbere  Serfjanbtungen 
unb  bie  SBerjidjtleiftung  feiner  9ted)t£tttel  auf  ^polen  auf  feine  <Seite  $u 
5iefjen,  er  faf)  fid)  jebodj  in  einem  griebenäcongrefj  ju  ©nS  genötigt,  auf 
Äarntl)en  unb  Alrain  ju  uerjidjten. 

$aum  mar  biefer  Streit  mit  Cefterreid)  beenbet,  fo  unternahm  3oljann  auf 
baS  $ülfegefua)  beS  ^odjmeifterS  be^  beutfd)en  CrbenS,  Xljeoborid)  oon  Sitten» 
bürg,  einen  gelbjug  gegen  bie  Ijeibnifdjen  £itl;auer,  ber  jebod)  ber  ü)m  uns 
günftigen  21>ttterung3üerl)ältni)fe  falber  jiemlid)  refultatloä  unb  olme  Sd)lad)t 
»erlief,  ©ine  Slugenentjünbung,  bie  fid)  ber  ftönig  l)ier  jujog  beraubte  if)tt 
be$  ©ebraud)»  be3  einen  2luge3.  ©ine  neue  Koalition  folgte  biefer  im  2Beften 
be3  ^ieidjeä.  3n  bem  brofjenben  Kampfe  jnüfdjen  ©buarb  III.  tum  Gnglanb 
unb  ^Inlipp  VI.  von  granfreidj  um  bie  franjöfifd^e  trotte  trat  ftömg  3o^ann 
auf  Seite  granfreidj  unb  fd)lo[j  mit  biefem  einen  Vertrag  3ur  §ülfelci|tung. 
Gin  großer  £tjeil  ber  beutfdjen  gürften,  an  i^rer  Spifce  Üönig  Sttbrcig,  [teilte 
fid;  bagegen  auf  bie  Seite  ©buarb  III.  Der  flampf  gelangte  oor  ber  $anb 
nod)  nid)t  $um  Slusbrud)  unb  flönig  £ubnrig  roanbte  fid),  um  eine  9lu3= 
föfjnung  mit  bem  $apft  bttrd)  $l)ilipp  IV.  ju  erlangen,  granfreidj  ju,  gab 
ba3  englifdje  SBfinbniß  auf,  unb  fd)lofj  ein  foldjeS  mit  granfreid);  bann 
föfmte  er  fid)  mit  gofjann  in  einem  Vertrage  aus,  ber  ben  Siebten  oon  beffen 
Söhnen  SWarfgraf  Äarl  oon  Satiren  unb  ^erjog  3of)ann  oon  £irol  511 
nafje  trat  unb  biefelben  $u  energifdjem  ^roteft  ueranlaf,te. 

SBä^renb  biefer  bie  2£elt  in  üBetoegung  fcfcenben  Streitigfeiten  oerfeljlte 
Äönig  3ol)ann  nid)t,  bie  Sorge  für  feine  ©rblanbe  im  5luge  $u  behalten. 
©3  gelang  tf)m,  fid)  mit  bem  3Mfd)of  oon  3Jiefc  über  bie  biefe  Stabt  be-- 
treffenben  Streitljänbel  ju  einigen,  unb  ebenfo  bttrd)  eine  ©inigung  mit  bem 
Örafen  ßeinrid)  oon  Sar  ben  Streit  über  bie  Sd)ufel;errfd)aft  über  $erbun, 
3U  beren  Uebernafmte  3of)ann  aufgeforbert  roorben  mar,  beizulegen,  ©r 
erwarb  ferner  bie  Drte  ^roir,  ^ßirton,  Saferto,  9iaffogne,  ©Grebin,  Herfen, 
2Baoreae,  SBelleuaufe,  ^ertoagne,  Sltrin  unb  Setulj  für  Suremburg. 

3m3al;r  1338  rourbe  iijm  ber  für  einen  Äönig  von  Söljtncn,  beutfd)en 
$Hcid)^fürften  unb  ^errn  fo  uieler  Räuber  nadj  gütigen  Gegriffen  oöllig 
unbenfbare  9luftrag,  beim  bro Jenben  9lu5brud)  bc^  Äriege^  jmtfd^en  ©itglanb 
unb  granfreid)  bie  Stattl;alterfd)aft  unb  Regierung  ber  $rooiit5  Sangueboc 
für  Äönig  s^Jilipp  VI.  $u  übernehmen;  fd)on  1331  mar  er  00m  tfönig 
von  granfreid)  $um  ©enerallieutenant  ber  ^rooinj  ©a^cogne  ernannt  toorben. 

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82    21.  Hogalla  von  Bieberftetn  in  Breslau.   

9(lS  Jlönig  Gbuarb  III.  1339  mit  einem  ftarfen  £eere  in  baS  GambrefU 
einrüdte,  eilte  3of)ann  unb  fein  6ofm  flart  bem  ßönig  oon  granfreidj  5ur 
ßülfe;  es  fam  jebod>  §u  feiner  ©ntfd)eibung.  Sodann  begab  fid),  um  eine 
Teilung  feinet  einen  nod*  gefunben,  aber  bereits  fein*  angegriffenen  2Juge3 
5U  bewirten,  nadj  Montpellier;  allein  bie  SIerjte  ber  berühmten  gacultät 
oon  Montpellier  oermod&ten  baSfelbe  nid)t  $u  retten. 

Der  im  näd)ften  ^afjre  fortgefefete  Ärieg  fanb  ben  blinben  flönig 
»ieber  beim  franjöfifdjen  &eere;  nur  bie  ©eefd)lad>t  bei  SlunS  unb  bie 
erfolglofe  Belagerung  oon  £ournan  bezeichneten  ben  mit  bem  Saffenftiffs 
flanb  oon  ©fpledjin  enbigenben  getb3ug.  SBor  feiner  SReife  in'S  fransofifdje 
Heerlager  hatte  ber  Äönig  eine  Beftimmung  oon  heroorragenber  21>idjtigfeit 
für  Suremburg  getroffen,  ©r  fjatte  bie  ©raffa^aft,  bie  fidr)  injroif^en  be* 
fonberS  nad)  SSeften  l)tn,  nrie  mir  fafjen,  oergröfjert  hatte,  in  einen  romanU 
fa^en  unb  einen  beutfdjen  Diftrict  geteilt  unb  ben  Senefdjatt  beS  erften, 
ben  bitter  Sßerri  oon  föarsete,  etblicr)  oerpflidjtet,  im  gall  feinet  Xobe3 
feinem  jüngften  8ofme  Senjel,  alle  Jeftungen,  Burgen  unb  Stäbte  5U  über* 
geben  unb  ilm  als  ©rafen  oon  Suremburg  anjuerfennen.  Der  blinbe 
Äönig  fürd)tete,  bafj  man  bem  Solme  ber  ^rin^effin  Beatrij:  oon  Bourbon 
bie  ©raffchaft  £uremburg  ftreitig  machen  fönnte. 

Johann  madne  jefot  fein  Xeftamcnt,  in  loeldjem  er  feinem  erjtgeborenen 
(Solm  ftarl  Böhmen  unb  ^olen,  Bubiffin  unb  ©örlifc,  bem  ^weiten,  Johann 
&einridj,  Mähren  unb  bem  brüten  2£en$el  bie  ganse  ©raffchaft  ^uremburg 
mit  aüen  Senkungen  unb  Ginfünften  in  g-ranfreidi  beftimmte. 

©egen  Gnbe  feiner  Regierung  hatte  Johann  baS  MiBgefdncf  feine 
ßinber  Margaretha,  bie  uenoitttuete  ©emahlin  beS  &er$ogS  oon  lieber* 
baoern,  unb  feinen  £olm  ^oljann  £etnricf)  oon  tfärnttjen  ihres  BefifceS  be* 
raubt  $u  fcljen.  Margarethe  Maultafd)  oertrteb  ihren  ©atten,  ben  ^erjog 
Johann  ßeinrich  unb  oermählte  iid)  ofme  Dispens  ber  Äirdje  mit  bem 
<5ohne  Slönig  VubioigS,  bem  Marfgrafen  Subioig  oon  Branbenburg. 
3n)ifd;en  ben  Käufern  fiuremburg  unb  i&ittelsbacb  fam  es  baburd>  $u 
einem  unheilbaren  Bruche,  infolgebeffen  fid)  baS  £auS  l'uyemburg  bem 
£aufe  &absburg  näherte ;  unb  felbft  ber  iiuremburger  Balbutn  oon  Xrier 
erflärte  fid)  jefct  jum  erften  Male  gegen  tfönig  Ihibioig.  3lüein  Äönig 
^o^ann  oermodjte  bie  feinem  £aufe  angetljanen  <B<f)\nad)  nid)t  ju  rächen. 
Um  biefc  3eit  oerfaufte  er  au»  ©elbmangel  bie  ^robftet  ^oiloaa^e. 

33etm  Zapfte  (Siemens  VI.  fudjte  nun  ^o^ann  in  vJloignon  53eiftanb  gegen 
Äönig  Submig,  unb  trat  auf  einem  SHeidjStage  511  granffurt  unb  einem  gürftens 
tage  ju  3ienfe  als  offener  geinb  beS  2BittelSbaa)tfa)eu  ^aufcS  auf. 

l'ubtoig  gelang  es  jeboa^  mieberum  Böhmen  mit  einem  ganjen  %it\$c 
oon  Jyeiuben  §u  umgeben.  Äi3nig  Siubroig,  bie  Könige  oon  ^>olen  unb 
Ungarn,  ber  ^erjog  oon  Cefterreid),  ber  Marfgraf  oon  Meißen  unb  ber 
£>crjog  oon  Sdjrocibni^  traten  als  <yein.be  öuf.    ©S  gelang  iljm 

jeborf)  ^olen  unb  Ungarn  mit  feinem  £cere  $um  trieben  511  gmingeu. 


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  <£in  Sltcf  auf  bic  (Sefdjidjte  Cujrcmburgs.    83 

2)te  Häupter  ber  Suremburgifdjen  gartet  einigten  fid)  barauf  bei  einer 
3ufammenfunft  in  £rier  über  \\)t  Subiotg  gegenüber  einjunebmenbeS 
$erf)alten,  unb  3ol»ann  begab  fidj  mit  feinem  Sofme  ßarl  abermals  nadj 
2loignon,  too  beibe  bem  Zapfte  für  ben  JaU  ber  2lbfefeung  £ubtoig8 
oon  Innern  nnb  ber  2£af)l  flarlä  jum  beutfdjen  flönig  bie  toeitgef)enbften 
$erfpred)ungen  matten,  flarl  würbe  balb  baranf  jn  ftenfe  oon  fünf 
Jlurfürften  juni  bentfdjen  flönig  geroäf)lt  unb  bie  2Ibfefcung  £ubroig$  au$* 
gefprodjen.  gür  £uremburg  tjatte  Äönig  So&mm  injroifc&en  bie  Hälfte 
ber  Stäbte  Gtjinn,  9Jiontm6bn,  unb  (Stolle  erworben,  5<U)lreidje  $reif)eit$s 
briefe  unb  fonftige  SBerfpredjungen  gewährt,  jebodj  auä  ©elbmangel  ade 
(Sinfünfte  unb  bebeutenben  Steile  be$  Sanbeä  oerpfanbet. 

3n  biefem  3^itpunft  rief  ftönig  Wlipp  von  granfreidj  bie  Surem* 
burger  gegen  flönig  ßbuarb  oon  ©nglanb,  ber  in  9?orbfranfreid)  ein» 
gefallen  war,  ju  &ilfe.  9fadj  fiegreidjen  kämpfen  bei  ©ranboillierä  unb 
^ont»9flenu)  führte  flönig  ^oljann  in  ber  Sd)lad)t  oon  Green  ba3  erfte 
fran$öfif$e  treffen  unb  fanb  f)ier,  als  bie  Sd)lad)t  fid)  jum  9Jadjtf)eil 
ber  Jranjofen  roanbte,  l)elbenmütf)ig  fämpfenb  ben  Xob. 

ftönig  ^o^ann  mar  unftreitig  ber  bebeutenbfte  ber  Suyemburger  gürften. 
Unter  tym  gelangte  bie  9Jiadjt  be3  Suremburger  &aufe3  $u  iljrer  Ijöc&ften 
Gnttoicfelung;  benn  unter  feiner  &errfd)aft  ftanb  $u  jener  3*ü  — 
mie  nie  oorfjer  ober  nadjf)er  —  baä  Sänbergebiet  uon  33ö|jmen, 
9Jiäf)ren,  ßuremburg,  Cber^talien,  £nrol,  ein  £l)eil  oon 
Sdjlefien  unb  mittelbar  —  burdj  bie  £eiratf)en  ber  Sttnber  $of)ann£  — 
&ärntf)en  unb  ÜRieberbaoern;  fotoie  unter  öatbutn  baS  (SrjbiS* 
t^um  Xrier.  (Sine  3* Wang  roarb  e$  im  ganzen  roeftlidjen  Europa  $um 
6prid)toort:  „Df)ne  be$  ÄönigS  oon  Söfjmen  1 1 f e  oermag 
9fiemanb  etroaS  au^uridjten;  er  erl)öf)t  unb  erniebrigt,  wen  er 
roill!"  SBoltaire  bemerft  oon  Sodann  nia)t  mit  Unredjt:  „@r  mar  in 
ber  Sljat  flaifer  oon  Xeutfdjlanb."  Mein  er  förberte  bie  3ntereffen 
2>eittfa)lanbg  nur  infotoeit,  als  fie  feinen  perfönlidjen  ^roeefen  bienten;  mir 
feljen  ifjn.  o&ne  iöebenfen  in  ben  Solb  granfreiajS  treten  unb  feine 
fiuremburger  unb  SBöfnnen  für  $f)ilipp  VI.  in'ä  *elb  führen.  %m 
beutfajen  9?eia)e  aber  überwog;  er  mit  ßrieg,  toer  irgenb  fid)  feinen  bnnaftifdjen 
^ntereffen  toiberfefete.  9lud)  fein  erfolgreid)e£  ^orgefjen  in  Italien  $u 
Ounften  ber  3lufprüd)e  be$  beutfdjen  ReiajeS  biente  nur  ber  (Srfjötntng 
feiner  eigenen  2Kad)t  unb  oerlefete  bie  Redjte  Ruberer.  %n  tfönig 
Sodann  fteeft  etroa^  oom  Raubritter  im  großen  Stile;  too  eine  ©e= 
tegenijeit  jur  Söcute  fid)  ifnn  jeigt,  greift  er  $u.  9?ur  feinem  Stamms 
lanbe  £uremburg  fefjen  mir  if>n  eine  ftetige  unoeränberte  Sorgfalt  mibmen 
unb  feine  2lu3fdjreitungen  gegen  beffen  -öemo^ner  begeben,  ©in  eigen= 
t^ümlid^eä  ©efd)ict  fügte  c$,  bafe  wie  fein  fieben  ein  beftänbig  unftäteS 
gemefen  roar,  feine  ®ebeine  uad)  feinem  Xobe  mannigfad^en  ^rrfaljrten  auä* 
gefegt  roaren  unb  g(etd)fam  feine  Ru^e  finben  fonnten.   9loö)  je^t  ru^en 


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8$    21.  Kogalla  von  Bieberfiein  in  Breslau.   

fie  nid)t  in  ihrer  &eimat,  fonbern  werben  in  ber  oon  tfönig  gnebridj 
2Btlf)elm  IV.  ju  biefem  ^rocd  hergerichteten  Glaufe  bei  GafteU  an  ber 
Saar  aufbewahrt.  Sein  ältefter  Solm  Äarl  folgte  ihm  in  Völmten  in  ber 
ßerrfdjaft  unb  führte  für  ben  jüngften,  SBenseSlaro,  mährenb  bejfen  9Jtinber* 
jährigfeit  bie  9iegentfd)aft  in  ber  ©rafidjaft  Suremburg. 

2Bir  fa^en  toic  Sfarl  fdjon  in  jüngeren  ^fa^ren  als  ^eichSoifar  in 
Statten  unb  als  SRarfgraf  oon  9Jiät;ren,  fotoie  im  Kampfe  ber  Sujemburger 
gegen  ben  Steifer,  bie  ^potitif  feines  Kaufes  in  flrieg  unb  grieben  oerfod)t. 
iburcJ)  ftaatSflugeS  5öerrja(ten  unb  burd)  feine  Vermählung  mit  einer  SSittelS* 
bad)erin,  ber  Xod)ter  beS  ßurfürjien  3hibolpt)  oon  ber  ^falj,  befeftigte  er 
fidj  in  ber  unter  erniebrigenben  Vcftimmungen  erhaltenen  tfatferroürbe,  liefe 
fidj  in  2(ad}en  frönen  unb  bie  SHeidjSinfignten  gegen  fein  Verfpredjen,  fie 
bort  ju  belaffen,  nad)  Vöfnnen  bringen.  Sein  eifrigfteS  Vejrreben  mar 
auf  bie  Vergrößerung  feiner  jgauSmadjt  gerietet.  @r  [inerte  fid)  bie  ©rb* 
folge  in  ber  Cberpfalj  unb  beroog  bie  SiUttelsbadjer  gürften  burd)  ©elb* 
jahlungen  unb  anberroettige  3naeftänbniffe  jum  Vergeht  auf  it)r  ©rbredjt. 
£urd)  eine  jroeite  £eirath  mit  ber  Xod)ter  föerjog  Heinrichs  oon  ^auer 
gelangte  er  in  ben  Vefife  ber  gürftenthümer  Sdjmcibmfc  unb  Sauer.  Sein 
furjer  sJtömer$ug  oerlief  olme  ^inbernijg. 

$er  für  £eutfd)lanb  bebeutenbfte  3lct  ber  Regierung  Äarls  IV.  mar 
ber  erlaß  beS  ©runbgefefceS  für  bie  beutfdje  tfatferioahl  burdj  bie  „golbene 
Sülle"  135G.  $er  (Sinflufe  beS  Sßapfte^  auf  bie  flaiferioahl  mürbe  burd) 
biefelbe  befeitigt.  @tn  VefchroichtigungSoerfud)  bei  aufgebraßten  ^apftes 
burd)  bie  ©rlaubnife  jur  ßrfjebung  beS  Sehnten  oon  allen  geiftltdjen  Quu 
fünften  in  2)eutfd&lanb  blieb  erfolglos  unb  bie  oon  ßarl  $ur  Vefanftigumj 
ber  beutfdjen  9?eid)Sfürften  geplante  Reform  ber  beutfehen  ©eiftlid)feit  rourbe 
in  golge  ber  Xrofjungen  beS  ^apfteS  aufgegeben,  alle  Freiheiten  ber  ©eift- 
liä)en  mürben  oon  tfarl  beftätigt  unb  biefelben  oon  jeber  weltlichen  ©crichts= 
barfeit  unabhängig  gemacht.  Stets  in  ftarfer  2lbl)ängigfeit  oom  Zapfte, 
30g  flarl,  oon  biefem  ba3u  aufgeforbert,  um  ber  2BiHfürf)errfd)aft  ©alea^o 
Viscontis  ein  Gnbe  ju  machen,  unb  um  bem  Zapfte  (Siemens  IV.  bie  Mücf* 
fehr  oon  Sloignon  ju  ermöglichen,  nodnnals  unb  jroar  mit  einem  bebeutenben 
&eere  nach  Qtalien  unb  nöthigte  bie  Viscontis  burd)  fein  Grfdjeinen  ohne 
Schlacht  jum  grieben. 

£ie  2lngelegent)eiten  beS  beutfdjen  Meiches  erfuhren  burd)  Jtarl  IV. 
feine  befonbere  görberung;  feine  ganje  Stjättgfett  concentrite  fid)  auf  bie 
ßntwidelung  feines  StammlanbeS  Vöhmen  unb  bie  Erweiterungen  ber 
9)iacht  beS  i'urcmburger  $aufeS.  (Sr  erwarb  für  biefeS  bie  3)iarf  Trauben* 
bürg  unb  bie  DJteberfaufi^  unb  ooHeubete  bie  oon  Jlönig  Johann  begonnene 
Erwerbung  SchlefienS  unb  ftiftete  in  <prag  bie  erfte  beutfehe  Unioerfitat. 
3m  3al)re  1349  ftattete  flönig  Jtarf  feinem  Stammlanbe  i'urcmburg  einen 
Vefud)  ab,  ioat)rfcr)einlicr)  5U  bem  ^mede  um  bie  Uebergabe  ber  oon  feinem 
Vater,  feinem  Cheim,  bem  (£rjbifchof  Valbuin  oon  £rier  oerpfänbeten 
luremburgifchen  OJebietethetle  unb  bereu  £u(bigung  ju  oeranlaffen. 


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  €in  33lid  auf  btc  (ßefdjidjte  £ajemburgs.    85 

3m  <3af)re  1354  erfjob  Jlarl  bie  ©raffd>aft  fiuremburg  unter  befonberer 
Seierlidjfeit  jum  ^erjogt^um.  33i$  (Snbe  be3  $a\)xeä  1353  fjatte  er  bie 
2>ormunbfd)aft  für  feinen  jüngften  93ruber  Söenjel  geführt,  wäfjrenb  fein 
Otyeim  ber  (Srjbifcfiof  Salbuin  von  Srier  be3  £anbe$  „Pfleger"  geroefen 
roar.  %n  Wty,  tw>  Hart  am  13.  Sftärj  einen  feierlichen  ©injug  fnelt, 
würbe  in  9lnwefenfjeit  unb  unter  .guftimmung  bcr  Jturfürften  oon  Äöln, 
SKainj  unb  ber  $fal$,  beS  &er&og§  von  ^efc^en,  beS  2)tarfgrafen  von 
^ültcr)  unb  ber  33ifdt)Öfe  r>on  SJtefc,  Süttidt)  unb  Chnüfe  bie  Grabung  Sßenjel^, 
beS  SoImeS  ber  93eatrir  r»on  SBourbon  jum  ^erjog  von  Sureniburg  proctamirt, 
unb  berfelbe  trat  hierauf  bie  Regierung  be$  #anbe3  an. 

3m  3atjre  1364  Bereinigte  Start  bie  ©raffdjaft  Gljing  mit  fiuremburg. 
$urdj  2lufwenbung  für  jene  3eit  enormer  ©elbfummen  gelang  e£  ttmt  bie 
2Saf)l  unb  Krönung  feines  So(me3  2£enjel3  als  feinert  9todf)folger  im 
beutfdjen  flönigtrjum  bura^ufefcen.  Sei  feinem  Xobe  ertjielt  SÖenjel  33öf)men, 
©djlefien  unb  bie  ftöntgS  würbe,  flarls  jtüeiter  Solm  Sigtemunb  23ranbeu= 
bürg,  unb  ber  britte  ^ofjann  bie  Saufifc. 

aBenjel,  ber  britte  beutfdje  Äaifer  aus  beut  &auie  ber  Sujemburger, 
war  ber  unbebeutenbfte  unter  benfelben.  2Bot)t  ficC  ber  Antritt  feiner 
Regierung  1378  in  eine  (Spodje,  in  wetdjer  fitj  bie  bürgerlichen  unb 
fird)lid)en  Elemente  £eutid)lanbs  im  3»ftanbe  ber  ©äf)rung  unb  2luflöfung 
befanben,  unb  Söenjel  oerfudue  auf  bem  9ieid)$tage  ju  Dürnberg,  ben  ber 
Murje  $eutfd)lanbs  uerberblidjen  Stäbtebünben  unb  2lbel£oereinen  entgegen 
5U  treten;  allein  weber  biefer  <pian  nod)  feine  1380  $u  ßeibelberg  unb  1387 
ju  SWergentrjeim  unternommenen  2>erfuä>  ju  einer  (Einigung  alter  gürften 
unb  (Stäbte  waren  von  (Srfolg  begleitet.  Stuf  Koften  ber  Selbftänbigfeit 
ber  (Stabt  gelang  es  ifnn  jebodfr  einen  £anbf rieben  fjerjufteQen.  Seine  ^läne 
im  9<eia>  unb  5ur  Beilegung  beS  £d)i3ma$  ber  Mirale  mifcgludten,  unb 
2Ben$el  begann  bie  ftegierungsgefc&äfte  Stä&menS  unb  £eutfd)lanb3  $u  uer* 
nad)läffigen,  faft  auSfdjlietjlid)  ber  3agb  unb  bem  £runfe  511  leben,  unb  mandfje 
©ewaltacte  gegen  ben  boljen  9lbel  unb  ben  GleruS  (^o^ann  v.  SRepomurf)  au3= 
jufüfjren.  $iefelben  tjatten  feine  ©efangcnnefjtnung,  auf  3>eranftaltung  feinet 
eigenen  23ruber3  ÄönigS  eigtSmunbS  von  Ungarn  unb  3obft3  von  Marxen 
unb  feine  längere  3nf)aftf)altung,  unb  bie  r»ölltge£erabfefcung  feiner  föniglia^en 
2(utorität  jur  golge.  3tudj  in  $eutfd)lanb  fanf  fein  3lnfe^en  gewaltig,  unb 
bie  bitter  unb  bie  Stäbtebünbe  erneuerten  iln-e  ©ewalttfjätigfeiten. 

&on  fteter  ©elbnotl)  bebrängt,  nerfaufte  2Sen3el  jum  ^aa)tl;eil  ber 
(aiferlid;cn  diente  bie  ^er^oglidje  s^ürbe  uon  9)toilanb  an  ^ol)ann 
©alea330  Sßiöconti  für  100  000  ©olbgulben. 

3ur  Sefeitiguug  be3  Sa^i^maS  ber  5tirc^e  vereinigte  fid)  Mensel 
mit  S^nfreia)  unb  willigte  in  bie  Mbfefcuug  ber  ©egenpäpfte  Sonifaciu^  IX. 
unb  33enebict  XT1I.  ^ierburd)  mad^te  er  ftdj  ben  9ieidjsfan3ler,  ben  einflufe= 
reiben  Grjbif^of  uon  ^Jiaiuj,  sum  gdnbc,  unb  bie  Murfürften  uon  SWainj, 
Äöln.  ^rier  unb  ber  ?falj  fpradien  am  20.  Sluguft  1400  ^en$el3  2lbfefeung 


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21.  Kogallo  oon  ötcbcrftcin  in  Srcslau.   


aus  unb  toäfjlten  an  fetner  Stelle  ben  aHerbingS  nidjt  jur  allgemeinen 
2Inerfennung  gelangenben  9iupred)t  oon  ber  ^falj.  9?eue  Streitigfeiten  in 
Söhnen  benufete  Äönig  SigiSmunb,  um  feinen  ©ruber  abermals  gefangen 
nennen  §u  laffen  unb  über  1 J/2  3a^r  5U  Sßien  in  ^aft  5U  galten.  1403  fpradj 
audj  Sßapft  33onifaciuS  IX.  bie  2lbfefcung  SBenjelS  förmlidj  aus.  3n  Söfmten 
blieb  2Ben$el  im  $efi|  ber  &errfdjaft,  er  begünftigtc  aus  §afj  gegen  bie 
©eiftltdtfeit  bie  qedjtfdjen  Slnljänger  beS  «§ufj  unb  fdjmädjte  baS  £eutfd)tf)um 
im  £anbe,  befonberS  imrd)  bie  Gjedjiftrung  ber  Untoerfität  ^rag.  1410 
trat  2öen}el  nad)  ber  2Öaf)l  feine»  23wberS  SigiSmunb  feine  SHed&te  auf 
bie  Äaifernmrbe  p  beffen  ©unftcn  ab,  unb  ftarb  balb  nad)  bem  tUufftanbe 
ber  &uffiten  in  $rag,  ber  ben  &uffitenfrieg  jur  golge  f)atte. 

3fmi  folgte  in  Bölmten  unb  als  beutfdjer  ftaifer  bev  fefete  ber 
§errfd)er  SeutfdjlanbS  aus  bem  Suremburger  &aufe,  fein 
trüber  SigiSmunb.  $ie  ^ntereften  beSfelben  roiefen  befonberS  roa^renb 
ber  erften  $e\t  feiner  Saufba^n  oorjugSroeife  nad)  Cften.  Gr  war  mit  9)iaria, 
ber  Grbtod)ter  &ubnrigS  beS  ©ro&en  oon  Spolen  unb  Ungarn,  ocrmuljlt.  3^ 
^olen  gelangten  9Haria  unb  Jlarl  nid&t  jur  £errfdjaft,  ba  bie  ^olen  bie 
Sdjtoefter  Darias  .§ebn>ig  jur  Königin  rollten  unb  in  Ungarn  gelangte 
SigiSmunb  erft  1387  nadj  Beseitigung  ftarls  oon  ^urajjo  unb  ber  Befreiung 
9)iarias  aus  ber  ©efangenfdjaft  bcS  BanuS  oon  Groatten  in  beren  Beftfc  unb 
$ur  £rone.  2Mein  bie  bamals  $u  Ungarn  gehörige  35>aladjei  unterwarf 
fid)  fetner  Grbmäfngfeit  nid)t  unb  SigiSmunb  nmrbe  baburd)  in  einen 
Krieg  gegen  bie  Surfet  oenoiäelt,  jur  Beftrettung  oon  beffen  floften  er  bie 
2llt:  unb  Alurmarf  feines  9)?arfgrafentfmmS  SBranbenburg  an  3obft  0011 
SJtäfjren  oerpfänbete.  Gr  mürbe  jebodj  bei  9?icopoltS  00m  Sultan  23aja$et 
gänjlid)  gefdjlagen.  Ungarn  empörte  fid)  einige  3eit  barauf  gegen  tljn, 
fefcte  ifm  gefangen  unb  frönte  Sabislaro  oon  Neapel  an  SigtSmunbS 
Stelle  5um  Könige.  GS  gelang  SigiSmunb  jebodj  bie  Gmpörer  ju  unter = 
werfen  unb  fidt)  roieber  in  Befifc  ber  &errfd)aft  ju  fefeen. 

3ur  3eit  feiner  Äaifenoafjl  in  einen  Krieg  mit  beliebig  oenoicfelt, 
fam  SigiSmunb  erft  1414  nad)  £eutfc§lanb.  SaS  ^auptoerbienft  feiner 
Regierung  als  beutfdjer  Kaifer  beftanb  barin,  bafj  eS  Hnn  gelaug,  burd^ 
baS  Goncil  oon  Konftan$  bem  langjährigen  SapiSma  ber  Kirdje  ein  Gnbe 
5U  madjen.  Gin  $ef)ler  ber  Sßolitif  Sigismunds,  feine  GinroiÜigung  jur 
Verbrennung  beS  Sannes  oon  ftufc,  fyatte  ben  £>uffitenfrieg  im  ©efolge,  ber 
SigiSmunb  unb  33ö^men  faft  roäfjrenb  feiner  gaujen  Regierung  befdjäftigte, 
biefeS  l'anb  unb  feine  9tod)&arlänber  oerroüftete  unb  erft  1436  eitbete. 

Jriebrid^  ben  Streitbaren,  SÄarfgrafen  oon  Weiften,  befiel)  er  für 
feine  SBerbienfte  im  ^uffitenfriege  na(%  bem  2luSfterben  beS  aSfanifd;en 
Stammes  mit  ber  5tunoürbe  unb  bem  £er3ogtI)um  Saufen,  fievnex  ge^ 
langten  unter  SigiSmunb  befanntlidj  bie  ^oljenjollern  jum  ?lntritt  i^rer 
^enfd^aft  in  ©ranbenburg,  inbem  ber  Äaifer  ben  Burggrafen  griebria^ 
oon  Dürnberg  perft  jum  Verroefer  ber  burd)  3"bftS  oon  3Jtäf)ren  Xob 


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  <£in  33lirf  auf  bte  «Scfd^idjte  f  urcmburgs.    87 

ifmt  anheimgefallenen  fe^r  jerrfiiteten  Stfarf  SBranbenburg  madjte  unb  ifjn 
1405  mit  berfelben  belehnte.  SigiSnumb  erf>ob  Gleoe  ju  einem  ^er^og; 
tfwm,  unternahm  1413  unb  1433  5ur  ©rlangung  ber  italtenifajen  ÄönigS* 
frone  unb  ber  beutfdjen  flatferfrone  ^üge  nadj  3talien  unb  ftarb  nad) 
einem  SBerfud)  jur  Aufrichtung  beS  beutfd)en  SanbfriebenS  1437. 

2Bir  roenben  uns  nun  nüeber  auSfd^tteglic^  jur  ©efdjichte  beS  fianbes 
Suremburg.  ftöntg  Söenjel  f)atte,  roie  mir  faf)en,  baS  <öerjogt()um  Surem* 
bürg  feiner  9iid)te  ßltfabetf),  ber  £od)ter  3°h<wnS  £erpgS  oon  ©örlife 
unb  £iegnifc  ftatt  eines  ihr  oeriprodjenen  SrautfdjafceS  oon  120  000  ©ulben, 
übergeben.  ^lifabetl)  mar  in  erficr  (Sf)e  mit  bem  &erjog  2Inton  oon 
SBurgunb,  in  jroeiter  @!>e  mit  3°hamt  oon  dauern,  ©rafen  von  £ol!anb 
rermäfilt.  Äaifer  2llbrecht  IV.  von  Sababurg  iebod)  tyxtte  bie  Xod)ter 
Äönig  Söenjelö  oon  33öt)tnen  geheiratet;  ber  ©emaljl  feiner  Tochter 
2lnna  ber  2J?arfgraf  2Bilhelm  III.  oon  3Heijien  mar  berechtigt  baS  oer* 
Pf  anbete  ^erjogthum  einjutöfen,  unb  als  berfelbe  feine  Xruppen  unter 
bem  ©rafen  von  ©leiten  nach  Suremburg  fanbte,  traten  oiele  Gbel* 
leute  unb  Stäbte  ju  ihm  über.  Xa  trat  ©lifabetf)  1443  alle  tf>re  fechte 
auf  Suyemburg  an  ^t)ilipp  bcn  ©ütigen  oonSBurgunb  ab;  berfelbe  eroberte 
1443  bie  gefte  Suremburg,  oertrieb  ben  ©rafen  oon  ©leiten  unb 
faufte  1462  bem  £»er$og  oon  Sachfen  alle  2mfprüd)e  auf  Suremburg  ab. 
3J?aria,  bie  (Srbin  oon  33urgunb,  oermählte  fid)  1477  mit  bem  ©rjherjog 
ÜWarimilian.  3n  golge  &ieicr  SBerbinbung  gelangte  Suremburg  in  ben 
23efife  beS  Kaufes  £abSburg=Cefterreid),  gehörte  nebft  ben  gefammten 
SRieberlanben  $um  burgunbifdjen  Greife  unb  tfjetlte  beffen  ©efd^icfe. 
Unter  Spfnliop  IV.  oon  Spanien  mit  ben  9tteberlanben  an  Spanien  ab* 
getreten,  gehörte  £uremburg  auch  jur  fpanifchen  Monarchie,  blieb  jeboch 
als  ein  £f)eil  beS  burgunbifchen  ÄreifeS  beim  bentfdjen  deiche.  3m 
pnrenäifchen  grieben  oon  1659  trat  jeboct)  Spanien  einen  jiemlich  be* 
beutenben  £T)eil  £uremburgS,  nämlia)  Liebenhofen,  9Jtontm6bo,  SamoillerS, 
3roipGarignan,  G^aoance  unb  9flarot[le  an  granf  reich  ab. 

Lurd)  ben  Utred&ter  grieben  gelaugte  £uremburg  mit  Ausnahme 
biefer  abgetretenen  ©ebietstfjeile  roieber  an  baS  &auS  Sababurg  unb  bübete 
einen  Xljeil  beS  SBurgunbifdien  ÄreifeS  beS  beutfa^en  9teid)S.  %m  gelb; 
juge  oon  1795  rourbe  Suremburg  oon  granfreich  erobert  unb  im  grieben 
oon  Gampo  gormio  nebft  ben  öfterreid)ifd)en  3^ieberlanben  unb  sugleidj 
mit  bem  burgunbifd)en  Äreife  an  gran(reicf>  abgetreten.  @S  erhielt  ben 
tarnen  Departement  des  Forets. 

@rft  burdj  ben  2Biener  6ongre§  rourbe  ^uremburg  bem  beutfd^en 
tHeid^e,  unb  jroar  als  ©rofeljersogthum,  5itrüd*gegeben  unb  bem  5lönig 
SSit^elm  I.  ber  ÜRieberlanbe  als  6ntfd)dbigung  für  ben  Sßerluft  feiner 
naffauifd}en  ©rblanbe  überroiefen.  Stabt  unb  geftung  Supemburg  rourben 
beutfd^e  SunbeSfeftung.  gür  bie  9toä)folge  ber  beiben  Linien  beS  Kaufes 
^affau  in  ber  ^errfajaft  über  Sujemburg  rourben  bie  naffauifd)en  Grboer* 


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8S 


21.  Hogalla  ton  Bicberftein  in  Breslau.   


träge  von  1783  für  gültig  erflärt.  $ur  21uSgleidjung  ber  ©renjen  jroifdjen 
Greußen  unb  bem  5lönigreidj  ber  sJiieberlanbe  rourbe  baS  ©ebiet  von 
St.  Seit,  Sitburg,  üflauenburg  unb  bie  bis  baf)in  unter  £uremburger 
&of)eit  ftefyenbe  (Sraffc^aft  Sdjleiben  an  spreufjen  abgetreten.  Suremburg 
erhielt  bagegen  einen  £f)eil  bes  £üttid)er  ©ebtets,  unb  ber  größte  Sfyeil 
bes  ©ro^erjogtJjumS  Bouillon  fam  als  StanbeSfierrfdjaft  unter  bie 
Souoeränetät  bes  ©rof$er$ogS  von  l'ujemburg. 

$aS  $a\)x  1830  mar  für  Suremburg  von  befonberer  SSidjtigfeit. 
£aS  Sänbdjen  fdjlofj  fidj  mit  3luSnaf)me  ber  Stabt  unb  SunbeSfeftung 
ber  belgifdjen  9tet)olution  an  unb  gelangte  bis  auf  bie  geftung  unb  beren 
9tanon  unter  belgiidje  &errfdjaft.  (Srft  1838  nalnn  §oUanb  bie  24  2lrtifel 
ber  l'onboner  Gonferenj  an,  unb  Belgien  räumte  barauf  ben  #ollanb  »er- 
bleibenben  £f)etl  beS  luremburgtfdjen  ©ebiets  foroie  Simburg.  ©in  gleidj 
großer  £I)eil  Himburgs  roie  ber  r»on  Belgien  abgetretene  £f)eU  SuremburgS 
würbe  mit  Suremburg  als  beutfdjes  23unbeSlanb  Dereinigt,  ©leidfoeitig 
rourbe  bie  Selbftftänbigfett  beS  ©rofefjerjogtlmmS  ausgesprochen. 

?ln  ben&önigÄofeljerjog  beS  ben  9fieberlanben  nun  bura)  ^erjonalunion 
rerbunbenen  i'anbeS  trat  jefet  bie  Aufgabe  tyeran  bemfelben  nad&  33orfc^rift 
ber  beutfajen  SunbeSacte  eine  lanbftänbtfd;c  Serfaffung  $u  geben.  £ieS  gefajalj 
1841  burd)  .Uönig  Silljelm  II.  ber  9fteberlanbe,  ber  injroifd^en  feinem  Sater 
in  ber  Regierung  gefolgt  war.  2Me  octronirte  Serfajfung  entfprad)  jebodj 
ben  2lnforberungen  ber  3ett  niajt,  unb  Sßillielm  II.  berief  im  2lpril  1848  ben 
l'anbtag  uon  £uremburg.  $crfelbe  beriet!;  eine  neue  ber  belgijdjen  naa> 
gebilbeten  Serfaffung,  unb  ber  Slönig  fanctionirte  unb  beidjioor  biejelbe. 

Äönig  2i?illjelm  III.  gab  1850  in  feinem  ©ruber,  bem^rinjen  £einrid) 
ber  iiftieberlanbe,  bem  Xtanbe  einen  Statthalter.  Gr  beabfidjtigte  eine  SHemfiou 
ber  Serfaffung  von  1848.  &iufiä)tlidj  biejer  9teüifion  entfpann  fidj  im 
Cctober  1856  ein  tfampf  jroifdjen  ber  luranburgi|d)cn  Cammer  unb  ber 
3iegierung.  3\n  üRooember  beSfelben  %a1)xe§  würbe  bem  l'anbe  eine  Ser= 
faffung  octronirt;  biefelbe  behielt  baS  ©infammerfyftem  äroar  bei,  jog  jebod) 
bem  Ginflufe  unb  &>irfungSbereid;  ber  Cammer  fer)r  enge  ©renjen.  3Bätjrenb 
beS  Krieges  r»on  1866,  ber  ben  beutfdjjen  Sunb  fprengen  foüte,  blieb 
Suremburg  neutral  unb  rourbe  mit  9Iuflöfmig  beS  Sunbes  felbftftänbig ; 
es  blieb  jebodj  im  beutföen  3ofloerein,  unb  Greußen  übte  rote  früher  baä 
JöefafeungSredjt  in  fcuremburg  aus. 

3efet  trat  ber^önig  ber9iieberlanbe  in  Unterfyanblungen  mit  Napoleon  III., 
roeldje  ben  Serfauf  beS  ©ro&ljerjogStfmmS  an  granfreid}  sum  ©egenftanbe 
Ratten.  9tod)  ift  in  aüer  ©ebädjtnifj,  welche  (Srflärung  gürft  SiSmartf 
l)infidjt(id)  biefes  SerfdufS  im  iHeidjetage  ab^ab,  unb  roie  ber  ftrieg  jroiid^en 
granfreid)  unb  £eut[d)lanb  burd)  ben  entfdjloffenen  35Men  Äönig  ä^il^elmä 
von  ^reu^en,  feinen  gufj  breit  beutfa^en  SobenS  abtreten  $u  lajfen,  unb 
bura)  ben  ^onboner  Vertrag  r-om  11.  2Nai  1867  oermieben  würbe. 

^urd>  biefen  Vertrag  trat  Üuremburg  als  neutrales  l'anb  unter  bie 


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  (Ein  Blicf  auf  bie  öefdjtdjte  fu|emburgs.    8^ 

©arantie  ber  europäifdjen  ©rofcmädjte,  ^reufcen  gab  ba$  33efafeungredjt 
auf,  unb  bie  geftungä  werfe  Luxemburgs  würben  gefd^Ietft.  $urd)  befonberen 
Vertrag  am  8.  Quli  1867  würbe  bie  3oHoereinigung  mit  $eutfd)lanb  er* 
neuert,  unb  1872  übernahm  ba$  beutfd^c  Steidj  bie  Luxemburger  2öilf)elm$; 
ba^n  auf  40  3afyxe  in  Sßadjt. 

2lts  ber  tfönig  ©roffterjog  Sßilfjelm  in.  im  3Härj  biefeS  ^re3  in 
golge  fernerer  ©rfranfung  oon  ben  2lerjten  für  bauemb  regierung$unfäf)ig 
erflärt  würbe,  gelangten,  ba  fein  inännltdjer  Leibeserbe  be$  SlöntgS  oor* 
fymben  war,  naa)  ben  ©rboerträgen  be£  naffauifdjen  §aufe$  bie  2lnfprüd)e 
ber  altern  walTamfdjen  Linie  auf  bie  föerrfdjaft  in  Luxemburg  jur  ©eltung, 
unb  föerjog  3lbolf  oon  S^affau  übernahm,  oon  ber  nteberlänbifcben  Regierung 
aufgeforbert,  bie  SRegentfajaft  im  ©rofif)er$ogtf)um,  fretltdj  nur  auf  furje  Seit, 
nämlid)  bis  ju  ber  unerwarteten  ©enefung  beä  flönigS.  $iefe3  wenn  aud) 
nur  ephemere  (Sreignifc  aber  gewann  für  $eutfd)lanb  eine  nicfyt  ju  unter» 
f$äfeenbeS3ebeutung,  inbem  baburd)  conftatirt  rourbe,  bajj  Luxemburg  —  roenn 
aud)  nidn"  junt  beutidjen  9?eid)e  gefjörig,  fonbern  ein  neutrales  unter  ber 
©arantie  ber  europäifdjien  2)Jäd)te  ftel;enbe3  Lanb  —  bod)  unter  «perjog  9Ibotf 
ober  feinem  Sof)ne  in  beutfdje  &errfdjerf)anbe  übergeben  unb  baf)er3)eutfd)lanb 
politifd)  näf)er  gebraut  werben  wirb  al£  bisfjer,  wo  e<$  unter  boflänbifd&em 
3epter  ftanb. 

äßerfen  wir  §um  Sd)lufj  nod)  einen  f&ixd  auf  einige  befonberS  f)er= 
tortretenbe  $erf)ältniffe  ber  33eoölferung  be$  heutigen  Luxemburgs,  fo 
finben  wir,  ba§  baS  ©roffterjogtlmm  Dasjenige  Lanb  ©uropaS  ift,  weld&eS 
bie  ftärffte  2luSwanberung  aufweift.  (*S  ift  bieg  bie  ftolge  ber  2lbge* 
fd)loffenf)eit  bes  LanbeS,  welche  oerbinbcrt,  bajj  fidj  feine  wirtf)fd>ftlidjen 
33ert)ältniffe  in  bem  ©rabe  entwideln,  in  welkem  bie  2Sermef)rung  feiner 
33eoölferung  junimmt.  Eiefelbe  beträgt  214  000  Seelen  auf  einem  $lää>n* 
räum  oon  47  Duabratmcilen,  a(fo  eine  immerhin  fdjon  bi<f)te  33eoölferung. 
Unter  tyr  befinben  fidt)  7000  2lngel)örige  beS  beutfdjen  Weidas,  ©ine  faft 
gleite  Slnjabl  geborener  Luxemburger  lebt  bagegen  in  Xeutfdjlanb,  be* 
fonberS  in  Glfa^Sot^ringen,  wo  fie  fidj  auf  Seite  ber  Xeutfdjen  t)atten. 
3n  granfreid)  leben  25  000  Luxemburger,  baoon  über  5000  in  SpariS; 
in  Belgien  fd)äfct  man  tyre  3at)l  auf  7—  8000.  3n  2lmerifa  eriftiren 
40—50  000  Luxemburger,  welche  eine  eigene  3eitung,  bie  „Luxemburger 
©Odette",  in  Subuque  im  Staate  Sorna  befifeen.  9J?an  fdjäfct  bie  3<*f)l 
ber  im  2luSlanbe  mofmenben  Luxemburger  auf  etwa  100  000. 

Söiele  Luxemburger  baben  2lnftellungen  in  ben9ieid)Slanben  gefunben,  unb 
ber  93crfel)r  jwifajen  Luxemburg  unb  Seutfdjlanb  bat  ftdj  feit  1873  gehoben. 
<5S  ftubiren  neuerbings  Suremburger  auf  beutfdjen  £od)fdjulen,  obgleid)  ^ßaris 
unb  Süttia)  bie  ftaatlid)  anerfannten  Unioerfitäten  für  biefelben  finb.  So  lange 
bie  nur  oon  einigen  £aufenb  ber  2?omef)meren  gefprod^ene  franjöfifa^e  Spradje 
bie  2lmtäfpradf)e  bleibt,  finb  bie  jungen  Luxemburger  ^uriften  unb  Beamten 
genötigt,  ir)ren  Stubien  in  Belgien  ober  granfreid)  objuliegen. 


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90    21.  Kogalla  von  Bteberftcin  in  Breslau.   

Die  ©Übung  ber  mit  400  2JHtgliebem  ziemlich  sahlreid)  vertretenen 
Äuremburger  ©eiftlid)feit  ift  faft  auSfchliefelid)  eine  beutle;  in  allen  $farr* 
firmen  beS  LanbeS  wirb  nur  hoeffbeutfeh  geprebigt.  Die  fatfwlifche 
Gonfeffion  ift  bie  bei  weitem  überwiegenbe,  ba  nur  1100  ^roteftanten  in 
Luxemburg  leben. 

Die  33eoölferung  Luxemburgs  ift  eine  uorsugSweife  aeferbautreibenbe; 
fie  befchäftigt  fid^  femer  mit  ber  görberung  ber  reiben  SJttneralprobucte 
beS  LanbeS.  DaSfelbe  befifct  nicht  nur  Baumaterialien  aller  2lrt,  bie  aus 
ben  reiben  Steingruben  an  ber  Sauer  unb  ber  9)tofel  als  Sanbfalf  unb 
SpfTafterfieine  geförbert  werben,  fonbern  auch  befonberS  in  feinem  Süb= 
wefttfjeile  unerfchöpfliche  Sager  Gifenerje  in  einer  ÜluSbefmung  oon  etwa 
4000  &ectaren.  S5>ie  ^aupterjeugniffe  ber  Luxemburger  ©ifeniubuftrie 
finb  9ioheifen,  ©ufcwaarcn  unb  SBaljeifen;  bie  übrigen  Snbuftriejweige 
beS  LanbeS  liefern  Leber,  Dualer,  ganence.  &anbf<huhe,  3u^er/  Leine* 
roanb,  Xrifotftoffe  ic. 

Das  Gifenbabnnefc  beS  LanbeS  Ijat  320  km.  im  Setriebe;  bie  &aupt= 
6afjn  bie  Luxemburger*  SSMlljelmS^ahn  ift  feit  1872,  wie  erwähnt,  auf 
40  ftaljre  uom  beutfdjen  Wciti)  in  ^Sad)t  genommen  unb  ftebt  unter  ber 
©eneralbirection  ber  9ietchSeifenbalmen  in  (£lfafjsLothringen. 

Das  Lanb  ift  in  3  Diftricte,  Luxemburg,  ©reoenmadjer  unb  Diefirch 
eingeteilt.  Die  3uftij  wirb  nach  bem  CSobe  •Jtapoft'on  unb  unter  beffen 
gönnen  ausgeübt.  (Sin  Cbergerid)tSf)of  befinbet  fich  in  Luxemburg,  jwei 
©ejirfSgeria^te  1.  ^nftauj  in  Luxemburg  unb  Diehrch;  aujjerbem  eriftiren 
12  griebensgerichte. 

Der  öffentliche  Unterricht  ftel)t  auf  einer  tjoljen  Stufe,  es  befte&en 
im  ©rofeherjogtrmm  ein  2ltl)enäum,  eine  ©eroerbefdjule,  beibe  in  Lurem* 
bürg,  jwet  ^rognmnaften,  eine  9iormalfdmle  für  Lehrer  unb  Lehrerinnen, 
eine  2lcf erbauf cr)auf dc)ute  r  eine  Daubftummenanftalt,  fedjS  Cber^rimär* 
faulen  unb  681  ^rimärfchulen,  bie  oon  meljr  als  30000  Schulfinbern 
befua)t  werben. 

9laö)  ber,  wie  mir  fetyon  oben  erwärmten,  ber  belgifdjen  nachgebilbeten 
33erfaffung  Luxemburgs  beftet)t  ber  gefefcgebenbeftörper  aus  ber  2lbgeorbneten^ 
Äammer,  welche  45  SJtitgliebcr  jctylt,  bie  auf  fed)S  3af)re  in  birecter  Sßafa* 
von  ben  Kantonen  gewühlt  werben.  Der  aus  15  9)Utgliebern  beftehenbe 
Staatsrath  wirb  oom  ftönig  >  ©roftycrjog  ernannt  unb  \)<xt  in  ber  ©eje^ 
gebung  eine  nur  berathenbe  Stimme.  Die  Staatseinnahmen  beS  ©rofc 
herjogtlmms  belaufen  fid)  auf  ca.  8  Millionen  gancS,  bie  Ausgaben  auf 
ca.  7  Millionen.  Die  Staatsfchulb  betragt  15  Millionen  graues.  Die 
bewaffnete  3Jiad)t  Luxemburgs  befteht  aus  einer  Gompagnie  $äger  oon 
140—170  2)iann,  meldje  na),  ba  bie  Gonfcription  feit  1881  abgefdiafft 
ift,  bnvd)  freiwilligen  Eintritt  refrutirt. 


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Der  3uttggefelle. 

Scfjaufpiel  in  $we\  TXcten. 
Don 

3n?an  Cur^enjem  f. 

Vcutfdf  bearbeitet  von  (Eugen  <5abel. 
—  Serlin.  — 

gtofwcit: 

S  tenl,  &anbtt>crfer,  50  2>lartf)a  flieht,  Saife,  looljnt  bei  3tet)t, 

21  cf  er  mann.  Sedier,  24  3af)re.  19  3a&re. 

Don  »iffi»&  Slffeffor,  29  3abre.  $rau  23crtf>ofb,   2Birtl)fd)aiterin  bei 

2öoltcr8borff,  ©ut&befifcer  45  Softre.  Stent. 

3irif(f)cn  ben  beiben  9Jften  ein  3eitranm  Don  aajt  Jagen. 

CErflcr  ilufjug. 

8ßor>n}immer  eines  .CcmbtuerferS.  OTccfit*  jnni  orcnfler,  bojtoifdien  Spitger,  üor  bemfelben  f lein  tiner  2ifd). 
Örab«  aus  eine  Üluir  nach  bemCftitree,  [inf*  eine  ebenfoldie  nod)  einem  onberen  3'ftmer.  SSorn  linf*  ein 

€oj»^a,  ein  runber  X\\&,  einige  Seffcl.  Sormittae». 

1.  ÄfCttC. 

^»fim  «u^iNn  bc5  JiorboafiS  marf,t  ficfi  Jrau  iPertliolb  im  3imm<r  3"  i*cffen  unb  fltfit  un.jcbulbig  r)in 

uiib  lier. 

grau  33ertf)olb.  ätJo  er  nur  \o  lange  bleiben  mag  .  .  .  3$  begreife 
gar  nia)t!  Stfit  geht  auf.  6t*i  tritt  ein.)  2ld),  ba  ift  er  ja.  9hm,  (oben 
Sie  Med  mitgebracht,  £>err  6tenl? 

(SteVjl  (WÜ  mehreren  Haddien  auf  bem  Hnn).    2(ÜC3 !  Qrf)  f)abe  l)ic(  $U  6efori]CH 

aetjabt,  grau  Serttjolb.    9hm,  fo  etwas  fommt  ja  nidu"  jebeu  Xag  uor. 

.  viuipocfenb.) 

grau  23ert(;olb.  £a*3  finb  523trtt;fd;aft^fac^en.  Unb  f)ier  ein  (Sartou 
für  2)fartf)a!  SSie  bie  fia)  aber  freuen  wirb! 


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92 


  3»an  Curgcnjcit)  f.   


©tewl.   23irb  baä  ©ffen  jur  3cü  fertig  fein? 
grau  93ertf)olb.   ©anj  geroife. 

<3tep[  (jidrt  ou«  Der  MorftaW«  jwti  5Iaf<Den  fflJtin  Ijtrau»).     £»ier,    nehmen  <Sie, 

grau  33ert^olb,  f>eute  werben  Sie  fyoffentlidj  ^fjre  Äunft  $eigen.  2SMr  er= 
märten  ©äfte. 

grau  öertfjolb.   3a;  weife. 

Stent  «in*  unb  ueraefjc.ibju  Unb  fel;cn  Sie  aud)  nad),  06  mein  fa^roarjer 
sJiocf  in  Crbnung  ift   SBarum  laufe  id)  eigentlich  immer  f)in  unb  tjer? 

<2tüt  fii>  unb  trorfnct  fwf>  ba»  Gkfrft  mit  bem  Xafditntud)  ab.)  3<$  bin  Orbentli$  tUÜbe  ge= 

roorben.  m  Mingtit.)  gßer  mag  ba  fommen?  (*rau»enborboto  9Jdermann  fann 
eä  bod)  nia)t  fein. 

grau  Sertfjolb  0»^^«.^   ©in  &err  wünfdjt  Sie  $u  fpred>n. 

Stenl.   Sa£  für  ein  £err? 

grau  23ertf)olb.  einer,  ben  id;nid)t  fenne.  Gr  roolltc  audj  burd>= 
au«  feinen  tarnen  ntdrjt  nennen. 

Stenl.    Sonberbar.    Sag',  id)  taffe  bitten! 

(5rau  Strttjolb  ab.) 

2.  ecenc. 

2üolterSborff.  Stet)!. 

2öolter3borff  (auf  ettm  jug^nb).  Sie  erfennen  midj  n)oI;t  uid)t? 
Stent.   3$  tueifj  roirflid;  nid)t. 

2ßoter£borff  (mit  outmutiuacm  sionourf».  Steol,  Stenl!  60  »ergibt  Du 
alte  greunbe? 

Stenl.   Oft      möglta;?  916er  nein  .  .  .  3<*      .  .  .  Söoltersborff ! 

(fte  umarmen  fid>). 

&>olter$borff.   ^a,  id)  bin  e£. 

Stenl.  greunb!  Sßie  fommft  Du  f)ierf)er?  33ift  Du  fd;on  lange 
ba?  9fa,  ba3  ift  ein  iS'reignifj!  Se^'  Did;,  fefo'  Did).        fc««  fu&.) 

2öolter£borf  f.    äöir  fiub  alte  Knaben  geroorben. 

Stenl.  9ltte  Knaben!  3«  wobl!  roie  tonnte  c$  aua;  anberä  fein, 
mir  l)aben  uns  feit  beinahe  510011  jig  %a\)xcn  nidjt  gefefjen.  Darf  id;  Dir 
etroaS  anbieten?  ^ielleid&t  eine  (Sigarre? 

2öolte räborff.    Danfe,  i$  raudje  uid&t. 

Stent.   916er  Du  ijtf  bod;  I;eute  bei  mir? 

Solteräborff.    2RU  Vergnügen. 

Stenl.    Sag'  mal!  33ift  Du  t)ert)eiratr)et? 

äßolterSborff  (feuf§e«b).  3a  leiber!  Unb  Du? 

Stent.   3a;?  9td)  nein!  .  .  .  Soft  Du  aud;  tftnber?  (Siebt  na*  bcrSbur.» 

Soltersborff.  günf!  .  .  .  3d;  bin  t;ieiI;ergefommcn,  um  meinen 
2lelteften  unterjubringen.    Du  roorteft  iool;t  auf  3cmanb? 

Stent.   3a,  freiüd;! 


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  Der  3unggfeUc. 


93 


SÖolterSborff.   25Me  fo? 
6t e 9totj)e  mal! 
Söolteräborff.   2öte  foll  id)? 
Stent.   9?eirt  roirfüdj,  ratfje. 

2öoltcr3borff.   &öre  —  Tu  roiflft  Tidj  bodj  nidjt  oerljeiratrjen? 
Stenl  (i«iKnb).   Set  ruf)ig.   <3n  meinen  5^rcn!  ober  Tu  fjaft  e3 
bod)  beinahe  getroffen.   Sei  mir  ift  eine  ^odfoeit  im  2ln$uge. 
SöolterSborff.   ©er  fjeiratfjet  benn? 
Stent,    eine  SBatfe,  bie  feit  einiger  3eit  bei  mir  roofjnt. 
2Solter3borff.    ©ine  28aiie? 

Stenl.  ^a.  TaS  2Kübdjen  ift  aus  ferjr  anftänbiger  Familie,  bie 
Toaster  eine*  9ied)nung$ratt)3.  Sttit  irjrer  feiigen  SJtotter  mürbe  id)  fur$ 
r»or  ifjrem  Tobe  befannr.  Ta3  arme  2£eib  lebte,  nad)bem  il;r  3Kann  ge* 
ftorben  mar,  in  großer  9totf),  ba  ir)re  ^enfion  flein  war.  (SineS  Tagea 
begegne  id)  itjr  ^ier  auf  ber  Treppe,  unb  roie  fie  ausweisen  null,  fällt 
fie  f)in  unb  bridjt  ftd)  baa  Sein.  Tente,  in  üjrem  3llter!  $d)  Ijob  fie 
natürlidj  fofort  auf,  rief  £eute,  unb  roafjrenb  man  fie  in'3  33ett  legte, 
bolte  id)  idmeß  einen  9lrjt.  für  dualen  bie  9lermfte  auSgeftanben 

i)at  —  e5  ift  nid)t  ju  befd)reiben!  Unb  bie  Tod)ter  mit  if)r  —  ad)  bu 
9lUmäd)tiger!  ©anje  fed)3  Monate  lag  bie  2Ilte  im  23ett.  ©nblid)  mürbe 
fie  gefunb.  2tber  roie  fie  jum  erften  9Me  ausging,  eifältete  fie  fid)  fo 
Ijeftig,  baf?  fie  nad)  oier  Tagen  ftarb. 

SBolterSborff.   Tu  lieber  @ott! 

Stent.  9iun  benfe  Tir,  ba$  arme  5Häbdjen,  it)rc  Toaster!  durfte 
id)  fie  allein  laffen  ?  SUerroanbte  tjattc  fie  feine  mit  2tu3nalmte  einer  Tante, 
einer  $rau  Sertfrolb,  bie  jefct  bei  mir  bie  2Birt^fd^aft  füt)rt,  unb  bie  felber 
9ftdjt§  befifet.  So  naljm  id)  bas  3)iäbd)cn  5U  mir.  Sie  roollte  aHerbingS 
anfangs  nid)t3  baoon  roiffen  .  .  .  (rs  foftete  viel  9)Jübe  iln*  begreiftt$  ju 
machen,  baf?  id)  bod)  ein  alter  üftann  bin,  ol;nc  SUnber,  bafe  id)  fie  roie 
meine  eigene  Tochter  liebe,  bafj  fie  nid)t  auf  ber  Strafte  bleiben  fönne. 
Seit  jener  $eit  roofjnt  fie  nun  bei  mir.  Unb  roaS  baS  für  ein  ;Diäbd)en 
ift  .  .  .  2lber  Tu  roirft  fie  ja  ba  Ib  fcljen  unb  gereift  gleid)  beim  erften 
2(nbli<f  lieb  geroinnen. 

2Bolter0borff.   Unb  mit  roem  uerf)eirotf)et  fie  fid)  benn? 

Stenl.  2ttit  einem  braoen  jungen  9)cann,  einem  &ef)rer,  Samens 
2ldermann.  <5r  fjat  jroar  audj  3?id)t$,  baft  ift  roa^r;  aber  ba3  ift  fein 
Unglücf.  (Sin  junger  3Jiann  mit  Sßerftanb,  fleifeig,  bef Reiben,  nur  in  ber 
lefeten  faxt  oft  nerftimmt,  als  ob  itm  etroaä  brüefe. 

Söolteräborff.   $or  ber  &od)5eit? 

Stenl.  Tass  madjt  mir  otel  Sorgen.  <oeute  ifet  er  bei  mir,  roie 
faft  jeben  Tag.  <5r  roollte  aber  nod)  einen  53efannten  mitbringen,  einen 
Slffeffor,  einen  abiigen  .  .  .  roeiftt  2)u?  — 

SB  ol  t  er  3  bor  ff.    So!  est*  6«tro*ttnb.»  Hilter  ^reuub,  id;  fann  un= 


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9^    3n?an  Curgcnjew  f.   

mögtidj  in  biefem  ^n^uge  f)ier  bleiben.  roitt  nadf)  &aufe  gefjen  unb 
miti)  umfteiben. 

Stent.   9(cfj,  Unfinn! 

äöolteräborff  «mfftebenb).  £af$  nur,  tajj  nur!  2Sa£  fott  $ein  (Saft 
üon  mir  benfen!  (Sr  mufc  midfj  für  einen  gan$  ungebitbeten  2ttenf$eu 
leiten.   9?ein,  greunbdjen! 

Stent,     (^«nfoa*  aufftcbcnb.)   9lber  nerjnäte  Xid)  nur  ntdfjt. 

SSolterSborff.   3<$  bin  gteidt)  tuieber  ba;  wann  e&t  ^r? 

Stent.   Um  eins. 

3ßoIter«§borff.    Sd)ön,  fd)ön! 

Stent.    £a  fommen  fie  gerabe. 

3.  ecetu. 

«Stctf,  SBoltcrSborff,  Sfrail  Söertfjolb,  SJlartlja.  (Sie  bringen  einen  fdrtDoijen  mrod  unb  eine« 

Stent  (iu  Sporte).  a)tort|)a,  baS  ift  mein  alter  greunb  SBotterSborff. 
Gr  ift  fjeute  erft  angefomnten,  f)at  mir  9?aä;ria)ten  auä  ber  $eimat  ge* 
bracht.   Unb  frier  unfere  £au$genojfin,  grau  $ertf)otb. 

SBotteräborff.  (SntfdOulbigen  Sie,  meine  tarnen,  bafc  tdj  fo  im 
^Reifeanjuge  erfdjeine.        tonnte  nid)t  nriffen  .  .  .  (wr&eugt  fw>). 

Stent.  Dfme  Umftänbe!  (S^mnua.)  $u  bift  fceute  fo  bta§.  geftft 
Dir  etroastf 

9)iartf)a  ((««fo.  3d()  fü^Ic  midj  etroaS  mübe. 

Stent.  Sie  flrengt  fidj  ju  fe^r  in  ber  2Btrtf)[<!jaft  an.  Sie  füllten 
barauf  2Id;t  geben,  grau  SBertfjotb.  (3«  $?oiter»bom.)  üftun,  nrie  gefaßt  £>ir 
3Wart()a? 

$ßotter3borff.    Seljr  .  .  .  fetjr  gut! 

Stent.   3>a3  nwfjte  idj,  ba3  roufete  iaj. 

2ßolter<Sborff.   9?un  mufe  icij  aber  gefjen.   2(uf  2Bieberfef)en! 

Stent.   2tt|'o  nrie  gefagt  —  fei  pünfttia^  $u  Xifdfj! 

grau  23ertf)olb,  3}iartt)a.    2Iuf  ^ieberfe^en!  (»oaertborf  ob.) 

4.  breite. 

Stet)!,  3fia»  33crtl)ütb,  üJtartya,  n«wier  2(cf  ermann  unb  bon  29tfjtng. 

Stent.  %d)  freue  midf),  bafj  id;  einen  fo  atten  greunb  roieber  ju 
Öcfid)t  befommen  tjabe.  (Sr  ift  ein  guter  9)tenfd).  w<xt  unb  e^m*  nebmenbi. 
$anfe  fd;ön !  (3«  5rau  uenbcib  unb  waMp.)  (i)et)t  nur,  idj)  jiefje  mir  ben  $iod 

\d)0\\  attein  an.  («Iran  «enlidb  unb  SBlortfia  ab.)  So!  (Reibet  ftc$  um  toor  beut  ©pieflel.) 

£ajj  2tdennann  fjeute  nodf)  nid^t  f)ier  war,  um  feine  23raut  ya  feljen, 
lüunbert  mid).   9iun,  er  mujj  ja  jeben  2tugeublid  fommen.  «»  i*utet.)  9% ! 

nc*  einmal  im  Spicflil  bef cI^cH^.> 

21  cf ermann  <Mt  eitoas  was  «nb  jerfireut  au«).  Sieber  fierr  Stent,  geflattert 


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Der  3un<jgefelle. 


95 


Sie  mir  3fmen  meinen  beften  greunb  £errn  3lffeffor  non  SBiffing  t>or$u* 
ftellen. 

Stent  OKTbeuflt  m.  Setjr  angenetmi  unb  f$meid)elf)aft.  3$  fabe  fö011 
fo  niet  uon  3f)nen  gehört. 

Wifling.   3$  Bin  meinerfeitS  fef)r  erfreut  —  (w«4«gt  w  «b.«»««). 

Stenl.   D,  bitte  fe^r!  (fwne  voafo.  23itte,  nefunen  Sie  ^tafc.  wan 
ndj;  «ifpnfl  tctrodjt«  ba»  3i«nmer,  stcyi  ijufict).  2Ba$  für  ein  präd)tige3  2i>etter  mir 
bod)  fjeute  tjaben.    ©in  roenig  frifd),  aber  bodj  fet)r  angenehm. 

Wifling.   3<*>  l)eute  ift  e3  frifdji. 

Stent.   3<*roof)t!   (Su  «cftrouiuu)  2Barum  bift  Xu  fo  fpät  gefommen? 

3~ef)tt  £)ir  ettüttS?     (Effing  trudjt  beim  23ortt  „tu"  tine  (aum  bttnerfbore  ironifebe  Wunt.) 

9lcfermann.  9?ein,  idi  füllte  midj  gan3  mofy.  Unb  wie  gef)t  e3 
2Hartf)a? 

Stent,  ©ut,  redjt  gut.  (3«  »»ffino)  $err  3lffeffor,  id)  barf  tjoffen, 
bafc  Sie  uu3  bie  ßfyre  erioeifen  roerben  ...  in  jiuei  SQBoajen  .  .  .  ja  .  .  . 
ift  feine  ^odfoeit  (auf  «rftrmann  ictötnb)  .  .  .  un3  mit  3^er  ©egenroart  ju 
beehren  .  .  . 

Siffing.   Sef)r  fd&nieiajetfjaft '• 

Stent.  Sie  fönnen  es  gar  nidjt  gtauben,  wie  gtücftidj  idj  bin!  .  . 
gtir  einen  atteu  -JJtonn,  einen  3u"9g«Kffen  nrie  id)  .  .  .  fönnen  Sie  fid? 
norftetten,  roa3  für  ein  unerwartete^  .  .  . 

SM f fing.   3«/  «ne  ®^  °ie  auf  beiberfeitiger  Snmpat^ie  unb  auf 
Vernunft        t»«  r<»te  sbo«)  begrünbet  ift,  bärf  §u  ben  größten  Segnungen 
'be3  menfd)lid)en  Seben«  geredmet  werben. 
Stent  (oufmcttfom  jobörtnb).  ©eroifj,  genrife. 

Siffing.   Unb  beStjalb  tobe  icf)  meinerfeits  bie  Ütbfidjten  ber  jungen 
Seute,  bie  barauf  bebaut  finb,  biefe  ^eilige  ^ftia^t  ju  erfüllen. 
Stent.   3$  bin  ganj  3f)rer  Meinung. 

33  tf  fing.  $enn,  roaS  fann  angenehmer  fein,  at$  baö  gümtlienteben ? 
2ttterbing3  ift  es  notfjroenbig,  bei  ber  2Saf)t  einer  $rau  fid)  orbentlid)  ju  prüfen. 

Stent.  Sidjertid)  ,  .  .  Sie  entfa)utbigen  .  .  .  nad)  meiner  Meinung 
muß  er  «>«''  ««craonn  btutvnb)  fid)  fefjr  gtücflia)  fd)äfcen,  3f)r  $reunb  su  fein. 

33  i  ff  in  g.   Ct),  idj  bitte. 

Stent.   Wem  nrirftid),  id)  nerfidjere  Sie. 

31  der  mann  mn  untcr&rc^mb).  Saiden  Sie,  bitte,  roo  ift  3Jtortf)a? 
3ä)  t)abe  itjr  etroaS  ju  fagen. 

Stent.   2Iuf  it;rem  3immer.    2Benn  ^u  roiaft,  ge^e  boa^  ju  i^r. 

Hrfermanu.  J>ä)  fomme  gtetd)  jurüd.  (3«  «fftaa)  Sie  entfa^ulbigen 
mi$  einige  3tugcnblideV 

23 if fing.   Sitte  fef)r. 

<ÄiT:rmamt  ob). 

'JJorb  unb         U  ,  l'l  " 


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96 


  3tran  durgcn jcit»  f. 


5  Scctte. 

©tet)I,  oon  Söifunfl. 

Stent   d"'1''*  IW* Tuwtm  natf,  ritctl  bann  an  SPifftitg  heran  unb  briiefi  ibm  bie  eanb).  fQCTT 

von  SHffmg,  entfdmlbigen  Sie .  .  .  id)  bin  ein  einfacher  Sflann.  2Donon 
ba$  £er$  uott  ift,  baoon  gef)t  ber  9D?unb  über,  (Urlauben  Sie  mir  3f)nen 
nodj  einmal  oon  ganjem  ^erjen,  nritflid)  oon  ganjem  £er$en  ju  banfen! 

Söiffiug   (mit  ratter  £ÖfIid>feit).    SßofÜr  beim  ? 

Steijl.  ©rftens  für  3f)ren  Söefudj;  jroeitenö  roeil  Sie  itjn,  ben 
Bräutigam  meiner  SJtorttya  lieben  ...  3$  bin  ein  armer  SunggefeQe, 
aber  id;  glaube  nidjt,  baji  ein  Skter  fein  $inb  mein;  lieben  fann  aU  id) 
ifm  liebe  .  .  .  £a£  2lHe§  rüfjrt  miä)  fo  fefyr,  ba§  id)  e3  gar  nid)t  au£= 
fpredjen  fann.  (3&m  treten  bie  ztjranen  in  ibie  wußen.)  Sie  oerjeifjen  .  .  .  id)  muß 

Ulidj  fä^ämen  —  (fod't,  $iel>t  bat  2afcf)entucb  beroor  urb  troefnet  bie  frönen). 

Siffing.  ^d)  fann  Sie  ocrfidjem,  e$  ift  mir  fef)r  angenehm,  fotdje 
(Smnfinbungcn  bei  3$nen  tt>al)r§unef)men. 

Stent,  ©ntfd&ulbigen  Sie  bie  2lufrid)tigfeit  eines  alten  SRamteS! 
SKber  bie  Reiben  werben  glüdlid)  werben,  fo  ©ott  roiU;  e3  finb  nortreff* 
lidje  9ftenfd)cn. 

33 if fing.  2Ba3  mir  an  3^rem  greunbe  Monberä  gefällt,  ift,  bafc 
er  ©runbfäfce  r)at.  Ttö  ift  in  unferer  $eit  eine  Seltenheit.  <5r  l>at  nidjt 
ba§  Sßinbige  —  nerftetycn  Sie  —  ba$  SiUnbige  unferer  Qugenb  (bre&tbu 

fcattb  In  ber  2u?t  fcerum,  Stent  tljut  baSfelbe  uitb  nirft  jnfkiminenb  mit  bem  Storni  ,^d)  bin  ja  feilet 

fein  Gato,  aber  .  .  . 

6.  Zcene. 

(5tct)l.  Söiffing.  grau  Scrtfjolb. 

JraU  33ertf)Otb  (befcheiben  an  ber  Xfolr  ftefieub,  taut  buftenb).  §111,  (jm! 

Stent.   $>a§  roünfdjen  Sic,  ftrau  Sflertfjolb? 
grau  öertljolb.   2ld),  £err  Stenl,  9J?artt)a  bat  mid),  roenn  Sie 
auf  einen  9Iugenbtid  ju  ifn*  fonimen  fönnten. 

Stepl  (bort»urf*t)oa).  2iber  jefct?  Sie  roiffen  bod)  .  .  . 

^öiffing.   ^itte,  geniren  Sie  fid)  garnidjt. 

Stenl.    Sie  finb  fe^r  gütig  .  .  .  3d)  fomme  gleid)  roieber. 

•öiffiltg  (bie  .<>anb  oufbebenb).  33itte! 

StCt)l.     $0)  fomme  gleid)  Wieber.     (Sriidt,  intern  er  mit  «yrau  »ertboft  absein, 
biefer  feine  Itniufriebenbeit  über  bie  £törunq  pantoinimlf*  au?.) 

7.  ©cette. 

SBtfftng,  (nacb&er)  9(<fermann. 

53 if fing  (tw>  in  bem  3'mmer  umWjenb).  2$aS  foü  ba$  9We$ ?  moljin  bin  idb 
geraden?  tiefer  Sitte,  wie  er  fd)nni^t  unb  familiär  Unit!  53afyrfäjeiulid> 
mirb  aud)  baS  9Jiittagcffen  fdjledjt  fein.  Qd)  begreife  e§  nid)t.  3Sie  fonnte 
er  nur  fo  nerblenbet  fein! 


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  Der  3uncu3cfeUe.   


21  cf ermann.  3Wan  Tagte  mir,  Sie  waren  Ijier  ganj  allein.  QnU 
fdmlbigen  Sie.  Der  2tlte  mad)t  ftd)  fo  »iel  Sorgen  ...  ein  SJtonn  aus 
bem  33olf  .  .  . 

23  if  fing.  $err  Stent  ift  ein  ganj  anftänbiger  2)tenfd).  (Sr  hat 
jroar  nid>t  bie  befte  ©rjiehung  genoffen,  aber  ba3  ift  eine  nebenfäd)licf)e 
grage.    3$  faf)  oorf)er  r)ier  eine  Dame  —  wer  ift  ba3? 

2Idermann.  2Sof>l  grau  23ertl)olb,  bie  £ante  meiner  SBraut.  Sine 
fc^r  gutmütige  ^erfon. 

Jöiffing.  3$  Stoetze  nid)t  baran.  m*\<.)  kennen  Sie  biefen  &errn 
Stent  f^on  lange? 

21  cf  ermann,   Gegen  brei  Scfyxe. 

23iffing.   Sie  alt  ift  er  benn? 
2tdermann.   So  gegen  fünfjig,  benfe  idj. 

23iffing.  2Berbe  id)  balb  ba3  Vergnügen  fyaben,  3f)r  gräulein 
23raut  fennen  ju  lernen? 

2t  der  mann.    Sie  mu§  gleich  fommen. 

33 if fing.   &err  Stent  fpradj  fxdt)  fein*  fdnueid)elf)aft  über  fie  aus. 

91  der  mann.  Da3  ift  fein  2Bunber.  9Jtortf)a  ift  ein  liebet  gute« 
•3ftabä)en  .  .  .  greilidj  ift  fie  in  ber  ©infamfeit  aufgemachten  unb  fennt 
9liemanb.  Datier  ift  fie  ettoaä  furdjtfam.  ©3  fehlt  ihr  an  jener  Unge« 
bunbenfjeit,  rotffen  Sie  .  .  .  aber  urteilen  Sie  nicht  nadj  bem  erften 
©inbrude ! 

23iffing.  Sagen  Sie  ein  3)ial  —  ba3  Vertrauen,  ba3  Sie  mir 
fdjenfen,  giebt  mir  ein  SHedjt  ju  einer  folgen  grage  ...  3^  gräulein 
23raut  hat  fein  «ermögen? 

21  der  mann,   Hartha  ift  ganj  arm. 

Siffing  (««ad,  einer  5pouft).  3a  fo,  nun  oerftelje  td)  —  Siebe!  .  .  . 

Sldermann  (nad,  einer  ^aufe).  3$  liebe  fie  fefjr! 

23  if  fing.  9cun,  in  biefem  gaffe  bleibt  mir  nur  übrig,  3lmen  oon 
fersen  ©lud  ju  roünfajen.  —  ©ehen  mir  heute  2tbenb  tn'3  ^eater? 

21  der  mann.  9fein,  ^eute  fann  ich  nicht.  2lber  in  biefen  Xageu 
tm'H  i(§  mit  meiner  23raut  bie  Cper  befugen.  —  2tber  Sie  wollten  .  .  . 
glaube  ich  .  .  .  mir  noch  ©troaS  fagen  ...  in  Setreff  ...  in  Setreff 
meiner  2>erheirat(mng. 

23 if fing.  3ch?  «Rein!  Sagen  Sie,  gräulein  23raut  fciftt  mit 
bem  Vornamen  3J?artt)a? 

2ldermann.   3a  roo^l,  Hartha  Älein. 

33iffing(o$"e  baron  mef>r  ju  benftn,  ben  ttamen  »ieberijolenb).  9)?artl)afltein!  (V<wfe.) 

2lpropo3,  motten  mir  morgen  ben  23aron  23erger  befugen?  ©r  f;at  fi<$ 
neulich  fef)r  roarm  nad;  3h™n  erfanbigt. 

2ld ermann  (»erlegen),  ©eroifi,  wenn  Sie  mid>  oorftellen  mollen  .  .  . 

23  if  fing.   Mit  bem  größten  Vergnügen.  <*ouf<.) 


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98 


3tt»an  (Eurgen jeu>  f.  


9((f  ermann  (nad>bem  er  einmal  buri&  baf  3immcr  flrgaitfltn  ift,  für*  unb  entfdtfoffen*. 

3$  t)abe  Sie  um  einen  großen  ftienft  ju  bitten,  &err  oon  SBiffing. 
SBiffing.   Unb  baS  toäre? 

9t  df ermann,  ©erabe  t)erau3gefprod)en  —  icf)  befinbe  mid)  in  einer 
ungemein  fdnoiertgen  Sage.  ©ie  roiffen,  idj  ftcl)e  im  Segriff  midt)  5U  oer= 
t)eiratf>en.  3$  gab  mein  2Borr,  unb  als  efurlidjer  9)?enfd&  miß  idj  e$  auct) 
galten.  3$  barf  meiner  33raut  nidjt  ben  allergeringften  Vorwurf  madjen : 
fie  ift  fidj  00m  erjten  £age  unferer  Sefanntfdjaft  burdjaus  gletd)  geblieben. 
3d)  liebe  Tie,  unb  trofebem  —  (Sie  werben  e3  faum  glauben,  aber  ber 
©ebanfe  an  bie  balbige  ipo^eit  legt  fif^  mit  foldjer  ©eroalt  auf  mein 
ganäes  ©emütt)$leben,  bafe  idj  mid)  frage,  ob  icf)  in  einer  folgen  ©tiimnung 
nod)  ein  Stedjt  auf  bie  &anb  meiner  33raut  &abe.  2Ba3  ift  ba$?  preßte 
td)  meine  gretljeit  5U  oerliereu  ?  Ober  rote  fott  idj  mir  mein  ®efül)l  fonffc 
erf  lären  ? 

SB if fing,  &ören  Sie,  roertr)er  ftreunb  ...  Sie  geftatten  mir  boct), 
3t)nen  meine  Meinung  mit  ooaer  Offenheit  ju  fagen? 

91  (f  er  mann.   3<fj  bitte,  idt)  bitte  feljr  barum. 

©iffing.  Seijen  Sie,  meiner  Meinung  nadj  fann  ber  3)Jenf$  in 
unferer  ot)ne  beftimmte  ©runbfäjje  gar  nid)t  leben,  ©iner  biefer 
©runbfäfce  ift,  bafj  man  niemals  feinen  eigenen  SSertr)  unterfdjäfcen  unb 
über  alle  .§anblungen  fidt)  felbft  9ieä)enfä)aft  ablegen  foll. 

9ldermann.    2S?o  motten  ©ie  fnnauä? 

5Mffing.  ©ie  werben  e$  gleid)  fet)en.  ^err  ©tenl  ijt  felbjtoers 
ftänblict)  ein  fet)r  roürbiger  &err  —  felbfroerftänblid).  9lber  fagen  ©ie 
mir  nur  baS  ©ine:  ©et)ören  ©ie  Seibe,  ©ie  unb  er,  5U  einer  unb  ber= 
felben  ©efetlfd&aft  ? 

91  cf  er  mann.  3$  bin  ebenfo  mittellos  roie  er,  oieffeidjt  audt)  noct) 
ärmer. 

©iffing.  ©3  r)anbelt  fidj  nidjt  um  9teidjtt)um,  fonbem  um  SBilbung 
unb  ©r3ie^ung,  überhaupt  um  bie  ganjc  Sebensroeife.  ©ntfäulbigen  ©ie 
meine  Dffenfjeit,  oerel)rter  #reunb! 

9lcf ermann.    ©predjen  ©ie! 

©iffing.    ©ie  lieben  3t)re  33raut? 

9l<f  ermann  3<*j  liebe  fie.  m<t>  ««n«  yauh)  3d)  liebe  fiel 

Siffing.  ©ie  lieben  fie.  mtft.)  ©efjen  ©ie,  toertfjer  5reunD/  b\e 
Siebe,  freilid)  .  .  .  gegen  bie  Siebe  laßt  fidj  9?id)t3  einroenben;  ba§  ift  ein 
geuer,  ein  ©türm,  ein  9laufä),  mit  bem  man  nur  fdjroer  fertig  roerben 
fann.  3$  h^awßte  nun  aflerbingä,  baß  aud)  in  einem  fold)en  Jalle  bie 
Vernunft  it)re  unbeftreitbaren  9?edjte  l)at.  Söenn  ©ie  Stye  SBraut  roirfltdj 
lieben,  fo  braudjen  roir  unfer  ©efprädj  gar  ntdt)t  erft  fortjufefcen.  9Kir 
fdjeint  e3  aber,  bafe  ©ie  $u  jroeifeln,  an  3^ren  Gmpfinbungen  ju  jroeifeln 
anfangen  —  unb  ba$  ift  ein  fet)r  wichtiger  $unft.  3eöenfaü*8  tonnen  ©ie 
jefct  ben  3iatr)  eines  5rcnnbeS  brausen,  mmmt  aimna.m  b«  ber  ©et)en 


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  Der  ^unggefelle. 


* 


99 


Sie,  3f)re  33raut  ift  ofme  3roeifel,  um  3f)re  eigenen  ©orte  ju  roieberholen,  ein 
liebet,  gutes  9M>d)en.  Wennann  fduaat  bu  «uu«»  nttber.)  3tber  Sie  roiffen,  ber 
foftbarfte  ©belftein  erforbert  Sd)lift  unb  gaffung.  $ie  grage  barf  nid;t 
fo  geftellt  roerben,  ob  Sie  3hrß  SBraut  lieben  ober  nidjjt,  fonbem  ob  Sie 
mit  ihr  glüdlia)  roerben  fönnen  ober  ntd)t.  (Ss  ift  unumgänglid)  noth* 
roenbig,  ba§  ber  2ttann  in  feinen  geiftigen  3lnforberungen  oon  feiner  grau 
»erftanben  unb  befriebigt  roirb.   deinen  Sie  nid)t? 

31  der  mann.  3a,  roollen  Sie  benn,  bajj  ich  mein  gegebenes  2Bort 
breche?  3<f>  bitte  Sie!  3$  roürbe  SJiartfja  baburdj  tobten.  Sie  t)at  fid) 
mir  wie  ein  äinb  anoertraut;  id)  mar  cS,  ber  fie  juerft  in  bie  2Belt  ein= 
führte.  3$  face  eine  grofce  SJeranttuortlichfeit  übernommen,  glauben 
Sie  mir. 

Siffing.  Gton$  geroip;  aber  erlauben  Sie  mir,  bafe  id)  3hren 
©rünben  bie  meinigen  entgegen  halte.  SBeldje  $eroflidjtung  l)aben  Sie, 
fid)  f elber  im  2id)te  $u  ftefjen?  Sie  finb  jung  unb  haben  bie  beften  2luS= 
fixten  für  bie  3"^nft.  2l*arum  motten  Sie  auf  einmal  MeS  im  Stiche 
laffen  ?  3fre  Slrbeitfamf eit,  3hr  Gif  er,  3hre  gäljigf eiten  haben  bereits  bie 
Slufmerffamfeit  beS  SttinifterS  auf  fid)  gelenft,  §l)xt  Habilitation  an  unjerer 
Uniuerfität  ift  nur  eine  grage  ber  3eit.  &>ie  fönnen  Sie  nun  bie  Se* 
Siehungen  jur  Pieren  ©efellfdjaft,  bie  Sie  angefnüpft  haben,  auf  einmal 
leiä)tfinnig  3erteifeen  roollenV 

31  der  mann.  Sie  inen  fid)  in  mir.  3$  Wu  uid)t  efjrgeijig.  3<h 
fürdjte  mich  fogar  oor  ber  großen  SBelt.  2£aS  mtd>  beunruhigt,  ift  etwas 
ganj  SlnbereS.  GS  ift  bie  moralifa)e  &erpftid)tung,  bie  auf  mir  laftet. 
3d)  fann  3)tartba  nid)t  oerlaffen  —  unb  bod)  erfd)redt  mich  ber  ©ebanfe, 
baß  id)  fie  ^eirat^en  foll! 

33 if  fing  om  mm  ux  smtxm).  34  uerftelje  recht  rooht,  roaS  Sie  inner* 
lid)  beschäftigt.  $aS  ift  ein  UebergangSftabtum,  eine  flrifiS  —  uerftehen 
Sie,  eine  ftrifis!  äBenn  Sie  bod)  auf  einen  9ttonat  oerreifen  tonnten! 
3$  bin  überjeugt,  Sie  würben  als  ein  ganj  anberer  9)fenfd)  roieber  iva 
rüd  fommen.   Unb  barum  fein  Sie  ein  Mann,  faffen  Sie  einen  ©ntfdjlufj. 

31  der  mann.    C,  id)  bin  ein  ©lenber! 

Siffing.  2Boju  fid)  felbft  auflagen?  $aS  ift  offengeftanben  fmbifdj! 
©ntfd^ulbigen  Sie  mid)  .  .  .  aber  bie  manne  £l)eünaf)me,  bie  ich  für  Sie 
hege  (w««««  brüÄ  «jm  b.e  $anb)  giebt  mir  ju  foldj  einem  Vorwurf  ein  9ied)t. 
Üeberlegen  Sie  bod),  roaS  oorgefaUen  ift.  ©enau  betrautet  trifft  Sie  gar 
ni(f>t  einmal  eine  roirfltd)e  Sd)ulb:  3hTß  33raut  t)at  alle  Urfadje  dfyxun 
banfbar  ju  fein.  Sie  ftredten  ihr,  fo  $u  fagen,  bie  £anb  entgegen;  Sie 
waren  ber  (£rfte,  ber  fie  aus  bem  Dunfel  it)rer  C^riftenj  herausführte; 
Sie  haben  ihre  fdjlummernben  gahigfeiten  erroedt,  Sie  haben  an  ihrer 
33Ubung  einen  nid)t  unroidjtigen  3lntf)eil.  Sie  gingen  aber  nod)  roeiter. 
Sie  roedten  in  ihr,  ohne  fid)  Darüber  ganj  flar  ju  roerben,  Hoffnungen, 
bie  nia)t  erfüüt  roerben  fönnen;  aber  Sie  haben  nidjt  foroohl  s^raut 


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\00 


3t»an  Cnrgcnjew.  f 


getäufdjt,  ate  fid>  felbft.  £enn  nid&t  wafjr .  .  .  (Saufo  gräulein  SUein  l>at 
3fmen  feinerlei  SHedjte  eingeräumt,  bie  nur  .  .  . 

2ldermann  srp&  «nf^em».  2£o  benfen  Sie  I)in ?  9iiemal$!  £>a$ 
fdjroöre  id^  3fmen  bei  Mtm,  was  mir  heilig  ift. 

Sifftng.  9?un,  um  fo  beffer.  2&oju  bann  bie  ganje  Anregung? 
S5?a3  für  Vorwürfe  tonnen  Sie  bann  nod)  treffen? 

3ldermann.   9Nein  ©Ott,  mein  ©Ott,  was  foll  id>  tlmn?  (WfRng 
ftijenb.)  D,  Sie  müffen  mid>  oerad&ten! 

Siffing.   3m  ©cgentyeil,  34«  Sage  gerjt  mir  fef)r  ju  &er$en. 

Slrfermann.  3d)  uerftdjere  Sie,  id>  werbe  fdjon  fo  oiel  äraft  6e* 
fttjen,  um  aus  biefer  entfefelidjen  Verlegenheit  IjerauSjufommen.  3a)  bin 
3ljnen  jebenfafls  ^erjli^  banfbar  für  alle  31)«  Matfrfajläge. 

8.  Brette. 

Sldcrntanil.    SiffuiQ.    2BoIter8borf?    (in  cirum  altmobpdien  ftNoarytt  Wocf,  eammetuxjle  mit 
SptrffrtmutltrfnSpft»,  bflltii  $ofcn,  in  btr  £a.ib  einen  l)0fjen  $ut.   W»  er  jaet  Unbefannte  erblitft,  fängt 
er  au  fid)  ju  Derbeuflen  mit  einem  JtrabutB;  er  ift  in  flroBer  83er»trninfl\ 

Sil  fing  (»» «wtrmonn^  aßer  ift  ber  £>err? 

Hdermanu.  3«)  weift  nrirfttd)  nidjt.  (3u  sbou« rworff.)  ©eftatten  Sie  bie 
grage:  ju  wem  wünferjen  Sie? 

SöolterSborff.   2)Jetn  -Kante  ijt  2$olter£borff,  ©utsbefifeer;  bitte 

fidj  nid^t  5U  bemÜtjen.    (S»if4«  fid)  mit  b«:n  lafdjeittaclj  bie  Stirn  ob.) 

2t  der  mann.  Sefjr  angenehm.  Sie  wollen  waf)rfd)etnltd)  &emt 
Stenl  fpredjen? 

2Bolter£borff.   3a  woljl;  aber  bitte,  bemüljen  Sie  fid)  nid)t.  3$ 

fann  ja  Warten  .  .  .  (»erlegen,  ßetu  redit*  jur  etil«). 

21  der  mann,  ©ewife  ein  Sefamtter  Steol'3,  aber  id)  fyabe  üm  nie« 
mal£  gefeljen.  —  (3«  »Hflne.)  Sitte,  entfdjulbigen  Sie. 

35  if  fing.  Sitte,  bitte!  (Hu*  1t)\\r  Vinii  fouimen  €tet)I  «nb  Wlaxtl)Q.  Gr  tubrt  f« 
am  Hrm). 

0.  3rcne. 

Slrfermatm.   23tf fiii^-  SßoIterSborff.   6tet)l.  üttartlja. 

Ste^l  (fei<riirf)  nnb  furdjtfom).  2)iartf)a  —  id)  beef)«  mid)  £ir  §errn  oon 
Siffing  t>or$uftcllen.   (mm  t»rt<ugt  iut>.> 

Siffing  0«  sMartbc*  £ie  Gl)re  ift  ganj  auf  meiner  Seite.  3$  °m 
feljr  glüdlid).   3*)  wünfdjte  fdjon  längft  ba5  Vergnügen  5U  ^aben  .  .  . 

2t  der  mann.  3d)  fcoffe,  ^eoc  SWart^a,  ba&  iu  meinen  jreunb  eben^ 
fo  fa)ä|cu  lernen  wirft,  wie  iaj  e^  tlme.  Wan^  r«bt  ?wtnnonn  rnnfitfam  cto 

Stei)l.  tsii'ixtcrtbDrff  bcnierfcnb.)  211),  ^itlfommen,  2£iHfommen!  (3t« 
ftiiu-H»).  3)kin  alter  greunb  ^olteröborff!  3ft  erft  ^ute  oon  feinem  ©ute 
rjier  eingetroffen. 

Siffing  (iu  snarttifl).  3$  r)öre,  Sie  beabfid)tigen  in  biejen  ^agen  bie 
Cper  ju  befugen. 


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  Der  ^unggefellc. 


\0\ 


3Wai  tf)a  (turtegtii).  3<*/  incin  ^Bräutigam  fdjlug  oor  .  .  .  (abtreten*.) 
Sif fing.    Sie  werben  fid)  fein*  gut  unterhalten.    Sie  fdjroärmen 
geroife  ielu-  für  3)iufif? 

3Jiart()a.   3d)  fjöre  gern  2)cufif. 

Wifling.    Sie  fpieleit  oieUeidjt  felber? 

Hartha.   Sein*  wenig. 

Stepl.   D,  fie  fpieU  Glauier  —  genug! 

Wifling.   2>a3  ift  fefjr  erfreulich.   3$  fpiele  felber  etroaä  ©eige. 

Stenl.   »t)l  fefjr  gut? 

Siffing.  9fein!  $ur  ju  meinem  Vergnügen.  —  Sie  tanken  bod) 
au4  gnäbtgeS  gräulein? 

9JtartI)a.   9lid)t  fonberlid). 

Öiffing.  SEirflicfc?  Seltfam!  (3a  «Arman»*  £er  lefete  öatt  beim 
Gommanbanten  fiel  glänjenb  aus. 

Stenl  (ju  sBotteriborffx  £a3  glaube  tdj.  $ei  (Sucr)  auf  bem  Sanbe 
fann  man  fo  Gtroaä  nid)t  fefjen. 

"i&olteräborff.  3a,  wir  finb  einfache  £eute  au$  bem  Sorf,  feine 
©rofeftäbter. 

10.  Brette. 

SSorifle,  Sfrau  #ert()olb. 

grau  33 er tljofb  w  steqi).  2>a3  Gffen  ift  fertig. 

Stent.  (Snblidj!  £arf  id)  bitten,  meine  &errfd)aften.'  £err  r>on 
öiffing,  l)icr  burd)  biefe  Xf)ür.  aitolteräborff,  alter  greunb;  $)td)  roünfcrje 
iaj  $u  meiner  Diesten  $n  f)aben.  Gud)  Reiben  <j»  swtrmonu  mtb  sKan^o)  braudje 
id)  feine  ^>läfce  an$uroeifen.    3llfo  fommen  Sie,  fommeu  Sie.   (ste^i  mit 

ZJolttrtborff,  Boa  »tfftna,  5™«  iBtrttjoib  ob.  Jltfermotm  roia  SJlartlm  bot  Slrm  flebcn  iinb  fic  autfi  in 
ba*  €pttrtjimmfr  fii&rcti.  Sic  fjäxt  tbn  jurücf.) 

11.  ®retie, 

Skfermann,  ^fartlja;  (nad^cr)  <3tei)l  unb  bie  Uebriflen. 

31  cf ermann.    2öa3  ift  £ir?  SBarunt  fyaltft  £u  mid)  jurücf? 
3Rartt)a.   3a;  t)at>e  ^Didt)  etiuaS  ju  fragen. 
Sief  ermann.   3n  biefem  2lugenblid? 

2)?artf)a.  3a-  3$  miH  mid)  uid)t  mit  2>ir  ju  £ifd)  fefeen,  oljne 
31t  nriffen,  bajj  ber  fd)redlid)e  $erbad)t,  ber  in  mir  feit  einigen  £agen  auf* 
geftiegen  ift,  grunbloS  ift.  Xeine  Lienen  unb  2Öorte,  £ein  ganjeS  2Befen 
fageu  mir,  baß  £u  micr)  nid)t  liebft.  3f*  ^  wafjr?  Sag*  mir  ein  einjigea 
2i5ort  —  ja  ober  nein? 

21  der  manu.   3d)  begreife  £id)  nidjt. 

Hartha.  3a  °ber  nein!  GS  gel)™  mit  mir  feltfame  $inge  uor, 
bumme  ©ebanfen  erfüllen  meinen  opf,  id)  fenne  mid;  felber  niajt !  ÜRur 
Gineä  fefie  id)  flar  r»or  mir:    Xu  liebft  mid;  nid;t  mein*! 


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{02 


3wan  (Turgenjew  f. 


St e  1)1  (mit  einer  £ert>imc  um  beu  $a(»  in  ber  Ibiir  ftebenb.)     3ö»  ^bcr  IOO  bleibt 

3*)r  benn,  Älinber? 

3)iart^a  «nwcne»».  ©inen  2lugenblicf  laffen  Sie  un$  allein;  e3  wirb 
gleidf)  oorbet  fein. 

Stent,  3<*/  nber  —  baS  ift  bo4  merf roürbig !  (®«f>t  juriw  ?u  un  «äften.» 

2t  der  mann.  &Mr  muffen  uns  au3forecr)en,  aber  nic^t  jefet  unb  md)t 
f)ier.   34  werbe  allen  9)Hfjoerftänbniffen  ein  (Snbe  machen. 

2)iartl)a.  ©in  CSitbc  maa>n?  Cf>,  es  ift  f4on  $u  (Snbe.  2Us  ob 
i4  ntd}t  roüfjte,  bafc  $u  mi4  nid)t  mein-  liebft,  bafe  i4  £ir  3ur  £afi 
falle!  —  34  bitte  $t$,  fage  mir  2llle3,  quäle  midj  nidjt  länger;  i4  fanr. 
biefe  entfefcti4e  Ungeroifef)eit  nid)t  ertragen. 

Leiermann.  9Jun  ja,  taj  Ijabe  nufjt  rea^t  gefjanbelt;  aber  i4  miil 
Sittel  roieber  gut  maa^en  —  oerjeil)  mir! 

Wartha.  2)u  liebft  mid)  ntd^t.  34  W>e  e$  roofyl  bemerft,  oie 
$ein  greunb  mi4  mit  fpöttif4en  gragen  »erfolgte;  mic  er  midj  eirem 
Gramen  untertoarf,  baä  i4  in  feinen  Slugen  geurife  fäkfyi  genug  beflatben 
fyaben  roerbe!  (s&eim.) 

31  cf ermann.  Um  ©otteänriflen,  man  f)ört  un§.  &aft  £u  benn 
unrfli4  aHc3  Vertrauen  ju  mir  uerlorcn?  34  mieberljote  $tr,  t4  trage 
bie  Sajulb,  oerjeit)  mir. 

9)iartf)a  (»crjroctf«inb>.  Xu  liebft  mi4  nic^t! 

Stenl  (lieber  üerDorfornmenb).  3a,  aber  jutn  Xeufel,  tuaS  foll  ba§  f)ci§cn 
9)tartf)a,  um  ©otte^milten,  wa$  gcf)t  bier  vor? 

9J?artf)a.   Sieber  Später,  i4  bin  feljr  unglütfli4!  (^t,m  lam  wadmua  in 

bie  Sinne  fiitfcnb.) 

Stenl  (laut  auridireitiib».  Sie  ftirbt!  ($ouü.)  3iein,  fie  f4tägt  bie  2lugen 

mieber  auf.     ©Ott  fei  gelobt !  t^'t  tinem  DOTtuurfar-olleit  SMicf  au?  »dermamO  34 

fu4e  Sie,  mir  3U  fagen,  roa3  l;ier  oorgefaüen  ift. 

2er  SBorfjang  feilt. 

5n?etter  2Iuf5ug. 

(iitfelbe  ircoration.   Stei)l,  tief  befüutmert,  fittit  an  ber  I»)ür  linfft  «nb  Ijoretjt.   Diad)  einigen  Äusjem 

Miefe«  erfdiciitt  in  ber  Sliitr  ftrau  ?*ert$olb.) 

1.  ®cene. 

Stepl.  5rau  2?crtf)olb. 

Steul  (teife).  9l\m,  wie  ftefjtV? 

grau  23ertl)olb  (ebenfo).  Sie  ift  eingef4tafen. 

Stenl.   fiebert  fie? 

grau  iUrtljolb.   9lugenblicf(i4  ni4t. 

Stenl.  ®ott  fei  Xanf!  a*aut<.>  ©efjen  Sie  mieber  ju  ity,  grau 
S3ertboIb.   fßiMQt  brauet  fie  ctmaS. 

grau  55ertbolb.   3amoljl,  i4  bleibe  bei  il)r. 

Stei;l.     ©Ut,  gut!  iSrou  »crtriolb  ab.) 


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  Der  ^unggefeUc.  - —  \03 

2.  Zccne. 

Stet)I  (onein;  Hann)  iSöItCTSborff. 

Stent  tum  ruti).  SJlein  ©ort,  roof)in  wirb  ba3  HUe3  führen!   (üä6t  ben 

lh>i»f  ftnfcn.)  Unb  lüttS  läjjt  fid)  bagegen  tf)Utl?  9Hdjt3!  (3«  2Üoltcr«borff,  ber  eintritt 
fem  unb  eteol  btnli*  &<«  S«nb  brüeft.)  $)aS   ift  fdjÖtt  OOll  3)ir,    bafj  $U  Ult$  TttC^t 

oergejfen  f)aft. 

Solteräborf f.   Qdj  bin  ja  nid&t  fo  roie  —  wie  —  nrie  bic 
2lnberen.  (««ufo  9iun,  tjat  er  fidj  nrieber  fefjen  taffen? 
Stent.  9?ein! 

2S>otter£borff.   28te  geljt  e£  3)tortf)a? 

Stent.  9?id)t  befonberä.  Sie  f)at  bie  ganje  9todjt  feine  2Iuge  ge= 
fäjloffen.   Sefct  fdjläft  fie. 

2Solter3borff.  Cffen  geftanben,  wenn  «tan  Gud)  betrautet,  möd)te 
man  jagen:  je  weiter  oon  ber  grojjen  Stabt,  befto  bejjer.  £ier  treibt 
man'3  gar  ju  arg! 

Stei;(.    2la)  roa$,  audj  Ijier  giebt  e£  gnte  9Wenfdjen. 

2Botter3borff.   TOglid),  aber  man  mufj  fortroäbrenb  auf  bereut  jein. 

Stent.  SßaS  brause  id)  nor  $ir  ein  ©efjeimnifj  %u  f)aben.  Sief), 
greunb,  iaj  bin  ein  unglüdlidjer  unb  bcftagenSroertfjer  3)cenfd(|. 

2öolter£borff.   5lber,  id>  bitte  ^id>! 

Stent.  $u  roetfjt  ja,  bei  jenem  ungtüdtidjeu  5)ltttageffen,  al$  mir 
SRartlja  unb  2trfermann  oergeblid)  erroarteten  unb  mir  ba$  ftinb  ofmmäd)tig 
in  bie  2trme  fiel.  —  \\>xaä)  midj  bamate  mit  tyrem  Bräutigam  aus, 
unb  er  fam  bann  aud)  noaj  ein  paar  9M  f)ierf)er,  aber  er  mar  merfnmrbig 
t>eränbert.  Gr  rourbe  etnfübig  unb  jerfrreut.  3$  fing  bann  an  non 
ber  $od)jeit  ju  fpredfoen;  jagte,  e$  fei  an  ber  3*ü,  er  möchte  bo$  beftimmen, 
roann  unb  roo.  Gr  antwortete  aber  immer  nur  „ja,  ja!"  unb  mein:  war 
oon  ttun  nidjt  &erau$  511  befommen.  Seit  jener  3eit  ift  er  gans  unb  gar 
nerfajiounben.  3u  "saufe  trifft  man  il)u  nia^t,  meine  Briefe  läßt  er  un* 
beantwortet.    Unb  id)  tjabe  U)n  bod)  fo  lieb  gehabt! 

SöolterSborff.   Sonberbar,  feljr  fonberbar. 

3.  Zccnc.  m 

Stctjt.   2Boltcräborfr.   ^rau  SöcrtJjofb. 

grau  $ertf)olb.   Gin  SBrief  ift  eben  für  Sie  abgegeben. 
Stent,   ©in  süriefV  S3on  roem? 

grau  23ert  Ijotb.  3d)  glaube  oon  &errn  Stdermann.  2ld>  $u  mein 
Öott,  wenn  er  nur  etroaä  ©ute$  enthält! 

Stent  (öffnet  brti  Wrir;  ttrirb  loäbrenb  bc*  litfeuö  blaS  unb  ftn't,  naebbem  tr  Ujn  gelcfctt,  iu 

9Bolter^borff.   ^vrau  SBerttjoIb.   2ßa^  ift  benn  gefdjetyeu? 
Stet;I.   2BaS  gefd>e()en  ift?  Gr  nimmt  fein  Sort  jurücf!  $on 


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J0<$    3roan  (Turgenjew  f.   

&od)$eit  fann  feine  9iebe  mefyr  fein;  e$  ift  überhaupt  2We3  ju  (Snbe. 
§ört,  I)ört,  ma$  er  fdjreibt.  „3)?ein  lieber  ^err  Stenl!  9tocf)  langem, 
fc&roerem  Kampfe  mit  mir  felber,  friste  ta),  bajj  id)  3f?nen  eine  offene  @r: 
f  lärmig  fdjulbe.  Glauben  Sie  mir,  bieder  ©ntfd&lufc  foftet  mid»  siel,  fet>r 
oiel;  aber  jeber  weitere  3luffd)ub  roäre  ein  93erbred)en.  3d)  fuble  e$,  bafj 
td)  grautetn  3Jiartf)a  ßlein  nie  glücflid)  madjen  würbe,  unb  bitte  Sie,  mir 
mein  SBort  surüdjugeben."  o» ^inraborff.)  §ier,  Ijier,  lie*  nur:  „3$ 
ffif)le  e$,  bafe  ia)  .  .  ."  genau  i"o,  fiel;  nur!  moiumoxn  bi\<n  \n  bcn»ruf  umtin,  eu* 
m«  fort.)  „3$  wage  uid&t,  3ljre  iüciäet&ung  ju  erbitten,  id)  füt>Ie,  ba& 
meine  Sä;ulb  eine  fdjwere  tjt,  unb  fann  nur  erflären,  bafj  feine  junge 
Xante  me^r  &oä>d)tung  oerbient  ald  gräulein  ftlein."  fiörft  Xu? 
„ßodjadjtung  .  .  .!"  „Xa  id>  jefct  auf  einige  3e^  «ufere  löejielmngeu 
abbredjen  mu&,  fo  nelnne  ia)  von  %l)nen  hiermit  mit  gebrodjenem  $er3en 
5lbfö}icb.  ©ott  maa>  Sie  33eibe  glMid)!''  -  ©lücflick  glücflia}!  Xa* 
fann  er  fagen  —  er!  (£t<>?r  oerb^t  ba«  akfuu  mtt  betb«u  ^anbjn.) 

5rau  Süertlj.olb.    2ld&  Xu  lieber  ©Ott,  bafnn  mußte  e3  fommen! 

2Solter£borjf.   2«aö  gebenfft  Xu  nun  $u  t^un? 

St e  i)l  (öie  i>cubc  rom  (HtucJjt  fortncbtn.nb).  Slber  baS  ift  ja  $kfmünn !  iBie 
fann  er  fo  etwad  fagen.  nw.  unb  aiwi»™*.)  3d)  gef)e  fogleicf)  ju  ilnn.  Jrau 
$ertf)olb,  meinen  &ut  unb  dlod,  fd)itell  eine  Xrofdjfe  —  im  ?lugenblid! 

(5rau  «trtholb  ab). 

äöoltcrsborff.   Steql,  Hadder  ftrau  ^Bcrt^olb. 
9ßolt eraborf f.   2£of)in  willft  Xu? 

Stenl.  Söoljin?  3U  tym!  3$  tywi  Seigen  ...  3a;  ...  . 
iä)  .  .  .  id)  .  •  •  Xa3  tjuft  Xu  Xir  ja  fa)ön  au£gebad>t,  SBube!  ©ut,  gut! 
3d)  ftelle  Xiä)  jur  Webe,  jur  Diebe! 

Holters  borf  f.   'Jlber  wa$  willft  Xu  tym  beim  fagen? 

Stenl.  3$  fa3e  it>m:  ©eeljrter  ,§err!  3lntioorten  Sie  mir  olnte 
Umftänbe.  $at  Sie  3)iarttya  beleibigt,  ober  l)at  fie  fic^  etwa  Stym  m* 
ujürbig  gejeigt? 

äi'oltersborff.   9lber  er  .  .  . 

Stenl.  Antworten  Si«  mir,  geeljrter  ^err,  antworten  Sie  mir! 
3ft  fie  et iua  nia;t  gut  ergoßen?  ^aben  Sie  an  tyrem  33ene^men  etroa^ 
au^ufefeen,  wie,  wie?  an«  «f  sjoitcM&orff  5u.» 

^oltcrsborff.    ©eroi^  nidjt,  aber  er  wirb  .  .  . 

Stent.  2Ha$V  3lüei  3^re  befugen  Sie  unfer^iauä!  man  empfangt 
Sie  wie  einen  ^erroanbten,  man  tfjeilt  mitOl;iten  jeben  Pfennig,  jebeu  Siffen 
^örot,  man  gönnt  Stywn  enblict)  auf  %\)te  inftänbigen  bitten  einen  folgen 
Sd;a§  —  bte  ^»od)3eit  ift  bereite  feftgejeftt  —  unb  Sie!  D,  C!  — 
9iein,  entfdjulbißen  Sie,  geehrter  &err,  fo  fann  bie  Saa;e  nia)t  enbigen. 
(.irau  veruw  ixiw  jio.f  u.ib  Mut.)  Xeii  ^»ut!  —  Sie  nehmen  ba  eine  ^ebet, 


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  Der  3un<ujefdle. 


\0ö 


frifeeln  einen  33rief  Inn  unb  benfen,  bamit  fei  3llleS  abgetfym!  £,  nein! 
©ntfdmlbtgen  Sie!  will  Sfmen  geigen,  wer  ia)  bin,  warten  Sie  nur! 
3$  laffe  mia)  md)t  jum  heften  Ratten.  Weinen  Siocf !  Unb  wenn  MeS 
ni$tS  Ijilft,  werfe  id)  mid)  vox  tfjm  auf  bie  ßniee  unb  fage  ifmt:  $d)  tletje 
ni$t  eljer  auf,  als  bis  Sie  Sfyxt  $flid)t  unb  Sdmlbigfeit  getfjan  fjaben! 
©fjer  fterbe  i$!  &aben  Sie  ÜHitteib  mit  ber  Söaife,  werbe  ia)  i&m  fagen  — 
waS  fjat  Sie  3fmen  getrau,  bafe  Sie  fie  tobten  wollen?  Unb  föv  bleibt, 
nieine  Sieben,  bis  ia)  jurücffomme.  3$  fomme  fer)r  balb  surücf,  fo  ober 
fo!  2lber  um  ©otteS  willen,  baß  Wartha  9ttd)ts  baoon  erfährt.  Söartet 
auf  mid),  id)  fomme  balb  wieber,  balb  fomme  id)  wieber.   fiebt  woljl!  (»&•> 

5.  €>cenc. 

SBolterSborff.  grau  Söertfjolb. 

grau  ^ert^olb  (iouimtrnb).  2%  bu  ©runbgiitiger !  wie  f oll  baS  enben, 
mein  ©Ott!  21$,  lieber  £err  fjelfen  (Sie  mir,  idj  bin  eine  alte  unglüefs 
tid&e  grau. 

Holters  bor  ff.  2Jeruf)igen  Sie  fict)  boa)  ein  wenig,  grau  93ertlwlb. 
@S  fann  nodj  2ltfeS  gut  werben. 

grau  $ertf)olb.  ©ut  werben!  2£aS  fann  ba  nodj  gut  werben? 
So  etwas  ju  erleben!  teufen  Sie  fid)  meine  Sage.  —  9J?artf)a  ift  bod) 
meine  9?id)te,  meines  ^ruberS  ftinb.   38ie  foU  ia)  baS  ertragen? 

SBolterSborf  f.   %a,  es  ift  waljrlid)  fe^r  fajlimm. 

grau  s-8ertf)olb.  Stimmer  fonnte  es  ja  gar  nidfjt  fomiuen.  Unb 
\ä)  Ijabe  2lfleS  gcaljnt,  wie  es  fommen  mufjte. 

SBolterSborff.  ätHrflidy? 

grau  33ertf)olb.  3°)  We  immer:  XaZ  fät)rt  ju  nia)ts  Sutern, 
ju  nid)ts  ©utem!  2lber  man  l)örtc  nid)t  auf  mid),  weil  ia)  alt  bin.  3$ 
bin  allerbingS  eine  einfädle  grau,  aber  mein  Seliger  war  bod)  3af)tmeifter, 
unb  wir  oerferjrten  aud)  mit  feinen  Sftenfdjen  .  .  .  2llle  f)aben  mir  fouft 
SHedjt  gegeben;  nur  meine  leibliche  9iidjte  rjörte  nid)t  auf  baS,  was  id) 
jagte,  ^efct  wirb  fie  es  einfefyen,  aber  nun  ift  eS  ju  fpät.  lüMe  oft  I)abe 
id)  meiner  9)?artt)a  gefagt:  „ftinb,  25 u  wirft  i^n  boa)  nid)t  rjeiratljen,  baS 
ift  ein  unruhiger  gefäl)rlid)er  2flenfa),  wer  weift,  was  ber  will!"  Unb 
fie  antwortete  immer:  „Saffen  Sie  bod)  baS,  £antd)en."  ^atürlid),  bie 
SUnber  wollen  ftets  beffer  wiffen  als  wir  Sitten.  3efet  wirb  fie  eine  alte 
Jungfer  bleiben. 

SolterSborff.   9hm  fo  fdjlimm  wirb  es  boa)  nid)t  werben. 

grau  23er  tl)o Ib.   ©ans  gewife!  3$  glaube,  Wartha  fommt. 

(spaufe).  92ein,  eS  war  SKiemanb,  es  fummt  mir  nur  fo  in  beu  Dl;ren.  2ßer 
fjat  aber  Sdmlb  an  allebem?  2Öir  felber  fiub  Sd)itlb  baran,  auaj  £err 
Stenl.  Sd)idt  es  fta)  benn,  bafj  er  ein  frembes  Wäbdjen  erjieljt,  pa&t 
fia)  benn  bas?  3Jiu§  er  fie  benn  uerljeiratljen  wallen?  ^)aS  ift  bod)  Saaje 
ber  grauen,    ©r  wollte  fie  freitia;  glüdüd)  mad)en,  aber  eS  ift  anberS 


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(06 


3»an  (Turgenjew  f. 


gcfommen.  (€em4enb.)  3efct  muf?  tcl)  nadf)  Wavtfya  fef)en,  wie  e«  ifjr  wofjl 
gefjen  mag,  ob  bie  2lermfte  nodf)  fd&täft!  Söa«  wirb  fie  fagen,  wenn  fie 
ba«  9lHe«  erfaßt!  —  2So  bleibt  aber  nur  &err  Stent?  2Benn  fie  ifnn 
nur  9Hd)t«  antfnm! 

23olter«borff.  Slber  icfj  bitte  Sie,  wenn  aud>  §exx  2lcfermann 
rjier  in  ber  SRälje  wof)nt,  brauet  man  bodf)  Seit,  um  Inn  unb  $urü<f  §u 
fahren.    (Sr  nw&  fid)  bod)  mit  tym  au«fpred)en. 

grau  SBertljolb.  3a,  Sie  tjaben  Ned&t.  9lber  e«  fann  nid&t  gut 
ablaufen.  Sie  werben  fid&  fdjiefcen. 

2Bolter«borff.    2fd)  nid;t  bod)! 

grau  33ertl;olb.  Sie  werben  e«  fernen!  Sie  benfen  morjl,  §err 
Sldermann  wirb  ben  $emütl)igen  fpielen?  3$  fage  3^nen  aber,  er  l)at 
3Jhttr;,  ein  rid&tiger  SWörber  ift  er. 

SSolteröborff.   9lber  nein! 

grau  $8ertt)olb.  ©tauben  Sie  mir,  er  wirb  unferen  guten  ^ernt 
umbringen! 

2Öolter«borff.  9tt>er  wir  leben  luer  bod)  nid)t  in  einer  9)?örber* 
f)öt)le!  2öie  fönnen  Sie  nur  fo  etwa«  benfen? 

grau  23ertl;olb.  Qx  wirb  il)iu  einfach  jagen:  2$a«  wollen  Sie 
oon  mir,  £err  Stenl?  ©efyen  Sie  3um  Teufel  mit  Qljxex  3J?artf)a  .<Uein. 
2öa«  mifdjen  Sie  fia)  überhaupt  ba  fyinein?  Unb  er  wirb  ifnn  einen  Schlag 
in'«  ©efia)t  ocrfetjen.  cwetncnb.) 

2öolter«borf  f.    2lber  ba«  ift  ja  Unfinn! 

grau  $3ertl)olb  (n>emenb>.    2ld),  ja,  ad>  ja,  icf)  fenne  ba«! 

2£olter«borf f.  Unb  idj  Ijabe  Sie  für  eine  fo  oemünftige  grau 
gehalten. 

6.  «ccne. 

Stent,   aöoltcr&borff.  grau  »ert&ofo- 

Std)l  (V«'  <>»'  bein  "oi1'*  l«R  Ueberrocf,  flebt  lanflfora  bii  ?ur  SWittt  ber  ©ub,ne,  läst  bie 
£änbe  ftnfen  unb  bleibt  fo  ftcben,  inbem  er  bie  «ugeu  ftorr  out  bcn  »obtn  Hebtet.) 

2£>olter«borff.    grau  33ertl;olb.   9iun,  nun,  —  wa«,  wa«? 

Stenl  (obru  aufjufebftv).    (fr  ift  fort! 

9Bolter«borff.   grau  23ertl)olb.  gort? 

Stenl.  gort,  unb  92iemanb  weife,  wo  er  Eingegangen  ift.  Slber 
idj  werbe  e«  morgen  erfahren,  ober  r>ielmef)r  fdfwn  tjeute.  So  laff'  idjj 
miti)  nid&t  abfertigen  —  nein,  nein! 

grau  33erttjolb.   3te!)en  ^e  b°$  ocn  ^0(*  au^- 

Stei;l  (0»t  unb  iHoi  öojt  neu  toerfenb).    £a,  ba.   2Bo$u  brauche  i<$  ba« 

s5llle«V    «SfUt  «*  eridiöuft  tjin.) 

Holter  «bor  ff.    (S"r$äf)le  bod)  wenigften«  .  .  . 

Stenl.   &>a«  ift  ba  ju  erjagen!  3$  fomme  in  feine  SBoImung, 


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  Der  3»"99efell?-    \07 

frage  nad;  ifjm.  ,Wd)t  3U  &aufel!  Sofn'n?  —  ,Unbefannt.'  9Iun  ift 
Sitte*  fonnenflar.   (2*««*^.)   Cf),  erwürgen  mödfjte  ia)  midj! 

28olter3borff.   S5>aS  finb  ba$  für  ©ebanfen? 

Stent.  2Ba3  rofirbeft  $>u  in  meiner  Sage  tfnm?  Äann  id)  nor 
Dlartfja  noä)  bie  2tugen  auftragen? 

grau  SBertljolb.   Ratten  Sie  bodj  auf  midj  gehört,  £err  Stent! 

Stent.   Men  Sie  m\%  jefct  in  9?ul)e.  —  Sie  gefjt  e$  <D?artf)a? 

grau  58ert^otb  (8<fro«ft unb  u>firbet>oa>.  Sie  fdjlaft  nodj. 

Stent.  Sie  roaren  ja  felbft  immer  auf  Seiten  biefe^  9flenfd>n.  (ß<ot 
btc  ©anb  auf  bie  6*u«er  söoiuriborff*).  2Itter  greunb,  id&  f)abe  einen  furdjtbaren 
Sdjlag  erhalten  —  mitten  in'3  £«3! 

SolterSborff.  314  H  ba^.  9Jtortf>a  ift  ein  rjernunftigeä  3Häbd>en. 
(53  toirb  ftdj  fdjon  ein  anberer  SWann  für  fie  finben. 
1  Stent.  Sie  £)u  nur  fo  fpred&en  fannft!  £ie  Sad&e  ift  bod)  überatt 
befannt  geroorben,  bie  ßodjjeit  ftanb  cor  ber  Xt)ür.  So  etroaS  nergifct 
man  nidjt.  Unb  wer  ift  für  baä  Unglücf  biefeS  armen  SaifenfmbeS  oer= 
antroortlidj  ju  machen?  %<f)\  ©injig  unb  allein  id)! 

SolterSborff.   Stimm  bod)  Vernunft  an. 

Stent  (auf.  unb  oböt^titb).  3$  mu§  Wartha  fpredjen,  mufj  if)r  2lIIe£ 
auäeinanberfefcen  ...  fie  fotl  entfdjeiben.  Sie  fott  mtd&  ftrafen  für  bie 
Sdfjanbe,  bie  id)  über  fie  gebradjt  tjabe;  ober  wenn  fie  ofme  it)n  nid)t 
leben  fann,  fo  roill  i<$  ju  itnu  gefjen  unb  if)n  am  &alfe  tierfd&teppen  roie  einen 
föunb! 

grau  53ertf)olb.  2ldj,  lieber  ®ott,  fpredjen  Sie  nid^t  folc&e 
fd)redtt$en  Sorte. 

Stet)!  foöuc  auf  fte  ju  boren).  %a$  ift  baS  -Öefte.  <3«  asoltertborff  unb  ftraw  »«rt= 

wi.)  91un,  $l)v  Sieben,  id)  banfe  @udj,  bajj  3f)r  auf  roi<S  geroartet  t)abt. 
Unb  jefct,  nnfjt  3()r  rqaä?  Safet  mid)  auf  ein  tjatbe^  Stünbajen  allein.  — 
$>aS  Setter  ift  fdjön,  mad)t  einen  Spaziergang. 
SotterSborff.   3a,  aber  rooju? 

Stent  (Hiiö).  £a3  roirft  Xu  fdjon  erfahren.  2fuf  Sieberfefjen,  auf 
Steberfeljen.   3n  einer  falben  Stunbe. 

grau  SBertljolb.   2lber  &err  Stent  .  .  . 

Stent.   3a)  bitte  (Sud),  madjt,  mad)t;  (£ure  Saasen  langen  im  (Sntr6e. 

(Schiebt  Scibe  foiift  bcr  Xbiir  entflegtn.) 

7.  $rene. 

Stent  ««ntim.  $a3  ift  ein  mistiger  2Iugenbtirf  meinet  Sebent.  3d> 
mu§  Rubeln!  äl^a«  roerbe  idj  ifjr  fagen?  ^tt)  mu§  fie  natürlid)  auf 
2ltle^  vorbereiten.  —  <*auto  3.>orfid)tig,  norfid)tig!  0«  iwr.)  ^d) 
fürchte  mia)  orbenttid)!  —  Sie  mir  bas  .^erj  f topft!  (»«cft  in  tm  ept<aei.> 
Unb  roie  ia)  aue fetje!  («ringt  mit  b«r  ianb  b«  «>aort  in  orbnung.)  2Iber  ia)  barf  nid)t 


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5aubern.  Vorwärts!  Das  Sctjwerfte  ift  ber  ?lnfang.  —  Cb  fie  nodj 
fdjläft  ?  s33ei  bem  £ärm !  9l6err  wenn  fie  2WeS  gehört  Ijat !  Dann  —  um 
fo  beffer.  Vorwärts,  Du  Feigling,  Dorwärts!  2lber  t)alt!  Das  wirb  mir 

ÖUt  tf)UH.  (Wein  «um  2ifd>  juriief.  fAenft  «in  Wai  23atfer  «in,  unb  trtnft  (S  ftftnfff  au*.)  — 
Ullb  jcfet  mit  ©Ott!  fa)  «m  unb  erblicft  Wartha,  bie  ans  b«r  Seitcntbur  gtf rannen  ift, 

öertDirrt,  ^irf),  Du  —  Du  bift  ba,  baS  .  .  .  wie  .  .  . 

8.  Zcene. 

<Stct)I.  3Jkrtf)a. 
Wartha.   3cr)  bin  es  —  was  fjaben  Sie? 
Stent  (Mmen).  WdfitS,  nidjts  ...£0,10...  3d)  backte,  Du  fd&liefft. 
9tfartf)a.    $cr)  bin  eben  aufgeftanben. 
Stenl.   9?un,  unb  wie  gctjt  es  Dir? 

9flartr)a.   Keffer,   3cr)  Ijabe  nur  etwas  flopffd)mer$en.   (s*t  p*.) 
Stenl.   9ta,  Öott  fei  Dan!.  Dann  tonnen  wir  nad$er  fpajiercn 
geljen  —  was  meinft  Du? 

9)iartr)a.   2Bie  Sie  wollen  .  .  . 

Stenl.    S^ein,  wie  Du  roittft.  —  &abe  idj  Dicr)  benn  jemals  rooju 
gejwungen?  —  2itaS  Du  wünfd&eft,  gefajteljt. 
9Nartf)a.    Sie  finb  fo  gut. 

Stei)l  m  ju  it>r  feeenb).  stdj,  nrns  gut!  2Iber  fiel;  nur,  (fi<  anbikfenb)  Du 
§aft  wieber  gemeint.  —  mtart&o  menbtt  o-,.,  2X5er  wo$u  baS  9llIeS?  Du 
wirft  fetjen  .  .  . 

9Hartl;a.    Sie  wollen  midj  tröften,  aber  idj  brause  feinen  Droft! 
(Kit  einem  bütcren  duftem.)  $d)  babe  mid)  in  mein  Sdiicffal  ergeben. 
Oteijl.    ©rgeben?  2i>ie)"o? 

3)iartt)a.  weife,  3(UcS  ift  3U  Gnbe.  Unb  oieHeid^t  ift  eS  fo  beffer. 
Stenl.    2tber  warum? 

Wartha.  3ÖaS  brausen  wir  und  ju  oerftellen?  weSr)alb  wollen 
wir  uns  täufdjen? 

Stent  (*auftL  5hm  benn  —  Du  l)aft  sJtedjt.  9lber  freilia),  fo  etwas 
rjätte  id)  nidjt  von  irjm  erwartet. 

SNartlja  <«e»r  emso.  Sßas  benn? 

Stenl.   3^  •  •  •  bas  Ijeifet  .  .  . 

3Jtartl)a.    Sie  waren  Ijeute  bei  Um? 

Stent,  oa- 

3Kartl)a.   vJiun,  unb? 

Stenl.    Draf  ifm  nid)t  $11  .Oaufe! 

5Jiartl)a.    2Iber  was  fjaben  Sic  nidfit  oon  it)m  erwartet? 

Stenl.    Den  sörief. 

SDlartfja.    Gincn  ^rief? 

Stenl  (eerfL:d,t  s«  id.t.ein).  $a,  einen  s3rief,  weifet  Du  —  UebrigenS, 
er  —  bas  Reifet,  mau  ?ann  nia^t  fagen  .  .  . 


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  Der  ^unggcfelle.    J09 

3)iart^a.  2Bo  ift  her  ©rief? 
Steigt.   3$  f)aüe  ü)n  bei  mir. 

■Bfartfya.  ©eben  Sie  ifm  mir,  um  ©otteSmiflen,  geben  Sie  ifm 
mir.    £en  SBrief !  Schnell! 

Stent  (if»n  f«*enb).  3$  roet§  wirftid)  nidjt  —  Hartha,  Xu  bift  fo 
erregt. 

9Hartf)a.  3^  bin  fdwn  wteber  rufjig  .  .  .  216er  ben  33rief,  ben 
»rief! 

Stent.   $ier  ift  er,  aber  ia)  bitte  £idj,  —  im  ben  Prief  rongfom  au« 

berXcföe:  «Hartha  entreiöt  ibm  benfelben  unb  lieft  Um  eifrig;  fie  bleibt  einen  «ugenblid  toie  ftarr 
fteben  unb  bebeeft  bann,  laut  auf  fehl  utbjenb  ba»  ©efkbt  mit  ben  $änbcn)  —    Um  ©OtteSwiltcn 

2J?artf>a!  ober  fo  Ijörc  bod)!  SBeine  nidjt!  3$  ftef)e  für  Me3  ein,  aber 
itt)  fann  Tid)  nid>t  fo  fef>en!  Steine  nidjt! 

üflarttya  ("«»«  zwntnx  S3er5cir)en  Sie  mir,  e3  ift  gteidj  oorbei.  9?ur 
im  erften  2lugenblicf.  <xrodnet  bie  x&ränen.)  3dj  tjabc  ba3  9ltte3  ja  erwartet 

Unb  münfa)e  ©tÜ(f !    (SM  *i<ber  meinen.) 

Stent.   3(§  werbe  ifm  sur  Siebe  ftelten. 

üflartf)a.  Um  feinen  Bretel  3d>  toxH  mia)  9?iemanbem  aufbrängen. 
Hein  ©ort  inefjr  von  ibm,  wenn  Sie  mid)  lieb  tiaben.  3dj  bin  jroar 
eine  SSatfe,  id>  f)abe  feine  Stü&e  .  .  . 

Stent.  2>u  baft  feine  Stüfce?  Unb  wa*  bin  ia)?  Siebe  i$  $i<$ 
nidjt  wie  eine  Xod)ter? 

3flartf)a.  Sie  ftnb  gut,  idj  weijj  e3;  aber  Sie  werben  e$  mir  nad> 
fixten,  bafe  idj  jefet  nidjt  mefjr  bei  ^\)mn  bleiben  fann. 

Stent.    9Ba  —  wa$? 

3J?artJja.   3$  nmjj  fort  üon 

Stept.  2Ba5  foH  ba^?  £a3  fjat  2)ir  wol)l  bie  Xante  eingerebet?  — 
$a  fott  bod)  gleidj  —  2Bic  ift  Xir  nur  biefer  unfelige  ©ebanfe  gefommen? 

9ttartf)a.  &ören  Sie  midj  rufjig  an,  unb  Sie  werben  mir  äugeben, 
bafj  id)  red)t  Ijabe. 

Stent.   9Jiemat3  —  niemals! 

Sflartfja.    Sagen  Sie  felbft,  was  folt  man  nad)  bem,  wa3  oorge; 
fallen  ift,  oon  mir  benfen? 
Stent.   3a/  roa$  benn? 

ÜDiartfya  (f*nea>.  3dj  bin  bod)  nidjt  3^r  &mb.  3?fct  werben  Sitte 
fagen:  „(Jr  t)at  fie  fifcen  tajfen,  roaS  fdjabet's!  Sic  ift  ja  bodj  nur  ein  an* 
genommene^  ftinb,  ba3  frembeä  33rot  ifet  .  .  .  wäre  fie  bei  ifjren  SBers 
wanbten  geblieben,  fo  fjätte  fie  flüger  baran  getrau.  2lber  fie  wollte  gut 
leben  unb  nidjts  tf)un.  Sa  rjat  fie'S  nun  weg."  Seijen  Sie,  &err  Stent, 
tdj  Ijabe  Sie  fo  lieb,  wie  Wemanben  auf  ber  SDctt;  aber  was  fott  ia) 
ifmu?  3°)  ^a"n  nic3t)t  länger  bei  bleiben,  unb  ein  Stücf  Jürot  werbe 
tdj  mir  fdjon  nodj  uerbienen  fönnen. 

Stent.   3$  oerftelje  niajts,  rein  garmd)tä!  2BaS  fprid;ft  Xu  baV 


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3»an  (TnrgenjeiD  f. 


3dj  bin  bodj  ein  alter  sifiann.  Xa3  toiffcn  bod^  9llle,  bafe  Xu  mir  eine 
Sod&rer  bift.   2Ba$  foll  ba$  nun?  3ft  baä  X ein  ©rnft? 

SDtartlja  (au*fu&n»b).  gjfeht  ooller  (Srnft! 

Stent.   Unb  Xu  fannft  mid)  oerlaffen? 

9ttartf)a.   3<f)  mu§! 

Stent.   5Tbcr  wof)in  wiüit  XuV 

3ttartf)a.   3rgenb  wof)in!  3$  werbe  mir  eine  Stellung  fudjen. 

Stent  (ringt  &ie  «snbc).  3$  uerliere  nod)  ben  SBerftanb!  Sebenfe,  wa$ 
Xu  tr)uft.  ®enn  Xu  mid)  oerläfTeft,  bann  l)abe  id)  nidjta  auf  ber  2Belt, 
woran  mein  £er&  pngt.  9?ur  Xeinetwegen  lebe  td)  ja.  SBenn  id)  Xid& 
nia)t  mef)r  l)abe,  will  td)  ntdjt  länger  leben  $iartf)a,  r)a6c  SWitletb  mit 
bem  armen,  alten  SHann!  2$a$  fjabe  id)  Xir  benn  getljan? 

9Jiartl)a.   Dualen  Sie  mid)  nid)t.    GS  mu§  fein. 

Stepl.  So  feib  31>r  Söeiber!  (5*  ift  ein  ßlenb,  (Sud)  Vernunft 
prebigen  3U  wollen.  «Rein,  «Wartha!  &ier  ift  Xeine  $eimat,  Xein  S$u&; 
id)  fann  Xid)  nid)t  fortlajfen!  2lber  GinS  will  icr}  Xir  fagen:  3dj 
fdjaffe  Xir  ben  2£ortbrüd)igen  äurud,  ober  id)  ftrecfe  tfin  mit  biefer  gauft 
nieber. 

3)Jart^a(crf*r.)(fcn).  2£a$? 

Stent.   3awof)l,  mit  biefer  gauft!  Xeine  @f)re  foQ  flecfenloS  fein. 

9ttartfja  (mit  crftwter  etimmo.  #ören  Sie!  ÜlÖenn  Sie  nidjt  fofort  ba$, 
was  Sie  eben  gefagt  l)aben,  surfirfnermten  —  fo  gelje  id),  weife  ©ott  — 
in'«  Üöaffer. 

Stenl  («oft  f*rd(Hbi  2Ba3  foa  id)  aber  tfmn?  ^Jein  ©ott!  idj  werbe 
wafnvfinnig!  (ei*  »wr«  »efuncnby.  —  «fröre,  2)iartf)a!  —  aber  nein!  3$  bin 
fo  nerwirrt!  —  ©leid)  mel,  mag  barauS  cntftefjen,  was  will.  —  .fröre, 
Xu  wiUft,  bafc  Xir  üttiemanb  bie  3ld)tung  oerfage,  baf$  9tiemanb  Xir 
etwa«  Sdj(ed)teS  nad)rebe,  ntdjt  wal)r?  9?un  benn,  r)öre  —  aber  um 
©otteSwillcn,  &a!te  midj  nid)t  für  ncrrücft  —  Siefjft  Xu  —  id)  —  Xu 
bleibft  l)ter  —  unb  Wemanb  —  oerftetift  Xu,  9iiemanb  wirb  es  wagen, 
Xid)  äu  fränfen!  —  mit  einem  2Bort,  willft  Xu  meine  grau  werben? 

9Wartf)a  mr*  Wik  ernoum).  3BaS  fagen  Sie? 

Stenl  (fcjjr  fdmtii).  Unterbrich  mid)  niqjt!  34  roeij3  fetbcr  nid)t,  wie 
biefer  ©ebanfe  mir  in  ben  J'lopf  fam,  aber  id)  mufc  it)n  auSfpredjen.  (£i 
ift  ein  oerswcifelteS  bittet;  aber  bie  Sage,  in  ber  id)  mtdj  befinbe,  er= 
forbert  es.  3d)  w>ei^,  ÜUcf  ermann  wirb  nid)t  mef)r  ju  uns  fommen;  alfo, 
erlaube  mir  wenigftenS,  baß  id)  Xir  2llle£  erfläre,  was  id)  meine.  Xu 
fannft  ja  bod)  ntd)t  benfen,  bafe  ia)  Xir  we^e  t^uu  wollte  .  .  . 

s]tfartl)a.    Diein,  aber  .  .  . 

Stenl.  Xu  bift  felbft  an  Mcm  fd^ulb.  SBaruin  rootttcft  Xu  mt4 
oerlaffen?  XaS  fjat  mid)  gans  oon  Sinnen  gebracht.  3*  roitt/  ba§  man  Xid) 
oerel)re,  wie  eine  Königin ;  baß  man  fiefyt,  weld)eS  ©lud  in  bem  ©efifc  Xeiner 
£anb  liegt!  (iiu  Sdjurfe,  ein  Xummfopf  fa^lug  Xia)  aU  —  unb  id)lug 


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  Der  3nnggefelle.    \\\ 

fein  ©lud  aus.  Unb  ia),  ein  alter  ÜDtonn,  bem  ÜRiemanb  etwas  naa)fagen 
fann,  will  oor  Dir  in  bie  fluie  fallen  unb  bamit  ber  SBelt  beroetfen  .  . . 
aber  oerftefje  mia)  rea)t,  benfe  um  ©otteSwiöen  nur  nia)t  .  .  . ! 
3Rartf)a.   £ören  Sie  mia)! 

Steul.  Söart'  nur,  wart  nur!  3a)  weife  2We$,  waä  Du  fagen 
wiUft  2BaS  fann  ta)  Dir  für  ein  9Rann  fein!  ©eroife,  baoon  ift  weiter 
nia)t  ju  fprea)en!  .  .  .  2(ber  ia)  biete  Dir  9tuf)e,  Schuft  unb  bie  2la)tung 
ber  2öe(t.  3a)  will  Dir  ein  Sater  fein  —  baS  ift  eä!  33Uf)er  warft 
Du  au«  ©nabe  unb  $3armf)er$igfeit  bei  fremben  beuten.  Da3  foll  anberS 
werben.  Du  foUft  jefct  ßerrin  werben,  unb  ia)  —  ia)  will  Dia)  futten, 
wie  meinen  Augapfel.   9ta,  was  fagft  Du  baju? 

9Kart^)a.  3ä)  bin  fo  erftaunt,  fo  gerüfjrt  oon  Slüem,  wag  Sie  mir 
ba  fagen.   2Ba3  foü  ia)  3f>ne^  nur  gleia)  antworten? 

Step  l.  2lber  wer  »erlangt  bennbaä?  Ueberlege  21lle$,  Du  fiaft  ja 
3eit  genug.  3a)  uioate  Dia)  ja  nur  beruhigen.  Sage  mir  nur  @in$,  ba§ 
Du  bei  mir  bleibft.  Dann  werbe  ia)  glüdliä)  fein.  —  SBeiter  will  ia)  ja  nia)t8. 

3)tartf)a.  &abe  ia)  benn  ba3  9tea)t,  fo  in  Steten  einjugreifen, 
3fnre  ©rofemutf)  für  miä)  in  Slnfprua)  $u  nehmen? 

Stenl.  2la),  wie  Du  wieber  rebeft!  SBoju  wäre  id)  benn  fonft  noa) 
auf  biefer  3Belt  gut  ?  2llfo  fage  mir,  bafe  Du  Ijier  bleibft.  Unb  bie  2lnts 
wort  auf  ba3  Slnbere  fannft  Du  mir  geben,  wann  Du  willft,  wann  Du 
wittft  .  .  .ffiteV 

9JJartf)a      i&n  an,  öm«>rt).  (*onff.>  3a)  wiU  bei  ffintn  bleiben. 

Stenl.  Du  bleibft!  SBirflia)!  (»u  um  b<n  $a»  faa*n)  g^ein,  nein — 
ba«  barf  nia)t  fein,  bura)au3  nia)t. 

SWartlja  umanncnb).  ©utcr,  Sieber!  Sie  werben  mia)  nia)t  oerlaffen 
unb  betrügen,  3faen  barf  ia)  oertrauen.  SRur  erlauben  Sie  jefet,  bafc  ia) 
auf  mein  3immer  gef)e  .  .  .  e$  bret)t  fia)  mir  2llle$  im  flopf  fyerum  .  .  . 
©rlauben  Sie! 

Stenl.   Sitte,  Du  fannft  2lQe$  tfnm,  wa$  Dir  beliebt.  9hu)e  Dia) 
au«,  ba$  ift  bie  £a.ptfaa)e.   2tücö  Uebrige  wirb  fid)  finben.  (su  »ur  iwr 
gitHtnb.)  aif o  Du  bleibft  bei  mir  ? 

3)iartf)a.  3a! 

Stenl.  9?un  ©Ott  fei  Danf,  ©Ott  fei  Danf!  9tur  Deine  3iul)e 
unb  Dein  ©lud  liegen  mir  am  .§er$en.  2lber  ©in«  möa)te  ia)  Dia)  fragen: 
Darf  ia)  Iwffen  ober  mufj  ia)  füra)ten    3lber  nein,  nein,  ia)  werbe nia)t3  fragen. 

3ttartt)a  («104  <imr  vauh).  gragen  Sie  nur!  Sie  bürfen  fyoffen.  (Sawb  ab.) 


9.  eccnc. 

Stent  aacuo.  3öa§  fagte  fie?  „Sie  bürfen  fjoffen."  (M«ffpnnflt«b)  #alt, 
Du  alter  Dummfopf !  ^erftefjft  Du  benn  nia)t,  was  fie  fagte?  9lber  mein 
©Ott,  wie  fonnte  ia)  afjnent   Wartha  will  mia)  l)eiratf)en,  mia)!  <Sin 

9lorb  nnb  ©iit.  Lf„  im.  8 


■ 


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21uf  bev  $ai]tt  nadj  Spanten. 

Von 

Paul  Ctnbau. 

—  öerlin.  — 

6  man  ben  2öeg  von  $eutfd)lanb  nadj  Spanien  über  bag  ©Ifajj, 
Stratjburg,  ober  über  bie  <Sdjroei$,  ©enf,  unb  ba3  füböftüdje 
granfreid),  Snon,  WmeS,  Montpellier,  s$erpignan,  ober  über 
$arU  unb  ba$  fübroeftlid)e  granfreidj  nimmt,  um  t)ier  über  $run  nad) 
3Kabrib,  bort  über  $ort  33ou  nod)  Barcelona  ju  fahren,  fommt  ungefähr 
auf  baäfelbe  fierauS.  2£af)rfdjeintid)  mürbe  idj  einem  britten  2Bege:  über 
bie  <Sd)n>ei$  burd>  ben  ©t.  ©otttyarb  na<$  SHailanb  unb  ©cnua  —  bemfetben 
SBege,  ben  roeilanb  Slaifer  griebrid)  als  £ronprin$  im  9iooember  1883 
genommen  tjatte  — ,  ben  $or$ug  gegeben  f)aben,  wenn  iä)  ftdjer  geioefen 
märe,  in  ©enua  einen  nadj  ben  Cftf)äfen  ©panienä  gef)enben  Dampfer 
olme  aü>  grojjen  3eitoerlu|"t  §u  erreichen.  £a  s£ari$  für  midj  ben  9ieij, 
ben  ed  in  meinen  jungen  $af)ren  mit  jauberljafter  ®eroa(t  auf  mid)  geübt 
Ijarte,  feit  bem  beutfä>fran$öfiid)en  Kriege  unb  ber  untiebfamen  ©eftaitung 
ber  ^ejte^ungen  $nrifa>n  ben  beiben  l'anbern  immer  mein-  unb  mefjr  oer* 
toren  f>at  unb  mir  in  ben  unruhigen  Sagen  oor  ber  Eröffnung  ber  SBelt* 
auäfteüung  weniger  üerlodcnb  benn  je  erfdjien,  ba  id?  überbies  ba3 
©tfafc,  feitbem  e*  beutfa>3  sJteidj$Ianb  geworben  ift,  nid)t  gefe^en  fjatte 
unb  rouBte,  bafj  id)  in  Strasburg  einen  meiner  älteften  unb  treueften 
^ugenbfreunbe,  ber  insmtfdjen  }ti  :Hang  unb  Stürben  aufgefticgen  ift,  roieber= 
finben  unb  mit  greunben  unb  Sefannten  aus  einer  näfjerliegenben  geit 
jufammentreffen  mürbe,  ba  idj  mir  enblidj  eine  ernftfjafte  greube  baoon 
oerfpredjen  burfte,  nadj  naJjeju  breifcig  ftarjren  in  ©übfranfreid)  einige 
jener  ©täbte  roieberjufefjeu,  bie  id)  mit  meinen  liebften  ©enoffen  au$ 

8* 


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  2Juf  ber  Jatjrt  uadj  5p  anien.    \\5 

ju  unfercn  beueibenäwerthen  Vefonberbeiten,  unb  moty  ober  übel  ^oben 

wir  un3  in  ber  ^olitif  mebr  ober  minber  $um  »hlfpruche  be$  Galigula 

befennen  müffen:  „Oderint  dum  metuant".    2lud)  ben  (Slfaffern  gegen= 

über  fdjeint  vorläufig  bie  ^olitif  bei  „tiefen  bod)",  bie  Saraftro  in 

feiner  23afc2lrie  fo  fdjön  befinirt: 

„3ur  Siebe  fatm  id)  $irf)  iucf)t  stmngen, 
©od)  geb*  Ufc  $tr  bie  ftreifjeit  nicfjt" 

bie  einzig  mögliche  ju  fein.  2Me  beutle  Regierung  in  ben  9teid)$lanben 
fdjeint  atterbingä  bajn  oerurtheilt  ,u  fein,  actio  wenig  görberlicheS  fd&affen, 
bagegen  febr  leicht  geiler  begeben  3U  fönnen.  GS  macht  ben  Ginbrucf, 
als  ob  bie  Glfaffer  eigentlich  mehr  luiffcn,  wa3  fie  nid)t  wollen,  als 
roiffen,  wa3  fie  wollen.  Sie  nehmen  übet,  ba$  ift  baS  (Sinnige,  wa$  fia) 
oon  Urnen  fagen  läfjt.  ein  Seutfdjer,  ber  feit  langen  3ahren  in  ben 
9ceid)$lanben  lebt,  unb  ber  feine  Aufgabe,  fia)  berufämäfjig  mit  ben  23er* 
bältmffen  oertraut  311  machen,  fer)r  ernft  genommen  f)at,  machte  mir  eine 
^emerfung,  bie  mir  febr  bejeidjnenb  3U  fein  fdjeint.  Gr  fagte:  „SSenn 
man  jefct  in  einem  efjrlidjen  ^plebtecit  ben  Glfaffern  bit  grage  oorlegen 
wollte,  ob  fie  fid)  für  £>eutfd)fanb  ober  granf  reich  entfdjieben,  fo  mürben 
98  ^rocent  in  biefem  9lugenb liefe  für  granf  reidj  ftimmen.  Söürbe  ba§ 
^lebiScit  ein  3af)r  fpäter  wteberholt,  fo  würben  85  ^Srocent  Seutfdje 
werben  motten." 

LUuS  allen  Unterhaltungen  mit  unferen  £anbsleuten  im  Glfafc  —  unb 
alle  '©efpradje  münben  oerbängnifsooll  in  politifche  2lu3einanberfefeungen 
—  gewinnt  man  bie  Ueberjeugung,  bafe  bie  Glfaffer,  benen  ba$  klagen 
eine  liebe  ©eioolmheit  geworben  ift,  in  bie  allerenftljaftefte  Verlegenheit  ge= 
ratzen  würben,  wenn  man  ihnen  bie  3Jtoglia)feit  gemährte,  bie  Verhalt* 
niffe  nadj  ihren  2öünfd)en  $u  geftalten.  Von  irgenbwelajem  emfthaften 
3ufammenhang  ihrer  Veftrebungen  mit  bem  eitlen  unb  grofjmannStotten 
ifauthelbenthum  ber  ^atriotenliga  ift  nicht  bie  9tebe.  9lber  ebenfowenig 
haben  fie  ftdj  trofo  mancher  ftunbgebungen,  bie  ba3  ©egentheil  §u  beweifen 
fdjeineu,  mit  ber  neuen  ©eftaltung  ber  Singe  aufria^tig  befreunbet.  Siefer 
murrenben  unb  feufjenben  Unflarheit  gegenüber  r)at  bie  Regierung  feinen 
leichten  Sranb.  9JHt  ber  ftrammen  unb  fäjroffen  ^ücffid)t$loftgfeit,  ber 
neuerbingS  fo  allgemein  beliebt  geworbenen  „Sdmeibigfeit"  ift  e3  ficher= 
lieh  nic^t  gethan.  GS  oerbietet  fid)  oon  felbft,  baß  Seutfdjlanb  in  ben 
•Reid)3lanben  auftritt  wie  in  einem  eroberten  geinbeälanb.  GS  ift 
rotebergewonneneS  2anb,  baS  wir  mit  bem  beutfehen  Weiche  oerfdjmeljen 
unb  bauernb  erhalten  wollen.  2>aS  ift  eine  fehr  langwierige  unb  fd)wierige 
Arbeit,  $u  beren  Grlebigung  oiel  Gfebulb,  2Bei3heit,  Vebarrltdjfeit  erforber* 
lieh  fein  wirb,  unb  bei  ber  wir  als  auf  ben  ftärfften  33  unbeSgen  offen  auf 
bie  3eit  5U  rechnen  haben. 

92id)t  minber  bebenflidj  aber,  oielleicht  nodj  bebenflicher  als  bas 
Sreinfa)lagen  mit  ber  gauft,  wäre  bie  fentimentale  unb  fdjwächlicfje 


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U6 


- —    paul  £inban  in  Berlin. 


Sulbung  beS  unoert)ohtenen  tfofettirenS  mit  bem  JranaOfenthum.  $er 
frühere  Statthalter  3Ranteuffel,  bem  es  im  Uebrigen  an  ber  erforberltchen 
©nergie  feineSwegS  ermangelte,  fyat  fid)  biefen  geiler  $u  Sdjulben  fommen 
(äffen.  3n  ber  ^>erfönliä)feit  feines  Nachfolgers,  beS  jefcigen  Statthalters 
JJürften  (Sfylobroig  oon  Hohenlohe,  fdjeint  bie  für  ben  unenblid)  fchroterigen 
unb  oerantwortlidjen  Soften  'geeignete  ^erfönlid)feü  gefunben  worben  $u 
fein.  §ürft  6t)lobroig  Hohenlohe  ift  ein  ruhiger,  befonnener,  flarer,  wohl* 
wollenber  unb  erfahrener  9)iann,  eine  oerf  ähnliche  unb  oornehme  9ktur, 
o^ne  beleibigenbe  $ärte,  aber  entfdjieben  unb  befttmmt,  wenn  es  fein  mufe. 
<5r  ift  frei  oon  aller  perfönlichen  (Sitelfeit.  <5s  liegt  ihm  nichts  baran, 
cor  feierlichen  ^Deputationen  glänjenbe  hieben  ju  galten  unb  fid)  anjubeln 
ju  laffen.  ©r  \)cd  nur  einen  ©hrgeij:  bem  Vertrauen,  mit  bem  er  als 
ber  erfte  Seutfdje  in  ben  SSeidjSlanben  beehrt  worben  ift,  ju  entfpred)en 
unb  als  Deutfcher  feine  ^flidjt  ju  thun. 

2£äf)renb  td)  in  Strafeburg  mar,  Wagten  bte  Seute  befonberS  über 
bie  neuerbingS  oon  Berlin  aus  angeorbneten  Berfchärfungen  ber  ©ren^ 
reoifion.  Saburdj  ^ätte  man  ben  granjofen  ben  2Beg  burd)  baS  ©Ifafe 
gerabeju  oerlegt.  3nfolgcbeffen  tyibt  ber  grembenoerfehr,  namentlich  in 
Strafeburg,  erheblich  abgenommen,  unb  alle  2£elt  höbe  barunter  ju  leiben. 
Sie  granjofen  jögen  eS  jefct  oor,  mit  großen  Umwegen  über  bie  Sdjweij 
ju  reifen,  als  ben  langweiligen  Betätigungen  unb  Scherereien  an  ben 
elfäffifchen  ©renjen  ausgefegt  ju  fein.  Sie  granjofen  haDen  feineSwegS 
(Gleiches  mit  ©leichem  oergolten.  Sie  hoben  bie  Slpre  ihrer  Cftgrenjen 
in  biefem  2luSftetlungSjahr  im  ©egentrjeil  ben  harmlofen  9ieifenben  fperr= 
angelweit  offen  gehalten,  unb  id)  bin  oon  Strafeburg  aus  auf  baS  franjofif d^e 
©ebtet  hinübergefahren  unb  h^be  granfreich  oon  ber  beutfdjen  bis  §ur 
fpanifdjen  Wrcnje  burdjretft,  ohne  ein  einziges  9Jtol  nach  einem  Legitimation^* 
papier  ober  bergleid)en  gefragt  worben  §u  fein. 

Slber  meine  greunbe  in  Strafeburg  gaben  mir  boch  ben  jflath, 
namentlid)  in  Seifort,  reo  mir  einige  Stunben  Aufenthalt  hotten,  um 
ben  2lnfd;lufe  an  ben  2t;ouer  £ug  abzuwarten,  2llleS,  mag  irgenbwie  auf= 
fällig  roirfen  fönntc,  ju  oermeiben,  ba  gerabe  bort  bie  Spionenriecheret  in 
oollfter  Blütrje  ftänbe,  unb  wenn  auch  nicht  gerabe  ftarfe  Ungelegenheiten, 
bodh  ftörenbe  Behelligungen  uns  leicht  erwad)fen  fönnten.  9öir  befolgten 
ben  guten  vJ?atf),  unb  ber  Seutfd)enf)afe  in  Beifort  äufeerte  fidj  uns  gegen* 
über  nidjt  anberS  als  baburd),  bafe  uns  im  „&otel  jur  alten  $oft"  für 
ein  recht  mäfeigeS  grühftücf  ein  unoerfchämt  hoher  ^reis  angerechnet  würbe. 

:::  * 
-V 

Sie  garjrt  burd)  baS  malerifdje,  lanbfchaftltd)  überaus  reijootte  £bal 
beS  SoubS,  burd)  baS  Schlachtgebiet  bes  Ärber'fchen  Corps,  über 
9)iont6eliarb  unb  Befaw;on,  war  ganj  h^rlid).  GS  waren  erft  wenige 
Sage  oergangen,  feitbem  ich  Berlin  oerlaffen  hatte.   Sa  fetten  wir  haß3 


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2Xaf  &er  ^aljrt  nad?  Spanien.   


lidjeS,  grämliches,  rauhes  SBetter  gehabt.  2lm  £age  oor  meiner  Slbreife 
hatte  es  nod)  gefcfjnett.  2ln  ben  fallen  unb  bunflen  2lejten  unb  Steigen 
ber  Saume  beS  Tiergartens  jetgte  fiap  nod;  fein  grüner  Xupfen  ber 
jungen  triebe.  9tun  bampften  wir  in  ben  oollen  fröhlichen  grüf)ling  Inn* 
ein.  2llIeS  grünte  unb  trieb  ringsumher,  unb  unter  bem  freunblidjen,  uon 
Sorten  weißen  2Böl!d)en  besogenen  Gimmel  lag  2WeS  in  golbigem  Sonnen* 
Wein. 

£>ie  33af)n  folgt  auf  jiemlid)  betrachtlicher  &öhe  eine  lange  Strecfe 
bem  Saufe  beS  J^uffeS,  an  beffen  jenfeitigem  Ufer  bie  beroalbeten  Serge 
auffteigen.  $aS  ganje  Sanb  macht  ben  ©inbrudt  ber  &eiterfeit  unb  beS 
©ebeiljens.  Unten  am  Flußbett  fief)t  man  ab  unb  5U  größere  ©ifenfjämmer, 
unb  auffattenb  fd)ön  finb  bie  jaljlreidjen  33rücfen,  bie  über  ben  £oubS  ge= 
toorfen  finb. 

28enn  mir  biefe  Strecfe  burd)fafjren,  gebenfen  wir  aber  nicht  bloS 
beS  tob*  unb  üerberbenbringenben  SfriegS,  mir  benfen  auch  unwillfürlid; 
baran,  baß  in  9Rontb£liarb  JJranfreidjS  größter  9toturforjcher,  Guoier, 
unb  in  Sefanvon  einer  feiner  größten  dichter,  Victor  &ugo,  geboren 
ift.  Sßictor  &ugo  ^at  felbft  in  einem  feiner  befannteften  ©ebidjte,  ber 
Einleitung  $u  ben  „&erbftblättern",  bafür  Sorge  getragen,  baß  ftcfj  fpätere 
©efa)led)ter  nicht  über  feinen  ©eburtsort  ftreiten,  wie  bie  Stäbte  ©ried;eit= 
lanbs  um  bie  (Stjre,  Horner  ^eroorgebrad)t  ju  haben.  „XieS  3ahrf)unbert 
jählte  jwei  3af)re,  als  in  Sefancon,  ber  alten  f)ifpanifä)en  Stabt,  aus 
bem  ©emifch  oon  bretagnifchem  unb  lothringifdjem  33(ut  ein  Slinb  jur  2Belt 
fant,  ofme  garbe,  ofnte  Ölicf  unb  ofme  Stimme,  baS  aus  bem  Suche  beS 
£cbenS  fä)on  geftridjen  ju  fein  fajien  unb  faum  noch  oon  einem  £age  jum 
anbem  ju  leben  r)atte:  bieies  Äinb  mar  td)." 

3n  biefem  ftoljen  „c'est  moi",  in  biefer  großartigen  Serfnüpfung 
feiner  ©eburt  mit  ber  ©eburt  beS  3af)rf)unbertS  jeigt  fid)  fdjon  bie  ganje 
9?aioetät  unb  baS  wunberooHe  Selbftbewußtfein  beS  großen  XidjterS,  ber 
fid)  fieben  3af>rsef)nte  fpäter  allen  ©rnfteS  einrebete,  er  werbe  burdj  feine 
begeifterten  ©ejänge,  rote  roeilaub  XnrtäuS,  ben  Sieg  an  bie  galmen  feines 
SaterlanbeS  ty\itn  unb  bie  barbarifcfjen  Horben  in  ihrem  Siegesläufe 
aufhalten. 

2)ie  Slnnehmlidjfeit  unferer  galjrt  rourbe  in  nicht  unbebeutenber  2£eife 
baburd)  üerminbert,  baß  roegen  beS  beuorftefjenben  3efteS  —  es  roar  ber 
Xag  oor  Dflem  —  alle  Goup^S  überfüllt  waren  unb  auf  ben  Sahnf)öfen 
an  ben  SuffetS  eine  fold)e  Wcnfchenmenge  [ich  aufftaute,  baß  für  frieb* 
liebenbe  Seute,  bie  nicht  beftänbig  ©ebraud;  oon  ihren  Ellbogen  mad)en 
roofften,  bie  SJlögliäjfeit,  an  ben  Sd)anftijd)  h^anäugelangen,  auSgefd)lo)fen 
roar.  2)ie  granjofen  finb  auf  Reifen  ungleid)  genügfamer  unb  anfprud&S* 
lofer  als  roir.  Söährenb  wir  unfern  Unwillen  über  ben  beftänbigen  2öed)fel 
ber  Spaffagiere  oon  Station  §u  Station  unb  über  bie  unaufhörliche 
ÜWarimalbefetjung  beS  wenig  bequemen  (Soup^S  erftcr  5llaffe  mit  ad)t  ^erfonen 


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U8    paul  £ini>au  in  Scrlin.   

nur  müljfam  bel;erri*c^en  tonnten,  fdjicften  fidj  bic  granjofen  mit  liebend 
mürbiger  Saune  in  ba£  Unucrmeibliche. 

3Me  franjöfifche  ©ifenbahnuerroaltung  f)atte  nod)  feinen  falenbermaßigen 
grühling,  uub  obroobl  ba£  Xljenuonteter  brausen  geroiß  achten  ©rab 
3eigte  unb  im  Goupe  einen  nod)  otel  höheren  ©rab  erreicht  hatte,  mürben 
nod)  regelmäßig  alle  Stunbe  ober  alle  jmei  Stunben,  ich  roeiß  el  nicht  mehr 
genau,  $ur  ^cijung  beäfelben  große  mit  fiebenbem  Söaffer  gefüllte  2Bärm= 
röhren  hinein  gejdjoben,  bie  eine  mtberroärtige,  fernste,  muffige  &it$e  oer= 
breiteten  unb  uns  3lUe  gleichermaßen  baburdt)  belästigten,  baß  mir  nicht 
mußten,  mo  mir  bie  güße  ^infteden  follten.  SHefe  höthf*  unangenehmen 
unb  r)öd^ft  überflüffigen  &ei$ung3röbren  maren  fct)on  mehrfach  geroechfelt, 
ate  enblid)  ein  corpulenter  &err,  ber  unter  ber  £ifee  roohl  am  meiften 
anzuflehen  hatte,  ba3  erlöfenbe  2Bort  fprad). 

„Segen  bie  Herren  befonbem  2öertf)  barauf,  baß  baS  §oup£  nodj 
geheijt  mirb  ?"  fragte  er  höflich-  3luf  bie  allgemeine  Verneinung  fur)r  er 
fort:  „21'ürbe  es  bie  Herren  fer)r  beläftigen,  menn  mir  bie  £ei5ung$röf)ren 
entfernen  ließen?"  &>teberum  gab  fid)  unter  aUeu  SJiitreifenben  eine  rührenbe 
llebereinftimmung  funb,  unb  nadjjbem  mir  bie  Döhren  bte  jur  nächften 
Station  unter  bie  Sifce  gehoben  unb  fobanu  Ratten  herausnehmen  laifen, 
fpradj  fi<h  atebalb,  tljeilö  in  farfaftifchen,  theilS  in  entrüfteten  3lu£brücfen 
eine  entfchtebene  3Hißbilligung  ber  ©ifenbahnoertoalrung  aus,  bie  jene  ein* 
mal  getroffene  Slnorbnung  gebanfenloS  aufredet  erhielt,  olme  9iüdfid)t  auf 
bie  33ebürfnif)e  ber  Sieifenben.  ©iner  ber  Herren  rourbe,  nachbem  ba£ 
liebet  gehoben  mar,  ganj  letbenfd;aftlich  unb  roilb.  Gr  erflärte,  e$  fei 
lächerlich,  e$  fei  eine  ©d&anbe,  anftänbige  Seute  unter  biefem  blöbfinnigen 
Schematismus  leiben  ju  laffen.  ©r  habe  jefct  noch  S?opffd)mersen.  Gr 
merbe  einen  großen  33rief  über  biefen  Uebelftanb  oeröffentltchen  u.  f.  ru. 
Unb  biefer  .§err,  ben  bie  ©ntrüftung  nun  auf  einmal  fo  berebt  gemacht 
hatte,  hatte  fid)  ftunbenlang  mäu0d)enftill  ©erhalten,  üfladjbem  mir  aus 
bem  3"ftanbe  ber  gelinben  2lnfd)morung  glücfltch  befreit  roaren,  oerliefen 
bie  Slbenbftunben  olme  meitere  3a^rlid)feit,  unb  mir  trafen  ziemlich  mo\)U 
behalten  in  Suon  ein. 

*  * 

lieber  fünfunbjroansig  3al;re  maren  oerfloffeu,  feitbem  idt)  jum  legten 
3M  in  Snon  geroefen  mar.  Sie  Stabt  mag  fich  feitbem  fefjr  oeränbert 
haben,  aber  id)  t)abe  oon  biefen  Veränberungen  menig  bemerft;  id)  fanb 
midi  merftüürbig  fchnell  in  ben  ©egenben,  in  benen  id)  bamalS  in  ber  ®e* 
fetlfchaft  gleichaltriger  greunbe  unoergeßlich  fitere  Stunben  oerbracht  fyatte, 
mieber  jurecht.  3a,  ich  falb  foöar  me^e  Der  Sabenfchilber,  beren  id)  mich 
nod)  erinnerte,  an  ihrem  alten  ^lafee  mieber. 

2lber  bie  greunbe  aus  ber  Qugcnbjeit,  auö  ber  Qugenbjeit!  —  fie 
maren  bahin! 


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  2iuf  bcx  $ab,rt  nadj  Spanien. 


U9 


$>er  eine  ift  ein  wichtiger  unb  vielgenannter  SWanu  geworben,  ber 
im  fdtjönften  fünfte  ber  Stabt  ein  palaftartigeS  &aus  befifet,  unb  ben  bie 
SBteberbegegnung  mit  bem  in  feinen  9lugen  jum  s^ruffien  geworbenen  alten 
Sugenbfreunbe  trielleidjt  in  einige  Verlegenheit  gebradjt  haben  mürbe.  Uns 
Reiben  rourbe  bie  Verlegenheit  ber  Sßieberbegegnung  erfpart.  Xie  beoor^ 
fteljenbc  Eröffnung  ber  SSeltauSflellung  hatte  ifm  nach  *)}ariS  gerufen. 

$>er  aubere  ift  längft  geftorben  unb  uerborben,  unb  nicht  olme  wahre 
Sßehmuth  benfe  ich  an  bie  früh  oernidjtete  (Sriftenj  btefeS  ^ergen^guten 
unb  mit  ben  feltcnften  ©aben  auSgeftatteten  iungeu  2)fanneS,  bem  eine 
glänjenbe  3u^unft  beigeben  $u  fein  fchien.  @r  war  als  6ofm  eines  fehr 
begüterten  SubufWellen,  oon  ben  (Sltem  mit  reiben  Mitteln  auSgeftattet, 
nach  5)]ariS  gefommen,  um  bort  fein  großes  fünftlerifcheS  Talent  auSju= 
bilben.  3n  ben  Greifen  feiner  ftunftgenoffen  galt  er  als  ein  ©enie  erften 
5RangeS.  Gr  war  faum  22  ober  23  3af)re  alt,  als  er  fein  erftes  flunfb 
werf  im  „Salon"  aufteilte,  unb  gleich  mit  btefem  erhielt  er  eine  hohe 
3luS$eia)nung,  bie  golbene  SJfebaiUe.  £alb  aus  Spielerei,  gewöhnlich  ju 
©efcher.fen  für  greunbe  unb  Verwanbte,  machte  er  innerhalb  gan$  furjer 
3eit  »ielleidht  ein  Dufeenb  fleinc  Statuetten,  djarafteriftifche  giguren  aus 
fran^öilfchen  ober  anberen3Md)tungen:  £on  Duirote,  galjtoff,  ©il  VlaS  u.  f.  w., 
oon  benen  jufäHigerwetfe  einige  ben  großen  ^arifer  Äunfthänblern  befannt 
würben.  $iefe  waren  entjüctt  oon  ber  giottheit  unb  Gharafteriftif  ber 
Keinen  Sigurden.  Manche  würben  baoon  in  Vronje  gegoffen,  unb  noch 
heute  fieht  man  überall,  in  $aris,  Verlin,  SBien,  Sonbon,  biefe  hübfehen 
unb  luftigen  sierlidjcn  Vilbwerfe. 

3dj  hfl&e  nie  einen  glücflicheren  2)?enfdt)en  gefehen,  als  meinen  8*eunb 
in  ber  3eit  feiner  erften  Triumphe,  ©r  war  jung,  lebensfroh,  femgefunb, 
erfolgreich;  er  f>atte  fich  eine  reijenbe  flünftlerwerfftatt  eingerichtet,  in  ber 
bie  foftigfte  ©eieflfdjaft  oerfehrte.  ©r  trug  fich  roit  großen  planen.  3WeS 
fchien  ihm  gelingen  ju  f  ollen.  2>a  oerliebte  er  fich  Su  feinem  Unglücf  in 
eine  fehr  fchöne  unb  fehr  begabte  Schaufpielerin,  bie  eben  aus  bem  ßonfers 
oatorium  gefommen  unb  im  ttjt&txe  granvais  engagirt  worben  war.  5)ie 
junge  flünftlerin  war  leiber  noch  manfclmütbiger  als  fdjön,  unb  ein  Lieutenant 
von  ben  3ägern  rwn  VincenneS  gefiel  ihr  noch  beffer  als  ber  ftünftler. 
@S  fam  3U  einem  heftigen  Auftritt  smifchen  ben  beiben  Nebenbuhlern,  jur 
&erauSforberung,  jum  3n>eifampf.  3>er  junge  ftünftler  würbe  burch  einen 
übrigens  ungefährlichen  Streiffdmß  nermunbet.  2lber  er  nahm  fich  bie 
Sache  grimmig  $u  £erjen. 

<£r  war  immer  ein  begetfterter  Verehrer  ber  2J?ufe  unb  ^erfönlidtfeit 
9llfreb  be  9)hiffets  gewefen,  unb  auch  er  würbe  nun  von  einer  oerhängniß* 
ooflen  SBoUuft  an  ber  fittltchen  ©rniebrigung  erfaßt.  Obgleich  er  uon 
#aufe  aus  ein  gan$  nüchterner  Wenfd)  war,  fpradj  er  nun  bem  ©lafe  in 
übermäßiger  SSeife  ju.   ©erabe  wie  Sttuffet  fuchte  auch  er  namentlich  im 


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\20 


  paul  £in&au  in  Berlin. 


Abfuntf)  Betäubung  unb  33ergcffen.   Aläbann  machte  eä  ihm  greube,  fidj 

in  ber  benfbor  miberwärtigften  unb  fd)led)teften  ©ejeUfchaft  ^erumsutreiben. 

2tuä  einer  folgen  Umgebung  würbe  er  eineä  XageS  wegen  irgenb 

eines  bummen  Streiches  ^erau^geljolt  unb  wegen  öffentlichen  Unfug*  mit 

mehrtägiger  $aft  beftraft.   $iefe  Öeringfügigfeit,  über  bie  er  früher  wie 

über  einen  mehr  ober  minber  gelungenen  Sehers  geladjt  haben  mürbe,  ^atte 

für  ifm  bie  unheilooHften  golgen.   ©r  machte  einen  Selbfhnorboerfuct),  ber 

ifm  jwar  nid^t  unmittelbar  töbtete,  aber  bodj  nach  etwa  einem  3ahr  feinen 

Xob  herbeiführte.   3)te  $ugel  hatte  bie  Sungenfpifcc  geftreift,  unb  e$  ha^en 

fid)  Xuberfeln  gebilbet.    ©r  jaulte  faum  24  3ahre/  a^  wir  ihn  begruben. 

3dj  erfunbigte  mich  jefot  nad)  ben  Angehörigen,  bie  ich  auch  gefannt  hatte. 

2luä)  bie  Altern  hatten,  wie  id)  oorauSgefefct,  ba3  3eit^tt)e  längft  gejegnet. 

$>aS  beträchtliche  Vermögen  ber  gamilie  mar  $um  größten  ^eit  an  wohk 

thätige  Stiftungen  übergegangen. 

*  * 
* 

Xie  Xljeater,  bie  unmittelbar  oor  bem  (Schluß  ihrer  Spielzeit  fknben, 
boten  nichts  irgenbwte  SehenSwertheS.  Unb  fo  blieb  uns  benn  ju  einer 
würbigen  Ausfüllung  beS  erfien  DfterabenbS  nidjts  AnbereS  übrig,  als  bie 
berülmitefte  SingiptelrjaHe  ber  Stabt  auf$ujud;en.  GS  mar  ein  abscheulicher, 
gerabeju  menfdjenunmürbiger  Aufenthalt:  eine  #i|}e,  ein  Duuft,  ein  Cualm 
in  bem  überfüllten  Saale,  bie  uns  nad)  einer  halben  Stunbe  baS  längere 
Verweilen  unmöglich  machten.  9J?an  bejahlt  allerbingS  fein  GintrittSgelb, 
bafür  foftet  aber  eine  Portion  ©is  3  granfen  25  Centimes. 

&aben  fich  meine  Äugen  ober  haben  fid)  bie  ftünftlerinnen  oerdnbert? 
3d)  weiß  eS  nicht.  Aber  ich  weiß  ganj  genau,  baß  ich  n^  reijlofere 
^erfonen  gejehen  habe,  als  bie  häßlichen,  wiberwärtig  gefchminften,  uolU 
fommen  talentlosen,  trjöridjten  ^erfonen,  bie  ba  ihre  bummen  Sieber  her? 
leierten.  Aud)  ber  Inhalt  ihrer  Vorträge  ging  über  ein  bejdjeibenes  3)Uttel= 
maß  ber  grioolität  nicht  hinaus,  gür  biefeS  Sttanfo  treten  aber  bie  männ= 
liehen  Münftler  mit  rejoluter  ©emeinheit  ein.  &>aS  biete  Siebern  ba  jum 
Vefteu  geben,  fpottet  ieber  Vefdjreibung.  ©S  ift  ber  ©ipfel  ber  3°te> 
unb  ber  einzige  Üßife  beruht,  um  cS  mit  einem  guten  beutichen  Sorte  ju 
bezeichnen,  in  ber  6od;onnerie.  Unb  bann  fteht  auf  bem  Settel:  £>err 
Artlnir  ober  &err  Alpfjous  ober  wie  ber  ftünftler  fonft  heißen  mag,  „dans 
ses  cr6ations.u  3n  grauf  reich  wirb  befanntlidj  ieber  SmgeltangeUVarbe, 
ber  irgenb  einen  Öaffenhauer  $um  erften  9)iale  fingt,  ein  „crGateur1.  £err 
Paulus  h^  bie  berühmt  geworbene  ©mnne  auf  Voulanger  „gesoffen!"  — 

3a)  gehöre  wahrhaftig  nid)t  51t  ben  lamlatores  temporis  acti.  Qdj 
bin  jmar  fein  jugeublicher  SpringinSfclb  mehr;  aber  3U  einer  griesgrämigen 
Vctradrtung  alle*  Gegenwärtigen  unb  $ur  Verherrlichung  ber  guten  alten  3eit 
fühle  id)  mid;  bod)  noch  nid)t  alt  genug.  3d)  bin  in  granf reich  jung  ge- 
wesen unb  gerabe  fo  übermiithig,  wie  fid)'«  gehört,  oiclleicht  manchmal  nod) 


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2Iuf  ber  ^atjrt  nad}  Spanien.   


ein  bissen  mefjr,  als  gerabe  notfiwenbig  war.  9lber  fotd&c  lieber,  rote  fie 
fner  oorgetrageu  werben,  bie  lebtglid)  barin  itjre  SäMrfung  fudjen,  ba§  fie  in 
gred)beit  unb  Sdjamlofigfeit  baS  Unmöglidje  feilten,  ga6  es  bamalS  nid)t. 
2Bir  fangen  fie  nid)t  einmal,  wenn  wir  im  2ateinifd)en  Giertet  ganj  unter 
uns  waren,  ^e^t  werben  fie  fonber  Sdjeu  einem  großen  publicum  auf= 
getifdjt,  baS  aufeer  ben  fct)lecf)teften  (dementen  aud)  ganj  anftänbtge  enthält, 
in  einem  Socale,  baS  aud)  von  braoen  Arbeitern  unb  J)albüennögücr)en 
§anbwerfern  mit  ifjren  gamilien  befud)t  wirb,  r>on  brauen  Spießern  mit 
ifjren  gepufcten  grauen,  benen  bie  G^rbarfeit  auf  ben  breiten,  fittfam 
glän$enben  fangen,  bie,  wie  2lbolpf)  9)len$el  fagt,  jwifdjen  Df)rläppd)en 
unb  Stafenanfafe  unüberwinblidj  öbe  glädjen  seigen,  gefd)rieben  ftef)t.  Unb 
biefe  bieberen  $f)iltfter  mit  Ujren  red)tfd)affenen  grauen  jauchen,  brüllen 
unb  wiehern  ben  ftngenben  Änoten  auf  ber  !Öüfme  5u;  unb  je  toller  biefe 
es  treiben,  befto  toller! 

2)er  $eutfdje,  ber  biefeS  <5d)aufpiel  fief)t,  wirb  fid)  bei  ber  eigen= 
artigen  ©eftaltung  ber  $e$ie§ungen  swifdjen  ben  beiben  Sänbern  l)üten, 
unliebfame  ©d)lüjfe  ju  ^ierjen.  2lber  wenn  ber  SSoüblutfranjofe  ange* 
fid)ts  biefeS  &eyenfabbatI)S  mit  traurigem  (Srftaunen  bie  grage  auf  wirft: 
„&aberi  wir  ben  §öf)epunft  unferer  Gultur  tf)atiäd)lid)  überfd)ritten  ?"  fo 
erfdjeint  es  nidjt  unbegreiflid). 

3ln  bemfelben  £age,  an  bem  id)  bie  gefungenen,  mimifdj  nerbeutlidjten 
3oten  in  Snon  rjörte,  las  td)  audj  im  „gigaro"  einen  3luffafc  t>on  $elpit, 
ber  über  bie  Sßerrofmng  unb  Verfnotung  beS  öffentlidjen  SöorteS  in  granfs 
retdj  bittere  33efd)werbe  füfjrte  unb  bie  befdjämenbe  53ef)auptung  aufftellte, 
baf?  aU  bie  feinfinnigen  eleganten  ©djriftftetler,  bie  burd)  tyren  ©cift  unb 
bie  ©leganj  ber  gorm  nod)  rwr  jwanjig  $al)ren  bie  tonangebenben  unb 
beadjtetften  Stimmen  ber  franjöjifdjen  treffe  gewefen  waren,  bafc  ^hibli* 
ciften  wie  3ean  Jacques  2öetB  unb  ^r6oofts$arabol,  jefct  iammerlid) 
burd)f allen  würben,  wenn  fie  fid)  bemühen  wollten,  in  granfreid)  ju  Sorte 
ju  fommen;  nur  nod)  bie  ^o^eit,  ber  Sd)mufe,  bie  Verleumbung  feien 
erfolgreia),  unb  mit  bem  SBifc  unb  ber  ©ra$ie,  bie  ef)ebem  baS  öffentlid&e 
sBort  in  granfreid)  fo  oolltönenb  unb  weittragenb  matten,  bafc  es  in  bcr 
ganjen  SBelt  gehört  würbe,  fei  es  batjin! 

SöaS  wir,  bie  wir  ben  graujofen  gegenüber  uns  bur<$auS  nid)t  auf 
bie  SWoraliften  fnnausfpielen  wollen,  jenem  judjtlofen  treiben,  wie  es  fid) 
uns  barftellt,  am  meiften  cor  werfen,  ift:  es  ift  langweilig. 

<Sobalb  wir  2non  im  9iüa*en  tjaben  unb  an  ben  ungemein  malerifdjen 
unb  frönen  Ufern  ber  9t hone  entlang  unfern  2öeg  in  ber  9iid)tung  auf 
bie  ^orenäen  r)in  nehmen,  uerönbert  fid)  merflid)  bie  Spfjrjftognomie  ber 
Sanbfdjaft.  ^ie  Vegetation  ift  r)ter  fd)on  weit  oorge|d)ritten.  Sie  Cbft= 
bäume  ftetjen  in  »oller  Slütye,  unb  längs  beS  SegeS,  ben  wir  burd)faf)ren, 


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\22    paul  £inbau  in  Berlin.   

fcfyingt  fid^  aus  ben  Saumblüttjen  ein  ungeheures  herrliches  Slumengeroinbe 
in  ben  jarteften  garben  be3  »ife,  beS  Släulid),  ©elblich  unb  ftofa.  3u 
unseren  güfcen  raufdjt  ber  mächtige  Strom,  in  bem  fid)  bic  grünen  Serge 
unb  ftemigen  Reifen  ber  romantifchen  Ufer  Riegeln.  Der  füblid)e  Gharafter 
ber  l'anbfchaft  tritt  immer  beutlici)er  fjeroor.  fdjeint  ein  anberer  Gimmel 
ju  fein,  ber  fid^  über  und  wölbt.  SDie  Sonne  leuchtet  anberä,  auf  eine 
anbere  ©rbe,  ber  anbere  Säume  unb  Spflanjen  entfpriefeen.  2Bir  fet)en 
jum  erften  9)ial  wieber  bie  fchwermütbig  bunfle  gärbung  ber  t)od)ragenben 
Gnpreffe,  ben  uomefmten  gaulenjer  neben  bem  Arbeiter,  neben  bem  matten 
Graugrün  be3  niebrigen  DelbaumS  mit  feinen  oerfrüppetten  unb  oer= 
frümmten  Stämmen  unb  3«>eigen.  Unb  ba3,  was  3flenf<$enf)anb  gefct)affen 
hat,  wirft  nict)t  minber  eigenartig. 

Die  SBeiler,  glecfen  unb  Stäbte,  an  benen  mir  uorüberfommen,  übers 
raffen  burd)  tr)re  eigentümlich  ^elle  gärbung,  bie  mit  ber  &eflfarbigfeit 
be3  SobenS  faft  äufammenfUefet.  Sie  erinnern  in  auffälliger  äBeife  an 
bie  altfpanifchen  9ttcber(affungen  im  weftlidjen  Hmerifa.  Die  Käufer  finb 
einfache,  in  swecfmäfnger  SBeife  jufammengefügte  unb  aufeinanbergefdjichtete 
Steinhaufen,  mit  ben  nötigen  Deffnungen  für  Suft  unb  £icr)t,  ofme  Süncr)e, 
ot)ne  Sdpmuct.  3n  ben  Dörfern  finben  mir  aud)  bie  alten  9Ibobe$  nrieber, 
bie  unanfehnlidjen,  funfllofen,  gelben  Verbergen  aus  feuchtem  Sentit,  beffen 
£rocfnung  unb  geftigung  bie  fa)lid)ten  Erbauer  ber  Sonne  überlaffen. 
Sittel  ift  ^ell,  gelblich,  ftaubfarben.  2lud)  bie  3k$d  oer  Stöger  finb  oon 
ber  Sonne  oöllig  auSgebletdjt  unb  unterbleiben  fid)  in  ber  garbe  faum 
oon  ben  3J?auern.  £ter  unb  ba  erbltcfeu  mir,  gewöhnlich  in  malerifdjer 
Sage  auf  fteil  auffpringenben  gelfen,  bie  Ruinen  herrlicher  Surgen  unb 
in  gewaltigen  Krümmern  bie  fteinemen  3*ngen  öer  nod)  älteren  römifd)en 
Gultur. 

2öir  finb  in  ber  ^ßrooence,  in  bem  fonnigen  £anbe  ber  großen 
Ueberlieferungen  ber  ©efchictjte  unb  Dichtung,  im  &er$en  be£  „midi*',  ber 
fich  trofo  be$  großartigen  unb  feit  3al)rhunberten  unaufhörlich  arbeitenben 
SerfchmeljungSproceffeS  feine  ftarfen  Sefonbert)etten  noch  bewahrt  hat: 
feine  eigene  Sprache,  feine  eigenen  Sräudje.  Unb  biefe  Sprache  barf  mit 
Stolj  ben  2lnfpruct)  barauf  erheben,  bie  ältefte  Literatur  ber  jefct  fran$ö= 
fifd)en  fianbe  ju  befifcen. 

3n  ber  Spradje  ber  $rot>en<;alen,  ber  „langue  d'oe",  haDcn 
£roubaboure  ihre  leibenfehaftlichen  ÜJHnnelieber  unb  ihre  epifchen  Dichtungen 
gereimt.  Unb  wenn  ber  ©lanj  ber  prooen^alifchen  Siteratur  allmählich 
oor  ber  Dichtung  in  ber  fransöfifeben  Sprache  auch  hat  erbleichen  muffen, 
fo  erflingen  bod)  noch  bis  in  unfere  3eit  hinein  biefe  munbartlidhen 
Dichtungen,  unb  noch  in  unferer  ©egenwart  höben  e$  prooewjaüfche 
Dichter  ju  ^orjem  2lnfehen  unb  9iut)m  gebracht.  Wxt  3Riftral,  wohl  bem 
bebeutenbften  ber  prouencalifd)en  Dichter  biefeä  3af)rhunbert$,  würbe  in 
ben  fünfziger  fahren  in  $ari3  ein  wahrer  GultuS  getrieben.   Das  ^ro* 


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2hif  öcr  ,Jarjrt  nodj  Spanien. 


\23 


t)cn<?alif(jc  roirb  aud)  jefet  nodj  fef)r  oiet  unb  auf  bem  Sanbe  faft  allgemein 
gefprodjen.  ©S  fjat  eine  fef)r  ftarfe  2lelmltd)feit  mit  bem  Gatalonifdjen, 
unb  bie  fieute  uon  Montpellier  oerftetyen  ftd)  fe^r  roofjl  mit  ben  beuten 
oon  Barcelona,  wenn  fte  beibe  in  ijjrer  Ijeimatlidjen  Sttunbart  fprea>n. 

£)ie  ^rooence  mit  ifjren  üppigen  Dlioen*,  Maulbeer*  unb  Zitronen* 
bäumen  unb  mit  ujren  fanbigen  unb  fteinigen  Ceben,  mit  iljrer  wunberbaren 
Sonne  unb  ben  ffirdjterlidjen  oerrjeerenben  SSinbftürmen,  mit  irjren  überall 
erfennbaren  beugen  für  bie  ©ro&artigfeit  aus  ber  SHömerjeit  unb  bie 
*ßradjt  unb  baS  ©rauen  beS  Mittelalters  übt  auf  alle  Sranjofen  einen 
jtorfen  poetifefcen  Sauber  aus.  $aS  prorjencalifdje  Sieb  ber  ©ilette  ift 
jroar  btdjterifd)  niä)t  fet»r  bebeutenb,  aber  es  fagt  baS,  was  äße  granjofen 
bei  bem  ©ebanfen  an  bie  ^rooence  mef)r  ober  minber  ftarf  empfinben: 

11  eat  un  paya,  oü  la  terre 

Produit  les  fruits  les  plus  divins, 

Oü  aous  la  seve  printaniere 

Les  fleurs  tapissent  les  chemins, 

Oü  la  nuit  est  plus  radieuse 

Que  ü'ost  ailleurs  un  jour  d'ete, 

Oü  la  vie  aimable  et  joyeuso 

S'enfuit  connne  un  rove  euchante!  — 

Le  vrai  paradis  de  la  France, 

Le  seul  digne  de  ce  nom 

C'est  le  l)cau  pays  de  Provence  .  .  . 

„Digue  Ii  ffue  rengue,  mon  bon!" 

3n  biefem  ©onnertlanbe  fjat  audj  einer  ber  bebeutenbften  ber  lebenben 
franjöfifdjen  ©pifer,  Sllp&onfe  25aubet,  baS  Sid)t  ber  SBelt  erblidt;  unb 
eine  ber  ftärfften  ©runblagen  feiner  großen  unb  uerbienten  ©rfolge  ift 
unzweifelhaft  barin  jn  finben,  bajj  er  ftd)  bie  griffe  unb  Unmittelbarfeit 
feines  fyeimatlidjen  Siefens  oott  bewahrt  t>at.  ©r  ift,  obwohl  er  feit  langen 
«3af)ren  unter  bem  mächtigen  Sanne  ber  nioeHirenben  flraft  oon  ^aris  ftefyt, 
bodt)  im  ©runbe  feines  §er$enS  ein  $oHblut*$rooencale  geblieben.  ®r 
liebt  ben  ©üben  leibenfdjaftlia%  wenn  er  beffen  ©djwädjen  aud)  fennt  unb 
geißelt;  unb  ifmt  oerbanfen  mir  bie  wunberbar  treffenbe  tnpifdje  ©eftalt 
beS  6übfran30fcn  in  ber  Literatur,  beS  föftlid)en  Sartann,  ber  gerabe  fo 
ed)t  unb  lebenswarm  ift,  wie  grifc  9ieuterS  (Sntfpefter  Sräfig. 

Unter  ben  granjofen  finb  bie  ,.gens  da  midi"  ofme  Zweifel  bie  leb= 
rjafteften,  lauteften  unb  jappligften.  Sie  gefallen  fid)  in  fjarmlofen  2luf= 
fdjneibereien,  in  grotesfen  Uebertreibungen.  ©ie  werben  oon  ben  übrigen 
granjofen  wegen  iljreS  tjeitern  SocatbünfelS,  wegen  ifjreS  beftänbigen 
SRenommirenS  unb  ^ra^lenS  unb  aud)  wegen  it)rer  eigentljümliajen  2luS= 
fprad&e  tuet  gefjänfelt.  2lber  biefe  (Stgentfjümlidjfeiten,  bie  im  <J>rouen<;alen 
unb  im  ©übfranjofen  überhaupt  in  luftiger  Unmittelbarfeit  mit  fyanbgreifs 
lidjer  ©djärfe  jum  ÜtuSbrud  fommen,  fjaften  bem  franjöfifajen  äSefen  im 
2lUgemeinen  an,  wenn  fie  aua)  bei  ben  nörblicberen  SanbSleuten  mebr 


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[24(    paul  ünöau  in  Berlin.   

latent  ftnb.  £a3  t)at  auä)  2(lpl)onfe  Raubet  feljr  roof)l  fjerau^gefüljlt,  unb 
ba3  roifoige  SDtfotto,  ba£  er  feinem  beräumten  Sudje  oorgefefct  t>at:  „3n 
granfreia)  ftammt  ^ebennann  mein-  ober  minber  au3  £ara£con",  fagt  nidt)t$ 
SlnbereS.  2lber  biefe  quedftlbernen,  laut  unb  oiel  fdjroafoenben  unb  beftänbig 
gefticulirenben  ^rooencalen  finb  bo<$  ein  fef)r  liebenSroürbiger  23olf$fdf)lag : 
unb  wenn  fie  bteroeüen  audj  mef)r  oerfpredjen  al$  galten,  mit  if)rer  regen 
^(lantafie  ba$  ©infame  leidet  ju  etroaä  ganj  Sefonberem  aufpufcen  unb 
ba3  9iid)ttge  ju  25Mdf)tigem  aufbaufd&en,  roenn  fie  mitunter  audj  bebenflidje 
©efeHen  werben  fönnen  roie  S^uma  9ioumeftan,  fo  finb  fie  bodj  im  Mge* 
meinen  burd&auS  fnmpatfjifd)  unb  liebenSroürbig,  unterfialtenb,  roie  ber  eble 
Xartarin  au3  Xarascon. 

Raubet,  ber  bie  Sd)roäd)en  feiner  £'anb$leute  am  beften  fennt  unb 
auf  baS  ßmpfinbli$fte  oerfpottet  fyat,  finbet  bafür  eine  gute  ©rflarung. 
„®el)en  Sie  einmal  nad)  bem  ©üben/'  fd&retbt  er  im  ,£artarinl,  „unb 
Sie  roerben  feljen,  roie  in  Meiern  nerteufelten  ftmbe  bie  liebe  (Sonne  Meä 
oeränbert  unb  in  übernatürlicher  ©röfee  erfahrnen  läßt.  £ie  jämmerlichen 
#ügel  ber  ^rooence,  bie  nia^t  größer  finb,  als  ber  9J?ontmartre,  roirfen 
ba  roie  93ergriefen;  bie  f leine  Maison  car6e  oon  9Jime3,  ein  Suroel  für 
ben  Wpptifd),  erfd)etnt  fo  groß  roie  9?otre*£ame.  2>er  einzige  Sluffdmeiber 
im  Süben,  roeim  es  überhaupt  ba  einen  giebt,  baä  ift  bie  Sonne.  Sie 
übertreibt  Mt$,  roa£  fie  ftreift."  (rs  ift  bie  Sonne  beS  SübenS,  nadt) 
ber  fidj  ber  unglüdltdje  £elb  ber  ^bfen'fdjcn  „©efpenfter"  im  legten 
lidjten  l'lugenblicfe  feinet  oerbängnijjuollen  2>afein3  madjtig  fefmt,  bereu 
rounberbare  9todnuirfung  er  in  ben  erften  Slugenbliden  feiner  geiftigen 
3errüttuug  unb  $erbunflung  nod>  meapanifa;  nadrfpürt:  „£ie  Sonne,  bie 
Sonne!" 

*  * 

3tn  bem  fdjönen  alten  2loignon  mit  feinen  oenoinfelten  engen 
Strafen,  buref)  bie  baä  Mittelalter  nod)  leibhaftig  einher  3U  roanbeln 
fdjeint,  mit  feinen  (Stinnetungen  an  bie  Zapfte,  an  Petrarca  unb  9?ienji, 
mit  feiner  alten  Mauer  unb  bem  maieftätifdjen  ^alaft  ber  ^äpfte,  ber 
gewaltig  uon  ber  £ölje  f)erab  bie  Stabt  bel)errfd)t,  unb  an  ber  SJaterftabt 
be$  luftigen  £artarin,  an  £ara*con,  mußten  roir  bieämal  fdfmell  oor= 
überfahren,  um  für  bie  23e|id)tigung  ber  2lltertl;ümer  in  9?imc3  einige 

Stunbeu  5U  gewinnen. 

roar  an  bem  rjellen,  roarmen  jroeiten  Cfterfeiertage  fe^r  füll  in 
bem  alten  9Ume3.  Sie  iöeroofmer  hatten  ben  Reitern  gefttag  ju  2lu$= 
flügen  auf  ba*  fianb  bemtfct,  unb  auf  ber  breiten  unb  frönen  ßäpfonabc, 
bie  oon  ber  $alnx  $um  §er$en  ber  Stabt  füfjrt,  begegneten  roir  faft 
feinem  Menfdjeu. 

äiMr  begaben  unä  juerft  nad)  ber  Maison  car6o,  bem  roorjtcr^altenen 
Jupiter  Tempel,  ber  unter  3luguftu8  erbaut  norben  ift.   3a,  Raubet 


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2Jnf  ber  Jfatjrt  nadj  Spanien. 


*23 


hat  Siedet !  ©S  ift  ein  ^mvti  für  ben  SRippttfch,  unanfermlidj  in  ben 
SJcr^ältniffcn,  ein  einfacher  Sau,  beffen  ©iebel  von  fchlanfen  fannelirten 
Säulen  mit  fotintf)tfd)en  Kapitalen  getragen  wirb,  mit  einer  befchetbenen 
Vorhalle,  ju  ber  einige  (Stufen  hinaufführen.  Unter  ben  ®enfmälern  bes 
2llterthum$  gehört  bie  Maison  car6e  fidjerlidj  ju  ben  anfprud)Slofeften. 
2lber  eben  fo  fid^erCtti^  ift  biefeS  ©ebäube  eines  ber  lieblichften,  ents 
jüdenbften,  einbrucfSuollften.  ©S  ift  oon  einer  Reinheit  unb  2lnmuth  in 
ben  SBerhältniffen,  bie  gerabeju  bejaubernb  finb.  diesmal  hatten  wir  uns 
mit  ber  Betrachtung  ber  2Iußenfeiten  ju  bef Reiben,  benn  auch  ber  Schließer 
bes  XempelS  roar  mit  Seib  unb  Äinb  auf's  Xtonb  gegangen  unb  ^atte 
ben  (Sd)lüffel  mitgenommen.  2ln  ber  ©ittertfnir  hing  eine  ^ßapptafel  mit 
ber  2faffcrjrift:  „©efdjloffen  wegen  beS  ^eiligen  CfterfcfteS."  $)er  alte 
&eibengott  mußte  rool)l  ober  übet  baS  dr}viftCidt)c  geft  ber  2luferftehung 
mitfeiern. 

$aS  gewaltige  unb  großartige  uub  noch  fehr  gut  erhaltene  2lmpht' 
tfjeater  (les  Arenes),  roahrfd>einlich  unter  SlntoninuS  $iuS  ju  Ülnfang 
beS  $  weiten  ^ar^rrjunbertö  unferer  3eiIre^nuriÖ  erbaut,  mar  uns  jum 
©lud  jugänglid).  £er  alte  Pförtner,  ein  prächtiger  EnpuS  beS  6fib= 
franjofen,  mar  trojj  beS  gefttageS  oon  feinem  Soften  nicht  genügen. 
@S  mar  ein  luftiger  unb  sierltcher  ©reis  mit  fpryhenben  bunflen  9lugen 
unb  in  ben  ©eberben  unb  im  Vortrage  uon  ber  ftebhafligfeit  eines 
«JtünglingS.  Gr  r)atte  baS  ^enfum,  baS  er  gleichmäßig  allen  gremben 
trorjutragen  ^atte  unb  gcroiß  fdjon  feit  langen  3ahr$ehnten  oortrug, 
meifterlidj  inne.  2lber  er  leierte  es  nicht  etwa  mit  ber  alles  3ntereffe 
töbtenben  ©efchäftSmäßigfeit  herunter,  er  trug  es  wie  ein  großer  Sd>au* 
fpieler  oor,  mit  einer  ^vrifaje  unb  fdjeinbaren  3reube  an  ber  Sache,  als 
cb  er  feinen  gehaltreichen  unb  feffelnben  Seridjt  überhaupt  jum  erften 
9ttale  erftattete.  Unb  fein  Vortrag  roar  burchauS  funftgerecht  bisponirt 
unb  gefteigert. 

2Bät)renb  er  junächft  mit  uns  gemüthlid)  auf  unb  abidjtenberte  unb 
gar  feine  Slnftalten  3U  machen  fd)ien,  unferer  Bitte,  uns  in  baS  innere 
äu  führen,  ju  entfpredjen,  machte  er  uuS  auf  bie  einfädle  (Schönheit  beS 
mächtigen  Stabbaues  mit  feinen  jroei  ©alerien,  bie  burch  breite  unb  hohe 
33ogenfenfter  für  bie  2lußengänge  ihr  Sicht  erhalten,  unb  auf  baS  roiber* 
ftanbsfräftige  Material,  auf  bie  riefigen,  ofme  Hörtel  jufammengefügten, 
nur  mit  eifernen  klammern  anetnanber  f eftgehaltenen  Duaberfteine  auf- 
merf  jam.  Nebenher  ersäljlte  er  uns,  roie  es  eigentlich  ein  wahres  2öunbcr 
fei,  baß  bei  ber  £teblofigfeit,  mit  ber  biefes  Baubenfmal  burch  oiele 
3ahrhunberte  behanbelt  roorben  fei,  es  noch  in  bem  oerhältnißmäßig  guten 
3uftanbe  fid;  habe  erhalten  tonnen ;  roie  es  im  frühen  Mittelalter  von  ben 
Sßeftgothen  als  SaftcH  benufet,  unb  rote  von  biefen  beuten,  bie  eine  recht 
ejeringe  Hochachtung  oor  ben  tfunftfehäfeen  hatten,  bie  Duabem  junt  Xheil 
ju  3Burfgefa;offen  für  ihre  rieftgen  Steinfd)leubern  uerroertfjet  roorben 


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panl  finöau  in  Berlin. 


feien;  rote  man  bann  fpäter  baS  ftolje  SBauroerf  in  ben  3"ft^  *>cr  oöUigen 
SBerlaffenljeit  unb  ^erroaljrlofung  fjabe  oerfaßen  (äffen;  roie  fid)  bet  Sanb 
barin  unb  barum  berghoch  aufgefd)id)tet  habe,  fo  bafe  nur  bie  obere  ©alerte 
unb  bie  Stttica  aus  bem  (irbboben  hervorgeragt  habe;  roie  es  bann  eublid)  im 
vorigen  3af)rhunbert  bis  ju  Anfang  biejeS  SahrfmnbertS  ben  armen  Statten 
als  21ft)l  für  Cbbad)tofe  überroiefen  roorben  fei,  bie  fid)  in  ben  Ratten 
unb  giurcn  mit  ihrem  jämmerlichen  §au$roerf  eingerichtet,  bort  geheijt 
unb  gefodjt  Ratten,  unb  roie  biefe  (Solonie  oon  ungefähr  jroölfhunbert  ver- 
lumpten (Sienben  baS  2£erf  ber  pietätlofen  $erroüftung  natuTgemäjj  fort* 
gefegt  fyabe.  SWodj  bid  auf  ben  heutigen  £ag  giebt  es  einige  alte  Seuie 
in  Hintes,  bie  in  Ujrer  ^ugenb  in  ben  21renen  gekauft  haben.  (Srft  unter 
bem  sroeiten  ßaiferreid)  rourbe  biefem  fd)önen  23au  beS  2lltertfmmS  bie 
oerbiente  2lufmerffamfeit  roieber  $ugeroanbt.  2)aS  2lmphitf)eater  rourbe 
freigelegt  unb  gefäubert,  es  rourbe  unter  ftaatliche  Dbfjut  geftellt,  bie  fchab» 
haften  Sterten,  bie  mit  ©infturj  bro^ten,  rourben  roieber  gefeftigt,  tyiev  unb 
ba  rourben  neue  Stufen  im  ftnncrn  angebracht,  fo  bajj  man  jefet  roieber 
bis  ju  ben  haften  roeitgefdnoeiften  Sfeihen  ber  Sifce  emporfteigen  fann; 
unb  feitbem  &al)[t  baS  9lmpf)itf)eater  ju  ben  fdjönften  unb  befterfjattenen, 
bie  fict)  bem  33Iirfe  unferer  Qe'xt  barbieten. 

@S  ift  freilich  erheblich  fleiner  als  baS  ßolojfeum  in  -Rom,  baS  188 
3Reter  lang  unb  156  Bieter  breit  ift  unb  für  87000  3ufälauer  ^*afc 
gemährte,  roäfjrenb  unfere  2lrena  nur  133  9)feter  lang  unb  101  Bieter 
breit  ift  unb  23—24000  3ufd)auer  fajjt.  2lber  aufjer  ber  2lrena  in 
Verona  giebt  feines  ber  altrömifchen  2lmpl)it^eater  bem  3wt$auer  eine 
fo  richtige  9?orfteüung  oon  biefen  öffentlichen  Schaupläfecn,  roie  biefeS 
JeftfpielhauS  unter  freiem  Gimmel. 

Äein  3weifel,  baf3  in  alter  3e^  °'e  9lu§emnauern  mit  reichem 
Sdmrucf  oerfetjen  getoefen  finb.  .frier  unb  ba  ficht  man  nod)  unförmige 
(Srrjöbungcn.  2lber  oon  biefem  Relief  fdnnud  ift  nichts  übrig  geblieben. 
$or  nid)t  langer  3eit  r)at  man  im  Sanbe  nod)  eine  9J?armor=ftelieftafel 
ausgegraben,  bie  jroar  and)  ftarf  oerroittert  ift,  aber  ben  bargcfteUten 
©egenftanb  nod)  ungefähr  erf ernten  läfct.  Sie  ftellt  einen  511  Soben 
geftreeften  Ölabiator  bar,  über  ben  fid)  ber  Sieger  mit  gesurftem  Schwerte 
^erabbeugt.  Unfer  lebhafter  fleiner  (Siceronc  mad)te  uns  bie  Stellung 
ganj  genau  oor.  Qx  warf  fid)  *unüd)ft  in  einer  feljr  plaftifcben  Stellung 
511  23obcn,  um  uns  ben  niebergeroorfenen  ©labiator  ju  oeranfdjaulidjen, 
aisbann  erhob  er  fid)  unb  ftellte  ben  fiegreta>n  bar.  Unb  mit  ber 
SSidjtigfeit  eines  .tiuu[taelel)rten  fügte  er  Innju:  „9)Jau  fiel)t  ber  Stellung 
an,  baf?  ber  (Wabiator  auf  bie  Gntfcbetbung  ber  fieberhaft  erregten  3u* 
fdjauer  wartet  —  police  vorso  ober  polioe  reoto." 

33ir  l)örtcn  bem  fleinen  beljenben  ÜNaune  mit  Vergnügen  *u  unb 
betuerften  faunt,  bau  er  uns  allmählich  in  baS  innere  beS  ÖebäubeS  eins 
führte  unb  uns  bei  jebent  Stritt  unb  Tritt  baS  3u>edmäfeige,  (Einfache 


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  2luf  ber  ^oljrt  nadj  Spanien. 


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unb  ©eniale  ber  baulichen  2lnorbnung  bewunbern  ließ.  (Sr  ©erwies  uns 
auf  bie  breiten  ©änge,  bie  außerhalb  be£  eigentlichen  ©djauplafoe»1  um 
ba**  gan$e  33auwerf  Ijeruntfaufen,  mit  u)ren  fefjr  5ahlreiä>n  Spuren,  jum 
Sdjauplafce  fowof)l,  wie  inä  greie,  auf  beren  finnretdje  2lnlage,  bie  jebe 
Gollifion  ber  33cfud^cr  ber  oberen  9iänge  mit  benen  ber  unteren  oermetbet 
unb  bie  föneHe  güllung  unb  Leerung  bes  ungeheuren  ftaumee"  in  wirflid) 
erftaunlicher  2Beife  begünftigt.  <5r  ließ  un3  ben  *8au  gnnäc^ft  oon  unten 
au»  bewunbern,  ben  riefigen  ooalförmigen  Äampfplafe,  um  ben  fid)  in 
immer  größeren  Sogen  bie  sweiunbbreißig  ftetnernen  ©ifereihen  bis  jur 
£öf;e  oon  fedfoig  guß  aufbauen.  $ann  führte  er  uns  auf  bie  erfte 
©alerie,  bie  wieber  einen  ganj  anbern  2lnbli<f  gemährte,  unb  enblia)  auf 
bie  t)ödhfte  §öf)e  ber  Sittica,  oon  ber  aus  mir  ben  Sluöbtidt  auf  bie  ooll= 
fommene  ©lieberung  unb  2lnorbnung  bee"  gewaltigen  SaueS  Ijatten.  $on 
ber  #öf)e  am  gefehen  macht  biefeS  tyxxüajt  fttntmal  ber  einftigen  ©röße 
einen  wunberooüen  ©inbrucf. 

Cben  an  ber  2lttica  finb  nod)  bie  unoerfennbaren  6puren  ber  Eräger 
raatjrjunefjmen,  bie  ehebem  bie  ungeheuren  Helarien  5um  <Sa)ufee  gegen 
Sonne  unb  Siegen  —  ba$  3eltbadt)r  ba$  über  ben  ganzen  9toum  gefpannt 
werben  fonnte  —  füllten,  ©benfo  erfennt  man  beuttid^  in  ber  2lrena  felbft 
bie  Vorrichtungen,  bie  ba$u  bienten,  ben  flampfpfafc  ju  einem  großen 
SSafferbaifin  $u  oerwanbeln,  fo  baß  außer  ben  Stier;  unb  Sttenj'chenfämpfen 
aud(j  Seegefechte  —  9?aumaa^ien  —  aufgeführt  werben  fonnten.  3n  unterer 
Wegenwart  werben  in  bein  geftfpielhaufe  bisweilen  Vorftellungen  oeranftaltet, 
bie  feiner  ursprünglichen  Veftimmung  ungefähr  entfpred)ert:  e3  finben  ba 
Stiergefechte  ftatt.  3lllerbing3  nur  hewulofe,  eigentlich  nur  Stierfd)ein= 
gefegte,  bie  ben  £ofm  unb  bie  &eiterfeit  ber  benachbarten  Spanier  Jer« 
oorrufen. 

iaS  britte  bebeutenbe  $enfmal  au»  ber  Siömerjeit  ift  ber  oon  einem 
£atn,  bem  alten  SNmnphäum,  umfehattete  Xempel  ber  Siana.  tiefer  &ain, 
ber  fidt)  mit  ber  ,3ett  einem  mobernen  tyaxU  mit  ©artenanlagen  um= 
geftaltet  t)at,  unb  ber  ben  &auptoergnügung3punft  ber  Vewofnter  ber  füllen, 
faubern,  wofjlgepflegten  unb  oorjüglid)  gepflafterten  Stabt  bilbet,  fül)rt 
jefct  nach  einer  weit  unb  breit  berühmten  Duelle,  bie  ba  fprubelt,  ben 
Manien  „La  Fontaine".  Sdjon  im  2lltertf)um  muß  fid)  biefe  Einlage, 
wie  au3  ben  noch  erhaltenen  Ruinen  ju  erfennen  ift,  burdj  wunberbaren 
5?ei(3hthum  be3  3lu$fd)mucf$  ^erüorQet^an  \)aben.  Ser  £empel  ber  £iana 
ift  frcilicir)  arg  oerfallen,  aber  bie  (Sinjelljeiten  fpredien  trofe  ber  graufamen 
^erroüfiung  unb  Verwitterung  nod)  oon  ber  alten  Spracht.  3m  3'l»ern 
finb  jefot  aÖerhanb  antife  $unbe  au£  bem  Dhjmphäum:  Säulenfnaufe  unb 
Äapitäle,  ©eräthe  unb  2Beibbetfen,  Statuetten  unb  lüften,  pfammengeftellt, 
bie  meiften  in  erbärmlichen  Verftümmelungen,  fo  baß  fie  ben  9lrd)äologcn 
met)r  intereffiren  bürfteu,  al^  fie  ben  ftunftfreunb  ju  feffelu  oermögen,  aber 
einzelne  bodj  noa)  in  einem  3uftanbe,  ber  frühere  3d;önl)eit  erfennen  läßt. 

•Jiort)  unb  LI.,  IM.  9 


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\2S 


Paul  Sinbaa  in  Setiin. 


2Bie  oermiBten  wir  an  biefer  Stelle  bie  leben3frifa)en  Erläuterungen  unfere* 
lebhaften  f (einen  Cicerone  au$  bem  Amphitheater!  $ie  ^förtnerfran,  bie 
uns  führte,  war  entfefclich  einfältig.  Sie  wu&te  gar  ntäits,  bie  gute 
grau,  unb  befchränfte  fta)  auf  bie  einige  Mittheilung:  „grüfcer  fott  ba* 
feljr  bübfa;  gewefen  fein/'  —  „U  parait  quautrefois  c'6tait  tres-joli/* 
SKenn  fie  eine  pofltioe  Angabe  machte,  fo  war  biefe  regelmäßig  falfa).  £>er 
Untertrieb  jwifchen  Reiben*  unb  Ghriftentbum  war  ihr  nicht  ganj  flar 
geworben.  Ein  forintfjifd&eS  Säulenfapttäl  erflärte  fie  für  ein  Taufbecfen 
unb  einen  ^erbrochenen  2lpoll  für  Johannes  ben  Käufer. 

3u  bem  2Iu3flug  nach  bem  grofcen  Slquäbuct,  einer  ber  grogartigften 
unb  bebeutenbften  aller  römifd&en  Sauten,  bem  5|>ont  bu  ©arb,  ber  in  roilb 
romantifa)er  ©egenb  etwa  brei  teilen  oon  9üme3  entfernt  liegt,  unb  an 
ben  id)  oon  meiner  ^ugenb  her  eine  unauslöschliche  Erinnerung  bewahrt 
hatte,  fehlte  es  uns  bieSmal  an  3eit. 

Unfer  nur  wenige  Stunben  währenber  2lufentha(t  in  Montpellier 
galt  weniger  ben  SehenSwürbigfeiten  ber  alten  frönen  Stabt,  weniger 
ben  herrlichen  Anlagen  bes  ^exjrou,  bem  Triumphbogen  unb  bem  gro§; 
artigen  SBafferfchlofj,  als  ber  wehmütigen  Erinnerung  an  einen  metner 
älteften,  beften  unb  treuefteu  3ugenbfreunbc,  an  einen  ber  SÖenigen,  welche 
bie  menfchlichen  ©efüljle  unb  bie  greunbfdjaft  über  bie  grage  ber  Spolitif 
unb  ber  Nation  fteflten,  an  ben  eblen  SBaron  Jacques  be  BU®,,  einen 
2Mblutfran$ofen  unb  leibenfd^afttid^en  Patrioten,  ber  als  Offizier  unter 
Söourbafi  gegen  uns  gefodjten  hatte,  aber  bis  $u  feiner  legten  Stunbe  feinen 
beutfdjen  greunben  ber  befte  unb  treueile  greunb  gewefen  ift. 


2US  wir  Montpellier  oerließen,  war  bie  Sonne  fajon  untergegangen, 
unb  wir  burchfuhren  bie  Strede  bis  jur  fpanifdjen  ©renje  auf  ber  &in* 
faln*t  in  ber  9^ad)t.  2iuf  meiner  SHüdfahrt  aber  fal)  id)  baS  herrliche  fianb, 
burd)  baS  ber  (Schienenweg  gelegt  ift,  im  t)ellfteii  Tageslichte,  fah  baS 
blaue  SBaffer  beS  ©olfe  bu  £ion,  bie  gewaltigen  Lagunen,  fah  im  hinter- 
grunbe  bie  jerriffene  Jtette  ber  rauhen  Seoennen,  in  benen  bie  merrroürbig 
philofophif^e«/  fnorrigen,  einfamen  9Wenfd;en  häufen,  bie  gerbinanb  gabre 
in  feinen  fd)önen  Romanen  fo  ergreifenb  gefdjilbert  hat,  fah  bie  djarafte- 
riftifchen  unb  intercffanten  Stäbte,  bie  in  ber  frühen  ©efdndhte  granfreichS 
eine  fo  große  9Me  gefpielt  h^en,  fah  bie  weiten  gelber,  bie  t>on  ben 
furchtbaren  Verheerungen  ber  ^bullorera  fo  graufam  gelitten  haben. 

Ter  ganje  Stria)  oon  Firnes  bis  über  Gerte  herab  ift  oon  ber 
fürchterlichen  Reblaus  gerabeju  oerljeert.  £unel  unb  grontignau,  bie  uns 
ben  herrlichen  MuScateller  fpenben,  ben  „liebfien  Suhlen"  im  „höl$en 
9iödlin,"  ber  „beim  Süirtb  im  Heller  leit",  finb  am  fdjwerfien  hetmgefudjt 
worben.  Seit  fahren  gicbt  es  feinen  guten  franjöfifchen  MuScateller  mehr. 
$ie  22einfelber  haben  au*gebranut  werben  müffen.   3)ian  hat  alle  möglichen 


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21  nf  &er  ^a^tt  nad?  Spanten. 


$erfua;e  unternommen,  ben  ©chaben,  ben  baS  gefräfcige  Ungeheuer  ange* 
rietet  ^at,  roieber  gutzumachen.  216er  es  ^at  trofe  aller  2tnftrengungen 
nid&t  rcd^t  gelingen  wollen.  2Ran  tyxt  93orf errungen  getroffen,  um  bie 
SBeinpflanjungen  lange  3eit  unter  2Baffer  ju  fefeen ;  man  hat  californifdhe 
Trauben  gepflanzt,  an  benen  bie  SReblauS  feinen  ©efchmacf  finbet;  man 
hat  eine  neue  2Betncultur  hervorgebracht,  a&er  e$  ^  bie  alte  gute. 
Quantitativ  wirb  man  vielleicht  $ur  §öhe  ber  früheren  ©rgebnijfe  roieber 
auffteigen  tonnen;  aber  bie  Hoffnung,  bafj  bie  alte  Dualität  roieberfehren 
roerbe,  wirb  felbft  von  Dptimiften  nicht  getheilt. 

Sir  nahem  uns  (Eette.  @an$  in  ber  gerne  jetgt  fid)  auf  einmal 
ein  fdmialer  blauer  Streifen,  beffen  intenfioe  garbe  baS  bunfle  $3lau  beS 
Rimmels  nod)  übertrumpft.  @S  ifl  baS  SBaffer  beS  SKittellänbifchen 
■DJeereS.  (SS  entfchroinbet  roieber  unferen  2lugen,  um  balb  aufs  neue  unb 
breiter  roieber  aufzutauchen.  Unb  nun  führt  bie  $3at)n  fchroff  an  bie 
Äüfte  heran,  unb  mir  fehen  baS  uferlofe  unenblidje  3J?eer  in  ber  tiefblauen 
gärbung  beS  ©eroitterhimmels.  Unfer  Söeg  führt  über  fdjmale  Sanbe 
ftreifen  aroifdhen  bem  2)Jeer  unb  ben  binnenfeeartigen  £agunen,  bereit 
Söaffer  ftä)  burch  bie  fchioefelgrüne  garbe  vom  lajulifarbenen  2öaffer  beS 
©olfs  fajarf  abhebt.  ©onft  mürben  mir  oft  oermeinen,  auf  einem  in  baS 
3)?eer  gebauten  £amm  bahinjufahren. 

3n  ßette  halt  ber  3ug  über  eine  ©tunbe.  Unb  baS  reicht  vollfommen 
aus,  um  und  ju  überzeugen,  bafc  mir  nicht  langer  ba  ju  bleiben  brausen. 
$>ie  ©tobt  felbft  ift  reijloö.  2Bir  lachen  über  bie  ©dulber,  bie  mir  fn*r 
unb  ba  feben:  „gabrication  oon  echtem  SRheinroein",  über  bie  granbiofe 
(Ehrlichkeit  ber  2Beinfälfdj>ung.  93or  bem  hochgelegenen  ©tationSgebäube 
befinbet  fid)  unter  freiem  Gimmel  ein  angenehmes  Gaf&  mit  ber  2luSftcht 
auf  bie  mit  fleinen  Räuschen  bebecften  &ügel  unb  auf  bie  regiame  ©tabt. 

$er  ganje  2Öeg  oon  (Serte  über  Stiers,  Sorbonne  bis  ^erpignan 
gewährt  uns  beftänbig  reijoolle  2luSblicfe,  balb  auf  bie  grünlichen  Sagunen, 
beren  3Bafferfläd)e  mit  flaumigen  SSeüen  leicht  geträufelt  ift,  unb  auf 
benen  zahlreiche  Heine  Soote  freuten,  balb  auf  bie  bunf elblaue  glädje 
beS  SHeereS,  auf  ber  in  weiter  gerne  roeifjleucbtenbe  ©egel  im  ©onnen* 
ichein  blinfen.  2)ajroifd)en  liegen  roieber  ©trecfen  auSgebörrten,  mattgrauen, 
gelblichen  SobenS  mit  farblofen  ©teinhäufern,  MeS  in  gebrochenem,  grau* 
gelbem  Xone.   ©S  ift  ein  S3ilb  oon  rounberooHer  SKannigfaltigfeit. 

Unb  hier  liegt  23 65 i er S  unb  nicht  roeit  baoon  ^6j6naS.  Unb 
lüäfn-enb  ber  (Sonbucteur  gleichgültig  ben  tarnen  Wd^et*  ausruft,  roie 
jeben  anbern,  ftellt  fich  unferm  ©etfte  ein  anmutbtgcä  unb  feffetnbeS  33ilb 
aus  ber  Vergangenheit  bar.  &>ir  gebenfen  einer  luftigen  ©djaufpieler* 
banbe,  bie  cor  230  3ahren  fner  beSfelben  23eg$  gejogen  fam.  3luch  fte 
fatn  oon  Snon  herab,  ©ie  hatte  allen  3ammer  unb  alle  £uft  ber  herum* 
jiefymben  Äünftlerbanben  gefoftet,  unb  In"  ™  33ejierS  blühten  ihr 
golbene  Xage.    &ier  burfte  fie  oor  ben  ©tänben,  bie  bort  oerfammelt 

9* 


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J30    pauf  £inba»  in  Berlin.   

waren,  gefioorftellungen  geben  unb  erlieft  von  ben  freigebigen  reiben 
SeigneurS  fo  »iel  ©elb,  baß  fic  alte  Sdjulben  bejahen,  einige  äßodfcen 
in  SauS  unb  SrauS  leben  unb  etwas  für  bie  großen  ^tane  ber  3nfunft 
bei  Seite  legen  tonnte.  2ln  ber  Spifce  biefer  faljrenben  ftünfUer  ftanb 
als  Xirector  ein  junger  üftann  aus  guter  gamilie,  ber  Sofm  eines  adjts 
baren  Sßarifer  93ürgerS,  ein  oerpfufd^ter  3uxi\t,  melier  ber  f)übfd)en  l'aroe 
einer  t>erfüf)rerifä)en  Sdjaufpielerin  ju  Siebe  fein  Stubium  an  ben  9taa,el 
gelängt  fyxtte  unb  Gomöbiant  geworben  war.  3n  SPariS  Iptte  biefe 
luftige  ©efellfdjaft  feine  Seibe  gefponnen,  unb  fo  fudjte  fte  benn  iljr  öeil 
in  ber  $rooin$.  ©eflatfd&t  unb  ausgepfiffen,  oer^ätfd&elt  unb  geprügelt, 
in  jeitroeiligem  Ueberfhtfc  unb  lange  anbauembem  Jammer  burcfeog  bie 
©efellfdjaft  gan$  granfreid),  oon  ^PariS  bis  $um  füblidrften  Sipfel.  Sauter 
junge  Seute,  alle  oergnügt.  Unb  ber  birigirenbe  Säjaufpieler  meinte,  er 
fönne  am  (*nbe  audj  einmal  ein  Stücf  fd&reifcen.  So  oerfudjte  er  es  benn 
in  Soon  mit  einer  Ueberfefeung  aus  bem  ^talienifajen.  Unb  mäbrenb 
er  roeiterjog,  fd)rieb  er,  angeregt  bur#  einen  fremben  Stoff,  ein  beinahe 
ooattänbig  felbftftäubigeS  eigenes  Stfid.  Unb  als  fie  in  336$ierS  «or  ben 
Stänben  fpielten,  mar  er  bamit  fertig,  unb  ba  liefe  er  eS  aufführen, 
tiefes  fleine  Stüd  enthielt  eine  SiebeSfcene,  bie  oon  feinem  bramatiic^en 
SJieifterroerfe  an  ^nnigfeit,  naioer  Seibenfdjaft  unb  ^er^litt)feit  ubertroffen 
wirb.  Unb  baS  Stüd  fjiefc:  „$er  SiebeSäroift"  —  „T)6pit  amoureux". 
£er  Xidjter  unb  Sdjaufpielcr  aber  f)iefj  Poliere.  $ie  erfte  2luffüfyrumj 
feines  erften  toafjren  ÜuftfpielS  fanb  in  Stiers  jtatt,  in  ben  legten 
Monaten  beS  Saures  1656. 

Sfi>ir  begrüben  im  gluge  baS  uralte  Sorbonne  mit  feinen  finfteren 
Sfjürmen  unb  dauern,  baS  Victor  &ugo  5U  einer  feiner  fünften  epifdjen 
«Tidjtungen  begeiftert  l;at :  „Slrjmeriüot",  unb  enblidj  bie  lefete  ber  bebeu- 
tcnben  unb  bie  füblidjfte  Stabt  granfreid)S,  ^erpignan.  9hm  trennt 
uns  nur  nod)  eine  formale  Strctfe  oon  ben  Brenden.  $ie  23a^n  bleibt 
an  ber  5lüfte,  unb  mir  behalten  faft  unausgefefct,  wenn  fidj  nia)t  mut^s 
miliige  gelSvorfprünge  einmal  bajurifdjen  Rieben,  baS  fjerriid)  blaue  2Saffer 
beS  ©olfe  bu  2\on  uor  9Jugen,  balb  fpiegelglatt,  balb  oon  ber  ^ranbung 
in  ben  fleinen  (Sinbuäjtungen  luftig  aufgeträufelt.  Unb  oben  auf  bem 
gels  feljen  mir  nrie  ein  artiges  Spieljeug  bie  Ijübfdje  fleine  geftung  Sport 
Ü>enbreS.  £er  3«g  f)ält  "un  n°d?  einmal  am  Gap  Gerbere.  2£ir 
nehmen  2lbfd)ieb  oon  granfreidj  unb  fd)längeln  uns  am  Speere,  an  ben 
öftlia^en  Ausläufern  ber  Pyrenäen  uorbei,  auf  bie  ^berifd)e  £albinfel  binüber. 

2öaS  id)  im  beftänbigen  Sonnenfd&ein  beS  Ijerrliäjften  gtüf)lmgS,  in 
liebenswürbig  anregenber  unb  belebcnbcr  ©efellfdjaft  in  Spanien  gefeljeu, 
gehört  unb  erlebt  l)abe,  baS  will  id)  in  jroangs  unb  anfprudjslofen  Sf  15301 
über  Barcelona,  SHabrib,  £olebo  unb  bie  l;errlid)en  Stäbte  3InbalufienS  — 
Corboba,  Seuiaa  unb  C>5ranaba  —  gelegentlich  einmal  erjagen. 


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■ 


€in  Homan  ber  ejrperimentirenfcen  pftdjologte. 

(,.Lc  Disciple"  von  paul  Sourgct.  3uni  {SSf}.) 

Von 

dlemens  Sofal. 
—  Witn.  — 

„^ir  fei  bieS  39ud)  gewibmct,  junger  2)tonn  meines  SanbeS,  —  $ir,  ben  td)  fo 
flut  feiine ,  obwohl  id)  Weber  $etnc  fceimatSftabt  weife,  nod)  Seinen  dornen  unb 
S)eine  Altern,  weber  2)cin  Vermögen,  nod)  bte  3icle  deines  (5f)rgctgeS;  obwohl  id) 
ntd)t»  öon  $ir  weife,  als  bafe  $u  meljr  als  adjtgelm  unb  weniger  als  fünfunbgwangig 
3al)re  gäl)lft,  unb  bafe  $u  bei  uns,  bte  wir  älter  finb  als  $)u,  Slntwort  auf  bie  gragen 
fudjft,  bie  $ein  SnncreS  bef türmen*  

Gin  SSorwort,  weld)eS  fo  beginnt,  madjt  uns  WenigftenS  auf  feinen  eigenen  weiteren 
3nt)ait,  wenn  nid)t  auf  ben  beS  übrigen  &ud)c8  neugierig.  28eld)er  2lrt  ftnb  biefe 
grofeen  fragen,  bie  aüe  jungen  £ergen  erfüllen?  unb  welche  Antworten  foQ  bie  bünn* 
leibige  ©rgäfjlung,  we(d)e  fo  eingeleitet  wirb,  uns  barauf  bieten?  2)a  Reifet  eS  nun 
tocitcr:  ,,3weifad)  ift  bcr  inpuS  beS  jungen  Cannes,  bcn  id)  fegt  twr  mir  fef)c,  unb 
ber  aud)  oor  2>ir  fdjwebt,  in  bcibeit  formen  glcid)  Perfud)cnb  unb  gleid)  berberblid). 
Xer  eine  ift  ctinifd),  babci  gutmütig.  3Jltt  gwangig  3al)rcn  f>at  er  bie  58ilan§  für 
fein  lieben  gebogen;  feine  Religion  ift  enthalten  in  beut  einen  äßorte:  ©enufe,  weldjeS 
ftdjin  ein  anbereS  überfein  läfet:  Grfolg.  2)ennodj  fdjciut  er  mir  für  5Md)  minber 
fdjrcdlid),  als  jener  Slnbere,  weldjer,  mit  aller  Slriftofratie  ber  Heroen  unb  beS  ©cifteS 
begabt,  nidjtS  ift  als  ein  oerfeinerter  (Spicuräer,  wie  jener  (Srfte  ein  brutaler. 
Tiefer  garte  9Hf)ilift,  wie  ift  er  bod)  erfdjredenb  unb  babei  wie  l)äufig!  (Sein  früh- 
reifer SJcrftanb  &at  bie  äufeerften  9tefultatc  bcr  ^Pr>t(ofov>r)te  bicfer  3«t  crfafet; 
ÖuteS  unb  SööfeS,  Scrjönfjeit  unb  §äfelid)feit,  ßafter  unb  lugenben  fdjeinen  tfjm  ®egen= 
ftänbe  blofeer  Neugier.  Xie  menfdjlidje  «Seele  ift  für  ilm  nidjtS  als  ein  funfrüoüer 
3)led)anismu8,  ben  gu  gcrlegen  ilm  amüftrt.  3ür  if>u  ift  nidjtS  mafjr,  nictjtS  falfd), 
nid)tS  moralifd)  unb  nidjtS  unmoralifd)." 

9Hd)t3  weniger,  als  biefeu  gmetten  XnpuS  gu  oerförpern  ift  bie  21bftd)t  beS  SerteS 
—  eine  21bfid)t,  ber  ©röfee  nid)t  abgefprod)eu  werben  fann,  befonbcrS  gu  einer  3<it 
wie  bie  jeöige  unb  in  einer  fiiteratur  wie  bie  frangöfifd)e,  weldje  über  äufeerlidjem 
<Sd)ilbern,  Fialen  unb  öefdjreiben  eS  orrgeffen  gu  traben  fdjeint,  bafe  bic  $arftelluug 
beS  inneren  SDlenfdjen  immer  ein  &auptgwccf  aller  Shmft  war. 

$aul  löourgct  fann  ben  fjerüorragenbften  litcrarifdjen  (yrfd)einungen  ber  jüngften 
3cit  gugegäf)lt  werben.  25er  ^flang  feines  9tomcnS  als  Sritifer  fowoi)l  wie  als  dio- 
manbicfjter  ift  in  ben  legten  3a^ren  ftetig  gewad)fen,  in  beiben  9tid)tmtgen  mit  gutem 
ittedjt.  Ob  man  biefem  jungen  ftttljme  ein  fold)cS  immerwä^reubeS  Srortfdjreiten  für 
fernerhin  oorauSfagen  fann,  ift  jebod)  gweifel^aft.  23ourgct  ift  (ein  (SdjriftfteUer  für 
weite  Äreifc.  Seine  2lrt  ift  gu  oornebm  bagu.  Seine  äBerfe  erforberu  einen  Üefer, 
ber  t)od)  über  bem  gewofmltdjen  SSilbungSmittelmafec  ftebt  unb  mit  geübtem  Oreingefüf)! 
ben  eigcntl)ümlid)cn  äknbnngen  biefeS  mandjmal  bis  gur  ftranfl)aftigfeit  garten  (SeifteS 
entgegengufommen  oermag.  (Sr  ^at  nidjt  bic  funfWoll  farbcureidje  i^af«  3*>to'S  unb 
aud)  uid)t  bie  originell  lebenbige,  babei  fo  leidjte  unb  worjlfliugenbe  Spradjc  Xaubet'S. 


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\32    Clemens  Sefal  in  W'xcn.   

(Sr  f>at  überhaupt  nur  wenig  Don  beut,  waS  man  baä  fran^öfifc^  (Sigentbümlicbe  nennt 
(£ine  grünblidje  naturwiffenfdjaftlidje  nnb  pbilofopbtfdi«  SBilbung,  bie  auf  jeber  «Seite 
t'einer  SEßcrfe,  nur  ju  oft  aud)  üorcnb,  beroortritt,  fowie  SBertrautbeit  mit  ber  beutfeben  unb 
cnglifdjcn  Literatur,  oerbunben  mit  ausgeprägter  Sumpatbte  für  englifd*  &entart  unb 
Sitte  oerleifjcn  feinem  ©eifte  eine  eigenartige  balb  gcrmantfdjc  Färbung;  unb  bie  an= 
äiebungSfraft  beS  ^tootbartigen  wirb  eS  jum  großen  Xbetle  gemefen  fein,  weldje  ibm 
bei  Dem  fransöftfdjen  iiefepublilum  gu  feinem  erften  (Erfolge  Derbalf. 

3n  feinen  bisberigen  ©rjäblungen  bat  ©ourget  immer  Stoffe  bcbanbelt,  welcber 
pfodwlogiicbe  ßurioutäten  entbleiten.  Sein  cigcntlid)eS  ©ebiet  ift  —  bie  KuftÖfang 
von  ftätbieln,  wie  eS  fdjou  ber  Ittel  beS  SBeifeS  anfünbigt,  welcbeS  tlm  wer  nirbt 
gar  langer  3cit  ben  erften  größeren  Erfolg  erringen  liefe:  Cruelle  Euigme.  (£r  bat 
eine  Vorliebe  für  llnbegreiflid)fcitcn  Der  Xl>at  unb  beS  ©efüblS,  lote  fte  unfere  3"t 
ber  überreiaten  Heroen,  ber  wiberfbred)enbcn  ©ebanfenfrrömungcn  unb  franfen  0t» 
füble  bäufig  genug  gebiert.  2>ie  fcauptperfonen  feiner  ftoDeaen  („L  'Irreparable"  u.  B.) 
uud  feiner  Sttomane  („Crime  d'auiour",  „Andre  Cornelia",  „Mensonges")  Unb  faft 
alle  frattfbaft  angelegt;  fte  fiecöen  au  einem  moralifeben  Reiben  babin  unb  banbeln  in 
Jotge  öon  abnormen  fd)wädjlid)en  (Belüften,  (£r  fdjilbert  feine  Sieibenfdjaften,  fonbem 
bloß  ungeiunbe  3uftänbe. 

$er  Vornan,  weldjer  öon  jenem  fdjtoungootten  SBorworte  eingeleitet  wirb,  ift 
SSourgetS  jüngftcS  Säerf.  (Sr  tragt  ben  Xitel  „Le  Disriple"  unb  ift  im  3uni  1889 
erfdjtenen.  üBourgetS  SJorgüge  fowobl,  als  bie  feiner  innerften  Watur  entfpringenben 
Mängel  treten  in  ibm  fdjarf  beroor. 

Tlit  feinen  SBorgäugern  bat  biefer  Vornan  bie  ©gentbümlidjfett  beS  Stoffes  gemein, 
fcter  wie  bort  eine  fcanblung  Don  oollftänbigcr  (Stnfacbbctt,  unb  bennod)  Derwirrcnb 
burd)  bie  2)unfelbctt  ber  Seefcnreguugen,  roeldje  fonberbar  burdi  einanber  öerfdjlungeu 
mit  gebeimnißDoUcr  SNotbWenbigfeit  baS  ©ebabren  ber  £auptperfonen  beftimmen.  Slbcr 
toäbrenb  Jöourgct  ftd)  bort  bamit  begnügt,  baS  pfndiologifdjc  9tätbfel  binjuftcllen,  feine 
2luflöfung,  wenn  eS  eine  foldje  giebt,  bem  üefer  überlaffenb,  bat  er  eS  tjier  untere 
nommen  ben  eigentbümltcben  Satt,  ben  er  Dorfübrt,  felbft  ju  erflären.  flonnte  boeb 
nur  auf  biefe  2lrt  erhielt  werben,  waS  bem  iliScrfe  feinen  watjren  Sßertb  oerleiben 
follte:  baß  nämltdj  bie  $auptgeftalt  aud  einem  einfad)  tranftjaft  angelegten  3nbioibuum, 
als  meldjeS  fte  erfebeiut,  ju  einem  bebeutenben  XnpuS  mürbe,  ber  einen  getfrigen  ©runb^ 
jug  ber  3«t  wieberfpicgelt,  au  ienem  XppuS,  beffen  baS  Vorwort  erwäbnt.  Um 
biefer  Söirfuug  fidjer  ju  fein,  bat  iöourget  fogar  einen  Sdjritt  meiter  getban  —  feine 
Slnalpfe  b<it  eine  beinab«  toiffcnfd)aftlid)e  ftorm  angenommen,  (fr  bat  baS  &ben 
feines  gelben  glcid)  unter  ein  Softem  gebrad)t  unb  fcfct  bem  2efer  unter  oerfebie* 
benen  ©etidjtSpuntten  auSfübrlid)  auSeinanbcr,  »eSbalb  3cner  eben  fo  böt  werben 
müffen,  tote  er  geworben. 

(Sin  {Roman  biefer  3?lrt  gebort  begreift idicrtoeife  nicht  $u  benen,  oon  beren  ^anb» 
luug  bie  ^nbaltSergäblung  einen  erfd)öpfenben  ^Begriff  gu  geben  oermag.  'nie 
^Birfung  min  ir.cx  in  beu  enblofen  Nuancen  ber  Stimmung,  in  ber  Häufung  fleiner 
3ügc  unb  beren  Skrbinbung,  toäbrenb  baS  ©efdjebenbc  felbft  nur  ben  JHabmen  bafür 
bilbet.  tiefer  JHabmen  ift  aud),  wie  bie  *üetrad)tung  balb  jeigt,  aus  getoöbnlidjftem 
^olje  gefd)ttiöt  unb  Don  mittelmäßiger  Arbeit. 

Vibriert  Sifte  ift  ein  ©clebtter  elften  langes,  berjenige,  ben  bie  ©nglänber  ben 
fran;öfifd)en  Spencer  nennen,  b'v  lebt  in  ^ariS;  aber  ebenfo  gut  bätte  er  feinen 
äi>obnft6  in  bem  üerborgenften  äüinfel  einer  ^roDinjftabt  wählen  Runen  —  fein  S)afein 
tonnte  baium  ntd)t  ftiüer  unb  weltfremder  babinfließen,  als  in  feinem  OunggefeUen» 
quartier  in  ber  Kuc  Guy  de  la  Brosse.  2)iefer  %4il)iIofoPb  Don  langiäbrigcm  ÄBelt« 
rufe,  ber  Söerfaffer  einer  „Fsyehologie  de  Dieu",  einer  „Anatomie  de  la  volonte" 
unb  einer  „Theurio  des  passiou.s",  Don  SHierfen,  beren  erfebreefenbe  ©ebonfen» 
fübnbeit  unb  unerbörtc  ^acftfjeit  beS  JluSbrucfS  Stürme  ber  ®ntrüftung  beroorgerufen 


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  <£in  Koman  ber  erperimentirenben  pfydfologie.    J33 

baben,  fübrt  unter  bem  Sdmfee  unb  bcr  §errfd)aft  feiner  fcauSbältcrin  bie  eintönigftc 
aller  SßbiliitereEifiengen.  (Sr,  ber  große  ^fndjologe,  beffen  Snfteme  fid)  auf  einer  tiefen 
ffenntniß  ber  menfdjlidjen  Seele  ergeben,  meld)er  als  ©rfter  baS  große  äöerf  unter* 
aommcii  Ijat,  bie  ©rfdjeinungen  beS  menfd)lid)en  2MenS  unb  Junten»  auf  pfjnfiologifd)e 
Urfadjen  gurücfgufüfjren,  weld)er  in  einer  Slnaltife  ber  Siebe  eine  SDlenge  ber  feinften 
Seobadjtungen  über  biefeS  gartefte  aUer  ©efüble  niebergetegt  —  er  fjat  eigentlid)  nie 
bobaebtet,  Weber  an  ?(nbern  nod)  an  fid)  felber;  er  fort  nie  mit  SRcnfdjen  gelebt,  nie 
geliebt  1  ütBofjer  fontmt  ifjm  nur  biefer  untrügliche  ©djarfbltcf  in  bie  Xicfen  beS 
mer.fd)lid)en  ftergenS,  meld)er  iljn  Don  felbft  gum  paffenbften  Vertrauten  iu  ben  folgenben 
©eelenrotrrniffen  ftempcln  foff?  „Der  N]ftann  ift  ein  ©enic!"  antwortet  Vourget,  „unb 
als  foldjer  ift  er  im  ©tanbe  HtteS  gu  fennen  unb  su  begreifen,  ohne  es  je  gefeben 
nodj  mitgemadjt  gu  baben.  Damit  miiffen  wir  unS  begnügen,  wenn  wir  nidjt,  minbec 
pläubifl,  §errn  Slbrien  Sijte,  biefen  p^i{ofopr)ifd>en  Vüd)erwurm,  bem  bie  gebratene 
SJlenfdjenfenntnifj  in  ben  9)tunb  geflogen  fommt,  für  ein  SBefcn  erflären  wollen, 
tocldieS  toofjl  nur  in  bem  ©ebürfnifj  beS  9lutorS  nad)  einer  fotd)en  ^erfon  feinen 
üerunglüdten  Urfprung  gefunben. 

2Bie  bem  aber  aud)  fei,  baS  fteljt  feft,  baß  biefer  ©elefcrte  ebenfo  meuig  3eitungen 
lieft,  als  er  mit  ÜRcnfd>en  Derfchrt,  unb  baß  er  bab,er  ^öd)Iid)ft  erftount  ift,  als  er 
eineS  XageS  eine  Vorlabung  gum  UnterfudmngSridjtcr  erbält  unb  Don  biefem  erfährt, 
baB  tx  als  3flige  in  ber  Straffacbe  miber  Robert  ©reSlou  oernommen  toerben  fott, 
bie  ilnn  gänglid)  unbefannt  ift,  obwohl  fie  feit  2öod)en  ftranfreid)  in  Spanung  hält. 
Robert  (»reSlou  ift  ber  Warne  eine»  iungen  Cannes,  welcher  Don  glüfjenber  Vewunberung 
für  bie  SBerte  beS  großen  5(5^iIofopben  burebbrungen  ihm  Dor  gwei  fahren  eine 
(SrftlingSarbeit  gur  ßritif  eingefenbet  unb  auf  ein  anerfennenbeS  9lntwortfd>reiben  ihn 
aud)  fpäter  befudjt  r)at.  Der  UnterfudmngSridjter  tbcilt  bem  ©rftaunten  nun  mit, 
baß  berfelbe  junge  2Rann  in  töiom  beS  2Worbe8  burd)  Vergiftung  beS  3*äuleinS 
(Sharlotte  be  3uffat,  ber  jungen  Xodjter  beS  fcaufcS,  iu  toeldjem  er  fid)  wäbjenb  beS 
legten  3abjeS  als  ©rgicher  befanb,  angeflagt  fei.  Die  Verbad)tSgrünbe  feien  über* 
waltigenb;  fie  reichten  au*  ihn  wegen  ber  Dhat  gu  bcrurthcilen,  ungeachtet  beS  uner* 
flärlichen  SdjweigcnS,  in  bem  er  feit  feiner  Verhaftung  ftarrfinnig  Derharre.  9Jtef)r 
erftaunt  al«  erregt,  Derläßt  Sttbrien  ©i^te  ben  9lid)ter,  nadjbcm  er  biefem  guDor  ben 
gewünfdjten  Slnffcbfuß  gegeben.  3n  SRobert  @re8lou&  balb  DeTbrannten  2tufgeidjnungen 
ift  ber  rätbfelljafte  ®aö  gefunben  worben :  „$ie  pfttdjologifdjen  (rrfabrungeu  wären  fo 
fefjr  als  mög(id)  gu  Dermetjren".  Wit  ÜRü^c  madjte  nun  ber  ©elebrte  bem  Siebter 
begreiflid),  baß  jene  mobemfte  Sßiffenfdiaft,  welcher  er  unb  wofjl  aud)  ber  junge  2ln= 
geflagte  angehören,  ein  ÖEperimcnt  mit  einer  2cibenfd)aft  für  ebenfo  möglid)  balte, 
wie  ben  Sfcrfud)  einer  djemifeben  Verbinbung.  —  9?ad)  i&aufe  gurürfgefebrt,  finbet  ©ijrte 
bie  Butter  ©re»Iou8  bei  fid).  (Sie  bringt  i^m  ein  Sdjriftftücf  Don  ibrem  Sobue, 
eine  wiffenfdjaftlicbe  Arbeit,  wie  fie  glaubt,  bie  biefer  im  (Befängnifj  gefd)rieben.  öS 
unb  bie  3(ufgeid)nungen  beS  Unglücf(id)en  über  fid)  felbft,  Weldje  er  für  feineu  „bob^eu 
Weifter"  beftimmt  bat,  für  ben  Genfer,  gwifdjen  beffen  3been  unb  feinem  %t)ün 
„ein  »anb  beftetjt,  Weld)eS  anbere  3Jlcnfd)en  nidjt  gu  begreifen  Dermögen,  weldjeS  er 
aber  eng  unb  ungerreißbar  fütff,  nur  für  ir)n  allein! 

§ier  beginnen  nun  biefc  „©eftänbniffe  eines  jungen  9)?anneS  unferer  3«t,"  gu 
welchen  baS  ViSberige  nur  (Einleitung  war.  Vom  affectirt  wiffenfdxiftlidjen  Xoue 
ber  Selbftserflfiebemng,  in  weldjer  ber  junge  „Sdjüler"  feinem  9Jleiftcr  gegenüber  unbe* 
wüßt  eine  ^ofe  annimmt,  auffteigenb  bis  gum  fdjmerglidjen  Sluffdjrei  eines  leibcnfd)aft= 
rtdjen,  Don  2Biberfprüd)en  gequälten  $>ergeuS  unb  wieber  b«rabfinfcnb  gur  leifen  ftlage 
eines  garten  ©emütbeS,  weldjeS  SHeue  füb,lt  unb  um  unwieberbringlid)  dahingegangenes 
trauert,  fo  gießen  fid)  biefc  eigent^ümlicben  ©efenntniffe  beinabc  bis  gum  (Sdjluffe  beS 
AomanS  babin,  bie  fettfame  üeibenSgefdjidjtc  einer  jungen  Seele  cntbüüenb. 

SRobert  ©rcSlon  ift  fein  lUörbcr,  abef  er  ift  uidjt  unfdjulbig  am  Sobe  beS  jungeu 


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  Clemens  rofal  in  ZPien.  — 


3JcäbcbenS;  er  hat  if)r  nicht  felbft  baS  ©ift  gereicht,  aber  er  war  bcr©runb,  um  beffcn 
willen  fie  eS  na()m.  Um  bieS  erflären  gu  tonnen,  muß  er  gucrft  ftd)  felbü  erttärett. 
<Sr  tfmt  cS,  inbem  er  in  gmei  2tt>fdmttten  gucrft  bic  Ginflüffe  beS  „©Terbten"  auf 
fein  ffiefen,  bann  bie  Umgcftaltungcn,  meldte  baSfelbe  burd)  ben  ©itbungSgang  erlitten, 
barftcllt,  tote  eS  ftd)  für  einen  jungen  ^b,i(ofopb,cn  einem  alten  ©elchrtcn  gegenüber  ge* 
bütjrt  Üöcnig  fehlte,  unb  er  rjätte  biefe  2tbfdf)nittc  noch  hübfd)  fuftematifd)  in  eingeht: 
Paragraphen  gertheilt  ober  in  einer  überfidjtlicheu  Tabelle  aß  bie  förperlicben  um 
geiftigen  llrfadjcn  gufammcngcfaBt,  bie  ihn  oom  ©laubenScifer  feiner  flinbtjeit  burcn 
ben  3uftanb  einer  miliaren  Schnfud)t  h,inburd)  bem  ffiiffen  guführten  unb  ibn  in 
•  biefem  mobemen  ÄBiffen  —  ber  ffiiffenfdjaft  eines  5>lbrien  Sijre  unb  gleicher  ©elfter  — 
feine  2eben3anfd)auung  unb  i'coral  iudtett  unb  fdtücBlidt  and)  finben  liefen.  riaS 
bat  er  nun  gefunben?  Gr  fagt  bieS  ausführlich  unb  an  Dielen  ©teilen  biefer  f.Teinen 
Pbtlofoprjifchen  Slbhanblung.  „2Jcaud)maI  glitt  eine  SJipcr  gwifchen  ben  Steinen  ber 
ftanbigen  Strafte  barnn;  baS  gefährliche  Xljicr  erfdjien  mir  bann  als  beweis  be:  ©leid): 
gültigfett  biefer  Statur,  meldte  ohne  :U::düd)t  baS  Sebeube  oermebrt,  ob  eS  min  roohl* 
tl)ätig  ift  ober  Derberblid).  3d)  füllte  bamalS  mit  unwiberftcblidjcr  st  raft  alL'U  fingen 
biefclbe  2eb,re  entftrömen,  mie  Sbren  Scrfcn,  mein  SDcciftcr;  bafe  mir  nämlich  nichts 
haben  aß  uns  felbft;  bafe  baS  3dj  allein  wirflid)  ift;  bafe  biefe  SHatur  nichts  Don  uns 
weiß,  ebenfomenig  mie  bie  iUcnfdjen;  baß  biefe  ebenfowobl  als  jene  uns  nidus 
bieten  tonnen  als  ^ormänbe  gu  fühlen  ober  gu  beuten !"  Ia->  ift  bic  Floxal  biefeS 
eigcnthümlidjen  gelben ;  nicht  ohne  ©runb  bat  Sourget  Tie  an  biefer  fraftüoüften  Stelle 
bem  2ttlbe  eine»  giftigen  äöurmcS  unb  borrjer  noch  bem  Söilbe  einer  ©iftblume  ent* 
fpringen  laffen. 

80  ausgerüftet  tritt  ©reSlou  in'S  ßeben.  Sein  ©fjrgeig  ift  natürlich  febr  hoch* 
füegcttb,  er  träumt  oon  einem  bcriibmten  tarnen  in  ber  SSiffenfcbaft.  Vorläufig 
Derfudit  er  cS  mit  einer  Prüfung  an  ber  UttiDcrfttät  unb  —  fällt  burd).  Sur  bic  3eit, 
bereu  er  bebarf,  um  ftd)  Don  Beuern  Dorgubereiten  nimmt  er  eine  ©rgieber* 
[teile  im  fcaufe  beS  SflarquiS  be  3»ffat  an.  ?(ufentb,alt  in  einem  mettcntlegcnen 
£orfe,  langmeiliges  itrüfungSftubium,  Derbunbcn  mit  beut  teincSmegS  amüfanteren 
Unterrichte  eines  12  jährigen  Söurfcben,  bagu  als  Umgebung  ein  btjpodjonbrifcher, 
fdjruHcnbaftcr  alter  Gbclmann,  feine  ftrau,  „eine  murterbafte  Haushälterin",  fein  Sohn, 
©rai  2lnbr<5,  ein  SportSman,  welcher  bem  jungen  Jöücbcrrourm  Don  §ofmeiftcr  ein  menig 
gcringfdiäQig  begegnet  unb  in  biefem  Dom  erften  Slugenblicfe  an  eine  fjalbinfttnctiDc 
XUntipatbic  ermeeft,  einige  bebcutungSlofe  ©eftalten  unb  —  fdjlicBlid)  bic  $od)tcr,  jung, 
lieblid),  fdjüdjtem  unb  gartfüblenb  in  ihrem  (Jntgegenfommen  für  ben  jungen  üDiann, 
bem  fie  feine  unangenehme  Stellung  im  £>aufc  gerne  erleichtern  möchte,  babei  Don 
meidjem,  ein  menig  romantifdjcm  ©emütljc  —  mo  fotttc  ein  junger  2)cann  Don  gmei» 
ltubgmaugig  fahren  fid)  gum  erften  Tlai  Derlicben,  menn  nicht  hier? 

(5r  verliebt  fid)  aud);  aber  meld)  fonberbarc  fronnen  nimmt  baS  naioftc  aller  ©e* 
fühle  bei  biefem  ©eifte  an,  ben  ber  unnatürliche  (SgoiSmuS  einer  bem  ffiiffen  allein 
eutfprungeucn  ffieltaufd>auung  bis  in  fein  3uuerftcS  franf  gemadjt  hat;  für  ben  eine 
ihm  gur  Scatur  gemorbene  unabläfnge  Selbftbeobadjtung  feit  langem  baS  unbemußte  8luf« 
feinten  einer  Neigung  hat  unmöglich  werben  laffen!  (Siuige  theilnahmeuoaeSölicfe  beS  jungen 
3)läod)enS,  unb  er  bcfdjlic&t  nidjts  weniger  —  als  fie  gu  Derführen.  Gin  cigenthümlicher 
Jöerführer,  biefer  junge  IN a mt,  ber  fein  Unternehmen  als  miffenfchaftlichcS  (Sjperiment 
betrachtet  unb  mit  pebantifdjer  ^artnäcfi gleit  ber  Dteihc  nach  alle  2Jlittel  in'S  &elb 
führt,  bie  er  feinen  2Jüd)ern  unb  bem  eigenen  Sdjorffinn  für  biefe  „pfndjologifche  Gr^ 
fahrung"  entnommen;  ber  babei  gugleid)  linfifd)  unb  unerfahren  mit  franfhafter  Scnft^ 
bilität  felbft  bor  ben  ©efühien  gurüeffchriett,  bie  er  herDorgerufen!  2ßelcher  Xriumph 
aber  aud),  als  baS  Grpertmctit  gelingt,  als  er  nad)  ftiftematifd)  burchgeführtem  Selb* 
gitgSplaue,  nachbem  er  bic  Neugier  beS  vJJJäbd)ens  burd)  eine  ftubirt  gehcimniBDoUc  pofe 
erregt,  ihre  Sentimentalität  burd)  forgfam  hiefür  gemählte  fieetüre  gefteigert,  ihr  »iitlcib 
unb  ättm  £l)eil  auch  fcfjon  ihre  Gifcrfttd)t  burd)  eine  erbidjtete  üiebeSgefchichte  auS  feiner 


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(Ein  Koman  beu  erperimentirenbcn  pfycf?olo4jie.   


(35 


SBerflangcnfjeit  für  ficft  gewonnen  r)at  —  fd)lierjlid)  bas  SicbeSgcftänbniB,  weldjeS  ibre  Sippen 
t^m  nod)  oerweigern,  in  frummen  aber  unjmeibeutigeu  3«<^en  au&gcfprodjen  finbet! 

£od)  gcfäljrlid)  ift'S  mit  bem  tjeucr  unb  nod)  gefäfyrtidjer  mit  ber  Siebe  ju  fpielen, 
biefen  einfädln  Sag  t)at  ber  junge  ÜJiann  überfein.  2)ic  „pfndjologifdje  (Srfabruug" 
fctjrt  ftd)  plö&lid)  lebeubig  geworben  wtber  ifm  felbft.  (Sr  tjat  iid)  juleöt  mit  ber  gansen 
Äraft  eineÄ  jungen  IcbenSburftigen  ^e^enS  in  ben  ©egenftanb  feiner  eigenen  Unter* 
fudmng  oerlicbt;  ja  —  wer  oermag  biefen  balb  fetteren,  Ijalb  rübrenben  SSiberfprud) 
3u  (öfenV  —  er  hat  bieüeidjt  gleid)  oon  Slnfang  an  geliebt,  unb  bie  einfadjc  2Bar)r^eit 
unb  Äraft  biefeS  ©efübleS  tft  eS  gewefen,  wclcbe  ihm  ©egenlicbc  errang,  wäljrcnb  er 
mit  überflüffigem  Scfiarfftnn  raffinirtc  (yrobcrungSpläne  burcrjfitrjrte.  So  tft  aud)  fein 
Sieg  jur  Sfteberlage  geworben,  als  baS  Stäbchen,  um  feiner  eigenen  9leiguug  ju  ent« 
fliegen,  ben  Sanbfie  berläßt  unb  nad)  ^aris  reift.  35er  Stampf,  ben  er  nun  eine  3"t 
lang  gegen  ftd)  führt,  muß  mit  bem  pollftänbigen  Xriumpbe  feiner  Siebe  enbigen,  als 
bie  9tod)rid)t  oon  ber  Verlobung  beS  ^räulcin  o.  3uffat  mit  einem  früher  abgewiefenen 
freier  feiner  Seibenfdjaft  in  ber  (Siferfudjt  eine  mächtige  ©enoffin  fdjaffL 

2lber  eS  fott  anberS  fommen.  SBeber  ftludjt  nod)  Verlobung  haben  baS  9ftäbd)en 
bor  ihren  ©efüblcn  fdjü&en  tonnen.  £ic  Äcantbcit  ihres  jüngeren  JÖruberS  ruft  fte 
auf  baS  Sanbgut  in  bie  oerfjängnißDolle  SRäbe  ©reSlous  jurüd1.  Vergebens  oerfudjeu 
jefct  bie  Reiben  nod)  junt  legten  2Me  toiber  bie  ibr  3nnereS  überflutb,enbe 
Seibenfcbaft  anjufämpfen.  (Sin  Vrief  ©reSlouS,  in  welthirm  er  ihr  feine  auf* 
richtige  Slbfidjt  anfünbigt,  feinen  Seiben  in  ber  9tod)t  bind)  ©ift  ein  (snbc  ju  madjen, 
uio  ben  er  mit  anerfcnnenSmerther  Vorfid)t  ihr  nod)  im  Saufe  bei  Xagcä  jufommen 
läßt,  bringt  ÜJJWe.  be  Suftat  9tod)tS  in  baS  3tmmer  bei  (beliebten.  Sie  will  mit  ihm 
jufammcu  fterben,  nur  beShalb  ift  fie  gefommen;  aber  baS  ©eftänbniß  ihres  ©efühlS 
überwältigt  ihren  Hillen  unb  it)re  Sinne,  Veoor  fte  an  bie  Ausführung  irjreö  Oer* 
zweifelten  (Sntfchluffcfc  get)en,  foften  bie  enblid)  Vereinreu  alles  ©lücf  ber  Siebe. 

Jgier  war  eS,  theurer  SReifter,  wo  bie  feltfamfte  ^Beübung  biefer  ©efd)idjte 
eintrat  —  jene,  welche  bie  2Belt  wohl  bie  fchmadroollfte  nennen  würbe;  aber  jwtfcben 
uns  Reiben  haben  foldje  2ßortc  feinen  Sinn,  unb  ich  werbe  ben  ÜÄuth  haben  3&nen 
SlllcS  itber  jene  Stunbe  $u  fagen." 

2118  ber  erftc  Xaumel  beS  ©lücfS  borüber  ift,  währenb  bie  enblid)  errungene 
©eliebte  an  feiner  Seite  fd)lummert,  geht  in  ber  Xb^at  ein  fonberbarer  Sßrocefe  in  ber 
Seele  biefeS  jungen  Cannes  bor,  weld)em  mit  ber  Uumittelbarfeit  be8  Jyü^lenS  aud) 
bie  Äraft  oerloren  gegangen  ift,  fid)  feiner  Neigung  gang  ju  weisen. 

3ft  e8  ^eißlieit^  SlUe«,  wai  bie  2eibenfd)aft  für  eine  3eitlang  in  tljm  fort= 
fleftfjwcmmt  batte,  feb,rt  jcöt  jurüd:  bie  füble  Selbftbctrad)tung,  weldje  ba8  jarte 
®cfüb,l  erbarmungslos  auf  ben  3nftinft  3Urürffüb,rcn  will,  ber  gren^enlofe  (Egoismus 
einer  !ÖJeltanfd)auung,  bie  3lücS  anzweifelt  außer  ber  2Bal)rb,cit  beS  3d);  e8  erfajeint 
itjm  ungereimt  fid)  felbft  ber  SJernidjtung  ju  übergeben  um  eines  ©efüljleS  willen, 
WelcbcS  il)n  nid)t  mebr  ganj  gu  erfüüen  Dermag  oon  bem  ^lugenblitfe,  wo  er  eS  fid) 
wieber  anatnftren  fann.  6r  befdjwört  2RlIe.  be  3"ffat  auf  irjreu  (^ntfd)luti  3«  t}^'- 
gtd)ten  unb  lieber  gemeinfam  mit  itjm  burdj'S  Sieben  ftatt  unnötfjigerwcifc  in  ben  Xob 
ju  gcb,en.  Sie  ftößt  ihjt  entrüftet  äurücf,  töbtlid)  getroffen  burd)  bie  plöylidjc  C^tnftd)t, 
Weldje  ibr  biefe  Sporte  in  fein  3»«crcS  eröffnen.  Vergebens  fud)t  er  wäljrenb  ber 
nädjften  Xage  fic  31t  berföbnen.  3b,r  gefränfter  Stots  oermag  biefen  Sd)lag  nid)t 
ju  oerwinben;  fie  tobtet  ftd)  mit  bem  ©ifte,  weld)e3  fic  auS  ©reSlouS  ;iiuimcr  ent-- 
wenbet.  ©cgen  biefen  febrt  fid)  nun  ber  ilerbadjt  eines  3)iorbeS  au  bem  SNäbcben, 
burd)  bie  Häufung  ber^ängnifebollcr  SHebcnumftänbe  wirb  er  überwältigenb;  er  wirb 
beruftet  unb  get)t  im  ©efängniffe  oon  Sliont  feiner  Verurteilung  entgegen.  (Sin er 
nur  weiß  um  feine  Unfdjulb.  3n  ber  legten  llnterrcbung  oor  bem  Selbfhnorbe  bat 
9NUe.  be  3uffat  ib,rcm  Verführer  erflärt,  fie  tjabe  tb,rem  2?ruber  Slnbre  in  einem  «riefe 
il)re  Slbfidjt  ju  fterben  unb  bereit  ©ruuö  anuertraut.   ^Iber  ©rar  21nbre  fdjweigt  an» 


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\56 


Clemens  Sofal  in  W'ttn 


gencbt»  ber  SBefdntlbigungen,  bic  mibcr  ©reSlou  erhoben  »erben,  benn  et  öermag  c» 
nidu  feine  Sdnoefter  befi  guten  Stufe»,  mit  betn  fie  in»  ©rab  gegangen  ju  berauben 
unb  bat  auä)  nicfjt»  Dagegen,  bafe  bie  3ufttg  ftatt  feiner  bie  9täd)errolle  fpiele. 
©reSlou  Oertbcibigt  fid)  nidjt;  er  fdjmcigt  trofcig,  fid)  an  ber  ©emütbigung  toetbenb 
mit  melier  ba»  Semufetfein  fetner  eigenen  uneblen  SRolle  ben  Stol$  be»  Järiftotratcn 
meberbrücfcn  mufj.  Slber  er  fdjtbeigt  niebt  beSlwlb  allein.  $ie  lefiten  SBorte  tiefer 
©eftänbniffe"  fagen  e»  beutlid):  „Scbreiben  Sie  mir,  mein  SJceiftcr,  lenten  Sic 
mirf).  Störten  Sie  mid)  in  biefer  Sebre  oon  einer  allgemeinen  9h)t&toenbigteit, 
meld*  felbft  unfere  fcbänblicbften  fcanblungen,  felbft  biefe  fübl  unternommene  2*er= 
fübrung,  felbft  mein  feige«  3"rödbeben  oor  ber  (Erfüllung  meine»  fcobeSoerfpretben* 
mit  ber  ©efammtbeit  ber  ©efefce  biefe»  unerme&lidjen  SBeltaÜ»  oerbinbet.  Sagen 

Sie  mir,  baft  id)  fein  Ungeheuer  bin,  bafe  e»  teine  Ungcbeuer  giebt"  

Sr  jtoeifelt,  —  er  fiiblt  fid)  fdmlbig,  —  er  toiU  büfeen! 

2lber  ift  er  mirflid)  fdmlbig?  SBourget  antmortet  mit  3a!  —  mir  antworten  mit 
Wein!  —  Unfrreitig  mar  e»  bier  »ourgef»  2lbftcbt  bargufteUcn ,  toie  ein  Don  Watur 
eble»  ©emütf)  burd)  eine  2Jloral,  bie  feinem  Denfen  entfprungen,  aber  oor  feinem 
ftübten  nid)t  beftebt,  unmiberfteblid)  jur  Sdnilb  getrieben  toirb  unb  über  biefe  bann 
niebt  bwiocgfommen  fann.  Slber  in  ber  £anblung,  bie  fid)  oor  un»  abfpielt,  ift  biefer 
©ebanfe  ungenügenb  DerfÖrpert.  $afe  ©reSlou  bie  lobte  bat  Derfübren  motten,  um 
am  Scbaufpicl  ttjreS  ©efüble»  feine  Neugier  ju  befriebigen,  fann  tfjn  nod)  nidit 
fdmlbig  machen.  $at  er  ftd)  boeb  —  unb  toie  balb!  —  in  fie  ebenfo  Oerliebt,  mie  bie»  ber 
grünfte  3mtge  oon  jmonjig  $abren  e»  an  feiner  Stelle  getban  bätte,  meiner  fentimentale 
©ebidjte  oeriafet,  ftatt  3lDrien  Sijte  unb  moberne  ^bilofopben  gu  lefen  unb  Spinoja 
ju  citiren.  $afe  er  bann,  al»  bie  (Beliebte  nad)  langen  Stampfen  fein  getoorben  ift, 
Ploölid)  baüor  aurüdfdirirft  feinem  ßeben  ein  (5nbe  su  madjen?  —  2lber  eS  märe  oöllifl 
überflüffig  gemefen,  wenn  er  bie»  getban  bätte!  SÖJtr  bätten  baburd)  feine  beffere 
Meinung  Oon  feinem  Gbarafter,  fonbern  blofj  eine  fdjledjtere  oon  feinem  Herftanbe 
getoonnen. 

9tod)  langem  Sträuben  oon  beiben  Seiten  bat  bie  Siebe  gtoei  junge  Seutcben  oer= 
eint  —  Da»  ift  bod)  eine  Situation  gum  £eiratben  unb  niebt  gum  ©ift  nebmen.  5>a» 
bisdjen  ariftofrattfebe»  St?omrtt)eil,  melebe»  fid)  ibnen  mobl  in  ben  8L*eg  geftellt  bätte, 
mar  bo(b  niebt  gleicb  eine»  fo  Oerstoeifclten  ©ntfcbluffe»  toertb!  SBcnn  nun  ©reSlou 
bureb  bie  SebenSfraft  feiner  3ugenb  oor  bem  legten  Sebrittc  jurücfgebalten  bem  öfräuletn 
be  3uffat  ben  ganj  oemünftigen  »erfrag  madjt,  mit  ibm,  ftatt  gu  fterben,  leben  311 
bleiben,  fo  muffen  mir  un»  nur  über  fie  munbern,  bafe  fie  Darauf  nia)t  frifemoeg» 
eingebt.  Sollte  fie,  melebe  bie  Alraft  batte  ftd)  bem  armen  ©rgieber,  ben  fte  liebte, 
unbebingt  binjugeben,  baoor  äurüdfdjrerfen  mit  ibrer  abeligen  Familie  ben  ftampf 
um  feinctioillen  aufpnebmen*  Wit  glauben  e»  niebt;  bod)  märe  bem  fo  — 
bann  fear  fte  moljl  be»  Opfer»  nidjt  mertb,  toeldic«  fie  oon  ibm  Derlangte,  unb  er 
bätte  ibr  baö  befd)impfenbc  2Bort:  „feig!",  toelcbe»  He  ibm  in'8  ©eftdjt  fdjleuberte, 
al»  fie  fein  3immer  oerliefe,  mit  gleidjem  5Hed)te  gurüefgeben  fönnen. 

2Bie  bem  aud)  fei,  Joenn  mir  tföxm  muffen,  toie  ber  arme  ©reSlou  oon  feinem 
w2Weifter"  flagenb  oerlangt,  er  möge  i6n  tibften,  fo  bebauem  mir  ibm  nidit  $u  befferem 
Iroftc  fagen  31t  Tonnen,  bafe  er  eigentlich  uid)t»  begangen,  beffen  er  fid)  ju  fd)ämen  braudjte 

$od)  bie  ^anblung  bc»  Vornan»  ift  bamit  nod)  niebt  abgefcbloffen. 

Jlbrian  Si^te  gelangt  nacb  einigem  Sträuben  gur  (kfenntnife,  bafe  e»  toirflidi 
„ein  unjerreifebare»  geiftige»  Söanb"  fei,  melcbe»  feine  fiebren  mit  ber  £cnfmrife 
biefe»  jungen  llianne»  oerbinbet,  ber  ibm  fein  J^>er3  eröffnet,  ör  füblt  fieb  Per= 
pfliebtet  feinen  „Sdjüler"  jn  retten.  3n  einigen  äBorten  lafet  er  ben  ©raten 
3lnbre  miffen,  bafe  er  bie  mabre  XobeSart  feiner  Sdjmefter  unb  ben  3nbalt  ibre» 
JBriefeS  fenne,  ben  3euer  ber  ©eredjtigfeit  oorentbält.  3lnbre  entfdjliefet  fid) 
fpreeben;  feine  Angaben  Derniditen  bie  (Sbrc  feiner  tobten  Scbmefter,  fie  befreien 


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  €in  Honan  ber  erperimentircnbcn  Pfydjologie.    ^57 

©reftlou.  Slber  al»  biefer  i^rt.  bann  freiwillig  auffudjt,  um  ibm  ju  erfiaren,  er  fei 
bereit  ifmr  ©enugtfjuung  für  ba»  ©eierjetjene  ju  geben,  ba  —  jagt  ber  ©beimann  ibm 
ob,ne  Weitere«  eine  ftugel  burd)  ben  tfopi.  „£old)e  ßciitc  wie  Sie  jiefjt  man  nidit 
jur  9red>nfd)afV  finb  feine  äBorte,  „man  richtet  fie  f»i«  1" 

tiefer  tb,eatralifd)  gemaltfame  >Äbfd)lufe  ift  mobl  bie  fd)mäd)fte  Stelle  be»  Serte«. 
Sir  füllen  un»  nidjt  öerfötjnt,  fonbern  bcleibigt.  23ie  ©cred)tigfeir,  beren  ftorberungen 
iöourget  ju  befriebigen  glaubte,  bat  feine  ftreube  an  Meiern  graufam  abgcfdjladjteten 
Opfer.  üBenn  biefer  junge  ÜKann  gefeblt  bat,  fo  mar  feine  Sdjulb  nidjt  gemeiner 
ittrt.  <Sie  traf  nid)t  itjn,  fonbern  feine  3eit,  beren  acrfe&enbcm  (Sinfluffe  fein 
moralifcber  @inn  erlag.  Xrug  er  aber  eine  fo  allgemeine  <Sd)iilb,  bann  mar  e*  unbillig, 
irjn  fo  b,art  bafür  büfjcn  gu  laffen.  Unbillig  unb  miberfprudj»öoll  -uigleid).  (Sin 
Ippu»  toirb  nidjt  „biugeridjtet" ;  er  bleibt  am  Öeben  ober  frtrbt  Don  fclbft.  Unb  pier 
märe  c»  mobl  am  öeften  gemefen  ibn  am  Ücben  gu  laffen.  (sr  mar  gefrraft  genug 
burö)  fein  eigene»  ©cfübl  unb  burd)  bie  entfdjicbcn  Derurtrjeilcnben  Stforte,  mit  beneu 
er  im  ßaufe  bc»  2Bcrfe«  reidjlid)  bebadjt  mirb.  Slber  511er ft  auageidiolten  sm  merben 
unb  bann  nod)  ©djläge  ju  befommen,  ba«  ift  ju  biet,  felbft  für  eine  SKomanfigur.  ÜBir 
nehmen  gartet  für  ben,  bem  fo  ungrofjmütfjig  mitgefpielt  mirb. 

2>ie  ©efralt  Slbrien  ©ijteS  ift  e»,  roeldje  ba»  nöJcrf  abfdjlicBt,  mie  fie  e»  ein» 
geleitet  &at.  35er  ©elebrtc  fi^t  brütcnD  bei  ber  üeidje  feine*  „Schüler»."  „Vit  Sporte 
De»  emsigen  ©cbete»,  beffen  er  fid)  au«  feiner  fernen  .Äinbbeit  erinnerte,  tarnen 
ibm  in  ben  ©tun:  ,23ater  unfer,  ber  3)u  bift  im  $>tmmel*  —  unb  als  bie  SJhtttcr 
fidi  aufrichtete,  tonnte  fie  febeu,  baf$  er  „meinte".  35er  ©laubc  allein  ift  e«,  welcher 
^erjen,  mie  ba»  biefe»  Xobtcn,  öor  jener  Vergiftung  ihrer  ebelften  Xbeile  bemabren 
tonnte,  mit  toeldjer  bie  3eit  fie  bebrofjt;  oiclleidjt!  ^ebenfalls  merben  Söourget  unb 
Stbrieu  6i£te  barum  nid)t  glauben;  fie  tonnen  nur  Darüber  meinen,  bafe  Ijier  (Stma» 
oerlorcn  gegangen  ift,  mofür  nidjt  ftllen  ein  ganjer  l£rfa$  gemorben. 

2>a»  ift  bie  febmennüthig  gebantcnoolle  ©cfdjidjte  Robert  @re»lou»,  be»  „jungen 
3Ranne«,  für  ben  nicht«  moralifd)  unb  nidjt»  unmoralifd)  ift."  $em  fBefen  mobemften 
©eifie»  entfprungen,  hat  biefe  ©efralt  bennod)  fcltfamermeife  einen  älteren  iBruber, 
ber  fd)on  in  ber  erfreu  §alfte  biefe«  3abrbunbert  ba«  üidjt  ber  ÜÖelt  erblicfte.  (5»  ift 
bie«  ber  junge  §elb  an«  ©tenbljal'*  „Lc  Kouge  et  k>  NVir",  jene  eigentrjümlicbe 
2RifdjgefiaIt  uon  fdjarffinnigem  lSgoi»mu«  unb  naiofter  l'eibcnidjaft,  Julian  Sorel, 
meiner  jmeimal  btc  Verführung  öon  grauen  unternimmt,  für  bie  er  nidjt»  emp  finbet, 
in  beiben  fällen  aber  fdjlic&lid)  oou  ben  ©efüt)len  übermannt  mirb,  meldje»  er  mit  (übler 
&ered)nung  b^orgurufen  uerftaub.  2)ie  ^amilienäbnlidjfeit  beiber  (ykftalten  ift  fct)r 
auffallcnb;  öourget»  empfänglidjer  ©eift  ftanb  l)ier  mobl  unbemuftt  unter  Dem 
mäd)ttgen  fönfluffe  feine»  bigarren  SSorgänger«. 

Äöie  bem  aud)  fei,  ba»  äöerf  iöourget»  säb,tt  m  ben  bebeutenbften  franjofifdieu 
Romanen  ber  leeren  3ab,re.  Xppifdj  ober  nidjt  rtjpifd),  bleibt  biefer  junge  5üiaun,  beffen 
üBcrftanb  fid)  eine  3Jtoral  gefdjaffen  bat,  bie  fein  ©efübl  nid)t  anertannt,  eine  (Srfdjetnung 
oon  erfdjrcdenber  ÜebenSmaljrbeit.  Unb  bie  geminnenbe  Ulrt,  in  meldjer  fein  ©d)irffal 
ergäbt  mirb,  ber  fcelenöoUc  ion  ber  @d)ilberuug,  bie  burdjgeiftigte  ©d)önb,eit  ber 
«prad)c  —  ba»  alle»  bleibt  $ourgcr8  alleinige»  (Stgentbum. 


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3üuftrtrtc  Bibliographie. 


3nbicn  in  gßort  nnb  *Mtb.  l£me  3d)ilbentng  beS  tnbifd)eu  SfaiferreidjeS  Don 
©mil  Sd)lagintmeit.  3li>eite  bis  auf  btc  ©eflcntoart  fortgeführte  billige  $radit= 
Auflage.  (SrofrCuart.  2Hit  417  Slluftrationen.  ^ciPäifl,  Verlag  öon  Sdjmibt 
k  ©ünt  her. 

^te  brei  ätteften  unter  ben  fünf  Sörübern  Scblagintmeit  unternahmen  bclannt- 
lid)  im  21uftrage  beS  Königs  ftriebrid)  äßilhclm  IV.  Don  ^reufjen  unb  äugleid)  im 
^ntcreffe  ber  oftinbifchen  (Sompagnie  feit  bem  3abre  1854  ihre  grofecn  QrorfdntngSrcifeu 
burd)  alle  Xhcilc  3nbtrnS.  31  bo  If,  ber  jtoeiteber  Jörüber,  fiel  am  26. 9tuguft  1857  als  ein 
Cpfer  feines  SBiffenf bnrftcS  burd)  btc  Jpäubc  fanatifcher  9Jiuf)ameöaner  in  Oftturf tftan; 
btc  beiben  anbeten,  $j  ermann  unb  Stöbert,  f ehrten  1858  nach  Europa  jurücf  unb 
i>eröffcntltd)tcu  gttnaqfl  bie  ÜHefultate  ihrer  natunniffenfdjaftltchcn  unb  ethnologifchen 
ftorfdiungen  in  bem  grofocu  iiBerfe:  Results  <>f  a  scientific  inission  to  Irnlia  (1860 
—1866),  bem  bann  namentlich  Hermann  noch  mehrere  populärer  gehaltene  S?üd)er 
über  23eobad)tungcn  unb  iHeifeerlebniffe  in  bem  burd)  feine  ÜNatur  unb  feine  (Sultur 
gleidi  munberbaren  i'anbe  folgen  liefe.  iMtle  Schriften,  Sammlungen,  münblidje  unb 
fdjriftltdie  ÜJHttbctlungen  ber  alteren  trüber  ftanben  bem  in  2)eutfdjlanb  gebliebenen 
(Smil  @d)lagintmcit  (bem  einzigen  jefet  nod)  lleberlcbenben  ber  fünf  23rüoer)  feit 
Pielen  Sohren  5U  ©ebote,  mäbreub  er  felbft  burd)  eifriges  Stubittm  ber  Sprachen, 
Religionen  unb  ©ebräudje  ber  Golfer  3nbienS  unb  ^odiaficnS  ihre  gorfchungen  er* 
gänjte.  So  tonnte  9ficmanb  beffer  als  er  baju  auSgerüftet  fein,  aus  ber  gemaltigen 
Jyülle  Pom  Stoff  äur  (Srfenntniß  tnbifdjcn  ficbenS  unb  inbifdjer  Gulrur  ein  flarcS  unb 
iiberi'iditlidicö  ©cfammtbilb  für  beutfdje  üefer  gu  entwerfen,  jumal  ihm  aud)  non  ber 
englifchnnbifchen  Verwaltung  unb  Don  gelehrten  &inbuS  fcltcne  CueHenmerfe  unb 
culturgefdjichtlicheS  ÜDtoterial  jeber  5lrt  in  libcralfter  SBeife  äur  Verfügung  qefteEt 
mürbe,  3RÜ  3ted)t  würbe  baher  fd)on  bie  erftc  Auflage  beS  großen  SüerfcS  „Snbien 
in  ©ort  unb  Vilb"  (187U)  üon  allen  Seiten  freubig  bcgrüjjr,  unb  jmar  fomohl  megen 
ber  {5üHe  uou  anregenbeu  unb  intcreffauten  Mtheilungen  über  alle  ÜcbenSPcrhältniffe, 
über  3"buftrie,  öanbel,  (ynlturbcftrebungeu  beS  gegenwärtigen  inbifchen  SfaiferreidieS, 
über  bie  pht)fifdje  Vefdjaffenbeit  aller  feiner  Xhcilc,  über  bic  gefdjidjtlichc  Vergangenheit 
aller  feiner  VolfSftämme,  als  aud)  megen  ber  Srlarhett  unb  Ucberfid)tlid}teit  ber  £ar* 
ftellung,  als  aud)  cnblid)  wegen  ber  herrlichen  ?lu8ftattung  mit  iwr-iüglid)cn,  nad)  ben 
wertlwollften  Vorlagen  forgfältig  unb  fünftlerifd)  ausgeführten  .ftolsfdwitten. 


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  Bibliographie.   

burd)  btefe  gweite,  bie  nun,  wenn  aud)  auf  ben  erfreu  SMia"  weniger  angiebenb  unb 
Ioljnenb,  in  oer  Xtyit  eine  !aum  minbcr  bebeutenbe  Üücfe  ber  ©efdjidjtfdjretbung  auSiülIt. 
3n  »Die  felbftänbiger  d)araftcrooller  (Srfdjetnuug  aud)  bie  großen  i)iftorifd)cn  ©labte 
SUften  unb  Wom  in  ber  ©efd)id)te  ber  Menfd)beit  baftcben,  fo  unmöglid)  fdjeint  ti  nod) 
immer,  bte  eine  gu  benfen  obne  bie  anbere.  iBetbe  begeidwen  eben  ein  für  allemal  ald 
&aupttapcn  bie  SBollenbung  ber  ©cfdjidite  be3  Sllterttmntö,  unb  wad  aud)  itt^totfctjeu 
gefdjcljcn  ift,  um  ibre  früheren  SBejielwngcn  gu  ciuanber  gu  mobificiren  —  im  Slnbenfcn 
ber  gebübeten  Menfdjbeit  werben  bie3becn,  weldje  tu  ber  SlfropoliS  Don  Sitten  unb  in 
bem  (Sapitol  oon  Sttom  gleicbfam  fpmbolifdje  ©eftalt  gewannen,  mobl  immer  ungerrrennlid) 
Derbunben  bleiben.  35  ie  Madjt  bicfer  Öteenaffociation  überlebte  bie  3a&rbuubertc  bc* 
Sunfeld  unb  beinahe  ber  23ergeffenbeit,  in  weld)e  i'ittieu  ald  Jßrooingialftabt  bc*  bqgautini= 
fd)en  JHcidjed  unter  ben  Stürmen  ber  großen  iöölfcrwanberung  Derfant,  wäbrcnb  9tom, 
nad)  feinem  Untergang  als  Stabt  ber  (Säfaren,  gu  neuem  ©lang  aufbiübte  als  Stabt 
ber  fatbolifdjen  Sbriftenbett;  fte  überlebte  bie  (Eroberung  unb  >öet)errfdmng  2Übend  unb 
©ricdjenlanbd  burd)  bie  lürfen,  unb  Tie  fdjöpfte  frifd)e  2ebendfraft  aud  ber  Üiiicbcrt)cr= 
ftellung  ber  Unabbängigleit  unb  ber  (Srneucrung  2ltben8  als  ber  fcauptftabt  bed  be= 
freiten  ©riedjenlanbd  in  unferem  3<U)rbuubcrt.  Mandje  gelehrten  ©riecbcn,  wie  35ioni)|ioä 
Surmelid,  «Spiribon  Uambrod  unb  Conftautin  (Satbad;  mandie  $$bill)ellenen  anberer 
9fatiouen,  wie  ber  (Suglänber  #irlai),  bie  5rangofen  bu  (Sauge  unb  Söudjon,  bie  $)eutfd)en 
Syallmeraner,  ftereberg  unb  Sari  §opf,  baben  fid)  fcftbem  um  bie  (Srforfdjuug  ber  ®efd)id)te 
Vitbend  unb  ©riedjenlanbd  nad)  bem  Verfall  bed  antifen  Sebent  SJerbienfte  erworben. 
Vlber  ed  fel)lte  bid  jeöt  an  einer  ®efd)id)tc  ber  Stabt  2ltben  im  Mittelalter  ald  foldjer; 
unb  mit  ber  33arftcllung  berfelben,  in  Der  ftoxm,  in  ber  fie  nun  oorliegt,  bat  ber  ©efd)td)t  = 
fdjreiber  ber  (Stabt  9bm  im  Mittelalter  nidjt  nur  einen  fübnen  5ÜJurf  getbau,  fonberu 
eme  SBaraÜele  aufgeteilt,  bie  in  ber  ©efd)td)te  ber  ©efd)id)tfd)reibung  wol)l  ald  eingig 
tu  ü)rer  Jlrt  gelten  barf. 

Unter  ben  beutfd)eu  §iftoritcrn  ber  ©egenwart  nimmt  ©regorobiud  überhaupt  eine 
eigentümliche  Stellung  ein.  28äbrcuD  in  ©nglanb  unb  Ofranfretd)  bebeutenbe  Männer 
tu  unaböängigen  Herbältniffen  ald  große  ©ejd)id)tfd)rciber  aufgetreten  fiub,  ftub  unfere 
beutfdjcn  ftiftorifer  faft  obue  2ta$nabme  Uutoermätdprofefforeu,  Männer  Dorn  3ad),  bie 
ber  ©efd)id)tfd)reibuug  ald  einem  Statt  unb  Skruf  obliegen  unb  mit  meljr  ober  weniger 
erdufwen  ©efüblen  biefer  berufsmäßigen  Stellung  fid)  bewußt  bleiben,  2>er  Söerf  affer 
ber  ©efdjtdjten  Storni  unb  2ltf)cnd  im  Mittelalter  mar  oon  §aufc  aud  Ideologe,  nwrbe 
burd)  JKofenfrang  Oon  ber  Ideologie  -uc  ^üofopbic  geführt  unb  ging  erft  oon  biefer  gur 
(Mefd)id)ticbretbung  über.  2taf  Xrumann'd  SJeranlaffuug  fdjrieb  er  1851  fein  btfiorifd)ed 
Cirftüngdmerf,  eine  ®e(d)id)te  bed  S?aifer3  ©abrian,  uuö  legte  fdjon  mit  biefem  ein  oiel 
oerfpredKubcS  3eugniB  ab  fowot)l  oon  feiner  flaffifdien  söilöung  unb  ©elebrfamfcit, 
ali  oon  ber  für  tbn  d)arattcriftifd)en  3tid)tuug  auf  fünftlerifcbe  @d)önbeit  ber  Sorot,  auf 
anmutbeub  lebendoolle  2)arfteUung  ber  gefd)id)tlid)en  (^reigniffe  unb  Sljaraftere.  3m 
folgenben  3abre  fübrte  ber  unwibcrfteblidjc  Drang,  ber  feit  äßinfelmaunä  unb  ©oetbcd 
3eiten  fo  Diele  Deutfdje  aui  ihrem  ernften  ftorDcn  in  bie  beitere  Üüelt  beä  SübenS 
getrieben  bat,  aud)  ibn  nad)  3taliea.  9?ad)  einem  furgen  ^tafentbalt  in  S3enebig  uiO 
tJloreng  bereifte  ©regorooiud  (5orfica,  unb  fein  fd)bne*  33ud)  über  biefe  merfwiirDige, 
aber  wenig  erforfdjte  3nfcl,  baS  er  mit  einer  flaftlfd)  gu  nenneubeu  ©efd)id)te  ber  (Sorfeu 
einleitete,  maebte  ibn  guerft  in  weiteren  Greifen  befanut.  HSon  Cornea  ging  er  im  .fterbft 
1852  nad)  9tom,  uub  9tom  blieb  feitbem  feine  $eimat  bi*  gu  ber  Jßolleubung  ber 
groBartigeu  ,,©efd)id)te  3tom8  im  Mittelalter",  an  Deren  äbraffuug  er,  bort  unb  in  allen 
iUrd)ioen  3talien3  arbeitcnD,  ben  uuermüblüben  3fleiB,  bie  raftlofe  2tadbauer,  bie  eble 
Söegeiftcrnng  oon  ftebgebn  ber  befteu  3abte  feine*  ßcbend  (1853—70)  feöte*).  3)as 
Sdjicffal  bicfcS  iüerfe*  mar  eigcutbümlid).  Die  preitBifdje  Siegieruug  unterftüetc,  auf 
iöenoenbuitji  iöunfeuS,  ben  Jüerfaffer  mit  Subfibieu;  ba8  größere  beutfdjc  ^ublifum 
füblte  fid)  tu  einem  ©rabe  augegogen,  bcffen  ßnteufttät  biureid)enb  augebeutet  wirb 
burd)  ba8  Srfdjeinen  breier  Sluffagen  De«  adjtoättDtgcn  äüerfeS  iunerljalb  eine*  3<it)t'- 
gebnt«  nad)  feiner  Mcnbung;  bai  rbmifebe  Municipium  ueroronete  eine  Ueberfe^ung  in'i 
3talicnifd)e  unb  ocrlieb  bem  öerfaffer  bai  iöürgerredjt  Der  ISwigen  StaDt ;  ganj3talien  mett» 
eiferte,  ibn  gu  eljren.  ©ar  maud)e  ber  beutfdxit  $oJ)gelebrtjn  bagegeu  ttjatert  ibr  ^efted,  um 


*)  2ta8fübrltd)er  bat  ber  $err  Referent  bai  ßeben  unb  bie  $erfönlid)feit  oon 
^regorooiuS  im  6y.  ^efte  oon  ,/Jeorb  uub  Süb"  gefdjilbcrt.  3t  eb. 


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H2    orb  unb  Süb.   

bic  „©efcfjicrjte  bcr  Stabt  9tom  im  Mittelalter"  tobt3ufd)meigcu  ober  bod)  adjfeljudcub  311 
beurteilen  als  baS  äikrt  eines  2lußenfterjcnben,  eines  Mannes  ber  nidjt  ©eiebrtcr  üoii 
3ad)  fei.  Mutatis  mutandis  erlebte  ©rcgorooiuS  eine  28ieberf)olung  be»  SfcrbaltcnS 
ber  ,($bJlofopbie=$13roiefforen"  gegen  Scrjopentmucr.  Unb  otjne  Sfrage  tft  er  ebcnforoenig 
UniöerWätSljiftorifer,  als  Sdjopculjauer  UnioerfitätSpbtlofopb  mar.  &lle  ©bre  bcr  un« 
3roeifelr)aft  großen  iterbienfte  ber  UnioeiiitätSprofcfforcn  bciber  Stlaffen !  alle  (Sbre  ibrer 
©clebrfamfeit,  ibrer  ©emiffenfjaftigfcit,  ibrem  (Sifer  für  fcofjc  tuiffenfd)aftltd)e  3Jta&ftäbc  t 
?lber  fd)öner  märe  cS  bod),  tonnten  fte  ftd)  jenes  esclufioen  StanbeSbemußtfeinS  gänjlid) 
entfdjlagen,  baS  mit  Mißtrauen  binblieft  auf  Seiftungen,  bie  nidjt  unmittelbar  auf  bem 
»oben  bcr  Ur.ioerfitätSgclebrfamfeit  ermadtfen  finb,  aber  bod)  nidjtS  beftotoeniger  bie 
fjumanen  Ötedjte  ber  äöiffenfdjaft  gu  oollcr  Weitung  bringen.  $)iefe  humanen  i)ted)tc  ber 
^iffenferjaft  fdjließen  neben  bcr  ©elcfjrfamfeit  bie  flunft  unb  bic  SBcgcifterung  niebt  aus; 
Dielmebr  erfyält  erft  burd)  biefe  bie  äöiffenfifcaft,  unb  befonberS  bie  2Biffcnfd)aftbcr  ©e= 
fdiidjte,  bie  eS,  abgefeljen  oon  ber  Jöegrünbung  ber  Xrjatfad)eu  oon  Willem  mit  moraiifü>en 
3iiid)id)tcn  §u  tfwu  bat,  ihre  tvabre  äBcifte.  gern  fei  eS  tum  uns  ju  bebaupten,  baß  eS 
aud)  unter  ben  UnioerfttätSprofefforcn  ber  ©efd)id)te  an  £umaniftcnim  beften  Sinne  beS 
Portes  fcble;  unter  ben  fiebencen  jebodj  fd>eint  mir  feiner  ben  ljumaniftifdjen  gorberungen 
ber  ©cfcrjiditfdrreibung  in  böqerem  ©rabe  gercebt  getoorben  gu  fein  als  ber  )üerfaffcr  ber 
„©efd)id)tc  ber  Stabt  !iHom  im  Mittelalter,"  unb  in  biefem  Umftanbe  finben  aud)  bie  ©rünbc 
feines  oben  angebeuteten  (SrfolgeS,  toie  feines  Mißerfolges,  tgre  mefcntlid)e  (Srtlärung. 

ätfas  alle  rjiftorifcnen  Vierte  Don  ©rcgorooiuS  auSjcidmct,  ift  bie  fcltene  Sfcrbinbung 
bcS  ftorfdjungSeiferS  unb  ber  Ärittf  bcS  ©elebrtcn  mit  ber  SJJbantafte  unb  bcr  ©eftaltungS- 
fraft  beS  ftünftlcrS.  (SS  mar  SiMlbelm  oon  ftuntbolbt,  ber  in  feiner  beruqmten  Sw- 
banblung  über  bic  Aufgabe  bcS  ©cfd)id)tfd)reibcrS  biefem,  neben  aller,  anberen  cbarat= 
terifti|d)en  ISigenfdjaften,  bie bidjtcrifd)*  fünft  lerif  die  Einlage  als  mefentlidieS  Clement 
oinbicirte.  9?ad)  biefer  Seite  erinnerten  unfercS  ©regoroüiuS  biftorifdje  Seiftungen  au  bie= 
jenigen  SdjillcrS,  unb  unter  ben  Iftnmänbcn,  meldje  in  früheren  fahren  gegen  ifm  als  ©e= 
fd)id)tfd)rcibcr  erhoben  mürben,  fpicltc  oielletcbt  nid)t  ganj  mit  Unrecht  ber  (ftnmanb 
gegen  feinen  „bimterifcNebnerifchen  Stil"  eine  Hauptrolle.  9Hd)t  baß  biefer  3>ormurf 
ben  ftern  feiner  ^orfdiung  betroffen  fjättc;  aber  in  Jyolfle  ber  ©unft,  meldie  bic  große 
gebilbete  ^clt,  troö  bcr  abfpredjcnben  Sfritif  unb  trog  beS  oerbangnißbollcn  Schmeigens 
ber  ©cfd)id)tprofcfforeu,  feinen  Arbeiten  eutgegenbradite,  mar  cS  ibm  bcfdiicbeu,  in 
mehreren  Auflagen  feines  $?aur>tmerfeS  Silks,  ma*  man  etma  als  Uebermudienutg  ber 
reprobucirenben  SUhantafte  beaeidwen  tonnte,  auSsumerjcn  unb  jene  eblc  äüürbc  unb 
Sdiönbeit  bcS  liiüoiifdicn  Stils  31t  oollcr  ©eltung  311  brinqeu,  bie  ibm  uon  Slnfang  au 
ul<<  3i>cal  ootfd))oebten.  5lnbererfcit8  mar  cS  itjm  ebenfo  oergönnt,  bic  gefdiiditlicbcu 
Xl)ütfad)en,  baS  miffcnfdiaftlidic  3)latcrial  feines  großen  ©egenftanbcS  fortfdireitenb  311 
beriditigen  nnb  3U  üeroollftänbigcn,  fo  baß  jebe  neue  Sluflage  nid)t  ein  bloßer  äiMeber 
abbruef  ber  oorljergcljenben  mar,  foubern  in  3nl)alt  unb  fi-orrn  bic  immer  uollfommnere 
Xarftclluug  eines  ©egenftaube?,  ber  mofjl  faum  je  aufboren  mirb,  baS  tl)eilna{)mei>oUe 
ontcrefie  aller  benfeubeu  ÜJicufdjen  311  befebäftigen. 

^ie  jefct  erfebienene  w©cid)id)te  bcr  Stabt  SJtfjcn  im  iliittelalter"  ift,  rote  ©rcgoroüiuS 
fclbft  bemerft  unb  mic  aus  ber  inneren  (Soiben3  flar  genug  erfjellt,  ermadifen  auf 
bent  ©rnube  feiner  ©cfd)id)te  ber  Stabt  9iom  im  Mittelalter  unb  gleid)  biefer  ebenfo 
ein  ihkrf  ber  Siebe  mic  bcr  grünblidiftcn  unb  umfaffeubften  Stubien.  Xic  23e3iel)ungen 
beS  mittelalterlidien  SiomS  311m  griedüfdjen  Crient,  eine  lang  erfebnte  Steife  nad)  Silben 
unb  in  bie  Scüante  bilbeten  bie  unmittelbaren  Slnläffe  3«r  Unternefjmung  bicfc-5 
Kerfes,  bem  bcr  3>erfafier  bie  OrientirungSfdrriften  „xHtbenaiS"  unb  3tbcu  In  ben 
bunllen  3al)ibuubertcu"  ooranfdiicfte,  unb  baS  ihn  bann  nod)  uollc  fcd)S  3nftre  bcidiäftigtc. 
ÜL;äl)renb  bic  ©cfdiiditc  9lcmS  im  Mittelalter  adit  2?änbe  in  ?lnfprnd)  naf>m,  mufete 
Althen,  bie  neben  iHom  unb  (^onftautinopel  faft  perfchollene  Metropole  ber  griedufdien 
.sfunft  unb  ÜMlbunfl,  fid)  mit  jiuci  iyänben  begnügen;  nid)t  etma  mcil  bie  Siebe  ibrcS  Ohe« 
fdüd)tfd)rciberS  311  ihr  geringer  mar,  aber  megen  beS  tl)atfäd)lid)en  (EontraftcS  ihrer 
niiljercn  Öroße  3ur  ibrer  bamaligcu  ^erbnnflung  unb  »ergeffenbeit.  „^iemanb",  bf 
merft  ber  iL*erfaffer,  „tarnt  cS  meljr  als  id)  empfinben,  baß  mein  llutcrnebmcu,  bic  ©e= 
fdudite  bcr  crlauditcn  Stabt  in  jenen  beiben  (^pod)cn  barsuftellett,  ein  äußerft  gemagteS 
in.  SBemi  id)  bie  innere  Statur  xHtbcnS  mit  icuer  ^iontS  im  Mittelalter  oerglid),  fo  mußte 
id)  smeifclu,  ob  ein  fold)ev  ^erfud)  für  ben  ©efdiid)tfd)reiber  überbaupt  auSfübvbar, 
unb  rb  er  fo  große  Müljeu  loljueub  fei.   Xit  Stabt  iHom  blieb  immer  baS  ftaupt 


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— -  Bibliographie.   

beS  ÜHbenblanbeS.  Sie  flieg  burd)  Die  Mad)t  ber  töirdje  ju  einet  stochert  iWeltrjerr- 
fdjaft  auf.  SReue  SJafcinSformen,  gewaltige  Sd)öpfungcn  unD  ^Bewegungen  ber  Menfd)= 
jjeit  fmb  aus  iljr  entjprungen,  ober  tie  öaben  fict»  in  Diefer  ewigen  StaDt  abgefpiegelt. 
3br  fieben  im  Mittelalter  bietet  ben  bentbar  grofeartigften  Stoff  für  ein  t) .ftoiifdjeS 
tJpoS  bar,  welajeS  fid)  mit  ©efeemätjigfeit  um  brei  fcftftebenbe  ©ewalten  betoegt :  ben 
C<apft,  ben  ffaijcr,  ben  Senator  auf  bem  ©apttol.  Dagegen  tjat  fict>  bie  StaDt  %tr)en 
in  bemfclben  3ctiaiter  nidit  mebr  ju  neuer  gefd)id)tlid)er  ©röfoe  aufgefdiwungen.  Sie 
mar  feine  wirlcnDe  >traft  mebr  in  Dem  ^locerj  ber  meftlidjcn  unD  ber  öfhicbeu  ßultur. 
Htt  öriccrjifdje  SJkoDingialftaDt  oerlor  fte  fid)  fogar  geitweifc  au«  bem  löewtiBtfetn  Oer 
äfcelt.  9tod)t  bedt  irjrc  3uftänDe  wätjrenD  ber  3al)rt)unbcrtc,  mo  iijre  ©ejd)td)tc  nur 
einen  faum  beachteten  iörudjtbcil  unD  jmar  beS  bögjntinifd)en  WeidjcS  gebilbet  bat,  cineS 
SteidjeS,  beffen  ©cfdndjte  nod)  beute  ju  ben  am  menigften  burd)torfd)ten  (Gebieten  ge- 
bort. Unter  ber  §crrfd)att  Der  ftranlcn  meiert  gwar  bas  Tuntel  oon  Stiften;  allein 
aud)  ba  betoegt  fid)  fein  gefd)id)tlidieS  üDafein  nur  in  (leinen,  für  Das  ätteltganjc  menig 
bebeutenben  Süerljälttüffcn.  55ie  eigene  äisefenfteit  SltftenS  unD  ©riecfteiilanbS  in  Den 
mittleren  3eitcn  fdjlic&t  bemnad)  oon  ber  2öetrad)tuug  beS  ©cfd)id)t|d)reibers  bie  großen 
Probleme  ber  Menfdjbeit  unb  ben  ütfeltbegug  aud.  Ütfcnn  fic  nun,  ftatt  it»n  gu  boften 
2lnfdxuuiugen  gu  erbeben,  feine  Sdnoinge  nieDert)ält  unb  il)ii  ber  ©efaftr  atiSjeet,  gum 
Äleittmalcr  in  Mofaif,  gum  Sammler  fiagmcntaritd)cr  ftunben  gu  Wersen,  um  fid)  fdjließ* 
Ud)  in  jenem  Sttirrfal  bpnafttfdier  ©enealogicen  unD  gcrjplittertcr  »leiuftaaten  gu  Der* 
licren,  meld)e8  gang  JpcllaS  im  Mittelalter  gu  einem  gWeiteu  JL'abprintfte  oon  St reta  madjt, 
fo  erfdtwert  iftm  tjicr  bie  ÜRatur  Der  binmiiebeu  Ouellen,  bort  it)r  Mangel  t'ogar  bie 
(Srgri'tnbimg  ber  Xbatfadjen  unb  beren  ^erfnüpfung  gu  einem  lebcnSuouen  ©angen. 
$odi  toie  mir  felbft,  als  id)  cd  jdjricb,  wirb  aud)  Dem  L'efer  bie  Wiebc  gu  Otiten  über 
manche  £ücfen,  Xrümmer  unb  Sdrottbaufen,  unb  über  mand)e  öbe  Legion  in  ber 
©cfdndite  Der  ebelften  aller  Stäöte  Der  Menfd)beit  binubcrbelfeu.*' 

<SS  bebarf  faum  einer  beionberen  (Erinnerung,  batj  bem  SUcrfaffcr  ber  ©cfcfticfttc 
21t()en«  im  Mittelalter  bie  oieljätnige  terfabrung  beS  SOetiafiers  Der  ©efeftiebte  Der  StaDt 
ftom  im  Mittelalter  gu  ©ebote  ftanö.  las  9iejnltat  ift  ein  ungemöljnlid)  reidjtS,  gro&* 
artiges  Serf  ber  ©efd)id)tfdireibimg,  in  Sbegug  aui  Den  3nftalt  mic  auf  bie  Sonn. 
3n  oicr  SBüdjem  bcbanbelt  ©regorooiuS  bie  ©efdiidjte  SUbenS:  guetft  ben  Uebtrgang 
aus  ber  römifdien  in  bie  böganttuifdie  ftcrrfdiaft,  aus  bem  Jgeibenttutm  iu'S  (Sbrtftens 
tbum;  bann  feine  SJertoauDlung  in  ein  frdntifcbei  ^ergogtlmm,  nad)  bem  Jallc  be8 
boüanttnifdien  5Heid)ö  Durd)  ben  Slnftmm  ber  latcinijd)cn  Sfrcusfabrer  im  3abre  1204; 
uno  baS  gefd)id)tli(be^eben  bicfc3£>cr$og3ibumc* unter  fraiiüöfijdieu,  foaui)d)en,  italicnifd)en 
.Verne*,  cn  :  enb(id)  feine  (Eroberung  Durd)  Die  Xürten,  bie  Der  (Eroberung  ftouftantinopelä 
3abre  1453  rafd)  nachfolgte.  2it8  (^oilog  fd)liefet  er  an  biefe  oon  ben  aufeerorbcntlidjften 
(Sontrafteu  belebten  lireiguiffe  Die  Saiftellung  Der  lEMenaiffance,  lex  bumaniftifdjen  iBe* 
mübungen,  befonDerft  Der  ^ranjoien  unD  Dei  (higlätiber,  um  bie  2lrd]äologie  iltben» 
im  17.  unb  18.  3abrbunDert  unD  Die  Erneuerung  Der  tounberbaren  StaDt  als  ^aupt= 
ftabt  DeS  ftonigreid.S  ©rtedtci  lai^S  in  unferen  Xagen,  woran  naturgematj  SBctraduungeu 
über  Die  grofjen  Probleme  ber  3l'funft  SfüiiftantinopelS,  ber  fortfd)reitenbcn  Umgeftaltnng 
DcS  türfifdien  JHeidiS  unD  btr  VtuÄfiditen  ber  gr;cd)ijd)eu  Nation  ftd)  fnüpfett. 

3nneTbalb  ber  uns  gefegten  ©renken  beS  SiaumeS  ift  eS  unmögltd),  nä^er  auf  ben  3n= 
fammenbang  bttfer  »^üUe  oon  begeben Dciten  einzugeben.  Xod)  fönnen  mir  nidit  umbin,  an 
baS  gan^  befoubere  3ntereffe  gu  erinnern,  roeldicS  Die  ©efd)id)tc  unb  bie  2luöiid)ten  »'ItbenS 
im  .viublict  auf  bie  nabe  beoorftehenbe  i^erbinbung  beS  bcntfdien  JfaiierbaufeS  mit 
Dem  griedjifdKU  tfönigSbauie  gegemuärtig  für  unfer  üyaterlanb  gewonnen  baben. 

3um  Scblufe  fei  uns  geftattet,  auS  Den  Urtbeilen  DeS  üerfafferS  über  bie  orientaliidic 
Srrage,  fofern  Diefc  2ttl)cn  unD  Die  3ufuuft  DeS  5ebniguid)S  Der  Hellenen  betrifft, 
hier  eine  SteOe  an;mfüt)reu.  wxBic  9icm",  bemerft  er,  „in  ber  ©egentoait  als  Die 
oaterlänbifdic  ^auptftabt  Der  Italiener  baS  3uriidtt'cidicn  Der  grofeen  fcSmopolitifdien 
3!>een  oor  ben  nat  onalen  begeidmet.  fo  ift  aud)  bie  StaDt  Milien  als  Das  £>aupt  unD  Die 
Seele  DeS  eigentlidien  L'anDcS  Der  .ftcOencn.  3br  Sdiirffal  bat  biefe  natürliche  yöiung 
gefituben,  wäbrenD  Dasjenige  JfonftantinrpclS  ncdi  nngelcft  ift.  3n  Der  bt)3antiiüfdicu  3cit, 
felbft  nod)  unter  Der  i»errfdiaft  Der  Sultane,  pulfirte  DaS  2ebeu  Der  grotjen  gricdufdien 
Emilie  Wefentlid)  in  ben  Slbcrn  Der  il<eltftabt  ÄcnftantinS.  3ctjt  ift  Dableibe  oon 
Dort  binweggcftromt,  um  ft*  wefentlid)  in  Gliben  gu  fammeln,  Dem  alten  leaüimen  ©c« 
fätj  ber  griedifdien  Gultttr.   Xic  StaDt  Der  ^aUaS  unb  Der  Milieu  wirD  DtcS  wrftl 

9torö  unb  Süb  LI,  151.  10 


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Zlorb  unb  5üb. 


«raunte  ^ett  bleiben,  unb  in  bem  üNafee  oft  Reilos  mieber  gu  neuer  Sfraft  gelaugt,  mirb 
fic  eine  immer  reifere  (Smtroicfcluug  haben.  Allein  cS  brotjt  ihr  nochmals  eine  ©cfaljr 
pou  Zugang  her,  beseitigen  Stabt,  bic  fid)  nicht  in  nationale  Srfjranfcn  Dcrroeifcn  läßt. 
Der  am  £>origont  ber  ßkfdudltc  neu  auffteigenbe  (Stern  SltbcnS  fanu  roteberum  burdj 
ftonftantinopel  Perbunfelt  roerben,  menn  nad)  bem  lUbguge  ber  OSmanen  oem  Bosporus 
baS  griedrifche  ftreug  auf  ber  ftagia  Sophia  mieber  erfdjeint  unb  ein  neue«  fjeUcniüU 
fdjcS  (Sulturreich  mit  bem  ilJJittclpuuft  iöpgaug  entfielt,  roelcbcr  bann  bie  ßebenSgciftcr 
tfkiechenlanbs  mit  magnetifcher  3ugfraft  an  fid)  giebeu  mürbe.  So  giebt  eS  beute  feine 
ftrage,  bie  mehr  aufregt,  als  biefc  nach  ber  Sufunft  ftonftantinopels,  ber  gcgcnto&rtig 
gebeimniBooUften  unb  mid)tigften  aller  Stäbtc  ber  (Srbe,  Pon  bereu  bämonifa)cm  ftatum 
nicht  nur  ba§  Sdjicffal  3ttr>cnS  unb  ©ried)cnlanbs,  fonberu  Pielleidjt  bie  fünftige  @e* 
ftaltung  gmeier  2Belttbeilc  abhängig  ift!" 

fionbon.  F.  Althau*. 


ZTTufiFalifc^e  Citeratur. 


9ieuefte<»  unb  »oUftäubigfite*  Zon* 
tüiifüer»  unb  Cpmi^Jcrif oit,  her- 
ausgegeben  Pon  ©.  ftaftner.  I.  93änb* 
djen.  iöerlin,  »rachoogcl  &  &tanft. 
DaS  oorliegenbc  8äubd)en  umfafjt  ben 
iyud)ftaben  i'l  unb  enthalt  in  gebrängter 
ft i'irge  bie  babtn  gehörigen  ca.  1400  Warnen 
Don  (Somponiften,   SMrtuofen,  Sängern, 
Mufiffchriftftellcrn  unb  Dirigenten  mit 
Eingabe  ber  (^eburt^  unb  Sterbebaten, 
Sluttäbtuug  aller  größeren  iWerfe  unb 
SRamfoaftmacbung  ber  gefatmnten  muftfa 
Iifcben  Literatur.  DaS  beigegebene  Wcgiftcr 
über  bie  in  bem  ftefte  ermähnten  mufifa= 
lifdjcn  Sikrfe  (12%)  halten  mir  für  nicht 
ganj  prattifd);  ein  Öeueralregiftcr  am  (Snbc 
bes  ShtdjcS  mürbe  bic  Ueberficht  über  ben 
ungeheuren  Stoff  mehr  crleidjtcrn.  oh. 

stimmen  »ttb  länger  ober  «ettaefts 
tungen  über  bie  Stimme  unb  ben  ®e= 
fang  oon  £>.  $anoffa.  9cad)  beut 
3talienifd)cn  frei  bearbeitet  oon  (Sbuarb 
n  g  c  l.  ^nntburg,  SBerlagSanftalt  (3. 3r. 
dichter). 

iöerufsfänger  mie  Dilettanten  merben 
ill  bem  populär  gefdiriebeuen  Söüdjelcheu 
maudje  Anregung,  manchen  bcrjergigenS* 
mertheu  ftiugergeig  finben.   Der  miffen* 


fd)aftlid)  (jebilbcte  NJKufifer  mirb  freilich 
hin  unb  mteber  ben  2lnfchauungeu  bcS  iBcr^ 
fafferS  nicht  beipflichten  fönneu.  2ikiS 
i^anoffa  im  erfreu  (Sapitel  über  ben  ök= 
brauch  ber  Solmifation  bemerft,  mirb 
jeher  oorurtbeilSfreie  ®efanglchrcr  mit 
gutem  (Bemiffcn  uuterfdjreiben  fönneu. 
lUnbercS  hingegen,  mie  3.  bic  8tt& 
laffuugen  über  bic  Slfunft  ber  2ltr)menein* 
theiluug  mirb  man  nicht  unbeanftanbet 
paffiren  laffen  fönneu.  oh. 


Scsirots  öer  ttiufifadfdjcn 
niecn.  "Mi  ftülfSbuch  ber  pfaftifajen 
unb  theoretischen  ©rammatif  für  ben 
Unterricht  unb  baS  Selbftftnbium  oon 
Submig  »ußler.  Berlin,  Garl 
üabel  (fl.  ©.  ^übcrtfe). 

2Ber  fid)  über  bic  mannigfaltigen  Sor- 
fommniffe  auf  bem  meiteu  Öebietc  ber 
Harmonie  leicht  unb  ficher  orientiren  will, 
bem  mirb  baä  »uBler'fchc  Üerifon  ein 
fidjercr  unb  juberläffiger  iHathgebcr  uno 
Jyütjrer  fein.  öS  umfaßt  alle  bentbareu 
9lccorberfcheinuugen  oon  ben  älteftett  S^tt 
bis  gu  Wagner;  um  cS  richtig  unb  mit 
Sfufcen  gebrauchen  ju  fönnen,  bebarf  es 
allerbingS  einer  gemiffen  Summe  ntttftfa* 
lifcher  iöorfcnntniffe.  eb. 


Tintidu-  tS-urht'lopäbic.    (Sin  ueueS 
Uuiocrfallcricou  für  alle  Gebiete  bcS 
^tl'i'enS  mit  jahlreid)en  %ilbbilbungen 
unb  Specialfartcn  im  Xert.   1.  unb  2. 
23aub.  Berlin,  SB  i  c  g  a  n  b  t  u.  (3  r  i  e  b  c  n. 
Diefe  groß  angelegte,  in  ber  31.  )d\t- 
fcruug  bis  gum  beginn  bcS  $ud)ftabeus 
C.  geführte  (Sttchflopäbic  faun  nach  ihrem 


miffcnfdjaftlidjeu  Stanbpunftc  unter  ben 
Steffen  ähnlicher  2lrt  eine  beoorgugte 
Stellung  beaufprucheu.  Di^  —  burdnocg 
genannten  —  Mitarbeiter  finb  faft  fämmt^ 
lieh  auf  ihrem  ©ebietc  heroorragenbe  i^ach= 
männcr.  Da*  ^rineip  ber  Qucacnangabe 
ift  mit  größter  (Soufegueiig  Durchgeführt, 
unb  Die  bibltograprufchcu  Daten  gctdjnen 


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  Sibitograpt 

lief)  burd)  große  (Menauigfeit,  aRanigfaltig- 
feit  uiib  3uDerläffigtcit  au».  $ie  (Stu* 
mologic  ber  einzelnen  Stidnoorte  ift  folge: 
riditig  unb  eingebenb  berücfiidtfigt;  fein 
aubereä  t&txl  bat  eine  größere  $eid)bal= 
tigfeit  aufämoeifen,  and)  in  Bejug  auf 
Biographien  bebeuteuber  Männer.  3)ie 
Haltung  ift  toürbig,  ftreng,  fachlich  unb  — 
trog  beftimmter  fcßahrung  ber  gemüßigt 
conjeroatiuen  Xenbenj  —  immer  gerecht;  ber 
foracblicbe  Au8brucf  burdnoeg  forgfälttg 
unb  rein.  9?ad)  bem  angefünbiateu  ^lanc 
ift  ba3  ganje  äöert  auf  100  Sieferungcn 
(ju  60  Pf.)  beregnet.  K. 

Wuftrrfiättcn  pcrföitlidjer  $ör- 
farae  Don  Arbeitgebern  für  ihre  ©c» 
fd)äft«angel)örigcn.  Bon  Dr.  3uliu8 
Boft,  Sßrofeffor  an  ber  technischen  £>od)» 
fdnüe  su  fconnooer.  33b.  1.  i'iit  44  Ab» 
bilbungen.  Berlin,  dl.  Oppenheim. 

Seit  .Vfarl  l'ia  t  r  unb  Sriebrid)  (Ingeln 
gum  erften  2Jiale  bie  elenben  3uftänbe  oer 
arbeiteuben  klaffen  an's  £id)t  sogen,  t)at 
ftd)  bie  fociale  ftorfebung  unb  3)arfteUung 
mit  Vorliebe  ben  9taajtfeiten  ber  focialcn 
Bcrbältniffe  jugemanbt  unb  fid)  mehr 
ober  minber  in  Ausmalung  ber  aus  ber 
moberneu  fapitaliftiieben  $roouction8roeife 
entfprungenen  2J<i&ftänbe  gefallen.  3n 
erfreulid)em  ©egenfafc  ju  ben  Schriften 
biefer  Art,  toelcbe  in  bem  ßefer  haupt* 
fädjlid)  Empörung  ober  2J1  i tleib  unb  ba§  be- 
fiemmenbe  Öcfühl  ber  Ohnmacht  bes  luobl» 
roollenben  ISinjelncn  gegenüber  ber  über» 
mächtig  jwingenben  öcmalt  allgemein 
mirlenber  rotrtbfdxiftlicber  3)läd)te  beroor» 
rufen,  bat  ba$  obenbeaciebnetc  Buch  fid) 
einen  fpinpatbifdieren  Öegenftanb  ertoäfjlt, 
nämlid)  bie  Scbilbcrung  barmonifdicr 
Begebungen  jtoifdwn  Arbeiter  unb  Arbeit* 
geber,  mic  fte  glücflidjerroeife  benn  bod) 
nodj  Dtelfacf)  fid)  erhalten  baben  ober  neu 
begrünbet  roorben  fmb.  9Jcan  meiß  im 
Allgemeinen  äufcerft  menig  oou  btefeit  gcr» 
ftreuten  Oafen  focialen  3frieben8,  melcbe 
meift  im  Verborgenen  blühen.  Sbcnfo 
mübeüoll  mie  banfenStoertb  erfebeint  baber 
bie  Arbeit  beS  Berfafferä,  ber  auf  feinen, 
großenteils  mit  Unterftüfcung  be8  verrn 
(Sultudminifter  o.  ®of$ Icr  unternommenen 
Stubienrciien  burd)  bie  inbuftriellc  Üßelt 
reiche«  Material  über  ^Wohlfahrtspflege 
jufammengetragen  bat  unb  nunmehr  au» 
nädn't  einen  £f)cil  berfelbcu,  nämlid)  bie 
für  Sfinber  unb  jugenblicpe  Arbeiter  be» 
ftebeuben  (finridjtungen  in  einem  ftatt» 
lidien  Banbc  Peröffentlidjt.  $>erfelbe  ent» 
hält  eine  große  Anjatjl  eingebenber  Be= 


dje  Hottjen.   

fd)reibungcn,  bie  -mm  £beil  oon  ben 
Inhabern  unb  Leitern  ber  betreffenben 
ftabrifen  felbft  herrühren,  mobl  Durduoeg 
auf  3uDerläffigfeit,  Bollftänbigfcit  unb 
Unparteilichkeit  Anfprueb  erbeben  unb 
Dielfad)  burd)  3H"ftrationen  eine  anfdjau» 
liebe  (Srgänjuug  finben.  l£r  bringt  Bei* 
fpiele  ber  gürforge  für  Säuglinge  unb 
äBödmcrinnen,  Sdnlberungen  Dontfinber» 
gärten,  Scinbcrbeimen,  tJabriifcbuleu,  Orabrtf» 
berbergen,  iißaifenbäufern;  er  bcbanöelt  bie 
Dcrfcbicbenen  formen  bed  §anbfcrtigfeits= 
unb  ^au8mirtbfdjaft8  =  Unterrid)t8,  bie 
&brtinQäoerl)ältniffe,  bad  Sparfaff  cnioefen, 
bie  geiftige  AuSbilbuug,  bie  Bibliotbefen, 
bie  pflege  ber  fictbeSübungen,  ber  3Wufif, 
beä  ®efange8,  bie  Beranftaltungen  für 
Spiel  unb  ($rf)olung  u.  f.  m.  Ueberau 
wirb  auf  bie  concrete  AuSgeftaltung  aUer 
mcfentlicben  2)etailpunfte  in  mir.utiöfefter 
äi^eifc  eingegangen.  Statuten,  Baupläne, 
Sdntlpläne,  ^abriforbnungen,  Üebroer- 
träge,  ganje  BüdKroeräeiajniffc.  fogar  geft= 
fpiele  u.  bergl.  toerben  abgebruett.  3?ie 
Sroftenfragc  fmbet  überall  gebüljrenbc  Be» 
rüaTtditiguug.  Borangefcbidt  ift  bem 
eigenttidieu  ^auptftütf  be8  Serfcä  eine 
(Sinfübnmg  in  ftoxm  Don  Briefen  beö 
BerfafferS  an  einen  Arbeitgeber,  morin 
jener  gleid)fam  einen  orieutireuben  lieber* 
blicf  über  bie  fpäter  im  ©ingeinen  bar» 
geftellten  patriarcbalifaVn  3uftänbc  giebt 
unb  bie  für  bie  allgemeine  Beurteilung 
berfelben  mefeutlidVn  (BefitfttSpunfte  an» 
beutung&meife  3ur  Soradjc  bringt. 

2Bir  münfeben  bem  eigenartigen  Bua>, 
namentlich  in  ben  Äreifen  ber  Arbeitgeber, 
meite  Berbrcitung  unb  loirffamen  Erfolg. 
9?idit  al*  ob  ftd)  bie  gefdjilberten  dufter» 
einrichtungen  überall  ohne  2Beitere&  copireu 
unb  übertragen  liefeen!  ^ajm  mill  auch 
ber  Berfaffcr  mofjl  felbft  faum  anregen. 
3toerf  ber  fieftürc  fann  Diclmebr  nur  fein, 
ben  ßefer  mit  bem  (Seift  fclbftlofcn  fflJofjl» 
ujodenS  unb  wahrer  Humanität  ju  er» 
füllen,  mcldier  allein  im  Staube  ift,  bie 
lxintrad)t  jmifchen  Arbeiter  unb  Arbeit* 
geber  ju  gcmährleiften  unb  bie  ©cfahren 
2U  bannen,  meld)c  aus  bem  Dcrhängnife» 
Dollen  ©cgenfafce  biefer  beiben  klaffen  für 
Staat  unb  ö*efeHfd)aft  ju  entfpringen 
bvohen.  Dr.  H. 

ftcfammelte  9»crfe  Don  Altrcb  @rnf 
Abelmann.  Banb  1.  Biographie  unb 
gefammelte  Auffäftc.  Stuttgart,  35eutfd)e 
Bertagäauftalt. 

©raf  Abelmann,  Spröfeling  eines 
alten  taiholifcheu  Abel8gefd)led)t8,  hat  ftd) 

10* 


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Hör*  nnb  Sfib. 


in  bcm  furgcn  ßeben,  baS  itjm  äugemeffen 
mar  (er  ftarb  im  39.  2ebenSjal)rc!),  alS 
SöcUetrift  unb  ^olitifer  mit  ©lud  fd)rift= 
ftelleriid)  öcrfud)t.  DaS  elegant  au^ge« 
ßattete  unb  mit  bem  Porträt  beS  l'lutorS 
öerfebene  crfte  löänbchen  fetner  gcfammeltcn 
ÜBerte  enthält  eine  steine  fcbou  früher  gc* 
brucfter  (£ffar>8,  barunter  „£ie  moberne 
3agb  nach  bcm  ©lüde",  „Streiflichter  auf 
©efeUfdjaft,  Parlament  unt>  Literatur"; 
ferner  „ftrei  Pon  SKom!  2Jianifcft  eines 
bcutfdjen  ftatfjolifen",  ein  energifeber  Sßroteft 
gegen  ben  UltramontaniSmuS,  fonrie  „Der 
eble  Liberalismus  unb  fein  gefäb,rlid)ftcr 
©egner",  ein  fcfjarfer  Eingriff  auf  bie 
SortfcbrtttSpartei.  Dicfc  2luffä&e  ber-- 
ratt)cn  marmeS  patriottfdieS  ©cfübl,  bod) 
tonn  ihnen  ber  i*ommrf  ber  Dbcrfläa> 
lidifeit  nidit  erfpart  »erben.  3"  allen 
f)errfd)t  bie  PolItÖncnbe  ^brafe;  Weites, 
DieieS,  iöebcutenbeS  fudjt  man  oergebenS. 
dine  üorangefebiefte  biograpbifebe  Sfiä$e 
giebt  ein  2MIt>  oon  ber  tbcal  angelegten 
unb  IiebenSnnirbigen  SPertöultcbfeit  beS 
©raten.  ph. 

3cit  unb  9Renf$en.  XagebudiaufjeiäV 
ttungen  aus  ben  Saften  1863—1884. 
Hon  fteobor  2Beb,l.  örftcr  ibanb. 
Altona,  21.  (5.  91  e ber. 
9iad)  bem  ©oetb/feben  Siecepte :  „2Scr 
SHideS  bringt,  mirb  Manchem  (StmaS 
bringen"  bat  ber^erfafferlagebucbnotijen, 
Slnefboten,  Stcfrologe,  Briefe,  Leitung«* 
artifel,  NpboriSmen  u.  bergt,  gu  einem 
bunten  Stmmelfammelfurium  burd)  cin= 
anber  gemengt,  baS  jur  Ä enntnife  ber  ge* 
febilberten  3eiten  immerbin  ein  Sd)erflein 
beitragen  mag.  Die  ermähnten  qtarfonen 
geboren  meift  ber  Dbcatenoelt  ober  Schrift^ 
fteüertreifen  an,  unb  mancher  ebarafterifttfebe 
3ug  wirb  uns  in  äüeljr«  2luf Rainungen 
erbalten,  ber  ibr  93ilb  ergänzt  unb  ab= 
rnnbet  ober  audi  toobl  in  gang  neuem 
8td)te  erfebeinen  läfet.  So  bietet  baS  Sud) 
nidit  allein  eine  angenebmc  UnterbaltnngS* 
lef türc,  fonbern  eS  fann  aud)  einen  gemiffen 
litcrarbiftorifdjen  SUkrtb,  in  Slnfprudj 
nebmen.  pb. 

3diaii itui  L   nun  5  f>eatei  U»efew  ber 
Wricdji'u  unb  Wömer.    Bon  Dr. 

SUdiarb  Dpi*.   Mit  3lluftrationeu. 
2etp3ig,  Bcrlag  beS  litcrarifdien  3abreS= 
beridjts  (Arthur  Seemann). 
DicieS  fünfte  Bänbcben  ber  „GuftttP 
bilöer  aus  bem  claffifctjen  Mterthume"  be* 
banbclt  ein  äu&erft  intereffanteS,  aber  in 
Pielen  fünften  nod)  uiebt  Pöllig  autge- 
hcllte*  Stücf  antifen  ScbenS.   Der  Her» 


faffer  hat  nicht  nur  bie  fefrftebenben  dtt- 
fultate  ber  älteren  Qforfdjungcn  überfid)t= 
lieb  sufammengefteüt,  fonbern  aueb  ju  ben 
nod)  jdnoebenben  fragen  reichliches  Ma 
terial  mit  anerfcnnenStocrtbcr  Objecttoität 
mitgctbeilt.  Die  Darfteltung  beS  febr  um» 
tangreteben  Stoffes,  ber  burd)  gahlreicfje 
gute  2lbbilbungen  erläutert  ift,  bleibt  über= 
all  flar  unb  burdifiduig,  bie  Sprache  ift 
frtfd)  unb  lebendig  gcbalten.  ^amentlkb 
gilt  bieS  aud)  »on  bem  legten  Kapitel,  in 
melcbcm  ber  SJerfaffer,  über  bas  engere 
©ebict  ber  fogenannten  „SUtert&ümer* 
btnau*gebenb,  bie  Dbeorie  be8  XrainaB 
im  2lltertbum  befpridit.  Da«  »udj  ift 
ebenfo  gu  empfeblen,  lnie  bie  früb^r  er= 
febienetten  2*änr>d)en  ber  Sammlung,  mldK 
1.  ben  £>anbel  unb  Hcrfebr,  2.  bie  Spiele, 
3.  bie  religiöfcn  ©ebräud)e,  4.  ba8  Ärieg«' 
tuefen  ber  alten  ßulturPÖlfcr  bebanbelten. 

P- 

Sie  2rad)t  ber  ftulttirbdlter  &nro* 
ba$.  Son  K.  P.  öepben.  (ftunftge* 
tocrblidie  ^anbbüdxr.  »b.  IV.)  üeip* 
jig,  Seemann. 
Der  SJcrfaffcr,  »eldjer  ätigleidi  mit 
Orcber  unb3etd)enftift  an  ber  (£ntftebung 
JöudieS  beteiligt  mar,  giebt  auf  25h  Seiten 
mit  222  Nbb.lbungen  eine  flare  unb  tnappe 
Ucbcrfidjt  ber  it<anblungcn  in  Xrad)t  unb 
9JJobe  üon  ftomerS  &ittn  an  bi*  girrn  23e» 
ginne  beö  19.  Oaljrbunbcrtä.  3m  erjien 
Gapitet  bf febäftigt  er  fid)  bauptfäd)lid)  mit 
ber  gricebifdieu  unb  römifdjen  Jrleibung, 
tnöbreub  bie  ägpptifdjc,  afiprifd)e  unb  etru8= 
ftfd)e  nur  geftreift  merben.  Da8  gmeite 
(Sapitel  bebanbclt  ba8  Mittelalter.  3«= 
nädtft  toirö  bie  bpgantinifebe  ftleibung  ge- 
fd)i^ert,  bann  bie  ber  ^ölferwanbcrungS* 
geit  bis  su  ben  Karolingern.  S?llöbann 
folgt  bie  Betrachtung  ber  Gofrüme  mäbrenb 
ber  ffreujäügc,  ba8  bunte  pbantaftifdie  @e= 
mifd)  ber  .ftleiberformen  im  14.  unb  15. 
3abrl)unbert;  bicfclben  werben  bis  jur 
.<C>errfdiaft  ber  frangönfd) « burgunbifdien 
3?lobc  in  sBort  unb  iöilb  Porgcfiibrt.  9Jad»= 
bcm  ber  Ülutor  in  einem  befonberen  %b= 
febnitt  ein  Btlö  ber  friegerifeben  tbtttfifhmg 
bcS  Mittelalters  entroUt  bat,  gebt  er  im 
Gbaraftcriiirung  ber  9feugcit  über,  toeldje 
er  in  fcdiS  2lbfd)nitten  crlcbigt:  baS  16. 
3abrbunbert,  bie  crfte  ^älfte  t>cS  17.  ^abx- 
bunbcrtS,  bie  äweite  feältte  bcS  17.  unb 
baS  18.  Sabrljunbert,  bie  Steöolution,  bie 
Söenwffnuiig  ber  Slcujcit,  bie  Xrad)t  ber 
Sdjotten  unb  3rcn.  ©in  »nbang  i  ber 
ben  geiftlidicn  unb  Pxttßtfjen  Ornat  bilbrt 
ben  Sd)lufe.   DaS  iWcr!  bringt  auch  bem 


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Sibliograplpfdje  Xiotijen.   


tfccbmann  mand>e3  ÜReue  unb  weicht  auf 
©runb  neuerer  ^yorfctjunaen  Dieifad)  dou 
ben  üblichen  2)arftcllungen  bcr  groBeit 
Eoftümwcrfe  ab.  Es  barf  feiner  über* 
ftd)ttid)eu  ©eftaltung  unb  Maren  $arfteU 
lung  rocgen  willfommcn  geheißen  werben. 

P- 

»eue  literarifebe  ©otföbefte.  Berlin, 
Wicharb  Ecfftein  «Nachfolger. 

2lcbniid)  wie  einft  Seffing  in  feinen 
Sitcraturbriefen  bat  Sicrfaffer  bie  ftoxm 
eines  #ricfwcd)felS  gewählt  um  bie  neueften 
literarifcben  Erfcbeinungett  ju  beipreeben; 
unb  smar  ift  eS  ein  iriDaliber  Offijier  in 
Berlin,  bcr  feine  ©ebanfen  mit  einem 
beutfdxn  aJtorineofftjier  in  Oftafrifa  aus* 
taujefir.  Wenn  aud)  naturgemäß  manches 
allgemein  JÖefannte  Dorfommt,  fo  tft  bod) 
bei  Stanbpunft  neu  unö  intcreffant;  aud) 
wirb  mau  Dielen  Urtbetlen,  5.  üb.  bem 
über  üJÜbenbrucbS  „QuißomS",  juftimmen 
lönnen.  WaS  in  ber  ilnfünbigung  ber* 
fproeben  ift,  eine  Dornebme,  Döllig  unDar- 
teiifdje  Haltung,  ift  iu  ben  erften  heften 
erfüllt,  namentlid)  aud)  in  bem  britten, 
meubeS  bie  franaöfifeben,  uorbifch-n  unb 
beutfcöat  Siebter  Der  ©egenwart  nad)  ihrer 
(Stellung  jum  gefellfcbaftlia)en  Sehen  bc* 
trad)tet.  rj. 

^aljrt-  Halfan.  Erinnerungen 
eine«  preiißifchen  Offiziere«  au»  ben 
Sauren  1876—87.  Breslau,  3-U.  Stern. 

3e  auf  merf  famer  bie  gange  ÜBett  bie 
Vorgänge  auf  ber  Balfanbalbinfel  oerfolgt, 
je  näher  für  und  bie  ©eiabr  liegt,  baß 
Unruhen,  welche  bort  auSbredjen,  uns  einen 
ttrieg  mit  iHußlanb  bringen,  um  fo  wertb- 
Doller  muffen  bie  Ülufgeidjuungen  eineS 
ÜIRaitneS  fein,  ber  elf  ber  ereignißreichften 
3abre  nicht  als  3ufchauer,  fonDern  in 
tbätiger  Ibeilnahme  bort  jugebrad)t  r)at. 
187G  Offizier  im  ferbifd>en  §cerc,  im 
folgcnben  3abre  bei  ben  dürfen,  bann 
ü?lbiutant  beim  Statthalter  DonOftrumelien, 
enblid)  im  $ienfte  beS  ftürften  Don  Bulgarien, 
bat  ber  Berfaffcr  bod)  fein  bcutfcbeS  £>crs 
bewahrt  unb  betrachtet  bie  Ereigniffe  aud) 
nad)  ifjrcr  Bebeutung  für  unfer  Bater* 
lanb.  $aS  Buch  ift  feffelub  gefd)riebeu, 
unb  mand>e  $inge,  namentlich,  baS  2luf= 
treten  ber  rufüfdjen  Offiziere  unb  ba$ 
Sehen  bcr  9täubcr  im  JKbobopegebirge, 
famen  uns  fo  romanhaft  oor,  baß  mir  fie 
nicht  glauben  mürben,  menn  uns  ber  93er* 
faffer  nicht  mieberbolt  Derficherte,  baß  er 
nur  erzähle,  was  er  felbft  erlebt  bat. 
iPcilitärifd)  gebilbetc  Sefer  werben  aud)  an 


ben  <Sd)lad)tenfd)ilberungcn,  bie  ben  S8e= 
rufSfolbaten  oerrathen,  ihre  Sfrcubc  fiitbeu. 

rj- 

Zcv    IHcjaPfuHi-    Der  ^imltouiUa. 

Sieber  aus  bem  2>imboDiöatbal,  aus 
bem  BoifSmunb  gefammelt  oon  Helene 
BacarcSco;  in'S  Eeutfcbc  übertragen 
oon  Earmen  Sqloa.  Bonn,  Emil 
Strauß. 

Helene  BacareSco  bat  biefe  Sieber 
auf  ben  Däterlid)en  ©ütern  gefammelt,  aus 
bem  sJJiunöe  ber  Bäuerinnen,  in  Spinn* 
ftuben,  bei  ber  Ernte,  bei  ben  lobten, 
an  ben  biegen,  Don  3ißeuuern  unb  Wahr* 
fagern.  $urd)bieUebertragung  in'S  Deuticbe 
ftnö  fie  ber  Weltliteratur  jugembrt  worbeu, 
toofür  mir  Sannen  Sqloa  311  großem  5)anfc 
Derpflicbtct  finb.  freilich  tbeilen  mir  bie 
Slnficbt  ber  fönigl.djen  Dichterin  nicht,  baß 
baS  Saienpublifum  benfclbeu  großen  ©e* 
fdjmacf  abgeminneu  bürfte;  ber  Schwerpunft 
ber  Bcöeutung  biefer  Bolfslieber  ift  unferes 
Erad)tenS  Dtelmel)r  ein  miffenfehaftlid)  lite* 
rarifdier,  ba  fie  einen  Beitrag  bieten  jur 
Seenntuife  beS  33o[tsd)aratterS  eines  uns 
noch  menig  befannten  ^olfSftammeS. 

Tu-  Sieber  finb  faft  alle  reimlos, 
ihre  ©runbftimmuug  ift  fd)mermütl)ig  unb 
büftcr.  (Sie  gehören  einem  Jöoife  an, 
toeldieS  unter  Öahthunberte  langer  Sfuect)t= 
fd)aft  baS  Sachen  Dcrlcrnt  ju  haben  febeint. 

mz. 

3ur  « i oa. v ap h i c  Ve ft a 1 0  \ i  1  •> .  4.  Xfjcil. 
I     5Bon      ÜJlorf.   2öintertt)ur,  3iefllcr. 

ÜJcit  biefem  ßanbe  fd)lie&t  baS  oor 
26  fahren  begonnene,  in  päbagogifdien 
Scrcifcu  fehr  beifällig  aufgenommene  äßcrl 
ab.  Söerfaffer  hat  mit  großem  ftkißc  bie 
CnclU'u  gefammelt,  bie  über  baS  Seben 
SßeftalojjiS  unb  bie  ©efd)id)te  feiner  ?ln= 
ftalt  Dom  3abre  1805  an  ITluSfunft  geben, 
uno  läßt  fie  jjum  großen  Z'vc\k  felbft 
fprechen,  fo  baß  ber  Sefer  fid)  ein  eigenes 
Urtheil  bilbcu  fonn.  ÜlUcrbingS  leibet 
barunter  bie  Einheit  ber  XarftcUung 
einigermaßen.  rj. 

tie  Waunhcinur  ^üfiuenbearbet* 
tun a  t»co  „ Woy  von  «1 1 1  idjitiflcif' 

Dom  3ahrc  1786.  9?ad)  bem  Diann* 
heimer  Sonfflirbud)  mit  Einleitung  311m 
erften  IDcale  herausgegeben  Don  Dr. 
Eugcnüilian. ÜDtannheim,  3  * c u S* 
heimer. 

mit  fehr  auch  baS  ©oethc'fche  Erft* 
lingSbrama  gleich  bei  feinem  Erfcbeinen 
bemunbert  mürbe  —  an  eine  21  u  f  f  ü  h  r  u  n  g 
beS  gegen  alle  ©emohnbeiten  ber  bamali* 


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(48  —    Horb  unb  5üb. 


gen  beutfcfjcn  23üf)ne  rcüoltirenben  Stüdes 
batte  bamals  mebcr  bcr  iugcnblidjc 
£id)tcr  Rebadjt,  11  od)  hielten  bie  mciften 
ßefer  unb  ftritifcr  fic  für  möglid).  SJcn= 
nod)  würbe  bcr  „ÖöV  fdion  1774  in 
Berlin,  balb  barauf  in  Hamburg,  fobann 
1786  in  ÜDtonnfjcim  unb  frranffurt  a.  SR. 
aufgerührt,  obne  baß  ©oetfjc  felbft  etwas 
baju  getban  bättc,  wcldjcr  oielme^r  erft 
feit  1804  bcn  ®Öö,  unb  jwar  mebrfad) 
in  PerfAiebcner  i&etfc,  für  bie  93üt)ne  be* 
arbeitet  'pat. 

lieber  bie  Scfdjaffcn^cit  bcr  bei  jenen 
erfreu  2luffüt)rungen  gebraudjten  legte 
war  man  bisher  nur  gang  uugenügenb 
unterridject.  <SS  ift  baber  bodjft  erfreutirn, 
baB  Dr.  Kilian  baS  1786  in  9Wannncim 
nnb  bann  aud)  in  Ofrantfurt  gebraudjte 
Soufflirbud)  aufgefpiirt  unb  bcrauSgcgebcn 
tjat.  Tie  im  (Üanjcn  gefebiefte,  obmobl 
tnandimal  redjt  einfcfnicibcnbc  Tbätigfeit 
beS  Bearbeiters  (t»ennutblid)  beS  WcgiffcurS 
3-  X.  9tcnnfd)üb)  bat  ber  Herausgeber 
in  ber  Einleitung  gut  d)araftcrifirt. 

dr. 

8orb  ^nro n.  Urania  in  einem  Borfpicl 
unb  3  2lur'sügen.  SöonStubolf  ®olm. 
äöien,  3R.  »reitenftein. 

Unter  bcn  2Jerfud)cn,  bie  ©eftalt 
SBpronS  für  baS  Trama  \n  gewinnen, 
bürfte  ber  ©olm'idje  bcr  talcntlofcftc  fein. 
TaB  ber  Söerfaffcr  bie  Gbronologic  bcr 
(Sreigniffc  in  SBpronS  2cben  bcfmiS  brama* 
tifd>er  Gonccntration  in  einer  2Bcifc  um* 
ftür,;t,  mcldie  bcn  23iograpf)en  Enrons 
(Sljc  fdjaubern  madjen  mürbe,  wollten  mir 
ihm  gerne  als  ein  Jtedjt  beS  bramatifdjen 
TiditerS  fu'ngcben  laffen,  menn  er  Oer* 
ftnnbcn  bjitte,  burd)  2lufopfcrung  bcr 
äuBcren  äiSabrbcit  bie  innere  ju  er? 
borten.  Tic  (Mtalten  unb  Sd)emcn  — 
Btiron  felbft  nid)t  aufgenommen  — ,  ber 
fdiärfcr  beruortretcnbc  3cffrct),  baS  eigent* 
lid)  bramatifme  2lgcn8,  ein  unglaubbaftcr 
Tbeaterböfemidit.  2lud)  bie  Jyorm  ift 
mangelhaft.  X>ie  Müßigen  3ambeu  unb 
au*  9?acf)IäfUflfeit  ober  2J>illfür  mit  4=  unb 
6fÜRigen  burdjfcöt.  (^ifionen  mie  in 
Jfnt'fer  für  ftritifer,  baS  fieb  mcbrfad),  an 
einer  Stelle  fogar  in  brei  aufeinanber 
folgenben  Herfen  finbet,  mirfen  gefdmtatflos. 

ow. 

o"i  l*anöe  Öes  «alUe«.  TramatifdicS 
3citbilb  in  fünf  Slufjüacit  oon  Gurt 
21  bei.   ftreiburg,  fr  &  Scbfenfelb. 

Gurt  2lbel,  ber  unS  fdion  burdi  fein 
bor  fur*er  ^cit  crfdüeneneS  23ud)  „Offiziere 
otjne  (Joaulctten"  befannt  gemorbeu,  läßt 


fein  ntefit  unbebeutcnbcS  Talent  in  biefem 
SBerfe  in  einem  neuen  &id)te  crfdicineti. 
@r  bat  augenfaVinlid)  l'anb  unb  £eure 
beS  ©otblanbeS  Kalifornien  felbft  ftubirt; 
feine  Scbilberungen  tragen  burdjauS  bcn 
«Stempel  bcr  Safjrfjeit  unb  finb  mit  bcr 
ftcDer  eines  i'djarfcn,  geiftreidjen  Beobachter« 
unb  genauen  9Jlen}d)cnfcnncrS  gejeidmet. 
©lücflidj  getroffen  finb  bie  beutfcbcnOffigiere 
unb  Stubenten,  bie  il)r  ©lud  in  bcr  neuen 
SBclt  fudjen,  fomic  bie  2lmerifanerm  SWife 
Marfap,  bic  berforpertc  (Smancipation.  (SS 
febtt  biefem  bramatifdjen  3*itbilb  »cber  an 
cd)t  moberner  Seltauffaffung  nodj  au  einem 
mol)ltt)ucubcn  ^an*c  eblcr  aWcnfcbcnlicbc. 
9hir  bcr  Spradje  gebridjt  eS  nod)  au  Turdu 
bilbung;  biet  ^atte  bcr  SBerfaffer  ctmaS 
metjr  feilen  tonnen.  25 od)  mirö  bem  äöerfe 
bie  oerbientc  Slnerfcnnung  nidjt  Perfagt 
werben.  p». 

92ubta.   Grjäbfung  Pon  9tid)arb  SJoB- 
Stuttgart,  35cntfd)c  aierlagS=Slnftalt. 

$icfc&  neuefte  äöerf  oon  JHicbarb  $o& 
muttjet  uns  ungemein  fpmbatifd)  an.  9Hd)t 
nur  ber  fonnige  Gimmel  3talicnS,  unter 
bem  ftd)  bie  (Srgärjlung  abfpielt,  trägt  fein 
Xrjetl  ra;u  bei;  aud)  bic  ganje  i>lrt  in  ber 
bicr  Äünftler-  unb  SBoltSleben  bargefteUt 
ift,  unb  bic  silu8fül)rung  bcr  einjclncn 
j  3ügc  ift  burdiauS  mafeuoll  unb  frei  dou  ber 
Unnitjc,  melcpc  biefeS  Tid)tcrS  Schöpfungen 
fonft  meift  eigen  mar.  Tie  öieftalt  ber 
„ftubia"  felbft,  bcr  ^elbin  biefer  (Srjäblung, 
erbebt  ftd)  mie  ein  beHbeftrablteS  Warmor* 
bilb  über  bie  gemöbnlid)en  ^Homanbclbinnen 
unferer  $tit.  fteufd)  unb  rein  maltet  fic 
im  Haufe,  ftreng  unb  anmutbenb  gugleid) 
ift  ibr  ganjeS  iWefen,  gefeit  ollen  i*er-' 
fübrungen  gegenüber.  Xic  ©ingclr/citcn 
bcr  Ha»Mung  analpftren  mir  nicht,  um 
bem  l'efer  bic  ftreube  an  bem  Serfe  nimt 
in  fd)mälcm,  baS  mtt  öerftänbigem  Sinn 
unb  offenem,  marmem  Herjen  gclefen  fein 
miß.  ps. 

fBeft^att»  V  9?euc  9?ooencn  oon  21  b  a  I  b  e  r  t 

SJtcinbarbt.    Söraunfdnoeig ,  ©corg 

S^cftermann. 
2lbalbcrt  üJlcinbarbt  ift  einer  ber  Mit» 
finnigften  9?oocQiften  bcr  (^cgcn)oart;  bie 
brei  ^oöcllen,  meldic  ber  oorliegentc  S?anb 
entbält.  finb  bidjtcrifd)  unb  pfpdologifd) 
glcid)  mertbbofl.  Tic  erfte  bcrfelbcn  be= 
banbelt  baS  Problem,  mic  fdimer,  ja  tnic 
faft  unmöglid)  eS  ift,  baS  Seelenleben  eines 
anberen  ÜKenfdieu  gan§  ju  oerftcfjen  unb  m 
begreifen;  mit  aufterorbentlidiem  ©efebief 
lafet  ber  ä?criaffer  babei  nationale  Unter» 
■  fdu'cbe  mirioirfen,  ben  ©cgenfae  smifeben 


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  Bibliograph 

ernftem,  norbbeutfdjen  SBcfen  unb  leichtem 
Liener  Jölut.  Sttudj  bie  beiben  anbeten 
(Srrääblungcn  finb  äufjerft  anfpredjcnb  in 
ibren  äRottoen;  ftorm  unb  Skbanblung 
beliebigen  felbft  bcn  gcmäblteftcn  (Se» 
fdjmacf.  mz. 

Tic  $erf)etratf)etet!.    3roölf  ^ege- 
gcfd)id)tcn  Don  »uguft  Strinbberg. 
2luS  bcm  5d)tDcDt)dicH  üborfefct  Don 
Ortenburg.  Bubapcft, &.  ® r i m m. 

21.  Strinbberg  ift  einer  ber  bebeutenb* 
ften  SJertreter  ber  realifiifd>en  Sdjule  beS 
Horbens.  ($d)t  jolaifd)  finb  bicfe  o  l)ege= 
fd)id)ten,  unb  menn  aud)  in  ilmcn  ein  gut 
Stüd  SBabrfjcit  unb  ridjtige  SebcnSauf* 
faffung  ju  ftnben  ift,  fo  fönncn  bicfclbcn 
bod)  gefäbrlich  auf  iugenblid)e  @emütfcr 
mirfcn,  bie  ber  padcnbc  Xitel  anaiefjen 
bürfte.  ps. 

ivantafio.  ©efd)id)ten unb S*ebenSbiloer.— 
^umpaneUa.   (Sin  Shirt)  für  gciftreicbe 

£eutc,  bie  abfeit»  geben.   2*on  3Ji.  ©. 

(Jonrab.  i'eip*ig,  ftrirbrid). 

Söeibe  JÖüdier  finb  für  bie  9tid)tung 
unb  Haltung  ber  „jungbeutfdjen"  Sdrrift= 
fteffcr  bejcidmcnb.  Sie  enthalten  $laubc= 
rcien  feuinetoniftifdje  Sfi^cn,  ©efprädK, 
(SffaP/S  über  aUcS  2Köglid)e:  Literatur, 
1*olitif,  ßofonialpolitit,  Xbeater,  äunft, 
3>htfif,  Naturalismus,  feciale  frage,  i 
$rofefforenroman,  9iid)arb  Uöagner  u.  f.  m. 
3m  „^fantafio"  finb  aud)  brei  ©cfcfjiditcn 
frei  nad)  3oto  enthalten,  meldte  an  3til* 
gärten  unb  groben  glüditigfeiten  nidjtS  gn 
mim  uteri  übrig  (äffen,  im  llebrigen  aber 
nidjtS  Pon  Sola'fdier  Straft  unb  Genialität 
baben.  £ic  (SffanS  geigen  (Sonrab  als 
belefenen  Sdiriftftcller,  ben  man  gerne 
plaubern  tjört,  menn  man  aud)  oft  über 
eine  fepiefe  2lnfid)t,  ftlürttigfeit  unb  Cbcr- 
fläd)lid)fcit  ben  Sropf  fdjütteln  muß.  ss. 

„Tie  rotlje  i'atmuu"  Vornan  Don 
(Smalb  Sluguft  ftönig.  2  Söänbc. 
Breslau,  S.  Sdjottlaenber. 

öS  mirb  uns  mit  biefem  Stamme  ein 
nad)gclaf)ene8  SJßerl  beS  babtngefdiiebenen 
SdrriftfteflerS  bargeboten,  meldjcS  bemeift, 
baß  Sluguft  ftönig,  ber  bed)  immerbin  ein 
l'Uter  Pon  faft60  3abren  crrcid)te,  bis  31t 
feinem  lobe  im  Schaffen  fiel)  gleid)  geblieben 
ift.  3a,  bie  uns  Dorlicgenbc,  oieüeidit  feine 
befte  Sdjöpfung  ift  fo  unterbaltenb  unb 
fpannenb  gcfdiricbeu,  mie  nur  feine  ge= 
lungenften  früberen  Scrfe  es  maren.  $er 
gefunbe  Realismus  bcrSdiilberung  läßtunS 
Döllig  bcn  trotfeucnlon  Pergeffen,  ber  aUer= 
bingS  aud)  tjier  beS  SdjriftftcllerS  2lrt 


dje  rioti3en.    H9 

ift.  lieber  bie  gcfdjicft  erfunbene  crimina- 
liftifdje  Kombination  t)inauS  intereffiren 
uns  bie  frappant  lebensmaljrcn  Sd)ilbe= 
rungen  Pon  2)icnfd)cn  unb  Söerbältniffen, 
fo  ba|  mir  meinen:  ötoalb  Sluguft  Sfönig 
bat  fid)  gerabe  mit  biefem  feinem  legten 
2?ud)e  ein  bauernbeS  £cnfmal  erridjtet! 

W. 

ttpUeue.  §iftorifd)C  Srjäljlunfl  dou 
Jocnrn  Suenb.  3n'S  $eutfd)c  über= 
tragen  Pon  ßubmilla  JHepnolbS. 
2  Jöbc.  JöreSlau,  3.  Sdjottlaenbcr. 

Ob  toof)l  ber  SJerfaffcr  mit  ber  für 
ben  Umfang  beS  iöudjcS  au&crgemöbnlidien 
JÖejcidjnung  „Krjüblung"  anbeuten  mollte, 
bafe  eS  itjm  metjr  um  bie  fjiftorifdje  ©taffagc 
unb  bie  Sarftellung  beS  @eifteS  einer  be- 
ftimmten  3eit  311  tbun  mar,  als  um  baS 
halten  feiner  fcidtffunft?  ©ieicftoicl  — 
bie  &rsät)lung  „(SpUene"  enthält  Diel 
6d)öneS  unb  23ebeutenbeS  unb  ift  jur 
Üectüre  beftenS  ju  empfctjlen.  ©ic  führt 
ben  fiefer  in  bie  3<ii  ber  pocrjgebcnbften 
ffämpfe  beS  fiegbaften  (5l)riftcntl)ums  gegen 
bie  ©ötterlebre  ber  Börner.  (*in3clne 
Figuren  treten  in  plaftifdier  Gbarattcriftif 
Por  uns;  mit  lebbafteften färben,  mirfungS* 
Doli  unb  Stimmung  gebenb,  ift  baS  3«t= 
colorit  gefdjaffen,  unb  jene  uralten  unb 
emig  jungen  treibenben  9Jläd)te,  bie  Ciebe 
unb  ber  &aj3,  baben  ergreifenbe  I  atftcllung 
gefunbeu.  Jöor  SlHcm  aber  intcreffirt  uns 
bie  ©cftalt  ber  ^clbin  Gpllcne,  ber  2od)ter 
btS  StoiferB  KctbcguS,  Doli  echtefter  iBeib= 
lid)(ett,  liebreijenb  unb  mutbig  jugleid); 
il)re  ©eftaitung  allein  legt  ein  DoUgüligeS 
3cugni&  Don  ber$id)tertraft  ^>enrt)  SnepbS 
ab.  $ie  Ueberfceung  ift  itjrer  Stuf  gäbe 
trefflid)  gercdjt  gemorben.  W. 

3m  «djiüjjdKii.   M<&tiatic"  Don  SR. 

GorouS.  Breslau,  3. Sdiottlaenbcr 

«eibc  5RoDeÜeu  crad)ten  mir  als  Untere 
IjaltungSlectürc  im  beften  Sinne.  Sic  finb 
ftofflid)  intereffant  nnb  in  leiditer  eleganter 
Spradjc  gcfdjriebcn.  Ob  ber  Siebter  fid) 
mobl  bewußt  mar,  baß  bie  erftc  (Sraäblung: 
„3nt  SdilöRdieji"  ganj  uinDiberfteblid)  au 
SdjiUerS  „ÜJJcufdicnfciub  erinnert  V  W  . 

3u  liäfitid)!  Vornan  tincs  5ftubcS  Don 
^ugcnS  al  i  ng  er.  Breslau,  S.Sd)ot  t- 
laenbcr. 

Tie  fleinc  rübrenbc  (Mcfdiidjte  mirlt 
in  ibrer  fdiliditcn  ©infadilieit  mabrbaft 
berjergreifenb.  Sie  bcbanbelt  ben  grau= 
famen  (ionflict  eines  beißen,  liebeSbc- 
bürftigeu  ^ergenS  in  einer  äußeren  Wxfr 


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J50    So*b 

geftalt  unb  enbigt  mit  bem  felbfigeumblten 
lob  jene*  llnglüd lidicn,  als  tbm  unmiber; 
Icglid)  gnm  ©twufetfein  gcbradjt  wirb,  baß 
ibm  butd)  eine  Öaune  ber  9totur  für  immer 
Derfagt  bleiben  mürbe,  maS  feinen  begünftig- 
ten  3Kitmenfd)en  nngefudjt  entgegenfommt. 
2kfonbcrS  bemunbern  mir  baS  bidjterifdje 
3f€ingefül)I  beS  SöcrfafferS  in  ber  Sdjiloerung 
beS  Seelenleben*  ber  Sfiuöcr  unb  beS  t)er= 
anmad)fenben  Oünghngö.  ms. 

s\.  »ofeg«crö  *lu$acmäbac 
Söerle.  tirad)t=lHuSgabe.  k2mt6003üu= 
ftrationen  Don  21  Öreil  unbfl.Sdjmib: 
bammer.  3"  75  Lieferungen,  Bcjtfon« 
Octao  ä  50  $f.  äüien,  81.  fortlebe n. 

Sie  £efte  40  bis  56  biefer  SluSgabe 
Don  8.  M  o  f  e  g  g  e  r'S  Herfen  befd)lic&en 
beren  britten  Jöanb,  toelcner  baS  ,,$ud) 
ber  sJ?oDcaen"  enthält,  baruntcr:  „Ser 
äüalbftrcit",  „Scr  SBaumnarr",  „Ser 
^ebrfäfer",  „Ser  fterrenfepp",  „Sie 
^fingfmadjt"  unb  anbere  bcmäljrte  Sd)ö* 
pfungen  beS  beliebten  Tutors.  Unter  bem 
Öcfnmmttitel  „Sonberliuge  auS  bem  Spotte 
ber  2llpen"  folgen  fobann  auSgemäblte 
(Stjaraftcrbilbcr,  in  benen  9tofepger,  ber 
gottbegnabetc  3d)ilbcrer  beS  SHolfSlebenS 
in  Den  s<?llpeu,  fo  redit  in  feinem  Elemente 
ift.  Sie  ftimmungSDofle  (5rjäblung  „3Bie 
ber  Cberfteirer  fcodwit  hält"  fdjliefet  beu 
iöanb  ab.  r. 

Wnbotf  Sd»mibt'S  OiomlU'it.  Teutfd) 
Don  2tt.  D.  üöord).  (Worbtfdje  »iblio: 
tbef.    itfb.  U).   JöerÜn,  3.  ^ifdjer. 

3«  allen  biefen  9ioDellcu  —  mit 
HuSnalmie  ber  „beiben  SUaftoren"  —  ftefjt 
jebcSmal  eine  ftrau  im  ÜJitttclpuufte  ber 
£>anbluug,  fomeit  man  Don  einer  foldicn 
rebeu  fann ;  beim  jum  Xt)ä[  ftnb  fie,  tote 
„Sieftammerbenin"  unb  „Söeibc^aftoreu", 
oortoiegenb  Gbaraftergemälbe,  unb  jmar 
mit  ftarf  fattrifmer  Färbung.  iBäljrenb 
bie  beibeu  erften  l£rsät)lungen:  „Sie 
.Sfammerberrin"  unb  „Die  ^ittme"  in 
ibren  Sujets  etma»  gefudit  ftnb  unb  in 
ber  realiftifdien  SluSfübrung  im  (Sinjelnen 
an  fransoftfdje  9flufter  erinnern,  finb  bie 
beiben  legten  „(sin  glürflidieS  (Sbepaar" 
unb  „(Sine  Diofeubraut"  febr  einfadi  in 
(Srfiiibunq  mie  Sarftellung.  3«  ber  Glitte 
—  räumlid)  mie  äftbetifd)  —  fteljen  „Sie 
Sdimicgcrtocbtcr  beS  #ifd)ofS"  unb  „Söeibe 
^aftoren".  Ser  Ükrfaffcr  ift  ein  fdjarfer 
ÜJcobaditer,  ber  bie  Sdimädien  ber  menfefr 
Itdjen  ftatur  burd)  olle  füllen  anfdjeincns 
ber  SBortrefflidifeit  burdtfebaut  unb  ironifd) 
aufoedt.  3n  einer  2i>eife,  bie  jebe  fünft» 
Icrifdjc  SBirfung  gerftört  unb  in  bem  iTefer 


nb  5üb.   


I  nur  SJiberroiflen  erjeugt,  gefd)ieljt  bieS  in 
ber  erften  (Srjäblung,  in  loeldKr  eine  auf 
bober  geiftiger  tote  gefellfdjaftlidxr  Stufe 
ftebenbe   grau,   bie   mit  Siebtem  unb 

;  ftüuftlcrn  äftt)ctifd)e  fragen  tractirt,  ftd) 
fdjliefelidj  als  bie  rjeimltdte  Jöublin  eines 
tief  unter  il)r  ftcljenbeu  aJicufcbeu,  eines 
taubftummen  XifdjlerS  entpuppt!  Sagegen 
liegt  beu  beiben  folgenben  ISrjäblunpen 
eine  tief  fittlidte  2lnfd)auung  ju  ©runoe, 
bie  tron  Dergmid ter  unb  uitltebfamer  ISinjck 
beiten  in  ergreifenber  ätfeifc  $um  SuraV 
brudi  tommt.    ISutfagungSDoUe,  frrenge 

i  Selbftjudjt  übeube  Srauendjaraftcrc,  mie 
fie  unS  ^ier  entgegentreten,  fdjeint  ber 
feetfaffer  mit  Vorliebe  311  fdnlbem,  unb 
bierfür  geigt  er  eine  ungemötwliaV,  tiefe 
äßtrtungeu  erjiclenbe  Jöegabung.  uw, 

Äuteurs  modernes.  I'n  petit  cours 
litteraire  pour  la  jeunesse  p;ir 
<q.  öottbclf.  Stuttgart,  3.  GngcU 
r)orn. 

Sas  Jöüdrfein  bietet  gut  getoäbltc 
fleine  (fr^äblungen  moberner  Sd)riftfteller 
mie  3ofepb  Süeetal,  Grneft  Saubet,  Pierre 
Secourcette  u.  31.  ^efremben  toirb  eS 
Diele,  aud)  Sadjer  l^afodj  unter  ben  fran* 
äöfiidjeu  Sugenbfdjriftftellern  §u  finben. 
Ser  Don  ibm  gelieferte  Beitrag  gebt  fret= 
lid)  feincStoegS  über  ben  iKabmen  beS 
)Büd)lcinS  binauS;  bagegeu  bättc  bie  ^ex- 
auSgeberin  bei  ber  biograpbifdt-literarifdKn 
Stisäe  beS  ?IutorS  etmaS  mebr  3urücf^ 
baltung  beobadjtcn  fönnen.  Sie  3ugcnb, 
für  meldje  biefe  fleinen  ßrjäblungen  be^ 
redjuet  ftnb,  mit  ber  3bee  beS  „i8ermäcr)t= 
uiffeS  ftainS"  befannt  ju  macben  unb  fo 
paraboje  3been  mie  bie  Don  ber  ßiebe  als 
einem  Kampfe  ber  beiben  (Bcfdtledtter  311  bc 
rübren,  ift  jum  ü)?inbeften  Ijöcbft  überfiüf  fig. 
Sie  23ioprapbieen  bürfen  infofern  2lrt- 
fpntdj  auf  3uucrläfftgteit  madten,  als 
ifjnen  eigene  SIngaben  ber  Tutoren  311 
©runbe  hegen.  ow. 

Sut*?U'  Isbntcö.  ^ooellen  Don  ^anS 
^ermann.  SrcSlau,  S.  3diott= 
laenber. 

Sdion  bie  Uebcrfdjriftcn  ber  Drei  in 
biefer  Sammlung  Dereinigten  6rjäblungen 
(„^inberuiffe*'  —  „SKeugclb"  —  rf3luSße= 
broeben")  beuten  auf  ein  tu&neS  unb  t»er= 
toegeneS  Steiterleben  t)iu.  Sie  ÜHänner 
unb  grauen,  meldje  uns  iuev  begegnen, 
ftnb  freie  unb  ftolje  Naturen,  bie  beim 
3agb-  unb  SHennfport  nidit  nur  bie  Gräfte 
beS  SeibeS,  fonbem  aud)  alle  ebelften  (vigen-- 
fdjaften  beS  (5f)araftcr8  gefctjult  l)aben  unb 


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  Sibliogr  apfji 

fä&tg  finb,  bie  „fciuberniffc"  ber  2tbcn&  , 
tuü) ii  311  übcrwtnbcn  ober  ibnen  ftanbbaft 
unö  ungebeugt  ju  erliegen.  Ta»  geieliige 
£ebeu  ber  OffigierSfrcife  unb  bcr  ariftofratU 
fdjen  (Brunbbefiöer  ift  mit  einer  i'ebenbigfeit 
unb  ^rtfd>c  erfaßt,  weldje  erfenncu  läßt, 
baß  ber  SJcrfaffer  —  ober  follte  e»  eine 
»crfafferin  fein?  -  bieic  iBerbältniffc  au» 
eigener  2lnfd)auung  fennt.  OefterS,  am 
meiftcn  in  ber  jioeiten  9Jooelle  „ttitSae* 
brodjen",  geigt  ficb  aud)  in  crgöölidjcr 
unö  bod)  ftet»  feiner  £mmor.  3ebcr,  ber 
für  bic  in  biefcn  ^iooeUcn  berührten  £eben»= 
freife  SJerftanbniß  f)at,  wirb  fie  mit  3ntcr* 
effe  lefen.  0. 

"Hu*    Den    ,vtutt)i'it    be*  lieben». 

Mooellen  oon  fiuife  (Srucfti  (SÄ.  oon 
£>umbrad)t).  33re»lau  unb  Ücipjig,  3. 
3d)0ttlacuber. 

$ie  SWoüetlcn  finb  juerft  für  Emilien* 
blättcr  Dcrfaßt  unb  tonnen  sur  itetüre 
für  jnnge  Httäbdjen  empfohlen  werben,  ba 
fie  ofme  bie  Sßbantafie  burd)  Ucbcrfcbmäng: 
lidjteit  gu  überreifen,  Anregung  unb  Unter* 
baltung  mannigfaltiger  JArt  getoäbren. 
3m  2lnbang  befinbet  ftd)  bie  Söcfcbreibung 
einer  Sinterfabrt  in'»  Wefcngebirge,  bic 
oieten  ßuft  machen  bürfte,  bic  Schönheit 
unferer  fjeimtfdjen  SJerge  aud)  $ur  Sinter» 
geit  fennen  ju  lernen.  ms. 

bfonbrn  Tratten  t>ou  Ulmen  rieb. 

3familiengcfd)id)tc  au»  öicr  3abr= 
bunberten  bon  CSufemia  Gräfin 
©allcftrem.   T>re»bcn,  ©.  S^tcrf on. 

Tie  ®efd)id)te  eines  tbüringifdien 
2lbcl»gefd)Ied)t»  aus  oier  3ab,rb,unbertcu 
ift  oon  ber  Jöcrfufferin  fpannenb  unb 
unterbattenb  ergäblt;  nur  muß  ftd>  ber 
&cfer  biet  9tomantif  unb  nod)  mehr 
2ttqftif  gefallen  laffen.  3m  aMttclalter 
gur  Seit  ber  £>ercuproceffe  unb  ein  $abx* 
bunbert  fbäter  mabrenb  be»  Dreißigjährigen 
tfriege»  paßt  berartige»  in  ba»  (Solorit 
ber  3^it;  jemebrwir  uns  aber  ber  neuen 
3ett  unb  nun  gar  bcr  unmittelbaren  (Segen» 
wart  nähern,  um  fo  befremblid)cr  berühren 
uns  biefe  2lt)nungctt,  $ropbe3etbungcn, 
Träume  unb  nnmentlid)  bcr  nod)  nad)  Pier 
3abrbunbertcn  wirffame  3rlucb einer  in  ibrer 
(tbre  beleibigten  A-rau,  meld)er  allen 
blonben  grauen  berer  oon  Ulmcnrieb  gilt 
unb  bem  legten  ftreiberrn  bcfonbcrS  per* 
bänanißOoQ  mirb,  ba  mit  feiner  Selbft* 
oernidjtung  ba»  ©efdilcdit  au&ftirbt.  Senn 
mir  nun  aud)  biefer  ÜHpftif  wenig  Öe» 
fdjmacf  abgugeminnen  oermögen,  fo  be-- 
fennen  mir  bod)  gern,  baß  bie  Serfafferin 


dje  I1oti3en.    \5\ 

bic  „ftunft  gu  fabulireu"  im  Ijorjcm  2Jkße 
oerftebt;  aud)  weiß  fie  mit  nötigem  Skr= 
ftänbniß  jebem  3citaltcr  ein  d)aratte= 
riftifa>S  Gepräge  3U  oerleihcu.  9htr  mit 
bcr  neueften  3eit  ift  ibr  bie»  weniger  ge= 
hingen ;  benn  felbft  wenn  wir  ba»  lieber* 
natürlidje  fritiflo»  hinnehmen  wollen, 
werben  wir  bod)  burd)  bie  Unmabrfdjein* 
lidjfcit  ber  gefdjilbcrten  Vorgänge  gur 
Oppofition  gereift.  mz. 

„ZpovV*.  Vornan  oon  (S.  »ein.  23reS= 
lau,  3.  Sdjottlaenbc  r. 

Sir  freuen  un»  ftet».  wenn  wir  einem 
neuen  söudje  oon  (5.  iüelp  begegnen,  beim 
wir  ftub  bann  fid)er,  ein  2)id)twerf  fennen 
3U  lernen,  ba»  tfraft  unb  l'unh  gugleid) 
gefebaffeu  b,at.  (§.  Süclt)  befigt  nid)t  nur 
ein  cntfdjiebcne»  Talent,  fte  bcfiöt  aud) 
jenen  bobeu  SJiutb  itjrer  Meinung,  ber 
fid)  uid)t  fdjeut,  eine  Sunbe  bi»  in  ibje 
Tiefe  bloß3ulegen.  Unb  um  eine  SButtbC 
bcr  fogeuaunteu  ©efellfcbaft  liaitbelt  eS 
fi4  tu  bcr  Tbat  in  beut  oorlicgcnben 
)öudjc,  ober  oielmebr  nod)  um  bie  SBun= 
ben,  wcldjc  eben  bieic  ©e|'cllfd)aft  unbarm* 
bergig  fdilägt.  Sport!  5llle»  Sport  l)eut- 
3ittage  in  bcr  ©efellfd)aft:  bie  iMcbc  unb 
ba»  lUnfcbcn,  ba»  Öeuie  uub  bie  Jöarm* 
b,er3tgfeit,  bie  Tugeub  unb  bie  Unfdiulb ! 
—  iyreilid),  c»  flingt  oft  fet)r  bitter  in  bem 
Üöudje  wieber;  aber  beutlid)  füblt  man  bcr 
au»,  wie  webe  e»  ber  Tidjterin  felbft  um 
ba»  fterg  ift  ob  bcr  Saljrbcit  ibrer  SdjiU 
berungen!  Taß  fte  aud)  ben  (Sbeliinu  in 
reieber  Entfaltung  3U  geigen  Oerftebt,  ba» 
bemetft  ja  bie  überau»  anmutbenbe  C^cftalt 
bcr  ^clbin  bc»  i^udjc».  (S.  iüclp  fa^afft 
niajt  nur  mit  bem  (Seifte,  fonbern  aud) 
mit  bem  bergen;  ba»  ift'S,  wa»  itjrcu 
Sücfjcrn  befonberen  9tei3  Perleibt.  W. 

3n  oer  SBclt  toerloren»  Vornan  oon 
^.  oon  pöbelt iö.  2  2?änbc.  3cna, 
Goftenoble. 

3)er  Stoman  febilbert  be»  Treiben  ber 
f4wet3erifmen  XHnardjiftcn.  T5ic  ^fabel  ift 
red)t  Dcrmitfelt,  aber  mit  Älarbcit  bargc= 
legt.  2>ie  Probleme  finb  3war  nid)t  fonber* 
lid)  Dertieft,  bod)  ift  bie  L^äblung  trefflidi 
bi»ponirtunb  ftet»feffelnb,  bic  Gbaraftcriftif 
gut  gelungen.  T)te  ^erfonen  finb  effect^ 
Doli  aeseiebnet,  bic  Situationen  padeub 
unb  intereffant.  üüngcnebm  berübrt  bic 
Polle  Sprache,  welche  burd)  einen  reinen 
poctifchen  §aud)  »oarm  belebt  ift.  Ta» 
Söuef)  fann  mit  gutem  ftewiffen  empfoljlen 
werben,  nid)t  nur  3um  Ccfen  fonbern  aud) 
}UU1  tfaufen. 


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\52    Horb  t 

©ier  Roberten.  83on  6m  il  bon 
Moll.  SrcSbenunbfieipgig,  ö.  $ter= 
f  on. 

Sie  in  biefen  Lobelien  behanbeltcn 
Probleme  ftnb  webcr  an  fad)  neu,  nod)  auf 
originelle  SlScife  befjanbclt.  Ser  8$erfaffer 
ober  bie  Skrfafferin  thäte  gut,  fich  auf  baS 
leidjtcre  ©enre  gu  befchränfen,  wie  in  ber 
(£rgählung  „ffäödjcn-;  c&  wären  bann 
Piclleicht  fpäterhin  anmuthige  ©oben  gu 
erwarten,  ftür  größere  Slufgabcn  unb 
ernftere  (Sonflictc,  wie  ftc  bte  erfte  SRobeOe 
gu  bewältigen  oerfudit,  reicht  biefe  poctifchc 
ftraft  bei  Beitcm  nicht  au«.  35er  Stil 
bebarf  forgfältiger  geile,  ow. 

„9er  öilaöiator".  Vornan  aus  ber 
3cit  GaligulaS  oon  SUiltjelmäöallott). 
üeipgig,  2B.  Sricbrid). 

2Btlr)eIm  Söklloth  gebietet  über  eine 
tfunft  ber  SarfteQung,  bie  uns  oft  lebhaft 
bewegt  ihm  lautdjen  liefe.  Sein  neucftcS 
ü*ud)  aber  ift  faft  burebmeg  ein  äftbctifd)cr 
3rrtlmm!  35er  £clb  fclbft,  2WarcuS,  ift 
eine,  gclinbe  gefagt,  unftjrnpattjifdjeCVJeftalt : 
fdjmächlid)  unb  feige,  treulos  unb  unbanf- 
bar.  Seine  3ugcnbgeliebte,  9Jtarcefla,  er* 
innert  beutlid)  an  bie  Örifctten  beS 
quartier  latin.  nur  baß  fte  nicht  bie  na^ 
türliche  ßiebenswürbigfeit  befifct,  bie  man 
bei  jenen  häufig  finben  foll.  Ser  ftrcunb 
beS  Marcus,  ber  ©labiator  Oalerius,  ift, 
troö  einiger  fd)ön-menfdilid)en  fliegungen, 
im  ©runbc  ein  roher,  finnlicher  ©efelk; 
einzig  für  bie  Scnanfpielerin  4$qralli8, 
bie  ber  Siebter,  obgleich,  er  ihre  »erführe* 
rifd)e  Schönheit  fortmährenb  betont,  ihrer 
30  3ahrc  wegen  für  alt  erflärt,  bie 
fid)  fclbft  eine  Verworfene  nennt,  unb  bie 
bennod)  allein  baS  (Sble  in  bem  23ud)e 
bertorpert,  bermögen  wir  Xhcilnahme  gu 
empfinben.  äßte  aber  2öill)elm  2t*aIlotb 
ben  Äfatfer  Galigula  bor  uns  treten  laut, 
baS  iiberfchrcitet  IHIlcS,  waS  mit  ber  Sluf» 
gäbe  eines  irunfnberfeS  in  Vcrbiubung  ge= 
brad)t  werben  lann,  unb  aud)  ?llleS,  was 
innerhalb  ber  ©reugen  beS  guten  ©e= 
fchmacfeS  liegt.  Uns  hat  jene  Sarfteüung 
unb  aud)  fonft  mandje  SötailS  ber  Sd)iU 
berung  nur  burd)auS  peinlid)  berührt. 

W. 

9er  $eaafn«.   (Sine  tragifomifche  ©e-- 
fchichtc  bon  g.  2Jcauthner.  Bresben, 
IRinben. 

©egen  baS  üppig  emporwudiernbe 
llnfraut  beS  unbegabten  Dilettantismus 
geht  ber  äkrfaffer  fdiarf  bor.  W\t  beißen* 
ber  3ronie  unb  unbarmbergigem  Spotte 


nb  Süö.   

fdjilbert  er  uns  baS  Xreiben  jener  ßcutc, 
bie,  ihre  elenben  Nachwerfe  auf  eigene 
ftoften  bruefenb,  bie  Literatur  ber  unfrei* 
wittigen  ftomif  bergrößent.  9Ran  lieft  bas 
löuch  mit  um  fo  größerem  Rehagen,  wenn 
man  oft  ©elegengeit  hat,  bie  VluSWÜchfe 
biefer  berüchtigten  btlettantifcbcn  ©olb- 
fdmittSpoefie  burebgublättern.  Sie  Sprache 
beS  58ud)e8  erinnert  unS  oft  an  grau 
23ud)holg.  i&irfliche  Scrttcfung  bon 
(Sharatteren  hat  ber  öerfaffer  in  3lnbc= 
tradjt  beS  3wecfeS  feiner  ©efchidjte  wohl 
gar  nicht  berfueht;  aber  manche  feine, 
treffliche  JBcmerfung  entfebäbigt  uns  bafür 
unb  bor  sMllcm  bie  fchier  unoeritegbare 
Quelle  beS  §umorS.  ©er  gebilbete  Ücfer 
wirb  feine  greube  baran  haben.  as. 

«Bin*  uno  S&eUett.  fteue  ©efd)id)ten 
unb  Söilbcr  aus  bem  See-  unb  Äauf* 
mannsieben.  Jßon^h-  ffnieft.  Dlbcn= 
bürg,  Stalling. 

Siefc  ©efchtchten  fchilbern  lebenbig 
unb  anfehaulich  baS  Beben  auf  ber  See. 
(SS  fehlt  bem  SSerfaffer  nicht  an  Xalcnt, 
wohl  aber  an  SluSreifung.  Sie  ßompofi* 
tion  ift  theilweife  mangelhaft,  unb  ber 
Fortgang  ber  ßanblung  wirb  btelfach  buren 
nebcnfädjlicbe  Momente  aufgehalten.  iHudj 
faubercre  Surchfcilung  beS  ?lu8bmcfeS 
Wäre  manchmal  gu  wünfdjen.  Soch  weiß 
ber  Verfaffer  für  feinen  ©egenftanb  unb 

1  bie  fräftig  gefchilberten  SPerfonen  ju  er« 
Wärmen  unb  baS  3ntereffc  bis  sum  Schluffe 

i  wad)  iu  halten,  fo  baß  baS  JÖüdjIciu  eine 
recht  angenehme  ifeetüre  bietet.  ss. 

<Iuä  ber  tVembe.  ©ebichte  bon 
(Sonrab  Jeimann,  finben,  3.(5. 
(5.  5örun». 

6rnfte,fd)Wermüthigc,tiefmelandiolifd)e 
2öuc,  baS  büftere  2eib  beS  SiccbtbumS 
unb  bie  bitttere  (Sntäufchung  in  ber  Siebe, 
burcbjlingert  bie  £t)vil  SelmanS.  irr 
fdjilbert  feine  (hnpfinbungen  unb  Seelen= 
fämpfc  in  lebhaften,  ja  glühenben  färben ; 
er  ergreift,  aber  er  ermübet  auf  bie  Sauer 
unb  man  OermtBt  bie  iterföbnung  mit  ber 
ftttlidicn  äBeltorbnung.  (*S  fehlt  baS  ©c^ 
präge  einer  marfigen,  männlichen  Sfraft, 
weldje  cS  auf  iid)  nimmt  baS  ©efehief  |ü 
ertragen.  Siefe  ewigen  klagen  berühren  am 
(Jnbe  boch  pcinlidi,  tro6  ber  bollenbeten 
5ormenfchönhcit  unb  ber  gefertigten  SpradK. 
(lingelue  ©ebichte,  wie  j.  3?.  bie  w$>eimats= 
lieber"  unb  bie  flcincren  (Spen  unb  2Jal* 
laben  ftnb  gang  auSgegcidmet.  9thbthwifd>e 
gärten  ftnb  uns  ebenfo  feiten  begegnet, 
1  wie  unglüeflich  gewählte  bilblidie  2lnS= 


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Bibliogrctpliifdjc  Zioti3en. 


155 


brucfStoeifen  unb  ©puren  befamttcr  Ütjrifcr. 
$a8  29ud)  ift  eine  finnige  fdjöne  ©abe  unb 
ernftcrer  S3ead)tung  burdjauS  mürbig.  u. 

«u$  ber  Siebe.  ®on3JUjr£od)ftäbt. 
Söcrliit,  flempner. 

Sin  tjonb«  toabrer  leibenfdjaftlidjer 
(ympfinbung,  bagu  juflcnblidieS  taommtren, 
ttmai  fofette  Sinnlid)feit,  eine  £ofi8 
^einefeber  fronte  —  ba8  finb  bie  £>aupt* 
ingrebiengen  biefer  ßiebeaitjrif,  bie  aud) 
in  ber  häufig  epigrammatifdjen  3ufpifeung 
unb  im  £onfaü"  ben  Hinflug  be3  „unge= 
gogenen  ßieblingS  ber  ©ragien"  berrätb. 
Xie  ©ebidjte  finb  inl)altlid)  tote  formell 
febr  unglctdnoertfng;  in  mandjeu  fpridjt 
ftd)  ein  freiiid)  nod)  nidjt  abgeflärte«  Talent 
au*,  bem  aber  ftrengeSelbfrgudit  unbSelbfc 
tritif  anguratben  ift.  2Bcnn  bei  neunzig 
unter  fjunbert  ©ebid)tfammlungen  beute  bie 
2lu3ftattung  ba«  äöertboollfte  ift,  fo  mad)t 
baS  oorltegeube  SBüdjIein  eine  Sluäuabme, 
ba  ba«  äuBere  ©etoanb  beäfelbcn  gar  gu 
bürftig  ift.  ow. 

2>entfd)e  ««tferlteber  bon  Gilbert 
m  o f  e r.  Bresben  u. ßetpgig,  ©.SMemm. 

2lud)  ber  gute  S^ecf,  für  ben  biefe« 
Söud)  beflimmt  ift,  rechtfertigt  ba«  (Sr* 
fdjeinen  nid)t,  ba  bie  ©ebidjte  loeber  nad) 
itjrem  3nbalt,  nodi  in  ber  Sprad>e,  nod) 
aud)  im  23cr«bau  an  ben  $urd)fd)nitt 
beranreidjen.  R.  J. 

Vor    Joflcoanbrud).    Cornau  Pon 
(SugenSaltnger.  Berlin, Otto 3anf  e. 

Sluf  bem  culturgefd)id)tlid)en  £intcr= 
grunbe  ber  Wbfcbaffuitg  ber  Seibcigenfdjaft 
in  iHufelanb,  unmittelbar  nad)  bem  jKegie* 
rung«antritt  flaiferä  2llejanber  II.,  fpiclen 
fid)  bie  (Sreigniffe  ab,  toeldie  ben  än^alt 
bicfeS  Womane«  bilben.  2i*tr  fönnen  bem* 
felben  Picle  Sorgüge  nadjritfjmcn ;  in  erftcr 
9leit)e  genaue  ftenntnife  ber  bamaligen  3u* 
ftänbe  unb  be«  rulftfcben  $Bolt«diaratter«, 
fo  wie  anfdjaulicbe  Tarftcüung  aller  Strö» 
mungen  unb  ©egenftiömungcn,  bie  ftd)  in 
fdjroffftem  ©egenfaö  gegenüberftanben.  ?lud) 
bie  lsabel  be«  ÜKoman«  flößt  3ntereffe 
ein  unb  befunbet  bie  Begabung  be«  2?er- 
faffer«  für  bie  Sdnlberung  pfpcbologifcber 
Vorgänge,  beren  (Stiarafteriftif  bureb  natio- 
nale (Sigentbümlidjfeiten  ein  befonber« 
fenarfe«  ©epränge  auftoeifen  Ülber  biefe 
2?orgüge  toerben  erftieft  in  einer  gcrabegu 
unerträgltdjen  äöeitfditoeifigfeit  unb  einer 
Unbeboifenfjett  ber  Aktion,  bie  bem  Shidje 
gum  Sd)aben  gereidjen  bürfte.  Sir  bc- 
bauern,  bafe  ber  ^criaffer  burd)  foldie 


SKängel  ber  Xedjnif  feine  oielen  3?or- 
güge  in  ben  Schotten  fteat.  ms. 

titebuftte  Pon  ß.  Stafacl.  üJlit  Sin» 
leitung  Pon  OMij  $af)n.  ßeipgig, 
Söreitfopf  &  Härtel. 

@ine  beiferc  unb  mürbigere  9tecenfton 
als  bie  fdpnen  SBerfe,  loeldic  Saljn  bem 
Söüdtfein  beigegeben  bat,  tann  9tiemanb 
febreiben.  ©er  „2öeil)efu&  be«  Sdtfnen" 
ruf)t  auf  biefen  ©ebidrten,  meld)e,  ben 
reteben  ftrei«  menfd)lidjer  ftreuben  unb 
Seiben  burdimeffenb,  in  ebler  ftorm  emften 
Snbalt  toürbtg  geftalten.  SDie  SBerfafferin 
(benn  augenidjcinlid)  rühren  bie  ©ebidjte 
Don  einer  3)ame  ber!)  bef)crrfd)t  bie  metrt* 
feben  formen  mit  ooUenbetcm  Xactgefäh,!, 
unb  bie  6prad)e  l;alt  ftd)  Pon  lieber^ 
fd)toänglid)feit  mic  Pon  gereimter  ^rofa 
gleid)  fern;  fie  ift  getragen  oon  bem 
Strome  eine»  reidien  btdrterifcben  6mp= 
finbenS.  2Bir  hoffen  auf  balbige»  Sierer= 
feh,en  mit  biefem  erfrculid)cn  Xalente! 

^(uö  bem  «üben.  .Vene  ©ebiebte  Pon 
Stephan  aniloto.  Stuttgart,  2tboli 
5öoug  &  60. 

2)icfe  Sammlung  eutbält  nur  toenige 
balbtoegS  ba«  33littclmafe  ber  ©olbfdmitt* 
Iprtf  erreid)cnbe  ©ebidite;  bie  meiften  finb 
gereimte  glatte  $rofa  unb  bagu  nod)  redit 
unbebolien,  ooQer  rbptbmifdjer  £>ärtcn  unb 
fprad)Itdier  9?ad)Iäffigfeiten.  ©cbabe  um 
bie  bübfa>  Sluäfiattung  beS  »ücblein»  I  m. 

CUluftrirtcr  .yüljvcr  Mndi  Cber> 
Stalten,  i'iit  ben  Üllpentouren  in  ber 
(larnia,  im  Goborc  unb  in  ben  (Sette 
comuni;  ben  2llpenfeen  (©arba=,  3feo-, 
(Somo*,  ßeceo^Sce  unb  Üago  maggiore) 
unb  ber  Stioiera.  Süon  3.  OberoSler. 
ÜHit  60  3Uuftrattonen,  11  ff  arten 
8  ©tabtplänen  unb  Steifefarte.  Sttieit, 
8.  fortleben. 

©icfeS  febött  auSgeftattetc  JHcifetoerf, 
bem  ftd)  fpäter  nod)  gtoei  fclbftänbige  23änbe : 
„ÜJlittcl^talien"  unb  „<SüN3talien  mit 
Sicilien"  anfdiliefcen  fotten,  nimmt  nidit 
nur  auf  bie  Seb^uänriirbigfeiten  bereinglnen 
©täbte,  fonbern  aud)  auf  bie  9Mtuneige 
unb  Sebcnätoürbigfeiten  ibrer  Umgebungen 
5Öebad)t;  audi  entbält  e8  betaißirte  23e^ 
fdircibungen  ber  lobncnbften  Bergtouren  fo- 
.toie  ber  oberitalienifdieu  Seen.  tuirb 
ben  Befudicru  Station«  als  nüölidier  unb 
tfjatfräftiger  SHatb.geber  gur  Seite  fteficn. 


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15* 


ZXoxb  unb  5  üb. 


$ctttf4e  e4»la4>teul>cnfmölcr. 

(Dcutfdjc  3«t=  unb  Streitfragen  50/51.) 
iton  3  a nf e n.  Hamburg,  EcrlagSanftalt. 

$cr  2krfaffcr  {>at  eine  grofee  Spenge 
3d)lad)trelt>cr  bereift  unb  bie  ^Beobachtung 
gemadjt,  bafj  bie  3>cnfmäler  meift  nid)t  an 
ben  bebeutfarnften  fünften  errietet  flnb 


unb  audj  nidjt  genügenbe  $u8funft  geben. 
$>em  gegenüber  ftellt  er  allgemeine  ©runb= 
füge  für  bie  (hridjtung  unb  ^lufftcUimg 
auf  unb  ujenbet  biefelbcn  auf  bie  Sd)Iad)t- 
f elber  oon  2Jieti  unb  l'eipjig  an.  3)te 
(Einleitung  bc8  IcfenätDcrtljen  SöüdtfcinS 
btlbct  ein  ©drreiben  aJioltfe«  an  ben  Bei* 
faffer.  R.  J. 


Eingegangene  Bücher.    Besprechung  na 

Adamr,  R  ,  Architektonik  dos  Mittelalters.  Band 
11.  AbthW.  3.  Hannover,  Helwing. 

Alanus.  Die  Heilung  der  Schwindsucht  auf 
diiltischom  Wege.  Berlin,  M.  Breitkreaz. 

Berg,  L.,  Gottfried  Keller  oder  Humor  and  Realis- 
mus.   Berlin.  Brachvogel  St  Ranft. 

Berger,  W.,  Aus  stillen  Winkeln.  Xovollen. 
Berlin,  liobr  Paetel. 

Blum,  H.,  Geheimnisse  eines  Vertheidigers. 
Berlin,  Gebr.  Paetel. 

Bog!  er,  Ph.,  Erzahluuiren  aus  dem  Wien  r  Wald. 
Danzig,  C.  DinstorfT. 

Bormann,  E ,  Das  Buchlein  Komm  mit  mir! 
7.  Aufl.  Min.  Aus;.  Leipzig,  E.  Bonnanns 
Selbstverlag. 

Brandt,  M  G.  W.,  Caroline  Perthes,  Keb.  Clau- 
dius   Vierte  Auflage.  Gotha.  F.  A.  Perthes. 

Brennwuld,  A  .  Am  Vierwallstätter  See.  Maleri- 
sche Ansichten.  38  Aquarel  en  nach  Original- 
Aufnahmen.  Unter  M  twirkung  von  W. 
Grothe  horau«goir>*ben  von  Fr.  Schleicher. 
Luzorn,  .1.  Fr.  Schleicher  u.  (.'<i. 

Briefe  von  (i  et  hos  Muttor  an  die  Herzogin  Anna 
Amalie  Neu  heran«?  u.  erläutert  von  R. 
Hoinomanu.  Mit  zwei  Bildnissen.  Leipzig, 
Verl.  d.  litterarischen  Jahresberichts. 

Brono,  Giordsno,  Reformation  des  Himmels  (lo 
sjuccio  d'-Ua  bestia  trionfnntn).  Verdeutscht 
uud  erläutert  von  Ludwig  Kahlenbeck. 
Lunzig.  Rauert  k  Rocco. 

Cfllln,  E.  v,  Odovakar,  ein  Charakterbild  aus 
der  Völkerwanderung    Danzig,  C.  Hinstnrff. 

Bandet,  A.,  Xuma  Roumestan.  Äutoris.  Uebers. 
a.  d.  Französischen.  »  lid.  (Kngelhorns  allg. 
Roman- Bibliothek.  V..  Jf5.  2Cj.  Stuttgart, 
J.  Enwelhorn. 

Deutsche  Kncrklopldle,  Ueforang  33-35.  Ber- 
lin, Wienand  de  Gneben. 

Dreher,  E.,  Der  Hypnotismiu,  seine  Stellung 
zum  Aberglauben  und  zur  Wissenschaft. 
Neuwied,  llousor's  Verlar. 

Ebnrr-Kschcnlmch,  M  v.  Ein  kleiner  Rom:in. 
Zweite  Autla<e.    Berlin,  »iebr.  Faetel. 

Huck,  D.,  Arabesken  ii  (irotesken.  Einfalle  in  Vers 
und  I'roaa.    Leipzig,  A.  G.  Liobeskind. 

Ilcllmund,  <;,,  Authari-Snge.  Loii-zig,  Verlag 
des  littorar.  Jahresbe'ichts. 

Ein  Sltirk  Leben.  Blatter  der  Erinnerung  an  ein© 
Entschlafene.    Gotha,  F.  A.  Perthes. 


h  Auswahl  der  Redaction  vorbehalten. 

Klrrhliorf,  A.,  Länderkunde  von  Europa.  Lief. 
6*.  di*.    Pra^'  u.  Leipzisr,   F.  Terapsky. 

Langen,  M.,  Ihr  uud  ich.  Lieder  und  Gedichte. 
Köln  u.  Ixiipzi,',  Albert  Ahn. 

Merbot,  L)r.  R.,  Fors.hun,Ti  weisen  der  Literatur- 
wissenschaft insbes.  dargelegt  au  den  Grund- 
lagen der  Lieuorthoorien.  Frankfurt  a.  M. 
C.  Ko*nit/er. 

Meter,  U.,  Culturgesrhiehtliehe  Bilder  aus  Güt- 
tingen-   Linden-Hatiuover,  C.  Manz. 

Morf,  H-,  Zur  Biographie  Pestalozzis  IV.  Theil: 
Blütho  und  Verfall  des  Instituts  ru  Yverdon. 
—  Pestalozzis  letzte  I/>benstage.  Winterthur. 
Geschw.  Z  eitler. 

Möbius.  P.  J..  R.jssoau  s  Krankheitsjeechichte. 
Leipzig,  F.  C  W.  Wvel. 

Moser,  A.,  Singen  und  S  gon.  Neue  Gedichte. 
Viorto  5-ammlunjr.   Hamburg,  VerlagsansUlt. 

Müllcr-Bohn,  H.,  Graf  M>ltke.  Ein  Bild  seines 
Lebens  und  suiuer  Zeit.  Lief.  6.  Beilin. 
P.  Kittel. 

Mdller-Guttenbrunn,    A.     Gescheiterte  Liebe. 

E  n  Novellenbuch  Leipzig,  Wilh.  Friedrich. 
Ffnndheller,  H.  Puter  von  Cornelius  u.  d.  cami>o 

sant  >  in    Borlin.     Berlin,  Weidmann. 
Pol.i  Million.    Revue  bibliographique  universelle. 

Aout  1889.    Paris,  2  et  5  ruo  St.-Simon. 
PreuslM-he  Jahrburher,  Bd.  LXI V,  Heft  3.  Berlin, 

G-  Reimer  [enthalt  s.  306—344  einen  sehr 

lesonswerthen  Aufsatz  von  P.  Caner  über 

„formale  Bilduug"'  auf  Gymnasien]. 
Prleger,   E..    Echt  oder  ünoi-ht?   Zur  Luc.«- 

Pa<«ion.   Berliu,  C.  F.  Conrad. 
Proelss,  Joh.,   Der  heilige  Amor.  Leipzig,  A.  G. 

Liebeskind. 

Kern*  de  iV.nseijrnement  des  langues  Vivantes. 

Aout  18Ä9.    Dire-teur-eerant  A.  Wolfromm, 

professeur.    Havre,  9  nie  Casimir- Perier. 
Kosen/ n*  ig,  A.,    Der  p._)litische  und  religi->se 

Charakter    des    Flavias   Josephus.  Berlin, 

Stahr'scho  Buchh. 
Schmidt.  M  ,    Gesammelte  Werke.  Bd.  10.  ..Der 
Primizinnt",  ..Da»  l*fing>tel -Braut",  ,.pio 
Schergölgoigor'V  Leipzig,  A  G.  Liebeskind. 
THzc,  AiiKust,    Kriegstageriuch  eines  einjahrig- 

froiwilliifon  Ulanen  aus  dem  Feldzuge  1&70 

bis  71.  Rathenow,  Max  Babenzien  (A.  Haase.) 
Willatren,    P.  J.,  Nordlandshnrfe.  Ueberblick 

übor  die  neuere  Lyrik  des  Xordons  in  Ueber- 

setzungen.   Bremen,  M.  Heinsius. 


Hrbi^irt  unter  OrrantnHJrtlidjfrit  bt*  Ejeraas^ebfr». 
T>TU<t  unb  Ocrlag  non  5.  SdlOttlaenber  in  Örwlau. 
llnbtredftigtfr  nddjbrn  ef  aus  bem  Jnbalt  Wrfer  Sritfdrrift  untfrfugt.    llebtrfrftBna.sied>t  Dorbeljdltrn. 


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in1 

Mi 


Natürliche  Mineralwässer 

1889«.  Frische  Füllung.  1889er.  ^ 


Täglicher  Versand 


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Quellern 

und 

jren  Wärmegrade 


■Mbmo  .40  « 

ihlossbraon  4  h  * 

h»rwnbraiin471  » 

•abrann.  .  47'  * 

«Ltbraun.  34*  =• 

•Ivnqudle.  47  s 

iiHrÜKls-Q.a.33*  * 

liserbronn.  39 1  ■ 


Proöocte 


KARLSBADER 
Sprudel-Salz 
pulverförmig 

und 
krystallisirt. 

KARLSBADER 
Sprudel-Seife. 

KARLSBADER 
Sprudel-Pastillen. 


Die  Karlsbader  Mineralwässer  und  Quellenproducte 

sind  zu  bc/.irjhon  durch  die 


Löbel  Schottländer,  Karlsbad  i/Böhmen 

sowie  durch 

alle  Mineralwasser-Handlungen,  Apotheken  und  Drogisten. 

Ueberseelsche  Depots  in  den  grössten  Städten  aller  Welttheile. 


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-232 


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"SECURUS  JUDICAT  ORBIS  TERRARUM." 


Apollinaris 

NATÜRLICH 
KOHLENSAURES  MINERAL-WASSER. 


Die    Füllungen    am  A pollinaris- Brunnen 
(Ahrthal,  Rhcin-Preussen)  betrugen 

im  Jahre  1887 

11,89^,000 

und  im  Jahre  1888 

12/720,000 

Flaschen  und  Krüge. 


THE  APOLLINARIS  COMPANY,  Limited, 

LONDON, 

UND  REMAGEN  A.  RHEIN. 


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IXovembev  (880 


3nf?aU. 
2Iiujufto  l^ujVIjner  in  £vtihi 

tfT^iulcnj.   27 -reife     ^  55 

tyuu!;1;  €ln*Iicr>  in  Bor  in. 

<Sii\U\,r.  *\rbi   j,.^ 

€ricf?  ITTarcfV  in  S -dir.. 

Suteü  X  IV.  Uni  Skaßtnvrt  ,   221 

2luguft  SJ^marsom  in  Breslau. 

^ifoljii-,  mt£>  ^oljamtes  ron  pifo   25$ 

Karl  (Bjellciup  in  DcnemarF. 

O-Dur.    €tnc  Kammc.nmfif  iTorclic  04^ 

  »» "t* ' 

€mft  U7  fy^ogi  oon  Sachen  de bura,  iSotba. 

£co;;ol&  I.,  König  ber  Didier   27.- 

fy&ttng,  Berber  ,  m  <£if enad>. 

bes  Ijimmels   nc  t 

Bibliograph  ;  

Sibliotjraptjif.r ;it  Mjcri  


l'icvju  ein  porttatt  ron  tfiui^pc  Deti>i. 
Kai)irung        £.  K  ü  f? tt  in  Unmbrxa,. 

  Ptf  5  |-ro  (J?U>llMi  (.i  i;t-fte>  6  Ulorf.  

<Uüc  anr  öon  vebactiontücn  3nf>aft  von  ,  Pjrti  unfc  £uir<  I- 
n  öku  an  bw  : — ■  —  J 

^eSaction  ron  „,Qotb  tmfc  £uV  B:^[.iu 

^-IvnbuMoift-.  2/':,. 


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TXotb  unb  Süb. 

ine  öcutfdje  ZTTonatsfdjrif 

herausgegeben 
von 

Paul  £tnbau. 


LI.  Sanö.  —  Jlooember  (889.  —  fyft  (52. 

(ITlit  einem  portTdtt  in  KaNrung.    äiufeppe  Perfci.) 


25  t  e£  lau. 

Drutf  unb  Detlag  von  5.  Sdjottlaenber. 


ITlagbalma 

HoDelle. 
Von 

—  Berlin.  — 

nb  jo  mögen  bie  troftfofe  SBittroe,  bic  lie&enben  SSerroanbtcn 
lidj  an  bcm  ©ebanfen  aufrid&ten,  bafe  e$  ein  SBieberfe^en  giebt. 
I  (rin  2Bieberfef)en  im  (Seifte,  roo  fic  abgeflreift  iffc  bie  irbifdje 
&ülle,  mit  tf)ren  gefjlem  unb  ©djn>äc$en,  —  ein  SBieberfefjen  in  3efn 
(Sfjrifio!  ©ein  9iame  fei  gepriefen,  in  (Sroigfeit.  2lmen!" 

Der  «Prebiger  fcfyuieg.  9iod>  ein  ©djlufcoerS  be3  tyoxaU,  ber  bie 
Xrauerfeier  eingeleitet  —  bann  rourben  bie  SBalfen,  bie,  über  ba$  offene 
©rab  gelegt,  ben  ©arg  trugen,  Innroeggejogen.  Sangfam  fenfte  er  fidj  in 
bie  ©rube.  Die  ©triefe  ächten  unter  ber  Saft,  bie  ©rbe  fiel  abbröcfelnb, 
mit  bumpfem  ©eräufa)  auf  ben  SHetaübecfeL  ©in  ja&er  %cf  —  ber 
Sarg  mar  in  ber  Siefe  angelangt.  Wafö  füllte  fidj  bie  gälmenbe  Deffnung. 
Die  greunbe  traten  fyeran,  jeber  warf  eine  &anb  uou*  @rbe  fnnab  unb 
begleitete  ben  legten  ©rufj  mit  einem  leifen  SHort. 

Die  trauernbe  SBittroe,  eine  fd)(anfe  ©eftalt,  uon  ifjrem  fdjroarjen 
©dreier  gan$  eingebüßt,  ftanb  am  ©rabe$ranb  unb  blidte  fjinab.  3« 
©ebanfen  ober  tiefen  ©d&merj  fo  oerfunfen,  ba^  fie  beinahe  ba3  ©leid;-- 
getoidjt  oerloren  ijätte,  unb  l)inabgeftürjt  märe.  ffi  ©a^roager  fprang 
fjerbei,  unb  legte  ben  9lrm  um  fie.  9l6er  fie  Oatte  fidj  fdjon  roteber  3ured)t; 
gefunben.  9ftit  einer  abroeljrenben  Seroegung  gegen  ifm,  unb  einem  legten 
Slicf  auf  ben  ftd)  mäf)lid)  roölbenben  £ügel,  roanbte  fic  fidj  mit  langfamen 
©abritten  jum  ©efjen.  Allein,  wie  fie  gefommen  mar,  oerliefc  fie  ben 
ßird)f)of. 

Ii* 


Digirized  by  Gdö^le 


J 


  iHagfralena.    \5? 

magere  grau,  mit  jcfjroarjgefärbten  paaren,  bie  fie  in  gepufften  Sdjeiteln 
über  ben  Öftren  trug,  fted^enben  2lugen  unb  einem  bo^aft  gefniffenen  9ftunb. 
„Wx  ift,  als  Ijätte  man  mid>  imoenbtg  ausgenommen,  fo  leer  unb  talt. 
@S  ift  audj  ju  f)art  einen  SBruber  ju  oerlieren,  unb  fo  ein  golbenes  $er$, 
roie  mein  2tfbert  fyatte."  Unb  Tie  taufte  ein  Stüd  Semmel  tief  in  bie 
braune  glfiffigfeit  in  if)rer  Eaffe. 

„9to,  roaS  baS  golbene  &er$  anbetrifft/  brummte  if)r  3Hann,  ein 
SHiefe  mit  furjgefdjorenem,  oieredtgem  Sd)äbel  unb  einem  mächtigen  ©ebife, 
baS  eben  baS  britte  öutterbrob  oertilgte.  „3Jian  foH  ben  lobten  nichts 
SööfeS  nad)fagen;  aber  für  uns  fjatte  er  verteufelt  roenig  übrig." 

„2)aS  mar  einjig  unb  allein  bie  S<$ulb  feiner  grau/'  sifdjte  feine 
Gf>ef)älfte,  mit  einem  23lid  nadj  bem  Nebenzimmer ;  „bie  Ijatte  ifjn  ja  gan§ 
unter  bem  Sßantoffel,  bie  f)od&mütf)ige  $erfon." 

„Unb  wie  Tie  fid)  tjeute  roieber  benommen  t;at,"  mifdfte  fid^  gräuletn 
2lnna  SBulforo,  baS  ältefte,  ftarf  oerblüfjte  QnfpectorStödjterdjen,  tn'S  &e- 
fpräa);  „unerhört!  Slllein  jum  unb  oom  griebljof  gefahren,  roaS  gegen  alle 
Sitte  ift!  Unb  md)t  ein  2Bort  Ijat  fie  mit  uns  2ltten  gefprod)en!" 

„$er  Sdjmers  um  ben  oerlorenen  (Regatten/'  begütigte  grau  ©utS* 
befifcer  Älenjtg,  bie  £ante  beS  $aufeS,  eine  wohlbeleibte  SDame,  mit  einem 
fettig  glänjenben  Oefid^t  unter  ber  fa^ioar^en  Spifcenfjaube. 

„$aS  ift  bodj  3l)r  Grnft  nid)t?"  fnurrte  SBulfoto.  „$ie  unb  Sc&merj! 
&od)mutl)  ift  es,  reiner  &odS>mutf)!  3Bir  finb  if»r  ni<f>t  fein  genug,  ber 
gnäbigen  ^rinjeffin.'' 

grau  tflenjig  roog  nad)benflid&  ben  fifbernen  Kaffeelöffel  in  ber  £anb. 
„Ob  2llbert  roof)l  ein  Xeftoment  gemalt  t)at?"  flüfterte  fie  gräulein  SRect- 
^aufen  ju. 

©efpannt  laufa^ten  bie  Slnberen.  „3$  roeife  es  ni$t,"  bekannte  bie 
(Befragte.  „$er  Suftijratf)  roar  xoofy  ein  paar  9M  l)ter,  aber  £err  Granj 
f)aben  fidt>  nie  barüber  geäu&ert." 

„öS  märe  Ijimmelfdjreienb,  wenn  er  feine  ©efdjroifter  nid&t  bebadjt 
tjätte,"  grollte  grau  Söulforo;  „aber  baS  traue  id)  tljr  fdjon  ju,  biefer 
<perfon." 

„Sief)  bodj  üttama,  was  id)  gefunben  l)abe!"  So  unterbrach  2Hartf)a, 
bie  jüngere  Eod>ter,  baS  ©efprädj.  Sie  fjatte  roäljrenb  ber  Unterteilung 
ber  3lnberen  im  Limmer  umfjergeftöbert.  2)ie  £ante  Granj  mit  if)ren  ab* 
roeifenben  Sanieren  roar  für  fie  ftets  ber  ©egenftanb  beS  r)öd)ften  Leibes,  — 
il)r  $auS,  in  baS  bie  gamilie  nie  gelaben  rourbe,  baS  intereffantefte  Stubium 
geroefen.  %n  einer  ©de  beS  Büffets  fjatte  fie  jefct  eine  SBifitenfartenfdjaale 
entbedt,  unb  in  ben  oerftaubten  ftärtdjen  gerofifjlt.  „Sief)  bod),  roer  l)ier 
2iaeS  oerfefirt  l)at!  Stabtratf)  SBeberS,  2)irector  Sublanj  —  unb  auc^ 
Äftler!  —  Xer  SWaler  Oebel,  gräulein  2fatanba  oom  Stabttljeater"  — 
„Sa^maroter,  bie  meinen  armen  Sruber  aufgegeben  f)aben,"  eiferte 
bie  Butter. 


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\5S 


2luautfc  ßaufdjner  in  Serlin. 


„2>a3  ^tttte  in  ben  legten  Sauren  ganj  aufgehört/'  befchwtehtigte  bie 
Söirt^'c^Qftertn.  „&err  Granj  war  ftets  ein  greunb  ber  9tot)e.  9hrr 
feiner  jungen  grau  ju  Siebe,  ber  er  ja  jebel  Opfer  brachte." 

„2Öa3  er  nur  an  ihr  gefunben  tyxi,"  fragte  2lnna,  „an  ber  rotf)blonben 
$opfenftange." 

„(Smgebilbet  unb  babei  arm  wie  eine  ßtrehenmaul,"  ergänzte  ihr 
$ater. 

„SBenn  ich  noch  an  ben  £ag  fetner  Verlobung  benfe,"  —  grau 
2Mfom  fprach  unbeutlidh,  benn  fte  faute  eben  ein  grojjeS  Stüdf  Slpfel* 
fuchen  —  „fo  bretjt  fiä)  mir  bal  £erj  im  Seibe  um." 

„3Wir  ift  es  wie  freute/'  fiimmte  gräulein  9?ecf  häufen  $u. 
fifee  fyvc  am  genfter  unb  ftopfe  bie  £üu"garbinen  au«  ber  guten  (Stube. 
Xa  fommt  £err  Granj  herein,  unb  läuft  in  allen  &fen  umher,  als  fuche 
er  etwa«,  ftefft  fiä)  bann  plöfclich  cor  mich  ^)in  unb  fagt:  gräulein  9ietf; 
Raufen,  ich  Ijabe  midf)  eben  uerlobt  —  mit  ber  £oä)ter  oon  grau  2Uanf. 
2lber  unfer  SBerhältnifc  änbert  fid^  baburch  nid&t.  $m  ©egentheil,  ich  werbe 
3^re  Unterftüfcung  noch  nötiger  brauchen,  benn  meine  Sraut  ift  nodh  fo 
jart  unb  unerfahren." 

„©ine  nette  Unerfahrenheit,"  Ijöfmte  ber  3nfpector,  „bie  mar  mit  allen 
ßunben  gehefct!" 

hätte  mich  eigentlich  nicht  überrafdhen  foHen,"  fuhr  bie  Wählerin 
fort.  „6ettbem  grau  S3lanf  in  unferem  #au$  wohnte,  mar  £err  Granj 
ganj  oeränbert.  2lber  ich  war  wie  mit  Slinbheit  gefdhtagen.  (£rft  fpäter 
fiel  e§  mir  ein,  wie  oft  ich  Um  mit  gräulein  SJtagbalena  plaubemb  auf 
ber  treppe  getroffen;  bafe  er  bie  9Rieth3quittung  fietä  fetbft  in  ben  brüten 
Stocf  trug,  unb  bafe  er  ftcf)  auch  einen  neuen  fchwarsen  SWocf  hatte  machen 
laffen  unb  brei  weifte  heften." 

$>ie  ganje  ©efettfetjaft  laufchte  gefpannt  bem  intereffanten  Vortrag, 
unb  bemerfte  nicht  ben  (Eintritt  bei  einzigen  23ruber$  bei  SSerftorbenen, 
bei  $octor  Hubert  Grans,  ber  an  ben  Xifch  trat,  ein  ©lal  SBein  hinunter* 
ttürjte,  unb  bann,  mit  auf  bem  SRücfen  gefreujten  3lrmen,  in  ber  Stube 
auf  unb  ab  fchritt. 

„Verliebt  wirb  fie  fidt>  wohl  nicht  in  ihn  fydben,"  fpöttelte  Söulforo. 

„@in  ungleiche!  ^ßaar,"  meinte  auch  S^u  Älenjig,  bie  S'ortenfrümel 
auf  ihrem  Schoofe  fammelnb.  „Senn  ich  öen  erfien  SSefudjj  benfe, 
ben  fie  bei  und  machten!  £en  erften  unb  ben  legten.  Sie  hat  uns  ben 
Sruber  entfrembet,  fie  hat  fein  #erj.  Unb  wer  weife,  hätte  fie  ihn  nicht 
eingefangen,  er  lebte  nielleicht  noch,  ber  gute  2ilbert!" 

Hubert  trat  an  ben  £if<f>.  —  „©laubt  3hr  f*w»  3lnbenfen  ju  ehren, 
inbem  3hr  feine  SBittwe  üerläfitert?"  rief  er.  „Unb  Sie,  graulein 
JHedfhaufen,  träten  auch  Keffer  3hre  ßerrin  nicht  ju  fdjmahen.  3h*e  Uner* 
fahrenheit  fam  nur  3h«en  5"  ©ute.  Unb  —  auch  ohne  aWagbalene  33lanf  $ 
3?erfuhnmg§funfte,  Sie  wären  bodjj  nie  bie  jweite  grau  (Sranj  geworben!" 


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 ITlagbalena.    J59 

2öie  eine  Schaar  aufgefd)eud)ter  Sperlinge  ftoben  bie  ^ngerebeten 
auSeinanber.  ©in  böfer  SBlid  ber  grauen  traf  ben  ?lr$t,  aber  fie  oer* 
ftummten.  ©rfl  alä  er  ba3  Sinter  oerliefc,  rüdten  fie  enger  jufammen, 
um  ba3  unterbrochene  ©efprädj  im  glüfterton  wieber  aufzunehmen. 

Factor  Granj  trat  in  baä  Nebenzimmer,  bie  „gute  Stube",  in  welcher 
ber  Sarg  aufgebahrt  gewefen  war.  Die  rotten  ^piüfdjmöbel  ftanben  nodj 
alle  in  einer  ©de  jufantmen ;  auf  bem  gufcboben  lagen  Tannenzweige  unb 
abgerijfene,  weifje  Finthen,  ©in  wibriger  ©erudj  von  Qfyox,  9Rofdm$ 
unb  weifen  Blumen  erfüllte  ben  9iaum,  ben  eine  Sampe  nur  notdürftig 
erhellte. 

©rft  nach  einigen  Secunbeu  erfannte  Hubert  feine  Schwägerin,  bie 
in  ber  genfternifdje  in  einem  Seifet  lehnte.  %n  bemfelben  9lnjug  tto<^ 
in  welchem  fie  ben  Kirchhof  oe-.iaffen.  Den  $ut  Ijatte  fie  neben  ftch  auf 
ben  £ifd)  gelegt,  ba3  ©adjemiretud)  war  il)r  von  ben  Schultern  geglitten, 
unb  fd)leifte  an  ber  ©rbe.  Hubert  fonnte  nicht  unterfdjeiben,  ob  fie  fdjlafe, 
ober  mit  fyatbgefdtitoffenen  klugen  träume. 

„Du  wirft  Dich  erfälten,  Sena,"  fagte  er  nähertretenb,  inbem  er  fi<§ 
bemühte  ben  raupen  fllang  feiner  Stimme  zu  bämpfen.  „Du  foHteft  Dich 
umgehen  unb  etwaä  SÖarme*  genießen/' 

Die  junge  grau  fd>redte  auf.  Dod)  aU  er  nach  ihrem  £ud)  griff, 
um  e$  iljr  wärmer  um  bie  Sdmltern  zu  legen,  ftanb  fie  rafd)  auf,  mit 
berfelben  abwehrenben  Bewegung,  wie  oorfjer,  aß  er  Tie  oom  ©rabe 
hinwegrijj.  „3$  bin  in  ber  Xhat  angegriffen/'  antwortete  fie  mit  leifer 
Stimme,  „ich  werbe  mich  nieberlegen."  Unb  langfam,  mit  müben  Stritten 
bnrdrfchritt  fie  ba£  ©emach,  ben  feuchten  Äletberfaum  nach  fidj  jietjenb. 

Sie  burd)fd>ritt  einen  engen  ©ang  unb  trat  in  ihr  Limmer.  Da 
warf  fie  £ut  unb  Duo)  oon  fidj,  oerfdjlofj  bie  Xljür  mit  Schlüffel  unb 
Siegel,  trat  bann  in  bie  SJlitte  ber  Stube  unb  ftredte  beibe  2lrme  in  bie 
$öl>e,  wie  ein  Sttenfdj,  ber  eine  fdjwere  Saft  niebergelegt  t;at. 

grei!  fie  war  frei!  Die  Letten  waren  gefallen,  bie  fie  feit  %a\)xen 
gebrütft  fetten.  Sie  war  nicht  mehr  abhängig  oon  ben  Saunen  unb 
2Bünfdjen  eines  Hnberen.   Sie  gehörte  fidj  felbft  an,  ihre  eigene  Herrin! 

Sie  flaute  um  fidE):  $ier  war  ihr  eigenfteS  9teid)! 

Die  neugierigen  Slugen  ihrer  Richten  hätten  hier  mehr  Mit  ihrer 
©igenart  ausfpüren  tonnen,  als  in  ben  auSbrudglofen  Jöohnräumeu.  So 
gut  e$  ihre  fünfu'erifdje  Unfenntmfj,  unb  bie  Sparfamfeit  beä  ©arten  erlaubt, 
hatte  fie  fidj  hier  ein  behagliches  9Jeft  gebaut.  3n  einer  Ntfche,  burdj 
blafjblaue  ©retonneoorhänge  faft  oerbedt,  fianb  ihr  Bett.  Daoor,  auf  einem 
felbftgeftidten  £eppid)  mit  Sftofenmufter,  ihre  Sammetpantoffeln.  5ln  ba$ 
genjter,  baS  nach  bem  $of  ging,  über  bie  niebrige  3)iauer  jebodj  in  grüne 
©ärten  blidte,  war  ein  lehnenlofer,  mit  nachgemachter,  perfifcher  Dede 
überbreiteter  Dioan  gerüdt.  Darüber  an  ber  Sßanb  ein  Bücherfchränfdjen. 
Daoor  ein  £ifdj  mit  allerlei  £anb,  einem  gad)er,  2J?etaHbüchfen,  ©Ia3= 


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\00  - —    2Jugufte  fiaufcbner  in  Berlin.  

flauen  mit  roohlriechenben  Söaffern.  2luf  bem  blumenburchnrirften  2eppt<fj, 
ber  einen  großen  X^eil  be£  gujjbobenS  bebeefte,  ftanben  niebrige,  blaubejogene 
2)iöbelfrüde  in  abfichtlidjem  Surdjeinanber.  Sajnufchen  ein  Schaufelfrur)l 
aus  gebogenein  £ol§,  ein  Slumentifch  mit  tunftlichen  23lattpflan$en.  Xen 
f  leinen  Schreibtifd;  fdjmfidten  franjofifche  93iSquitftguren,  unb  aus  einer 
bunten  Vafe  auf  fchroarjem  Södel  erwuchs  ein  mächtiges  2ftafartbouquet. 
3fn'  SieblingSplafe  jebodh,  non  ihr  mit  befonberer  Sorgfalt  gefchnrüeft, 
mar  il;r  Äamin.  3hre  ganjen  Grfparniffe  ^atte  feine  2lnf Raffung  ver- 
fchlungen.  Sie  Umrahmung  von  unechtem  SRarmor,  baS  Spiegelglas,  baS 
irm,  in  hellblauer  Ginfaffung,  frönte,  bie  jierlidjcn  SReifinggegenftänbe, 
Holjforb,  SaxiQe,  Sölafebalg,  bie  feine  flammen  anfaßten  unb  unterhielten. 
S3or  9iaem  aber  baS  mächtige  fä^roarje  Bärenfell,  baS  fie  baoor  gebreitet, 
unb  baS  ein  ^aar  weiche  ftiffen  leidet  jum  bequemen  £ager  manbelten! 

&eute  pratfelteu  bie  Sd)eiter  fpü  auf  unb  i^r  £id)t  mifcfcte  ftdh  mit 
bem  matteren  Schein  ber  rofaoerfchleicrten  Hängelampe.  Siäjt  oor  ber 
©lutl),  burd)  einen  geftiefteu  Dfenfchirm  oor  ber  §ifce  gefchüfet,  ftanb  ein 
niebriges  weifcgebedteS  Xiichchen,  mit  Sheegefchirr.  Scna  erfanute  bie 
£aub  itjreö  3JtäbchenS  Sore,  baS  mit  rufjrenber  £reue  an  ihr  hing,  unb  bem 
allein  fie  bie  Sorge  um  ihr  f (eines  fteim  anvertraute.  Sie  ftreifte  rafc^  bie 
fdm>ar$en  ©eiuänber  ab,  tuufd)  ,§änbe  unb  ©efidn*  mit  buftenbem  SSaffer  unb 
50g  einen  roeijjen  glancüfchlafrod  über.  Sann  $ünbete  fie  bie  Spiritus* 
lampe  unter  bem  Reffet  an,  goft  baS  fochenbe  Söaffer  auf  bie  Sheeblätter  in 
ber  jierlidjen  Älamte  unb  (teilte  eine  Xaffe  £f)ee  neben  fich  auf 

2luf  baS  Bärenfell  geftredt,  bie  5lrme  hinter  bem  Qavipt  getreust, 
ftarrte  fie  in  bie  flammen. 

Sah  fie  in  ben  ©luthen  ©eftalten  ber  Vergangenheit  aufzeigen  V 

Sie  immer  flagenbe,  abgehärmte  3)luttcr  unb  fid)  felbft?  SaS  atr)t= 
jelmjährige,  hochaufgefchoffene  2J?äbd)en,  mit  ben  unjufricbenen,  begehrlichen 
©ebanfeu  unter  ben  rothblonben  Dorfen?  ©ebad)te  fie  beS  XageS,  ba  fie, 
oon  einem  23efuch  surüdgcfetjrt,  bie  Butter  jum  erften  2M  freubeftrahlenb 
fanbV  tfaufmaun  Granj,  ber  Söefitjer  beS  Kaufes,  in  bejfen  brittem 
Stodrocrf  fie  jroei  befcheibene  Stübchen  bewohnten,  f)atte  um  SenaS  &anb 
angehalten.   &McheS  ©lud!  &Me  mürben  fie  alle  Sefannten  beneiben! 

Grinnerte  fie  fid),  mit  welchem  Stolj  fie,  bie  faum  erblühte  Jungfrau, 
ihre  ^anb  in  bie  bes  alternben  SRannes  legte,  ber  ihr  Vater  fein  founte? 
S5Me  freubig  fie  ba*  „3a"  t»or  bem  9lltar  fprach?  GS  brachte  ihr  ia  3lfleS, 
wonad)  fie  fid)  fo  lange  gefefmt  hatte:  eine  geräumige  SBohnung,  fdjöne 
Kleiber,  Sienftboten,  ein  forgenlojes,  arbeitsfreie«  fieben."  — 

GS  bauerte  %ofyxe,  ehe  ihr  all  ber  neue  SBefife  ganj  gleichgültig 
rourbe.  Gin  Aufenthalt  in  ber  £auptjtobt,  in  ber  ihr  9)tonn,  uon  feinen 
©efdhäften  in  3lnfprua)  genommen,  fie  ber  gührung  feiner  ^reunbc 
überlief  trug  bam  bei  fie  aus  bem  3uf*<mb  behaglicher  ^ufriebenheit 
auf3urüttcln.   311  bie  flöfterlidje  Stitte  iljreS  ^eimS  jurüdgefehrt,  glaubte 


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  IHagbalena.    \6{ 

fie  plöfclid)  3U  füllen,  bafj  fie  btetjer  nur  oegettrt  Ijabe,  unb  bafc  i^rc 
2Bunfd)lofigfeit  nid)t<S  geroefen  war,  al$  Unfenntnifc  be$  &%vfdjenSroertl)en! 

Damals  oerfud&te  fic  Sefanntfdjaften  anjufnüpfen,  tyre  ßäuSltdtfeit 
ju  beleben. 

2tber  ir)r  ®atte  faf)  fdjeel  5U  biefen  2(enberungen.  Gr  roar  an 
gletdjmäfjige  fiebenöroeife  geroöfmt  unb  fonnte  fid£)  ju  einer  anberen 
nidjt  mein*  bequemen.  So  gab  £ena  it)re  9(enberung3oerfudje  balb  auf. 
3$re  neuen  greunbe  fdjienen  if)r  bei  näherer  23efanntfct)aft  ofjneljin  nidjt 
intereffant  genug,  um  für  it)re  ©rtyaltung  ju  fämpfen.  Die  alte  Stille 
50g  roieber  in  if)r  £au3  ein.  9ftd)t3  fdnen  oeränbert,  unb  bod)  roar  fie 
eine  ganj  2lnbere  gcroorben! 

3,n  it)rcr  Seele  roar  etroaS  erroadjt,  ba3  ftdj  nidjt  roieber  beruhigen 
wollte,  ©ine  Unbefrtebtgttjeit  ein  (Seinen  —  ganj  anberer  2lrt  als  ba£ 
i^rer  ÜWäbdjenjaljre,  baS  nur  ben  praftifdjen  Dingen  be3  Sebent  gegolten! 
@3  fehlte  ir^r  an  SBefdjäftigung,  um  bie  innere  Unruhe  $u  betäuben.  Die 
Leitung  ber  2öirtf)fdjaft  ruf>te  in  gräulein  9tedfjaufen3  £anb,  unb  öffentliche 
2Sol)ltf|ättgfeit  intereffirte  fie  nid)t. 

Sie  fdfmeidjelte  irjrem  -JJtonne  bie  ©rlaubnifj  ab,  fid)  ifjr  3inimer  ein; 
ridjten  ju  bürfen.  ßein  grember  foüte  e$  betreten.  2ßie  eine  Bezauberte 
^rinjeffin  erfdjien  fie  fidt)  barin.  Stunbenlang  regten  fid)  bie  gefdjidten 
ginger  jum  Sdnnud  ber  eigenen  $erfon.  9Zad)  it)ren  SJiobebilbern  fdjuf 
fie  #üte,  ^äubd^en,  Äleiber,  in  benen  fie  oft  fein  anberen  9htge  far),  al£ 
baä  eigene.  2öetm  fie  beS  9lbenb$,  nadj  ber  testen  Partie  ^iquet,  ben 
©utena^tfufj  it)reö  3Jtanne3  Eingenommen,  fluttete  fte  in  ifjre  Ginfamfeit. 

Stunbenlang  las  Tie  frangöfifdje  Romane,  in  benen  unoerftanbene 
grauen  lebten  unb  liebten.  Unb  bann  trat  fie  roof)l  oor  ben  Spiegel, 
Iöfte  bie  golbenen  $aare,  entblößte  bie  roeifcen  Sdjultern  unb' fragte  fid), 
ob  fie  ntdjt  aua)  loertr)  fei  angebetet,  begehrt  ju  roerben?  Söarum  es 
iljr  beftimmt  fei  it)re  Sngenb  ju  oertrauern,  ir>re  Sdjönljeit  ungefe^en 
»erblühen  ju  laffen? 

Unb  in  pljatttaftifdje  ©eroänber  gefüllt,  beren  Sdjnitt  fie  felbft  erfunben, 
ftredte  fie  f\d)  auf  baS  Bärenfell,  blidte  in  bie  fladernben  &ol$fdjeite,  unb 
träumte! 

9iid)t  oon  #iebe,  —  nur  oon  (eibenfdr)aftridr)er  SBerounberung,  oon 
glänjenbem  Seben,  raufd^enben  SSergnügungen ! 

3mmer  brennenber  rourbe  bie  Se^nfudjt  nadj  ber  SBerroirflidjung 
biefer  träume.  Cft,  roenn  fie  fid)  mit  i^rem  SHann  im  aUtäglidr)en  ©e= 
fprädj  unterhielt,  äuierlid;  ba£  sBUb  ooHfommenfter  Seelenrulje,  t)ätte  fie 
am  fiiebften  aufgefdjrieen :  „Sdjon  roieber  ein  Xag  oorbei,  ein  £ag  oer= 
loren!  3Heine  Sujjenb  fd)roinbet;  id)  roiU  leben,  genießen \" 

3hr  3Kann  merfte  nid^t^  oon  £ena$  Doppelleben.  %n  feinen  9lugen 
roar  fie  ja,  im  23efift  oon  3Ulem,  roa§  eine  grau  beanfprudjen  fann,  ooll* 
fommen  glödlid).    2ln  ir)re  fü^le,  träge  @leidhgültigfeit  tyitte  er  fid) 


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162 


vlugufte  lianfdptcr  in  Berlin. 


gewöhnt  unb  fyelt  fie  für  ihr  innerfteS  SBefen.  UeberbieS  mar  er,  in 
golge  eines  plöfclid)  ^eroortretenben  Verbleibens  rafd^  gealtert  unb  fränf e(te 
häufig,  bis  ihn  eine  ftarfe  ©rfältung  auf  baS  Äranfenlager  warf,  —  von 
bem  er  fid)  nicht  roieber  ergeben  follte. 

Sena,  wohl  um  bie  Stimme  in  ihrem  Ämtern  ju  betäuben,  pflegte 
ifm  mit  pünftlidjer  pflichttreue.  2Rit  einer  grauen  Sd)roefter  tfjeilte  fxe 
bie  9tad)troad)e.  ©S  mar  in  ber  9tod)t  oor  feinem  £ob,  als  fie  aus 
leichtem  Sd)(ummer,  ju  bem  fie  in  ben  Sef>nftuhl  juruefgefunfen,  oon  ber 
(Stimme  beS  ©arten  geroeeft  nmrbe. 

„^erjeU),  mein  Äinb,  bajj  id)  Xeine  -Hu^e  ftöre,  Xu  mufjt  fer)r 
mübe  fein."  Unb  er  legte  feine  peifcfjlofe,  matte  .§anb  auf  tt)re  fühlen, 
meinen  ginger. 

,,3d)  fühle,  es  geht  mit  mir  3U  @nbe.  99alb  fann  id)  vielleicht  nicr)t 
mehr  fpredjen  unb  id)  |ätte  Xir  nod)  fo  viel  3U  fagen." 

@r  fat)  fie  lange  an,  wie  fie  oor  ihm  ftanb,  im  roeifeen  9tod)tgen>anb, 
bie  blonben  gled)teu  00m  Schlaf  gelöft,  bie  SBangen  leidet  gerottet. 

„SBMe  fd)ön  Xu  bift,  Sena!  Schöner  nod),  als  an  jenem  STage,  ba 
id)  Xir  jutn  erften  3Me  auf  ber  treppe  begegnete."  ©r  feufjte.  „Xu 
bift  fet)r  jung,  ju  jung,  um  allein  in  ber  2Mt  ju  ftehen,  Sena!  3lber 
id)  weife,  Xu  bift  ernjt  unb  oerjtänbig.  Unb  Hubert  wirb  Xir  jur  (Seite 
ftet)en.   3ln  ilm  roenbe  Xid)  in  aßen  fragen  beS  SebenSl" 

Gr  fonnte  nid)t  weiter  fpred)en,  ein  &uftenanfaU  erftitfte  it)n  beinahe. 
3ur  Erleichterung  feiner  9ltf)embejchwerben  mar  eine  befonberS  ftarfe 
SJlorphiumbofiS  nötfn'g.  Sie  beruhigte  ii;n  —  aber  aus  bem  Schlaf,  in 
ben  fie  it)u  oerfenfte,  ermad)te  er  nid&t  mein*  5U  flarem  33ewu&tfein. 

*  * 

* 

Xie  Träumerin  am  ftamin  war  eingefd)lafen.  Saute  (Stimmen  auf 
bem  Giang  fa)recften  fie  auf. 

„SIbteu,  liebes  gräulein,"  hörte  fie  bie  fette  (Stimme  ber  Sante 
Älenjig  fagen,  „empfehlen  Sie  uns  ber  $auSfrau.  ©S  mar  nid)t  fet)r 
höflid)  non  i^r,  uns  ofmc  eine  &>ort  beS  ?lbfchiebS  &u  nerlajfen!" 

„Wlit  gemeinen  Seuten,  wie  mir  finb,  maä)t  man  feine  Umftänbe," 
höhnte  ber  gabrifinfpector.  Unb  feine  grau  fügte  hinju:  „Sie  ift 
wirflid)  unerhört,  biefe  Ungezogenheit." 

2lber  Schwager  Hubert  fa)nitt  ihr  bie  Siebe  ab.  „<Seib  Sfox  nod) 
nid)t  fertig  mit  Säftern,  bann  maä)t  es  außerhalb  beS  £rauerbaufeS  ab." 
Xie  %fyüx  fiel  $u;  fie  waren  gegangen. 

©in  oerää)tlicheS  Sächeln  umfpielte  bie  Sippen  ber  Saufd)erin.  Sie 
hatte  ftets  eine  graufame  greube  baran  gefunben,  bie  SBermanbten  ihres 
SJtanneS  ju  beleibigen.  Sie  fanb  fie  ungebilbet  unb  boshaft.  Unb  fonnte 
fie  ben  $erfef)r  mä)t  haben,  ben  fie  roänfd)te  —  einen  unenoünfdbten 
lief*  fie  fid)  nid)t  aufbrängen.   3hr  Wann,  nur  mit  lofen  Sanben  an  feine 


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niagbalcito.   


\6ö 


gamilie  gefnüpft,  nötigte  fie  nid>t  ba$u.  3lwc  mit  feinem  Grober  Hubert 
machte  er  eine  Ausnahme.  £rofc  ber  färoffen,  abweifenben  flühle  ber 
Schwägerin,  war  Hubert  ftets  ein  häufiger  ©aft  beS  Granj'fchen  £aufeS 
gewefen.  £ena  fonnte  ilm  unmöglich  feinen  Angehörigen  glelchftellen. 
3u  oft  (jatte  if)r  SJtonn  ihr  erjagt,  mit  weitem  eifemen  Jjrei&c  Hubert 
fich  bie  reiben  Äemttniffe  angeeignet,  bie  ilm  $u  einem  ber  gefud)teften 
Aerjte  gemalt  hatten;  auch  oon  Gharafterjügen,  bie  oon  beS  ©rubere 
rauher,  aber  geregter  ©üte  fpradjen,  berichtete  er  mit  Vorliebe. 

Erofcbem  wuchs  SenaS  Abneigung  gegen  ben  ungern  gelegenen 
Schwager  oon  Sahr  ju  Safjr.  ©er  geheime  ©roll,  ber  fid),  mühfam 
bewacht,  in  ihrem  &er$en  mehrte,  toanbte  [ich  weniger  gegen  ben  alternben, 
fdnoachen  ©atten,  als  gegen  ben  fcharfen,  ironiföen  Hubert.  Sie  Wie 
feine  burdjbnngenben  Slicfe,  bie  it)re  oerborgenften  ©ebanfen  ju  lefen 
fa)ienen;  fie  ()a§te  baS  fpöttifche  fiächeln,  mit  bem  er  ein  neue«  flleib,  eine 
f ofette  &aartracf)t  an  ihr  betrachtete,  beren  ©rftnbung  ihr  ein  paar  müfjige 
Stunben  oerfürjt  hatte.  Sie  hafcte  bie  unoerhohlene  Verachtung,  mit  ber  er 
ihre  SRomane,  wenn  fie  fich  einmal  in  baS  SBohnjimmer  oerirrten,  bei  Seite 
toarf;  fie  rjagte  bie  farfaflifche  ©alanterie,  mit  ber  er  ihre  Schwächen 
getjjelte  —  ihre  (Sitelfeit  bemüthigte.  Unb  an  ihn  hatte  fte  ber  Verstorbene 
gemtefen!  0,  über  ben  Scharf  blict  ber  Männer!  3Wit  befonberer  ©enug- 
thuung  wollte  fie  gerabe  feine  &tlfe  fchroff  äurücf  weifen!  

*  * 

Am  Xage  nach  oer  öeerbigung  ihres  2HanneS  fühlte  fich  Sena  franf. 
Xie  anftrengenbe  Äranfenpflege,  unb  eine  ©rfältung  auf  bem  Kirchhof 
hatten  ihr  ein  leichtes  Sieber  sugejogen.  @S  mar  iljr  ein  willfommener 
SSonoanb  allein  $u  fein,  alle  neugierigen  läftigen  Vefudje  abjuroeifen.  Sie 
oerlebte  eine  wonnige  Sßodje  trägen  hinträumen«,  oon  feiner  Pflicht  geftört. 

2Bie  ein  Slawen  rollte  fie  fich  in  ihrem  33ett,  an  ihrem  ßamin  ju 
behaglichem  SRuhen  sufammen,  oon  ihrer  $ore  gepflegt  unb  gehätfchelt. 
Sie  bachte  nichts,  fte  plante  nichts  —  fie  fühlte  fich  wöbe  unb  aoge* 
fpannt  unb  boct)  innerlich  beruhigt;  mar  fie  boch  frei  unb  ^errin  ihrer 
3ufunft!  Auch  thren  Vermanbten,  ihnen  oor  AHen,  mar  ihre  $hür  oer* 
fchtoffen  geblieben. 

Aber  heute,  oiersefm  £age  nach  Alberts  Xob  mußte  fie  mit  ihnen 
äufammentreffen.  $aS  fteftament  follte  oerlefen  werben,  ihre  Anwesenheit 
würbe  bringenb  oerlangt. 

Sie  erfchien  im  legten  Augenblicf. 

%n  ihren  Srauergewänbem,  mit  ben  ruhigen  Bewegungen  unb  ben 
unburd}bringlichen,  bleichen  3"gen,  ftach  fie  oomehm  ab  oon  ben  lauten 
aufgeregten  SWenfchen,  bie  fich  in  bem  fleinen  »ureau  beS  SufrijrathS 
Sefon  jufammenbrängten.  2Jttt  ftummem  ©rufe,  ohne  bie  auSgefrrecften 
&änbe  ber  fte  begrü&enben  Verwanbten  $u  beachten,  sog  fie  fidt)  in  eine 


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— —    2lngujte  Ijaufdjner  in  23erltn.  


(5cfc  jurücf,  unb  tjörte,  unter  bem  fjerabgelaffenen  Sdjleier,  bic  SBerlefung 
be$  2lftenftücfeä  an.  Sie  roar  bie  Unioerfalerbin,  „als  Danf  für  bie 
glticflidjen  3af)re,  bie  idj  mit  if>r  perlebte/'  fo  ftanb  e3  in  bem  Xeftamente 
be3  ©atten.  Die  ärmeren  93erroanbten  waren  mit  fleinen  Legaten  bebaut, 
bie  roo()lf)abenben  gingen  ganj  leer  aus. 

@ä  roar  feine  gro&e  (Srbfajaft.  Das  ©efd&äft  beä  2Serftorbenen  f)atte 
unter  beffen  flränfltd&fett  gelitten,  bie  legten  fta^re  Ratten  33erlufle  ge* 
bradjt,  unb  ber  $au$f)alt  roar  für  bie  3Ser^ältnif)e  ber  fleinen  Stabt 
foftfpielig  geroefen.  Siebjigtaufenb  3Jtorf  baares  SBennögen  roaren  bei 
bem  berliner  söanquier  in  guten  papieren  beponirt.  2Iber  ba3  &au3  roar 
ftarf  belaftet;  ba$  ausgegangene  @efd)äft  braute  faum  einen  Ueberfdnife. 

£ena  roar  nidjt  fjabfüdjtig.  «Rur  Littel  jum  3roecf  roar  if)r  bae 
öelb.  $n  if>rer  Unerfahrenst  fdjien  ifn*  biefe  Summe  baaren  Oelber  mter* 
fa)öpflid>.  ©länjenbe  £uftfd)löffer  bauten  fia)  in  i^rcr  Pjantafie  auf,  roäfjrenb 
if)re  $erroanbten,  jornig  flüfternb,  itjre  Gntrüftung  md)t  »erbargen. 

Die  Sßerlefung  be3  Eeftamenteä  roar  beenbigt.  Die  Söittroe  erfwb 
ftdj,  um  bal  Limmer  ju  oerraffen.   Da  oertrat  ifjr  Hubert  ben  2öeg. 

,,3d)  mufe  Didj  für  ein  paar  Minuten  beläftigen,"  fagte  er  mit  feiner 
fd^arfen  Stimme;  „barf  idj  bitten?"  —  Unb  er  öffnete,  einen  23licf  mit 
bem  befreunbeteu  äuftfjnrtJ)  taufdjenb,  bie  Sljür  ju  beffen  ^ßrioatjimmern. 

£ena  mufete  fidj  fügen,  aber  ifn*  ganzer  Drofc  erroadjte.  SBte  eine 
gürftin  fdjritt  fie  an  bem  Sdjroager  vorüber,  fefcte  fid)  roett  entfernt  von  ifmt 
auf  einen  Sefjnftuftf,  unb  lehnte  ben  5topf,  roie  ermübet,  gegen  ba$  Sßolfter. 

Hubert  ging  einige  auf  unb  ab,  als  wollte  er  eine  ©rregung 
nieberfämpfen.  Dann  fu^r  er  fic$  burd)  baä  bufdjige,  ergrauenbe  öaupt* 
Ijaar  unb  fagte  mit  bemfelben  fd^neibenben  Xon  roie  oorf)in: 

„3$  l>abe  oergeblidj  gefugt  Didj  in  deiner  Sßofnumg  ju  fpredjen, 
ia)  rourbe  ftets  abgeroiefen." 

„3$  roar  franf,"  fam  e$  ^odjmütf)ig  tron  ^enaS  kippen.  @r  roarf 
einen  raffen  3Mid  auf  ityre  feinen,  blaffen  3U9C- 

„3$  rooflte  Didj  nia)t  mit  oerroanbtfd)aftlid)en  ©efüljfen  beläftigen. 
■Nur  eine  s$flid)t  glaubte  id)  erfüllen  ju  müffen.  Dein  Sttann  I)at  auf 
feinem  Sterbebett  bie  Sorge  um  Seine  3u^u"ft  in  meine  £änbe  gelegt." 

£ena  roarf  abroeifenb  ben  5topf  jurücf. 

,,3d)  roeifj  c$,  Du  tljeüft  feinen  üBunfdj  nidjt;  tdj  weiß  audj,"  feine 
Stimme  flang  fta^lfd^arf,  „Du  bebarfft  meiner  gürforge  nia^t.  2lber  ify 
mu§  bod)  uerfueben  mein  SÖort  ju  galten,  ia^  muß  2Mdj  bod)  ein  9Jlat 
fragen:  2Ba3  gebenfft  Du  ^u  tlmn?" 

Die  junge  grau  Ijatte  \i$  aufgerichtet.  W\t  unoeri)o^lener  Abneigung 
bliefte  fie  ben  Sprecher  an. 

„9)?ein  armer  trüber  ift  nidt)t  o^ne  Sorge  geftorben.  ©r  fürchtete 
feiner  geliebten  grau  bie  ^w^ft  nid^t  genügenb  geebnet  gu  ^aben.  Den 
Unterbanblungen,  bie  er  begonnen,  um  ba$  ©efcjt)cift  oort^eil^aft  5U  nerfaufen, 


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  OTag&alena.   [65 

f)at  ber  £ob  ein  ©nbe  gefefct.  2lud)  baS£au«  mufc  fdjteunigft  oeräu§ert  werben. 
®«  ift  alt  unb  wirb  oon  3afr  §u  3ajr  wert&lofer.  $d)  &abe  2llbert  mein 
SBort  gegeben,  micfi  rebltd)  $u  bemühen,  $ir  aus  93eibem  nod)  eine  fletne 
$ente  ju  oerfd)affen.  3lber  e$  wirb  fd)wer  Ratten,  unb  oor  ber  &anb  wirft 
$u  ©ir  eine  anbere  Söofmung  fud)eri,  ein  9Jläbd)en  entlaffen  muffen.  $ie 
3infen  oon  70000  9Rarf  reiben  aud)  in  unferer  Keinen  6tabt  nid)t  weit/' 

£ena  bif?  fid)  bie  Sippen  wunb,  um  iljre  Erregung  &u  befdmpfen. 
3Baren  nur  barum  tt)rc  Äetten  gefallen,  um  neuen,  noä)  fd)wereren  pafe 
5U  mad)en?  Sollte  ne  wieber  einen  neuen  &errn  anerfennen  müjfen?  2fa= 
fiatt  bes  altemben  ©atten  —  ben  eifernen,  ^err[d)füd)tigen  Sdjmager? 
Sie  richtete  fid)  ju  it)rcr  Dollen  $öf)e  empor. 

„9Rad)e  2)ir  feine  SJtfitje  mit  meinen  Slngelegentjeiten.  $er  a(te 
Dellwig,  unfer  ^rocurift,  unb  ftuftijratf)  Sefon  werben  alle  biefe  $tnge 
oortrefflid)  orbnen." 

„Unb  $u?" 

,,3d)  werbe  für'ä  ®rfte  reifen."  ^löfclidj,  wie  eine  (Eingebung,  mar 
if)r  biefer  ©ebanfe  gefommen. 
„©oliin?" 

„9?adj  bem  ©üben.  2Mne  ©efunbfjeit  ift  fer)r  angegriffen,  id)  brause 
eine  ©rfwfang." 

„Allein  nad)  bem  Süben?  £u  bijt  fo  unerfahren  — " 

„OJlein  SWäbdjen  wirb  mtd)  begleiten." 

„Unb  womit  roiflft  25u  all  bie  Sofien  befreiten?" 

w3ft  in  bem  £eftament  eine  Älaufel,  bie  3Md)  ju  meinem  SSormunb 
einfefct?  Sin  td)  genötigt  2)ir  SRed)enfd)aft  ju  geben?" 

„9Hd)t  im  ©eringften!"  Huberts  £on  gab  bem  it)ren  an  faltem 
&ofm  nid)t3  nad).  „©3  mar  nur  eine  $flid)t  bes  &erjen3,  wenn  $u 
eine  Slfmung  ^aft,  was  biefe  beiben  ©orte  bebeuten." 

„$ann  fage  id)  Sir  Slbieu,"  antwortete  fte,  ate  I>ätte  fte  feine 
Söorte  gar  nid)t  gehört.  „2Bir  werben  uns  woljl  cor  meiner  2lbreife 
ntdjt  me^r  fef)en." 

Sie  50g  baS  £ud)  fefter  um  bie  Sd)ultern  unb  wanbte  fid)  jum 
©eljen.  Hubert  mad)te  eine  Bewegung,  als  wollte  er  if)r  ben  SluSgang 
oerfa)lie§en.  3n  feinen  2Iugen  flammte  es  auf.  3lber  fie  erwiberte  ben 
mid  eilig  falt,  oeräcfctlid). 

,,©lü<flid)e  SReife,"  fagte  er  unb  trat  oon  ber  £ljür  jurürf,  bie  fid) 
hinter  i&r  fa)lofe. 

*  .  * 

9Rit  rafd)en  Sd)ritten  eilte  Öena  nad)  &aufe.  $er  ©ebanfe  an 
eine  Steife,  ber  burd)  trofctgen  2Biberfprud)  in  it)r  erwadjt  war,  gefiel  i^r 
oortrefflid).  2öeg,  nur  weg  aus  biefer  Stabt,  oon  biefen  9Jlenfd)en!  3)ie 
®elt  feben,  leben,  etwas  erleben! 


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  ^ugnfte  f?aufct>ner  in  Berlin.   


Sljre  SBorbereitungen  waren  in  wenigen  Sagen  beenbet. 

9ttit  bem  Seichtflnn  ber  SBeltunfenntnifc  gab  fic  bem  3uiti$ratb 
Vollmacht  über  £au«  unb  ©efchäft,  —  ber  ©irthfcf>afterin,  über  ©eräthe 
unb  ©inri^tung  ju  verfügen.  Sie  wollte  nicht«  baoon  behalten,  nur  bie 
Äoffer,  bie  ihre,  ber  Xrauer  falber,  nicht  jahlreichen  2lnjüge  enthielten. 

9Jlit  einem  (Srebitbrief  i^res  berliner  93anquier«  oerfehen,  oon  ihrem 
9ttäbchen  Dore  begleitet,  oerliefe  fic  leisten  ^er^en«  bie  ßeimathftabt. 

3hr  3^  war  bie  Sftoiera,  bie  ja  in  fo  oielen  ber  SRomane,  bie  ihre 
$f)antafie  erhifet  Ratten,  eine  fo  große  SRoHe  fpielte. 

9Kj$a  —  ba«  SDort  war  if>r  gletdjbebeutenb  mit  Vergnügen,  9lben= 
teuem  —  Erfolgen! 

3ln  einem  trüben  $ecembertage  fam  fie  in  ber  33lumenjtabt  an. 
kalter  2öinb  peitfchte  ba«  2J?eer  auf  unb  wirbelte  ben  Staub  auf  ber 
promenade  des  Anglais  oor  fiaj  t>er.  3lud)  burdj  9Jtauern  unb  genjters 
rifoen  brang  er  unb  machte  ba«  fchlechtgeheijte  3immcr  im  ©otct  be 
l'öurope,  ba«  Sena  aufgefudtf  hatte,  ungemütlich  unb  froflig. 

Sena  fieberte.  $ie  Üieifeanftrengung  unb  ba«  f$ted)te  SBetter  hotten 
fie  franf  gemalt.  Sie  mußte  ihr  Sager  auffuc&en  unb  faf)  acht  £age 
lang  nicht«  oon  ben  SReijen  be«  Sfiben«,  als  bie  oier  nüchternen  SBänbe 
ihre«  Schlafzimmer«. 

ßnblich  ^ielt  e«  fie  nicht  länger  in  ber  ©infamleit.  Sie  raffte  fidj 
auf  unb  ging  jum  erften  3Wal  an  bie  gemeinfchaftliche  Xafel  be«  £otel«. 
(Sine  plöfcliche  Schüchternheit  faßte  fie  an  ber  £l)ür  be«  Speifefaal«.  2lm 
Siebften  wäre  fie  umgefehrt!  Verlegen  nahm  fie  ihren  pafc  ein  unb  wagte 
erft  nad)  einigen  Minuten  um  fi<h  ju  fehen. 

ßine  ©efeUfdjaft  oon  ungefähr  50  ^erfonen  war  in  bem  geräumigen 
Saale  oerfammelt.  Sebhafte«  ©efprädj  fdjwirrte  hin  unb  her,  ^auptfäd^Ud) 
in  englifcher  Sprache,  auch  etwa«  franadfifd)  unb  itatienifch.  $ie  $eutfdt;eu 
hatten  ficE»  in  tiefem  3at)r  oon  ber  (Sfwlerafurcht  jurüdhalten  lajfen.  Sena 
war  in  ben  fremben  Sprachen  nicht  ficher  genug,  um  an  ber  Unterhaltnng 
Xheil  ju  nehmen.  Such  würbe  ihr  feine  ©elegenheit  basu  gegeben.  3)ie 
,blonbe  bleiche  grau  in  ber  bunflen  ßleibung  würbe  nicht  beachtet.  So 
blieb  es  auch  in  ben  nächften  Xagen.  Sena  mußte  bie  Erfahrung  ma^en, 
baß  ihre  Xrauerfleibung  fie  in  unwiüfommener  ffieife  oor  Öefanntfchaften 
fchüfete.  2U«  aber  burch  £ore«  Schioafehaftigfeit  befannt  geworben  war, 
baß  ihre  &errin  oor  5tur$em  ben  ©atten  oerloren,  ben  fie  in  langer 
5franff)eit  getreu  gepflegt,  ba  würbe  fie  eine  jeitlang  ein  ©egenftanb  be« 
3nteref)e«  für  fämmtliche  —  alte  tarnen. 

„Poor  dear"  flüfterten  bie  englifdjen  SWtffe«.  Unb  eine  Patrone  mit 
ber  bichten  2Bittroenr)aube  auf  bem  weißen  Scheitel  oerfuchte  eine«  Sage«  ihr 
Sroft  jujujprechen,  inbem  fie  ihre  eigenen  traurigen  Grlebniffe  mit  oielen 
Xhränen  unb  Seufzern  mitthetlte.  Sena  wie«  ba«  Vertrauen  ber  alten  $)ame 
ziemlich  fchroff  jurücf  unb  war  in  golge  beffen  noch  oereinf amter  al«  oorher. 


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 Iltagbalena.   


167 


fti^a  rourbe  i^r  balb  ucrfcibct.  Sie  padte  tf)re  Äoffer  unb  ging 
nad)  Monaco. 

3n  bcn  erften  Xagen  war  fic  geblenbet. 

-Der  tyaxt  oon  SWonte  Carlo  —  nrie  eine  pfyantaftifdje,  auf  ben  (Sffect 
beregnete  S^eatercoultffe  an  ba$  blaue  SHeer  gerüdt,  entjütfte  fte.  2)a£ 
Gaftuo  mit  feinem  treiben  in  509er*  unb  Sefejimmern,  bie  golbüberlabenen 
Spiel*  unb  (Soncertfale  —  ba3  SllleS  mutete  fic  an,  wie  eine  Seite  au$ 
einem  ifjrer  fjetfcen  franjöfif^en  Silber! 

3lber  aua)  bort  blieb  bie  ©nttäufdjung  mä)t  aus. 

Sena  Hebte  bie  9iatur  nidjt  um  tyretroiHen. 

Sie  faf)  unter  ben  Salinen  nur  bie  ^ßarifer  5Ueiber  ber  Spajier* 
gängerinnen.  3Iuf  ber  reijootten  Strafce,  an  ber  grauen  flippe  über  bem  weife 
auffprifeenben  3Keer  nur  bie  ffif>ncn  Leiter  unb  glanjenben  guf)noerfe. 

Xti  Ijerrlidje  Sonnenuntergang,  ber  bie  fed  gejadten  gelfen  rotr)  färbt, 
bie  9Jofen  burdjglfif)te,  baä  SÖaffer  oerflärte,  unb  bie  Umriffe  ber  garren 
unb  Linien  märchenhaft  fäjön  gegen  ben  flaren  Gimmel  5 eignete,  beleuchtete 
ifjr  nur  bie  uergnügten  2Wenfchen,  bie  plaubernb  jur  table  d'  hote  eilten ; 
unb  ate  unbeteiligte  3ufä>auerin  btefeä  ^eiteren  SchaufpielS  füllte  fic  fieb 
boppelt  einfam,  oerlajfen. 

3^r  fehlte  bie  ©abe  »efanntfdjaften  ju  fnüpfen.  —  2Wtt  bem 
brennenben  2Bunfch  im  ^erjen,  bemerft  ju  werben,  ju  gefallen,  trug  ihr 
©eftcht,  gremben  gegenüber,  ben  2lusbrud  fpröbefter  3urfid$aftung. 
haftete  nod)  bie  Schroerfälligfeit  ber  Umgebung  an,  in  ber  fte  bisher 
gelebt,  unb  it)rc  ^Bewegungen  folgten  nicht  ihren  ©ebanfen. 

Sie  ^atte  noch  nicht  einmal  ju  fpielen  gewagt  So  oft  fie  in  bie 
blenbenb  erleuchteten  Säle  eintrat,  füllte  fie  ftd),  allen  93tiden  fo  f<hufelo$ 
auägefefct,  umicher  unb  fet)rte  wieber  um. 

£od)  eine«  SlbenbS  fa&te  fie  9Jhttf).  ©in  langer  Spaziergang  fyxtte 
i^r  33lut  in  SBaHung  gebraut;  ein  23litf  in  ben  Spiegel  fagte  it>r,  ba& 
ber  glifeernbe  3etfchmucf,  mit  bem  fte  ihr  büftere«  Äleib  gegiert,  ba$ 
geberbarett,  mit  bem  fte  ba$  (Srepchütchen  oertaufa;t,  ihr  gut  Jleibe.  — 
mt  rafajem  ©ntfchlufe  trat  fie  an  einem  Spieltijch  -  unb  fefcte! 

Spielfäle  finb  fein  »oben,  auf  bem  bie  TOterliajfeit  gebebt.  $er 
leibenfa>ftli<3j)e  Spieler  hat  nur  Sinn  für  baS  roUcnbe  ©olb,  für  bie 
t)üpfenbe  Äugel.  2lber  £ena$  Unfenntnifj  ber  Spielregeln  machten  ihren 
Machbar  auf  fie  aufmerffam. 

„SHabame  fpielen  $um  erften  SM?"  fragte  er  fte  in  fraujöfifdjer 
Sprache.   Sena  nidte. 

„3$  fct)e  ba3  an  ber  3lrt,  wie  3flabame  fefct,  auf  rouge  unb  noir 
5u  gleicher  3eit.  %a*  tyit  feinen  3wetf.  ©eftattet  SKabame,  bafe  td&  ihr 
einige  ftatfrfchläge  ertbetle?" 

„3<h  werbe  3hnen  banfbar  fein,  mein  &err."  Sie  mar  fein*  rotl) 
geworben;  ihr  mar  als  feien  alle  Sltde  auf  fte  gerietet 


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\6S  —    Jlnaufte  fjaufdjuer  in  Serlin.   

£>er  2lngerebete  falj  fie  naf)er  an.  Seine  flatfernben  2lugen  mufterten  fecf 
i^re  3üge,  if)re  ©eftalt,  mit  einem  Sfuäbrucf,  ber  ifu*  wieber  ba3  33lut  in  bie 
SBangen  trieb. 

„2Ba$  für  eine  2lrt  oon  Söetb  ift  ba3?"  fragte  er  fidj.  ©ine 
£eutf<f)e  offenbar!  $)a3  oerrietf)  ir)re  2luafprad&e  unb  ifjr  2leu&ere$. 
Sticht  pifant  genug  für  feine  erfa^lafften  Sinne.  Cime  Spuber  unb 
Sdjmiufe,  bie  Cf>renmuf<f>eln  ofme  blifoenben  Steine,  bie  33üfte  nid)t 
ftraff  genug  gefdfonürt,  bie  ßänbe,  wenn  aud)  weife  unb  wof>lgeformt,  boct) 
nid)t  mit  genügenber  Sorgfalt  gepflegt.  —  2lber  immerhin  feffelnb,  fcrwn 
burdj  ben  ©egenfafc  sroifdrjen  itjrem  unoerfälfd)ten  ©nötigen  unb  bem 
fü^nen  Spiel  ber  Slugen,  benen,  für  feinen  ©efd&matf,  nur  ein  $aar 
^infelftridje  fehlten,  um  gefäf)rlid)  ju  erfdjeinen.  —  „Unb  was  ift  fte, 
eine  £ame  von  2Belt?  33al;!  —  eine  grau  ofme  Begleitung  im  SpieU 
faal  unb  im  ©efprädj}  mit  bem  erften  beften  #errn!" 

©r  rürfte  nd^er  511  ir)r.  Sein  gug  ftreifte  ben  ijurn  Beim 
Auswerfen  unb  ©injief)en  be$  ©olbeS  beugte  er  ftä)  über  fie,  unb  feine 
<ganb  blieb  wie  zufällig  auf  if)rer  Schulter  ru^en. 

Sie  atmete  fdjwer.  2luf  itjren Sippen  lag  eine  3urü<f  weifung.—  £0$  fie 
bejwang  ficr).  ©nblidj  ein  2lbenteuer.  Unb  fie  wollte  ben  3lulgang  abwarten! 

2Ba3  tonnte  if)r  audj  juftofien,  inmitten  oon  $unberten  oon  9Wenfa)en! 
Unb  er  mar  ein  grember,  ben  fie  niemals  wieberjufeljen  brauste!  —  ©r 
faf)  oornefnn  aus.  Sfladjläffig  aber  tabeUoä  gef leibet;  ein  ©erlebtet  bunfleS 
©eiK&t,  fiebere,  wenn  audj  neroöS  unruhige  Bewegungen. 

„Sie  fjaben  mir  ©lüdf  gebraut,  SJtabame.  %ä)  t)atte  eben  auf  bie 
garbe  Zföxex  unoergleid)liä)en  £aare  gefegt;  jefct  auf  oaS  Sa)war$,  baS 
3()re  f  ajöne  ©eftalt  oer^üHt  —  unb  beibe  3Wal  gewonnen !  —  9ta  mocfjte 
id)  aber  oerlieren!  Sie  fennen  bod&  ba3  alte  Sprüdmwrt?" 

„©in  granjofe  unb  aberglaubifd)?" 

„9tur  in  ber  Siebe,  biefer  unberedjenbarften  aller  Religionen." 

„2BaS  ift  für  einen  Spieler  unberechenbar  ?" 

Sie  wufete  nid)t,  was  fie  fpra<$,  i&r  fiel  nidjts  ©eijlreidjeS  ein;  bie 
frembe  Spradje  ^inberte  fie.  ©r  nafyn  ibje  3?ad)fia)t  für  ein  3ugeftanbnif}. 

„©3  wirb  fieifj  f)ier.  Sollen  wir  md)t  aufftetyen  unb  ein  SBenig 
plaubern  V 

Sie  erhoben  fidj.  ©r  begleitete  fie  5U  einer  Seitenbanf  unter  bem 
prunfoollen  2Banbleucr)ter  unb  liefe  fidt)  an  it)rer  Seite  nieber. 

„Urlauben  Sie,  bafe  id)  mtaj  oorfteUe,  ©afton  be  ©fjampfleurw  au« 
örfiffel.   Unb  $hx  9fame,  fdjönfte  grau?" 

„9)togbalena"  —  fie  3ögerte  mit  einer  Sdjeu,  bie  Ijalb  bem  bürgere 
liefen  ßlang  it)reö  9?amen£  galt,  tjalb  ber  ©mpfinbung,  bafj  fie  i^n  in 
biefer  Umgebung  nid&t  nennen  bürfe.    ©r  brang  nitf;t  in  fie. 

„^Wabeleine  —  ba$  ift  entjücfenb.  ^a)  fürchtete  fa^on,  Sie  würben 
©retten  Ijei&en." 


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  IHagbalcua. 


169 


„Söieber  ein  Aberglaube !" 

„9tur  3^rc  Sdjulb.  SBarum  finb  Sie  fo  blonb  unb  erröten  fo 
reijenb?  2Iber  id)  siebe  SWabeleine  bei  ©eitern  t>or.  —  <£in  9tome,  ber 
fo  angenehme  SluSfidjten  bietet!  9ttabelerne,  bie  unbujjfertige,  nodj  nid)t 

SBüftenleben  geneigte,  nid&t  roo^r  ?  Sa  ift  jebe  3ünbe,  bie  man  mit 
if)x  begebt,  nodj  eine  gute  £f)at,  bie  fie  bem  Gimmel  nä^cr  bringt!" 

(Sr  neigte  fidj  oor,  unb  faf)  if)r  ooll  unb  begef)rlidj  in  bie  2lugen. 

Sie  Slntroort  mürbe  tyr  erfpart.  Senn  ein  £err  unb  eine  Same, 
bie  an  bem  sroeiten  Spieltifd)  gefeffen  Ratten,  näherten  fu$  ilmen. 

©afton  erf>ob  fidj,  oerliefe  Sena  mit  einem  furjen  „^arbon!"  unb  trat 
auf  baS  $aar  $u. 

„Tiens  Gaston,  mit  einer  neuen  Eroberung?" 

„«Riedjt  nad)  ^rooinj,  f)e?" 

„Sie  oerfpridjt.  3d)  bin  im  ^Begriff,  fie  511  6ilben.  SRäfeige  Sid) 
etroaS,  33land)e,  unb  oerfd&eudje  fie  mir  nid)t!" 

„Sflan  wirb  es  oerfudjen.  —  2öaS  für  Japen  um  fo  eine  ©ans !"  — 

„Sarf  id)  Slmen  meine  ^reunbe  oorfteffen?"  fagte  ©ajton  ju  Sena. 
„Öaronin  SBland&e  be  SKontignn;  SUpfwnfe  be  9Wontigno,  if)r  Sdjmager 

aus  ^ariS  —  aKabame  9Habeleine"  er  murmelte  etroaS,  baS  als 

3unamen  gelten  fonnte. 

Sie  9?euangefommenen  festen  fiö),  bie  Baronin  neben  grau  (Sranj. 
Sie  lehnte  ben  üppigen,  oon  bunfelgrünem,  golbgeftitftem  2ltlaS  ftraff  um« 
fpannten  DberfÖrper  gegen  bie  Sßolfter,  unb  freujte  bie  Seine,  baft  bie 
l)oa)fteljigen  ©olbfäferfdmbe  unter  bem  Saum  tyeroorfdjauten. 

„üb  9J?abame  fd)on  lange  in  3)?onte  ßarlo  fei  ?"  fragte  fie  in  näfeln: 
bem  Xon,  baS  Sorgnon  an  bie  fd^roarjumränberten  2lugen  fjaltenb,  unb 
bie  junge  grau  oon  oben  fytxab  betradjtenb.  „Unb  ob  fie  aud)  bie  ©es 
feu*fä)aft  fo  gemifdjt  finbe,  fo  fpiefcbürgerltd),  fo  mauvais  genre!  Sie 
$öge  oor,  morgen  nad)  (Sannes  jurücfjufe^ren,  auf  baS  Sdtfojj  ifjrer 
greunbin,  ber  ©räftn  SöeUecour." 

Unb  ioäf)renb  Sena,  fjalb  eingefd)üd)tert,  feine  2lntroort  roufjte,  breite 
fiaj  bie  Same  um  unb  rief  mit  ganj  oeränbertem  £on : 

„Siel)'  nur  bie  lange  Henriette,  b,at  bie  roieber  einen  ©impel  ge* 
fangen!  Unb  geftem  f>atte  fie  nidjt  auf  bie  91ad)t.  Sie  Männer  müffen 
blinb  fein,  ftodblinb." 

Sie  unterbrad)  fidj  plöfclid),  murmelte  etroaS  oon  „unerträglichem 
3«xma/'  unb  ftanb  auf. 

„siBaren  baS  ^arifer  Sanieren?"  fragte  fidj  Sena,  „ober  war  bie 
grembe  baS,  roonadj  fie  auSfaf)?" 

„@S  ift  beute  mirflicf)  auffattenb  ooli,"  fagte  ©afton.  „Kotten  mir 
nidjt  einen  f leinen  Spajiergang  mad)en  unb  erft  $urücf teuren,  wenn  es 
leerer  geroorben?" 

©r  füllte  feine  9tod)barin  in  ifjren  Hantel,  unb  führte  fie  aus  bem 

?5orb  unb  3Ü&.   LI.,  ir,2.  1-' 


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[70    2Jugufte  fjaufdjner  in  Berlin.   

(Baal  Sic  füllte  fid>  unbefjagltdj  unb  jugletd)  erregt,  gereijt.  ^riefefabe 
9ieugietbe  erfüllte  fie.  3for  war,  als  träume  fic,  mit  bem  Seroit§tfeüt 
jeben  9lugenblt(f  ermaßen  ju  tonnen. 

Sie  [Hegen  bie  treppe  fjtnab.  SBor  i^nen  ging  bas  $aar  3Rontignu. 
Sie  "Baronin  fd)ür$te  ßtöb  (h>$  auf,  fo  bafj  baS  feine  Sein  im 
fdjwarsen  Seibenfrrumpf  awifdben  einem  ©ewtrr  oon  Spieen  {jeroorfal). 

„SBeldj  eine  f)errli$e  ftadfjt,"  flüfterte  ©afton.  „£>unfel  unb  r>er= 
fdjwiegen!  äßie  gefdjaffen  für  £iebeSglücf." 

Steroid)  etwas  $urü(f,  worauf  er  ben  greunben  jurief:  „9ftc&t  fo  fdjnefl, 
wir  oerlteren  @udf)  fonft.  £a§t  uns  in  bie  Anlagen  gel)en,  mir  motten  tyla-. 
bame  bie  reijenben  föedenrofen  jetgen,  bie  Ijeute  2lbenb  aufgeblüht  finb." 

(Sr  50g  feine  ©efälulin  mit  fidj  fort,  ^n  ben  fieSbeftreuten  ©ängen 
beS  s$almengartenS  mar  eS  ftiH.  ©egen  ben  SidjjtfreiS,  ben  bie  ©aS* 
latenten  um  ftd)  oerbreiteten,  erfd)ien  bie  ginfternifj  nod)  fd^märjer.  2Bte 
fdjroaä)  untrtffene  Statten  fallen  bie  einzeln  Spaziergänger  aus.  SSflan 
rprte  baS  9iaufd)en  feibener  ftleiber,  baS  Älirren  neumobifc&er  Slrmbänber, 
gebämpfteS  ^laubern,  letfeS  Ätzern.  £)ie  blüfjenben  pflanzen  mtfdjten 
itjren  3Duft  mit  bem  ©erud)  oon  franjöfifdfjen  ^ßarfumS.  —  —  8enaS 
^erj  Köpfte,  —  itjre  Segleiter  waren  oerfdjmunben.  Sie  ftanb  mit 
©afton  allein  im  $5unfel  ber  Üflad&t. 

„sBie  bie  9tofen  buften,"  flüfterte  er  ir)r  $u.  „2Bäre  es  geller,  Sie 
tonnten  fie  blühen  fetjen,  roftg  unb  locfenb  roie  ffiv  3Jlunb.  Sötffen  Sie, 
bafe  Sie  retjenb  ftnb,  2Rabeleine,  unb  bafe  idfj  Sie  anbete?"  Sie  füllte 
feinen  fjeifeen  9ltf)em  auf  ifyren  Sippen. 

2)a  riß  fie  fid)  los,  unb  elje  ber  Ueberrafd&te  $u  ftd)  fam,  war  fie 
über  bie  Strafje  fjinmeggeftürät,  in  bie  offene  £(jür  iljreS  Rotels,  bie 
treppen  hinauf. 

Sie  jjörte  ben  grembeu  hinter  fta)  ^errufen:  „Sflabame  —  SJiabeleine, 
fliegen  Sie  bodf)  nidjt"  —  fie  Ijörte  tlm  in  baS  &otel  eintreten,  unb  über 
baS  Xreppengelänber  gebeugt,  fud)te  fie  ju  oerfteljen,  was  er  mit  bem 
Sortier  oerfjanbelte.  (Sr  fragte  moljl  nad^  tfjrem  tarnen,  na<$  tf>ren  Ser- 
fiältniffen,  benn  fie  Ijörte  tlm  fcölmtfd)  aufladen. 

„©ine  Unfä)ulb  oom  Sanbe  alfo,  bie  nid)t  ben  9Jtutf)  tfjrer  ©elüfte 
bat,  bafy,"  —  er  fdmippte  mit  bem  gtnger,  „es  hätte  ftd)  wo^l  aud>  nidjt 
ber  9tfüt)e  gelohnt." 

£n  if)rem  Limmer  warf  3)togbalene  ftdr)  jomtg  auf  if)r  Seit.  s$fui,  was 
für  ein  Ijäfjliajer  2lnfang!  ^DaS  war  nid)t  bie  ?lrt,  wie  fie  in  bie  2Bett  ein- 
treten wollte !  Sie  weinte  oor  2Öutl),  unb  fanb  in  ber  9iadfjt  feinen  Sdfjlaf. 

2lm  nod)ften  ^age  beeilte  fie  ftd)  ben  Crt  su  oerlaffen,  an  bem  fie  eine 
SiUeberbegegnung  mit  bem  Seigier  fürchten  mufete.  Sie  ging  nad)  San^etno. 

^oa;  ganj  unter  bem  (Sinbnnf  il)reS  Abenteuers,  wählte  fte  einen 
©aftl)of,  ber  wie  Säbefer  betonte,  ,,ausfd)liefeltd)  oon  gamilien  aufgefud^t 
würbe/' 


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Magdalena.  


\7\ 


So  war  es  aud)!  Sie  eine  große  gamitte  lebten  bie  3nfat7en 
jufatumen. 

Sie  eine  Familie,  in  ber  ftetS  einige  5Ritglieber  fich  in  SebenSgefafjr 
befanben!  Sie  bie  ganje  Einrichtung  seigte,  bie  luftbtcht  oerfdjloffenen 
#enf*er,  bie  matrafcengefüHten  X^üren,  bie  mit  ©ummi  belegten  ©änge, 
biente  baS  &auS  ^ttuptfä^lid^  als  Äranfenaufenthalt.  Unb  biegen  ©äften 
ju  Siebe,  bie  jebe  Erregung,  jeben  &uft$ug  freuten,  war  baS  £eben,  alle 
öefc&äftigungen  unb  Vergnügen  auf  bie  gebämpftefte  Xonart  abgefiimmt. 

3n  btefer  einfdjläfernben  £uft  oerlebte  Sena  ben  Sinter. 

2lnfang§  ^atte  fie  täglid)  an  3lbreiie  gebaut.  2lber  wohin?  Unb  würbe 
fie  es  anberSwo  bejfer  finben?  S8ieüeidr)t  war  bie  SHioterarevje  überhaupt  ein 
Se&lflriff  gewefen,  unb  fie  hätte  bener  gethan,  gleich  eine  große  Stabt  ju 
rodeten!  2Iber  ba  war  fte  nun  einmal,  unb  fo  blieb  fie. 

Sie  einft  ju  &aufe,  oergingen  itjr  bie  Sage  freub;  unb  ereignislos, 
im  SBerfefjr  mit  gleichgültigen  9Jcenfd>en;  Sie  ju  $aufe  fragte  fie  ftd)  oft 
oerjroeifelt:  „Saren  benn  bie  Xräume  auf  bem  Bärenfell  oor  meinem 
ßamin  eitle  ftirngefpinfte?  3ft  mein  Seben,  meine  3ugenb  bahm?" 

£ie  Sodjen  oergingen.  SaS  grühjahr  fam,  unb  allmählich  entoölferte 
fia)  bie  ÜJceereStufte.  *<ena  ließ  fid)  oon  ber  rüctwärts  weidjenbengrembenwoge 
mit  forttragen.  9tod)  ^orbitalien,  nach  ben  Seeen,  nad)  ber  Schwei}! 
Ueberau  blieb  fie  nur  fur3e  3*ü-   Eine  innere  Unruhe  trieb  fie  weiter. 

211$  fie  Anfang  ^\mi  in  SBabcnsÖaben  anlangte,  nad)  halbjähriger 
illbroefenheit  roieber  in  $)eutfchlanb,  fragte  fie  fich,  mag  ihr  biefe  Monate 
eigentlich  ErgöfelicheS  gebrachte  Senig  genug! 

Sie  mar  fidlerer  geworben,  getoanbter,  fie  fyatte  bie  fleinftäbtifche 
Sdjwerfälltgfeit  unb  Schüchternheit  abgeftreift.  Senn  ihr  h^te  «n 
Abenteuer  begegnete,  wie  jenes  in  Sftonte  Earlo,  fie  würbe  ihm  eine  anbere 
Senbung  ju  geben  wiffen! 

Slber  es  hob  fich  oereinjelt  aus  ber  ©leichfömügfeit  ihrer  Erinnerungen. 

Unb  t)ier  ?  fonnte  fie  hoffen  in  iöaben» Stoben  etwas  §u  erlebnt? 

£ie  ©efetlfchaft  ber  erften,  füllen  Satfon  war  ebenfo  gewählt,  als 
langweilig.  £ena  las  in  ber  flurlifte  oolltönenbe  Flamen;  fie  fah  abgefpannte, 
Ijochmüthige  ©efichter.  Iis  beburfte  eines  befonberen  ©lüctsfatts,  um  fie, 
bie  bürgerlidje  %xau,  mit  biefen  hochgeborenen,  hochmögenben  föerrfchaften 
;>u  befreunben!  Unb  follte  fie  weiter  wanbern  Sßom  Xfjal  in  bie  33erge, 
wieber  in  bie  Einfamfeit,  fie,  bie  fich  "ach  Bewegung,  nach  £ärm  fehnte? 

Sie  hatte  bie  2tbfi<ht,  ben  nächften  Sinter  in  Berlin  ju  oerleben. 
Seit  jenen  Xagen,  ba  es  einft  ihr  unerfahrenes  &er$  entjücft  hatte,  war 
es  baS  3^1  ^rer  Sehnfucht  geblieben. 

9hm  benn!  warum  nicht  gleich  t)ingei)en 

Sarum  bie  Erfüllung  ihres  SunfctjeS  noch  htaauSfchieben?  Seil 
es  3Robe  war  im  Sommer  ber  großen  Stabt,  ihrer  Unruhe  ju  ent> 
fliehen  ?  $aS  mochte  für  bie  gelten,  bie  barunter  litten,  für  bie  -JJeroöfen, 


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\72 


JJugujU  Jjanfdjner  in  Serlin. 


vom  Vergnügen  überfättigteit.  2Iber  md)t  für  fie,  bercn  Heroen  ftä^Iem, 
beren  ©enufefähigfeit  ungeprüft! 

Unb  Me3,  was  fie  um  fich  r)cr  faf)  unb  Wörter  bie  unuerfennbare 
Wtibigfeit  ber  erfööpften  ©rofeftäbter,  bie  in  ber  ruhigen  Umgebung 
aufatmeten,  if)re  klagen  über  ba$  geräufdwolle  Strafeenteben  baheim,  bie 
unaufhörlidjen  gefte,  ba£  haften  unb  treiben  ber  nimmermüben  <SefcfliQ= 
feit  —  9IUeiS  beftärfte  fie  in  ber  einen  3bee:  9tadj  Berlin;  „ba  wirft  Tu 
finben  wo«  $u  bi^er  oergeblidj  gefugt  haft!" 

$er  ©ebanfe  oerliefe  fie  nicfjt  mef>r.  —  Unb  eines  Borgens,  als 
fie  ouä  einem  £raum,  ber  fie  mitten  in  ba$  ©ewüftf  ber  9fcffoem 
geführt,  von  ber  ladjenben  Sonne  unb  ben  switfd&ernben  Sögeln  geroedt 
würbe,  befölofc  fie  fofort  abgreifen. 

$ore,  beren  2lnf)ängliä)feit  längft  einen  ferneren  Äampf  mit  ihrem 
Unmutf)  über  baä  „Sagabunbenleben"  fämpfte,  mufjte  fdjleunigft  einpaden; 
ifjre  §errin  fonnte  bie       3ur  Slbfa^rt  nicty  erwarten. 

3^r  mar,  aU  ftänbe  ibr  etwa«  befonberä  greubigeS  beoor,  unb  bie 
langen  Stunben  im  fyetfeen  £oup(>  oergingen  ifu*  rafdj,  ausgefüllt  oon  tv 
martungSooffen  Xräumen. 

Sdwn  eine  Stunbe  vor  Berlin  (e£  mar  Sonntag  unb  berrliä>* 
Sommerwettcr)  flutfjete  ihr  grofeftäbtifcheS  i'eben  entgegen.  —  üluf  äffen 
ftaltefteüen  fefttäglich  gepufcte,  ^eitere  3)ienfd)en,  bie  ben  rafd)  vov 
beirollenben  Sdmelljug  mit  3un,fen  mo  ^üdjerfdjwcnfen  begrüßten. 
9toufd)enbe  Drä)eftermufif  erflang  aus  ben  ^eftauration^gärten  ber  Wox- 
orte,  eine  btdjte  SBagenburg  umgab  fte,  unb  au«  einigen  fliegen  ^ifdr)enbe 
9iafeten,  farbige  geuerfugeln  in  ben  flaren  2Ibenbh»mmel  empor. 

£ena  füllte  ihr  ^erj  fchneller  fdjlagen.  2Ille3  berührte  fie  fnmpatlnict), 
ba£  ©ewühl  auf  bem  33af)nf)of  bei  ber  SInfunft,  ber  £ärm  in  ben  Strahn! 
Selbft  bie  fdjwüle,  ftauberfüüte  i'uft  faxten  ihr  angenehmer,  als  bie  See; 
brife  ber  9iioiera. 

Sie  ftieg  im  föotel  be  9iome  ab. 

Unter  ben  Sinben  wogte  bas  £eben. 

5I?or  bem  Gaf6  Sauer,  beffen  Jenftcr  in  bie  (£rbe  gefenft  waren, 
fafjcn  bie  9)Jenfd)cn  bis  auf  bie  Strajje;  bie  SalfonS  waren  bid^t  befefci, 
ebenfo  bie  flranjler'iche  ^erraffe  unb  alle  Sänfe  ber  Sinbenallee. 

Blumen,  Cbft,  Leitungen  würben  feilgeboten,  ein  (£rtrablatt  eben  mit 
fdjallenbcr  Stimme  aufgerufen.   9)fan  lachte,  plauberte,  sanfte,  fofettirte. 

2öie  gebannt  ftanb  Sena  am  genftcr  unb  nahm  baS  bewegte  SJilfr 
in  \\d)  auf.  9lm  Vicbften  hätte  fie  fidt)  unter  bie  Spaziergänger  gemifdit. 
t?lber  £oreS  klugen  blicftcn  fo  fd)lajtruufen,  bafe  fie  nicht  wagte  ber  (fr 
mübeten  nod)  einen  nächtlichen  ©ang  jujumuthen. 

Sic  fuc^te  iln*  l'ager  auf  unb  erwarte  am  borgen  aus  tiefem  Sd^loi, 
mit  bem  (*rwartungegefühl  eines  .UtnbeS  oor  Weihnachten. 

\}\)x  erfter  Wang  war  in  ein  9)iobewaarengcfchäft,  wo  fie  fich,  mit 


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 Hlagbülena.    \?ö 

rafdjem  ©ntfchlufj,  oon  ftopj  $u  gufj  neu  au£ftattete.  Siefe  Aufgabe  er* 
forbertc  oiel  3e^/  9Jiuhe  unb  Sbrgfalt,  aber  fie  ermübete  fie  nicht.  Sie 
Schmeicheleien,  bie  man  ihr  über  ihre  ©eftatt,  ihre  $aare,  ihren  Seint 
fagte,  traten  ihr  unenblidj  mof)l.  3luch  bie  Seiuunberung  ber  Herren,  bie 
iln-  auf  ber  Stra§e  fecf  in  bie  2luaen  blicften,  ben  Jlopf  nach  ihr  um* 
roanbten,  mar  ihr  ^od^roidfommen. 

«3$  bin  alfo  nodj  nicht  §u  alt/'  fagte  fie  fid^;  „e$  mar  fein  SBafjn* 
fmn,  oom  Seben  nod)  eine  SRoHe  ju  erroarten.  9iur  bie  33ühne  mar  bisher 
nicht  richtig  gemäht !"  Unb  fie  richtete  fid»  ^ör)er  auf,  ihre  2lugen  bieten,  ihre 
Sippen  [adelten,  fie  mar  um  $efjn  3af)re  jünger  geroorben,  als  an  ber  SRimera! 

©inige  Sage  lang  machte  e$  itn*  Vergnügen,  in  33erlin  umherjuftreifen, 
3Rufeen  unb  ©allerien  ju  befugen,  in  feinen  9teftaurantä  ju  fpeifen  unb 
3lbenb3  in'ä  Xljeater  ju  gehu.  ßrft  ate  fich  auch  bei  ihr,  ber  Unermüb* 
liehen,  eine  leife  SDtottigfeit  einfteflte,  legte  fid>  ir)re  fieberhafte  Schauluft, 
unb  fie  fing  an  511  bebenfen,  baß  fie  einer  Anlehnung,  einer  Empfehlung 
bebürfe,  um  aud>  ba$  innere  fieben  ber  ©rofcftabt  fennen  ju  lernen. 

9iur  für  bie  erften  Stritte;  bann  moüte  fie  ihren  2öeg  fchon  allein 
finben!   2lber  an  men  fich  menben? 

Sie  greunbe  ihres  2JtonneS,  bie  fta;  bamalä  ihrer  angenommen  Ratten, 
nmrben,  als  oiel  $u  fleinbürgerlid),  entjchieben  oermorfen;  unb  fonfl  fannte 
fte  feine  3Kcnf c^enfecte ! 

3lber  mie!  Sa§  ihr  ba£  9Jächftliegenbe  immer  julefet  einfiel!  &atte 
üe  nid>t  oft  gehört,  baf?  if)r  33anquier,  ben  fie  bamalä  ebenfalls  flüchtig 
fennen  gelernt,  eine  fchöne  grau  habe,  ein  grofeeS  &au$  führe?  SSar  el 
nia)t  fogar  ihre  $flid)t,  fich  ihm  al$  ©eichaftäfreunbin  oorjuftellen? 

Unb  baß  fie  ihn  $u  biefem  in  feiner  ^rioatroobnung,  anftatt 
in  feinem  Bureau  auffuchte,  fonnte  ihr  höchftenS  als  Unfenntnife  ber  grofc 
ftabtiichen  ©ebräuche  aufgelegt  merben! 

Um  1  Uhr  Wittags  fuhr  fie  oor  bem  frönen  &aufe  in  ber  Behren* 
urafje  oor. 

„Sie  gnäbige  grau  ift  oerreift,"  fagte  ba3  öffnenbe  SWäbchen,  „aber 
$err  TOHburg  ift  ju  &aufe,  unb  eben  beim  grühftücf.  2Senn  bie  Same 
einen  Augenblicf  hier  herein  treten  wollen  V" 

Sie  führte  ben  Söefuch  in  einen  oerbunfetten  Salon,  beffen  SJtöbel 
bergen,  beffen  Sronjen  unb  Silber  oerhangen  maren,  ber  aber  trofc  feine» 
commerfchtafe^  einen  vornehmen  (Sinbrucf  machte. 

Ser  &au$he"/  ber  mit  einigen  greunben  im  Speife5tmmer  fafj,  la$ 
nirnrunjelnb  bie  überreichte  $ifitenfarte.  „grau  Sftagbatena  Gran$,  (aus 
Wernburg,  hatte  Seua  baju  geschrieben)  —  mer  fanu  ba$  fein?  ©enrife 
eine  Bettelei !" 

„So  fah  bie  Same  nicht  aus,"  magte  ba^  Räbchen  einjuroenben. 
„$at  fie  nicht  getagt,  in  melcher  Angelegenheit,  ob  ju  mir  ober  3U 
meiner  grau?  3lu^  Wernburg,  —  roeifc  gar  nicht,  roo  ba^  9?eft  liegt!  ^alt, 


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\7*{    JJucjuftc  fjanfdjner  in  Berlin.   

ba  fällt  mir  ein  —  Granj  —  (Sranj  —  wir  Ratten  ja  wohl  einen  Äunben 
bietet  Samens  —  beffen  SBittwe  —  na,  baS  ift  aber  bodj  ein  bissen 
ftarf  oon  ber  guten  Äletnftäbterin,  mia)  in  meiner  Sßofmuug  ju  beläftigen! 
Sie  fotl  nadj  meinem  Bureau  fommen  5wifa>n  10  unb  12!" 

„2lber  gflöllburg,  feien  Sie  bo$  nid)t  fo  ungaftlid)!  3n  ein  paar 
Minuten  ift  bie  Sache  abgetan/' 

„Sie  finb  bod^  fonft  galanter  gegen  baS  fchöne  ©eichtest." 

„Schönes  ©efdhfedjt,  eine  Söittwe  aus  Wernburg  —  iä)  fenne  meine 
^rooinjl  2öenn  3hr  aber  burcf>auS  wollt,  meinetwegen!"  <5r  tranf  fein 
©las  aus,  unb  warf  bie  Senriette  mi§muthig  auf  ben  £ifd>.  „316er, 
wenn  ich  in  5efm  Minuten  nicht  jurücf  bin,  fo  müfet  3hr  miö)  losreißen, 
mia)  in  einer  bringenben  grage  herausrufen." 

@r  ging  uerbroffen  naa)  bem  Salon.  2öte  mit  einem  3auberfa)lage 
aber  dnberte  fidj  fein  ©eud)tSauSbrud,  als  er  grau  Granj  erblicfte.  ^iefe 
fä)lanfe  grau  in  bem  fofibar  einfachen  Sptfcenfleib,  ben  bunfeln  geberfjut 
auf  bem  gellen  &aar,  faf)  nicht  aus  wie  eine  $rooin§ialtn! 

Sena  tyxttt  ftch  beS  Hausherrn  r»erjögetten  eintritt  richtig  gebeutet, 
bie  Seränberung  feiner  3üge  wohl  bemerft.   3()r  TOutl;  t)ob  fid). 

„Beleihen  Sie  biefen  Ueberfall;  aber  ba  id)  Sie  in  ihrem  Bureau 
nicl)t  getroffen  — "  bie  ftotljlüge  flofe  il;r  leia)t  uon  ben  Sippen  —  „id> 
weifj  nicht,  ob  Sie  fia)  meiner  erinnern." 

,,»r  fönnte  Sie  oergeffen,  gnäbige  grau,  ber  Sie  einmal  gefehen!" 
Unb  olme  ju  errötrjen  fügte  er  hinju:  „9?ur  ba§  Sie  mir  um  10  3abre 
»erjüngt  erfdjeinen." 

Sena  lächelte,  um  gleidj  barauf  mit  £albtrauermiene  fortzufahren: 
„3$  ftcfje  jefct  allein  in  ber  Sßelt  unb  ^abe  in  Berlin  feinen  greunt) 
ober  Berather!  $aS  gab  mir  bie  flüfmtyett,  mia)  an  Sie  $u  wenben. 
Riffen  Sie  mir  9iiemanb  $u  empfehlen,  ber  mir  meine  eigenen  geidjäft; 
liefen  Angelegenheiten  erflären  fönnte?  Alle  biefe  Briefe  (fie  entfaltete 
einige  Actenftütfe),  in  benen  mein  3ufttjratf)  mir  von  ^npothefenjinfen, 
^rocenten,  Terminen  fchreibt,  finb  für  mid)  ßieroglnphen." 

„Xarf  id)  Sie  3(wen  entjiffern  h^fat?"  fagte  ber  Banquier. 

„siÖie,  Sie  wollten  felbft  —  oh,  welche  ©üte!  Unb  aud)  um  bie  Auf; 
ftellung  meiner  bei  3hnen  beponirten  Rapiere  möchte  ich  Sie  bitten  —  wie 
gefdjäftSmäBig  id)  mid)  auSbrüde  —  fomie  um  3ufenbung  uon  1000  3)?arf." 

,,3d)  werbe  $fyntn  BeibeS  morgen  felbft  bringen.  £arf  ich  um 
3l)re  Abreif  c  bitten'?"  es  flopfte  leife  an  bie  £f)ür.  ©etreu  bem  ge* 
gebeuen  Auftrag  erfriert  einer  ber  greunbe,  um  ben  Hausherrn  abzurufen. 

„ftnr  herein,  mein  Sieber;  Sie  ftören  md)t,"  rief  Sttößburg,  uwfc 
auch  bie  Lienen  beS  9Jeueiugetreteuen  brüeften  eine  angenehme  lieber 
rafdjung  aus,  als  er  bie  SBtttwe  aus  Wernburg  erblicfte.  <5s  bauend 
nicht  lange,  fo  würben  aua)  bie  anberen  ©enoffen  geholt,  um  bie  Befand 
fchaft  ber  jungen  grau  ju  machen. 


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 OTagbalena.    \?ö 

„Dr.(imn$r)aufen,  unfer  oortrefflidjer^arlamentärebner;  ^rofeffor2Baa> 
ter,  bie  Seudjte  unferergacultät;  &err  &an$  «ßaul,  beffen  SSerfeSie  {ebenfalls 
fcf)on  in  bcr  SfationalgaHerie  betounbcrt  t)aben;  greirjerr  von  ftartroig  oom 
©eneroiftab  — "  fo  fteüte  ber  Sanquier  ©inen  nadj  bcm  Slnbem  oor. 

Unb  £ena,  bwen  &er$  r)odj  auffdfjlug  beim  &ören  all  biefer  oieloer: 
fprea)enben  tarnen,  r)atte  für  Seben  bag  ruhige  Säbeln  ber  geroanbten  Söelt- 
bame.  ©in  neuer  ©eift  fd)ien  über  fie  gefommen!  fie  tjatte  ba$  ©efüfjl 
„angelangt"  ju  fein! 

„Sie  fef)en  in  un3,  ben  jufünftigen  2)?oltfe  aufgenommen,  tauter 
StTotjuuttroer,"  rief  Dr.  ©unjfjaufen,  „bie  fid)  in  iljrer  3Sertaffent>eit 
gegenfeitig  ju  tröften  fudjen.  Unfere  grauen  flirrten  an  ber  Sonne  $u 
fajmeljen,  wie  ber  feiige  ^KaruS,  unb  entfalten  tt)re  glügel,  um  fid)  im 
Statten  ber  Sßälber,  ber  flüfjle  be§  Stranbeä  ju  bergen!  2ludj  Sie, 
meine  ©näbige,  finb  toot)l  nur  auf  ber  Surdrreife  in  ^Berlin?" 

„SurdjauS  nid)t,  id)  bin  auä  Saben^aben  birect  Ijierfjergefommen, 
um  t)ier  ben  Sommer  p  oerleben." 

„£a$  ift  originell!  Unb  Sie  gefallen  fid)  liier?" 

„Ueber  alle  9)?afeen !  $ier  fwbe  id),  roaS  ict)  auf  meiner  ganjen  ^Hcife 
oergeblia)  fud^te:  Unterhaltung,  öequemlidjfeit,  angenefjme  SBefanntfdjaften !" 

„Unb  bie  &ifee?" 

„bringt  nict)t  in  meine  füt)te  .£>otelroorjnung.  3dj  rjabe  mid)  nirgenbä 
fo  erfrifdjt  gefüllt." 

„©enn  unfere  grauen  Sie  fyören  fönnten,  bie  fd)on  im  3um  b*e 
"Berliner  ^uft  nid)t  metjr  atfnnen  roollten!" 

„SBergeffen  Sie  nid)t,  meine  sperren,  id)  tjabe  rceber  Heroen,  nod) 
Migräne!  3$  bin  nidjt  faifonüberbrüiftg,  gefeüfdjafteüberfattigt.  3$ 
fyabe  mid)  in  meiner  fleinen  Stabt  lange  ausgeruht,  je|t  fetjne  idj  mid> 
banad)  auf$uroad)en,  $u  leben!"  Sie  faf)  reijenb  aus,  aU  fie  baä  fdjembar 
fo  f)armlo£  rnnfagte.  3tjre  9lugen  funfeiten,  bie  3äfme  febimmerten  burd) 
bie  £ippen,  bie  SBangen  maren  leicht  gerottet. 

„(Sbenfo  geiftreict)  als  föön,"  murmelte  ber  Sflaler,  laut  genug,  um 
oou  ir)r  gehört  3U  werben.  Unb  ^rofeffor  SBadjter  fügte  rnn$u:  „2llfo 
eine  2lrt  $ergnügung$cur,  bie  Sie  burd&madjen  wollen?  3ebenfall$  ange* 
neunter,       all  ber  Gntl)altfamfeit$icf)nnnbel,  ber  jefct  9)iobe  ift/' 

„Unb  melden  2lr$t  fjaben  Sie  mit  ber  Leitung  ber  Gur  betraut?'' 
fragte  SHölIburg. 

,,9tod)  gar  feinen.  33)  bin  ja  nod)  fo  fremb  fner,  unb  toei§  nidjt, 
wem  id)  mein  Vertrauen  fajenfen  fott." 

„2£enn  id)  mid)  empfehlen  fönnte,"  —  riefen  aae  fünf  Herren  wie 
au$  einem  SJiunbe.   9llle  ladjten. 

,/3$  fc^fage  eine  Gonfultation  oor,"  meinte  ©un^aufen.  „$ie  Patientin 
roirb  uns  it>re  $efd)ioerben  uortragen ;  bann  wirb  e$  fidt)  jeigen,  wer  oon 
und  bie  fdmetlfte  .^ilfe  meife." 


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\76  — —    2hnjufte  Qaufdfner  in  Berlin.  

(Sine  luftige  s33eratf)ung  folgte.  2ena  mufcte  beizten,  an  meld&en  S8er= 
gnügungen  es  xf)r  am  metften  gefehlt  f^be,  unb  bie  Herren  förieben  banaefc 
U)re  töecepte. 

Sftorgenfpaäierritte  im  Tiergarten,  grüftftücf  im  ©rünen,  Sootfarjrten, 
©artenconcerte,  Xljeaterabenbe. 

Sie  oerfpradj  oon  Allein  etwas  ju  nehmen  unb  für  jeben  ber 
SBeljanblung  einen  ber  Herren  al$  Specialtften  ju  mahlen.  SBenig  fehlte  unb 
ber  &au£t>err  hätte  ben  intereffanten  @aft  an  ben  oerlaffenen  grühftüctettfdh 
genötigt,  um  ein  ©las  SBein  auf  ben  glficfltdjen  (Erfolg  ber  Sur  ju  leeren. 

Xod)  ßena  fürchtete  nodj  weiter  $u  gehen.  Sie  erhob  fid)  unb,  oon 
allen  Gaoalieren  an  ben  2ßagen  geleitet,  entfernte  #e  fid)  ebenfo  triump^trenb 
als  fte  bef Reiben  gefommen  mar. 

*  * 

9Zun  begannen  für  fie  bie  langerfefmten  greubentage. 

©nblid)  friert  ba$  Schicffal  ifjr  feine  Sdjulb  ju  jaulen. 

ffie  neuen  greunbe  überboten  fid)  an  2lufmerffamfeiten,  fo  ba§  fte 
oft  gelungen  mar,  ihre  fülmen  ^Mäne  ju  befd)ränfen. 

2£ie  fie  fdjierjfjaft  angebeutet,  teilten  fie  fidfc)  geroiffenfjaft  in  ihre  ,ß&t-. 
hanblung".  ©ungfyaufen  ^atte  bie  gü^rung  burd)  Berlin  übernommen;  ^kiul 
läuterte  ihren  flunftgefchmaef,  mährenb  Hartwig  fte  in  bie  ©eheimniffe  be$ 
Sporte  einweihte. 

(Sr  lehrte  fie  reiten,  fahren,  ^iftolenfchiefcen  unb  fpornte  ihren  (Sifer 
mit  ber  2lu$[id)t  auf  r)erbfllidr;e  ^agbeinlabungen  bei  einem  befreunbeten 
©utäbeftfeer. 

3Jföllburg$  2lmt  mar  bie  Slnorbnung  oon  Sanbpattieen  unb  bie  öe* 
forgung  oon  £heaterbiu*et$,  mährenb  Pachter,  bur$  feine  angejrrengte  5tt>ätig* 
feit  oon  einer  beftimmten  Pflicht  befreit,  bei  allen  Unternehmungen  nach 
3Köglid)feit  „hofpitirte". 

2lüe  SßergnügungSärjte  waren  voü  be$  £obe$  über  bie  folgfame 
„Patientin". 

-Der  Slbgeorbnete  füllte  nicht  mehr  bie  25efdjtuerben  ber  Sommerfeffion, 
wenn  ihr  blonber  Stopf  ihm  oon  ber  9leid&$tagagallerie  junieft;  $aul  be» 
tfjeucrte,  bafj  fte  bie  alten  3flei[ter  oon  einanber  unterföeibe  trofc  bei 
geübteften -iDtufeumSbirectorä;  unb  Hartwig  fdjmor,  fie  fei  bie  famofefte 
^Hettenn  Berlins  unb  mürbe  balb  einen  Sperling  im  gluge  treffen!  2llle 
erfreuten  fid)  an  itjrer  unermüblid)eu  ©enuftfähigfett,  an  ihrer  unoerhohlenen 
Öewunberung ;  unb  jeber  lächelte  halb  ungläubig,  fyaib  gefdjmeichelt,  wenn 
fie  ihm  oerftctierte,  Berlin  fei  ber  ^errlid)fte  Ort  ber  äßelt,  unb  alle  Dtei^e 
be£  Sübenä  unb  ber  Schweif  mögen  feine  Schönheit  nidfc)t  auf. 

Sie  hatte  nach  unb  nach  einen  großen  öefanntenfreis  gewonnen,  ber  aber, 
irgenb  ein  ältlid)es  gräulein,  bae  Den  3lnftanb  repräfentirte,  aufgenommen, 
nur  au$  Herren  beftanb.    Die  berliner  ©efellichaft,  fo  oiel  baoon  nach 


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IHaaöalena. 


unb  naa)  in  bie  Stabt  surüdfelule,  fing  an  fidj  mit  it>r  ju  beidjäftigen. 
SJton  nannte  fie  „Stro()wittwertroft."  SHe  grauen  fammelten  fleine 
Steinten,  in  gönn  oon  „man  jagt",  „fjaben  Sie  gehört?"  bie  fie  Ujr 
nachwarfen,  ^pättc  fie  es  gewufet,  es  f>atte  fie  nidjt  befümmert!  Sie 
war  glüdliä)  —  fie  genofj  it)r  £eben  in  oollen  3u3en- 

Unb  jefet  $ubem,  beim  &erannaf)en  beS  ©intern,  mar  fie  fo  befdjaftigt, 
bafe  felbft  iljr  juweilen  bie  Gräfte  fehlten. 

Sie  wollte  baS  &oteHeben  aufgeben,  unb  f)atte  jum  Cctober  eine 
äitofntung  gemietet.  2ludj  baS  mit  feltenem  ©lüd.  3fjr  greunb  $aul 
^atte  Ujr  ein  wa&reS  3uwel  auSgefunbfd&aftet:  eine  ©artenfjäuSajen  inmitten 
eines  grojjen  ^arfs. 

Urfpriinglia)  alsSUelier  mit  einer  ^unggefellenwolmung  gebadjt,  oerbanf  te 
es  feine  <£ntftefnmg  ber  &aune  beS  BefifcerS,  eines  berühmten  !8ilbf)auerS, 
ber  fid^  bamit  einen  Sdnnollwinfel  für  bie  Sturmtage  ber  @f)e  erbaut  fyitte. 

(Ss  Ijatte  nur  wenige  Zäunte,  fein  Wirtl)fd)aftSgclafc,  unb  beburfte 
einiger  baulicher  ^eränberungen. 

%üd)  bie  Wal)l  ber  (£inrid)tung  war  eine  settraubenbe,  ba  grau 
Grans  2lUeS  fünftlerifd),  eigenartig  f)aben  wollte,  unb  sMeS  uerwarf,  was 
9lnbere  oor  ifjr  gewählt  Ratten. 

©nbltdj  war  baS  Werf  uollenbet. 

(Sin  falter  ^erbftregen  näfete  bie  Strafjeu,  butä)  weldje  Sena  fuf)r, 
um  in  it)r  neues  .§eim  einzusieden.  Sie  t)atte  fia)  jebe  Begleitung,  jeben 
ßmpfaug  uerbeten.  SlUein  wollte  fie  ilu*e  Schöpfung  jum  erften  sJJJal  oolI= 
enbet  fetjen,  unbelaufcfyt  bie  Wirffamfeit  öeS  SWafnnenS  prüfen,  ber  itjre 
^erfon  fünftig  einfdjliejjen  unb  jur  (Geltung  bringen  follte. 

Sie  tonnte  einen  Sd)rei  ber  Berounberung  niajt  unterbrüden,  als  fie 
bie  feftlid)  beleuchteten,  wohlig  buräjwärmten  ittäume  burdjfdjritt.  $$xt 
Erwartungen  waren  übertroffen. 

Xem  2ltelier  f)atte  man  brei  SHäume  abgewonnen.  2)aS  grojje  SWorb= 
fenfter,  bis  auf  bie  (Srbe  oerlängert  unb  $ur  sJhfdje  oertieft,  enthielt  einen 
fleinen  Wintergarten  mit  plätfdjernbem  Springbrunnen.  SBon  bort  führten 
Stujen  auf  baS  einftige  ^fobeUpobium,  baS  ben  Saal  in  jwei  gleite 
X^eile  feilte  unb  jefct  baS  (Sfoimmcr  bilbetc.  SRidjt  grofc,  aber  oon 
bef)aglid>ftem  SHeij,  mit  £eppid)en,  alten  unb  neuen  Waffen  ausgehängt,  unb 
mit  feltenen  ©efäfjen  oon  Stein  unb  WlaS  gefdjmücft.  2>urdj  eine  jufammen* 
fajiebbarc  ©laSwanb  baoon  getrennt,  idjlofc  fidj  öaS  Wolm*  unb  5)fufif» 
jimmer  an,  wäfjrenb  ein  fleineS,  recfjts  anftofjenbes  ^auc^jimmer  in  bem 
angebauten  Wirtbfa)aftsflügel  lag. 

25ie  $?erlc  ber  (Einrichtung  jebod)  war  baS  Bouboir,  baS  £ena 
bem  if)ren  im  £aufe  beS  ©atten  möglid)ft  gleia)  gewünfd)t  ^atte. 
2)er  2lrdnteft  Ijatte  an  biefem  ^ema  feftgeljalten,  es  aber  fo  p^antaftifd^ 
oeränbert,  bafe  nur  nodj  bie  ©runbtönc  an  ben  Uriprung  erinnerten. 
Die  2Bänbe  waren  mit  einer  d)iue|ücbeu  Seibeutapete  bebedt,  gegen  beren 


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(78 


2luijuitc  fjüufdjtier  in  Scriin. 


gelblichen  £on  fid)  bie  föwarsrot&en  ^lüfajfalten  ber  ©arbinen  fapimmerub 
abhoben.  —  3JtöbeI,  oon  ben  oerfd)iebenarttgften  Stoffen  überwogen,  ftanben 
aud)  ^tcr,  ein  ©emifd)  aller  gönnen  unb  2lrten,  in  fd)  einbarer  Unorbnuug 
untrer.  2tlte  ©ttdereien,  bunfle  sörofate,  ftumpfe  £eppiä)ftüde,  —  ein 
©eroirr  oon  garben,  unb  bod)  bäNnonifd)  nüteinanber  oerfdnnoljen! 

2luf  bein  tiefrottyen  Xeppia),  mitten  im  ©emad),  ftanb  ein  niebrige» 
:Hul)ebett,  mit  fd)war$em  Bärenfell  belegt;  ein  eben  fola)e§  oon  meifjer  garbe 
lag  oor  bein  ftamin,  bem  oerebelten  (Sbenbtlbe  feinet  ^Hemburger  Originale. 
Xer  fdjöngeformte  fajwarje  2)tormor  trug  einen  Sd)mud  oon  altem  £>elfter 
v#or$ellan,  ^oljc  £eua)ter  unb  Sltafen,  bie  fid)  in  glanjenbrneifeem,  oenetia- 
nifdjem  ©la$  wieberfptegeltcn. 

3)täd)tige  .§ol$fa)eite  praffelten  in  ber  Ceffnung,  oon  einem  japauif<$en 
iRiefenfd>irm  f)alb  oerbedt.  3ur  Äüljlung  ber  ©lutf)  tagen  mädjtige  Pfauen  - 
webel  an  ber  ©rbe,  neben  orientalifdjen  Jttffen,  bie  bem  Bärenfell  gegenüber, 
ein  5roeite£  £'ager  bilbeten. 

Unb  überall  auf  ben  Xifajddeu,  in  ben  SBafen  buftenbe  Blumen, 
jiüijdien  bunflen  Öronjen  unb  mattleud)tenbem  ©Ifenbein. 

Üßte  ein  geeemncirdjen  mutl)ete  baä  2llle£  bie  ^efdjauerin  an,  farbenfatt 
unb  bod)  getjeimnifeooll  gebämpft  burdj  ba$  rofige  Sid)t  ber  oerfdjleierten 
Rampen!  ©in  mitleibigeä  Sadjeln  überflog  9)togbalena<S  Sippen,  alz  fie 
an  baä  3i"»n«  baajte,  baä  fie  eiuft  fo  ent$ütft. 

glid)  iljrem  neuen  Weid),  wie  it)r  Damaliges  i'eben  ilnem  jefcigen, 
wie  eine  Cellampe  bem  Sonnenlid,t;  wie  fie  felbft,  bie  fdjlanfe,  oornelmte 
grau  im  fdjwarjen  fd)leppenben  Sammetgeroanbe  ber  unbeholfenen  ftlein* 
ftabteriu  oon  bamaU  in  ben  felbftgefertigten  »afälmdjen. 

Lebenau  in  bem  mattbeleuajteten  Sa)laf$immer  orbnete  Sore,  bie  in 
alter  £reue  Ergebene,  bie  fpifcenumfäumten  Kiffen,  au£  bem  Skbejimmer 
brang  ber  x'aut  plätfdjernben  Gaffers. 

ülber  Sena  fouute  noa)  feine  9iul)e  ftubeu.  lieber  unb  toieber 
bura)fd)ritt  fie  bie  3l1lliner/  immer  neue  Ueberrafdmngen  entbedeno. 

„$6\e  fa)ön  ift  eä  tner,  wie  glütflidj  werbe  ia)  l)ier  fein!"  So  fagte 
fie  fid;  ftet*  auf*  sJieue;  unb  erft  $u  fpäter  9toa)tftunbe  entfa^lof}  fie  fia) 
iljr  Säger  aufjufua^en. 

*  * 
* 

ÜDiit  ben  greuben  be3  Sommert  war  e$  enbgültig  oorbei. 

(Soncerte,  ^rentieren,  3lbenbgefellia)aften  traten  wieber  in  tf)r  3fed)t 
—  für  Sena  lauter  unbefannte  ©enüfie,  oie  fie  mit  ber  (Smpfänglid)feit 
be£  Weuliuga  foftete. 

3ln  gamilieuanfa)lu$  fehlte  e*  ityr  aüerbinga  immer  noa;.  ©inige 
Münftler,  benen  ber  ^iuf  ijjres  ^eic^tt}umä  imponirte,  öffneten  tyr  tjjr 
&au$.  Xort  lernte  fie  einige  3)iäba)en  fennen,  oon  jener  2trt,  bie  fid) 
gern  an  gefeierte  grauen  brängen;  ältliche  3ü,l9crinneu  fa)öuer  Äünfte, 


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  irtdütbalcna    J<9 

bie  ftets  bereit  waren,  fic  in  ber  #oge  ober  im  Sßagen  ju  „befdmfcen", 
wenn  fie  weibliche  ©efellfdjaft  für  wünfdjenSwerth  tycit. 

2lber  innigeren  93erfet)r  fudt)te  unb  fanb  fie  nicht. 

2Us  grau  SJtöllburg  oon  ihrer  Sommerreife  jurüdfefjrte,  mar  fie  nicht 
abgeneigt,  mit  bem  Schübling  i^rcs  ©arten  greunbfehaft  ju  fchliefeen. 

Die  oberflächliche  Sanqutersfrau  lebte  nur  für  bie  ©efelligfeit,  baS 
Vergnügen.  Sie  brauste  neue  ©rfdjeinungen  für  ir)re  unjähligen  ©efell= 
tdjaften  unb  prüfte  fie  nicht  ftreng  auf  ben  fittlidjeu  S5>crtt),  wenn  fie  nur  be- 
ftechenbe  äußere  (Sigenfdjaften  mitbrachten.  &enaS  genufcfüchtige,  ermübungS* 
lofe  SWatur  tjatte  etwas  ber  irrigen  33erwanbteS,  unb  ber  $ang  $u  „sigeuner= 
tjafter  Ungebunbenheit",  ben  grau  Granj,  um  if)r  fpiefjbürgerliches  SSorleben 
$u  oerfchleiern,  mit  Vorliebe  betonte,  »erlief)  itn*  in  ben  2lugen  ber  an 
ftrengere  gormen  gebunbenen  ©rofeftäbterin  einen  pifanten  9lnftrid). 

2Iber  Sena  oerftanb  eS  nicht,  fia)  biefe  greunbfehaft  §u  erhalten.  Sie 
fanb  bie  -äRöflburg'fchen  ©efelljc^aften  langweilig,  —  bie  enblofen  3)JittagS* 
tafeln,  bie  muftfalifdjeu  X^eeabenbe,  bie  lebensarmen  23älle. 

Sie  fanb  bie  Hausfrau  nidn"  glürflid)  in  ber  2L>a^l  unb  ^ufammenftellung 
ihrer  ©äfte.  S)ie  luftigen,  genialen  (Elemente  würben  burd>  bie  fchwerfälligen, 
geiftlofen  ju  Soben  gebrüeft,  in  Ujrei  ©utwicfelung  gehemmt! 

Um  mit  ber  grau  eines  geheimen  sJfegierungSratbS  bie  befte  2(rt  oon 
^ubbingbereitung,  mit  ber  grau  eines  SNajorS  a.  2).  bie  SBorjüge  ber  früh* 
zeitigen  2Ibhärtung  fleiner  flinber  $u  besprechen,  um  mit  einem  wohlbeleibten 
üBörfenmann,  bei  enblofen  STafelgenüffen,  fämmtlicbe  neue  Bücher,  ^eater- 
ftüde  ju  fritifiren,  unb  bie  potitifdje  Weinung  feiner  Leitung  anzuhören, 
—  baju  hatte  bod)  fie  nicht  <gaar=  unb  ftleibertradjt  tagelang  überlegt;  ba* 
5U  waren  ihr  bie  Stunben,  bie  fie  für  3atjre  oerlorener  £ebenSfreube  ent* 
idjäbigen  follten,  5U  f oftbar! 

„2Öie  fann  eine  fo  unabhängige,  oorurtheilSlofe  grau  wie  Sie  ftd) 
mit  fo  ftetfleinenen  2)?enfchen  umgeben?"  fragte  fie  bie  neue  greunbin. 
„SBarum  wallen  Sie  nid)t  nur  bie  intereffanteften  9)iänner,  bie  ^eiterften 
Naturen,  unb  laben  grauen  baju,  bie  ihnen  är)ultct)  unb  ebenbürtig  ftnbtf" 

„2Beil  id)  auf  meinen  töuf,  auf  bie  Stellung  meine»  9)?anneS  MM- 
ficht  ju  nelmten  \yabt,"  war  bie  Antwort  ber  burd)  bie  abfällige  $eurs 
theilung  ihrer  ©efellfd}aft  SBeleibigten.  „(Sine  anftänbige  grau  tt)nt  nicht 
blofj,  was  fie  will,  fonbern  oor  2lUem,  was  fie  foü7' 

„2Benn  anftänbig  fein  fid)  langweilen  hßM3t,  fo  warten  wir  bod)  bamit 
bis  wir  alt  finb!  Unfer  ÜHuf  leibet  mehr  oon  einem  frembartigen,  auffallen* 
ben  flletbungSftüd,  baS  wir  Öffentlich  tragen,  als  oon  einer  heimlid)  be* 
gangenen  Sünbe!  So  oiel  gebe  id)  auf  baS  Urtheil  ber  Seit/' 

Sie  fchnippte  mit  bem  ginger. 

Xiefem  ©efprädj  entwuchs  eine  Uterftimmung,  bie  fid)  ftei^erte,  als 
l'ena  ihre  Theorien  burch  bie  %\)at  oerwirflichte. 

Sie  entzog  fich  lüdhaltlos  ber  ihr  läftigen  weiblidjen  Unterhaltung, 


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\80 


2inguftc  fjaufdjner  in  Berlin. 


roaljfte  eigenmächtig  itjren  Sanier,  iljren  Xifdjnadjbar;  fic  ladete  unb  fdjerjte 
im  -Weben  ^immer,  roenn  im  3Jiufiffaal  flafftfdje  3Jhiftf  gemalt  rourbe,  unb 
burdjbradj  bie  Scbranfen  beä  $erfommen3  fo  roeit,  ba§  fic  ben  Herren  in 
ba$  9?aud)5immer  folgte  unb  fidj  felbft  eine  Gigarette  anfterfte,  um  „in  bem 
Sampfolnmp  eine  fleine  ^Jrioatroolfe  $u  fjaben,  auf  bie  fie  fidj  $urürf$ief)en 
fonne,  falte  bie  Herren  (Sötter  etwa  ju  übermütig  merben  foUten!" 

3lQe  biefe  Slergerntffe  mürben  noa)  burd)  ben  Uebermutt)  übertroffen, 
mit  bem  fie  eines  2lbcnb3,  gereift  burdj  bämifdje  23emerfungen,  if)re  3ln« 
fixten  über  Siebe  unb  ©fye  entroicfelte.  ^n  ©egenroart  einiger  ort^oboren 
abelsftoljen  Patronen  unb  i^rer  ftrengerjogenen  Sodjter,  erfldrte  üe  für 
„freie  Siebe''  $u  f^meirmeu,  fie  für  bie  einzige  fittlid>e,  beglücfenbe  $u 
tjalten,  unb  nie  eine  onbere  felbft  anjuerfennen. 

Verlegen  unb  entrüftet  sogen  fid)  bie  Hainen  oon  iljr  jurüd,  unb  ber  916* 
jdueb^grujj  ber  ftauäfrau  mar  fo  füjjl,  ba§  er  einer  s3>erabfdjiebung  gli$.  — 

Seraufajt  oon  benftulbigungen,  bie  mauit)r  barbrad&te,  ftoljauf  if)r  felbft = 
gefd)affene§  &eim,  mar  fie  weniger  als  je  geneigt,  fid)  beoormunben  $u  [äffen. 

f,$ü)  paffe  nun  einmal  nidjt  ju  ben  fogenannten  .anftänbigen  grauen', 
bie  fleiulid)  unb  eiferfüd)tig  finb,  unb  uia)t  um  ein  £>aar  Keffer  als  idj, 
bie  idj  nid)t  bem  Sdjein  opfere/'  erflärte  fie;  unb  fie  fanb  Sdmteid>ler 
genug,  bte  fie  in  tyrer  Slnfidjt  beftärften. 

3§x  &ausroefen  mar  nun  ooUftänbig  geregelt.  Sie  Ijatte  beftimmte 
33efud)3tage,  unb  für  bie  intimen  eine  Stodnnittagetljeeftunbe,  in  ber  bie 
Herren  in  allen  3»n>nern  raud)ten,  plauberten,  muficirten,  mie  in  einem  Glub. 

9htr  bie  23eoor$ugteften  burften  mit  ber  Herrin  in  bem  rofig  be- 
leuchteten  Souboir  plaubem. 

Sie  auf  ityrem  Bärenfell,  oom  ftaminfeuer  fanft  beftratylt,  —  ber 
greunb  iljr  gegenüber  auf  niebrigem  Stuhle,  ober  auä)  auf  bie  fliffen  geftredt, 
bie  (Sigarette  im  2)iunbe,  ben  buftenben  Xljee  jur  Seite. 

2luf  ber  Strafe  ftets  oon  ber  unauffälligfien  Ginfaä)t)eit,  fyatte  fie 
fid)  für  itn*  £>au£  eine  erentrifdje  £radjt  erfunben.  Sie  trug  nur  fdjroarj 
ober  mein,  ftumpfen  Sammet  ober  meiere  5h>oHe.  Sange  galten,  fdjlanf 
au  ber  ©cftalt  fyerabfliefjenb,  mit  ©olb  gegürtet,  am  .(palSauSfdjnitt  unb 
ben  langen  offenen  2lermeln  golbumfäumt.  $a$u  ba3  &aar  fyodjgeftecft, 
oon  golbenem  ^feil  gehalten,  mie  fie  eS  im  SHufcum  an  ber  $)tana  oon 
JHerfailles  gefeiten  Ijatte.  (Tin  berühmter  3)?aler  malte  fie  fo,  unb  jur 
nadiften  2lueftelluug  ftanb  fie  einem  SMlbljauer  ju  einer  Cleopatra. 

Berlin  fufjr  fort  oon  tln*  $u  fpredjen.  2i*enn  fie  fic$  im  Sweater, 
in  Goncerten  jeigte,  tabelios  gefleibet,  mie  eine  gürftin  oon  i^rem  ©es 
folge  umgeben,  nad)  red/tä  unb  linfä  anmutig  grüfeenb,  fo  flüfterten  bie 
grauen,  unb  il>re  ÜJiäuner  lädjclten  mit  jenem  oert^eibigenben  Säbeln, 
ba3  eine  boppelte  Auflage  birgt.  Hub  bod)  Ijatte  fidj  bie  junge  grau 
meniger  oorjumerfen,  aU  manage  ber  ftrengen  Sittcnridrferinnen,  bie  um 
feinen  ^rei^  „biefe  s^erfon"  über  ihre  Sdjmelle  gelaffen  bätten! 


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— —    Zfiagbalena.   (8( 

ilBofjl  fjatte  fie  if)r  &au$  $u  einem  30tinnel)of  gefialtct,  bcffcn  s))iittelpunft 
uc  felbft  war;  rool)l  war  e3  fttllftt)ioeigenbe  Sebingung  für  jeben  SReuemge* 
führten,  tf)r  5U  fmlbtgen. 

Sie  laufd)te  nadjftdjtig  lädjelnb  bem  feurigften  ©erben;  ba$  freiefte 
'iöort  n>ar  erlaubt,  wenn  e3  fidj  in  ©eift  fnlüte;  fie  bulbete  mand)  fyeifeen 
Äu§  auf  &anb  unb  2lrm,  manage  füf)ne  3lnnäf)erung  beim  3n»egefpräd?, 
bei  £an$  unb  9Ju3faf)rt. 

2Iber  fo  gütig  ifjr  9JIunb  täfelte,  fo  oieloerfpredjenb  if)re  Stugen  flammten 
—  fie  gewährte  deinem  bie  ©unft,  um  bie  2lHe  offen  ober  oerf)üQt  marben. 
Sie  füllte  fid)  roof)(  in  ber  fdnoülen  Sltmofpjjäre,  bie  fie  umgab,  unb  fürdjtete 
fein  Unterliegen.  $a3  mar  e$  ja,  roa£  fie  fia)  erfetjnt  Rätter  berounbert 
3U  werben!  sJJad)  Siebe  oerlangte  fie  nidjt  —  aud)  U)re  Sinne  blieben 
falt,  nur  ifjre  ^fjantafie  mar  fyeifc  unb  fdjroelgte  in  ben  ©efafyren,  bie  fie 
umgaben,  unb  mit  benen  fie,  ftolj  auf  tf)re  Unnafjbarfeit,  fpielte. 

Sie  mahnte,  bafc  fie  eine  Närrin  märe,  oon  ber  &öt)e,  oon  melier  aus  fie 
fie  2lHe  bef>errfd)te,  bie  eitlen,  finnlofen  Scanner,  f)erab$ufteigen,  um  Einern  ans 
$ugef)ören,  ber  fid)  bann  rafd)  oom  Sflaoen  5um  Snrannen  oerroanbeln  mürbe! 

&ier  unb  ba  mürbe  if)r  ein  Jreunb  untreu.  £er  (Sine,  meil  ber 
5Öerfel)r  mit  if)r  nidjt  bem  entfpraaj,  roaS  er  fidj  baoon  erhofft  fyatte;  ber 
2lnbere  roieber,  weit  ü)m  biefer  SHerfeljr  ju  frei  unb  ungebunben  erfdjien. 
Sie  achtete  beffen  nidt)t.  Xex  $ret$  ber  -Bfänner,  bie  fid)  in  biefem  merf* 
roürbigen  ^auS  roof)l  füllten,  mar  immer  nod)  grofj  genug;  in  biefem 
«§aufe,  ba*  eine  oerfüljrerifdje  grau  mit  ifyrem  9iei$  füüte,  in  bem  äße 
Sinne  umfdjmeid&elt  mürben,  unb  in  bem  jeber  ©injelne  bie  Erfüllung 
feinet  geheimen  SöunfdjcS  erhoffte! 

3)er  &au£frau  mar  3eber  roillfommen,  ber  fidt)  irgenb  roeldjer  fjeroors 
ragenben  (Sigenfdjaften  rüfnnen  fonnte,  mar  es  sJtong,  großer  s3teid)tfwm, 
geiftige  Begabung,  ober  befonbere  perfönlidje  Sieb en«$roür bigfeit. 

9tur  redt)t  oiel  Sflaoen  oor  bem  Sriumpfyroagen  ber  .fterrfdjerin,  ifjrem 
§erjen  maren  bod)  ?IUe  gleid&gültig! 

So  glaubte  fie  roenigftenS. 

33or  einigen  SSod^en  Ijatte  if)r  &err  SJtöUburg,  ber  feine  intereffante 
flunbin,  trofc  ber  ©ntfrembung  ber  beiben  .§augf)alte,  nodj  ab  unb  $u  be= 
fua^te,  einen  jungen  SWann  5ugefül)rt,  Barlos  SMarej,  ben  Solm  eines 
amerifanifdjen  StttllionärS,  ber,  unter  bem  sHonoanbe  ba$  beutfd)e  ©e|d)äft 
fennen  lernen  $u  wollen,  fein  ßebeu  in  Berlin  genofe. 

Kon  fran,}öfifdjer  Butter  unb  fpanifrfjem  &ater  entfproffen,  in  2lmerifa 
groß  gemorben,  Bereinigte  er  bie  (£igenfd)aften  biefer  Nationen  in  feinem 
Sleufceren  unb  feinem  Gfjarafter.  £ie  bunfeln  fa^arfgefainittenen  3"gc,  bie 
brennenben  9lugen,  bie  fajlanfe,  felmige  ©eftalt  uerrietljen  ben  Spanier; 
ben  liebenSrofirbigen  <DJunb  mit  bem  finblidjen  Säbeln  unb  ba$  mo^lflingenbe 
Crgan  f)atte  er  rool)l  oon  ber  Butter  geerbt;  unb  trofc  feiner  23  $a\)xe 
mar  er  fdjlan  unb  beregnet  mie  ein  edtfer  ?janfee. 


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\82    2Jngufte  l)aufdjner  in  Berlin.   

(Seine  Kameraben  liebten  eS,  ij)n  als  ftinb  ju  befjanbeln.  ©in  ge- 
fäfjrlidjes  flinb,  fyilb  (S&erubin,  f>alb  Eon  3uan! 

3n  *?enaS  £aufe  nalmt  er  balb  eine  ©onberftellung  ein.  ©r  nannte  fte 
„Keine  v3)toma"  unb  nafnn  ftdj  allerfKmb  greitjeiten  f)erauS,  roie  fte  einem 
Sojm  erlaubt  finb.  (fr  jupfte  if?r  &aar  suredjt,  banb  eine  losgegangene 
Sajleife,  legte  sutraulid)  ben  2lrm  um  if)re  ©a)ulter,  um  i^r  ein  ©eljetmniß 
tn'S  Cf)r  ju  flüftern,  unb  nannte  fte  juroeilen  m\e  felbftoergefien,  „W. 

$a£b  war  er  ber  tyiuftgfte  ©aft  beS  SoubotrS,  unb  er  liebte  eS, 
$u  ben  güfjen  feiner  „Keinen  3flama"  f)ingefauert,  ben  äopf  auf  tyre  Äntee 
$u  legen  unb  feine  Sünben  ju  beizten.  (SS  roar  meift  oon  grauen  bie 
:Nebe,  unb  fte  fteüte  fia)  oft  febr  erjürnt.  9iur  weil  eS  gar  ju  reijenb 
roar,  roie  feine  feudrten  ölide  bann  baten,  feine  roeidje  ©timme  fd^meid^elte, 
unb  er  fie  fo  lange  liebfofenb  beftürmte,  nidjt  böfe  ju  fein,  „benn  er  mürbe 
es  ftdjer  niemals  wieber  tfmn,"  bis  fie  bem  Reuigen  oer$tef). 

ßiferfüdjttg  rourbe  fie  baburdj  ni<$t,  geroiß  nid)t!  tiefem  „Äinbe" 
gegenüber  war  fie  ja  eine  gereifte  Jyrau,  unb  bie  J-reube,  bie  fie  bei 
feinem  SInblid  empfanb,  bie  Unruhe,  bie  üjr  fein  Ausbleiben  oerurfadjte, 
Ijätte  il;r  gewiß  aud)  ein  eigener  geliebter  Sofm  eingeflößt. 

Sie  fonnte  barum  bei  ben  Redereien  ber  Jreunbe,  bie  ju  ber  ftetgenben 
üeoorjugung  beS  QünglingS  fdjeel  fallen,  redjt  böfe  roerben.  23ie  unfreunb* 
fdjaftlia),  it)r  gerabe  biefeS  reine  23erf)altniß  ju  mißgönnen! 

28ie  jwifdjen  Butter  unb©ofm  in  iljren  franjöftfd&eniHomanen,  in  benen 
aud)  felbft  in  biefem  §arteften  aller  Öünbniffe,  bie  ©atanterie  fo  mistig  blieb ! 

£arum  roar  es  bodj  gans  harmlos,  baß  fie  ftdj  naaj  feinem  ©efd&mad 
faimüdte,  nadj  feinen  Jaunen  Vergnügungen  annahm  ober  abfdjlug,  unb  u)m 
s}>lauberftunben  fdjenfte,  in  benen  fte  für  9Ziemanb  fonft  ju  ^aufe  mar. 

„(fr  ift  fo  einfam  in  ber  großen  Stabt,  id)  muß  it>m  Heimat  unb 
Aamilie  erfefoen,"  meinte  Tie. 

(Sarlos  roar  eine  &>od)e  oerreift  geroefen.  „3n  ©ei($äften,"  f»atte  er 
gejagt,  unb  in  ber  ganjen  3eit  nid^td  oon  ftd)  f)ören  lajfen.  $eute  roar 
ein  abrief  oon  ibm  gefommen. 

„%d)  fomme  l;eute  Abenb  8  \\\)x  $u  Sfjnen;  aber  um  beS  Rimmels 
roiüen  fein  frembes  ©efiajt  bei  unferem  Söieberfeljen!  2Bie  fefme  id)  mid) 
nad)  meiner  füßen  f leinen  Sfiama;  naa)  bem  buftenben  3tmmer,  in  bem  fie 
als  fdiönfte  SBlume  blüht ;  naa)  bem  SBlid  iljrer  guten  Augen,  nad)  bem 
Xxnd  it)rcr  roftgen  ginger!  3dj  lebe  ntapt  mefjr  bis  ju  ber  ©tunbe,  roo 
id)  ben  tfopf  in  tt)reu  Sdrooß  legen,  unb  t^r  2lUeS  erjdfilen  fann,  roaS 
ihr  leia^tfinniger  <So\)n  in  ber  langen  3eit  erlebt  f>at." 

Üena  ^atte  i\)x  ^eim  für  ben  £angentbe§rten  feftltd)  gefajmürft.  Üllle 
Limmer  tuaren  l)ell  erleuchtet,  nur  im  ^ouboir  roaren  bie  Sampen  roie 
immer  rofig  oerfa^leiert.  £aS  fladernbe  ftaminfeuer  roarf  p^antaftifdje 
t'id)ter  in  bie  l;albbunflen,  oon  ungeroiffem  glimmer  erfüllten  @den  unb 
freute  fic^  mit  ber  lallen  flamme  ber  Spirituslampe,  bie  unter  bem 


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  lltag&jlena. 


\85 


filberiien  Samooar,  auf  bem  niebrigen  ^heetifd),  fang  unb  fummte. 
Teilchen  unb  Xuberofen,  Barlos  ßieblingäblumen,  füllten  $>afen  unb 
Skalen;  aud)  2ena'3  ©eroänbern  entftrömte  ein  feiner  SBeildjenbuft.  So 
cid  3eit  unb  Sorgfalt  fie  auch  fyeute  auf  ihren  Slnjug  geroenbet,  fie  mar 
nun  boch  ju  früh  fertig,  unb  ungebulbig  burdjfdjritt  fte  bie  Slaume, 
fragenbe  ^Blicfc  auf  bie  Ufjr  roerfenb. 

äöieber  im  öouboir  angelangt,  roarf  fie  fid)  auf  ba$  Gebert.  Sie 
baä)te  an  (Sarlo$,  rote  fie  all  bie  Sage  tyer  immer  an  i(m  hatte  benfen 
müjfen.  Sie  hatte  jid)  unbegreiflich  heftig  nad)  ihm  gefeint.  Sein  fd)öne3 
©eftcht,  feine  fnabenjjafte  §eiterfeit,  feine  ungeftüme  3ärtlid>feit  Ratten 
it»r  gar  fein*  gefehlt.  2öo  mar  er  benn  geroefen?  £>ie  ^©efd^aftöreife", 
bei  feiner  bekannten  Erägheit  ohnehin  fd)roer  glaublich  rourbe  oon  ben 
greunben  luftig  befpöttelt.  Welche  neuen  SiebeSabenteuer  Ratten  tf)n  oer= 
ftrieft?  roa$  rourbe  fie  ifnn  3Ule8  su  uerroetfen  haben? 

Sie  nahm  ftch  oor,  bie^mal  nid)t  fo  nachfichtig  511  fein,  roie  fonft;  fefjr 
ftreng  unb  emft,  roie  e$  ber  mütterlichen  greunbtn  geziemt;  aber  nicht  5U 
ftreng,  unt  fein  Vertrauen  nicht  3U  uerfcheuchen  —  um  ilm  nicht  roieber 
entbehren  3U  müffen,  lange,  enbloa  öbe  Xage!  $>arum  hatte  fie  auch  ihr 
£>au*  unb  fid)  felbft  fo  reijoolt  gefdmuteft.  <5r  foßte  erfennen,  bafc  er  fein 
trauteres  &eim,  feine  anmuthigere  ©efahrtin  finben  fönne;  er  foCte  fich 
gefeifeit  fühlen,  um  nicht  roieber  uon  ihr  ju  fliehen! 

Sie  bliefte  in  ben  Spiegel,  ber  ihr  gegenüber  fnng  unb  fte  ganj 
roiebergab.  2i*te  fie  fo  balag  in  bem  roeifeen  s^Bollgeroanb ,  bie  ent* 
blökten  3lrme  hinter  bem  &aupt  gefreujt,  glich  fie  einem  flaffifchen  s3ilb* 
roerf.  sßon  bem  fdjroarjen  Bärenfell  Irooen  fid)  bie  fd)lanfen  Umrijfe  ber 
biegfamen  ©eftalt  fcharf  ab,  im  golbig  flammenben  £aar  blinfte  ber  filberne 
£albmonb.  iKofig  fd)tmmerte  bie  £aut  burch  bie  SRafdjen  be$  Selben* 
ftrumpfeä,  oon  bem  ber  ©olbpantoffel  halb  herabgegütten  mar.  $)a$ 
bämmernbe  .palblicht  oerroifd)te  alle  oerrätherifchen  Spuren,  bie  bas  unruhige 
Seben,  bie  raftlofe  $ergnügung$jagb  ijjr  aufgeprägt.  sJtur  oergeifUgt,  oerfeiert 
erfd)ieneu  ihre  ßüge.  2>a£  buntel  umränberte  2luge  fchmachtete  fefmffichtiger 
unb  hei&  bramüe  ber  9Jhmb  in  ber  garten  kläffe  be$  ©efichtS. 

3lud  bem  geheimnifeoollen  $albbunfel,  aus  ben  gebrochenen  garben  be$ 
£intergrunbe$  leuchtete  fie  heroor  marmorl)aft  unb  boch  ooll  feurigen  Sebent. 
Sie  lächelte  fidt)  5U,  fie  fd)roelgte  in  ber  eigenen  Schönheit. 

So  roirb  fie  Garlog  fehen,  balb,  in  roenig  Minuten!  Unb  er  roirb 
üe  bittenb  umfdjmeicheln,  feinen  ftopf  reuig  auf  ihren  Sdroofj  legen,  feine 
2lrme  $ärtlichum  ihre  Schultern  fchlingen!  (sin  roonntgeö  Beben  erfaßte  fie  bei 
bem  ©ebanfen;  ihre  3lugen  oerfchleierten  fid),  ber  9JJunb  athmete  haftig. 

3)raufjen  ertönte  bie  Älingel,  fie  hörte  eine  gebämpfte  männliche  Stimme. 
2)a$  mar  er!  3lber  fie  rührte  fid)  nid)t.  ©r  foüte  fie  fo  fehen,  in  ihrer 
fteghaften,  ihren  Dieij  roie  unabrtchtlich  barbietenben  Stellung.  

Gin  paar  ^erjfchläge  lang  lag  Tie  ftitt.    Xann  roenbete  fie  ben  £opf. 


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 iUijuftc  fjaufdjncr  in  Berlin.   

Bor  ihr,  bie  Kleiber  oom  Schnee  genäht,  bie  Stiefel  befchmufct, 
&aar  unb  Bart  com  2Sinb  $erroeht,  ftanb  ü)r  Schwager  Hubert. 

Sie  ftarrten  fid^  anreibe  fprad>lo$,— fie  uou  einem  jctyenSchredf  erfa&t; 
er  wie  gelähmt  oon  bem  überrafdjenben  2lnblicf.  Sa3  Blut  ftieg  ihm  heiß  in 
bie  Schläfen,  bie  &änbe  preßten  frampfhaft  ben  weisen  mt  jufammerL 

^löfcltd)  ermatte  bie  grau  3um  £eben.  Sie  fprang  auf.  £alb  un* 
bewußt  griff  fie  nach  ber  feibenen  Secfe,  bie  ben  neben  ihr  ftehenben  Sifch 
bebeerte  unb  hüllte  fidj  in  it)re  galten.  Sa  fanb  auch  er  bie  Spraye. 

„©uten  2lbenb,  Schwägerin/'  fagte  er,  unb  feine  Stimme  flang  Reifer 
unb  raut).  t)aben  und  lange  nicht  gefehen.    Sich  gelüftete  c*  bie 

jefet  nic3E)t  nach  einem  äBieberfehen  mit  Seiner  gamilie."  Gx  reichte  ü)r 
bie  &anb  l)in,  aber  fie  tfyitf  al£  bemerfe  fie  el  nicht. 

„Su  fyeifeeft  mid>  nicht  wiUfommen;  id)  fomme  Sir  ungelegen,  in 
einem  2lugenblicf,  wo  Su,  wie  e§  fdjetnt,  einen  9lnberen  erwarteft." 

Sie  antwortete  nicht,  ^n  bie  galten  be3  Sud>$  geroidelt,  glich  fie 
einer  jürnenben  ©öttin,  bie  Sippen  feft  äufammengepreßt,  bie  Stirn 
gerunjelt.  28eld)  ein  3rcifchenfall !  3n  tyrem  ftopfe  fummte  nur  ber  eine 
©ebanfe:  „Sßenn  er  nur  ginge,  balb,  gleich,  ehe  GarloS  fommt!" 

„Su  fragft  mich  nicht,  wie  id)  Sich  gefunben  tyibe,  was  mich  her- 
führt. Saß  Xu  Sich  nicht  breunenb  nach  mir  fetmft,  fonnte  ich  *ü°hl 
üermuthen.  2lber  ba  mich  gerabe  ©efchafte  nad)  ber  Stabt  führten  — 
©efchäfte  bie  eigentlich  Die  Seinen  fein  foUten.  —  Sa£  (*Jrab  Seines 
Cannes  entbehrt  noch  immer  bes  Sdjmucfes.  3$  wollte  Sir  nicht  oor* 
greifen"  (er  lachte  bitter  auf).  „2iber  nachbem  ber  Jahrestag  feinet 
Sobes  oorbei  mar,  ^te£t  ich  &  bodj  für  unpaff enb  länger  bamit  3U  zögern. 

—  Sa*  Senfmal  ift  fertig;  allein  bem  Münftler  genügt  meine  3"; 
friebenheit  nicht,  er  wünfd)t  es  aud;  ber  trauernben  2£ittwe  su  jeigen. 
So  machte  ich  '»ich  benn  auf,  bie  .trauernbe  &>ittwe'  ju  fuchen.  Wi^u- 
fchroer  ift  mir  ba*  nicht  geworben.  Su  bift  ja  eine  9lrt  Berühmtheit  in 
Berlin  geworben,  SHagbalena:  id;  gratuliere  3U  bem  raffen  ©rfolge." 

Sie  warf  ben  flopf  5urücf.  9lu3  ihren  r;aIbgcfct)(of|enen  Slugen 
fchoffen  haßerfüllte  Blicfe  nach  Dem  Sprecher. 

„3ch  ty&e  2lu*fuuft  über  Sich  gefugt/'  fuhr  er  fort;  „fie  ift  mir 
überreichlich  geworben.  SNagbalena"  (er  fenfte  bie  Stimme,  als  füra)te 
er,  fie  bie  Schwelle  bes  ^muners  überschreiten  ju  laffen),  „was  \jabe  ich 
3lttes  über  Sich  t)ören  müffen!  Saß  Su  fcr)ön  bift,  oerführerifch  unb  auf 
Verführung  auSgeljenb,  barüber  finb  9Ule  einig.  9?ur  in  einem  fünfte 
gehen  bie  Meinungen  noch  auSetnanber.'  Sie  ©inen  halten  Sich  für 
fabelhaft  reich,  unb  glauben  bie  Duelle  biefeS  sJJeichthum$  nur  all$u  gut 
$u  fennen.  Sie  Slnberen,  wie  Sein  Banquier  unb  feine  #reunbe,  fehen  in 
Sir  eine  Abenteurerin,  bie  ihr  eigenes  Vermögen  fo  lang  aus  bem  genfter 
fchleubert,  bis  fie  genötljigt  ift,  baS  ber  ^remben  in  3lnfprud)  3U  nehmen. 
Selche  Auffaffung  gefällt  Sir  beffer?'' 


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  ITTag&alena. 


Sie  würbe  leidjenblaö  unter  ben  2öorten,  bie  fie  wie  ©ei{jelf)te6e 
trafen;  aber  fie  fdjwieg. 

„Du  fd&weigft?  Du  blicfft  nao)  ber  Df)ür  unb  überlegft,  ob  Du 
uennagft  mia)  fnnauäaumeifen,  ornte  Deine  Seute  ju  rufen.  Unb  bod) 
Tocifet  Du,  ba&  id)  ein  9ied)t  fjabe  — " 

,,2Beldt)eö  ^tedjt?"  rang  e$  fid)  feudjenb  von  irjren  Sippen.  „Sdjon 
einmal  fragte  id)  Did),  weld>e3  ÜRecbt  rjaft  Du,  mid)  ju  bemütrjtgen,  §u 
beoormunben?" 

„Da3  9ied)t  be$  9Jtonne3,  ber  ben  -Warnen  trägt,  ben  Du  enter)rft/' 

„(So  roitX  iü)  ifm  oon  mir  werfen!  2Sa£  willft  Du  bann  noa)  oon 
mir?  Deinen  33ruber  t)abe  id>  glürflid)  gemalt,  fo  lange  er  lebte.  SRadj 
feinem  Xobe  bin  id)  ifjm  nidjtS  mein*  fa)ulbig." 

„S?or  bem  ©efefe  allerbingä  nia)t,  aber  oor  ber  Sitte,  bie  Du  mit 
5üfcen  getreten!  2£ie,  wenn  id)  mid)  nun  jum  Siädjer  feiner  ©rjre  berufen 
füllte  ?  2ßenn  id)  tjier  bliebe,  um  ben  2Nann  ju  erwarten,  für  ben  Du 
Dia)  fo  fdjamlos  gefdjmüdt  rjaft?  £eute  ifm,  unb  morgen  bie  ?tnberen, 
bi$  \ä)  ba3  gan$e  ©elid&ter  Deiner  Sieb^aber  oerjagt  (jabe?" 

Sie  ftante  ifm  an.  (Sr  erfd)raf  oor  bem  2lu£bru(f  ber  9lngft,  ber 
ohnmächtigen  Sihitl),  ber  ftd)  in  ifjren  2lugen  malte. 

„SJtagbatena,"  fagte  er  weiter,  „Du  fwffeft  mia).    2£ären  Deine 
#liäe  Dolore,  id)  ftünbe  nidjt  mein*  lebenbig  cor  Dir.   Unb  bod),  weife 
®ott,  wenn  ia)  aud)  bie  SBorte  nid)t  $u  mähten  weife,  wenn  ber  3om 
midj  fjart  unb  rot)  erfdjeinen  läßt,  ia)  bin  nidt)t  Dein  fdjledjtefter  greunb, 
oieüeidjt  Dein  einjig  getreuer.   #öre  auf  mid),  SHagbalena!  Du  warft 
immer  flug  unb  oernünftig,  trofe  Deiner  begef)rlia)cn  2Bünfd)e.  2Md)er 
$tofjnfinn  Ijat  Didj  iefot  erfaßt,  bafe  Du  Deinem  Untergang  entgegen 
taumelft?  Du  weißt,  wie  ia),  wie  e$  mit  Deinem  sJleid)tl)um  beftellt  ift.  Ueber 
bie  Hälfte  Deinem  Vermögens  fjaft  Du  fd)on  oergcubet,  unb  wenn  ba$  fo 
fortgebt  fo  bif*  Du  balb  eine  Bettlerin.  Sa$  bann,  wenn  Deine  Littel  ju 
Gnbe  finb?  2i>enn  Du,  an  biefe*  oon  Dir  ftets  erfefmte  Seben  ber  Ueppig= 
feit  gewörjnt,  nur  bie  SBa&l  l)aft  jwifdjen  SHnnutl)  unb  SdjanbeV  2£ad)'  auf, 
SJiagbalena!  Du  bift  berauidjt,  betäubt  oon  bem  2i?eil)raud),  ben  man  Dir 
fpenbet.    Du  glaubft  Did)  ergaben  über  bie  9Jienfd)en,  bie  Didf)  oeradjten, 
über  bie  ehrbaren  grauen,  bie  Did)  oerurt^cilen.  Mcx  wenn  Du  oon  Deiner 
trügerifdjen  jpölje  f-erabfällft,  wenn  Du  nidjt  meljr  bie  Herrin  bift,  fonbern 
bie  Setjerrfdjte,  wenn  Du  Deine  ©unft  oerfaufen  mufet,  anftatt  fie  $u  oei» 
'djenfen  —  bann  wirft  Du  empfinben,  was  e$  rjeifet,  oon  ber  2Mt  oer; 
ftofeen  $u  fein!  Dein  Stolj  wirb  aus  taufenb  &>unben  bluten,  Du  wirft 
bie  brennenb  beneiben,  bie  Du  jefct  bocfmtütfrig  geringfa)äfecft.  —  Unb  bann 
bebenfe:  Du  bift  nid)t  mel;r  jung!  9Zod)  bift  Dufcfym.    Sdjöncr  oieUeidjt, 
aU  Du  je  gewefen.    3lber  noä^  ein  s£aar  ^al)re  fo  wilb  gelebt,  unb  Du  bift 
alt,  mußt  Dia)  mit  geborgten  Weisen  fdmmden,  mufet  Dir  bie  Neigung  ber 
'Diänner  erbetteln,  bie  jefet  bewunbemb  $u  Deinen  /"ytifeen  liegen!" 

Korb  unb  Sub.   hl ,  1S2.  13 


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J86    2lu<jufte  ^aufdjuer  in  Scrlin.   

X'eua  mar  außer  fid).  Wt  graufamer  £anb  jerpflücfte  bcr  tyarte  2)iann 
alle  ifjrc  ^reuben.  ^n  ber  Stunbe  bev  fünften  Grwartung  überfiel  er  fte,  unb 
l)ielt  tyr  baSsJttebufenf)aupt  einer  cntfefelid&enSufunft  oor!  D  nur  biefe  Stimme 
nidjt  mef)r  Ijören,  biefe  ©eftalt  nid&t  mef>r  feljen!  Dafj  fic  fo  fajufclos  mar, 
fo  olmmädjtig!  9)Ktleib  mit  fid;  felbft  erfaßte  fie,  uerjroeiflungöDoUe  9öutb. 

„SaS  tjabe  icf)  Dir  gctr)an/'  fajrie  fie,  „bafe  Du  mid)  fo  marterftV 
£abc  Grbarmen  mit  mir;  get)e,  geljeü" 

Unb  fic  warf  fia)  auf  baS  £ager,  ben  tfopf  in  bie  weidjen  gelle 
gebrürft,  um  ü;r  Sdjludfoen  ju  erftidfen. 

greller  Sdjrei,  il>r  troftlofes  Aufweinen  trafen  ü)n  in'S  .§erv 
^angfam  näherte  er  fid>  bem  Muljebette  unb  fal)  auf  bie  $udenbe  ©eftalt 
Ijerab.    Seine  Schlafen  rotteten  fid),  er  rang  nad>  Sorten. 

„3$  bin  ^u  weit  gegangen,  Sena,  uerjeilje  mir."  Unb  als  fic  von 
frampftaftcm  Sdnnerj  gefdntttelt  ftd>  nod)  tiefer  in  bie  ftiffen  briiäte: 
„Seine  bod)  nid>t  fo,  beruhige  Dia)." 

Sie  Ijörte  bie  Sanblung  in  ifjreS  Verfolger»  Stimme.  Gr  war  gerührt. 

Sie,  wenn  es  nur  einer  iüift  beburfte,  um  ihn  uoUenbs  $u  erweisen,  um 
ilm  uon  ber  SdnueUe  $u  entfernen,  bie  er  bann  nie,  nie  wieber  überfä)reiten 
follte  ?  sJ)Jit  gewaltiger  2lnftrengung  bejwang  fie  fid).  Sie  fafjte  feine  $anb, 
unb  ff üfterte  f o  leife,  bajj  er  fid)  tief  über  fic  beugen  mußte,  um  fie  511  uerfteljen. 
f,3ä)  bin  nid)t  fo  fd)led)t,  wie  Du  glaubft.  i?l ber  nid)t  fjeute  fann  id)  midi 
uerttjeibigen.  $d)  bin  !ranf,  tief  uerwunbet.  ©el)'  jefct,  fomm  morgen  wieber!" 

Sie  fal)  flefjenb  51t  iljm  auf.  Gr  war  il;r  fo  uafye,  baß  i()r  $aar  feine 
Sangen  ftreifte,  il)r  9ltl)em  feinen  sJ)htnb.  Gr  Ijatte  fie  nie  fo  gefeljen.  Die 
Stolje,  Spröbe  lag  oor  ilnn,  ein  willenlos  ergebenes  Seib.  Gin  oerfüfjrerifdjer 
3auber  lag  in  bem  feudjten  !ölid  it)rer  2lugeu,  in  bem  tljrdnenburd^jittcrtcn 
Mlaug  tyrer  Stimme,  in  ben  ffynerjgelöften  frönen  ©liebern.  Der  ftarfc 
9)tann  gitterte.  Seine  $ruft  arbeitete,  falter  Sd)wei}3  trat  auf  feine  Stirn. 
Gr  prefete  il)re  weisen  Ringer  jwifdjen  bie  feinen,  baß  fie  fcbmcrjten. 

„SaS  mad)ft  Du  aus  mir,  SKagbalena?"  So  ftölmte  er.  „Säre 
es  benn  möglia)  ?  —  wenn  Du  wüßteft  —  wenn  id)  Dir  fageu  fönnte  — ." 

Unb  plöfclid),  wie  uon  einem  2Uifefd)lag  gefällt,  fanf  er  $u  iljren 
güften,  unb  ftammelte,  in  bie  galten  if)reS  JlleibeS  gebrütft,  wilbe  Sorte. 

„9Jid)t  ber  &aß  ift  es  ja,  ber  aus  mir  fpridjt,  2ena!  £iebe  ift  es, 
gierige,  uerlangcnbe,  jerfleifdjenbe  ^iebe.  ^a  ^ena!  3$  liebte  Didi 
fdwn  als  meines  $ruberS  Seib.  Wt  bitterem  Vorwurf  5war,  unb 
tieffter  Selbftueradjtuug,  beim  meine  i^iebe  war  uid^t  nur  Sünbe,  fie  mar 
aud)  Grniebrigung.  ^d^  fat)  ja,  wie  gering  Du  uns  ad)teteft;  wie  Xu 
Dia)  nad)  Befreiung  aus  bem  bvuefenben  ^)od)  fe^ntteft.  3^)ne^"rWenö- 
mußte  iä)  es  bann  fpätcr  mit  aufcl)eii,  wie  Du  Deine  greiljeit  nu|teft, 
wie  Du  eilteft  Deine  geheimen  Dräume  ju  erfüllen.  ^Iber  eS  nagte  au 
mir  Dag  unb  9iadjt.  ^d)  rebete  mir  ein,  es  fei  nur  ber  Soxn  üb« 
Deinen  geauffenlofen  ^eid)tfimt,  ber  mid)  nid>t  jur  iHu^e  fomnteu  ließ. 


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  ITlaa&alena.    \S7 

9loä)  jefct,  auf  bent  äBegeju  Sir,  madjte  id)  mia)  glauben,  id)  folge  nur 
ber  Stimme  ber  <£f)re,  ber  %fl\ä)t  gegen  ben  SBruber.  geigltng,  ber  id) 
deinem  »erfüf)rerifdjen  3auber  nidjt  wtberfteljen  fann!  ber  id)  um  bie 
Siebe  beS  SßeibeS  bettle,  an  baS  id)  nid)t  glaube,  unb  baS  id)  bod)  liebe 
mit  tyeiüem,  jeljrenben  Verlangen!  3dj  weif?  nid)t,  was  ia)  fpred)e,  oer= 
jeifje  mir;  o,  erf)öre  mid).  gliejje  biefe  Stabt,  in  ber  Su  untergeht, 
flomm  mit  mir,  fei  mein  2Beib!  3d)  bin  reid),  Sena,  uiel  reifer  als 
mein  trüber  war.  Unb  id)  will  raftloS  für  Sief)  arbeiten,  n)iU  aCe 
Seine  28ünftt)e  erfüllen,  unb  nie,  id)  fa)wöre  es  ^Dir,  fott  Sid)  ein  SBort 
an  bie  Vergangenheit  erinnern,  SitdjtS  »erlange  id)  bafür,  als  baft  Su 
mein  wirft,  mein  ganj  allein.  Senn  ben  würbe  id;  tobten,  bem  Su 
einen  Slicf,  einen  ©ebanfen  fdjenfteft  neben  mir!" 

Sie  tyatte  fid)  längft  aufgeridjtet.  3^re  2tugen  flammten,  \\)x  23ufen 
wogte.  3efet  fprang  fie  auf  mit  fo  jaf)er  Bewegung,  bafc  ber  tfnieenbe 
jurücftaumelte. 

,/2Ufo  baS  ift  Seine  uielgcrüfnnte  Sugenb,"  rief  fie,  „baS  ift  bie  ftrenge 
ehrbar  feit,  bie  id)  burd)  meine  leidsten  Sitten  beleibigt  Ijabe!  ©in  wef)rs 
lofeS  Söeib  §u  überfallen,  es  5U  bef Wimpfen!  SKdjt  aus  ^eiligem,  wenn  aud) 
ungered)tem3orn;  nein,  aus  boshafter  (Siferfudjt,  aus  unreiner  Seibenfdjaft 
für  bie  grau,  bie  Su  wie  bie  Wcbrigfte  beidjimpfeft!  2Bie  erbärmlid),  wie 
gemein!  Unb  Su  meinft,  id)  foHte  nieberfallen,  Seine  ©nabe  in  Semutl) 
frinnefnuen!  3dj,  bie  idj  wählen  fönnte  jwtfdjen  ben  heften,  ©belften,  id) 
foHte  mein  Sd)idfal  in  Seine  graufamen,  garten  &änbe  legen?  3n  bie 
£änbe  beS  9JtanneS,  ber  ftets  meine  fjarmlofeften  greuben  getrübt  l)at, 
ber  mein  trauriges  ßeben  nodj  oerbüfterte,  ben  311  fliegen  mein  erfter  ©e* 
banfe  war,  als  meine  Letten  fielen?!  92ein,  lieber  in  ben  £ob,  lieber 
in  Sdjanbe  unb  ©lenb,  als  in  Seine  2lrmeü" 

©r  ftanb  uor  i&r,  erbfaf)l,  bebenb.  2WeS  33lut,  baS  ifnn  uorf)in  in 
ben  Schläfen  braufte,  brängte  uad)  bem  ^erjen,  baß  er  $u  erftirfen  glaubte. 
(Sin  Ärampf  (Rüttelte  tljn,  er  taftete  naa)  einer  Stüfee. 

,,3d)  banfe  Sir,"  fprad)  er  bumpf,  „Su  (jaft  meine  @f)re  gerettet." 

Sie  Ijob  ben  2lrm,  oon  bem  bie  £ü!Ie  wieber  abgefallen  war,  broljenb 
nad>  ber  £fjür. 

„hinaus,  aus  meinen  Slugen!  3$  fyaffc  Sia)." 

//3<6  Ö^^c  i^on,"  —  feine  Stimme  fyatte  wteber  beufelben  tonlofeu 
fllang  —  „obgleid)  id)  bleiben  modele,  um  Seinem  Sieb^aber  bie  fiuft  ju 
vergällen.  3lber  id)  will  nidjt  länger  Seinen  Sdmfeengel  fpielen.  JyaUe 
nur,  uerfinfe  in  bem  Sdjlamm,  mit  bem  Su  liebäugelft.  Serbe,  was 
Su  ber  Ält  längft  bift,  eine  feile,  mifjadjtete  Sirne!  —  Närrin  Su, 
Su  glaubft,  bie  Männer,  bie  Sid)  umgeben,  ftreben  nad)  Seiner  ,§anb! 
9Jad)  Seinem  Öefife  wof)l,  für  Monate,  Xage,  Stunbeit,  ie  nadj  ber  &ifee 
i^rer  oerliebten  ©lutl)!  9lber  merfe  es  Sir;  wenn  Su,  gealtert,  oerlaflen, 
oon  Veben  unb  Sflenfdjen  angeefelt,  einen  Sd^lupfroinfel  fud)ft,  fo  benfe 


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Slu^nftc  f?aufdjner  in  Berlin.   


nie  an  bie  gamilic,  für  bie  $u,  von  fjeute  an,  geftorben  bift.  Unb  wenn 
meine  flniee  umflammerteft,  roie  idj  f)eute  bie  deinen  umflammert  fjabe  — 
mit  bem  guße  mürbe  id)  $)ia)  fjinroegftoßen,  roie  £u  eS  mir  getyan  &aft !" 

Gr  roanbte  fic$;  bie  £f)ür  fiel  hinter  ifnn  ju.  Sangfam  «erhallten 
feine  Stritte. 

2ena  fal)  um  fidj.  GS  roar  2llIeS  unoeranbert.  2Me  Slumen  bufteten, 
bie  glamme  fang,  es  mar  traulidj,  frieblid)  roie  oor^er.  Unb  bod&  mar 
i&r,  als  fußten  bunfle  Statten  baS  ©emad);  als  burd&töne  es  nod)  bie  büftere, 
jornbebenbe  Stimme! 

Sange  3ett  faß  fic  regungslos.  £ann  fuäjte  fie,  auf  unb  abfäreitenb, 
tf>re  ©ebanfen  511  flären.  2Heldj  ein  ©lücf,  baß  GarloS  niä)t  gefommen 
mar!  SSelcf)  ein  ©lud,  baß  er  nun  roofjl  nidjt  me\)t  fommen  mürbe,  benn 
Tie  f>ätte  ilm  bod)  nid)t  annehmen  tonnen,  jefct  in  biefer  Stimmung! 

$)a  ertönte  auf's  9ieue  bie  klinget  —  unb  e(;e  fie  einen  Gntfd)luß  faffen 
fonnte,  ftürmte  ber  Jüngling  in'S  3immer.  3m  tabellofen  ©efeflfdiaftsanjug, 
eine  Xuberofe  im  Änopflodj,  einen  großen  Strauß  2?eila)en  in  ber  &anb. 

„Gnblia),  einjigfte  greunbin,"  rief  er,  auf  fie  juftürjenb,  unb  ttjre  Singer 
mit  ftüffen  bebecfenb,  „enblidfo  bin  id)  roieber  bei  ^tmen.  SBie  lang,  roie 
eroig  lang  fyabe  id)  Sie  nid)t  geferjen!  Unb  roie  fdjön  Sie  fmb;  nod)  oiel 
fdjöner,  als  id)  Sie  in  meinen  träumen  erblicfte!" 

Sie  entjog  fid)  ilmi.  ^n  Ujr  jitterte  nod)  bie  Grregung.  3f)re  ©lieber 
bebten,  unb  fie  ließ  fid)  in  einen  £ef)njtuf)l  ftnfen,  um  m$t  umjufaßen. 

„2i?aS  ift  ^Imen,  weine  Heine,  golbcne  SDJoma?"  fdjmeidjelte  GarloS, 
oor  fie  Ijinfnienb,  unb  ben  2lrm  um  itjrc  Stnie  legenb.  „Sie  finb  fo  blaß, 
fo  oerftört,  unb  roal)rf)aftig  —  Sie  Ijaben  geroeint.    Sinb  Sie  mir  böfe?" 

Sie  fab  ifm  mit  einem  langen  Sölicf  an,  ba  er  fo  finblid)  jutraulidj 
ju  ü)r  auffdjautc.  2ludj  er  roar  blaß.  Um  bie  großen  bunflen  2lugen 
lagen  tiefe  9iinge,  an  ben  Schlafen  traten  blaue  2lbern  Ijeroor,  unb  feine 
#änbe  brannten  fieberheiß  burd)  if>r  ©eroanb. 

„Sie  Ijaben  mid)  lange  roarten  laffen,"murmeltefie,nur  um  etroaS  jufagen. 

„Cbne  mein  £>erfd)ulben,  unb  $u  meinem  größten  ßummer.  2lber 
benfen  Sie  mein  Grlebniß.  <3n  bem  3Mumcnlaben,  aus  bem  id)  meinen 
SBillfommengruß  Ijolte,  treffe  id)  Hartwig,  ber  in  ber  größten  Slufregung 
ein  $ufcenb  £afelfträußd)cn  für  ben  2lbenb  beftellt. 

„,Sie  in  Berlin,  GarloeV4  ,Gben  angefommen!1  ,Unb  id)  ©lücflidjer 
muß  ^nen  begegnen.  GS  lebe  bie  3erftreutf)cit ,  bie  mia)  meinen  Xafel* 
fdnnucf  oergefjeu  ließ!  3$  neljme  Sie  mit  mir.  2ßir  geben  l)eute  unfere 
erfte  ©efellfd)aft.    Clefia  roar  oerjroeifelt,  Sie  miffen  ju  foßen!' 

„Vergebens  mehrte  id)  mia).  Gr  faßte  mia)  unter  ben  9lrm,  30g  mid^ 
in  ben  Sitogeit,  fd;leppte  mid)  bie  Xre^e  ljinauf,  überlieferte  mid^  feiner 
grau  —  unb  eine  »olle  Stunbe  oerging,  el)e  id)  mid)  i^rer  SiebenSroürbig* 
feit  entreißen  fonnte." 

„Hartwig  ift  oerljeirat&et?" 


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•—  ntagbalena. 


„Seit  oier  Soweit!  Söugten  Sie  ba$  nicht?" 
„3$  hatte  e3  wteber  oergefien." 

Hartwig,  einer  ihrer  älteften  £au£freunbe,  ^atte  fidj  ©erheiratet,  ofme  e$ 
tfjr  mit5Utf)eUen!  Dft  hatte  er  ihr  oon  feiner  23raut  erjagt,  einer  oornehmen 
^polin,  fo  bafc  fic  auch  für  biefe  fchon  greunbfdjaft  gefügt ;  unb  nun  ihr  nicht 
oorgefteüt,  fogar  bie  ©ochjeit  oerheimlicht,  um  jebe  Annäherung  5U  oermeiben! 

„2Ba$  für  eine  grau  ift  fic?" 

„grau  o.  Hartwig?  ©in  hübfdje*  ^roüinjgdn^^en,  fd^eu  mje  eine 
älofterfdjwefter  unb  bem  &errn  unb  ©ebieter  ganj  ergeben." 

„Unb  haben  Sie  if)r  gefagt,  ba&  icf>  Sie  erwarte?" 

,,30)  werbe  mich  hüten!  Sie  foll  entfefelich  eifersüchtig  fein.  Unb  gute 
greunbe  haben  iln*  gemi§  fchon  oon  if)re$  ©atten  einftiger  glamme  berietet/' 

(Sold)  leichtfertiges  ©eplauber  war  bie  junge  grau  gewöhnt  unb  e$ 
besagte  ihr  fonft.  &eute  aber  traf  fie  jeber  Safe  wie  ein  SHefferjtich  in'3 
#erj.  ©uberts  finftere  £öne  fummten  $u  jebem  2Bort  bie  brohenbe  33e* 
gleitung,  unb  jeber  Sdjerj  würbe  jur  SBeleibigung. 

„<Ba3  ift  benn  heute  mit  3{men,  füge  greunbin?  9W  bie  enblofen 
Minuten,  bie  idj  bei  jenen  langweiligen  SKenföen  »erbringen  mufcte,  fagte 
ich  mir  ja:  Salb  bin  ich  bei  ihr,  ber  herrlichen,  ©ütigeu!  Sei  ihr,  bie 
afle  (Sinne  entjücft,  burch  ihren  ©eift,  ihren  ©efehmaef,  ihre  2Inmuth!  Unb 
nun  bin  ich  hier!  2lHeS  ift  noch  ferner,  als  ich  e3  geträumt.  Mein 
SieblingSlidjt,  ineine  Sieblingsblumen,  mein  fiiebling  felbft,  fo  entjücfenb, 
fo  reijenb  —  unb  bodj  fo  ganj  anberS  als  fonft,  fo  falt,  fo  fremb?" 

ffi)le       *ra"f>  neroöS.   ©el)en  Sie,  laffen  Sie  mich  allein!" 

„Sie  fdjiden  mich  weg,  £ena?  Unb  ich  hatte  mich  fo  mafeloS  auf 
ben  heutigen  Slbenb  gefreut.  So  fidjer  war  id)  3hrer  ©aftfreunbfdjaft, 
ba&  ich  eS  fogar  gewagt  fja&e,  über  3hre  ^erfon  ju  oerfügen." 

„me  ba*?" 

„3«  einer  lafterljaften  @cfe  bei  "gartwigS  würbe  befa)loffen,  fid)  für 
bie  erlittenen  ©efettfehaftsfreuben  ju  entfdjäbigen  unb  nach  Mitternacht 
noch  oei  ©iiier  5U  foupiren.  gräulein  ©ertraut  oom  Sdjaufpielhaufe  unb 
bie  fööne  Sängerin  Sllma  foHten  noch  geworben  werben.  Mich  beauftragte 
man,  Sie  mttjubringen." 

„$>a  machten  Sie  alfo  am  Sfytem  Sefuch  bei  mir  fein  ©eheimnifc?" 

„3m  ©egentheil.  3<h  oerfpradj  alle  Mittel  anjuwenben,  um  Sie  su 
ungeftörter  Klauberei  für  mich  ju  behalten.  3m  9?otf)fau"  fogar  bie  £f)ür 
in  oerrammefn." 

„Unb  Sie  fürchteten  nicht,  mich  $u  compromiltiren?" 

„Sie  £ena?  bie  oorurtheiUfreiefte  aller  grauen?  ©ehen  Sie,  $öfe,  Sie 
finb  heute  nicht  Sie  felbft!  2öa8  hat  Sie  mir  in  ben  acht  Sagen  fo  ueränbert  ?" 

„Unb  wenn  ich  Sie  nun  fragte:  2öa3  haben  Sie  in  biefer  ^t\K 
begonnen?  2öelche  2lrt  oon  ,©efa)aften4  l;at  Sie  aflü&iggänger  oon  hier 
weggetrieben?" 


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2Ju«jufte  fjaafdjncr  in  Berlin.  — 


„3f)iien  baS  erjagten  bin  ich  ja  eben  gefommen!  9£6cr  nicht  bieten  ftra= 
fenben  33licfen,  biefem  ftrengen  9)?unb  fann  ich  beichten!  kommen  Sie,  Keine 
üttama,  ftreefen  Sie  bie  fd;önen  ©lieber  auf  Bärenfell  —  fo.  —  »öie  fanft 
baSgeuer  if>r  fü§e$@ertd)t  beleuchtet!  2Bie  beraufchenbfchönSie  auSfef>en,balb 
©öttin,  Jjalb  Bacchantin!  Unb  nun  lächeln  Sie  audj  nrieber  ein  SSenig,  baS 
maa)t  mir  Sttutf)!  3<h  nritt  §u  Shren  güfeen  fauern  unb  Sfynen  eine  ©efchichte 
erjagen,  ganj  ^eimlt^  ganj  letfe,  bafe  fie  aufjer  uns  SRiemanb  hören  fann." 

„(£s  mar  einmal  ein  3üngling,  unter  einer  Sonne  geboren,  beren 
Straelen  baS  Slut  erf)ifeen,  ©eift  unb  tförper  frühzeitig  reifen.  @r  wuchs 
in  9teid)thum  unb  güUe  auf;  jeber  Saune  warb  Erfüllung,  ihm  warb  SlHeS, 
roaS  er  begehrte,  SebenSfuft  unb  grauengunft.  —  Unb  boch  mar  er  nicht  glücf = 
lieh.  ®r  träumte  oon  einer  grofeen  Seibenfehaft,  roie  fie  fein  #erj  noch  nie 
roirflid)  erfüllt  hatte,  feffelnb  ohne  $u  überfälligen,  fmnenreijenb  unb  bod) 
oornehm.  —  6r  fanb  fie  ntrgenbS.  $a  roanberte  er  in  ferne  Sanbe, 
unter  einen  fälteren  Gimmel  —  unb  ba  —  führte  ihm  baS  ©efehtef  ein 
Seib  entgen,  baS  alle  feine  Sßhantajieen  noch  weit  übertraf.  Soll  irbiföen 
d\e\$c$  unb  zugleich  feelifd)  fchön,  ^ingebenb  unb  abftofjeub,  unberechenbar 
eigenartig  in  all  ihrem  £l)un  unb  ßaffen.  9lber  ad)  —  fie  ftanb  h0£*j 
über  ihm!  —  SReidj,  oerehrt,  umfchmeichelt,  mar  fie  feinen  2£ünfd)en  ent= 
rücft.  Unb  er  träumte  oon  ihr,  £ag  unb  9cad)t,  mit  fieberhaftem  Her* 
langen.  25a  fagte  er  fid):  3$  will  il;r  entfliehen.  @ine  2lnbere  foll  mich 
bie  nergeffen  machen,  bie  ju  befifcen  ich  nur  im  SBafmfinn  ju  hoffen  roagen 
barf.  ©r  flüchtete  mit  ber  2lnberen.  Vergebens!  $hr  oerfolgte 
ihn,  nur  fie  füfjte  er,  wenn  er  bie  2lnbere  in  ben  ?lrmen  h^lt!  3JJuthlo« 
gab  er  ben  $ampf  auf.  (£r  feljrte  ju  ihr  jurücf,  p  ber  ©tnjigen,  bie  er  boch 
fo  hoffnungslos  liebte  —  Sie  fdjtoeigen  —  barf  ich  weiter  fpred)en,  meine 
füfje  golbene  2)toma  —  nein! —  meine  angebetete,  f)ei§c)e(iebte  greunbin?" 

Regungslos  hatte  Sena  gelegen,  3t)re  Slugen  trugen  einen  leeren 
2luSbrucf,  als  oerfiünbe  fie  nicht,  roaS  Tie  hörte.  ftefct  richtete  fie  fidj  auf 
unb  feine  2lnnäbenmg  oon  fid)  abroetjrenb,  fagte  fie  langfam: 

„Sie  haben  eine  roirf liehe  Sttutter,  GarloS?  Stürben  Sie  auch  ihr 
eine  folche  ©efd)id)te  erzählen  V 

„3öie  meinen  Sie  baS?  —  3Jieiner  Butter?  —  2ldj,  roaS  hat  meine 
Butter  mit  biefer  Seidjte  5U  tt)un?" 

©r  würbe  unhöflich,  fo  hatte  ihn  bie  feltfame  unerwartete  Jyrage  aus 
ber  Raffung  gebracht. 

„Sie  haben  mir  überhaupt  nie  oon  3h™r  SHutter  erzählt,  oon  3b*er 
Jamilie.  —  SBon  2fnbcren  weife  id),  ba&  eine  %fyxet  Schweftern  in  ber  Stahe 
Berlins  lebt  unb  bie  &auptftabt  oft  befucht.  Sie  ijt  fehr  fchön,  nicht  wat)r?" 

Smmer  beftürjter  würbe  ber  Jüngling.  9$>aS  foflte  biefe  Söcnbung? 
2öar  baS  Slofetterie,  um  fein  ©eftänbmf?  ju  oersögem? 

„3awot)l,"  fagte  er.    „2lber  was  fann  Sie  baS  interefftren ?" 

„äSaS  mid)  baS  intereffiren  fann?   Sie  bebenfen  roohl  nicht,  was 


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 lUag&alena. 


19t 


Sie  fpredjen  ?  ^in  idj  nidjt  %fyxe  befte  Jveunbin  ?  kennen  Sie  midj  nidit 
3f)re  f feine  2ftama?  9Jef)me  id)  nidjt  Xfjeil  au  9IUem,  waä  Sie  betrifft? 
Sie  wiffen,  idj  meibe  fonft  bie  ©efellfdjaft  ber  grauen;  id)  weife  nid)t3 
mit  if)nen  anzufangen.  2lber  3ftre  Sdiwefter  fennen  jn  lernen,  ba$  f)abc 
id)  in  lefcter  3^  oft  gewünfdjt.  SBenn  fie  3fjnen  gleidjt,  fo  mufe  i<$  fie 
fdjnell  lieb  geroinnen.   Ül'offen  (Sie  fie  mir  sufüfyren?" 

Gartow  war  fpradjloS.  2llfo  ba$  mar  e3 !  Seine  i'eibcnfdjaft  wollte 
fie  nufeen,  um  fid)  ben  2öeg  in  bie  ü)r  uerfdjloffene  ©efellfdjaft  $u  bahnen, 
tlnb  bie  ftttenftrenge  Sdjwefier,  bie  feinen  Umgang  mit  ber  „berüdjtigten" 
rtrau  fdjarf  oerbammte,  ber  er  längft  als  £ena$  (Miebter  galt,  follte  er 
in  biefe*  £au3  bringen? 

„Sie  fönnten  mir  feinen  lieberen  Auftrag  geben/'  ftammclte  er;  „aber 
meine  Sajwefter  ift  leiber  unpdfelidj.  ßommenbe  gamilienfreuben  —  — 
fie  gef>t  uorau$fid)tlid)  in  ben  nadrften  Monaten  gar  nid)t  aus." 

„Unb  ba$  wagen  Sie  mir  ju  fagen,  ba  id)  crft  geftem  bie  Sefdjreibung 
ber  glänjenben  Toilette  gclefen,  bie  fie  auf  bem  bcä  amerifanifdjen 
©efanbten  trug?''  Sie  roar  aufgefprungen.   $f)re  9lugen  f prüften. 

5lber  audj  fein  ßoxn  regte  fid).  ~  3fm,  ber  voll  übermütigen 
SiegeSgefüfjleä  gefommen,  roie  einen  Stfjulfnaben  ju  beljanbeln! 

„2i>a$  für  eine  feltfame  Scene  fpielen  Sie  mir  ba  uor?  2ßof)er 
biefe*  plöfclidje  Sntereffe  für  Wenfajen  unb  Singe,  bie  Sie  fonft  oeradjten? 
Sollen  Sie  mid)  oerfdjeudjen,  weil  Sie  einen  9lnberen  erwarten?" 

Sie  erblaßte,  unb  er  milberte  rafdj  ben  fdjarfen  2on  511  bittenbcr 
^eid)t)eit. 

„C,  uerjeifjen  Sie  mir!  3dj  weife  nid)t,  wa$  id;  rcbe;  ber  Sdmierj 
oerwtrrt  mid).  SBanim  finb  Sie  aud)  fo  falt  tieute?  SBarum  wollen 
Sie  mid)  nid)t  oerfteljen?  Mjugut  wiffen  Sie  ja,  wer  ber  Jüngling 
ift,  unb  bie  ^rau,  bie  er  anbetet.  %a  £ena,  woju  bie  9)la$fe?  Sie 
wiffen,  bafe  tdj  Sie  liebe,  glüf)enb,  namenlos!  Sie  muffen  e$  wiffen. 
3()re  fdjarfen  9lugen  fjaben  längft  gefefyen,  bafe  e3  nidjt  bie  ©efüf)le  eine* 
SofnreS  fein  tonnen,  bie  id)  für  Sie,  $erfüf)rerin,  r)cge.  9)2eine  Ringer 
bebten,  wenn  fie  $l)re  ©eftalt  berührten;  unb  wenn  id)  3f)nen  meine 
Sünben,  meine  Abenteuer  beichtete,  fo  war  es  nur,  um  Pforten  von  üiebe 
in  fpredjen,  bie  bodj  nur  einzig  unb  allein  Qlmen  galt.  —  Unb  Sie 

liefeen  mid)  gewahren  Sie  liefeen  midj  froffen  —  —  —  C  Sena," 

flüfterte  er,  fyeife  ben  2lrm  um  fte  fdjltngenb,  unb  fie  bem  9tuf)ebett 
^ufüfjrenb,  „wirf  ben  fpröben  Stol^  hinweg!  ©efte^e,  bafe  aud)  Su  mid) 
liebft.  —  23of)l  ift  es  wafjr,  bafe  tdj  ^Didt)  geflogen!  $d)  wehrte  midj  gegen 
Seine  9Rad)t!  3$  wollte  ber  erfdjrerfenben  Kraft  wiberftefjen,  bie  mid) 
mit  unwiberftef)lic$er  ©ewalt  ju  5X5ir  rife.  —  2Iber  aud)  2)u  r)aft  gelitten 
bura^  meine  2lbweienf)eU.  3a)  fal)  eö  fofort  an  deinen  blaffen  2öangen, 
Seinen  f)eifeen  ^anben,  Seinem  unrubigen  Söefen.  Su  liebft  mid)! 
$ättc  id)  e^  nidjt  fajon  gewufet,   bie$  3imnter/   Da^  ^u  ,mv  1° 


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*92 


 2Iuguftc  ftaufd?uer  in  Berlin.  


feftlid)  bereitet  Ijaft,  tjätte  e£  mir  gef agt ;  Du  felbft,  Deine  bräutlidj  ge= 
fdmtücfte,  geängjtigt  fdjöne,  boppelt  berfitfenbe  ©eftalt  !"  —  (Sr  beugte  fid? 
tief  über  fie ;  roie  järtlidje  Siebfofungen  umfdjmeidjelten  fic  feine  [eifert 
2£ortc:  „Sei  mein,  ©eliebte!  Gntflief)  mit  mir,  roeit  weg  oon  ben  falten, 
geroöfmlidjen  SDicnfcr)en.  3n  meiner  Heimat  weife  tdj  einen  Ort,  ba  ift  es 
eroiger  grüf)ling.  Da  buften  bie  blumen,  ba  fingen  bie  bögel,  ba  rauften 
bie  bäume!  Dort  f ottft  Du  als  Königin  r)errfd)en;  mit  brillanten  unb  perlen 
min  id)  biefen  roeifeen  &al$  fdjmürfen,  ju  Deinen  güfeen  will  id)  liegen  unb 
einen  langen  fcligen  SiebeStraum  träumen!  —  Sei  mein!  ©eliebte!"  

Gr  fafetc  ir)rc  £anb.  2£eid)  unb  brennenb  wanberten  feine  kippen 
oon  ifjrcn  fdjlanfen  gingern,  ben  fdjönen  2lrm  entlang,  um  lange  unb 
burftig  auf  il;rem  3Jiunbe  ju  roeilen.  — 

Sie  lag  roie  betäubt.  SBilb  flopfte  fein  &erj  an  bem  ifjren.  §eifee 
Sdjauer  burajbebten  Tie.  3&r  2flunb  öffnete  fid)  led)$enb,  bie  9Bimpem 
fd)loffen  fid)  

Da  fprang  ein  Stücf  .§ol$  praffelnb  au*  bem  Slamin.  —  ßena  fubr 
auf.  —  &atte  ba  nidjt  eben  eine  bumpfe  Stimme  gerufen:  „Dirne!  feile, 
ebrlofe  Dirne!!"  Der  3auber  war  gebrodjen.  Sie  falj  GarloS'  jitternbe 
©eftalt,  fein  gerötete«  ©efid)t,  feine  in  Drunfenrjeit  fd)mimmenben  Bugen. 
Gin  ©fei  erfafetc  fie.    Sie  fttefe  ilm  oon  fid). 

,,©el)en  Sie/'  rief  fie,  „Sie  finb  fcr)led)t,  unb  3^re  Siebe  ift  eine  33c* 
fd)impfung!  So  gefjen  Sie  bod),"  wieberfrolte  fie  aufeer  fid},  unb  ftampfte  mit 
bem  gufe.  „bei  ben  grauen,  bie  midj  oerad)ten,  tonnen  Sie  mit  3t)ren 
perlen  unb  brillanten  oielleidn*  erlangen,  waSSie  bei  mir  oergcblid)  fud)en!" 

<5r  Ijörte  nid)t  auf  fie.  Die  Hüffe,  bie  er  auf  ifjre  Sippen  gebrütft, 
Ratten  bie  gan$e  füblidje  2öilbr)eit  in  u)m  erroedt. 

taffe  Did)  nidjt,  fd&öneS  SBeib;  mein  mußt  Du  roerben  unb 

foUte  ©eroalt"  Gin  Stofe  vor  bie  bruft  tiefe  ifm  juriidtaumeln. 

3Bte  eine  fampf  bereite  Söroin  ftanb  fie  cor  ilmt. 

„2öa3  roagft  Du,  ftnabe  ?  Soff  id)  meine  Seilte  rufen,  bafe  Dir  bie 
3üdjtigung  roerbe,  bie  Du  oerbienft?" 

Sie  fat)cn  fidf)  an.  Die  2lugen,  bic  eben  fo  begefyrlid)  in  einanber 
getaudjt  waren,  maßen  fid)  zornerfüllt,  ©in  böfeS  2ßort  fdjroebte  auf 
feinen  Sippen.  ?lber  er  bejroang  fidt).  Sie  roar  fo  begel)ren3roerrt)!  Unb 
nun  erft  red)t  roollte  er  fie  befifcen.  Dann  foflte  fie  büfecn  für  bie 
Sdmtad),  bie  fie  irjm  angctr)an! 

triä)  l'a9te  er>  "unD      roürbe  ben  nädjften  Dag  nid)t  erleben, 

müfete  id)  fürd)ten,  Sic  auf  immer  oerloren  ju  t)aben.  2lber  Sie  roerben 
morgen  anber$  benfen;  man  Ijat  mid)  bei  Sfynen  oerleumbet." 

■ftod)  ein  9M  oerfudjte  er,  fidj  ir)r  ju  nähern.  (Sin  blid*  fd)eud)te 
il)n  jurüd.  Da  ^udtc  er  bie  3ld)fetn,  unb  oerlegen,  roie  ein  Sdjaufptelcr, 
ber  fein  Sd)lufjroort  oergeffen,  trat  er  ben  Jlüdjug  an. 

*  * 


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■         ittagöalcita.    (93 

3lu<h  hinter  ihm  fchlofc  ftdj  bie  Xfntr.  2lud>  [eine  Stritte  oerfcHten. 
l'ena  war  roieberum  allein.  — 

Sie  ftrich  mit  ber  &anb  über  bie  Stirn.  Sie  Alraft,  mit  ber  fte  fid) 
eben  noch  oerthetbigt  hatte,  »erlief  fie. 

ßtlfloS  fanf  fte  an  bie  Erbe,  baS  ©eftcht  in  bie  &änbe  uergraben. 
2lber  ihr  33eroufjtfein  fä)roanb  nicht;  unb  fte  fanb  feine  Xfyränen. 

Älar  unb  greifbar,  als  Ratten  fie  Seben  gewonnen,  ftanben  bie  SBorte, 
bie  ^Bewegungen  ihrer  beiben  33efudjer  oor  it)r;  ber  beiben  Männer,  bie 
ein  £ofm  bes  SdjtdfalS  iC>r  an  einem  Slbenbe  hintereinanber  jugefü^rt, 
bie  ftd)  ablöften,  roie  um  fich  ju  ergänjen,  beren  Stimmen  3ufammen  bie 
entfefclich  harmonifche  StSharmonie  btlbeten,  bie  tt)r  fo  fdjrill  in  ben  D^ren 
bröhnte!  Sie  beiben  Männer,  oon  benen  ihr  ber  Sine  fo  oerha§t,  ber  3lnbere 
fo  treuer  geroefen!  Unb  Don  benen  both  gerabe  ber  £efete  tln*  bie  taufenb= 
mal  fdjimpf liiere  SBeleibigung  angethan!  Er,  bem  fte  nur  Siebet  gethan, 
ben  fte  bei  ftd)  aufgenommen,  freunbfchaftliä;,  mütterlich! 

Sie  lachte  grell  auf.  2Rütterli<h !  SBoju  noch  bie  jämmerliche  Äomöbie! 

föatte  er  it)r  nicht  gefagt,  bafj  fie  es  oon  Anfang  geraupt,  roaS  fte 
uon  feinen  ©efühfen  3U  galten  ^abe,  unb  bafc  aud)  fte,  oon  ber  gleichen 
uerlangenben  Seibenfdjaft  erfüllt,  bie  greunbfehaft  nur  als  Sedmantel  für 
baS  ^ei§e  ßiebeSfpiel  genommen!  Unb  bafe  es  faum  feiner  f flauen  Sift 
beburft  fytbe,  biefer  Entfernung,  bie  it)re  Sehnfud)t  fteigern  fottte,  um  fte 
in  feine  Sinne  5U  führen,  mühelos,  fraglos!  Sei  bem  Stellbtchein  bes 
heutigen  2lbenbS,  „ju  bem  fte  ifnn  bie  Söoljnung  fo  feftlid)  bereitet!" 
So  alfo  bad)te  er,  fo  bauten  alle  bie  ritterlichen  greunbe,  bie  fie  il>rer 
SBeretnung  perftcherten !  Sa  mar  auä)  nicht  Einer,  ber  an  fte  glaubte; 
nicht  Einer,  ber  fie  in  ©efar)r  meinte,  unb  fie  $u  warnen  eilte;  nicht  Einer, 
ber  fte  für  gut  genug  hielt,  um  fte  mit  feinem  Tanten  ju  fdjüfeen!  Sitte 
oerachteten  fte,  2We  fehlten  fie  einer  Sirne  gleidj!  — 

Sie  fte  fie  oerabfd^eute,  in  biefem  Slugenbticf;  roie  fie  fid)  oornahm, 
ihnen  ihre  Sfnlr  &u  oerfchlie&en,  fte  au«  biefen  Räumen  ju  »erjagen,  2lHe,  2lHe! 

Sie  »erjagen?  2lber  roaS  follten  biefe  Zäunte  bann?  2BaS  follte 
fte  bentt  allein?  Eine  Königin  ohne  &offtaat? 

Sta)  anbere  $afallen  fuchen,  einen  anberen  Schauplafc  für  ihre 
Sriumphe?  2lber  roie?  roo?  —  2Öürbe  eS  ihr  noch  einmal  gelingen? 
Sie  einige  Stüfce  ihres  £ebenS,  ihr  Vertrauen  ju  fich  felbft,  war  unter 
ihr  sufammengebrochen.  %n  bem  grellen  Sichte,  baS  ihr  plö|}lich©egenroart  unb 
3ufunft  beleuchtete,  fah  fte  ihr  eigenes  3<h  jum  erften  3Jtal  in  graufamer 
Klarheit,  unb  fie  beurteilte  fich  roie  eine  grembe  mit  fdjonungSlofcr  ,§ärte. 

2BaS  war  fie,  bafj  fte  fidt)  berechtigt  glaubte,  eine  Sonberfteüung 
einzunehmen;  bafj  fte  verlangte,  angebetet  3U  roerben,  ju  herrfchen?  9Jid)t 
reich,  nicht  oomehm,  nicht  begabt  unb  nicht  fchön!  2tu<h  nicht  fchön? 
Sie  rifj  bie  Schleier  »on  ben  Sampen  unb  bie  brennenbe  Sierße  in  ber 
$anb  jtierte  fte  ihr  Spiegelbilb  an.   2BaS  für  fä)arfe  Linien  um  ben 


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U)4  —    2Iuaujte  baufcbner  in  Berlin.   

uerblaßten  DJiunb;  roeldje  galten  um  bie  glanjfofen  ?lugen,  unb  an  ben 
Sdjläfen,  nun  bie  funftoolle  griiur  jerftört  war,  graue  $aare! 
9?ein,  fie  roar  audj  m<f>t  mef)r  fc^ön! 

3lnberer  SReiämirtel  fjatte  eS  beburfr,  um  fie  begebrenSroertr)  ju  machen. 
Der  entblößten  9lrme,  ber  wie  unabfid)tlid)  oerratljenen  2Beid%eit  ber  Sinien, 
beS  beregneten  Sinzigs,  ber  ganjen  gefjeimnißooll  erregenben  Umgebung. 

Unb  wenn  fie  gejroungen  roar  aus  bem  9tof)men  jju  treten,  ber  fie  erft 
$um  3Mlbe  machte,  roaS  roar  fie  bann?  — 

SKitternad^t  roar  lange  oorüber.  SBieberlrolt  fjatte  bie  geängftigte 
Tore  ifjre  .frerrin  gemalmt,  bie  divfyc  5U  fudjett.  3lber  Tie  roieS  fie  fd)roff 
jurücf.  Schlafen  gelten,  otelleidjt  etnfdjlafen,  oergeffen  —  um  morgen 
roieber  ju  ermaßen  ju  bem  elenben  23eroußtfein  it>rc^  oeränberten  Sebent !  $Me 
follte  fie  es  ferner  ertragen  ?  SBertfjloS  lag  es  oor  tf)r,  roie  bie  jerbrodjene 
^uppe  oor  bem  roeinenben  5ttnb.   (Sin  jerftÖrteS  Spieljeug,  inhaltlos! 

Sie  irrte  burd)  bie  3inmter,  b;*c  leblofen  3eu9cn  ^)rer  SHeberlage. 
Sie  fyatte  fie  oon  ben  2£änben  reißen  tonnen,  alle  bie  ftoftbar feiten; 
fjatte  3lUeS  jertrümmern  mögen  unb  unter  biefeu  Prummern  unb  Sterben 
fta)  felbft  begraben  —  fterben.  (SiSfalt  überriefelte  eS  fte  bei  biefem 
©ebanfen.  2Bie  fonnte  fie  an  Sterben  benren,  fie,  bie  immer  nur  bem 
Seben,  bem  ©enuß  nadjgejagt? 

sBar  benn  if)re  Sage  roirflid)  fo  oerjroeifelt?  ©ab  eS  feinen  anbereit 
2luSroeg  aus  ber  gtnfterniß,  bie  ir)re  Seele  umnadjtete? 

^td&t  eines  2itf)ems  Sänge  gebaute  fie  tljreS  Sd)roagerS  unb  feiner 
el;rlid)en,  if>m  roiber  SBitfen  abgerungenen  SÖerbung. 

£er  33erabfd)eute!  ©r  rjatte  ilu*  einen  fd)le$ten  $tenft  erroiefen  mit 
feinem  kommen,  mit  feiner  finfteren  ^rebigt,  bie  2WeS  in  tyr  aufrüttelte, 
roaS  noer)  oon  alten  Vormtfjeilen  in  iljrem  ©eroiffen  fdjlief.  2BaS  foUte  irjr 
ber  Verurteilten,  SBerbammten,  biefer  gefcen  bloßer  £ugenb,  an  bie  bodj 
9?iemanb  glaubte? 

SBäre  er  ntd)t  gefommen,  fyätte  er  fie  ntdjt  aufgeroeeft  aus  ber  fußen 
"öeflommenfjeit,  mit  ber  fie  Carlos  erwartete,  fie  rodre  jefet  oietteid)t  glüdlid). 

2lber  roar  es  benn  baju  5U  fpät? 

Gin  Söort  unb  ber  2?erfd>eud)te  lag  roieber  ju  ü>en  güßen! 

Sdron  näherte  fie  fid)  bem  Sa)reibtifd)  —  bo<$  bie  geber  entfiel 
it)rer  &anb.  Sie  fonnte  nid;t.  Serfelbe  ©fei,  ber  fie  erfaßt,  ba  fte 
Garlos  trunfeneS  ©eftd)t  gcfefyen,  padte  fie  jefet  roieber. 

Sie,  bie  alternbe  grau  unb  ber  unreife  .ftnabe!  Unb  nadj  tym 
roieber  ein  9tnberer,  unb  roieber  (riner,  bis  fte  |u  ben  grauen  gehörte,  bie 
man  oerleugnet,  meibet;  ju  3^itcn  eine  £errfd)ertn,  in  2Ba^eit  eine  tx- 
niebrigte  Sflauin! 

3)üt  roilber  Selbftoeradjtung  fagte  fie  ftd),  baß  fie  nid^ts  meljr 
fjabe,  ntdfjt  einmal  roarme  Sinne.  3"  W*fy,  um  gut  ju  fein,  batte 
fie  bie  ©rbänulidjfeit  nid)t  einmal,  fd)led)t  roerben  ju  fönnen! 


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  IHaabalcna.    \<)5 

Sie  trat  an'S  genfter  unb  \)ob  bic  ©arbine.  draußen  [türmte  ber 
Stodjtromb  burdj  bie  33äume;  an  bcm  ftcrncnlofcn  Gimmel  jagten  finftere 
Wolfen.  Unb  fic  gebaute  ihrer  freublofen  Sugenb,  ihrer  liebeleeren  @^e; 
ber  fnrjen  9)fonate,  in  benen  fie  baS  ©lü<f  ju  genießen  glaubte.  @iu 
falfdieS  ©lüdf,  beffen  9}ad)gef<hmacf  wie  3lfc§c  unb  ©äße  in  ihrem  inneren 
brannte.  Sie  liebte  Wiemanb  unb  SHiemanb  liebte  Tie!  $ie  geringste  ber 
grauen,  bie  fie  einft  oerla<f)t,  befaß-  mehr  SebenStoertheS  als  fie ! 

Sie  ftarrte  in  ben  ©arten  —  ber  2Binb  hatte  fid&  gelegt,  leifer  Regelt 
riefelte  Ijerab.  5lud)  in  ihr  folgte  erfchöpfte  Sflübigfeit  bem  toilben  inneren 
Äampfe.  ©ine  rocidje  Stimmung  regte  fich,  bie  Sehnfudjt,  fidj  an  eine 
anbere  SWenfdjenbruft  ju  lehnen,  ihren  Sdrnierj  auS$uroeinen. 

Sie  mißtraute  biefer  9ttU)rung. 

2BaS  fie  t)cutc  erlebt,  burd)fampft  r>attc,  baS  mar  unerbittliche,  un= 
oeränberliche  ©aljrheit!  9iur  oeräögern  ließ  fid)  ihr  ©efd&icf,  nid>t  abtoenben. 

35>ohlan  benn!  SSenn  fie  ihr  Spiel  fo  jämmerlidj  gefptelt,  baß  fie 
als  Bettlerin  vom  £ifa)  ber  greube  aufftehen  mußte;  wenn  fie  nidjt  oer= 
ftanben  l)arte  ju  leben  —  burd)  ihren  Tob  roenigftenS  roottte  Tie  geigen, 
baß  fie  nia)t  $u  ben  ©eroöljntidjen  tr)reö  ©efd)led>tS  gehörte!  greiroillig 
rooüte  fie  oon  bem  Sd)auplafe  ihrer  ©rfolge  oerfd)toinben,  ehe  Qemanb  bie 
5Zotr>  almte,  bie  fie  sroang.  9iid)t  Statt  um  SBfatt  foCte  i^re  Schönheit 
roelfen  unb  Staube  unb  ©lenb  iljren  Warnen  trüben!  2Bie  eine  SBlume, 
bie  ber  Sturm  in  ooller  SBlütfje  fnieft,  moüte  fie  hingehen.  Unb  folgte  ifjr 
bann  auch  feine  liebeoolle  Trauer,  fo  bodj>  roenigftenS  ein  fragenbeS  s#e* 
Dauern,  bie  Sefmfud&t  eines  ungefüllten  SöunfcheS, 

33laß  unb  far)C  roie  ber  bämmembe  Tag,  ber  fldr)  burdj  bie  Scheiben 
ftahl,  ging  fie,  au«  ihrem  SBaffenfaften  ein  Sptftol  ju  ^olen.  9coch  einmal 
burd}fd)ritt  fie  bie  Sßofmung  unb  beseitigte  bie  Unorbnung,  bie  ihre  er= 
regten  &änbe  angerichtet. 

Hann  oerfdjleierte  fie  roieber  bie  mübe  brennenben  Sampen  ihre* 
»ouboirS,  ftreefte  fid)  auf  baS  »ärenfeH,  hüllte  fidr)  bia)t  in  bie  galten  ihres 
©etoanbeS  unb  legte  mit  ruhiger  &anb  bie  SBaffe  auf  it)r  podjenbeS  $erj. 

* 

„So  ift  fie  benn  Eingegangen  in  ber  23lütf)e  ihrer  3ugenb!  Sie, 
bie  ihrem  ©atten  eine  treue  ©efäf)rtin,  eine  unermübliche  Pflegerin  ge= 
roefen,  fie  ift  ihm  audt)  balb  gefolgt  in  jenes  Wid),  in  bem  es  feine 
Trennung  mehr  giebt;  in  jenes  SReid),  baS  nicht  oon  biejer  Söelt  ift,  unb 
in  bem  f)immlif<f)e,  ewige  greuben  ber  Söieberoereiuigten  Marren.  Sei- 
ten; ^at'S  gegeben,  ber  £err  ^at'S  genommen,  fein  SBiffe  fei  gepriefen 
in  ©roigfeit,  Slmen."  — 

T>er  alte  ^aflor,  ber  feine  9?ebe  an  £cnaS  ©rab  mit  biefen  Korten 
fchloß,  mußte  nichts  oon  ben  Umftänbeu,  bie  ihren  Tob  herbeigeführt 
hatten,    ©r  fannte  feinen  Älatfdh,  unb  in  feine  ©eleljrtenftube  brangen 


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*96 


2lu<jufte  fjaufdjncr  in  Berlin. 


feine  böswilligen  ©erücijte.  ©r  rjatte  ,"yrau  Granj  als  Söittwc  gefeljen, 
Meid)  in  fid^  ueriuufen;  er  fenfte  audj  fie  nad)  wenigen  Monaten  in  bie 
©rbe.   $a$  fatte  ifjm  ben  £ert  511  feiner  $rebigt  angegeben. 

$a$  fletne  Srauergefolge,  ba$  ifm  umftanb,  flüfterte  wof)l  ^eimlid^ 
unb  warf  fid^  oielfagenbe  33licfe  $u,  unb  bod&  fjätte  aud)  oon  irjncn  fleinä 
etwas  33eftimmte3  behaupten  tonnen.  ~ 

Sie  treue  Sore,  bie  allem  in  tyrer  Herrin  92äf)e  fd)lief  (Siener  unb 
ttöajin  wohnten  im  Seitenflügel)  Ijattc  in  jener  Sajrecfenänadjt,  oon  bem 
©eräujdj  aufgeftört,  trofc  ifjreä  Sa)mer$e3  bie  volle  Raffung  bewahrt.  Sie 
beseitigte  jebe  Spur  be$  oerf)ängnißoollen  Sd)uffe$,  unb  ber  befreunbete 
?lrät,  ben  fie  be3  Borgens  fjerbeifjolte,  fanb  bie  Gntfeefte,  wie  fälafenb, 
auf  U)r  £ager  gebettet.  Sie  Hoffnung  irm  über  bie  £obe£urfad)e  jn  tauften, 
würbe  ber  treuen  Wienerin  freilief)  nidfot  erfüllt.  Sod)  iljre  rütjrenben  Sitten, 
ber  geliebten  &errin  Slnbenfen  ju  fclwnen,  bewogen  ifm  5U  einer  !Kunbfaf)rt 
nacf)  ben  SHebacttonen  ber  bebeutenbften  3citun(jcn,  wo  er  ba$  3>erfpred)cn 
erhielt,  ba$  ©reigniß  ju  oerf>eimlicr)en  ober  bod)  menigftenä  ben  tarnen  ju 
oerfdjweigen.    So  war  bie  2Baf)rf)eit  nod)  niajt  nadp  Wernburg  gebruugen. 

9cur  .^ubert  fannte  fie  in  i^rem  ganjen  Umfange. 

Sore,  ber  fein  23efud)  in  i'enaö  £au$  nic^t  entgangen  war,  wußte 
ifm  aufsufinben;  feinen  armungsoollen  fragen  l)ielt  it)re  Sdjweigfamfeit 
nicr)t  Stanb. 

©in  gramoollea  Sßteberfetjen  unb  eine  gramoolle  5a()rt,  ba  er  fie  mit 
fid)  führte,  nad)  ber  er  im  £eben  einft  fo  Ijeftig  oerlangt  —  als  £eid>e! 

Sieben  i^ren  ©atten  würbe  fie  gebettet,  in  ber  Meinen  Stabt,  ber  fie 
ju  entfliegen  trottete;  unb  nid)t3  erinnerte  an  bie3eit  ifjrer  großftäbtifajen 
Sriumplje,  al$  eine  2lnjal)l  foftbarer  ftränse,  bie  auä  Berlin  für  fie  ein* 
getroffen. 

Ser  Segen  war  gefprocfjen,  ba£  ©rab  gefüllt;  bie  wenigen  £eib* 
tragenben,  bie  eigentlich  nur  Neugierige  gewefen  waren,  fjatten  fid)  entfernt. 

Nur  Hubert  ftanb  nod)  uor  bem  frifa^en  &ügel.  Seine  ©eftalt  mar 
gebrochen,  fein  &aar  oollenbä  gebleicht.  Qmmer  fal)  er  fie  oor  ft$,  bie 
jefet  allen  Stampfen  entrüeft  war. 

2lber  nidjt  mit  bem  ftillen  Säbeln  auf  bem  ruhigen  ©eficfy,  wie  fie 
bamalä  in  ifirem  SieblingSjimmer  jwifdjen  ifjren  33lumen  gelegen!  9hir 
mit  bem  3<>rne3bli{f  in  ben  bunfeln  2lugen,  bie  oerfüf)rerifdt)e  ©eftalt  fjod& 
aufgerichtet,  ben  entblößten  2lrm  broljenb  jur  2lbme!)r  auSgeftrecft. 

@r  büefte  fid).  ©inem  großen  Strauße  oon  SBeild&en  unb  £uberofen, 
ber  bie  £uft  rings  um^er  mit  ^errlid&em  Suft  erfüllte,  entnahm  er  einige 
Stötten.  Sann  oerließ  aua)  er  ben  griebl)of.  Seine  ^aterfabt  l>at  Um 
nie  wiebergefe^en. 


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(Btufcppe  CVröi.*) 

Don 

fjrinrid)  €fjrlicfy. 

—  Berlin.  — 

ie  ^tn)icflung3;©efc$id)te  ber  bramatifa>n  3J?ufif  in  Italien 
roare  eine  jroar  mübjame,  aber  l)öd)ft  banfbare  Aufgabe  für 
ben  grünblia)en  3)iufifforf^er.  $enn  in  Italien  ift  bie  Dper 
entftanben,  als  ein  33erfucf)  ber  SBieberbelebung  be$  antifen  $rama<3 ;  oon 
ba  auä  oerbreitete  fie  fid)  über  ©uropa.  in  bie  Sttitte  be$  rerftoffenen 
^aljrljunbert-S  mar  fie  allein  mafegebenb  in  ber  SHufifroelt,  unb  Italien 
roar  ba$  Sanb,  in  bem  bie  gröfeten  beutfdjen  ßomponiftcn  iljre  erften 
Dpernsfiorbeeren  Rotten,  ©luef,  &änbel,  9Ho$art  fjaben  jnerft  nur  italienifd)e 
Dpern  componirt ;  unb  an  beutfä^en  £oftf)eatern  würben  faft  au3fd)üef?lid) 
folaje  Dpern  gegeben.  $ie  italienifdje  ©efangsfunft  übte  tt)re  2Jiadjt 
allenthalben,  felbft  als  bie  2Jiad)t  jenes  CpernftileS  31t  finfen  begann, 
alä  $änbel**)  oom  Xljeater  jum  Oratorium  überging,  als  ©lucf  feine 
Umroanblungen  burd)füf)rte,  als  SHojart  bie  „Entführung"  unb  bie  ,„3auber- 
flöte"  fdjuf  unb  in  ber  beutfajen  Wation  baS  SBeroufetfetn  ermatte,  ba§  $t 


*)  (&  ift  uns  eine  große  ftreube,  gerabe  in  ber  3eit,  loo  fiep  Italien  unb  bic 
gange  muftfatifebe  iüelt  ruftet,  baS  SubiläumbeS  gefeierten  (Fompoitiften  (17. 9fooember 
1889)  feftlid)  |U  befielen,  gugleidi  mit  feinem  SMlbnife  —  toclAeS  Sterbt  nad)  einem 
©lid)  aus  bem  3a&re  187D  barftelü  —  biefen  IHrtifct  unfereS  Dcrefjrten  mufifalifdien 
^reunbeö  unb  ^Mitarbeiters  Peröffcntlidjen  51t  bürfen.  3)ie  iHebaction. 

**)  £>änbcl  tjat  3ioar  im  Anfange  feiner  r)ot)eu  SDJiffion  ein  paar  beutfene  Opern 
für  ben  Hamburger  Sirector  unb  Gomponiftcn  Steint).  Äaifcr  componirt;  aber  fie  maren 
nad)  ber  bamaligen  Sttobe  mit  italtentfdjen  Strien  oermengt.  5>ann  f)at  er  breifeig  3a«re 
für  ba»  Xljeater  nur  italienifdje  Opern  gefdjaffen,  bis  er  ftd)  gang  bem  Oratorium 
roibmetc. 


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I 


(98    i?einrid>  Sbrlid?  in  »erlitt.   

©eniua  auch  auf  bem  ©ebiete  her  Cper  ©rofje*  ju  erjeugen  uermag.  Stiele 
3lrien  &änberfcher  Oratorien  tragen  ganj  unb  gar  ba$  ©epräge  ber  bamaligen 
italienifdjen  SJJoberoulaben ;  bie  Strien  ber  (Sonftanje  in  ber  „Entführung", 
ber  Königin  ber  9tocht  in  ber  „3auberflöte"  geben  untrügliche^  3eu9nifr  baß 
ber  tyimmlifdje  SWojart  ber  „roelfdjen  SBraoour"*)  gar  mandjeS  3uilcftänbniB 
bewilligt  r)at. 

©ine  fpätere  gorfdjung  —  bie  oben  angebeutete  ©eichidjte  ber  bramatu 
jeheu  9)iufif  in  Italien  —  roirb  bie  Linien  ber  ©renjfcheiben  feftjufteffen 
haben,  an  welcher  bie  SBenbungen  ber  oerjehiebenen  9Hdjtungen  fidj  t>oll= 
jogen:  ioie  ©lud  ben  franjöftfdjen  beclamatoriia)*bramatifdt)en  Stil  2utfrj$ 
unb  9iameau3  mit  bcutfdjem  ©eifte  erfüllte  unb  5ur  ^öa^ften  töraft  entfaltete; 
roie  9)tojart£  ©eniuä  ben  beutfdjen  bramatifchslnrifchen  Stil  fdjuf;  unb 
ioie  bie  Vorläufer  Stoff  inte  jenen  2öeg  einfdjlugen,  auf  welchem  ber  geniale 
(iomponift  beS  „33arbier",  „3Jioife",  ber  „Semiramibe"  §u  jenen  ^riumprjen 
gelangte,  r»or  benen  äße  anberen  gleichzeitigen  erblafeten,  unb  bie  jeittjer 
nur  oon  benen  33erbi'£  überftratjlt  roorben  finb. 

©ar  oiel  ift  geichrieben  roorben  über  bie  culturljiftorijche  $ebeutung 
ber  ^ioifinifajen  2JJuftf.  £af$  fie  als  bie  tönenbe  5Jerfünberin  be3  ©eiffccä  ber 
bamals  rjerrfdjenben  ©efeflfehaft  511  betrauten  fei,  bie,  jeber  beeren  geiftigen, 
it)r  reoolutionär  erfdjetneuben  Regung  abrrolb,  im  momentanen  finn* 
tiefen  ©enuffe  iln*  2eben$$iel  fudjte,  unb  in  SWojfinU  SWuftf  ben  ange= 
nel)mften  unb  oerfeinertften  Äunft=©enuB  fanb.  $a$  ift  ja  roah,r;  in  MojfinU 
OJiufif  waltet  ber  ©eift  ber  Gongrej3*  unb  9ieftauratton»jeit,  roie  in  ben 
^eetljooen'fdjen  Snmphonieen  ber  ©eift  ber  Sturm*  unb  Srangperiobe. 
unb  ber  franjbTifc^en  sJieoolution**).  iUber  man  barf  nicht  aufjer  Sldjt 
laffen,  roelche  muftfalifchen  Wittel  jene  Seit  bem  Gomponiften  92of{uii 
bot,  auf  melier  oor  unb  nadjljer  unerreichten  &öb,e  bie  ttalienifdt)e  ©ejang^^ 
fünft  ftanb,  roie  Mubmi,  2>on$elIi,  Saoib,  fiabladje,  bie  gobor,  Salanbe, 
(Solbran  unb  3lnbere  ben  &örer  in  Begeiferung  oerjefeten;  unb  nicht  etroa 
nur  bie  „elegante",  bie  Gongrefc*  unb  9ceftauration$=©efeflfchaft,  fonbem 
noch  gan$  2lnbere,  beren  ©eift  fidj  geroig  nicht  oon  ber  herruhenben 
Strömung  mitreifeen  liefe,  ©rillparjer  belang  1825  bie  gobor  unb  ben 
X'ablache  in  über^roänglichen,  recht  t*ch machen  Herfen***),  $egel  fchrieb 
1827  an  feine  grau:  „1>a$  ift  herrlich  umoiberfteljltch,  bajj  man  nicht  oon 
^t^ien  roegfommen  fann!"   Unb  ßarl      oon  Seber,  ber  1823  in  Söien 

*)  „Sic  Slrie  ber  (Sonftanje  1)abe  id)  ein  roentg  ber  geläufigen  (Surgel  ber  Ülle. 
(5ai>alicii  aufgeopfert.  .Trennung  mar  mein  banges  ÜooS*  tjabc  id),  ioweit  es  eine  tnelfd^e 
•■öraüouraric  juläfet,  auSjubrüdeit  ücrfuctit."   <3o  fdjreibt  Üflfojart  an  ben  Sßater. 

**)  3*  oenoeife  auf  meinen  Ülrtifcl  er  <Dtofiftointcr"  1888/89  im  Sluguftfarte 
oon  „Wort»  unb  Siiö". 

***)  3d)  fuitb  fie  in  ber  Liener  3ciridirift  für  flunft,  Literatur,  X^cater  unb 
üJtobe,  lUr.  .'>5  00m  22.  Uiär$  1827.   ,^>icr  ein  ^röbdxn: 

9?adnigaÜ,  flöte  iiid)t  mebr;  bu  giebft  bettle  Seele  ben  Xöncn, 
m  fein  S?eben  bem  ^teb;  toaS  bleibt  2>ir,  bafe  bu  lebft? 


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(Siufeppe  Dcrbt. 


199 


weilte,  um  feine  (Suruantfje  uorjufü^ren,  auf  beffen  fünftlerifaje  Sßejenljeit 
3ioffim'fdje  SDcufif  abfto§enb  wirfen  mujjte,  fc&reibt  an  feine  grau:  „©in 
paar  flünftter  wie  bie  gobor  unb  Sablaäje  finb  mir  nod)  nia^t  norgefornmen. 
$ier  ift  bie  f)öd)fte  reinfte  Bollenbung,  baS  Jperrlid)fte,  ©ranbiofefte,  was 
bie  3?atur  an  Stimme  geben  fann,  unb  311  [es,  was  nur  als  Mnftler 
uerlangt  werben  fann;  id)  mar  unenblidj  ergriffen,  unb  eine  eingelegte 
ülrie  fang  bie  gobor  fo  fjerrlid),  bajs  id)  überzeugt  bin,  wenn  fie  bie 
Gurnanttje  fange,  mau  formte  toU  werben;  biefes  tiefe,  leibenfdjaftlidje 
0efü()l  unb  babei  bie  nie  uergeffene  £>errfd)aft  unb  Befonnenljeit  über  alle 
Wittel."  Unb  in  einem  anberen  Briefe:  „$a  wenn  fo  gefungen  unb  ge- 
fpielt  wirb,  ba  mufj  9lü"eS  wirfen!"  ©old)e  SluSfpücbe  entheben  midj  jeber 
weitereu  Beweisführung;  nur  baS  ©ine  mag  Iner  bemerft  werben,  bau 
aud)  uod)  t)eute  italiemfd)e  Cpernmufif  von  guten  italiemfc^en  (ober  in 
italtcnifdjer  guter  ©djule  gebilbeteu)  Sängern  üorgetragen,  eine  entfdjieben 
Diel  tiefer  eingreifenbe  Sßirfung  erjeugt,  als  wenn  felbft  bie  beften  beutfdjen 
Äünftler  it)rc  SRüfje  baran  wenben;  bafe  alfo  bie  -Hoffiuiidje  9)iufif  in  bem- 
felben  'JWa&e  burä)  bie  unuergleidjlidje  SBtebergabe  ber  ©änger  bezauberte, 
als  burd)  ifjren  3"fa,nmenl)anÖ  mit  ber  geiftigen  -Wartung  ber  l)errfcf)enbeu 
Öefeafdjaft. 

SKoffini  trat  in  noller  9)tauneSfraft  vom  (Sdjauplafce  feiner  £riumpf)e 
jutücf,  naetybem  er  noefy  im  „£eu"'  gejetgt  fjatte,  weld;  geniale  Sd&öpfer; 
frajt  in  ifjm  lebte*)  unb  wie  er  aud)  ernftlid)  grünblidjen  2lrbeitenS 
fäfjig  war.  2lber  bie  ^enfcfyaft  ber  italienifd^en  si)Jufif  bauerte  fort,  unb  bie 
weidjen  füfeen  unb  oft  waljrf)aft  eblen  Reifen  Fellinis  —  aus  bem  9ftunbe 
■HubiniS,  &ablad)es,  £amburimS,  ber(3)rift,2llboni,  Salanbe,  9)Jalibranu.f.  w. 
ertönenb  —  übten  auf  bie  £örer  faft  größeren  3auber,  als  uorbem  bie 
brillanteften  Strien  MoffimS. 

($)egen  Bellini  ift  uielleid)t  nodj  mein-  gefa^rieben  unb  beclamirt 
worben  als  gegen  feinen  genialen  Vorgänger,  ber  nunmebr  in  Bologna 
beljaglidjer  9iut)e  genojg.  2Bar  biefem  fpectacnlöfe  ^nftrumentation  uon 
geworfen  worben,  fo  hiejj  es  von  Bellini,  er  beljanble  baS  Crdjeftcr  wie 
eine  ©uitarre,  bie  jum  ®efange  Begleitung  jupfe;  feine  3)Mobieii  feien 
weid)lid)  fraftloS,  füfeltd),  überfentimental  u.  f.  w.  in  intinitum.  £ie 
beutfäcn  s3)hifif$eitungeu  überboten  ftd)  in  berartigen  9luS)prüd)en;  id) 
erinnere  midj  einen  Slrtifel  gelefen  ju  Ijaben,  in  welkem  ^ojfiniS  „Ctljeüo" 
mit  BelliniS  „ftorma"  »erglidjen  warb,  unb  bie  lefeten  3lrien  ber  £eSbemona 
weit  über  ülfleS  geftellt  würben,  was  BeHini  je  gefa^affen  hatte.  $ie  3eit 
bat  biefe  falfcfceit  Urteile  berichtigt.  Saft  BeUiniS  GompofitionStedmif 
eine  fdjwädjiiche  war,  tjt  nidjt  511  beftretten;  aber  ebenfo  feft  fiel)t,  bafe 

*)  ©8  finb  nid)t  bloß  bic  üübcfanntcit  Schönheiten  biefer  Oper,  toeldje  uom 
©ente  ftojfini«  *euaen:  ba  ift  ein  mciiia.  beachtetet  SBrautdjor  im  ctfteit  xHct,  a(S  ber 
oltc  3Weld)thaI  bie  ^Jaare  jeflitet,  ber  beften  2Jtetfter  würbig;  ebenfo  baS  3rauentrio  im 
leeteit  5Mctc. 


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200 


ftcinrtd)  (E^rlid?  in  Berlin.   


manche  feiner  SJtelobieen  bie  fünften  finb,  bie  unter  Italiens  fernem  £immel 
gefd)aff«t  würben.  Hub  Tie  Ijaben  ihre  Eauerfraft  fiegreid^  beroahrt.  2Md>e 
Opern  SRoffiniS  roerben  heute  noch  gegeben?  £er  unoerroüfUiche  „barbier" 
unb  ber  mehr  im  franäöiifdjen  als  italienifcrjen  Stile  gehaltene  „£ell"  — 
unb  btefer  bod^  meifienä  nur,  wenn  irgenb  ein  reifenber  SenorsSlrnolb 
fein  l)oty$  b  unb  h  hören  laffen  roitt.  9I6er  bie  „Wachtroanblerin",  „!Rorma", 
„Puritaner"  fvnb  auf  allen  Dülmen  c)cimifd;  geblieben.  (Sie  entftanben  in  ber 
3eit,  ba  bie  empfinbfame  Snrtf  ^errfa^te,  in  granfreief)  bureb  Lamartine, 
in  Seutfcf)tanb  buref)  £eine;  unb  manche  irjrer  3JMobieen  finb  ben  fd}önften 
©ebid^ten  ber  Reiben  gleichstellen.  $a3  gtnale  ber  „sJforma"  („quäl  cor 
tradisti")  bie  lefete  Xraumarie  ber  „9?ad)troanblerin",  bic  beiben  £enorarien 
in  ben  „Puritanern"  roerben  jebes&erj  rühren,  ba!  für  weichere  Gmpfinbungen 
empfänglich  geblieben  ift,  ba3  jebem  Schönen  in  ber  Äunft  wann  entgegen* 
fdjlägt,  ba$  nid)t  in  troefener  ©clehrfamfeit  uerfnöchert,  ober  in  aller = 
mobernfter  teutonifdjer  Serferferrouth  oerroilbert  ift.    23eUini3  früher  2ob 
—  er  ftarb  im  34.  Rofyxe  —  roar  ein  großer  ^erluft;  fein  lefcteS  2Berf 
„bie  Puritaner"  befunbete  fo  grofje  gortfehritte  nach  jeber  ^idjtung,  bafj 
man  noch  manche!  fel)r  Schöne  mit  Sicherheit  Don  ihm  erroarten  burfte. 
3Jtit  ihm  roar  ber  am  ebelfien  empfinbenbe  SJiufifer  Station!  geftorben ;  unb 
erft  nad)  feinem  Tobe  fonnte  ^onijetti  bie  OberI)errfchaft  über  bie  italienische 
Oper  geroinnen. 

©in  flüchtiger  9iücfblicf  auf  bie  Opern  $onijetti3,  ein  Vergleich  bei« 
felben  mit  benen  MoffiniS,  Fellinis  unb  SBerbiS  jeigt,  bafj  er  in  urfprüng? 
lieber  Begabung,  in  eigentümlicher  Grfinbung  unter  allen  dreien  ftaub, 
bagegen  in  ber  ©efajtcuidjfeit  ber  Mati)t  unb  in  mufifalifchem  Üßiffen  fte 
überragte.  Gr  hatte  üortref flicken  Unterricht  genoffen,  war  ferjr  fleifjig  ge: 
roefen  unb  in  allen  9)?ufif formen  beroanbert.  %\\\  3ahr*  1843  am  Gfjar- 
freitage  lief;  er  al$  flaiferlidj  C efterreid)ifdr)er  ^offapeUmeifter  unb  „Kammer^ 
componift"  in  ber  £offapeUe  ein  „^iferere"  unb  ein  „9loe  SHaria"  au3  feiner 
geber  aufführen,  beren  correct  ftrenge  <vorm  felbft  oor  ben  2lugen  ber 
2Biener  .fcoforganiften  unb  fonftiger  tfenner  unb  Sefenner  be$  ßontrapunfte! 
©nabe  fanben.  ?lud)  giebt  bic  Stimmführung  in  manchen  mehrftimmigen 
Hummern  feiner  Opern  Seugmtf,  baß  er  tüchtigen  Stubien  obgelegen  hatte. 
Wahrhaft  Originelles,  23leibenbeS  hat  er  nur  in  ben  beiben  fomifchen 
Opern  „Glifir  b'amore"  unb  „Xon  äquale"  gefdjaffen,  in  benen  ber 
heiterfte  Junior  unb  gluß  ber  Welobie  roaltet;  befonber!  „$on  äquale" 
oerbiente  öfter  gehört  ju  roerben  (freilich  nur  oon  italienischen  Sängern); 
bie  meiften  Hummern  finb  roahre  Gabinetftücfe  feiner,  geiftreidjer  unb 
melobifcher  s3)fuftf.  2?on  Sonuetti!  ernften  Opern  —  er  hat  beren  über 
fedjSjig  gefdjrieben  —  ift  eigentlich  nur  bie  „2ucia"  auf  ben  kühnen  ge^ 
blieben  aUi  bie  parabepartie  aller  Goloraturfängerinnen;  l)\e  unb  ba  taucht 
„Sucrejia  Süorgia"  auf.  33eibe  enthalten  manche  fet)r  roirffame  Hummern, 
beibe  finb  SBerfe  eines  Gomponifteu,  ber  feine  eigentliche  fünfilerifd&c  3ns 


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  (Siufeppc  Derbi.    20\ 

bioibualttät,  ober  ein  fc^r  begabter  unb  ungemein  gefchiefter,  ben  Sängern 
gan^  befonberS  ju  Xanfe  fdjreibenber  ©fleftifer  war.  Unb  eben  weil 
er*)  feine  ausgeprägte  ^nbioibualität  be|a§,  bilbete  er  ben  Uebergang  $u 
23erbi,  ber  bae  was  %enet  af>nte  unb  anftrebten,  bie  bramatifä)e  Gharafte* 
riftif  in  ber  UaHcnifd^en  Dpernmufif,  jur  SMenbung  braute  unb  bis  ju 
bem  fünfte  führte,  über  welken  fic  nicht  hinausgehen  barf,  wemt  fie  ihren 
nationalen  Gharafter  behalten  fott;  ich  werbe  auf  bieten  2luSfpru<h  fpäter 
$urücffommen. 

©iufeppe  3Serbi  ift  am  9.  Cctober  1813  in  SRoncole,  einem  ganj 
fleinen  $orfe  nat)e  bei  Suffeto,  im  ehemaligen  ^arjogthum  ^ßarrna  ge* 
boren.  Seine  Gltem  halten  ein  fleines  SBirthShauS  unb  einen  ebenfo 
f leinen  flramtaben;  fie  nährten  jich  reblich  unb  fümmerlich.  $er  SBater  ging 
ade  SBodjen  mit  jroei  flörben  ju  JJufje  nach  Suffeto,  um  bort  feinen 
SBaarenbebarf  einkaufen,  tiefes  ©täbtdjen  genojj  oon  jeher  eines  be- 
fonberen  9tufeS  wegen  ber  Vorliebe  für  3Jtoftf  unb  beS  SBohlthätigfeitS* 
fmneS  feiner  Bewohner.  6s  mar  (unb  ift  noch  heute)  ber  Sifc  einer 
^h^honnonifchen  ©cfellfchaft";  ^ßräfibent  unb  eifriger  Sefchüfcer  biefer 
©efeflferjaft,  ihr  erjter  glötift,  ßlarinetttft,  ßornlft  unb  Dphicletbtji  mar 
ber  Spejereihänbler  unb  Siqueurfabrifant  33arejjt,  oon  bem  BerbiS  Bater 
feine  Borräthe  laufte.  —  %m  fleinen  ©iufeppe  offenbarte  ftdt)  oon  Ämbt)eit 
an  ein  leibenfehaftlicher  $ang  jur  SKufif.  $)en  erften  Unterricht  gab  ihm 
ber  arme  Crganift  bes  fleinen  Dörfchens,  bann  faufte  ihm  ber  Bater 
mit  grofjen  Opfern  ein  fletneS,  oottftänbig  abgeuüfetes  Spinett;  ein 
Hflechamfer  ©aoaletti  fefcte  es  „in  einigermaßen  brauchbaren  Stanb,  unents 
geltlia),  um  ber  guten  Anlage  unb  beS  gleifees  willen,  ben  ber  fleine 
©iufeppe  seigte".  ©0  lautet  ein  Xheil  ber  3nf<hnft,  bie  ©hislanjoni, 
einer  ber  oielen  italienischen  Biographen  BerbtS,  unter  ber  Xaftatur  ge= 
funben  hat. 

3n  feinem  elften  Scfyxe  mar  ber  ßnabe  fchon  fo  weit  oorgei'djntten, 
ba§  er  als  SteHoertreter  beS  Drganijfen  in  9toncole  oerroenbet  rourbe; 
bann  brachte  ihn  ber  Bater  nach  Buffeto,  wo  er  bie  ©dmle  befugen  unb 
feine  muftfalifchen  Stubien  weiter  führen  foHte.  £ie  erfte  Unterfunft 
fanb  er  im  $aufe  eine«  SdmhflicferS,  für  breiig  Gentefimi  täglich,  $as 
Crganiftenamt  in  SRoncole  —  mit  36  granfen  jährlichem  ©ehalte  — 
oerfah  er  noch  immer  unb  ging  jeben  Sonntag  ju  gufce  bahin,  um  bie  Pflicht 
*u  erfüllen.  Salb  warb  er  in  baS  &aus  beS  SpejereihänblerS  unb 
^räfibenten  ber  ^h^harmonifchen  ©efellfchaft,  Barejji,  eingeführt  unb 
nun  änberte  fich  Manches,  (Srft  copirte,  bann  componirte  er  für  bie  ©e* 
feafchaft;  beren  SMrector,  zugleich  flapeömeifter  ber  Äathebrale,  Sßrooefi, 

*)  SBenn  td)  anercabante  —  beffcn  „(SJuiramento"  unb  „ölifa  e  (Slaubio"  tt>rer 
3cit  fcfjr  gefielen  —  foioie  föicci  nur  Ijier  nenne,  fo  flefdjic^t  bie»,  roeil  tfjre  SBerfe 
feine  ityafe  ber  &nta>idelnng  ber  bramatifdjen  Wluixt  bejeic^nen. 

JJarb  unb  6flb.  LI  .  ir,2.  U 


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202    ^einridj  <Ei?rIid?  in  Berlin.   

ein  tüchtiger  3)hififer,  gewann  iJ)n  lieb,  unterrichtete  Um  unb  überliefe  ihm 
manchmal  ben  £actftod  bei  ben  Uebungen  unb  Goncerten  ber  ip^il^ar= 
monifer,  julefct  fogar  bie  Steltoertretung  an  ber  Orgel.  Barejji  aber, 
ber  SJkäfibent,  warb  ber  eifrigfte  unb  thätigfte  Beförberer  be«  jungen 
©enie«.  6r  bot  ifpn  an  in  feinem  #aufe  auf  einem  Sßtener  glügel  bie 
Stubien  fortjufefeen,  benen  ba«  arme  au«  Sfloncole  mitgebrachte  Spinettdjen 
nicht  me^r  genügen  !onnte;  unb  nach  einigen  fahren  oerf Raffte  er  ihm 
eine  Unterftfifeung  ber  ©emeinbe  unb  fügte  von  bem  ©einen  bei,  auf  bafj 
ber  Schübling  nach  SHailanb  gehen  fonnte,  um  bort  feine  Stubien  $u 
Dollenben  unb  bann  fein  ©lücf  ju  oerfudjen;  empfahl  ihn  auch  einem  feht 
befreunbeten  ©nrnnafialprofeffor  fo  warm,  baf?  biefer  ihm  fofort  in  feinem 
£aufe  Unterfunft  gab. 

Raum  in  ÜJiailanb  angefommen,  [teilte  fich  Berbi  ber  Prüfung*  - 
commiffion  be«  ßonferoatorium«  oor,  um  al«  jahlenber  Schüler  aufge^ 
nommen  lju  werben.  $er  berühmten  £ehranftalt  £)irector  (Genfor)  mar 
bamal«  ein  alter  9)?aeftro  grance«co  Bafiln  (geb.  1766),  oon  beffen 
funftlerifchem  SBirfen  heute  faft  nicht«  mehr  befannt  ift.  ©r  h*i  einige 
Opern  componirt,  fam  bann  1837  al«  (SapeÜmeifter  ber  ^>eter«firche  nach 
iWom,  wo  er  1850  geftorben  ift.  Sein  9tome  mürbe  längft  Bergeifen 
fein,  fnüpftc  fich  wicht  bie  Erinnerung  baran,  bafj  unter  feiner  £)irection 
be«  Sftailänber  Gonferoatorium«  Berbi«  ©rfudjen  um  Aufnahme  jurüdge; 
roiefen  warb,  lieber  bie  ©rünbe  biefe«  feltfamen  Befäjluffe«  finb  uiele 
£e«arten  im  Umlaufe,  Jett«  in  feiner  Biographie  giebt  ba«  fonberbare, 
faft  lächerliche  9ttotio  an,  Bafil«  hatte  in' ber  5ß^pfiognomie  be«  jungen 
58erbi  nicht«  gefunben,  wa«  eine  ftinfileriiehe  Begabung  erf  ernten  ließ. 
3lnbere  weifen  mit  oiel  oerftänbigerer  2lnficht  ber  Singe  barauf  tyxi,  bafc 
nach  ben  Statuten  be«  ßonferoatorium«  nur  Knaben  uom  9.  bi«  16.  Söhre 
angenommen  werben  unb  nicht  länger  al«  bt«  jum  äwanjigften  bie  Slnftalt 
befuchen  burften,  unb  ba&  Berbi  bereit«  ba«  neunjehnte  3<x\p  erreicht  I>atte. 
(Snblich  ifk  noch  Berbi«  eigene  Eingabe  oorhanbeu,  in  einem  Briefe  an 
(Saponi,  ben  italienifchen  Ueberfefcer  ber  «ßougin'fchen  franjöfifdhen  Bio: 
graphie.  9tod)  biefer  Eingabe  ift  Berbi  nicht  oon  bem  alten  Bafth)  allein, 
fonbern  oon  fämmtlichen  -äflitgliebern  ber  2lufnahme*Gommiffton  fowohl  al« 
(Somponift  wie  al«  (Slaoierfpieler  geprüft  worben,  unb  ohne  jeglichen 
officieUen  Befcheib  geblieben.  91ur  ^rofeffor  SRoHa,  bem  er  oon  ^rooefi, 
bem  Drganiften  in  Buffeto,  empfohlen  war,  unb  an  ben  er  fich  wanbte,  gab 
ifjm  ben  3tath,  „nicht  mehr  an  ba«  (Sonferoatorium  ju  benfen,  unb  einen 
Lehrer  au«  ber  Stabt,  £auigna  ober  9iert  ju  wählen."  3Han  fann  alfo 
al«  feftftehenb  annehmen,  bat?  einerfeit«  nicht  bie  phnfiognomifchen  Stubien 
be«  alten  Bafiln  ben  Grntfdjlufe  ber  (Sommiffion  herbeigeführt  haben,  fowie 
bafj  biefe  anbrerfett«  fich  nicht  correct  benommen  hat,  al«  fie  ben  jungen 
Bewerber  ohne  2lntwort  lief?.   Siefer  nahm  Unterricht  bei  Saoigna. 

3m  feiten  3af>re  nach  ben  eben  erzählten  3wif<henfäUen  ftarb  ber 


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(Siafeppe  Dcrbt. 


203 


Drganift  ber  Äatfjebrale  unb  ßapellmeifter  ber  $^i(()annom!er  in  Suffeto, 
$rooefi,  93erbt£  fiehrer ;  unb  biefer  warb  von  feinen  greunben  f  of  ort  aufs 
geforbert  ftdj  um  bie  freigeroorbene  (Stelle  ju  bewerben,  ©r  tr)at  es,  aber 
ofme  ©rfolg ;  ein  oon  $roei  Sifdjöfen  empfohlener  frommer,  al3  SRufifer  gans 
unbekannter  SWann,  ©iooanni  gerrari,  roarb  als  Drganift  berufen.  Die 
$f)U^armoni!er  gerieten  in  foldfje  2ßutf),  bafe  fie  in  bie  ftirche  brangen 
unb  alle  ber  ©ejeUfd^aft  gehörige  Sttufifalien  »om  ©höre  geroaltfam  toeg= 
nahmen.  Dann  festen  fie  e£  burch,  bafe  SBerbi  oon  ber  Stabt  als  beren 
^apeümeijter  beftättgt  unb  befoCbet  rourbe.  3n  D^m  kleinen  ©täbtdjen 
oon  2000  <5inn>of)nern  bilbeten  fid)  jroei  Parteien,  bie  einanber  in  jeber  SBetfe 
unb  mit  allen  Mitteln  befehbeten.  Unb  übel  wäre  e£  ben  ^^il^armonifern 
unb  ihrem  (Sapellmeifter  bekommen,  bafe  fie  fid)  mit  ber  (Seifttidjfeü  unb 
bereu  Anhang  »erfeinbeten,  gärten  fie  nicht  in  bem  Sürgermeifter  (Sßobeftä) 
einen  energtfdjen  Sefchüfeer  gefunben.  9lufeerbem  gewann  SSerbi  felbft 
unter  ben  frommen  zahlreiche  greunbe;  er  componirte  ÜReffen  unb  anbere 
kirchliche  ©tücfe  unb  liefe  fie  in  ber  GapeUe  be3  granjtecanerflofterä,  boJ 
bem  bifd)öflichen  *probfte  nicht  unterftanb,  aufführen ;  aud)  fpielte  er  manch* 
mal  bie  Crgel,  unb  fo  oft  ba$  gefchah,  blieb  bie  Äathebrale  leer,  2UIe$ 
ftrömte  in  bie  fleine  Gapelle.  3ltle  flirren  ber  Umgegenb  bewarben  fid} 
balb  um  bie  @f>re,  bafe  ber  junge  -iJtoeftro  bei  ihnen  einfette,  unb  feine 
Gompofitionen  aufführen  liefe. 

3m  3ahre  1836  eheliche  Serbt  bie  ältefte  Eodjter  23are$$ts,  feine« 
eblen  greunbes  unb  SefchüfcerS,  in  beffen  £aufe  er  roofmte.  9flargaretf)e 
war  fjübfö,  liebenäroürbig  unb  fpielte  oft  oterhänbig  mit  bem  ©afte  —  unb 
fo  entfpann  fidj  ba3  3reunbfa)aft$oerf)älrnife,  ba$  in  ber  tye  einen 
glücklichen  3tbfd)lufe  fanb.  Sroei  Safere  barauf  ging  ba$  junge  $aar 
nach  SJiattanb,  roo  Serbt  feine  erfte  Cper  auf  bie  Sühne  brachte.  Dtefeä 
(SrftlingSroerk  fleht  in  einer  geroiffen  weitläufigen  Se$iet)ung  $u  &aobn3 
„Schöpfung",  unb  es  wirb  unfere  beutfehen  Sefer  intereffiren,  wenn  mir 
hier  Serbin  eigene  <5r$äf)luttg,  wie  ber  Verleger  «Ricorbi  fie  au$  bem  * 
SJhmbe  beS  berühmten  Cannes  oernommen  unb  &errn  ßaponi  fofort  mit> 
geteilt  hat,  in  gebrängter  Slür^e  miebergeben. 

3m  3af)re  1834  ^atte  Saoigna  feinen  6d)üler  $u  ben  groben  ber 
Wailänber  ^hi^«monifd)en  ©efellfchaft  geführt,  bie  gletd)  ber  in  Suffeto 
aus  Dilettanten  beftanb,  aber  oiele  fingenbe  9JHtglieber  jählte,  unb  oom 
SJiaeftro  üttafini  unb  brei  Goncertmeiftern  geleitet  mürbe.  9ttan  ftubirte 
bie  6d)öpfung,  um  fie  im  £eatro  gilobrammatico  aufzuführen.  Sei  einer 
Hauptprobe  fehlten  bie  brei  ßoncertmeifter,  unb  9Rafini  manbte  fidt)  an 
^>erbi  mit  bem  Grfuchen,  bie  Segleitung  am  (Slaoier  $u  übernehmen.  Der 
junge  „3flaeftrino"  entlebtgte  fich  ber  Aufgabe  mit  oiel  ©efehtef  unb 
Umficht;  baS  fpöttifche  aRifetrauen,  mit  oem  bie  Damen  unb  Herren  ben 
mageren,  ärmlich  gefleibeten  3üngling  empfingen,  uerroanbelte  fid)  in  laute 
Lobeserhebungen,  unb      roarb  il)tn  bie  Stelle  ber  Goncertmeifter  bei 

14* 


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20^ 


  ^einrieb,  (Etfrüdj  in  Berlin. 


her  &auptauphrung  übertragen,  ©ine  jroeüe  fanb  im  abeligen  Gaftno 
ftatt,  in  ©egenroart  beS  öjterretchifchen  Statthalters,  erj^erjog  Rainer, 
unb  aller  ©ptfcen  ber  ©efeüfchaft. 

aRafini,  ber  auch  bie  SapeUmcifterfteffc  im  oben  benannten  Sweater 
oerfar),  30g  ben  SWaeftrino  $u  mannen  £ilfeleifrungen  im  Drcf>efter  bei 
Dpernoorftellungen  heran;  als  SeroeiS  ber  3ufriebenheit  unb  Sanfbarfeit 
für  bie  unentgeltlichen  $>ienfte  gab  er  ifjm  bie  Anregung,  für  fein  Sweater 
eine  Dper  ju  ichreiben,  unb  überreizte  ihm  bie  6ftjjen  eines  Libretto, 
aus  benen  ber  dichter  Solera  ben  „Dberto  bi  San  Somfacio"  bilbete. 
80  n>ar  alfo  jene  ^Jrobe  von  &anbnS  (Schöpfung  ber  mittelbare  2lnlafj  $u  ber 
erften  Dper  SBerbiS.  3lber  nid^t  im  £eatro  gilobrammatico  mürbe  fie 
aufgeführt,  fonbem  in  ber  altberüf>mten  Scala,  bie  unter  bem  3mprefario 
üfterelli  ftaub.  tiefer,  ein  SRenfcr)  ohne  bie  geringften  mufifalifdjen  &etmt= 
nijfe,  befafj  einen  wahrhaft  benmnberungSroürbigen  ^nfrinet,  Xatent  in 
Gomponiften  unb  ©ängern  ju  roittern,  unb  oerftanb  es,  fie  gleichseitig  $u 
überoortheilen,  unb  bei  guter  Saune  ju  erhalten*). 

2)aS  ©rftltngSmerf  Dberto  bi  (San  23onifacio  rourbe  am  17.  9iooember 
1839  jum  erften  3Me  aufgeführt;  ber  Dperncomponift  Sterbt  feiert  alfo 
in  biefem  3Jionate  fein  50jähngeS  Jubiläum.  2)ie  Dper  hatte  günftigen 
©rfolg,  manche  Äritifer  begrüßten  „baS  neue  ©ente";  ein  SBeroeiS,  bafe 
bie  Italiener  ihre  SJJufif  mit  anberen  Dhren  hören,  als  alle  Nationen  bieSs 
feitS  ber  3llpen.  2HerelH  fchlofc  fofort  einen  (Sontract  mit  bem  fo 
hoffnungsreichen  (Somponiften ;  er  follte  brei  Dpern  hmtcrem^nber  oon 
acht  ju  acht  9J?onaten  liefern.  ®r  befam  juerft  baS  £ertbuä)  „^ßroferitto" 
(ber  Verbannte),  baS  ihm  nicht  gefiel,  baS  Nicolai  componirte,  unb  mit  grofjem 
SHifjerfolge**)  auf  bie  Scala  brachte.  Xann  roanbte  er  fia)  auf  3J?erelIiS 
Anregung  ber  fomifdjen  Dper  ju  unb  componirte  „Un  giorno  di  Regnort, 
bie  ein  fo  ganj  ^citlofc^  giaSco  machte,  bafj  er  fich  oerfdfnrjor,  niemals 

*)  6t  war  fpäter  aud>  ^ädjter  ber  Siener  Oper  im  Vereine  mit  bem  alte« 
SBalodjtno.  tiefer,  ein  ©etjf)al8  aber  ein  (Sttrcmnann,  ber  feine  JBerfliditungen  ftrtnge 
einfielt,  unb  3n>ctjünaiflfeit  nidjt  fannte,  blieb  immer  unbeliebt  3tterelli  bagegen 
füllte  fid)  am  beb,aglid)ften,  wenn  er  im  Xrübcn  fifdjen  tonnte,  bem  Siener  Oberft* 
lämmerer  Öraf  ßancjforonSfn  fingirtc  Gonctractc  ju  enormen  ©ebaltcn  mit  Sängern 
jeigte,  benen  er  bie  Hälfte  jaulte  (bie  anberc  ftrid)  er  ein),  unb  bergleidjen  Äunfc 
ftüddjeu  meljr  ausführte.  Slber  er  geigte  immer  gute  Saune,  fclbft  bei  Söeletbigungcn 
—  wenn  er  ben  SBeleibiger  braud)en  tonnte.  $abei  liebte  er  bie  Shtnft  unb  ftünftler 
nad)  fetner  Seife,  gog  ibnen  baö  ®elb  aus  ber  Xafdje,  unb  bewirtete  fie  mit 
(S&ampagner.  Gin  berühmter  unb  ebler  italienifdjer  (Sänger  faßte  mir  in  ben  «Wer 
Mren:  „Siefer  Der  —  9}icreÜi!  lln§  2tQc  betrügt  er;  unb  bennotf)  gelten  mir  gern 
mit  i&m  um!" 

**)  tiefer  war  mrfrt  ganj  gereditfertigt.  3d)  b,abe  ben  „ÜBerbannten"  in 
bentfd)er  <3prad)c  auf  ber  Siener  §ofoper  aufführen  boren,  unb  fann  oerftd>cm,  er 
»oar  iiidjt  fdjlcditer,  alä  Diele  anbere  italicnifdK  gut  aufgenommene  Opern.  3«  einem 
Gonccrt  Nicolais  taug  3cnnp  *.'inb  mit  Staubigl  u.  51.  ein  Cuartett  aus  bem  „$er* 
bannten"  unb  erregte  „fumn?"  unb  da  .-ap.^üHuf. 


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(Siufeppe  DerH 


205 


mehr  eine  Oper  componiren,  unb  3WercHi  erfudjte,  ihn  {einer  23er = 
pfUc^tung  511  entbinben.  $)er  fdjlaue  ^mprefario  willfahrte  bem  befperaten 
9)toeftro  ohne  ©egenrebe;  er  raupte  moty,  bafe  btefe  Stimmung  ntdt)t  lange 
bauern,  bajj  bie  2Inziefwng£fraft  beS  S^eaterS  in  33älbe  wirfen  würbe, 
unb  nur  ber  redjte  Moment  abzuwarten  märe. 

SSerbt  I>at  in  ber  SJftttheilung  an  ben  SBcrleger  SRtcarbi  —  ben  9Jti§erfolg 
ber  SDZufif  zum  großen  Steile  aus  ber  unbefd>reiblich  trüben  Stimmung 
hergeleitet,  in  welker  ba§  2öer!  entftanben  mar.  3uerft  befanb  er  fidj  in  }o 
bebrängten  2>erhältniffen.  bafe  er  nidjt  50  Scubi  (etroa  220  2Jtarf)  befaß, 
um  bie  2Bofmung8mietfje  $u  bezahlen,  unb  bajs  feine  grau  ihre  wenigen 
Schmudffachen  in  ba£  Seihhaus  trug,  um  ilm  oon  ber  Sorge  zu  befreien. 
Unb  !aum  mar  bieS  Unheil  abgeroenbet,  ba  fam  noch  viel  härteres  über 
ifm,  er  oerlor  bie  jroei  Äinber,  zulefct  ba3  braue  Sitetb  im  furzen  QeiU 
räum  tum  jroei  Monaten,  unb  ftanb  allein!  Unzweifelhaft  mußten  folcfye 
graufame  Sdjicffale  jebe  fdjaffenbe  $raft  lähmen,  unb  jebe  £eiterfeit  ber 
Stimmung  für  eine  fomifdje  Oper  oerunmöglidjen.  3lber  man  fann,  of>ne 
bem  ©enie  23erbi£  3lbbrud)  ju  trjun,  feft  behaupten,  bafc  er  auä;  unter 
günstigeren  SBerhältniffen  ben  „giorno"  mc$t  beffer  componirt  hatte.  $enn 
£umor  r)at  ihm  bie  9totur  oerfagt,  baS  beweifen  unwiberleglid)  bie 
fonrifd)  fein  foHenben  Scenen  in  ber  fonft  bebeutfamen  Oper  „La  forza 
ctel  destino",  bie  er  von  9mhme$g(anz  unb  9?etä)thinn  umftrafjlt  ge= 
f abrieben  fyat*). 

3WereDi  Ijatte  richtig  berechnet.  9tod)  einem  Safyxt  traf  er  —  quafi 
Zufällig  —  SBerbi  in  ber  ©allerie  Gfuiftofori,  nahm  ihn  nadj  bem  Xtyatexs 
bureau,  geigte  ihm  ba$  Sibretto  uon  „ÜRabucco",  bad  Nicolai  zurücfgewiefen 
hatte,  unb  zwang  e3  bem  SBiberftrebenben,  auf  feinen  Sdjwur  $od)enben 
auf.  $erbi  fühlte  fid)  oon  bem  Xertbudje  mächtig  angeregt;  in  einer 
5kd)t  burdhflog  er  e3;  am  anbern  9Horgen  ging  er  zu  SReretfi. 

„9hm?"  fragte  biefer,  „wie  gefällt'*  Sir?" 

„Sehr  föön." 

„2Ufo  wirft  $u  ed  componiren?" 

,,3<f)  fytbe  fa>n  einmal  gefagt  unb  wieberhole  es,  idt>  will  feine  Oper 
mehr  idjreiben." 

„So?  baä  wollen  wir  fehen." 

SWerelli  ftecfte  baS  SBudj  in  bie  Nocftafdhe  kerbte,  fdjob  biefen  $\\x 
Ztf&K  r)inaudr  bie  er  oerfäjlofj,  unb  rijf  ihm  zweimal  nadj:  „$u  wirft  e$ 
in  SHufif  fefcen!"  Unb  fo  ift  ftabucco  entftanben! 

2ßeun  man  heute  bie  italiemfdjen  Seridjte  über  bie  erfle  Aufführung 
biefer  Oper  (9.  SHärz  1842)  lieft,  über  bie  Spannung,  mit  ber  fie  er» 


*)  2tud)  ^eOtitt  toüre  nie  int  Staube  geroefen,  eine  oj«era  buffa  zu  fcnretfcn. 


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206 


f)etnridf  (Ettrüdf  in  Berlin. 


wartet*),  über  ben  beifptetfofen  ^thufiaSmuS,  mit  bcm  fie  aufgenommen 
rourbe,  fo  gelangt  man  jur  lieber jeugung,  baß  gemiffe  flunfarfchenumgen 
nur  vom  ttaltenifchen  *publifum  erfaßt  unb  bewunbert,  oon  jebem  anberen 
aber  ferjr  gleichgültig  betrautet,  wenn  nicht  abgetöteten  werben.  Selbft 
heute,  wo  bte  Dpern  93erb4s  in  aßen  2Mttf)eüen  ertönen,  ^at  Wabucco 
nirgenbs  einen  ßalberfolg  errungen;  in  SRaüanb  würbe  er  als  a?errunbiaer 
einer  neuen  2(era  begrüßt.  3lu(t)  bie  „Lombardi  alla  prima  crocciata-% 
bie  in  Statten  faft  gleiches  gurore  erregten,  tyaben  anberSwo  nirgenbs 
bleibenbe  Stätte  gefunben,  obwohl  fic  für  «jkrtS  eigen«  neu  bearbeitet 
unb  in  ber  großen  Dper  mit  bem  £itel  „3erufalem"  oortrefflich  aufge- 
führt würben,  dagegen  erregte  „©rnani",  obwohl  gerabe  biefe  Cper  in 
Italien  ntd)t  überall  mit  gleichem  ©ntrmfiaSmuS  aufgenommen  warb,  in 
£eutfchlanb  bie  2(ufmerffamfeit  berjenigen  &örer,  bie  nicht  oon  oonu 
herein  äffe«  ^talienifdje  oermarfen.  ^cr)  erinnere  mich  „©rnani"  in  SBien 
gehört  ju  tyibtn  (SJtitte  ber  oier^iger  Safyce),  unb  baß  fdjon  bamals  baS 
£uett  beS  ÄönigS  mit  bem  alten  Soloa,  ber  Schwur  (SrnaniS  an 
Snloa,  bie  2lrie  (Sari  V.  im  ©rabgewölbe  unb  baS  barauf  folgenbe 
ginale  als  Schöpfungen  einer  feljr  bebeutenben  Äraft  errannt  würben, 
wogegen  aßerbingS  bie  23raoourarien  unb  manage  2IHegri,  Damals  wie  noch 
jefct,  ben  beutfchen  (Smpftnbungen  jumiber  fein  mußten.  33ei  ber  ßompo* 
fitton  biefer  Oper  hatte  SBerbt  auch  ben  ihm  ganj  jufagenben  £ertbtchter 
gefunben,  $iaoe,  ber  fidj  ieber  2Jnforberung  unterzog,  jebe  verlangte 
3(enberung  fofort  gehorfam  ausführte,  jebe  Saune  beS  SHeifterS  ertrug 
unb  ieben  ©ang,  jeben  Auftrag  willig  übernahm.  $er  Xejtbichter  ber 
brei  erften  Cpern,  Solera,  fyitte  jmar  auch  2ltteS  gethan,  was  SBerbi  oon 
ihm  wollte,  aber  nur  aus  ©efälligfeir,  als  (Sonceffion,  unb  nicht  ohne  eine 
gewiffe  brummige  Selbftänbigfeit.  Seine  anfangs  glänjenbe  Sauf  bahn 
enbigte  traurig.  9)iit  neunzehn  fahren  hatte  er  einen  33anb  ©ebichte 
oeröffentlid)t,  bie  mit  ungemeiner  ©unft  aufgenommen  würben.  $ann  bietete 
er  bie  brei  STeyte  für  SBerbi,  bie  ebenfalls  großes  Sob  gewannen,  obwohl 
fie  fuperlatioe  Silbernheiten  enthielten,  bie  felbft  oon  ben  heutigen  italieni* 
fchen  Biographen  nicht  weggeleugnet  werben.  £>amt  bietete  unb  com; 
ponirte  er  felbft  brei  ober  oier  Dpem.  (Sine  baoon  ließ  er  in  Sttabrib 
aufführen  unb  gewann  bie  ©unft  ber  Königin  Sfabella  in  hohem 
5ttaße.  Xann  oerfchwanb  er  aus  ber  Äunftwelt  unb  tauchte  in  Sfgupten  auf, 
als  —  Spoliseichef  bcS  Äl;ebioe.  ^n  ben  70  er  fahren  jtorb  er  in  $aris 
als  iUntiquitätenhänbler,  oerarmt  unb  uergeffen.  3lud)  feinem  Nachfolger 
bei  üBerbi  war  fein  glücflicheS  SooS  befchieben;  ber  arme  spiaoe,  ber  eine 


*)  ätfodjen  oorfjer  mar  bie  Stabt  erfüllt  Don  ben  örjäölungen  ber  großen  3liti« 
regnng,  weifte  biefe  „ganj  neue  3)iufif  bei  beit  Treben  ergeugt  tjatte,  rote  felbft  bie 
<2tatiften  unb  bte  ^anbioerfcr  iljre  Söewunberung  laut  äußerten.  Unb  ba$  war  bolU 
fontmeue  Wahrheit,  fein  ^mprefariofniff.  £ie  funfmoUe  Mcclame  ift  ein  $robuct 
fpäterer  Seiten. 


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  öiufcppe  Perbi.    207 

SDtotfe  Sibretti  für  beii  SJtoeftro  getrieben  (unter  itjnen  „SRigoletto"  unb 
„2a  £raoiata"),  oerfiel  einer  langwierigen  unheilbaren  Äranff)eit;  aber  oon 
<2orge  für  bie  ©riftenj  warb  er  oon  bem  banf baren  (Sompontften  bewalul, 
ber  ifnu  eine  ^enfion  auSfefcte,  aud)  beffen  fletne  £odjter  reid^lia)  bebad)te 
wie  er  benn  immer  ein  ebleS  ©emütl)  bewährt  ^at. 

3wifdjen  bem  <£rnani,  ber  am  9.  ÜDfärj  1844  juerft  auf  bem  £eatro 
<5enice  in  SBenebig  erfajien,  bis  jum  SRigoletto,  ber  am  11.  SJlärj  1851 
an  berfelben  Stelle  henwrtrat,  t)at  Ißerbi  nidjt  weniger  benn  elf  Dpern 
gefd&rieben,  bie  alle  mein-  ober  weniger  ÜJMfjerfolg  brauten:  „1  due  FoscarK 
,.Giovanna  d'Arco",  „Alzira",  „Attila",  „Macbeth",  „T  masnadieit1 
( „bie  SRäuber",  in  benen  fogar  3enno  Sinb  unb  £ablad;e  auf  ber  £onboner 
italienifdjen  Oper  bie  ßauptpartien  fangen),  „II  corsaro".  „La  battaglia  di 
Legnano",  ,,L'  assedio  d'Arlem",  „Laisa  Miller"  unb  enblidj  „Stiffelio", 
ber  fpäter  jum  „Aroldo"  umgearbeitet,  nur  ein  neues  gtaSco  ergielte.  2llfo 
ootte  fieben  ^afjre  ber  3Hifjerfolge !  2öeld)er  nid)t  italienifdje  Gompo* 
nift  wäre  ba  nidjt  ooflftänbig  entmutigt  worben,  unb  meldjeS  anbere 
^ublifum  hätte  fid&  fo  gebulbig  erwiefen,  bafc  es  ieber  neuen  Oper  mij 
Dollem  Vertrauen  entgegenfam!  2lllerbingS,  ber  @rfolg  beS  „Mgoletto"  recht, 
fertigte  baS  Vertrauen  ber  Italiener  $u  ihrem  Sßerbi  in  nottem  3)to§e: 
er  gab  ifmen  bieten,  bann  „Xrooatore"  unb  „Sa  Sraoiata"  in  unmittelbarer 
#olge  naa>inanber,  brei  Dpem,  bie  noch  jefct,  nach  mehr  als  breifeig 
fahren,  auf  allen  33üfmen  oft  gegeben  werben. 

„SRigoletto"  ift  bem  famofen  SenfattonSftücf  oon  Victor  &ugo  „Le  roi 
s'amuse"  nad)gebilbet,  in  welkem  ber  3Md)ter  ben  flöntg  Jranj  I.  alä 
einen  oollenbeten  Sumpen,  beffen  buefligen  Hofnarren  £riboulet  bagegen 
als  einen  nur  äußerlich  boshaften,  aber  innerlich  ^Öd^jt  eblen  2flenfä)en 
barfteöt,  ber  jwar  feinem  Könige  bei  allen  9^id)tSwürbigfeiten  gern  mit* 
hilft,  aber  im  33ufen  ooetifche  ©efüf)le  bewahrt!  9tur  als  ber  Stönig 
audj  feine  £od)ter  oerfüfnl,  wirft  £riboulet  alle  ©efüf)le  über  33orb,  behält 
allein  bie  ^adjfucht.  $odj  anftatt  biefe  ju  befriebigen,  oerliert  er  bie 
geliebte  £od)ter,  bie  fict)  für  ben  elenben  Verführer  opfert  unb  ben 
sJJ?örberf)änben  liefert,  bie  ber  Vater  für  Plenen  gebungen  fyatte.  $)as 
Stücf  ift  eine  gefdhiefte  3utanwtenfteHung  aller  möglichen  aufregenbften 
DiichtSwürbigfeiten;  felbft  bie  Regierung  SouiS  ^ilippS  burfte  es  wagen, 
bie  weitere  Aufführung  ju  oerbieten  (1832)  unb  baS  Verbot  aufredet  $u 
erhalten  trofe  ber  Verwahrungen  unb  Declamationen  beS  3Mcf)terS,  ber  iid) 
an  ben  flonig  wenbete.  9Wan  fann  alfo  bie  öfterreid)ifd^e  ^Polijei  in 
Venebig  nicht  eines  befonberen  Verbrechens  befdmlbigen,  wenn  fie  ben 
£ert,  ber  urfprünglid)  ben  Sitel  „La  maledizioneu  (£)er  ^lua))  trug, 
entfdjieben  oerwarf,  £ie  Xirection  beS  2$eater3  wollte  oerjweifeln,  benn 
eine  neue  Cper  VerbiS  war  für  bie  ©tagione  oerfünbet,  unb  biefer  tnod)te 
oon  einer  9lenberung  beS  ©toffeS,  ja  nur  beS  XitelS,  nid)ts  Ijören.  @inem 
^olijeicommtifar  war  es  oorbeljalten,  bie  glüdlid^e  Söfung  aller  ©d)wieria- 


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208 


 Jjetnridj  €l?rlidj  in  Berlin.  — 


feiten  ju  finben.  <5r  gehörte  $u  ben  fdfjlimmften  Slugenbienern  unb  Spionen 
ber  gelten  öfterreid&tfd&en  Regierung,  aber  er  befag  einige  Silbung  unb 
oerehrte  SSerbi;  er  fd&lug  oor,  bie  £anblung  oon  granfreid)  in  ein 
f leine«  italienische«  Sänbdjjen  ju  oerlegen,  ben  Äonig  sunt  £er$og  herab* 
Sufefcen  unb  enblid)  [tott  irgenb  eine«  £itel«,  ber  in  moralifdjer  8e= 
Sieljung  jur  $anblung  fiänbe,  einfadh  ben  tarnen  be«  gelben  auf  ben 
3ettel  ju  ftetten.  93erbi  jeigte  fidfj  geneigt  auf  ben  Söorfdfjlag  einjuge^en  — 
unb  fo  ift  „ftigoletto"  entftanben.  £iefe  Dper  wirb  nod)  heute  oon  mannen 
Verehrern  93erbi«,  felbft  oon  mannen  italienischen  SJlufiffritifern,  al«  fein 
9J?eifterroerf  betrautet,  weil  in  ihr  bie  ftärfften  ©egenfäfee  mit  großer 
Äraft  gejetchnet  finb.  (5«  liegt  ettoa«  SBaljre«  in  biefer  Behauptung,  nur 
fann  ber  beutfehe  2Hufiffenner  nicht  oergeffen,  bafj  biefe  Jtraft  fich  ju  oft 
in  SHohheiten  gefiel  unb  aud)  fchroächlidje  ©emetnpläfce,  Xrioialttäten,  nicht 
oermieb.  $ocfj  toollen  nur  betonen,  bafj  einige  Stummem  su  ben  bebeutenb* 
ften  $nfpirationen  ber  italienifdjen  bramatifchen  9ttufif  gehören:  ba«  Cuartett 
im  legten  2lcte,  ba«  Duett  jroifd^en  ittigoletto  unb  bem  ©anbiten,  fein 
Monolog,  auch  ber  9lnfang  ber  ©cene,  al«  er  feine  Xodjter  in  ben  ©emädhern 
be«  ^erjog«  oermuthet;  ba«  Sieb  „La  donna  6  mobile"  ift  aHbefamtt. 

Der  „Erooatore",  ber  jroei  Qahre  nad)  bem  „sJligoletto",  1853  in 
sJJom  gegeben  warb,  t)at  faft  noch  größeren  Grfolg  errungen  unb  toirb 
entfdfjieben  auch  ^eutjutage  noch  öfter«  gegeben.  Dodh  biefer  größere  Erfolg 
ift  nid)t  bem  höheren  Sßerthe  ausschreiben;  bie  Oper  enthält  mit  2lu«* 
nähme  be«  l)Öc^ft  roirffamen  „SRiierere"  im  legten  3lcte  feine  SRummeT, 
bie  einen  SBergleich  mit  ben  oben  angeführten  Scenen  be«  „Sfligoletto"  bes 
ftet)en  fömtte.  Dabei  ift  ba«  Libretto  (einem  fpanifchen  Drama  nachgebilbet) 
oon  einer  fo  unglaublichen  Ungereimtheit,  bafj  felbft  23erbi«  begeifterter 
Biograph,  Gaponi*),  ber  Sßarifer  (Sorrefponbent  ber  „^erfeoeransa", 
ba«  ©eftänbnifj  ablegt,  er  habe  nun  feit  fahren  ben  „Xrooatore"  gehört 
unb  nod)  nie  ben  eigentlichen  Bnfyait  ber  föanblung  su  entbeden  oermod)t. 
Slber  biefe  Oper  enthält  eine  fet)r  grofee  Slnjahl  ^arabearien  für  oer* 
fchiebenartigfte  Sänger  unb  Sängerinnen:  für  bie  Sopranhelbin  Seonore, 
für  bie  unoerftänbliaje  alte  3igeunermutter  2ljucena,  für  ben  Saroton* 
2Bütf)erich  £una;  unb  nun  erft  für  ben  Xroubabour  felbjt,  welche  $u«= 
beute!  tiefer  3)ianrico  mit  feinem  äJerjroeiflung^ioaljer:  „O  meine  3)totter, 
id)  fei)  Dia;  fterben!"  mar  unb  ift  bie  unoermetblid&e  Hauptrolle  jebe« 
„^elbentenor«",  ber  ein  \)ofy&  C  in  feinem  Söruftfaften  beherbergt.  3eber 
ift  ja  unzähliger  ^etoorrufe  fid/er,  roenn  ihm  biefe«  C  gut  gelingt.  £ie 
„Italiener"  Xomberlicf  bi«  3Kierjn)in«fi,  bie  Deutfa)en  2Badhtet  bi«  «ötel, 
haben  mit  biejem  C  bie  größten  Triumphe  gefeiert;  unb  felbft  bemann, 
ber  grojje  ea)te  Deutfche,  ber  äöagnerfänger,  hat  ben  SHanrico  öfter«  bar* 


*)  (Sr  Ijat  cigcntlid)  feine  felbftäiibige  23ioßrap&ie  «erbt«  getrieben,  jebo*  bic 
tranäöfifdje  oon  $ougin  überfeßt  unb  mit  oielcn  iotd)tigen  3ufä^en  oerfe^en. 


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  (Siufeppe  Vevbi.    —  209 

gefallt.  2Ba3  oermögen  otte  äfttjetifd^cit  Siebenten  gegen  berartige  ©rfolge? ! 
911$  einft  in  Berlin  in  ber  23ogelau$ftettung  beS  2lbenb3  bie  eleftrifdjen 
Rampen  angejfinbet  würben,  fingen  alle  &afme  §u  fragen  an  unb  oiele 
Sögel  fangen;  Tie  gelten  ba$  eleftrifdje  für  XageSlid&t;  toer  oermndjte 
ifwen  beizubringen,  bafj  nid)t  bie,  nml)re$  Sidjt  unb  SBärme  erjeugenbe, 
bie  fä)öpferifä)e  (Sonne  lewfjtete?  Unb  wer  null  bem  jubelnben  Raufen 
begreiflid)  machen,  baß  au$  foldjer  flraftanftrengung,  n>ie  bie  oben  besetdmete, 
nio)t  bie  Sonne  ber  ßunft  teudjtete,  fonbem  ein  ffinftUdjer  6ä)ein? 

SBiel  bebeutenber  alä  ber  „Xroubabour"  ift  „2a  Xraoiata",  bie  !aum 
fed#  23oa;en  nacr)  bem  erften  (Srfdjetnen  bes  erstgenannten  am  6.  2ttär$ 

1853  in  Söenebig  gegeben  nmrbe  unb  burd&ftct.   Sßerbt  fdjrieb  an 

feinen  greunb  3ttu5io: 

lieber  Immanuel!  ©eftern  Sraoiata  —  giaSco!  3ft'$  meine 
ea)iüb,  mar'*  bie  ber  ©änger*)'?  $ie  3«t  roirb  rieten." 

<Sr  behielt  9ieä)t.  SDic  Oper  &at  auf  allen  Sühnen  &eimat3redjt  er* 
langt  unb  He  Hauptrolle  ift  noa)  immer  eine  ^arabeleiftung  aller  be= 
beutenben  itaüenifajen  ©ängerinnen.  £afj  bie  fianblung  eigentliäj  an= 
toibernb  ift,  oerben  toofjl  nur  nod)  ÜBenige  beftreiten.  2>a&  eine 
„Sraoiata",  naöbem  Tie  fia)  in  grofjmütfnger  Aufopferung  oon  bem  Reifes 
geliebten  SHanne  trennte,  boäj  nueber  mit  einem  anberen  ßerrn  jroeifel^afte 
Me  befudjt,  magoiefleid)t  pfndjologifa)  richtig  fein;  ebleren  ©mpfinbungen 
entfprify  es  nidjx  3Iber  SBerbi  fyxt  aus  biefem  «Stoffe  mit  nxu)rf)aft 
genialer  21uffajfung  mufifalifdje  Anregungen  gefdjöpft  unb  manage«  6d)öne 
gefa>affen.  $er  erffe  unb  ber  lefcte  9lct  enthalten  fefjr  wirffame  dummem, 
unb  ba$  ginate  beS  brüten  ift  in  fetner  21rt  ein  SReifterfrüd. 

$laä)  ber  „Sraäata"  braute  33erbi  jmei  ^re  lang  fein  Söerf  auf 
bie  23üfme.  $ann  tiat  er  mit  ben  „Vepres  Siciliennes"  in  ber  großen 
^arijer  Dper  fjeroor.  $Diefe  „Academie  Imperiale  (ober  Royale  ober 
R^publicaine)  de  mtsique",  wie  ba£  3nftitut  je  nad&  ber  befte&enben 
Regierung  benannt  torb,  ift  oon  iet)er  fremblanbifdj>en  (Somponiften  fet)r 
jajroer  jugangtid);  unb  ifn*e  2lufforberung  an  $erbi,  für  fie  eine  Dper 
SU  componiren,  galt  U  eine  ganj  befonbere  2lu3$etdmung*).  $aä 
Sertbud)  mar  oon  <3cribe  oerfafct  unb  be^anbelte  ben  befannten 
blutigen  2lufitanb  ber  (Sicilianer  gegen  bie  granjofen  am  Dftermontage 
1282  mit  bem  großen  $Bülmengej(t)tde,  ba$  jener  Mern)elt$s$>id)ter 
immer  fiegretdfj  betoäfnl  $at.   3Iber  bie  5flufif  gefiel  niä)t.   SBerbi  mar 


*)  ISinigermaBeu  war  B  woI)l  bie  Sdntfb  ber  Säuger;  bie  3)arftctterin  ber 
SSioletta,  bie  an  ber  Sdmunfudjt  ftirbt,  mar  eine  ber  fettefteit  2Ijcater*$amen  unb 
erregte  allgemeine  fteiterteit.  , 

**)  ©ett  SHofftni  —  belöapeümeifter  be*  seönigS  Sfarl  X.,  alfo  in  frangönfe^en 
ICienften  mar  —  ben  XttL  fütbte  grofee  Oper  componirt  ^atte,  warb  nur  nod)  einem 


^Italiener,  3)oniäctti,  bie  (S^re 
aufführte:  „U  favoritc". 


u  Xöeil,  bafe  bie  Academie  rojale  ein  äöerf  oon  tl)m 


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2\0 


  Beinrid}  €fjr(id?  in  Berlin. 


nie  glücfltd),  wenn  er  beim  Staffen  feiner  £onbilber  ben  9tor)men  ber 
grofjen  franjöftfdjen  Dper  im  2luge  fjatte.  3$  bin  weit  ent;ernt, 
barob  einen  Vorwurf  gegen  ifm  ju  ergeben;  in  meinen  2lugen  ift  ei  ein 
33orjug,  bafc  er  am  beften  compontrte,  wenn  er  gan§  feiner  italienifdjen 
2Öefen§eit  treu  blieb.  2)ie  „Vepres  Siciliermes,4'  in  meld&en  bie  (Sruvetli*) 
bie  Hauptrolle  (jatte  (bie  ^arifer  nannten  fie  röle  ä  bras,  2(rmroHe,  weil 
bie  iDame  ifnre  frönen  9(rme  jetgen  fonnte)  würben  für  Italien  at§  ©iouenna 
ba  ©ujman  umgewanbelt,  gefielen  aber  au<$  bort  rttd^t.  (Sin  nodj  f$lintm;re3 
(Scrjidfoi,  einen  totalen  SJHjjerfolg  t)atte  bie  nädrfte  Dper,  „(Simon  ©ccca= 
negra",  beffen  Xertbucf)  oon  ^ßiaoe,  nad)  bem  <Sd)tlIer'fcr)en  „gieäco",  :ed>t 
fcr)[ed)t  gearbeitet  war.  $>aä  ,"yia3co  blieb  ftd)  bei  einer  2Bteberaufna}me, 
25  -3al;re  fpäter,  jiemlicf)  gleidf),  obwohl  ber  geniale  &id)ter*Gomponift 
Sotto,  oon  bem  in  ber  gofge  nod)  gefprodjen  wirb,  bem  Xertbud)e  eine 
ganj  anbere  ©eftalt  gegeben  hatte  unb  aud)  oom  Gomponiften  2fenberungen 
unb  Erweiterungen  angebracht  worben  waren.  2lber  alle  biefe  Statten 
fd)wanben  oor  bem  ©lanje,  ben  1859  „II  ballo  in  mnschera"  um  ftd) 
oerbrettete.  $ie  Dper  war  für  Neapel  gefdnieben,  foHte  f$on  1858 
aufgeführt  werben.  2lber  bie  (Senfur  oerbot  ba£  Sibretto,  baä  eigentlid) 
nur  eine  Ueberfefcung  beS  Scribe'fd)en,  oon  3luber  comrtmirten,  genannt 
werben  fonnte,  ba  e$  ilmi  Scene  für  6cene  folgte.  %a$  Crfinifdje 
Attentat  gegen  £ubwig  Napoleon  fjatte  alle  ^olijeibe^öiben  unb  nun  gar 
bie  italienifdjen  in  ^ödt)fte  Aufregung  oerfefct.  Diefe  bwften  nidjt  erlauben, 
ba&  ein  flönig^morb  auf  ber  Sfifme  bargeftellt  würbe**).  Sie  beftanben 
auf  $eränberung  bes  £erre$,  ^erbi  oerweigerte  es,  ber  neapolitanifc^e 
3ntenbant  oerlangte  Sdjabenerfafc,  $erbi  antwortete  ^eftig;  ba§  ^ublifum 
nafnn  Partei  für  ifm;  wo  er  fidj  jeigte,  würbe  er  ntt  bem  sJiufe"  Ewiva 
Verdi!  begrüfctf).  ed)liefj(id)  entbanb  if)n  bie  Regierung  ber  topflicbtung 
unb  ber  „23aUo"  warb  im  nädjfien  ^afjre  in  sJtom  gegeben,  aüerbmg*  in 
ber  iBeränberuiig,  bafe  bie  ftanblung  in  3lmetifa  fsielt  unb  ber  ©etöbtete 
ein  ©ouoerneur  ift.  SJerbi  genofe  {ebenfalls  bie  ©enugtf)uung,  feinen 
Stilen  burd)gefefct  5U  l)aben,  unb  gewährte  bem  dtömiföen  ^mprefario 

*)  ®opI)tc  (SruoeUi,  eigentlich,  (Srüucll  aus  söiclefcll*,  mar  mit  einer  rounberbar 
idjöncn  unb  fräitigen  Stimme  begabt,  aber  uoüftänbige  SRcturalifiin.  3n  ßonbon  gefiel 
iie  uid)t,  erreflte  bagegeu  (f-nthufiaimuB,  in  v4!ariä,  too  fic  werft  in  ber  italieniicbcn  Oper 
'.Jkrbi'fdje  Partien  fang,  bann  aber  1854  fon  ber  tteabetnie  3mperiale  mit  glänsenbem 
Honorare  angettjorben  marb.  l.SöG  beiratbetc  üc  ben  üöoron  SSigicr  unb  lebte  meiftenS 
auf  itjrcr  iUUa  tu  DHj^a. 

**)  3*  öabe  ben  ^uber'jciien  üJiaöfenbaU  in  Siiien  flefetjeu,  in  ben  30er  3ab,rcu. 
Xort  toar  uid)t  bloö  ber  Sröitig  tu  einen  ^erjog  üeimonbelt  toorben  —  er  würbe 
aud)  gar  nidit  cimorbet!  in  bem  Momente,  ah  Sincfarftröm  bie  ^iftole  gegen  ibu 
lojbrüdte,  crfd>ictt  bie  ii.;al)rfagerin  be£  3tueiten  ?lcte§,  unb  gab  bem  2lrm  beö  3)JÖrberS 
eine  9iid)tung  nad)  oben,  ba8  Sifrol  fenofe  in  bie  l'uit !  iScr  miü  ba  nod)  bie  italicnifdje 
^olisei  lädjerlid)  finben? 

t)  25icfer  9luf  rjatte  bamalö  eine  tiefe  foütifdjc  Seöeutung:  Vittoro  Emmanuelo 
Re  d'Italia!  Sa*  ahnten  bie  ^olijeiorgane  aüerbinqS  uid)t. 


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  (Sutfeppc  üerbi.    -  2\\ 

3acoD<mt  ba£  3uüeftänbni§,  ba3  er  bcm  neapolitanifdjen  ffntenbanten  x>ti- 
weigert  fptte« 

SBo^t  in  feiner  Dper  SBerbte  tritt  feine  bramatifdje  ©eftoltungäfraft, 
unb  in  fo  edjt  nationaler  @igentf)ümlidjfeit,  fyeroor,  aU  im  „ballo  in 
maschera".  $)abei  tft  fie  mit  anerfennenSroerttyer  Sorgfalt  gearbeitet  unb 
inftrumentirr,  unb  jiemlidj  frei  von  Xrioialttäten.  $a3  9Jtotiü  ber  %$ex* 
idjroorenen  im  erften  9lcte,  ba3  f$on  in  ber  Einleitung  al$  Sugato 
erfdjten,  unb  oft  roieberfef)rt,  ift  fefjr  (fiaraftertftifd)  unb  originell;  ber 
jroeite  2lct  enthält  einige  Hummern,  bie  unbebingt  als  bie  beften  ©rjeugs 
niffe  ber  italienifd^en  bramatif^en  9ftufif  be5ei<§net  werben  tonnen:  fo 
bai  $)uett  sroifc^en  2lmalie  unb  ber  SSaljrfagerin,  unb  befonberä  ba* 
Cuintett  jnrifdjen  bem  uerfleibeten  ©ouoerneur,  bem  Otogen,  ben  beiben  $er* 
jd)roorenen,  ber  2öaf>rfagerin,  in  roeldjem  iebem  Einzelnen  eine  ganj 
c^arafter iftif d^e  2)ielobie  jugeroiefen  ift,  bie  bann  im  3U1 antni cnfCufTc  eine 
fefjr  fdjöne  Sßirfung  erzeugen;  in  biefem  Stüde  tritt  audj  bie  3nftrumentation 
bebeutfam  tyeruor.  Ülud)  ber  britte  2lct  bringt  9)?and)e£  in  ©rfmbung 
unb  gefd&itftefter  2luäfü§rung  gleid)  2Öertf)oolIe.  sil6er  aud)  ba$  uom 
fünjHerijdjen  Stanbpunft  aus  betrautet  Unbebeutenbe  ift  ungemein  nrirffam; 
fo  3.  8.  baä  leibenfä>aftlid)e  2Megro  in  A-moll  ,;/s  £act  in  Terzett,  ba 
bie  Stimmen  in  Cctaoen  auf*  unb  abrollen.  $)a$  finale,  ber  Spottdjor 
ber  (koaliere,  ift  ein  fleineä  9fleifterftücf  ber  G^arafteriftif,  iebenfalla  ein 
SWußerjHUf  beä  SöüljneneffectS.  2lllerbing$  mu§  id)  bemerfen,  bajü  biefer 
britte  Hct  nur  oon  edjt  italienifdjen  Sängern  in  tt)rcr  Spradje  5ur  redeten 
Geltung  gebraut  toirb.  $en  2)eutf<fjen,  audj  ben  beften,  fefjlt  ber  ,,brio-\ 
ba3  nur  auf  ben  ©ffect  loSge&enbe  Temperament,  bie  (Mäufigfeit  ber 
3unge,  bie  mit  ber  meinen  italientfdjen  (Spraye  unb  ben  beim  ©efange 
jufammengejogenen  (Snboocaleu'  innig  sufammenfjängt,  bie  patf)etifd)e 
Seclamation,  ©genfdjaften,  roeldje  au<$  bie  prime  Donne  unb  primi 
Uomini  ^weiten  9iange$  bergen,  unb  mit  rceldjen  fie  bei  3)tofifftü<fen, 
roie  bie  obenerwähnten,  ba3  ^idjtige  treffen. 

SKeine  S3emerfung  barf  bie  beutfdjen  5lünftler  nidjt  beleibigen.  3ft  e3 
ifnien  red^t,  wenn  id)  fage,  bafc  bie  Italiener  bie  „3auberflöte",  „IJibelio", 
„5reifd)üfc"  u.  f.  w.*)  niemals  ridjtig  fingen  roerbtm,  fo  mufc  i^neu  billig 
fein,  bafj  id)  anbrerfeits  ben  Italienern  if)r  gröfeere^  ^edjt  auf  ben  brüten 
5lct  beä  „ballo"  juerfenne.  $)er  oierte  2lct  ift  redjt  fdjroacf);  aber  bie 
grojje  23aritons2lrie  ift  ein  ^parabepferb  aller  berühmten  Sänger,  auf 
bem  aud)  bie  Seutfdjen  gerne  reiten;  SHeidjmann  l)at  fie  felbft  in  einem 
„£ieberabenb"  bei  ßroll  oorgetragen.  3m  fünften  2lcte  bringt  bie  Sd)lufj= 
fcene  eine  gute  Sirfung  ^eroor.   Sittel  in  3lllem  genommen,  ift  ber 


*)  9)lau  faßt,  9lid)arb  äikflnerä  „20^1191111"  fei  in  Bologna  oortrcfflid)  luicber« 
gegeben  worben.  35ie  flnffübrunfl  in  ber  aKaiionber  Beda,  bie  id)  im  Wprit  b.  3- 
gehört  babe,  war  eine  fetjr  i'c^roa^e. 


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2\2 


fjetnridj  €fyrltdj  in  Berlin. 


„ballo  in  masebera"  eine  bebeutenbe  (Srfdjetmmg  in  ber  italienifdhen 
Opernentroidelung;  unb  es  ift  eine  grage,  bie  nur  bie  3eit.  löfen  fann, 
ob  „2ltba",  bie  fünftlerifd^  bebeutenb  höher  fteht  als  ber  „ballol\  biefeO>e 
bauernbe  SebenSfraft  bewähren,  in  gleichem  2Rafee  als  ed^t  national 
ttalienifches  Söerf  roirfen  wirb. 

Die  „2liba"  roar  nicht  für  Italien  gefdjrieben.  9Jach  bem  ,,ballo'* 
componirte  Stferbi  fiebjefm  %crt)xt  lang  nur  int  Auftrage  auSlanbifdher 
Sühnen;  „La  forza  del  destino"  für  «Petersburg  (1859  &um  erjten 
3Me  gegeben),  „Don  Gartos"  für  bie  ^arifer  grojje  Dper  (ÜHärj  1867) 
unb  enblitt)  bie  „Sliba"  für  Gairo  (1871).  „La  forza  del  destino"  hatte 
roeber  in  Petersburg,  noch  in  Italien  einen  rechten  ©rfolg  aus  oerjd}iebenen 
©rünben:  ber  Dert  ift  greulich,  bie  fcanblung  faarfträubenb,  bie  Sttuftf 
nicht  recht  Skrbifdj;  bennod)  oerbient  fie  in  »ieler  &inftcht  3lnerfennung; 
bie  SBehanblung  ber  Sfecitatioe,  bie  Declamation,  baS  Dräjefter  jeugen 
oon  eben  fo  großer  Sorgfalt  als  Begabung.  211S  bie  Dper  in  Berlin 
oon  einer  jiemlid)  mittelmä&igen  italienifchen  ©efellfchaft  bei  ärott  aufge^ 
füt)rt  rourbe  (nur  bie  ^rimaborma  Saurel  roar  eine  oortreffüdje  Sängerin), 
erregte  fie  bie  2lufmerffamfeit  unb  X^eitna^me  ber  gefammten  Ärttif. 
2lber  2^eaters@rfolg  fonnte  fie  nidjt  erzielen,  unb  bie  romifdj  fein  foffenben 
Gpifoben,  bie  ©rfdjetnung  beS  belfemben  fllofterbrubers  jeigten  nur,  bajg 
in  23erbi  nicht  bie  ©pur  einer  humoriftifchen  Slber  oorfjanben  ift. 

3m  „Don  GarloS"  I)at  58erbi  ben  ÜKerfud)  angebellt,  feinen  Stil  gan$ 
nach '  ber  £rabition  ber  parifer  großen  Cper  ä  la  aflenerbeer  unb  &aleun 
umjuformen,  unb  ein  3roitterroerf  ju  Stanbe  gebraut,  mit  großartigen  ©injek 
Reiten,  ohne  2£irfung  als  ©anjes.  dagegen  gelang  es  ihm,  in  „2liba"  ein 
ganj  einheitliches  Sßerf  ju  fc^affen,  feine  beften  Gräfte  jufammen  ju  faffen 
unb  in  fo  prächtig  roirffamer  SBeife  $u  entfalten,  bafc  biefe  ättufif  in  ber 
£hat  in  oielen  &örern  ben  ©ebanfen  erroeefte,  SBerbi  habe  einen  neuen  Stil 
gefdjaffen.  9lber  bem  roar  nicht  fo,  unb  baS  33erbienft  beS  SBerfeS  foU  barob 
nic^t  im  minbeften  gefdmtälert  werben.  Der  Stoff  gab  bem  ßomponiften 
©elegenheit  ju  neuen  originellen  melobifd)en  unb  hünuonifdjen  S&enbungen, 
unb  grembartigeS  mit  feiner  2Befenr)eit  ffinftlerifdj  ju  oerfchmeljen.  „Sliba" 
roar  auf  bie  Anregung  beS  „funftliebenben"  (unb  bie  geUa  fdjinbenben, 
alle  möglichen  (Schulben  machenben,  aber)  höchft  eleganten  SöicefönigS  oon 
(Sgnpten,  ^Smail  ^afcha,  gebichtet  unb  gefegt,  bem  eS  nicht  barauf  anfam, 
150  000  granfen  (6000  ^fuub  Sterling)  5U  jahlcn,  bamit  bie  „premicre* 
ber  Cper  beS  berühmteren  italienifchen  Gomponiften  in  feinem  DpemhauS 
in  (Sairo  ein  paar  SBochen  oor  ber  in  ber  sJHaüänber  Scala  flattfinbe. 
Der  fran5öftfche  allgemein  befannte  h0^9^tete  ßgnptologe  SKariette 
fd)deb  ben  ©ntrourf  ber  ^anblung,  ber  italienifche  Dichter  ©histanjom 
faf?te  iljn  in  2?erfe,  ^>crr  be  ^ocle  überfefete  biefe  fpäter  in'S  granjöfifche. 
'^erbi,  ber  bei  ber  2lnnahme  beS  oiceföniglichen  Antrags  bie  SJorbebingung 


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(Stufeppe  Perbi.   


2J3 


cjefteüt  hatte,  baß  tfmt  ber  ju  unterbrcitetibe  Stoff  anftehe,  fanb  an  ber 
tief  tragifd)en  &anblung  großes  ©efaffen*)  unb  componirtc  bie  Dper  mit 
Siebe  unb  Sorgfalt.  £>ie  ihm  ehtgefenbeten  altegnptifchen  3Mobieen  oer* 
roenbete  er  mit  großer  ÜWetfterfdjaft  unb  93fihnenfenntniß,  unb  oerftanb 
aud)  feinen  Criginalmelobieen  eine  gennffe  eigentümliche  Färbung  ju 
ge6en.  £ierburdj  ift  bie  3bee  entftanben,  baß  er  in  „2Iiba"  einen  neuen 
Stil  gefchaffen  ^abe.  (53  liegt  Ijier  berfelbe  Jatt  oor  wie  in  „Carmen", 
ba  33i$et  ben  fpamfehen  Socalton  faft  überall  in  ÜRefobie  unb  Harmonie 
fo  5U  fagen  mitflingen  läßt,  unb  bodj  feine  eigene  fünftlerifche  SBefenfjeit 
ooflftänbig  bewahrte.  „Sliba"  enthält  einige  febr  fd)öne  ^hmtmern  oon  tiefer 
(Smpfinbung  unb  groger  bramatifcher  SBirffamfeit.  ©leid)  bie  erfte  2trie 
ber  „3liba",  bann  bie  im  britten  2lcte  unb  i^r  $uett  mit  9?t)abame$,  bie 
©eridjtäfcene  unb  bie  Schlußfcene  finb  SJleifterroerfe  echt  italienischen 
Stilen.  Sie  Cper  hätte  rooljl  oerbient,  baß  ber  Xert  oon  einem  bidjterifä) 
begabten  2J?anne  in  beutfdje  Sprache  überfefet  unb  nicht  oon  einem  ^fufdjer 
oerftümmelt  mürbe**).  $aß  fie  trofc  biefer  abfdjeuKdjen  2Radjerei  bod) 
auf  allen  Dülmen  ftc^  erhalt,  unb  nicht  bloß  (Srfolg  beim  großen  ^ublifum, 
fonbern  auch  bauembe  3lnerfennung  emfterer  SBeurtfjeUer  gefunben  tyxt, 
giebt  fcerebteS  3wgniß  für  i^ren  SBertt).  9lud)  fei  ganj  befonbera  hers 
oorgehoben,  baß  in  ber  ganjen  Cper  fein  eigentliches  ^arabeftüct  für  bie 
Sänger  oorbrtnglidj  erfcheint,  baß  alle  2lrien  oornelmt  unb  im  bramatifd;en 
Stile  entworfen  unb  ausgeführt  finb. 

SRadj  ber  „2liba",  bie  (Snbe  Secember  in  Gairo  jum  erften  9Jkle  aufs 
geführt  mürbe,  hat  93erbi  üierjefjn  3af)re  lang  feine  Dper  mehr  auf  bic  Sühne 
gebraut,  bagegen  ein  firdjlicheS  3Sterf  gefä)rieben,  ein  „Kequiem"f)  ba£ 
oon  ber  3)toilänber  St.  SHarcuSfirche,  roo  e$  juerft  (9)iai  1874)  erflang, 
nach  Dcm  Teatro  della  scala  unb  bann  in  alle  (Soncertfäle  (Suropaä 
toanberte.  3d)  muß  mich  gleich  oon  oomherein  §u  einer  geiuiffen  Vorliebe  für 


*)  (Saponi,  ber  italienifä)e  Öiograplj,  ben  icb,  fdwu  im  Slnfange  biefer  Gtubte 
genannt  fiabe,  berfidiert,  baß  eine  fcauptfeene  »cm  33erbi  allein,  juerft  in  $rofa  ge» 
fdjrteben  war:  baB  unterirbifdje  ©eridjt  unb  bie  Skrurtyeüung  9lbyabame$,  mäfjrenb 
Ammert»,  bie  iftn  licbenbe  Sfomg8tocf)ter  im  oberen  Xempelraumc  i^re  klagen  mit  ben 
büftcreu,  au»  ber  liefe  erfdjallcnben  Xbnen  Bereinigt. 

**)  $ier  ein  ^röbaicn: 
$ie  EBorte  ber  Xbörin,  o  ©ötter,  fdjlagt  uieber  (!!), 
2>em  Söufen  be«  SBaterS  bie  fcoajtcr  gebt  wieber, 
Sie  Horben,  bic  Horben,  bie  Horben  oernidnet,  ^erfreuet  ben  fteinb! 
2er  wißbegierige  ßefer  mag  im  beutfdjen  Icrjbucf*  meiter  nadjforfdjeu ;  er  wirb 
berarttgrö  noeft  in  $uDe  finben. 

t)  toar  (für  bic  lobtenfeier  3Ucffanbro  aJtangoni»,  be3  berühmten  2>icf)tcr$, 
gq^rieben,  beffen  „Promessi  sposi"  in  ganj  (Europa  befannt  finb.  Weniger  be« 
tannt  ift  e«,  bafe  ©octJje  über  3}ianaoniä  „(Sürmagnola"  jwet  f et) r 
lange  23ef precb,ungen  Deröffentlidjtc  unb  bott  bem  Sidjtcr  einen  langen 
^antbrief  erhalten  hat. 


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2^    fjeinridf  (Etjrtid)  in  Berlin.   

btefeö  .,Requiemu  befennen;  mag  fie  manchem  geftrengen  $errn  „unbeutfdj" 
erfahrnen,  tä)  fu^le  aber  ni<$t  bie  leifefte  innere  SWalmung  fie  ju  »er* 
fjefjlen.    $ie  Seier  oon  „ftorb  unb  Süb"  werben  fi#  oiettei^t  meiner 
Stubie  über  „3ohanneS  SkalmtS"  erinnern,  meiner  ©efüf>le  für  fein 
„SeutfdjeS  Requiem",  fein  „SdjicffalSlieb"  u.  f.  m.;  fte  werben  ba* 
tjer  aud)  nidjt  erwarten,  ba§  i<$  Vergleiche  anftelle,  mich  aber  Der* 
fte^en,  wenn  id)  fage,  biefeS  SBerbi'idje  ijl  als  fatholifdje  fluchen* 
compofition  bie  befie  ber  lefeten  fünf jig  3al)re;  fte  fte^t  im  (Trufte  unb 
im  Sdjrounge  weit  ()ö()er  als  9tofftniS  „Stabat  Materu,  ja  in  wahrhafter 
warmer  ©mpfinbung  überragt  fie  ba£  ^erubini'fd}e  „Requiem"  baS  freilich 
ben  contra  punftifchen  Vorbebingungen  beS  ÄirchenftilS  in  ungleich  bebeuten* 
berem  ©rabe  entfpridjt.   ©S  erflingen  aus  SBerbiS  ©ompofition  Stellen, 
bie  oon  wahrhaft  religiöfer  Stimmung  jeugen ;  unb  hätte  er  niä)t  geglaubt, 
audj  Jugen  anbringen  5U  muffen,  fo  wäre  an  bem  Söerfe  faft  nichts  aus* 
■miefcen,  es  ftänbe  —  immer  com  romanifch-'fatholifchen  Stanbpunfte  beur= 
tfjeilt  —  als  ein  ooüftänbtg  einheitlich  gelungenes  ba.  3lber  contrapunftifchen 
^eriudjen  fottte  SSerbi  fern  bleiben;  für  gugen  diebt  es  feinen  nationalen 
Stanbpunft,  fonbern  nur  ben  einen  allgemeinen  beS  fünftlerifchen  ®e* 
fefces,  baS  bie  alten  itatienifdjen  flirchencomponiften  in  fdjönfter  Söeife 
feftgeftellt  l)aben;  unb  oor  biefem  fönnen  bie  Verbuchen  33erfuche  feine 
Prüfung  beftehen.     £ od)  für  biefe  nur  feltenen  Ausweichungen  auf 
frembes  gelb  entfäjäbigeu  bie  reichen  Schönheiten  beS  ihm  ^eimifa^en. 

9toa)  bem  „Requiem"  fdjroieg  33erbi  gänzlich.  3roar  begannen  einge* 
wei^tsfeins^öollenbe  gegen  ©nbe  ber  70er  3a^re  5U  flüftern,  bajj  er  an 
einem  neuen  großen  2öerfe  arbeite  ober  wenigstens  barüber  brüte;  aber 
er  r)atte  allen  2lnfragen  gegenüber  nur  ein  beftimmteS  9?ein.  93on  ier)er 
war  es  ifjm  ©ewofmbeit,  feinen  Sanbfifc,  Sant  9lgata,  als  ben  föufjeort 
barmfteQen,  in  welkem  er  gar  nicht  an  SRufif  backte,  nur  9luhe  genießen 
wolle,  unb  in  bem  ber  33efud)er  ein  Glaoier  fänbe,  baS  nicht  allein  ganj 
oerftimmt,  fonbern  auch  olme  Saiten  wäre.  %m  Allgemeinen  fprad)  er 
bie  oolle  ^i>af)rt)eit ;  beim  eigentlich  componirte  er  meifteuS  in  ©enua,  wo 
er  ben  hinter  ^brachte;  bod)  wenn  ilm  bie  sJ)Iufe  in  Sant  Agata  befudjte, 
hielt  er  il>r  bie  £hür  nicht  oerfchloffen,  befonberS  feitbem  neben  bem  oer= 
ftimmten  unbefaiteteu  ^njtrument  ein  prächtiger  <5rarb*glügel  fia)  einge* 
[teilt  hatte. 

2Jttt  bem  „Ctello"  t)atte  es  allerbingS  eine  eigene  SeioanbrnitJ. 
^erbi,  beffen  mufifalifdje  ^antafie  uon  ben  büfterften  tragiidjften  $anb* 
lungen  am  lebhafteren  angeregt  wirb,  trug  fia)  fdjon  lauge  mit  bem  ©e* 
banfen  einer  Dper  naä^  bem  gleichnamigen  Urania  Sf)afefpeareS.  2>aß 
eine  foIct)e  bereits  oon  ^offmi  gefdjricben  worben,  fonnte  ifmt  feine  be« 
fonbere  ^ebenfen  erroedeu,  beim  ber  3{o|Tmi'fd)e  „Otello"  ift  in  £ept  unb 
SDiufif  noch  weiter  oon  SljafefpcareS  ^Drama  entfernt,  als  b*r  gifchmarft  in 
Bologna,  oon  33enebig  unb  (Supern.  3a>ar  gehören  bie  jwei  legten  3lrien  ber 


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  (Biufeppe  Dcrbi.  — 


215 


'JJeäbemona  ju  ben  fd^önften  Eingebungen  ber  italtenifapen  £onmufe,  bie  felbft 
von  geftrengen  beutfdjen  Äunftriäjtern*)  ancr!annt  würben;  bagegen  finb 
„Dtfjeflo"  unb  „ftobrigo"  unb  alle  Nebenfiguren  Garricaturen;  bie  Duoerture 
tonnte  als  fc^r  wirffame  ©inleitung  einer  fotmfd&en  Cper  oerwerttyet 
werben.  SBerbi  jebocjj  war  ber  redete  Sflann,  bie  (S^afcfpearc'fd&e  Sragöbie 
rid&tig  erfaifen.  9lber  er  beburfte  auaj  beS  nötigen  9ttanneS,  ber  fie 
ifnn  jum  Cperntcrte  umwanbelte,  unb  babei  ber  Xidjrung  treu  blieb, 
unb  biefen  fanb  er  in  Slrrigo  $oito,  einem  ber  genialsten  ßünftler  bee 
neuen  Italien,  geboren  1842.  ©r  f)at  als  Sidjter  ferjr  e$öne$  gefdjaffen, 
noä)  mein-  aber  ate  Gomponift.  Seine  Oper  „SRcfiftofele",  beren  £ert  er 
ben  beiben  feilen  oon  ©oetbeS  „Jauft"  mit  Helena  unb  ber  legten  $er* 
fläruug3fcene  nad>gebid>tet  fjat,  ift  reia)  an  genialen  Momenten:  einzelne 
Nummern  finb  fjoä)bebeutenb ;  unb  man  muß  fc^r  bebauern,  bafc  33oito 
anftatt  auf  ber  mufifaltfä)  bramatifa^en  £aufbaf)n  rüftig  weiter  fortschreiten, 
ben  (Scljmierigfeiten,  benen  er  begegnete**),  ntdjt  bie  julefct  gewiß  fiegreidje 
2lu$bauer  unb  Energie  entgegenfefete,  ben  $idf)ter  in  il)m  über  ben  SHuftfer 
ftedte,  unb  anftatt  für  ficf),  für  anbere  Gomponiftenf)  Xerte  bidjtete.  Gr 
fennt  bie  beutfdje  ÜJZufif  genau,  befonberä  33adj  unb  —  2Öagner,  beffen  Gin^ 
fluß  in  feinem  „9)lefiftofele"  oft  erfennbar  ift;  unb  er  würbe,  wenn  er  fid) 
wieber  $u  einer  muftfalifdjenSljat  entfd)löffe,  jefct  nad)  ber&lärung93ebeutenbe* 
unb  Grfolgreiajea  fdjaffen. 

X\e  $rage,  wann  SSerbi  ben  „CteUo"  begonnen,  wie  lange  er  baran 
gearbeitet  f)at,  würbe  in  ttalienifdien  3eitfdfjriften  unb  Sfidjeldjen  öftere 
befjaubelt,  ofme  bafc  be^wegen  eine  fidlere  Eingabe  ju  Sage  tarn,  geft« 
gefteltt  ift  nur  ba$  Gine,  bafe  $otto  ba£  Xeptbua)  fpäteften*  2lnfang  ber 
adliger  3aljre  bem  Gomponiften  übergeben  fjat,  unb  bafc  biefer  jeber 
Anfrage  biefelbe  Antwort  erteilte,  er  bädjte  nidjt  mefjr  baran,  eine  Oper 
ju  fdjreiben.  2lber  trofc  biefer  $erftd>erung  war  „Dtello"  im  ^a\)xe  1886 
uollenbettt),  unb  fam  am  5ten  Jebruar  1887  in  ber  Scala  jur  erften 
9luffüf)rung. 

Diefe  Dper  ift  entfajiebeu  bie  mit  größtem  Grnfte  unbj  ebelftem 


*)  3d)  erinnere  an  ba*  ju  iHnfang  biefcS  iHrtifel«  erwähnte  Urteil  ber  WltfxU 
Leitung. 

**)  „2Jlefiftofele"  würbe  juerft  1868  in  ÜWatlanb  aufaefü^rt,  wo  bamaU  meiU 
würbigerwetfe  mehr  unb  einflußreichere  ©egner  SBagncrö  wirften,  al$  im  fübücfiercn 
Xheile  3talienS.  (§3  genügte,  baß  Don  :öoito,  als  üon  einem  21«  länger  ÜBagncT'fdjcr 
SJrincipien  gefprodjen  würbe,  um  feiner  Oper  öon  Dornhcrein  fteiubfchaft  su  erweden. 
Sic  warb  bei  ber  erften  Slufführnng  in  ber  scala  mit  fciüofem  Särm  gn  ge= 
bradjt.  Sologna  unb  Sienebig  bagegen  ließen  ifjr  Derbiente  ?lnerfennung  wiberfa^ren, 
unb  1881  hörte  id)  fie  fclbft  in  'JNailanb  mit  großem  S3eifalle  aufführen. 

f)  <So  hat  er  für  ^onehieüi  ben  %c£t  ju  „©ioronba"  gebidjtct. 

tt)  6ine  3cit  lang  hieß  ei,  bie  Dper  würbe  „3ago"  heißen  unb  auf  biefer 
ttolle  ruhe  ber  Sehtoerpuntt.  35em  ©üblänber  erfcheittt  3ago,  ber  eine  ihm  unzweifelhaft 
angethanc  Unbill  Oteßo§  an  biefem  fürchterlid)  rädjt,  nidjt  fo  ganj  a!8  ber  abfd>eu= 


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2\6 


  fjeinrid?  filjtltd?  in  Berlin.   


Söißen  gefdjaffene  be$  Gompomjien.  Sdjon  ber  Xert  33oito$  ift  ja  ein 
gan§  anberer  als  ber  aller  r>orr)erget)enben;  ift  aud>  bem  ber  „3liba"  eine 
poetifdje  ©runbtbee  unb  geiftreidb>  ^uSfürjrung  pjuerfennen,  fo  treten 
boa)  im  Sfjafefpeare'fc&en  $rama  (Sfjaraftere  unb  33err)drrnifTe  tyeroor,  cor 
benen  bie  moberne  bramatifäe  Didjtfunft  §ufammenfa)rumpft.  Soito  ift 
mit  genuffenfyafter  Xreue  bem  3?orbitbe  gefolgt,  nur  ba§  er  bie  Oper 
g(eid)  mit  2lnfunft  be$  (Sfjepaarä  in  (Supern  (alfo  mit  bem  jroeiten  2lcte 
be$  Sfjafefpeare'fdjen  $rama$)  beginnt;  auä)  Ijat  er  am  Sdjluffe  biefe$ 
erften  3lctel  ein  SiebeSbuett  CteQo'S  mit  £)e3bemona  fjin^ugebidjtet,  roaS 
tfnn  ber  rigorofefte  33eurtf)eiler  nid)t  uerübelu  barf;  benn  im  englifdjen 
Criginale  brid)t  CtrjeÜog  Siebe  erft  in  ber  testen  Scene  nad)  bem  Xobe 
$e3bemona3  in  »oller  5traft  f)en>or.  £ie  ÜDtuftf  burfte  mit  bem  2lu3brucfe 
tieffter  fanfter  Biegung  nidjt  fo  lange  warten,  biefeS  2)uett  mar  alfo  ein 
gföcfliä)er  ©ebanfe  93oitoö.  $er  £ert  ift  jebenfaüs  ber  befte,  ber  je  für 
eine  italienifä)e  Cper  gebietet  warb. 

betreffs  ber  SWufif  finb  oor  3tHem  p>ei  anfdjeinenbe  SBiberfprudje 
feftjuftetlen.  (53  erflingt  in  „Dteßo"  fein  Xon,  ber  an  ^ia^arb  2£agnerfä)e 
9)iufif  erinnert;  unb  e3  eriftirt  feine  (Scene,  ofjne  @tnflufe  SBagnerifdjer 
3)tuftf.  3rcar  roar  üietfadf)  behauptet,  ba§  $erbi  oon  Sikignerfä^er  3)htiif 
abfolut  niä)t$  fenne,  unb  ein  ©egenberoeiS  lä&t  fidj  nidjt  erbringen.  3lber 
id)  behaupte  mit  oollfter  s#efttmmtf)eit:  bie  Söktgnerfdjen  $ßrin$ipien  fennt 
$ert>i  ganj  genau*).  SDiefeö  3[neinanberflie§en  bes  9?ecitatiü$  unb  ber 
Strien,  biefe  bialogifirenbe  33el>anblung  ber  Suette,  biefe  rein  bramatifdje 
8cenenfolge  olme  irgenb  einen  5lbfa)lu§,  unb  bann  baS  ^ufpifeen  ber 
ß^arafteriftif  jeber  einselnen^rafe,  biefeS  offenbare  Streben  nadj  Xonfärbung 
im  Drd^efter,  2tUe3  ba$  ift  nidjt  benfbar  olme  ben  fo  ju  fagen  imponberablen, 
aber  unleugbaren  Ginflufj  ber  Siktgner'fajen  9Jtuftfbramen,  olme  bie  naä) 
entfemteften  3onen  roirfenbe  2lu3ftraf)lung  feiner  Sbeen.  $odj  nodjmaU 
fei  es  flarf  betont:  in  SBerbiö  SMobieen  ift  nidjtS,  roa$  niajt  u)m  gehörte, 
roa$  2i>agnerifdj  genannt  werben  bürfte.  2)aS  erfte  Euett  5n)ifa)en  DteHo 
unb  $>e$bemona,  ba3  $uett  jroifdjen  ^ago  unb  CteÜo  im  jroeiten  2lcte, 
im  brüten  9lcte  ba§  Duett  Dtellos£e$bemona,  bann  eine  2lrt  Monolog 

lidjc  5öcrbrcd)cr  rote  bem  ^orblänber.  'Jflacaulau  &at  in  feinem  (Sffau  über  3)tod)iüüclli 
einige  tieffinnige  5lnmerfungeu  über  5L*erfcfiiebciir>cit  ber  nationalen  iluffaffung  nieber» 
gelegt.  ©r  fbrid)t  freilief)  bon  ber  italienifdjen  (Mellfdjaft  be&  löten  3abjf)unbert3, 
bod)  mid)  bünft,  mat.dieö  finbet  nod)  tjeute  Slnwenbung. 

*)  6r  toeife  überhaupt  gan^  gut,  ioa3  in  ber  beutfdjen  ÜWufiftoelt  borgebt,  ©u 
itatteuifeber  SJluftffcbriftfteUer,  Seopotbo  Waftrigli,  fanbte  iljm  ein  ®ud)  über  große 
9Jlufifer  mit  ber '-öitte  um  fein  Urtfjeil.  (5r  antwortete:  »3n  ©ejtug  auf  9Kufi(  unb  alle 
über  ftc  fbredjenben  Serie  gebe  id)  nidtfS  auf  mein  Urteil  nod)  auf  ba«  ?lnberer. 
Erinnern  ©ie  fid)  an  bie  WeinungSäufeerungen  2öeber8,  ©dmmaunä,  vJ)^ubeI«fob,n& 
über  tWoffini,  ÜJteuerbeer  unb  Jlnbere,  unb  fagen  Sie  fclbft,  ob  man  bem  Urtb^eile  eine* 
(5onibonifien  über  einen  '^Inberen  bolleu  OJlauben  fdjenteu  fann."  Unb  ber  ©djreiber 
Dicfcö  Briefe«  follte  nidjtS  oon  Üöagner  fenneu?! 


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  (Siufeppe  t>erbi.    2\7 

*  DtelloS  von  n>afn*f)aft  ergreifenber  ©irfung,  ein  meifter^aft  gearbeitete« 
©eptert  mit  oierftimmigem  <Sf)or,  enblidj  im  legten  Slcte  baS  ©ebet  ber 
$e$bemona  unb  baS  $)uett  mit  DteHo:  baS  finb  Sonroerfe  SBerbifdjen 
©elftes,  bie  mit  #odjaa)tung  für  baS  ©enie  eines  3JtonneS  erfüllen,  ber 
mit  73  Sauren  berarügeS  gu  oollbringen  oermodjte.  216er  als  ©anjes 
Unterlägt  bie  Dper  boc§  otelme^r  ben  ©inbruef  eines  fef)r  getftreid)  erbauten, 
mit  großem  fünftlerifd)em  ©rufte  unb  ebelftem  SBolIen,  felbft  mit  warmer 
(Smpfinbung  gearbeiteten  SBerfes  als  einer  aus  frifdjer,  unmittelbar  jeugenber 
^I)antafte  f)eroorgegangenen  Sdjöpfung.  Sftan  oermifjt  bie  §auptgrunb(age 
ber  ed&ten  italienifdjen  3Rufit,  bie  im  SBofjHaut  fliefjenbe  ßlangreifje,  bie 
freie  Sd)önf>eit  beS  ©efangeS,  bie  beftriefenbe  SERelobic,  bie  uns  in  „^raoiata", 
^ballo  in  maschera"  unb  „9liba"  entgegentönt,  unb  bod)  audj  beS  (Sfjarafterifti* 
fcfyen  nidjt  entbehrt.  Unb  von  bem  Slugenblicfe,  in  bem  bie  italienifdje  3Wufif 
fidj  ber  Gelobte  entfleibet  unb  ben  breiten  Jaltenmantel  beS  franjöftfd&en 
beclamatorifdjen  ^at^os  umfängt,  opfert  fie  ifu*  fd)önfteS  nationales  SSors 
redjt.  9J?an  mag  von  9iid)arb  SßagnerS  Dftdjtung  im  2Bort=  unb  £on= 
bieten  benfen  wie  man  roifl ,  —  ba&  fie  beutfd)  b.  \  aus  ber  (Srnttoicfelung 
beutfd&er  Sftufif  hervorgegangen  ift,  fann  SRiemanb  leugnen.  Db  fie  bie 
richtigen  ©renjen  weit  überfeftreitet  ober  nidjt,  ift  \j\tx  nid^t  ju  erörtern; 
nur  bafc  fie  national  ift  mufc  feftgefteßt  werben.  ©eberS  „ßurnantlje"  ift 
unbeftritten  bie  Vorlauf erin  oon  „£annf)äufer",  „Sobengrin",  „3fleifierfinger" ; 
aus  SBeetfpoenS  „Missa  soleranis",  aus  bem  ginale  ber  „Neunten"  ift 
9ftcf>arb  SBagnerS  23ef)anblung  ber  (Stimmführung  unb  beS  DrdjefterS  her* 
vorgegangen.  216er  SBerbiä  Ctello  ift  bei  aßen  6cf)önf)eiten  bod)  mein* 
„international",  nia?t  italieniid).  3$  falte  baS  nidjt  für  einen  gortfd)ritt, 
unb  muf?  immer  an  ben  ©ift  benfen,  ben  idf)  irgenbroo  gelefen  fjabe:  SBerbi 
$abe  fid)  im  „Ctello"  Derbeffert  —  §u  jetnem  9todrt>tle!  2)te  eckten  SM* 
blutoerbianer  behaupten  aüerbingS,  biefeS  leftte  ©erf  beS  3HeifterS  fei  fein 
fjöd&fteS;  gerabe  wie  bie  SJagreutlnaner  in  „^arfifal"  ben  $öf)epunft  ©agner* 
fäer  flunft  erblicfen,  unb  über  $eben  tjerfatten,  ber  bei  aller  Verehrung 
für  ©agners  foloffaleS  ©enie  bie  „SJceifterfinger"  unb  ben  „9iing  beS 
Siibelungen"  höher  fteUt.  ©er  fann  fia)  mit  ganatifern  oerftanbigen?  3dj 
roenbe  mich  an  bie  Unbefangenen. 

$erbi  ift  iebenfaliS  ber  bebeutenbfte  bramattidje  Gomponift  beS  neuen 
Statten.  2ln  ©eftaltun^Sfraft,  «ielfettigfeit  ber  Crfinbung,  djarafteriftifcher 
^etdjnung  unb  £onfärbung  überragt  er  feine  Vorgänger  Fellini  unb 
^ontjetti;  unb  f>  itte  ^ioffint  nidjt  ben  „Xeli"  gcfd&rieben,  fo  brauste  er 
aud)  oor  ifyn  nidjt  ju  roeidjen.  9llIerbingS  ift  feine  Äraft  eine  oft  roJje, 
grefle,  geujaltt^itige;  feinen  «Welobieen  fe^lt  ber  ^errlic^e  ©o^llaut,  bie 
füge  Melancholie  Jöeüini^;  feine  Me^ri  unb  Gljöre  finb  be|*onber^  in 
ben  Dpem  ber  erften  unb  ^weiten  ^periobe  oft  trioialer  als  bie  £onijetti£, 
unb  bie  ^nftrumentation  unb  ^annonifation  fann  —  bis  *ur  „2liba"  — 
greller  unb  lärmender  nia)t  gebaut  werben;  felbft  im  „Ctello"  tritt  naa) 

«ort  unb  enb  LI..  1&2.  15 


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2\ß    fjeinrid?  «ficlid?  in  Berlin.   

btefer  iHtd&tung  öewaltfameS  fyeruor.    £enno<$  üben  feine  Cpern  bie 
größte  2Btrfung  auf  baS  ^Jubltfunt,  ntd^t  blojj  auf  baS  cjclufio  ttaltemfdje. 
Unfere  ©eneration  ift  neroöS  aufgeregt,  fie  will  audj  in  ber  Äunft  ni$t  blo$ 
angenehm  belebt,  fonbern  gepadt  unb  bomtnirt  werben  —  unb  baS  tonn  SSerbt 
beffer  als  bie  anberen.   ÜRan  barf  audj  bei  ber  Prüfung  fetner  Stellung 
in  ber  flunjtwelt  bie  Sefdjaffenbeit  beS  ^ublifumS,  für  roeldjeS  ber 
italienifdje  Dperncomponift  fdjreibt,  nid)t  aujjer  3ld)t  laffen.    $aS  Opern = 
IjauS  ^talien^  barf  mit  bem  anberer  Kationen  burd)auS  nid&t  oerglidjen 
werben,   $eutfa>,  (Snglänber,  granjofen,  Muffen  u.  f.  w.  rjören  eine  Cper 
immer  mit  äufeerlidjer  3tufmerffamfeit  an;  lautet  ©efpracf)  ift  eine  fel>r 
feltene  unb  nid)t  gut  angefeljene  ©rfdjeinung.    ©anj  anbers  in  Italien. 
$ier  gilt  nur  bie  „<Premttre"  als  bie  SJorftellung,  in  ber  man  aufmerffam 
fein  mufc,  um  über  baS  Urteil  fdjlüfftg  $u  werben,  um  bie  begünfrigten 
Kummern  $u  befrimmen,  bei  bereu  beginn  in  äffen  folgenben  2>orftelIungen 
Stille  eintreten  mufj.   2£äf)renb  biefer  I)errfd)t  nunmehr  ungeswungene 
Gonuerfation.    £ie  Vogen  finb  Keine  Salons,  in  meldjen  bie  tarnen 
itjre  Sefannten  empfangen;  man  plaubert  gan5  ungenirt,  bis  eine  Jaoorite* 
Kummer  beginnt,  laufest  biefer  mit  Slnbadjt  unb  fnüpft  bann  ben  gaben 
beS  ©efpräd>s  wiebe:  an.   Unb  in  meldjer  SBeife  fid)  bie  gfinfUge  2luf= 
nalnne  eines  Opern*2onftücfeS  funbgiebt,  baoon  tyabe  idj  bei  ber  erften 
2lujfürjrung  oou  „Ctello"  in  s2Railanb  jwei  Öeifpiele  erlebt,  beren  einfadje 
(hjafilung  bem  £efer  beffere  (Stnfidjt  tu  baS  Sefen  bei  italienifdjen 
s}hiblifumS  geben  wirb,  als  alle  Betrachtungen.   3m  kfctcu  .actc  &ctet 
£>eSbemona  in  £obeSangft  unb  legt  fidj  ju  Bette;  fie  mufcte  auffielen, 
wieber  auf  ben  Betftu&l  fnten,  wieber  if>r  IHue  3)toria  abfingen  uttb  nodj: 
mals  $u  Bette  gefeit.  Sie  fdjläft;  CteHo  tritt  burd)  eine  £apetentl»lr  ein, 
legt  fein  Sd)roert  ab;  ben  frieren  Bltcf  auf  fein  2£etb  ridjtenb,  fdjleic^t 
er  fid)  nad)  bem  Bette.  $aS  Crdjefter  begleitet  biefe  ftummen  Bewegungen 
mit  einem  fel;r  effectuolleu  3roifdjenfptel,  baS  offenbar  inneres  2Büf)len  ber 
fjeftigften  £etbenfd)aften  ausbrühen  fou*.  $as  ^ublifum  tobt,  fd&reit  unauf; 
rjörlidj  „bisa;  CteHo  muß  wieber  hinter  bie  £apetentlnire  treten,  wieber 
l^eraufdileid^eu,  wieber  wilbes  SHienenfpiel  ooüf üfjren ! 

$d)  äußerte]  meine  9)?eiiumg  über  biefe  unfinnigen,  alle  bramattfdje 
^aublung  uernidjtenben  J&ieberfwlungen  gait3  laut  in  italienifdjer  Spraye; 
bie  Herren  um  mid)  im  ^arquet  gaben  mir  9ted)t  —  aber  bie  näajfte 
BorfteUung  braute  benfelben  Spectafel.  $aS  gefdjaf)  in  sJRailanb,  bem 
Sifoe  ber  besaubentb^iebenSwürbtgfteit,  elegaitteften  Italiener,  wie  mag 
eS  erft  im  lebhafteren  Süben*)  jugefjentf  *>a  uerrounberlid),  wenn 

*)  9ßan  faßte  mir,  baS  ^ublifum  ber  nclebrteu  <3tabt  »oloßiia  C,La  dutta*«)  »ä« 
ruhiger;  td)  toiebcrl;olc  bai  Wcfafltc,  of)iic  bie  minbefte  ®«oaI)r,  faittt  aber  nidjt  um« 
tlin,  auf  beu  bemerfenStocrtben  Umftanb  btnjutüeifcn :  ba8  flrofec  italienifdje  $ublitum  Tann 
aud)  aui  ben  Sdjrifteit  feiner  gelehrten  i?tcftb,ctifer  leine  tidjtigen  Slnfdiauungcn  ber  %on- 
fünft  (jetuinnen.    T..mma-eo,  l)i/.i'»naro  e.«U'ti<-«» ;  «iioborti  Dol  l»n..no  o  d.-l 


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(Sitifcppe  Derbi. 


2(9 


ber  Cperncomponift  not  StUem  bal>in  trautet,  für  jcben  2(ct  (eines  SBerfeS 
ein  paar  effecrrjoHe,  2lppIauS  unb  bis  erregenbe  Hummern  r)en>orjubringen 
unb  fidj  um  (£inf)eitlid)feit  wenig  fümmert?  Unb  muß  man  mdjt  33erbt  feljr 
Iwdjadjten,  ba§  er  in  „2Uba"  unb  „Dtello"  fein  einziges  gleidjgiltigeS  ©tücf 
anbrachte,  feines,  baS  jur  eleganten  Sogen^lauberei  2lnla&  geben  fönnte  ? 

3ä)  f)abe  iefct  nur  no<$  einige  3c^cn  bie  perfönlidjfeit  beS  be= 
rühmten  (Somponiften  beizufügen. 

@in  junger  italtenifd&er  ©d)riftjteHer  war  beauftragt  93erbi'S  Siograpfue 
$u  uerf  äffen;  er  wanbte  fidj  an  Söoito,  ben  £ertbiä)ter  unb  greunb  beS 
grofjen  SDJetfterd  mit  ber  Sitte  um  einige  intereffante  SRittfyeilungen  unb  erhielt 
fcie  Antwort:  „©eetyrter  $err!  2ÜS  baS  ^ifantefte  am  Seben  SBerbi'S  faun  idj 
äejeidmen,  bafe  nie  trgenbweldfjesipifante  barin  oorgefommen  ift."  $a3  ift 
gröfetentljeils  nxu>.  $er  berühmte  italtentfdje  Xonbid)ter  b,at  t>om  erften 
HHomente  feiner  £aufbat)n  2lü*eS  uermieben,  was  bie  Sfofmerffamfett  auf  feine 
l^erfon  geteuft  l)ätte;  er  war  niemals  &u  einem  ©djrttte  ju  bewegen,  ber  einer 
Steclame  ärmltä)  faf)*),  unb  ift  feit  3al)ren  bei  feiner  ilnn  ju  ©f)ren  oeranftalte* 
ten  gefUiä)feit  erfä^ienen.  9llS  er  JU  9teiä)tb,um  gelangte,  faufte  er  baS  @ut 
(Sant  2tgata  in  ber  Wäty  oon  Sutfeto,  ber  ©tabt,  wo  er  feine  3ugenb  »er» 
braute,  unb  wanbelte  es  ganj  um.  ©n  großer  $arf  umgiebt  baS  Sanb« 
{jauS,  Pflanzungen  aller  3Xrt,  ^ferbegeflüte,  93ter)ftatte  unb  fonftige  lanb= 
wirtyfdjaftlidjie  <Sinriä)tungen  liegen  in  unmittelbarer  9tar)e;  unb  bereu 
^robucte  gelten  als  bie  befteu  weit  unb  breit.  Stuf  biefem  ©ute  lebt 
SBerbt  mit  feiner  ©attin  im  ©ommer,  ftefjt  regelmäßig  um  fünf  Ulir  beS 
Borgens  auf,  ge§t  um  10  Ufjr  $u  S3ett.  £en  ©inter  oerbringt  er  ge* 
roörmlidfj  in  ©enua  im  $a(aft  2>oria.  ©ein  Umgang  befdjränft  ftä)  auf 
wenige  intime  greunbe,  im  Uebrigen  ift  er  fefjr  fdjwer  jugänglid&. 

3n  früheren  3afren  öfters  leibenb,  f>at  er  burdfj  feine  regelmäßige  2e* 
benSweife  eine  eiferne  ©efunb&eit  gewonnen  unb  ift  nodj  fjeute  im  76ten  3al>re 
geiftig  unb  förperlid^  rüftig  unb  frifa).  Obwohl  bie  Italiener  feinen  9?amen 
als  potitifd^eS  ©efjeimwort  gewählt  Ratten  (wie  i<$  bereits  erjagte),  blieb 
er  felbft  aller  Sßolttif  fem  unb  Bereite  nie,  baß  fie  tfjm  nur  Abneigung 


bello;  Chiosi,  discorso  estetico;  Antonio  Tari,  estotica  ideale;  CanelU»; 
sagrgie;  Monti,  il  bello  nel  vero;Trezza,  Studii :  fic Stile  fpredjen  bon  ber 3Rufif  in 
ben  feurtgften  Korten,  mit  ljod)fter  SJcrebrung,  befonberS  ber  eblc  ©ioberti;  aber  fic  alle 
fprcd>en  ntdjt  bon  ibren  grofecn  SWeiftern  ^aleftrino,  ©abrieti,  S)urante,  IL'otti,  9Kargeao 
u.  f.  to.r  fonbem  oon  Ittoffini'ä  „stabat  matci-"  unb  oon  SDlercabante'8  unb  Xontjetti'a 
Cpern.  SKajiini,  bet  in  feinen  <3d)rtften  „D*  un  Italiano  vivente"  ber  Xontunft  ein 
eigenes  (Sapitet  toibmet,  unb  fie  als  ein  ^auptmtttel  für  bie  SBiebergeburt  be8  SBaterlanbe« 
preifet,  toeift  unter  onbern  auf  ein  !$uett  aus  2»erbi'*  „I  due  foscari."  gfreilid) 
beginnt  er  ba3  Gapittl  mit  ber  ©rtlärunfl,  bafe  er  oon  9Jtufif  gar  nidjtS  berftebe. 

*)  3m  5)cccmber  1871,  furj  bor  ber  erften  31uffü^ruug  ber  „2ü'ba"  in  ßairo 
fdjrieb  er  einen  ganj  merfmürbigen  örief  über  „föeclame"  au  ben  trefflidjen  Äritifer 
ber  ^erfeteranja  (t  88).        <Sd)luBmorte  lauteten;  ,.A  la  grace  do  Dieu, 

fo  tjübt  id)  meine  Öaufba^n  begonnen,  unb  fo  toiH  tcb  fie  enben." 

15* 


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220 


fjetnrid?  «Ijriidj  in  Berlin. 


einfloßt.  2113  er  auf  ßanour'3  2lnbrängen  einen  Sifc  im  neuen  sparte; 
mente  annahm,  faßte  er  bem  grojjen  Staatsmann  gerabeju,  nrie  ihn  ba> 
in  all  feinen  6  ein  o  Im  betten  Hörte,  unb  legte  anen  fein  SRanbat  balb 
nieber.  211$  ilm  fpäter  ber  ftonig  SBittorio  (Smanuele  jum  Senator  er* 
nannte,  fam  er  einmal  in  ba£  rjof>e  &au3,  um  ben  <5iD  $u  (eilten,  unb  warb 
nid)t  metjr  geferjen.  3)ennodr)  giebt  es  in  Statten  feinen  populäreren  3Jcami 
als  SSerbi,  feinem  ber  eine  fo  allgemeine,  ganj  nriberfprudjslofe  SBere^rung 
geniefjt  roie  er.  2Ber  oon  itmt  fpridjt,  rürjmt  feine  fiille  ffiorjltfjätigfeü, 
feinen  2Intf)eiI  an  2lllem,  mag  ber  Mgemeintjeit  duften  bringen  fann, 
feine  Eanfbarfeit  für  3*ben,  ber  ifjm  in  früheren  3a^ren  greunbltdje^ 
erroiefen,  feinen  UnabfyängigfeitSfinn.  Unb  Sitte  fagen:  @r  ift  ntd&t  blo§ 
unfer  SRufmt  (la  nostra  gloria)  als  Äfinftler,  er  ift  aud)  ein  ganzer 
(S^renmann! 


i 

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£u6u>ig  XIV.  unb  Straf  burg. 

Von 

€ricfy  Xfiaxds. 

—  Berlin.  — 


er  (Streit  um  baS  ifiedjt  auf  Stra&burg  ift  nidjt  jur  9liü)e  ge= 
fommen  oon  jenem  30.  September  1681  an,  an  roeldjem 
bie  Gruppen  ihibroigS  XIV.  in  bie  alte  9tetd)$ftabt  einge-- 
joaen  finb.  5Die  fllage  unb  bie  2lnflage,  meldte  SBolfälieber  unb  glug= 
fa)riften  fofort  ju  ergeben  begannen,  fjat  neuen  SBteberrjall  enoerft,  feit  bem 
nationalen  33erouf3tfetn  unfereS  QarjrfmnbertS  au$  Strasburg  bie  beutfdje 
Sdjicffalsftabt  geworben  ift:  aller  Jammer  unb  ade  Sd)mad)  be3  tiefften 
nationalen  (SlenbS  t>at  in  biefem  tarnen  ben  2lu3brud  unb  fd^He^lid^  bie 
$erföf)nung  gefunben;  bie  rjiftorifdje  £rjatfad)e  mürbe  ju  tnptföer,  ibealer 
33ebeutung  geftelgert.  3)ie  Sonn,  in  meiner  ber  fran^öfifc^e  5lönig 
bie  beutfa^e  Stabt  mitten  im  fa^einbaren  grieben  an  fid^  rifc,  mar  bteienige 
be$  ^ßroceffed  geroefen:  fo  f)at  benn  bie  fortbauembe  SRioalität  ber  beiben 
Nationen  ben  Streit  um  Strasburg  literarifdj  als  einen  9ied)t£ftreit  fort* 
geführt:  bie  3urifien  beS  ^eiligen  römifcr)en  9xeidje$,  bie  ^Diplomaten  fjaben 
bie  keditSmibrigteit  ber  Ufurpation  oerfod&ten;  noa)  heutigen  Xageä  tritt 
bie  Streitfrage  in  ber  ©ef$id)tforfd)ung  im  ftaat3redjtlid)en  ©eroanbe 
auf:  nod)  in  ben  legten  3af)ren  fjat  fie  ber  neuefte  unb  grünblidtfte  $e= 
arbeiter,  SegreUe,  in  einem  ftoff reiben  Öudje,  ba3  bod)  an  allen  Stellen 
ber  9iadjprufung  unb  ©rgänsung  bebarf,  in  biefem  Sinne  berjanbelt  Xem 
beutfcr)eu  gorf^er  alfo,  ber  an  ba$  SSerrjältnijj  SubnrigS  XIV.  unb  Straße 
burgä  mit  uriifenfdjaftltdjer  Slbfidjt  herantritt,  [teilt  fidj,  neben  ber  SßfIidE>t 
einer  oerboppelt  ruhigen  Söorfidt)t,  bie  uns  freute  nidjt  ferner  fallen  barf, 
eine  jiniefadje  Aufgabe  bar:  er  fann  bie  9ied>t3frage  niajt  unbefprodjen 


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222    €rtd?  ITTarFs  in  Berlin.   

laffen;  er  wirb  aber  über  bie  Jorm  bat  £tjatbeftanb,  bie  @ntn)i<felung  ber 
(Sreigniffe  felbcr  bie  Darlegung  ber  2ttad&t frage,  beren  ©egenftanb 
Strasburg  geioefen  ift,  ju  jtetten  i>aben. 

9tod&  2Iuffaffung  ber  granjofen  ift  itynen  ©trafeburg  jugeiprodfjen  roorben 
im  toeftfälijcfjen  ^rieben. 

9Ud£>elieu  Ijatte  in  ber  jioeiten  Hälfte  beS  30  jährigen  ÄriegeS  ba* 
Glfaj?  milttärifd)  unter  bie  3Rac(jt  3ranfrei<$S  gebraut:  feinem  9ia$folger 
SWajarin  blieb  bie  Aufgabe,  baS  £anb  biplomatifd)  fejtjuljalten,  feine  Sb* 
tretung  von  flatfer  unb  9ieid&  &u  erlangen,  $n  ben  enblofen  SBer&anbs 
lungen  oon  SRünfter  tyaben  feine  2lbgefanbten  jahrelang  barum  gefämpft; 
man  gelangte  ju  bem  2tbfä)luffe,  bafc  HabSburg  feine  elfäfftföen  öeftfc; 
tfyümer  unb  diente  an  #ranfretcf)  abtreten,  bie  $Rei<$Sunmittelbaren  beS 
SanbeS  aber  im  ooüen  SReid&Soerftfltniffe  bleiben  fottten.  3)enn  nrie  fal> 
baSjenige  im  %atye  1648  au«,  roaS  mit  Ijeute  fnapp  unb  flar  ©Ifafc 
nennen?  ©enau  fo  bunt  wie  irgenb  ein  anbereS  ©tütf  beutfd&er,  gar 
rlpmifdfjer  (Srbe.  »om  ©Ifafe  3U  fpredjen,  ftonb  in  2BaI)rI>eit  feinem 
Sieid&Sjuriften  ju:  biefc  (Sin^eit  gab  es  ntd&t;  correct  mar  lebigttd&  bie 
2lufjäf)fong  einer  SBietyeit  oon  oter  $)ufcenben  einjelner  SReid&Sglieber, 
beren  ©umme  bie  ßanbfäjaft  ätoifdjen  33afel  unb  Sßei&enburg  ausfüllte. 
3roei  grofce  ©nippen  Reiben  fia).  £)en  ©üben  bilbet  eine  compacte  SJtoffe 
l)absburgifcf>en  93efifceS:  einmal  ber  ©unbgau,  stoeitenS  bie  fogenannte 
Sanbgraffdfjaft  Dberelfag.  5Diefe  bejeid)net  ein  ©ebiet,  in  meinem  bie 
Habsburger  buräjauS  STerritoriatfjerren  finb.  Anberg  mar  es  im  Unterelfafc. 
2fadj>  f)ier  giebt  es  eine  f)absburgifa)e  fianbgraffd&afr:  aber  nur  jtoei 
Herrfd(jaften  bUben  biefelbe.  3m  Uebrigen  fefct  baS  (Slfafc  iidfj  jufammen 
aus  jtoei  33iStl)ümern,  aus  SReid&Sftäbten  mit  itjrem  ©ebiet  unb  einer 
SRetye  anberer  SReidjjSjtönbe  geiftlid&er  unb  toeltlid&er  3trt,  SMöfter,  Sßfals- 
grafen,  ©rafen,  gretyerrn,  9?itter;  nur  an  einem  fünfte  nodjj  finbet  ftdfr 
tyier  tyabsburgifdjje  SWadfjt:  jef)n  Heine  reid&sunmittelbare  ©tobte,  burd> 
bie  ganje  Sänge  beS  ßlfaffes  Ijingeftreut,  Hagenau,  Colmar,  ©djlettjtabt 
unb  anbere,  finb  jur  „Sanboogtei  Hagenau"  oereinigt;  ein  SBogt,  melier 
fein  9lmt  unmittelbar  00m  ßaifer  r)at,  übt  in  biefen  jefm  ©täbten  einige 
ganj  minimale  ©d&ufored&te  aus  unb  bejiefjt  bafür  einige  (Sinfünfte:  irgenb 
roeldfje  ©eridf)tSl)of)eit  ober  gar  ^errfd)erbefugni§  über  bie  ©täbte  beTifct 
er  nid^t.  $>iefe  SBogtei  lag  feit  fyunbert  3abren  in  §absburgifd]jen  Häriben; 
fie  n>ar  9ti<$tS,  als  ein  2lmt.  tiefes  3lmt  unb  ben  ober-  unb  nieber» 
elfäfftfdfjen  ^auSberift  tritt  nun  baS  ^auS  Defterreid)  1648,  gemä§  einer 
Stipulation,  bie  feit  jtoei  3af)ren  feftjlanb,  im  griebenSinftrumente  an 
granfreidfj  ab  unb  jmar  als  fouoeränen  93cfife  ber  fransöftfd^en  Ärone, 
nidjjt  etroa,  wie  man  erft  gewollt  fcatte,  als  ein  fielen,  meines  biefe  Ärone 
00m  beutfapen  SReidfj  ju  nennen  ^ätte.  ^)er  Vertrag  brüdft  es  fd^arf  unb 
genau  aus,  bafe  es  fi<3t>  nur  um  Habsburger  ©ut  ^anbelt.  Unb  er  fügt 
noä)  ausbrücfliä)  einen  Paragraphen  bei,  roeläjer  in  Ilaren  Söorten  fämmt= 


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—    £udo>tg  XIV.  unb  Strasburg.    223 

Uä)en  9teich«unmittelbaren  be«  (Slfaffe«,  einfd&ließlia)  jener  je^n  „faiferlidjen 
Stdbte"  ber  fianboogtei  Hagenau,  ben  uoflen  Sortbefi^  i^rer  Unmittelbar 
Feit  $ufiä)ert:  nur  bie  öiterreta)ifä>n  9*e$te  erhalte  rjtcr  ber  franjöfifd^e 
König.  2Ma)e  Med&te  aber  hatte  Ceflerreidfc  innerhalb  btefer  Unmittel* 
baren?  lebiglta)  bie  Wogtet  ber  jehn  ©tabte.  2luf  biefe  23ogtei  allein 
begeht  fidj  alfo  ber  <5$luß  be«  Paragraphen:  an  ber  ©ouoeränetät  bei 
franjöfiföen  Könige  ü6er  feine  neuen  Erwerbungen  änbere  ber  Paragraph 
9ttd>t«.  92atürlidr) :  bie  SBogtei  ging,  wie  gejagt,  al«  fouoeräner  39efifc, 
nicht  al«  Sehen  in  fcubwig«  £änbe  über.  Die  SBogtet,  ba«  9lmt  — 
nicht  etwa  bie  jetm  Stäbte  felbft! 

Da«  2lQe«  ijt  ooltfommen  flar  unb  in  ber  golge  ber©ebanfen  ein» 
beutig  unb  unmifjöerftänblidj ;  nimmt  man  eine  Interpretation  von  Söort 
ju  SBort  cor,  fo  bleibt  feine  Schwierigfeit  übrig. 

Srofcbem  mar  ber  Vertrag  baju  angetan,  SJJißoerftänbniffe  $u  er- 
zeugen. Sie  lagen  gerabe  in  jenem  9tochtrag«paragraphen  vorbereitet, 
welcher  fo  audbrüd(idr)  bie  9ieich«jtänbe  oor  granfreiä)  flcr)cr  ftetten  foHte. 
3)ian  brauste  nur  biefen  einen  Slbfafc  aus  bem  Zusammenhang  herautyu* 
reißen.  3uerft  conftatirt  er  bie  gortbauer  ber  $Reich«freibeit  ber  Stanbe; 
am  Schluffe  wieberlwlt  er,  bierburd)  werbe  an  ber  franjöfifchen  Souoeränetat 
9ftdjt3  geänbert.  ^fft  ba«  nicht  ein  23iberfpru<h  ?  2Bir  fahen,  baß  ftch  bie 
3chtußflaufel,  ben  früheren  Paragraphen  entfprecf>enb,  einjig  unb  allein 
auf  ba«  SBogtamt  bejieht.  2lber  wie  r»iel  fonnte  eine  roiHfürlidje  Deutung 
mit  einer  Qfolirung  biefe«  Paragraphen Imb  feiner  fllaufel  anfangen!  wie 
leidet  jubem  fonnte,  bei  ber  (Somplicirtheit  reich«redjtlicher  ^Begriffe,  au« 
bem  fouoeranen  33ejtfce  ber  SBogtei  ein  33ejifc  ber  Souoeränetat  über  bie 
jet)n  Stäbte,  wie  leicht  fdt)He§tid^  au«  ber  öiterreichifchen  ßanbgraffdjaft 
Untersßlfaß,  bie  Subwig  erhielt  unb  bie  nur  jwet  föerrfchaften  umfaßte, 
ba«  Unterelfaß  al«  ©efammtlanbfchaft  gemadjt  werben!  2101  bie«  gegen 
©eift  unb  $u<hftaben  be«  ©efammtoertrage«  —  aber  au«gefdhtoffen  mar 
folajer  amßbraudt)  nicht.  Die  Stänbe  mühten  ficf>,  fofort  eine  prääfe  ©r* 
flärung  §u  erlangen,  in  weld&er  granfreich  fto)  felber  bie  9Höglichfeit  biefe« 
Mißbrauche«  au«brüdlid)  abfrfjneiben  foßte:  Tie  würbe  oerweigert.  ©« 
laßt  fich  nachweifen,  baß  bie  franjofifche  Diplomatie  bewußt  barauf  aul- 
ging, biefe  9Höglid)feit  offen  ju  hölten.  granfreich  war  nicht  ftarf  genug, 
um  bie  Abtretung  be«  ganzen  ©Ifaffe«,  wie  e«  fie  wünfä)te,  ju  erzwingen: 
fo  richtete  e«  ben  grieben«oertrag  bergeftalt  ein,  baß  ihm  offen  unb  !lar 
Swar  nur  ba«  hab«burgifa>  ©ut  jugefprochen  würbe,  baß  aber  im  günftigen 
3lugenblid  bie  fransöfifche  Regierung  im  mißbrauchten  Wortlaute  be« 
Vertrage«  fiel«  bie  ßanbhabe  fänbe,  weitere  Sfofprüäje  fdjeinbar  mit  jurifti* 
fä)em  Siechte  $u  begrünben. 

SlUer  Sßelt  war  biefer  Sachoerfjalt  fofort  flar.  2ßir  befifcen  jroei 
Briefe,  in  benen  bie  Diplomaten  fiubwig«  ben  plan  offen  eingeben.  Der 
wichtigere  ftammt  au«  ber  3eit  ber  grieben«*Unterhanblungen  felbfl;  ber 


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22\ 


  «Eridj  ITTarFs  in  Berlin.   


eine  ber  jwei  franaöfifd)en  Öeoollmädjttgten  ifl  fein  Serfaffer;  fjier  tritt 
es  fo  offen  wie  möglid)  ju  Sage,  bafe  btefe  Diplomatie  oom  eigenen 
Unrecht  ooHfommen  überjeugt  war:  ber  ^ed)tSanfprud),  ber  fpdter  jum 
Dogma  mürbe,  mar  bamalS  nod)  eine  bemufete  £üge,  ein  abfid)tSooöeT 
Äniff.  3n  ifmi  liegt  ber  Urgebanfe  ber  SReumonen  bereits  entsaften.  ©S 
waren  ©rünbe  ber  3njC(^ niöBt cü,  roeld)e  bie  ©eltenbmadjung  ber  3ln= 
fprüd)c  nod)  bret  Qafpjelmte  lang  f)inauSf  Rieben  tiefen.  2)tan  mar  nod) 
niä)t  mädjtig  genug,  fie  burd)jufüf)ren,  aber  man  Hefe  fie  ie  Idnger  um  fo 
fidjtbarer  burdjbliden.  %m  9Jimroeger  grieben  oon  1678  bemühten  fidj 
bie  Deutfdjen  auf's  (Sifrigfte,  burd)  Kare  ©onceffionen  aud)  ben  granjofen 
eine  flare  öegrenjung  Un*er  9lnfprfid)e  aufjujmingen:  bamalS  antmorteten 
bie  Unterf)änblet  SubwigS  nur  mit  ber  fteten  ^Berufung  auf  ben  weft* 
fälifdjen  Vertrag.  $u  cm^r  !(aren  Interpretation  liefeen  Tie  ftd)  nid)t  bringen, 
aber  fie  oerfjefilten  itjre  2luffaffung  nidjt:  fie  maren  jefet  foweit,  bafe  ftc  bie 
sDtod)t  Ratten,  2WeS,  was  fie  burd)  ifjre,  roie  mir  fallen,  falfdje  Deutung  jenes 
Paragraphen  oon  1648  juriftifd)  begrünben  ju  !önnen  ineinten,  aud)  in  ÜBirf* 
lidjfeit  burdfoufefeen.  %xt  ben  breifeig  Satyen  aber,  weld)e  $wifd)en  ben  33er* 
fjanblungen  oon  Sftünfter  unb  benen  oon  Kimwegen  liegen,  f)at  ßubmig  XIV. 
oft  in  ausbrüdlidfjen  SSorten  anerfannt,  bafe  Strafeburg  reidjsfrei,  Meid)*,* 
glieb  unb  für  ir)n  9iid)tS  fei  als  ein  9fad)barftaat;  er  beftritt  baS  erft  mit 
6d)eingrünben,  als  er  fidjer  mar,  feinen  Argumenten  ben  SRac&brutf  ber 
wirflid)en  Eroberung  oerlet&en  5U.  fönnen. 

Das  juriftifd)e  Unredjt  alfo  mar  auf  fran3öfifd)er  6eite:  baran  ift 
gar  fein  3weifel.  Den  Deutfd&en  blieb  in  ooHer  SSaijrfjeit  bie  ©enug* 
tfmung,  ben  ©egner  wiberredjtlid)er  ©ewalt  Reihen  &u  bürfen.  ©ine 
jammerooae  ©enugt&uung  freiließ !  ^rotefte,  beren  fittltd^c  Gntrfifiung, 
nad)  3.  ©.  DroufenS  fdjarfem  23orte,  ber  9Ueberlage  bie  läd)erlid)fte 
Hlbernfjeit  fnnjufügt:  ftatt  ber  eigenen  Ofmmad)t  flagt  man  bie  ©emijfens 
lofigfeit  beS  geinbes  an!  ©ewife,  bie  9ied)tSfrage  enthalt  nic^t  ben  Äem 
ber  Sad)e.  ^ft  fie  barum  wertlos?  3lud)  baS  barf  man  fdnoerlid)  be- 
haupten. 9iid)t  nur,  bafe  ber  beutfdje  gorfdjjer  oerpflidjtet  ift,  bie  $e; 
^auptung  beS  mobemen  granjofen  oon  SubwigS  XIV.  jurifttfdjem  9ted)te 
ju  prüfen  unb,  ba  Tie  falfd;  ift,  ju  roiberlegen:  mistiger  nod)  ift  es,  bafe 
biefer  ?Red;tSftreit  bod)  ben  moralifd)en  Gljarafter  ber  3cÜ0en°t7«t,  oen 
©eift  ber  formen,  in  meldte  fie  bie  ©egenftänbe  ju  giefeen  liebten,  fenn* 
jeidmet.  3mmer  roirb  bie  2lrt  unb  SBeife,  in  melier  ber  grofee  Äönig 
unb  fein  9Jftnifter  Souoois  bie  SSegnafnne  StrafeburgS  motioirten,  als 
foldV  ifn*e  gefdjiajtlidje  Öebeutfamfeit  behalten;  immer  mirb  fid)  baS  Urs 
ttjeil  aud)  auf  baS  Verfahren  erftredfen  müffen,  aud)  wenn  man  red)t  gut 
weife,  bafe  es  fid)  in  Soweit  nid)t  um's  StaatSred)t  ^anbelte,  fonbern 
um  bie  3J?ad)t,  bafe  internationale  Verträge  niemals  baju  ba  finb,  unoer = 
rücfbarc  formen  für  eine  weite  3u^unft  5U  Silben,  fonbern  nur  ben  9lb= 
fdjlufe  für  Äämpfe,  ben  3lusbrud*  für  ben  (Stanb  ber  5häfte  im  äugen* 


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fuönug  XIV.  unb  5trajjbur<t. 


225 


Miefe  beS  griebenS.  Das  ift  ja  fidjer:  was  a\x<S)  bie  Parteien  mit  bem 
meftfattfd^en  Hbfommen  anfangen  mod&ten  in  SRedjt  ober  Verbrehung,  bie 
Jortentmtcfelung  würbe  burch  realere  Dinge  beftimmt  als  bie  feier(iä)(ten 
Paragraphen  bes  jjjnfrruments. 

2öte  fahen  biefe  realen  Wächte  aus  ?  Um  ihrer  brei  hanbelte  eS  fich : 
f)ier  baS  Jranfreid)  SubmigS  XIV.,  bort  baS  beutfdje  bleich,  wie  #eS  ber 
30 jährige  Ärieg  geformt,  in  ber  Witte,  ein  Öegenftanb  ihres  Bingens, 
bie  ©tobt  Strafeburg. 

3uerft  Jranfreiä).  Es  mar  bie  gröfete  Seit  beS  3ahrlmnbertS,  baS  bie 
Jranjofen  als  baS  grofje  bezeichnen,  in  welcher  baS  £anb  bamals  ftanb.  2lUe 
tfrüdjte,  welche  bie  Lebensarbeit  breier  grofjer  Staatsmänner  gepflanjt  unb 
gepflegt  ^atte,  reiften  jefet  bem  (Snfel  Heinrichs  IV.,  bem  Erben  WajarinS 
entgegen,  fie  fielen  bem  Könige  in  ben  Sdjoojj.  2luS  ber  fchmerältchften 
ftrife,  in  welcher  alle  Äräfte  eines  fid)  umbilbenben  Staats»  unb  2$otfS= 
roefenä  in  tiefer  Verwirrung  unb  Erregung  roiber  einanber  gewirft  tyxtten, 
r)atte  bie  Einheit  fid)  gewaltiger  a(S  juoor  erhoben;  ihr  Träger  mar  bie 
Wacht,  bie  allein  ben  inneren  JJrieben  gefetjaffen  unb  erhalten  fyatte,  baS 
Äönigthum.  SlHeS  oerbanfte  man  ihm:  bie  ftänbifdjen  ©ewalten,  bie  fo 
blutig  fich  gegen  ben  3lbfolutiSmuS  aufgelehnt  fyiiXen,  beren  unflarem 
drangen  fchliefclich  nur  Unheil  über  Unheil  entfproffen  mar,  fie  lagen 
je&t  machtlos  am  Söoben;  auch  fie  orbneten  fich  bem  allgemeinen  3U9C 
jur  Witte  hin  ein;  alle  2lnftrengungen  ber  »ergangenen  Wenfdjenalter,  alle 
lebenbigen  Gräfte  einer  ftarfen  ©egenmart  münbeten  ein  in  baS  grofce 
Seden  ber  Monarchie  ßubwigS  XIV".  Unb  noch  ftrebte  baS  ßonigthum, 
feinem  5Bolfe,  baS  ihm  iefct  blinbtingS  nachfolgte,  ju  immer  höheren  3^len 
wahrhaftigen  politifchen  Segens  ooranpfchreiten;  inbem  es  in  feinen 
&änben  bie  ganje  Nation  jufammenfafjte,  wollte  eS  biefelbe  emporheben 
auf  eine  neue  Stufe  ftaatltdj  fefier  3"ftänbe  unb  oolfSwtrthfchaftlicher  Ent- 
faltung. 9toch  fehlte  bem  ^ranf reich  £ubwigS  XIV.  uiel  baju,  ein  moberner 
Staat  im  ooUen  Sinne  ju  fein;  aber  eS  rang,  ein  folcher  5U  werben.  Der 
Kampf  um  Strasburg  fällt  in  bie  3af)re,  ba  bie  Regierung  jur  Durch- 
führung beS  wahrhaften  StaotSgebanfenS  fo  mächtige  Schritte  that,  in 
bie  3ahre  ber  2Birffamfeit  beS  gro&en  Volbert.  Daj}  es  auf  ben  Sahnen 
ber  politifchen  Pflichterfüllung  nicht  beharrte,  ift  fpäter  baS  Verhängnifi 
beS  franjöfifchen  ÄönigSthumS  geworben;  aber  wie  weit  fwnb  eS  gerabe 
bamals  burch  bie  ^öt>e  feiner  Siele,  baS  SBewu&tfein  feiner  flraft,  bie  Wacht 
jeines  EinfluffeS  auf  baS  eigene  93olf,  burch  bie  ftraffe  3ufammenfaffung  aller 
Elemente  beSfelben  in  ber  eigenen  &anb  jeber  auswärtigen  Wacht  ooran! 
benn  ber  einzige  Staat,  ben  wir  heutigen  als  ein  jufunftooHeS  Öegenbitb 
beS  abfolutifrifchen  granfreich  erfennen,  ber  Staat  beS  gro&en  flurfüften, 
tonnte  in  ben  äugen  ber  äeitgenoffen  boch  niemals  bem  deiche  SubnrigS  XIV. 
an  bie  Seite  treten.  —  Die  auswärtige  politif  beS  geeinigten  granfreiä) 
Seigt  in  ber  einen  gro&en  Dichtung  ihres  Strebens  bie  gleiche  3bee  oolfs^ 


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220 


(Eridf  Warfs  in  Berlin.  — - 


n>irl  1; f d) a f 1 1 id^cn  3ntereffe£,  welche  bie  gefammte  Sßolitif  <£olbert$  befeelt; 
längft  ^at  man  barauf  hingewiefen,  wie  fehr  bic  Äämpfc  bcr  ^wetten 
§älfte  bes  XVII.  3ahrhunbert3  £anbel8ftiege  gewefen  finb.  3m  engfien 
herein  mit  biefer  roirthfchaftlichen  Xenbenj  aber  ftanb  bic  anbcrc,  bic 
htftorifch  beftimmenbe,  bic  eigentliche  @runbtenben$  ber  auswärtigen 
^olittf  grcmfreic&S  feit  mehr  als  anberthalb  3ahrhunberten,  bie  auch  ba3 
3eitalter  SubwigS  XIV.  am  fieftbarften  beherrfdjt  unb  ben  Äönig  tum 
Stege  wie  jum  fttebergange  geleitet  fyd:  ber  Äampf  gegen  Sababurg. 
3m  Söiberftaub  gegen  bie  umfaffenbe  unb  erbrücfenbe  2Beltmaä)t  bcr 
burgunbif^sö^errei^if^'fpamic^en  £>nnaftie  hatten  granj  I.  unb  Heinrich  II. 
ihr  fieben  oerbracht,  platte  Heinrich  IV.  baS  üföittel  gefunben,  fein  2?olf 
ju  einigen,  ^atte  Richelieu  ben  30 jährigen  Ärteg  geleitet  unb  9)ia$arin, 
bem  großen  Vorgänger  nacharbeitenb,  baS  gebrochene  Spanien  enbgültig 
gebeugt.  2lua  ber  93ertf)eibigung  war  baS  einft  oon  feinen  geinben  ein- 
gefdjloffene  granf  reich  längft  jum  Angriff  übergegangen;  in  ber  «ßolitif 
SubmigS  XIV.  warfen  $>efeniioe  unb  Cffenftoe  ineinanber:  baS  $rin$ip 
ber  militärif$en  (Sicherung  granfreiäiS  beherrfcht  feinen  Kampf  gegen 
£ab$burg.  2ln  jeber  ©renje,  wo  er  bem  geinbe  begegnet,  }ä)tebt  er,  in 
ben  SWeberlanben,  in  Lothringen  unb  ßlfaß,  am  3ura  unb  in  ben  Sllpen, 
ben  eignen  Söaffengfirtel  oor,  fo  lange,  MS  er  eine  militäiifd)  ooHenbcte 
Situation  erreicht  ^at;  wenigstens  ift  baS  fein  Seftreben;  ben  Stuften* 
ftehenben  fä)icn  es  ein  Vorbringen  granfreichs,  ben  granjofen  nur  ber 
naturgemäße  2lbfchluß  beS  eigenen  ©ebieteS  gegen  bie  Dffenfioe  bes  2luS; 
lanbeS.  $)er  n>eftfaUfdt)e  griebe  unb  fein  9Jaä)folger,  ber  pgrenäifdhe  oon 
1659,  ^tten  ben  franjöfifchcn  König  noch  nicht  Ms  an  bic  ©renje  geführt, 
beren  er  jur  SBertheibigung  feine*  ©ebieteS  —  etwa  auch  Snr  Söertheibigung 
burch  ben  Ausfall!  —  beburfte,  weber  in  Belgien  noch  in  ber  greigraffetjaft 
noch  gar  im  (Slfaß;  jerftucfelt,  fehlest  georbnet,  fehlest  gefchufet,  burchauS 
unoollenbet  unb  vorläufig  lag  gerabc  im  Glfaß  ber  franko fif che  9?eueiwerb 
neben  unb  jwtfchen  bem  «öefifothume  beS  deiche*,  biefes  bebrohenb,  aber 
auch  oon  ihm  bebroht.  ©r  mar  hineingeschoben,  ein  Keil,  in  bie  verfallene 
3Wenge  ber  elfäffifchen  Stäube  unb  f  leinen  Staaten:  baß  eS  bei  bem  3u* 
ftanbe  oon  1648  nicht  bleiben  fonnte,  baS  forberte  jebe  £onfequen$  eines 
jahrhunbertalten  europäifchen  ©egenfafceS,  baS  erfannten  bie  ^eitgenoffen 
atterorten,  baS  brängt  fich  bem  SBUcf  beS  ^iftoriferö  als  flare  9ioth* 
wenbigfeit  auf. 

©ine  Veränberung  mürbe  gefchehen  —  fooiel  war  gewiß ;  welcher  9lrt 
fic  fein  mürbe,  fonnte  bem  nicht  jtoeifelhaft  fein,  ber  baS  heilige  römifche 
SRcidt)  beutfeher  Nation  rannte. 

©S  braucht  fax  nicht  gefchilbert  ju  werben.  $ie  oolle  Sluftöfung 
ber  3fleichSüerfaffung  mar  im  roeftfälifchen  ^rieben  legaliflrt  roorben;  tief 
griff  baS  3luSlanb  in  jebe«  beutfehe«  fttüereffe,  in  ba*  ©etriebe  ber  beutfehen 
Äleinmfichte  hinein;  in  ^egen^burg  ging  ba«  Spiel  auämärtiger  unb  ein* 


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  £nön>ig  XIV.  unb  Strafcbnrg.    —  227 

f)eiimfd)er  3ntrigue,  ber  ftampf  um  bie  Keinen  $)inge  unb  großen  gormen, 
in  trüber  SBieberfwlung  von  %af)x  &u  3ajr.  2BaS  ben  3eitgenojfen  roidjtig 
ersten  unb  oft  gewiß  fo  erfd)einen  mußte,  oermögen  mir  nur  mit  3elbft- 
äberminbung  ju  betrauten  unb  ju  roürbigen ;  uns  oerföjnt  mit  bem  laborintis 
fc^en  ©eroin  bec  bamoiigen  $oUtif  nur,  mag  manchem  ehrlichen  2Wanne 
bamalS  bloS  ein  neues  böfereS  dement  beS  93erberbenS  feinen  mochte, 
baS  2lufj!eigen  SBranbenburgS.  $>en  treibenben  internationalen  Slnftoß  aber 
oerlief)  biefer  Staatemoelt,  unb  inSbefonbere  ber  füblidjen  unb  roeftlidjen, 
berjenige  ©egenfafc,  ber  urfprfinglid)  mit  bem  SReiäje  gar  ntd)ts  ju  t$un 
hatte,  ber  ©egenfafc  beS  §aufeS  fiabSburg  gegen  granfreid).  Stets  rourbe 
in  ihn  baS  SReidj  fnnetngejogen;  eS  half  ihn  auSfämpfen  —  freilid)  mit 
einer  £ülfe,  beren  SBertlj  oft  rea)t  jroeifelhaft  mar  — ;  eS  hat  nie  in  ihm 
gewonnen,  oielmehr  ftets  beitragen  mfiffen,  in  ihm  ju  jaulen  an  ©elb  unb 
33lut  unb  an  eigenen  ©liebern.  $ie  SKeberlagen  ber  Habsburger  büßte 
es  mit,  oon  ihren  Erfolgen  hat  eS  feinen  (Segen  gehabt.  Unfere  Äenntniß 
ber  $olitif  SeopolbS  I.  ift  oiefleidjt  nod)  immer  $u  gering,  um  ein  Ur= 
theil  su  rechtfertigen;  baß  ber  ©rfolg  aber  bem  entfprad),  roaS  eben  ge* 
Tagt  mürbe,  bafür  ift  StraßburgS  Sd)i<ffal  ber  fpredjenbfte  93eroeis  ge= 
roorben.  Subrotg  XIV.  fclber  hat  fi$  einmal  in  gleichem  Sinne  geäußert. 
„2Bie  fehr  auch,"  entrotcfelte  er  1680  feinem  SBiener  ©efanbten,  „baS  SReid) 
im  franjöfifchen  äriege  &u  leiben  ^aben  tonnte,  bie  SWinifter  beS  ÄaiferS 
erhoffen  für  ifm  uub  für  ftd)  bod)  immer  einen  Sßortfjeil." 

©in  Srümmerroaü",  bem  großen  Trümmerhaufen  beS  SReidjeS  oorge= 
lagert,  ift  bie  elfäffifche  Staatemoelt;  ein  Xrümmerftüd,  trümmerhaft  außen 
unb  MS  in  ben  flern  hinein,  ift  auch  Straßburg,  bie  SReichSfwbt. 

fieibhaftig  genug  fteht  baS  Straßburg  bes  XVII.  3ahrhunbertS  oor 
unferen  Slugen.  3m  3at)re  1697  wirb  bie  @intooImer&aI)l  auf  28,000 
Seelen  angegeben:  mir  haben  Slnlaß,  für  bie  oorhergehenben  Sahwhnte 
ungefähr  eine  gleite  Summe  anzunehmen.  3n  jenem  3af>re  fd)tlberte  ein 
franjöfifc^er  Beamter  bie  Straßburger  fo,  roie  fie  nod)  ^eute  finb:  arbeit* 
fam,  nüchtern,  philiftröS;  es  gebe,  fagt  er,  roenig  große  Vermögen  unb 
nicht  oiel  2lrmuth:  eine  getoiffe  mittlere  §9 Je  genüge  ben  39etoot)nem 
Durchweg;  faft  alle  feien  fte  Sut&eraner;  ber  eigentliche  ©roßhanbel  liege 
meift  in  ber  £anb  refonnirter  Sdjmfcoerwanbten.  $>er  $anbel  war  bie 
^auptqueCe  beS  ©rwerbS;  auf  bem  Steine  befaß  bie  Sd)iffsleutaunft  ein 
weitgebehnteS  Monopol;  „baS  ©anbelsintereffe,"  ber  franjöfifche  attinifter 
fagte  es  Mar  heraus,  „ift  bie  §anbhabe,  an  ber  man  bie  Stabt  ju  bewegen 
hat."  $te  Stabtoerfaffung  Jatte  fid;  normal  im  ©eleife  ber  allgemeinen 
beutfa^en  (Sntwicflung  fortbewegt:  noch  beftonben  bie  gormen,  roie  bie  ab-- 
1^lie§enben  inneren  kämpfe  beS  fünfodmten  SahrfmnbertS  Tie  ge[d)affen 
hatten;  aber  bie  Bewegung  roar  in'S  Stocfen  geraden,  baS  |iel>enbe  2Ba)f er 
ber  munijipalen  Oligarchie  fiel  langfam  ber  gaulniß  anjeim.  Wlan  Jatte 
angeblia)  bemorratifdjes  «Regiment,  bie  ^atrijier  waren  nid;t  befonber^ 


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228 


<£r id?  tftarfs  in  Berlin. 


einflußreich,  au*  ben  3unf*cn  9tn0  bie  Söerfammlung  Der  Schöffen,  aus 
ihnen  her  Sftath  h*n>or.  3)rei  engere  flörperf  (haften,  bie  brei  geheimen 
Stuben,  bilbeten  in  2Ba^eit  bie  SSermaltung;  an  ber  ©pifce  ftanben  bie 
2lmmeifter,  bie  eigentliche  ©eroalt  hatte  baä  Kollegium  ber  Xlll.  (£s 
mar  übrigen«  gleichgültig,  wer  im  2tmte  mar:  ein  2lnjahl  oon  gamüien 
regierte  bodt)  nur.  Sßir  fe^en  bie  Vorgänge  innerhalb  ber  alten  ©tabt  mit 
lebenbiger  Älartjeit  cor  uns  in  bem  Tagebuch,  baS  oon  1667  bis  1710  ber 
2lmmeifter  granciScuS  SReijjeißen  geführt  unb  baS  SR.  SReufe  in  Straß« 
bürg  herausgegeben  hat :  Stahlen,  gormfragen,  f  leine  unb  um  fo  giftigere 
©egenfäfce  treten  roieber  unb  roieber  auf:  bie  9Hänner,  roeldje  im  3linte 
ftehen,  finb  geroönhlia)  ©chmäger  föeißeißenS  ober  bergleidjen;  ein  junger 
©tra&burger  aus  gutem  £aufe  ftubirt  Humaniora  unb  Siebte,  reift  in'* 
HuSlanb,  befugt  «garte,  tritt  in  eine  3unft  ein,  wirb  ©äjiöffe;  bann  faüen 
ihm  bie  fletnen  Slemter  mit  ihren  mancherlei  oft  recht  rounberlichen  #er= 
günfligungen  ju,  fpäter  eine  ©teile  in  ber  ginanaoerroaltung,  fchtiejjlich 
in  ber  politifchen  Serroaltung.   ©roße  £inge  tragen  fich  nicht  ju;  ein 
brafonifcheS  Verbot  beS  fragen*  oon  ©ptfeentjauben  bringt  einmal  bie 
ganje  Öürgerfchaft  in  $aber;  SHeißeißen  flagt  babei  „wie  man  (b.  h- 
9iath)  anjefco  oljnnöthiger  roeiß  folche  semina  discordiae  caufirt  unb  annoch 
ju  feinem  Temperament  fchreitten  roiH,  roelcheS  boch  enblia)  roürb  feon  müffen." 

@S  gab  ^arteten;  ba  mir  aber  faft  nur  Duellen  aus  ben  regierenben 
Greifen  haben,  fo  roirb  und  baS  Seftreben  ber  Dppofition  nicht  ganj  beutlich; 
im  ©anjen  mar  bie  93olfSmaffe  fct)roff  antifranjöfifch,  bie  Regierung 
biplomatifirte  mehr.  2öir  hören,  baß  einige  SRonate  lang  giftige  unb  teufttfd&e 
SPaSquiUen,  gegen  ben  regierenben  3lmmeifter  auSgeftreut,  bie  ©tabt  in  bie 
furchtbarfte  Erregung  oerfefeen ;  fchließlich  oerräth  fich  ber  Söerfaffer  unoor* 
ftchttgerroeife,  es  ift  ein  ,3urift  oon  tarnen:  o  bone  deus,  jammert  S%ei§= 
etßen,  in  quae  nos  teinpora  rcservasti!  &er  ©ünber  bereute;  aber  ber 
Äopf  mürbe  ihm  boch  abgeschlagen.  3n  ben  {(einen  ^erhältniffen  ber  ©tabt 
ging  eben  jeber  fachliche  ©egenfafc  rafch  in  einem  perfön(i<hen  auf;  um 
große  fragen  fonnte  es  fich  niemals  banbeln;  moher  hatte  ein  groger 
Antrieb  fommen  follen  ?  25er  alte  23ürgerftolj  mar  erftorben,  ein  SSaterlanb 
hatte  man  nicht,  aus  bem  deiche  mehte  nur  eine  bumpfe  Äellerluft  herüber  : 
fein  SBunber,  menn  ©traßburg  nicht  bejfer  mar,  als  bie  übrigen  fletnen 
©tänbe  bes  Meiches!  2lud)  in  ber  näheren  Umgebung  Vichts  al$  ^alttofee 
Äleinleben.  $er  SJerfaffer  jenes  Tagebuches  finbet  einmal,  als  eS  fich  um 
bie  grage  hanbelt,  ob  ©traßburg  am  SReichSfriege  gegen  granfreich  tf>eiU 
nehmen  foH,  bie  gormel  für  bie  ©tellung  feiner  ©tabt:  „etliche  herren 
.  .  .  incliniren  fehr"  jur  Aufhebung  ber  Neutralität;  „ich  aber  W** 
baroor,  e3  fcpe  beffer,  etroaS  auf  bem  lanbt  (ringsum  ftanben  nämlich 
bie  gegnerifchen  fteerhaufen!)  ia  alles,  meines  ©ott  »erhütte !,  oerlohren, 
alß  fich  auß  ber  neutralitaet  ju  fefcen  unb  bamitt  bem  äußerften  ruin  bura) 
hemmung  ber  commercien  thür  unb  thor  ju  eröffnen.   Sed  non  omnes 


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  £ubn>ig  XIV.  unb  Strajjbarg.   229 

eapiimt  hoc."  Non  omnes!  9iodj  gab  e$  SRemintacenjen  an  bie  große 
3eit  her  ©traßburger  $olitif  —  aber  man  fie&t,  rote  fic  erfterben  mußten. 
Unb  neben  biefem  oerfadenben  SBefen  bte  ©roßmadjt  granfreidjä!  Vlotf)* 
roenbig  unb  ftdjer  enttoicfelte  fid)  aus  bem  Stebenetnanber  oon  9Reidj,  ©trafen 
bürg  unb  granfreid),  in  tragifdjem  gortgange,  ber  galt  ber  ©tobt. 

3n  93ejiejungen  audj  politifd^er  2lrt  flanb  bie  ©tabt  längft  ju  bem 
toeftlid&en  9tod)bar.  ©ie  mar  mit  ifmt  oerbünbet  feit  ber  Deformation; 
fte  tydte  fidr)  tf)m  audj  ba  nie  rücfljaltloä  Eingegeben,  damals  julefot  fpielten 
ja  unfere  ©tobte  eine  fetbftftänbige,  bebeutfame  9lou*e  in  ber  ©nttoicfelung 
ber  beutfdfen,  ja  ber  europäi)d)en  3lngelegenr)eiten.  2Watt  mürbe  ber  Sin* 
tffeit  bereite  im  30  jährigen  Äriege;  feit  1648  fudjt  fid)  ©traßburg  ber 
Umflammerung  ber  franjöfifd^en  greunbfdjaft,  bte  e$  boä)  ntd)t  oertefeen 
mag,  nur  eben  nod)  ju  erioelnm  3l\xn  faßte  granfretd)  allgemadj  feften 
guß  in  feinen  neuen  ©ebieten;  in  tounberlidjem  fingen  untertoarf  ber 
Staat  ßubroig'S  XIV.  fid)  (angfam,  auf  bie  ©djonung  ber  DegenSburger 
Sompatf)ien  bebaut,  bie  mtberftrebenben  fleinen  ©täbte  ber  $agenauer 
Wogtet :  £^ödt)ft  eigenartig  [tieften  babei  bie  monardjifdjen  ©taatäanfdjauungen 
ber  föniglid)en  Beamten  mit  ber  rei$3red)t(i$en  Sibertät  biefer  roinjigen 
Ortfajaften  jufammen.  $)a3  Jtönigtfmm  tonnte  biefe  fiibertät  nidjt  bulben: 
e$  f$lug  fte  in  ©gerben.  21(0  nadj  24iär)rigem  SBaffenfttüitonbe  1672 
bie  allgemeinen  europatfdjen  ©egenfäfce  im  t)oHänbif(^en  Kriege  oon  Neuem 
auf  einanber  trafen,  jeigte  e3  fidj  ba(br  baß  aud)  ©traßburg  9iid)t3  meljr 
fein  fötme  in  fid),  baß  e$  nur  nod)  ein  ©egenftanb  unb  ein  Kampfmittel 
be3  großen  rjab$burgifc^bourbonif(r)en  2Biberftreite$  fei.  9leußerlidj>  ^roar 
umroarb  man  e£  roie  eine  felbftftänbige  2Jtod}t;  feine  Neutralität  follte  eä, 
je  nadj  bem  Qntereffe  ber  friegfüfjrenben  3Jtäd)te,  aufredet  erbalten  ober 
opfern;  feine  Dfyeinbrütfe  rourbe  ifyn  oon  ben  granjofen  »erbrannt,  oon 
ben  Äaiferlid^en  benufot;  in  fn'Iffofem  ©djtoanfen  fatyen  bie  Bürger  ju,  bis 
ne  föließlid)  bodj  ben  flrteg  an  granfreid)  erflären  mußten.  Siele  greube 
daben  fte  in  biefem  Kampfe  md)t  erlebt:  bie  troftlofe  3^fa6renl)eit  beS 
NetdjeS  mar  ifuten  in  ben  ftets  nrieberfjolten  Mißerfolgen  ber  dteifyfyeete 
aus  nädjfter  Näf)e  re<r)t  greifbar  oor'3  2luge  gerfteft  morben.  Xann  führte 
ber  griebe  oon  9iimmegen  1678  ben  glänjenben  ftönig  auf  ben  ©ipfel 
feiner  europäifdjen  Uebermadjt;  e3  seigre  fid),  baß  ©uropa  nodj  uidtjt  im 
Stanbe  mar,  berfelben  5U  roiberfterjen,  gebemütfjigt  mußte  jeher  ©egner 
SubmigS  fid)  beugen,  unb  triumpljirenb  befd)rieb  im  ©piegelfaale  be^ 
S3erfaiöer  ©a)loffe^  ber  farbenprädjtige  ^3infel  Sebrun'^  bie  ©iege, 
bie  $errlid)feit,  bie  gottätmlid)e  2lllmad)t,  bte  ©a^ranfenlofigfeit  feinet 
föniglidben  ^errn,  mie  ber  ßrieg  oon  1672  bi^  1678  fte  ju  2"age 
geförbert. 

2ßie  aber  mar  bte  33ebeutung  bcö  neuen  griebcnsfdtfuffeS  für  Straßs 
bürg?  3rocicr^ei  roar  9an3  beutlia):  erftens,  baß  bic  £ibertät  ©traßburgS 
für  granfreid)  gan3  unerträglia^  geworben  mar;  jroeitcnä,  baß  biefc^  ben 


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230    (Erid?  lUarfs  in  Berlin.   

Haren  @ntfd)luf?  auSgebrütft  ^atte/  feine  angebtitfcen  diente  von  1648  jefct 
burd)jufüln,en.   93eibeS  mug  fner  etwas  nafjer  bargetegt  werben. 

©rftenS  bie  Unentbef)rlid)leit  beS  93efifce8  für  £ubwig  XIV.  Der 
vergangene  ßrieg  fyatte  jtd)  jum  guten  Steile  in  ©aben  unb  ©Ifafc  abge^ 
fpielt;  mehrmals  lu'ng  ber  ©rfolg  ber  Operationen  am  33efifce  beS  SHljein: 
übergangen,  ©anj  unrerfennbar  mar  eS  geworben,  bog  bie  33e^errfd)ung 
beS  ftrategifd)  beftimmenben  spiafceS,  eben  ber  Stabt  Strafeburg,  baS  einjige 
SRittel  war,  baS  (Slfag  feft$u^a(ten:  Srragburg  in  foiferlt$en  fcänben 
laffen,  l)ieg  auf  bie  frrategiföe  SuSnufcung,  auf  bie  ruhige  aSerwerttjung 
ber  etfäffer  Erwerbungen  ein  für  alle  9Wale  oerjid&ten.  Souoois  unb 
Subwig  waren  aber  entfdjloffen,  tyre  europäifdje  Uebermad&t  jum  2lbfc&tug 
tyrer  SRadjtfieuung  am  D&errljein  ju  benufcen,  jte  burd)  biefen  3lbfd)luB 
erft  su  fettigen.  Da«  93enefjmen  ber  Stragburger  felbft  fam,  ba  eS  ftdi 
um  fo  groge  internationale  gragen  rjanbelte,  tr;atfä<$lid)  nidjt  inöerradfjt: 
eS  ift  baS  Sd)i<ff«l  fold)er  ©renjprooin&en,  bag  Tie  fid^  niajt  felber  be* 
ftimmen  fönnen,  bag  fie  ben  SBebürfnijfen  grögerer  flörper  einmal  geopfert 
werben;  fo  war  eS  unb  fo  ift  eS  nod).  Aber  blufte  nun  ein  granjofe  auf 
baS  Auftreten  ber  SReid)sftabt  im  legten  ßriege,  mugte  er  fidj  nidjt  faft 
bered&tigt  füllen  jur  ©emalttfjat  burd)  bie.  fdmxmfenbe  3roefoeutigfeit  ber 
Stragburger  ^ßolitif?  Die  armen  Stragburger  Ratten  nidjt  anberS  gefonnt; 
aber  ein  ©rogjtaat  Ijatte  feine  SBeranlajfung,  tfmen  ein  fo  bebenflid&es  Spiel 
aud)  fünftigfjm  frei  ju  laffen.  9Hilitanfdj  unb  polittfd)  mugte  Srragburg 
in  eine  feite  Stellung  gebradjt  werben;  bie  Sogif  ber  europäifd)en  £age 
forberte  eS.  Das  SReidj  war  ju  fd)mad),  eS  an  fidj  $u  sieben;  es  war 
9iiemanbem  jweifelfjaft,  bag  granfreid)  eS  annectiren  mugte  unb  wollte. 

Denn  zweitens:  trjatfädjlid)  trotte  bie  franjöfifdje  Diplomatie  in  ftim; 
wegen  ja  erflärt,  bag  fie  eS  nehmen  würbe.  @£  ift  oben  angebeutet 
worben,  wie  bie  beutfc&en  Unterfjänbler  ben  franjöfifdjen  2lnfprüd)en  burd) 
ftare  Abtretungen  eine  flare  ©renje  auferlegen  wollten  unb  wie  bie  granjofen 
•Jftcfjts  baoon  annahmen,  unter  ber  ©rflärung,  fie  be^arrten  auf  bem  SWed^te, 
baS  ifmen  ber  weftfälifdje  grieben  gegeben  fyabe.  2BaS  fie  bamit  meinten, 
rougte  ade  SBelt.  ßaifer  unb  Stäube  erliegen  einen  ^rotejt;  fie  blieben 
juriftifd)  in  uoHem  5Red)te;  aber  fie  fd)lojfen  grieben.  Damit  war  für 
bie  Xtjatfad&en,  wie  fie  fommen  mugten,  Stiles  entfd&ieben.  ^voei^tlfyift 
tonnte  nur  bie  2lrt  unb  SKeife  fein,  in  weldjer  SouuoiS  oorger^en  würbe. 

2lud)  hierfür  waren  bie  ©runblinien  bereits  oorgejeid)net.  ©inen 
9>led)tstitel  wollten  fie  gettenb  madjen,  fagten  bie  granjofen:  Tie  wanbten 
bie  9ied)tsform  babei  an.  Das  war  feit  SJZünjter  oorbereitet.  greitt$, 
bie  fpecielle  gorm,  bie  ber  9ttinifter  ßubwigS,  ber  in  jenen  Sauren  bie 
^olitif  feines  &errn  befttmmenb  oertrat,  SouooiS,  in  feiner  grobjufa^renben, 
ffrupeHofen,  aber  madjtoollen  ©eroaltt^ätigfeit,  wählte,  war  neu  unb  f(^ltefeli<^ 
boa)  überrafdjenb.  Die  Kammern,  bie  er  in  3Keft  unb  Sreiiad)  einrio^tete, 
gingen  oom  9fed)t$)"tanbpun?te  aus,  freuten  cor  bem  entlegenen,  bem  un= 


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- —    £uJ>u>ig  XIV.  unb  rtragburg. 


23  { 


lua^rftcn  Argumente  ni$t  jurüdf,  griffen  über  bie  ©renken  i^reS  (Staates 
rucffio^tloS  fnnauS,  entbedften  überall  alte  SelmSanfprfld&e  3ranfreidj>S,  bie 
ber  Unfall  ber  brei  lotf)ringifd&en  33iStf)ümer  unb  beS  (SlfaffeS  i§m  ein: 
gebraut  l)abe,  unb  oerfügten  o^ne  mirflid&en  Sprojeß,  ofme  Berufung,  ben 
$off$ug  iljrer  ©nfdfjeibungen  bur$  franjöjifd^e  Regimenter.  3n  bie  SÖunben, 
bie  fie  fa^lugen,  träufelte  gerabe  bie  3Redf)tSform,  weld&e  bie  ©eroalt  um; 
(lütten  mußte,  äfcenbeS  ©ift  hinein;  ber  2JHßbraud&  beS  feierlichen  93er = 
fafjrens  roirfte  auf  bie  üBelt,  weldfje  bie  Sfyitfadfjen  felber  fjatte  erwarten 
müifen,  wie  ber  ennifdjefte  £ofm.  „25?er  bürgt  bafür,"  rief  ber  große  Äurs 
fürjt,  „baß  5ron^r^C  morgen  nid&t  9Ragbeburg  ober  Berlin  reuniren  wirb?" 

gär  ©traßburg  waren  es  (eibootte  Qatyce,  bie  swifdjjen  bem  9Kmweger 
3lbfd)luffe  unb  bem  @inmarfdf)e  SouooiS'  tagen.  Daß  „biefer  J-rieben  allein 
ein  QnterimSfrieben  fd)iene  unb  man  fi<$  mit  gittern  frewen  müffe,"  fprad) 
man  fofort  aus  im  9tatf>e  ber  Dreijejm.  93alb  fd&lug  bie  franjöfifd&e 
^olitif  einen  fjerrifdjeren  Xon  an  als  bisher,  ei  folgten  bie  SReunionen, 
bie  Sanbbejirfe  ©traßburgS  mürben  weggenommen,  ber£anbel  unterbunben; 
„wenn  ©eoatter  Subwig  2lmmeifter  fein  wirb/'  —  fo  Ijatte  man  fidj  wof)l 
tjier  unb  bort  auSgef prodfjen  —  „bann  wirb  2WeS  fidj  beffern."  21  ber 
im  Allgemeinen  überwog  Abneigung,  33ebrücitf)eit,  bumpfe  Erwartung. 
Sitter  bemerft  ^eißeißen  ju  einer  fömglidjen  Verfügung:  „Ratio:  le  Roy 
le  veut"  ^rotefte  ber  Stabtregierung  waren  obnmäd&tig.  Unb  bie 
SJtaffe  beS  SßolfeS  fdt)rie  über  58erratf). 

(SS  ift  eine  alte  3ln!(age  gegen  baS  ©traßburger  Regiment,  baß  ei 
fidj  fyabe  oon  fiubwig  XIV.  faufen  laffen.  fiouoois  felbft  fjat  fie  oerbreitet, 
um  feine  ©ewaltttyat  minber  gewaltfam  erfd&einen  ju  laffen.  ÜJton  f)at 
oon  einer  franjöfif^en  Partei,  oon  Korruption  fonber  ©leidjen  gefprodjjen. 
2Rit  Unred^t:  eine  93efted(jung  wenigftenS  in  einem  für  jene  3*ü  irgenb 
erheblichen  üttaßftabe  ober  oon  einer  entfdjeibenben  33ebeutung,  baS  barf 
man  tyüte  oerfic^ern,  fjat  nid&t  ftattgefunben ;  felbft  bie  SSirffamfeit  • 
bei  Jürftenbergifo^en  SBifctyofS,  ber  im  franjöfifdjen  ©olbe  ftanb,  begann 
in  2Baf)rf)eit  erft  nad&  ber  einnähme;  gerabe  Segreüe  $at  ausgeführt, 
wie  weber  ©elb  noch  ©i;mpatf)ie  fiouoois  bie  ^ore  geöffnet  tyabe:  er 
erfct)loß  fie  mit  Waffengewalt,  ©in  faiferlicher  ©efanbter  wirfte  in  ber 
8tabt  für  feinen  &erm:  baß  er  irgenb  etwa«  erreicht,  gett)an  fyatte, 
fetjen  wir  nidt)t ;  feine  3Cnroefenl)eit  aber,  bie  an  fiä)  gan$  legitim  war, 
gab  ber  franjöfif<$en  Diplomatie  eine  neue  2Baffe  in  bie  £anb:  ein 
flunbfehretben  fonnte  ber  SBelt  oerfünben,  Subwig  tyxbe  eilen  müffen,  um 
bie  ©tobt,  bie  ilmt  gehöre,  nicht  in  Sababurgs  §anb  fallen  ju  laffen. 

Der  Sergang  ber  einnähme  foll  hier  nicht  erjagt  werben.  £ouooiS 
fjatte  2WeS  oortrefflid;  oorbereitet;  bie  Stabt  war  ofme  Xruppen,  bie 
auflobernbe  SBut^  beS  Golfes  bracb  balb  in  fia)  jufammen;  man  ging  an'S 
Unter&anbeln.  3m  Straßburger  ©tabtarc^io  liegt  eine  2lbfd&rtft  beS  Se= 
ria^teS,  weisen  bie  Stabtregierung  ber  Serfammlung  ber  300  ©Höffen 


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232    <2ridf  HTarfs  tu  Berlin.   

oorlegte,  bamit  biefc  fidfj  über  2Cu^arrcn  ober  Uebergabe  entfdjeibe.  Ea 
werben  erfl  in  fanger  Steide  bie  Urfad)en  entnricfelt,  wetd)e  für  tapferen 
2Eibcrftanb  f pradjen:  tiefet  Mißtrauen  gegen  3fr<*nfreidj,  all  bie  fd)limmen 
folgen,  bie  bem  SBerlufte  ber  Selbftänbigfeit  entfpringen  mußten,  bie 
Trennung  oom  alten  93aterlanbe,  ju  beffen  Seinben  man  fid)  nun  gefeüen 
foffte;  Sdjeu  oor  bem  Urt^ei(e  ber  berufenen;  bie  ©ere$tigfett  ift  für 
Straßburg,  bie  ^eilige  Schrift  bezeugt  e«,  wie  oft  „bie  göttlid&e  2lü"maa)t 
ben  Stolj  einer  großen  9ttad)t  bur$  einen  f (einen  §auffen  geftürjt  unb 
Sdf)anben  gemad)t  fjabe."  SRocIj  einmal  beraubte  man  fidfj  fo  an  großen 
unb  ooden  SBorten;  roie  mögen  bie  §anb  werter  ber  alten  9Jeidj£ftabt 
ilnren  Seifaß  gejubelt  fjaben,  ba  foldje  Spraye  ju  ifmen  erlang!  3lbet 
fte  waren  uerftänbige  Eeute.  $)ie  Steide  ber  ©rünbe  miber  ben  Äampf 
mar  ffirjer  at«  bie  oorfjergegangene;  Ü>r  Xon  mar  trocfner  —  aber  ü)re 
SSudjt  entfdjjeibenb.  SranfretdfjS  Uebermaajt  ift  riefengroß  unb  oor  9111er 
9lugen,  bie  Stabt  unbewefnl,  £ülfe  ntajt  ju  erwarten;  felbft  eine  fürjere 
©egenroefir,  roeldfje  ^Pflidtferfüßung  gegen  ba3  alte  Söaterlanb  mit  redjt: 
zeitiger  Älugr)eit  be3  ■JtodjjgebenS  oerbänbe,  fehlen  bem  9iatfje  aßju  gefaip 
(id);  rafdje  (Ergebung  —  unb  ©rgebung  mar  bod)  unoermeiblidf)  —  fic&erte 
am  heften  gute  93ebingungen.  Unb  aud)  hierfür  wußte  bie  Sdjrifthmbe 
ber  Staatsjurtften  StraßburgS  einen  biblifajen  ©runb  in'S  Jelb  au  führen: 
jur  Strafe  für  Sünben  f)atte  ©Ott  fein  eigen  SSoI!  ja  oft  genug  beffen 
geinben  in  bie  £änbe  gegeben  unb  iljm  „nidfjt  erlaubt  fid)  &u  befenbiren." 
60  foß  man  fid?  brein  fanden  „in  dnriftlidjer  ©elaffen&eit." 

$ieS  Sajrtftftüd,  ba«  fo  pebantifä)  unb  fjülfloS  etn^erf breitet !  in 
bem  baroefen  galtenwurfe  feines  gür  unb  SSiber,  ift  ba3  beseid&nenbe 
Xeftament  ber 'Straßburger  Unabfjängigfeit.  3Me  Kapitulation  fieberte  ben 
gortbeftanb  ber  alten  SBerfaffung,  ber  ^rioilegien,  aud)  ber  Gonfeffion; 
Sieißetßen  fdf)rieb  einer  Vergangenheit  oon  3a^unberten  bie  nüd^teme 
®rabfa)rift:  „<&  oerbleibet  alle«  im  alten  ftanb,  unb  oerfwffe  idf),  wir 
werben  arme  jiatt  ber  libertaet  wiberumb  ben  flor  ber  Commerden,  wela> 
gaenfclid>n  erliegen,  bekommen."  Unb  9ieißeißen  war  ein  guter  Straßburger, 
ein  aajtungewertfjer  9Jcann. 

3m9ieicr)e  war  bie  Erregung  groß;  fie  blieb  olme  Saaten.  Xer  große 
ßurfürft  geftanb  feufecnb,  baß  man  9Zid&tS  auSriä)ten  fönne.  Straßbur<; 
war  nid&t  511  retten  gewefen.  3)tan  war  fror),  baß  granfretdj  oerfpra<t>, 
jefet  wenigften«  £alt  ju  mad&en.  ©rft  in  ben  naa)folgenben  Salnren  trug 
bie  SBegnatyme  ber  9ieid^sftabt  fortwirfenb  ba}u  bei,  ben  fiegreia^en  35>elt= 
bunb  gegen  bie  Uebergriffe  be3  ßönigö  5U  begrünben. 

 Taä  Verljültniß  Subwig^  XIV.  ju  Straßburg  l)atnaa)  ben  September* 

tagen  oon  1(581  nod)  eine  lange  Ö5efdr)td)tc  oon  oierunbbreißig  ^ren  gehabt: 
für  bie  innere  ISntwidlung  ntd)tKbie  intereffelofere  Hälfte  biefer  Sejier^ungen. 
^ier  foü  nur  nod)  bie  grage  berührt  werben,  welcher  SRid)tung  oon 
SJubwigä  MV.  «folitif  bie  ©innaljmej Straßburg«  angehört,  derjenigen 


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  fflbung  XIV.  unb  Strasburg. 


233 


ber  nationaler  Slbrunbung,  her  contmerjieüer  2lu£breitung  nidjt:  benn  bie 
Nationalität  be$  (Stfaffcö  fjat  ba3  franjöftfcfje  Äönigt&um,  mit  (Sonfequenj 
roenigftenä,  nidjt  angetaftet.  $a$  93erfjältm§  su  Strafeburg  blieb  ein  s33er= 
tragSoerljättnife  auf  ©runb  ber  Kapitulation  oon  1681,  unb  ber  Sßcrfet)r  ber 
ßanbeteftabt  rourbe  feine^toegS  in  bie  Sahnen  fransöjtfdjen  Sebent  fn'neinges 
jroungen:  bie  &aupt$oHgren5e  lief  nidjt  jroifa^en  Strafeburg  unb  bem  ^Heic^e, 
fie  ftt)ieb  ©Ifafe  unb  bie  lotfiringifdjen  Sistlulmer  uiefmef)r  als  provinces 
6trangt'rcs  effeetives  oom  franjöftfdjen  ©efammtförper  ab.  Vielmehr  ift 
biefe  Sinnerion  ber  militärifdjen,  ber  ant^ab^burgifa^en  föidrtung 
ber  ^olitif  einjuorbnen:  fie  fajlofe,  wie  eine  9J?ün5C  feientb  besagte,  ©allien 
oor  ben  ©ermanen  ab,  Tie  fid&ertc  (Slfafe  unb  mattete  s3aben  5um  ,,©laci<3  ber 
fransöfif^en  ©rensfeftung".  2>er  &iftorifer  —  Souooi^  (SamiUe  3touffet, 
fjat  in  glänsenber  pfnd&ologifdjer  @ntn>ictlung  ben  ©influfe  f>eroorgel)oben, 
ben,  neben  allen  politifdjcn  Beregnungen,  bie  (SroberungSluft  be$  Golfes 
felber  unb  be£  tfönigS,  ber  fein  SBolf  oerförperte,  aud)  auf  alle  biefe 
Kriege  gerabe  in  Subroig«  XIV.  guter  3eit  ausgeübt  fjat. 

(Spurlos  natürlich  ging  bie  3ugel)örigfeit  ju  bem  großen  StaatSförper 
an  (Strafeburg  nid&t  oorüber.  ©ine  2lu$naf)meftellung  behielt  e3  freilid), 
aber  bie  Verwaltung  be$  fransöfxfdjen  ßönigtlmms  griff  aud)  in  Die  ©er« 
faffung  unb  Senfung  be$  ctabtwefenS  uon  Strafeburg  im  ©uten  unb  Böfen 
umgeftaltenb  fjinein.  SBejeidmenb  ift  e3,  bafe  bereite  ÖubwigS  erfter 
3ntenbant  bie  beutfdje  grauentradjt  befämpfte,  bafe  aber  erft  bie  2lbgefanbten 
beä  GonoentS  „ben  Särgerinnen  oon  Strafeburg"  bie  ,.modes  allemandes" 
bauernb  oerbieten  mufeten,  „ba  beren  $erjen  fran$öfiiä)  finb",  —  mit  bem 
ftiUfd&roeigenben  £inwei$  auf  bie  ©uiüotine!  2ln  ber  3wirterf)aftigfeit, 
bie  feitbem  fein  Sd&icffal  geworben  ift,  franft  bas  elfafufa^e  Volf*tlmm 
nod)  Ijeute  im  Xiefften. 


ilütb  mrt  eiib.  L.  153. 


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Hifolaus  unb  3oI?annc5  von  Pifa. 

Don 

2luguft  Sdjmarsoro.*) 

—  Breslau.  — 


nun  irgenbroo  erquirft  ben  Grforfdjer  ber  Vergangenheit  fo  fübi- 
bare  Genugtuung,  al£  wenn  nad)  langem  Sterben  um  %  2>er= 
ftänbmä  ein  Senfmal  naä)  bem  anbern  fidt)  ifjm  erjäjliefct,  um 


ba$  Senfen  unb  (Smpfinben  eiue3  längft  begrabenen  ©efä)led)te3  iljm  per- 
fönlt<f>  $u  offenbaren,  ©inft  rebeten  bie  2i>erfe  ber  Stunft  eine  21  Elen  ner 
ftänblidje  ©pradje;  benn  2luffa|fung  unb  (Sinnesart  if)rer  3e^  Com  ifmen 
auf  falbem  SBege  entgegen,  unb  mag  fie  3U  fagen  fjatten,  lag  gleidjfam  in 
ber  #uft,  bie  ftünftler  unb  SJHtroelt  gemeinfam  atmeten,  <peute  bringen 
mir  nur  langfam  ju  bem  tfern  if)re$  SBefenä  burd);  bie  GrfdjeinungSformen 
nehmen  unfern  23lid  3U  fefjr  gefangen,  bie  UnooHfommenfjeiten  ftören,  bie 
eigensten  befremben  uns;  oft  bringt  erft  umfaffenbeS  Vergleichen  bie 
djarafteriftifaje  9tote  jur  Unterfdjeibung.   föaben  mir  aber  einmal  erfaßt, 

*)  2>er  Jperr  Skrfaffer  beginnt  eine  3foIgc  öon  Stubicn  bcrauSaugeben  unter  bat 
Xitel:  „Staltcnifdjc  ftorfdmngcn  jur  $?unftflcfdjid)tc*'  (33re8lau,  Sdjottlaenber).  Qi  ift 
unS  eine  grofec  tfreube,  aus  bem  bemnädjft  erfdjeinenben  erften  ©anbe  bicfeS  <3ammcl 
wertes,  meldier  ben  Ittel  trägt:  „2t.  Martin  oon  SJucca  unb  bie  2luf finge  ber  toSfantjdx" 
(Sfulptur  im  2Jlittclaltcr"  eine  bebcutungSüoHc  Sßrobe  ben  Sefcrn  bon  „9lorb  unb  Süb" 
fd)on  ieQt  befannt  madjen  ju  biirfen.  2>tc  Sicbaction. 


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  Hifolans  unb  ^ofjannes  ton  pifa.   ■   235 

worauf  es  anfommt,  fo  faßt  eS  wie  ©djuppen  oon  unfern  2lugen.  2Bir  fehen 
ein,  bafe  alle  SWerhnale  be«  ©tileS,  bie  nür  fo  forgfam  beachten  unb 
fchilbern,  bod)  nur  Siebenfache  ftnb  ober  ber  oielfadj  bebingte  2luSflu§  beS 
SBolIenS;  bafe  ber  Urquell  all  biefer  9teu&erungSroetfen  ftetS  im  innerften 
Seelenleben  beS  ÄünftlerS,  feine«  BolfeS  unb  feiner  3«t  &u  Jüchen  ift, 
unb  bafe  all  unfere  f)iftorifdje  Gf>arafteriftif  an  Sleu&erlidjfeiten  fangen 
bleibt,  fo  lange  bie  ©mpfinbung  felber  uns  nicht  aufgegangen  ift. 

So  ftnb  uns  bie  beiben  bebeutenbften  Bilbfjauer  Italiens,  roelct)e  bie 
©fulptur  beS  3)litteIalterS  emporgeführt,  gar  fange  ein  SRätfel  geblieben, 
wie  fehr  auch  baS  eifrige  ©tubium  ber  Hntife  bei  bem  ©inen,  baS  leiben? 
fchaftliche  Temperament  bei  bem  3lnbem  ins  9luge  fielen.  SWolauS  unb 
3ofjanneS  oon  $ifa  finb  Bater  unb  ©ojjn.  Unfere  hiftorifdje  Betrachtung 
ift  getoofmt,  fie  beShalb  nahe  miteinanber  ju  oerbinben.  $er  ©ine  blüht 
oon  1260—1280,  ber  2lnbre  oon  1277—1320;  fie  gehören  alfo  einer 
jufammen^ängenben  ^eriobe  an,  bie  wir  als  „gottfch"  ju  bejeidjnen  pflegen. 
$er  ©ofm  ift  gar  unter  ben  2lugen  beS  BaterS  aufgemachten,  arbeitet  feit 
1265  fdjon,  aftenmä&ig  genannt,  gemeinfam  mit  anbern  ©etn'lfen  in  ber 
oaterlidjen  SBerfftatt  unb  ift  an  ber  tfanjel  beS  Zornes  ju  ©iena  rote  an 
bem  Brunnen  auf  bem  £omplafc  oon  Perugia  fo  ftarf  mit  bem  föaupt* 
meifter  beteiligt,  ba§  es  9Jtonchem  unmöglich  fdjeint,  baS  Eigentum  beS 
©inen  oon  bem  beS  Slnbern  ju  fd^eiben. 

Unb  bodj  —  betrachten  mir  bie  eigenften  Söerfe  beS  SRifotauS  unb  bie 
beS  30&<*nne$  nach  einanber,  ofme  beS  engen  gamiltenbanbeS  $u  achten, 
baS  it)re  Urheber  oerfnüpft,  fo  fönnte  nach  geroöfmlichem  Bebünfen  ein 
3af)rhunbert  jroifchen  itjnen  oerfloffen  fein,  9toch  bem  3eu9m^  Der  $enf= 
mäler  ift  SRifolauS  ber  fpdtgcborene  ©ofm  einer  alten  3eit,  S^^neS  oer 
erftgeborene  einer  neuen.  Unb  unfereS  ©radjtenS  foQte  biefeS  3eugniS  ber 
SBerfe  in  ber  ^iftorifd^en  Earftellung  3?ed)t  behalten,  auch  gegen  ben  2faS= 
roeis  beS  ÄtrdjenbuchS ! 

$)ie  2Harmorfan$el  im  Baptifterium  ju  $ifa  oon  fttfolauS  unb  bie 
SWarmorfanjel  in  ©t.  3lnbrea  $u  Sßiftoja  oon  SofjanneS  finb  bie  beiben 
rotchttgften  Belegftücfe;  benn  fie  bieten  bie  nämliche  9ietf)e  oon  2)arfteHungen 
unb  beftdtigen  fo  ©djritt  für  ©d)ritt  ben  roeiten  Slbftanb,  eine  ßluft  in 
ber  furjen  ©panne  Seit  $toifd)en  1260  unb  1301,  too  fte  entftanben. 
Bis  jefet  aber  fjat  bie  Betrachtung  beS  erfteren  SßerfeS  fidt)  immer  burdj 
bie  Nachahmung  ber  Slntife,  bie  unleugbar  barin  auffallen  mufc,  oom  ©r= 
faffen  ber  ^auptfadje  unb  fo  oom  eigentlichen  BerftänbniS  beS  SHeifterS 
ablenfen  raffen,  deshalb  fletten  mir  eine  anbere  Arbeit  an  bie  ©pifee: 
bie  flreusabnafnne  int  Bogenfelbe  beS  NebenportaleS  am  $ome  ju  fiucca. 
^Da  ift  enthalten,  roaS  SRifolauS  oon  ^ifa  felber  mar  nach  bem  glühenben 
SSunfche  feines  &eröenS;  ba  ift  bie  Xriebfraft,  bie  if)n  angefpornt  hötte, 
bie  herrlidjen  Ueberrefte  antifer  ©fulptur  mit  emftgem  Bemühen  anjueignen, 
in  ihrem  2l*efen  erfennbar. 

IG* 


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256    2Juguft  5 m a c s o n>  in  Breslau.   

2luS  rohen  Stämmen  ift  ein  niebrigeS  Äreu*  errietet,  mit  aufge* 
flutteten  Steinblöcfen,  au«  benen  ber  Scbäbel  2lbamS  he™orbIicfr,  $ur 
.  Sicherung  am  gufee,  unb  ber  Cuerbalfen  erfd^cint  in  natürlicher  Krümmung 
abroärtS  gebogen,  ber  £inie  ber  umfaffenben  SBölbung  gemäfj.   2>on  linf* 
r)cr  fommenb  tritt  3ofeph  oon  2lrimathia  mit  bem  regten  $u§  noch  auf 
ben  ©rbboben,  mit  bem  linfen  gegen  ben  Steinhaufen,  unb  umfaßt  mit 
fräftigen  2Irmen  ben  entfeelten  £eib,  beffen  ßänbe  fdjon  vom  &ol$e  getöft 
finb.   3n  lebenbiger  ^Bewegung  ftch  felber  #alt  fdjaffenb,  ftüfet  er  jugleid) 
mit  33ruft  unb  Schulter,  bie  fidr>  aufwärts  brängen,  bie  Saft  bes  JlörperS 
welcher  am  flreujesftamm  ^erabgleitet,  fo  bafe  baS  &aupt,  ber  eigenen 
Schwere  folgenb,  feitwärtS  auf  bie  9lchfel  beä  regten  9lrme3  finft.  9luf 
ber  anbern  Seite  bes  ßreujes,  rechts  gegen  baS  ©eröll,  fniet  SRifobemu», 
bemüht  in  biefer  fauernben  Haltung  mit  einer  3^nge  ben  Stogel  auSjuheben, 
ber  beibe  Süfce  auf  oem  Frettchen  f  efthält.    SaS  redete  Sein  beS  ©e= 
freujtgten  ift  über  baS  linfe  gefd)lagen,  unb  fo  bie  Beugung  ber  foue 
nad^  ÜOr"  "no        5U  3ofcph  he™oer,  gefchieft  motioiert,  wäfjrenb  fonft 
in  allen  Gruciftren  jener  $e\t  ber  fd)lanfe  Jlörper  eine  weit  auSlabenbc 
öogenlinie  bilbet.   Ü)iaria  unb  3°hönneS  haben  bie  beiben  2lrme  tyxifti 
erfaßt,  ber  3unQer         hinter  9iifobemuS,  bie  SWutter  gegenüber  bid)t 
neben  3°fcPh>  ~~  ftn  ihren  gewohnten  Spiäfcen  unter  bem  Sreuj,  —  unb 
jeber  nefct  fein  £eil  mit  frönen.   2J?aria  trägt  ben  ganjen  2lrm,  roie 
cinft  baS  ftinb,  auf  ihren  Rauben,  unb  neigt,  barauf  nieberfchauenb,  i£pr 
gramerfülltes  &aupt,  währenb  ber  Scheitel  beS  £oten  fid)  bem  ihren  nähert. 
Johannes  fajjt  nur  bie  &anb  mit  ber  feinen  uub  lehnt  bie  SBange  an  ben 
lJlrm,  roie  er  einft  an  beS  -BteifterS  Sruft  gelegen.    S)aS  fmb  bie  ftaupt? 
geftalten.    $ann  folgt  ber  Hauptmann  tfonginus  in  römifcher  äriegertracht. 
2luf  bie  £an$e  geftüfet,  baS  Schert  an  ber  Seite  umfpannenb,  bltcft  er 
gläubig  auf  ju  bem  ©ortesfofm.  ©an$  rechte  in  ber  (Scfe  fniet  ein  bärtiger 
sj)tonn,  ber  auf  uerhüüten  ßänben  einen  ftorb  ffilt    $ie  blutige  £ornen= 
frone,  bie  man  oom  &aupt  genommen,  unb  bie  9?ägel  au«  ben  beiben 
&änben  finb  barin;  ber  Xräger  wartet  aud)  ben  legten  sJtogel  $u  empfangen, 
ber  foeben  gelöft  wirb.    Grüben  jur  Seite  HRaria*  ftel;t  eine  anbere  ber 
grauen,  rool  3)?agbalena,  in  wehmütiges  Schauen  oerloren,  unb  in  ber 
(Scfe  fniet  eine  $ritie  mit  einem  £ucb  über  bem  2Inn  unb  einem  Salb* 
ölfläfdtdjen  in  ber  &anb,  ben  £oten  für  baS  ©rab  ju  bereiten. 

So  bilbet  baS  ®an$e  in  bem  engen  Gahmen,  ber  baS  Sogenfelb 
umfdjltefct,  einen  wolburdjbadjten  Organismus,  ber  naa)  eigenem  2MlbungS= 
gejefc  in  biefem  diaum  geroad)fen  fa)eint.  9Iöe  Seroegungen  ftnb  flar  er= 
fa^t  uub  greifen  uurffam  in  einanber.  2lßeö  ift  edjt  plaftifd)  in  förperlidbe 
2lfttou  aufgelöft,  uub  biefe  entroicfelt  fid)  nicht  haftig  unb  bunt,  fonbern 
ruhig  unb  fühlbar  oor  unfern  iUugcn.  &>ir  haben  baS  2Berf  eine«  SWeifter* 
oor  uns  auf  Der  £öl)e  fetner  ^raft.  ^ie  glücflichfte  2Bat)I  eines  33eroegungSs 
motiocs,  bas  ben  tfeimtrieb  beS  gaujen  SilbwerfeS  enthält,  r)at  biefe 


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ZTtfolaus  un&  3otjannes  von  pifa. 


237 


Seiftung  über  bic  uorgefdjrtebenen  Bilbercnflen  an  ben  ßanjeln  f)inau$ge* 
f>oben  unb  i|)r  bie  ^o^c  2lnerfennung  gefiebert,  bie  fte  oerbient.  ©inftd)ttge 
gorf^er  müffen  biefes  9Rarmorreltef  in  Succa  aU  bie  STronc  ber  fünftlerifdjen 
£ättgfeit  be$  9)?eifterä  9ßifolau$  betrauten.  $er  waf>rf)aft  bilbnerifdje  ©e^alt 
audj  im  djriftlidjen  Stoffe,  ber  f)ier  £age  geförbert  ift,  bie  granbiofe 
Äraft,  mit  ber  fid)  pfmfifd&e  unb  pfncfyifdje  Bewegung  oerbinben,  &anbeln 
unb  ©mpftnben  jugleicf)  in  fidjtbarer  ©eftaltung  erfdjeinen,  —  bieS  ®e* 
fingen  fejjt  ba§  eine  SSerf  in  3ul"ammcnbang  mit  ben  größten  9fleiftern 
ber  ttalienifd^en  Sfulptur,  mit  ©onatello  unb  SJHdjelangelo. 

©oldj  eine  Schöpfung  gelingt  nur  als  2luSbrucf  ber  eigenen  Sinnens 
art,  wenn  bie  glamme  ber  Begeiferung  au«  ber  £iefe  be3  SlünftlerfieräenS 
f>en>orbrid&t.  £aben  mir  an  ber  flanjel  ju  <ßifa  com  %ai)xe  1260  bie 
9tad)afmiung  antifer  Borbilber  in  ben  biblifdjen  ©efdjidjten,  am  ÜKarmor; 
fdjrein  $u  Bologna  1267  in  ber  Segenbe  be$  fjeiligen  $ominifu3  ben  erften 
Berfud&  ber  ©eftaltung  aeitgenöfftfdjen  fiebenS,  fo  offenbart  ftdj  tytx 
in  Succa  in  glücflidrftem  (Sinflang  ber  2luSbrucf  be$  eigenen  ©mpfmbenS. 

* 

„2Bo  ein  2faffd)wung  im  ©ebraua)  ber  £edjmf  ftattfinbet",  —  fdjreibt 
German  ©rimm  bei  ©efegen^eit  ber  ^ifanofrage  —  bürfen  immer  3been 
oorauägefefet  werben,  ju  bereu  $>arftellung  e$  ben  3Kei)ter  brängte,  bie  er 
iebod)  mit  ber  oor^anbenen  £edmif  nic&t  roieberjugeben  oermodjte,  bie  ifm 
alfo  ju  fudjen  jwangen.  £a$  allein  f)ätte  9itfolau3  beroegen  fönnen,  fid) 
bie  Littel  ber  antifen  TOcifter  anjueignen.  2£ela;e  3been  aber  waren  e$, 
bie  i^n  biefe  Ijö&ere  gertigfett  ju  gewinnen  brängten?  .  .  .  $ie  3been 
festen  offenbar.  ©3  wäre  alfo  nur  ber  unbeftimmte  9ieij  ber  oortrefflid;ereu 
9lrbeit  gewefen,  bie  ed)önt)eit."  — 

3a,  bie  (£d)önf)ett,  unb  fie  allein!  muffen  mir  antworten,  greilid> 
niä)t  bie  äußerlichen  Borjüge  ber  tedjmfcfjen  BoHenbung,  ber  2öert  über* 
legenen  BerfalprenS,  bie  bem  auSübenben  ßünftler,  ber  bie  Gräfte  feiner 
&änbe  täglidj)  erprobt,  aflerbing«  Beranlaffung  genug  5U  anbadjtSoollem 
Söunbem  unb  fcljnfüd)tiger  ©infeljr  gaben,  —  befonberä  bajumal,  wo  oon 
gleichmäßig  geübter  £ed)nif  fet)r  wenig  als  gemeinfameä  Beftfctum  über- 
liefert warb.  9iid)t  ber  unbeftimmte  sJieij  oortrefflia;erer  9lrbeit,  ben  aud) 
ein  «Steimuefc  nod)  amÄunftwerf  wol  empfinben  fann;  fonbern  bic  Sdjönljeit, 
bie  auä  aßen  ©eftalten  ber  antifen  Ueberrefte  immer  flar  unb  lebenbig 
fjeroorleudjtet,  bie  Sd)önf)eit  be$  9)fenfd)enbilbe$  oor  allen  fingen,  in  il)rcr 
mannigfaltigen  Offenbarung,  wie  fie  ben  geringen  3lbfömmlingen  IjeUenifdjer 
Äunft  nod)  gelang. 

©iebt  e3  benn  bamals,  aud)  mitten  im  d^riftüd^en  Mittelalter,  nur 
djrifUtc^e  3been,  bie  ben  sMbl;auer  beftimmen  tonnten?  Sollte  i^ni,  bem 
äunftler,  fei  e«  in  natürlichem  einoerftänbnife  mit  feiner  beften  Anlage 
unb  liebften  Betätigung,  ober  im  bewußten  ©egenfafc  ju  ben  aefetiftt)en 


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238 


iluguft  Sdjmarsot»  in  Breslau.  — 


Dogmen  bet  ©taatSreltgton,  nid^t  ber  Söert  beS  menfdjlic&en  SeibeS  au\- 
gegangen  fein,  in  bem  wir  nun  einmal  leben  unb  roeben?  (Sollte  er,  wo 
c^riftlid^e  fiebensformen  biegen  SBert  entrüden  unb  oerbunfeln  motten, 
nidjt  beim  2lnbltcE  bet  bacd&ifäjen  SSafe  unb  beS  $ippolntoS=©arfopf>ageS 
)u  Sßifa,  rote  fo  man$eS  anbern  antifen  99euteftü<feS,  baS  feine  feefa^renben 
Sanbsleute  f)eimgebraä)t  unb  als  ©djmud  bei  ben  Heiligtümern  ber  ©tabt, 
im  UmfreiS  beS  Domes  fetber  aufgeteilt,  in  biefeS  ebelfte  SJhjfterium 
fyeflenifdjen  StfaturfinnS  eingeroetfjt  fein,  ofme  ba§  er  fi<^  oerfiaubeSflar 
Darüber  SHedjenfdfjaft  gab,  rote  er  barob  jum  Reiben  roerben  fönne? 

@S  get)t  ein  ftoljes  33erou§tfein  oon  ber  eigenen  5traft  beS  ^nbioibuinnS 
burdj  baS  3<*  Wunbert,  in  bem  er  lebte;  ber  §of)enftaufenfaifer,  mit 
beffen  2Hufenf)of  man  aud)  btefen  anttfifterenben  33tlbner  fo  eifrig  äufammen= 
jubringen  berfud)t  fyxt,  roar  nidjt  ber  ©injtge,  ber  biefer  ©efinnung  ^ulbigte. 
©eroalttge  Gönner  unb  ftattlidje  grauen,  auSgerüftgt  mit  allen  ©oben, 
bie  baS  Dafein  bieten  unb  erforbern  fann,  übermütige  3ünglinge  unb 
frifd^c  Knaben,  energifä)  fyäfjlicfje  SBeiber  felbji  unb  roolgenä^rte  SHöndje, 
ja  ftrofcenbe  Äinber  auf  bem  futterarm  finb  bie  greube  ber  beften  unb 
oornelmtften  Greife  bamalS,  bie  Suft  ber  JlünfUer  ooffenbs  im  Horben  roie 
im  ©üben.  9tur  Italien  gelangt  fpät,  in  lefeter  ©tunbe  gteidjfam,  $um 
bübnerifdfjen  3luSbrucf  biefeS  gütytenS. 

Unb  SWolauS  oon  pfa  ift  ber  Präger  biefeS  SöoHenS.  SS  tft  bie 
aHer^eiligfte  $bee  beS  bilbnertfc&en  ©djaffenS  überhaupt,  bie  U)n  befeeü. 
©oldje  SJienfdjen  ju  mad)en  begehrt  er  mit  ber  ©tut  eines  edjten  Äünftler* 
Degens,  unb  baS  anfänglidje  Unvermögen  feiner  armfelig  gefc&ulten  £änbe 
mußte  btes  Verlangen  nur  fteigern,  roie  unbefriebigte  Setbenfd&aft.  Des* 
^alb  giebt  er  fid^  in  bie  ©dmle  ber  antifen  Äunft,  roo  er  foldje  ©r= 
fäjeinungen  ftnbet,  unb  ringt  in  bem  ftdjtbaren  äroiefpalt  jroifdjen  SBoUen 
unb  Können,  ©in  f>errlid)es  2Beib,  baS  erj  auf  etruriföer  Siföenfifte 
ruljen  fat),  begeiftert  tytt,  ben  SBert  fold&eS  DafeinS  no$  einmal  ju  ge» 
ftalten,  unb  fie  roirb  ifmt  jum  2luSbrucf  beS  frotjen  QbealeS  ber  Äirc&e: 
5ur  ©otteSgebärertn.  Der  Sinblicf  eines  ooübärtigen  SHamteS,  ber  in  roehu 
feiigem  3uftanb  nodj  bie  großartige  gülle  feiner  Kraft  beroaf)rt,  6eftimtnt 
if)n,  ben  inbifdjen  23acäjuS  jum  $of)epriefter  ftelrouaS  felber  $u  meinen. 
Vor  ber  natften  ©a)önf)eit  fjellentfdjer  Jünglinge  unb  ben  bemäfmten  Häuptern 
beS  ebelften  Nietes,  baS  bem  rttterlidjen  ©efdjledjt  ber  Kreujfa&rer  ber 
liebfte  ©efäljrte  roar,  betet  er  beu  ^PfalmenoerS:  „3$  fabe  SßoIgefaHen 
au  beS  Joffes  ©tärfe  roie  an  3emanbe8  Seinen,"  mit  Unterfdjteif  eines 
einsigen  2£orteS,  ber  aofetifdjen  Verneinung,  unb  in  oollftait  @inoerftdnbni§ 
mit  bem  ©djöpfer,  ber  nad^  SJJofeS  fid^  am  Hebenten  Sage  eingeftanb, 
feine  Kreaturen  feien  gut  gemad)t.  ©elbft  bie  3UDen  noc^,  bie  er  — 
als  elenbe  ©pötter  unter  bein  5lreu$  —  in  ben  Shtgen  feiner  ©emetnOe 
branbmarfen  foU  fo  arg  es  ge^t,  werben  itmt  mit  iljren  langen  Härten 
unb  breiten  Kappen  lieber  als  er  benft,  unb  fie  fpielen  gar  unerlaubt  auf 


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  Iltfolaus  unJ)  30^anncs  D°n  P if a.    239 

feiner  Äreujigung  eine  prächtige  gigur.  Unb  nun  fein  <£f)riftus  oottenbs 
am  ÄreujeSftamm!  3ft  eS  nidjt  ein  £elbenleib,  ben  man  fd)mäf)lia)  an  bas 
&olj  genagelt,  ein  2Jtonn  in  ber  SMfraft  feiner  %a1)xe  oon  fjerfulifdjer 
Silbung  in  aflen  ©liebem  —  gerabe  fo  wie  bei  XonateUo!  $er  Solm 
ber  Jungfrau  ift  tfmi  unoerfeljenS  jum  Solmc  beS  3upiter  geworben.  Unb 
er  liefert  und  gar  ben  9tfad)wetS  biefer  ßerfunft  an  ber  ßanjel  $u  spifa 
felbffc;  benn  ba  fteljt  bie  <$riftlid&e  Xugenb  „gortitubo"  in  ber  leibhaftigen 
©efialt  beS  natften  ßerafleS  mit  Söwenfell  unb  ßeule. 

Stonn  eS  nodj  jweifelf)aft  fein,  wo  bie  $been  ju  fuc&en  finb,  bie  in 
biefem  Silbner  nad)  SluSbrwf  ringen?  Unb  bod)  ift  es  unbifliy,  ilm 
als  Reiben  unb  Äefcer  ju  fteinigen,  ober  aud)  nur  ifrni  oorjuwerfen,  baS 
religiöfe  ©efüf)l  oerfage  bei  ifjm  burdjauS.  £aS  Urteil  freiließ  barf  allein 
bei  einer  Aufgabe  gefällt  werben,  wo  aud)  baS  bilbnerifdje  Staffen  fein 
©enüge  finbet,  100  bie  djriftlidje  ©mpfinbung  nid^t  rein  paffto  oertyarrt, 
unb  was  bie  ßerjen  innerlidj  bewegt,  nid)t  in  untätigem  93ef)arren  nur 
fidj  offenbaren  barf.  $n  biefem  Sinne  wirb  uns  bie  tfreujabnafnne  in 
£ucca  $um  wertooHften  3^9"^  feinet  eigenften  SBefenS,  in  biefem  Sinne 
$um  &öf)epunft  feiner  &ünftlerlauf6af)n.  $)aS  religiöfe  ©efüfjl  biefeS 
SJtonneS  ift  freilid)  nid)t  fentimental,  etwa  wie  baS  beS  ^eiligen  granciScuS, 
ntdjt  neroös  unb  aufgeregt;  aber  welche  Siefe  beS  9tod>empfinbenS  fe|$t 
eine  ©rfinbung  oorauS,  wie  biefe  Slbnafyne  00m  Äreuje!  (5s  ift  ber  gro§e 
objectioe  <5d)öpfergeift  beS  ed)ten  ßünftlerS,  ben  wir  vor  uns  fjaben;  er 
benft  wie  bie  2lntife,  nur  im  ©ebanfenfreiS  feines  eigenen  3af>rfwnbertS. 
2)aS  war  für  ben  ^piaftifer  ber  fyödjfte  £riumpf). 

$amit  aber  ift  9itfolauS  oon  ^>ifa  als  ber  frülje  Vorläufer  einer 
neuen  ©lansjeit  erwiefen,  bie  länger  als  ein  3al)rf)unbert  auf  ftdj  warten 
liefe,  bis  3>onatello  fam,  unb  fein  $al)rl)unbert  bauerte,  bis  9)tid)elangelo 
bie  9)ienfd)enform  mit  @eift  erfüllte,  baß  fie  fprang,  —  jugleid)  aber  als 
ber  Sefctling  einer  SUmftperiobe,  bie  mit  ifmt  bat)in  finft.  Denn  fowie 
9iifolauS  bie  Stugen  fdjliefjt,  ift  aud)  baS  £recento  in  3talien  erwägt,  unb 
alle  ftoljen  $beale  bes  ©ilbners  oon  Sflenfdjenwert  unb  SeibeSfdjönljeit 
jerftie6en  wie  bie  SNatmorfpreu  unter  bem  genialifd;en  SWeifeel  —  bes 
eigenen  Sprößlings. 

* 

Sdjärfer  fdjeiben  fiä)  wol  nirgenbs  bie  beiben  2i?e(tanfd)auungen,  bie 
aus  ber  fogenannten  fpätromanifdjen  unb  jrüfjgottfdjen  ilunft  fo  fpredjenb 
fia)  aud)  uns  nod)  offenbaren,  als  swifcfjen  9tifolauS  oon  $ifa  unb  feinem 
eigenen  Sofm  ftofjanneS.  g^ts  ift  lefnreidjer  als  ein  oergleid)enber  Slicf 
auf  bie  ftarfteHung  beS  ßreujestobes  an  ber  tfanjel  oon  ©.  Slnbrea  ju 
Spiftoja,  ©iooannis  3Weifterwerf  oon  1301.  SMS  auf  wenige  3"lö^n  giebt 
er  bie  felbe  Hompofttion  wie  fein  Sßater  an  ber  ^an^el  51t  s£ifa.  2Ü'er 
meld)  ein  Unterfd)ieb  in  allen  Teilen! 


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2^0    2Iuguft  Sdjmarsot»  in  Breslau.  

$er  (S^riftuö  feinem  SaterS  mar  ein  ©ötterfofnt,  eine  £ünengeftalt, 
bie  man  [an&  Äreuj  genagelt  o&ne  i^re  Sd)önf)eit  unb  2)tonne$n>ürbe  $u 
uerlefcen.  Unb  ein  ftönig  bleibt  e8,  ber  geftorben.  $er  <Sf>rifru£  be* 
So^neä  tyit  für  baä  £eben  fdum  oon  97hitter  9totur  nur  fparlid)  bie 
©aben  entließen,  —  nur  fooiel,  fd)eint  e£,  um  unter  ben  (Srbenfinbern 
3U  roanbeln  unb  Urnen  bie  SRid&tigfeit  alles  gletfd&eS  Su  prebigeru  3m 
£obe  oollenbs  erfd&etnt  ber  nadte  ftörper,  ber  am  £ol$e  f)ängt,  nur  wie 
ein  armes  gebredjlidjes  ©efäfj  aus  #aut  unb  ftnodjen  —  ein  3ammerbi(b. 
Sie  SSruft  ift  eingefallen,  ber  Seib  gefnidt,  ber  ganje  fdjtoadje  Sau  ju= 
fammengefunfen.  92ur  ba*  föaupt,  ba£  jur  Seite  geneigt  oornüber  fallt, 
bewahrt  in  feinen  ebten  burdjgeiftigten  formen  felbft  im  ©lenb  nod)  ein 
&of)eitääeidjen.  Sie  grojje  Seele,  bie  mit  ,if>rer  bliebe  bie  2Belt  umfaßt, 
entflog  aud  biefem  bürftigen  ©efyäufe,  —  ba$  fagt  ber  9lnblt(f,  unb  ba3 
miß  er  eben.  Sod)  nid)t  genug;  ber  tfriegSfnedjt  mit  ber  Sanje  ift  gerabe 
im  ^Begriff  baS  (Sifen  in  bie  Seite  be£  ©etreujigten  ju  ftofeen,  unb  linfä 
unb  red)t$  Rängen  auä)  bie  Sünber,  bie  mit  tym  an$  Äreu$  gebradjt,  unb 
bliden,  t)ier  mitleibig  unb  fromm,  bort  fyabernb  unb  oerfiodft,  auf  ben 
Sulber,  ber  nun  auägefämpft,  in  ifjrer  Glitte.  2)a3  ift  bie  3uta*> 
3of>anne3  oon  fßifa  >ur  Steigerung  ber  Sd&madj  unb  SRot  t)ier  einführt, 
um  feine  ©laubigen  noa)  ftärfer  §u  erfdjüttern.  Unb  ©ntfefeen  erfaßt  bie  oer= 
fammelten  Quben,  roic  unter  bem  2lnblirf  be$  2Rorbe£.  2Bie  oom  Sturme 
gejagt  ftür3en  fie  tjinauS;  nur  betroffen,  furdjtfam  ober  fdjaubernb  bliefen 
einige  fid)  um,  ju  flauen,  ob  er  tot  fei,  ben  fie  Raffen.  3um  ©et)en  ge* 
manbt,  ftredt  aud)  ber  Hauptmann  £onginu£  bie  &anb  empor,  su  bef ennen : 
biefer  mar  ©otteS  Sofm.  Srüben  aber,  rco  bie  Seinen  bei  einanber 
fielen,  ergebt  fid)  ber  Säumers  in  feiner  ganjeu  Stärfe.  SBie  ein  fdjneibig 
Sajioert  burdjbrtngt  er  bie  Butter,  bie  f)ter  roie  töbtlia)  getroffen  jufammen* 
brid&t.  Sebenben  5luiced  finft  fie  in  bie  3lrme  ber  grauen,  bie  fie  forgenb 
umgeben,  unb  Ijaitenb  jugleid)  §um  Äreuje  emporbliden.  3oljanne$  fafct 
iljre  &anb,  bemüht  an  Sof)neäftelle  tröftenb  teilzunehmen;  aber  ba$  eigene 
5h>el)  oer$errt  fein  Slntlife,  ba$  fta;  jum  &errn  Ijerumtoenbet,  mit  bem  auaj 
er  feinen  £alt  uerloren.  lauter  benn  alle  jammert  3)iagbalena,  mit  aufs 
gehobenen  Firmen,  unb  ridjtet  if)re  Älage  wie  oöllig  felbftoergeffen  an  ben 
Xoten  Inn. 

So  oertiefen  fid)  alle  3%^  beleben  fid;  innerlia)  alle  33e5iel)ungen 
unb  fteigert  fid)  bas  ©anje  unter  biefes  Münftlers  .panb  ju  fjoc&grabiger 
Grrcgung.  2lHe  5Kul)c  ber  ^erfonen  ift  oergeffen,  alle  Sd^ön^eit  ber  gormen 
wie  bes  lUugefid^te  geopfert,  nur  ber  2lu*brucf  beffen,  iüa^  bie  Seele  be» 
megt,  wirb  fyeroorgetrieben  unb  mirffam  fo  auap  bem  S8etraä)ter  ju  ©emüte 
geführt. 

Surdjgefjenbä  finb  bie  ©eftalten  in  fleinerem  ÜJiafeftab  gegeben,  fdjlanfer 
unb  feiner  gebilbet.  9ftrgenb3  überwiegt  mel)r  bie  greube  an  ber  @rfa)einung 
bei  ftattlidjen  ^eibe§,  fonbern  überall  nur  Bewegung  unb  Anteil  bis  %u 


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ritfolans  anb  3otjannes  von  ptfa.   


pathetifd&er  ©eftifulation,  als  bringe  ber  SBehlaut  aus  ir)rer  Refye  unb 
ftelle  bas  SBort  ficfj  oernehmlich  ein.  2)er  Körper  ift  biefem  $ilbhauer 
nichts  mehr  als  bas  auSbrucfSfähtge  ©efäfj  ber  (Seele,  bie  gemaltfam  her* 
oorbricht  unb  ungebulbtg  an  bem  ©efängnife  rüttelt,  baS  ihr  colles  9JuS* 
Hingen  noch  einfdhränft.  ^Deshalb  wirb  oon  bem  ftnocljengerfift  unb  ©lieber: 
Bau  beS  £eibeS  unter  ber  ©ewanbung  nur  fooiel  angebeutet  ober  burd)* 
geführt,  als  jum  93erftänbni§  feiner  etngreifenben  Bewegung  ober  feiner 
fprecfjenben  ©ebärbe  notwenbig  geforbert  wirb. 

Stamit  freilich  eröffnet  fidt)  ber  Äünftler  bie  $>arftellungSfähigfeit  ber 
ganjen  £ragif  <^rifllid)er  Stoffe,  erfdjliefjt  er  bie  ganje  hinretfjenbe  $oefie 
feelifd}er  Schönheit,  unb  beginnt  in  genialifdjem  ©ebafjren  mit  feinen 
9)tormorgebilben  %vl  Mdjten,  fo  reich  unb  fo  innig  wie  faum  ein  S^etter  in 
Italien.  SRid^t  breit  gelagert  entfalten  fidj  patriard)alifd)c  Propheten,  fonbern 
wie  in  fidt)  hineingefcfjlungen  fauern  fie,  nur  noch  mimetifche  Sombole  beS 
©ebanfens.  Slidjt  ^o^ragenb  ergeben  fid)  ftolje  Stbwllen  als  perföntid^e 
SBerfünberinnen  ber  2öaf>rf)eit,  fonbern  erbe6enb  empfangen  fie  bie  ßunbe; 
jittemben  Selbes  f)ord)en  fie  wie  angebonnert  ber  inneren  Stimme,  ober 
wtnben  fid)  wie  ein  fchwanfeS  3Ro^r  unter  bem  Sturm  ber  23egeifterung. 
9lber  n>ie  energifd)  rebet  ber  ßngel  im  £raum  ju  ben  Königen;  wie  be- 
jeidjjnenb  f)at  er  ben  linfen  2ltm  auf  bie  S3rufl  beS  Sd)lafenben  geftüfct 
unb  ergebt  bie  Siedete  hinauSweifenb  in  bie  weite  $eme!  2Bie  gutmütig 
rührt  er  ben  fd)lummemben  3°fePh  on  ber  Schulter  unb  rät  ihm  freunblich 
ju  bem  SRettungSroeg!  ©anj  $emut  unb  Verehrung  ift  ber  greife  ßönig, 
ber  feine  alten  ©lieber  oor  bem  ßinbe  beugt  unb  baS  güfed)en  beS  kleinen 
jurn  flufj  an  feine  Sippen  führt.  Sßeldj  innige  «golbfeligfeit  erfüllt  bie 
SRutter  bei  biefer  &ulbtgung  burdjj  alle  ©lieber  ihres  fd&lanfen  SeibeS  bis 
hinein  in  ben  33licf  ber  Stugen,  beren  feelenoolle  Xtefe  mir  ju  fcr)en  glauben! 
SDaS  ift  bie  flunft  biefeS  wunberbaren  9ttanneS,  bem  mir  ftatt  beS  SJieifeelS 
manchmal  ben  ^infel  ober  3eid)enftift  gegeben  roünfd)ten,  ober  baneben 
alle  Littel  ber  Spracbe  gönnten,  nur  ooll  $u  fagen  was  er  im  9)tenfchen* 
gebilbe  gefdjaut  unb  empfunben. 

2Ber  möd)te  leugnen,  bafj  mir  bamit  weit  entfernt  ftnb  oon  bem 
natürlichen  SluSgang  unb  bem  eigentlichen  SÖefen  ber  plaftifchen  Äunjt,  baß 
biefe  Seelenbilbnerei  in  Marmor  nur  noch  an  wenigen  Söanben  mit  ber 
leibhaftigen  Äörperlid)feit  sufammenhängt,  aus  beren  freubigeT  Söertfchäfcung 
unb  gefunber  ©ntfaltung  bie  ©eftaltenbilbnerei  einft  heroorgegangen,  aus 
ber  fie  in  glüeflichem  ©elingen  jur  3e^  hetteni)d)er  Slüte  ihre  heften 
Äräfte  empfangen,  unb  ?u  ber  auch  jefct  wieber  92tfolauS  oon  $ifa,  wie 
jum  echten  Duicfborn  fich  3urücfgemenbet  hatte! 

Man  betrachte  nur  einmal  bie  jämmerliche  Jigur,  bie  aus  bem  an* 
tifen  ^erafleS  geworben,  wo  ©iooanni  ihn  als  Vertreter  ber  Stärfe  an 
ber  Äanjel  beS  Zornes  §u  $ifa  (jefet  als  gragment  im  Gampofanto)  oer^ 
wenbet,  alfo  fein  Sbeal  eineg  naeften  SianneS  in  oollfter  Äraft,  —  unb  oer* 


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242 


2tugufi  Sdjmarsoi»  in  Srcslau.   


gleite  fic  mit  bem  nädjften  Sßorbitb,  bem  HerfuleS  an  bcr  tfanjel  feinet 
SBaterS  im  Skptifterium.  Sonft  ift  es  überall  bic  <$rifUic&e  ©ntfrembung 
oon  ber  irbifd&en  ©runblage  bcr  menfd&ltdjen  (Syiftenj,  eine  weit  getriebene 
^urdjgetftigung  ber  realen  9tatur,  bie  wir  cor  uns  fjaben.  Unb  foHten 
mir  baS  SBefen  biefer  33ilbnerfunft  ©iooannis  d}arafterifieren,  fo  müßten 
mir  im  £inblicf  auf  oerroanbte  @rfd)einung  in  ber  2lrä)iteftur  rool  fagen:  ganj 
afmliä)  wie  bort  bie  Huflöfung  be£  2WaffenbaueS  in  einen  ©lieberbau 
fnftematifä)  oofljogen  toirb,  ift  es  f)ier  bie  2luflöfung  ber  Äörpermaffe  in 
ir)re  ©lieber,  ja  bis  in  i()r  Änodjengerüjt,  bie  $arfteu*ung  beS  <5onftruf= 
tioen  mit  möglicher  Verringerung  aller  nur  fullenben  unb  umf)üHenben 
Xeile. 

$)te  mimifäje  gunftton  jeber  Sigur  in  ber  Defonomie  beS  ©cmjen 
lägt  fid)  oielfad)  —  gerabe  fo  roie  in  ben  ergreif enbften  üHalereien  beS 
©iotto  —  auf  ein  paar  Linien  jurüclfüjren,  etwa  roie  in  flüchtiger  %n- 
beutung  beS  SfeletteS,  ober  fo,  nrie  SSillarb  be  ^onnecourt  feine  ©eflalten 
entroirft.  $)iefe  Ernten  aber,  richtig  herauSgejeichnet,  biefe  geraben  fiinien, 
bie  fid)  fyod)  aufreden  ober  in  fid)  jufammenfniefen,  bie  fid)  beugen  unb 
roinben,  mit  ben  Hebelarmen  in  mannigfaltiger  Stellung  ju  einanber,  mit 
ben  Dualen  auf  ber  Spifce,  bie  fid)  jurüdE  ober  oorroärtS  ober  nad)  einer 
Seite  neigen,  —  biefe  Smubole  menfdS)lid}er  ©ebärbenfpradje  geben  als 
©efamtbilb  baS  ganje  auSbrucfSoolle  SBefen,  baS  leibenfd&aftUdje  ^at^os 
feiner  Schöpfungen  roieber. 

Eocf)  märe  es  unrichtig,  ben  Gtjarafter  ber  Äunft  ©iooanni  $ifano's 
allein  aus  feinen  9ieliefffulpturen  beftiinmen  ju  moüen,  ober  nur  bie 
Statuetten  (jerbeiäusieffen,  bie  an  ben  ßefen  unb  Prägern  feiner  flan^eln 
in  fühlbarer  Slbjjängigfeit  com  größeren  ©anjen  erfejeinen.  2ludc)  bie 
greifiguren  muffen  ju  äßorte  fommen.  Sie  finb  unftreitig  burd)  entfa)iebene 
ftatuarifdje  Haltung  auSge$eid)net.  So  bie  herrliche  SHabonna  im  ^ogen-- 
felbe  beS  Hauptportals  am  23aptifierium  $u  $ifa  ober  am  Scrooea,ni* 
©rabmal  ber  (Sappella  bell'  Slrena  3U  ^>abua,  ja  felbft  bie  Keine  (Elfenbein* 
ftatuette  ber  Gappella  betta  Gintola  im  $om  ju  ^rato.  Unb  bod)  oer* 
banfen  auef)  fie  iljre  ^öirfung  nid)t  bem  eigentlich  plafttfchen  ^rm$ip,  ber 
befrieoigten  Entfaltung  beS  ganjen  SeibeS  in  feiner  auSbrucfSoollen  93e= 
beutung,  als  oielmeljr  einer  fremben  Spotenj,  beren  ©rfenntnifj  roieberunt 
bejeugt,  maS  mir  ^erauSfteHen  möchten.  Johannes  oon  ^ifa  ift  trofc  ber 
©eftaltenfülle,  bie  er  in  überftrömenber  Scfjaffensluft  ^eroorbrängt,  burdt) 
unb  burd)  $ird)iteft,  —  eben  als  gotifdjer  iöaumeifter  gefdjult.  Seine 
Statuetten  an  ben  ßanjeln  haften  mit  bem  9iücfgrat  in  bem  aräjitefto* 
nifd)en  ©liebe,  baS  fie  fömücfenb  oertreten,  unb  beugen  fid;  in  Ausübung 
biefer  befonberen  gunftion  unter  baS  ©efefc  beS  s3aueS,  bem  fie  bienen. 
£aS  oerrät  ganj  beutlid)  nod)  bie  fleine  SJiabonnenjtgur  im  -Biufeum  ju 
^Berlin,  bie  mit  ihren  auffaflenb  furjen  Proportionen  unb  ihrer  abhängigen 
Haltung  unzweifelhaft  einft  bem  3roif«henpfeiler  einer  ^rüftung  oortrat. 


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  Zlifolaus  un&  3otya'tN*s  üon  pifa.    2^3 

2ln  geroiffer  ©teile  geht  bie  organifdje  gorm  gleichfam  in  bie  unorganifche 
über,  unb  ber  befecltc  SRabonnenleib  wirb  roieber  jum  2Warmorblod.  $a* 
gegen  befreit  ftch  bie  2luffaffung  beinahe  ganj  in  ber  roürbigen  <prieftas 
erfdjeuwng  am  (Sdpfeiler  ber  Stanzt  $u  ^iftoja,  roo  ber  3Weifler  jidj  offene 
bar  faft  ebenfo  unbeirrt  ber  9totur  fcXbft  gegenüber  befinbet,  wie  in  ber 
^ortratfigur  be«  Scrooegni  ju  $abua,  bie  unabhängiger  für  ft<h  be* 
ftehenb,  noch  ardjiteftonifcher  befangen  bleibt.  Start  be«  bibltfchen  9laron 
ober  eine«  jübifchen  fieoiten  giebt  Johanne«  ba«  perfönliche  Slbbilb  eine3 
©eiftlidjen  au«  eigener  Umgebung  in  ^iftoja. 

2lud)  au«  ben  freiftefjenben  Statuen  be«  ©iooanni  $ifano  fpriebt 
ftet«  bie  ar$tteftonif$e  ©runbform.  Sie  fteigen  oon  m'erecfigem  Södel 
ju  einem  ^ö^epunfte  empor,  oerjüngen  fid)  fomfdj  nach  oben,  gipfeln  im 
flopf  faft  roie  in  einer  Spifce  mit  ßreujblume  barauf ;  —  fie  fmb  organifet) 
aufgelöfte  gialenrifen.  Cber,  geht  unfer  2luge  oon  ber  Betrachtung  be« 
au«brud«oollen  Raupte«  ber  2Jtabonna,  ber  Slrme  mit  bem  lebenbtg  be* 
roegten  ßinbe  au«,  fo  nimmt  bie  Befeelung  fühlbar  ab,  je  weiter  roir  ab* 
roärt«  bliden,  unb  ber  SWarmorblod  al«  oierfantige  ^Jnramibe  macht  ftch 
fdron  im  reiben  ©eroanbe,  ba«  ben  93oben  berührt,  a(«  teftonifche  SRaffe 
fenntltdj.  enthält  nicht  bie  ßalbftgur  im  (Sampofanto  ju  $ifa  alle«, 
roa«  ba«  grauenbilb  al«  folebe«  ju  jagen  hat? 

©enug,  roir  finben  in  biefen  (Sinjelgeftalten  be«  2)teifter«  ^o^anne« 
nur  betätigt,  roa«  roir  ben  Relief  gefliehten  bereit«  abgewannen:  ber  Sofm 
be«  SRitolau«  oon  $tfa  gehört  ber  ftrengen  ardjiteftonifchen,  auf  fonftrufs 
tioe  Berechnung  gerichteten  flünftlergeneration;  er  ift  ein  entfdjiebener 
unb  eifriger  Vertreter  ber  „©otif."  9lber  fprtcht  benn  nicht  beutlicf>er,  a(« 
biefer  (rinflufj  be«  Strdjiteften  auf  ben  Bilbhauer  in  einer  unb  berfetben 
Sßerfon,  feine  2luffaffung  ber  menfchlidjen  ©eftalt  in  mannichfaltiger  Be= 
Siehung,  fein  $rang  nach  3lbftreifung  be«  gletfdje«  311  ©unften  be« 
mimifdjen  Apparate«  au«  ßnoebengerüft  unb  Sefmenbänbern,  —  fpriebt 
nicht  beutliajer  al«  alle«  Uebrige  bie  grunboerfchiebene  ©mpfmbung,  bie 
roir  beim  Bergleich  mit  feinem  Sater  überaß  f)eröorbred)en  fet>enV  3n 
feinem  eigenften  Ottern  allein  giebt  e«  eine  2Introort  auf  bie  grage,  roe«* 
halb  fid)  ber  Solm  00m  Bater  lo«gefagt  unb  bie  gormen  ber  2lntife,  in 
benen  er  gefdjult  roar,  bie  teuerfte  ©rrungenfehaft  feine«  &hrer«,  lieber 
aufgab  V  9flit  ber  ganzen  Seibenfä^aft  religiöfer  Begeiferung  roirft  er  bie 
Schönheit  be«  fraftooüen  3fienfd)enleibe«  oon  fid),  um  nach  bem  2lu«brud 
ber  Seele,  ber  Schönheit  be«  inuern  SNenfchen  allein  ju  ringen. 

Sit  e«  erlaubt  sroei  fo  oerfdnebene,  fo  grünblia)  entgegengefefete  @r= 
fdbeinungen  in  ber  ©efrt)id)te  ber  Btlbnerfunft  äufammenjuiochen,  roeU  fie 
Seitlich,  örtlich,  perfönlich  fo  nahe  ftehen?  9?ur  ba«  enge  gamilienbanb 
rechtfertigt  einigermaßen  bie  geroolmte  Berbtnbung  beider  Hünftler  in  unferer 
hiftorifchen  Betrachtung;  aber  auch  nur,  fo  lange  fie  eben  btographifch  bleibt. 
Sobalb  un«  bie  flitnft  al«  notroenbige  3leuüerung  be«  ^enfehengeifte«  iljre 


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2^    21  u g u ft  Sdimarsoro  iit  Sreslau.   

©efd)id)te  als  ein  unoeräu&erlidjer  Seit  ber  TOenf^eit^gefc^id^te  erf$eint, 
werben  SRifolauS  unb  SofjanneS  von  $ifa  $u  Sinei  oollftänbig  bur$ge^ 
bitbeten  £npen  oerfd&tebener  (ftttroitflungSpljafen.  $er  $ater  geftaltet  au* 
einer  in  fidj  befriebigten  Seltanfd&auung  fjerauS,  ber  Döllen  Sebeutung  be$ 
eigenen  fieibes  rool  beroufct,  unb  bezeugt  fo  ba£  felbe  DafeinSgefüljl  in  Italien, 
ba£  eine  Steide  glüdliajer  SJietfierroerfe  franjöftfd&er  unb  beutfa)er  ©futptur 
un$  für  ben  Horben  aufeer  3wi\tl  ftelü.  £)er  Sof)n,  im  SMbefifc  biefeS 
ÄönnenS,  gerät  in  offenen  3n>iefpalt  mit  biefem  Sbeai  ber  fpätromanifdjen 
flunft,  unb  roirft  fu$  mit  (Sifer  ber  fird&lidjen  3tujfttffung  in  bie  9lrmef  roetier 
biefer  irbifäe  £eib  nur  al£  eine  uergänglidje,  roertlofe,  ja  fjaffenSroerte  &ülle 
gilt,  bie,  fo  lange  mir  in  i(jr  Raufen,  nur  als  auSbrutfafäfugeS  ©efäfc  ber 
unfterbltdjen  Seele  23ebeutung  empfängt.  Sie  bie  ßtraje  ben  <£in$el= 
menfajen  nur  als  ©lieb  beS  ftrenggeorbneten  ©ottcSreidjeS  anerfennt,  fo 
geftaltet  biefer  9lrd)iteft  feine  SNenfapengebilbe  nur  in  5lb§ängigfeit  uom 
ftrenggegtieberten  Slufbau  unb  roirb  fo  $um  ausgeprägten  Vertreter  beS 
gotifa^en  ©mpfinbungSlebeuS.  £er  33rud)  snrifdjen  Später  unb  Solm  be- 
beutet  bie  Sdjeibung  sroeier  2)?enfdjenalter,  jiueier  langen  großen  Jhmft' 
perioben,  in  bie  baS  ganje  Mittelalter  fidj  auSeinanberlegt. 


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<ß=Z)ur. 

€ine  KammermufiMToDcUe.*) 
von 

Karl  (Bjellerup. 

—    Däncmarf.  — 

ft  fein  SBrief  für  mid)  ba? 

,,2)od),  e£  fam  einer  mit  ber  9to<$mittag$poft.    Gr  ift 
auf  ba3  3immer  be$  £errn  $octor  gebraut  roorben.  Er.  11; 
Ijaben  8ie  bie  ©üte." 

SSilfjelm  &cr$  nafyn  ben  Sdjlüffel  unb  ftieg  bie  finftere  treppe  be3 
„SBeinfjaufeä"  hinauf.  3m  erften  6tocf  trat  er  in  ein  3immerd)en,  bas 
nad)  bem  SDiarftplafce  5U  lag. 

2luf  ber  fä)ief  f)erunterf)ängenben  £ifd)bede  lehnte  gegen  ben  ange; 
laufenen  3J?effingleud>ter  ein  fleiner  ©rief.  SBityelm  fud)te  au£  ber  Xafdje 
einer  2£efte  in  feinem  Sfleifefacfe  ein  gebermeffer  fjeroor  unb  fd^nitt  forg* 
fältig  baS  Gouuert  auf.  2ll£  er  ben  23rief  entfaltete,  fiel  ein  5Mlb  auf 
bie  Xecfe  nieber. 

GS  war  baS  23ruft6Ub  eines  jungen  2ftäbd)enS. 
6ie  mujjte  fdjon  ü6er  bie  9)citte  ber  ßroanjig  fjinaus  fein ;  aber  bie 
einfadje,  bürgerliche  2(nmutf),  roeldie  über  iljrem  t)etter=offenen  ©end)te 
ausgebreitet  lag,  ließ  bie  $}e$eid)nung  „junges  SJJäbcfycn"  richtiger  als  bie 
„junge  $ame"  erfd>einen.  Qljr  ©cfidjt  mar  nid)t  eigentlich  fd)ön,  bie 
von  bem  bünnen,  glatten  &aar  gleia)  rote  uon  einem  polirten  Malmten 
eingefaßte  «Stirn  ein  roenig  ju  fjod),  bie  brauen  allsumädjtig,  ber  SDtunb 
nid)t  fein  gejeid;net.   2Iber  biefer  9)?unb  mar  djaraftcruoll,  unb  bie  ge* 

*)  SluS  bem  Sänifdjen  öon  SBil^clm  28olter&.  ©u^fle  autorifirte  unb  00m 
JBtrfaffct  ffc&f)  biirdjflcfcfjcnc  ?lu$gabc. 


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2^6    Karl  (Sjellerup  in  Danemarf.   

fdtfoffenen  Sippen  lächelten  fo  finblid>arglog,  fo  uertrauenb,  bafc  2x>ilt)efnt 
ganj  gerührt  auf  ilm  h*™teberblicfte,  ehe  er  begann,  ben  Brief  fetner 
Verlobten  &u  lefen. 

$>er  Brief  plauberte  ron  ihrer  SRutter,  tocC^c  3ahnfcfjmer$en  gehabt, 
unb  oon  ben  f  leinen  ßnaben  in  ber  Borbereitungsfchule.  £)a  hatte  j.  B. 
einer  t>on  ben  jungen  angejetgt,  ba&  ein  anberer  ben  »ermegenen  2Bunfch 
auegefprodjen,  gräulein  ^ngerlleo  gerabe  auf  ben  Sttunb  füffen  ju  bürfen 
—  unb  bie  fchelmifche  grage  war  hinzugefügt,  ob  er  fold)  einen  thöridjten 
SBunfdh  begreifen  fönne  —  fo  bafe  e$  faft  fo  auSfah,  als  fei  bie  ganje 
©efchidue  nur  um  btefeS  3"^e5  willen  erjagt  worben,  wie  bie  gabel 
wegen  ber  Floxal  Unb  jum  Sdjluffe  fam  bann  enbltd)  ber  eigentliche 
&auptpunft,  ob  er  Sonntag,  an  it)rem  ©eburtstage,  jurücf  fein  werbe. 
6ie  Ratten  bie  9lbficht,  eine  3af)rt  in  ben  Sßalb  ju  unternehmen;  wenn 
er  aber  nicht  fommen  fönne,  wolle  fie  bod)  lieber  $u  £aufe  bleiben. 

„Natürlich  fann  tcr)  fommen,  felbftoeritänblicr)  fahren  mir  in  ben 
Söalb,  bu  füfjeS  3ttab<hen,"  fagte  2Bilhelm  oor  ftd)  \)\n,  inbem  er  feine 
Briefmappe  öffnete  unb  fict)  jum  Schreiben  bereit  machte.  Gr  fei  nicht 
fef>r  erbaut  oon  ber  &efjrerfteHe  auf  &erluf3holm  unb  glaube,  er  muffe 
ben  Pan,  fid)  um  fie  $u  bewerben,  aufgeben.  £0$  wolle  er  noch  ben 
nächften  Vormittag  mit  einem  ber  Slbjuncten  fpred)en.  $)ann  ^abe  er 
nicht*  mehr  in  9toeftoeb  ju  tt)un,  unb  wenn  fie  atfo  am  Sonnabenb  um 
9  llr)r  2lbenb§  auf  bem  Bahnhofe  fein  würbe,  fönne  fie  "bort  um- 
armen it)ren 

getreuen 

SSityelm. 

2)urch  ba3  offene  genfter,  nat)e  beim  Soprja,  bläßte  ber  SBinb  ben 
bünnen,  weifjen  Borhang  auf,  beffen  geftopfte  Stellen  ftch  oergeblid)  in 
ben  galten  bes  großblumigen  3Kufteri  ju  oerfteefen  fugten.  2£ährenb 
Sffiiltjelm  ein  (Souoert  ^eroor^olte,  würbe  ber  Brief  00m  Xtfche  gewebt, 
unb  ber  flattembe  3ipfel  be3  Borf)ange3  fegte  ba£  BUb  auf  ben  »oben 
hinunter. 

SSilhelm  erhob  ftd),  um  ba$  genfter  ju  fdjliefeen,  blieb  aber  an  bem= 
felben  fteljen,  beugte  fict)  über  bie  Brüftung  unb  fal)  auf  ben  fletnen 
•ätfarftplafe  tymb. 

$a3  holperige,  frummlinige  ^flafter  lag  faft  ganj  im  Statten  bes 
„SBetnfjaufeS"  unb  ber  ßirdje,  bereu  rotljer  $hurm  in  ba3  Sonnenlicht 
hineinragte.  2lu$  ben  Scrjornftetnen  ftiegen  langfam  bünne  9toud)ftreifeu 
empor  uub  fct)ienen  in  ben  fletnen,  weißen  SBolfen  ju  gerfließen,  bie  über 
ben  eingefunfenen  girften  ber  3iegelbäd;er  aufeinanber  gefeuchtet  lagen. 
Schräg  gegenüber  5wttfd>erte  ein  Äanarienoogel  im  genfter  ber  Banb-- 
hänblerin;  um  ba3  $ad)gefim3  f läppte  ber  glügelfdjlag  oon  Rauben;  ein 
£unb  bellte;  auf  bie  hohe,  fchrttte  Stimme  be«  &au$fned>te$,  welcher  ihn 


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  <ß;Dur.    2^7 

necfte,  antwortete  oerbroffen  bie  grollenbe  eines  Sattlers,  ber  in  ^gembSs 
ärmeln  auf  ber  oberften  fdjrägen  Stufe  ber  Keinen  SSortreppe  feine  pfeife 
raudjte.  2tb  unb  $u  rumpelte  oon  ber  Äirchgaffe  r)er  ein  SBagen  über 
eine  @cfe  beS  3Rarfte$,  unb  gerabe  unter  ihm,  n>o  ein  fianbauer  auf  feine 
$errfd)aft  wartete,  erflang  baS  ungebulbige  Starren  t>on  SPferbefmfen 
unb  baS  teife  Älatfdjen  ber  ^eitfdje. 

@S  fd)ien  als  ^dtte  ber  2lnblicf  btefes  einfamen  SJtorfteS  mit  ben 
Steuerungen  feinet  fletnftäbtifchen  Sebent  ben  ©ebanfen  SBilhelm'S  eine 
anbere  Weitung  gegeben,  ©r  breite  fich  plöfclidj  um,  \)ob  ben  33rief  oom 
33  oben  auf  unb  fteefte  ihn  mit  einer  Saftigen  Bewegung  in  baS  Gouoert. 
$ann  nahm  er  feinen  &ut  unb  ©erliefe  baS  3^mer. 

$>as  33ilb  blieb  neben  einem  SCifdt)6ein  auf  ber  $iele  liegen  unb 
ftarrte  mit  feinem  gutmütigen  Säbeln  nach  ber  fiedigen  Stubenbede  f>inauf. 


Unter  all  ben  oielen,  wunberbar  mannigfaltigen  Stimmungen,  meldte 
ben  3J?enfdjen  ergreifen,  giebt  es  wohl  feine,  bie  ihn  fo  ganj  unb  gar 
$u  beherrfchen  im  Stanbe  ift,  wie  jene,  bie  ud)  feiner  bemächtigt,  wenn 
er  nach  Qa^ren  eine  Heine  Stabt  wieberfteht,  in  ber  er  einft  geliebt  hat! 

Sie  fct)eint  bort  auf  ilm  gelauert  ju  haben,  biefe  Stimmung,  ßraft 
gefammelt  ju  haben  in  ben  überwucherten,  feuchten  ©ärtdjen,  unter  Jeuer • 
litten  unb  in  $aSminlauben  r)tnter  fd)warjen  Sretterjöunen  —  fcheint  fidr) 
oerfrochen  ju  haben  in  ben  Äaufmannshöfen  §wifd)en  Jäffern  unb  Sailen, 
unter  2Bagenfd)uppen,  in  £aubenfchtägen  —  fia)  ^irtgefd^Ud^ett  $u  haben 
an  ben  fchiefen  ^äufermauern  ber  grünen,  graSbewadjfenen  ©afjdjen  — 
auSgefpäht  ju  h^ben  oon  ben  Äirchthürmen  unb  ad  ben  winbbewegten 
HWühlen  ber  &figel  —  ob  er  nicht  einmal  wieberfommen  werbe,  bafc  Tie 
ftch  auf  ihn  frühen  fönne  wie  ein  SBampor  unb  fagen:  „$ier  bin  ich 
noch-  34  hflbe  £)id)  erwartet,  nun  bift  $u  mein  unb  ich  t<*ffe  nicht 
mehr.  3)u  follft  mich  m^  forttragen,  unb  weil  £)u  baS  Sleifch  unb 
33lut,  baS  $)u  hier  geliebt  h^ft,  nicht  mehr  finben  fannft,  follft  $u  mich 
lieben,  mich  2)ein  föerjblut  faugen,  mich  feftflammern  tnffen  an  jebe  Jafer 
^Deines  SebenSneroS!" 

©in  Stäbtdjen!  —  %n  ber  ©rojjftobt  r)at  baS  ewig  treibenbe  Seben 
ju  oiet  oon  jener  oerftoffenen  3^it  jwifchen  feinen  SRahlfteinen  jermalmt,  ju 
oiele  ber  Keinen,  feueren  (fr  innerungsmerfjetdjen  unter  feinen  taufenb  Sohlen 
glattgetreten,  jene  Stimmung  in  feinen  ruhelos  arbeitenben  ^oln penarmen 
erbroffelt  ...  Unb  auf  bem  Sanbe  fegt  ber  SBinb  gar  ju  frifa)  über  baS 
gelb  unb  burd)  ben  SBalb,  bie  ^ftanjen  oon  bamals  finb  oermobert, 
anbere  ftetjen  an  ihrer  Stelle,  ja  fetbft  bie  Schnitte  ihres  9tomenS$ugS 
im  biefen  33aumftamm  finb  oerwachfen  ober  bie  SRinbe  jeigt  nichts  mehr 
als  eine  oerfchwoHene  SÖunbe.  Unb  bann  ift  baS  SBetter  nicht  wie  bamalS, 


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2^8    Karl  (Sjelierup  in  Dänemarf.   

unb  bie  ©egenb  fa;aut  anber*  brein.   Dber  bie  ^re^eit  iji  nidjt  bie= 
felbe:  «lätterfall  ftatt  SBlumenfprie&en,  fitlien  ftatt  Sdmee  .  .  . 

3n  bcm  f  leinen  Stäbtapen  aber  finb  bic  Steine  nodj  biefetben;  ift 
audf)  eine  Stra&e  neu  gepftaftert,  fo  ift  fie  bod)  nur  ein  wenig  ebener  unb 
regelrechter  geworben,  wie  es  ja  unfer  Seben  mit  ben  Sauren  audj  ge= 
worben  ift.  Unb  im  Uebrigen  finbet  er  MeS  in  ber  alten  SBeife,  in  bem 
alten  ©eleife:  ben  9flarftplafc,  auf  bem  baS  Denfmal  ftriebrid)  VII. 
feinen  Schatten  auf  bem  fonnigen  ^ftafter  um  fiä)  f)erumbref>t,  in  @r* 
mangelung  eines  befferen  3citoertreib§  —  bie  &auptftra&en,  in  benen  ein 
paar  weifegetündjte,  jweiftödige  SRauern  jwtfd&en  ben  bunten  ftäuferdjen 
f>eroorragen,  mit  goßnenben  Äaufmann^le^rlingen  in  ben  Sabentfjüren, 
mit  Manfgepufcten  genfterfdjeiben,  bie  oon  2lugen  unb  plattgebrücften 
ÜRafen  wimmeln,  wenn  ein  geberwagen  über  baS  ^flafter  rollt,  mit  (Spiegeln 
oor  ben  genftcm,  weldje  bie  ©efyeimniffe  oon  anbertf>alb  Strafen  oer* 
ratzen  würben,  wenn  es  folaje  gäbe  —  ©äfcdjen,  bie  ben  $ügel  fjinan; 
flettern,  mit  •Winnfteinen  fo  grün  wie  bie  ©räben  ber  Sanbftrafje,  mit 
eingefunfenen,  oon  roftigeu  ©ifengelänbern  eingefaßten  Xreppd&en  oor 
ben  #austf)üren  unb  mit  einem  glieberbaume,  ber  eingejwängt  swtfdjen 
jwei  gelben  ©iebelwänben  über  einen  oermoberten  3<*nn  fjerüberlugt.  .  . 

(Ss  ift  alles  fo  beifammen,  gerabe  als  ob  es  befonberS  für  ifm  befteUt  wäre. 

Die  fleine  Stabt  f)at  oielleiä)t  in  2lugenblicfen  beS  SRaufdjeS  einen 
ftoljen  Xraum  geträumt  oon  einem  eigenen  Sweater  mit  Decorationen,  weldje 
bie  beS  GafinoS  übertrumpfen  unb  fi<$  mit  benen  beS  ßöniglidjen  S^eaterS 
incffen  fönnten.  Sie  f)at  aber  fidjer  nie  gebadjt,  bafc  fie  felbft  eine  33üfnie 
fei  mit  fo  ftilooller  Scenerie,  wie  fie  faum  anberswo  ju  finben  wäre, 
alles  fo  fertig  unb  bereit,  als  ob  man  nur  auf  bie  ^rimabonna  warte, 
bamit  baS  Stüd  beginnen  fönne. 

2lber  bie  ^rimabonna  ift  oerf)inbert  .  .  .  Die  ^rimabonna  ift  ge^ 
ftorben  unb  begraben,  bie  ^rimabonna  ift  nad)  ber  9^efibenjbü§ne  gegangen 
unb  unter  ben  Glwriftinnen  oerjd&wunben  ...  Die  $rimabonna  giebt 
©afiroHen  in  ber  SBelt  unb  wirb  oon  Xriumpf)  ju  £riumpf)  getragen  . .  . 
Die  ^rimabonna  l)at  ber  flunft  ben  dürfen  gefegt,  fie  ift  oertjeirat^ct 
unb  i)at  itinber  unb  ^fliajten  befommen  ...  Die  ^rimabonna  ift  — 
gleidf)oiel  was  —  fie  fommt  niajt. 

Unb  ba  getjt  ber  erfte  Siebfjaber  allein  jwifdjeu  ben  ftilooUen  Gouliffen 
umljer  unb  fingt  bie  Stelle  beS  Duetts  oor  jufc  l)in,  uad)  ber  immer  ber 
große  Applaus  fam  —  aber  ber  Sopran  fällt  nidjt  ein,  unb  if)tn  bleiben 
bie  Däne  im  &alfe  fteden;  uerftummenb  fteljt  er  füll  unb  fdjaut  bie  alte 
©äffe  hinunter,  an  beren  (Scfe  fie  bei  ifjrem  Auftreten  erfdjeinen  mufete 
ober  auf  ben  .2Iltan  hinauf,  wo  fie  fid)  einanber  beim  Sidjit  beS  eleftrifdjen 
sJ)JonbeS  ju  umarmen  Ijatten. 

So  ftanb  jefct  SHiltjelm  £er*  an  ber  &fe  unb  faf)  bie  ©äffe  hinunter 
unb  ftarrte  nad;  einem  grauen  ,\;>auie,  als  ob  jer  etioaS  ardjiteftonifd)  3Jierf-- 

i 


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 (ß'Dur. 


2*9 


roürbigeS  an  Meiern  33ou  fönbe,  ber  freiließ  unter  feinen  9toa)barn  ber 
anfefmlidjfie  roar,  aber  aud&  berjenige,  roeldjen  ein  Mnftler  am  roenigften 
ftimmungSoott  gefunben  (jaben  würbe. 

©Ott  roeifc,  backte  er,  ob  jefct  roieber  ein  2)ragonerrittmeifter  im  sroetten 
Stocf  roofmttf  ob  er  £öd)ter  t)at?  ob  roofjl  eine  oon  Urnen  fo  fd)ön  ift  roie 
darrtet  (Sdmlfc?  .  .  .  3tber  nein,  baS  wäre  5U  viel,  bafc  fo  ein  9iefi  roie 
9toeftoeb  met)r  als  ein  fotd^eS  SBefen  roätjrenb  eines  SHenfdjenalterS  be* 
Verbergen  iollte! 

SBirflid)  jeigte  fia?  in  einem  ber  genfter  ein  jugenblidfjeS  9Jtäba)en* 
aefidjt,  fei  eS  nun,  ba&  es  einer  Stttttmetftertodjter  ober  einer  geroöfmlidjen 
ßiotliftin  angehörte.  £s  jog  fid)  roieber  in  baS  Eunfel  jurüd  unb  rourbe 
balb  barauf  in  bem  nääjften  genfter  fidjtbar,  roo  einige  SBlumen  ftd)  fel)r 
langfam  mit  2öoffer  begießen  laffen  mußten.  £ann  fanb  fic§  etroaS  Un* 
orbentlidjes  an  bem  33orl)ang ;  unb  als  bies  juredjt  gemalt  roorben  roor, 
fieQte  fid)  bie  9?ott)roenbigfeit  t)erauS,  baS  genfter  $u  öffnen,  fia)  t)inauSs 
julelmen  unb  fer)r  angeftrengt  erft  bie  ©äffe  hinauf  unb  bann  naa)  ber 
iörürfe  r)insufef)en,  bis  julefct  auf  bem  9iüdroege  ber  23litf  jufäöigerroeife 
auf  ilmt  oerroeilte,  ber  ja  aud)  ein  ©egenftanb  fo  gut  roie  jeber  anbere  roar. 

9lergerlid)  barüber,  bafj  man  itm  bemerfte,  unb  fet)r  roenig  $uin 
Äofettiren  aufgelegt,  breite  er  fid)  um  unb  ftubirte,  efje  er  weiter  ging, 
eine  Goncertanjeige,  bie  an  ber  ©de  angeflebt  roar. 

<3ie  erinnerte  ifm  an  einen  Sonnabenb,  an  bem  er  mit  Harrtet  $us 
fammen  ju  einem  folgen  ßunftgenufe  gegangen  roar.  ©ine  ftopenfjagener 
spianiftin,  roeldr)e  9iuf)m  unb  ©elb  in  ber^ßrooinj  fudr)te,  t)atte  ein  (Soncert 
gegeben,  unb  bem  SRittmeifter  ©d>ul$  roaren  als  einem  ber  oome^mften 
Honoratioren  ein  paar  Mittele  $ugefd)i<ft  roorben.  $er  föittmeifter  aber 
wollte  nadr)  9iaonftrup  §um  Herreneffen  unb  feine  grau  rjatte  Migräne,  fo 
bajj  gantet  unb  er  allein  gefjen  nmfeten.  2£äl)renb  er  nun  bamalS  in  feinem 
©aftjimmer  auf  unb  abfa)ritt  unb  fid)  anfleibete,  roar  es  ifmt  eingefallen  — 
er  erinnerte  fia)  niäjt  metjr  roie  —  burd)  baS  <Sd)lüffellodj  in'S  Spetfes 
nimmer  r)inein*uguden.  2Die  £t)ür  oon  biefem  nadj  ber  3öot)nftube  ftanb 
aber  offen,  unb  ganj  an  ber  anberen  ©eite  ber  (enteren  erbtiefte  er  Harrtet, 
roeldje  fo  fat),  bafj  man.itjr  ©efia)t  feljen  fonnte.  @S  roar  ein  roenig 
nieb ergebeugt,  fie  festen  ju  lefen.  Unb  fo  blieb  fie  bie  ganje  öber 
Hfeen,  roät)renb  er  fid)  anjog  unb  alle  9Iugenblide  roieber  hinein  fat).  ^pio|j; 
lief)  err)ob  fie  ben  Äopf  unb  flaute  gerabe  nad)  itnn  f)in,  fo  bafj  er  oer= 
roirrt  einen  <5d>ritt  jurürftrat.  .^nbem  er  mit  ber  faemb  nad)  feinem  leiben* 
fcfyaftlid)  flopfenben  H^jen  füllte  —  roas  um  fo  leidjter  gefd)et)en  tonnte, 
als  er  otme  2ßefte  roar  —  geftanb  er  ftd),  baß  er  oerliebt  fei.  Unb  er 
faf)  einen  gingerjeig  beö  ^immelä  in  bem  merfroürbigen  3ufa^/  Da6  ^e 
fidj)  gerabe  in  ben  Se^freiS  feines  2luge£  gefegt  fiatte,  ben  ifyr  ©efidjt 
beinalje  ganj  ausfüllte  .  .  .  Unb  roie  Ijatte  er  fid)  bann  an  irjrer  »Seite 

Verb  unb  eiib.   LT.,  15«.  17 


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250 


Karl  (Sjellerup  in  Dänemarf. 


in  beut  halbleeren  Saale  mährenb  be£  mittetmä^igett  (SlaoierfpielS  ergoßt  1 
Wein  ©eroanbhauSconcert  hätte  einen  tieferen  Gtnbrud  machen  fönnen. 

3n  bev  9täf)e  ber  23rüde  ging  er  ju  einem  Kaufmann  hinein,  um 
feinen  33rief  franfiren  gu  laffen.  ®er  Gommte,  melier  bie  Warfen  burch 
einen  gauftfchlag  feftflebte,  u>är)renb  er  zugleich  ben  Sehrling  ausfdjalt,  mar 
berjelbe,  melier  bamalö  fo  oft  in  ber  Sabenthüre  geftanben;  unb  al$  ber 
Kaufmann  feinen  &opf  burch  ba$  fleine  Gontorfenfterchen  hinter  bent 
£abenraum  ftedte,  um  ju  jerjen,  ma$  e$  gebe,  erfannte  SBilhelm  aueb 
beffen  »ergraute«  ©eficht  mieber.  Gr  mar  e$  geroefen,  ber  ihn  unb 
Sarriet  fo  eifrig  unterhalten  hatte ,  ale  fie  eine«  SBoroüttagS  oor  bem 
biegen  ju  ilmi  ^rein  flüchten  mußten.  91ein,  mie  es  bamalS  gegoffen 
hatte !  2luf  ber  $auptftraße  brausen  f onnte  man  oor  SBaffer  ba$  ^flafter 
nicht  ferjen,  unb  ba3  ©äßchen  herunter,  meines  gerabe  gegenüber  nach  ber 
Äirdje  hinaufging,  fam  ein  mahrer  Sergftrom  h^rabgeftürjt,  roirbelnb 
unb  jd)aumenb  um  bie  fleinen  treppen  oor  ben  Käufern  herum.  2)ic 
^ferbe  eines  33auerntr>agen3,  melier  aus  bem  Sljor  beS  Kaufmann*: 
häufet  h^uSrooHte,  mürben  fcheu,  als  fie  ftatt  einer  Strafte,  einen  Jluß 
fahen,  unb  ein  2Rann  fiel,  fo  lang  er  mar,  in  ben  Stinnftein,  naapbem 
er  auf  ein  23rett  getreten,  baS  fdmn  längft  mie  ein  gloß  nach  bem 
Jluffe  hinunter  gefchroommen  mar,  $arriet  ^atte  gelacht;  benn  fie  war 
ebenfo  leidet  ju  ©elächter  unb  Schern  bereit  mie  wm  Graft,  unb  er  mußte 
felbft  nicht,  roaS  ihm  am  meiften  an  ihr  gefiel  .  .  .  £>ann  mußten  fie  fta) 
julefct  baS  fleine  Stüd  nach  &au[e  burch  §öfe  unb  Jüchen  gleichen,  burch 
(Stuben  unb  §intertt)üren;  benn  es  mar  nicht  baran  ju  benfen,  burdh  bie 
Straße  su  roaten.  Unb  er  fah  noch  im  ©eifte,  mie  gefefcidt  Tie  fid? 
gmifchen  ben  ^ßfüfeen  Innbuidj  au  pnben  mußte  unb  mie  anmuthig  fie 
barüber  erröthete,  baß  fie  fich  fo  h°#  fdhürjen  mußte  —  benn  fie  mürbe 
roth  über  nicht«  .  .  . 

Tie  SBrüde  mar  grell  roth  angeftrichen,  baS  mar  eine  9Jeuigfeit  für 
il;n;  bie  einzige  außer  bem  ^flafter  ber  SBrüdenftraße  unb  bem  Sweater, 
bie  er  in  ber  guten  conferoatioen  ©tobt  SWaeftoeb  entbedt  hatte.  Unoer^ 
änbert  aber  mar  baS  fleine  anheimelnbe  §aus,  roeld>S  mit  feinem  fteinemen 
Södel  im  Gaffer  ftanb  unb  in  beffen  faft  nur  eHenbreitem  ©artenftretfen 
aua)  h^te  alle  bie  hochftammigen  SRofen  blühten,  darrtet  unb  er  wäre« 
einmal  barüber  einig  geroorben,  baß  in  biefem  ,§aufe  eine  gute  alte 
^farrerSioittiue  uom  Sanbe  molnten  müffe,  melche  fich  «i<&t  h^tte  ent= 
fdjließen  fönnen,  nach  ber  lärmenben  SHefibenj  überjufiebeln,  fonbem  bie 
ihre  fleine  ^enfiou  hier  genießen  moütc,  an  berfelben  üBrütfe,  über  toeldK 
fie  mit  ihrem  9)ianne  fo  oft  in  ber  alten  itutfehe  mit  ben  fleinen  Traunen 
gefahren  mar,  menn  fie  nad)  bem  Stäbtchen  famen,  um  Ginfäufe  $u 
machen,  &arriet  hatte  gemeint,  baß  aud)  eine  Tochter,  bie  einen  ftinber: 
garten  befäße,  ba  fein  müffe  —  ein  paar  9Henfchen  mie  ^rau  Sngersler 
unb  aparte,  hatte  SUMlhelin  gebad)t.    Gr  märe  fd)on  bamaU  fehr  vcrmunbeit 


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  <S«Dur.    2ö{ 

unb  enttdufd)t  gerieten,  wenn  man  ihm  gejagt  hätte,  bafe  er  neun  ^a^re 
fpäter  als  SJlarienS  Verlobter  biefe  VrücTe  betreten  follte! 

Xer  ©ebanfe  an  feine  Vraut  fanb  feinen  freunbtidjen  Söiberhall  in 
feinem  ^erjen  bei  ber  Stimmung,  welche  lfm  ju  beherrschen  begann.  Unb 
er  »erliefe  ti>n  auch  balb  nueber,  als  er  ben  gufeioeg  nach  föerlufsholm 
Ijinabfchritt  —  benfelben  SuB^a,*  roetä)en  $arriet  unb  er  fo  oft  geroanbelt 
waren,  wenn  ber  Schatten  ber  h<>hen  @fa)en  fidj)  über  baS  formale  Sommers 
fcett  beS  ^lüfedEjenä  breitete  unb  feinen  3acfi^en  Saum  über  baS  frifdje 
SSiefengraS  unb  auf  bie  Vüfche  beS  auberen  Ufers  legte,  bort  reo  baS 
bunte  £aub  beS  Stabtparfs  in  ben  fd)rägen  Straelen  ber  2lbenbjonne 
erglühte. 

üöei  jebem  Stritte  auf  biefem  SBege  mürben  neue  Erinnerungen 
<jewectt;  f leine,  zufällige  Gegebenheiten,  an  bie  er  jahrelang  nicht  gebadet 
fyitte,  fd)ienen  oon  bem  Crte,  an  bem  fie  fidj  abgefpielt,  festgehalten 
toorben  ju  fein  unb  oon  itjm  felbft  erjagt  su  roerben. 

£ort  mar  ein  §atbrunb  oon  mächtigen  Räumen,  beren  Stämme  an 
einem  glücflidjen  9lbenbe  fid)  mie  ein  bunfleS  ©itter  oor  ber  Sichtfluth 
eines  golbenen  Sonnenunterganges  abgehoben  .  .  .  33ci  jenem  görfter« 
^aufe  hatte  er  ihr  ein  (StaS  Gaffer  bringen  müjfen,  unb  feine  &anb 
gitterte  oor  (Erregung,  fo  bafe  fie  bejorgt  gefragt  hatte,  ob  er  franf  fei . .  . 
1Öor  einem  ber  ©efpftc  £erlufSf)olmS  fajj  er  einen  alten  ^unb,  ber  in 
feiner  3ugenb  immer  fein*  biffig  gegen  ihn  geroefen  mar  unb  felbft  bie 
muthige  $amet  bang  gemalt  ^atte  —  unb  bort  grafte  auch  ein  weifeeS 
islänbtfches  Sßferb,  jenem  bummen  Xhiere  merfioürbig  fyntiä),  welches 
fid)  oon  £arriet  nid)t  frreicheln  liefe  unb  auf  bem  ihre  Schroetter  £ono 
burdjauS  hotte  reiten  wollen  .  .  .  bitten  auf  ber  alten  Steinbrücfe  hatten 
fie  oft  geftanben  unb  fia)  über  ihre  oer$errten  Spiegelbilbcr  gefreut,  bie 
auf  bem  fchnettftrömenben  SBaffer  fd)roammen:  jefet  aber  fah  er  nur  grofee 
Steine  unb  halbfeuchten  Sanb  um  bie  güfee  ber  bieten  Vrücfenpf eiler, 
unb  baS  glüfechen  fieferte  langfam  unter  bem  $erlufSholm  junädrft  ge> 
legenen  Vogen  Ijtnburch  —  e$  mar  £rocfenjeit! 

Er  burdjblätterte  währenb  biefeS  SpajiergangS  ein  Tagebuch  ber 
Siebe,  getrieben  mit  Sonnenftrahlen  auf  jitternbeS  £aub  unb  rinnenbeS 
SÖajfer  —  auf  oerroelfteS  oom  äßinbe  oerroehtes  £aub  unb  auf  SBajfer, 
baS  oor  %afyxtn  jum  9Jieere  hinabgelaufen  .  .  . 

Schon  oon  J&erlufSholm  aus  hatte  er  gehört,  bafe  im  Stabtparfe 
€oncert  mar.  2lu<h  baS  gehörte  mit  baju,  unb  er  fonnte  fid)  nid)t  e«t=  . 
fd)liefeen,  einen  anberen  2öeg  ein$u)ch(agen,  obroofjl  er  fürchtete,  auf  irgenb 
einen  Vefannten  ber  alten  Xage  ju  ftofeert,  welcher  ein  Utecht  auf  mehr 
als  einen  flüchtigen  ©rufe  im  Vorübergehen  befafe.  $>a  waren  3.  V. 
©octor  Storks,  alte  greunbe  feines  Vaters,  in  beren  &auie  er  oft  oerfehrt 
$atte,  als  er  bei  SRittmeifter  Sajulfe  wolmte  —  ihnen  hätte  er  eigentlich 


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252 


  Karl  (Sjcllcrup  in  Dättemarf.   


einen  iBefud)  machen  muffen;  unb  roenn  er  fic  traf,  entging  er  feinem 
Schicffale  mä)t. 

2)od)  ba£  ©lue!  roar  mit  ihm,  unb  er  füllte  fid)  balb  beruhigt,  al$ 
er  unter  ber  2)ienge  um  bie  roeijjen  Notenpulte  ber  SRegimentömufif,  roeld)e 
pflichteifrig  eine  tyoita  oon  Sumbne  herunter  fpielte,  nur  ben  TabafShänbler 
unb  ben  barbier  erfonnte.  Sa$  junge  9Jläbd)en,  welche«  mit  ihm  Dorn  genfter 
aus  fofetttrt  hatte,  fpajierte  2lrm  in  2lrm  mit  einer  greunbin.  Sie  Reiben 
ftecften  bie  Äöpfe  pfammen  unb  f  teerten,  als  fie  oorübergingen;  fic 
waren  bie  ©innigen,  bie  ilm  bemerften. 

2lber  oom  Stuigange  bes  befd)atteten  2ßalbroeg3  her  fah  er  richtig 
unter  ein  paar  h°()en  6fd)en  Dr.  Stord)  angeftiegen  fommen  mit  feiner 
grau  unb  ein  paar  jungen  Samen.  2Hann  unb  grau  bewegten  fi$  vov; 
fid)tig  über  einen  Keinen  Steg,  roährenb  bie  jungen  2Wäbd)en  jum  $ad)e 
hinunter  tiefen  unb  über  bie  naffen  Steine  hüpften,  bie  unter  ben  frohen 
Ülbfäfcen  ihrer  Stiefeld)en  roacfelten.  2Bilf>etm  bog  fd)nett  ab,  ging  am 
Saume  beS  SBalbeä  eutlang  unb  fefcte  fid)  auf  eine  einfame  33anf. 

Sort  hatte  er  am  lefcten  ^Jorgen  gefeffen,  ben  er  in  Siaefioeb  juge* 
brad)t.  (Sr  roar  attein  hinaufgegangen,  gan§  früh-  Sie  33anf  roar  nod) 
na§  nom  Ktyrn  geroefen.  2(uf  bem  Stamme  einer  alten  (Stehe  gegenüber, 
roo  bie  3lefte  fid)  teilten,  t)atte  bamals  ein  Sped)t  gefeffen  unb  mit  feinem 
fpifetgen  Schnabel  auf  bie  9iinbe  geflopft,  tief,  tatf,  roie  eine  Ufn\ 
roar  geroefen,  als  ^atte  bie  3?atur  felbft  tr)n  baran  malmen  wollen,  roie 
unerbittlich  bie  lefcten  Minuten  fd)roinben. 

Unb  bie  3ett  roar  bahin  geeilt,  ofme  Stillftanb,  unaufhaltfam.  3ßie 
roar  ba£  alles  fo  rounberbar  lange  her! 

^(öfelid)  fiel  es  ihm  ein,  bog  er  bod)  bie  Gelegenheit  benufoen  foQte, 
feine  karte  bei  Stord)'3  abzugeben;  er  roar  ja  fid)er  fie  nid)t  ju  treffen 
unb  bann  r)atte  er  bod)  feine  ^flid)t  gethan.  Sie  Ratten  itm  gewifj  nid)t 
gefehen,  ber  Soctor  roar  gar  ju  furjfid)tig  unb  bie  grau  ju  fcljr  baburdj 
in  Snfprud)  genommen,  bafe  fie  mit  bem  Sonnenfd)irme  winfen  unb  bie 
Sfläbdjen  ermahnen  mufjte,  fid)  feine  naffen  güfce  5U  holen. 

Sie  ^bee  gefiel  il)in;  fie  fjatte  etwa«  $}kaftifd)e$  nnb  33ered)nenbe3, 
wa$  in  wohltfwenbem  ©egenfafce  ju  ben  Träumereien  ftanb,  benen  er  fid) 
Eingegeben  —  nufclofen  Träumen  —  oietteid)t  gefährlichen  Träumen  .  .  . 

9iein,  bad)te  er,  roäfyrenb  er  ba§  lefete  Stücf  be3  SBalbeS  burd); 
fd)ritt,  nein,  id)  will  mid)  nid)t  t)ier  feftfiebcln !  —  Sie  Suft  auf  #erluf$= 
holm  ift  nicht  gut  für  mid),  ba£  t)at  aQe$  nod)  5U  otel  2Kad)t  über  mid)  .  .  . 
Unb  roer  weife,  uieHetcht  roar  es  eben  barum,  ba§  id)  l'uft  ju  biefer 
9lnftellung  befam,  ober  id)  benufete  fie  gar  nur  als  Sorroanb,  um  eins 
mal  hierher  $u  reifen  .  .  .  Slber  bamit  muß  eä  nun  genug  fein  .... 
3d)  fönnte  eigentlich  ebenfo  gut  mit  bem  aflorgenjuge  nad)  $aufe  reifen 
ohne  ben  3lbjunften  getroffen  ju  höben;  benn  id)  barf  nicht,  id)  roifl 
nicht  .  .  . 


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(SDur. 


253 


Schnell  ging  er  über  bie  SBiefe  nach  ber  Stobt.  Der  SWoorgrunb 
gab  nach  unter  feinen  Schritten  unb  machte  feinen  ©ang  elaftifä;.  9lia)t 
als  ber  wehmütige  Xräumer  fam  er  wteber  jurfief,  als  ber  er  nach 
£erlufSholm  hinauSgefchlenbert  war. 

Doctor  8tordj  wohnte  an  bem  einen  (Snbe  oon  Sfaeftoeb.  @r  befatj 
eine  93ilia,  beren  langer,  fdfmialer  ©arten  fidj  bis  an  bie  SBtefe  jwifchen 
Stabt  unb  Stabtpaif  f)inau£erftre(fte. 

211«  SBilhelm  flingelte,  würbe  ihm  oon  einer  fremben  jungen  Dame 
geöffnet. 

@r  bebauerte  aufeerorbentlict),  bie  gamüie  nicht  $u  £aufe  ju  treffen 
unb  wollte  feine  ßarte  abgeben;  baS  gräulein  bat  ihn  jebod)  einzutreten 
unb  ju  warten,  bis  DoctorS  jurüeffäraen.  @S  würbe  ifjnen  fef)r  teib 
tlwn,  wenn  fie  erführen,  bafe  ^en  £er$  roieber  weggegangen  wäre;  Denn 
fie  wüßten,  bafe  er  in  ber  Stabt  fei  unb  Ratten  baoon  gefprochen,  bafe 
er  fie  wohl  befugen  werbe. 

©in  rechtes  91cft,  badete  SBtlhelm,  in  bem  Seber  bie  mit  bem  legten 
3uge  Stagefommenen  un  ben  gingern  t>er$ä()len  fann :  auch  fie  weife  gleidi, 
wer  id)  bin! 

©r  wollte  eben  irgenb  eine  Ausflucht  gebrauchen,  als  fein  23lidf  auf 
ben  grauen  3lugen  beS  9JiäbcheuS  haften  blieb,  ©wag  eigentümliches 
in  biefen  3lugen  nahm  feine  ©ebanfen  gefangen  unb  oerwirrte  bie  2ßorte 
auf  feinen  Sippen,  ©r  füllte,  bafe  er  feine  @ntfa)ulbigung  fer)r  ungefchidft 
oorbringen  werbe,  liefe  fie  in  einen  befdjeibenen  unb  fcalbwiberftrebenben 
Danf  übergehen  unb  trat  in  bie  SBofmftube  ein,  in  ber  bie  iunge  Dame 
ihn  fogleich  allein  liefe. 

3Werf  würbig  —  baä)te  er,  oon  ber  Seranba  auf  bie  abenbliä)  beleuchtete 
2Biefe  hinauSfä)auenb  —  fie  fommt  mir  fo  befannt  oor,  ich  weife  nicht  . . . 
(Sine  SMobie,  welche  er  leife  oor  fich  \)\n  fummte,  beunruhigte  if)n,  er 
fonnte  bie  SBorte  ju  ihr  nicht  ftnben,  gerabe  fo,  wie  er  fich  nicht  ju 
entfinnen  oermochte,  wem  bie  junge  Dame  äfmlidj)  fer)e. 

SSah^^b  er  oergeblich  fein  ©ebächtnife  anjrrengte,  fam  fie  herein 
unb  fefete  einen  Heller  mit  fluchen  auf  ben  £ifä);  gleich  barauf  brachte 
bie  SJtogb  2ßein  unb  Selterroaffer.  @r  fing  ein  alltägliches  ©efpräd) 
über  Crt  unb  Sßetter  an,  inbem  er  aufmerffam  bies  junge  SJtäbchen  be: 
trachtete,  beren  geheimnifeoofle  9ln$iebungSfraft  er  wieber  ju  fühlen  begann, 
ohne  fie  fich  erflären  ju  fönnen. 

Sie  war  burdfjauS  feine  Schönheit,  nein! 

Sie  war  noch  nidjjt  einmal  oöllig  entroicfelt,  ihre  Öüfte  finblidfj,  nur 
ber  flopf  unb  ber  ftarfe,  ungewöhnlich  lange  &als  ber  eines  SöeibeS. 
Die  Schultern  hatten  etwas  mäbdhenhaft  ©cfiges,  fie  glich  einer  Marmor* 
ftatue,  beren  Hopf  unb  £als  SReifeel  unb  geile  fdjon  oollenbet  hoben. 


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25* 


  Karl  (ßjellcrup  in  Dänemarf. 


währenb  Sdmlter  unb  Skuft  noch  im  h<ribgeformten  Steine  nur  cmge* 
beutet  fitib. 

$aS  blonbe  £aar  träufelte  ftdj  an  ben  Schläfen  unb  fiel  unter  ben 
gleiten  in  Keinen  £oden  über  ben  [teilen  Staden  hinab.  £>ie  gro§en 
grauen  3Iugen  traten  ein  Hein  wenig  fyervor  unb  befamen  baburch  etwas 
eigentümlich  SräumerifcheS,  bie  iRafe  mar  energifch  gebogen.  Sei  iebem 
Wienenfpiel  jeigten  fich  tiefe  ©rübdjen  in  ben  blaffen  SBangen;  unb  wenn 
fi e  tadelte,  fo  lächelte  2llJeS,  felbffc  baS  ©rübchen  am  Äinn. 

3)er  etwas  grofce  3Wunb  aber  mar  baS  SWerfwürbigfie  biefeS  ©eftthts. 
Sein  nachbenflidjer  2(uSbrud  beruhte  auf  ber  ein  wenig  über  bie  Unters 
tippe  fyeruortretenben  Cberlippe,  feine  Sinien  waren  ftarf  gefdjweift.  Tlan 
fonnte  fidb  biefeS  bleiche  ©efidtjt  von  einem  fjoljen  &aarauffafc  gefrönt 
benfen,  auf  langem  ftalfe  oon  entblößten  Jamalen  Schultern  getragen, 
über  einer  ^odjgefd^nürten,  nadten  Sfifte  —  eines  jener  SportraitS  aus 
ber  $e\t  unferer  ©rofjeltern,  auf  benen  9We  benfelben,  nach  bem  6upibo= 
bogen  ftilifirten  Sftunb  befifcen. 

2llS  fie,  mit  ihrem  ganzen  beweglichen  ©eficht  ladjelnb,  ii<h  ju  ihm 

neigte  unb  ifnn  ben  Heller  anbot,  ba  fanben  fich  bei  ifmi  bie  2Borte  $u 

ber  SMobie,  welche  er  uorfn'n  gefummt  tydti.   @S  war  eine  Stelle  aus 

bem  fliegenben  ^ollänber: 

„Sic  ein  (Scbilb  au8  langft  ocrßang'ncn  3«tcn 
„Sprint  btcfeö  3Jfäbd)en&  93lid  gu  mir."  — 

„Sie  tinb  ju  Sefuch  tyer  bei  $octor  Storchs,  mein  grfiuletn?" 

r/^/  fyrieberife  ift  eine  ftreunbin  oon  mir  au«  ber  ßinberjeit." 

„Sie  finb  aus  Kopenhagen?" 

„3a;  wie  es  fdjeint,  erfennen  Sie  mich  nicht?" 

„ftein,  ich  mu&  gefte^en  —  ich  .  .  .  freilich  ifl  mir  bie  ganje  3eit 
über  etwas  an  Sfmen  befannt  oorgefommen  —  aber  — " 

„9?un,  es  ift  ja  aud)  gang  begreiflich,  baß  ich  nrid)  met)r  oeranbert 
tiabe  als  Sie  fich  .  .  .  $enn  ich  erfannte  Sie  gleich  .  .  .  Erinnern  Sie 
iid)  beim  nicht  mehr  an  bie  Keine  Sinfonie  Schulfc?" 

„Sonn?" 

„3a  freilich  —  bie  bin  ich« 

„9?ein,  bas  ^atte  ich  nicht  gebaut  .  .  .  Sie  h^ben  fidt)  allerbings 
ietjr  oeranbert  .  .  .  9Iber  es  ift  ja  fein  SBunbcr.  Sie  waren  bamalS  ein 
fleineS  Habchen,  baS  umherlief  unb  mich  in  ben  2lrm  ^miefte,  wenn  ich 
über  einem  SHomane  einfd)lief,  bamit  ich  mit  ihm  ßafdjen  fpielen  fönte." 

„fQQ^a,  war  ich  fo  fdjlecht?" 

„bisweilen  fogar  fefjr  —  boshaft.  3$  erinnere  mich  3.  33.  an  ein 
Wal  —  es  war  an  bem  5lbenbe,  als  ber  Stiftungsbali  auf  £erluf$f>olm 
fein  foüte.  3<h  fani  in  bie  SBohuftube  im  fchwarjen  grad,  mit^weißer 
'Öinbe  u.  f.  w.  ßein  Wenfch  war  barin,  fie  Ratten  alle  noch  mit  ber 
Toilette  >u  ttjun.  $0)  befnl)  mich  im  Spiegel,  50g  meine  ßanbfdmhe  an  — 


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<8*Dur.   


255 


bie  id)  mifjtramfa)  auf  beut  3Warftplafee  bei  ber  £auptwad>e  getauft  tyatte  .  .  . 
Ta  (amen  Sie  bereingefd)lüpft  im  uollften  <fufc;  Sie  follten  jum  erften 
ÜDtofe  mit  ben  fleinen  Sdjfilerinnen  tansen." 

„3dj  entrinne  mid)  be«  Slbenb«  fef>r  gut,  e«  mar  mein  erfter  23all." 

„SBiffen  Sie  aud)  nodj,  wa«  Sie  mir  bamat«  fagten?" 

„Wein,  ba«  freiließ  nid^t." 

„Sie  famen  ju  mir  Ijer,  ganj  fofett,  entfdjulbigen  Sie  —  ,Ste  müffen 
leiber  mit  mir  »orlieb  nefjmen,  £err  ^erj,  meine  Sd)wefter  —  Sie 
waren  plöfolid)  fo  raffinirt,  bafj  Sie  rtid^t  einmal  $arriet  fagten!  — 
,meine  Sä^wefter  ijt  nid)t  ganj  wo§I  unb  fann  nidjt  mitfahren4  .  .  . 
3$  mar,  aufrichtig  gefagt,  nidjt  fefjr  erfreut  barüber;  id)  antwortete  nidjt« 
unb  jerrte  an  meinen  &anbfd)uf)en,  bafe  felbft  iljre  Waeftoeb'fdje  Jeftigfeit 
beinahe  nidjt  wiberftanbeu  f)ätte  .  .  .  ba  aber  fam  3^re  Sdjwefler  Ijerein 
in  ftraf)lenbem  Sallftaat,  unb  Sie  ftedten  ben  ßopf  äwifdjen  ben  ©arbinen 
fyeroor  unb  Iad)ten." 

„3a,  ber  Streid;  fief)t  mir  ganj  äf)nlidj,  nadj  atlebem,  wa«  id)  über 
m\<f)  gehört  f)abe." 

„3*15*  aber  finb  Sie  nidjt  mein*  fo  bosfjaft?" 

„9lun  —  ba«  fann  id;  3^nen  bod)  nid)t  oerfidjern." 

Sie  neigte,  inbem  fie  bie«  fagte,  ben  ftopf  auf  bie  Seite  unb  madjte 
eine  abmefjrenbe  Bewegung,  roeldje  2BUf)elm  wie  oon  darrtet«  £anb  ge- 
ttyan  erfd^ien. 

„2Bie  Sie  bod)  30ter  Sdjmefter  älmlid)  fe^en!"  rief  er  unwillfürttd). 
Antonie  (ad/te  laut  auf. 

„3<S  ber  §arriet?  .  .  .  Sie  werben  fdjmerlid)  für  biefe  2lnfid)t  oiele 
Stimmen  auf  3()rer  Seite  fyiben  .  .  .  3d)  glaube,  man  fann  nadj  Sä)meftern 
fuä)en,  bie  ftd)  einanber  weniger  äfmlid)  feigen  al«  mir!" 

„9ton,  fo  etwa«  bewerft  wof)l  ein  Jy^mber  am  beften." 

Unb  bod)  rnufete  er  \\)t  fjafb  unb  ijalb  redjt  geben.  Da«  2leujjere 
war  wtrflid)  $iemlidj  oerfd)ieben,  faum  ein  3"9  berfelbe.  Srofebem  aber 
t)errfd)te  $wifc&en  Reiben  eine  edr)te  ©eia^wifteräfjnttdtfeU,  eine  2lefmli<$feit 
tieferer  2lrt,  ate  jene  in  bie  21ugen  fpringenbe,  bie  mau  audj  5wifd)en 
Jremben  finben  fann  —  jene  ©in(jeit  im  2lu«brucf  unb  in  ben  unwiHfür= 
liefen  Bewegungen,  burdj  roeldje  eine  gemeinfame  9latur  ber  oerfd)tebenen 
formen  $u  fpotten  fdjetnt,  in  benen  fie  fidj  äufeerlid)  barbietet.  5lber 
felbft  in  biefen  anfd^einenb  fo  uerfdjiebenen  formen  berfelben  ©attung 
fjerrfcfct  eine  eigentf)ümlid)e  9Jrt  uon  ©leidjfjeit,  eine  ©emeinfdjaft,  bie 
niebt  auf  ber  gleiten  3ufaminenTe^un9  t>erfd)iebener  ©lemente,  fonbern 
auf  ber  uerfdjiebenartigen  ^ufantmenfefcung  ber  gleiten  ©(erneute  berufen 
mag.  @S  ift  feine  jufälHge  2lefml{d)feit  ber  ßimen,  fo  wie  9tom«  Sorafte 
bem  ^tlatu«  oon  Sujem  äfmelt,  fonbern  e«  ift  berfelbe  Stoff,  nur  in  uer* 
fa^iebenartiger  Öilbung,  fo  wie  bie  ftrudjt  ber  (Sidje  bie  3?erwanbtfdjaft 
mit  bem  eid^enblatte  jeigt. 


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2öb 


Karl  (ßjelleriip  in  DäncmarP. 


Unb  je  länger  er  fie  anbaute,  umfomeht  würbe  er  baoon  überzeugt, 
bajj  jenes  unbeftimmte  ®efül)l  nid)t  baS  ©efüljl  beS  SSiebererfennenS  ge= 
wefen,  feine  Erinnerung  an  baS  ftinbergefidjt  oon  £onn.  Stfein,  eS  waren 
bic  unbewu&t  in  feinem  ©eifie  auftaud&enben  3üge  ^orriets,  weldje  Antonien 
bcn  Schein  oon  etwas  33efanntem  gegeben  Ratten  —  fo  mag  ein  Gebens 
motio  einer  Sonate  f)alb  unb  ^alb  befannt  erfltngen,  wenn  man  ba* 
&aupttf)ema  auSwenbig  weife. 

„Es  ift  bod)  fjübfd),  bajj  id)  tyex  in  SRaeftoeb  nod)  eine  oon  —  bau 
id)  Sie  r)ier  treffen  mufcte,"  oerbefferte  er  fid). 

Es  lag  if)m  auf  ber  3un8e/  lemc  Staube  barüber  auSjufpredjen, 
Semanben  aus  bem  S^ulfe'fd&en  £aufe  getroffen  §u  (jaben,  an  bemfetben 
Orte,  wetd&er  einft  ein  fcenenreid)er  Sd>auplafc  für  ifm  gewefen  unb  ber 
ilnn  jefct  fo  leer,  fo  öbe  wie  eine  SRuine  oorfam. 

3lntonie,  weld)e  jenem  3<wberf)aufe  angehört  ^atte,  mar  ein  lebenbes 
StferbinbungSglieb  swifd&en  bamalS  unb  jefct.  Die  ganje  Slnmutb  unb 
jarte  Sdjönljeit  iener  3eit  lebte  burd)  if)re  fnoSpenbe  Sugenb  in  ilmi 
toieber  auf,  unb  alle  »itterfeit  oerfa^wanb  bei  ber  Erinnerung  an  ü)r 
Kinbergelädjtcr  unb  if)re  übermütigen  2Räbd)enftretcf)e  ...  Gr  fü^te  fia) 
in  tyrer  9?äf)e  gleidrfam  oon  einem  $ru<fe  befreit. 

Seitbem  er  ben  ©aftyof  oertaffen,  ^atte  er  nur  ein  paar  3M  oor^ 
überget)enb  an  Sttarie  gebaut.  $efct  beburfte  eS  nur  ber  ieifeften  grage  con 
Seiten  2lntonienS,  bafj  er  fid;  weitläufig  über  feine  33raut  auSfprad),  was 
fie  für  ein  gutes  3Häbd)en  fei,  mit  weld)  gefunber  SlnfdjauungSweife  unb 
wie  ausgezeichnet  fie  für  einanber  pafeten  mit  if)ren  gemeinfamen  ^ntereffen 
unb  oerfdjiebenartigen  ^Temperamenten,  weldje  fidj  einanber  ergangen. 
Sie  mar  ja  feine  $albcoufine,  unb  fie  fannten  fidj  feit  ihrer  ßinbbeit.  Es 
fei  feine  ©nttäufd^ung  möglicf).  So  müffe  ein  SJerhältnifc.  auf  wadjfen,  feft- 
gewurzelt  unb  langfam,  wenn  es  ju  einer  glücflidjen  Ehe  führen  fotte! 

2Hit  bem  lefeten  Safte  fonnte  Antonie  fid)  nicht  etnoerflanben  erflären. 
Sie  glaubte  nid)t  an  eine  angewöhnte  Siebe;  fie  wollte  etwas  ^Uöfelidjeö, 
etwa!  ßeibenfd)aftlid;e§  —  ober  jebenfaflS  —  fie  wufjte  felbfi  nicht  was, 
nur  nicht  baS  SHufnge,  nicht  baS  Ebene,  lieber  Unglücf !  9US  er  Über  ihre 
mangelhafte  Erflärung  lachen  mufcte,  füllte  fie  ftch  gefränft  barüber,  fo 
wenig  beachtet  ju  werben  wie  ein  ftinb,  metd)es  baS  Seben  nicht  fennt, 
fonbern  ficb  nur  in  ben  gewöhnlichen,  romantifd)en  Xräumen  wiegt.  -- 
Unb  baS  um  fo  mehr,  weil  Tie  im  ^nnerften  febr  gut  wufete,  baf$  fie  bie 
Siebe  nur  aus  Romanen  unb  aus  ben  ©ebid&ten  EbrifHan  Sinters  fannte, 
unb  aus  bem  ©efdjwäfc,  weld)eS  unter  jungen  SHäbdjen  über  btefeS  fie 
am  meiften  berü^renbe  tytma  geführt  wirb. 

,,3d)  merfe  redjt  gut,  ba§  Sie  mi$  überfpannt  unb  altmobif^  finben/' 
fagte  fie  oerleftt.  „Sie  finb  wo^I  aud)  ber  3tnfid)t,  wie  fo  mele  9Ränner 
ber  ^Mei1/  ba§  fowo^l  bie  Slomantif  wie  bie  Religion  oerafteter  Äram  fei." 

„3dj?   9iein!   55kirum  glauben  Sie  bas?  .  .  .  3m  ©egent^eü,  icb 


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<B*Dur.   


20  7 


habe" ben" größten  —  9Mpect  oor  bcm  SHctigtöfen  im  Allgemeinen,  wenn 
id)jaud)  ni<%t  fclbft  —  .  .  .  Unb  id)  Wtc  fogar  fc^r  oiel  oon  bcr  9io= 
mantif  —  in  ber  Sßoefie  —  freilid)  glaube  id),  bafe  man  im  fieben  fid) 
nia)t     oiel  ftomantif  roünfd)en  barf,  fie  greift  gar  ju  flörenb  in  baSfelbe." 

„Sld),  fiörenb!  .  .  .  2Ba3  nüfet  es  benn,  memt  9XÜe^  fo  orbentlid)  ift, 
mie  in  einem  frifd)  geredeten  ©arten,  in  bem  man  faum  auf  ben  SBegen 
ger)en  barf,  gefdjroeige  benn  auf  ben  ©raSpläfcen.  SBenn  alle  SZomantif 
aus  bem  Sehen  verbannt  roirb  unb  aud)  fein  jufünfttgel  ßeben  ejiftiren 
foIX,  bann  fann  man  ja  eben  fo  gut  lungeren  unb  fich  morgen  aufhängen." 

„borgen,  morgen,  nur  nid)t  heute  — " 

Antonie  ladete,  ba$ü  bereit,  bieS  ©efpräd),  in  bem  fie  fid)  fd)on  ju 
weit  geioagt  ju  fyaben  fürchtete,  in  ©d)er$  übergeben  ju  (äffen.  2lud) 
2Mhelm  mar  nid)t  befonberS  geneigt,  e3  fortjufefcen.  (5r  ärgerte  fid)  ba* 
rüber,  ba§  er  fid)  fo  fptefjbürgerlid)  oernünftig  auSgefprodjen  hatte. 

Deshalb  mar  e3  if)m  aud)  nid)t  unangenehm,  al$  bie  9lücffehr  ber 
Jamilie  fie  oon  ber  ©d)toierigfeit,  einen  Ue&ergang  ju  einem  neuen  Xtyma 
3u  finben,  befreite. 

2Bilhelm  mürbe  mit  ber  äberfrrömenben  ©aftfreunbfd)aft  roiüfommen 
ger)eifcen,  roeld)e  in  einer  fleinen  <Stabt  mohlfetl  ift,  in  ber  man  fid)  fo 
jtemlid)  langweilt.  6ie  hatten  in  ber  3ettung  fl^^fen,  bafj  er  im  „2ßein= 
Ijaufe"  abgeftiegen  mar,  unb  fajt  $u  furzten  angefangen,  bag  er  fie  ganj 
oergeffen  fyabe.  2lud)  toarum  er  9Jaeftoeb  befugt,  mar  ihnen  fein  ®e* 
tjetmnig,  benn  fie  Ratten  mit  einem  Slbjuncten  oon  ^erluf^olm  gefprod)en. 
kber  SBilhelm  mugte  balb  ir)rc  Hoffnung  auf  eine  angenehme  Vergrößerung 
ber  intelligenten  ©efellfd)aft  9toeftoeb3  ju  9fid)te  mad)en. 

gräulein  6tord)  fonnte  fid)  feinen  angenehmeren  Aufenthalt  benfen, 
als  baö  SBalbflofter  &erluf$holm  an  ben  Ufern  be§  @ügbad)3.  Antonie 
fanb  im  ©egentheil  e3  höd)ft  begreiflich,  bag  man  fid)  nid)t  bort  begraben 
möchte,  fo  lange  man  in  Kopenhagen  fid)  burd)juhelfen  im  Stanbe  roäre. 
$)ort  mofme  Ja  aud)  feine  Verlobte,  unb  er  fönne  fid)  bod)  nid)t  auf  ba£ 
Ser^rergehalt  oon  £erluf$ho!m  hin  »erheiraten. 

3a,  mein  ©Ott,  richtig,  er  märe  ja  oerlobt,  ba8  hätten  fie  natürlich 
aud)  gehört!  $ie  grau  jeigte  fid)  fcr)r  eifrig,  etroaä  oon  feiner  Sraut  $u 
erfahren,  aber  2Bilhclm  mar  jefet  meniger  mittheilfam,  unb  gab  nur  bie 
nothbürftigften  Antworten. 

,f2Bic  geht  es  benn  mit  deinem  Äopffd)merj\e,  Xono?"  fragte 
gräulein  ©tord). 

„$er  ift  gan$  oorüber.  Unb  er  mar  bod)  ju  etroaS  gut;  benn 
roenn  id)  nid)t  %\x  &aufe  geblieben  märe,  mürbe  §err  £er$  aud)  mieber 
fortgegangen  fein." 

„$)u  foüteft  bod)  ©ifenpiUen  nehmen/'  fagte  ber  Xoctor,  ber  fd)on 
in  <Sa)lafro(f  unb  Pantoffel  gefd)lüpft  mar;  „ju  bünneS  Slut  unb  ju 
fdhmaa)e  Heroen,  baS  ift  ba$  ganje  eienb.   ©eht  eä  nid)t  Sfom  Vraut 


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1 

2ü8    Karl  (Sjcllerup  in  Däncmarf.   

aud)  )0,  §err  &erj?  9?un,  natürlidfj.  9?ein,  ba  foUtet  ir)r  9Huttern  gefehlt 
Ijaben,  a(S  fie  ein  junges  Sttäbdjen  mar!  ©in  $rad&teremplar!  ~  deiner 
Seef,  nid&t  mef)r  neroöS,  als  ein  junges  eidjenbäumdjen  .  .  .  aber  jefct 
muffen  ja  alle  grauenjimmer  9?eroen  Ijaben  .  .  .  bie  bümmfte  3Robe,  bie 
ber  liebe  Herrgott  erraffen  f)at." 

„Slber  mein  ©Ott,  «ater,  mußt  $u  benn  immer  wieber  bae  alte 
Sieb  leiern!" 

„«leiben  Sie  ben  Sonntag  nodf)  Ijier  in  Diaeftoeb?"  fragte  grau 
StordE). 

„Wein,  id)  reife  morgen  mit  bem  9?adjmtttag$5uge/  antwortete 
Sityelm,  feinen  lefeten  Gntfd&lufe,  ben  2J?orgenjug  3U  benufcen,  oergeifenb. 

„2)aS  ifl  fd)abe;  mir  motten  (Sonntag  eine  £our  nadf)  ©aunö  unb 
Sönnebe  mad[jen,  unb  idj  hoffte  fefcon,  bajj  mir  Sie  mitbef  ommen  tonnten . . . 
:Uber  jebenfalls  muffen  Sie  morgen  bei  uns  $u  9Hittag  effen.  £eute 
5lbenb  ift  fo  wie  fo  nia^t  oiel  mef)r  anzufangen.  3Me  Uf)r  ift  balb  neun, 
unb  um  Ijalb  jefm  ijt  bie  ganje  gamilie  fdjläfrtg,  mir  finb  altmobifdjc 
Seute,  miffen  Sie/' 

2llS  SBityelm  nad)  £aufe  gef ommen  war,  unb  feine  «rufuajdje 
IjerauSnafym,  fiel  itmt  ber  «rief  an  2)torie  in  bie  §änbe,  meldten  er  oer- 
geffen  rjatte,  in  ben  Spoiifofien  ju  werfen.  ©S  war  ja  baburdj  nidjts 
oerfäumt.  3efct  wollte  er  bod)  bie  ©elegenfyeit  benufcen,  eine  oergejfene 
«emerfung  ^in^ujufügen  unb  ein  paar  fttiien  barüber,  wie  er  ben  9tfad) 
mittag  jugebradjt:  bann  würbe  ber  «rief  audj  faft  wer  Seiten  lang  fein, 
baS  gemöfmlid&e  3)iag,  welkes  feine  geber  bieSmal  niäjt  erreidjt  fatte. 

211S  er  aber  ben  «rief  burd[)IaS,  gefiel  er  ifnn  nidjt.  Gr  fanb  ifyt 
troefen,  er  war  nidjjt  mit  ber  ftürmifdjen  Sefmfud&t  nad)  bem  SBieberfetpn 
auf  baS  Rapier  Eingeworfen,  weldje  einen  jungen  3Wann  infpiriren  mu§, 
wenn  er  an  feine  ferne  ©eliebte  fdjreibt. 

@r  r)arte  feine  Suft,  biefen  «rief  abjufa^icfen.  SlnbrerfeitS  war  ei 
ifnn  aber  ganj  unmögltd),  einen  befferen  ju  fdf)reiben;  benn  obgleidj  bie 
Urjr  oon  St.  $eter  eben  erft  Ijalb  elf  fa)lug,  war  er  bod)  fo  fdjläfrit], 
als  fei  er  oon  bem  Storayfdjen  &aufe  angeftedt  worben. 

2lber  eigentlid)  war  ein  «rief  ja  aud)  gar  nid)t  nötfng;  er  fam  ja 
felbft,  unb  fonnte  birect  nad)  feiner  2lnfunft  mit  bem  3tbenbjuge  ju  ibr 
l)inau$gef)en!  Unb  wenn  er  fiäys  überlegte,  war  es  fogar  ganj  gut,  |l<±> 
mä)t  gebunben  31t  f)aben:  uielleidn"  befam  er  Suft,  ben  2lbenb  t)ier 
bleiben,  ba  er  ja  bod)  mit  bem  Sonntag=3rüf)3uge  jeitig  genug  anlangte. 

(Sr  Serrig  ben  «rief  unb  fing  an  fidj  auS$ufletben. 

IV. 

911$  2ötll)elm  am  näd)ften  borgen  ben  gufjweg  am  ©artenjaun  ber 
Stord)'id)eu  «illa  entlang  ging,  fat)  er  Antonie  in  einer  £aube  am  $öeoe 
fifcen  unb  (efeii. 


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2Ö9 


Sic  hatte  ein  hellrote«  3)torgenfleib  au,  bcffcu  jarte  garbe  ben  bünneu 
Stoff  noch  leichter  machte,  unb  unter  bcffcn  nachläffigen,  ein  wenig  jer- 
fnittertcn  galten  bie  jugenbltchen  gormen  ihre«  fchfanfen  Seibe«  wie  burdj 
einen  Schleier  mit  jener  rübrenben  2lnmuth  be«  faum  ©ntwicfetten  binburch 
$u  flimmern  Lienen.  3n  Metern  bleibe  gefiel  fie  i^m  noch  beffer  aU 
geftern:  fie  fam  ihm  fo  gan$  unb  gar  oor  wie  ein  SSefen,  ba«  eben  jum 
Sewu&tfein  erwacht,  beffen  ©ebanfen  unb  ©efüljle  ficb  noch  nid&t  ber 
oorgefchriebenen  3Kobetoilette  be«  Sebent  unterworfen  fyiben. 

©erabe  oor  ihm  wiegte  ftd)  auf  langem  Stengel  eine  bla&rothe 
ÜJtofmblume.  3^re  feinen  SBlätter  legten  fich  halbgeöffnet,  noch  faltig  oon 
bem  engen  Säger,  um  einen  Tautropfen  Jerum,  ber  in  if>rein  Äeld;e 
gitterte  .  .  .  3fmi  bünfte,  ba&  fie  bem  9Räbä)en  ähnelte,  unb  er  yflücfte  fie. 

Antonie  ließ  bas  Sud;  auf  ben  Sajoofj  fmfen  unb  ladjte  laut  auf, 
inbem  ftc  fid)  jurüdbog  unb  ben  ßnoten  ihre«  <&aare«  in  ba«  ©rün  ber 
@ai«blattlaube  brüefte.  311«  fie  barauf  ein  wenig  nad)  ber  Seite  bliefte, 
entbeefte  fie  SBtlbelm  unb  ftiefe  einen  leichten  Säuret  ber  Ueberrafdjung  aus. 

„©uten  borgen,  £err  §er$.  $a«  ift  aber  nicht  nett,  fo  bajufteben 
unb  3emanb  ju  beobachten!" 

„3<h  bitte  febr  um  entfd)u(biguug.  3$  war  eben  nod)  unentfdjloffen, 
ob  ich  eintreten  unb  Sic  in  3hrer  »oetifeben  SHorgenanbacht  ftören  follte 
.  .  .  9?un,  e«  fd)eint  wenigften«  eine  weltliche  Seetüre  %u  fein." 

„3iemlich  weltlich  .  .  .  5Dte  »Äinbcr  ber  SBelf  oon  $aul  $enfe." 

„So?  ©ef)ört  er  ju  3hren  Siebling«bicbtern?" 

„3$  weife  wirf  lieh  nicht,  ob  er  noch  einmal  baju  gehören  wirb;  benn 
ich  höbe  ihn  erft  hier  angefangen  ju  lefen." 

„2lber  Sie  beftfeen  ihn  ja  bodj  auch  su  $aufe.  <5r  fteht  in  3hrem 
Sficherfcbranf,  ich  erinnere  mich  beffen  oon  alten  gerieujeiten  her,  al«  ich 
ju  ihm  3uftu<^t  nahm." 

„3a  .  .  .  a  —  bort  ift  er  aber  oerbotene  grud)t  .  .  .  93ater  fagt, 
ba«  fei  nod)  nicht«  für  mich." 

„Unb  Sie  finb  eine  gehorfame  Xoä)ter,  wie  ich  fehe!" 

Antonie  juefte  mit  ben  Schultern  unb  machte  ein  trofcige«  ©eficht : 

„$>ie  eitern  glauben  auch  immer,  ba&  man  nod)  fo  ein  reine«  ftinb 
fei,  ba«  oon  nicht«  in  ber  SBelt  einen  begriff  hot  .  .  .  unb  ba«  bin  id) 
boa)  wirtlich  nicht  mehr!" 

Sil«  fie  in  bemfelben  2lugenblicf  Sßilhelm  anfaf),  würbe  fie  ein  wenig 
»erlegen  über  biefe«  äflriföenbing  oon  einem  SBefenntniffe  unb  einem 
Monologe  unb  fügte  läcfjelnb  binju: 

„3a,  barüber  tonnen  Sie  freilich  schwerlich  eine  Meinung  höben  " 

„D  boch!  Sei  wem  bie  ßuft  jum  fliegen  erwacht  ift,  ber  ift  eben 
fchon  ein  $ogel." 

Antonie  lachte.  Sie  machte  eine  Keine  glügelbercegung  mit  ben 
2(rmen  unb  fang:  „2£enn  ich  ein  SJöglein  war'/' 


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260 


Karl  (Sjelleru  p  in  Dänemar  f.   


Xann  würbe  Tie  plöfclid)  wieber  cmft. 

„Eber  e£  ift  fretti$  SSieleS  (n'er  barin,  was  idj  nid)t  oerftefje,"  fuf>r  fle 
fort,  inbem  ftc  auf  baä  Sud)  jeigte.  „©*  ift  fo  pljilofopfnfd)  .  .  .  unb 
idj  Ijabe  gar  nid)t$  berartigeS  im  ^nftttut  gelernt  —  natürlidj,  bauor 
nehmen  fie  fid)  bort  woljl  in  2l<$t  .  .  .  #ören  Sie,  Sie  fönnten  mir  ba$ 
erflären,  Sie  ftnb  ja  W^ofo" 

„3$?  9teut.   £a$  ift  ju  oiel  ©$re." 

„2iuf  3^rer  SBifttenfarte  ftefjt  bod),  ba§  Sie  Doctor  philosophiae  finb." 
,/EaS  ift  nidjt  fo  ju  oerftef)en.  3$  f)abe  über  ein  gefdjid)tlid)eS  £f>ema 
biäputirt." 

„So?  ...  3a,  aber  Sie  wiffen  ba$  gewi§  alle«,  baoon  bin  ic& 
überzeugt  ...  Dr.  Stordb  fann  id)  nid)t  fragen,  baS  nüfct  mir  nichts; 
benn  er  antwortet  immer,  ba§  fei  erft  nadj  feiner  3*ü  aufgefommen  .  .  . 
Unb  &u  ßaufe  bin  id)  oon  allem  derartigem  ganj  auSgef dtfoffen  .  .  S5on 
ben  Herren,  bie  bei  uns  oerfef)ren,  fowoljl  ben  älteren  als  ben  jüngeren, 
oon  benen  finb  nirf)t  oiel  Euffälüife  &u  befommen;  eS  fällt  ilmen  über; 
^aupt  gar  nid)t  ein,  bafe  man  mit  mir  über  foldje  ernfte  SMnge  fpred&en 
Fönne  .  .  .  UebrigenS  tyaben  fte  Fein  anbereS  Urteil  über  alle«  SWoberne. 
als  bajj  es  unreltgiöS,  unmoralifd)  unb  lädjerlid)  fei.  $od&  i#  merfe  febr 
gut,  bafe  fic  eS  eigentlidj  gar  nid)t  fennen  .  .  .  (SS  märe  fef>r  fdjön,  wenn 
Sie  mir  etwa«  barüber  ersähen  wollten.  2lber  es  ift  ja  waljr,  Sie  reifen 
fdjon  Ijeute  SRadjmittag  unb  rnüffen  jefct  woljl  weiter?  ©eljen  Sie  nadj 
fcerlufslwlm?" 

„3<*  woljl,  aber  eS  fyxt  (eine  Gile!  .  .  .  2i*aS  iroflen  Sie  beim  eigene 
lid)  wiffen?" 

„D,  üiel  .  .  .  $.  33.  was  biefe  teuerer,  ber  gortfdjritt,  biefe  .  .  . 
greigeifter  —  nennt  man  fie  nt<$t  fo?  —  was  fte  eigentlidj  wollen  ?'' 

„$m,  ja  wie  meinen  Sie  baS?  9J?einen  Sie  in  ber  ^olitif?" 

„9lein,  ®ott  bewahre,  was  gefy  mid)  bie  ^olitif  an!  9?ein,  was 
fie  über  9iatur  unb  2Wenfd)en  benfen,  über  Seben  unb  Stob  unb  —  ja 
roaö  fte  wollen,  was  fie  bejroedenV" 

„9lun,  erftenS  giebt  es  unter  benfelbcn  wof|l  cbenfo  oiel  oerfdjieoene 
3wede,  als  es  2Renfa)en  giebt." 

,/flber  es  mufe  bod)  etwa«  oorfjanben  fein,  was  bie  9Wetften  wollen." 

„Xie  Weiften  motten  woljl  l)tec  roie  überall  nidjts  anbereS  als  über* 
tyaupt  babei  fein." 

„dann  roill  id)  roiffen,  roa^S  bie  heften  fagen;  benn  barauf  foirnnt  e^ 
f<$lie|?lid)  bod)  an." 

rß$,  ie^t  ift  bie  3lufgabe  bebeutenb  mel)r  begrenzt!  Slber  trofebem 
bleibt  e«  immer  nod)  eine  siemlid)  oerroidelte  5ra0e/  m<^1  Won 
fo  am  frühen  borgen  3U  beantworten  ift." 

,,3d)  merfe  vooty,"  fagte  fte  oerlefet,  inbem  fie  ftdj  wegroenbete,  wba§ 


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<ß-Dur.   


Sic  mid)  für  ein  ©änsd)en  anfefjen,  mit  bem  man  nicht  ernfujaft  fpred;eu 
fönne." 

„D,  wie  fönnen  Sie  fo  etroaS  benfen?"  rief  er  mit  ber  ganjen 
(Sntrüftung  eines  unfdmlbig  2lngeflagten.  Unb  fo  gut  er  es  unvorbereitet 
uermodjte,  oerfuchte  er  ihr  eine  ©rflärung  beS  SJtoniSmuS,  ber  (£ntroi(flung£s 
lefjre  nad)  mobern=miffenfchaflid)er  2tanfä)auung  ju  geben,  oon  melier  er 
freilich  felbft  füllte,  bafe  fie  jiemlid)  mangelhaft  fei.  Unb  es  fdn'en  aud) 
nid)t,  als  ob  Antonie  btefelbe  befonberS  intereffant  fänbe;  benn  als  fie 
einige  9JKnuten  jugehört  ^atte,  rief  fie  plöfclid): 

„Slber  roaS  ^aben  Sie  benn  ba  gethan,  $err  &erj?  Sie  höben  ja 
meine  Sttolmblume  gepflüeft!" 

,,3(0),  gehörte  Sie  3hnejt?         mußte  id)  nicht." 

„3a  allerbingS;  id)  hätte  fie  fd)on  längft  pflüefen  fönnen.  .  .  .  3$ 
habe  mid)  fd)on  vor  ein  paar  Stunben  über  fie  gefreut,  als  fie  gerabe 
eben  bie  $üu*e  gefprengt  ^atte  .  .  .  SIber  id)  brad)te  es  nid)t  über'S  £erj, 
fie  ju  bred)en;  bann  ift  es  bod)  fo  fd)nell  vorbei  mit  ihr,  unb  fie  r)dtte 
ja  nod)  oiele  £age  bie  9Wenfa)en  erfreuen  fönnen  .  .  .  2lud)  fommt  es 
mir  immer  cor,  als  ob  fo  eine  33lume  lebte  unb  füllte  unb  ben  Sonnen« 
fd)ein  unb  %fym  genöffe  —  unb  marum  foUte  man  fie  ba  nid)t  ftefjen 
laifen?" 

„(SS  tfjut  mir  roirftid)  leib,  $arf  id)  fie  3(wen  geben?  Sie  mirb 
3(men  gut  ftehen." 

„Stfetn;  ba  id)  fie  als  mein  ©tgentbum  betrad)te,  miU  id)  fie  Heber 
3(men  fd)enfen  •  .  .  Slber  jefot  muffen  Sie  weiter,  nad)  §erlufShoün,  fonft 
raube  id)  3hnen  3hrc  9&n$e  •  •  •  Sreitid)  mirb  eS  ja  bod)  nujjlos 
fein;  benn  id)  bin  fid)er,  bafe  Sie  bie  Stelle  nid)t  annehmen." 

„3<h  flud)  —  aber  ber  Drbnung  h^ber  —  Slbieu!" 

„9lbteu,  wir  fehen  uns  ja  $u  SJiittag  nrieber." 

„<£ä  ift  bod)  munberlid)  mit  biefem  SJiäbchen",  bad)te  Sßilhelm,  roährenb 
er  fd)neQ  ben  2£eg  nad)  bem  Stabtparfe  ging.  2Bie  fie  mid)  immer  unb 
immer  roieber  an  ©arriet  erinnert,  balb  burd)  tt)re  Slefmlichfeit,  balb  burd) 
ihre  S8erjd)iebenf)eit!  .  .  .  9llS  fie  fagte,  ,id)  miU  roiffen,  roaS  bie  heften 
fagen ;  benn  barauf  fommt  es  f d)lie§lid)  bod)  an'  —  baS  mar  ganj  unb  gar 
darrtet  .  .  .  Sie  ift  nid)t  fo  jd)ön  unb  mirb  eS  aud)  nid)t  .  .  .  Slber 
fie  fd)eint  eine  reichhaltigere  9tomr  ju  fein  .  .  .  3ft  Tie  begabter?  .  .  . 
Sie  ift  lebhafter  .  .  .  £od)  ihr  fehlt  bie  9tuf)e  unb  Sicherheit,  jene  fülle 
©röfce,  bie  man  fo  jeitig  bei  ber  Sd)mefter  fanb  .  .  .  9hif  alle  gäUe  ift 
fie  nicht  nur  eben  erwacht  .  .  .  fonbern  fie  ift  mach  —  ganj  mach !" 

V. 

„31  ber  fönnen 'Sie  benn  wirflich  nicht  hier  bleiben  unb  uns  morgen 
bei  ber  Sanbpartie  ©efeCföaft  leiften?"  fragte  grau  Storch  nad)  Sifche, 
„Sonntags  tyxbzn  Sie  boch  mohl  feinen  2)ienft  in  Kopenhagen?  ®a  Sie 


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262 


Karl  (Sjellerup  in  Däncmarf.   


jefct  einmal  nach  ben  gerien  auf  3  i'anb  gefommen  finb,  fo  foöten  Sie  bodh 
ouch  bad  fchöne  Huguftroetter  genießen  fo  lange  rote  möglich!  31m  Montag 
fönnten  Sie  bann  mit  Antonien  jufammen  mit  bem  grüljjuge  äurücffar)ren.,M 
„Sie  finb  fefjr  freunblid)  unb  eä  flingt  fe^r  oerlocfenb  —  aber  nein, 
id)  muß  morgen  in  Kopenhagen  fein." 

„$>ie  33raut  wartet!"  fagte  Antonie  necfenb. 
2)ieä  äßort  traf  ilm  an  einer  empfinblichen  Stelle.    @r  fühlte  fich 
in  biefem  2lugenblicfe  gebunben,  unfrei,  unb  ärgerte  fid)  barüber. 

„§err  £er§  bebenft  fi<h,  folglich  giebt  er  nach/  fagte  gräulein  Storch. 
„Sie  brausen  auf  feinen  gau*  eher  als  morgen  früh  ju  reifen/'  fuhr 
grau  Storch  fort.  „£>ann  fönnen  roir  noch  biefen  Stodjmittag  einen  frönen 
Spajiergang  machen  unb  Sie  hüben  3*it       &u  entfließen  .  .  .  Unfer 
öaftjimmer  fte^t  ja  leer,  roir  laffen  3h™  Sachen  holen  —  nicht  roahT?" 

9toch  einem  höflichen  Sträuben  ging  2Silhelm  auf  biefen  SBermittlung*-- 
uorfchlag  ein,  roeld)er  ihm  fdron  Ufyaib  gefiel,  roeil  er  felbft  am  porigen 
2lbenb  eine  foldje  9Wöglid)feit  in  Betracht  gebogen  hatte. 

3um  flaffee  fam  eine  greunbin  oon  gräulein  Storch,  biefelbe  junge 
£ame,  welche  er  am  Xage  oorher  mit  ber  gamilie  jufammen  gefehen  hatte. 
Sie  mußte  jefct  auch  an  bem  Spaziergang  theilnehmen,  unb  ba  fic  fidj  bie 
ganje  3eit  an  graulein  Storch  hing,  fo  fonnte  2öilf>elm  ungeftört  mit  Antonien 
get)en  unb  fich  mit  ihr  unterhalten. 

$a$  ©efpräd)  hatte  fid)  fd)on  lange  um  31ntonien$  gamilie  gebreht, 
als  Antonie  es  plöfelich  abbrach  unb  fagte: 

„Um  auf  erroa«  anbereS  ju  fommen,  auf  etroaä  oon  r)eute  Vormittag; 
—  fagen  Sie  mir,  roenn  e&  feinen  periönlidjen  ©Ott  gäbe  —  i<f>  meine, 
wenn  bie  9Renfchen  nicht  an  einen  folgen  glaubten,  unb  auch  nicht  an 
Strafe  unb  Belohnung  im  ^cnfcitd  —  bann  fönnten  fic  ja  tlmn  unb  laffen 
roaä  fic  wollten!" 

Sßilhelm  fiberrafchte  biefe  grage;  er  hatte  nicht  gebadet,  baß  fic  be- 
jonberä  auf  bad,  was  er  heute  borgen  gefagt,  aufgepaßt  hätte,  unb  geglaubt, 
baß  ihr  Siffenäbrang  nur  bie  Saune  be$  älugenbltcU  geroefen.  G$  xoax 
aber  offenbar,  baß  fic  barüber  fpäter  nachgegrübelt  unb  biefe  grage  für 
ihn  juredjt  gelegt  hatte. 

„9cun  unb  roenn  j.  93.  Sie  felbft  traten  was  Sie  wollten,  meinen 
Sie  benn,  baß  Sie  bann  fo  oiel  Sd)timme£  tbun  mürben?" 

,,3efet  oerfpotten  Sie  mich  roieber!  .  .  .  Äönnen  Sie  mich  nicht  »er* 
ftehen?  3^  meine,  baß  bann  fein  Unterfdjieb  mehr  5roifdhen  gut  unb  böfe 
norhanben  roäre." 

„können  Sie  mich  benn  aber  nicht  uerftehen?  3<h  meine,  Sie  roürben 
nichts  befonbcreS  23öje$  thun,  roeil  in  ihrer  9totur  roahrfd)einlid)  nicht  Diel 
SöfeS  fiedt." 

„Wun,  roenn  man  es  nur  nicht  tlmt,  roeil  es  nicht  in  unferer  9totur 
liegt,  bann  ift  ja  fein  ^erbienft  babei!  $>ann  icheint  es  mir,  als  ob  bie 


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  tS  =  Dur.    265 

©utcn  burdfjouS  nid^t  beffer  feien  als  bie  Sd)led&ten  —  unb  baS  fann  ify 
nid^t  begreifen." 

,,2ldV'  badete  SBilfielm,  „jefct  finb  mir  roaf)r()aftig  mitten  in  bec  grage 
über  Determinismus,  über  roeld&e  id)  mir  felbft  niemals  f>abe  red(jt  !(ar 
werben  fömten  . . .  Das  ift  ja  ein  gefaf)rltd;eS  9Räbd&en;  wenn  man  mit 
il)r  ipridf>t,  ift  es  gerabe,  als  flünbe  man  no<$  einmal  oor'm  pf)tlofopf)ifdjen 
©ramen!" 

„Sa,  roiffen  Sie,  gräulein,  baS  ift  nrirfltdfj  eine  fef>r  fdjroierige  JJrage, 
reelle  Sie  ba  berührt  tjaben,  unb  Sie  müffen  einen  annen  &tftorifer  nidjt 
oeraajten,  wenn  er  fie  ni<$t  fo  mir  nichts  Dir  ni<$ts  beantworten  fann... 
Sie  foflten  ein  roiffenfdjaftlid&eS  2Berf  barüber  lefen,  wenn  fie  fidf)  für 
Diefe  pfnlofopln'fdien  Dinge  intereffiren." 

„3ft  baS  <pijilofopl)ie?" 

/,3a  freilitt),  unb  überbieS  gehört  es  ju  ben  fdjroterigften  Steilen  berfelben. 
(SS  giebt  fogar  grofje  ^tyüofopfjen,  meldte  meinen,  bafj  ber  3Jlenfd)en* 
perftanb  biefe  Srage  überhaupt  nid)t  ju  löfen  oermag." 

„%in  ba  fe^en  Sie,  roaS  nüfcen  benn  bann  biefe  (Grübeleien  unb 
bie  25iffenfd)aft,  wenn  bie  menfdjlicfje  Vernunft  baS  bod)  nid)t  faffen  fann !" 
rief  Antonie,  frof),  in  ifjrer  Unfdjulb  ben  geinb  in  eine  Sadtgaffe  r)incin= 
gelodft  ju  tjaben. 

Sie  fdfjritten  burd)  bie  grojje  Sinbenaüee,  bie  nad)  &erluf$f)olm  füf)rt ; 
auf  ber  alten  Steinbrücfe  blieben  fie  flehen  unb  fafyen  ben  glufj  hinunter, 
ber  bie  biefe  23ud)enroanb  beS  SBalbeS  von  ben  ftt)rägen  ©raSljängen  beS 
alten  ÄloftergartenS  trennte,  mit  feinen  atlaSftämmigen  23irfen,  feinen 
glanjenben  Rappeln  unb  fremben  9tobelbäumen.  Der  eingetrotfnete  Jlu§ 
fd)ien  fid)  in  bem  breiten  öett  nid)t  jurea)t  finben  ju  fönnen;  nad)bem  er 
fid)  ben  nörblid)en,  fleinen  23rüdfenbogen  befd)eiben  jum  Durd)gang  gewählt, 
fdjämte  er  fid)  plöfclid),  in  feiner  Dürftigfeit  bem  ftoljen  ©arten  fo  naf)e 
gefommen  ju  fein  unb  50g  fid)  roieber  burd)  Sd)lamm  unb  ©eröH  quer 
naä)  bem  2öalbe  hinüber,  beffen  braunes  £aub  feine  Schatten  oerluHIenb 
über  Um  legte  unb  ifmt  tjier  unb  ba  ein  paar  im  Sonnenltd)t  golbig^rotf) 
leud)tenbe  Slätterbufaten  juroarf.  Selbft  mitten  in  bem  fd)malen  glu§laufe 
jogen  fid)  nod)  lange  Sanbbänfe  I)in,  um  bie  baS  SBaffer  fid)  Berums 
fd)längelte  ober  über  roeld)e  es  rote  ein  bünner  gimife  f)alb  Ijinüberglitt. 
Diefe  Stellen  faf>en  redt)t  traurig  aus,  roie  Rieden  auf  ber  lafurblauen  &aut 
ber  ftajabc. 

,,3d)  erinnere  mid)  nid)t,  jemals  fo  wenig  Söaffer  im  gluffe  gefeiten 
5U  t)aben/'  fagte  &Mlf)elm. 

„3n  ein  paar  2Öod)en  roirb  &od)n)ajfer  fein/' 

„Sinb  Sie  eine  juwerläffige  $ropf)etinV" 

„^ergejfen  Sie  nid)t,  ba&  id)  eine  eingeborene  be*  &mbcs  bin/' 

„C,  gerabe  baS  oergeffe  ia;  nia)t  fo  leid)t!" 


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26^    Karl  (gjellerup  in  Dänemark.   

„SBiffen  Sie,  rooju  ich  eine  faft  unroiberftehliche  £uft  befomme,  wenn 
id)  fo  in  ba3  ftie§enbe  Gaffer  hinunter  fetje  ?" 
„hinunter  §u  —  fpuefen?" 
„2W>,  wie  fyiben  Sie  baä  erraten  tonnen?" 

,,3h«  Sdjroefter  befa§  genau  biefelbe  Schwäche,  unb  gerabe  bier  bat 
fie  mir  baS  einmal  unter  meiern  ©elächtcr  uertraut  —  fie  lacbt  gan$  wie 
Sie  jefct  ladjeu." 

„Sollte  ba$  üieüeidjt  eine  erbliche  Neigung  fein  V  Dr.  Storch  f mietet 
fo  Diel  baoon,  bafj  bieö  unb  jene*  eiblia)  fei,  road  ich  aber  roieber  nicht 
begreifen  fann." 

„©ehört  ba$  nicht  unter  bie  $inge,  bie  nach  feiner  3«t  «ft  aufgeg- 
lommen ftnbV  £a3  ift  bod)  merfroürbig  .  .  .  2Han  befdjäftigt  fich  boch 
erft  in  neuerer  3*\t  fo  viel  mit  ber  (Srblid&fcit  .  .  .  es  ift  auch  eine 
3)fobefaa>." 

<5r  fagte  bie*  eigentlich  nur,  um  nicht  gleich  roieber  in  tieffinnige 
Untersuchungen  t)ineinjugerat^en.  ftroav  langweilten  ihn  biefe  ©efprädje 
bura?aud  nicht ;  im  ©egenttieü,  e§  log  etroa«  eigentümlich  ^Reijüoflc^  barin, 
bie  ernften  Sparten  ber  fchroeren  Öeroitter  beä  3Wenfd)engebanfen*  über 
biefe  glatte  Stirn  ljin$iel)en  $u  feljen,  bie  gleich  roieber  in  ber  fyeüften 
grühlingeionne  ftrahlte;  ju  fehen,  roie  biefe  jarten,  jungfräulichen  Ringer 
fpielenb  an  bem  großen  gorbifa)en  ftnoten  neftelten,  ju  beffen  i'öfung  ba$ 
Gherubfchroert  ber  5lird>e  fich  feinen  befferen  SKatl)  mußte  al$  baS  2>UT<h; 
hauen.  Gr  füllte  fich  gefdmieichelt  burch  ba$  naioe  3utrauen,  mit  welchem 
biefer  junge  $Biffenäbrang  bei  ihm  Sluffchlufj  fudt)te.  Slber  bann  roar  es 
roieber  um  fo  bemüthigenber  für  ihn,  fidr>  felbft  geftehen  ju  müjfen,  bat* 
er  nicht  im  Stanbe  fei,  ü)x  ju  Reifen ;  noch  bemüthigenber,  it)r  gefteben 
ju  muffen! 

3hr  3roiegefpraä;  nahm  übrigens  balb  ein  ©nbe.  Antonie  fchlofj  fta) 
ben  Jreunbinnen  an;  Söilfjclm  unterhielt  fuh  juerft  mit  Jraulein  Storch  über 
feineu  oerftorbenen  3?ater,  mit  welchem  er  fte  jum  erften  2ftale  befudjt 
hatte;  unb  enblich  plauberte  bie  gan$e  ©efeUfchaft  luftig  burcheinanber  über 
nichts,  roährenb  man  jrotfe^ert  ben  mächtigen  grauen  Suchenftämmen  beä 
„ftuhgartenS"  *)  bcu)inging. 

2Jton  nahm  <plafe  auf  einem  3Iuö)"ichtSpunftc,  oon  bem  mau  einen 
freien  $3  lief  nad;  heften  über  baS  Sanb  ^atte.  SBilhelm  ftanb  abfeit* 
allein  unb  fchautenach  ber  überhängenben  ßaubbeefe  beS  „Steinmalbea"**), 
über  bereu  bläulichem  Schimmer  fich  ein  burchfidjtiger  Schleier  oon  9lbenbs 
roth  5U  legen  begann,  i'autloS  fpraef)  er  im  ©eifte  bie  $erfe  Ghriftian 
Linters  uor  fich  hin: 

*)  5li?alt>  um  $?erluiäl)olm. 
**)  WcidiiallS. 


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<ß  -  D  u  r.   


265 


„&>o  %mmaxV)  ergebt  fein  ©otte*äe!t 
SWit  bem  rot^m  Xfnmne  jum  Gimmel, 
Unb  lädjclt  hinüber  nad)  ©iffelfelb2) 
Hub  beS  3tabtd)cn3  frohem  ©etoimmel; 

NUnb  fjinuutcr  nad)  bem  torfigen  9J?cor, 
9tod)  Sörojrö*)  am  toalbigeu  fcaitfle  " 

Xoxt  Tagen  fie  hinter  bem  Stemwalb,  all'  biefe  Orte,  weldje  ber  Dieter 
3u  ben  f(afftfd)en  Steffen  SeelanbS  gemalt  unb  weld&e  bie  ©trafen  fetner 
jungen  Siebe  oergolbet  fjaben!  .  .  .  3n  ftom  war  Sßttyelm  an  einem  fjeifeen 
SiroffosSTage  nafje  baran  geroefen  ju  weinen,  ate  er  im  ffanbinaoifdjen 
herein  biefe  SBerfe  aufgefdjlagen  .  .  .  Unb  als  et  burä)  ftorbbeutfdjlanb 
reifte,  Ratten  bie  enbfofen  23irfenreif)en  ber  Gfymffee  il;n  an  bie  Sirfenaffee 
von  ßaefebe4)  nad)  ©iffelfelb  erinnert,  unb  er  war  plö&ltd)  fo  ftumm  ge* 
worben,  bag  fein  9?ad)bar,  ber  biefe  Wremer  Kaufmann,  nidjt  eine  einjige 
vernünftige  Antwort  me^r  von  ifmt  Ijatte  befommen  !önnen  ...  Unb  ber 
9Jtoor  .  o,  wie  oft  fjatte  er  nidjt  mit  $arriet  jufammen  über  feine 
inunberlia^e  gläa}e  f)inauggeftt)aut!  S$attenlo$,  fonnengebabet,  von  tuftig= 
blauen  28albe$fäumen  umgrenzt,  fl;atte  er  fid>  oor  ifmen  um  baS  alte 
.ftolmegaarb*)  mit  feinen  gadjwertebauten  unb  binfengefüllten  Surggraben 
gebreitet  —  ober  er  fyntte  bäuerlia)  finfter  bagelegen,  9*ebelftretfen  in  feinem 
öirfen=  unb  erlengebüfdj,  über  tfim  jie^enbe  SBolfen,  welaje  ben  diaud) 
ber  tlmrmlwtjen  ©laSrjüttenfdwrnfieine  mit  fidt)  fortführten  .  .  .  2lu$  auf 
örorö  mar  er  mit  ifjr  ju  SBefudj  gewefen;  er  erinnerte  fid)  noaj  einer 
alten  SDame,  bie  für  £arriet  fe^r  eingenommen  war.  (Sine  UebenSwürbige 
feine  alte  $ame!  33iele  3al)re  lang  tyxxte  er  nidjt  an  fie  gebaut  —  wo 
fte  worjl  jefct  fein  mochte?  —  ©ewig  war,  fie  tobt,  e$  war  ja)on  lange 
ber  ...  @3  war  Seit  genug  feit  jenen  Sagen  gewefen  5um  Sterben  für 
ben,  bem  oom  Sajkffal  ba3  2oo3  ber  sJ(ul)e  jugefallen  —  3eit  genug, 
fid)  unfterblicf)  311  machen  für  ben,  ber  baju  bie  Gräfte  gehabt  —  &ü 
genug  ju  ?lHem  —  nur  niajt  jum  23ergeffen! 

„U&oran  benfen  Sie,  £err  &erfcV"  fragte  Slntonie,  weld&e  fidj  üim 
genäfjert,  ofme  bafc  er  e$  bewerft  Ijatte.  —  „Ueberlegen  Sie,  ob  Sie 
bleiben  wollen  unb  bie  Partie  mitmachen  V 

Unb  ald  er  nidjt  gleid;  antwortete,  fügte  Tie  tun^u: 

„3dj  hätte  nod)  über  Mieles  gern  mit  %t)ntn  gefprod;en." 

Sie  errötete  leia)t  bei  btefen  Korten,  weil  fie  füllte,  bofj  fie  oielleiajt 
$u  entgegenfommenb  gewefen  fei.  — •  2lber  er  war  ja  ein  Bräutigam! 

„Xann  bleibe  ia),"  antwortete  ^tll)elm. 

O  ©cburtSort  Gbriftiau  Ü^inter-3,  beS  tfaffifrtieu  biiuifd)cu  i^riferi. 
*;  ©ut,  loeld)cS  bem  trafen  ÜMtte  gehört. 
3)  Iftu  ßut. 
*)  (Sin  ätfalt». 
'■)  Mittercuit. 

Tlorb  nnh  ?iib  I.F  .  J.'.s.  ^ 


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260 


Karl  «Bjcllernp  in  DäucmarP. 


Gl  war  iljm  in  bem  Slugenbticfe  ganj  unmögltd},  her  l>lufforberun$ 
511  wiberfteben.  Sfom  war  fo  beljaglid)  ju  9Rutf)e  gewefen  biefen  ganjen 
Stodmtittag,  an  bem  er  mit  ber  Sdjroefter  feiner  einftigen  ©eliebten  nad> 
ben  Orten  feiner  erften  iriebe  wanberte;  eine  fo  wunberbare  Stimmung 
mar  über  ü)n  gefommen,  eine  Stimmung,  von  ber  fo  fdjmer  fidj  lo^u- 
reiben,  bie  fo  leid)t,  fo  uerlocfenb  mar,  au  erneuern!  ©aunö  unb  ßönnebe, 
meldten  bie  morgige]  Partie  galt,  gehörten  aud)  $u  ben  uerjauberten 
^Släfcen,  meldte  tt)n  auf  einmal  mit  fo  getyetmnifwoUer  Sefmfudjt  anzogen. 
2lll  er  mit  Antonien  bie  alten  Stetten  roieber  betreten,  mar  el  ifnn  ge= 
mefen,  all  ob  auf  irmen  eine  neue  fur  i§n  auflebte,  als  ob  er  nodj 
ein  blutjunger  iüurfd)  märe,  beffen  Stritten  jeber  2Beg,  beffen  £er$  aUen 
träumen  offen  ftünbe  .  .  .'  SBal  lag  benn  eigentlidj  fo  viel  baran,  ob  er 
morgen  fomme  ober  ni<$t?  ©in  ©eburtltag  mar  bodj  fdjliejjlid)  wie  jeber 
anbere  Xag  unb  fefjrte  alle  3a^re  mieber  —  mann  aber  fam  ber  morgige 
£ag  für  ifm  roieber?  .  .  .  Gf>e  er  fidt)  unter  bal  beftänbig*fd)mere  30$ 
bei  Mtagllebenl  beugte;  efje  er  —  0,  roenn  el  bodj  balb  gefd)äf}e!  — 
in  bie  Sejfeln  ber  Glje  getragen  roürbe,  —  SHofenfeffetn,  liebe  gejfeln, 
aber  Ueffeln !  —  oor^er  müfete  el  if)m  bodj  erlaubt  fein,  nodj  einmal  feine 
Jreifyett  unb  feine  3ugenb  ju  umarmen  unb  ilmen  ein  fieberoo^l  $u  jagen  — 
nur  ein  £eberoof)(! 

VI. 

2lll  äBUfjelm  am  Slbenb  auf  feinem  ©aftjimmet  an  Sftarie  fd&retben 
wollte,  fing  er  fd?on  an,  fein  Verfpre<$en  ju  bereuen.  Gl  fam  iljm  nid>t 
meljr  fo  gleid^gültig  cor,  ob  er  an  tyrem  ©eburtltage  bei  U)r  fei  ober 
ni<$t;  wie  beftimmt  mu&te  fic  if)n  nt$t  erwarten,  befonberl  ba  er  ni$tl 
fyitte  von  fid)  Ijören  laffen !  ...  Gr  ftellte  fidr)  oor,  wie  fie  morgen!  mit 
ben  Vorbereitungen  jur  fcanbpartie  befdjäfttgt  fein  unb  bann  biefen  Srief 
empfangen  werbe,  meldjer  il)r  alle  Suft  $u  bem  Vergnügen  nehmen  unb 
ben  £ag,  auf  weisen  fie  fi<$  fo  gefreut  jjatte,  boppelt  leer  mad^en  würbe. 

Unb  nun  erft  ber  Vrief!  .  .  . 

2öal  in  aller  2i>elt  fottte  er  fdjreiben!  £en  mirflidjen  ©runb  fonnte 
er  bod)  nidjt  angeben,  fo  unfdmlbig  er  audj  fein  modjte.  Gr  mußte  fid) 
mit  einer  fleinen  9Jott)lüge  Reifen,  ba!  war  fd)on  an  unb  für  fid&  bebenf; 
lid)  .  .  .  .  unb  bann  bie  Sdjrotengfeit,  einen  Vorwanb  ju  ftnben!  Gr 
ent|d)lo|i  fidt)  enblid),  ju  fagen,  bafi  er  uergeblid)  oer|ud)t,  ben  Slbjunften 
ju  fpredjen,  bafj  er  feinen  enbgiltigen  Gntfdjluji  faffen  bürfe,  ef>e  er  jnn- 
reidjenbe  Grfunbigungen  eingebogen  fjätte,  unb  ba&  er  fidj  belfjalb  genötigt 
fef)e,  nod)  ben  Sonntag  in  9toeftoeb  ju  Meiben. 

91(1  er  aber  ben  Vrief  burd)lal,  faub  er,  bafj  er  ir)n  nid)t  fo  ab* 
fdjiden  fönne.  Gl  fam  il;m  oor,  all  ob  bie  galid&rjeit  biefer  GntfdjuloU 
gungigrünbe  swiftfycn  ben  3e^en  5U  ^fen  fei.  Gl  war  2lllel  fo  breit 
aulemaubergefefct,  all  ob  el  barauf  anfäme,  311  überzeugen;  er  war  fo 


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  (b-Dur.    26? 

fchwerfällig  unb  fteif  wie  ein  ©efchaftsbrief,  biefer  ©eburtStagSbrief,  unb 
uor  lauter  angftlid&em  ^erftanb  war  faum  ein  ©tüdfdjen  £erj  hinein* 
gefommen.  Unb  einen  belferen  ju  fchretben,  einen  berjenigen  Briefe,  bie 
faft  ebenfo  wiHEommen  finb,  wie  if>re  2lbfenber  —  unmöglich 

SBäre  er  no$  im  &6tel  geroefen,  er  f»ättc  bie  ganje  Sache  aufgegeben. 
SHit  bem  Sftorgenjuge  wäre  er  in  bie  2lrme  feiner  23raut  geeilt  unb  hatte 
fid)  bei  Storchs  mitteljt  einer  ^ßoftfarte  entfchulbtgt. 

(Sine  ^Joftfarte,  baS  war  eine  3bee!  $ie  offene  flarte  überlebt  ber 
£erjlichfeit  wie  ber  2luSführltchfett.  ©in  paar  Säfee  in  einem  fdjerjenben 
l'apibarftil,  unb  er  war  &err  ber  Situation!  3lber  felbft  biefe  wenigen 
feilen  fonnte  er  nicht  ju  Bege  bringen,  fo  oerbummt  war  er  fchon  oon 
ben  geschraubten  SBenbungen  feinet  SBrtefeS.  Stun,  baS  öefle  wirb  fein, 
eS  ju  befchlafen  —  mit  einem  morgenfrifchen  ©et)im  inufc  es  gelingen. 

2f(S  bie  forgfaltig  geftedte  2Becferuhr  am  Sonntag  SKorgen  0)t  ©ewidjt 
mit  furchtbarem  Särm  herunterfallen  lieft,  f prang  Söilbelm  fc^nett  aus  bem 
33ett.  SSährenb  beS  2ln$iehen3  überlegte  er,  fdjrteb  eine  ^Joftfarte  $iemlich  • 
r»oH  unb  —  jerrift  fic  wieber.  6r  fyittt  nur  noch  eine  übrig.  ©inen 
2lugenblicf  backte  er  baran,  bodj  lieber  noch  Storchs  eine  ©ntfdmlbigung 
§u  fchicten,  unb  mit  feiner  £afdje  nach  bem  Bahnhofe  ju  gehen.  2lber 
baS  märe  boch  ju  bumm  gewefen! 

©nblich  befam  er  oier  Seilen  mit  großen  Sucfjftaben  ju  Stanbe,  unb 
mit  biefem  befcheibenen  Stefultate  feiner  epiftolaren  STt)atigfeit  begab  er  fidt) 
auf  ben  2Beg  nach  ber  Station. 

2Baren  aber  feine  probuetioen  Gräfte  noch  nicht  ermaßt,  fo  mar  boch 
fein  Urtf>ei(  ein  frtttlicher,  oerbrieftlicher  grüt)aiifftel)er.  Selbft  an  eine 
^oftfarte  fonnte  man  boch  größere  gorberungen  fietlen!  2lUein  eS  gab 
feinen  2luSweg  mehr  —  niebergefchlagen  ging  er  baS  lefcte  Stücf  ber 
Strafte  an  ben  ©eteifen  entlang. 

@S  war  ein  fchöner  borgen;  lofe,  $iel)enbe  SBolfen  am  Gimmel;  ein 
frifcher  3Btnb  trug  auf  feiner  munteren  flucht  <uT  baS  ©eräufch  frühe 
Xflätigfeit  mit  fta):  Sollen  unb  Stufen  oom  ©üterfchuppen,  £uffch(äge 
unb  Staffeln  oon  Sßagen,  bie  nach  bem  Bahnhofe  füllen,  Staufchen  oon 
SSinbmühlenflügeln,  pfeifen  unb  Eampfftöhnen  oom  ,3uge  rjinter  bem 
&ügel.  2lber  burdj  alle  biefe  ßaute  30g  fidt)  ein  langer,  fummenber  £onr 
fteigenb  unb  faUenb  wie  bie  gefchroungenen  krähte,  welche  bie  Suft 
burchfehnitten. 

$aS  mar  eS  —  ber  Telegraph ! 

3m  Seiegramm  finb  alle  gorberungen  aufgehoben;  ba  hanbelt  eS  fich 
nur  barum,  bie  fünften  2Borte  ju  ftnben,  unb  bann  liegt  etwas  2Iufter* 
gewöhnliche^,  geierliches  in  fo  einem  Telegramm  —  fo  recht  paffenb  für 
einen  ©eburtstag!  .  .  .  Gs  wirft  $war  erfchreefenb:  „Sollte  ein  Unglücf 
paffirt  fein?"  —  Sttit  jitternben  #änben  wirb  es  geöffnet:  „Siein,  ©Ott, 
fei  gelobt,  er  fann  nur  heute  niajt  fommen."  —  SJftlbe  Sieftgnation, 

18* 


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2G8 


Karl  (Sjellerup  in  Danemarf. 


ir>of)ltf)uenb  na#  ber  Spannung!  Unb  babet  r)at  man  noaj  3eit  ge* 
roonnen,  fidj  au^ubenfen,  roaS  man  fagen  fönne,  toeldje  Sorroänbe,  toeldje 
trafen. 

@r  betrat  ba«  Süreau  mit  bem  erhabenen  Senm&tfein,  enblidj  rote 
ein  praftiidjer  Wann  ju  Ijanbeln,  unb  jugleidj  mit  einem  feierlidjen  (Be- 
für)le,  etwas  2lufjerorbentlid&e$  $u  tljun;  benn  in  feinem  ganzen  fieben  t)atte 
ir)n  ba3  ©efd&id  erft  ein  emjtgeS  SJtol  ju  telegrapf)iren  oeranlafjt  —  ©or 
einigen  Sauren,  als  er  feinen  feltgen  Altern  mittfieilte,  bajj  er  baS  Äan* 
bibateneramen  cum  laude  beftanben. 

#m!  fmi!  Inn!  räusperte  er  fidj,  um  bie  2lufmerf  famfett  bes  Beamten 
auf  fia)  ju  lenfen,  weiter  Jinter  feinem  Sßerfa)tag  fleißig  mit  ber  3J?orgenpfeife 
unb  bem  9toefh)eber  Tageblatt  bef<$äftigt  mar.  —  „jtonn  idj  ein  Xete  — " 

„SBaS  fönnen  Sie?"  fur)r  ber  Beamte  mit  mürrifdjem  ©eftdjte  auf 
eine  ungeheure  ftampfroolfe  von  fi$  blafenb. 

„©uten  SHorgen!   3$  ntöd&te  Sern  telegraprjtren." 

„Wa,  bitte  .  .  .  bort  Hegen  \a  bie  gormulare." 

„2ld),  e§  ift  ia  wa&r."  <5s  bauerte  einige  3*ü/  ^e  SBityelm  jicr) 
barin  juredjt  fanb,  wie  baS  gormular  ausgefüllt  werben  mujjte;  bann 
fd&rieb  er:  „Unoorf)ergefe(>ene  ^inbemiffe.  Unmöglid)  ju  fommen.  9Jtorgen. 
£aufenb  ©lüdroünfdje.   2)ein  getreuer  2Bilr)elm." 

„SJtofe  bie  2lbreffe  and)  bejaht  werben  ?"  fragte  er,  als  ber  £elegrapf)ift 
ju  sägten  anfing. 

„3a,  glauben  Sie  oielleiajt,  bajj  fie  fidj  fetbft  bejaht?"  brummte  ber 
Beamte,  r>erbrie§lia)  foivor)!  an  unb  für  ficfc  rote  3*ber  am  frühen  3JJorgen, 
wie  ärgcrttcr)  über  bie  Unroiffen^eit  ber  Seute  ...  31(3  er  aber  füllte, 
bafj  er  bem  2lrmen  bodj  oielleidjt  ju  rjart  begegnet  fei,  madjte  er  2Öilfjelm 
roorjltoollenb  barauf  aufmerffam,  bau  er  ben  fyalben  $retS  fparen  fönne, 
wenn  er  ein  Bort  roeglaffe. 

2Bifijelm  fal)  baS  Telegramm  bura).  9lun,  „getreuer"  mar  ia  im 
©runbe  genommen  ganj  Überflüffig;  baS  gehörte  nia^t  in  ben  $epefdjen= 
ftit  —  etwas  fo  Selbfioerftänbltd)eS !  2lber  jefct  ftanb  es  einmal  ba,  unb 
er  war  freigebiger  Saune. 

„21a;,  baS  ttjut  nidjtS,"  antwortete  er,  fdwb  baS  Rapier  burdj  baS 
«eine  Jvenfter  jurüd  unb  bejahte. 

$ie  glütflidje  ^ottenbung  biefeS  2Jtorgengef$äfteS  oerfefcte  ifm  in  bie 
fjeiterfte  ©emütljäfiimmung.  2lHe  ftinge  3eigteit  ifmt  ifjre  befie  Seite.  $er 
Cbeliöf  auf  bem  2Harftplafee  mit  bem  2)IebaiHon  griebrid)  VII,  weldjer  Um 
fonft  gewöfmlid)  ärgerte  als  eine  ^errjerrlidjung  beS  ©eberS  ber  bemofratifdjen 
Herfaffung,  erfaßten  ir)m  plöfelid)  wie  ein  fdjöneS  Symbol  bes  treuen 
sJionaliSmuS  beS  Golfes  .  ,  .  ©r  labte  förmlid)  feinen  Slid  an  ben 
munteren  ©onnenblifeen,  bie  am  Säbel  im  2lrme  be^  2)ragonerf  funfeiten, 
wcldjer,  cor  ber  ^auptroaä^e  rjin  unb  r)cr  marfajirenb,  buraj  ba3  ^ranu 
peln  feiner  bidcn  Sohlen  ba^3  (5a}0  bef  3RarftesJ  erroeefte.     211«  er 


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  (S.Dur.    x  269 

einen  anberen  Dragoner  fic§  gälmenb  aus  bem  geöffneten  2lrreftfenfter 
tyinauslefjnen  fal).  jauchte  feine  gretyeüsfreube  hoppelt  auf,  ooll  Selm* 
fud^t  banad),  fidjj  ganj  bem  ©enujfe  be$  $age$  lu'njugeben,  ber  iefet  fein 
eigen  war. 

Gr  ging  in  eine  Dfafirbube  hinein,  beten  Keine,  fonnige  Stube  oott 
war  oon  eingefeiften  SRaeftoebern,  bie  an  ber  ÜRafe  gefaßt  würben,  jeitungS* 
(efenben  unb  raudfjenben  SHaeftoebern  unb  Staeftoebern,  bie  fi$  rauften. 
2)ie  lefcte  Stabtneuigfeit  circulirte.  3)er  2lrreftant  auf  ber  &auptroadfje 
fyatte  lange  3eit  feine  5tameraben  im  Spiet  betrogen  —  man  ftritt  fid} 
barum,  ob  um  f)unbert  ober  taufenb  Äronen.  ©r  märe  aus  guter  gamilie 
Ginige  meinten  fogar  au$  oome^mer. 

„Sie  Ijaben  alte  Sefannte  l)ier  roieber  getroffen,  £err  Stoctor?" 
fagte  ber  SBarbier,  inbem  er  baS  SRejfer  über  bie  Söange  SBil&elmS 
gleiten  lie§. 

„Sie?'' 

„3<$  faf)  Sie  gefiern  9toä)mittag  mit  gräulein  Sd&utfc  fpajieren  gelten." 

©in  Sabenbiener,  toeld&er  ftd&  bufdjte,  blicfte  über  feine  Sd&utter  f)in* 
roeg,  um  ju  fe&en,  wer  ba£  roare,  ber  bie  £odfjter  be$  oorneljmen  9tttt* 
metfters  Oefommen  foffte. 

„erinnern  Sie  fid&  nrirflid&  no<$  baran,  ba($  idfj  beim  föittmeifter 
S$ulfc  gewohnt  fjabe?" 

„$>a3  null  icfj  meinen  .  .  .  Sä)mer$t  ba$  Keffer?  .  .  .  3a,  ja,  id& 
&abe  Sie  bamalS  mand&eS  liebe  2Ral  rajirt  .  .  .  '£  ift  lange  Ijer;  er 
mu&  bod&  jefct  tooljl  Cberft  fein  .  .  .  2lm  erften  £age  (jabe  ia)  Sie  mit 
ber  grage  beleibigt,  ob  3!)r  Sd&nurrbart  ftefjen  bleiben  fotte  .  .  .  &af)a! 
3efct  ift  er  fd>mu<£  weiß  ©Ott!  ...  ein  tounberfdjön  gefonnter  Schnurrbart/' 

TO. 

Antonie  fafj,  aU  2Btlf)elm  surücffeljrte,  allein  am  Xfjeetifcf)  in  iljrem 
f)ellrot^en  SHorgenfleibe.  Sie  ftanb  auf  unb  fd&enfte  i&m  ben  ^ee  ein. 
$er  $octor  mar  fd^on  ju  feinen  Patienten  gefahren,  grau  unb  graulein 
Stordfj  Ratten  fidj  nodf)  nid&t  gejeigt. 

Sföttyelm  oermifjte  fie  nidjt. 

Sine  jarte,  bebienenbe  weiblid&e  &anb  beä  3Horgen£  giebt  bem  ganjen 
£ag  feine  2Beil>e.  $er  2RorgentI>ee  befommt  für  ben  Sunggefetlen  einen 
eigenen  aromatifd&en  $uft,  menn  er  tyn  auSnafmteroeife  einmal  in  ber 
©efeflföaft  einer  jungen  $ame  genießt.  $iefe  3)tof)l$ett  bes  SageS,  roeld&e 
für  ifm  fonft  ftetS  bie  abfolut  einfame  ift,  bie  ber  3)torgenuerbriefelicf)feit, 
bem  Sdfjlafrotfe  unb  ber  SHorgenjeitung  trübfelig  gemeine,  ftrablt  it)m 
plöfclid)  im  gefteSglanj  be$  eigenen  £eim$,  foroeit  feine  Unerfahrenst 
fid)  ein  folajeS  oorjuftellen  oermag.  SBilfjelm  f)atte  biefen  ©enuß  nid&t 
mieber  getoftet,  feitbem  er  feine  Sommerferien  in  bem  Scfmlfe'fcben  §aufe 
$ugebradfn\  mo  er  geroöfjnlicf)  ben  £l)ee  allein  mit  ^arriet  getarnten,  ©r 


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270    Karl  (Sjellerap  in  Däncmarf.  — 

war  immer  fe^r  jcitig  aufgejtonben  —  meiftens  fyitie  er  fchon  einen 
Spaziergang  nad>  ßerlufsholm  gemalt  unb  fid)  erfrifdjt  oon  IfyavL  unb 
^ogelgefang  an  ben  £if<h  gefegt,  mit  jener  angenehmen  3Hübigfeit,  bie 
man  nad)  fo  früher  Bewegung  im  freien  empfinbet  —  ganj  fo  wie  jefct. 

GS  mar  ihm,  als  ob  bie  Stimmung  ertra  für  ilm  ba  an  biegen 
T^eettf<5  f)ingefefet  worben  fei  unb  auf  ilm  warte,  bie  Stimmung,  bie  bis 
jum  9faufche  5U  genießen  er  erpicht  war  —  gleichwie  man  in  einer  be= 
rühmten  SBeingegenb  nicht  genug  von  bem  föftlidjjen  Sraubenfafte  trinfen 
fann,  bem  unnachahmbaren  Sßrobucte  beS  CrteS.  Sehr  oft  befommt  ber 
ftrembe  eine  geringere  Sorte,  weil  bie  gute  oerfenbet  wirb.  SSilhelm 
benahm  fidj  wie  ein  ßenner,  bem  biefer  Umftanb  ifehr  wof)t  befannt  ift, 
ber  fich  aber  einmal  oorgenommen  fjat,  ben  22ein  an  Crt  unb  Stelle  $u 
trinfen,  fidt)  bei  ber  richtigen  (Stifette  beruhigt  unb  feiner  erinnemben  ©in= 
bilbungefraft  bem  £rante,  ben  er  oor  fid)  fyat,  ben  unvergleichlichen  $uft 
hinjufcfcen  [aßt  —  bis  ein  feiiger  3?auf$  ben  Unterfdjieb  jroifd;en  Selbft= 
betrug  unb  2Birflid)feit  ausgleicht. 

„3jt  ^ater  noch  immer  foldj  ein  paffionirter  Schachfpieler?" 
fragte  SBilfjelm. 

„greilich." 

„Unb  citirt  er  nodj  immer  ben  merfmürbigen  gatl  aus  bem  be* 
rühmten  Springergambit  jwifchen  Slnberffen  unb  ^evjbebranbt  oon  ber  Safa  ?" 

Antonie  blicfte  Über  bie  £affe  hinweg,  ba  U)r  bie  grage  ein  wenig 
ironifch  oorfam.  2lber  2Bilf)elm  faf)  fo  gutmütig  fd^alf^aft  aus,  baß  ihre 
f  inbliche  Pietät  fid)  nicht  Beriefet  füllen  fonnte,  unb  ladjenb  antwortete  fie: 

„3a,  oon  ber  2trt  fann  SBater  Sieles  anführen,  er  treibt  es  wirflict), 
als  märe  es  eine  SLMffenfdjaft  .  .  .  .  %n  feinem  3immer  fleht  immer  ein 
Sdjachfpiel,  an  baS  man  nidjt  rühren  barf.  @S  ift  mir  unb  fiarriet  ein 
£orn  im  2luge,  weil  eS  fo  ftaubig  ift  unb  wir  es  nicht  abmifchen  bürfen." 

„&aben  Sie  baS  Spiel  nidjt  gelernt,  um  3ljrem  93ater  ©efeflfc^aft 
leiften  ju  tonnen?" 

„3<h?  nein,  ba$u  bin  tdt>  51t  bumm  ....  ftarriet  aber  oerftetjt  es 
.  ...  Sie  fpielen  auch,  nicht  wahr?  ...3a,  ich  erinnere  mich,  Sie 
fpielten  bamals  mit  SBater.  Senn  ich  fam  unb  gute  Stacht  fagen  wollte, 
fafeen  Sie  gemfitfjlid)  am  Schachbrett  unb  #arriet  fah  ju.  93ater  hatte 
faum  3eit,  mich  i"  bemerfen  unb  fd;ielte  nach  ben  giguren,  währenb  er 
mich  fnfcte  ....  0,  wie  langweilig  baS  ausfaf}!" 

„2lber  baS  (Mo  langweilt  Sie  wohl  nicht?" 

„9?ein,  2?ater  fpielt  wenigftenS  eine  halbe  Stunbe  ieben  £ag  .  .  . 
er  fpielt  feljr  fchön  ...  Unb  bann  höben  wir  Ouartettabenbe  .  . .  2>ater 
fennt  oon  alter  3eit  her  mehrere  SJiufifer,  unb  fie  fommen  alle  oier$e(m 
£age,  wenn  nicht  eine  Oper  ober  ein  ßoncert  fie  oerhinbert,  unb  fpielen 
bann  brei  Quartette .  . .  ©S  ift  herrlich,  wie  Sie  fidt)  benfen  tonnen,  folch 
einen  @enuß  in  feiner  eigenen  Stube  5U  fyaben  ftatt  im  Goncertfaal." 


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<5*Dur.   


„Unb  Sie  fpielen  ioo$(  au<S&  felbfiV" 

„3a,  Glaoier  ein  wenig  .  .  .  darrtet  fpielt  aber  otel  beffer,  fie 
fpielt  quo)  $uo3  mit  bem  Sater." 
„0,  fpiefcn  Sie  mir  etroaS  oor!" 

„9ietn,  ba$  fann  ia)  rotrflta)  ntajt  ...  unb  gar  nodj  fo  am  frühen 
borgen,  wie  förnien  Sie  baä  Dewangen?  9tfein,  mir  wollen  Heber  ein 
wenig  ipajteren  gefjen." 

Sie  fähigen  ben  gewölmlid&en  2öeg  ein,  ben  Su&weg  naa)  bem  Stabt= 
parte  hinaus.  25er  Xljau  bltnfte  auf  bem  SBiefengrafe,  unb  bie  Sonnen* 
[trafen  glitten  glänjenb  über  unjta)tbare  Spinnenfaben  bafjin,  ein  leidster 
blauer  SRorgennebel  f)ing  nodj  über  ben  f)erbftlia>braunen  fronen  be$ 
QöalbeS.  $on  Den  &of)en  Sdjornftetnen  ber  Papiermühle  rollte  ein  rußiger, 
wolftger  SHaud)  burd)  bie  blaue  £uft  t)in  unb  50g  feine  Statten  über  bie 
äußerften  Spifeen  ber  gelblidjen  Saumwipfel. 

„Jinben  Sie  nid)t,  baß  £arriet  fel)r  fd^ön  ift?"  fragte  Antonie 
plöfclia). 

Sie  Ratten  faft  nodj  gar  ntd)t  über  bie  Sdjwefler  gejprodjen. 

©ort  weiß,  ob  bie  kleine  etwas  oon  unferem  5Derf)ältntffe  erfahren 
ftat,  bacbte  SBilJelm. 

„3fpre  Sdjroefter  war  ein  fa)öneä  junges  afläbdjen,  als  ia)  fte  fannte 
.  .  .  jefct  f)abe  iä)  fie  mehrere  3afjre  nid)t  gefefjen." 

„2ludj  auf  ber  Straße  nia)tV  .  .  .  3ta,  e3  ift  waf)r,  fie  ift  ja  lange  auf 
bem  Sanbe  gewefen  —  wegen  if)rer  ©efunbfjeit.  Sie  ma$t  nämlid)  bie 
bümmfte  9)tob'e  mit,  wie  ber  Eoctor  es  nennt,  Heroen  ju  beftfeen  .  .  . 
2lber  jefet  follten  Sie  fie  fefjen;  jefct  ift  fte  gefunb  unb  ftraljlenb,  fie  wirb 
mit  jebem  Xage  fdjöner!!' 

„9ton,  wenn  Sie  es  fagen,  muß  iays  wofjl  glauben;  benn  e£  ift  eben- 
fo  feiten,  baß  eine  Same  bie  Sd(}önt)eit  it)rer  Sdjroefter,  rote  baß  ein  5poet 
bie  SSerfe  feines  Collegen  lobt." 

,,2Jd),  Sie  meinen,  tä)  müffe  neibifcr)  fein  .  .  .  9?ein,  ia)  benfe  gar 
nidjt  baran  mit  ßatriet  ju  rioalifiren,  fo  eingebilbet  bin  id)  nia^t  .  .  . 
Öefonbers  ba  fie  ja,  wie  gefagt,  mit  jebem  $af)r  fdjöner  wirb,  idt)  Tie  atfo 
unmöglid)  einholen  fann,"  fügte  fie  ladjenb  f)in$u. 

„Bie  alt  ift  Sljre  Sdjwefier  jefct?" 

„$ierunb$wanjig  3af)re." 

„Üierunbänianäig  3atyt,  fo  fdjön  unb  fjat  nodj  fttemanben  glüdlid) 
gemadit?  .  .  .  Sann  fyxt  fie  n>or)t  eine  flehte  Sammlung  oon  Äörbeu 
ausgefeilt*" 

,/£aS  weiß  ia)  nid)t;  oon  fo  etwas  mürbe  £arriet  nie  fpredjen,  nidjt 
einmal  mit  mir." 

„Unb  wie  aXt  ftnb  Sie  benn,  wenn  id)  fragen  barf  ?" 

„£,  Sie  bürfen  fd)on,  beionberS  weil  fie  fo  einen  glüdlidjen  Xag 
baju  gewählt  fjaben  .  .  .  (Srft  aber  muffen  Sie  ratzen!" 


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272 


  Karl  (Sjellerup  in  Dänemarf. 


„9ton,  oiefletdjt  fann  id&  es  ausrechnen  . . .  SSartcn  Sie,  Sie  muffen 
(ein  —  ungefähr  fiebjelm  ^a^re. 

„©enau;  es  ift  nämlid)  tyeute  mein  ©eburtstag." 
,,2ld)!  Märiens  audj!" 
„Martens,  %foxtx  SrautV" 

SGBilbelm  nidte.   Sie  SBorte  waren  ifmt  entflogen,  o^ne  bafe  er  6c* 
bad)t  (jatte,  bafe  fie  etwas  oerrietfjen,  was  ifm  in  ein  fonberbares  2id>t 
ftetten  mufete. 

„3lber  warum  fjaben  Sie  benn  baS  nid)t  früher  gefagt  ?  —  'Sann 
Ratten  mir  Sie  ja  bod)  nid)t  gequält  .  .  .  Söiffen  Sic,  bafj  es  gar  nic£t 
^übfd)  oon  3^nen  ift,  ben  ©eburtstag  3^rer  üBraut  ju  uerfäwnenV" 

„SRarie  legt  fein  befonberes  0ewid)t  auf  fo  etwas  SleufeerlicbeS  wie 
einen  ©eburtstag  —  aufeerbem  ift  fie  über  bas  2llter  f)tnau$,  in  bem  man 
fid)  freut  ein  3af)r  älter  geworben  ju  fein  .  .  .  Unb  bann  befam  iä) 
plöfelid)  eine  fold)e  2uft,  ©aunö  wieber  ju  fe^en.  2Ber  weife ,  wann  id> 
wieber  in  biefe  ©egenb  fommen  werbe  .  .  .  9tun,  unb  föjliefelid)  tyiben 
Sie  fetbft  mi#  ja  baju  verleitet." 

„$a$  Severe  war  wobt  oon  ganj  befonberem  (Stnfluffe?"  antwortete 
Antonie  fpottenb.  „Unb  über  aüebem  oergeffen  Sie  gan$,  mir  ©lucf 
$u  wfinfd)en  .  .  .  3lber  jefct  muffen  wir  eilen !  grieberife  wirb  fd)on  auf» 
geftanben  fein  unb  fid)  fein*  wunbern  mid)  nid)t  ju  finben.  $as  fyit  fie 
baoon,  fo  ein  Stebenfd)läfer  ju  fein!  . . .  tiefer  JJufepfab  [uer  ift  bebeutenb 
rurjer;  fommen  Sie  nur,  id)  fenne  ben  sißeg!" 

Sie  bog  in  einen  fcfynalen  Söalbpfab  ein,  ber  balb  fo  uerwad)fen  war, 
bafj  bie  Zweige  ber  23üfd)e  fid)  über  i^m  freuten.  (Sr  rief  il)r  $u,  fie 
folle  umfe^ren  ober  aber  il;n  oorausgeijen  loffen.  Antonie  jeboa),  welche 
fid)  umgewenbet  fctte  unb  einen  3weig  aurüdgebogen,  ftampfte  in's  ©ras 
unb  antwortete,  er  möge  fid)  beeilen,  fie  fei  mübe.  2lls  er  ganj  na^e  bei 
iljr  war,  liefe  fie  ben  3n>ci9  rote  üor  Mübtgfeit  los,  bafe  ü)m  bie  tbau* 
naffen  £afelblätter  tn'S  ©efia)t  fd)lugen. 

,,3d)  banfe.  3ft  bas  ber  £ot)n  bafür,  bafe  id)  $u  Syrern  ©eburtstage 
ba  geblieben  binV" 

„Mein,  c$  ift  ein  ©eburtstagsgrufe  oon  3brer  SJraut  —  mit  ben  Spänen, 
weld)e  fie  weint,  weil  fte  allein  ift!"  rief  fie  lad)enb,  inbem  fie  fu$  einen 
2Beg  burd)  bas  ©cbüfd)  bahnte. 

„Xa  Ijaben  Sie  eine  fd)öne  Morgentoilette  gemadjt,"  fagte  er,  als 
fie  wieber  in's  Jreie  binauSfamen;  „Sie  finb  fowot)l  geroafd)en  als  aua) 
friftrt!" 

Um  il)r  aufgegangenes  .fcaar  fingen  flatternbe  Sd)leierfäben  oon 
Spinnengewebe;  itu*  Morgenfleib  toar  uoder  Rieden  unb  mit  Älctten 
überfät  unb  fjing  fa)laff,  mit  burd)näfetem  Saume  bentb. 

„2>ann  ift  es  ja  wie  es  fein  foü!"  antwortete  fie,  2Uf)em  fd)öpfenb 
unb  fid)  ben  2bau  oon  ben  mit  itjren  tiefen  ©rübd)en  fadjelnben  äßangen 


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  (S.Dur. 


275 


wifojenb.  T2änblwhe£  9Jegligee',  fügte  fie  ^inju,  inbem  fie  mit  bcm  %\iüe 
einen  3roti9  wegftiejj,  ber  fid)  in  ihrem  Unterrocf  oermicfelt  hatte,  unb  an 
fid)  hinunter  fah  mit  ber  Jreube  eines  ßinbeS,  ba£  beim  Slnbticf  be$ 
©erborbenen  SonntagSfleibeS  feine  mutwilligen  «Streike  im  ©eifte  nod) 
einmal  burdjgeht. 

VIII. 

„@S  ift  aber  bo$  furchtbar  h°$nwthig  .  .  .  2Bie  barf  man  benn 
etwas  fo  perwerfen,  woran  äffe  Sttnberen  glauben  ...  3a)  begreife  nicht, 
woher  bie  9Benfä)en  ben  3Jhitt)  baju  nehmen!" 

„Sefifeen  Sie  benn  wirflid)  md)t  ben  3Huth,  irgenb  eine  Meinung 
ju  haben,  welche  bie  2Hei|tat  nicht  feilen?" 

„3a,  bie  Reiften  —  aber  foldje  Banner  wie  Paulus  unb  3°&anneS 
—  fott  id)  beim  glauben,  bafj  tc$  flüger  wäre  als  bie?" 

„2Barum  nia)t?  ...  (5g  giebt  uiele  Singe,  oon  benen  mir  SBe[äjeib 
wiffen  unb  welche  jene  nicht  ahnten." 

„Sann  haben  mir  boch  aber  aud)  bie  eigenen  SBorte  beS  ©rlöfcrö." 

„3a  —  wer  weife  —  gerabe  oon  ihnen  meinen  bie  ßrttifer,  ba§  mir 
beren  fehr  wenige  befifcen." 

„2Bte  bürfen  fie  baS  fagen,  wenn  fo  oiele  f)unbert  3a^re  lang  es 
Stile  geglaubt  haben!" 

„Safe  es  Stile  geglaubt  haben,  fann  wohl  nicht  entfcheibenb  fein  . .  . 
teufen  Sie  nur  baran,  auf  welchem  Sßege  Sie  felbft  baju  gefommen  finb, 
eS  ju  glauben  —  unb  beurteilen  Sie  bann  ehrlich,  wie  oiel  SBertheS  hat." 

SiefeS  argumentum  ad  hominein  fefcte  Antonien  in  Verlegenheit. 
Sie  bi&  fid)  in  bie  Unterlippe,  neigte  fidj  oor,  fälang  bie  2lrme  um  bie 
Äniee  unb  ftarrte  uor  fid)  l)in  burd)  eine  Sachlücfe  hinauf,  in  beren 
9tofnnen  man  bie  äufeerften  ©ipfel  einiger  SJäume  erblicfte,  jiehenbe  SBolfen 
unter  tiefblauem  Gimmel  unb  ab  unb  ju  plöfclid)  erfcheinenbe  bünne  hinten, 
oon  fliegenben  Schwalben  gepgen. 

Sie  fag  auf  ber  oberften  Stufe  ber  Treppe,  einen  fdjottifdjen  Sommer* 
ftjarol  auf  bem  Schoo  fee  haftenb;  er  ftanb,  ben  Ueberjie&er  über  bem  3lrme, 
Un*  jur  Seite  unb  lehnte  ftch  über  baS  ©elänber. 

3n  bemfelben  9lugenbltcfe,  aU  er  aus  feinem  fleinen  ©afoimmer  auf 
bem  5öoben  hinausgetreten  mar,  um  in  bie  Söolmftube  hinunter  ju  gehen,  wo 
bie  gamilie  fia)  ju  ber  Sanbpartie  oerfammelte,  mar  fie  aus  ihrer  Stube 
nebenan  herauSgefommen  unb  hatte  ihn  fogleia)  mit  einer  biefer  religiöfen 
fragen  angefallen,  welche  fie  in  biefen  Tagen  fort  unb  fort  ju  beschäftigen 
fdjienen.  ^eifefertig,  ben  gufe  auf  ber  Treppe,  hatten  fie  fict)  in. ein  ©e- 
fpräa)  oertieft,  beifen  hochehnoürbiger  Qntjalt  einen  neuen  pifanten  SRetj 
befam  burd)  ben  unpolirten  Gahmen  beS  SachbobenS. 

„9hm  ja,  Sie  fönneu  oieOeidjt  nicht  gans  Unrecht  haben/'  antwortete 
fte  enblid),  „gerabe  baS  hat  freilich  feinen  grofeen  SBertf)."    „Sehen  Sie 


27^    Karl  (Sjcllccup  in  Dänemarf.  

boa),"  rief  fie  plöfolidj,  inbcm  fie  nad)  beut  2)ad)fenfterd)en  $eigte,  „wem 
meinen  Sie  wol,  ba§  biefeS  ähnelt?" 

„Sic  2luSfid)t  bortV  SRid&t,  bag  idfj  wfifete." 

„Sie  äfjnelt  ganj  unb  gar  ben  Vignetten  in  ben  gewöhnlichen  Aus- 
gaben ber  englifdjen  Älaffifcr  —  SÖiffen  Sie  — " 

„3$  ()abe  gor  ju  wenig  englifd)  gelernt,  id)  tefc  es  nia)t  meljr." 

„Xann  will  id)  fie  3^nen  nad>f)er  jeigen;  i$  Ijabe  heute  SongfelloroS 
SBerfe  oon  fiarriet  gefdjenft  befommen.  @S  ift  fo  ftimmungSooll,  ba$ 
man  nur  bie  2Bolfen*  unb  33aumwipfel  fielet,  es  erregt  eine  fo  wunberbare 
Sef)nfud)t,  eine  Suft  jum  g-liegen  —  Erinnern  Sie  fidj,  Sie  fagten  geftem 
felbft,  bafj  biefe  fiuft  in  mir  erwadjt  fei  .  .  .  2ld),  bie  $oefte  unb  freie 
iRatur,  baS  ift  etwa«  beffereS,  als  feinen  armen  Äopf  mit  gragen  $u 
quälen,  bie  man  ja  bod)  nia)t  löfen  fann  ...  Sei  3(jnen  ift  eS  freiließ 
ein  anbereS  2>ing  .  .  ." 

„C,  fagen  Sie  baS  nid)t,  id)  bin  nodfj  lange  nidjt  flar  über  manage 
biefer  fragen  .  .  .  ©ben  besljalb  wirb  mir  3^re  Sefanntfdjaft  von  fo 
großem  SRufcen  gewefen  fein,  weil  %l)xt  Sporte  mid)  anfpomen  werben, 
über  baS  nadjjubenfen,  was  id)  außerhalb  meinet  eigentlichen  Berufs  aus 
£rägf)ett  Ijabc  liegen  (äffen/' 

2lntonie  ladete. 

„$ann  finb  Sie  wahrlidj  ber  (Srfte,  ber  SKufcen  oon  meiner  ©efeH- 
fdjaft  gefjabt  hat  .  .  .  2lber  fragt  Sie  3h™  &enn  nicht  auch  mana> 
mal  über  bergleid)en  Singe?" 

„9Jein,  barüber  fpred)en  mir  niety  ...  Sie  ift  ungefähr  efcenfo 
religiös,  wie  id)  es  nidjt  bin." 

„£ann  haben  Sie  ja  aber  nicht  biefelbe  2lnfdjauung." 

„9iein,  aber  was  thut  baS,  wenn  feiner  oon  uns  befonberen  SBeru) 
barauf  legt?  .  .  .  23ielleia)t  ^offt  3Harie  mid)  $u  bef ehren  —  ich  weiß 
Toir(üct)  nid)t  .  .  .  3$  aber  gebe  mir  jebenfallS  feine  2Hühe,  ir)rc  lieber» 
Beugungen  ju  änberu,  im  ©egentheil  —  im  ©runbe  genommen,  fd&eint 
mir,  fteht  es  einem  2üeibe  am  beften,  ein  wenig  religiös  ju  fein." 

„£aS  will  in  Syrern  3flunbe  wofjt  ungefähr  fo  t»ie(  fagen,  als  baß 
man  oon  uns  nicht  »iel  9tod)benfen  oerlangen  fönne?" 

„9?ein,  burdjauS  nidjt  ...  3^  wei&  wirflid)  felbft  faum,  warum 
id)  es  finbe  .  .  .  es  ift  @efütjlsfad)e  —  ungefähr  wie  bie,  bafj  id*  es  nicht 
leiben  mag,  wenn  Xamen  raudjen. 

„3«)  l)abe  oorgeftern  eine  r)albe  (Sigarette  geraupt,  baoon  befam  id) 
aber  aud)  flopffdnnerjen  .  .  .   $a  rollt  ber  3Bagen  oor  bie  £hür." 

Antonie  lief  mit  fleinen,  fdjnellen  Stritten  bie  treppe  hinunter 
läd)elnb  unb  fopffd)üttelnb  folgte  er  i^r. 


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• 


£eopolö  L  fkönig  öer  Belgier.*) 

2Jns  bem  unter  ber  Preffe  bejinMidjen  HL  Sanbe  con  „2lus  meinem  feben  unb 

ans  meiner  Qtxt" 

POU 

<£rnjt  IL  I}er3og  oon  Sad?fen= Coburg  (Sotfja. 


ür  mitf)  unb  mein  $au3  foUie  baS  alte  ^al)x  nid&t  olme  einen 
unerfefclidjen  SSerüsß  enbigen,  ben  idj  feit  meines  2kter$  Xobe 
ats  einen  ber  fc^roerften     empfinben  fjatte. 
2lm  10.  £ecember  1865  ftarb  Äönig  £eopolb  I.  oon  Belgien.  GS 
war,  roic  wenn  fid)  ba3  alte  euro'päifd;e  Staaten  flem  nid)t  bfo&  in  feinen 
örunbfäfcen,  fonbern  aua)  in  feinen  fjernorragenbften  Vertretern  perfönlidj 
aufoulöfeit  im  begriffe  roare. 


*)  3)en  jablreictjen  Sefern  bcS  bebeutfamen  2)iemoiremoerfe3  .^erjog  (Srnftd  ift 
befannt,  mit  nxldjer  2Jkifterfdjaft  ber  rürftlidje  2lutor,  balb  in  fd>arf  ge^etd^neten 
<if)araftcrbUbern,  balb  in  gciftüoff  ftiutrten  Umri&linicn,  fcerüorragenbe  btftorifcbe 
^eriönlidjfettcn  fo  au  geftaltcu  roeiß,  baß  fotoobl  bie  fünftlerifdj  ausgeführten  «Portrait* 
wie  aud)  bie  leidjt  aber  prägnant  fjingetoorfenen  Silhouetten  bauernb  in  ber  (Srtnnerung 
haften.  2>abei  treten  fie  nid)t,  lote  ctioaS  iücfonbereS,  aus  ber  (5rjäf)Iung  heraus, 
foubent  begleiten,  erflären  uno  ergänzen  biefelbe.  Selteu  aber  bat  $cr3og  ©ruft  mit 
ioldjer  Siebe  bie  Sfcber  geführt,  roic  in  bem  abfdjliefeenbcn  iöübe  feines  oäterlidieu 
3reunb<8  unb  ObcimS  flönig  SeopolbS  I.,  baS  mir  mit  fmlbooller  ©cue$migung  beS 
tjorjen  2lutorS  tjicr  unferen  Eefern  bringen  bürien. 

2iMr  bemerfen  gugleid)  in  Segug  auf  ben  III.  Oanb,  baß  ber  2krf  affer  in  uier 
2?üdiern  („21n  ber  Sdjrocüe  beS  großen  oaljrscbcntS",  „Mrtcn  unb  Slbcnteuer", 
„SSuiibcSftrcit  nnb  Xäncnfrieg",  „Örünbung  beS  neuen  JöunbcS")  bie  ©efd)td)t  feiner 
3eit  bis  ptn  Worbbcutfdjen  «yunbc  fübrt  unb  bann  in  bem  inbaltrcirfjen  legten  Slbfdjnitt 
mit  einem  SluSblid  bis  auf  untere  Xage  bas  große  Scrt  befdjließt. 


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276    CErnft  II.  ^e^og  von  Sa$f en-£oburg-(Sottja.   

Die  Xrauerbotfdjaft  oon  SBrtiffct  mar  mir  nod)  am  felben  Slbenb  ju^ 
gefommen.  ©anj  aujjerorbentlich  jeigte  ftd^  bie  Anteilnahme  an  bem 
SBcrfuftc  unferes  Kaufes,  nicht  nur  in  bem  Keinen  Sänbdhen,  wo  bie  SBiege 
beS  feltenen  Surften  geftanben,  fonbern  überaß  in  ©uropa,  roo  man  einen 
jutoeilen  überfragten  ©influfj  auf  bie  conftitutionette  ©nttoicfelung  ber 
Staaten  ifjm  auftrieb.  SOtc  ^erfönlidjfeit  beS  ßönigS,  ber  burdfc  fajt 
fea)Sjig  3aE)re  an  allen  roirfüch  großen  Gegebenheiten  ©uropaS,  oft  bura? 
einen  oermunberlichen  3ufammenhang  ber  Dinge,  in  näherer  ober  entfernterer 
Gejtelmng  mitbeteiligt  unb  intereffirt  mar,  hat  noch  niemal«  eine  geflieht; 
lieh  treue  Säuberung  erhalten.  2öaS  man  in  ©nglanb  unb  Belgien  über 
ir)n  f abrieb,  befchränfte  fidt)  meift  auf  bie  bortigen  Verhältniffe;  in  Deutfa> 
lanb  mar  nur  in  einem  Keinen  Greife  eine  oolle  Slenntnifj  beS  ÄönigS  $u 
finben.  darüber  hinaus  begegnete  man  ben  mannigfaltigften  Vorurteilen 
unb  falfchen  2luffaffungen  feines  ganzen  2BefenS.  Seit  bem  £obe  bei 
dürften  -Utetterniä)  far)  man  ben  $önig  Seopolb  ba  unb  bort  für  ein 
politifcheS  Drafel  beS  alten  (Europa  an,  aus  meinem  man  ftdt)  über  bie 
populären  unb  liberalen  Strömungen  ber  gebilbeten  unb  befifcenben  Staffen 
bie  beften  3luffa)lü[fe  oerfchaffen  fönnte. 

Seine  fluge  unb  ruhige  2lrt,  bie  ©reignijfe  ju  befpredjen,  fidfjerte  ihm 
überall  einen  (Sinflufe  oon  mehr  moralifd)  als  polttifdj  eingreifenber  SRarur. 
3n  ben  legten  fahren  machte  er  gegen  9hemanb  ein  £ef)l  barauS,  bat* 
ihm  ber  ©ang  ber  Dinge  ^öd^ft  roiberroärtig  unb  beforgnifjerregenb  erfaßten. 
2luS  ben  Differenzen  jroifa^en  ben  beutfdjen  3)Md)ten  fah  er  baS  ftetgenbe 
Uebergeroia^t  beS  Imperialismus  crroachfen;  es  oerurfachte  i&m  faft  eine 
perfönlidje  Äränfuug,  wenn  in  ben  legten  Monaten,  felbft  in  ernften  blättern, 
oon  einer  Teilung  Belgiens  jtoifchen  granfreich  unb  ^reufeen  bie  -Rebe 
mar.  25er  Äönig  fyatte  von  Statur  aus  in  allen  Angelegenheiten  einen 
3ug  jur  93ermittelung;  aber  er  oerlangte  bie  entfdn'ebene  2lnerfennung  ber 
©renjen  beS  9iedjteS  unb  ber  Silligfett  oon  oomherein  unb  fonnte  fid) 
über  (Sinjelne  toie  über  bie©efammtheit  erjürnen,  wenn  bagegen  gefegt  mürbe. 

9ttein  D^eim  t>atte  nichts  weniger  als  eine  innerlich  fyoty  Achtung 
oor  bem,  roaS  bie  manbelbare  öffentliche  Meinung  mit  bem  £age  f)tfoor= 
jubringen  pflegt;  unb  wenn  ilm  jene  gefannt  rjätten,  roeldje  gewöhnlich 
meinen,  ba§  fict)  in  ber  Unterroerfung  unter  baS  allgemeine  Urtr)eil  bie 
liberale  ©eftnnung  beS  Staatsmannes  je  ige,  fo  mürben  fte  Um  ohne  3roeifel 
für  einen  ber  iüiberalften  Jyürften  ßuropaS  gehalten  haben. 

(5r  mar  fct>r  geneigt,  baS,  roaS  als  baS  fogenannte  allgemeine  Urteil 
in  politischen  Dingen  an  ber  Oberfläche  5"  erfd&einen  pflegt,  ju  belächeln 
unb  in  milber  JJ-orm  ju  oerfpotten.  3mmer  mar  er  ein  getnb  aller 
ertremen  Anfielen  unb  i^iaferegeln  unb  gleichfam  bie  ^erfonification  be* 
Slriftotelifchen  9)iafeeS  in  allen  Dingen.  Seine  Abneigung  gegen  bie 
ultramontanen  $MeberbelebungSoerfud)e  oergangener  Reiten  ift  befannt 
genug;  aber  in  ber  legten  $eit  mar  er  eben  fo  febr  über  bie  belgifdt)en 


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 £copoIb  I.  KÖniij  ber  öeljjicr.    277 

Stberalen  ei5üvnt  unb  fabelte  tyr  partes  $orgef)en  gegen  bie  fatrjolifdjen 
©efüf)le  ber  Seoölferung.  „£ier  f)abe  id)  mia)  furajtbar"  —  fo  fd&rieb 
er  mir  im  SRooember  1864  —  „über  meine  SJiinifter  geärgert,  bie  unter 
bem  ©tnffaß  ber  rabicalen  @fobs  $inge  tfwn,  bie  ber  3ufunft  beS  SanbeS 
nur  oerberbltd)  [ein  tonnen.  Sonberbar!  baß  bie  9Henfd)en  ferjr  glüdflid)e 
3ufiänbe  fdjtoer  ertragen."  ©r  befdjtoerte  fid)  befonberS  barüber,  baß  man 
bie  „roirflidj  anfängt  icrje  fat^o!ifdr)e  Seoölferung  sans  rime  et  sans  raison 
brangfalire.   $ie  ^oUljeit  Neroon  übersteige  alle  Segriffe." 

3ttan  fonnte  behaupten,,  baß  ber  flönig  neben  einem  fa)arf  auSge« 
prägten  9ied)tsberöußtfein  audj  oon  bem  oielbeutigen  SBorte  ber  greit)eit 
einen  leben bigen  Segriff  befaß,  bur<$  meldten  er  bie  Parteien  oon  redjtS 
unb  linfS  n>af)rr)aft  befc&ränfte.  3n  einem  Slrttfel,  ben  id)  felbft  bei  bem 
£obe  beS  flönigs  für  eine  rjeimifaje  3e^ung  gejcrjrteben  r)abe/  glaubte  icr) 
meine  3(nfidr)t  über  bie  politifdje  Sebeutung  beSfelben  in  jolgenbe  Sorte 
faffen  ju  foHen: 

„$aS  roar  beS  ÄönigS  ©röße,  baß  er,  jum  Sdrjirm  unb  £üter  eines 
eben  erftetjenben  (Staates  beftellt  —  eines  mad^tlofen,  politifd)  unb  religiös 
gefpaltenen  Staates  —  mit  fixerem  Slitfe  baS  einjige  £eil  in  bem  gunbament 
bes  5Red)teS  unb  ber  greifet  erfannte.  <£r  oerftanb  feine  3C^  unD 
gorberungen.  ©ennffermaßen  ber  Präger  beS  mobernen  conftitutioneßen 
Sebent,  f)at  er  burdj  bie  ÜJlufridjtigfeit  (einer  Eingabe  an  bie  ^nftitutionen 
beS  ßanbeS,  wie  burd)  bie  nadj  reajts  unb  linfS  beroäfnle  geftigfeit  beS 
(SfjarafterS  feinen  jungen  Staat  ju  jenem  3)?ufterftaat  erhoben,  auf  ben 
bie  anberen  Sölfer  beS  Kontinents  mit  ferjnfüdjtigem  9^eib  flauten,  unb 
ber  in  gewaltigen  Äataftropfjen,  als  r)unbertiär)rige  £r)rone  gitterten,  unbe* 
rüfyrt  unb  in  fid)  gefaßt  baftanb." 

Siefe  Xenfroeije  beS  Königs  fjatte  inbeffen  nidjts  mit  jenen  bes* 
potiid)en  33eglü(fungStenben$en  gemein,  meldte  aufteilen  ein  bejtimmteS 
Softem  pl)ilofopl)ifd)er  3In|d;auungen  ben  Sölfern  aufzwingen  motten. 
£er  Sinn  beS  flönigS  mar  allem  DoctrinariSmuS  fremb.  <Sr  fonnte  bie= 
jenigen  Seute  am  roenigften  begreifen,  bie  fia)  unb  3lnberen  burd)  enblojeS 
SBerbeftern,  9ieformiren  unb  SKeoolutioniren  bie  größten  Seiben  §u  oerurs 
fachen  oermögen.  Senn  er  roar,  nacr)  allen  9?i<r)tungen  betrautet,  eine 
freie  unb  freifinnige  9?atur,  reelle,  mit  bem  größten  2öot)lroollen  gepaart, 
bie  greift  jebeS  2inbern  bis  an  bie  äußerfte  ©renje  beS  3Höglid)en  in 
rejpectiren  oermodjte. 

Qx  t)atte  fel)r  biet  Sinn  für  fjäuSlidjeS  Seben,  unb  es  ift  ganj  waljr, 
baß  er  nadb  bem  2obe  feiner  erften  ©emaf)lin  eine  9ieirje  oon  Sauren 
trübfeltgfter  3lrt  oerlebte,  efje  er  ben  belgifdjen  £rjron  beftieg.  Qu  biefer 
3eit  oerrjältnißjnäßig  geringer  politifd^er  2Tl)ätigfeit  moa;te  fict)  baS  eigen* 
trjümltcfje  contemplatioe  Sefen  auSgebilbet  Ijaben,  oon  ioeld)em  in  einigen 
romanhaften  Sdjriften,  bie  oon  bem  Könige  fjanbeln,  eine  carrifirte  3eia)iiung 
gegeben  loorben  ift.    Qx  war  ein  3)iann  o^ne  ftarfe  Seibenfc^aften;  er 


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278    €rnft  11.  f^crsog  von  £adjfen'C£obiir*}<<Sotljd.   

pflegte  $u  fagcn:  „Wan  hat  gemeiniglich  feinen  geinb  für  ba$  gamt 
£eben,  aber  aud)  fetten  einen  greunb,  mit  bem  man  in  9lÜem  übereilt; 
ftimint."    So  oerbreitete  er  fid?  gerne  mit  philofophifö«  dM)e  unb  mir 
einem  Slnfluge  uon  £umor  über  Sflenfchen  unb  Singe  ber  28elr.  Gr 
imponirte  burd)  foldje  ©efpräche  ben  »erf^iebenften  ^olitifern,  (Mehrten, 
flünftlern;  unb  gerabe  folgen  am  meiften,  bie  im  2BefentIid;en  anberen  unfr 
befonber«  prononcirten  2tnfd)auungen  Imlbigten.   Hillen  flöjjte  ber  Äönu 
eine  nicht  ju  oermeigernbe  Sijmpathte  ein,  welche  jwifdjen  t)ot)cr  2?erehruna 
unb  aufrichtiger  Siebe  fchwanfte.   Gr  befajj  febr  oiel  Sinn  für  bie  ttunft, 
befonbere«  SBerftänbnife  für  bie  üfialerei,  beren  33lütl)e  in  Belgien  mit  feinem 
perfönlid^en  Slnthetl  an  bem  fünftlerifdjen  Streben  &anb  in  £anb  ging, 
gür  bie  3Wufif  l;atte  er  viel  natürliche  Hnlage;  auch  oerfügte  er  über  feljr 
anfe^nlid^e  ßenntniffe  auf  ben  manmgfadjften  ©ebieten  be«  SBiffen«  unD 
nodj  mehr  über  eine  ungewöhnliche  2ttaffe  oon  Erfahrungen,  bie  er  woh's 
georbnet  in  feinem  OJebädjtnife  aüjeit  bereit  tytU,  um  fic  auf  neue  Gr= 
fdjeinungen  anjuwenben. 

©eine  unenblid)  reiche  Seetüre  bejog  fidj  mit  Vorliebe  auf  SJlemotren 
unb  politifdje  Schriften  wie  aud)  auf  bie  gefammte  moberne,  tn«befonbe:e 
englifche  fchöne  Literatur,  (Sine  fo  ftarfe  getftige  $urd)bilbung  gab  ityn, 
obwohl  ber  Unterricht  feiner  ftugenb  in  ben  ftrteg«jahren  ber  frcm^öftfdhen 
Dieoolution  nicht  ber  forgfältigfte  genannt  werben  fonnte,  eine  aufjerorbent- 
liche  Sicherheit  in  ber  flenntnip  anberer  2Jtenfcr)en.  Sie  Spcrfonen,  mit 
benen  er  in  Berührung  fam,  burcf>blicfte  er  biä  in  bie  tieffteu  galten  bei 
iperjen«,  wobei  er  faft  niemal«  gegen  irgenb  3emanb  ein  $orurtf)eil  ober 
ein  feinbfeltge«  ©efüljl  hegte.  Sein  Qntereffe  an  ben  ^erfonen  war  ftet* 
oor  SlHem  ein  menfd)liche«  unb  erft  in  jroeiter  Sinie  ein  polvtifdje«. 

Sie  militanfchen  Grinnerungen  gehörten  5U  bem  werthuoHften  gnoentar 
feine«  Sehen«.  Gr  bewahrte  fich  auch  ba«  ooUe  &erftänbni&  für  militärifcbe 
Singe,  unb  er  hat  in  feiner  SIrmee,  fo  weit  e«  nach  ben  gegebenen  Mitteln 
nur  irgenb  möglich  war,  nicht  geringes  Crganifation«talent  an  ben  £aci 
gelegt.  SJlit  grofeer  Jvreube  uerfolgte  er  in  bem  lefeten  3af)re  feine«  Sehen* 
bie  Schicffale  feiner  ttinber  in  SHerifo.  Gr  war  e«,  ber  bie  3bee  ber 
Silbung  einer  belgifchen  unb  einer  öfterreidjifchen  Segion  aufgebracht  harte, 
unb  er  hielt  burd)  biefe  ba«  Äaifertlmm  für  bie  fchlimmftcn  galle  gefichert. 
G«  mar  ein  wahre«  ©lücf  für  ihn,  ben  rafdjen  3ufammenbruch  biefer 
Hoffnungen  nicht  erlebt  5U  haben. 

Unb  wenn  ich  enbtidjj  über  mein  perfönliclje«  $erhältni§  ju  bem  theuren 
Dheim  nod)  Ginige«  fagen  foU,  fo  barf  ich  wohl  bo«  järtlichfte  nennen, 
ba«  fid)  in  einer  gamilie  nur  benfen  läfct.  3$  bewahre  mit  inniger  greubt* 
bie  reiche  langjährige  Gorrefponben3,  au«  welcher  in  ben  uorfteheuben  Glattem 
wohl  5um  erften  W.ate  wirflid)  be$eichnenbe  SJHttheilungen  über  fein  Senfett 
unb  Gmpftuben  gegeben  werben  tonnten.  3n  ben  legten  Monaten  feinem 
Sehen«  f abrieb  mir  ber  gute  Cnfet  in  feiner  treuen  Siebe:  „$u  fteljft  mir 


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  £copolb  1.  König  ber  Seigier.   


279 


am  nädjften  von  allen  Süerroanbten,  unb  ich  fefje  im  ©eifte  teilte  lieben 
braunen  2lugen,  bie  fo  treu  unb  IjerjUdj  im  2luSbrucf  finb." 

Gr  war  mir,  wie  ber  freunblicf) fte  unb  reblidtfte  SRathgeber,  ben  idj  jemals 
hatte,  fo  auch  ber  nadjftchttgfte  Beurteiler,  ©r  uermod&te  meine  1'ebenSan* 
fdjauungen  rote  ein  oäterlidjergreunb  §u  oerftehen  unb  feilte  metftenSbtefelben. 
Qnbem  er,  roaS  uns  fo  feiten  im  Seben  ju  £heil  rotrb,  niemals  bte  2Küf)e  fidj 
uerbriejjen  lieft,  bte  3ttotioe  meiner  #anblungen  ju  fudjen  unb  p  finben,  roar 
ed  ihm  burd}  feine  herjltdje  Siebe  ju  mir  faffc  immer  möglich,  midj  auf  meinen 
2Begen  unb  in  meinen  3been  treulidjft  ju  begleiten.  £er  fchrtftltche  SBerfehr 
mit  ihm,  oon  meinem  ber  Sefer  jahlreidje  groben  erhalten  hat,  giebt  fein  ooUeS 
SBilb  beS  aufeerorbentlid)  tiefen  unb  eingehenbenSBerftänbmifeS,  roeldt)eS  erburd) 
ben  perfönltdjen  S3crfet)r  fidj  JU  »erfdjaffen  roujjte.  2)enn  fo  fur$  unb 
apfjorifrifd),  roie  meiftenS  feine  Briefe  roaren,  eben  fo  lang  unb  grfinbltch 
waren  feine  Unterrebungen,  bei  benen  er  nidfc)t  rufjte,  bis  er  burd)  enblofeS 
gragen  gleichmäßig  bocirenb  unb  forfd^enb  bte  fpectettften  2)inge  ju  ergrünbeu 
geroufct  t)atte. 

@harafteriftifch  für  feine  gfirforge  roie  aud)  für  feine  politifd&e  ©enfart 
roar,  ba§  er  in  feinen  legten  Sagen  fid)  mit  bem  ©ebanfen  befdhäftigte, 
in  Coburg  für  feine  gamilte  ein  gtbeicommnifj  ju  grünben.  ©r  roollte 
biefelbe  in  ihren  ©igenthumSoerhältniffen  oon  ben  Seftimmungen  beS  Code 
Napoleon  unabhängig  machen,  ba  er  ben  SBertf)  biefeS  oielgerühmten  $riuat= 
rechts,  befonberS  in  fragen  biefer  2lrt,  bezweifelte. 

„3n  neuefter  Seit"  —  fo  fd&tieb  er  mir  —  „bebauert  man  in  granf = 
reich  fo  feljr,  es  oerfäumt  ju  haben,  nach  bem  Coup  d'Etat  bem  Code 
nicht  etroaS  abgeholfen  ju  haben,  gfodj  su  Gompiegne  fpradj  mit  mir 
ber  Äaifer  Napoleon  baoon." 

Sin  langes  unb  fdjroereS  Steinleiben  trübte  ben  SebenSabenb  beS  ftarf= 
müthtgen  JlönigS  burdj  Safyxt  hi"burd) ;  aber  Sd)merjen  unb  Dperationeit  er- 
trug er  mit  aujjerorbentlichfter  ©ebulb  unb  unoerroüftlidjer  SebenSfreubtgfeit. 
Seine  geredeten  Älagen  über  bie  eigene  (Bebredjltchfett  löften  fid)  meift  in  eine 
3lrt  oon  felbfllofem  SBebauern  ber  menfd)ltchen  Statur  unb  ihrer  Sd>roäd)e  auf. 
Seine  Umgebung  roufete  nidn"  genug  baoon  ju  erjagen,  roie  er  aud;  in  ben 
lefcten  Stabien  fetner  Stranfhett  bei  ungetrübtem  Beroufetfein  ruhig  unb  muthtg 
beut  £obe  entgegenging,  Gr  ftarb  fo  fanft,  ba§  feine  anroefenbe  gamtlie  unb 
fein  alter  greunbi^uleS  oan  tyxaet,  bem  er  nod)  nodj  einmal  bie  &anb  ju  brüefen 
gcroünfcht  hatte,  es  faum  bemerften,  ba  er  ben  legten  2lthem$ug  ttjat. 
3n  einem  nicht  ärztlichen,  aber  fpecieU  an  mich  gerichteten  Berichte  heifjteS: 
„£er  ^auptfranfheitScharafter  beSflÖnigS  roar  julefet  eine  ftets  fortfchreHenbe 
Schroädje,  oerurfadjt  burch  bie  nidjt  ju  oerbrängenbe  ruhrartige  Diarrhoe 
unb  erhöht  burd)  benroafferfüchtigen3uftanb  beS  Königs.  Seine 3Jlajeftät  roollte 
in  ben  legten  oierjehn  ^agen  92iemanb  oorlaffen  unb  jeiebnete  am  4.  biefeS 
jum  lefeten  2Wale.  Seit  Xonnerftag  erft  blieb  er  an  baS  33ett  gefeffelt,  bis 
bahtn  fämpfte  er  hartnäefig  gegen  ben  ©ebanfen  brohenber  ©efahr.  Grft 


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i 


Die  erfte  beutfcfye  Ueberfefcung  von  (Biorbano  Bruno's  „Hefor* 

mation  fces  Rimmels/' 


or  einigen  ÜÜtonaten  babc  id)  an  biefer  «Stelle  ben  Verfud)  gemalt  in  wenigen 


großen  Bügen  ein,  wenn  aud)  nur  unoollfränbigcS  unb  feenhaftes,  fo  bodi 


r*fcj.f"  einigermaßen  sutrcffcnbeS  unb  iibcrftdjtlidieö  Vilb  Der  wiffenfdjaftlidjeu  und 
allgemeinen  fulturfjiftorifdjen  Vebeutung  bcS  großen  SRanneS,  ben  man  mit  uottem  stecht 
al  8  ben  berootragcnbften  Center  3talienS  unb  ber  Mcnaiffance  bcjeidjncn  tonn,  311  entrollen. 
(Seitbem  hat  ba$  weltgefdnchtiidje  ©reigntß,  baB  »ich  am  9.  3uui  b.  3«  i«  Moni  ooü*3og, 
ben  tarnen  ©iorbano  ©runo'S  burd)  aüc  Saube  getragen,  unb  in  gatjttofcn  gleidjgeftimmten 
©emütljern  Hingen  beute  nod)  bie  begeifterten  3ubelrufc  ber  Picltaufenbföpfigcn  SRcnge 
nad),  bie  an  ieuem  Xage  baS  eben  enthüllte  ©tanbbilb  beS  tobeSmutbigen  VorfämpferS 
unb  äWärtprcrS  ber  ©eifteSfrcibeit  begrüßten.  5US  eitel  unb  ohnmädjtig  baben  Rd)  alle 
Bemühungen  Don  gegnerifd)er  Seite  erwiefen,  bie  barauf  abhielten,  bie  Vebeutung  bicfer 
über  alles  (Snoarten  großartigen  unb  impofanten  fculbigung  abiufdjtoädKu  unb  baS 
Slnbenlcn  Desjenigen,  bem  fte  bargebradjt  warb,  auf  alle  erbenftidje  SBeife  ju  üernnglimpfen 
unb  ju  bcfd)impfeu.  2)er  (Sinbrucf,  ben  bie  in  jeber  Ve3tchung  fo  überaus  roürbig  unb 
baemonifeb  ocrlaufene  SenfmalenthülIungSfcier  in  SRäbe  unb  3*rne  betPorrief,  ift  ein 
ebenfo  tiefer  als  nad)f)altiger  geroeien,  unb  mau  wirb  ifjrer  nod)  lange  3«t  erbobenen 
^erjen»  unb  freubig  bemegten  ©inncS  als  einer  wabrhaft  internationalen  Verbrüberungä; 
feiet  frei  geftnnter  ©eiftcr  gebenfen. 

Unter  fold)en  Umftänben  ift  eS  boppelt  erfreulid),  baß  gerabe  gegenwärtig  aud) 
benjenigen  beutfeben  ßefern,  bie  ber  italienifdjen  «Spradje  nietjt  mäd)tig  finb,  ©elcgenbeit 
geboten  wirb,  ftd)  mit  einem  ber  bcrü&mteften  unb  cigenartigften  äßerfe  ©iorbano  Vruno'S 
burd)  eigene  ßeftüre  befannt  gu  madjen  unb  aus  erfter  $anb  ein  felbftänbigeS  Urteil 
über  ben  äßertb  beSfelben  unb  über  ba8,  was  eS  thatfädjlid)  bebeutet  unb  Witt,  gu  gewinnen. 

t  $)aS  SEBerf,  um  baS  eS  ftd)  banbclt,  ift  ber  „Spwciu  della  bestia  trionfauU" 
(„bie  Vertreibung  ber  triumpbirenben  Sbeftie")  —  ein  PielgcfchmäbteS  Vud),  baS  Per« 
möge  ber  fjartnäetigen  Verfolgungen,  bie  eS  pou  proteftantifcher  wie  tatbolifdjer  Seite 
3u  crbulben  hatte,  3abrbunbcrte  lang  faft  oerfdjollen  war,  ba*  fdjließlid)  nur  nod)  in 
einigen  wenigen,  überaus  foftbar  geworbenen  ISjemplareu  erifrirte,  unb  bas  gegenwärtig 
3um  erften  i'tal  in  bcutfd)er  Sprache  oon  ßubmig  Sl  11  Ii lenbeef  iiberfeßt  unb  mit 
gahlrcidjen  erläutembeu  Slnmerfungen  oerfeben,  Pollftänbtg  unb  unoerfürgt  3um  Slbbrucf 
gelangt  *)   „©iorbano  Vruno'S  Steformation  beS  Rimmels*'  bat  nad)  bem  Vorgange 

*)  Verlag  Don  dauert  unb  Stocco  in  ßcip3ig.  Beigegeben  ift  biefer  ÜluSgabe 
ein  SBieberabbrud  sweier  Vorträge  beSfelben  VerfafferS,  bie  in  übcrfid)tlid)er  unö 
inftruetioer  2Beife  baS  üeben  unb  bie  2öe(tanfrf)auung  ©.  Vruno'S  bebanbeln. 

?lorb  unb  €ft\  LI.,  152.  19 


(Lo  spaccio  della  bestia  trionfantc). 
Don 

fybm\$  Benöer. 


  <Eifcnadj. 


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— —   <£ine  Ueberfeßung  con  <8iorbano  Bruno'*  Heformotion.    285 

feit,  bie  nur  afläulauge  bafelbft  gebauft,  foioofjl  aus  ben  ©emütljeru  ber  §immeläbe»obner 
als  audj  oon  ben  frrablenben  Gfjrenft^en  bc8  Sternenfirmamcnt&  31t  oertreiben.  "Um 
3abreStage  ber  ©igantcnfdjladrt,  ber  im  §immel  atö  f)Öd)ftcr  Srefttag  gilt*),  tfjeilt  er  ben 
©öttem  fein  Söorbaben  mit.  2>iefc  finb  überrafd)t  aber  einoerftanben,  unb  fagen  ifjre  3ftit= 
ioirfung  jur  2lu3füljrung  be8  großen  SÖcrfeS  bereihoitttg  ju.  ÜJton  Bereinigt  fid)  batjin, 
bafe  in  feierlid)cr,  bimmlifd)er  Holteoerfammlung  über  ba8  Sd)icffa(  ber  alten  Sternbilber 
Perljanbelt  unb  über  einen  roürbigcn  (*rfafc  berfelben  SMdtfuß  gefaxt  »erben  fott. 

2Bie  man  fidj'S  öorgeuommen  bat,  fo  gefd)iel)t'3.  $er  große  Xag  fommi  beran. 
$ie  SSerfammlung  irirb  mit  allem  itjr  gebütjrenben  bimrnlifd)en  $omp  com  ©btteroater 
in  SUerfon  eröffnet;  bie  Staublungen  toerben  mit  aller  iDÜnfcrjenSroertben  ©rünblidjfcit 
geführt;  alle«,  toaS  ftcrj  beS  Rimmels  unroürbig  ermetft,  roirb  au*  bemfelben  auSgcmicfen, 
oie  2üat)rf)e  it  wirb  auf  ben  böd)ften  Zfaon  im  früheren  Sternbilb  ber  „Keinen  23ärin" 
ertjoben;**)  unb  alle  bic  übrigen  f)immlifdien  (5(jrcnfi6e,  ouf  beucn  oorbem  in  ©eftalt 
ber  alten  Sternbilber  unb  $?immel«3cid)en  „bie  triumptjirenbe  Söeftie"  beä  ifaftcrS  unb 
ber  SRicbertracfjt  gethront  batte,  fie  »erben  nun,  roie  fid)*3  gebührt,  je  nad)  itjrcr  befonberen 
üPcbcutung  ben  3tepräfentanttnncn  ber  oerfdiiebcncn  lugenben  sugefprodjen  unb  mit  ben 
^erfonificationen  atteS  beffen,  ioa§  gut  unb  fd)cn  unb  mürbtg  ift,  roaS  bad  Ccben 
fd)mürft  unb  abelt  unb  ifmt  roabren  unb  bauernben  2Bertf)  31t  Dcrletben  oermag,  befeut. 

2>ic&  ift  in  S?ürje  bie  frei  erfnnbene  ft-abel  beä  33runo'fd)en  ©ebidit*  £ie  2lUc* 
gorie  beäfetben  ift  burd)fid)tig  unb  ibre  ^eoeutung  ofjne  SBcitere«  flar.  $ie  ©ötter, 
bie  ber  „Spacäo"  wxi  oorfübrt,  Rnb  in  2Baf>rl)cit  feine  ©ötter,  fonbern  oeränberlidje 
unb  fterblidje  2Jienfd>en;  unb  ber  Stcrnenbimme!,  ben  fte  3U  reformiren  unternerjmen, 
ift  baS Sumbilb  unb Spiegelbilb  iljreä eigenen,  b.  tj.  eben  beS  menfcblicben  ©emüt bf. 
3n  biefem,  unb  nur  in  biefem  allein,  bat  bie  triumpfjircnbc  58eftie,  bie  aufgetrieben 
tocrbcnfoll,  ibren  Sit}.  Unterer  oeiftebt  Jöruno  bie  ©emeinfjeit  unb  fiebrig» 
feit  ber  ©cfinnuug,  bic  U ntoürbigf eit  unb  9Hebcrträd)tigfeit,  bie  Jöcr* 
berbttjeit  in  ieber  ©eftalt.  3br  erflärt  er  in  feinem  „Spacrio"  ben  Ärieg. 
Denn  unter  bem  Sorgeben,  ben  Gimmel  reformiren  311  roollen,  weiß  er  bie  Softer 
unb  $borbeiten  ^er  3JjcnfdKn  ju  geißeln;  unb  im  öarorfrabmen  feiner  pfjantaftifd)en 
2)id)tung  tritt  ein  Spiegelbilb  irbifdjer  3uftänbe.  ju  beffen  Sdjöpfung  fid)  bie  Spott* 
luft  beS  gciftoollcn  Satiriferf  mit  ber  SBcgeifterung  unb  fdjopferifdien  Äraft  be&  Poeten 
unb  bem  (frnft  unb  Xietblicf  bei  Sßeltiocifen  oerbunben  fjat,  nor  unfere  @ccle  t}in. 

Unb  10a*  bringt  93runo  niebt  alles  in  biefen  ÜRabmcn  tjincin!  Seine  3abel  ift 
überaus  glüeflid)  geioäfjlt,  beim  in  ben  3)iritben,  bic  fid)  an  bie  alten  Stcrnbilbernamen 
fnüpfeu,  fteeft  eine  iyüüc  Pon  $oefie.  Sic  bieten  nad)  ben  Perfdjiebenften  9lid)titngcu 
bin  ©clegenbeit  311  allerbanb  3lnfpielungen  unb  tieffinnigen  S3etiad)tungcn,  unb  5Bruno8 
bcioegüdjer  ©eift  bat  biefen  Umftanb  eollauf  bcnüfct.  Sein  „Spaccio"  ift  in  ber  Zbat 
nidit  bie  „moralifdje  ^lattitube",  bie  nad)  $iibring'8  trcffenöem  au3brucf  gemiffe  ßeute 
in  ibm  crblicft.  (Sr  ift  aud)  mefjr  al«  ein  bloße*  fatirifdje«  „«orfpicl"  eine«  311- 
fünftigen  „Spftem*  ber  ßtbit",  obroot)l  man  ihn  allerbtng*  in  getoiffem  Sinne  (nad) 
5öruno*  eigenem  Vorgänge)  ali  ein  foldieS  bejetdinen  fann.  (Sr  ift  eine  Sdjöpfuug,  bic 
00m  bödiften  pbilofoobifd)cn  Stanbpuufte  auf  beurtbeilt  locrbeu  muß,  meil  fie  nidjt 
bloß  moralPbilofopbifdje  ©ebanfeu,  fonbern  nebenbei  faft  alle  tuefentlidjeu  ©runbgebanfen 
ber  großartigen  metapb^nfaien  äßeltanfcfiauung  ifjreS  3?erfaffer3  311m  9tus5biucf  bringt. 
6r  ift,  toie  Ecrti  in  feiner  „$ita  bi  ©iorbauo  töruno"  beroorl)ebt,  ein  2Serf,  baf 
„pfKHttaucooIIer,  ibecureidtcr,  uncrfd)öpflid)er  an  ^Infpielungen  unb  Megorieeu  aüer 

*)  Ter  örinncrungätag  ber  berühmten  Sd)lad)t,  in  meld)er  bie  olnmpifdjeu  ©öttcr 
cinft  ibre  mädjtigften  unb  gefürdjtetftcn  geinbe,  bie  alten  ©iganten,  beilegt  batten. 

**)  Xicfer  *la6  gilt  al»  ber  „pornebmftc"  bef  Firmament?,  loetl  ju  bem  ge= 
nannten  StembilD  ber  ^olarftern  gebort,  ber  „fefte  ^ol"  ber  SMmmeUfugel,  um  ben 
ba8  Sterncngeioölbc  fid)  brel)t. 

11>* 


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28<$    £> c b n>t 3  Senber  in  (Eifenadj.   

N>lrt,  eigenartiger  unb  feltfamer  erfcheint  als  irflcnb  ein  anbere«,  baS  bic  pbUofopbifcbe 
Literatur  Stalten»,  unb  faft  möchte  man  fagen  ber  SUclt  aufmeifen  fann"  —  ein  Seit, 
baS  oon  (Seift  unb  üaune  fprübt  unb  baS  ®enie  feine«  SlutorS  ebenfo  febr  in  ber 
Einmuth  unb  attifchen  Seiubeit  bcS  2BiöeS,  bureb  bie  eS  uns  gelegentlid)  übeTtafcbt 
unb  bezaubert,  wie  in  ber  äätnben  Schärfe  fetner  Satire,  in  ber  Unerfdwpflichleit  an 
originellen  Einfällen  ebenfo  fchr  tote  in  ber  Straft  unb  Stufjnbeit  bcS  Kenten»  unb  in 
ber  glutbüollcit  (Snergie  beS  CfrnpftnbcnS,  Don  benen  es  3tugnift  ablegt,  üerrätb. 

Scnnod)  barf  mit  oerfchwiegen  werben,  bafe  auch  ber  „©paato"  oon  ben  Langeln 
unb  Sdjwäcben  nicht  frei  ift,  bie  ber  Söruno'fcben  Schreibweife  im  2lllgmeincn  anbauen, 
unb  für  fie  faft  ebenfo  fchr  tote  bic  eben  erwähnten  bcwunbcrungSwürbigen  Ütorjügc 
faft  aller  leiner  ©djrtften  beaeidwenb  ftnb.  (£s  ift  oiel  ©efuebte«,  ©emachteS  in  bem 
ittuche;  es  fehlt  nidjt  an  SKaBloftgleiten  ber  $orm  wie  bcS  Inhalts,  nicht  an  Derb- 
heiten, bie  unfer  moberne«  (Smpfinben  bcleibigen,  nidrt  an  SleuBcrungeu  einer  $u  weit 
getriebenen  9Jaiüitat.  Ueberbiefi  leibet  baS  (Hange  an  Ueberlabung.  $er  geifttge 
Weidjtbum  be«  &utorS,  bie  ©ebanlen«  unb  ^Überfülle,  bie  er  oor  uns  entfaltet,  ftnb 
allgu  groß.  $ic  Mnfpiclungcn  unb  geifrreidjeu  (SinfäHe  überftürjen  ftd)  oft  förmlich; 
bie  Öleidmiffc  unb  rbetorifchen  Figuren  häufen  ftd)  gelegentlid)  in  gerabeju  unfeböner 
aUeifc,  unb  baS  „3ut>icl"  in  materialer  unb  formaler  »ejiehung  beeinträchtigt  ben 
ruhigen,  freien  unb  unbefangenen  Öenufe.  3>agu  fommt  ber  allegorifd>c  (Sharafter  bcS 
ilBcrfcS,  ber  bem  mobemen  Öefd)macfe  fo  wenig  conform  ift,  unb  ber  halb  roifien= 
fchaftlid)c,  ^alb  bichtcriiebe  Örunbton  beSfelben,  ber  ben  ISffcIt  beS  Öanjcn  fd)äbigt,  »eil 
er  bic  ©nheitlid)teit  ber  Stimmung,  biefe  conditiu  stnu  qua  mm  ieber  barmonifdxn 
Ütfirtung,  gerftört.  SllleS  in  allem  genommen  ift  ber  ,,-Spa« x  io-  ipot)t  Dasjenige  ^robuft 
feine«  Tutors,  baS  und  im  eminenteften  (tyrabe  au  baS  berühmte  Öoethc'fcbe  S&ort  oon 
ben  ungleich  begabten  (Srjgäugen  bcS  ittruno'fcben  (Reifte«  unb  oon  ber  Schwierigfeit.  baS 
(5>olb  öcrfclben  au*  ben  Schladen,  mit  beiicu  es  untermifebt  ift,  rein  ausgufchetben,  ge= 
mahnt.  2ritt  uns  bod)  au«  bem  Mahnten  beSfelben  ber  gange  »runo  mit  all  feinen 
5öorgügeu  unb  3d)Wäd)cn  entgegen,  bliefen  mir  b,ier  bod)  auf  ben  ®rnnb  feiner  Seele, 
füllen  unb  begreifen  mir  bod),  baß  ei  fein  müßiger  Einfall  bon  tb.m  ift,  wenn  er  bie 
Wahrheit  fumbolifd)  als  ben  feiten  SM  unb  XHngelpunft  jcbeS  woblgeorbnetcn  »geiftigen 
UntüerfumS"  begeiebnet,  inbetn  er  ihr  ben  s#ol  beö  (Sternenfirmaments  (im  «tcrnbilb 
ber  fleiuen  Jöärin)  gum  äöotjtifiö  anweift  unb  fie,  bie  ihm  frühe  gum  Eeitftcrn  warb, 
ber  er  ftd)  Poll  unb  ganj  gu  eigen  gegeben,  auf  ben  l)öd)ften,  erljabenftcn  &immclMnron, 
ba^in,  „too  bic  Älauen  ber  ü&crricinerung  fie  nid)t  erreidjen  fönnen,  wo  ber  blaffe  lÄcib 
fte  nid)t  ju  bcrfd)letcrn  oermag,  wo  bic  ftinftentiffe  bc8  3rttb,um&  aufeer  otanbe  ftnb, 
fic  ju  umwölfcn,"  ergebt!  Sein  wab,rftcö  unb  tiefftc«  t^mpfinben,  fein  eigenfte«,  inner« 
lidjftes  Erleben  ift  tt,  wa«  er  in  biefer  fambolifcben  ^anblung,  wa«  er  in  ber  ©runbtenbcnä 
unb  ©runbanfdjauung  bei  „8paccio"  sum  tebruef  bringt.  2)ic  aßab,rbeit  war  ja  redrt 
eigentlid)  feine  öJottb,cit;  ibrem  ^ienftc  l)atte  er  fein  Ücben  gewebt;  iljr  wollte  unb 
follte  er  Xrcuc  galten,  fefte  Ireuc  bis  sumXobc! 

ift  fid)erlid)  teilt  geringes  ^erbieuft,  ein  2ikrt  oon  biefer  ^ebeutung  aud)  iokben 
«efern  gugänglid)  gemad)t  gn  Ijaben,  bie  ber  Sprad)e  beS  Originals  nicht  mächtig  finb. 
hoffen  mir,  bafe  ber  Uebcrfeeer,  ber  fiefa  biefer  fdjwicrtgen  unb  müljeöoacn  Aufgabe  mit 
Öülcf  unb  (%e\d)id  unterzogen  hat,  in  weiten  Streifen  berjenigen  3lncrfcnuung  unb  fgm* 
patl)ifd)cn  Xhcilnabmc  begegnet,  bic  fein  llnteruebmen  an  unb  für  ftd)  betrachtet  ebenfo 
febr  wie  feine  tüdmge  unb  woblgclungcne  üeiftung  oerbient!  Sur  bic  jablrcicben  er* 
läuteruben  5?lnmcrfungcn,  bie  baS  ^crftänbniß  bc«  lerteS  erleichtern  helfen,  gebührt 
ihm  befouberer  2)anf.  Sic  werben  aud)  foldjen  Sefcrn  willfommcn  fein,  weldje  bic 
pcri'i)iiüd)e  Stnfdjauungswcife  Äuhlcnbecfs  IciitcSiocgS  in  allen  ^untten  theilcn,  unb 
bie,  bei  aller  wannen  Verehrung  ^für  bat  Öenius  Öiorbano  SörunoS,  bod)  aud)  bie 
beroonügenbe  toiffcnfchaftlute  »ebeutung  ber  großen  Sännet,  bic  nad)  ihm  lauten,  bie 
sfcbcutmtfl  eines  Ucibuij  unb  Jöcncbict  Sotnoga.  nitbt  oerfenuen 


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3Uuftrirte  23ibliograpl)ie. 


Woöcrm*  ttitnft.   3Uuftrtrte  2)!onat*fd)rift  mit  ftunftbcilagen  in  2Retfterf)0lgfd)uitten. 
1889/90.   3af)rgang  IV,  ßieferung  1.  »erlin,  Verlag  von  9tid)arb  »ong. 


ai  £eft,  mit  bem  bic  „SJtoberne  Srunft"  ben  neuen  3al)rgaug  eröffnet,  geidmet 


fid)  ebenfomotjl  burd)  bic  SJfannigfaltigfctt  unb  gcfdjmatfDoUc  sJluömal)l  ber 


lTfc*J<i4l  bargebotenen  Silber  roie  burd)  itjre  burdmxg  gang  oortrefflidie  Üluärübnwg 
au«;  e$  giebt  uns  Dollauf  Gelegenheit,  un8  an  bem  hohen  Grabe  ber  Holleubung,  ben 
bie  Xedjntt  ber  ftoljfdmcibefunft  erreidjt  f)at,  gu  erfreuen.  Die  JHebaction  ift  in  häufend 
roertfjer  Sßcife  beftrebt,  ben  internationalen  Grjaraftcr  ber  ftunft  gu  roabren  unb  neben 
ben  SBerfen  unfercr  Datcrlänbifcfjen  SJieifter  uns  aud)  beroorrageribe  (£rgeugniffc  ber 
fremlänbifdjen  ftunft  Dor  klugen  gu  (teilen. 

Unter  ben  Gaben  beutfdjcr  ftünftler  fei  gunädjft  ein  reigenbeS  iöilb  Don  iiubioig 
ff  nau$,  „steigen"  betitelt,  f)erDorgef)oben.  (&S  3e:gt  uns  bicr  nadte  Stinbcrgeftalten,  bic 
jtdj  unter  ber  leitenben  Oblmt  eine«  größeren,  leidjt  befleibetcn  iDiäbdjenS  an  einem 
JNingeltang  im  freien  ergööen.    2)icfc8  ÜMlb  ftratjlt  ben  gangen  erfrifdienbeu  3<iubcr 
finblid)  unfd)ulbigen  gfcotylimft  toiber.   (Sbuarb  bon  Jölaaö  läfjt  eine  liebreigenbe 
Xoditcr  ber  fiagunenftabt  unfer  .fterg  burd)  ben  Iocfenben  !8lid  it)rer  fdjönen  xUugeu  ge- 
fangen nefmten.  3ofepf)  üteef 'S  Gemälbc  „Uiebeätraum",  bem  ein  fleincS  Gebidtf  ISrnft 
Don  2üolgogen$  beigegeben  ift,  fütjrt  uns  an  ba8  Üager  einer  tjolbcn  Sdjläferiu,  bereu 
Don  bunflcn  Coden  umtoalltcS,  burd)  ein  fanft  fcligeS  ßädjeln  belebte»  2lntlitj  un$ 
Sfunbc  giebt  Don  bem  fiifecn  Xraume,  ber  burd)  ifjre  jugcnblidjc  6eele  gict)t.  Einige 
Stubien  au3  bem  »aUetleben  lenteu  innere  3lufmerffamfeit  auf  ben  jungen,  äufcerft 
talentDoIIen  bairifdjen  3Mer  ftriebrtd)  $ef)r  (geb.  18C2).    Xai  Don  unt  u)iebergc= 
gebene  febj  fein  djaraftcriftrtc  Jöilb  „sßor  ber  iöaüctprobe"  crgäblt  eine  gange  GcfdudUc : 
eine  DoUerblül)te,  im  CicbeSroefen  offenbar  luohl  bemanberte  i^allcteufe  lieft  ber  neben 
if)r  fieenben  iüngeren,  fd)üd)ternen  unb  unerfahrenen  Gollegin  einen  üicbeJJbrief  Dor,  ben 
btefe  crbalten  unb  ben  fic  ihr  gagenb  unb  groeifclnb  übergeben  bat.  3)er  Gcfid)t8au«bnirt 
ber  SBorlcferin  oerrätf)  beutlid)  genug,  in  roeldjem  Sinne  fie  ber  Jmnibin  bie  glängen- 
ben  Stnerbietungen  ihre*  reichen  Liebhaber*  gu  beantroorteu  rätt),  unb  e&  [ieht  jo  au&, 
als  mürbe  bie  ängftfidje  ©ittfamfeit  ber  2lnbern  Dor  ber  93erfudmng  nidji  3tanb  balten. 
G.  d.  ^ttaffci'S  2Hlb  „SramDfenbe  2luerbäf)nc"  gebort  gu  einer  ÜHeilje  Don  Silbern, 
in  benen  bei  ftünftler  bie  oier  3af)reSgeiten  burd)  bie  SJcrbinbunfl  Don  Xl)ier  unb  Canb= 
fdjaft  gur  Uarftellung  gebradit  h,at. 


£3ibl  t  ograpbje- 


28? 


$ie  fcanblänbifdK  SNalcret  tu  uertreten  burd)  ÜJc.  3 tone  („3n  Siebe":  ein  junges 
5*aar  in  ber  Irad)t  beS  Dorigen  3at)rl)unberts,  baS  auf  einer  San!  unter  fcbattenDem 
SJaume  cinanber  gcgenübcrfiet  uub  eben  mit  ber  gärtlidjett  5ragc:  „$?aft  Xu  mich 
lieb?"  befdjäftiflt  gu  fem  fdieint);  3.  <Sd)ena  („Simfon  uub  Xetila")  unb  ft.  IS. 
at  om  St  i  („Xcr  3ar  wäbtt  bic  $raut"). 

SJon  Süerfen  ber  $laftif  finben  wir  Slbbilbungen  ber  gu  ©fjren  beS  $efud)eS  beS 
tfbnigS  Umberto  in  Berlin  errichteten  §unbrieferjd>cn  Statue  ber  Serolina  unb  eines 
Don  t£.  ferner  mobcltirteu  Derliebten  ftäunS,  beffcn  bigarr  häßlidjeS  ©efidjt  fid)  eben 
gum  Stuffe  ruftet  unb  baburd)  gur  lächerlichen  ©rimaffe  wirb. 

3n  bem  neuen  3abraarig  f0ß  aud)  für  erwetterten  Umfang  beS  Xc|tc8  «Sorge 
Getragen  werben.  So  bietet  uns  bereits  baS  erftc  $eft  u.  St.  bie  Anfänge  gweier 
^oueletten  oon  K.  uon  Sclincfowfrroem  unb  Hermann  fcetberg.  h. 


Tie  politiiche  unb  milttänfdje 
tSorreiponbcn  j  Mbuia  $rtebrt$e 
bou  »uri tem  btrc\  mit  Napoleon  I. 

(1805—1813).  herausgegeben  Bon 
n.  o.  Scbloßbcrger.  Stuttgart,  2B. 
Äot)lb,ammer. 

ÜBie  ber  SUerfaffer  bereits  in  ben  Sei* 
lagen  gum  ^ürttembergifeben  Staats* 
Ängeiger  oon  1887—1888  näher  ausführte, 
fo  qef)t  aud)  aus  btefer  nunmehr  oeröffent* 
liebten  (Sorrefponbeng  gur  (Sotbem  beroor 
baß  baS  SÖünbniß  Äöttig  ^friebrtdKt  mit 
Napoleon  nur  aus  bem  gewattigen  politi* 
fdjen  uub  militärifcbenXrucf  einer 3wang8- 
tage  IjeTOorge^enb  erfolgte,  uub  Daß  bie 
rbeinbünbifdje  Sßolitif  ber  fübbeutfdjen 
Staaten  überhaupt  nidu  ettoa  Dom  Staub* 
punft  beS  9JationalitätSpringipS  unferer 
Xage  als  ein  Herrath  am  SBaterlanbe  an* 
gefehlt  werben  barf,  fonbern  baß  in  ihr  Biel« 
mehr  oorgugSwcife  ein  trauriges  Sqmbtom 
ber  bamatigen  Sage  XeutfdjlanbS  erfannt 
Werben  muß.  3n  ber  Xhat  fdjloß  Slönig 
Sricbrid)  „ber  :r<oi\)  get)ord)enb,  nidu  bem 
eigenen  Xricb",  um  Siaub  unb  Sfrone  gu 
retten,  ben  33unb  mit  bem  Uiurpator  unb 
fagte  fidj  erft,  nadjbem  er  ad)t  3al)rc  binburd) 
aud)  in  3eiteu  fernerer  llnglücf Sfditäge  treu 
gu  bemfetben  geftanben,  in  eine  oletcftc 
9totf)Iage  gerat  best.  Don  ihm  toS.  ör 
banbette  fo  atS  fluger  $?au&hatter  feines 
SJaubeS  unb  feiner  Xpnaftie,  unb  bie 
politifdje  Xreue  jener  Xage  muß  uufereS 
Dafürhaltens  nicht  mit  bem  fonft  üblichen 
ftaßftab  gemeffen  werben. 

3n  bem  intimen  geiftigen  Scrfchr, 
»eichen  Napoleon  mit  bem  talentootleu 
Sconige  pflegte,  unb  ber  in  ber  nunmehr 
beröffentlidjtcn  ßorrefponbeng  feinen  be- 
rebten  SluSbrucf  fanb,  liegt  ein  gtängcnbeS 
3eugniß  für  bie  tjotje  politifdje  Begabung 


biefeS  dürften,  mcldteS  nur  bagu  beitragen 
fann,  bie  Seftüre  beS  93riefwed)felS  beiber 
9ftouard)en  aus  jener  wettbewegenben  ©poebe 
gu  einer  hödtft  anregenben  gu  geftatten. 

K.  v.  B. 

Xao   iH'öcit ifrtje  SattP  aio  3rt)au  = 
Pia  1}  per  alt  betten  if djett  ftef  rbiftte. 

Jöon  Dr.  Xonbor  ff.  (2Mrdww; 
^otöenborff,  gemeinoerft.  miffenfd).  Sor* 
träge,  9t.  III.  72).  Hamburg,  2Jer^ 
tagSanftalt  (oormats  3.  3.  dt  i  d)  t  e  r). 

25er  Öebanfe,  aus  ber  9totur  ©ried)en= 
tanbS  ben  Sbaratter  unb  bie  ©efd)icfe  bes 
f)cltenifd)cn  ^olfeS  gu  erflären,  ift  nidjt 
mehr  neu;  aud)  für  bie  eingetneu  gried)ifd)en 
Sanbfdjaften  ift  berfetbe  oft  genug  ange^ 
regt  worben.  Xro^bem  war  eS  bielleidjt 
nidu  ungweefmäßig,  ib,n  uod)  einmal  in 
gang  gemeinfaßlidjer  SBeife  für  einen 
größeren  SeferfreiS  burd)guführett.  So 

Switbert  benn  ©onborff  im  Porliegenben 
uffaße  gunädjft  bie  Sobenftructur  bes 
gried)ifd)eu  >yefttanbeS  unter  ^eroor^ebung 
ber  2lcljnttd)feiten  unb  SJerfdjiebenbeiten 
ber  eingetnen  Xb,citc,  oor  3tücm  ber  Untere 
fdnebe  gwifdjen  ber  öftlid)cn  unb  wefttidjen 
^ätfte,  unb  befpridit  alSbann  bie  wid)tigften 
ptjpjifatifdjcn  ©nftüffe  beS  ßanbcS  auf 
l'eben,  Sitten  unb  potitifdje  ®cfd)id)te  ber 
©ricd)en.  Einige  neue  ®cfid)t8punftc  bietet 
ber  gweite  2lbid)nitt,  in  weldjem  bie  brei 
öinnentanbfdwften :  baS  innere  Xfjeffalien, 
33öotien  unb  Satonien,  ebeufo  weiterhin  bic 
brei  borgelagerten  ftüfteugebiete  Snagnefta^ 
s4M)tbiotiS,  2tttifa  unb  StrgoliS  ihrer  ®e* 
fdjaffenheit  unb  hiftorifdjen  (Snttoicfelung 
nach  mit  einanber  oergüdKn  werben.  Xie 
eingehenbe  £tet)anbtung  StttifaS  bilbet  ben 
Sd)titß. 

3n  populären  Serfeu  f ölten  unferer 


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288  .    Sorö  :: 

?lnfid)t  nach  nur  bic  'gciicbcrtcn  9iefultate 
bcr^orfdwng  nicbcrgelegt,  alle  gwcifcl  beuten  \ 
Hrwothefen  aber  möglichst  oermieben  werben. 
XHIS  Zhatfache  tonnen  mir  cS  aber  nicht  be- 
trauten, baß  2ltljcn  „ähnlich  wie  Storn" 
aus  ber  ^Bereinigung  oon  oicr  „urfprüng* 
lid)  getrennten  ©emeinben"  enftanben  fei : 
nämlich  aus  ben  SßclaSgem,  welche  bie 
SlfropoliS  befetjt  hatten,  aus  einer  jonifchen 
9fiebcrlaffung  auf  bem  fcügcl  2lgra,  auS 
Ibrafern  auf  betn  SJlufcion  unb  Pbönififcben 
unb  farifeben  ftoloniften  auf  3JMite  (S.  32). 
©fr  halten  tut  Wegentheil  btefe  Slnfchauung 
für  ocrfchlt.  sb. 

^äbagoaiffbc  ttbtfteln  toort  CrbiliuB 
(f  m  p  i  r  i  c  u  S. 21McSbabcn,(S.       u  n  g  e'S 
9iacf)folger. 
35er  2Jcrfaffer  getjört  gu  ben  wenigen 
Ccörcrn,  bie  fid)  in  ihrem  Berufe  Pott  (Sin* 
feitigteit  unb  S^erfnödjcrung  frei  gehalten 
unb  in  beut  wirren  Streite  ber  Meinungen 
über  nnferc  Schulen  einen  unbefangenen  S3licf 
bewahrt  haben.   2i>aS  ihn  leitet,  ift  bie  i 
^iebe  gur  3ugenb.  GS  wäre  gu  wünfeben,  i 
ba»  recht  oielc  Lehrer  uch  bie  9tatbfd)lägc 
im  legten  Briefe  51t  £>ergcn  nähmen  unb 
ihre  Hauptaufgabe  barin  fähen,  bie  Schüler 
51t  tüchtigen  ÜJtenfcben  gu  bilben!  2lber 
nicht  nur  Sebrern  ift  bicfeS  iöueb  gu  em« 
pfehlen;  auch  manchem  2ktcr,  ber  feine 
Sohne  auf  eine  höhere  Schule  fehieft  unb  , 
gumeilen  Pergweifeln  möchte,  werben  biefe 
Don  boragifdient  Reifte  erfüllten  unb  in  i 
ooHenbcter  gorm  gefchriebenen  tepiftdn  eine  1 
wahre  ©rquiefung  bereiten!  rj. 

©riefe  oon  Wut  theo  SRutter  an  bic 
fperftOftin   Unna   «molio.  Stteu 
herausgegeben  unb  erläutert  oon  $?. 
ßetnemann.    3Jlit  gwei  JJMIbniffeu.  1 
£eip*ig,  Verlag  beS  lit.  SnhreSbcrichtS  ! 
(V.  Seemann). 

ilollftänbigcr  unb  —  andb  tu  allen 
(ftngelbeitcn  ber  Schreibung  —  genauer 
tUbbrucf  beS  ganzen  erhaltenen  33ricfwecbfelS 
(auch  bic  Pier  JÖriefe  ber  £>ergogin  an  ftrau 
töatb.  Öoctbc  finb  mit  abgebrueft!)  ber 
beiben  berühmten  grauen,  welcher  ben  un= 
ntittelbarften  ©inblicf  in  bie  2lrt  ihres  33er* 
IchreS,  ihre  $enfweife  unb  ÜBeltanfcbauung 
eröffnet.  Jöeigcpeben  ift  eine  (Einleitung 
unb  fachliche  (Erläuterungen  (gum  Xheil 
nuS  ber  erften  Ausgabe  ber  Briefe  oon 
iüurfbarb  herübergenommen,  gum  Zheil 
neu  hinjugefügt);  überall  geigt  fich.  bafe 
ber  Herausgeber  aus  reicher  Sachfunbc 
fdjöpft  unb  ein  warmes  ^ntereffc  baran  hat» 
bem  üefer  jene  beiben  ftrauengcftaltcn,  bie 


nb  5 üb.   

eine  3ierbe  ihrer  Greife  unb  ihrer  3eii 
waren,  anfdjaulicb  gu  machen  unb  gcmütfc 
lieh  nahe  gu  bringen,  fieiber  finb  bie  beiben 
intereffanten  öilbniffc  ber  5rau  Jtatb  nur 
in  3inR>ntcf  wiebergegeben,  ber  —  nament^ 
lieh  bei  ber  erften  Xafel  —  entfeßlieb  ab= 
geblaßt  ift.  derartige  9tocbbilöuna.en 
tonnen  bem  gcbtlbcten  Sßublifum  ben  ©e^ 
fdmtacf  an  iüufrrirten  SBerfcn  grünbltd? 
ocrleiben.  dr. 

Ii  tu  £cft  auf  ber  QafHuc.  Scbau: 
fpiel  in  2  Elften  Pon  8  fang  £elb. 
Berlin,  Stofenbaum  &  £>art. 

fcelb  will  bie  fraugöftfebe  9leoolutton 
bichtcrifch  geftalten  —  ein  Vorwurf  würbig 
eines  Sbafcfpearc.  $aS  Porlicgenbe 
Schaufpiel  betrachtet  er  als  SJorfpicl  gu 
feiner  beabfid)tigten  w9ieoolutionStrilogie". 
(5S  oerräth  ein  bramatifcheS  ©eftalrungS» 
talent  im  fteime.  ?lber  über  Sinfä^e  ift 
ber  Siebter  nid)t  h»muSgctommen;  ihm 
fehlt  augenscheinlich  bie  2eichtigfeit  ber 
Söcwegung  für  größere  SJeaffen.  S)er  fuergf* 
diilbcrte  fociale  ^intergrunb  für  bie  Xrt* 
ogic  wirb  burd)  aufbringlicbc  Cbfcönitäten 
unb  ^ergerruug  fulturgefchichtlicher^comente 
tro(j  beS  bemerfbaren  bichterifeben  XalenteS 
Perwifd)t.  3)a8  9cactte,  Uebertriebcne  unb 
©efebraubte  überwuchert,  bic  in 'S  Vulgäre 
ausgeartete  berbe  SÄcaltftif  ber  Sprache 
wirft  oft  abftofjenb  unb  bclcibigenb. 

Httnic  ^raff ct)o  r,üct?tc  ,>ahrt"  an 
*3orb  Pt-o  «itttbcam.  92ach  bem 
(Snglifcben.  Wit  188  .^olgfcbnitten  im 
Xe£t  unb20@ingelbrucfcn  in£ithoaraphic 
ausgeführt,  üeipjig,  5er b.  ^>trt 
&  Sohn. 

$ie  muthtge  SKcltumfeglerin  fiabtj 
Winnie  ^öraffet)  ift  im  ^erbftc  1887  in  g-olge 
eines  XropenfieberS  auf  einer  ftrcugfabrt 
im  3nbtfd)eu  Ocean  oerfebteben;  auf  bem 
Örunöe  beS  3JieercS,  welches  ihr  eine  gweitc 
^eimat  qeworben  war,  fanb  fie  für  immer 
iHuhe.  (Sntfchloffcn,  in  3"bien,  JÖorneo, 
Sluftralien  feinen  Jlccf  unbefucht  gu  laffen. 
ber  crreidibar  war  unb  ihrem  sBennutb^n 
nad)  etwas  £emen8=  ober  SehenSnxrtbeS 
bot,  hatte  fie  ihren  Steifen  innerhalb  ber 
Xropen  eine  (Erweiterung  angebeihen  laffen, 
welche  nicht  ohne  üblen  Grinfllufe  auf  ihre 
©efuubheit  gewefen  war.  2Bte  ber  ©emabl 
ber  ©ntfchlafenen  in  bem  Meinen  2ebenS= 
bilbe  berfelben,  welches  bie  (Einleitung  beS 
SudjeS  bilbet,  mittheilt,  Perbatticn  bic  2£crfe 
ber  ßabt)  ©raffet)  ihre  (Entftchung  ber  Qk* 
Wohnheit,  icbeSmal  nach  bem  Erwachen  am 
frühen  borgen  bic  fchmucflofc  (Erjählung 


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289 


ber  Vorgänge  beS  oergangenen  XageS  auf* 
äufdjreibcn.  25atj  btefe  (£ntftebungSart  bei 
bem  DorliegenDen  3EBerfe,  beffen  enbgültige 
Uebcrarbeitung  ber  »crfafferin  nicfjt  Der- 
flönnt  xdclx,  befonbcrS  feimtlicb  ift,  unb 
baß  baf>er  basfelbe  einen  etmaS  ffi^en« 
baften  unfertigen  (Sbarafter  bat,  ift  er* 
flärlid).  3m  Uebrigen  fann  man  bem 
Urtbeil  beS  2orb  Söraffetj  —  oon  bem  aud) 
bie  Örgänaung  beS  $age8budjeS  burd)  einen 
furzen  Gcblufjberidjt  berrübri  —  über  bie 
f cörif tftctl crif d>e  ^Qualität  feiner  ©attin  bei* 
frinrmen.  3bre  (Schritten  finb  niebt  tief 
mtffenfebaftlicben  3nf)altS,  aber  nüglicb 
unb  fpannenb  für  3eb«mann.  5>er2Bertl) 
beS  ne^iegen  auSgeftatteten  iöudjeS  uritb 
burd)  bie  aablreidjen  gum  X^citredjt  bübiajen 
3Uuftraüonen  nidjt  umoefentlid)  erböbt. 

ow. 

^crbraudjte  Waffen.  Vornan  Don 
^büi»b  Vogler.  2.  Stoff.  Scuuig, 
6a rl  fcinftorffS  Verlag  (ÖJuftaü 
(Sbrfe.) 

Gin  Slgrarroman,  ber  für  bie  ftreife 
Der  ©runbbefifcer  unb  Wlz,  bie  für  lanb: 
mirtfjfcbaftliciie  fragen  Neigung  baben,  Don 
3ntereffc  fein  mirb.  $iefe  fragen  finb 
nid)t  etma  obernacblid)  geftreift,  fonbern- 
fic  bilben  ben  £>intcrgrunbf  Don  bem  iid) 
bie  ,§anblung,  mit  intereffanter  ©baraftc« 
riftit  ber  «Pcrfonen  unb  mit  lebljaft 
empfunbeneu  febönen  9toturfd)ilberungen 
burdtfooben,  mirtungSDoU  abbebt.  ®tc 
Derfcbicbenen  focialen  ©rufen  ber  Dorge* 
führten  ©efeafdjaft  finb  trefflid)  gefebilbert. 
2>ie  Probleme  ftnb  jebod)  nid)t  auf  ba§ 
angebeutete  enge  ©ebiet  befdjränft,  fonbern 
burd)  23ctrad)tungcn  mannigfaltiger  2lrt 
oertieft  unb  ermeitert.  ss. 

3tt  fiidett  »infeln.  Sfiääen  unb 
©timmungSbilber  Don  5p.  ©.  fceimS. 
S?iel,  §acfeler. 

Unter  biefem  anfprud)8lofcn  unb  bc- 
fd^etbenen  ütel  Derbirgt  ftd)  eine  Sammlung 
Don  feä)8  Keinen  noDeUtftifdjenl^iää jungen, 
roeldje  sunt  Xbeü  flücbtig  binfirtoorfen, 
$um  £l)cil  fein  ausgearbeitet  finb.  (Sie 
befunben  eine  ungemöbnlidje  ftraft  Doeti= 
fd>er  ©eftaltung,  eine  gerabeju  binreifeenbe, 
jjIafHfcbe,  ja  faft  bramatifebe  EarftcUung; 
bie  fd)önc  gefättigte  unb  fein  abgetönte 
Sprache,  bie  febarfe  Df«d)ologtfd)  oertiefte 
(Hjaraltcriftif,  bie  lebenbige  äfrifebe  unb 
ber  §aud)  reiner  $oefie  ntajt  minbet  als 


ber  göttlicbe,  föftlidje  Junior  erbeben  biefe 
©fijjen  bod)  über  baS  SJurcbfduiittSmafe 
ber  (SitttagSliteratur.  3Jiit  urfräftigem 
SBebagcn  bringt  cS  bem  £id)ter  auS  Der 
(Seele  unb  Dacft  ben  2efcr.  Süenn  man 
aud)  ab  unb  gu  eine  befannte  ftigur  Q»1 
trifft,  fo  erfennt  man  bod)  eine  fräftige 
unb  felbftanbige  biditerifdje  3"biDibua(ität, 
toeldje  in  ©ebilberung  ber  9totur  cbenfo 
grofe  ift,  mie  in  ber  ©ebilberung  Don 
©cberg  unb  (Srnft  beS  SebenS;  unb  fo 
fyergtieb  mir  an  managen  ©teilen  ladjen 
müffen,  fo  mabr  ift  aud)  bie  Jttübrung, 
meldje  ber  5)id)ter  au  anberen  in  uns  er= 
regt,  fcoffcntlicb  begegnen  mir  ibm  reebt 
balD  mieber.  w. 

Wcbidjtc  Don  5D  etleü  gfreiberr  Don 
Siliencron.  Sieipgig,  W.  ^riebrieb- 

2)cr  Sßerfaffcr  greift  feine  Probleme 
aus  bem  DoUen  aflenfebenreben,  aus  bem 
barten  ÄamDfc  um'S  fcafein,  um  bie  3beale 
unb  um  bie  SBabrbcit.  ®r  gaufeit  nidjt 
mie  ein  ©cbmetterliug  auf  ber  Obcrfläcbc 
ber  ©rfebeinungen,  fonbern  er  bringt  tiefer 
ein  unb  greift  berb  ju,  oft  aflgu  berb,  unb 
biefer  realiftifaje  3»9  ift  für  itjn  cbaraftc= 
riftifd).  3Jlan  füblt  ben  fräftigen  «Puls» 
fcjblag  einer  gefunben  'XJidjtematur,  aber 
bie  ^ßbantafie  mirb  nid)t  immer  gebügelt, 
ßiliencron  meife  träftig  ju  gcftalten,  aber 
niebt  genügenb  Docttfd)  abautönen  unb  ab= 
^urunben.  3"  Der  Dorlicgenben  ©ammlung 
tft  gereimte  unb  ungereimte  Sßrofa;  nidjt 
21  UeS  batte  gebmeft  toerben  bürfen.  £aS 
biebterifd)  StuSgereifte  mirb  bureb  Starres 
unb  ©efcbmactlofeS  unterbrod>cn.  2)ocb 
pnben  mir  nod)  genug  beS  ©djönen,  unb 
eS  Derlobnt  fieb  mobl  bem  Sfluge  beS 
3)id)terS  ju  folgen.  ss. 

Sieb  bott  ber  toet%eit  £otoS. 

Webergefajrieben  Don  9)cabel  (Soll ins. 
Ueberfe$t  aus  bem  Gnglifcben.  üeipäig, 
Xb-  CSJriebenS  »erlag  (2.  fternau). 

eine  gebanf  entiefe,  fttmbolifax  2)i(btung, 
bereu  allegorifcbe  (^indeibung  gefebidt  unb 
effcctooll  tft.  Sciber  mirb  bie  Üßirfung 
beSäöerfeS  burd)  feine  ßänge  beeintrad)tigt, 
fo  baß  baS  anfangs  fet)r  lebhafte  3ntereffc 
beS  2cferS  gegen  ben  ©d)lufe  bin  bebeutenb 
abnebmen  mufe.  ^Dic  Ueberfeöung  ift 
im  Allgemeinen  mit  Sorgfalt  gearbeitet; 
bod)  finben  fiefj  unter  ben  fünffüßigen 
3amben  Diele  SScrfe,  bie  einer  fteile  nod) 
bebürftig  finb.  O.W. 


290 


Zlorb  unb  Süb. 


Im  Jrthre  1*45  erschien:  „Der  Einzige  und  .sein  Eigenthum"  von  Max 
Stirner  (Kaspar  Schmidt,  1806  —  1856.)  Noch  leben  Viele,  welche  sich  er- 
innern, welches  Aufsehen  dieses  Werk  zu  jener  Zeit  erregte,  und  gewiss  n<»  }i 
Manche,  welche  mit  seinem  Verfasser  in  entferntere  oder  nähere  Uerührunj 
gekommen  sind. 

Alle  diese  bittet  Herr  John  Henry  Mackay,  z.  Zt.  Saarbrücken,  Rhein- 
provinz, Herrengartenstrasse  4,  ihm  aus  ihren  Erinnerungen  mitzutheilen,  wa? 
sie  über  Max  Stirner  wissen.  Vor  Allem  ersucht  er  Alle,  welche  sich  etwa 
noch  im  Besitze  von  Handschriften,  Briefen  oder  Bildern  Stirners  befinden,  ihm 
solche  für  kurze  Zeit  freundlichst  zur  Verfügung  stellen  zu  wollen. 


Eingegangene  Bücher.   Besprechung  nach  Auswahl  der  Redaction  vorbehalten 


Anders«,  H.  C,  Die  Dryade.  Ein  Märchen. 
Deutsch  von  A.  W.  Petors  3.  Aufl.  N  ,rden, 

H.  Fischer  Nachf. 

Arendt,  ü.,  Der  Streit  um  die  Deutsche  Emin- 
Paacha-F.xiiedition.  Berlin,  Walther  und 
Apolani 

Arn**,  A,    Seinte-Xitouche.   Paris,  Emest  Kolb. 

Reck,  M.,  Allerhand  kleine  Geschichten.  Ham- 
burg, Verlagsanstalt  (vorm  1.  F.  Richter). 

Blum,  II.,  Aus  geheimen  Acten.  Heitere  und 
ernste  Enah!uu»?en  aus  dorn  Rechtsleben. 
Berlin,  Gebr.  Paeiel. 

Bronn,  Ä.,  Aspasia.  Lustsptol  in  fünf  Aufzügen. 
Dresden.  K.  PotrolJ. 

Der  Srhwarzwald.  Von  Wilhelm  Jensen.  Mit 
Illustrationen  von  W.  Hasemann  u.  A. 
Lief.  4-7.   Borlin,  n.  Reuther. 

Der  Zeltcclet.  Monatsheft  f.  <L  soziale  I»ben 
der  Gegenwart.  Jahrgang  I.  Hamburg,  E. 
Jensen  Sc  Co. 

IMcsterwejr's  populäre  Himmelskundo  und  mn  the- 
matische Geographie.  11.  Aull.,  nou  bear- 
beitet  von  Dr.  M.  W.  Moyer,  Direktor  der 
„Urania",  und  Prof.  Dr.  B.  Schwalbe, 
Direktor  des  DorotheenstMdt.  Realgymnasiums. 
Mit  Abbildungen  und  Sternkarten.  Berlin. 
E.  Gtildschmidt. 

Ebner-fcsehenbach,  M.  v..  N'euo  Erzählungen, 
2.  Aufl.  Berlin,  Gebr.  Paetel. 

—  Lotti,  die  l'hrmaeheriu.   Erxahtuuif.   2.  Aufl. 

Berlin.  Gohr.  Paetel. 

—  M.  v.,  Zwei  Comtessen.   Zweite  Aufl.  Berlin, 

Gebr.  Paetel. 
Engel,  Ed.,     l'elwr    den  Stimmumfang  sechs- 
jähriger   Kinder     und     den  Schulgosaug. 

Hnmhury,  Verlagsanstalt  (vorm  .1.  F.  Richter.) 
Kschslruth,  N.  v..    Verbotene  Frücht«   und  an- 

dore  Erzählungen.  Jona,  Herrn.  Costonuble. 
Hauptmann,  G.,    Vor  Sonnenaufgang.  Sociales 

Drama.    Berlin.  C.  F  Conrad 
Illustriert«  Geschichte  von  Bayern.  Lieferung 

6—  21.     .Stuttgart,     Süddeutsches  Verlag»- 

Institut 

Jahn,  Ot;o,  W.  A.  Mozart.  Dritte  Aufl.,  bear- 
beitet von  H.  Deiters.  Bd.  I,  Mit  Bild- 
nissen und  F;ic*irailos.  Leipzig,  Breitkopf 
und  Härtel. 

Jokal,  M..  Das  todte  Hort  S:»sre,  Roman  und 
Wirklichkeit  <I*H6|.  Deutsch  von  Ludwig 
Rothor.    Wien,  M  Breitenstein. 

Kalle.  F.  n.  O.  Kamp,  Die  hauswirthschartli'-he 
Unterweisung  armer  Madchen.  Wiesbaden, 

I.  F.  Bergmann. 

Kammer,  Ed..  Ein  ästhetischer  Kommentier  /u 
Homers  Dias.    Paderborn,   Ferd.  Schöning!. 


Ludwig,  H,  Deutsche  Kaiser  und  K^e  it. 
Strassburg.  Bllitter  a.  d.  Geschieh te  d.r 
Westmark  des  Reichs.  Strasburg,  C.  F. 
Schmi-Jfs  Umv.  Buchh. 

Mayer,  R.  v.,  Ueber  die  Erhaltung  der  Enor,?-*. 
Brief*»  an  Wilhelm  Griesinger.  Heraus^  von 
W.  Preyer.   Berlin,  Gebr.  Partei. 

Moni cton,  O.  v..  Carranirnuola  Histor.  Ronuva 
Hannover,  Schmort  de  v.  Seefeld. 

Münchener  Ktadtxelt uaf .  Pionier  für  die  et-i«*- 
stüdtische  Entwickolung  Münchens  Jahr- 
gang. I. 

Orhlltus  Emptricna,  pudagrigiscbe  EpisMa 
Wiesbadeu,  C.  G.  Kun^e»  Nachf.  il>r, 
Jacoby). 

Ott,  A,  Agnes  Bernauer.  Histor.  Volkssehaus]>;eL 

Stuttgart,  A.  Boust  ii  Co. 
IMersaa,  W,  Prenssisclie  Geschichte.  5.  verbesa.  <;. 

vermehrte  Auflage.  2  Bande.  Berlin,  Gebr 

Paetel. 

Polrblbllon.  Revue  bibliographique  universelle 
Septembre  1889.  Paris,  2  ot  5  nie  .SC-Stm<>D. 
I  Kaydl,  II.,  Silva  Mariae.  Erzählung  aas  der 
Heformationszeit.  Hnnnover-Lioden ,  C.  Mani- 
Hotegscr,  P.  K.,  Ausgewählte  Werke.  Mit 
Illustn-tionon.  Lieferant  57— «V  Wien,  A. 
Hartlebon. 

Schack,    Adolf  Friedrich    Graf  von,  Pandorx 

Vermischte  Schriften.   Stuttgart.  Deutsche 

Verlags-Anstalt. 
Schuhio.  0.,     B»ris  Lensky.   Roman  in  se-hs 

Büchern.   2.  Aufl.    3  Bande.   Berlin,  Gobr 

Paetel. 

Schimbach,  A.  E,  Ueber  Lesen  und  Bildung. 
3.  Aufl.  Graz,  Leuschner  und  Lubensky 

Serao,  Matilda,  Blüthe  der  Lei  lenschnft.  Cebars 
von  A.  Friedmann.    Breslau,  SchottlaemW 

Speyer,  O ,  ItiJienischo  Vegetattonsbilder.  Vor- 
trag.   Kassel,  A.  Freyschmidt 

St  arm,  A.,  Lied  und  Leben.  Gedichte.  Ham- 
burg, Verlags t nstalt  (vorm.  I.  F.  Richter). 

Tcsjuer.  Esaiaa,  Frithjofs-Sag«.  Dearb.  von 
Hellinghaus.   Münster.  A«chondr>rfl. 

Treu,  E.,  Erlebtes  und  Erträumtes  Hamburg. 
Wrlasrsanstslt  (  vorm.  1.  F.  Richter). 

Welten,  0.,  Buch  der  Unschuld.  (Auch  nicht 
für  Kinder.)   ».  Aufl.   Berlin,  WUh.  leslejy 

Zach  ar las,  0  ,  Bilder  and  Skizten  aus  dem 
Naturleben.  Mit  49  Illustrationen.  Jena, 
H.  Costonoble. 

Zelt schrift,  deutsche  für  Geschichtswissenschaft 
Herausg.  v.  L.  Ouiddo.  Band  I.  Heft  1  » 
Frei  bürg  i.  B,  1.  C.  B.  Mohr 

Zeitschrift  der  Gesellst-haR  für  Erdkunde  tu 
Berlin.   Band.  24,  Heft  4.  Berlin,  D.  Reimer. 


Krbigirt  unter  Prrant0ortli<fcf«it  bes  ^eroasjtbrrs. 
Drud*  unb  Orrlag  von  S.  SdjOttloeitber  *n  Bteslaa. 
Unberechtigter  Hai^arf  aM.be.it  3nbalt  birfsr  Seitfdjrift  nntrrfajt.    Ufb*rf*ftnnjMf*t  twehrhattru. 


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KARLSBADER 

Natürliche  Mineralwässer 

1889,,.  Frische  Füllung.  1839«. 


<A*i> 


n 

Ii?*1! 
rt 

M 

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Quellen 

und 


Sprad«!  .  .  M»l 

Hill' rwo  ,  U  s 

Kf«brtaa.  .  W  * 

IbrllhriJna .  i|3  * 

'«IlfBqa'll» .  47  ; 

iaii^rtrusn.  39 1  • 
-  4C4- 


Täglicher  Versal 


Froäücte 


ni 


KARLSBADER 
Sprudel-Salz  j»j 
g    pulverförmig  ^ 
und 
krystailisirt. 

KARLSBADER 

Sprud.l-Seifp. 
B  — 

[T  K  \RLS  8ADEK  | 
r<;del  Pastii'en. 


im 


rrnnTtTTilTi  i  m !  m  n  nTTTmTnrnTTTTTiT  mi  »in  t  rr  nn;fi  ni  u  m  i  i  h  1  n  n  ittttttttTi 


Di"  Karlsbader  Mineralwässer  und  QueUenproducte 

s\n<\  zu  l><'2ichcn  i!i;uh  die 


Iii 


I 


Löbel  Schottländer,  Karlsbad  *  Böhmen  M 

M  wie  .'.ureb  j>4 

alle  Miaciilvasser-Bindinn^en,  Apotheken  und  DfOfoistea.  tj 

M 

  i/ 

Uaberseeische  Oo{  <ts  in  den  grossten  Städten  aller  Wcttthatte  ^ 

'KT 


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"SECURUS  JUDiCAT  ORBIS  TERRARU .-.1." 


A/yf  /f  fj  ff  Y'l  X 

NATÜRLICH 
KO HI. f  \ •••>>/  VRHS  Ml. srILR.-J L-UASSER. 


Die    l'ü/hmg-:!:    ,v;i  Ato!!hhiris-Bru><;ie;i 
(.  \!;r!hal,  Kki.i-PraissiU)  betrugen 

i;,:  Jahre  1 88 7 

11,894,000 

:  11  d  i-'i  Jahr-:7  108S 

12,720,000 

h  insehen  und  /\/  .!//;  -. 


THE  APOLLINARIS  COMPANY,  Lim  11  ED, 

LONDON. 

Vi*D    r.l-iV  A.C.  EN  A 


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n  unfere  g^bonnentcn! 


ie  bereits  erfdjtenenen  Sänfce  oon 

„Horb  urxb  Siib" 


tonnen  entoeöer  in  complet  Brockten  ober  fein  flefotttbeneu  Bänöen 
von  uns  nadfbepQen  werben.  Preis  pro  Bano  (=  3  Qefte)  bro* 
fd>iri  6  ZTCarf,  gebunoen  in  feinftem  £>riginal«(£inbanö  mit  reifer 
(ßolopreffung  unö  Sdjroarjörucf  8  ZTTarf. 

€in$elne  §efte,  treldje  mir  auf  Verlangen,  foroeit  öer  Dorratfy 
reicht,  ebenfalls  liefern,  foften  2  ZTTarf. 

(Ebenfo  liefern  mir,  toie  bisher,  gefcr/macfoolle 

g>rtgütaC « @m6cmööed*en 

im  Stil  6es  jefcigen  fjefMlmfdjlags  mit  fäwav$ev  unb  (Solöpreffung 
aus  englifajer  Ceinroanö,  uno  ftefyen  fola^e  su  Ban&  LI  (£>ctober  bis 
December  (889),  «we  aud}  $u  ben  früheren  Bänöen  1— L  ftets 
5ur  Derfügung.  —  Der  Preis  ift  nur  [  ZTCarf  50  Pf.  pro  Decfe. 
gu  Beftellungen  roolle  man  ftdj  öes  umftefjenöen  Settels  bedienen 
unö  öenfelben,  mit  ttnterfdn-ift  perfefjen,  an  öie  Buajljanölung  oöer 
fonftige  Bezugsquelle  einfenöen,  öurdf  roeldje  öie  fortfe^ungs^efte 
be$ogen  n>eröen.  Hud)  ift  b\e  unterjeidntete  Derlagsljanölung  gern 
bereit,  gegen  €infenöung  öes  Betrages  (nebft  50  Pf.  für  ^rancatur) 
öas  <0en>ünfdfte  5U  erpeöiren. 
Breslau. 

Die  Perlagsbuijljanölung  oon  S.  Scfyottfaenber. 


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&eflett%ettet. 


Bei  5er  BucbbanMung  von 


befalle  idf  r/ier&urdj 

„Horb  un&  Süfc" 

herausgegeben  con  panl  Ctnbau. 

Dntdg  pon  5.  Sdjottlambf  r  in  2?rr*Iaii. 

€ypl.  Sano  I.,  II.,  III.,  IV.,  V.,  VI.,  VII.,  VIII., 
IX.,  X.,  XI.,  XII.,  XIII.,  XIV.,  XV.,  XVI.,  XVIL, 

xvm.,  xix.,  xx.,  xxl,  xxii.,  xxm.,  xxiv., 

XXV.,  XXVI.,  XXVIL,  XXVIIL,  XXIX.,  XXX., 
I  XXXI.,  XXXII.,  XXXIIL,  XXXIV.,  XXXV., 
!  XXXVI.,  XXXVII..  XXXVIII.,  XXXIX.,  XL.,  XLL, 
'  XLIL,  XLIIL,XLIV.,XLV.,XLVL,  XL VII.,  XL VIII., 
I  XLIX.,  L 

elegant  brofcfort  511m  Preife  oon  M.  6.— 
pro  Ban&  (=  5  fjefte) 
fein  gebunöen  jum  preife  Don  JL  8.—  pro  Bano. 

€fpl.  fjeft  (,  2,  3,  4,  5,  6,  7,  8,  9,  (0,  ((,  (2,  \3,  (4,  (5, 
(6,  (7,  (8,  (9,  20,  2\,  22,  23,  2*,  25,  26,  27,  28,  29,  30,  31,  32,  35, 
34,  35,  36,  37,  38,  39,  40,  41.  42,  43,  44,  45,  V>,  47,  48,  49,  50,  51, 
52,  53,  54,  55,  56,  57  ,  58,  59,  60,  61,  62,  63,  64,  65,  66,  67,  68,  69, 
j  70,  7(,  72,  73,  74,  75,  76,  77,  78,  79,  80,  8(,  82,  83,  84,  85,  86,  87, 
88,  89,  90,  91,  92,  93,  94,  95,  96,  9?,  98,  99,  100,  (0(,  1.02,  103, 
104,  (05,  106,  107,  108,  109,  HO,  MI,  U2,  US,  ((4,  M5,  ((6,  ((7,  , 
U8,  U9,  120,  (21,  (22,  (23,  (24,  (25,  (26.  (27,  128,  (29,  (30,  (3(, 
(32,  (33,  (34,  (35,  (36,  (37,  (38,  [M,  140,  (4(,  (42,  (43.(44,  (45, 
(46,  (47,  (4S  (49,  150,  (5(,  (52 

jum  preife  pon  *AL  2.  —  pro  ^eft. 

€inbanboecfe  $u  Bano  LI.  (October  bis  December  (889) 

€rpl.  60.  su  Bano  L,  IL,  III.,  IV.,  V.,  VL, 
VII.,  VIII.,  IX.,  X.,  XL,  XIL,  XIIL,  XIV,  XV., 
XVI.,  XVIL,  XVIIL,  XIX.,  XX.,  XXI.,  XXIL, 
XXIIL,  XXIV.,  XXV.,  XXVL,  XXVII.,  XXVUL, 

xxix.,  xxx.,  xxxi.,  xxxil,  xxxm.,  XXXIV., 

XXXV.,  XXXVL,  XXXVIL,  XXXVIIL,  XXXIX., 
XL.,  XLL,  XLIL,  XLIIL,  XLIV.,  XLV.,  XLVL, 
XLVIL,  XLV1IL,  XLIX,  L 

311m  preife  r*on  M>  (.50  pro  Pecfe. 

nTo^nang:  Harn»: 


:it<fcigftuün(djt*s  bitte  ju  butdjftretdfrTi. 


Um  grfl.  ir*t  teutltdjf  nainen*.  nnb  Itfottnnngiatigabr  »iib  ctfndjt 


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Horb  unb  Snb. 

(Eine  öeutfdje  Hlonatsfcfjrift. 


herausgegeben 
von 

paul  Cinfcau. 


LII.  8ant>.  —  December  (889.  —  ^eft  \55. 

(DIU  rinem  Portrait  in  Habirnng:   Cuovtg  pfau.) 


35  r  e  £  l  a  u. 

Drntf  unb  Pertag  oon  5.  Sdjottlaeitber, 


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Wav  es  Siebe! 


nooelle 

oon 

ZHite  KremnHj. 

—  Etifarcft.  — 

raunen  föneite  e$,  obgleich  bcr  2)Mr$monat  cor  ber  ^ür 
mar.  Irinnen  brannte  ein  £ol$feuer,  ba3  aber  ben  großen 
eleganten  9taum  nicht  genügenb  erwärmte  unb  nur  in  feiner 
nächften  9iähe  ein  ©efüljl  ber  ^Behaglichkeit  aujfommen  liefj.  £arum 
war  augenfchetntich  ba3  lange  Sopfya  unb  auch  ein  runber  £ifd),  ber  fonft 
in  ber  9)iitte  beS  3mimer3  f*an°/  bid^t  an  ben  Cfen  gerücft.  3luf  bem 
Sifdje  brannte  eine  »erhängte  £ampe,  welche  ba3  ©efidjt  ber  auf  bem 
Sor»J)a  ru^enben  grau  im  $)unfetn  liefe,  aber  ba3  Such  in  ihrer  #anb 
grell  beleuchtete.  2ßar  e£  9lbficht,  bafc  fie  fidj  gefehlt  hatte,  wäfjrenb 
if)r  ©egenüber  ber  ganjen  £elle  ausgefegt  war? 

tiefes  ©egenüber,  ein  blonber  9)iann,  fafe  auf  einem  niebrigen  ^olfter* 
ftuhle  unb  blicfte  gebanfenlos  burd)  bie  geöffnete  Dfentbür  in'S  geuer. 
3üj)lte  er  burch  bie  ferneren  i'iber  ^inburc^,  bafj  er  beobachtet  würbe,  ober 
war  er  fo  fern  mit  feinen  Träumereien,  ba§  er  bie  Umgebung  uergeffen 
hatte?  Sie  fragte  fidt)  ba3,  unb  fchliejjlich,  al$  er  garniert  aufblickte, 
Tagte  Tie: 

„&aben  Sie  föeimweh?" 

@r  roanbte  fidt)  ifu*  ruhig  ju,  wenn  auch  eine  leichte  Sxötty  ihm  bis 
unter  bie  2Iugen  ftieg,  unb  entgegnete  lächelnb: 

„0  nein!  3<h  bin  e3  ja  gewohnt,  fem  oon  ben  deinen  ju  fein." 
„SBoran  bauten  Sie  benn?" 
„3ch  glaube,  an  nichts." 

20* 


  Wax  es  Siebe? 


293 


£au3wefen  ruhte  auf  ihr,  bie  ßnedjte  unb  2flägbe,  bic  oielen  flinber  — 
über  bem  ©anjen  bcr  £)rucf  fef)r  befcf>ränfter  bittet,  oft  peinlich  be* 
fd)ränfter  SWittel  —  baa  2IHe§  macht  bem  ©rgähler  feine  greube,  bem 
ßörer  auch  nidjt.  2lber  was  f<hön  war,  unoergteidjlich  fa)ön  an  unferer 
ßinbheit,  ba3  läjjt  fidö  nicht  befdjreiben:  ben  $>uft  einer  33lume  mufe 
felbft  einatmen,  wer  fidj  baran  freuen  will;  er  lä§t  fidj  ntdtjt  fairen  unb 
übertragen,  weber  burd)  SBorte  noch  burch  ben  Spinfei  .  .  ." 

„So  waren  Sie  gtüdlid^  ju  &aufe  unb  h«ben  nur  angenehme  @r= 
innerungen  an  3^re  5Unbf)eit?   3<h  glaube,  ba3  ift  feiten  L" 

„3m  ©egentheil,  ba$  ift  bie  Siegel  —  in  unfcren  Greifen  wenigftenS!" 

„3hrc  Äreife  finb  aud)  bie  meinen!" 

„O  nein!" 

„SSarum  nicht?" 

„28etl  Sie  im  SuruS  aufgemachten  finb." 
„9fun,  ich  benfe,  (Selb  macht  nicht  ben  Unterfdjieb,  fonbern  bie 
Silbung!" 

„.©auptfächlid)  ©elb,"  entgegnete  er. 

Sie  betrachtete  ilm  eine  SBetle,  bann  fragte  fie  lädjelnb :  „Sie  meinen 
xoo%  wenn  man  ©elb  \)at,  bann  gebe  es  feine  Sorge,  fein  £eib  mehr?" 

„^ebenfalls  fct)r  oiel  weniger!" 

„Unb  Äranfhett  unb  Xob,  jaulen  bie  nicht?" 

„Slud)  Stranfheit  fann  man  fid)  burch  ©elb  erleichtern;  unb  ben  £ob 
fönnen  Sie  boch  nicht  ju  ben  SebenSforgen  rennen?" 

„Unb  ba3  £eib,  ba£  5)fenfchen  unter  einanber  fidrj  äujügen?" 

„3$  oerftehe  Sie  nicht.  SBenn  mir  (Siner  ein  Seib  anträte,  oer* 
gölte  ich  c*  ^m>        dauern  mürbe  ich  nicht  barüber!" 

„$ßenn  Sie  aber  ben  lieb  hatten,  ber  Sie  beletbigte?" 

„3)aS  würbe  ich  m(h*/  einen  fitirib  fann  man  nicht  lieb  haben!" 

„'Sab  ift  fefjr  und>riftlich !  Sonft  aber  haben  Sie  recht:  ba3  Scjrecflichfle 
auf  ber  Sßelt  ift  gen>i§  junger  unb  ßlenb;  aber  fie  fchüfcen  boct),  fo  hoffe 
ich,  oor  ben  Seelenqualen  ber  deichen." 

„3<h  möchte  n>ot>t  wiffen,  was  Seelenqualen  finb/'  ermiberte  er  mit 
größerer  £ebhaftigfeit.  „Sollten  eä  nicht  (Sinbilbungen  ber  deichen  fein, 
bie  bei  etwas  Slrbeit  oergehen  mürben?" 

„§aben  Sie  nie  welche  empfunben?" 

„3$?  ©ewife  nicht!   2Bie  follte  ich?" 

Sie  fah  ihn  groß  an.   „2)ann  haben  Sie  nie  geliebt!"  fchtuebte  ihr 
auf  ber  l'ippe,  fie  fagte  e3  jeboch  nicht.    „9lber  3r)re  Schioeftern?" 
„9lu<h  bie  nidjt,  bie  fyaben  feine  3eit  baju!" 
„Sinb  fie  aüe  ©erheiratet?" 
„Sroei." 

„Unb  mit  wem?  «Wein  ©ott,"  lachte  fxe,  „wie  Sie  fid>  bie  2Borte 
aus  bem  SRunbe  jiehen  laffen!" 


i 


2<W    mite  Kremnifc  in  Sufarefi.   

@r  lachte  aud),  fo  ba§  er  bie  gan$e  SReifte  feiner  blifcenben 
geigte.  „@S  fann  Sie  ja  nicht  intereffiren,  gnäbige  grau/'  antwortete  er. 
2i>arum  aber  oerfuchte  er,  wenn  er  ber  Ueberjeugung  war,  trofcbem  5U 
betreiben  unb  ju  malen?  ©S  mar  if>m  ja  offenbar  nicht  attjubehaglich 
in  biefem  ©egenüber;  er  füllte  beutlich  jene  letfe  Verlegenheit,  bie  ihn 
immer  befiel,  wenn  er  mit  einer  $ame  rebete.  2SaS  für  Tomen  fannte 
er  überhaupt?  Seit  feinem  zwölften  3«^*  ^e  er  einfam  für  fid)  Inn* 
gelebt,  aufjethalb  jebeS  gamilienfreifes,  suerft  auf  ber  Schule,  bann  auf 
ber  Unioerfität.  ©r  hatte  fich  felbft  erlogen,  in  fchwerer  Sirbett;  ein  2Bunber, 
ba§  er  nicht  noch  unbeholfener  mar  unb  eefiger,  als  er  tüirflic^  mar  ober 
ftch  oorfam!  2Boran  er  mit  ben  Sönnern  mar,  pflegte  er  meift 
ju  wiffen,  baS  rjotte  er  gelernt,  lernen  muffen;  aber  mit  grauen?  &atte 
i^n,  al$  Stubenten,  bie  Vermietherin  oemad&täfftgt  ober  überoortyeilt, 
fo  mar  er  ausgesogen;  mar  er  mütterlich  unb  forgfam  oon  ihr  behanbelt 
roorben,  fo  hatte  er  es  fi(h  gern  gefallen  laffen,  ohne  ihr  ober  etwa  ihrer 
hetrathsluftigen  £odf)ter  naher  getreten  ju  fein.  Seine  Slbenbe  waren  oer* 
jiridjen  über  33üdjern  unb  heften  ober  aber  in  ber  9toudj*  unb  23ter* 
atmofphäre  ber  Jtneipe  bei  Sfat*  unb  58iüarbfpiel,  feltener  im  parterre 
beS  iheaterS. 

deshalb  fühlte  er  fid)  fremb,  faft  unbehaglich  in  ber  neuen  Umge* 
bung,  in  bem  eleganten  Salon  ber  oornehmen  grau,  bie  fo  ruhig  unb 
fiberlegen  ju  ihm  hinüberiah;  er  merfte,  wie  fie  ihn,  ben  neuen  §auS* 
lehrer,  beobachtete,  unb  von  3«*  5"  3e^  machte  eine  auffteigenbe  33lut» 
reelle  ihn  erröten  bis  unter  bie  Haarwurzeln.  Unb  boer)  fprach  er  fo 
gern  unb  $um  eigenen  Grftaunen  beinahe  fliefeenb  ju  ihr  oon  feinem 
Seben  unb  treiben;  ftoefte  er  einmal,  fo  half  fie  ihm  mieber  ein,  iura) 
eine  freunbliche  grage,  burch  eine  geiftreiche  SBemerfung,  bie  er  oon 
grauenlippen  nie  erwartet  hatte.  2BaS  er  fprach,  mar  eigentlich  feine  Salon* 
plauberei.  (£s  mar  ja  ber  erfte  Salon,  in  bem  er  gefeffen  —  unf<f>wer 
merfte  man  in  ihm  ben  SHenfdjen,  ber  niemals  geplaubert,  aber  in  ber 
©infamfeit  feiner  Stube  fich  laut  $u  benfen  gewöhnt  ^atte.  Seine  33e* 
fangenheit  oerflog  im  Verlauf  beS  2lbenbS;  was  ihm  noch  nie  eingefallen 
mar,  fah  er  jefct:  bafe  man  fid)  nicht  nur  mit  Vüchern,  ba§  man  fich  ^ud) 
mit  3J?enfchen  gut  unterhalten  fönne.  @r  oergafc,  bafj  er  fremb  hier  mar  unb 
bliefte  wie  oerjaubert  auf  bie  gelähmte  grau,  auf  baS  Spiel  ihrer  wunberbar 
fd)lanfen,  bleichen  ginger.  ©jriftirte  fie  wirftid)  ober  war  iie  ein  ^h^ntafie* 
gefd)öpf,  baS  feine  2lugen  in  baS  ^albbunfel  beS  3inunerS  hmem^u9cn  ? 
Sicherlich,  es  war  MeS  nur  £raum;  er  lag  gewifc  nodj  in  feiner  fahlen, 
falten  Stubentenflube.  @S  würbe  oerfchwinben,  fobalb  er  erwad)te,  unb 
bleiben  nur  feine  froftfteifen  ©lieber  unb  fein  bumpfer  Äopf  —  besfjalb 
nur  nid)t  erwägen;  weiter  fdjlafen  unb  träumen  unb  plaubern! 

Unb  auch  fie  —  hatte  fie  SlnfangS  ihn  reben  machen  aus  9?eugierbe, 
fo  jefct  aus  Sntereffe.   2öie  fam  fie  baju,  oor  ihm,  bem  wilbfremben 


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IPar  es  ftebe?   


295 


SRenidjen,  oon  fingen  5U  erjagen,  über  weldje  fie  fonft  faum  mit  bem 
eigenen,  oerfd&wiegenen  3$  $u  fpredjen  wagte?  2W  bie  ©ebanfen,  weldje 
in  ben  langen  3aJ)ten  iljrer  Äranfyeit  unter  i^rer  blaffen  Stirn  fid&  gejagt 
unb  gefjefct  Ratten  —  warum  fprubelten  fie  jefct  beroor,  wie  ber  Duell, 
ben  bie  §ade  beä  33ergmann$  geweeft  unb  erlöft  l)at,  unauffjaltfam  vxib 
uneinbämmbar? 

$ie  U^r  fä}fog  jebn  —  unb  grau  oon  Söenbeloro  blitfte  unwiDrurlidj 
auf  baä  3^ff crblatt ;  er  mißoerftanb  biefe  Bewegung  unb  erbob  jid). 

„3$  glaube  betnerft  ju  b<*ben,  baß  Sie  fid?  ftets  fo  früt)  jutücf* 
Siefen  ?"  meinte  er  jögemb.  Sie  wußte  md)t,  ob  er  ben  SSorroanb  ergriff, 
um  iidj  ifjrer  @cfeHf$aft  ju  entjie^en.  3br  bangte  baoor,  eine«  Ruberen 
greibeit  ju  befd&ränfen;  Tie  fagte  beSbafb:  „®ute  91ad)t!"  @r  nabm  bie 
bargereid^te  &anb,  obne  ben  leifen  £>rucf  5U  erwibern,  verbeugte  fid)  unb 
ging  mit  regelmäßigen,  ooHtönenben  Stritten  au$  bem  3immer. 

Sie  war  nun  allein  unb  wollte,  wie  fie  aüabenblidfj  tfyat,  it)r  £agebua) 
weiterführen;  aber  als  fie  e3  aufgefd)lagen  l)atte  —  e3  lag  ftetS  neben 
ityr  —  tonnte  fie  ben  33ltcf  nid)t  oon  bem  blatte  abwenben.  ©3  war 
fef)r  merf  würbig,  baß  ibr  ba3  &er$  gar  nidjt  fo  ooH  mar  wie  fonft;  baß 
ibr  ber  Seufjer,  ben  fie  geftern  hineingetrieben,  nur  nod)  in  ber  @r< 
innerung,  nid^t  im  SBewußtfetn  lebte,  greilidi  war  ifjr  aud)  fjeute  nodb 
unbegreiflich,  weswegen  fie  auf  biefer  (£rbe  auSjubarren  babe,  fie ,  beren 
SebenSintereffe  längft  erftorben  war !  2lber  brauste  fie  be^atb  unaufbörlid) 
an  bem  Unabänberlid)en  ju  rühren?  <5a  mußte  fo  fd)ön  fein,  wie  anbere 
3Jtenfd)en  ju  leben,  nur  bem  2lugenblicf,  ben  fleüten  Setben  unb  greuben, 
nid)t  jiet*  im  Sewußtfein  aller  £ragif  be3  Sd)tcffal3I 

Sie  flappte  ba£  93ud)  5U,  fie  wollte  nid)t  einmal  barin  blättern.  Sie 
wußte  ja  genugfam,  was  barin  ftanb :  tt)r  ganjeS  #er$,  bie  große  bitter* 
feit  unb  bie  nod)  größere  Siebe,  bie  fie  fid)  oorwarf,  weil  fie  il)r  ein  Unredjt 
gegen  bie  eigenen  Äinber  fd)ien.  3ld)  ja,  fie  rannte  nur  ju  gut  all  bie 
Seibitquälereien,  bie  Spifefinbigfeiten  ir)rc^  &er$en3  unb  5topfe£,  weld)e 
bie  einjige  2lbwed)felung  in  ibrem  gleidnnäßig  mit  ibren  ßinbern  oer* 
brauten  Seben  waren.  2Bar  fie  md)t,  bem  Steine  $um  Xrofe,  eine  fd)led)te 
aKutter  gewefen?  Sie  batte  immer  nur  an  ben  $ater  gebaut,  an  iljn, 
ber  aud)  jefct  nod)  ben  3nbalt  it)re«  Sebent  bilbete! 

Unterbeß  war  bie  SBtrtbfdjafterin,  ba3  fogenannte  gräulein,  einge= 
treten,  bie  nad)  uerfd)iebenen  Äleinigfeiten  für  ben  folgenben  £ag  fragte 

„Söoüen  gnäbige  grau  nid)t,  baß  id)2lnna  rufe?  @3  ift  fdwn  fpät." 

„9iein,"  entgegnete  bie  &errin,  „id)  bin  nia;t  mübe!/y  ^löftlicb  aber 
fiel  ibr  ein,  baß  fie  bie  Seute  ja  unnötig  lange  aufzubleiben  nötbigte. 

ift  bod)  reajt  peinlid^,  fo  abbängig  51t  fein,"  badjte  fie  unb 
griff  an  ifjr  SBein.  glaubte,  mir  müßte  bie  Säljmung  gleidjgültig 

fein,  weil  i^  wunfc^loS  bin.  $er  Xoctor  meinte  immer,  e$  fönne  eins 
mal  wieber  beffer  werben,  wenn  ia)  nur  wolle.   2£a3  fann  er  bamtt  ge- 


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296 


  Iltitc  Kremntfc  in  Bufarefi. 


meint  haben?  ^eber  möchte  boch  lieber  gefunb  fein!  £err  2Rarf  Sieger 
festen  jwar  ju  benfen,  oafj  ich  mir  in  ber  ÄranfenroHe  gejtele!  ^nge 
SHänner  werben  jefet  baju  erjogen,  bie  grauen  ju  verachten,  feit 
Schopenhauer  an  ber  SJlobe  ift.    3$  werbe  ihm  aber  eine  beffere 
^Meinung  beibringen.   9Wein  woju?   @s  ift  ja  ciel  bejfer,  wenn  nur 
ungefannt  an  einanber  oorbeijiehen !   2öenn  id)  nur  müßte,  was  tyntex 
biefem  angenehmen  2Ieufjeren  fterft  ?  ^ermann  fagte,  ber  ftärffte  3"9  int 
SJJenfehen  fei  bie  9ieugierbe;  es  roirb  wof)l  9ieugierbe  fein,  baft  id)  immer 
burdj  £errn  9lieger'S  2lugen  f)inburd)  fehen  möchte,  wahrenb  ich  mir  oor* 
rebe,  baf}  es  ber  &inber  wegen  mistig  fei,  it)n  ju  ergrünben.  @r  ift  brei 
Sage  r)ter;  mir  fchetnt  es  fa^on  otel  länger.  S)abet  hatte  id)  ^eute  2lbenb, 
als  id)  fo  lange  mit  ilmi  fprad),  3lngjl,  bafc  id)  eS  thäte,  um  mich  cor  ir)m 
p  geigen;  ein  granjofe  fagt  einmal:  ,3ftan  will  bie  Slnberen  nicht  f ernten 
lernen,  fonbern  ton  ilmen  gefannt  fein!1   25er  fo  oiel  lieft  wie  id),  wirb 
ein  Stücfwerf  frember  ©ebanfen.   SRein  ©ort,  wie  gern  möd)te  ich  in 
ber  Slrmofphäre  gelebt  haben,  aus  melier  er  fommt,  in  welcher  2lUeS  fo 
normal  unb  einfach,  nichts  unnatürlich  ift  —  in  unb  an  mir  war  ftets 
SlUeS  unnatürlich!" 

„Doch  nein,  id)  wollte  mich  nicht  oor  ihm  jeigen;  wirflich  nidt)t,  tdt) 
^abe  gar  nicht  baran  gebadet,  wie  ia)  U)m  erfdjeinen  fönnte.  nur  hat  er 
mtdj  interefftrt,  wie  lange  nichts.  2öarum  nur?  9Wir  ift  bod)  fonfi 
bie  3lufjenfeite  ber  $inge  gleichgültig.  3ft  eS  nur  bie  augenerfreuenbe 
gönn  beS  SWannes,  ober  — " 

Damit  fdjlief  fie  ein. 

Der  „neue  Hauslehrer"  r)arte  feine  fle^e  in  bie  £anb  genommen, 
war  bie  Xreppe  tjinaufgeftiegen  unb  tappte  nun  mit  ber  Unficherheit  eine? 
gremben  bura)  bie  ginfternife,  meldte  baS  in  ber  ^uglnft  flacfembe  2i$t 
faft  noch  oerftärfte,  nach  feinem  ©iebeljünmer.  Sttedjamfch  jänbete  er  feine 
itampe  an,  blies  bie  Kerje  aus  unb  befreite  feine  £anb  oon  ein  paar 
©achströpfchen,  bie  barauf  gefallen  waren;  gleichfalls  mechanifd)  öffnete 
er  ein  Gigarrenfäftdjen  —  er  hatte  eS  oorgefunben  bei  feiner  3ln!unft  unb 
fich  barüber  gefreut  als  über  eine  unerwartete  Slufmerffamfeit.  3Kit  ber 
Sorgfalt  eines;  raffinirten  Taucher«  fchnitt  er  bie  Spifce  ber  Gigarre  ab, 
entjünbete  biefelbe  unb  begann,  mit  ftarfen  Schritten  auf  unb  abgehenb, 
3u  rauchen. 

Sein  3immer  hatte  nid)ts  2Kerf rofirbigeS ,  unb  fein  33ltd  ruhte  auch 
nid;t  auf  einem  ber  in  ihm  oorhanbenen  ©egenftänbe,  fonbeni  ftarrte  leer 
in'*  Söeite,  bura)  bie  SiMinbe  hinburdj.  Ob  er  in  ©ebanfen  oerfunfen 
ober  gänzlich  gebanfentos  umherwanberte,  war  ihm  nidjt'anjumerfen. 

GS  war  ein  richtiges  „Ganbibaten*3immer"  in  tnpifcher  2lu$jtortung : 
eher  ju  grofe  als  511  flein;  ber  ^auSrath  ein  wenig  fdjäbig,  umfomehr  als 
bie  meiften  Stücfe  bec^felbcn  ein  gewiffeS  prätentiöfeS  3luSfehen  hatten,  als 
ob  fie  [ich  befferer  Xa^e  erinnerten  unb  nur  gezwungen  in  ber  ©iebek 


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 IV at  es  £tebe? 


29? 


fiube  auSjuharren  ftd)  ^crablic&cn.  $a  roar  ber  Sdjreibtifch,  ein  gerabeju 
ungläubig  mit£inte  befdnnierteS  9Höbel;  ferner  ber  frachenbe  unb  fcufjenbc 
Schaufelftuf)!,  weiter  in  ben  £agen  fetner  3ugenb  ben  ©lanj  fchroar$er 
Sadirung  unb  prunfenber  Vergolbung  befeffen  ju  haben  behauptete;  an  ber 
langen  SBanb  entlang  brfitften  fich  einige  oerfegen  auSfehenbe  Seberfeffel, 
äffe  mit  einer  djarafteriftifchen  Vertiefung  im  «potfter;  ein  Vüdjerborb,  baS 
ft^6  erfolgreich  in  ber  Nachahmung  beS  fajiefen  Sturmes  oon  $ifa  oerfuä)te, 
unb  fchliefjlich  hinter  bem  burdtfichtigen,  oerfdhoffenen  Vorhänge,  beffen  garbe 
bei  Sampenlicty  nicht  mehr  3U  eruiren  mar,  baS  23ett. 

2)er  junge  2Jtonn  rauchte  träumerifch  weiter  unb  traf  babei  feine  Vor* 
berettungen  sum  Schlafengehen. 

3lber  balb  fah  er,  ba§  er  fich  getäufcht  hatte  —  er  mar  noch  nicht 
mübe  unb  tonnte  nicht  einfä)lafen,  fo  lange  fein  ©eift  no$  fo  eingenommen 
mar  oon  ber  gelähmten  grau. 

3ft  fie  fchön  ?  —  9iein,  nicht  eigentlich-  £übfdj  ?  —  2fach  baS  nicht 
recht.  3Iber  ioaS  in  aller  2ßelt  feifeite  ihn  benn  fo,  roarum  hatte  er  ihr 
23üb  überall  oor  ftdj>?  3a,  fie  mar  boaj  fchön,  nur  ganj  anbers  als  alle 
anberen  grauen!  Sie  mar  fchön,  menn  fie  fpraä),  fchön,  roenn  fie  ihn 
fo  munberbar  anfah,  roährenb  er  fprad),  unb  fchön  oor  2lHem,  wenn  fie 
lachte!  3a,  fie  mar  fchön,  tro|  ihrer  —  foQte  er  fagen  breifeig  3ahr*? 
Sie  imponirte  ihm  mehr  als  irgenb  eine  anbere  grau,  bie  er  btdrjer  ge* 
fannt  hatte.  6r  hätte  fidt)  überhaupt  nicht  gebaut,  bafj  eine  grau  ihm 
mürbe  imponiren  fönnen,  nein,  niemals! 

3a,  menn  fie  nidjt  gelähmt  märe,  menn  fie  feine  ftinber  hätte,  roenn 
er  oon  ihrem  Stanbe  märe  unb  reich  unb  flug  —  er  fuhr  auf  aus  bem  #alb* 
fdjlaf.  3)ie  Gigarre  mar  feinen  Sippen  entfallen,  unb  ein  leifer  brenjlicher 
©erud)  ftieg  ihm  in  bie  Sflafe:  ja,  ba  mar  ber  f leine  gefd)roär$te  gled  auf 
bem  Seintuch.  (§1  brüdte  baS  geuer  beS  (SigarrenrefteS  aus  unb  fchleuberte 
ihn  tn'S  Limmer  hinein^  bann  fud)te  er  ben  gaben  feiner  ©ebanfen  roieber 
anjufnüpfen,  roo  er  geriffen  roar.  Mein  es  ging  niä)t,  in  feinem  .§irae 
oerroirrte  fich  2llleS,  er  brehte  fich  auf  bie  anbere  Seite,  unb  alsbalb  befie[ 
ihn  tiefer,  traumlofer  Schlaf. 

*  * 
* 

grau  Suifa  oon  SBenbeloro  pflegte  frühmorgens  3U  ermaßen;  bann  hatte 
fie  ihre  fchlimmfte  3^t:  ber  £ag  fah  fo  grau  aus,  roenn  er  fo  lang  oor 
ihr  lag;  fie  fühlte  fich  fo  mübe,  als  fönne  fie  ihn  unb  alle  ihm  noch 
folgenben  nicht  Durchleben.  ?iie  fam  fie  fich  fo  hülflos  oor,  als  roenn  baS 
erioachenbe  Seben  ihr  all  bie  Pflichten  in  Erinnerung  brachte,  welche  Tie 
nicht  mehr  511  erfüllen  im  Stanbe  roar.  2öie  ein  2Ilp  lag  ihr  bann  bie 
Sorge  um  ihrer  flinber  Erhebung  auf  ber  Vruft;  fo  aud)  heute  morgen, 
©eftern  9lbenb  roar  ihr  plö&lich  fo  leia)t  su  Sinn  geworben  —  aber  baS 


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298    mite  Krcmnifc  in  Bnfarefi.   

war  ein  Eraum  unter  ber  Sampe  gewefen,  ber  tm .  nüd&ternen  fiidfct  beS 
anbreajenben  Xages  oerflog. 

2Sarum  fottte  ber  2Rann,  bem  fie  it)rc  ßinber  anoertraut  &atte,  nun 
gerabe  etwas  SefonbereS  fein  ?  Sie  befafc  ja  bie  letbige  2lngewofmf)eit  beS 
SfoealifirenS:  tyitte  fte  nid&t  Anfang«  felbft  baS  unauSfteljlid&e  graulein 
Sdjulj  reijenb  gefunben,  wetaje  bod)  jwei  3fa^re  lang  bie  flinber  geplagt 
unb  bem  ganjen  &aufe  baS  Seben  oerbittert  fjatte?  £ura)  gräulein  ©d&tüy 
ßleinliajfeiten  war  fie  su  bem  ©ntfdjlufe  gebracht  worben,  einen  ßefjrer  $u 
fud&en.  $ie  befdjränfte,  gejterte  ißerfon  f)atte  if)r  £öd)terd)en  fo  einge- 
fcpd&tert,  bafe  eS  bie  Slugen  nid)t  mefjr  aufjufd)(ageu  wagte;  unb  ber  ^unge 
war  ganj  unbänbig  geworben,  immer  mißmutig  unb  unluftig  $ur  Arbeit 
Sie  Ratten  aufgeatfnnet,  als  fie  bann  fxdj  felbft  überladen  waren,  §exx 
Sieger  falj  {ebenfalls  beffer  aus  als  gräulein  Sdjulj!  grau  r>on 
Sßenbelow  mürbe  nun  förmlid)  oon  einem  roeljen  ®efüf)l  burd)$udt,  als  fie 
baran  bad)te,  bafj  fie  nie,  wie  tfjre  Xodjter,  oon  beS  Selkers  intelligenten 
9lugen  burdjfdjaut,  oon  feinen  feften  £änben  geleitet  werben  fonnte.  25emt 
mübe  unb  fdjmadj,  wie  fie  frühmorgens  fid)  füllte,  feinte  fie  ndj  na<$ 
einem  £alt. 

,,.§offentlidj  f>aben  meine  Äinber  nid)t  meinen  Gfynattex,"  feufjte  fie 
halblaut;  aber  als  fie  barüber  nadjbadjte,  ob  biefelben  mit  bem  ßjjarafter 
if>reS  Katers  glücflidjer  fein  würben,  warb  fie  nur  nod)  trüber  geftimint- 

©nbliaj  Tegte  eS  fidj  im  $aufe,  bie  Wienerin  trat  ein,  unb  bie  ums 
fiänbli($e  Toilette  begann,  wäl)renb  bie  Äinber  oon  beiben  Seiten  an  bie 
£§fir  polten  unb  balb  biefe,  balb  jene  SluSfunft  oerlangten. 

33eim  grüfjfrücf  faf)  grau  oon  SBenbelom  ben  neuen  ^auSgenoffen 
prüfenb  an,  ob  er  nod)  wü&te,  was  fie  geftern  2Ibenb  3llfeS  gerebet;  unb 
ob  er  aud)  gemerft,  wie  fdmeH  fie  einanber  oertraut  geworben,  —  unb  ob 
er  fid)  oiefleid)t  barüber  gewunbert  f)abe?  Sein  fdjöneS,  ruhiges  ©efidjt  fa$ 
aber  fo  fremb  brein  wie  am  oorigen  3J?orgen,  unb  er  fjatte  augenfd)einli($ 
weber  an  fie  nod)  an  bie  gemeinfame  Unterhaltung  gebadet.  2Barum  follte 
er  aud)?  3f)m  fdjien  es  oieHeid&t  ganj  natürlid),  bafj  fie  fo  lebenbig  na$ 
fo  oielem  gefragt  unb  if)m  fo  oieleS  gefagt  fjatte;  für  ifm  war  es  oielleidjt 
nidjts  als  eine  ber  Unannetymltdjfeiten  feiner  Stellung,  baß  er  mit  ber 
SJhttter  feiner  3öglinge  fo  unb  fo  oiel  Stunben  beS  £ageS  sufammeufein 
unb  fpred>en  mußte! 

$ie  inber  gingen  mit  bem  fiefjrer  in'S  S$ul$immer,  unb  fte  fajrieb 
Briefe;  juerft  an  ifjren  33ruber,  ber  wegen  ber  ©efunb&eit  feiner  grau  ben 
hinter  in  Italien  $ubraä)te.  Sie  wollte  tym  aud)  über  ben  neuen  Seljrer 
fdjreiben,  unterliefe  es  aber,  weil  fte  meinte,  bod)  no<$  fein  rid)ttgeS  Ur-- 
tfjeit  abgeben  $u  tonnen,  ©erabe  als  fte  ben  33rief  ooflenbet  fjatte,  fam  $err 
Sieger  in'S  Limmer.  SRod)  nie  war  er  ungerufen  ju  if)r  eingetreten;  eS 
war  baS  erfte  3flal,  baß  er  eS  aus  eigenem  Antrieb  tljat,  unb  fie  Ijatte 
barüber  eine  fo  große  greube,  baß  fie  rotl)  mürbe. 


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IVat  es  £tcbc? 


299 


„$aS  Söetter  ift  ^cutc  ^errlid^/'  meinte  er  unb  blieb  an  ber  anberen 
Seite  beS  Ofen«  fielen. 

,,©inb  mir  fo  oerlegen  um  ein  ©efprächSthema,  baß  wir  sunt  SBetter 
greifen  müffen?"  fragte  fie  fdjalfhaft. 

„2Bie  fo  ?"  entgegnete  er,  unb  ein  Sätheln  erleuchtete  feine  faltfarbenen 
3lugen.   „SBarum  foßte  man  nicht  auch  einmal  über  baS  SBetter  reben?" 

„3<h  habe  (eiber  feine  meteorologifdjen  ilenntniffe,"  meinte  fie  unb 
betrachtete  babei  fein  f)fibfdje3  ©eficht,  wäljrenb  fie  backte,  wie  ftolj  fie  als 
Butter  foldj  eines  jungen  Cannes  fein  mürbe.  Vielleicht  ahnte  er  ihre 
©ebaufen,  benn  fein  (Kolorit  rourbe  wärmer  unb  in  feine  Slugen  fam  ein 
gelbeS  £i$t,  über  welchem  grau  oon  Sßenbelow  ganj  unb  gar  uerga§, 
weiter  ju  fprechen. 

$a  rourbe  ber  Slrjt  gemelbet,  unb  ber  junae  9Wann  am  Cfen  entfernte 
fidt)  wortlos.  3w  ber  £t)ür  begegneten  fi<h  bie  betben  SJtänner;  ber  $octor 
warf  bem  9lnberen  im  Vorübergehen  einen  prüfenben,  fdjarfen  Vlicf  ju, 
ben  biefer  jeboch  mdt)t  beamtete. 

„3)te  neue  Slcquifition?"  fragte  er  nach  oen  erto  Begrüßungen, 
inbem  er  fich  sur  umroanbte. 

„(Sie  meinen  ben  Selker  meiner  fltnber?"  entgegnete  fie  fühl. 

„2öie  macht  er  fich  ?" 

„darüber  lägt  fich  noch  urteilen,"  antwortete  fie,  baS  Ehema 
abbrechenb. 

$te  2Crt  unb  2Beife  ber  grage  hatte  fie  offenbar  oerlefct,  fo  baß  fie  nicht 
mein*  £ufl  hatte,  bem  £octor  mitjutheilen,  was  fie  fich  am  borgen  au«» 
gebaut,  nämlich,  baß  fie  Durchaus  gefunb  werben  wolle,  unb  baß  er  baS 
Unmögliche  an  ihr  oerfuchen  müffe. 

©ie  fagte  ftatt  beffen:    „Unb  wie  geht  es  bei  3fmen?" 

„D,  Diele  ©orgen,  wie  immer.  $ie  Sleltefte  Imftet,  meine  ©djwefter 
liegt  mit  ihrer  Migräne  fdjon  feit  bret  Sagen;  ©ie  wijfen  gar  nicht,  wie 
gut  ©ie  es  höben,  fo  ein  ruhiges,  behagliches  &auS!" 

„D,  $>octor,"  fagte  fie  Beriefet,  „ich  bin  wohl  bie  Sefcte,  welche  ©ie 
beneiben  Dürften!" 

„2Barum?  ffieil  ©ie  einmal  Unglücf  gehabt  haben?  2lber  bie  meiften 
SWenfchen  haben  mehr  als  eins!" 

©ie  fchwieg,  unb  er  fuhr  fort,  über  fein  §auS  $u  flogen,  unb  griff 
bann  nach  feinem  $ut. 

„2Ufo  2lü"eS  beim  Slltcn?"  fragte  er  beim  fortgehen. 

©ie  erwiberte:  „3a,"  ohne  alle  bie  gragen  an  ihn  ju  richten,  bie  fie 
auf  bem  £erjen  gehabt  hatte,  unb  er  trat  hinaus.  draußen  aber  mußte  er  fich 
eines  anberen  befonnen  höben,  benn  er  wanbte  fich  um  unb  fragte  an  ber 
2f>ür  baS  2Käbd)en,  wo  ber  neue  Hauslehrer  [ei?  ©ie  wies  ihn  in'S 
©chuljimmer.  £ier  traf  ihn  ber  $octor,  wie  er  auf  unb  abget)enb, 
feinen  ©chülem  ein  beutfcheS  ©ebicht  bictirte.   9toa)bem  er  fich  ihm  t>or* 


300   JTtite  Kremnifc  in  Bnfarej*.   

geftellt  f)atte,  fragte  er  ifm  etwas  brüsf :  „könnten  Sie  ben  ßinbern  ntdjt 
eine  Heine  ^aufe  gerodeten?" 

„Hd)  ja!"  rief  ©ri$  unb  fprang  fdjon  auf. 

„2öie  Sie  wünfdjen,"  antwortete  ber  junge  2J?ann  sögernb. 

„Sann  oorwärts,  JUnber,  in  ben  ©arten  auf  eine  SHertelftunbe,"  rief 
ber  Doctor,  naf)tn  olnte  weiteres  ^ßlafe  unb  wies  auf  einen  jweiten  ©tut)l 
mit  einer  fo  beraubten  &erablaffung,  bafc  ber  iüngere  2J?ann,  beffen  (3e- 
fidjt  fonft  fo  unbeweglich  mar,  leife  bie  Augenbrauen  sufammen^og. 

„Sie  fmb  r)ier  in  feiner  leisten  Stellung/'  begann  ber  2lrjt. 

„$($  finbe  fie  angenehm,"  entgegnete  ber  Angerebete  füf)l. 

„$Seil  Sie  faum  angefommen  ftnb.  grau  oon  2Senbelow  ift  im 
©runbe  eine  auSgejeidmete  grau,  aber  f)öd)ft  neroöS  unb  reijbar." 

2)er  junge  SJJann  fdjwieg. 

„darauf  müffen  Sie  9?ficffid)t  nennen,  Tie  ift  eben  franf,  ober  glaufrt 
es  wenigstens  ju  fein." 

©r  erwiberte  nod)  immer  nidjts,  obgleid)  er  gern  gefragt  f)ätte,  toaS 
baS  eigentlich  für  eine  ^ranfr)eit  märe ;  aber  er  wollte  bem  tactfofen  2)larme 
nidjts  uerbanfen,  nid)t  einmal  eine  lufflarung. 

„Sie  nimmt  immer  bie  Partei  ber  ßtnber.  2Bie  fyat  bie  frühere  ©r* 
jiefierin,  gräulein  Sajulj  —  eine  auSgejeidjnete  Same,  mit  ber  meine 
Sd)wefter  innig  befreunbet  ift  —  barunter  gelitten!  Unfertroegen  r)at  bie* 
felbe  es  5wei  ^aljre  ausgemalten,  aber  länger  ging  es  eben  nid)t.  gür 
Sie,  einen  Wann,  ift  bie  Stellung  einer  neroöfen  grau  gegenüber  aller* 
bingS  leidjter." 

„inwiefern  ?"  fragte  er  fd>arf. 

„9ta,  einem  SHanne  gegenüber  fmb  foldje  grauen  meift  milber." 
„SaS  uerftelje  ia)  nid)t." 

„6r  imponirt  iljnen  mef)r.  SaS  mar  ja  audj  baS  llnglücf  in  biefer 
<5f)e,  bafc  fic  fid;  2lu*eS  gefallen  liefe;  fonft  wäre  eS  nie  fo  weit  gefommen!" 

„a>on  biefen  fingen  weife  i<$  nidjts;  unb  fte  gefjen  midt)  aud>  nichts 
an,  ba  id>  midj  nia;t  mit  ber  2flutter,  fonbern  emsig  mit  ben  flinbem 
abzugeben  f)abe." 

„SaS  glauben  Sie;  aber  bie  Sdjwierigfeiten  *3^rer  Stellung  fommen 
eben  oon  ber  Butter  !" 

„9?un,  id)  bin  ja  nia)t  gebunben,  ia)  fann  jeben  Eag  mein  93ünbel 
fd&nüren",  meinte  er  leidem. 

„Sei  foldjer  Senfart,"  fiel  ber  Soctor  lad&cnb  ein,  „werben  Sie 
gut  burdj  bie  2Belt  fommen  —  bod&  i<$  will  nid&t  länger  froren."  (rr 
ftanb  auf;  aus  biejem  3ttenfd(jen  war  nidjts  fjerauSsubefommen,  wcmgftenS 
niajt  fo  fd&neff.   Sarum  najnn  er  feinen  &ut  unb  ging  fort. 

SHieger  ging  nod)  eine  2£eile  im  3iminer  <mf  unb  ab,  ef>e  er  bie 
Äinber  hereinrief.  SßaS  fonnte  ber  Soctor  gewollt  haben?  (sr  hatte  ein 
unbehagliches  ©efül)l,  baS  er  ftdj  nicht  erflären  fonnte.   2klb  aber  fa)lug 


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  Wav  es  ftebe?   30\ 

er  e$  fia)  aus  bem  Sinn:  was  ging  ifa  3wu  o.  ,2Benbelow  unb  Ujr 
2lr$t,  i^rc  wirflicfce  ober  cingebilbete  5lronf^eit  weiter  an?  <Sr  na^m  fid^ 
oor,  fnnfort  bie  2lbenbe  auf  feinem  3immer  $u  verbringen  unb  $u  arbeiten. 

©ine  2Boa)e  &inbur$  führte  er  baS  wirflid)  au«,  bis  fie  tyn  einmal 
birect  aufforberte,  iljr  etwa«  oorjulefen. 

„Sie  galten  miä)  nia)t  für  unbefdjjetben  ?"  fragte  fie  unb  faf)  ifm 
prüfenb  an.   „Sie  motten  niä)t  etwa  arbeiten?" 

„3ä)  lerne  ja  aud)  In'er,"  entgegnete  er  ausweichend 

„23itte,"  fagte  fte  rotf)  werbenb,  „tinin  Sie  mir  baS  niä)t  an,  gegen 
3fyren  SBüIen  bei  mir  ju  bleiben ;  benfen  Sie  nur,  wie  mein  Stolj  bei 
bem  ©ebanfen  leiben  würbe!" 

$abei  traten  i^r  bie  frönen  in'S  Huge. 

,,3d)  bin  fefjr  glücflid&,  wenn  Sie  mir  geftotten,  Sie  ju  unterhalten!" 
beeilte  er  ftä)  ju  fagen  unb  naljm  einen  23anb  ©oetfje  jur  &anb.  „Sie 
ermähnten  geftern  feine  Sprühe  —  fott  idj  ^nen  einige  oorlefen?" 

6r  faf>  fie  niä^t  an,  bamit  fie  ifjre  ^ränen  fd^neU  oerfd&lucfen  fönnte ; 
als  fie  i^m  aber  niä)t  antwortete,  bliefte  er  boä)  auf.  ©ie  erften  ^ränen 
waren  über  ü)re  SBangen  gerollt,  aber  fdjon  fammelten  ftd)  neue  in  if)ren 
großen  2lugen.  „SBerjeihen  Sie  mir;  aber  es  ift  ja  fo  natürliä),  weim 
id)  äberempfvnb(ic$  bin!" 

„©ewifj,  es  mufc  fä)recfli<$  fein,  immer  franf  bajuliegen." 

„D  nein,  ntd&t  barum!  3d)  meine,  wegen  ber  traurigen  ©rfa^rungen, 
bie  icf)  gemalt  habe  — " 

<5r  fal)  fie  oerblüfft  an. 

„&at  man  es  Zfonen  benn  nidjt  gefagt,  ehe  Sie  bie  Stellung  in 
meinem  ftaufe  antraten?" 
„3BaS  benn?" 

„$)af?  ich  feine  SBittwe  bin,  fonbern  eine  oerlajfene  grau!" 

Sie  weinte  niä)t  mein*,  fonbern  fah  ihn  gefpannt  an;  aber  in  feinem 
©ejicftfe  regte  ftd)  nichts,  er  bliefte  oor  ftä)  herunter,  unb  feine  £änbe 
fpietten  mit  bem  !öuä)e. 

„&atte  man  es  Ql)nen  wirflidj  nidjt  gefagt?"  fragte  fie  noä)  einmal. 

„Stein,"  antwortete  er  furj. 

„Unglaublich,  nicht  wahr?"  fagte  fte,  unb  if>r  SRunb  30g  ftch  fteif  unb 
feft  über  ben  Keinen  3^nen  jufammen.  „Unglaublid),  bafe  eine  grau  wie 
id)  oertaffen  werben  fann!"  Sie  lachte  höfmifa)  auf.  „3$  Ijätte  es  auch 
nie  geglaubt,  aber  es  ift  boef)  wahr!" 

$aS  Caasen  war  oerjd&wunben;  eine  furchtbare  SKübigfeit  lag  auf 
bem  ©eftdjt,  als  9tieger  fte  nach  einigen  Minuten  beS  Schweigens  an* 
bliefte.  6r  wufcte  nichts  ju  fagen,  unb  fie  fd)ien  eS  aud)  nicht  ju  er* 
warten,  benn  wieber  begann  fie,  oor  ftd)  Inn  ftarrenb:  „hätten  Sie  ifm 
gefannt,  fo  würben  Sie  begreifen,  bafc  td)  baran  ju  ©runbe  gehe!" 

$löfcli<h  mufjte  fein  Schweigen  ihr  auffallenb  fein.   „So  fagen  Sie 


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302 


mite  Kremnifc  in  Sutareft.   


bodj  etwas!  ©agen  ©ie,  baß  ie$  nid»t  ju@runbe  gef>en  barf,  ber  ftinber 
wegen!  3rgenb  fo  einen  örocfen,  ben  alle  SBelt  mtroormtrft!  —  gtnben 
Sie  benn  fein  2Bort?  ©tößt  eS  ©ie  fo  fe^r  ob,  erfäeint  e3  $f)nen 
unweibli<$,  baß  ia)  3lmen,  bein  gremben,  bem  jungen  SWanne,  mein 
ganjes  ßeib  oorftage?" 

23ei  biefen  wilb  fyerauSgeftoßenen  SBorten  faty  fie  fo  oeränbert  aus, 
baß  er  fie  wie  gebannt  betrachten  mußte. 

„2öaS  foH  ld)  reben  über  ftinge,  bie  idj  nid)t  oerfte^e  ?  (Sin  IHaim, 
ber  feine  grau  ©erläßt,  ift  ein  ©$uft;  unb  wie  man  an  folgern  Spanne 
Rängen  fann,  oermag  idj  nidn"  ju  begreifen!" 

,,©te  fjaben  iljn  eben  nid)t  gefannt,"  fagte  fie  meid)  unb  leife,  „unb 
idj  muß  bodj  aud)  Diel  ©djulb  gehabt  f)aben  —  feit  wie  oielen  S'agen 
unb  SRädjten  grüble  id>  barüber  nad;!  2Eorin  lag  fie  nur?  $d)  finbe  fie 
nidjt!  2lber  fie  muß  bagercefen  fein  —  auf  beibcn  ©eiten!" 

„5Barum?  Sßenn  ber  $abiä)t  bie  £aube  frißt,  was  ift  bie  ©$ulb 
ber  £aube?" 

„Qai  oerfieljen  ©ie  wirflid)  ni$t,"  entgegnete  fte,  „unb  jebenfafls 
mar  idj  feine  £aube." 

„(£ridj  glaubt  aber,  baß  fein  SBater  tobt  ift" 

„$aS  foll  er  au<$,"  unterbrach  fie  ifm.  „2£enn  ©ie  müßten,  mit 
welcher  2lngft  idj  in  ben  3ößen  meiner  fttnber  fudje,  ob  aud)  feine  3lebn= 
lid)fett  barinnen  liegt!  2Bie  oft  giebt  eine  ^Bewegung  beS  ÄoofeS,  eine 
3ntonation  ber  ©timme  mir  einen  ©tid)  in'«  §erj,  weil  fie  bie  beS  SBaterS 
finb  —  befonberS  bei  meinem  2Käbd)en!  2ld)  ©Ott,  bie  SHatur  fann  boa) 
nidjt  fo  graufain  fein  unb  SJefmlicbfeiten  mit  bem  Alarme  fdjaffen,  ber  fein 
^erbienft  an  meinen  Meinen  f>at,  nur  bie  ©dmlb  an  iljrem  ©ein!  ©iebt 
es  beim  23aterred)te  ofme  $aterofli(f>ten  ?  3Iber  nid&t  waljr,"  bra<$  fie  ab, 
„welche  Diomangefdnajte!  9lun  graut  3(men  oor  mir?  ©ie  waren,  Ratten 

©ie  baS  gemußt,  nidjt  in  mein  &auS  gefommen?  ©o  fpredjen  Sie 

es  bod)  aus,  id)  weiß  eS,  idj  fcrje  eS  an  ffien  3lugen!  Unb  nun 

wijfen  ©ie  and),  warum  unb  feit  mann  id)  gelähmt  bin!" 

©r  fonnte  fein  2ßort  herausbringen,  eS  mar  ü)m  wirflidj,  als  ob  fte 
eine  Slnbere  geworben  wäre,  als  ob  fie  gar  nid&t  3U  feiner  2Belt  gehörte. 

„2i>ie  lange  ftnb  ©ie  es?"  fragte  er  föließli*. 

,,©S  finb  etwas  über  brei  %atyxt  »ergangen,  baß  er  mid)  um  einer 
feiner  (Beliebten  willen  oerließ  —  er  glaubte  es  iln*  fdmlbig  ju  fein  — 
eines  SBaftarbS  wegen/'  fagte  fie  falt. 

SDiarf  fjätte  gern  me^r  gewußt,  aber  es  war  ntdjt  feine  2lrt,  ju  fragen. 
©0  blätterte  er  in  ben  ©oetlje'fdien  „©prüdjen  in  Sßrofa".  ©r  las  laut: 
,£er  &anbelnbe  ift  immer  gewiffenloS:  es  $at  9ftemanb  ©ewiffen  als  ber 
33etrad)tenbe.* 

„£aS  oerftel;e  ic^  nid)t/'  fagte  fte,  unb  feine  £rt  unb  SBeife  war  i^r 
plöfelid)  ganj  uerfjaßt. 


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Wav  es  Siebe? 


Ö03 


3hr  war,  da  l;abe  man  fie  auf  offene  Söunben  getreten.  2öie  hatte 
fte  fta)  nur  oor  bem  2Ranne  folche  flögen  geben  fönnen?  $abei  hatte  Tie 
ba*  ©efütjl,  all  fönne  fie  jefct  nid)t  prüd,  als  müffe  fie  mehr  fagen,  als 
fei  e§  boci)  niä;t  möglich,  ba&  er  gar  fein  3ntereffe  für  fie  hege.  Ober 
roar  Tie  nur  fo  erregt,  bafj  fie  ihrer  felbft  wegen  fpredjen  mujjte? 

„(Sine  fd)öne  JJrau  jog  it)n  immer  an  —  er  hatte  ja  eine  ßünftler= 
natur!  3<h  TO^r  nie  fdjön,  obgleich  er  mid)  natürlich  einmal  fctjön  ge» 
funben  fjaben  mujj;  vielleicht  mar  ba$  ber  ©runb,  unb  id)  mar  heftig  unb 
meinte,  weit  mir  uns  liebten,  bürfte  td)  ir)m  9Iu*e3  Jagen  —  ©erflehen  Sie 
ba3?  Stein,  Sie  brausen  nidjtg  ju  antworten,  id)  fet)e  es  fdjon.  —  Unb 
bann  meinte  id),  ber  URenfct)  fönne,  ma$  er  wolle;  er  jebocr),  er  wollte 
immer  ÜlüeS,  was  er  irgenb  fonnte,  unb  nocr)  mer)r.  5Da3  muffen  Sie 
3Itte5  bebenfen,  wenn  Ste  ben  tfnaben  erziehen,"  fe^te  fie  ^inju.  „gallS 
er  bem  SBater  ähnlich  wirb  —  bann  —  bannbringe  ich  ir)n  um,  ifm 
unb  mxtyl" 

Sie  bebecfte  ir)r  ©eiicr)t  mit  beiben  &änben.  Sieger  faß  ba  unb 
wu&te  nidt)t,  wie  ba3  ©efprädj  in  ruhigere  33afmen  ju  lenfen  fei.  SBar 
bieS  biefelbe  Jrau,  bie  bi$t)er  £ag  für  Xag  fo  ruhig  unb  lädjelnb,  ir)m 
weit  überlegen,  mit  ihm  gef proben?  bie  mit  bem  £eben  fertig  fein,  bie 
nur  no<$  für  tr)re  flinber  leben  wollte?  2Bie  war  baS  S3ilb  oer5errt,  ba$ 
er  fidt)  oon  ber  füll  trauemben  SBittroe  gemacht!  2Sar  fie  ir)m  menfd)licr) 
näher  gerüdt,  nun  ba  er  fie  in  it)rer  ganzen  leibenfdjaftlidjen  Unuolls 
!omment)eit  gefeiert  hatte?  @r  wußte  es  nid)t,  er  wußte  nur,  baß  er  aus 
ber  $einlia)feit  befreit  fein  wollte,  fie  berart  fidt)  gegenüber  $u  f el)en ;  aber 
er  fonnte  nict)t  juerft  fprect)en. 

„£)a3  t)eifjt  man  »neroöS1,  $err  Sieger,"  fagte  fie  ptöfeliä}  mit  oer* 
anberter  Stimme,   „$aben  Sie  fid)  bie  Heroen  fo  oorgefteßt?" 

„3$  r)abe  mir  überhaupt  feine  Söorfiellung  oon  Heroen  gemalt/' 
entgegnete  er  unb  ftanb  auf. 

//3<$  fd)äme  mid)  fo,  berart  mit  3hnen  gefprodjen  ju  haben;  fönnen 
Sie  mir  benn  md>t  barüber  forthelfen  ?  Steine  ic$  Shnen  r»er  ältlich?'' 
fragte  fie  leife. 

„Wein;  aber  fo  furchtbar  unglüdlicr),  baß  ich  wortlos  baoorftehe." 

„3dt)  banfe  3fmen  für  bie  Sleufcerung,  —  unb  nun  motten  wir  un« 
für  heute  trennen.  UebrigenS,  warum  fahren  Sie  nie  in  bie  Stabt?  SHeijt 
ba$  £r)eater  Sie  nicht?  Cber  all  bie  »ierpaläfte?  3dj  wollte  3hnen  baä 
ld)on  lange  fagen.  Sie  wtffen,  bie  ^ferbebatmen  fahren  bis  fpät  in  bie 
91aa)t  t)ier  hinauf,  unb  junge  SJiänner  bleiben  boch  eigentlich  ungern  2lbenb$ 
ju  fcaufe!" 

6r  uerbeugte  fia)  unb  oerliejs  fie. 

2ttö  fie  allein  war,  brach  fie  jufammen. 

„2Ba3  tft  eä  nur,  ba«  9llle$  wieber  lebenbig  madht,  ate  ob  e^  geftern 


30^    mite  Krcmnifc  in  Burateft.    -  - 

gefdfjehen  märe!  3$  barf  nie  roieber  ben  91benb  mit  ihm  allein  anbringen; 
fein  ©efid^t  reijt  mich  jum  SReben,  unb  ich  will  nichi!" 

Sttarf  ging  unterbeffen  in  feinem  Simmer  auf  unb  ab.  £r  ^atte  oer- 
gejfen,  ftch  feine  ßtgarre  an$usünben;  er  badete  nur,  bafc  er  ben  TOann 
auffuerjen  müßte,  roo  er  auch  fei  in  ber  Seit,  unb  ihn  erwürgen. 


<S$  mar  Sonntag,  unb  grau  non  ©enbeloro  r)atte  mit  ihren  Äinbern 
£otto  gefpielt  um  StnaUbonbonä  unb  anbere  Süßtgfeiten.  9Harf  Sieger, 
ber  baju  gefommen  war,  machte  ber  2flutter  SlbenbS  ben  SBorroutf,  bafj  fie 
bieflinber  ju  ferjr  üerwöhne.  Sie  aber  meinte  ladjenb :  „3$  weiß,  roie 
Sie  ju  ber  Semerfung  fommen.   $)er  $octor  hat  fie  auf  bem  ©ewiffen." 

$)a  3J?arf  gerabe  an  bed  $octor3  Ausfälle  hatte  benfen  müffen,  fo 
niefte  er  halb  lädjelnb. 

„2>abei  ift,"  fuhr  fie  fort,  „fein  Vorwurf  nur  fo  eine  Keine  männliche 
SRadje  bafür,  baß  ich  jfeine  Anbetung  nicht  erroieberte.  Unb  ehrlich  ge« 
ftanben,  eä  märe  bodj  ju  otel  »erlangt  gewefen,  baß  ich  micr)  für  ihn  hätte 
begeiftem  foHen!" 

„Sßarumr"  fragte  er,  um  ihr  $u  wiberfpredjen.  „3$  glaube,  e£ 
ift  ein  ehrenhafter  2Hann." 

„2lber  bei  ber  Siebe  fommt  es  auf  @hren^aftigfeit  meift  nicht  an! 
Siebe  fasert  fid)  nid)t  um  unfeve  ©infta)t  unb  unferen  SBißen!" 

„Sßad  nennen  Sie  SBiHen?" 

„2öa3  3^ber  fo  nennt!  bleiben  Sie  mir  mit  Sfoxen  p^Uofop^if^en 
Spifcjinbigfeiten  fern!  34  weiß,  Sie  wollen  wieber  an  unier  £ifcr)ges 
fpräd)  anfnäpfen;  aber  id)  fann  nicht  anberS  —  nennen  Sie  e£  einen 
SRangel  meiner  geiftigen  Crganifation  —  ich  fann  nid)t  an  ber  greirjeit 
be$  SBtUenS  jweifeln." 

„Unb  mein  ganjeS  ethifdjes  Softem  ift  auf  ber  Unfreiheit  beSfelben 
aufgebaut  !"  entgegnete  er. 

„2Jber  id}  weil  bodj,  baß  id)  oft  im  ßeben  etwa«  ^ätte  thun  mögen, 
waä  ia>  nicht  getfjan  habe,  weit  meine  Vernunft  ftärfer  war  als  mein 
2öunfd),  £rieb,  ober  roie  Sie  es  fonft  nennen!" 

„Sehen  Sie!  Sie  fonnten  alfo  nicht,  wa$  Sie  wollten;  Sie 
mußten  genau  fo  hanbeln,  roie  Sie  hobelten!" 

„<&  bringt  mich  aber  außer  mir,  roenn  Sie  baS  fagen!  Kenten  Sie 
fid),  jefct,  gerabe  jefet  hätte  ich  bie  allergrößte  Sujt,  eine  furchtbare  Dummheit 
ju  machen;  aber  ich  mache  fie  nicht,  benn  ich  barf  niety!" 

„Xann  haben  Sie  eben  feine  Suft!" 

3hr  m&  ftreifte  ihn  flüchtig;  fo  herauSgeforbert  pflegte  Tie  meift 
mehr  ju  fagen,  als  wahr  mar.  Unb  bodj  wäre  e*  in  biefem  5lugenblicfe 
SEßahrheit  geroefen,  wenn  Tie  ihm  aefagt  hätte,  fte  ftänbe  im  begriff,  ft$ 
in  ihn  su  oerlieben!  „Wahrheit  i|t  aber  boch  nicht«  93orübergehenbe3;  unb 


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War  es  £iebe? 


305 


2ßaf)rf)eit,  bie  nur  furje  3«ü  3tid^  l)ält,  ift  birect  Unnmfn'fjeit !"  flog 
it)r  burdj  bcn  Sinn,  roäf)renb  fic  bcn  Ölicf  ju  if)m  jurücflenfte.  2Öar  es 
nur  bic  Sßtrfung  tyrer  eigenen  ©ebanfen,  bafe  er  iljr  plöfolid)  oeränbert 
auafaf),  ober  wareä  roirfltd)?  Seine  Slugen  Ratten  fi<^  mit  einem  Soleier 
überwogen,  unb  ftatt  be3  flaren  Straff  flacferte  in  ir)nen  ein  unseres 
&i<fct;  er  oermieb  augenfd&einlicf)  i^ren  23li<f.  &atte  er  roirflid),  mit  ber 
^einfüfjligfeit  feltener  SRenfdjen,  baä  Unauägefprod&ene  oerftanben? 

$abei  nmrbe  e3  fjeifeer  im  3intmer,  ™n  2lugenblicf  ju  2lugenbli(f. 

„2LUr  wollten,  glaub'  id),  etwa*  lefen,"  meinte  fie  bekommen,  um 
ba*  peinliche  Sd)roeigen  ju  breiten.  <5r  reichte  it)r  roortloä  ein  &eft,  ba3 
oor  $m  gelegen  t)atte/  über  ben  £ifd);  fie  fdjlug  es  aber  ntd&t  auf.  @S 
mar  ein  merfioürbigeS  2Bo&lgefüf)l,  ein  beraufäenber  3auber  in  biefem 
Schweigen,  ba$  fie  fid)  ni<$t  fäfn'g  füllte  ju  brechen  —  trofc  ber  eigenartigen 
üKngjt,  bie  ifcr  baS  Ölut  in  ben  Äopf  trieb  unb  bie  S3ruft  äufdmürte. 
SHarum  aber  fdjnrieg  er?  @r  Ijatte  boct)  nid)t  genau  biefel6en  ©mpfinbungen ? 

„3$  fann,  roa$  id)  toill,"  fagte  fic  plöfcli<$  laut,  roie  im  3lerger; 
„unb  id)  null  ni$t  lefen!" 

„2Bir  fönnen  ja  aud)  reben,"  meinte  er,  unb  feine  Stimme,  bie 
gleichgültig  flingen  foüte,  ^atte  etroaä  £onlofe$. 

Dieben,  wenn  fo  oiel  UnauäfpredjbareS  in  ber  fiuft  lag !  tybex  ©egen= 
ftanb,  ber  il)r  bur<f>  ben  Äopf  flog,  mar  ein  brennenber.  Unb  bod)  mu§te 
fie,  nidjt  er,  biefe  2ltmofpl)äre  reinigen!  9lur  (Sin  erlöfenbes  Söort!- 

£a  flingelte  eS.  Statt  ber  Jreube  über  biefe  Störung  legte  ftdt)  eine 
grofce  ©nttäufdmng  auf  ifu*  £er$.  Sie  ^atte  au3  jener  Stimmung  fjerauä; 
gewollt,  aber  nun  fcf|ien  e$  if)r,  als  tjabe  fie  einen  Slugenblicf  be3  ©lud« 
nidjt  auSgenoffen! 

$od)  es  fam  fein  33efua);  ber  Liener  legte  bie  3eitong,  roeldje  eben 
abgegeben  war,  auf  ben  Webentifd). 

„SBolIen  Sie  lefen?"  fragte  fie  unb  reifte  itjrem  ©egenüber  baS  33latt. 

„Xie  25epefd)en  über  Bulgarien  möd)te  id)  mir  anfefjen,"  entgegnete 
er  in  it)rer  grofcen  ©nttäufdjung. 

92ad)bem  er  fdmeH  bas  ©efudjte  Durchflogen  unb  bie  3^ilung  oor 
fid)  Eingelegt  tjatte,  wie  fie  oorrjin  baS  #eft,  fragte  er:  „^ntereffirt  es 
Sie  nid)t?" 

„Wein,  nid)t  mefjr!  grüfjer  uerfucrjte  i<$  nod)  mit  meinen  Weben^ 
menfdjen  mitjufüf)len ;  es  finb  mir  aber  ju  oiele  geworben,  mein  &erjfdjlag 
reid)t  nidjt  me^r  au£." 

„Weinen  Sie,  ba§  fic§  bie  3Jienfcf>l)eit  in  ben  legten  3aljren  fo  ab- 
norm uerme^rt  fyat?"  fragte  er  lad)elnb. 

„I)a0  nidjt,  aber  mein  ^er^fcrjlag  r)at  fid)  oerminbert,  id)  Ijabc  mid) 
egoiftifd)  in  mid)  felbft  eingefponnen,  ein  3e^en  be<J  SUter^!" 

„Weiften^  ift  bie  3ugenb  felbftfüd)tiger  atö  ba$  5Uter." 

„Xann  ift  e^  oieüeid)t  ber  ^eft  ^ugenb  in  mir.   3ä)  rebe  fo  gern 

Siorb  unb  6Ü5.   IJI.,  IM.  21 


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30')   ITiitc  Kremnitj  in  23ufareft.   

von  meinem  3Uter,  weil  id)  felbft  nodj  fein  ©efüf)l  bauon  l;abe  —  übrigen« 
eift  feitbem  Sie  bei  mir  finb;  Dörfer  fam  id)  mir  immer  nod)  jung  cor, 
ba  id)  nnr  mit  nie!  kelteren  oerfehrte.  —  3a,"  fagte  fie,  wie  $u  fia) 
felbft,  „id)  begreife  eigentlia)  gar  nid)t,  wie  id)  überhaupt  ba$u  fomme, 
nud)  mit  ^Imen  $u  meffen,  ^u  Dergleichen?  SBJan  oergleicfct  bod)  nur 
Gleichartige«." 

,,G«  ift  eigentlich  feine  Schmeichelei  für  mid),  baft  Sie  uns  für  fo 
oerfd)ieben  erflären!" 

„Unb  bod)  beabfid)tigte  ich  eine  foldje.  ;^d)  fteüe  Sie  weit  über  mid) ; 
ja,  bie  greube,  bie  id)  an  $l)xex  (%fellfä)aft  tyibe,  mürbe  aufhören,  fobalb 
id)  ba«  nid)t  fönnte!  CS«  mar  mir  immer  Sebürfnift,  §u  Ruberen  aufjublicfen; 
unb  ba  ia)  feine  ©ötter  meh*  oorfanb  —  id)  bin  ju  fpät  geboren,  unter 
Epigonen  —  fo  machte  id)  fie  mir  felbft.  9)tan  fieht  ja  immer  nur  im 
Slnberen,  ma«  bie  eigene  9?atur  verlangt,  woburd)  fie  fid)  ergänzt;  unb  Da 
ber  meinen  mel  fehlte,  fo  mufjte  ich  mir  uiele  ©ötter  machen.  Seijen  Sie 
ÜJfarf,  oe«l)alb  oerftet^c  id)  bie  Ruberen  fo  gut,  unb  obgleid)  idj  bin,  roa? 
mau  eine  fittenftrenge  grau  nennt,  fo  ucrftei)e  idj  felbft  biejenigen,  auf 
weldje  man  fonft  Ijeralv^ubliden  pflegt,  3Me«  einige  Suchen  unb  fid)  im 
8ud)en  Verlieren  ift  nichts  SUeine«,  e«  ift  ein«  ber  tieften  ©rbtheile  ber 
9Wenfd)ennatur  in  it)rer  urfprünglid)en  Anlage,  e«  ift  ber  2lu«gang  alle« 
unfere«  können«  unö  Sßiffen« !  3Ltie  weit  fid)  ba«  ^nbioibuum  babei  t>er= 
lievt,  ift  ber  ".Natur  fet)r  gleichgültig!  3lber  ich  ^nen  einen  etwa« 
oermirrteu  Vortrag,  ber  eigentlia)  gar  nicht  in  unfer  ©efpräd)  pafet  —  roie 
fam  ich  mx  bajuV  2Id),  ja,  ich  wollte  3futen  fagen,  warum  id)  Sie  über 
mich  fefee:  äßeil  8ie  rein  finb,  unb  id)  fd)on  burch  fo  oiel  Sd)lamm  ge* 
flogen  worben  bin!" 

Gr  fd)mieg;  aber  bunfle  9iötf)e  50g  ihm  bis  in  ba«  f eibige,  faft  farb^ 
lo«  helle  .ftaar.  Sic  folgte  ber  Flutwelle  mit  beu  klugen  unb  erröthete 
bann  aud). 

„511«  mir  einmal  uon  ber  ÜHännerwelt  im  lUllgemeineu  fprad)en,  unb 
Sie  meinten,  e«  gäbe  Männer,  bie  ju  oiel  auf  fid)  hielten,  um  fi<h  je 
wegwerfen  $u  fönnen,"  fuhr  fie  fort  unb  fah  mit  ben  SJugen  an  ber  2Sanb 
entlang,  al«  wollte  fie  bicfelbe  mit  bein  Slid  glätten  unb  aü  bie  33ilber 
uon  iljr  abftreifen ;  „ba  I)abe  id)  ba«  9)iäbd)en  beneibet,  ba«  einft  3hre  grau 
werben  wirb  —  fo  beneibet,  bafc  id)  e«  fchmerjhaft  wie  einen  Stich  in 
bie  $ruft  fühlte.  —  3a)  war  ja  im  £eben  meine«  3)tonne«  boch  nur  bie  fo  unb 

fo  hielte,  weber  bie  (Srfte  nod)  bie  ^efcte!  ^efet  wollen  wir  un«  aber 

Xhee  bringen  laffen,"  ferste  fie  fnw  „unb  nid)t  mehr  id)wafceu!  G«  r)at 
ja  eigentlich  ba«  2t£Ie«  feineu  üffierth,  ober  nur  für  fo  eine  fentimentale 
Äranfe,  bie  mit  ber  Sölenblatcrne  plöjjlia)  ein  Stücf  &eben  bclcud)tet  unb 
fid)  einbilbet,  bafc  all  ba«  9lnbere,  weil  e«  gerabe  im  $unfel  liegt,  über- 
haupt nicht  ba  fei.  —  <pat  eigentlich  bie  l'iebe  2i>id)tigfeit  im  Veben  ober 
nid)t  V  3jt  fie  wirflia)  bie  9lre,  um  bie  fich  bie  alte  SSelt  breht,  ober 


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  Wat  es  £tcbe? 


30: 


tjaben  bie  9(nberen  recht,  bie  in  tf)r  nur  jene  faUi  rnorgana  erblicfen 
wollen,  jenes  Xrugbilb,  fjmter  bem  bie  9totur  it)re  bunfelen  j&mede 
birgt  ?  Sie  oerftefjen  midj  bod)  ?  —  SBenn  idf>  oon  Siebe  fpredje,  meine  idj, 
lote  wir  grauen  meiftenS,  nur  bie  geiftige  Siebe,  weldje  an  bem  rohen 
körperlichen  erfterben  würbe,  welche  nidjts  mit  Schopenhauers  gortpftajungSi 
ßbeen  ju  tlnm  hat;  bie  Siebe,  beren  äufjerfte  $erirbifdmng  ein  im  Sterben 
gegebener  ftujjj  märe  —  etwas,  worüber  ber  gröbere  2Wann  lacht,  bis  er 
fetbft  eS  einmal  empfinbet;  bie  Siebe,  meldte  feines : körperlichen  ju  ihrer 
Söethätigung  bebarf,  ba  fte  aus  einer  anberen  Sphäre  hinüberleuchtet  in 
bieje  rohere  SBelt  ber  ß*fchetnungen !  Sie  lachen  fchontf  Selbft  Sie  — 
ben  id)  eben  noch  reiner  als  mich  genannt  ?  Pehmen  Sie  ftcr)  in  2W)t,  baß 
ia)  Sie  nicht  ju  ben  Scannern  roerfe!" 

„s2öerfen  Sie  midh  ju  ihnen,  baS  wäre  nur  richtig!"  meinte  er. 
„Unb  was  Siebe  bebeutet,  ob  fie  etwas  bebeutet,  fragen  Sie  nicht  mich; 
id)  habe  fie  nie  erfahren !" 

,3irflich  nidj)t?  $n  feiner  gorm?" 

„9fein,  in  feiner!"  ermiberte  er. 

Dod)  fie  ^ielt  eS  für  eine  9tothlüge:  wie  fonnte  man  aber  aud)  gragen 
(teilen,  auf  bie  man  bodj  feine  aufrichtige  2lntwort  befam?  DaS  mar 
roieber  einer  ihrer  unauSftehlidjen  grauenjüge,  bie  fie  ablegen  mufete! 
§atte  er  nicht  erft  fürjlid)  gefagt,  berartigeS  oerheimlidje  man  feiner  eigenen 
Butter,  feiner  Sdjwefter,  feinem  23ruber,  Slflen!  (£r  mar  geroig  oerlobt! 

3hrc  ©ebanfen  flogen  hinüber  in  feine  norbifche  Heimat,  unb  ihr 
war,  als  fähe  fie  hinter  ben  f leinen  Scheiben  eines  alten  ^atricterhaufes 
ein  runbeS  ©eftchtchen,  welches  mit  feinen  großen  ßinberaugen  über  bem 
reijenben  Stumpfnäschen  weg  fehnenb  in  bie  gerne  fdjaute.  3a,  baS 
roar  „Sie",  unb  ber  ganje  Duft  beS  Horbens  lag  auf  ihr.  —  2öie  jebeSmal, 
wenn  fie  ihren  2Billen  nicht  burchiefcen  fonnte,  hatte  fie  aud)  bamalS  bie 
fieine  gaujl  geballt  unb  ganj  ungehörig  mit  ben  güßchen  geftampft,  als 
9Narf  in  bie  gerne  gebogen  mar  unb  ihr  geichrieben  hatte,  marum.  Sie 
iah  es  nicht  ein,  bajj  ihr  ©elb  jroifchen  ihnen  ftehen  foHte,  Tie  roar  bod> 
weit  ftoljer  auf  ihn  geroefen  als  auf  tf)re£haler?  3a,  Tie  mürbe  auf  Um 
warten,  unb  enb(tdr)  mürben  fie  getraut  werben  in  bem  Dome  mit  ber 
fchönen  $ol$fchmfcerei,  r>on  ber  er  fürjlich  gejprodjen,  unb  bie  ^oefie  erfter 
Siebe  unb  junger  ©he  mürbe  ihn  ber  (Srbe  entrüefen!  — 

2luj  wie  lange  ?  —  Das  fragte  ftdj  bie  grau,  beren  3lugen  jefct  nur 
noch  träumerifch  auf  ihm  ruhten.  O,  nicht  auf  lange!  Die  entfefclidje 
^Jrofa  beS  SebenS,  ber  entnüctyernben  £äglid)feit  würbe  ben  3auber  oer* 
jchlingen.  9iad)her,  nad)  einigen  3ahren,  würbe  er  ein  glüeflicher  gamilien= 
uater  fein,  wie  .^unberttaufenbe.  '  Das  SJtoifraut  ift  nur  buftig,  ehe  es 
Sur  33lüthe  fommt;  aus  ben  reijooHen  &ecfenrofeu  reifen  Hagebutten!  2lber 
bem  Sauf  ber  ©ntroicfelung  fann  Heiner  entgehen,  unb  ©ntwtcfelung  ift  nicht 
immer  SBeroollfommnung.   2öie  fdjabe,  wie  jammerfdjabe !   2Xudr)  er  mußte 

21* 


508 


mite  Krcmnifc  in  Bnfarcfl. 


baS  2lHeS  burdmtadjen,  rote  jeber  2Inbere.  6r  feinte  fid)  ja  naa)  ber  ab- 
ftumpfenben  33ef)äbigfeit  bes  Sebent,  er  glaubte  nid&t,  bafj  baS  roafjre  Sehen 
bort  aufhört,  roo  fo  S-Biele  meinen,  bajj  es  begönne! 

üBarum  fyatte  es  aber  für  fie  nidjt  aufgehört?  Söarum  tjatte  iljr  bie 
^rofa  beS  Xäglid)en  baS  ^erj  nie  auffüllen  fönnen;  roarum  meinte  fie, 
ba&  mir  fie  allein  an  ber  Duelle  beS  ©roigen  getrunfen  $abe? 

„Sie  finb  mübe,"  unterbrad)  er  plöfcltd)  i^ren  ©ebanfengang  unb 
ftanb  auf.  Sie  entgegnete  nid)ts,  unb  er  ging  fort.  Stirn  träumte  fie 
weiter. 

6ie  roufcte  roof)l,  roarum  fie  eine  fo  gute  Meinung  oon  fid)  (jegte  — 
weit  6r,  ber  ebenfo  ©effafcte  rote  einft  ©eliebte,  fie  oon  if>r  gehegt  fatte.  Unb 
jefct,  roo  fie  allein  roar,  roo  cor  bem  nüa)ternen  Silbe,  baS  fie  fid)  oon 
SJtorfS  3ufunft  gemad)t,  bie  ganje  unreale  ^oefie  beS  ©efm)ls  oerrauc&t 
war,  roela)es  fceute  2lbenb  jroifd)en  i&m  unb  tf)r  emporgeftiegen  mar,  jefct 
bad)te  fie  jutn  erften  SRale  roieber  mit  #afj  an  ben  5Rann,  an  beffen  unroanbel« 
bare  fiiebe  fie  einft  geglaubt,  unb  ber  bod)  naa)  i^r  Ruberen  gehört,  ber 
in  i^rem  2Irm  oon  2lnberen  geträumt  unb  ber  fie  oerratfjen  unb  oerlafjen 
batte !  %a,  mit  tym  fjatte  es  für  fte  feine  $rofa  gegeben,  fein  3<mber  roar 
bis  h\ix  legten  ©tunbe  unoermtnbert  geblieben  —  aber  roofjl  barum  ^atte 
bie  $auer  gefehlt! 


„2i>eSl)alb  bin  ta)  f)ier  immer  fo  mübe?"  fragte  fid)  ÜHarf  am  naa)ften 
borgen,  als  er  ben  roirren  blonben  flopf  in  baS  etSfalte  3Baffer  getaua)t 
batte,  um  feine  brennenben  9Iugen  ju  füllen.  „2BeS()alb?  $od)  rooljl, 
roeil  id)  I)ier  fd)led)t  fa)lafe !  —  3lber  roeSfjalb  fd)lafe  id)  nid)t  roie  fonft  unb 
anberSroo  ?" 

©r  beenbete  feine  Toilette  unb  begab  fid)  in'S  grüfNtüdSjimmer,  bura) 
roeld)eS  fein  fudjenber  ©lief  Saftig  glitt,  um  etroaS  enttäufdjt  an  feinen 
beiben  Möglingen  baften  ju  bleiben.  SHefe  Ratten  auf  iljren  Seffrer  geroartet, 
um  mit  ifrni  gemeinfdjaftltd)  früf)jtü<fen  ju  fönnen.  tyfy  erhoben  fte  fid), 
gaben  ifym  bie  $anb  unb  roünfd)ten  i&m  guten  borgen. 

„©uten  SJJorgen,  ßinber!"  antroortete  3Jtorf,  etroaS  jerirreut  unb  roie 
oon  oben  fjerab  —  er  fam  fid)  ganj  neuerbingS  fo  unenblid)  oiel  alter 
oor  als  fie.  „@ure  Jrau  2ftama  fd)läft  roofyl  nod)?"  begann  er,  fid) 
auf  feinen  ©tw)l  fefcenb,  aber  bie  3lugen  unb  Ofjren  nad)  ber  £fnir 
gerid)tet,  ob  er  nid)t  baS  knarren  beS  StoUftu^leS  oemäfmte,  auf 
bem  bie  Äranfe  fid;  geroöfmlid)  an  ben  gemeinfamen  grüt}|tü<fstifa) 
fd)ieben  lie§. 

&err  Wiener,"  fagte  Stätten,  benn  ©ria)  ^atte  bereits  ben 
3Runb  ju  oo U,  um  antworten  ju  fönnen. 

„3$  guefte  eben  in  SWama'S  Swwttt  hinein;  fie  rührte  ftd)  nodj 
niajt,  fie  fd)läft  oft  Borgens  nod)  einmal  ein,  roenn  bie  Stfadjt  fdjledpt  roar." 


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  War  es  fiebc? 


509 


* 

„Watürlidj!"  jagte  ÜJiarf;  fdjmeigenb  tranf  er  feinen  Maffee  unb 
ftanb  auf,  um  in'S  ©djuljimmer  ju  gelten. 

Sie  angenefnn  warm  war  es  bort  fdion;  bie  Sonne  Micfte  gerabe 
mit  iljren  erften  ©trafen  burdys  genfter.  unb  brausen,  im  ©arten  hinter 
bem  $aufe,  jeigten  fidj  nur  nod)  unter  ben  ©träudjern  unb  föecfen  ©puren 
beS  oergänglidjen  2)tär$fd)nee$.  SRarf  trat  an'S  genfter,  blicfte  fdjarf 
auf  baS  an  ber  2lu&enfeite  befejrigte  £f)ermometer,  nad)bem  er  fein  9luge 
juoor  in  bie  richtige  $ö&enlage  gebradjt  —  aber  er  t^at  es  nur  aus; 
©ewofm^eit,  er  fat)  gar  nid)t,  bafc  ber  (Snbpunft  beS  OuecffUberfäbdjenS 
auf  5°  über  9M  ftanb.  @r  gä&nte,  fu(u*  fid)  mit  ber  §anb  burtt)  bie 
£aare  unb  fragte:  „SßaS  fyaben  wir  fjeute  borgen?" 

diesmal  war  es  ber  3unge,  weldjer  antwortete;  baS  9Rabd)en  flaute 
gefpannt  sunt  &auS(e&rer  hinüber,  für  ben  fie  ertra  eine  tyxlbe  ©tunbe 
früher  aufgeftanben  unb  in  ben  ©arten  IjinauS  gelmfd)t  war.  Unter  bem 
©djnee,  in  ber  Qde  hinten  am  ^agebudjenjaun,  wufjte  fie  bie  erften 
©d)neegldcflein:  bie  r)atte  fie  für  ifm  gebrochen,  in  ein  niebücljeS  ©träufc: 
lein  aufammengebunben  unb  auf  feinen  ^Slafc  fnngelegt  —  unb  nun  — 
nun  fjatte  er  fie  nidjt  einmal  angefefjen!  — 

„3uerft  (jaben  mir  *Hed)nen,"  £atte  ©ritt)  auf  bie  grage  9)torfS 
erwibert. 

„Slber  (Srid),  wie  fannft  Du  fo  etwas  fagen?"  rief  Äätf)d)en,  oljne 
auf  baS  2Binfen  ifjreS  etwas  ängftlid)  auSfe^enben  VruberS  ju  achten. 
„Du  weifet  bod),  bafc  wir  am  Montag  borgen  juerjlt  immer  Religion 
fyaben!" 

DerÄnabe  warb  rotf)  unb  fd&wieg.  „Deine  ©djwefter  f>at  red)t!  — 
9?un  Grid),  fange  Du  an! 

Unb  ©rid)  fing  mit  bekommenem  &erjen  unb  unfid)erer  ©timme 
an,  ben  britten  2lrtifel  Ijerjufagen,  medjanifd)  unb  ofme  9?fidfid)t  auf  ben 
©inn,  wie  Äinber  meiftenS  tlmn.  9US  er  aber  an'S:  „2BaS  ift  baS?" 
fam,  oerwidelte  er  fid),  geriet!)  in  eine  falfdje  SRetye,  merfte  es,  begann 
oon  Beuern,  mürbe  wieber  feft,  unb  fttjliefelid),  jumal  ba  er  baS  2luge 
beS  £et)rer3  auf  fid)  gerietet  wu&te,  fdjwieg  er  in  abfoluter  Verwirrung. 

„9hm  <5rid)?" 

6r  faf)   ^alb   trofctg   auf.    „2lber  gräuletn   ©d)ulj    fcalf  un* 

immer  beim  Auflagen  —  fie  fagte  uns  immer  ein  SBort  —  

bei  if)r  brausten  wir  es  nidjt  beffer  ju  wiffen  " 

„SMber  bei  mir!"  fagte  Warf,  unb  fein  3luge  war  fo  finfter,  bafe  ber 
3unge  bie  trofcige  SKtene  fo  fdmeff  wie  möglid)  wieber  aufgab;  er  fjatte 
am  ©onnabenb  überhaupt  nidjt  gearbeitet,  fonbem  ben  ganjen  9ted)nüttag 
gefpielt. 

„äatljdjen,  jeig'  Deinem  Vruber  einmal,  wie  man  lernen  mufc! 
Das  2Wäbd)en  errötete  oor  ©tolj  unb  Vergnügen  unb  fagte  il)r 
^enfum  ol)ne  Je^ler  unb  2lnfto6  auf.  Die  ©tunbe  naljm  i^rcn  Fortgang: 


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5J0    iflite  Kremnifc  in  Sufarcft.   

tfäthchen  wußte  bic  gragen  immer  richtig  ju  beantworten,  (Srid)  faft  nie; 
ihr  frifdjeS  Keines  Ätnbergeficht  ftrahtte  oor  Gifer  unb  Vergnügen,  unt> 
bie  SReligionSftunbe  ging  ihr  oiel  ju  früh  $u  (£nbe. 

£ann  fam  baS  Rechnen  an  bie  dlefye.  ÜJJarf  begnügte  fich  bamir, 
bie  Inn  unb.  wieber  an  ihn  gerieten  fragen  &u  beantworten,  unb  fdjritt 
für'«  Uebrige  langfam  auf  unb  ab,  achtlos  bie  Sclmeeglöcflein  in  ber 
i'infen  brehenb  unb  hin  unb  roieber  gälmenb.  $a,  eS  roar  $weifeüo3. 
baS  Unterrichten  machte  ihm  nicht  mehr  baS  Vergnügen  wie  in  ben  erfteit 
Tagen.  3WorgenS,  roenn  er  aufftanb,  lag  ber  Vormittag]  oor  ihm 
roie  eine  roeite,  langweilige  ©bene,  ofme  Saum  unb  Strauch  unb  £au«, 
unb  mit  bleiernen  Söolfen  brüber;  er  burchwanberte  biefe  Gbene,  roeil  er 
eben  muffte,  roeil  es  fein  ©efchäft  roar  unb  roeil  —  ja,  roeil  auf  ben 
Tag  ber  2lbenb  folgte,  ber  Slbenb,  ben  er  am  3^ut)et)ctt  jener  franfen 
grau  jubringen  burfte!  Gr  lebte  nur  für  biefen  3lbenb  —  unb  boeb, 
was  l)atte  er  eigentlich  baoon?  ftätte  er  nicht  nod)  oor  wenigen  Söochen 
folcheS  Seben  für  entfefclid)  langweilig  unb  öbe  gehalten?  &atte  tf)m  nicht 
gegrauft  cor  ber  2luSficht,  ben  Tag  mit  geifttöbtenbem,  hfllDem  2ftüBigs 
gang  jubringen  ^u  müffen?  Sicherlich;  nur  in  bem  SBunuhe  feine  $war 
Meinen,  aber  ihn  bod)  brüefenben  Schulben  los  ju  werber,  tydie  er  bie 
ihm  bargebotene  Stellung  angenommen.  $)ie  Slbenbe,  baS  war  fein  tröftenber 
©ebanfe  gewefen,  bie  9lbenbe  würben  bocf>  fein  bleiben,  bie  würbe  er 
oerwenben  5U  feinen  SieblingSftubien  ober  &u  feiner  ,3erftreuung.  $a, 
baS  war  anberS  gefommen.  9ioch  ftanb  feine  Öüdjerfifte  unauegepaeft 
ba,  noch  mar  er  feinen  2lbeub  ausgegangen,  obwohl  er  bie  große  Stabt 
SBien,  beren  i'ichterglanj  bnreh  bie  £unfelf)eit  bis  jur  SSilla  Ijerüberfchien, 
noch  fo  gut  wie  gar  nicht  fannte,  unb  obwohl  bort  Vergnügen  unb  9lmüfe* 
ment  fo  leicht  ju  befchaffen  warer. 

Gr  lachte  plöfclich  leife  oor  fich  fyn,  fo  ba§  feine  beiben  Schüler  ihn 
oerwunbert  anfdjauten.  Gr  bact)te:  3ene  rounberbare  grau,  bie  fo  eifrig 
bie  Freiheit  beS  menfeh liehen  SßißenS  ju  oertfjeibigen  unternahm,  roie 
würbe  bie  mit  einem  2Jtal  feiner  ganj  entgegengefefcten  Anficht  beipflichten, 
roenn  fie  ahnen  fönnte,  wie  er  unter  ihrem  Raubet  gebannt  unb  gefeffelt 
lag,  unfähig,  fich  baoon  loszumachen  ober  nur  an  irgenb  etwas  SlnbereS 
511  benfen  als  an  fie,  allein  an  fie!  Slber  gerabe  baS  burfte  er  ihr  ja 
nicht  fagen.  „Sttein  einiger  Troft  ift,"  backte  er  bei  fich,  „bafj  fie  nict)t 
ungeftraft  folche  Tyrannei  über  mich  aufrichten  fann.  SBirfung  unb 
©egenwirfung  finb  gleich  —  in  ihrer  ganjen  fiarfen  Eigenliebe  lacht  fie 
barüber,  bafe  Sfemanb  auf  fie  fottte  Ginflufe  gewinnen  fönnen,  ohne  ober 
gar  gegen  ihren  bitten  —  fie  entflieht  bem  SBerhängnifc  fo  wenig  wie 
ich  —  aber  was  will  biefes  mit  uns  beiben,  was  hat  es  oor?  $er« 
liebt  bin  ich  "^t,  baS  weife  ich;  es  ift  nur,  als  hätte  fie  mich  hwnotifirt. 
3d)  höre  fie  ju  mir  fprechen  wie  aus  weiter,  weiter  gerne,  ich  fab«  Tie 
wie  burch  eine  Solfe  hinburch  unb  ich  Wf«  fie  ruhig  fpredjen  —  fie  ift  fo 


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  War  es  fiebe?    51  J 

fd)ön,  wenn  fie  f priest !  Soll  idj  aber,  um  irgenb  ein  armfeliges  2\>ort 
$u  fagen,  audj  einmal  ben  "iflunb  öffnen,  bann  mufj  idj  mid)  gemaltfam 
baju  aufraffen;  unb  bafe  e$  albern  ift,  was  id)  rebe,  ift  nidjt  meine 
Sdmlb*:  fie  fyxt  eS  ju  oerantworten,  fie  Iwlt  bie  3öorte  aus  mir  r)erpor. 
—  95>enn  iä)  nur  müßte,  was  fie  mid?  gaft  fommt  fie  mir  oor,  biefe 
gelähmte  grau,  wie  bie  Spinne  im  9iefc,  bie  auf  il)r  Dpfer  märtet. 
(*S  foU  ja  grauen  geben,  bie  mit  ifjrer  bämonifdjen  3)iad^t  bie  SHänner 
an  fidj  lotfen,  um  mit  tfmen  ju  fpielen  unb  ifmen  baS  £erjblut  auS^u* 
faugen,  ober  ifmen  wenigftenS  tief  tn'S  £er$,  in'S  innerfte  Selbft  $u 
flauen  unb  jebe  gafer  i^red  SöefenS  ju  $erpftüden.  Xann,  wenn  iljre 
^eugierbe  jufriebengefteüt,  if)re  Sangeroeile  für  eine  Zeitlang  jerftreut 
worben,  bann  iji  aud)  tyr  ^ntereffe  oerflogen,  bann  roerfen  fie  uns  baljin, 
roof)in  fie  unfere  Vorgänger  bereits  geworfen,  in'S  9ftd)ts.  Sollte  fie 
oon  biefen  grauen  eine  fein?  ©Ott  wei§!  3lber  balb  werbe  id)'S  ja 
fet)cn.  Unb  was  bann?  Unter  bemfelben  ftadje  mit  tfn*  leben  unb  fie 
nid)t  mefjr  fef)en,  fie  nid)t  me&r  fpreä)en  f)ören,  baS  hielte  id>  nid)t  aus, 
ia)  fdjnürte  mein  öünbel  unb  ginge.  —  tiefer  Soctor  mug  fie  geliebt 
Ijaben,  barum  beobachtet  er  fie  fo  fonberbar,  unb  audj  mir  warf  er  geftern  fo 
unoerfd)ämt  forfdjenbe  Abliefe  ju,  ba§  mir  baS  Slut  ju  Stopf  ftieg.  —  Xie 
breifte  $ertraulid)feit,  mit  ber  er  ifjr  bie  £anb  fügte!  3d)  weig  woljl,  baS 
ift  öfterret$ifd>e  Sitte  unb  bebeutet  weiter  nichts  —  ia)  fjabe  nod;  feiner 
grau  bie  £anb  gefügt  in  meinem  Seben,  aber  tf)r  mödjte  id)  fie  füffen  — 
nur  bag  es  mir  etwas  anberes  wäre  als  bloge  #öflid)feit  unb  Unter* 
tl)dnigfeitSform  —  oon  ber  &anb  surn  SHunbe  ift  ja  fein  weiter  2£eg!" 

Sie  lag  wäf)renbbeffen  nod)  int  Söett;  fie  backte  an  ilm  unb  iptaef) 
mit  ifmi.  2£of)l  wußte  fie,  bag  fie  nur  aufjufte^en  brauste,  um  wirflia) 
mit  tym  jufammen  ju  fein;  aber  fie  fonnte  fid)  nia)t  oon  feinem  Silbe 
losreißen,  baS  if)rer  (Sinbilbungefraft  feine  Sa)eine£iften3  oerbanfte.  Dabei 
ging  fie  mit  fid)  in'S  ©eria)t.  2£aS  wollte  fie,  unb  was  tl)at  unb  füfjltc 
fie?  fiatte  fie  fa>n  einmal  in  $rem  fieben  2lel)nliä>S  gefügt?  —  %itürlidj 
war  eS  ifjr  erfter  Impuls,  9iein  ju  fagen.  3lber  oietleidjt  war  baS  acute 
©efü^l  ein  fo  ganj  anbereS  als  baS  nur  in  ber  Erinnerung  lebenbe,  unb 
fie  wollte  feljr  ftreng  gegen  fi$  fein,  tonnte  fid)  baS,  was  jefet  iln*  $er$ 
befestigte,  aud)  nur  oergleidjen  laffen  mit  bem  ©efüljl,  weldjeS  fie  einfi 
für  tyren  9)?ann  gehegt?  3af)re  lang  Imtte  fie  an  feiner  Seite  in  ber 
iogenannten  großen  SKelt  gelebt,  unb  Tie  leugnete  es  nid)t,  oft  ^atte  es 
i^r  greube  gemalt,  wenn  fie  Männern  gefiel  —  freilief)  nidjt  etwa  aus 
©efattfudjt  unb  (Htelfeit,  nur  feinet  wegen,  um  feiner  würbiger  $u  er-- 
fa>einen,  benn  i^r  ^er^  tjatte  it)m  ganj  ungeteilt  gehört. 

Seitbem  aber  baS  Unglücf  in  feiner  ganzen  Schwere  fie  l)eimgefud)t 
fiatte,  glaubte  fie  in  oualerifcber  Selbfrreflerion  if)r  ganjeS  inbioibuelles 
Sein  erflorben  —  nidn*  für  fid),  nur  nod)  für  ir)re  Äinber  tjätte  fie  fortan 
ju  leben!   Unb  baS  fottte  nun  ein  3rrtl)um  geroefen  fein? 


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3(2 


ITIite  Kremnit}  in  Safareft. 


©r  fetbft,  über  ben  fie  ju  ©runbe  gegangen,  er  felbft  mar  es  geroefen, 
ber  it)r  ftets  gefagt,  fie  fjabe  noä)  nie  geliebt,  immer  nur  fid)  lieben  raffen. 
Sie  fatte  baju  geladjt  unb  fidt)  gewunbert,  was  er  wol)l  meinen  tonnte? 
Unb  follte  ifjr  am  Crnbe  jefct  baS  flar  werben,  was  fie  früher  nie  wrr; 
ftanben,  fotlte  ne  jefct,  wo  fie  fid)  nid)t  meljr  jung  nennen  burfte,  roo  fie 
feit  Sauren  fd)on  nur  für  tf)r  f)eranmad)fenbes  2ttabä)en  nod)  geträumt 
Ijatte,  bem  Sauber  jener  frembartigen  3Had)t  oerf  allen,  fid)  unter  ibre 
&errfä)aft  begebend 

©S  mar  ja  nia)t  möglid)!  Unb  wer  mar  es,  mit  bem  fie  jenen 
erbentrüdfenben  £raum  träumen  fottteV  (Sin  SRann,  jünger  als  fie,  in  bem 
fie  nur  einen  älteren  23ruber  it)re«  Änaben  §u  fe^eu  geglaubt  Ijatte!  (rine 
förmliche  9lngft  padte  fie.  $oä)  t>ielleid)t  befdjmor  fie  bie  ©efaljr  für 
fid^ -  nur  baburä)  herauf,  baf?  fie  fid)  oor  if)r  ängftigte?  Unb  roooor 
fürdjtete  fie  ftd)  im  ®runbe?  2tor  Seib  unb  Dual?  Kannte  fie  beren 
mä)t  fä)on  genug  ?  2ßar  niä)t  bura)  fie  ifjr  ganjeS  §erj  burä)furä)t?  Gab 
es  nid)t  aua)  ©lütffeligfeiten  in  biefem  ©efüf)l,  bie  fie  jefet  fdjon  armteV 
üEßar  es  nia)t  eine  2öonne,  fo  ganj  ftiUe  bajuliegen  unb  an  tfm  §u  benfen, 
ju  benfen,  wie  fein  £aä)en  tl)m  fonnig  baS  ©efiä)t  erhellte,  unb  bafc  ite 
nur  fid)  ju  ergeben  brauste,  um  i&n  ju  fefjen?  Ra,  fie  tonnte  fid)  oor^ 
fteüen,  bajj  fie  ilmt  leife  mit  ber  &anb  ü6er  bie  £aare  fü^re,  unb  Tie 
burfte  fogar  in  ©ebanfen  ganj  oerftoblen  feinen  rotben  Äinbermunb  mit 
tljren  Sippen  ftreifen,  gan$  fad)te,  fo  bafc  er  es  gar  niä)t  merfte.  Da» 
burfte  fie;  gerabe,  roeil  nie  gefä)ef)en  mürbe.  Xa^u  mar  ja  iljr  SSMUe 
ba,  ben  er  nidjt  anerfennen  moUte,  roeil  er  beffen  5Waä)t  nidjt  almte! 
3$or  einer  Sleufjerung  iljreS  ©efüf)ls  fürä)tete  fie  fid)  niä)t,  nein,  au  3elbft= 
bef>errfä)ung  tyatte  es  ifn*  ja  nie  gefehlt!  —  Unb  menn  fie  fo  geiftig  mit 
ifjm  lebte,  olme  ba§  er  es  af>nte,  menn  fie  fid)  ein  ©lücf  ftaf)l,  inbem  fie 
fid)  oorftellte,  es  märe  ifn*  eigen  —  bod)  nein,  fdjon  baS  mar  ein  9toub! 
91etn,  fie,  bie  nidjt  naä)  bem  Xfyvm,  fonbern  naä)  bem  Denfen  bie  9Weniä)en 
beurteilte,  fie  burfte  niä)t  einer  ©ebanfenfünbe  naä)ljängen. 

Sie  mar  bunfelrotl)  geworben;  biefe  Xräume  mufcte  fic  t>on  fid)  ab: 
fä)ütteln!  Sie  f  Imgelte,  fie  wollte  fid)  anjie&en  laffen.  2tls  aber  ifjr 
3Ääbä)en  fam,  fdjicfte  fie  es  roieber  fort:  fdjon  feit  einigen  Xagen  Ijatte 
fie  baran  gebaä)t,  einmal  einen  Stritt  allein  ju  getjen;  fie  wollte  ben 
$erfuä)  madjen  unb  mar  überzeugt,  ba§  er  gelingen  würbe,  wenn  SKart 
fie  ftüfete  —  fotlte  nid)t  oielleid^t  bie  Mofee  Söorftettung,  baß  er  i^r  feinen 
2lrm  reid)te,  Reifen  fönnen?  2öar  i^r  bod)  jebedmal,  wenn  er  üjr  bie 
jQanb  gab,  ju  9Rutl)  gewefen,  als  tonnte  fie  an  biefer  ^anb  fid)  aufridjten 
unb  wanbeln,  als  gäbe  es  etwas  oon  bem  magnetifd)en  ©influB,  an  ben 
fie  bod)  nia)t  glauben  mod)te!  2lud)  bie  oerladjte  3ägerfa)e  @erud)Stl)eorie 
fiel  iljr  immer  in  feiner  mty  ein;  tyr  war,  als  ob  fie  aud)  burd)  bie 
^afenflügel  flraft  oon  i^m  föge,  wenn  er  iljr  gegenüber  fafe!  @r  war  fo 
gefunb  unb  ftarf,  fie  fo  leibenb  unb  jart  —  war  es  nidjt  einfaa)  natürliä)? 


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  IPar  es  £tebc?   


3(3 


Sie  fefcte  ihre  güjje  auf  unb  tyeit  fidj  mit  beiben  &änben  feft ;  aber 
ber  2J?uth,  ftch  aufzurichten,  rooüte  nicht  fomiuen.  9tod)  faß  fic  auf  ihrem 
33ett.  „3$  fann  bodj,  maS  ich  roiü !"  murmelte  fie  oor  fidj  h*«  unb  er* 
hob  ftch,  in  betreiben  2lugenblicfe  aber  ftürjte  fie  auch  $ufammen,  fo  baß 
fie  ohnmächtig  balag,  als  baS  2Räbd>en  roieberfam.  mit  £ilfe  beS  fdjueU 
herbeigerufenen  grduleinS  braute  fie  ihre  §errin  in'S  33ett  jurücf. 

* 

3Harf,  ber  injnrifchen  feine  Stunben  beenbet  hatte,  ftanb  am  genfter 
unb  blicfte  hinaus.  311«  er  ben  Slrjt  anfahren  fah,  ging  er  eiligft  in  ben 
©arten  hinaus,  reo  bie  ßinber  fptelten,  um  bem  neugierigen  3ttanne  auS= 
juroeiä^en.  9Beber  er  noch  bie  ßinber,  mit  benen  er  Springübungeu 
mad;te,  fanbeu  in  bem  flommen  beSfelben  etroaS  SonberlicheS;  erft  als  fie 
beim  grühftüd  nur  brei  Gouoerts  gelegt  fahen,  rounberten  fie  fidjf.  ßdtheben 
ftürjte  hinaus  in  bie  Äfidje,  um  ju  fragen,  roaS  gefdjehen,  unb  fam  mit  ber 
91aa)rid)t  roteber,  ÜKama  bürfte  Kiemanb  fehen  unb  in  ben  nää)ften  £agen 
auch  nicht  auffielen! 

£rübe  begannen  fie  Ujr  ÜRahl.  3)2arf  fühlte  eine  unerflärliche,  fonber= 
bare  2lngft,  wie  noch  nie  im  £eben,  ihm  mürbe  ^ei§  unb  falt,  unb  er 
begriff  nicht  wie  bie  Äinber  gleich  nach  ber  Suppe  fchon  roieber  fchtoafeen 
unb  lachen  tonnten!  ßr  hatte  nie  franfe  üeute  gefehen,  roenigften3  fo  weit 
er  ftch  erinnerte,  unb  jebe  Äranfheit  mar  ihm  gleich  mit  bem  Xobe  oer* 
nxmbt.  ©ut,  bafj  ber  Nachmittag  roieber  Stunben  unb  bamit  Arbeit 
brachte,  fonft  roäre  er  ihm  gar  nicht  oergangen.  2lls  er  2lbenbS  auf  feinem 
Limmer  fa§,  brachte  ihm  bie  3ungfer  unerwartet  ein  offenes  23riefa)en. 
Senounbert  betrachtete  er  eS,  ehe  er  eS  las;  eS  enthielt  nichts  als: 
„Stollen  Sie  mir  nicht  ein  toenig  ©efellfchaft  leiften?" 

2lnfang3  oerftonb  er  nicht,  tooher  es  fam;  bann  aber  fragte  er 
haftig:  „So  ift  benn  bie  gnäbige  grau?" 

„3m  Salon;  Tie  ift  eben  aufgeftanben  —  ber  Soctor  hat'S  oerboten, 
aber  fie  wollte  nicht  hören." 

Gr  antwortete  nicht,  fonbern  flanb  auf  unb  ging. 

311S  er  in  ben  Salon  trat,  fagte  fie:  „Nur  für  Sie  bin  ich  aufge-- 
ftanben,  benn  mir  mar,  als  mü§te  ich  ®ic  fpreä)en;  in  meinem  Schlaf* 
äimmer  barf  ich  ®*c  D0(&  m^t  empfangen!"- 

Sie  h^lt  feine  §anb  feft,  toährenb  er  nichts  ju  entgegnen  mußte 
als:  „(Seht  eS  3hnen  roirflid;  beffer?  Sinb  Sie  nicht  fehr  franf?" 

„Söiffen  Sie,  maS  ich  9*than  habe  —  aber  nun  fefcen  Sie  fich  erft! 
—  ich  habe  ju  gehen  oerfudjt,  unb  eS  ging  nicht."  Sie  lachte  leife  auf. 

Gr  fchroieg.  „Unb  roiffen  Sie  auch,  warum  ich     9«^n  oerfuchte?" 

<£r  fchüttelte  ben  Jtopf  unb  fah  fie  träumerifch  an.  Sie  war  auch 
fchön  anjufehen:  über  bem  gldnjenben  fchmarjen  £aar  trug  fie  ein  roeifeeS 
Spi^enhäubchen  mit  «einen  rofa  Schleifen,  unb  ber  toetfje  ßafdmur* 


 •    Iiiitc  Kremntfc  in  önfareft. 


Dflorgenrocf,  ber  einen  fo  Ijo^en  fragen  fyiite,  baj$  ber  ßopf  fyxib  barin 
ftaf,  fleibete  fie  ganj  befonber!  gut.  Sie  faf)  gar  nid)t  fo  bleich  unb 
leibenb  aus  wie  fonft. 

„3a,  weil  —  weil  —  eigentlich  fmb  Sie  baran  fdmlb,  —  weil  ich 
mir  einbilbete,  Sie  würben  an  bie  3Wad)t  meine!  ÜhMUenS  glauben,  wenn 
id)  plöfeltd)  gehen  tonnte." 

„3$  glaube  auch  fo  baran/'  erwiberte  er  leife  unb  tonlos,  „wenn 
auch  in  anberem  Sinne  atS  Sie  — " 

Sie  oerftanb  tl)n  nitit)t  ganj,  aber  fie  nahm  feine  £>anb  unb  maß  an 
ihr  bie  eigene,  faft  ofme  §u  wiffen,  was  fie  tf)at;  plöfolich  icbocl)  würbe 
fie  rotf)  unb  liefe  feine  £anb  wieber  fallen. 

„Riffen  Sie,  wie  mein  Wann  midj  immer  nannte?"  fragte  fie.  Irr 
fdjüttelte  ben  ftopf. 

„3ia!  »inbenSie  ba$  huW*  3d)  wünf<$te,  bafc  Sie  einmal  3ja 
jagten!" 

Gr  tr)at  e$,  unb  SBeibe  fchmiegen  einen  Slugenblid 

„3$  glaube,  id)  tonnte  gehen,  wenn  Sie  mir  hülfen,"  begann  fie 
wieber.  Sie  hatte  ihre  Selbjtbeherrfchung  oerloren:  fie  wufcte  gar  nicht 
mehr,  was  fie  fagte  unb  tl;at;  ber  9toufdf>,  in  ben  feine  ftähe  fie  oerfeet 
hatte,  machte  fie  willenlos,  fie  fonnte  ficr)  ieinem  ©influffe  nicht  cntsier)en. 
<pätte  er,  wie  e3  jeber  Rubere  getfjan  haben  mürbe,  ein  2i*ort,  eine  $e; 
megung  be!  (£ntgegenfommen$  gemacht,  ber  9taufd)  märe  oerflogen;  foaber, 
roo  fie  um  jebeS  SBort  oon  il)m  erft  werben  mufete,  mar  ber  2öunfd), 
ihm  von  Siebe  ju  fprechen,  ftärfer  in  ihr  aß  alle  Ueberlegung.  33alD 
hatte  fie  nur  noch  ein  bumpfes  23ewu&tfein  bauon,  bafj  fie  etwa!  ^öchn 
©igenthümlidje*  empfanb,  ba§  biefer  nicht  jurüd^ubrängenbe  LTrieb,  ihn 
anzurühren,  Siebe  fei;  baran,  bafe  er  baSfelbe  empjanbe,  jweifelte  fie  feinen 
2lugenblicf.   ©ic  aber  tonnte  baS  fo  urplöfclid)  in  ihr  geworben  fein? 

„©ollen  Sie  mir  gehen  Reifen?"  fragte  fie  noch  einmal,  ©r  fprang 
auf,  umfd)lang  fie  unb  tjob  fie  au!  bem  2ioüftuhl  —  fie  ftanb,  feft  an 
■  ünt  gelehnt,  benn  er  hielt  ihre  Sdmltetn  ned)  umfangen;  fie  roanbte  ftch 
ein  wenig  mehr  ihm  &u  unb  füfjte  ihn  auf  bie  SSange. 

,,3d)  banfe  3hnen/'  flüfterte  fie. 

,,'3d)  &ätte  nitt)t  Qebacr>t,  bafc  Sie  fo  gro§  finb,"  murmelte  er  befangen. 

„Sehen  Sie,  an  Sie  gelehnt  fann  ich  ftehen  unb"  —  fie  machte 
einige  Schritte,  er  folgte  ihr  —  „audj  gehen!"  Xann  aber  fefcte  fie  [ich 
fchnell,  ihr  warb  fchwinbelig. 

„Riffen  Sie,  was  ba$  ift?"  fragte  fie  ihn,  mit  jurücfgelehntem  Äopf 
3U  ihm  auffchauenb.    lieber  niefte  er  nur  wortlos. 

„£a$  ift  Siebe,"  fagte  fie.    „$ätteu  Sie  fich  bie  fo  fdjön  gebaut?" 

,/JJein,  3fa,"  flüfterte  er  unb  fniete  neben  ihr  nieber.  — 

Sie  wnfcte  weiter  gar  nicht!  bie  ganje  9f?adt>t,  als  ba§  er  „Siein,  3ia" 
gejagt  unb  neben  ihr  gefniet  hotte,   ©leid)  barauf  war  bie  fungier  ein* 


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 Wax  es  £icbc?    5{5 

getreten,  aber  er  l)atte  bod)  „$fa"  gejagt!  21>ie  tjatte  es  gedungen?  Sie 
iDiebertwlte  es  fid).  Unb  rote  war  es  gemefen,  als  er  fic  umfangen  unb 
mit  feinem  mächtigen  2trm  aus  bem  Stuftf  gehoben  f;atte?  3JMt  gefcfyoffeneu 
2(ugen  fonnte  fie  fid)  bas  ©efürjl  jurütf rufen.  SBunberbar!  —  9lber  nidjt 
er  t)atte  fic  gefaßt,  fonbern  fie  ifm  —  ob  er  es  roo^I  morgen  ttjun  würbe? 
©r  t)atte  gewtfe  noef)  nie  eine  J^rau  gefüjjt !  SBomit  follte  fie  es  nur  oer= 
bienen,  bafc  Tie  feine  erfte  Siebe  roar?  Gr  tjatte  eS  jroar  nidjt  gefagt, 
aber  fie  wufjte  es,  bafe  er  fie  liebte.  GS  fonnte  ja  ni$t  anberS  fein,  fie 
liebten  fid),  als  ob  fie  33eibe  flinber  wären,  weld)e  bie  Siebe  erft  erfunben 
hätten;  es  (jarte  nod)  9Uemanb  oorf)er  fo  lieben  fönnen  —  unb  bamit 
fcf)lief  fie  ein. 

Gr  ntd)t!  Sange  burd)majs  er  f)tn  unb  fjer  roanbernb  fein  ©iebeljimmer, 
bann  warf  er  -fid)  ferner  in  ben  Scfyntfelftufjl.  Unb  als  er  aud)  t)ter  feine 
iRufje  fanb,  legte  er  fid),  ben  tfopf  auf  bie  2lnne  geftüfet,  in  bie  genfter* 
brflftung.  $>rauj?en  meine  falte  grüf)lingsluft  —  er  füllte  es  nidjt,  ifnn  roar 
fiebenb  helfe. 

&>aS  follte  nun  werben?  Steinen  Slugenblitf  fam  es  ifmt  in  ben  Sinn, 
bie^rau  verantwortlich  §u  madjen.  (Sie  war  ifjm  eine  ^eilige,  ein  flinb, 
ein  Gngel !  2lber  er,  was  war  er  ?  Gin  rotier  3Jtenfd),  ber  ben  einen  9Bunfd) 
nur  füllte,  biefe  3rau  m  feinen  5lrmen  ju  jerbrüefen,  ber  fie  nidjt  met)r 
fefjen  fonnte,  ofme  fie  berühren  ju  müffen!  —  %a,  nun  er  es  fid)  über* 
legte,  fjatte  er  oom  erften  Sage  an  ben  SBunfd)  gehabt,  fte  ju  füffen. 
9)Jufjte  er  fid)  nia)t  feiner  felbft  fdjämen,  war  er  nidjt  ein  milbeS  Xf)ier  ? 
2ßie  war  nur  biefe  fjeifje  £eibenfdr)aft,  oor  ber  er  fein  Sebenlang  feine 
5urd)t  gehabt  t)atte,  fo  plöfclid)in  ifmt  ermadjt?  Sie  at)nte  ja  nidjtsbaoon, 
Äinb  wie  fie  war;  fie  fpielte  ahnungslos  mit  bem  geuer,  Tie  meinte,  es 
wäre  3eber  fo  rein  wie  fie! 

Gr  rjielt  es  im  3immer  nidjt  aus;  fo  fud^te  er  fid)  bie  £auSfd)lüffel, 
leuchtete  fidj  rorfiajtig  bie  beiben  treppen  tjinab,  liefe  bie  brennenbe  ßampe 
im  5(ur  unb  fdjlo§  £auS  unb  ©itter  hinter  fid)  ju.  Gr  füllte  fid)  er* 
leiajtert,  als  er  auf  ber  Strafje  ftanb,  unb  boct)  war  ifmt,  als  muffe  er 
wieber  3urücf,  als  bürfe  er  fie  nid)t  allein  laffen  in  ber  bunfelen  9tod)t. 
Gr  ging  jebodj  vorwärts,  bie  Gf)auffee  entlang  bis  jur  Stabt  unb  fefjrte 
erft  beim  grauenben  borgen  gebanfenloS  oor  Grmattung  t)eim. 

*  + 
* 

Sie  fonnte  jefct  gefjen,  aber  23eibe  behielten  eS  nodj  für  fid)  als  if)r 
@ef)eimmfj.  Gr  f)atte  fie  geseilt  —  burd)  feinen  erften  Äujj  ober  burd) 
bie  folgenben?  2)arnad)  fragte  fie  iljn  lad)enb,  wenn  er,  oor  i^r  fnieenb, 
mit  i^ren  gingern  fpielte,  unb  fie  fein  blonbes  ^aupt  an  i&re  öruft  brüefte. 
Gr  fd)üttelte  bann  ben  Äopf,  fa^  fie  ganj  oerloren  an  unb  begriff  nid)t, 
ba§  fie  lachen  fonnte,  wenn  fie  oom  Hüffen  fpradj.  GS  war  bod)  etwas 
^eiliges,  unb  fern  oon  i^r  wagte  er  faum  baran  $u  benfen,  ba§  fid;  if)r 


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3*6 


mite  Krcmnttj  in  Sufarejt 


fü&er  Sftunb  irjm  Angegeben.  2öenn  er  allein  in  feinem  3immer  war  ober 
ben  Äinbern  Unterricht  gab,  wteberholte  'er  fid^  immer  nur  bie  eine  grage: 
2öa«  woüte  fie  au«  ifmt  machen? 

2Bar  er  glficflich  ober  unglficflich?  D,  furchtbar  unglüeflich,  wenn  fie 
ihm  oon  ihrem  SHanne  fprach;  unb  bas  tfjat  fie  täglich  unb  ftunbenlang! 
Schon  wenn  fie  begann:  „Hermann  fagte  immer"  —  bann  fä)Iojj  er  bie 
2lugen,  unb  eine  2lrt  Uebelfeit  ftieg  in  Umt  auf,  gleichfam  oomSeibe  ^er 
in  ben  flopf,  fo  ba&  afle«  Slut  ihm  au«  ben  Sföangen  mich-  3luö)  ihr 
Tagebuch  Ijatte  fte  ihm  gegeben,  er  aber  gab  e«  juntd,  olme  e«  bi« 
Gnbe  haben  lefen  ju  fönnen,  fo  fetjr  hafte  er  ben  3ttann,  oon  bem  nc 
ganj  erfüllt  fdn'en!  2öa«  mar  benn  er,  9)tarf,  biefer  grau? 

9ioch  aber  hatte  er  bie  grage  nidjt  au«gefprochen.  (£«  mar,  al«  bannte 
fte  ihn  mit  bem  leifen  93etlä)engeruch,  ber  fie  umgab,  al«  ob  feine  ©ebanfen 
fta)  in  ihrer  9Mhe  oerwirren  mufjten.  2Bie  fonnte  fie  ba  fo  oiel  reben  unb 
in  fo  f  lugen,  f Warfen  Sorten,  wo  ihm  ber  SBerftanb  oerloren  ging4?  ^atte 
fie  ihn  benn  nicht  lieb?  Doch,  fie  fagte  e«  ihm  \a  wteber  unb  wieber, 
bafe  fte  bura)  it)n  i^r  neue«  ©ein  befommen!  (£«  mar  ia  auch  richtig, 
benn  fte  fonnte  gehen,  fte  bewegte  fia)  ganj  frei,  unb  feine  Siebe  hatte  ba* 
bewirft!  D  ©Ott,  wie  mar  fie  fdj>ön,  wie  mar  fie  jung  unb  grajiö«,  al* 
fie  ihm  jum  erften  3)JaC  bura)  ba«  Tange  3imm*r  entgegenfehmebte.  (r: 
mar  fo  bemüthig  ftolj  auf  ba«,  roa«  er  gethan:  wirflich,  Tie  mar  eine 
Slnbere,  nicht  mehr  bie  grau,  in  beren  Mty  er  fdjon  einen  Sttonat  gelebt 
—  biefe  mar  fein  SBerf! 

„3$  weife  fdjon  nicht  mehr,  ba§  ich  einmal  unglüeflich  mar,  SWarf, 
unb  mir  ift  ju  9Wutbe,  al«  müfcte  ich  ©ermann  oon  meinem  ©lücf  erjagen!" 

,A  3fa,  w«$  ^at  er  bamit  ju  tt)un?  Stannjt  Du  ilm  benn  nicht  au* 
Deinem  flopfe  berau«rei6en!" 

„©emifc  nicht;  befonber«  jefet  nicht,  wo  mir  immer  ift,  al«  wäre  alle* 
Unrecht  auf  meiner  Seite  gewefen;  benn,  ftehft  Du,  ich  habe  ihn  ja  nie 
fo  geliebt  wie  Dich'." 

„Sitte,  fprich  nicht  oon  ihm,  ia)  fann  e«  nicht  hören!"  ftie§  er 
herau«. 

Sie  faf)  ilmt  plöfclicf)  in  bie  Slugen.  „SBirb  Deine  Siebe  aud>  nicht 
aufhören,  wenn  ich  erft  Deine  grau  bin?" 

„^eine  grau?"  wieberholte  er,  „aber  .  .  ." 

Sie  erbleichte  unb  jog  ihre  £anb  au«  ber  feinen,  er  bliefte  erföroefen 
5U  iljr  auf.  ©r  hatte  fidj  oft  genug  gefragt,  wa«  wohl  barau«  werben  würbe, 
aber  baran  hatte  er  noch  nicht  gebaut.  <Sie  wottte  feine  wirfliche  grau 
werben!  2lber  er  fonnte  fich  boch  nicht  oerheiratben !  Sie  oiele  Qahre 
mußten  oergehen,  bi«  er  eine  2lnfteUung  finben  würbe  —  unb  wenn  auch, 
wie  foüte  er  eine  grau  erhalten  —  folch  eine  grau!  —  unb  bie  betben 
tfinber!  Sie  fonnte  überhaupt  nid)t  bie  grau  eine«  ©omnafiallehrers 
werben;  fie  war  nicht  baju  gemacht,  in  einer  realen  unb  einer  f leinen  SSelt 


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War  es  £iebe? 


3(7 


$u  leben,  3&™  fdjien,  als  wäre  fic  aus  einem  3<«tberlanbe  —  if>re  abge? 
fc^iebene  33iüa  glid)  einem  folgen,  Sie  war  genrife  fef)r  retdj  unb  fannte 
fot^e  33ebenfen  nid)t;  aber  er  fonnte  unb  wollte  nidbt  oon  if)rem  ©elbe 
ober  gar  oon  bem  i^red  9Hanned  leben! 

Sie  fud)te  ifmt  feine  ©ebanfen  oon  bem  ©efidjt  abjuleien.  3()re  Stirn 
lag  in  tiefen  galten,  unb  mit  oeränberter  Stimme  fagte  fic:  „3$  mödjte 
Sie  bitten  ju  flingeln;  bie  flmber  foUen  fommen!" 

@r  fknb  auf  unb  oou>g  i^ren  Öefeftf.  „$arf  id)  f)\ei  bleiben?" 
fragte  er  leife. 

„2Bie  3^nen  beliebt/'  entgegnete  fic  füf)l. 

„2Öa3  fyxbe  id)  benn  getfjan?"  erroiberte  er  traurig. 

„©etfymV"  Sie  fal)  ifm  gro§  unb  f)od)mütfjig  an.  „©et&an  gar  nid)ts, 
ia)  roitt  nur  bie  Äinber  fef)en!" 

//3tV  bat  er  ffefjentlid)  —  er  f)örte  fdjon  dritte  oor  ber  £f)fir. 

„2Ba£  toünfdjen  Sie,  #err  9tieger$" 

(5r  roanbte  fid)  ab,  als  ber  Liener  eintrat  unb  »erliefe  ba$  3immer- 
9Jadj)  einer  Stunbe  fanbte  ftc  if)m  ein  3*tttfdj*n:  „SBerjei^en  Sie 

mir!  idj  toeig,  id)  mar  im  Unredjt.   3d)  rebete  mir  ein,  bafe  Sie  mia) 

beleibigt  Ratten,  toäfjrenb  idj  genau  weife,  bafe  3^re  23ebenfen  nur  id)meidjels 

fjaft  für  mid)  fein  fönnen.   Sitte,  fommen  Sie!" 

@r  ging  gleid)  $u  ifjr.  @r  mar  fo  frolj,  bafe  fic  nid)t  mef>r  jomig 

mar;  unb  fic  rounbertc  fid),  faft  mit  einer  2lrt  ©ebauem,  bafe  er  if)r  feine 

Scene  madfjte,  fonbem  biefelbe  unterwürfige  Siebe  jeigte  wie  vorder. 

mar  merftoürbig,  bafe  ba$  ftc  rei3te,  gleidj  mieber  oon  if)rem  SWanne  &u 

fpredjen. 

„(5r  hatte  bie  ©abe  mie  ein  ©eifterfefjer,  jebe  meiner  Regungen  5U 
begreifen,  ehe  idj  felbft  fic  oerfpürte,  unb  barum  mar  er  aud)  meiner  Siebe 
immer  fo  fidjer,  roeil  er  meinte,  Sßiemanb  fönne  mid)  oerflehen  roie  er  — 
id)  glaube,  er  hatte  Siecht!" 

9Jtarf  fdjioieg;  roaS  hätte  er  barauf  fagen  foUen? 

„Ueberhaupt  giebt  e$  feinen  SWenfchen,  ber  ihm  ba$  Söaffer  reicht. 
3$  ioünfd)te,  Sie  fennten  ifm!" 

„34  rocrbc  ihn  fennen  fernen!"  fiel  SJtorf  ein,  unb  ein  unheimliches 
&idjt  frrahlte  aus  feinen  2tugen.  „3a,  wenn  Sie  fo  fortfahren,  gehe  id) 
noch  §eute  hin  unb  bringe  ihn  um!" 

3h*  fuhr  burch  ben  flopf,  bafe  baS  bie  redete  Strafe  für  ^ermann 
wäre!  3&  °*r  9Hann,  ber  fte  liebte,  mußte  fo  benfen  unb  mufete  fie  fo 
an  bem  Sßerräther  rächen!  9ioch  nie  batte  SHarf  ihr  fo  gefallen! 

„3a,  Sie  müffen  i^n  fennen  lernen;  aber  ich  glaube,  er  roirb  Sie 
fo  bejaubern,  baß  Sie  mia)  oergeffen." 

©r  beugte  fid)  über  fie  unb  flüfterte:  „©laubft  £>u  baS  mufftet)  V" 

Sie  legte  ifjm  beibe  2frme  um  ben  &al£  unb  fagte  leife:  ,,3d) 
beraufdje  mia)  an  ^ir!" 


3*8 


— -    mite  Kremnifc  in  Sufareft  


311$  fic  bann  nad&fjer  ollem  war,  rounberte  fie  fid),  bafe  fie  jefct  fo 
roenig  mit  ifjrn  ju  reben  fjabe  unb  bafc  fie  nur,  wenn  fie  in  feinem  2Irm 
läge,  nod)  roüfete,  bafc  fie  ilm  liebe,  ©ollte  er  \\)v  am  (£nbe  nom  Gimmel 
nur  bam  gefdntft  roorben  fein,  um  U)re  £äf>mung  ju  feilen,  unb  bann, 
naäjbem  fie  geseilt  

3lber  roaS  mar  fie  bann?  SBenn  fie  aufhörte  ben  ÜRann  ju  lieben, 
ber  fie  gefü&t,  ben  fie  $u  genannt,  mar  fie  bann  nid>t  eine  oerädjtliäy 
grau?  3f)r  rourbe  ganj  fajroinbelig.  2öie  ^atte  fie  nur  fo  tyanbeln 
fönnen,  roie  war  e$  möglid)  geroefen,  bafe  jene  (Swpfinbungen  fo  über= 
mää^tig  in  if)r  geroorben?  ©ie  befann  fid),  fie  tonnte  e8  fidt)  nidjt  $urfid= 
rufen.  GS  roar  roie  eine  unbejromglid)e  ©ier  geroefen,  biefen  liebefremben 
Warm  Siebe  ju  lehren,  bie  ©ud)t,  bie  ©rfte  ju  fein,  bie  er  fütfte;  fie 
Ijatte  es  nidjt  »ertragen  fönnen,  bafe  er  füljl  neben  iln*  fa§.  Unb  nun, 
ba  er  fie  liebte,  roar  fie  enttäufd&t?  9tein,  enttäufd&t  nia)t;  aber  i»er 
3auber  roar  oerfdjrounben.  ©r  roar  fo,  roie  fie  ilm  fid)  oorgefteUt  l>atte, 
fo  burd)  unb  burd)  gefunb,  nur  oießeiajt  nid)t  beglürft  genug  burdj  itire 
Siebe,  roenigftenS  äußerte  er  e$  md)t;  ba  fie  bie  erfte  grau  roar,  bie  er 
je  gefußt,  glaubte  er  geroifj,  eine  3ebe  roäre  fo  roie  fie,  roafjrenb  fie  bod) 
überjeugt  roar,  etroaS  ganj  SBefonbereS  ju  fein,  fapon  bura)  if)re  franffjaft 
oerfeinerten  Heroen!  —  @£  roar  fer)r  unred)t  oon  if)r,  aber  er  langweilte 
fie,  unb  er  fam  ifn"  uiandmial  roie  ein  grofjer,  ungefdjulter  $nabe  oor, 
förperlid)  unb  geiftig,  ber  fie  ungebulbig  madue:  er  roar  ju  fdjlidjt  unb 
aud)  }u  uertrauenäüoU.  —  SBie  roürbe  i^r  9)iann  Tie  auslasen,  roenn  er  je 
erführe,  ba§  fie  biefen  jungen  geliebt  Ijabe!  —  Cber  liebte  fie  Um  etroa 
bod)  nodj?  2BoHte  fie  roirflia)  feine  grau  roerben?  ©ie  Ijatte  eS  fid)  ja 
oor  ad)t  £agen  ausgemalt,  ba&  fie  ftolj  auf  tfm  fein  roürbe,  roenn  fie 
jujammen  ausführen  —  nein,  ausgingen,  benn  Tie  Ijatten  natürlich  fein  (Selb 
^um  gafjren,  unb  fie  fonnte  ja  jefct  gerben.  2lrmutf)  mit  tym  fjatte  fie  ni#t 
fdjrecflid)  gefunben.  Unb  Tie  würben  geroife  eine  gfille  oon  Äinbern  &aben 
—  fef)r  bequem  roürbe  es  nidjt  fein,  Tie  felbft  5U  pflegen  unb  $u  roarten; 
nein,  er  roürbe  geroi§  Ijeftig  unb  ftreng  fein,  roenn  @efd)rei  roäre,  unb 
firfj  in  fein  3immer  einfdjliefjen,  unb  fie  roürbe  nidjt  ben  Sttutl)  fjaben, 
fola)  müfrfeligeS  Seben  freubig  ju  ertragen!  Unb  00m  2Birt^fa)aften  ©er* 
ftanb  fie  nktyS,  aud)  nid)t  uom  flodjen;  unb  fie  roürbe  es  aud)  niajt  mebr 
lernen,  benn  fic  roar  oiel  ju  5art  ba$u.  ^eftt  roar  fie  reidb;  aber  bura) 
bie  2Bieberoerl)eirat^ung  oerlor  fie  bie  diente,  roela^e  t^r  6d)roiegeroater 
it>r  au^gefe^t  l;atte,  unb  behielt  nur  t^r  eigene«,  niajt  bebeutenbeS  33ep 
mögen.  —  Unb  bie  flinber?  Sürbe  er  immer  gut  gegen  fic  fein? 

Sttarf  jerbrad)  [\<b  ben  ßopf,  roie  er  ben  oerfjafjten  9JJann  fennen 
lemen  fönnte.  GS  roar  bod)  nidjt  fo  einfadj,  ju  einem  gremben  5U  gel)en 
unb  ijm  ju  fagen:         roei§,  ba§  6ie  ein  8a)uft  fmb,  unb  td>  möd^te 


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- —    War  es  ticbc? 


(Sie  umbringen!"  Wan  würbe  Um  auf  bie  $oli$ci  führen  unb  itjn  für  unju* 
re($nung«fäf)ig  ober  betrunfen  erflären  laffen!  Unb  bod)  mufcte  er  i^n 
fetjen,  er^er  fjattc  er  feine  9hu>;  er  füllte  ein  fteteS  brennen  im  fterjen, 
luenn  er  nur  ben  tarnen  r>örte.  £abei  mufcte  er  fid),  foroie  er  aUein 
war,  eingeben,  bajj  er  fein  9ieä)t  rjabe,  jenem  etwa«  anjutyun,  oor 
feinem  eigenen  ©eroiffen  nid)t.  Sollte  er  etwa  ben  £reubrud)  be«  Cannes 
rächen?  2)a«  ©efüf)l,  ba«  ilm  ba$u  trieb,  mar  ja  audj  ein  £reubrudj, 
benn  in  feine«  &er$en«  ©runbe  galt  ifmt  3fa  bodj  al«  bie  grau  eines 
iHnberen,  unb  ba«  SSort  ber  Schrift:  „Ser  eine  Stbgefdjiebene  freiet,  ber 
bridjt  bie  £{>e"  —  fam  tf)m  immer  in  ben  Sinn:  ja,  einmal  mar  e«  ifmt, 
aU  tjörte  er  e«  in  feine«  3?ater«  Stimme  bidjt  an  feinem  D^r!  ^eftt 
nm&te  er  audj,  warum  er  e«  fia)  nie  t)atte  oorfteden  fönnen,  bajj  fie  feine 
grau  mürbe.  Sie  mar  ein  3beal,  ba«  er  emig  lieben  mürbe,  ein  Siefen 
aus  einer  anberen  Sßelt,  aber  für  i(m  feine  grau!  Wit  einer  Snberen 
würbe  er  fid)  nie  oerf)eiratf)en  fönnen,  meil  er  fie  nia)t  Heb  fjaben  mürbe 
—  aber  mit  ifn:  aud)  nia)t! 

9IU  biefe  (Sebanfen  famen  irmi  nur,  menn  er  aüein  mar;  in  i^rer 
9iärje  badjte  unb  füllte  er  nur  fie,  unb  ba«  beraufd)te  ifm  fo,  bafe  nidjt« 
Rubere«  baneben  Pafe  hatte. 

So  oergingen  bie  £age;  für  bie  Anberen  mar  fie  noa)  franf,  für 
il;n  gefunb  unb  frifa). 

©inmal  fann  er  gerabe  barüber  na$,  toa«  für  eine  merfioürbige  öe= 
manbtniB  e«  mit  ihrer  Säfmiung  gehabt  fyabt,  a(«  unoermuthet  an  bie  Xfjür 
a,eflopft  mürbe,  unb  ber  $)octor  eintrat,  olme  fein  „herein"  abjumarten. 

„sIi>enn  Sie  müßten,  toa«  mir  pajnrt  ift !"  rief  er  Warf  mit  ettoa« 
gefpielter  Aufregung  entgegen.   „©«  ift  $u  fdjrecflidj!" 

Warf  toar  aufgeftanben,  unangenehm  überrafcr)t,  brücfte  aber  burd) 
feine  grage  fein  3ntereffe  au«." 

„(*r  ift  tobt,  bei  £ifd)e  umgefallen,  unb  id)  foH  e«  itjr  mitteilen!" 
„©er?" 

„Senbeloto,  $err  oon  95tenbelo:o!" 

„Vergiftet?"  fragte  Warf  erföroden,  fo  bafe  ein  3lrgn)öl)nifa^er  if>n 
für  ben  ^d)ulbigen  f)ätte  galten  fönnen. 

„(Sitoa*  oergiftet  —  £er5fcr)lag!  —  3Iber  roicfoll  id^  e«  ifjrfagen?" 

„Wim,  ma«  geht  ba«  eigentlid)  grau  oon  Söenbeloro  nod>  an?" 

„Sa«  e«  fie  angebt?  £a  finb  Sie  jmei  Wonate  hier  im  §aufe 
unb  miffen  noa)  nid)t,  bafj  bie  grau  nur  (Sinen  ©ebanfen  Jat,  ben  an 
ihren  ungetreuen  Patron?  —  Ober  follte  gama  9ted)t  haben,  menn  fie 
behauptet,  feit  3h™r  Slntoefenbeit  toare  fie  ettoa«  getröftet  " 

Warf  ftieg  ba«  SHut  in'«  ®eftd)t,  er  unterbrüdte  aber  eine  9Tuf = 
roaltung  feiner  ßeftigfeit  unb  fagte  ruhig,  mie  geroöfjnüdj: 

„3$  t>erftet)e  nid)t,  ma«  Sie  meinen." 


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320    mite  Kremnit}  in  Bufarcft.  

„9hm,  laffen  mir  baS  für  ben  Slugenblicf !  3d)  fomme  eigentlich,  um 
Sie  31t  fragen,  ob  Sie  es  if>r  nicht  mitteilen  fönnen?" 

„3<h?   ©emt&  ntd^t/'  antwortete  er  rafd). 

„aBarum  nicht?"  entgegnete  er,  ü)n  firirenb. 

„3$  fenne  Tie  faum  feit  jroei  SHonaten,  Sie  finb  ir)r  alter  greunb." 

„$ann  oieUeia^t  (SineS  ber  Äinber?* 

„@rft  re$t  (nicht!  $>ie  ßinber  follen  gar  nidjt  wiffen,  wer  ifjr 
Später  ift!" 

„2Ber  fjat  3(men  baS  aufgebunben?    grau  oon  2Benbelow  felbft?" 

£r  lachte.  „2öaS  bie  grauen  alle  für  Lebensarten  machen!  S*or 
nicht  fed)S  SJionaten  fagte  Tie,  baS  ©injige,  was  fte  anftrebte,  wäre,  bic 
Äinber  im  ©etfte  beS  Katers  unb  in  ber  Siebe  ju  ihm  ju  erjiehen,  barmt 
fie  fia)  fo  an  ihm  rächen  !önnte!  —  Doch  roie  Sie  meinen.  3d)  mu§  es 
ihr  alfo  felbft  jagen  —  aber  eine  angenehme  Aufgabe  ift*«  nicht!" 

(Sr  oerltefe  baS  3immer.  9)iarf  blieb  am  genfter  ftdjen.  2&iS 
würbe  nun  gefdje^en?   2Bürbe  fie  wieber  franf  werben?  Qefct  ^at  ber 

$octor  in  ben  Salon  —  jefet  fagte  er  eS  ihr  2Bürbe  fie  auf* 

fchreten  unb  Einfallen  V  3lber  bie«  äufjere  gactum  änberte  ja  nicht*  an 
ber  Innenwelt,  in  ber  fie  lebte  —  warum  follte  fte  eS  \o  fdjroer 
nehmen? 

9tod)  einer  SBiertelftunbe  fam  ber  2lrjt  wieber  bei  ihm  oor;  SJtarf 
war  ihm  hö#  banfbar  bafür,  benn  er  hatte  nia)t  gehofft,  fo  balb  9iaa> 
rieht  über  fie  3U  befommen. 

„$Mffen  Sie,  was  fie  tljat?" 

SRarf  |"ah  ü)n  gefpannt  an. 

„Sie  ftanb  oon  ihrem  Stuhl  auf,  feit  brei  Safyxtn  jium  erften  iWal, 
ging  auf  mich  ju  unb  fagte:  „i>aS  fyätte  id)  wiffen  fönnen  —  fo  muBte 
es  ge[d)el)en  —  baS  fyabe  ich  oerbient!"  3h«  9tuhe  erfd&recfte  mid)  faft, 
benn  ich  fenne  bie  2eibenja)aftlid)feit  biefer  grau.  Sie  fragte  mich  nad) 
ben  (Sinjelljeiten  beS  gaÜeS:  was  ia)  nicht  wufjte,  erfanb  ia)  rafd),  um 
etwas  ju  fagen  ju  fyaben,  unb  ging  bann  fort.  Sie  rief  mir  naä),  id) 
möchte  fie  bei  3hnen  entfdjulbigen.  D,  biefe  grau  oergifct  nichts!  3*fct 
überlegt  fie,  welche  9Me  fie  fpielen  fofl:  bie  ber  oerjweifclten  (Stettin, 
ober  ber  &elbenmutter,  ober  ber  ftummen  trauernben  Patrone !" 

„Söarum  haben  Sie  eine  fo  fchledjte  Meinung  oon  grau  oon 
SBenbelow?"  fragte  3Warf  mit  erheuchelter  Luhe. 

„3$  fyabe  feine  fehlere  ÜMnung  oon  ihr;  im  ©egentheil,  icb  furbt* 
fie  fet)r  anjiehenb!  Sie  traten  mir  übrigens  leib,  als  ia)  fyövte,  baß  Sie 
in  bie  .§änbe  foldjer  Sirene  fielen;  öffentlich  finb  meine  SBarnungen 
nicht  umjonft  gewefen?" 

„&aben  Sie  &errn  oon  SBenbelow  gerannt?"  fragte  SJtorf  anftatt 
einer  Antwort. 


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  War  es  £iebc?    32\ 

„Sie  mia;  felbft." 

„Gr  muß  ein  fc^r  bebeutenber  ÜRann  gewefen  fein/' 
„5a,  mit  bem  SDhmbe!  9Ua;tS  gab  es,  wofür  biefer  9)?ann  fi$  nidjt 
intercffirte!  Gr  f  anwärmte  für  bic  fociale  ©teidiheit,  ließ  aber  feine 
dauern  —  er  hatte  große  ©üter  in  ©alijten  —  burd)  feine  Verwalter  ju 
©runbe  rieten,  wäfjrenb  er  felbft  f)ier  in  3)funf  unb  ÜMerei  btlettirte. 
(Et  hatte  £fjränen  im  2luge,  wenn  er  oon  Jlinbcrn  fpradj,  unb  fat)  fidj 
nid^t  um,  wenn  feine  eigenen  Hinber  an  ihm  vorbeifuhren;  er  mar  be* 
geiftert  für  eble  SBeiblidjfeit  unb  jog  feiner  grau  jebe  Äammerjofe  r»or; 
er  —  — 

„2lber  woher  galt  er  benn  fooiel  bei  feiner  grau?" 

„2öeit  er  über  2llleS  fpottete,  fo  meinte  fie,  er  fönne  mehr  als  Rubere; 
unb  weit  er  fid^  2lllen  überlegen  glaubte,  fo  glaubte  fie  es  audj,  2lnfangS 
wenigftenS." 

„3$  Ijabe  nie  im  Seben  einen  foldjen  -Dfenfdjen  getroffen." 

„SiaS  ftnb  aud)  Paritäten,  $reibr)auSpflan$en  bed  SReidhtfmmS!  — 
UebrigenS  ia>  muß  jefet  fort  —  Sie  tljun  mir  leib,  Sie  werben  jefot  eine 
&öHe  ^ier  im  ^paufe  (oben  —  Ijoffentlid)  entfließt  fie  ftä)  jur  gelben* 
mutter!" 

©r  ging  fort. 

2öaS  er  gefagt  hatte,  ging,  bis  auf  bie  legten  Sßorte,  fpurloS  an  SWarf 
oorüber.  9Bie  fonnte  eine  Seele  gleiä)  ber  beS  33octorS  feine  3fa 
greifen!  3hm  fam  baS  oor,  als  hätte  man  auf  feines  StiefelpufcerS  Meinung 
über  tfm  ©ewicf)t  legen  motten!  lieber  bie  „föölle",  bie  ihm  oorauS  ge* 
fagt  worben,  mußte  er  lädjeln.  $>ann  wieber  feufjte  er  auf,  fyalb  aus 
@rleid)terung,  \)aib  aus  33efrembung :  Sie  mar  jejjt  frei  —  fonnte  •  eS  bodj 
einmal  wahr  werben,  was  fie  gefagt  ?  2£ar  es  nid)t  ju  oermeffen,  ftd)  in 
foldjen  Xräumen  ju  wiegen?  2öar  es  nid)t  fleinlidj  gewefen,  baß  er  bis* 
fjer  auf  ben  Unterfdjieb  beS  SßermögenS  fo  großes  ©emidjt  gelegt  hatte? 
(£r  wollte  ja  fleißig  arbeiten,  um  in  ber  Söelt  vorwärts  ju  fommen  —  ba 
toar  es  bodj  feine  Sdjanbe,  wenn  bie  heißgeliebte  grau  reidj  war? 

Unterbeß  brad)  ber  2lbenb  herein,  bie  ^ageSjeit,  bie  ihm  im  Sauf 
ber  lefoten  2Bod)en  fo  lieb  geworben  war,  baß  er  um  biefe  ßeit  }d)on  ein 
wohliges  (Befühl  empfanb,  ol;ne  ju  bebenfen,  warum?  (St  erinnerte  ftd), 
baß  ber  $)octor  fie  in  ihrem  2luftrage  bei  iljm  hatte  cntfdjulbigen  follen;  ' 
fo  maäjte  er  fidj  auf,  bie  ftinber  im  ©arten  $u  fnajen  unb  ilmen  an'S 
.«perj  in  legen,  baß  fie  bie  üftutter  oollfommen  in  Stühe  laffen  mö$ten.  ©ewiß 
l;atte  fie  gar  nid;t  bie  2lbftd)t,  ben  ftinbern  ju  fagen,  weldje  9tocf)rid&t  fie  er= 
l;alten  hatte;  ihre  2leußerung,  baß  biefelbeu  nie  wiffen  fottten,  wer  ihr  35ater 
wäre,  fiel  ihm  wieber  ein.  ßr  bura;fud}te  oergebenS  ben  ©arten!  3U  rufen 
wagte  er  nid)t,  weil  Sa^lafftubenfenfter  auf  ben  ©arten  hinausgingen, 
unb  ein  lauter  9iuf  hätte  fie  ftören  ober  beunruhigen  fönnen.  So  fer)rte 
er  unoerria;teter  Sadf)e  in's  §auS  jurüd,  wo  ihn  ber  Liener  erwartete^ 

9lorb  im*  6üb.  LI,  153.  22 


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322 


  mite  Krcmttitj  in  Bufarcfi. 


um  tym  mitjutbeilen,  ba§  teilte  für  Um  allein  feroirt  wäre,  ba  bie  Stoiber 
am  ©ettc  ber  SWutter  Reiften.  Wart  fanb  baS  fdtfiefelid)  erflarlia),  fd>rurfte 
fein  Gffen  fd>neU  hinunter  unb  ging  bann  auf  fein  3immer. 

(TS  mürbe  ftill  im  &aufe;  er  fajj  oor  feinem  Sd)reibtifcr)e  unb  fdjrieb 
Briefe.  3uerft  an  feine  ältefte  Sdjweftcr,  bann  an  feine  eitern  unb  fd)lie§liä 
an  feinen  23ruber,  mit  bem  er  über  politifdje  £>inge  $u  biScutiren  pflegte. 

Xa  öffnete  fi$  plöfelid)  feine  Xlurc  —  9)iarf  f>atte  feine  Stritte 
auf  ber  Xreppe  uernommen,  fein  knarren  auf  ben  Sielen  beS  (SorriborS 

—  3fa  ftanb  uor  irjm,  in  langem  fdjwarjem  ßreppgewanbe.    Sie  glidj 
barin  unb  in  if)ren  Bewegungen  einem  ©eifte. 

Seltfam!  Sein  erfter  ©ebanfe  mar  ber:  wo  rjat  fie  fo  fdmell  baS 
Srauergewanb  gefunben  ?  &atte  fie  es  für  irgenb  meldte  (Megenfjeit  liegen 
gehabt?  (Sr  mar  aufgefprnngen,  unb  fie  fefcte  fidr)  an  feinen  Sdjreibtifd), 
wärjrenb  er  oor  iljr  fteljeu  blieb.  Sie  mar  feit  Stoßen  feine  treppe  ge= 
fliegen,  t)atte  alfo  nod)  nie  ben  gufc  in  fein  3immer  gefegt.  (£r  ergriff 
wortlos  if)re  ^anb  unb  füfjte  fie,  worauf  fie  fie  ifnn  fdjnell  entjog: 

,,3d)  fomme,  um  ein  fdjwereS  Unrecht  gut  $u  machen,"  begann  fie 
mit  frember  Stimme,  fefcte  aber  bann  in  iljrem  alten  Xonfall  Ijinju:  „Sßenn 
man  es  eingefterjt,  ift  es  bod)  fdjon  tjalb  uergeben,  nid)t  watjrV" 

(Sr  antwortete  nidjts,  aber  feine  53licfe  fingen  mit  merfwürbiger 
Spannung  an  ifjr.  „Seijen  Sie  und)  i;id)t  fo  an,  id)  benfe  fonft,  Sie 
lieben  mid)  wirflid),  unb  ba»  ift  ja  nid)t  möglia)  nad)  fo  furjer  23efannt* 
fdjaft;  es  war  ja  ein  Qrrtlmm  oon  uns  Reiben.." 

„3fa!"  ftieft  er  IjerauS,  unb  etwas  fo  SBorwurfSoolIeS  lag  in  bem 
£on,  baf$  fie  ifm  nidjt  anfetjen  fonnte,  fonbern  ftd)  bie  2lugeu  mit  ber 
&anb  befdjattete. 

„Wart,  es  wäre  ja  foldj  unerhörter  Unfinn  gewefen,  felbfl  wenn  mir 
uns  wirflid)  geliebt  f)ätten  — "  begann  fie  wieber. 

„2i?enn  — !"  unterbrad)  er  fie  unb  trat  einen  Sdjritt  jurüd. 

,,&d)  bitte,  laffen  Sie  midj  einmal  auSfpredjen  —  td)  weife,  ba§  Sie 
mid)  uerfteljen  werben,  aber  laffen  Sie  es  midj  $rmen  ruljig  unb  befonneu 
erflären,  niajt  fo  in  abgeriffenen,  unterbrochenen  Säjjen  .  . 

„3$  Ijöbe  Sie  fd)on  oerftanben,"  fagte  er  bitter. 

„9icin,  nein,  benn  Sie  wiffen  nidjt,  was  tdj  empfaub,  als  id)  freute 
bie  9?adjrid)t  befam.  —  gür  mid)  follte  er  ja  lange  tobt  fein,  aber  td) 
braudjte  biefe  Gifdmttetnng  bodj,  um  ju  mir  felbft  §u  fommeu.  Riffen 
Sie,  wenn  man  eine  grofje  Arterie  im  menfd)lid)en  DrganiSmuS  unter- 
Mnbet,  fo  bridjt  fid)  bas  23lut  bnrdj  fleine  Nebenwege  Balm;  beim  es  mufe 
f reifen,  wie  bie  Stteerflutl)  fteigen  unb  f allen  muß.  Wix  t)attc  baS  Sd&iäfal 
bie  Jganptarterie  unterbunbeu  —  id)  burfte  il;n  nidjt  lieben,  all  mein  Stol^, 
all  mein  Sollen  verbot  eS  mir.   Sflun  ift  fie  wieber  frei  —  er  ift  tobt 

—  unb  all  mein  23lut  ftrömt  burd)  fie  burd),  unb  bie  fleinen  ^ebenroege 
fiub  oerlaffen!  $as  flingt  furchtbar,  i$  ftelle  mir  jelbft  bamit  baä  eif* 


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XOax  es  £icbe? 


323 


fefclichfte  3euöni§  au§;  ober  meine  9totur  ift  fo  graufam,  fo  unerbittlich' 
3<$  liebe  nur  ilm,  habe  nur  ihn  geliebt;  ia)  begreife  nicht  einmal  mehr, 
bag  \a)  je  Sie  $u  lieben  glaubte,  id;  fann  e3  nic^t  begreifen  — " 
,,3dt)  baa)te,  3&r  Sitte  fei  frei?" 

„S  i  e  haben  mia)  ja  eines  Vefferen  belehrt,"  oerfefete  fie  fanft.  „2lber 
warum  überhörte  ftreiten,  2Harf?  3a)  miß  jefet  nur  oon  Shrem  Stanb* 
punft  am  fpredjen  —  SNarf,  es  wäre  ia  nie  gegangen!" 

„2BaS  ?" 

„Stoß  tä)  3!)rc  grau  geworben  märe!  @3  märe  ja  lää)erliä)  gewefen 
unb  ein  purcS  Unglüd  für  Sie.  Sie  muffen  ein  junget,  unerfahrene« 
sBiäba;en  r)eiratt)en  —  id)  glaube  fogar  311  wiffen,  bafj  in  3hrer  §etmat 
(Sine  auf  Sie  wartet  —  nia)t  midj,  eine  grau  mit  $wei  ßinbern  unb  fo 
jdjroerer  Vergangenheit!" 

(Sr  hatte  fia)  auf  feinen  Sä)aufelftuf)l  geworfen,  ber  bem  ßidjte  ab* 
gemanbt  ftanb,  unb  bewegte  fia)  langfam,  ben  5lopf  hintenüber  gelehnt,  Inn 
unb  her.  Sie  fah  feinen  blonben  5lopf  alle  2Iugenblirfe  oom  £ia)te  golbig 
erheüt,  bann  wieber  in  bie  Xunfelheit  $urüdgetaua)t;  feine  3üge  aber  tonnte 
fie  md)t  beobachten. 

£a  er  nia)t£  erwiberte,  fo  fpraa)  fie  nicht  weiter.  So  oergingen 
wohl  fünf  Minuten. 

„sBaä  fagten  Sie?''  begann  er  plöfeftä)  mit  heftiger  Stimme. 

„9li*ta." 

,,2Ia)  ja,  Sie  haben  nichts  mehr  $u  jagen!  3a)  auch  nid)t." 
Gr  f^rang  auf,  Iwlte  feinen  Ueberrocf  aus  bem  Sa)ranfe  unb  ergriff 
jeinen  &ut. 

Sie  ftettte  fia)  oor  bie  £fjur:  „3o  bürfen  Sie  nicht  fort!" 

„SBarum  nicht?  SScil  wir  einen  Gontract  haben?" 

<£r  framte  im  Sdmbjadje  beS  Schreibtifä)e3,  holte  ein  Rapier  herauf, 
$erri&  e3  unb  warf  es  ihr  oor  bie  gü§e. 

„3Hetn  armer  3«nge/'  jagte  fie.    „Sflarf,  feien  Sie  oernünftig!" 

„3$  bin  ganj  oernünftig,  jutn  erften  9)ia(e,  feitbem  ia)  h^  einjog! 
«Ute,  laffen  Sie  mia)  bura)!" 

,,3d)  werbe  ohnmächtig,  9Karf,  wenn  Sie  miä)  fo  foltern!" 

„£>aS  glaube  ia)  nidjt;  bie  t (einen  ftebenarterien  finb  ja  auSgetrorfnet, 
nur  in  bem  Hauptarm  ftrömt  3h^  s*8fot  — " 

„ipaben  Sie  mir  ben  Vergleich  oerargt?" 

„Den  Vergteiä)  nicht,  ber  war  ganj  gut;  aber  bie  3aa)e!" 

„Weben  Sie  bod)  nicht  fo  trocfeu  unb  hart;  haben  Sie  SNitteib 
mit  mir!" 

@r  mag  fie  einen  9lugenbticf  falten  SlicfeS,  bann  fä)ob  er  fie  bei  Seite. 
„9ttarf,"  fagte  fie,  „wenn  es  3hnen  fo  furchtbar  fa)wer  wirb  —  ia) 
raupte  md)t,  bafe  eS  3hnen  fo  tief  ging  -" 

(5r  laä)te  bitter  auf:  „£aS  wufjten  Sie  nia)t?  $aS  ift  baS  gurä)t* 

22* 


ITUtc  Krcmnttj  in  J3ufarcfh 


barfte,  roa£  Sie  mir  fjeute  21benb  gefacjt  fjaben;  e3  foll  aber  audj  bal 
Sefcte  fein!"   «Damit  fä)(ofj  er  bie  Xfjür. 

Sie  fanf  auf  einen  Stuf)I.  „$er  artne  ftunge  !"  feufjte  fte.  $ann 
überlegte  fic,  bafj  bie3  unerwartete  @nbe  boa?  ba$  befte  wäre.  9ton  roar 
bie  fdjöne  ©pifobe  gefdjloffen;  unb  e$  mar  nidjt  fdjabe,  bafe  fie  bagemefen! 
9iein,  fie  tjatte  neue  Sebensfraft  au«  if)r  gefogen,  unb  nun  fonnte  fie 
•permann  ganj  geregt  merben,  nun  nerftanb  fie  ifm  ganj,  nun  ^atte  fie 
aucr)  einmal  etroas  empfunben,  roaS  fie  nia)t  gebilligt;  e3  Ijatte  iebenfalte 
5U  iljrer  ^erooUfommnung  gebient!  Unb  aud)  bem  jungen  tarnte  würbe 
eä  nia)t  fä)aben,  bafj  er  fie  geliebt  t)atte,  geroife  nidjt!  ©ine  Qugenbliebe  ift 
eine  Vereiterung  für'3  Seben!  —  SBiefoUte  fie  e$  nur  ben  Äinbem  fagen, 
baf3  2)?arf  Sieger  fie  fdjon  mieber  oerlajfen  rjätte?  flatfjdjen  mürbe  geroitj 
meinen,  fte  roar  fo  roei^erjig  roie  tt)r  93atcr;  aber  bie  Seit  rjeilt  jaSUltf! 
—  Slergerltä)  roar  be3  $>octor3  rjöfnüicrjeä  ©efiä)t,  baS  fte  eine  ©eile 
mürbe  ertragen  muffen;  aber  fie  roar  ja  gerooljnt,  bie  Sä)roädjen  ber 
£eute  ju  ertragen. 

Unb  bainit  begab  grau  oon  SBenbeloro  fiä)  in  if)r  flimmtr;  unb  als 
fie  am  Spiegel  »orbei  ging,  munberte  fie  fidt)  felbft  über  ir)re  i)iuf)e  unb 
Selbftbe^errfdmng. 

Sftarf  aber  fuf)r  in  bie  £eimat,  um  fid)  nad)  einer  neuen  Stellung 
umjufeljen. 


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£u£)tx>ig  Pfau. 

Don 

<5u(lao  Karpeles.  / 

—  Berlin.  — 

Itc  getftige  6 Reibung  $toifa;en  9Jorb  tmb  Süb  be3  beulten 
^aterlanbeä  f)at  viel  früher  ein  Gnbe  geFunben  ate  bie  pofttifc^e. 
Streng  genommen  eyiftirt  bie  Itterarifd^e  SJtoinlinie  fdjon  feit 
einem  Ijalben  Qafjrljunbert  nid)t  meljr;  fübbcutfd;e  ^oeten  finben  im  Horben, 
norbbeutfdje  DiomanfajriftfteHer  im  ©üben  be3  ^atertanbes  3ntereffe,  9rn= 
erfennung  unb  2f)eilnafmte.  Söenn  mir  bie  Literatur  ber  ©egemoart  über* 
fd)auen,  fo  finb  e$  im  ©runbe  genommen  nur  jtoei  mädjttg  ausgeprägte 
Snbioibualitäten,  auf  meldte  biefe^  ©efefc  feine  Slmoenbung  finbet:  £fjeobor 
gontane  im  Horben,  fiubroig  ^3fau  im  ©üben  2>eutfd)Ianb3.  Unb  bod) 
f)at  gerabe  gontane  etroaS  oon  ber  fübbeutfdjen  ©emütfjlidjfeit,  roäfjrenb 
^tfau  irie!  oon  ber  norbbeutfdjen  ^f)t;fiognomie  be$  Gmpfinben-S  unb  ;Denfen3 
an  fid)  trägt.  fann  I;ier  nid)t  bie  Aufgabe  fein,  nad)  ber  $erantaffung 
biefer  £f)atfad)c  ju  formen;  aber  fie  bürfte  fidt)  roof)l  toenigftenS  für  bie 
eine  biefer  beiben  3nbtoibualitäten  au«  ber  23etrad)tung  if)re$  Sebent  unb 
Staffens  oon  felbft  ergeben.  3u  e^ner  folgen  Betrachtung  bietet  fid^  jefct 
geeignete  ^eranraffung.  2>er  fiebenjigfte  ©eburtstag  unb  bie  ©efammt* 
ausgäbe  ber  3Berfe  finb  ja  roofyi  oft  bie  einzigen  gefte,  bie  ber  beutfdje 
(SdjriftfteHcr  311  oerjeidnten  Ijat,  unb  eine  fixere  ©tappe,  auf  meldjer  bie 
ßritif  ifjtn  gegenüber  Stellung  nehmen  mufj. 

^on  Subioig  ^pfau'3  £eben  tft  nur  wenig  $u  berieten,  9?id)t  ettoa, 
tueÜ  biefeä  £eben  an  fid)  nidjt  intereffant  unb  bewegt  genug  geroefen  märe, 
fonbern  roeil  e3  nod)  nidjt  an  ber  fteit  ift,  baSfclbe  ju  crjäljlen.  Subroig 
$fau  ift  ein  SBürttemberger.    Gr  gehört  alfo  rooljl  $u  ben  Sdjioaben 


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326 


<5uflai>  Karpcles  in  Berlin.   


in  ber  Literatur;  man  roei&,  rote  oiel  ©eift  unb  flraft  biefer  Sanbjtrid)  ber 
beutfdjen  33tlbung  fett  merjr  als  einem  3al)rf>unbert  gefdjenft  f)at.  ©r  ift 
geboren  am  25.  2luguft  1821  $u  fteilbronn  als  Sofnt  eine!  SlunftgärrnerS. 
Sdjon  in  jungen  Sauren  ging  er  felbft  als  ©ärtnerlerjrltng  nadj  ^aris. 
9iaä)  ber  fdjroäbtfdjen  Heimat  äurfi<fgcfef)rt,  entfagte  er  jebod)  btefem  Berufe 
unb  roibmete  fu$  bem  Stubium  auf  ben  Untoerfitäten  $u  Bübingen  unb 
.§eibelberg.  Seine  Neigung  führte  ifm  jur  ^oefie  unb  flunftroiffenfdjaft; 
auf  beiben  Gebieten  (eiftete  er  fdjon  bamals  mer)r  als  ©eroölmlid)eS  unb 
roufete  bie  Slufmerffamfett  auf  fia)  §u  lenfen.  $ie  9?cuolution  be«?  3*$?** 
1848  fab  ifnt  unter  ibren  oorberften  (Streitern ;  in  ber  3eit  ber  9ieactton 
flüdjtete  er  erft  nadj  ber  Sdjroei;v  unb  bann  1852  nad)  i*aris,  roo  er  fidj 
auSfdjliefjlid)  ber  tfunftgefcrjidjte  unb  Stunftfrttif  juroanbte.  Später  roedjfeltc 
er  feinen  Sofmort  nod)  oft;  er  fnelt  fid)  jeitroeife  in  SBrüifel,  2lntroerpen 
unb  £onbon  auf  unb  feljrte  enbtidt)  amneftirt  int  Qaljrc  1865  nadj  Stutt* 
gart  jurüd,  roo  er  feitrjer  feinen  2£obnftfc  bal-  Seine  politifdje  lieber« 
jeugung  Jjatte  fid)  in  ben  3atyren  ber  9ieacttou  mcr)t  geänbert,  unb  er  fanb 
balb  ©elegenljeit,  fte  journaliitifdj  $u  betätigen.  3nt  Safyxe  1848  r)atte 
er  baS  ©tfcblatt  „Gulenfpiegel"  herausgegeben;  unb  nad)  feiner  9?ütffef)r  be; 
trjeiligte  er  fid)  lange  3^it  an  bem  „Stuttgarter  53eobad)ter",  bem  befannten 
ffibbeutfdynScmofratenorgan,  bejfen  Seiter  ber  jüngft  oerftorbene  ßarl  tarier 
geroefeu  ift.  5lber  bie  politifd)e  9ttd)tung  übte  feinen  ober  bod)  nur  einen 
fefjr  geringen  ©influfj  auf  fein  geiftigeS  Staffen  aus;  fte  r)at  feine  poetifdje 
SebenSanfdjauung  gar  nid)t  unb  feine  fünftterifa^e  3Beltanfd)auuug  nur 
wenig  beeinflußt. 

Sdjon  als  günfunbjroanjigjäfunger  gab  $fau  feine  erfte  unb  einjtgc 
©ebi<f)tfammlung  beraus,  beren  vierte  burdjgeferjene  unb  oermebrte  Auflage 
in  biefem  %a\)xe  erfdnenen  ift  (Stuttgart  1889).  3n  biefc  SluSgabe  ift 
rool)l  aud)  baS  ^efte  aus  ben  „Stimmen  ber  3^t"  (föeilbronn  1848) 
foroie  aus  ben  „$eutfd)en  Sonetten  auf  baS  3a\)x  1850"  (3ürtdj  1849) 
mit  aufgenommen.  IHttfjcrbem  ift  auf  poettfdjem  (Gebiete  nur  nod)  eine 
in  ©emeinfdjaft  mit  feinem  Jrcunbe  2J?orifc  $artmann  unternommene 
oorjüglidje  llebertragung  „$retonifd)er  33olfslieber"  (Mit  1859)  51t  r»er* 
$eidjnen.  ShJir  ^aben  alfo  bie  poeti|djc  3nbiuibualität  £ubroig  ^ßfau'S  in 
einem  nidjt  alljuftarfen  23anbe  uon  450  Seiten  afcgefcrjfoffen  oor  uns  liegen 
unb  tonnen  uns  banaä)  unfer  Urttjeil  btlben. 

@s  lag  nalje,  bafj  man  ben  Xia)tcr  olme  Weiteres  ju  ben  Sdjroaben 
geworfen  tjat.  3n  unferen  £iteraturgefd)id)ten  ift  er  mit  (Sbuarb  3JJörife 
überaß  als  ein  9fad)jügler  ber  fdjroäbtfdjen  Sdjule  aufgeführt.  2luS  einer 
näheren  Gbarafterifirung  feiner  poetifd^en  9lrt  roirb  es  fidt)  ergeben,  ob 
bieje  9iubricirung  bered)ttgt  ift  ober  nid)t.  ^ie  fd^roäbijdje  Sa)ule  jei^nete 
fia)  burd)  ben  Grnft  ber  Öefinnung,  burd;  bie  SEärme  it)rer  Ueberjcugungen, 
burd)  bie  9?cinf)eit  ilner  biajterifdjen  ©eftaltungefraft  oor  ben  anberen 
poetifdjen  Sajulen  ^eutfd;lanb9  aus.   3l;re  2Belt  ift  bie  beS  ©emütlies; 


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f  uoong  Pfau. 


327 


in  roeifer  SBefdjränfung  h<*&en  fidj  bie  3Md)ter  auf  ein  Stoffgebiet  surütfge* 
Sogen,  in  bem  bie  einfodje  Önnigfett  ber  ©npfinbung,  bie  flare  9lnfchauung 
her  ?totur  unb  ba3  fübttdje  Pathos  überwiegen.  3Me  marftge  flraft  be$ 
SluSbrucfö,  bie  überfdjäumenbe  gfiffe  be3  ©ebanfengebalts,  bie  fdjöpferifdje 
SHdjterfraft  fehlte  ihnen;  ffifme  Probleme  be3  ©ebanfenS  haben  fie  ftets 
forgfam  oermieben  in  ben  flreis  ihrer  Betrachtung  §u  sieben;  tfjre 
SPoefie  ift  „gans  Eingabe,  (Sinnigfeit,  ^nnigfeit  unb  üftaturanbacht."  Sie 
Statur  felbft,  ihre  f)öd&»te  9J?eifterin,  fpiegelt  ftdj  für  fie  in  ben  9?ei$en 
i^rcS  eigenen  föeimatlanbeä  roieber;  ber  ®influ§  biefer  lanbfdjafilichen 
Schönheiten  auf  bie  ^oejte  ift  bie  fdjroäbifdje  ©emütblid)fett. 

2£ie  ftebt  e3  nun  um  äffe  biefe  (Sigenthümlid)feiten  ber  fdjroäbifdjen 
Schure  bei  Subrotg  $fau  ?  Seine  ©ebid)te  erregen  unfer  ^ntereffe  pnächu" 
burd)  bie  benimmt  ausgeprägte  ^nbioibualität  be3  5poeten.  Gr  burdjbridn" 
bie  conoenttoncffen  gönnen,  in  roeldjen  fid)  feine  bidjterifd)en  &eimats 
genoffen  beroegen.  ^idjts  2ttenfd)liche3  ift  ihm  fremb  unb  fein  Stoff 
3U  f probe.  (£r  weift  jebem  eine  eigene  Seite  abjugeroinnen;  feine  ^oefie 
macht  ben  (Sinbrucf  beS  SSabren,  unb  bie  Originalität  in  feinen  ©ebidjten 
ergebt  fie  roeit  über  ba3  üJtafe  auch  ber  befferen  Schöpfungen  ber  älteren 
fdjroäbifdjen  ^Diö^tcrfc^ufe.  3In  3ierltchfeit  ""b  gormcnglätte  mögen  if>n 
fein*  oiele  feiner  poettfdjen  Sanbefcute  übertreffen  —  an  $raft,  an  ©es 
banfenreidjtfmm  unb  an  paftif  be£  9Iu3brucfe3  überragt  Um  nur  ein 
einziger:  Gbuarb  3>iörtfe. 

^n  ber  £f)at  bilben  @buarb  9Jtörife  unb  Subroig  $fau  eine  neue 

fchroäbifche  £id)terfcbule.   Sie  3eit  ift  längft  uorüber,  ba  man  bie  poetifdjen 

Sc^maben  höhnen  burfte: 

2(nbre  Stüter  haben  üfctft, 
2fubre  ^fjantaue,  unb  anbrc 
ßetbenfcbaft;  ieboi)  btc  Xugenb 
£aben  loir,  bic  Scfoüabcnbidjter! 

^oeten  roie  Gbuarb  2)?örife  unb  Subroig  $fau  haben  neben  äffen  anberen 
nationalen  £ugenbcn  aud)  ©etft,$oefie  unbSeibenfdjaft  in  ihren  Sdjöpfungen. 
Subrotg  $fau  ift,  roie  ich  bereite  bemerfte,  ein  Xidjter  oon  Originalität 
in  ber  ©mpfmbung.  Eamit  foll  aber  burcfaud  nicht  gefagt  fein,  bajjer 
gan^  unabhängig  oon  beftimmten  2>orbilbern  fid)  entroidelt  fyaU)  im 
©egentheil:  er  ift  ohne  Ublanb  unb  $eine  $u  benfen.  £on  Ublanb 
hat  er  ben  oolfetbümlichen  £on  in  feinen  ©ebtd)ten,  oon  £eine  bie  fang* 
bare  9)ielobie.  2öa3  ihm  aber  oor  2lttem  eigeuthümlid;  ift,  ba$  ift  ber 
3auber  ber  Stimmung,  ben  er  allen  feinen  Silbern  aus  Statur  unb 
Sehen  511  oerleihen  weife.  Stimmung  ift  in  3Iflem,  roa£  er  fcbilbeit,  fo-- 
roohl  in  feinen  Siebe3gebid)ten,  roenn  er  bie  Tonnen  ber  erften  Siebe, 
bie  Stürme  ber  Seibenfehaft,  ben  Schmers  ber  Trennung,  bie  greube  be£ 
2Bieberfehen3,  bie  £rauerbotfchaft  oon  bem  £obe  ber  ©eliebten  ober  bie 
fllage  über  Herrath  in  ber  Siebe  sunt  3lu§brucf  bringt,  roie  aua;  in  feinen 


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528 


  (gnfiao  Korpelcs  in  Berlin. 


Silbern  aus  bem  Seben,  bie  im  bunten  tfafeiboSrop  atte  3rcu^en  wto 
Sdunerjen,  afle  Erfahrungen  unb  ©mpfinbungen  beS  9Kenfd)enf)er*enS  uns 
porfurjren.  SSor  Mein  aber  ift  eine  Julie  pon  Stimmung  in  feinen  33urf(r)en= 
unb  9JMbcr)enliebern  unb  in  feinen  33allaben ;  tjier  ift  Subroig  $jau  gan$  ein 
3ögftng  ber  f$röäbifdjen  Didjterfdmle,  beren  $8or;\fige  er  in  reifem  2)?afee 
vereinigt.  @S  ift  baS  Mfstrjümtidje,  ber  fdjlidjte  3luSbrutf  ber  2Sktf)r= 
haftigfeit,  ber  »oOfc  Sfleidjtrjum  innerer  (Smpfmbung,  ber  feine  Sieber  bem 
Xon  beS  9?olfSliebeS  fetyr  narje  bringt.  Die  2lrt,  roie  er  bie  Statur  auf= 
faßt,  urie  er  fein  inbioibuelles  geifttgeS  Seben  in  baS  allgemeine  SRaturreben 
aufgeben  läfet,  ober  audj  wie  er  bie  (Sinroirfung  biefeS  auf  jenes  mit 
wenigen  Striaen  ju  fdjilbern  weife,  um  baburcr)  eine  nachhaltige  Stimmung 
hervorzurufen,  ift  gerabesu  berounbernSroertf).  Das  gemütboolle  SRaturgefuhl 
ber  Sdjnmbenbicr)ter  feiert  in  feinen  Siebern  toarjre  £riumr<r)e;  bie  greube 
an  ber  9?atur  roetfc  immer  neue  Sdjönrjetten  an  ihr  ju  entbecfen,  unb  biefe, 
mit  ber  poetifcrjen  Scrjönrjeü  oermärjlt,  permag  immer  neuen  ©inbrucf  auf 
unfer  ©emütt)  rjerpor^ubringen. 

2luS  ber  9iatur  entlermt  er  Sdmuuf,  Stfb  unb  ©leicfyiife,  um  auch 
baS  Seben  ju  fcfjmücfen;  oor  2Wem  aber  brtcr)t  in  feinem  Sie&eä lieb  baS 
9taturgefiiltf  mit  fiegretdher  ftraft  burdj.  Die  Siebe  fteigert  fein  fubjectioeS 
ßmpfmben  ju  jener  Ijoljeit  Stimmung,  in  roetdjer  es  getrieben  roirb, 
fid)  in  baS  SWieben  ber  9?atur  ju  perfenfen  unb  ftier  baS  ben  eigenen 
Stimmungen  entfpredjenbe  2?erroanbte  unb  Sinnpatfnfcrje  ju  fudjen. 

Einige  33eifpiele  mögen  biefe*  Urtrjeit  befräftigen.  %ä)  greife  auf  gut 
©tticf  aus  ben  „TObdjenttebern",  in  meldten  ein  armes  junges  Äinb  fein 
SiebeSleib  ben  SÖalbem  unb  ben  ^turnen  ftagt,  eines  fjerauS: 

O  Rätter,  bürrc  Blätter  i 

2Btc  trauert  ihr  fo  feljrl 

9118  ihr  nod)  gäbet  grünen  ©ebeiu, 

$a  mar  mein  lieber  6tf>a&  nod)  mein, 

£cn  bab'  id)  nimmermehr. 

O  Blätter,  bürre  Blätter! 

3t>r  habt  i^n  oft  aefefm, 

äöann  er  mir  2rcu  berfbroeben  bat  — 

2id)!  fann  benn  Siebe  wie  ein  Blatt 

3n  einem  Saljr  belehn? 

O  Blätter,  bnrre  Blätter! 
(S8  mar  ein  falfcher  ftnab'; 
(Sud)  flaa/  id)  eS,  ihr  fdimcißct  ftiO, 
Üöeil  id)  fonft  SMentanb  faflen  miß, 
2Bie  lieb  ich  ihn  nod)  hab'. 

■3Wan  fann  toof>  faum  fd;lid)ter  bie  tiefe  Gmpftnbung  unglücklicher 
Siebe  auSbrücfen.  £ier  ift  poettfcr)e  Unfdmtb  unb  befdjeibene  95>ar)r^eit ; 
luer  ift  £on  unb  9)?e(obie  beS  ^olfsIiebeS,  unb  baS  (Sinftimmen  unb  SMU 
fmgen  ift  nur  eine  grage  ber  3eit  unb  beS  perfönlid)en  ^errjälrmjfeS. 


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  £ubipig  pfau.    329 

©in  $audj  von  bem  ©elfte  ®oet^' 3  roef)t  in  bem  Siebe  „9?a<$tbalfam" ; 
f>ier  ift  2löe5  Seben  unb  Gmpfinbung,  nirgenb  9tefIerion  ober  33efdjretbung, 
2lHe3  im  unmittelbaren  39ejug  jum  fubjecttoen  ©mpftnben  beä  3ttenfdjen= 
fierjenS. 

üttein  Sieb'  £u  fottft  aefunbcn!         Sie  böfcn  3ungen  fcfooeigen, 
©ieb,  fommen  ift  bic  9tad)t,  Sic  Seiner  Siebe  brofjn, 

Unb  ?UIe8  ift  berftfitr>unben,  Unb  milbe  ©terne  fteigen 

2Öa8  Sag«  Sir  bange  madjt.  ^eranf  am  Gimmel  fdjon. 

Sie  ftiffen  Sanbe  liefen  Unb  alle  ©rünbe  lauftfjcn, 

@o  grofe  unb  feiertid),  (Sin  SBeb'n  gebt  über'*  3fetb, 

Unb  fjeflf  Söaffer  fdmttegen  Unb  afle  Stbfel  raufeben  — 

Sur4)  bunfle  Xbäfer  ftdj.  SaS  ift  ber  (Seift  ber  SSelt. 

Scr  giebt  ob  bem  (Betriebe 
Sc«  SebenS  ernft  einber; 
Sie  fterjen  boffer  Siebe, 
Sie  fdjoneu,  fegnet  er. 

£iebe$gefüf}[  unb  9?aturempfinbung  liaben  ftdj  f>ier  ju  rounbernoUer 
Harmonie  Bereinigt;  bie  9Jaturfcenerie  bilbet  ben  geeigneten  ßintergrunb, 
aber  ba3  redete  SJtoß  in  ber  S)arftellung  biefer  9toturfcenerie  ift  fiberall 
in  biäcretefter  SBeife  gewährt.  Unb  biefe  S)i3cretion  oerftefjt  $fau  in  allen 
feinen  ©cbid)ten  an^uroenben;  nur  als  ^intergrunb  berfelben  werben  mit 
leidsten  aber  ftdjeren  Strichen  grüfjling  unb  borgen,  9Honbfd)ein  unb 
6onnenprad)t,  STfjau  unb  SRegen  angebeutet,  tiefes  redete  9)tafj  in  ber 
9?aturbarfteUung  ift  einer  ber  größten  SBorjüge  feiner  poetifdjen  6djöpfungen. 
@in  Seifpiel  aus  ben  „$olf3  weifen"  mag  biefer  Urzeit  erhörten. 

Ser  Sobeäengel  fingt: 

Ser  Sfbenb  fommt,  ber  Sag  berblid), 
5£)te  (Srfiatteu  toebn  unb  toeben. 
<3d)on  roädift  ein  langer  €>djattenftrid) 
Sir  langfam  überS  ßcben. 
©emad)  berflnft  in  Sämmerfdjein 
©ebirg  unb  Iba!  unb  $cft>  unb  £>ain  — 
©eblaf,  utübeS  fcers,  fdjfaf  ein! 

©o  Suft  als  ßeib,  bir  moblbefaunt, 

SÖerlafTeit  ben  ©en  offen; 

Unb  2tlle8,  toa8  Su  Sein  genannt, 

3ft  toie  ein  Suft  aerfloffen. 

Ser  Sag,  er  fear  ooU  bei&er  S^ein, 

3efct  nabn  bie  Sterne  lübl  unb  rein  — 

<5d)Iaf,  niiibeS  ^erj,  fdrfaf  ein! 

2lm  Gimmel  flammt  bie  Icfcte  ®lutb, 
Unb  flatfert  trüb  unb  trüber, 
es  bauebt  ber  3üinb,  e3  raufetjt  bie  fttot, 
Unb  Me8  ift  boriiber. 


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330 


(Suflao  Karpetes  in  Scrlin.   


Tie  SRadrt  bricht  tote  ein  9Weer  herein, 
Tu  toiefleft  auf  ben  Rettert  fein  — 
Sdjlaf,  mübeS  £>cr3,  fd)Iaf  ein! 

$)erfefbe  uolfStJjümtidje  £on  fe^rt  audj  in  ben  33 af laben  ^fau'S 
roieber.  Ginjelne  berfelben,  tote  „T>er  Sßaffermann" ,  „£a$  «SdtfoB  am 
9?f)etn",  „3ungfer  Stmperlid)",  „$ie  dornte",  „ftufc"  unb  aubere.  gehören 
$u  ben  beften  (nrifdjen  (Srjeugniffen  in  biefer  $id)tungSart.  3$  hm  e§ 
mir  mit  SRücffidjt  auf  ben  eng  bemeffenen  Staunt  nur  fdjroer  oerfagen,  einzelne 
SBeifpicle  aujuffiljren;  aber  bie  Inrifdje  Vielfeitigfeit  unfereS  SMrJdterS  er= 
fdjroert  ein  Raufen  uon  Veifpiefen.  $enn  Subroig  Pfau  bat  aud)  bem 
3eitintereffe  unb  bem  3ettgefdjmacf  feinen  Tribut  bargebrad)t.  3n  feinen 
„3eitgebi<3f>ten"  ift  er  ber  redjte  fübbeutfd&e  $)emorrat  üoH  Energie  be* 
2Iuebru<f3  unb  potttifdjem  patljoä,  aber  ofnte  eine  bestimmte,  fdjarf  au$* 
geprägte  originelle  pijufiognomte.  Gr  f>at  etroa3  von  Ublanb,  etwas  oon 
$erroegf)  unb  etroa3  dou  ©eine  in  feiner  politifdjen  Surif.  £ie  33itterfeit 
be3  Verbannten  fyat  audj  feine  Gmpfinbungen  getrübt.  9tur  bie  erften  biefer 
Seitftimmen  baben  frtfdje  3ugenblta^feit  unb  53egeifterung;  in  ben  meiften 
ma$t  ftdj  Unmuts  Verbitterung,  ja  fogar  $af?  geftenb.  fef)(t  nid)t  an 
9lbet,  ßraft  unb  <3d)nmng  ber  Gmpjanbung;  aber  e3  überwiegt  bori)  fc^degtid^ 
ber  3orn  unb  bie  ©atire.  ©er  $id)ter  ift  ein  entfdfu'ebener  Parteigänger, 
unb  feine  PoeSte  Ijat  mefjr  eine  foSmopolitifc&e  garbung,  bie  hinter  ber 
nationafen  93egeifterung  weit  ^urüettritt.  SebeufaOte  bilbet  bie  politifdje 
Snrif  uid)t  bie  (Starte  unfere3  £)id()ter3;  er  jteljt  melmefa  gerabe  bie 
SSurjefa  feiner  .Graft  au§  bem  beutfdjen  GmpftnbungMeben ,  unb  in  bem 
frönen  Siebe  „9lbf d&teb "r  mit  bem  er  oon  feinen  ©ebid^iten  unb  »ort 
ber  Seit  poetiidjen  Sdjaffenä  überhaupt  f  Reibet,  tyat  er  bae  mit  ffarer 
Selbfterfenntnife  3um  9lu3brucf  gebraut: 

©eliebteS  Sieb!  3«  meinen  früfjen  Mafien 
Sarft  Tu  mir  fdwi  ein  öielflctreuer  ©aft;  * 
Tu  .freraaefpiefe  meiner  junßen  ftlaaen, 
Tu  naljmfr  mir  ab  be3  enaen  TafeinS  ßaft; 
Sie  Seele  Iiaft  Tu  mir  emporaetraa,en, 
2Llo  fte  ber  3ng  ber  nrofjcn  Sdiöpfung  fafjt  — 
Unb  alle«  Seb,  ba8  auf  mid)  ctaflcbrunaen, 
(53  ift  burd)  Tid)  in  fanften  $aud)  üerfluugcn. 

Ter  ?Ibfdiieb  nafyt,  —  nur  nod)  ein  leifeS  löcbeu, 
Ten  legten  Ton,  Tu  troftgcfanbteS  Sicbl 
Sie  fidi  amei  ftreunbe  nod)  bie  ftänbe  geben 
Unb  umfdaun  nad)  bem  Sfreuätoeg,  ber  fte  fdjieb  — 
So  fabre  mobl  1  mid)  nimmt  ba§  ernftc  2eben ; 
Tie  Saiten  fprinpen,  wo  bie  3uflenb  fliebt  — 
Sir  muffen  toanbern  311  fletrenutem  3'^^» 
3d)  mit  bem  Stab,  Tu  mit  bem  Sattcnfpiele. 


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  £nbn>ta  Pfau.    33J 

2Btr  v)ahen  gefe^en,  bafe  ba«  Inrifdje  ©fement  bie  3ugenbperiobe 
£ubwig  $fau'S  ausfüllt,  unb  bafe  er  am  Sdjeibewege  oon  ben  beiteren 
Spielen  ber  $oefie  feterltd)  2(bfdjieb  nimmt.  $ie  SttamteSseit  feines  SebenS 
ift  burdb  bie  ßritif  au^flefüHt,  bie  er  faft  oter$tg  3abre  mit  unbeftedj* 
lieber  SBafjrfjaftigfeit  unb  Seltenem  ©efd)i(f  gebanbbabt  f»at.  Seine  gesammelten 
ßifanS  über  flunft  unb  Literatur  erfdjeinen  jefet  in  fedjs  ftattlidjen 
Sänben  (Stuttgart,  Eeutfdje  2?erlagSanftalt),  von  weldjen  $anb  I,  II,  IV 
unb  VI  bereits  oorfiegen,  bie  beiben  anberen  23änbe  wobl  balb  erfdjeinen 
werben.  9J?an  mufe  fagen,  bafe  feiten  ein  fo  banfenswertbes  buajbanble^ifdjeS 
Unternebmen  erfdiienen  ift;  benn  biefe  Sammlung  gibt  uns  (Megenbeit, 
$fau'S  fritiföe  ^ätigfeit  nadj  allen  9iid)tungen  ^in  $u  controltren  unb  ju 
beurteilen.  Submig  ^fau  ift  einer  unferer  f)en?orragenbften  (Sifaniften 
unb  einer  unferer  fdiarffinntgften  ßritifer;  feine  äftfjetifd&e  3nteHtgen^  r)ält 
feinem  poetifdjen  Talent  bie  SSagc:  ber  flünftler  unb  ber  5lritifer  ergangen 
fia)  gegenfeitig. 

$er  eigentbümtidje  33or$ug  feiner  ©ifanS  über  flunft  unb  Literatur 
ift  ber  ber  tflarbeit  unb  Sd)örfe.   91(3  bie  erfte  Sebingung  gilt  ibm  ber 
Safe,  ban  bie  9tefu(tate  ber  wiffenfdiaftltdjen  gorfdmngen  in  affgemeinoer* 
ftänblid)er  Steife  oor*utragen  feien.   25>o  fidj  fym  nur  (Megenbeit  bietet, 
eifert  er  gegen  bie  SöaalSpfaffen  ber  SÖiffcnfdjaft,  bie  weber  bie  logifdje 
.(traft  befifcen,  ir)re  3been  felbftftänbig  ju  bUben,  nod)  audj  baS  fpraa)tiä^e 
Vermögen,  if)ren  ©ebanfen  ein  eigenes  ©eroanb  $u  fdjaffen,  unb  bie  besbalb 
nur  bie  r)crgcbradcjten  formen  ber  Sdjule  breit  treten.   Um  biefe  5lrt 
roifTenfdjaftlidjer  Sarftellung  5U  geifieln,  brauet  $fau  ein  braftifdjeS  SBei* 
fiuel.   „3"  Gbina  bat  befanntlid)  bie  Sdjrtft  fo  oiele  3*i<$en  wie  bie 
Spradje  SBorte,  fo  baß  bort  nur  bodjgelabrte  SWanbarinen  jum  3Serftänbnife 
beS  SdjrifttbumS  gefangen  fönnen.   9J?an  benfe  fidö  nun  einen  freien 
Sufunftsdnnefen,  ber  mit  einem  9lbc=33ud)  in  ber  £afdje  aus  2lbenblanben 
beimfebrt  unb  $u  ben  Sdjriftgelebrten  beS  bimmlifdjen  9?eidjeS  alfo  fpridjt: 
,$ic  bunberttaufenb  £radjcnfdjwän$e,  Srubenfüfee  unb  ,"o»b"crpfoten,  bie 
ir)r  eud>  in'S  ©ebädunifj  gefeilt  babt,  0  iljr  Sd)afcgewötbe  ber  2£iffenfd)aft! 
—  bie  fönnt  ibr  eudj  wieber  ausrupfen,  wie  man  ftd)  einen  Tom  -r... 
gufee  äiebt  ober  einen  Splitter  aus  bem  ginger;  benn  eure  gan 
mad)e  id)  mit  5wei  ftufcenb  33ud)ftabcn  ab!4  3?un  [teile  mau  fia;  bie 
gelehrten  cor,  bie  ibr  ganzes  £eben  bem  Stubium  biefer  eljri 
flratfelfüfce  gewibmet  baben  unb  besbalb  für  Brunnen  ber  SöeiSbei  ■ 
einjlimmig  werben  fie  3^ter  fd^reieu  über  bie  neue  Sdjrift.   ^  1 
ibnen  nid)t  gelingt,  bem  oonoi^igen  2lbc-Sdbüfcen  mit  ftilfe  atterböa^tl  : 
gretflidjer  Beweismittel  ben  Saud)  aufjufa^li^eu,  fo  werben  fte  ir)n  w»  • 
bem  .^affe  aüer  ^oblbcnfenben  empfebfen,  flärlidb  bartl)uenb,  br 
Sdbreibweife  nid)t,  wie  bie  ilne,  eine  2£if|enfd)aft,  fonbem  ein  : 
3)iad)werf  gemeiner  Gmpirie  fei,  einzig  eifunben,  um  jebe  eblere  '!. 
beS  cbine|lfd)eu  ©ebanfenS  ju  üernidjten  unb  aus  bem  9ieid)  bei 


532 


(Saftao  Karpcles  in  öcrlin. 


ein  9?eidj  be«  ©nbe«  madjen."  Slebnliä)  per^aft  e«  fidj  na<$  ßubroig 
«Pfau  mit  ber  beutfdjen  ^In'lofopljie;  fein  Seftreben  ift  nun,  anfiatt  ber 
bieroglnpf)ifdjen  3et$enfpra$e  in  ber  SBeurtfjettung  ber  flunft  unb  if)rer 
Söerfe  bie  aHoerftänbliäje  Sudjftobenfdjrift  einjufüfjren  unb  ba«  fritifdje 
Urteil  au«  ber  Sanbroüfie  be«  gormali«mu«  f)erau«:,ufübren.  Sein 
(Srebo  ift  fefjr  einfadj,  Kipp  unb  flar:  „©«  giebt  nur  eine  ©iffenfdjaftltdj: 
feit,  unb  bie  befielt  bann,  bie  Sejiefmngen  ber  $inge  richtig  $u  erfennen 
unb  ba«  ©rfannte  flar  au«5ubrücfen.  Cime  ba«  angeborene  SBort  ift  ber 
©ebanfe  nur  eine  mit  fangen  in'«  $afem  gemarterte  STäfegeburt.  23er 
ba«,  toa«  er  fagen  tritt,  nidjt  in  gemeinoerftänbliä>r  <Spra$e  fagen  fann, 
ber  uerftefy  ftaj  felbft  md)t;  ber  Ijat  eine  frembe  Formel  im  flopfe,  bie 
oielleiäjt  gef  ermäßig  gebUbet  ift,  bie  er  jebodj  im  ©trome  be«  roirffidjen 
Seben«  nidjt  ffüffig  ju  madjen  nntfete,  unb  beren  magren  Sßertr)  er  nidjt 
barpftcllen  permag." 

Dirne  3roetfet  liegt  beiben  Zitaten  nidt)t  blo«  ein  (Srebo,  fonbern  aua) 
ein  ©eflänbnifj  ju  ©runbe.   <5«  fdjeint  mir  fragfo«,  bafc  $fau  nadj  fetner 
gan$en  ^nbioibualität  oon  ben  ^unftmeiftern  ber  5hmftfritif  angegriffen  unb 
über  bie  9ldjfel  angefeljen  roorben  ift.   2lber  man  mufc  fagen,  bafe  e«  alle* 
jeit  fein  beige«  23emüf)en  geroefen  ift,  biefe«  ©lauben«befenntni|3  roafjr  311 
machen;  e«  giebt  wenige  flunftfritifer  in  Seutfdjlanb,  bie  fo  retdje  ©e* 
banfenbarren  in  Ijellblinfenber  flletnmfinje  <>u  uerroertljen  miffen.  9?eben 
biefer  Margit,  bie  fidj  burdj  alle  feine  ©ffar>5  §ief)t  unb  oiele  berfelben 
jiu  Stteifterroerfen  ber  ©attung  ftempelt,  ift  e«  ba«  reblidje  (Suaden  nad) 
28afjrf)eit,  roeldjje«  au«  jeber  3^iCe  feinet  fritifdjen  Arbeiten  fjeroorgebt. 
2Bir  glauben  es  iljm  am  9lbenb  feine«  £eben«  gern,  tpa«  er  in  bem  2?or* 
mort  $u  ben  „freien  Stubien"  befennt,  ba§  er  roeber  seitliche  (Sfjre  nod) 
toirflidjen  SBortfjeil  »on  feiner  fritifdjen  9lrbett  je  erwartet  f)abe,  fonbern 
ba§  er  fid)  mit  bem  s-Beiou§tfein  bejaht  madje,  bie  SBabrljeit  reblid)  ge* 
§t  unb  etyrltdj  gefagt  ju  Ijaben.   3^n  flfltügt  ba«  Skroufetfein,  bafc 
er  befreienbe  ©ebanfe  in  rool)lgearteten  ^erjen  unb  fjimgefunben  köpfen 
piel  frudjtbaren  ©oben  finbet  at«  er  braudjt,  um  feine  6aat  au«su= 
;  euen." 

9)iit  ber  Mlarfjeit  be«  9tu«brucf«  unb  ber  SBa^aftigfcit  be«  ©ebanfen« 
bei  Sßfau  aud)  bie  <2ti)ärfe  bev  5orm  oerbunben.   ©r  i|l  fdjarf,  aber 
nid)t,  ober  nur  feiten,  nerlcfeenb ;  in  erfter  Sfaifje  fteljt  ibm  immer  bie 
■t  Sad)e,  in  letzter  bie  ^erfönlid)f eit,  unb  felbft  feine  bemofratifdje  Ueber* 
igung  perblenbet  if)n  nid)t  gegenüber  ber  Grfenntnife  be«  magren  Äunft: 
rf«,  aueb  wenn  biefc«  au«  anberen  Ueberjeugungen  rjeruorgegangen  ift. 
1  all  biefen  3^or^ügen  fommt  nod)  bie  fünftlerifdje  9lrd)iteftur  unb  bie 
:.  >runbung  feiner  rntifdjen  Stuffä^e.   3ln  biefen  ift  mdjt«  au«sufe^en;  e« 
•    2lLle«  feft  im  Slet,  ipo^Ifugig  gemauert  unb  geioiffenfyaft  au«gefül)rt. 

G«  ift  Aar,  bafj  mit  folgen  $or$ügen  ^Pfau  auf  bem  ©ebiete  ber  fünftleri= 
)en  5(ritif  eine  niefentliä;e  5öebeutung  geroinnen  mu^te.   ^a«  23efte,  roa« 


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£nbi»ig  pfau. 


353 


er  gefd)rieben  fjat,  finb  feine  äftljetifdjen  Urt^eife  übet  2)tofer  unb  ©emälbe, 
über  lötlb*  unb  Bauroerfe,  mlfye  bie  beiben  erften  Sänbe  feiner  „©tubien" 
füllen.  -äJJancfje  biefer  ©ffan«,  bie  einen  Seitraum  von  fünfunbjroanjig 
3af)ren  umfaffcn,  finb  urfprüngltd)  für  ^arifer  3citfö^riften  franjöfifd)  ge= 
fdjr  leben  tuorben;  aber  man  fielet  bie«  roeber  bem  ^Jntjatt  nod)  ber  gorm 
an.  2)ie  fritifdjen  23eridjte  $fau'«  übet  Silber  unb  2Mer  bilben  eine 
2lrt  mobernet  ftunftgefd)id)te  unb  bieten  ein  umfaffenbe«  ©efammtbilb  bet 
neueten  Malerei.  2lUen  in  bem  legten  SBierteljafjrljunbert  fjeroorgetretenen 
SBeftrebungen  auf  biefem  Gebiete  wirb  unfet  Äritifer  pollftänbig  geredet; 
aber  mit  Vorliebe  verweilt  er  bod)  bei  ber  belgifdjen  unb  franjöfifc^en 
Malerei,  ba  nad)  feiner  Ueberjeugung  für  bie  gegenroärtige  Sßeriobe  realiftifd> 
colorifttfdjcr  ©ntroicfelung  bie  fran$öfifd)e  Malerei  tonangebenb  unb  mistiger 
al«  bie  beutfdje  ift.  ©ein  fritifäer  (Sanon  ift  ber,  bafj  bie  moberne  flunft 
ber  9toturroal)rf)eit  unb  garbenftimmung  in  alle  l'ebettöfreife  bringen  unb 
bie  $er$en  be«  $olfe«  fid)  erobern  müffe;  benn  biefe  Hunft  ift  eine 
nationale,  beren  SSirffamfett  nia;t  fpurlo«  oerfdjuunben  wirb. 

33on  befonberem  2Bcrtl;  finb  feine  Urteile  über  bie  moberne  $laftif, 
roeldje  ja  leiber  feit  jefjer  ba«  ©tteffinb  ber  ftritif  geroefen  ift.  3n  ber 
Beurteilung  ber  mobernen  beutfajen  ©fulptur  giebt  Subroig  $fau  aud) 
einen  Slbrife  feiner  äftt;etifct)cn  2Mtanfa;auung,  bie  fid)  au«  folgenben 
gactoren  jufammenfefet.  $ie  gütige  9iia)tung  nad)  einer  greifbaren  SSirf* 
lid)fett  in  ber  tfunft  ift  jugleid)  ba«  djarafteriftifdje  SHerfmat  einer  Seit, 
bie  allen  Seftrebungen  be«  ©eifte«  ity  ftofflia;e«  ©epräge  aufbrüdt.  SBir 
fte^en  an  ben  Sporen  einer  neuen  2Beltanfd)auung.  Sie  freunblidjen 
$ar$en  be«  Mittelalter«:  ©laube,  Siebe,  Hoffnung  befiuben  fid)  im  Unter* 
gang;  ifjre  alten  ßmbleme  ftnb  jerbrod&en  unb  oerroftet,  ü)re  $errfd)aft 
ift  oollenbet,  ityxe  >$dt  ift  um.  ©te  uerfdjtüinben,  um  al«  uerjüngte 
©a)idfal«göttinnen  nueberäufefjren,  bie  ba  fjeijjen  flunft,  2Biffenfa)aft 
unb  ©eredjtigfeit.  9lber  biefe«  Interregnum  ift  bie  götterlofe,  bie  fdforecf* 
Haje  3ett;  ba«  fd;öne  3beal  ift  in  alle  gerne  geflogen,  unb  bie  ftreitbar 
geroorbene  ^uftitia,  bie  2Mnbe  auf  ber  Diafe,  f)at  if)re  2Bage  weg- 
geroorjen  unb  fjaut  mit  bem  ©dinierte  um  fta).  ©ie  fann  nid)t  mef)r  mit* 
jal;len  unter  ben  Genien  be«  gortfdjritt« ;  an  it>re  ©teile  ift  bie  $l;nftca 
getreten,  bie  @rforfd)eriu  ber  9totur,  in  ber  einen  &anb  ba«  Keffer  ber 
©ection,  in  ber  anberen  bie  SBage  ber  2ltome.  9iodj  weidet  bie  Menge 
erfd)rocfen  jurücf  vor  ber  SHadten;  aber  fte  f freitet  mit  sJtiefenfd)ritten  ein* 
t)er  unb  }pria)t:  „Xte  2Selt  Ijei&t  ^ot^ivenbigfeit,  ber  ©ott  Reifet  $er* 
nunft;  ba«  £eben  ift  ber  Xob,  ber  Xob  ift  ba«  Seben;  toeber  ©nabe 
nod)  SBiflfür,  rocber  sJiad)e  nod)  Bann^erjigfeit  —  ein  ©ort,  ein  2£eg, 
ein  ©efefc  für  Me!  ß«  ift  feine  f  leine  3eit,  in  ber  nur  leben,  fte  wirb 
jaulen  in  ber  2öeltgefd)id;te;  aber  fie  nimmt  fid)  fd)öner  r>on  SBeitem  au«, 
unb  roof)l  benen,  bie  naa)  iljr  fommen!" 

G«  ift  felbftoerftänblia;,  bag  l'ubroig  ^Pfau  bei  einer  folgen  Söelt* 


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334  — ~   <ßujiaü  Karpclcs  in  Berlin.   

anfdjauung  ein  entfd)iebener  dlealtft  ift;  aber  es  ift  boch  auch  begreifttdj, 
bafc  er,  wie  fdwn  aus  bem  Stojsfeufjer  beS  legten  Saftes  ^eruorge^t, 
üom  3bealiSmuS  ausgegangen  ift.  Gr  ift  feineSwegS  ber  Meinung,  bafc 
erft  bie  mobernen  2>id;ter  unb  ßünftler  fic^  birect  an  bie  9Jatur  geroenbei 
haben,  unb  er  polemifirt  innner  fdjarf  gegen  bie  $bee,  als  ob  bie  ^unft 
erft  oon  tjeute  batirte  unb  nur  uom  DtealiSmuS  ausgehen  foüte.  „£a£ 
Qbeal,  weit  entfernt,  bie  phantaftifaje  Schöpfung  einer  überfiuntidjen  SBiÜfür 
ju  fein,  ift  oielmebr  baS  treue  $üb  ber  2Birfli^feit,  bie  plaftifche  £ar- 
ftellung  ber  Wahrheit,  wie  fie  md;t  aus  einer  einseinen  unb  3ufäUigen 
©rfcheinuug,  fonbem  aus  bem  SBefen  einer  ÖefammtJjeit  regelrechter  ZtyaU 
faä>n  hervorgeht.  £>er  antiibeale  Realismus  ift  baher  gerabe  fo  wittfürUcJ) 
unb  fo  falfd;  wie  ber  antireale  «pbealiSmuS.  £er  erfte,  inbem  er  bie  ©renjen 
fünftlerifcher  XarfteHung  überf abreitet,  wirb  Gartentür  ober  Gabaoer;  ber 
jmeite,  inbem  er  bie  natürliche  Crbnung  ber  $inge  uerla&t  unb  ben  ber 
flunft  unentbehrlichen  £ebensf)auch  ber  Sinnlidjfeit  oerliert,  uerwanbelt 
baS  3beal  in  $bol  .  .  .  3bealtSmuS  unb  Realismus  bezeichnen  baher 
nichts  als  bie  zwei  ©ruppen  jener  mannigfaltigen  formen  beS  götais, 
welche  ber  mannigfachen  ©efühlSweije  ber  uerfchiebenen  ©pochen,  Mafien 
unb  3nbioibuen  entfprechen.  Siefe  &ielgeftaltigfeit  befämpfen,  ift 
Unfinn;  es  tjanbett  fich  barum,  fie  ju  uerftehen." 

3n  feinen  „greten  Stubien",  roeldje  bie  ilunfi  im  6taat  befprechen, 
baS  &erl)ältni&  ber  Jtunft  jur  ^>^iIofopt>ie,  jur  ©efchichte,  jur  9)Zoral,  $ur 
Cefonomte  unb  jur  ^olitif,  tyat  ^ifau  oiel  für  bieS  il>erftänbnife  gethau. 
3n  biejem  feinem  beften  äöerf  h^t  er  ohne  grage  bie  ftunftäfthetif  um 
ein  anfehnliches  Stücf  weitergebracht.  9)lit  feltener  Klarheit  weiß  er  bie 
Betrachtung  unb  i^erfnüpfung  ber  2)inge  barjulegen,  mit  fpielenber  £eia)tigs 
feit  macht  er  bie  fdjwierigften  äfthetifchen  gormein  feinen  #efern  munb* 
geredet;  er  fteljt  auf  einem  freien  Stanbpunft  außerhalb  ber  ftrettenben 
Parteien,  unb  mit  überlegener  Klarheit  weife  er  ben  Wexv  ber  flunft* 
gefdjidjte  unb  fiunftentroirfelung  bloßlegen.  Um  mich  etaeä  ©oetlje'fchen 
äüortes  ju  bebieneu:  es  ift  bie  cadjbenf lichfeit,  welche  bie  charafte; 
riftifdje  Eigenart  Sßfau'S  bilbet,  unb  bie  uns  in  feinen  runftlcrifchen  $e* 
ftnitionen  unb  fritijchen  Urtheilen  auch  ba  noch  anjieht  unb  feffelt,  wo 
unfere  s2£ege  fich  uon  benen  beS  HrittferS  fcheibeu  unb  unfere  politische 
unb  äfthetijdje  Ueber^eugung  in  SEöiberftreit  mit  feiner  2i>elt*  unb  Gebens* 
anfehauung  gerätl). 

2lud)  literarifdje  unb  hHtorifche  Sfijjen  fyat  £ubwig  Sßfau  ge^ 
jehrieben;  einzelne  berfelben,  wie  ber  über  3°^a'*)  ftnb  woljt  ben£efern  biefer 
3eitfd)iift  noch  in  befter  Erinnerung.  9lber  feine  Stärfc  fäjeint  mir  bod) 
nicht  in  ber  literartfdjen  Kritif,  fonbem  in  ber  hiftorifd)en  ©rfenntnijj  unb 
^arftellung  ber  ewigen  iiunftgefefee  ju  liegen.   3luf  biefem  ferneren 

*)  ^>cft  37  Do»  „9iorb  unb  Süb." 


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  £ubn>ig  Pfau. 


335 


unb  utelumftrittenen  ©ebiet  ift  er  SKeifter  unb  bleibt  eS  audj,  felbft  wenn 
bie  3«nftfritifcr  bie  ftlarfjeit  feines  Vortrags  für  Dilettantismus  auSsu* 
geben  geneigt  fein  foHten. 

£>er  ©ffao  ats  foldjer  ift  in  bein  legten  23ierteljaf)rhunbert  in  ber 
beutfdjen  Siteratur  oiet  gepflegt  worben;  aber  nur  wenige  Sd)riftfteller 
^aben  ifjn  mit  fo  entfdjiebenem  ©efd)icf  $u  befjanbeln  gewufjt  wie  £ubwig 
s#fau.  2Me  Jtunft  ift  feine  Siebe;  ifrc  gilt  fein  Sinnen  unb  Staffen, 
unb  er  ergebt  fid>  $u  ber  poeüfdjen  Straft  feiner  ^ugenbjafjre,  wenn  er 
am  Sdjluffe  feiner  „freien  Stubien"  nod;  einmal  in  einer  finnigen 
33etradjtung  2tllcS  äufammenfafjt,  was  bie  (Sntwicfelung  ber  ßunft  im 
Seben  ber  3Renfdn)eit  bebeutet.  3JZit  biefem  Dithyrambus  auf  bie  moberne 
5K>eltanfd)auung,  Deren  treuefter  junger  Subwig  $fau  fein  ganjeS  Seben 
geroefen  ift,  fei  biefe  furje  Darfteüung  befd)loffen;  er  ift  ä)arafteriftifdjer 
für  ben  2)tenfdjen,  für  ben  $id;ter  unb  flritifer,  als  bie  einge^enbfteu 
äftfj€tifd;en  Unterfudjungen  über  feine  literarifdje  ßigenart.  ©S  Ijeijjt  in 
biefer  Sajlujjparabafe  ber  „gieien  Stubien":  „2Öenn  id)  bebenfe,  waS 
bie  ©ewalt  gegrünbet  hat,  bie  deiche  uon  Üfleer  ju  SHeer,  bie  Stabte 
mit  ljunbert  Sporen,  bie  Tempel,  fteinerne  liefen  —  &errli$feiten,  baoon 
nid)t^  übrig  ift  als  bie  paar  Sterben,  bie  unter  ber  Sohle  beS  SBanbererS 
fradjen  — ,  bann  fag'  ich  mir:  äßaS  bie  ©ewalt  auferbaut,  baS  jer= 
trümmert  ber  ©ei|t;  was  im  Raunte  er^örjt  wirb,  baS  uerfinft  in  ber  3eit. 
ai>enn  td)  betraute,  was  ber  ©eift  gefchaffen  hat,  bie  Mnfte,  bie  SÖMffen* 
fdjaften,  bie  Safeungen  ber  ©eredjtigfett  —  fettige  (Srbfchafteu,  meldte  bie 
Hölter  ben  ^ölfern  überlieferten,  bie  ©efd)lechter  ben  ©efchledjtem  — , 
bann  fag'  id)  mir:  baS  fymiity  Slion  ift  gefallen,  aber  Horner  ift  noch 
aufredet;  baS  fdjöne  ©riechenlanb  ift  untergegangen,  aber  bie  2?enuS  von 
Wüo  ift  auferftanben;  baS  glorreiche  dlom  ift  nichts  mehr  als  ein  Schutt* 
häufe,  ben  baS  Xogma  ber  Freiheit  ftreitig  mad)t.  21ber  wenn  ber  s£apft 
gef)t,  fo  bleibt  Virgil,  unb  biefe  gequälte  Statte  bleibt  immer  bie  ewige 
Stabt,  benn  ber  patriotifdje  &aud)  ber  Cuiriten,  welker  ben  ftaatlid)en 
©ebanfen  über  bie  &>elt  auSgojj,  wirb  ewig  uon  ihren  fteben  Mügeln 
wehen;  iljr  2lnbenfen  wirb  nicht  oerfchwinben,  benn  fie  l;at  uns  mef)r  als 
Steine  ^intertaffeu,  unb  ber  ©eift  ift  ein  $rot,  baS  ewig  nd^rt  unb 
nimmer  uer$ef)rt  wirb.  3ÜSbann  erfüllt  eine  f)ot;e  greube  mein  &erj,  eine 
ftolje  3uoerfid)t  tjebt  mir  bie  Stinte;  unb  id;  ef)re  ben  ©riffcl,  biefeS  be= 
fcheibene  Sinnbilb  beS  ftünftlerS,  baS  mir  ebler  erfdjeint  als  ein  föniglidj 
Scepter;  unb  ich  fegue  bie  geber,  bieS  arme  SBerfjeug  bes  $enfenS,  baS 
mir  mächtiger  baucht  als  ein  faiferlid)  Schwert." 


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Die  beutfdjen  3mpcratipnamen. 

Don 

K.  (5.  2lnfcrefert. 

—  Sonn.  — 


uf  beut  umfangreichen,  faum  &u  bevoättigenben  ©ebiete  Der  Hainen*) 
Ijebt  [ich  t^rer  iWbung  unb  gorm  nad)  eine  befonbere  klaffe 
in  auffaHeuber  Söeife  ab.  ii>ät)renb  nad)  ben  geroöhnlid;en 
©e[c^eu  ber  6pradje  Wörter  aus  ÜSursclfüben  burch  Ableitung  ober  3u* 
fammenfefeung  gebtlbct  werben,  liegt  hier  ber  galt  uor,  bafe  ein  ganger 
<2afc  fich  ju  einem  einzigen  äöorte,  welches  ben  üBertr)  eines  6ubftantio3 
befommt,  jufammenjieljt,  oerfdmteljt  unb  oerhärtet,  dergleichen  SSörter, 
ober  oielmehr  Tanten,  Gattungsnamen  foioof)l  als  tnSbefonbere  (Sigennamen 
werben  @a|natnen  genannt.  Sie  treten  in  oeijchiebeneu  gönnen  unb 
(ionftruetionen  auf.  die  bei  loeitem  übenoiegenbe  Wletyciafyl  enthalt  einen 
^mperatio.  9)Jitunter  fprtdjt  aber  audj  ber  9?ame  ein  Urtheil  im  ^nbicatio 
aus,  toic  in  £augcnid)ts  für  Xaugnid)tS,  oom  mittelhochbeutfchcn  touc  = 
taugt  (uergl.  frans,  vaurien  auä  vautrien),  in  ben  öfterceidufchen  ©e* 
f djledjtsuamen  ÜC> a  i  S  n i  p  unb  SB e i  §  g u t.  Ginen  Gonjunctio  $eigen  ©  o  1 1 1 
bcl)üt,  Öotthetf,  ©ottfei  bei  uns,  cuphemiftifch  für  Xeufel,  äöaltigott 
unb  StfaltSgott.  Gin  SRebenfafe  ift  sufammengejogen  in  ÜBiebutoilb  (roie  bu 
nullit),  2Ble$n>e(l  (es  gehe,  ioie  es  roolle).  ibMSroeilen  fehlt  baS  J&crbum 
ganj,  rote  in  ben  alten  Beinamen  9lu  ffbenmau,  durch benpufdh,  Äopfs 
cntjiuei,  Cr  ab,  ^iuffenjan  (,heraitf  ben  Salm'),  tu  ben  heutigen 
Familiennamen  Xönoanbt  (,burdfj  bie  9Battb'),  grtfdjauf,  ©lctd;auf, 

*)  mix  Dcrtveifcn  aueu  auf  ben  Sluffaö  bcSfctben  errtt BerfaffetS  „lieber  bie  Tanten 
unb  bie  9tamciiGcbunfl  ber  alten  Teutfdjen".  3umheft  1887,  367—383.  9icb. 


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  Die  beutfdfcn  3mperattt>uamen.  — —  337 

9)iorijenbeffer,  Simmergott  =  (fo  mir  ©ottf)elfe  oergl.  Safamirgott, 
wie  ein  Öfterreicrjifdjer  &er5og  $einrtd)  im  12.  3al)r^unbert  bejeiajnet 
würbe).  $>a  biefe  Namen  fämtlidf)  einen  2lu£ruf  enthalten,  iffc  bie  Soll* 
ftänbigfeit  ber  Jorm  leidet  entbel)rltdj. 

$ie  folgenbe  Darlegung  wirb  fia)  auSfdr)(iegItct)  mit  ben  tmperati* 
oijd;  gebilbeten  tarnen  befaffen. 

ßeine  anbere  ©ruppe  ber  oerfdjiebenartigen  ©efcf)lecf)t$namen,  tnetd^e 
aus  Seinamen  entftanben  finb,  gewährt  ein  fold^ed  culturfnitorifdjeä  3uiereffc 
unb  jeugt  fo  fern*  oon  ber  wunberbaren  Älraft  be£  SolfSgeifteS,  bem  fic 
ifjren  Urfpmng  oerbanfen,  al3  biefe  mittelalterlichen,  edjt  r)untoriftifd^  ju 
nennenben  tarnen.  9lHe  mannigfaltigen  ©rfdjeinungen  beS  menfdjlichen 
Sebent  treten  uns  aus  biefen  Atomen,  meldte  fid)  ir)rem  gröfcern  XtyeUe 
nadj,  in  einem  gewiffen  ©egenfafce  jn  ben  Seinamen  im  Allgemeinen,  als 
Sptfc*  ober  Uebernamen  bezeichnen  laffen,  lehrreich  unb  bebeutungSooH 
entgegen.  SorjugSweife  fpiegeln  ficr)  in  if)nen  ba3  rot)e  unb  wüfte  ÄriegS* 
fjaubwerf,  bie  Streife  unb  9iaub$üge  beutegieriger  bitter  unb  bereu  ©enoffen, 
bie  Sprint**  unb  ©pielgelage  ber  Schenfen  unb  Verbergen;  baneben  finben 
auch  orbentlidje  unb  ernfte  Serhältniffe,  wie  bie  bürgerlichen  unb  bäuer= 
liefen  Sefchäftigungen  be£  §anbwerf£  unb  be$  Jelbbauä,  ihre  theils 
nüchtern  profaijche,  tf)eil£  mutwillige  unb  roijjige  ^Bezeichnung.  ß&  oer* 
lo^nt  ber  9Hüf)e  unb  gewährt  eine  nicht  geringe  Sefriebigung,  im  ©injelnen 
unb  im  ©an$en  wahrzunehmen,  mit  welcher  rücffichtslofen  Kühnheit  unb 
einem  wie  lebenbigen,  necf=  unb  fpottfüchtigen,  ju  nicht  geringem  Ifytxii 
gewiffennajjen  poetifdjen  3}Zutl;rotUen  bie  3J?e^a^l  biefer  tarnen  in  ben 
Äreifen  rauf«  unb  faufluftiger  ©efellen,  fowte  auf  ben  SHen  wanbernber 
§anbwerfer  unb  fafjrenber  ©änger  gefd)affen  loorben  ift. 

9to<hbem  romanifa)e  Sölfer  fchou  früher  fid;  ber  imperatiotfehen  SWamen* 
gebung  bebient  Ratten,  fcheinen  bie  erften  Anfänge  berfelben  für  2)eutfd)lanb 
erft  in  ba3  12.  3al)r^unbert  $u  fallen.  3m  Serlaufe  ber  folgenben  &t\ten 
Raufen  fie  Ftdj  in  faum  ermefjlichem  Umfange;  ein  großer  Xfjeit  berfelben, 
welcher  fyxtx  feine  weitere  Serücffid)tigung  oerlangt,  fommt  auf  Rechnung 
meift  oorüberge^enber  ©infälle  ber  Dieter  unb  anberer  6<hriftfteIIer.  2luS  ber 
2Wenge  biefer  mittelalterlichen,  r)eute  grö&tentheiU  nicht  mehr  erhaltenen  3m« 
perationamen  erfcheint  e3  angeineffen  nur  eine  Anjaijl  ber  fräftigften  unb  in 
fulturhiftorifcher&inficht  intereffanteften  jur  Seranfchaulichung  herausheben: 

Sua^entrunf,  6lintewin($u  slinden,  fchtingen,  fchlucfen),  X>rinfe* 
beer  unb  ©lucfebeer,  güllenapf  unb  ftüllfeffl  (ogl.  9ftethfeffel), 
©ewSauf  unb  ©oönein  (gieß  auf,  giefc  Innern),  9taum£glefet  (leere 
ba$  ©laschen),  £ernpedjer  unb  Serencrua),  ©aufSgaranS,  Schliefen* 
moft,  grüenpetjj  (vruo  enbizen,  frül)  am  borgen  fchwelgen),  grifc* 
umfonft,  <5a)lintbenfpecf,  Secfenpren  (Srei),  ^üllenbrüffel 
(drüzzel=©urgel,  fteljle)  uub3üllenl)aU,  ©ilaufbieftrag,  Staffens 
litjel  (fdjaff  ein  wenig;  ogl.  Sa^affgan}),  §aubrenn  unb  ^auwenferl? 

» ort  unb  6üb.  Lt.,  15S.  23 


558 


K  <S.  Jlnbrefcn  in  Öonn. 


©reiffbrauff  unb  ©reif intafd^ en,  9taumätafd)el  unb  Saerenbiutel, 
$öbeüid  (büte  bie  £ajd)e),  ©djredenroirt,  ©djiuttemuirtt  unb 
äalbenroittf),  3errenmantel  unb  3udenmantel,  SBürgenparoer 
(würge  ben  Sauer),  HNurr  bengaft  (morbe  ben  ©oft),  Slupfinbed 
(fd)lüpf  in  bie  ©de),  ©engenroalt  unb  äßfiftenroatt,  6d)üttenpogen, 
8d)üttenfpie§,  Sd)üttenroürfel  (ju  schütten,  fdjütteln),  gretenbüuel 
unb  Stieg  enbuoel  (frau  ben  Teufel),  ©djeuä)  engalgen  (schiuhen, 
freuen),  $ürenrauen  (für)re  ben  SHeijjen),  gleugimtanj,  Springen* 
(lee,  2£atttnfd)nee,  3n)ild)enbart  (zwiluen,  oerboppeln,  Doppelt  breljen), 
Sd)utelod  (fajüttle  bie  Soden),  <piedent$an  (bie  3älme  bleden,  b.  t>. 
weifen,  Seityn  ber  geinbfeligteit),  £umerntt  (tfmmir  niä)t3),  SBenben^ 
fdjimpf  (Spaj3oerberber),  ©rudenpfennig  unb  ftüffenpfenntg  (ßcvy- 
Jäte),  Streusgütlein  (SBerf^roenber),  gntnfen  (Sifenfeiler),  Sfd)lagn; 
gaul,  Sinbenffibel,  Stntenfd)ua). 

2)te  Sebeutung  unb  Slmoenbung  be3  burdj  ben  3mperatto  bezeichneten 
2lu£ruf3  entfernt  fid)  in  biefen  tarnen  mef)r  ober  weniger  von  bem  Segriffe, 
welker  bem  ^inpcratiü  al»  fold>em  innewohnt.  Senn  beuten  zugerufen 
mürbe:  Sirnefcuttle,  ©reofftnperotel,  £liebenfd)ebet,  Serkopf), 
fo  lag  barin  nidjt  fotoofjl  eine  nurflidje,  emft  gemeinte  2lufforberung  bie 
(fyöljernen)  Sd)üffeln  ju  uerbrennen,  in  ben  (fremben)  beutet  ju  greifen, 
ben  Sdjäbel  ju  fpalten,  ben  Sedjer  ju  leeren,  als  melme()r  eine  Eingabe 
beäjentgen,  roaä  biefe  Seute  fct)on  oon  felbft  olme  Slufforberung  $u  tlmn 
pflegen  unb  roa3  man  an  iljnen  roa^rjune^men  geroorjnt  ift.  3ni  geroolnUid)en 
Gebert  wirb  biefer  Sinn  am  etnfadrften  burd)  ba$  $räfen3  bargeftellt,  wie 
in  bem  bereite  befprod)enen  Xaugenid)t£,  bejfen  Segriff  bem  beä  im* 
peratioifa)en  £ljunid)tgut  naf)e  oerroanbt  ift.  2lber  bie  Sebeutung  be* 
SmperatiuS  rechtfertigt  fid)  burd)  bie  ^ronie,  mit  roeldjer  bem,  an  bem 
eine  (£igenfd)aft  ober  ©etoofmfjeit  tjaftet,  gleid)fam  zugerufen  wirb,  ju  tf)un, 
roa£  er  olmef)in  tt)ut  ober  burd)  fein  Setragen  in  2lu3ftd)t  ftettt.  ^ieroon 
giebt  ba§  tägliche  £eben  für  ben,  roeläjer  barauf  acfytet,  Seifptele  genug. 
Unbebadjten  unb  £eid)tfinnigen,  inäbefonbere  Äinbern,  t)ört  man  jurufen: 
Srofe  nod)!  Sdmeib  bid)!  %atL  tierunter  unb  brid)  ben  9lrm!  Zerfriß 
bid)!  unb  berglei  d)en,  nidjt  feiten  mit  bem  3ulafoe:  öa^  ift  xtäftl 

giebt  aber  aud)  oiele  tarnen,  in  benen  ber  ^mperatio  feineu 
eigentlichen  Sinn  behauptet,  (Stnige  biefer  -Warnen,  beren  überroiegenbe  3ftefn"= 
ja^l  jüngent  llrfprungö  ift,  jorbern  emftf)aft  jur  ^römmigfeit  unb  SHedjt; 
fd)affenf)eit  auf,  ober  äufcern  Sünfdje  für  ben  Lebensweg.  3Jian  oergleid)e 
Sefferbia),  Sienegott,  Äeifnidjt,  fieberest,  Sebfanft,  Siebetreu, 
6a)lafmuuter,  ©tellbiajroofjl,  2:raugott,  SBerbegutl).  Sw^ilen 
finb  3ro*ifcl  l)infid)tlid)  ber  Sebeutung  bes  Swpetatio^  berechtigt,  ©er 
3Jame  Sleibiml)au^  5.  S.  fann  in  mörtlidjer  Sluffaffuug  einem,  ber  fid) 
oiel  au§erl)alb  bc$  Kaufes  aufhält,  roo^lmeinenb  gegeben  roorben  fein;  er 
fann  fid)  aber  aud;  irontjd)  auf  ben  bejie^en,  raeld)er  feiten  ober  nie  au$- 


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  Die  bcntfd?cn  ^mperatipitamen.    339 

gef)t,  fonbern  ju  &aufe  bleibt.  ©benfo  ftetyt  es  um  £a$nit,  worin  enU 
weber  bie  nrirfUdje  5flaljnung  liegt,  ntd^t  $u  taerjen,  ober  bie  <Stgenfdr)aft  unb 
©etoofynfieit  beSjenigen,  ber  ntd&t  lad)t,  auSgebrücft  ijt.  9lelmlidj  oerfyalten  ficlj 
gürdjteuidfjt,  Cattaus,  Sdjjweigftill,  Xrauernidfjt.  3e  älter  ber 
9tome  ift,  befto  efjer  wirb  man  bie  ironifd&e  Sebeurung  beS  ^mperotioä 
annehmen  bürfen. 

Obgleich  es  bei  ber  nun  folgenben  ^ufantmenfteUung,  weldje  fta^ 
mit  ben  als  eigentlidje  ©eid)(ed)tS;  ober  Familiennamen  tmperatiotfd) 
gebilbeten  tarnen  bef<$äftigen  wirb,  angemeffen  erfdjetnen  fann,  bie  ®in= 
tfjeilung  nad&  ben  oerfdfjiebenen  ©nippen  beS  innem  ©efjalteS  einjuridfjten, 
io  bürfte  bod)  bie  alprjabetifd&e  golge  ben  SBorjug  oerbienen,  befonberS  ba 
einzelne  tarnen,  oorjüglid)  mit  SRüdfid^t  auf  beren  33e$iet)ung,  fidj  niä)t 
of)ne  ©djwterigfeit  abfonbern  laffen  unb  jene  aufjerlicf)  geregelte  J?olge 
{ebenfalls  eine  letztere  unb  bequemere  lleberfidjt  gemährt. 

$>er  SRame  Slbfyau  jeigt  5war  ben  oerfjältmjjmäfjig  Seltenen  gaH,  bafr 
bie  ^räpojition  ober  bas  2lboerb  ben  erften  S^eil  beS  sufammengefefoten 
$erbs  bilbet,  er  fann  aber  ntcr)t  wof)l  anberS  als  imperatioifdj  erflärt 
werben,  ba  es  fein  ©ubftantio  berfelben  gorm  gibt;  aus  alter  Seit  wirb 
#owaf,  b.  t.  ßauab,  nad)gewtefen.  2ldf)tSnicf  |)at  urfprünglitt)  2ld)teSnicf>t 
gelautet,  aus  meinem  beutliä)en  tarnen,  wie  Urfunben  berieten,  auaj 
Sldjtjig  unb  2ld)tjebn,  bie  fjeute  oerfdjoUen  fein  mögen,  merf würbig  um* 
gebeutet  f)eroorgegangen  finb.  Slrbeitlang  ift  oermutljlid)  neuern  Ursprungs. 

Unter  5Jad)enf  djwanj,  entfteüt  SBadenfdjjwanS,  Uefje  fidj  6c!jwan$ 
ber  Söadje  ober  nrilben  Sau  oerfteljen,  wie  man  ftafenjaf)!,  SJtäufejafyl, 
Statten jagel,  SBoSjal  fyat  (3öflel,  ©djwanj);  allein  weit  meljr  fprtajt 
bie  Xeutung  aus  „SÖadfjenfdjwanj"  an,  bewege  ben  Sdjwanj,  mag  bamit 
junädjft  bie  Saa^ftelje,  beren  Benennung  f)eute  als  23adt)ftct§  unb  53ad)fte$ 
in  beutfdjjen  Familien  auftritt,  gemeint,  ober  unmittelbare  23e$ief)ung  auf 
eine  ^erfon  (ogl.  fpäter  2Beibe$afjl)  behauptet  werben.  SBeifeengroll. 
S3ei^ent)ir|,  beiß  ben  &irfd&,  entftettt  Beifen^erj.  Sellut.  Sefferbidj. 
33eutf)a.n,  Setjtfjan  unb  33eutl)in,  33entf)in,  $a  nieberb.  anböten, 
anboiten  unb  inböten,  inboiten,  einreisen;  ogl.  Böte  für  unb  gürböter. 
Bieten,  beifc  an;  ogl.  Streid&fja^n.  Sinbauf.  Sübenbüoel, 
Stetenbfiwel,  beife  ben  Teufel.  23leibiml)auS,  öletbinljauS. 
33leibnia;tlang.  »leibtreu.  SlioerniaH  bleib  ba  nid&t.  Sötefttr, 
Sütefür,  Dfenijeijer,  entfteüt  Bettfü^r.  Srenneifen,  ÖrenneiS, 
fran$.  brüle-fer,  (Sdfmiiebename.  SBrennewalb,  Sörennwalb,  3Balb= 
brenner.  Sringewatf).  Söringeju.  Bürnefdjür,  oerbrenne  bie 
©ajeuer,  jefet  öfters  in s3ornfa)euer  oerwanbelt.  löucfup,  oon  nieberb. 
upbucken,  =  ben  Äopf  aufwärts  beugen. 

2)empmolf,  Sföolfbejwinger;  ogl.  6d;inbewolf.  ^Dienegott. 
3)rabfanft.   2)rifd^auS,  ^DriS^auS. 

23* 


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3^0 


  K.  <&.  ilnbrefcn  tn  Bonn.   


©brenfrieb  fann  jroar  fefjr  bequem  imperatiuifdj  gefaßt  werben, 
»ergleid)t  fid)  jebod)  ebenfo  aud)  altbeutfdjem  Erinfrid;  r»gl.  ©iebfrteb. 

gatyrauS.  gallap.  gallum,  urfprünglicb  ^irtS^auSname.  gang* 
auf.  gaff  in.  gegebanf.  gegebeutel,  gegbeitet,  eigentlidj  tarnen 
von  ^irtsf)äufern;  ugl.  bie  Ortsnamen  SBegefatf  unb  33egetafa>.  gegen* 
teufet,  gegljelm,  &*ajfenfdmueb;  oergl.  Sajroerbtfeger.  geinebegen, 
oon  bem  »eralteten  feinen,  fein  machen,  polieren,  gellnaft,  fälle  ben 
9ifi.  gidfenwirtb,  gitfewirtb,  f)au  ben  SBirt.  gilleufatf.  ginb* 
eifen,  ginneifen,  ginbeis,  genbeiS,  anfdjeinenb  <£d)tntebenamen. 
ginbefeller,  3e$bruber.  ginbeflee.  gliefenfapilb.  gH<ffd)uf). 
gliegauf.  gliegaus.  greffenteufel.  grettrourft.  gübrefranj. 
güllbier.  gülleborn,  gülborn,  gilebom.  güllenbüttel,  fülle 
ben  Beutel,  güllgrabe,  gütlfrug  unb  güllfrufj,  gfillefruS. 
güllmid).  gürajtbid&nid&t,  gürcbteniajt,  nieberb.  grfiö)tenia;t, 
grödjtenigt  grüd&tning.  gürajtegott. 

©eratf)en>of)l,  ©ratroof)!,  ©erotbroofjl,  ©rotroobl;  entfallt, 
b.  f>.  an  neue  2$örter  angelehnt  unb  §um  i^eil  umgebeutet  ©raberoalb, 
©rotroaljl,  ©roteroo r)lt.  ©eroeg.  ©taubtrei.  ©reiffentrog, 
©veiffentrod),  ©riepentrog,  ©reifju.  ©riepenferl,  Uebername 
für  ©äfa)er,  ©eriajtsbiener,  33etteluögte. 

©abebanf,  &abbanf,  ©abanf,  etyebem  fcanffagung.  ©aberedH 
9tea}tf)aber.  ©abeuidjt,  ©aoenitl),  ©abenid&ts.  ©abenfdjaben. 
©ablüfcel,  ber  wenig  fyit  ©adauf.  ©adbufdf).  ©atfbentüfel. 
©aefenfeinb.  ©adfpan.  ©adftrof).  ©altanberfjetbe  unb  ©altauf* 
b c r t) e i b e.  Kaltaus.  ©altein.  ©afd)enteufel.  ©affenfrug.  haften* 
pflüg,  ©affenpflug.  ©affenroein.  ©affefang,  ©agbenteufel, 
©aftenteufel,  ©affenteifel,  ©ajfenbeubel.  ©afeferl,  ©atenferl. 
©atenbur.  ©aueifen,  ©aueiS,  ber  bie  Lüftung  beS  geinbeS  burdjfjaut, 
franj.  Taillefer.  ©nuenljut.  ©auenranb,  ©auranb,  franj.  Talleyrand, 
9ianb  als  <Sd)ilbeSranb,  3d>ilb  oerftanben.  ©auenfdjilb,  ©aunfdjilb, 
©aufajilb,  umgebeutet  ©ausfdjilbt  unb  ©aufffdjilb,  letzteres  aus  bem 
mtttelalterlidjen  ©owefd^tlt.  ©auenftein,  ©auftein,  Steinmauer;  boefj 
ift  ©auenftein  audj  9iame  mehrerer  Certlidjfeiten.  ©aunit.  ©auto, 
©autau,  f)au  $u.  ©ebebranb,  oon  beben  gleid;  anheben,  ©ebeifen, 
Sdmüebename.  ©ebenfrieg.  ©ebenfd;tmpf,  ©pajjmad&er.  ©eben* 
ftein.  ©ebenftreid).  ©ebenftreit,  ©ebeftreit.  ©ebentan$.  ©ege  = 
malb,  ©eegeroalbt,  gorftauffefjer.  ©elpup,  In'tf  auf.  ©ergenf)abn, 
oerbeere,  oerroüfte  ben  ©agen.  ©öbenfdjilb,  erböte  ben  @d)ilb.  ©offen* 
brunf.  ©offefommer.  ©oljlroein,  ©oblmien.  ©olauS.  ©olup,  ^alt 
auf.  ©öregott.  ©öruf.  ©udauf.  ©upf  aufbleut,  ©upfuf,  ©üpop, 
©ippauf.   ©ufa;enbett,  fmfä)  ins  Seit,   ©üttoobl,  ©üferoobl. 

QagauS.  Sagenmann,  3agemann.  3agenteufel,  3agen  = 
beubel.  3u^ena^- 


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  Die  beutfAen  3mperationamen.    3^1 

flaufauf.  &auff)ol}.  ßeljrein.  ßetfnt<i)t.  Äennegott.  Stern« 
ftetn,  fefjre  ben  Stein,  ©or  SIftcrö  Kerumbdenstain,  $ur  SSejeidjnung  be3 
33rotbä(fer£.  Äerut^i.  flieffjöfer,  5tte<ff)äf  er,  entjtettt  au§  nieberb. 
fiföoer,  fifäoer,  gwf  über,  ^unad^il  roo^f  locat.  ßieferoetter,  SBetter* 
fpäfjer,  oerunftaltet  Jttefeoetter  (oergl.  Sdfjieroater  neben  <Sd^t er 
mater),  fläf  etoteber  unb  mafjrfäjeinlicf)  JTüfcnneber.  ßifutf),  audj 
Ortsname,  fllaubauf.  ßlebefattel,  Glebfattel,  ßlebfaber,  ©leb* 
fattel,  ßleefattet,  93einame  fetfer  Detter,  ßlingebeü,  Jitlingebtef, 
JUingfoiel,  faß  ba§  33eU  Hingen.  ßltngfpor,  ßlingSpaar,  oon 
spor,  Sporn.  JMingutf).  Älöfforn,  JUoeoeforn,  ßornfpalter,  £aars 
fpalter.  ßlopfan.  ÄlopIjauS,  jn  klophen,  flopfen.  5Mopperbran, 
Kopf  ba  brau.  ßo<$roof)I.  ßommallein.  ßrafeenftetn.  flreud&auf, 
Äridjauff.    Äridjenbauer,  frieg  ben  33auer.  flutfetn. 

Sadjniäjt,  Sadjnit.  Sabegajt  Sabenfad.  Sanggutl),  lang 
ut,  lange  aus.  Safeleben.  Sategaljn.  Satf)roefen,  Sattmefen,  la§ 
fein,  Saufftyer.  Sebegott.  fieberest;  aber  Liudberaht  forbert  sugfetä) 
S3ead)tung.  Sebfromm.  Sebfanft.  Segab.  Segan.  Segenftetn. 
Setyrenfraui,  teere  ben  £rug.  Seibemit,  Siebemitf),  Siebemetlj, 
Sibemebt.  Sei  b  enf  roft,  deffeid)tbarau3  entftefft  Seiben  fr  oft.  Seiben» 
fampf.  Seibenfauf.  Seibenroft.  Sernbedjer.  Sernpafj,  lerne  beffer. 
Serutfc.  Sef<f)branb,  Söfä)branb.  Seud&tiueifj,  Seicfjtroeife.  Sid* 
fett,  Siffefett,  Stefefetr.  Sidleber,  Südleber,  Spottname  bei 
SdjmfterS.  Siebegott.  Stebegut.  Siebenroutf).  Siebetreu.  Sieg* 
aus.  Sobenroein.  Sobroaffer.  Sooptoeg. 

Wadjan.  2fladf)e  leibt,  audj  Xeufelsname  im  alten  Sdjaufpief. 
9ftadjemef>l.  Sttaäjenfcfjein.  9J?adjeraudj.  afladjetanj,  Wa^ebanj, 
üttadebanj,  SHagenbanfc.  Wadjnid;  ogl.  21ä)t3nid.  9Hal)lenbrei. 
9ttafeprang,  91ufrfiijrer,  oon  bem  altern  nieberbeutfdjen  prank,  Unruhe, 
3ftengetn.  SJcengeroein.  SflerfSmof)!.  Stternfajafc,  me&re  ben  Sd&afc. 

Wagengaft.   ^agenjaum.   9limmnid}t.  fttmSgern. 

<Ptplie$,  pfeif  leife.  ^reufeenbanj,  entfteHt  aul  bem  altern 
^reifenbans  =  pretfe  ben  £an&. 

ftabftlber,  ftapftlber,  oon  rapen,  raffen.  9iaffegerft.  Staffens 
fad.  föatSroof)!.  ftaufenbartl).  9iedefufe.  SKegebanj,  SRebanfc. 
SReintanj.  SRegenfufe.  ^eibe^olj.  9ieibenfdjuf).  föeibenftein, 
SReibftein.  Sfeibetopf.  3ietd)entrog.  3ieifenftaf)l,  SWtefenfta^  1, 
«Rieffefta^l.  ^eifenftein.  9teif enftufcl.  91  ei mfaften,  räume,  leere 
ben  ftaften,  mittclalterlid)  9faumenfaften.  9teifeau3.  9<ennen  fampf, 
9iennefamp,  9iönnefamp;  og(.  9iennin3felt  aus  alter  3eit.  9H$ten* 
tifcfy.  9ting£eifen,  9Hng3ei$,  9Hngeifeen,  ringe,  fd&roinge  baS  Gifen. 
9ttntn3lanb.  9iödenjaun,  erriete  ben  3aun-  ^ö^rbein,  ^oljrbetn, 
Sieljrbe&n,  rübre  bal  Sein.  Dtöljrbanj,  ^oljrbanj;  ogl.  J&ebentanj. 
Diö^r^anb.   9loroebber,  3tol)n)eber,  9?ol)n)er,   ^ojraetter,  ru^' 


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3^2 


  K.  <5.  Jtnbrefen  in  Sonn.   


tmeber:  t>gt.  ben  3Birts!jau3namen  ©taroebber,  itet)  nrieber,  in  Jolftein. 
föudaber,  rüd  roieber,  entftettt  5RudP ^ab er  unb  ffiudgaber.  9?ücfs 
eifen.  SKudenfdjuIj.  9tudenftubt,  5Rudjtuf)t,  Dermutfilidj  einem  be= 
liebten  töefettfd&aftsfpiel  entlehnt.  !Rü<f fort^.  ftfidfür.  ftudmitf. 
ftflfjmeforb,  9?uf>mforff,  ftumforff,  ftubmforf,  9f um pfforf,  teere 
benflorb.  SRumbauer.  9lflmenapf,  föümenapp.  9?ummfetb,  9tum£= 
fetbt,  ftumpSfelb,  9teim$felb.  föummetanbt,  Sftumfanb,  9tubm= 
tanb,  SRaumetanb.  ftumfd)öttel,  9fumf<$üttef,  9?eumfd>üffel, 
5Waumfd)üffel,  ?Rcimf pfiffet,  ftamidjüffel.  ftumfHeg,  fteimitieg. 
ffiürup,  5Röbropp,  SRe^ropp. 

©aufau«,  ©uppuS.  Saugenfinger.  ©aumnidjt,  ©umniät. 
©eumentdjt,  ©ümentdjt,  ©aumSnit,  ©umSnit.  ©<5aff  enidjt, 
©^affgon^rounberK(Sentileat©^ofganS.  ©djjaffratf),  ©djaffrott, 
©djaffenrotf).  ©djauinstanb,  ©tfaunSlanb,  urfprüngtid)  tofat. 
©djeerbartb-  ©djeinemeifc.  ©djenfebter.  ©djenfbut,  fdjenf  au«, 
©djeudjenpftug,  ©djetnpflug;  ugt.  £affenpflug.  ©d)eud)enitubt, 
©djeuenftufjf.  ©djidetanj,  ©<$tdeban$,  ©djidtanj,  ©djiden* 
b an 8,  £an^orbner.  Sd)iebenf)5bet,  fd&iebe  ben &obet.  ©d)ietenbuti>et, 
©djiebenbfifef.  ©djinbemotf.  ©djinbbetm.  ©<$tabotb,  fdjlag 
tobt,  ©djtafmunter.  ©djlagbenljaufen,  ©djjlagenbauf.  ©ditagen* 
teuffet.  ©djtagintmett,fc§fagin«$BeUe.  ©djtatau,  fdjlag  *u.  ©d)tude= 
bier.  ©djmedebier,  audj  ein  ebematS  in  Königsberg  gefeiertes  2Ibenb= 
effen unb  33iertrinFen.  ©djmedenbedjer.  ©djmedpeper,  ©<$medpepel, 
©djmadpfeffer.  ©djmet$eifen,  ©djmelseis.  ©d&miebutk  wirf 
IjinauS.  ©djnappauf.  ©ebnetbetoinb,  ©ebneiberroinb.  ©djneibe* 
min,  ©tfmieroinb,  ©djneeroinb,  ©d&nelberoenbt,  ©djnöberoinb, 
franj.  taillevent,  2anbfrreid>er.  ©djnellenpfeit.  ©d)nüran.  ©djöten« 
f ad,  fdjüttfe  ben ©a<f.  ©d&redenbüoet.  ©djredengaft,  ©djredegaft 
©djrödenfur.  ©djubbefett.  ©djfibbemage,  ©<$übbemagen. 
©djunidjt,  fdjeuenidjt.  S^ätr)ut^, ©cr)ütt)t^ut,  f^üttc au«.  ©Kütten* 
heim,  ©djittenbetm.  ©djfittenf  opf ,  ©djfittefopf,  ©djübbefopf 
©djittetfopf,  ©djfittpetj,  ©djfippetfc.  ©djufobar,  oerbunfett  au« 
©d)flttefper;  rgl.  Shakespeare,  ©djroetgftit t.  ©djroeiSgutf),  gteidj 
©treuSgut,  nrie  man  im  Mittelalter  ben  SSerfdproenber  nannte,  ©djroeU= 
tfjat.  ©djroenbeniüein.  ©d)roenfenbed)er.  ©djmenfroS.  ©djnnnbens 
bammer.  ©djroingenfdjub.  ©d)roingf)ammer.  ©engebufd).  ©enge= 
r)o 1 5,  ©enntjot;*,  ©tngebofj.  ©engetaub,  ©ennetaub.  ©engenroalb, 
©eugewalb,  ©enneroalb,  ©enematbt,  ©ingeroalb.  ©engenroein. 
©engftade,  ©engftad,  ©engftod.  ©ettegaft.  ©efcenftod.  ©efce* 
pfanb,  ©e  fepfanb.  ©efeforn,  ©ejeforn.  ©iebentopf,  ©iebentop, 
entftefft  ©ei bentopf,  ^Beinamen  bcS  ßodj3.  ©ingetfen  für  ©engeifen; 
pgt.  33rennetfen.  ©ingto.  ©ifcum.  ©ifcroobl.  ©pattetyolj. 
©pannan.  ©pannauS,  ©pannutf),  ©panutty,  ©panljut,  ©pann^ut. 


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  Die  beutfdjen  3™P*rattünamen.    3^3 

©parbrob.  ©parfäfe.  ©parnidjt.  ©parfdjulj.  ©parroaffer. 
©pörJ>afe,  ber  beitraten fpflrt.  ©preisenbart.  (Springern?,  ©pringob. 
©pringenjaun.  ©pr  i  nginreif.  ©pringtnSgutb,  ©^rjn&Sgutb. 
©pringgfelb.  ©tanbfeft,  ©tebfeft.  ©tanbop,  früher  bod)beutfd> 
©tanbtljauff.  ©taubefanb,  ©tönefanb,  ©töroefanb,  ntetletd^t  ent* 
ftettt  ©teifenfanb.  ©tedjmeffer,  ©tedmeft,  $ur$e$eid)nung  Desjenigen, 
roet<$er  bei  £rmfgelagen  ba§  Keffer  in  ben  £ifdj  am  ^fafe  eine«  9lnbern 
ftedt,  bamtt  ber  für  ttjn  bejahe,  ©teigentef  dj,  im  5D?trtc(attcr  beuttidjer 
©teiginbtafdjen,  auf  Staub  be$üglid).  ©teftbidjroobf.  ©tidjbenteufel. 
©tidjennrirtl).  ©tUrfdjroeig.  ©toftnadj.  ©tredbenfinger.  ©tred* 
fufc,  aud)  Seiname  be8  £obe$,  tote  ©tredebein.  ©treidjan,  ©treidjfjan 
©trei^^abn.  ©tretfcgutb.  ©tür*efarn.  ©udjenftetg.  ©udjen* 
roirtb.  ©udifanb,  ©udjManb,  ©öfelanb.  3übefum,  ©nbkum, 
ftcr)  bidj  um,  urfprüngltdj  ein  Socal. 

£an$n>of)f.  £f)ubid)um.  £bugut,  porber  £bunt<$tgut.  TUle* 
mein,  rertttge  2Bein.  £rauernid)t,  Xrurnit.  Eraugott.  Xrecfan. 
£rebup,  tritt  cmf,  entftettt  Sretopf  (ugt.  ßotopf,  &ut  auf),  treffen* 
fdjebL  £ r et rop,  tritt  barauf.  £reub(eib.  £rtufauS,  £rinf!)au$, 
Srinffjut,  XrinfSauS,  £rinf3flf3,  £rinf$.  Sunfein. 

SSotlenfjaU,  fülle  ben  £al$.   33ölfenbaum,  fälle  ben  SBaum. 

2Ba<ferbartf),  roafjrfdjeinlidj  entftefft  aus  bem  urfunbttdjen  2Bade= 
barb,  non  tuaden,  roofjer  roadefa.  Söafen^ut.  Sßafop,  Sßafup, 
road)  auf.  SSarnföntg,  fdjüfce  ben  flönig.  SBarnfroS,  mafjre  ben 
ßrug.  Sßedauff.  2ßegef>aupt,  bewege  baS  öaupt.  Jöegemunb. 
Sßebrenpfenntg,  roafjre  ben  Pfennig.  SBetbejafjf,  SBeberf  d)n>ati$,  ©d&roanj- 
roebter.  SBeibe^abn.  Sßenbbut.  SBenbteber.  Söenbfdjub, 
SBenbfd&udj.  2Biefdjenbart,  tmfdje  ben  33art.  Söinnenpf ennig. 
2Bi$berett,  fei  bereit.  Söfiftenroatb. 

3eigan.  3i<*  enbraf)t,  ©poüname  be$  ©dfafterS.  3^e^n«u§. 
3iebenfacf.  3*rn<uebe[,  3ier9ieDef-  3udenmantel,  3udntQitte(, 
£udmantet,  Sficfmantef,  uöttig  nerbunfett  3ude  rmanbet,  auf 
SSegefagerci  be$üg(idje  tarnen,  mm  £fjetf  Dert(td)  feiten.  3« <*fd) wert, 
3ugfcbroert.   3ud$etfen.  3wiiau5. 

G$  giebt  nun  aber  neben  biefen  riefen  unreif  elf)af*  imperatiotfd)  %u 
beutenben  aud)  eine  größere  2ln$af)l  heutiger  ©efd)fed)t3itamen,  roetebe  feit 
längerer,  gröfttent^eifä  bis  auf  bie  icjjige  3ett  bem  Sereiäje  ber  3mperatio= 
namen  überroiefen  roorben  finb,  in  ber  iljat  aber  eine  abroeidjenbe  @r= 
ftarung  verlangen. 

©o  beguem  e3  ift,  ©I aub red; t  unb  Siebredjt  imperatitnfd)  ju  faffen,  fo 
weigern  fid)  biefer  Deutung  bod)  r»erfd)icbene  Nebenformen  beiber  Hainen,  roie 
Ätaupredjt,  ©rubredjt,  ÄlaubertunbSiebert,  Seopred)t,  Saubred)t. 
2)er  9tome  ©faubredjt  ift  oielme^r  au§  Glauporabt  (ju  glau,  fd^arffid^tig, 
einfi^ooll),  2iebred;t  auö  Liutperalit  (su  Hut,  Söolf>  entfprungen,  beibe 


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1 


3^    K.  <5.  Hnbrefen  in  Bonn.   

mit  beraht,  berht  (engt.  bright)=glän$enb  sufammengefefot.  ©angau  f  be* 
beutet  ntdjt  ,gef>  auf,  fonbem  grünbet  fidE)  auf  Gangolf  (umgefebrt  2Solfgang), 
rote  99albauf,  Sitterauf,  Xf)ierauf  auf  Baldolf,  Biterolf,  Tiurolf, 
©ebrat  unb  ©iebf  rieb  lauteten  im  Slltbeutfdjen,  ber  eine  9tome  budjftablidj, 
ber  anbere  ber  £auptfad)e  nadj,  ebenfo  wie  beute;  an  tmperatioif<f)e  Raffung 
barf  aber  bei  bem  erften  tarnen  gar  ni<bt,  bei  bem  jweiten  (ogl.  @b reu f rieb) 
nur  oorübergebenb  gebadet  werben,  £ au barbt  J|ei§t  nicr)t :  bau  ftarf, 
fonbern  eS  ift  oielmebr,  rote  ßugart  unb  $auert,  aus  Hugihard 
beroorgegangen;  ogl.  Räubert,  &aubolb  aus  Hugubert.  Hugibald.  $em 
tarnen  © dj mitbat«,  welker  in  weit  uon  einanber  getrennten  ©egenbin 
EeutfcblanbS,  aud)  in  ber  ©dbreibung  ©d)tnibtbals,  angetroffen  wirb,  ift  bie 
unannebmlidje  (Srflarung  ,fdjmeifj  (triff)  ben  £als  (beS  ^uf^eS)'  ju  2T)eil 
geworben ;  aber  wie  fidj  33ierbalS,©oetf)alS,  9?ad)balS  imtronnmifdj  mit 
eingefügtem  %  ju  Berald,  Godoald,  Rachold  oerbalten,  fo  ©d&mitbalS  &u 
©mital  aus  Smidoald.  $af$  SBotfenbabl,  Sucfenbabl  ,beugibn  nieber* 
bebeuten  foHen,  Hingt  unwabrfdjeinltd) ;  mebr  Dürfte  bie  ©rffärung  als 
„Sudjentbal"  anfpredien.  ©benfo  wenig  roirb  &upfelb  als  „büpf  ins 
gelb"  ju  Oerzen  fein,  roor)t  aber,  roie  eS  bei  &opfelb  ber  gatt  ift,  als 
eine  Dertlicbfeit.  3n  gal)renbol$  liegt  niajt  bie  Hufforberung  in«  £ol$ 
ju  fabren;  es  giebt  meiere  Derter  biefeS  Samens,  welker  an  fid)  Jörjrcnfjols 
bebeuten  fann.  $ie  ©rflärung  oon  Gilgenfamp  burdj  „tilge,  jerftöre  baS 
gelb"  oerträgt  ft$  fdjledjt  mit  Gellfampf  unb  Gelfamp,  mit  Gillem 
berg,  Geltberg  unb  Geigenbauer;  unter  Gitgenfamp  unb  Gellfampf 
ift  ein  mit  „Gelgen"  (telge,  >Jweig,  ©(böfeltng,  ©tedling)  bepftonjteS  gelb 
5U  oerfteben.  $te  grage,  ob  ÜJlatfentbun  „madj  ben  3aun"  bebeute, 
erlebigt  fidj  baburdj,  bafe  eS  einen  Drt  gleite«  Slamens  gibt,  ber  anberS 
erflärt  werben  mufj.  $aefelbe  Iö§t  ftcb  oon  ©temSljorn  bebaupten,  ba 
fo  ein  Drt  im  $annooerfd}en  r)ctfet;  bie  tmperattoifdje  gaffung  geroäbrt 
überbieS  laum  einen  erträglichen  ©inn.  ©ans  unoorfidjtig  ift  Golf emit, 
baS  ja  auf  einen  gleidjlautenben  Ortsnamen  oerweifl,  als  „fpridj  mit" 
oerftanben  worben;  wäljrenb  ©  palt enft  ein,  obgleidj  ein  Drt  biefeS 
Samens,  an  bem  obne  3rceifef  Der  Familienname  ^oftet,  nad^geroiefen 
wirb,  fidj  letzter  als  ftmperatto  üerfter)cn  lie&e.  33et  StÖbrmunb,  9tfibrs 
munb  liegt  es  bod)  näber  an  ben  tarnen  ber  r)oQänbtfcr)en  ©tabt  9ioer* 
monb  als  an  bie  9lufforberung  „rübr  ben  SÜhtnb"  ju  benfen.  Daß 
©prtngmüf)l  wie  ©pringSfelb  unb  ©pringSgut  ju  erflären  feien, 
leud)tet  nidjt  ein;  wie  ©pringborn,  ©pringborn,  ©pringfkein 
mit  bem  ©ubftantio  ©pring,  Duelle,  jufammeugcfefct  finb,  ebenfo  ©p rings 
mübl  (eine  ©pringmüble  liegt  bei  ^eiligenftabt),  beren  Sefifccr  Spring; 
müller,  ©princTmöller  beifit.  Der  3luSlaut  beS  Samens  ftretbebring 
bat  oeranlajjt,  bafe  man  einen  Smperatiofafe  mit  umgefefjrter  SÖortfteÜung 
angenommen  r)at;  aber  baS  auSlautenbe  g  ftebt  für  f  wie  in  ginfenbring, 
3gelbring,  ßlebrtng,  Se^mbring,  unb  töreibebrinf  (5lreibef)ügel) 


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  Die  freutfc^en  3mperati»namett.   

ift  felbft  ein  heutiger  ©efdjledjtSname.  ßabefoft  flingt  freilid)  tote  ein 
3mperatio,  oljne  baß  ber  Sinn  tjoüfommen  beutlid)  märe;  aber  ofnte 
Sroeifel  liegt  bie  auä "  ßaoigljorft,  £>aoift)orft  lieroorgegangene  gönn  ^aoefojt, 
rote  4  Derter  in  SRorbbeutfdjlanb  Reißen,  &u  ©runbe.  ££enn  e§  roentg 
©tauben  uerbtent,  baß  SWunbfjenf  roie  ba§  ältere  £engentriel  (ÜJ?aur= 
fjänger)  $u  erflären  fei,  jumat  ba  ba§  Dbject  noraufgefit,  fo  läßt  fidj  ba* 
gegen  ber  9?ame,  ber  aud)  als  9J?unbf)enfe  oorfommt,  fer)r  roof)I  mit 
bem  mittelalterltdjen  93einamen  gittern  munbe'  »ergleidjen  unb  als  $enf 
ober  $enfe  mit  bem  2J?unbe  oerfteben.  flemeSroegS  bebeutet  kennen* 
Pfennig  „bem  Pfennig  nadfjrennenb" ;  um  1300  gießen  am  9lieberrl)ein 
gereifte  feilte  SHfinjen  „9?ennepenninge".  (£benfo  faffd&  ift  bie  ©rffärung 
von  <Stid)tenotl),  <Stidr>notr)  al$:  ftifte  9?otf),  9Zot^ftifter ;  ba3  niebers 
beutfdje  Sßort  entfpridjt  bem  I)odjbeutfdjen  „6ttftgenofc".  ®d)ellf)afe, 
Sdjelf)afe,  (SdjelbaSunb  (Sdjeelfyaft  entsaften  fdjrcerlidfj  bie  3htfforberung 
ben  £afen  511m  2öeid>en  ober  ju  ftatl  jut  bringen;  §u  ©runbe  Hegt  nielmebr 
ba3  Slbjectto  schellec,  fdjeu,  oor  Jyur^t  auffpringenb,  roie  benn  nodj  beute 
in  ber  föroäbifdjen  SRunbart  ein  Sßferb.  roeldjeS  ausreißt,  gleidjfaÜS 
„fdjellig",  ein  überall  umfyerlaufenbeS  28eib  „bie  atte  Sdjefl"  genannt 
wirb.  .§at  bie  roeit  oerbreitete  31nfid)t,  Sdjlid)tegroll  fei  als  3mperatio 
ju  oerfteljen,  roenig  für  fidfj,  fo  fdjeint  burd)  bie  $orm  ©djlidjtfrull  fo  gut 
roie  beroiefen  3U  werben,  baß  (Sntftcffung  von  „flrull"  ober  „ßroll"  (Code) 
in  „©roll"  norliegt  unb  baf,  biefe  ■Kamen  mit  6djlid)tf)aar,  föettfjaar, 
@lattl)aar  ju  oergleid^en  finb.  9?ad)  ben  neuern  Unterfudjungen  be* 
aeidjnen  ©türjenbed^er,  Stürfoenbeder,  Sturjenbeder,  ©törten* 
beder,  ©törtebefer  nidjt  imperatioifd)  ben  £rinfer,  ber  ben  33ed)er 
fnnunterfrürjt,  fonbern  e$  ift  ein  Xrinfgefäfc  mit  einer  Stürze,  ein  3)edelbedjer 
gemeint.  «Ser  97ame  3Hujjenbedjer,  roeldjer  ben  flfang  eines  3mperatio§ 
r)at  unb  aud)  fo  oerftanben  roorben  ift  (pufee,  fdjmude  ben  Sedier?),  Dürfte 
ef)er  bemjenigen  gelten,  ber  SDiufcen  ober  5Jhttfdjen  bädt  (ogl.  9flufcfd)ler); 
aber  ber  in  Söeftfafen  oorfommenbe  Familienname  3J?ufeenbacfj,  bem 
ja  gerotfj  eine  Certlidtfeit  (ogf.  Sftufcenfefb,  9flufcenf)aufen,  9ttufoenrotf))  5U 
©runbe  liegt,  weift  bodfj  ftärfer  auf  bie  locale  Sebeutung  aud)  be$  9?amen§ 
SRufoenbedjer  (ogl.  (Sfdjenbedjer,  SBeibenbedjer)  bin.  3n  Sobebanj 
ftedt  fein  3mperatiu;  ba-S  fdjon  im  ^tttctyodjbeutfdjett  fiblidje  SBort  lobetanz, 
roeld>e§  einen  Xan$  meint,  ju  bem  fid)  junge  ©efetten  für  gemetnfd6aftli(5e 
öffentliche  Suftbarfetten  oerbunben  unb  oerpflid^tet  baben.ift  mit  bem  altem 
„loben"  für  „geloben"  sufammengefefct.  9Iud)  ßöfefann  unb  Söfefrug 
ftnb  fdt)roerlic^  imperatioifd)  ju  rerfteljen,  bie  33ebeutung  be5  2Jerbum3  roare 
o^net)in  faum  erflärbar;  oermutf)(id)  enthalten  beibe  tarnen  ba§  in  ber 
heutigen  8$riftfpra$e  oerfd^oCene  Subftantio  „ßafe",  ^en!elgefä§,  bejfen 
a  öfters  in  0  übergebt  unb  hierauf,  oieUeia^t  burd^  mifeoerftänblic^e  3w* 
red)tlegung,  audt)  ju  ö  geworben  fein  !ann. 

2ln  bie  auger^alb  bei  33ereid)e$  ber  ^erfonennamen  oorfommenben 


3^6    K.  <5.  2Inbrefen  in  Bonn.   

imperattoifdjen  Silbungen  barf  es  l)ier  genügen  nur  mit  einzelnen  33ei* 
fpielen  §u  erinnern.  2Me  ältere  Spraye  r)attc  beren  weit  mefjr  als  bie 
jefcige;  inSbefonbere  in  ber  oolfstfjümlidjen  Siteratur  beS  fpätern  TOrtel* 
alters  ftnbet  fidj  eine  große  Sflenge. 

Unter  ben  örtltd)en  Gigennatnen,  meldje  einen  Smperattofafc  entsaften, 
fönnen  *u  beniemgen,  bie  entweber  als  fpätere  ©ef$ledjtSnamen  ober  wir 
tlnterftüfcung  ber  imperatioifdjen  Grflärung  bereits  genannt  worben  fittb, 
nod)  folgenbe  Einzutreten:  <5<f>lutup  in  9tte(flenburg  nafje  bei  Sübecf,  umae* 
beutet  aus  „Slufup",  bem  ein  älteres  „ftretup"  =,  friß  auf!1  $u©runbe  Hegt; 
bie  Iwlfteinifdjen  2öirtsf)äufer  3appup  (jappen,  =  na<$  Suft  knappen,  auf* 
atmen),  Surup  (laure  auf),  flrupünner  (fried)  unter);  bie  ffibbeutfdjen 
Socale  ^aßauf,  Stdjbidjfür,  $raunid)t,  reelle  $ur  S3orficr)t  gegen 
Straßenraub  mahnen;  SuginSfelb  unb  SugtnSlanb;  baS  JorftljauS 
Steurenbieb  in  ber  Gilenriebe  bei  ftannooer. 

93erfönltdje  Segriffe  werben  bejetdjnct  burd)  §  ab  entd)tS,  öabe* 
red&t,  <SaufauS,  ©pringinSfelb,  ©törenf rieb,  £E)unidjtgut 
2öageljals.  Sefannte  ßunbenamen  ftnb  gaßan  unb  Marfan;  ein 
gewiffer  Sögel  fjeißt  2Benbef)alS,  zuweilen  ®ref)f)als. 

Sßäf)renb  es  in  alter  3«t  eine  größere  2ln$af)l  tmperatioifdj  gebilbeter 
$flan$ennamen  gab,  ift  ber  beutigen  Spradje  faft  nur  baS  Sergius 
meinntd)t  gebieben;  baS  Sflaigtöddjen  wirb  Ijie  unb  ba  ©pringauf 
genannt;  in  nieberbeutfä^en  (Uegenben  fommt  ßltmop  =  ,f(imm  auf  für 
Gpfjeu  oor. 

£aS  fogenannte  ©tefjmänndjen,  engl,  cork-turabler,  fjeißt  aud) 
©tebauf.  (Sin  raidjer  ©djlußtanj  für)rt  ben  tarnen  ßebrauS,  alter 
ftefjrab. 

3u  abftracten  Segriffen  finb  geworben:  ©eratf)ewol)l,  Ärafofuß 
für  Serbeugung,  Sebewofjl,  Reißaus  für  $lud>t,  ©tellbid)etn  als 
gute  Ueberfefcung  beS  fransöftfdjen  rendez-vous,  ^ettoertreib. 

Einige  imperatiotfdje  Benennungen,  weldje  im  9Keberbeutfdjen 
wurzeln,  werben  in  bortigen  ©egenben  oon  fyoäjbeutidj  SRebenben  fjäufig 
übertragen.  So  l)ört  man  in  £>olftein  baS  insgemein  fo  genannte 
©djlucfen,  baS  wieberfyolte  laute  ?lufftoßen,  geroöbnlidj  als  ©djlucfauf, 
nieberbeutfd)  ©lucfup,  bejeidjnen.  Gin  ffeineS  Jlinb,  mitunter  aud)  ein 
unerfahrener,  meift  etwas  oorlauter  junger  -iWenfdj  ^eif^t  5Ufinnewelt  unb 
barnad)  in  l)od)beutfcr)er  9?ebe  ©uäinbiewelt.  £er  Gigenfinn,  Setd)tftnn 
unb  ber  Gigcnfumige,  Seid&tfmnige  werben  £  el)rbiannip  unb  ßef)rbtdjs 
anntd)ts  genannt. 

©djlictlltdj  nod)  bie  Semertung,  baß  ber  Slumenname  9f  efeba  unb  bie 
jebem  gebilbeten  Seutfdjen  befannten  Söörter  gaefimile  unb^octotum 
oon  lateinifd^en  3mperatiubilbuna,en  f)errüf>ren. 


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2?ufftfd?e  Secten. 

Don 

Ceopolb  v.  Sad?er»21Tafocfy. 

—  finb^cim'©bcrtjcffcn.  — 
I. 

«Einleitung.  —  Die  Xasfolnifi.  —  Die  Ciporrmner.  —  Die  Dudjoborjen 

unb  if?r  roeiblidjer  papft. 

$  ift  ein  bunHed  ©ebiet,  ba3  wir  betreten,  bunfel  in  geiftiger, 
in  pfnd)ifd)er  unb  plmfiologifäjer  SBejiefmng;  ein  ©ebiet,  auf 
bem  roir  nidji  oor  einem  einzelnen  3JJnfterium,  fonbern  oor 
einer  ganzen  2Belt  oon  9iätr)fetn  ftet)en.  £>ie  (hidjeimmgen,  benen  roir 
begegnen,  laffen  fidj  jum  Steile,  wenn  auaj  nidjt  erHaren,  fo  bodj  beleuchten 
unb  rerftefyen,  ber  größere  £f)eil  berielben  bleibt  un$  aber  unfaßbar  unb 
berührt  uns  jugleid)  unljeimlicr)  unb  märchenhaft. 

©t)e  roir  un$  mit  ben  ruffifdjen  Secten  befdjäftigen,  ift  es  unerläfclidj, 
fidt)  flüchtig  an  ben  fyiftorifdjen  Gharafter  ber  au$  ber  gried)ijd)en  ßirebe 
oon  Spjanj  entftanbenen  ortbobojen  ruffifdjen  $tird;e  511  erinnern,  kleine 
ber  djriftüchen  5lirdjen  ift  fo  fcr)r  in  ifjren  Seigren  unb  formen  gleichfam 
erftarrt,  fo  in  teeret  Zeremonien  =  SBcfen  ausgeartet  unb  babei  fo  ftnfter, 
fo  unbulbfam  unb  fo  unbarmherzig  rote  bie  ruffifdje;  in  feiner  ßirdje  ift 
ber  Gleru3  fo  entartet,  fo  gefunfen  roie  in  biefer;  in  feiner  bie  firchliche 
2lHgeroalt  eine  fo  tnrannifdje  roie  t)ier,  roo  fte  mit  ber  weltlichen  oereinigt 
ift,  roo  ber  Gjar  stapft  ©eifter,  ^erjen  unb  Seiber  von  80  Millionen 
3Jien]"djen  gCetcr)  unumfdjränft  beherrfdjt. 

£)rucf  aber  erjeugt  ©egenbruef,  unb  £nrannei  erjeugt  Rebellion.  G$ 
ift  be^^alb  leicht  begreif Itd),  baß  feine  #ird)e  fo  oiel  5lbtrüuntge,  fo  oiel 
äefcer  l;eruorgebrad)t  ^at,  ati  bie  ruffifdje.   2)ie  erfte  Trennung  erfolgte 


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3^8    Sadjer-ntafodj  in  £tnb!jeim.<!)ber^cffen.   

1666.  ßeute  aäljlt  man  über  200  ©ecten,  unb  es  entjteljen  tfiglidj  no$ 
neue.  3IIIc  biefe  ©ecten  mürben  feit  ber  SHitte  beS  17.  3al>rl)unberts 
ftrenge  perfolgt,  befonberS  unter  $eter  bem  ©rofjen,  unb  erft  unter 
tfatbarina  II.,  ber  ^Uofor-fim  auf  bem  STjrone,  jutn  ^eit  erft  untei 
2tteranber  T.  gebulbet.  SJtondfje  merben  beute  nod)  pon  ber  Staatsgewalt 
mit  aller  ©trenge  befämpft.  5trofebem  Mafien  fte  niemals  abgenommen, 
fonbern  ftdj  ftets  nur  weiter  perbreitet,  unb  alle  bittet  ber  fliraje  unb  beS 
(Staates  ^aben  fic^  Urnen  gegenüber  ohnmädjttg  erroiefen. 

Ellen  biefen  Secten  fmb  jtoei  grofje  3üge  gememfam.  £uerft  areifen 
fte  alle  gfeidj  ben  Reformatoren,  bie  aus  ber  rönrifdjen  JKrdje  hernor- 
gegangen,  auf  bie  33tbel,  bie  <£pangetien,  baS  Urdjriftentljum  prütf.  Dies 
ift  baS  Sanb,  baS  fte  mit  bem  SBeften  perfnüpft.  Dann  aber  fdjöpfen  fte 
ade  aus  bem  bunffen  330m,  aus  bem  bie  aftattfdjen  ^ropfjeten  gefc&öpft 
(laben,  aus  bem  gebeimnifep offen  Urquell  ber  ftatur,  bem  bie  inbif^e  Sefjre 
unb  bie  büftere  SBeiSfjeit  eines  SBubblja  entftammen;  unb  bieS  tu"  baS  33anb, 
baS  Tie  mit  bem  Orient,  feinen  Rätseln,  ©ef;etmniffen  unb  feinen  bämontfdjjen 
SJtödjten  oerbinbet. 

3dj  merbe  ^ier  felbftperuanblidj  ni<f>t  oon  allen  rufrtf^en  (Secten 
f Presen,  fonbern  nur  pon  ben  merfroürbigu'en  unb  einfluffretdjü'en,  unb 
por  9Wem  pon  ienen,  roeldje  uns  ben  tiberrafdjenbften  ©nblt<f  in  bie 
große  ffanifdie  SBelt  beS  DftenS  geftatten,  bie  bem  SBeften  porlauftg  als 
eine  bunfle  Stfadjt  fturnnt  unb  brofjenb  gegenüberflebt. 

Die  erfte  Trennung  innerhalb  ber  rufftfcfien  flirdje  erfolgte,  wie  idrj 
bereits  gefagt  fabe,  im  ftebjefinten  3aljrf)unbert.  GS  mar  Rifon,  ber  <patriar$ 
pon  SfloSfau,  ber  Slnlafe  baut  gab,  inbein  er  1642  oerfdjiebene  Neuerungen 
burdjfübrte.  Cbroobl  er  an  ben  Dogmen  in  feiner  Seife  rüttelte,  nur  bie 
93ibeMleberfefeung  einer  SReoition  unterzog,  in  ben  ©efang*  unb  ©cbet* 
büdjern  2lenberungen  anbrachte  unb  bie  £tturgte  reformirte,  lehnte  ftd)  bo<$ 
ein  großer  Dfail  ber  ©laubigen  bagegen  auf  unb  fagte  fidj  nacb  langen 
Äämpfen  auf  bem  Goncil  non  Gostau  1666  pon  ber  ortfjoboren  Alird&c 
los.  Diefe  SdtfSmatifer  nannten  ftd)  fortan  ©taropier^i,  Altgläubige, 
roctfirenb  Tie  ponberruffif$enÄir(5e9JaS!olntft,  ßefcer,  genannt  mürben. 

Anfangs  repräfentirten  fte  glei(f)fam  bie  alte  ßtrdje,  unb  natmten  eine 
öfmlidje  (Stellung  ein,  wie  heute  bie  Slltfatholifen  gegenüber  ber  römtfdjen 
Jltrdje;  bodj  im  £aufe  ber  Reiten  fagten  fie  ftd)  mehr  unb  mebr  pon  ber 
flirre  unb  por  2lllem  pou  bem  ^rieftertfmme  los  unb  $roeigten  ftd)  *n 
Siporoaner  unb  Ducboborjen  ab. 

Unter  ^Seter  bem  ©rofeen  ftarben  piefe  RaSfolmfi  ben  HJiärtnrertob. 
Katharina  II  gab  ilnten  eine  geroiffe  Religionsfreiheit,  £eute  eriftirt  biefe 
^auptfecte  ber  rufftfdoen  flirdje  in  brei  perfd)iebenen  3^3^^  als 
9?aSfolnifi,  Siporoaner  unb  Dud^oborjen,  jebod)  in  jroei  Haupts 
gruppen  getfjeitt:  in  bie  ^opomtftt^tna,  iene  Sectirer,  roeldje  ^open,  ^priefter, 
^aben  unb  bie  33eSpopotptf<$ina,  bie  feine  ^riefter  faktn. 


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>    Snfftfd?«  Secten.    3^9 

$)ie  2lltglaubtgen  galten  nod)  in  SSielem  an  ber  ßirdje  feft.  Sie 
feiern  iljren  ©orteabienft  in  Äirdjen,  baben  ^riefter,  tjaben  bie  Sacramente  unb 
erfennen  außer  ber  SMbel  aud)  nod)  bie  griea)ifd)en  unb  ruffifc^en  ßirdjen* 
uäter  bte  in  bie  Witte  be£  17.  3a{jrfjunbert£  an.  3"  i()ren  rituellen  ©igen» 
ti)ümlid)fetten  gehört,  baß  fte  bas  5lreus  mit  bent  ,3eige-  unb  Mittelfinger 
madjen,  unb  baß  i^r  flreujbilb  adjtedig  ift,  fonrie  bag  fie  ba3  ^aHeluia^ 
nur  sroeimal  fingen  unb  ba$  britte  SM:  Sab  fei  $ir  ©Ott! 

$ie  Siporoaner  ty&en  feine  ^riejler.  ©in  ertoärjlter  2leltejter, 
Starif,  fjätt  ^cn  ©otteabienft  ab  unb  tauft  bie  Äinber.  Sitte  anberen 
Sacramente  verwerfen  fie.  Sie  »erfetjren  nidjt  mit  2lnber3glaubigen,  er* 
fennen  ben  Gjaren  als  &aupt  ber  Äiraje  niajt  an,  leiften  roeber  @ib 
noaj  Äriegäbienft  unb  ferneren  roeber  #aar  noa)  SBart.  «Sie  r»erabfd)euen 
geiftige  ©etränfe  unb  ben  £abaf.  ©in  ßiporoaner,  in  beffen  fcaufe  ein 
uorne^ner  ©aft  ein  paar  MS  emcr  Gigarrette  tjjat,  lieg  baSfelbe 
com  $ad)e  bi$  jum  fteller  reinigen,  fegen  unb  fajeuern. 

(Sinige  taufenb  Siporoaner  famen  unter  3°f*Pb  U.  nadj  Dftgalijien 
unb  in  bie  SBuforoina,  wo  fte  beute  nod)  in  abgefallenen  ©emeinben 
leben.  Sie  l)aben  fidj  feit  3lnbeginn  fo  mufterbaft  gehalten,  baß  flaifer 
granj  bei  feiner  Bereifung  ©alijienS  i^ren  2lelteften,  einen  adfoig jährigen 
©reis,  eigenbänbig  becorirte.  Seitbemfie  ba  finb,  feit  mebr  aU  100  3abren, 
ift  fein  ßiporoaner  beftraft  roorben.  Sie  waren  in  Defterreidj  früher  üom 
fteerbtenft  ooHfoinmen  befreit.  Seit  ©infü^rung  ber  allgemeinen  2Beljrs 
pflidjjt  bienen  fte,  ba  fte  fein  33lut  vergießen  Dürfen,  auäfdjließlidj  in  ber 
Samtätstruppe.  Statt  be$  @ibe$  wirb  ilmen  bei  ©eria)t  nur  ber  §anb* 
fd)lag  abgenommen,  Sie  wohnen  in  Ijübfdjen,  gutgebauten  Dörfern, 
treiben  2lderbau  unb  ^ieb$ud)t,  banbeln  nur  mit  i^ren  s#robucteu  unb  finb 
in  jeber  Schiebung  braoe,  frieblicbe  unb  ftreng  fittltdje  3)2enfa^en. 

©an$  anbers  b&ben  fidr)  bie  £udjoborjen  entroicfelt.  Sie  nennen 
fia)  sroar  Streiter  be3  ©etfteä;  aber  bei  i^nen  t>at  ber  nnnlia>  ÜttrjfttcU* 
muS  be$  Crienta  f$on  3iemlid)  fraftige  SBurjeln  gefaßt.  Sie  jroeigten 
fid)  im  18.  Sabrlwnbert  r»on  ben  9fa3foimfi  ab  uno  Ijaben  tyute  mit 
benfelben  fafl  ni$t£  mebr  gemeinfam.  Anfangs  mürben  fie  mit  großer 
£ärte  bebanbelt  unb  »erfolgt;  erft  1804  erlangten  fie  bur<f|  ben  milben 
Staifer  Slleranber  I.  9ieligionefreibeit.  Sie  roolmen  jumeift  in  Jaunen, 
bocb  pnbet  man  fie  im  ganjen  Süben  9fußlanb£,  bis  nad)  bem  öftcrreid)ifd)en 
©alijien  l)in  oerbrettet. 

3a)  batte  ©elegenbeit  eine  ©enxeinbe  ber  $udjobor$en  genauer  fennen 
ju  lernen. 

3n  biefer  gebeimnifjoollen  Secte  fpielt  ba^  2öeib  juevft  jene  mädjtige 
unb  rätbielljafte  ^Hoüe,  ber  mir  in  ber  flaoifajen  2Selt  be$  Cjien^  auf 
Stritt  unb  Xritt  begegnen;  eg  ift  gleidjfam  bie  Spl)™?,  bie  oor  bem 
Gingange  be3  XempeU  liegt.  Xie  $>udjobor$en  uerroerfen  bie  Äircbe,  bie 
Sacramente,  bie  ^riefter  unb  ben  ^apft^aren;  bafür  b^ben  fie  einen 


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350 


5ad}er«OTaf odj  in  £inbl?ctm'(Dbcr  treffen. 


meibli<f)en  $apft,  bie  fogenannte  ©otteSmutter,  in  ber  ©Ott  fidj  ben 
©laubigen  oerforpert,  unb  welche  $wifd>en  il)m  unb  ilmen  oernuttelt.  &ie 
©otteSmutter,  rocld^c  id)  fennen  [ernte,  war  bie  £od>ter  eines  reiben 
dauern,  beffen  ©efjöfte  jebem  Gbelmann  (Sljre  gemalt  &ätte. 

Sie  empfing  midj  cor  bem  £aufe,  wo  fte  eben  u>en  jüngeren  ©e- 
föwiftern  Befehle  erteilte.  ©3  war  eine  feltfame  @rfd)einung;  bodj  ge* 
warfen,  majeftätifdj,  mit  einem  »on  üppigem  blonben  £aar  umrahmten, 
frönen,  milben  9)tooonnengefid)t,  glid)  fte  in  i()ren  rotten  Sauernftiefeln, 
bem  furjen  bunten  9iod*,  bem  langen  ^eUblauen,  mit  meinem  S|3el*roerf  be- 
festen  unb  gefütterten  flaftan,  ■  ben  Äopf  mit  einem  weisen  £ud>e  turban* 
artig  umwunben,  bie  Sruft  mit  ÄoraKen  unb  ©olbmünjen  bebedt,  mein1 
einer  aftatifd&en  £efpotin  ober  einer  fd)önen  Sultanin,  als  einer  ^eiligen. 
Sie  führte  mid)  in  if)re  Stube  unb  gab  auf  alle  gragen  bereitwillig 
Slntmort. 

„28tr  Ijaben  feine  ©etftlidjen  unb  feine  flirdje,"  fagte  fie,  „mir  oer* 
werfen  bie  Sacramente  unb  uereljren  aud>  bie  ^eiligen  nidjt;  bennod)  wirb 
uns  9Jiemanb  baS  Seugnifj  oermeigern,  bafc  wir  bulbfame,  frieblt<§e  unb 
arbeitfame  SJtenfd&en  finb.  Unfer  erfteS  ©efefc  ift  bie  ©leidjfyeit 
aller  SNenfdjen,  aller  Staube,  aller  S3elenntniffe;  wir  adjten  $uben  unb 
9)iof)amebaner,  ebenfo  wie  jebe  5lrt  oon  Gräften.  (5s  giebt  unter  uns 
weber  sperren  nod)  Änedjte,  trofebem  finb  alle  $)ud)oborjen  woljlljabenb, 
rein  unb  gut  gef  leibet.  Unfere  grauen  gelten  als  fcf)ön,  fie  fmb  alle 
fleifjig,  aber  babei  ftets  Reiter  unb  fntbfdj  angezogen.  $)ie  ©otteSmutter 
ift  baS  &aupt  ber  ©emeinbe,  baS  ©benbilb  ©otteS  auf  ©rben.  ®urd/ 
baS  2Beib  ift  bie  Sünbe  in  bie  23elt  gefommen,  beSljalb  fann  audj  nur 
burd)  baS  2öeib  bie  ßrlöfung  fommen. 

„3)ie  ©otteSmutter  wirb  von  ber  ©emeinbe  erwählt,  wenn  biefelbe 
burd)  gaften  unb  ©ebet  vorbereitet  unb  oom  ©eifie  erleuchtet  ift,  benn  ber 
©eift,  baS  reine  Sid)t  ift  nod)  mcfyr  wertf)  als  bie  33ibel.  Unfer  ©laube 
ift  fein  trauriger,  er  oerbammt  nidj)t  2llles,  was  ben  2Renf<$en  erfreut,  als 
Sünbe.  2Bir  bleuen  ©Ott,  ol)ne  bie  unfdjulbigen  triebe  ber 
92atur  ju  freujtgen.  @s  ift  Sitte  bei  uns,  bafc  bie  grauen  unb 
9)täbd)en  unb  bie  jungen  Männer  fid)  an  ben  Slbenben  oerfammeln,  um 
leidste  2lrbeiten  gu  oerridjten,  ju  plaubern  unb  fid)  ju  uergnügen." 

„(Sure  grauen  follen  aber  ntdjt  fefn*  moralifd)  fein,"  warf  id)  ein. 

2)ie  ©otteSmutter  bluffe  mid)  mit  it)ren  großen  fingen  9lugen  rurjig  an. 
„(Sigentlid)  legen  wir  ber  (Stye  feine  grojge  Sebeutung  bei/'  fprad)  Tie, 
„benn  ber  äi?ille  zweier  erwad^fenen  3Wenfd3en  perfdjiebener  ©efd^led)ter 
genügt,  um  biefelbe  ,u  fdjliegen.  $er  2leltefte  ber  gamilie  erflärt  bie 
Brautleute  für  oereint,  unb  ber  33unb  ift  gefa)[o)fen.  ©benfo  leidet  ift  bie 
Trennung  ber  tye.  ^ene  triebe,  wela^e  bie  Duette  ber  6ünbe  fmb, 
müffen  an  unb  für  fid)  nid)t  böfe  fein,  fonft  ^ätte  fie  uns  ©ort  in  feiner 
©üte  gewi§  nic^t  anerfd^affen.  Statt  alfo  biefe  triebe  3U  unterbrüefen  unb 


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  Hnffifdje  Sectctt.   


55  \ 


auf  biefe  Steife  bie  9?atur  jur  ©mpörung  aufjuftadjeln,  unterjodjen  wir  fie, 
inbem  wir  ifjnen  nad)geben.  2öir  erteiltem  bie  ©(je,  beren  Sd)lie&ung 
unb  Trennung,  unb  wir  machen  aus  ber  Siebe  feine  Sünbe.  60  nehmen 
wir  berfelben  ben  Stad)el,  f)inbern  fie,  jene  £eibenfd)aften  gebären,  weldje, 
wie  §iferfud)t,  &a§  unb  fteib  ben  9ftenfd)en  Unheil  bringen,  unb  Ijelfeu 
bem  ©elfte  junt  Siege.  2ßir  geftatten  bem  SBeibe  jebe  2(rt  oon  $ufe, 
Sanb  unb  Sergnugen,  fobalb  eS  feine  $flid)ten  erfüllt  unb  feine  Arbeit 
getljan  ^at;  beSljalb  Heben  bie  grauen  unfereS  ©laubeng  bie  Arbeit.  3n 
aller  gruf)e,  beim  Sickte  ber  Sterne  ftefjen  fie  auf  unb  bringen  fd)on  oor 
Sonnenaufgang  $auS  unb  2üirtl)idjaft  in  Drbnung.  SBenn  fie  fid)  bann 
In'ibfd)  angesogen  mit  &anbarbeiten  befd)äftigen  unb  SlbenbS  in  ©efeHfd)aft 
unterhalten,  fo  gefd)ief)t  91iemanb  ein  Unred)t  bamit.  Sa  bie  Trennung  ber 
(S^e  fo  leidet  ift,  fo  ift  eS  ben  grauen  leid)t  gemalt,  bie  Streue  $u  be= 
magren;  beSfyalb  wirb  aud)  ber  ßfjebrud)  bei  uns  fe^r  ftreng  beftraft.  „2>on 
wem?"  fragte  id).  „9Son  ber  ©otteSmutter,"  antwortete  bie  fdjöne  ^eilige. 
„9!ber  eS  fommen  feiten  klagen  uor,  ba  bie  Sud)oborjen  gegen  bie  gel)l= 
tritte  i^rer  grauen,  in  $öe$ug  auf  Sreue,  fe^r  naa)fid)ttg  finb,  wenn  bie= 
felben  nur  fonft  ifiren  $fltd)ten  nad)fommen." 

„Sie  Sud)obor$en  fmb  alfo  überzeugt,  bafc  ©Ott  in  ©eftalt  ber  ©otteS* 
mutter  lebenbig  unter  ü)nen  ift?"  fragte  id)  weiter.  ,,©ott  ift  in  jebcm 
2ttenfd)enlebenbig,"  gab  bie  ©otteSmutter  3m:  3tntwort,  „beim  ber  brei* 
einige  ©Ott  offenbart  fid)  uns  nur  in  ber  Seele  beS  9Jtenfd)en,  ber  $ater 
in  ber  ©ebädnrti&fraft,  ber  Sofjn  in  ber  Slöeisljeit  beS  SerftanbeS,  ber 
©eift  im  SBollen;  bie  ©otteSmutter  aber  ift  oon  ©Ott  erroäfjlt,  um  feineu 
3ßiüen  f>ier  auf  ©rben  ju  voll3ief)en." 

„3Jton  befdjulbigt  aber  bie  Sud)oboräen,  bajs  fie  nid)t  fefjr  gottgc= 
fällig,  fonbern  im  ©egentljeil  jiemltd)  frei  unb  weltlitt)  leben,"  wenbete 
id)  ein.  „23ir  befolgen  jene  3ftoral  bie  uns  GfjriftuS  gelebt  Ijat,"  erwiberte 
bie  ©otteSmutter.  „Siebe  Seinen  9?äd)flen  wie  Sid)  felbft,  unb  was  Su 
nid)t  willft,  bafe  Sir  gejd>l)e,  t^ue  feinem  Olnberen.  Unfer  ©taube  le^rt 
uns  aud)  baS  (Sbenbilb  ©otteS  in  jebem  2)ienfd)en  ju  oeref)ren.  ©rlöfung 
bringt  aber  nur  unfere  Ijeilige  Sebre.  Sie  erften  3Heuftt)en  tjaben  burd) 
ben  Sünbenfatt  baS  ^arabieS  ocrtoren.  <5s  liegt  ein  tiefer  Sinn  in 
biefer  2ef>re,  ein  beiliges  ©e^eimnifc,  baS  id)  jefet  entlüden  will." 

Sie  ©otteSmuttcr  tjeftete  bie  2Iugen  auf  mid)  unb  fufjr  mit  gebämofter 
Stimme  fort.  „Sie  erften  2Jfenid)en  ajjen  bie  grud)t  oon  bem  Saume 
ber  ©rfenntnift  unb  fallen  plöfolid),  bafj  fie  nacft  waren  unb  fd)ämten  fid); 
baS  wia  fagen,  fie  bemerften  mit  einem  3JJale,  bafc  ber  ©eift  unb  bie 
SRatur  wie  Sag  unb  9tod)t,  wie  geuer  unb  Sßajfer  nid)ts  mit  einanber 
gemein  tyaben,  unb  bie  2)ienfd)en  fd)ämten  fid)  il)res  gleifd)eS  unb  fud)ten 
es  feiger  ju  oerbergeu,  ju  verleugnen,  ia  iljr  ©eift  trat  in  feinem  $oä> 
mutt)  bemfelbeu  feinblia)  unb  ocräd)tlid)  gegenüber.   Siefer  3wiefpalt  in 


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552 


5adjer<!TTafod?  in  £inbf?cim-©berl{effen. 


uns  felbft  ift  ber  gtu$,  ber  auf  her  SBelt  liegt;  unb  baS  <J*arabieS,  au£ 
bcm  bie  ÜÖJenfdjen  oertrieben  roorben  finb,  ift  bie  9?atur. 

„Sir  geroinnen  aber  baS  oerlorene  SßarabieS  roieber,  inbem  wir  ber 
9totur  unb  ihren  trieben,  ftatt  Tie  su  freudigen,  ihre  urfprünglidje  Unf^ulb 
rotebergeben.  Xerfelbe  ©eift,  ber  bie  Scham  oor  bem  £eiblia)en  erzeugt 
hat,  lehrt  uns  jefct,  fid^  beffen  nia)t  §u  fcfjämen,  was  natürlich  ift;  benn 
©ott  \)at  uns  ben  ©eift  gegeben,  um  bie  9?atur  511  beherrfd)en,  nid)t  aber 
um  fie  su  mifihanbeln.  ßrlöfung  ift  baS  2Seib  baher  aua)  beSrjalb 
berufen,  weil  im  2Jtonne  mein*  ber  ©eift  (ebenbig  ift,  im  2Beibe  aber  bie 
9iatur." 

„©täubt  ihr  an  ein  gortleben  nad)  bem  £obe  unb  an  bie  2luferfter)ung 
ber  lobten  V"  lautete  meine  näd)fte  grage. 

„2ßir  glauben,  ba&  bie  Seele  fd)on  oor  biefem  irbif^en  $afein 
gelebt  I)at  unb  aud)  naä)  bemfelben  weiter  leben  wirb.  2lm  jüngften 
Xage  werben  alle  9ttenfcf}en  auferftehen,  aber  nur  im  ©eifte;  bann  folgt 
baS  lefete  ©erid)t/' 

„9lber  hier  auf  Grben  richtet  bie  ©otteSmutter  an  ©otteSftette,"  warf 
td)  ein. 

„So  ift  eS,"  fagte  bie  feltfame  ^eilige.  „£>ie  ©otteSmutter  ift  an 
©ottcS  Stelle  ju  oerehren,  weil  fie  in  feinem  Diamen  ^ier  auf  Grben 
regiert,  weil  ©Ott  fie  erwählt  tyit,  um  bie  Ü)ienfd)en  in  baS  ^arabieS 
$urücf$uführen.  Sie  allein  fann  bie  Süuben  beftrafen  ober  erlaffen,  unb 
ihre  ©ebote  finb  ©ebote  ©otteS.  Xie  £ud)oborsen  glauben  weber  an  bie 
£rtmtät,  nod)  an  bie  ©ottfjeit  G^rifti;  fie  erfennen  roeber  ben  ^apfl,  noch 
ben  (Sparen  als  Oberhaupt  an,  nod)  bie  ^eiligen.  Sie  l)aben  feine 
©eiftliajen,  feine  ^eiligenbilber,  feine  Sacramente;  bie  ©otteSmutter  allein 
ift  unter  ifmen  als  bie  ^erförperung  beS  göttlichen  Siefens  unb  Sillens." 

3tn  bem  näd)ften  Sonntage  hatte  ich  ©elegenhett,  bem  ©ottesbienft 
ber  £)udwborjen  unb  ber  Aufnahme  jtoeicr  -Jieophöten  beijuwolmen.  25aS 
SöetfjauS  biefer  geheimnifjoollen  Secte  ftiefj  unmittelbar  an  baS  £auS,  baS 
bie  ©otteSmutter  bemofmte  unb  in  bem  Tie  &of  hielt.  £er  grofce  Saal, 
in  bem  bie  ©emeinbe  ihre  3tnbacht  oerrichtete,  war  ein  einfad)  eingerichteter 
fdhmucflofer  9iaum.  ©S  roaren  über  200  Sperfonen  in  bemfelben  oer* 
fammelt,  alle  gut  gefleibet,  Die  grauen  fogar  mit  einer  geroiffen  Äofetterie. 
Slufeer  mir  roaren  nod)  meiere  2lnberSgläubige,  unb  jwar  Sutheraner  unb 
5latholifen,  foroie  ein  paar  polnifape  3uben  anroefenb.  £)ie  9Häimer  ftanben 
linfS,  bie  grauen  reajts  nach  bem  2Ilter.  ©anj  oben  befanb  fich  ein 
höljemer  £ifd),  auf  bem  Salj  unb  33rot  lagen.  2llS  bie  ©otteSmutter 
in  einem  langen  ^elj  oon  blutrothem  Sammt  mit  foftbaren  3)?arberfeUen 
befefet  unb  gefüttert,  golbgeftiefte  Pantoffeln  an  ben  güfjen,  ben  £ofofd)nif, 
eine  3trt  filbergefticfte  £iara  auf  bem  Raupte,  an  eine  3ftoSfauer  (Sjarin 
aus  ber  3eil  3roanS  beS  Schädlichen  mafmenb,  hereintrat,  warf  ft$  bie 
cjanse  ©emeinbe  oor  iEjr  auf  bie  ffnie.    Sie  fegnete  fie  unb  nahm  bann 


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Kuffifdjc  recten. 


553 


auf  einer  2lrt  Stjron  $lafc.  2Iuf  i^ren  SBinf  näherte  id)  mid)  if)r.  „2öie 
fommt  e3,  bafj  3(jr  2lnber$gläubige  in  (hirem  £empel  bulbet?"  fragtet 
erftaunt,  benn  id)  raupte,  ba§  bie  «Rasfolnift  nid)t  fo  tolerant  finb.  $ie 
©otteämutter  erroiberte:  „3eber,  ob  Gf)ri[t,  3ube,  Sttufelmann  ober  #eibe, 
fann  an  unferem  ©otteSbienfte  tf)eilnef)tnen,  benn  ber  2)ienfd>  fann  ben 
Tempel  ©otteS  nid&t  bura)  feine  ©egenroart,  fonbern  nnr  burcf)  f<$le<$te 
-  Saaten  entweihen." 

$er  SBorfänger  trat  jefet  an  ben  £ifd)  unb  ftimmte  ben  $falm  an: 
„60  fprid)t  ber  &err,  ber  ©Ott  Israels;"  bie  ©emeinbe  fiel  jebe&nal  am 
S$luffe  im  (H)or  ein.  2U3  ber  ©efang  ju  @nbe  mar,  trat  ber  3roeitältefte 
cor  ben  Etfdj  unb  nat)tn  ben  Slelteften  bei  ber  $anb.  @3  roar  riifjrenb 
an$ufef)en,  wie  bie  beiben  ©reife  mit  ifjrem  roetfjen  ^aar  unb  Sart  unb 
ifiren  eljrroürbtgen  ©ertöntem  jicfc  jroeimal  tief  cor  einanber  oernetgten  unb 
füfjten.  hierauf  trat  ein  dritter  ju  ifmen,  unb  fie  oemeigten  unb  füfjten 
ftd>  alle  brei.  2lße  Slnroefenben  folgten  ber  9ieU)e  nadj  iljrem  Seifpiel, 
juerft  bie  9JMnner,  bann  bie  grauen. 

„2Ba3  bebeutet  biefe  Zeremonie  ?"  fragte  idj  bie  ©otteämutter. 

„Sie  bebeutet/'  erflärte  mir  bie  .^eilige  bereitroillig,  ,,bafc  man  ba$ 
©benbilb  ©otte«  in  feinem  9töa)ften  oerefn-en  mufj,  ba  ber  3)?enfdj  ©ort 
auf  (Srben  oertritt".  3efet  ergriff  ber  Sleltefte  bie  beiben  fteoplmten  an 
ben  ßänben  unb  führte  fic  ju  bem  £T>ron  ber  ©otteSmutter.  $ier  fielen 
fie  auf  bie  ßnie,  f anlügen  mit  ber  Stirn  breimal  jur  <5rbe  unb  fügten 
bann  bemütf)ig  bie  güfce  ber  ©otteämutter,  roafjrenb  biefe  fie  fegnete. 
9hm  erbob  fidj  ber  roeibltd)e  ¥flPf*/  richtete  bie  Jtmeenben  auf  unb  führte 
fie  JU  bem  2lelteften,  2We$  mit  einer  &of)eit,  um  bie  fie  mandje  &errfdjerin 
beneiben  fonnte.  „3dj  bringe  <£udj  jroei  neue  trüber",  fproct)  fie,  „nefnnt 
fie  freunblid)  auf  unb  adjtet  unb  liebt  fie."  $er  2leltefte  gab  hierauf 
ben  9?eopl)i)ten  bie  §anb  unb  füfete  fie,  unb  nad)  ifmt  füfeten  fie  alle  2lnberen 
ber  9ieif)e  nadj. 

2)a3  eigentliche  9Hi)fterium  ber  $5ud)obor$en  erinnert  an  bie  finnlid) 
religiöfen  gefte  ber  2lftarte,  ber  ©rieben  unb  ber  heutigen  Brufen  im 
Sibanon.  $n  «Uen  biefen  ©ebeimbienften  fpuft  bie  mnftifdje  Jungfrau 
be$  alten  Oriente,  bie  fid>  in  reinerer  ©eftalt  in  ber  römifdjen  flitze 
roieberfinbet. 

2ßie  bei  ben  Brufen  eine  lebenbige  3ungfrau  auf  ben  2lltar  gefefct 
wirb  unb  ber  ©otteSbienft  julefct  in  eine  raufte  Orgie  ausartet,  fo  erinnert 
auä)  ba«  ^parabie«,  in  baS  bie  ©ottcSmutter  ber  £)ud)oboräen  bie  2ln* 
ganger  it)reä  ©lauben«  einführt,  inerjr  an  ba«  ^arabie«  beä  aflafjomet, 
als  an  ba«  (Sben  ber  ^eiligen  Sd)rift. 

3roet  3af)re  nadjbem  idj  bie  $udjoborjen  befugt  t)atte,  liefe  bie 
©ottesmutter  einen  treulofen  ©eliebten  an  ba«  Äreuj  fa^lagen.  %a$  ©eria^t 
roar  ntdjt  im  Stanbe  fie  jur  9tett)enfd(iaft  5U  jieljcn,  ba  fict)  S^iemanb  fanb, 

?U)rt  unb  ۟h  LI.,  IM.  24 


35^    radjer- UTafodj  in  £tnbt}etm*CDbert{effen.   

ber  gegen  fic  Scugmfe  abgelegt  dritte.  £ie  ©otteSmutter  ift  jebenfallä  einer 
bet  überrafchenbften  £npen  bei  räthfelbaften  Dftenl.*) 

6$  ift  begreiflich,  ba§  eine  folcf)e  mit  befpotifdjer  9)?acj>t  oerbunbene 
«Stellung  für  ^od)fat)renbe  Jrauennaturen  etroal  oerlocfenbel  f)at;  e* 
barf  uns  bafjer  md)t  munbern,  bajj  in  SHufclanb  nicht  feiten  oornermte 
Xanten  biefe  SBfirbe  bef  leiben.  So  mar  unter  anberen  bie  #ofbame  flathas 
rina  £artarinoro  bie  ©ottelmutter  ber  Gblifton>chifchen  Secte  ber  2lbamiteu. 
Sie  ftarb  1856. 

II. 

Sdjaloputen  —  IDanoerer  —  SFopsen  —  £)tmmelsfpenöer. 

Sie  Schaloputen,  welche  oorjüglich  im  Äaufafuä  §u  finben  finb, 
haben  uiele  2lermlid)feit  mit  ben  3)u<hoborjen.  3^re  Dogmen  ftimmen  mit 
benen  biefer  faft  ganj  überetn,  ebenfo  ihr  ©ottesbienfi.  Sie  haben  gleich 
faß!  eine  ©ottelmutter,  ata  „(frlöferin,"  all  weiblichen  9)ieffia3;  aber 
neben  berfelben  auch  noch  einen  fogenannten  „lebenbigen  ©ott"  männ- 
lichen ©eidjlechtes. 

9lufeerbcm  fommt  bei  ihnen  ein  finfterer  3ug  morgenlänbifcher  2Bfefe, 
eine  an  bie  inbifcben  Jyafire  erinnembe  graufame  Selbftpeinigung  tjinju, 
welche  ben  Sudjoborjen  fremb  ift.  (Sine  bei  ben  Schaloputen  beliebte 
harter  ift  e3,  fid)  an  bal  ftreuj  fajlagen  $u  [äffen.  2lnbere  fd)lafen  auf 
dornen,  ftehen  barhaupt  unb  barfufj  in  ber  Sonne,  im  SRegen  unb  Sdjnee; 
unb  anbere  laffen  fict)  mit  bem  Stopf  in  einen  2lmetfenhaufen  fteHen. 

2Iufang  1883  berichtete  bie  Äaufafijche  (5parchial3eitung,  bafj  bie  ferjr 
einträgliche  Stelle  eineä  lebenbigen  ©ottel  bei  ben  faufafifchen  Sctjalo: 
puten  in  golge  bei  hohen  2Uter$  bei  jefcigen  $nbaberl  berfelben  in  Äurje 
oacant  werben  bürfte  unb  bafc  fich  $wei  ©anbibaten  um  biefelbe  gemelbet 
hätten.  (Siner  biefer  ßanbibaten,  2tntofchu,  ftammte  aus  bem  S'amboro'fchen 
©ouoemement  unb  »erneuerte  ben  Sdjaloputen,  ba§  ihn  ber  noch  lebenbe 
„lebenbige  ©ott"  ju  feinem  Nachfolger  auSbrücfttch  gewählt  r)ätte.  Xieier 
lebenbige  ©ott  liefe  fid)  nämlich  ^ur3  oorher  in  ©egenwart  feiner  v3lnr)ünger 
unb  mehrerer  h°hen  ¥erl"onen  an  bal  flreuj  fragen.  2Bäf)renb  er  an 
biefem  hing,  ftanben  bem  ftreuje  ber  Bewerber  3lntofchu  unb  bie  ©ottes= 
mutter  2Imbotja  2)torimomna  am  nächften.  2lÖerbing£,  fprach  Hntoidju,  fei 
bas  Väterchen,  ber  „lebenbige  ©ott/'  noch  tebenb  oom  Streute  genommen 
morben;  erroerbeaber  ol)ne  3»oeifel  boch  balb  in  baä  beffere  ^enfeit-8  bin* 
übergehen  unb  hoffe,  baß  bie  faufafifchen  Schaloputen  vorher  Um,  Sntofdju, 
als  feinen  9iad)f olger  anerfennen  mürben.  Die  Slelteften  ber  Scbalo puten 
waren  nicht  fehr  geneigt  auf  2lntofchu$  )Corfchlag  einzugehen;  aber  e*  ge^ 


*)  Xurflcnido  f»at  btefclbc  nebenher  in  feinem  „Äönifl  Sear  ber  Steppe" 
borflcfüftrt.  felbft  f)abe  bic  Sectc  ber  $ud)oborjen  unb  beren  roeibÜchen  $apft  in 
einer  9foöeUc:  „$ic  ©DttcSmutter"  etrifleljenb  fiefd)ilbert. 


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Huffifdje  Steten. 


555 


lang  biefem,  {i$  balb  unter  ben  anberen  ©laubigen  einen  2Inf)ang  ju  oer? 
fdjaffen.  Der  anbere  Ganbibat  war  Sllefehu,  ein  Schatoput  au$  einem 
faufafifttjen  Dorf;  2Uef<hu  behauptete,  er  fei  G&riftuS  felbft  <£r 
r)abe  jroar  in  s$eteräburg  äuerft  im  ©efängnifc  gefeffen,  fei  aber  bann 
freigelaffen  unb  jum  ßjaren  geführt  roorben,  ber  feinen  ©rlöferberuf  aner* 
rannt  unb  ihm  fogar  ein  Document  auSgeftellt  fyabt,  in  meldten  if>m  ber 
STitel  „GhriftuS"  jugeftanben  roorben  fei.  Welcher  oon  ben  beibeu  Ganbibas 
len  jum  „lebeubigen  ©otte"  erhoben  mürbe,  ift  mir  nicht  befannt  geroorben. 

2113  eine  neue  ^ncarnation  be$  inbifdjen  Süfcerroefenä  erscheint  bie 
Secte  ber  SBanberer.  Dtefe  fyabtn  ba*  «QWtöogma,  ba^  ©Ott  bie 
£errfä)aft  über  biefe  Sßelt  bem  Teufel  überloffen  habe.  Sie  oerabfeheuen 
folglich  alles  ^rbifct)c  aU  £eufeteroerf,  fie  oerroerfen  bie  5tircf>e,  bie  6a» 
cramente,  ben  Staat,  ba3  ©igenthum,  bie  @he  foroie  jebe  anbere  ©emein= 
fc^aft  mit  bem  2Öetbe  unb  bie  Arbeit.  Siutoergie{jen  ift  in  ihren  Slugen 
bie  größte  Sünbe;  fie  entziehen  fta)  belljatb  bem  ftrieg^oienft  unb  nähren 
fid)  nur  von  pflanjenfoft.  Der  äSanberer  oertäfjt  &au3  unb  &of,  Sßeib 
imb  ßinb,  unb  jiefjt  ruhelos  mie  3lf)a3üer  burch  bie  2Öett.  Sein  ßeben  ift 
eine  enblofe  Pilgerfahrt;  er  übernadjtet  unter  freiem  Gimmel  unb  ftirbt  unter 
freiem  Gimmel,  häufig  beläb  er  fich  noch  mit  fehleren  Letten  ober  trägt 
ein  £ol$freus  auf  bem  dürfen.  DaS  tuffifdje  $olf  oerebrt  bie  Sßanberer 
äU  ^eilige  unb  maä)t  fid)  ein  2>erbienft  barauä,  i^neu  unentgeltlid) 
Speife  unb  £ranf  $u  reichen. 

Sairgenjero  t)at  einmal  einen  folgen  ^eiligen  oorgeffihrt,  beffen  martere 
volle  $ügerfd)aft  oon  einem  fchroarmerifchen  2Jcäbd)en  geseilt  wirb.  3°) 
felbft  babe  biefe  büftere  ©eftalt  in  bem  Prolog  ju  meinem  „Vermächtnis 
JtainS"  unb  in  ber  Sfijje  „3roei  Pilger"  poetifä)  ücrmertr)et. 

ilöir  fommen  nun  $u  ber  bäfclichften  unter  ben  ruffiföen  Secten,  ber 
einjigen,  melcbe  ber  gegenroärtige  (5$ar  2Ueranber  III.  in  bem  bei  feiner 
Krönung  erlafienen  Xoleranjebict  oon  ber  Dulbung  auegenommen  fyat. 

unb  bie«  bie  Stoppen.  33ei  biefer  Secte  roenbet  na;  bie  2l$refe 
fcirect  gegen  ben  ©efchledjtstrieb.  3m  ©egenfafe  §u  ben  Dudmborjen, 
welche  bie  9totur  ju  unterjochen  fuchen,  inbem  fte  bie  gorberungen  berfelben 
beliebigen,  rt>ütt)en  bie  Sfopjen  in  einer  an  SBafmfinn  grenjenben  sil>eife 
gegen  bie  Diatur.  Die  9iatur  ift  ihnen  ba£  sBerf  be3  DeufeU,  unb  oor  21Üem 
ift  Satan  im  SJknfchen  felbft  unb  smar  in  jenen  ^heilen  be3  menfd)lid)en 
Körper«,  welche  *ur  3eui««3  bienen,  lebenbig.  Seber  l^enfch  r>at  jiuar 
.  bie  Pflicht,  ein  Kinb  in  bie  SSJelt  fefeen,  bamit  ba§  3Kenfchengefchlecht 
nicht  ausftirbt,  ba  fonft  ^iemanb  ba  wäre,  um  ©ott  ju  loben  unb  an* 
jubeten.  Xa5  irbifche  Xafein  h^  oen  3m&,  fru^er  begangene  6uubeu 
abiubüßen.  Der  6fopje  barf  in  ber  erften  fieben«jeit  irren  unb  fünbigen; 
er  hat  ein  fo  groj^e^  6ünbeuregifter  dou  früher  her  abjubüfcen,  bafe  c5 
auf  ein  paar  Sütibeu  mehr  ober  roeniger,  bie  er  hier  auf  (Srbeu  begeht, 
gar  nid)t  mehr  anfommt.    So  weit  märe  bie  Sfop^enlehre  fet)r  bequem, 

24* 


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356    Sadjer*ttTafo<b,  in  £ i nbb,eim»©berbef fen.   

aber  nun  fommt  bie  entfefelicfce  93ufee,  roeldjc  jeber  Sfopje  fid^  freiwillig 
auferlegt.  3eber  SBefemter  biefer  walmwifcigen  £e$re  mufe  eine  et* 
fd&liefeen  unb  ein  männlid)eg  ßinb  in  bie  2£elt  fefcen.  ©eltngt  iipn 
bieg  nid)t,  fo  wirb  eg  tym  &ur  ^fltdjt  gemalt,  bie  G§e  $u  löfen  unb  eine 
neue  einjugef)en,  unb  bieg  fo  lange,  big  er  einen  männliä)en  ftadjfommen 
gejeugt,  ebenfo  bag  Sßeib  fo  lange,  bin  eg  einen  Änaben  geboren  fyit.  Sobclb 
ber  2Wann  einem  Solm  bag  Seben  gegeben,  wirb  er  entmannt;  fobalb  bie 
grau  einen  ftnaben  geboren  t)at,  wirb  fie  jur  weiteren  3*ugung  unfähig 
gemalt.  ©iefeg  Sttriom  if)rer  fie^re  ftüfct  fta)  auf  ben  3lugfprud&  be* 
©oangeliften  3Jtotyäug:  „Sobalb  25i$  ©ein  redjteg  3luge  ärgert,  reife'  tä 
aug"  u.  f.  tu.  (V.  29.  30).  SRanfinbet  biefe  ruffifc&en  ßunud&en  oorjüglid) 
unter  ben  ßaufleuten  unb  erfennt  fie  leidet  an  ber  Beleibtheit,  welche  fie 
bann  erlangen,  unb  an  i&rer  bleiben  ©efid&tgfarbe. 

Sie  finb  audj  politifa)  gefäl)rlid&,  benn  fie  nennen  alle  ruffifdfjen 
Goaren  feit  ^eter  III.  <pfeubo*l£$aren,  wie  fie  ben  ortlpboren  ©ort  ber 
ruffifd^en  Stirdje  einen  <ßfeubo5@ott  nennen,  unb  fie  befd&ränfen  iljre  ^to* 
paganba  niä)t  auf  SRufelanb,  jonbern  rjaben  fogar  einmal  ben  rounberlid)en 
«plan  augge^erft,  alle  Dörfer  beg  ©rbbaflg  $u  faftriren.  ©amalg  waren 
fie  naf)e  baran,  in  9?ufelanb  bie  3ügel  ber  Regierung  an  fid>  $u  reifjen. 
©er  eigentlid)e  (Ssar  ift  nadj  it>rer  Meinung  Sßeter  III.,  uon  bem  fie  an* 
nehmen,  bafe  er  ijeute  nod)  unter  bem  9tomen  2lnbrej  Sroanoff  in  3rfutgf 
in  Sibirien  lebe,  aber  alg  ©rlöfer  jurüdfe^ren  unb,  felbjt  ein  Äaftrat, 

9tufelanb  im  Sinne  ber  Sfopjen  regieren  werbe. 

$0$  batirt  bie  £et)re  fdjon  aug  bem  3aljre  1014,  wo  2lrian  au* 
fliero  fie  begrünbete,  unb  würbe  um  1770  burd)  2lnbrej  3manoff  unb 
SJtartnn  9tobienoff  gegenüber  ben  2lugfd)weifungen  ber  ©ud&oborjen  erneuert, 
©ie  Sfopjen  behaupteten  bamalg,  Gljriftug  felbft  f)abe  in  ber  ^erfon 
<peterg  III.  ben  ruffif a)en  ©l)ron  beftiegen;  unb  nad)  feinem  Xobe  oerbreiteten 
fie  bie  ßunbe,  bafe  ftatt  feiner  einer  feiner  3lbjutanten  begraben  worben,  er 
felbft  aber  nad)  Sibirien  geflüchtet  fei.  9llg  <paul  I.  ben  Sfyron  beftieg, 
erfc^ien  ber  Sfopje  3)Ja§on  oor  ifmt  unb  erzählte  ilnn  bag  ©eljeimnife  ber 
Sfopjen,  bafe  nämlid)  fein  SSater  ^eter  III.  in  ber  ©egenb  oon  3rfutgf  lebe. 

$aul  I.  gab  Befetjl,  benfelben  auf jufucfjen,  unb  fctyliefelid)  rourbe  ber 
Sfop5ens3)iefnag  2lubrej  ^roanoff  bort  entbeeft  unb  oor  ir)n  gebracht. 

,,»r  bift  ©u?"  fragte  it>n  ber  <S$ar. 

„3cb  bin  ©ein  Sßater,  G$ar  ^ßeter  III.,"  antwortete  ber  Stoppe. 
,,©u  lügft,"  rief  $aul. 

„3$  rebe  bie  SBafrtett,  fo  wa^r  id)  Qefug  Gfyriftug  bin,"  fagte 
3wanoff. 

©er  ftaifer  liefe  ir)n  hierauf  unter  ben  Hainen  SReijrwojrnii  (ber  Un> 
befannte)  in  bag  Cbnidjows^otpital  bringen. 

©er  9iegierunggantritt  beg  milben  2lleranber  I.  brad)te  ben  Sfopjen 


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Hufftfdje  Secten. 


357 


Befreiung  aus  ben  Verfem,  in  betten  fie  fdjjmadfjteten,  unb  ein  neuer  SJlefiiaS 
üjrer  Se^re  trat  in  bem  Staatsrat^  3elienffi  auf.  (Seinem  ©influffe 
gelang  es  2lnbrej  3roanoff  ju  befreien.  XaS  Sfopjentlmm  breitete  fid) 
in  Petersburg,  baS  92eu»6ion  genannt  mürbe,  aus  unb  brütete  ben  walm* 
fmnigen  plan  aus,  bie  $errfcr)aft  in  »tufjlanb  an  ftcr)  $u  reiften  unb  fobann 
ade  SBölfer  ju  faftriren.  S3ei  jebem  2lmte  follte  ein  Sfopjen*  Prophet 
als  geheimer  2lgent  angejtettt  unb  3roanoff  bem  ßaifer  als  „Senfer"  bei= 
gegeben  werben.  Sein  Äabinet  follte  ben  Sitel  „©örtliche  flanjtet"  erhalten. 
3elienffi  legte  bieS  projeft  bem  ßaifer  pot,  ber  ilm  bafür  in  ein  Älofter 
fperren  liefj.  dagegen  führte  Sroanoff  bie  Propaganda  in  Petersburg 
offen  fort  unb  errang  immer  mer)r  ©influfj  in  ben  tjöd&ften  Sagten  ber 
bortigen  ©efellföaft. 

@rft  1820  gelang  es  bem  ©ouoerneur  ©raf  9JMlorabooitfdj  ben 
Aaifer  jn  einem  entfdjiebenen  ©infäjreiten  gegen  bie  Sfopjen  $u  bewegen. 
Swanoff  mürbe  nun  gleichfalls  in  ein  tflofter  gefperrt,  wo  er  1832  ftarb. 
gür  bie  Sfopjen  lebt  er  aber  f)eute  noc§  unb  wirb  fo  lange  leben,  bis 
er  feine  SRifiion,  alle  Völfer  beS  ©rbbaHS  ju  faftriren,  erfaßt  f>at.  3n 
golge  ber  Verfolgungen,  benen  bie  Sfopjen  feüt)er  ausgefegt  ftnb,  ^at  ftdj 
ein  großer  STr)eil  berfelben  in  ben  Salfanlänbem,  befonberS  in  Rumänien, 
mebergelaffen*).   3()re  3a\)l  betragt  bort  über  20  000. 

$)af$  bie  rwffifd&c  Regierung  im  Redjte  ift,  wenn  fie  biefe  wahnimnige 
Secte  mit  ber  grö&ten  Strenge  oerfolgt,  lägt  fid)  rooljl  begreifen.  £)te 
Sfopjen  werben  entweber  nadj  Sibirien  gefd&icft,  ober  als  gemeine  Solbaten 
für  ßebenSjeit  in  baS  &eer  gefteeft  unb  jenen  Regimenter  einoerleibt, 
meiere  in  2lfien  bie  ©renjen  beS  Äaiferreid)S  gegen  bie  fampfluftigen 
9lomaben  ber  afiatifcjen  Steppen  ju  uertfjeibigen  f)aben.  ^f)xe  Se&re 
franft  an  einem  grojjen  SBiberfprud).  SBenn  es  wirf  lieh  ein  ©ebot 
©otteS  ift,  bie  Statur  ju  freudigen,  unb  ein  befonbereS  Verbienft  ben  ©e* 
fd)led)tstrieb  ju  bezwingen,  fo  fönnte  biefes  Verbienft  nur  im  fortwäljrenben^ 
Kampfe  mit  ber  9totur  unb  ben  Verfügungen  ber  Sinnlicr)feit  erworben 
werben.  2ßo  eS  feine  Verfügung  giebt,  ba  giebt  es  aud)  feine  Xugeub. 
3nbem  bie  Sfopjen  Bannern  unb  grauen  jeben  gefdjledf)ttidjen  Verfefyr, 
alfo  jebe  Sünbe  unmöglich  machen,  richten  fie  fid)  ben  2Beg  jum  Gimmel 
bod)  allju  bequem  her.  ©benfo  wenig  ift  it)re  ßerjre  confequent.  2Bäre  fie 
confequent,  fo  würben  fie  überhaupt  feine  ftinber  mehr  in  bie  Seit  fefcen, 
fonbern  gleich  mit  23üfjen  unb  Gntfagung  beginnen  unb  biefeS  gan$e 
fünbrjafte  ©efdjled^t  auSfterben  (äffen. 

Unbegreiflich  ift  e£,  bafe  gerabe  fieute  aus  ber  befferen  klaffe,  xoo\)U 
habenbe,  ja  reiche  unb  gebilbete  Sftenfdjen,  biefer  abfdjeulid^en  Secte  an- 
gehören.  2113  im  3ahre  1869  in  Rufelanb  eine  3ln3ar)t  Sfopjen  eutbeeft 
unb  oor  ©ericht  geftellt  würben,  befanben  fic^  unter  benfelben  mehrere 


*)  S*gl.  ben  Orientartifel  im  3utitjeft,  Söb.  50,  3.  101. 


dich. 


353 


ber  reidjften  ©elbwechSler  unb  ßaufleute,  foroie  Beamte  unb  Sehrer. 
$>ie  Sfopjen  boten  2llIeS  auf,  um  ben  gürften  UrufToff,  ben  berühmteren 
SSertheibiger  ÜHoSfauS,  ju  bewegen,  bafj  er  itjrc  Sache  r»or  ben  Sdjranfen 
beS  ©ertchtS  nertrete,  was  biefer  gleich  2lnfangS  entfct)teben  surücf* 
gewiefen  r>attc.  Sutxfr  ^t  man  bem  gürften  Uruffow  eine  2ttiHion 
9tubel  an,  man  legte  fie  ihm  fogar  auf  ben  £ifch;  aber  ber  gürft  blieb 
feft,  obwohl  er  fein  Vermögen  befifct.  9hm  boten  ihm  bie  Sfop^en,  bie 
baS  geheimnifjooHe  5Wefe  ihres  ©nfiuneS  über  gan$  ftufelanb  breiteten  unb 
beren  gäben  r)od^  hinauf,  bis  ju  ber  ^erfon  beS  Gjaren  liefen,  ®^ren, 
Stürben  unb  Drben  an.  2tls  auch  bieg  nicht  gelang,  würbe  Uruffoff  eine* 
£ageS  5U  einem  reiben  9Jtonn  berufen,  ber  angeblich  fein  Xeftament 
machen  wollte.  Slber  ftatt  ju  einem  Sterbenben,  mürbe  er  in  einen  Saal 
geführt,  ber  ooflfommen  bunfel  mar,  als  er  eintrat,  unb  in  bem  jidj,  als  er 
plöfelia)  ^ell  erleuchtet  rourbe,  ein  ganjer  weiblicher  Clrnnp  feinen  ©liefen 
geigte,  ftunbert  Sflabchen,  feine  über  jroanjig  Jahre  alt,  jebe  fd&ön  unb 
oerführerifch,  bie  eine  fä)lanf,  bie  anbere  üppig,  biefe  fdjwarj,  jene  blonb 
ober  rothaarig,  ftanben  ober  lagen  in  malerifchen  ©nippen  umher;  bie 
eine  oerfchämt  abgeroenbet,  bie  anbere  ^eraudforbernb  unb  eroberungS^ 
ffichttg.  ©in  roürbeooller  ©reis  näherte  fich  bem  güriten.  „Sich  hier 
unfere  fd)önften  Jungfrauen ;  erwähle  unter  ihnen,  nimm  jene,  bie  Sir  am 
beften  gefaßt,  nimm  9IHe,  bie  $)ir  gefallen,  unb  wenn  $ir  2UIe  gefallen, 
bann  wähle  fie  3llle  —  aber  r»ertf)eibige  uns,  rette  uns!"  3lber  auch  bi* 
SWcisc  ber  frönen  Sf opjinnen  oermochten  ben  gürften  nicht  5U  bezwingen. 
2>ie  Sfopjen  fanben  feinen  SBertljeibiger  unb  würben  fchonungSloS  t>ers 
urthetlt  unb  beftraft. 

SWeljr  als  eine  Sragöbie  mag  fid)  innerhalb  biefcr  Secte  abfpielen 
unb  ben  2lugen  ber  2öelt  oerborgen  bleiben,  ©in  gall  jeboch,  ber  oor 
einigen  Jahren  an  bie  Ceffentlichfeit  gebrungen  ift,  mag  baju  bienen,  bie 
Schrecfen  biefer  £ef)re  fchärfer  ju  beleuchten. 

Jn  einem  Söabe  bes  2luSlanbeS  erfchien  eines  £ageS  eine  oornehme 
ruffifche  Xame,  beren  fchroermüthige  Schönheit  2luffehen  erregte  unb  bie 
Männer  magifch  anjog.  SSiele  fjulbigten  ihr,  aber  olme  jeben  Erfolg;  fie 
fchien  bie  Strenge  felbft.  2>a  tarn  ein  junger  granjofe,  beffen  leiben* 
fchafttiche  Siebe  fie  ju  rühren  fchien;  fie  oerfehrte  immer  intimer  mit  ihm, 
unb  er  wagte  ju  hoffen,  bafj  baS  ÜJtarmorbilb  fia)  für  ihn  beleben  roerbf. 
$)a,  als  er  3U  iljren  güfeen  lag,  ein  2£almfinniger  unb  ^Bezweifelter,  als 
er  fich  oor  ihr  ju  tobten  brohte,  ba  löfte  bie  Sphiny  felbft  baS  traurige 
9iäthfel,  baS  auf  ihren  ftummen  Sippen  gleichfam  oerfteinert  mar.  „Jch 
fann  niemals  bie  Seine  werben,"  fprach  fie,  „benn  ich  barf  nicht  lieben, 
mein  ©laube  »erbietet  es  mir;  unb  wollte  ich  auch  biefer  fehreeflichen 
Safcung  Söiberftanb  leiften,  id?  wäre  boch  für  Sich  verloren,  niemals 
fannft  Xu  bie  Sfopjin  befifcen."  9h><h  immer  begriff  ber  iinglücflia> 
nicht;  ba  rife  bie  9tuffin  ihr  ©ewanb  auf,  unb  jeigte  ihm  bie  entfefcli<h 


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  Kuffifdje  fccten.   359 

uerftfimmelte  93ruft.  3m  nächfien  Slugenblicf  mad&tc  fie  aber  mit  einem 
Xolchftofe  ihrem  l'eben  ein  (Snbe. 

SHinber  wiberwärtig,  aber  ebenfo  grauenhaft,  ja  Dtetteid^t  noch  ent* 
fefclicber  ift  bie  Secte  ber  „£immeUfpenber",  welche  an  bie  „9XffafTinen", 
bie  mörberifchen  Soten  beS  2Uten  vom  23erge,  an  bie  inbifdjen  „SBürger" 
unb  bie  im  rwrigen  3af)rhunbert  in  ©nglanb  i^r  Unwefen  treibenbe  „$anbe 
ber  ©rfticfer"  erinnert. 

&3  Hegt  im  Seien  biefer  Secte,  bafj  fie  ji<h  ooUftänbig  im  S3er= 
borgenen  halten,  jebeä  öffentltd&e  Auftreten,  jebe  religiöfe  £anblung,  fogar 
jebeS  Reichen  oor  ben  Slugen  ber  3öett  oermeiben  muß,  um  nicht  bem 
Strafgericht  unb  beut  genfer  ju  oerfallen.  ©erabe  bie$  macht  fie  fo 
gefät)rlid)  unb  gefürchtet.  @$  liegt  in  ber  9totur  ber  Sache,  bafj  man  von 
ihrer  £ef)re,  ihrer  ftircheneinricbtung  unb  ihrem  ©ottesbienfte  oorläuftg  nur 
2£enige3  erfahren  fonnte.  Gin  £auptbogma  ihrer  #ef)re  ift  bie  mnftifche 
3lnfchauung,  bafe  nur  biejenigen  jur  Seligfeit  eingehen  fönnen, 
reelle  bie  Sünbe  beä  Safeina  unter  graufamen  Qualen  mit 
bem  Xobe  gebüfjt  haben;  fei  e$  freiwillig,  fei  e$  burch  bie  rettenbe 
#anb  2lnberer. 

tiefem  Sogma  entfprechenb  fmb  bie  Anhänger  ber  Secte  ftetd  bereit, 
ftetS  bemüht,  bie  Sünber,  welche  nicht  bie  eigene  #uöfertigfeit  jum  3)iar* 
tnrium  fuhrt,  unter  ben  merfwürbigften,  erlefenfteu  Dualen  in  baS  3^^ 
in  ba$  ^arabieS  $U  fpebiren;  baher  ihr  9tome  „&immel3fpenber".  Sie 
finb  ftetä  gleichfam  auf  ber  3agb  nach  Seelen,  nach  9Jienfcben,  bie  Tie 
bem  weichen  ^fuf)l  be3  ©enuffeä,  ben  Sinnen  ber  Siebe,  bem  ©lanje  ber 
©hren  $u  entreißen  fuchen,  um  fie  unerbittlich  bem  Xobe  $u  weihen. 

Regelrecht,  ihrem  dlim  entfprechenb,  finbet  bie  blutige  Crlöfung  .nur 
bann  ftatt,  wenn  e3  ihnen  gelingt  baä  Cpfer  ganj  in  il)re  9fefce  ju  Rieben 
unb  bann  auf  mnftifche  2lrt  oerfchwinben  ju  laffen,  inbem  fie  eä  als  fiebere 
Öeute  wehrlog,  jeben  2Siberftanbe$  unfähig,  gefangen  fortfehteppen  unb 
bem  ^riefter  überliefern,  welker  e3  cor  ben  oerfammelten  ©läubigen  unb 
2lngefid)t$  be3  2lltare3  mit  bem  ftreujbilbe  bem  qualuollen  Cpfertobe  weiht. 

@be  e3  ju  biefer  feierlichen,  rituellen  <ganblung  fommt,  welche  ben 
finftern  (SultuS  afiatifcher  ©ottheiten  surüefruft,  mufj  ber  Sünber  eine 
allgemeine  deichte  ablegen,  unb  t>on  biefer,  von  bem  Wafa  feiner  gehU 
tritte,  hängt  bann  auch  baS  9JJafj  ber  Dualen  ab,  bie  über  iljn  uerhängt 
werben,  ehe  er  ben  ©nabenftofj  empfängt.  Sie  ^tmmeUfpenber  fa)einen  in 
biefer  $e$ielmng  befonberä  erfinberifch  ju  fein  unb  eine  wahrhaft  teuflifche 
Scala  von  ©raufamfeit  bereit  $u  halten.  Siefer  rituelle  SOloxo  ift  aber 
begreiflicherweife  mit  nicht  geringen  ©efahren  für  bie  gan$e  Secte  vex* 
bunben.  3»  Rufjlanb  fann  man  allerbingS  leichter  Sflenfcben  uerfchwinben 
laffen  als  anberäwo,  unb  wo  ©ntbeefung  bror)t,  fpricht  wohl  auch  ber  Mubet 
fein  SBort,  unb  bie  &immcl$fpenber  haben  ohne  3^cifel  ebenfo  bebeutenbe 
Littel  jur  Verfügung  wie  bie  Sfopjen;  aber  e$  giebt  trofcbem  jaljlreic^e 


360    Siicbcr  lTTafod?  in  f tnbtjeiitfCDbertiefKn.   

gälle,  wo  eine  ©ntffifjrung  beS  CpferS  ju  bcn  Unmoglidjfeiten  gehört.  §n 
folgen  gaflen  iudit  ber  Seelenjäger  ftd>  baS  Vertrauen  beS  CpferS,  baS  er 
jidj)  erwählt  f>at,  $u  erringen  unb  bie  Süuben,  weldje  biefeS  auf  bem  ©e= 
roiffen  t>at,  auSnifunbfdjaften.  Sarnad)  fprid&t  er  baS  Urteil,  roeld^e^  er 
$ugleidj  felbft  üoflftrecft,  unb  jwar  bort,  wo  es  nidjt  angebt,  bem  Sünber  bie 
S£of)(tf)at  rwrangerjenber  Martern  angebeiben  ju  laffen,  burd)  einen  fräftigen 
Stofc  in  baS  2öaffer,  burd)  einen  Soldjftofj  ober  ©ift.  GS  barf  uns  nidjt 
Sßunber  nehmen,  ba§  aud)  in  biefer  Sccte  ben  grauen  bie  §auptroü*e  jus 
gefallen  ift.  £a$  farmatifdje  2£eib  ift  fjart,  unbeugfam,  oon  ungläubiger 
£fjatfraft  bcfeclt,  eiftg  falt  unb  bort  wo  es  notfyig  ift,  aud)  graufam.  GS 
ift  fef)r  begreiflid),  bafe  gerabe  biefe  Secte  oor  2lüem  bie  jrauen  $u  ü)ren 
2£erf$eugen  erwählt  \)a\.  GrftenS  fyerrfajt  audj  bei  ben  £immelsfpenbem 
bie  2lnftd[}t,  ba§  baS  2£eib  f)bber  fte^e,  retner  unb  beffer  fei  als  ber  SRaim; 
bas  fünbbafte  männliche  ©efdjledjt  ift  es  bafjer,  baS  oorjugSwetfe  bie  Cpfer 
für  ben  blutbampfenben  2lltar  ber  ©ecte  ju  liefern  f>at.  Unb  jweitenS :  wer 
wäre  geeigneter,  fünbige  üflänner  anjuloden,  ju  beraufdjen  unb  fajlieBlid) 
gleia)  Cpfertf)ieren  bem  Keffer  walmfinmger  «friefter  $u  überliefern, 
als  fd)öne  SBeiber  mit  meinen  ©liebern  unb  tjarten  ^erjen?  $eSl>alb 
fudjen  bie  £immelsfpenber  oorjugSroeife  unter  bem  weiblichen  ©eidjledjte 
^rofeluten  ju  maa>n  unb  ihren  blutgierigen  ©Ott  mit  einer  möglidjft 
zahlreichen  Seibmadje  nerführerifdjer  2lma$onen  ju  umgeben,  benen  iebe 
weibliche  Schwäche,  jebeS  Erbarmen  fremb  ift.  $iefe  weiblichen 
2lffaffiuen  feilen  fid)  in  jwei  Älaffen,  bie  Seelenfängerinnen  unb 
bie  Dpferinnen. 

Sie  Seelenf  ängerin  betreibt  bie  Sflenfdjenjagb  mit  allen  Mitteln 
unb  Reinheiten  weiblidjer  £ift  unb  ftofetterie.  Sie  lebt  ftetS  in  größeren 
Stäbten,  roo  fte  in  ber  Siegel  als  junge  SBittroe  unb  ©utsbefifcerin  aus 
einem  fernen  ©ouoernement  erfcheint;  fie  tritt  mit  allen  Muren  einer 
eleganten  Same  auf  unb  bewegt  fich  in  ber  bellen  ©efellfajaft.  Sie  locft 
il;re  Cpfer  burd)  ihre  Steide  unb  Xoilettenfünfte  an  ftch,  umfrrieft  fic  mehr 
unb  mehr  burd)  bie  Hoffnungen,  bie  fte  irrnen  gewährt,  pöfclid)  ift  fie 
nad)  ihrem  ©ute  abgereift.  SieS  ift  ber  entfebeibenbe  Moment.  Schreibt 
ber  oon  il;r  Umftrtdte  nur  einen  einzigen  33rief  ooll  Vorwürfe  unb  ooü 
Setmfudjt  an  fie,  fo  jeigt  fie  fid)  fofort  erweicht  unb  labt  ilm  ein,  fie  $u 
bejua)en,  wobei  fic  tfmt  alles  irbifd>e  ©lud  oerljeißt.  golgt  er  ber  Socfung, 
bann  ift  er  uerlorcn;  er  betritt  ben  einfamen  (Sbelbof,  beffen  ^enin  bie 
Gcelcitfäiigerin  51t  fein  oorgiebt,  um  ilm  nid)t  wieber  $u  oerlaffen.  Statt 
in  ben  binnen  ber  (Beliebten  finbet  er  ftdj  unerwartet  in  ber  ©ewalt  eines 
Ijinterliftigen  äi'eibe^,  bie  il)n  erbannungSloS  il)ren  blutgierigen  Sdjweftcnt, 
ben  Cpf  er  innen  überliefert. 

Gr  wirb  nun  in  einem  unterirbifdjen  ©ewölbe  burdj  ewige  9?aa)t. 
junger  unb  Surft  erft  mürbe  gemalt  unb  bann,  wenn  er  uollftänbig  ge^ 
broa)en  ift,  bem  ^riefter  vorgeführt,  ber  feine  ^eia^te  r)ört.    ©r  geftebt 


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 Jlnffifd^e  Secten.    o6\ 

bann  9tfleS,  was  er  auf  bem  ©ewtffen  f>at,  benn  er  afjnt  nodj  nidu\  in 
roeffen  &änben  er  fid)  befinbet,  unb  §offt  burd)  3leue  unb  33u§e  feine 
ßerfcrljaft  abjubüfcen.  STber  jefct  ift  er  bem  Tobe  gemeint.  $ie  ©emrinbe 
oerfammelt  fia)  unb  fpridjt  fein  Urteil.  T)ie  3af)l  unb  bie  ©röße  feiner 
Sünben  entfdjeibet  über  fein  Sdjidfal.  ginben  bie  £immelsfpenber,  ba& 
es  fdjwer  wirb,  für  i§n  baS  #immelretd&  ju  erringen,  bann  fuajen  fie 
aus  ber  Segenbe  ber  ^eiligen  bie  fdjredlid&jien  Martern  für  ifm  fjeroor, 
ober  fte  erfinnen  neue,  no$  nid)t  bagewefene  Dualen.  <5r  wirb  hierauf 
in  baS  fjeßerleuajtete,  unterirbifd>  ©ewölbe  geführt,  in  bem  bie  Rimmels* 
fpenber  oerfammelt  ftnb,  oon  bem  ^riefier  förmlidfo  bem  Tobe  gemeint, 
unb  bann  benDpferinnen  überliefert,  biefen  weiblid&en  Tigerinnen,  beren 
2lugen  morbluftig  funfein,  wäljrenb  fte  an  if)re  graufame  2lrbeit  geljen. 
$er  Unglücfltdjie  wirb  oon  benfelben  juerft  gefoltert,  ntdjt  feiten  mehrere 
Tage  nad)etnanber,  unb  julefet  unter  ben  entfefclid)ften  Dualen  jur  leeren 
<£f)re  ©otteS  f)ingefd>la$tet;  unb  wafjrenb  bie  weiblichen  Tigerinnen  if>n 
äerfleifajen,  fingen  bie  übrigen  ©lieber  ber  Secte  23u§pfalmen,  meldte  ber 
«ßrtefter  oor  bem  9lltare  anftimmt. 

3Rand>  werben  in  eine  2trt  3roi«9cr  gefperrt,  in  bem  fic,  wie  einft 
bie  ä}riftliä>n  3flärtorer  in  ber  römifdjen  SIrena,  oon  wilben  Teeren, 
SBölfen  unb  93ären  $erfletfd)t  werben.  Slnbere  werben  an  baS  flreuj  ge* 
f plagen,  mit  glfiffenben  gangen  Qejroidt  ober  bem  §ungertobe  preisgegeben. 
3ene  großen  Sünber,  wela>  erft  noa)  gehörig  gemartert  werben  follen, 
£ängt  man  an  ben  3lrmen  ober  Seinen  auf,  man  geigelt  fie,  ftiajt  tynen 
bie  2lugen  aus,  ober  fyuft  ifmen  &anbe  unb  güfce  ab  unb  lagt  fie,  wie 
einft  ©emiramis  bie  rebettifä}en  flomge,  glei$  ßunben  unter  bem  Ttfdje,  an 
bem  bie  £immelSfpenber  ir)r  ßiebeSmaf)(  galten,  bie  33rofamen  auflefen. 

$ie  >£immelsfpenber  felbft  retten  if>re  Seele  fdjon  jum  Tfjeil  burd) 
bie  graufame  harter  unb  ben  qualooüen  Tob,  ben  fte  anberen  Sünbern 
gur  Rettung  if)rer  Seele  gewähren.  3ulefct  ma^en  fie  aber  trofebem  noaj 
freiwillig  burd)  einen  glorreichen  Sttärtnrertob  ifjrem  £eben  ein  ©nbe. 
£aS  Söenige,  baS  oon  bem  Treiben  biefer  Secte  befannt  geworben  ift, 
rerbanft  man  einem  Cffoier,  ber  im  3a(jre  1852  oon  einem  frönen 
Sßetbe  auf  ein  ©ut  in  Sübruglanb  gelocft  worben  ift  unb  bort  bereits 
bem.  Dpfertobe  geweift  war.  (Sin  93auernmabtt>en,  beffen  SKitleib  er  er* 
regte,  rettete  ifjn  aus  ben  £änben  ber  graufamen  Seelenfängerin  unb 
flüchtete  mit  ifmt  nadj  fliew.  $)ie  ©erid&te  ftellten,  jebodj  gan$  oergeblidj, 
9facbforf$ungeu  an.  9Jian  fanb  in  bem  betreffenben  §aufe  nidjts  Sßer* 
bärtiges  unb  als  eiligen  33ewotmer  einen  taubftummen  ©reis,  aus  bem 
abfolut  nidjts  ^auszubringen  war.  SDaS  33auernmab<f)en  oerjdjwanb  balb 
barauf  auf  rätselhafte  9Irt.  <£)ev  Cffijier  50g  es  oor  feinen  2lbfd)ieb  ju 
nehmen  unb  in'S  2luSlanb  5U  gelten.  Mjrere  3al)re  l)inburd)  fd>ien  es, 
als  ob  es  ilmi  gelingen  fottte,  bem  räd;enben  2lnn  ber  ftimmelsfpenber 
ju  entgegen.    Ta  fanb  man  itjn  eines  TageS  in  ^aris,  in  feinem 


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362    Sadjer-ITlaf odj  in  £in&ljeim'<Dbert}eff en.  

3inmter  im  $otel,  auf  entfefclidje  2lrt  ermorbet.  @r  lag  §alb  angefteibet 
auf  feinem  33ette,  an  2lrmen  unb  3ü§en  gefeffelt,  einen  flnebet  im 
9ttunbe;  D&ren  unb  9tofe  waren  abgefaulten,  ber  ißütfen  mit  blutigen 
Striemen,  bie  S3ruft  mit  SBranbmalen  bebecft,  bie  güfee  abgefyirft.  £en 
erlöfenben  ©nabenftofc  &atte  er  mit  einem  furjen  Keffer  befommen,  ba3 
noa)  in  feiner  ©ruft  ftaf.  9flan  wu&te  nur,  bafj  eine  oerfdjleierte  £ame 
SHbenbS  naa)  ifmt  gefragt  unb  groei  Stunben  fpäter  ba$  &otel  wieber  oer* 
laffen  £atte.   3f)re  (Spur  mar  unb  blieb  oerloren. 

2lud;  unter  ben  ruffifdjen  dauern  madjt  biefe  Secte  ja&lreidje  Sßrofe* 
loten.  $on  Seit  ju  Seit  treten  Propheten  ober  Prophetinnen  berfelben 
unter  bem  SBolfe  auf,  befonber«  in  ben  norböftlid)en  ©ouoernements,  oon 
Drenburg  u.  f.  w.  Sie  prebigen  bie  geuertaufe,  bie  ÜBluttaufe  unb  bie 
SBiebererwerbung  beS  oerlorenen  $arabiefe$. 

Sie  wtrfen  Söunber,  inbem  fte  barfufe  im  Sd>nee  waten  unb  gteidt) 
ben  inbifdjen  gafirä  feurige  flogen  in  ben  §änben  Raiten.  Sie  fünbigen 
an,  ba&  ber  2lntidr)rift  ba  fei  unb  bie  $errfdjaft  ber  25>elt  an  fid)  reifeen 
werbe.  %a$  einjige  SHittel,  bem  ewigen  £obe  $u  entgegen,  fei  frei* 
willig  ju  fterben.  ©anje  ©emeinben,  oon  ben  3lpofleln  be£  Xobes 
fortgeriffen,  jie^en  in  ben  Urwalb,  wo  Tie  fid)  mit  einem  $)ornenäaun  ab* 
fperren  unb  unter  ©ebeten  unb  93ufeübungen  bem  £ungertobe  meinen. 
2lnbere  Sefenner  ber  graufamen  fieljre  oerbrennen  fid)  in  iljren  fürten 
mit  Söeib  unb  Stinbern.  ©in  rufftfd&er  9Mer  fjat  unlängft  eine  Scene 
biefer  2lrt  oerewigt.  9iidjt  feiten  fdjladjten  SSäter  iljre  Äinber.  So  würbe 
ein  $auer  oon  bem  ©ebanfen  erfaßt,  ba3  Cpfer  2lbraf)am§  on  feinem 
fiebenjäfyrigen  Solme,  ben  er  järtlia)  liebte,  ju  mieberfjolen.  @r  warf  fid) 
eines  £age£  oor  ber  aufgetjenben  Sonne  nieber  unb  erwartete  bie  (£r* 
leud)tung.  (Sine  Stimme  billigte  fein  3?orf)aben.  6r  banb  fein  Äinb  auf 
eine  ÜJanf  unb  fd)nitt  bcmfelben  ben  2eib  auf.  £>ann  ergriffen  ifm  S^eifel; 
aber  ein  Sonnenftrafjl,  ber  auf  ben  fleinen  SRärtorer  fiel,  betätigte  oon 
Beuern  feinen  2Safm.  2>er  Stater  betete  hierauf  oor  ben  ^eiligenbilbem, 
bann  nafjerte  er  fid)  bem  tfnaben,  ber  nod)  atfmiete.  „^etjeiljft  Xu  mir  ?" 
fragte  er. 

„34  oerjeifje  3)tr,"  erwiberte  baä  itinb. 

„Sag*:  ,id)  f)offe,  bafj  ©ort  2)ir  oerjeifyen  wirb.1" 

«3$  ^offe,  bafe  ©ort  £ir  oe^ei^en  wirb,"  wiberljolte  ba$  Äinb.  & 
waren  feine  legten  2Borte. 

2113  bie  9kd;baren  eintraten,  fanben  fie  ba3  Äinb  tobt  unb  ben  33ater 
auf  ben  flnieen  oor  ben  $eiligenbtlbern;  bicS  gefd^a^  1871. 

3)1.  ^rugawie  l)at  beregnet,  bag  jeit  (Sutftelmng  biefer  Secte  me^r 
als  10000  perfonen,  fei,  e^  freiwillig,  fei  eä  gejwungen,  ben  SDpfertob 
geftorben  finb,  jene  unge5ät)lt,  beren  £ob  nidpt  jur  Äenntnife  ber  körben  fam. 


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9 


  Hnffifdje  Secten.    363 

III. 

Bijtfdjt  —  Purificanfcn  —  Steueroerroeigerer  —  bas  Heft  6er 

frommen  Ceute. 

SBtel  weniger  fd)recflidj,  aber  aud>  mit  einer  gerotffen  afiatifdjen 
©raufamfeit  tritt  bie  Secte  ber  33ijtfd)i  ober  ^rügler  auf,  roeldje  wie 
eine  a3erfd)mel$ung  ber  glageuanten  unb  3Ibamiten  erfahrnen. 

$a§  bie  Prügel  in  9iu§(anb  überhaupt  unb  fpecieff  in  ber  Siebe 
eine  große  Rolle  fpielen,  ift  befannt.  ®S  roirb  erjä^tt,  bafe  eine  oornelnne 
junge  SRuffin,  bie  ju  Anfang  btefeS  3a&rfmnbertS  an  einen  $ran$ofen 
uer^eirat^et  rourbe,  an  ber  Siebe  if)reS  ©arten  jroeifelte,  weil  fie  niemals 
oon  i^m  gef  dt)  tagen  mürbe.  $ie  rupfen  Gjartnnen,  befonberS  ©tifabetl) 
unb  Äatfjarina  II.,  liebten  eS  ju  fragen  unb  gefangen  ju  roerben.  3u* 
3eit  ber  Sefcteren  befanb  fid)  ein  fogenannter  pt)i;fifdr>cr  Glub  in  Petersburg, 
in  bein  2lmorS  ©eia;offe  burdj  bie  ßnute  erfefct  rourben. 

2Bie  bie  Stoppen  galten  es  aud)  bie  Söijtfdji  ober  Sprügler  für 
unerlaubt  mef)r  als  ein  ßinb  in  bie  2Eelt  §u  fefecn.  $aj}  btefeS  ein 
flnabe  fein  mufc,  erinnert  uns  an  eine  beutfdje  2lnfa)auung,  bie  uns 
^rofeffor  2Betnt)otb  mitteilt.  $n  Steiermarf  nämlid?  gilt  ein  2ttäbd)en 
als  Jungfrau,  fo  lange  fie  nur  3Räb$en  unb  feinen  Änaben  geboren  tyat. 

2)aS  Littel,  meines  bie  ^rfigler  anroenben,  um,  fobalb  einem  Gtyes 
paare  ein  ßnabe  geboren  ift,  bie  ©eburt  weiterer  flinber  ju  oerfjüten,  ift 
inbefj  ein  ganj  anberS,  oiel  fjarmlofereS  als  bei  ben  Stoppen.  6s  beftel)t 
auSfa)liefelid)  aus  ber  ^eitfdje  in  fd)öner,  fräftiger  grauentjanb.  2)ie  ©eifeel 
unb  bie  Rutf)e  finb  jeberjeit  als  3ä4ti0ung£mttte(  beliebt  geroefen,  ju 
allen  3«iten  mürben  fie  aber  aud)  mit  ebenfo  oiel  ©ifer  als  erotifd^e  Reij* 
mittel  benüfct.  $m  erften  Sinne  mürbe  bie  ©eifeel  oon  ben  ästeten 
ber  erften  d)riftüd)en  3aWunoerte'  Den  ^önajen  beS  9JHtteIaltg:S,  non 
ben  ju  £aufenben  um^er^ietjenben  glagellauten  unb  ber  ^nquifition  ange* 
menbet.  2lls  erotifdjeS  Reismütel  mürbe  bie  Rutf)e,  in  SSerbinbung  mit 
Sßeljroerf,  ÄafeenfeHen  fdjon  oon  ben  grauen  oon  SeSboS  gebraust.  £)ie 
eblen  Römerinnen  ber  Gafarenjett  maren  ebenfo  roie  bie  2)amen  beS  Littels 
alters  mit  ben  Üöirfungen  ber  ?iutt)e  fetjr  oertraut.  ^n  unferer  fteit  fdr)etnt 
baS  Sdjlagen  ber  2flänner  befonberS  bei  ben  Polinnen  unb  Ruffinnen 
üblid);  bod)  ift  aud)  in  ^aris,  in  ben  Greifen  ber  f)öl)eren  ^emimonbe, 
ein  erottfdjeS  Spiel  beliebt,  baß  man  an  ber  Seine  jouer  l'esclave,  ben 
Sflaoen  fpielen,  nennt.  ©S  beftefyt  barin,  ba§  ber  oerliebte  9)fann  fid) 
für  eine  beftimmte  $eit  ootlftanbig  als  Sflaoe  in  bie  &änbe  ber  Singe« 
beteten  giebt,  roeldje  ifm  gan$  roie  it)ren  Seibeigenen  mit  Jufctritten  unb 
Silagen  trafttrt.    (Sief)e  3°^  9tona.) 

®ie  rufnfa^en  Stjtfdji  roerben  aber  beS^alb  bie  ^rügel  als  Littel 
jur  Seligfeit  roofjl  nid)t  fo  leirf)t  aufgeben.  Sdtfäge  geben  unb  empfangen 


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Sadfer-OTafodj  in  £in5t}cim>(Dbert}ef fe n.   


fdjeint  biefen  Schwärmern  oerbienftlicher  al$  irgenb  eiu  2Berf  bcr 
SRächftenliebe. 

2ludj  f)ier  bominirt  ba$  2Beib.  6«  ift  ba$  reinere  2Beien,  beffen 
religiöfe  Pflicht  es  ift,  bem  unreineren,  bem  Spanne,  ben  Teufel  auäju* 
treiben.  @in  2Beib  ju  fdjlagen  ift  bie  größte  Sünbe,  bie  ein  9Rann  nad) 
Slnficht  biefer  Secte  begeben  fönnte.  $>ie  Männer  werben  von  ben 
grauen  gefdjlagen,  bte  grauen  aber  imeber  von  grauen. 

Sobalb  ein  9)tonn  fi$  oerlobt  bat,  ift  er  auch  ichon  ber  ^eirfd&e 
ber  Kolben  sBraut  ausgeliefert;  unb  biefe  macht  gern  ©ebraudj  oon  ber* 
felben,  gilt  e$  bodj  baS  Seelenbeil  beS  GJeliebten.  $ie  meiften  Schläge 
giebt  e$  natürlich  in  ber  erften  3eit  ber  jungen  ©he,  f o  bafc  bei  ben  rufftiajen 
glagellanten  bie  „glittermochen"  eigentlich  „<Prügetwochen"  heij^en  füllten. 

3eber  SSerfehr  ber  ©efa)lea)ter  aufcer  ber  ©he  ift  Sünbe  unb  wirb 
ftrenge  beftraft;  ebenfo  werben  jene  ©bemänner,  welche  fid)  oon  ihren 
grauen  mdjt  bänbigen  laffen,  noch  befonberä  gejüdjtigt,  unb  jwar  fo  lange, 
big  fie  fi<h  in  ihr  Schicffal  ergeben.  3U  biefem  3n>ecfe  werben  förmliche 
$Prügelfotreen  arrangirt,  welche  ben  §l)arafter  einer  gotteSbienfUichen 
ßanblung  haben.  9tod)bem  ber  Sleltefte  ben  Sünbera  vor  ber  oer* 
fammelten  ©emeinbe  eine  Straf  prebigt  gehalten  unb  fie  jur  3Jufje  er« 
mahnt  hat,  werben  biefelben  ftehenb  an  bie  höhnen  Säulen  gefeifeit, 
welche  in  bem  93orfaal  be$  33etbaufe3  angebracht  finb.  X'xe  SHänner  unb 
bie  älteren  grauen  ftellen  fta)  nun  an  bie  2£anb  unb  fingen  einen  33ub* 
pfalm,  währenb  bie  jüngeren  grauen  unb  9Jtäbd)en,  jebe  eine  furje  ^eitfd^e 
in  ber  $anb,  paarroeife  ihren  6in5ug  holten.  Sie  bilben  einen  großen 
5trei£  um  bie  Delinquenten,  inbem  fie  fid)  bei  ben  &änben  halten,  unb 
fingen  einige  3^it  ftehenb  ben  33ufjpfalm  mit.  25ann  beginnen  fie  5U  tanjen, 
in  einem  fanften  ^ipthmuS,  ber  von  Minute  su  Minute  witber  unb  leioen= 
fdhaftltcher  wirb;  unb  wenn  biefer  bacdjanttfche  Zeigen  feinen  £öbepunft  er= 
reicht  fyit,  beginnen  fie  bem  armen  Sünber,  bie  fluute  fdjtoingenb,  ben 
Teufel  aufzutreiben. 

2)en  Sans  als  religiöfe  Uebung  finben  wir  unter  anberen  auch  bei 
ben  fogenannten  tanjenben  Xernnfcben,  bann  bei  ben  2tDamiten,  bie  man 
heute  noch  in  33öf)men  in  lauen  SMmonbnäa>ten  auf  einfamen  SBatb* 
wiefen  tanjcn  fehen  fann.  ©an$  befonberS  entwicfelt  trat  bie  £anjmuth 
als  religiöfer  SWahnfinn  in  früheren  3ahrf)unberten  auf,  wo  Xaufenbe 
tanjenbcr  ^ilger  bie  £anbe  burdjjogen  unb  nia)t  feiten  in  ben  fieberen 
%ob  hinetntanjten,  fei  e$  oon  33erge»höhen  *n  tiefe  Slbgrünbe  hinab,  fei 
e3  in  ba£  9J?eer  hinein. 

2Bir  fommen  jefct  51t  einer  Secte,  weldje  vielleicht  bie  merfamrbigfte 
unb  intereffantefte  oon  aßen  ift.  G$  finb  bieS  bie  ^urificanten,  welche 
oorjugsioeife  in  Sibirien  ihren  Sife  haben,  in  neueiier  3ett  aber  auch  in 
ginnlanb  unb  Sübrufjlanb  aufgetaucht  finb.  $\)t  $auptbogina  ift  bie 
Cberherrfchaft  beS  äÖeibeS.   $a$  23eib  ift  fax  nicht  wie  bei  ben 


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  Huffifdje  Seelen. 


365 


Xudhoborjen  bie  lebenbige  ©öttin,  fonbern  bteweltliche§ernnin  jeber 
Richtung. 

£oS  grauenregiment  ift  fo  alt  wie  bie  2Bctt.  9?on  ber  afiatifd^en 
SemiramtS  bis  §ur  rufftf^en  Katharina,  bie  beibe  ihre  ©arten  morben 
Itcfeen,  um  bie  Styei  ber  &errfcf)aft  an  fia)  ju  reißen,  unb  weiter  hinauf 
bis  in  unfere  £age  ringt  baS  2öetb  nüt  bem  Manne  um  bie  fcerrfchaft. 
3u  ganj  befonberer  Slüthe  mar  baS  grauenregiment  im  Mittelalter  jur 
3eit  beS  grauenbienftes  gelangt,  roo  bie  ritterlichen  gelben  fich  um  bie 
2Bette  ju  ben  Anetten  fchöner  grauen  matten,  uub  ihre  Serrinnen  in 
il>rem  Uebermutlje  fo  weit  gingen,  fie  in  35>olfSfelIe  5U  nähen  unb  auf  fie 
3agb  ju  machen,  ober  ihre  2£afchbecfen  oon  ijmen  auStrinfen  $u  (äffen; 
unb  bann  nochmals  jur  3eit  ber  ruffifchen  Slatharina,  wo  eine  geniale 
grau  ben  Hermelin  trug,  eine  äweite  Spräfibentin  ber  2lfabemie  ber  SSiffen* 
fc^aften  mar  unb  mehrere  anbere  Regimenter  commanbirten.  (Sine  reit* 
giöfe  2lnmenbung  hat  baS  grauenregiment  inbeg  cor  ben  ^urificanten 
nur  einmal  gefunben  unb  jwar  im  Mittelalter  in  bem  Drben  oon  gonter* 
raur.  @S  mar  bieS  baS  einige  fllofter,  in  bem  grauen  unb  Männer 
gemeinfchaftlia)  lebten,  bie  Tonnen  als  bie  Verrinnen,  bie  Mönche  als 
bie  Sflaoen  berfelben,  welche  ihren  weiblichen  Meiftem  ©etwifam  fchwören 
unb  benfelben  jebe  9trt  oon  ftienften,  aua)  bie  nieberften  leiften  mußten, 
wenn  fie  nicht  bie  t)ärteften  Strafen  erbulben  wollten.  $n  biefem  Drben 
mar  bie  Unterorbnung  ber  Männer  unter  bie  grauen  inbefc  nur  eine  Skr* 
fchärfung  ber  mönchifchen  2lSfefe,  in  bem  ginne  ber  ©orte  im  2k$e  3ubith: 
,,©ott  hat  ihn  geftraft  unb  in  eines  SöeibeS  £änbe  gegeben." 

5öei  ben  ^urificanten  ift  eS  umgefehrt;  hier  foll  ber  Mann  bura)  baS 
3Beib  jum  ©uten  geleitet,  oerebelt,  erhoben  werben;  ihm  wirb  feine  Strafe 
bictirt,  inbem  man  ihm  baS  grauenjod)  auferlegt,  fonbern  im  ©egentheil 
eine  2Bohltf)at  erwiefen.  2)aS  grauenregiment  ift  in  Rufelanb  etwas  ganj 
Natürliches,  ©in  berühmter  ©tfmograpb  lagt:  SBenn  baS  SBeib  bei  ber 
romanifchen  9toce  bem  Manne  gleichet,  fo  ift  es  bei  ber  germanischen 
bem  Manne  inferior;  bei  ben  Slaoen  bagegen  fteht  baS  2öeib  ent* 
fchieben  in  jeber  Sejiehung  über  bem  Manne,  ©ine  rufitföe 
Sage  erjählt,  ba&,  als  ©ott  eine  Stene  nach  ^ßolen  fanbte,  um  ben 
Menfdtjen  ©eift  ju  bringen,  bie  polnifd&en  grauen  benfelben  ooflftänbig 
oerfchlangen  unb  für  bie  Männer  nichts  übrig  blieb.  Man  fönnte  baSfelbe 
Märajen  oon  ben  Staffen  erädt)len.  3n  ber  rufftfdjen  Literatur  fpuft 
überall  baS  ©efpenft  ber  SBeibertnrannei,  bei  Turgenjew  ftnben  wir  es 
oorjüglidt)  in  feiner  herrlichen  ftooette  „grühlingSfluthen." 

2>te  3bee,  oon  ber  bie  ^urifteanten  ausgehen,  ift  folgenbe. 

$urch  baS  SBeib  ift  bie  Sünbe  in  bie  Söelt  gefommen  unb  baS 
$arabteS  für  bie  Menfchen  oerloren  gegangen;  aber  gerabe  bie  ©efdjichte 
beS  SünbenfaHeS  beweift,  ba§  ber  Mann  oon  Anfang  an  unter  bem  ©in= 
Puffe  beS  2Betbes  ftanb,  bemfelben  untergeorbnet  war.   £aS  2Beib  hat 


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366   radjer-irtaf od?  tu  £i  ubtteim-CDbertjef  f en.   

biefen  ©influ&  jumeift  im  böfen  Sinn  geübt  unb  bafür  3aljrtaufenbe 
fjinburd)  gebüfct,  inbcm  e3  bcm  2Jlann  unterworfen  war.  3efct  ift 
bic  Seit  ber  Sufce  ju  Gnbe  unb  ber  2Iugenbttcf  ber  Grlöfnng  ba,  wel#e 
nur  burd)  ba3  Sßeib  erfolgen  fann,  ba  biefem  ©ewatt  über  ben  Sftann 
gegeben  mürbe,  mit  Ümt  $u  tf>un,  wa3  if)r  beliebt.  Sie  2BeIt  wirb  in 
flurjem  eine  anbere,  bas  Serljältnifj  ber  @efd&led)ter  umgefefjrt 
werben.  Sa3  2öeib  wirb  ben  -iftann,  ben  Staat,  bie  ßirdpe,  bie 
2BeIt  regieren;  benn  baS  Sßeib  fteljt  über  bem  SJianne.  ift  $ur 
#errin  erfdjaffen,  unb  ber  SHann  ift  beftimmt  fein  Sttaoe  ju  fein,  iljm  ju 
gef)ord)en  unb  ju  bienen.  Sie  Regierung  be$  SJtonneS  fjat  nur  33öfe^ 
gebraut,  Unf rieben,  &a§,  Kriege,  Stutoergiefcen,  (Slenb  ieber  2lrt.  'Sie 
Regierung  be3  2£eibe3  aber  wirb  Segen  bringen,  Jrieben  unb 
©intraajt,  Serföfjnung,  Siebe;  bic  SBelt  wirb  wieb  er  jum^arabiefe 
werben. 

Sief  er  ^oee  entfpreäjenb  ijl  ba3  #auptbogma  ber  ^Surificanten, 
wie  id)  fa)on  tyeruorfjob,  bie  Dber(jerrfd)aft  ber  grau  im  Staate,  in  ber 
ftirdje,  in  ber  ©efellfdjaft  unb  in  ber  gamilie.  Sie  (*lje  ift  bei  ifmen 
Fein  Sacrament.  ^ebe  Serbinbung,  bie  3Wann  unb  3ßeib  eingeben,  ift 
heilig;  nur  wirb  e$  ifmen  jur  spflidjt  gemacht,  jufammen  ju  wohnen  unb 
ju  leben. 

Sie  Sefenner  biefer  Secte,  ob  fie  nun  in  einer  ©fje  ober  in  einem 
anberen  Serfjältniife  mit  einem  SBeibe  leben,  müffen  einen  ©ib  reiften,  fid) 
twHftänbig  ber  grau  §u  unterwerfen.  Sie  regiert  ba«  &au3,  ber  SJiann 
ift  nur  iljr  erfter  Siener,  ityc  begünftigter  Änedjt;  er  mu§  Tie  oerebren, 
ifn*  gefjordjen,  if)r  bienen  unb  if)r  ein  5Jtat  in  ber  2öo<$e,  nor  it)r  auf 
ben  Ainieen  liegenb,  feine  Sünben  beizten.  Sie  erteilt  i^m  hierauf 
Vergebung  ober  legt  itnn  entfpred)enbe  Sufcen  auf,  unb  wenn  fie  e$  nötljig 
finbet,  beftraft  fie  ifm.  Sei  ben  ^urifkanten  regieren  bie  grauen  bie 
©emeinbe,  ebenfo  gut  wie  bie  gamilie;  fie  fpred)en  9teä)t,  fie  allein  finb 
£el)rer  unb  9ler$te. 

Sämmtliäje  grauen  einer  ©emeinbe  ermäßen  ba£  weiblidje  Ober- 
haupt berfelben,  weites  ben  Xitet  „&errtn"  führt.  Sei  biefer  SiHifil 
geben  Schönheit  unb  Roheit  ber  ©rfeheinung  ebenfo  fel)r  ben  9luefchlag, 
wie  ^erftanb  unb  Energie  be3  2i>illen3.  Sie  &errin  trägt  eine  an  bie 
päpftliche  Xiara  maljnenbe  golbgefticfte  Stirnbinbe  auf  bem  ßopfe.  9)ian 
fielet  fie  nie  $u  gufee,  wenn  fie  öffentlich  ericheint,  fonbern  ftets  $u  Otogen 
ober  5U  ^ferbe,  uon  ihrer  Leibwache  begleitet,  welche  au$  einer  2ln$ahl 
■  junger  Räbchen  befielt,  bie  nichts  5U  tlnm  h*ben,  al$  bie  £erriu  $u 
beiuadjen  unb  ihre  Sefcljle,  fowie  bie  oon  ihr  bictirten  Strafen  ju  uolI$iehen. 
Senn  eine  Hauptaufgabe  ber  <perrin  ift  e$,  barüber  ju  wachen,  bafc  bie 
^länner  itiren  Gib  fyaiien,  unb  bie  Unge^orfamen  pr  Wedjenfdjaft  511  hieben. 
Sie  ift  jiigleid)  Dberpriefteriu  unb  oberjte  9iicbterin.  (Hne  SlnsaW 
mäunlidjer  SÜaoen  ift  auSfdjliefjlid)  baju  beftimmt,  i^r  ju  bienen  unb  alle 


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  Kufftfdje  Secten.    367 

Verrichtungen  in  bem  oon  if>r  bewohnten  £aufe  3U  beforgen.  Sie  SBirfuugen 
btefed  grauenregtment«  [äffen  fid&  bis  jefet  nur  al«  fc^r  günftige  bezeichnen. 
Sie  HWänner  biefer  Secte  werben  allgemein  al«  mufterhaft  gefdfulbert, 
fie  übertreffen  alle  anberen  an  SJiäfeigfeit,  grtebfertigfeü,  gletfe,  Arbeits 
famfeit  unb  2Jforalität.  SJian  finbet  unter  ben  ^urificanten  meber 
(Säufer,  noch  9iaufbotbe,  noch  Siebe,  ©ewaltfame  Verbrechen  fommen 
bei  ihnen  überhaupt  nicht  oor.  ßbenfo  wenig  giebt  e«  Settier  ober 
Vagabunben  unter  ifmen. 

@«  liegt  in  ber  Statur  ber  ftbirifchen  Verhältniffe,  bafe  gerabe  in 
biejer  ©ecte  alle  nur  erbenflichen  Elemente  oertreten  finb.  2Öie  in  jenem 
Sattbe,  in  golge  ber  mannhaften  Verbannungen,  alle  Gonfcffionen,  Nationen 
unb  Stänbe  be«  (Zarenreiches  bura^einanber  geworfen  würben,  fo  finbet 
man  auch  unter  ben  ^ßurifkanten  Slblige,  Äaufleute,  Säuern,  fünften 
unb  gabrifarbeiter,  ehemalige  ^riefter  unb  Beamte,  ©elehrte  unb  Äünftler, 
alle  ©djattirungen  ber  ©efeUfcljaft  unb  ber  Vilbung.  <So  mar  eine  ©räftn 
längere  3eit  hinburd)  $errin  ber  5purificanten.  3n  golge  beä  9iufe«,  beffen 
fidt)  biefe  6ecte  erfreut,  fommt  es  nicht  aUju  feiten  oor,  bafe  grauen  ber* 
felben  beitreten,  um  fid)  oon  ber  £orannei  ober  ben  Softem  tt)rer  Männer 
ju  befreien.  Siefen  bleibt  bann  nur  bie  2ßahl,  fich  oon  ihren  grauen 
511  trennen  ober  ben  ©lauben  berfelben  anzunehmen.  -3m  legten  gaße 
fe^rt  fich  bie  (Sache  fofort  um  unb  bie  refolute  grau  t)at  ba«  Vergnügen, 
itjrem  bisherigen  £nrannen  ben  gufe  auf  ben  Warfen  ju  fegen. 

Vor  ßurjem  erft  paffirte  eine  ergöfctidje  ©efdfn'chte.  Gin  Kapitän  ber 
Infanterie  nahm  eine  reijenbe  junge  grau  unb  äugleidj  feinen  Slbfdjieb. 
Sa«  glüdliaje  ^Paar  lebte  einige  3^tt  frieblia;  auf  feinem  ©ütchen;  bann 
begann  fich  ber  Gapitän  ju  langweilen  unb  in  golge  beffen  $u  trinfen,  ju 
fpielen  unb  wenn  er  betrunfen  war,  fein  SBeib  ju  mifehanbeln.  (Sine« 
Sage«  war  biefe«  entflohen  unb,  jmar  ju  ben  ^urificanten.  Ser  ©atte, 
beffen  Siebe  wieber  erwacht  war,  folgte  ber  gluajtigen,  unb  ba  fie  fich 
nicht  erweichen  liefe,  fo  trat  auch  er  $u  ben  s^urificanten  über  unb  fd&rour 
feiner  grau  ©ehoriam.  Valb  oerfiel  er  aber  wieber  in  bie  alten  Safter. 
Seine  grau  beftrafte  ihn,  inbem  fie  ifmi  jebe  2Irt  oon  Siebfofungen  unter* 
fagte  unb  ihm  bie  uieberften  Sffaoenbienfte  anbefahl.  311«  er  aber  immer 
renitenter  würbe,  führte  fie  bei  ber  £errin  fllage.  Siefe  liefe  it)n  auf 
ber  ©teile  burd)  jwei  2Jiäbd)en  ifjrer  Seibwad&e  gefeffelt  in  if)r  &au« 
bringen.  &ier  würbe  er  fo  lange  gefangen  gehalten  unb  mit  ber  ßnute 
tractirt,  bi«  er  ooflftänbig  geahmt  unb  reunrutt)ig  ju  feinem  reijenben 
SBeibdjen  jurüdfehrte.  „Sie  Ijaben  mich  breffirt  wie  einen  $ubel," 
pflegte  er  ju  fa^en,  ,,e«  ift  nur  ein  2öuuber,  bafe  ich  nicht  auch  apportiren 
lernen  mufete." 

$n  neuefter  3eit  finb  wieber  5wei  Secten  in  ^Hufelanb  aufgetaucht, 
oon  beren  Sogmen  unb  ©ebaljren  man  bi«f)er  nur  fet)r  wenig  erfahren 
tonnte,  ja  beren  tarnen  man  nicht  einmal  fennt,  obwohl  eine  berfelben 


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368    Sadjer-lllafodf  in  £t nbt}eim«<Dbert{cf f cn.   

bereite  oor  ©eridjt  ftanb  unb  mehrere  ihrer  SRitglieber  nad)  Sibirien  ver- 
bannt ruurben.  Diefe  le^te  nennt  man  bie  Steueroerweigerer.  SBieber 
ift  eS  eine  grau,  bie  an  ber  Spifee  fteht,  unb  bielmal  fogar  eine,  bie 
roeber  jung,  nod)  fdjön  ift.  Die  neue  ^Prophetin  Domanowa  ift  fünfzig 
3ahre  alt  unb  macht  einen  flugen  unb  energifdjen,  aber  feineSroegS 
beftedjenben  ©inbrutf ;  bennoch  fd)eint  fic  große  27tod)t  über  ihre  Anhänger 
$u  haben.  Sie  behauptet,  ©Ott  fyxbe  einen  ©eift  $u  ihr  gefenbet,  ber  tt)r 
befohlen  tyxbt,  biefe  &ef)re  ju  verbreiten,  ©in  £auptfafo  berfelben  lautet: 
wer  bis  ju  ©nbe  leibet,  wirb  er  (oft.  2Ufo  wieber  bie  inbifche  $ü§er; 
phifofophie!  Den  &auptwerth  legt  Domanowa  auf  bie  9Mä}ftenliebe;  man 
muj?  ben  2lrtnen  Reifen,  Sßerfe  finb  2UleS,  ©ebete  nichts.  3)?an 
bebarf  feiner  ilirche  unb  feines  «priejterS,  lehrt  Tie  weiter,  baS  ftauptgebot 
ift:  ftiemanb  etwas  ju  Seibe  tlmn.  Deshalb  verweigern  ihre  An» 
länger  ben  firiegSbienft  unb  leben  nur  von  ^flansenfoft.  Sie 
erfennen  roeber  ben  Gjaren,  nod)  ben  Staat  an.  Der  ßaifer  ^at  nur  eine 
bürgerliche  ©eroalt,  aber  auch  biefe  ift  mit  bem  (Sljnftentfjum  nicht 
vereinbar,  ba  feine  9Had)t  über  ben  3J?enfa)en  ift,  als  GhriftuS.  Die 
Goaren  finb  feit  $eter  bem  ©ro&en,  ber  eine  Svnobe  bilbete  unb  bie 
geiftlidje  ©eroalt  unter  bie  weltliche  fteflte,  nicht  mehr  Ctfjrijten,  fonbern 
Reiben,  benn  bie  geiftüdje  ©eroalt  foll  über  ber  weltlichen 
ftehen.  Deshalb  foll  man  aud)  bem  Gjaren  fetnerlei  Steuern 
ober  Abgaben  leiften.  ©S  mad)t  faft  ben  Ginbrucf  als  fei  biefe  Secte 
von  ben  Wjjüiften  in  baS  ßeben  gerufen,  um  bie  geiftlid^e  Autorität  beS 
Goaren  unb  mit  biefer  aud)  bie  weltliche  ju  untergraben  unb  bie  gro&e 
9Wa(fe  beS  ruffifdjen  SSolfeS,  welche  nur  religiöfen  Argumenten  jugänglid) 
ift,  für  bie  sJieoolution  ju  gewinnen. 

Die  jroeite  biefer  neuen  Secten  nennt  baS  $olf  „Das  SReft  ber 
frommen  Seute."  Sie  eriftirt  feit  etwa  10  3af>ren  unb  hat  ihren 
£auptfife  in  ©efjarabien.  3Jre  $3efenner  finb  burdjauS  Säuern. 
Dieselben  graben  fid)  ein  ©rab  in  ihrer  ßütte  ober  ihrem  ©arten  unb 
liegen  barin,  bis  fie  oon  junger  unb  Dürft  überwältigt  SSifionen  befommen. 
Sie  fetjen  ^eilige,  Gngel  unb  Dämonen;  aud)  erfcheint  it)nen  ©ort,  unb 
biefem  fclbft  beizten  fie  it)re  Sünben.  Das  ©rab  wirb  mit  einem  ^ölsernen 
Dedel  sugebeeft,  in  welkem  eine  £t)ür  angebracht  \\L  ©in  Suftlod)  bewahrt 
bie  Selbftpeiniger  oor  bem  (Srfticfen.  Did)teS  ©ebüfdj  umgiebt  baS  ©rab, 
unb  ein  gro&er  $unb  bient  als  Pächter,  um  alle  profanen  abzuwehren. 
Die  ^efeuner  biefer  Secte  oerfehren  weber  mit  anberen  «ferfouen,  nod) 
untereinanber,  fo  bafe  fie  in  jeber  Sejiefmng  baS  Seben  oon  Anadjoreten 
führen. 

*  * 
* 


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  Huff if d?e  Scctcn. 


369 


2£enn  roir  am  6d)foffe  bie  in  ben  fjerrfdfjenben  rufftfd&en  ©ecten 
Ijeroortretenben  £enbenjen  unb  ©gent§ümlid)feiten  refumiren,  fo  ergeben 
ftd)  folgenbe  £auptmomente : 

1.  3n  ber  gro§en  oftffaoifdjen  SSelt  bominirt  im  ©egenfafe  ju  ber 
materiaaftif<$en  2Beltanf(f>auung  be§  2Befien3  bie  inbifdje  SBelt* 
unb  fiebensueradjtung. 

2.  3n  ber  flaoifdjen  ftace  finb  bie  33olfe=3nftinfte  feine  f  riegertfdjen 
roie  bei  ©ermanen  unb  Romanen,  fonbem  entfdjieben  f  rieb  fertige. 

3.  3m  ©egenfafc  ju  ber  ariftofratifdjen  Statur  ber  roeftlidjen  2Belt 
ijt  bie  9?atur  ber  f(aoifd)en  Wace  eine  eminent  bemofratifdje;  ber  ©emem* 
finn  fjerrföt  in  ber[et6en  ebenfo,  roie  bei  ben  Romanen  unb_©ennanen  ba3 
©treben  nadj  ©eltenbmadjung  ber  Qnbimbualitat. 

4.  SBäfirenb  ber  romaniic^gennanifdje  Söeften  um  bie  Befreiung  unb 
©(eidjfteüung  be3  2Beibe3  ringt,  für>rt  ba$  2Beib  im  fCaoifcr)en  Dften  f>eute 
föon  factifdt)  ba3  Regiment, 

2Benn  roir  unä  biefe  m'er  fünfte,  jugteicf)  mit  bem  fteigenben  (Sinflufc 
ber  flaotfdfjen  5Hace  in  Europa,  in  polittfdjer,  focialer  unb  lüerarifd&er  23es 
Stellung,  oor  2iugen  garten,  fo  fommen  roir  ju  bem  ©rgebnifc,  bafc  bie 
nä<f)\ie,  große  Umroäljung,  meiere  unbebingt  au^  bem  Dften  fommen 
wirb  unb  mufc,  alle  unfere  93erf)ältniffe,  ia  unfere  ganjej  2ßelt,  roeit 
rabicater  umgeftalten  roirb,  a(3  jebe  frühere,  bie  fransöfifdje  3teooIution 
niä)t  aufgenommen,  unb  jroar  ofme  SBölferroanberung,  ofme  SBeltfrieg,  ofjne 
geuer  unb  (Sdjroert  unb  ofme  ©uiüotine. 


Wort  unb  eiib.  LI.,  is  t. 


25 


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I 


<ßoetf)e=£rmnerimgen  einer  3enenferin. 

IHitgetlicilt  von 

Karl  Cbeoöor  (5aeber§. 

—  Berlin  — 


ei  ber  nad)l)altigen  S^etfnafjme,  meldte  bie  Schrift  „Xa$  Jron 
maim'idje  $au3  unb  feine  #reunbe"  gefunben,  in  reeller  Am 


^rommann,  ber  6orjn,  feinen  mit  ©oetlje  eng  oerbunbeun 
lrlteni~unb  einem  oertrauten  Greife  ein  fdjöneä  Xenfmal  gefegt  fco:, 
werben  21uf$eidmungen  oon  2Utoine  Jrommann,  ber  £od)ter  ur.: 
Sdjtoefter,  allgemeinem  3ntereffe  erroetfen  toegen  ber  ^erfönlidjfeii,  ber*r 
liebenäroürbige,  geift*  unb  gemütvolle  ©rfdfjeinung  bieten  unter  uns  nod 
in  frifdjer  Erinnerung  fietjt,  foroie  um  beä  3nf)alte£  mitten,  burdj  ter. 
£id)tftral)len  fallen  auf  berühmte  ©eftalten  au«  ber  flaffifdjen  3eit  ir 
SBeimar  unb  Qena. 

2>en  -)iatf),  23üd)er  $u  fd&reiben,  oor  2Wem  ifjre  3Wemoiren,  mies  fit 
mieberrjolt  jurüdf.  w9lic  mar  idf)  femer  folgen  ©ebanfen,  nie  raufete  iä 
beffer,  bafe  id)  nid^t  fd^reiben  fann,"  erflärte  fte  im  Qafjre  1838  einer. 
Gerannten,  ber  bei  il)r  war,  um  ju  feljen,  ob  fte  nodj  lebte.  ©era:; 
bamald  führte  fie  eigentlich  ein  ßeben  nadj  bem  £obe,  gefdneben  oon  m: 
2öelt,  mit  8onne,  3)ionb  unb  Sternen  in  ©efellfd)aft,  oon  guten  ©einer 
unfidjtbar  umgeben. 

Styre  an  ^amfjagen  oon  ©nfe  genuteten  Briefe,  bie  fidj,  bi£: 
unbenu^t,  im  Criginal  in  ber  $anbfdjriftenabtl)eilung  ber  Äönigiidr 
Söibliotljef  ju  Berlin  befinben,  bieten  iebod)  mancherlei  9J?aterial,  ba*  neut 
djarafteriftifdje,  jartfinnige  unb  lebenSioarme  3üge  ju  bem  oon  ibrem  ^rur<- 
entioorfenen  üilbe  beiträgt,  unb  jroar  oornelnnltd)  aus  ber  legten  (reoi» 
©oetfp'8. 


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  <ßoctbe»(£rtnneruncjcn  einer  3*ne"Urut.    5?^ 

3I(n>ine  Jyrommamt,  einzige  £odjter  be$  $Bud)f)änbler$  griebridj 
grommann  unb  feiner  ^rau  3o^anna,  geb.  3Seffelf)öft,  fam  ben 
16.  3Jtär$  1800  in  %em  jur  SBelt.  Sieben  itjr  unb  bem  brei  3af)re 
älteren  SBruber  grifc  roud)3  in  ber  gamilie  als  2lboptiotcd)ter  bie  f)olbe 
SBityelmine  ^erjlieb  auf,  roeld)e  bei  Hlromenä  ©eburt  bereite  elf  Safere 
$äf)lte. 

©in  3"3enbportrait  2lltoinen3  l)at  Carotine  oon  Söoljogen,  geb. 
oon  Sengefelb,  S^iUer'ö  ©dmmgerin,  fajon  1826  gegeben  im  erften  öanbe 
i&rer  „erklungen,  oon  ber  üßetfafferin  ber  2lgne3  oon  ßiüen."  —  „$a$ 
6tumpfnä3d)en"  betitelt  fid)  bieä  biajterifdje  $ilb,  ba$  unter  bem  Slnfprud) 
auf  geinljett  unb  3artl)eit  nad)  Sßarnfjagen^  ©efüf)l  rolj  unb  fjerb  \\t,  bie 
(Srfinbung  barin  roiberlid>.  3n  ber  X\)at  jeigen  iljre  Briefe  fie  aU  eine 
tiefinnerlidje  9?atur  unb  oon  einer  weit  oortfjeilljafteren  ©eite:  Reiter,  oft 
nid)t  olme  Junior,  fajroärmerifd)  unb  babei  bod)  praftifd),  oon  reinfter 
£er$en$güte,  roa^rem  ©eelenabel,  flar  unb  milb  in  2luffaffung  unb  23eob= 
ad&tung  oon  ^erfonen  unb  $ßerf)ältnijfen,  burd)  f ünitferifdje  latente,  Um* 
gang  unb  £ecture  fjodjgebtlbet,  if)r  ganjeä  2öefen  oerflärt  glci<$fam  burdj 
©oetfje'*  ©entuS. 

Die  3enenfer  nannten  fie  im  Sdjerj  „bie  ^rinjeifin."  Sftur  bie 
9lää)ften  fallen  eben,  ba&  bei  bem  toogenben  treiben  —  immer  greunbe 
unb  grembe,  9)iufif,  Söorlefung  —  im  gaftliajen  grommann'fdjen  £aufe 
ba$  engfte,  ftrengfte  Arbeiten  mar.  ©pridjtoörtlid)  f)ie&  el  „bliebe" 
Arbeit,  roeil  Wmtyn  £er$lieb'$  fjausüaje*  Jorgen  als  dufter  galt. 
33on  2llroine  fagte  bie  Butter  einmal,  fie  rounbere  fidj,  baft  in  tyrer  Keinen 
bewegten  (Seele  fdron  fo  oiel  (Stille  fei,  unb  bann  roteber,  ba§  in  iljrem 
tfopfe  ftatt  ©rillen  mdjte  a&  Lebbien  fteeften.  ©efang  würbe  ber  <Sd)mud 
unb  Sroft  iljreä  3>afein3;  bie  Beitreibung,  roela>  9ial;el  oon  ©rüneifen'3 
©efang  maä)t,  pagt  auä)  ganj  auf  ben  tf)ren.  Slufeer  in  ber  Siotenroelt  lebte 
fie  in  ber  Malerei;  Blumen  unb  2lrabe$fen  gelangen  it>r  oorjüglidj.  9flit 
innigfter  Siebe  copirte  fie  auä)  auä  alten  SKefebüdjern  bie  Initialen;  fte 
roar  ganj  anbädjtig  babei;  unb  raenn  fie  biSroeilen  generft  mürbe,  bafe  bie 
2Jiöna)$s2trbeit  nun  5Ronnen*2lrbeit  roerbe,  fo  erntete  fie  aud)  baS  £ob,  es 
fei  fromm  gemalt. 

©lüdlid)  oerflofj  ifjre  ßinbfjeit  unb  3ugenb,  lebhaft  oerfefete  fie  fiä) 
nod)  im  froren  Sllter  bal)in  jurüd  unb  jeljrte  an  il)ren  ©oet^e-'@rinnerungen. 
(Sinft  gab  e$  al^3  SSci^naa^t^gefa^enf  eine  Interna  magica.  „©oetlje  unb 
Ziemer  erbauten  un$  3lUe  bamtt  unb  trieben  e$  fo  eifrig  mie  eine  SBiffen* 
fa)aft"*).  Unoergeßlia;  blieb  il)r  3aa)aria^  SSerner  neben  ber  eblen 
©oetlje^rfajeinung  al«  golie.  ftal)l  midj,  fein  s^orlefen  51t  Ijören, 
oft  au^  ber  Kinberftube  unb  mürbe  bo$  immer  mieber  oerbannt,  roeil 
mein  franfeä  Äöpfajen  fa^on  mcl)r  all  billig  oon  feiner  Änba'  oerbre^t 


*)  25aoon  erjäfjlt  oueb  üouii'c  Seiblcr  in  „(i'rinncrungen  unb  ßeben"  3.  18. 

•J5* 


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572 


Karl  <Eljeo&©r  (Saebertj  in  23erlin. 


war."  @ern  badjte  fie  an  jene  frönen  3*^"/  «wo  ©oethe  fange  unb 
boch  ^immliW  farje  2lbenbe  bei  uns  fa§,  befonberö  unier  ber  9)?effe^  wenn 
ich  mit  ber  9)iutter  allein  war,  wo  er  oft  von  fechS  bis  sefm  fall  unouS* 
gefefet  allein  fprad).  2£aS  tonnten  wir  ihm  geben,  als  teife^  2>erfieben, 
tieffte  Ergebenheit  unb  fefteS  Schweigen,  worauf  er  bauen  tonnte."  — 
„2iHe  ia^  Äinb  war,"  gefielt  fie  einmal,  „liebte  ich  ©oettje,  weit  er 
himmlifch  gut  gegen  mich  roar,  weil  i^n  meine  Eltern  oerehrten,  weil  er 
ju  unferem  &aufe  gehörte;  bann  als  ftrenges  fdjeueS  9)tabd)en  ron  fünf= 
jehn  3af)ren  wanbte  ich  nti$  oor  Manchem  in  feinen  Schriften  etwas  weg; 
nach  unb  nadh  mich  baS,  unb  als  bie  Ämberjafnr  famen,  ber  profatfdbe 
Ztyil  oeö  .$ir>anl  fam,  ba  gehörte  ich  ih™  9^3  unb  fo  an,  ba&  es  feit- 
bem  nur  wächft." 

Srofc  beS  „Strengen,  (Scheuen"  hegte  2Uwine  bamalS  grofje  Sweater* 
luft  unb  roünfchte  wof)l  Cpernfängerin  ju  werben,  üb  unb  wie  ©oeteje 
über  biefe  9)iäbchenpaffion  urteilte,  uerfchweigt  fie,  er$äf)lt  Dagegen,  Daf? 
er  im  föinblicf  auf  ihre  nergeblichen  Bemühungen  bie  franjöfifche  Sprache 
ju  erlernen*)  ben  ^uefmuch  lhat,  nur  bie  Siebe  3U  einem  graniten 
fönne  ihre  3unÖe  löfen.  „^erfdjone  mich  ber  Gimmel  gnäbig  mit  biefem 
glüetlichen  Unglütf!"  Qfn-e  feftc^,  itmigfle  Neigung  mar  einem  roaeferen 
Teutfdjen  jugewanbt,  ben  fie  burdj»  unb  burch  liebte.  £od)  fam  eS  $u 
feinem  33unbe  ffir'S  Seben.   2llwine  blieb  unnermählt. 

i'Im  9.  September  1831  t»erfct)ieb  ihre  treffliche  Butter,  ber  milbe  gute 
©eift  beS  &aufeS,  Sicht  unb  2£ärme.  9lod)  bis  ^ulefct  wirfte  fie  liebenb, 
opfernb,  frifch  für  9lnbere;  ein  fdmeller  £ob  rief  fie  ab.  $er  2>ater 
träufelte  ernftlich  unb  lange,  erholte  fid)  aber  mieber,  fo  bafj  er  am 
13.  Sflärs  1836  fein  ^anblungejubiläum  unter  Sheilnahme  unb  5Xner= 
fennung  uou  ©rofeherjog,  Uniuerfität,  Stabt  unb  greunben  fet)r  heiter  ge= 
ftimmt  feierte,  auch  *m  Slpril-  feine  fünfjigfte  9)?effe  in  Seipjig  befuchte. 
darnach  fteigerte  fich  fein  Seiben,  &aut*  unb  Sruftroafferfudjt,  unb  auch 
er  entfchlief  am  12.  3uni  1837.  „Es  roar  lührenb,"  f abreibt  2Uroine,  bie 
treue  Pflegerin,  „bafc  er  in  ben  legten  brei  Xagen  roieber  nur  ©oetbe 
lefen  wollte,  ber  ein  folcher  Sebensftern  ihm  geroejen,  unb  ben  er  boch 
immer  abgemelkt,  baS  lefcte  3<x\)x,  roeil  er  nur  ,9}eueSk  wollte.  &alb  bewußt, 
Einzelnes  noch  oerftehenb,  fa§  er  ba,  umgeben  oou  oielen  SJnnben  unferes 
gelben.    So  ift  mir  auch  lieb,  bajj  es  jo  ftill  um  ihn  war,  als  ber  lefcte 


*)  3ic  ftellte  bie  fraujöfifdje  Sbratfe  b,od)  als  l'iittel  unb  la3  gern  fransöfifät 
^iidnr,  allein  bie  iUbueigung  itjier  eigenfmnigen  3ul1flc  war  uniibenuinblid).  „3lllc  in 
Weimar  unb  Scna  um  mid)  herum  fdmirrtm  in  biefem  JMang;  bei  Ottilie  bon  ©cetbe 
luuüte  man  ircilid)  nicht,  ma8  man  fbrcdj,  Xljurm  ju  SBabel,  bad  Enbe  be»  ÖetDirrei 
tear  meift,  bc.fe  Tie  mid)  an  ben  &lügel  führte  unb  mir  in  einer  Sbradie,  bie  alle  (Reiftet 
üei'fieljen,  uni  yereintgten.  —  3lt  3nifl  toareu  jnjet  (Sdimetserinnen,  meldte  fid)  febt 
atciudlten,  mir  biefe  einjifie  mangelnbe  2?oIlfcmnicpbcit  nech  beijubringen;  aber  menn 
iit)  iie  nur  feb,  neigiiißcn  mir  wr  Saugeioeilc  alle  ©ebanfeu,  juerft  bie  rransötiidxn." 


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  <Soettje'€rinnctungen  einer  3cncnfer'".    373 

£audj  entflof).  $er  2lbenb  ruf)te  über  bem  ©arten,  ben  er  liebte;  tdj 
bat  meine  ©efdjroifter,  fid)  juVfwlen,  ba  würbe  ber  2Itf)em  f<lljwädf)er,  unb 
uoc&  etje  fie,  gerufen,  fommen  tonnten,  rjatte  er  fein  £aupt  nad)  einem 
tiefen  Saut  in  meinem  %xm  jur  ewigen  9iulje  gelegt.  $te  fdjiueren  kämpfe 
ber  legten  3af)re  waren  geenbet,  ein  wunberbar  genütztes  Seben  für  fner 
betroffen." 

$)te  Softer  unter  jog  ftdj  ber  mtereffanten  unb  audj  wef>mütf)igen 
Arbeit,  Rapiere  unb  Briefe  beS  Verftorbenen  511  orbnen,  bie  if>r  ber  Sruber 
ubertragen;  eS  waren  oiele  Briefe  barunter  pou  ©bei,  bem  3ä)n>2i$er 
SHeifenben,  gierte,  Solling,  Steffens  u.  f.  w.,  unb  es  gereifte  it>r  jur 
23eruf>igung,  2ltleS  nad)  bem  9BiCTen  beS  Vaters  burd^ufü&ren.  Unbe* 
fd^reiblia;  woljl  traten  fyx  au  $  Briefe  ber  9Kutter  an  ben  Vater  wa!)renb 
beffen  Reifen  1820—27,  aus  benen  eine  grifdje  unb  Siebe,  ein  geiftig 
immer  angeregtes  Seben  iljr  entgegenflrömte,  baß  Tie  in  tljrer  warmen 
9Ml)e  fid)  füllte;  Diel  über  ©oetye  aus  ber  3ett,  wo,  wenn  aud)  feiten 
2luge  in  2luge,  boi)  fo  mandji  liebe  Votfapft  noij  f»irt=  unb  Verflog, 
einjelne  Stunben  bei  ifmt  neues  Seben  gaben. 

tiefer  Sd)afc  liegt  bem  grommann'iajen  Vudje  $u  ©runbe. 

grifc  befam  <ganblung  unb  ©efdjäftShauS,  Sllwtne  führte  ein  eigener 
3ufall  wieber  in  baS  alte  grommann'fd&e  §auS,  wo  fie  00m  erften  bis 
$um  breifjigften  3a^re  gewohnt  Ijatte,  unb  baS  in  anbere  &ätrbe  übergegangen 
war.  Sie  Vefifeer,  gute  Vefannte,  ließen  iHjr  brei  fleine  3tntmer  ab  unb 
ein  Stücf  beS  ©artenS. 

Sdjwere  Verbinblidjfeiten  lafteten  auf  bem  Verlag.  -Rur  bei  be* 
fdjetbenen  Slnfprüdjen  fonnte  9Ilroine  unabhängig  leben.  2lber  wenn  fie  fid) 
ebrlid)  fragte,  ob  fie  Ellies,  was  an  5)ienfa)en,  Stäbten,  ©igenben  in  ifjre 
3ugenb  f)tnemgeleud)tet  hatte,  nid)t  gefannt  haben  wollte  unb  bafür  baS  com 
Vater  baburd)  ©cfparte  beftfeen,  fo  wollte  fie  bod)  ntd)t  taufdjeu  unb  freute 
fid)  ber  reiben  Vergangenheit.  Oft  bereitete  fie  fid}  in  ftiffer  Seele,  fid) 
als  Vorleferin  ber  alten  gürftirt  oon  9iubolftabt  ju  benfen,  einer  oou  ben 
grauen,  benen  ein  reifes  unb  ebleS  Seben  unoergängltapi  Sf)imner 
gab,  fo  fd)lid)t  aud;  ihre  äußere  @rfd)einung  war. 

9?ad)  Verlauf  beS  SöinterS*)  öffnete  fta)  ifjr  unoermutljet  ein  2ötrfungSs 
freiS  in  ber  Jamtlie  beS  erften  preu6ifa)en  GultuSminifterS,  ftarl  JJreiberrn 
oon  Stein  $um  SHtenftein,  im  einfameu,  länblidjen  Saneberg  unweit 
Verlin.  „$Barum  gefjft  2)u  nur?  X\i  getjörft  ja  $u  uns/'  l)ie§  es  in 
Söeimar  unb  Sena.  Oft  wünfdjte  man  fie  jurücf,  man  wollte  „^rau 
Sflinnetroft,"  bie  „Helferin"  wieber  haben.    w@ie  fönnen  ja  eine  älmlidje 

*)  2)a8  G^rtftfctt  befam  einen  fc^r  eruften  Slnftrid)  burd)  ben  Xob  beS  anc^ 
ftrommann»  befreunbeten  ©rofeberjoglidjen  ßeibarjteS  unb  ©ef).  ^ofrat^eS  3o^ann 
(S^tifttan  Start  be*  3""flcrcn,  ber  am  24  2>ecentber  5ERorflenÄ  ftarb,  „fc^Ön 
unb  ru^ig  am  Sdjlag  im  3d)Iaf,  gerabe  31t  rcdjter  3cit,  e^e  fein  SHubm  fant." 


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37^    Karl  Sfqcobor  cgaebertj  in  Berlin.   

Stelle  Bei  ber  Uniocrfität  ftiften,  wenn  Sie  nidjt  ofme  mid)  fein  fonnen," 
fefjerste  fie,  unb  boef)  $og  bobei  &eimroef)  burdj  iFir  ©emütl). 

Tie  Trennung  erfolgte  im  9lprtl  1838;  am  23.  traf  ^limine  im 
£aufe  be3  WMnifterS  ein,  beffen  aufmerffame  unb  oerftänbnijiuolle  (5JefeQ= 
fdjafterin  fie  blieb  biä  *»u  feinem  £obe,  ben  14.  2JJai  1840. 

„33efifcen  Sie  ben  ^augenidW  oon  ©icfienborff?"  fdjreibt  fie  im 
Sommer  1838  an  58arnf)agen  oon  ©nfe  in  33erlin.  „9Mn  Seben  r)at  in 
guten  Sagen  fo  r»iel  2lefmlid)feit  mit  feinem  im  (^auif^e^aui?,  bafc  ia> 
roofjl  meinen  Doppelgänger  einmal  buräjfefjen  möchte."  2In  £*arnr)ageu 
geroann  fie  ben  geiftigen  93eiftanb ,  ber  fie  über  mandje  fd^roffe  Äluft  su 
l;eben  oermod)te,  roo  es*  bem  ©njelnen  nur  ju  (eidjt  fdjroinbelt. 

bereits  im  September  1833  war  bie  SBefanntfdjaft  mit  itmi  anae= 
fnüpft  roorbeu.  33ei  grau  ton  ©otogen  falj  fie  nämlid)  3?arnbagen'$ 
33ud)  über  feine  ©attin  !Wal)el  Scoin  unb  trottete  nad)  einem  ©remplar 
au$  ber  £anb  be$  2lutorl.  „£anfen  !ann  id)  3^nen  bura)  nichts  al* 
Diele  glüdlidje  Stunben,  bie  mir  bann  werben  mürben;  benn  wie  ein  guter 
unb  er^ebenber  £au$geift  mürbe  es  bei  mir  rooljnen,  roie  oft  midj  [tärten, 
aufrichten  unb  tröften,  unb  roie  roollte  id)  e$  lieben  unb  oeref)ren,  ba3 
einzige  $ud)!*)  Sie  lädjeln  nid)t  über  meine  Sitte  ober  ungefaßten 
2Iuabrud ;  roem  als  lebenslänglich  $ennäd&tni6,  als  Segen  baS  ©efüljl  bleibt, 
biefer  grau  .bie  golbene  3^'  gegeben  ju  fjaben,  oon  ber  bie  ^rinjeffin 
im  .Xaffok  fpridjt,  bem  tonnen  fid)  grauen  nur  mit  Vertrauen  nafjen.  $a* 
fdjmerjlidje  ©efüfjl,  jener  geliebten  ©eftalt  im  £ebeu  nie  mit  ftifler  inniger 
Stferefjrung  na^en  $u  fönnen,  fteigert  fid),  roenn  id)  aud)  ba*,  roaS  id)  fo 
gern  mit  mein  nennen  möchte,  nid)t  befifcen  foll;  mein  Später  lebt  in  be= 
ftänbigen  klagen,  ba&  er,  ber  fo  oiele  ber  2lu$ge$eic$neten  rannte,  bie  i&r 
genaf)t,  iljr  nie  begegnet." 

9ita)t  nur  baS  $udj,  fonbern  aud)  baS  33ilb  9ialjel'S  rourbe  i^>r,  unb 
es  entfpann  fid)  ein  reger,  nertraulid^er  *Briefroed)fel.  „3$  fjabe  mir  fdjon 
ausgebaut,"  tjei&t  es  in  bem  Xanffc&reiben,  „roie  ia)  bas  tfyeure  SBifb  oor 
mannen  2lugen  unb  bem  Staub  fdjüfcen  roill;  id)  roill's  roie  bie  9Utar= 
bilber  mit  einem  anberen  SMlb  jufdjlie&en,  unb  ba*  foQ  eine  oon  ©oetfye 
fein,  roas  meine  Butter  gejeid&net,  mir  unenblidj  lieb;  fann  i<&  fie  befjer 
behüten  unb  befdn'ifeen  ?  **)    23ou  9iol)el  möchte  man  rool;l  im  uoüftcn  Sinne 


*)  2>tef)rerc  3«^rc  fpäter:  „£eut  iffc  mir  mit  einmal  flar  getnorben,  baß  <8  nur 
ein  2?ud)  fliebt,  baö  mid)  nod)  in  feiner  ©timmutifl  Derlnffen  —  ,9tab,el';  e4  giebt 
aiugcnblicfc,  u?o  id)  nidit  Öioetbe,  nid)t  bie  3?ibel  lefen  fann  —  9taf)el  immer;4*  unb 
über  bie  Briefe  bon  JHabel:  „Wtlti  eine  af^ct)It^at  waren  fie  mir,  meld*  5üHc  üon 
©ütc  unb  Öcift  liegt  ba  lnicber  in  menig  Herten,  nie  £errlid;eS  über  ©oetbe,  2ie<f. 
lyd  tuar  mir  eine  rechte  (Stärhing.- 

**)  Xic§  SHal)eI'®cctb/c=5öilb>  umgeben  üon  Isafen,  mar  ib,r  ttjcncTRer  ©dunutf  unb 
Sdiat  „Sie  id)  nod)  lebte  im  genieinfamen  täglichen  £cnfen  unb  (hnpfinben  mit  ber 
Butter,  jjatte  fie  foldjen  SlMumenfd)murf  neben  bem  £>eilig--6*önftcn,  bfT  i'labouna  beOa 
8ebia,  aufgeilcH t." 


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  <ßoettjc-€rinnerungen  einer  3euenferin. 


375 


©oet^e's  SSort  auf  2Inna  2lmalia  jagen :  ,£a$  tft  ber  SBorjug  ebler  Naturen, 
bajj  ba$  £infd)eü>en  in  f)ö^ere  Legionen  fegnenb  rauft  rote  if)r  Zweiten 
auf  ber  ©rbe;  baf?  fie  un$  oon  bortfjer  gleid)  Sternen  entgegenleud)ten.4  — 
Sie  fagen,  Sie  Ratten  nie  fo  auf  beftimmte  Sage  gehalten;  td)  weife  nid)t, 
an  meinem  ©eburtetag  f)änge  id)  gar  nidjt,  fo  aud)  nid)t  an  bejtimmten 
geften,  aber  ia)  fann  nid)t  läugnen,  bafe  e3  ©eburtös  unb  Feiertage  ber 
Seele  giebt,  2lnbenfen,  bie  ftd)  an  fotdt)e  fnüofen,  an  benen  id)  nur  ju 
fetjr  f)änge:  fo  ift  mir  ber  Srüljüng  immer  Bewegung  beS  ©emütfjS,  roeit 
fia)  bie  Erinnerung  eines  grüfjüngS  oon  Neigung,  3ugenbtuft,  Sßecbfet 
oon  ©ebidjten  oon  ©rieS  unb  einem  jungen  $ia)ter,  3«$«*  oon  ©oetfje'3 
Xljeilnaljme,  feiner  2lnroefenf)eit  immer  erneut  —  roenn  fonft  bie  2Beiben 
grünten,  fam  er,  roäre  e$  aud)  nur  auf  einen  £ag  gewefen!"*) 

9iod)  in  3ena  fanb  ir)rc  erfte  Begegnung  mit  SSarnljagen  jtott.  „3113 
Sie  bamaU  bei  uns  waren,"  fd)rieb  fie  ifmt  fpäter,  „reifte  id)  mit  bem 
SSater  gleia)  nad)fier  nad)  Sd)roar$burg,  3fatenau  u.  f.  m.  SBie  r)dtte  id) 
3fönen  all  bie  3 Ratten  unb  Siebter  meines  Düringer  halbes  jeigen  mögen 
—  nur  über  foldjen  SBipfefa  fonnte  ©oet^e  bidjten :  ,Ueber  allen  Sßiyfeln 
ift  9tuf)' !"  —  2Iuf  ^arnbagen's  Ätage,  ba§  man  fo  wenig  Sinn  für  bie 
,2Öanberjaf)re'  finbc,  antwortete  fie  überra|d)t :  „3dl  glaubte,  nur  I)ier  müffe 
man  baoon  fa)weigen,  benn  gerabe  Über  fo  ©etiebteS,  23eref)rte£  mit  fonft 
reia)  ^Begabten  gar  nid)t  foredjen  ju  fönnen,  ift  mein  Qammer  l)ier;  unb 
oft  begreife  id)  eä  nia)t,  bafj  man  ntd)t  £roft,  Erhebung,  Erbauung,  2ltle£ 
barin  finbet,  ba  c$  mir  fo  ein  f)eilige3  33ua)  ift.  gajl  nie  mag  ta)  fn'er 
©oetfje  nennen,  id)  oerfiefje  ntd)t  5U  wiberlegen,  unb  bann  t§ut  mir  93iele£ 
p  wef),  ärgert  mid)  aud)  wobt,  wenn  fie  urteilen  unb  wenig  oon  ü)m 
rennen.  3JJit  2Reier**)  fonnte  id)  2flle3  foredjen,  biefe  33üd)er  mit  tym 
(efen,  unb  ba3  fam  mir  wie  ein  reines  ©efd)enf  be3  Rimmels  nad)  ber 
■Kutter  Sd)eiben,  wo  id)  ein  älm(iä)e$  Sufamwenfttmmen  nia)t  mefjr,  nid)t 
wieber  gebofft." 

Sold)e£  würbe  if)r  im  reid)fien  2J?a§e  wieber  burd)  ^arnfjagen  ju 
^cit,  oor  bem  fie  balb  fein  ©efjeimnijj  fjatte. 

So  geftanb  fie  ifmt  auf  bie  gorberung  ber  SSMttwe  flarl  Subw'ig 
oon  Knebel*  3,  einige  an  fie  gerichtete  ^ßoefieen  beSfelben  für  ben 
berauäjugebenben  5Rad)fafj  beisufteuern :  ,,3a)  wiU  es  nia)t  tfjun  —  fie 
finb  nur  ber  bid)terifd)  gefteigerte  SluSbrucf  feines  Sßofjlwottertö,  olme 
fonft  d)arafteriftifd)  ju  fein ;  mir  wäre  e£  nad)  meinem  Sßefen  eine  wabre 
Aufopferung  unb  ganj  unnüfc,  id)  neige  mid)  fet)r  5U  ben  Korten  be£ 
^ta)terS:  ge^t  bie  35ktt  nid)t§  an,  Xu  fennft  mid)  gut.4  3^  hooc 
aber  grau  oon  ßuebel  greiljeit  gegeben,  mia)  bei  $i)i\en  unb  Dr.  ÜRunbt 


*)  ©ine  aubere  MenuniScfiiä:  ^tutc  am  8.  9?oöcmbcr  unb  aeftern  fam  <3ott\)t  — 
einer  bet  Sßkimariicf)en  i'anbeSfeiertage. 

**)  Xiefcr  f)attc  3«ia  Derlaffen  unb  eine  5Jkofeffur  in  ©iefeen  anflenommen. 


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376 


Karl  (Eljco&or  ßaeberfc  in  Berlin. 


ju  oerf  lagen.  $ie  StuSjüge  in  bem  Keinen  £efte,  roa$  SJfunbt  herauf 
gegeben,  fjaben  un$  fef)r  intereffirt;  ber  erfte  33rief  »om  ©roßfjerjog  iü 
^erjer^ebenb,  Einiges  aus  ben  £agebüd)ern  \)at  midj  au<$  fetjr  angezogen 
unb  erfreut."  @in3af)r  barauf,  1835,  melbet  2l(roine:  „ftnebel'3  9tadV 
taß  rjat  ^ier  in  3ena  rriet  Gebens  oeranlaßt;  befonbcr$  rotu*  9?iemanb  bie 
Siebe  ju  ber  ©belaufen  Begreifen,  ba  man  fidj  nur  erinnert,  baß  er  fte 
wie  alle  2Inberen  wie  einen  ftrengen,  faft  böfen  ©eift  ju  ©ute  ju  galten 
gefugt.   9ttid)  intereffirte  SSielee  fein*,  unb  bei  ber  Stelle,  wo  er  bas 

anrebet,  ba$  er  in  ben  Ofen  legt,  fal)  id)  ifm  lebhaft  cor  mir,  ben 
alten  rounberlidjen  &umoriften.  3n  Den  Briefen  liegen  redjt  viele  Sd)ä$e- 
$)er  rottye  gaben,  ber  oon  ©oetfje  au£gef)t,  ift  mir  auä)  ba  niä)t  oerloren, 
unb  an  bem  hängt  bod)  oiel  oon  meinem  Seben." 

2ln  Caroline  oon  2Boliogen  bat  Stfarnfjagen  1836  einen  Auftrag 
ju  beforgen,  rooju  limine  grommann  fidj  freute:  „2)ie  SBoljogen  ift  fo 
leidet  ©erlebt  unb  roie  ein  wenig  eiferfüd)tig,  roenn  e$  ©oethe  unb  Stiller 
betrifft,  Sie  ift  ^iimnlifd)  gut  für  mid),  id)  liebe  fic  fo,  baß  tdj  neulich 
ganj  gefaßt  blieb,  al3  fie  behauptete,  e3  fei  abfdjeulidj,  baß  bie  ^ßrinjcffut 
im  ,^affol  erft  burdj  Rot etterie  ifin  anjietye,  um  ifm  ab$uftoßen  nachher !  — 
©in  fold)  ©emifd)  von  SSeltfrau  unb  5ttnbe£:9ieinf)eit,  3ugenb  unb  9llter 
ift  gewiß  feiten  ober  einjig  roie  fie  mit  72  3<n)ren."  2lu$  berfelben  3*it/ 
1836,  ^eißt  e3:  „grau  oon  Söoljogen  ift  geiftig  unb  förperlid)  erboli 
oon  einer  ftetfe  glüdlidj  burd)  ben  äßinter  gefdnfft,  tyr  aBor)lrt»oUcn  ate 
fdjönfte  tone  beS  Hilters  beroafjrenb,"  unb  im  Sftooember  1837:  „8d>ön 
ift  ber  Sdjopenbauer  Gifer,  iln*e  SRemoiren  ju  fdjreiben,  bie  SSoIjogen  ift 
fer)r  bauon  eingenommen;  fte  felbft  fommt  feiten  ju  if)rem  9ioman,  ihre 
Gräfte  nehmen  fef>r  ab,  fo  roenig  bie3  in  ben  gefelligen  Stunben  erfd)eint, 
fo  tieffid;er  gef)t  e3  feinen  ©ang.  Sie  fieljt  uiel  unb  gerne  ben  SJftnifter 
oon  ÜBangenfjeim,  ben  roir  Dftern  oertieren,  roa*  bei  feiner  großen  9tegfam* 
feit  ein  Verluft  für  Qena;  er  ift  nodj  eines  ber  feltenen  ©remplare  beT 
Gntlnifiaften,  bie  immer  fparfamer  herumgelm."  lieber  ben  1840  oeröffent- 
tidjten  Vornan  .(Sorbelia'  urteilt  graulein  grommann:  „3m  ©an$en  fd^road), 
im  Ginjelnen  fdjöne  eble  SebenSbltde  auä  reiner  Seele/'  3"  $e$ug  auf 
3ol)anna@d)openljauer  berietet  Tie  imSenj  1838:  „£>ie  Sd^opentKiuer 
gab  alle  ^interabenbe  ein  redjtes  5üilbr  beleud^tet  oon  ber  £ampe  eifrig 
an  ben  Memoiren  arbeitenb,  bid)t  am  Cfen  roie  auf  einer  Keinen  Cafe 
fid)  mit  bem  ©lanj  ber  Vergangenheit  bie  matte  ©egenroart  errjeUenb; 
benn  wetzen  Sebeuöroe^fel  \)at  fie  erfahren !  Wix  ift  eS  immer  ju  traurig, 
fid;  im  2Uter  fo  um  bie  äußere  ßriftenj  ju  quälen." 

^)ie  Ueberfiebelung  in  bie  5Nä>  iBerlin^,  Cftcni  1838,  unterbrach 
nur  räumlid;  ben  3"fommenhang  mit  2öeimar  unb  3ena-  %abw 
finb  ftarf,  bie  mia)  feftl)alten,  aud)  an  unfer  Schloß."  Dbenbrein  begrüßte 
SUroine  in  Berlin  iyefannte,  unb  balb  l;örte  fie  fid)  aud)  roieber  „graulein 
Sllroine"  nennen,  roa^  \\)x  fo  gut  {lang,  roie  eine  &fe  &eimat.  groriep, 


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  <ßoetr?e*C£rinncrundieu  einer  3*nenfcritt.    377 

Seebecf,  $affow,  9?au$,  Bettina  Brentano,  Grjarlotte  oon  £alb  unb  embere 
ben  SDJittelpunft  beS  geiftigen,  äftf)etif(5=üterarifd)en  SebenB  bilbenbe  ^erfön* 
lid^feiten  würben  befudjt,  fo  oft  fie  aus  (Schöneberg  in  bie  £auptftabt 
fiujr.  2tm  fjäufigften  S3arnf}agen,  bem  fie  wödjentlidj,  bisweilen  fogar 
täglidj  SMIIette  ober  Briefe  fdjttfte,  wela>  für  bie  (Sulturgefd)  id)te  jener 
3ett  nidjt  bebeutungSlos  finb,  intereffant  audj  im  ßinblid  auf  bie  politifdjen 
unb  fird)lid)en  2lnft$ten  beS  StaatSminifterS  (SrceHens  oon  9lltenftein  unb 
eine  Cuette  für  beffen  balb  ju  erwartenbe  SBiograpfjie. 

£ier  feien  nur  foldbe  2luf$eidmungen  abgebrueft,  bie  im  engeren  ober 
weiteren  Sinne,  nad)  ber  einen  ober  anberen  Seite  l)m  als  „®oetf)e; 
Grinnerungen"  gelten  bürfen.  2ln  oerfdjiebenen  Sagen  fa)reibt  limine 
grommann  an  33arn (jagen:  „3$  erwarte  bie  $>octorin  Seebecf,  bie  $um 
Sttinifter  beftelit  ift;  es  r)at  mir  etwa!  SewegenbeS,  wie  idj  biefe  gamilie 
Ijier  wieberfinbe.  Steine  erfte  flinbererinneruug,  in  ber  Scfjlad)t  1806 
waren  fie  ju  uns  geflüchtet,  *)  —  id)  fjatte  feine  anbere  ©efpielen  als 
bie  Södjter,  baS  fieben  f)at  ifmen  r>teC  aufgegeben  511  löien,  ade  beftanben  'S, 
in  if)rer  oerfdjiebenften  2öeife,  ftarf."  .  .  .  „3$  fjatte  ein  altes  $er- 
fprea>n  ju  löfen:  SßaffowS  ,Um  9Jiitternad)r  oorjufingen;  bort  ift  aud> 
ein  beftanbig  ftiüeS  ©oetf)e=geuer,  baS  nie  erlöfc§t,  in  ifmt  etwas  pebantifdj 
roie  er  felbft,  in  if>r  burd)fjaud)t  oon  aller  Söärme  ir)rer  ganjen  @rfa>inung. 
@r  braute  auef)  bie  Stelle  aus  ber  Saljburger  Grjronif  j)eroor,  bie  mit 
„Hermann  unb  $orotl>ea"  **)  oerwanbt  ift.  ©nblicf)  löfte  fidj  aud)  burdj 
mein  Singen  bie  Sdjeu  oon  Seebetf,  unb  ftatt  einer  raupen  Sagfttmme, 
bie  iaj  erwartet,  flang  mir  ber  weichte  5ton  entgegen,  Sieber,  bie  9llleS 
erfdjloffen,  was  er  im  Seben  ftreng  oerbirgt.  ©r  backte  wof)l  an  alles 
oergeblicf)  (Srtjoffte,  an  alles  bod>  treu  öewatjrte  —  wie  idt>,  unb  fo  fang 
eins  bem  anberen  bie  Seele  frei  unb  bie  tränen  in  bie  Slugeu.  28ir 
fangen  erregt  burd)  einanber,  unb  bod)  fang  fetnS  für  baS  anbere! 
SSarum  finb  bie  9lugenblicfe  fo  feiten,  wo  wir  Slnberen  unfer  Heftes, 
SieffteS  jeigen!  3ft'S  geigfjeit?  ift'S  Mißtrauen?  ober  rechte  Sd)eu?"  . . . 
„Unb  id>  war  bei  Bettina.  Sie  war  fet)r  gut,  fefjr  freunblidj  —  einzelne 
Sölifce,  fpricfjt  aber  bod)  ju  oiel  oon  it)rer  Ginfaä^tjeit,  9iatürlid)feit  unb 
äBafjr&eit  — ,  über  Ottilie  oon  ©oetfje  ift  fte  ju  fjart,  weil  fie  SeftimmteS 
in  if)rem  Sinn  oon  if)r  oerlangt,  ...  wo  ift  beim  iljre  unenblidje  ©üte, 
wenn  fie  f)ier  enbet?  SBarum  will  fie,  bie  ©etftoolte,  nur,  bafj  man  in 
einer  einigen  Sorte  dlod  gut  fein  fann?  Setjr  fdjön  fprad)  fie  über 
ben  ©rof#er$og  Äarl  Sluguft,  waf)rf)aft  großartig  über  bie  &e«genborf, 
wie  bie  fiör)  t)ätte  füllen  müffen,  wie  nidjt  jefet  nur  immer  nadj  allen 
&of;©f)ren  led>$en  unb'tradjten,  aber  au$  i^r  ©uteS  ju  tief  weggeworfen; 

*)  SBergl.  ©  0  e  t  f)  e'd  9JI  t  n  d)  c  n.  ?luf  ®runb  lingebrucfter  ©riefe  gcfdjilbert 
Oon  Äarl  I&eobor  ©  a  e  b  e  r  $.  3»o«te  öertncl)rte  Auflage.  Bremen  1889.  @.  24  folg. 

**)  SUergl.  © 0 e t f) *'S  ^ermann  unb  3)  0 r  0 1  f)  e a.  Erläutert  oon  §cinrid) 
2)  ü  n  ^  c  r.  3ena  185ö.  @.  2. 


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378    Karl  <Eb.eobor  (Saebertj  in  Scrlin.   

id)  blieb  beinaf)  gwei  Stunben.  Sie  rennen  if)re  Umgebung  —  bie 
Rapiere  —  ben  Staub  —  bie  untereinanber  gewürfelten  lüften  — ,  aber 
man  fitylt'3  bodj  burd)  unb  burd>,  wenn  man  eine  treppe  fjerabfteigt,  ob 
bie  Seele  roa$  mitnimmt  ober  nid)t.  *)  .  .  .  „«et  <5bba  **)  fat>  2We* 
gan$  feftlidt»  au$.  2Bie  id)  bie  Sljür  öffne,  fie&t  mir  ein  blauer  #ran$ 
entgegen.  e$  mar  ÜllleS  sierlidj  unb  freunblid),  wenig  mobtief)  —  fetjr 
eigen  ein  3ufali$:2lrrangement  —  ba$  Jöett  oon  grau  oon  Äalb  roeg 
unb  ber  «ettfmnmel  über  ttjrem  2ef)nftul>t,  fte  felbft  ganj  gepult  auf  biefem 
2rf)ronfeffel  rote  eine  gürftin  aus  anberer  2£elt.  &or  unb  nadj  Tifdbe 
f)atte  id)  mit  ifn*  Sologefpräd&e,  fie  mar  fern*  geftimmt  unb  fjat  2Heif- 
roürbigeä  gerebet.  Unb  oon  rcem  fjat  mir  grau  oon  flalb  nad)  £ifd& 
erjagt?  — oon  Corona!***)  ®ä  foH  aber  nodjbaS  ftärjere  in  einfamer 
Stunbe  mir  mitgeteilt  roerben,  fjeute  nur,  bajj  fte  fie  aufs  innigfte  ge= 
liebt,  2We$  »erftärft  an  iljr  rüfmtt,  roa3  2lnbere  anbeuten,  fie  ift  in 
2£arfd)au  geboren,  if)r  23ater  ein  Sadjfe;  teiber  ift  fie  an  furchtbarer 
ftranfyeit  geftorben  in  Ilmenau  —  ba*  lefete  Sdjetben  ofme  Schmers, 
ooH  Sefmfud&t  nad)  Spanne,  £er  ©roffterjog  (;at  Me£  aufbieten  laffen. 
if)r  bie  lefcte  3«it  su  erleichtern;  mie  fdjmerjlid),  baä  fa)öne  ©ebtlbe  ju 
benfen  —  leibenb  — ,  aber  fte  ift  nod)  bie  legten  £age  in  ben  grünen 
£f)älern  geroanbelt."  .  .  .  „.£>eute  war  id)  bei  ber  Stfajorin  ^aalgoro, 
fanb  eine  fdjöne  djarafteriftifdje  ©ofmung,  gegenüber  Monbijou,  rote  eine 
Sniel,  nicf)t£  prächtig  in  ber  (Sinriduung,  aber  mit  Sinn,  —  fd)öne  Silber, 
unb  bie  grau,  bie  mir  fo  fentimental  erfa)ienen,  —  leibenb  an  unheilbar 
fdjredlidjem  Uebel  —  ooU  Ijeiterer  Einfälle,  fo  ba§  audj  id)  gan^  in  tfad&cn 
unb  Scfjerj  mar,  et)e  idj  e3  merfte  ...  3lm  Sonntag  mar  bie  "Ipaaljoio 
bei  mir,  idj  mag  iljr  roeiblid)  liebeooHeS  5l:!)eitneJ)nicn  fein*.  2Itle*  Ijat  fie 
mit  mir  burdjroanbert,  in  jeber  Soptyaede  gefeffen,  fogar  mit  mir  auf 
bem  33ett,  2llte3  mar  tfjr  recbt.  Sd)er$  berrfdjte  oor,  bod)  audj  sum 
erftenmal  ernfte  ©efprad&e,  über  £umbolbt$  oiel  unb  tief,  mir  merfroürbig, 
mie  bie  uerfd)iebenen  bebeutenberen  grauen,  bie  ia)  femie,  fidj  fold^e 
leibenfdjaftlidje  Midjtung,  mie  fie  fie  Ijatte,  zurechtlegen;  oiel  über  fenfitioe 
Naturen  gef proben,  über  bie  Strafe,  bafj  fie  feiten  gleiche  Stimmung 
galten,  ben  £roft,  Ruberer  Seib  unb  greub  fa^neüer  unb  leidster  mit3u- 
fürjlen,  51t  oerfieljen;  bajroifdjen  waren  mir  fritylid)  mie  fltnber.  2£>a* 


*)  lieber  Bettina'«  Srieie  fd)reibt  2ll»inc  an  2*amr)aaen:  w$immctSgeb<mfcit 
3ich,n  fid)  burd)  balb  ümfjre  ©elbttbemerfuncjcn,  unb  man  mödjte  aü  bie  echten,  reinen 
Strahlen  biefeS  feltfamen  ©eftirns  fefthalten." 

**)  (Stjarlotte  oon  ftalb'ä  Srditer  ü>ol)iite  als  ^ofbarnt  ber  $rinyfjin  Sitydm 
.  mit  ber  3Jiuttcr  im  Sdiloß  31t  Berlin. 

***)  $ie  Äammerfäiiflerin  (Sorona  3  rf)  r  ö  1 1  x,  ©oetfje'3  Jyreunbin.  9?afj  jmri 
9btiscn:  „3di  luollte,  gfrau  con  .s?alb  liefee  fid)  bemeßen,  ctioaS  über  Gorona  aufju= 
fdjreibcu,  roenn  auch  Ijalbe  ^^aiirafieen,  bod)  geroife  nidjt  unbebeutenb.*  —  „?öci  frau 
oon  ttalb  fanb  idi  feine  (SoroiiasStimmuna  unb  marte  qüimifler  Stunbe." 


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  <SoetfjC'€r tnnerungen  einer  3*n*nfer'n-    579 

uns  Seiben  baoon  blieb,  pafjt  feiten  unter  3J?enfa)en.  —  3b*  ©eift  ift 
ntdjt  bebeutenb,  bod^  läßt  iJ>r  felbft  bie  Ralb  (bie  fie  gar  nia)t  amüfirt), 
baß  fie  immer  ben  ebeln  fiarfen  Sinn  bewahrt,  ^fyv  neuer  Vornan  fott 
oiel  oon  ber  Seoign6  banbeln  —  eigen,  ba  fie  gar  nid)t  franjöfifc^  tefen 
fann,  ihr  Gigentf)ümlid)e3  bod)  faum  ganj  wieberjugeben."  .  .  .  „grau 
oon  Sßoltmann  mar  fet)r  frcunbltd^,  viel  ju  gütig  unb  tyit  mir  bod)  ben 
unangenefmtften  Ginbrua*  gemalt;  es  blieb  ber  föaupteinbrud:  bie  arme 
grau!  Sie  fpraa)  oon  ©oettje  gerabe  fo,  bafe  fie  mid)  bauerte."  .  .  . 
„2Bie  id)  SRaud)  neutid)  fagte,  bajj  idj  bei  feiner  (Stählung  oon  ben 
(Sifengiefeereien  fo  an  ©oethe  gebaut,  mar  er  ganj  erfajredt  unb  rief: 
,3a)  baa)te  aud)  an  ihn!4  So  ift'S  überall,  reo  feine  ©emeinbe  (5a)teS 
unb  9flea)te£  ftnbet,  feben  fie  ju  ifmt  auf  unb  arbeiten  im  Sinn  an  ilm 
weiter.  —  dagegen  tjabe  ia)  wenig  Sinn  für  Stäg ernannt  Sonettens 
&enfmal;  wie  ein  falteS  3J?armorbiib  wel)t  es  mia)  an,  icr)  fef)e  ein,  baf$ 
oiele  Sonette  fd)ön  finb,  boa)  e£  ift  mir  fem.  2)ie  Siebe,  bie  ©oethe 
unb  Sbafefpeare  uns  geben,  bie  fühle  ia)  warm  unb  frifd)  im  Sdjerj 
unb  ©rnft." 

Ueber  ©oethe'S  Sonette,  bie  Sßahloerwanbtfdjaften  unb  9Jiinne 
fier^Heb*)  unterhielt  fia)  2llwine  grommann  oiel  mit  Sarnhagen,  $u= 
mal  fie  fd)on  im  3uli  1838  aus  %ena  hörte,  bafe  ihre  ebenfo  fd)öne  roie 
unglüdlia)e  3i*hKhroefto  nod)  in  bemfelben  9)fonat  ju  Serwanbten  nad) 
Berlin  reifen  mürbe.  Settina  eignete  fia)  bie  ©oethe'fa)en  Sonette  fämmts 
lid)  ju.  So  fragt  Sllwine  an:  „2ßir  fprad)en  neulid)  oon  bem  ©ebia)t 
oon  ©oethe,  was  Settina  mitteilt,  unb  ia)  finbe  eben  ba«,  was  ia) 
meine,  an  SRimte  ßerslieb  (2te3)  aus  jener  3eit  gefa)rieben.  Spria)t 
baS  ,p^antafieretd;e  5linbl  oon  biefem?  ia)  entfinne  mia)'S  nia)t";  worauf 
ber  greunb  mit  „3a"  antwortet. 

2tm  27.  3uli  faben  fia)  bie  Sa)weftern  in  Sdjöneberg  wieber.  „9flinne 
&erjlieb  war  oon  Borgens  neun  Uhr  big  9?aa)mtttag  brei  bei  mir,  unb 
ba  quoll  benn  fieib  unb  greub  reid)lia)  au«  unferen  ^erjen  fjeroor;  fie 
füllte  bura)  meine  (Stählungen  unb  3hr  lefcteS  liebes  Statt,  was  Sie  u)r 
gönnten,  fia)  bura)  unb  burd)  für  Sie  erregt  unb  meinte,  baS  fei  gan$  wie 
©oetf>e  aufgefaßt  unb  ausgesprochen.  3a)  möchte  fo  gern,  bafe  Sie  Sttinne 
$er$lieb*2öala)  fäljen,  unb  weife  boa)  nia)t,  ob  eS  %l)nen  rea)t  wäre  unb 
fie  3eit  finbet,  bafc  ia)  einmal  mit  il)r  einen  Moment  ju  3hnen  tarne!" 
„SieS  gefa)ab  oierjefm  Xage  barauf.  Alwine  fa)reibt  am  8.  3Iuguft:  ,,3a) 
bin  fe^r  gefpannt,  ob  Sie  3)iinne  nodj  fetjen,  aber  immer  fror),  bafc  fie 
mit  mir  bei  tynen  war,  wollte  aua),  Sie  hätten  bie  Sdjweftem  auf  ber 
treppe  reben  l)ören,  mag'S  aber  nia)t  wieberfagen.  ^)aS  ©efd;id  ber  brei 
unglüdlia)en  liebenSwürbigen  grauen,  oon  benen  wir  fpraa)en  geftern,  hat 


*)  2Ifo>ine  nennt  fie  ftet»  „2Hinnc",  «oet^e  „ünin^en".  3^  bettoeife  im  9lflfle= 
meinen  auf  meine  bereits  citirte  l^onogrQptjie. 


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380 


Karl  (Efjeobor  (Saebertj  in  Serlin. 


mic^  nod)  fehr  befdjäftigt;  mit  jroeien*)  J)abc  tdj  ja  ben  hofften  Jammer 
burd^getitten  unb  burdjgefämpft,  eben  fo  tief  id)  fie  beflage,  1*0  fef)r  ich 
ihres  §er$enS  Seib  oerfiehe,  mufc  id)  bod)  fef)r  an  Guftine'S  ©ort  benfen: 
„et  tous  deux  vont  subir  leur  sort,  c'est-a-dire,  la  demiure  conse- 
quence  de  lenrs  caracteres."  2Benn  id)  benfe,  baß  3Jtinne,  bie  fo  oiel 
£eib  gegeben  unb  fo  rriel  Seib  empfangen,  nod)  nn):g  heitrem  £ebenSab. 
fa)lufj  entgegenginge,  wirb  mir  ganj  leidet  um'S  £erj;  bod)  ich  fürchte 
mehr  als  id)  fjoffe.    2ln  iljr  fu^Ce  id)  red)t,  roie  Siebe  unb  Sct)mer$  eng 
»erbunben  finb:  ber  flummer  über  fie  tyat  meine  Butter  früher  in'* 
©rab  gebraut,  unb  bod)  fpreche  icf)  fo  gerne  mit  ihr  uon  ihr.  —  $ier 
ben  9llogS  mit  meiern  £anf  jurücf  —  ich  möchte  jefct  gletd)  mit  Qlmen 
baoon  fpred)en  fönnen  —  fd)ön  unb  traurig  unb  ben  oben  erwähnten  ©e* 
banfen  immer  tiefer  gefaßt;  fonberbar  bafe  er  gerabe  gegen  bie  SBahloet* 
roanbtfcf)aften  fprtd)t  **),  ba  er  gerabe  fein*  mit  ©oethe  jufammentrifft :  ?tch 
badete,  ia)  ^ätte  fdjon  in  Gbuarb'S  tfinbbeit  gezeigt,  baj?  es  mit  ibm  $u 
böfen  Käufern  b'nauSgeben  mu&4."  —  2)ütte  kuguft  reifte  Winnen  £er$* 
lieb  ab.    „33or  SHittroocf),  uro  ich  fie  nod)  jum  Gtlroagen  gefeiten  uriH," 
melbet  SUroinc  bem  greunbe,  „fomme  id)  nid)t  lieber  naä)  Berlin,  $a 
fürchte  ict)  rotrflid),  bafi  Sie  mid)  ganj  aus  ben  ©ebanfen  »edieren,  unb 
fenbe  GinigeS,  mid)  barin  $u  galten,    $er  fletne  Sluffafe  ift  sroar  nicht 
über  bie  l&afjfoerroanbtfdjaften,  bie  uns  befd)aftigen,  bod)  burch  ein  ©e* 
fpräd)  über  fie  angeregt  unb  mödjte  Sie  einen  Moment  interefftren. 
Ottiliens  Blätter,  glaube  id),  ^at  fie  faum  aufgehoben,  —  id)  mu§  fo 
riel  an  fie  benfen  jefct!  SNinne  geht  SJiittrooch,  obroof)!  fie  bis  ben  25ten 
Urlaub  befommen,  fie  feljnt  fid)  aber  fo  hin,  bafe  fie  bieS  ben  3 Irrigen 
I)ier  nid)t  gefagt;  bie  liebe  Seele  ift  eins  ber  rounberltdjiten  ©emifd)e." 

lieber  einmal  nmrbe  bei  9Jtind)en  &:r5lieb,  üerebeüä)te  2£ald),  in 
ber  gerne  bie  Sefmfucht  nad)  Sena  übermächtig,  unb  fie  fühlte  fic&  ftarf 
genug,  um  ju  ihrem  ©atten  jurüdfehren  $u  fönnen.  Sa  tyeit  fie  nichts  ; 
fürchtete  fte  bod)  fonft  üielleid)t  im  nää)ften  5lugenblicf  raaufenb  $u  werben. 
9?eue  Beiträge  jur  ^Beurteilung  beS  uerhängnifjoollen  SunbeS  mit  ^rofeftor 
SSkldj  bieten  nachftehenbe  Stellen  aus  Briefen  2llroinenS:  „lieber  oiel  ©utem 
ift  bod)  ein  fchroarjer  gior  burch  ben  ©ebanfen  an  bie  armen  3roei.  bie 
ftcb  quälen,  fta)  bin  roie  gelähmt  burd)  einen  Jörief  meines  ÖruberS 
über  äöatch'S,  —  nicht  helfen  fönnen,  ift  rechte  Dual/'  (27.  51uguft  1838.) 
„©eftern  fam  ein  $rief  uon  2Bald),  es  fteht  fd)limm,  aber  nid)t  fo  fdjlimm, 
als  bie  fd)laflofen  9iäd)te,  roo  man  boppelte  Sinne  h^t,  fie  geigten.  Sie 

*)  SWinnc  £>cr,tfieb  unb  Ottilie  öon  ©oct^c. 

**)  lieber  ©oetfye'ö  Otttlten=  Vornan  merte  id)  ()icr  5oIgcn^3  aus  einem  Briefe 
JlliüincnS  an:  „6ottte  benn  bie  ©rofetjersogin  bie  iBabloerujanbtfdjaften  nid)t  ucrbairfmcn? 
3n  Weimar  unb  ^ena  finb  fte  wenig  geliebt;  3freunbinncn  baben  fie  qclefen,  eißentitd) 
mit  ^ibenoiaen.  Slcfermann  fämöfte  b  a  f  ü  r,  ba  booten  bie  Damen,  (Sr  ber  Strenge. 
Trufte  !'* 


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  <SocttjC/€rinnerutigen  einer  3ctKnfcr'n-    38\ 

weehfelt  in  bcr  Stimmung,  unb  er  §ält  fi$  fem,  fomie  bie  ungünftige 
oorfjerrfcht,  auch  ift  ihr  nichts  in  ben  2Beg  gelegt,  als  jie  reifen  wollte, 
ba  f)at  fie  e$  gleich  aufgegeben;  jeber  Content,  wo  fie  Reiter  ift,  beglücft 
if>n  fehr."  (5.  September.)  „SBon  Winne  ßerjliebsSitalch  haoe  ich  einen 
traurigen,  aber  milben  93rief,  fie  fprid)t  nicht  von  gehen,  aber  uon  ber 
greifet  unb  9JiögIid)feit,  wenn  e3  ihr  nicht  gelinge,  fuij  ju  finben.  £a£ 
ift  ber  bittre  tropfen  in  ber  Jreube!  $)ie  2trme,  Siebe,  bie  nicht  mehr 
recht  froh  werben  wirb,  fo  ober  fo."  (7.  September.)  „&eute  ift  ber 
(SO.)  ©eburtstag  ber  armen  Winne  2£aldj  —  wie  fcfjwcr  roirb  if>r  £er$ 
fein!"    (22.  Wai  1839.) 

3m  Sommer  1839  fdjirebte  grit$  grommann'jS  Softer  Windjen  in 
£obe3gefat)r,  Wonate  lang.  £a  war'3  Winchen  $er$lieb,  welche  nic^t  uon 
bem  SBette  if>re3  ^fatrjenfinbcS  roidj.  „Winne  fynt  uns  in  unferer  91oth 
mit  einer  £reue,  Siebe,  greubigfeit  unb  Äraft  beigeftanben,  bie  mir  if)r  nie 
genug  banfen  tonnen,"  fchreibt  ber  ©ruber.  „3a,  ÜHiemanb  pflegt  wie  fie." 

Unrein  ui^et  nutbe  Sllwine  Witte  September  beäfelben  3a^re3  noch* 
mala  bmd)  einen  furjen  Söefud)  Winnens  überrafcht.  „Kenten  Sie  mein 
(frfiaunen,"  melbet  fie  an  3?atnf)agen,  „alö  ich  biefeS  93Iatt,  in'3  Winifter= 
haus  eintretenb,  empfange;  ich  f)abe  fie  gebeten,  ben  ganzen  £ag  ju 
bleiben,  ich  weife  nicht,  ob  fie  e3  fann,  unb  ob  Sie  fie  roieberfefjen 
mögen  —  ihr  unb  mir  fönnte  3hr  kommen  nur  lieb  fein  —  ict>  werbe  fo 
wenig  als  möglich  mit  ihr  oon  bem  Seib  reben.  Weine  Schwagerin  f djreibt 
troftloS,  fte  in  »edieren."  9todj  ber  2tbreife:  „$er  arme  2£ald)  benft 
an  ifjr  SBieberfommen  unb  fte  aua)  juroeilen."  (27.  Sept.)  Obgleich 
gute  flunbe  eintrifft,  bafe  Winna  roieber  ruhiger  geworben,  fo  getaugt  bodj 
2llwine  $u  ber  Ueberjeugung,  ba§  e$  eine  Sual  fei,  au3  ber  (Slenb  nad) 
allen  Seiten  hervorgehe,  unb  flagt:  „2lrme$,  jerriifeneS  Seben!" 

£a$felbe  ift  befannttich  an  bie  Ceffentlid)feit  gebogen  unb  iljr  33er* 
hältnifc  3U  ©oetfje  unb  jur  Ottilie  ber  ,2öahloermanbtfd)aften'  fer)r  r>er* 
fajieben  aufgefaßt  worben.  9?ach  bem  ©rfcf)einen  oon  Sewes'  ©oettje- 
biograpfne  fchrieb  9üwine,  bie  fict)  im  Sluguit  1856  ju  &na  auffielt,  an 
Dörnhagen:  ,,©tel  ^ßlage  haben  wir  oor  Anfragen  in  23ejug  auf  SeweS' 
Steuerungen  über  Winne  fter^lieb,  unb  aus  einem  t)ingefjaud)teu  2lnflug 
lieblicher  Neigung  wirb  ein  ganj  anbereä  ©erhältuifc,  wa$  nie  fo  eyiftirte." 
SlOerbingS  nia)t  fo,  wie  SeweS,  Stal;r,  ^effe  u.  31.  fabeln,  aber  aud)  nia^t 
fo,  wie  bie  obige  poetifdje  Slu^legung  un$  fönnte  glauben  machen.  3)?an 
mu&  immer  bebenfen,  ba§  3llwine  $ur  3eit  ber  oielbeiproajenen  Siebet- 
epifobe  erft  fieben  3«^e  jaulte,  9Rmdjen  ^erjlieb  bagegeu  oerfa^wiegen 
unb  uerfd^loffen  war  unb  blieb,  nur  einer  auswärtigen  öufenfreunbin 
gegenüber  offen.  So  finb  il)re  an  GJjriftiane  Selig  gerichteten  ©riefe,  bie 
meiner  Schrift  „©oetlje'S  Einehen"  ju  ©runbe  liegen,  einjig  mafegebenb 
unb  würben  noch  überjeugenber,  beroeisfräftiger  fein,  wäre  ntdjt  ein 
wichtiger  fytil  abhanben  gefommen. 


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382    Karl  (C^coöor  (ßacbertj  in  Berlin.   

Eeben  9J?ind)en  &er$lieb  tautet  ©oetf>e'S  altefter  Snfel  2£altber  in 
Serlin  auf,  mehrmals,  juerft  im  9M  unb  Cctober  1838.  3IIroinc  gronu 
wann  mar  innig  bedürft.  „2Bir  tyxben  uns  immer  gegenfettig  auf  ber 
Strafte  roieber  jurücf  begleitet,  fo  quollen  gvagen  unb  tarnen  übereinanber; 
es  ift  ein  lieber,  entfter  Seidjtfum!"  Sßaltljer,  bamals  jmansig 
3al;r  alt,  ftubirte  Sttufif,  anfangs  bei  gettr  WenbelSfofjn  unb  ©einlig 
in  Seipjig,  bann  unter  Söroe  in  Stettin,  ^ulefct  in  2öien.  Setttna  fagte 
ron  if)tn,  er  f)ätte  roafjre  SDcuftf  in  fidj,  f)ätte  aber  nidjt  §u  beu  Sd)uU 
meiftern  ge^en  follen.  3m  Sommer  1839  mürbe  feine  erfte  Dper  in 
SSeimar  beim  Sweater  angenommen.  Sllnrine  bebauerte,  ba$  fte  biefelbe,  fei 
Tie  aud)  mittelmäßig,  nid)t  mit  einftubiren  unb  nidjt  mit  gittern  fönne  bei 
ber  Ülufffityrung;  baS  fei  eine  (Spodje  für  fie.  ©in  günftigeS  Urt^eit  au* 
unparteiifd)em  9ttunbe  läf?t  fie  aufjubeln:  „2Beld)e  £uft,  roenn  Skltber 
SebeutenbeS  mürbe!"  —  Witte  Dctober  fam  SBalt&er  ©oetr)e  abermals. 
Sllioine  freute  ftd),  tfm  geiftig  geroad)fen  ju  finben;  er  mar  fo  Ijingeriffen 
oon  bem,  roaS  fie  tljm  von  ben  3iö€unern  aus  bem  gefangenen  im 
tfaufafuS'  Dorlas,  bafj  er  gleid)  bie  lefcte  Scene  componirte,  rote  SUefe  allein 
bleibt,  graulein  grommann  fdjrieb  ben  23.  Cftober  an  Sarnljagen: 
„^altfjer's  9)fufif  möchte  fd)toer  ju  fenben  fein,  id)  ftanb  bei  if)m  unb 
las,  er  fal)  in'S  Sud),  mir  fal;en  uns  an,  er  fang  unb  fo  oerflog'S!  2luf 
feinem  Rapier  fteljt  eS,  unb  ba  möchte  e£  aud)  rounberlid)  ausfegen,  febr 
ungeorbnet.  $a$u  ift  er  nod)  feljr  fd)eu  unb  will  nid>ts  herausgeben. 
$d)  babe  SSattfyer  ,ben  befangenen'  oerfprodjen,  ber  ©egenftanb  erfaßte 
ifm  fo  nad)  meiner  ©r$äf)lung,  bafc  id)  eS  ü)m  oerfpred)en  mufjte,  it)rt  balb 
$u  f ariden;  er  !ann  es  fo  md)t  componiren,  bod)  träumt  er  von 
3ufammenjieljen  ober  nur  ben  Stoff  nehmen  ,nadj  s^ufd)fin.(  GS  mirb 
oerfliegen,  aber  er  foH'S  ^aben  jum  2lnbenfen  an  ben  9)?orgen,  an  bem 
er  mir  nod)  oiel  lieber  geroorben."  ©effen  erfteS  Sieberfyeft  erfd)icn 
1840.  Sei  feinem  brüten  Sefud)  in  Serlin,  3uli  1841,  melbet  SUroine 
ifjrem  greunbe:  „SSaltfjer  ©oetfje  ift  fyiex,  lebenbig  unb  etroaS  rote  SHon* 
fieur  «gaqueS  in  ,2iMe  es  eud)  gefaßt'  unter  uier  9lugen,  aufeerbem  äufjerlid) 
efyer  wenig  oon  ber  9?atur  begünftigt,  bieS  unb  bie  Sd)roere  feines 
Samens  unter  ÜJJenfd)en  ferner  füfjlenb,  allein  noa)  glüeflid)  im  ewigen 
^robuciren,  ju  ber  28elt  nod)  gar  feine  Stellung.  2ln  Salier  fü^le  id) 
alle  Ölutb  oon  2Beimarifd)er  £uft,  unb  td)  benfe,  er  foll  f)ter  fid)  etroaS 
ausrufen,  effen,  bid*  werben,  abfüllen,  er)e  er  roieber  naa)  2Beimar  ober 
Italien  gel;t;  —  er  fie^t  jefct  aus  roie  ftd)  felbft  oerje^ren,  fein  §umor 
ift  nur  nod)  ^intergrunb." 

2lud)  über  ben  jmeiten  ©nfel  ©oet^e'S,  Söolf,  geb.  1820,  finben 
fid)  einige  Slufjeia^nungen.  3m  Jebruar  1837:  „SBolf  fpielt  feines 
23ruberS  Welobieen  (jinreifjenb.  2Bolf  ift  tief  »erlebt,  an  ber  Gebens- 
rourjel  —  efyrgetjig  unb  fleißig  —  äufterlid)  falt,  innerlid)  geuer.  3^) 
hänge  mit  allen  £er$enSfafern  an  Seiben ;"  im  9?ooember:  ^be 


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- —    <5oetr»e  *<£riti  neruntjen  einer  ^cnenjcrtii.    585 

lange  nicht  mein  £er$  für  eine  Snbioibualität  fo  bewegt  gefügt,  ich  tonnte 
2We3  thuu,  um  Sßolf  $u  feilen;  bei  großer  Neigung  jum  2lrbetten  ift 
ihm  baä  Verbot  bagegen  eine  große  Oual,  feine  Öefunbheit  ift  aber  p 
leibenb.  —  2>er  3lrme  mit  feinen  fiebsefm  fahren  ift  tief  melandwlifch 
ohne  feine  Scfmlb;  id)  benfe  aber,  feine  föftliche  9iatur  foü"  fich  bod)  burch* 
fampfen,  wenn  nicht  fein  Körper  unterliegt";  unb  brei  Sahre  fpäter: 
„Sßolf  fdjeint  ein  tüchtiger  Wenfch  $u  werben." 

2llmine  grommann  charafterifirt  felbft  if>r  (Befühl  für  ®oethe'S  ©nfet 
als  alte  unb  neue  Neigung,  oerfchlungen  burd)  taufenb  Erinnerungen,  bie 
burd)  unlösbare  gäben  bamit  feftgefettet  finb.  —  3a,  e$  liegt  ein  eigener 
9tei$  in  einem  fo  feften,  angeerbteu  33anb  olme  alle  SBermanbtfdjaft,  roo 
jeber  SebenSabfchnitt  neuen  2lntheil  weeft,  wo  ber  ftärffte  £abel  bie  Siebe 
nicht  änbern  fann. 

Unter  biefem  ©efid)töpunft  wollen  auch  ihre  Semerfungen  über 
Sluguft  unb  Ottilie  oon  ©oethe,  be$  $>id)ter$  Solm  unb  Schwiegen 
todtfer,  oerftanben  fein.  «Die  fid)  leicht  unb  oft  aufbrängenbe  Betrachtung, 
wie  ©rfwlung  fudjen  fo  natürlich  ift,  unb  baß,  wer  nicht  (Gelegenheit  ober 
9Wutf)  ^at,  gute  ju  fud^en,  bann  fd)led)te  ober  gewöhnliche  nimmt,  erinnerte 
9llwine  einft  recht  an  bie  legten  Sage  oor  Sluguft  ©oethe'*  SHeife,  1830, 
wo  fie  im  &au3  acht  £age  einen  33 lief  in  fein  3nnere3  tr)at.  Sftadf)  Sifdj 
mußte  ihm  Sßalther  immer  oorfpielen.  Xa  fprach  er  einmal  feine  Seele 
frei,  wie  ihn  ba3  tröfte  unb  erleichtere,  wie  er  gan$  anberS  geworben, 
wenn  er  biefe  &filfe  gehabt,  wie  aber  nun  3tHe3  fo  weit  gefommen,  baß 
er,  um  nicht  oor  ben  3lugen  be£  $ater3  ju©runbe  ju  gehen,  fort  müffe. 
SlbenbS  fpielte  er  bie  3)?unbharmonifa,  bie  eben  erfunben  worben;  —  ihn 
fonnte  nur  eine  pofitioe  33efchäftigung  erleichtern,  feine  betradjtenbe,  fein 
Stubium;  faft  baS  Einige  —  leiber,  worin  er  beahalb  mit  Ottilie  einig 
war  —  bie  Seftünmung,  baß  beibe  ©öfme  bis  fünf$ef)n  3$)re  STaifif  lernen 
müßten,  bann  erft  fid)  entfeheiben  bürften,  ob  e$  fortjufefcen  fei. 

lieber  Ottilie,  geb.  greiin  oon  ^ogwifdj,  berichtet  3llwine  1838  an 
SSamhagen:  „Ottilie,  bie  2lrme,  Diuhelofe,  fich  unb  2tnbere  Duälenbe  unb 
boch  fo  fd)ön  unb  reich  Begabte  —  fie  ift  wieber  hier  unb  wieber  leibenb, 
fanft,  milb  unb  lieben« würbig,  mit  allen  Schatten,  bie  nun  auch  SU  ihr 
gehören.  £ier  (in  2Beimar)  ift  fie  nidjt  gut,  unb  nie  ift  mir  3emanb 
corgefommen,  ber  fo  wenig  oom  Sehen  gelernt  in  jebem  Sinne;''  unb 
1841:  „Eibele  Schopenhauer  fchreibt  mir,  baß  fie  nicht  im  Stanbe  fei, 
irgenb  eine  Steigung  feftjuhalten;  Ottilie  gab  man  fchulb,  fie  liebe  2We  immer 
unb  jufammen,  bie  fie  je  geliebt.  2>a3  oerftehe  ich  fehr  wohl;  —  wo  enbet 
ber  Üteichtfmm  folcher  3uftänbe,  unb  wie  arm  finb  bie  reichften  Bücher? 
befchreibungen  gegen  ba§  Seben  mit  all  feinen  uerfdjiebenften  Schatten 
unb  Sichtern!" 

$>er  einigen  ©nfelin  ©oethe'3,  3llma,  brachte  gräulein  grommann 
feine  Sympathie  entgegen;  pon  Ghriftiane  $ulpiu3  idjweiflt  fie,  aud) 


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38^    Karl  (Eljcobor  (Saebertj  in  Berlin.   

ba,  roo  ne  fid^  bie  ^erfonltdtfeiten  unb  ©inbrüde  aus  tfjrer  3ugenb  vex- 
gegenroärtigt.  Unb  baS  tJjut  fie  f)aufig,  befonberS  in  ber  erfien  3eit  iljreS 
Aufenthaltes  im  &aufe  beS  SHinifterS  oon  91ltenftein,  ben  oerroanbtfchaftlidje 
unb  freunbfdfiaftliche  8e$ielmngen  mit  <Sf)artotte  oon  Stein,  Änebel,  ©oetfje, 
Staatsrat*}  Sdmlfc  u.  f.  ro.  oerfnüpfteu.  Sllroine  ruft  fiaj  alle  guten  unb 
beften  Stunben  oor  bie  Seele.  Sie  fcherjt,  wie  ihre  Vorliebe  oon  Äinb^eit 
an  für  alte  Herren,  jumal  ©oett)er  einft  geftraft  roorben;  fie  träumt  oon  ber 
SSanberung  mit  einem  greunbe  nadj  Siefurt  burdj  baS  fleine  ©ehöl5,  baS 
fie  oor  ber  Sonne  fdmfcte  —  ein  feiig  ruhiges  Rehagen  fdhroeigenb  unb 
fpred&enb  —  Vergangenheit,  3ufunft  oerfdjmoljen  mit  ber  ©egeuroart: 
Tiefurt  in  feiner  lieben  &eimltchfeit,  bie  Zäunte,  bie  leife  plaubernbe 
3lm,  ben  Wittag  im  9Jnblicf  oon  groriep'S  ©arten,  ber  £eich,  bie  Sdjröäne, 
ben  Nachmittag  im  $arf,  lange  ©oethe'S  ©arten  gegenüber  auf  ber  33anf, 
roo  Höfels  Anficht  beffelben  genommen  ift.  Viel  mußte  fie  an  ©oettje 
benfen  bei  ben  unruhigen  Steinen  in  Vöhmen,  „nur  §u  benfen,  roie  er 
baS  aufgefaßt,  giebt  Seben."  geft  überzeugt  ift  fie,  baß  beftänbtg  taufenb 
leife  gäben  roie  ftiffer  Segen  als  Anbenfen  ©oethe'S  burdj  baS  2anb 
Siefen.  Sein  33i(b  grüßt  fie  überall;  bie  oerfchiebenften  Vorfälle,  Xinge, 
2ttenfchen  rufen  baS  ©ebäcfyniß  an  Um  road),  an  feine  Stellung  3um 
weiblichen  ©efdjledjt,  an  2luSbrüde  oon  if»n.  $aS  ^efen  feiner  SBerfe, 
baS  Singen  feiner  Sieber  ift  ihr  Sabfal. 

grifc  fdjidte  it)r  ViÜetpapier,  baS,  juerft  burcr)  ©oethe  bei  gronrmaims 
eingeführt,  mannen  ©rufe  oon  ihm  gebradrt  Ijat.  ©ern  benufet  fie  basfelbe 
unb  tfieilt  Varuhagen  baoon  mit.  Neffen  äußerfi  fauber  geschriebene 
Briefe  fah  fie  immer  mit  Vefd)ämung  an,  inbem  Ujr  oabet  in  oieler  $e* 
Stehung  baS  Vermädjtmß  beS  alten  Warfen  oor  bie  Seele  trat: 

„«rabet  (Suer  Jclö  in'»  jicrtidi  fteine, 
Xajj  bie  Sonne  gern  ben  gleiß  befebeine; 
2üenn       iöäumc  pflanzt,  fo  fei'3  in  9cei^en, 
$enn  fie  läfet  ©eorbnete*  gebeiben." 

3(mt  oereljrt  fie  einen  gepreßten,  auf  Sßappe  gef lebten  flranj:  „£er 
Spljeu  non  einem  Stamm  in  ©oethe'S  ©arten,  ben  er  fet)r  liebte,  bie 
Kornblumen  oon  ben  erften  ftränjen,  bie  Sie  mir  gaben;  bie  f leinen 
blauen  Blumen  nannte  ©oetfje:  &immelsfterne." 

2118  Varnhagen  einmal  fagte,  baß  er  ©oethe'S  ©ebidjt  auf  bie  SWarjiffe 
nid)t  fenne,  fanbte  fie  ihm  eine  winterlich  erblühte  unb  ba,u  bie  ©oethe'fcfcen 
Verfe: 

„Sikiß  tote  Silien,  reine  ^erjen, 
Sternen  gleid),  bejdjcibner  23eugung, 
Seucfttct  aus  betn  anittelbersen 
flotf)  gefäumt  bie  &lut&  ber  Neigung." 

Gifrig  vermehrte  fie  iljre  ©oett)e= Sammlung,  Vüdjer,  33lätter  unb 
Vilber,  unb  gab  bem  greunbe  gern  ab,  roelcbem  ne  aud)  il>r  größtes  heilig« 


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  <5oetfie  =  <£nnnernngen  einer  ^enenferitt.    385 

tlnim,  ba£  9tal)el*©oetl)e^ilb  mit  ben  SBafen  permaa)t,  foUte  fte  cor  ifnn 
au3  ber  2Belt  ge^en. 

2Bie  er  im  3uli  1839  Scbcrooljt  fugte,  um  eine  habetur  ju  gebrauten, 
fanb  fte  e3  fe^r  fuibfa),  ba&  bie  ^ferbe,  bie  ifnt  roecjfü^rten,  gerabe  fo  au$= 
fal)en  roie  bie,  „roeld)e  un$  fo  oft  beroegt  31t  fef)en,  roenn  fie  ©oeu)e 
brauten;  td)  f)atte  roafjres  3utrauen  511  biefem  guten  3ei$e«  für  3|)re 
Dceiie."  Sie  roünjdjte,  bog  bie  Sommermonbe  iljm  eine  Begegnung 
brauten  mit  einigen  ber  feltenfien  grauengeflaltcn,  bie  noa)  in  Weimar 
unb  3ena  geblieben  aus  früherer  3eit  unb  ineljr  3»öe"D  ™  fia)  *)atten 
als  m'ele  junge  Samen;  fie  ju  f  ernten,  regnete  fie  unter  ifjren  reid)ften 
23efifc.  „28er  ehbete,  roenn  er  bieje  grauen  alle  entroideln  wollte?  fie 
finb  ba$  Seben;  unb  bod)  fagen  fo  oiele  Seutc,  ©oetf)e  Ijabe  nur  fd)led)te 
ober  fd)roaa)e  grauen  gefd)ilbert."  -  Dfnte  nähere  Angabe  Ijeifet  e3  ein; 
mal:  „2öaä  fagt  ©oettjeV  ©r  mäfjte  leben,  fie  3U  unter roerfen  unb  ifjr 
tuieber  unterworfen  5U  fein;  bie  anberen  grauen  ben  Slbenb  bei  ©oetije 
roaren  alle  roie  Marionetten  gegen  fie."  .  .  .  „Sfttt  HWunbt  ging  e$  mir, 
roie  ©oett)e  mit  jener  fd)önen  grau,  —  er  fjat  mia)  nid)t  biftralnren 
fönnen."  .  .  .  „9)?arie  0.  S.  ift  eine  G*fd)eimmg,  für  bie  ©octr)e  ooüe 
Slufmerffamfeit  unb  roieber  fd)arfen  £abe(  gehabt  tjätte."  .  .  .  „2>on 
Ülbele  Sa)openf)auer  (bie  franf  geroefen)  bie  beften  9tad)rid)ten.  ©oetlje 
würbe  fagen:  gifa)a)en,  fd)rotmmft  $u  roieber?" 

©elegentlid)  ettirt  limine  braftifa)e  2tu3fpfüä)e  beä  $ia)terfürften. 
„^ier  ein  91ad)trag  ju  bem  ,grob  fein1,  ein  £iebling$fprüd)roort  ©oetfye'» : 
,2iter  fia)  grün  mad)t,  ben  freffen  bie  3^9^n(-  $*e*  un0  Stolpern 
förbert1  fjat  er  und  in  Hornburg  einmal  r)ödt)ft  launig  aufgelegt."  .  .  .  . 
„6a)lu&  be3  6treite3  mit  Bolf.  ©oetfje:  ,$er  tel  fjätte  e£  am  liebiten, 
ber  3J?onb  roäre  ein  (Sierfud)en,  ba  tonnte  er  il;n  freffen.'" 

Unerfdjöpflidjen  ©enufc  bereiteten  if>r  ©oetf)e'3  SBerfe  unb  Briefe. 
<Ste  be$eia)net  33arnf)agen  befonberS  merfroürbige  ©teilen  unb  freut  fia), 
roenn  er  mit  il)r  übereinftimmt.  §ier  feien  aplrorifiifa)  einige  ©ebanfen 
anetnanber  gereift.  „3n  trüben  £agen  t)at  mia)  ©oetlje  bod)  roieber 
erhoben!  —  Sein  ,ßeben',  ,2SUf)elm  3Jietfterl,  ,@derinann'  —  ba  \)<xt  man 
bod)  SBoben  unter  ben  güfeen  unb  £immel  über  fia).  Sic  ^rofefforin 
3immern  l;at  iura)  (Sarus'  Briefe  über  ben  ^aufV  entbedt,  ba§  ©oetfjc 
aua)  eine  melana)olijd)e  2lber  in  fia)  fjat,  roä^renb  fie  fid)  ir)u  ,nur  in 
©lan$  unb  £u|Y  gebad)t  Ijattc,  nun  lefen  fie  plöfclid)  eifrig  ben  .gauft'l" 
.  .  .  „Sd&oty  fenne  ia)  nur  ju  gut  ba^  ^öglid)  —  Unmöglidje',  aber  Ijalten 
<5ie  aua)  nid)t  ba^  ÜKöglia)e  für  unmögltd)?  —  ^DZub  man  beim  nidjt 
immer  an  ©oetlje  benf en !  roie  beroegte  mia)  immer  bie  Üöiatlänberin !  roie 
fennt  er  ginben  im  6a)eiben,  bleiben  beim  brennen!  erinnern  6ie  fid) 
rooljl  in  ben  ,2Banberja^reir  ber  Filarie  unb  ber  fd)önen  SSittroe,  SBilljelm 
unb  be§  3Kalerä  auf  bem  l'ago  3Jiaggioref  ple^t  auf  ber  Qnfel?  —  ba 
ifl  aud)  in  Sßorten  niebergelegt,  road  00m  Gimmel  fommt  in  fola)en  SBe* 

?lorb  unb  6üb  LI.,  153.  2«3 


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386 


Karl  <£b.eo&or  Öaebertj  in  Serltn.   


jügen."  .  .  .  „33enn  Bie  fidj  wofjl  füllten,  in  ben  ^auft'  su  geben,  fo 
mürbe  id)  bod^  erft  reajt  genießen;  neben  ben  3been,  bie  fdwn  met)r  al£ 
poicl  finb  uns  su  galten,  faffen,  liegt  nodj  eine  SBelt  oon  Schmer; 
unb  greube  für  mid)  in  biefem  Dic^terüennäc^tnife;  fo  ift'S  mir  immer  wie 
oieleS  oon  ©oetf)e.M  .  .  .  „Sßie  3()nen  ber  geftrige  Hbenb  (15.  9flai  1839 1 
befommen  fein  mag?  idj  banfe  es  3fmen  fe^r,  baf?  6ie  midj  aud)  bamit 
geseilt,  benn  audj  in  unuollfommener  XarfteHung  fyilft  mir  unter  einziger 
greunb  immer,  unb  id)  benfe,  man  fann  audj  otme  9JJeof)ifto  weggeführt 
werben  auf  gauft'S  ober  anberem  Hantel  über  fo  oieleS,  was  t)emmt  unb 
brüdt.  2)a$  ©retten  —  mar  feinS,  bie  arme  ©eele  tyat  ftä)  triel 
oiel  9)iüf)e  gegeben!  Sdjön  ift'S  aber  unb  erwärmenb,  fo  ein  gebrängt 
oolles  &au£  5U  fefjn,  was  bod)  gewife  meljr  ber  ftunft  ju  ©fjren  mar  al* 
ben  glänjenben  irbifd)en  ©eftirnen,  unter  benen  id)  am  meiften  unfer 
Heines  gürflen^aud  fudjte*)". . .  .  „©eftern  Slbenb  (21.  3uli  1839)  tarn  ber 
3J?inifter  auf  ben  Prolog  oon  ©oetl)e  jur  (Eröffnung  be$  berliner  ©djau* 
foielfjaufeS,  weit  id)  bie  (Stelle  citirte:  ,Unb  olme  3eu£  unb  Jatum,  1a3J 
mein  2)?unb,  ging  Slgamemnon,  ging  91dnü*  ju  ©ntnb.'  3$  nuijjte  iljn 
lefen  unb  tr)at  es  mit  Gntjüdfen;  waS  liegt  barin,  eine  2öelt!"  .  .  . 
„3$  lefe  mit  Suft  unb  Grbauung  3cfter  unb  ©oeteje,  es  ftefyt  fo  oiel  nod) 
jwife^en  ben  3e^en  fur  nutt)-  —  5Benn  id)  müßte,  ob  Sie  ein  wenig 
jjeiter  wären,  würbe  idj  ffintn  fefjr  ,bie  2)iitfd)ulbigen'  als  Secrüre  oor^ 
fdjlagen  unb  befonberS  baS  Sdjlufcwort  ju  befjerjigen." 

Ginmal  wünfd)t  fie:  „34  wollte,  ©oetfje  f)ätte  Urlaub  mein*  aner- 
fannt."  Teffen  lieber  fang  fie  nid)t  minber  gern,  al«  bie  ©oet^e'fdbeu; 
biefe  finb  iln*  barin  einzig,  „bafc  mir  ein  neuer  ©(ans  plöfclid)  im  fleinften 
$erS  aufgeljt,  wenn  bie  6eele  in  ben  3"ftanb  eintritt,  ber  biefe  ewigen 
2I*af)rt)eitcn  eingegeben."  GineS  2lbenbS  beim  reinften,  flarften  Sttonbem 
fd)ein  fingt  fie  Öoetye  jum  2lubenfen  fein  Inmmlifdj  Sieb:  „SBreiteft  über 
mein  ©efilb  (inbernb  deinen  #ltcf"  unb  mebttirt:  „s;&aS  bringt  ber  2)ionb 
mir,  l)errlid)fte  2lbenbe  mit  ©oetfje;  wie  fd)ön  feiert  er  tfm  ,Um  3Witter= 
nadjt'  bis  bann  $ulefet!  wie  liebte  er  ifm  burd)  alle  SebenSalter, 
f»ra$  es  au3,  —  er  fonnte  aud;  fold)  tröftlia^en  SJIonbeöblicf  baben,  oor 
bem  fidt)  bie  ©ebanfen  reinigten."  ...  ©in  anbermal  plaubert  fie  oon 
einem  wunberlidjen  3ufammeutreffen.  ©oet^eg  „Söie  fommt'^  ba§  iDu 
fo  traurig  bift"  fjatte  fie  eine  3eit(ang  feljr  befdjiäftigt;  ba  bat  Kail 
Berber  um  ben  ©efang  eines  Liebes  unb  nannte  baS.  ,,©S  ift  aud) 
l;immlif4  unb  man  füljlt  immer  oon  neuem,  biefe  Sieber  finb  für  ©efang 


*)  berfctbcit  3cit  bic  Dteflerton:  „^eutc  la§  id^  fc^t  Ijübfdx  3)iittfcthiitflcn 
öom  ÄaufafiiÄ,  Ijödjft  poctifdjc  Silber  qucflen  auö  üanb  unb  beuten,  ^a*  ift  eine 
Seite  innerer  3ctt,  bic  idj  immer  non  neuem  liebe  unb  freubig  fefje,  bie*  ©efreunben 
ber  Xiänber,  bic  fidj  fonft  feinblid)  fremb  ftanben.  faU  fönnte  man  gu  biefem  ^aljer^ 
rüden  aud)  rcdjnen,  ba&  ÖoctjjeS  ,3auft4  je^t  ßanj  mbjg  in  Berlin  aur  bem 
Repertoire  ift." 


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» 

  <Soctt|C'<Hriniicrtiitgen  einer  3cnenferitt    58? 

gemacht.  —  3$  lege  auch  baS  Sieb  ein,  roaS  8ic  nic§t  rennen  motten; 
(Stoetze  liebte  es  fo,  bafe  er  nod)  unenbliche  Varianten  ber  Verfe  gemadjt, 
bie  in  ber  2Belt  herumfliegen,  geliebt  unb  f)eilig  gehalten,  ©elbft  roie  es 
3elter  componirt,  ifi  es  anberS,  unb  ich  jeige  Q^nen  baS  nächftens." 

9J2att  unb  äußerlich  nennt  Sllroine  ihre  Sßorte  35arnl;agen  gegenüber 
unb  fagt  fidt)  felbft  jum  £rofte,  roaS  ©oethe  einmal  [abreibt:  „Ütog'S 
ausfegen,  wie  ein  2lmor  ober  ein  Sgel,  menn'S  nur  aus  bem  $er$en  frijd) 
fommt." 

3m  9J?ai  1840  ftarb  9ttinifter  oon  2lltenftein.  3n  £agen  nach  ieinem 
2tobe  t>erfd)njanb  iljr  bie  ©egenroart  oor  ber  Erinnerung  ähnlidjer  bei 
Ottilie:  „2ßenn  ich  bie  2lugen  fchlojj,  wollte  fein  anbereS  33itb  haften,  als 
ber  lefcte  2lnbltcf  ©oethe'S;  ihm  gönnte  ber  Gimmel  aud)  noch  im  £obe 
ben  2lugen,  ber  <5eele  wohljuthun.  Wod)  fei)'  ich  itm  umgeben  uon  Sicht 
unb  23lumen  unb  reiben  Gebens -^nfignten.  2)ie  Sage  Ijier  machte  er 
mir  leichter." 

2£a3  ir)r  bamals  unb  in  jeber  Sage  blieb,  weil  es  iln*  gehörte  als 
eroiges  inneres  Sigenthum:  it)re  Siebe  jur  Malerei  unb  2)Jufif,  ihr  Seben 
barin;  was  ftiu*  fortwud)S,  ofme  flör)  an  bie  28elt  ju  fehren,  aber  bod) 
uon  berfelben  leinte:  tt)re  ^eilnaljme  an  allem  iöebeutenben  influnft  unb 
(Schrift,  ihr  ©lucf  in  fdjöner  ©egenb,  Blumen,  garben,  eine  innerliche 
greube  am  Arbeiten,  am  ©Raffen  ihres  flcinen  Weiches,  wie  fie  es  fyabtn 
mußte,  roo  fie  aud)  atlmten  mochte,  ihre  Suft  an  jeber  eigentümlichen 
9)ienfa)en»@rf(öeinung,  bie  ihr  ganjeS  SBefen  burchbringenbe  £reue  511  ben 
greunben,  namentlich  $u  Dörnhagen,  bem  „Edermann  fo  manches  SebenS," 
unb  —  bie  Erinnerung  an  eine  reiche  Vergangenheit,  wo  2lu*eS  fie  jurücE- 
führte  auf  ©oett)e! 

Sh*  SieblingSfprud)  mar: 

„23a3  nullit  auf  bietet  ©tatton 
60  breit  £id)  uieberlaffen! 
2öie  balb  nicht  bläft  ber  ^ofttllon, 
5)u  mufet  bod)  ?We3  laffcn." 

2Uwine  grommann  lebte  fortan  abmechfelnb  in  Qena  unb  Berlin, 
jeitmeife  als  Vorleferin  ber  Königin  Slugufta,  ber  2S>eimarifd)en  $ßrin$effm, 
unb  entfchlief  in  ihrer  Heimat  am  2.  2luguft  1875;  fie  t)atte  bis  balnn 
mit  bem  3arjrfmnbert  gleidjen  Schritt  gehalten.  Unter  ben  uiefen  mit 
©oethe'S  2lnbenfen  uerfnüpften  Manien  wirb  auch  ber  ihre  in  Siebe  unb 
2ldjtung  genannt. 

* 

VorftehenbeS  uerooaftänbigen  Varnhagen'S  „Sagesblätter",  bie,  uon 
Submilla  9ijfing  nur  auszugsweise  beuufct,  jefct  in  ber  königlichen  SMbliothef 
ju  Berlin  bewahrt  werben,  unb  aus  benen  idj  bemnachft  noa)  unbeachtete 
Erörterungen  über  ©oethe  ^u  ueröff entliehen  gebenfe. 

26* 


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388    Karl  Efjeo&or  «acbcrfc  in  Berlin.   

£ter  juoörberft  ein  paar  beaeidmenbe  Striae  ju  bem  fiebeusbitbe 
oon  äßtlbelmine&erjlieb!  2Md)en  (*inbru<f  beren  ©rfajeinung  auf  ben 
mit  ©oetbe  perföntid^  befannten  SBarnbagen  gemalt  bal*  tntereifirt  un« 
befonberS.  $)ie  betreffenben  ©iutragungen  lauten,  7.  3uli  1833:  „^limine 
grommann  erjagte  oon  if)rer  ^erwanbten,  SJUnne  ^erjHcb ,  an  welche 
mehrere  ber  ©oetfje'fdien  Sonette  —  bie  fia)  93ettiita  fäljdjlid)  aneignet 

—  gerichtet  finb,  namentlich  bie  @f>arabe,  beren  Söfung  ber  9tome  &er$- 
lieb  ift;  aud)  bie  wiebtigften  3ußc  $ur  Ottilie  in  ben  ,Sabfoerwanbtfcbafteir 
finb  oon  biefem  liebenämürbigen  grauenjimmer  entlehnt.  Sir  tarnen 
in  mancherlei  Betrachtungen  überein,  in  anberen  blieben  mir  jVreitig." 
25  3uli:  „ 9JMnne  Zerstieb  ift  hier."  7.  21uguft:  „2Umine  grommann  unb 
9ftinne  Said)  geb.  &er$lieb  befugten  mich,  lefetere  eine  feine,  anmutfjige 
©eftalt,  unb  eben  fold)e  ^t;fiognomie,  unb  eben  folcheS  Sefen;  fe^i 
etnleudjtenb  war  mir  es  g  1  e i dt),  bafc  ©oetl;e  feine  Ottilie  großen* 
tbeits  nach  il)r  geformt.  Äurjes,  nicht  ganj  freies  ©efpräd),  bie  Seit 
ju  fur$.  —  Um  6  Ufu*  fam  Sllwine  roieber."  9.  Sluguft:  „9JZit  limine 
beiprad)  id)  oorgeftern  bas  Scbitffal  breier  grauen,  benen,  bei  frönen 
unb  reichen  @igenfd)aften,  entfd)ieben  gutem  Sitten  unb  höherem  Streben, 
bie  G()c  fehlest  befommen  ift:  Ottilie  oon  ©oetfje,  SRinna  Saldj  unb 
5ßrofefform  Seifje  in  Setpjig.  $ie  -äflänner  äße  brei  gehören  aud)  ,u 
ben  guten,  unb  bie  betben  lefctern  ju  ben  ent[d)ieben  ausgezeichneten.  Äeiner 
oon  beibeu  Steilen  bat  eigentlich  Sa^ulb,  bie  S3erbinbung  nur.  3)a  war 
ein  grofeer  Xert  für  9iar)et  ober  bie  Saint* Simoniften!  Sir  betrachteten 
nur  bas  $erf)änanif}üou*e  in  feinen  Sebensbejügen.  Xraurig,  fcr)r  traurig!'' 

—  Souiel  über  3)tindjen  ^erjlieb.  SBarnbagen  fd)cint  fie  bei  ihrem  jweiten 
JÜefucbe  in  Berlin  md)t  gefeben  ju  haben,  er  macht  roenigftens  feine  btes 
be3Üglitt)e  Dfottj. 

2llwine  grommann  im  llrtljeil  Söarnbagen's  unb  im  ^inblicf  auf  ihr 
gemeinfames  Qntereffe  für  ©oetbe  gewinnt  unfere  err)ör)te  Smnpatbie.  £r 
nennt  fie  „bas  oortrefflicbe  liebe  9)cäbcben,"  „bas  liebe  gute  ßinb,  von 
rebüd)em  iperjen,  tapferem  Sinn  unb  edjter  3nneiii$feit,"  rühmt  ihre 
gute  ($infid)t,  ihren  feinen  £aft,  fagt  oon  ihr:  „fie  oerbient  bas  33efte  unb 
bringt  es  unter  jeber  iöebingung  ^eroor",  toünfdjt:  „£ajj  es  ihr  einmal 
red)t  oollauf  begegnete!  fie  beftänbe  bie  Sßxobt,  fie  ertrüge  bie  3fteif>e  oon 
guten  £agen,  wie  dlafyd  fie  aud)  ertragen  hätte.  $as  Sprichwort,  wenn 
es  aud)  ©oetbifd)  geworben,  rebet  unroabr,  bei  ben  beften  Naturen  fa>lä^: 
eö  fcl)l."  lieber  bie  metften  ^Dinge  waren  s-öeibe  5iemlid)  einoerftanben; 
über  Staatswesen,,  Literatur,  ©efellfa^aft,  3)Jenja;en,  über  Seit  unb  hieben 
im  ©an^en  bod;  nidjt.  Sinn  unb  ©rfa^rung  Dereinigte,  aber  bie  urfprüng- 
lidje  ©efübUweife  trennte  fie. 

(Einige  ber  wicjtigften  9iieberjcbriften  ^arnljagen^  über  feine  greunbin 
unb  iljven  Öoetl)e=6ultuj3  folgen  l)ier.  26.  3)?ai  1838:  „3lngenel)me  lieber* 
rafdmng  geftem,  als  id;  in  Saneberg  bei  3llwine  grommaun  ba£  öifc' 


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  <Soetlje»€rinnerungeti  einer  3cncnfcr«n-    58$ 

ftoetfje'3  in  ungeroöfjnlid)  ftarfem  Statinen  an  ber  sü>anb  fjängen  faf)  unb 
bie  üBemerfung  madjte,  bafjinter  fterfe  nodj  etwas.  jSUIerbingS',  jagte 
Thuine,  r)ob  baS  33ilb  aus  bem  9iaf)tnen  unb  fie^e  ba!  Üiafjel'S  ©npSbilb 
jeigte  fid),  auf  fold)e  SBeife  beftenS  beiualjrt  unb  gefdjüfet."  12.  3uni: 
„(Heftern  befugte  mid)  Sllnrine.  $tel  non  ©oetlje;  t>anbfdjriftlid^e  Blätter 
von  irnn,  bie  mir  2llroine  mitteilt.  2)aS  finb  bod)  nur  bie  wahren  2)td)ter, 
bie  uns  ernfte  £ef)rer  unb  treue  güljrer  finb!  ©oetfje  ift  es  uns  Reiben. 
—  9iadj  SllroinenS  gortgeljen  fu^r  id)  burd;  ben  Xrjiergarten,  traf  fie  nod) 
auf  ber  ßrjauffee,  fie  trug  irjre  23üdjer  unb  iljren  tforubhimenfranj  afS 
Sroftfumbole,  bie  golbene  2lbenbfonne  fdjieu  Reiter  baju;  id)  gab  bem 
guten  3Mba;en  fülle  Segnungen  auf  ben  2ßeg,  fie  ift  alles  heften  roertf),  unb 
eSift  ifjr  uötl)ig!"  25.  3uli:  „2lliuinenS  SJefud)  erquirfte  mid),  lauter  i*iebe^ 
unb  JyreunblidjeS,  roaljrljafte  Ermunterung  burd)  inniges  3ufaminenftimmen 
in  Grfenntnijs  ©oetr)e'^  unb  Siebe  ju  if)tn."  28.  Sluguft:  „3"  ©oetlje'S 
©eburtstag  bin  id)  fd;ön  befdjenft  roorbeu,  neu  3llroine  mit  einer  präd)tigen 
2lrabeSfeu=9J?alerei,  aus  einem  alten  (Soangelienbud)  ju  $ena  oon  ilu*  coptrt. 
Sie  befudjte  midj  9?ad)mittagS ;  eine  ftets  roiflfommene  ©efellfdjaft  unb 
roof)ltf)ätige  5flittf)eiluug.  23iel  innere^  £eben  quillt  bier,  aud)  oiel  äufjereS 
fliegt  Ijier  gufammen.  ©Oetzen  fennt,  oerftefjt  unb  geniefjt  fie,  wie  ju 
allen  3eüen  genüft  nur  äßeuige.  Sie  glaubt  an  if)n,  wie  -Rafyd  an  ilm  glaubte." 
8.  DZooember:  „9llwine  braute  geftern  bei  mir  eine  gute,  mir  angenehme 
Stunbe  ju;  ber  ganje  SebenSfreiS  oon  Sfieimar  unb  &\\a,  in  ben  fie 
mid)  immer  oerfefet,  f)at  bod)  etroaS  (SbleS,  ^unerlidjeS,  £>ol)eS,  wogegen 
uieleS  23efte  oon  Ijier  faft  nur  gemein  unb  rof)  erfdjeinen  muft.  (Sine 
ganj  anbere  2öelt!" 

Seit  iljrer  9luwefenrjett  in  23erlin  führte  limine  Jrommann  ein 
S'agebucb,  baS  fte  im  9J?är$  1840  SParnfjagen  geigte;  er  mar  barin  ein  .fiaupt- 
gegenftanb,  Unit  jur  Verwirrung,  33efd)ämuug,  3ur  £aufbaifeit  unb  511111 
Slerger.  $>ieS  SWanufcript  gab  leiber  ben  erften  2fafto&,  ban  fid)  all= 
mäl)lid)  bie  2öege  Jöeibcr  fajiebeu.  l*S  bcfiubet  fid)  worjl  nod)  im  S-Befife  ber 
grommann'fdjen  gamilie  in  3ena,  weldje  rjoffeuNid)  barauS  bielHufjeid^uungen 
unb  ©efprädje  über  sJ)iind)eu  ^»er^lieb  befannt  madjeit  wirb;  beim  iuie 
aua)  immer  bicfelben  befd^affen  fein  mögen,  jebeufallS  bebeuten  fie  einen 
®eroiun  für  bie  ©oetljeforfdnnig. 


<S*Z)ur. 

€inc  Kammermuftf=noDeIIc*) 
Don 

Karl  (Sjellerup. 

—  Dättcmarf.  — 
IX. 

3  muf?  bodj  witnberbar  fein,  fo  ehi  ®ut  su  f)aben/'  fagte 
I  gräulein  6tord). 

„So  oft  icf)  ein  berartigeS  Skfifetbum  fefje,  beute  id)  mir 
immer,  wie  fd)ön  e$  fein  muß,  ein  geliebte*  SBeib  ^ineinjufü^ren  unb 
lief)  an  ihrer  greube  311  wetben,  wenn  äffe  biefe  &errlid)feit  ihr  ju  güfcen 
gelegt  wirb  .  .  .  3d>  erinnere  mid;,  benfelben  ©ebanfen  gehabt  $u  haben,  al* 
id)  sum  erften  Wal  burd)  biefe  Vinbenattee  fdt>ritt  .  .  .  G$  ift  etwas  fo 
rounberbar  geierliches,  foldj  ein  l'aubgewölbe  mit  feinem  füllen  Statten  unb 
ben  taufenb  tanjenben  3onncnfleden  —  biefe  lange,  lange  gludjt  mit  bem 
©tücfdjen  blauen  Gimmel  am  (Stabe  unb  ben  weiten  gelben  gelbern;  man 
wanbelt  bal)in  rate  burdj  ein  ganjes  Sehen  in  feftlichem,  füllen  grieben  . . . 
ßangfam  würben  rair  geben,  Sfem  in  9lrm,  oom  ©ärtner^äu^djen  aus,  in  bem 
fie  suerft  bie  ©ärtnerfamile  begrüfjt  hat,  bis  rair  enblidh  in'S  nolle  Sönnern 
licht  auf  baS  fleine  ^latcau  hinaustreten  unb  über  bie  gelber  Ijinblicfen, 
auf  benen  unfere  Beute  arbeiten,  unb  über  all  bie  flaren  äöaffer  —  unb 
baS  etäbtdjen  unb  bie  Xörfer,  bie  fernen  &ügel  unb  bie  blauen  äHalber.* 
„5iun,  ^l)re  23raut  wirb  wohl  aud)  sufrieben  fein,  in  ein  minber 
aJirnjenbeS  GSlücf  heimgeführt  ju  werben,"  entgegnete  grieberife. 

SBityelm  erföral  beinahe,  bafe  er  eigentlich  an  2)iarie  babei  gar  nicht 
gebaut.  Eamal«  war  es  £arriet,  mit  metdjer  er  ging,  gewefen,  bie  ihn 
im  Weifte  begleitet,  unb  heute  —  nein,  <D?arie  nid)t.   2lud)  Slntonien  war 

*)  ?lu$  rem  Säiiifdteu  ucn  2iMlljclm  SoltcrS.  ©ingioc  autorifirte  unb  w>si 

i'cifa'f'cr  iclbft  biudiiic}e!Kiic  Silicate. 


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e$  aufgefallen,  baß  er  „ein  geliebtes  2Beib"  gefagt  unb  nidfjt  „meine  SBraut". 
„Sie  f)aben  einanber  ftd)er  gern/'  badjte  fie,  „aber  in  feinen  £uftfd)löffern 
fdjeint  fie  nid)t  ju  wohnen  ....  33ielleid>t  ijt  fie  ein  $u  fd&merfälligcö 
SBernunftioefen,  als  baß  fie  bort  leben  fönntc  .  .  .  Unb  er  ift  bod)  eine 
fo  poetifdje  Statur!" 

SBtlfyelm  fjatte  ftdj  ganj  in  Bewegung  gerebet;  feine  (Stimme  Ijatte 
einen  roeidjen,  elegifd)en  Stfang  befommtn,  alä  er  biefe  ibnllifdje  $f)antafie 
oortrug.  ^efct  fdjroieg  er  unb  faf)  cor  fid)  nieber.  (Sin  uerftimmter, 
müber  3"9  foß  um  feinen  SJtonb,  nur  in  ieinen  2lugemoinfeln  haftete  nod> 
ber  Stimmer  eines  £äd)eln£.  Antonie  fanb  ilm  in  biefem  Slugenblicfe 
ungeroöfmlid)  fdjön. 

„2Benn  icf)  mir  einbilbe,  baß  id)  eine  fofdje  §errlid)feit  befäße," 
fagte  griebertfe,  „bann  benfe  id)  baran,  wie  t)übfc^  e$  fein  müßte,  in  ber 
Sommerzeit  SBerroanbte  unb  Sefannte  ein3ulaben,  bie  fonft  nid)t  auf's  £anb 
fommen  fönnen  .  .  .  f)ier  ift  fo  oiel  $la|j,  fie  fönnten  ganj  ungenirt  (eben 
.  .  .  ftur  müßten  fie  punftlid)  $u  ben  SJtoljljeiten  fommen,  roenn  tdj  bie 
große  ©locfe  jie^e." 

„©ans  atiS  ob  id)  2Jtorie  f)örte",  badete  SSttyelm  —  unb  gleidj  barauf 
fügte  er  in  ©ebanfen  f)in$u:  „2Benn  bie  gute  Seele  nur  fdjon  roieber  auf 
bem  23  od  fäße;  eS  ift  ein  ©lud*,  baß  fie  ba£  9tticfnjärt3  fahren  nicf)t 
oerträgt!" 

„(Sine  3lrt  gamilien*.§°tel,"  bemerfte  Antonie. 

„So  fann  man  es  ja  nennen  .  .  .  Unb  toaS  fagft  beim  $u,  ©eburt3= 
tagSfinb?  SBenn  3)u  baS  alle«  jum  ©eburtstage  gefdjenft  befämeft  — 
ober  jum  £odj$eit£tag  ?" 

Antonie  antwortete  nidjt  gleid).  Sie  blicfte  äur  ©rbe  nieber  unb  ftieß 
mit  bem  Sdjirm  in  bie  Sonnenfletfen,  an  benen  fie  oorübergingen.  tyiöfy 
lid)  fdjütteltc  fie  heftig  ben  &opf: 

„3d)  will  lieber  gar  nid)t  baran  benfen;  id)  befomme  fouft  oiel  5U 
oiel  fiuft  banadj!" 

„Sttein  ©Ott!"  rief  grau  Stordj.  „28ir  f)aben  ja  gan3  oergeffen,  ba£ 
mebtidie  5linbert)äu»d)en  im  ©ute  an^ufeljen;  ba  müffen  mir  nodj  fyinl" 

„3tber  bort  f)ält  ja  fd)on  ber  SÖagen  am  (Snbe  ber  2lllee,"  menbete 
ber  3)octor  ein,  feine  Stirn  mit  bem  rotfjcarrirten  ^afdjentudje  trocfnenb. 

„%ü),  id)  muß  auf  alle  ^ölle  erft  l)in!"  rief  Slntonie,  ,,id)  fann  mid; 
nodj  fo  gut  auf  baS  föäuSdjen  befinnen  .  .  .  .  id)  muß  e£  unbebingt 
toieberfefjen !" 

äöill)elm  läd^elte.  3(ud)  er  erinnerte  fid)  baran,  wie  bie  fiebenjäljrige 
Xont)  auf  ben  3e^en  geftanben,  iljre  tounberlidjen  i'ippen  gefpifet,  bie  großen 
3lugen  fidt)  faft  aus  bem  Kopfe  IjerauSgegucft  unb  in  bie  fleine  Stube 
t)ineingeftarrt  fjatte,  in  ber  bie  minjigen  Stühle  unb  Xifdj  unb  Sopfja  fo 
orbentlid)  baftanben  unb  ber  Spiegel  an  ber  Söanb  ^ing,  al^  wartete  bie 
ganje  Sßo^nung  nur  barauf,  baß  eine  Swcrgfamilie  einjie^en  foHe.  ftarriet 


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392 


tfcul  (Bjcllernp  in  Dftnemarf. 


tyatte  ilmt  juge[ad)t  unb  gefaxt:  „5£eun  fie  groß  fein  toirb,  bann  wirb 
gräulein  Antonie  wafjrfdjeinlid)  mit  eben  einem  folgen  fjeißrjungrigen  SHicfe 
auf  ba»  ganje  Öut  fel)eu." 


„föören  Sie,  e$  borniert/'  fagtc  Antonie.  ift  audj  fo  fdjroül 
unb  [tili  geworben  .  .  .  Unb  jefet  blifet  e£." 

2lm  .§orijonte,  auf  beut  bunfeln  s2i>olfengrunbe  Ritter  bem  Meinen 
SWaftenwalbe  im  $afen  r»on  Jlarrebäteminbe  gitterte  ein  bläulid)es  &ia)t. 
Sauor  aber  lag  2lUe3  im  Sonnenglanj.  $ie  weiße  tfalfroanb  beä  Äirdj: 
tyurotö  uon  Alarrebäf  brü6en  roarj  einen  langen  Spiegelftreifen  in  bie  un= 
bewegte  See,  bie  3)tüf)le  ftredte  iljre  glügel  regungslos  in  bie  blaue  £uft 
hinauf/  ba$  Gaffer  be£  33adj£  gü^erte,  unb  auf  bem  grünen  SSMefenteprnaV 
flimmerten  bie  frifdt)gemät)ten  &eufdjober,  rurje  Scr)attenfdjteppen  hinter 
iidj  breiteub.  Unfcr)ulb$weiße  Sommerwölfdjen  sogen  in  langem  3uae  ü6er 
bie  ftnfter^blauen  Jia^tengipfel  unb  bie  bräunlidjen  Saubfuppeln  ber  Söudjen 
l)in;  leife  gurgelten  bie  ^Sellen  am  guße  bes  fdjroff  abfalleuben  §ügel$ 
unb  rafd)e(nb  ftridjen  bie  Blätter  ber  söinfen  an  einanber  Jjin  unb  r>er. 

„§3  ift  bod)  fd&abe,  baß  grieberifc  bie  ganje  Seit  brinnen  fein  unb 
(Sfjofolabe  fodjen  muß;  id)  foHte  wirflidj  fjtngerjen  unb  i&r  Reifen." 

„$ein,  bleiben  Sie  nur  rjier  .  .  .  Sie  fjaben  ja  gehört,  baä  fie  e$ 
nicfjt  will  .  .  .  kommen  Sie,  f oH  idj  Sie  einmal  fdjaufeln?" 

„C  ja,  unb  redjt  rjod)!" 

Sinfonie  fprang  in  bie  Sdjaufel,  er  faftte  ben  Stricf. 

„So  Iwd)  Sie  fönnen,  tcr)  werbe  niajt  fdjwmblig  !" 

Unb  hinauf  fdjoß  fie  —  nart;  uorn  in  bie  blaue  Suft  unb  rücfroärt* 
in  bie  fronen  bcs  halbes,  als  ob  Tie  wie  eine  roilbe  2)rnabe  in  itmen 
uerfajwinben  wollte,  ^n  leisten  Linien  wogten  bie  Jalten  bes  bleibe* 
ifjr  um  bie  Süße,  bie  fie  feft  übereinanber  gefreujt  oorgeftrecft  fjielt.  Sie 
freute  ficr)  an  bem  füllen  &uftljaud)e,  ber  fie  liebfofenb  unb  ftreidjelnb 
umwerte,  unb  fd)rie  oft  unwillfürlid)  auf,  wenn  ba£  fteile  ?lbwärt3gleiten 
au3  ber  £öl)e  tyv  ben  Sltljem  benagt,  bis  fie  jule^jt  wie  trunfen  fidt)  ganj 
bem  ^iaufdje  ber  Bewegung  Eingab,  bie  Süße  (jinuuterfinfen  ließ  unb 
ben  9iaden  fo  weit  jurüdbog,  baß  bie  lauge  Sinie  it;rc3  &alfe$  in  ge* 
ftredtem  iBogen  bis  511  bem  ©rubren  be3  ftinnä  f)inaufltef.  3lb  unb  ju 
breite  fie  ben  ftopf  ein  wenig  nad;  ber  Seite  unb  falj  lädjelnb  auj 
2i>ilt>elm,  ber  baburd)  ju  immer  größerer  Sluftrengung  angefpornt  würbe. 
(Sr  warf  ben  £ut  in'ä  törae  unb  fufw  fort,  an  ber  Seine  $u  sieben,  ob* 
gleid)  bie  leifefte  ,£anbbemegung  genügt  Ijätte,  bie  faufenbe  Schaufel  in 
Sdjwung  31t  erhalten.  fiel  il;m  gar  nidn"  ein,  baß  bieS  gefäfjrUd)  werben 
tonne,  er  badjte  nid)t  naä^,  er  füljlte  nur  bie  Segierbe,  immer  unb  immer 
wieber  biete  letdjte  £aft  511  beflügeln,  unb  ^ätte  e3  aua^  mit  feinen  legten 
Straften  gefdjefjeu  müifen. 


X. 


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<S  =  Dur. 


393 


„Um  ©otteätüiHen,  Äinb,  rote  fdjaufelft  $)u  ba!"  rief  grau  Stord), 
bie  mit  ^eegefd^irr  auf  ber  Seranba  erfaßten. 

Sie  fjörte  es  ntdjt.  9ting3umf)er  fingen  bie  Saumnripfel  an  ju 
raujdjen.  ^ßlöfclidj  fafj  er,  bafc  fie  ifjm  Seiten  ntadjte.  Sie  bat  tlm 
einjufyalten.  (Siner  ber  fdjroanfcnben  3roe^9e  fta^e  fie  w'S  ©efid&t  ge= 
troffen. 

@f)e  nod;  bie  SdKiufel  gans  ftiü  ftanb,  f prang  fie,  oljne  feine  öülfe 
anzunehmen,  herunter  nnb  lief  nad)  bem  ©etänber  am  föügelranb,  beffen 
00m  Seeroinb  jerjaufte  Sudjenfronen  ficr)  jefct  nodj  ftärfer  lanbeimuärts 
bogen,  £er  ÜSinb  blies  ifjr  baS  ftletb  feft  um  bie  Seine  unb  jerrte  in 
feinen  galten,  eine  lange,  oon  ben  3roßiöen  aufgeriffene  Strähne  il)reä 
blonbeu  £aare3  flatterte  nrie  ein  Söimpel  hinter  ifjr  l;er. 

„^efjmen  Sie  boaj  etroaS  um,  Sie  erfälten  fid)  fonft,"  fagte  2öilf)elm, 
ber  ifu*  gefolgt  war. 

„34?  D  nein!"  antwortete  fie  mit  bem  ber  Sitßttrt)  eigenen  naioen 
3utrauen  auf  bie  unoerlefclidje  geftigfeit  i^rel  ÄörperS.  —  „916er  Sie 
fefjen  erfjifet  unb  angeftrengt  au£  .  .  .  2£a$  für  eine  fd)ledjte  fleine 
©goiftin  bin  i$  bod),  Sie  fo  arbeiten  ju  laffen  unb  3l)nen  nidf>t  einmal 
5U  banfen  .  .  .  Sin  idj  nrirflid)  fo  ferner?"  fügte  fie  mit  einem 
fd)elmifd)en  Sädjeln  ^tn^u. 

„Wein,  ba*  märe  Sünbe  ju  behaupten!  2lber  id)  roeifc  ntd&t,  idj  tjabe 
e$  $u  ungeftüm  getrieben,  unb  es  ift  nrirfltdj  tyeifj  .  .  .  3efct  befommen 
mir  ©rfrifclwng  burdj  biefen  Stauer." 

„SBenn  e$  nur  nid&t  ganj  fa;lea)te$  Sßetter  roirb  .  .  .  2lber  fefjen 
Sie,  ba*  ift  bod;  f$ön!" 

$ie  Mafien  brüben  im  &afen  fingen  an  leife  %\x  fdjaufeln  unb  ein 
paar  Segel,  bie  jum  £ro<fnen  aufgehängt  roaren,  bläßten  ftd)  auf  .  .  . 
lieber  bie  glatte  glädje  be$  &aff3  begannen  bunfle,  gefpenftifdje  Statten 
bal)in5ufliegen,  bis  ba$  ®an$e  ju  einer  gefräufelten  ftatylblauen  glädje 
rourbe.  £ann  tauften  braufeen  am  Ausgange  ber  Sudjt  einzelne  fleine 
glänjenbe  fünfte  auf  unb  fdjaumroeifee  Streifen  famen  l)ereingefegelt, 
einer  Sdiaar  oon  Seeoögelu  gleid),  roeld;e  ben  £afen  fudjen.  2lud)  baS 
raufdjenbe  Saub  be§  Söunebe*2BalbeS  cor  tfmen  roogte,  finfter  unb  glanjloä 
mit  ben  00m  Sötnbe  mitgefeierten  blättern. 

grieberife,  roeldje  melbete,  bafj  bie  Gfjofolabe  fertig  fei,  ftörte  fie  in 
ifjren  9toturbetrad)tungen.  2)?an  r)atte  be$  »tters  wegen  in  ber  Stube 
gebedt. 

211«  man  gegeffen  fjatte,  mar  ber  Regenfdjauer  oorübergejogen  unb  ber 
Gimmel  über  i&nen  unb  über  ba3  £anb  tynauZ  roieber  blau;  nur  über 
ber  Cftfee,  hinter  ben  SJfaften,  bereu  Segel  im  Sonneulidjte  glätten, 
lag  noa;  ein  föroarjblauer  9?cbel,  unb  bisweilen  leud;tete  e$  braufeen  am 
£ori$onte  auf.  Sie  Regentropfen  fjatten  faum  ben  Sanb  gefärbt,  bem 
geplanten  Spaäiergange  int  SBalbe  ftanb  nta)t«  entgegen. 


Karl  (ßjellcrup  in  Däncmarf. 


(Sine  ©efeUfdjaft  lärmenber  SRaeftoeber  Bürger  mar  uor  bem  ßaufe 
um  einen  mit  Öierflaföen  befehlen  £ifd)  oevfammelt.  9(ua)  fie  wollten 
eben  aufbrechen,  um  in  ben  2Balb  $u  gehen,  ©iner  oon  Urnen,  ber  fdjon 
in  ben  gußroeg  eingebogen  mar,  breite  fid>  plöfclidj  um,  fdjfog,  fidj  cor 
bie  Stirn,  als  ob  er  mit  einem  9)?ale  eine  großartige  3bce  befornmen 
hätte,  unb  eilte  nach  ber  glafchenbatterie  surüd  mit  bent  2luSrufe:  „3$ 
glaube  roahrhaftig,  es  fönnte  nichts  fdffaben,  wenn  ich  nod)  eine  £aibe 
tranfe!" 

XiefeS  Scfenntntß  erregte  große  £eiterfeit.  XeS  XoctorS  oierecfigeS 
©ejid^t  rourbe  fupferrotb  oor  Sachen,  nur  Antonie  ladfjelte  faum.  Sie 
mar  plöfclid)  ganj  [tili  unb  emft  geworben  unb  fprad)  bloS  mit  grieberife, 
bie  nidn"  nur  mährenb  ber  garjrt,  fonbem  auch  fpätcr,  als  ber  SHfdj  ge= 
bedt  mürbe,  fo  menig  mit  ihr  äufammengeroefen  mar. 

2lls  fie  oon  bem  Spaziergange  jurüdfamen,  fn'elt  ber  Sagen  fdtjon 
angefpannt  unter  ben  Räumen.  @S  bauerte  jebodj  eine  Seile,  bis  3IUeS 
jufammengepadt  mar.  Um  bie  ^ferbe  fd&toebte  eine  Solfe  oon  Sremfen, 
fie  maren  faum  ftill  ju  galten;  fo  fehr  fie  audf)  ben  tfopf  beroegten  unb 
mit  bem  Schroeife  fd)lugen,  bennodj  fefcten  fid)  gan$e  Schmärme  ber 
fleinen  Slutfauger  auf  ihrem  faftanienbraunen  gelle  feft. 

„9iun,  um  fo  fa)neHer  fommen  mir  fort,  roenn  fie  laufen  bürfen," 
faßte  Antonie,  bie  bei  bem  £anbauer  ftanb  unb  fid)  mit  SilhelmS  $ülfe 
ben  SDtontel  ansog.  —  „Unb  es  ift  fo  angenehm,  in  ber  2lbenbfühle  fcfmeu* 
heimmärtS  ju  rollen  .  .  .  Senn  nur  grau  Storcf)  ntdjt  etma  l;aben  mill, 
baß  ber  Sagen  gefdfjloffen  mirb." 

Sie  manbte  fidt)  um,  ging  um  bie  ^ferbe  Ijerum,  unb  fchlug  mit  ber 
£>anb  auf  fie,  baß  eine  gauje  Sftenge  Söremfen  jerbrüdt  auf  ihnen  fangen 
blieb.    Xriumphireub  seigte  fie  bie  oon  SBlut  geröteten  £anbfläd)en. 

„Siein,  mie  ficljft  Xu  benu  aus?"  fragte  grieberife,  bie  im  felben 
2lugenblide  anfam,  unb  bem  5lutfa)er  ein  'ißadet  oon  Xifdtjbeden  unb 
Seroictten  hinaufreichte.  „Siflft  Xu  nid&t  ncd;  einmal  hineingehen  unö 
Xid)  roafdjen?" 

„2lch,  baS  tt)ut  nichts;  £crr  ßerj  meiß  ja,  mof)er  es  fommt  .  .  .  . 
i)lber  fannft  Xu  mir  fagen,  roaS  baS  für  SBlut  i{t?" 
„9?uu  ja,  ^bremfenblut." 

„Senn  es  nid)t  ^ferbeblut  ift,  je  nadjbem  baS  ©eftotylene  (Sigentfnmt 
beS  XiebeS  ober  bes  iüeftoljlenen  ift  .  .  .  UebrigenS  ^aft  Xu  jebenfalls 
Unrecht,"  fügte  fie  ftolj  über  it)ren  Sdjarffinn  fn'nju,  „benn,  menn  es  bem 
Räuber  gehört,  fo  gehört  eS  jefct  mir,  unb  barum  mill  ich  meine  §anb; 
fchufje  barüber  sieben/' 

Sie  fprang  in  ben  Sagen  unb  Silhelm  fefcte  fidj  mof)lgemuth  an 
ifjre  Seite,  nadjbem  er  ber  „guten  Seele"  auf  ben  33od  hinaufgeholfen 
hatte,  grau  Storch  fanb  fid},  forgfältig  in  £ücher  genudelt,  ein  unb 
entfajloß  fia)  nach  langem  3«ubem  unb  oielen  mißtrauifdjen  Süden  jum 


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(5  Dur. 


395 


£immel  enblid)  für  ben  offenen  SBagen,  nadjbem  ber  Xoctor  flc  barauf  auf* 
merffam  gemad)t,  bajj  man  benfelben  ja  unterroegS  5ufd)lageu  fönne. 

„Xa§  ift  roatyr,  e3  ift  bod)  rjfibfd)  mit  biefen  neuen  (Sinrid)tungen!" 
rief  grau  Stord),  „ba$  mufet  Xu  bod)  jugeben,  ba&  bieS  eine  &erbeffe= 
rung  ift'/' 

,,31$  roaS,  SSerbefferung!  @3  mar,  meiner  £reu,  mel  gemfitbltdjer 
in  ben  alten  Äut(d)en  ...  Sie  Ratten  bod)  roenigftena  einen  orbentliajen 
23ocf,  auf  bem  man  fd)lafen  tonnte,  nidjt  fo  einen  33ocf,  auf  bem  bie  arme 
SRiefe  balanciren  mu§  rote  eine  £enne  auf  ber  £üf)nerftiege  ....  9J?an 
fann  ja,  ©Ott  ftef)  mir  bei,  fd)rotnblig  werben,  wenn  man  fte  nur  anfielt  — 
60  ein  bi£d)en  oon  einem  eifernen  ©elänber,  ba$  nid)t  rjöljer  f)inaufgef)t 
als  bte  barjin,  roo  ber  dürfen  anfängt  .  .  .  Xie  nötigen  alten  flalefd)en, 
bie  in  gebern  fingen  —  ja,  bie  f)abt  3^r  freilid)  nid)t  gefeljen  —  ba$ 
mar,  meiner  Seel,  eine  anbere  ßomöbie!  ....  2lber  roaS  l;at  benn  bie 
heutige  3wö^  überhaupt  gefeljen?  ift  ein  Jammer  unb  eine  Sd)anbe, 
baran  $u  benfen;  roeber  bie  ga§rpoft  nod)  irgenb  ein  anbereS  Stüddjen 
Diomantif  .  .  .  .  9to,  unb  bann  fjatte  man  bod)  bamate  ipiafe;  jefct  mag 
ber  äufuf  roiffen,  roo  man  feine  Seine  (jintrmn  fott  .  .  .  33tjt  Xu  ba3, 
£onn?  9)ht  deinen  fangen  Steden  nimmft  Xu  ben  ganzen  SBagen  ein. 
ift  ein  roaljreä  Gleub!" 

Unter  folgen  Redereien  rollten  fie  fdmell  ben  meieren  ffialbroeg  baf)in, 
roo  e£  fd)on  bunfel  unb,  fü^pC  roar,  unb  burd)  lid&teö  33irfengebüfd)  bem 
füllen  Sffiaffer  entlang. 

211$  fie  aus  bem  Sdjlojjparfe  fjinauSfamen  unb  über  ben  langen 
8rü<f enbamm  oon  ©aunö  fuhren,  roar  bie  Sonne  im  begriffe  unter$ugef)en. 
Ston  bem  rotfjen  ^orisonte  ftraf)tte  ein  langer  £id)tftreifen  nad)  bem  3enitl) 
hinauf.  Antonie  fragte,  ob  bie3  bad  3obtafallid)t  fei,  von  roeldjem  fie  in 
ben  „Briefen  ©abricliä*)"  gelefen  fjatte.  SBilljelm  r>ermod)te  feinen  9luf; 
fdjlufj  $u  geben.  Xer  Xoctor  tröftete  ftd)  bamit,  einmal  geroufct  ju  baben, 
roaä  äobiafallia^t  fei  —  unb  aU  ba$  britte  3ünbbol$  bei  biefen  Semerfungen 
au$löfd)te,  liefe  er  ben  Jiuti'djer  galten,  um  enblid)  feine  pfeife  anjünben 
ju  tonnen. 

„<Qaft  Xu  Xid)  ein  roenig  amüfirt,  meine  £iebe?"  fragte  grau  Stord), 
„unb  bereuft  Xu  nid)t,  an  Xeinem  ©eburtätage  tyex  geblieben  $u  fein?" 

,,2(a),  id)  fyabe  e$  fo  gut  gehabt,  id)  bin  fo  frolj!"  antwortete 
Antonie,  inbem  fie  läd)elnb  grau  Stord)  juniefte  unb  ftd)  bebaglid)  in  bie 
Äijfen  brüdte. 

„£aft  Xu  nid)t  ba$  XingS  mit,  ba$  id)  Xtr  jum  ©eburtätage 
ge|d)enft  ^abe?"  fragte  uom  Wod  herunter  grteberite,  bie  oor  lauter 
2üd)em  unb  Sf)arol$  nid)t  im  Stanbe  roar,  fid)  umjubreljen. 


*)  »cfaimter  bantfdjer  dioman  beS  5Jtyt(ofopI)en  Sibbcrn;  ttwal  an  (MwtbcS 
.5ßeTt^r"  crinnernb. 


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396 


Karl  (Sjellernp  in  Dancmarf. 


„2ßte?  £aS  ^atentbingS  V  $aS  fannft  £u  £ir  woljl  benfen,  baS 
ift  tängft  in  Stüde  gegangen  .  .  .  9?ein,  wie  man  nod)  mit  feinem  Staltf 
auf  ben  geuerftein  dämmerte,  ba  fonnte  man  ftd)  bodj  bei  jebem  SBetter 
feine  pfeife  anjünben  .  .  .  9to,  fahre  nur  ju,  9iaSmuS." 


Silhelm  fchritt  unaufhörlidj  in  feinem  Heinen  ©afoimmer  auf  unb 
nieber. 

Sie  alte  äßecferur)r  fdjlug  jirtemb  unb  fjeifer  elf;  aber  er  fonnte  fia) 
nicht  entfd;lie&en,  ju  23ette  ju  gehen. 

SaS  3tmmer  Iüar  noa)  hei&  pon  ber  3lbenbfonne,  unb  bie  fdjroüle, 
bumpfe  Suft,  bie  langfam  ofme  ben  leifeften  SiMnbhaud)  bürde)  bie  geöffneten 
genfter  brang,  brachte  wenig  flüljfe  mit.  21b  unb  ju  leuchtete  es  broujjen 
in  ber  ginfierntfj  auf,  unb  ein  langgezogener  Sonner  grollte  in  ber  gerne, 
als  ob  ein  iöagen  am  £>ortjonte  ringsherum  baljinführe,  plö^tidr>  lautlos 
auf  einem  Seitenwege  oerfchminbenb,  um  bann  nrieber  über  ben  garten 
$oben  ber  £anbftrafje  weiter  ju  rollen. 

9JuS  feinem  genfter  fiel  ein  Sidjtfchimmer  auf  bie  Blatter  emes  großen 
SüwrnbaumeS  unb  weiter  HnfS,  nach  einem  fchmalen  Sdjattenftreifen,  waren 
bie  Blätter  wieber  beleuchtet.  Ser  Schein  mu&te  aus  bem  3immer 
2tntonienS  fommen. 

Ms  Silljelm  fid)  hinausbog,  faf)  er  Antonien,  bie  Gflenbogen  auf  bie 
iörüftung  geftüfct,  ficr)  aus  bem  genfter  hinauslehnen.  Sie  fd&ien  fic3r>  gleich 
ihm  nicht  losreißen  ju  tonnen  oon  biefem  Sage,  ber  fd)on  anfing  ber 
Vergangenheit  an$ugef)ören  .  .  .  2Öer  meifj,  otelletdtjt  ^atte  auch  er  feinen 
sMt\)c'\i  baran  .  .  . 

©an$  leife  begann  er  eine  Gelobte  oor  fidr)  hin  ju  fummen,  bie  ihm 
gerabe  auf  bie  kippen  fam. 

2tntonie  breite  fofort  ben  Stopf  unb  blicfte  ihn  an. 

,,2ld),  Sie  finb  auch  nodr)  nicht  ju  23ett .  .  .  (SS  fommt  herauf .  . 

„3Ba* ?" 

„9iun,  baS  ©cwitter." 

,,2ld),  Sie  fehcn  nach  bem  Detter  unb  ich  glaubte,  Sie  fchwebten  in 
romantifchen  Xräumen  hoch  über  ben  Solfen  —  wenigstens  jwifchen  ben 
Sternen!" 

„SJiache  ich  benn  einen  fo  fchmärmerifchen  Ginbruct?" 

„9ton,  wenn  Sie  fidfj  bei  9^acr)t  in  biefem  Äoftüme  jum  genfter 
hinauslehnen,  fel)en  Sie  aHerbingS  ein  wenig  romantifch  aus." 

„21a),  ich  9^5  oergeffen,  ba&  ich  beinahe  im  9?eglig6e  bin.  £0$ 
es  ift  2llleS  ja  ganj  orbentlich." 

„C-rbentlidj !  D,  Sie  foüten  nie  anberS  gefleibet  fein,  eS  fieht  3h«en 
gut  ....  3U  einem  s])?aSfenbaH  mü&ten  Sie  immer  nur  biefen  Stnjug 
wählen  —  aus  ber  SteoolutionSjeit  ober  oielleicht  aus  bem  (Empire?" 


XI. 


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 (S^Diir.    597 

„So?  (SS  paßt  wohl  für  mid),  wie  meine  eigene  Urgroßmutter  auS= 
jufehen!  ....  2)aS  finb  ja  munberlidje  $tnge,  bie  ich  ba  über  mich  p 
fyören  befomme"  fagte  fie,  fehr  gefdjmeichett  barüber,  bog  er  fid)  um  ihr 
2(eußereS  fo  oiel  fümmerte,  um  fogar  in  ©rwägung  §u  jiehen,  welche 
Xoilette  fie  am  beften  fleiben  mürbe. 

Sie  fyatte  ihren  großen  fragen  abgelegt  unb  weil  baS  Äleib  ftarf 
auSgefdmitten  mar,  ein  weißes,  feibeneS  £uch  um  ben  &alS  genommen, 
beffen  ©nben  am  ©ürtel  befeftigt  waren,  fo  baß  es  glatt  über  bie  Schütter 
hinweg  ging  unb  feine  burchfdummernben  galten  auf  ber  SBrujt  fdjräg  $u* 
fammenliefen. 

„Singen  Sie  baS  nod)  einmal,  es  iffc  fo  fdjön." 

„3$  weiß  wirflid)  nid)t,  was  es  mar/' 

Antonie  fang  bie  3WeIobie  leife  unb  mit  jd&üdfjterner  Stimme: 

„@S  ift  aus  einem  Sd^ubert'fdjen  Quartett;  baS  idj  fo  fehr  liebe  — 
es  würbe  an  unferem  legten  Quartettabenbe  im  grühjafjre  gefpielt." 

„2lh/  baS  G-DursQuartett,  Sie  fennen  eS  alfo  .  .  .  0,  eS  gehört 
ju  meinen  liebften.  3d>  weiß  felbft  nid)t  warum,  aber  eS  giebt  feine 
anbere  3Kufif,  bie  mid)  fo  tief  ergreift  .  .  N.  3$  glaube,  wenn  id)  einmal 
fterbe,  wünfdje  ich  mir,  baß  bieS  Quartett  gefpielt  wirb,  um  bei  feinem 
legten  £acte  auSjuathmen  .  .  .  @S  ift  lange  her,  baß  ich  eS  jum  erften 
9Kale  gehört  habe." 

Unb  wcüjrenb  er  in  bie  finftere,  blifoburcfoirterte  ^todjt  hinauSiah, 
oerfefcte  er  fia)  jurüct  an  einen  jener  £age,  bie  3U  ber  erften  UnglücfSjeit 
feiner  Siebe  gehörten,  <£r  faf)  ben  leeren  Saal,  matt  erfüllt  oon  bem 
traurigen  §alblid)t  beS  9iooembertageS,  mit  bem  großen,  über  ber  9)Jenge 
ber  aufwärtsftehenben  Stuhlbeine  tljronenben  glüget,  unb  an  bem  legten 
regentrief enben  Jenfter  baS  Quartett,  baS  eben  ju  fpielen  begann.  (Sr 
ernannte  ben  oierecfigen  9iüden  beS  SöratfcheitfpielerS,  ben  breiten  ^errüden= 
ftocfnacfen  beS  jweiten  33ioliniften  unb  ben  fremben  33irtuofen,  ber  baS 
Spiel  abbrach  unb  feinen  Nebenmann,  ben  Gelliften  corrigirte:  „£etdn"er, 
oiel  leidster  —  fo  —  geifterfjaft  bunfel"  .  .  .  ©r  mar  bamalS  grenzenlos 
unglücflid)  gemefen,  als  er  bie  Schönheit  biejer  jugleid)  wehmuthSoollen  wie 
leibenfdpaftlid^en  3)iufif  einfog  —  mar  er  benn  fpäter  eigentlich  glüctlid) 
geworben  ? 

„§ören  Sie,  wenn  Sie  3Jfufif  fo  lieben,  haben  Sie  mä)t  Suft,  einmal 
ju  unferen  Quartettabenben  ju  fommen?  .  .  .  2i>enn  Sie  uns  überhaupt 
befugen  wollen  .  .  .  2Bie  geht  eS  benn  eigentlich  5U,  baß  wir  uns  alle 
biefe  3ahre  in  Kopenhagen  gar  nicht  gefehen  haben?" 

„Sa),  ich  weiß  felbft  wtrflid)  nidjt  —  id)  —  eS  ift  fcr)on  lange  tyer, 
es  \)Me  fo  allmählig  oon  felbft  auf  —  Sie  Ratten  einen  anberen  33c  - 
fanntenfreis  befommen,  unb  auch  idj  war  mit  anberen  gamilien  befannt 
geworben  —  unb  oermißt  hat  man  mich  roohl  aud)  nicht." 

„D,  fagen  Sie  baS  nicht  .  .  .  3<h  war  natürlid;  bamalS  ju  flein 


398    Karl  (Sjcllcrnp  in  Dänemarf.   

al«  bafj  ich  mich  hätte  barum  fümmern  tonnen,  roer  ba  fam,  aber  tdj 
erinnere  mich  boa),  bafj  SBater  Sie  fe^r  gern  hatte  —  unb  2flutter  unb 
gantet  aud)." 

©ott  roet{3,  ob  roirfltch  etroa«  jrotf^en  ihm  unb  fiarriet  oorgefallen 
ift,  bad)te  Antonie,  welcher  bie  Verlegenheit  ntdjt  entgangen  war,  mit  bei 
er  eine  2lntroort  5U  umgeben  fuchte.  —  ©«  roar  eigentlich  eine  inbi«crete 
grage  geroefen  .  .  .  2ld)  roa«,  ba«  t^ut  md;t«,  er  wirb  §öchften«  glauben, 
ba&  ich  nicht  bie  minbefte  Sllmung  baoou  ^abe. 

Sie  roenbete  fidr)  nach  ihm,  er  aber  hatte  ben  ßopf  nad)  ber  Seite 
gebreljt;  ba«  £i<ht  beleuchtete  fein  falbes  ^rofil  unb  bie  weiften  ginget, 
bie  neruö«  ben  Schnurrbart  breiten. 

ßine  fong  waren  fie  ftumm  unb  blieften  nach  bem  ©eroitter, 
ba«  [ich  nahte.  23i«roeilen  fehlen  ber  ßorijont  fich  au«einanber  §u  Rieben 
unb  man  fat)  roie  burch  ein  geöffnete«  £immelfenfter  breite,  juefenbe 
glammenftreifen,  gegen  beren  jchroefltg  *  blaue«  Sicht  ftch  bie  bunfeln 
Linien  be«  SBalbe«  roie  finftere  ^Bellen  abhoben.  2)ann  roieber  leuchtete 
e«  plöfcli<h  auf,  blenbenb,  formlo«  unb  rafch  oerlöfchenb,  elje  mau  e«  recht 
gefe^en.  2lnbere  röthlichere  Strahlen  aber  befamen  formen  unb  ©renken, 
mürben  ju  geuerjeidmungen  auf  bem  fdjroarjen  ©runbe.  2ßic  somige 
Grjerub«fchroerter  ftiefien  fie  hinauf  tn  bie  #uft  ober  fuhren,  Sonnerfeilen 
gleich,  ät^ad  ^ernieber.  einzelne  fchienen  ledenb  über  bie  fernen 
&üget  bafnn  ju  laufen. 

„9Jein,  fo  ein  $life!"  rtef  Antonie,  inbem  Tie  unroiflturlich  ben  Äopf 
Surücfjog.  „Unb  hören  Sie,  ba«  roar  niel  näljet  al«  oorhin!  (£«  ift  gut, 
ba&  Sie  hier  nebenan  finb,"  fügte  fie  offenherzig  hta$u,  „fonft  roürbe  ich 
9lngft  befommen!" 

„So?  gürdjten  Sie  fich  vox  bem  ©eroitter?" 

„3a.    Sie  nicht?" 

„9ietn,  ba«  fann  id)  eigentlich  nicht  fa9*n . . .  3Id),  ba«  ift  Sieroofttät." 

„kommen  Sie  nun  auch  bamit?  .  .  .  Smmer  muffen  e«  iefct  bie 
Heroen  fein  .  .  .  &abe  ich  nidjt  einmal  bie  (Srlaubnig  2Ingft  ju  haben, 
ohne  ba&  ich  von  meinen  9ieroen  hören  muß?" 

(Sin  bumpfc«,  unbeutliche«  Traufen  fam  00m  2£albe  her  unb  ein 
jittembe«  Säufelu  lief  burch  bie  ©ebüfehe  be«  ©arten«.  ©«  flang,  al« 
Ijätten  unfichtbare  ginger  auf  ein  paar  ber  nädjften  2Ihornblatter  gefa)tagen, 
bie  fich  budten,  roieber  emporjcfmeUten  unb  nicht  aufhörten  an  ihren  büunen 
Stielen  auf  unb  nieber  5U  fchroingeu.  $>ann  fchlug  e«  roieberum  auf 
ein  $ufeenb  Blätter  auf,  unb  bie  anberen  fingen  an,  au«einanber  unb 
roieber  $ufammen$ufahren  unb  ju  flüftern,  roie  erichroefen  über  biefe«  frembe, 
lebenbüje  (Stioa*,  ba«  mitten  unter  fie  gefommen  roar.  3lu<h  bie  Vorhänge 
befamen  2lngjt  unb  flatterten  in  ba«  Limmer  jurücf.  pöfclich  rourbe  e« 
finftcr  5iutfd)cn  ben  blättern,  bie  in  roilbem  Saufen  unb  Stoffeln  burA 
ctuauber  roirbelten.   mt  einem  Sötole  leuchteten  fie  auf  bei  bem  fdjrocfUg; 


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  (5. Dur.    399 

Stauen  Sdjimmer  eines  nafien  SlifeeS,  ber  unter  bie  großen  tropfen 
hinein  ju  fpringen  fdneit:  eine  fdjroere  3Regenfaloe  fd>lug  gegen  bie  genfter, 
bie  Sßü^eim  unb  Antonie  faft  gleid^jeitig  oerfdjloffen. 

2Bilf)elm  jünbete  fcfynell  baS  ausgelöste  £idjt  roieber  an.  Gr  Ijatte 
ber  Sdjroüle  wegen  bie  Xfyüxe  offen  fielen  laffen.  2llS  er  mit  bem  Sid;t 
auf  ben  SBorplafe  f)inau£trat,  ging  bie  Xf)ür  SlntonienS  auf  unb  Tie  ftanb 
bleich  in  bem  bunflen  Stofjmen  berfelben. 

„2Idj,  Sie  ^aben  &idjt!  .  .  .  3$  tonnte  meine  6treid$öl$er  mdjt 
finben  .  .  .  $>aS  war  bod)  gerabe  über  uns!" 

,,9tocf)  nid^t,  ba  fommt  erft  ber  Stornier." 

2tls  06  er  ärgerlid)  barüber  märe,  ju  fpat  gekommen  ju  fein,  fuf)r 
ber  Bonner  fort  ju  brummen  unb  brofjenb  ju  fnurren  wie  ein  £unb,  ber 
nid^t  länger  bellen  barf. 

Antonie  fdjien  nid)t  £uft  ober  ÜJhitf)  ju  ^aben,  in  ba«  pnftere  Simmer 
jurficfyugefjen  unb  ifjr  £icf>t  anju$ünben.  @ic  fefete  fidj  auf  bie  oberfte 
(Stufe  ber  Xreppe,  bie  gleid)  an  ijrem  3immer  hinunter  führte.  Söiltjelm 
fteßte  baS  fiidjt  auf  ben  33 oben  unb  nafyn  $la|j  an  iljrer  6eite. 

£er  biegen  Flatfdjte  ftromenb  auf  baS  Sdjieferbadj  nieber.  £>ie 
$>adjlucfe  ifmen  gegenüber  rourbe  jebeu  jJlugenblicf  oon  ben  Slifeen  erhellt, 
man  fonnte  burd)  bie  fleine  Oeffnung  ben  fdjroarjen  SDalbfaum  erfennen. 
3m  SBinfel  beS  2)ad)eS,  bort  wo  ber  Sdjetn  beS  £idjteS  nidjt  hinreichte, 
leuchteten  ein  paar  gelbe  Äugeln;  fobalb  bie  9?efleye  ber  93lifee  aud)  in 
biefe  @cfe  brangen,  oerfchroanben  fie,  unb  man  erblicfte  eine  jufammen; 
gebaQte  Jtafee  mit  gefdjjlojfenen  2lugen. 

Sei  jebem  ftarfen  Bonner  merfte  2Bilt)efm,  roie  Antonie  3itterte;  er 
plauberte  if>r  £roft  ju  roie  einem  erfdjrodenen  ßinbe:  eS  fei  feine  eigent* 
liebe  ©efahr  oorfjanben,  fie  mären  ja  in  ber  Stabt,  unb  baS  £aus  r)a6e 
einen  23li|abteiter  unb  ein  IjarteS  Xafy. 

3n  bemfelben  2lugenblide,  als  ein  gewaltiger  33!ife  fie  blenbete,  er* 
gitterte  baS  $auS  unter  einem  plöfcltchen,  furjen,  fanonenfchufeiifmlichen 
Donnerfc^lage. 

Antonie  brüdte  fidj  an  tfm,  er  legte  feinen  2lrm  um  fie  unb  als 
feine  23ruft  ihren  ^erjfchlag  füllte  roie  bie  fangenben  ginger  baS  glattem 
beS  Schmetterlings,  flopfte  er  fie  mit  bebenber  £anb  auf  bie  Schulter. 

„£onn!  &err  ^erj !  Seib  3hr  ba?  @S  ift  ja  ein  fdjredliches 
®ewitter.   flommt  bod)  ju  uns  herunter!" 

Antonie  fprang  auf  unb  lief  bie  treppe  Innunter.  SÖMlhelm  folgte 
oerroirrt  unb  ein  wenig  enttäufd)t,  obrooljl  er  fid)  fagte,  bajj  es  gut  fei, 
fie  nicht  gefügt  au  haben,  roaS  er  unfehlbar  getfjan,  roenn  es  noch  ein 
paar  Sefunben  länger  gebauert  fjätte.  Vielleicht  fei  er  fdjon  ju  roett 
gegangen.  9lber  fie  mar  es  ja  geroefen,  bie  fidtj  an  if)n  gefdjmiegt,  fie 
roar  fo  erf djroäen,  bafe  fie  nicht  mußte,  roaS  fie  tf)at,  unb  er  t)atte  fie 
nur  getröftet  roie  ein  trüber  .  .  .  &iefe  Qbee  gefiel  ihm:  eine  ©djroefter, 


^00    Karl  (gjellerup  in  DSncmarf.   

eine  Schwägerin  —  e$  war  ja  nid)t  feilte  Sdjulb,  ba&  fte  e3  ntd&t  ber 
2Öelt  gegenüber  war. 

2)ie  gamilie  befanb  fid)  allerbingä  in  ber  SSohnftube,  allein  trofc  ihrer 
(Sinlabung  eigentlich  nidt>t  in  einem  3uftanbe,  Söefudje  empfangen.  Xer 
®octor  mar  nodj  am  beften  bran,  nur  fonnte  ber  äugefnöpfte  Sdjlafrod 
es  nicht  Derbergen,  bajj  ber  fragen  be3  9iaehthembe3  nicht  befonberS  frifdb 
war.  3)ie  alten,  unter  bem  5tinn  sufammengefteeften  StjawlS  ber  £>amen, 
bie  intimen  Unterröcfe  unb  baö  nächtliche  £aar,  in  bem  ber  ©erottterfturnt 
gekauft  $u  Ijaben  fdjien,  Ratten  ettoaä  unmiberftehlidj  ßomijcheS  an  fich, 
ba3  alle  ©ebanfen  an  ©efatjr  üerfcheuchte.  $ie  Hängelampe  war  niä)t 
angejünbet  unb  warf  einen  grofeen  Schatten  fdjräg  an  bie  Eecfe,  roähreuo 
ein  Sämpchen  auf  bem  Manbe  be3  £ifct)e3  bem  2)octor  Sicht  jum  Sefen 
ber  3*it"n9  fpenbete.  £er  Soctor  fd)ien  ftä)  an'  einer  6cfe  unten  in  ba* 
sBort  „gortfefeung  folgt'7  uertieft  ju  haben,  feine  grau  niefte  unabläfng, 
ba3  Slinn  immer  tiefer  in  eine  gälte  be3  wollenen  £ud)e$  hinunter  oer= 
fenfenb.  grieberife  fafc  (erjengerabe  ba  unb  I)ielt  bie  3(ugen  auf  gesperrt, 
fo  bafj  man  eine  SSorftellung  baoon  befommen  fonnte,  wie  ein  £afe  au^ 
fteht,  ber  mit  offenen  SJlugen  fchläft. 

3lnfang§  mar  Antonie  ein  wenig  oerlegen,  aber  bie  ©emeinfdjaft, 
welche  jroifa^en  ben  jwet  ein$igen  Sachen  befielen  mufete,  ihr  gleichzeitige* 
fächeln,  wenn  grau  Storch  niefte,  liefe  ihre  Befangenheit  balb  fchmintien. 
5115  fein  3lüeiftf  mel)r  barüber  tierrfa)te,  baß  fiä)  ba£  ©ewitter  mehr  unb 
mehr  entfernte,  fd)lug  biefe  fogar  in  jugenblidje  2lu3gelaffenheit  um,  ne 
blies  grieberife  in  ben  Warfen  unb  fragte  ben  $octor,  ob  er  fia)  nicht 
mit  einer  (Srjrifdmng  ftärfen  wolle,  ob  er  nicht  bächte,  bag  ihm  „noch  eine 
Halbe  nichts  fdjabeu  f öune  V  eine  grage,  bie  einen  ohnmächtigen  ©dächten 
oerfuef)  heroorrief,  fo  bafe  grau  Storch  ein  paar  Secunben  auffab  .  .  . 
3KU  ben  2lnbern  mar  bodj  nichts  anjufteUen,  äöilhelm  blieb  i^r  einzige* 
^ublifum. 

„Sie  f)aben  mich  tyvAi  borgen  gebeten,  bafe  ich  3hnen  etwas  vox- 
fpielen  folle,"  fagte  fie,  „jefet  will  id)  es  tl)un,  beim  ba  bie  Öefafjr  oorüber, 
bin  ich  ebenfo  mutfjig  wie  ein  £ünbchen,  welches  beßt,  wenn  e*  au^er 
bem  Bereite  beS  StodeS  ift." 

Sie  begann  eins  ber  Sdjumannfchen  ^JapüIonS  ju  fpielen.  2ltS  er 
[ich  aber  an'S  genfter  jutn  Glauier  l)infc^te,  hielt  fie  inne  unb  fagte,  er 
bürfe  bort  nicht  fifcen,  fonft  greife  fie  banebeu. 

Xie  §albfd)lafenben  mürben  einen  9iugenbltcf  uon  ber  3)?ufif  eleftrtfirt, 
biefe  &>irfung  hörte  jeooch  balb  mieber  auf.   (Srft  als  fte  ben  ©rofjuater 
tan-,  anfing,  fcfjieit  fie  alte  gemfithlidje  Träumereien  in  ben  Schlaf  bei 
Soctors  Inneinjufpielen.    33?an  hörte  ihn  fogar  falfch  oor  ft$  hrn  brummen: 
„Unb  ald  ber  ©rofjuater  bie  Wrofemutter  nahm." 

211$  SiWhelm  unb  3lntonie  einanber  gute  9?acht  gemünfeht,  unb  nc 
fdjon  ihre  tyüx  geöffnet  hatte,  breljte  fte  ftch  plöfclid)  um  unb  fagte: 


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  (B-Dur.   

„$>aS  Ratten  Sie  nid&t  thun  foHen,  baS  mar  nicht  f»ü6f<^  oon  3fenen. 
£err  ^ers !" 

„2$aS?"  fragte  er  unb  errötete  eben  fo  ftarf  wie  fie. 

„2lch,  Sie  wiffen  fdjon  .  .  .  SBenn  ich  folche  alberne  2lngft  befomme, 
benenne  ich  mich  wie  ein  Jtinb ;  aber  Sie  r)ätten  mich  bod)  nicht  wie  ein 
fltnb  beljanbeln  follen!" 

Unb  et)e  er  ein  SBort  ber  ©rwiberung  finben  fonnte,  fjatte  fie  bie 
£hüre  gefdjloffen. 

XII.  - 

Marie  QngerSleü  fajj  cor  bem  9cal)tifch  anf  bem  altmobifchen  dritte 
am  genfter,  abwedtfelnb  in  bie  Aufgabenhefte  ihrer  Schüler  blitfenb  nnb 
äwifchen  ben  3roeigen  bes  ©artend  tyinburd)  nach  bem  angelernten  Sßförtdjen 
jur  Seite  bes  immer  oerfchloffenen  XfwreS  fpäbenb. 

(£S  mar  ein  ^entlieh  grofeer  ©arten,  ber  fidt)  jenfeits  eines  SßorptafoeS 
cor  bem  langen,  niebrigen  £aufe  ^inftredte.  (Sr  mar  in  Keine  $ar$ellen 
geseilt,  jebe  mit  ein  paar  Beeten  nnb  einer  ßaube.  Qn  ber  §ö$e  aber 
bilbeten  bie  gefrümmten  Aefte  ber  Dbftbäume  mit  it)rem  bünnen  Saubge* 
flecht  eine  £ecfe  über  bem  ©an$en,  an  ber  baS  Dbft  in  ben  legten  Sonnen* 
Prallen  fic^  rötete,  ©in  alter  &err  im  Schlafrod  unb  mit  einer  langen 
pfeife  breite  fid)  mit  einer  ©iefefanne  auf  feinem  flehten  Blumenbeete 
herum.  SBon  bem  Borplafc  unten  rjörte  man  frohe  Stimmen  fpielenber 
Ätnber. 

3n  ber  niebrigen  Stube  fing  es  an  bunfel  ju  werben.  9tor  baS 
©olb  auf  bem  Gahmen  eines  alten,  mächtigen  UrgrojjuaterbilbeS,  welches 
fo  fchwarj  mar,  bafj  man  beinahe  weiter  nichts  als  eine  graue  ^erruefe 
auf  ihm  erfennen  tonnte,  erglänze  im  9ieflerlicht  eines  gabriffenfterS  jen* 
feits  beS  ©artenS.  Unter  biefem  Bilbe  in  bem  tiefen  Sopfja  faß  grau 
3ngerSteo  unb  ftridte. 

„2öaS  mag  er  nur  eigentlich  für  Abhaltungen  geljabt  haben?"  fagte 
fie,  als  Marie  wieber  eine  ^eile  burä)  bas  genfter  l)inauSgeid)aut  r)atte. 

„C,  es  wirb  etwas  wegen  ber  Aufteilung  gewejen  fein,  fonft  wäre 
er  ficf>er  nicht  fortgeblieben." 

„Nein,  baS  war'S  wohl  nicht  .  .  .  &\$t  fann  er  nun  erft  mit  bem 
Abenbjuge  fommen,  fo  bafe  wir  bis  neun  Uhr  mit  bem  £l)ee  warten 
müf[en." 

„Möglicherweise  ift  er  auch  fcr)on  heute  Vormittag  angefommen;  ich 
glaube  er  hat  Montags  Nachmittag  Stunben  §u  geben/'  antwortete  Marie, 
roährenb  ihr  Bleiftift  eine  Gorrectur  in  baS  £eft  einzeichnete. 

„Marie!  Sieh  einmal  herunter!"  ertönte  es  unter  bem  genftcr. 

2öährenb  Marie  mit  ber  Mutter  gesprochen,  hatte  fie  nicht  bemerft, 
bafc  bie  ©artenpforte  geöffnet  würbe. 

Obgleich  fie  gan^  ruf)ig  geroeien  $u  fein  fchieu,  würbe  fie  boch  uor 

Korb  unb  Süb.   LI.,  tM.  27 


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Karl  (Sjellerup  in  Dancmarf. 


freubiger  Ueberrafdmng  ganj  rotf)  im  ©efidjt,  als  fie  baS  genfter  aufftteß 
unb  hinunter  grüßte.  Dann  eilte  fie  hinaus,  bie  33orfaalthür  &u  öffnen. 
9iad)  ein  paar  Minuten  traten  fie  in  bie  SBofmfwbe,  lächelnb  unb  feiler. 
SöU^elm  umarmte  feine  Schwiegermutter  mit  einer  3ärtlid)feit,  als  gärten 
fte  einanber  3ahr  unb  Sag  nid&t  gefeben. 

„9to,  eS  ift  fd)ön,  baß  Du  wieber  ba  bift,  aSittn!  Du  fannft  Dir 
benfen,  wie  mir  Dia)  geftem  uermißt  (oben!" 

©eheimnißtwH  50g  er  ein  fleineS  Spapierpacfet  heroor,  unb  als  SWarie 
ntä)t  erraten  fonnie,  was  es  fei,  erhielt  fie  enbltch  ©rlaubniß,  eS  ju  öffnen. 
@S  war  eine  Sruftnabet  in  gorm  eines  funftooH  gearbeiteten  ©belwetß. 
Sowohl  SJiatie  als  grau  3ngersIeo  meinten,  baß  Tie  ju  bem  Sdbönften 
gehöre,  was  Tie  jemals  gefehen,  unb  ihr  SBertb  würbe  nod)  unenblicb 
baburd)  erbost,  baß  er  fie  felbft  aus  Snterlafen  mitgebracht.  SWarie  hotte 
fdwn  Diele  folche  fleine  Sihweijererinnerungen  befommen,  aber  geglaubt, 
ber  Duell  fei  längft  oerftegt. 

Dann  faßte  2Bilbelm  9Harie  mit  beiben  £änben  an  ben  Schultern  unb 
^ielt  fie  nor  ftd)  Inn,  um  ju  feljen,  ob  er  entbeefen  !önne,  baß  fie  ein  Qalfr 
älter  geworben,  ©r  tbat,  als  ob  er  eine  Keine  Stotel  gefunben  hätte,  bie 
weggefüßt  werben  müßte.  SWarie  aber  wollte  baS  nicht  erlauben  unb  be= 
hauptete,  eS  wäre  SSerleumbung. 

„©ott,  Äinber,  was  3hr  für  Dummheiten  macht!"  rief  grau 
3ngerSleo,  innerlich  oergnügt. 

„Unb  babei  oergißt  Du  ganj,  uns  ju  erjählen,  was  baS  SRefuttat 
Deiner  Steife  ift." 

„0,  ich  nehme  bie  Stelle  nicht  an." 

25>arum  er  fie  nicht  annehme,  würbe  ihm  nicht  fo  leicht,  ihnen  \\i 
erflären. 

grau  3nger£(eo  fanb,  baß,  nach  bem,  was  er  erzählt,  fie  boch  gar 
nicht  fo  fd)Ied)t,  fei  unb  meinte,  eS  wäre  nicht  richtig  oon  ihm,  fidj  nicht 
an  eine  fold)e  SInftalt  ju  binben,  an  ber  er  oieQeidjt  »erhältnißmäßig  balb 
ju  einer  heiratsfähigen  Stelle  binaufrüefen  fönne.  9J?arie  aber  mar  fo 
froh  barüber,  ihn  in  ber  Stabt  ju  behalten,  baß  Tie  eben  fo  triele  Sottogismen 
gegen  $erlufSholm  ausfinbig  $u  machen  wußte,  wie  DunS  ScotuS  für  bie 
unbeflecfte  (Smpfängniß  ihrer  heiligen  9tomenSfd)wefter  auSgeflügelt  hatte. 
Sie  würbe  es  wenigftens  getljan  hoben,  wenn  bie  HRutter  nicht  balb  naa> 
gegeben  unb  Wilhelm  gefragt  hätte,  was  ihn  in  SRaeftoeb  jurücf gehalten. 

SlUlhclm  erflärte  furj  unb  ein  wenig  nachläfftg,  baß  ein  Slbjunct 
ben  er  nothwenbig  höbe  fpred)en  müffen,  bis  Sonntag  Nachmittag  weg* 
gewefen  wäre;  unb  bann  beeilte  er  fich,  ju  fragen,  wie  fie  ben  Xag  juge* 
bracht  unb  ob  etwas  aus  ber  Partie  geworben  —  um  weiteren  unangenehmen 
gragen  ju  entgehen. 

„3a,  wir  waren  im  2Mbe  —  bie  3Jhitter  hatt*  f°  9rofec  *W 


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  <ß-Dnr.    ^03 

$tnau35ufommen  .  .  .  2Bir  normen  Gbofolabe  unb  ©ebäcf  mit  unb  tyaben 
beibeS  am  flirftemSpi(S=DuelI  oerjebrt.  Sange  3e^  fa§ctl  roi*  <*m  ®ee 
bei  ben  ©rlenbäumen  mit  ben  b°b*n,  über  ben  33oben  f>erauSraaenben 
2ßurjeln.  ©rinnerft  35u  £id),  mir  waren  ein  paar  £age  nad)  unferer 
Verlobung  bort  ?  Unb  bann  tranken  mir  ben,  £f)ee  auf  ber  Eremitage,  in 
berfelben  Saube,  in  ber  mir  ben  Slbenb  jubraebten,  als  £>u  $)octor  ge* 
roorben.  £>er  ©unb  mar  fo  blau,  ad),  fo  blau,  mit  fo  vielen  Segeln  be* 
betft,  bafj  man  faum  burc^  fic  binburd)feben  fonnte;  unb  bie  9ief)e 
graften  ganj  nafje  bei  uns  in  großen  gerben,  fogar  ein  paar  f leine 
Stambirfcbfälber,  nur  wenige  Stritte  von  mir.  2Bir  fa^en  bie  ©onne 
untergeben  —  id)  glaube  faum,  bafj  fie  itgenbroo  in  ber  2Belt  fo  fdjön 
untergeht  —  ja,  lad)e  nur  —  unb  ein  langer  Sidjtftreifen  erf^ien  am 
Gimmel,  ber  fid)  faft  bis  jum  3emt&  ^inaufjog.  28ir  bauten  an  £)idb, 
ob  S)u  ifyn  au$  feben  fönnteft,  unb  ob  $u  uns  oermifjteft." 

„3a,  idjj  ^abe  üm  gefeben,  i<b  mar  gerabe  auf  bem  23rücfenbamm 
oon  ©aunö.   $d)  Da(bte  an  ®w<5>  natfirttdb  — " 

®ie  £eiterfeit  SBilbelmS  mar  oerfd&rounben,  er  fdbroieg.  $)ie  un* 
roabre  ©rflärung,  bie  er  geben  mujjte,  unb  ber  $8erid)t  5Rarien'S  mit  ben 
{(einen,  rfl^renben  Söeroeifen  baoon,  mie  3lHeS  fidfj  um  tbn  gebrebt,  um  ibn, 
ber  mit  feiner  Slbroefenfjeit  glänjte  —  baS  aQed  batte  tr)n  oerftimmt  unb 
befdjamt.  $)odj  biefeS  ©efüf)l  mujjte  balb  bem  Slerger  meinen:  mein 
©Ott,  mar  man  benn  fo  ganj  unb  gar  jufammengeleimt!  Unb  bann  biefe 
eroige  grage,  ob  man  an  einanber  gebadjt,  ob  man  einanber  oermtfjt  babe, 
foleb  bumme  Jrage,  bie  man  bejatjen  mufjte,  ob  man'*  fo  meinte  ober 
nid)t!  —  ©r  bat  2Rarie,  i^m  etwa*  oorjufpielen,  nur  um  nidjt  jum 
Spreeben  gejroungen  ju  fein. 

„©illft  $u  Siebt  baben?"  fragte  grau  3ngerSleo. 

„9Jein,  id)  fpiele  auSroenbig." 

„SDaS  ift  aud)  bübfdjer  —  idb  liebe  bie  Dämmerung  fo  febr  —  be* 
fonberS  roenn  brüben  in  ber  gabrif  Stdbt  ift,  baran  f)abe  id)  midb  fo 
geroöfmt  .  .  .  9Id&  ja,  mie  oft  tyxbt  id)  t)ier  gefeffen  unb  ben  gunfen 
beS  gabriffdjornftetnS  jugefeben  unb  an  alte  Reiten  gebadet  .  .  .  <3ieb  nur, 
mie  f)od>  fie  fliegen  unb  mie  bie  flamme  ju  Urnen  t)inauffctjlägt.  .  . 
Unb  bann  leud&tet  es  fo  fd)ön  bier  berein  auf  mein  alte*  Sdjjreibepult  — 
eS  ift  mir  immer  als  äbnle  es  bem  flaminfeuer  im  Sd)loffe,  mo  id) 
$um  erften  9flale  meinen  feiigen  Sttann  traf." 

SBilbelm  ging  unruhig  auf  unb  nieber  unb  borte  jerftreut  ^eetljooenS 
/f(Sb^onate"  o"/  Da^  Stücf,  roeld)eS  er  fid)  geroöbnüd)  oon  Waric  erbat. 
SMeSmat  aber,  meinte  er,  ()atte  fie  ein  anbereS  roätjlen  tonnen  —  benn 
fie  fpielte  eS  nid)t  mebr  gut.  ,,©S  ift  fdbreeflieb,  wie  fdmell  fie  ir)re  6a<ben 
t>ergifjt,"  badete  er  —  „fte  fommen  it)r  gletd)  roieber  aus  ben  gingern." 
<5S  fiel  ibm  ein,  mie  flinf  unb  fidjer  Antonie  am  oorbergebenben  3lbenbe 
gefpielt  unb  roie  bübfd)  fie  mit  ibren  großen  Wrübd)en  geläd)elt  t)atte, "  afd 

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  Karl  (Sjelierup  in  Dänemarf.   

fie  fagte,  er  bürfc  nidjt  fo  nafje  bei  if)r  fifcen  unb  fie  anfefjen,  fonft  greife 
ftc  baneben.  Da§  Sflarie  banc6en  griff,  fjatte  roor)I  einen  anberen  ©runb. 

„Spiele  bod)  lieber  ein  anbereS  Stütf,"  fagte  er,  ate  SJtorie  roieber 
anfing  unfid&er  ju  werben. 

„Du  fjaft  bod)  aber  ba3  Stüdf  fo  fdjön  fpielen  tonnen!"  warf  grau 
Sngeraleo  ein. 

,,3d)  wet§  nid)t,  id)  bin  fjeute  nidjt  aufgefegt/'  antwortete  9Rarie, 
bie  fid)  bur$  ben  ungebulbigen  Don  in  2iMltielm'3  Stimme  nidjt  ermuntert 
füllte.    ,/ßMr  wollen  lieber  plaubern." 

2£ilf)elm  brang  nidn*  in  fie,  er  madjte  fi<$  mdr)ts  barauS  nodj  meljr 
SJhifif  §u  Ijören,  fclhft  wenn  fie  beffer  norgetragen  worben  wäre.  Q$  tarn 
if)tn  uor,  als  ob  baS  (Haoier  fo  matt  unb  bünn  flänge  —  unb  bod)  mar  er 
im  lefeten  &erbfte  fo  fror)  gemefen,  als  Sflarie  nad)  jahrelangen  (Srfpars 
niffen  unb  burä)  ein  oerwicfelteS  2lb$al)IungSfnftem  in  ben  Stanb  gefegt 
würbe,  fid)  biefed  gebrauste  Spianoforte  anjufdjaffen  an  Stelle  eines  etyr* 
würbigen  SpinettS,  weld>e$  fo  unmöglidj  geworben  war,  ba§  nicr)t  einmal 
grau  3nger$leo  e3  oerttjeibigte,  trofcbem  eS  com  ^farrfjofe  fjerftammte, 
wo  ir)r  2J?ann  bisweilen  in  ber  Dämmerung  bemfelben  einen  tiroler 
SS^atjer  entlocft  fjatte,  ba£  einzige  ©tüd*,  weldjeS  er  fpielen  fonnte. 

„Sta,  bann  plaubern  wir/'  fagte  er,  inbem  er  fidj  in  einen  Schaufel* 
ftuf)l  warf,  bafc  ein  jerbrod)ener,  jufammengebunbener  Stab  ber  £cbne 
au3einanberful)r  unb  grau  3uger«leo  ifm  fd)er$enb  barüber  ausfdjalt,  ba§ 
er  mit  bem  SReublement  fo  gewalttätig  »erfahre,  obgleid)  er  mit  beffen 
©ebred)lid)feiten  bod)  oertraut  fei. 

,/Run,  ja,  mein  ©Ott,  eS  ift  nidjt  leid)t,  baS  immer  fo  im  &opfe  $u 
fjaben!" 

2)?arie  unb  grau  Qnger^IeD  labten  ^erjlid),  o§ne  bie  oerbriefjlidje 
Stidjelei,  bie  in  bieten  Korten  liegen  fonnte,  ju  argwöfmen. 

Die  Klauberei,  bie  fo  förmlid)  bcfdjloffen  worben  war,  wollte  ni$t 
red)t  in  glufj  fommen;  es  blieb  bei  einzelnen  öemerfungen  über  Märiens 
©rlebniffe  in  ber  Sdmle  unb  über  feinen  fleinen  2lu$flug.  Do$  oermieb 
er  inftinftmäftig  SllleS,  was  Antonie  unb  bie  Erinnerung  au  baS  Sdjulfc'fdje 
£aus  berührte.  2US  baS  ©efpräd)  fid)  eine  2£eile  fo  Ijtnaejogen  tjatte, 
ging  9)?arie  hinauf  um  ben  Dfyee  ju  bereiten,  wäljrenb  Sßifyelm  von  Beuern 
feine  unruhige  äikntberung  auf  unb  nieber  begann. 

„3i>ie,  Xu  nullit  feinen  2:t)ee  mein*?"  fragte  3J?arie,  als  er  fopf* 
fdjürtelnb  bie  Dafte  feftfyielt,  bie  fie  nehmen  wollte. 

„9?ein,  id)  banfe;  id)  fürd)te,  iü)  ifann  bann  nidjt  f djlafen." 

„Slber  Du  trinfft  bod)  immer  sroet  Daffen,  Silin/'  fagte  grau 
3nger*Ieo. 

„3iMrfli$?  9?ein,  feilte  will  idjj  aber  m$t  meln\" 
Der  Dljee  war  il)m  nid)t  gut  genug,  er  l)atte  einen  ^eigef(^mad  — 
unb  'e$  war  aßerbtngS  nid)t  berfelbe  D^ee,  ben  ber  Äaifer  oon  S^ina  5U 


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trinfen  pflegt ;  audj  wünfdjte  er  feine  Verlängerung  bes  2lbenbeffenS,  es 
war  \i)m  unbequem  an  biefem  f leinen  £ifd)d)en,  auf  bem  Heller  unb 
e^üffeln  fia)  fliegen  unb  bie  Sampe,  bie  faum  «piafe  hatte,  ünn  fo  naf)e 
ftanb,  bog  feine  6tirn  u)re  SBärme  fpürte.  ©r  fürchtete  ßopf  roef)  ju  be» 
iommen,  jumal  bie  glamme  irm  in's  3luge  ftad&,  weil  in  bet  ©lodfe  ein 
grofjeS  2o6)  war. 

„2öir  füllten  freilid)  eine  neue  ©lotfe  faufen,"  faqtc  grau  ^ngerSlet), 
als  er  fie  umbreljte,  „fie  fiet)t  nicht  gut  aus,  aber  foldie  ©rtraauSgaben 
finb  nicht  für  ben  Sdjlufe  beS  Monats,  ich  mu§  bis  jum  näajften  warten/ 

2Iuf  ben  nächften  Wonat  nxirten!  $a,  baS  war  bie  2lrt  oon  &auS* 
Haltung,  auf  welche  fein  eigenes  ©heglücf  Siu^fic^t  hatte.  (Sin  Seben,  bei 
bem  man  am  2lnfang  beS  Monats  cor  bem  6djlufe  bangt  unb  am  ©djluffe 
auf  ben  nädjften  tjofft!  2Öie  oft  hatte  er  in  feiner  befdjeibenen  Mefignation 
fid)  felbft  baS  Sbnllifche  ber  Slrmuth  gepriefen,  bie  ^oefte  ber  Sparfamfeit, 
bie  baS  dürftige  rcid)  macht,  weil  eS  treuer  erfauft  ift.  2Bie  oft  hatte 
er  nicht  mit  bem  alten  Stubententiebe  gefungen: 

„(Sin  .fcüttdKH  unb  ein  üRäflbletn  Ijolb  — 
(Sine  Srönigin  mit  einer  ftrone  ®olb  — 
XaS  ift  meiner  Xräumc  &itl\" 

gefet  fdjicnen  ilmt  bie  beiben  gäHe  ntd)t  ganj  g(eiä)bebeutenb  ju  fein; 
eS  fam  ihm  oor,  als  märe  „(Sine  Königin  mit  einer  ftrone  ©olb"  fein 
alter  3ugenbtraum,  ben  er  um  etroaS  ©eringeren  willen  oergeffen  ju  fönnen 
gewärmt  hatte.  Unb  gerabe,  ba&  3Jtarie  fo  oollftänbig  in  fleine  3>erhä(tniffe 
fjineinpafete,  baß  fie  burch  fie  nicht  im  ©eringfien  beengt  würbe,  fonbern 
fid)  in  ihnen  wie  in  ihrem  eigenften  Elemente  bewegte  —  biefe  ^efdjeibenhett 
if)reS  2BefenS,  in  ber  er  früher  fein  ©lücf  gefe^en  r)attc,  fie  langweilte  unb 
ärgerte  Um  iefct:  fie  bebeutete  baS  Aufgeben  aller  9lnforberungen  an  bas 
£eben.  3Jtein  ©Ott,  wenn  man  auch  jwiichen  engen  Stauern  begraben  ju 
fein  oerbammt  ift,  beffenun geartet  fann  man  bod)  ben  Söliä*  nacr)  ben  ©trafen 
eines  ©ternS  emporheben,  anftatt  fo  Bezweifelt  begnügfnm  unauSgefefct 
feine  greube  an  bem  Sichte  ber  21UtagSs©trafjenlaterne  ju  haben! 

„2)u  follteft  boch  noch  eine  £affe  trinfen,"  fagte  grau  ^ngerSfec»; 
„eS  ift  ein  gutes,  ftarfeS  ©ebräu,  baS  5Rarie  eingegoffen  hat,  unb  oor 
bem  9Ji$tfä;lafenfönnen  brauchft  2)u  $)icf}  nidr)t  $u  fürchten.  ;Du  fiefjft  ja 
fo  mübe  aus,  als  märeft  3)u  nidjt  ein  paar  ©tunben  mit  einer  mobernen 
(Sijeubahn  gefahren,  fonbern  ben  ganjen  lieben  langen  Xag  in  einem  $oft* 
roagen  gerumpelt." 

„3)u  rjaft  ja  wofjl  auch  Unterricht  gegeben  nach  ber  Steife/'  fagte 
3J2arie. 

„3a,  ich  bin  wirflidj  etwas  abgefpannt  .  .  .  ich  bin  geftern  3lbenb 
aud)  fefjr  fpät  ju  S3ett  gefommen." 


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406 


Karl  (Sjellerup  in  Dänemarf. 


,,60?  3n  SRaeftoeb  .  .  .  Sa  fann  eS  bod)  2lbeubs  nid)t  xnele  3er* 
ftreuungen  geben?" 

„9Jetn,  aber  wir  betonten  ein  furdjtbareS  ©ewitter." 

„Unb  ba  warft  Su  fo  oernunftig,  aufeufteljen  ?"  fragte  grau  3ngerSlei>. 
„Sias  mufj  idj  loben;  man  foüte  glauben,  Su  warft  auf  bem  Sanbe  er* 
5ogen  unb  nidn"  In'er  in  ber  Stabt,  wo  3eber  glaubt,  ber  33li|j  fönne  nid>t 
bei  if>m  einfd^lagen,  weil  er  jwifdjen  fo  einer  SKenge  anberer  SJZenfcben 
ftetft.  211S  ob  ftdj  ein  Unglütf  nidrt*  eben  fo  gut  fn'er  wie  bort  ereignt-n 
fönnte,  wenn  ©ort  es  null." 

„O,  wir  blieben  2lDe  auf." 

„9Me?  —  3m  §otel?" 

„■Hein,  nidfjt  im  &otel  —  ad),  es  ift  ja  wafir,  id?  §abe  gauj  »ergeben, 
@u$  in  erzählen,  bafe  td)  julefct  bei  Dr.  <5tord)S  wojjnte." 

„Su  bift  wirflidj  ein  netter  33eri<$terftatter  .  .  .  Sann  bifl  Su  alfo 
bo<$  nidjt  bem  $efud)e  bei  ifmen  entgangen,  oor  bem  Su  Sid)  fo  fürdjteteft?" 

„MerbingS;  meine  Slngft  mar  aber  feljr  unrecht,  ftc  waren  fo  freunbltd) 
gegen  midj  —  unb  fdjlie&lid)  ift  es  aua)  nidjt  gerabe  angenehm,  allein  im 
Hotelzimmer  ju  fifeen." 

„Sa  f)aft  Su  rooljl  bie  Antonie  <3d)ulfc  getroffen,  bie  jfingfte  Softer 
beS  Cberften?"  fragte  9Harie. 

„3a,  fennft  Su  Tie?" 

„Stein,  aber  e&riftine  erjdl)lte  mir,  ba(?  fie  bort  mar:  fte  fmb  in  ber 
Selecta  Rammen  gewefen  .  .  .  2Bte  gefaßt  fie  Sir?" 

„D,  id)  fenne  fte  ja  fo  wenig.  2lber  eS  fdjeint  ein  ganj  nettem  3Räbd)eu 
&u  fein." 

„Habt  3^r  ntdjt  oiel  jufammen  gef proben?  6ie  ijt  bod&  gemife  red)t 
lebhaft!" 

„3a  geroig  —  freiltd)  —  übrigens  ^aben  roir  aud)  ein  wenig  $u* 
fammen  gefprodjen  .  .  .  aber  Tie  ift  ja  nodj  fo  jung." 

„3a,  lebhaft  fielet  Tie  au«,"  fagte  grau  3ngerSleo  —  „id>  fa$  fte 
oft  an  ben  Setzen  fpajteren  gelten.  <Sd)ön  ift  fte  freilid)  niefct,  baS  Ijai 
alles  bie  Sajmefier  befommen." 

„D,  fte  ift  bod&  ganj  ^übfd)/'  fagte  SHarie. 

„3a,  barin  mu&  td)  Sir  9ied)t  geben  —  eS  fommt  mir  au$  fo  cor 
—  nidjt  gerabe  eine  ©d)önf)ett,  nein,  baS  md>t,  bewahre,  baS  wirb  fte 
audj  nidjt,  aber  —  fte  ftcfjt  nid)t  aus  wie  ein  gemö^nltd)eS  3Wäbdjen  — 
eS  ift  eine  gerotjfe  getnf)ett  unb  Slnmutf)  an  ifn*  —  unb  fte  ift  aua)  nid)t 
ganj  geroitynlid),  baS  fjabe  td)  fdwn  merfen  fönnen." 

„Wein,  fte  ift  fefjr  begabt  .  .  .  Gfjrijtine  f)at  fte  aufjerorbentltd}  ge* 
lobt,  fte  l)at  mir  oiel  oon  if)r  erjä^tf. 

SlBtlljelm  rema^m  mit  lebhaftem  3ntereffe  einige  flehte  3U9«,  »elö&e 
bie  greunbtn  ju  3lntonienS  25er(>enli(5ung  berietet  ^atte.   Gr  erjagte  bann 


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  (S-Dur.    $07 

audf)  felbjt,  tote  fte  iljn  über  neuere  2lnf$auungen  ausgefragt  fjatte,  von 
iljrer  9iadjbenfltcfyFeit,  ir)rcr  SBifjbegterbe. 

tDtcfe  Unterhaltung  über  einen  angenelmieu  ©egenftanb  bradjte  if>m 
feine  fiebfyaftigfeit  unb  gute  Saune  5urücf.  Unb  mit  ifmen  jugteid)  allerlei 
Sdjerje  unb  fröljlid&e  Klauberei,  bis  bie  Ufn*  elf  fd)lug,  ef)e  Qemanb  baran 
gebaut  fjätte,  ba§  eS  $eit  fei,  ju  93ette  }u  gefjen. 

3n  befter  (Stimmung  oerabfd&iebete  er  fi<§,  fo  roie  er  getommen  mar. 

@r  ging  nidjt  nadj  §aufe,  fonbern  an  ben  £ei<$en  entlang,  bis  er 
cor  einer  33iüa  ftanb,  bie  rücfroarts  im  ©arten  fjinter  einer  großen  93Iut= 
budje  unb  ein  paar  fdjlanren  33irfen  lag.   $>ort  roofjnten  Sä)ul|}eS. 

3tn  unteren  (Btod  roar  eS  ftnfter.  Cben  aber  flimmerte  ein  <5(f* 
fenfter  gelblidj  ans  einem  rotten  Jölätterrafmien  roilben  2BeinS  fyeruor. 
£aS  SHdfu"  fam  aus  bem  Limmer  ber  £öd)ter.  (fr  fannte  ungefähr  bie 
<£inri<$tnng  bes  Kaufes ;  roie  oft  fjatte  er  cor  3af)ren  bes  2IbenbS  nietyt 
bort  geftanben  unb  t)ineingefpäf)t,  wie  ein  Üftatijtroanbler  ton  unberoufeten 
©abritten  cor  biefeS  £auS  geführt. 

Irinnen  aber  roar  er  nie  geroefen. 

Ob  er  fie  roirflio)  befugen  foUte? 

grau  Sdjmlfc,  bie  am  borgen  auf  bem  23oljnf)ofe  roar,  Ijatte  it)n  fo 
freunblicfc  barum  gebeten.  Unb  Antonie  aud).  (£S  roar  ifmt  fo  uorge* 
fommen,  als  ob  fie  bie  €onne  roieber  f)ätte  aufgeben  laffen  nad)  jenem 
Keinen  Unwillen  bes  oorf)ergef)enben  HOenbS  —  unb  eS  roar  wol)l  aud) 
me&r  pflid&tgemäfjer  als  wirf(i<$er  3°™  geroefen. 

Antonie  Ijatte  ifjre  3tufforberung  wieberfjolt,  einen  itjrer  Ciuartett* 
abenbe  ju  befugen,  (Sie  rjatte  aud)  üerfid&ert,  bafe  £arriet  fid)  freuen  rofirbe, 
i&n  roieber  3U  feljen.  6ie  wufjte  natürlia)  nid)t,  wie  eS  mit  ifmen  ge* 
ftanben  ^atte.  2lber  mein  ©Ott,  baS  roar  ia  bod)  fo  lange  tjer!  3l;m  roäre 
es  geroig  lieb,  ftarriet  roieber  3U  fpred)en! 

Sßarum  foüte  er  biefe  neue  ^efanntfd&aft  nidfjt  fortfefcen  unb  bie  alte 
t>on  Beuern  anfnüpfen?  (*S  ift  bod)  nid)t  fo  etroaS  91Utäglid)eS,  in  btefer 
bunten  SBelt  9J?enfa)en  3U  treffen,  in  melden  ber  erfte  33licf  bie  oerljeifjenben 
3üge  ber  2Bat)loerroanbtfd)aft  erfennt. 

$ietteid)t  würben  aud)  bie  (Sdjweftern  greunbinnen  Märiens;  ja,  fie 
würben  es  gan$  beftimmt  werben  —  unb  roief)errlid)  roürbe  baS  nidn"  fein! .  .  . 
9Warie  brauste  greunbinnen  —  es  rourbe  if)m  eigentlid;  jefet  erft  flar, 
baß  eS  gerabe  baS  roar,  beffen  fie  6eburfte,  um  eine  oielfeitigere  2foföauungS* 
weife  3U  erlangen.  Unb  beffere  greunbinnen  tonnte  fie  geroift  nidjt 
finben.  Sie  roaren  eben  nidjt  oerfdjiebener  oon  iljr,  als  eS  für  ein  foldjeS 
9Serf)ältni&  frudjtbringenb  ift.  §arriet  adelte  ifjr  am  meiften.  Slber  aud) 
mit  Antonie  t)atte  fie  oiele  SerüljrungSpunfte,  auf  jener  ©runblage,  bie 
allen  guten  Naturen  gemeinfam  ift. 

2Ber  oon  ifmen  mod)te  eS  xoofy  fein,  beren  grofeer  Statten  fiaj  jefct 
an  ber  2)ede  bewegte?  .  .  .  ©ine  ©eftalt  trat  oor  baS  SM&t  gegen  ba^ 


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403 


  Karl  (ßjellcrup  in  Dänemarf.   


Jenfter  f)in  .  .  .  &  war  geurifj  $arriet  .  .  .  Da3  genfter  mürbe  geöffnet 
unb  fic  lehnte  fid^  fyerauä  —  nein,  jefct  tonnte  er  beutlidj  bie  Sdmltern 
9lntonien$  erfennen.  Cb  fie  roofjl  an  ben  geftrigen  2Ibenb  backte,  aU  fie 
ftd)  ^um  genfter  f)inau3gelel)nt  unb  mit  if)m  gefprod&en  rjatte,  roa^renb  jte 
bas  fteroitter  erwarteten? 

Gr  fing  an  bie  Meine  Sajubert'fdje  2J?elobie  ju  pfeifen,  bei  welcher 
fte  bamals  ben  ftopf  gebrefjt  fjattc.  91  Oer  er  fnelt  gleid)  wieber  ein  aus  3lngft, 
bafj  fie  e£  gehört  rjaben  tonnte,  weil  fie  eine  plöfcltdje  Bewegung  ntadjte. 
Dod)  ein  grofjeS  Stüd  ©arten  lag  ja  jwifdjen  ijmen,  unb  er  tyatte  fo  leife 
gepfiffen! 

3ie  fa^ien  auf  etroaä  ju  f)ören,  wa£  £arriet  fagte. 

DaS  genfter  würbe  gefd&Ioffen.  Antonie  blieb  an  bemfelben  ftefjen, 
ü)m  ben  Würfen  jufe^renb.  £eid)te  Bewegungen  ber  (SdnUtem  unb  bie 
Beugung  be$  ßopfeS  geigten,  ba§  fie  mit  ber  <2d)weftcr  fprad).  Dann 
ging  fie  langfam  hinein  unb  nur  ber  Statten  fcrjroebte  nod)  bisweilen 
über  bie  Dede  f)iu  —  bt£  aud;  er  in  einer  Gde  oerfa^wanb  unb  ba$ 
Limmer  nur  erfüllt  ju  fein  fd)ien  oon  einem  ftiüen,  golbenen  £idjte,  ba$ 
bie  Wänber  be£  wilbeu  2£einlaub3  in  bunfler  Wubinglutf)  entjünbete  unb 
gwifajen  ben  flehten,  jitternben  Birfenblättern  mit  ttjaunaffem  Stimmer 
l)inau$ftral)lte. 

SBityeun  ia^ritt  oon  bem  einfamen,  frieblidjjen  £ampenlid;te  hinweg 
in  ben  i'aubfdjatten  Ijinein  gegen  baä  unruhige  Saternenfl  immer  n  unb 
genfterblinfen  ber  (Stabt  511. 

XIII. 

„SBiUft  Du  mir  benn  abfolut  eine  (frfältung  auf  ben  £af3  fa)affen?" 

2lutonie  oerfdjlofj  baä  Jyenfter,  breite  ftd)  um  unb  fafi  gebanfenuoll 
nad)  ber  Sdjwefter.  "parriet  faß  mit  bem  Wuden  gegen  fie  vor  bem  Spiegel 
unb  rammte  iljr  losgelöfteS  &aar,  ba$  faft  bis  $um  Boben  reifte  unb 
ben  weiften  3rifirmantel  tjalb  bebedte.  . 

,/Jlber  etioa$  ift  boa)  smifdjen  ü)m  unb  Dir  oorgefallen,  nid)t  roatjr 
^arriet      fragte  Antonie  plö&ltd). 

,„3wifdjen  wem  unb  mir?" 

„Wun,  ^erj  natürüd),  mir  f prägen  ja  eben  uon  üjm  .  .  .  3$  mar 
boa)  bamaU  nid)t  fo  bumm,  um  nidjt  gan^  gut  merfen  ju  tonnen,  baf;  er 
Did)  gern  l;atte  .  .  .  2lber,  ta)  meine,  ob  er  nur  gan$  im  Stillen  ges 
fdjwärmt,  ober  ob  er  Dir  gerabem  gefagt  fyat,  bafj  er  Dtd>  liebe." 

„DaS  faiin  Dir  boa)  gan$  einerlei  fein." 

„Wein,  bas  intereffirt  mid),  unb  mir  !annft  Du'3  bod)  fagen,  Du 
braudjft  Did)  bod)  belegen  nid)t  ju  fa^amen." 

„Wein;  benn  jebenfalls  ift  er  e$  geroefen,  ber  in  mia)  ocrliebt  mar*7  .  .  . 


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  (S-Dnr.    $09 

„9hm :  wenn  $u  in  Um  uerliebt  geroefen  warft,  f>raud)tcft  $u  2)id> 
bod)  aucr)  nidjt  fdjämen." 

„D  nein  .  .  .  $iefe  jugenblidje  Siebe  ift  ja  fo  etroaS  3wfößi9e^/ 
fie  ftd)  auf  ben  ©rften  33eften  werfen  fann  unb  überhaupt  ntd)t  riet  ju 
bebeuten  f)at." 

„^Pfui,  rote  fdjledjt  $)u  fpridjft!" 

„Unb  bann  ift  er  ja  fdjliefjita;  nid&t  unbebeutenber  als  bie  Reiften." 

„Unbebeutenber !" 

„£u  finbeft  iljn  rooI;l  bebeutenb!" 

„D  nein  —  er  mufc  roof)l  fogar  ätemlidj  unbebeutenb  fein,  ba  er  fo 
viel  unb  fo  gern  mit  mir  fpradt)  unb  über  fo  ernfte  Xinge;  benn  id)  roeifj 
wof)lf  ba§  bie  Slnberen,  bie  id)  fenne,  baju  ju  bebeutenb  finb." 

„(So?  lieber  ernfte  ftinge  f)abt  Qfjr  gefprodjen?  £aoon  Ijatteft  $u 
wir  bod)  aud)  etroaS  erjagen  fönnen." 

„2ßoju  benn?  .  .  .  £oct),  £u  foHft  baS  alles  nad;f)er  l)ören,  fage 
mir  nur,  ob  er  roirflid)  in  2Mdj  oerliebt  geroefen  ift!"  —  Antonie  ging 
auf  bie  6d;roefter  ju,  legte  ben  Sinn  um  ir)rc  Beultet  unb  füfjte  ben 
^ipfel  i^rejS  CrjreS,  ber  lofigrotf)  au3  ber  güüe  bes  braunen  &aare3  tjers 
rortrat  .  .  .  „Süße  £arriet,  ba3  fannft  3)u  roirflid),  id)  fage  e3  ja 
Ifttemanb;  unb  id)  fann'3  ifjm  ja  aud)  nidt)t  oerbenfen,  baß  er  £)id)  ge* 
liebt  fjat!'' 

„9Jid)t?  .  .  .  5?un  benn,  roenn  $u  e£  burd)au£  roiffen  roillft,  bann 
tyxt  er  allerbin  g£  unleugbar  mir  einmal  bie  (Styre  angetfyan,  fetertid)  um 
meine  £anb  ansu^alten/' 

„tflein  roirflid)!  2£ann  war  benn  ba3?"  rief  Antonie,  inbem  fie 
ftd)  ber  Sdjroefter  fd)räg  gegenüber  fefcte  unb,  ba3  Äinn  in  bie  £anb  ge* 
ftüfct,  fie  unoerroanbt  betrad)tete." 

„flurj  efye  roir  nad)  ftopenfjagen  sogen.  Gr  t)attc  bamalS  eben  bie 
Sommerferien  bei  uns  in  9?aeftoeb  sugebrad)t  unb  roir  roaren  red&t  gute 
greunbe.  —  3$  mod)te  i^n  im  ©runbe  ganj  gern;  bann  fam  id)  r)ierl)er 
ju  Sefud)  unb  roir  trafen  oft  bei  «profeffor  2LM[t>jeIm^  jufammeu.  ©r 
begleitete  mid)  geroöfmlid)  nad)  &aufe;  benn  roir  Ratten  ungefähr  benfelben 
2Öeg.  @ineä  Sonntags  aber,  als  es  regnete,  fjatte  id)  bie  9)tagb  beauf* 
tragt,  mia)  abholen.  211S  er  ba«  beim  $aa)mittagSFaffee  f)örte,  merfte 
icr)  roofjl,  bafj  er  fef)r  enttäufd)t  rourbe  unb  anfing,  fid)  um  mid)  Ijerunts 
pbrefjen,  als  ob  er  etroaS  auf  bem  £er$en  I)ätte  .  .  .  aber  roir  roaren 
bie  ganje  &\t  mitten  unter  ben  5Inberen.  ©nblid)  fonnte  er  mir  juflüftern, 
er  r)atte  mir  etroaS  unter  oier  5lugen  ju  fagen  ....  Dann,  gegen  bie 
STrjeejeit  folgte  ia)  einem  SBinfe  oon  ilwt  unb  ging  au3  ber  8tube  .  .  . 
<?r  öffnete  bie  *Tr)ür  jum  ^TbliotlieF^^immer,  in  bem  e^  finfter  mar,  mir 
rourbe  plofelid)  ain^'t  unb  ei  tarn  mir  ber  Webmife,  je^t  Ijält  er  um 

3lber  id)  glaubte  eo  bodj  aud)  roieber  uiAt  unb  ghui  hinein  .... 
:  fannft  Tu  Tir  benfeu,  :uie  lädjerlid)!    ^u  bev  ^ibliotljef  fonnte 


1 


  Karl  (ßjciierup  in  Dänemarf.  

man  jtd)  am  fetten  £age  faum  rühren  vor  Suchern,  bie  auf  bem  Stoben 
aufgekauft  tagen,  unb  es  mar  fo  ftocfftnfter,  bafj  man  nicht  bie  £>anb  cor 
2lugen  fehen  fonnte  .  .  .  Unb  ba  fing  er  wirfltch  an  ju  erflären,  ba§  er 
mich  Hebe  unb  offne  mich  nicht  glücflid)  werben  fönne." 

„9Wein  ©ott,  £arrtet,  was  antworteten"  2)u  benn?" 

„D,  ich  weifj  nicht,  irgenb  etwas  SummeS,  ba§  er  mich  mifjoer- 
jknben,  ba&  id)  ju  iung  fei  unb  an  fo  etwas  gar  nia)t  gebaut  ^ätte  .  . 
D,  baS  ©anje  mar  ju  bumm!  Seine  Stimme  gitterte  fo,  ba&  fie  mid) 
tobtenangft  machte,  beoor  er  nad)  etwas  Rechtes  gefagt  hatte;  unb  idj  wäre 
hinausgelaufen,  wenn  id)  nur  gewuftt  hätte,  roo  bie  Xt)üre  mar.  3$  war 
genau  fo  baran  roie  SeporeHo  in  ber  SBohnung  ber  grau  ©lotra." 

„Unb  barüber  fannft  $u  lachen!" 

„9ta,  bamalS  lachte  i<h  freilich  nicht  ...  9110  er  bie  Xhüre  roieber 
öffnete,  mar  er  fo  bleich,  als  ob  er  in  Dhn"nu$t  foH«»  wollte.  2lber  baS 
ift  ja  lange  her,  unb  er  ift  mit  einer  Ruberen  oerlobt,  fo  bafc  fein  ©runb 
oorhanben  ift,  es  fo  feierlich  ju  nehmen. 

„3a,  er  ift  aöerbingS  oerlobt,  aber  — " 

„9hm?" 

„Sich,  t<h  glaube  nidjt,  ba&  er  wirflidj  in  9Rarie  3ngerSleo  oer* 
liebt  ift." 

„So?  ....  $aS  finb  boch  nicht  etwa  bie  ,ernften  $inge/  bie 
3$r  •  • 

„O  pfui,  rote  fannft  2)u  nur  glauben,  bafj  er  fo  unfein  fein  würbe, 
mit  einer  gremben  barüber  ju  fprechen  .  .  .  SRein,  im  ©egentheil,  wenn 
er  fie  ermähnte,  mar  eS  immer  mit  groger  Verehrung  .  .  .  Slber  ich  Staube 
nun  einmal,  es  ift  eine  33ernunftef)e  —  roenn  eS  eine  ©he  wirb,  unb  ba* 
roirb  es  ja  wof)l." 

„(Sine  33ernunftet)e  mit  einer  Schullehrerin  unb  einer  penfionirten 
*PfarrerS=S5Mttwe  jur  Schwiegermutter!" 

„3ch  meine  nur,  eine  ©he,  bie  nidjt  aus  fieibenfehaft  gefchloffen  ift;  etwas, 
baS  ju  Stanbe  gefommen  ift,  weil  es  pa&t,  weil  fie  ein  gutes  97töbchen 
ift,  mit  ber  er  jufrieben  (eben  fann  —  gegenfeittge  Sichtung  unb  alle* 
baS,  worauf  ich  nicht  oiel  gebe. 

„SÖirflich  nidjt?  .  . .  S)aS  ift  merfroürbig,  benn  $u  weißt  wenigftenS, 
was  baS  ift;  was  bagegen  ßeibenfehaft  — " 

„D  .  .  . 

„21$!  SBiflfl  $u  mir  oießeicht  einreben,  baß  $u  eine  Öeibenfchaft 
hätteft,  bie  i<$  nicht  entbeeft  habe?" 

„$aS  habe  ich  ja  nicht  gefagt;  aber  barum  fann  man  boch  Riffen, 
was  es  ift  unb  eine  Meinung  barüber  haben  .  .  .  3a,  baS  fann  man! . . . 
3ch  bin  fiajer,  baß  feine  £eibenfd)aft  jwifchen  ihnen  ^errfd^t  .  .  .  Sie 
ift  gewiß  ein  vernünftiges,  gutes  2J?äbd>n,'  er  aber  ift  eine  fdjwärmerifche 
9tatur  —  unb  fie  wirb  Unit  auf  bie  £>auer  faum  genügen." 


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  ö3<Dnr.    <k\{ 

„Wim,  bad  get)t  und  ja  eigentlid)  nidjtd  an." 

,,D  nein,  wenn  ed  3ttn<*nb  »on  und  beiben  anginge,  müßteft  £u  ed 
fein,  ba  25u  $)idj  bamit  tröfteft,  ed  fdjabe  nidjtd,  baß  £u  fein  $er$  ge* 
brauen  rjaft,  weit  ed  jefct  wieber  aufammengefittet  ift! 

XIV. 

„Antonie  ift  leiber  nia)t  ju  &aufe,"  fagte  grau  Sdmlfe  .  .  . 
Sie  mad)t  einen  23eiud>  in  ber  Stabt,  aber  fie  fommt  geroig  balb 

jurücf,  unb  wirb  fid)  freuen  Sie  §u  feljen   Sie  f)at  üiet 

baoon  erjagt,  wie  |übjd)  ed  in  S^aeftoeb  war  ...  .  Uebrigend  glaube 
id&,  baß  fie  if>r  2lufentf)alt  ein  wenig  enttauföt  unb  fie  gräulein  Stora) 
jiemlid)  langweilig  gefunben  fjat  .  .  .  .  ©d  gef)t  ja  oft  fo  mit  ben 
Stinberfreunbfdjaften;  fo  lange  bie  Jttnber  !lein  finb,  fönnen  fie  prächtig 
äufammen  fpielen,  fpäter  aber  entwirfein  fid)  bie  $erfdnebenf)etten,  unb 
Antonie  ift  ja  fd>on  ein  erwaajfened  9Häba>n." 

„3a,  ed  überraftt)te  mid),  jle  ald  junge  Same  wieber  ju  fer)en 
.  .  .  .  9ftan  benft  nidjt  baran,  wie  bie  Seit  uergef)t;  n>enn  aber  aud 
ben  Keinen  9Räbdjen,  bie  einem  auf  bem  Sa>oße  gefeffen  haben,  große 
geroorben  finb,  bie  für  bie  jungen  Männer  fd)on  gefärjrlidfi  5U  werben 
beginnen,  bann  fpürt  man,  baß  man  anfängt,  alt  &u  werben!" 

„D  Sie,  ber  Sie  nodj  ein  junger,  unoerljeiratljeter  3JJann  finb  unb 
wor)l  faum  bie  breifeig  erreid&t  rjaben  —  bod)?  —  nun,  bann  fielen 
Sie  ja  gerabe  in  ber  :8lütrje$eit  ....  nein,  wad  müffen  bennbann  mir 
Mütter  fagen,  wenn  unfere  £öa)ter  aufwachen  unb  und  unfer  Sitter 
uorwerfen!" 

2BUf)elm  (adelte,  ©r  erinnerte  ftdj  baran,  wie  augenfdjeinli$  bie 
grau  CbeTft  auf  einem  Stiftungdballe  an  ben  Dualen  bed  SBerblüfjend  ge* 
litten  t)atte,  als  bie  plöfclid)  entfaltete  S5>eiberia)önbeit  ßarrietd  fty  eine 
fo  audfd^ließltaje  &ulbtgung  sujog,  baß  fogarein  junger  $ragonerlieutenant 
aud  bem  Scimlfc'idien  Regiment  ganj  üergaß,  baß  auaj  bie  grau  Cberft  noaj 
tanje.  Unb  jefet  Ijatte  fie  5wei  £öd)ter,  benen  fie  r)etfen  mußte,  bie 
23ouquetd  tragen!  Uebrigend  mußte  man  jugeben,  baß  bie  3 weite 
3ugcnb  ber  grau  Sdjulfc  fid)  mit  einer  l'ebendfraft  erhielt,  weldje  eine 
SRefignation  erföroeren  mußte,  unb  SiMlrjelm  madjte  biefed  3«geftänbniß 
in  einem  Kompliment,  bad  »mit  lacrjenbem  5topf|d)ütteln  beantwortet 
mürbe. 

3n  bemfelben  2lugenblitfe  trat'^arriet  ein.  Antonie  fjatte  ^Hed^t  : 
fetbft  ber  23licf  eined  ehemaligen  l'iebbaberd,  für  welken  im©runbe  jebe 
SBeränberung  ein  9iüdgang  ift,  mußte  jugeben,  baß  fie  in  -ben  le|teu 
3a^ren  nodj  ferner  geworben  war.  3*)*  ©eftd)t,  melcrjed  eine  ruhigere 
JHegelmäßigfeit  befaß,  ald  bad  ber  Sajwefter,  fyatte  jefet  gan$  bie  rjarmonifdje 
Slnmutrj  ber  Weife  unb  ber  geiftigen  (Sntrotefelung  befommen.  Gin  f)oa> 
geflogener  9todenfnoten,  ber  eine  fdjroere,  braune  £aarfülle  Mammen* 


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412 


Karl  (Bjellernp  in  DSnemarf. 


fagte,  fefote  ihrer  Schönheit  eine  flaffifche  Ärone  auf;  bie  ungewöhnlich 
f)of)e  gigur  tjatte  fich  $u  üoUerem  9iI)9t^muS  gerunbet,  ohne  etroaS  oon 
ihrer  jungfräulichen  Schlauheit  einzubüßen. 

Sie  grüßte  ihn  rote  einen  alten  33efannten  ohne  Spur  oon  9?er= 
legenheit  unb  fefete  fidt)  an  feine  Seite.  £a3  ©efprad^  lenfte  fich  auf  feine 
Sraut,  bie  &arriet  roährenb  ihres  Aufenthaltes  auf  beut  £anbe  oft  in  einem 
^ifarrrjofe  getroffen  fyattt,  in  beut  Sttarie  bamals  Severin  geroefen  roar. 

„öefdjäftigt  fie  fich  auch  Ijier  mit  Unterricht?"  fragte  ^anriet. 

„3°,  ftc  W  Se^rerin  in  einer  Sdmle,  unb  ba$  nimmt  tr)rc  meifte 
3eit  in  9lnfprud),  aber  auch  if>r  meifte«  Sntereffe." 

„Dann  ift  fie  glüdltch!  ....  @3  ift  oon  großem  ©ertr),  eine 
foldje  regelmäßige  ^^ätigfeit  ju  beftfoen,  für  bie  man  fich  tnterefftrt.  28ir 
SSeiber  leiben  fo  nie!  baruuter,  baß  mir  feine  rechte  Sefa^äftigung  haben  — 
unb  bann  werben  mir  melandjolifch." 

„2lber  Sie  fpielen  bod>  unb  aquareairen,  tjat  mir  3f>re  Schroetter 
erjagt." 

„3a,  jum  ^eitoertretb  mag  baS  ganj  gut  fein;  roenn  man  e3  aber 
nicht  fo  roeit  bringt,  Hünftlerin  3u  werben,  fo  überfommt  einen  fchließlidj  • 
bodj  baS  brücfenbe  ©efü^I,  feine  eigentliche  Arbeit  ju  ty&en." 

„Unb  bann  bift  $u  boch  auch  häßlich  —  roaS  follte  au$  bem  £aufe 
roerben  ofme  $)ich?"  fragte  bie  grau  Cberft. 

,,3ld},  ba3  ift  eben  ber  3Ierger!  3"  einem  §aufe  roie  bem  unfrigen 
roeiß  ntan  ja,  baß  9IUed  aud)  ganj  gut  gehen  roürbe,  auch  roenn  man  nicht 
ba  wäre."  x 

„9tun,  Sie  fönnen  in  SkrJjältniffe  fommen,  in  benen  Qtjrc  häuslichen 
£ugenben  unentbehrlicher  finb,  als  tycx  ...  ©5  flcljt  3hnen  aber  ganj 
ähnlich,  fo  genau,  faft  pebantifch  gegen  fieb  felbft  ju  fein." 

„(SS  roar  gut,  baß  Sie  baS  ,faftl  hinzufügten",  antwortete  darrtet 
lachenb. 

Die  grau  Cberft  aber  ftimmte  ihm  bei.  föarriet  treibe  wirflidt)  ihre 
©eroiffenhaftigfeit  511  roeit.  <§S  roäre  gut  für  fie,  ein  roenig  oon  bem 
Seichtftnn  9tntonienS  angefteeft  ju  roerben! 

Wilhelm  fühlte  fich  gan$  roie  ein  föauSfreunb,  fo  leicht  unb  natürlich 
hatte  ber  alte  Xon  fich  gefunben.  2llleS  hantelte  ^n  an«  n>ar  5um 
erften  Stfal  in  biefer  SSofmung,  aber  bie  neue  ©olinftube  umgab  ihn  mit 
lauter  befannten  ©egenftänben,  lauter  3noentarien  fetner  erften  3bpüe .  . . 
Ueber  bem  Soplja,  auf  bem  bie  grau  Cberft  faß,  hing  noch  ber  alte  Äupfer= 
ftich  00m  ?lpoüo=£empel  beS  Glaube  Sorrain.  hinter  ben  Scheiben  beS 
SBücherfdjranfS  fah  er  bie  $änbe,  bie  er  fo  oft  an  regnerifdjen  Sommers 
ferientagen  in  Rauben  gehalten  . . .  9luS  bem  Nebenzimmer  f langen  (Sellotöne, 
immer  biefelben,  ein  fleiner,  »errufener  Sauf  im  Anfang  beS  (£*£urs 
Quartetts  oon  ^eetlwoen,  ber  fd)on  bamals  511  ben  täglichen  Uebungcn  beS 
Cberftcn  gehört  hatte,    ©üblich,  nadjbem  er  fich  roobl  ein  ^albeö  hunbert 


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  <ß*Bnr.    <H3 

2Jtol  wieberlwlt  fjatte,  f)örte  er  auf.  ©leidfc  barauf  würbe  bie  £f)ür  geöffnet 
unb  ber  Cberft  trat  herein. 

Cbwotyl  er  von  ber  Arbeit  in  feinem  eigenen  3immer  fam,  war  er  bodj 
in  Sadftiefeln,  biö  oben  hinauf  jugefnöpftem  dlod  unb  nidjt  olme  bie  be* 
fannten  ungeheuren,  freiberoei§en  SHandjettcn  —  ganj  wie  Söilljelm  iljn 
erwartet  fjatte.  $er  Oberft  Sdmlfc  mar  ftets  fein*  genau  gewefen  in  ber  2lu3* 
ftattung  feiner  ^erfon,  bie  faft  jarter  unb  fleiner  war,  als  e8  für  einen 
GaoalIerieoffi$ier  erlaubt  festen.  (Seinen  93art  trug  er  ä  la  Napoleon  III. 
unb  bie  fef)r  weiten  SBeinfleiber  fpife  nad)  ben  ©tiefein  julaufenb,  wa$ 
feinen  franjöfifd&'miütärifdfjen  5lnftrid)  nod)  ert)öf)te.  Gin  leidjter  2)uft  von 
Spatajouli  unb  Zigaretten  war  feine  Sltmofptjäre. 

„3efct  müffen  Sie  balb  fidler  fein  in  ber  Gello^affage,  £err  Cberfi/' 
betnerfte  äBUfjelm,  als  bie  ©rüfje  gcwedjfelt  waren. 

„C,  fagen  Sie  ba$  nia)t;  es  ift  fein  Span,  obfdjon  eä  ganj  leid)t 
flingt.  Äeüermann  übte  biefe  ©teile  täglidj  eine  SSiertelftunbe,  unb  fie 
ging  ifmt'bod)  einmal  bei  einem  (Soncerte  in  bie  53rücfye." 

SSäre  ßellermann  fjier  nid)t  erwähnt  worben,  fo  wäre  2Bilf)elm  ebenfo 
enttaufd^t  gewefen,  wie  wenn  man  in  ber  gewohnten  Äneipenecfe  einen 
pofftrlia^en  Stammgaft  oermifct.  3efet  fehlte  nur  nod)  beS  Springer:©ambit, 
bann  ftanb  ba$  Sd)ulfo'fd)e  £auö  ooüenbet  bte  jur  SBetterfafme  ba  in 
feiner  alten  ©lorie! 

Cberft  Sdnilfc  erjagte  von  feiner  9ieife  nad)  granfreid),  wo  er  einer 
ber  ^Repräsentanten  ber  bänifdjen  3lrmee  bei  ber  großen  9teuue  gewefen. 
Gr  war  entjüdt  über  bie  Siebenäwürbigfeit  ber  franjöfifäjen  Cffrjtere  unb 
begeiftert  für  ba£  &eer.  9)ian  würbe  e£  nod)  fefyen,  wie  if)re  Waffen 
SReoandje  an  $eutfä)lanb  nelmten  würben,  trofobem  bie  fd)led)te  republifanifdje 
Regierung  mit  if;ren  5erfefcenben  unb  attjetftif^en  ^eftrebungen  einem  faft 
bie  Hoffnung  nehmen  fönnte.  Uebrigen3  ma$e  man  fid)  im  ?lu£lanbe  eine 
oerfefjrte  2>orfteü*ung  oon  itjrer  3J?ad)t;  ber  Äern  be$  33olfe£  fei  immer 
nod)  ronaliftifdj  unb  gläubig,  ©r  bätte  feiner  2lMrtf)in,  einer  uortrefflidjen 
brauen  S8auer$frau,  fein  S^ittcrfreuj  gezeigt  unb  ifjr  bie  3nfcb,rift  überfefeen 
müffen.  Dieu  —  le  roi  —  mais  «  >st  tres  beau!  Ijätte  fie  aufgerufen. 
Xie  braue  ^xan  fjabe  itjm  ben  ©lauben  an  Jyranfrcidjä  ©röfje  jurüdges 
geben! 

^lötjlia^)  fiel  e£  bem  Cberften  ein,  bafj  &err  $ex$  ütetleict)t  Suft  hätte, 
eine  Partie  Sdjad)  $u  fpielen.  (£r  t)atte  felbft  mehrere  £age  lang  ntdjt 
gefpielt,  unb  weil  $}efud)  für  il;n  ber  fd)redlid)fte  ^rolmbienft  war,  fo  bad)te 
er,  e3  muffe  and)  für  ben  armen  jungen  9Jiann  ein  ungeheurer  s^ortf)eil  fein, 
einen  folgen  Sefudj  in  eine  Sd)ad)partie  oerwanbelt  ^u  befommen,  bei 
ber  man  bod)  wußte,  woran  man  war. 

//3$  gfaube  gar,  Sie  finb  mir  nod)  fteoandje  fa^ulbig." 

„Neffen  fann  idj  mid)  wirflid)  nid)t  erinnern;  aber  e^  wirb  wol)l 
faum  ber  gall  fein,  ba  ber  &err  Cberft  ja  fo  au^ge5eid;net  fpielt." 


^4    Karl  (Bjellcrnp  in  Ddnemarf.   

„9tun,  wir  wollen  einmal  in  meinem  Journal  nad)fef)en,"  jagte  ber 
Dberft  unb  ging  in  [ein  3^mmcr/  nM)  weitem  er  bie  £f)üre  offen  liefe. 

„Das  nenne  tdj  feine  Saasen  in  Drbnung  tyaben!"  rief  S&ityelm; 
„nadj  fo  langer  3"t!" 

„2öie  lange  ift  e$  Ijer,  bafc  Sie  uns  in  9toeftoeb  befugten?"  fragte 
bie  grau  Dberft. 

„(§&  wirb  wo&t  neun  3af)re  fein." 

„Journal  —  Journal  für  ad&tjefmlmnbert  —  mann  fagen  Sie?"  ■ 
„Dretunbiieb$ig." 

„SldjtselmrMnbert  —  unb  —  brei  —  unb  ftebjig  —  Sommer  — 
warten  Sie,  warten  Sie  —  f)ier  werben  Tötr'ö  gleid)  feljen,  lieber  $err," 
fagte  ber  Dberft,  welcher  tyeranfam,  in  einem  tleinen  2Raroquinbanbe 
blätternb  —  „Sie  erinnern  ftcfc  worjl  nidjt  — " 

„3$  reifte  am  fünfunbjroanjigften  2lugujt,"  fagte  SBiUjelmunb  et* 
tött)etey  weil  er  ba3  Datum  fo  genau  wujjte, 

„2llfo  warjrfdjeinltdj  —  ja,  fner  tjaben  wir'ä,  ganj  red^t  .  • .  Setzen 
Sie  nur,  am  oierunbjtoanjigjten,  Spiet  mit  &errn  &erj  —  9Jtat<$  II 
3lo.  7.  oerloren.  3"  ^itige  ßntblö&ung  be3  tinfen  glügelS  —  fmt  — 
f)ier  fommt  nur  noaj  ein  £tnmei3  auf  ba3  ^arifer  furnier."  —  Der 
Dberft  unterftridj  bie  %t\it  mit  bem  9iagel  be$  fleineu  ginget,  betten 
fdjarfeS  Dretetf  ba3  Rapier  ^atte  burdjfdmetben  fönnen  .  .  .  „3Ufo  ber 
alte  2)tatd)  ftetyt  —  lajfen  Sie  fetyen  —  ftefjt  fo  — -  bafe  —  ad),  baß 
Sie  —  2'/2  —  gegen  —  4  ^aben  ...  ja,  2Va  gegen  4  .  .  .  3llfo 
wenn  Sie  Suft  fyaben,  fönnen  mir  gleid)  weiter  fpielen." 

2Bill)elm  f)ätte  jwar  oorgesogen,  bei  ben  Damen  &u  bleiben;  anbrerfeit$ 
mufete  er  ftdr)  aber  barüber  freuen,  jroifcfyen  fidj  unb  ber  gamilie  ein  fo 
gutes  3?erbinbung3glieb  ju  beulen,  wie  bie  Sdfadjpaffion  be£  Dberften, 
unb  er  folgte  üjm  barum  ofme  Sßiberftanb  nadj  ber  f leinen,  carrirten 
2Bat)lftatt. 

2U3  fie  ungefähr  eine  fyalbe  Stunbe  gefpielt  fjatten,  r)Örte  er  plöfclief) 
bie  Stimme  2lntonienS  in  ber  3öolmftube.  (5r  r)atte  eben  einen  SBortfjeil  über 
ben  Dberften  errungen,  unb  ba$  Spiel  würbe  fid)  beäljalb  vn'3  Unenblia^e 
f)inau£gejogen  (jaben  —  unb  er  fing  an,  oor  Ungebulb  ju  brennen  .  .  . 
Sitenn  er  einer  (Sinlabuug  jum  2J?ittageffen  fyntte  golge  leiften  fönnen, 
im  gaUe  e$  gar  $u  lange  bauerte,  ja  bann  —  aber  er  mufcte  ju  3ngeröler>$. 
2Bal)rfd)einlid)  würbe  er  faum  3«*  fyaben,  Antonien  ein  fnrjeä  „©uten 
£ag,"  511  fagen,  um  bann  £>al3  über  Äopf  fortjuftürjen;  benn  bie  TOittag^- 
ftuube  3rau  SngeräleoS  war  fo  fdjrecflid)  altmobifd)  seitig.  (Sr  faßte  fid) 
ein  .fterj,  Üiat,  ate  ob  er  eine  galle  überietjen,  fiel  mit  Hillen  in  ein 
,8d)ad)  unb  ©arbej1  unb  braute  e£  nad)  einer  SBiertelftunbe  fo  weit,  bafc 
er  baS  Spiel  oerloren  geben  fonnte.  9)iit  einer  für  einen  Sd&adjfinatten 
burdjauä  unpaff enben  Sebfyaftigfeit  ftanb  er  auf,  banfte  bem  Dberften  unt> 
ging,  gejolgt  oon  bem  Steger,  in  bie  SBofmftube. 


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  (B-Dur.   

„2ld&,  ich  hätte  faum  gehofft,  ©ie  ju  fehen,"  fagte  Antonie,  „als  ich 
^örtc,  bajj  ©ie  fdjon  beim  ©chachfpiel  wären . . .  es  ift  ^übfd^  t>om  SBater, 
ba§  er  fdfwn  mit  3f)nen  fertig  geworben  ift." 

„&err  &erj  fatn  mit  einem  fo  oergnügten  ©eficht  herein,  bafj  er 
gewife  ber  Sieger  ift/'  bemerfte  grau  ©chulfc. 

„ftein,"  fagte  ber  Cberft,  „ich  war'«,  ber  Hegte  .  .  .  &err  &er$  hatte 
übrigens  eine  fe^r  gute  Stellung  befommen,  eine  für  mich  gefährliche 
©teflung,  aber  ich  weifj  nicht  auf  ein  9Wal  —  ja  wiffen  ©ie,  &err  £03, 
nachbem  ©ie  bie  Königin  oerloren  Ratten,  haben  Sie,  grabe  heraus  gejagt, 
bilettantenhaft  gefpielt  ...  60  ben  ßopf  ju  oerlieren!'* 

,,30,  id)  merfe,  ich  bin  aus  ber  Uebung  gefommen." 

„Sie  haben  nieHeiäjt  gebaut,  wenn  bie  Königin  fort  ift,  mag  taugt 
bann  baS  9lei<h?" 

,,^fut  £onn,  überlafc  2>u  baS  ben  Herren,  bem  frönen  ©ef<hled£)te 
Komplimente  ju  machen." 

„Ober  tueQeiäjt  hat  &err  ^erj  abjichtltch  oerloren,  um  $u  uns  herein* 
äufommen,"  erriett)  bie  grau  Dberft. 

,,©ie  finb  mirflich  gar  ju  erfinberifch,  bie  einfädle  £hatfa<he,  ba&  i<h 
fehlest  gefpielt  habe,  ju  erffären!" 

,/Rein,  freiwillig  ein  ©piet  ju  oerlieren  —  haha!  — rief  ber  Dberft, 
„2>u  fprichjt  wie  $u'S  oerftehft,  liebe  grau  .  .  .  9fein,  ba  mü&te  man  bod) 
bis  über  beibe  Cljren  oerliebt  fein,  unb  felbjt  bann  nicht  —  felbjt  bann 
nic^t!" 

,/Hch,  eS  ift  abfdfjeulidfj,"  rief  Antonie,  „es  mit  anhören  5U  müffen, 
baß  bie  Männer  unfertroegen  nicht  einmal  ein  ©piel  oerlieren  motten !" 

„9ton,  ©ie  waren  mir  ja  aud)  Sieoanche  fdjulbig;  näd)fteS  9flal  ift 
bie  Steide  an  Shnen  .  .  .  2Benn  ©ie  uns  nicht  früher  baS  Vergnügen 
machen,  hoffe  ich,  bog  ©ie  einmal  2lbenbS  ein  paar  Quartette  bei  uns 
anhören  werben/' 

„Sich,  werben  wir  balb  einen  üuartettabenb  haben,  Steter?  25aS  ift 
ja  herrlich!" 

„2Bir  wollen  fehen;  oielleicht  in  biefer  2Boche,  wenn  ni<ht  eine  Oper 
bajwifdhen  fommt." 

„£aft  Du  £erm  föerj  Seine  Aquarelle  gejeigt?",  fragte  Antonie  — 
,/SaS  foffteft  Xu  bo<$  —  bie  oon  ber  3ieife  —  &err  ^erj  ift  felbft  in 
ber  ©dhweij  gewefen." 

„3a,  bie  müffen  ©ie  mir  jeigen  " 

„9ton,  §err  &er$,"  fagte  Antonie,  als  ßarriet  hinausgegangen  war, 
„finb  ©te  auSgejanft  worben  oon  3h**er  33raut,  weil  ©ie  ihren  ©eburtstag 
oerfäumt  haben?" 

„Wein,  baS  bin  i(h  nicht,  obgleich  ich  ^  oerbient  habe/' 
„Xa  haben  ©ie  es  freilich  gut  .  .  .  ©ott  weife,  ob  ich  eben  fo  gut= 
müthig  an  ihrer  —  wenn  ich  oeriobt  wäre  .  .  .  ftören  ©ie,  xd)  möchte 


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  Karl  (Bjellernp  in  Danemarf.   

gern  ^xe  Sraut  fennen  lernen,  ßarriet  fyd  fie  fo  fe^r  gefallen.  2BoUen 
Sie  fte  uns  nia)t  einmal  oorfteffen  ?" 

„SD  ja,  fefyr  gern;  idj  tyabe  gerabe  ben  ©ebanfen  gehabt,  ba&  e3  für 
fic  fet)r  gut  fein  mürbe,  Sie  unb  $tye  Sdjroefter  fennen  ju  lernen." 

„&ier  finb  bie  Aquarelle",  fagte  ^arriet ;  „roenn  man  aber  bie  SBirf -- 
lidjfeit  gefeiten  bat,  nehmen  fie  fidj  freiltd)  armfelig  aus." 

„3m  ©egentljetl,  menn  man  fie  fennt,  fua}t  man  in  Urnen  no$  mehr 
.  .  .  211),  ba  fyaben  mir  ja  bie  Xreieinigfeit  beS  ewigen  SdjneeS  —  ob, 
baS  ift  aber  roirfliä)  fein*  fd)ön!  —  XaS  2lbenbrotf)  auf  bem  Stlberfjorn 
entjücfenb!  .  .  .  es  mufe  oon  SBengernalp  aus  gefefjen  fein,  man  f>at  ja 
bie  Jungfrau  gerabe  cor  fid)  .  .  .  Unb  ber  finftere  gidjtenoorbergTunb, 
ber  ift  rooljl  auf  bem  &ügel,  oon  beut  aus  man  gegen  3nterlafen  fielet? 
.  .  .  Ten  ad)tunb$roan$igften  üluguft  1880.  —  2lber  baS  mar  ja  gerabe 
ju  berfelben  3e't  <SU  ber  i$  bort  mar!  . .  .  2£arten  Sie  einmal  ...  ja, 
nur  jroei  Tage  fpäter !" 

„3roei  Tage  genügen,  um  einanber  nidjt  ju  begegnen,"  fagte  darrtet 
ladjenb. 

„3roei  elenbe  Tage!  Unb  roie  f$ön  märe  es  geroefen,  wenn  id)  Sie  bort 
getroffen  l)ütte  .  .  .  ia;  atynte  nid)t  einmal,  bafe  Sie  in  ber  Wa>  roaren !" 

Antonie  fat>  tfm  oerftol)len  an.  @S  mar  if)r,  als  ob  fie  auf  feinem 
©eftdjte  bie  Seligfeit  feljen  fönnte,  bie  er  empfunben  fjätte,  wenn  er  inu 
erwartet,  wie  buraj  ein  SBunber,  ber  ©ebietcrin  feines  ^er^enS  in  ber 
(Sinjamfeit  ber  gtganttfdjen  ©ebirgSnatur  begegnet  roäre  —  wenn  er  bort 
mit  if)r  geroanbelt  märe,  roä&renb  bie  untergef)enbe  Sonne  ifir  Stofaliapt 
unb  if)re  füljlblauen  Sä)atten  über  ben  eroigen  Sdmee  f)inbaud>te,  baS 
2(lpenglüt)en  bie  golbenen  girnen  entjünbete  unb  bie  ©letfc&erlaroinen  roie 
raudjenbe  ©afferfälle  bonnernb  jur  Tiefe  ftürjten! 

Sie  füllte  in  biefem  2lugenblide  einen  Anflug  oon  SReib  gegen  bie 
Sdjroefter  unb  oon  9Jiitleib  mit  Unn:  mein  ©ott  fo  nafje  baran,  roarum 
fonnte  baS  Sdjitffal  tym  nid)t  ben  glücflidjeu  3ufall  gönnen,  eine  fleine 
Cafe  in  feiner  i&üftenroanberung ! 

„Unb  Sie  roaren  nidjt  mit,  gräuletn  Antonie  ?" 

„ftein,  .fcarriet  reifte  mit  ber  gamilie,  bei  ber  fte  auf  bem  £'anbe 
rooljnte." 

„Wun,  Sie  traf  id)  ja  ebenfo  unerwartet  unb  sufäütg  in  9laeftoeb. 
greilidi  ift  es  bort  ntd)t  fo  fa)5n  roie  auf  ber  Ängernalp,  aber  ftüumungs* 
ooll  ift  es  bod)  auef)." 

Antonie  lächelte.  „GS  oerfjalt  U)  roof)l  jum  ferner  Oberlanb,  roie 
id;  *u  ftarriet,"  backte  fie. 

„Sie  l;at  Talent,  nid)t  roafjr?"  fragte  bie  grau  Dberft  oom  Soplja. 

„0  geroijj,  bebeutenbes  .  .  .  Tic*  $ilb  oom  Pilatus  mit  bem  Alfens 
bute  ift  nor^lid)  .  .  .  Stfie?  &?ar  bad  Ijalb  oier,  roaS  es  eben  fälug? 
Tann  mufj  id)  mid)  beeilen." 


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  <S-Dnr. 


„Sinb  Sie  irgenbroo  &um  Sfttttageffen  eingelaben?" 
,,3d)  mu§      meiner  33raut  unb  Sd)irriegermurter,  bort  bin  idj  ftets 
beS  Sonntags." 

„Dann  grfi§en  ©ie  3^re  33raut  pon  mir;  Tie  erinnert  ftcr)  rooftf 
meiner  noaV' 

„(SS  wirb  un$  freuen,  fte  bei  uns  ju  feEjen,"  fügte  bie  grau  Dberft  Ijinju. 

XV. 

„3ft  2ßi(r)elm  nod>  nidjt  ba?",  fragte  SJtorie,  inbem  fie  ben  &ut  ab* 
nafmt  unb  auf's  (Slaoier  roarf.  —  „Unb  td)  bin  fo  gelaufen,  um  nid&t  ju 
fpät  ju  fommen  ...  er  bleibt  lange  bei  Sdjulfee'S." 

„Seim  Oberft?" 

„3a,  i$  faf)  ifm  jur  ©artenttjür  hineingehen,  als  icr)  auf  bem  2öege 
nad)  Oefterbrotf  mar  . .  .  ©r  mar  ein  fteineS  Stücf  oorauS,  idj  rief  i§m  ju, 
aber  er  f>atte  foldje  eile,  bafe  er  roeber  far)  nod)  l)örte  .  .  .  ©ort  roeif?, 
roaS  er  etgentlid)  bort  will." 

„ßs  ift  roof)l  nur  ein  33efud>,  weil  er  bie  Dotier  in  9toeftoeb  ge* 
troffen  f)at,"fagte  grau  3"9*rSleo.  „Slber  er  r>ätte  freilid)  pünftlidj  pm 
SflittagSeffen  fommen  tonnen  .  .  .  Sopfjte,  Du  mußt  ben  Xtftt)  betfen." 

„9ton,  mein  ©Ott,  roeil  man  eine  junge  Dame  in  einem  fremben 
£aufe  trifft,  brauet  man  bod)  nid)t  gleid)  bie  gamtlie  ju  befugen." 

„9tein,  baS  ift  fdjon  ridjtig,  aber  roas  f>aft  Du  benn  Dagegen  V  gürd&teft 
D>u  bic  ßarriet?" 

„gurrten,  baS  rottt  \6)  nidjt  fagen,  obfdjon  idj  roofjl  roei§,  bafj  2öil§elm 
mid)  nie  fo  geliebt  hat  roie  fie  —  fte  ift  ja  aud)  fo  fd&ön  .  .  .  246er  es 
fann  ntdjt  jum  ©uten  fein  —  unb  es  ruft  bod)  leia)t  Unruhe  unb  $er* 
ftimmt^eit  f)eroor  — " 

„9tun,  fo  feft  wirb  bod>  roof)l  fein  §erj  mit  ben  Saferen  geworben 
fein,  ba§  er  Tie  orme  <Sd>aben  fefcen  fann." 

„Keffer  ift  immer  beffer  .  .  .  SBenn  nun  §arriet  jefct  anfinge  für 
ir)n  eingenommen  ju  werben  —  id)  fürchte  ja  nidjt,  ba§  er  mid)  oerlaffen 
würbe  —  natürlich  nid)t  —  baS  fallt  mir  ja  nia)t  ein,  —  aber  bocfc  — u 

„D  barüber  fannft  Du  ganj  rul)ig  fein  .  .  .  2Benn  ein  Söetb  fidj 
einmal  oon  einem  SHanne  geliebt  gemußt  fyat,  ofme  fein  ©efüfjl  ju  er« 
iDibern,  fo  wirb  fic  it)n  niemals  lieben," 

„Sßarum  nid)t?M 

„SBarum,  roarum  —  baS  roei&  id)  nidjt  mein  Äinb  —  eS  ift  nun 

einmal  fo  .  .  .  211)/  ba  fommt  er  ja  enblia)  " 

„IRun,  waren  bie  Damen  liebenSroürbig,  a®itr)elm  ?M 

„2Beld>e  Damen?" 

„Watürlidj  bie  bort,  wo  Du  warft." 

„Du  weifet  bod)  aud)  2llleS,  man  fann  Dir  nie  etwas  erjagen !" 
„eben  bestjalb,  roeil  Du  nidjt  einer  oon  benen  bift,  bie  oiel  er» 

Horb  un^  eiib.  LI.,  153.  28 


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<H8  —    Karl  öjellernp  in  Däncmarf.  — 

jaulen,  mufe  \<f)  bod^  bofür  forgen,  felbft  etroaS  ju  erfahren .  .  .  Uebrigens, 
wenn  man  $ufälligerweife  $)ir  nadjgelaufen  ift  unb  $ia;  gerufen  fjat,  bis 
$u  bur$  eine  ©artentf)ür  entfdjlüpft  bift,  bann  ift  es  nidjt  fo  übermenf$ti<$, 
flu  wtffen,  wo  $u  warft." 

,,2lf),  auf  btefe  SSeife!  .  .  .  3a,  gewife  waren  bie  tarnen  Heben*  * 
würbig,  e3  ift  ja  tyr  HRetter  .  .  .  §arriet  Sd)ulfc  war  fogar  fo  liebend 
wfirbig,  ba&  fie  midj  bat,  $idj  ju  grüben,  fie  erinnerte  fid)  deiner  mit 
groger  greunblidtfeit  .  .  .  SBarum  Ijaft  ®u  mir  benn  nie  erjagt,  ba^ 
$u  fte  einmal  auf  bem  Sanbe  getroffen  f)aft?" 

„3$  weife  ntdjt,  idj  badete,  idj  §ätte  £)ir'*  gefagt." 

„Stfem,  ©ott  bewahre  .  .  .  £a  fannft  $)u  fefjen,  bafe  id)  audj  ba$u 
genötigt  bin,  mein  2Biffen  mir  felbft  ju  perfdjaffen  .  .  .  Sie  motten 
$id>  gern  fef)en  bei  ©a)ulfce$  —  $aft  $>u  nid&t  £uft,  einmal  mit  mir 
f)in$uge!)en?" 

„Wein,  was  foll  idj  benn  bort?" 

„9iun,  roaä  foll  man  überffaupt  unter  3Kenfd)en?  ...  3^  meinte, 
e$  mürbe  3)ir  Sßergnügen  ma$en  —  es  ift  ein  lebhaftes  §au£  —  unb 
befonberS  bie  £öd)ter  fennen  ju  lernen  —  3^r  würbet  genrife  greunbinnen 
werben." 

„2>u  f)aft  fo  oft  getagt,  £u  warft  frof),  bafeief}  feine  greunbinnen  jjabe." 

„9tun,  greunbinnen  unb  greunbinnen  —  id>  fd&  warme  allerbingS  im 
Allgemeinen  nid>t  für  bie  3)iäba;enfreunbf(%aften  —  bieS  Slneinanberljängen 
unb  einanber  in  bie  Dfjren  glüftern  —  ba3  übrigeng  nadj  ber  Verlobung 
feiten  ift  ...  $on  biefem  $erfef)re  aber,  glaube  id),  mürbejt  £u  Stufcen 
§aben  .  .  .  idj  uerftelje  überhaupt  m$t,  warum  2)u  2)id)  fo  abroefjrent^ 
uerljaltft." 

„2)u  weifet  ja,  ba&  id)  niajt  fetyr  bafür  bin,  neue  Sefanntfajaften  $u 
madjen,  id)  f)abe  an  ben  alten  genug  .  .  .  2lufeerbem  fjabe  id)  uidjt  viel 
Seit  au^ugetyen  unb,  id)  weife  nidjt,  idj  Ijabe  nun  einmal  feine  Suft!" 

9iun,  ja,  ja,"  warf  2Bu>lm  in  gleidjgülttgem  Xone  f)in  unb  blätterte 
in  einem  9?otenbudje,  ba$  auf  bem  Glaoiere  lag. 

„£ommt  jefet  herein  &um  @ffen,  Jlinber,  e3  ift  aufgetragen/'  fagte 
grau  Snger^leo,  welaje  bie  S^ür  junt  Speifejimmer  öffnete,  freubeftraljlenb 
barüber,  bafe  ber  Mcf)brei  weber  angebrannt  nod)  burdj  ba$  SBarten  fe:i 
geworben  war.  £>enn  Wxlti)bxti  war  2ötlf)elm$  befd)eibene$  Seibgericfct, 
ba3  er  im  SSirt^aufe  entbehren  mufete. 

Xrofcbem  er  aber  an  bem  Keffer  mit  3intmt  feben  fonnte,  ma$  tfm  in 
ber  Sdmffel  ermartete,  fefcte  er  fid)  üerftimmt  3U  Stifa},  unb  ba$  fkine 
Stifd)gcbet,  ba#  i^m  fonft  ben  kippen  Märiens  fo  fleibfam  erfdjien,  ärgerte 
il)it  fo,  bafe  er  nidjt  wufete,  wo  er  bie  3tugen  f)inwenben  fottte. 

Gr  baajte  an  ben  pifanten  2Jhmb  Antonien«,  bejfen  ßippen  nia^t  xvu 
bie  Märiens  gleid)inäfeig  unb  einfaa)  wie  ein  alter  ©efangbu^oer^  ge= 


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(S-Dur. 


reimt  roaren,  fonbern  frei  gefdjroungen  in  betueglid&en  3if)i)tf;menroeÖen  — 
ob  fie  rool)l  aud)  baS  £ifd)gebet  fpredjen  fonnten? 

xvr. 

„Gi  guten  2lbenb,  £>err  fterj !  ,§ier  mfiffen  nur  uns  treffen  ?" 
GS  roar  bie  muntere  Stimme  SlntonienS,  bie  mit  froher  Ueberrafdmng 
ben  ßopf  breljte. 

„$a,  es  fd^eint  fo,  guten  2lbenb  .  .  .  9ta,  jefot  fann  id)  \a  gleidj 
baS  Sergnügen  baben,  Sfjnen  meine  Sraut  uorjuftellen  —  gräulein 
Antonie  Sdjulfe  —  gräulein  —  ad),  bei  Olmen  ift  eine  Sorftetlung  ja 
gar  nid)t  nötf)ig." 

„9Jein,  id)  fjoffe,  Sie  Ijaben  bereite  einen  ©ruft  von  mir  erhalten," 
fagte  .^anriet  unb  gab  Sttarie  freunblidj  bie  &anb.  „Unb  f)ier  rjtnauS 
finb  Sie  geioanbert!  GS  fann  boi)  nid)t  baS  2B;tter  geroefen  fein,  baS 
Sie  jur  Stranbpromenabe  ücrtodft  fjat." 

„Das  nidjt,  aber  jroifdjen  ben  uier  2Bänb:n  märe  eS  bod)  gar  §u 
eingeidjloffen,"  fagte  3)carie,  „unb  ein  roenig  langweilig,  gar  nidjt  rjerauS* 
äufommen." 

„^angiueilig,"  rief  Antonie,  „roenn  3(H*  Bräutigam  bei  3&nen  ift  ?" 
„£en  rjabe  idt)  ja  and)  rjier." 

£arriet  unb  3)iarte  fdjienen  auf  bem  Sprunge  in  fteljeu,  fid)  $u  oer= 
abfdjieben,  aber  Antonie  unb  ©ilfjelm  roaren  fdron  in  lebhaftem  ©efprädje 
unb  einige  Stritte  auf  bem  gußroege  uorauS. 

„GS  ift  freiließ  fein  fold)eS  Setter  roie  cor  ad)t  £agen,  als  mir  in 
Sönnebe  waren/'  fagte  Antonie,  „damals  mar  eS  nod)  ganj  Sommer  — 
jefct  aber  fiefjt  eS  fo  finfter  unb  falt  über  bem  Stteere  aus,  bafj  man  förmlid) 
friert,  wenn  man  bie  eifengrauen  SBellen  anblicft  —  unb  bie  Säume  (äffen 
bie  Slätter  uns  uor  bie  güfee  fallen  unb  fenften  unb  fnirfdjen  —  Jjörcn 
Sie  nur,  eS  fltngt  roie  ein  fingen  Ijöljerner  föänbe,  foldje  2lngft  fjaben 
fie  uor  bem  £>erbft!  .  .  .  $te  binnen,"  fügte  fie  I)tn$u,  „fie  roerben 
ganj  entblößt,  gerabe  roenn  bie  5tälte  fommt  —  roir  9)ienfcf)en  3ief>en  uns 
bod;  roärmer  an,  maS  id)  übrigens  audj  fd)on  fyätte  trmn  follen." 

„2lber  id)  trage  ja  fjier  einen  Srjarol,  nehmen  Sie  ben  bod)  um! 
Sftarie  braudjt  ifjn  ntd^t." 

„$ann  friere  id)  nadjljer  um  fo  mef)r." 

„Wein,  roir  begleiten  Sie  bis  an  bie  £f)ür  Grlauben  Sie 

mir  .  .  ." 

„£aufenb  25anf,  Sie  ftnb  fel;r  —  barf  id;  benu  roirflidj  $l)x  Xnfy 
benu^en,  gräulein  3n9ergleo?" 

„ßerslidj  gern/'  antwortete  SHarte  l)inter  ifjnen.  Sie  fprad)  eben 
ferjr  lebtjaft  mit  £amet  unb  fjatte  nidjts  mefjr  gegen  bie  Segleitung,  als 
fie  merfte,  bafe  SBilfjelm  gar  feine  Sermfud)t  banad)  geigte,  an  ^»arriet'S 
Seite  ju  fein,  fonbern  fid)  mit  ber  Sd;n.iefter  begnügte. 

2S* 


^20    Karl  (Sjcüerup  ttt  Dänemarf.   

„UebrigenS  Ijaben  Sie  ja  ungefähr  ebenforoeit  fyinauä  rote  wir,  unb 
Ijaben  bod)  aud)  mit  bem  Detter  rorlieb  genommen/'  jagte  2£ilfjelm. 
„Sir  finb  bjer  in  ©efeHfd&aft." 

„$n  ©efeüfdjaft?"  rief  Üfiarie  ladjenb.   „£a$  fief)t  man!" 
„(Sie  fönnen  bod)  nidjt  leugnen,  bajj  mir  in  biefem  2lugenb(itfe  in 
fefjr  guter  ©efellfdjaft  ftnb!" 

„9Jein,  \$  roill  3bnen  fagen,  mir  ftnb  Iner  bei  einem  Cnfel  in 
SHofenroenge*).  bei  bem  mir  alle  oierjefm  2age  iu  Wittag  effeu,"  ant= 
roortete  £arriet,  „unb  ba  fönnen  mir  un$  bie  §reil)eit  nehmen,  ein  wenig 
fortzulaufen." 

„2Jber  eine  Ueberrafdmng  mar  es  freilidj,  oon  3^er  Stimme  erroetft 
ju  roerben,"  fagte  2öilr>elm. 

,/Unb  aus  roeldjen  träumen  ?"  fragte  3Monie.  „Sie  bltcften  fo  in 
bie  gerne  über  ba$  TOeer  tnnaus  .  .  .  S5?oran  fcaben  Sie  eigentlich  ge* 
baa)t?" 

„%a,  roenn  Sie  bas  roüfcten!" 

„3ldj,  id)  fann  mir  fd)on  benfen,  baß  eö  Siebe  mar;  tonn  Sie  gingen 
ja  mit  3t)rer  öraut." 

„Stfein,  ba£  eigentlich  nid)t!" 
„©ollen  Sie  es  mir  nidjt  fagen?" 
„Taä  barf  id)  nidtf." 

„So?  £ann  mar  es  ftdier  etroaS  Unerlaubtes!" 

GS  mar  natürlich  £arriet,  weil  er  eS  nid)t  fagen  barf,  backte  ne. 

„Wein,  burd)auS  nid)t,  im  ©egentfyeil;  menn  Sie  eS  übrigens  gern 
miffen  moflen  unb  mir  oerforeerjen  — " 

„9tein,  nun  mag  id)  es  gar  nicfyt  frören."  Unb  fie  bad)te  weiter : 
bann  mar  eS  bod)  ntct)t  ."parriet;  benn  er  fyat  mief)  bod)  ntdjt  ju  fetner 
Vertrauten  machen  roollen,  roooor  idj  midj  audfc)  bebanfen  mödjte! 

„©etjen  Sie  mit  l)ier  fnnein  buret)  9iofenroenge?" 

„31a),  mir  roollen  bodj  nid)t  fdron  juriid!  Die  (Sonne  ifi  ja  nod) 
nidjt  einmal  hinunter,  unb  eS  ift  fo  fd&auberrjaft  (angroeilig  beim  Cnfel !" 

„9lber  Antonie!"  rief  fordet  ladjenb. 

„GS  ift  bod)  roaf)r>  baS  fannft  Xu  bod)  nid)t  leugnen  ....  2SMr 
roollen  tfnm,  als  ob  roir  ben  Sctjlüffel  oergeffen  hätten**)  unb  ben  Äalf« 
brennerroeg  gelten." 

„Xu  roeiftt  beer),  baß  fie  eS  nid)t  lieben,  roenn  roir  fo  lange  fort* 
bleiben  .  .  .  Unb  ,£terr  ^ierj  unb  graulein  QngerSleo  fyaben  »ielleidjt  aud) 
gar  feine  £'uft  fo  roeit  51t  geljen." 

„0,  fie  müßten  es  ja  bod),  roenn  roir  ben  Sdjftiffel  roirflid)  oeTgeffen 

**)  £ie  iiorüabtoicrtcl  ftnb  burdj  Xfjore  abflefdjloffcn. 


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 <ß=Dur.   

Ratten/'  fagte  Antonie  unb  begann  mit  2Si(f)elm  oorwärte  511  gef)en. 
„Sef)t  nur,  jefet  wirb  es  audj  fdjöner!" 

©3  fing  an,  geller  $u  werben  $wifd)en  ben  Solfen  unb  über  bem  grauen 
Sunb,  auf  weldjem  plöfclidj  ein  Segel  weithin  erglänze,  von  unfidjtbaren 
Straelen  beteuertet,  hinter  ben  s$ü|d)en  ber  (toten  floffeu  fupferfarbene 
Streifen  jwifdjen  bie  bleiernen  2Bolt?en  binau-3.  Dann  fdjofe  ein  langer, 
fteijenber  2id)tftraf)l  jwtfdjen  ben  Stämmen  Ijeroor,  breitete  fidj  über  ben 
"iöeg  unb  50g  bie  Statten  ber  Daljinfdjreiteitben  über  ©räbeu  unb  ©rbfjaufen 
weit  nad)  bem  Ufer  hinunter. 

„Sßiffen  Sie,  bafj  Sie  jefet  bie  ßrlaubnijj  Ijaben,  fid)  etwas  3U 
wünföen?"  fagte  Antonie. 

„Die  f)at  mau  glucflidjerweife  immer,"  antwortete  SBilljelm,  „wie 
follte  man  eä  aud)  oljne  bie  aushalten?" 

,/DaS  ift  wafjr!  Slber  jefct  muß  eä  erfüllt  werben,  weil  Sie  ^wifdjen 
jroei  Sd)wcftern  geben." 

„Dana  will  ia)  wünf^en,  feljr  oft  3ioifdt)eii  biefen  betben  Sd;weftern 
gefjen  ju  bürfen." 

„&Me  befdjeiben!"  fagte  «parriet. 

„Unb  galant !"  fügte  Antonie  ^inju. 

„Stein,  baä  ift  ein  flauer  aßunjcfc"  meinte  9Rarie;  „benn  bann 
?ann  er  ja  immer  oon  Beuern  roünföen." 

„9iid)tig!",  rief  3(ntonie,  ,,td)  t)abe  audj  aU  $inö  mtd)  imuer  barüber 
geumnbert,  n>ie  bitmm  bie  Seute  tu  beu  Stieben  iljre  brei  &>fmfa;e  be; 
uufct  baben  .  .  .  28mn  ia)  nur  einen  4Suufd)  befäme,  fo  mücoe  id)  lüünfdjen, 
baß  %lti$  was  idj  wünfdjte,  erfüllt  würbe." 

,/flun,  ba$  wäre  freiließ  nict)t  befdieiöen!"  fagte  "üJhrie  laäjeitD. 

,,3o)  will  Sie  einen  öeutidjen  ^>^r^  leljreii,  gräulein  3,l3er^leo, 
ber  merjr  tieffinnig,  als  gramiiuttcaliid)  ift: 

5öc)d)ctbcnf)cit  ift  eine  3'ter, 

3)od)  toetter  foinatt  mau  oOne  itjr." 

2Öilf)elm  fanb,  baü  er  mit  feiner  öefö  »ibenl)üit  weit  genug  fame.  Sein 
2Sunfdj  ging  nia)t  über  bie  angenehme,  träumende  Stimmung  be$  3lugeu= 
blideS  InnauS.  sBie  feljr  er  aud)  oou  Antonien  in  9taeftueb  eingenommen 
worben  war,  wo  fie  oon  ben  Erinnerungen  an  §arriet  umgeben  gemefeii, 
er  fanb  fie  boa;  t>ier  in  ber  tebenbigeu  Ml)£  $arrict$  110a)  berauiajeuber ! 
SSett  baoon  entfernt,  oon  ber  Sdjönbeit  ber  Sa)  weiter  überftrai^lt  ju 
werben,  friere  fie  oon  tf)r  einen  ©lorienfdjein  $u  erhalten,  unb  es  war 
i^m  rounberbar  angenehm,  ju  bören,  wie  bie  Stimme  «parrietS,  beren  £on 
nod)  immer  fein  Dljr  mit  fdjmerjoermifdjter  Suft  berührte,  fid)  in  ba$ 
©efprda)  mifebte  unb  ü)in  biSroeileu  eine  neue,  unerwartete  Widmung  gab. 
ilud)  ftörte  es  ilm  burdjauS  nict)t,  baß  sJflarie  ebenfalls  an  ber  Unter* 
Gattung  ttjeilnafmt.   3n  glücffelig  banfbarer  Stimmung  (nc§  er  aud)  fie  $u 


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I 


422    Karl  (Bjellemp  in  Dänemarf. 

biefeS  2lugenblicf£  3? erf ö t>nun f efi c  wtllfowmen  —  biefem  2?erfÖrjriung£fejie 
feiner  ©efüfjle  —  ber  alten  unb  ber  neuen  .  .  . 

Xie  Heine  52Tl)ür  vom  flalfbrennermege  nacf)  9iofenwenge  feilte  fie 
wieberum  in  ^?aare,  S&Htyelm  unb  Antonie  blieben  ein  wenig  &urüa\ 
2llä  2lntonie  fcfyon  ben  gelben  ©iebel  oom  £aufe  beä  CnfelS  $wif$en 

ben  bunflen  33aumfronen  fernen  fonnte,  fagte  fie  plöfclid): 

„Sie  fönnten  mir  bodj  jagen,  woran  Sie  eigentlich  gebaut  haben." 

„2ln  Sie." 

2Intonie  erröttjete  unnötig  ftarf  bei  biefer  2lntwort,  unb  ein  conrien- 
tionelleS  fiedeln  mifelane.  Sie  fah  auf  ben  ©oben  hinunter  unb  ant* 
wortete :  „Sie  bauten  gewi§  baTan,  ba&  Sie  rjeute  »or  acht  Xagen  in  £önnebe 
waren,  unb  ba  tonnten  Sie  natürlich  nidt>t  umhin,  fi<h  auch  meiner  $u 
erinnern." 

„9?ein,  ich  baajte  an  ben  2lbenb,  an  ba$  ©ewitter  unb  an  bie  ©oben* 
treppe."  Unb  als  fidj  über  bie  Spangen  Antonien«  ein  noch  tieferes  9ioth 
legte,  fügte  er  hin^u:  „Sie  rjabeu  sJiecht  gehabt,  mir  bamaU  böie  $u  fein 
.  .  .  .  3$  behanbelte  Sie  wirflid)  wie  ein  tjalbeS  Äinb  unb  ba£  finb 
Sie  ganj  unb  gar  nid)t  .  .  .  9lber  nicht  wahr?  wenn  ich  Sie  um  3?er= 
jeilmng  bitte,  fo  oerjetfjen  Sie  mir,  mag  ich  ^nen  fcfjulbig  bin?" 

2lntome  bliefte  eine  Secunbe  auf,  um  ju  fehen,  ob  bie  2lnbereu  in 
ber  9^är)e  mären ;  fie  mürbe  plöfclidj  fo  oermirrt,  bafe  fie  nicht  wufete,  wa£ 
fie  antworten  foüe  unb  ftotterte:  „3a  natürlich  —  baS  Reifet  —  es  ift  mir 
gar  nicht  eingefallen,  gefränft  su  fein  —  einen  2lugenblicf  oieQeidjt  —  aber 
fpäter  habe  ich  wirflid)  nicht  baran  gebadjt  .  .  .  UebrigenS,  id)  felbft  war 
e$  ja,  bie  fid)  fo  bumm  benahm  —  ich  fd)äme  mich  barüber  —  unb  Sie 
traten  es  ja  nur,  um  mich  ju  beruhigen  .  .  ." 

Sie  füblte  fia)  erleichtert,  als  fie  bei  ben  lefcten  Korten  ^aniet  unb 
SHarie  erreichten,  bie  an  ber  ©artentf)ür  ftanben;  benn  fie  mußte  jefct 
ebenfo  wenig,  wo  fie  einen  Sßmitt  machen,  als  oorf)in,  wo  fie  nach  feinem 
grege^en  beginnen  follte. 

Tie  Verlobten  oerabfehiebeten  fich  von  bem  Sdjwefternpaare,  unb 
Stll)elm  wanberte  mit  9)torte  fo  oergnügt  nad)  &aufe,  ob  er  ftatt  feiner 
SJraut  feine  ©eliebte  am  2hm  gehabt  ^atte. 

„CS  ift  wirflid)  ein  gutes  Siefen,  biefe  9)tarie,"  fagte  £arriet,  „unb 
im  ©an^en  genommen  ein  nettes  $aar,  fie  paffen  jufammen." 

„2ldj  ja,  aber  er  ift  bodj  Diel  t)übfcr}er.'' 

„föübfd)  ?  .  .  $n  feiner  3ugenb  mar  er  fogar  beinahe  eine  Schönheit 
.  .  .  .  jefot  aber,  jefet  t)at  er  etwas  CrbinareS  befommen  —  biefeS  feine 
Sd;iiurrbärtd)en  —  fo  ein  9)?onbfd)einSritter  —  ein  Xenorift." 

(Sin  Tenorift!  £aS  war  baS  gürdjterlichfte,  was  gefagt  werben 
fonnte  .  .  .  Gin  ^onbicfjeinSritter,  baS  f)ätte  Antonie  jur  5?ott>  paftuen 
laffen,  aber  ein  Tenorift! 


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  <ß*Dnr.    ^23 

Sie  war  nahe  baran,  eine  böfe  Antwort  ju  geben,  aber  fie  nahm  fidj 
jufammen  unb  begnügte  fid)  bamit,  ju  benfen: 

„3awof)l,  Damals,  all  Xu  Xir  oon  tf)m  bie  flur  machen  lie§eft  unb 
feine  i'iebe  wegwarfft,  ba  n>ar  er  Xir  fd^ön  genug  ....  3efe*  aber,  ba  er 
mich  »orjieht  —  benn  ba3  tf)ut  er  bod)  wtrflid)!  —  jefct  ftef)t  er  aul  wie 
ein  £enorift!  .  .  .  9hm,  id)  bin  ja  auch  feine  Schönheit  wie  Xu,  unb 
für  mich  ift  er  fd)ön  genug." 

£arriet  wunberte  fidj  barüber,  bafc  Antonie  ben  ganzen  3lbenb  nicht 
ein  ©ort  mit  ibr  fpradh;  aber  fie  rebete  auch  mit  ben  Ruberen  nicht  Biel 
unb  flagte  über  flopfwef).  Sie  fafe  allein  am  genfter  unb  fah  nach  bem 
finfteren  ßerbfilummel,  beffen  unruhige  Sterne  an  ben  SRänbern  ber  jieljenben 
Wolfen  flimmerten. 

2lud)  auf  bem  9tod)baufewege  blieb  fie  fdjwcigfam  unb  lieft  fidt)  nur 
einfilbige  ©örtdjen  enttocfen. 

%l$  fie  an  ben  „fchwarjen  hieben"  entlang  gingen,  fragte  £arriet: 
„2£enn  jefet  £err  £erj  ju  unferen  SJJufifabenben  fommt,  fann  er  bann 
jur  Unterhaltung  nicht  aud)  etwas  beitragen?  Singt  er  nidjtV" 

„3d>  weift  wirflia)  nid)t  ...  er  pfeift  fafi  immer  .  .  .  übrigen* 
fingt  er  rooljl  —  £enor." 

lag  eine  foldje  ^albfornifa^e  SBitterfeit  in  biefem  betonten  2Borte, 
baft  fiarriet  oerwunbert  bie  Sd)wefter  anfaf),  welche  mit  gefünftelter  ©leid)= 
gfiltigfeit  über  bie  See  htnauSblidte. 

Unb  &arriet  fdjfittelte  bebenflid)  ihr  fdjönel  £aupt. 

XVII. 

Jtommft  Xu  heute  2lbenb,  Söilhelm?",  fragte  3ttarie. 
„9?ein,  heute  9lbenb  bin  id)  eingelaben." 
,,2lber  morgen  2lbenb?" 

„9SielIeid)t,  nein,  morgen  3lbenb  ift  ja  l'ef)rerüerfamm(ung  wegen  be$ 
Ueberfdmffeä  ber  Äranfenfaffe,  bie  gewöhnlich  bamit  enbet,  baft  mir  ben 
Ueberfdwft  uertrinfen." 

„2luch  eine  ^erwenbung  —  anftatt  ihn  für  baS  näd)fte  3&hr  aufs 
Blieben  !M 

„Xafür  fHmme  ich  aud)  immer,  aber  bie  Unoernunft  fiegt  natürlich." 

„Unb  Xu  bift  nur  ein  einzige*  9)ial  in  oiefer  2£od)c  hier  gewefen  !" 

„Xarum  bin  idj  ja  eben  heute  9?ad)tnittag  gefommen." 

„3a,  etwas  muftte  ich  Xid)  boch  tyaben  .  . .  3lber  e£  ift  freilich  nict)t 
baäfelbe,  bie  9lbenbe  finb  fo  traulidj." 

„Xa$  ift  wahr,  aber  alle  biefe  2lbenbe  ift  etwas  bajroifchen  gefommen 
.  .  .  9Wan  fann  mir  bodj  nidt)t  oorwerfen,  ba&  ich  juoiel  aulgehe." 

„$ein,  baS  thue  ich  a^  nid)t  .  .  .  es  ift  nur,  weil  ich  Xid;  in  ber 
legten  3^it  ein  wenia,  nermiftt  tyabe  .  .  .  3n  ber  vorigen  'Etodje  warft 


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^2^    Karl  (Sjellerup  in  DinemarP.   

Xu  nur  jwet  9tbenbe  ba  unb  —  unb'aud)  in  ber  uoroorigen,  aber  ba 
roarft  Xu  ja  allerbmge  in  9keftr>eb." 
„So?  Xu  füljrft  genaue  ftecrmung." 

„0,  bas  ift  niajt  }o  fdjroierig  *u  behalten.  3m  5rüf)jaf)r  famft  Xu 
wenigitenä  brei  2lbenbe  in  ber  Sßodje" 

2£ilf)elm  antwortete  nid&t,  er  fal)  ärgerlid)  auf  eine  Speere,  mit 
melier  er  neroöä  fptelte. 

,,©ieb  mir  bie  Speere,  Xu  §erbriajft  fie  fonft  nod)  .  .  .  wo  bift 
Xu  benn  Ijeute  eingefoben?" 

„3u  Dberft  Sd&ulfe  " 

„£m,  ©efetlfc&aftV'' 

„«Sie  tjaben  üuartettmufif  Ijeute." 

„Xu  bift  bod)  glütflicb,  fo  Diel  3Kufif  tjören  ju  fonnen." 

„9hm,  ju  biefen  Quartettabenbeu  fannft  Xu  ja  aua)  fommeu,  id> 
t)abe  Xir  ja  gefagt,  bafe  fie  Xid>  gerne  fefjen  mürben  .  .  .  aber  natürlid) 
mü&teft  Xu  einen  $*efud)  machen,  e$  finb  Seute,  bie  auf  bie  gorm  ferjen." 

„2lber  id)  babe  Xir  ja  audj  gefagt,  ba§  id)  mir  au£  ber  öefannt» 
fd)aft  nichts  madje  —  unb  ber  SRufif  megen  einen  &erfef)r  ausufnüpfen, 
baä  fällt  mir  bod)  nid)t  ein." 

„9iein,  gemifc  nid)t,"  antmortete  2Mt)elm,  fror)  Darüber,  bat?  fie  bei 
itjren  erften  (*ntfd)lüffen  blieb,  ÄUetdjt  r>aft  Xu  9ied)t,  Sympathien 
unb  9lntipail)ien  irren  feiten." 

„9iun,  Slntivatt^ie,  id)  fann  nia)t  fagen,  baji  id)  eine  2lntipatt)ie  babe  — 
feineäwegä  —  warum  bennV" 

3Iber  uielleidjt  ßiferfud)t,  bad)te  5&ilf)elm.  „SebenfaUs  fannft  Xu 
mir'*  nia)t  üerbenfen,  baf>  id)  allein  gerje,  wenn  e*  Xir  aud)  bieroeilen 
einen  2lbenb  rauben  foüte  —  e*  ift  ja  nia)t  meine  Sdmib,  bafe  wir  nidjt 
jufammen  bort  finb." 

„9Jein,  uatürlia)  mufet  Xu  l)in,  wenn  Xu  Suft  t>aft  ...  Irin  £lo§ 
am  gufe,  ba*  ift  bnsjenige,  wa*  ia)  Xir  am  allerwenigften  fein  möa)te." 
SBenn  id)  mitginge,  würbe  er  nod)  öfter  t)iugef)en,  bad)te  fie;  unb  ein 
regelmäßiger  iUerferjr  fommt  nia)t  leidjt  5U  Staube,  wenn  id)  mia)  fort; 
wäljrenb  jurürfljalte." 

Sie  fafjen  einige  Minuten  ftumm.  2)farie  näf)te  fleißig,  SSilljelm 
blätterte  in  einem  v^ua)e,  fal)  auf  bie  Ul)r  unb  uerglid)  fie  mit  ber  feinen. 

,,Sage  mir/'  fragte  ÜJfarie  unb  blitfte  plöfclid)  auf,  „warum  bift  Xu 
nur  in  ben  legten  Xagen  —  in  biefer  2öod)e  —  in  einer  fo  fa)redli$en 
£aune  gewcjcnV" 

,,3d)?  ^arum  follte  ia)  benn  fd)led)tcr  Saune  fein?" 

„3a  JL'iebfter,  baä  möchte  id)  eben  rwn  Xir  wiffen  —  Xu  bift  e£ 
twa)  .  .  .  iUm  Sonntag  war  Xeine  Stimmung  eine  gan$  gute,  aber  uor* 
aefteru  war  fie  jerjr  trübe,  unb  (jeute  ift  fie  aud)  nia)t  be[onber$  fjell  .  .  . 
2*>aö  ift  Xir  benn  jumiber  gegangen V  Xenn  etwa*  mufe  e*  boa)  fein." 


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<S  =  Dur.   


425 


„9?ein,  \$  oernd&ere  $id),  gar  ntd)ts  —  ja,  tueüeiajt  Dorgeftern  ein 
paar  flehte  SBerbriefelidtfeiten,  bie  ntajt  ber  9iebe  roertf)  iinb  .  .  .  2lber 
f>eute  bin  ia;  burdjauS  ttic^t  fd)led)ter  Saune,  iaj  befinbe  mid)  fel;r  roof)l." 

Gr  j>roang  ein  Säbeln  berfelben  2lrt  tyeruor,  mit  reeller  man  oer= 
fidjert,  bafj  ein  bitterer  SdjnapS  üorjugltd)  fdjmetfe.  Unb  roie  baS  ge= 
roörmltd)  gefyt,  bie  Söefdmlbigung  in  fd)led)ter  Saune  ju  fein,  oerfefcte  ilm  in 
noaj  fdjleä)tere.  Gr  fonnte  fid)  faum  übernrinben,  ben  SJtonb  ju  öffnen,  faf) 
ringä  umfyer  an  Tiefte  unb  SBänben  nadj  ein  paar  fummenben  Sitegen  unb 
blätterte  jerftreut  in  einem  Sudje. 

„2Bo  ift  benn  Seine  Butter,  fommt  fie  nidjt  balb  nad)  ^aufe?" 
„3d>  weif*  uidjt,  fie  ging  aus,  um  Kaffee  ju  faufen." 

„Sann  grüjje  fie;  id)  mufj  jefct  fort  unb  einem  bummen  jungen 
Satein  mit  Coffein  eingeben;  bie  Ufyr  ift  brei." 

„Sa  fjaft  $u  bodj  noa)  uiel  3eit." 

,,3a)  fjabe  aud)  nodj  unterwegs  &erfd)iebenes  su  beforgen." 

„Sann  3Ibieu,  unb  fei  mit  bem  bummen  jungen  nid)t  gar  ju  un- 
gebulbig." 

„ÖeroiB  nia)t!  2lbieu." 

er  fdjon  bie  f leine  STreppe  hinunter  gegangen  mar,  Ijörte  er 
3Warte  bie  2pr  öffnen  unb  it;m  naajrufen. 

„flomm  bod)  einmal  jum  grüljftürf,  morgen  obec  übermorgen  —  Butter 
fefjnt  fict)  aud)  nad)  Sir  —  unb  in  beiferer  Stimmung!" 

,,3d)  fomme  fdjon.  2Ibieu." 

Sie  fd)iniegte  fia)  mit  fd»uer$lia>r  3ärtlid)feit  feft  an  ilm  unb  fü&te 
irm  fo  heftig,  bafl  ilmt  bie  Sippen  welje  traten.  2113  fie  ben  .Hopf  $urütf; 
$og,  ftanben  itjr  bie  »lugen  uoUer  grauen. 

Gr  tljat,  als  ob  er  es  nidjt  bemerfte,  fagte  it)r  nod)  einmal  Sebeiootjl, 
fo  fjerjlia)  als  eS  if;m  möglid;  mar,  unb  beeilte  fid)  fovtjufommen.  Gr  mar 
froij,  ben  2U)f$ieb  überftanben  ju  Ijaben,  aber  aud)  gequält  oon  ben  Selbft= 
anflogen,  bura)  meldje  eine  ljeifee  Umarmung  fid)  bafür  räd)t,  mit  einer 
falten  beantwortet  worben  5U  fein.  .,&>arum  fann  id)  mid)  nia)t  menigften* 
ein  bissen  liebem)  II  fteUeu,  fie  t)atte  Ijeute  folaje  Sermfud)t  banad)  .  .  . 
id)  bin  bod)  ein  rechter  gefüljllofer  tflofc!" 

2lber  aud)  biefe  ©ebanfen  uerfdjroanben  balb  in  ber  tiefen,  roiUenlofen 
6d>n>ermutf),  bie  ilm  in  ben  lefeten  Sagen  gan$  gebrodjen  rjatte,  unb  bereu 
Urfadje  er  feiner  übraut  nidjt  beidjten  burfte. 

XVIII. 

„3a,  bie  21 -Saite  —  Inn  —  ift  bei  ©Ott  brillant;  baS  ift  feine 
grage,"  fagte  bie  erfte  Violine,  inbem  fie  in  ber  Wtte  biefes  Safees 
einen  S^napS  Jnnunterfdjlutfte  unb  ein  Stürfdjen  tfäfe  auf  bie  ©abel 
iptefjte. 


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^26    Korl  (SjelUru  p  in  Dänemarf.   

„9}id)t  wahr?"  rief  ber  Cberft,  „unb  überhaupt  — " 

„%btx  ein  Goncerrinftrument  ift  e$  nicht,"  nabelte  bie  Keine  Sratföe. 

/,9icin/  ba3  \)at  ja  Stiemanb  gefagt,"  fd&narrte  bie  SStoHne  jurücf, 
fo  bafj  bie  fleine  Sratfche  bermajjen  erfdjraf,  als  ob  fie  falidt)  eingefe^t 
hätte  unb  anfing,  ben  Sogen  mit  bem  Kolophonium  $u  [treiben. 

/#5ur  3hrcn  ©ebraudj  unb  um  ben  ^reiä  ift  e3  ausgezeichnet,  ba$ 
weift  ©ott/'  futjr  bie  erfie  Violine  fort.  „Sie  haben  ba  übrigens  einen 
guten  Gognac,  Cberft." 

Xie  snjeite  Sioline  brummte  mit  »ollem  2Hunbe  etwas  Seifälliges, 
was  fowohl  bem  GeHo,  als  bem  Gognac  gelten  tonnte. 
„D  ja,  es  ift  Partei  mit  bret  Sternen." 

„SKMrflidj  —  fo  —  tmt"  —  ilub  bie  erfte  Violine  fonnte  nicht  um* 
hin,  fid)  oon  biefer  Uebenafdjung  burcr)  einen  Sd&lucf  ju  erholen,  ber  au$ 
3erftreuung  in  ihr  ©lag  hineingeraten  mar. 

„kannten  Sie  ba*  Stücf  oon  DnSloro,  £err  £er$  ?"  fragte  Schulfc. 

„3a,  ich  ^abe  es  einmal  im  ßammermufifoerein  gehört  .  .  .  eS  ift 
ja  ganj  wohlflingenb,  aber  es  erbaut  mich  bod)  nicht  fo  fefjr.  2ßaS  haben 
Sie  benn  für  SJiittiooch  in  söereitfdjaft  V" 

„£,  mir  fiebeln  wahrfcheinlich  einen  ^enbelsfofm  unb  einen  alten  £apbn, 
man  fann  ja  nicht  immer  etwas  ÜHeueS  haben." 

„Wun,  wollen  mir  wieber  anfangen?"  fragte  ber  Oberft  .  .  .  „2BaS 
fpielen  wir,  haben  Sie  eine  3bee?" 

„$m,  mir  fönnen  uns  ja  bie  sJioten  anfehen,  bie  \)iex  liegen,  mir 
werben  fct)on  etwas  finben." 

$)ie  jweite  SLUoline  beeilte  fid),  noch  ein  Stüdchen  ftäjebrot  hinunter; 
juftopfen  unb  folgte  bann  ben  Ruberen  in  bie  bunfle  ©artenftube  nad», 
in  beren  SRttte  ein  paar  Sichter  hinter  ben  grünen  Spinnen  eines  ^oten^ 
pultS  leuchteten. 

Söilhelm  blieb  allein  im  3intmer  beS  Cberften  jurüd.  £ie  gamüie 
unb  ein  paar  ©äfte  befanben  fich  in  einem  großen  Gabinete  auf  ber  anberen 
Seite  ber  ©artenftube,  beren  glügeltfnlren  gerabe  gegenüber  offen  ftanben. 

Wilhelm  söcjerte  hinüberzugehen.  Gr  mar  nidrjt  aufgelegt,  in  ©efellfchaft 
ju  fein,  unb  überbie^  mar  ^arriet  fo  befonberS  unfreunblich  gegen  u)n, 
ba&  er  fich  Durch  fie  beengt  fühlte.  Gr  hatte  ftets  ba*  ©efühl,  oon  üjr 
beobachtet  $u  werben  unb  wagte  in  ihrer  ^tä^e  faum,  2lntonie  anjufehen, 
bie  gerabe  l^ute  gan$  entjütfenb  war.  Sie  trug  ein  neue*  flleib  mit 
^Uchfelpuffen  unb  einem  f leinen  Stehtragen,  an  welchen  ftch  ein  grofc 
jatfiger  Spifcenüberwurf  anfchlofe,  ber  bem  fchönen  &alfe  offenen  %*la$ 
bot.  GS  fam  ihm  uor,  als  habe  fie  in  ber  21'aht  biefeS  2ln$ugS  feinen 
©efdtjmad  beriidfichtigt  unb  oerfucht,  feine  ÜÖinfe  barüber,  was  ihr  gut 
ftelje,  foweit  es  bie  9)iobe  gulicß,  $u  benufcen. 

3u  ber  ©artenftube  fingen  fie  an  $u  ftimmen.  Wilhelm  ftanb  mit  bem 


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  <8=Dnr.    ^27 

SRücfen  gegen  bie  $f)ür  unb  ftarrte  auf  ein  Scr)acr)brett.  Xa  tarn  3emanb 
in  bie  Stube  herein,  e3  war  Antonie. 

,,2ld),  baS  Sd)ad)fpiel  ift  e8,  baS  Sie  t)ier  feffelt!"  rief  Tie. 
„9?ein,  id)  fal)  es  gan*  in  ber  3erftreuung  an;  meine  ®ebanfen  waren 
nitt)t  babei." 

„2Benn  fie  weit  entfernt  waren,  fo  muffe«  Sie  fie  jurüefrufen,  benn 
es  wirb  etwas  Sd)öneS  gefpielt  .  .  .  Raffen  Sie  auf,  id)  weife,  bafe  Sie 
es  rennen." 

Sie  fefete  fidt)  in  bie  Qäe  beS  SopfjaS,  unb  er  ließ  fic^  an  it)rcr 
Seite  nieber.  Sie  fafeen  fcr)rägüber  ber  it)ür  ber  ©artenftube,  oon  welcher 
fie  einen  grünen  Solang,  eine  £tfcr)runbung  coli  von  9ioten  unb  gerabe 
tjinter  bem  £f)ürrat)men  ab  unb  5U  ein  wenig  von  ber  gladjsperrücfe  ber 
erjten  Violine  fef)en  tonnten,  wenn  biefe  fid)  surüd(er)nte.  35a«  Duartett 
tjatte  $lafc  genommen,  Slatter  mürben  umgeroenbet  unb  mit  bem  Sogen 
auf  fie  geflogen,  eine  Schraube  fnante  unb  ber  Safe  brummte  in  einem  fort. 

„Sfieine  ©ebanfen  waren  nid)t  fo  roeit  oon  r)ier,  fie  roaren  bei  3r)rer 
Sd)roefter." 

„2Irj!"  Antonie  errötete  ein  wenig  unb  falj  auf  ir)rc  Stiefelfpi|en 
hinunter. 

„©lauben  Sie,  baß  3^re  Sdjwefter  etwas  gegen  mid)  rjatV  ©S  fommt 
mir  oor,  als  fei  fie  fo  unfreunblicr)  gegen  mia)." 

„ßarriet?  9?etn,  baS  !ann  id)  unmögli<$  glauben,  Sie  müffen  fiet) 
irren  —  aber  rjören  Sie  jefct!" 

©in  feiner,  r)elier  $)urs$reiflang  rjatte  fo  teife  angefangen,  bafe  man 
eS  faum  gehört,  als  er  einfefote;  er  wucr)S  burd)  anberüjalb  £acte  langfam, 
ftiH,  ftratjlenb  bis  $u  einer  fd)immernben  Starfe,  bie  fortmä&renb  an* 
fcfjroeUen  unb  fiel)  fteigern  ju  müffen  fcr)ien,  bis  fie  2WeS  mit  ifjrem  blenbenben 
©lanje  erfüllte  —  um  plöfelid)  in  einen  finfteren,  gewaltiam  abgeriffenen 
2RoDU2tccorb  abjubredjen.  (Sin  furjer,  heftiger  Sa§  oon  fräftigen  unb 
eneTgifdjen  £önen  folgte. 

„Säubert,  G-dur,"  flüfterte  Sßityelm. 

2lntonie  niefte  lädjelnb,  lehnte  fid)  ganj  jurücf  unb  legte  bie  ftänbe 
in  ben  Sdwofe,  wärjrenb  bie  £öne,  gleid)fam  in  fteigenber  i'eibenfdjajt, 
eine  Cuinte  I)Öf)er  if)r  wunberfameS  ^neinanberwogen  oon  fdiroeflenber 
ßntjücfuug,  'ptöfclidjem  Sieffinn  unb  Sad/idjer  2BiUenSfrajt  mieberfjolten. 

SBilrjelm  fühlte  fid)  tiefinnerlicf)  erfebüttert  oon  biefer  9)Jufif,  bie  er 
Damals  jum  erften  9Hal  gehört  fyatte,  als  fein  liebeSwunbeS  fterj  für  folcr)e 
ßinbrficfe  boppelt  empfänglid)  war.  Sßie  rjatte  er  nidjt  gegrübelt  über  btefe 
rätrjfelooüe  Einleitung,  meld)e  bie  ®efd)id)te  einer  oerfannten  unb  feltfamen 
£eibenfd)aft  %u  erjäblen  fd)ien!  3Jiilber,  weljmütfnger  Sdmierj,  ber 
bis  jur  tiefften  Verzweiflung  oerbittert  wirb  —  fclige  greube,  bie 
plöfelid)  *ur  Sorge  tjerabfinft  ober  in  Dual  fidt)  oerwanbelt  —  in  welchem 


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<*28 


Karl  (Sjellerup  in  DänemarF. 


9Kenfd)enhirn  hat  nicht  baS  i'eben  bieten  ©efüfjlen  eine  Stätte  gebaut 
unb  änrifchen  irjneu  SReroenbrütfen  gefpannt,  auf  meieren  auch  bie  3?tuiif 
mit  ihren  flingenben  Soweit  gehen  fann,  um  ba$  mannigfaltige,  bunfle  (rd)o 
jener  Gmpftnbungen  $u  erroeefen  ?  —  9iber  eine  Seltgfcit,  bie  forttoäbrenb 
[ich  fteigtrt  unb  ftetgerr,  biä  fte  fidj  am  (Sitbe  in  bumpfen,  brütenben  £ief: 
finn  I)inetnroäd)ft  —  o,  in  melden  Strubel  feettfeber  (Erregungen  mußte 
ber  £onbia)ter  hinuntertauchen,  um  eine  folcf)e  Sßuuberperle  herauf utbolen'. 

©3  fam  SBUfjelm  uor,  als  ob  er  in  bieiem  9lugenbltde  ba*  gan}  »er* 
ftefje;  e$  mar  ja  ein  vergrößerte*  unb  uerebelteö  Mb  uon  allebem,  roa*  er 
felbft  in  ber  legten  £eit  burcblebt  hatte.  W\t  ein  paar  ^iolmftria)eit 
mar  feine  l'eibenfchaft  ^ier  in  fo  groften,  einfachen  3ügeu  befd)riebcn,  ba& 
es  befreienb  unb  läuternb  roirfte,  fte  fo  flar  r>or  fia)  *u  fehen.  Unb  roa* 
itjm  fehlte,  es  folgte  eben  in  jenem  energifd)en,  furzen  Safce,  ber  e*  au^u; 
fprechen  idnen:  ,91ein,  länaer  null  ich  biefen  ftampf  nicht  fämpfen,  ben 
sJfiefenfampf  ber  Pflicht  !k  9Jod)  ehe  bie  £öne  btefes  Safces  auf  gehört  Ratten 
in  feinem  Oljre  nachklingen,  ftanb  ber  Gntfchlufe  bei  ihm  feft,  fta)  uon 
bem  33ert)ältniffe  ju  9)torte  loejuretfeen,  fid)  bem  Seibe  an  feiner  Seite 
hinzugeben,  oon  wettern  er  füllte,  baß  fte  *u  ihm  gehöre.  Unb  eine  rounoer; 
fame  Muhe  überfam  ihn,  n>äl)renb  auch  ber  Sturm  ber  £öne  fid)  legte, 
um  bas  Uiiotio  ^um  &>orte  fonmten  ju  laffen. 

„£>ören  Sie/'  filterte  er  Antonie  $u,  „rote  biefes  Xljema  fchüdnern 
unb  furdjtfam  hen)orfd)letd)t  unb  nod)  fid)  in  Oer  gerne  hält,  in  ber  man 
e*  nicht  greifen  fann,  wie  burd)  einen  i'tdrtnebel  uon  bem  jarten  3ütern 
ber  £öne  umhüllt.  .  .  .  Gs  gleicht  einer  Stimme,  bie  ba  fontint,  man 
roetfe  faum  felbft  rooher;  aus  einer  fernen,  ftrablenben  3eit  taucht  üe  empor 
mit  roinjigen,  nur  nod)  gümmenben  Grinnerungsfünfchen,  bte  aufleuchten 
unb  »erfchroiuben  ...  Unb  jefet,  roo  es  in  bie  tiefen  £öne  bes  ^tolon* 
cells  übergebt,  befommt  es  ba  nicht  einen  getfterhaften  GharaftcrV"  

Gr  mujste  ganj  leife  flüftern,  um  nid)t  ju  ftören;  unb  Antonie  war 
gelungen,  ben  Äopf  fo  nat)e  an  ilm  ^ranjubeugen,  bafj  feine  kippen 
faft  it)r  Chr  berührten. 

Sie  nidte  läajelnb. 

„SM)er  tjaben  Sie  biefe  fd)önen  Silber?  Gs  ift  ja,  als  hatten  Sie 
in  bie  Seele  bes  Gomponiftcn  ^ineingefc^aut,  als  er  bas  2Berf  fduif-" 

„9Jein,"  antwortete  er,  ,,ia)  fehe  nur  in  meine  eigene  Seele  uno  bt- 
obad;te,  road  ti  in  ihr  heruorruft." 

Gr  fühlte  unter  bem  Mlange  biejer  Xöne  bie  ganje  munberbare,  biüer^ 
füjje  Stimmung  roteber,  welche  fid)  bamal^  feiner  bemächtigt  hatte,  ate  er 
2lntomen  traf.  )&aZ  an  jenem  2luguftnadmiittage  fid)  nach  unb  nach  uon  allen 
Seiten  über  ihm  jujammimgejogcrt  tyatte,  ba*3  rourbe  jefct  in  ein  paar 
Secuitbeu  in  feiner  ganjea  unbegreiflich^i  Stärfe  heroorge^aubert. 

Unvorbereitet,  leife  unb  boch  fia)er  fing  bann  ba$  Seitenmotio  an: 
eine  flehte,  einzelne  Erinnerung,  uenuaubt  mit  jener  Stimmung,  bie  ityn 


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<ß  =  Dur. 


429 


ben  2£eg  gebahnt,  eines  iljrer  jarteften  demente,  ©ine  f)errlid)e  Erinnerung, 
ntdn"  an  ein  grofjeS  Sürgerglütf,  an  eine  Krönung  auf  bem  Eapitol  cor 
ben  berounbernben  klugen  ber  3)ienge  —  nein,  efjer  an  eine  öefränjung 
mit  frtfdjen  S5>albblumen  oon  jmei  einfamen  föänben  unb  ofme  einen  anberen 
3eugen,  als  ben  eines  liebenben  $lids.  SSie  fidj  bie  unenblidje  9J?elobien= 
fülle  innerhalb  ber  fiiflen  Söemegung  weniger  £öne  mit  furzen  ^nteroaflen 
entroidelt,  fo  genügt  aud)  einer  folgen  Erinnerung  if)r  enger,  fleiner  SBejirf; 
roie  eine  5Mene  im  23lumenfela)  faugt  fie  fi<$  füfj  berauf 4t  in  ifm  f)in= 
unter.  Unb  bod)  ift  in  itjrem  ©lud  aud)  if>r  grofjeS  2i>el)  enthalten:  fie 
ift  eben  nur  Erinnerung.  9Jiit  oerjefyrenber  Setbenfdjaft  roädft  fie,  fdjeint 
fie  fid)  an'S  £eben  fjeroorbrängen  ju  motten,  roanncS  £er$blut  511  forbern 
ju  if)rer  SBiebergeburt  gleid)  ben  Sdjatten  bes  #abeS  —  — 

Es  mar  bie  (Stelle,  bie  er  ben  Slbenb  uor  fid)  fyingefummt  fyarte,  als 
Antonie  unb  er,  jebes  in  feinem  genfter  naf)e  an  einanber  ftanben  unb 
baS  ©emitter  ermatteten.  fy§t  fd)ien  ifmt  ber  Eljarafter  biefer  fleinen 
SJtelobie  bie  ganje  Eigentljümlidjfeit  feiner  S9efanntfd)aft  mit  Antonien  ju 
enthalten.  überrafäjenbeS  unb  bod)  oon  ber  Stimmung  fo  oorbereiteteS 
begegnen,  fein  erfteS,  abfiäjtelojeS  Sidjfjingeben,  feine  fid)  fteigembe 
Seibenfdjaft!  — 

„Erinnern  Sie  fid)  beS  9lbenbS  na$  ber  Sönneber  Partie/'  flüfterte 
er,  „als  id)  Sie  burdj  baS  Summen  biefer  SJielobie  beroog,  fidj  nad)  mir 
umjufefjen  V" 

Antonie  nidte,  breite  aber  ben  flopf  nodj  meljr  oon  tfnn  weg.  9Us 
er  fid)  weiter  oorbeugte,  faf)  er  eine  grofce  ^räne  über  tyre  SSange  t)in* 
abgleiten. 

„9?ein,  Sie  bürfen  mid)  nid)t  fo  anfef)en  . .  .  3$  fann  nid)ts  bafür, 
id)  mufe  meinen,  menn  id)  fo  fa^öne  2Jiuftf  Ijöre  ...  Es  ift  roof)l  aud) 
fteroofität!  .  .  ." 

2lber  mäfjrenb  fie  bieS  fagte,  mürbe  fie  oon  feinem  2lnne  ju  fid) 
fjerangejogen,  feine  Sippen  füfeten  bie  legten  SBorte  oon  iljrem  läc&elnben 
SHunbe  fort,  iljr  flopf  fanf  mitlenlos  auf  feine  Sdjulter  hinunter. 

„9?ein,  nein,  2lntonie,  es  ift  bie  Siebe!'' 

ES  mar  ein  ©lud,  ba§  bie  jmeite  Violine  iljren  leibenfdjaftlidjen 
Safe  bes  SJiotioS  mit  einer  3oad)im'fa)en  ßraft  ftritt),  unb  bafc  ber  Cberft 
baS  neue  Getto  auf  Soften  bec  anberen  Snftrumente  bie  ganje  Stärfe  ber 
Saite  entmideln  liefe.  Xrofcbem  fonnte  es  iljrer  2lufmerffamfeit  niäjt 
entgegen,  baf$  ber  Crt  für  eine  längere  Unterhaltung  biefer  9lrt  nidjt 
glüdlia)  gemäht  mar. 

2lntonie  rifj  fid)  los,  lehnte  fid)  in  bie  Ede  jurüd  unb  fal)  tt>n  einen 
2higenblid  mit  grofcen,  erfdjrotfcnen  Singen  an,  bann  ftanb  fie  auf,  öffnete 
leife  bie  ©artentljür,  bie  fid)  jur  Seite  bes  Sopba*  befanb  unb  ging 
^inauS.  Söilrjelm  folgte  ifjr  auf  bem  gufce  nad;  unb  t>eifd)lofc  oorfia)tig 
bic  5H)ür. 


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430 


  Karl  (Sjellcrup  in  Danemarf. 


„3a,"  fagte  fie  langfam,  „es  ift  bie  Siebe  .  .  .  unb  Sie?  3'1 
bcnn  nrirflid)  maljr,  baf?  Sie  mia)  lieben,  roirflid)  lieben,  fo  tote  Sie 
tarnet  geliebt  fyaben?" 

Antonie!" 

„3«,  boa),  boa),  id)  meifs  e3,  id)  meift  ja  3lfle£  .  .  .  aber  id)  mad)e 
mir  nid^tS  barauS,  e3  trjut  nid)t$,  wenn  biefe  Siebe  nur  nia)t  urieberfommt 
unb  mia)  oerbrängt  —  ba£  barf  fte  nia)t,  fjörft  Su?  9JJeine  Sd)roefter 
—  unb  bann  Seine  33raut!  9Jiein  ©ort,  ma$  fott  barauS  werben?  . . . 
SWarie,  roie  liebft  Su  beim  fte?" 

„Su  weifet  ja,  ban  id)  feine  3lnbere  als  Sid)  liebe,  Antonie  —  Sei 
boa)  nu)ig,  liebet  2)iäbd)en  .  .  .  Saft  ia)  &arriet  geliebt  babe,  ift  fo 
lange  l)cr  unb  —  bie  arme  SDiarie  —  e$  mar  ein  3rrtf)um  —  ia)  glaubte, 
nie  toieber  lieben  ju  tonnen;  ia)  malmte,  bafj  e3  genügen  mürbe,  fte  fo 
gern  ju  f)aben,  roie  ia)  fte  gern  rjatte,  meinte  e3  märe  am  beften  fo  . . . 
Su  Ijaft  e$  ja  felbft  gehört,  ba§  erfte  9M,  al$  mir  jufammen  fprad)en, 
unb  Su  glaubteft  md)t  an  eine  fold)e  Siebe  .  .  .  3e^t  glaube  ta)  audj 
nidjt  baran!" 

„Unb  fie?  Siebt  aua)  fie  Eid)  ma)t?" 

„Soa),  ia)  fürdjte  e£  .  .  .  9?etn,  nia)t  fo  mie  id)  Sia)  liebe;  nia)t 
fo,  ba£  oerftefyt  fie  nia)t,  baran  glaubt  fie  nidjt!" 

„9tia)t  fo,  aber  bod)!  .  .  .  Unb  jefct  mufe  fie  tljrem  ©lüde  entfagen! 
Sie  2Jermfte!  D  ©Ott,  e$  ift  geroife  eine  Sünbe,  bafe  ia)  fo  glüdlia)  bin; 
aber  ia)  fonnte  nia)t  anberS,  ia)  fann  nid)t  anberä!" 

Sie  festen  fia)  auf  bie  unterfte  Stufe  ber  ftol^treppe  naa)  ber  ©arten1 
ftube.  Sa3  SBeinlaub  am  ©elänber  unb  oben  unter  ben  £l)ürpfoften 
leua)tete  blutigroty  im  Sampenlia)t.  lieber  ben  Üianb  ber  unterften  Sa)eibe 
fafjen  fie  btemeilen  bie  Spifee  beä  Violinbogens  auftauten.  3ln  ben 
anberen  genftern  maren  bie  Vorgänge  pgejogen  unb  im  Kabinette  bie 
Säben  gefa)loffen.    Sie  tonnten  ganj  ungeftört  bort  ftfeen. 

Die  9toa)tluft  mar  lau.  Sie  jungen  SMrfen  unb  Sinben  ring*  um* 
f)er  flüfterten  traulid),  unb  oon  ber  See  ^er  brang  ba$  leife  Murmeln  ber 
äöcüen  ju  iljnen.  2lu$  ber  ©artenftube  erflang  bie  SRufif  mie  aue  bei 
gerne,  boa)  bentlia).  Ser  2JiobulationStf)eil  mit  feiner  fa)nellen  31b* 
mea)]*elung  oon  Sur  unb  SJJM,  bie  nia)t  mein*  in  fo  fä)arfem  ©egenfafce  er= 
fa)ienen,  bemegte  fia),  alä  maren  bie  Sollen  getaufa)t  unb  ber  Anfang 
feljre  in  umgefe&rter  golge  mieber  mit  einer  Steigerung  oon  Söetynutf)  bi* 
jur  greube!  .  .  . 

Sie  maren  beibe  ber  2tnfid)t,  bafe  einige  vergeben  muffe,  ehe 
3emanb  c*  ju  miffen  befäme.  (Srft  mäffe  er  ba£  Ver^ältnifc  ^u  3Harie 
löfen  —  bann  fönne  ba3  aubere  rjinterf)er  fommeu  al$  etroa£  9teue3  — 
menn  eö  nidjt  mel;r  fo  auffallcnb  märe. 

„Unb  bann  Dürfen  mir  oor  2ltlem  ed  ma)t  fo  anfangen,  bafe  man 
un*  bejnerft,"  Tagte  2lntonie,  inbem  fte  aufftanb.    „34  9<4c  je^t  bur$  bie 


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 <5*Dur.   


ftüd)e  hinauf,  unb  Du  gefjft  in  Sater«  3tmmer,  mo  ®u  mafjrenb  biete« 
ganjen  ©tütfe«  gefeffen  fjaft." 

„Unb  wann  fefjen  wir  un«  roicber  ?" 

fy<*6e  morgen  um  neun  Glarnerftunbe  in  ©ammell)olm  .  .  . 
2ld),  Du  giebft  Unterridjt  um  bie  Seit  •  •  Dann  fdjreiben  wir  einanber 
.  .  .  .  Unb  übermorgen  9Ibenb  fannft  Du  ganj  gut  fommen,  Du  6ift  ja 
Sater  9ieoand)e  fdjutbig." 

Der  erfte  ©afc  fpiette  feine  Ickten  Xacte,  al«  SSityelm  in'«  3immer 
be«  Cberften  trat;  bie  heftige  SJcuftf  übertönte  ba«  knarren  ber  Xfjür. 
211«  ber  ©djlufeaccorb  erffang,  farj  er  Antonien  in'«  (Sabinet  tyerein= 
fommen.   ©r  atng  burdj  bie  Üttufifftube  ju  ber  gamilie  hinüber. 

„3$  mufete  in  bie  ßüd&e  unb  nadj  bem  Äudjen  fe^en,"  fagte  Antonie. 

„Slber  gerabe  roäfjrenb  Deine«  £iebUng«itürfe« !  Da«  rjätteft  Du  gar 
ni$t  nötf>ig  gehabt,"  jagte  bie  grau  Dberft. 

„3ft  eS  aud>  «3;l)T  £iebling«ftüd?"  fragte  2Bi(rjefm  §arriet,  bie  tfyn 
unb  Antonie  mit  etroa«  mifjtrauifdjeu  Stufen  mufterte. 

,,Cf),  e«  ift  ja  fer)r  fd)ön,  aber  $u  lang!" 

„Das  mar  eine  fjeifte  £our!"  rief  bie  jroeite  Sioline  in  ber  ©arten  • 
ftube.  „Sefet  wollen  roir  bie  2t=©aite  in  bem  Slnbante  rjören,  Dberft,  ba 
nrirb  fie  ftd^i  gut  madjen!" 

„2Iber  ein  Goncertinftrument  ift  e«  bod)  ntdr)t  /'  murmelte  bie 
SBratfdje  ftimmenb. 

„(5«  roar  eigentlid)  aud?  fein  Goncertfrnel,  roa«  Du  im  -Diobulation«: 
tr)eil  rjören  liejjeft,"  jagte  bie  erfte  Violine,  inbem  fie  nadjläffig  bie  be^ 
treffenbe  ©teile  ftridj;  „roenn  Du  fo  ein  Keine«  Duo  mit  mir  fpiefft,  bann 
....  na  roeiter  —  alfo  .  .  .  ." 

XIX. 

,,©te  tjaben  ein  ©efprädj  mit  mir  geroünfdjt,  Kräutern  ©djuljj?" 

„3a  ....  6ie  finb  oieüeidjt  etroa«  oerrounbert  über  biefe  Sitte, 
unb  Sie  werben  fid)  roaf)rfd)ein(id)  nod)  mef)r  rounbern,  roenn  id)  3b"en 
fage,  baß  c«  meine  3lbfid)t  ift,  6ie  5U  erfudjen,  nidjt  metyr  in  unjerem 
§aufe  ju  üerfetyren." 

„9Hd)t  3U  oerfe^ren  —  idj>  fann  nxdjt  leugnen,  baf?  bie«  mter)  aller* 
btng«  überrafetjt  ....  Dadfote  id)  bodj,  bafe  jebe«  unangenehme  ©efürjl 
wegen  —  roegen  bamal«  —  oerfdjrounben  fei,  unb  e«  ift  felbftoerftänblidj, 
bafe,  roenn  id)  bie«  nid)t  angenommen  unb  mdjt  audj  geglaubt  fyätte,  au« 
StjTem  Senerjmen  $u  erfennen  — " 

„9fein,  nein,  e«  ift  nidjt  be«roegen  ....  nein,  ba«  roäre  ja  gar  ju 
albern  —  Sie  fyaben  üoQfommen  iHed/t,  natürlidj  —  i<$  füfjfe  intd)  3(men 
gegenüber  roie  gegen  jeben  Slnbern  ....  9?ein,  aber  id>  mu§  ffinen  ja 
ben  ©runb  fagen,  befonber«  ba  id(>  mit  einem  fo  unljöftia^en  Sertangen 
fomme  —  e«  ift  um  metner  ©djroefter  tuiUen." 


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432 


Karl  (Sjellerup  in  DänemarP.   


„Olntoniene  ?" 

„9lntonien$  wegen,  ja  ...  .  Sie  ift,  td)  roifl  nicr)t  gerabe  fagen, 
für  Sie  eingenommen  —  idj  t)offe  e$  roenigftenS  nidjt  —  aber  — " 
„Sie  hoffen  es  itid&t?" 

„9?ein,  rote  follte  idj  baä  hoffen?  Unb  wie  fönnten  Sie  anberS  ate  e* 
fürchten,  ba  Sie  fidj  an  eine  2lnbere  gebunben  baben!" 

„9hm,  roa$  ba*3  angebt,  fo  tft  ba$  ja  meine  Sad)e  ....  Unb  roa* 
Antonie  anbetrifft  —  Sinb  Sie  ber  SSormunb  3Jjrer  Sdnuefter?" 

„3a,  ber  bin  id)  .  .  .  .  2lber  id)  begreife  gar  nidjt,  in  roeld&er 
2Bctfe  Sie  bies  aufnehmen,  .§err  jperj  .  .  . .  Qdj  betrachtete  e$  als  felbft* 
nerftänblid),  roenn  id)  Sfaen  meine  Jurd^t  anoertraute,  Sie  Ratten  *u 
ftarfen  ©inbrucf  auf  Antonien  gemalt,  —  tt)re  ^hantafie  befdjäftigte 
fid)  ju  triel  mit  3t)nen  —  bafe  Sie  bann  a&  ein  Sflann  oon  <Sr)re  fid) 
oon  einem  Sßerfefjr  $urücf$iet)en  mürben,  ber  nielletcrjt  eine  ©efafjr  für 
Antonien  in  ficb  bergen  fönnte.  .  .  .  Statt  beffen  fd)einen  Sie  ficr)  ge^ 
fdmteidjelt  5U  füt)len!" 

„Unb  ift  Qfmen  benn  bie  3flögtid)feit  nie  eingefallen,  baß  id)  felbft 
mid)  in  einer  ebenfo  grofjen  ©efafjr  —  roie  Sie  e$  nennen  —  befinben 
fönnte?" 

„$ann  Ritten  Sie  boppelten  ©runb,  obgleidj  ict)on  ber  eine  genfigen 
follte  —  unb  übrigen^  r)ätte  icr)  in  biefem  Jalle  rool  nicr)t  nötfng  gehabt, 
mir  btefes  nidjt  gerabe  angenehme  töefpräd)  $u  erbitten!" 

„Sie  meinen,  weil  idj  mit  einer  Slnberen  oerlobt  bin  ....  eine  Wer-- 
lobung  fann  aufgelöst  roerben!" 

„2lber  roa$  ift  benn  ba3  für  eine  Xollt)eit!  Sie,  ein  33räutigam, 
oerlieben  ficr)  in  ein  faum  entnricfelteS  Sttäbcrjen,  mit  bem  Sie  ein  paar 
£age  stammen  geroefen  finb !  .  .  .  Unb  um  biefer  Stimmungsliebe  nriüen, 
bie  Sie  in  ein  paar  £agen  oergeffen  fönnen  — " 

„C,  waä  rotffen  Sie  uon  meinen  ®efüt)len!  Sie  grauben  oiefleic&t 
auä),  ba§  ict)  Sie  in  einer  28ocr)e  oergeffen  t)abe!" 

„9iein,  baS  glaube  td)  ntd)t;  aber  baS  roar  etwas  SInbereS,  es  war 
baS  erfte  2Jfal  ....  SJitd)  fannten  Sie  ganj  genau,  aber  Antonien 
fönnen  Sie  nid)t  fennen,  unb  Antonie  fann  noct)  weniger  Sie  fennen  . . 
2IMe  roäre  baS  möglich?  Sie  t)at  Sie  nur  im  SomttagSanjug  gefeben  — 
fte  ift  Sfmen  begegnet,  als  Sie  in  fdjroärmerifdjer,  mer)mütt)iger  Stimmung 
auf  alten  s}Mäfeen  umrjerroanbelten,  —  fo  etwas  oerfcr)önt  immer  ....  34 
aber  renne  (£ud)  &eibe,  unb  id)  wetfj,  bafj  2lntonie  für  Sie  nidjt  paßt, 
bafc  Sie  fte  unglücfltct)  machen  werben,  ob  Sie  fte  jefct  aud)  noct)  fo  fefjr 
ju  lieben  glauben!" 

„Unb  roarum  follte  fie  nict)t  für  mid)  paffen?" 

„9htn,  fd)on  bie  äufjeren  ^erbaltniffe  finb  nict)t  günftig  ....  Sie 
fönnen  iljr  fel)r  roenig  bieten;  roiffen  Sie,  Antonie  tft  ntdjt  baju  gefdjaffen, 
bie  Aiau  eines  SdmUcbrer*  $u  werben.    Sie  ift  oerroöt)nt,  fyxi  Sinn  für 


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  ö'Dur.    ^33 

SuruS,  fie  wirb  fidj  fdjwer  barein  ftnben,  fid)  niö^t  fleiben  ju  fönnen,  wie 
fie  gewofmt  ift,  nid)t  in  ßoncerte  unb  tn'S  Sweater  jn  fommcn  —  lauter 
tropfen,  bie  aber  auf  bie  £>auer  eine  fold^e  glamme  nerlöfdjen  werben, 
bie  gan$  von  felbft  brennen  mu§." 

,,©ie  urteilen  fe^r  geringfdj>ä|jig  über3§re  ©d&wefter;  unb  (Sie  müffen 
es  einem  fiiebenben  oerjetyen,  wenn  er  auf  !$x  Urteil  fein  grojjeS  ©e* 
n>idr)t  legt!" 

„3$  fjabe  nidjt  gefaßt,  baf$  fie  niemals,  unter  feinen  Umftänben  ndj 
in  folaje  SBerfcältniffe  würbe  ftnben  fönnen  —  td)  fage  nur,  bafj  fie  e$ 
mit  3§nen  nidjt  fönnen  wirb. 

„£abe  td>  eS  oon  ffinen  oerbient,  bajj  ©ie,  ftatt  mir  ©rünbe  ju 
nennen,  mi$  in  foldtjer  Sßeife  fränfen?" 

„3a,  ©ie  fyxben  es  oerbtent,  benn  ©ie  f>ätten  es  ftd>  felbft  fagen 
fotten!  .  .  .  @S  t^ut  mir  leib,  wenn  id)  ©ie  fränfe,  unbidj  wünfdjte,  id) 
fönnte,  es  3fmen  fagen,  ofjne  ©ie  ju  oerwunben,  aber  fagen  mufj  t<$  es 
jebenfallS,  was  idt>  benfe  .  .  .  3$  weine  alfo,  ba&  Antonie  fid)  nad)  bem 
2Ui&ergewöf)nlidjen  fefjnt,  naa)  etwas  23efonberem  in  irgenb  einer  9Rid)tung 
.  .  .  3Rit  einem  berühmten  SJtonne,  ober  felbft  mit  einem  wenig  befannten, 
ber  ein  imponirenber  feltener  ©eift  märe  —  ja,  mit  bem  mürbe  Antonie, 
glaube  id),  aud)  fleine  93erf)ältnijfe  unb  SBibermnrtfgfeiten  beS  Sebent  tragen, 
ofme  oon  Urnen  bebrficft  ju  roerben,  ja,  fie  würbe  fogar  bieS  mit  einem 
geroijfen  ©tolje  tfjun  .  .  .  Slber  ©ie  finb  nid)t  fo  jung  ober  fo  eingebilbet, 
um  nidjt  wof)l  *u  wijfen,  bafe  ©ie  feinet  oon  beiben  finb  ober  werben." 

„£as  finb  barte  SBorte,  gräulein,  befonberS  weil  Tie  wal)r  finb . . . 
©ie  iaben  SReäjt:  id>  f)abe  niemals  ein  eigentliches  Xalent  befeffen,  unb 
felbft  eine  größere  Begabung  f)ätte  wo^l  abgeftumpft  werben  fönnen  bei 
biefer  Xretmüf>lenarbeit  ber  ©dmle,  in  biefem  fleinlid&en  Kampfe  um'« 
Dafein  .  .  .  3$  Wn  nid)t  mein:  wie  bamals  als  id)  ©ie  liebte  —  id)  bin 
über  baS  Sllter  binauS,  in  weldjem  man  (Maubniß  f)at  5U  tyoffen,  bafc  man 
etwaä  ©rofeeS  werbe .  .  .  3$  roeifc  fein:  gut,  baß  id)  in  meiner  2öiffenfct)aft 
ntd)t  ba&nbredbenb  fein,  fonbem  nur  am  Sßege  ftfcen  unb  ©teine  flopfen 
fann,  eine  Arbeit,  weld)e  taufenb  9lnbere  ebenfo  gut  5U  oerrtdjten  im 
©tanbe  ftnb,  eine  Arbeit,  su  ber  nur  ein  wenig  Uebung  unb  2luSbauer 
gehört  .  .  .  2ld),  wenn  ©ie  ahnten,  maS  bieS  fagen  will  —  wie  bitter 
es  ift,  es  nur  auf  bie  Sippen  ju  bringen  —  o,  ©ie  würben  oerfteben,  baf$ 
id)  eben  barum  ©rlaubnijj  Ijaben  muß,  auf  eine  anbere  3lrt  oon  ©lücf  ju 
hoffen  .  .  .  9lud)  ba  fyxtte  id)  fd)on  entfagt  unb  mid)  bei  etwas  beruhigt, 
roaS  nur  ein  falbes  ©lücf  war,  ein  ©lücf  ofme  $oefie,  ofme  9toufd),  fo 
gewöhnlich,  fo  töbtlicfcalltäglid)  —  benn  id)  glaubte  ja,  es  fei  2lHeS,  was 
mir  übrig  geblieben  .  .  .  2lber  ba  fam  es  über  mich,  als  id)  3f»re  ©ajwefter 
fennen  lernte,  fo  wunberbar,  fo  feiig,  äße  bie  alten  Xräume,  nur  mit  noa) 
brennenberer,  oerje^renberer  ©elmfucf)t!   ^)enn  bas  füt)te  ic^  ja,  bafj  es 

Slort  unb  €ilb.  U.,  15S.  29 


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^3$  " —     Karl  (Sjellernp  in  Danemarf   

ba£  lejjte  3)ial  wäre,  wenn  biefeö  mir  uerflöge  —  adf),  baö  Slnbere,  ba£ 
ertrüge  id)  nid)t  mefjr,  e$  wäre  au$,  fid)  bamit  $u  begnügen  —  — " 

„Wein,  nein,  £erj,  es  ift  nidfjt  aus  .  .  .  Sßkirum  wollen  Sie  ba* 
flare  ©affer  wegio^ütten,  um  ein  ®la3  ©ein  hinunter  ju  gießen  unb  bann 
bas  übrige  Seben  oerfä)maa)tenV  .  .  .  3d)  weiß  fo  gewiß,  baß  Sie  für 
Antonie  ber  3)Jann  nidjt  finb  .  .  .  (£$  rüfjrt  ftdr)  fo  Mieles  in  ifjr,  fie  ift 
nod)  ju  jung  ba$u  .  .  .  tluf  alle  gälte  müßte  fie  einen  9JJann  tjaben,  ber 
ftd)  mit  i^r  entwideln,  ober  einen,  ber  ifjre  ©ntwirfeluog  leiten,  fie  nur 
5Uarf)eit  über  fid)  felbft  bringen  fönnte.  .  .  ©lauben  Sie  benn,  baß  Sie 
ba3U  im  Stanbe  ftnb?  Jvüfylen  Sie  nid)t,  baß  fie  3fme"  §u  ftarf  —  ober 
fremb  werben  wirb?  .  .  .  Xenn  He  war  ja  bod)  nidjjt  $t)r  3beal,  nein, 
ba3  fönnen  Sie  oor  mir  nid)t  oerbergen,  ©rinnern  Sie  ftdr)  bod),  idj  bin 
ba$  ©eib,  baS  Sie  geliebt  rjaben!  .  .  .  Sie  oft  faben  Sie  mir  bamal* 
nid)t  gefagt,  baß,  wa£  Sie  an  mir  befonber*  faxten,  eine  gewtffe  mübe 
9iut)e  imb  Älartjeit  fei,  meine  Sid>erf)eit  unb  mein  UKutI)  —  ja,  Sie 
rjaben  mid)  gewiß  überfdjäfot,  aber  fte  beurteilten  mid)  bod)  nid)t  falfdj,  id) 
befaß  bod)  etwa*  oon  allebem !  .  .  .  911«  id)  bann  3f)re  33raut  traf,  ba  fdnen 
es»  mir,  a(*  ob  fie  biefelben  (5igenfa)aften  befäße,  unb  id)  glaubte,  fie  würbe 
für  Sie  paffen,  trieüetd)t  nod)  beffer  al*  id),  wenn  id)  Sie  geliebt  fjätte, 
.  .  .  2lber  Antonie  —  beinahe  ba«  ©egentfjeil,  wie  fönnen  Sie  fie  lieben! 
•$enn  ba*  febe  id)  ja,  baß  Sie  felbft  fid)  nia)t  »eränbert  fjaben  —  natürüd), 
baä  trjut  man  überhaupt  nid)t  .  .  .  Wein,  id)  begreife  nidjjt,  wie  ba*  ge* 
fommen  ift!  .  .  .  ©äre  es  nid)t  ju  eingebilbet,  fo  möa)te  id6  faft  glauben, 
Sie  baben  fid)  in  Antonie  uerliebt,  weil  fie  meine  Sd&wefter  ift!" 

„Xa*  glaube  aud)  id)." 

„Sie  glauben  e*!  .  .  .Unb  bennod)  — " 

„Wuu,  was  l)at  benn  bae  §u  fagen?  .  .  .  ©enn  ba*  ©ebidjt  fa>ön 
ift,  wa*  gef)t  une  feine  3?eranlaffung  an  ...  (**  mag  fein,  baß  td>  miaj 
uid)t  in  fie  oerliebt  bätte,  menn  fie  nidjt  Antonie  Sdntlfe  gebeißen  —  wenn 
fie  nidjt  bmd)  f leine,  faft  unmerflidje  2lebnlia)feiten  midf)  an  Sie  erinnert 
rjätte  —  unb  wenn  id)  fte  niä)t  an  einem  Drte  getroffen  Ijätte,  wo  felbft  bie 
Steine  felbft  bie  tjolprigen  Steine  be*  ftleinftabtpflafter*  mir  oon  einer  Siebe 
gaw>  anberer  2lrt  rebeten  at*  ber,  ju  melier  ia)  entfagt  f^atte !  .  .  .  Sloer 
liebe  id)  fie  benn  barum  weniger?" 

„$a*  ift  aber  eine  £icbe,  auf  weldje  fein  3ufammenleben  $u  grünben 
ift  .  .  .  Sie  lieben  fie  ja  nia)t  um  it>rer  felbft  mitten;  unb  wenn  all  bieie 
jufäUigen  Umftänbe  uerfer^munben  fein  werben,  wenn  Sie  ber  ©abrbeit 
gegenüber  fteljen,  baß  ba*  ©anje  eine  ^Hufton  gewefen  — u 

,,^enn  baö  gefa^iel)t  —  unb  ce  brauet  ja  ttidjt  j>u  gefd^eben  —  ■ 
bann  bin  id)  boa)  eine  flehte  ©eile  glüdlid)  gewefen  —  aa),  fo  unenblidi 
glüdlicb,  wie  id)  niemals  geglaubt  Ijätte,  e$  \\\  werben!" 

„Wein,  nein,  Sie  fprea>n  wie  im  gieber  —  Sie  fönnen  ba*  niebt 
meinen,  wenn  Sie  ruhiger  geworben  fein  werben!  Sie  ftnb  ja  nidfot  ein 


Digitizec  \ 


  <5. Dur.    <$35 

fo(d)er  ©goift,  bafe  Sic  foroo^I  3^rc  Sraut  rote  Antonien  unglucfltd)  madjen 
wollten,  um  ben  iHaufa)  eines  2lugenblitf£  ju  genießen1." 

„Über  mit  2lntonien  ift  e£  ja  gait3  baäfelbe!  .  .  .  SBenn  ia)  felbft 
eS  aua)  aufgeben  fönnte,  fyabe  tä)  bann  ein  SRea)t,  für  fie  ju  fyanbeln,  ifpr 
©lücf  wegzugeben,  baS  üielleia)t  nie  roieber  fommt?  .  .  .  ftenn  fie  liebt 
mia)  ja  eben  fo!" 

„Wein,  Sie  Ijaben  miä)  mifeuerftanben  —  ba£  f)abe  ia)  nia)t  gejagt, 
ba£  meine  io)  md)t  — " 

„Sie  fjaben  es  nid^t  gefagt,  fie  felbft  aber  fyat  e£  mir  gefaßt/' 

„2lnlonie!  ...  So  roeit  ift  e£  gefommen?  .  .  .  SBarum  baben  Sie 
benn  baS  nia)t  gleia)  — " 

foüte  ja  ein  ©efyeimnifj  bleiben  —  ia)  Ijabe  üielleid)t  nia)t  eins 
mal  je$t  ba£  ^ecfyt,  e£  &u  »erraten  .  .  .  -Run  aber,  ba  mir  fo  offen  ju 
einanber  gefproa)en  fjaben  —  unb  überbies,  Sie  fetjen,  eS  ift  &u  fpät . .  . 
©S  ift  gefa)ef)en  .  .  .  3°)  fabe  geftern  einen  langen  33rief  an  9)?arie  ge* 
fä)rieben,  ifjr  Me£  erflärt  unb  fie  gebeten,  mir  meine  greifet  jurüdju* 
geben." 

jparriet  fafj  einen  Slugenblfd  ftumm  ba  unb  faf)  nad)  einem  £äufd)en 
»erroelfter  Slätter,  roeld)e£  ber  &>inb  brausen  oor  ber  £aube  bSrummirbeite,, 
in  ber  it)re  3ufammenfunft  ftattfanb.   £ann  ertjob  fie  fia)  langfam. 

„3Ufo  —  meinen  (Mrfrounfa)." 

„3ft  baS  Sittel  was  Sie  mir  $u  fagen  b^ben?" 

„$öaS  fönnte  ia)  fagen,  &err  &er$  —  ober  2Bilf)elm  —  ba  Sie  ja 
mein  Sdjwager  werben  —  naa)  aliebem,  was  ia;  fa)on  getagt  t)abe  ?  (SS  jurüd? 
nehmen  fann  ia;  boa)  uia)t  .  .  .  2Bas  foll  ia)  fagen  außer  bcm  einem 
Selbftuerftänblia)en,  bafe  ia)  fwffe,  ia)  fei  feine  flaffanbra  gewefen!  .  .  . 
Unb  bann,  bafj  id)  —  bafe  ia)  —  ia)  meine,  wenn  meine  GUern  oielieidjt  — 
mit  ber  Partie  nidjt  ganj  juf  rieben  fein  follten  —  oon  meiner  Seite 
foHt  3()r  nia)ts  2lnbereS  als  greunblia)feit  erfahren  —  unb  ia)  glaube, 
ia)  fjabe  etwas  ©influfc  auf  meinen  9?ater." 

2£ilf)elm  brücfte  if)r  bie  &anb.  3"  bemfelben  2lugenblid  roanbten 
fie  beibe  ben  .ftopf,  man  Ijörte  5lntonienS  Stimme,  bie  laut  auffang.  Sie 
fam  bie  treppe  berunter  unb  ging  naa)  ber  &mbe  &u. 

„Seben  Sie  roobj!"  fagte  &arriet  unb  50g  il;re  &anb  aus  ber  feinen. 

„92ein,  bleiben  Sie  boa)!" 

„9Jein,  nein  —  oerftel)en  Sie  benn  nia)t  —  3^re  feierliche  lieber  - 
gäbe  an  2tntonien  bura)  meine  £anb,  ba*  roäre  boa)  ju  fentimental  —  ober 
fomifa)  .  .  .  3tlfo  abieu!" 

Sie  ging  am  (Stoitenjaun  entlang  naa)  bem  .gaufe.  2US  fie  aber  bie 
Xreppe  fu'nauffteigen  roollte,  fam  2lntonie  ibr  naa)geftür>t,  roarf  fia)  ii)v 
um  ben  £als  unb  rief,  fie  Ijeftig  füffenb: 

,,2la)  —  &arri),  &arrn!  Unb  id)  babe  in  bieten  Xagen  fo  fa)lea)t 
oon  2)ir  gebadet!" 

2D* 


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$56   Karl  Äjellerup  in  DSnemarf.   

„9ton,  ^aft  Xu  mir  jefct  ben  Xenoriften  vergeben?"  fragte  tarnet 
lä^etnb  unb  fügte  Tie  auf  bie  Stinte. 

XX. 

„Xu  foüteft  es  lieber  auftrieben,  ben  S3rief  ju  fd)reiben,  UebjteS 
Ätnb,  es  greift  Xia)  ju  fehr  au/'  fagte  grau  3ngerSleo  unb  far)  befümmert 
naa)  ber  £od)ter. 

2)?arie  fag  mit  bem  dürfen  gegen  Tie  gefehrt  unb  beugte  ftd)  über 
bie  oorgesogene  platte  beS  Sa)reibpultS.  ©in  unauSgefefcteS,  faft  unmerf* 
ltd)eS  3tttcni  flog  über  ihre  Schultern. 

„SBarte  lieber,  bis  Xu  etwas  ruhiger  geawrben  bijt  —  Xu  ^afl  fa) on 
jrcei  ©tunben  gefdjrieben  — " 

„SRein,  9Rutter,  ia)  mufj  fortfahren,  —  td)  fann  nid)t  anberS  .  .  . 
3a)  bin  Ja  aua)  balb  fertig  ...  Unb  es  ift  bejfer  fo,  auf  ein  9Ral .  . . 
€S  geht  nur  etwas  langfam  meiner  3lugen  wegen  .  .  .  3d)  meine  nia)t 
mehr  —  aber  ia)  weif*  md)t  —  bie  frönen  laufen  wie  aus  einem  über* 
»ollen  Serien  —  id)  fann  nid)t  bafür  .  .  .  Unb  bann  mu&  id)  fo  oft 
umfd)reiben  —  benn  id)  fyabe  2Ingft,  ba§  etroaS  SMttereS  ^ineinfornme  — 
unb  baju  ^abe  id)  fein  <Rea)t  —  unb  id)  mürbe  eS  aua)  bereuen  —  immer 
unb  immer  —  baS  weif*  id)." 

„9J?an  barf  nie  gegen  3emanb  bitter  fein,  ber  nid)t  aus  böfem 
ßerjen  banbelt  —  unb  baS  hat  er  nid)t  — " 

„ftein,  nein  — " 

„2lber  fa)wer  mirb  es  mir  bod)  fallen,  ihm  bie  <Sd)iüäd)e  unb  ben 
@igennufe  ju  oergeben,  ba&  er  Xta)  oerlaffen  fonnte,  meine  einzige,  ge* 
liebte  £oa)ter." 

grau  3nger3(eo  hatte  ftd)  oom  ©or>ha  erhoben  unb  umarmte  HWaric, 
meldte  bie  geber  weglegte  unb  ftd)  mie  ein  Äinb  tr)rer  jartlidjen  Siebfofung 
Eingab. 

„3a,  Sttutter  — -  baS  fommt  unb  geht  oon  felbft,  man  fann  es  ni<$t 
erf)afd)en  unb  nia)t  Ratten  —  glaube  io)  .  .  .  3e&enfaHs  fonnte  er  e$ 
nid)t  .  .  .  2ld),  warum  mußte  baS  boa)  gefd)ef)en?  —  unb  oon  berfelben 
gamilie!  .  .  .  9flal  fyaben  fie  mir  ihn  weggenommen  —  unb  ie&t 
befomme  ia)  ir)n  nie  mehr  wieber  .  .  .  Unb  id)  hatte  boa)  nur  ü)n." 

„£aft  Xu  benn  ntd)t  mia),  SHarie?*' 

„3a,  Xia)  ^be  ia)  freilia),  liebe  Butter  —  wie  fottte  ia)  eS  au$ 
anbers  ertragen?" 

„9tein,  fo  barfft  Xu  nid)t  reben,  Äinb.  $aft  Xu  benn  nid)t  aud)  nod) 
Xeinen  ©tauben,  ben  er  nia)t  mit  Xir  feilte,  unb  Xeine  Arbeit  —  roenn 
fte  aua)  flein  unb  unfa)etnbar  ift?" 

,/3<*»  geroig  habe  id)  baS,"  antwortete  SJiarie,  inbem  fte  fid)  erhob 
unb  naa)  bem  genfter  ging.  —  „Sber  boa)  ift  2töeS  fo  leer  .  .  .  6o 
leer  —  wie  es  oieHeia)t  für  2Bilf)elm  geworben  wäre,  wenn  er  bei  mir 


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  <S--Dur.    <*37 

geblieben  wäre  . . .  Sfcem,  nein!  $>a$  fann  idj  nid)t  glauben  —  id)  f)ätte  ifm. 
bodj  gtüctlidj  gemalt,  roenn  er  aud)  in  ber  erften  gt\t  etroa$  t>ermif$t 
fcatte  .  .  .  216er  Antonie  —  wie  roemg  fennt  fte  ü)n!  SBtrb  ttjrc  ßiebe 
aushalten,  mit  feinen  Sd)roäd)en  nad)jt$tig  fein,  roie  bie  meine,  tjjm  bur<$ 

ärmltdjie  «er^afotiffe  folgen  unb  2ltte«  2ld)  Butter!  SBenn  er  jefet 

nidjt  einmal  mit  ifn*  glüdlid)  roirb  —  roarum  mußte  ba£  gefdjeljen?" 

„9)krie,  mir  Ijaben  nie  ba3  9?ed)t  §u  fragen  ,roarum?1  .  .  .  $>o<$ 
benfe  jefct  nidjt  fo  oiel  an  ifnt  unb  roie  e3  if»n  ge|en  roirb;  er  benft  ja 
aud)  ntdjt  an  SMd)." 

,,$od),  ba3  roirb  er  tfiun  —  aber  ad)  ja,  er  roirb  mid)  oergeften! 
Unb  ba$  fottte  id)  tf>m  rooljl  aud)  roünfdjen  .  .  ." 


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3Huftrirtc  Bibliographie. 


Seutfdje  Ointtoual-tütcratur.  .§iftorifd):iritifdie  SluSgabe.  Unter  SJittrotrhmg 
Don  Dr.  xHruotb,  Dr.  ©.  23alte,  $rof.  Dr.  St.  Söartfcf»,  $rof.  Dr.  SH.  «cdiuein, 
$rof.  Dr.  O.  SJeljagbel,  l^rof.  Dr.  »irlinger,  ^rof.  Dr.  SMümner,  Dr.  ft.  ^obertag, 
Dr.  8t  iöorberger,  $rof.  Dr.  sit*.  (Frciäenadi,  Dr.  3oh-  ßnteger,  ^rof.  Dr.  2>ünfcer, 
$tof.  Dr.  Ä.  nret),  Dr.  i>.  Jyulba,  ^rof.  Dr.  2.  Öeigcr,  Dr.  ».  §amcl,  Dr.  &  §cnrict, 
$rof.  Dr.  Sambel,  ^rof.  Dr.  G.  £cmcfe.  Dr.  JH.  ftrcibcrr  D.  fiilicncron, 
Dr.  ©.  lütldifacf,  s4kof.  Dr.  3.  ÜJtmor,  Dr.  fr  Wunder,  Dr.  ^.  9?errlid),  $rof.  Dr. 
£.  Oefterlet),  $rof.  Dr.  ^alm,  ^rcf.  Dr.  %K  ^iöer,  Dr.  §.  ^rotjle,  ^rof.  Dr. 
«.  Sauer,  $tof,  Dr.  ff.  3.  Sd)röcr,  ff.  Steiner,  $rof.  Dr.  H.  Stern,  *4kof.  L>r. 
5-  Detter,  Dr.  6.  :Ai>cnbeler,  Dr.  £1).  3olling  uub  Ruberen  herausgegeben  Den 
3ofepl)  5f  ürfdjner.   Berlin  unb  Stuttgart,  SBL  Spemann. 

01"  Reben  3abjeu  würbe  bie  erfte  Lieferung  be3  grofeen  oben  bezeichneten  Unters 
JjJVW?- !  uebmenS  üerfanbt.  3u  3—4  3af)ren,  fagte  bamalS  ber  s4kofpect.  würbe  c4 
BbB m  Dollenbet  fein.  $ieS  ift  nicht«  Döllig  eingetroffen,  jutnal  immer  noch  dt» 
toeiteruugen  beä  erfteu  flaues  ftattfanbeu.  äLlohI  aber  liegen  bod)  je$t  128  33änbc, 
ettoa  ttori  brütet  be8  (Jansen,  Doüenbet  Dor,  unb  e$  ift  mobl  angemeffen,  ben  fiefern 
Um  „Wext  uub  Süb"  einen  Ueberblicf  über  biefe  in  ber  2f)at  febr  bebeutenben  ßeiftunaen 
&u  gewähren,  obwohl  Stürfdincr's  9tatioualliteratur  fchon  frütjer  (§eft  90)  in  biefer 
$>(onat3fd)rift  befprodieu  worbeu  ift. 

$a3  Untcrnebmen  ftetjt  in  ber  £bot  einzig  in  feiner  9lrt  ba,  tnfofern  es  Der* 
fd)icbene  bi^tjer  faft  immer  getrennte  ober  in  anbercr  (Sombination  öerbunbene  sbe* 
ftrebuugen  in  bödrft  glücflidier  unb  plamuä&iger  Üikife  oereinigt.  Sn  ^cutfdjlanb  ift 
—  feit  burd)  Berber  -uierft  ber  Söegriff  ber  „^ationallitcrarur"  all  ber  Qkfanuntrjcit 
ber  für  ba£  (Sulturlebcn  eines  beftimmten  Golfes  cbarafteriftifdjeu  Literatur  erfafet  unb 
bon  Generation  3U  Öencration  Derbreitet  mürbe  —  ber  äUunfcb,  oon  bet  früheren 
(£nimicfclung  unferer  fiiteratur  bis  auf  bie  Gegenwart  rjtn  etwas  fennen  3U  lernen,  in 
ben  wciteften  Greifen  fo  lebenbig  gemorbeu,  mic  bei  feinem  anberen  itolfc.  3n  Syplge 
beffen  haben  mir  an  JL'iteraturgefdjidjten  oerfduebener  3lrt  Ucberflufe.  Slbcr  folclje 
Didier  mit  litcrargefd)id)tlidKU  unb  biograpfu'fcben  2)atcn  unb  3af)len,  mit  guten  ober 
fd)led)ten  Urtbeifen  über  Die  Xicbter  unb  ihre  Üüerfe  finb  gar  nicht  Dasjenige,  was  in  erfter 
Sinie  gilt  wirflidien  .Scenntnifj  Don  unferer  fcMteraturentwicfeluug  beiträgt;  Dtelmebr 
gebort  baju  oor  Stfleni  bie  X-'cctüre  ber  il^erfe  felbft! 


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 ^Iluftrirtc  Bibliographie.   — -  ^59 

9hm  I)at  ja  in  ben  legten  äroanjig  oü^rcn  eincrfeitS  ber  bucbbänblerifdje  Unter* 
nernuungageift  ber  Verleger,  anbererfettS  bcr  C^rnft  unb  bic  ßrnnbliditcit  bcr  beutfdjen 
Philologen  mit  grofjem  (Sifer  bic  Hcranftaltung  neuer  9lu8 gaben  Don  2iteratur= 
roerten  ber  älteften  tuic  ber  neueren  unb  neneften  Seit  bewirft.     Unferc  Srlaffifer  beB 


ilunrot  oem  Jlnimeiifiauftn,  ber  2t(fcttr  bti  SdnulijabtlbtidiS.   !)lodi  btr  Stuttgarter  vai;bfd)rift  coit  Wl. 
2lit4   Äiirfdjitf t'i  beutfder  ^aticnoüitctatur.   £»aub  12.  Stuttaart,  8B,  Spcinann. 


achtzehnten  3aforf)unbertS,  nnb  ebenfo  audi  bie  mit  Mecht  fo  genannten  .sflaffifcr  be§ 
Mittelalters  liegen  |unt  Iljeil  fchon  in  Dielen  oerfdücbenen  2lu*gabcn  erneuert  bor, 
unter  benen  bic  einen  auf  möglidiftc  i'ollftänbigfeit  unb  öienani g f  cit  ber  Xcjtt, 
bic  anberen  auf  angemeffeue  ?l  uö mali  l  be8  ^ebeutenbüen  intb  Sdtönftat,  ober  auf 
gute  (Erläuterung  beö  unocrftäitblid)  (Mcmorbeneu,  ober  audi  auf  fdumc  unb  gcjdiinad 
t>oü*e  Htttfiattung  beu  .vaupttDcrtf)  legen.   Unb  nicht  nur  bic  fllafftfcr,  foubern  audj 


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440  .    lloxb  unb  riib.   

literarifax  ©röfeen  feiten,  brüten,  bierten  9>tange8  aus  allen  3<ton  unferer  ßiteratttr* 
entnricfclung  finb  mit  einer  «Sorgfalt  unb  einer  ©rünblidrfcit  ebirt  unb  monograbfnfd} 
befjanbelt  toorben,  bie  bem  ßaien  biStoeilen  fditoer  berftänblid)  ift.  2lber  einer- 
feit«  ift  unter  biefer  grofjen  Orüfle  bon  2lu8gaben  nidit  nur  ba8  größere  publicum 
fonbern  aud)  ber  Fachmann,  ber  ßebrer  fotoie  ber  ftorfdjer,  mandjmal  in  Verlegen* 
Ijeit  iu  entfdjetben,  wo  er  bie  für  feine  3toecfe  paffenbfte  2tu8gabe  finben  foQ;  anberer 


Xitablatt  ber  erften  Huitjabe  bt*  „Simpliciffimu*"  ton  1668. 
»u*  v  ürfdjntr'»  beutfdier  ftattonaUUeratur.  2*anb  33.  6tuttaart,  2B.  6ptmana. 


feits  fjat  unter  allen  <Sammeltoerfcn  (abgefcf)en  bon  einigen  nur  SBrucfjftücfc  bieten» 
ben  2Intt)ologien,  loie  fie  namentlich,  bor  30 — 40  Stohren  auftraten)  nodi  feine«  ef 
berfudii,  bie  gefammte  beutfdic  üftattonalliteratur  bon  ber  äiteften  3t\t  bi8  in  unfer 
3at)rliunbert  Ijtncin  31t  umfpannen. 

ferner  ift  bie  tjofje  SJebcutung  oon  ^Uluftrationen,  toelcbe  ben  fiefer  in  bie  i&nU 
ftct)iinfl^ett  eines*  ÜtieraturtoerfeS  3uriicfoerfe$en,  forute  öon  treuen  Stebrobuctioncu 


 3lluftrirte  Bibliographie.    <H( 

ber  £>anbfcbriften  unb  ber  älteten  Xrucfeinrichtungen  in  jiinflftcr  3cit  allgemeiner  ge* 
toürbigt  werben.  Soldje  beigaben  förbem  baS  allfeitigc  ä*erftänbnifc  ber  2ectüre  uub 
haben  audi  für  fid)  allein  genommen  ein  hobeS  culturgefchichtlicbeS  3ntcreffe.  Sei  bet 
gegenwärtig  ungemein  oeroottfommneten  unb  Derfeinertcn  Xechnif  auf  btefen  ©ebieten 
ift  bon  biefen  §ülfSmitteln  jwr  iHuSfcbmüdung  unb  (Erläuterung  bon  literaturgefchidjt» 
lidjen  äBerfen  unb  cmgclncn  SluSgabcn  fchon  öfter  ©ebraudi  gemacht  morben;  aber  wohl 
noch  niemals  in  einer  fo  umfaffenben,  oon  blofeer  ©urtofi  täten  famulier  ei  weit  entfernten 
unb  baS  SHerftänbnife  ber  ßiteraturwerfe  unb  ilirer  Seit  wirflieb  unterftüöcnben  SBcife, 
wie  es  in  ftürfcbner'S  beutfdier  SHationaltitteratur  gefächert  ift. 

XieieS  umfaffeube  ©ammelmcrl,  hon  bem  bod)  jeber  Jöanb  in  ftd)  abgefd)loffen 
unb  31t  gleidjmäfeigim  greife  (2JI.  2,50  ungehunben)  einzeln  läuflich  ift,  bietet 
eine  fehjr  glüdliche  ^Bereinigung  aüer  biefer  Seftrebunaen.  (ES  enthält  biftorifö> 
fritifcheXestauSgaben  mit  fnappeu,  aber  belehrcnbcn  (Erläuterungen,  mit  (Einleitungen 
*u  iebem  Sdjriftfteller  unb  ju  jebem  Serfe, 
bie  in  üjrer  planmäßigen  Ausführung  jju= 
fatnmen  eine  Ueberfidjt  über  bie  gange 
beutfehe  fiiteraturgefchichte  gemäb« 
reit,  unb  mit2luSftattungburd)3llui'tra' 
tionen  üon  hohem  2Berthe/  für  baS  58er« 
ftänbuife  ber  (Sulturentmicflung,  Welche 
bie  ©efehiebte  unferer  Üftationalliterahtr 
begleitete,  fowie  für  bie  ftcnntnifj  ber  per- 
fönlichen  SSerhältniffe  unb  SebenSfreifc,  in 
benen  bie  einzelnen  Xidjter  unb  (Schrift* 
fteürr  ftd)  bewegten. 

Sluch  bie  ältcften  3«ten  unferer 
Sftationalliteratur  finb  in  bem  erfteu  bis 
gum  ßafjxt  1025  retebenben  SSanbe  bureb 
reichliche,  gut  ausgewählte  groben  im 
Originaltexte  bertreten;  ben  goti» 
f  eben  (Sulfila),  altfädjf  tfeben  (£>elianb) 
unb  altboehbeutfchen  (jjilbebranbslieb, 
HKufpiHi,  Otfrib,  Wotfer  unb  oiele  an« 
bere)  Xejten  ift  außer  ben  burchauS 
wiffenfchaftlid)  begrünbeten  (Erläuterungen 
uub  einem  ooüftänbigen  SBörterbuche  auch 
ti od)  eine  bollftänbige  neuhochbeutfehe 
Uebertragung  (3etle  für  3cüc  abgefegt) 
beigegeben,  welche  nicht  etwas  für  fid)  be- 
beuten,  fonberu  nur  allen  £efcrn  baS  5Bcr* 
ftanbniß  ber  Originaltexte  erleiditern  will. 
(ES  ift  erftaunlich,  wie  biet  in  biefem,  eben= 
faHS  mtt  böcbft  intcrefjanten  Sdjritt-  unb 

3üuftratiDnSproben  auSaeftattcten  * aube,  Ä0|  Ä ,  t    , , f . ,  beu,„et  Saü0Banitf  Sflab 
welcher  o21  netten  mit  jum  Xhcil  fcbwteri'  etumatt.  «j.  •  $  im  a « n. 

gern,  aber  meift  Döllig  correctem  6aö  »rat- 

tafet,  für  fo  geringen  ^rciS  bem  üefer  geboten  wirb!  Xie  folaenben  Söänbe  2—12 
foflen  ber  mittel tjochbeutf dien  Literatur  ((Epif,  iinrif,  Xibaftif)  gelten;  bon 
ifnren  ftnb  bisher  f  i  e  b  e  n  erichienen,  in  benen  fraS  $ülfSmittcl  ber  wörtlichen  lieber* 
traaung  in  untere  neuere  Sdiriftfprache  nur  feiten  nod)  angewanbt,  baS  iUcritänbnife  aber 
burch  reicblidie  3nhaltSaugaben  unb  (Erläuterungen  bem  t'efcr  erlciditert  ift.  Wit 
23anb  13  („SeutfdieS  Jöcben  im  HolfSlieb  um  1530")  beginnt  bie  n  c  u  h  o  di  b  e  u  t  f  d)  e 
ßtteratur;  mit  5öanb  27  (Martin  Cpifc)  bie  „erfte  fdilefifdie  Xid)terfdwle",  mit  »anb 
46  (Älopftod'S  2üerfe  1)  bie  flafiifcbe  5*eriobe  beS  achtgehnten  ^ahrhunbertS.  5?luS 
biefer  ift  für  ßeffing,  (Goethe,  3d)iller  unbebingt  bollftänbige  ÜtMeberaabr 
aller  SBerfe  nach  neuer  Xertreoifion  unb  in  jum  Xheil  neuer  unb  fehr  überftchtlicher 
Slnorbnung  bcabfid)tigt;  aus  ft t o p ft  od,  SB i e l o n  b,  Berber  erhalten  wir  nur 
eine  umftchtig  getroffene  2luSwabJ.  Scfonberen  Xanf  berbient  ber  ^erautgeber  für 
bie  ©cfchirflichfcit,  mit  weldjer  er  au8  ben  Herfen  ber  Xheoretifer  ober  ber  uad)  ibrem 


Xi*  ttften  BfttnbäulfTl  9ilb«u*.    3n  rtnrr  Cttiift 
WrimmfUbauIrnl  oom  3a(rr  1670. 


Horb  unb  f  ü b.  - — 


eigenen  biditcrifdieu  Herbienfte  uutergcorbncteren  Sdirittfteller  eine  Xtt8ttO$(  fo  getroffen 
unb  combinirt  hat,  baß  He  —  olme  all^itDtet  iHaum  fortzunehmen  —  gum  ^erüänbniB 
ber  groüen  Sflaffifer  unb  ter  gejammten  ßiteraturenmridlung  in  oorjüglidier  Seife 
benuvu  nxrbcn  (anu. 

So  enthalt  3.  2*.  ^onb  42  „©ottfdjeb,  ^obmer  unb  23reitinger"  ein  fehr  reiefc 


?lu4  jfü  rf  d)it  er' *  bCtttfdtCV  Jt«H«MUIitcialur  Ü'anb  4«,  1.   etuitgort.    ÜJ.  Spemann. 

faltige?,  für  bic  erfteu  miffcufdiaftlicfjcn  unb  für  bibaftifdjc  Oebnrffltfte  böüig  fle» 
niigenbcS  Sftaterial  j;ur  quellcmnäfeigcu  Crientirung  über  bie  eft  genannten,  aber  im 
©anjjen  loenig  gelaunten  Stratigfeitcu  jener  Ineorctifcr,  foiuic  51t r  Muffläruitg  über 
ben  ©egenfatf,  in  tueldien  .Sflopftocf,  Ceffiiifl  unb  Spätere  au  ihnen  treten  mußte*- 
iöanb  72  „l'cffings  3ugenbfreunbe"  uercinigt  (neben  Heineren  i'iitthetlungen  imb 
namentlich  andi  tiner  ganj  Dcrsüfllidien  SMograbbie  r>ou  Mfolai!)  fedid  öoliuanbis 


  3 1 1  n ft r i r t c  8i  bliograpb.ic. 


abgebruefte  ftkttt  bon  2i>eiBe,  b.  (Sronegf,  ö.  Sörawe  unb  tfr.  Nicolai,  beren  fteiiutnifc 
für  bai  Stubium  3.  SJ.  ber  Seffingfdjen  .Dramaturgie*  Ijbcbft  mid>tic|  ift.   (*bcnfo  ift 


Portrait  t>on  Jr.  SH.  8.  pom  Qtalifc,  in  b<r  Jtuiiiabc  ftatti&'fditr  Qkbkbtc  t>on  ffdnig  (1727?. 
■ul  ftftrfduer'l  btUtfötC  Jiationallilcrotur.   Sano  3'.».  Stuttgart,  SB.  Spcutaun. 


bie  3ufanimenftcUiiiifl  airtfldwiblter  ätferfe  ber  „Stürmer  unb  Tränier'  ($anb  79—81 
mit  guter  SefpredjUrtfl  fyunaitn'*!)  iclir  berbienftltcb,  oluuotil  icli  ßcrabe  liier  einen 
erroaa  ausgebetmteren  Umfang  bcr  mitgeteilten  Iid)tungen  gern  geiebeu  haben  würbe. 


ZT orb  nnb  B üb. 


Unter  ben  bereits  erfchienenen  Bänben  au*  ber  fiiteratur  bc8  neunzehnten  3ahr= 
bunbert*  fjebc  ich  bie  ?lu*mabl  aus  Ziecf  (3  Bänbc),  baB  „Schief  fal*brama" 
(Banb  151),  fowic  ben  Dorjüglidi  erläuterten  „Münchhaufcn"  Don  ämmermann 
(Banb  160, 1.  2)  namentlich  beroor.  Mit  einer  „Anthologie  feit  ©oethe'*  lobe,*'  fowie  jmn 
JBänbcn  Dergleidjenbcr  litcraturgefchicbtliebcr  XabcHcn  unb  Stegiftcr  foll  nach  bem  9$rofpeeie 
bie  Sammlung  abgcfdjloffen  »erben. 

©*  war  fein  ßeiAteS, 
für  eine  fo  umfaffeube  Sannn* 
luug  bie  rid)tigen  Mitarbeiter 
m  gewinnen  unb  bie  2öirf- 
famfeit  berfelbcn  fo  $u  t>er= 
tbeilen  unb  ju  regeln,  baß  bei 
öoller  Schonung  ber  »ifTen= 
fchaftlichen  Selbftfiänbigfeit 
oed  (Sinselnen   bennodj  ein 
Dianmäßige*  3ufammenwtrfeTi 
berfelben  unb  eine  in  biefen 
^Man  baffenbc  gleichmäßige 
SluSfübrung  aller  ZhriU  tf 
retd)t  würbe.     9cad)  beiben 
Dichtungen  ift  e§  bem  rührigen 
Herausgeber  gelungen,  gute, 
in  einzelnen  fallen  Dor^ügliche 
(Erfolge  ju  erreichen.  -2er 
mir  hier  jugewiefene  9taum 
geftattet  cS  nidjt,  bie  Seiftun* 
gen  aud)  nur  einer  größeren 
3ahl  ber  Mitarbeiter  irgenb- 
wic  eingehenb  511  charatterv 
firen.   So  fei  hier  nur  noch 
Ijerüorgchoben ,    baß  bicle 
Bänoe  ber  Sammlung  aud) 
ganjltch  neue*  ober  wenig  bt- 

fannte*  wiffenfchaftlicbe* 
Material  zugänglich  machen; 
ich  nenne  beifpielS halber  für 
Schiller'*  iL*crfc  bie  noch  in 
feiner  früheren  9lu*gabe  abge= 
bruefte  ältefte  ©eftalt  mehrerer 
Stellen  au*  ben  „Stäubera,- 
fowic  bie  hiftorifche  CueÜe, 
ben  ^rofaentrourf  unb  bie 
fpäterc  Bearbeitung  beS  „"Son 
Barlos";   ferner  bie  Dielen 

»Hb  1«  elften  Wonolootcene  in  „Sauft.  Gin  ffraflemen».  Son  «oeltf*.  1790-       nCUen  MittbetUWgen,  bie  Xb. 
Hu*    Jtürlajnet'l  bcuHäier  KattonattiteTatur,  Qtott\)t'i  SBerte,  töanb  12.       Jolling  Über    .VCUinct)  Don 
€tutt9ar».  Ü.  6j.en.aan  Jfjjjjj  ^ 

fiub  bie  litcraturgefcbichtlichen 

3>arfteUungen  Don  neuen  unb  anregenbeu  ©cfid)t*puncten  au*  gegeben,  wie  5.  B.  bei 
ber  Bcbanblung.  be*  „Simpliciffimu**'  Don  Bobertag,  bei  ben  (Stulcitungen  v-i 
ftlopftocf'*  Herfen  Don  di.  £>amel,  bei  Bürger**  (Bebichten  Don  ^rofeffor  Sauer  uno 
bei  Dielen  ebenfo  grüublidi  burchbaebten,  wie  feffelub  gefdiriebeneu  Arbeiten  uon  s4*rofef?or 
3-  Minor.  Bei  aller  ©rüublid)feit  unb  2L*iffenfd)aftlichteit  aber  ift  bie  iRücf  ficht  auf 
ba$  ßutereffe  unb  ba*  Berftänbniß  weiterer  ffretie  nirgenb*  unterlaffcn.  2>ic  SOuftrationen 
enblid)  liuo  zwar  nidU  über  alle  Bänbe  gleichmäßig  Dertbeilt;  überall  aber  finb  fie  mit 
großer  Umficht  au«  burebau*  outbentifchem  Material  ausgewählt  unb  burd)Weg  oorjüglid) 
ausgeführt,  wie  auch  bie  XrucfauSftattuug  aller  Bänbc  eine  febr  würbige  unb  folibe  ift 
Üllle*  in  2UUm  finb  bie  bisher  crfchicncncu  Bänbe  be*  großen  Unternehmen*  ber 
größten  Xbeilnabme  unferer  gebtlDctcn  ober  nad)  Bilbung  itrcbenbeu  Ücfcwclt  doQ« 


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  Bibliographie.   ^5 

fommcn  mürbig.  Qrür  €>djul*  ober  SBereinSbibltothcfen  ebenfo  wie  für  bie  Bücherei 
be8  beutfdjen  §aufc8  giebt  e*  faum  eine  empfehlenswertere  Slnfcbaffung  alä  bie  ooll« 
ftänbige  „25eutfcbe  RarionaUitterarnr",  ober  eine  nach,  beftimmten  söebürfuiffen  unb 
Mitteln  abgemeffene  21u8roabl  au8  ben  ©änben  berfelben,  bie  fid)  in  bem  febönen 
gleichmäßigen  l£inbanbe  and)  au  Her  lid)  loiirbig  reDräfenttren.  Uiochte  e8  bem  $erauB* 
lieber  balo  oergönnt  fein,  ba8  glücflid)  bi«  über  bie  ftälfte  geführte  große  Unternehmen 
in  gleicher  2lrt  unb  in  nicht  aüjufcrner  3eit  oöllig  ftU  Iftlbc  3U  bringen! 


5^lir  Dafjn  s  „IDeltuntergcmg  " 

@efdjia)tlid)c  (Sraäfclung  au»  bem  3abre  1000  nad)  ©fjriftu».  Seidig,  »reittopf  &  fcärtcl. 

©in  öodjbebeutenber  SJorwurf  ift  e8,  ben  mir  in  bem  neueften  Serie  $abjt'S 
bebaubelt  fcb«n:  bie  Strfung,  mcldie  ber  allgemein  oerbreitete  Glaube  an  ben  Seit* 
Untergang  unb  ba8  hereinbrechen  be8  jüngften  ©cricbteS  jur  (Sommerfonncnmenbe  bc8 
3ab,re8  1000  auf  bie  politifeben  ISreigniffe  übt,  roirb  jur  ©ruublage  eines  b,tftorifd)en 
Romans  gemacht;  unb  bie  üerfd)iebenen  feeiifd)<n  (Sinbrücfe,  bie  jener  weltbehcrrfcbenbe 
Aberglaube  auf  ben  gelben,  ben  Sürjburger  ibifdjof  heinrid)  oon  Rothenburg,  unb 
auf  bie  mannigfaltigen  ihn  umgebenben  ©eftalten  äußert,  gewahren  ber  lebenä-  unb 
wecbfeloollcn  (Sbaratterfcbilberung  einen  eigenartigen  Rei^.  35crfelbe  erreicht  burd)  bie 
netig  fid)  fteigernbe  Erwartung  bc8  gefürdjteten  (Sreigutffc8  gegen  ©nbe  be8  Serfe8 
feinen  höbepunft 

35er  »eru  ber  (Stählung,  um  ben  Rdj  bie  Heineren  ©pifoben  fcbließen,  ift  leicht 
berauSjufcbäleu.  ©raf  ^einrieb  non  Rothenburg,  im  $5icnftc  ber  ftaiferwittwe  Ibeopbano, 
war  in  ben  ftampf  gegen  bie  Seriben  gefanbt.  ftebrt  er  al8  Sieger  jurücf,  fo  ift  ihm 
bie  ^ergogSwürbe  jugebacht,  unb  al8  ^erjog  will  er  um  bie  hanb  heilfricbenS  werben, 
bc8  fchönen  ®DelfräuIetn8  im  ©elcite  ber  Äaiferin.  Xheophano  aber  liebt  ben  ©rafen 
unb  miß  ihn  311  ihrem  ©emable  unb  &um  Regenten  be8  Reiches  erheben:  fie  zwingt 
fceilfrtebe,  ©ertoalt,  ben  ©rafen  bc8  SalbfaffengaueS,  *u  ehelichen.  9118  $err  Heinrich 
äurüdfeqrt,  wähnt  er  heilfricbeu  untreu,  unb  er  entfagt  ber  Seit:  er  nimmt  bie 
^rieftenueiheu  unb  Wirb  jum  Sbifdwf  oon  ißürjburg  ernannt.    3"  ©erwalt  ficht 
heinrieb  feinen  ärgften  ftcinb,  unb  barin  wirb  er  oon  feinem  Slrdjibiacon  ^Berengar 
beftarft   35er  ßombarbe  ^Berengar,  ber  Sohn  5öereugar8  oon  3örca,  f>eqt  gegen  ffaifer 
Ctto  glühenden  $afe;  unabläffig  ift  er  bemüht  gewefen,  bie  ©erechtfame  be8  5öi8thum8 
©ürjburg  *u  erweitem,  benn  felbft  ftrebt  er  nach  bem  ©ifee,  auf  ben  bie  beredtfigte 
ÜKnwartfdxift  ihm  ^einrieb  oon  Rothenburg  geraubt.   Xurch  eine  falfche  SöerteibuugS« 
urfunbe  unb  burd)  Verunglimpfung  be8  ©rafen  ©erwalt  reist  ber  Slrchibiacou  ben 
söifdjof  auf,  €>tabt  unb  ©raffchaft  bem  Könige  3U  entreißen  unb  ju  folcbem^wede  bie 
nahen  Senben  in  <5olb  ju  nehmen.  ^Berengar  wirb  als  Vermittler  ju  bereit  dürften 
3wentibolb  gcfdjicft  unb  oerpflichtet  biefen,  Sürfcburger  ©raffebaft  unb  ViStlntm  gu 
überfatten  unb  ben  Söifdwf  ju  ermorben,  auf  bafe  ber  3tubl  erlebigt  fei.  —  ^er 
tluge  Berengar  ift  weit  entfernt,  ben  Ulberglauben  au  ba8  hereinbrechen  be8  jüngften 
©erichteS  ju  theilen.   Sifcbof  ^einrieb  hatte  9llle8  oon  ber  Ümtfcbeibuug  be8  ^apfte8 
abhängig  gemacht  unb  feinen  3ägermeifter  3lrn  nadi  3talicn  gefanbt,  biefelbe  cinju= 
holen.   Unb  ba  nun  biefer  wilbefte  2flann  im  5Dcöndj8geWünbe  als  Söote  be8  $apfte8 
iiurficffehrt,  ben  Weltuntergang  ju  oertünben  unb  »ufee  ju  prebigen,  ba  febwinben 
auch  £erTit  h«n^jd)8  3^eifel.   2lße8  bereitet  ftdi  auf  bie  ©onnweube  Oor:  bie  I5iuen 
geben  fid)  bem  Pollen  l'ebcnSgenuffe  hin,  bie  «nberen  thun  üöttfee.   3um  iöifcbof  femmt 
Jvrau  h*'lrriebe,  3U  fagen,  bafe  fie  fdmlbloö  unb  jur  (§rje  ge3Wttngen  fei.   Sqctx  Heinrich, 
etrau  fceUfuebe  unb  ©raf  ©erwalt  wollen  £anb  [n  ^anb  an  heiliger  Stätte  ba8 
trnbe  enoartot.   Äur3  üor  ber  Stunbe,  bie  ben  Untergang  ber  Seit  bringen  foll,  bredicu 
bie  SBcnben  unter  3u>entibolb  unb  Berengar  t)erein :  nach  heißem  Stampf,  in  bem  bie 
Rubrer  fallen,  werben  fie  3itrüdgcfdilagen.   £crr  heinridi  ift  wunb  oon  oergifteter 
Saffe:  ^cilfriebe  faugt  bie  Sunbe  au8  unb  rettet  ihm  bai  üeben. 

3n  biefe  (irjähuing,  welche  fowobt  in  ber  äufeeren  ^orm  als  auch  —  abgefeben 
oon  ber  31t  großen  Skrtraulidifeit  beä  Kugen  Berengar  gegenüber  bem  Scnbcnfürftcu 


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—    Xlorö  und  Süd.   


( —  in  ber  Widmung  ber  Gbaraftere  febr  gelungen  ift,  i)at  Xafm  eine  Mtify  Don  £  tonen 
eingeflod)teu,  die  bereite  im  3al)rc  18»8  in  einem  (Sntais  tum  fleinercn  (^ebidnen 
unter  betn  Xitel  „^ctturitergaugS (Erwartung"  üerwertbet  waren.  iiMr  muffen  bem 
SHdjter  Xanf  wiffen,  ba&  er  bie  (^eftaltcn.  Die  in  jenen  Balladen  nur  ffijjirt  unb  in 
ftolge  deffen  etwa*  derb  gewidmet  cridüenen,  fein  ausgearbeitet  bat;  inbeß  dürfen  wir 
uns  nid)t  ucrbeblcn,  baft  in  Der  Berweudung  biefer  iSbaraftere  im  iHoman  bie  Gkfabi 
lag,  bau  mand)c  Xbeile  beSfelben  ein  epifobifdjeS  (Gepräge  annahmen  uub  gu  febr  in 
bie  £äuge  gejogen  tourben:  ift  das  fdjou  mit  ber  (£r$älUung  Dom  Subeu  ittenatus  bei 
Sali,  fo  noch  in  höherem  üJioße  mit  Der  Schilderung  beS  frommen  Gärtners  2i>artDld. 
äi>äre  eS  nid)t  —  äuma:  ja  bie  aller  Oberen  iHeflcrjon  baare  (SJottergcbenqeit  fdwn  in 
ber  l'iutter  Ute  pertorpert  ift,  —  lohnender  gewefeu,  bie  (Sinbrücfc  jenes  Aberglaubens 
auf  einen  geiftig  höher  ücbenden  s2)ceuid)en,  etroa  auf  einen  gelehrten  gciftlicuen  $qüo-- 
fopben  wirten  ja  laffen?  Die  (Milieu  Der  Pier  Siebenben,  deS  Zitters  Helmut  unfi 
ber  3uugfrau  tsbel  fowie  bei  Gerrit  Jyiilfo  oon  ?)oonne  unb  ber  fdjöneu  iJJinnigard 
finb  in  iüren  ($ruubjä$en  unendlidi  wirtung*Doll,  uub  bie  Xurdifübruna  ber  (Sbaraftere 
ift  —  abgefeben  Don  einigen  reiflid)  freien  Anidjauungen  2J(innigarbS  und  pon  betn 
unritterlidien  Benehmen  Helmuts  gu  itformS  —  meifterbaft.  UebrigenS  eine  anberc 
(SJcfalir  nod)  hat  bie  Berwcrtbung  älterer  ÜJcotioe  nidjt  oermeiben  laffen:  XaS  wilde 
ßieb  „borgen  um  bie  zwölfte  Stund"  paßt  ebenfo  wenig  ju  ber  Art  ftnlfoS  wie  fein 
moderner  iWinuefaug  in  das  3aur  1000.  Utwergleiehlid)  aber  ift  ber  mit  föftlicbcm 
§umor  gefdiaficue  Supfo,  ber  weinfrobe  Sellermcifter,  ber  mit  feiner  tfafee  SJmcia  öen 
ätfeltuntergang  beim  (Siweniwein  erwartet. 

Aud)  äiüci  neu  erfundene  Momente  fommen  ber  Xidituug  ganj  bcfonberS  p 
©tttc:  das  iit  einmal  bie  liebenswürdige  3eicbnuug  deS  Runter  Blandinas  uub  ber 
runden  Jyallrun,  bann  aber  nor  Allem  der  herrliche  (Sontraft  de*  erbabeneu  germanifdjen 
Ölauben»  uou  beu  legten  (Sreigntffen  ju  jenem  wabnfinnigen  Aberglauben.  Xcr  alte 
fegenr  unb  fagcitfunbige  ittado,  ber  treu  am  üJobauglauben  bängt,  ift  eine  prächtig? 
6d)öpfung. 

26n  finb  bem  Xiditcr  beute  auf  ein  anderes  CHebiet  gefolgt  als  beim  Seien  feiner 
trüberen  biftorifdieu  Montane.  XaS  Beffere  ift  ber  fteinb  des  ÜJnten.  So  wäre  eS  im 
bödiften  tfkabe  unbillig,  in  bieier  vSdjbpfung  bie  gleid)e  Dollenbete  ^idjnnnq  be*  ge^ 
fd)id)tlidieu  .t»intergriinbe8  51t  »erlangen  wie  auf  bem  #obcn  be8  frühen  ÜJUttelalter^, 
für  beffen  wiffeufdjaftlicbe  Bearbeitung  Xabu  eine  unferer  erften  Autoritäten  ift.  Sn 
ber  Benuöitng  ber  CucUcn  (be&  Seben«»  ber  ^eiligen  92i(uS  unb  Äomualb  uub  ber 
asiirjburiier  (iljronif)  wird  ^iemanb  etwa*  auSjufeeen  baben,  aber  ba»  Studium 
biefer  ^tu-rfe  bedingt  nod)  feineSiuegi  bie  gleiche  gewaltige  Sülle  ber  ©enaltungStraft, 
wie  wir  fie  in  Xatm'ä  Siomanen  au^  ber  i^olferwanberung  fenueu  gelernt  rjaben. 
Und  fo  erflärt  fid)  nnferes  (Äradrtenö  bie  häufig  ju  breite,  ja  lehrhafte  Ausmalung  in 
ben  erften  Xljeilen  des  ^erfeS:  wir  meinen  die  Ralfen jagb,  den  Brief  Arn'S,  bie 
(Edtil^crung  con  ^ürgburg,  bie  ben  SRenattt»  unb  ^artolb  betreffenden  «cenen,  ben 
Anfang  bee  Xiabgs  awiidjen  .^erm  Heinrich  und  ^eilfricoe.  So  begreifen  ftdj  audj 
einzelne  biftoriidie  Uugeuauigfeiten.  Sollte  XUrn  ber  ^ägermeifter  der  Scbreibfunft  in 
fo  hohem  ll'iarje  befltffeu  gewefen  fein V  ^afet  baS  fraujöiifche  il^ort  buhurt  in  bie 
Sdülberung  bes  2^cltbranbeSV  (SJewift  nid)t.  Ucberhaupt  werden  bie  romanifdifn 
teiiulüffe  für  jene  3«t  &iel  ju  hod)  angcfd)lagcn :  fonute  bo.1)  au*  Helmut  nid)t  um 
1000  sn  ilNormS  im  Xurnier  fämpfen,  ba  nad)wei8lid)  baS  erfte  Xurnier  tu  ^eutfüv 
laud  eift  1127  ftattfaud,  unb  ba  übcrlwupt  baS  Xurnier  erft  1066  erfunden  fein  ioü. 
—  Und  l'uc  oben  erwähnte  Breite  fiuben  wir  and)  in  ftiliftifdier  £->infid)t:  die  über* 
mänige  väufung  der  (Hntheta  wirft  uid)t  günftig.  unb  alS  ju  breite  Sdulderung  dürfen 
wir  audi  wotil  die  fediS  (Mcdaufeuftridic  in  ber  ^ad)t  ber  Siebe  bejetchnen. 

X tefe  AuafteUumieu  hätten  wir  nicht  gemacht,  wenn  wir  baS  nidü  für  Pflicht 
hielten  bei  ber  BeurthciUuig  eines  Tid  terS.  Pon  bem  wir  audi  im  fliehten  bödrfte 
BoUeubuitg  geuwbut  finb.  Audi  fei  nodmtalS  bemerft,  bafe  ue  faft  nur  auf  ben  erften 
Xhctt  der  r-iditung  begehen.  Befonbere  im  3weiten  Xheilc  beS  üJerfeS  feben  wir  aü^ 
überall  nraewaitige  Sfraft  der  Öfeftaltung  wie  ber  ftiliftifdjcn  Ausführung.  Xie  Anfuuft 
Arn*,  bie  wonnige  3Jcittfommernad)t  ber  Stampf,  bie  Begegnung  ©errn  Jöeinridv  mit 
.<>ctlfriedc  —  je  eines  biefer  herrlid)en  Stiicfc  würbe  dem  Xicbter  bauernben  ©anl 
fidlem.  ths. 


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23 iblioaraptjtfdje  2Toti3en.  — - 


Ptylofopbifdje  Cileratur. 


Sinnen  unb  Sutten,  ©efammelte  9lb 
banblungen  unb  Verträge  au*  bem  ©c* 
biete  ber  Literatur,  ^^ilofcpt)ie  unb 
s4>äbagogif,  fomie  ihrer  ©eidiidjte  Don 
3.  6.  äüittc.  fcalle,  Pfeffer. 
„Tiefe  Äuffäße  unb  iMbbanblungcn 
bewegen  fieb  in  jener  realiftifeben  unb 
fritifchen  iKtd)tung,  ioeId>e  immer  mefjr  baS 
©epräge  ber  miffeitfcbaftlichen  ^bilofopbic 
ber  3uf"nft  ju  Werben  Dcriprid)t",  jagt 
ber  SUerfaffcr  in  feinem  ertenntuiftfbo* 
retifdicn  ÜBorworte  gu  biefer  Sammlung. 
(Sic  unb  otfo  jämmtlid)  angemanbte  5>büoe 
foptjic.  Cbwobl  für  weitere  tfreifc  ber 
©ebilbeten  beredwet,  bieten  fie  bodi  aud) 
bem  tvadtmann,  befouberS  bem  ^äbagogen. 
Diel  ^eueä  unbSlnregcnbcS,  obfdion  anberer* 
feits  SDlandic*  für  bie  weiteren  Streife  un= 
Derftänblid)  ober  fchwer  fafelicb,  weil  ju 
fpecutatio,  bleiben  bürftc.  iücfonbcrs  ftnb 
Damit  bieienigen  Xbeile  gemeint,  welche  bie 
Dbilofopbifdic  ©rttnblage  für  bie  Prnftifcben 
Xbeüe  ber  Jlbbanbluugcn  enthalten.  5?lb^ 
oefebeu  Don  ber  Gompactbeit  ber  Spradie, 
fehlt  e&  tjicr  unb  ba  nodi  an  Teilung,  fo 
befonbers  im  erften  Staffage.  3ebenfnllS 
aber  wirb  baS  Söudi  wegen  beS  reichhaltigen 
3nhaltS  Bielen  etwas  bringen  unb  — 
anregenb  unb  belebrenb  suglcicb  —  bem 
emfteu  iMer  nur  förberlidi  fein 

(£8  fei  uerftattet  auf  ben  3nbalt  einzelner 
Staffage  befonbers  btrgutoeifen.  1)  „Ter 
äikltfdmterj  in  ber  Ticbtung  unb  bie  SEBdfc 
febmergbidjtunfl"  behanbclt  Scroti,  £ciuc 
(ungerecht  einfeitig!)  ^coparbi,  fcenau , 
©oetbe'S  „^auft",  bem  in  ben Stamerfuugen, 
meldK  Diel  llcberftüffigcs  enthalten,  eine 
befonbere  SiMirbigung  p  Xbeil  wirb.  2) 
„Ter  Patriotismus  unb  bie  fittlicbe  8e* 
beutung  bc«  Staates"  (rcchtspbiloiopbifd)). 
3)  „Tic  feciale  Srrifis  in  ben  böberen 
<Stänbcn,bieOrganifation  unferes  :*MlbungS= 
wefens  unt>  bie  3b"  eine?  WcidiSbilbuugS; 
amtS."  (Sehr  anregenb;  [helft  aud}  bie 
Stealfdmlfragc.)  4)  „SJerufSbtlbung  beS 
Kaufmanns.''  SluRerbem  nodi  vJlbbanb= 
lungen  über  firiebridi  ben  ©rofeen,  Tvtditc, 
ftranflin,  3JJcnbclSfof)ii,  Daniel  fcefoe. 

$er  eajlüffet  jum  objeetitoen  f&v 
tettnen.  Poi:  Siubolf  S  et)  Del. 
£atlr,  Pfeffer. 

Unter  biefent  Titel  hat  ber  Ü.*erfaffcr,  ein 
©ander  Don  tfhr.  ft.  Reifte,  brei  f ruber 
in  ber  Jyidjte'fdien  ^eitfcfirift  erfdücuene 
yibbanblungen  gefammelt.    Tic  ?lbbanb- 


r  1 


hingen,  toeldie  gegen  flaut's  (frfenntnifc 
tbeorie  unb  ibre  fermeiterung  bureb  ftricbrtcb 
Ulbert  ßange  gerichtet  ftnb,  betiteln  fid>: 
„flaute  fnntbetifdie  Urtbeilc  ;i  priori, 
iusbefottbere  in  ber  ÜJiathcniattf* ;  fr  21. 
itonge's  geometrifdie  iiogif"  unb  „ber 
Sdilüffel  jjum  objcctiDen  ©rfetinen."  Tos 
pofitioc  ßrgebnife  ift  ber  in  ber  logifeben 
iöcuutjuilgfceiXenlinbattSliegfnbeediliiffcl 
iiu  einem  wahrhaft  objectiDcn,  toenn  aud) 
beterminirteu  (£rfennen.  llnfcrc  l&rfennt* 
nifj  berubt  uaeb  bem  ^erfaffer  auf  (fr* 
fabrung  Iogifcbem  TenTen  unb  erlauben, 
Philofopbie,  (Srfabrungiioiffenfcbaft  unb 
Xheolrgie  follen  fid)  mit  ben  gur  objectioeu 
ÜiJabrbcitfürrrenbeu  21rbeit&toegen  ergänaen. 

fcerbeve  ^bilouiDbu-  und)  tbrem 
(^ntiuicteluiiflegandc  unb  biftort« 
fdjeu  ZteUun^.  Won  Dr.  iDi oriö 
Cronenberg,  ^icibelberg,  Carl 
hinter. 

9iad)  ßeibniu  bat  cS  toob.1  faum  einen 
fo  unioerfetlen  uno  bemgemäfe  fo  »cit 
roirfeuben  (Mein  gegeben,  wie  Öerbcr.  Üftur 
fctjltc  biefem  noeb  mebr  alö  3cnem  bie  2Ib= 
ruubung  unb  bie  ®efd)[offenl)eit.  37Jan  fann 
bei  Berber  nicht  Don  ber  (fciubeit  eines 
Dbilofcpbifdien  SpftemS  rebeu;  für  ben 
IMjilofoPben  ift  ei  feine  geringe  Aufgabe 
beim  Stubium  fteoerfdier  Pbilofopbifcber 
3becn  bie  ©reuje  jwifeben  pbilofopbifcber 
unb  litcrariieber  ilBirtfamfeit  genau  abj}u» 
fteefen  2ai  mag  ein  (Mrunb  gewefen  fei 
für  bic  befrembenbe  Xbatfacbc,  4>afe  in 
uuferer  ^eit,  in  ber  bic  luiffenfdjaftlicbe 
wie  literarifdie  ^robuetiou  üppiger  benn 
je  empor  fdiiefet,  Berber  alä  ^bilofopl)  nod) 
leine  eingebeube  felbftänbtgc  ilUirbiguug  er* 
fnbren  bat.  ^er  i;erfaffer,  weldjer.  ein 
Sdjüler  dou  Sfuno  trifdier,  in  bie  ftutj= 
topfen  feines  grofeen  ^ebrerS  tritt,  ift  fein 
Heuling  auf  bem  ©ebietc  .^crberfdier 
^bilcioDhie.  C*r  tritt  mit  Sacbfenntuife 
unb  iHube  an  bic  2lufgabe  unb  Derfolgt 
feinen  *l>lan  mit  einer  getDiffen  3älugfcit. 
3ln  bem  Dorliegenben  vii>erf  fällt  jtunädift 
bie  febr  forgfältig,  ja  feft  pcbatttifdm 
Hietbboif  einer  bis  in'S  öin^elne  gebenben 
Tispofitott  fofort  in'S  Viuge.  Tiefe 
©ruppirung  bes  «ioffcs  erleid)tert  ja  be= 
beutenb  bie  lleberudit,  aber  bie  Xarftellung 
leibet  baruutcr.  Berber  wirb  uns  |Unädrf! 
al^3  Sdiiilcr  dou  Sfant  unb  Hamann,  bann 
unter  ben  (Sinflttfe  Don  ßeibniß  unb  Spinojc 
bargeftellt  unb  cnblteb  fein  Stampf  gegen 


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<H8    Horb  n 

bie  fpätercn  Sfantifche  Wlofophjc  flar  unb 
Irtan  cntnncfelt.  SaS  löucfi  bietet  einen 
locrtbbollen  Söcitrag  für  bie  Ouellenftubicn 
bcr  na*fantifd)en  $hilofopl)ie  unb  oerbient 
audj  bon  Seiten  ber  ßiterarhjftoriter  ein* 
gchcnbe  58ead)tuug. 

Sie  eitrigen  Mätbjel.  kiJopulär=pfuio* 
fopöifa)c  Vorträge,  gehalten  im  litera* 
rifd>en  herein  ju  Söaben  =  »aben  oon 
SKubolf  Richert.  (Srftc  Serie.  £aüe, 
Pfeffer. 

Schon  ber  Xitel  beS  \i>cfte8  beutet 
an,  baß  biefe  SBorträge  nicht  für  gelehrte 
Streife,  fonbern  für  ben  fogcnannten  ge= 
bildeten  itoicn  berechnet  ftnb.  Sie  behanbln 
thcilS  naturoiffenfcbaftliche  Probleme: 
„Ser  3nftinet"  contra  Sarmin);  über  baS 
©efee  ber  Erhaltung  ber  Straft;"  „SaS 
2ltom;"  t&eilS  pfpchologifchc;  „Ser  Scampi 
um  bie  Seele;"  w9fothtoenbigfeit  unb  ftreU 


nb  f  üb.   

heit."  3roifc&enbeiben  ©nippen  ftebt  bie  3b* 
fjanblung  „über  baS  Problem  ber  Sprach*.  • 
Ser  SBerfaffer  ift  iflutobibatt;  er  fjat 
Piel  unb  mit  5üerftänbniß  gclefen  unb  ber» 
fügt  über  eine  flicßenbe  anrcgcnbe  Schreib* 
art.  SaS  §ier  ©cbotene  beftebt  aus  bilettan* 
tifdxn  Kompilationen.  Sie  naturnjiffen* 
fdiaftlichen  Vorträge  finb  nod)  mit  bera 
größten  ©efchicf  gufammengefteflt ;  bie 
©ruppe  ber  pfudjologifcben  2lbbanblungcn 
lägt  aber  an  ber  für  ßaien  nötigen  Srlcr* 
heit  unb  Surdiiiditiqfeit  biet  ju  toünfcben 
übrig.  2lm  aüerjdnoädjftcn  ift  bie  2lb= 
haublung  über  baS  Problem  ber  Sprache, 
welcher  jcbeS  organifcbe  ©cfüge  fehlt  unb 
welche  taum  auf  ben  Xitel  einen  geiftooUen 
Klauberei  Slnfprucb  erheben  fönnte.  Snrmcr« 
hm  toirb  ieber  Siaie,  ber  bteS  ȟcfclrin 
mit  bem  nötigen  Eifer  unb  ber  gehörigen 
Slufmerffamfeit  lieft,  9)tond)e&  baraus 
lenten  fönnen. 


Bibliograph  i 

TarftoituiifltMi  au£  ber  Sitten« 
aefduibte  tHomö  in  ber  ;\c-a  bon 
lUuguft  btö  jjum  lUuSgang  ber  Slntoninc. 
5öon  Jöubwtg  3fricblänber.  Secbfte 
neu  bearbeitete  unb  bcrmcbrte  Auflage. 
II.  Xbeil.  2eip$tg,  S.  Birgel. 
jJlud)  bei  bem  jmeitcn  Stanbe  biefcS 
9JteiftermcrfeS  ift  bie  Neuauflage  mit  einer 
Sorgfalt  ausgeführt,  ber  mir  unfere  hbdjfte 
Slncrfennung  nicht  berfagen  tonnen. 
Sclbft  baS  fleinftc  Moment,  baS  irgenb 
ein  neubcröffcutlidrtcS  cpigrapljifcbcS  Senf: 
mal  ober  eine  feit  1881  crfdüenene  edjrift 
für  ben  Bereich  ber  hier  bchanbellen  ®e* 
genftäube  (sBcrfcbrSwcfen,  Reifen  ber 
Xouriiten,  Schaufoiele)  bietet,  ift  berücf» 
fidjtigt  unb  -m  einem  batb  größeren,  balb 
fleineren  3ufa@  oerwerthet,  fo  baß  ber  Um* 
fang  beS  2Jud)eS  um  mehr  als  ein  halbes 
Spunbert  Seiten  gewachsen  ift.  Namentlich. 
baS  erftc  Eapitel  ift  burch  ganje  Äbfdinitte 
ertoeitert;  fo  bezüglich  beS  :ü{agcnDcrfchrS 
in  ben  Vllpcn,  beS  StraßennefecS  in  Sftorb* 
afrifa  unb  ber  nörblicben  Söalfanhalbinfel 
jmr  Äomerjeit,  ber  d)incFtfd)en  Nachrichten 
über  S&egtebungen  ftum  römifdjen  Neid). 
Sic  „Aushebung  ber  Xruppcn"  (S.  59 
bis  60)  ift  nad)  einem  Slufiaße  3Rommfen* 
au«  bem  3nbrc  1884  umgeftaltet,  mie 
beim  überhaupt  bie  neuen  Schriften  biefeS 
ftorfdierS,  naturgemäß  gu  Dielen  3ufä8en 
unb  Sibnnberungen  Hnlal  gegeben  haben. 
Street  umgearbeitet  ift  ferner  im  folgenben 


fdjc  Hoti3ea 

Kapitel  bie  Saiftellung  ber  ^relb^üge  unb 
Nieberlaffungen  ber  SRömcr  in  Norbafrifa 
(S.  100—102),  bor  «Hern  aber  ber  Schluß» 
Paragraph,,  welcher  bie  ($ntmicfelung  beS 
©efühls  für  ba8  iHomantifche  in  ber  ütfatur 
betrachtet  Ser  töerth  bcäfclben  ift  burd) 
bie  ießige,  in  fid)  gcfdilofienere  unb  faaV 
liebere  SarfteÜungSmeife  nidrt  untoefentlicb 
erhöht  morben,  menngleid)  feine  3ugehörig« 
feit  in  ben  Gahmen  biefcS  ^erfeS  manchem 
2eier  iiioeifelhaft  erfebeinen  bürfte.  Spe* 
cicll  für  bie  ^anbfchaftSmalcrei  im  9JcitteI* 
alter  h.at  ber  2krfaffer  ftatt  ber  früheren 
eigenen  Erörterung  eine  auSfübrlidKre, 
bon  ©.  Sehio  herrührenbe  eingefept 
(S.  215—219).  3n  geringerem  ©rabe  ift 
ber  leöte  Sheil  be»  Ruches  berührt  morben; 
bod)  fonnte  ba8  SJerjeichniß  ber  in  3talien 
unb  ben  ^robingen  nachmeiSbaren  Amphi- 
theater burdj  eine  föcilje  neu  ermittelter 
Xheaier  bereichert  werben,  u.  8L  ju  Kanuo 
in  Söaetica,  SJcplafa  unb  XelmiffoS  in 
^leinaften  unb  befonberS  ju  (Fantun tum, 
inbem  hier  bie  erft  im  3ahre  1889  her* 
ausgegebenen  Söerictjte  über  bie  iüngft  ba» 
felbft  ftattgefunbenen  Ausgrabungen  heraus 
gebogen  ftnb.  Unb  ber  ilnbang  IV  über 
bie  ©labiatorentefferen  liegt  in  ooUftanbig 
beränberter  fjaffung  uor,  ba  feit  ber  legten 
5UtfIage  mehrere  Arbeiten  fich  gerabe  mit 
biefer  fdnoierigen  ??rage  befebäftigt  haben; 
eS  ift  burdiauS  ju  biUigcn,  baß  ber  SScrfafier 
nunmehr  nur  bie  Perfdjtebenen  aufge ftcüten 


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Stbltographjf&e  Hottgcn. 


fttjpotbefeu  toiebergiebt,  obne  eine  eigene 
äSermutfjung  auSgufpredjen.  —  3>ie  Söc= 
beutung  beS  SScrnfteinljanbelS  toirb  nid)t 
mehr  fo  bod)  beranfdjtagt  (©.  72—73): 
ber  SBemftein  gelangte  gröfjtentfjeilS  nur 
burd)  3to»fdManbel  nad)  bem  ©üben 
unb  fr ieite  audi  nur  eine  untcrgeorbncte 
Stoße  unter  ben  au»  bem  Horben  begogencn 
virttfcln;  bie  römifdjen  &anbelSbegiebungen 
erftrecftcu  ftd)  nicfjt  aüein  auf  baS  Seraftein» 
lanb,  fonbero  über  baS  gansie  nörbltctjc 
Sieutfdjlanb  bis  nad)  ©fanbinabien  l)in. 
®ie  nähere  »egrünbung  biefer  Slnfidjt 
finben  toir  in  bem  als  Slnfjaug  betgefügten 
Sluffafce  öon  D.  Ziityltx  in  Königsberg, 
in  tocldjem  bie  römifdjen  gunbftücfe  im 
Horben  (Ijauptfädjlid)  anfingen)  eingefjenber 
unterfudjt  »erben.  sb. 

$te  $ür?ttnnen  auf  Um  throne 
ber  fco  t)t*u,i ollern  in  «ranbenburfi 
uuD  ^reuBeit  öon  fr  33ornl)af. 
Berlin,  W.  ©djorfe. 

Sie  öorliegenbe  21rbeit  ift  otjne 
felbftänbige,  wiffenfdjaftlidje  Cuetlen* 
forfdmng  nad)  gebrochen  Serien  gu* 
fammengefteflt.  ©ie  ift  nad]  beS  BcrfafferS 
eigener  Angabe  befonberS  für  bie  3"flenb 
beftimmt;  fie  fott  aber  aud)  ber  beutfdjen 
Sfrauentoclt  glängenbe  unb  nadjahmenS* 
toertbe  Borbilber  bieten  in  bem  ßeben, 
ßieben  unb  ßeiben  beutfdjer  prftinucn, 
auf  bem  $ol)cngollerntl)roue  in  Branbcnburg 
unb  $reufeen.  Sie  2lbfid)t  beS  Bud)e3  ift 
alfo  eine  ^atriotifrfje.  Bon  ftriebridj,  bem 
erften  ffurfürftcu  in  ber  SJiarf  aus  bem 
$aufe  ftofjengoUcrn,  bis  auf  bie  ©egentoart 
»erben  uns  m  djrnnologifdjer  Steifjenfolge 
bie  fcofjengotternfürfttnneu  in  furgeu  bio= 
nrapfjifdjen  Söilbern  bor  Slugen  geführt. 
3)ie  SarfteHung  toirb  lebhaft  unb  anfdiau» 
lid),  befonberS  aud)  bie  reidjlidj  cingeftreuten 
Rendite  öon  Slugengeugen  unb  bon  ben 
3fürftinnen  felbft.  2ütr  feljen,  wie  bie 
boben  grauen  aufgeben  in  ibrem  fürfc 
licfjcn  Berufe,  »obre  SaubeSmütter  gu  fein; 
toir  toerben  gur  Betuunberung  Ijingeriffeu 
bei  bem  Slnblicf  biefer  ^ürftinnen,  bie,  im 
©lüde  ftitt  unb  frol),  im  llnglüd  fromm 
ergeben,  aber  bodi  ftolger  unb  fidjercr 
Hoffnung  öoH,  gu  bem  nie  crbleidjenben 
©tem  iljreS  ftaufeS  emporfdjauen. 

Siffenfcbaftlid)  begrünbete  ÖefdndjtS« 
fenntniffe  freilid)  fann  man  aus  bem  Budjc 
nicfjt  erwerben ;  mit  2lbfid)t  toerben  bie  ($r* 
etgniffe  gang  fummarifd)  gufammengcfa&t, 
getoiffermafjen  um  bie  äiianb  aufgubauen, 
an  ber  bie  cingefnen^ortraitS  befeftigt  toerben 
foHen.  2luS  biefem  Bcrfabjen  erflären  fid) 

Horb  unb  6üb  LL,  153. 


toofjt  bie  öorfommenbeu  f)iftorifd)en  Unge= 
nauigfeiteu,  olme^aburd)  entfebuibigt  toerben 
gu  föunen.  (SS  ift  bod)  falfd),  toenu  ©.  43  nc- 
fagt  toirb,  baf$  «infolge  ber  .ftuffitenfrtegc" 
(1410—1434)  bie  beutfdjen  Sßrofefforen  unb 
©tubenten  ^rag  üerliefecn,  um  nad)  ßeipjig 
(llniDerfttät  1400  gegrüubct !)  übcrjufiebeln. 
l^tjronologifdj  üöüig  ungenau  ift  auf 
S.  309  bie  (Srljebung  ber  Ungarn  für 
■ättaria  Xberefta  figirt.  —  SBarum  toirb 
baS  treffen  bei  9)ioQS,  toie  es  berfömmlidj 
Reifet,  nad)  ©örliö  benannt?  2üarum  toirb 
bie  ©djladjt  öon  SRo&badj  öom  5. 5Woü.  1757 
auf  ben  G.  9too.  öcrlegt?  3)ie8  mag  ge» 
nügen,  um  eine  oorfidjtige  öenuöung  beS 
SöudjeS  in  biefer  ^infidjt  gu  red)tfertigen. 

25ie^ßcrlagS^aublung  ^at  il)re  ©d)ulbig= 
feit  getfjan;  einem  toürbigen  ©toffe  ein 
toürbigcS  ©etoanb!  2)ie  27  Söilbniffe,  an 
entfpredjenber  ©teile  in  ben  lejt  einge- 
fügt,  finb  in  iljrer  2lrt  borgüglid). 

Wn. 

Wt'Dcvo  Xianb^cvitüit  M  attgc= 
meinen  ^iffenS.  SBiertc  Jluflage. 
9Jtit  über  100  3UuftratiouStafeln,  Karten, 
ftatiftifdien  JabeUcn  unb  erläuternben 
Xejtbeilagen.  3mei  SBänbe.  ßcipgig, 
Verlag  beS  iöiblioflrap^ifdjcn  OuftitutS. 

$a&  befannte  3)iet)erfdje  $>anb= 
fie^ifon,  baS  bis  gur  brüten  2luflage  in 
itlciu-Octoü  unb  mit  lateimfdjen  Settern 
gebrüht  crfdjienen  mar,  ift  in  ber  neuen 
2luflage  gum  üblidjen  großen  8ei:ifon= 
fyormat  bcraugctoadjfen  unb  bilbet  gtoei 
ftattlidje  ^äubc  öon  gufammen  1450  gmei= 
fpaltigen  ©eiteu.  2US  Stadjfdjlagebud) 
für  ben  gctoöfjnlidjeu  33ebarf  ift  bicfeS  mit 
grofjer  ©orgfalt  unb  ©euauigteit  rebigirte 
üikrf,  baS  auf  alle  fragen,  bie  fid)  auf- 
orangen,  furäen  unb  ridjtigeu  2?cfd)etb 
giebt,  überaus  empfeljleuStoertl).  2)ic  btlb= 
lidjen,  fartograpbifdjen  unb  fonftigen  5Öct= 
lagen,  bie  mit  benen  beS  großen  3)let)erfd)eu 
ßeiifon^äöerfeS  übereiuftimmeu,  fmb  nicht 
ehoa  billige  Socfmittel  für  bie  sfaufluft, 
fonberu  febr  toünfdjcnSroertljc  unb  faft 
immer  uotbiueubige  (Srgängungen,  bie  burdj 
flare  unb  gute  2Jeranfdjaulid)ung  fcbioer^» 
fällige  2luSciuanbcrfeöungen  unb  ©d)ilbe= 
rungeu  entbebrlid)  madjeu  unb  über  baS 
SiffenStoertljc  fd)itell  unb  bequem  unter-- 
ridjteu.  Sie  biefeu  Söeilagen  binjugefügten 
(Erläuterungen  ftnb  Antiqua  gebrueft, 
mäbreub  ber  ftaupttejrt  beS  ÜierfeS  mit 
beutfdjen  Settern  gefeßt  ift.  Um  möglidift 
oiel  ©toff  auf  mcglidjft  geringem  Staunte 
gufammeugubrängen,  ift  eine  fteine  ©djrift 
gctoäb,lt  toorbeu,  bie  fid)  aber  burd)  unge^ 

30 


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t 

$50    Horb  tu 

toöljnHdje  6$ärfe  unb  9Hol)lgefäfligfeit  gan§  . 
befonber«  auSjctdjnct  unb  fe^r  lesbar  ift, 
fein  2IugenpulDer.  ©ie  tr>pograpbifd>e 
Seiftung  ift  geraDe^u  beroorragenb.  öbcnfo 
mttfe  eö  millfommen  gebeifeen  »erben,  bafe 
bic  eigentümlichen  unb  befonbeten  2lb* 
fü^ungen,  gu  bereit  SJerftänbnife  ein  bc» 
fonbcreS  Stubium  gebort  unb  bie  e8  bei 
maudieu  anberen  Wadifdjlagebüdicrn  §ur 
beftänbigen  SJiotbmenbigfeit  madjen,  bei 
jebem  einzelnen  Slrtifel,  ben  man  lieft,  bie 
erläuternbe  labeUe  nad)äufd)lagen,  Dbllig 
oermieben  morben  ftnb.  Sic  aus  räum* 
lieber  (Srrfparnife  in  bem  2)renerfd)en  £>anb* 
Serifon  gemadjten  2lbrurjungen  ftnb  bic 
üblichen,  bie  Sebcrmann  oerftebt.  $>a8 
Serjfou  beö  aügemeinen  SBiffenS,  baS  in 
noef)  immer  Oerbältnifemäfeig  fnappem 
iKaume  eine  unglaublid)  ftarfe  StofffüHe 
bctoältigt,  ift  ein  praftifc^eS  unb  gutes 
iöud),  baS  eine  toarme  (Smpfeblung  öerbient. 

P.  L. 

$i(ber  unb  2ti vk»  «n*  bem  Siatur« 
leben.  2Jon  Dr.  O.  3ad)ariaS.  3cna, 
.^ermann  ISoftenoble. 

$cr  ÜHutor  ift  ein  ftorfdjer,  beffen 
ötubien  auf  bem  ©ebieteber  3oologtc  unb 
IfttttottfelungSgefdjicbte  in  tJadjfreifen  boa> 
gefdjäfct  werben.  Um  fo  erfreulieber  ift  e8, 
bafe  er  Don  feinem  griinblicrjen  ilBiffen 
wetteren  Greifen  mitteilt;  benn  mir  r)aben 
au  biefer  Stelle  fdjon  roicbcrrjolt  betont, 
bafe,  um  populär  im  guten  ©inne  be8 
Portes  jw  fdjrciben,  ein  oolleS  roiffen* 
fcbaitlidie*  23el)errfcnen  beS  ©egenftanbe* 
erfteS  (Srforbernife  ift.  (Sin  £&eil  ber  in 
fid)  felbftänbtgen  fleinen  Sarftellungen,  bie 
meiteren  .Streifen  eine  2$orftcHung  üon  ber 
Sülle  intereffauter  ^fragen  geben  toollen, 
an  beren  l'öfung  bie  beutige  9toturforfdmng  I 
erfolgrcid)  arbeitet,  finb  bereits  in  ber* 
febiebenen  populären  3*ttfd)riften  erfd)ietten 
unb  liabcn  firf)  allgemeinen  JöeifallS  er» 
freut.  SlnbereS  ift  binjugetommen,  unb  fo 
ift  ein  #anb  entitanben,  ber  nidjt  Derieblen 
ttiirb,  bie  Slufmcrffamfcit  ber  gebtlbctcn 
i.'cfemcit  ju  enocefeu.  £a$  Jöud)  öerbient 
aud)  einen  '4Mafc  auf  bem  itkibnad)t3tifd) 
ber  reiferen  3ugenb,  bic  fid)  für  natur* 
rotffenfdjaftlid)<  £arftcllungeu  intereffirt. 

cht. 

$V.    ,SUrni;in  ■:•  $or(ef uitfli'U  Über 

<&oetr)e't>  iv« uft .  3»eitc  Auflage,  neu 

bcrauSgegebcn  bonQfrangAerit.  Berlin, 
Nicolai)  di  t  iüerlagabudjljaiiblung. 

(V*  ift  fcl)r  erfrculidi,  baß  bie  Verlag«« 
banblitng  Hon  biefen  feit  längerer  3cit  Der» 
griffenen  i^rlefungen,  einem  l'iebltngStocrfc 


b  Sfib.   

bed  oer eio ig ten  «reo feig,  eine  neue  Slu&gabc 
Pcranftaltct  bat  Dbtoobl  feit  ibrem  erften 
(Srfdjeinen  eine  ganje  Sflutl)  öon  5attt> 
litcratur  über  uns  rjereingebroeben  ift,  ftnb 
Ärcöfeig'fc  Jöorlefungcn  bod)  nod)  fetneSmeg« 
beraltct.   Sie  bieten  Dielmcb,r  mit  irjren 
burdjroeg  rooblerroogenen,   einem  tiefge* 
bilbeten  unb  für  alle»  Sdjöne,  ©ute,  SSabrc 
empfänglidjen  ©eifte  entfprungenen 
örterungen  unb23etrad)tungen  über  ©oettjc'S 
gröfete  X  idiiuiig  eine  £ectüre,  mdäft  etilen, 
bie,  or)ne  aUguoiel  T'etailforfdmng  treiben 
3U  motten,  bod)  neben  bem  ©oetbci'djcn  „  ^rauft " 
f elber  aud)  noer)  ein  gutes  Jöud)  über  ibn  §u 
lefen  münfdien,  burajauS  gu  empfehlen  rft 
Sfreufeig'g  ©rlänteningcn  oerbinben  in  oor^ 
äüglidjer  2Beife  beit  alteren,  aUgemctn 
äftl)etifd)-poettfdieu  6tanbpunft,  toeldjer  ba* 
gaii3e  Doflenbete  2öert  in'8  2luge  fafete,  mit 
bem  neueren  rjiftorifcfjcn,  meiner  bie  attatä> 
liebe  @ntftebung  ber  einzelnen,  jeitlidb  roeit 
getrennten  Ihoilc  ber  ^vauftbiditung  unb 
alle  2Banblungen  ber  ü?lnfebauungen  unb 
©cbanten  bc8  $id)ter&  beamtet.  Äurj, 
aber  uorjüglidi  befp coolen  ftnb  3.  93.  nantent- 
lid)  bie  bcbeutungSootlcn,  balb  naeb  1707 
gatu   neu  binsugefornmenen  X&eile  ber 
£id)tung  (S.  145  ff.),  Darunter  aud)  baS 
„SJorfpicl  auf  bem  Xbeater,"  oon  bem  nodi 
1881  einer  bcr  gelebrtcfren  unb  gefdpnacf: 
lofeften  3?auftcommentatorcn  bruden  liefe, 
e§  „ftelje  nia]t  in  birecter  ©ejicbung  §ur 
pfaufttragöbic  unb  b,abe  mebr  baS  Xt>eater 
im  2lUpcmeinen  im  Singe  l" 

^te  3«fäÖ«  unb  Hnmerfungen  bei 
neuen  Herausgebers  nebmeu  namerUli»* 
auf  bic  Don  (£rid)  Sd)mibt  erft  1886  auf^ 
gef  unbene,  1887  Deröffentliditc  ältefte  5aff  unö 
be8  ©oetrjefd)cn  wgfauft"  ÜUrfauft")  unb 
einige  anbere  neuere  ©rfaicinungen  ber 
Orauftliteratur  gebübrenbe  &tüct!"id}t  un5 
bieten  für  manche  fdjtoierigen  ©teilen  neue 
unb  beadjtenStocrtbe  erflärungett  dr. 

*Homautit"d)c  Siebe  unb  J>erfdnltd>r 
3^dttrjeit.  S?on  $.%.  tyinef.  Sentfdj 
bon  Ubo  iöradjbogel.  I  Sant». 
SöreSlau,  @.  8d)ottlaeuber. 

älUr  ftnb  Ubo  »radjDogel  großern 
S)aufe  ücrpflicbtet,  bafe  er  un»  ©elegcnr>ett 
giebt,  baS  fcbnell  befannt  gemorbene  S^uij 
tjinets  in  mufterbafter  Ucberfc^ung  lentttr 
ni  lernen.  3»»  ungemein  geiftDoikr,  ba» 
bei  immer  leid)t  fafeltd)er  unb  metft  bmno- 
rtitifd)er  ^orm  giebt  un»  ftttuf  ein  S&ilr 
Don  ber  dnimidclung  unb  bem  Siefen  brr 
romautifdjeu  Siebe,  bcleud)tct  er  bie  Hiebt 
bei  ben  Xhieren,  bei  ben  milben  unb  b< 
!  ben  ciDiliftrten  »ölfcrn,  fprietjt  er  über 


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—  ^ibltocjrapbt 

bie  eheliche  £iebe,  über  ben  ftu&  2c,  2c. 
Grftounltcb,  ift  bte  Söelefenheit  be«  2lutor8, 
mit  bcr   er  feine  ^Behauptungen  burd) 
Gitate  oon  ©dmftfteflern  aller  9tatioua* 
litäten  belegt.  Mitunter  reifet  itjn  fein 
fctfer  allerbing«  31t  redjt  gewagten  SBe* 
fauptungen  b,in.   IStwa«  wunberlid)  Hingt 
e«  bod)  wenigften«,  wenn  er  gang  ernft* 
baft  bie  löeftanbtheile  ber  Siebe  bei  wilbctt 
unb  halbcioilifirten  ilVölfern  fo  angiebt: 
Sclbftfud)t  25,7684°/o 
llnbeftänbigfeit  20,3701°/o 
Stolg  auf  ben  SJefife     7,3024°/o  K.K. 
Dod)  ba«  finb  nur  SMeinigteitcn,  bie 
gegenüber  ben  grofecn  iöorgügen  be«  Üüerte« 
nicht  fdjwer  m'«  @ewid)t  fallen.  2üir 
fehen  mit  Spannung  bem  (5rfd)cinen  be« 
pmm  Raubes  entgegen.         H— n. 

«n«  dem  Brietst,  flüchtige  3fofoeta> 
nungen  Don  ^aul  Sinbau.  SöreSlau, 
6.  ©djottlaenber. 

ßinbau  bebt  felbft  heroor,  bafe  e«  ihm 
nidjt  barumjj_u  ttjun  gemefen,  fadjlid)  an* 
fprud)«oolle  «>d)ilbcrungen  ber  Denl=  unb 
Sehen«witrbigteiten  be«  Orients  gu  geben ; 
er  wollte  nur  bie  (Sinbrüde  firiren,  bie  er 
bei  einer  Iurgen  Steife  in  »ubapeft,  Sftifd), 
SaIonifi,  Sionftantinopel  unb  JBufareft  ge* 
Wonnen  hat.  25a«  ift  ihm  trefflid)  gelungen, 
ör  oerftetjt  ti  meifterhaf  t,  und  mit  wenigen 
Stridjeu  bie  f  onberbaren  Dppen  be«  Orient« 
borguführen,  un«  bie  Stimmungen  naa> 
empfinben  gu  laffen,  in  bie  ibn  bie  bunte 
Farbenpracht,  ba«  laute,  wirre  Dreiben, 
ber  forglofe  ©djlenbrian  jener  Üänber  Der» 
fegte.  Dabei  ift  ba«  Jöud)  oon  ber  erften  bis 
gut  lefcten  3«l«  in  jenem  liebcn«würbigeu 
Xone  humoroofler  Klauberei  gefchriebeu,  wie 
er  eben  nur  ßinbau  eigen  ift.     H— n. 

i 

Mottfriel*  tfeUer  ober  vitmor  unb 
Wcaliömuö.  3Jon  l'eo  58  erg.  Deutfdje 
Siterarifehe  5Botf«heftc  9er.  2.  »erlin, 
Verlag  oon  JBradjoogel  unb  9tanft. 

D ie  üorlicgenbc  Slbhattblung  ift  fiellen« 
roeife  recht  r)übfcf)  gefdjrieben;  ber  Söcr* 
faffer  ertoärmt  ben  liefer  unb  erfreut  ihn 
burd)  manche  treffenbc  iöemerfuiig.  ÜBer 
inbe»  etwa«  Sefonbere«  oon  bem  $efte 
erwartet,  wirb  arg  enttäufdjt.  IS«  ent* 
hält  einige  5MnalQfen  Mleller'fcher  Dicfr 
tungen;  Don  einem  abgerunbeten  Sbilbe 
be«  Siebter«,  üon  einer  oertieften  (Stjaraf» 
teriftif  ift  nicht  bie  SRcbc  Dagegen  fallen 
einige  böcrjft  überflüffige  unb  in  unbc* 
fdjeibenem  Done  gehaltene  Söcmerfungeit 
unangenehm  auf,  burd)  welche  fid>  bcr 
Äutor  an  ber  ftritit  gu  reiben  fudjt  Der 
hbdift  fcbmülftige  ©d)lu&  ift  einfadi  utt-- 


dje  11  ottjen.    45  { 

oerftänblid).  Da«  £>eft  ift  burd)  eine 
grofce  Spenge  arger  Drucffeb,ler  gerabegu 
oerunftaltet.  ss. 

«albc  9le0ina.  Sßobette  öon  Ottilie 
ftifdier.  Dangig  unb  üeipgig,  6arl 
^inftorff*  Verlag  (®uftao  öb,r!e.) 

6«  ift  eine  reijWoHe  Aufgabe,  ben  ein= 
fad)cn  unb  ^armlofen  92aturmenfd)en  mit 
feiner  boUcn  frifdKn  9?aioetät  bem  2Belfc 
!inbe  gegenübergufteüen  unb  ifm  in  bte 
kämpfe  einer  öergefi,rcnben  i?eibcnfd)aft  ju 
öerftriefen.  Die  SBcrfafferin  b,at  biefe  Stuf* 
gäbe  mit  ($efd)icf  gel  oft  unb  befunbet  burd) 
bie  Skljanblung  be«  Problem«,  burd)  (Sljaraf* 
teriftif  ber  fd)arf  bcleudjteten,  im  iffiefeu 
grunbberfd)icbenen  ^erfonen,  beren  jebc 
eine  oolle,f  rar  tige3nbioibualitätre  präfentirt, 
nidjt  rainber  *al«  burd)  bie  SlumutD,  unb 
(Sdjön^eit  ber  ©pradje  ein  gefunbeS  unb 
bead)tcn«mertt)e8  Dalent.  as. 

$ir  9Rad)t  ber  $eber.    Vornan  bon 
Sogler.   2.  SlufT.  Danjig,  6arl 
^inftorff«  Verlag  (®uftao  ®t)rfe). 

Der  Heine  SRoman  wirb  befonbere« 
Sntereffe  erweefen  bei  ßefern,  weldje  tVreube 
am  Eanbleben  unb  iBerftänbnife  für  fragen 
ber  ßanbwirttjfdjaft  haben.  Diefc  ftnb  je^ 
bod)  nidjt  etwa  in  aufbringfid)  tenbengiöfer 
Seife  breit  getreten,  fonbent  nur  im  iptnter- 
grunbe  ber  ^anblung  mit  (Befd)i(f  bt- 
tjanbelt.  lUUcrbingS  ftnb  einzelne  3Jlotioe 
meljrmal«  wieberl)o!t  unb  ba«  2Mten  be* 
3ufaQ«  uid)t  genügenb  eingefdjränft ;  ta- 
für  aber  entfd)äbtgt  bie  frifdje  poetifdje 
8prad)c  unb  bie  lebenSDolle,  liebenäwürbige 
(5b.arafteriftif  ber  ^erfonen.  ss. 

Wcnfrfjcttvcditc  (^rgählung  au«  ber 
3eit  ber  erften  franjöfifdjcn  Stebolution 
oon  ^attö  Sölum.  2  Öänbe.  Sena, 
^ermann  Goftcnoble. 

Der  Jöerfaffcr,  ber  fid)  aud)  auf  bem 
nooelliftifdjcn  Gebiet  bereit«  mit  ©lud* 
perfudjt  Ijat,  oerfeßt  un«  mit  biefer  Ost* 
jäb,lung  um  Rimbert  3a^re  ünrütf  mitten 
in  jene  wcltgefdjidjtlidjen  Vorgänge  bie 
eine  neue  (Sntwicfclung  ber  5ßölfcrge- 
fdjide  anbahnten  unb  auf  weldje  bie  bie*= 
jdhrige  ^entenar^eier  bon  Beuern  bie 
ffllicfc  ber  ganjen  Seit  guriicfgelcnft  hat. 
(§r  führt  brei  »Hu«länber.  einen  00m  Ober= 
rl)ein  gebürtigen,  in  öftcrreidjifdjen  Dienften 
ftebenben  Diplomaten,  einen  preufjifdjen 
Offijier  franjöftfcher  Slbfunft  unb  einen 
Slmeritaner  nad)  v^ari«,  um  bort  ba« 
politifdje  ßcbett  gu  beobachten  unb  eine 
Wolle  barin  gu  fpielcn.  3n  freier  unb  ge- 
wanbter  isrrmbung  öettnüpft  er  ihre  Sd)id» 

30* 


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452 


ZTorö  unb  füb. 


f  de  mit  ben  ftaupterciguiffcn  bei  9tePcluticu 
unb  inSbcfonbere  mit  bem  SSerbängniß  beS  1 
unglütf  lieben  SfbnigSpaareS.  £aB  ©egen* 
ftücf  gu  biefen  brei  9tu8läubern  bilbet  eine 
junge  »yrangöftn,  eine  eblc  ftraucnfeclc,  in 
bereu  Prüfungen  unb  Afämpfcn  fid)  ber 
2i>ibcrftreit  ber  mit  cinanber  ringenben 
:ü>eltanfcriatiungcn  rotberfpiegclt.  $ai  J 
i.'öfttng  biefer  tfonflicte  toirb  gegen  ben 
Schluß  ber  Ihgäblung  ©oetbe  in  ähnlicher  j 
^eife  hineingezogen,  nrie  bicS  mit  ber 
©cftalt  ÜuthcrS  in  SreptagS  „1'iarcuS 
Sehnig"  gefdiehen  ift.  So  rütft  ber  5Jcr= 
faffer  baS  reich  betoegte  $rama  bon  1789,  | 
oon  bem  er  einzelne  Sccncn  einbmcfSPoU 
ausmalt,  in  eine  oielfeitigc,  toedifelnbc  5öe= 
leuchtung.  ftreilid)  leibet  ber  poetifdjc  ©ehalt 
feines  SöudieS  unter  ben  gaf)lreid)en,  ben 
banbclnben  ^erfoucn  in  ben  2Jiunb  gelegten 
gefchtdUSpbilofopbifcrjcn  2?etrad)tungen,  bie 
noch  bagu  mitunter  eine  etmaS  anadrro=  | 
niftifdie  Färbung  annehmen,  Slbbrucb;  aud) 
Pcmtag  iblum  an  Scharfe  unb  liefe  ber 
Cbarafteriftit  fid)  mit  ben  erften  SJieiftcru 
ber  (Srgäl)lung  nid)t  gu  meffeu.  Cvntmcrhiu 
aber  ^at  fein  flotteS,  gefällige*,  aud)  mit 
einer  Sofia  frifdien  fcumorä  burctjfeeteS 
(Srgählcrtalcnt  bie  Sdjmierigfeiten  ber  felbft- 
geftellten  Aufgabe,  toenu  aud)  ntdit  Pöliig,  1 
fo  bod)  gum  großen  Xbeil  bctoältigt  unb 
ein  SUkrf  gefdiaffeu,  baS  ^reunben  ernfter 
unb  bclehrcnbcr  UnterhaltungSlcctürc  burdi» 
aus  empfohlen  roerben  fann.  yh. 

tUüthc   Per  £ribcnfd>aft.    INoPclIcu  | 
Pon  3)fatl)ilbe  Serao.  Slutorifirte 
llcbcrtragung  pon  ?Ufrcb  ftriebmanu. 
Breslau,  8.  Sdiottlacuber. 

(SS  ift  feine  gewöhnliche  ©abe,  bie  in  | 
bicfcntStraußcPongtoaiigigfurgcn,abcrobue 
21 11$  nähme  böriift  inhaltsreichen  Lobelien 
ber  bcutfdjen  ßciemclt  geboten  toirb.  Xie 
hodibegabtc  äkrfafferin  Pcrftebt  es  ebenfo* 
gut,  bie  bcioegte  unb  oft  bis  gur  tfrrtafc 
fid)  ftcigernbc  l'eürcufdiaft  ber  9Jtcnjd)en 
ihres  1'anbcS,  als  bie  falt  unb  fühl  über» 
legenbe  unb  beredjucnbe  JUerfcblagenbeit, 
toelche  in  bem  Ütatcrlanbe  i'Jacd)iaPelliS 
fett  lange  beimifdi  ift,  an  ben  Reiben  unb 
ftclbinnen  ihrer  SfoPellen  in  maunigfadjfter 
X'lrt  barjuftcllcn.  Xurditocg  ftnb  bie  Stoffe 
beut  nioDcrncu  Heben  StaliciiS  in  Stabt 
ober  fcanb  entnommen,  unb  ber  Üefer  ge= 
lüinnt  ein  ftellentoeife  nidit  erfreuliches, 
aber  fiets  rei^PcUcS  unb  fcffrlubcS  Jöilb 
neu  ben  aJJcufdien  unb  ^uftanben  beS 
ßanfceä,  „tuo  bic  Östronen  blühn."  $ie 
akrfaffettn  betueift  bei  aller  Knappheit,  ja 
bisweilen  bei  jdieinbarcr  &lüdjtigfeit  ber 


Sarftclluug  einen  (sruft  ber  21uffaffung  fitb 
lid)er  Probleme  unb  eine  5cinr>eit  unb 
Ueberlegttieit  ber  Zedwif,  roie  fte  in 
$eurfd)lanb  unter  breibunöert  fdrrift= 
ftetternben  tarnen  aud)  nid)t  brei  beft^en. 
sJfamentlid)  geigt  fid)  iljre  ftunft  aud)  in 
bemjenigeu,  roaS  fie  wmeife  Perfdjmeiejt.'" 
ift  it;r  3.  Jö.  möglid),  eine  3lor>eUt  (bie 
pierte  ber  Sammlung)  „2)clfina"  gu  nennen, 
cbrvoU  biete  Xitelbelbin  nur  in  ben  legten 
elf  Sailen  ber  (£rgäi)lung  überhaupt  ertnäbnt 
roirb;  unb  bodj  erfennt  ber  Perftänbni&= 
Polle  £efer  febr  loobl,  baß  biefe  nur  ganj 
leidjt  ffiggirte  grauengeftalt  burdj  bat 
Sfontraft  ju  ben  beiben  anberen,  Porbet  in 
behaglicher  Streite  geicbilberten,  in  ber  i^at 
im  Sinne  ber  ^erfafferin  bic  Hauptfigur 
roirb.  Cb  freilich  biefe  Sf unft  beS  8 chtoetgcnS 
in  bem  „Öcbulbfpicl-  ^r.  (J)  nicht  boep  aflju 
meit  getrieben  ift,  mochte  Referent  ber 
(5ntf(f)cibung  berßefer  anfjeimgeben;  aüju* 
üicle  werben  eS  mar^rfcbeiulid)  nicht  fein, 
bie  (Sebulb  genug  befttjen,  um  Ttd)  au8  ben 
Pon  ber  löerfaffcrin  in  geiftreicher  2aune 
hingejogenen  ^äben  toirflidi  bie  $anblung 
einer  lyrääljlung  sufammengutoeben.  3n 
iePem  Jyalle  aber  bietet  biefe  ©abe  tote  alle 
anberen  ber  Sammlung  eine  ben  (Beift  unb 
baS  stein b  in  boSjcm  ®rabe  feffelnbe  unb 
anregenbc  Sectürc.  Äi^em  biefe  VftQtct  aus 
bem  Sehen  ber  mobernen  ©efcüfchaft  5to- 
ticnS  in  manchen  3ügen  allsu  traurig  ober 
allgu  peffimiftifd)  erfdjeinen  follten,  beT 
treftet  fid)  PicÜeidjt  mit  ber  ©rroägung,  baß 
bie  feharfe  3)arfteüung  ber  Ausartungen  pon 
Selbfrfucht  unb  raffinirtcr  ©enufefuebt  aud) 
cineMKffefjr  gu  einfacherer  unb  natürlicherer 
©eftaltung  beS  1'ebenS  anbahnen  fann, 
tuie  fte  rnenigftenS  in  ber  .^anblung  einiger 
biefer  ^opeUcn  in  ber  If)at  erfolgt. 

9(OPelIen  toie  biefe  bieten  natürlich 
bem  Uebcrfefcer  feine  leichte  Aufgabe. 
Dr.  5Ufrcb  j^riebtnann,  melcher  auch  in  bem 
iHonoort  eine  nur  alläu  furge  Stigge  ber 
früheren  jchriftftcllertfcheu  Xh.äriglett 
ÜJcatilba  Serao'S  gtebt,  t)at  fieb  mit 
(Srnft  unb  (^ifer  beftrebt,  feiner  Aufgabe 
gerecht  gu  merben.  $ie  Ueberfe6ung  lieft 
fid)  im  fangen  gut.  Mev  iDianche«  hätte 
bem  beutfdicn  ßefer  erläutert  merben  füllen, 
unb  an  manchen  Stellen  bütften  fletnc 
^effentngen  beS  ?luSbrucfS  ober  au*  ber 
Snterpttnltion  gu  empfehlen  fein.  „£tefe 
Schanbe  erfuhr  ftch"  (S.  45)  ifl  faum  als 
2)eutfch.  gu  begeichnen;  tuir  Pflegen  nicht 
pon  „aeSdjptianifcbem"  (S.  46),  fonbern 
pon  „acSdjplcifdjem"  ©chicffal  gu  fprechen. 
xHber  voir  groeifeln  nicht,  baß  ftch  halb  ©e« 
legcnljeit  bieten  toirb,  foldje  fleinen  Un« 


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Bibltoar  apbjfdje  ZTotisen. 


453 


DoQtomtnenfjeiten  p  beteiligen;  beim  toenn 
baS  t)üb\d)  ansaeftattete  iöüdjlein  in  $eutfd)- 
lanb  bie  SBeadjtung  finbct,  melchc  eS  in  bcr 

bat  perbient,  fo  prophezeien  mir  ifmt  eine 
ftattlidye  3ieibe  oon  neuen  Auflagen.  0. 
Gin  Keiner ttomatt.  3n»ei  (Somtefien. 

23on  ÜRaric  oon  ©bner  =  Sfcf)enbad). 

Berlin,  ©ebrüber  $aetel. 
Seibe  üöänbdjcn  ließen  unS  bereits  in 
3tüciter  2luffage  oor  —  ein  löemeiS  oon 
ber  günftigen  Stuinahmc,  welche  fte  gefunben 
haben.  „(Sin  Keiner  Vornan  *  Weine  einfache 
©efdndjtc;  eine  alte  $ame  ergatjlt  bicfelbe 
einer  jungen  Ofteunbin  als  eine  Iängft  Der« 
gangene  unb  bod)  nie  oergeffene  ©pifobe 
ihre*  ScbenS,  unb  bic  !8erf  aff  er  in  läßt  fte 
babei  fo  innige  fterjcnStÖne  anfdjlagctt  unb 
eine  fo  fdjarfe  Gbarafteriftif  aller  jJJerfonen, 
geben,  bic  in  ihre  (Srlebniffc  mit  oerflodjtcn 
ftnb,  bafe  ber  Sefcr  mit  gefpanntem  3ntcr* 
effe  bie  Seelcntampfc  »erfolgt,  bie  ben  Srcrn* 
punft  ber  Stählung  bilben.  —  „3»«' 
(Somtcffen"  finb  ätoei  [leine,  flott  ge- 
fd)riebcne  9tooellctten.  Die  eine  im  über* 
mütbig  burfdnfofeu  Xou  ber  SportSmelt 
wirft  burd)  ihren  .^»umor  ertjeiternb;  uns 
hat  bic  jmeitc  mit  ihrem  gcmütbPolIeu 
Inhalt  mehr  ättgefagt.  mz. 

Wt  |(hi<tmn  itttyrofa.  iöon  5ranc;oiS 
ßoppec.  Dcutfch  oon^tnil  Jüurgcr 
unb  6 ruft  Mather.  Breslau,  S. 
Schottlacnber. 
Der  Süanb  enthält  eine  gröfecre  (Sr* 
jählung  unb  jelm.  Heinere  3fijjen  bcS 
berühmten  franjöfifdien  DiditcrS,  bcr  aud) 
in  ®eutfd)lanb  feit  3aJjren  eines  moblPcr= 
bienten  2lufcbenS  gemein.  (Soppee  befiöt 
in  bcr  pfndjologifchcn  .Ülcinmalcrci,  in  bem 
(5rfaffen  unb  25arftellcn  fdjarf  ausgeprägter 
©timmungsbilber  eine  beiounberungS: 
würbige  ^eifterfdwft.  Seine  ©fiäjen 
führen  uns  eine  Weibe  bcin  Alltagsleben 
entnommener  Xppen  mit  ihren  fleincn 
Seiben  unb  ft-reuben,  Schwächen  unb  5üor= 
jügen  Por  unb  miffen  uns  in  iunerfter 
Seele  gu  rühren,  l'lucb  bie  unfern  regcl» 
mafjigcn  liefern  fetjon  befanute  9Jooelle 
„©ine  3bnllc  mabrenb  bcr  Jöelagcrung" 
hat  einen  genreartigeu  Stoff;  fte  fd)ilbcrt 
bic  i'icbe  eines  fcnüditernen,  aus  ober 
SBureauarbeit  cmportauchcnbcu  3ünglingS 
unb  einer  an  einen  ungeliebten  i'tontt  gc> 
fetteten  Jvrau,  bie  auf  bem  büfteren  hinter* 
grunbe  ber  Schrecfcn  bes  SfricgS  forglos 
unb  tpcltoergcffen  fproßt  unb  blüht,  83e« 
fonberc  ilHrtuofität  oerräth  (Soppee  in 
bcr  21rt,  loie  er  mit  wenigen  Stridicu  bie 
Sccneric  ber  SBelagerungSjctt  Icbcnbig  ju 
mad)cu  Derftcht.  r. 


Jpuraoresfcn  pon  (fmma  Triebs 
laenber-ÜBerther.  SMit  einem  S3or* 
mort  Pon  Hermann  §eiberg. 
Breslau,  S.  Sdjottlacnbcr. 

©S  finb  literarifchc  (Srftliuge,  welche 
bic  SBcrfafferin  uns  barbietet.  Sie  be- 
funben  ein  bübfdjeS  ©rjählertalent,  baS 
mit  glüeflicher  ßaune  in'S  Sieben  f)inein= 
greift  unb  uns  Heine  beluftigenbe  (Srcig,* 
niffe  s»m  heften  giebt.  Sttcr  fid)  einen 
für  harmlofcn  £>umor  empfänglichen  Sinn 
bewahrt  hat,  wirb  in  bem  -öüchlcin  feine 
Rechnung  finben.  2Bir  bürfeu  bcr  ipeitereu 
fdjriftfteüerifcfjen  (Sntwicfelung  ber  SBcr* 
fafferin  mit  ben  heften  (Erwartungen  ent= 
gegeufcheu.  fr. 

^cihnad)tf)t.  Silber  aus  ber  2Bcltge= 
fdiichtc  beS  GhriftenthumS.  SBon  3  u  1 1  u  S 
2Rar.  Bresben,  15. 5ßicrfonS  iöcrlag. 

Sechzehn  Silber  in  poetifdjer  ftorm, 
bic  auf  biftorifd)em  Untergrunb  baS  jfteft 
bcr  ftreube  feiern.  3)er  dichter  beginnt 
mit  bcr  erftcu  Scihnadjt,  ber  (ÄJcburt 
ßbrifti,  unb  gelangt  fo  .netter  bis  gur 
äBeihuadjtSfcier  bcS  ^oftenS  am  gort  pon 
^ariS  unb  St.  (Sloub.  ^eift  »ohlge- 
lungene,  thetlS  gereimte,  theitS  reimlofc 
Diditungen  Pereinigen  ftd)  hier  gu  einem 
harmonifchen  ©anäen,  unb  faft  jebeS  Öilb 
jeugt  oon  bcr  nidjt  gu  unterfdjäöcnben  iöc- 
gabung  bcS  2>id)terS.  ps. 

VrabeStett  unb  «ro toten.  (Einfälle 
in  9?erS  unb  v4*rofa.  ^on  ^-  ^acf. 
i.'eipjig,  31.  W.  ÖicbeSfinb 
i)a«  gut  attSgeftattete  )9üd)lein  enthält 
eine  Sammlung  oon  Sprüaxn  unb  6pi* 
grammen,  in  bciteu  auf  (iJrunb  rcidjer 
Lebenserfahrung  fd)arfe.  treffenbe,  oft  rcdjt 
witjige  (Siebanfen  in  prägnanter  >vorm  aus= 
gefprochen  iperbeu.  2üic  hübfd)  finb  g.  50. 
bie  s43rofaiprüd)e:  „ 2) aS  stecht  braudjt  nur 
Schöner;  bann  faun  es  aud)  ber  Schüler 
eittbehrcif  (3.  10);  ober  S.  3*2:  „©che 
nicht  als  Karr  jur  ©he,  aber  au.f)  nicht 
als  ÜBeifer;  am  heften  ift,  bu  r)aft  baju 
Pon  biefem  unb  Pon  iettem  juft  fo  oiel  mie 
nöthig  ift";  ot>er  3.  r>5:  Strebe  für'S 
l'cben,  bodi  lebe  nid)t  für'S  Streben!" 
9udj  üerfdjtcbene  ^crÄformen  finb  toirffam 
Pcrmenbet;  mir  erlauben  uns  einige  iBeU 
fpielc  äu  citirett. 

3.  42:  „ßäf  3)id)  oor  ben  Sijtaiieu, 
^ie  fd)iclen,  eh'  fte  fehatten!" 

S.  85: 

.Mai  fchtoaöt  ihr  ba  Pon  Sein  unb  Sdjein? 
5)em  iölinben  üt  Demant  nur  Stein!" 

^ferner  baS  auf  manche  SScrfammlungen 
nur  alljti  gut  paffeube  Diftichon  S.  118 


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454    Zlovb  u 

„Sdjlicfelicfi  mürbe  befdiloffen,  33efd)lu|j  gn  i 

faffen,  bcfd  liefeenb: 
Safe  gur  3eit  ein  »cfd)lu&  nod)  gu  br- 

fd)Iiefeeu  nicht  fei"; 
unb  gum  <öd)liife  nod)  —  obtoobl  mir 
hoffen,  bafe  er  auf  feine  Slbtbeilung 
u  nfer er  3eitfd)rift  antrifft  —  ben  »Stunft« 
toäcbteiruf  auf  3.  110:  „3Herft  eud)  ihr 
$err'n  unb  laßt  cucbfagen:  £ie  ,$edmif'  ! 
Jjat  bie  ftunft  erfd)lagen !" 

25 en  {jumortftifcr^fattrtfcrjcn  folgt  in  j 
ber  legten  2lbtf)etlung  nod)  eine  2tngaI)I  | 
ernft  clegifd)  gehaltener  fleiner  ©ebicbte, 
auf.  bie  mir  empfängliche  Sefer  unb  £cfcrin= 
neu  bcfonberS  aufmertfam  madjen.  0. 

litt*  3<$.   Sieber  unb  ©ebiditc  oon 
artin  Sangen,  fföln  unb  Seipgig, 
»erlag  bon  211  ber t  91  bn. 

flccf,  munter  unb  frifd)  quellen  bicfe 
Sieber  aus  bem  ftitUborne  bidjterifdjer 
^bantafie  bcrtor.   (Sic  fmb  formoollcnbet 
unb  abgerunbct,  bie  Jüerfe  ftnb  glatt  unb  , 
fliefienb,  ber  3ubalt  mecbfelnb  unb  leben*»  \ 
Doli.   So  fein  pointirt  audi  manage  ber 
©ebicbte  fmb,  fo  laffen  aubere  bod)  lieber 
bic  inhaltliche  Slusreifung  unb  .\flarljeit  I 
Dermiffen.   (Sine  l)ie  unb  ba  überrafdjenbe 
Anleihe  bei  £eine  Dcrgeibcn  mir  gern,  | 
enthält  boct)  oaS  iüücblein  fo  Diel  beS 
Originellen  unb  Schönen,   freilich  hätte 
ber  Snbalt  mehr  concentrirt  toerben  follen: 
eine  febärfere  Sichtung  toäre  Don  Sortbeil 
getoefen.    $ie  gefchmacfoolle  SluSftattuug 
macht  baS  Söüerjtein  gu  einem  ©efebenre  red)t 
geeignet.  bs. 

Carotine  $ertfte*i  gel»  Glattbiit«. 

£argeftelit  üou  2Jc.  ©.  W.  »raubt. 
Vierte  Auflage.  lUit  Portrait  unb 
ftaefimile  unb  einem  WeihuacbtSbilbc. 
©otha,  fr  «.  Gerthes. 

2>aS  SebenSbilb  ber  ©attin  beS  be=  ! 
rühmten  ftamburaer  23ud)bänbterS  unb 
Patrioten  Jynebricn  Gerthes,  ber  Xochter  | 
oon  Matthias  (SlaubiuS,  erfdjeint  foeben  in 
oierter  Auflage,  oon  Beuern  burd)  mandjc 
3ufäBe  bereictiert.  Caroline  Gerthes  mar  j 
eine  jjrau  Ooll  tief  rcligiöfer  ©efinnung, 
Doli  Opfermut!)  unb  Xbatfraft;  ihr  Scbcn 
Dcrbicntoon  oeutfdien  Stauen  unbSJtännern, 
mir  mödjteu  fagen,  mit  xHnbadit  ftubirt 
31t  werben.  Ter  Verleger  hatte  fchou 
ber  britten  Stuflagc  ihr  iMlöntfe  beige« 
geben  unb  hat  jetft  nod)  einen  —  toenn 
roir  nirfjt  irren,  früher  fdion  im  „Daheim" 
erfdiienenen  —  $olgfdmitt  hinzugefügt, 
Wcldjcr  Die  Emilie  uon  i'iattrjiaS  (SlaubiuS 
unb  ibre  frrcunbe  (Stlopftorf,  bic  beiben 


ib  f  üb.   

©rafeu  Stolberg,  ben  jungen  Gerthe*)  am 
25.  $ecbr.  1796  in  WanbSbecf  unter  bem 
Weihnachtsbaume  Pereinigt  barftellt.  E. 

me  ift  bic  erbe  fo  irfjöu!  mm 

beut}d)er  ftunft  unb  Dichtung,  München, 
3?  r  a  n  g  $  a  n  f  ft  a  e  n  g  l  ÄunftDerlag  &  ©. 

£a8  söueh  wirb  feinem  3tt*de,  eine 
3ierbe  beS  SalontifcbeS  gu  bilben,  tm 
bollften  ÜJcafje  geredit.  (SS  bietet  eine 
ftattliche  3ieihc  Dortrefflicfj  in  Sßhotograüüre 
ausgeführter  Wachbilbungen  Don  Werfen 
mobemer  beutfeber  2flaler  wie  $cfrcgger, 
©abriel  3Har,  K.  D.  Sobenhaufen  u. 
2US  Icxt  ift  eine  Angabt  mehr  ober  weniger 
befannter  Itjrifchcr  ©ebidjte  beigegeben,  Don 
benen  immer  baS  Diertc  in  innerem  l^c* 
äuge  gu  einem  Jöilbe  ficht.  n. 

Unnftberi^te  über  bett  «erlag  brr 
^oroarabhJfdKn  ©efcUf^aft  in 
«erlitt.  Jahrgang  II.  Kummer  1. 
35ic  erftc  Stummer  beS  neuen  3abr= 
gangS  ift  Submig  ÄnauS  als  Scftgabc  ju 
feinem    femgigften   ©eburtStag  grtDcibt 
6ie  giebt  einen  lUbrife  beS  (SurtDufclungS* 
gangeS  beS  3JieiftcrS   unb  eine  fnoDoe 
?lnalt)fc  einer  Slngabl  feiner  Dorgüglidjften 
äöerlc   (Sinige  f leine  9tod)b Übungen  in 
^oläfchnitt  Hub  bem  Xejt  eingefügt,  fr. 

Snttf an-e  *}örtrrbu*  Don  3Korig 
^enne.  (Srftcr  ^albbanb.  x>l  —  (Sbe 
Seipgig.  Verlag  Don  S.  Birgel  1S89. 

tiefer  anfang(41  Sogen,  G:«36palten 
ftarf)  läßt  uns  erfeunen,  bafe  ber  Heraus- 
geber ber  Aufgabe,  bie  er  ftcb  gefteat  bat, 
geroadhfen  ift:  mit  feinem  äöerfc  ben  ©e- 
bilbetcn  büubige  SluSfunft  über  ben  SBort; 
fchaö  unferer  <3prad)c  gu  erthetlcn,  über 
^erfunft,  Söenoanbtfchaft,  Urbebeutung 
u.  f.  m.,  mit  forgfältig  auSgeroählten  be- 
legen aus  ben  Werfen  unferer  betten 
<3d)rifrfteHcr.  ÜütrtDcrben  Don  bem  meiteren 
(Srfcbeinen  beS  WerfcS,  baS  mir  mit  ?lup 
mcrffamfcitDerfolgeniocrbcn,unfercnScferu 
Äcnntuiß  geben.  P.  L. 

Kmert(attifd)e  9ebta)te  ber  92ett|ett. 

3-rci  in'S  Xcutfche  übertragen  Don  6a rl 
.Sfnorö.   Seipgig,  (Sb.  Wart  ig. 

Sowohl  bic  Auswahl  ber  ©ebiditc, 
als  auch  ihre  Ucbertragung  geugt  Dielfacb 
üon  einem  bebauerlicbcu  Langel  an  (St* 
fehmaef.  Was  bie  erftc  betrifft,  fo  febeinen 
3ufall  unb  WiUfür  einen  großen  Slntbcil 
an  ihr  gu  haben;  toährenb  einerfeits  Diele 
niditsfagenben  unb  triDialcu  $robucre 
einer  Uebcrfetjung  gemürbigt  merben,  finb 
eingclnc  2>id)tcr  uon  herDorTageubcr  oixv 


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I 


tfibiiograpbtfcbe  riottjen. 


435 


bod)  eigenartiger  ^Begabung  (toie  3.  2?. 
$oc,  2i^ittier)  gar  nidit  bertretcn.  £er 
ücfcr  fann  alfo  hier  toeber  ein  at;nät)erHb 
DoUftänbigc»  «od)  ein  ridjtigeä  25ilb  üon 
ber  amerifanifdicn  £orif  erhalten.  Sie 
Ueberfefeung  leibet  an  aafjlreic&en  gärten, 
unflaren  unb  gefdimadlo«  fomifdien  2i!en« 
bungen  (©.  82:  „fraudit"  für  friedjt  — 
»et  bäajte  ba  nid)t  an  flutfdife!)  unb 
ftörenben  StngliciSmen  toic  .meinen-  für 
„bebeuten"  <5.  56:  ^afabetoin  meint 


Cengi. :  mean  s !)  junger" ;  „il'auguf  meint 
lob!:  „laufden  ju  <S.  „laufdit 
in  9iu&  nun  meinen  äLJunbennärdien  su" 
■x  engL  to  listen  to.  ( !)  u.  f.  to.  $afe 
ftd)  audi  mandicS  ftorn  in  ber  Spreu  finbet, 
f ott  nidjt  in  2lbrebe  gefallt  toerbeu;  aber 
im  (Sangen  fann  man  bie  flüchtige,  ber 
®rünblid)feit  unb  ©ctoiffen^aftigfeit  eut- 
beörcnbe  Slrbeit  niebt  als  eine  23ereid)erung 
unferer  UeberfeßungSliteratur  besjcidinen. 

0.  W . 


Eingegangene  llücher.    Be>prechung  u 
Alfr.  Graf.    Im  Königsforst.  Roman. 
Stuttgart,  Deutsche  Verhiks-An-tJt. 

C.  de.    Un-ore  Freunde.  N";icli  il.  3.  Auf- 
lage a.  d.  Italien,    von  R.  Touscher  Mit 
IJlustr.    Jena,  H  Coati  noble, 
tndresen,  I.  H.,    Was  willst  Du  werden,  mein 
S"hn,  meine  Tochter?    Ausführlicher  Rath- 
geber.  Oranienburg.  E.   Frevhoffs,  Verlag. 
Anzengruber,  L.,    Der  Fleck  aur der  Ehr'.  Volks- 
stück.   Dresden,  E.  Pierson, 
nürnberger,  L.,   Der  w  unde  Punkt.  Berlin,  Roson- 

baum  Sc  Hart. 
Baraogewltseh,  K.   S.  .  Die   Sklavin.  Roman. 

Dresden  nud  Leipzig  II.  Minden. 
Becker,  A  ,   Der  Küster  v  n  Horst.    Roman  aus 
d.  Heideland.    2  Blinde.   Jetn.  11  L'ostenoble, 
Blum,  H  ,    Menschenrechte.    Krzä.hluug  a.  d.  Zeit 
der  ersten  fram"«.  Revolution.    8  Bde.  Jena, 
H.  Costenoblo. 
Böcker-Wetzlar,  W.,    Der  Wellensittich,  seine 
Zucht  und  Pflege.    Ilmenau  u.  Leipzig,  Aug. 
Schröters  Verlag 
Bodenstedt,  Fr.,   Sakuntnla.  Dichtung  in  ~>  Ge- 
sängen.   Leipzig,  A.  Titz«. 
Bornhak,  F.,    Dio  Fürstinnen  auf  dem  Throne 
der  Hohenzollem  in  Brandenburg- Pnussen. 
Mit  17  Bildnissen.  Berlin,  M.  Schont. 
Brand,  Ken»,   Aur  nach  Afrika.    Lustspiel  in 

fünf  Acten     Bonn,  Hermann  Bohrend. 
Braach,  M      f  hilosojhie  und  Politik.  Studien 
über  Ford.  Lassalle  und  Johann  Jai  ohy.  taipzig, 
Willi.  Friedrich. 
Brentano,  Fritz,  Wuz,  d.  s  Schwein,  lllustrirt 
Von  E.  Kuerss.  Beilin.  Verlag  von  S  bischer. 
Brlnekineler,  Ed.,   Der  Zimmer-,  Fenster-  u. 
Brdkojjgarten  in  allen  Jahreszeiten.    Mit  «u> 
Abb.  llmenMu  u.  I-eip/ig,  A.  Schröter, 
Bürger,  F.,    Emile  Zola.   Alphonse  bandet  und 
andere  Naturalisten   Frankreichs.  Dresden, 
E.  Pietson. 

(  hampaancr-Ocist.  Lieder  und  Lustspiele  fran- 
zösischer Meister.  L  eher  tragen  von  Sigmar 
Mehxiug.    Berlin,  S.  Mehring. 

Bandet,  A.,  Numa  Roumestnu.  2  Hilnde.  Autor. 
Uobere.  a.  d.  Fränkischen.  (Engelhoru'a 
allgem  Roman  -  Bibliothek.  V,  25.  2».) 
Stuttgart,  J.  Eugelhoru. 

Dieffenhneh,  ü.  Chr.,  D.s  Goldene  Märchenbuch. 
Eine  Auswahl  der  scl.ünston  MiUehen,  Sagen 
und  Schwanke.  31it  l<>0  Bildern  vun  Carl 
Gehrt».   Bremen,  M  Heinsrus. 

Einsam,  C  ,    U'elt'.i«  der.   Berlin,  F.  Foutano. 

Enoch,  W.,  Der  Begriff  der  Wahrnehmung.  Ham- 
burg, II.  Carly. 

Earbstnith,  N".  v,  Wo'fsburg.  Erzählung.  Jena, 
II  Costenoblo. 

Forstner,  C,  Konig  Ilübich.  Ein  Har/inarchen 
QueJIinburg,  Chr.  Fr.  Vieweg. 

Frapan,  I.,  Viecher-KnnueruiiL'on.  Aeusserungeu 
und  Worto.  Ein  Beil  rag  zur  Biographie  Fr. 
Th.  Vischors.  Stuttgart,  G.  I.  Göschen. 


ch  Auswahl  der  Bedaction  vorbehalten. 

Frles-Schwcnzen,  11.,   Durch  die  Br.uidung  an  s 

L<«nd!    Roman.    Berlin,   F.  Fontaue. 
Goethe-»  Faust.    Erster  and  zweiter  Theü.  Stntt- 

jj.irt.  Karl  Kntbbo. 
Grosse,  J.,    Das  Volkramslied.    Ein  Sang  aus 

ui.aeron   Tagen.     Dresden  -  Striesen,  Paul 

Heinze. 

Griinwald-XcrLonltz,  S  ,  Die  Mod»-  in  der  Frauen- 

kiciduiur.   Wies,  G.  Szelinski. 
Giunpcrt,  Thekla  von,   I^ebensbilder.   In  einem 

alten   Schreibtisch  gefunden.    Gotha,   F.  A. 

Perthes. 

Halbe,  Max.  Ein  Emporkömmling.  Sociales 
Trauerspiel.    N'onleu,  II  Fischer  Nach  f. 

Halden,  E,  Reseda.  Eine  Erzählung  für 
junge  atadeheti.    Erlaugeru  Palm  &  Erike 

Hainerllna,  R  ,  Der  Konig  von  Sion.  Ejdsche 
Dichtung  lllusrr.  von  A.  v->n  Ro,>-,s]«r  und 
Herrn  Dietrichs.  Lieferung  1.  Hamburg, 
Ver  ags;mstalt  (v<»rm.  I  F.  Richter.) 

Hartmaun,  E.  v.,  Das  Grnndpioblera  der  Er- 
kenntni-stheorie.   I-ei|izig.  Wilh.  Friedrich. 

Helberg,  II ,  Schulter  an  Schulter.  Kornau.  8  Bde 
Leijaig,  Wüh.  Friedlich. 

Heine,  H.,  Buch  d-.-r  Lieder.  Zweite  Aull.  Min,- 
Ausvr.  in  Liebhi«bereinband.  Stuttgart,  K. 
Krable. 

Heln/e.  P.   u.  Rudolf  «oette,   (ieschichte  der 

deutschen  Literatur  von  Goethe  s  Todo  bis 

zur  Gegenwart.    Mit    Einleitung    üb.  d. 

deutsch«  Literatur  von  Ih00-i8.t«.    Mit  10 

Bildnissen.     1  »resdon  -  Strioson,   P.  Heiozo. 
Herzog,  A  ,  Mernt  k.  Schauspiel.  —  Die  gnadige 

Frau.  Lustspiel.  Dresden,  E.  l*ierson. 
Hevse,  P..    Liebeszauber.  »Jrieiitjdische  Di'-Iitung. 

lllustr.  von  Fr.  Eirchbnch.    Ifduchen,  Franz 

HanMnetigoI  Kunstverlag  A.  tl. 
Hirsch,  Frau/,   Vagantensang  und  Schwerter- 

khujg.  Lieder  aus  deutscher  Vorzeit.  Leip- 

zig,  Carl  Rejssner. 
Holten,  Dr.  Ulrich  von,   IXis  Hutten-Sickharee* 

Denkmal  und  die  Familio  von  Hultou.  Eine 

Familiengeschichte  eigener  Art.  Frankfurt 

a.  M.,  Dni'-k  ron  M-'iit/  Schauenburg, 
lllustrlrle  Oe^-htchtc  Beulschlsnda  Lieferang 

54—59.    Stuttgurt,  Siidd.  Verlags-InstituL 
Jueendpost,    muxikalische.    Vierter  Jahrgang. 

III.  Quartü  1899.  Stuttgart,  G  Grüninger. 
Kaiser,  I'..    Uustav  Adolf.  Ein  dramut.  Festspiel 

f.  d.  Volksbühno.    Gotha,  G.  Schlossmann. 
Kennan,  (i.,   Sibirien.  Dout-ch  von  E.  Kirchner 

Beilin.  SioL'fr.  Gronbach. 
KlrchholT,  A  ,  Iündorkunde  von  Europa.  Lieft.-. 

70.  7t.   Prag  u.  W  ien,  F.  Xempsk}  u.  Leipzig, 

(i.  Frey  tag. 

Kühler,  IL.   Der  Herr  ist  mein  Hirte.  Lieder. 

ttotha,  Fr.  A.  Perthes, 
hohut,  Dr.  Adolf.    Fiirst  Bismark  al>  Humorist. 

Lustige  Geschichten    aus    dem   I^ben  und 

>rhiffen    des:    Reichskanzlers .  DiLsseM'if 

Felix  Bügel. 


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456 


Horb  unb  Süb. 


Kosrhat,  Th  .    Erinnerungs-Bilder.  Gesammelte 

Feuilletons.    Klatrenfart,  F.  v.  Kleinmayr. 
Kretzer,  iL,    Die  Borgprediirt.    R  »man  a.  d. 

Gegenwart.    8  Bande.    Dresden,  E.  Pierson. 
Krön,  L.,   Fantasie  über  „O  Sanetissima".  Für 

\  toline  und  Pianoforto.  I^eipziif,  E.  Euionbtirg. 
Krön,  L.,    Fant  sie  über  „Stiile  Nacht,  heilige 

Nacht**.  F*ür  Violine  und  Pianoforte.  Leipzig, 

E.  Eulenbar;. 
Kruse,  II  ,   AraMla  Stuart.   Trauerspiel  iji  fiiiir 

Aufzügen,   ljoijtziir.  S.  Hirzol. 

Kulturgeschichtliche*  Bilderbuch  aus  drei  Jahr- 
hunderten.   Heraustrieben  von  Georg  Hirth 
Lieferung  61.   München,  G.  Hirth 's  Verlag. 

Lesimple,  A..   Peter  Cornelins,  df»r  Schüpfer  des 
„Barbier  von  Bagdad".   Dresden,  E  Pierson. 

Menhard,  Fr.,    Die  ».risse  Frau.   Dresden ,  E. 
Pierson. 

Mentzel,  E.,    Fe'd«ps»th.    Drei  Erzählungen  aus 

He^n.    I^ipzig.  A.  O.  Liebeskind. 
.Munrhencr    bunte    Mappe,  uriginalb<mriigo 

von  Künstlern  und  Schriftstellern.  Neue  Ausg. 

München,  Verlagsanstalt  f.  Kunst  u.  Wissen- 

^natt,  vorm.  Fr.  Hni<~kmnnn 
Muff,  Uir.,    Idealismus.  Halle  a,  S  ,  B.  Mühlmann. 
Musik-Zeitung,  neue.    Zehnter  Jahrgan/.  III. 

Quartal.    18*9.    Stuttgart,  C  Griininger. 
Xeutnnnn,  G,   Unsere  Vogolwolt  im  Kampfe  um 

d;«s   Dasein-     Ilmenau    u.   Leidig,  Aug. 

Schrütor'a  Verlag. 
>ordmunn,  I.,   Gedichte.    Wien,  A.  lKJder. 
>j«rl,  Alexander,  Der  Portraitraalor  Johann 

Kupot/ky.   Sein  I»beu   und  seiue  Werke. 

Mit  zwei  Portrai ts     Wien,    Pest,  Leipzig. 

A.  Ilnrt)i  l.en's  Vorlag. 
Oernelhacuscr ,   Wilhelm,    Soziale  T  ausfragen. 

Berlin,  Julius  Springer. 
Glinds,  A.,    Ein  >no  deriierOatilina.  Roman.  3  Bde. 

ManinVitn,  F.  Nemnirh. 
Ott,    Arnold,     Agnes   Bornauer.  Historisches 

Volk*schauspiel  mit  Musik   in   fünf  Arten. 

Stuttgart.  Vorhtg  von  Ad  -!f  Bon*  k  Comp. 
Pache,  L,    Woihnachrs-Album.    22  der  belioti- 

te*ton  Wei hnachtsl jeder  mit  Piauoforte- Be- 
gleitung.   Loipjig.  E.  Eulenhurc. 
Pasquc,  L.,  Mary  und  Marietta.  Novelle.  Dresden, 

E.  i'ieison. 

Perfall,  Karl  vm,    Die  fromme  Witt  wo.  Roman. 

Düsseldorf,  Felis  BaiM 

Priiturius,  Ernst,  Haideblumen.  Lyrischo  Erst- 
ling». Oottinireu,  Dietendi  sein  L'uiver- 
sit?t«-BurhhiindlttO| 

Prödas.  R,  Das  deutaehe  Volksthoater.  Eine 
Frajfe  der  Zeit.    D res  Ion,  F.  Oehltn.inn. 

Rauscher,  K.,    Die  weisse  Rose  Kligenfurt, 

F.  v.  Kluinmavr. 

Reuter,  G.,   Episode  Hopkins,    Zu  spat.  Zwei 

Studien.   Dresden.  E.  Pierson. 
Kinbart,  K.,   (Katharina  Zitelmann.)  Im  Kampr 

um  die  Ceborzeugung.    :i  Theile.  Dresden, 

E.  Pierson 

Boeder,  E,  Märzveilehen.  Neu«  Ho  lichte.  Zweite 
venu.  Aull     Dre-d-n,  E.  Pierson. 

r,   I*.  K  ,    M  irtui  der  Mann.    Eine  Er 
Zühlnng.    Wien,   PtM,   Leipzig.    A.  Hart- 
lebens Verlag 

.'o  Inn.  Herrn. inn,  Dxs  arme  Russland.  Ein 
Beitrag  zur  Kenntnis«  der  wirthschaftlichen 
Lurw  des  russisch»!)  Reiches.  Leipzig,  Carl 
Keissner. 

Sachs,  Hugo,  Li  •!  und  Wort.  Dresden  und 
Leipzig,   E.  Piors  'ii's  Verlag. 


Srhifkora,  F-,  Rufer  im  Streite,  Runnn  —  Kn.tr 
bilderausdemOsten.  Zweite  Auflag«.  Dree*  : 

H.  Minden. 

Schmidi,   M.,    Die  Aquarell  -  Malerei.    6.  Ali 

1        ■■■  Th.  Grieben. 
Sehdnth»»,  P.  von.  Welt-  u.  Kleinstadt  -  i  i - 

schichten.    Dreeden,  E  Pierson. 
Slkinc,  F.,    Albertus  Magnus  und  Gorh<ud  -- 

Riehl.    Erzählung  a.  d.  XIII.  Jahrh.  Kar', 

ruhe,  G.  Braun. 
Spyri,  Johanna,   Geschichten  für  Jung  und  AJ< 

im  Volk.    10  Hefte  in   1   Pack-t  G>»thv 

Fr.  A.  Perthes. 
Stern,  A-,    Das  Leben  Mirabeaus,     2  Rinde 

Berlin.  S.  Grunbach. 
Slettciili'  Im,  Julius,    Brodlote  Künste.  Blick* 

hinter  die  Couüsseii  der  Gesell schtfts-Kom. «ii. 

Berlin,  S.  Fischer. 
Ktfllrried,  F.,    Ut  Sh«s  nn  Kathen.    Erzlhlu  .j 

in  niednrueutscher  Mundart.    I-eipzig.  A.  •» 

Lioboskind. 

Tausend   und   eine  \aeht,    Hlu«tr.  Ausgat>e. 

Lieferung  26—  :M)     Stuttgart,  Rieger. 
Thclnert-Mlrkler,  Ernst.    Die  Sehauspiolkun-:. 

ein    Enpitd    drr  Seelenkunde-  München 

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