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THE SLOSS COLLECTION OF THE SEMITIC LIBRARY
OF THE UNIVERSITY OF CALIFORNIA.
GIFT OF
LOUIS SLOSS.
Feeruanv, 1897.
Accession No. _ .- Class No.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA.
THE SLOSS COLLECTION OF THE SEMITIC LIBRARY
OF THE UNIVERSITY OF CALIFORNIA.
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LOUIS SLOSS.
FesruarY, 1897.
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Mofes Alendelsfohn.
Sein Reben und Wirken.
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M. Kayferling.
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Mit authentiſchen Jlluftrationen und einem Facſimile.
— Een
Zweite vermehrte und neubearbeitete Auflage.
Leipzig:
Hermann Mendelsfohn.
1888.
Das Necht der Ueberſetzung ift vorbehalten.
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Vorwort.
Die Biographie Moſes Miendelsjohns, welche in ihrer
erjten Auflage die freundlichjte Aufnahme und eine weite Ber:
breitung fand, erjcheint jet nach einem viertel Jahrhunderte
auf Anregung vieler Verehrer des jüdischen Sokrates, insbe—
jondere meines gejchägten Freundes, des Herrn Dr. Adolf
Sellinet in Wien, in neuer, erweiterter und, wie ich hoffe, ver-
bejjerter Gejtalt. Die Liebe und Bewunderung für den edlen
Mann, der jorwol im der Gejchichte des deutjchen Geiſteslebens
als auch in der Eulturgejchichte der Juden eimen jo hervor-
ragenden Pla einnimmt, hat mich über alle anderen litera—
rischen Arbeiten von Zeit zu Zeit zu ihm und jeinen Schriften,
jowie zu den Perjönlichkeiten, mit denen er in Beziehung ſtand,
zurücgeführt. Es bedarf daher faum der Berficherung, daß
das in den lebten fünfundzwanzig Jahren zugänglich gewor—
dene Material in dieſer neuen Bearbeitung jorgfältig von mir
benugt worden tft. Die im Anhange der eriten Auflage ge:
jammelten und theilweiſe zum erſten male veröffentlichten Briefe
Mendelsjohns wieder abzudruden, hielt ich für überflüflig; wo
diejelben im dieſem Buche angeführt werden, habe ich auf die
erite Auflage verwieſen.
VI Vorwort.
Mein Streben war in dieſer Auflage darauf gerichtet,
das Buch durch eine möglichjt populäre Darjtellung recht
vielen zugänglich zu machen und muß ich es dankbar aner-
fennen, daß die gejchägte Verlagshandlung alles gethan hat,
ihm eine gejchmacvolle Ausstattung zu verleihen. Das Porträt
Mendelsſohns ijt nach dem beiten Stupferjtiche eines jeiner
Zeitgenoſſen photographirt und das jeimer Frau die genaue
Nachbildung eines Meintaturbildes, des einzigen dag von ihr
exiſtirt. Hierzu kommen noch ein bisher ungedrudter fachtmi-
lirter Brief und die Abbildung des Geburtshaufes und Ge-
burtszimmers Moſes Mendelsjohns.
So jet denn dieſes Buch allen denen gewidmet, welche
an dem reichen denkwürdigen Leben und Wirken diejes unjterb-
lichen Mannes fich erheben und an jeinen Schriften fich bilden
und erquiden. Möge er der aufjtrebenden Jugend ein leuch-
tendes Vorbild und ein Sporn jein, Wifjenjchaft und Religio—
jität harmonisch in fich zu vereinen.
Budapeft, den 13. März 1887.
Dr. Kayjerling.
Inhalt,
Erstes Buch. Jugend.
Seite
. Kapitel. Das Baterhaus . — 1
⸗ Der Talmudjünger.... 7
Doctor Gumvert . > 2 2 2 2 414
zweites Buch, Der junge Philosoph,
5. Kapitel. Leffing .
8. ⸗ Rouſſeau. Sendſchreiben an Leſſing... . . 45-
Drittes Buch, Heue Studien und Versuche,
9. Kapitel. Ricolei. > 20 er er ı ı 2 en
10. E Das gelehrte Kaffeehaus und Mendelsfohns mathe:
Viertes Buch, Ber Aeftbetiker,
12. Kapitel. Die Briefe über die Empfindungen .
15. : Mendelsjohns übrige äfthetifche Abhandlungen. . 87
Sünftes Buch, Die Beriode der beginnenden Beife,
16. Kapitel. Der Bu N a ee
19, ⸗ Mendelsſohn und Friedrich der Großße... 4110
20. — DIR 6646141611
VIII Inhalt.
Sechstes Buch. Bbädon,
Entſtehung des Phädon » » > 2 2 1 136
22. Kapitel.
24. ⸗ Mendelsſohn über den Selbſtmord4146
Beweis für die Unſterblichkeit 151
Siebentes Buch. Seitgenossen.
27. Kapitel. Mendelsſohn und Hamann. 163
28. ⸗ Mendelsſohn und Herder 168
29. ⸗ Mendelsſohn und Gleim, Zucht, | Knebel Fer
Weihe, Schiller und Goethe . : 171
Mendelsiohn und Wieland . . u u
31. e Mendelsiohn und die fchweizeriichen S riftiteller 178
Actes Buch, Tuvuterx.
32. Kapitel. Erſte Befanntihaft und Belehrungsverfuhb . . 183
33. ⸗ Mendelsſohns Erwiderun ... ee I
35. ⸗ Kölbele und Conſorten. 2200
36. ⸗ Die Bertbeidiaer - : on 22909
Aeuntes Buch, Auszeichnungen,
37T. Kapitel. Mendelsjohn und der Erbprinz von Braunſchweig 216
38. Mendelsiohn und Leifin
39. ⸗ Mendelsſohn und die Alabemie ae A
Rehntes Buch, Sieben Zuhejuhre.
40. Kapitel. Mendelsiohns Krankheit
41. : Pyrmont. Mendelsjohn und Graf Wilhelm von
42. Mendelsfohn in Baruth — — Er 246
43. ⸗ nn un i ae a an
Inhalt. IX
Elftes Buch, Mendelssohn als Vertreter seiner
Glaubensgenossen,
47. Kapitel. Die politifche Lage der Juden _.
48 =: Mendelsſohns Berwenden für die Set in —
Schweiz, in Sachſen und in Königsberg.271
49, >: Die Beerdigungsfrage. Jakob Emden . . . . 277
VD. ⸗— Die Ritualgejege der Juden und der Yudeneid . 282
Zwölftes Buch, Die Bibelüibersetzung,
51. Kapitel. Anla und weck
58. Das Deffauer Vhilanthropin und die Berliner
Srelanle = 5 5 641
Breizebntes Bud, Lessing,
59. Kapitel. Nathan der Weije
Charakteriſtik Leifingd .
Bierzebntes Buch, Staat und Beligion,
64. Kapitel. Emaneivation - : > m nn 82370
65. : Borrede zur „Rettung » 2 2 2 4375
; Staat und Kiche > > 2 nn nn nn. 382
72. ⸗ Mendelsſohns Stellung im Judenthum. MT
18. s Mendelsſohns Schüler, Jünger und — 425
Aufklärung und wärmerei .» : 2 2 00.0. 434 —
X Inhalt.
Fünkzehntes Bud, Jucobi.
75. Kapitel. Eliſe Reimarus und Sacobi -. : >: 2 2 22.439
\ : Theodice . : ... ————
83. Mendelsſohns oüilofophifte Stanppunt 470
84. Mendelsjohn und Kant .. 480
Serhzebntes Buch, Mendelssohns letzter Kampf und Tod,
85. Kapitel. Mendelsfohn und Spinoga . » » 2 22... 487
86. s Die turlänbife en veunbinnen TIER ER
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Ingend.
Erjtes Kapitel.
Das Baterhans.
Dejjau, die Heine Hauptitadt des Fürſtenthums Anhalt,
ftrahlt in der Reihe derjenigen Plätze Deutichlands, welche auf
die Eultur der Juden und auf die Umgeftaltung ihrer politifchen,
focialen und religiöfen Verhältniffe feit der Mitte des vorigen
Jahrhunderts einen wefentlichen Einfluß übten. Einzig und
allein den Männern, welche aus ihm hervorgegangen, den von
ihnen gegebenen Anregungen und erftrebten Bielen verdankt
Deffau feine Berühmtheit; es zählt nicht zu den jüdifchen Ge—
meinden, deren Alter ji) in graue Vorzeit verliert, denn erjt
feit wenigen Jahrzehnten hatten ſich Juden hier angefiedelt, ?)
al3 derjenige geboren wurde, dejjen Name eine jo weitreichende
Bedeutung für die Juden und ihre Gefchichte erlangt Hat.
Noch iſt in der engen Aſkaniſchen Straße zu Defjau das
unfcheinbare Häuschen vorhanden und jet durch eine Gedenk-
tafel bezeichnet, in deſſen Hinterftübchen „Mofes Deſſau“, wie
die Alten ihn nannten, am 6. September 1729 (12. Elul 5489)
!) Im Jahre 1672 fanden die erften Juden in Deffau Aufnahme;
1685 wohnten dort 26 jüdifhe Familien. Würdig, Chronik der Stadt
Defjau (Defiau 1875), ©. 331.
Kayferling, Mojes Mendelsfohn. 1
— —
das Licht der Welt erblickte.) Wahrli ein geſegnetes Jahr,
das mit drei freien Geiftern, Leffing, Reimarus und Moſes
Mendelsfohn, Deutichland befchenkte, drei Männer, welche, geiftig
veriwandt, zu gemeinfamer Thätigkeit fi) die Hände reichten.
Ueber das Jugendleben unferes Mofes find ung nur dürftige
Nachrichten aufbewahrt worden. Ihm ſelbſt ſchienen feine Lebens—
umftände jo bedeutungslos, daß er auch nicht das mindefte
davon aufgezeichnet hat,)) und niemand hielt e8 der Mühe
werth, die kleine unanfehnliche Pflanze zu berüdjichtigen und
bis zur Zeit ihrer Blüthe zu beachten; niemand kümmerte fi)
um die Entwidelung diefes Kindes, das mit vielen andern darin
gleiches Schickſal theilte, armer aber ehrlicher Leute Kind zu fein.
Die bedeutenditen Männer aller Zeiten find ja jelten aus den
hauptftädtiichen Kreifen Hochgefteigerter Culture oder aus den
reihen Familien hervorgegangen; fie entiproffen meijtens der
anfpruchslofen Unmittelbarfeit des bürgerlichen Lebens.
Bon Moſes Mutter — fie wird, wo e3 fih um Einfluß
auf das Kind Handelt, billig zuerjt genannt — iſt faum mehr
al3 der Name auf uns gefommen. Wir denken ung Sara, fo
hieß die Glückliche, als eine jener tief und edel empfindenden,
') Gegen alle Biographen und troß der eigenen Angabe Mojes
Mendelsjohns (Gef. Schriften [Leipzig 1843—1845] V, 526) ftellte
F. Lebreht in dem nad feinem Tode von Dr. A. Berliner heraus:
gegebenen Schrifthen: Zum 150. Geburtstage Moſes Mendelsſohns
(Berlin 1878), irregeleitet durch einen Schreibfehler auf dem alten Grab:
fteine Mendelsſohns, die Behauptung auf, daß M. nicht den 6. September
1729, fondern, entſprechend dem 12. Elul 5488, den 17. Auguft 1728 ge-
boren ſei. M. ſ. auch Allg. Zeitung d. Judenthums, 1878, ©. 566, 650.
2) Schr. V, 526. In den 25 Jahren jeit dem erften Erjcheinen
diefer Biographie ift über Mendelsjohns Leben in Vorträgen und
Heineren Schriften viel im Drud erſchienen. Bon befonderm Werthe
ift die — aud von und mehrfach berüdfichtigte — Arbeit von Dr.
Jakob Auerbah, Leifing und Mendelsfohn (Erfter Abjchnitt) (Frank—
furt a. M. 1867), und deſſen: Mofes Mendelsjohn und das Judenthum,
in Geigerd Zeitjchrift für die Gefhichte der Juden in Deutjchland
(Braunfchweig 1886) Bd. 1, Heft 1.
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ſtill thätigen und ſtill duldenden jüdiſchen Frauen, denen man
nicht ſelten in den jüdiſchen Familien jener Zeit begegnet, und
könnte überhaupt von einem höhern Einfluß, welchen ſie auf
den Knaben übte, die Rede ſein, wie ihn z. B. Schiller und
Göthe, Herder und Kant der Mutter verdankten, ſo dürfte die
zarte und faſt weibliche Weichheit ſeines Gemüths, die ſcheue
Keuſchheit ſeines Empfindens als Erbtheil mütterlicher Tugend
betrachtet werden. Sie ſah den Liebling ihres Herzens nicht zum
Manne reifen, indem ſie ihm früh entriſſen wurde; wenigſtens
geſchieht der Mutter von dem Sohne nirgends Erwähnung.
Moſes Vater, Mendel, war ein armer Mann, einer der
ärmſten in der Gemeinde, der ſpärlich von dem lebte, was er
ſich als Elementarlehrer und Geſetzesrollenſchreiber (Sopher)
verdiente. Schon vermöge ſeines Berufes, ſeiner mühſamen
und ſchlecht lohnenden Beſchäftigung ſtand er auf einer höhern
Stufe der Bildung als die große Maſſe ſeiner Glaubens—
genoſſen. Er erfreute ſich allgemeiner Achtung; dazu trug nicht
wenig der Name der Familie bei, der er angehörte. Er ſtammte
nämlich von R. Moſes Iſſerles, einem berühmten Rabbiner
aus der zweiten Hälfte des ſechzehnten Jahrhunderts, welcher
neben umfaſſender talmudiſcher Gelehrſamkeit ſich eingehend mit
Philoſophie beſchäftigt, ſogar ein philoſophiſches Werk verfaßt
und ſo viel Sinn für Geſchichte hatte, daß er zu der jüdiſchen
Chronik des ſpaniſchen Aſtrologen Zacuto Zuſätze gemacht hat.
Die Abſtammung von einer ſolchen gefeierten Autorität erfüllte die
ganze Familie, zu welcher auch der Gründer der erſten hebräiſchen
Druckerei in Deſſau, Moſes, Sohn des Sincha, zählte, mit
einem gewiſſen Ahnenſtolze; ſowohl des letztern Sohn, der
Buchdruckereibeſitzer Elia in Deſſau, als Mendels Sohn rühmen
ſich ihres Stammvaters.)
) Elia, Sohn des „angeſehenen und freigebigen“ Moſes Deſſau,
aus deſſen Offiein u. a. der Commentar zum Jeruſal. Talmud des
Deſſauer Rabbiners David Fränkel hervorgegangen iſt, nennt ſich Enkel
des R. Moſes Iſſerles; ebenſo weiſt Moſes Mendelsſohn in einem
1*
——
Mendels ganzes Streben war dahin gerichtet, ſeinen Moſes,
der ſchon früh beſondere Geiſtesanlagen zeigte, zu einem des
großen Ahnen würdigen Manne zu erziehen. Im zarteſten
Alter hielt er ihn zum Lernen an. Kaum fünf Jahre alt hatte
ſich der Knabe unter der Anleitung des Vaters die nöthigen
Vorkenntniſſe im Hebräiſchen, beſonders im Verſtändniſſe des
Pentateuchs angeeignet. Auch mit den Regeln der hebräiſchen
Grammatik machte er ſich früh vertraut und ſchon als zehn—
jähriger Knabe verfertigte er hebräiſche Gedichte, welche er aber
in reiferen Jahren wieder vernichtete. Dem Studium der Bibel
lag er von früher Jugend und zwar mit ſolchem Fleiße ob,
daß, wie einer ſeiner Jugendfreunde und Studiengenoſſen er—
zählte, er ſie ſpäter Wort für Wort auswendig wußte.!)
Sobald Mendel einfah, daß Moſes feinem Unterrichte ent-
wachſen war, übergab er ihn der höheren Lehranftalt, wie das
Bet-Hamidrafch füglich genannt werden kann, wo anfangs ein
R. Hirſch, des frühern Deſſauer Rabbinats-Aſſeſſors Sohn, fein
Lehrer war; noch in fpäteren Jahren konnte er die Frömmig—
feit, den Fleiß und Haren Verſtand feines Schülerd nicht genug
rühmen.?) Es ijt ein rührendes Bild, wie der zärtliche Vater
fein ſchwächliches Kind in der Falten Winteräzeit ſchon vor
Tagesanbruh in einen alten abgejchabten Mantel gehüllt in
das Lehrhaus trug, um ihm den Unterricht im Talmud ange-
deihen zu laſſen, den ein in feinem Fache berühmter Gelehrter
dort ertheilte.
Es war ein Glück für Mofes und entjcheidend für ‚feine
ganze Geijtesrichtung, der Schüler eines Mannes zu werden,
(1. Aufl. ©. 492 abgedrudten) Schreiben, in dem er 1770 den ihm ver:
wandten damaligen Rabbiner der Gemeinde Neuwied feinem Freunde
Elkan Herz in Leipzig empfahl, darauf Hin, daß er der Familie des
R. Mofes Iſſerles angehöre.
) %. Eudel, Biographie Mendelsſohns (hebräiſch), S. 20.
2) 1. Aufl. ©. 490; Auerbach, Gejhichte der a Gemeinde
Halberftadt (Halberftadt 1866), S. 189.
— 5 —
der in jener Zeit, in welcher jedes profane Wiſſen bei den Juden
verpönt war, außer dem Talmud und den Caſuiſten viel geleſen,
auch eine genauere Kenntniß der bedeutenderen hebräiſchen
Werke aus der ſpaniſch-arabiſchen Epoche ſich angeeignet hatte.
Dieſer Lehrer war R. David Hirſchel Fränkel, der damalige
Dberrabbiner der Deffauer Gemeinde. Ex beichäftigte feinen
fernbegierigen, frühreifen Schüler nicht blos mit dem Talmud
und der Bibel, fondern machte ihn auch mit den Commentatoren
derjelben befannt und Ienfte feinen jugendlichen, aber im Denken
geübten Geiſt auf das religionsphilofophifhe Wert „More
Nebuchim“ des Spanier Maimuni, das in fcharffinniger Weife
die jüdiſche Lehre mit der arijtotelifchen Philofophie verföhnt.
Der „Führer der Verirrten“, der fo viele jüdiſche Denker geijtig
frei gemacht hat, wedte auch in Mofes „jenen philofophiichen
Trieb und jenen ſcharf unterfcheidenden logiſchen Sinn, der ihn
in feinen metaphyſiſchen und äfthetifchen Unterſuchungen jo aus—
gezeichnet Hat. Er forfchte darin fo begierig, daß er in eine
ichwere Krankheit verfiel und dauernden Schaden an feinem
Körper litt. „Diefem Maimuni,“ ſagte er oft fcherzend, „habe
ich es zuaufchreiben, daß ich einen fo verwachfenen Körper be-
fommen; er allein ift die Urfache davon; aber deswegen liebe
ich ihn doch, denn der Mann hat mir mandje trübe Stunde
meine Lebens verfüßt, und fo auf der einen Seite mid) zehn-
fach für das entjchädigt, um was er mich in Betracht meines
Körpers gebracht Hat.“
Mittlerweile hatte Mofes das dreizehnte Jahr und fomit
das Alter erreicht, in welchem damals und in manchen Gegen-
den noch jet, die jüdischen Knaben, befonders die unbemittelter
Eltern, dem Unterrichte entzogen und angehalten werden, fich
ihren Unterhalt jelbjt zu erfchwingen. Die Wahl eines Berufes
verſetzte Moſes ebenjowol wie die Eltern in nicht geringe
Berlegenheit. Konnte der ſchwächliche Knabe wie die meijten
feiner Alters- und Glaubensgenoſſen mit dem fchwerbeladenen
Pak auf dem Rüden von Dorf zu Dorf und von Haus zu
— —
Haus ziehen und handeln? Der fromme ehrliebende Mendel
mochte wol zuweilen den ſchönen Traum gehegt haben, ſeinen
mit trefflichen Anlagen ausgeſtatteten Sohn weiter „lernen“ zu
laſſen, um in ihm einſt einen Rabbiner, die höchſte Stufe, welche
der Jude in jener Zeit erreichen konnte, zu erblicken; aber die
Kränklichkeit des Kindes und die eigene Armuth machte ihm die
ſüße Hoffnung bald zunichte. Wie hätte ſich die zärtliche
Mutter auch von ihrem Lieblinge auf mehrere Jahre trennen
können? Und doch war ohne Trennung vom elterlichen Hauſe
ein ferneres „Lernen“ nicht möglich, denn der würdige Lehrer,
R. David Fränkel, weilte nicht mehr in Deſſau.
Das heiße Verlangen nach weiterer Ausbildung ſiegte über
alle Schwierigkeiten. Was hatte er auch zu fürchten? An
Mangel und Entbehrung war er von Kindheit an gewöhnt, und
auch er mag wie ſein ſpäterer Freund Leſſing gedacht haben,
daß es ſich „luſtiger und erbaulicher in der großen Stadt als
in der kleinen muß hungern laſſen.“
Die lange widerſtrebenden Eltern gaben den dringenden
Bitten ihres Sohnes nach; mit ſchwerem Herzen willigten ſie
endlich ein. Sein feſter Wille beſchwichtigte den Schmerz, mit
dem er von den geliebten Eltern, von feiner einzigen Schweſter!)
und einem jüngern Bruder jchied.
Mit einem einzigen Dufaten in der Tafche, den ihm ein
junges Mädchen im Namen ihrer Eltern geſchenkt hatte,2) trat
er den Weg nad) Berlin an.
!) Die Schwefter, deren Name nicht genannt ift, ftarb unver:
heirathet 1770 in Deflau.
2) %. 4. 2. Richter, Moſes Mendelsjohn ald Menſch, Gelehrter
und Beförderer echter Humanität (Deffau 1829), ©. 11.
Zweites Kapitel.
Der Talmudjünger.
Es war im October 1743, im dritten Negierungsjahre des
großen Friedrich, ald an dem Rofenthaler Thore, dem einzigen, das
damals fremde Juden pafjiren durften, der vierzehnjährige ſchwäch—
liche Mofes um Einlaß in die preußifche Hauptjtadt bat. ALS
der jüdilche Thorjchreiber, der al3 legitimer Beamte der jüdischen
Gemeinde die Eontrole über diefe Einwanderer führte, ihn nach
dem Zwecke feines Aufenthaltes in Berlin fragte, antwortete er:
„Lernen!“ Als aber der ernite Beamte auch über feine Sub-
fiftenzmittel Auskunft haben wollte, fah ihn der Schwache Knabe
ſcheu und verlegen an und wußte nicht? zu erwidern, als:
„Rabbi David Fränkel.“
Sp trat Mofes in Berlin ein, ohne Geld, ohne Em-
pfehlungen, ohne den Muth, ih Fremden zu nähern, ohne
Freunde und Bekannte, bis auf den einzigen Rabbi Fränkel,
feinen Lehrer, dem fein Commentar über den Serufalemifchen
Talmud großen Ruhm und auch wenige Monate!) vor Mofeg’
Ankunft die Berufung als Oberrabbiner der damals über drei-
hundert Mitglieder zählenden Berliner Gemeinde verfchafft hatte.
Groß war die Anhänglichfeit und Liebe des Knaben zu diefem
würdigen Manne. Schon vor defjen Abreife aus Deſſau foll
er ihn gebeten haben, ihn mitzunehmen, was jener nur deshalb
abgelehnt, weil Mofes Eränflih war und der mütterlichen Pflege
bedurfte. Am Tage der Abreife felbjt aber erivartete er den
Lehrer am Wege und wiederholte feine Bitten jo kläglich und
eindringli, daß diefer endlich zufagen mußte, ihn fpäter unter
1) Fränfel fiedelte im August 1743 nad) Berlin über, |. Landshuth,
Toldoth ansche schem (Berlin 1884, I, 38); im Dctober, nah Schluß
der Fefttage, folgte ihm Mendelsjohn, was mit deſſen Angabe (Schr.
V, 526) übereinftimmt. Fränkels Commentar „Korban Haedah‘‘ er-
wähnt Mendelsfohn im 122. Literaturbriefe (IV, 2, 136).
OR es
feine Talmudjünger aufzunehmen.?) Ob diefe Erzählung auf
Wahrheit beruht, müfjen wir dahingejtellt fein laſſen; genug,
Fränfel nahm ſich ſeines Schüler mit aller Liebe an. Bei
einem frommen Manne, dem in der Probitgaffe mwohnenden
Heimann Bamberger, der ein Gönner und Förderer der ftreb-
famen Jugend war, verichaffte er ihm freie Wohnung in einem
Dachſtübchen und einige Freitifche; er jelbit z0g ihn an Sabbat-
und Feittagen an feinen Tifch, und da Moſes eine Schöne Hand-
fchrift, das einzige Erbe feines Waters, hatte,?) fo übertrug er
ihm das Abſchreiben feines von ihm zum Drud vorbereiteten
hebräifchen Werfes, wofür er ihm wöchentlich einige Grofchen
bezahlte. ne
Das waren die Mittel einer Fümmerlichen Eriftenz, welche
ſich Mofes in den erjten Jahren feines Berliner Aufenthaltes
darboten. Reichten fie auch häufig nicht einmal aus, die
mäßigjten Forderungen des Hungers zu befriedigen, fo fonnte
er ſich doch nicht entichließen, die Mildthätigfeit anderer in
Anspruch zu nehmen. Das Bewußtfein feiner Mittellofigkeit
drücte ihn nieder und fchüchterte ihn fo ein, daß er es fogar
nicht über fich gewinnen fonnte, jemand feine Noth zu entdeden.
Mit welchem Rechte, fagte er fich oft felbft, dürfte ich den
Menfchen zur Laft fallen? Wie fo viele Sünglinge meines
Alter müßte auch ich mich ernähren; find doc die Leute wegen
meines Hanges nad) geijtiger Ausbildung nicht verpflichtet, mid)
zu unterftügen! Und fo legte er fich manche Nacht nieder, ohne
feinen Hunger geftillt zu haben. Auf dem Brote, das ihm zur
) Göckingk, Friedrih Nicolais Leben und. literarifher Nach-
laß, 146.
2) Ein Autograph Moſes Mendelsfohns in ſchöner jüdischer Current
jhrift, gejchrieben vor feinem vollendeten breizehnten Jahre, den
21. Auguft 1742, befindet fih auf dem Einfchlagblatte eines der Prager
ifrael. Gemeinde-Bibliothef angehörenden Eremplars der Rechtsgutachten
des Iſaak ben Scheſchet. S. Dr. N. Grün, ein Autograph M. M's., im
Jüd. Literaturblatt, 4. Jahrg., ©. 6.
———
Mahlzeit diente, bezeichnete er durch ſorgſam abgemeſſene Striche
den Theil, den er an dem einen Tage eſſen durfte, um den
andern Tag nicht gänzlich darben zu müſſen.
Dieſe Noth, welche eine ſolche Höhe erreicht hatte, daß
es ihm zuweilen ſogar an reiner Wäſche mangelte, und er ſich
den Leuten aus Scham nicht zeigen wollte, beugte keineswegs
den Muth ſeiner Seele nieder; ſie verlieh ihm vielmehr neue
Schwingen, Höheres zu wollen und zu erreichen. Er widmete
ſich nicht nur mit ungeſchwächtem Eifer dem Studium des
Talmud, ſondern fing auch alsbald an, ſich im geheimen die
noch ſtreng verpönte Kenntniß des Deutſch-Leſens anzueignen.
Berlin war damals noch nicht das Berlin von heute, aber
es ſteuerte ſchon in jener Zeit, namentlich ſeit dem Regierungs—
antritte Friedrich I., darauf Hin, fi zur Metropole der
Intelligenz zu erheben, und in der That galt es nächjt Leipzig
für eine der gebildetiten Städte Deutſchlands. Wie aber überall,
wo neue Ideen in Schwung fommen, Juden kraft ihrer leichtern
Erregbarfeit gern mit thätig find, fo zeigte ſich unter einzelnen
Bermögenden der preußifchen Hauptjtadt ſchon damals ein ge—
heimes Streben nad) deutfcher Bildung und wurde in ihrer Seele
der Keim eines neuen frifchen Lebens gewedt. Sie fingen an,
feife zu ahnen, daß die frühere Erziehungsweije fie in zu tiefer
Unwifjenheit gelaffen habe, daß deutiche Bildung das erite
Erforderniß fei, um die Schranken zu durchbrechen, welche fie
in Abdgeichloffenheit von ihren chriftlichen Mitbürgern hielten.
Die wenigen beſſer Gebildeten unter feinen Glaubensgenoſſen
nahm ſich Moſes zum Mufter und Borbild. Wie aber fonnte
der arme Talmudjünger zu dem ihm unzugänglichen Wifjfensborn
gelangen ? Durfte er ja faum feinen Wunſch laut werden laſſen,
fih auch nur das Verſtändniß der deutfchen Sprache anzueignen.
Deutfches Wiffen und Keberei war den damaligen Juden gleich-
bedeutend. Die polnischen Rabbiner, die jedem Schritte zur
Eultur und Bildung hemmend in den Weg traten, predigten gegen
die Neuerer, wie man diejenigen nannte, welche ftatt des üblichen
— —
Kauderwelſchs die deutſche Sprache zu ihrer Umgangsſprache
machen und ſich eines reinen deutſchen Ausdrucks bedienen
wolten Mit gleicher Strenge verfuhren die von gleichem Geiſte
beieelten Gemeinde-Aelteiten beionders gegen die Fremden, welde
in polizeiliher Hinfiht ganz unter ihrer Botmäßigkeit jtanden.
Wehe dem, der ſich mit einem deutih gedrudten Buche ertappen
lieg! Sp erzählte der Großvater der Familie Bleihröder in
Berlin: „Ich fam im Jahre 1746 als armer vierzehnjähriger
Knabe nah Berlin und fand Moſes Mendelsiohn in der jü-
diichen Lehranitalt. Dieier gewann mich lieb, unterrichtete mid)
im Leſen und Schreiben und tbeilte oft mit mir jein kümmer⸗
fies Brot. Aus Dankbarkeit zeigte ich mich ihm durch Fleine
Dienitleiitungen erfenntlih, und jo ſchickte er mich unter andern
irgend wohin, um ein deutiches Buch zu holen Mit dieſem
Bude in der Hand begegnete mir ein jüdiicher Armenvoriteher,
der mich mit den Worten anfuhr: „Was baft du da? Wol
gar ein deutihes Buch!“ Sogleich riß er es mir aus der Hand
und ichleppte mid zum Vogt, dem er den Befehl ertheilte, mid)
aus der Stadt zu weiien. Mendelsiohn, welcher Kenntniß von
meinem Scidiale erhielt, gab fih alle Mühe, meine Rüdfehr zu
bewirfen, allein vergeblihd. Er ſchaffte mir ipäter ein Unter:
fommen in der damaligen Talmudichule in Halberftadt, und id)
verdanfe ihm mein zeitiged Wohl“ !)
Zroß dieſes Damoflesichwertes, das drobender als ſelbſt der
Mangel über feinem Haupte hing, verfolgte Moſes die einmal
betretene Laufbahn der deutichen, oder, beſſer gejagt, der nicht-
jübiihen Wiſſenſchaft mit immer glühenderem Eifer und immer
fihtbarerem Erfolge. Das Wort des römischen Dichters:
„Schwer nur ringt fih empor das Talent,
Dem ſchon in der Jugend Elend jperret den Weg!”
fand in vollem Maße auch auf ihn Anwendung. Und er rang
fih tapfer empor! Er ſcheute feine Mühe, Feine Anjtrengung;
') Er. 1, 9.
u A
noch in fpäter Nacht beim matten Lampenfchimmer las er die
deutfchen Bücher, die er fich heimlich zu verichaffen fuchte; was
er an deutſchen Drudichriften nur immer auftreiben konnte,
wurde in unerfättlicher Gier von ihm verfchlungen. Es läßt
fi denken, daß er in feiner Lectüre gerade nicht fehr
wähleriih war. Bei einem feiner Glaubensgenofjen fand er
Reinbecks „Betrachtungen über die Augsburgiiche Confeſſion;“
es war vielleicht eins der erjten deutjchen Bücher, das er über-
haupt gelefen hat.?) Mit unaufhaltfamer Gewalt zog ihn der
philofophiihe Theil der Betrachtungen an: er handelte von den
Beweifen für das Dafein Gottes, demfelben Thema, über
welches er noch gegen Ende feines Lebens ſich vernehmen Tieß.
Die Kenntniß der deutichen Sprache, fo wie eine deutjche
Handichrift, die uns felbjt Heute noch als ſchön erſcheint, hatte
fih Moſes angeeignet. Er fand nun auch alsbald Gelegenheit,
feinem Wiſſensdurſte neue Befriedigung zu verichaffen.
Zufällig machte er die Befanntichaft eines gelehrten Rabbiners
aus Galizien, der wegen feiner Liebe zu den Profanwiſſenſchaften
dem Neide und der Verfolgung ſich ausgefegt jah und deshalb
feine Heimat verlaffen mußte. Diefer Mann, Iſrael Moſes Levi,
auch Iſrael Samosz genannt, ein philofophifcher Denker und
guter Mathematiker, der auch poetifche Begabung Hatte, lebte
feit 1742 in Berlin, treu der Wiſſenſchaft ergeben, unter Leiden
und Entbehrungen, bis der reiche und wohlthätige Daniel Fig
fich feiner annahm und ihm Aſyl bot. In dem Itzigſchen Haufe
in der Burgftraße zu Berlin, an dejjen Stelle der geniale Hitzig,
ein Enfel Daniel Itzigs, die prachtvolle Börſe baute, jchrieb
Samos; feinen Commentar zum „Kufari“?) und empfing ex
häufig die Beſuche Mofes’, der fich ihm näher anfchloß und
1) Schr. V, 206.
2) Diefen Commentar zum Kuſari, „Ozar Nechmad,‘ welder 1796
zum erften male in Wien gedrudt wurde, fchrieb Mendelsjohn theil:
weife eigenhändig ab; ein Fragment diejer Abjchrift (5. Abſchnitt)
befindet fih im Befige des Hrn. Dr. A. Berliner in Berlin.
von ihm den erſten Unterricht in der Mathematik erhielt. Unter
feiner Anleitung jtudirte er den Euflid aus einer hebräifchen
Ueberfegung, und wir werden fpäter jehen, zu welcher Boll
fommenheit er es auf diefem Gebiete durch ununterbrochenen
Fleiß und Eifer gebracht Hat.
Der Umgang mit diefem interefjanten Gelehrten!) blieb
auf die geiftige Entwidelung des jungen Mofes nicht ohne
wejentlichen Einfluß. Mit den Werfen der jüdifchen Religions—
philofophie innig vertraut, erging fi) Sfrael Samosz mit ihm
in metaphyſiſchen Speculationen, welche bald ein Band der Ver—
traulichkeit zwifchen Lehrer und Schüler bildeten.
Die liebgewonnene Beichäftigung mit der Mathematik
und Den züdiichen Philofophen des Meittelalter8 machte den
Wunfh in ihm rege, aud) die claſſiſchen Sprachen zu treiben.
Wollte er bei dem Studium der mittelalterlihen Philoſophie
nicht jtehen bleiben, jo mußte er nothwendig Lateinisch jtudiren;
wer die neuere Philoſophie fennen Lernen und auf den Namen
eines Gelehrten Anspruch machen wollte, durfte der Tateinifchen
Sprache nicht unkundig fein. Nun war es dem befcheidenen,
anfpruchglofen Zünglinge allerdings nicht darum zu thun, den
hochtönenden Namen „Gelehrter“ zu führen; wol aber hegte
er den jehnlichiten Wunfch, die Sprache der Römer kennen zu
lernen, um durch fie feinen Gefichtskreis in den Wifjenfchaften
zu erweitern,
Mangel an Geld, fich die nothiwendigften Bücher zu kaufen
und fi) einen Lehrer zu Halten, gab ihm anfangs wenig
Hoffnung, feinen neuen Studienplan in Ausführung bringen zu
!) Meber Israel Samosz ſ. Schr. V, 204 f., Landshuth, Die Gegen-
wart (Berlin 1867), 325. In dem ehemals jo berühmten Parfe Daniel
Itzigs — Köpnikerftraße Nr. 168 — fand man 1865 unter andern
Kunftwerken eine Sonnenuhr auf einer fupfernen Platte mit detaillir-
ten Eintheilungen nad der injchriftlihen Erfindung des Rab. Israel
Moſes vom Jahre 1762, Voſſiſche Zeitung, 1865, Nr. 103, 1. Beil. ©. 4.
Er ftarb in Brody den 20. April 1772.
rn.
fönnen. Um fih Bücher anzuschaffen, fing er an zu fparen.
Sobald er einige Grofhen, für Mofes damals ein Capital,
zufammengebradht Hatte, fchlich er heimlich zum Antiquar; er
erftand eine alte lateinifche Grammatik und ein jchlechtes Lerifon.
Auch für einen Lehrer war bald geforgt. Ein junger jüdiſcher
Arzt aus Prag, Doctor Abraham Kifch,t) der fih im Sefuiten-
Collegium feiner Baterjtadt die Kenntniß der alten Sprachen
erworben hatte, machte fich erbötig, ihm bei diefem Studium
behüfflic zu fein. Mofes genoß wirklich ungefähr ein halbes
Sahr täglich eine viertel Stunde Unterricht bei ihm, mehr aber
als diefer förderte ihn fein eiferner Fleiß; in kurzer Zeit konnte
er den kühnen Gedanken wagen, einige Schriften des Eicero,
welche ihm in einem alten Bande zufällig in die Hände fielen,
zu Iefen. Seine Neigung zu philojophiichen Materien mag
jedoh in den Reden des römifchen Confuls feine Befriedigung
gefunden haben; groß war daher feine Freude, al3 er bei einem
Berfäufer alter Bücher eine alte Tateinifche Ueberſetzung von
Lockes „Verſuch über den menfchlihen Verſtand“ erwiſchte.
Dieſes Werk ſuchte er, wie Nicolai aus ſeinen Jugenderinne—
rungen mittheilt, „mit unbeſchreiblicher Mühe zu entziffern; er
ſchlug jedes Wort, das er nicht verſtand, und das waren die
meiſten, im Lexikon nach und ſchrieb es auf, bis ein paar
Perioden beiſammen waren. Alsdann dachte er über den Inhalt
nach. Durch Nachdenken ſuchte er das Verſtändniß zu errathen,
und wenn er es gefunden zu haben glaubte, verglich er es wieder,
ſo weit ſeine Kenntniß der Sprache reichte, mit dem Wortver—
ftande.“?) Wer möchte da nicht mit dem alten Heſiod ausrufen:
„Bor die Thüre der Weisheit ftellten die Götter den Schweik hin.“
ı) Abraham Kifch, der Sohn eines Apotheferd, daher auch Rokeach
genannt, promopvirte 1749 in Halle mit der Differtation „Theoria et
Therapia Phtyseos pulmonalis“ und lebte dann als Arzt in Prag
bis zu feinem, den 6. Juni 1803 erfolgtem Tode (Mittheilung des
Hrn. Dr. N. Grün in Prag).
2) Schr. V, 206; vergl. Göckingk, a. a. O. 147.
nn ME
Für Mojes gab es feine Schwierigkeiten, die er nicht durch
Fleiß und Ausdauer überwunden hätte. So viel Anftrengung
das Erlernen des Lateinischen ihn auch anfangs koſtete, jo kam
er dem Verſtändniß dejjelben doch alsbald nahe und er Eonnte
in furzer Zeit den Ideenreichthum eines Plato und Ariftoteles
aus lateinifchen Ueberfegungen in fich aufnehmen.
Der Autodidaft bleibt nie auf halbem Wege. Sobald
Moſes einſah, daß das Lateinifche die Bafis der neueren
Sprachen fei, faßte er den Entichluß, auch Franzöfifch und
Engliſch zu lernen. Wieder ließ fich ein junger Studiofus
herbei, ihm hierin einige Anleitung zu geben, und dieſer junge
Mann war fein anderer als der Doctor Gumpertz.
Drittes Kapitel.
Doctor Gumpertz.
AS nach dem Dresdener Frieden der junge Preußen-
fönig in den legten Tagen des Jahres 1745 feinen Triumph
zug in feine Hauptjtadt hielt, gaben auch die Juden, wie ge
wöhnli bei folchen Anläffen, in mannichfacher Weile ihre
Freude fund. Sie exleuchteten ihre Synagoge aufs prächtigfte
„von Sinnen und von Außen“ und veranftalteten einen feierlichen
Öottesdienft. Bei diefer Gelegenheit hielt Oberrabbiner Fränkel
die Feftrede und wurde ein von ihm eigens zu dieſer Feier
verfertigtes hebräifches Siegeslied unter Mufifbegleitung vor-
getragen. Die Juden wiünfchten Ddiefes Lied ins Deutſche
überfegen zu laſſen, damit auch ihren chriftlihen Mitbürgern
die Kundgebung ihrer Loyalität zu Gefichte käme, und be-
trauten einen zweiundzwanzigjährigen, „der Philofophie und
a —
mathematifhen Wiſſenſchaft befliffenen‘ jungen Mann mit der
Ueberfegung.?) Diefer junge Mann war der fpätere Doctor
Aron Salomon Gumpers, auch Aron Emmerich genannt, welcher
der Lehrer unſeres Mofes wurde.
Gumpertz, ein Enfel jenes Elia Gumpertz aus Emmerich),
welcher dem großen Kurfürften al3 Lieferant und Agent wefent-
fihe Dienſte leitete, auch zu diplomatischen Unterhandlungen
nah Holland geſchickt wurde, war ſchon in feiner früheften
Jugend von feiner frommen Mutter zum Rabbiner beftimmt
und erhielt demgemäß von dem Rabbiner Iſrael Samosz und
andern Lehrern Unterricht. 2)
Der glaubwürdigite Berichterftatter iiber feine Lebensver—
hältniffe und feinen in jenen. Zeiten nicht ohne Schwierigkeiten
zurücgelegten Bildungsgang ift der junge Gumperg felbft. In
dem Alter von zweiundzwanzig Jahren fchloß ex ſich dem ge-
waltigen Führer der damaligen Gelehrten-Republif, dem Leipziger
Gottſched, an und bat ihn um feine hohe Protection, wie er
denn auch fo lange mit ihm in Correfpondenz blieb, bis fein
Ipäterer Freund Leſſing dieſes „gefürchtete Schulhaupt des ver-
dorbenen Geſchmacks“ mit fchneidender Schärfe und durchtriebenem
Humor angriff und glücklich aus dem Felde fchlug.
„Ich bin,“ Heißt es in der rührenden Supplif?) des
jüdifchen Studenten vom 8. März 1745, „feit zwanzig Jahren
ein Mitglied der menschlichen Geſellſchaft. Den allergrößten
Theil diefer Zeit habe ich auf die Studien gewandt, die bei
meinen Glaubensgenoſſen in Gebrauch eingeführt find. Die
Nebenftunden ungerechnet, die zuweilen zu der franzöfifchen
Sprache, der Rechenkunſt und einer Uebung im Schreiben, wie-
) König, Annalen der Juden in der Mark Brandenburg, 276.
Das Gedicht mit einer erbärmlichen jüdiſch-deutſchen Ueberſetzung, welche
Mendel Wolf Schwab zum Berfaffer hat, wurde ganz unnöthigerweiſe
wieder abgedrudt von 2. Landshuih, Toldoth ansche schem, 41—48.
2) Neber Gumperg ſ. 2. Landshuth, Die Gegenwart, 318 ff.
3) Bei Danzel, Gottfched und feine Zeit, 333 ff.
— 16 —
wohl ohne Jemandes Anführung, ſondern, wie mir es der
natürliche Eifer eingab, herhalten mußten. Wie weit ich es
nun herin getrieben, überlaſſe ich andern jedoch unparteiiſchen
Richtern zu beurtheilen; genug, es kann mir nicht vorgerückt
werden, es hätten meine Lehrmeiſter ihre Mühe unnütz ver—
ſchwendet. Die Neubegierde, welche aber in ſolcher Abſicht vor
eine Tugend erkenne, zündete von meiner zartejten Jugend in
meinem Herzen eine Flamme an, die nur allein durch Erfahrung
neuer Kenntniffe genährt wird. Diefer angeborene Zug zu den
Wiſſenſchaften und freien Künften befam allerft vor drei Jahren
ein Licht und fand den Steg, der zu feinem Endzweck leitet.
Man kann leicht ermefjen, daß ich weder Fleiß noch Mühe
gejparet, jo wenig die anmuthige Sommer- al3 die tieffinnige
Winterzeit verfließen lafjen, ohne im Nachſinnen in der Mathe:
matif und Naturlehre, injfofern es meine Umftände und die den
hebräischen Studien gemwidmete Zeit erlaubte, meinen Durft zu
löſchen und mich zu ergüßen.
Sch habe zu dem Ende und auf Anrathen der Töblichen
Profefjoren Hiefiger Königlichen Akademie der Wiffenfchaften
einige Zeit der lateiniſchen oder Gelehrten Mutterfprache zu-
theilen müffen. Darin auch nächſt göttliche Hülfe! binnen ein
halbes Jahr jo weit gerüct, daß ich der mir nöthigen Schrift-
fteller Sinn begreifen kann.
Sch bin keineswegs fo ruhmredig, dieſes alles mich groß
zu machen erwähnt zu haben. Es fei ferne! Sch wiirde fo
thöricht nicht fein, in Gegenwart eines fcharffichtigen Auges
meine Fehler zu bemänteln. Die Selbitliebe hat ſich auch meiner
noch nicht fo bemeijtert, daß mir bereden follte, den geringften
Rang unter den Mufen einzunehmen. Ach bin vielmehr ver-
gnügt durch meine unermüdeten Bemühungen erfannt zu haben,
wie viel mir noch zu einem Gelehrten mandgle.
Daß aber fein Baum des Verſtandes zeitige Früchte zeuge,
oder mit dem gemeinen Manne zu reden, fein Meijter geboren
werde, ijt eben jo ausgemacht als gewiß ift, daß mit den Jahren
a
auch) die Weisheit zunehme und der Geiſt aufgeklärt werde,
Sch glaube mich alfo Feines Vergehens theilhaft zu machen,
wenn ich Hoffe vollfommener zu werden, al3 ich bin, und mir
indefjen den Charakter Philofoph nach feinem eigentlichen grie-
hifchen Verjtande oder Freund der Weisheit anmaße,
Und dieſes leßtere in Anfehung meines unerfättlichen Ver—
langens von allen Wahrheiten deutliche und vollftändige Be-
griffe zu erlangen, das fchwerlich in größerem Grade bemerkt
werden mag.
Wie fünnte ich aber dieſe meine Haupt und heilfamjte
Abfiht erreichen, wenn ich noch feinen Lehrer al3 richtigen
Wegweiſer gehört? Die finnreichiten Schriften find dennoch an
vielen Orten dunfel und ohne die Erläuterung eines gejchicten
Unterweifers unverftändlih. Jene find erblaßte Worte, diejer
hingegen eine lebendige Schrift, und wenn der leßtere auch zu
Zeiten den erjtern nachzufegen, jo iſt nichtsdejtoweniger das
Licht des Monds bei heiterm Himmel ftärfer als der in Wolfen,
Dunst und Nebel verwidelten Sonnen,
Ew. Wohk-Edel-Geboren durchdringende Einficht wird bei
Erwägung alles bisher Erzählten leichtlich urtheilen können,
wie fehnlich ich gewünscht, bei einem akademischen Lehrer die
füge Milch der Wiſſenſchaften zu ſaugen. Wo kann ich aber
wol mein Anliegen näher juchen, als wenn eben zu Ew. Wohl-
Edel-Geboren mid) in Unterthänigfeit wende? Sie find es, der
den deutfchen Mufen zum theuerjten Beichüger geichaffen. Sie
find es, deſſen unſchätzbares Verdienſt um die Wiſſenſchaften fo
allgemein gepriefen wird. Sie find es, dem wir Deutiche fo
verfchiedene geiftreihe Schriften zu danken Haben. Ja Sie
find endlich derjenige Wunderftern, den die gefammte Gelehrten-
welt mit jo großer Aufmerffamfeit bewundert. Bei einem fo
unvergleichlichen Weltweifen, bei einem jo fürtrefflichen Redner
und mit einem Worte bei einem Oberhaupte der Gelehrſamkeit
muß ich billig Weisheitsichäße holen.
Sch Habe daher unterthänigft anflehen follen, es möchte
Kayſerling, Mojes Mendelsjohn. 2
Br
Ew. Wohl-Edel-Geboren gnädigjt Sich gefallen laſſen, mir zu
erlauben zu Höchſtdenſelben nacher Leipzig mic) zu verfügen,
um unter Dero Schußflügel weiden zu können. Ich will weder
Mühe noch Fleiß anjehen, Ihnen nad) Vermögen gehorfamft
aufzumarten. Ich werde mich glüdjeligit ſchätzen, wenn id)
Ew. Wohl-Edel-Geboren, fo mit meiner Wenigfeit im Schreiben,
Salculiren oder ſonſt dergleichen meiner Dienjtfertigfeit über-
zeugende Proben geben fünne. Ich verlange nichts als Schuß
und Schirm in Dero glüdjeligem Haufe. Ich will alfo unter
nachgefeßter Aufſchrift durch einen deroſelben geringjten Lehr:
fingen oder Bedienten VBerhaltungsbefehl Hierin erwarten und
des Bertrauens eben, in meinem demüthigften Anfuchen Gehör
und Gelegenheit zu finden, mich bis zu meinem Grabe in tiefjter
Erniedrigung und Ehrfurcht zu nennen ꝛc. 2c.“
Gottſched, der den Grundſatz Hatte, man könne der Freunde
nie genug haben, beantwortete den langathmigen, jchwulftigen,
dem Geſchmacke Gotticheds und feiner Zeit entiprechenden Brief
de3 jungen Gumpertz höchjteigenhändig und gab ihm das Ber-
Iprechen, ihn „unter feinen Schutzflügeln meiden zu Tafjen“.
Aus dem Plane wurde allerdings nichts. „Die bald hernach
erfolgte Uneinigfeit zwifchen den Höfen zu Berlin und Dresden,“
heißt es in einem andern Schreiben vom 15. December 1747,1)
„welche endlich in Thätlichkeiten ausgebrochen, zeigen Hinläng-
fihen Grund an, warum ich meines jo jehnlichen Wunfches
ohnerachtet, nicht nach Leipzig gereifet.“ Er blieb in Berlin,
fnüpfte vermöge der Wohlhabenheit feiner Eltern Verbindungen
mit angefehenen dortigen Gelehrten, befonders mit Maupertuis
und dem Marquis d'Argens an; beiden diente er eine Zeit Yang
al3 Secretär. D'Argens, der Verfaſſer der „Jüdiſchen“ und
„Rabbaliftifchen Briefe“, fuchte die talmudifchen und vabbinifchen
Kenntniffe des jungen Studiofus fi zu Nuße zu machen; er
unterhielt fi) täglich mit ihm und befuchte ihn zuweilen in
1) Bei Danzel, a. a. D. 335.
— 25
feinem „eigenen“ Haufe. Das war, wie Gumperb felbjt ver-
fihert, den allerwenigjten Gelehrten in Berlin ebenfowenig
unbefannt als daß er mit der gefeierten Doris, der treuen
Gehülfin Gotticheds, im Briefwechſel ftand.
Gumperg, welcher Mediein jtudirte und im März 1751
mit der, Maupertuis gewidmeten Differtation „Ueber die Tem-
peramente“ in Frankfurt a. DO. den Doctorhut erwarb, wurde der
Lehrer unſeres Moſes. „Durch den Umgang mit dem nad)-
herigen Doctor der Arzneigelartheit, Herren Aron Gumpertz,“
Ichreibt Mendelsfohn einige Jahre nach deſſen ZTode,!) „habe
ih Gefchmaf an den Wiffenfchaften gewonnen, dazu ich auch
von demjelben einige Anleitung erhielt.“ Cr war fich recht
wohl alles deſſen bewußt, was er ihm verdankte. Bon ihm
erhielt er Unterricht im Franzöſiſchen und Englifchen; durch ihn
wurde er mit dem fpätern Akademiker Beaufobre und anderen
befähigten jungen Leuten des Joachimthalſchen Gymnafiums
befannt; durch ihn wurde fein Intereſſe für Leibniz und Wolff,
die Häupter der neuern philojophifchen Schule, gewedt und
feine Befanntfchaft mit Maupertuis, dem Präfidenten der Berliner
Akademie, vermittelt. Kein anderer als Gumpertz war es, der
den jchüchternen Moſes ſpäter auch Leſſing zuführte. 2)
Mofes Hört nie auf, diefem feinen Wohlthäter und Förderer
ein dankbares Andenken zu bewahren. Der frühejte Brief,
welchen wir von ihm befigen, ift an Gumpertz gerichtet. In
diefem Schreiben, auf welches wir noch zurüdfommen, heißt es:
„Wer Sie näher kennt, theuerjter Freund! und Ihre Talente
zu fchägen weiß, dem kann es gewiß an feinem Exempel fehlen,
wie leicht fich glückliche Geifter ohne Vorbild und Erziehung
emporſchwingen, ihre unſchätzbaren Gaben ausarbeiten, Geift
und Herz befjern und fich zu dem Range der größten Männer
erheben können. Ich gebe einem Jeden zu bedenfen, ob Sie,
1) Schr. V, 5%.
2) Schr. V, 205, 07.
2*
a Mi
großmüthiger Freund! nicht die Rolle des Juden im Schaufpiel
(der Jude von Leifing) übernommen hätten, wenn Sie auf Ihrer
gelehrten Reife in feine Umſtände gejegt worden wären. ja
ich würde unfere Nation erniedrigen, wenn ich fortfahren wollte,
einzelne Erempel von edeln Gemüthern anzuführen. Nur das
Ihrige konnte ich nicht übergehen, weil es fo jehr in die Augen
feuchtet und weil ich es allzuoft bewundere.“!)
Doctor Gumper& verheirathete ſich mit einer reichen Jüdin
und lebte al3 Privatmann in Hamburg,?) wo er einen, aud)
von Mendelsfohn rühmend erwähnten kurzen Ueberblid über alle
Theile der Wiſſenſchaften in hebräiiher Sprache veröffentlichte.)
Er hatte die freudige Genugtduung, von feinem Schüler
bald philoſophiſche Schriften zu leſen.
Viertes Kapitel.
Der Hauslehrer.
Eine mehr denn fiebenjährige Leidenszeit hatte Mendels—
fohn, wie er fich ſelbſt nannte und wir ihn fortan nennen
wollen, durchgemacht, als es ihm endlich beichieden wurde, mit
Hoffnungsvollern Bliden in die Zukunft fchauen und einem zwei—
ten Jakob gleich, feine Geliebte, für die er Iebte, ftrebte und
fitt, die Wifjenichaft, mit Innigkeit umfangen zu fönnen.
Sein beicheidenes, anfpruchslofes Weſen, feine mühſam
errungenen Kenntniſſe hatten die Aufmerkſamkeit des Seiden-
fabrifanten Iſaak Bernhard (Bermann Zilg) erregt; er jtellte
) Schr. III, 479.
2) Schweizer Briefe I, 91.
) Maamar ha-Madah, zufammen mit einem Super-Commentar
zu Ibn Esras Commentar zu den fünf Megilloth (Hamburg 1765),
von Mendelsjohn erwähnt in dem Commentar zu Millotd Higajon
(Berlin 1766), Pforte 14, Einleitung.
Mendelsjohn den Antrag, ald Lehrer und Erzieher feiner Kin-
der in fein Haus zu fommen. . Man denke fich), mit welcher
Freude dieſes Anerbieten aufgenommen wurde.
Mit dem Eintritt in das Bernhardihe Haus — e3 war
dies im Fahre 1750 — beginnt in dem Leben des jungen
Mannes eine neue Epoche. Er war mit einem male der
drüdenden Sorge um feine Erijtenz überhoben und fonnte nun
mit größerer Ruhe an feine Studien und feine eigene Fortbil-
dung denfen.
Neben der treuen und erfolgreichen Fürforge für die Er-
ziehung der ihm anvertrauten Zöglinge dachte er in der That
nur an feine wifjenfchaftlichen Studien. Daß er nie auf einer
Univerfität gewejen, nie ein Colleg hat leſen hören, war, wie
er jelbjt Fagt,t) „eine der größten Schwierigkeiten, die er über—
nommen hatte“, indem er alles durch Anjtrengung und eigenen
Fleiß erzwingen mußte und erzwang. Ye mehr fich feine äußer-
lichen Verhältniſſe befjerten, dejto freier bewegten ſich die Schwin-
gen feines Geiftes. Jetzt erſt entfalteten fich feine Anlagen nad)
den verſchiedenſten Seiten, denn „es ift mit der Entwidelung des
Geijtes wie mit dem Frühlinge des Jahres, wenn nur erſt Ein
warmes Lüftchen weht, Eine Duelle riefelt, Eine Knospe ſchwellt,
zudt der Frühling bald auch durch die ganze Natur, und alles,
was keimt, erjprießt zur vollen Blüthe“.
Mendelsfohn Hat mit jedem Autodidakten das jtolze Be-
wußtfein, alles durch fich feldjt geworden zu fein, und infofern
finden treffliche Anwendung auf ihn des Freundes herrliche Worte:
„Ein Geift, den die Natur zum Muftergeift beichloß,
Iſt was er ift, dur fih, wird ohne Regeln groß,
Gr geht, fo Fühn er geht, aud ohne Weifer ficher,
Er ſchöpfet aus ſich ſelbſt. Er ift fih Schul’ und Bücher.‘
Ohne Schule und ohne Lehrer gewann Mendelsjohn in
den vier Jahren, welche er im Bernhardichen Haufe verbrachte,
) Schr. V, 526.
_— 2 —
ein geiftiges Bildungscapital, das zu verarbeiten nur unendlid
Wenige Kraft, Energie und Fähigkeit befeffen haben. Seine
talmudifchen Studien jegte er fort; das Englifche trieb er fehr
eifrig; feine bis dahin nur gering zu nennende Kenntniß des
Lateinischen erweiterte er, ſodaß es ihm bald möglich war, fi
an einer Dde des Horaz, welcher Dichtung und Philofophie in
ſchönen Kränzen verflicht, zu ergötzen.
Um Philoſophie war es Mendelsſohn hauptſächlich zu thun,
er lebte ganz in ſpeculativen Ideen und gab ſich mit Vor—
liebe den philofophifchen Studien Hin. Nicht nach Kenntniffen,
welche er verwerthen wollte, jtrebte er, fondern nach Weisheit,
und er nahm fie auf, wo er fie fand,
Der „Führer der Verirrten“, der „Kuſari“ und die übri-
gen jüdiſchen religionsphilofophifchen Werke haben auf feinen‘
Geift einen unverfennbaren Einfluß geübt; die aus ihnen ge
Ihöpften Ideen bildeten in ihm, wie hundert Jahre früher in
Spinoza, die erſte Bafis einer eigentlich philofophifchen An—
Ihauung. Unwillfürlic) wurde er fo auch auf die Kabbala ge
leitet. Schon als zwanzigjähriger junger Mann war er zu der
Ueberzeugung gelangt, daß die Dunkelheit diejer orientalifchen
Philofopheme theil3 aus den im Driente gewöhnlichen Bildern,
theil3 aber auch aus der Armuth entitanden fei, welche der he
bräifchen Sprade für Ausdrüde philofophifcher Begriffe eigen
ift, daß fie aber, von der Hülle entfleidet, Ideen zu Tage für-
derten, welche mit denen fpäterer Denker viele Aehnlichkeit hätten.!)
Auch auf dem Wege, fich mit der neuern Philofophie ver-
traut zu machen, begegneten wir ihm jchon früher. Sein deutſches
Lefebuch führte ihn ebenfo wol in die Schule des Leibniz-Wolff-
Ihen Dogmatismus ein, wie er durch den alten Duartanten,
aus dem er fein Latein mühfam gelernt hatte, auf die Schar
der engliichen Freigeifter und Deiſten hingewieſen wurde.
Betrachten wir feinen Bildungsgang etwas näher. Mit
ı) Nicolai, Weber meine gelehrte Bildung (Berlin 1799), 43.
— —
Lockes „Verſuch über den menſchlichen Verſtand“ wurde er zu—
erſt bekannt. Wie viele ſeiner Zeitgenoſſen, nahm auch er von
den Engländern ſeinen Ausgangspunkt und folgte ſomit der all—
gemeinen Strömung, welche ſeit dem Ende des ſiebzehnten Jahr—
hunderts alle Veränderungen in der Politik wie in der Literatur
in Bewegung ſetzte. Die ſtaatlichen Umwälzungen, welche auf
der britanniſchen Inſel das Syſtem des Mittelalters zu Grabe
trugen, riefen einen Kampf über die Grundlagen göttlicher und
menſchlicher Ordnung hervor, deſſen Wirkungen ſich auch alsbald
in Frankreich, ganz beſonders aber in Deutſchland zeigten.
Die engliſche Literatur, ſagt Danzel, iſt der Stab geweſen,
an welchem ſich die deutſche den größten Theil des vorigen Jahr—
hunderts hindurch emporgerankt hat, bis ſie endlich im letzten
Viertel deſſelben hinlänglich erſtarkt war, um nicht nur allein
ſtehen, ſondern auch der bisherigen Ernährerin friſche Lebens—
ſäfte mittheilen zu können. Das neue Element, das von Eng—
land her in Deutſchland eindrang, verjüngend und belebend,
war ein Hauch friſcher Seeluft, der durch die ſchwülen Gaſſen
einer dichtbevölkerten Stadt weht, war die Aufforderung, aus
der Verknöcherung der Formen und conventionellen Regeln zu—
rückzukehren zu Natur und Freiheit.)
Locke, lange Zeit der Lieblingsſchriftſteller Mendelsſohns,
fand mit ſeinem Senſualismus gleich beim erſten Auftreten einen
wohlvorbereiten Boden und, einzelner Widerſprüche ungeachtet,
eine überaus günſtige Aufnahme. Die ſyſtematiſchen Denker der
verſchiedenen Nationen gingen von ihm aus oder kehrten zu ihm
zurück; viele, ſelbſt die Bekämpfer ſeiner Lehre, haben von ihm
gelernt. Leibniz, deſſen Syſtem im diametralen Widerſpruch zu
dem des Engländers ſteht, iſt ehrlich genug zu bekennen, daß
er „einem moraliſirenden Lord“ vieles zu danken, ja wichtige
und weſentliche Geſichtspunkte ſeiner Theodicée in deſſen Werken
) Danzel und Guhrauer, Gotthold Ephraim Leſſing. Sein Leben
und feine Werfe. 2. Aufl. (Berlin 1880—81) I, 278. |
Zu.
vorgefunden Habe. Voltaire gab jeinem frivolen Geijte die
Schriften eines Lode, Bope und Newton zur Nahrung. Dide-
rot überjegte Shaftesbury und iſt entzüdt von Richardfon.
Rouſſeau vertiefte fich in ode; fein Emile und Conträt Social
find aus ihm hervorgegangen.
Ein Geift wie Mendelsfohn, der fo ganz auf Lebensan-
Ihauung und unmittelbare Erkenntniß geftellt war, mußte noth-
wendig an dem Lockeſchen Syiteme Gefallen finden; er mußte
jih um fo mehr zu ihm Hingezogen fühlen, als er, treu den
Grundfägen des englifchen onftitutionalismus, der erſte war,
der e3 wagte, unbeſchränkte Freiheit für jeden zu verlangen und
im Namen der Gerechtigkeit jede Ausſchließung von Staatsbür-
gern ihres religiöfen Befenntniffes wegen für ein Schandmal
der menschlichen Gefellihaft zu erklären.!)
Was Mendelsfohn an Lode und die Engländer, welche
fich deſſen Theorie anfchloffen, befonders an Shaftesbury, dejjen
geiftreiche Schriften er ebenfo wie den feiner Meinung nad)
feichten Hutchefon früh ftudirte, jo gewaltig fejjelte, war ficher-
fich nicht die freie religiöfe Richtung, welche fie vertreten, oder
die erbitterte Sfepfis, für die feine gemäßigte Natur nur wenig
geeignet war; wir müſſen vielmehr die Bewunderung, welche ex
mit der ganzen damaligen Generation den Engländern zollte,
auf den eigenthümlichen Geiſt beziehen, welcher fi) bei den
engliihen Philofophen fundgab. Sie hatten ſich als Menschen
gezeigt, welchen das zutheil geworden ift, was Göthe das
Höchſte nennt, was dem Menjchen zutheil werden kann, daß
er ein eigenes Herz im Bufen trage. Mendelsfohn war ein
zu jubtiler Denker, al3 daß er dieſe Seite nicht bald hätte Her-
ausfinden follen, und daß er es fand, gewillermaßen heraus—
fühlte, erfahren wir aus einer Stelle in einem Briefe an Leffing,
ı) Works, II, 259: I would not have so much as a Jew or
Mahometan excluded from the civil rights of the common-wealth
because of his religion. gl. Schlofier, Geſchichte des achtzehnten
Sahrhunderts, I, 384 ff.
ee Sa
welche lautet: „Die Franzofen philofophiren mit dem Wiße, die
Engländer mit der Empfindung.“1) Diefe Gefühls- und Mo—
ralphilofophie mußte notwendig den gewinnen, der felbjt Ge—
fühl und Herz an feinem PBhilofophiren theilnehmen ließ. Nur
Locke, Clarke und Shaftesbury galten Mendelsfohn auch noch
fpäter al3 „wahre Weltweife“!2)
Ueber das Studium der englifchen Bhilofophen wurbe aber
doch die damals fo gefeierte und mächtig anziehende deutfche
Bhilofophie nicht vernachläffigt; es war freilich feine andere als
die Wolffſche. Mendelsfohn befchäftigte fich eingehend mit ihr,
las die deutfchen und lateinischen Duartanten des Meifters, ver-
brachte ganze Nächte bei den Schriften Hanſchs, Bilfinger und
Baumgartens und war auf dem beiten Wege, ein eingefleifchter
Wolffianer zu werden. Diefe Liebe zu dem trodenen Dogma-
tismus und feine Anhänglichfeit an die fogenannte Schulphilo-
fophie, von der er fi) auch in fpätern Jahren nicht ganz los—
zumachen vermochte, hat feinem Namen als Philoſophen nicht
wenig gefchadet. Er ging aber ſchon in feinen erſten Studien-
jahren über Wolff hinaus, ging vielmehr auf Leibniz al3 die
Duelle zurücd, aus welcher diefer ſelbſt gefchöpft hatte, und war
mit deſſen Werfen ebenfo wenig unbekannt geblieben, wie mit
denen des Amfterdamer jüdischen Glasjchleifers Spinoza.
So war Mendelsfohn in den vier Jahren, welche er als
Hauslehrer verlebte, ein philofophifch gebildeter Mann geworden.
Er fing an, fich zu fühlen, wie man zu fagen pflegt. Sm
dem Grade, in welchem feine Bildung und feine Kenntnifje zu-
nahmen, verlor jich feine Schüchternheit, und er erhob fich all-
mählih, wenn auch nie gänzlich, aus dem Drude, den fein
früheres kümmerliches Leben ihm aufgebürdet hatte. Er fuchte
jet auch Gefellfchaften auf, Tieß ſich durch feinen Freund und
Lehrer Gumpertz in gebildete Kreife einführen und bemühte fic
ı) Schr. V, 150.
2) Schr. V, 151.
er I
den Ton der feinern Welt fennen zu lernen. Auch dem Mar-
quis d'Argens und Premontval, Sulzer und Maupertuiß wurde
er vorgeftellt, diefen befannten Philofophen und Berliner Aka—
demifern, mit welchen er fpäter häufigern Umgang pflog; die
Herren fahen ihn gern bei fi, denn der junge Israelit, wie
fie ihn nannten, war ein vortreffliher Kopf, ein angenehmer
Geſellſchafter und, was freilich nicht ſchwer in die Wage fällt,
ein guter Schadjipieler.
Diefem Spiele verdanfte er auch die Befanntichaft des
Mannes, deffen Name nicht ohne Ehrfurcht genannt werden
kann: Leſſings. |
————— —
Bweites Bud).
Der junge Philofoph.
Sünftes Kapitel.
Leſſing.
Auf dem Nikolaikirchhofe in Berlin wohnte im Jahre 1754
in einem hohen, ſchmalen Haufe, jegt Hintergebäude des Haufes
Molkenmarkt 9. 10., auf einer fehr Kleinen Stube zwei Treppen
hoch ein junger Dichter, der mit Mendelsfohn fo ziemlich von
gleihem Alter war, der Sohn eines proteftantifchen Geijtlichen,
ein Zeitungsfchreiber, wie der Akademiker Sulzer ihn weg-
werfend nannte. Diefer Zeitungsfchreiber war fein anderer als
Leffing, welcher ſchon damals bei aller Armuth einen Reich—
thum an Wiffen befaß, mit dem fi) ein Dutzend andere recht
gut Hätten begnügen fünnen. Ex führte während feines Aufent-
haltes in dem Spree-Athen ein jämmerliches Literatenleben und
war, wie noch oft nachher, darauf angewiefen, feine Zeit und
feine Renntniffe zu verwerthen. Seine unermüdliche Thätigfeit
hielt ihn jedoch nicht ab, eine Heine Schar von Freunden und
guten Bekannten um fi) zu jammeln, denn fein ganzes Wefen
war auf lebendigen Verkehr gejtellt und für Iebhafte perfünliche
Mittheilung im höchſten Grade empfänglid. In Leipzig, wo ex
ftudirt hatte, waren es Schaufpieler und Schaufpielerinnen, mit
au I: Zac
denen er verfehrte; in Berlin fchloß er fich jungen Dichtern,
Künftlern, Schaufpielern und, was damals viel heißen wollte,
Auden an. E3 fah oft recht bunt auf feiner Stube au! Da
treffen wir fo manchen, der auch für uns, weil mit Mendels-
fohn Später befreundet, nicht ohne Intereſſe ijt: den „Eleinen
Bauzner” Naumann, Leſſings Stubengenojjen, fo leicht und
flüchtig wie ein Schmetterling, übrigens ein gutmüthiger, heiterer
Menfch, der recht geeignet war, andere wißig zu machen, umd
auch verſprach, „eine Figur in der Welt zu bilden“;!) den
Herrn von Breitenbauch, feines Zeichen? auch ein Literat und
Kunftfreund;?) den Mufifer Kirnberger, der Mendelsfohn ſpäter
Unterricht im Clavierfpiel ertheilte, Müchler, den Doctor Gum—
perb u. a. Der legtere empfahl Leffing, der gern eine Partie
machte, den jchüchternen Moſes als guten Schachipieler, in der
wohlmeinenden Abjicht, ihm in dem Umgange mit einem fo viel-
feitig gebildeten Geijte eine neue Bildungsquelle zu eröffnen.
Leffing Hatte eine zu große Vorliebe für alle diejenigen, welche
das pedantifche Gelehrtentgum von der Gemeinſchaft ausſchloß,
für Schaufpieler, Soldaten und Juden, als daß ihm nicht die
Bekanntfchaft mit diefem jüdischen Altersgenoſſen, der in feinem
vaftlofen Wiſſens- und Forfchungstriebe ſich unter den aller-
größten Entbehrungen der Mathematik, der Philofophie, dem
Lateinischen und den neuern Sprachen gewidmet hatte, von vorn—
herein hätte willfommen fein ſollen. Andererjeit3 fühlte fich
Mendelssohn bald traulih in der Gefellichaft eines deutſchen
Gelehrten, der fo viele Kenntniffe aufgefpeichert hatte und da-
"bei fo frei von allen Vorurtheilen war, daß er es fogar ge-
wagt, die Juden auf dem Theater vor den Augen des von
Haß und Verachtung gegen die jüdiſche Nation erfüllten Volkes
zu rechtfertigen: „die Juden“ find Leſſings Werk.
Diejes Luſtſpiel, das er fchon im Jahre 1749 gejchrieben
1) Schr. V, 14, 4, 30.
2) M. f. das Schreiben Mendelsſohns an ihn vom 19. April 1757,
V, 413.
a
hatte, bezeichnet er ſelbſt als das Ergebniß einer fehr ernit-
haften Betrachtung über die jchimpfliche Unterdrüdung, in welcher
ein Volk jeufzen müſſe, das doch ein Chriſt nicht ohne eine Art
von Ehrfurcht betrachten dürfe. „Aus ihm,” fagt Leſſing, „find
ehedem fo viele Helden und Propheten aufgejtanden, und jeßt
zweifelt man, ob ein ehrlicher Mann unter ihm anzutreffen ſei?“
Leſſing, der auch bei feinen dramatifchen Arbeiten ſittliche
Bwede verfolgte und die Bühne zur Kanzel der Humanität zu
machen jtrebte, wollte in dem Luſtſpiele „Die Juden“, dem
würdigen Vorläufer des „Nathan“, zeigen, wie unlogiſch und
unfittlih e8 fei, von einer ganzen Claſſe von Menfchen, und
namentlich) von den Juden, nur Böſes vorauszufegen, die Ber:
gehen Einzelner oder Weniger jtet3 der Geſammtheit zur Laſt
zu legen, die edeliten Tugenden eines Volkes unbeachtet zu
laſſen, und die Fehler, welche vielleicht durch die Verhältnifje
zu entichuldigen wären, aufs härteſte zu beurtheilen. Sind
denn alle, welche über den Juden den Stab brechen, ganz frei
von Fehlern? „O wie achtungswerth wären die Juden, wenn
fie alle Ihnen glichen!” läßt Lefling den Baron in feinem
Zuftipiele zu dem edelmüthigen Juden jagen. „Und wie liebens-
würdig, d. 5. der Liebe würdig, die Chriften, wenn fie alle Ihre
Eigenschaften befäßen!“ antwortete diefer dem gleichfall® edel-
müthigen Manne. In Ddiefer Jugendarbeit erhob Leffing in
Deutichland zuerjt feine mahnende Stimme fir das Volk, das
damals felbjt in Preußen unter der Regierung des philofophi-
ſchen Königs, felbjt in Berlin, dem Hauptquartier franzöfifcher
Deiften, noch der erjten Menfchenrechte entbehrte, deſſen Ehe
und Vermehrung nicht minder wie fein Broterwerb der jtreng-
jten Beichränfung graufamer Gefege unterlag, Geſetze, welche
jelbft den theuer erfauften „Schuß“ nur auf ein einziges Kind
zu übertragen geftatteten, welche den herabgewürdigten Juden
zwangen, an jedem Stadtthore, das er paffirte, feinen Leib
einer Waare und dem Viehe gleich zu verzollen. In einer
folhen Zeit war e3 ein fühner Gedanke des zwanzigjährigen
= Wi
Jünglings, einen edeldenfenden Juden auf das Theater zu
bringen. Es war mehr ala fühn, die gewichtigen Worte aus-
zufprechen: „Wenn ein Jude betrügt, jo Hat ihn unter neun
malen der Chrift vielleicht fiebenmal dazu genöthigt. Sch
zweifle, ob viele Ehrijten fich rühmen können, mit einem Juden
aufrichtig verfahren zu fein, und fie wundern fi, wenn er
ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten fucht? Sollen Treue
und Redlichkeit unter zwei Bölferfchaften Herrfchen, jo müſſen
beide gleich viel dazu beitragen. Wie aber, wenn e3 bei der
einen ein Neligionspunft, und beinah ein verdienjtliches Werk
wäre, die andere zu verfolgen?“') Der richtige Chrijt wurde
damal3 noch gerade fo an feinem Haſſe gegen die Juden er:
fannt, wie der richtige Proteftant durch feine Polemik gegen die
Katholiken. Scheute fih noch zwanzig Jahre nach Leſſings
Luftipiel ein Schlözer nicht, den Juden eine ganz befondere
Neigung und Anlage zum Straßenraub vorzumwerfen, was
wunder, daß das allgemeine Berdammungsurtheil felbjt bei den
Aufgeflärtejten damals kaum den Glauben an irgend eine Aus-
nahme, an die Möglichkeit zu gejtatten fchien, daß ein Jude
überhaupt ein achtungswerther Menſch fein könne. Bon diefem
Gefichtspunfte aus beurtheilte der Ritter Michaelis, Profeffor
der Theologie in Göttingen, das Stüc, als es im Jahre 1754
im Drude erfhien, in den „Göttinger Gelehrten Anzeigen“, und
die „Jenaer Zeitung“ ftimmte diefer Beurtheilung bei. Michaelis
hielt es, wenn auch nicht für „unmöglich, aber doch allzu un-
wahrjcheinlich“, daß unter einem Volke wie das jüdifche, ein
ſolch edler Charakter ſich bilden könne, wie der Dichter im
Reifenden ihn dargeftellt.
Eine folche Berfennung rief in dem Kleinen Kreife der auf
jtrebenden Juden Entrüftung hervor. Leſſing antwortete dem
Recenfenten in der „Theatralifchen Bibliothef“,2) Yäßt aber dann
„lieber einen andern reden“, dem dieſer Umjtand näher ans
1) „Die Juden,‘ 3. Auftritt.
2) Lejjings Schriften IV, 217 ff.
ie: BE
Herz ging, „einen aus diefer Nation felbjt“. „Ich Fenne ihn
zu wohl,“ fügt er Hinzu, „als daß ich ihm hier das Beugniß
eines eben fo wigigen, als gelehrten und vechtichaffenen Mannes
verfagen könnte. Diefer andere war Mendelsfohn. In Form
eines Briefe an Gumpertz wagte er fich mit einer Bertheidigung
und Ehrenrettung feines Volkes in die Deffentlichkeit.
„— Sit e8 nicht genug, daß wir den bitterften Haß der Ehrijten
auf fo manche graufame Art empfinden müfjen; follen auch diefe
Ungeredtigfeiten wider und durch Verleumdungen gerechtfertigt
werden? Man fahre fort uns zu unterdrüden, man laffe ung
beftändig mitten unter freien und glüdjeligen Bürgern einge-
Ichränft leben, ja man fee uns ferner dem Spotte und der
Verachtung aller Welt aus; nur die Tugend, den einzigen Troft
bedrängter Seelen, die einzige Zuflucht der Berlafjenen, fuche
man und nicht abzufprechen. —
Wie aber, fol e3 unglaublich fein, daß unter einem Bolfe
von folhen Grundfägen und Erziehung, ein fo edles und er-
habenes Gemüth fich gleichfam ſelbſt bilden follte? Welche Be-
Teidigung! So ijt alle unfere Sittlichfeit dahin! So regt fich
in uns fein Trieb mehr für die Tugend! So iſt die Natur
ftiefmütterlich gegen uns geweſen, als fie die edelite Gabe unter
den Menſchen ausgetheilt, die natürliche Liebe zum Guten! Wie
weit biſt Du, gütiger Vater, über folche Grauſamkeit erhaben! —
Ueberhaupt find gewiſſe menfchliche Tugenden den Juden
gemeiner, als den meijten Chriften. Man bedenfe den ge—
waltigen Abfcheu, den fie für eine Mordthat haben. Kein ein-
ziges Erempel wird man anführen fünnen, daß ein Jude einen
Menſchen ermordet haben ſollte. Wie leicht wird es aber nicht
manchem fonjt redlihen Chriften, feinem Nebenmenſchen für ein
bloßes Schimpfwort das Leben zu rauben? Man fagt, es fei
Feigheit bei den Juden. Wohl! Wenn Feigheit Menjchenblut
verfchont, fo ift Feigheit eine Tugend.
Wie mitleidig find fie nicht gegen alle Menfchen, wie milde
gegen die Armen beider Nationen? — Es ift wahr, fie treiben
SE.
diefe beiden Tugenden faſt zu weit. Ihr Mitleiden iſt faſt zu
empfindlich und hindert beinah die Gerechtigkeit, und ihre Milde
it beinah Verſchwendung. Allein, wenn doch alle, die aus—
fchweifen, auf der guten Seite ausfchweifeten.‘‘?)
Es it das eine Abwehr, ebenfo ruhig wie nachdrücklich,
ebenfo befcheiden wie offenmiüthig.
Leſſings ſcharfer Blick Hatte den Freund bald durd)-
ſchaut. Wie er nad) einer Belanntichaft von nur wenigen
Monaten über feinen tiefen Geiſt und feine Kenntniſſe
dachte und urtheilte, geht aus dem Briefe an Michaeli3 vom
16. October 1754 hervor, mit welchem ex diefem die „Theatr.
Bibliothek zufchicte. „Nur des eingerücten Briefes wegen,‘ fagte
er, „bin ich einigermaßen in Sorgen. Wenn einige Ausdrüde
darin vorkommen follten, die ich nicht billige, die ich aber fein
Recht gehabt Habe zu ändern, fo bitte ih Ew. Wohlgeboren
bejtändig auf den Verfaſſer zurüdzufehen. Es ift wirklich ein
Jude; ein Menſch von etlichen und zwanzig Jahren, welcher,
ohne alle Anweifung in Spracdhen, in der Mathematik, in der
Weltweisheit, in der Poeſie eine große Stärke erlangt hat. Sch
ſehe ihn im Voraus al3 eine Ehre feiner Nation an, wenn ihn
anders feine eigenen Glaubensgenofjen zur Reife fommen laſſen,
die allezeit ein unglüdlicher Verfolgungsgeijt wider Leute feines-
gleichen getrieben hat. Seine Redlichfeit und fein philofophi-
cher Geiſt läßt mich ihn im Voraus al3 einen zweiten Spinoza
betrachten, dem zur völligen Gleichheit mit dem erſtern nichts
al3 feine Irrthümer fehlen werden.‘ ?)
Ein Urtheil aus dem Munde eines Leffing bedarf Feines
weitern Commentard. Freundichaft hatte ihn noch nicht ge=
blendet, al3 er diefe Worte niederfhrieb. Er wurde nun dem
jungen jüdifchen Denker Führer und Förderer. Er war es der
) Schr. IH, 476 ff.; als „unbekannter Brief’ Mendelsſohns ver-
öffentliht: Populär-wiſſenſchaftl. Monatsblätter. Organ des Mendels—
ſohn-Vereins in Frankfurt a. M., 6. Jahrg. Nr. 5 (1. Mai 1886) ©. 106 ff.
2) Leifing Schr. XI, 27.
— BB —
ihn zum tiefern Studium der Philojophie anregte und durch
feine Schriften ihm neue Grundlagen für feine Forſchungen bot,
der ihn, um e3 mit einem Worte zu jagen, zum deutſchen
Schriftiteller machte.
Sechstes Kapitel.
Erſter ſchriftſtelleriſcher Verſuch.
Leſſing, der ſich mit Mendelsſohn gern in „ſpeculativiſchen
Betrachtungen“ erging und oft philoſophiſche Themata mit ihm
beſprach, gab ihm gegen Ende des Jahres 1754 eine Ab—
handlung Schafteburys zum Leſen. Nach einiger Zeit brachte
ihm Mendelsſohn das Buch zurück und antwortete auf die Frage,
wie es ihm gefallen habe: „Nun ja, recht gut; aber ſo etwas
kann ich auch machen.“ „So?“ meinte Leſſing; „nun ſo machen
Sie doch ſo etwas.“ Mendelsſohn überreichte ihm nach wenigen
Wochen ein Manufeript zum Durchleſen. Es währte mehrere
Monate, ehe Leifing mit dem jungen Autor darüber ſprach, und
als diefer ihn endlich fragte, ob er das Manufeript gelefen Habe,
gab ihm Lefjing ein Exemplar der gedrudten Schrift; er hatte
fie bei feinem Berleger Boß ohne fein Vorwiſſen druden laſſen.
So fah fi) Mendelsfohn, der diefen einem Leſſing ganz ähn-
lihen Streich feinem Sohne Joſeph) erzählte, freudig überrafcht,
und ohne daß er es ahnte, in die literarifche Welt eingeführt.
„Philoſophiſche Geſpräche“ iſt der Titel diefer feiner erjten,
im Februar 1755 anonym erfchienenen Schrift, in welcher er den
philofophiichen Standpunft vertritt, dem er zeitlebend treu ge=
blieben ift.
Schon in diefer Erjtlingsfchrift befennt er ſich als An—
hänger des Leibnizifchen Syitems, deſſen Begründer ihm al3 der
größte und behutfamfte Denker gilt; er fann den großen Namen
nicht ausfprechen, ohne der Vorfehung zu danken, daß fie nad)
) Schr. I, 13.
Kayferling, Mofes Mendelsjohn. 3
er ABl Sn
ihm ihn Hat geboren werden lafjen,t) und treffend wendet er
auf ihn den Sat Boltaires an, daß die Natur Jahrhunderte
brauche, einen folchen Geiſt hervorzubringen.?)
Nächſt Leibniz feſſelte Mendelsfohn noch ein anderer Mann,
deſſen philofophifches Syſtem wegen des darin gewitterten Atheis-
mus al3 gefährlich, für Staat und Religion verderblich, wie die
Veit verabfcheut wurde. Dieſer Unglüdliche, bei Lebzeiten ver—
feumdet, gefränft, verfolgt, nach dem Tode verwünfcht und vom
Banne nicht gelöft, war fein Deutjcher, war, wie Mendelsfohn
hinzufügt, fein Ehrijt, war der Mann mit der olivengrünen Ge—
fihtsfarbe und dem fpanifchen Schnitte, wie Leibniz ihn be-
zeichnet, der Amjterdamer Jude Spinoza.?)
Sp gut wie jeder andere wußte Mendelsfohn, wie man
noch damals fait achtzig Jahre nach feinem Tode über Spinoza
dachte, und ihm am allerwenigjten war es unbekannt geblieben,
daß ganz befonders die Juden feinen Namen als den eines Ab—
trünnigen faum über die Lippen zu bringen wagten. Das hielt
ihn in feiner Wahrheitsliebe jedoch nicht ab, der Perfönlichkeit
und dem Charakter diefes tiefen Denkers die wohlverdiente An-
erfennung freimüthig zu zollen: er gehört mit Leffing zu den
erjten, welche für ihn und fein Syſtem offen Partei ergriffen,
um ihn nicht länger „wie einen todten Hund“ am Wege liegen
zu laffen. Das Unglüd dieſes Mannes, der auf den Weltgenuß
und den Beli der gewöhnlichen Lebensgüter, auf öffentliche
Wirkſamkeit und praftifchen Einfluß aus veiner Liebe zur Wahr-
heit Verzicht leiſtete, das Streben und die Refignation, mit
welchem er fich diefer Hingab, haben, wie ex felbft befennt, ihn
jederzeit heftig bewegt. „Er lebte mäßig, eingezogen und un-
tadelhaft; er entjagte allen menschlichen Ergögungen, widmete
fein ganzes Leben dem Nachdenken, und fiehe! er geräth in dem
Labyrinthe feiner Betrachtungen auf Abwege und behauptet vieles
Schr. J, 219.
Philoſ. Geſpräche (erſte Ausgabe) S. 67.
3) Schr. I, 204.
BE
aus Jrrthum, das mit feinem fchuldlofen Lebenswandel fehr wenig
übereinjtimmt und dag der verworfenjte Bube wünfcht, um unge-
ftraft feinen böfen Lüften fröhnen zu können. Wie unrecht ift der
unverföhnliche Haß. der Gelehrten wider einen folchen Unglüd-
fihen! Diefe Leute glauben, der guten Sache der Religion feinen
Heinen Nachdruck zu geben, wenn fie die Widerfacher derfelben mit
Schimpf belegen und mit Läfterungen gleichjam überfchütten. Allein
fie richten mehr Schaden an, als fie Nußen zu jtiften glauben.“!)
Eben fo richtig wie der Charakter ift in diefer Erſtlingsſchrift
aud der philofophifche Standpunkt Spinozas von Mendelsfohn
beurtheilt. Er ijt ihm nicht allein der Fühne Taucher, der in dem
grundlofen Meere der Speculation die Berle der Wahrheit gefunden
hat, fondern er betrachtet ihn geradezu als das Verbindungsglied
zwifchen den beiden Hauptfäulen der neuern Philofophie, zwifchen
Cartefius und Leibniz. „Bevor der Uebergang von der Carte-
fianifchen bis zur Leibnizifchen Philofophie gefchehen konnte,
mußte jemand in den dazwifchen Fiegenden ungeheuren Abgrund
ftürzen. Diefes unglüdliche Los traf Spinoza. Er war ein Opfer
für den menfchlichen Verſtand, allein ein Opfer, das mit Blumen
geziert zu werden verdient. Ohne ihn Hätte die Philoſophie ihre
Grenzen nimmermehr fo weit ausdehnen können.‘ ?)
Diefes Syitem, dem Mendelsfohn gewiſſermaßen felbjt zum
Opfer fiel, wollte er retten. Entjchiedener Gegner des im Spinozis-
mus wurzelnden Pantheismus, war e3 doch feine fejte Ueber—
zeugung, daß Spinoza aus Irrthum und nicht aus Bosheit des
Herzens manche Meinung aufgejtellt habe, welche der Begründung
ermangele, daß aber in feinen Schriften Wahrheiten ausgefprochen
feien, welche Leibniz adoptirt und auf welche diefer die richtigften
Begriffe von Gott und der Welt bafirt habe. 3)
Mendelsſohn bediente fih, um Spinoza zu Ehren zu
bringen, des feinen Kunftgriffs, Leibniz auf Spinoza zurückzu—
) Schr. I, 205.
2) Schr. I, 204.
3) Schr. I, 204.
3%
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führen; er fuchte im erſten der vier „Geſpräche“ nachzuweilen,
daß die vorherbejtimmte Harmonie, der Mittelpunkt des Leib-
niziihen Syitems, dem Spinoza entlehnt ji. Muß nun aud
zugeitanden werden, daß zwiſchen beiden Syitemen eine gewiſſe
Wechſelbeziehung und Annäherung bejtehe, jo ift doch der kühne
Verſuch Mendelsfohns ein verfehlter; er beruht auf einem Irr—
thum, der Spinoza eben fo ſehr als Leibniz verfennt. Bei Spinoza
ift das Berhältniß von Denken und Ausdehnung nicht Harmonie im
eigentlichen Sinne, geichtveige denn vorherbejtimmte, und bei Leibniz
verhält fich die Seele zum Körper ganz anders al3 bei Spinoza.!)
Im erjten jugendlichen Feuer hielt Mendelsfohn feine An-
ficht für unfehlbar und jedes Widerſpruchs überhoben; jtimmte
doch Leffing mit ihm überein und das war ihm Beweis genug
für die Haltbarfeit feiner Jdee. Erſt acht?) Jahre fpäter, ge
raume Zeit nachdem die „Geſpräche“ zum zweiten male in den
„Bhilofophiihen Schriften“ erjchienen waren, wurde Leffing,
welcher fich während feines Aufenthaltes in Breslau eingehender
mit Spinoza beichäftigt Hatte, irre an der Zurüdführung der
vorherbeftimmten Harmonie auf Spinoza. „Ich muß Ihnen ge
ſtehen,“ fchreibt ev am 17. April 1763, „daß ich mit Ihrem
erften Geſpräche jeit einiger Zeit nicht mehr jo recht zufrieden
bin. ch glaube, Sie waren damals, als Sie es fchrieben,
auch ein Kleiner Sophijt, und ich muß mich wundern, daß ſich
noch niemand Leibnizens gegen Sie angenommen hat“.3) Mendelö-
fohn verfuchte allerdings auch jet noch, Gründe für feine Be
hauptung geltend zu machen, und beharrte bei der Meinung,
daß Spinoza, deſſen Ethif er im Texte und nicht nur im der
Ueberjegung gelejen hatte,“ die wejentlihen Sätze der vorher:
) Kuno Fiicher, Leibniz und feine Schule, 177.
2, 1761. In diefer zweiten Auflage hat Mendelsjohn die „Ge—
ſpräche““ theis erweitert, theild verändert; das dritte Gejpräd ift fait
gänzlich umgearbeitet.
3) Schr. V, 168,
4) Wie Erdmann, Grundriß der Gejchichte der Philoſophie, 2. Aufl.
(Berlin 1870) IL, 273, meint.
——
beſtimmten Harmonie vor Leibniz aufgeſtellt habe; ſeine Recht—
fertigung iſt jedoch nicht geeignet, Leſſings Einwendungen zu
beſeitigen.) Hier hätte er von feinem beliebten Satze, daß
die Streitigkeiten der Philofophen immer in Wortjtreitigfeiten
bejtehen, die umgekehrte Anwendung machen follen, daß die
Philoſophen in den Begriffen abweichen und in Worten mit-
einander übereinjtimmen fünnen.
Wie nun in diefem erjten fchriftitellerifchen Verſuche feine
Anhänglichkeit an Leibniz, fein Zurüdgehen auf Spinoza, kurz,
fein philofophiiher Standpunkt fichtbar wird, fo findet aud)
ihon hier feine Abneigung ebenfowol gegen alle gelehrte un-
fruchtbare Pedanterie wie gegen flache alles Geiftes bare Spe-
eulation, wie ganz befonders fein deutſches Nationalgefühl, fein
Widerwille gegen das wißelnde und tändelnde Treiben der
Franzoſen, Fräftigen Ausdrud. Zu einer Zeit, da die deutfche
Literatur noch in den Windeln lag, da Franzofen die Tonan-
geber und Männer wie Voltaire und d’Argens Mode- und
Lieblingsfchriftiteller waren, wagt e3 ein armer Jude, der felbjt
erjt mit vieler Mühe die deutjche Sprache und deutfchen Sitten
ſich angeeignet ‚hatte, über die „ſtlaviſche Nachäffung“ der
Deutſchen, über die Seichtigfeit und Flachheit der Franzofen zu
Hagen. „Dieſes Bolf, welches feit dem P. Malebranche feinen
einzigen metaphyfifchen Kopf aufzumweifen Hat, ſahe wol, daß
die Gründlichkeit fein Werk nicht fei; es machte daher die
Artigfeit der Sitten zu feinem einzigen Augenmerfe und übte
den fpöttifchen Witz gegen die, welche tiefjinnigen Betrachtungen
nahhingen, und in der großen Welt nad) einer gewifjen über-
triebenen Zärtlichkeit des Gefchmads nicht zu leben mußten.
Die wenigen Weltweifen, die es noch hatte, fingen an, ihre
runzelige Stirn aufzuheitern, und wurden artig. Endlich
dachten fie auch artig. Sie fchrieben Werfe pour les dames,
à la portee de tout le monde u. f. w., und jpotteten fehr
) Schr. V, 168 ff.
— Mb
wigig der düjtern Köpfe, deren Schriften noch etwas mehr ent
hielten, als das ſchöne Gefchlecht Iefen will. Die ehrlichen
Deutfchen fpotteten mit. Und wie fonnten fie auch anders?
Sie, die gerne die Hälfte ihres Verſtandes dahin geben, wenn
ihnen die Franzofen nur zugeftehen wollen, daß fie zu leben
wiffen. Werden denn die Deutfchen niemals ihren eigenen
Werth erfennen? Wollen fie ewig ihr Gold für das Flitter—
gold ihrer Nachbarn vertaufhen?“1) Und Mendelsfohn jchrieb
diefes in Berlin, in der Refidenz des großen Königs, der, von
der überall graffirenden Gallomanie erfaßt, auf die ſich mühfam
aufringende Literatur ſeines Volkes mit Achjelzuden herabſah.
Gerade hier unter den Augen der franzöfiichen Hoffophiften
war es Mendelsjohn, der dem Beijpiele feines Freundes Leffing
folgte und fih an den von feiner Zeit vergötterten Voltaire
wagte. „An diefem Dichter,“ jagt er von Voltaire, „ijt man
den Mangel an Gründlichkeit ſchon längſt gewohnt, und außer
den Großen laſſen fi) wenige mehr das Merkzeichen der
Weltweisheit verführen, das er aushängt.”?) D, er wagte nod
mehr! In feinem Streben, das Leibniziihe Syftem gegen jeden
Angriff in Schuß zu nehmen und das faft erſtickte Nationalde
wußtlein der Deutſchen neu zu beleben, machte er mit Leffing
Front gegen die Gefellichaft Franzöfifcher Denker, gegen das
hohe Tribunal der Berliner Akademie.
Siebentes Kapitel.
Die Alademie und die Alademiler.
AS Vorerinnerung zu dem Streiche, welchen Mendelsfohn,
wiederum im Bunde mit Lefjing, im Jahre 1755 der Berliner
1) Schr. I, 203.
2) Schr. I, 228.
un BO
Akademie fpielte, muß das PVerhältniß betrachtet werden, in
welchem der jechsundzwanzigjährige junge Mann zu einzelnen
Akademikern ſtand.
Premontval, ein Lobpreiſer der franzöſiſchen Philoſophie,
beſtritt ſowol in ſeinen „Gedanken über die Freiheit“ als auch
in ſeinem Buche „Vom Zufall,“ Schriften, welche heute längſt
verſchollen ſind, die Grundbegriffe des Leibniziſchen Syſtems,
ſo beſonders den Satz vom zureichenden Grunde, eine der Grund—
bedingungen, um im Geiſte Leibnizens die Weltordnung zu er—
kennen. Das konnte ihm Mendelsſohn nicht ſo hingehen laſſen.
Nicht ohne Geſchick wies er ſeine Angriffe zurück und widerlegte
im vierten „Geſpräche“ feine Einfälle und vagen Behauptungen.!)
Dienftfertige Recenjenten waren jchnell bei der Hand, Mendels—
ſohns Worte zu verdrehen und ihn bei dem Akademiker in Verruf
zu bringen. Der Profefjor Michaelis behauptete in einer Recen-
jion in den „Göttinger Gelehrten Anzeigen‘ geradezu, Mendels-
fohn Hätte den Herrn von Premontval einen Unbejfonnenen ge=
nannt, und Merian äußerte gegen Sulzer, der Verfaſſer der
„Seipräche” hätte irgendivo gefagt, Premontval müßte das Higige
Fieber gehabt Haben.?) Voller Entrüftung teilt Mendelsfohn
diefes Mißverſtändniß Leffing mit. „O der junge Gelehrte Liegt
diefem Herrn noch in dem Kopfe! Sch werde ihm zufchwören, daß
ich nur ſechsundzwanzig Jahre alt bin. Willen Sie, was ich that?
Ich fchrieb einen franzöfifchen Brief (Gott weiß, er ward mir
recht fauer!) an den Herrn von Premontval und betheuerte ihm,
daß alle Menschen lügen und die Göttinger Anzeigen auch.“ ?)
Wie fo viele andere Briefe, ift auch dieſes, vielleicht das
erſte franzöfiiche Schreiben Mendelsfohng nicht mehr vorhanden;
es erfüllte feinen Zwed, fühnte den beleidigten Afademifer voll-
fommen aus und bewog ihn im herzlichen Ausdrüden zu ant-
worten. „Ar. Moses,‘ heißt e3 in einem Briefe Premontvals
1) Schr. I, 223 ff.
2) Schr. V, 8.
3) Schr. V, 8
ne Al.
an Michaeli3 vom 6. Januar 1756, ... . „e’est ce philosophe
juste, auteur du Trait&e des Sensations et des Entretiens
Philosophiques. Je le trouve homme d’esprit et de me£rite
et je vous dois cette connaissance. Il m’eerivit il y a
quelque tems pour se justifier de m’avoir eu en vue dans
certaines-qualifications fort dures, ou vous n’&tiez cependant
pas le seul, Monsieur, qui crussiez, qu'il m’en voulait. Sur
“la cordialit& de ma r&ponse il me vint voir et nous tirämes
amitie.“N) Diefe Freundſchaft war jedoch nicht von Dauer,
und Mendelsfohn jtellte feine Beſuche bald wieder ein. Schon
am 23. März 1757 fchreibt ex Leifing: „Herr Premontval ift
eben jo parador al3 feine Schriften. Heute ift fein Umgang
angenehm und man wiünſcht fich öfters in feiner Geſellſchaft zu
fein, und morgen wundert man fich, daß man je an feinem Um—
gange hat Gefchmad finden fünnen,“?) und am 29. April theilt
er dem Freunde mit: „Bei Premontval bin ich feit langer Zeit
nicht gewefen. Er hat wirklich mwunderliches Zeug im Kopfe,
und man thut ihm Unrecht, wenn man glaubt, er wolle nur
parador fcheinen. In der Metaphyſik ift auch nichts mit ihm
auszurichten.“ ?)
Premontval war nicht der einzige Akademiker, deffen Be-
fanntfchaft Mendelsfohn gemacht hatte. Bei Beaufobre war er
Thon durch Gumpertz "eingeführt worden; durch Müchler lernte
er auch Sulzer fennen. Beſonders diefem fchloß er fich enger
an, denn Sulzer wollte in feiner fchweizerifchen Gutmüthigfeit,
daß jedes Talent, jedes Verdienſt in ihm mehr als einen Rath-
geber, mehr als einen Freund, ja jtet3 einen Bertrauten finde.
Er hatte den talentvollen jungen Mann bald erkannt und fuchte
ihn näher an fich zu ziehen. Im November 1755 machte er
Bodmer in Zürich Mittheilung von der neuen Befanntfchaft:
) Literar. Briefwechſel von J. D. Michaelis, Herausgegeben von
Buhle, I, 114.
2) Schr. V, 83.
3) Schr. V, W.
nr ME ae
„Durch Leifing habe ich einen ebräifchen Jüngling, einen ftarf-
denfenden Kopf, kennen lernen. Er hat die „Philofophifchen
Geſpräche“ gefchrieben, die ich Ahnen neulich zuſchickte. Diefer
Beichnittene foll mir Ramlern, den ich fehr felten fehe, zehnfach
erſetzen,“) und noch ſechs Jahre fpäter gibt er dem genannten
Landsmanne näheren Aufihluß über diefen „Juden, Leffings
Freund, der weder ein Bruder noch ein Verwandter des Medicus
Gumpertz it, ein feltenes Genie, der aber mit andern Leuten
al3 mit Leffing und Nicolai umgehen follte.“?)
Die Bekanntſchaft mit Sulzer war feine vorübergehende.
Mendelsfohn befuchte ihn, fo oft feine Gefchäfte es ihm er-
faubten, und felbjt zur Zeit, als er fi) von allen Bekannten
loszumachen jtrebte, hielt er an ihn noch feit, „denn er ver-
diente es wirflich, daß man feinen Umgang fuchte.“3) In ihm
fand er einen lieben Gefährten und Strebegenofjen und er „be-
hielt für diefen Weltweifen, der die Philofophie in einem fchönen
Gewande der Welt angenehm zu machen wußte, bi8 an fein
Ende eine vorzüglihe Hochachtung.“)
Wie erjtaunte aber Sulzer, Premontval und alle die übrigen
gelehrten Herren, daß der „ebräifhe Jüngling“ ſich mit dem
„geitungsfchreiber Leffing” verbunden und eine Feine Schrift
voller Spott und Ironie gegen ihr hochwürdiges Tribunal ge-
fchleudert hatte.
Maupertuis, der damalige Präfident der Akademie, ging
Thon Yange damit um, „dem Herrn von Leibniz und feinem
Syſteme eins zu verſetzen“; endlich faßte er den Entjchluß, wie
Wieland in einem Briefe an Zimmermann fi) ausdrüdt, „einen
Hauptftreih zu wagen“ Er ftellte zur Preisaufgabe für das
Sahr 1753 eine „Unterfuhung des Popeſchen Syſtems“, welches
) Briefe der Schweizer Bodmer, Sulzer, Geßner. Aus Gleims
Yiterarifhem Nachlaß, herausgegeben von W. Körte (Zürich, 1804), 255.
2) Ebend. 349.
3) Schr. V, 29.
4) Hirzel, Ueber Sulzer ven Weltweifen (Züri, 1779), 210.
> AR.
in dem Sage „all is right“ enthalten if. Schon in der
Fragejtellung lag eine Geringfchägung der Leibnizifchen Philo-
fophie, ein höhniſcher Seitenhieb auf die Leibnizifche Lehre von
der „beiten Welt“, Mendelsfohn ärgerte fih, daß man der
Schule, zu der er ſich befannte, zu Leibe wolle, und Leffing
fam die Gelegenheit ganz erwünfcht, ſich an den hochmüthigen
Akademikern ein wenig zu reiben; die beiden kampfluſtigen
Freunde beichlofjen daher, fir den deutichen Philoſophen eine
Lanze einzulegen. Nichts piquanter, als die fo entjtandene
Schrift: „Pope ein Metaphyſiker,“) in welcher mit der königlich
preußifchen Akademie der Wifjenfchaften ein ergöglicher Tanz
aufgeführt wird. Es Tiegt eine wahrhaft herzerquidende Bos—
heit darin, wenn die Verfaſſer einer ganzen Gefellichaft von
Philofophen die Schulmeifter fpielen und ihnen erklären, was
eigentlich ein philofophifches Syitem fei; fie treiben ihren Spott
noch weiter, indem fie in fchlagender Weife zeigen, daß von
einem „Syſtem“ Popes gar nicht die Rede fein könne. „Wer
it Bope? Ein Dichter... . Ein Dichter? Was macht Saul
unter den Propheten? Was macht ein Dichter unter den Meta—
phyſikern?“ Seht erſt gehen fie auf die eigenliche Frage näher
ein und jtellen das Ungereimte und Lächerliche der Aufgabe in
der ganzen Blöße dar. Sie erinnern an die Abneigung, welche
zwifchen Leibniz und Lord Bolingbrofe, dem Lehrer Popes, be-
itanden, an den beißenden Spott des engliichen Diplomaten
gegen die first philosophy des hannoverjchen Hofmannes, und
Pope, der Dichter, der Freund und Schüler des Gegners, follte
den Optimismus angenommen haben, follte Leibnizianer fein?
Diefe Schrift, zu der Mendelsfohn den philofophifchen
Apparat, wie die Baumgartenfche Erklärung eines Gedichte,
die Zurückführung auf Malebrande, den Vergleich) Shaftes-
burys mit Leibniz, Leifing aber Form und Einfleidung Yieferte,
war im Februar 1755 vollendet; fie konnte jedoch al3 Preis—
') Leſſings Schr. V, 1—36.
=: BB 2
Schrift nicht eingereicht werden. Leffing hielt fie „mit Fleiß‘
zurüd, weil, wie er ausdrücklich bemerft, Mendelsfohn zu
befcheiden war, fi) dabei zu nennen. „Geſetzt nun,“ heißt es
in dem Briefe Leifings an Mendelsfohn vom 18. Februar 1755,
„Daß wir aus dieſer gelehrten Lotterie das größte Los gezogen
hätten, was meinen Sie wol, daß alsdann gefchehen wäre?
Sie hätten wollen verborgen bleiben, und ich hätte es müffen
bleiben. Wenn fi alsdann niemand genannt hätte, jo hätten
wir unfere Schrift auch nicht einmal dürfen druden laſſen, oder
wir wären doch zulegt verrathen worden. Iſt es alfo nicht
beſſer, daß wir den uneigennüßigen Weltweifen fpielen, und
unfere Entdelungen der Welt ohne funfzig Ducaten überlaffen?
Sch Hoffe binnen drei Wochen wieder in Berlin zu fein —
Leffing hielt fic) damals zur Ausarbeitung feiner Miß Sara
Sampfon in Potsdam auf — und ich will Ihnen nur im
Boraus jagen, daß wir fogleich unfere Arbeiten in eben dem
Formate wie Ihre philofophiichen Geſpräche wollen druden
laſſen.“!)
Unterdeſſen hatte die Berliner Akademie ihrem Präſidenten
Maupertuis zu Gefallen, zum Aerger Sulzers, einer ſehr elenden
Schrift des Gerichtsrathes Reinhard, welcher den Leibniziſchen
Optimismus verdammte, den Preis zuerfannt.?) Leſſing ließ
nun feine mit Mendelsfohn gemeinfchaftlich verfaßte vortreffliche
Abhandlung ohne Namen bei einem Danziger Verleger druden,
aber fie erregte keineswegs das Auffehen, welches die Verfaffer
fi) davon versprochen hatten. „Es will niemand „Pope ein
Metaphyſiker“ gelefen haben,“ Heißt es in dem Briefe Mendels—
fohns an Leffing vom 19. November 1755; „Profeffor Sulzer
fragte mich fehon mehr als einmal, ob was Gutes darin wäre?
Sch verficherte ihm, diefe Kleine Schrift hätte mir gefallen, und
) Schr. V, 6.
2) Die gegen dieje Preisichrift von einem Schweizer erjchienene
Beurtheilung, in welder Reinhard mit ungemeiner Bitterfeit ange:
griffen wurde, hat Mendelsjohn, Schr. IV, 1. 76 ff., recenfirt.
= —
wenn ich nicht irre, ſo ſtieg ihm eine kleine Röthe in das Ge—
ſicht. Er gab mir zu verſtehen, er ſei weder mit der Aufgabe
noch mit der Preisſchrift zufrieden gewejen.“!) Es ging ihnen
beinahe fo wie Georg, dem Sohne de3 Bicard of Wakefield.
Er jchrieb Paradoren. Der Vater fragte: „Nun, was fagte
die Stadt zu Deinen Paradoxen?“ Antwort: „Nichts.“?) Dem
Publifum war das Gewebe zu fein gefponnen, die Herren von
der Afademie aber fühlten den Stich ſehr wohl, und die beiden
Berfaffer, welche nicht lange verfchwiegen blieben, begannen jekt-
in den Berliner Gelehrtenkreifen geachtet und gefürchtet zu
werden. Ganz anders begegneten die Afademifer dem jungen
Mendelsfohn jet als früher. Sulzer jelbjt begleitete ihn zu
dem Präfidenten Maupertuis, bei dem ihn ſchon früher Gumpert
eingeführt hatte. Moſes war nicht wenig neugierig, was der
Herr Präfident ihm fagen würde; „ich werde ihm wol nichts
Tagen können,“ fchreibt er Leſſing; „Sie wiſſen, daß ich blöde
bin.“3) Troß des aufmunternden Rathes, welchen Leffing ihm
erteilte, „den großen Mann ja fleißig zu bejuchen‘,#) Tieß er
fi nicht wieder bei ihm bliden; „er fcheute die aufgetreppten
Schwellen und das feierliche Anmelden‘. )
Die Anerkennung, welche Mendelsjohn fi) erwarb, „die
Ehre, welche er feiner Nation machte“, das Bewußtſein, daß
die Nation auch ſtolz auf die Ehre fei, bereitete niemand
größeres Vergnügen als Leffing. Herzlich freute er fi, daß
man auch bei Hofe neugierig wurde, feinen Freund Fennen zu
lernen; „die Weisheit jelbjt Hat durch die Neugierde ihre meijten
Verehrer erhalten“.6) Mofes und bei Hofe! Man denke, was
das heißen wollte im Jahre 1755.
) She. V, 11. YV,210. 5) v, 8. 9 V, 14. »)V,9.
°) V, 16.
——
Achtes Kapitel.
Rouſſeau. Sendſchreiben an Leſſing.
Zu derſelben Zeit, als man bei Hofe neugierig wurde, den
Juden kennen zu lernen, der deutſch redete und deutſch ſchrieb
und es gewagt hatte, die Berliner Akademie anzugreifen, verſuchte
ſich Mendelsſohn in Ueberſetzungen. Es wurde ihm anfangs recht
ſchwer, ſich eine Gewandtheit im deutſchen Ausdrucke anzueignen,
und es koſtete ihm unſägliche Mühe, der Sprache vollkommen
Meiſter zu werden, in der er bereits als Schriftſteller aufgetreten
war. So lange ſich Leſſing in Berlin aufhielt, war er es, der
ſeine ſchriftlichen Ausarbeitungen feilte; hielt man doch die
„Philoſophiſchen Geſpräche“ für ſein Product, „weil ſie das An—
genehme, Scharfſinnige und Unterhaltende nebſt einigen beſondern
Wendungen der Rede“ an ſich hatten, „dadurch ſonſt Herr Leſſing
kenntlich mwird.”1) Nun ſiedelte dieſer Mentor Ende Januar
1755 nad Potsdam über, und Mendelsfohn fah fich verlafjen.
Er Hatte ſich in den ſechs Monaten ihrer Bekanntſchaft an den
täglichen Umgang Leffings derart gewöhnt, daß er feine Ab-
wejenheit jchmerzlich entbehrte und faum der Verfuhung wider:
jtehen Eonnte, „mit der Journalière auf einige Stunden zu ihm
zu fommen.” 2)
Die Morgenftunden, welche Mendelsfohn fonft in der Ge-
jellichaft Lejfings zuzubringen pflegte, waren jeßt der Arbeit ge-
widmet, für welche der abwefende Freund ihn gewonnen hatte,
nämlich der Ueberfegung einer Schrift des „Genfer Bürgers“.
Roufjeau Hatte wenige Jahre zuvor feine Laufbahn mit
der größten Paradorie begonnen, welche die gebildete Welt ge-
ſehen Hat. Dieſes ganze PBaradoriengebäude, daß Bildung und
Wiſſenſchaft ein Unglück für die Menfchheit fei und daß fie von
der Religion und Moral gleichmäßig als folches betrachtet werden
1) Götting. Gel. Anzeigen, 29. Mai 1755.
2) Schr. V, 6.
Ze a
müfje, Hatte der zweiundzwanzigjährige Lejling in einem
einzigen Aufſatze freilih in Trümmer zerfchlagen; nicht3defto-
weniger gejtand er, „daß er eine geheime Ehrfurcht vor dem
Manne empfinde, welcher der Tugend gegen alle gebilligten Vor—
urtheile das Wort rede, auch wenn er zu weit gehe”, und pries
Frankreich glücklich, „wenn es viele dergleichen Brediger hätte“.
Diefes Prediger neuejte gefrönte Preisfchrift: „Ueber den Ur—
fprung der Ungleichheit unter den Menfchen“, in welcher er die
ganze Civilifation des Menfchengefchleht3 für eine Entartung
defjelben erklärt, empfahl Leffing feinem Freunde in einer Ueber:
feßung dem deutfchen Publikum zugänglid” zu machen. Ein
bejjereg Muſter hätte er dem nad) Ausdruck ringenden jungen
Manne nicht empfehlen können, als Rouffeau mit dem „hinreißen—
den Feuer der Beredjamfeit“. Aber bei einer bloßen Ueber-
tragung ließ e8 Mendelsjohn nicht bewenden; er hatte Leſſing
verfprochen, mündlich und fchriftlich,") in einem Anhange „feine
Gedanken von den feltfamen Meinungen diefes Weltweifen bei-
zufügen“, und hielt Wort.
In ein „Sendichreiben an den Heren Magijter Leffing in
Leipzig“ Eleidete er den verjiprochenen Anhang ein, damit der
Freund, wie er ſich ausdrückte, wenigjteng feinen Anhang es |
wenn er die Meberfegung auch nicht leſen wolle.
Es verging beinahe ein volles Jahr bis die Ueberſehung
fertig wurde. Am 26. December 1755 ſchrieb er Leſſing: „Die
Ueberſetzung meines Rouſſeau iſt bald fertig. Noch drei Bogen
ſind ungefähr zu drucken. Der Schwanz iſt nicht ſo fett, wie
Sie aus Gefälligkeit glauben wollen. Ich kann in ſehr wenigen
Stücken mit Rouſſeau uneins fein... .“2) Am 10. Januar
1756 war er endlich im Stande, die Schrift?) welche ihm,
1) Schr. I, 873; V, 8.
2) Schr. V, 18.
°) Sie führt den Titel: 3. 3. Rouffeaus, Bürgers zu Genf, Ab:
handlung von dem Urjprunge der Ungleichheit unter den Menſchen und
worauf fie fich gründet. Ins Deutſche überjegt, mit einem Schreiben
— —
ſeinem eigenen Geſtändniſſe nach, ſehr viel Vergnügen bereitet
hatte, dem Freunde zuzuſchicken. Auch einen Brief Voltaires
an Rouſſeau hat er der Schrift angehängt, ſo „elend“ er auch
war. „Wollen doch einige gern ihre Bäuche ſchütteln, nachdem
ſie ein wenig ernſthaft ausgeſehen haben. Laſſen Sie Voltaire
immer die luſtige Perſon machen. Rouſſeau iſt doch tragiſch
genug.“1)
Mendelsſohn Hatte wahrlich feinen Grund, die auf dieſe
Arbeit verwendete Mühe zu bereuen. Die Ueberjegung war fo
vortrefflih, daß man faum dem Titel trauen und fie für eine
folhe Halten wollte?) Und nun erſt das meijterhafte Send-
‚Ichreiben! Treffend vergleicht er Rouſſeau mit feinen Baradorien,
daß der Menfch aus der Gefelligfeit geriffen und feinem natür-
Tihen Zujtande wieder zugeführt werden müffe, mit einem er-
wachjenen Rinde, dem feine Pflegemutter die Geſchichte feiner-
Kindheit erzählt. „Er hört die Beichäftigung feines fpielenden
Alters, er hört fogar die lofen Streiche, die er nicht felten dem
Bedienten gefpielt hat, mit Vergnügen, und ift nicht ungeneigt,
diefen Stand der Unſchuld feinen männlichen Jahren vorzuziehen.
Bald darauf aber erblidt ex fein eigenes Kind, ein eben jo un—
ſchuldiges Mündel, und wünſcht es erwachfen zu fehen.“ 3)
Mendelssohn erkannte richtig, daß Rouſſeaus Abjicht niemals
gewejen fei, die wahre Würde der Menfchlichkeit mit Füßen zu
treten und das undernünftige Thier über fich ſelbſt zu feßen;
er wollte nur den wahren Urfprung der Ungleichheit unter den
Menfchen erklären, die Greuel einer despotifchen Regierung mit
gebührenden Farben fchildern und auf gewiſſe Mißbräuche mit
an den Herrn Magifter Leifing und einem Briefe Voltaire an den
Berfaffer vermehrt. 8. Berlin, Chrift. Friedrich Voß, 1756. 16 Bogen.
Y Schr. V, 10.
2) Vermifchte Abhandlungen und Urtheile über das Neuefte aus
ver Gelehrjamfeit, Berlin, Voß, 1756. Vgl. die Recenfion in der
Berliner Privil. Zeitung vom 10. Januar 1756.
3) Schr. I, 375.
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dem Finger zeigen, die ſich in die Staatsverfaffung Frankreichs
eingefchlichen Hatten. „Der Strom feiner Einbildungsfraft Hat
ihn fo ſehr mit fich fortgerifien, daß er nicht felten über das
vorgejteete Ziel Hinwegrennt und uns auf die Gedanfen bringt,
er habe mehr verheeren, als aufbauen wollen.” Er wollte ver-
heeren, mit der ganzen Gewalt eines ftürmifchen und feurigen
Gefühls in Staat und Erziehung, in Moral und Religion, Aber:
glaube und Vorurtheil befämpfen, damit eine fpätere Generation
mit verjüngter Kraft ein neues Gebäude auf den gereinigten
Grund aufrichten könnte.
Mendelsfohn, der es Rouffeau nicht verzeihen fonnte, daß
er dem gefitteten Menfchen alle Moralität abſprach, zeigt, daß
das Gefühl, das, wie jener einräumte, auch dem Wilden inne
wohnt, das Mitleid, das fich auf Liebe gründet, der Grund der
-Gejelligfeit, die Duelle aller Eultur und aller höhern fittlichen
Tugenden von jeher geweſen fei. In einer dem „Sendichreiben”
angehängten „Nachſchrift“ fügte ex einige befondere Bemerkungen
hinzu, auf welche ex bei der Weberfegung der Schrift hie und
da gefallen, fo feine Anfichten über den Urfprung der Sadıe,
welche noch zwölf Jahre Später von Herder der Beachtung werth
gefunden wurden.
Dem „wunderlihen” Rouffeau, den Mendelsjohn feinem
ganzen Werthe nad) fchäßte und verehrte, — „mit Begierde griff
er zu, fobald er nur den Namen des Genfer Bürgers auf der
Stirn eines Heinen Auffages glänzen ſah“ —,*) fam die deutjche
Ueberjegung feiner Preisſchrift zu Geſichte. Als der Leipziger
Weiße, ein Jugendfreund Leſſings, zu Anfang der fiebziger Jahre
jih in Paris aufhielt, überreichte er Rouſſeau bei einem Be—
ſuche, den er ihm abjtattete, ohne Wiffen Mendelsfohns die
Ueberjegung jammt dem „Phädon“. „Er mußte ihm alles er—
zählen, was er von diefem trefflichen Manne wußte“, worauf
Roufjeau verficherte, er wiirde fich die Anmerkungen Mendels-
1) Schr. IV, 2, 260.
= Id ee
obns überfegen lafjen, „denn leſe er auch font fein Buch in
der Welt, fo wolle er diefe Anmerfungen doch Iefen, weil fie
von Moſes kämen.” 1)
Mehr als an dem Beifalle Rouffeaus lag Mendelsfohn an
dem Urxtheile Leſſings. Dringend exbittet er fi) von ihm ein
ſtrenges Urtheil ſowohl über die Ueberfegung als über das
Sendfchreiben. „Wenn Sie alles gut heißen werden, fo werde
ih ganz gewiß glauben, Sie haben gar nichts davon gelefen;
und wahrlich! Sie müßten meine Gemüthsart gar nicht fennen,
wenn Sie dieſes für ein bloßes Compliment halten follten.“ 2)
Ihm zu gefallen und nachzueifern, feiner Freundfchaft immer
würdiger zu werden, war fein jehnlichiter Wunſch. Wie feft die
innigjte Freundfchaft diefe beiden, fich gewiljermaßen ergänzenden
Männer verband, zeigt der Briefiwechjel, welchen fie mit furzen
Unterbredjungen über fünfundzwanzig Jahre unterhielten. Wie
jehr fie ſich aber fchon nach dem erſten Jahre ihrer Bekanntſchaft
gegenfeitig fchäßten und wie freudig das Herz Mendelsjohns
ſchlug, der Freund eines Leſſing zu ſein, ergiebt ſich deutlich
aus folgender Stelle des Sendſchreibens: „Verzeihen Sie, beſter
Freund, meine Unachtſamkeit! Welch ein Unglück, wenn Sie
hieraus die Folge zögen, daß ich der Freundſchaft abgeſtorben
ſei. Jedoch Sie können dieſes nicht. Mein empfindliches Herz
iſt Ihnen allzu ſehr bekannt, und Sie wiſſen, wie weit es dem
Gefühle der Freundſchaft offen ſteht. Sie haben allzu oft nicht
ohne Vergnügen bemerkt, wie viel Macht ein freundſchaftlicher
Blick von Ihnen auf mein Gemüth gehabt hat; wie er vermögend
gewefen ift, allen Gram aus meiner Bruft zu verbannen, und
mein Geficht plößlich mit fröhlichen Mienen zu beziehen. Sollte
Ihre furze Abwejenheit mein Herz in einen Stein verwandelt
haben? Nein, theuerjter Leifing! die allmäcdhtige Macht der
Freundſchaft Hat mich in Verwirrung gefeßt.“ °)
1) Chr. Felix Weißens Selbftbiographie (Zeipzig 1806), 71.
2) Schr. V, 22.
3) Schr. I, 380.
Kayſerling, Moſes Mendelsſohn.
— —
Und welch wonniges Gefühl beſchlich das Herz Leſſings,
als er den gedruckten Brief, wie er das „Sendſchreiben“ nannte,
zum erſten male las. „Noch habe ich den gedruckten Brief nur
zweimal geleſen,“ ſchreibt er unmittelbar nach dem Empfange
deſſelben, am 21. Januar 1756. „Das erſte mal beſchäftigte
mich der Freund ſo ſehr, daß ich den Philoſophen darüber ver—
gaß. Ich empfand zu viel, um dabei denken zu können. Mehr
ſage ich Ihnen nicht, denn ich habe es nicht gelernt, in dieſem
Punkte ein Schwätzer zu ſein. Ich will es nicht wagen, der
Freundſchaft, noch Ihnen eine Lobrede zu halten; ich will nichts,
als mich von ihr hinreißen laſſen. Möchte ich Ihrer Wahl ſo
würdig fein, als Sie der meinigen find!“ ')
Mendelsfohn war der edeljte, aufrichtigite Freund. Offen
und freimüthig tadelte er an feinem Freunde was ihm tadelns—
werth fchien; ex beurtheilte ihn jtet3 nad) dem Maße, mit dem
er felbjt gemefjen werden wollte. Breitenbauch erzählte ihm, daß
Leffing in Leipzig „unter den Schaufpielerr” lebe; Mendelssohn
tadelte es, weil er in feiner ftrengen Sittlichfeit fi von dem
bejtändigen Umgang mit Leuten, „welche exit in der neuern
Beit die Freiheit erhalten haben, auf der Schaubühne zu er:
fcheinen“,2) nichts Gutes verſprach. Ihm mißfiel die grenzen-
loſe Bicherfucht Leffings, der oft nur Bücher faufte, um feine
geringe Barfchaft zufammenzuhalten, und der fie daher zu einer
andern Zeit wieder eben fo billig verfaufte; er tadelte e8. Ihm
mißfiel der übermüthige Kiel, mit dem Leffing den eingebildeten
Hochgelehrten nicht wie einem Fuder Heu aus dem Wege ging,
fondern muthwillig mit feinen Beobachtungen in den Weg trat,
und tadelte es.) Mehr als alles mißfiel ihm das unftete
Leben feines Freundes. „Mit euch Schwindligen iſt gar nichts
anzufangen,“ jchreibt er ihm auf die Nachricht, daß er Winffer,
einen jungen Leipziger Kaufmannsſohn, auf Reifen begleite. „Ihr
ı) Schr. V, 25.
2) Schr. V, 13.
3) Karl Leſſing, Lejfings Leben, I, 179; Gervinus, a. a. D. IV, 296.
a
habt niemal3 eine bleibende Stelle, und wenn euch dann das
Quedfilber recht herumtreibt, fo wünſcht Ihr euch noch wohl Glück
dazu... Reifen Sie immer! Streifen Sie die Welt durd).
Lernen Sie taufend Narren fennen, um fi) von noch größern
Narren auslachen zu laſſen. Lernen Sie taufend Elende kennen,
um noch Elendere zum Mitleiden zu bewegen... . Der Himmel
weiß es, ich habe recht wenig Muße, aber viel Langeweile.“ 1)
Mendelsjohn Ternte in der Abweſenheit feines theuerjten
Freundes „neue Gefichter“ kennen; er ging mit Müchler und
dem Lieutenant Jacobi um, befuchte von Zeit zu Zeit den Heinen
Bauzner Naumann, machte mit von Breitenbaud) Spaziergänge,
traf mit Sofeph, dem „Eleinen und dem großen“, häufig zu=
fammen: er fand aber feinen, mit welchem ex feine Mußejtunden
fo angenehm und fo nüglich Hätte zubringen können wie mit
ihm; feinen Leffing vermochte ihm niemand zu erjegen. Er hatte
ihn noch nie fo fehr geliebt als jeßt, da er fich mit dem Ge—
danfen quälte, ihn vor feiner Reife nicht wiederzufehen; denn
hatte Leffing auch in Ausficht gejtellt, feinen Weg vielleicht
über Berlin zu nehmen, fo fannte Mendelssohn den Freund doc)
zu genau und wußte, daß fein „Vielleicht“ nicht weniger iſt als
eines andern „ganz gewiß nicht”. Er fam aud „ganz gewiß
nicht“ nad) Berlin, und Mendelsſohn ſah ihn vor feiner Ab-
reife nicht mehr. „Sch bat Sie, Sie follten mir beizeiten
melden, daß Sie nicht nach Berlin fommen wiürden, fo wollte
ich jelbjt eine Reife nach Leipzig thun, um Sie allda noch zu
fprechen. Was war leichter, al3 in diefer Kleinigkeit nicht nach—
läffig zu fein?“ 2)
Gern will er den Kummer über die Trennung ertragen,
wenn dieſer „beite Freund und treuejte Rathgeber“ nur fort
fahren will, ihm die Verficherung zu geben, daß er ihn noch
liebt, daß er ihn noch jo zärtlich Tiebt al3 damals, da ihm eine
jede Unterredung mit ihm eine neue Aufmunterung war, feinen
') Schr. V, 17.
2) Schr. V, 28.
4*
u
Berftand und fein Herz zu bejjern. „Noch eine einzige Ver—
fiherung wünfche ich mir von Ihnen, und wenn ich diefe er-
lange, fo will ich mid) gern in die Nothwendigfeit zu fchiden
wiffen. Wenn Sie Ihre Reife vollendet und einmal genug die
Welt angegafft haben werden; wenn Sie fich dereinſt entjchließen
werden, alle Ihre neugierigen Blide auf Ihr eigenes Herz und
auf das Herz Ihrer Freunde einzufchränfen: wollen Sie als-
dann diefe ruhigern Tage bei uns zubringen? Wenn es Ihnen
doch möglich wäre, hierauf mit Gewißheit Ja zu antworten.“ !)
Drei volle Jahre wollte der unjtete Freund fern bleiben,
wollte mit feinem Gefährten Deutjchland, Holland, Frankreich,
bereifen; e3 waren jedoch kaum fünf Monate verflofjen, als ihn
fein Mißgeichie wieder nach Leipzig zurüdtrieb.
Mendelsjohn blieb feinem vor Leſſings Abreife gefaßten
Entjchluffe treu; er ſagte fich, jo gut es fich thun Tieß, von
allen frühern Bekannten los. Der einzige, mit dem ex jeft
mehr al3 bloße Befanntichaft machte, mit dem es bald zur
Freundfchaft Fam, war Nicolai.?)
') Schr. V, 32.
2) Schr. V, 28.
Drittes Bud).
Vene Studien und Verſuche.
Neuntes Kapitel,
Nicolai.
Kurze Zeit vor Leſſings Ueberſiedelung von Berlin nach
Leipzig lernte Mendelsſohn auch Friedrich Nicolai, den zweiten
ſeiner Herzensfreunde, kennen.
Nicolai, ein Berliner Kind, war vier Jahre jünger als
.Maeandelsſohn und gleich ihm ein reiner Autodidakt. Er hatte
zwar in Halle ein Öymnafium befucht und war in Berlin auf
der Realichule gewefen, aber erſt in Frankfurt an der Oder, wo
er den Buchhandel erlernte, entjtand in ihm ein lebendigeres
wiffenfchaftliches Streben. Mit ungeduldiger Haft verfchlang
er bier fürmlih alle Bücher, die er in feinem Laden fand,
er verfchaffte fich durch „Entäußerung, Fleiß und Beharrlichkeit”
ohne mündliche Anweifung die Kenntniß verichiedener Sprachen,
Ihöpfte aus dem Umgange mit Profefforen und Studenten
mancherlei Unterricht in der Mathematif und Philofophie und
trieb mit befonderer Vorliebe das Studium der englifchen
Literatur. Der frühe Morgen und die fpäten Stunden der
Naht, oft jogar die wiederkehrende Morgenröthe fanden ihn
noch bei feinen lieben Büchern.
Durd die im Jahre 1755 erichienenen „Briefe über den
jegigen Zuftand der fchönen Wiſſenſchaften in Deutichland,“') in
welchen er mit überrafchender Freimüthigfeit die Einfeitigfeiten
der beiden großen fich befehdenden Literaturparteien, der Gott
ihedianer und Schweizer, aufzudeden fuchte, gewann er die
Freundſchaft Leffingd und ihm verdanfte er auch die Belannt-
ihaft des „in der höcjiten Bedeutung des Wortes edeln und
vortrefflihen Mendelsjohn“.?) Nach wenigen Monaten waren
Mendelsfohn und Nicolai zur großen Freude Leſſings vertraute
Freunde.
Allwöchentlich kamen fie wenigjtens zwei- oder dreimal zu-
fammen. Der Umjtand, daß fie beide in der gelehrten Welt
gar feinen Stand, feine Abfichten, Feine Berbindungen, Feine
Ausfihten auf Beförderung hatten oder fuchten, daß fie jelbit
in ihrer bürgerlichen Stellung ohne alle Bedeutung waren,
ihloß fie enger an einander. Beide gehörten dem Kaufmanns-
ftande an. Nicolai war Buchhändler, Mendelsjohn feit einem
Jahre Buchhalter in der Fabrif des Mannes, defjen Kinder er
unterrichtet und erzogen hatte.
Ihre freundichaftlihen Beziehungen waren für beide nicht
ohne wmefentliche Vortheile. Ihre Studien und Unterhaltungen
hatten einzig und allein die Erweiterung ihrer Kenntniſſe und
die Schärfung ihrer Beurtheilungs- und Denffraft zum Zwech.
E3 galt bei ihnen feinerlei Autorität; von Borurtheilen Fonnte
bei fo vorurtheilslofen Männern überhaupt nicht die Rede fein.
Irgend ein wifjenfchaftliches Thema wurde discutirt, das Pro
und Contra bejtändig erwogen, niemal3 aber darauf ausge
gangen, den Einen zur Meinung des Andern fchlechterdings zu
bereden; jeder blieb felbjtändig und ging aus dem freundfcaft-
fihen Dispute nur vorurtheilsfreier und mit — und be
jtimmtern Ideen nach Haufe.
) Sonderbar, dat Mendelsjohn (Schr. V, 19) von diejen Briefen
ſpricht, als ob er den Verfaſſer gar nicht Fenne.
2) Nicolai, Ueber meine gelehrte Bildung (Berlin, 1799), 40.
ae A a
So oft fich Leffing in Berlin aufhielt, nahm er an den
Unterhaltungen der Freunde theil; fie wurden durch ihn nod)
lebhafter, weil, wie im Leben, jo auch im Disputiren, ex fich
gern der ſchwächern Partei anzunehmen pflegte. Ueberhaupt
fand zwiichen Mendelsfohn und Leſſing, wiewol verfchieden an
Erziehung und Denfungsart, befonders darin eine hervorftechende
Aehnlichkeit ftatt, daß fie beide gleich reinen Herzens waren,
gleich edelmüthig, gleich frei von aller Prätenfion, gleich fcharf-
finnig im fchnellen Entwideln, im genauen Unterfcheiden und
deutlichen Beftimmen der Begriffe Leffing war Iebhaft beim
Suden nad Wahrheit und bot feinen Scharfſinn nicht felten
auf, blos um zu vertheidigen oder zu widerlegen, was etwa
noch nicht ſtark genug vertheidigt oder widerlegt zu fein fchien;
Mendelsfohn war bedächtiger, mit deutlicherer Nücficht auf die
Resultate. Nicolai hatte wenigjtend die Aehnlichfeit mit ihnen,
daß auch er von aufrichtiger Wahrheitsfiebe, von gutem Willen
und von dem Streben befeelt war, durch Deutlichfeit der Be—
griffe Erkenntniſſe zu erlangen.!)
Die Freundichaft zwiichen Mendelsſohn und Nicolai, welche
nur wenige Häufer von einander entfernt wohnten, war in der
That eine recht innige, wie aus den Briefen beider an den
gemeinfamen Freund Leffing hervorgeht. So fchreibt Mendels-
john am 2. Auguft 1756: „Ich befuche Heren Nicolai jehr oft
in feinem Garten. Ich Liebe ihn wirklich, theuerfter Freund!
und ich glaube, daß unſere Freundfchaft noch dabei gewinnen
muß, weil ich in ihm Ihren wahren Freund liebe. Wir lefen
Gedichte; Herr Nicolai lieſt mir feine eigenen Ausarbeitungen
vor; ich fie auf meinem kritischen NRichterftuhl, bewundere, lache,
billige, tadle, bi8 der Abend hereinbricht. Dann denfen wir
noch einmal an Sie und gehen, mit unferer heutigen Verrichtung
zufrieden, von einander.“?) „Herr Mofes, der mir Ihre Ab-
) Nicolais Selbftbiographie in Lowes Bildniffen jettlebender
Gelehrten (Berlin, 1806), 16 f.
2) Schr. V, 32.
zu BE —
wefenheit etwas exträglicher macht, würdigt mich feiner Freund-
Tchaft,“ meldet Nicolai Leffing den 31. Auguft. „Sch habe
ihm die vergnügtejten Stunden de3 vergangenen Winters und
Sommers zu danfen, und bin, jo oft wir auch zufammen ge-
weſen find, niemal3 von ihm gegangen, ohne entweder beffer
oder gelehrter zu werden.“!) Er gewann durch Mendelsfohn
an philofophifchen und mathematischen Kenntnifjen, worin er
ihm weit überlegen war. Er hatte mit ihm fortdauernde Unter-
haltungen über die mathematifch-philofophifchen Werke Newtons,
„welche wol Lehrjtunden verglichen, ja vorgezogen zu erden
verdienten, denn ich konnte durch meinen Freund, verjicherte
Nicolai, alles was mir dunfel war, fogleid) erläutert, meine
Zweifel fogleich aufgelöft fehen.“?) Auch über die Philoſopheme
Shaftesburys, Humes, Spinozad und die Grundanfhauungen
der Kabbaliften erhielt er von ihm lichtvolle Erläuterungen.
Mendelsfohn Hingegen wurde durch ihn in den Studien
der neuern Sprachen gefördert und vorzüglich durch ihn zur
Erlernung des Griechifchen aufgemuntert. Was er von der
Literatur der Hellenen wußte, das Hatte er nur aus Ueber—
feßungen. Er hielt die Sprache diejes Volkes für fehr ſchwer
und glaubte nicht, daß es ihm vergönnt fein werde, bis in das
Wefen derfelben zu dringen. Sp fam er eines Tages zu Nicolai,
al3 diefer gerade dabei bejchäftigt war, den Demofthenes in der
Urſprache zu Iefen. „Wollte Gott, ich ſelbſt verjtände Griechifch,
oder es wäre noc möglich, es zu lernen! Sch wiirde wahr-
haftig alle Redner ruhig Tiegen laſſen und den Plato leſen,
für den ich ſchon durch die Yateinifche Ueberſetzung äußerft ein-
genommen bin.“ Nicolai verficherte ihm, er fünne mit dem ihm
eigenen Fleiße und einer nur mäßigen Anftrengung in zwei
Jahren es recht gut dahin bringen. Er rieth ihm, fich nur
nicht lange mit der Grammatik zu quälen, fondern einen leichten
Autor gleich ceurforiih mit Hülfe des Wörterbuches zu leſen.
') Leſſings Schr. XIIL, 25.
2) Nicolai, Gelehrte Bildung, 29.
— —
Aber Mendelsſohn ſchüttelte bedenklich den Kopf. „Ja,“ rief
er, „wenn ich immer einen Mann vor mir hätte, der mir ein
lebendiges Lexikon wäre, dann wollte ich ſchon damit fertig
werden.“ Nicolai dachte ſogleich an Damm, den Rector des
Köllniſchen Gymnaſiums, den er als guten Graeciſten kannte
und beſchloß mit ihm zu ſprechen.
Damm willigte freudig ein, die beiden jungen Männer zu
unterrichten; auch das Honorar war bald verabredet.1) Jeden
- Mittwoch und Sonnabend fah man zur beftimmten Stunde das
„lebendige Lerifon‘ nad) der Schloßfreiheit wandeln, wo Nicolais
Wohnung ſich befand und wo auch Mendelsfohn immer pimnftlich
zur Stelle war. Sie begannen mit dem Homer. Mit Rüdjicht
auf Mendelsſohn widmete Damm jedesmal eine Bierteljtunde
der Grammatik; da3 war aber bald nicht mehr nöthig, da der
fleißige Schüler ſich Leicht zutechtfand. Zwei Stunden waren
eigentlich feitgefeßt; bei dem Eifer, mit welchem man dem Studium
oblag, fam es jedoch nicht felten vor, daß das Zeitmaß aud)
um das doppelte überfchritten wurde.
| In der Regel trug Damm den griechischen Tert laut vor,
übertrug ihn dann ins Deutjche, erklärte Schwierige Stellen, und
beantwortete Mendelsfohns und Nicolai® Fragen. Oft aber
laſen und überjegten auch die Teßtern ſelbſt, während er ver-
befjerte, wenn fie fehlten. Für Mendelsfohn waren dieſe
Uebungen höchſt fürdernd. Als Nicolai vom Sommer 1759 ab
verhindert war, an dem Unterrichte theilzunehmen, las er mit
Damm noch mehr al3 ein Jahr lang den Plato; und Der
Nutzen, den er daraus 309, war fo beträchtlich, daß er ſämmt—
liche Werfe diefes Philofophen fpäter ohne jede Beihülfe in der
Urſprache ftudiren konnte. Dem alten unglüdlichen Rector Damm,
feinem Lehrmeijter, bewahrte ex ftet3 danfbare Erinnerung.?)
Mendelsfohn lebte noch immer hauptfächlic in fpeculativen
) 1. Aufl. ©. 540.
2) Neue Berliner Monatsſchrift, 1800, 3, 338 ff; ©. Malkewitz,
Sonntags:Beilage zur Voſſ. Zeitung vom 29. Mai 1881.
Ideen. Wollten ihn doch gerade in jener Zeit einige über-
reden, die ganze Metaphyſik „nach feiner Art“ zu bearbeiten!
Er gab diefem Wunſche jedoch nicht nah, denn er war feit
entichloffen, ein ſolches Werk nicht früher zu unternehmen, als
bis er das Vergnügen haben würde, mit Leffing zufammen zu
(eben. „Die Welt wird meine Metaphyſik nicht vermifjen, wenn
fie auch gar ausbleiben wird, und ich würde mich ſchwerlich be-
ruhigen fönnen, wenn ich eine herausgegeben hätte, ohne einen
freimüthigen Leſſing zum Beurtheiler gehabt zu haben.“ Er
wollte vor allem jeine philofophifchen Begriffe zur gehörigen
Reife gedeihen laſſen und fich ein wenig in der Mathematit
fejtfegen.?)
Zehntes Kapitel.
Das gelehrte Kaffeehaus und Mendelsſohns
mathematiiche Studien.
Die öffentliche Gejelligfeit war damals in Berlin eine ganz
andere al3 in unferer atomijtifchen Zeit.
Zu Anfang des Jahres 1755 wurde auf Beranlafjung des
Profefjiors Müchler oder, man weiß es nicht genau, des ſpätern
Abts Reſewitz,?) der damals als Candidat in Berlin Iebte und
mit Mendelsjohn in Briefwechfel jtand, ein Kaffeehaus für eine
geſchloſſene Gejellihaft von hundert Perſonen, größtentheils Ge
fehrten, angelegt. Mehrere namhafte Mathematiker, wie Euler,
Martini, der Lieutenant Jacobi, „ein ſehr geſchickter Mann, ein
guter Mathematikus und ein gründlicher Metaphyfifer‘,?) der
mehrerwähnte Doctor Gumpert, Wilke, ſpäter Secretär der
ſchwediſchen Akademie der Wifjenfchaften, Aepinus, Oberſt Möller,
ı) Schr. V, 23.
2) Nicolai, Meine gelehrte Bildung, 44; Schr. V, 214.
9 Schr. V, 28.
— 59 —
der in der Schladht bei Roßbach fi) ausgezeichnet hat, Bam-
berger, Nicolai u. a. waren Mitglieder diefer Gefellfhaft. Auch
Mendelssohn, der im Rufe eines tüchtigen Mathematifers jtand
— die feltenften mathematischen Werfe fanden fi) in feiner
BibliothHef — wurde aufgenommen. Hier traf er mit alten
Freunden zufammen, Fnüpfte neue Verbindungen an, unterhielt
jich über wiſſenſchaftliche Gegenftände, und fpielte er auch wol
jelbjt nicht, jo jah er doch zuweilen dem Spiele anderer zu.
In diefer Gefellichaft fpielten Euler, Gumper& und der Lieutenant
Jacobi einmal eine Partie Tarod. Sie hatten irgend ein Miß-
verjtändniß über die gejpielten Tarode, und nahmen Mendel3-
john, der eben in der Nähe ftand, zum Schiedsrichter. „Welches
Wunder!” rief er aus; „drei Mathematiker fünnen nicht richtig
einundzwanzig zählen.“ !)
Im heitern Geſpräche fchlug man eines Abends vor, daß
jeder der Anweſenden feine Fehler befingen folle. Mendelsfohn,
der verwachſen war und einen jtarfen Höder hatte, außerdem
auch jtotterte, fchrieb jchnell nieder:
Groß nennt ihr den Demofthen,
Den ftotternden Redner von Athen,
Den hödrigen Aeſop haltet Ihr für weiſe —
Triumph! Ich werd’ in Eurem Kreije
Doppelt groß und weiſe fein,
Denn Ihr habt bei mir im PBerein,
Was man bei Aeſop und Demojfthen
Hat getrennt gehört und gejeh’n.?)
Spiel und Amüfement waren aber nicht der alleinige Zweck
der Gejellichaft. Alle vier Wochen mußte ein Mitglied eine Ab—
handlung mathematischen, phyfifalifchen oder philofophiichen In—
halts vorlefen. Für diefe Gefellfchaft arbeitete auch Mendels-
john eine mathematische Abhandlung aus; er las fie aber nicht
jelbft vor, denn er traute fich des mündlichen Vortrages aus
) Schr. V, 214.
2) Aus Müchlers El. philof. Schriften; Schr. I, 37.
— 0 —
Aengitlichkeit und Beſcheidenheit nicht; fein Stottern mag ihn
beſonders davon zurüdgehalten haben. Er erſuchte alfo einen
andern, das Borlefen feiner Arbeit zu übernehmen. Ein Mit-
lied der Gefellichaft, ein Schottländer namens Middleton, der
ih damals in Berlin aufhielt, um die deutjche Literatur zu
jtudiren, und auch Mendelsfohns Briefe „Ueber die Empfindungen“
ins Englische überjegte, trat in den Saal, als eben die Bor-
(efung begann. Nachdem er eine Weile zugehört Hatte, ftellte
er fih neben Mendelsjohn und fragte ihn leiſe, wer der Ber-
faffer diefer Arbeit ſei. Mendelsfohn winkte ihm, die Vorleſung
nicht zu unterbrechen, und zeigte auf den Vorlefer ala Verfaſſer.
Middleton fchüttelte den Kopf, weil er dem Borlefer eine folde
Abhandlung nicht zutrauen mochte. Er hörte ferner aufmerffam
zu, und nachdem noch ein paar Seiten vorgelefen waren, raunte
er feinem Nachbar Mendelsfohn ins Ohr, er fei der Verfaſſer,
er möge es nur nicht weiter leugnen. Dieſer fchüttelte aber
mals den Kopf und wies wiederholt auf den Borlefer. Plötzlich
ericholl ein lautes Gelächter. Als nämlich der Vorleſer an die
Stelle der Abhandlung fam: „Der Grad der göttlichen Präfcienz
ji = 0 (Null),“ las er jtatt Null, o. Auf diefe® ganz um
vermuthete, jehr vernehmlich ausgeiprochene DO! fingen die Zu:
hörer an zu Yachen, denn es famen zwar die Buchitaben a, b,
n, £, y vor, aber fein vo. Jetzt fragte Middleton den felbit
fachenden Mendelsfohn wieder, ob er noch die Autorfchaft in
Abrede jtellen wolle.)
Mendelsjohn war in der That der Berfaller, die vor
gelefene Arbeit eine Frucht feiner mathematischen Studien, die
Abhandlung „Ueber die Wahrfcheinlichkeit”. Auf Leffings wie
derholt geäußerten Wunfch Tieß er fie aus den „Vermiſchten Ab:
handlungen und Urtheilen über das Neueſte aus der Gelehr—
ſamkeit“,) in welchen fie zuerſt im Drude erſchien, für ihn
’) Schr. V, 215 f.
2) Berlin, Voß, 1756, III, 3—27.
——
abſchreiben, um ſie ihm zu ſchicken. Leſſing, der von vorn—
herein verſicherte: „Ich will gewiß keine Zero für ein O an—
ſehen“,) las fie mit „recht großem Vergnügen“. „Wenn id)
fie noch ein paar mal werde gelejen haben,“ heißt es in feinem
Briefe vom 18. December 1756, „hoffe ich, fie fo weit zu ver-
itehen, daß ich jie um einige Erläuterungen fragen fan. Wenn
ji) von folhen Dingen jo gut ſchwatzen Tieße, wie von der
Tragödie.” ?)
Ohne zu neuen Auffchlüffen zu gelangen, jtellt Mendels-
fohn in diefer Abhandlung, in welcher er von der Wolffiichen
Definition vom Wahrfcheinlichen ausgeht, die mathematiſchen
Unterfuhungen jener Zeit über die Wahrjcheinlichkeit ſorgfältig
zufammen und beleuchtet Humes Kritik der Caufalität im pole-
miihen Sinne Er will jedoch die Gültigkeit der Erfahrungs
ichlüffe in Bezug auf Urfächlichkeit nachweifen, ohne zu bemerken,
daß fein Gegner ihnen nicht Wahrfcheinlichfeit, jondern nur
unbedingte Gültigkeit abgeiprochen Hatte.
Diefer Abhandlung, aus der er das Wefentliche in den
„Morgenftunden” wiederholt,3) widerfuhr die unerwartete Ehre,
daß der Akademiker Profeſſor Aepinus, ein heftiger Gegner der
Wolffiichen Philofophie, den es fchmerzte, den Sat des zureichen-
den Grundes in Anfehung der freiwilligen Handlungen des
Menfchen auf eine jo neue Art bewiefen zu jehen, fie zu wider—
fegen juchte. Aepinus Tas feine Gegenfchrift in der Gefellichaft
des gelehrten Kaffeehaufes vor, und da Mendelssohn feinerfeits
die Antwort auch nicht ſchuldig blieb, fo entipann fich zwiſchen
ihnen eine literarifche Fehde, welche über ein Jahr währte und
in welcher endlich, vielleicht auf Mendelsſohns Borichlag, der
Profeſſor Baumgarten in Frankfurt an der Oder als Schieds—
richter angerufen wurde, #)
1) Schr. V, 38.
2) Schr. V, 69.
3) Schr. II, 358 ff.
‘) Schr. V, 60, 82.
EIER > RE
Baumgarten, der einflußreichite Vertreter der Wolffiſchen
Philofophie und der Begründer der Wiſſenſchaft der Aeſthe—
tif, war Mendelsjohn perfünlich befannt. ALS jich der Profefior
vom December 1755 an mehrere Monate Franfheitshalber in
Berlin aufhielt, befuchte er ihn mehrere male.) An ihn wandte
er fich in feinem Streite mit Aepinus. Aber wie groß waı
fein Erftaunen, al3 er fand, daß Baumgarten nicht allein ein
Mathematiker und „itarfer Metaphyfifer“, fondern auch ein vecht
orthodorer Mann voller Vorurtheile fei. Orthodoxie witterte eı
gleich bei feinem erjten perfönlichen Zufammentreffen mit ihm, fo
daß er Leffing fragte, ob Baumgarten wirklich orthodox fei, oder ob
er fich nur fo ftelle.?) Sobald er feine Antwort in Händen Hatte,
zweifelte er nicht mehr, „daß das Herz dieſes Mannes mit fei-
nem Berjtande in feiner genauen Berbindung ſtehe“. Sollte
der ejthetifer, der unter pietijtifhen Einflüffen erzogen und
von denfelben nie ganz frei war, etwa Verfuche gemacht Haben,
Mendelsfohn, den PBhilofophen, zu befehren? Wie fäme fonit
das dreißigfte Kapitel der Sprüche Salomonis in ihren Brief—
wechjel, und was fünnte Mendelsjohn mit der Frage meinen,
die Baumgarten an ihn gerichtet und die „unmöglich Ber
jtellung fein konnte?“ Mit Widerwillen dachte er an den von
ihm erhaltenen Brief, deſſen tiefjinniger philofophifcher Theil
ihm auch nicht fonderlich gefiel. „Was er darin fagt,“ fchreibt
er im November 1757 Lefjing, dem er auch die Baumgartenſche
Antwort ſammt feinem Schreiben fchidte, „paßt gar nicht auf
die Frage, welche ich gethan habe, und er fcheint mir durd
Winfelzüge entwifchen zu wollen.) Erjt nad) langem Zaudern
entichloß er ji ihm zu antworten; die „wunderbare Frage“
fie er freilich ganz unerwähnt und befchränfte ſich auf die
feine mathematifche Abhandlung betreffenden Punfte.*)
1) Schr. V, 18, 28.
2) Schr. V, 18.
3) Schr. V, 137.
4) Schr. V, 145; der Brief an Baumgarten V, 415 ff.
ee: HAM: oo
Der Streit mit Aepinus war beendet. Sie wechfelten noch
einige Schriften über die Materie, wie es in dem Briefe an
Baumgarten Heißt, und endlich hatte der Gegner die Ehre, das
legte Wort zu behalten.
Elftes Kapitel.
Der Künitler und Dichter.
Das Studium der Mathematif, welches er jahrelang, bis
die Umjtände ihn nöthigten, diefer Wiffenfchaft zu entfagen, mit
Liebe betrieb, Teitete ihn auch auf die mathematifche Mufif. Er
hatte fi) mit Euler3 großem Werfe über die neue Theorie der
Mufif längere Zeit befchäftigt und war dadurd) auf den Ge—
danfen gefommen, fich auch praftifch etwas von der Kunjt an-
zueignen. Es dauerte auch gar nicht lange, fo faß der Groß—
vater des großen Tonkünftlers, deſſen Schöpfungen eine Herz
und Seele ergreifende Wirkung hervorbringen, am Clavier. Bei
dem Mufifer Kirnberger, der nach feiner Gefchiclichfeit in der
Mufif ein beſſeres Schickſal verdient hätte, nahm er Unterricht.
Kirnberger dünkte fich ein philofophifcher Mufifer zu fein. Hatte
er auch über feine Kunft mehr nachgedacht, als viele andere
feineggleichen, fo ging ihm doch die Deutlichfeit der Begriffe,
bejonders aber die Gabe ab, fich andern verjtändlich zu machen.
Mendelsſohn unterhielt fi) nun mit dem philofophifchen Mu—
jifer über den philofophifchen Theil der Mufif, zu dem er aud)
einen Heinen Titerarifchen Beitrag „Verſuch, eine vollfommen
gleichſchwebende Temperatur durch die Conftruction zu finden“,?)
geliefert Hatte; er glaubte ihn zu verjtehen, weil fein eigener
Scharfiinn Kirnbergerd Undeutlichfeit erfegte, und der Lehrer
ihn verficherte, daß er alles Mufikalifche trefflich fafje. Bei Be—
1) Schr. IV, 1, 3—14.
ur ME.
ginn des Unterrichtes wollte Kirnberger feinem Schüler die ver-
ihiedenen Taktarten erklären; iiber den Unterfchied von 3/, und
6/g Takt konnten fie fi) durchaus nicht verjtändigen. Mendels-
john fragte, wie es denn zugehe, daß 3/, nicht 6/g machen follten?
„Weil der eine ein Tripeltaft, und der andere ein gerader Takt
iſt,“ erwiderte Kirnberger. So oft er aber nach dem Warum
gefragt wurde, fegte er ſich ans Clavier, ſpielte 3/, und 6/g gegen-
einander vor und fagte belehrend: „Nicht wahr? Nun Hören
Sie doch, daß das Erjtere Tripeltaft ift?” „Nein,“ erwiderte
Mendelsiohn, „ich kann feinen Unterfchied hören.” Wohl auf
fechjerlei Art fpielte er die beiden Taftarten vor; e3 blieb mit
dem Schüler wie vorher. Endlich fagte der Fuge Meiſter un—
geduldig: „Ich kann nicht begreifen, wie Sie ein Mathematiker
fein und nicht 3/, abmeffen können, daß es ein Tripeltaft ift.“
Mendelsiohn blieb bei feiner Behauptung, daß er als Mathe-
matifer feine 3/, kenne, die nicht auch %/, wären, „aber da Dies
in der Muſik unterfchieden fein fol,“ fügte ex Hinzu, „jo fange
ih an zu glauben, daß ich Fein mufifalifches Gehör Habe, um
den Unterfchied zu empfinden.” Nach Verlauf von wenigen
Monaten jtellte er den Mufifunterricht ein, doch trug er eine
fleine reizende Minuet davon, die er ziemlich langſam auf dem
Clavier jpielen konnte. „ES ift doch fonderbar,” fagte er oft
(ächelnd, „ich kann den Tripeltaft Spielen, aber nicht Hören.” 2)
Und dabei hatte er ein gutes mufifalifches Gehör! Ohne
ein Inſtrument im eigentlichen Sinne des Wortes jpielen, oder
die Töne im Singen treffen zu können, war er im Stande, alle
Berhältniffe in der Muſik, die Verfegungen der Accorde, Die
1) „Als ih Mufik lernen wollte,’ jchreibt Mendelsjohn noch im
August 1764 an Abbt (V, 331) „und im Spielen jehr oft wider den
Takt fündigte, fagte mein Eluger Meifter: Mein Gott! Wiſſen Sie
denn nicht, daß ©, fo viel find als '?/,,? Prägen Sie ſich das doch ein:
3/4, 9/8, "rs. Der gute Mann! Theoretiſch wußte ich es jo gut und
wohl noch beſſer als er.‘
2) Schr. V, 217.
= fh:
verjchiedenen Combinationen dev Töne u. f. w. leicht auszu—
rechnen. ')
Es gab überhaupt eine Zeit, in der Mendelsfohn auf
bejtem Wege war, ein echter Bel-Esprit zu werden: er nahm
Clavier-Unterriht, befuchte Theater und Concerte und machte
Gedichte.
Hebräifche Gedichte hatte er, wie bereit3 erwähnt, fchon
al3 zehnjähriger Knabe verfertigt, diefelben aber vernichtet und,
weil nach feinem Dafürhalten poetifhes Talent ihm abgehe, den
Vorſatz gefaßt, nie wieder zu dichten; fpäter verfuchte er fich in
Heinen hebräifchen Gelegenheitsgedichten, von welchen einzelne,
wie ein Carmen auf Michel David, deſſen Gaſt er war, fo oft
er nad) Hannover fam, ung erhalten find. 2)
Der Umgang mit Nicolai, der ihm zuweilen feine Gelegen⸗
heitsgedichte vorlas, regte eine poetiſche Ader in ihm an und er
machte auch deutſche Verſe. „Hier iſt was!“ heißt es in der
Nachſchrift zu einem Briefe an Leſſing vom 29. April 1757.
„Zu Anfange des Winters hatte ich an einem Abende folgende
Verſe gemacht. Ich habe gelogen. Ich mag wohl mehr als
ſechs Abende darüber zugebracht haben; allein Poeten müſſen
wacker lügen.“ Und was war das? Das Fragment eines ſelbſt—
verfertigten didaktiſchen Gedichtes!
Jetzt liegt der träge Schwarm, von ſteten Qualen matt,
Nachläſſig hingeſtreckt, auf weicher Lagerſtatt.
Das Thieriſche iſt todt. Empfindung, Sinn, Beſtreben
Hört plötzlich auf, und nur die Pflanze hat noch Leben.
Der rege Trieb entſchläft, der ſie durchs Leben jagt.
Als Pflanze ruht der Menſch, als Menſch iſt er geplagt.
Wer niemals denkt, wer ſich nur ſo wie Thiere weidet,
Verfehlt des Schöpfers Zweck; wer immer denkt, der leidet.
Die ſteinerne Vernunft wetzt jenen Stachel ab,
Der uns zum Fühlen reizt, und wird der Freuden Grab.
) Mendelsſohns Bemerkungen über Burkes philoſophiſche Unter:
ſuchungen in K. Leſſing, Leſſings Leben II, 228.
2) Sammler, 1784, S. 130, wieder abgedruckt Bickure Haittim
(Wien, 1821), ©. 82 ff.
ſtayſerling, Moſes Mendelsfohn. 5
u. WE is
Verſucht's, o Sterbliche! befämpft der Thorheit Gögen,
Die Sudt nad eitlem Ruhm, den Durft nad) feilen Schäten . ..')
Es läßt ſich denken, daß ein Leffing, der von didaktiſchen
Gedichten überhaupt nichts wiſſen wollte, von dieſen Werfen,
deren ähnliche der junge Dichter noch mehr Tiegen hatte, nicht
fonderlich erbaut war. Er mag ihm auch fein Wort des Lobes
oder Tadels darüber gejchrieben haben, und Mendelsjohn war
einfichtsvoll genug, die Aufmunterung des Freundes: „Schreiben
Sie, mein lieber Moſes, fo viel als Ihre geſunde Hand .nur
immer vermag, und glauben Sie jteif und feit, daß Sie nidt
Mittelmäßiges fchreiben können... denn ich habe es gefagt!“?)
am allerwenigjten auf feine Verfe zu beziehen. Die Danklieder,
welche er einige Monate fpäter, zur Feier der Schlacht bei Roß—
bad, aus dem Hebräifchen ins Deutfche überfegte, ſchickte er
Leffing nicht, weil fie ihm nicht wichtig genug jchienen: „fe
haben zwar den Leuten allhier gefallen, allein wie viel Leute
haben hier Geſchmack?“s) Leffing fand die Ode, die er durd
Nicolai erhielt, vecht Schön, er wollte deshalb alle feine poeti—
ſchen Arbeiten, bejonders die Fortiegung des Lehrgedichtes und
auch die Danflieder fehen, welche er nach der fiegreihen Schladt
Friedrich des Großen bei Leuthen aus dem Hebräifchen ins
Deutſche überjegt hatte.)
Mit der Poeſie Hatte es bald ein Ende; feine poetiſchen
Producte befchränften fich meistens auf Webertragungen. So
verfertigte er im Jahre 1758 für Kirnberger einen Bußpfaln,
welchen diejer in Muſik feste, und wovon die Partitur, für vier
Singftimmen mit Generalbaß, ſich handſchriftlich in der könig—
1) Schr. V, 91.
2) Schr. V, 113.
3) Schr. V, 139.
9 Schr. V, 140, 141. Dieſe Danklieder, welche in den Gef. Schr.
nicht aufgenommen wurden, finden ſich in meiner Schrift: Zum Siege#
fefte. Dankpredigt und Danklieder von Moſes Mendelsjohn. Eine
Reliquie. (Berlin 1866), ©. 16—21.
u
lichen Bibliotdef zu Berlin befindet.) Er überſetzte Gedichte
Popes, den herrlihen Monolog Hamlets, Ueberfegungen, welche
mufterhaft zu nennen find,2) verfertigte ein „Brautlied auf die
Bermählung der Prinzeffin Wilhelm von Preußen mit dem
Prinzen von Dranien”, das am Laubhüttenfefte 1767 unter
Mufikdegleitung in der Berliner Synagoge vorgetragen wurde, ?)
ein Danklied der Judenſchaft bei Entbindung der Prinzeffin von
Preußen”) u. a., welche fich über das Niveau gewöhnlicher
Gelegenheitsgedichte erheben.
Dichter im eigentlichen Sinne war Mendelsfohn nicht. „Die
Mufen, diefe Schweitern, die oft den jungfräulichen Eigenfinn
haben, dem Sünglinge günftig zu fein und dem Manne den
Rücken zuzumenden, diefe Mädchen find mir nie recht gut ge—
wejen, und wie ich glaube, aus Eiferfucht gegen ihre Schweiter
Kritifa, der ic) manchmal die Aufwartung gemacht habe. Seit-
dem mir aber das Höllenfind Mammon zuweilen mit eijernen
Fingern die Ohren zupft und fragt: Was bringt es ein? feit-
dem Haben mich Mufen und Kritif verlaffen und ich bin der
Poeſie wie abgeftorben. Ich habe faſt Fein Gefühl mehr für
Poeſie. Ich Löfe mir die Gedanken in fchlichte Profa auf...”
So ſchrieb Mendelsfohn vier Jahre vor feinem Tode an den
unglüdlihen Dichter Ephraim Mofes Kuh, einen Neffen des
reihen Beitel Ephraim, der das Manufeript feiner Gedichte
Mendelsfohn, mit dem er während feines mehrjährigen Aufent-
haltes in Berlin Häufig verkehrte, auf Leſſings Empfehlung zur
Beurtheilung überfandte. „Ich, Poeſie beurtheilen, der ich mic)
gewöhnt, fie mehr mit der logiſchen Brille als mit dem äftheti-
ſchen DOpernguder zu betrachten? Ich, Richter über ſchalkhafte,
niedliche, fcherzhafte Riens (vergeben Sie! ich kann diefes nach—
drüdliche Wort nicht überfegen); über poetifches Dragée, das
Schr. VI, 401.
2) Schr. VI, 391 ff., I, 322, 328.
3) Schr. VI, 39 ff. ©. Berliner Priv. Zeitung vom 24. Dct. 1767.
4) Schr. VI, 398 ff.
-
5*
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blos den Gaumen figelt, ohne den Magen zu befriedigen? Ber-
geben Sie, Freund Leffing! Da haben Sie unferm Freunde Kuh
nicht den beiten Rath ertheilt, daß Sie ihn an mich gewiefen.“
Mit diefem Dichter, „den bald das ſchnöde Glück, bald
auch der Schurfen Tüde genedt“ und der im Wahnfinn aus
der Welt jchied, wurde Mendelsfohn in Mißhelligfeiten ver:
widelt — duch eine Dde. Kuh Hatte ihm diefelbe zur Ver—
beſſerung eingeſchickt. Mendelsfohn verbefjerte, veränderte, fügte
einige Strophen Hinzu und theilte fie einigen Freunden als eine
Dichtung Kuhs mit. Diefe Ode galt — man weiß nicht wie
— don jeher für das bejte unter den Gedichten Mendelsfohns.
Die von ihm in diefer Ode vorgenommenen Berbefjerungen find
allerdings jo mefentlih, daß von dem urfprünglichen Gedichte
nicht viel mehr geblieben iſt als — die Ueberfchrift.)
Eben fo früh wie in Gedichten verfuchte ſich Mendelsfohn
in Predigten: er iſt der erſte deutſche Jude, welcher deutſche
Predigten zu gottesdienftlihen Zweden, wenn auch nicht ge
halten, jo doch gefchrieben hat. Am 25. November 1757 über-
raſchte er Leffing mit der Neuigfeit, „daß es fchon fo weit ge-
fommen fei, daß er eine Predigt fchreibe und einen König
{obe.?) Diefer Predigt, auf den Sieg der Preußen bei Rof-
bach, welche der Oberrabbiner David Fränfel am 10. November
1757 in der Synagoge zu Berlin vortrug und welche Leffing
jehr Schön fand, folgte vier Wochen fpäter aus Beranlafjung
der Schlacht bei Leuthen feine „Danfpredigt,“ welche unter
David Fränfel3 Namen mit dem Zufage „Ins Deutfche über-
ſetzt“ im Drude erfchien.d) Dann brachte er ſechs Jahre fpäter
noch ein Homiletifches Product zur Welt: eine Friedenspredigt,
IM. ſ. mein Der Dichter Ephraim Kuh. Ein Beitrag zur Geſchichte
der deutſchen Literatur (Berlin, 1864). Der Brief Mendelsjohns an
Kuh, der in den Gef. Schr. fehlt, daſ. S. 27 ff. Weber die „Ode zum
Lobe Gottes’ (Schr. VI, 396 ff.), daf. ©. 30 f.
2) Schr. V, 139.
) Berlin 1757. Dieje Predigt, 100 Jahre für verloren gehalten,
wieder veröffentlicht in: Zum GSiegesfefte, ſ. S. 66, Note 4.
Kae ) SE
über welche, wie e3 in einem Briefe an Leffing heißt, „Doctor
Stop wol hätte einfchlafen und Vetter Toby fein Lillabulero
noch zweimal jo laut pfeifen mögen.!) Diefe Predigt, zur
Feier des Hubertburger Friedens,?) wurde Sonnabend den
12. März 1763 in der Synagoge zu Berlin von dem Rab—
biner Aron Mofesfohn gehalten?) und unter defjen Namen bei
Nicolai gedrudt. Der Berfaffer, welcher auf die Ehre ver-
zichtete, auch) als Prediger befannt zu fein, feßte aus Scherz
auf den Titel: „Ins Deutfche überjegt von R. ©. K.““ denn,
meinte er, „da der Rabbi Samfon Kalir ſich meine — 1761
erichienene — hebräifche Logik zugeeignet hat, jo mag er nun
auch meine Predigt auf ſich nehmen.“
Wie immer man Mendelsjohns poetifche und Homiletifche
Berfuche befritteln und belächeln mag, Sinn für Schönheit und
Kunft, bedeutende Begabung für äjfthetifche Kritik wird ihm
niemand abfprechen können. Leſſings und Nicolais Freundſchaft
brachte es dahin, daß er der grübelnden Metaphyfif, feiner ehr-
würdigen Matrone, wie er fie nennt, einen Theil feiner Liebe
entzog und fie auf die ſchönen Wifjenfchaften übertrug.) Er
gehört nächſt Sulzer zu den exjten feiner Zeit, welche den
Aufbau einer damals neuen philoſophiſchen Disciplin merklich
förderten, und feine Arbeiten auf diefem Gebiete ficherten ihm
den Namen und den Rang eines eleganten Wejthetifers.
') Schr. V, 173.
2) Sonnabend den 12. März begann die hiefige Judenfchaft das
Friedensfeft in ihrer Synagoge, bei welcher Gelegenheit der Hiefige
Rabbiner Aron Mofes eine „erbauliche und wohlgefaßte Rede“ hielt.
Auch in Potsdam hielt R. Michael Hirſch eine „erbauliche Predigt,
welche mit nädftem im Drude erjcheinen ſoll.“ Berliner Priv. Zeitung
vom 15. und 29. März 1763.
3, Die Friedenspredigt erichien in Berlin 1763, hebr. und deutſch
herausgegeben von Hartog Leo, Berlin 1764; hebr., Sammler 1789, 14 ff.,
deutih, Schr. VI, 407—415.
9 Schr. V, 32.
——— ————
Viertes Bud.
Der Aecfthetiker.
Zwölftes Kapitel.
Die Briefe über die Empfindungen.
Die Aeithetif, der erſt Furz vor Mendelsſohns Auftreten
als ſelbſtſtändige Disciplin eine Stellung in der Philofophie
eingeräumt wurde, hat an dem fechsundzwanzigjährigen jungen
Manne einen jehr eifrigen Förderer gefunden; nächſt Baum-
garten, dem bereit3 genannten Begründer der Aeſthetik, nädjit
Leifing und Sulzer, gehört er zu den Männern, welche der nod)
jungen ®ifjenichaft den folgenreichjten Aufihwung gaben. Auf
diefem Gebiete liegen feine werthoolliten Leiftungen, welche in
Folge der Wechſelwirkung zwifchen ihm und Leſſing einen tief-
gehenden Einfluß auf die ganze damalige Literaturrichtung aus-
geübt haben.!)
Sein frühefter VBerfuh auf diefem Gebiete waren die
„Briefe über die Empfindungen“.?)
) Mendelsjohn ala Aefthetifer, mit Zugrundelegung diefer Bio:
graphie, gewürdigt in: Die Stellung Mojes Mendelsjohns in der Ge—
ihichte der Aefthetif von G. Kanngieker (Frankfurt a. M. 1868).
2) Berlin, Voß, 1755; Schr. I, 103—1%. TH. Abbt überjegte
die Briefe unter dem Titel: Recherches sur les Sentiments etc. Geneve
et Berlin 1764 (Schr. V, 277).
“
u MT,
Sie erihienen vier Monate nad) den „Philofophifchen
Geſprächen“ und wurden ebenfall3 durch Leffing an die Deffent-
Tichfeit gezogen, der in dem „Vorberichte“ zu denfelben Yaut
gegen die Ehre protejtirte, daß man die „Geſpräche“ auf feine
Rechnung gejchrieben Habe. „Folgende Unterredungen,” heißt
e3 in dieſem charakteriftiichen Worberichte, „die die Freunde
über die Natur des Vergnügens gewechjelt haben, fowol, als
die Tegthin ohne Benennung des Verfaſſers herausgefommenen
„Philoſophiſchen Gefpräche”, die in der Gefellfchaft eben diefer
Freunde gehalten worden, find mir durch einen feltenen Zufall
in die Hände gerathen, und ich fonnte mich nicht enthalten, die
feine Verrätherei zu begehen, fie der Welt befannt zu machen.
Man wollte diefes im Vorübergehen erinnern, um dem Anfuchen
eines befannten Schriftiteller® Genüge zu leiſten, auf deſſen
Rechnung man die „Philoſophiſchen Gefpräche“ Hin und wider
geihrieben Hat. Er glaubt (diefes find feine eigenen Worte),
daß man e3 ihm al3 eine plagiarifche Eitelfeit auslegen müſſe,
wenn er diefe Vermuthung nicht von fich ablehnte.“ 1)
Dem „bekannten Schriftiteller”, der fein anderer als der
Profeſſor Michaelis, der Necenfent der „Geſpräche“ in den
Göttingifchen Gelehrten Anzeigen, war, hatte Mendelsfohn anı
7. September 1755 die „wenigen Bogen, mit denen er fid)
wiederum in die gelehrte Welt gewagt”, direct und von einem
bejonderen Schreiben begleitet, zugefandt. Er dankte dem Herru
Profefjor zunächſt für das gütige Urtheil, daS er über die
„Geſpräche“ gefällt, und erfuchte ihn in feinem Namen und in
dem des „Herın Mag. Lejfing”, den beifolgenden wenigen
Bogen eine müßige Stunde zu fchenfen. „Wollen Sie einen
Unbefannten, der ſehr viel Hochachtung für Ihre Einfichten hat,
verbinden, fo bitte ich, Iefen Sie bei müßigen Stunden diefe
wenigen Blätter und melden Sie dem Herrn Mag. Lelfing, an
!) Die legte Hälfte des hier aus dem Vorberichte in der Driginal:
Ausgabe der Briefe Mitgetheilten fehlt in den Gef. Schr. I, 110.
— ———
den Sie ſonſt nicht Selten zu ſchreiben pflegen, Ihr Urtheil
darüber. Ihr Beifall wird mich erfreuen, Ihr Tadel belehren,
und beide zu fernerem Nachdenken aufmuntern. So gewöhnlich
und abgenutzt Ihnen dieſes Autorcompliment ſcheinen dürfte, jo
ungeheuchelt muß es doch in dem Munde eines Juden ſein, deſſen
zeitliche Umſtände es erfordern, Niemanden, außer ſehr wenigen
Freunden, für etwas mehr als einen Buchhalter bekannt zu ſein.“)
Michaelis kündigte die ihm geichidten „Briefe“ jchon am
9. October 1755 mit wenigen Worten in den Götting. Gelehrten
Anzeigen?) an, und erflärte fie für „eine Schrift, die einen ſehr
nachdenfenden und philoſophiſchen Verſtand, dabei aber einen
Schüler und PVertheidiger Leibnizens und Wolffens entdedt, einen
von den Schülern Wolffens, der beſſer iſt als die Meiften, fo er
erlebt hat.“
') Schr. V, 412. Infolge diejes Schreibens erihien von Michaelis
am 2. October 1755 in den Gött. Gel. Anzeigen (S. 1107) folgende
Erflärung: „Bir haben S. 586 in unjerer Vermuthung gefehlt, da
wir die „Geſpräche“ für eine Arbeit des Herrn Mag. Leifing angejehen
haben. Wir haben jeit der Zeit den wahren Berfafler, von dem mir
nächſtens eine andere Schrift anzeigen werden, fennen lernen, und ob
wir gleich noch Bedenken tragen, ihn völlig befannt zu maden, weil er
uns jelbjt meldet, jeine zeitlihen Umftände erfordern es, Niemanden
außer jehr wenigen Freunden für einen Schriftſteller befannt zu fein,
jo dürfen wir doch unſern Leſern nicht verichweigen, daß er feiner äußern
Lebensart nah gar nicht zu den Gelehrten gehört, dak man ihn auch
nicht unter denen, die fi zum Chriſtenthum befennen, zu juchen habe,
jondern unter den Juden. Dieje Neuigkeit hat uns fein Buch nod
weit angenehmer gemacht, als es vorhin war, da wir blos auf Sade
und Ausdrud jahen und nicht wuhten, aus was vor einer unerwarteten
Feder eine jo wohl gerathene Schrift geflofjen war.’ Kanngieher, «a.
a. D. ©. 27 und Mor. Braſch in der Einleitung zu den „Briefen über
die Empfindungen’ in den von ihm herausgegebenen Schriften Moſes
Mendelsjohns (Leipzig 1881) II, 4, haben dieje Etelle, in der 1. Aufl.
©. 83 mitgetheilt, mißverftanden. Nicht die Autorjchaft der „Briefe“,
fondern die der „Philoſ. Geſpräche“ vindicirte der Recenjent Leſſing;
mit der „wohl gerathenen Schrift‘ find die „Geſpräche“ gemeint.
*) Götting. Gelehrt. Anzeigen, 1755, 1127.
— 7585 —
Als Schüler Wolffs, oder vielmehr Baumgartens, erſcheint
Mendelsſohn allerdings in ſeinen äſthetiſchen Abhandlungen und
ſpeciell in den „Briefen über die Empfindungen“.
Ohne ſich über principielle Fragen der Kunſt auszulaſſen,
thut er unmittelbar in die Tiefen der Empfindungen einen
ſpähenden Blick, und giebt damit deutlich zu verſtehen, daß auch
nach ihm die Aeſthetik weſentlich auf Pſychologie beruhe. Der
Gegenſtand ſeiner Philoſophie iſt vorzugsweiſe das menſchliche
Subject, ein Weſen, in welchem ſich dunkle und deutliche Vor—
ſtellungen, niedere und höhere Erkenntniſſe zu gleicher Zeit finden.
Von zwei Freunden, dem Jüngling Euphranor und dem
Weltweiſen Palemon oder Theokles, wie er in den ſpäteren
Auflagen genannt wird, läßt Mendelsſohn in funfzehn Briefen
die Theorie der Schönheit entwickeln. Die Schönheit, das
Vergnügen, beruht nach dem Ausſpruche Wolffs und Baum—
gartens in der dunkeln oder undeutlichen Vorſtellung einer Voll—
kommenheit. Wir fühlen nicht mehr, ſobald wir denken. Der
Affect verſchwindet, ſobald die Begriffe aufgeklärt werden.!)
Dieſer einſeitigen Auffaſſung gegenüber wird von Theokles, der
die Anſichten Mendelsſohns vertritt, geltend gemacht, daß Klar—
heit der Vorſtellung das Vergnügen befördere. „Die Wahrheit
ſtehet feſt: kein deutlicher, auch kein völlig dunkler Begriff ver—
trägt ſich mit dem Gefühle der Schönheit; jener, weil unſere
eingeſchränkte Seele keine Mannichfaltigkeit auf einmal deutlich
zu faſſen vermag, dieſer, weil die Mannichfaltigkeit des Gegen—
ſtandes in ſeine Dunkelheit gleichſam verhüllt und unſerer Wahr—
nehmung entzogen wird. Alle Begriffe der Schönheit müſſen
zwiſchen den Grenzen der Klarheit eingeſchloſſen ſein; denn je
ausgebreitet klarer die Vorſtellung des ſchönen Gegenſtandes,
deſto feuriger iſt das Vergnügen.“ Im Augenblicke des Genuſſes
muß kein beſonderer Begriff deutlich bleiben wollen. Durch das
Anſchauen des Ganzen werden die Theile ihre hellen Farben
') Schr. I, 114.
u. FE ae
verlieren, oder Spuren Hinter jich Yafjen, die das Ganze auf-
klären und das Vergnügen lebendiger machen. Diefer allgemeine
Grundfag wird dann auf die Kunſt angewandt. Der Künftler
darf im Augenblide des Schaffens feine Regeln nicht allzu
deutlih vor Augen Haben; fie find Borbereitungen, follen die
Einbildungsfraft nicht im Bügel Halten, fondern ihr nur von
ferne den Weg zeigen, und nachrufen, wenn fie in Gefahr ift,
ſich zu verlieren. !)
Aber nicht nothivendig müſſen die angenehmen Empfin—
dungen aus dunklen Begriffen entjtehen, fonjt wäre der auf-
geflärte, höhere Geift ärmer an Freude als der niedere, und
Weſen von höherer Art würden zu der bittern Klage gegen die
Borfehung berechtigt fein: „Du Haft uns mit deinem Fluche
beladen, indem du ung aufgeflärte Geifter verliehen haft; es
fehlt uns an dunfeln Empfindungen, an der Duelle des Ber:
gnügens, mit welcher die unteren Weſen reichlich verfehen find.“
Es ijt daher nicht das dunfle Gefühl Duelle des Ange
nehmen, fondern je größere Mannichfaltigfeit ein Weſen deutlich
faffen fann, um fo glüdlicher ift es, weil die Gegenſtände als-
dann mit mäcdhtigerem Reize auf dafjelbe wirken fünnen.?)
Mendelsfohn zieht nun im fünften Briefe, im Gegenfaß zu
Baumgarten, die Grenze zwifchen Schönheit und Vollkommen—
heit. Die Schönheit befteht in der gefälligen äußern Ber:
fnüpfung, d. h. in der Form, die Vollkommenheit in dem ver:
nünftigen innern Bufammenhange und der Gefegmäßigfeit. Die
Einheit im Mannichfaltigen ift ein Eigenthum der fchönen
Gegenftände. Sie müfjen eine Ordnung oder fonjt eine Boll
fommenheit darbieten, die, und zwar ohne Mühe, in die Sinne
fällt. - Die Sinne follen begeiftert fein, und von ihnen fol fic
die Luft auf die müßige Vernunft ausbreiten. ?)
Was folgt hieraus? „Daß das Vergnügen an der finn-
9) &he 1,119 f.
2) Sr. I, 1%.
3) Schr. I, 123.
er
lichen Schönheit, an der Einheit im Mannichfaltigen blos unferm
Unvermögen zuzufchreiben fe. Wir ermüden, wenn unfere
Sinne eine allzu verwidelte Ordnung auseinanderfegen follen.
Wefen, die mit ſchärferen Sinnen begabt find, müfjen in unferen
Schönheiten ein efelhaftes Einerlei finden, und was uns er—
müdet, kann ihnen Luft gewähren. Gott, der alles Mögliche
mit einmal überjieht, muß die Einheit im Mannichfaltigen
durchaus verwerfen; nur die äußere Geftalt der Dinge ift von
ihm mit finnlicher Schönheit bededt. Die Schönheit der menſch—
lichen Bildung, die annehmlichen Farben, die gewundenen Züge,
die in feinen Mienen bezaubern, find nur der äußern Schale
eingeprägt. Sie gehen nicht weiter als unfere Sinne reichen.
Unter der Haut Tiegen gräßliche Geftalten verborgen. Alle
Gefäße find ohne ſcheinbare Ordnung ineinander verfchlungen;
die Eingeweide halten einander das Gleichgewicht, aber fein
Ebenmaß, feine finnlihen Berhältniffe; lauter Mannichfaltigkeit,
nirgends Einheit; lauter Befchäftigung, nirgends Leichtigfeit in
der Beichäftigung. Wie fehr würde der Schöpfer feinen Zweck
verfehlt haben, wenn er nichts als Schönheit geweſen wäre!“
Nicht Schönheit war Endzweck der Schöpfung, fondern
„himmlische vortrefflichite Vollkommenheit“; nicht wie fie Die
Sinne faffen, fondern wie fie die Vernunft begreift. Sie ge-
währt Mannichfaltigkeit, aber Feine Einheit, feine Leichtigkeit in
der Beichäftigung, aber erfordert vernünftigen Zufammenhang,
Uebereinftimmung, Einhelligfeit.
Diefe „himmlische Venus“ muß der Denker fich hüten mit
der „irdiihen, der Schönheit”, zu verwechjeln. Dieſe beruht
auf der „Einfchränfung, dem Unvermögen“; aber das Gefallen
an der Uebereinftimmung des Mannichfaltigen gründet fich auf
eine pöfitive Kraft unferer Seele. Wenn es Wefen, die eine
Borftellungsfraft haben, natürlich ift, fich nach Vorjtellungen zu
fehnen, fo ift es auch vernünftigen Weſen eigenthümlich, nach
ſolchen Borftellungen zu ftreben, die ineinander gegründet find.
- Berrüttete Begriffe, Mißhelligfeiten, Widerfprüche jtreiten eben-
u, Bi ge
jo wol wider die Natur und das urfprüngliche Bedürfniß aller
denfenden Wejen, als der Mangel, der völlige Tod aller Vor—
jtellungen. Hierin liegt der mächtige Reiz, mit welchem die Voll—
fommenheit alle Geifter an fich zieht, und fo neit eine pofitive
Kraft über ihre Einfchränfung erhaben ift, jo weit iſt das Ver—
gnügen der verjtändlichen Vollkommenheit über das Vermögen der
finnlichen, über das Vergnügen der Schönheit hinweg.)
Die Quelle des Vergnügens ift eine dreifache: die Einheit
im Mannichfaltigen oder die Schönheit, die Einhelligfeit des
Mannichfaltigen oder die verjtändlihe Vollkommenheit, und
endlich der verbefjerte Zuftand unferer Leibesbeichaffenheit oder
die finnlihe Luft. Aus diefen Quellen Haben alle ſchönen
Künfte zu Ichöpfen; fie werden ihr Ziel um fo mehr erreichen,
je mehr fie dieſe verjchiedenen Arten harmonisch zu vereinigen
wiſſen. Eine bejondere Art der Harmonie ift für jeden Sinn
bejtimmt; nur die Tonkunſt allein vermag uns mit allen Arten
der Vergnügungen, mit VBollfommenheit, Schönheit und finnlicher
Luft zu überrafchen. Aehnliches kann für's Auge auch durch
die Harmonie der Farben erreicht werden, wenn es ihr gelingt,
die Linie der Schönheit oder des Reizes, die in der Malerei
taufendfaches Vergnügen gewährt, mit der Farbenharmonie zu
verbinden. 2)
In feinen „Briefen über die Empfindungen“, in welchen
er auf Leibniz zurücdgeht und über ihn Hinausgreift und die
Leibnizifche Schule durch die Philofophie der Engländer zu
ergänzen jucht, ſtellt Mendelsfohn mehr eine pfychologiiche
Theorie auf, infofern er die reine äfthetifche Luft von der finn-
fihen nicht grundſätzlich fondert; aber feine Auffafjung zeigt
doch auch eine überrafchende Aehnlichfeit mit der fpätern
ipeculativen Aeſthetik und bildet fomit ein wichtiges Mittelglied
zwifchen Baumgarten und Kant.
1) Schr. I, 14.
2) Schr. I, 148 ff.
u A
Man thut überhaupt in neuerer Zeit, wo wir es „fo
herrlich weit gebracht“ haben, den äjthetiichen Arbeiten Men—
delsſohns entjchieden Unrecht, fie al3 veraltet und unbrauchbar
der Bergefjenheit anheimfallen zu laſſen. Während Leffing in
feiner Recenfion über die „Briefe“ darauf Hindeutete, daß ficd)
wol ein ganzes Syſtem (der Aefthetif) „in dem Kopfe des
Verfaſſers zufammenfinden ſollte“,“) und er felbjt im „Laokoon“
an fie anfnüpfte; während Herder,?) Schiller u. a. Mendels-
ſohns Beiträge zur „Wifjenjchaft des Schönen“ mit Nußen ihren
Forſchungen zu Grunde legen, wenden fich viele unferer modernen
Kunftrichter mit jchnöder Wegwerfung von ihnen ab, zumeift
wol deshalb, weil fie nicht begreifen, wie ein unter Drud und
Armuth, ohne Schule und ohne Bildung aufgewachſener Jude
gar ein jo Tebhaftes, fruchtbringendes Intereſſe für Aeſthetik
und. äfthetifche Kritif Hatte entwickeln können. Merkwürdig
bleibt diefe Erfcheinung immerhin. Sein Intereſſe Hatte einen
tiefern, im gewijlen Sinne praftifchen Grund. Ex ſelbſt fagt
in einem Schreiben an den Schweizer Sfelin: „Die Trodenheit
zu vermeiden, erlaubt fich mein Gemüth manchen Spaziergang
in die anmuthigen Gefilde der fchönen Wiffenfchaften, welche in
der That mit der peculativen Weltweisheit in einer genauern
Verbindung ftehen, al3 man insgemein zu glauben pflegt.‘‘3)
Außer dem Bergnügen und der Erholung, welche die Be-
handlung äjthetiicher Fragen ihm boten, maß er der praftifchen
Anwendung derjelben große Bedeutung für das Leben bei.
Deutlich äußert er fich hierüber in feiner Anzeige des Meierichen
„Auszuges aus den Anfangsgründen der Schönen Wiffenfchaften“,
in der er feine Gedanken über Aeſthetik überhaupt darlegt.
„Man müßte auf die Erfindung diefer Wiffenfchaft neidifch fein
oder fie nicht verjtehen, wenn man an dem Nußen oder an der
) Sn der Berlin. Zeitung vom 4. September 1755; ſ. Leſſings
Schr. V, 61 ff.
2) Herders Lebensbild I, 3, 2, ©. 442 ff.
») Schr. V, 437.
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Bortrefflichkeit derjelben zweifeln wollte. Die Verbejlerung des
Geſchmacks und der unteren Kräfte der Seele überhaupt ijt für
die Schönen Wiſſenſchaften, für die Sittenlehre und vielleicht für
alle Wiffenfchaften von allzugroßer Wichtigkeit, al3 daß ſie nicht
einem jeden in die Augen leuchten follte.“1) Diejes Streben
nad) praftiiher Anwendung führte ihn, wie Sulzer, Eſchenbach
und andere feiner Zeit zu jener Wermifchung ethifcher und
äfthetifcher Elemente, welche al3 ein Kennzeichen der Popular—
philofophie gilt; er trug fich fogar, wie aus einem Briefe
Nicolais an Herder hervorgeht, mit dem Plane, „ein Werf über
die Verbindung der fchönen Wilfenfchaften, des Naturrehts und
der Moral zu fchreiben“.?) Eine natürliche Folge diefer Praris
war die Erweiterung des Begriffes der Aefthetif. Sie follte,
nach Mendelsfohns Anficht, die Wiffenfchaft der fchönen Erkennt—
niß überhaupt, die Theorie aller ſchönen Wiffenfchaften - und
Künfte enthalten; alle Erklärungen und Lehrfäge derjelben follten
daher fo allgemein fein, daß fie ohne Zwang auf jede jchöne
Kunst insbefondere angewendet werden könnten.
In der That Hat Mendelsfohn, deſſen Theorie der Schön-
heit ein Gemälde feiner Janften, Geräufch fliehenden Mufe ift,
allen Theilen der Aejthetif ganz befondern Fleiß zugewandt,
Ehe wir jedoch dieſe verjchiedenen Theile näher be—
trachten, müffen wir bei dem äjthetifchen Briefwechiel verweilen,
welchen Nicolai und hauptſächlich Mendelsfohn mit Leffing
unterhielten.
') Schr. IV, 1, 314.
2) Ungedrudte Briefe aus Herders Nachlaß (Leipzig 1861), I, 332.
— 78 —
Dreizehntes Kapitel.
Der äſthetiſche Briefwechſel.
Zwiſchen Nicolai, Mendelsſohn und dem wieder nach Leipzig
zurückgekehrten Leſſing hatte ſich ſeit Auguſt 1756 ein Brief—
wechſel entſponnen, der freilich mit den Briefen, welche Schiller
und Körner über denſelben Gegenſtand gewechſelt haben, an
Tiefe der Auffaſſung und Neuheit der Geſichtspunkte nicht ver—
glichen werden kann, an literarhiſtoriſcher Wichtigkeit aber ihnen
kaum nachſtehen dürfte. Veranlaſſung zu dieſem Briefwechſel
gab eine Abhandlung über das Trauerſpiel, mit welcher Nicolai
feine neu begründete Bibliothek der ſchönen Wiſſenſchaften!)
eröffnet Hatte. Nicolai hatte den Zweck der Tragödie in die
Erregung der Leidenschaften gefeßt, wogegen Lejfing, zu Ariftoteles
zurücfehrend, behauptete, die einzige Leidenschaft, welche das
Trauerfpiel erregen folle, ſei das Mitleid, indem es die Fähigkeit,
Mitleid zu fühlen, erweitere. Raſch war Mendelsjohn bei der
Hand, auf die von -Leffing angeregten Unterfuchungen einzu=
gehen; Hatte er doch fchon zwei Jahre früher ihn zu gelehrten
Disputen aufgefordert,2). ihn fogar in dem gedrudten Send-
ichreiben wiederholt eingeladen, fich mit ihm in „jpeculativifche
Betrachtungen“ einzulaffen. Es iſt charafteriftiich für ihn, daß
er in diefem Streite wieder als der Philoſoph erfcheint, dem es
um die Wurzel der verwandten Begriffe mehr zu thun iſt, als
um die Begrenzung der Arten gegen einander, worauf bei dem
fritifchen. Leffing Alles ankommt. Mendelsfohn greift zunächſt
den Theil von Leffings Behauptungen Heraus, bei welchem es
ſich um die Natur der einzelnen Empfindungen, das damalige
Lieblingsitudium feiner Reflerionen, zu handeln fchien; er be—
jtreitet die untergeordnete Stellung der Bewunderung und des
Schredens zum Mitleid; jene, meint er, müſſe doch, weil jie
) Danzel:-Gubrauer, a. a. D. I, 341, 351 ff.
2) Schr. V, 21.
— MO —
Vollkommenheit zum Gegenſtande habe, ſchon an und für ſich
und ohne Abſicht auf das Mitleid, das die bewunderte Perſon
errege, in dem Gemüthe des Zuſchauers ein Vergnügen zu Wege
bringen. Uebrigens verweiſt er ihn auf ſeine Gedanken von der
Wirkung der theatraliſchen Illuſion, welche er mit Nicolai in
Ordnung bringen will, ſobald „der ſiebenjährige Krieg die Hand—
lung ſo ſehr zu Grunde gerichtet haben wird, daß den beiden
Freunden einige Stunden zur Speculation übrig bleiben“.!)
Die von Mendelsjohn Hingeworfene Bemerkung über Be-
wunderung wird nunmehr PVeranlaffung, daß Leſſing feine
Anficht ausführlicher entwicelt, Bewunderung von Verwunderung
genau jcheidet und ebenjo von Mitleid trennt, injofern Be—
wunderung vermittelt der Nacheiferung beſſert, Mitleid jedoch)
unmittelbar, ohne Hinzuthun von unferer Seite, das Beſſer—
werden eines Jeden, „des Mannes vom Verſtande wie des
Dummkopfes“, bewirft.?)
Es handelte fich für Leſſing nicht eigentlich um eine Feſt—
jtellung der Begriffe; er wollte vielmehr feinen gleich anfangs aus—
gefprochenen Grundfag, die Bewunderung 'müffe in dem Trauer:
fpiele nicht3 fein al3 der Ruhepunft des Mitleids, confequent
verfolgend, nicht nur das auf Bewunderung bafirte franzöfifche
Trauerjpiel verwerfen, ſondern aud als das einzig wahre,
feinem Begriffe und feinem Zwecke entiprechende dasjenige Hin-
jtellen, welches ex felbjt cultivirt Hatte, die in jeder Scene Mit-
leid erregende, rührende, bürgerliche Tragödie, die Gattung der
Mit Sara Sampfon. ?)
Bon welcher Wichtigkeit diefe Angelegenheit für Leffing
war, zeigt die ganze Art und Weife, wie er dabei verfuhr.
Er hatte feine Anfichten in einem Briefe enttwidelt, der dem
„Keinen Buche“ ähnlich ſah, das er einmal fcherzweife dem mit
Fleinen Briefen unzufriedenen Mendelsfohn al3 Brief verfprochen
1) Schr. V, 44 f.
2) Schr. V, 51.
3) Danzel-Gubrauer, a. a. O. I, 355.
= ME u
hatte. Allem Anjchein nad) hatte der Streit, der jegt nur noch
zwiſchen Leſſing und Mendelsfohn geführt wurde, mit dem langen
Briefe ein Ende. Mendelsfohn meldete dem Gegner, daß er in
den Hauptpunften feiner Meinung ſei, nichtsdeſtoweniger aber
noch einige andere jtreitige Punkte finde. Zunächſt beruft er
ſich auf die äfthetifche Illuſion, über welche er feine Gedanken
verfprochenermaßen zu Papier gebracht und dem Briefe beigelegt
hatte. Die Kunſt folle auch in dem Trauerfpiele eine Nach—
ahmerin der Natur werden; feine einzige Leidenfchaft dürfe vom
Theater ausgefchloffen bleiben, denn fobald fie nur anfchauend
von der PVortrefflichfeit der Nachahmung überzeugen könne, fo
verdiene fie auf der Bühne nachgeahmt zu werden. Die Luft
an den fchönen Gegenjtänden führt er auf die Illuſion zurück,
weicht aber von den hergebrachten Begriffen derfelben darin ab,
daß die Gegenjtände nicht al3 wirkliche, ſondern als dem Urbilde
ähnliche erſcheinen. Leffing, der fich mit diefer an die Theorie
der franzöſiſchen Dramatiker erinnernden Anficht nicht befreunden
fonnte, war willen, jich in einem ungewöhnlich langen Briefe
über dieſes Thema auszulaffen, wurde aber durch Unpäßlichkeit
daran verhindert. Ganz vortrefflich fchienen ihm die zugleich
mit dem Auffage „Ueber die Illuſion“ geſchickten Heinen Arbeiten:
„Bon der Herrichaft über die Neigungen“, „Won der Gewohn-
heit“, „Bon der anfchauenden Erkenntniß“, wenige Blätter voll
anregender Ideen;) fie haben ihn, feiner eigenen Berficherung
nad, jo überzeugt, „daß ihm auch nicht einmal ein Logifcher
Fechterſtreich dawider übrig gelafjen war.“ ?)
Die Correfpondenz über die äfthetifchen Fragen hörte damit
auf, daß Mendelsfohn die jtreitigen und ausgemachten Punfte
in einer Tabelle überfichtlich zufammenjtellte.?) Für Leffing gab
) Schr. V, 72 ff.
2) Diefe Eleinen Arbeiten, von welden Fragmente uns erhalten
find (Schr. IV, 1, 38-45), entftanden nicht 1755, fondern Ende des
Jahres 1756.
3) Schr. V, 93—103.
Kapyjerling, Moſes Menbelsiohn. 6
— 82 —
es bald neue Berwirrungen und Berlegenheiten, jodaß ihn
feine Zeit blieb, an die „lieben Streitigkeiten“ noch zu denken;
aber der Bortheil, welchen die Freunde aus denſelben zogen,
war von großer Bedeutung und von den frucdhtbariten Folgen,
fowol für Leifing als auch für Mendelsjohn.
Schon das iſt von Widtigfeit, dag Mendelsjohn durd)
eine Berufung auf Windelmann, mit deſſen kunſthiſtoriſchen
Werfen er ſich eifrig beichäftigte, und durch eine gelegentliche
Hindeutung auf „Laofoon“, „welchen Virgil poetiſch entworfen
und ein griechiicher Künjtler (vielmehr drei) in Marmor ge
hauen hat,“) in den Geiſt des Freundes den Anfang zu einer
neuen und fruchtbaren Gedankenreihe legte! Wie jehr Leifing
überhaupt Mendelsjohn als Aejthetifer verehrte und feine An-
ſichten jchäßte, geht aus mehreren Stellen in feinen Briefen an
ihn hervor: „Sch bitte Sie, alles zu überdenken, zu prüfen und
zu verbefjern. Erfüllen Sie nun meine Bitte, jo ijt es eben
das, al3 ob ich es jelbjt nochmals überdacht, geprüft und ver-
befjert hätte. Ihre bejieren Gedanken find weiter nichts, als
meine zweiten Gedanken.““) „Sie find mein Freund,“ heißt e3
in einem andern Briefe vom 28. November 1756, „ich will
meine Gedanken von Ihnen geprüft, nicht gelobt haben. Ich
ſehe Ihren ferneren Einwürfen mit dem Vergnügen entgegen, mit
welchem man der Belehrung entgegenjehen muß.“s) Strebte er
doh auch in dem ontologiichen Theile des „Laofoon,“ wie
Guhrauer aus den Berbefjerungen des Entwurfs, welcher id
in Leſſings Nachlaß befand, nachweilt, nad) vollfommener Ueber:
einjtimmung mit dem Freunde; mit ihm fprad) ex nad) feiner
Rückkehr aus Breslau den philofophiichen Theil der Materie in
mündlichen Unterredungen duch, und nußte die Bemerkungen,
welche fein Freund ſowol über die Eintheilung der Gegenftände
) Schr. V, 58.
2) Schr. V, 42.
3) Schr. V, 51.
EIER (DRAN
der Malerei und Poeſie, al3 über einzelne Begriffe dem erjten
Entwurfe beigefügt Hatte!)
Die reifite Frucht, welche Mendelsſohn aus dem äjthetifchen
Briefwechſel erntete, ijt die Abhandlung „Bon den Quellen und
Verbindungen der fehönen Künſte und Wifjenfchaften“, welche
Ende Juni 1757 in der „Bibliothek erfchien und welche unter
dem Titel „Ueber- die Hauptgrundfäge der ſchönen Künfte und
Wiffenichaften“ den „Philofophifchen Schriften“ fpäter einver-
leibt wurde,
Bierzehntes Kapitel.
Hauptgrundſätze der Ihönen Künite und
Wiſſenſchaften.
„Sch habe weder den Willen noch die Fähigkeit, ein ganzes
Zehrgebäude der Kunſt aufzuführen, und bin zufrieden, wenn
ih nur die erſten Grundlinien eines Lehrgebäudes mit einiger
Richtigkeit gezeichnet habe,“ äußert Mendelsfohn im Anfange
diefer Abhandlung,?) welche zu den wichtigjten a
der vorfantifchen Aeſthetik gehört.
Die Nahahmung der Natur, welche der Franzoje Batteur
und fein deutfcher Ueberfeger Ramler als Grundſatz der Poeſie
und Schönen Künſte aufgejtellt Haben, wird von Mendelsfohn
al3 unfruchtbar und unzulänglic) verworfen. Weit entfernt, Die
Natur blos nachzuahmen, fteht ihm die Kunft der Natur, in
ihrer Selbitjtändigkeit und Würde gegenüber. Aehnlich wie
Mendelsjohn gegen Baumgarten Schönheit von Bollfommenheit
unterfchieden, unterfcheidet er gegen Batteur Kunft von Natur.
) Danzel:Gubrauer, a. a. ©. II, 9.
2) Schr. I, 281-305. Diefe Abhandlung erſchien in den ‚„Philo-
ſophiſchen Schriften‘‘, und befonderd: Erlangen 1777. Carlo Ferdinandi
überjegte fie ins Italieniſche: Principi generali delle belle lettere
e belle arti, Losanna 1779. _
6*
Schönheit, die finnlihe Erkenntniß der Vollkommenheit, ift
der Endzweck der menſchlichen Kunjt; alles was den Sinnen
al3 eine Vollkommenheit vorgeftellt werden kann, iſt auch ge-
eignet, einen Gegenjtand der Schönheit abzugeben. „Das Wejen
der fehönen Künfte bejteht alfo in einer fünjtlichen, finnlich voll-
fommenen Borjtellung oder in einer durch die Kunſt vorgejtellten
finnlihen Vollkommenheit.“)
Nun führt aber jede Nachahmung, fobald fie ihr Urbild
erreicht, an und für fi den Begriff der Vollfommenheit mit
fih. „Der Künftler wählt ſich einen Umfang, der feinen Kräften
angemefjen ift. Sein ganzer Endzwed ift, die Schönheiten, die
in die menschlichen Sinne fallen, in einem eingefchränften Bezirke
vorzuftellen. Er wird alfo den idealifchen Schönheiten näher
fommen fönnen, als die Natur in diefem oder jenem Theile
gefommen ift, weil ihn Feine höheren Abfichten zu Abweichungen
veranlaffen. Was fie in verfchiedenen Gegenjtänden zexjtreut
hat, verfammelt er in einem einzigen Gefichtspunfte, bildet ſich
ein Ganzes daraus, und bemüht fi, es fo vorzuftellen, wie
e3 die Natur vorgeftellt Haben würde, wenn die Schönheit dieſes
begrenzten Gegenſtandes ihre einzige Abficht geweſen wäre.
Der Künftler muß ſich alfo über die Natur erheben, und weil
die Schönheit fein einziger Endzwed ijt, fo fteht es ihm frei,
diejelbe allenthalben in feinen Werfen zu concentriren.‘?)
Somit hat Mendelsfohn durch den Grundſatz, daß der
Endzweck der menſchlichen Kunft die Schönheit ift, die natu-
raliſtiſche Auffaffung durchbrochen, der Kunſt eine von der Natur
unabhängige felbjtitändige Stellung angewiefen und ſich zu dem
duch Windelmann begründeten Fdealismus erhoben. Seine
Schönheit ijt Ideal, feine Kunst feine Naturnahahmung, fondern
eine Naturvollendung.
Nachdem er dergeitalt das Princip für die ſchönen Künſte
1) Schr. I, 285.
2) Schr. I, 289.
— 85 —
feſtgeſtellt hat, wendet er ſich zu der Eintheilung derſelben in
ihre beſonderen Claſſen. Dieſe beruht auf dem Gegenſatze der
natürlichen und willkürlichen Zeichen. „Natürlich ſind ſie, wenn
die Verbindung des Zeichens mit der bezeichneten Sache in den
Eigenſchaften des Bezeichneten ſelbſt gegründet iſt; ihrer bedient
ſich, wer eine Gemüthsbewegung durch die ihr zukommenden
Töne, Geberden und Bewegungen ausdrückt. Hingegen werden
diejenigen Zeichen willkürlich genannt, welche vermöge ihrer
Natur mit der bezeichneten Sache nichts gemein haben; von
dieſer Art ſind die articulirten Töne aller Sprachen, die Buch—
ſtaben, die hieroglyphiſchen Zeichen der Alten.“!)
Hieraus fließt die erſte Haupteintheilung des ſinnlichen
Ausdrucks in ſchöne Künſte und Wiſſenſchaften; unter den letzteren
verſteht man Poeſie und Rhetorik. „Der Dichter kann alles
ausdrücken, wovon ſich unſere Seele einen klaren Begriff machen
kann. Alle Schönheiten der Natur in Farben, Figuren und
Tönen, die ganze Herrlichkeit der Schöpfung, der Zuſammenhang
des unermeßlichen Weltgebäudes, die Rathſchlüſſe Gottes und
ſeine unendlichen Eigenſchaften, alle Neigungen und Leidenſchaften
unſerer Seele, unſere ſubtilſten Gedanken, Empfindungen und
Entſchließungen können der poetiſchen Begeiſterung zum Stoffe
dienen.‘2)
Anders verhält es fich mit den fchönen Künften, zu welchen
die Mufif, die Mimik und die bildenden Künfte im engern
Sinne, Malerei, Sculptur, Architektur, gehören; bei ihnen wird
feine Willkür vorausgefegt, um verjtanden zu werden. Der
Maler und der Bildhauer müfjen, weil fie die Schönheit in
der Folge neben einander ausdrücden, den Augenblid wählen,
der ihrer Abſicht am günftigften ift; fie müffen die ganze Hand-
fung in einem einzigen Geſichtspunkte verfammeln und mit
vielem Verſtande austheilen. 3)
‘) Schr. I, 290 f.
2) Schr. I, 292.
3) Schr. I, 29.
— 86 —
Die Grenzen der Kunſt und Poeſie laufen aber, gemäß
der Regel von der zuſammengeſetzten Schönheit, häufig inein—
ander. Hier ſucht ſich nun Mendelsſohn durch die Allegorie,
im Sinne Winckelmanns, auszuhelfen. „Auch die allerſubtilſten
Gedanken, die abgezogenſten Begriffe können auf der Leinwand
ausgedrückt und durch ſichtbare Zeichen in das Gedächtniß zurück
gebracht werden. Nur muß fi der Künftler hüten, daß feine
Allegorien nicht allzu jpigfindig werden,“ d. 5. die Weberein-
itimmung des Zeichens und des Bezeichneten müfjen wir mit
fo Leichter Mühe einfehen können, daß wir mehr an die be
zeichnete Sache als an das Zeichen ſelbſt denfen.?)
Auch auf die Berbindung zweier oder mehrerer Künſte
nimmt ex gebührende Rückſicht und erklärt fie aus der Natur
der zufammengefegten Vollkommenheiten. Als die ſchwerſte und
faft unmögliche Verbindung der Künfte aber erfcheint es ihm,
wenn Fünfte, welche Schönheiten in der Folge neben einander
vorjtellen, mit folchen, welche Schönheiten in der Folge aufein-
ander vorftellen, vereinigt werden follen. Dies Geheimniß hat
ih allein die Natur vorbehalten; fie verbindet in ihrem uner-
meßlichen Plane die Schönheiten der Töne, Farben, Bewegungen
und Figuren durch unendliche Zeichen in der vollfommeniten
Harmonie. Die menjhliche Kunft Hingegen kann die Malerei,
Bildhauer- und Baufunft mit Mufif und Tanzkunſt nur un
eigentlich verfnüpfen.
„Meine Materie ift noch ungemein fruchtbar,“ ſagt Mendels-
john am Schluſſe diefer trefflichen Abhandlung, „allein ich bin
in die Geheimniffe der Künfte nicht eingeweiht genug, mid)
ohne Gefahr tiefer in ihr HeiligthHum zu wagen.“?)
Der Erfolg, welchen der bejcheidene Verfaſſer mit dieſer
Y Schr. I, 295 ff. Die beiden fleinen Aufjäte: „Künſte“ und
„Nachahmung“, um deren Nüdjendung er Leffing mit dem Zuſatze
bittet (V, 109): „Ich will aus der Kleinen Uhr einen Bratenmwender
machen,‘ find verloren gegangen oder in diejer Abhandlung enthalten.
2) Schr. I, 305.
Zur U
Arbeit errungen, war ein weit größerer, al3 ex ſelbſt Hoffen
mochte; die in ihr ausgefprochenen Ideen wurden im Wejent-
fihen von Leffing zum „Laokoon“ benußgt, ſodaß fie als eine
Borarbeit zu diefer epochemachenden Schöpfung betrachtet werden
muß. Diefe Abhandlung ift nad) dem Urtheile Manfost) un-
ftreitig die bedeutendfte Erſcheinung auf äfthetifchem Gebiete
nah) Baumgarten und bildet „ein wichtiges Mittelglied in der
Entwidelung der Ideen, deren reife Frucht uns im ‚Laofoon‘
geboten iſt“.)
Lefiing nahm aud feinen Anjtand, fich von Mendelsfohn
belehren zu laſſen, wie diefer es nicht verſchwieg, daß er durch
den Freund auf neue Gefichtspunfte geführt worden ift. Un-
verfennbar ijt Leſſings Einfluß in den folgenden äjthetifchen
Arbeiten.
Fünfzehntes Kapitel.
Mendelsſohns übrige äſthetiſche Abhandlungen.
„Hier kommt Ihr Auffat ‚Vom Erhabenen‘ wieder zurück.
Ich müßte auch nicht das Geringite dabei zu erinnern, ob id)
ihn gleich mehr als einmal durchgelefen habe,“ Heißt es in
dem Briefe Leſſings an Mendelsjohn vom 13. Auguft 1757.3)
Diefe Abhandlung „Ueber das Erhabene und Naive in den
ihönen Wiffenfchaften“, welche zuerjt im vierten Stüde der
„Bibliothek erſchien, ſchrieb Mendelsfohn im April 1757, Lange
bevor er das Bud) des Engländers Burfe „Ueber den Urfprung
unferer Ideen über das Erhabene und Schöne” Fennen lernte.
ı) Manjo in den Nahträgen zu Sulzers allgem. Theorie der
ihönen Künfte, VIII, 1, 173.
2) Danzel-Guhrauer, a. a. D. IL, 25.
3) Schr. V, 123.
— 88 —
In dieſer Mar und ſchön geſchriebenen Arbeit!) ſucht er
für das Erhabene und Naive ein beſonderes Syſtem aufzuſtellen.
Er geht von der Grenzbeſtimmung des Schönen aus, welche
nicht überfchritten werden darf. Wenn nun die Grenzen der
Ausdehnung immer weiter geſetzt werden, jo fönnen fie endlich
für die Sinne ganz verjchwinden und alsdann entjteht das
Sinnlichunermeßliche, „deſſen Nahahmung in der Kunst jchlecht-
weg das Große genannt wird und ein angenehmes Schauern
zu erweden im Stande ift. So wie es ein Unermeßliches der
ausgedehnten Größe nach giebt, ebenfo giebt es ein Unermeß—
liches der Stärke nad. Die Macht, das Genie, die Tugend
haben ihr unausgedehntes Unermeßliche, das gleichfalls eine
Ichauervolle Empfindung erregt, dabei aber den Vorzug hat,
daß es nicht in Sättigung und Efel übergeht. Das intenfiv
Große, das Starke, und das Starke in der Vollkommenheit
nennt man das Erhabene und die durch dafjelbe Hervorgerufene
Empfindung Bewunderung.“ ?)
Diefe Bewunderung, fowie die durch fie vorgejtellte Voll-
fommenheit fann in den Werfen der ſchönen Künfte und Wiffen-
ichaften von zweierlet Gattung fein; fie bezieht fich entweder
auf das Object felbft, oder auf den Künftler, der die Gejchidlid)-
feit bejigt, die Eigenschaften feine® Objects „empor zu heben
und in einem ungemeinen Lichte zu zeigen”: zu der erjten Art
gehört das Erhabene in der Poeſie, in den Gefinnungen und
Leidenschaften, bei welchen der Grund zur Bewunderung in dem
Dbjecte felbft anzutreffen ift; bei der zweiten Gattung fällt die
Bewunderung mehr auf den Kiünftler, auf fein Genie und feine
außerordentlichen Fähigkeiten.) Durch eine Reihe treffender
Beifpiele aus alten und neuern Dichtern, aus den Palmen
und den Slageliedern Jeremias, aus Horaz und Birgil, aus
Klopſtock und vor allen aus Shafefpeare, aus dejjen Hamlet =
') Schr. I, 309-347.
2) Schr. I, 310 f.
3, Schr. I, 313 ff.
— —
einzelne Stellen meiſterhaft überſetzt, aus Leſſing und Haller
wird jede Gattung beſonders erläutert.
Mit dem Erhabenen in genauer Verbindung ſteht das
Naive, für das die deutſche Sprache fein zutreffendes Wort hat.,
Wenn ein Gegenjtand edel, fchön, oder mit feinen wichtigen
Folgen gedacht und durch ein einfältige® Zeichen angedeutet
wird, fo Heißt die Bezeichnung naiv. Das Naive des fittlichen
Charakters bejteht alfo in der Einfalt im Aeußerlichen, welche, ohne
e3 zu wollen, innerliche Würde verräth, in jenem zuderfichtlichen
Wefen, das nicht Dummheit und Mangel der Begriffe, fondern
Edelmuth, Unſchuld, Güte des Herzens und die liebreiche Ueber-
redung zum Grunde Hat, daß andere gegen uns nicht Schlimmer
gefinnt fein werden, al3 wir gegen fie find. Sobald das Naive
mit Bewußtfein verbunden wird, nimmt es den Charafter des
Gefuchten, des Affectirten an und hört auf, naiv zu fein.*)
Auch die „Grazie“ oder die Schönheit in der Bewegung
ift mit dem Naiven verbunden, „da die Bewegungen des Reizen-
den natürlich, Teichtfließend und fanft aufeinander hinweggleiten
und ohne Vorfa und Bewußtfein zu erkennen geben, daß die
Triebfedern der Seele, die Regungen des Herzens, aus welcher
diefe freiwilligen Bewegungen fließen, ebenfo ungeziwungen
ipielen, ebenſo fanft übereinjtimmen und ebenſo funjtlos fich ent-
wideln.” Je mehr die Unfchuld zurüdtritt und die Bewegung
mit Vorſatz und Bemwußtfein gefchieht, deſto mehr weicht fie von
dem Naiven ab und erlangt den Charakter des Gefuchten, des
Affectirten. 2)
Diefe Abhandlung, ?) welche für den damaligen Stand der
AeftHetit nicht ohne Bedeutung war, hat wol hauptlächlich
Leffing zu dem Entſchluß gebracht, Burkes „Ueber das Schöne
') Schr. I, 340.
2) Schr. I, 341 ff.
3) Van Goens überjegte fie ind Holländijche, Utrecht 1769; von
Mendelsjohn felbft angezeigt in der Allg. Deutfchen Bibliothek, Bd. 14
S. 230 (Schr. IV, 2, 560).
——
und Erhabene“ ins Deutſche zu überſetzen. Da er dieſes für
die Aeſthetik ſo wichtige Werk auch mit Anmerkungen verſehen
wollte, ſo erſuchte er Mendelsſohn, „alles fein“ aufzuſchreiben,
was er bei dem Studium deſſelben gedacht habe.) Es ſollte
gerade mit dem Drude begonnen werden, als er auf einmal
in eine Arbeit gerieth, in der er fi) auf feine Weife wollte
unterbrechen laſſen, denn er mußte feine erſte Hitze zu nüßen
fuchen, wenn er etwas zu Stande bringen wollte Er fchidte
daher den Engländer unterdejjen zu Mendelsfohn. „Unterhalten
Sie fi) fo lange mit ihm, bis ich mic) aus dem Wufte von
Gelehrſamkeit, in welchen ich jebt verfunfen, wieder heraus—
gearbeitet habe. Meine Ueberfegung fann zur Mefje nunmehr
doch nicht fertig werden, und ich habe Sie ohnedem über ver-
Ichiedene Punkte derfelben vorher zu Rathe zu ziehen. Ach
erwarte von Ihnen wichtige Anmerkungen über das ganze
Syſtem des Verfaſſers. Schreiben Sie mir alles, was Ahnen
darüber einfällt. Ich hebe Ihre Briefe Heilig auf und werde
alle Ihre Gedanken zu nützen fuchen, fobald ich mich der Sphäre
der Wahrheit wieder nähern werde.) Mendelsfohn machte
auch wirklich feine Bemerkungen, die mit den befcheidenen Worten
Ichließen: „Es find bloße Embryonen von Gedanken, die ein
Leffing erſt entwideln und befeelen muß. Bielleiht kann er
auch einigen von meinen Mißgeburten eine regelmäßige Gejtalt
geben und ein Leben einhauchen.“3) Da er merfte, daß Leffing
die Arbeit nicht wieder aufnahm, erklärte ex fich, im Juni 1761
bereit, da8 Werf zum Drud zu befördern. „Wenn Sie nicht
Zeit oder nicht Luft haben,“ fchreibt er Leffing, „den Drud
) Schr. V, 147.
2) Schr. V, 154.
3) Dieje „Bemerkungen über Burfes philoſophiſche Unterfuhungen‘“,
welche uns Karl Leſſing in der Biographie des Bruderd (Schr. II, 201
bis 232) aufbewahrt hat, und welche in den Gef. Schr. Mendelsjohns
fehlen, jollten im Anhange zur 1. Aufl. diefer Biographie abgedrudt
werden, daher das Citat S. 102, Note 2 ohne Angabe der Duelle.
— 91 —
felbjt zu bejorgen, fo ſchicken Sie mir das Manufeript und die
Erlaubniß, e3 in Ihrem Namen zu thun. Es wäre ewig fchade,
wenn Ihnen ein Stümper zuborfäme und das fchöne Buch fo
tweghudelte.‘ 1)
Diefes „Ichöne Buch“, aus dem Mendelsfohn in der
„Bibliothek der fchönen Wiffenfchaften” einen Auszug lieferte, 2)
führte Mendelsfohn wieder zu der Theorie der Empfindungen,
vielmehr zu der letzten größern äfthetifchen Schrift, der 1761
erihienenen „Rhapfodie über die Empfindungen“, in welcher
er mande in den „Briefen“ ausgefprochene Idee theils ver-
befjert, theil3 weiter ausführt und tiefer begründet.
Anfnüpfend an die „Briefe über die Empfindungen“ fucht
er die Theorie der gemifchten Empfindungen, über deren Natur
er früher einen „leichten Begriff“ Hatte, eingehender darzulegen.
Er unterjcheidet die Luft an der Vollfommenheit der Objecte
von der Luft an der Entwidelung unferer Vorftellungen, die
objective von der fubjectiven Vollkommenheit, und zeigt, wie
Mißfallen an dem Gegenftande mit Wohlgefallen an der Bor-
ftellung zugleich beftehen fünne. Daß wir über die Vorſtellung
reflectiren, infofern fie eben ein Product unferer Seele ift, macht
nad) Mendelsfohns Theorie das Wefen des Aeſthetiſchen aus.
Wir empfinden über die Einrichtung und Beichaffenheit der
Sache Luft oder Unluft, je nachdem wir Realitäten oder Mängel
an derfelden wahrnehmen. In Beziehung auf das denfende
Subject, auf die Seele Hingegen, ift das Wahrnehmen und .
Erfennen der Merkmale, fo wie die Bezeugung des Wohl-
gefallen und Mißfallens an denfelben, etwas Sachliches, das
in derfelben gefegt wird, eine bejahende Beitimmung, die der
Seele zukommt; daher muß jede Borjtellung, wenigſtens in Be-
ziehung auf das Subject, als ein bejahendes Prädicat des
denkenden Weſens, etwas Wohlgefallendes haben. 3)
1) Schr. V, 167; Leſſings Schr. XIII, 226.
2) Schr. IV, 331-8350.
3) Schr. I, 239.
— 92 —
Zu dieſer von Mendelsſohn begründeten Theorie waren
nun zwar in jener Zeit ſchon manche Elemente vorhanden.
Er ſelbſt ſagt in der Recenſion des erwähnten Burkeſchen Buches
„Ueber das Schöne und Erhabene“, derſelbe nehme für die
Erklärung des letztern ſeine Zuflucht zu dem bekannten Syſteme,
daß eine jede Beſchäftigung der Nerven, die ſie wirkſam erhalte,
ohne ſie zu ermüden, angenehm ſei, welches man in einer
franzöſiſchen Schrift: „Theorie der angenehmen Empfindungen“
ausgeführt finde; allein die geiſtigere Auffaſſung iſt das Eigen—
thum Mendelsſohns, der von Leſſing die Anregung dazu erhielt.t)
Hätte Mendelzfohn feine Theorie mit Confequenz verfolgt,
jo wäre e3 ihm ein Leichtes gewwefen, zu der Lehre vom Schönen
zu gelangen, welche Kant in der Kritif der Urtheilsfraft etwa
dreißig Jahre fpäter aufftellte; arbeitete er doch dem Königs-
berger Alten wie in manchem andern auch darin vor, daß er
die Wefthetif zur Empfindungsiehre erhob, ein Verdienſt, das
ihm der Wefthetifer Vifcher?) ſehr Hoch anſchlägt. Er Fonnte
aber der allgemeinen Strömung der Zeit nicht völlig Wider-
ftand Yeiften und machte, wie bereit3 erwähnt, das Aeſthetiſche der
Beförderung der Moralität dienftbar. Unterfcheidet ex ſich nun
allerdings eben fo vortheilhaft von den Popularäfthetifern, wie
in der Philofophie von den Popularphilofophen, fo läßt er ſich
doch bei feinen Unterfuchungen von moralifchen Zwecken Teiten
und zieht die GSittenlehre mit in die fchönen Wiſſenſchaften.
Sie find von unfchägbarem Nugen für die Moral „nicht nur
fir gemeine Köpfe, die für die Tiefe der Demonstration zu
feicht find, fondern fogar für den Weltweifen felbjt, wenn er
fein Mittel verfäumen will, die todte Erkenntniß der Vernunft
zum wahren fittlichen Leben zu erwecken.“ „Die Dichtkunft, die
Malerei, die Bildhauerfunft, wenn fie der Künftler nicht zu
einem unedeln Zwecke mißbraucht, zeigen uns die Regeln der
) Schr. I, 241 ff., Danzel, Gejammelte Auffäte, 97.
2) Aeſthetik oder Wiffenjchaft des Schönen, Reutlingen 1856, I.
— 108. —
Sittenlehre in erdichteten und durch die Kunſt verſchönerten Bei—
ſpielen, wodurch die Erkenntniß belebt und jede trockene Wahrheit
in eine feurige und ſinnliche Anſchauung verwandelt wird.‘!)
Soweit über Mendelsſohns äfthetifche Arbeiten, an welchen
Leffing und Herder lernten und deren Einfluß ſich bis auf Kant
und Schiller erjtredte. Aus feiner Abhandlung „Ueber das
Erhabene“ fchöpften Vhilofophen wie Kritifer bis zum Ende des
Jahrhunderts Anregung und Belehrung, und noch Schiller, ob-
gleich ex fich zu den Grundfägen Kants bekannte, nußte Mendel3-
ſohns Darlegung. Ebenſo zog aus feiner Theorie über Die
Empfindungen, wie er fie namentlich in der „Rhapfodie“ auf:
jtellte, exit Kant die legten entfcheidenden Confequenzen.
Sowol die größeren äſthetiſchen Abhandlungen Mendels-
ſohns als auch viele Kleinere Auffäge erfchienen zuerjt in Jour—
nalen und wurden erjt Später von ihm gefammelt. In Journalen
und Beitjchriften entwidelte er iiberhaupt manche treffliche Idee.
Seine Theilnahme an der Tages: und Beitliteratur bildet die
Periode der beginnenden Reife.
1) Schr. I, 275 f.
——e——
Fünftes Bud).
Die Periode der beginnenden Reife.
Schzehntes Kapitel.
Der Buchhalter.
„Sie haben Recht,“ fchreibt Mendelsfohn dem fpätern
Kammerrath von Breitenbauh am 19. April 1757, „mein Leben
in dem Reiche der Gelehrjamfeit Hat eben nicht lange gedauert.
Aber ganz todt bin ich noch nicht! Ach bin jegt vielmehr in
meiner Berwandlung, und wenn diefe vorüber ijt, wer weiß,
ob ich nicht gar alsdann noch Flügel haben werde.“!) Mit
welchem Beifall feine erſten jchriftitellerifchen Verſuche auch auf-
genommen wurden, über den engen Kreis der Berliner Freunde
und einiger auswärtiger Bekannten trugen fie feinen Namen
nicht. Seine „Geſpräche“ und die „Briefe über die Empfin-
dungen“ waren anonym erichienen; ohne fich zu nennen lieferte
er feine Beiträge zu den Sournalen, weil e3 in feiner Abficht
lag, „niemanden, außer jehr wenigen Freunden, für etwas mehr
al3 einen Buchhalter befannt zu fein“. ?)
Der Philoſoph und feinjinnige Aeithetifer war feines Faches
Buchhalter. Mit dem fpätejtens zu Anfang des Jahres 1754
1) Schr. V, 418.
2) Schr. V, 412.
— —
erfolgten Eintritte in die Bernhardſche Seidenwaarenfabrik
war über ſeinen fernern Lebenslauf entſchieden, und der
Plan, den er wol in früheren Jahren gehegt Hatte, Rab—
biner zu werden, volljtändig aufgegeben. Der Gedanke, daß
feine wiſſenſchaftlichen Bejtrebungen ihn für etwas anderes
fönnten gelten laſſen als ex feiner innerjten Ueberzeugung
nad war, fchredte ihn von einem rabbinifchen Amte ab und
bewog ihn, fich „hinter feine Bücher und in fein Comptoir
zurüdzuziehen“. |
Bernhard Hatte allen Grund, mit Mendelsfohn, dem Buch—
halter, eben jo zufrieden zu fein, wie er e8 mit Mendelsfohn,
dem Hauglehrer, war. Es wurde dem jungen Manne freilich
nicht Leicht, fi in die neue Stellung hineinzuarbeiten. Im
Winter 1755 war er von morgen? acht bis abends neun an
den Schreibtiih gebannt; er arbeitete daran, „jich für den
Sommer ein wenig von den Geſchäften losreißen zu fünnen“. ?)
In der That wurde feine Stellung bald eine angenehmere.
Schon im März 1756 meldete er feinem Leſſing, daß er
fünftigen Sommer in feiner Lebensart die Aenderung treffen
werde, „zu welcher er ihm fo oft gerathen Habe. Ich arbeite
nicht länger in dem Comptoir als ſechs Stunden, von acht Uhr
morgens bis zwei Uhr nachmittags. Alle übrigen Stunden find
für mid.)
Auch feine äußeren Berhältniffe gejtalteten fich allmählich
zum Beſſern. Im Sommer 1757 Iebte er fchon mit aller
Bequemlichkeit in feinem Garten. „Sch Habe einen überaus
Ihönen Garten, darin Sie logiren können,“ meldet er Leſſing den
1. Juli 1757. „Er ift von Herrn Nicolai feinem nicht weit ab-
gelegen, und Sie fünnen alle Bequemlichkeiten darin haben, die
Sie nur wünfchen. Ich komme alle Abende um ſechs Uhr
heraus und werde blos von einigen meiner Freunde begleitet,
») Schr. V, 19.
2) Schr. V, 29.
un: Or
die Sie gewiß nicht ftören werden.“!) Regelmäßig morgens
ſechs Uhr ftellte ex fich bei Freund Nicolai zu gemeinfamen
Studien ein.?)
Er hatte fi) auch Schon ein Feines Sümmchen eripart und
war im Stande, feine armen Freunde aus peinlichen Berlegen-
heiten zu ziehen. Als Leſſing in eben diefer Zeit mit bitterer
Noth zu kämpfen Hatte, jtand er ihm als Freund hülfreich zur
Seite. Schulden feffelten ihn in Leipzig, was er feinem ver:
vathen wollte, al3 feinem guten Mendelsfohn, den er um ein
Darlehn von fechzig Thalern erſuchte. Sechzig Thaler waren
nun allerdings für den Buchhalter Feine Feine Summe Mit
der Freimüthigfeit wahrer Freundichaft fchrieb er ihm, daß er
fechzig Thaler unmöglich auf einmal fchiden könne „Ich kann
Ahnen jegt, ohne die geringjte Bejchwerlichkeit, dreißig Thaler,
und irgend in vier Wochen noch dreißig Thaler ſchicken, wenn
es Ahnen fo gefällt. Sch würde auch heute das Geld mit-
geichict Haben, wenn man nicht feit geftern den Weg von hier
nad) Leipzig für unficher hielt. Seien Sie alſo fo gütig, allda
durch jemanden dreißig Thaler auf mich afjigniven zu Laffen,
entweder an Heren Voß oder fonjt einen Kaufmann allhier.
Ich zahle contant; mit den übrigen dreißig Thalern müßte es
alsdann noch einige Wochen Anjtand haben. Sie fehen, daß
ich Fein Bedenken trage, Ahnen dasjenige abzufchlagen, was mir
bejchwerlih Fält.“?) Die zweite Anweiſung auf Voß blieb
nicht aus; freilich bemerkte der Ausfteller in feinem Avis, daß
Mendelsfohn nicht gehalten wäre, fie anzunehmen, wenn e3
feine Umjtände nicht erlaubten. „Sie müſſen, um mir eine
Gefälligkeit zu erweiſen, ſich nicht in Verlegenheit ſetzen. Das
will ich durchaus nicht.““) Und als Voß die Anweiſung präſen—
tirte, — war Mendelsſohns Kaſſe leer, aber er verſprach, die
) Schr. V, 112.
2) Schr. V, 117.
3) Schr. V, 128.
9 Schr. V, 132.
— 97 —
Summe binnen vierzehn Tagen gewiß zu bezahlen, ein Ver—
fprechen, das er auch unfehlbar hielt.“ t)
Kedenfall3 Hatten ſich die äußern Verhältnifie Mendels—
fohns derart günstig gejtaltet, daß er ruhig und zufrieden hätte
leben fünnen, wenn nicht fein nach Wiſſen dürjtender Geift ihm
das Geichäftsleben verleidet hätte. Ein Gelehrter ift felten ein
guter Gefchäftsmann. Mendelsjohn konnte es nicht verfchmerzen,
eingeferfert zu fein in den dumpfen Räumen feine® Comptoirs;
unaufhörlich Elagte er über Geſchäfte und wurde ob der Klagen
eine Zeit lang nie recht froh. Welche Unzufriedenheit Tpricht
fi) in dem Briefe an Lefjing vom 27. Februar 1758 aus. ?)
„Ein guter Buchhalter ift gewiß ein feltenes Geſchöpf. Er
verdient die größte Belohnung, denn er muß Berftand, Wit
und Empfindung ablegen, ımd ein Klo werden, um richtig
Buch zu führen Verdient ein folches Opfer zum Bejten der
Finanzen nicht die größte Belohnung? Wie ich heute auf diefen
Einfall fomme, fragen Sie? Sie fünnen es wol unmöglich er-
tathen, daß mir des Herrn von Kleiſt neue Gedichte dazu Anlaß
gegeben haben. Ich Lie fie mir des Morgens um acht Uhr
fommen. Ich wollte unjerm lieben Nicolai eine unvermuthete
Freude damit machen und fie mit ihm durchlefen. Allein ich
ward verhindert — die ungejtümen Leute! Was bringt Er,
mein Freund? und Sie, Gevattern? und Er, Gejelle? Laſſen
Sie mid) heute, ich kann nicht. „Sie haben ja nicht irgend
Feiertage?“ Das wol eigentlich nicht, aber ich bin krank. Es
verichlägt Ihnen ja nichts. Kommen Sie morgen wieder, —
Diefe Leute waren gefällig, allein mein Brincipal war e3 nicht.
Sch befam Arbeit bis gegen Mittag. ch Tas indeffen unter
der Arbeit Hier und da ein Fledchen; und da merfte ich es,
wie ſchwer e3 ift, Empfindung zu haben und ein Buchhalter zu
fein. Ich fing an, in Handlungsfachen Schön zu denken, und
) Schr. V, 133.
2) Schr. V, 149 f.
Kayferling, Mofes Mendelsfohn. 7
— 98 —
machte in meine Bücher eine von den Schönheiten, die man
von einer Ode zu rühmen pflegt. Ich verwünſchte meinen
Stand, ſchickte die Gedichte unſerm Esquire (Nicolai), der
von ſeinen Geldern lebt, ha, nicht ohne Neid! und ward ver—
drießlich.“
Er beneidete den Freund wahrlich nicht um fein Vermögen,
wol aber um die günftige Lage, welche e3 ihm möglich machte,
ſich ungeftört den Wiljenfchaften Hingeben zu fünnen. Das war
es gerade, was ihm fehlte und was ihm feinen Stand oft
unerträglich machte. Wäre ihm nur mehr Muße zum Studiren
geblieben, „er wäre glüclicher gewejen als der weile Memnon,
bevor diefer fein Geld, feine Unschuld und feine Augen verlor.“!)
So aber folgte er mit innerm Widerftreben der Nothwendigkeit,
denn Notwendigkeit nannte er jede Beichäftigung, die mit den
Neigungen ftreitet, und noch in fpätern Jahren hören wir ihn
flagen über die „Laſt von taufend unangenehmen Gefchäften“,
über „die vielen gedanfenlofen, ermüdenden und Dummmachenden
Dinge“, und über den „Mangel an Zeit für feine Studien.“ ?)
„Die Geichäfte! die läſtigen Geſchäfte!“ jammert er in einem
Briefe an Leffing im Mat 1763,3) „ſie drücen mic) zu Boden
und verzehren die Kräfte meiner beften Jahre. Wie ein Laft-
eſel fchleiche ich mit beichtwertem Rüden meine Lebenszeit hin—
durch, und zum Unglück jagt mir die Eigenliebe ins Ohr, daß
mich die Natur vielleicht zum PBaradepferd geichaffen hat. Was
it zu thun, mein lieber Freund? Wir wollen uns einander
bedauern, und zufrieden fein. So Jange die Liebe zu den
Wifjenichaften bei uns nicht erfaltet, haben wir noch eine gute
Hoffnung.“
Und diefe Liebe Hatte von dem jugendlichen Feuer noch
nichtS verloren. Die drei Freunde, Lefjing, Mendelsfohn und
Nicolai, ftanden damals in der vollen Kraft jugendlicher Frifche,
1) Schr. V, 270.
2) Schr. V, 270, 346.
3) Schr. V, 171.
u O0 nu
fie waren alle drei voll Wahrheitsliebe und Eifer, alle drei
unbefangenen Geiftes und hatten feine andere Abficht, als die
deutiche Literatur neu zu beleben und deutjches Nationalgefühl
zu weden und zu heben. Zu diefem Zwecke verbanden fie ſich
zu gemeinfamen Titerarifchen Unternehmungen in Zeitſchriften
und Sournalen.
Siebzehntes Kapitel.
Der Journaliſt.
Den erjten journalijtifchen Verſuch machte Mendelsjohn im
Alter von einundzwanzig Jahren. Um feine Glaubensgenofjen
moralifch und äjthetifch zu Yäutern, ſchritt er Schon 1750, in
demfelben Sahre, in dem er als Hauslehrer bei Bernhard ein-
trat, unterjtügt von Tobias Bod, einem jungen Strebegenofjen,
zur Herausgabe einer moralifchen Wochenschrift in hebräifcher
Sprade; er gab ihr den Titel „Der Sittenprediger“ (Kohelet
Mufar). Sm diefen halb poetiichen, Halb philofophifchen Be—
trachtungen, die immer an einen talmudischen Spruch anfnüpfen,
pries er die Schönheit der Natur oder ſprach nach der Weife
der Leibniz-Wolffiichen Philofophie über die Vollfommenheit der
Welt, über die Nichtigkeit des Uebel3 u. dgl. m. So unver-
fänglich der Inhalt und fo vorzüglich auch die Form war, fo
erregte doc) das Unternehmen großen Anftoß; ſchon mit dem
zweiten Blatte ging die Wochenfchrift wieder ein.t)
Bald nad) diefem erjten mißglüdten Verſuch betheiligte ex
fi) mit Fleinen Beiträgen an den Beitfchriften, welche fein Freund
Müchler theils ſelbſt redigirte, theil3 unterjtügte. Auf befondern
Werth fünnen diefe jugendlichen Producte feinen Anſpruch machen;
es find moralifche Betrachtungen, welche nur zu fehr den Ge—
) Die Auffäge find theilweife wieder abgedrudt: Sammler, 1785,
S. 9 ff., 93 f., 103 ff.
7%
— 100 —
ſchmack der Zeit verrathen, in welcher ſie entſtanden. Wol aber
verdient der Umſtand die volle Anerkennung, daß Mendelsſohn
ſchon damals bemüht war, die Geiſtesproducte jüdiſcher Dichter
in deutſcher Ueberſetzung bekannt zu machen. Stücke aus Penini
Bedraſis „Prüfung der Welt“ und die oft bewunderte Elegie
des ſpaniſchen Dichterfürſten Jehuda Halevi, von der Goethe
behauptet: es iſt eine Gluth der Sehnſucht in dieſer Elegie,
wie in wenig Gedichten“1), erſchienen 1755 in einer von Müchler
herausgegebenen Zeitichrift.
Durch Leffing, welcher ihn zur kritiſchen Lectüre ſchön—
wiſſenſchaftlicher Schriften anregte, wurde er auch für die Hebung
der deutſchen Literatur gewonnen.
Um die deutjche Literatur von den Schlafen fremdartiger
Elemente zu fäubern, Hatte Leſſing ſchon im Jahre 1755 die
Herausgabe der Zeitſchrift „Das Beſte aus fchlechten Büchern“
mit ihm verabredet; er hatte ihm dazu eine umfangreiche Be-
ſprechung einer fchlechten Pfychologie verſprochen. „Sie follen
in acht Tagen den erften Bogen des Journals fehen,“ Heißt es
in dem erſten Briefe Leffingg an Mendelsfohn; „ſchicken Sie
mir alfo Ihre Recenfion mit nächjtem. Mendelsſohn Hatte feine
Arbeit auch eingefhicdt, wie ſich aus folgender unter den
Papieren Leffings vorgefundenen Notiz ergiebt. „Mein Freund
Mojes Hatte mir ein paar fchöne Beiträge aus einigen fchlechten
Compendien der Cartefianifchen Philofophie gegeben, von welchen
ich bedauere, daß ich fie nicht mehr zu finden weiß.“3) Die
Zeitſchrift Fam nicht zuftande, weil Leffing vermuthete, daß ihm
die Fortjegung zu Schwer werden würde.
Die Begründung einer neuen Zeitfchrift war dem andern
Freunde Mendelsjohns vorbehalten. Sm Jahre 1756 be—
gründete Nicolai die „Bibliothef der fchönen Wiffenfchaften und
der freien Künſte“ und forderte Mendelsfohn, der fich damals,
) Aus Herder Nachlaß I, 130.
2) Schr. V, 7.
3) K. Leifing, Leſſings Leben, I, 162.
— 11 —
wie Leifing halb ironiſch bemerkte, „von einem Metaphyfifer in
einen Bel-esprit ausdehnte“, ) zum Mitarbeiter auf. Mendels-
fohn wurde nicht allein der fleißigſte Mitarbeiter der „Bibliothek“,
welche unter Leſſings Auffiht in Leipzig gedrudt wurde, er
nahm auch an den Redactionsarbeiten den lebhafteſten Antheil,
Die Zuerkennung des Preifes, den Nicolai für das beſte Trauer:
fpiel ausgefegt hatte, beichäftigte ihn nicht minder als Leifing,
und als die „Bibliothek einen Preis für ein in Proſa auszu-
führendes Thema auszufchreiben beichloß, entwarf er die „Vor—
chläge zu einer Aufgabe in der Beredfamfeit”;2) er galt bald
als die Seele des Titerarifchen Unternehmens, welches, wie
Danzel behauptet, eins der größten Verdienſte Nicolais iſt.
Die „Bibliothek“ war die erjte Titerarifche Zeitfchrift von Be—
deutung, die nicht von dem allmächtigen Gottſched ausging und
geradezu Front gegen ihn machte, und auch die erxfte, welche
das Gebiet der Schönen Künfte in das Gebiet der allgemeinen
Bildung 300.
Es ift nicht zu viel behauptet, daß die „Bibliothek“, fo
lange fie von Nicolai herausgegeben wurde, größtentheils
Mendelsfohn ihr Beftehen verdanfte Kein Stück erfchien, das
nicht Beiträge von ihm brachte. In diefem Journale veröffent-
lichte ex die meiſten feiner äfthetifchen Abhandlungen; er Lieferte
größere Recenfionen, oft von drei und vier Bogen, über neue
englifche Erſcheinungen, wie Lowths Borlefungen über die Heilige
Dichtkunft der Hebräer, Akenſides Ergögungen der Einbildungs-
fraft, über die philofophifche Unterfuchung des Urſprungs unferer
Ideen vom Erhabenen und Schönen, Bopes Schriften u. a. m.,3)
Recenfionen, in welchen er gewilje allgemeine, aus den aner-
fannten Meiſterwerken, zumal der Alten, abgezogene Regeln auf
die beionderen Fälle anwandte.
1) Schr. V, 41.
2) Schr. IV, 1, 25 f.
3) Die Beiträge Mendelsſohns zur Bibliothek find gejammelt,
Schr. IV, 1, 157—4%.
Sobald Mendelsfohn Miene machte, ji) von der „Bi-
bliothek“ zurüdzuziehen, ließ fie der Herausgeber aud fallen.
Sie hatte faum das erite Jahr erlebt, als Mendelsjohn ihr
den Abfchied zu geben befchloß. „Herr Nicolai kann verfichert
fein, daß ich die fchönen Wiffenfchaften nächſtens abdante,“
fündigte er Schon im November 1757 Leſſing an,!) der das
Kournal von Anfang an nicht in feinem Sinne fand und ihn
in feinem Worhaben beftärfte, denn er meinte, „den ſchönen
Wiſſenſchaften follte nur ein Theil unferer Jugend gehören; wir
haben uns in wichtigen Dingen zu üben,“?) und fo war aud)
der Entſchluß Nicolais al3bald gefaßt, die Bibliothek fallen
zu laſſen.
Er traf Anftalten zu einem neuen Unternehmen, das eine
wahrhaft revolutionäre Bewegung hervorzubringen bejtimmt war
und dem Mendelsjohn jo wenig wie Leffing feine Hülfe verfagte.
Diefes Unternehmen find die berühmten „Literaturbriefe‘. Sie
wollten die neuejte deutfche Literatur einer gründlichen Prüfung
unterwerfen; Kampf gegen alles Veraltete, Mittelmäßige und
zumal gegen alles Geijtlofe war ihr Lofungswort. Sie beugten
fi) vor feiner Autorität, fürchteten feinen Namen, waren auf
niemand geftüßt al3 auf die Wahrheit der Sache und ihre eigene
unbefangene Kritif, und nahmen im Kleinen eine Stellung ein,
nicht unähnlich jener, welche zur felben Zeit Friedrich der Große
auf dem großen Theater der Politif behauptete.
Bon Mendelsfohn, der ſich damals mit der dee trug,
philofophifche Briefe zu fchreiben, mag für die Darftellung die
Briefform in Vorfchlag gebracht worden fein. In Briefen an
einen im Felde verwundeten befreundeten Offizier wollte man
die bedeutendjten literariſchen Erſcheinungen beſprechen; Leſſing
dachte dabei an ſeinen Kleiſt, Mendelsſohn an niemand anders
als an ſeinen beſten Freund Leſſing. „Sie müſſen alle Briefe
— — —
') Schr. V, 138.
2) Schr. V, 140.
— 13 —
über die Literatur, welche nicht ganz leer von neuen Gedanken
ſind, anfehen, als wenn fie an Sie gerichtet werden,“ fchreibt
er ihm am 11. Februar 1761. „Für meinen Theil fann ich
Sie verfihern, daß ich weder den eingebildeten Offizier, noch
das Bublifum in den Gedanken Habe, fo oft ich nicht blos
abjchreibe, jondern felbjt zu denfen wage. Sie find der Mann,
den ich anrede und deſſen Urtheile ich meine unreifen Einfälle
unterwerfe.“!) Die Briefe follten wöchentlich exfcheinen, die
Berfafjer unbekannt bleiben; fie verbargen fi) unter Zeichen
und Buchſtaben. Mendelsjohns Chiffre war zuerjt ein D., das
auf Defjau, feinen Geburtsort, Hindeutete, dann auch M., FU.
und andere willfürlich gewählte Buchſtaben. Solche Anonymität
war damals jehr beliebt.
Die „Literaturbriefe” find die wichtigste und folgenreichite
Erſcheinung nicht allein der deutichen Kournaliftif, fondern auch
der deutſchen Literatur. Im ihnen gewann die deutjche Kritik
den männlichen Ernſt, der auf den Kern und das Wefen der
beachtenswerthen Erjcheinungen eingeht und das Urtheil über
diefelben nicht nach Einzelnheiten, fondern nach) dem Ganzen
bemißt. Die Nachläffigkeit in der Behandlung der Sprache, die
feihte WVieljchreiberei der gedanfenlofen Mittelmäßigkeit wollten
fie aufdeden und verbannen. Sie drangen vor allem auf Gründ—
lichfeit der Unterfuhung, auf Schönheit des Ausdruds, auf
edle, aber einfache Schreibart. „Ich bin fo unfinnig nicht,“
lautet Mendelsſohns Befenntniß, „die jtrenge Methode und die
Gründlichfeit an unfern deutichen Schriftitellern zu tadeln, oder
zu verlangen, daß fie von diefer Strenge, der Welt zu Gefallen,
nur das mindefte vergeben follten. Der Schriftiteller muß exit
an die Forderung der Willenichaft, und hernach an die Bes
quemlichkeit feiner Zefer denken. Jene gehen vor, weil der Leer
ſelbſt verpflichtet ift, ihnen feine Bequemlichkeit aufzuopfern. ...
Mich dünkt immer, wenn unfere Weltweilen die Schul-Etiquette
') Schr. V, 160.
— 14 —
vergefien, und fich einen freiern und ungezierten Ton angewöhnen
wollten, jo würde der allgemeine Beifall, den fie verdienen,
nicht ausbleiben.“!) |
Der neue Boden, auf defien Gewinnung es Mendelsfohn
wie Leifing mit den fritifchen Literaturbriefen abgejehen hatte,
war fein anderer, als der Boden für eine im wahren Sinne
nationale, d. 5. eine eigenartig deutfche, aus dem innerjten
Weſen und Leben der Nation hervorgehende Literatur. Als
treuer Bundesgenofje an der Seite Leffings, half er den Augias-
jtall der deutfchen Literatur gründlich reinigen. Die Kritik, die
er im Bunde mit Leffing in die Literatur einführte, war feine
blos reproducirende, feine blos negative, äßende und zerjeßende;
fie war eine pofitive, jchöpferifche, entfchieden Schlechtes und
Schädliches abweifende, die Bildung einer nationalen Literatur
anfpornende, echt deutiche Kritif,?) Er übte fie fowol auf dem
Gebiete der fchönen Künſte als ganz bejonders auf dem der
Philofophie: die philofophifchen Briefe hatte er zu liefern über-
nommen. Gleich der erjte Brief, in welchem er es mit deutlichen
Worten ausſprach, daß die neueſten philofophiichen Schriften der
Deutichen kaum noch Ddiefen Namen verdienten, mußten den
Schade, Erufius, Lieberfühn und wie die armen Sünder weiter
heißen, feinen kleinen Schred einjagen. „Sorgen Sie nicht!
Sie jollen zeitig genug mit unfern neuen Weltweifen befannt
werden. Sie werden zeitig genug das traurige Schaufpiel, eine
Wiſſenſchaft in ihrem Verfall, erbliden; und eine folche Wifjen-
ſchaft, in welcher wir vor furzem fo wichtige Progrefjen gemacht,
in welcher Deutichland die größten Männer aufzumweifen hatte:
eine Wiffenichaft, die dem unbeftimmten Nationalcharafter der
Deutfchen etwas eigenthümliches zu geben fchien. Die Königin
der Wiſſenſchaften, die fich font aus Herablafjung ihre Magd
nannte, 1jt jegt, dem Wortverjtande nad, zu den niedrigiten
1) Schr. IV, 2, 59 f.
2) A. Bodef, Moſes Mendelsjohn ala deuticher Nationalfchriftfteller,
in Leſſing-Mendelsſohn-Gedenkbuch (Leipzig 1879).
— 105 —
Mägden hHeruntergejtoßen worden. Die arme Matrone! jagt
Shaftesbury; man hat fie aus der großen Welt verbannt ımd
auf die Schulen und Collegien verwiefen. Nunmehr hat fie
au Diejen ftaubigen Winkel räumen müffen... Der Schau-
platz ijt ledig, und dem Anfcheine nad) wird un bald der
Weltweife nad) der Mode werden.‘ !)
Deutichland national zu heben, das wahre Selbftgefühl
der Nation zu ftärken, lag ihm in feinen Rritifen befonders am
Herzen. Er fonnte e8 dem fo Hoch von ihm verehrten Windel-
mann nicht verzeihen, daß er fi) auf den Umgang mit Cardi-
nälen jo kindiſch viel zu gute that und auf jeden deutjchen
Profefjor mit ſchnöder Verachtung Herabfah.?) Er macht es
dem deutjchen Publifum zum Vorwurf, daß es, allzu forglos
für feine nationale Ehre, den Werth feiner großen Geifter nicht
zu ſchätzen wiſſe. Diefen Undank der Deutfchen geißelt er,
indem er ausruft: „Leibniz und Newton, deren unfterblicher
Ruhm Bis in die fpäteften Zeiten dauern wird, lebten zu einerlei
Zeit und erweiterten die Grenzen der Wifjenfchaften gleichſam
mit vereinigten Kräften. Der große Newton ftarb; und es it
befannt, mit welchem Pompe, mit welchen faſt königlichen Ehren-
bezeugungen fein Zeichnam beigelegt worden fei. Der wenigſtens
ebenfo große Leibniz verfchied, und ward nicht würdiger beerdigt,
als der jchlechtejte Einwohner einer Stadt, defjen Verluſt man
nicht weiter verjpürt, als an dem Tifche wo er gegeilen hat.
Ja, was noch mehr ift, vielleicht hat der Herr von Fontenelle
diefem großen Deutichen eine würdigere Lobrede gehalten, als
alle feine Mitbürger, die noch dazu in gewiſſem Berjtande feine
Lehrlinge waren.“ ?)
Mit ſolchem Freimuthe traten in jener Zeit außer Leifing
ſehr wenige auf.
) Schr. IV, 1, 49.
2) Aus Herders Nachlaß, II, 225.
3) Schr. IV, 1, 262.
— 106 —
Mendelsſohn, der Heimatlofe Jude, kämpfte mit patriotifchem
Eifer für die Wiederaufrichtung des gefunfenen deutichen National-
gefühls, für Deutfchlandg nationale Ehre und Größe. Darum
verurtheilte er in feiner Kritik jede Nachäfferei der Ausländer.
Er erkannte das Gute an, wo er e3 fand, ermunterte durch
Lob, wo er ein ehrliches Streben entdedte, tadelte am Meifter
wie am Anfänger, ohne Anfehen der Perſon ſah er al3 uner-
bittlicher Richter nur auf die Sache.
Achtzehntes Kapitel.
Der Kritiler.
Mendelsfohn unterzog in den „Literaturbriefen‘, weniger
in der „Allgemeinen deutjchen Bibliothek“, welche im Jahre 1765
unter Nicolai Leitung: ihren Anfang nahm und in den erjten
Jahren ihres Beſtehens auch ihn zu ihren Mitarbeitern zählte,
nicht blos philoſophiſche Schriften feiner Beurtheilung, ex jtellte
aud) die zeitgemöffifchen Meifter deuticher Poeſie vor feinen
Richterſtuhl.
Das bewunderte Genie des Tages war Klopſtock, der ge—
feierte Regenerator der deutſchen Nationalliteratur. Mendels—
ſohn verkannte die Bedeutung der „Meſſiade“ nicht; daß ihm
der zweite Theil dieſer Dichtung nicht allenthalben gleich gefiel,
ſchrieb er ſeiner Religion zu. Der zehnte Geſang ſchien ihm
alle vorhergehenden zu übertreffen; einige Hymnen, einige ent-
worfene Charaktere, und das Geſpräch Satans mit Adramelech
waren in feinen Augen wahre Meijterjtüde. Dabei entgingen
ihm nicht die innern Mängel und unüberwindlichen Schwierig:
feiten, die fi) dem Dichter boten: „alle die Heiligen, die er
— 107 —
aus den Gräbern ruft, fünnen ja doch nichts anders thun als
anfchauen, Heilige Hände falten und beten.‘ !)
Einer ſehr ftrengen Kritik unterzog er das 1757 erſchienene
Traueripiel „Der Tod Adams“, an dem er nichts fand, das
Kopftod3 würdig fei. „Sch weiß nicht,“ fchreibt er Leſſing den
11. August 1757, „wie Klopftod ſolch Zeug Hinfchreiben Fann,
das weder Zufammenhang noch Handlung, weder Leidenjchaften
no) irgend etwas anders, außer einer Fleinen Niance von
Charakteren, hat. ch ſage meine Meinung ziemlich zuverſichtlich;
aber ich bin gewiß, daß ein Lefjing nie ein ſolches Gewäſch
dem Drude bejtimmt haben wiirde, gejegt, e8 wäre ihm möglich
gewefen, fo was zu fchreiben.“?)
Zurüdhaltender mit feinem Urtheile über diefen völlig miß-
lungenen Berfuh war er gegen Gleim, den fchwärmerifchen
Berehrer Klopftods. „Je öfter ich den Tod Adams leſe,“ heißt
e3 in feinem Briefe an Gleim, „deito mehr werde ich in der
Bermuthung bejtärkt, daß ich nicht in der gehörigen Verfaffung
bin, dieſes Stüd zu empfinden oder zu beurtheilen. Mix fehlet
gleichfam das ABE derjenigen Empfindungen, die der Dichter
erregen will. ch weiß nicht, was des Todes jterben hieße,?)
ih weiß nicht was der Fluch eines Böfewichtes fo ehr
Scredendes habe u. j. w“. Zugleich mit dem Briefe jchidte ex
Gleim einige Bemerkungen, welche diefer dem Dichter mittheilte
und welche in einer jpätern Auflage des Trauerfpiel3 auch
Berüdfihtigung fanden. Das Urtheil Mendelsſohns war aud)
einem Klopſtock nicht gleichgültig. *)
Noch viel Schlimmer ala der „Tod Adams“ fam das Trauer:
fpiel „Salomo“ weg, das der Dichter ſelbſt für ein tragifches
Meiſterſtück hielt. „Ich Habe mich gemartert, dieſes Stüd zu
) Schr. V, 33.
2) Schr. V, 120.
3) Klopftod gebraucht mit Vorliebe diefen Ausdrud, jo L,3, 7; IL,1.
9 M. ſ. mein Moſes Mendelsjohn. Ungedrudtes und Unbefanntes
(Leipzig 1883) ©. 23.
— 108 —
verſtehen,“ jchreibt ex den 20. Juli 1764 an Abbt. „Ver:
gebens! ch fchmeichle mir, Stüde des Sophofles Leichter ver-
ftehen zu fönnen.“!)
Geßners „Tod Abel“ wird ganz und gar verurtheilt; es
fehlen ihm die Triebfedern der Handlung und Charaktere. Hin—
gegen räumt er dem unnachahmlichen Zdyllendichter gern ein,
daß feine Poefie durchgehende mohlklingend und Tieblich, oft
fogar zu lieblich und zu ſchwulſtig ift.?)
Die Verfuche anderer deutfcher Dichter werden von Mendels-
fohn unparteiifch beurtheilt. Im Withof erblidt er einen Nach—
ahmer Haller, der in feinen „Moralifchen Gedichten“, in
einzelnen Oden, fein Vorbild noch übertrifft. Den Poeſien
Haller und Withofs fett er einige Gedichte Duſchs an die
Seite, obgleich er nicht verhehlt, daß der Dichter aus Klopftods
„Meſſias“ ganze Verſe declamiren Täßt.
Uz' Lehroden, befonder3 feine aus einer —— Auf⸗
faſſung der Leibniziſchen Religionsphiloſophie hervorgegangne
„Theodicee“ find in feinen Augen fo meiſterhaft, daß er an
allen anderen Poeſien diefes Dichters den höchſten Maßſtab
anzulegen: fich für berechtigt hält. Diefes gilt befonder3 von
dem Lehrgedichte „Die Kunſt fröhlich zu fein‘, das nur einige
Stellen enthält, die Uzens nicht unwürdig find. „Wenn ich
dag Glück Hätte,“ fchreibt der Recenfent, „ein Freund des Herrn
U; zu fein, fo möchte ich ihm vathen, ein Feld nicht zu ver-
faffen, auf welchem er unter den Deutichen ein Original ge
worden, um ein anderes zu betreten, auf welchem man fchwer-
fih mehr als Teidlicher Nachahmer werden fann.‘3)
Eingehend beichäftigte fi) Mendelsfohn mit den Gedichten
der Karſchin, diefer Natur: und Volksdichterin, welche eine fo.
ungemeine Reimfertigfeit befaß, daß fie in furzer Zeit einen
') Schr. V, 325.
2) Schr. IV, 1, 483.
s) Schr. IV, 2, 172.
— 109 —
„ganzen Band von Gedichten hingeſchrieben.“ Mendelsfohn war
ihr nicht? weniger als gewogen und jo recht eigentlich bemüht,
den Enthufiasmus ihrer Freunde, welche fie allen Dichtern
gleichfchägten, herabzuftimmen. In der redfichen Abſicht fie zu
einer guten Dichterin zu machen, ſagte er ihr derbe Wahrheiten?)
und dabei Hat „strengen Runftrichtern die Recenſion noch viel
zu gelinde erjchienen‘. 2)
Für Cronegks preisgefröntes ZTrauerjpiel „Codrus“ mit
den höchſt tugendhaften oder höchſt Lafterhaften Charakteren
und der Einförmigfeit in den Gefinnungen der - handelnden
Perjon Hat er ſcharfen Tadel. Weit befjer gefiel ihm defjelben
Dichters umvollendetes Trauerfpiel „Dlint und Sophronia“,
das viele vorzüglihe Schönheiten Hat, während das Luftipiel
„Der Mißtrauifche” feines Erachtens kaum mehr als mittel-
mäßig ijt.?)
Hocgerühmt werden Joh. Elias Schlegel3 Trauerfpiele,
obgleich er richtig herausfühlt, daß „Die Trojanerinnen“ nur
Nachahmung ift; dem Quftfpiele „Triumph der guten Frauen“
weiß er wenige deutfche Luſtſpiele an die Seite zu stellen.
Zulegt nahm ſich Mendelsſohn noch des verſchrienen Lohen—
ftein an, in deſſen „Arminius“ er einen hiſtoriſchen Stil fand,
den fich unſere Gejchichtsichreiber zum Mufter nehmen follten.
„Sedrungene Kürze, runde Perioden, fernhafte Ausdrüde und
eine Beredjamfeit, welche an das Erhabene grenzt, wird man
in diefem Roman finden.“
"Das war die Teßte Recenfion, welche von ihm in den
„Ziteraturbriefen“ erichien, und am 14. Juni 1765 konnte ex
füglich Abbt ankündigen: „Literaturbriefe“ fchreibe ich nicht
mehr, die „Bibliothek“ geht mich nichts an.““)
Mendelsjohn war in feiner Kritif immer unparteiifch; er
1) Schr. IV, 2, 420-444.
2) Schr. V, 328.
3) Schr. IV, 2, 299 ff.
4) Schr. V, 350
— 110 —
achtete weder die Perfon des PVerfafjers no) den Rang und
die Stellung, die er als Schriftjteller einnahm. „Ein König,
ein Frauenzimmer, ein Jude, was thut Diefes zur Sache? Wer
die Ehrbegierde hat, Schriftfteller zu fein, muß, alle Neben-
betrachtungen bei Seite geſetzt, als Schriftjteller beurtheilt
werden.) Er tadelte was ihm mittelmäßig oder fchlecht fchien,
er tadelte ſogar Friedrich den Großen.
Neunzehntes Kapitel.
Mendelsjohn und Friedrid der Große.
Zu den enthufiaftifchen Preußenfreunden und zu den blinden
Berehrern des großen Friedrich gehörte Mendelsfohn nicht.
Wie hätte er auch einen Monarchen Lieben können, der die
Ausbreitung und Vermehrung der Juden in feinem Lande ge
feglich verbot und feine Abneigung gegen die jüdifchen Unter:
thanen fo Häufig an den Tag legte! Der ffandalöfe Proceß,
welchen Voltaire, des Königs Liebling, mit dem Berliner Juden
Abraham Hirsch führte, und der dem fchriftjtellerifchen Regenten
felbjt zu einer Komödie Stoff bot, vermehrte noch Friedrichs
Abneigung gegen die jüdiiche Nation, ſodaß er in einem Edicte
vom 28. Auguft 1752 die in feinem Lande anfäffigen Juden
auf eine gewiffe Anzahl Köpfe reftringirte; neue Judenfamilien
follten fich unter feinem Vorwande einfchleihen und anfeßen.
Es läßt fich denken, daß eine folche ſchmachvolle Unter-
drüdung einen Mendelsfohn nicht mit Liebe für Friedrich erfüllen
konnte. War ihm die freie Denkweife des Königs doch fonft
zur Genüge befannt! Vorſichtig wie er war, hielt er feine
politiiche Geſinnung jtet3 geheim. Nur gegen Leffing äußerte
') Schr. IV, 2, 424.
— 111 —
er fich über den fiebenjährigen Krieg, „den wundervolliten Feld—
zug, der unter der Anführung eines Weltweifen vielleicht je ift
gethan mworden“,1) indem er ihm fchrieb: „Kommen Sie zu uns!
Wir wollen in unſerm einfamen Gartenhaufe vergefjen, daß die
Leidenschaften der Menfchen den Erdball verwüften. Wie leicht
wird es ung fein, die nichtswürdigen Streitigkeiten der Habfucht
zu vergefjen!“?)
Und doc wagte es Mendelsjohn, der ausländifche, kaum
geduldete Jude, die Gedichte des großen Königs in den „Literatur:
briefen‘ zu tadeln!
Als nämlich Friedrih im Jahre 1760 feine bis dahin
nur dem Bertrauen der Freundichaft geweihten Gedichte wegen
eines in Frankreich veranftalteten Nachdruds aller Welt über:
laſſen mußte, gab Mendelsfohn von diefen „Poésies diverses“
in den Literaturbriefen eine Beurtheilung, welche ein nicht
geringes Auffehen erregte. Man erfundigte fich nad) dem
Recenſenten und erfuhr, daß der Deſſauer Jude es fei. Es ift
ein Meiſterſtück von Recenfion! „Sie werden ſelten“ — fo fchrieb
er — „bei einem Dichter fo viel Philofophie, erhabene Ge—
finnungen, Kenntniß des menschlichen Herzens, Natur in den
Gemälden und Gleichniffen, und fo viel Zartheit in den Em—
pfindungen angetroffen haben als bier; und, was an einem
Werke des Genies die größte und feltenjte Zierde ift, die reine
Sprache des Herzens, welche ſich nie verleugnet und fich nie
durch die Kunſt nachahmen läßt.“ Er entwarf fodann ein Bild
des Königs, in dem frei von aller Schmeichelei, in wenigen
Zügen der ganze Charakter defjelben, „feine große Seele, fein
noch größeres Herz und feine Schwachheiten felbjt“, geichildert
find. „Die Nachwelt,“ Heißt es, „wird das Vergnügen haben,
den Helden und den Landesvater, den fie in feinen öffentlichen
Thaten nicht genug wird bewundern können, hier in feinen
1) Sr. IV, 1, 502.
2) Schr. V, 70.
— 112 —
Ergögungen als den liebenswürdigſten Privatmann fennen zu
lernen. Kaum ijt den Pflichten des Regenten, in ihrem weiteſten
Umfange, Genüge gefchehen, fo legt er Krone und Scepter und
den Zwang der Majeftät vor dem Throne der Weisheit nieder,
und begiebt fich in den Fleinen Cirkel von Freunden, tjt ſelbſt
der zärtlichjte Freund, der angenehmſte Gejellfchafter, der gütigſte
Hausherr und der ftrengjte Sittenrichter; verabjcheut den
Schmeichler, züchtigt den Wollüftling, fcherzt über den Unzu-
friedenen, beftraft feine eigenen Fehler, und Haft niemand ala
den Tyrannen und den Heuchler, die Feinde der menschlichen
Glücfjeligkeit.“ ?)
Bei aller Anerkennung, welche er dem Regenten und
philofophifchen Dichter zollte, kann er fein Bedauern nicht unter-
drücden, daß ein deutfcher Fürjt ſich der franzöſiſchen Spracde
in feinen Schriften bedient: „Welcher Verluſt für unfere Mutter-
iprache, daß ſich diefer Fürjt die franzöſiſche geläufiger gemacht!
Sie würde einen Schatz bejigen, um den ihre Nachbarn Urfache
hätten fie zu bemeiden.“ Streng rügte er die in den Epifteln
an Marfchall Keith und an Maupertuis dargelegte philofophifche
Anfchauung. Die Gründe, welche der König wider die Unfterb-
Yichfeit der Seele vorbringt, jchienen ihm jo unerheblid und
machten, wie ex ſich ausdrüdt, jo jchlechte Figuren, daß fie kaum
beantwortet zu werden verdienen! Ja Mendelsfohn ging in
feiner Aufrichtigfeit noch weiter und behauptete geradezu: „Mich
dünkt, ein Friedrich, der an der Unfterblichfeit zweifelt, ijt eine
bloße Chimäre, ein vieredter Zirkel, oder ein rundes Viereck!“?)
Diefe Recenjion benußte ein charafterlofer Bielichreiber,
von Juſti genannt, welcher jpäter wegen Unterfchleife nach der
Feftung Küſtrin gefchict wurde und, aus der Haft zurücgefehrt,
in den ärmlichiten Berhältniffen Lebte, fich an den Literatur-
briefen, welche ein von ihm herausgegebenes jchlechtes Buch
) Schr. IV, 2, 67 f.
2) Schr. IV, 2, 70 ff.
— 13 —
gerecht beuriheilt hatte, zu rächen. Er fchrieb an den Staats-
vath: „Es ericheine in Berlin eine jchändliche Schrift, Briefe
die neuejte Literatur betreffend, worin ein Jude in einem Auf:
fage wider den Hofprediger Cramer die Gottheit der chriftlichen
Religion, auch durch ein. freies Urtheil über die Po&sies diverses
die Ehrfurcht gegen des Königs allerhöchite Perſon aus den
Augen gefegt habe“.) Es erfolgte fofort, am 18. März 1762,
Durch den Generalfiscal von Uhden das Verbot der Literatur-
briefe, und Mendelsfohn war auf dem beiten Wege, ein Märtyrer
der Kritif zu werden. Er wurde aufgefordert, am. nächiten
Vormittag vor dem Generalfiscal zu ericheinen. Die finftere
Amt3miene, mit welcher ihm Uhden entgegentrat, ſchreckte
ihn nicht. | |
Einen Theil des Geſpräches, welches fich bei diefer Ge—
legenheit zwijchen dem WBhilofophen und dem Generalfiscal
entwidelte, hat Nicolai wörtlich wiedergegeben. So mag e3
hier folgen:
Oeneralfiscal: Hör’ Er, wie kann Er ſich — wider
Chriſten zu ſchreiben?
Mendelsſohn: Wenn ich mit Chriſten Kegel ſchiebe, ni
werfe ich alle Neune, wenn ich kann.
G. Unterjteht Er ſich zu ſpotten? Weiß Er wol mit wem
Er redet?
M.: DO ja! Ich ſtehe vor dem Hexen Geheimen Rath und
Generalfiscal Uhden, vor einem gerechten Manne.
G.: Ich frage Ihn noch ein mal: wer hat Ihm erlaubt,
wider einen Ehriften und noch dazu wider einen Hofprediger
zu ſchreiben?
IH muß nochmals wiederholen und wahrlich ohne
Spott: wenn ich mit einem Chrijten Kegel fchiebe, wäre es aud)
ein Hofprediger, jo werfe ich alle Neune, wenn ich fann. Das
Kegelſpiel ift eine Erholung für meinen Leib, wie die Schrift-
) Preuß, Friedrich der Große, LII, 257.
Kayferling, Moſes Mendelsfohn. 8
— 1144 —
itellerei eine Erholung für meinen Geift. Jeder, welcher jchreibt,
macht es fo gut, wie er immer fan. Uebrigens wüßte ich nicht,
daß ich je wider einen Hofprediger, noch einen andern Prediger
geichrieben hätte.
G.: DO ich merfe, Er will leugnen. Man wird Ihm jchon
feine Künſte abfragen. Ex hat wider die chriftliche Religion
geichrieben.
M.: Wer Ahnen diefes gejagt Hat, hat Ihnen eine große
Unwahrheit gejagt.
G.: Leugne Er nur nicht, man weiß e3 fchon befjer. Dies
ift wider das AJudenprivilegium, Ex hat den Schuß verwirft.
M.: Ah, ich Habe Hier feinen Schuß zu verwirfen, ich
habe fein Privilegium, ich bin Buchhalter beim Schußjuden
Bernhard.
G.: Defto fchlimmer! Die geringfte Strafe für Seinen
Frevel wird fein, daß man ihn aus dem Lande vermweifet.
M.: Wenn man mich gehen heißt, jo werde ich gehen.
Sch Habe mic) nie den Geſetzen widerſetzen wollen und der
Gewalt fann ich mich noch weniger widerfeßen.
In Diefer Weife dauerte die Unterredung noch eine
Weile fort.)
Nach einer andern Berfion wurde Mendelsfohn infolge der
Denunciation Juſtis aufgefordert, an einem Sonnabend vor dem
Könige in Sansſouci zu erfcheinen. Bei feinem Eintritte in
das Schloßthor fragte ihn ein Junker, fobald er hörte, daß der
Eintretende ein Jude namens Mendelsſohn fei, wie er in aller
Welt zu der Ehre käme, an den Hof gerufen zu werden. Worauf
ihm der Befragte die farfaftifche Antwort gab: „Ich fpiele aus
der Taſche“. „Das ift etwas anders,“ fagte der Junker, und
ließ den Tafchenfpieler Mendelsfohn ohne weiteres paffiren.?)
) G. Malfewig, Bojfifhe Zeitung, Sonntag den 23. April 1882,
Beilage; Allg. Zeitung d. Judenthums, 1882, ©. 348 ff.
2) Fedderjen und Wolfrath, Nachrichten von dem Leben und Ende
qutgefinnter Menſchen (Halle 1790), 154. Mendelsjohn joll diefe Be:
ZUR —
Dur) Berwenden des Sohnes des ©eneralfiscald, des
Kammergerichtsraths Uhden, der mit der neueften Literatur und
mit den VBerdienften Mendelsſohns befannt war, wurde die
Sache beigelegt und der fiscalifhe Proceß eingeftellt. Mit
großer Befriedigung las ſpäter Friedrich der Große die denuncirte
Recenfion, welche Benino, ein italienischer Kaufmann, der mit
den Gelehrten der Hauptjtadt freundfchaftlich verkehrte und auch
bei Hofe gut gelitten war, für ihn ins Franzöſiſche überſetzt Hatte.
Die nächſte Folge dieſes unliebfamen Borfalles war, daß
Mendelsfohn, der, weil fein geborener Preuße, nach dem Juden—
Reglement von 1750 nur unter dem Schuge eines anfäffigen
Juden fi) im Lande aufhalten durfte, um das Privilegium
eines Schutzjuden nachſuchte.
Als der Marquis D'Argens, der als philoſophiſcher Geſell—
ſchafter Friedrichs in Potsdam lebte und mit Mendelsſohn ſeit
Jahren verkehrte, von der incrimirten Recenſion hörte und zu—
gleich erfuhr, daß fremde Juden nicht im Lande bleiben durften,
war er nicht wenig überraſcht. „Aber,“ ſagte er, „notre cher
Moise trifft dieſes doch nicht?“ „O ja!” war die Antwort, „er
wird blos geduldet, weil er im Dienfte des Fabrifanten Bern-
hard ſteht. Wenn diefer ihn Heute entläßt, und ex feinen
andern Schußjuden findet, der ihn in Dienft nehmen will, fo
würde die Polizei ihn zwingen, noch heute die Stadt zu ver-
faffen.“ Der Marquis wollte nicht glauben, daß ein fo weifer
und gelehrter Mann, den jeder Rechtichaffene hochſchätzen müßte,
täglih in der Gefahr einer jo fchimpflichen Behandlung fein
follte und ſprach darüber mit Mendelsfohn. Dieſer befräftigte
es und jagte: „Sokrates bewies ja feinem Freunde Kriton, daß
der Weife fchuldig ift zu fterben, wenn es die Gejeße des
Staates fordern. Ich muß alſo die Gejege des Staates, in
welchem ich lebe, noch für milde Halten, daß fie mich blos aus—
gebenheit ſelbſt erzählt Haben. Menzel hat (deutjche Literatur I, 269)
wolweislich Mendelsſohns Antwort verdreht und ihm andere Worte in
den Mund gelegt.
8*
— 116 —
treiben, im Falle mich in Ermangelung eines andern Schußjuden
auch nicht ein ZTrödeljude für feinen Diener erflären will.“
D'Argens, der eifrigfte und dienftfertigjte Freund aller Gelehrten,
wollte jofort darüber an den König fchreiben. Nur mit Mühe
brachte man ihn davon ab, weil man vorausfah, daß jetzt —
e3 war im Jahre 1762 während des Krieges — nicht die rechte
Beit fein würde. |
Nach erfolgtem Frieden dachte der Marquis jelbjt daran
und verlangte, Mendelsfohn folle eine Bittfchrift auffegen, die
ex ſelbſt übergeben wollte, obgleich ex ſich ſonſt mit dergleichen
Dingen nicht befaßte. Dieſer wollte fi) anfangs nicht dazu
verjtehen. Ex fagte: „Es thut mir weh, daß ich um das Recht
der Eriftenz erjt bitten foll, welches das Necht eines jeden
Menjchen ijt, der al3 ruhiger Bürger Iebt. Wenn aber der
Staat überwiegende Gründe hat, Leute von meiner Nation nur
in gewiſſer Anzahl aufzunehmen, welches Vorrecht fann ich vor
meinen übrigen Mitbrüdern Haben, eine Ausnahme zu verlangen?“
Indeſſen gab Mendelsfohn der Borftellung der Freunde, daß
er es für das Wohl feiner Familie thun müſſe, nad) und reichte
folgende aus den Acten gezogene Bittfchrift ein:
„Ich Habe feit meiner Kindheit bejtändig in Ew. Majeftät
Staaten gelebt und wiünfche mic) auf immer in denjelben nieder-
lajjen zu fünnen. Da ich aber im Auslande geboren bin und
da3 nad dem Reglement erforderliche Vermögen nicht befite,
jo erfühne ich mich allerunterthänigjt zu bitten, Ew. Majeſtät
wolle allergnädigjt geruhen, mir mit meinen Nachkommen Dero
allergnädigiten Schuß nebjt den Freiheiten, die Dero Unter-
thanen zu genießen haben, angedeihen zu laſſen, in Betracht,
daß ich den Abgang an Vermögen durch meine Bemühungen
in den Wiſſenſchaften erjege, die jih Ew. Majeftät Protection
zu erfreuen haben.‘
Der Marquis felbjt überreichte im April 1763 dieſe Vor-
itellung dem Könige, aber Mendelsjohn befam Feine Antwort.
Wir, To erzählt Nicolai, waren alle darüber betroffen, und der
— 117 —
fonft jo ſanfte Mann war hierüber ziemlich empfindlich und
machte uns, die wir ihn zu dem Schritte verleitet hatten, einiger-
maßen Vorwürfe. Die Sache blieb fo, weil Mendelsfohn
durchaus weiter feinen Schritt thun, auch nichts darüber an
den Marquis gelangen laſſen wollte. Diefer erfuhr zufällig,
dag Mendelsjohns Bittfchrift feinen Erfolg gehabt und daß der
König nicht geantwortet Habe. Er war darüber äußerſt ent-
rüftet und al3 er denjelben Abend zum Könige fam, fing er
ichon beim Eintritt in das Zimmer an zu fchelten. Der König,
der nicht wußte, was er wollte, bezeigte ihm fein Befremden.
„Ach!“ vief der Marquis aus; „Sire! Sie find doch ſonſt
gewohnt, Wort zu Halten. Nun habe ich einmal um etwas von
Ihnen gebeten, nicht für mich, fondern für den würdigſten, vecht-
ichaffenften Mann, Sie verfprachen mir, e8 zu gewähren, und
hernach thun Sie es doc nicht. Nein, das ift zu arg!“
Der König verficherte, Mendelsfohn Habe das Schup-
privilegium erhalten; der Marquis aber betheuerte, er fei auf
feine Bittichrift Jogar ohne Anttvort geblieben. Endlich fand
e3 ih, daß ein bloßes Mißverjtändniß bei der Sade war.
Der König behauptete, die Bittfchrift müfje durch einen unge—
wöhnlichen Zufall verloren gegangen fein. Mofes möge nur
noch eine Supplik einreichen, ſodann wolle. er das Privilegium
auszufertigen befehlen. „Gut,“ fagte der Marquis, „ich werde
Ahnen ſelbſt eine machen, verlieren Sie fie aber nicht wieder.“
Mendelsſohn fchrieb auf wiederholtes Verlangen des Marquis
am 12. Juli 1763 die Bittfchrift noch einmal, und d'Argens
fügte unter feinem eigenen Namen Hinzu:
„Un Philosophe mauvais catholique supplie un Philosophe
mauvais protestant de donner le privilege à un Philosophe
mauvais jwf. Il y a.trop de Philosophie dans tout ceei
que la raison ne soit pas du cöte de la demande.“
Nun erhielt Mendelsfohn am 26. Dctober 1763 das
Privilegium.
Die Chargencafje verlangte von ihm verordnungsmäßig
— 183 —
taufend Thaler, welche ihm der König im Sahre 1764 erließ;
die Bitte jedoch, das Privilegium auf feine Nachfommen aus-
zudehnen, ſchlug er ihm ab, wiewol er ihn als Gelehrten
ſchätzte und bemwunderte. !)
Zwanzigſtes Kapitel.
Heirath.
Eine ſchöne glüdlihe Zeit war für Mendelsfohn dahin.
Er Hatte nun wieder das Glück gehabt, drittehalb Jahre mit
- Leffing in der engjten Verbindung vertrautejten Umgangs und
gemeinfamer geiftiger Interejjen zu verleben; es waren das die
Sabre, an welche ſich die Freunde noch oft mit Entzüden
erinnerten.
Gegen Ende des Jahres 1760 verließ Leifing Berlin und
ging als Secretär des Generals Tauengien nach Breslau;
Mendelsſohn ſah ſeinen beſten Freund von ſich ſcheiden. Mitten
in der großen Stadt lebte er nun „wie in einer Einſiedelei“,
und was ſeinen Aufenthalt noch einſamer machte, war, daß
auch ein anderer Freund, der als Ichthyologe ſpäter ſo berühmt
gewordene Markus Bloch, an deſſen Geſellſchaft er ſich gewöhnt
hatte, zur ſelben Zeit die Univerſität Frankfurt bezog.?) .
Der Gedanke, daß er niemand angehörte, befchäftigte ihn
Thon lange, und an Sabbat= und Felttagen mehr als fonft.
Solche Tage, an welchen die reine Freude in den jüdifchen
Familien in fo trauter Weiſe ſich fund giebt, boten ihm feine
Freude. Auf den Gefichtern feiner ihn umgebenden Glaubens-
genofjen malte ji) Frohfinn und Heiterkeit, in der Bruſt des
alleinjtehenden Mannes aber vegten ſich fchmerzliche Gefühle,
1) Schr. I, 49 ff.
2) Schr. V, 159.
— 119 —
und in einer trüben Stunde fchrieb er feinem Leffing die oft
gemißdeuteten Worte: „Wenn Sie wüßten, daß wir acht Feier:
tage gehabt haben, in welchen man, wie Sie wiffen, zu nichts
anders Luſt Hat als verdrieglich zu fein.“ ?)
In diefer Einfamfeit fand die volle große Liebe endlich
Eingang in fein Tiebebedürftige® Herz. Er hatte das einund-
dreißigjte Jahr überjchritten und dachte nun ernſtlich daran,
dem ehelofen Stande zu entjagen, ein Haus zu gründen. Er
jehnte jich endlich auch nad) Ruhe; wußte er es doch, „daß am
Ende e3 nur das häusliche Leben ift, in welchem der Menſch
Glück und Beruhigung findet, daß felbjt das Unangenehme und
Beichwerlihe des häuslichen Standes, wenn wir zu gewiffen
Sahren gelangen, weniger Fürchterliches für uns Hat, als das
Bacuum eines ehelofen Alters.“?)
Sn der Wahl feiner Lebensgefährtin ſah Mendelsfohn
nicht auf das Glänzende oder Nichtglänzende der äußeren Um:
ſtände; jobald ich ihm der Weg zeigte, auf welchem er mit
Ehren durchzukommen Hoffnung Hatte, jobald er für feinen
Unterhalt geforgt zu haben glaubte, trat die Natur in das
. Recht wieder ein, aus welchem Kleinmuth und Aengſtlichkeit fie
verdrängt hatte. Mochte ihm auch Hin und wieder der Gedanke
gefommen fein, eine der veichen Berlinerinnen zu heirathen,
welche ihm verfchiedene male angetragen worden waren, fo blieb
er dennod feinem Grundfage treu, „auf diejenige Verbindung
zu bejtehen, welche mit feinen Neigungen am bejten über-
einjtimmte.“ 3)
Mendelsſohn heirathete aus Neigung. Im April 1761
unternahm er eine Reife nah) Hamburg?) und verlobte ich:
1) Schr. V,,89.
2) Schr. V, 671.
3) Schr. V, 672.
4) In einem Briefe Abbts an Boie vom 25. April 1761 heißt es:
„Mofes ift in Hamburg, von da er erit in vierzehn Tagen zurüd-
fommen wird.” Deutihes Mujeum, 1778, Juli, ©. 55.
— 120° —
Fromet Gugenheim, „ein blauäugiges Mädchen“, die Tochter
des Abraham Gugenheim in Hamburg, wurde feine Braut. !)
Der glüdliche Bräutigam verblieb in der Elbjtadt über
drei Wochen; er lernte mehrere dortige Gelehrte perſönlich
fernen: den Doctor Pauli, bei dem der. Feine Bauzner Nau—
mann, Leſſings Stubengenofje, eine Zeit lang wohnte und den
ganz Hamburg, wie Leffing ſich äußert, für einen würdigen
Sandidaten des Tollhaufes hHielt;?) Joh. Bode, Literat umd
Buchdruder, der ein vorzüglicher Ueberfeger aus dem Englischen,
Franzöfiichen und Italieniſchen war und dem fich Leifing ſpäter
enger anſchloß; Moſes Weſſely, Hartwig Weſſelys Bruder, ein
einficht3- und geichmadvoller Mann, der mit. Gelehrten und
Staatgmännern umging und mit Schaufpielern Abendcirfel hielt,
De Caſtro u. a. m. Mendelsfohn Tieß es ſich nicht ne”
auch Sonathan Eibenſchütz, den hochgeachteten Hamburger X *er-
vabbiner, zu befuchen. Eibenſchütz, ein fcharfjinniger Talmu—
dift, der auch mathematiiche und philofophifche Kenntnifje in ſich
aufgenommen hatte, wußte den „Mann Moſes“ feinem vollen
Werthe nach zu ſchätzen; er unterhielt ji) mit ihm und gewann
zu feiner Freude die Ueberzeugung, daß „Moſes Deſſau auch
in den Talmuden wohl beivandert fei“. Um ihm ein Zeichen
der Anerkennung zu zollen, beehrte ihn der einundfiebzigjährige
Rabbiner, allerdings nicht mit dem Morenutitel, dem vabbinifchen
Doctordiplom, das nach damaliger Sitte Unverheiratheten nicht er—
theilt wurde, wol aber mit einem ſehr Schmeichelhaften Schreiben. ?)
') Die von_Berthold Auerbach entworfene, oft gedrudte, auch in
Zeifing » Mendelsjohn :» Gedenfbuh S. 198 aufgenommene Erzählung:
„Wie der Weltweife Mojes Mendelsjohn jeine Frau gewann‘, ift
nichts ald Dichtung. Auerbad) läßt Mendelsjohn den Kaufmann Gugen—
heim in Pyrmont fennen lernen und läßt ihn auf der Reife nach
Hamburg jeinen großen Freund Leſſing in Braunjchweig bejuchen!
Mendelsjohn war vor 1773 nie in Pyrmont, und Leifing, welcher erſt
1770 feine Stelle in Wolfenbüttel antrat, war 1761 noch in Breälau.
2) Schr. V, 113.
9) Das Schreiben (Kerem Chemed III, 224 f., Orient IX, 543) ift
datirt vom Neumondätage des Jjar 5621 =4. Mai 1761.
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Fromet Mendelssohn seb. Gusenheim.
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— 121 —
Leſſing war der erfte, dem Mendelsjohn einige Tage nad)
feiner Rückkehr fein Herz ausfchüttete. „Unfer Briefwechſel ift
lange genug unterbrochen geweſen,“ fchreibt er ihm im Mai 1761;
„ih muß ihn nunmehr erneuern. Ach würde nimmermehr fo
lange haben jchweigen können, wenn ich nicht eine Reife nach
Hamburg gethan Hätte, die mid) in taufend Zerjtreuungen ver-
widelt hat. Ich Habe das Theater befucht, ich habe Gelehrte
fenrien lernen, und, was Sie nicht wenig befremden wird: ich
habe die Thorheit begangen, mic in meinem dreißigiten!) Jahre
zu verlieben. Sie laden? Immerhin! Wer weiß, was Ihnen
noch begegnen kann? Vielleicht ift das dreißigſte Jahr das
gefährlichjte, und Sie haben diefes ja noch nicht erreicht. Das
Frauenzimmer, das ich zu heirathen willens bin, hat fein Ber-
mögen, ift weder jchön noch gelehrt, und gleichwol bin ich ver-
fiebter Ged fo ſehr von ihr eingenommen, daß ich glaube,
glücklich mit ihr leben zu fünnen. An Unterhalt, Hoffe ich, joll
es mir nicht fehlen, und an Muße zum Studiren werde ich
miv’3 gewiß nicht fehlen laffen. Zum Hochzeitscarmen follen
Sie noch ein ganzes Jahr Zeit haben, aber alsdann muß Ihre
reimfaule Mufe die ftaubige Leier wieder ergreifen; denn wie
fönnte ich unbefungen Hochzeit machen ?“ 2)
Fromet Gugenheim befaß in der That fein Vermögen, fie
war weder ſchön noch gelehrt, nichtsdeſtoweniger erfüllte fie fein
Herz mit der zärtlichjten Liebe. Seine Briefe an Fromet,
gejchrieben im jüdischer Currentſchrift und auf einer Papierjorte,
welche man damals Pojtpapier nannte, find voll tiefer Em:
pfindungen. Man leſe nur das folgende Schreiben, das er am
29. Juli 1761 an die Geliebte richtete: 3)
’) Dieje Angabe muß entweder als ein ungefährer Ausdrud oder
ald ein Gedächtnißfehler angefehen werden, vgl. V, 423. Daß diejer
Brief an Leifing vom Mai — nicht aber Juni — 1761 zu datiren tft,
ergiebt fich aus der Mittheilung Abbts an Boie, ſ. S. 119, Note 4.
2) Schr. V, 165.
3) Weber das Driginal diefes Briefes ſ. 1. Aufl. S. 130.
=. —
„Allerliebjte Fromet!
Ih Habe in Ihres Baterd Schreiben eine Entdedung
gemacht, die mich nicht wenig vergnügt. Der gütige Mann ver:
fichert mich, feine Tochter Fromet fei eben fo ſchön als tugend-
haft. Was meinen Sie? Man kann das einem ehrlichen Manne
auf fein Wort glauben? Der gute Herr Abraham Gugenheim
muß doc wifjen, daß die Philofophen aucd gern was Schönes
haben. Doch das mag er mir verzeihen. Sch Fenne feine
Fromet beſſer als er. Sie iſt ſchön, aber jo Schön nicht als fie
tugendhaft ift, jo ſchön nicht als fie zärtlich ift. Ich beneide
Sie, liebſte Fromet! um die glückliche Art, wie Sie Ihre fanfte
Liebe auszudrüden willen. Ihre kleinſten Briefe find voller
Bärtlichkeit, voller Empfindungen. Die Sprache des Herzens
ift Ihre natürliche Sprache, und Ihre edlen Gefinnungen ver-
treten die Stelle des frojtigen Witzes, dadurd) andere ihre
Briefe jo häßlich entftellen. Fahren Sie fort, liebjte und zärt=
lichſte Fromet! mich mit Ihren Tiebenswürdigen Briefen zu ver=
gnügen; ich merke, daß es mir fat unmöglich wird, einen Bojt=
tag nicht zu fchreiben oder einen Pofttag ohne Ihre Briefe
vergnügt zu fein, und was ijt dev Menſch, wenn er nicht ver=
gnügt ift? Nein, jo lange wir uns getrennt ſehen müſſen, woller«
wir uns fo oft al3 möglich Gelegenheit geben, an einander zuı
denfen. Es macht mir fein geringes Vergnügen, wenn ich
denken kann, jet lieſt Fromet meine Briefe, jet ſchreibt Fromet
an mich, jest ift fie verdrießlich, daß jie gejtört wird, und jetzt
freut fie fich, daß ihr ein Ausdrud gelungen. — Sie laden,
mein Herr Doctor! und werfen mir vielleicht abermals vor, ic)
fei verliebt? Nun ja, ich geitehe es. Habe ich denn nicht
jederzeit danach gejtrebt, Ihnen nachzuahmen?
Adieu, meine Liebe! Grüßen Sie mir Ihre Freundin,
die mich mit einem Schreiben beehrt, das ihrer Denfungsart
Ehre madt.
In inniger Liebe Ihr
Moſes Deſſau.
— 123 —
Meine Empfehlung an Heren De Caſtro und an den
Herrn Bode.
Ich wollte an den Heren Doctor mit diefer Poſt apart
jchreiben; ich merfe aber, daß es nicht angehen wird. Haben
Sie die Gewogenheit, mic) alfo zu entjchuldigen; ich befomme
fo eben Gejchäfte.“
Die ganze „liebenswiürdige und gutmüthig-wigige Perfön-
lichkeit·“ Mendelsſohns weht uns in dem folgenden Briefe an,
welchen er faum vier Wochen fpäter, den 25. Auguft, an feine
Braut jchrieb:?)
„Liebſte Fromet!
Sch Habe noch niemal3 gemerkt, daß in meinem Zimmer
fein Spiegel ijt, bis Sie mir in Ihrem Teßten Schreiben be-
fahlen, mich fogleich im Spiegel zu jehen. Sch wollte gehor-
famen, und fiehe, e3 war fein Spiegel zu fehen. Sie fünnen
fih alfo leichtlich vorjtellen, wie wenig ich mein Geficht kenne,
ob e3 freundlich oder troden ausjieht. Jh muß andern Leuten
glauben, und ich weiß nicht, welcher niedliche Herr mic) Hat
bereden wollen, ich jehe troden aus. Nun, da Sie mid) das
Gegentheil verfichern, bin ich ſchon wieder gut...
Glauben Sie nicht, liebe Fromet! daß ih Entihuldigung
fuche, Ihnen meine Schriften nicht zu fchiden. Sobald ſolche
fertig, erfolgen drei Eremplare nad) Hamburg, für Sie, für den
Herrn Doctor und für Herrn Bode?) Dem legtern bitte ich
mich zu empfehlen. Ich jchide Ihnen Hiermit einen Brief von
Herrn Herz Dejjau, meinem Verwandten; fein Sohn Saul hat
in Hamburg gelernt, und, wie ex jchreibt, will ex die Ehre
haben, Sie zu fennen. Den Brief belieben Sie an den Herrn
Doctor zu überreichen. Er wird ſich wundern über dejjen Brief.
1) Diefer Brief, datirt vom 25. Ab 5521 = 2%. Auguft 1761,
wurde von Hrn. Dr. Ad. Jellinek zuerft mitgetheilt: Leſſing-Mendels—
ſohn⸗-Gedenkbuch S. 200 ff.
2) Der in den beiden Briefen erwähnte Doctor ift der Doctor Pauli.
— 124 —
Leben Sie wohl, meine liebſte und theuerjte Fromet! Wenn
e3 doch möglich wäre, Sie bald wiederzufehen. Diejes iſt vor
der Hand mein innigjter Wunfch, der zwar duch Ihre Briefe
in etwas befriedigt wird, doch wenn Sie jo vortrefflich ſchreiben,
wie es in Ihrem letzten Briefe gejchehen, To möcht” ich immer
gern die Hand küſſen, die ſolche ſchöne Gedanken niederfchreiben
fann. Leben Sie wohl und jchreiben Sie mir öfters jo natür-
fihe und dennoch. gedanfenbolle Briefe. Ich wünſche Ahnen
nur durch meine Briefe jo viel Vergnügen zu verurlachen, wie
ich von den Ihrigen habe. Ich bin
hr treuefter Verehrer und Freund
Moſes Deſſau.“
An „ſeine liebe“ Brendl, der Braut Schweſter, fügte er
dieſem Schreiben einige Zeilen Hinzu. Er machte- ihr das
Compliment, daß ihr Tester Brief an ihn ausnahmsweife fehr
nachläffig neichrieben war. „Ein oder zwei Einfälle, das war
der ganze Brief, das bin ich an Ahnen nicht gewohnt.“
Außer dieſen beiden Briefen find uns aus dem über ein
Jahr währenden Brautitande nur. noch drei erhalten; fie ver-
breiten ſich über vecht Ichlichte umd alltäglide Dinge. So
wenig wie in der Eorreipondenz zwiſchen Leifing und feiner
Eva König findet ſich Hier etwas von jener thränenftrömenden
Weichlichfeit, von jener künſtlich gefteigerten Heberichwenglichkeit
des Ausdruds und von jener ſchwärmeriſchen Sentimentalität,
welche uns in Briefen diefer Art fo oft entgegentreten, Men—
delsſohn iſt auch im feinen Briefen an feine Braut ganz er
ſelbſt, diefer Fröhlich ſcherzende Mann voll Wi und Laune.
Sn dem Schreiben vom 2. October 1761 giebt er ihr eine
Lection über die Perrüfe, der er fich von feinem dreißigſten
Jahre bis etwa zehn Jahre vor feinem Tode jelbjt bediente,
und fchließt mit den Worten: „Wenn ich das Glüd haben werde,
die Ehre der Perrüfen wider Sie mündlich) zu vertheidigen, fo
— 123 —
Hoffe ich Ihren Beifall.) Ein anderes mal jcherzt er über
Verzierungen, mit welchen feine Geliebte die Laubhütte ſchmückt,
und in einem dritten Schreiben beruhigt er fie über den vor—
jährigen Beſuch der Rufjen in Berlin. „Nur nicht fo ängitlich,
liebes Kind! Die Furcht vor den Ruſſen ift verfchtwunden, und
wir leben gottlob! vergmügt. Und den fchlimmften Fall voraus:
gejegt, wenn wir auch einen feindlichen Beſuch befommen hätten,
fo wäre ich immer ganz unerjchroden hier geblieben. Man jtellt
fih) das Ding jchredlicher vor, als e3 in der That ift. Die
Leute, welche flüchten wollen, leben in großer Unruhe; fie jtehen
beftändig wie auf dem Sprung und genießen die gegenwärtige
Stunde nicht. Indeſſen ift diefe Moral für diefes Jahr gottlob!
nicht mehr nöthig. Und wenn ich flüchte, fagen Sie, ſoll ich Sie
nicht im Verdacht haben, daß Sie mich aus Eigennuß dazu beredet.
Gut gegeben! Wenn Sie dieſes Eigennuß nennen, jo muß ich leider
geftehen, daß ich fehr eigennützig bin, denn ich werde Sie zu
einer andern Zeit jehr injtändig bitten, ja nirgend anders als zu
mir nach Berlin zu fommen; bedenken Sie, wie intereffirt!“?)
Zugleich mit diefem Briefe ſchickte er ihr als Feſtgeſchenk
die ſchon mehrere male verfprochenen, exit jet. erichienenen
„Philoſophiſchen Schriften‘“,3) wie er die früher von uns be-
trachteten gejammelten Gefpräde, Briefe und Abhandlungen
betitelte, und denen er, freilich nur in fehr wenigen Eremplaren,
ein Blättchen an Freund Lefjing hatte vordruden lafjen. Diefer
ı) Schr. V, 419.
2) Schr. V, 420.
3) Philoſophiſche Schriften, 2 Bände, mit Titelfupfer und Vignette,
Berlin 1761; 2. Aufl. ebd. 1771; 3. Aufl. ebd. 1777; ferner Carlörube,
2 Theile in 1 Bande, 1780; Reutlingen 1783. Ins Lateinifche überſetzt
von Joſ. Groffinger: Mos. Mend. opera philosophica, quae ex
germania lingua in latina trad., 2 tom. Wien 1784. ©. Brander
von Brandis. lieferte eine holländifche Ueberjegung mit Anmerkungen
(Amfterdam 1786, 2. Theil 1789); Franc. Bizetti überjegte fie ins Ita—
lienifhe: Opere filosofiche volgarizzate e fornite di annotazione e
di memoria spett. alla sua vita (Venezia 1801. Vol. 2).
— 126 —
fah fih nämlich in Breslau plöglic) in einen „Wirbel von leeren
gefellichaftlichen Vergnügungen hineingezaubert“; dem Spiele
feidenfchaftlihh ergeben, verbrachte er ganze Nächte mit den
Dffizieren am Pharaotifche.
Niemand betrübte das mehr als feinen mit unendlid) Tiebe-
voller Treue an ihm hängenden Mendelsjohn, der ein ge-
ſchworener Feind jedes Spiel3 war, weil e3 „in feinen Augen
nicht einmal das leidige Verdienjt hatte, die Zeit zu verkürzen“.
Das zeritreute Leben ließ Leffing lange Zeit weder auf den
Brief Mendelsfohns, ſelbſt des eigenen Waters antworten, noch
auf die Mahnungen feiner Freunde achten. Da machte fi)
Mendelsjohn einen Spaß, wie er feiner Fromet jchreibt, und
richtete an den Freund, „den Herr Mojes Wefjely auch Fennt“,
eine eigene Dedication, welche er dem für ihn bejtimmten
Eremplare vorfeßte. Sie lautete:
„gueignungsfchrift an einen feltfamen Menjchen“.
Die Schriftiteller, die das Publikum anbeten, beflagen ſich,
e3 fei eine taube Gottheit; es laſſe fich verehren und anflehen;
man rufe von Morgen bis an den Mittag, und da wäre feine
Stimme noch Antwort. Ich lege meine Blätter zu den Füßen
eines Götzen, der den Eigenfinn hat, ebenſo Harthörig zu fein.
Ich Habe gerufen und er antwortet nicht. Jetzo verflage ich
ihn vor dem tauben Richter, dem Publico, das jehr oft gerechte
Urtheile fällt, ohne zu hören.
„Die Spötter jagen: Rufe laut! Er dichtet, Hat zu jchaffen,
iſt über Feld oder jchläft vielleicht, daß er erwache! — O, nein!
Dichten kann er, aber Leider! will ja nicht; Reifen möchte er,
aber das kann er nicht. Zum Schlafen ift fein Geift zu munter,
und zu Gefchäften zu faul. Sonjt war fein Ernſt das Orakel
der Weifen, und fein Spott eine Ruthe auf dem Rücken der
Thoren; aber jest ift das Drafel verjtummt, und die Narren
trogen ungezüctigt. Er hat feine Geißel andern übergeben,
aber jie jtreichen zu fanft, denn fie fürchten Blut zu ſehen. —
Und er,
— 127 —
„Wenn er nicht hört, noch ſpricht, nicht fühlt,
Noch fieht; was thut er denn? — Er ſpielt.“)
Damit der Spaß, den er ſich dem Freunde gegenüber wol
erlauben durfte, nicht befannt werde, erfuchte er feine Braut,
fie möchte das Blättchen für fich behalten und nicht wegfommen
laſſen. „Auch die Verfe, die ich Ihnen in Ihr Exemplar ein-
gefhrieben, find nur für Sie, denn,“ fügte ex hinzu, „ich weiß,
daß Sie mit meiner fchlechten Poefie zufrieden find.“ 2)
Mendelsjohn blieb, feinem Vorſatze gemäß, ein volles Jahr
verlobt; gab es ja noch jo mancherlei zu ordnen, ehe ex fein
blauäugiges Mädchen heimführen konnte. Vor allem mußte
X für eine ausreichende Eriftenz forgen. Widerwärtigfeiten
derfchiedenfter Art ftörten feine Gemüthsruhe und führten ihn
zu der bittern Klage: „Wer ein menfchliche8 Herz hat und die
einigen mit ihrer Tugend darben fieht, zu einer Zeit, da die
berworfenjten Buben in ihrem Weberfluffe fat eritiden; wer
diefes jieht, und aus Mitleiden fich fehmiegen und ein Eleiner
verächtlicher Schmeichler werden muß: mit welchen Augen kann
ein folcher den Mufen oder der Freundfchaft unter die Augen
treten und ihres freien und edlen Umgangs genießen?“ 3)
Beitel Ephraim und Conforten, welche im fiebenjährigen
Kriege im Auftrage Friedrich des Großen die Münzverfchlechte-
rung zu beforgen hatten, machten ihm die glänzenditen Aner—
bietungen, um ihn als Disponenten zu gewinnen, er aber wollte
in feiner jtrengen Nechtlichfeit von dem ganzen, als Unrecht
gehaßten Unternehmen nichts willen; das einzige was er ihnen
zu Gefallen that, war, daß er zu ein paar Denkmünzen, welche
- fie prägen ließen, die Idee angab.*) Er Hatte fich an feine
—
) Danzel:Gubrauer, a. a. D. I, 463. Ueberſchrift und Schluß
der Zueignung find der befannten Lichtwerihen Erzählung von den
Spielern entlehnt; vergl. Leſſings Schr. XIII, 455.
2) Schr. V, 421.
3) Schr. V, 245.
9 K. Leifing, a. a. O. 1, 216; Schr. V, 173, 224.
— 12383 —
Beichäftigung in der Bernhardfchen Fabrik allmählich fo gewöhnt,
daß er den Entihluß faßte, mit Bernhard feſten Contract zu
ichließen. Das gefchah denn auch zu Ende des Jahres 1761.
Endlich Hatte er das Ziel feiner Wünfche erreicht: im
Juni 1762 feierte er in der Geburtsjtadt feiner Braut feine Ber:
mählung, zu der ihm Abbt Schon am 28. April gratulixt hatte, t)
und an eben diefen Freund richtete er als glüdlicher Gatte
bald nach feiner Rückkehr folgende Worte: „Seit einigen Wochen
habe ich feinen Freund gefprochen, an feinen Freund gefichrieben,
nicht gedacht, nicht gelefen, nicht gefchrieben; nur getändelt,
gefchmauft, heilige Gebräuche beobachtet, mic) bald Hier, bald
da zur Schau ausftellen laſſen und unter taufend andern viel-
bedeutenden Kleinigkeiten meine Zeit hinbringen müſſen. Denn
die Stunde ift gefommen, mein befter Freund! welche mix die
Mufe des Abälardi Virbii (Hamann) Tängjtens angekündigt
Hat. Ein blauäugiges Mädchen, das ich nunmehr meine Frau
nenne, hat das eisfalte Herz Ihres Freundes in Empfindungen
zerlaffen und feinen Geift in taufend Zerjtreuungen verwidelt,
aus welchen ex fich nunmehr nad) und nach wieder loszu—
winden fucht.“2)
Er hatte „nach feiner Denfungsart glücklich geheivathet‘ 3)
und allen Grund, mit feiner Wahl zufrieden zu fein. - Blieb
Fromet auch an Bildung weit Hinter ihrem Gatten zurid, wie
fie auch an Liebenswürdigfeit ihm nicht ähnlich war, fo tritt
fie ung doch al3 eine jener biedern und gejinnungstüchtigen
Frauen entgegen, welche das Glück ihrer Gatten und ihrer
Familie bildeten. Wie fchlicht und einfach fie geweſen, zeigt
folgendes Schreiben, welches fie am Vorabende des Neujahrs-
tages 5526 (15. Septbr. 1765) an eine Freundin in Leipzig
richtete: *)
) Abbts Correſpondenz 98.
2) Schr. V, 259.
3) Schr. V, 171.
9 Auch Fromet bediente fich der jüdischen Currentichrift.
— 129 —
„Meine werthe Freundin!
Ih bin von Ihrer Güte zu fehr überzeugt, als daß ich
denken werde, daß Sie böfe über mich fein werden, weil ich
Ihnen auf Ihren freundſchaftlichen Brief nicht geantwortet habe.
Ich könnte Ihnen taufend Entihuldigungen anführen, die mic)
daran verhindert haben, aber ich bin nicht gewohnt, etwas zu
fügen, was nicht die Wahrheit ift, und die Wahrheit ift (ich
muß meine Schande nur felbjt gejtehen), ich bin eine faule
Schreiberin; ich weiß, Sie nehmen mir mein aufrichtiges Ge—
ſtändniß nicht übel.
Ueberbringer diefes Briefes wird Ihnen zugleich das Geld
(6 Thlr. 15 Sgr.) für die Enveloppe zuftellen; ich) muß noch
einmal um Entihuldigung bitten, daß ich es Ihnen nicht ender
(eher) geihidt Habe. Mein lieber Mann Hat fehuld; er hat
geglaubt, daß er es von dort kann auszahlen laſſen, er hat
aber feine Gelegenheit finden fünnen. ch bitte Sie nochmals,
mir es nicht übel zu nehmen.
Ich muß fchließen, weil den Augenblid der Feiertag an-
geht. Mit Wünfhung einer Tao Monm!) an Sie und Jhren
twerthen Mann und Shre lieben Schwiegereltern, bin ich
Ihre
ergebene Dienerin und Freundin
Fromet, Frau des Moſes Deſſau.“
„An Herrn Student Bär?) meine Empfehlung, ich werde
ihm nächſtens ſelbſt ſchreiben.“
Mendelsſohn liebte ſeine Frau mit der ganzen Glut ſeiner
Seele. Seiner Zärtlichkeit für die treue Lebensgefährtin giebt
er in einem Briefe an Abbt vom 11. Juni 1766 Ausdruck mit
den bedeutſamen Worten: „Ich habe beinahe die ganze Zeit
über in der äußerſten Gemüthsruhe gelebt. Ich habe einen
„Beſiegelung zum Guten’ iſt ein bei den Juden üblicher
Glückswunſch.
2) Bär gab als Studioſus der Mediein Mendelsſohns Commentar
zur Logik des Maimonides im Jahre 1765 zum zweiten male heraus.
Kayſerling, Moſes Mendelsſohn. 9
— 130 —
alten Water, ich habe ein zartes Kind von einigen Monaten
verloren; ich bin in Gefahr geweſen, meine Frau zu verlieren,
die ich mehr Tiebe als Vater und Kind.“ 1) |
Wahrlich fie verdiente diefe Liebe! Wie hegte und pflegte
fie ihn während feiner mehrjährigen Krankheit! Gab e3 für fie
aber auch ein höheres Glück, als die Frau eines Mannes zu
fein, deffen Name mit den Edeliten, Beiten und Weifejten ge-
nannt wurde?
Einundzwanzigites Kapitel.
Die Preisaufgabe.
Noch in den Flitterwochen, mitten. unter den taufend Zer-
jtreuungen, welche ihn faum zu ſich jelbjt fommen ließen, war
Mendelsfohn mit einer Arbeit beichäftigt, welche ihn zu einer
hohen Stufe öffentlicher Geltung erhoben und feinen Namen als
philoſophiſchen Schriftjteller eigentlich begründet hat.
Die königliche Akademie der Wiflenichaften zu Berlin hatte
nämlich für das Jahr 1763 als Preisaufgabe gejtellt: „Ob
die metaphyſiſchen Wifjenfchaften einer ſolchen Evidenz fähig find
wie die mathematischen“, ein Thema, das für Mendelsfohn das
höchfte Intereſſe Hatte, jodaß fein Entſchluß bald gefaßt war,
ih um den Preis zu bewerben. Mit Freuden ergriff er die
Gelegenheit, jicd im Geifte des Leibniziichen Syſtems über die
Grundlagen der Mathematif und Metaphyſik, der Religions-
philofophie und Ethif einer gelehrten Gejellichaft gegenüber
) Schr. V, 362. Mendelsſohns Vater ftarb Sonnabend, den
10. Mai (2. Siman) 1766 in Defjau; die Aufichrift auf dem Leichen:
fteine Mendel Sophers theilte Hr. Dr. Salfeld im Jüd. Literaturblatt
8. Sahrg., Nr. 38 mit. Seine Mutter ftarb, wie wir vermuthen, im
Jahre 1756. Im November 1756 fchreibt Nicolai an Leifing (Schr.
XII, 31), dat Moſes der Aufführung der Mit Sara Sampion „wegen
feiner Trauer‘ nicht hat beimohnen können.
— 131 —
einmal offen auszufprechen. „Wäre ich nicht von häuslichen
Gefchäften unterbrochen worden, jo hätte meine Abhandlung
ichon fertig und vielleicht in eine andere Sprache überfegt fein
können“, heißt es in feinem Schreiben vom 4. Juli 1762 an
denfelben mehrerwähnten Freund, mit dem er feit anderthalb
Fahren in einem innigen Geiftesverfehre jtand, an den jungen,
talentvollen Thomas Abbt, dejjen Freundichaft ihm einige Jahre
feinen Leſſing erſetzte.
Niemand außer Leſſing war ihm ſo theuer als Abbt. Sie
waren für einander geſchaffen, ſo ähnlich waren ſie ſich in An—
ſichten und Beſtrebungen. Wie Mendelsſohn hielt auch Abbt,
wiewol ſelbſt Univerſitätslehrer — erſt zu Frankfurt, dann zu
Rinteln — unendlich wenig von der akademiſchen Gelehrſamkeit
und von der ganzen pedantiſchen Sippſchaft der damaligen
Profeſſoren; auch er gehörte keiner Partei ausſchließlich an;
auch er blieb bei keiner Fachwiſſenſchaft ſtehen: von der Theo—
logie hatte er ſich zur Philoſophie hinübergewandt, zugleich
auch Geſchichte getrieben und den ſchönen Wiſſenſchaften gehuldigt.
Auch er Hatte ein ſehnſüchtiges Verlangen nach praktiſcher, un—
mittelbarer Thätigfeit; in feinem vierundzwanzigjten Jahre wollte
er noch anfangen Jura zu jtudiren, um einmal von der Univer-
fität weg und in ein Juftizcollegium zu fommen. Erſt dreiund-
zwanzig Jahre alt fchrieb er jein „Bom Tode für das Vaterland“,
Als Mendelsfohn, dem er ſich während feines längern Auf-
enthaltes in Berlin enger anſchloß, das Werfchen vor dem
Druce gelefen hatte, erkannte er fein jchriftitelleriiches Talent
und gewann ihn als Mitarbeiter für die Literaturbriefe, in
welchen ex felbft die merkwürdige Schrift anzeigte.!) Er machte
ihn auf die bedeutenderen Neuigfeiten des deutſchen Bücher-.
marfte3 aufmerffam, feilte an feiner nicht immer correcten Diction
und war eine Zeit lang der einzige, mit dem er fich über lite-
rariſche Sachen unterhielt.
) Schr. IV, 2, 284 ff.
9*
— 132 —
Mendelsfohn Tiebte den fchwärmerifchen jungen Gelehrten
mit der ganzen Glut feines empfindungsvollen Herzens, und dieſer
war mit jeltener Treue ihm zugethan. Ihre fünf Jahre lang
unterhaltene Correfpondenz ift das Denkmal einer echt philo-
fophifchen Freundfchaft und verdient den trefflichiten Briefen der
Weltweifen des Altertfums an die Seite gejeßt zu werden.
Es wechſeln hier die tiefften Unterfuchungen mit den traulichiten
Herzensergießungen, häusliche Angelegenheiten mit Belehrung
und Burechtweifung. ?)
Und mit diefem Freunde follte er um den Preis ringen!
Edel und Hochherzig benahmen fich beide. „Als ich aus Ihrem
Schreiben erſah,“ meldet ihm Mendelsfohn, „daß Sie um den
Preis ſich bewerben wollen, war mein erſter Einfall, meine
Arbeit einzuftellen und das fertige Manufeript nad Rinteln
reifen zu laſſen. Der Gedanke, daß meine Ausarbeitung mit
der Ihrigen ringen follte, machte mich fchüchtern. Jedoch der
Rath unferes Freundes und meine reifere Ueberlegung bewogen
mich, diefen Entſchluß zu ändern. Ich geitehe es, daß id) den
Helden Fieber nicht gefannt Hätte, mit dem ich zu kämpfen Habe.
Da er fich aber einmal zu erkennen gegeben hat, jo erfordern
die ritterlichen Gefege, daß ich auch meinen Helm aus den
Augen rüde, und meinen Freund vor dem Zweikampfe noch
einmal umarme. Zu Anfange des künftigen Jahres wollen wir
unſere Waffen vertaufchen. Ich ſchicke Ihnen meine Ausarbeitung,
und Sie mir die Ihrige, aber nicht eher, damit wir ums ei
ander nicht verwirren, und alsdann das — yaben,
fehen, was für Wege wir einfchlagen, wenn wir, a
unbefannt, über diefelbe Materie jchreiben. ıterlien:
it e8 doch mein Freund, der den Sieg
jehen, ich jprecde immer, als wenn ic) wilste
den Preis eifern könnte, ald Sie und ich.
!) Ueber Abbt j. auch P-
Liter. Taſchenbuch, IV.
2) Schr. V, 261 F.
— 133 —
Dieje Zeilen machten auf Abbt einen fo tiefen Eindrud,
daß er in feiner Antwort nur fein Bedauern ausdrüden konnte,
nicht diejelben Worte an Mendelsjohn gerichtet zu haben; „Sie
haben alles gejagt, was jest in diefem Briefe jtehen follte,
ſodaß ich mich fchäme, den Ihrigen abzufchreiben.“ Er rieth
ihm entichieden ab, die Arbeit ind Lateinifche überfegen zu
laffen, fie würde auch durch die Ueberſetzung unftreitig verlieren;
er wiſſe, daß die Akademie ebenfo gern deutihe Abhand-
lungen fehe. !)
Beriprochenermaßen theilte Mendelsjohn dem Freunde und
Rampfgenofjen die Abhandlung in Abfchrift mit.) Auch Leffing
wurde fie zur Beurtheilung nad) Breslau gejhicdt, und dieſer
Iprach ſich jo günftig darüber aus, daß der Berfaffer ihm er-
widerte: „Sie urtheilen von meiner Abhandlung wie ein Bruder
in Leibniz. Die Akademie wird vermuthli anderer Meinung
fein. Indeſſen Habe ich mein Los immer eingelegt: Junge
ſei nicht toll.“ 3)
Mendelsfohns in deuticher Sprache eingereichte Abhandlung
„Weber die Evidenz in metaphyſiſchen Wiſſenſchaften“ wurde
von der Akademie in öffentlicher Sitzung gefrönt. Sonnabend,
den 4. Juni 1763 verfündete die Berliner Zeitung:
„Donnerſtag hielt Die Akademie ihre öffentliche Sitzung.
Den Preis erhielt der fchon zur Genüge duch feine Schriften
befannte hiefige Jude Moſes Mendelsjohn.“
Ihm, dem feinen und eleganten Effektifer, wurde der Preis,
funfzig Dufaten, erteilt, während feinem Rampfgenofjen, defjen
Abhandlung an Schärfe der Beweisführung die feinige weit
übertraf, nur das Acceſſit zuerkannt wurde. Ex trug über
feinen geringern den Sieg davon als über den Königsberger
Philoſophen Kant.
„Slauben Sie ja nicht, daß ich mir einbilde, gefiegt zu
') Schr. V, 265.
2) Schr. V, 272, 304.
3) Schr. V, 170.
— 134° —
haben, weil die Afademie mir den Preis zuerfannt hat,“ jchreibt
er in feiner Befcheidenheit den 20. November 1763 an Abbt,
der den Termin zur Einreichung der Arbeit, vielleicht nicht ohne
Adficht, verfäumt Hatte, „ich weiß gar wol, daß im Kriege nicht
jelten der fchlechtere General den Sieg davon trägt. Wir
müſſen den Streit unter uns ausmachen. Wenn ich Sie nicht
überzeuge, jo iſt dieſes Beweiſes genug, daß meine Gründe die
erwünfchte Evidenz nicht haben.“ 1)
In diefer Preisichrift „Ueber die Evidenz in meinphöftfchen
Wiſſenſchaften“, welche zufammen mit der Kantſchen gedrudt ?)
und ins Lateinische wie ins Franzöſiſche überjegt wurde, jucht
Mendelsfohn das Leibniz Wolffiiche Syſtem neu zu begründen
und in feinen einzelnen Theilen weiter auszubauen, er nimmt
darin ganz den theiftiihen Standpunkt ein, den er auch fpäter,
bejonders in den „Morgenſtunden“, feſthält. Die Evidenz, oder
vielmehr die Gewißheit und Faßlichkeit in den mathematifchen
Wiſſenſchaften beruht nach ihm in den Begriffen der Quantität.
Derfelben Gewißheit wie die mathematifchen find auch die
metaphyjiichen Wahrheiten fähig, nicht aber derjelben Faßlichkeit,
weil die jpeculative Philofophie immer auf die Anfangsgründe
zurüdgehen und für jeden ihrer Schlüjfe eine Menge von
Borausfegungen und Erklärungen zu Hülfe nehmen muß. Die
Anwendung hiervon wird dann auf die Religionsphilojophie
und Ethik oder natürliche Theologie und Sittenlehre, welche ex
in „reine“ und „angewandte“ eintheilt, gemacht und des weitern
ausgeführt.
Faſt zu gleicher Zeit, als Mendelsfohn den Preis der
Akademie erhielt, wurde ihm auc eine ganz befondere Aus-
zeichnung ſeitens feiner Glaubensgenofjen zutheil.
Den 10. April 1763 faßten die Bertreter der Berliner
Gemeinde den ehrenvollen Beſchluß, „den würdigen Herrn
) Schr. V, 278.
2) Berlin 1764; 2. Aufl. 1786; Schr. II, 1—64.
— 1355 —
Mojes Mendelsjohn als Anerkennung und Belohnung für feine
großen Berdienfte, bejonders für die Anfertigung und Ueber:
fegung der Predigt und der Gefänge beim Friedensfejte, für
immer von allen Gemeindeabgaben zu befreien“, und acht
Sahre fpäter, den 1. April 1772, wurde von den Vertretern
der genannten Gemeinde mit Zuftimmung des Rabbiners feit-
gejegt, „Daß Moſes Mendelsiohn ausnahmsweile zu allen Ge-
meindeämtern, jelbjt mit Uebergehung aller vorfchriftsmäßigen
Abſtufungen und üblichen Befchränfungen, wählbar und berechtigt
jei, fie jofort anzutreten und zu verwalten.“ Ausdrüdlich heißt es
in diefem Beichluffe, daß „einem fo ausgezeichneten Manne gegen-
über Statuten feine Anwendung finden und weichen müſſen.“!)
Die Anerkennung, welche Mendelsfohn fand und die Aus-
zeichnung, welche ihm durch die Löfung der Preisaufgabe zuteil
wurde, bejtärkten ihn im Vertrauen auf feine Kräfte und Fähig—
feiten; fie ermuthigten ihn zur Vollendung eines Werkes, das
feinen Namen weit über Deutichlands Gauen trug: dieſes Werf
it der „Phädon“.
1) 1. Aufl. ©. 147.) Die Beichlüffe aus dem Gemeinde-Brotofolle
mitgetheilt von Landshuth, a. a. D. 64 f.
Sechſtes Bud.
Dhädon.
Zweiundzwanzigites Kapitel,
Gntitehung des Phädon.
Die höchfte Aufgabe, welche die Anhänger der Leibniz-
Wolffiſchen Schule zu Löfen ſich bemühten, bejtand darin, durch
genaue Beobachtung der menschlichen Natur das für den Men-
ſchen erreichbare und zu feiner Glücfeligfeit nothiwendige Wiſſen
zu gewinnen. Der Menſch an fich galt ihnen als der vorzüg-
fichfte Gegenstand der Philofophie. In jener Zeit des Indivi—
dualismus ging man immer auf das Sch, auf die Afjociation
von Borjtellungen und Begriffen zurück und fuchte zu ergründen,
ob dieſes reine Sch immer in feiner Wefenheit eriftiren werde.
Daher die Frage nad) der Unjterblichfeit ein Hauptproblem der
Zeit bildet: die fchottifchen Philofophen, die franzöfifchen Ency-
Fopädiften, die Anhänger der Leibniz-Wolffiihen Philofophie
jtellen Unterfuchungen über die Eriftenz der Seele an.
Der allgemeinen Zeitſtrömung willig folgend, machte aud)
Mendelsfohn die Seele und ihre Eriftenz zum Gegenftande feines
Forſchens. War doch feine Vhilofophie in ihrem Wefen Pfycho-
logie, und fein philofophifches Anterefje in vorderfter Reihe den
Gegenftänden zugewandt, welche die Glücfeligfeit des Menfchen
— 137 —
zum Endzwed Hatten. Der Menfch mit feinen Kräften und
Sähigkeiten, mit feinen Rechten und Obliegenheiten trat mit dem
ganzen unermeßlichen Meere von Erkenntniffen in den Vorder—
amd feines Denkens und es war bei ihm gewiffermaßen Grund—
ſatz die Philoſophie müſſe bei jedem Schritte, den fie thut, einen
Bit auf den Menfchen zurückwerfen, denn ihr letztes Ziel, auf
das alle ihre Bemühungen Hinführen follten, fei die Glücfelig-
feit de Menfchen.!) Sowol bei Leibniz, al3 bei allen Philo—
fophen der Aufklärung, als deren Repräfentanten wir befonders
Meendelsfohn in der Folge näher kennen Iernen, galt Glückſelig—
feit al3 das abfolute Ziel alles menfchlichen Strebens und aller
menihlichen Hoffnungen, deren Erfüllung in dem Glauben an
Umiterblichfeit ruht.
Eine Bearbeitung des Platonifchen Phädon gehört zu den
Ne üheften Plänen Mendelsfohns.
Sowol Leffing al3 dem Profefjor Baumgarten theilte er
Shon im December 1760 fein Vorhaben mit;?) nad) der Be—
Torgung der neuen Ausgabe ſeiner philoſophiſchen Schriften
xvollte er ſofort an die Ausarbeitung gehen. Es verſtrichen
Tedoch mehrere Jahre, ehe er an fein Lieblingsthema ernſtlich
Venfen konnte. Häusliche Angelegenheiten, die Literaturbriefe,
-welche feine Mußeftunden vollftändig ausfüllten und deren Auf-
hören er vielleicht eben deshalb fo ſehnlichſt wünfchte,3) jo wie
die Ausarbeitung der akademischen Preisfchrift ließen den Plan
lange Zeit nicht zur Ausführung gelangen.
Erft zu Anfange des Jahres 1764 wurde er durch einen
äußern Anlaß an die Unfterblichfeitsfrage wieder erinnert.
Der junge Abbt, der fich bejtändig mit Todesgedanfen trug,
erbat fic), nachdem er die damals Auffehen machende Schrift
des aufgeflärten Berliner Theologen Spalding „Ueber die Be-
ftimmung des Menschen“ gelefen Hatte, von Mendelsfohn die
!) Schr. IL, 72; IV, 1, 67.
2) Schr. V, 160, 168.
3) Schr. V, 159.
— 133 —
Erlaubniß, ihm, dem theueriten Freunde, feine Gedanken und
Zweifel über die wichtigsten Dinge, „worauf endlich alles Lernen
ih) beziehen muß“, vortragen, über die Bejtimmung des Men-
ſchen, über die für ihn jo viele Wolfen lagen, in feinen Briefen
ſprechen zu dürfen.) Obgleich es nun Mendelsfohns fejter
Borfag war, fi) mit niemand außer mit Leifing, in einen Brief-
wechjel über metaphyjiihe Materien jolcher Art einzulafien, fo
mochte er doch dem zärtlich) von ihm geliebten Freunde die Bitte
nicht abfchlagen. „Sch jehe Ihren Anmerkungen über die Be-
jtimmung des Menfchen mit der äußerjten Ungeduld entgegen,“
antwortete er ihm am 9. Februar 1764,2) „und damit unfere
Freiheit zu denken dejto uneingejchränfter fei, jo wünſche ich,
daß wir in unferem Dispute die Namen zweier griechiichen
Weltweifen annehmen möchten. Wir dürfen uns aber deswegen
an fein Syſtem binden und können allenfall® von dem Lehrge-
bäude der Neuern, jo viel als nöthig fein dürfte, als befannt
vorausjegen. Auf ſolche Weife werden wir unfere Fühnjten
Zweifel, die wir öfters uns jelbjt nicht gern offenbaren, auf
Rechnung eines Gejtorbenen ungefcheut vorbringen können. Ich
hoffe, daß dieſer Briefwechſel für ung beide nicht ohne Nutzen
fein ſoll.“
Es entipann fi) aucd wirklich ein. Briefwechjel über dieſe
Materie, aus welchem die Fleinen Aufläge genommen find, welche
in dem neunzehnten Theile der Literaturbriefe?) unter dem Titel:
„Zweifel und Orakel, die Bejtimmung des Menfchen betreffend“
vorkommen. Mendelsiohn Hatte das Vergnügen, über einige der
wichtigjten Punkte feines Freundes Zuftimmung zu erhalten.
Abbt, der, wie Herder meint, fo vecht ein Philofoph des Men—
ſchen war, goß mit der Offenherzigkeit eines wahren Freundes
die geheimjten Empfindungen feiner Seele, fein ganzes Herz in
) Schr. V, 279.
2) Schr. V, 282.
3) Abgedrudt Schr. V, 2835—301, 305—313.
4) Schr. II, 67; V, 344.
— 19 —
Mendelsjohns Buſen aus. „Seine philofophiichen Betrachtungen
erhielten durch die janften Empfindungen des guten Herzens
einen eigenen Schwung, ein veges Feuer, wodurch fie die Liebe
zur Wahrheit in der Fältejten Bruft würden entzündet haben;
und feine Zweifel felbjt unterliegen niemals neue Ausfichten zu
entdeden, und die Wahrheit von einer noch unbemerften Seite
zu zeigen.“ Als der Briefwechſel im beten Zuge war, wurde
Abbt durch fein Werf „Vom Verdienſte“, das er Mendelsfohn
vor dem Drude zur Durchficht oder eigentlich zur Eorrectur zu-
geihikt und mit dem -diefer „ganz entſetzlich gewirthichaftet“
hatte, darin unterbrochen; fpäter Tieß ihn Mendelsfohn ganz
fallen. „Da ich, wie Sie längjt wiſſen,“ fehreibt ev Abbt den
16. Februar 1765, „ein Werfchen über die Unsterblichkeit der
Geele unter der Feder habe, jo bin ich willens, den zweiten
Theil dejjelben mit Betrachtungen über unfere Bejtimmung aus-
zufüllen; und will mir alfo Zeit laffen, gehörig darüber nach—
zudenfen. Fahren Sie fort, Liebjter Freund! mir Einwürfe zu
machen und Zweifel zu exregen.“!) Durch Abbt3 Fragen und
Bweifel war der Entjchluß bei ihm zur Reife gefommen, „eine
Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele, die er vor vielen
Fahren einmal angefangen, völlig auszuarbeiten“. „Meine Gründe
lege ich dem Sofrates in den Mund,“ heißt es in dem Briefe
an Abbt vom 22. Juli 1766. „Sch muß einen Heiden haben,
um mic) auf die Offenbarung nicht einlaffen zu dürfen“.?) Die
Schrift, im Umfange von ungefähr zehn Bogen, war bald aus-
gearbeitet. Schon den 2. Auguft 1766 meldete Nicolai, in
deſſen Verlag fie erichten, Johann G. Zimmermann in Hannover:
„Rah Michaelis kommt meines Tiebjten Freundes Moſes, Phädon“
bei mir unter die Prefje.“3)
Das Erſcheinen des Buches, das jo hohes Intereſſe für
ihn hatte, erlebte Abbt nicht.
1) Schr. V, 344.
2) Schr. V, 366.
3) Bodemann, Zoh. G. Zimmermann (Dannover 1878), 298.
— 140 —
„Es hat der Vorfehung gefallen, das aufblühende Genie
vor der Zeit der Erde zu entziehen. Kurz und rühmlich war
die Laufbahn, die er hienieden vollendet Hat. Sein Werk ‚Bom
Verdienfte‘ wird den Deutfchen ein unvergeßliches Denfmal
feiner eigenen Berdienfte bleiben; mit feinen Jahren verglichen,
verdient diefe8 Werf die Bewunderung der Nachkommenſchaft.
Was für Früchte konnte man nicht von einem Baume hoffen,
deffen Blüte fo vortrefflih war? Er Hatte noch andere Werke
unter der Feder, die an Volllommenheit, wie er an Erfahren-
heit und Kräften des Geijtes zugenommen haben würden. Alle
diefe Schönen Hoffnungen find dahin! Deutjchland verliert an
ihm einen trefflichen Schriftjteller, die Menfchheit einen lieb—
reihen Weifen, deſſen Gefühl fo edel, al3 fein Berftand auf-
geheitert war; feine Freunde den zärtlichjten Freund, und ich
einen Gefährten auf dem Wege zur Wahrheit, der mich vor
Fehltritten warnte.“ !)
Herrliche Worte, mit welchen Mendelsfohn dem in der
Blüte der Jahre hinweggerafften Freunde, der als gräflich
Schaumburg-Lippefcher Negierungs- und Confiftorial-Rath den
3. November, 1766 in Büdeburg jtarb, in der Vorrede zum
„Phädon“ ein Denfmal ſetzte.
Sp wie dort der weile Idiot Griechenlands fi) aus Athen
an feinen Zauberort fchli), neben einer murmelnden Duelle
unter dem Schatten eine® Ahorns niederfanf, an der Geite
ſeines Lieblings fein Geficht verhüllte, und Geheimmiffe der
Schönheit ſah, und ſprach dithyrambiſche Worte: fo fehe ich
unfern Sofrates mit gejenftem Haupte über der Aiche feines
Freundes fißen und über die großen Worte: menjchliche Be-
ftimmung, Unfterblichfeit der Seele, denken.?)
) Schr. II, 68.
2) Herder, Meber Thomas Abbts Schriften (1768), 6.
— 141 —
Dreiundzwanzigites Kapitel.
Solrates.
Um bei dem Lefer das Andenken an den Weltweifen auf:
zufrifchen, der in den Geſprächen über die Unfterblichfeit die
Hauptrolle hat, hielt es Mendelsfohn für zweckmäßig, eine Lebens—
bejchreibung und Charakteriftif des Sokrates feinem „Phädon“
in der Einleitung vorauszufchiden; er Hatte fich fowol mit den
Quellen als auch mit den Schriften, welche gerade in jener
Beit über den Weifen von Athen erfchienen, wie die „Sokra—
tiihen Denkwürdigkeiten“, Wielands „Geſpräche Sofrates und
feiner Freunde“, Diderots „Trauerfpiel über den Tod des ee
krates“, eingehend bejchäftigt.")
Diefe Charakteriftif Tiegt ganz in den Feſſeln Wolffiſchee
Denkart; alle jene äſthetiſchen und dunkeln Eigenthümlichkeiten,
welche die hiſtoriſche Individualität des griechiſchen Philoſophen
ausprägen, ſind in dem deutſchen Nachbilde ausgelöſcht. Als
die Grundlage, worauf des Sokrates ſittliche Größe beruhte,
bezeichnet Mendelsſohn „das unverletzliche Pflichtgefühl gegen
den Schöpfer und Erhalter der Dinge, den er durch das un—
verfälſchte Licht der Vernunft auf eine lebendige Art erkannte“.
Darum empfiehlt auch dieſer Sokrates allen ſeinen Freunden,
ſich in die eleuſiniſchen Geheimniſſe einweihen zu laſſen, denn,
meint Mendelsſohn, „man hat ſehr guten Grund zu glauben,
daß die Geheimniſſe von Eleuſis nichts anderes waren, als die
Lehren der natürlichen Religion.“ Warum aber trug Sokrates
ſelbſt Bedenken, in die Myſterien eingeweiht zu werden? Um
dieſe Geheimniſſe ungeſtraft ausbreiten zu dürfen, die ihm die
Prieſter durch die Einweihung zu entziehen ſuchten.
Des Sokrates Liebe zum Alcibiades, dieſen philoſophiſchen
) M. ſ. die Recenſionen Mendelsſohns in den Literaturbriefen
(113—119), Schr. IV, 2, 99—133.
— 142 —
Eros, der im platonifchen „Gaſtmahl“ fo Hinreißend und wunder:
bar gefchildert wird, nennt Mendelzjohn eine „unnatürliche
Salanterie“, die er damit entichuldigt, daß fie „Damals Die
Modeiprache geweſen, wie etwa der ernithaftejte Mann in un—
feren Zeiten fich nicht entbrechen würde, wenn er an ein Frauen-
zimmer fchreibt, wie verliebt zu thun.“ „Nichts anderes,“ ſetzt
er unbefangen Hinzu, „beweifen die Ausdrüde Platos, fo fremd
fie auch in unferen Ohren Fflingen.“')
Am fremdeften aber Elang ihm, was Sofrates feinen Ge—
nius oder feinen Dämon nannte, Weil man bei Plato ſowol
al3 bei Xenophon „verichiedene Vorfälle findet, wo diefer Geift
dem Sofrates Dinge vorher gejagt haben foll, die fich aus feiner
natürlichen Kraft erklären laſſen, fo muß Sofrates, der außer:
dem zu Entzüdungen aufgelegt war, ſelbſt Schwachheit oder
ichwärmende Einbildungsfraft genug gehabt Haben, dieſes leb—
hafte moralifche Gefühl, das er nicht zu erklären wußte, in einen
„vertraulichen Geiſt“ umzufchaffen, und ihm hernach auch die—
jenigen Ahnungen zuzuschreiben, die aus ganz anderen Quellen
entfpringen.“ „Muß denn,“ fragt Mendelsfohn, „ein vortreff-
liher Mann notwendig von allen Schwacheiten und Thor-
heiten frei fein? In unferen Tagen ijt es fein Verdienſt mehr,
Geijtereingebungen zu verjpotten! Vielleicht Hat zu den Zeiten
des Sokrates eine Anftrengung des Genies dazu gehört, die
er nüßlicher angewendet hat. Er war ohnedem gewohnt, jeden
Aberglauben zu dulden, der nicht unmittelbar zur Unfittlichfeit
führen follte.“?)
Mendelsſohn fieht nur den moralifchen Sofrates; die äfthe-
tifchen und dämonifchen Züge des gefchichtlichen Charakters find
ihm gänzlich verichloffen. Jenen hohen und äfthetifchen Enthu-
ſiasmus, welcher den Sofrates zu dem fchönften genialjten Jüng—
ling Athens unwiderſtehlich Hinzog, verjtand er ebenfo wenig, als
') Schr. II, 83. Bol. Kuno Fiicher, Leibniz und feine Schule
(Mannheim 1855), 546 ff.
2) Schr. II, 84.
— 143 —
das was Gellius von dem griechiichen Weifen erzählt, daß er
zuweilen vierundswanzig Stunden auf eben der Stelle mit un—
verwandten Bliden in Öedanfen vertieft gejtanden hätte, al3 wenn
der Geijt von feinem Körper abweiend wäre, Mendelsiohn erklärt
diefe „Entzüdfungen“, wie er fie nennt, für eine entfernte Anlage
zur Schwärmerei, für eine unfchädliche Schwärmerei, die weder
Hochmuth, noch Menſchenhaß zum Grunde hatte, und die dem
Reifen, in der Verfaſſung, in welcher ex fich befand, anch ſehr
nüglich gewefen fein mochte.
Unbegreiflih war ihm auch, daß die äußere Ericheinung
eines Sokrates, die Art und Weile feines Auftretens äjthetifche
Mängel und Widerfprüche mit fi) führen fonnte, die einem
Luftipieldichter das fünftleriiche Recht gaben, den Philofophen
zu fomödiren, „Man kann fi kaum etwas Ungezogeneres
denken!“ Ariftophanes gilt ihm als ein „feiler Komödienſchreiber“,
„ven eine geichlofiene Partei, der fein Mittel zu Schaden zu
niederträchtig war“, gemiethet hat, um ihren Gegner verhaßt
und lächerlich zu machen, und in den „Wolfen“, diefer unüber-
trefflichen Komödie, fieht er nur eine „pofjenhafte Fratze“, „Die
ich zur Ehre des verfolgten Philofophen bis auf unfere Zeit
erhalten hat“.t)
Zur völligen Würdigung des Sokrates fehlte Mendelsjohn
wie Nicolai und anderen Philofophen der Aufklärung die Be-
rüdjichtigung der ftaatlihen und gefellichaftlichen Verhältniſſe,
kurz der geichichtliche Sinn, welcher bei ihm noch mit dem
Mangel. an geichichtlichem Wiffen zufammenhängt. „Was weiß
ih von Geſchichte?“ Hagt er noch 1765 feinem Freunde Abbt.
„Ras nur den Namen von Gefchichte hat: Naturgefchichte, Erd—
geſchichte, Staatsgefchichte, gelehrte Geichichte, Hat mir niemals
in den Kopf kommen wollen; und ich gähne allezeit, wenn ich
etwas Hiftorifches Iefen muß, es müßte mich denn die Schreib-
art aufmuntern. Ich glaube, die Gefchichte ift eines der Studien,
1) Shr. IL, 75, 81.
— 14 —
welche nicht ohne Unterricht erlernt werden fünnen.“!) Er hatte
lange Zeit gar feine Idee von ihrem Nutzen und konnte nicht
begreifen, daß ein Mann von Leſſings feuriger Einbildungskraft
und fchneidendem Scharfſinne fich fo viel mit Sammlung und
Beurtheilung der Barianten alter Schriftjteller, mit Unterfuchung
der Alterthümer, mit Collectaneen über Gelehrte und ihre
Schriften und mit alten verlegenen Büchern befchäftigen konnte. ?)
Unterhielt fi) Leffing mit Nicolai oder mit anderen zuweilen
in feiner Gegenwart über hijtorifche Gegenftände, jo lachte ex
gewöhnlich und meinte, das Ganze fei unnüßer Kram. Uniüber-
windlihe Schwierigkeiten jtellten fi) ihm in den Weg, als
er ih in reiferen Jahren auch etwas von diefem „unnützen
Kram“ zu eigen machen wollte „Sagen Sie mir doc, liebſter
Freund!“ heißt e8 am Schlufje feines letzten Briefes an Abbt,
„wie fange ich es an, wenn ich mir von der Geſchichte der
alten und neuern Zeit nur einigen Begriff machen will? Ich
babe bisher die Geſchichte mehr für die Wiffenichaft des Bürgers
al3 des Menſchen gehalten, und geglaubt, ein Menfch, der fein
Vaterland hat, könnte fi) von der Gefchichte feinen Nutzen ver-
Iprechen. Ich merke aber, daß die Gefchichte der bürgerlichen
Berfaffung mit der Geſchichte der Menjchheit ineinander fließt
und daß es unanftändig ift, in jener ganz unwiſſend zu fein.
Uber wo fange ich an? Gehe ich zur Quelle oder begnüge
ih mich) an den allgemeinen Welthijtorien, die feit einiger Zeit
jo jehr im Schwange find? Und zu welcher rathen Sie mir?
Vergeſſen Sie nicht, mir auf diefen Punkt zu antworten.‘ 3)
Der don Mendelsfohn jelbjt angegebene Grund mag die
Urſache gewefen fein, daß er das Studium der Gefchichte fo
ganz vernachläſſigte. Er ging mit innerem Widerftreben an eine
Arbeit, von der er fich feinen Nußen verfprad), weil er als
) Schr. V 342.
2) Gödingf, a. a. D. 19.
3) Schr. V, 368,
Pr
— 145 — .! unIvERSITY
of
Jude fi ohne Vaterland und ohne Heimat fübtter-
der Gefchichte erinnerte ihn an die Leiden und PVerfolgungen,
welche fein Stamm jahrhundertelang erduldet hatte, an feine
eigene Heimatlofigfeit.
Man muß e3 ihm bei dem Mangel an hiſtoriſchem Sinn
daher auch zugute Halten, daß er den Tod des Sokrates nicht
als ein tragifches Schidfal, fondern nur als einen Juſtizmord
auffaßt, den die Priefter, Sophijten und Redner auf ihrem Ge-
wiſſen Haben.
Den fterbenden Sofrates, der, wie Mendelsjohn ſelbſt im
Anhange des „Phädon“ erklärt, „nicht der Sokrates der Ge—
ſchichte iſt“, läßt der Anhänger der Leibniz Wolffiihen Philofo-
phie die Gründe und Beweife für die Unfterblichfeit der Seele
vortragen. Die Einkfleidung, Anordnung und Beredfamfeit
Platos macht er fih zu Nuße, er behält die formalen Schön-
heiten des Platoniſchen Dialogs bei, nimmt fogar ganze Stellen,
welhe er, ohne der Deutlichkeit zu fchaden, hätte übergehen
finnen, der bloßen Schönheit wegen mit auf und fucht die meta-
phyſiſchen Beweiſe durch neue und feinen Vorgängern entlehnte
‚seen dem Gefchmade feiner Zeit anzupafjen. Er ſetzte Lefer
voraus, „die Feine Metaphyfifer find, aber gefunden Menfchen-
veritand haben und nachdenken wollen“; deshalb berief er fich
auch auf Fein befonderes Syſtem. „Wenn ich hätte Schriftiteller
anführen mögen,“ fagt er in der Vorrede feiner Schrift, „fo
wären die Namen PBlotin, Des Cartes, Leibniz, Wolff, Reimarus,
Baumgarten u. a. oft vorgekommen. Allein dem bloßen Lieb-
haber ift es einerlei, ob er einen Beweisgrund diefem oder
jenem zu verdanken hat, und der Gelehrte weiß das Mein und
Dein in fo wichtigen Materien doch wol zu unterfcheiden.“!)
Dergeftalt it der aus drei Gefprächen bejtehende Mendels-
ſohnſche „Phädon“ nach den eigenen Worten des Verfaſſers ein
1) Schr. II, 69.
Kahſerling, Mofes Mendelsfohn. 10
.— 146 —
„Mittelding zwifchen einer Ueberjegung und eigenen Ausarbei—
tung“; es it ein deutſches Product des achtzehnten Jahrhun—
dert3 in griechifcher Form. ')
Vierundzwanzigites Kapitel.
Mendelsjohn über den Selbitmord.
Unter dem Namen des griechifchen Weltweifen hören wir
im Gefängniffe Athens einen deutfchen Philofophen aus dem
achtzehnten Sahrhundert einen Vortrag über Tod, Bejtimmung,
Unfterblichfeit halten.
Im Anfange des erjten Geſprächs folgt Mendelsfohn ge—
nau feinem Borbilde, dem Plato. Die Schüler des zum Gift-
becher Verurtheilten unterreden ſich von der legten Stunde ihres
heldenmüthig jterbenden Lehrers.
Sodann erörtert er die Frage über die Zuläffigfeit oder
Unzuläffigfeit des Selbjtmordes, eine Frage, welche bejonders
in der für Preußen denfwiürdigen Zeit des fiebenjährigen Krieges
viele Köpfe bejchäftigte.
Friedrich der Große foll fich nämlich mit dem Gedanken ge-
tragen haben, im Falle einer ganz ungünjtigen Wendung des
Feldzuges und einer gänzlichen Niederlage, durch einen Gift
trank, welchen er gleich jenem Helden des Alterthums beftändig
bei fich trug, feinem Leben ein Ende zu machen. Daß fich ein
jolher Schritt mit der Denkungsart des großen Königs vertrug,
iſt genugfam befannt. Wie er die Unfterblichfeit für ein Zauber—
Ichloß hielt, welches man von ferne fehe, aber nicht betreten
fünne, ähnlich) Heinrich Heine, der dieſe die Menfchheit be-
glüdende Lehre mit einem Markknochen vergleicht, den Der
) Der Mendelsjohnihe Phädon in jeinem Berhältnig zum Pla-
toniſchen wurde neuerdings behandelt von Friedrich Kampe (Halle 1880).
„1 —— zn n re 2 *
— 147 —
Fleifcher mit in den Korb unentgeltlich fchiebt,") fo vertheidigte
er auch confequenterweife den Selbjtmord; es müſſe, meinte
er, dem Menschen frei ftehen, aus einem Zimmer zu fliehen, in
welhem man vom NRauche erjtidt wiirde. Den Unglauben des
Königs theilten noch viele mit ihm, und ebendies führte die
verſchiedenſten Denker feiner Zeit auf eine genaue Prüfung diefer
Frage. Auch Mendelsjohn hat fich ihrer Löſung nicht entzogen.
In den „Briefen über die Empfindungen“, in einem Schreiben
vom 1. Mai 1756, das an Reſewitz gerichtet ift,?) und dann
im „Phädon“ Hat er über diefe „Enotige Materie” feine An—
fichten dargelegt.
Der Trieb zum Guten, meint er, fann mit dem Gelbjt-
erhaltungstrieb für Augenblide in Streit gerathen, wenn wir
feinen Blick in unfer zufünftiges Dafein ohne Entfegen thun
fönnen und uns jeder Moment mit Ueberdruß und innerlichem
Aufruhre drohet. Der Trieb zum Guten behauptet fodann allein
fein Necht, drängt auf die Abkürzung des Lebens und auf Die
Flucht aus der überläftigen Welt. Der Tod als das Hero er-
fcheint ung wünfchenswerth, wenn in der Vermifhung von Gut
und Uebel nach gegenseitiger Berechnung eine negative Größe
übrigbleibt, wenn die Stimme der Freundfchaft, des Water:
landes, der menfchlichen Gefellichaft Fein Gewicht mehr für uns
hat, wenn die Warnung vor Eingriffen in die göttlichen Nechte
durch) Berufung auf die und von Gott verliehene Freiheit be-
feitigt wird. ?)
Geſetzt die Gründe der Religion gegen den Selbjtmord
wären ohne alle Kraft der Ueberzeugung, und wir hielten uns
verfichert, der Tod ſei Vernichtung des Dafeind, auch dann
müffen wir zugejtehen, daß der geringjte Grad der Wirflich-
feit unfere Vollkommenheit unendlich mehr befördert als Ber-
nichtung. '
ı) Heine, Nomanzero, 306.
2) Schr. IV, 1, 12—4.
3) Schr. I, 142 ff.
10*
— 14 —
Denjenigen aber, welche den Tod nicht für Vernichtung
de3 Dafeins, fondern für einen Uebergang in eine andere Art
von Fortdauer halten und die Verbindung zwijchen dem künf—
tigen Zuftande und dem jetzigen fomit gelten Lafjen, zeigen fich
noch weniger Gründe für die Zuläfjigfeit des Selbitmordes.
Die abwechſelnden Zuftände, die jenes Leben mit dieſem ver—
binden, müfjen ineinander gegründet fein; wer alfo diefe Welt
anders verläßt, muß auch jene anders betreten, wer dag Ende
der ihm in diefer Welt befchiedenen Dauer nicht abwartet, ſtürzt
fi) in einen ganz andern Zuſtand, al3 der it, in welchen er
nach dem Laufe der Natur verjeßt worden wäre. Nur was mit
den Kräften, die Gott in die Natur gelegt hat, übereinftimmt,
dad muß uns jtatt eines Drafel3 dienen, bis ein ausdrüdlicher
Befehl oder der Ausgang der Sache uns eines Befjern belehrt.
So lange alfo die Kräfte der Natur zur Erhaltung des Lebens
übereinftimmen, fo lange ijt es ein Verbrechen, ſich den Ab—
fihten Gottes zu widerfegen; fo lange iſt es eine jträfliche Em-
pörung, die große, entziidende, wundervolle Harmonie zwiſchen
den Handlungen de3 Endlichen und den Abfichten des Unend-
lichen zu zerftören, bis Gott ung den ausdrüdlichen Befehl zu-
Ihidt, das Leben zu verlaffen.) In diefer Beweisführung hat
der deutfche mit dem griechischen PhHilofophen das gemein, daß
er die fittliche Nothwendigfeit der Fügung in den göttlichen
Willen betont.
Ein Umjtand eigenthümlicher Art veranlaßte Mendelsfohn
noch Später zu einem intereffanten Gefpräche über diefes Thema.
Sn Berlin lebte nämlich) als Inſpector des Joachimsthal—
ihen Gymnafiums ein Mann namens Sohann Peter Drief.
Gleich Edelmann, „ein hölzerner Menfch, der ebenſo viel Blei
in feinem Gehirn als Eifen an feinen Stiefeln trug“?) und, wie
Mendelsfohn, der in der Jugend mit ihm zufammenzufommen
1) Schr. I, 164 ff.; II, 106 ff.
2) Schr. V, 11.
— 149 —
pflegte, den 29. Juli 1779 an Henning3 fchrieb, al3 „ein un—
Ihuldiges Opfer der altdeutichen Aufrichtigfeit fiel“,1) gleich dem
ungfüdlichen Rector Damm, huldigte auch er atheiftifchen Grund-
fägen, welche durch den damaligen Minijter von Zedliß feine
Entlafjung herbeiführten. Seine unbegrenzte Eitelfeit und die
Begierde, in einer höhern Sphäre zu glänzen, ftürzten ihn
vollends ind Verderben. Ex gerieth in die äußerjte Dürftigkeit
und e3 blieb ihm zuleßt nicht3 weiter übrig, als ein Bett und
ein Hemd. Mit dem Erdenleben war er überiworfen und fein
Entſchluß war gefaßt, durch einen Selbjtmord aus der Welt zu
fcheiden. Die Stiche, welche er ſich beibrachte, waren nicht tödt-
lich, und nun wählte er den Hungertod. Mehrere Tage dauerte
diefer ſchreckliche Verfuh, als fein Unternehmen ruchbar wurde.
Mendelsfohn erfuhr e3, juchte ihn auf und fand außer einem
Safe Waſſer auch nicht das mindelte vor, ihn felbft aber in
einem fo gefchwächten Zuftande, daß er faum die Hoffnung hegen
konnte, eine Antwort von ihm zu erhalten. Er gab fich für
einen polnifchen Arzt aus, der zur Ausübung feiner Kunft nad)
Berlin gekommen fei; allein der Kranfe wollte weder von einem
Arzte noch von irgend einer Hülfe etwas wilfen. Endlich er:
rieth Drieß, wer der fremde Arzt jet, und fragte ihn: Sind
Sie nicht Mendelsfohn? Dieſer bejahte es, indem er ihm die
Hand reichte. Der Kranke wollte über philofophifche Gegen-
ftände disputicen, fand fi) aber zu Schwach. Diefe Gelegenheit
benugte Mendelsfohn, indem er ihm zuredete, fich erſt durch den
Genuß von etwas Speije jo weit zu erholen, daß er anhaltend
reden könnte. Er ſprach ihm Troſt zu: „Warum fürchten Sie
Armut und Elend? Warum erröthen Sie, Wohlthaten anzu-
nehmen? 3 hat Arme gegeben, deren Zuftand ich beneide.
Der Stoifer Epiktet war der Sklave eines Barbaren; Sokrates
war fo arm, daß er nur einen Mantel für fich und feine Frau
hatte. Cimon, Ariftides, Epaminondas verbanden Armuth mit
1) 1. Aufl. ©. 143.
— 150° —
den größten Tugenden. Anaragoras Hatte in feinem Alter feine
andere Zuflucht, al3 den Tod zu erwarten, und, wie Sie, legte
er fich Hin, zu fterben; in dieſem Zuſtande fand ihn Perikles,
fein Schüler, der im Taumel der Staatsgefchäfte feines Lehrers
vergefjen hatte. Perikles machte ihm fanfte Vorwürfe. Freund,
fagte ihm Anaragoras, es ijt nicht hinreichend, eine Lampe zu
haben, man muß auch Del hineingießen. Der Beherricher Athens
veritand ihn, führte ihn mit ſich nach Haufe und forgte für feinen
Unterhalt. Kommen Sie mit mir, lieber Drieß, ih will Ihnen
noch nicht vathen zu leben; Yaflen Sie uns eine Zeit lang mit-
einander wohnen und über Ihren Borfaß uns unterhalten; wenn
Sie nad) Verlauf von einem Jahre noch bei Shrem Vorſatze
verharren, jo führen Sie ihn aus.“
Mendelsjohns fanfte Beredfamfeit drang in das Innerſte
der Seele feines Hörers; er nahm Abſchied von ihm mit dem
Berjprechen, ihn recht bald wieder zu befuchen.
Eine® Tages fam unvermuthet ein vornehm gefleideter
Herr zu Mendelsfohn, um ihm anzuzeigen, daß ex beim Prinzen
Heinrich al3 Vorleſer angejtellt feii. E3 war Drieß. „Sch bin
der Elende,“ redete er ihn an, „den Sie einmal Ihres Be-
fuches gewürdigt haben. Nennen Sie es Eitelfeit, wie Sie
wollen; genug ich fühlte, daß ich für eine größere Sphäre be-
jtimmt war. Nun bin ich glücklich!“
Wie bald aber erwachte der neue Glückliche aus feinem
Traum! Er glaubte feinen Stolz beleidigt, bildete fich ein, man
habe Komödie mit ihm gefpielt, verfiel in Raferei und wurde
ins Irrenhaus gebracht, wo er mit dem Kopfe gegen die Mauer
rannte und fo feinem Leben ein Ende machte. !)
Nachdem Mendelsfohn das Unfittlihe des Selditmordes
dargelegt, jchreitet er, feinem griechiichen Vorbilde folgend, zu
dem Beweife für die Unfterblichkeit.
1) Hennings, Eittlihe Gemälde; Allg. Ardhiv des Judenthums
(Jedidja, n. F), 2. B., 53 ff.; Leſſings Schr. XIII, 508.
Kr KA AECh 0r RL.
a FF
— 1531 —
Fünfundzwanzigſtes Kapitel.
Beweis für die Unſterblichkeit.
Hätte ich nicht gerechte Hoffnung, ſpricht der dem Tode ent—
gegenlächelnde Sofrates zu feinen ihn umjtehenden, in Traurig
feit verfunfenen Schülern, da wohin ich fomme, auch ferner noch
unter der Fürforge des allgütigen Gottes zu ftehen und mit den
reinen Geijtern meiner mir vorangegangenen Freunde wieder
vereint zu werden, fo wäre es freilich Thorheit, daS Leben fo
wenig zu achten und dem Tode jo willig in die Arme zu rennen.
Was ift denn der Tod? Gründlicher als Plato, nach dem
der Tod eine Trennung der Seele von dem Leibe ift, definirt
ihn Mendelsjohn al3 eine natürliche Veränderung des menſch—
lichen Zuftandes. Zu einer jeden natürlichen Veränderung, argu—
mentirt Mendelsfohn weiter, ganz im Sinne der Monadologie,
wird dreierlei erfordert: der vorhergehende Zuftand des Dinges,
da3 verändert werden, das aufhören, ein anderer, der an feine
Stelle treten fol, und die zwifchen beiden Tiegenden Zuftände,
welche der Natur von dem einen auf den andern gleichjam den
Weg bahnen, die Uebergänge, damit die Veränderung nicht plöß-
ih, ſondern allmählich gefchehe.
Bei der tet wirffamen Thätigfeit der Naturfräfte Tann
aber nichts Veränderliches auch nur einen Augenblid unver:
ändert bleiben. Wie die Zeit immer forteilt, ohne zu ruhen das
Künftige zu dem Bergangenen fendet, fo verwandelt fich alles
Beränderlihe. In dem Naturprocefje giebt es weder Stillitand
noh Sprünge; er bildet eine bejtändige und ununterbrochene,
alfo jtetige oder continuirliche Veränderung; in einer ftetigen
ununterbrochenen Reihe folgen die Augenblide der Zeit. Es
giebt daher ebenfo wenig zwei Zuftände, zwifchen denen nicht
noch ein dritter anzutreffen wäre, wie es zwei Augenblicke giebt,
die fi) einander die nächſten wären. ')
') Schr. II, 121 ff.
— 152 —
Leben und Tod find Glieder einer teten Reihe von Ver—
änderungen, welche durch ftufenweife Uebergänge auf's genauejte
mit einander verbunden find, allmähliche Auswidelungen und
Einwidelungen ein und defjelben Dinges, das fi) in unzähligen
Geſtalten einhüllet und entfleidet. „Sagen wir, die Seele ftirbt,
fo müffen wir eins von beiden feßen: entweder alle ihre Kräfte
und Vermögen, Wirkungen und Leiden hören plöglich auf, fie
verſchwindet gleichfam in einem Nu; oder fie leidet wie der Leib
allmähliche Verwandlungen, unzählige Umfleidungen, die in einer
ftetigen Reihe fortgehen, und in dieſer Reihe giebt e3 eine.
Epoche, wo fie feine menfchliche Seele, jondern etwas anderes
geworden ift.“?)
Die Seele kann alfo nur plöglich oder allmählich fterben.
Plöglih kann fie nicht untergehen, denn die Natur kann feine
Vernichtung hervorbringen; zwifchen Sein und Nichtjein ift eine
entfeglihe Kluft, die von der allmählich wirkenden Natur der
Dinge nicht überfprungen werden kann. Aber follte fie nicht
von einer üibernatürlichen Macht, von der Gottheit felbft, ver-
nichtet werden? ine unmittelbare Hand des Wunderthäters
haben wir nicht zu fürchten, denn der gütige Schöpfer und Er-
halter der Dinge kennt feine Vernichtung, die der Natur wider:
Ipriht. Aber auch allmählich kann das Dafein der Seele nicht
aufhören, da dieſes wieder eine ewige Vernichtung vorausſetzen
würde. Untergehen kann alfo die Seele in Ewigfeit nicht, denn
der letzte Schritt, man mag ihn noch fo weit hinausfchieben,
wäre immer noch vom Dafein zum Nichts, ein Sprung, der
weder in dem Weſen eines einzelnen Dinge, noch in dem
ganzen Zufammenhange gegründet fein kann. Gie wird alfo
ewig fortdauern, ewig vorhanden fein, wirken, leiden und Be-
griffe haben, denn Empfinden, Denken und Wollen jind Die
einzigen Wirkungen und Leiden, die dem denfenden Weſen zu=
fommen fünnen; fie wird ewig fortleben und. nach ihrer wahren
) Schr. II, 130.
— 1593 —
Gfückjeligfeit, nach Weisheit, Tugend, Schönheit, Harmonie und
Bollfommenheit jtreben, um jo allmählich dem Urquell fich zu
nähern. !)
Diefer Beweis für die Unjterblichfeit der Seele iſt Har
und überzeugend, weit überzeugender al3 die Argumente Platos,
vom welchen das eine, die Hhpotheje einer Seelentwanderung, von
Mendelsjohn ebenjo verworfen wird, wie die Annahme des
Zeibnizifchen Auferftehungsglaubend. „Was fir Grund haben
wir, die Erfahrung, daß wir hier in diefem Leben niemals ohne
finnlide Eindrüde denken können, über die Grenzen diefes Lebens
auszudehnen und der Natur jchlechterding® abzufprechen, die
Seele ohne diefen gegliederten Leib denken zu laſſen?“2)
Troß dieſes Beweifes fühlte Mendelsjohn ſelbſt, daß dem—
felben zur völligen Deutlichfeit noch verfchiedenes fehle.
In der That wirft er im zweiten Gefpräche, in dem er
feinen griechifchen Führer verläßt, das Bedenken auf, ob denn
unfer Vermögen zu empfinden und zu denfen ein bejonderes
jelbjtitändiges Wefen und daſſelbe nicht vielmehr die Eigenjchaft
eines Fünftlich gebildeten Körpers fe. Das leitet ihn auf den
Beweis für die Harmonie und Ammaterialität der Seele, wel—
chen er in einer unübertroffenen Vollkommenheit Liefert. Wie
ſehr aud) Ordnung und Entwidelung der einzelnen Beltand-
theile eines Dinges durch ihren Zufammenhang verändert wer-
den mögen, fo muß doch immer eine Kraft im Ganzen beftehen,
die nicht in der Wirkfamkfeit der einzelnen Theile ihren Grund
hat. Nun ift aber zu der Auffafjung des zufammengefegten
Ganzen eine VBergleihung erforderlich. Diefe Vergleichung und
Gegeneinanderhaltung ift aber nichts anderes als eine Wirkung
des Denkvermögens und wird außer bei dem. denfenden. Wejen
nirgends in der Natur anzutreffen fein. Da alfo ein jedes
Ganze, fährt Mendelsfohn fort, das aus Theilen befteht, ein
1) Schr. II, 134.
2) Schr. II, 134.
— 14 —
Bufammennehmen und Bergleichen der Theile zum Boraus jeßt,
diefe Thätigfeit aber die Verrichtung eines Vorſtellungsver—
mögens fein muß, fo kann der Urfprung diefes Vermögens felbit
nicht in ein Ganzes gefegt werden, das aus folchen verfchiedenen
Theilen beſteht. Es muß alfo in unferm Körper, fo fchließt
die Beweisführung, wenigſtens eine Subſtanz vorhanden fein,
die nicht ausgedehnt, nicht zufammengefegt, jondern einfach ift,
Boritellungsfraft hat, und alle unfere Begriffe, Begierden und
Neigungen in fich vereinigt; eine Mehrheit folcher immaterieller
Subftanzen für einen und denjelben Leib vorauszufegen, würde
zu den größten Widerfprüchen und Ungereimtheiten führen. !)
Dieſer Beweis für die Unförperlichkeit und Einfachheit der
Seele aus der Einheit der Vorftellung hat Mendelsjohn bereits
im Sabre 1760 in der, den Materialismus d’Alembert3 be—
fämpfenden Abhandlung „Von der Unkörperlichkeit der menfch-
lichen Seele“, welche exit nach feinem Tode im Drud erichien,?)
furz entworfen. Hat er nun aud die Grundidee, wie er im
Anfange des „Phädon“ ſelbſt angiebt, dem Neuplatonifer Plotin
entlehnt, jo ijt doch die in ihrer Art fcharffinnige Ausführung,
die Sonderung der Neben- und Hauptgründe, die Fünjtlerifche
Bertheilung von Licht und Schatten, fein Verdienſt.
Nachdem Mendelsjohn nun bewiefen, daß die Seele ein
einfaches, für fich bejtehendes, untheilbares, unförperliches, un—
vergängliches Weſen fei, berührt er im dritten Geſpräche die
Frage, ob diejes Weſen in einem wachenden, des Gegenmwärtigen
und Bergangenen wohl bewußten Zuftande, in Ewigkeit fort-
dauern, oder ob es mit dem Hintritte des Körpers in einen
dem Sclafe ähnlichen Zuftand verfinfen würde, um niemals zu
erwachen. Aus der Vorausfegung, daß alle ähnlichen Wefen
auch ähnliche Beitimmungen haben, daß in dem großen Plane
'), Schr. II, 150 ff, 159, 202.
2) Die Abhandlung erjhien zuerft in Mendelsiohns Kl. philof.
Schriften, herausgegeben von Müchler (Berlin 1789), ©. 171—230; ab:
gedrudt Schr. II, 207—232.
— 15° —
der Schöpfung alles nad) den Regeln der allervollfommeniten
Harmonie angeordnet ijt, wird die Folge gezogen: Geifter,
denfende und wollende Wefen, durch urfprünglichen unvertilg-
lichen Trieb auf unbegrenzte VBervollfommnung, ind Unendliche
fortichreitende Annäherung an das Vollkommene der Gottheit
gerichtet, Fünnen unmöglih nad) dem Plane des allgütigen
Schöpfers in den Abgrund zurücgeftoßen, oder auf halbem Wege
zurücgehalten werden. Das geiftige Wefen fährt in Cwigfeit
fort, die Abfichten Gottes in der Stufenfolge zu erfüllen, Die
ihr in dem allgemeinen Plane angewiejfen worden. Sonft wäre
jeder Trieb nach Bervollfommnung und DBeredlung, den wir
überall in der Natur wahrnehmen, ein Spiel der Phantafie;
unſer Schidfal wäre ein graufames und Gott felbjt Tieblos und
ungerecht. „Wenn fein zufünftiges Qeben zu Hoffen ift, fo iſt
die Vorſehung gegen den Verfolger zu rechtfertigen als gegen
den Berfolgten.” Wie in dem Bereiche der phyſiſchen Welt
Stürme, Ueberfchwemmungen, Erdbeben u. |. w. zur Harmonie
des Weltall3 beitragen, jo dienen in der fittlihen Welt, auf
dem Gebiete des gejellfchaftlichen Lebens Leiden und Mängel
zu Mitteln fortfchreitender Berbefjerung, zu Uebungen für Die
Erlangung der Glückſeligkeit. Bernünftige nach Vollkommen—
heit jtrebende Wejen find nicht zu einer zeitlichen Dauer ge=
ichaffen. !)
Will man noch weiter dringen und wiſſen, wo die abge-
ichiedenen Geijter fich aufhalten, womit fie ſich befchäftigen, auf
welche Art die Tugendhaften belohnt und die Lafterhaften zur
befjern Erfenntniß gebracht werden, fo darf man im „Phädon“
nad) einer Antwort nicht fuchen. Hier endigt fein Beruf; die
Bernunft tritt befcheiden mit dem Finger auf dem Munde zurüd;
die Offenbarung ſelbſt kann uns hierüber feine Auskunft geben.
1) Schr. II, 171 ff, 185 f; III, 268.
— 156 —
Anfangs April 1767 verließ der „Phädon“ die Preſſe.
Bald nad) dem Erfcheinen Tieß der PVerfaffer durch einen
Schaumburgifchen Juitizrath, der ihm einige Wochen früher die
nad) dem Tode Abbt3 erjchienene Meberfegung des Sallujt im
Auftrage des Grafen zu Schaumburg-Lippe geſchickt hatte, diefem
Beſchützer und Verehrer feines ihm unvergeßlichen Freundes,
dem der „Phädon“ gewidmet werden follte, ein Eremplar über-
reichen. ')
An Zufchriften und Bemerkungen über das Buch fehlte e3
nit. Einer der erjten, der fich über daſſelbe vernehmen Tief,
war Raphael Levi in Hannover, der treuefte Schüler Leibnizens.
Er jtellte Mendelzjohn den Antrag, an Stelle Abbt3 einen
Briefwechfel über die Beitimmung des Menfchen mit ihm zu
unterhalten. Diefer war nicht abgeneigt, auf den Vorſchlag ein-
zugehen, nur fürchtete er, fie würden zu bald eins werden, „denn
unferer beider Philoſophie ift auf einem Leiften gefchlagen“. Wie
fi) aus feinem- Briefe an Raphael ergiebt, beabfichtigte Men—
delsfohn, eine Abhandlung über die Unfterblichfeit der Seele
auch in hebräifcher Sprache zu jchreiben. „Ueberjegen läßt fich
der „Phädon“ nicht; wenigjtend würde er im Hebräifchen auf-
hören verftändlich zu fein; deswegen möchte ich gern eine andere
Einfleidung wählen, in welcher ich die Sachen unjeren Glaubens—
genofjen verjtändlich machen könnte.“ 2)
Er machte in der That einen Auszug aus dem „Phädon“
und jchrieb eine Abhandlung „Ueber das Commerz zwijchen
Seele und Körper“, beides in hebräifcher Sprache, für Die-
jenigen, welche des Deutjchen unfundig find. Dieſe Abhand-
lungen, welche ſich unter Mendelsſohns Papieren vorfanden,
) Schr. V, 442 ff.
2) Schr. V, 449. Wie Auerbach, Mojes Mendelsjohn und das
Sudenthum, a. a. D., ©. 8 richtig vermuthet, war diefer Brief M.s
„an einen Unbekannten‘ an Raphael Levi gerichtet.
— 157 —
wurden 1787 von David Friedländer veröffentlicht;t) die eine
derjelben überfegte ein H. $.,2) die andere Sal. Anfchel, „Can—
didat der Philofophie auf der Univerfität zu Bonn“ ins Deutiche.?)
Schsundzwanzigftes Kapitel.
Wirkung.
In einer Zeit, da Freidenfer wie Qamettrie, Helvetius,
Holbah u. a. mit ihrer materialiftifchen Lehre Staat und Re—
ligion bedrohten und alles Geiftige, befonders die Unjterblichkeit
der Seele für Wahn erklärten, erſchien der Mendelsfohnfche
„Phädon“ al3 ein wahrer Glaubenshort. Die Wirkung, welche
er hatte, war eine außerordentliche; er wurde als ein epoche-
machendes Werk gefeiert und ficherte feinem Verfaſſer einen Platz
unter den deutfchen Claſſikern. Es war des Lobes für den
bejcheidenen Mann fajt zu viel! So fagt er im Anhange zur
zweiten Auflage: „Sch habe mich über feinen unbilligen Tadel
zu befchweren, vielleicht eher iiber unbilliges Lob, davon mich
die Selbſtkenntniß verfichert, daß es übertrieben iſt.““)
Aus allen Gegenden liefen Zufchriften ein, in welchen das
Bud gerühmt und der Verfaffer um weitere Erläuterungen an—
gegangen wurde. Philipp Hensler, der fpäter Dänifcher Leib-
arzt und Profeſſor in Kiel war, wandte fi an Nicolai mit der
1) wa d, Berlin 1787, Brünn 1798; unter dem Titel v337 ans mai
mit Widerlegungen und Bemerkungen über Prophetie, Vergeltung
u. f. w., von M. Fürth, Deffau 1811.
2) M. Mendelsfohns furze Abhandlung über die Unfterblichfeit
der Seele, aus dem Ebräifchen. Berlin 1787; Brünn 1798; Gef.
Schriften Mendelsjohns (Wien 1838) 364—373.
3) Diefe Weberfegung wieder abgedrudt in den Geſ. Schriften
(Wien 1838) 350—363. Beide Abhandlungen fehlen in den Gef. Schrif:
ten (Leipzig).
4) Schr. II, 191.
— 158 —
Bitte, einen neuen Beweis für die Unfterblichfeit von dem
Dänifchen General, Grafen von ©., Mendelsfohn zur Beurthei-
fung vorzulegen.) Der Herr von Platen auf Rügen, ein
philofophirender Landedelmann, fnüpfte mit ihm über den „Phä-
don“ eine Correfpondenz an; „denn in einem fo ſehr gepriefenen
Buche will man gern alles verjtehen“. 2)
Eines folchen Erfolges Hatten ſich wenige Schriften ähn-
fihen Inhalts zu erfreuen gehabt. In den erjten drei Jahren
nach) dem Erjcheinen wurden drei neue Auflagen davon ver:
anftaltet — in Wien Hatte man das Buch confiscirts) — und
zwanzig Jahre nad) dem Erfcheinen Hatte der „Phädon“ durd)
die verfchiedenen Weberfegungen einen europäifchen Charafter
und eine europäifche Wirffamfeit gewonnen: er wurde nicht
allein Eigenthum der deutichen Nation, ſondern Franzojen und
Engländer, Holländer und Staliener fprachen mit gleicher Be—
wunderung von diefem Dialog und feinem Berfaffer.
Der „Phädon“, welcher, außer in verfchiedenen Ausgaben
der „Geſammelten Schriften“, funfzehn mal befonders erfchien, *)
wurde 1769 ins Holländifche, durch den franzöfifchen Prediger
U. Burja in Berlin 1772 und durch den Brofefjor Junker in
Paris 1778 ins Franzöfische, durch Carlo Ferdinandi 1773 ins
Stalienifche überfegt. J. U. Heiberg in Kopenhagen, der Bater
des Etatsraths und Dichters, der Napoleon als Secretär nad)
Deutichland begleitete, überjegte den „Phäadon“ 1779 ins Dä-
') Schr. V. 449 ff.
2) Schr. V, 460-484.
s) Lefſings Schr. XII, 233; XIII, 185, 190.
4) „Phädon“ oder ‚Ueber die Unfterblichfeit der Seele’, in 3 Ge—
fpräden. Berlin 1767; 2. Aufl. ibid. 1768; 3. verb. Aufl. mit einem
Anhange vom Berf., ibid. 1769; 4. Aufl. ibid. 1776; 5. Aufl. heraus:
gegeben und eingeleitet von David Friedländer, ibid. 1814; 6. Aufl.
ibid. 1821; 7. Aufl. ibid. 1856. Sonft erſchienen: Frankfurt 1776,
Karlsruhe 1780, Reutlingen 1784, Aachen 1815; Bibliothek der deutjchen
Nationallitertur des 18. und 19. Jahrhunderts. 28. Band mit Ein:
leitung und Anmerf. von Arnold Bodek, Leipzig 1869; Univerjalbiblio-
thef, 335. Bändchen.
— 159 —
niihe. Jeſaia Beer-Bing, ein junger jüdischer Schriftjteller aus
dem Elſaß, veranitaltete 1787 eine hebräifche Ueberfegung,
welhe N. H. Wefjely mit einer Vorrede verfah; fie erfchien
1789 in neuer Auflage und wurde 1862 und fpäter nachge- |
drudt. 1798 übertrug ihn Eullen ins Englifche und 1793 ein
Patriot ins Ungarifche; diefer widmete feine Arbeit dem Grafen
Telefi de Szefi, k. k. Kämmerer und Obergefpan des Ugotfer
Comitat3; eine neue ungarifche Ueberſetzung lieferte 1884 Re-
gina Glüf, eine Jüdin. Der „Phädon“ wurde durch Jakob
Tugendhold 1843 ins Bolnifche, 1837 und dann 1854 (Tiflis)
durch Mysnikow ins Auffiihe und 1866 durch Johann Hadjits,
der al3 der größte Legislator Serbiens gilt und unter dem
Namen Zohann Spetit3 mehrere ethifche und äfthetifche Schriften
verfaßt Hat, ind Serbiſche überfeßt.!)
Was ihm aber bei Gelehrten und Ungelehrten eine folche
N Die Titel der Ueberfegungen lauten:
Phedon of over de Onsterflykheid der Ziele, in drie t’zamen-
spraaken, door Moses Mendelzoon, naar den tweeden verbeterden
Druk, uit het hoogduitsch vertaald in’s Graavenhaage, Pieter van
Cleef, 1769.
Don Mendelsfohn ungünftig beurtheilt in Allg. D. Bibliothek, Bd.
14, St. 1. 1771 (Schr. IV, 2, 559), vol. V, 508.
Phedon, ou. Dialogues socratiques sur l’immortalit& de l’ame.
Ecrit en Allemand par M. Moise, Fils de Mendel, et traduit par
Mr. A. Burja à Berlin. En comm. chez Haude et Spener, 1772.
Phödon, ou Entretiens sur la spiritualit et ’immortalitö de
l’ame, par M. Moise Mendelssohn. Traduit de l’allemand par Mr.
Junker. Paris 1778.
Fedone. O dell’ immortalitä dell’ anima. In tre dialoghi di
Moise Mendelssohn. Tradotto dal tedesco in italiano, da Carlo
Ferdinandi. Coira, pr. Giacomo Otto, 1773.
Diefe UWeberjegung ſchien Mendelsjohn „ſehr jchulmeifterhaft,
etwa das Erereitium eines Sprachmeijterö, der, jeine Lehrlinge im
Ueberſetzen zu üben, eine deutjche Schrift gewählt hat, welche weder er
noch jeine Lehrlinge recht verftehen‘. Schr. V, 684.
Pheedon, Mer om Szieleus Udödelighed i tre Samtaler af Mojes
Mendelsfohn. Dverjat af det Tydske. Kjöbenhavn p. Chrift. Gottlob
Proſts, 1779.
— 160 —
Anerkennung verfchaffte, war nicht nur die Fapßlichkeit, mit welcher
hier ein die gefammte Menfchheit interefjirendes Problem feiner
Löfung näher geführt wurde, nicht die Tiefe und Erhabenheit
der entwickelten Ideen, fondern ganz beſonders die vollendete
Form des Stil. Man fand hier eine Eleganz und Klarheit,
eine Reinheit und Zrefflichfeit des Ausdruds, eine Leichtigkeit
und fpielende Anmut in der Behandlungsweije, von der man
in Deutfchland bis dahin faum eine Ahnung hatte. Hohe Mufter
hatte Mendelsfohn fich gejtellt, Plato und Shaftesbury; !) er
hat fie erreicht. Seine Profa fließt fo fanft, in fo jtiller Maje-
jtät, daß wer das Handwerk nicht verjteht, glauben könnte, der
Ausdruck habe ihm gar nicht? gefojtet. Dieſe mufterhafte Dar-
jtelung, verbunden mit der aus dem tiefjten Innern hervor—
ftrömenden Wärme der Ueberzeugung und dem edlen religiöfen
Gefühl, das war e8, was diefem Werke einen fo unwiderfteh-
lichen Reiz verlieh und Eingang in die Gemüther verfchaffte.
„Sofrates führte die Weltweisheit unter die Menfchen, Mofes ift
der philofophiihe Schriftjteller unferer Nation, der fie mit der
Schönheit des Stils vermählt. Ja er iſt's, der feine Welt-
weisheit in ein Licht der Deutlichkeit zu ftellen weiß, al3 hätte
e3 die Mufe felbjt gejagt!” ruft der junge Herder aus,2) dem
Eine größere Recenſion diejer Meberjegung erſchien in Kjoben—
havnske Nue Efterretninger for A. 1779, Nr. 31 p. 481 ff.
ya 5’ 1 AMSER NBER 1D7y7T . ... WBST MINEN "DD NM INTyB.
Berlin 1787; 2. Aufl. Brünn 1798; Lyk 1862; Zohannisberg, o. 3.
Phaedon, or the death of Socrates. London 1789.
Fedon, vagy a lelek halhatatlansägär6l. Härom beszel-
getösben, irta n&emet nyelven Mendelsohn Moses. Magyarra fordit-
tatott egy hazafı Altal. Pesten 179.
Phödon, vagy a lelek halhatatlansägäröl. Irta Mendelssohn
M. Forditotta Farkas Glück Regina. Debreczen, Jfj. Csäthy
Käroly 188t.
Deron o 6ecmprHuoctn Ayme Hanmcao Penukc Mennencon npeBeo
Josan Xaun&-Cverut. Y Hosom Caay, Illramnapnja Hrwara Dyeca.
1) Schr. IV, 2, 116; V, 260.
2) Herder, Fragmente über die neuere deutjche Literatur (1767),
I, 154.
— 161 —
der „Phädon“ dadurch noch theurer wurde, daß feine Braut fo
felige Stunden bei der Lektüre diefes Buches verbrachte; . der
„Phädon“ xuhte in ihren Händen, als der von Liebe entbrannte
Prediger die füß ſchwärmende Karoline Flachsland zum erſten
male erblickte.!)
Man könnte eine ganze Blumenlefe von Ausfprüchen zu-
fammenftellen, in welchen diefe berühmte Schrift verherrlicht
wird. „Ihr Philoſoph,“ Schreibt Windelmann aus Nom, „der
Phädon von Moſes Mendelsfohn, iſt eins von den beten Büchern,
welche ich gelefen habe; jchade, daß es ein Deutjcher ift, würde
der Potsdamifche Held fagen.‘?)
Der talentvolle, früh verjtorbene Meinhard, der Freund
Leffings, las den „Phädon“ fait noch in der Todesjtunde. ?)
Auguft von Platen fannte feinen höhern Genuß, als ſich
mit diefem Buche zu bejchäftigen. „Mendelsfohns Phädon be-
geiftert mich!“ Heißt es in feinem Tagebuche.%) „Mit welcher
fteigenden Eloquenz wird man da von Beweis zu Beweis ge-
tragen!“
Die erſte philofophifche Schrift, welche der junge Göthe
las, ja ftudirte, war Mendelsfohns „Phädon“; er gab fich die
Mühe, ihn mit dem platonifchen zu vergleichen und diefen
Jugendverſuch in fein, „Ephemerides“ überjchriebenes Tagebud)
zu verzeichnen. >)
Das Lieblingsbud) der, dur den Terrorismus ihrer
) Herders Lebensbild (Erlangen 1846), III, 50.
2) Windelmanns Werfe (Berlin 1824), X, 205. Windelmann hat
an Mendelsjohn als an einen von ihm hochgeſchätzten Mann einmal
geſchrieben, aber feine Antwort erhalten (X, 360); der Brief ift wahr:
fcheinlich verloren gegangen.
3) Riedel, Denkmal des Herrn Koh. Nicol. Meinhard (Jena
1768), 64.
9 Platens Tagebud) (Stuttgart 1860), 165.
5) Schöll, Briefe und Auffäge von Göthe aus den Jahren 1766
bis 1786 (Weimar 1846), 89 ff. Schöll theilt die dürftige Vergleichung
vollftändig mit.
Kayſerling, Moſes Mendelsjohn. 11
— 12 —
theuerften Verwandten beraubten Marquife de Beaumont, das
fie immer und immer wieder las und aus dem fie Troſt und
Ueberzeugung fchöpfte, war der „Phädon“ von Mendelsfohn. ')
Der Mendelsfohnihe „Phädon“ Hat ſich lange behauptet;
er war der Zeit bequemer und zugänglicher al3 der Platonifche;
e3 fchien al3 wenn ihn fein „Antiphädon“, feine „Kritif der
reinen Vernunft“ follte verdrängen können, denn er hat in feinem
Inhalte einen unfichtbaren Bundesgenofjen, der für ihn jtreitet
und fiegt. Der Gefchmad hat fich mit der Zeit geändert. So
wie von Plato bis Mendelsfohn, jo aud) von Mendelsfohn bis
heute hat die Wiſſenſchaft neue Gefichtspunfte gewonnen, neue
Probleme gefunden, neue Gründe und Gegengründe aufgejtellt;
nicht die Gewißheit oder Ungewißheit der Antwort, fondern die
Bejtimmtheit der Frage hat fi) mannichfach geändert. Aber
jo lange, wie der Platonifche „Phädon“ eine Duelle der Be-
lehrung und Erholung für denjenigen fein wird, der an großen
und hohen Gedanken feine Seele bilden und fein Gemüth ver-
edeln will, jo lange, meint der Verfaſſer des „Lebens der
Seele“,) wird auch das Mendelsjohniche Werk den gleichen
Werth und die gleiche Kraft befigen.
Durch den „Phädon“ war Mendelsfohn eine deutiche Cele—
brität geworden; als Denker, als ein Schriftjteller, der die ge-
läutertite Philofophie auf alles anzuwenden wußte, war fein
Ruhm über ganz Deutjchland und weit über die Grenzen
Deutichlands verbreitet.
Jeder rechnete e8 ſich zur Ehre, den deutſchen Plato, wie
Mendelsfohn vorzugsweile genannt wurde, zu fprechen oder
mit ihm in Correfpondenz zu jtehen. Aus nah und fern wandte
man fi) an ihn, bedeutende Berfönlichkeiten traten zu ihm in
nähere Beziehung und fchloffen ſich ihm an.
) Allg. Zeitung des Judenthums, 1883, ©. 730.
2) M. Lazarus, Literaturbl. zum deutichen Kunftblatt, 1857, Nr. 3,
wieder abgedrudt: Leſſing-Mendelsſohn-Gedenkbuch 101 ff.
Siebentes Bud).
Beitgenoffen,
Siebenundzwanzigites Kapitel.
Mendelsjohn und Hamann.
Sohann Georg Hamann in Königsberg gehört zu den
früheiten Bekannten Mendelsſohns.
Sein erſtes Zufammentreffen mit diefem ihm an Alter faſt
gleichen, in Charakter und Geiftesrichtung grundverfchiedenen
Manne fällt Schon ins Jahr 1756. Mit einem Juden, „einem
umgänglichen und gejelligen jungen Menfchen, der in Halber-
ſtadt zu Haufe gehörte, jtudirt hatte und auf Handel ausging“,
reifte Hamann von Danzig aus im October 1756 nad) Berlin,
„wo er außer Sulzer, NRamler, Merian und PBremontval den
Juden Mofes nebjt einem andern feines Glaubens und feiner
Fähigkeit oder Nacheiferung, vielleicht Doctor Gumpertz, fennen
lernte.)
Während des folgenden Jahres hat Hamann gewiß nur
jelten des Berliner jüdischen Philofophen gedacht. Er, der Zeit
feine3 Lebens nicht aus Nahrungsforgen herausfam, wurde
ganz befonders in dieſem Sahre von dem Scidjale fürmlich
gepeiticht; ex trieb fi) in London herum: „er fraß umfonjt, ex
1) Hamanns Schriften, herausgegeben von Roth, I, 191.
11*
— 164 —
foff umfonft, ex buhlte umfonjt, er rann umfonft, Völlerei und
Nachdenken, Lehre und Büberei, Fleiß und üppiger Müffiggang
wurden umfonjt abgewechjelt“.) In feinem Freunde erkannte
er, nachdem die ihm anvertrauten Briefe heimlich von ihm er-
brochen und gelefen worden waren, den fchändlichiten Verbrecher,
und nachdem er Hundertundfunfzig Pfund Sterling durchgebracht,
„grundtief in die Kloafe des Londoner Lebens gejchaut Hatte‘,
ſchlug er plöglih zum Bibellefen und Beten um: er wurde
fromm, ein eifriger Bietift.
In feine Baterjtadt zuriüdgefehrt, warf er fich auf die
Schriftitellerei. Seine „Sokratiſchen Denkwürdigfeiten‘ find das
erjte Produkt, durch welches er gewiffermaßen die Aufmerffamfeit
feiner Beitgenofjen rege machte und auch wieder in Beziehung
zu Mendelsjohn trat.
Die „Literaturbriefe” hatten ihm die Ehre erwieſen, die
„Denktwürdigfeiten” zu beiprechen. Mendelsſohns fcharfer Blid
erkannte in Hamanns Schreibart viele Nehnlichkeit mit der Windel-
mannfchen: „denfelben fernigen aber dunklen Stil, denjelben feinen
und edlen Spott, diefelbe vertraute Befanntfchaft mit dem Geifte
des Mlterthums.“?)
Die ſtrenge Kritif, welche Mendelsfohn an Rouffeaus
„Reue Heloife” geübt Hatte, veranlaßten Hamann, an den
„äſthetiſchen Moſes“ ein, Abälard Birbius unterzeichnetes öffent-
liches Sendfchreiben zu richten. Der angegriffene Kritiker blieb
die Antwort nicht chuldig: unter dem Namen Fulbert Kulmius
erwiderte er ihm in feinem Tone und gab dadurch den Literatur-
briefen „neue Munterfeit“.3) Die liebenswürdige Art, mit welcher
er Hamann begegnete, bewog diefen, mit ihm in Correfpondenz
zu treten. Am 11. Februar 1762 fchrieb er ihm: „Sie haben
recht, mein lieber Mendelsjohn, dag Sie mich für Ihren Freund
anjehen und der Ahndung des Herzens mehr als dem Blend-
!) Hamanns Schriften, 1, 204.
2) Schr. IV, 2, 99—108.
3) Schr. IV, 2, 31233.
— 165 —
werte des Witzes trauen,“ und gab ihm gleichzeitig die Ver—
fiherung, daß er ihn „bei der erjten Stunde ihrer zufälligen
Bekanntſchaft mit einem entfcheidenden Gefchmade geliebt habe.“ ?)
Doch wie erwiderte Mendelsfohn dieſes Geftändniß der
Liebe und Freundfchaft? Gleich in der Ueberfchrift des Ant-
wortfchreibens rief er ihm die fchönen Worte aus Molieres
Mifanthrope zu:
„Moi, votre ami? Rayez cela de vos papiers!“
„Unfer öffentlicher ſowol als BPrivatcharafter zeigt an—
geborene Gramſchaft. Schriftiteller und Kunftrichter, Abälard
und Fulbert, Hamann und ein hartnädiger Mardochai
‘Rs oöx Earl ALovaı zul Avdoaow doxıa nord.
Die güldenen Tage find meines Glaubens noch nicht da,
von welchen e3 Heißt: E3 weilt der Wolf neben dem Lamme
und der Panther lagert neben dem Bode.‘?)
In diefem Briefe, in welchem ihm Mendelsfohn die Freund-
ihaft von vornherein Fündigt und welchen Hamann für die
treffendfte Antwort halten konnte, fordert der für die Literatur-
briefe werbende Mendelsfohn ihn zugleih auf, Dienſte zu
nehmen, d. 5. Mitarbeiter zu werden; er ging jedoch auf die
Einladung nicht ein. Das einladende Schreiben mag ihn ab-
geſchreckt Haben. 3)
Somit hörte die orrefpondenz zwiſchen beiden bald
wieder auf. Nichtsdeftowweniger nahm Hamann an allem Yeb-
haften Antheil, was den Berliner Freund betraf. Als Die
Stunde gefommen war, welche er ihm längſt angekündigt hatte,
und er fi) mit feiner Fromet verheirathete, gratulirte er ihm in
der herzlichiten Weife. „Sch Habe meine vermifchten Empfin-
dungen über die Bermählung des Herrn Mofes nicht befjer
auszudrüden gewußt,“ heißt es in einem feiner Briefe an einen
Unbefannten, „als durch eine fchwärmerifche Parenthefe, und
) Schr. V, 427 ff.
2) Schr. V, 429.
3) Schr. V, 433.
— 166 —
wünſche demfelben im Namen einer herzlichen und vedlichen
Freundichaft bei feiner gegenwärtigen Berfaffung fo viel Zus
friedenheit, daß aller Zorn der neun unbarmherzigen Schweitern,
die man Mufen nennt, dadurch vereitelt werden möge.“?)
Seine grenzenlofe Eitelkeit brachte ihn jedoch wenige
Wochen ſpäter gegen den redlichen Freund wieder auf. Hamann,
welcher, um mit Gervinus?) zu reden, ſich durch die un—
wirdigiten Kleinigkeiten des Privatlebens zu Hundert Flug
blättern zexjtreuen und zerfplittern ließ, und durch verwirrte
Reminiscenzen aus einer confufen Belefenheit zu jenem fpringen-
den Stil in feinen Fragmentchen verführt wurde, den er felbjt
feinen Heufchredenftil taufte, war felbjt gegen feine Freunde
grob, nedijch-tyrannifch und, erhielt er nicht die verlangte Ehre
und Schmeichelei, auf3 höchjte gereizt. Man denke ſich Hamanns
Wuth, daß Mendelsfohn e3 gewagt Hatte, wenige Wochen nad)
Empfang des Gratulationsschreibens, das „Geſuchte und Ge—
fünftelte, das Räthjelhafte und Geheimnißvolle feiner Schreibart“
zu tadeln, daß der ehrliche Jude ihn für einen Schriftiteller
erklärte, der „vermöge feiner Eigenschaften einer der beſten hätte
werden fönnen, durch die Begierde aber, ein Original zu fein,
verführt, einer der tadelhaftejten geworden fei.“‘3) Durch den
ihm von Mendelsfohn ertheilten Rath, Harer und deutlicher zu
Ichreiben, fühlte er ſich aufs tiefite verlet und brach alle Ver—
bindung mit ihm ab.
An feinen „älthetiichen Moſes“ wurde er erjt durch den
„Phädon“ wieder erinnert. Er las ihn und meinte, „daß Die
Borrede Schöner gefchrieben als gedacht ei“, ja er zweifelte in
einem Briefe an Herder, daß der „Phädon“ in der trefflichen
Geſtalt verbefjert werden könne. ?)
. ') Gildemeifter, Hamanns Leben und Schriften (Gotha 1857),
‚372.
2) Gervinus, Gejchichte der poetifhen Nationalliteratur der
Deutjchen, IV, 437.
3) Schr. IV, 2, 403 ff.
4) Herder Lebensbild, I, 2, 243, 257.
— 167 —
Ob der launenhafte Hamann durch den „Phädon“ auch
veranlaßt wurde, ſich des edlen Weifen, welcher ihm bei feiner
zweiten Anmwefenheit in Berlin fo bereitwillig das Geld zur
Fortfegung der Reife vorgefchoffen Hatte,!) wieder anzunehmen?
Nicht gering mag Mendelsfohns Ueberraſchung gewejen fein,
als er plöglic) im September 17702) einen Brief von ihm
erhielt, der dazu noch in dem Tone der acdhtungsvolliten Ver:
trautheit gefchrieben war: „Vergeben Sie es einem alten guten
Freunde, der ſich ehemals um Ihre Buhljchaft befümmerte, daß
er fi) nach fieben oder zehn Jahren ein wenig Ihrer Bater-
Ichaft annehmen darf. Wenn Sie Ihre Kinder Tieb haben und
für felbige noch die Plage der Blattern fürchten müfjen, fo
tragen Sie feinen Augenblid Bedenken, fie dem gejchicdten und
würdigen Manne, dem engliihen Arzte anzuvertrauen, den ich
hierdurch zugleich Ihrer fympathetifchen, philofophifchen und äjt-
hetifchen Denfungsart auf das nachdrüdlichjte empfehle. Geſetzt,
daß Sie auch eben nicht neugierig wären, Liebjter Freund, ſich
um meine gegenwärtige Berfaffung zu erfundigen, jo werden
Sie es theils meinem Mangel an Welt, theild meiner Hypo—
Hondrie zu gute halten, mich hierüber zu erklären.“ Er giebt
ihm fleinliche Details über feine Befchäftigung, feine Häus-
Tichfeit u. dgl. und fchließt mit den Worten: „Sch beforge nicht,
liebfter Freund, daß Ahnen Ddiefer vertrauliche Ton efel und
befchtwerlich fein werde. , Vergelten Sie mir bei einer müfjigen
Stunde mit gleiher Münze und laſſen Sie mich auch etwas
von Ihrer jegigen Lage wiſſen.“
Mendelsfohn antwortete nicht. Gerüchte über das Privat-
leben Hamanns, über das Berhältniß, in welchem er zu
feinem Bauernmädchen gejtanden, deſſen „vollblütige, blühende
und etwas vierjchrötige, eigenfinnige, dumme Ehrlichkeit und
Standhaftigfeit jo vielen Eindrud auf ihn gemacht hatte“, mögen
ihn in feiner ftrengen Gittlichfeit davon abgehalten haben.
) Hamanns Schriften, III, 300.
2) Ebend. V,3 f.
— 168 —
Wie ſich der proteusartige Hamann in fpäteren Jahren
gegen Mendelsfohn benommen, wird uns fpäter bejchäftigen;
zunächſt wollen wir die freundfchaftlichen Beziehungen betrachten,
welche zwijchen Herder, dem Landsmanne und Freunde Hamanng,
und Mendelsjohn ſich bildeten.
Ahtundzwanzigites Kapitel.
Mendelsjohn und Herder.
Mendelsſohns Klar eindringender Verſtand übte auf den
noch jugendlichen Herder den lebhafteſten Eindrud; er jtand
neben Leſſing als fcharfer Denker, gleichfam als Mufterbild
vor der Seele des nach Tebendiger Durchbildung unermüdlich
ringenden Jünglings. Schon früh betrachtete er ihn als den
edlen Gehülfen des als Ideal von ihm verehrten Leifing; ex
liebte Mendelsfohn, weil er der Freund Leſſings war; vor
diefen beiden Männern hegte er die höchfte Verehrung, weil
fie „hell an Geift und rein im Herzen“ die Wahrheit fuchten
und wollten.)
Durch die „Literaturbriefe‘, welche er für das beite
deutfche Journal exklärte,?) war er mit dem faft funfzehn Jahre
ältern Mendelsfohn zuerjt befannt geworden. „Bor allem
bezeuge ich,“ heißt e8 in einem Briefe vom 19. Februar 1767
an den gemeinfamen Freund Nicolai, „dem wiürdigen Berfafjer
der „Literaturbriefe” an Abbts Seite meine Hochachtung: es ift
Herr Moſes Mendelsfohn.‘3)
Seine Zuneigung zu dem Berliner Weifen wuchs, nachdem
er den, durch Nicolai ihm gefchidten „Phädon“,*) dieſes „Für
1) Herder, Zerftreute Blätter, 407.
2) Herders Lebensbild, I, 3, 2, 444.
3) Ebend. I, 2, 223.
‘) Ebend. I, 2, 258.
— 169 —
Menichheit, Gejellihaft, Staat und Philofophie fo wichtige
Merk“, wie er es bezeichnet,!) mit Aufmerffamfeit gelefen Hatte.
„Kein Menſch in der Welt kann Mofes’ Phädon mit näherm
Anhalten, mit Herz und Seele gelefen haben als ich, ſelbſt
Meinhard nicht. Mal nach mal, geſteht er Nicolai am 10. Januar
1769, habe ich mir vorgenommen, an Herrn Mofes deshalb
zu fchreiben, aber immer, da einer meiner Briefe verunglücte,?)
die Feder weggenommen. Ich Habe einen Hauptzweifel, der
mir außerordentlich wichtig fcheint, der ſich von den ältejten
Zeiten unter mancherlei Gejtalten herab fortgepflanzt, der ſogar
im AltertHume der Welt mehr Ohr gefunden hat, als jest, da
ihn unfere Falte nach unferer Religion, in die wir von Jugend
an, ohne zu wiſſen wie weit gefommen find, betäubet — be—
täubet, aber vielleicht nicht widerlegt.“ Er hätte feine Zweifel
längjt in einem PBrivatbriefe an Mendelsjohn vorgetragen; er
wollte aber nicht den „Schatten von einem Zudringlichen borgen“,
fondern lieber feine Bedenken in ein Sofratifches Gefpräch ein-
fleiden und ihm im Manufeript einfenden. „Würde Herr Moſes,“
fragt er Nicolai, „wol nochmals ein Orakel werden, den Sofrates
von den Todten erwecken wollen, um mich zu belehren?“ 3)
Herder hielt treulih Wort. Im April 1769 richtete er
einen Brivatbrief an den neuen Sofrates. Darin jtimmt er
mit dem Verfaffer des „Phädon“ überein, daß die Seele als
denfende Subſtanz unzerjtörbar iſt; unmöglih kann er aber
annehmen, daß fie körperlos fortdauere. „Alles bleibt in der
Natur was es iſt; meine menjchliche Subſtanz wird wieder ein
menschliches Phänomenon, oder, wenn wir Platoniſch veden
wollen, meine Seele baut fich wieder einen Körper.” Daß fort-
) Herders Lebensbild II, 104.
2) Herder hatte Mendelsſohn im Mai 1768 geſchrieben, der Brief
ift jedoch verloren gegangen, vgl. Lebensbild I, 2, 317, 323; II, 1, 323.
3) Ebend. I, 2, 409 f.
4) Der Brief handfchriftlih in der MWeimarifchen Bibliothek, f.
Haym, Herder nad) feinem Leben und feinen Werfen (Berlin, 1880) 1,296 f.
— 170 —
gehende Entwidelung unfere Beſtimmung fei, beweift nichts
dawider, denn jede Kraft entwidelt ſich nur bis zu einer be—
ftimmten Stufe und macht dann einer andern Platz. „Sch ehe,“
Schreibt Herder, „bei feinem Gefchöpfe ein Auffteigen, ich fehe
ein Wechſeln, beit Ihnen fließt der Strom bergan.“
Mendelsfohn anmwortete am 2. Mai 1769 in einem langen
Briefe, in dem er die Einwürfe Herders zu entkräften ſucht.
Auch ex ift völlig überzeugt, daß fein Geift ganz ohne Körper
fein fönne. Eine von aller Sinnlichkeit befreite Seele hält er
mit ihm für eine bloße Chimäre. Das eine begriff er nicht,
wie Herder der Satz befremden fonnte, daß die Ausbildung der
Geelenfähigfeiten des Menjchen Beltimmung auf Erden fei.
Zum Schluß bittet er, den „entfcheidenden Ton, den er zuweilen
angenommen“, zu entjchuldigen; „er iſt das Salz des meta-
phyſiſchen Disputs“. 1)
Mendelsſohns Antwort hat den jungen Theologen, der in
diefer Frage eine mittlere Stellung zwiſchen Materialismus und
Spiritualismus einnimmt, nicht befriedigt; jie ift, wie er von
Nantes aus einem Königsberger Freunde fchrieb, „einem Theile
nad) unnüß, der andere zu jehr auf Stelzen eines Syſtems, auf
das fich Herr Mofes oft zu gravitätiich ſtützt.“?)
Die Eorrefpondenz hatte vorläufig ihr Ende erreicht, wie-
wol Herderd Verehrung vor Mendelsfohn ſtets zunahm; er
Ichäßte feine Aufrichtigfeit, „die fich in jedem Federzuge fchildert“,
erachtete e8 für das höchſte Glüd, von einem ſolchen Manne
perfönlich zu lernen und durch den lebendigen Umgang mit ihm
gebildet und zum Streben aufgemuntert zu werden. Daß e3 zu
feinem innigern Berhältniffe für jest fam, lag in Herders doppel-
artiger Natur. Wie er in einem bejtändigen Schwanfen zwiſchen
Hamann-Lavaterfchem Prophetentgum und Lefjingicher Geiftes-
Harheit, zwifchen poetifcher Sinnigfeit und verjtändiger Kritik,
zwiſchen äjthetifcher Vorliebe für die Offenbarungsreligion und
1) Schr. V, 484 ff.
2) Herders Lebenäbild, 11, 40, 54.
— 11 —
praftifcher Anerkennung des Humanitätsprincips fich befand, wie
überhaupt der Dichter und Theologe in dem munderbariten
Wechſel ſich bald befämpften, bald verjühnten, jo wandte er
fi) bald dem einen, bald dem andern zu. Herder gehört zu
den eigenthümlichen Naturen, deren Empfindungen in Haß oder
Liebe beitehen. Er liebte Hamann und Lavater zu fehr, als
daß er fi) Mendelsfohn näher hätte anfchließen können.
E3 vergingen nun mehrere Jahre, ohne daß beide in
nähere Beziehung zu einander traten. Die neue Ausgabe der
„Philoſophiſchen Schriften” zog den jungen Geiftlichen, der nad)
feiner Nüdfehr aus Franfreih als Negierungsrath und Hof-
prediger an Abbt3 Stelle nach Büdeburg berufen war, ſehr an,
und während der Krankheit, in welche Mendelsjohn verfiel, er—
fundigte ex fich fehr theilnehmend nach feinem Befinden. „Wie
geht es Herrn Moſes?“ fchreibt er im December 1771 an
Nicolai, „und hat man nicht Hoffnung, daß er verjprochener-
maßen feine Papiere fammeln und feine Schriften einmal bei
befjerer Gefundheit fortfegen werde? Deutichland verliert immer
im äfthetiihen und philofophifchen Fade an ihm den erjten
Denter.“')
Neunundzwanzigites Kapitel.
Mendelsſohn und Gleim, Jacobi, Knebel und
Weiße, Schiller und Göthe.
Als eine der füßeften Belohnungen, welche Mendelsfohn
für feine Bemühungen und Leiftungen in den Wiffenfchaften
genoß, betrachtete er den Umgang mit den beiten Köpfen
Deutichlandse. Jede neue Befanntichaft vermehrte fein Ver—
gnügen und gewährte ihm neue Zufriedenheit.2) Und wer ihn
1) Herders Lebensbild, III, 96.
2) Schr. V, 440.
— 172 —
nur einmal geſprochen hatte, war entzüdt von feiner liebens—
würdigen Gefelligfeit, ftaunte über die feine Urbanität, welche
ihm eigen war, und ſchied mit der größten Hochachtung von ihm.
Der biedere gutmüthige Gleim, früh mit Leffing befreundet,
fuchte auch die Freundichaft Mendelsfohns zu gewinnen.
Schon dur die „Briefe über die Empfindungen” und
durch feine Beiträge in der „Bibliothef der fchönen Wiſſen—
ſchaften“ war er einer feiner größten Verehrer geworden. ?)
Gleim ſchickte Mendelsfohn die 1757 von ihm erichienenen
„Lieder, Fabeln und Romanzen‘, welche diefer in der „Bibliothef‘
als muftergültig in der Erzählung preift.2) Im Jahre 1762
machte er die perfönliche Befanntichaft des „Vaters Gleim‘, 3)
und als diefer einige Jahre fpäter Yängere Leit in Berlin
franf daniederlag, befuchte er ihn Häufig. ) Wie freute
ſich Gleim, den „großen Mann Mendelsfohn” einen Abend
bei ich zu Sehen! „Sch Hatte Mittwoch Abend den großen
Mann Mendelsfohn bei mir,“ fchreibt er Knebel am 29. No—
vember 1770 von Berlin aus; „ich wollte ihn nad) Haufe
begleiten, fette mic) zu ihm in den Wagen, mein Bedienter
wollte mitfahren, ich wollte ihm jagen, zu Haufe zu bleiben,
und jtieß mit dem Kopf an das aufgezogene Fenfter, zer-
brach es und machte mir dadurch eine Feine Wunde, fo
ergiebig an Blut, daß ein Held, der die Hälfte davon für das
Baterland vergofjen hätte, wahrlich ein großer Held geweſen
wäre. Der arme Mendelsjohn Hatte davon einen großen
Schreden.“5) Die Freundjchaft Gleims und des durch ihn ein-
geführten Koh. ©. Jacobi, Bruders des Philofophen, war ans
) Schr. V, 114.
2) Schr. IV, 1, 350 ff.
3) N. Berl. Monatsjchrift 1804, ©. 33.
4) Abbts Correfpondenz 336.
5) Knebels literariicher Nachlaß und Briefmechjel, herausgegeben
von VBarnhagen v. Enje und Theodor Mundt (Berlin 1835), II, 59, 62;
Leſſings Schr. XIII, 273.
— 13 —
fangs fo feurig, fo lebhaft, daß Mendelsſohn glaubte, fie könnten
nicht vierundzwanzig Stunden ohne ihn vergnügt fein, und am
Ende reiten fie ab, ohne es ihn auch nur wiſſen zu Yafjen.
„Sch muß es in der That womit verdorben haben,“ heißt es
in einem Briefe Mendelsſohns an Leſſing; „vielleicht, daß
ich mid) der Sache der Kunftrichter zu ſehr annahm, denn dieſe
find jet der Gegenjtand ihrer üblen Laune. Indeſſen Fannte
ich diefe Leute allzu gut und fah bei der Lichtejten Flamme den
Rauch mit ziemlicher Gewißheit vorher‘. ?)
Durch Gleim wurde auch Knebel, Göthes intimer Freund,
mit Mendelsfohn befannt; er bejuchte ihn häufiger und fand
in ihm ſtets mehr „den würdigſten Weifen.‘?)
Den Dichter Chriftian Felix Weiße lernte Mendelsfohn
durch Leffing im Sabre 1757 kennen. Es entſpann fi aud)
bald ein Briefwechfel zwifchen beiden, der uns nicht mehr er-
halten ij. So viel geht aus den erhaltenen Bruchſtücken deut-
Tich hervor, daß Mendelsjohn mit feiner gewohnten Dffenherzig-
feit auch gegen ihn verfuhr und befonders feine iüberreiche
Productivität Scharf tadelte; unter anderm fchreibt er ihm einmal:
„Sie fcheinen mit gar zu großer Leichtigkeit zu dichten. Boileau
hat den Racine gelehrt, fich die Verfe fauer werden zu lafjen.
Sch wünſche Ihnen einen Boileau.‘3)
AS Weiße 1769 zum erjten male Berlin und feinen
dortigen Freund, den Probſt Teller, befuchte, fprach ex auch bei
Mendelsfohn vor und war fehr erfreut, ihn einige Monate
fpäter in Leipzig begrüßen zu fönnen. „Die größte Freude,‘
ichreibt er am 5. Mai 1769 an Herder, „hat mir der Beſuch
des ehrlichen Moſes Mendelsfohn gemacht, der mic diefe Meile
undermuthet überraschte.) Mendelsfohn verfehlte auch nicht,
) Schr. V, 186.
2) Knebels Nachlaß, IL, 26.
3) Weißens GSelbftbiographie (Leipzig 1806), 49, 153, 168.
4) Herders Lebensbild I, 3, 2, 531.
— 114 —
fo oft ex nad) Leipzig fam, den fleißigen Weiße ein Stünd—
chen zu jtören. |
Den Koryphäen Weimars, einem Schiller und Göthe, ftand
Mendelsfohn fern. Schiller intereffirte er als Aejthetifer; feine
äfthetifchen Schriften befanden fich in feiner Bibliothek und die
in dieſelben niedergelegten neuen Ideen wurden von ihm benußt.
Göthe ſchätzte Mendelsfohn al3 Haren eleganten Schrift:
jteller, der bei jeinem Auftreten „allgemeine Theilnahme und Be—
wunderung erregte”;1) er hob an ihm befonders das Bertrauen
auf das eigene Wiffen, auf die Autodidaris, auf die Entfernung
von der Schulphilofophie hervor, weil ex jelbjt jener Empirie
anhing, die das Leben einfach anfchauen mochte und auf eigene
Anſchauung eigene Philofophie gründete. Die Begeijterung,
mit welcher Göthes „Werther“ in ganz Deutichland aufgenommen
wurde, riß auch Mendelsfohn Hin; er las dieſes wunderbare
Erzeugniß deutjcher Sprache und Poeſie gleich nad) dem Er—
Icheinen mit innigem Bergnügen. Hören wir, was Augujt von
Henning darüber berichtet.
„In einem Sonntagmorgen des Jahres 1774 oder 1775
befuchte id) Mendelsjohn in Berlin. Ich fand ihn bewegt.
Haben Sie, fagte er mir, fchon unfern neuen Roman gelefen?
(Damals waren Romane noch mehr als jebt etivag Neues.)
Nein, ſagte ih. Nun fo waffnen Sie fi), fuhr er fort, mit
Ueberlegung, wenn Sie ihn leſen, mich) hat er jehr angegriffen.
Was wollen die Leute, die nichts als Glut erregen, und der
erhitzten Phantafie feinen Führer laffen, um ficher hindurch zu
fommen. Ich bat mir das Werk aus, es waren „Werther
Leiden“, ich fing an zu Iefen. Wie? fagte ich und Tas weiter
und hörte nicht auf zu leſen und las, big ich zu Ende war;
das iſt ja die Gefchichte eines meiner vertrauteften Freunde,
Käftner in Hannover, der als Legationg-Secretär bei der Revifion
des Kammergerichts in Weßlar mir feine Liebe mit feiner Lotte
) Göthes Werfe XXI, 76.
— 15 —
geichrieben und ihre häusliche Lage ganz jo geſchildert hat, als
ich fie hier finde. Mir ift gejagt, erwiderte Mendelsjohn, daß
es die Gefchichte des jungen Jerufalem ift, der fich in Regens—
burg erjchoffen Hat, weil er, wie es hieß, in einer adelichen
Geſellſchaft nicht zugelaffen werden konnte. Nein, es ijt Käjtner!
rief ic) aus; ich will es Ihnen aus. feinen Briefen beweifen.
Ich glaubte ihn in Hannover glücdlich verheirathet, und jet
fehe ich, daß Lotte den Falten Albrecht nicht Tiebt, folglich er
nicht glücklich fein könne.“!)
Zu den Dichtern, welche Mendelsfohn perſönlich Fennen
lernte, gehört außer Leifewiß, dem Verfaſſer des „Julius von
Tarent”, den ihm Lefjing als einen „guten jungen Mann“ aufs
wärmjte empfohlen,?) auch noch der Wiener Alringer. Diejer
junge Poet befuchte ihn im Winter 1784 und richtete fpäter
einige Briefe an ihn. Er gefiel ihm außerordentlich wohl.
„Es iſt ein junger Mann von guter Gefinnung, der mehr ge—
funden Berjtand hat, als er in feiner überjpannten Sprade
der Empfindung zu haben fcheint. Wenn Zeit und Umgang
feinen Enthuſiasmus hHerunterjtimmen werden, fo verjpricht er
viel Gutes.‘ 3)
Dreißigſtes Kapitel.
Mendelsjohn und Wieland.
Bu den Schriftitelleen, welche Wieland befonders ver—
ehrte und mit welchen er in Berbindung zu treten jehnlichit
wünſchte, gehörte, feiner eigenen Berficherung nach, außer Leffing
und Gleim noch Moſes Mendelsfohn. Seine Verehrung für ihn
grenzte faſt an Schwärmerei, obgleich Mendelsfohn „Johanna
Gray“ in der „Bibliothek der ſchönen Wiſſenſchaften“ fcharf
) Hennings, Souvenirs de Berlin (Handidrifttl.).
2) Schr. V, 196.
3) Schr. V, 682, 683,
— 1716 —
getadelt und „Clementina von Porretta“, das „Ding, das Herr
Wieland ein Trauerfpiel nennt“, in den „Literaturbriefen“
geradezu für ein verfehltes Product erklärt Hatte.!) Mit den
bejjeren Schriften Wielands befchäftigte er jich gern und viel .
und zollte ihnen auch bereitwillig feinen Beifall. Bon „Don
Sylvio von Roſalva“ war er ganz entzüdt; nach feinem Dafür-
halten machte diefer neue Don Quixote „Wielanden mehr Ehre,
al3 fein ganzer Wuſt von Heldengedichten“.?) Noch mehr
ergößte ihn feine ſtaats- und gefhichtsphilofophifche Erzählung
„Der goldene Spiegel“. „Was für ein außerordentliher Mann
iſt Shr Freund Wieland!” fchreibt er Zimmermann in Hannover
den 25. Juni 1772: „feit vielen Jahren Hat mich fein Bud)
fo ergößt, als der dritte Theil feines „Goldenen Spiegels“.
Man jieht, der Mann darf nur wollen. Hier zeigen fich der
Weltweife, der Verehrer der Gottheit, der Lehrer der Tugend
und der unnachahmlichſte Schriftiteller in ihrem ftärkjten Lichte‘.?)
Zimmermann madte aus diefem fchmeichelhaften Urtheile Wieland
fein Hehl; wußte er doch, welche Freude er dem Freunde damit
bereitete, denn nicht? war diefem angenehmer, al3 Mendelsjohn
zu gefallen und von ihm gelobt zu werden. „E3 find mir
wenige Geijter in Europa befannt,“ heißt es in feinem Briefe
an Zimmermann, „deren Beifall für mich fo vielen Reiz haben
fönnte, al3 des Heren Mendelsſohns, und wenn etwas wäre,
das mich jtolz machen könnte, fo wäre e3 gewiß, von einem
Mendelsfohn gelobt zu werden.) Aehnlich äußerte er fich
gegen Riedel bald nach dem Exrfcheinen des „Agathon“: „Es joll
mir genug fein prineipibus placuisse viris, und ich habe das
Vergnügen, Ihnen zu jagen, daß Mendelsfohn unter diefen iſt“.*)
1) Schr. IV, 1, 484 ff.; IV, 2, 141 ff.
2) Schr. V, 343.
3) Bei Bodemann, Koh. G. Zimmermann, ©. 286.
4) Briefe von C. M. Wieland (Züri) 1825), 1I, 282, 286.
5) Auswahl denfwürdiger Briefe von C. M. Wieland (Wien 1815),
I, 178, 181. .
— 17 —
Und Mendelsjohn gehörte zu denen, die von „Agathon“ ganz
entzüct waren. „Berfichern Sie die fchöne Metaphyfikerin (als
welche die Piyche im „Agathon“ ihm erfchien) meiner aufrichtigen
Hochachtung,“ Heißt es in einem Briefe an Jakob H. Obereit
in Lindau, den Schügling Wielands; „Liebe würde ich fagen,
wenn zwei Metaphyſiker fich Lieben könnten, bevor fie wiſſen,
ob fie beide aus Einer Schule find.‘t)
Gelbjtverjtändlih befand fi) unter denjenigen, welche
Wieland zu Beiträgen für den von ihm in Verbindung mit
Fr. H. Jacobi gegründeten „Deutfhen Merkur” aufforderte,
auch Mendelsjohn. Um feiner Bitte noch befondern Nachdrud
zu geben, richtete er an ihn folgendes Schreiben, das den
beiten Beweis für die Freundfchaft Liefert, die er für ihn hegte.
„Mich deucht,“ fo beginnt der Brief, „es würde mir um die
Hälfte Leichter ankommen, an Moſes Mendelsfohn zu fchreiben,
wenn wir einander nur eine Viertelſtunde gefehen hätten. Und
gleichwol bin ich unzufrieden mit mir felbit, daß es mir ſchwerer
werden fol, weil wir uns nie gefehen haben. Iſt es denn
wahr, daß wir ung nie gejehen haben? Kennt nicht einer.
des andern beiten Theil? it fein Verftändniß zwiſchen unferen
Seelen? Keine Sympathie zwijchen unferen Herzen? Gehören
wir nicht zu Einer Claſſe? Wo follte man Freunde auf diefem
Erdenrund fuchen, wenn die von unferer Art es nicht wären?
— Es iſt etwas in mir, das alle diefe Fragen beantwortet.
Meine Schüchternheit ift fort. Ich beforge feinen Augenblid
mehr, daß Sie, beiter Mofes, bei diefem Briefe nicht empfinden
follten, was ich empfand, da ich ihn fchrieb. Ach grüße Sie
mit dem heiligen Namen der Freundichaft; mein Herz jagt mir,
daß ich die Ihrige, daß Sie die meinige verdienen. Und nun
fage ich Ihnen nichts weiter über diefen Punkt. Sollten wir
einander nicht fchon Lange fo gut Fennen, um ohne Dolmetjcher
einer in de3 andern Seele zu leſen? Sch fende Ahnen die
ı) Schr. V, 498.
Kanferling, Moſes Mendelsſohn. 12
— 1718 —
Anzeige eines „Deutſchen Merkurs“, den ich unternommen habe...
Sch wage e3 nicht, einen Moſes Mendelsfohn um Beförderung
meine8 Vorhabens, noch weniger um Uebernahme eines fo
mechanifchen Amtes, als das Amt eines Collector3 iſt, zu er-
ſuchen. Er wird jenes ungebeten thun, und vielleicht auch dieſes
feiner nicht unwiürdig halten, wenn er mein Vorhaben billigt.
Aber wenn ic) Sie, mein vortreffliher Freund, erbitten könnte,
nur dann und warn (denn ich kann nicht unbefcheiden fein) den
„Deutſchen Merkur‘ mit Heinen Beiträgen zu bereichern! Wenige
Blätter von Ihnen werden ihm einen jo viel größern Werth
geben. Thun Sie e3, bejter Moſes, machen Sie mich jo glücklich,
wenn e3 anders ohne Ihre Beichwerde gejchehen Fann.“
Die Theilnahme an dem „Merkur“ mußte Mendelssohn
feiner Kränflichkeit wegen danfend ablehnen.
Einunddreißigites Kapitel.
Mendelsſohn und die ſchweizeriſchen Schriftiteller.
„Sie fragen, welches denn die fchweizerifchen Schriftiteller
find, die unter den Deutfchen zuerft angefangen, die Menfchen
in der großen politifchen Geſellſchaft mit wahren philofophifchen
Augen zu betrachten? Sch glaube Ihnen die Namen Sfelin und
Zimmermann mehr al3 einmal genannt zu haben...... —
So beginnt Mendelsſohn den 143. Literaturbrief, in dem er die
1760 erſchienene verbeſſerte Auflage von Zimmermanns be—
rühmter Schrift „Vom Nationalſtolz“ beurtheilt und dieſelbe „in
ihrer neuen Geſtalt für eine der feinſten Ausarbeitungen hält,
die wir im Deutſchen haben.“!)
Zimmermann, der nad) Beendigung feiner medicinifchen
Studien in feinem Geburtsorte Brugg, der aargauifchen „Pro—
1) Schr. IV, 2, 224.
— 19 —
phetenjtadt“, als Stadtrath und Schriftiteller Tebte, bis er im
Juli 1769 einem Rufe als k. großbritannifcher Hofrath und
Leibarzt nad) Hannover folgte, hatte Mendelsjohn früh achten
und ſchätzen gelernt; in feine „Hochachtung für diefen außer-
ordentlic) großen, liebenswürdigen und tugendhaften Lehrer der
Wahrheit und des Gejchmades miſchte ſich,“ wie es in feinem
Briefe an Nicolai vom Juli 1765 heißt, „lo viel Zärtlichkeit,
daß er ſogar mit danfvollem Herzen feine Ruthe küßte.“!)
Bimmermanns „Bom Nationalftolz‘‘ wurde von Mendels-
Tohn ſowol bei dem erjten Exrjcheinen im Jahre 1758 in der
„Bibliothef der jchönen Wiffenfchaften“, als in der neuen Auf-
lage in den „2Literaturbriefen” ſehr günftig beurtHeilt.2) Er
hielt fie für eine Schrift, welche nicht nur mit Gejchmad, fondern
auch mit Einficht, Freiheit und Beurtheilungskraft gefchrieben
iſt und deren Verfaffer man wegen der männlichen Denkungsart
die mangelhafte Diction leicht nachfehen kann. Gleiche populär:
philofophifche Thätigfeit verband Mendelsfohn mit Zimmermann
früh geijtig und ſpäter auch perfönlich.
Iſaak Sfelin in Bafel, einer der edeliten Menfchen feines
Sahrhunderts, den Mendelsjohn als talentvollen Schriftiteller
innig verehrte und deſſen „PBhilofophifche und politifche Verſuche“
er in den „Literaturbriefen“ recenfirt hatte,?) knüpfte im Jahre
1762 einen Briefwechfel mit ihm an.
Mit Sal. Geßner und anderen Schweizern ftand er an
der Spitze einer Gefellfchaft, welche das ideale Streben hatte,
die „Slücjeligkeit der Menfchen und die derfelben geheiligte
Wiſſenſchaft der Gefeßgebung und Moral“ zu befördern. Einer
der eriten, auf die er, als gleiches philanthropifches Stre-
ben verfolgend, fein Augenmerk richtete und zum Beitritt auf-
forderte, war Mendelsfohn. So wenig der befcheidene Mann
aud nad Ehre geizte, jo fühlte er fich doch durch diefe Aus-
1) Bei Bodemann, a. a. D. 293.
2) Schr. IV, 1, 439—457; IV, 2, 224—228.
») Schr. IV, 2, 214 ff.
12*
— 180 —
zeichnung nicht wenig gefchmeichel. „Das Glück, in meiner
dunfeln Entfernung die Aufmerffamfeit eines Weltweifen, eines
Tugendfreundes, einer Gefellfchaft mit ihm vereinigter Weltweifen
erregt zu haben, ijt für mic) das Schmeichelhaftefte, das ich
mir wünſchen konnte,“ heißt es in feiner Antwort an Sfelin
vom 30. Mai 1762,1) „und ich weiß Ihnen für Ihre menfchen-
freundliche Aufmunterung auf feine andere Weife zu danken, als
durch die aufrichtige Verficherung, daß ich mich beftreben werde,
das Zutrauen zu verdienen, welches Sie in meine Kräfte zu
fegen fcheinen. Sch gejtehe es, theuerjter Menfchenfreund! ich
befürchte, Sie machen ſich einen allzu vortheilhaften Begriff von
meinen Talenten. Cie fcheinen mich für fähig zu halten, in
dem Felde, das Sie beeifern und die patriotifche Gefellichaft
mit vereinigten Kräften anzubauen Vorhabens ijt, einen Mit-
arbeiter abzugeben, und ich habe die gegründetjte Urfache, vor—
nehmlich in diefem Stüde in meine Fähigkeiten fein geringes
Mißtrauen zu fegen. Geburt, Erziehung und Lebensart zeigen
ihren Einfluß in die Denkungsart des Menfchen nie jo fehr,
al3 wenn von diefem edlern Theile der Weltweisheit die Rede
it... Die bürgerliche Unterdrüdung, zu welcher ung ein zu
ſehr eingeriffene® Vorurtheil verdammt, Liegt wie eine todte
Laſt auf den Schwingen des Geijtes und macht fie unfähig,
den hohen Flug de3 Freigeborenen jemals zu verfuchen.“ Um
fih Sfelin gefällig zu zeigen, Eiimdigte er den Plan der Gefell-
ihaft in den „Literaturbriefen” an. Er machte ihn auf Sulzer,
der, ein geborener Schweizer, „ſeinem Waterlande fo viel Ehre
bringt“, aufmerffam, brachte ihm feinen Freund Abbt und
Karl Fr. von Mofer, der als Schriftiteller auf dem Gebiete
des Staats- und Völkerrechts fchon einen Namen Hatte, in
Vorſchlag; er felbjt aber fonnte und wollte nicht Mitglied einer
patriotifchen Gefellfchaft werden.
Bier Jahre ſpäter wandte fich Sfelin abermal3 an Mendels-
) Schr. V, 435 ff.
— 1831 —
Tohn, diefe8 mal mit dem Projecte des „Zugendbundes‘, dem
er aus inneren Gründen nicht beipflichten fonnte, „Welch ein
Verdienſt um die Glücfeligfeit des menschlichen Gejchlechts,
wenn e3 möglich wäre, diefe Tugenden durch gemeinfchaftliche
Bemühungen und öffentliche Anftalten zu befördern!“ heißt es
in feinem Schreiben an Sfelin vom 1. Suni 1766.1) „Allein,
ich entfage mich nicht, mein verehrungswürdiger Freund! Ihnen
unter und zu gejtehen, daß ich die Möglichkeit Hiervon im
Zweifel ziehe und wenigjtens den Weg, den der Stifter dieſer
Geſellſchaft einzufchlagen gedenft, nicht für den nützlichſten und
Hequemjten Halten fann. Man fagt: chaque société choisira
lies moyens les plus praticables et les plus surs pour
verifier les faits qui seront.venus à sa connaissance Wie
ift das aber bei Privattugenden möglich zu machen? Diefe
bejtehen felten in einzelnen entjcheidenden Handlungen, davon
die Umftände fo Leicht zu erörtern find; nein! diefen Vorzug
Haben die eclatanten heroifchen Tugenden, die in dem gemeinen
Leben zwar auch vorkommen, aber doch fehr jelten, und wenn
fie fich vereinigen, noch niemals unterlaffen haben, bemerft und
öffentlich befannt zu werden. Das große Verdienjt der mehriten
Privattugenden liegt in der Dauer und in dem Anhalten des
Wohlwollend, in der Ueberwindung vieler Kleiner Hindernifje
und Schwierigkeiten, die fi) der Beförderung des Guten in
den Weg legen, in einer Reihe von Handlungen, deren jede
Die Neugier wenig reizt, die aber, in ihrem ganzen Umfange
betrachtet, eine beiwunderungswürdige Bejtändigfeit im Guten zu
erkennen geben. Man muß von unendlich vielen Umſtänden,
fajt von dem ganzen Leben eines Privatmannes unterrichtet fein,
um den Werth feiner häuslichen Tugenden richtig zu ſchätzen.
Welcher Beobachter kann feine Genauigkeit jo weit treiben?
Und wenn er es thut, wie will er das Publikum von der
) Diefer Brief wurde erft 1870 in den Philoſ. Monatsheften
V, 76 ff. zuerft veröffentliht; f. auch mein: Moſes Mendelsjohn.
Ungedrudtes und Unbekanntes von ihm und über ihn. ©. 3 ff.
— 12 —
Nichtigkeit feines unendlichen Details verfihern? Noch mehr?
Selbjt diefes, daß die Tugenden de3 gemeinen Lebens in den
Schranken eines Kleinen Cirkels bleiben, giebt ihnen eine gewiſſe
Grazie, die ihren Werth unendlic, erhöht. Sobald ſich Gleisnerei
und Dftentation mit in das Spiel mifchet, fo verfchwindet ein
großer Theil von ihrer Anmuth.
Endlich was für ein gezwungenes und ängjtliches Wefen
bringt man in das gefellfchaftliche Leben der Menfchen, wenn
man fich zum voraus als Kundſchafter und Nichter ihrer ge—
heimften Neigungen und Handlungen anfündigt. Der zärtlichite
Freund, der Vertrautefte meines Herzens, macht mic) fchüchtern
und zurücdhaltend, fobald ich die Abficht merke, warum er mich
jo genau beobachtet.”
Das Andenken diefes wahren Weifen follte jedem feiner
Beitgenoffen, der Tugend und Wahrheit werthichägt, unvergeß-
lich jein! fchreibt Mendelsfohn ein Jahr nad) dem Tode diejes
vortrefflihen Mannes, deſſen Briefwechlel ihm zur wahren
Freude gereichte.
Weit geringere Freude bereitete ihm der Beſuch eines
andern Schweizers, de3 jungen Lavater.
Achtes Bud).
Lavater.
Zweiunddreißigſtes Kapitel.
Erſte Bekanntſchaft und Bekehrungsverſuch.
Es war Anfang April 1763, als ein junger Geiſtlicher
aus Zürich nach Berlin kam, um die dortigen berühmten Männer
perſönlich kennen zu lernen. In Begleitung ſeines Landsmannes
Sulzer und zweier anderer Freunde ſtattete er auch Mendels—
ſohn einen Beſuch ab. Er wußte ſich Liebe und Zutrauen im
erſten Augenblicke zu erwerben; er war fo freundlich und ſchonend,
ſo ſegnend und erhebend, wie Göthe ſich ausdrückt; es koſtete
dieſen jungen Propheten nichts, ſich bis zur niederträchtigſten
Schmeichelei zu aſſimiliren, um ſeine Klauen nachher deſto ſicherer
einſchlagen zu können.!)
Die Unterredung, welche Mendelsſohn mit dem jungen
Geiſtlichen und deſſen Freunden auf ſeiner Stube führte, drehte
ſich anfangs um ganz gleichgültige Dinge; es dauerte jedoch
nicht lange, ſo lenkte dieſer das Geſpräch auf Religionsſachen.
Er war begierig, die Anſichten des ſeltenen Juden über eine
Angelegenheit zu erfahren, welche „dem Herzen beſonders ſo
wichtig iſt“. Verſicherungen wurden gegeben, daß von der Unter—
) Briefwechjel zwifhen Schiller und Göthe, I, 225.
— 14 —
vedung nie öffentlich Gebrauch gemacht werden follte, und im
Bertrauen auf Verſchwiegenheit gab Mendelsjohn endlich den
dringenden Bitten des Fremden nah. Mit Anerkennung ſprach
er von der Berfon des Stifters der chriftlichen Religion und
von der Achtung, welche er vor defjen moralifchem Charakter
begte, „wenn Jeſus von Nazareth nicht? mehr als ein tugend-
hafter Mann hätte fein wollen“.
Boll enthufiaftiicher Bewunderung ſchied von Mendelsfohn
diefer zweiundzwanzigjährige Geiftliche, der fein anderer mar,
al3 der, welchen Göthe in der Xenie „der Prophet” jo treffend
zeichnet: |
„Schade, daß die Natur nur Einen Menſchen aus Dir jhuf;
Denn zum würdigen Mann war und zum Schelmen der Stoff.‘
Sohann Kaspar Lavater, das ift der Name des fremden
Schweizer, war die Befanntichaft Mendelsfohns mehr werth,
al3 viele andere, die er bereit3 auf feiner Reife gemacht Hatte.
Freudig berichtete er am 18. April 1763 dem Kanonicug Brei-
tinger in Zürich, daß er „den Juden Mofes, den Berfaffer der
„Bhilofophifchen Gefpräche“ und der. „Briefe über die Empfin-
dungen“, fennen zu lernen die Ehre gehabt hätte. „Eine Teut-
felige, Teuchtende Seele in durchdringendem Auge und einer
äfopifchen Hülle; fehnell in der Aussprache, doch plötzlich durch
ein Band der Natur im Laufe gehemmt. Ein Mann von
Icharfer Einficht, feinem Gefchmade und ausgebreiteter Wifjen-
Ichaft. Ein großer Verehrer denfender Genies und felbjt ein
metaphyfiicher Kopf. Ein unparteiifcher Beurtheiler der Werke
des Geiftes und Geſchmacks; vertraulih und offenherzig im Um—
gange, befcheidener in feinen Reden als in feinen Schriften und
beim Lobe unverändert; ungezwungen in feinen &eberden, ent-
fernt von ruhmbegierigen Kunftgriffen niederträchtiger Seelen,
freigebig und dienſtfertig. Ein Bruder feiner Brüder, der Juden,
gefällig und ehrerbietig gegen fie, auch) von ihnen geliebt und
geehrt.‘ ?)
1) Gefner, Lavaters Lebensbejchreibung (Winterthur 1802), I, 1917.
— 1855 —
Man fieht, welchen tiefen Eindrud Mendelsfohn auf ihn
gemacht Hatte!
Nicht der geſchickteſte Maler kann ein in den einzelnen
Zügen treffenderes, ausgeprägtere® Bild liefern, als Lavater
von Mendelsfohn in feiner „Phyſiognomik“ entworfen hat. „Ver—
muthlich kennſt Du diefe Silhouette? Ich kann Dir's kaum ver-
hehlen. Sie ift mir gar zu lieb, gar zu fprechend! ... Kannſt
Du jagen, kannſt Du einen Augenblid anftehen, ob Du jagen
wollteft: „Vielleicht ein Dummkopf! Eine rohe gefchmadlofe
Seele!“ Der fo was fagen könnte, ertragen fönnte, daß ein
anderer e3 fagte, der fchließe mein Buch zu, werf' es von ſich
— und erlaube mir, meinen Gedanken zu verwehren, daß ic)
nicht über ihn urtheile! Ich weide mich an diefen Umrifjen!
Mein Blid wälzt fih von diefem herrlichen Bogen der Stirne
auf den fcharfen Knochen des Auges herab .... In diefer
Tiefe des Auges fit eine fofratiiche Seele! Die Beftimmtheit
der Nafe, der herrliche Uebergang von der Nafe zur Oberlippe
— die Höhe beider Lippen, ohne daß eine über die andere
hervorragt. D wie alles dies zufammenjtimmt, um die gött-
Yihe Wahrheit der Phyſiognomik fühlbar und anschaulich zu
machen.‘ 1)
Schwärmeriſch wie er war, liebte er ſchwärmeriſch diefen
Mann mit dem fchön gebildeten Kopfe, aus deſſen Auge Geift
und Liebe fprühte, diefen Moſes, den er nur einige male be-
fucht Hatte und den er feinen Freund eigentlich gar nicht nennen
fonnte.?) Nichts wünfchte der junge Schwärmer fehnlicher, als
Mofes für,das Chriftentgum zu gewinnen. Der Berliner jüdifche
Philofoph war ihm nicht aus dem Sinn gekommen; er wartete
nur eine günftige Gelegenheit ab, um feinen chriftlichen Eifer
entbrennen zu lafjen. Apoſtoliſche Wirkſamkeit war feine Luft;
er dünkte fich der Stellvertreter Petri auf Erden und ließ fich
1) Lavater, Phyſiognomiſche Fragmente (Leipzig: Winterthur 1775),
I, 243.
2) Leſſings Schr. XIII, 231.
— 186 —
zumeilen wie einen Heiligen verehren;') er wollte, wie Göthe
von ihm rühmt, den geiftlichen, chriftlicden Kophta fpielen, fich
am liebſten jelbjt für Chriftus halten.) Dem denfenden Wahr-
heitöfreunde, den er in Mendelsfohn verehrte und Tiebte, glaubte
er e3 jchuldig zu fein, feiner Unterfuhung das zu unter-
werfen, was ihm ſelbſt das Heiligfte war, Mendelsfohn zur An-
nahme des Chriſtenthums zu bewegen. Ein AJude, dachte er,
der Locke, Leibniz und Wolff jtudirt, der aus den Schriften
diefer chriſtlichen Philofophen die Heiligiten Wahrheiten gefchöpft,
auf fie feine Gflücfeligfeit gegründet Hat; ein Jude, der deutjche
Werke verfaßt, mit hriftlichen Gelehrten umgeht, der auch Jeſus
Hochachtung zollt, ein folder Jude muß dem Chriſtenthume nicht
fo gar fern jtehen.
Der „Phädon“ war ganz geeignet, ihn in feiner beichränf-
ten Anfiht zu beſtärken. Mendelsfohn mwollte die perfönliche
Fortdauer des Menſchen nach dem Tode beweifen, da ſich doc)
alles Jenſeitige nur glauben, nicht beweifen läßt, und berührte
fo, ohne es zu willen und zu wollen, das Gebiet der Religion.
Dur den „Phädon“ hat er zuerjt mit den Orthodoren ange-
bunden, jie pochten und polterten auf die Unmentbehrlichkeit einer
wunderbaren Offenbarung für den Glauben der Unjterblichkeit;
ihnen war ein auf Vernunft beruhender Beweis für diefe Lehre
ein Dorn im Auge. Den frommen Theologen wäre es weit
lieber gewejen, Mendelsjohn hätte es einem Philofophen über:
lafjen, einen „Phädon“ nad) den Grundfägen der Vernunft ab-
zufaffen und dafür den Beweis der Unfterblichfeit aus der hei—
ligen Schrift geführt. ?)
Seit jenem Befuche waren ſechs Jahre vergangen, als Lavater
1) Hegener, Beiträge zu Lavater, 224.
2) Göthes Werke, XXVI, 296.
3), Ein evangelijcher Prediger hielt es für Pflicht, gegen den Men—
delsſohnſchen „Phädon“ die Unfterblichkeit der Seele aus dem A. T. zu
beweijen in dem längjt veraeffenen Buche: Heman, über die Unfterblich:
feit der Seele nad moſaiſchen Grundfägen in drei Gefpräden: Herrn
M. Mendelsjohn zugeeignet. Leipzig 1773.
— 1897 —
feinen Borfag endlich ausführte: er überfegte die Schrift „Unter-
fuhung der Beweife für das Chriſtenthum“ des Genfer Philo-
fophen Bonnet au dem Franzöfifchen!) und widmete fie Men-
delsfohn mit einem offenen Briefe, welcher folgendermaßen lautet:
„Sch weiß die Hodhadtung, die mir Ihre fürtrefflichen
Schriften und Ihr noch fürtrefflicherer Charakter, eines Iſrae—
liten, in welchem fein Falſch ift, gegen Sie eingeflößt haben,
nicht bejjer auszudrüden und das Vergnügen, das ich vor
einigen Jahren in Ihrem Tiebenswürdigen Umgange genofjen,
nicht beſſer zu vergelten, al3 wenn ich Ihnen die bejte philoſo—
phifche Unterfuhung der Beweiſe für das Chriſtenthum, die mir
befannt ijt, zueigne.
Sch kenne Ihre tiefen Einfichten, Ihre ftandhafte Wahr-
heitzliebe, Ihre unbejtechliche Unparteilichkeit, Ihre zärtliche
Achtung für Philofophie überhaupt und die Bonnetfchen Schrif-
ten bejonders, und unvergeßlich iſt mir jene fanfte Befcheiden- _
heit, mit welcher Sie, bei aller Ihrer Entferntheit von dem
Chriſtenthum, dafjelbe beurteilen, und die philofophijche Ach—
tung, die Sie in einer der glücklichſten Stunden meines Lebens
über den moralifchen Charakter feines Stifter bezeugt haben;
fo unvergeßlich und dabei fo wichtig, daß ich es wagen darf,
Sie zu bitten, Sie vor dem Gotte der Wahrheit, Ihrem und
meinem Schöpfer und Vater, zu bitten und zu beſchwören: nicht,
diefe Schrift mit philofophifcher Unparteilichkeit zu leſen, denn
da3 werden Sie gewiß, ohne mein Bitten, ſonſt tun, fondern
diefelbe öffentlich zu widerlegen, wofern Sie die weſent—
lichen Argumentationen, womit die Thatjachen des Chriſtenthums
unterjtügt find, nicht richtig finden: dafern Sie aber diefelben
richtig finden, zu thun, was Klugheit, Wahrheitsfiebe, Redlich-
feit Sie thun heißen, was Sofrates gethan hätte, wenn ex dieje
Schrift gelefen und unwiderleglich gefunden hätte.“
Das Werf, das „noch naß von der Preſſe war‘, begleitete
) Zürich 1769,
— 188 —
er mit wenigen Worten und ſandte es am 4. September 1769
an Mendelsſohn.) Er glaubte in feiner Schwärmerei, daß
Mendelsfohn nicht widerlegen und fi) ohne weiteres zum
Chriſtenthum befennen, daß dem Beifpiele des edlen Weifen
dann auch feine Glaubensbrüder folgen würden; das taufend-
jährige Reich, für das der Züricher Diafonus glühte, wäre
dann duch ihn herbeigeführt.
Lavaters Indiscretion und jeſuitiſche Schlauheit berührte
Mendelsfohn aufs fchmerzlichite; er fand in ihr ebenfomwol eine
Berdächtigung feines Charakters als eine Mißachtung feiner Re—
ligion. Mehr als alles kränkte e3 ihn, daß er fich in die Noth-
wendigfeit verfeßt ſah, die öffentlich an ihn ergangene Aufforde-
rung auch in derjelben Weife zu beantworten.
Bevor Mendelsfohn noch ein Wort erwidert hatte, war die
Kunde von diefen peinlichen Vorfalle zu feinen Freunden, nah
‚und fern, gelangt.
An Leffing, damals noch in Hamburg, fehrieb fein Bruder
Karl den 26. October: „Moſes hat eine fonderbare Begebenheit
mit Zavatern, der vor einigen Jahren Hier geweſen ijt. Sie
haben fich mit einander von Religionsfachen unterhalten. Hiervon
nimmt der epifche Dichter des Fünftigen Lebens Gelegenheit,
Moſes aufzufordern, entweder die Bonnetfchen Beweife für die
Hriftlihe Religion zu widerlegen, oder fich öffentlich zur chrift-
lichen Religion zu befennen. Diefe gedrudte Aufforderung ärgert
den guten Moſes nicht wenig, und, wie er mir gejagt, wird er
Lavatern aus den Bonnetichen Gründen felbjt beweifen, daß er
nicht3 als ein Jude fei, und daß die Schwärmereien eines polnijchen
Juden, welcher fi) vor einigen Jahren für den Meſſias aus—
gab, ebenfo zu rechtfertigen wären; zugleich wird er ihm er-
flären, daß er fich in Neligiongitreitigfeiten nicht einlaſſe. Ich
dächte, ein für allemal fünnte wol Mofes ohne alle Umwege
mit den deutlichjten Worten fein Glaubensbefenntniß ablegen...
1) Schr. III, 81.
— 189 —
Wenn fi) doch die Unaufgeflärten und Aufgeflärten um das
GSeelenheil der Menfchen, wie Moſes, unbekümmert Tiefen!
Aber das ift num ihr Los, zu plaudern, wo andere jo gern
fchweigen!‘“t)
Herder erfuhr es durch Nicolat im November mit der Be-
merfung, daß Mendelsfohn fehr befcheiden, aber freimüthig ant-
worten würde. „Herr Lavater hat fi alle Folgen felbjt zu—
zufchreiben. Sie wiffen, daß wer bisher in Deutfchland von
der Religion gefchrieben, immer aus einem gewiſſen theologifchen
Zon geſprochen hat. Mofes wird jet in die Nothiwendigfeit
gejegt, anders zu fprechen, und diefes wird gewiß einen Erfolg
auf die Zukunft haben. Inzwiſchen wird er feine Antwort fo
einrichten, daß er Fünftig auf weitere Aufforderungen fein Wort
fagen darf.“ ?)
Nicht allein Nicolai, Leſſing und Herder, welcher Lavater
für einen verblendeten Enthufiaften und Fanatiker erflärte, 3)
fondern auch alle Berliner Theologen, alle, die von dem ſelt—
famen Borfalle hörten, mißbilligten den übereilten Schritt.
Bonnet tadelte ihn, und Lavater felbft wünſchte, daß er ihm
mehr Ueberlegung hätte vorangehen laſſen. Er bat Mendels—
fohn um Verzeihung, „daß er den unrechten Weg eingefchlagen
habe, ihm zu zeigen, wie ex ihn Liebe, hochichäße, fein Glück in
der gegenwärtigen und zufünftigen Welt innigft wünfche‘.*)
Die Reue fam zu fpät. Mendelsfohn war es feiner inner-
ften Weberzeugung, feiner Ehre und feinem Namen fchuldig,
öffentlich zu erwidern.
») Leifings Schr. XIII, 19.
2) Herders Lebenäbild, II, 101.
) Ebend. 106.
9 Schr. III, 82.
— 1% —
Dreiunddreißigftes Kapitel
Mendelsſohns Ermwiderung.
Nachdem Mendelsfohn die erſte Aufregung überwunden
hatte, unterzog ex fich der fchwierigen Aufgabe, dem öffentlichen
Herausforderer öffentlich Rede zu jtehen.
Man denke fi), wie dem friedfertigen Manne dabei zu
Muthe geweien fein mag. Er war ein abgejagter Feind aller
Streitigfeiten; feine Religion, feine Philofophie und fein Stand
im bürgerlichen Leben gaben ihm die wichtigjten Gründe an
die Hand, forgfältig alle Religionzjtreitigfeiten zu vermeiden.
„Meinetwegen,‘ fagte er, „hätte das Judenthum in jedem pole-
mifchen Lehrbuche zu Boden geftürzt und in jeder Schulübung
im Triumph aufgeführt werden mögen, ohne daß ich mich hier-
über jemal3 in einen Streit eingelaffen haben würde. Ohne
den mindeften Widerfpruch von meiner Seite hätte jeder Kenner
oder Halbfenner des Rabbinifchen aus Schartefen, die Fein ver—
nünftiger Jude lieſt noch Fennt, ſich und feinen Leſern den
lächerlichjten Begriff vom Judenthume machen mögen.“ Die
verächtliche Meinung, die man damals von einem Juden Hatte,
wünjchte er duch Tugend, nicht aber durch GStreitjchriften zu
widerlegen.?)
Nach diefen Grundfägen war er entfchloffen, ruhig feines
Weges zu gehen. BPrivataufforderungen verehrungswürdiger
Männer überging er mit Stillihweigen, und die „Zunöthigung“
feiner Geifter, die fich nicht fcheuten, ihn feiner Religion wegen
öffentlich anzutaften, verachtete er; allein die feierliche Be—
Ihwörung eines Lavater nöthigte ihn, feine Gefinnungen öffent:
lich an den Tag zu legen, damit, wie er fich ausdrüdt, niemand
ein zu weit getriebenes Stillſchweigen für Verachtung oder Ge-
jtändniß halte. 2)
1) Schr. III, 42.
2) Schr. III, 47.
— 191 —
Mit Zittern ergriff er die Feder, um dem zudringlichen
Geijtlihen zu erwidern; das mißliche der Lage, in der er ſich
befand, fühlte er nur zu gut. Mußte er einerfeit3 mit aller
Entichiedenheit und Offenheit die ihm gejtellte Zumuthung zurüd-
weifen, jo nöthigten ihn andererjeit3 äußere Umftände, mit mög-
lichſter Schonung zu verfahren. Wie immer er aber fein Ant-
wortjchreiben einrichtete, eine Polemik gegen die chriftliche Reli-
gion war unvermeidlich. Eben diefes machte ihn gleich anfangs
beforgt: er fürchtete die Cenfur. Daher fragte er, bevor er
aud noch ein Blatt dem Drude übergab, bei dem Conſiſtorium
an, welchem der Herren Räthe er die einzelnen Blätter feiner
Antwort an Lavater vorzulegen habe, oder ob man es ihm frei
ftellen wolle, das Ganze nad) der Vollendung dem Gefammt-
Eonfiftorium zur Beurtheilung zu überreichen. Er erhielt Hier-
auf folgenden Beſcheid:
Herr Mofes Mendelsfohn könne feine Schriften druden laſſen,
ohne fie einzeln oder vollendet dem Conſiſtorium zur Cenſur
vorzulegen, weil man von feiner Weisheit und Befcheidenheit
überzeugt fei, er werde nichts jchreiben, das öffentliches Aerger—
niß geben könnte;
ein Beſcheid, der Hinlänglich beweilt, in welch hohem Anfehen
Mendelsfohn bei den geijtlihen Behörden der Refidenz jtand.t)
Aber auch nur ein Mendelsfohn war im Stande, die Ge—
fühle tiefer Beleidigung und die Regungen perjünlicher Kränfung
niederzuhalten und mit einer jtaunenerregenden Ruhe und Milde
in einer fo wichtigen Angelegenheit die Feder zu führen. Sein
Antwortjchreiben ift ein Muſter von ftoifcher Ruhe und dialee—
tifcher Feinheit; es ift, wie der Erbprinz von Braunfchweig fich
ausdrückt, „mit dem Glimpf und Grad der Menfchenliebe ge-
fchrieben, welche man im voraus zu erwarten hatte von einer
von göttlihen Wahrheiten jo durchdrungenen Seele.“?) Nicht
genug bewundern kann man den wahrhaften Adel feiner Ge-
) Schr. I, 20; val. V, 594.
2) Schr. III, 188.
— 192 —
finnung, der jede Spur eines perfünlichen Grolls aus feiner
Geele verdrängte und über fein Schreiben nur jene elegifche
Stimmung verbreitete, die gewiljermaßen der Ausdruck eines
großen Gefammtfchmerzes ift, den er über die Mißachtung feiner
Religion und ihrer Befenner nicht unterdrücden fonnte,
Großmüthig legt er der Aufforderung Lavaterd die beften
Motive zu Grunde „Ich bin völlig überzeugt,“ Heißt es in
dem eriten Schreiben an den Herrn Diakonus Lavater zu Zürich,?)
„daß Ihre Handlungen aus einer reinen Quelle fließen, und
fann Shnen feine andere, al3 Tiebreiche menfchenfreundliche Ab—
fihten zufchreiben. Ich würde feines vechtichaffenen Mannes
Achtung würdig fein, wenn ich die freundfchaftlihe Zuneigung,
die Sie mir in Ihrer Zufchrift zu erkennen geben, nicht mit
danfbarem Herzen erwiderte. Aber leugnen kann ich es nicht,
diefer Schritt von Ihrer Seite hat mich außerordentlich be-
fremdet. Sch hätte alles eher erwartet, al3 von einem Lavater
eine öffentliche Aufforderung ..... . Was hat Sie bewegen
fönnen, mich wider meine Neigung, die Ihnen befannt war,
aus dem Haufen Hervorzuziehen und auf einen öffentlichen
Rampfplag zu führen, den ich fo fehr gewünfcht, nie betreten
zu dürfen? Und wenn Sie aud; meine Zurüdhaltung einer
bloßen Furchtſamkeit oder Schüchternheit zugefchrieben Haben,
verdient eine ſolche Schwachheit nicht die Nachſicht und Die
Schonung eines jeden liebreichen Herzens ?“?)
Was nun die Zumuthung jelbjt betrifft, jo erklärte er, daß
er feine Religion nicht erſt feit gejtern zu unterfuchen ange-
fangen. „Die Pflicht, meine Meinungen und Handlungen zu
prüfen, habe ich gar frühzeitig erfannt, und wenn ich von früher
Jugend an meine Ruhe- und Erholungsjtunden der Weltweis-
heit und den ſchönen Wifjenfchaften gewidmet habe, jo ijt es
einzig und allein in der Abficht gefchehen, mich zu dieſer fo
) Berlin, Nicolai, 1770. (32 ©.); Schr. III, 37— 49; ins Hebräiſche
überfegt und erklärt von N. 9. Weſſely (Handſchr., 13 ©., unedirt).
2) Schr. III, 39 f.
— 193 —
nöthigen Prüfung vorzubereiten. Andere Bewegungsgründe kann
ich hierzu nicht gehabt haben. In der Lage, in welcher ich
mich befand, durfte ich von den Wiffenfchaften nicht den min-
dejten zeitlichen WVortheil erwarten. Ich wußte gar wol, daß
für mid) ein glüdliches Fortlommen in der Welt auf diefem
Wege nicht zu finden fei. Und Vergnügung? O mein werth-
geichägter Menjchenfreund! Der Stand, welcher meinen Glaubens-
brüdern im bürgerlichen Leben angewiefen worden, ift fo weit
von aller freien Uebung der Geiftesfräfte entfernt, daß man
feine Zufriedenheit gewiß nicht vermehrt, wenn man die Rechte
der Menschheit von ihrer wahren Seite fennen lernt.
Wäre nach diefem vieljährigen Forſchen die Entſcheidung
nicht völlig zum Vortheile meiner Religion ausgefallen, fo hätte
fie nothwendig durch eine öffentliche Handlung befannt werden
müfjen. Ich begreife nicht, wa mid) an eine, dem Anfehen
nach jo überjtrenge, jo allgemein verachtete Religion feſſeln
fönnte, wenn ich nicht im Herzen von ihrer Wahrheit überzeugt
wäre. Das Refultat meiner Unterfuchungen mochte fein, welches
man wollte, fobald ich die Religion meiner Väter nicht für die
wahre erkannte, jo mußte ich jie verlaffen. Wäre ich im Herzen
von einer andern überführet, jo wäre e3 die verworfenſte Nieder-
trächtigfeit, der innerlichen Ueberzeugung zum Troß, die Wahr-
heit nicht befennen zu wollen. Und was fünnte mic) zu diefer
Niederträchtigkeit verführen? Ich Habe ſchon befannt, daß in
diefem Falle Klugheit, Wahrheitsliebe und Redlichfeit mic) den-
ſelben Weg führen würden.
Wäre ich gegen beide Religionen gleichgültig und verlachte
oder verachtete in meinem Sinne alle Offenbarung, jo wüßte
ich gar wol, was die Klugheit räth, wenn das Gewiſſen fchweigt.
Was könnte mich abhalten? Furcht vor meinen Glaubensge-
nofjen? Ihre weltliche Macht ijt allzu geringe, als daß fie mir
fürchterlich fein könnte. Eigenfinn? Trägheit? Anhänglichkeit
an gewohnte Begriffe? Da ich den größten Theil meines Lebens
der Unterfuchung gewidmet, jo wird man mir Ueberlegung ge—
Kayſerling, Moſes Mendelsjohn. 13
— 194 —
nug zutvauen, folchen Schwachheiten nicht die Früchte meiner
Unterfuchungen aufzuopfern. Sie fehen alfo, daß ohne auf-
richtige Ueberzeugung von meiner Religion der Erfolg meiner
Unterfuhung fi in einer öffentlichen Thathandlung hätte zeigen
müffen. Da fie mid) aber in dem bejtärfte, was meiner Väter
it, fo fonnte ich meinen Weg im Stillen fortwandeln, ohne der
Welt von meiner Weberzeugung Rechenſchaft ablegen zu dürfen.
... Ich bezeuge hiermit vor dem Gott der Wahrheit, Ihrem
und meinem Schöpfer und Erhalter, bei dem Sie mid). in
Ihrer Zufchrift befchtvoren haben, daß ich) bei meinen Grund:
fäben bleiben werde, jo lange meine Seele nicht eine andere
Natur annimmt.‘“!) |
Nachdem Mendelsfohn nun dargelegt, daß das Judenthum
eine Propaganda für die Verbreitung feiner Lehre nicht allein
nicht gejtattet, fondern ſogar verbietet, wirft er zum Schluß
feines Antwortfchreibend einen Blid auf die ihm Ddedicirte
Bonnetiche Schrift felbjt. Nicht genug wundern kann er fich,
daß Lavater diefe Schrift für Hinlänglich hielt, einen Menfchen
von feinen Grundfäßen zu überzeugen; er befennt ihm, daß er
fo manche Bertheidigung der chriftlichen Religion von Deutſchen
gelefen habe, die weit grümdlicher und philojophifcher gewesen,
daß die meiſten Hypotheſen Bonnet3 auf deutfchem Grund und
Boden gewachſen feien, ja daß er mit denfelben Gründen, wo—
mit Bonnet das Chriſtenthum beweift, jede Religion vertheidigen
wolle.?) „Wenn darauf gedrungen wird,“ jo jchließt Mendels-
fohn, „jo muß ich die Bedenklichfeiten aus den Augen een
und mich entfchliegen, in ©egenbetrachtungen meine Gedanken
über des Herrn Bonnet Schrift und die von ihm vertheidigte
Sache öffentlich befannt zu machen. Sch Hoffe aber, daß Sie
mich dieſes unangenehmen Schrittes überheben und lieber zu—
geben werden, daß ich in die friedfame Lage zurückkehre, die
mir fo natürlih iſt. Sch möchte nicht gerne in Verſuchung
1) Schr. III, 40 ff.
2) Schr. II, 47 f.
— 195 —
Tommen, aus den Schranken zu treten, die ich mir mit jo gutem
Vorbedachte ſelbſt gefegt habe.“!)
Dieſes vom 12. December 1769 datirte Schreiben, das
Mendelsſohn am 24. December mit einigen freundlichen Zeilen
nach Zürich ſchickte, überzeugte Lavater völlig, daß er gefehlt,
daß das Dringende und Unbedingte ſeiner Aufforderung für
alle Zeiten ein Fehler bleiben würde. Er fand in dieſen wenigen
Blättern Geſinnungen, die ihm Thränen aus den Augen lockten;
es ſchmerzte ihn, daß er dem edelſten Menſchen wider ſeine Ab—
ſicht Verdruß verurſacht hatte, und in ſeinem Antwortſchreiben?)
beſchwor er ihn vor der ganzen Welt, ihm das Allzudringende,
das Fehlerhafte in ſeiner Zuſchrift zu verzeihen. Mit ſeiner
Antwort vom 14. Februar 1770, welche er im Manuferipte
mit einem Brivatichreiben Mendelsſohn zufchidte, damit diefer
nad) Belieben ändern, ftreichen und Hinzufegen könnte, hoffte er
den Vorhang vor dem Publikum fallen zu laſſen. Dieſem
Wunfche Hatte auch Mendelsfohn noch vor Empfang der Ant-
wort, in feinem Briefe vom 10. Februar, Ausdrud gegeben.
„Glauben Sie mir, mein Herr,“ heißt es in diefem Briefe, „es
iſt unfer beider unanftändig, ein Spiel der Anefdotenfrämer zu
werden und durch öffentliche Streitfchriften dem müßigen Theil
des Publikums einen Zeitvertreib, dem Einfältigen ein Aerger—
niß und dem Feinde alles Guten eine boshafte Freude zu
machen. Meine aufrichtige Meinung, mein Herzenswunſch iſt,
wir fuchen uns, fo gut wir fünnen, aus der Schlinge zu ziehen,
in welche wir gerathen find. Laſſen Sie die Wahrheiten, welche
ir gemeinschaftlich erkennen, erſt ausgebreitet genug fein, als—
dann wollen wir den Streit über die Punkte, die ung trennen,
mit dejto größerem Eifer fortfegen.“ 3)
1) Schr. III, 49.
2) Antwort an den Herrn Mojes Mendelsjohn zu Berlin von
Johann Kaspar Lavater. Nebft einer Nacderinnerung von Mojes Men:
delsſohn. Berlin, Nicolai, 1770. (68 ©.); Schr. IL, 51—78.
3) Schr. III, 83.
; 13*
— 196 —
Durch Bermittelung des Prediger Zollilofer in Leipzig war
die Sache zwifchen Mendelsfohn und Lavater jehr bald beige-
legt. Jener begleitete das Antwortichreiben des Diakonus mit
feinen „Nacherinnerungen“, die in dem feltfamen, aus zwei Geift-
fihen, einem Buchhändler und einem Juden beftehenden Con-
cilium verfaßt wurden, und aller Streit hatte ein Ende. Gie
ſchieden als wahre Freunde. „Kommen Sie!” ruft Mendelsfohn
feinem Beleidiger in dem Schreiben vom 9. März 1770 zu,
„wir wollen uns in Gedanken umarmen! ie find ein chrift-
ficher Prediger, und ich ein Jude! Was thut dieſes? Wenn
wir dem Schafe und dem Seidenwurme wiedergeben, was fie
uns geliehen haben, fo find wir beide Menſchen. Wir wollen
uns einander aufrichtig alle Unruhe vergeben, die wir uns
wechjelsweife gemacht haben.“?)
„Ja herzlich, Herzlich umarme ich Sie!“ Hallt es ihm aus
Lavaters Schreiben entgegen. „Nun von den alten Sünden
fein Wort mehr! Aber aufs neue biete ich Ihnen alles, meine
ganze Seele an, wenn etwas für Ihr Vergnügen, Ihre Glüd-
feligfeit in allen meinen Befigungen außer mir und in mir vor-
handen wäre.“?)
„Das Heine Vorſpiel ift geendiget,‘ Konnte Mendelsjohn
im März 1770 mit Recht behaupten; aber der eigentliche Kampf,
die lange Reihe von Unruhen und Bekümmerniſſen, welche er
beim Beginn vorausjah, nahm exit jebt recht eigentlich den
Anfang.
VBierunddreigigites Kapitel.
Bonnet.
Charles Bonnet, der Berfaffer der „Palingeneſie“ und die
erite Urfache des Streites, war auch der erite, welcher fich,
') Schr. III, 88.
2) Schr. III, 9.
RR.
allerdings nicht ohne Grund, daran betheiligtee Höchſt unzu—
frieden mit dem unflugen Schritte Zavaterd, glaubte er dem
Gefränkten, deſſen edeln Charakter er duch Abbt und feine
Schriften fchon früher Hatte ſchätzen lernen, e8 um fo eher
Thuldig zu fein, ihm in einem Briefe fein Bedauern auszu—
drüden, als er in dem Antwortfchreiben an Lavater Aeuße—
rungen über fein Werk fand, auf die er micht ſchweigen zu
dürfen glaubte.
Es ſchwebte über diefen Lavater-Mendelsfohnichen Streit
von dem erjten Beginn an etwas Dämonifches, das man ge=
wöhnlih Unglüf nennt. Mendelsfohn war Bonnet gegemüber
von aller Unbedachtfamkeit nicht frei geblieben. Da er nicht
anders vermuthete, al3 daß diefer dem Ueberſetzer feine Zu—
ftimmung zu der Aufforderung gegeben Habe, fo juchte er in
feinem Schreiben auch den Verfaſſer der „Balingenefie” gleich-
zeitig abzufertigen. Erſt durch einen Brief des Diafonus vom
26. December 1769 wurde er vom Gegentheil überführt. Da
war aber die Antwort ſchon mehr als zehn Tage auf dem
Wege nad) Zürich und das „etwas dreiſte“ Urtheil über Bonnets
Werk fonnte nicht mehr zurücigenommen werden. Hätte er vor-
her gewußt, daß Bonnet die Aufforderung nicht billige, er Hätte
gewifje Stellen, die diefen trefflichen Schriftiteller angingen,
anders abgefaßt. Er fühlte fi) von dem Ueberſetzer ſowol wie
von dem Verfaſſer des ihm dedicirten Buches tief verwundet
und hatte in feinem Schmerze auch gegen den Teßtern weniger
Rückſicht als er dem Verdienſte deffelben fchuldig war.!)
Mendelsjohn, der fo wenig Anlage zum eigentlichen Pole-
mifer hatte, bat Bonnet in einem ausführlichen Schreiben vom
9. Februar 1770 inftändigit um Verzeihung. Er erklärte und
betheuerte ihm, daß es am wenigjten feine Abficht geweſen wäre,
durd die Aeußerung, die meijten feiner philofophiichen Säße
ſeien deutſchen Schriftjtellern entlehnt, ihn eines Plagiat3 zu
1) Schr. III, 83, 114.
— 198 —
beſchuldigen. Danfend nahm er das ihm verehrte Eremplar
der „Balingenefie” an, verſprach, das Werk nochmals im Dri-
ginal zu lefen, „wo ihn weder die Zueignungsichrift, noch die
Noten des Ueberſetzers verhindern würden, den rechten Geficht3-
punkt zu treffen.“ „Und gefegt, wir könnten am Ende über
einige in Ihrer Unterſuchung enthaltene Betrachtungen gar nicht
zufammenfommen, fo fenne ich Ihre unſterblichen Verdienjte aus
anderen philofophifchen Werfen zu jehr, um jemals aufzuhören,
Ihr fleißiger Lefer und Berwunderer zu fein.“
„Mit unausfprechlicher Freude,“ fo ſchließt der Brief, „nehme
ich übrigens Ihre Freundichaft an, die Sie mir fo großmüthig
anbieten. Sie ift das köſtlichſte Gefchenf, das ein Sterblicher
mir machen fann, und ich kann Ihnen, ohne Ihrer Befcheiden-
heit zu nahe zu treten, nicht ausdrüden, wie fehr ich Ahnen
für diefe Großmuth verbunden bin. Habe ich bisher dem
Herrn Lavater den Verdruß aufrichtig vergeben, den er mir
verurfacht Hat, fo muß ich ihm nunmehr den verbindlichiten
Dank dafür wiffen, denn feine Uebereilung hat mich fo glücklich
gemacht, mich den Freund eine Bonnet3 nennen zu dürfen.“1)
Wie benahm fich aber der neue Freund, der jo großmüthig
die Freundichaft ihm angetragen hatte? Er fühlte fi) von dem
liebenswürdigen Schreiben Mendelsſohns bis zu Thränen ge—
rührt, erblictte in demjelben das treue Bild feines Geiftes und
Herzens, verficherte, daß es in der Republik der Wiſſenſchaften
nicht zwei Männer gebe, die der Polemik feindlicher wären als
der neue „Phädon“ und er. Nicht mit Worten fann er dem
Publikum ausdrüden, wie er den tugendhaften „Phädon“ Liebe,?)
und — ohne fich etwas von dem Briefwechjel und dem ganzen
Borfalle merken zu lafjen, fucht er in einer neuen im Juni 1770
erichienenen Ausgabe der „Beweife für das Chriſtenthum“ Men-
delsjohn zu wiederlegen. Er, der ausdrücklich erklärt hatte, daß
1) Schr. II, 123.
2) Schr. II, 124 ff.
— 199. —
er mit diefem Buche nie beabfichtigte, die Juden zu befehren,
apoftrophirte fie in diefer neuen Ausgabe bei allen Gelegenheiten
und that das, was er Lavater jo jehr verargte, in jeder An-
merfung. Sa noch mehr! Er datirte die Vorrede derfelben jo
früh, daß die Leſer nothwendig glauben mußten, „der Berliner
Jude habe feine Armfeligfeiten aus den Anmerkungen des Herrn
Bonnet ausgefchrieben“. Heißt das nicht die Waffen wider einen
Unbewaffneten brauchen?)
Dieſes Betragen mußte einen peinlichen Eindruf auf alle
diejenigen machen, welche den Weifen von Genthod nur aus
den begeijterten Schilderungen feiner Jünger, eines Matthiffon
oder Sohannes von Müller, kannten. Mendelsjfohn brachte e3
außer aller Faflung; weder er noch feine Freunde konnten ſich
einen jo verjtedten Angriff und eine fo offenbare Heuchelei er-
Hären. Nicolai mag von den Briefen gar nichts fagen. Ganz
aufrichtig und gerade hatte der Genfer gegen Mofes nicht ge—
handelt; er mochte gedacht haben, gegen einen Juden könne
man fich fchon etwas erlauben.?) Mit noch größerer Entrüftung
ſchreibt Leffing über Bonnets Benehmen, dejjen Briefe Mendels—
fohn ihm zugefchidt Hatte.3) „Der Name Bonnet ift mir fo
efel geworden, daß ich auch nicht einmal die Wahrheit von ihm
lernen möchte. Ich Habe mich nicht enthalten fünnen, dem Abt
Serufalem den Umjtand von der Antedatirung der Vorrede zu
der neuejten Ausgabe feines Buches zu erzählen. Der Abt
fagte zu verfchiedenen malen: das ift nicht artig. Und ich ant-
wortete dem Abt jedesmal: es ijt mehr als nicht artig, es ift
niederträchtig.. Sie find wahrlich verbunden, wenn Sie nicht
gegen das andere Ertremum des Heinen Schleicher ausjchweifen
wollen, den Umſtand befannt zu machen.‘4)
Bor der Hand fchwieg Mendelsfohn, aber ex entichloß fich
1) Schr. III, 9.
2) Schr. V, 227.
3) Schr. V, 187.
4) Schr. V, 190.
— 200 —
jegt doch, jo ungern er aud) daran ging, feine Betrachtungen
über Bonnet3 „Palingenefie” auszuarbeiten und „in das große
Wespennejt zu ftören“.!) In verſchiedenen Briefen an Lavater,
den Erbprinzen von Braunfchweig und andere, bejonders in
feinen unvollendet gebliebenen „Betrachtungen über Bonnets
Palingenefie” entwidelte er feine Anfichten über die chrijtliche
Religion, auf die wir fpäter noch zurücdkommen Er hatte die
feſte Abſicht, dieſe Handichrift, unter der zunächſt die „Betrach—
tungen“ zu verſtehen ſind, niemals aus Händen zu geben, am
allerwenigſten während des Kampfes.
Und der eigentliche Kampf entbrannte erſt jetzt; von allen
Seiten ſtürmte man auf Mendelsſohn los.
Fünfunddreißigſtes Kapitel.
Kölbele und Conſorten.
„Mich hielten,“ ſchreibt Mendelsſohn den 30. März 1770
an Avigdor Levi aus Glogau, der, nachdem er mehrere Jahre
Hauslehrer in Berlin war, ſeit 1768 von Privatlectionen in Prag
lebte, „vielfache Beſchäftigungen, und ganz beſonders der religiöſe
Streit, in welchen ich mit einem chriſtlichen Theologen gerathen
bin — immer habe ich dieſes gefürchtet und es iſt jetzt einge—
troffen — vom Schreiben ab. Ich gebrauchte ſtets die größte
Vorſicht, religiöſe und dogmatiſche Streitigkeiten zu meiden, da
ſie ja zu nichts führen, wie wir es öfter aus ſo manchen der—
artigen Parteikämpfen zur Genüge erſehen. . . .. Nachdem ich
nun dem übereilten Theologen ſein Sendſchreiben öffentlich be—
antwortet, beſtürmen mich ſeine Glaubensgenoſſen von allen
Seiten; die Einen greifen mich in heftigen und ungeſtümen, die
Andern in ſanften und ſchmeichleriſchen Worten an; die Einen
) Leſſings Schr. XII, 226.
— 201 —
laden, die Andern fpotten, denn das ijt ihre Weife; jedenfalls
aber beläjtigen mich ihre Worte und Träumereien, und machen
mir viel zu ſchaffen.“)
Eine ganze Menge neidifcher, ftreitfüchtiger Naturen freute
fich Herzlich, endlich Gelegenheit gefunden zu Haben, mit dem
von ganz Deutjchland‘ gefeierten Berliner Weifen einmal zu—
ſammenſtoßen zu können.
Die immer auf Streit und Zank lauernden Recenfenten
und Zeitungsichreiber machten fich zuerſt über das Antwort-
Tchreiben Mendelsfohns her. Ein Gefinnungsgenofje de3 aus
feinen Kämpfen mit Leffing genugfam befannten Hamburger
Hauptpaftors beurtheilte es in der „Hamburgiſchen Neuen Zei-
tung“?) und verdrehte in der alleinigen Abficht, den Juden in
ein faljches Licht zu ftellen, Mendelsiohns Worte in fo perfider
Weile, daß diefer nicht Schweigen durfte. Er erließ auch wirklich
am 10. Januar 1770 eine Erwiderung,?) auf die Zavater in
feiner Antwort vom 14. Februar 1770 Bezug nahm.*)
Schlimmer als alle trieb es ein vom Frankfurter Juden-
haß genährter, gallfüchtiger Doctor beider Rechte, Johann Bal-
thafar Kölbele mit Namen.
Diefer ehrlofe, längſt verichollene Menjch verfolgte Men-
delsfohn feit Yanger Zeit. Im Jahre 1765 griff er ihn im
einem elenden Roman an, der unter dem Titel „Begebenheiten
der Jungfer Meyern, eines jüdifchen Frauenzimmers, von ihr
felbjt befchrieben“ erichien. In demjelben Jahre veröffentlichte
1) Schr. VI, 444 f; vgl. III, 105.
2) „In der neuen Zeitung No. 2 hat man Moſes Gedanken ganz
verftellt. Mofes hat ſich deshalb bejchwert. Ich ſchicke heute feinen
Auffag an Dumpf (den Herausgeber der Zeitung); ich hoffe doch, daß
er ihn einrüden wird,’ jchreibt Nicolai an Leſſing. (Leſſings Schr.
XIII, 231.) Das Datum dieſes Briefes (13. Zuli 1770) kann unmög-
ich richtig fein, da Mendelsſohns Ermwiderung jhon in No. 11 der
Zeitung (19. Januar 1770) eingerüdt war.
3) 1, Aufl. S. 555 f.
4) Schr. III, 56.
— 202 —
er aus Neid, daß der Jude von der Berliner Afademie den
Preis erhalten hatte, eine flüchtige Vergleichung zwijchen der
Weltweisheit und Meßkunde, wobei zugleich die über die Preis-
frage von der metaphyfifchen Evidenz herausgefommenen Schrif-
ten kurz beurtheilt wurden, und jchicte diefe Abhandlung mit
einem franzöfiichen Briefe Mendelsfohn Zu; es war ein abge-
ſchmackter Bekehrungsverſuch. Mendelsjfohn hielt e8 für das
Beite, nicht zu antworten. Kaum war der „Phädon“ erichienen,
jo verfprach Kölbele einen „Antiphädon“; der wurde aber fo bald
nicht fertig. Jetzt drängte er fich auch in dieſe Streitigkeiten.
Mit wahrer Gier fiel diefes „Ehrenmitglied der Königlich Groß—
britannifchen deutjchen Gefellfchaft in Göttingen“ über Mendels-
john und fein Schreiben an Lavater her. „Roheres und Pöbel—
bafteres habe ich von einem kranken Chriſten, deſſen Krankheit
notorisch ift!! noch nicht gelefen!“ verfichert Lavater, der ſich
Freundichaft und Briefwechjel des Doctors verbat.!) Er fchimpft
und fchmähet, beleidigt auf jeder Seite ſeines „Schreibens an
den Herrn Mojes Mendelsfohn über die Lavateriihe und Köl—
belifche Angelegenheiten“.?) Er weiß, freilich nicht in feinem
Namen, nur nach der „Möglichkeit“, die fi) ein „Weltkenner“
vorjtellet, die zeitlichen Vortheile Herzuzählen, die Mendelsſohn
an feine Religion feffeln: „eine gute Befoldung als Comtoir-
ichreiber bei reichen Juden, jo manche Nebenvortheile der Com:
toirfchreiber, und noch vielleiht ein Gewinnhaber von einer
jüdiſchen Handlungsgefellichaft”; ev weiß, warum er von feinen
„profefjormäßigen Wiſſenſchaften“ feinen Gebrauch madt, „denn
was find die jährlichen kleinen Einkünfte eines Profefjors der
Weltweisheit oder der fchönen Wiſſenſchaften gegen die Vor—
theile eines Comtoirſchreibers?“s) Herr Kölbele fcheint über—
haupt, wie Mendelsjohn äußert, von der Achtung gar feinen
) Schr. III, 9.
2) Frankfurt a. M. 1770. (48 ©) Das Schreiben ift datirt vom
26. Hornung 1770.
s) ©. 10 ff.
— 203 —
Begriff zu haben, die man dem geringjten Menfchen jchuldig
if. Mit der äußerjten Verachtung Spricht er von den berühm-
teften Männern der jüdischen Nation; ihm gilt Maimonides
nicht3 gegen Eifenmenger, feinen Lieblingsautor, der allen Ver—
nünftigen ſchon damals längſt verächtlich geworden war.
Mendelsfohn Lächelte zu ſolchen Schmähungen; ein Kölbele
fonnte ihm die Ruhe nicht jtören.
„Cerberus heißeres
Bellen ſcheuchet Dir vom Antlitz die lächelnde
Sanftmuth nie; ſteigt ſein Odem
Ihm vom Rachen gleich giftesvoll,
Deinem ewigen Ruhm raubt er den Glanz doch nie“
ſingt der polniſche Jude Iſachar Falkenſohn Behr in ſeiner Ode
„An Herrn Mendelsſohn“1) (den 15. April 1770) und be
zeichnet in Ddiefen wenigen Worten treffend das Gebahren des
Frankfurter Gegners.
Mendelsjohn war übrigens herablafjend genug, diejen
Kölbele, „der ein Thor ift und blos Verachtung verdient‘‘,2)
einer furzen Antwort zu würdigen. Er verfpricht dem Doctor
beider Rechte, daß er allenfalls hart auf ihn zuſtoßen, nie aber
mit ihm zufammenjtoßen fönnte, und giebt feinen Leſern Die
Verfiherung, daß er in diefem Streite nichts mehr fchreiben
würde. „In diefer Angelegenheit mögen Aufforderungen, Bus
muthungen, Angriffe, Widerlegungen herausfommen, von mem
man will, fo viel man will, jo höflich oder unhöflich man will,
ic) werde nicht eher antworten, als bis ich glauben werde,
meine Zeit nicht nüßlicher anwenden zu können.“ ?)
Und was für ärgerliches Gewäſch fam nicht noch mit jeder
Meſſe heraus! Die Saite, die nur einmal ganz leife berührt
war, „ſchwirrte, wie Mendelsfohn ſich ausdrüdt, eine Zeit lang
) Gedichte von einem polnifhen Juden (Mitau 1772), 68.
2) Leſſings Schr. XIII, 216.
3) Schr. III, 78.
— 204 —
im Publifum nad) und wurde nun von plumpen Fingern bis
zum Berreißen gejchlagen.“?)
Der Paſtor Hefje zu Benedenftein am Harz trat mit
„Anmerkungen über Mendelsfohns Schreiben an Lavater“?) her-
vor und fandte ihm das Schriftchen nebjt einem Privatbriefe
durch den angefehenen Daniel big. Er verherrlichte das
Chriſtenthum; ex fchrieb nach feiner Weberzeugung. »Da er fich
in den Schranken der Mäßigfeit hielt, jo erwiderte Mendels-
john auf feinen Brief und hätte jogar einige der Anmerkungen
nicht unbeantwortet gelajjen, wenn ihm diejelben einige Wochen
früher in die Hände gefommen wäre. Er ift nicht wenig er-
ftaunt, daß der fromme Paſtor fid) nicht entblödete, aus den un—
erforfchlichen Wegen der Borjehung auf ihre Abfiht, von dem
bürgerlihen Drude der Juden auf die Unwahrheit des Juden—
thbums zu Schließen. „Das Sonderbarjte ift,“ bemerkt Men
delsjohn in feinem Schreiben an ihn, „daß man chriftlicherfeits
alles mögliche thut, diefe Argumentation nicht verloren gehen zu
lafjen. Man hält uns forgfältig unter dem Drude, um uns
dejto fiegreicher widerlegen zu Fünnen.“?)
Wir wollen nicht alle die Schriften und Schriftchen
einzeln vorführen, welche in dem Lavater » Mendelsfohnichen
Streite in die Deffentlichkeit traten. Bon ihnen gilt, was ein
ungenannter Vertheidiger Mendelsfohns in dem holprigen Vers
ausdrüdt:
So ftreiten unftudirte Velten
Um Saden, die fie nicht verftehn,
Und endigen den Streit mit Schelten.
Die Thoren follten erft zu den gelehrten Velten
Und Kunzen in die Schule gehn!
1) Schr. III, 97.
2) Schreiben des Herrn Mendelsfohn in Berlin an den Herrn
Diafonus Lavater zu Züri; nebſt Anmerkungen über daſſelbe.
Halle 1770.
3) Schr. V, 513—515.
— 205 —
Die ftreiten dialectifch ſchön,
Und ohne Wortfrieg, ohne Schelten,
Um Dinge, die fie ganz verftehn,
Und fehlen ihres Weges jelten,
Weil fie den Weg der Schule gehn;
Denn da läßt fich fein Srrlicht fehn.
Da fchrieb der Eine einen Bogen voll „Gedanken über die
Bumuthung des Herrn Lavater“,!) und wies nah, daß Men-
delsfohn ein Jude bleiben müſſe; der Andere jtellte Betrach-
tungen über das Schreiben Mendelsfohns an; der Dritte erging
ſich in Reflerionen; der Vierte Fleidete feinen Judenhaß in
Briefen ein: Alle trugen den Stempel der Gehäfligfeit an fich.?)
Der Frankfurter Advocat aber wurde von niemand übertroffen.
) Gedanfen über die Zumuthung des Herrn Diafonus Lavater
an Herrn Mendelsjohn ein Chrift zu werden, in einem Schreiben eines
guten Freundes an einen andern. Hamburg 1770. (16 ©.)
2) Reflexions d’un &tranger de la communication catholique
sur la lettre de Mr. Mendelssohn à Mr. Lavater. Berlin 1770.
(16 ©.)
Freimüthige Gedanken über Mojes Mendelsſohns Sendichreiben
an Lavater, an einen Freund in Sadjen. O. O. u. J.
Betrachtungen über dad Schreiben des Hrn. Mendelsjohn an den
Diakonus Lavater zu Züri. Leipzig 1770, (32 ©.)
Unter dem Titel: Lettres Juives du celebre Mendels-Sohn,
Philosophe de Berlin, avec les Remarques et Reponses de Mr. le
docteur Kölbele et autres savants hommes (Francfort et La Haye
[Aux Depens de la Compagnie] 1771) (368 ©.) erſchienen in fran=
zöſiſcher Ueberjegung:
Mendelsjohns Schreiben an Lavater, Lavaters Antwort an Mens
delsjohn, nebſt Nacherinnerungen.
Bemerkungen des Paſtor Heſſe (fiehe S. 204 Note 2).
Kölbeles erftes und zweites Schreiben an Mendelsjohn.
Betrachtungen über das Schreiben des Herrn Mendelsjohn.
Ferner ift in diefer Sammlung enthalten:
Autre Lettre concernant Mr. Mendelssohn.
Remarques Diverses sur le Judaisme Philosophique de Mr.
Mendelssohn.
Courte Demonstration que la Religion Chretienne est visible-
ment divisee,
— 206 —
Der verächtlihe Ton, in welchem ihn Mendelsjohn in den
„Nacherinnerungen zu Lavaters Antwort“ abgefertigt hatte, jtei-
gerte feine Wuth aufs höchſte. Er hatte dem „wirklich geliebten
Manne” noch vieles zu jagen und jtellte fich in einem „Zweiten
Schreiben an Herrn Moſes Mendelsfohn, infonderheit über den
ehemaligen Mendelsſohnſchen Deismus“1) wiederholt an den
Pranger. Recht heimtückiſch und jefuitifch greift er jetzt aus den
früheren Schriften Mendelsfohns, aus den „Briefen über Die
Empfindungen”, den „Bhilofophifchen Geſprächen“, aus dem
„Phädon“, einzelne Stellen aus dem Zufammenhange auf, aus
denen diefer Menſch, „der als Deifte die Univerfität verließ,
dann wieder aus wahrer Ueberzeugung zum Chriftenthum über-
ging“,2) ſophiſtiſch herausklügelte, daß der „geliebte Jude“ ein
Deift fei und den wahren Glauben an Offenbarung nicht kenne.
Bon diefer Schrift, in der ſich Gehäffigkeit und Verleum—
dungsſucht förmlich überboten, wandten ſich alle Bejjergefinnten
mit Verachtung ab; nur die Geſinnungsgenoſſen des „Doctors
beider Rechte und — einige frömmelnde Juden labten fi an
diefen Schmähungen; bejonders letztere, welche ausgeſprengt
hatten, Mendelsfohn Hätte Aussprüche der jüdischen Weifen fir
Schartefen erklärt, freuten ji, e3 einmal „ſchwarz auf weiß“
zu haben, daß ihr „neumodifcher“ Glaubensgenofje als Deift
und wie die liebenswürdigen Prädicate, die fie ihm beilegten,
ſonſt lauten, öffentlich verfchrien fei.
Mendelsfohn ſchwieg. „Sch würde es mir ſehr verdenfen,“
heißt es in einem Briefe an feinen Freund und Berwandten
Elfan Herz in Leipzig vom 22. Juli 1771, „wenn ich mit
Köfbele ferner Zeit verderben ſollte. Rechtſchaffene Leute find
nicht damit zufrieden, daß ich ihm das erſte mal geantwortet
habe. Hinjichtlich folcher Heißt es: Antworte dem Thoren nicht
in feiner Thorheit! Seine Beihuldigungen find fo unverjchämt
und feine Beweife jo dumm, daß ich mich ſchämen würde, darauf
!) Frankfurt a. M. 1770 (132 ©.), datirt vom 14. Heumonat 1770.
2) Zweite Sendichreiben ©. 46.
— 207 —
zu antworten. Sie jagen, viele unferer Glaubensgenofjen könn—
ten ihm Glauben geben. Lieber Herr Elfan! Ueber die Kölbele
unferer Glaubensgenofjen moquire ich mic) herzlich, denn ein
vernünftiger Menſch muß die Albernheit dieſes unverftändigen
Schwätzers gar bald einjehen. Ueberhaupt pflegen Chrijten und
befonders Theologen leicht jemand de3 Deismus zu befchuldigen,
weil ihre geoffenbarte Religion gar exjchredlich viel zu der
natürlichen Hinzu zu thun Hat, das über und wider die Ver-
nunft ift.“')
Liegen fi) auch) mehrere Stimmen triumphirend über den
Kölbeliihen Angriff vernehmen, jo verharrte Mendelsjohn den-
no in einem ihn nur ehrenden Stillichweigen. „Wer die Ab-
fiht, mich zu reizen, fo deutlich merfen läßt, der foll Mühe
haben, fie zu erreichen.““) Er hatte „das Glüd oder den Eigen-
finn, bei folchen Zunöthigungen gleichgültig zu bleiben.“
„ber was ijt denn das für ein neuer Angriff,“ fragte
Leſſing am 9. Zanuar 1771 Mendelsfohn, „der in den Senaifchen
Beitungen von Lavater auf Sie gefchehen? ch Iefe dieſe Zei-
tung nicht und Habe fie auch in ganz Braunfchweig nicht auf-
treiben fünnen. Haben Sie doch ja die Güte, mir das Blatt
mit der erjten Poſt zu fenden.‘?)
Diefes Zeitungsblatt hat Mendelsfohn- in der That nicht
ohne herzlichen Verdruß Iefen können. Gerade zur Zeit, als
die Befehrungsgefchichte jo viel Auffehen machte, hatte ein vor—
Tchneller Menſch — man fagte, es fei Zimmermann gewefen —
Lavater den übeln Dienjt erwiefen, aus feinem lateinischen Reife-
berichte die Mojes Mendelsfohn betreffende Stelle, welche ihm,
Gott weiß wie, in die Hände gefommen war, in die Jenaiſche
gelehrte Zeitung?) einzurücden. Es kann nichts ungereimter fein
als diefer Beriht. Lavater hatte in Mendelsſohn alles gefehen,
1) 1. Aufl. ©. 495, 492.
2) Schr. III, 98; V, 505.
8) Schr. V, 189.
*) 1770, Stüd 82; vgl. Schr. III, 98.
— 208 —
was er in ihm fehen wollte, fogar, daß diefer einen geiftigen
Meifias erwarte. Allen denjenigen, die Mendelsjohns religiöfe
Gefinnungen nur einigermaßen fannten, mußte dieſes allerdings
lächerlich erjcheinen.) Er felbjt erkannte fi) weder in dem
ungeheuren Zobe, das ihm gefpendet, noch in den Meinungen,
die ihm zugefchrieben wurden. Jenes überjtieg To ſehr alle
Grenzen, „daß wol jedermann ein Merkliches auf die Rechnung
der Freundichaft und der Begierde eines jungen Menjchen, etwas
Außerordentlihes auf feiner Reife geſehen zu haben, eben
mußte”. Aber die Meinungen? „Sch erkenne fie ſchlechterdings
nicht für die meinigen,“ fchreibt er nicht ohne Unwillen an
Zavater den 4. December 1770, „denn fie widerjprechen theils
meinen Religionsbegriffen und theils meinen philofophifchen
Grundfäßen; und ich glaube im Gewiſſen verbunden zu fein,
mir öffentlich feine Meinungen zufchreiben zu lajjen, die id)
nicht habe. Sch erwarte nächjtens Ihre gütige Antwort und
würde es mich unendlich freuen, wenn diefe Beichreibung ent-
weder ganz untergejchoben oder wenigſtens zum Theil verfälfcht
twäre, damit ich der Nothwendigfeit üiberhoben fein möge, Diele
fo Schwierige Stelle nochmal® zu berühren.“ ?)
Zavater lehnte die Urheberſchaft jenes Reifeberichtes ganz
von ſich ab; er betheuerte vor dem Allwiljenden, daß er nicht
den mindejten Antheil an der Publication Habe, auch nicht er-
vathen fönne, wie „der Auffab auf Jena gekommen“ fei. Er
that, was Billigfeit und Redlichkeit von ihm forderten; in der—
ſelben Senaifchen Zeitung erklärte er: „Ich kann mein Be
fremden über die Publication nicht lebhaft genug ausdrücden.
Sch Hatte den Schritt gegen Herrn Mendelsjohn ſelbſt öffentlich)
als übereilt tarirt. Beinahe hätte ich mir Vorwürfe gemacht,
der Unterredung mit ihm auch nur in den allgemeinften und,
wie ich glaube, unverfänglichiten Ausdrüden Erwähnung gethan
zu haben — und jet erdreijtet fich eine fremde Hand ohne all
) Schr. V, 227.
2) Schr. III, 9.
— 209 —
mein Wiffen, einen verjährten, jugendlichen Privatauffag, der
nicht einmal von mir, fondern von einem meiner ehemaligen
Reifegefährten verfaßt worden ift, als meine Arbeit an das Licht
zu fegen! ch ſehe nicht, wer das Recht hat, eines Lebenden
Verfaſſers Manuferipte, zumal folche, die perjönliche Uxtheile,
welche von wichtigen Folgen fein konnten, enthalten, ohne fein
Wiſſen dem Publiftum aufzudringen.“ 1)
Mendelsfohn, froh einer Antwort überhoben und de3 un—
erquidlichen Streite3 endlich einmal los zu fein, beruhigte ſich
bei diefer Erflärung zum großen Verdruß Leſſings, der erwartet
hatte, „er würde es doch nicht wiederum nach einem jo hämi-
ſchen Schlage mit einem verrätherifchen Streiheln Hinterher gut
fein laſſen wollen.“?)
WMaeandelsſohn aber war eine zu ireniſche Natur und be—
mwahrte Ruhe und Stillfehweigen, wenn nicht die äußerjte Noth-
wendigfeit ihn zur WVertheidigung antrieb. Wie ganz anders
würden die Funken gefprüht haben, wenn Zavater fih an einen
Leffing gewagt hätte?
Sechsunddreißigſtes Kapitel.
Die Bertheidiger.
In diefem über ein Jahr währenden Kampfe jtand Men-
delsfohn ganz allein. Hatten fi) auch die Befjergefinnten unter
den chriftlichen Gelehrten gegen das Lächerliche, Anmaßende und
Unfluge der Lavaterfchen Herausforderung ausgefprochen und
gewünscht, Mendelsfohn hätte vom Beginne an die Rolle eines
Voltaire gefpielt, auf die gegründeten und ungegründeten Spötte-
1) Geßner, a. a. O. II, 32; Schr. III, 100 ff; V, 228.
2) Leſſings Schr. XII, 289.
Kayierling, Moſes Mendelsjohn. 14
— 210 —
reien geantwortet: „dieſem Manne ift nicht? Heilig“,!) fo trat
doch niemand öffentlich für ihn in die Schranfen.
Freilich, der Angegriffene und Gefränkte war ein Jude —
wie fonnte man fi) auc eines Juden annehmen! Wer hätte
es aud) wagen dürfen, in einer fo brennenden Frage feine
Meinung zu Gunften des Juden abzugeben! Die aufgeflärten
Theologen? Sie mußten für ihre Stellung fürchten, eine un-
vorjichtige Yeußerung hätte fie um ihr Brot gebracht. Sie be-
gnügten fi, und ſchon das ift nicht gering anzufchlagen, dem
muthigen Kämpfer in Privatbriefen, gleichſam Condolation-
fchreiben, ihre Hochachtung zu verfichern. Der Hofrath Michaelis
in Göttingen, der bedeutendfte Theologe feiner Zeit, gab fein
„weifes Urtheil” über den Beichluß des Streites ab, und Men-
delsfohn dankte ihm dafür.) Der epochemachende Theologe
Sal. Semler in Halle richtete folgendes Schreiben an ihn:
„Hochgeſchätzter Mann!
Ich bin zufrieden, wenn Sie bei der Erfcheinung, die ich
verurfache, in die Verwunderung nur einige Genehmhaltung
meiner dreijten Entjchliegung einfließen laſſen. Vielleicht ziehe
ich einen Theil von jener Aufmerffamfeit auf mich, welche viele
gelehrte Zufchauer in Bewegung gejeßt hat, da Lavater Ihnen
in einer viel befjern Gemüthsart etwas zuzumuthen fcheint,
woraus Leute einer gewiſſen Lage einen jehr mittelmäßigen
Triumph erwarten. Wenn ich nicht andere Empfehlungen meines
Lehrbegriffes und der daran Hangenden großen Glückſeligkeit
hätte, als die ich alsdann ergreifen wollte, wenn Sie öffentlich
ein Chriſt würden, fo möchte ich der chriftlichen Religion - wol
nicht viele Dienjte Teiften fünnen. Ach habe ohne Zweifel nun
den Unwillen einer großen Anzahl gereizt, aber ich freue mich,
daß ich einfehe, es fei die Ehre, einem Menfchen zur vernünf-
tigen treuen Anwendung feiner Erfenntniß, zur deutlichen Ehre
. N) Zeffing Schr. XIII, 211, 231.
2) Schr. V, 504.
— 211 —
Gottes behülflich zu fein, von mir überaus wohlfeil exfauft,
wenn ich auch zehn theologifche Reputationen dabei verloren
hätte.“ 1) |
Das war von dem aufgeflärten Semler nicht wenig ge—
wagt! Wer äußerte fi) aber auch noch in ähnlicher Weife?
Heyne in Göttingen wünfchte, „den Herrn Lavater hinzugeben
und den Herrn Mendelsfohn zum Profelyten zu machen, welcher
der Religion mehr Ehre bringen würde, als jener hibige -
Eiferer.“?) Der mit der freien Theologie fich brüftende Herder
legte pfäffifh die Hand auf den Mund, und der apokryphiſche
Hamann rieb fich feelensvergnügt die Hände und mar auf den
Ausgang gefpannt, der feinen Erwartungen allerdings nicht ent-
Iprad. „Der Erfolg Hat gezeigt,“ fchreibt er noch acht Jahre
nad) Beendigung des Streites feinem „Herzensbruder” Lavater,
daß „ein Mann wie Mendelsfohn, der Mofen und die Pro-
pheten hat, Ihrem Bonnet überlegen fein mußte, und e3 mar
daher ziemlich abzujehen, daß Sie aus dem ganzen Handel nicht
fo rein abfommen konnten, al3 Ihr Widerfacher.“ 3)
Weshalb ergriff aber nicht Leffing für feinen Freund
Partei? Leffing hatte längjt gewünfcht, ihn in eine theologifche
Fehde verwidelt zu jehen, denn er hoffte, daß fein Mofes den
chriftlichen Theologen einmal ordentlic, die Wahrheit jagen würde.
Als Mendelsjohn in der „Epijtel eines Layen“ fir den Verfaſſer
des „Zweckes Jeſu und feiner Jünger“ gehalten wurde, fchrieb
Leffing an feinen Bruder Karl: „Vielleicht wird die Beſchul—
digung allgemeiner, und ich werde herzlich lachen, wenn Mofes
endlich gezwungen iſt, feinen ehrlichen Namen zu retten.‘ %)
Dringend erfuchte er ihn, Lavater und den befehrungsfüchtigen
Theologen mit aller möglichen Freiheit und allem nur erjinn-
lihen Nachdrude zu antworten. „Sie allein dürfen und können
1) Schr. I, 20.
2) Schr. I, 20.
3) Hamanns Schr. V, 275.
9 Leſſings Schr. XII, 512.
14 *
— 212 —
in diefer Sache fo ſprechen und fchreiben und jind daher unend-
ich glücklicher, al3 andere ehrliche Leute, die den Umſturz des
abicheulichiten Gebäudes von Unſinn nicht anders, al3 unter
dem Vorwande, es neu zu unterbauen, befördern können.“!) Es
ift uns fein Geheimniß, wer die „andern ehrlichen Leute” waren.
Der ehrliche Leſſing wetzte eben in jener Zeit das Schwert,
um das ganze glorreiche Lavaterfche Chriſtenthum, die ganze
heilige Orthodoxie, mit einem Streiche zu vernichten. Wie hätte
man auch von Lefjing erwarten können, ſich mit einem Lavater
allein einzulaſſen!
Dergeftalt wäre Mendelsfohn fich allein überlaffen ge-
blieben, wäre nicht ein Geiftesveriwandter des „Fragmentiften“
nod) gegen Ende des Kampfes herbeigeeilt, ihm Beijtand zu
leiſten. Dieſer treue Secundant ift der anonyme Verfaſſer des
Heinen „Dienjtfreundlichen Promemorias an die, welche den
Herın Moſes Mendelsfohn durchaus zum Chrijten machen
wollen, oder ſich doch wenigſtens herzlich wundern, daß er es
noch nicht geworden ift.“?)
„Haben Sie das Promemoria gelefen, das in der Teßten
Mefje herausgefommen?“ fragte Mendelsfohn in einem Schreiben
vom 15. November 1771 feinen Freund Elfan Herz in Leipzig.
„sh kenne den Berfaffer nicht, finde aber viele geſunde Ver—
nunft darin.“?) Wahrlich ein folcher Vertheidiger wiegt alle
genannten Gegner auf! „Was foll das Gefchrei an allen Eden,“
heißt es in diefem trefflichen Schriftchen, „gleich den Weinrufern,
die für richtige Bezahlung nach einer erlernten Formel Ab-
nehmer anloden? Die Sade, ganz von der Nähe betrachtet,
Schr. V, 189.
2) Dhne Drudort, 1771. (30 ©.) Einzelnen Andeutungen nad)
zu ſchließen, wohnte der Berfafjer in Hamburg; ©. 10 heißt es: „Nach
9... . zu gehen, ift Mendelsfohn nicht zu rathen; dort fünnte was
paffiren, wenn ihn ein G(oeze) an der Spike feiner Gläubigen im
Zorne anſähe.“
3) 1. Aufl. ©. 498.
— 213 —
bewegt zum Unwillen oder zum lauten Laden. Halb Europa
führte Krieg, aber zur Wiederherftellung des lieben Landfriedeng
it faum fo viel geredet und gefchrieben worden, als jet über
die ganz unmwahrfcheinliche Bekehrung eines Berlinifchen Juden.
Wunder wäre es nicht, wenn diefer aus einem dem Menfchen
angeborenen Hang zur Eigenliebe fich von nun al3 den Mittel-
punkt aller gelehrten und fonderlich der theologischen Bemühungen
anfähe. Doc folche Kleinigkeiten mögen ungerügt hingehen:
laßt ung lieber unparteiifch prüfen, ob ein Anfchein vorhanden
fei, daß Mofes Mendelssohn zur chrijtlichen Kirche treten werde?
Ohne vorzügliche ftarfe Beweggründe wird er es nicht thun;
zum Spaß ändert ein Weifer feine Meinung nicht in wichtigen
Dingen. Die Mittel kommen hier nicht in Anschlag: man hoffe
auf übernatürliche Wirkungen, auf den Dienjt eines Paſtors, auf
das herzerſchütternde Gefchrei eines Autors, auf die Stärke dog—
matifcher oder polemifcher Schriften; alles dies iſt einerlei.“t)
Den Theologen, denen es Wonne iſt, Brofelyten zu machen,
ruft er allen Ernſtes zu: „hr werdet unter den Ehrijten Leute
genug finden, die in Lehre und Wandel eurer Ermahnungen be=
dürfen, arbeitet erſt an diefen; alsdann, wenn ihr ganz mit
ihnen fertig jeid, alsdann erjt umziehet Land und Waſſer, jchreibt,
ruft, ermahnet, aber fchimpfet nicht, fondern überzeuget, um neue
Mitglieder zu werben, nur hütet euch, daß ihr aus ihnen nicht
zwiefache Kinder der Hölle machet.“?)
Zuletzt nachdem die Waffen von allen Seiten längjt geſtreckt
und der Friede vollends wiederhergejtellt war, bot ſich dem
wißigen Lichtenberg in Göttingen eine erwünſchte Gelegenheit,
auf die Lavater-Mendelsfohnfche Streitigfeit einen hämiſchen
Blick zu werfen.
Zwei. Juden Hatten nämlich zu Ende des Jahres 1770
von dem frommen Lavater die Taufe empfangen. Es waren,
wie Karl Leffing feinem Bruder meldet, Liederliche Leute, die
) Bromemoria, 6.
2) Bromemoria, 26.
— 214 —
durch nichts zu dem Neligionswechfel geführt wurden, als durd
ihre Armuth; „einen Schwärmer, wie Lavater, zu Hintergehen,
waren fie noch zu feine Werkzeuge gewefen.“!) Lavater fchwelgte
in Öflücdfeligfeit; er meinte in feinem Eifer, die ganze Liebe
Judenheit würde dem Beifpiele diefer fchändlichen, ihn betrügen-
den Ereaturen folgen. Aus diefem feligen Traume weckte ihn
nun Lichtenberg durch die Schrift: „Timorus, das ift Verthei—
digung zweier Iſraeliten, die, durch die Kräftigfeit der Lavateri-
chen Beweisgründe und der Göttingischen Mettwürfte bewogen,
den wahren Glauben angenommen haben, von Konrad Photorin,
der Theologie und Belles Lettres Candidaten“,?) in welcher
diefer feine fatyrifchen Pfeile gegen den Diafonus richtete, „der
fi) im Geifte die Stüße der chriftlichen Kirche und den unjterb-
lichen Befehrer Mendelsfohns nennen hörte“. Statt ſolche Dinge
zu unternehmen, rieth ihm Lichtenberg, „Lieber zu feiner eigenen
höchſt nöthigen und nicht lange mehr aufzufchiebenden Eur ein
weltliche8 Buch zu leſen,“ denn er hätte fich „Durch fein langes
Guden in die Ewigkeit die Augen ganz für den zeitlichen Hori-
zont berdorben.‘3)
Diefes war, feiner Anfiht nach, das rechte Mittel, Men-
delsfohn und andere feinesgleichen vor Lavaterfhen Zumu—
thungen in Zukunft zu fchüßen.
Sp ging Mendelsjohn aus dem ihm aufgedrängten Rampfe
jiegreich und ehrenvoll hervor.
Diefer Bekehrungsverſuch, der von allen freidenfenden Gei-
jtern verurtheilt wurde, übte nicht allein einen wejentlichen Ein-
fluß auf feine Gefundheit, fondern auch auf die fernere Rich—
tung feines Denkens und öffentlichen Wirkens. Er machte id
Vorwürfe, ſich in feiner bisherigen ſchriftſtelleriſchen Thätig-
feit auf Philoſophie und deutſche Literatur befchränft, über fein
') Leſſings Schr. XIL, 294; XIII, 304.
2) Berlin, (Göttingen) 1773; vermifchte Schriften (Göttingen 1844),
III, 79 ff.
3) Lichtenbergs verm. Schr. III, 123.
aM mn rt IT Ws m MW
— 215 —
Verhältniß zu feiner Religion und feinen Glaubensgenofjen ganz
geihwiegen und die jüdische Wiſſenſchaft jo ftiefmütterlich be—
Handelt zu haben. Er hatte den „Prediger“ (Kohelet) kommen—
tirt und eine Logik gefchrieben, eigentlich einen furzen Commen-
tar zu der unter dem Titel „Milloth ha-Higgajon“ bekannten
Logik Maimunis, welche er jemand fchenfte, der, wie es in
einem Briefe an Leſſing Heißt,!) „die Schande auf fich genom- -
men bat, fie unter feinem Namen befannt zu machen.“ Ex
Tchenkte fie Samfon Kalir, einem armen wandernden jüdifchen
Gelehrten aus Serufalem, damit er durch den Verkauf der
Schrift ſich „einigen Bortheil verfchaffen möchte“. Derſelbe ließ
das Werkchen im Sahre 1761 in Frankfurt an der Oder druden
und gab fich Fed für den Verfaſſer aus.?) Der Undankbare!
Während er in der VBorrede den reichen Ephraim Veitel und
deſſen Gattin mit Lob überſchüttet, Hat ex Fein Wort des Dankes
für den Verfaſſer und begnügte ſich mit der zweideutigen Wen-
dung: „Gott hat mir eine Erflärung zugeführt, welche noch nie
veröffentlicht worden: ijt.‘“
Noch inmitten des Lavaterichen Streites faßte Mendelsfohn
den Entſchluß, nunmehr das Berfäumte nachzuholen, feine Kräfte
für Juden und Judenthum zu veriwenden und mit aller Ent-
Tchiedenheit für fie einzutreten.
) Schr. V, 173.
2) paon wma dy 5° o’auın) ran me ia Logica R. Mosis Mai-
monidis cum explicatione R. Samson Kalir atque censura am-
plissimae Facultatis Philosophicae Academiae Francofurtanae. 1761.
Eine 2. verbefjerte und vermehrte Auflage, in der fih Mendelsjohn
al3 Berfafler nennt, wurde durch den Studioſus Bär beforgt (Berlin
1765; die 3. Aufl., mit Zufägen von A. Jaroslaw, erihien Berlin
1784); die 4. mit Zufägen von Iſaak Satanow, Berlin 1795; die 5.
Aufl. Wien 1822; die 6. mit deutfcher Ueberjegung von R. Fürftenthal,
Breslau 1828,
————
Neuntes Bud).
Auszeichnungen,
Siebenunddreißigites Kapitel.
Mendelsjohn und der Grbprinz von
Braunihweig. '
Der Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig,
ein Zögling des aufgeflärten Abtes Jerufalem, war eine Natur,
in deren wunderbaren Mifchung ein fchranfenlofer Ehrgeiz und
eine auf glänzende äußerliche Erfolge gerichtete Eitelkeit Hand
in Hand gingen mit jenen philofophiich-fchöngeijtigwifjenfchaft-
lichen Bejtrebungen, wie fie in der zweiten Hälfte des acht—
zehnten Jahrhundert3 bei den meijten deutichen Fürften gefunden
wurden. Er hatte den „Phädon“ gelefen und war davon fo
entzücdt, daß er fehnlichjt wünſchte, den Verfaſſer perſönlich
fennen zu lernen. Dieſes Verlangen brachte er auch während
eines Aufenthaltes bei feinem föniglichen Oheim, dem großen
Friedrich, im Herbſte 1769 in Ausführung.
„Montag den 30. October ließ der Erbprinz von Braun-
ichweig den ſehr berühmten Gelehrten Herrn Moſes Mendels-
fohn zu fih aufs Schloß bitten; er unterhielt fich mit ihm über
philofophifche und moralifhe Materien und bezeugte gegen ihn
eine befondere Gnade und Hochadhtung“.!)
') Berl. Priv. Zeitung von Dienftag den 31. October 1769.
— 217 —
Mendelsfohns Freunde jubelten über diefe Auszeichnung.
Nicolai berichtete fofort an Herder, „daß der Erbprinz von
Braunfchweig bei feiner letzten Anweſenheit in Berlin Herrn
Moſes ganz ungemein gnädig begegnet, ihn der größten Hoch-
achtung verfichert und ihm verfprochen habe, mit ihm über den
„Phädon“ zu correfpondiren.“!) Leffing, „der fchon im Ab—
Ichiednehmen begriffen war“, um die, zur aufrichtigen Freude
Mendelsfohns, kurz vorher erlangte Stelle als Bibliothefar in
Wolfenbüttel anzutreten, erhielt durch Ebert, den Freund des
Erbprinzen, die Nachricht, daß diefer „unfern vortrefflichen Mofes
Mendelsſohn Fennen gelernt hätte und über diefe neue Befannt-
ſchaft jehr erfreut wäre. Mendelsfohn hätte ihm versprochen,
ihm feine neue Edition des „Phädon“, zu fchiden, und der
Erbprinz würde fich darauf mit ihm in eine Correfpondenz ein-
laſſen. Er wünfchte fehr, daß es möglich wäre, „auch ihn nad)
Braunfchweig zu ziehen. WBielleicht fünnen Sie dazu etwas bei-
tragen.‘?)
Um wie viel lieber ging Leffing jebt nach Wolfenbüttel,
da fich ihm Ausficht bot, mit feinem „älteften und bejten Freunde“
vereint leben zu fünnen. „Sch wüßte nichts in der Welt,“ er-
widerte er gleich nad) Empfang des Briefes an Ebert, „wodurd)
ji der Prinz meiner ganzen Ergebenheit und Verehrung mehr
hätte verfichern Fünnen, al3 dadurch, daß er Bekanntſchaft mit
meinem älteften und beten Sreunde in Berlin hat machen wollen.
Daß fie einander gefallen würden, war fein Zweifel, und mas
wollte ich nicht drum geben, wenn es möglich wäre, daß ihn
der Prinz aus jenem Orte ziehen fünnte, wo ich weiß, daß er
ganz gegen feine Neigung ift.“ 3)
Es ift wahr, das Leben in Berlin behagte Mendelsjohn
längſt nidt. Er fühlte ſich vereinfamt; wenn er vernünftigen
Umgang haben mollte, jo „mußte er leſen oder an Freunde
1) Herders Lebensbild, Il, 101.
2) Lejfingd Schr. XIII, 198, vgl. 202.
3) Leſſings Schr. XII, 238.
— 218 —
Ichreiben;“!) er ſah ſich „beitändig von einem Wuft von Ge—
Ichäften geplagt, die fo unangenehm waren, daß er feine ganze
Philofophie zufammennehmen mußte, um das Dafein nur er-
träglich zu finden“.2) Im feinem Unmuthe kam ihm fogar ein-
mal der Gedanke, nach dem Kleinen Bückeburg überzufiedeln.
Er blieb, Dank der Vorfehung, in Berlin.
An demfelben Tage, an welchem Ebert Leſſings Brief
erhielt, traf auch der „Phädon“, in eben erjchienener dritter
Auflage, von einem Schreiben Mendelsjohns begleitet, bei dem
Erbprinzen ein. „Die Huldreihen Ausdrüdungen,“ heit es in
diefem herrlichen Schreiben, „in welchen Ew. Durchlaucht Dero
Wohlgefallen an diefem kleinen Tractate zu erfennen zu geben
geruhet, werden meinem Geijte jederzeit gegenwärtig bleiben,
und mich mitten unter unvermeidlichen Zerjtreuungen aufmuntern,
zum Dienjte der Wahrheit und Tugend ein mehreres zu wagen.‘3)
Statt aber um den „Phädon“, drehte fich die Eorreipon-
denz um ein anderes, den Erbprinzen mehr interefjirendes
Thema, nämlih um den Lavaterfchen Streit. Er Hatte das
Antwortichreiben an Lavater von dem Berfaffer jelbjt erhalten
und infolge defjelben gewünjcht, die Betrachtungen über den
Bonnet zu fehen, „denn nicht? kann einem unfere® Glaubens
wichtiger fein,“ fchreibt er den 2. Januar 1770 an Mendels-
fohn, „al3 zu bemerfen, wie ein unter dem mofaifchen Gejeße
febender Philofoph den Hiftorifchen Beweis von Mofes führt,
in welchem wir mit ihm einjtimmig find, und wie zugleic)
denen hiftorifchen Beweifen ausgewichen wird, auf welchem der
hriftlihe Glaube fich gründet, welcher ja größtentheild auf
Beugniffen beruht, welche unter dem moſaiſchen Gefeße als gött⸗
Yihe Eingebung angenommen worden. Ob ich aber wünſchen
fol, daß ferner in Sie gedrungen werde, diefe Betrachtungen
öffentlich befannt zu machen, muß dahin gejtellt fein laſſen aus
ı) Schr. V, 264.
2) Schr. V, 362.
3) Schr. III, 127.
— 219 —
den in dem Antwortichreiben angeführten Gründen. Glücklich
würde ich mich jchäßen,“ fo fchließt der Erbprinz, „Denenfelben
Proben von der wahren Hochachtung geben zu können, mit
welcher zeitlebens verbleibe u. |. mw.“ !)
Wer fi in die Berfaffung des ſchon von Natur ängit-
fihen und durch die Lavaterfhe Zumuthung noch mehr ein-
geſchüchterten Mendelsfohn verfegt, Kann Leicht ermefjen, wie
wehe ihm zu Muthe war, mit einer fürjtlichen Perfon eine
Eorrefpondenz über Glaubenspunfte, über die Hauptdogmen des
EhriftenthHums, führen zu müffen. Dabei verlangte der Erb-
prinz, um mit Nathan zu reden, „die Wahrheit jo blank, jo
bar, al3 ob die Wahrheit Münze wäre!” E3 war ihm haupt-
ſächlich um die Löfung zweier Fragen zu thun: welche Gründe
Mendelsfohn Habe, die hiſtoriſchen Beweiſe des Alten Teſtaments
anzunehmen, und die des Neuen zu veriverfen; und aus welchen
Gründen er die Zeugniffe für den Glauben der Chriften ver-
werfe, die in dem Alten Tejtament vorkommen und unter den
mofaifchen Geſetzen ſelbſt al3 göttliche Eingebungen angenommen
werden. ?)
Mendelsjohn gehorchte. Er beantwortete die ihm vor—
gelegten Fragen am 25. Januar 1770 mit einer Entjchieden-
heit und Offenheit, daß er jelbjt den Prinzen erfuchte, das
freimüthige Befenntniß niemand zu Geficht kommen zu laſſen.
Nie Hat fi) Mendelsfohn jo kühn und unerfchroden über das
Chriſtenthum ausgeiprochen, als in feinem Schreiben an den
Prinzen. Nicht ohne Rührung kann man den Schluß dieſes
Schreibens Iefen. Welche Seelengröße [pricht fi darin aus!
„Durchlauchtigſter Prinz! Ich fürchte, meiner Feder allzu
freien Zauf gelaffen zu haben, und würde untröjtlich fein, wenn
id) das Unglück hätte, durch allzu große Freimüthigfeit mir
Ew. Durchlaucht Ungnade zuzuziehen. Ach breche mit Zittern
1) Schr. III, 128 f.
2) Schr. III, 129, 133.
— 20 —
ab und erwarte mein Schidjal mit der quälendjten Ungeduld.
Dem allgütigen Herzenskündiger ijt bekannt, daß ich die Wahr-
heit aufrichtig fuche, und daß es mein unveränderlicher Vorſatz
ift, niemal3 mit meinem Wifjen einer vernünftigen Seele Aerger—
niß zu geben. Alle Gelegenheiten, jemals über diefe Punkte
in öffentlihe oder aud in Privat-Streitigfeiten zu gerathen,
werde ich zeitlebens forgfältig zu vermeiden fuchen. Ew. Durch—
faucht allein habe, auf Dero gnädigjten Befehl, meine Ge—
finnungen weder verhehlen noch verjtellen können. Sch bin von
Dero erhabener Denkungsart verfichert, daß Sie nichts als Auf-
vichtigfeit von mir erwarten und mir zugleich die Redlichkeit
zutrauen, niemals ſelbſt von diefen Gefinnungen ſchädlichen Ge
brauch zu machen. Sch verachte die Feine Denfungsart der
ssreigeifter, die fich ein fehr fchadenfrohes Vergnügen daraus
machen, die Unschuld in ihrer Zufriedenheit zu jtören, und mit
dem Eiferer, der diefes aus irrendem Gewiſſen thut, kann id
nicht ander8 als Mitleid Haben. Ach nehme mir daher die
Kühnheit, Em. Durchlaucht unterthänigft zu bitten, Diefes
Schreiben zu vernichten, damit es nicht dereinjt in die Hände
eines Menfchen gerathe, der es mißbrauchen, oder der vermöge
feines Standes fich für verbunden halten fünnte, darüber Streit
zu erregen“, ?)
Seine Offenheit und „allzu große Freimüthigkeit“ zogen ihm
feineswegs die gefürcchtete Ungnade zu. Der Erbprinz wurde
Mendelsiohns Freund.
Diefem feinem fürftlichen Freunde ftattete er im October
1770 einen Beſuch in feiner Refidenz in Braunfchweig ab.
Durch die vielen Widerwärtigfeiten der legten Zeit mißmuthig
und verjtimmt, hoffte er durch die Zerftreuungen einer Reife,
welche er nad) Braunfchtweig und Hannover zum Theil in Ge-
Ihäften unternahm, feine alte frohe Laune wiederzugewinnen.
In Begleitung des zwanzigjährigen David Friedländer,
1) Schr. III, 131 f.
— 21 —
der furz zuvor aus Königsberg, feinem Geburtsorte, nach Berlin
gefommen war, trat er am 16. October die Reife an. Auch Leffings
Bruder Karl, dem Mendelsfohn um eben diefe Zeit eine Stelle
als Affiftent beim General-Münzdirectorium verſchafft Hatte,
beabfichtigte anfangs, mit ihm zu reifen, wurde aber durch feine
Stellung verhindert. ?)
Nach einer mehrtägigen Fahrt traf er in Braunschweig ein,
trat bei Herz Samfon, dem Bater des Gründers der Samſons—
fchule in Wolfenbüttel, ab und begab fi) auch alsbald mit
Herrn Friedländer, „den der Erbprinz auch fehon Fannte“, ins
berzoglide Schloß. Mit welcher Freude wurde er von dem
Erbprinzen empfangen! Den ganzen Abend mußte er bei ihm
zubringen.?2) Die Herzogin-Mutter, die Schöne Philippine Ehar-
lotte, die Schweiter Friedrich des Großen und Freundin Jeru—
ſalems, welche die edeliten Lebensfreuden in dem Umgange geijt-
begabter Zeitgenoſſen fuchte, gewann den feinen Juden fo
lieb, daß „lie fein Portrait gleich unter das ihres Vaters, des
Königs in Preußen, hing“. ?)
Beim Abſchiede erfuchte der Erbprinz feinen Gaſt, am
folgenden Tage nachmittags vier Uhr feinen Beſuch zu wieder:
holen. Mehr als diefe Einladung erfreute Mendelsfohn die
Aufmerkſamkeit des Prinzen, daß diefer Ebert auftrug, Leſſing
die Ankunft ihres Freundes fchleunigit anzuzeigen; er hoffte,
daß der Herr Bibliothefar „deswegen fobald als möglich von
Wolfenbüttel herüberfommen würde‘. *)
Leffing kam fofort und nahm den Freund mit fich nad)
Wolfenbüttel,
1) Leſſings Schr. XII, 249.
2) Leſſings Schr. XIIL, 251 f.
3) Bimmermanns Briefe an einige feiner Freunde in der Schweiz
(Aarau 1830), 199.
H Leſſings Schr. XIII, 251.
— 22 —
Achtunddreißigſtes Kapitel.
Mendelsjohn und Lejfing.
Ueber drei Jahre waren verfloffen, ohne daß fi die
beiden Freunde gejehen, ja ohne daß fie einander mehr als ein
einziges mal gejchrieben hatten. Sie fanden fich beide merklich
verändert. Der Kummer über die jüngften Vorfälle malte fich
auf Mendelsfohns Geficht; auch Leffing war nicht glücklich, und
wenn auch die Liebe zu Eva König, feiner „Liebjten, bejten, einzigen
Freundin“, tiefe Wurzeln in feinem Herzen gefchlagen hatte, fo
war er doch mit feinem Geſchick im höchſten Grade unzufrieden.
Mit Schmerz dachte er daran, daß noch Jahre vergehen könnten,
ehe es ihm, dem PVierzigjährigen, vergönnt wäre, feine Geliebte
heimführen zu können.
Einige jener glüdlichen Stunden, welche die Freunde an
das traulihe Zufammenteben in einer für beide längſt ge=
Schwundenen Zeit Iebhaft erinnerten, verbrachte Mendelsfohn
jegt in Wolfenbüttel. Es braucht kaum bemerkt zu werden,
daß der Bibliothekar feinem Freunde auch die Bibliothek und
alle ihre Seltenheiten zeigte, wenngleich der Bruder ihn vorher
erfucht Hatte, „Moſes ja nicht in der Bibliothef Herumfuchen
zu laſſen, denn er fünnte dort etwas entdeden und dann ließe
er alles Uebrige Tiegen“.!) Der Berfaffer des „Phädon“ war
wie von Verwunderung verfteinert und rief beim Anblid der
Bibliothef aus: „Welche erjtaunliche Menge von Büchern, und-
wie wenig weiß man!“ Leſſing mochte diefe Betrachtung wol
nicht willfommener fein al3 dem Luſtwandler der Kirchhof, aber
der Freund erfannte an folchen Yeußerungen feinen Philoſophen,
zumal da diefer noch Hinzufügte: „Sch bin ja zu Ihnen nicht
der Bücher wegen, fondern um Shretwillen gefommen. Nur
) Leſſings Schr. XIII, 252.
— 23 —
Ihre Meinungen will ich wiffen, nicht, was in diefen ſchönen
Särgen ruht.“ !)
Und gerade Leffing war daran gelegen, zunächſt Mendels-
fohns Meinung über das zu vernehmen, was ihn jebt am
meiſten beichäftigte, über das wichtige Manufeript, das er vor
allen Berfonen, felbjt vor dem Erbprinzen, geheimhielt, über
die fpäter fo berühmt gewordenen „Fragmente“,
Man war über den Verfaſſer diefer „Schußichrift für die
vernünftigen Verehrer Gottes“ lange in Zweifel und hat einige
Zeit fogar Mendelsfohn dafür gehalten; heute ift es allgemein
befannt, daß der Hamburger Profejjor Hermann Samuel Reimarus
diefes Werk als ein Fünfzigjähriger begonnen und über zwanzig
Sahre daran gearbeitet hat. Die geiftreiche Tochter dieſes 1768
verftorbenen Hamburger Gelehrten, Elife Reimarus, diefe Herzens—
freundin Mendelsfohng und Leſſings, gab dem Iebtern bei feiner
Abreife nach Wolfenbüttel einen Theil des Manufeript3 in Ab—
fchrift mit. Ob Mendelsfohn, vielleicht durch Leſſings Bruder
Karl, von dem Inhalte diefer den Geift der freieſten Forfchung
ausftrömenden Fragmente wußte? Er gratulirte dem zufünftigen
Herausgeber zu diefer Entdeckung mit der Verficherung, daß er
ihn nicht beneide. 2)
Leffing gab dem Freunde das Manufeript mit nad) Berlin.
Mehr als irgendiwo zeigt fich gerade in dem Urtheile, twelches
Mendelssohn über diefen feltenen Schat füllte, die Verfchieden-
heit feiner Denfungsart von der Leſſings. Die Fragmente
waren ihm „in aller Betrachtung ſehr wichtig und allein fchon
eine Reife von dreißig Meilen werth“; allein es fchien ihm,
„als wenn der Berfafjer zumeilen unbillig wäre“; er fei eben
fo wider gewiffe Charaktere al3 andere für diefelben einge-
nommen; er leite alles aus böfen, graufamen, menfchenfeind-
lichen Abfichten her. „Den Menfchen als Menfchen zu betrachten,
) Karl Leifing, a. a. O. I, 320.
2) Karl Leifing, a. a. ©. I, 319.
— 24 —
ihn nad) den Sitten, Gewohnheiten und Kenntnifjen feiner Zeit
und in Vergleihung mit feinen Nebenmenſchen zu beurtheilen,
dazu muß man weder VBorurtheile haben, noch ſich aus Abfcheu
gegen Vorurtheile zur Unbilligfeit verleiten Yaffen; dazu muß
man das Maß der menfchlichen Kräfte kennen und feine Phan-
tome im Kopfe haben, die uns fchiwindelig machen.) Diefe
Anficht konnte Leffing nicht theilen, am allerwenigjten wollte er
auf feinen Ungenannten Unbilligfeit kommen laſſen. Stimmte
er auch darin mit Mendelsfohn überein, daß man bei Beur-
theilung gewifjer Charaktere und Handlungen da3 Maß der
Einfiht und des moralifchen Gefühls mit in Betracht ziehen
müſſe, welches den Zeiten zukomme, in die fie fallen, jo gelte
das doch nur bei foldhen Charakteren und Handlungen, Die
weiter nicht3 fein follen al3 Charaktere und Handlungen bloßer
Menihen. „Die Urfache, warum Ihnen ein ſolches Berfahren
bei unferm Ungenannten aufgefallen iſt,“ heißt es in feinem
Briefe an Mendelsfohn vom 9. Januar 1771, „muß blos darin
liegen, daß Sie von jeher weniger gehalten gewefen, die ge-
tadelten Handlungen in dem Lichte der Göttlichkeit zu betrachten,
in welchem wir fie chlechterdings betrachten follen.‘?)
Den Standpunkt der unummwundenen, rüdjichtslofen Kritik
theilte Mendelsjohn nicht; Reimarus ging ihm unftreitig zu
weit. Konnte ex fich ſchon mit den Philofophemen diefes von
ihm fo hochgeſchätzten Mannes, der für die Wolffiihe Philofo-
phie dafjelbe war, was David Strauß, fein neuejter Biograph,
für die Hegeliche wurde, nicht einverjtanden exflären;?) um
wie viel mehr mußte er die „Fragmente“, die von allen Glau—
bensrüdfichten und aller Bibelautorität fich losfagten, verwerfen.
Darum rieth er aud) den Freund aufs entjchiedenjte von der
Beröffentlihung der „böſen“ Fragmente ab; in feiner Friedens-
liebe verfprah er ſich davon wenig Erjprießliches für den
) Schr. V, 185.
2) Schr. V, 188 f.
3) Schr. IV, 2, 176 ff.; V, 270.
— 253 —
Freund und, bezeichnend genug für feine Denfweife, für die
Menschheit.
Sonderbar bleibt es immerhin, daß der Erbprinz durch
Mendelsjohn zuerjt von den Fragmenten Kunde erhielt. Sie
bildeten bei dem Befuche, welchen er ihm vor der Abreife ab-
ftattete, das Thema der Unterhaltung. Der Prinz wollte das
Manufeript felbjt ſehen, aber Leffing entjchuldigte fich damit,
daß es der Freund in Berlin habe. „Wenn Sie mir ant-
worten,“ bemerft Mendelsfohn in feinem erjten Briefe nad)
jeiner Rückkehr an Leffing, „jo melden Sie mir doch, ob die
bemwußte Perſon noch ferner in Sie gedrungen, fie das Manufeript
jehen zu lafjen, oder ob der Eifer nur ein fo kurzer Ueber-
gang gewefen.“!) „Die Neugierde der bewußten Perfon nad)
dem Manuferipte hat fich halten laſſen,“ erwiderte Leffing am
9. Januar 1771. „Er Hat nicht eher wieder daran gedacht,
als bis er mich vor einigen Tagen wieder zu fehen befam.
Ich fürchte, daß fein Verlangen, die Sache ſelbſt befjer ein-
zufehen, ebenfall® nicht weither ift; daher Habe ich ihm aud)
nur blos die Vorrede mitgetheilt, unter dem Vorwande, daß
Sie das übrige Manufeript bei fich hätten.“ ?)
Nach einem mehrtägigen Aufenthalte in Braunschweig und
Wolfenbüttel, an welchen mit vielem Vergnügen zurüdzudenfen
er alle Urſache Hatte, fette Mendelsfohn feine Reife nad)
Hannover fort, wojelbjt er der Gaſt des reichen Michel David)
war; in dejjen Haufe traf er auch den philofophifch gebildeten
Buchhalter Moſes Philippfon, der ein „Leben Spinozas“ ge-
) Schr. V, 186.
2) Schr. V, 189.
3) Michel David, deffen Sohn eine noch heute in Hannover be-
ftehende israelitiſche Freifchule gründete, wird feiner feltenen Uneigen:
nügßigfeit wegen gerühmt von oh. G. Zimmermann (Briefe an einige
feiner Freunde in der Schweiz, ©. 134); ſ. 1. Aufl. ©. 227.
Kanferling, Moſes Mendelsfohn. 15
= 2
ſchrieben und auf Verlangen der königlich Furfürftfichen Juſtiz—
fanzlei zu Hannover ein Gutachten „Ueber die Verbejjerung des
Judeneides“ abgegeben hat.) Hier machte er die Befanntichaft
verfchiedener angefehener Männer. Der Minijter von Münch—
"haufen, „diefer große Beförderer der Wiſſenſchaften, war fo
gnädig ihn vorzulafjen“, und Mendelsfohn war „jo glücklich,
diefen würdigen Greis, der faum vier Wochen nachher verfchied,
in einer Stunde zu finden, die heiter und fait jugendlich für
ihn war“.) Den Mathematifer Raphael Levi, mit dem er in
Gorrefpondenz ftand, und den Hofrath Zimmermann lernte ex
jeßt perfönlich Fennen.
Von Hannover wollte er auch noch nach Göttingen, wozu
ihn befonder3 der Minifter Münchhaufen aufmunterte, um die
perjönliche Befanntichaft des Profeſſors Michaelis zu machen,
mit dem ex feit feinem erjten literarifchen Verſuche einen Brief:
wechfel unterhielt, den er als „Schriftgelehrten, Sprachforicher und
Weltweiſen“ hochachtete und der ihm auch einige Monate früher
den erjten Theil feines epochemachenden „Mofaifchen Rechts“ zu—
gefickt hatte.) Er Hätte gern noch diefe zehn Meilen zurück—
gelegt, wenn e3 feine Geſchäfte und feine Reiſegeſellſchaft ge-
itattet hätten. #)
Sp trat er denn über Halberjtadt die Rücdreife an. Hier
befuchte er den gelehrten Abraham Halberjtadt und hielt fich
einige Stunden bei Gleim auf, dem er ein Cremplar des
gerade exjchienenen „Berengarius“ von Leffing überbrachte. Er
war ımerbittlih, dem Wunfche des Tiebevollen „Waters“ der
) Neujtrelig 1797. In einem Briefe des Hofraths Ebell in
Hannover an PBhilippjon heit es (Judeneid, 155): „unſer gemeinjchaft-
licher verewigter Freund Mendelsjohn.‘
2) 1. Aufl. ©. 509.
3) 1. Aufl. S. 508.
9 1. Aufl. ©. 509.
— 227 —
deutfchen Dichter zu entiprechen und länger bei ihm zu ver-
weilen; „er verrieth jo ſehr den zärtlichen Vater und eilte zu
feinen Kindern‘.?)
Neununddreißigites Kapitel.
Pendelsjohn und die Akademie.
Die ehrenvolle Aufnahme, welche Mendelsfohn am Braun:
fchweiger Hofe, in Hannover und überall fand, wo er auf feiner
Reife fich aufgehalten Hatte, that feinem gedrücten Gemüthe
recht wohl und bot ihm einigen Erfaß für die vielen Kränkungen,
welche er infolge des Lavaterſchen Streites erfahren Hatte,
Die höchſte Genugthuung aber, welche ihm zu Theil wurde,
it die zu Anfang des Jahres 1771 erfolgte Erwählung zum
Mitgliede der Akademie der Wifjenfchaften zu Berlin.
Sein Freund Sulzer, „an defjen Seite der Name unferes
berühmten Mendelsfohn fo oft glänzte”, wie der Afademifer
Formey fi) ausdrüdt,?) Hatte ihn in Borfchlag gebracht und
ihm auch das Refultat der Wahl im Namen der Afademie am
17. Februar 1771 in folgenden Zeilen angezeigt:
„Mein verehrtefter Herr!
Die Königliche Akademie Hat mir aufgetragen, Ihnen zu
hinterbringen, daß ihr Wunsch ift, Sie als ordentliches Mitglied
der philofophifchen Claſſe zu beſitzen. Sie wünſcht alfo und
hoffet, daß eine folche Stelle, obwol jet vor der Hand Feine
Penfion dabei ift, Ihnen nicht zumwiderfein möchte. In dieſem
Fall wird der VBorfchlag an den König morgen abgehen. Geien
Sie jo gütig, mid wiſſen zu laſſen, ob Sie damit zufrieden
) Leſſings Schr. XIII, 255.
2) Eloge de Mr. Sulzer. Lu dans l’assembl&e publique de
l’acadömie royale des sciences du jeudi 3 juin par le secretaire
perpetuel [Formey] (Berlin, 1779), 25.
15*
— 223 —
find. Mir würde es befonderd angenehm fein, Sie zum Col-
legen zu haben.“)
Er willigte ein, und die Wahl wurde dem Könige zur Be-
ftätigung vorgelegt.
Mendelsfohns Freunde triumphirten; „den Vorurtheilen
feiner Gegner war nun mit einemmale geradezu ins Geſicht ge-
Ichlagen“. Der praftifche Nicolai dachte Schon daran, daß, „wenn
Mofes möglicherweife Fünftig eine Penfion erhielte, ihm dies
die Muße geben würde, die er big jegt nicht hat“.
Die Zuftimmung des Königs ließ indeß lange auf fi
warten. Nicolai, der Leffing in feiner Freude ſchon am 12. Fe-
bruar die Mittheilung von feines „Moſes Wahl zum Afa-
demiften“ gemacht hatte, fchrieb ebendemjelben im März: „Man
vermuthet, daß jett in Potsdam Staatsgefchäfte im Werke find,
und daß der König darüber das Schreiben der Afademie zurüc-
gelegt hat.“,“) Den Afademifern felbjt war die Verzögerung
der Antwort unbegreiflih. Sulzer zog bei dem SHofpojtamte
Erfundigungen ein und fand, daß das Schreiben der Akademie
wirklich abgegangen fei; der geheime Cabinetsrath Köper, bei
dem alle Depefchen abgegeben wurden, wäre, meinte er, der
einzige, der „einige Aufflärung in diefer einigermaßen unbegreif-
lihen Sade geben könnte“.
Das Schreiben der Akademie war allerdings an den König
gelangt. Als er jedoch Mendelsſohns Namen auf der Lijte er—
blidte, wurde er ärgerlich; ex erflärte den Herren Afademifern
in einer nicht allzu höflichen Zufchrift, Fünftighin mit mehr Sorg-
falt die Aetenjtüde anzufertigen, welche man ihm vorlege, und
trug ihnen auf, neue Candidaten in Vorfchlag zu bringen. Auch
auf der neu entworfenen Lifte wurde Mendelsfohns Name bei-
behalten, vom Könige aber gejtrichen. Der Akademiker Merian,
welcher fich nächft Sulzer am meiften bemühte, Mendelssohn
durchzubringen, verfiel in Ungnade.
1) Schr. I, 4.
2) Lefſings Schr. XIII, 278, 284.
— 229 —
Zange war man darüber in Zweifel, aus welchem Grunde
der König der Wahl Mendelsjohns die Zuftimmung verfagte.
Man Eonnte fich nicht denken, daß fein Veto gegen den Juden
gerichtet war; hatte er doc) das unjterbliche Wort geſprochen:
„Ein Menſch, der die Wahrheit fucht und Tiebt, muß unter aller
menschlicher Gefellfchaft werth gehalten werden.“ Einige fuchten
den Grund in der früher von Mendelsfohn gegen die Akademie
gerichteten Schrift „Pope ein Metaphyſiker“; man fennt ja aber
die edle Rache, welche das beleidigte Tribunal fchon 1760 an
dem mitbetheiligten Leffing nahm, indem es ihn zum Mitgliede
creirte. Andere vermutheten, daß der König dem deutſchen
Mendelsjohn die Mißachtung der franzöfifchen Philofophen und
die Kritif feiner Gedichte nicht hätte verzeihen fünnen. Es war
in der That der Jude, den der König zurückwies. Es wird
behauptet, die Kaiferin Katharina II. von Rußland, die Ver:
fafjerin einer ruſſiſchen Erzählung „Chlore Czarewitz“, hätte bei
der damaligen Wahl aufgenommen zu werden gewünjcht, und
es fei erflärlih, daß die philofophifche Klytämneſtra, deren
Freundfchaft der König in der ein Jahr fpäter vorgenommenen
Theilung Polens gar jehr bedurfte, dem armen Juden vorge—
zogen wurde. !)
Die Nichtaufnahme Mendelsfohns erregte den Unwillen
aller VBorurtheilsfreien. Der Philofoph Lambert und der Prä-
fident Formey beflagten die Afademie, daß fie eines fo fchönen
Schmudes wie Mendelsfohn beraubt fei.?) Der geiftreiche Käjt-
ner, der gerade nicht zu feinen Verehrern gehörte und ſogar
den „Phädon“ dadurch Lächerlich zu machen fuchte, daß er in
einer frohen Laune äußerte: „Abbt wäre in meinen Augen ein
weit größerer Philoſoph, wenn er über die Unfterblichfeit der
Seele Moſes den Sohn Amrams eher gefragt hätte als Mofes
1) Bartholmess, Histoire philosophique de l’acad&mie de Prusse
(Paris 1850), I, 225 ff.; Mlerander von Humboldt3 Briefwechjel mit
Varnhagen von Enfe (Leipzig 1860), S. 120.
2) Henning3 Souvenir de Berlin. (Handfchriftl.)
— 230 —
Mendelsjohn,“!) eben diefer Käftner fühlte fich bei diefer Ge-
legenheit veranlagt, den BZurüdgefegten in dem Epigramme zu
verherrlichen:
„Ein neuer Dionys rief von der Seine Strande
Sophiftenfhwärme her für feinen Unterricht;
Ein Plato lebt in feinem Lande,
Und diejen fennt er nidht.‘‘?)
Welch’ edler Unwille Tiegt in diefen wenigen Zeilen!
Mendelsfohn felbjt nahm diefe kränkende Behandlung des
Königs mit philofophiichem Gleichmuthe auf; wunderte ex fich
doch nicht wenig darüber, daß eine königlich preußifche Akademie
es jih auch nur einfallen Tieß, einen Juden zum Mitgliede zu
wählen.) -
ALS fein Freund Herz Homberg, der Erzieher feiner Kinder,
von dem noch fpäter die Rede fein wird, zum Correpetitor vor-
geichlagen, vom Kaifer Joſeph aber nicht beftätigt wurde, tröftete
er ihn mit den Worten: „Außerordentliche Männer thun felten,
was jedermann von ihnen erwartet; denn fie find außerordent-
lihe Männer. Was alfo die Majejtät in Shrer Sache ent—
Ihieden Hat, ijt ganz in der Regel; uns in aller Betrachtung
zwar unlieb, aber doch im Grunde lieber, als wenn die Maje-
ftät Sie approbirt, die Philofophie aber Sie als untüchtig ver-
tworfen hätte. Ich habe, wie Sie willen, ein ähnliches Schickſal
gehabt. Die Akademie Hat mic) zum Mitgliede gewählt, des
Königs Majejtät aber die Wahl nicht beftätig.. Warum? das
weiß ich eben fo wenig, als Sie jet wiffen, warum Sie der
Raifer nicht zum Correpetitor haben will. Neligionshaß iſt es
doch ficherlich nicht. Aber müde machen follen ung ſelbſt die
Großmächtigſten nicht! Je größere Schwierigkeiten, dejto mehr -
Kräfte müffen wir anftrengen. Es müſſen mehrere und immer
') Käſtners gefammelte poetifhe und projaifhe Werke (Berlin
1841), IV, 144.
2) J. H. Voß' Briefe (Halberftadt 1829), I, 90.
3) Schr. III, 420.
— 231 —
mehrere unter uns aufftehen, die fi) ohne Geräufch hervorthun
und Verdienfte zeigen, ohne lauten Anfprudy zu machen. Lafjen
Sie dann nur die Excellenz menjchenfreundlich genug fein, das
Berdienjt anzuerkennen; die Majeftät wird am Ende dennod
der Ercellenz nachfolgen müffen.“?)
Noch in demfelben Jahre, in welchem Friedrich der Große
die Wahl Mendelsjohns zum Mitgliede der Akademie verwarf,
wurde dem Philofophen die Auszeichnung zu Theil, an den
königlich preußifchen Hof berufen zu werden. - Im Dctober
1771?) befand fich Luife Ulrife, die verwitwete Königin von
Schweden, die geiftuolle und energifche Schweiter Friedrich des
Großen, in Berlin. Sie hegte den Wunſch, Mendelsfohn Fennen
zu lernen. „Der berühmte Jude ift drittehalb Stunden lang bei
mir gewejen, ohne daß mir die Zeit lang geworden wäre,“
Ichreibt fie an ihren älteften Sohn, König Guſtav den Dritten.?)
Sie brauchte alfo nur zu fagen: „der berühmte Jude“, damit
ihr Sohn, der Schwedenfönig, fofort wiffe, wen fie meinte.
In folder Hochachtung ſtand Mendelsfohn jchon damals
in ganz Europa.
) Schr. V, 679 f.
2) Lefjing Schr. XII, 316. In einem Briefe vom 31. Dectober
1771 fragt Leffing feinen Bruder Karl: Was macht unjer Moſes? Iſt
er gefund? Hat er blos Fritſchen oder auch den König noch gejproden ?
3) €. ©. Geyer, des Königs Guftav III. nachgelafjene Papiere
(Hamburg 1843), II, 14; vgl. Allg. Ztg. des Judenthums, 1876, S. 470.
Zehntes Bud).
Sieben Ruhejahre.
Bierzigftes Kapitel
Mendelsſohns Krankheit.
Mendelsfohn, wiewol ſchwächlicher Conftitution, hatte ſich
durch eine mäßige Lebensart feit feiner Jugend in ziemlicher
Gefundheit erhalten. Außer einer Krankheit, welche ihn im
April 1757 befiel und vierzehn Tage ans Lager feſſelte,) hören
wir ihn nur über die „nachtheiligen Einflüffe der ungejunden
Luft” zuweilen Flagen.?)
Erjt die Gemüthsaufregungen der letzten Jahre und die
Kränfungen, welche der Lavaterfche Streit ihm verurjachte, übten
die nachtheiligjten Wirkungen auf feine Geſundheit.
Ende Februar 1771 verfiel er in eine Nervenkrankheit,
die für fein Leben fürchten Tief. Er fühlte heftige Bewegung
im Kopfe und einen wallenden Lauf der Säfte von einer Stelle
zur andern; e3 war ihm, wie ex felbjt fchildert, al$ wenn etwas
Glühendes vom Gehirn herab den Rückgrat entlang einftrömte
und Widerftand fände, oder als wenn jemand mit glühenden
») Schr. V, 89.
2) Schr. V, 143.
— 233 —
Ruthen ihm den Rüden geißelte.!) Bei diefen Anfällen, welche
ihn nachts nad) dem erjten Erwachen aus einem unruhigen
Schlafe anzumwandeln pflegten, hatte ex volles Bewußtſein; er
war im Stande, jede. Gedanfenreihe mit Ordnung und Deut-
fichfeit zu verfolgen, aber er war jeder willfürlichen Bewegung
unfähig und fonnte weder ein Glied am Leibe rühren, noch
einen Zaut von fi) geben, oder die Augen öffnen, bis der
Nervenfaft durch eine Erfchütterung von außen in Bewegung
gefeßt wurde. Diefe Erjtarrungen waren mit Aengjtlichkeit,
Ohrenſauſen und Herzklopfen begleitet, zu welchen jpäter noch
Schwindel fam. Er konnte faum eine Seite fchreiben, leſen
oder fich vorlefen laſſen, jo befam er gleich den heftigjten
Schwindel und nacht3 die bedrohenditen Anfälle. Doctor Markus
Bloch, der in Frankfurt a. O. promovirte und ſich dann als
Arzt in Berlin niederließ, hat diefe jeltene Krankheit als Freund
und Arzt genau beobachtet und befchrieben.?)
Nur durch eine ftrenge Diät und dauernd fortgejegte Ent-
fagung aller Genüſſe wurde er von den heftigen Anfällen nad)
und nad) wieder befreit. Monatelang dienten ihm Brot und
Früchte als Speife, Waſſer mit Citronenfäure und einige Taſſen
Thee ala Getränk. Seine Freunde [ud er mit der heiterften
Miene zu Speifen und Getränken, von welchen ex jelbjt nichts
zu foften wagen durfte. Das Aergſte für den fo raſtloſen
Denfer war, daß er „leine Seele in Banden fchlagen“ und ſich
nunmehr nicht blos von jeder Meditation, fondern auch von
Lefen und Schreiben fern Halten mußte. Auch das ertrug er
mit der Geduld eines wahren Weifen. „Es war eine Zeit,‘
berichtet der Hofrath Zimmermann, „da Mendelsfohn fi) aus
jedem Zimmer wegbegeben mußte, wo man von WPhilofophie
ſprach, denn er ward ohnmädtig, wenn er fich nicht entfernte.
Lange verbot er ji darum alles Denken. In diefem Zujtande
!) Schr. III, 438.
2) Bloch, Medicinifche Bemerkungen (Berlin 1774), 60 ff.
— 234 —
fam einjt, wie diefer große und Tiebenswiürdige Philofoph mir
jelbjt in Hannover erzählt hat, fein Arzt zu ihm und fragte:
„„Was machen Sie denn, wenn Gie fo in Ihrer Stube find
und nicht denken dürfen?““ „„Ich gehe ans Fenſter,““ er:
widerte er, „„und zähle die Ziegel auf meines Nachbars
Dache.”* Ohne Deine ruhige Weisheit, o edler Mendelsfohn,
ohne folhe Ergebung in den Willen Gottes, gelangt aber auch
fein Menfch zu folcher Größe.“ ?)
Selbjt jein Studirzimmer, welches eine Etage Höher als
fein Wohnzimmer lag und in welchem feine mäßige Bibliothef
aufgejtellt war, mußte er monatelang meiden. Der Zufall führte
ihn eines Tages dahin; er fand feinen Schreibtifh in Unord-
nung, und in einige Bücherrepofitorien hatte die Frau Con—
fituren gejtellt. Ein Schauder überfiel ihn, er glaubte, Tebendig
todt zu fein und zu fehen, wie es nad) feinem Werfcheiden in
feinem Studirzimmer ausfehen würde. Geſchwind fchlug er die
Thüre zu; die Augenblide, in denen er die Treppe hinunter-
ging, hielt er für die traurigjten feines Lebens. ?)
Nach zwei Monaten war er jo weit wieder genefen, daß
er einine Stunden des Tages im Gefchäfte thätig fein und
feinen Freunden wieder ein Lebenszeichen von fich geben konnte.
Die eriten Zeilen, die er nad) feiner Kranfheit fchrieb, waren
an feinen LZeffing gerichtet, der feinetwegen in großer Unruhe
lebte.3) „Ich befinde mich feit einiger Zeit fo übel,“ fchreibt
er ihm am 9. April 1771 bei Ueberjendung der zweiten Auf-
lage feiner „Philoſophiſchen Schriften“, „daß mir das Lejen und
Schreiben völlig unterfagt worden if. Noch diefen ganzen
Sommer foll ich fo muſenlos Hinbringen, und wie jener König
der Menjchheit beraubt werden, um unter den wilden Thieren
meine Vernunft wiederzufuchen. Leben Sie wohl, mein Freund!
) Zimmermann, Ueber die Einfamfeit, III, 182; Bloch, a. a. D. 63.
2) Göckingk, a. a. D. 147; Schr. I, 25.
3) Leifings Schr. XIIL, 301.
— 235 —
und mäßigen Sie Ihren Eifer zu leſen und zu denfen, damit
Sie dejto länger aushalten.“!) Tags darauf jchrieb er dem
Profeſſor Michaelis: „Ich hatte zeither nicht fchreiben können,
weil ich mich jchlechterdings alles Schreibens enthalten mußte.
Sch wurde alljofort von einem Schwindel überfallen, der nicht
ohne Gefahr geweſen, jo oft ich nur eine Seite zu leſen oder
zu fchreiben mich unterftund. Noch bin ich nicht völlig davon
befreit; e3 läßt fich aber nad) und nach zur Befjerung an, und
ich) Hoffe, daß es mir nicht auf immer unterfagt fein wird, mein
Leben zu genießen.“?) Noch ausführlicher berichtet er über
feinen Zuftand feinem lieben Better Elfan Herz, mit dem er
eine ununterbrochene, theils freundichaftliche, theils geichäftliche
Eorrefpondenz unterhielt und mit dem er auch „in einen nüß-
lichen Briefwechjel zu kommen“ wünſchte. „Sch Habe mich feit
Purim fo übel befunden,” Eagt er diefem theilnehmenden Ver—
wandten am 22. Juli 1771, „daß ich feinen Brief habe fchreiben
fönnen. Sch habe auch im allgemeinen feinen Gefchäften nachgehen
fönnen und Habe bejtändig in ärztlicher Behandlung fein müffen.
Die Krankheit Hat im allgemeinen nachgelafjen, jo daß ich etwas
auf dem Wege der Befjerung bin, wierol ich mich noch fehr in
Acht zu nehmen habe. Es wird mir noch immer ſehr jauer,
einen ordentlichen Brief zu fchreiben, fo jehr bin ich mit Schwin-
del behaftet.‘ 3)
Eine Wiederholung der Reife nach Braunfchweig und
Hannover und der Befuch Göttingens, welchen ex fich für diefen
Sommer vorgenommen und auf welchen ex fich fo fehr gefreut
hatte, mußten unterbleiben, weil die Aerzte glaubten, daß ihm
eine fo weite Reife fchädlich fein fünnte; „man ift elend genug
daran, wenn man nad) diefer Herren Glauben fein Zeben ein-
richten muß.“ Ex vertröftete fich) auf den zukünftigen Sommer,
) Schr. V, 191.
2) 1. Aufl. ©. 512.
3) Daj. ©. 49.
— 236 —
in dem er die Heilquellen Pyrmont zu befuchen und gleid)-
zeitig die projectirte Reife auszuführen gedachte. !)
E3 dauerte noch lange bis Mendelsſohns Zuſtand fich
befjerte. Dem Hofrath Zimmermann, der fich im Herbfte 1771
in Berlin einer für fein Leben enticheidenden Operation unter:
ziehen mußte und nad) feiner Genefung oft zu feinem jüdifchen
Freunde, „zu feiner vortrefflichen Gattin und feinen Tiebens-
würdigen Kindern“ Fam, auch dem, den Freund behandelnden
Arzte kleine Winfe gab, wie er ihn zu führen habe, fchrieb
Nicolai den 16. December 1771: „Mendelsſohn kann noch nicht
einmal feine Handlungsgefchäfte verrichten, und faſt befürchte ich,
daß er zu gelehrten Arbeiten fobald noch nicht Stärke befommen
wird. Er jelbjt weiſſaget fi) dies, und wenn ich mit ihm
allein bin, merfe ich, wie traurig ihm dieſe PVerfpective ift, und
ic) mag und kann ihn darüber nicht tröften, weil mein Troſt
Gift fein mwirde.“?)
Im Frühjahr 1772 war er fo weit bergejtellt, daß er
feinen täglichen Gejchäften ohne Störung obliegen, es aud
wagen durfte, Leſſings neues Trauerfpiel, Emilia Galotti, ganz
zu leſen,)) und den 25. Juni meldete er freudig dem Hofrath
Zimmermann: „Ich bin fein Kranker mehr, der Ihrer ſchleu—
nigen Hülfe bedarf.) Zur völligen Herjtellung feiner Gefund-
heit wurde ihm der Beſuch Pyrmonts von den Aerzten dringend
gerathen. Einer folchen Reife aber widerſetzten fich feine häus-
lichen Umſtände.
Man kann fich faum des Mitleids bei dem Gedanken er-
wehren, daß ein Mann wie Mendelsfohn nicht einmal fo ge
jtellt war, um die erforderlichen Koften zur Herftellung feiner
Geſundheit beftreiten zu fünnen! Ein „reicher Iſraelit“ reiſte
1) 1. Aufl. ©. 512.
2) Bodemann, Joh. ©. Zimmermann. Sein Leben und bisher un:
gedrudte Briefe an denjelben (Hannover 1878), 301.
3) Dafelbft 301; Leſſings Schr. XIII, 370.
4) Mein: Moſes Mendelsfohn. Ungedrudtes und Unbefanntes, 127.
— 237 —
diefes Jahr nicht nad) Pyrmont, und „feine eigenen Privatum-
jtände gejtatteten jchlechterdings feine Reife von einiger Dauer;
er mußte fait täglich an feine Arbeit, fo fie fich nicht dergeitalt
anhäufen jollte, daß fie am Ende feine Kräfte überjtiege”.!) Was
war zu tun? Er tröftete ſich mit der Hoffnung auf eine befjere
Beit, diefem probaten Mittel, den Unzufriedenen in guter Laune
zu erhalten, und — ließ feine Frau einen Brunnen trinken auf
Herrn Iſaak Deſſaus Fabrik, die am Ufer der Spree, . dem
Sulzerihen Garten „im Moabiterlande” gegenüber lag, wohin
auch er fich, nachdem er feine Gefchäfte beforgt hatte,. allabend-
lich begab. ?)
Die unausbleibliche Folge der freilich ohne fein Verſchulden
unterlafjenen Eur war, daß er den ganzen folgenden Winter
nicht3 thun konnte al3 die Mufter für feine Fabrif zu zeichnen.
Ale Beichäftigung mit der geringjten Anftrengung behagte ihm
nicht nur nicht, fondern machte ihn auch wirklich Frank.) Nur
die menigjten Stunden des Tages könne er gebrauchen und
daher auch fo manchen Gelehrten, der ihn mit feinem Befuche
beehrte, nicht genießen, Hagte er Profeffor Michaelis in Göt-
tingen,#) als er ihm den Franzofen Francois Cacault empfahl,
der fich einige Monate bei Leffing aufhielt, deffen Dramaturgie
ins Franzöſiſche überfegte und Mendelsfohn für den beſten Kopf
in ganz Berlin exflärte.5)
Was hatte der arme Dulder noch alles zu leiden, bis er
aud nur einen Theil feiner Kräfte wiedergewann? Im April
1773 befiel ihn das kalte Fieber; anfangs freute man fich da—
mit, denn die Aerzte hielten e3 für die Krifis der Krank—
heit und gaben ich der Hoffnung Hin, daß diefelbe nunmehr
gänzlich fchwinden werde: doch vergebens. Der Zuftand ver:
') 1. Aufl. ©. 516. |
2) Mein: Mojes Mendelsfohn. Ungedrudtes und Unbekanntes,
13; 1. Aufl. 500.
3) Leſſings Schr. XIII, 449.
4) 1. Aufl. S. 518.
5) Zeffings Schr. XIII, 436.
— 233 —
Ichlimmerte ji) von Tag zu Tag. Mendelsjfohn zehrte immer
mehr ab, fo daß er ſich doch endlich entichließen mußte, Die
Reife nad) Pyrmont zu unternehmen.)
Diesmal war das Glück ihm geneigt. Zacharias Veitel
Ephraim ftellte ſich al3 der „reiche Iſraelit“ ein, „der feine Ge—
fundheit in Pyrmont ſuchen mußte“, jodaß der arme Mendels—
john „ohne fonderliche Kojten” aus den Pyrmonter Quellen
Ihöpfen konnte.
Schon im Juni follte die Reife vor fich gehen, ein Brief-
chen an Freund Leffing, von defjen Bruder Karl, war bereits
in Empfang genommen. ?) Da traten neue Hindernifje ein.
Mendelsfohns Kinder erkrankten plöglich, fie lagen jämmtlich an
den Blattern danieder, und der zärtliche Vater, der feine Kinder
über alles liebte, konnte fi) nicht entjchließen, fie vor der Ge-
nefung zu verlaffen. Die Abreife mußte fomit einen vollen
Monat verichoben werden. ?)
Einundvierzigites Kapitel.
Pyrmont.
Mendelsjohn und Graf Wilhelm von Schaum—
burg-Lippe.
„Sp eben fommen wir bier an,“ fchreibt Mendelsfohn den
16. Juli 1773 von Braunfchweig aus an Leſſing. „Morgen
iſt Sonnabend, da kann ich alfo nicht zu Shnen fommen. Wenn
mein Reiſegefährte eilt, fo reife ich den Sonntag wieder von
hier ab, nad) Pyrmont, ohne Sie gejehen zu haben. Iſt es
) Leſſings Schr. XIII, 457.
2) Daſ. XIII, 459.
3, Chr. Fel. Weißens Selbftbiographie (Leipzig 1806), 181.
— 239 —
Ihnen eine Möglichkeit, jo fommen Sie, der Sie feinen Sabbat
zu feiern haben, zu mir berüber; oder weil von Möglichkeiten
die Nede ijt: vielleicht fünnen Sie es möglich machen, daß Sie
mit und nach Pyrmont reifen. Ich gehe mit Herrn Zacharias
Beitel Ephraim, den Sie fennen müjjen, dahin. Wir haben
einen jehr bequemen vierjigigen Wagen, alfo ift Raum für noch
zwei Perſonen. Hier iſt auch ein Brief von Ihrem Bruder,
der fich recht wohl befindet. Wenn es Ahnen bejchwerlich fein
follte, morgen herüberzufommen, jo berede ich meinen Ephraim
doc) wol noch, auf den Sonntag mit mir nad Wolfenbüttel
zu reifen.“ !)
Wer war glücdlicher al3 Leſſing! In feiner Stimmung, „den
Kopf voller Grillen, das Herz voller Galle”, war es ihm Be-
dürfniß, feinem beiten Freunde fein Leid zu Elagen. Nach Em:
pfang des Briefchens eilte er zu ihm.?) Die Reife nad) Pyr—
mont mitzumadjen, fonnte er fich nicht entjchließen, obgleich er,
felbft Teidend, auf Wunſch feiner Braut ebenfall3 den „Pyr—
monter“ trinken wollte.
Nicht länger al3 vierzehn Tage konnte Mendelsjohn in
Pyrmont bleiben; fein Reifegefährte eilte nah Haufe Schon
am 3. Auguſt trat er die Rüdreife an. Er wollte Ephraim
bi3 nach Hannover begleiten, von dort allein über Göttingen
und Gafjel nah Braunfchweig fahren und dann mit feinem
Gefährten die Reife weiter fortjegen. Allein unweit Hameln
wurde er von einem heftigen Fieber überfallen, das ihn mehrere
Tage das Bett zu hüten nöthigte und ihn fo entkräftete, daß
er, ohne Göttingen, ohne feinen Freund Michaelis und andere
‘ dortige von ihm verehrte Gelehrte zu jehen, von Hannover
* aus, wo er von Klodenbring, dem Secretär des Staatsraths,
für den Philoſophen Lambert eine ganze Sammlung Schriften
Y Schr. V, 19.
2) Leſſings Schr. XII, 397 (das Datum, 14. Juli, fann unmög-
li richtig fein), 399.
— 40 —
in Empfang nahm,!) jo jchnell als möglih an die Heimkehr
denfen mußte, um in dem Schoße feiner Yamilie fich wieder zu
erholen. ?)
Im Ganzen war ihm übrigens der kurze Aufenthalt in
Pyrmont fo gut befommen, daß er glaubte, „Die Schwäche des
Kopfes würde fi) nun bald ganz verlieren“.?) Nach Langer
Beit befuchte er im October zum erjten male wieder die Leip-
ziger Meſſe,“) zur großen Freude des dortigen Predigers Zolli—
fofer, der fchmerzlich bedauerte, daß „unfere beiten philofophifchen
Köpfe faſt alle Franf und fchwächlich wären“, und fi nun um
fo mehr freute, vom Patienten felbft die Wirkung des „Pyr—
monter3“ zu erfahren, über die ihm Garve feine Auskunft
geben konnte. >)
Auch der Winter ging leidlich vorüber, ſodaß er fogar
Leſſings gerade erichienenen „Beiträge“ leſen fonnte; im Früh—
jahre aber jtellten fich die alten Anfälle häufiger wieder ein,
und „Mendelsfohn war noch immer der kränkliche Mann, der
er zwei Jahre früher gewefen“.6) Bei aller Stärke der Geiſtes—
fräfte konnte er den Geijt nicht gebrauchen, blos weil „der
Körper vielleicht nur an einer einzigen Stelle zerrüttet war“.
Noch immer war ihm felbjt das Briefichreiben eine ſchwere
Arbeit und er mußte nicht felten ganze Monate auf eine Stunde
warten, in welcher er dazu aufgelegt war. So lange er weder
las, noch jchrieb, noch dachte, befand er fich phyſiſch wohl, und
er war feſt entfchloffen, „So lange blos zu vegetiren, bis es dem
Herrn über Leben und Tod gefallen würde, ihm neue Kräfte
zu verleihen“. ”)
!) Lamberts Gelehrter Briefwechjel, herausgegeben von Bernoulli
(Berlin 1782), II, 263.
2, 1. Aufl. ©. 518 f.
3) Leſſings Schr. XIII, 481.
4) Ebd. XIII, 488.
5) Briefwechſel zwifhen Garve und Zollifofer (Brelau 1804), 95.
6) Leſſings Schr. XIII, 508.
7) Schr. V, 517, 527, 532.
— 4l —
Leſſings fchon am 1. Februar 1774 ausgeiprochener Wunfch,
den Freund im Sommer wieder bei fich zu fehen,!) ging in Er-
füllung, natürlich auch die Bitte, „ihn ja die Ankunft in Braun—
ſchweig voraus wifjen zu Yaffen, damit er feinen Augenblick ver-
fiere, worin er feiner genießen fünnte.‘2)
Mitte Juli 1774 begab ſich Mendelsfohn wieder nad)
Pyrmont.
An diefen zweiten Aufenthalt in dem romantisch gelegenen
Curorte dachte er noch lange Zeit mit inniger Freude zurüd:
dieſesmal machte er dort die perfönliche Bekanntfchaft des großen
Fürften eines feinen deutjchen Landes, des Grafen Wilhelm von
Schaumburg=Lippe.
Wahrlich ein jeltener Mann! „Die feinjte griechifche Seele
in einem rauhen wejtphälifchen Körper“, wie Mendelsfohn ihn
fo treffend bezeichnet.) Er hatte die Lorbern des Kriegsruhms
in Portugal geerntet, Tiebte den Heldenmuth und die Wiſſen—
Ihaften. Ganze Stellen aus Shafefpeare fonnte er mit der
vollen Empfindung des Inhalts herſagen und über die wich—
tigjten Probleme mit philofophifchem Zieffinn fprechen.*) „Ich
habe nie,” jagt Mendelsfohn, „einen Mann mit mehr Wärme
von den Wahrheiten der natürlichen Religion reden hören. Frei
von allen Borurtheilen, die zu Zwieſpalt und Menfchenhaß
führen, war er von den echten wohlthätigen Lehren der Reli—
gion bis zur Schwärmerei durchdrungen.‘5)
Ganz unbekannt war der Berliner Philofoph dem Grafen
bei ihrem erjten Zufammentreffen eben nicht. Oft hatte er mit
ihrem gemeinfchaftlihen Freunde, dem Regierungs- und Con—
filtorialrathe Abbt, über ihn gejprochen und als ihm einmal der
Gedanke kam, ſich in Bückeburg niederzulaffen, hatte ihm der
N Schr. V, 19.
2?) Schr. V, 19; vgl. Leſſings Schr. XII, 416.
3) Schr. V, 406.
9 Schr. V, 353.
5) Schr. V, 406,
Kayſerling, Mofes Mendelsjohn. 16
— 22 —
Fürſt bereitwilligit „Schuß“ und Wohnrecht ertheilt. Der „Phä-
don“ war ihm von dem Verfaſſer felbft zugefchickt, wofür er ihm
in einem eigenhändigen Schreiben feinen Danf bezeugte.!) Er
verehrte Mendelsjohn und fchloß fich ihm an dem Orte, wo
Stolz; und Eitelfeit ſich gewöhnlich entfalten, innig an.
Sowol der Graf al3 auch feine Gemahlin, „eine Dame
bon ungemeiner Schönheit und feltenen Gemüthsgaben, voll
jugendlicher Sanftmuth und Milde“, waren während ihres
Aufenthaltes in Pyrmont duch den Tod ihres einzigen Kindes,
einer Tochter von drei Jahren, die fie kurz zuvor verloren
hatten, tief gebeugt. Sie waren beide in den Willen Gottes
ergeben, aber dieſer Geifeljtreich des Verhängniffes war zu hart,
um fo bald verjchmerzt zu werden. Es fand fich in ihrem Ge-
müthe der Reſt einer ſüßſchwärmenden Melandolie, die fich in
ihre gleichgültigften Unterredungen mit einmifchte und fie für
Mendelsfohn äußerſt interefjant machte. 2)
Ueber Tod und Unsterblichkeit unterhielt ji) dag trauernde
Fürftenpaar am häufigſten mit dem jüdischen Philofophen; vedet
doch der Menfch nach fchwerer Prüfung jo gern von jenen
Heilswahrheiten, die dem wunden Herzen Troft und Heilung ge
währen! Al3 der Graf, in folche Gefpräche vertieft, einjt mit ihm
auf Nebenwegen luſtwandelte, ſah er fich unvermuthet vor einem
Graben, der mehrere Fuß breit war. Mit feinen langen Beinen
fchritt er Leicht darüber Hin, und ging und ſprach weiter; Men—
delsfohn aber Fonnte nicht folgen und ftand ängſtlich und ver-
legen. Der Graf vermißte nach einer Weile feinen Gefährten.
Schnell kehrte ex zurück, faßte den Heinen Mann in feine riefigen
Arme, trug ihn über den Graben und jeßte dann dag Geſpräch
ruhig fort, als fei gar nichts vorgefallen. 3)
Was Wunder, daß das fürftliche Baar den Tiebenswürdigen
') Schr. V, 364, 367, 445.
2) Schr. V, 406.
3) Varnhagen von Enje, Biographiſche Denkmale, II, 68.
— 43 —
Mendelsfohn, welchen es durch einen mehrmwöchentlichen Umgang
genauer hatte fennen lernen, innig verehrte. Er war jebt ihr
Idol; fein Bild prangte im gräflichen Cabinet mit der Unterfchrft:
„Vir bonus et sapiens, quem vix e millibus unum
. tulit consultus Apollo.‘
„Weile und gut ift der Mann, wie faum unter Taufenden Einen
Apoll, der Erfahrene, brachte.‘
Frau von Ompteda, Oberhofmeifterin der nad) Celle ver-
bannten unglüdlichen Königin von Dänemark, fol diefe Verſe
„stante pede“ auf ihn gemacht haben, wie Herder, der fich zu
gleicher Zeit mit Mendelsſohn in Pyrmont aufhielt, an Ha-
mann fchreibt.!)
Herder fah ihn hier zum erjten und legten male.
Es verdroß diefen launenhaften eiteln Mann, daß der
Graf, bei dem er die Stelle eines Hofpredigers, Confiftorial-
vathe3 und Superintendenten befleidete, den Berliner Juden
fo außerordentlich feierte. Der Aufenthalt in Pyrmont wurde
ihm dadurch verleidet, daß der „Mardochai ein Gefolge gleich
dem Großvezir Hatte.) „Pyrmont follte mir recht ein Theil
des Weberirdifchen werden,“ fchreibt er Lavater, mit dem er jebt
wieder auf gutem Fuße ftand, Ende Juli 1774, „und fiehe! es
ward eben Berfammlungsort eine Unwetters, das mich, wie
tief! niederwarf, daß ich alle guten Leute dafelbft, Zimmermann
nicht ausgenommen, auf die ich mich fo freute, nur durch eine
dide, trübe Wolfe Habe anfehen fönnen.“3) „Sch Habe auch
Mendelsfohn kennen lernen,“ Heißt es in demfelben Briefe, „der
klarſte, heiterjte Kopf, den ich beinahe auf einem menschlichen
Rumpfe gefehen, ſtark ausgeprägt für fih. Ich aber habe, viel-
leicht eben vorbemeldeter Urfache wegen, wenig oder feine Bunte
der Anhänglichkeit an ihn gefunden, halte ihn aber an fich für
) Hamanns Schr. V, 107.
2) Hamanns Schr. V, 141.
9) Aus Herders Nachlaß, Il, 111.
16*
— 244 —
ſehr glücklich, obgleich, wie’3 mir fcheint, künſtlich auf einem, ich
weiß nicht wie, ſelbſtgemachten Bolliwverfe.‘t)
Noch vor wenigen Jahren hatte er Mendelsfohn für den
erſten Denfer im philofophifchen und äfthetifchen Fache erklärt
und jet ging er an ihm vorüber, al3 ob er ihn nicht gefannt
und nie in irgend einer Beziehung zu ihm gejtanden hätte!
Mendelsfohn Tieß ihn in feiner hochwürdigen Nervofität feines
Weges ziehen und machte feine VBerfuche, fi ihm zu nähern;
er meinte, Herder, der Theologe, ſcheue Mendelsfohn, den Juden,
und glaubte in allen feinen Bliden die Bitte zu leſen: „Lieber
Mann, ich habe jet einen Weg zu gehen, auf dem ich mir
Ihre Begleitung verbitten muß. Je näher in Lehre, deſto ent-
fernter im Leben. Sie fennen die Menfchen, auf die ich jegt
wirfen muß, wenn ich meinen Endzwed erreichen will. Unfere
Stege müfjen divergiren, wenn wir beide zur Herberge kommen
wollen.‘ 2)
Um wie viel freier als der rücjichtsvolle Theologe bemegte
fich fein fürjtlicher Herr!
Bon ihm konnte Mendelsfohn nach feiner Rückkehr aus
dem Eurorte gar nicht aufhören zu erzählen; die in feiner Nähe
verlebten Tage blieben ihm unvergeßlich, und der Aufenthalt in
Pyrmont, wo er auf Zureden des fürftlichen Paares acht Tage
länger blieb, als die Eur es erforderte, war ihm in dieſer Be-
ziehung überaus wichtig.?) „Bon dem Gebrauche des Waſſers
aber,“ Heißt es in feinem Briefe an den Grafen vom December
1774, „gebe Gott, daß der Frau Gräfin Durchlaucht befjern
Nuten verfpüren mögen, al3 ich diejegmal davon habe. Ach
bin noch immer zu aller Anjtrengung des Geiftes unfähig und
) Aus Herders Nachlaß, Il, 113; Lavater antwortet ihm am
24. Auguft 1774 (II, 114): Bon Mendelsfohn — wie Du! Alles Heitre!
aber ressort philoſophiſcher Schöpfungsfraft, anziehende, begeifternde
Erhabenheit — nirgends.
2) Schr. V, 585.
3) Hennings, Souvenirs de Berlin. (Odſchr.)
— 245 —
muß jeder Gelegenheit zum Nachdenken mit Sorgfalt ausweichen.
Indeſſen fo lange ich mich phyſiſch wohl befinde, verläßt mich
die Hoffnung nicht, dereinjt wieder zu meiner Lieblingsbeichäf-
tigung zurüdfehren zu können. Nur ijt mein fejter Vorſatz, der
Natur feine Gewalt anzuthun, ihr auch nicht den mindejten
Schritt abgewinnen zu können, fondern ihr mit findlichem Ge—
horfam zu folgen, wohin fie mich leitet. Will fie mich der vor-
maligen Gefährtin meines Lebens, der PhHilofophie, wieder zu—
führen, jo werde ich fie mit Jubrunft, wie eine wiedergefundene
Geliebte, umarmen. Soll ich aber meine Laufbahn in Unthätig-
feit bejchließen, fo fei auch dafür die Vorfehung unendlich ge-
priefen; jo Hoffe ich jenſeits des Todes den Faden wieder anzu=
fnüpfen, wo ich ihn diejjeit3 fo plößlich Habe abreißen müfjen.‘!)
Der Graf von Schaumburg=Lippe ſah Mendelsjohn, von
dem er im Mai 1775 verjchiedene philojophifche Abhandlungen
erhielt, nicht wieder. Die Freude feines Herzens, ja das ganze
Glück feines Lebens, feine „in faſt vomanhafter Zärtlichkeit von
ihm geliebte Gemahlin flarb an ihrem zweiunddreißigiten Ge—
burtstage. In tiefer Einſamkeit hing er feinem Schmerze nad),
in dem „Phädon“ fuchte er Troft und Beruhigung; er konnte
in diefem Leben nimmer froh werden. In Kummer verfunfen,
nahm er an Kraft täglich ab und folgte der geliebten Gefährtin
bald nad).
„Und diefer in aller Betrachtung wichtige Mann,“ Elagte
Mendelsjohn noch nach Jahren, „stirbt in Deutjchland Hin, ohne
dat man feinem Andenken ein Denkmal ftiftet, ohne daß von
feinen ZThaten und Handlungem jonderlich gejprochen wird!
Wenn man hierüber Deutfchland mit Necht der Gleichgültigkeit
bejchuldigt, jo ijt e8 nicht das gemeine Publitum, das endlich)
auch gegen Anklagen und Beichuldigungen gleichgültig wird; es
ijt der denfende Theil defjelben, die Männer von Herz und Kopf,
an welchen Deutjchland gottlob! feinen Mangel hat.“ ?)
1) Schr. V, 533 f.
2) Schr. V, 407.
— 246 —
Welhe Verehrung für den Fürften, welches warme Na—
tionalgefühl fpricht fich in diefen wenigen Zeilen aus!
Mendelsfohn ging nicht mehr nach Pyrmont; er machte
andere Reifen.
Hweiundvierzigites Kapitel.
Mendelsjohn in Baruth und Dresden.
Zu Baruth, einem Städtchen an der fächfifchen Grenze,
lebte in den fiebziger Jahren der gräflich Solmsſche Ober—
fürjter Jung. Es war ein biederer Mann, ohne Sculfennt-
niffe, aber ein „richtig denfender Kopf“, wie Mendelsfohn be—
hauptete; er las auch, zwar nicht viel, aber mit Nachdenken.
Der „Phädon“ Hatte ihn intereffirt, und als ihn einft ein herr—
Ihaftliher Auftrag nad) Berlin führte, fuchte er den berühmten
Berfaffer auf und gewann dejjen Freundfchaft, wie er auch mit
Spalding in freundfchaftlicher Verbindung jtand. Yung nahm
Mendelsfohn das Verſprechen ab, ihn einmal im Sommer mit
feinem Beſuche zu beehren.
Anfangs Auguft 1776 riß Mendelsfohn ſich von feinen
Gefchäften los und reifte in Begleitung feiner Frau zu dem
DOberförjter, bei dem er einige Tage verweilte Der treffliche
Jung war über diefen Beſuch Hocherfreut und zum Andenken
an den Aufenthalt des feltenen Gaftes hatte er auf den Rajen-
ji in feinem Garten, auf welchem Mendelsfohn des Morgens
zu fiten und Palmen zu überfegen pflegte, einen jteinernen
Sit zwifchen zwei Pfeilern aufmauern laſſen, mit der Inſchrift
auf dem Mauermwerfe:
„Sib des Herrn Mofes Mendelsfohn am 12. Auguft 1776.)
) Neue Berliner Monatsihrift, November 1804, 379 ff.; Schr.
V, 598.
— HM —
Bon Baruth unternahm Mendelsfohn eine Reife nad)
Dresden, hauptfählich im Intereſſe des Oberförjters.?)
E3 war am Abend des 16. August, als er in Beglei-
tung feiner Frau und feines jungen Freundes David Fried—
länder in Dresden anlangte. Am andern Tage früh morgens
fam der Dresdener jüdiſche &emeindediener Löbel Scie zu
Mendelsfohn und verlangte zwanzig Grofchen, um für ihn
und feine Geſellſchaft einen Zoll- und Geleitbrief zu löfen, denn
damal3 mußte der Jude, wenn er fich in einer ſächſiſchen Stadt
auch nur einen Tag aufhalten wollte, den fogenannten Leibzoll
entrichten, der ihn zum Vortheile der Finanzcaffe zum Thiere
herabwürdigte.
Mendelsſohn lachte laut auf.
„Der Verfaſſer des „Phädon“ ſich verzollen gleich dem
Schſen, das iſt luſtig!“ ſagte er zu ſeiner Frau; „nun ſehe ich
erſt ein, wie gut es Lavater mit mir gemeint. Wäre ich Chriſt
geworden, könnte ich heute zwanzig Groſchen ſparen. Doch,“
fuhr er ernſt und traurig fort, „Jude iſt Jude, ob er mit
Philoſophemen oder mit alten Kleidern handle; gehorche ich den
mofaifchen Geſetzen, muß ich auch den fächfifchen Folge Leiften.“
Er zahlte die zwanzig Grofchen, und Löbel Schie eilte, den
Berfaffer des „Phädon“ und feine Begleiter zu verzollen.
Als Schie in dem Zoll- und Geleit3-Erpeditionsbureau
die zu verzollende Gejellihaft nannte, welche aus Berlin fam
und über Meißen nad) Leipzig reifen wollte, jtußte der Ein-
nehmer ein wenig, als er den Namen Mendelsjohn hörte.
„Mendelsfohn! Mir ift, als ob ich von dem Maufchel
ſchon etwas gehört hätte. Mendelsjohn! Hat er nicht Bücher
geichrieben ?“
„Und was für Bücher!“ erwiderte Löbel Scie.
„Ei was! Jude ift Jude!” fiel ihm der Einnehmer ins
) Hennings, Briefe aus Dresden und Hamburg (Hdidhr.): „Um
des Oberförfterd Jung willen hatte Mendelsjohn feine lette Reife von
Berlin nad) Dresden unternommen.’
a A
Wort. Er jchrieb Hierauf den Geleitzettel und jtrich die zwanzig
Grofchen ein.
Tags darauf bejuchte Mendelsfohn in Begleitung des
jungen Hennings, der als dänischer Gejichäftsträger in Dresden
lebte, die damals noch im Zwinger aufgeftellte furfürftliche Biblio-
thef, um das Verzeichniß der Doubletten zu durchblättern, welche
demnächit verkauft werden follten.
Der Bibliothefar Daßdorf, der gerade mit der Herausgabe
der Briefe Windelmanns beichäftigt war, Tchäßte ſich glücklich,
den berühmten Philofophen und Freund Leſſings in feinem
Mujentempel zu ſehen; ex exichöpfte jich in Lobeserhebungen
über Mendelsſohns Berdienjte um die deutfche Literatur, zeigte
ihm mit unermüdlicher Geduld die Doubletten jowie die Schäße
der Bibliothek und fragte ihn, als er Miene machte fich zu ent-
fernen, wie es ihm in Dresden gefalle.
„Ihre Stadt ijt Herrlich,“ antwortete Mendelsjohn, „Ihr
Land noch herrlicher und Ihr Kurfürft das herrlichſte, was ich
nächjt unferem Friedrich kenne, aber —“ hier brad) er lächelnd ab.
„Run, was mißfällt Ihnen denn bei uns?“ fragte Daf-
dorf erſtaunt.
„Daß die ſächſiſchen Gejege die Berliner Juden und Die
polnischen Ochfen noch immer im Range ganz gleichjtellen.“ Und
nun mußte Mendelsjohn die Gefchichte mit den zwanzig Groſchen
und dem Leibzoll erzählen.
Daßdorf ſtand dabei wie auf Kohlen. Er entjchuldigte
den Einnehmer theil3 mit allzujtrenger Pflichterfüllung, theils
mit Mangel an Kenntniß der Literatur und tröftete Mendels-
john, daß der Fehler ficherlich bald gut gemacht werden wiirde,
Diejer aber bat ihn, fein Aufhebens aus einer Sache zu machen,
die faum der Rede werth fei, empfahl ſich und ging.
Sobald Mendelsfohn ſich entfernt Hatte, ergriff Daßdorf,
der für alles was Literat und Literatur hieß, enthuſiaſtiſch ein-
genommen war, hajtig Hut und Stod, jtürzte die Zwingertreppe
hinab, um dieſe „entjegliche Gejchichte‘ gleich bei der rechten
— 249 —
Behörde anzubringen; er begab fich zu dem geheimen Kammer-
vath Freiheren von Ferber, in dejjen Haufe er einige Jahre
Hofmeifter geweſen war. Ferber, nicht nur ein tüchtiger Staats-
mann, fondern aud) Freund der Literatur und Verehrer Men-
delsſohns, fand die Geſchichte ebenfalls jehr ärgerlich, theilte
ganz die Befürchtung Daßdorfs, daß die Berliner Gelehrten
fi) in den öffentlichen Blättern darüber luſtig machen würden,
und begab fich jofort zum Cabinetsminifter Freiheren von Gut—
fchmidt, um auch ihn von der „entjeglichen Geſchichte“ in Kennt:
niß zu ſetzen.
Schon den nächſten Morgen erhielt das Finanzcollegium
mittel3 allerhöchſten Reſeripts den Befehl, „dem Berliner Ge-
lehrten moſaiſcher Religion, Herrn Moſes Mendelsfohn‘, die als
Leibzoll abgenommenen zwanzig Groſchen zurüczuftellen und ihm
zugleich zu willen zu thun, daß er fich mit feiner Begleitung
in Dresden aufhalten fünne, jo lange es ihm beliebe, ohne die
mindefte Abgabe zu entrichten.
Mendelsfohn freute ji) der Auszeichnung, welche ihm der
Kurfürſt angedeihen ließ; er jtattete dem Freiheren von Ferber
einen Beſuch ab, um ihn feiner Hochachtung und Ehrerbietung
perfönlich zu verfichern,!) und jchenkte die zwanzig Groſchen mit
einer zehnmal fo ftarfen Beilage der Stadtarmencaffe.
Weit froher aber war Daßdorf, dem, wie er nachher oft
erzählte, dieſe „entjeglihe Geſchichte“ eine fchlaflofe Nacht ver-
urfacht Hatte.2)
Dem Bibliothefar Daßdorf, der junge Leute, welche die
edle Bahn der Kunſt betraten, durch guten Rath, Umgang und
Empfehlung gern förderte, empfahl Mendelsjohn zuweilen Jüng—
finge, die fich der Kunft widmeten und zur weitern Ausbil-
dung nad) Dresden begaben. Einen von Mendelsjohn ihm
Empfohlenen führte der dienjtfertige Daßdorf bei dem Frei—
1) Schr. V, 543.
) Mein: Mojes Mendelsjfohn. Ungedrudtes und Unbekanntes
©. 56 f.
— 250° —
heren von Ferber ein, der dem Liebhaber der Kunjt eine Pro—
tection verfprah, um die Mendelsjohn anzuhalten nicht kühn
genug war.?)
Dreiundvierzigftes Kapitel.
Auguſt von Hennings.
In Dresden traf Mendelsfohn auch den jungen Auguſt
von Hennings wieder, einen feiner zärtlichjten Freunde und auf-
richtigſten Verehrer.
Während der zwei Jahre, welche dieſer geiſtreiche, für Frei—
heit und Aufklärung glühende junge Mann als Legationsſecretär
in Berlin lebte, war er faſt täglich im Mendelsſohnſchen Hauſe.
Eine Empfehlung ſeines Schwagers, des Doctor Reimarus in
Hamburg, hatte ihn mit dem Philoſophen bekannt gemacht;
durch Moſes Weſſely, den Freund Leſſings, Mendelsſohns und
der Familie Reimarus, deſſen Bruder Hartwig er von Kopen—
hagen aus kannte, war er bei anderen angeſehenen Juden Ber—
lins eingeführt worden. Er wurde Hausfreund des reichen
Daniel Itzig, deſſen durch Schönheit, Talente und Geiſtesbildung
ausgezeichnete Töchter ihm beſonders gut gefielen, und Freund
David Friedländers, der Aerzte Bloch und Herz. Auch die
Dame, welche Mendelsſohn in der Hamburger Zeitung in Verſen
gefeiert hatte, ein Fräulein Meyer, lernte er kennen und fand
ſie der Lobeserhebung vollkommen würdig.
Der Umgang mit Mendelsſohn war für Hennings der
füßefte Genuß in dem an Genüffen reichen Berlin. Der - ganze
Ton, der in feinem Haufe herrichte, behagte ihm. Sein größtes
Vergnügen beftand darin, den Philofophen auf feinen Spazier-
gängen zu begleiten. Als er eines Tages mit ihm und Karl
) Schr. V, 544; f. au den facjimilirten Brief an Dakdorf vom
16. Auguft 1779.
— 251 —
Leſſing unter den Linden promenirte, fagten einige borüber-
gehende Damen zu einander: „Da ift der berühmte Mendels-
ſohn!“ Lefjing, welcher es zuerſt gehört Hatte, machte Mendels-
john aufmerffjam. „Sch war,” fprach diefer, „in diefem Augen—
bfide nur der Fabrifant; die Schönheit des Muſters eines
Kleiderjtoffes erregte ihre Neugierde.“!)
Gegen Ende des Jahres 1774 verließ Hennings Berlin
und fehrte auf einige Zeit nad) Hamburg und Kopenhagen
zurüd. Mendelsſohn blieb der Gegenftand feiner Verehrung
und Nacheiferung; der mit ihm gepflogene Umgang hatte es
bewirkt, daß er fih mit Eifer wieder den philofophifchen
Studien zumandte, welche einige Zeit vernachläffigt zu haben er
jich die bitterjten Vorwürfe machte. „Wenn meine Vorſtellungen
etwas zu diefer Entichliegung beigetragen,“ heißt e8 in dem
erjten Briefe, welchen Mendelsjohn an ihn richtete, „Jo bin ich
itolz auf den wadern Rekruten, den ich der Philofophie zurüd-
geführt, oder vielmehr auf den tüchtigen Ueberläufer, den ich
ihr zuriücdgebracht habe: zu einer Zeit, da ich jelbjt nicht mehr
für fie zu Felde ziehen fannı. Aber warum fehen Sie noch mit
folcher Zerknirſchung auf Ihr voriges Leben zurüd? Go jehr
haben Sie doch meines Wiffens nie wider die Philoſophie ge—
fündigt, daß Sie nöthig hätten, mit diefem bußfertigen Ange-
jichte vor ihrem Throne zu erjcheinen. Wo ich nicht irre, fo
pflegt auch das philofophifche Gewiſſen feine jo tiefe Wunden
zu Schlagen. Diefe Göttin züchtigt wie eine Mutter, nicht wie
die gefränkte Eiferfucht. Allein ich kenne ein tyrannifches Weib,
das eben fo derbe mit Skforpionen peitjcht: man nennt fie Lange—
weile, und dieſe fcheint Ihnen die mehrjte Unruhe zu machen.“
Schon diefer Brief zeigt, wie theuer der talentvolle junge
Mann Mendelsjohn geworden war. Er hatte ihn herzlich Tieb
gewonnen und wünfchte ſehnlichſt, vecht oft Nachricht von ihm
zu erhalten. „Den guten Vorſatz, mir öfters zu fchreiben,“
) Henning3, Souvenirs de Berlin. Gdſchr.)
— 232 —
heißt es am Schluſſe diefes Briefes, „laſſen Ste von langer
Dauer fein und verichieben Sie ihn ja nicht, wie man wol ſonſt
mit guten Vorſätzen zu thun pflegt. Ein Freund, den man
einen Pofttag aus den Gedanken Schlägt, pflegt ſich die erſten
Pojttage darauf nicht Leicht wieder einzuftellen; und wenn ſich
fein Bild nachher wie ein Schemen in der Dämmerung zeigt,
fo iſt e8 in Gefahr, kaum mehr erkannt zu werden. Wenn
auch ‚zuweilen meine Antwort einige Zeit ausbleiben jollte, fo
Schreiben Sie die Schuld freundfchaftlic” auf Rechnung meiner
Ihwächlichen Gefundheit, die mir das Brieffchreiben, meine vor-
malige Erholung, zu einer bejchwerlichen Arbeit macht.‘‘)
Nach einer zweijährigen Trennung ſah Hennings feinen
Mendelsfohn in Dresden zum erjten male wieder. Seine Freude
war unbejchreiblid. Drei Tage wich er nicht von feiner Seite.
Jedes Wort, das er ſprach, Hätte er niederichreiben mögen.
Seine Unterredung ſchätzte er für Unterricht, fie galt ihm für
einen lautern Quell, aus dem in der fanftejten Stille ein Strom
von Gedanken fließt; ex beiwunderte die Wärme feines Herzens,
die „belebend durch alle Adern rann, aber nicht mit den fieber-
haften Aufwallungen, die zu Kopfe fteigen und den Verſtand
betäuben.“?) |
„Mendelsſohn ijt in Dresden!“ berichtet er freudevoll am
21. August 1776 feiner Schwägerin Elife Reimarus. „So habe
ich in meiner dürren Wüſte einen Labetrunf gefunden. Seit
drei Tagen Habe ich mich mit ihm befchäftigen können. Ihnen
alles zu fagen, was in diefem Zeitraume liegt, Ihnen alle prakt
tiihe Philofophie, alle Zurücdführung von Fleinen Ideen, die
gänzliche Auslöſchung der Nebenbegriffe, die Heilung jelbft der
Wunden, die dag Bewußtſein der Kleinheit in die Seele fchlägt,
mit wenigen Worten, Ihnen den ganzen Ueberjprung von der
Welt zu Mendelsjohn, von der Schönheit zum Berftande zu
ſchildern, ijt unmöglich.“
) Schr. V, 531 f; vgl. 1. Aufl. ©. 519.
2) Hennings Briefe aus Dresden und Hamburg. (Hdjchr.)
— 2593 —
„Ich Habe ihn wenig verändert gefunden. Seine Gefund-
heitsumftände haben ihm noch nicht wieder erlaubt, philofophifch
zu arbeiten. Sein äußeres Anfehen hat dadurch gewonnen, daß
ex fein eigenes Haar trägt. Sie wifjen, welch’ ein edler fanfter
Ausdruf in feiner Phyfiognomie if. Die mancherlei Befuche,
die vielerlei Unterredungen fcheinen ihn etwas zu ermatten, aber
man ſieht fo deutlich, daß. diefe Abjpannung im Körper Tiegt,
daß fein Geift immer im edeljten Gleichgewichte der Ruhe er-
icheint. Sein Urtheil iſt jo hell und gerade, fein Ausdrud
immer ſich ſelbſt jo gleich, daß man nirgends einen höhern
Beweis der Unabhängigkeit, der Selbjtändigfeit und der Im—
materialität der Seele finden kann, als in feiner Art zu denken,
zu fein.‘
Auf Elifens Wunjch befragte er Mendelsjohn nach feiner
Meinung über die Phyfiognomif, durch welche Lavater damals
von neuem die Aufmerffamfeit auf fich gelenkt Hatte. Den größ-
ten Theil des Werkes hielt er für „unverdaute Bhilofophie und
Ichales empfindfames Modegewäſche“, doc) glaubte er, man fei
Zavatern verfchiedene neue Anmerkungen in der Phyſiologie und
befonder3 eine Bereicherung der phyfiologiichen Sprache Tchuldig.
Borzüglich gefiel ihm der Gedanke, daß die Knochen, da fie als
fefte Theile der Beränderung weniger unterworfen find, als die
weichen fleifchigten Theile, die durch angenommene Gewohnheiten
biegfam gemacht werden, immer den natürlichen Charakter rich-
tiger andeuten als diefe, und daß in dem Contraſte der beiden
ein Widerfpruh des natürlichen und fittlichen Charakters zu
vermuthen fei. Sonſt machte er, gleich Leifing,!) es Lavater
zum Borwurf, daß er die Pathognomik mit Phyfiognomif ver-
wechlelt habe und daß es ihm mehr darum zu thun fei, Die
Wunder Gottes in der Bildung des Menfchen zu erklären, als
auf das Erfennen des innern Menfchen und der Phyfiognomie
) Hennings Briefe aus Dresden und Hamburg (Sdſchr.);
1. Aufl. ©. 520.
— 254 —
zu fehen. Bon der ganzen Phyſiognomik hielt Mendelsjohn
nicht gar viel; doch konnte er es fich nicht verfagen, einige Ein—
würfe gegen diejelbe, bejonders gegen die von Lavater behaup-
tete „Harmonie zwischen Schönheit und Tugend“ im „Deutjchen
Muſeum“ zu veröffentlichen.!) Der kleine Auffa erjchien ano—
nym; Boie, der Herausgeber des „Muſeum“, verrieth dem deut-
Ihen Dichter Gottfried Auguft Bürger das Geheimniß, erfuchte
ihn aber dringend, den Namen de3 Verfaſſers für fic) zu be—
halten;?) diefer blieb jedoch nicht lange unbekannt. Mendel3-
fohn beabfichtigte mit diefem Aufſatze, den unfeligen Streit, der
über die Lavaterſche Phyfiognomif zwifchen Lichtenberg und
Bimmermann entbrannt war, feiner Gewohnheit nach auf einen
bloßen Wort und Definitiongftreit zurüdzuführen. Er juchte
Zimmermann zu befänftigen und beſchwor ihn, fich nicht auf-
reizen zu lafjen. „Wenn vollends durch diefen Streit,“ heißt
e3 in dem Briefe vom 12. Mai 1778, „Hallers Leben“ nur
um einen Grad Schlechter werden oder auch nur eine Meffe
fpäter exfcheinen follte, jo wiirde ich die Streitbegierde der
Göttinger Gelehrten von ganzer Seele verwünfcen.‘“?)
Hennings erzählte der Freundin noch, daß er mit Men-
delsfohn einen Theil des Berzeichniffes der Doubletten durch—
blättert habe, welche von der Furfürftlichen Bibliothef verkauft
werden follten, daß er am Tage vor Mendelsfohns Abreife
den Landsmann Palitſch bei ihm getroffen und daß Zingg das
Bild des Philofophen in Profil fehr fauber gezeichnet Hätte.
Diefer Bericht über Mendelsfohns Anwefenheit in Dresden
bewirkte einen Freudentag in der Reimarusfchen Familie. Leſſing,
der fi) gerade zum Befuche feiner Braut in Hamburg aufhielt,
war, als Hennings Brief anfam, bei Elife und zwar allein,
ı) März 1778, ©. 19% fi. Dieſer Aufſatz fehlt in den Gei.
Schriften.
2) Briefe von und an G. A. Bürger. Aus dem Nadlaffe heraus:
gegeben von A. Strodtmann, (Berlin 1874), II, 209.
9) Schr. V, 547 ff.
— 2355 —
denn fonjt konnte man, wie e8 in ihrem Briefe vom 28. Auguft
1776 heißt, „dieſes überall belagerten Mannes nicht vecht froh
werden, fich nicht durch und durch wärmen und muß, um von
einem Bilde zum andern überzugehen, hart an der Duelle Durft
leiden“. „Sie willen, lieber Hennings, was Leffing von Men-
delsfohn Hält. ES befremdete ihn, daß er jebt in Dresden fei,
befremdete ihn, daß er fein eigenes Haar trägt, nur Ihre
Freude, ihn bei ſich zu jehen, befremdete ihn nicht. Ich fühle
jo fehr, was das jagen will, Mendelsfohn bei fich zu Haben,
daß ich gerne einen Theil meines Lebens aufgeben möchte, um
den andern zu den Füßen dieſes Gamaliels zubringen zu können
und aus feinem Munde und Geifte Wahrheit zu fchöpfen.
Suchen Sie doch für fih und womöglich auch für mich einen
Kopf von ihm zu erhalten. Ueber alle Antifen werde ich ihn
ſetzen.“1)
Hennings fühlte ſich bei Empfang dieſes Briefes „geiſtes—
arm und verlaſſen“; Mendelsſohn war abgereiſt.
Vierundvierzigſtes Kapitel.
Ein Reiſeabenteuer.
„Um die Ontologie iſt es etwas ganz Vortreffliches,“ er—
zählte Mendelsſohn in einer Abendunterhaltung ſeinen Freunden,
als das Geſpräch zufällig auf philoſophiſche Materien kam.
„Mir hat ſie einmal ein gutes Nachtlager verſchafft, da ich ſchon
darauf gefaßt war, die Nacht in meinem Wagen unter freiem
Himmel zuzubringen.“
Alle waren ſehr neugierig, wie dieſes möglich wäre, und
Mendelsſohn fuhr daher in feiner Erzählung fort:
) Hennings Briefe aus Dresden und Hamburg. (Hdichr.)
— 236 —
„Ich war auf einer Reife im Sächſiſchen begriffen. Eines
Abends wurde ich durch einen Umftand genöthigt, in einem
feinen Dorfe zu übernachten, in welchem fich fein ordentlicher
Gaſthof fand. Das Wetter war fehr unfreundlih, und da ich
erfuhr, daß ein Prediger in diefem Dorfe wohne, jchidte ich zu
ihm und ließ mich bei ihm al3 einen Gelehrten aus Berlin
melden und um ein Nachtlager bitten. Der Prediger ließ fich
zwar willig dazu finden, hatte aber doch einige Bedenken, da
er hörte, daß der Gelehrte — ein Jude fei. Als ich auf das
Haus zufam, ftand der Prediger, der mich erwartete, ein fehr
ehrwirdiger Greis, vor der Thüre. Ehe mich aber diefer alte
Mann unter fein Dach nöthigte, wollte ex erſt einige genauere
Erfundigungen einziehen und fragte mich mit ausgeftredtem Arm
und auf mic) gerichtetem Zeigefinger: Quid est Ontologia?
(Was ift die Ontologie?) Ich fagte ihm die Wolffiiche Defini-
tion in lateiniſcher Sprache, und jener fragte nun weiter big
auf den Begriff von Gott. Da ich meine Beantwortung und
Erflärung diefes Begriffes mit den Worten fchloß: Ens summum
optimum maximum! (Das höchſte, gütigfte und größte Wefen!),
fiel der Greis, gleichfam wie in eine ihm befannte Melodie
mit Entzüden ein: Ens summum optimum maximum! Sept
erſt bot er mir freundlich die Hand und fagte: Seien Sie mir
herzlich willfommen, mein lieber Mendelssohn!
Auf meiner Rückreiſe fam ich wieder durch dafjelbe Dorf.
Sch Hatte noch einen polnischen Juden bei mir, welchen ich, da
er nach) Haufe ging, eingeladen Hatte, eine Strede mitzufahren.
Diefem fagte ich, ich müfje mich in dem Dorfe ein Stündchen
aufhalten, ich) wolle dem Prediger einen Befuch abjtatten. Eben-
den will auch ich befuchen, fagte der polnifche Jude. ch ver-
wunderte mich darüber und noch mehr, da er mir folgende Ge—
Ihichte erzählte: Ich Hatte ihm einmal mein ganzes Bermögen
in Verwahrung gegeben, und al3 vor einigen Jahren fein Haus
abbrannte, Hat er alles jtehen und Liegen lafjen, hat erſt das
meinige gerettet und darüber das feinige felbft verloren. Wir
— 257 —
gingen nun beide zu dem alten Prediger, der uns freundfchaft-
ich umarmte und ung bewirthete, fo gut er fonnte. Sein Sohn,
welcher in Halle jtudirte und meine Schriften gelefen hatte, war
während der Zeit von der Univerfität zurücgefehrt und hatte
ihm jo manches von mir erzählt. Die Freude des alten Mannes
war nun um fo größer, mich unter feinem Dache bewirthen zu
fünnen. Er ließ fi) auf3 neue in ein eifriges Gefpräch über
die Ontologie mit mir ein und nahm bei unferer Abreife von
mir und dem polnischen Juden, wie von alten guten Freunden,
aufs zärtlichjte Abſchied.“
Diefer Prediger wurde fpäter Mendelsfohns Freund; fo
oft er durch das Dorf reifte, befuchte ex ihn und wurde immer
von ihm aufs herzlichite empfangen.?)
Sünfundvierzigites Kapitel. |
Mendelsjohn in Königsberg.
Im Sommer 1777 unternahm Mendelsſohn eine Gefchäfts-
reife nad) Memel. Dort hatte er nämlich unter Leitung feines
jpäter in Kopenhagen wohnenden Schwagers Joſeph Gugenheim
ein Gefchäft errichtet; dafjelbe ift, wie er felbjt einige Jahre
jpäter feinem Better Elfan Herz mittheilt, verunglüdt; „es hat
aber, Gott behüte! niemand darunter gelitten, als wir ſelbſt!“?)
Auf diefer Reife verweilte er ſowol auf dem Hinwege als
auf der Rückfahrt mehrere Tage in Königsberg. Ein großer
Kreis von Freunden und Verehrern, wie der reiche Miünzmeifter
Joſeph Seligmann, Glieder der Familie Friedländer, die ange-
') Fedderfen und Wolfrath, a. a. D., 150. (Schmidt) Leben und
Meinungen Moſes Mendelsfohns in kurzem Abriffe dargeftellt. (Ham:
burg 1787), 35.
2) 1. Aufl. S. 504.
Kahyſerling, Moſes Mendelsjohn. 17
— 258 —
fehenften der dortigen Juden, warteten feiner hier. Auch
feinem alten Rampfgenofjen, dem Philofophen Kant, mit dem er
feit mehreren Jahren in wifjenfchaftlichem Briefwechſel jtand,
ftattete ex feinen Befuh ab. Er wohnte fogar feinen Bor-
lefungen bei, wie Kant feinem Schüler, dem Hofrat Herz in
Berlin, meldet: „Mendelsjohn that mir vorgejtern die Ehre an,
zweien meiner Borlefungen beizumohnen, à la fortune du pot,
wie man jagen fünnte, indem der Tifh auf einen fo anjehn-
fihen Gaft nicht gerichtet war.) in anderer Schüler des
Königsberger Alten, Kraus, welcher damals im Keyjerlingfchen
Haufe Hofmeifter war und fpäter eine ordentliche Profeſſur der
Mathematif und Philofophie an der Königsberger Univerfität
erhielt, theilte feinem Freunde von Auerswald die Anweſenheit
Mendelsfohns in Königsberg mit den Worten mit: „Donnerjtag
fam Mendelsfohn an, Sonntag Tieß mich Kant zu fich rufen
und fagte mir, Mendelsfohn fei bei ihm gewefen und habe mit
ihm unter andern aud) von mir gefprochen, ob ich nämlich nicht
an Maier Stelle, der Fürzlich geftorben, Profeſſor in Halle
werden wollte Der Minifter von Zedlit habe ihm (Mendel3-
john) aufgetragen, einen zu der Stelle vorzuschlagen, und er
wolle e3 auf Kant ankommen Laffen.‘ ?)
An einem Sonntag Nachmittag Sprach Mendelsfohn auch bei
Hamann, „dem Schwer beladenen Schiffe der deutfchen Literatur,
vor. Hören wir, wie Kraus darüber berichtet. „SonntagNachmit-
tag ging ich zu Hamann und fand auf dem Wege nahe an dem
„Rothen Krahn“ einen Menfchen ftehen, der durch feine Geſtalt
und fein Geficht das roheſte Herz zum Mitleiden erweichen
fonnte. Sch gehe zu ihm und fage: Ich Habe gewiß die Freude,
Herren Mendelsfohn zu ſprechen. Sind Sie nicht Herr Kraus?
eriwiderte er; wir gehen wol einen Weg. Die Juden, die
mit ihm waren, müffen ihm vorher gefagt haben, daß ich’3 fei.
Sp gingen wir zu Hamann, wo eine Stube voll Bekannter und
) Kant, Gej. Werke (Roſenkranzſche Ausgabe), XI, 37.
2) Voigt, Leben des Profefjord Kraus (Königsberg 1819), 68.
— 259 —
Unbekannter unferer wartete. Mendelsſohn ſetzte fi) in den
Winfel und ich mich neben ihn, denn Hamann glaubte, wir ge
hörten fo am meiften zufammen; wir jprachen von diefem und
jenem mit einer Sorglofigfeit, ald wären wir miteinander er-
zogen worden. Er flagte auch, wie ich immer gern flage.
Gute Laune, Herr Kraus! das ijt beifer al3 alle Medicin, ant-
twortete er mir. Er hat wirklich viele Laune und einen fchnei-
denden talmudifchen Wiß, der unter der Direction feines jcharf-
finnigen Verſtandes durch und durch fährt, wo er ihn anbringt.
Man muß mit ihm etwas vorfichtig Tprechen, wie ich jebt exit
zu meiner Lehre und Reue erfahre.‘ ?)
Für den damals in Mißmuth und Unthätigfeit verjunfenen
Hamann war es die „größte und einzige Freude, welche er
während des ganzen Sommers genoß, feinen lieben Mendels-
fohn in Preußen zu umarmen“. Er hatte „sich ein Gele ge-
macht, ihn alle Tage, nolens volens, zur Zeit und zur Ungeit,
zu befuchen und ihn bis zum Thor Hinaus zu begleiten‘.?)
„Ich habe mehr als eine ſüße Stunde mit ihm zugebradt,“
fchreibt er Lavater, „auch feine philofophiichen Schriften bin ich
während feines Hierſeins durchgegangen und mit erneuertem
Bergnügen Ihren beiderfeitigen platonifchen Briefwechfel. Diefer
Mann ift wirkfih ein Salz und Licht unter feinem Gefchlechte
und er wiirde all fein Verdienſt und Würdigkeit verloren haben,
wenn er unfer einer geworden wäre, wie Adam.‘ 3)
Am 20. Auguft verließ Mendelsfohn Königsberg. Tags
darauf ftand in der „Königsbergfchen Zeitung“ :#) „Geſtern
Nachmittag gegen vier Uhr verließ Herr Moſes Mendelsjohn
feinen Aufenthalt in diefer Stadt und trat die Rückreiſe nach
Berlin an. Wir hatten ihn lange vorher al3 einen tiefdenfen-
— ——
Y Voigt, a. a. D. 69 ff.
2) Hamanns Schr. V, 282.
3) Daf. V, 275.
4 Von Donnerftag, 21. Auguft 1777, 67. Stüd, ©. 266. 9. Jolo:
wicz, Gejchichte der Juden in Königsberg (Pojen 1867), ©. 97.
17*
— 260 —
den Philoſophen und geſchmackvollen Kenner der Werke des
Witzes verehrt; und bewundern nun in ihm, mehr als alle
Gelehrſamkeit, die eitel vergänglih und unnüß ift, ein gut und
edel denfendes, der Freundichaft fähiges und für alle ihre fanf-
ten Empfindungen offenjtehendes Herz. Er hat fich feiner Ge—
jellfchaft, die ihn zu kennen begierig war, aus zurücdhaltendem
Stolze entzogen, ſich aber auch feiner einzigen zugedrängt. Auf
befondere Veranlaſſung hat er einige der größeften unferer
Stadt, unter andern, Ihro Ercellenzen Heren Grafen von
Keyferling und Herrn Kanzler von Korff, geiprochen, und überall
hat man ihn weit über alle Erwartungen gefunden. Doch waren
brillante Gefellfchaften und große Welt wol nicht das, was
ihm am mehrjten gefiel, und er vergnügte fich weit mehr in
einer ganz kleinen Gefellfchaft auserwählter Freunde, denn an
der übertriebenjten Berwunderung der feinen, großen und artigen
Welt.‘
Kaum zwei Monate nad) feiner Rückkehr von Königsberg,
im October 1777, reiſte Mendelsfohn nach Hannover, wo er
ftatt acht bis zehn Tage, wie er anfangs beabfichtigte, über ſechs
Wochen blieb, und die Freude Hatte, mit Zimmermann, Boie,!)
dem Mathematiker Raphael Levi u. a. m., häufig zu verfehren.
Auf der Rückreiſe hielt er ih in Wolfenbüttel auf und verlebte
einen glüdlichen Tag mit feinem älteften Freunde.
Seh3undvierzigites Kapitel,
Mendelsjohns und Leifings letztes Zujammten-
treffen.
„Sch bin dem Vergnügen, Sie zu fehen, fo nahe gewejen,“
Ichreibt Mendelsfohn am 3. November 1777 von Hannover aus
an Leffing, „und kränke mich jebt, daß ich mich habe nach
') Briefe von und an Bürger, II, 20.
— 261 —
Hannover bringen lafjen, ohne Sie gejehen zu haben. Mein
Borfag war, mich allhier etwa acht bi zehn Tage aufzuhalten
und meine NRüdreife über Wolfenbüttel zu nehmen. Billet von
Muzelitofh und Brief und Blumenfhachtel nahm ich mit Be—
dacht mit; die Papiere, um fie Ihnen perfönlich zu überreichen,
und die Blumen, um mir bei Madame eine Empfehlung aus-
zufparen, die fonjt ein unbekanntes bärtiges Geficht weniger
freundlich aufgenommen haben würde. Aber wie e8 den frommen
Wünfhen auf Erden zu gehen pflegt: wenn fie auch erfüllt
werden follen, fo werden fie wenigjtens ſehr lange, für den
Wünſchenden mehrentheils tödtlich lange, verjchoben. ch werde
mich allhier, wer weiß wie lange, aufhalten und vor Langeweile
umfommen müffen.“?)
In der damals kleinen unfreundlichen Refidenz fchmachtete
er in der fchredlichjten Langeweile und machte Leffing den Vor—
Ichlag, zu ihm hHerüberzufommen und mit ihm die in dem dor—
tigen Archive aufbewwahrten Leibnizifchen Papiere zu durchfuchen.?)
Weiter hätte dem Freunde nichts gefehlt, als fih aus
feinem glüclichen Hausſtande zu entfernen und die Leibnizifchen
Papiere zu durchjtöbern!
Leffing war jetzt der zufriedenite, heiterjte Menſch. Mit
feiner ein Jahr früher ftattgefundenen Berheirathung hatte für
ihn ein neues Dafein begonnen. Er pries fich glücklich an der
Seite feiner trefflihen Frau, er ſah feine äußere Stellung ge-
fichert, jah fich befreit von dem Drude der Schulden, die Jahre
lang wie ein Alp auf ihm gelajtet hatten; ev war voll heiterer
Laune und guten Humors, feine Stimmung und fein ganzes
Weſen war ein ganz anderes geworden. Dieſe wohlthätige
Wirkung feiner neuen Verhältnifje war Mendelsfohn, der feinem
Herzen am nächſten jtand, nicht entgangen. Kurz vor dem
Wiederjehen hatte er ihm gefchrieben: „Sch komme ganz unfehl-
bar zu Ihnen nad) Wolfenbüttel. Sicherlich Toll mich fein Ge—
) Schr. V, 197.
2) Chr. V, 200.
— 252 —
Ihäft davon abhalten; denn in der That ift mir keins fo
dringend, al3 die Begierde, Sie zu fehen und mich mit Ahnen
zu unterhalten. Sie fcheinen mir jeßt in einer ruhigen, zus
friedenen Lage zu fein, die mit meiner Denfungsart unendlid
beſſer harmonirt, al3 jene geiftreiche, aber auch etwas bittere
Laune, die ich an Ihnen vor einigen Jahren bemerft zu haben
glaubte. Ich war nicht "stark genug, das Aufbraufen Diefer
Laune niederzufchlagen, aber ich Habe Herzlich gewünfcht, daß es
Zeit und Umftände und Ihre eigene Vernunft thun möchten. Mid
dünft, und alles, was ich von Ihnen Höre und ſehe, beſtärkt
mich in diefem angenehmen Dünfen, mich dünft, mein Wunfd
jei nunmehr erfüllt. Ach muß Sie in diefer beffern Lage Ihres
Gemüths nothiwendig fprechen, wäre e8 auch nur, um mid) zu
belehren, was am meijten zu diefer Befänftigung beigetragen
habe: die Frau oder die Freimaurerei ? beffere Vernunft oder
reifere Jahre?“1)
Den 22. December traf Mendelsfohn mit feiner Frau in
Wolfenbüttel ein.
Außer der italienischen Reife, welche Leffing ein Jahr
früher mit dem Herzog Leopold von Braunjchweig zufammen
gemacht und auf der er, in Livorno, einen jüdifchen Gelehrten
fennen gelernt hatte, der über die höchſten Gegenftände des
menschlichen Wifjens die tieffinnigjten Anfichten entwickelte,?) trat
in der That die Freimaurerei in den Bordergrund ihrer per-
ſönlichen Unterhaltung.
Leſſing hatte die geiftreich durchgeführten, gehaltvollen Ge
fpräche über die Freimaurerei, „Exrnft und Falk“, welche all den
Tiefſinn, alle die glüdliche Mifchung von Scherz und Ernſt
haben, die wir an den Platonischen Dialogen bewundern, Men-
delsfohn im Manufeript geſchickt, und diefer hatte fie während
feines Aufenthaltes in Hannover mit großem Vergnügen gelefen.
') Schr. V, 198.
2) Haufen, Biographie Herzog Leopolds (Frankfurt a. O. 1785),
XXXIV.
— 2163 —
Seinen Vorwitz jtillten fie allerdings nicht. Er war überzeugt:
was Menjchen Menjchen verheimlichen, ijt felten des Nach—
forfchens werth; wol aber brachten jie ihm befjere Begriffe von
einem Inſtitute bei, das ihm feit einiger Zeit fait verächtlich zu
werden angefangen. Er redete ihm zu, diefe feine vortrefflichen
Keen von der Nutzbarkeit des Freimaurer-Ordens dem PBubli-
fum duch Thaten, nicht aber durch Wort und Schrift zu offen-
baren. „Sie willen,“ jchreibt er ihm am 11. November 1777,
„wie der große Haufen gejtimmt ift. Sobald man ein Ding
bei jeinem echten Namen nennt, jo heißt.e3: je nun, wenn es
weiter nichts ift! Das Volk drängt fich nie in größere Haufen,
al3 wenn e3 nicht weiß, warum.“ Uebrigens war ihm die
ganze dee jo wichtig, daß er der verjprochenen Ausführung
mit großer Begierde entgegenfah.!)
Als er nun nad) Wolfenbüttel kam, juchte er den Freund
über diefe wichtige Angelegenheit zu ergründen und führte folgen-
des Gefpräch mit ihm, das für beide charakteriftifch ift:
„Sie find auch, wie ich gehört habe, Freimaurer gewor—
den? At das wahr, Freund?“
„O ja, lieber Mofes, wol bin ich’3 geworden!”
„Run?“
„Was nun? Nun foll ich offenbaren? Nicht? Aber das
darf ich nicht, Fan ich wahrlich nicht, — ich habe gefchtworen —“
„Sie fcherzen, lieber Leſſing. Glauben Sie wirklich, mein
unfchuldiges Nun, das doc) auch einen andern Sinn haben kann,
ginge dahin, Ihnen die Geheimnifje des Ordens zu entloden?
Das Sei fern! Aber wie? Bon früher Jugend juchen wir die
Wahrheit, feit unferer Bekanntſchaft juchen wir fie gemeinfchaft-
lich, mit aller Anftrengung, mit aller Treue, mit welcher fie ge-
ſucht fein will. Und nun könnte es Wahrheiten geben, die
Leſſing feinem fünfundzwanzigjährigen Freunde nicht zu offen-
baren geſchworen — feierlichjt geichworen? Und ich jollte dieſe
1) Schr. V, 199 f.
— 264 —
Wahrheiten zu willen nicht neugierig fein fünnen? Sind es
aber nicht Wahrheiten, die der Orden feinen Jüngern mittheilt,
jo werden Sie noch viel mehr geftehen, daß id — —“
Leſſing lachte Herzlich über feines Mofes Eifer, und fagte:
„Hören Sie auf, lieber Moſes, da habe ich meinen Orden für
nicht3 und wieder nichts compromittirt.‘t)
Auch die Frau, deren ſchwer errungener Beſitz Leffing auf
den Gipfel feines Lebensglüds gehoben hatte, fejjelte den Blick
des theilnehmenden Freundes. Wie glüdlic) war er, feinen
Leſſing glüdlic) und zufrieden zu fehen! Die beiden alten treuen
Freunde jchwelgten jett einen Tag in dem reinen Glüd, nad)
dem fie fo lange ſich gefehnt Hatten; der eine Tag von Men-
delsſohns Anweſenheit in Wolfenbüttel gehörte zu den glücklich—
ten Tagen in dem einen einzigen glüdlichen Jahre, welches
der vielgeprüfte Mann in der Reihe der Lebensjahre aufzu=
weifen hatte.
Das Herz voller Freude reifte Mendelsfohn ab. Den
fedigen Sit in feinem Wagen füllte er „mit einer Berfon aus,
die feinen Leffing fo nahe anging“, mit defjen Stieffohn. Es
war ein Abfchied, wie er nicht wärmer, zärtlicher gedacht werden
fann. Mit Mendelsfohn hatte auch das Glüd, die Ruhe und
Zufriedenheit fiir immer von Lefjing Abfchied genommen.
Ehe er Berlin noch erreichte, fuhr ein Blik vom heitern
Himmel und zerjchmetterte das Scifflein von Leſſings Glück im
Hafen ſelbſt. Am Weihnachtsabend des Jahres 1777 gebar
ihm die Öattin zu feiner unaussprechlichen Freude einen ges
funden, hübfchen Knaben, Aber diefe Freude war von Furzer
Dauer. Nach vierundzwanzig Stunden ftarb dag Kind und
ichwebte die Mutter in Todesgefahr. Neun bis zehn Tage lag
fie ohne Befinnung; nur ihren Gatten, der Tag und Nacht
nicht von ihrem Bett wich, erfannte fie bei aller Geiſtesabweſen—
heit, fodaß man ihn mit Gewalt von demfelben entfernen mußte,
!) Karl Leſſing, a. a. O. I, 299 f.
— 265 —
um der Berfcheidenden den Todesfampf nicht noch zu erſchweren.
Sie ſtarb. Am frühen Morgen des zwölften Januar 1778 fah
Leffing fein Glück, feine theure Eva, zu Grabe tragen. Nach
der Beſtattung fchrieb er feinem Bruder Karl: „Wenn Du fie
gekannt hätteſt! Aber man fagt, es fei nichts als Cigenlob,
feine Frau zu rühmen. Nun gut, ich fage nichts weiter von
ihr. Aber wenn Du fie gekannt hätteft! Du wirt mich, fürchte
ich, nie wieder fo jehen, als unjer Freund Mofes mich gefunden
hat: fo ruhig, jo zufrieden in meinen vier Wänden!)
So ruhig, fo zufrieden ſah ihn niemand mehr; der treuefte
Freund jah ihn nimmermehr.
!) Leſſings Schr. XII, 500.
Elftes Buch,
Mendelsfohn als Vertreter feiner Glaubens-
genofen.
Siebenundvierzigites Kapitel.
Die politiiche Lage der Juden.
Mendelsjohns Ansehen wuchs von Jahr zu Jahr. Sein
Ruf drang bis nad) Franfreih und Stalien, bis nad Holland
und Ungarn; in ganz Deutfchland zählte der „jüdifche Meta-
phyſiker“ zu den berühmtejten PBerfönlichkeiten. Diefes Anfehen,
welches er bei den bedeutendften und einflußreichiten Männern
feiner Zeit genoß, machte er zunächſt zum Heil und Wohl feiner
Glaubensgenofjeu geltend. In feiner eigenthümlichen Perfön-
lichfeit für die Juden eine wahrhaft providentielle Erſcheinung,
war er, ohne daß er es wußte und wollte, der würdigſte Ver:
treter feiner Ölaubensgenofjen. Er bewährte fi) als Welt-
bürger, Deutfcher und Jude zugleich und dies in fo harmoniſcher
und doc energifcher Weife, wie man eine folche Vereinigung
für unmöglich gehalten und die dennoch in ihm ganz naturs
wüchſig exfchien. ?)
So wenig er diefe feine Erfcheinung geltend machte, fo
wirkte er doch, fo oft die Umſtände es erforderten, mittelbar
y 2. Philippfon, Moſes Mendelsjohns providentielle Sendung,
in Leſſing-Mendelsſohn-Gedenkbuch, S. 84—100.
— 267 —
zum Nußen feines Stammes, ald Anwalt und Bertreter der
Juden in den Zeiten der Bedrängniß.
Und eines Anwalts bedurften die Juden auch damals.
Das erleuchtete Jahrhundert hatte die Spuren früherer Barbarei
noch nicht verwiſcht, der finjtere Aberglaube des Mittelalters
hielt feinen undurchdringlichen Schleier noch überall ausgebreitet.
In den meiften Städten Deutfchlands durfte noch damals fein
Jude, wenn er auch feinen Glauben verzollt hatte, am hellen
Tage ohne Bewachung bleiben, aus Furcht, er möchte einem
Ehriftenfinde nachitellen, ein Chrijtenfind ftehlen, oder die Brun-
nen der Chrijten vergiften. Es ijt nicht lange her, konnte
Mendelsfohn noch 1782 fchreiben, daß die Judenſchaft zu Pofen
beihuldigt wurde, fie hätte ein Chrijtenfind zum Gebrauche der
DOfterfeier ermordet.!) HBmwei fromme Rabbiner wurden als
Häupter der Gemeinde vor Gericht gezogen, eingeferfert, nad)
der dortigen Halsgerichtsordnung gemartert. „Und die Männer
waren fo unfchuldig an der Ermordung des Kindes, wenn ja
eine Mordthat begangen worden, woran noch jehr zu zweifeln
ift — fo fchuldlos,“ fährt Mendelsfohn fort, „als ich und meine
Lefer e3 find. Noch vor wenigen Jahren würde diefelbe Ge—
fhichte in der Gegend von Warfchau wiederholt worden fein,
hätten nicht der weile König von Polen und einige aufgeflärte
Magnaten zum Glück den Lauf der dafigen Gerechtigkeit fo lange
gehemmt, bis es den Juden gelang, die Berleumdung an den
Tag zu bringen.“
Solche Anklagen und Berleumdungen hatten nun allerdings
in den Staaten Friedrich) des Großen ihre Wirkung verloren.
Friedrich betrachtete die Juden vom ſtaatlichen Gefichtspunfte
») Schr. III, 185 f. Ueber den Blutprocek in Poſen (1736) ſ.
Amude Olam (Berlin 1741) Borrede. Die beiden den Martern Er:
legenen hießen R. Arje Löb, der Prediger, und R. Jakob, der Vorfteher
ver Gemeinde. Die Blutanflage in Warfhau fol durch Mendelsjohns
Verwenden vereitelt worden fein; j. Euchels Biographie Mendelsjohns
(ed. Wien), S. 139 f.
aus; nur infofern fie dem Staate nützlich fein fonnten, trat er
zu ihnen in ein milderes Verhältniß; „Tonjt ftand er in feiner
Abneigung gegen die Juden ganz auf dem Standpunfte des
gemeinen Volkes“. Er ließ den Leibzoll bejtehen, befchränfte
ihre Rechte, hielt fie von der Landwirthichaft fern, erhöhte ihre
Abgaben; er dachte nur daran, fie ſyſtematiſch auszufaugen.
Um die von ihm gegründete neue Borzellan-Manufactur zu für-
dern, mußte jeder Nude, auch der unbemittelte, bei feiner Ver—
heirathHung und fo oft er eine Concefjion erhielt, für dreihun-
dert Thaler Porzellan übernehmen und, um den Namen der
Fabrik zu verbreiten, e8 im Auslande verfaufen.) Auch Men:
delsſohn mußte bei feiner Verheirathung das fönigliche Porzellan
faufen; die Püppchen dienten noch feinen Enfeln als Spielzeug.
Unter derartigen Beichränfungen hatten die Juden in Preu-
Ben zu leiden, und doch galt der preußifche Staat ſchon in jener
Beit für den tolerantejten in ganz Deutichland. In allen übri-
gen Ländern laftete die bürgerliche Unterdrüdung noch weit ſchwerer
auf ihnen. Bon allen bürgerlichen Ehren ausgefchloffen und zur
niedrigften der Stufen herabgeftoßen, welche die Stände des ge-
fitteten Lebens unterjcheiden, fonnten fie die ihnen von der
Natur in jo reihem Maße verliehenen Talente und Fähigkeiten
weder ausbilden noch anwenden, noch zum Beiten der Neben-
menschen gebrauchen. Wo die Liebreichite Toleranz herrſchte,
wurde fie gegen die Juden am wenigſten ausgeübt. Wo Künite
und Wiſſenſchaften blühten, mußten fie in Barbarei zurückbleiben.
Man juchte die Staaten zu bevölfern, fie allein wurden einges
Ichränft, damit fie fich nicht vermehrten. Man that alles mög-
liche, fie zu unnüßen verworfenen Menfchen zu machen. Wer
die Zunge oder die Feder rühren fonnte, borgte fie zu ihrer
Kränkung und Erniedrigung.?) AUllenthalben wurden fie ge—
) T. Cohn, der Zwangsankauf von Porzellan in der jüd. Ge:
meinde zu Potsdam unter Friedrich dem Großen, in der Zeitjichrift des
Vereins für die Gejchichte Potsdams, N. F. 2. Theil ©. 317 ff.
2) Schr. III, 174.
— 269 —
mieden und gehaßt, in den Gaſſen und auf den öffentlichen
Plägen waren fie der Gegenſtand des Spottes und Hohns.
Selbſt Mendelsfohn, der ſich der größten Achtung aller. edel-
denfenden Männer erfreute, hatte fogar in dem gebildeten tole-
ranten Berlin diefe verhöhnende fchimpfliche Behandlung mehr
al3 einmal erfahren. So fchrieb er an den Benedictiner Win-
fopp, der beinahe ein ganzes Jahr täglich mehrere Stunden in
feiner Geſellſchaft zubrachte, am 28. Zuli 1780: „Allhier in
diefem fogenannten duldfamen Lande lebe ich gleichtwol fo ein-
geengt, durch wahre Intoleranz fo von allen Seiten befchränft,
daß ich meinen Kindern zu Liebe mich den ganzen Tag in einer
Seidenfabrif, jo wie Sie — fi in einem Klofter, einjperren
muß. Ich ergehe mich zuweilen des Abends mit meiner Frau
und meinen Rindern. Papa! fragt die Unfchuld, was ruft ung
jener Burfche dort nah? Warum werfen jie mit Steinen hinter
uns ber? Was haben wir ihnen gethan? — Sa, lieber Bapa!
ſpricht ein anderes, fie verfolgen uns immer in den Straßen,
und fchimpfen: Juden! Juden! Sit denn diejes jo ein Schimpf
- bei den Leuten, ein Jude zu fein? Und was Hindert dieſes
andere Leute! — Ad}! ich fchlage die Augen unter, und feufze
mit mir felber: Menfchen! Menfchen! wohin Habt ihr es endlich
fommen laſſen? Doch weg von diefen Betrachtungen!“ jo ſchließt
Mendelsſohn, „fie machen mich zu unmuthig.“>)
Mendelsfohn trat auch in der That in früheren Jahren
von allen Berfuchen, auf die politiihe Stellung der Juden
irgendwie einzuwirken, befcheiden zurüd. Der bloße Gedanke an
die traurigen bürgerlichen und focialen Berhältniffe, unter denen
die Juden zu leiden hatten, erfüllten ihn mit Schmerz; er hörte
nicht einmal gern davon reden. Als fein Freund Abbt ihm
jchrieb, daß er ſich mit der Frage über die Beſtimmung feiner
Landsleute befchäftigen wolle, antwortete er ihm: „Was die Be-
jtimmung meiner Landsleute fein wird, fragen Sie? Welcher
1) Schr. V, 567.
— 270 —
Landsleute? der Dejjauer? oder der Bürger von Serufalem? Er-
klären Ste ſich deutlicher, und fodann werde ich Ihnen mit dem
Pancratius beim Moliere antworten: Je m’en lave les mains,
Je n’en sais rien. Il en sera ce qu’il en pourra. Selon les
aventures. Was mein Shyſtem nicht beunruhigt, das macht auch
mir feinen Kummer. Bompadour, Brühl, die Sefuiten, Glaubens—
richter, Seeräuber, Tyrannen, Giftmifcher und Landesverräther;
was thut dag? Mit dem Kaltfinne eines deutſchen Metaphy-
ſikers Hille ich mich in meinen fahlen Mantel, und fage wie
Pangloß: diefe Welt ift die beſte!“1)
Die Kühnheit feines Geiftes erſtreckte ſich blos auf fpecu-
lative Dinge; im Praftifchen war er ftet3 in einer allzu engen
Sphäre eingeſchränkt gewefen, als daß er, wie er ſelbſt gejteht,
die Fertigfeit hätte erlangen können, fich zu großen Dihgen zu
erheben und „über gemeine Schwierigkeiten Hinwegzufegen“.
Außerdem Fannte er den Charakter feines Stammes zu gut, ala
daß er die Verbeſſerung ihrer politifchen und focialen Lage
hätte befördern können. „Der Drud, unter welchem wir feit
fo vielen Sahrhunderten leben, hat unferm Geiſte alle vigueur
benommen,“ fchrieb er den 26. Januar 1770 einem „Manne
von Stande“, der ihm das fonderbare Project zur Gründung
eines felbitftändigen jüdifchen Neiches vorgelegt hatte. „Es ift
nicht unfere Schuld; allein wir können nicht leugnen, daß der
natürlihe Trieb zur Freiheit in und alle Thätigfeit verloren
hat. Er hat fi in eine Mönchstugend verändert und äußert
ſich blos im Beten und Leiden, nicht im Wirfen.“?)
Was hätte Mendelsfohn, der philofophirende Schriftiteller,
zur Verbeſſerung der politifchen Lage feiner Glaubensgenoſſen
auch thun können? Er lebte in dürftigen Berhältniffen, in einer
abhängigen Stellung, war felbjt heimatlos und empfand den
Druck noch viel fchmerzlicher als die meisten feiner Glaubens—
genofjen. Bon den Kabineten der Großen und von allem, was
') Schr. V, 325 f.
2) Schr. V, 49.
— 271 —
auf diefelben Einfluß hat, war er allzumweit entfernt, um an
diefem großen Geſchäfte auch nur den mindejten Antheil nehmen
und mitwirken zu können. „Sch Habe jederzeit im Verborgenen
gelebt, niemals Antrieb oder Beruf gehabt, mich) in die Händel
der wirffamen Welt einzumifchen, und mein ganzer Umgang hat
jih von jeher blos auf den Eirfel einiger Freunde eingefchränft,
die mit mir ähnliche Wege gegangen find.“ ')
Aus diefer dunfeln Ferne trat er aber hervor, fobald Zeit
und Umftände e3 erforderten. So oft das Wehgefchrei feiner
Brüder zu ihm drang, raffte der Edle fi) auf und nahm der
Geängjtigten und Hülfsbedürftigen an fich, foweit er es vermochte.
Achtundvierzigites Kapitel.
Mendelsjohns Verwenden für die Juden in der
Schweiz, in Sadjen und in Königsberg.
Aus der Heimat Lavaters drang der erjte Hülferuf zu ihm.
Seit dem Ende des funfzehnten Sahrhundert® war den
Juden der Aufenthalt in der freien Schweiz unterfagt; nur in
der Graffchaft Baden, in den beiden eine halbe Stunde von
einander entfernten Ortfchaften Endingen und Lengnau,?) wurden
fie gegen beträchtliche Schirmgelder geduldet. Aber auch hier
forderten die Vögte beftändig ihre Ausweifung. Im Jahre
1774 decretirte der Landvogt von Baden, daß die Zahl der
im Surbthal anfäffigen Juden nicht vermehrt, mittellofe Chen
nicht geftattet und die gegen dieſes Geſetz Berehelichten des
Landes verwiefen werden follten. Die armen Menfchen, von
1) Schr. III, 180.
2) Schr. III, 106. Lengly, wie Lengnau im Volksmunde noch
heute heißt. .
— 272 —
denen einige, namentlic) der Rabbiner, Jakob Schwaich, Men-
delsfohn dem Rufe nach befannt waren, nahmen ihre Zuflucht
zu ihm und „da fie von der gegenfeitigen Freundichaft gehört,
deren er und Lavater ſich einander öffentlich verfichert hatten“,
fo erfuchten fie ihn, ſich bei dem einflußreichen Geiftlichen für
fie zu berivenden.
Sp unangenehm es ihm auch war, mit Zavater wieder an-
zufnüpfen, jo fam er doch dem Wunfche feiner bedrängten
Glaubensgenoſſen nad) und richtete am 14. April 1775 an den
„verehrungswürdigen Menfchenfreund“ ein Schreiben, das mit
den Worten jchließt: „Sch wünſchte jehr, meine Mitbrüder ver-
jihern zu fünnen, daß fie weder von Ihrem Einfluffe auf Ihre
Mitbürger, noch von dem freundfchaftlichen Verhältniffe zwifchen
ung, ji) unrichtige Vorjtellungen gemacht, und beſchwöre Sie,
theuerfter Menfchenfreund, daß Sie fich diefer bedrängten Men-
Ichenfinder annehmen und durch Ihr Anfehen und Ihre Ueber-
redungskraft ihnen wenigjtens ihre alten, hergebrachten Frei-
heiten zu erhalten ſuchen. Diefe Handlung ift Ihrer würdig
und führte alfo ihren Danf mit ſich.“i)
Zavater blieb mit feiner Verwendung nicht zurüd, und die
Juden in der Schweiz priefen Mendelsjohn als ihren Retter.
Der Hülferuf des Vorſtandes der jüdischen Gemeinde in
Dresden erreichte ihn in Hannover.
Die am 15. September 1772 publicirte „Judenordnung
für die Nefidenzitadt Dresden“ hat alle Bejtimmungen mittel-
alterlicher Intoleranz. „Ausſchaffung“ war denjenigen angedroht,
welche es einmal verfäumten, die Perfonenjteuer am fejtgefegten
Termine zu bezahlen.) Im Herbjte 1777 follten nun mehrere
hunderte durch Unglücsfälle herabgefommene, arme zahlungs—
unfähige Juden aus der Stadt vertrieben werden. In der
eriten Beſtürzung wandte fic) der Vorfteher der dortigen Ge—
meinde, der wohlhabende und unterrichtete Samuel Halberitadt,
1) Schr. III, 107.
2) Sidvori, Gefhichte der Juden in Sachſen (Leipzig 1840), 92 ff.
— 273 —
ein Entel des Amjterdamer Rabbiner? Abraham Berlin, mit
der Bitte an Mendelsfohn, den Cabinetsrath Freiheren von
Frisfche, der zur Zeit fächfifcher Gefandter in Berlin war und,
wie jener verficherte, Mendelsjohns „Lob ftet3 im Munde führte‘,
um Schu und Schonung für die fchwerbedrohten Glaubens-
genofjen anzuflehen.?)
Sofort nad) Empfang dieſes Briefes, den 19. November
1777, vichtete Mendelsfohn, nicht an Frische, ſondern an den
geheimen Kammerrath Freiheren von Ferber, von dem er ein
Jahr früher Verficherungen der Werthſchätzung erhalten Hatte,
folgendes rührend-ſchöne Schreiben:
„sn der äußerjten Bejtürzung und Niedergefchlagenheit,
darin ich mich befinde, wage ic) es, mit dem Findlichjten Ver—
trauen, zu Ihnen, großmüthiger Menjchenfreund! meine Zuflucht
zu nehmen, und mit der innigjten Wehmuth um Ihren hülf—
reihen Beiftand zu flehen. Gnädiger Herr! ich vernehme mit
der letzten Poſt, daß viele Hunderte meiner Mitbrüder aus
Dresden vertrieben werden follen..... Gütiger, allmohlthätiger
Vater! wo follen diefe Elenden mit ihren fchuldlofen Weibern
und Kindern Hin? wo Schu und Schirm finden? wenn das
Land, in welchem fie um ihr Vermögen gefommen find, fie aus—
Ichleudert? Das VBertreiben ift für einen Juden die härtefte
Strafe: mehr als bloße Landesverweifung, gleichfam Bertilgung
von dem Erdboden Gottes, auf welchem das Borurtheil ihn
von jeder Grenze mit gewaffneter Hand zurüdweift. Und diefe
härtejte der Strafen follen Menfchenfinder Teiden ohne Schuld
und Vergehung, blos weil fie andern Grundfägen zugethan und
durch Unglüd verarmt find? Und der Sfraelit foll ehrlich fein,
an dem Armuth fo hart al3 Unehrlichfeit bejtraft wird? Nein!
Sch enthalte mich aller weiteren Betrachtungen, um das Herz
des Menfchenfreundes zu fchonen, welches dadurch zu ſehr ver-
twundet werden wirde ch habe noch Hoffnung, gegründete,
) M. j. mein: Mojes Mendelsfohn. Ungedrudtes und Unbe—
fanntes, ©. 58.
Kanfjerling, Mojes Mendelsfohn. 18
— 274 —
und in meiner Herzensangjt mich noch tröftende Hoffnung. Unter
der Regierung des beiten, liebevollſten Fürften, unter der Ver—
waltung weiſer Menjchenfreunde kann unmöglich Strafe ohne
Berbrechen zu befürchten fein; kann der fchuldlofen Armuth, in
welcher Gejtalt, Sitte und Religion fie ſich einfindet, nicht Feuer,
Wafler und Obdach verfagt werden. — Vergeben Sie, ver-
ehrungswürdigfter Befchüger der Unſchuld! wenn ich nicht fo an
Sie fchreibe, wie ih an Sie fchreiben ſollte. Mein Herz ift zu
voll, mein Gemüth zu unruhig und feiner überlegenden Faflung
fähig.“')
Diefen Brief ſchickte Mendelsfohn an Samuel Halberjtadt
mit einem furzen Begleitjchreiben, in dem es u, a. heißt: „Viel-
leicht Habe ich die dem Herrn Baron ſchuldige Ehrerbietung
außer Acht gelafjen; doch, ‚tomme über mich was will, ich war
zu ſchwach es zu fallen, und das Wort zurüdhalten, wer ver-
mag e3‘? Uebrigens weiß ich, daß diefer Herr mir vergeben
wird, denn ex ift ein Tugendfreund und hat mich) mehreremale
in feinen Briefen verfichert, fi) mir, wenn nöthig, gefällig zu
zeigen.‘ ?)
Mendelsfohn Hatte jih in feinen Erwartungen nicht ge-
täufcht; infolge feiner Fürfprache bei Herrn von Ferber wurde
der furfürftliche Befehl zurückgenommen.
In demfelben Jahre nahmen auch die Juden in Königs-
berg ihre Zuflucht zu Mendelsfohn. |
Der Königsberger Profefjor Georg David Kypfe, der die
ebenfo Fränfende als bejchimpfende Beauffichtigung des öffent-
fihen Gottesdienftes in der Synagoge zu Königsberg führte,
hatte wegen einiger ohne feine Bewilligung vorgetragenen Feſt—
pfalmen, befonders aber wegen des „Alenu“, eines der ältejten
und erhabenften Gebete, am 5. April 1777 bei dem Minijte-
2) Mein: Moſes Mendelsjohn. Ungebrudtes und Unbefanntes
©. 59 f.
— 275 —
fuhung, und die jüdiſche Gemeinde in Königsberg überreichte
dem föniglichen Commifjarius das auf ihre Bitte von Mendels-
ſohn abgefaßte Gutachten „Zufällige Gedanken über des Herrn
Prof. Kypke Beichuldigungen der Judenfchaft zu Königsberg, und
befonders über das Gebet Alenu.“)) Diefer Auffag war jedoch)
wenig geeignet, den Anfläger von feiner Ruchloſigkeit zu über-
zeugen und zum Schweigen zu bringen. Derfelbe fchrieb dagegen
feine „Anmerkungen“, welche wieder eine Replik von Geiten
der Juden veranlaßten. Auf ein ausführliches Gefuch der Juden
an Friedrich den Großen wurde troß des Einipruches Kypkes
die Beauflichtigung der Synagoge im Jahre 1778 aufgehoben.)
Einige Jahre früher verwandte ſich Mendelsfohn für einen
in der ſächſiſchen Landesfeftung Pirna unfhuldig inhaftirten
jüdifchen Gelehrten.
Der bereit3 früher genannte Avigdor Levi gerieth nämlich
auf einer Reife duch Sachſen in den Verdacht eines Diebjtahls
oder einer Diebshehlerei und wurde demzufolge nah Pirna
gebracht, wo er zehn Monate in Feſſeln und Banden faß, ohne
auch nur verhört zu werden. Endlich glüdte es ihm, einen
kunſtvoll jtilifirten hebräifchen Brief an Mendelsfohn gelangen
zu lafjen. Er betheuert darin feine völlige Unfchuld, meldet
ihm, daß ein Geiftlicher, der ihn wöchentlich einigemal in feiner
Belle befuche, mehrerer Sprachen, auch der Hebräifchen, Fundig
und ein großer Verehrer von ihm fei, daß derfelbe feinen Kom—
mentar zum „Prediger“ gelefen habe und zu beſitzen wünſche.
Ferner theilt er ihm mit, daß er ſich feine Leidenszeit mit dem
Studium der Bibel und des Talmud verfürze, auch bereit3 den
größten Theil des Abravanel, die „Herzenspflichten” und das
religions=philofophifche Werk „Kuſari“ einigemal gelefen Habe und
) Mojes Mendelsjohns und Georg David Kypfes Auffäte über
jüdifhe Gebete und Feitfeiern; aus arhivaliihen Akten herausgegeben
von Ludwig Ernft Borowski. Königsberg 1791; Schr. VI, 418 ff.
2) Kolowicz, Geſchichte der Juden in Königsberg i. PBr., S. 100,
198 ff.
18*
— 276 —
bittet ihn zum Schluß um die Erklärung einer in dem Tebtge-
nannten Werfe ihm unverftändlichen Stelle!)
Sobald Mendelsfohn diefen Brief durch Iſaak Jaffe, den
Verwandten Avigdors, erhielt, jchrieb er ihm und zwar, in der
richtigen Borausfegung, daß die Beamten in Pirna das Schrei-
ben öffnen und leſen würden, den 13. Januar 1774, in deut-
iher Sprache Folgendes: ?)
„Ich Habe Ihr Schreiben richtig erhalten. Da ich Shre
Denkungsart fenne, fo zweifle ich nicht, daß Sie gerechte Sache
haben, ob ich gleich nicht weiß, was Ihnen eigentlich ſchuld ge-
geben wird. Freilich wird am Ende die Unfhuld an den Tag
fommen, und Recht doc Recht bleiben müſſen. Die Gerechtig-
feit thut zwar zur Rettung der Unfchuld nur ſehr Tangfame
Schritte, aber wir wollen hoffen, deſto ficherere. Da Sie übri-
gens Ahr Trübfal mit fo vieler Ergebung in den göttlichen
Willen ertragen, fo hoffe ich zu dem Gotte unferer Väter, daß
der Vorfall auch für Ihre arme bedauernswerthe Familie fo
unglücklich nicht fein wird, als es jetzt fcheint. Was ich nur
immer dazu beitragen kann, derjelben hartes Schidfal zu er-
leichtern, werde ich gewiß mit Vergnügen thun.“
Diefes Schreiben hatte den erhofften Erfolg. Die Beamten
felbft überbrachten es dem Gefangenen und eröffneten ihm, daß,
wenn ein Mann wie Mendelsjohn für feine Unfchuld einftehe,
niemand ihn mehr in Verdacht halten dürfe. Am WBorabende
des Paſſahfeſtes erlangte Avigdor feine Freiheit wieder. Aller
Mittel entblößt, nahm fi der mit ihm verwandte Berliner
Dberrabbiner Hirichel Levin, fowie der reihe Iſaak Deffau
in Berlin feiner an. Von Dresden, wo er ſich während des
) Iggerot, 10. Brief.
2) Diefer Brief ift oft, aber immer unvollitändig abgedrudt (Neue
Berlin. Monatsſchrift, Bd. 21, Janr. 1809, ©. 28 ff.; Sulamith III, 2,
148 f., Schr. V, 522 f.); die Erklärung der Stelle im „Kuſari“ j.
mein: Mojes Mendelsjohn. Ungedrudtes und Unbefanntes, S. 44 f.
— 277 —
Feſtes aufhielt, Fehrte er nach Prag zurück, und ernährte ſich
wieder kümmerlich durch Extheilung von Privatunterricht.
Mendelsſohn, feinem Retter und Befreier, bewahrte ex jtet3
die größte Verehrung und Dankbarkeit.
Neunundvierzigites Kapitel.
Die Beerdigungsfrage. Salob Emden.
Der alte Brauch, die Leichen jo raſch zu bejtatten, daß
der Todte vom Scheintodten nicht unterfchieden werden konnte,
war dor hundert Jahren bei den Juden allgemein. Dem Herzog
Friedrich von Medlenburg- Schwerin gebührt das Verdienjt, diefem
Unweſen zuerjt gefteuert zu haben; er erließ am 30. April 1772
an die Juden feines Landes den Befehl, ſich der frühen Be—
erdigung fernerhin zu enthalten und ihre Todten wenigjtens drei
Tage unbegraben zu Laffen. ?)
Die Juden Mecklenburgs erhoben darüber ein Jammerge—
Schrei, al3 ob Berbannung oder Ausweifung ihnen angedrohet
wäre, al3 ob der Landesherr fie hätte zwingen wollen, ein mo—
ſaiſches Gefe zu übertreten. In ihrer Bejtürzung wandten ſich
die Vertreter der Schweriner Gemeinde im Verein mit ihrem
Rabbiner Mordechai Jaffe aus Berlin bald nah Publication
des herzoglichen Edictes an Mendelsfohn mit der Bitte, durch
Abfaffung einer Denkfchrift und durch Verwendung bei der Re—
gierung dieſes Unglüf von ihnen abzuwenden; „es wäre zu
beforgen, daß es Gott behüte! noch ein größeres nach ſich
ziehen könne“.)
Mendelsfohn Tieß mit der Antwort nicht lange warten.
Zuvörderſt erflärte er der Schweriner Gemeinde-Bertretung, er
) Sammler (Meaifef), 1785, 155.
2) Daj. 169. Das Schreiben ift datirt vom 18. Mai 1772.
— 2783 —
begreife nicht, wie fie über eine jo heilfame Verordnung ſolche
Befümmernig und Kränfung an den Tag lege; nad feinem
Dafürhalten involvire die Befolgung des Landesherrlichen Be-
fehles nicht die geringſte Gefeßesübertretung. Der Brauch einer
fofortigen Beerdigung fei durch fein Religionsgeſetz eingeführt
und geringfügiger Urfachen wegen Häufig umgangen worden.
Das Uebernadhten des Todten müſſe um jo mehr als Pflicht an-
gejehen werden, wenn der entferntefte Zweifel vorhanden fei,
daß er wieder erwachen könne. „Sit es doch fundamental bei
uns, daß fein Geſetz ftattfindet, wenn Lebensgefahr dabei ob-
waltet!“ Ex giebt ferner zu erwägen, daß die Juden in den
ältejten Zeiten die Leichen in unterirdifchen Höhlen zu einer
dreitägigen Bewachung beigefegt hätten und daß nad) den Er-
fahrungen bewährter Aerzte Fälle von Scheintod nicht ausge
Ichloffen jeien. Um fich jedoch der Schweriner Gemeinde ge
fällig zu zeigen, jehiete er ihr ein von ihm ausgearbeitetes Ge—
ſuch an den Herzog, extheilte ihr aber zugleich den Rath, falls
derjelbe auf die „Vorſtellung“ feine Rüdficht nehmen würde, auf
ihrem Friedhofe eine Leichenhalle zu erbauen, in welcher die
Adgefchiedenen drei Tage lang bewacht und alsdann exit zur
Erde bejtattet wirden. „Died zu thun, ijt meiner Meinung
nach die Pflicht einer jeden frommen Gemeinde, nicht aber von
jenen vernünftigen Verordnungen abzugeben. Die Rabbiner un:
jerer Beit follten fie dazu anhalten und die Sache befördern.
Sch weiß zwar auch,“ fügt er zum Schluffe feinem Schreiben
hinzu, „daß Sie mir nicht folgen werden, denn die Macht der
Gewohnheit ift jtarf, ja vielleicht werde ich Ihnen gar als ein
Srrlehrer durch meinen Vorfchlag erfcheinen. Immerhin! Habe
ich doch mein Gewiſſen von der Schuld befreit.‘“!)
) Der Brief Mendelsſohns, datirt vom 9. Juni — nit Mai,
wie 1. Aufl. S. 559 angegeben — ift abgedrudt: Sammler, 1785, 170 f.,
ind Deutjche überjegt von Jakobſon im Septemberhefte des Roftoder
Wanderer3 vom Sahre 1772, ferner Sulamith IV, 2, 155 ff., und
1. Aufl. ©. 557 ff.
— 279 —
Hätte Mendelsfohgn mit weniger Anfpruchslofigfeit und
Ruhe feinen Befcheid abgegeben, fo hätte man ihn in der That
damal3 für einen Irrlehrer gehalten.
Zu feiner nicht geringen Ueberrafchung erhielt er in diejer
Angelegenheit nach einigen Wochen ein Schreiben von dem in
Altona als Privatmann Lebenden frommen Rabbiner Jakob
Hirfchel oder Emden, wie er nad) dem Rabbinate, das er einige
Jahre befleidete, genannt wurde. Hirfchel, ein Mann von um-
fafjender Gelehrſamkeit, aber unverträglih und rückſichtslos,
eiferte gegen jede Beichäftigung mit profanem Wiffen: Yranzö-
ſiſch war ihm ein Greuel, und am Sabbat eine Zeitung zu leſen
erachtete er für Sünde. Es fcheint, daß Mendelsfohn es ab-
jichtlich vermieden hat, bei Lebzeiten des ihm perſönlich befann-
ten Jonathan Eibenſchütz zu Hirfchel, deſſen Todfeinde, in Be—
ziehung zu treten; exit nad) dem Tode des genannten Ham—
burger Oberrabbiners fnüpfte er mit ihm an. Er hielt ihn für
einen der gelehrtejten Rabbiner feiner Zeit!) und nannte ihn
nicht anders als „Lehrer und Meiſter“, den „erleuchteten, be-
rühmten, großen Rabbiner“, den „Lehrer des Volkes“, den „Ber:
treter der Nation“. Hirfchel gewann auch bald die Ueberzeu-
gung, daß der Berfaffer des „Phädon“ ein eben jo glaubeng-
treuer Jude wie gewiegter und fcharfiinniger Talmudiſt ſei;
diefer machte ihm allerdings fein Hehl daraus, daß, feitdem er
zur richtigen Erfenntniß gelangt fei, die gewöhnliche Disputir-
kunſt, wie fie vielen Rabbinern eigen ijt, ihn anwidere und er
ſich nicht entfchließen fünne, im Studium des Talmud, dem er
mit Liebe obliege, diefen Weg wieder zu befchreiten. 2)
Das leidliche Verhältniß zwiſchen den beiden, an Willen
und Richtung grundverfchiedenen Männern wurde durch die Be—
erdigungsfrage gelodert.
Wie an Mendelsfohn, hatten ſich die Vertreter der Schwe-
1) Schr. III, 43.
2) Mein: Mojes Mendelsfohn. Ungedrudtes und Unbefanntes
von ihm und über ihn, 29 ff.
— 280 —
riner Gemeinde auch an Emden gewandt und feine gutachtliche
Meinung eingeholt. Auch ex ertheilte ihnen den Rath, fich ver-
trauensvoll an Mendelsfohn zu wenden; er fei der Ddeutjchen
Sprache mädtig, ein Mann von Namen und Auf, und bei den
Fürften von Einfluß. Auf vielfaches Bitten Händigte er ihnen
auch ein in aller Eile niedergefchriebenes, einen ganzen Bogen
umfaffendes hebräifches Gutachten ein, das fie ihm alsbald zurüd-
zuſchicken verſprachen. Emden, welcher vermuthete, daß die
Schweriner Gemeinde-Bertreter fein Gutachten, in dem er vom
talmudifch-rabbinifchen Standpunkte den alten Brauch vertheidigt
hatte, Mendelsjohn zur Einficht geſchickt Hätten, fchrieb ihm den
26. Juni 1772 und bat ihm um die Rücjendung des Gut—
achtens im Original oder in Abfchrift.?)
Gleich nad) Empfang diefes Briefes, den 30. Zuni, drüdte
Mendelsfohn dem frommen Hirfchel fein Erſtaunen über das
fonderbare Benehmen jener „juperflugen Leute” aus, die ihm
weder eine Denkſchrift eingefchicdt, noch überhaupt mitgetheilt,
daß ſie fih au an ihn gewandt hätten. Was nun die An—
gelegenheit ſelbſt betreffe, jo gebe es, meint Mendelsjohn, er-
wiefenermaßen fein ficheres Kennzeichen eines wirklich erfolgten
Todes. Alle Heilfundigen bezeugen, daß Puls- und Herzichlag
fowie Athemholen bisweilen gänzlich aufhören, ohne daß der
Tod wirklich eingetreten und daß Ohnmacht vom Tode nicht
früher zu unterfcheiden ift, bi3 der Körper in Verweſung über-
geht. Sehnlichjt verlange er die Gründe kennen zu lernen,
durch welche er den Brauch der raſchen Beerdigung gerecht—
fertigt habe. ?)
Mit einem Aufwande von Gelehrfamfeit wies nun Emden
in einem ausführlichen Schreiben ?) die Wichtigfeit des unter allen
Juden verbreiteten Brauch3 der fofortigen Beerdigung nad) und
) Sammler, 1785, 172.
2) Das. 173. Moſes Mendelsjohn. Ungedrudes und Unbekann—
tes, 31 f.
3, Das. 178 ff. Das Schreiben ift datirt vom 3. Juni 1772.
— 231 —
fügte hinzu, daß auf die Anfichten der Aerzte in religionsgefeß-
lihen Fragen nichts zu geben fei; außerdem ermahnte er Men—
delsſohn, wie ein Vater feinen geliebten Sohn, fich ja nicht vom
geraden Wege zu entfernen. Als Emden merkte, daß Mendels-
john ſich über feinen Brief gefränft fühlte und auf feinen An—
fichten beharre, richtete er am 8. Auguft ein zweites Schreiben
an ihn, in dem er ihn verficherte, daß er feineswegs die Abficht
gehabt habe, ihn zu beleidigen; umfotweniger dürfe aber auch
er feine mwohlgemeinten Worte unbeachtet laſſen. Zu feinem
eigenen Beſten rieth er ihm, jeden Verdacht der Ungläubigfeit
von jich fern zu Halten, da es ihm ohnehin ſchon verargt werde,
daß er „einen böfen Hund in feinem Haufe großziehe“, d. 5.
daß er fich eifrig mit Philofophie befchäftige und mit Männern
von larer Religiofität Umgang pflege.?)
Zum völligen Bruche mit Emden Tieß es Mendelsfohn in
feiner Friedensliebe nicht fommen; er ftand auch noch fpäter mit
ihm im Briefwechfel.
Die Beerdigungsfrage wurde nach mehreren Jahren durch
die Aerzte M. 3. Mare in Hannover?) und Markus Herz in
Berlin zur großen Freude Mendelsſohns wieder aufgenommen
und mit der Zeit auch im Sinne Mendelsſohns gelöft.
) Sammler, 1785, 184 ff. Die zwifchen ihm, Jakob Emden und
der Schweriner Gemeinde: Vertretung geführte Correfpondenz übergab
Mendelsjohn felbft den Herausgebern des ‚„„Sammlers‘ zur Veröffent—
lihung, vgl. Sammler, 1785, 154.
2) M. 3%. Marr (ft. 24. Januar 1789 zu Hannover) veröffentlichte
1784 einen Auffaß über die Begräbnißfrage, infolge defjen ihm Mendels—
john am 18. Auguft 1784 jchrieb. (Der Brief ift nicht mehr vorhanden.)
Dal. Marr, Ueber die Beerdigung der Juden, Hannover 1788, auch als
deutihe Zugabe zu dem Sammler, 1789. — M. Herz, Ueber die frühe
Beerdigung der Juden. Berlin 1787; 2, Aufl. 1788.
— 232 —
Sünfzigites Kapitel.
Die Ritualgeſetze der Juden und der Judeneid.
Als eigentlicher Vertreter der Juden in Preußen erjcheint
Mendelsfohn durch die Zufammenftellung der „Ritualgejege der
Juden“ und durch die Yormulirung des Judeneides.
Die Gerichtsbarkeit der Rabbiner in rituellen Angelegen-
heiten und in Schuldfragen von Juden gegen Juden, welche fchon
das Generalprivilegium von 1750 infofern befeitigt hatte, daß
ed die Rechtſprechung in das Abgeben eines bloßen Gutachtens
und zwar nur in Cheangelegenheiten, Tejtamenten u. dgl. m.
verivandelte, wurde, theils um die Rechte der Rabbiner zu be-
ichränfen, theils um die Gericht3einfünfte zu vermehren, im
Jahre 1776 ganz aufgehoben und auf die Landesgerichte über:
tragen.!) Um nun die leßteren, denen es an Kenntniß der
desfalfigen jüdischen Bejtimmungen fehlte, in den Stand zu jeßen,
wirklich Recht zu fprechen, erhielt im Jahre 1777 der damalige
Berliner Oberrabiner Hirschel Lepin von dem Staatsrath den
Auftrag, die betreffenden Ritualgefege der Juden in einen
„veutichen Auszug zu bringen und dem Eöniglichen Juſtizdepar—
tement zu überreichen“.
Hirschel Levin, welcher zuerjt in London, dann in Halber-
jtadt und eine Furze Zeit in Mannheim als Rabbiner wirkte,
bis er im Jahre 1772 als Oberrabbiner nach) Berlin berufen
wurde, befaß neben einem umfafjenden grimdlichen Wiſſen im
Talmud und in der vabbinischen Literatur auch profanes Willen;
er verfügte aber doch nicht über eine folche Fertigkeit im deut-
ſchen Ausdrude, wie die ihm übertragene Arbeit fie erforderte.
Mendelsjohn verehrte er wegen feiner Kenntnifje und feiner
1) 2. Geiger, Gejhichte der Juden in Berlin (Berlin 1871) I, 72;
II, 133 ff.
— 283 —
Religiofität jeit vielen Sahren;!) er war, wie der Drientalift
Boyſen den 26. Auguft 1770 von Quedlinburg aus an Gleim
in Halberjtadt jchrieb,?) „stolz darauf, daß der Berlinifche Sokra—
te3 aus jeiner Nation aufgejtanden fei“. Den „Phädon“ Hatte
er gelefen und „den Klugen in feinem Volke den Rath gegeben,
die großen Lehren dieſes Weltweifen ins Herz zu prägen.“
An ihn wandte fich daher Hirfchel Levin mit der Bitte, Die
„Ritualgeſetze in einen deutfchen Auszug zu bringen“, und diefer
unterzog ſich bereitwillig der Aufgabe aus Freundfchaft und
Hochachtung für den von ihm verehrten Mann.
Die „Ritualgefege der Juden“, von Hirfchel Levin vor der
Beröffentlihung forgfältig geprüft, erfchtenen im Jahre 17783)
zunächſt, wie Mendelsfohn im Vorbericht bemerkt, al3 „Privat-
bemühung eines Gelehrten”, dann aber auch zu praftifchem
Bwede, „da man in diefem Fade noch wenig ausführliches in
anderen al3 in rabbinifcher Sprache aufzumweifen hat und Die
Fälle doch öfters vorkommen, da Rechte der Juden gegen Juden
von Sachwaltern vertheidigt und von Richtern entfchieden wer—
den, die der rabbinifchen Sprache und Gelehrfamkeit unfundig
find“. Diefe Schrift, welche eine ſyſtematiſch und überfichtlich
geordnete Zufammenftellung der rabbinifchen Bejtimmungen über
Ehe- und Erbrecht nebſt Formularen jüdiſcher Contracte, als
Ehe- und Berlobungspacten, Trau- und Chalizabrief, enthält,
entſprach lange Zeit einem praftifchen Bedürfniffe und hat dem-
zufolge auch mehrere Auflagen erfahren.?)
Bon größerer Wichtigkeit ift der von Mendelsfohn formu—
lirte Judeneid.
Hirſchel Levin hat von Mendelsſohn, über die Vorurtheile, deren
er im Streite mit Lavater ſeine Religion beſchuldigte, Feine Erklärung
gefordert; im Mai 1770 war er noch gar nicht in Berlin.
2?) Briefe von Hrn. Boyſen an Hrn. Gleim (Frankfurt u. Leipzig)
1772), II, 221 f.
3) Berlin, Voß, 1778; der Vorbericht ift Datirt vom 1. Febr. 1778,
4) 2. Aufl. Berlin 1783, 3. Aufl. ibid. 1793, 4. Aufl. ibid. 1799,
5. Au fl. ibid. 1826; Schr. VI, 5—118.
— 234 —
Der Aſſiſtenzrath und jpätere Profeffor Ernſt Ferd. Klein,
welcher von Garve in Breslau an Mendelsjohn empfohlen und
bald mit ihm befreundet wurde,!) erhielt im Jahre 1782 von
der Regierung den Auftrag, einen Entwurf über die bei der
jüdifchen Eidesleiſtung zu beachtenden Formalitäten einzureichen.
Er that, wie e3 in feinem Berichte an Friedrich den Großen
vom 7. Juni 1782 heißt, „ſich mit Mendelsfohn zufammen, der
ihm einen Bericht beifügte, wie der Eid, dem Talmud gemäß, in
jüdifchen Gerichten abgenommen werde.“2?) Mendelsfohn, der
von Klein und den anderen Wedactoren des Entwurfes zum
„Allgemeinen Landrechte“ über vechtsphilofophifche Materien oft
zu Rathe gezogen wurde, auch dem Großfanzler auf deſſen An—
ſuchen Gutachten abgeftattet hatte?) befand fich, ängſtlich wie er
war, diefer Frage gegenüber in feiner geringen Verlegenheit. Er
hatte fowol die Rabbiner und die Maſſe feiner Glaubensge-
nofjfen, als die Borurtheile der chriftlichen Behörden zu berid-
fihtigen und darum entwarf er jene ftrenge Eidesformel, welche
für die Juden des preußifchen Staates bis auf die Gegenwart
eine drüdende Lat war. Hätte er ſich nad) feiner Denkungs—
art frei und offen erklären dürfen, fo wäre der Judeneid mit
allen verdächtigenden und mittelalterlichen Formalitäten aus den
preußifchen Geſetzbüchern ſchon damals gefchtwunden.
Und doch müfjen wir ihm Dank dafür wiſſen, daß er einen
Jargon aus den Gerichtsituben vertriöben, welcher nicht wenig
zur Unfittlichfeit des gemeinen Mannes, wie Mendelsfohn fich
ausdrücdt, und zur VBerhöhnung der Juden beigetragen, daß er
die „Ermahnungsformel beim Judeneide“4) jtatt in jüdijch-deut-
Ihem Miſchmaſch in reiner deutfcher Sprache eingeführt hat.
) Kleins Selbftbiographie in Lowes Bildniffen jettlebender Ge-
lehrten, ©. 53.
2) M.3 Meinungen über den Eid nad den „Jahrbüchern für
preuß. Geſetzgebung“ ausführlich mitgetheilt von 3. Franfel, der gericht:
liche Beweis nad) moſaiſch-talmudiſchem Rechte (Berlin 1846), ©. 498 ff.
») Schr. I, 28.
9 Schr. VI, 405 f.
— 285 —
„sch würde es fehr ungern fehen,“ Heißt es in feinem Briefe
an Klein vom 29. Auguft 1782,1) „wenn nad) Herrn Fränfels
Bedenklichkeit die jürdisch-deutihe Mundart und die Vermiſchung
des Hebräifchen mit dem Deutjchen durch die Geſetze autorifirt
würden. ch fürchte, diefer Jargon Hat nicht wenig zur Un—
fittlichfeit des gemeinen Mannes beigetragen, und verfpreche mir
jehr gute Wirkung von dem unter meinen Brüdern feit einiger
Zeit auffommenden Gebrauche der reinen deutfchen Mundart.
Wie würde es mich Fränfen, wenn die Landesgefeße ſelbſt jenem
Mißbrauche beider Sprachen gleichfam das Wort redeten! Lieber
mag Herr Fränkel fi die Mühe geben, die ganze Warnung in
reines Hebräifch zu feßen, damit fie, nad) Beichaffenheit der
Umftände, rein deutfch, oder rein Hebräifch, oder auch in beiden
Sprachen abgelefen werden könne. Nur feine Vermifchung der
Sprachen!“
) Schr. V, 605.
Zwölftes Bud).
Die Bibelüberfegung.
Einundfünfzigites Kapitel.
Anlaß und Zweck.
Keine Vermiſchung der Sprachen! war der Grundgedanke,
der Mendelsſohn leitete, als er den großen Plan faßte, die
Cultur feiner Glaubensgenoſſen zu heben und die jüdiſche Maſſe
zu bilden. Es war ſeinem Scharfblicke nicht entgangen, daß
der Jargon, dieſe jüdiſch-deutſche Mundart, eine weite Kluft
zwiſchen den Juden und der übrigen Menſchenwelt bildete, daß
ein großer Theil ihrer politiſchen Beſchränkung und ſocialen Abſon—
derung in dem Mangel an Cultur ſeinen Grund hatte; deshalb
war fein Streben darauf gerichtet, fie die reine deutſche Sprade -
zu lehren und zwar inmitten ihres eigenen unantajtbaren
Heiligthums.
An der Hand des göttlichen Wortes ſollte die junge Genera—
tion auch zugleich auf die Bahn der Nationalität geführt, ſollte
der jüdiſche Geiſt mit der allgemeinen Bildung gemeinſam ge—
nährt werden. Von dieſem Geſichtspunkte aus unternahm er
es, eine deutſche Ueberſetzung der fünf Bücher Moſes zu be—
arbeiten. Nie dachte er daran, Bibelherausgeber oder Ueber—
ſetzer zu werden. „Nach dem erſten Plane meines Lebens,“
t
— 28397 —
Schreibt er Hennings den 29. Juni 1779, „fo wie ich ihn in
meinen beſſeren Sahren entwarf, war ich weit entfernt, jemals
ein Bibelherausgeber oder Meberjeger zu werden. Sch wollte
mich blos darauf einfchränfen, des Tages feidene Zeuge ver-
fertigen zu lafjen und in Nebenjtunden der Philofophie einige
Liebfofungen abzugewinnen. Es hat aber der Vorſehung ge-
fallen, mich einen ganz andern Weg zu führen. ch verlor, in-
folge der Lavaterfchen Zudringlichkeit, die Fähigkeit zu meditiren
und mit ihr anfangs den größten Theil meiner Zufriedenheit.
Nach einiger Unterfuhung fand ich, daß der Ueberrejt meiner
Kräfte noch Hinreichen könne, meinen Kindern und vielleicht
einem anfehnlichen Theile meiner Nation einen guten Dienft zu
erzeigen, wenn ich ihnen eine bejjere Ueberfegung und Erklärung
der heiligen Bücher in die Hände gebe, als fie bisher gehabt.
Diefes ift der erjte Schritt zur Eultur, von welcher meine Na—
tion leider! in einer folchen Entfernung gehalten wird, daß man
an der Möglichkeit einer Verbeſſerung beinahe verzweifeln möchte.
Sch hielt mich indefjen für verbunden, das Wenige zu thun,
was in meinem Vermögen fteht und das Uebrige der Vorſehung
zu überlafjen, die fic) zur Ausführung ihres Plans mehren-
theils mehr Zeit nimmt als wir überfehen können.“ !)
Mendelsfohn verfaßte die Pentateuch » Ueberjegung, nicht
etwa um dadurch) Namen und Ruhm in der Welt zu erlangen,
ſondern zunächſt zum Gebrauche für feine Kinder. Nach diefer
Ueberfegung in der reinen deutjchen Mutterfprache unterrichtete
er feinen ältejten Sohn, um ihm das Verſtändniß des Urtertes
zu vermitteln und um ihn gleichzeitig in den Geiſt der hebräi-
ſchen Spracde, in die feinen Nüancen ihrer Redewendungen, in
ihre Poeſie einzuführen, bis ex dereinſt felbititändig in die Tiefen
der heiligen Urkunden einzudringen vermöge.
Durch göttliche Fügung wurde ihm der gelehrte Salomo
Dubno, ein ausgezeichneter Maforet und in den Schriften der
) 1. Aufl. S. 592.
— 2838 —
alten Grammatifer ſehr beiwandert, zugeführt. Mendelsjohn ließ
feinem Sohne täglich eine Stunde Unterricht in der hebräischen
Grammatik von ihm ertheilen.
Eines Tages zeigte er Dubno die Meberfegung; fie gefiel
ihm fo jehr, daß er in ihn drang, fie zu Nutz und Frommen
der ifraelitiihen Jugend dem Drude zu übergeben. Er willigte
ein, jedoch) nur unter der Bedingung, daß Dubno jede Stelle,
welche er gegen die Anfichten der älteren oder die aller Kom—
mentatoren, oder welche er nad) den Regeln der hebräifchen
Sprade und dem BZufammenhange des Sinnes überſetzt habe,
forgfältig prüfe, und dann die Ueberſetzung mit einem Teichtfaß-
lichen Kommentar in hebräifcher Sprache verfehe, in welchem
von der bei der Ueberjegung befolgten Methode genau Rechen-
Ichaft gegeben werde.
Mendelsfohn, der auch bei dem Kommentare jeden mög-
lichen Beistand zu leiſten verſprach, verzichtete im voraus auf
jeden materiellen Gewinn. Mit feinem, in dürftigen Verhält-
niffen lebenden Bruder Saul follte Dubno Druck und Eorrectur
beforgen und gleichen Antheil am Honorare haben. Er wollte
nicht einmal auf dem Titelblatte al3 Ueberfeger genannt werden
und nur auf das Drängen Dubnos, der ihm vorftellte, daß fein
Name dem Werfe Käufer und Gönner verfchaffen würde, willigte
er endlich ein.!) Da es bei dem Unternehmen nicht auf Ge-
winn abgefehen war, jo feßte er den Preis des ganzen Werkes,
da3 er auf mindejtens Hundert Bogen berechnet hatte und das
in fünf Lieferungen erfcheinen follte, niedrig genug: das Exem—
plar auf Groß-Median 71/, fl Holländ. Courant oder 41/,; Rthlr.
Pr. Courant und auf Groß-Royal 9 fl H. E. oder 51/, Athlr.2)
Mit Energie nahm Dubno fofort das Werk in Angriff.
Schon im Sommer des Jahres 1778 erichien unter dem Titel
') Schr. VI, 447; Einleitung zum Pentateuch (ed. Prag) 13a.
2) 1. Aufl. S. 526; Schr. V, 667; mein: Moſes Mendelsjohn.
Ungedrudtes und Unbefanntes, ©. 52.
— 289 —
„Blätter zur Heilung“ eine Probe,!) bejtehend aus drei ver-
fchiedenen Kapiteln der fünf Bücher Mofes, mit deutfcher Ueber-
fegung in hebräifchen LZettern nebjt Tert und Kommentar, und
der trefflichen Ueberjegung der Elegie Jehuda Halevis „An die
Burg BZion“.?) In der, den Blättern vorangehenden Vorrede
Dubnos werden die Grundfäße aufgeitellt, welche den Ueberfeger
leiteten, die Kommentatoren genannt, denen ex folgte, e8 wird
die Verſicherung gegeben, daß der Ueberſetzer, der „mweitbe-
rühmte Gelehrte, Herr Moſes Defjau‘, jeden Vers, jeden Ab-
fchnitt, drei bis vier mal mit den vier größten und angefehen-
ften jüdischen Kommentatoren?) verglichen habe, damit die Ueber-
fegung getreu und deutlich fe. Zum Schluß heißt es dant:
„Hiermit will ich Euch nun, meine Brüder, befannt machen,
daß ich willens bin, die fünf Bücher Mofes mit fchönen Lettern
auf gutem Papier und nad aller Möglichkeit correct druden zu
laſſen, nebjt der ſchönen deutſchen Ueberjegung, die ihresgleichen
nicht hat, mit einem Auszuge aus den beiten Kritikern... .
Ich habe auch, um dieſes Werk nüßlicher zu machen, alle Regeln
der Grammatik kurz zufammengefaßt. . . . Der gelehrte Herr
Saul, ein Bruder unferes gelehrten Ueberſetzers, ift mein Ge—
hülfe bei diefer Ausgabe. Zur Probe Haben wir für jet drei
Kapitel, nämlich das erſte vom zweiten Buche, das 23. und 24.
vom vierten Buche Mofes, von diefem Werke abdruden laſſen.
Was ijt nun aber auch billiger, als daß Ihr Euch, als
1) Allim Literuphah, Amjterdam 1778. Die „Probe einer jüd.-
deutjchen Ueberſetzung der fünf Bücher Mojes von Hrn. Mojes Men-
delsjohn nebft rabbinifhen Erläuterungen und einer am Ende ange:
hängten Elegie‘ wurde von dem Proſelyten Chriftian Gottlob Meyer,
„vormals Gandidat der Theologie in Göttingen‘’, ind Deutſche über-
fegt und mit Anmerkungen verjehen. Göttingen 1780. Die Vorrede
ift Datirt vom 12. Auguft 1779.
2?) Schr. VI, 429 ff.
3) R. Salomon Jizchaki (Raſchi), R. Samuel ben Meir (Raſchbam),
NR. Mojes den Nahman (Ramban) und R. Abraham Ibn Esra (Rabe).
Kanfjerling, Mofes Mendelsiohn. 19
— 20 —
das Volk Gottes, angelegen fein laſſet, ein folches gemein-
nütziges Werf auf alle mögliche Art zu befördern.“
„Die Erfcheinung ijt denkwürdig, das Vorhaben fo wichtig,
und der Mann, der es unternimmt, fo berühmt, daß wir billig
unfern Leſern diefe Probe befannt machen müfjfen. Uns würde
e3 große Freude und um das Judentum ein großes Verdienſt
fein, wenn wir das ganze Alte Tejtament auf diefe Art über
feßt erhalten fünnten.“ Mit diefen Worten fündigte Doederleins
„Theologische Bibliothef”1) diefe neue deutfche Ueberfegung der
Bibel an, fügte aber auch Hinzu: „allein wir zweifeln, ob der
Berfaffer unter feinen Glaubensgenoffen in Deutfchland viele
antreffen wird, die feinen deutjchen Ausdruf verftehen. Wir
haben diefe Probe verfchiedenen, nicht eben ungelehrten Juden
vorgelegt; aber e3 war ihnen ſchwer, das Deutſche zu leſen und
den Sinn zu finden. Noch find fehr wenige an Geift, Genie und
Sprache jo gebildet, daß fie gute und reine Ueberſetzungen mit
Vergnügen und mit Nugen Teen.“
Zweiundfünfzigites Kapitel.
Allgemeine Theilnahme, Schwierigkeiten und
Kämpfe.
Der Name Mendelsfohns bürgte für das Gelingen de3
Unternehmens. Aus allen Gegenden Deutſchlands, aus Frank:
furt am Main und Königsberg, von Berlin und Deſſau ganz
zu fchweigen, aus Wien und Prag, aus Holland, England und
Frankreich, felbjt aus dem noch in tiefer Unwifjenheit fchmachten-
den Polen liefen Beitellungen auf dag Werk ein. Auch Chriſten,
) 1. Band, ©. 156.
— 291 —
Theologen und Profefjoren, pränumerirten. In Hamburg unter
zog ich die edle Elife Reimarus der Mühe, Pränumeranten zu
fammeln.) Bald nad) dem Erfcheinen der „Probe“ waren
nahezu achthundert Bejtellungen auf das Werk gemad)t.
Auch mehrere angejehene Rabbiner begrüßten die neue
deutfche Ueberfegung als den Anfang einer neuen Epoche in der
Eulturgefhichte ihres Volkes. Der damalige Berliner Ober-
rabbiner Hirſchel Levin fchrieb eine für Mendelsſohn ſehr chmeichel-
hafte Approbation und ſprach darin die Hoffnung aus, daß die
Unbekanntſchaft der deutſchen Juden mit der deutſchen Sprache
aufhören und dieſer „Unſtern bald ſchwinden“ würde. Das
geſammte Berliner Rabbinat, mit dem Rabbiner von Strelitz an
der Spite, folgte feinem Beifpiele. Sein Sohn Saul, Rabbiner
zu Frankfurt an der Oder, richtete an Jeremias Bendit in
Berlin, der die Commiffion und die Verfendung des Werfes
übernommen hatte, ein Schreiben, in dem er der Weberzeugung
Ausdruck gab, daß der, der Ueberſetzung beigefügte hebräiſche
Kommentar die Unkundigen für die deutfche Sprache gewinnen
werde, da es eine Schande für Sfrael fei, daß feine Schullehrer
weder hebräifch noch deutſch verjtänden. Der Rabbiner Aron
Horwiß, der von Hafenpoth in Kurland als Rabbinats-Aſſeſſor
nad) Berlin berufen wurde und weithin al3 rabbiniſche Auto—
vität galt, ertheilte in feiner Krankheit furz vor feinem Tode
dem GSecretär der Berliner Gemeinde den Auftrag, das Werf
in feinem Namen zu approbiren.?) Der Fromme Hartwig Wejjely
fühlte fic) beim Anblik der Probebogen zu einem Lobgefang
auf den Ueberſetzer begeijtert. 3)
Es fehlte jedoch auch nicht an Männern unter den „Hoch—
gelehrten Iſraels“, welche in vichtigem Gefühle der großen Be-
91. Aufl. ©. 538; Schr. V, 69.
2) Die Approbation Levins, datirt vom 4. September 1778, die
des Berliner Rabbinats vom 26. Detober 1778 und das Schreiben
Sauls find dem Werke vorgedrudt.
3) Weſſelys Gedicht „Mehallel Rea’ wurde ebenfall3 dem Werke
vorgedrudt. M. ſ. aud) Jojeph Halterns Lobgedicht, Sammler, 1785, 20.
19*
— 292 —
deutung der rein deutſchen Bibelüberfegung und der aus dem
profanen Wiffen entfpringenden Gefahr für die ftrenge Gläubig—
feit dem edlen Streben Mendelsfohns hemmend und feindlich
in den Weg traten. Mit einigen von ihnen hatte er es von
vornherein dadurch verdorben, daß er nicht, der damaligen Sitte
gemäß, fie um ihre Approbation angegangen war. Hatte er
doch aus allzu großer Befcheidenheit fich nicht entjchließen können,
die ihm ſchon im Herbſte 1778 extheilten Approbationen des
Dberrabbiner® und Rabbinats zu Berlin zu veröffentlichen!
Wozu follte er auch die „Hochgelehrten Iſraels“ um eine
Approbation zu einer Sache angehen, die ihm nicht den gering:
jten Gewinn brachte? „Ueberdie8 war e3 ja ein deutfches Bud
zur Benußung für Kinder und deren Lehrer, und den Rabbinern
unferer Zeit fam es noch nie in den Sinn, felbjt nach jüdiſch—
deutfch gefchriebenen Büchern fich umzufehen und deren Drud
zu approbiren oder den Unternehmern zu wehren. Sollte mit
Gott das Glück ſchenken, einjt ein hebräifches Buch herauszu—
geben, dann werde ich es auch nicht unterlaffen, darüber bei
den Weifen Iſraels anzufragen, um Gutachten und Approbation
bon ihnen pflichtmäßig einzuholen.‘ )
Die Rabbiner, welche die deutjche Ueberfegung des PBenta-
teuch für eine fühne, den Glauben bedrohende Neuerung hiel—
ten und deshalb gegen Mendelsjohn auftraten, waren zivei
Polen: Raphael Cohen, der, nachdem er in verfchiedenen Ge
meinden Polens und dann zwei Jahre in Poſen fungirt Hatte,
zum Rabbiner der Gemeinden Hamburg-Altona berufen worden,
und dejjen Schwiegerfohn, der ſcharfſinnige Hirſch Janow, mwel-
her Nachfolger ſeines Schwiegervaters in Polen und damn
Rabbiner in Fürth wurde?) Sie glaubten der heiligen Sache
ı) Schr. VI, 449.
2) Hirſch Janow ftarb nicht im Alter von 36 Jahren, wie Grät,
Gejhihhte der Juden, XI, 587 Sal. Maimon nachſchreibt, ſondern im
Alter von 52 Zahren, den 13. November 1785. Monatsjchrift für Ge:
Ihichte und Wiffenfchaft des Judenthums, 1873, ©. 191.
— 293 —
der Religion feinen Eleinen Dienjt zu erweifen, wenn fie bald
nach dem Erfcheinen der „Probe“ gegen den „Moſes Defjau‘,
wie fie verächtlich ihn nannten, offen und frei mit ihren „Donner—
feilen“ aufträten. Lebten fie doch in dem Wahne, der bejchei-
dene Mann überhebe fich und Halte ſich für größer und gelehr-
ter als die Rabbiner! Ohne die Ueberjegung zu fennen, ohne
die poetifche Uebertragung in den „Blättern zur Heilung“ auch
nur zu verſtehen, fprachen fie ein Verbot über das neue, dem
Drud noch nicht übergebene Werk aus und thaten e3 feierlichit
in den Bann.
Auch Ezechiel Landau, der berühmte Oberrabbiner zu Prag,
hatte fih in mißliebiger Weife über die deutiche Ueberfegung
geäußert; da8 von den beiden genannten Rabbinern an ihn
aber gejtellte Anfinnen, zu einer öffentlichen Verurtheilung des
Unternehmens feinen Namen herzugeben, wies er mit dem Be—
deuten zurüd, daß er in der Ueberſetzung nichts entdedt habe,
was einen folhen Schritt rechtfertigen könnte; er nahm viel
mehr Mendelsfohn in Schu und fuchte dejjen zornentbrannte
Gegner zu befchtwichtigen.?)
Das „Heine Ungewitter, welches fich über Mendelsfohn zu—
fammengezogen hatte, verurfachte ihm anfangs nicht die mindejte
Unruhe“. Auf Widerjtand war er gefaßt. Sobald er Dubno
nachgegeben, feine Ueberfegung druden zu laſſen, „nahm er feine
Seele in Händen, richtete fein Auge auf die Berge und gab
feinen Rüden den Schlägern preis. Mögen diefe immer fluchen,
) Unrichtig rechnet Grätz aud) Landau zu den Gegnern Mendels-
fohns, f. dagegen: Avigdor Levi, Jggroth (Wien 1794), 10b; SJeitteles,
Mewo Hallafhon (Prag 1813), Einl. 3a; Brüll, Jahrbücher für jüb.
Geſchichte und Literatur, III, 210 f. S. aud) die Elegie Joſephs aus
Troplowig auf den Tod Landaus (Mlon Bachoth [Wien 1793]), ein
Zwiegeſpräch zwiihen Landau und Menvdelsjohn bei ihrem Zujammen:
treffen im Jenſeits. Das dem Schriftchen vorgedrudte Bild ftellt dar,
wie der majeftätifch impofante Landau den Heinen Mendelsjohn ums
armt und Füßt.
— 294 —
ich werde gefegnet fein!“ war fein Troſt und fein Wahlfprud.?)
„So leicht foll es feinem Zeloten gelingen,“ fchreibt er feinem
Freunde Hennings von Strelit aus am 29. Juni 1779, „mein
faltes Blut in Bewegung zu feßen. Sch ſehe das Spiel der
menschlichen Leidenschaften als eine Naturerfcheinung an, die
beobachtet zu werden verdient. Wer Lei jedem eleftrifchen
Funken zagt und zittert, taugt nicht zum Beobachter. Ueber-
‘ Haupt hat mein Herz wenig Neizbarfeit zum Born, Verdruß,
Reue und dergleichen unangenehmen Affecten. Ich bin nur
noch empfindfam gegen Liebe und Freundfchaft und auch hierin
in einem fo gemäßigten Grade, daß mich meine Freunde jehr
oft der Lauigfeit befchuldigen. Allein ich kann mir feine Em-
pfindungen geben, die ich nicht habe, und lügen mag id) fie
nicht, fo fehr die Biererei der Mode e3 zu fordern fcheint.‘“ ?)
Wie fehr auch die Gegner polterten und über ihn her
fuhren, Mendelsfohn blieb ruhig; das jugendliche Feuer, „das
una öfters in der beiten Abficht von der Welt über Maß und
Ziel hinweg zu treiben pflegt“, hatte ihn längſt verlaffen, und
„ex hielt e3 für Thorheit, jet noch, jo nahe am Ufer, feine
Segel jedem Ungeftüme Preis zu geben.“ Deshalb erfuchte er
feine Freunde und Gefinnungsgenofjen, die Gegner ruhig toben
zu laffen. Ex kannte feine Zeit und wußte nur zu gut, „wie
viel Widerfpruh, Haß und Berfolgung die geringjte Neuerung,
wenn fie auch wichtige Verbefferungen zur Folge Hat, jederzeit
findet“,
Als der Rabbi zu Altona eine Zeit lang „feine Donner:
feile ruhen ließ“, um, wie Mendelsfohn vermuthete, fie bei einer
günftigern Gelegenheit, wenn erſt das ganze Werf vollendet
wäre, mit größerem Gepolter auszufenden, bat er Dringend
feinen Freund Henning, der als däniſcher Staatsrath dahin
wirfen wollte, daß der eifervolle unduldfame Rabbi zur Ruhe
vertiefen werde, nichts gegen ihn zu unternehmen. Er winfchte,
1) Schr. VI, 453.
2) 1. Aufl. S. 521.
— 295 —
daß jener fich ſelbſt überlaffen bliebe, und daß von außen her
durch nicht? auf ihn gewirkt würde, um zu fehen, was die
Wahrheit felbjt, frei von allen andern Rüdfichten, bei feiner
Nation auszurichten vermöge. Sobald äußere Dinge, Drohungen,
Verbote und dergleichen mitwirkten, jo würden, meinte er, die
Zirkel verrüdt, und die Beobachtung wäre verloren, Er war feit
überzeugt, daß eine Feine Gährung feiner Sache recht dienlich
wäre und nicht geftört werden dürfte!) Je mehr Widerftand
fein Werk fand, dejto mehr hielt er fi von der Nothiwendig-
feit de3 Unternehmens überzeugt. „Meine Anficht ift bisher
gewejen: wenn meine Weberfegung von allen Sfraeliten ohne
Widerrede angenommen werden follte, jo wäre fie überflüffig.
Je mehr ſich die fogenannten Weifen der Zeit widerfegen, deſto
nöthiger iſt ſie. Ich Habe fie anfang nur für den gemeinen
Mann gemacht, finde aber, daß fie für Rabbiner noch viel noth-
wendiger iſt . . . Nur gelafjen und ohne Eifer, mein guter Herr
Avigdor!“?)
Gelafjen und ruhig betrachtete Mendelsfohn das Treiben
der eifervollen „Hochgelehrten Iſraels“, jo lange fie nichts an—
deres erjtrebten al3 feinen ehrlichen Namen anzutajten und feine
Neligiofität zu verdächtigen. Daran ließ es nun bejonders der
Rabbi zu Altona, der rückſichtsloſeſte von allen, nicht fehlen.
Verhielt er ſich auc eine Zeit lang jtill, jo war doc den
ruhig ſcheinenden Gewitterwolken nicht fonderlich zu trauen, und
Mendelsfohn war nicht ficher, daß dieſe ſich nicht in einen
Regenguß von Verfeßerungen entladen würden.
Er that ſeinerſeits alles, dem Streite fobald al3 möglich
eine friedliche Wendung zu geben. Er war feiner ganzen Natur
nad fein Mann des Streites und zumal mit Theologen.
„Man muß, wie Lefjing, ein abgehärteter Kämpfer fein, um es
mit ihnen auszuhalten. Ic für meinen Theil wäre eher ge—
duldig und ftandhaft genug, einen erboften Bienenſchwarm von
1) 1. Aufl. ©. 521 f.
2) Schr. VI, 452.
— 296 —
meiner Haut abzuwehren als dieſe ftreitfüchtigen Friedensver—
fündiger.“ „Der liebe Gott behüte Sie und mich,“ Heißt es in
einem andern Brief an Hennings, „für allen Streit mit Keber-
macjern. Sie haben einen gar zu ftarfen Haufen auf ihrer
Seite. Ein Loth gefunden Menfchenverfitandes wiegt zwar den
ganzen Klumpen auf, aber nur auf jener geiftigen Wage des
Homers, nad) welcher die Schale der Sieger gen Olymp empor=
jteigt, die Schale der Befiegten aber gen Orkus ſinkt. Das
Volk aber kennt nur feine gemeine Käſewage, fagte mein alter
Rector Damm, als er uns den Homer erklärte.““)
Hielt es Mendelsfohn nun auch für unedel, gegen den ver-
folgungsfüchtigen Altonaer Rabbiner etwas zu unternehmen, fo
wünfchte er doch, daß ihm ein Wink gegeben werde, „in der
Folge regelmäßiger zu verfahren“. In diefer Abficht bat er
feinen Freund, den Staatsrath von Hennings, dahin zu wirken,
daß „im Namen Sr. Majejtät des Königs von Dänemarf
oder einiger Großen des Neid auf das Werk gezeichnet
würde”, 2)
Hennings, der von den Gemüthern war, „welche mehr des
Zügels als des Sporns bedürfen“, wandte fich unverzüglich an
den Minifter Hoegh Guldberg und fon am 19. Juli 1779
erhielt er von diefem folgendes Schreiben:
„Monsieur.
Sa Majest& le Roi et Msgr. Son Frere veulent bien
souscrire pour la traduction de M. Mendelssohn, si Vous
&tes bien sür, M., qu’il n’y a rien contre la majeste et la
vérité de la S. Ecriture. S. Alt. R. m’a ordonné tout ex-
pres de Vous en assurer pour &viter les consequences, en
cas que les Juifs d’Altona viennent apres demontrer que
notre Philosophe tient & la Religion de Berlin. Je vous
prie aussi en ami d’y avoir @gard, sachant, combien S. Alt.
) 1. Aufl. ©. 528, 529.
2) 1. Aufl. ©. 54.
— 297 —
R. trouverait mauvais d’avoir favorise l’impression d’un
ouvrage scandaleux.
Moi j'y souscrirai à tout risque et vous prie, M., d’en
avoir soin.
Monsieur
votre tres humble et très obeissant serviteur.
C. Hoegh Guldberg.‘
Fredensbourg, le 19 juillet 1779.)
Die fchlichte Weberfegung der fünf Bücher Mofes ein
ouvrage scandaleux! Freilich mußte der Minijter eine folche
Meinung Hegen, wenn der Rabbi feines Landes ein folches
Betergefchrei darüber erhob. „Der Ober-Landes-Rabbiner zu
Hamburg-Altona Hatte,“ wie es im „Hamburger Correfponden=-
ten“ vom 17. Juli 1779 Heißt, „alle diejenigen Juden in den
Bann gethan, welche die Ueberfegung der Bücher Mofes, die
Herr Mofes Mendelsfohn in Berlin zum Verfaſſer hat, leſen
werden.‘?) |
Das Schreiben des dänischen Minifters wunderte Mendels-
ſohn durchaus nicht; die „Berliner Religion“ war damals der
Schreden aller Frommen, Juden wie Chriften. Vom Gefund-
brunnen bei Berlin, two ex feit einigen Wochen die Abend- und
Morgenftunden zubrachte, richtete er an Hennings den 29. Juli
1779. folgendes Schreiben, das den Minifter über feine Be—
fürdtungen vollkommen beruhigen konnte:
„Die Beichwerlichkeit, die der Staatsmann äußert, ein
Werk zu befördern, das al3 irreligiös angeklagt worden, macht,
ihm in meinen Augen wahre Ehre. Allein ich Hoffe, Sie wer-
den ohne Anftand die Gewähr übernommen haben, daß hr
Freund Mendelsfohn fein ouvrage scandaleux herauszugeben
im Stande fei, und daß feine Ueberſetzung der Heiligen Schrift
nicht3 weniger zur Abficht Habe, als die Majejtät und Wahrheit
') 1. Aufl. S. 29.
2) Bei Grüß, a. a. D. XI, 589.
— 28 —
derjelben herunterzufegen. Was den Ausdruck Religion de
Berlin betrifft, jo halte ich diejes blos für ein facon de parler,
denn wenn Ihr in der That — wie mich alles, was ich von
ihm Höre, verfichert — edel denfender Minifter Berlin von
innen, und mehr al3 vom Hörenfagen fennt, jo muß er wiſſen,
daß in Berlin, wie in allen großen Städten, Glauben und Un-
glauben, Schwärmerei und Bernunft, Enthufiasmus und Kalt
finn u. f. w. untereinander vermengt find, und daß die Großen
des Reichs fogar mehr zur Schwärmerei als zum. Unglauben
hinneigen. ch fenne feinen Ort, wo man fich durch ärgerliche
Werke weniger Anfehen geben fann, als Berlin. Man wird
ihn vielleicht nicht verfolgen, man wird ihm erlauben, Luft zu
ſchöpfen, Waſſer umfonjt und Brot fürs Geld zu genießen, aber
er wird wie Edelmann, Damm und andere, vielleicht als un-
ichuldige Opfer ihrer altdeutichen Aufrichtigfeit verfannt und
verlaffen, unter feinen Nebenmenjchen wie Schatten herumman-
dern und am Ende vergejjen werden. Die K. K. Bibliothek zu
MWien und einige Große dafelbjt Haben auf das Werf voraus
bezahlt... .“)
Der König von Dänemarf, die Prinzen und Großen des
Reichs fubjeribirten, und Raphael Cohen mußte dem Fortgange
eine3 Unternehmens ruhig zufehen, das ihm ein Dorn im Auge
war. So weit fein Arm reichte, eiferte er freilich fort. Und
doc wünſchte er, ehe noch die verfegerte deutſche Pentateuch—
Ueberfegung die Preſſe verlaſſen, fehnlichjt, ex hätte mit dem
„Mofes Deſſau“ nie angebunden. Die dänische Regierung, ein
mal aufmerffam gemacht, Hatte ein, wachſames Auge auf ihn
und trat bei der erſten Gelegenheit gegen feine Intoleranz ent-
Ichieden auf. Die Gelegenheit bot fih bald. Ein gewifjer
Samuel Marcus aus Hamburg, vermuthlich ein Anhänger Men-
delsjohns, wurde von dem Oberrabbiner aus nicht näher ange-
gebenen Gründen unerhörterweife verfolgt, in den Unterbann
1) 1. Aufl. ©. 525 f.
— 200 —
gethan und mit dem großen Banne bedroht. Mareus beſchwerte
ſich bei der Regierung, und dieſe richtete an den Rabbi folgen—
den Beſcheid, welchen wir als charakteriſtiſch für jene Zeit mit—
theilen:
„Wann ſich der Jude Samuel Marcus jun. von Hamburg
allerhöchjten Orts darüber bejchwert, daß er von dem Ober-
rabbiner hierjelbjt auf unerhörte Weife verfolgt werde, indem
derjelbe nicht allein anfänglich ihn in den Unterbann fchreiben
lafjen, fondern ihm auch nachher unter Androhung des über
ihn zu verhängenden großen Fluchbannes eine aus folgenden
ſechs Punkten bejtehende fchmerzlihe Buße auferlegt Habe,
nämlid):
1) ein ganzes Jahr lang weder morgens noch abends den
Gottesdienst zu verfäumen;
2) ein ganzes Jahr Montags und Donnerftags zu fajten;
3) des Abends diefer Fafttage niemals etwas anderes als
Milchipeife zu genießen;
4) einen Rabbi zu bejolden, der ihn im Geſetze unterrichte;
5) den bisher getragenen Haarbeutel abzulegen und eine
runde Frijur zu tragen;
6) einen Bart zu tragen;
diefe Beichwerden aber und das despotifche Verfahren des hie-
figen Oberrabbiners allerhöchjten Orts das äußerſte Befremden
erwedet, jo wird Sr. Majejtät des Königs unmittelbarer Befehl
dem hieſigen Oberrabbiner Hierdurch zu erkennen gegeben:
1) daß er ohne den allergeringften Widerfpruch fich künftig
eines folchen Berfolgungsgeijtes enthalten und fich nicht
erfühnen folle, dergleichen vermeßliches Unternehmen öfter
zu wagen; fall3 gegen ihn als einer, der fich ftrafbaren
Eingriffen in die königliche Landesherrlihe Macht und
Gewalt ſchuldig gemacht, nach) Vorſchrift der Geſetze ver-
fahren werden wird, und
2) daß es Sr. Majeftät des Königs Wille fei, daß gedachter
Dberrabbiner den Juden Samuel Marcus jun. in Ham—
— 300 —
burg der ihm auferlegten aus ſechs Punkten beſtehenden
Buße ſogleich entlaſſe und alle Arten von Verfolgung
wider ihn und ſeine Freunde einſtellen ſoll.
Welchem allerhöchſten königlichen Befehl der Oberrabbiner
bei Vermeidung der ernſtlichſten Maßregeln ſogleich und ohne
Verzug Folge zu leiſten, auch daß Solches pünktlich geſchehen
wird, ſofort anzuzeigen hat.
Altona, den 17. October 1781.
(2. ©.) W. V. Gehlen.‘“!)
Gegen diefen Befcheid ergriff der Oberrabbiner Recurs,?)
woraufhin ihm im Namen Sr. K. Majeftät zu erfennen gegeben
wurde: „Daß es bei der nach Allerhöchitem Befehl gefchehenen
Aufhebung der Buße des benannten Samuel Marcus jun. als
einer entjchiedenen und abgethanen Sache gelafjen werden folk,
umfomehr, da dieſer feine Vergehungen mit einer ad pios usus
erlegten Summe gebüßet, übrigens aber er, der Oberrabbiner,
bei pflichtmäßiger Verwaltung feines Amtes fih Sr. Königl.
Majeftät Schuges verfichert halten könne.
Gegeben Königl. Deutiche Kanzley zu Copenhagen den
11. May 1782
(2. ©.) Carftens. €. ©. Schütz. 3. H. Krüd.“>)
Raphael Cohen?) wagte e3 nicht, in der Folge gegen die
Mendelsfohniche PVentateuch-Ueberfegung aufzutreten.
') Sdicr.
2) M. f. auch Schr. III, 201.
3) Monatsſchrift, 1879, ©. 432.
4) Raphael Cohen, der Großvater Gabriel Rießers, lebte von
1799 bis zu feinem, den 11. November 1803 erfolgten Tode als Privat:
mann in Hamburg.
— 301 —
Dreiundfünfzigites Kapitel,
Fortgang der Ueberſetzung. Salomo Dubno.
Der Druck des Werkes ging nicht fo fchnell von ftatten
als Mendelsfohn und feine Mitarbeiter anfangs dachten. An
Eifer Tießen fie es nicht fehlen; befonder8 Dubno, der fich ver-
pflichtet hatte, den Kommentar und das „Tikun Sopherim“ zu
Tiefern, gab ſich unfägliche Mühe; die von ihm benußten Kom—
mentare des R. Salomon Jizchaki (Raſchi) und deſſen Enkel,
NR. Samuel ben Meir (Rafchbam), verglich er mit einer Worm-
fer Handfchrift, welche Mendelsfohn aus der Jablonskiſchen
Bibliothef erworben hatte. ')
Anfang März 1780 verließ nun das erſte Buch Mofes,
zu dem Dubno mit Ausnahme der von Mendelsfohn ſelbſt be-
arbeiteten erjten Kapitel, den Kommentar verfaßt hatte, die
Preſſe. Noch vor Mitte März konnte ein Theil der für Däne-
marf bejtimmten Eremplare an Moſes Fürft in Kopenhagen zur
weitern Beforgung abgefandt werden. „Herr Fürſt wird Die
Ehre haben,“ heißt es in dem Briefe an Henning3 vom 14. März,
„Ihnen in meinem Namen die erite Ablieferung der fünf Bücher
Mofes, aber nur drei Eremplare auf Groß-Royal für den König,
den Erbprinzen K. M. und H., fowie aud für den Minifter zu
überreichen. Ich habe fie nicht können binden laſſen, weil noch
die zweite Ablieferung, welche nächſtens erfolgen foll, mit dazu
gehört. Die übrigen Eremplare follen, die Koften zu erfparen,
mit dem aufgehenden Waſſer beforgt werden.‘?)
Um die Ueberfegung auch Ehriften zugänglich zu machen, ı
ließ er eine Ausgabe in deutjchen Lettern mit einem furzen
deutfchen Auszuge aus dem Kommentare beforgen. Diefer fchwie-
rigen und undankbaren Arbeit hatte ſich ein gelehrter Chrift
') Einleitung zum Bentateuc (ed. Prag) 13b.
2) 1. Aufl. S. 528.
— 302 —
mit Hülfe eines gelehrten Juden unterzogen. Bon dieſer Aus-
gabe, der auch Mendelsjohns treffliche Ueberſetzung des „Sieges-
fiedes der Debora“!) beigegeben war, erjchien nicht mehr als
das erſte Buch Mofes;?) vermuthlich fehlte es an Abnehmern.
Auch das eigentlihe Werf war einmal nahe daran in
Stoden zu gerathen.
Schon nach Beendigung des erjten Theiles merkte Men-
delsfohn, daß das Ganze weit umfangreicher als ex berechnet,
und ftatt Hundert Bogen wenigitens Hundertundzwanzig umfafjen
würde. Bei dem in dem Probehefte fejtgejegten Preiſe, den er
unter feinen Umjtänden erhöhen wollte, verurfachte ihm der nicht
unbedeutende Mehrbetrag der Kojten große Sorgen, denn feine
eigenen Vermögensumſtände gejtatteten ihm nicht, Taufende bei
diefem Unternehmen zuzujfegen. Ließ er doch das Werf auf
eigene Koften druden und diefe überjtiegen die Höhe von weit
über dreitaufend Thalern, ſodaß fie durch die Subferibenten
faum zur Hälfte gededt wurden.
Dazu fam noch, daß im Herbite des Jahres 1780 Salomo
Dubno ihm die Freundfchaft Fündigte. Weber diefes Zerwürfnik
Ichwebt ein Dunkel, das Mendelsjohn jelbjt als räthſelhaft und
ihm unerklärlich bezeichnet. Er ruft Gott zum Zeugen an, daß
er nicht Schuld daran trage,?) und verjichert in der dem Werke
vorausgefchieftten Einleitung, daß er nicht wiffe, was dem ge
lehrten Polen in den Sinn gekommen fei. Daß die Schwierig:
feit der Arbeit ihn plößlich abgejchredt habe, ift zu bezweifeln;
er hatte dem Werfe volle vier Jahre gewidmet und beſaß Aus-
dauer und Gewifjenhaftigfeit genug, den Kommentar auch zu
Ende zu führen.
') Das Deboralied wieder herausgegeben von Joel Löwe (Bril),
Sammler, 1788, S. 263—271, dann oft gebrudt in den Bibelaus:
gaben von Prag, Wien, Karläruhe u. a., au) Schr. VI, 121—124.
2) Die fünf Bücher Mofe, zum Gebrauch der jüdiſch-deutſchen
Nation nad der Ueberfegung des .... M. Mendelsfohn. Erſtes Bud.
Berlin, Nicolai 1780.
3) Schr. VI, 451.
— 303 —
Allem Anfcheine nach war e3 verlegte Schriftfteller-Eitelfeit
und übertriebener Ehrgeiz, welche ihn mit dem Ueberſetzer ent-
zweieten. Salomo Dubno gehörte überhaupt zu den Außerft
wenigen Polen, welche ihrer Ehre den materiellen Gewinn gern
zum Opfer bringen wollten. Weil Mendelsfohn Bedenken trug,
feine übermäßig lange ſprachliche Abhandlung, die Frucht voller
zehn Monate, al3 Einleitung zum zweiten Buche Mofes, druden
zu lafjfen, lief er, nachdem bereit vier Seiten davon gedrudt
waren, in feiner Melancholie davon, Tieß feinen mehrjährigen
Berdienit in Stil) und wollte von Mendelsfohn, von dem er
jtet3 mit Hochachtung ſprach, und von dem gemeinfchaftlichen
Unternehmen, an dem fein Herz hing, nicht? mehr wifjen.!) In
Tpäteren Jahren ſuchte er fein fonderbares Benehmen gegen
Mendelzjohn durch religiöfe Motive zu befchönigen. In einem
Briefe, welchen er den 2. Juni 1789 von Amjterdam aus an
den al3 Grammatifer und Maforet ausgezeichneten Wolf Heiden-
heim richtete, heißt es: „Ich Habe meinem AYugendlehrer, dem
Gaon Naphtali Herz von Dubno, zur Zeit als dieſer durch
Berlin fam und mir Vorwürfe machte, daß ich im Bunde mit
denen arbeite, welche, wie ihm die Rabbiner von Prag und
Hamburg gejchrieben, darauf ausgingen, unfere Heil. Tradition
zu entwurzeln, das Verfprechen gegeben, mit diefer Gefellfchaft
zu brechen und mich von Berlin zu entfernen. Sch Habe feine
Urfache zu bereuen, mitgearbeitet zu haben, auch der erjte An-
trieb gewefen zu fein, daß Mendelsfohn feine Ueberfegung druden
ließ. Leder Einfichtsvolle erfennt den großen Nußen für unjere
Jugend, durch die fehöne Ueberfegung und den Kommentar die
Herrlichkeit des göttlichen Wortes würdigen zu lernen.‘“?)
Dubno, der ftatt fich zu entjchuldigen, in diefem Briefe ſich
ſelbſt das Urtheil fpricht, traf im Jahre 1784 Anftalten, feinen
Pentateuch-Kommentar und felbftverjtändlich aucd die von Men—
1) ©. den Brief Dubnos vom Eeptbr. 1780 in Kobaks Jeſchurun
III, 8.
2) Auerbadh, Gejhichte der ifrael. Gemeinde Halberftadt, 179 7F.
— 304 —
delsfohn zurückgewieſene Einleitung auf eigene Koſten druden zu
laſſen. Um fich die Mittel zum Drude zu verfchaffen, wanderte
er von Stadt zu Stadt, durch ganz Deutjchland, Böhmen und
Holland; von allen Rabbinern holte er ſich Approbationen zu—
fammen, die ihm um fo bereitwilliger ertheilt wurden, al3 die
Mendelsſohnſche Ueberfegung nicht beigedrudt werden follte und
fonnte. Der Kommentar erfchien nicht.*)
Nachdem Salomo Dubno Berlin verlaffen,?) war Mendels-
fohn auf fich felbft angewiejen; fein Bruder Saul fonnte ihm
wenig nüßen, er mußte fich daher entfchließen, den Kommentar
zum zweiten Buche Mofes, zu dem ihm Dubno nur einige
Bruchſtücke zurücdgelafjen Hatte, allein zu bearbeiten.
Diefer zweite Theil konnte zur Leipziger Ofter-Mefje 1781
verjandt werden. Exemplare vom Exodus, fchreibt Mendelsfohn
an Avigdor Levi in Prag, den 5. Juni 1781,3) „hat mein
Freund David Friedländer vergangene Leipziger Mefje nad)
Shrem Orte beforgt, und wird der Pränumerant Herr Aron
Beer Joſz wol nunmehr das einige erhalten haben.
Mendelsfohn war zu ſchwach, das Werk allein fortzu-
führen; die noch immer gehegte Hoffnung, fi mit Dubno aus-
zuföhnen, hatte er aufgegeben; er mußte einen neuen Mitarbeiter
fuhen und fand ihn endlich in feinem alten Freunde Hartwig
Weſſely.
) ©. J. Polak, Hebreeuwiſche Letteruruchten [Amfterdam 1851]
41. Das von Polak (a. a. D. XVIII) aus dem Orient 1841, Literatur:
blatt, ©. 236 mitgetheilte hebräiſche Räthfel (deffen Löfung von Dubno
in einem Briefe an Mendelsſohn von 21. Elul 5537 [Auguft 1777] bei
Polak a. a. D. 39 f.) hat nicht Mendelsfohn zum Berfafler. Von feiner
frühesten Jugend hat er fich mit dergleichen nicht befaßt; er liebte,
wie es in feinem Briefe an Avigdor Levi vom 30. März 1770 heißt,
„immer feine Gedanken deutlich auäzufpredhen, und feine Meinung
Har und hell wie die Mittagsfonne darzulegen, nicht aber, fie in Nebel
und Dunkel zu hüllen.“ Schr. VI, 445.
2) Dubno ftarb in Amfterdam den 23. Juni 1813.
3) Schr. VI, 451.
— 305 —
Bierundfünfzigites Kapitel.
Hartwig Weſſely.
Diefer Mann, an Charakter und Gefinnung Mendelsfohn
ähnlih, war auch wie er von reiner Frömmigkeit und idealem
Streben befeelt.
Seine Lebensgefchide?) bilden in mehrfacher Beziehung das
Gegenbild zu denen Mendelsfohns. Diefer in Armuth geboren
und in Wohlitand gejtorben, jener aus den glänzenditen Ver—
hältniffen der Jugend zu einem forgenvollen Alter herabjteigend;
diefer aus einer ausſchließlich talmudischen Jugendbildung fich
zu einem vollendeten Meijter des deutjchen Stil3 erhebend, jener
frühzeitig mit neuern Sprachen befannt, ſich zum mujterhaften
Wiederheriteller der hebräiſchen Sprache emporfchwingend.?)
Er war nur um vier Jahre älter als Mendelsjohn und
wurde in Hamburg geboren. Hier lernten fich die beiden jungen
Männer kennen und fchloffen einen Bund inniger Freundfchaft.3)
Auh Weſſely war nicht eigentlich) Gelehrter von Fach, fondern
ftand dem von Ephraim Beitel in Amjterdam errichteten Bank—
haufe als Chef vor und etablirte nach einigen Jahren in Kopen—
hagen ein eigenes Geſchäft.
In feiner regen Theilnahme für das Schidfal feiner Glau—
bensgenofjen und in der glühenden Liebe zu den Wifjenfchaften
hatte er mit Mendelsfohn gleiches Streben; beide jtellten es ſich
zur Zebensaufgabe, die Juden aus ihrer Lethargie zu neuem
geiftigen Leben zu weden. Während aber Mendelsfohn fich be-
—
) Ueber Weſſely j. die Bioaraphie von David Friedrichsfeld
(Amfterdam 1809) und von W. A. Meiſel (Breslau 1841).
2) Stern a. a. D. 104.
3) Am Detober 1761 waren fie jhon befreundet; vgl. Schr. V, 420:
„Herr Hartwig Weſſely,“ ſchreibt Mendelsfohn feiner Braut am 16. Oeto—
ber 1761, „wird vermuthlich bei Anlangung diefes ſchon abgereift fein,
und id erwarte ihn zu den Feiertagen hier.‘
Kayſerling, Moſes Mendelsjohn. 20
— 306 —
mühte, fie durch deutfche Schriften für die deutfche Sprache umd
deutfche Nationalität zu gewinnen, unternahm es Weſſely, die
Reinheit und Erhabenheit des Hebräifchen durch feine in clafli-
fchem Stile verfaßten Werfe wiederherzujtellen.. Dieſes gelang
ihm zunächft durch feinen „Libanon“, deſſen zweiter Theil wenige
Monate vor dem „Phädon“ erichien.
Es ijt charakteriftifch für beide, gleiches Biel verfolgende
Männer, daß Mendelsfohn einen Augenblid Anftand nahm,
diefes eine Grundidee des Judenthums neu behandelnde Werl
dem Freunde zu überjenden. Er fürdhtete, in feinen Augen da
durch zu verlieren, daß er vernunftgemäße Beweife für die Un-
jterblichfeit geliefert und überhaupt die deutſche Sprache für die
Darjtellung gewählt Habe; er glaubte daher, fich förmlich bei
ihm entjchuldigen zu müſſen.
Wie wenig aber kannte Mendelsjohn feinen Wefjely. So:
bald der deutfche „Phädon“ zu ihm gelangte, widmete er ihm
einen ganzen Tag; er ergößte ihn fo ſehr, daß er fich nidt
von ihm losreißen konnte. „Schlaffe Hände haft Durch Dein
Werk Du geftärft,“ ruft er ihm zu, „wanfenden Knieen neue
Kraft verliehn; wie Mojes erhobjt Du Deinen Stab und fchlugit
den Felfen, es entquoll Waffer, und das Volk Töfchte feinen
Durſt; Dich hat der Himmel mit der Gabe gefegnet, Die Herzen
und Gemüther zu erquiden, wie Regen trieft Deine Rede, wie
Thau fließt Dein Wort, Deine Lehre tränkt die durftigen Seelen
und erzeugt Ideen göttlicher Wahrheit.‘t)
MWeffely, der den „Phädon“ ins Hebräifche zu überſetzen
beabfichtigte, hegte den ſehnlichſten Wunſch, mit dem Verfaſſer
vereint leben zu können.
Leider mußte diefer Wunfc durch den Verluft feines Ver—
— — —
) Bol. Mendelsſohns Briefe an Weſſely und Weſſelys Antwort
an Mendelsjohn, beide in hebr. Sprade, in „Ha:Scharon‘’, Beilage zu
der Zeitjchrift Ha-Meliz, 1. Jahrg. ©. 40; abgedrudt in: Sophre Jirael,
Sammlung von Briefen berühmter Männer, von ©. J. Finn (Wilna
1871), ©. 129 ff.
— 307 —
mögens in Erfüllung gehen. Mehrere Kopenhagener Handels-
häufer, bei denen er ſehr interefjirt war, fallirten, und Wefjely
ſah fich jelbjt in die Nothwendigfeit verjegt, fein Gefchäft auf-
zulöfen. Mit Bangen dachte er an die Zukunft. Da jtellte
ihm Sofeph Veitel den Antrag, ihn zum Führer feines Ge—
ichäftes in Berlin zu ernennen. Voller Freude willigte Wefjely
ein; er verließ Kopenhagen und fiedelte 1774 mit Weib und
Kindern nad) Berlin über.
In der Nähe feines Freundes verlebte er nun einige durd)
Kummer und Sorge wenig getrübte Jahre. Doch bald follte
diefer wahrhaft Fromme Mann des Schickſals Tücke in der ganzen
Schwere erfahren. Joſeph Veitel war alt geworden und Löjte
fein Gefchäft auf, und Weſſely ſtand plößlich in der großen
Stadt ohne Erwerbszweig. Er hatte mit der größten Noth zu
fümpfen. Wochenlang famen feine warmen Speifen auf den
Tiſch des Mannes, der gewöhnt war, andere von feinem Ueber-
fluffe zu fättigen. Er trug fein Leid tief in ſich verborgen;
niemand, nicht einmal Mendelsfohn, erichloß er fein von Gram
zufammengepreßtes Herz; der edle Stolz empörte ji) dagegen,
bei anderen Mitleid zu erregen.
In einer jo drüdenden Lage befand er ich, als Mtendels-
john ihn erfuchte, fi) an der Bearbeitung des Pentateuch-Kom—
mentars zu betheiligen. Obgleich) die Schwierigkeiten, welche
gerade das ihm überwiefene dritte Buch bot, ihm nicht ent-
gangen waren, fo unterzog ex ſich doch mit Freuden der Arbeit;
war er dadurd) doch wenigjtens einige Monate den drückendſten
Nahrungsforgen enthoben. In bewundernswiirdig Furzer Zeit
war der Kommentar niedergefchrieben. Wejjely, der fonjt eben
nicht der fleißigite Arbeiter war, aber die große Gabe befaß, „mit
der Feder feine Gedanken Hinftrömen zu lafjen“,t) lieferte fast
wöchentlich mehrere Bogen; er zeigte, daß die Familie Weffely,
wie Mendelsfohn von ihr rühmt, „Federfraft in der Seele
1) Schr. V, 674.
20 *
— 308 —
habe, ihre Unternehmungen mit Nahdrud zu treiben”.!) Mit
feltener Meifterfchaft Löjte er die Aufgabe; in dem Kommentare,
der, wie Mendelsſohn an Herder fchreibt,2) „zu feinem Schaden
und zu manches Leſers Langeweile viel zu gelehrt gerathen iſt,“
entfaltete er die ganze Fülle feiner immenfen Gelehrſamkeit. In
der That hat fich Wefjely durch diefen, Ende Auguft 1781 im
Drud beendeten Kommentar, eine Arbeit von monumentaler Be
deutung, die Unfterblichkeit gefichert. Begabt mit einer Fein—
fühligfeit für das zartefte Geäder und die feinfte Nüance der
hebräiſchen Sprade, verjtand er e3, das Bibelwort mit der
halachiſchen Tradition in einer Weife .zu vereinigen, bei der
grammatifche Kenntniß, talmudische Gelehrfamkeit, Scharffinn,
gepaart mit einer rührenden, faſt Findlichen Pietät anzuftaunen
und zu bewundern find. 3)
Weſſely wurde wegen feiner Gelehrſamkeit, feiner ftrengen
Religiofität von allen, fogar von den Rabbinern Hochver-
ehrt, welche den Bejtrebungen Mendelsfohns nicht Hold waren,
und doch follte auch er bald nad) Beendigung des Pentateuch—
Kommentars ähnliche bittere Erfahrungen wie fein Freund
machen; „auch über unfern guten Bruder, den berühmten Hart-
wig Wejjely, zogen. fih die fürchterlichiten Ungemwitter zu
fammen.‘%)
Der edle Kaifer Joſeph II. Hatte fein Toleranzedict er-
laffen und taufend neue Keime der Hoffnung für die Juden
Oeſterreichs gewedt. Bon den früheren mittelalterlichen Befchrän-
fungen waren nur noch wenige in Kraft geblieben und aud)
diefe follten fchwinden, ſobald fich die Juden der vollfommenen
Sleichjtellung würdig gemacht hätten. Zu diefem Zwecke befahl
ihnen der Kaifer, allenthalbden dem Bedürfnifje entfprechende
1) Schr. III, 421.
2) 1. Aufl. ©. 549.
8, Moſes Mendelsjohn als Ueberjeger und Ereget. Eine Skizze
von Dr. X. Goldſchmidt in Leſſing-Mendelsſohn-Gedenkbuch S. 118 f.
9 Schr. V, 601.
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Schulen einzurichten, fi) die Landesfprache anzueignen und ihre
Kinder zu Handwerkern heranzubilden.
Dieſes Edict, das in der Gefchichte der Juden des öfter '
reihischen Staates das Aufgehen einer neuen Morgenröthe be-
zeichnet, beurtheilt Mendelsfohn mit philofophifcher Ruhe. „Geht
die Sache von Gott aus,“ fchreibt er an Avigdor Levi in Prag,
„und hat der erhabene Monarch in Wahrheit und Redlichkeit
beichlofjen, unfern Zuſtand zu verbejjern, fo wird es etwas
langſamer, aber dejto ficherer und heilfamer fommen; iſt e8 aber
nur ein flüchtiger Einfall ohne Nachhall, oder läuft fogar, wie
einige befürchten, eine Finanzabficht mitunter, fo wollen wir die
Saden nicht mit Keilen treiben, die nicht viel nügen fünnen.“!)
Ganz anders dachte Weflely über das Edict. Wie Klop-
ftod die „Ode an den Kaifer“ dichtete, fo wurde Wefjely, der
gleich jenem eine aus achtzehn Geſängen bejtehende unvergleich-
Lich ſchöne „Moſeide“ in hebräifher Sprache ſchuf,“) zu einem
Lobgefange auf Kaifer Joſeph begeiftert und richtete, fobald er
erfuhr, daß die Frommen in Wien über den Befehl, Schulen
zu gründen, ſich entjeßten, an die öfterreichifchen Gemeinden
feine „Worte des Friedens und der Wahrheit“.3) Er beſchwich—
tigte darin die Befürchtungen, welche fie wegen der Religion
Hegten, ermunterte fie, fich die Pflege der Landesſprache ange-
legen fein zu laſſen, und ermahnte fie, den Befehlen des Kaiſers
unbedingten Gehorfam zu leiften und Schulen zu errichten.
Dieſes Sendfchreiben, der Erguß echter Religiojität, machte
auf die Einfichtspollen unter feinen Glaubensgenofjen tiefen
Eindrud. Die Gemeinde in Trieft ging mit gutem Beifpiele
voran. Auf den Rath des Statthalter® Grafen Zinzendorf
wandte ſich Zofeph Galigo im Namen der Gemeinde wegen ein-
1) Schr. VI, 452.
2) Berlin 1789— 1802; Prag 1809—29. Den erften Gefang der
Moſeide überjegte Prof. Hufnagel in Frankfurt a. M., den 2. Prof.
Spalding in Berlin ind Deutſche (Berlin 1795, Hamburg 1806).
3) Berlin 1782.
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zuführender Lehrbücher an Mendelsjohn, deſſen Pentateuch-Ueber-
fegung Wefjely in dem Sendfchreiben rühmend hervorgehoben
hatte, und erbaten fi) ein Verzeichniß aller feiner bis dahin
erfchienenen Schriften. Indem er ihrem Wunfche nachkam, em—
pfahl er ihnen zugleich, als ihrem Zwecke fehr förderlich, die
Werke feines Freundes Wefjely, und überfandte als Probe fir
dejlen Denk- und Ausdrucksweiſe die „Worte des Friedens und
der Wahrheit“. Der alsbald erfolgte Dankbrief der Zriefter
Gemeinde an Mendelsfohn enthielt die Bitte um fchleunige
Ueberfendung der Werke Weffelys.?)
Die Freude über diefe ganz unerwartet ihm gezollte An—
erfennung wurde jedoch jehr bald getrübt. Dieſelben Rabbiner,
welche kurz vorher noch voll des Lobes über feine Gelehrfam-
feit und Frömmigkeit waren, jchmähten jet feinen Namen und
feine Ehre und erklärten ihn wie einige Jahre früher Mendels-
fohn, für einen Abtrünnigen. Der Prager Oberrabbiner Ezechiel
Landau war der erjte, welcher gegen ihn auftrat. Der Rabbiner
Pinhas Horwis in Frankfurt am Main zog in einer Predigt
gegen ihn und gegen Mendelsfohn her, gegen lettern aus feinem
andern Grunde, al3 weil er in dem 17. Berfe des 19. Kapitels
des dritten Buch Moſes jtatt „Du ſollſt,“ „Du kannſt“ Deinem
Nächten Verweiſe geben, überfegt hat.) Der Rabbiner von
Poſen, Landaus Schwiegerjohn, der von Lifja, ſowie der Fromme
Elia Wilna, der den Profanwifjenschaften ſonſt nicht abhold war,
gingen in ihrem Eifer jo weit, daß fie das unfchuldige Send-
ichreiben dem’ Scheiterhaufen zu überliefern für Heilige Pflicht
hielten. „Aus allen Gegenden Polens fuhren die Bannjtrahlen
über Weflely zufammen, und e3 fehlte wenig, jo waren aud)
feine deutfchen Brüder wider ihn in Harniſch.“z) War doc
) Mefjelys drittes Sendjchreiben, S. Tb f. Kerem Chemed I, 6
und Güdemann in der Monatsfchrift, 1870, S. 479 F, ſ. auch Gräß, eben-
dafelbft, 1871 ©. 468 f.
2) M. Horovig, Frankfurter Rabbiner (Frankfurt a. M. 1885),
IV, 55 ff.
3) Schr. V, 602.
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felbft der Berliner Oberrabbiner, der tolerante Hirfchel Levin,
aufgereizt von den Rabbinern in Glogau und Liffa, willens,
gegen ihn einzufchreiten. Er wollte ihm dag Druden verbieten
und ihn gar aus der Stadt treiben lafjen. Lange genug hatte
Mendelsfohn ruhig zugefehen; bei ſolchen unerhörten Gewalts—
maßregeln konnte er nicht mehr ruhig bleiben. Er ftattete dem
Minifter von Zedliß, bei dem er in großem Anfehen jtand, einen
Befuch ab. Diefer richtete au) am 30. März 1782 an den
einflußreichen Daniel Itzig, den damaligen Borjteher der Ber-
Yiner Gemeinde, ein Handbillet folgenden Inhalts:
„Man erzählt mir, daß ein gewiſſer Weſſely, der eine Fleine
Piece gefchrieben Hat, fehr verfolgt und aus der Stadt zu gehen
bedroht it. Haben Sie doch die Güte, mein lieber Herr big,
mich wiffen zu laſſen, was an der Sache ift, und von wem
oder von welchem Directorio diefer Mann gedrüdt wird. Es
wäre nicht gut, wenn man einen Mann wegen eines gut ge=
fchriebenen Buches aus der Stadt triebe, und ich begreife nicht,
wie fi ein Collegium in fo etwas mifchen kann.“!)
Ob diefes Handichreiben des Minifter8 dem Vorſteher nicht
zeitig genug zu Händen fam, oder ob Daniel Itzig die Sache
zu lau betrieb, genug, der Berliner Oberrabbiner ließ von
feinem Vorhaben nicht ab und „brachte die Angelegenheit
Weſſelys bei den Vorftehern der Gemeinde an“. Es läßt ſich
denfen, welchen tiefen Kummer Mendelsfohn darüber empfand;
„ex wäre felbjt zum Rabbiner gegangen, wenn er nicht befürchtet
hätte, zu weit mit ihm in den Tert zu fommen“ Er fchrieb
daher den 17. April 1782 an David Friedländer, der, um feine
des Hebräifchen unfundigen Glaubensgenofjen über die Be-
jtrebungen der Zeit aufzuflären, das Sendfchreiben ind Deutſche
überfegt hatte, und erfuchte ihn, jo wie deſſen Schwager big,
ihrem Vater und dem Herrn Iſaak Wolff ernite Vorftellungen
) Das Driginal diejes Billets, ſowie das des folgenden Rejripts
an die Dber:Landes-Xelteften vom 4. Juni 1782 befand ſich im Befite
des (den 13. März 1866 verftorbenen) Dr. 3. Rubo in Berlin.
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zu machen, daß der Rabbiner nicht das Recht Habe, gegen den
ehrlihen Wefjely das enjoramt zu üben. „Sch febe alles
übrige bei Seite,“ Heißt es in diefem Briefe, „will gar nicht
unterfuchen, wer in der Sache recht hat, und gebe nur diejes
zu bedenfen: was werden Chrijten dazu jagen? Was wird man
von uns denken, wenn wir uns folche Gewalt über die Schrift-
jteller anmaßen und fie verhindern wollen, ihre Gedanken be-
fannt zu machen? ... Ueberhaupt genießt jeder Seribent im
Lande unferes gnädigen Königs alle mögliche Freiheit; be-
fchnitten oder nicht bejchnitten, wer nur die Feder führen fann;
und wir wollten jemand Einhalt thun, der blos unfere Lehr-
und Erziehungsmethode tadelte? Was werden die Minijter dazu
fagen ?“!)
Auch dieſes Schreiben und das thatkräftige Verwenden der
achtbariten Mitglieder der Berliner Gemeinde muß nicht den
erwünjchten Erfolg gehabt haben, denn noch am 4. Juni 1782
erließ der Minijter Zedlig an „die Herren Ober-Landes-Aelteſten
und Vorſteher der Berliner Judenſchaft“ folgendes Refcript:
„Nach einer mir zugefommenen, jedoch unbejtimmten Nad)-
richt ſoll der Verfaffer einer Schrift: „Worte der Wahrheit und
des Friedens“ ſehr verfolgt werden. Ach Habe mic) zwar bei
verjchiedenen Departements diejerhalb erkundigt, Habe aber nichts
zuverläffiges erfahren fünnen; da nun die Herren Ober-Landes-
Aelteſten und Borjteher der Hiefigen Judenfchaft fich eines fo
guten Mannes gewiß gern annehmen werden, fo erfuche ich die-
jelben, mir gefälligft darüber eine Nachricht zufommen zu Lafjen,
damit man doch einem Manne, der Aufklärung und guten Ge—
ſchmack allgemein zu machen fucht, beijtehen kann.‘
Weſſely, durch feine Freunde vor Unbill geſchützt, hat
„durch Gelaffenheit und ruhige Begegnung in furzer Zeit die
Meiften zum Schweigen gebracht und den vernünftigern Theil
der Nation von feiner Unschuld völlig überführt“. Weſentlich
') Schr. V, 59.
— 313 —
trug dazu. das zweite, an die Gemeinde in Trieſt gerichtete
„Sendſchreiben“1) bei, in dem er die gegen ihn erhobene Be-
Ihuldigung in aller Ruhe zurüdwies. Die angefeheniten Rabbi-
ner Staliend ſprachen fih nun zu feinen Gunften aus und
nahmen offen Partei für ihn. Voller Freude über die glüd-
lihe Wendung diefer Angelegenheit berichtete Mendelsfohn den
1. Januar 1783 an Homberg: „Unjer Freund Hartwig Weflely
hat durch Herrn Joſeph Galigo aus Trieft ein fehr merfwür-
diges Gutachten von venetianifchen Rabbinern über zwei feiner
GSendfchreiben erhalten. Wenn die übrigen Gutachten aus Ita—
lien, die ihm veriprochen find, anfommen, fo wird ein drittes
Sendichreiben gedrudt werden,?) wenigjtens jo groß, als die
eriten beiden zufammen; aber was wird er bei den Sklaven
des Vorurtheild ausrichten? Der Sklave wird u durch Worte
gezüchtigt,‘?)
Hier verlaffen wir Weſſely, der „jeine Zeit belehrte, daß
nicht in Verfall und Unwifjenheit die Rechtgläubigfeit beſtehe“,
der al3 der würdigte Genofje Mendelsſohns, ihn bei der Heraus-
gabe des Pentateuch-Kommentars fo Fräftig unterjtüßte;, — bis
zu dem am 3. März 1805 erfolgten Tode dieſes herrlichen
Mannes fuhr noch jo mander Sturm über fein Haupt! — und
wenden uns jebt dem andern Mitarbeiter, Herz Homberg, zu.
Sünfundfünfzigites Kapitel.
Herz Homberg.
„Bei dem vierten und fünften Buch Moſes,“ jagt Mendels-
fohn in der Einleitung zum Pentateuch, „wurde ich, was den
Y Das 2. Sendſchreiben ift datirt: Mittwoch, den 10. Jjar (24. April)
1782; dafjelbe in gleihem Formate mit einigen Beränderungen (S. 41)
durch Sabbatai ben David aus Janow wieder gebrudt, 1785.
2) Das 3. Sendichreiben ift datirt: Freitag, den 9. Jjar (30. April)
1784; das 4. erſchien Ende 1784.
9) Schr. V, 664.
—. ii
Kommentar betrifft, durch andere mir befreundete und mit Kennt-
niffen ausgerüftete Männer unterjtüßt; aus allzu großer Be
icheidenheit haben fie es mir aber nicht gejtattet, ihren Namen
zu nennen.‘ ')
Der eine diefer „beicheidenen“ Männer war Aron Jaros—
law, der Kommentator de3 vierten Buches, welcher im Sommer
1782 „einen halben Ruf nad) Breslau als Lehrer einer neu
errichteten Primärfchule erhalten hatte“;?) Herz Homberg der
andere.
Homberg, im September 1749 in Lieben bei Prag ge
boren, lag in feiner Jugend ausschließlich den talmudifchen
Studien ob und lernte erjt in feinem achtzehnten Jahre deutſch
fefen. Er hielt ſich einige Zeit in Prag, Preßburg, Glogau,
Breslau, Berlin und Hamburg auf, bejtimmte fich ſodann, durch
Rouffeaus Emil veranlaßt, für das Lehrfach, in dem er. jo raſche
Fortfchritte machte, daß er, im Jahre 1779 nach Berlin zurüd-
gekehrt, von Mendelsfohn als Erzieher feines Sohnes aufge
nommen wurde. In diejer Stellung, welche er bi Oſtern 1782
befleidete, wurde er Schüler Mendelsfohns und gewann deſſen
Freundichaft. Beim Abſchiede von Berlin heftete ihm der Lehrer
und Freund feinen von dem Silhouetteur Haſſe gezeichneten
Schattenriß mit den Worten ind Stammbud):
„Mein Freund, mein Sohn, und meines Sohnes zweiter Vater!
„Zeigt ſich in diefem Scattenrifje des Herzens
„Dankbarkeit nicht ganz; jo klage die Grenzen der Kunft,
„Klage Haffens Unvermögen an, nur nicht
Moſes Mendelsfohn.‘3)
Mendelsfohn bewahrte ihm die Freundfchaft bis an den
Tod. Er unterhielt mit ihm einen Tebhaften Briefwechfel und
verfolgte mit folcher Theilnahme das fernere Geſchick des Er—
ziehers feines Sohnes, daß er ſich jogar nad) den geringjten
) Einleitung zum Pentateuch, 14a.
2) Schr. V, 660.
3) Schr. V, 654.
— 315 —
Umftänden erfundigte, und ihn mehreremale erfuchte, ihn über
alles genau zu unterrichten.
In Wien, wohin Homberg fi) zunächit begeben hatte, war
feines Bleibens nicht. Won dem Vorhaben, nach Berlin zurück—
zufehren, vieth ihm Mendelsfohn entfchieden ab, wenngleich er es
im Spnterefje feiner Kinder und um feinetwillen ſehr wünſchte.
Nach einem fechsmonatlichen Aufenthalte in der Kaiferjtadt fie
delte Homberg im December 1782 nad) Görz in Illyrien über,
two er bei einem alten Bekannten Mendelsfohns, dem vecht-
fchaffenen Mofes Luzzattot), der fi) immer „auf feinen gefun-
den Menfchenverftand berief“, die gaftlichjte Aufnahme fand, fich
verlobte und feine Eritlingsichrift „Vertheidigung der jüdischen
Nation gegen die in den Provinzialblättern enthaltenen Anz
griffe” veröffentlichte?) eine „Production“, welche nad) Mendels-
fohns Urtheil feiner nicht würdig und das theure Porto nicht
werth war, das jener dafür zahlen mußte, 3)
Die Ausfiht, in den öfterreichifchen Staatsdienjt treten
und für feine Glaubensgenofjen wirken zu fünnen, führte Hom-
berg im October 1784 nad) Wien zurüd. Nach einer glänzend
bejtandenen Prüfung wurde er von der philofophifchen Facultät
und vom Mintjter zum Correpetitor an der Prager Univerfität
ernanıt. Groß war die Freude, die Mendelsjohn hierüber em—
pfand. „Zaufend Dank für die ungemein ergößende Nachricht,
die Sie uns mitgetheilt Haben! Ahr Vorhaben mag nunmehr
gelingen oder von Mißgünſtigen Hintertrieben werden, jo haben
Sie doc einen großen Schritt gethan und verdienen den Dank
und die Hochachtung eines jeden rechtichaffenen Sfraeliten, der
') Schr. V, 664. Diejer Mofes Luzzatto heiratete als erblin-
deter Greis eine Tante des jel. S. D. Luzzatto in Padua, verlor aber
die Gattin jhon wenige Tage nad) der Hochzeit; er felbft ftarb im
Herbfte 1816 im 75. Jahre. — ©. D. Luzzatto, Nachrichten über die
Familie Luzzatto, in Buſchs Jahrbud für Iſraeliten, VI, 110.
2) Görz 1783.
3) Schr. V, 666.
— 316 —
Kinder hat, und fie nit gern alle Trödler und Aerzte fein
oder Trödler und Werzte hHeirathen laſſen möchte. Heil dem
großen römischen Kaifer, der auf dem Throne einen jo menſch—
lihen Gedanken faffen, zur Reife fommen und zum Vorſatz ge-
deihen Yafjen Eonnte! Aber auch Heil und ewigen Segen den
Staatsdienern und den Männern auf den Kathedern in Wien,
den Männern, die fonft fehr engen Herzens zu fein pflegen,
daß fie ſich mit folcher Großmuth den großen Abfichten des
Regenten anfügen und folche mit fo vieler Bereitwilligfeit be-
fördern helfen! Ich kann Ihnen meine Freude nicht genug be—
fchreiben, aber auch die Ungeduld nicht, mit welcher ich den
Ausgang erwarte. Bei gelegener Zeit erwarte ich) auch um—
jtändliche Nachricht von der Art und Weife, wie man Sie ge-
prüft hat. Es fcheint mir aus Ihrem Schreiben, daß Sie über
die Ahnen vorgelegten Fragen aus dem Stegreife hätten reden
müffen, wovon ic) mir im Grunde feinen rechten Begriff machen
fann. . . . Leben Sie wohl, Herr Correpetitor!‘?)
Die Freude war umfonjt; der Correpetitor wurde vom
Raifer nicht beftätigt, Hingegen von der Regierung mit der Ober-
auflicht über alle deutfchen Schulen der Juden in Galizien be-
traut. Wie er in diefer Stellung und fpäter als kaiſerlicher
. Schulrath in Prag, wo er den 24. Auguft 1841 jtarb, gewirkt
hat, wollen wir bier nicht beurtheilen; er war bemüht, die
Eultur unter den Juden zu befördern und die dee zu reali-
firen, auf welche Mendelsfohn bei der Pentateuch-Ueberfegung
es abgejehen Hatte.
Noch im Mendelsfohnfchen Haufe betheiligte ſich Homberg
an diefem Unternehmen; den Kommentar zum fünften Buche
Mofes jchrieb er während feines jechsmonatlichen Aufenthaltes
in Wien. Sein Antheil bejchränfte fich jedoch nur auf die
mittleren zweiundzwanzig Kapitel; das Ende und aller Wahr-
1) Schr. V, 678.
— 317 —
fcheinlichfeit nad) auch der Anfang des Buches wurden von
Mendelsfohn ſelbſt bearbeitet. ?)
Ende September 1782 war Homberg mit dem übernom=
menen Theile des Kommentars bis auf fünf Kapitel ins Reine
gefommen,?) und am 15. Detober befand fi) das Ganze fchon
in den Händen Mendelsſohns, welcher mit Ddiefer, allerdings
ſchwachen Arbeit, für die er dem Freunde ein Honorar von zehn
Louisd’or bewilligte,3) ziemlich frei umging.*®)
An dem Pentateuch wurde nun „frifch hintereinander weg“
gedrudt, und Mendelsfohn gab ſich der Hoffnung Hin, „zu
Ditern damit zu Stande zu fein“, wie er am 1. Januar 1783
Homberg fchrieb, dem er auch die gedrudte Einleitung>) zu dem
ganzen Werke fchiete, nicht blos damit er fie Iefe, fondern
„auch feine Anmerkungen Hinzufüge, vornehmlich über die Defini-
tion der Redetheile”. „Hier habe ich feinen Freund, der dieſe
Materie recht beherzigen will. Sie ift den mehrejten der Nation
zu dornig, obgleich unfere Gelehrten fonjt dag Stadhelige nicht
zu fcheuen pflegen.“ 6)
Bor Dftern 1783 war das ganze Werk im Drude beendet
und Mitte Mai waren die für Hamburg bejtimmten Eremplare
bereit3 mit der Fracht abgegangen. ”)
„Wege des Friedens“ hatte er es genannt und an die
) Schr. V, 656, 660.
2) Schr. V, 670 f. (Statt 4. Det. 1783 muß e3 1782 heißen [vgl.
VI, 493].)
3) Schr. V, 666.
4) Schr. V, 662.
5) Die Einleitung, „Or Lanthibah“, erfchien in einem bejondern
Abdrude, dat. 1. Kislew 5543 — T. November 1782, in dreihundert
Eremplaren, zuerft December 1782; die dem Pentateuch vorgebrudte
hat das Datum: Neumondstag des Niffan 5543 — 3. April 1783.
M. Mendelsjohns allgemeine Einleitung in die fünf Bücher Mofes
wurde ind Deutfche überjegt von H. Jolowiez (Köslin 1847).
6) Schr. V, 662.
7) Schr. V, 692.
u 3
zanffüchtigen Friedensverfündiger zum Schluffe noch die Worte
gerichtet: „hr Männer der Wahrheit! Ihr Freunde der Lehre
Gottes! Prüfet nun, ob ein Unrecht in diefen Büchern ijt, und
ſäumet nicht die etwa getroffenen Verbeſſerungen zu Papier zu
bringen und fie mir zuzufenden, ſei es in offenem Tadel oder
in verborgener Liebe, wie e8 Euch gut dünkt. Thut jo vor
dem ganzen Haufe Iſrael; dann möge man zwifchen uns ent-
fcheiden, ob ich nicht gern beiftimme den Worten des Gefchmads
und des Verftandes, ob ich nicht mit Freuden die Wahrheit an-
nehme, von wem fie immer fomme. Wer feine Augen verfchließt,
in den Ölauz der Wahrheit zu fchauen, defjen Name werde mit
Finſterniß bededt. Diejenigen aber, welche die Wahrheit fuchen,
werden nicht jtraucheln und nicht beſchämt werden, denn fie ift
das Siegel de3 Heiligen, gebenedeiet fei fein Name! Liebet die
Wahrheit und den Frieden!“!)
Die Pentateuch-Ueberfegung, obgleich eigentlih nur für
Juden bejtimmt, erregte als eine „merkwürdige Schrift” auch in
Hriftlichen Kreifen Auffehen. Der protejtantifche Theologe Joh.
Chr. Doederlein, der das ganze Werf in feiner „Theologischen
Bibliothek” anzeigte und beurtheilte, weiß nicht, „ob bisher von
irgend einem Ehrijten eine fo edle Verſion des Pentateuchs, die
zugleich fo treu und richtig, geliefert worden if. Al Mufter
einer guten Ueberjegung, als eine vabbinifche Katene und als
einen Beweis von der Vertragſamkeit der tieffinnigjten Philofo-
phie mit dem Glauben und der Ehrerbietung für die göttliche
Offenbarung wird, meint Doederlein, das Werf auch der Chriſt
Ihägen. Im übrigen ift er überzeugt, daß daſſelbe für das
Judenthum von außerordentlicher Wichtigkeit ift, daß es für das
jüdiſche Volk „ein großes wirkſames Mittel zur Aufklärung in
den Wiljenfchaften, in Sprachfenntnig und im Gefchmad, und
hierdurch auch zur Veredlung ihrer Religionsbegriffe werden
fann“. 2)
') Einleitung 21b.
2) Band 3, ©. 1—27.
— 319 —
Ehe wir nun den Einfluß betrachten, welchen die Penta-
teuch=Ueberjfegung Mendelsfohns auf die Eultur der Juden
geiibt Hat, müfjen wir einen Blick auf die übrigen von Men-
delsfohn theils überfegten, theils fommentirten Bücher der Bibel
werfen, befonder3 auf die Ueberſetzung der Palmen, welche bald
nach dem Pentateuch erſchien.
Scehsundfünfzigites Kapitel.
Die Palmen.
„Die Ueberfegung der Palmen, die in Ew. Wohlgeboren
Namen verſprochen worden, und auf welche mir Ihre Freunde
bald Hoffnung gemacht, erwarte ich mit der größten Ungeduld.
Ich muß geftehen, daß ich mit allen Ueberjegungen der Palmen,
die mir bisher zu Gefichte gefommen find, fehr wenig zufrieden
bin, mit den poetijchen noch weniger als mit den profaifchen.
Wo fie auch zufälligerweife den Sinn treffen, da verderben jie
doc) durch das vecidentalifche Reimgebäude das Eigenthümliche
der hebräifchen Dichtkunft. Allein, wie gejagt, aud) den Sinn
treffen fie nur zufälligerweife. Ich Habe vor einiger Zeit etwa
zwanzig Pjalmen, mworunter auch einige von den fehwerjten, in
einem freien Silbenmaße, das dem Hebräifchen, meinem Gehöre
nad), ziemlich nahe kömmt, ins Deutfche überfegt. Ich war ent-
fchlofjen, fie al3 Probe der Iyrifchen Poeſie der Hebräer bekannt
zu machen. Allein nunmehr wird es freilich jo lange unter-
bleiben, bi3 ic) Ew. Wohlgeboren Erklärung gefehen habe. Ich
bin verfichert, und was ich in der Ietten Zeit von Ihnen ge-
Iefen, berechtigt mich verfichert zu fein, daß Sie die Palmen
als Poefie behandeln werden, ohne auf das Prophetifche und
Myſtiſche zu ſehen, das ſowol chrijtliche als jüdische Ausleger
nur darum in den Palmen gefunden, weil fie e3 darin gefucht
— 320 —
haben, als wenn die Palmen in einem Kloſter von irgend
einem bußfertigen Mönche verfertigt worden wären... Es ift
vielleicht gefährlich, diefe eingewurzelten Borurtheile öffentlich zu
beftreiten; allein diefen Weg müſſen wir doch endlich gehen,
wenn die Palmen mit vernünftiger Erbauung gelefen werden
ſollen. Man Hat uns lange genug durch myſtiſche Deuteleien
den Haren Sinn der Schrift verdunfelt.‘!)
In diefem den 12. November 1770 an Profefjor Michaelis
in Göttingen gerichteten Briefe legt Mendelsfohn deutlich genug
die Motive dar, welche ihn zu einer neuen Bearbeitung der
Palmen bewogen. Seine Hauptabficht war, zu zeigen, daß in
den Palmen dasjenige nicht zu finden fei, was Chriften und
Juden bisher mit fo vieler Kritif und Gelehrſamkeit in den—
felben gefucht hatten.?)
Die Palmen = Ueberjegung unternahm Mendelsſohn um
feinem eigenen innern Bedürfniffe zu genügen; er begann damit
während feines Streites mit Lavater.d) Sein Inneres war
getrübt, er war von der heftigjten Gemüthsbewegung ergriffen
und befand ſich Häufig in einer Stimmung, die wol jener ähn-
lich war, in welcher der fönigliche Sänger felbjt feine Pſalmen
dichtete. In diefen vortrefflihen Gedichten, welche wahre
Mufter der Lyrik find, juchte er Troſt und Beruhigung; fie
haben ihm fo manches Leid verfüßt und manche angenehme
Stunde bereitet; er betete und fang fie, fo oft er ein Bedürf-
niß zu beten und zu fingen bei ſich verfpürte.*) Dergejtalt
überfegte er die Pfalmen nicht in ihrer Ordnung, „nad ein-
ander weg” — jahrelang trug er ein mit Papier durchſchoſſenes
Pſalmbuch beftändig bei fi” — er wählte fich immer einen
ſolchen Pſalm, der ihm gefiel, der gerade mit feiner Gemüths—
1) 1. Aufl. ©. 509. vgl. Schr. V, 505 und den Brief an Joh. ©.
Zimmermann vom November 1771, bei Bodemann, a. a. D. ©. 2877.
2) Schr. V, 69.
3) Leifingd Schr. XIII, 220.
9 Schr. V, 650.
— 321 —
jtimmung übereintraf und ihn bald durch feine Schönheit, bald
durch feine Schwierigfeit lockte; diefen trug er bei fo mancdherlei
ungleichartigen Beichäftigungen im Sinne mit fi) herum, bis
er glaubte, mit dem Geifte feine Dichter fo vertraut zu fein,
als er es feiner Fähigkeit nad) werden fonnte, und dann war
das Niederfchreiben eine geringe Arbeit.!)
Erjt 1782, nachdem der Pentateuch im Drud beinahe be-
endet war, entſchloß fi) Mendelsjohn auch die Pfalmen-Ueber-
fegung, die Frucht einer mehr denn zehnjährigen Thätigkeit, der
Prefie zu übergeben. Da er mehr auf hriftliche als auf jüdifche
Lefer vechnete, denn für erſtere hatte ex fie eigentlich gejchrieben,
fo ließ er fie auch im deutichen Typen und in gejchmadvoller
Ausstattung ericheinen. Friedrih Maurer, einem jungen An—
fänger, der nicht viel Vermögen hatte, aber auch noch nicht
Buchhändler genug war, um unbillig fein zu fönnen,?) verkaufte
er das Manufeript um fünfhundert Thaler. Scherzweife fagte
er zuweilen: „Der König David Hat mir einen Theil deffen
erfegt, was mic) Mofes, unfer Lehrer, gefoftet hat.“3) Die
Plalmen widmete er feinem vieljährigen Freunde Ramler.
Diefem kritiſchen Dichter Deutjchlands feine Poeſien Handfchrift-
(ih vorzulegen, Hatte er, feinem eigenen Geftändniffe zufolge,
nicht den Muth; er wußte recht gut, daß er für ihn Ddiefelbe
Gefälligfeit gehabt Hätte, welche diefer an Feilen und Ver—
beffern fein Bergnügen findende Mann feinem Fremden je ver-
fagte. Und doc, kann fich die Nachwelt diefer Zaghaftigkeit nur
freuen; Mendelsjohns Arbeit hätte an dem unnachahmlichen
Schmelz durch Ramler ficherlic) nicht gewonnen.
Mit diefer im April 1783 erfchienenen Ueberſetzung,“) von
1) Schr. VI, 129.
2) 1. Aufl. ©. 533.
3) Eucdhel, Biographie M. Mendelsjohns, S: 4.
4) Berlin 1783; 2. verbefferte Auflage, vermuthlihd von David
Friedländer beforgt, ibid. 1788; aud Schr. VI, 133—354 mit bisher
ungedrudten Anmerkungen M.s zu den Palmen. Die MHeberjegung
Kanferling, Moſes Mendelsfohn. 21
— 32 —
der das „Deutfhe Muſeum“ jchon im März einzelne Proben
brachte, Hatte ſich Mendelsfohn den Beifall aller Gebildeten
unter Chriften und Juden erworben. Alle, welche die Pjalmen,
diefe unvergleichlihen Dichtungen des Alterthums, nicht im Ur-
terte leſen konnten, zog diefe „treffliche“ Weberfegung, als welche
fie noch Mlerander von Humboldt bezeichnet,!) mächtig an; der
bald fanft elegifche, bald feierliche und ſchwungvolle Ton, welcher
diefe Poefien belebt, übt auf das Gemüth des Leſers noch immer
einen mächtigen Eindrud,
Aber auch nur ein Mann wie Mendelsfohn, der mit einer
tiefen Kenntniß des Urtertes die große Gewalt über die Sprache
befaß, in die er übertrug, nur ein Mann wie er, mit feinem
philofophifchen Geifte und feinem Dichtergefühl, nur eine Seele,
wie die feine, die ganz für Wohllaut geſchaffen war, konnte
eine jo vorzügliche Ueberfegung liefern. Es iſt fait nicht zu
glauben, was für Anjtrengung, Nachdenken, Fleiß und Mühe
er auf diefe Arbeit verwandt Hat!?) Er überlegte, verglich,
ertvog und feilte jeden Ausdrud, jede Redensart mit der größten
Genauigkeit; er mußte vergefjen, was er bei Ueberfegern, Aus—
legern und Paraphraſten jemal3 über die Pſalmen gehört und
gelefen hatte: er wollte feinen eigenen Weg gehen und gab der
Ueberjegung zuweilen den Charakter einer Paraphraſe. Ohne
triftige Eritiihe Gründe wid) er jedoch nie von feinen Bor-
gängern ab, er machte fich diefe vielmehr zu Nube, fo weit es
anging, hielt fic) fogar, was die Sprache betrifft, genauer an
Luther al3 an fpätere Ueberfeger. „Wo Luther richtig überjeßt
bat,“ heißt es im Vorworte, „Scheint er mir auch glüdlich ver-
deutfcht zu haben, und ich habe felbjt die hebräifchen Redens—
arten nicht gefcheut, die er einmal in die Sprache aufgenommen,
wurde in den verſchiedenen Bibelausgaben von Prag, Wien u. a., auch
einzeln, oft gedrudt und in fremde Spraden — ins Ungarifhe von
M. Rofenthal (Buda 1841) — übertragen.
ı) Kosmos II, 119.
2) Friedländer, Etwas über die Mendelsjohnihe Pialmenüber-
jegung, in der Berlin. Monatsjchrift, 1786, S. 523 ff.
— 323 —
ob fie gleich nicht echtes Deutich fein mögen. . . . Sch glaube
alfo von jeder meiner Abweichungen Rechenſchaft geben zu
fönnen, und two ich dem Terte untreu geworden bin, da liegt
der Fehler in meiner Einfiht, nicht in meinem Willen. Um
aber feinem Urtheile vorzugreifen, Tiefere ich vorerjt die Palmen,
jo wie fie find, ohne alle kritiiche Wehr und Waffen, ohne Streit
mit andern Ueberjegern, ohne Anmerkungen und Erläuterungen;
denn ich wünfche, einmal wenigſtens, ohne alle kritiſche Rückſicht
gelejen zu werden... . . Ich glaube, ohne kritiſche Vorurtheile
überjegt zu haben, wünſche ohne kritiſche Vorurtheile gelefen
und beurtheilt zu werden, und veripreche, ohne Fritifchen Eigen-
finn, Belehrung anzunehmen.”!)
Bald nad dem Erjcheinen der Pfalmen-Ueberjegung be-
gann ein junger Mann, Joel Löwe, mit Einwilligung. Mendels-
ſohns, diefelbe in hebräifchen Typen und mit einem, auf die
Heberfegung Bezug nehmenden hHebräifchen Kommentare auf
Subjeription druden zu lafjen,?) wie Mendelsfohn den 6. März
1784 Mofes Fiſcher aus Prag,3) der fi) in der Jugend mit
der Philofophie und den mathematifchen Wiſſenſchaften befchäf:
tigt und nahezu zwei Jahrzehnte die Rabbinatsfunctionen der
damals Fleinen ifraelitifchen Gemeinde in Wien verjehen hat, und
vier Wochen Später Avigdor Levi in Prag, lebterem mit dem
Bemerfen mittheilte: „Sollte ee — Löwe — allenfall3 hier und
da meinen wahren Sinn nicht erreichen, jo ijt dadurch nichts
verfehen . . . wenn nur unfere Glaubensbrüder aufmerffam ge-
macht und angefeuert werden, auf die Worte der Propheten und
Hagiographen aufmerffam zu ſein.““)
1) Schr. VI, 130.
2) Der 1. Theil erſchien Berlin 1785, das ganze beendet 1791;
volftändig wieder gedrudt in 2 Theilen: Wien 1800, Brag 1801, Karls-
ruhe 1805, Fürth 1807, Wien 1809, 1817, 1832, 1846 und öfter.
3) Mein: Moſes Mendelsjohn, Ungedrudtes und Unbekanntes,
©. 55.
4) Schr. VI, 446. Dad Datum des Briefes ift nicht 12. April
1774, fondern 1784.
21?
— 324 —
Die Hebertragung der Propheten und Hagtographen, welche
er zu bearbeiten beabfichtigte,!) war ihm ebenfo wenig ver-
gönnt, wie die „äfthetifchen und kritiſchen Gründe” für Die
Pfalmen-Ueberfegung zu liefern; er war darauf gefaßt, daß
hriftliche Geiftliche feine Ueberjfegung einzelner Pjalmen aus
dogmatifchen Gründen beanjtanden wirden,?) und wollte ab-
warten bis „Kunftrichter unter Chriften ihre gewöhnlichen Er-
flärungen gegen ihn vertheidigten“.
Außer der früher erwähnten Uebertragung des „Debora-
liedes“, fchrieb er nur noch die des „Hohenliedes“; dieſelbe
wurde in feinem Handjchriftlichen Nachlaffe drudfertig vorge-
funden und zwei Jahre nach feinem Tode von Joel Löwe und
Aron Halle oder Wolffohn mit einem hebräifchen Kommentare
veröffentlicht.)
Einer frühern Periode gehört fein Kommentar zu dem
„Prediger“ (Kohelet) an. Seine Hauptabficht bei diefer bereits
1768 vollendeten Arbeit war, zu zeigen, daß diefes philofo-
phifche Buch „nach dem einfachen Wortverftande ohne Weitläufig-
feit erklärt werden könne“.““ Nahm Mendelsfohn fich auch die
Freiheit, ftatt der althergebrachten Kapiteleintheilung eine neue,
wie er fie aus dem Inhalte ermittelte, anzuwenden, und gejtand
er in der Vorrede auch ganz offen, daß er chriftliche Ausleger,
damals etwas unerhörtes, namentlich die Paraphrafe des Göt-
tinger Theologen Michaelis, fi) zu Nutze gemacht hätte,5) fo
fand der hebräifche Kommentar doch den Beifall der Rabbiner.
1) Schr. VI, 452.
2) Einzelne Anmerkungen zu den Palmen ſ. Schr. VI, 355—366.
M. Mendelsjohns Weberfegung des 110. Pjalms wurde beleuchtet von
Perſchke, Berlin 1788.
3) Berlin 1783; mit deutfchen Lettern beforgt von 3. A. Brafel,
herausgegeben von ©. Weihe. Braunfchweig 1789. Die Ueberjegung
wieder gedrudt in ben verſchiedenen Bibel-Ausgaben von Wien, Prag,
Fürth u. a., auch Schr. VI, 373—350.
9 1. Aufl. ©. 494.
5) Schr. V, 500.
— 325 —
Der Berliner Rabbiner Aron Mofes und der frühere Rabbiner
von Hafenpoth in Kurland, Aron Horwitz, verfahen ihn mit einer
ſehr fchmeichelhaften Approbation; Teßterem gebührt überhaupt
das Verdienst, ihn an die Deffentlichfeit gezogen zu haben, denn
infolge feiner aufmunternden Worte entſchloß ſich Mendelsſohn,
das Schriftchen im Herbſte 17691) anonym erfcheinen zu laſſen.
Die Marheit und Durchfichtigfeit des Ausdruds, die philofo-
phifche Tiefe, gepaart mit religiöfer Wärme, verliehen der Arbeit
einen eigenthümlichen Zauber, jodaß Herder „den ehrerbietigen
philofophifchen Ton des Kommentars, der rücfichtlich der Haren
und fließenden Darftellung unter den hebräifchen Kommentaren
nicht viel feinesgleihen hat, manden chrijtlichen Auslegern
wünjcht‘“.2)
) Schon im September 1769 fündigte Mendelsjohn jeinem Better
Elkan Herz an, daß er ihm nächſte (Michaelis) Mefje „etwas für den
geiftigen Geſchmack auftifchen würde‘ (1. Aufl. S. 490), und in feinem
Briefe an Michaelis vom 13. März 1770 ſpricht er von der Schrift als
„vor einigen Monaten überjandt” (Schr. V, 499; vgl. VI, 445). Der
Kommentar erihien Berlin 5430 oder vielmehr Ende 1769.
2) Herder, Theologifche Briefe I, 129. „Herr Rabe, Kaplan zu
Anspach, hat fich die (wie Mendelsjohn meinte) vielleicht unnütze Mühe
gegeben, den Kohelet zu überjegen‘ (1. Aufl. ©. 515). Dieſe deutjche
Ueberjegung erjchien unter dem Titel: „Der Prediger Salomo mit einer
furzen und zureichenden Erklärung nad) dem Wort: Berftand zum Nuten
der Studirenden’’ von dem Verfafler des ‚„‚Phädon’. Aus dem Hebräi:
ſchen überjett von dem 1leberjeter der Mifchnah. Anspach 1771. Der
bebräifche Kommentar und der deutjche Ueberjeger falſch beurtheilt in
Hirts Drientalifcher Bibliothef (Jena 1772) I, 71—99; 221—224. Auf
wifienfhaftlidem Standpunkte fand er einen ftarfen Gegner in Mor:
dechai Gumpel (Schnaber), auch Prof. Löwiſohn genannt, der einige
Jahre in Upfala Profeſſor war und 1797 in Hamburg ftarb; in deffen
zu Hamburg 1784 erfchienenen Werke Tan anzın befindet fi ein Ab:
riß des Phädon in hebräticher Ueberſetzung.
— 326 —
Stebenundfünfzigites Kapitel.
Wirkung.
Mendelsiohns Ueberiegung des Pentateuch und der übrigen
biblifhen Schriften war nicht allein eine Titerarifche, ſonder
auch eine nationale That von unberechenbarer culturhiſtoriſcher
Wirkung und übte den mädhtigften, nachhaltigſten Einfluß auf
die gefammte Geiftesentwidlung feiner Glaubensgenofjen. Sie
wurde die Lehrerin der deutichen Juden nit nur im Verſtänd
niß der Schrift felbit, fondern ganz befonder auch in der reinen
deutfchen Sprache; fie wurde die Erzieherin der jüdischen Jugen)
und machte fie empfänglich für deutiche Bildung und deutſche
Nationalität. Seitdem die jüdischen Sünglinge mit dem Ber
jtändniß des heiligen Gotteswortes zugleih auch den Eindrud
der reinen Klänge der deutichen Mutterfprahe in fich auf
nahmen, fühlten fie fich gleichfam an der Hand der Religion in
die Lebensatmoſphäre der vaterländifchen Sprache eingeführt un
(ernten in derjelben mehr und mehr die Lebensiphäre ihres
eigenen Denkens und Empfindens fennen. Die wejentlichite Be
dingung des Eintritt3 in das nationale Geijtesleben des Vater:
landes ftand daher mit der Religion nicht nur nicht mehr im
Widerſpruch, fondern erjchien gleichfam im untrennbaren Bin!
wiß mit ihr, und diefe Wirfung war für die Einführung de
deutfchen Juden in deutfches Eultur: und Geiſtesleben von ent
icheidender Bedeutung. !)
Die PVermittelung zwischen Synagoge und MWeltbildung
zwifchen Staat und Religion hatte Mendelsſohn durch die Ueber
jegung zuerjt angebahnt. So gewaltig bei den Juden der Wider
itand auch war, dem das Werk anfangs in Deutfchland wie not
jpäter im Dften Europas begegnete, fo allgemein wurde fpäte
die Verbreitung. Ueberall bejjernd und bildend, drang fie rait
') Stern, Geſchichte des Judenthums, 85 ff.
— 327 —
in die verfchiedensten Schichten des Volkes ein. Jede Verdäch—
tigung mußte vor der Anerfennung verjtummen, welche man
dem Unternehmen zollte, und ſelbſt die heftigften Gegner Men-
delsſohns, die es ihm nicht verzeihen fonnten, daß er für „Opfer-
stuhl“, „Altar“ gebrauchte, fühnten ſich mit ihm aus; mußten fie
doc wider ihren Willen eingejtehen, daß er den Anforderungen
der ftrengften Orthodoxie vollflommen Genüge geleiftet. Mendels-
fohn vermied mit ängftlicher Genauigkeit jedes Mißverftändniß,
jeden Widerſpruch gegen die Tradition, nicht nur, um Anſtoß
zu verhüten, fondern aus innerjter Heberzeugung. Die Art und
Weife, mit welcher in feiner Zeit Kennicott, defjen Freunde und
Anhänger mit der Heiligen Schrift eigenmächtig umgingen und fich
„in Abficht auf diefelbe Freiheiten erlaubten, welche ſich befcheidene
Schriftjteller nicht einmal in Abficht auf profane Schriftjteller des
AltertHums zu erlauben pflegten‘, mwiderte ihn an. „ch weiß
in der That nicht,“ Heißt es in feinem Briefe an einen unge-
nannten chrijtlichen Theologen vom 16. Februar 1773, „wo es
am Ende mit diefer Kühnheit hinaus will. Indeſſen muß man
auch hierin der Mode ihr Spiel laffen, fo lange fie den Reiz
der Neuheit hat. Mit der Zeit verlieren die Menfchen Ge-
ſchmack an derfelben.“”) Er fteht mit feiner Pentateuch-Ueber-
fegung ganz auf dem Boden der Tradition; auch die fanatiſchſten
Gegner mußten das zugeben, nachdem fie die ausführliche Hebräifche
Einleitung, in der er den göttlichen Urfprung, die Authentie und
die Integrität des Pentateuch behandelt, gelefen hatten.
Mendelsfohn hat das unfterbliche Verdienſt, durch feine
Ueberfegung neue Bahnen für die Schrifterflärung eröffnet und
zuerft wieder auf das aus jüdischen Kreifen beinahe völlig ver-
drängte Studium der hebräifchen Grammatik geleitet zu haben;
wir können den Sinn einer Bibelftelle nicht verftehen, wenn wir
nicht auch die Regeln der hebräifchen Sprache zu Rathe ziehen.
Das war feiner Anficht nach der eigentliche Zweck der Sprad)-
') Schr. V, 516 f.
— 328 —
forſchung, in der er fubtile Unterjuchungen und Silbenjtechereien
für nußlos und überflüffig Hielt.!) Den tödtlichjten Stoß ver
feßte er den polnischen Lehrern, welche die Worte der Heiligen
Schriften in abgefchmadter und lächerlicher Weife interpretirten,?)
statt fie zu überfegen und zu erläutern. Diejen umtifjendften
aller Idioten und roheſten aller Jugendpeiniger, welche ſich in
die Familien der deutichen Juden einnijteten und Die vergäng
lichen Güter derjelben für das als Gelehrſamkeit und Frömmig
feit von ihnen ausgegebene Gaukelſpiel aufs bereitwilligfte ein
taufchten, war durch Mendelsſohns Pentateuch der Weg ver
fperrt. Nur wenige fuchten fie noch; jeder Deutſche, der etwas
auf Erziehung hielt, verfchmähte es, feine Kinder Yänger in dem
unäjthetifchen und unverjtändlichen jüdifch-deutfchen Jargon der
polnischen Winfelfchulmeifter unterrichten zu lafjen.
Infolge der Mendelsjohnichen Ueberfegung erhielt der ganz
Unterricht der jüdifchen Jugend nunmehr eine neue Wendung. Die
heranwachfende Generation, zu einem unbejtimmten WBerlangen
nach einem neuen Ziele des Wiſſens angeregt, warf fich mit
unerfättlicher Gier auf das Studium diejes allen unmittelbar
zugänglichen Werfes. Man gewann ein mehr und mehr mwadı-
ſendes Wohlgefallen an der Schönheit und Reinheit der Form, in
welcher die trauten Erzählungen aus Iſraels Vorzeit, die jedem
Siraeliten Heiligen Geſetze und Borjchriften hier zum exften male
) Mein: Moſes Menvelsfohn. Ungedrudtes und Unbekanntes,
S. 55.
2) Bon der Unmifjenheit diefer polniſchen Jugenderzieher und der
Mühe, welche fie fi) gaben, Mendelsjohns Weberjegung in Verruf zu
bringen, zeugt folgende Anekdote:
Mendelsjohn hat befanntlich poꝛd zw mit einer ‚Feier der erften
Klaſſe“ überjegt. Denkt euch Rabbi! rief ein Bachur aus, der „Moſche
Deſſau“ vergleicht den heiligen Sabbat mit der Klaſſen-Lotterie. Melde
Entweihung der heiligen Thora! Und welche Dummheit! fügte ein
anderer Bachur hinzu. Wußte er denn nicht, daß die erfte Klaſſe die
wohlfeilfte ift? Warum jagte er nit, eine eier der vierten oder
fünften Klaſſe? Orient, Literaturblatt, 1851, ©. 282.
— —
entgegentraten. Dadurch, daß die Schüler das Gotteswort in
klarem, einfachem Verſtändniß in reiner deutſcher Sprache er—
faßten, ſodaß befähigte Knaben einen Schatz deutſcher Wörter
und deutſcher Redewendungen ſammelten, der bei ihrem Eintritte
in chriſtliche Schulen ihre Lehrer zuweilen in Erſtaunen ſetzte,
wurde der Trieb nach profanem Wiſſen immer mehr geweckt,
aber auch der Lehrinhalt des Judenthums zum Gegenſtande des
Nachdenkens gemacht und das Weſen deſſelben zu neuer Kennt—
niß gebracht.
Einen weſentlichen Umſchwung für die Cultur feiner Glau-
bensgenofjen hatte Mendelsjohn von der Bentateuch-Ueberjegung
erwartet; er jah fich nicht getäufcht. Das Streben nad) Bil-
dung wurde allgemeiner, die Stellung der Juden nad) außen
eine geachtetere; verbefjerter Jugendunterricht war bald das all-
gemeine Lofungswort: immer mehr und mehr erwachte das
Streben nad) Errichtung zeitgemäßer Schulen.
Ahtundfünfzigites Kapitel.
Das Deſſauer Philanthropin und die Berliner
Freilchule.
Die in Deſſau unter dem Namen Philanthropin gegrin-
dete Erziehungsanftalt, welche die Roufjeaufchen Erziehungs-
ideen zu verwirklichen juchte, wurde von den hervorragenden
Männern der Aufklärung mit um jo größerer Freude begrüßt,
als ihr Gründer, Johann Bernhard Bafedow, ein Schüler des
Wolfenbüttler Fragmentiſten, ganz im Dienjte der Aufklärung jtand.
Baſedow, dejjen fchon 1756 erjchienenes „Lehrbuch pro-
faifcher und poetiſcher Wohlredenheit“ von Mendelsfohn in der
„Bibliothek der Schönen Wiſſenſchaften“ nicht ungünstig beurtheilt
wurde, wandte fih, als er 1768 den Plan zur Herausgabe
— 330 —
feines „Elementarbuchs“!) faßte und an Kaifer, Könige, Akade—
mien, Gelehrte jchrieb, um fie für dafjelbe zu intereffiren, auch
an Mendelsfohn mit der Bitte, unter „jeiner Nation“ Subjeri-
benten auf das Werf zu fammeln. Mendelsjohn entiprad) feinem
Wunfche, wenn auch nicht feinen Erwartungen, und richtete
an den pädagogifhen Agitator das folgende beachtenswerthe
Schreiben:
„Ich habe Sie lange im Herzen verehrt, lange den Muth
bewundert, mit welchem Sie die Rechte der Menfchheit und Ge—
wifjensfreiheit vertheidigen. ... . Ach werde bei einigen meiner
Nation, die ich für fähig und vermögend halte, an Shrem Plane
theilzunehmen, ſuchen, Gebraud) von den Reverſen zu machen.
Bisher habe ich nur einen Einzigen gefunden, der mir Gehör
gegeben. Wenn ich mehr finde, fo will ich meiner Nation Glück
wünſchen. So viel muß ich indeß zu erinnern mir Die Frei—
heit nehmen, daß Sie von der PVerfafjung meiner Nation un—
möglich richtige Begriffe haben können, wenn Sie glauben, Ihr
Elementarbuch oder überhaupt Ihr Erziehungsplan könnte bei
ung mit Nutzen eingeführt werden. Se edler Ihre Abfichten,
je weifer Ihre Grundfäße und je richtiger Ihre Anwen-
dungen find, dejto weniger fünnen wir Gebraud) davon machen.
Denn, jagen Sie mir dody um des Himmels willen, wenn Sie
Ihre Abfichten auf das vollkommenſte erreicht haben, was haben
Sie ausgerichtet? Sie haben vernünftige Menfchen erzogen,
welche die Rechte der Menfchheit wahren, Wahrheit und ver-
nünftige Freiheit lieben, und dem Staate, in welchem jie leben,
zu dienen, Willen und Fähigkeit haben. Nun eben diejfes ſoll
der Jude nicht, kann ex nicht, wenn feine Denkungsart mit
feiner Berfaffung übereinftimmen fol. Er foll die Rechte der
Menſchheit wahren lernen? Wenn er in dem Stande der bürger-
fihen Unterdrüdung nicht ganz elend fein will, fo muß er Diele
ı) Das Elementarbudh, das mit den Kupfern 12 Thlr. koſtete,
erfchien in 4 Bänden im Sahre 1774.
— 331 —
Rechte gar nicht Fennen. Er fol Wahrheit und vernünftige
Sreiheit lieben, um vielleicht zu verzweifeln, daß alle biürger-
lihen Einrichtungen an vielen Orten dahin abzielen, ihn von
beiden abzuhalten? Soll er geichidt werden, dem Staate zu
dienen? Der einzige Dienft, den der Staat von ihm annimmt,
ift Geld. Bei eingefchränkten Mitteln des Erwerbes große Ab-
gaben zu entrichten, diefes ift die einzige Bejtimmung, zu welcher
fih meine Brüder gefchielt machen müſſen. Wenn Ihr Elemen-
tarbuch dieſe Wiſſenſchaft Iehrt, jo wird es meiner Nation will-
fommen fein, die feine andere brauchen kann. Jedoch genug
hiervon, diefe Betrachtungen Schlagen mich zu ſehr nieder, als
daß ich fie ohne Widerwillen verfolgen könnte.“ !)
Mendelsfohn war erbittert über die Naivetät, mit der hier
DOpferwilligfeit für höhere, gemeinfame Zwecke von den ausge-
ſtoßenen Juden gefordert wurde.
Das von Baſedow gegründete Philanthropin, das in Be-
treff der Aufnahme von BZöglingen feinerlei religiöfen Unter-
Ichied machte und jede confefjionelle Färbung ausfchloß, machte
im Sabre 1776, als Johann Joachim Campe, der befannte
pädagogische Schriftiteller und Kinderfreund, die Euratur des
Inftitut3 übernommen, durch fein „Archiv“ befannt, daß jüdijche
Knaben, welche im Philanthropin erzogen werden und jich aus-
zeichnen, auch Ausficht hätten, als Lehrer an demjelben ange-
jtellt zu werden. Man hatte darauf gerechnet, daß diefer tole-
vante Entſchluß die Juden veranlaffen würde, dem Inſtitute
nicht allein viele Zöglinge, fondern durch reichliche Subventionen
auch eine Verbefjerung feiner precären financiellen Zage zu ver-
Ichaffen. Der Kaufmann Mofes Wefjely aus Hamburg, der
Freund Leſſings und Mendelsfohns, deſſen talentvoller Sohn
jich bereit3 in dem Snftitute befand, Hatte Campe den 27. De-
cember 1776 geichrieben, daß er das trefflihe Philanthropin
) Der Brief zum erften male veröffentlicht in Leyſers Joh. J.
Campe, ein Zebenäbild, ſ. Dr. A. Fränfel, Mendelsjohn und die Er-
ziehungsreformatoren in: Leſſing-Mendelsſohn-Gedenkbuch ©. 173 ff.
— 332 —
feinen zahlreichen Freunden im In- und YAuslande empfehlen
und ihm aus den jüdifchen Kreifen beträchtliche Unterjtügungs-
beiträge zuführen würde Um jo umangenehmer wirkte die
Enttäufhung: die Meldungen jüdifcher Zöglinge und die fo
fehnlich erwarteten Zuſchüſſe blieben aus. Da fchrieb Campe,
der mit Mendelsfohn von früher befreundet war, in einem etwas
gereizten Tone an Mendelsfohn. Er gab ihm unter anderm
zu bedenken, daß der Fürjt von Defjau, der edle Leopold Franz,
der Baſedow durch feine Munificenz in den Stand gefebt hatte,
das Philanthropin zu eröffnen, über die Theilnahmlofigfeit der
Auden fehr ungehalten fein würde. Der jo fanfte Mendelsfohn
Ichlägt in der Erwiderung einen Ton an, der ihm fonit fremd
war; die feinen Ölaubensbrüdern gemachten Vorwürfe hatten
ihn aufs empfindlichite getroffen. Der merkwürdige Brief ift
vom März 1777 datirt und lautet:!)
„Vorausgeſetzt, daß ſich alles wirklich nicht anders verhalte
als fich’3 Ahr etwas ängftlicher Eifer für die qute Sache vor-
jtellet: daß nämlich fein einziger meines Glaubens ſich das
Anerbieten des Philanthropinums wird zu Nuße machen, und
daß fo manche Ihres Glaubens fich dieferhalb ein fchadenfrohes
Hohngelächter erlauben werden; diefes alles, fage ich, als un-
gezweifelt, vorausgefegt: was folgt daraus? Daß Sie Urfadhe
hätten, den Schritt, den Sie gethan, zu bereuen? Sicherlich
nicht! Wol aber, daß vorderhand weder Chriften nocd Juden
‚eine philanthropifche Erziehung gehabt, und daß ein folches
Inſtitut dem menfchlichen Gefchlechte dejto nothwendiger fei.
Was der Fürft, mein gnädigfter Landesvater, dazu jagen
wird? Nach dem Begriffe, den ich von den Gefinnungen diefes
Prinzen habe, wird er denken: die weilern Juden dürften wol
nicht zugleich die reichjten fein, und wird fortfahren, jich der-
jenigen väterlich anzunehmen, die nicht reich find, und durch
) Der Brief, zum größten Theile abgedrudt Schr. III, 419 ff.,
vollftändig mitgetheilt Allg. Zeitg. d. Judentums, 1876 ©. 405 f.,
Leſſing-Mendelsſohn-Gedenkbuch, S. 178 ff.
— 333 —
menschliche Begegnung vielleicht weife werden Fünnen. Daß aber
diefer Herr auf das Philanthropin diefes Vorfall3 halber einen
minder gnädigen Blick werfen könnte, läßt fich meines Erachtens
gar nicht von ihm denfen.
Aber beiter Freund! War denn der Schritt wirklich jo
außerordentlich, jo kühn, den des Philanthropin zum Beſten
meiner Brüder gethan? Liegt es nicht Schon im Begriffe eines
philanthropifchen Jnftituts, daß ihm der Menſch als Menſch
erziehungswirdig und willfommen fein muß, ohne darauf zu
fehen, ob ex einen befchnittenen oder unbefchnittenen Vater ge—
habt? Und die Stifter und Vorſteher diefes Inſtituts haben fo
äußerst viel gewagt, daß fie fich einer wefentlichen Bejtimmung
dejfelben gemäß erklärt haben? Wollen befürchten, daß ein auf-
richtiges Bekenntniß philanthropifcher Grundfäge dem philanthro-
pifchen Erziehungswefen gefchadet, dafjelbe zu Grunde gerichtet
babe? Ich muß geſtehen, daß ich diefem mehr als melandtoni-
ſchen Kleinmuth mit Ihren und Baſedowſchen Grundfäßen, die
ich jehr verehre, nicht recht zuftimmen fann.
Ich von meiner Seite finde das Anerbieten der philan-
thropischen Vorfteher ihrer würdig, aber nicht außerordentlich.
Denn daß jüdiihe Schüler und Zöglinge aufgenommen werden,
diefes gefchieht auf allen niedern und Hohen Schulen Deutjch-
lands, und auf die Abjchaffung Kleiner pedantifcher Unterfchei-
dungszeichen, die bei Promotionen und Streitübungen noch auf
mancher Univerfität im Schwunge find, legt doc) wol niemand
einen fonderlihen Werth. Und daß Sie Unchriften auch zu
Lehrern annehmen wollen, iſt ficherlich nicht befremdender, als
daß eine Königl. Preußifche Akademie der Wiſſenſchaften einen
Juden zum Mitgliede erwählt habe; daß die Gefellichaft natur-
forfchender Freunde allhier Gelehrte vom erſten Range, Geheime
Finanzräthe und Juden zu Mitgliedern hat; daß Mendes d'Acoſta!)
) Emanuel Mendes d'Acoſta (da Eofta), 1763 zum Bibliothefar
der Royal Society in London befördert, ftand mit dem Naturforjcher
Peter Ballas in Berlin in Eorrefpondenz; er ftarb c. 1769.
— 334 —
vor einigen Jahren Secretär der Londoner Societät geweſen,
und daß ſelbſt in den dunkelſten Zeiten nicht felten Befchnittene
auf den Lehrftühlen der orientalifchen Spradhen, der Medicin
und der Aftronomie gefeffen haben. Zu Anfang dieſes Jahr—
hunderts berief der Kurfürft von der Pfalz Spinofen zum Lehr:
amte in der Philofophie, ohne dadurch für den Verfall der Afa-
demie bejorgt zu fein.
Sch Tehe alfo in Ihrer Erklärung nicht das mindejte, das
Shnen auf irgend eine Weife Schaden oder Verachtung zuziehen
könnte? Welcher vernüftige Menſch wird Baſedow und Ihnen
die Tächerliche Intoleranz zutrauen, daß Sie Ihre Zöglinge
nicht werden in der Buchhaltung von einem gefchickten Bud)
halter unterrichten laſſen, weil er das neue Tejtament nicht an-
nehmen zu können glaubt?
Aber von der andern Seite ijt auch dieſes jo ausgemacht
noch nicht, daß nicht fo manche Sfrealiten die philanthropifche
Einladung mit dem verdienten Dank annehmen und fich zu Nuke
machen werden. Als ich das Bergnügen hatte, vor Ihrer Ab-
reife mit Ihnen ſelbſt und einige Zeit darauf mit Herrn Prof.
Sinon von diefer Materie zu fprechen, machte ich mir von
diefem Projecte überhaupt Feine jonderliche Hoffnung. Her
Weſſely, der befjeres Zutrauen Hatte, unterzog ſich der Sache
mit Löblichem Eifer und fährt noch immer fort, fie zu betreiben.
Sch hoffe, feine Bemühung foll nicht ganz fruchtlos fein. Der
Erfolg geht etwas langſam von Statten; er wird aber vielleicht
dejto ficherer und anhaltender fein. Es liegt in den Gemüthern
der Menfchen eine gewilje vis inertiae, die nicht immer durd
heftigen Stoß überwunden fein will. Ein anhaltender Nach—
drud thut zuweilen befjere Wirkung . . .“
Campe und Bafedow, den muthigen und geiftvollen Wer:
jechtern der Aufflärungsideen, gegenüber erſcheint Mendelsſohn
in diefem Briefe als der an Erfahrungen ihnen weit überlegene
Führer auf dem Wege vorurtheilsfreier Menjchenliebe und echter
Toleranz.
— 335 —
Er bittet jodann Campe noch, ja er beſchwört ihn, in der
Wahl der Zöglinge, anfangs wenigſtens, vorfichtig zu fein. „Könnte
ih Ihnen nur drei Kinder wie der Feine Weſſely empfehlen,
fo würde ich Ihnen und mir Glück wünfchen.“
Die Juden blieben mit den Unterftüßungsbeiträgen nicht
zurüd; von den Berlinern wurden Baſedow einmal 518 Thlr.
geſchickt.) Auch jüdifche Zöglinge ftellten fi) bald ein; Men-
delsſohn felbjt dachte daran, fein „Söhnlein“ dem Inſtitute zu
übergeben.
Mit den philanthropiniftiichen Pädagogen, mit dem „recht
Tchaffenen“ Bafedow, den, wie es in feinem Briefe an Campe
heißt, er vor feinem Tode noch einige Tage genießen möchte,
mit Campe, der nad) dem Muſter des Philanthropins ein In—
ftitut in Hamburg ins Leben rief und dort, viel mit Elife Rei:
marus verfehrte, mit Salzmann, den er durch feinen Lands-
mann Wolf in Deffau kennen lernte,?2) dem Gründer der be-
rühmten Erziehungsanftalt in Schnepfenthal, jtand er auch fpäter
noch in freundichaftlihem Verkehr. Wie bedauerte er, Herren
und Madame Campe bei deren Anweſenheit in Berlin nicht fo
genofjen zu haben, wie er es gemwünfcht!’)
Dem Schul- und Erziehungswejen bewahrte der Sohn des
armen Elementarlehrer3 fein Leben lang das wärmſte Intereſſe.
Berbefjerung des Unterrichts und Empfehlung der deutichen
Mutterſprache waren Mendelsjohns Lieblingsthemata.*)
Auf feine Anregung erſtand 1781 die erſte organifirte
jüdiſche Schule in Deutfchland, in welcher nad) dem von ihm
entworfenen Plane außer in den Realien, in Bibel und Talmud,
in der deutichen und franzöfiichen Sprache, in Buchhaltung und
in der mathematischen Geographie von jüdiſchen und chriftlichen
) Raumer, Geſchichte der Pädagogik, II, 275.
2) Schr. V, 600, 603.
s) Schr. V, 692.
4) Friedländer, Mojes Mendelsjohn- Fragmente von ihm und über
ihn (Berlin 1819), ©. 35.
— 336 —
Lehrern Unterricht ertheilt wurde: es war dies die jüdifche Frei-
fchule in Berlin. Iſaak Daniel sig, dem Mendelsfohn elf
Jahre Lehrer und Leiter war, und David Friedländer, deffen
Schwager, ftanden ihm bei der Gründung diefer Schule treu
zur Seite. Mit innigem Wohlbehagen wohnte er der erften
öffentlichen Prüfung diefer Anftalt bei. Mit diefer Schule,
welche fic) in einem von Daniel big zu Ddiefem Zwecke ge-
ſchenkten Haufe befand und der die beiden genannten Mitgrün-
der al3 Directoren vorjtanden, wurde 1784 aud eine „orien=
taliſche Buchdruderei und Buchhandlung“ verbunden.!) Nach
dem Muſter der Berliner Freifhule wurden jpäter aud in
Breslau, Defjau, Frankfurt a. M., Seeſen, Wolfenbüttel und
anderen Städten ähnliche Unterrichtsanftalten errichtet.
Die in diefen organifirten Schulen herangebildeten jüdischen
Böglinge wählten andere Berufsarten als Handel und Schadher.
Mendelsfohn wies feine Glaubensbrüder zuerjt wieder auf Die
Nothwendigkeit Hin, daß fie den goldenen Boden des Hand—
werfs bebauen müßten. „Ach! wenn ich mit einer Recenſion
funfzig Judenfinder zu Handwerfögefellen und dreißig Leibeigene
zu Freibauern machen könnte,“ fchreibt er den 8. Juli 1779
an Nicolai, „Jo würde id) den guten Geſchmack um Verzeihung
bitten und auf eine Halbe Stunde ins Nebenzimmer zu gehen
erfuchen.“?) Mehrere Jahre fpäter unterbreitete ihm der ein-
Hußreiche Königl. Preuß. Juwelier Ephraim Beitel ein Memo-
randum über die Zulaffung der Juden zu Handwerkern, von
dem er glaubte, daß es auf ein billiges Gemüth von guter
Wirkung fein müſſe.“) Jüdiſche Handwerker ſollten gebildet,
Eultur und Wiffen unter den Juden verbreitet werden, damit
auch fie jene® Gut beanfpruchen könnten, welches ihnen jahr-
hundertelang vorenthalten wurde, jenes Gut der Duldung und
Sleichjtellung, für welches damals im Bunde mit Mendelsfohn
') Sammler, 1784, ©. 43 f.
2) 1. Aufl. ©. 488.
3) Schr. V, 630.
— 337° —
edle Geifter zu kämpfen begannen. Außer Dohm, dem philofo-
phiſchen Staatsfundigen, war e3 befonders ein philojophifcher
Dichter, der den großen Zweck der Vorfehung, die Beitimmung
der Menfchen und die Gerechtfame der Menjchheit im Zuſammen—
hange gedacht, der der deutjchen Nation, der gefammten Chriſten—
heit e8 ans Herz gelegt hat, die Juden als Menfchen, als
Brüder unter fich zu dulden, ihnen Menfchenrechte zu gewähren
und Bürgerrechte zu verleihen. Mit diefer Forderung trat der
Kämpfer für Wahrheit und Recht, trat der Bufenfreund Men
delsfohns in feinem „Nathan“ auf.
Kanferling, Mofes Mendelsjohn. 22
Dreizehntes Buch).
Leſſing.
Neunundfünfzigſtes Kapitel.
Nathan der Weiſe.
In Schmerz verſunken über den Tod feiner geliebten Eva
haben wir Leſſing verlaffen. Er mußte nad) dem nur ein ein
ziges Jahr genofjenen Glücke wieder anfangen, feinen Weg, wie
er fih ausdrüdt, allein fo fort zu dufeln. „Ein guter Borrath
von Laudano literarischer und theologischer Zerſtreuungen,“ fchrieb
er zwei Tage nach der Beerdigung feiner Frau an Efchenburg,
„wird mir einen Tag nad) dem andern Schon ganz leidlich über
itehen helfen!“
Und noch am Sterbelager feiner Frau erhielt ex die erite
Schmähjchrift des Hamburger Zionswächters Goeze. Von dem
Sarge fah er fi) auf den Kampfplag für Toleranz und Glau—
bengfreiheit gerufen. Drei Jahre voll tiefen Leid und ſchweren
Kummers harte er in Diefem mit Einfiht und Tapferkeit ge
führten Kampfe muthig aus.
Diefe drei Jahre, in welchen er die höchſten Triumphe auf
dem Felde der religiöfen Aufklärung feierte, waren die bitterften
feines freudenleeren Lebens. Was mußte er nicht noch alles
ertragen? Das Betergeichrei der Theologen über den ‚Anti
— 339 —
Goeze“, die bedeutendite, bis heute unübertroffene Leiftung auf
dem Gebiete der polemifchen Literatur, und die neuen „Frag-
mente“ brachte ein polizeiliches Einfchreiten gegen ihn zu Wege;
ein fürftliches Refeript, welches die Braunfchweiger Orthodoxen
zu erfchleichen wußten, entzog ihm die Genfurfreiheit und verbot
den fernern Drud der Streitichriften. Acht Tage jpäter erhielt
er den Befehl, die in feinen Händen befindliche Handjchrift des
Ungenannten nebjt den etwa davon genommenen Abjchriften aus-
zuliefern, und wurde ihm bei Strafe unterfagt, in Religions—
ſachen ohne höhere Genehmigung im In- oder Auslande etwas
ericheinen zu laſſen.
Daß es noch jo kommen würde, hatte Mendelsfohn, der
mit Leſſings „Zänfereien“ nie zufrieden war und die „Zänke—
reien“, wie er die Briefe an Goeze nannte, niemal® um der
Sade willen las,!) immer prophezeiet; „er kannte die chrift-
fihen Theologen gar zu gut aus feinen ohnmächtigen Rabbi-
nern.“ Er ließ Leffing um eine Abichrift von dem an ihn er-
gangenen Verbote bitten, denn er wollte darüber an ihn fchrei-
ben und den Brief druden laſſen, damit „Leſſing und andere
ihn befjer leſen könnten“.) „Mendelsfohn wird nächſtens,“
Ichreibt Elife Reimarus den 15. September 1778 an Hennings,
„einen philofophifchen Brief über jene Art Verbot, in geiftlichen
Sachen zu fchreiben, herausgeben; ich bin begierig, ihn zu
fehen.“3) Mendelsfohn trug gewiß fein Bedenken, frei und offen
feine Meinung zu jagen. Wir wiſſen, wie er über Genfurge-
fege überhaupt dachte. Nach feinem Dafürhalten fegen die—
jelben voraus, daß es nicht erlaubt fei, alles öffentlich zu Jagen,
was man im Herzen für wahr hält, daß alfo manches wahr
fei, was aus Rückſichten verjchwiegen werden müſſe. Cenfur ift
) 1. Aufl. S. 550.
2) Leifingd Schr. XIII, 606, 610.
3) Wattenbachs Mittheilungen im N. Laufit. Magazin :Bd., 38,
©. 19.
22*
— 340 —
ſomit nicht3 anders al3 „die nothwendige Duldung der Unwahr-
heit und des Borurtheils‘.?)
Leſſing ſchickte die erbetene Abſchrift nicht, jtatt deſſen
aber das Manufeript der „Nöthigen Antwort auf eine jehr un—
nöthige Frage de3 Herren Hauptpajtor® Goeze“; diejelbe gefiel
Mendelsfohn fo fehr, daß er fie auf feine Koften druden Lafjen
wollte.) Das Schriftchen erſchien, und der Gegner verjtummte.
Mitten in diefen Bedrängnifjen entjchloß fich Leifing, den
Theologen mit einer „Komödie einen ärgern Poſſen zu fpielen
al3 mit zehn Fragmenten“. Bon der Geiftlichfeit verfolgt, wollte
er es verjuchen, „ob man ihn wenigjtens auf feiner alten Kanzel,
auf dem Theater, noch ungeftört predigen Lafjen wolle“.
Er hatte vor vielen Jahren ein Scaufpiel entworfen,
dejjen Inhalt eine Art von Analogie mit feinen theologifchen
Streitigkeiten hatte. Wenn der Bruder und Moſes e3 für gut
fänden, jo wollte er jebt „das Ding auf Subfeription druden
lafjen“ und nach einigen Fleinen Veränderungen des Plans dem
Feinde damit „auf einer andern Seite in die Flanfe fallen“.
„Ich möchte zwar nicht gern,“ heißt e3 in dem Briefe an feinen
Bruder vom 11. Auguft 1778, „daß der eigentliche Inhalt des
Stüds allzu früh befannt würde; aber doch, wenn Ahr, Du
oder Mofes, ihn wiſſen wollt, fo fchlagt das Decamerone des
Boccaccio auf: die Erzählung vom Juden Melchifedef. Ich
glaube, eine ſehr intereffante Epifode dazu erfunden zu haben,
daß fich alles fehr gut foll leſen Yafjen.‘3)
Mendelsfohn billigte den Plan vollkommen; nur wünſchte
er, daß das Stück auf die Streitigkeiten gar feinen Bezug habe,
denn wenn darin die Thorheiten der Theologen belacht würden,
fo hätten fie ihn dahin, wohin fie ihn haben wollten. Es ijt
eine Komödie, würden fie jagen; er hat eine große Stärfe zu
!) Schr. IV, 1, 133.
2) Lejfingd Schr. XIII, 609.
3) Zeffings Schr. XII, 509.
— 341 —
fpotten und lachen zu macdjen.“!) „Es wird ein fo rührendes
Stüd, als ich nur immer gemacht Habe,“ verficherte Leffing
feinem Bruder am 20. October, „und Herr Moſes Hat ganz
vecht geurtheilt, daß fich Spott und Lachen zu dem Tone nicht
ſchicken würde. . . . Er foll ſchon ſehen, daß ich meiner eigenen
Sache durch dieſen dramatiſchen Abſprung im geringſten nicht
ſchade.“2)
Bereits Anfang November war das Stück im Weſentlichen
beendet. Am 14. November begann er, wie eine Bemerkung
auf dem erſten, jetzt im Beſitze eines Urenkels Mendelsſohns?)
befindlichen Entwurfe zu der Dichtung von Leſſings Hand beſagt,
die verfificirte Ausarbeitung und am 7. December ſchickte er
feinem Bruder den erften Aufzug, in das Gewand fünfzeiliger
Jamben gefleidet, mit dem Bemerfen: „Ramler und Heren Mofes
kannſt Du die Verſe wol weiſen, defjen Urtheil vom Tone des
Ganzen id) wol auch zu wiſſen begierig wäre.““) Dankbar
nahm er mehrere Berbefferungen des alten Freundes an. Auch)
mit dem Namen Reha war Mendelsfohn gar nicht zufrieden,
wie David Friedländer an Zelter fchreibt; „dieſer iſt Fein hei—
liger Name und obenein übel gewählt, denn ef heißt Teer,
auch nichtswürdig. Er erinnerte aber nichts, weil Recha im
Tert vorkommt und es das Metrum gejtört haben würde. Mitte
April 1779 Eonnte das Stüd die Prefje verlaffen.
„Rathan der Weife” nannte Leſſing diefe dramatifche Dich-
tung, feine legte und hervorragendſte Schöpfung, welche durch
feine theologischen Kämpfe erjtanden if. Nennt er doch felbit
den „Nathan“ einen „Sohn feines eintretenden Alters, den die
Polemik hat entbinden Helfen“. „Nathan“ ift, wie fchon Kant
ihn bezeichnet, der zweite Theil oder die Fortfegung der „Juden“.
9) 2effings Schr. XL, 612.
2) Leſſings Schr. XII, 511.
3) Der Entwurf, früher Eigentum des verft. Dr. 3. Rube, iſt
jet im Befite des Hrn. Commerzienraths Ernft Mendelsjohn in Berlin.
Danzel-Gubrauer, a. a. D. II, 457.
‘) Reifing Schr. XII, 514.
— 342 —
Was Leſſing als zwanzigjähriger Jüngling in dem Quftipiele
„Die Juden“ begonnen hat, das führte er in feiner legten Dich-
tung, diefem „reizenden Coder religiöfer und weltlicher Moral‘,
wie Göthe den „Nathan‘ nennt, weiter aus. Aus diefem Drama
tritt ung die fittlihe Mahnung entgegen, daß der wahre Werth
einer jeden Religion darin beſtehe, daß fie ihre Befenner zur
Duldfamfeit, zur Gerechtigkeit, zur thätigen Menfchenliebe an-
leite, daß jeder der Religion, in der er geboren, getreulich an-
hänge, daß aber niemand fich feines Glaubens wegen überhebe,
fein Befenntnig das andere augfchliege und verurtheile, daß
vielmehr in allen nur das eine Wahrheit ſei: Humanität und
Duldung. Toleranz ift die Grundidee im „Nathan“, jene Tole-
ranz, welche nichts weiß von Befehren und Verdammen Anders-
denfender und Andersglaubender, jene echte Toleranz, welche
fi) auf den biblifchen Spruch der Menfchenliebe gründet. Keine
Dihtung Hat je Herz und Gefühl fo mit Duldfamkeit und Liebe
erfüllt als diejes heilige Vermächtniß des Kämpfers für Wahr-
heit und Freiheit.
Ueber fein Werk der deutichen Literatur, mit Ausnahme
von Göthes „Fauſt“, ift aber auch fo viel gefchrieben worden,
wie über Leffings „Nathan“.!) Man Hat die verfchiedenartigften
Gefichtspunfte aufgeftellt, um die Zwede und Charaktere diefes
Hohenliedes der Menichheit zu erklären und den größten Scharf:
ſinn aufgeboten, um die von Leſſing darin gegebenen Doctrinen
zu deuten.?) Man hat Nathan bald für eine Declamation gegen
alle Offenbarung, bald für eine Satire auf die chrijtliche Reli-
) Die Literatur über Leffings ‚Nathan‘, der aud) von S. Bacher
(Wien 1866) und von A. B. Gottlober (Wien 1874) ins Hebräijche
überfegt wurde, ift jehr groß, bier fei nur erwähnt: Kuno Filcher,
Leifing als Reformator der deutfhen Literatur (Stuttgart 1881), Karl
Hebler, Lejfing-Studien (Bern 1862), David Friedrih Strauß, Leſſings
Nathan der Weije (Berlin 1864), ferner Julius Fürft, Lejfings Nathan
der Weife (Leipzig 1881), 3. ©. Bloch, Duellen und Parallelen zu
Leifings Nathan (Wien 1880).
2) Philippſon, Allg. Ztg. d. Judenthums, 1878, ©. 433 ff., 449 ff.,
465 ff., 481 ff.
— 343 —
gion genommen, und die ganze Dichtung als Parteilichfeit gegen
das ChriftentHum gerügt. Als ob Leſſing in diefer Tehrhaften
Dichtung fih an die Muhamedaner oder die damald auf alle
Weife gedrüdten und zurüdgefegten, die hochmüthig verachteten
Suden hätte wenden jollen! Als ob es nicht wie die bitterfte
Sronie hätte erjcheinen müfjen, wenn er die hohen Vorbilder
reiner, vorurtheilsfreier Menschlichkeit unter den Befennern der
chriſtlichen Religion hätte wählen wollen, unter welchen allein
die lebendigen Vorbilder des blinden Glaubenshaſſes ſich fanden!
Aber Leifing wählte gerade einen Juden zum Helden feines
ZToleranzdramas, zum eigentlichen Träger der echten Religiofität,
der wahrhaften auf Selbjtverleugnung gegründeten Menfchen-
liebe und der Duldjamkeit! Daß ein Jude und nicht ein Türke
zur idealen Hauptperfon gemacht oder vielmehr als ſolche aus
der Novelle des Boccaccio beibehalten iſt, jagt Hebler, exflärt
fich theil3 aus der Rücjicht auf das Publifum, da unter den
Hriftlichen Borurtheilen mehr die Juden als die Türken zu
leiden hatten, theils daraus, daß Lelfing die Erhebung zur ver-
nünftigen Religion in gewiljer Hinficht für einen Juden am
leichteften finden mochte, ohne darum dejjen Religion als folche
über die beiden anderen fegen zu wollen.) Um auf Ehriften
zu wirken, brauchte der Dichter nur diefe zu demüthigen, nur
aus ihrer Mitte warnende Figuren aufzuftellen, während er aus
den beiden anderen Religionen bejchämende Charaktere ihnen
gegenüberjtellte.?) Nicht gegen das Chriſtenthum, nicht gegen
die Befenner defjelben ijt die Dichtung gerichtet, wol aber, wie
Stahr bemerft,?) gegen den „chriftlichen Pöbel“ aller Stände
und Gefchlechter, den Pöbel im Batriarchengewande wie im
Frauenkleide einer Daja, gegen den Glaubenspöbel, der fich
) Hebler, Leſſingſtudien ©. 15.
2) Strauß, Lejfings Nathan der Weife. M. j. den Artikel „Warum
ift Nathan ein Jude?” Stimmen aus der Lejfing-?iteratur, zufammen:
geftellt von Arnold Bodek. Leſſing-Mendelsſohn-Gedenkbuch, S. 350 ff.
3) Stahr, a. a. D. II, 29.
— 344 —
fteifend auf den Beſitz einer allein ſelig machenden Kirche, aud)
die Menschenrechte für fich allein in Anfprud” nahm. Schon
Mendelsfohn, der Jude, hat im Nathan, wenn auch nicht eine
Berherrlihung des Chriſtenthums, jo aber doch erfannt, daß er
„ver Ehriftenheit zur wahren Ehre gereiche“. „Auf welcher
hohen Stufe der Aufklärung und Bildung muß ein Volk ftehen,“
ruft er in den „Morgenjtunden“ aus, „in welchem jich ein
Mann zu diefer Höhe der Gefinnungen hinauffchwingen, zu
diefer feinen Kenntniß göttlichev und menfhliher Dinge aus-
bilden fonnte!“ı)
Wohl! „Nathan der Weiſe“ it fein Plaidoyer für die Juden
und das Judenthum, ſondern ein Plaidoyer gegen alle religiöſe
Verfolgungsſucht, gegen jeden geiſtlichen unduldſamen Hochmuth,
für die allgemeine Toleranz und Humanität. Und doch hätte
Leſſing ohne ſeinen vertrauten Umgang mit Mendelsſohn einen
Nathan nicht ſchaffen können. Nathan, ein echter Sohn ſeines
Stammes, iſt kein Gelehrter von Fach, kein Schriftgelehrter, kein
Rabbiner, ſondern ein Kaufmann, ein tiefer Denker, wie Men—
delsſohn. Bewußt oder unbewußt hat Leſſing in „Nathan“
ſeinen älteſten theuerſten Freund gezeichnet: Mendelsſohn iſt das
Urbild des Nathan.“) Dieſelbe Sanftmuth des Charakters, die—
ſelbe Klarheit im Denken, dieſelbe dialectiſche Gewandtheit im
Disputiren, gepaart mit feiner ſokratiſcher Ironie, daſſelbe Wohl-
wollen gegen jedermann ohne Rückſicht auf das religiöſe Be—
kenntniß.
So mild und ruhig, ſo beſcheiden und gelaſſen wie Rathan
ſprach auch Mendelsſohn, mit tiefem Sinne, doch nie auffahrend,
jo floß auch feine Rede Hin.
Wie Nathan feine Recha, fo belehrte Mendelsfohn feine
eigene Tochter. Stufenweife verfuhr er bei der Entwicelung
') Schr. II, 367.
2) Nach dem Erjcheinen diefer Biographie verfuchte auch Friedrich
Albrecht in feinem Schriftchen: Moſes Mendelsjohn als Urbild von
Leſſings Nathan dem Weifen (Alm 1864) darzuftellen.
— 345 —
ihrer religiöfen Ideen; ex lehrte fie als Kind ein unmittelbares
Eingreifen der himmlischen Mächte:
Habt Ihr,
Ihr jelbit die Möglichkeit, daß Engel find,
Daß Gott zum Beſten derer, die ihn lieben,
Auch Wunder könne thun, mich nicht gelehrt ?
Er ſuchte fierauf natürliche Begriffe und naturgemäße Erſchei—
nungen hinzuweifen, fobald er merkte, daß Schwärmerei fich des
jugendlichen Gemüthes bemächtigte:
Begreifit du aber
Wie viel andädtig ſchwärmen leichter, als
- Gut handeln ift? Wie gern der jchlafffte Menſch
Andähtig Ihwärmt, um nur — ift er zu Zeiten
Sih Schon der Abficht deutlich nicht bewußt —
Um nur gut handeln nicht zu dürfen?
Wie Nathan dem Saladin gegenübertritt, den ganzen Schat
feiner fcharffinnigen Beredfamfeit entfaltend, befcheiden, aber
unerfchroden und mwiürdevoll, fo veritand es auch Mendelsfohn
Großen zu begegnen, fo ftand er vor feinen fürftlichen Gönnern,
mit ſolchem Stolze befannte auch er:
SH bin ein Jude.
Wie Nathan dem Saladin auf die verfängliche Frage,
welche unter den drei Religionen die wahre fei, die von einem
ſpaniſchen Juden erfundene und von einem fpanifchen jüdifchen
Chroniſten zuerſt erzählte Parabel von den drei Ringen!) vor—
trug, fo ſuchte Mendelsfohn Religionzftreitigfeiten zu vermeiden,
') Der erfte, der auf die im Schebet Jehuda enthaltene Erzählung
aufmerfjam gemadt und fie alö die urjprüngliche Duelle der Parabel
von den drei Ringen erwiejen hat, ift M. Wiener im Jahrbuch für
Sfraeliten,, herausgegeben von 3. Wertheimer (Mien 1856) S. 171 ff.,
übrigens ſ. auch A. Sellinef im Sabbatblatt, 1846, S. 32 und der jüd.
Stamm (Wien 1869) ©. 204; ferner Aug. Wünfche, der Urfprung der
Parabel von den drei Ringen, in Leſſing-Mendelsſohn-Gedenkbuch
©. 329 ff.
— 346 —
und gleich den inhaltsfchtweren Worten, welche Nathan dem
Sultan zurief:
MWohlan!
Es eifre jeder feiner unbeftochnen
Bon Vorurtheilen freien Liebe nad!
Es ftrebe von Euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in feinem Ring an Tag
Zu legen! fomme diefer Kraft mit Sanftmuth,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohlthun,
Mit innigfter Ergebenheit in Gott,
Zu Hülf!
fo war auch Mendelsfohng Kanon: daß „der Menjch berufen fei,
nach Wahrheit zu forſchen, Schönheit zu Lieben, Gutes zu wollen
und das Bejte zu thun“,')
Aehnlich der erjten Unterredung, welche Nathan mit dem
Tempelheren führte, muß man ſich das erſte Zufammentreffen
Mendelsſohns mit Leffing denken. Der Tempelherr ijt ein Charal-
ter, der, wie Mendelsfohn ſchon Hervorhebt, an den des Dichter:
grenzt:?) derſelbe Edelmuth, diejelbe Entfernung von Eigennuß und
Eigendünfel, derjelbe Stolz in drüdender Noth, derſelbe „gute,
trogige Blick, derſelbe dralle Gang“. Auch er hatte die Bizarıc
tie, ein abgefagter Feind von äußerer Höflichkeit zu fein; aber
„die Schale war nur bitter, der Kern war’ wahrlich nicht“.
Wie Nathan mit dem Tempelheren ſpricht, war es Men-
delsfohns eigene Kunſt mit denen zu jprechen, welche, wie er
wußte, gegen ihn eingenommen waren; jo gewann ex fich die
Freundfchaft mancher im Grunde edlen Seele, die fich fonit
einem Juden mit einigem Widerjtreben näherte.
Der Jude nöthigt dem tolzen Ritter Achtung ab; dieſer
erfennt in Nathan den jeltenen Mann, der mehr als Jud' um
Chriſt, der wahrhaft Menjch fein will, jodaß er nun feine Freund:
ſchaft als die eines Gleichgefinnten verlangt: ähnlich bildete jid
das vertraute Verhältniß zwifchen Leffing und Mendelsjohn.
ı) Schr. V, 389; II, 300.
2) 1. Aufl. ©. 558.
— 347° —
Wir haben beide
Uns unfer Volk nicht auserlefen. Sind
Wir unfer Bolf? Was heißt denn Volk?
Sind Chrift und Jude eher Chrift und Jude
Als Menih? Ach! wenn ich einen mehr in Euch
Gefunden hätte, dem es g’nügt, ein Menſch
Zu beißen!
Sa, bei Gott, das Habt Ihr, Nathan!
Das habt Ihr! — Eure Hand! — SH ſchäme mich,
Eud einen Augenblid verfannt zu haben.
Nathan, ja,
Wir müffen, müffen Freunde werden.
Wie Leffing Mendelsfohn im Nathan zeichnete, jo hatte er
in der Daja Lavater im Auge, welche er gerade deshalb zu der
Witwe eine Schweizerd machte.!) Die befehrungsfüchtige Daja,
fie ift nicht böswillig, fie
muß aus Liebe quälen,
Iſt eine von den Schwärmerinnen, die
Den allgemeinen, einzig wahren Weg
Nach Gott zu wiffen wähnen
Und fi gedrungen fühlen, einen jeden,
Der dieſes Weges verfehlt, darauf zu lenken.
Charaktere wie der Patriarch, der „Dice, rothe, freundliche
Prälat“ einer ift, find nicht Schwer zu finden und brauchte jich
Leffing nicht gerade den Hamburger Hauptpajtor zum Vorwurfe
gemacht zu haben; Charaktere aber wie der Derwilch find äußerſt
felten: den Derwifch hat der Dichter nach) Abraham Wolf Rechen-
meifter gezeichnet, den Leſſing im Haufe Mendelsfohns Fennen
lernte. Abraham, ein Freund Eulers, war ein großer Kenner
der Mathematif und hatte dabei eine beivundernswürdige Fertig-
feit, auch die fchwerjten Rechnungen im Gedächniß zu rechnen.
Er war übrigens ein cynifcher Philofoph, der nur Brot und
Wafjer brauchte und allenfalls fein Waller aus der hohlen Hand
') Hebler, a. a. D. ©. 14.
— 348 —
trank. Sein Gemüth war Findlich naiv, und dabei war er äußerft
bieder und vedlich.!)
Auf Abraham, der in Mendelsfohns Haufe ein Fleines
Zimmer unentgeltlich bewohnte, hielt Leffing feines ihm ange-
borenen Cynismus und feiner Sonderbarfeit wegen große Stüde.
Als er nach Wolfenbüttel ging, bat ihn der arme Abraham um
ein feltenes mathematifche® Werk. Zufällig befaß Leffing zwei
Exemplare de3 gewünfchten Buches, und war gern bereit, ihm
das eine taufchweife zu überlaffen. „Sie dürfen e8 ihm nur
mit der Poſt ſchicken,“ Heißt e8 in einem Briefe Mendelsfohns
an Leſſing, „denn er ift fo begierig, daß er feine Nacht mehr
ruhig Schlafen fann, bis er feinen Diophant — fo hieß das
Buch — in feinen eigenen Händen hat.“?) Und dieſes Bud),
das er kaum erivarten fonnte, das ihm fo theuer war, brachte
er nach einiger Zeit zu Mendelsfohn und wollte es ihm ſchenken.
„Ihr werdet doc) das Bud nicht von Euch laſſen? Es iſt ja
ein Andenken von Leſſing!“ „Sa wohl!“ erwiderte er ihm; „aber
ic) brauche e3 nicht mehr; die Erempel darin find recht gut,
doch ich verftehe fein Griechiſch.“ „Sch wette, Ihr braucht
Geld; jagt mir, wie viel Ihr braucht!” Nein, nein! Ich habe
Geld, ich will fein Geld!" „Nun fo geht in Gottes Namen und
braucht Ihr was, jo wißt hr, wo ich wohne.“
Einmal fragte Abraham feinen Freund Mendelsfohn um
den Beweis eines nicht leichten geometrifchen Satzes. Mendels-
fohn zeichnete die Figur, aber noch) war er mit der Hülfslinie,
die er zur Führung feines Beweifes nöthig Hatte, nit ganz
fertig, fo fchrie Abraham vor Freuden auf, dankte ihm wie fir
eine erwieſene Wohlthat und war verfchtwunden. ?)
Ein andere3 mal kommt Abraham zu Mendelsjohn, der
eben den Profeſſor Engel bei fich fieht, fteht ſtill und fpricht
fein Wort. „Nun Abraham! Wie geht's?“ redet ihn Mendels-
1) Schr. V, 226.
2) Schr. V, 187, vol. 1%.
3) Engels Philoſoph für die Welt (Berlin 1844), II, 107.
— 349 —
fohn an. „Ihr feid fo jtill; Ihr jehet mich bedeutungsvoll an;
fehlt Euch was?” „Meine Frau?) ift von Hannover angefom-
men, ich habe nur einen Stuhl.” Mit diefen Worten ergreift
er einen Stuhl und geht damit zur Thür hinaus. ?)
Mit wahrer Leidenjchaft war er dem Schachſpiele ergeben;
er und der alte Michel galten al3 die vorzüglichiten Schach-⸗
[pieler in ganz Berlin. Michel hatte fich durch feine Tüchtig-
feit im Spiel einen ſolchen Namen erworben, daß er fogar die
Aufmerkſamkeit des großen Friedrich auf fich gelenkt Hatte. Dex
König ließ den armen Michel, der zeitweilig in Potsdam Yebte,
öfter zu ſich befcheiden, um mit ihm eine Partie zu machen.
Obgleich nun Friedrich al3 ein eben fo großer Held auf dem
Schadhbrette wie auf dem Schlachtfelde galt, jo zeigte es fich
doch bald, daß der Jude ihm im Schach überlegen war, und
da diejer mit den Regeln der Höflichfeit wenig vertraut war,
jo mußte der König jedesmal unterliegen. „Wie kömmt's,“ fragte
ihn Friedrich eines Tages, „daß ich mit Euch feine Partie ge-
winnen kann?“ „Was weiß ich?“ erwiderte Michel barfch, „ich
fann meinen Kopf nicht auf Eure Schultern ſetzen.“ Diefe Ant-
wort ärgerte den König nicht wenig, und der Jude erhielt feinen
Abſchied. Einige Wochen jpäter begegnete er dem armen Michel
auf der Straße. „Wie geht's Michel?“ rief er dem ärmlich
gefleideten Juden zu. Diefer zudte die Achjeln, ohne eine Silbe
zu erwidern. „Wenn Ihr das reden nennt, jo glaube ich auch,
daß Bileams Efelin geredet habe.” Diefer beifende Spott bot
dem Racdjegefühle Friedrich Beruhigung; aber die kleine Pen-
fion, welche Michel mehrere Jahre vom Könige erhalten Hatte,
blieb ihm doch für immer entzogen. ?)
Der alte Michel, der, ein Opfer föniglicher Eitelkeit, in
der drüdenditen Noth lebte, fam einmal zu Mendelsfohn, als
1) Seine Frau lebte meiſtens in Hannover bei Verwandten, weil
ihr Mann niemals Geld hatte.
2) Belterö Briefwechjel mit Göthe (Berlin 1833) IV, 138.
3) Hennings, Souvenirs de Berlin (Handichr.).
— 350 —
diefer gerade mit Abraham eine Partie Schach jpielte. Meichel
jieht das Spiel an. Endlich maht Abraham eine Bewegung
mit der Rechten, um das Spiel al3 verloren umzuwerfen, umd
erhält von Michel einen jo derben Schlag am Kopfe, daß ihm
die lange Perrüde abfällt. Abraham hebt ruhig feine Perrüde
auf und fpricht: „Aber bejter Michel, wie hätte ich denn ziehen
follen ?%)
Dieſes Driginalgenie in der Mathematik, diefer Sonder:
ling im Leben, diefer Abraham, der zwanzig Jahre, bis zu
feinem 1798 erfolgten Tode, im Wahnfinn verbrachte, wurde
von Lefjing im Derwifch verewigt. „Leſen Sie die Rolle U
Hafi's,“ heißt es in einem Geſpräche zwifchen Mendelsfohn und
einem jungen Dichter,?) „und Sie haben meinen guten Abraham
Wolf, der ihm wirklich zu diefer Rolle geſeſſen hat, der ganze
Charakter, die ganze Seele; eben jo abjtrus, eben fo wil
und leidenschaftlich im Spiele, eben jo verjenkt in feinen Ideen;
„Wilder, Guter, Edler!“
Dergeftalt ift Nathan der Weife, dieſes Hohelied der Dul-
dung und Menjchenliebe, eine bleibende Erinnerung an die
innige Freundfchaft, welche Leſſing mit Mendelsfohn Jahrzehnte
hindurch verknüpft Hatte.
Und wie viele, die jih an Nathan dem Weifen erquiden,
willen es denn, daß Leſſing, während er diejes erhabenfte Wert
feines Genius ſchuf, mit der drüdendften Noth, mit der ge
meinen Sorge um das tägliche Brot zu kämpfen hatte? Wie
viele Deutfche, die, ftolz auf diefe Nativnaldichtung, dennoch in
deutfcher Treue an alte VBorurtheile fejthalten, wiſſen es, daß
Deutfchland den Nathan indirect einem Juden verdankt?
Um das Werk „mit aller Gemächlichfeit“ ausarbeiten zu
fönnen, brauchte Leffing wenigſtens dreihundert Thaler. Da er
Borausbezahlungen von Seiten der Subferibenten auf den Na—
than nicht annehmen wollte, jo wünfchte er diefe Summe irgend-
!) Belterd Briefwechſel mit Göthe, IV, 137.
2) Engels Philoſoph für die Welt (Berlin 1844) II, 107.
— 351 —
woher geborgt. Sein Bruder Karl pochte an verfchiedene
Thüren, aber feine wollte fich öffnen. Endlich fand fich ein
waderer Mann, der aus Verehrung für den Dichter fich frei-
willig erbot, obgleich jelbjt nicht wohlhabend, ihm die dreihun-
dert Thaler auf vier Monate vorzufchießen: es war dies der
Hamburger Kaufmann Moſes Weſſely, der vorübergehend in
Berlin war, ein guter Bekannter Leffings aus der Zeit von
defjen Aufenthalt in Hamburg, ein Mann von Geift und feiner
Bildung, der eine gute Abhandlung über die bürgerliche Ver-
befjerung der Juden und fogar anonyme Briefe über „Emilia
Galotti“ gefchrieben hat.!)
Schon allein die Art und Weife, wie er dabei verfuhr,
Ipricht für feine Herzensfeinheit. Nur einen Brief wünfchte er
von Leffing zu haben. „Aber wenn er Jhnen nun nicht fchreibt,
jo befommt er fein Geld?" fragte Karl Leffing, der diefe Ver—
handlung dem Bruder völlig dramatifh in einem Briefe be-
ſchreibt.)) „Ich werde es ihm dann ſchicken, und den Empfang
wird er mir doc) melden,“ erwiderte der brave Wefjely. Leſſing
zögerte auch nicht, feinen guten Freund mit einigen Beilen zu
erfreuen. „Ich habe an Mofes Weſſely gefchrieben,“ heißt es
in einem Briefe an Karl vom 19. December 1778, „und gebe
Gott, daß es nicht bloßer Wille mag geweſen fein. Sollte er
aber der pofitiven Aeußerungen ungeachtet dennoch) verhindert
werden, Wort zu halten, fo bin ich ganz unglaublich übel
daran.“3) Weſſely brachte den guten Willen in Ausführung.
Im Berlaufe der Arbeit machte Leffing diefe Geldaffaire die
größten Sorgen. Während er den legten Aft des Nathan dich-
tete, fchrieb er feinem Bruder, daß er übel anfommen würde,
) Moſes Weſſely wurde den 15. März 1737 in Kopenhagen ge—
boren und ftarb den 15. März 1792 in Berlin. Seine binterlafjenen
Schriften erjhienen zum Beſten feiner Witwe, einer geborenen Schle:
finger aus Berlin (Berlin 1798).
2) Leſſings Schr. XIII, 616 f.
3) Leifings Schr. XII, 518.
— 352 —
wenn die Subferiptionen feines Buchhändler jene Schuld nidt
deden follten, da er fchlechterdings nicht wifje, wie ex ſonſt den
ihm auf den Hals fommenden Wechjel einlöfen könnte. „Du
glaubjt nicht,“ fchließt er, „wie mich das befümmert, und es
wäre ein Wunder, wenn man e3 meiner Arbeit nicht anmerkte,
unter welcher Unruhe ich fie zufammenfchreibe.‘ 1)
Sechzigſtes Kapitel.
Leſſings letzte Jahre.
„Nathan der Weife“, diefes „herrliche Lobgedicht auf die
Vorſehung“, eben diefe felige Bemühung, die Wege Gottes vor
den Menfchen zu rechtfertigen, wie theuer iſt fie nicht dem un:
jterblichen Leffing geworden! Ach! fie hat ihm feine letzten Tage
verbittert, wo nicht gar am Ende fein fojtbares Leben abge
fürzt. Bei der Herausgabe der „Fragmente“ war er darauf
gefaßt, den ganzen Schwarm von Schriftitellern über fich hei
fallen zu fehen, die mit und ohne Beruf die „Fragmente“ wür—
den widerlegen wollen, und ex hielt fich für ſtark genug, feinen
Gaft wider alle ungezogenen Angriffe feiner Gegner zu ver
theidigen. Sp mancherlei auch die Wege waren, welche feine
Widerfacher einschlagen konnten, und, wie der Erfolg zeigte, aud
wirklich einfchlugen, um ihn zu befämpfen, jo glaubte er doch
allen denjenigen die Spite bieten zu können, die fich nicht durch
Billigkeit und Liebe zur Wahrheit auszeichnen würden. Aber
wie jehr veränderte fic) die Scene nad) dem Erjcheinen des
Nathan! Nunmehr drang die Kabale aus den Studierjtuben
und Buchläden in die Privathäufer feiner Freunde und Be:
') Zeffings Schr. XII, 524.
— 3553 —
fannten mit ein, flüfterte jedem ins Ohr, Leffing habe das
Chriſtenthum bejchimpft, ob er gleich nur einigen Ehrijten und
höchſtens der Chrijtenheit einige Vorwürfe zu machen gewagt
hatte. Jeden Borwurf des Eigendünfel3 und der einfeitigen
Denfungsart, den er einigen feiner Glaubensbrüder machte, oder
durch feine dramatiſchen Perfonen machen ließ, hielt ein jeder
für perfönliche Beleidigung. Der allenthalben willfommene
Freund und Bekannte fand nunmehr allenthalben trodene Ge-
jichter, zurüdhaltende, frojtige Blicke, falte Bewillfommnung und
frohe Abſchiede, ſah fi) von Freunden und Bekannten verlaffen,
und allen Nachitellungen feiner Feinde bloßgeſtellt. Traurig
find die Wirfungen, die dies in feinem Gemüthe hervorbrachte!
Leſſing, der aller feiner gelehrten Arbeiten ungeachtet, immer
noch der angenehmjte, fröhlichite Geſellſchafter geweſen, verlor
nunmehr feine joviale Laune völlig, ward zu einer fchläfrigen,
gefühllofen Maſchine.,) Seine Gefundheit war erjchüttert, feine
Lebensluft gebrochen. Zunehmende, auch den Geiſt hindernde
Kränklichkeit, der üble Auf, in welchen man ihn bei dem nie-
dern Volke als Ketzer und gottlofen Menfchen zu bringen fuchte,
verbitterten ihm die legten anderthalb Jahre feines der geijtigen
Aufklärung geweihten Lebens. Die Gegner hielten Fein Mittel
zu jchleht, um ihn, den Herausgeber der „Fragmente“, den
Dichter des „Nathan“, zu verdächtigen. Sie fprengten aus, er
habe von der Judenſchaft zu Amfterdam für die Herausgabe
der „Sragmente” ein Geſchenk von taufend Dufaten erhalten
und angenommen, eine Berdädhtigung, welche jpäter auch gegen
Dohm wegen feiner Schrift über die bürgerliche Verbeſſerung
der Juden erhoben wurde. Diefes Märchen hatte man in Wien,
wo der „Nathan“ confiscirt wurde, wieder aufgetifcht. Leſſings
eben dort anweſender Stieffohn ſchrieb gegen dieſe ebenjo bos—
hafte al3 abgefchmadte Lüge eine Erklärung, welche er ihm zur
Berbefferung fandte und als „Noch nähere Berichtigung des
1) Schr. II, 366 f.
Kayſerling, Mojes Mendelsjohn. 23
— 354 —
Märchen? von taufend Dufaten oder Judas Iſcharioth dem
zweiten“ in Regensburg druden ließ.
In diefer Beit, welche ihn jede Arbeit, zu der Frifche des
Geijtes und ununterbrochene Thätigfeit erforderlich war, faft unmög-
fich machte, ſchrieb er fein religiöfes Teftament: die „Erziehung des
Menschengefchlecht3‘, von welcher bisher nur ein Theil erfchienen
war und in welcher er in kurzen Paragraphen eine Gefchichte
der religiöfen Entwidelung der Menjchheit entwirft. „Jede Er-
ziehung,“ fagt Leffing, „hat ihr Biel: bei dem Gefchlechte nicht
weniger al3 bei dem Einzelnen. Was erzogen wird, wird zu
etwas erzogen. . . . Sie wird fommen, fie wird gewiß fommen
die Zeit der Vollendung. Gehe deinen unmerflihen Schritt,
ewige Vorfehung, nur laß mich diefer Unmerflichfeit wegen an
dir nicht verzweifeln, wenn felbft deine Schritte mir en
follten, zurüczugehen!‘“t)
In den legten Jahren feines Lebens waren feine Nerven
zuweilen fo herabgefpannt, daß er weder Iefen noch fehreiben
fonnte. In einem folchen Zuftande empfing er im Sommer
1780 den Befucd des Philofophen Fr. H. Jacobi. Sie ſprachen
über verfchiedene philofophifche und religiöfe Dinge, über Pan-
theismus und Spinozismus und was damit zufammenhängt, fie
hielten Unterredungen, deren Inhalt Jacobi aus dem Gedächt⸗
niffe aufgezeichnet Hat, und welche für Mendelsfohn fo folgereich
und verhängnißvoll wurden. „Leffing wollte mich überreden,“
Ichreibt Jacobi, „ohne ihn nach) Berlin zu reifen, und wurde alle
Tage dringender. Sein Hauptbewegungsgrund war Mendels—
fohn, den er unter feinen Freunden am höchſten fchäßt. Er
wiünfchte fehnlich, daß ich ihn möchte perfönlich kennen Lernen.“ ?)
„Moſes Mendelsfohn fchien Leffing für den helliten Kopf, den
vortrefflichjten Philofophen und den beften Kunftrichter unferes
1) Erziehung des Menſchengeſchlechts $ 66 f.
2) Jacobis Werfe IV, 1
— 355 —
Sahrhunderts zu Halten. Ebenso urtheilt Lichtenberg,“ fchrieb
Jacobi den 20. October 1780 an Heinſe.!)
Mit Jacobi und feiner ihn begleitenden Schweiter fuhr
Leffing nach Halberjtadt, um Gleim einen Beſuch abzuftatten;
im October unternahm er eine Reife nad) Hamburg. Nad)
feiner Rückkehr verichlimmerte fich fein Zuftand. Am 19. Decem-
ber 1780 jchrieb er den legten Brief an feinen ältejten theuer-
ſten Freund, der feit einigen Jahren fein Schreiben von ihm
erhalten hatte, Diefes befremdete mich zwar nicht — es find
das Mendelsfohns eigene Worte — denn er war, wie feinen
Freunden befannt ift, nie der rüſtigſte Briefichreiber, auch eben
im Beantworten nicht pünktlich, wenn es blos um Freundfchafts-
verficherung, ohne weitern Inhalt, zu thun war. Andefjen öffnete
ich doch dejto begieriger das Briefchen, das mir ein Unbekann—
ter überreichte. Nun hatte fich Leffing, fo lange ich ihn Fannte,
in fo verfchiedenen äußern Umftänden und Lagen ich ihn kannte,
nie über Undanf feiner Zeitgenoſſen befchwert; nie beflagt, daß
ihm nicht Gerechtigkeit widerführe, daß feine Verdienjte nicht
belohnt würden, und dergleichen Beſchwerden, die fo mancher
mit weit geringerm Rechte von fich Hören läßt. Die Worte
„Ich“ und „Mein“ war ich gewohnt, aus feinem Munde fo
jelten al3 möglich zu vernehmen. Auch waren feine Briefe alle
zeit lebhaft, gedanfenreich. und von gediegenem Inhalt. Alle
Arten von Laune war ich an ihm gewohnt; nur niemals Nieder:
gefchlagenheit oder Mißmuth. Er war allezeit der tröftende,
nie der troftfuchende Freund.
Und nun — id kann die widrige Empfindung nicht be=
Ichreiben, die ich hatte, als mir folgende Zeilen einen ganz
anderen Mann zu erfennen gaben, einen gebeugten, abgehärm-
ten, endlich unterliegenden Kämpfer, einen gleichfam müde ge=
jagten, verfchmachtenden Hirſch, der endlich Hinfinft und fein
edles Geweih muthlos in den Staub legt.
NR. Zoepprig, Aus F. H. Jacobi Nachlaß (Leipzig 1869), I, 28.
23*
— 356 —
„Ziebiter Freund!
Der Reifende, den Sie mir vor einiger Zeit zufchidten,?)
war ein neugieriger Neifender. Der, mit dem ich Ihnen jetzt
antworte, ift ein emigrirender. Diefe Claſſe von Reiſenden
findet fic) unter Yoriks Claſſen nun zwar nicht, und unter diefen
wäre nur der unglüdfiche und unfchuldige Neifende, der hier
allenfall3 paßte. Doch warum nicht lieber eine neue Claſſe ge-
macht, als ſich mit einer beholfen, die eine fo unſchicklich Be—
nennung hat? Denn es ift nicht wahr, daß der Unglückliche
ganz unschuldig ift. An Klugheit hat er es wohl immer fehlen
laſſen.
Eigentlich Heißt er Mlerander Davefon,?) dieſer Emigrant;
und daß ihm unfere Leute, auf Verhetzung der Shrigen, ehr
häßlich mitgefpielt haben, das kann ich ihm bezeugen. Er will
von Ihnen nichts, Tieber Moſes, als daß Sie ihm den kürzeſten
und ficherften Weg nad) dem europäifchen Lande vorfchlagen,
wo es weder Ehriften noch Juden giebt. ch verliere ihn un-
gern; aber jobald er glücklich da angelangt ift, bin ic) der Erſte,
der ihm folgt.
') Dr. Flied aus Berlin, Schwiegerjohn Itzigs, ein Mann von
großem Bermögen, der zu Göttingen zu feinem Vergnügen Mebdicin
ftudirt hatte, beabfichtigte eine Reife nad Stalien und wurde Leffing
von Mendelsjohn (Schr. V, 201) empfohlen.
2) Alerander Davejon aus Braunfchweig, ein Schügling Leſſings,
der mit Kunftfahen Handel trieb und an Herzog Karl einen guten
Kunden hatte, ihm auch ſonſt Gefälligfeiten erwies, wurde nad) dem
Tode des Herzogs gefänglich eingezogen. Leſſing bot alles auf, ihn zu
feinem Rechte zu verhelfen und nahm ihn nad feiner Befreiung als
Hausgenofjen mit nad Wolfenbüttel. Davefon begab ſich nah Eng:
land, kehrte zehn Jahre fpäter, 1790, zurüd und fündigte unter dem
Namen Karl Lange, den er fortan führte, in Hamburg fogen. attifche
Unterhaltungen an; er wurde damit verlaht und ausgepfiffen. In
der Folge nährte er fih von Schriftjtellerei; er war eine Zeit lang
Schriftführer des Fürften Hardenberg in Anſpach und gab in den
Jahren 1806 bis 1808 den Telegraphen heraus. Danzel-Guhrauer,
a. a. D. II, 59.
— 357 «
An dem Briefchen, das mir Dr. Flies damal3 von Ihnen
mitbrachte, faue und nutſche ih noch. Das faftige Wort ift
hier das edelſte. Und wahrlich, Tieber Freund, ich brauche fo
ein Briefchen von Zeit zu Zeit ſehr nöthig, wenn ich nicht ganz
mißmuthig werden fol. Ich glaube nicht, daß Sie mid) als
einen Menfchen Fennen, der nach Lobe Heißhungrig ift. Aber
die Kälte, mit der die Welt gewifjen Leuten zu bezeugen pflegt,
daß fie ihr auch gar nichts vecht machen, iſt, wenn nicht tödtend,
doch eritarrend. Daß Ihnen nicht alles gefallen, was ich feit
einiger Zeit gefchrieben, das wundert mid) gar nicht. Ahnen
hätte gar nichts gefallen müfjen; denn für Sie war nichts ge-
ſchrieben. Höchſtens Hat Sie die Zurüderinnerung an unfere
befjern Tage noch etwa bei der und jener Seite täufchen fünnen.
Auch ic war damals ein gefundes ſchlankes Bäumchen, und
bin jet ein fo fauler fnorriger Stamm! Ach, lieber Freund!
diefe Scene ift aus! Gern möchte ich Sie freilich noch einmal
Iprechen!
Wolfenbüttel, den 19. December 1780. Leſſing.!)
Gern hätte ich Dir dieſen Troſt gegönnt, liebe Seele! Gern
wollte ich mich von meinen Geſchäften und von meiner Familie
losreißen, zu Dir hineilen und Dich noch einmal ſprechen. Aber
leider! machte ich es, wie wir es bei ſo manchem guten Be—
ginnen zu machen pflegen. Ich verſchob und verweilte — bis
es zu ſpät war. Ach! es waren die letzten Worte, die ich von
ihm vernahm!“2)
') Schr. V, 202 f.; II, 408 f.
2) Schr. II, 407 ff.
— 358 —
Einundjechzigites Kapitel. |
Leſſings Tod.
„Unser Leffing ift hin! Sollten wir, feine Freunde, nicht
an den Herzog fchreiben, und um feine Papiere bitten?“ 1)
Diefe wenigen inhaltsfchweren Worte ſchrieb Mendelsfohn
in der bittern Stunde, in welcher die Trauerbotfchaft von dem
am 15. Februar 1781 in Wolfenbüttel erfolgten Tode feines
Bufenfreundes bei ihm eintraf.
Leffing war hin! Der Mann, mit dem er nahezu dreißig
Fahre in vertrautefter Freundfchaft gelebt, mit dem er unaufhör:
lich nach Wahrheit geforfcht, Leffing, den er innig liebte und von
dem er innig geliebt wurde, war plößli der Erde entrüdt,
Deutfhland Hatte den freieften Geift, den genialften Denker,
Mendelsfohn feinen beiten, treuejten Freund verloren.
In Heiliger Stille ertrug er in den erjten Tagen den
Schmerz um den erlittenen Berluft; er wollte das Andenken
feines Freundes nicht durch Klagen entweihen; dann aber made
er feinem gepreßten Herzen in dem föftlichen Schreiben an den
Bruder des Dahingefchiedenen Luft, das uns wie der Nachruf
eines echten Weifen ſchmerzlich ergreift:
) Schr. V, 580. Mendelsjfohn, Nicolai und noch ein dritter
wandten fich gleich nach Leſſings Tod an den Herzog, um ihre Privat:
Gorrefpondenz heraus zu bitten. Der Herzog antwortete, daß er feinen
Theil daran hätte, und verwies fie an denjenigen (Wefjely hatte den
Namen des Minifterd vergefjen), der alle jeine Bapiere in Händen habe
und fie ihnen allerdings ausliefern jolle, jchreibt Elife Reimarus an
Henning3 den 18. Septbr. 1781 (N. Laufit. Magazin, XXXVIIL, 38).
Leifings Nachlaß hatte nicht ein Minifter, ſondern Profeſſor Schmidt,
ein Freund des Verftorbenen, auf Befehl des Herzogs verfiegelt. Privat:
fchriften und Briefe von Freunden, jchreibt der Herzog, jollen durd
Prof. Schmidt von den eigenen Manufcripten Leſſings abgefondert
werden, wie Mendelsjohn Herder den 15. März 1781 mittheilte
(Schr. V, 587).
— 359 —
„Richt ein Wort, mein Bejter! von unferem Verluſte, von
der großen Niederlage, die unfer Herz erlitten. Das Andenken
des Mannes, welchen wir verloren, ijt mir jeßt zu heilig, um
es durch Klagen zu entweihen. Es erſcheint mir nunmehr in
einem Lichte, da3 Ruhe und erquidende Heiterkeit auf die Gegen-
ftände verbreitet. Nein! ich vechne nicht mehr, was ich durch
feinen Hintritt verloren. Mit gerührtem Herzen danfe ich der
Borjehung für die Wohlthat, daß fie mich fo früh in der Blüthe
meiner Jugend hat einen Mann kennen Lafjen, der meine Seele
gebildet hat, den ich bei jeder Handlung, welche ich vorhatte,
bei jeder Zeile, welche ich Hinfchreiben follte, mir al3 Freund
und Richter vorftellte, und den ich mir zu allen Zeiten noch als
Freund und Richter vorjtellen werde, fo oft ich einen Schritt von
Wichtigkeit zu thun Habe. Wenn fich in diefe Betrachtung noch)
etwas Melancholifches mit einmifcht, fo iſt es vielleicht die Reue,
daß ich feine Führung nicht gehörig benutzt habe, daß ich nicht
geizig genug war nad) feinem Tehrreichen Umgange, daß ich
mande Stunde vernachläffigte, in der ich mich mit ihm hätte
unterhalten können. Ach! feine Unterhaltung war eine ergiebige
Duelle, aus welcher man unaufhörlich neue Ideen des Guten
und Schönen ſchöpfen fonnte, die er wie gemeines Waller von
fich fprudelte, zu jedermanns Gebraud. Die Milde, mit welcher
er feine Einfichten mittheilte, jeßte mich zuweilen in Gefahr, das
Berdienft zu verfennen: denn fie ſchien ihn in feine Unkoſten zu
feßen; und zumeilen fchob er fie den meinigen jo mit unter, daß
ich fie nicht mehr ‚unterfcheiden fonnte. Weberhaupt war feine
Mildthätigkeit Hierin nicht von der engherzigen Art mandjer
Neichen, die es fühlen laſſen, daß fie Almofen ausſpenden; ſon—
dern er fpornte den Fleiß an, und ließ verdienen, was er gab.
Alles wohl überlegt, mein Liebfter! ift Ihr Bruder gerade
zur rechten Zeit abgegangen; nicht nur in dem Plane des Welt-
alla zur rechten Zeit: denn da gejchieht eigentlich nicht? zur
Ungzeit, fondern auch in unferer engen Sphäre, die faum eine
Spanne zum Durchmefjer hat, zur rechten Zeit. Fontenelle fagt
— 360 —
von Copernicus: er machte fein neues Syſtem befannt, und
ftarb. Der Biograph Ihres Bruders wird mit eben dem An—
Itande fagen fünnen: er fchrieb Nathan den Weifen, und ftarh.
Von einem Werfe des Geiftes, das eben fo fehr über Nathan
hervorragte, als diefes Stüd in meinen Augen über alles, was
er bis dahin gejchrieben, kann ic) mir feinen Begriff machen.
Er konnte nicht höher fteigen, ohne in eine Region zu Fommen,
die ſich unferen finnlichen Augen völlig entzieht, und dies that
er. Nun ftehen wir da, wie die Jünger des Propheten, und
jtaunen den Ort an, wo er in die Höhe fuhr und verfchwant.
Noch einige Wochen vor feinem Hintritte hatte ich Gelegenheit,
ihm zu fchreiben: er follte fich nicht wundern, daß der große
Haufe feiner Zeitgenoffen das Verdienſt diefes Werkes verfenne;
eine bejjere Nachwelt werde noch funfzig Jahre nach feinem
Tode daran lange Zeit zu fauen und zu verdauen finden. Er
ift in der That mehr als ein Menfchenalter feinem Jahrhun—
derte zuvorgeeilt.“!)
Der Tod diefes Bufenfreundes, mit dem Mendelsjohn zu
leben gleihfam gewohnt war, hatte eine tiefe Wunde feinem
Herzen geichlagen. Sein Tod blieb noch Tange der einzige Ge
danfe, der ihn unaufhörlich befchäftigtee Er machte ihn, wie
e3 in dem Klagebriefe an Hennings vom 8. Mai 1781 heißt,
„nicht traurig, nicht tiefjinnig, aber er war ihm immer gegen-
wärtig, wie das Bild einer Geliebten. Ich fchlafe mit ihm
ein, träume von ihm, mache mit ihm auf und danfe der Vor—
jehung für die Wohlthat, die fie mir erzeigt hat, daß ich diefen
Mann fo frühzeitig habe kennen lernen und daß ich feinen
freundfchaftlichen Umgang fo Yange genofjen habe.‘?)
Leffings Bild ſchwebte ihm vor, fo lange er lebte; er fiel
ihm bei, jo oft er fi) nad) einem Beurtheiler feiner Arbeiten
umjah. Leſſing blieb es, nach dejjen Beifall und Aufmunterung
er rang, jo lange noch Odem in ihm war, „denn obgleich der
) Schr. V, 580 ff.
2) 1. Aufl. ©. 531.
— 361 —
Eifer für die Freiheit der Unterfuchung diefen Wahrheitsforfcher
nur allzufrüh aufgerieben hat, fo wird er doch für mich nie
todt fein, meinem Geijte immer gegenwärtig bleiben, und id)
werde bei jeder Zeile, die ich in philofophiichen Sachen nieder:
fchreibe, mich immer noch fragen: Würde Leffing dieſes billigen ?“?)
Wer ftand Mendelsfohn noch fo nahe wie li Wer
vermochte ihm feinen Leſſing zu erfegen? Ä
Zweiundſechzigſtes Kapitel.
Herderd Annäherung.
Mendelsfohn fühlte ſich durch den Tod Leffings einfam
und verlaffen; feinem der früheren Freunde konnte er fich enger
anfchließen.
Die Freundſchaft, welche ihn in früheren Jahren mit
Nicolai verknüpfte, war, wenn auch nicht geradezu erloſchen, ſo
doch gewaltig erkaltet. Von der „Allgemeinen deutſchen Biblio—
thek“, für die er ſeit ihrem Beginne und noch Anfang der ſieb—
ziger Jahre zuweilen Beiträge lieferte, hatte er ſich zurückge—
zogen, ſobald ſie eine bloße Recenſiranſtalt zu werden anfing.
Wie alle ſublunariſchen Dinge Hatte ſich auch fein Verhältniß
zu Nicolai verändert. Er fah ihn, wie er Hennings gefteht,
des Jahres kaum fo oft, als Theile von der Bibliothef er-
Ichienen. „Unjere Sreundfchaft ift noch immer diefelbe, allein
unfer Hausftand und unfere Gefchäfte haben zugenommen, und
leßtere liegen zu weit voneinander. Unfer Gejchmad und unfere
Neigungen, denen man in Erholungsftunden nachzugehen pflegt,
mögen fi) auc zum Theil verfchiedentlich modificirt haben, und
) Schr. VI, 127; II, 361.
— 362 —
was fonft für Heine Urfachen Hinzuzufommen pflegen, warum
man in zwanzig, dreißig Jahren nicht immer denfelben Zeit—
vertreib liebt. Nicolai ift ein Mann von überhäuften Gefchäften
und die Beforgung der „Bibliothek“ iſt eine jo weitläufige und
mühſame Arbeit geworden, daß er fie einem andern hat auf-
tragen müſſen. Ex jelbjt bejieht die einlaufenden Recenfionen
etiva wie ich die abgelieferten feidenen Waaren mit flüchtigem
Auge, eine und die andere Lage, ob die Arbeit regelmäßig fei.
Denken Sie fi) hiernächſt achtzig, neunzig Gelehrte in ganz
Deutfchland zeritreut, jeder mit feiner HHypochondrie und Laune,
Eigenliebe und Eitelkeit, der jich lieber einen Feben aus feinem
beiten Sonntagsrod ausschneiden, al3 eine Zeile in feinem Ma-
nufeript ausſtreichen läßt.“!)
Der einzige, der Miene machte, ſich dem alten Freunde
und Vertrauten Leſſings inniger anzuſchließen, war Herder.
Seit ihrer Begegnung in Pyrmont konnte es zu keinem freund—
ſchaftlichen Verhältniſſe zwiſchen ihnen kommen. Herder Hatte
„dem rechtſchaffenen Iſraeliten, den er von Herzen hochſchätzte“,
dem 10. October 1779 fein neu erſchienenes „Maran-Atha“
oder die „Offenbarung Johannis“, nicht um ihn zu befehren,
ſondern al3 ein Zeichen der Hochachtung mit der Bitte zuge-
fandt, ihm fein unparteiifches Urtheil darüber zu fagen;?) Men-
delsfohn dem „verehrungswürdigen Herrn Superintendenten‘
acht Monate fpäter mit der erſten Lieferung feiner Bentateuch-
Ueberjegung aufgewartet.) Wiederholt hatte Herder, der das
Hebräifche fehr gut verjtand, Mendelsfohns Verdienſt um das
Alte Teftament in den erjten beiden Theilen der „Theologischen
Briefe‘. hervorgehoben, an einer Stelle des dritten Theiles
feiner Achtung vor ihm durch die Art und Weiſe Ausdrudf ge-
geben, in dem er dem Gerüchte widerſprach, daß Mendelsjohn
) 1. Aufl. S. 530.
2) Aus Herderd Nachlaß IL, 217 F.; 1. Aufl. S. 541.
s) 1. Aufl. ©. 542.
— 363 —
der Verfaffer der „berühmten verfchrienen, widerlegten Frag-
mente‘ jei.t)
Se mehr er fi) von dem ercentrifchen Lavater entfernte
und eine freiere vationaliftifche Richtung bei ihm zum Durch—
bruch fam, um fo lebhafter fühlte er fich zu Mendelsfohn Hin-
gezogen. Kaum Hatte er das Hinfcheiden Lefjings erfahren, fo
richtete er an den ihm überlebenden Freund folgenden Brief,
den man nicht ohne tiefe Rührung leſen kann:
„Ohne Zweifel, lieber theurer Mendelsfohn, wiſſen Sie, fo gut
wie ich, Leſſings Tod; ich kann aber nicht umhin, da ich mich
ſchon feit zwei Tagen damit trage und gegen niemand mein Herz
darüber recht ausfchütten und losmachen kann, an Sie, Tiebfter
Mendelsfohn, zu ſchreiben, an Sie, defjen Freund er fo fehr war und
den ich mir in meinen erjten Jahren jo gern und oft mit ihm zu=
Tammendadte. Die Vorfehung hat auch Hierbei, wie bei allem,
ihre weiſen, guten Zwecke und Wege: er iſt bald und frühe des
unvollfommenen Wirrwarrs losgeworden, in und mit dem wir
uns bier fchleppen, um nun die erjten Blicke der Wahrheit und
fejten Seelenfreiheit thun zu können; Ihnen aber brauche ichs
gewiß nicht zu jagen, was Deutjchland, was die Wifjenfchaften,
was die edle, männliche Bejtrebung in den Wiffenfchaften an
ihm verloren und lange nicht wiederfinden werden. Mir ijts
noch) immer, jo entfernt wir von einander arbeiteten und dachten,
fo leer zu Muth, als ob Wülte, weite Wüfte um mich wäre.
Laſſen Sie fi), "lieber Mendelsſohn, erbitten, gewiljer-
maßen feinen Pla in mir auszufüllen und mir etwas näher
zu fein, als Sie es find... . Sch begehre nicht Ihre Freund:
Tchaft, die fich nicht antragen läßt, die ich auch meiner Ge—
müthsart nach niemand in der Welt je angetragen habe; aber
Ihre Gutmüthigkeit, Ihr unverhohlenes Wohlwollen in Sachen,
wo wir doc) einerlei Zmwede in großem Ganzen, wenngleich in
fo verjchiedenen Sphären zu befördern haben, dies wünsche, dies
Theologiſche Briefe, 1. Aufl. I, 78, 203, IL, 164 ff.; Haym,
a. a. O. II, 153.
— 364 —
erbitte ich mir, da ich Sie fo innig und aufrichtig hochſchätze
und liebe, auch mit jedem Jahre des Lebens Tieber gewinne.“
Welche Fülle von Freundichaft, Liebe und Hochachtung Tiegt
in diefem Briefe des ſonſt fchroffen, hochmüthigen Weimarjchen
Superintendenten! Und gar der Schluß! „Leben Sie wohl,
fiebjter Mendelsfohn, und fparen Sie fih, fo viel an Ihnen
ilt, unferer Erde. Da Leffing Hin ift, Hat Deutichland Gie,
wenn Sie auch nur jtillwirkender Zeuge find, vor jo vielen
anderen nöthig.“t)
Diefe nicht wenig fchmeichelhafte, Herzinnige Eröffnung ver-
fehlte de3 Eindruds auf Mendelsfohn nicht. Angefprochen durch
den an Herder ihm ganz neuen Ton, nahm er die angetragene
Freundichaft mit Freuden an. „Auch diefes, mein bejter Herder,“
heißt e3 in feiner Antwort vom 15. März, „it Weg der Vor—
fehung, daß Leſſings Tod zwei Gemüther ſich einander näher
bringen muß, die, wie jet am Tage liegt, ein leidiges Miß—
verftändnig don einander entfernt Hatte . . . . Es ift ein
wahres Labfal für meine Seele, daß Sie durch den Tod Leffings
eine gleiche Lücke in Ihrem Herzen empfinden und folche durch
die Annäherung mit dem meinigen wieder auszufüllen gedenken.
Haben Sie herzlichen Dank dafür, daß Sie den erjten Schritt
dazu gethan. Sie follen mich ficherlich auf halbem Wege treffen.
Ich gehe etwas Yangfam, aber ununterbrochen. Jeder hat feine
Weiſe, und ich habe das Zutrauen zu Ihrer Menfchenfenntniß,
daß Sie meine Faltjcheinende Weife nicht mißfennen werden.
Sie it in Wahrheit mehr gemäßigt al3 falt, und Sie werden
fie Hoffentlich in der Folge der Zeit immer echter und bewähr-
ter und Ihrer Liebe würdiger finden. . . . Sch Hoffe, es foll
bei diefem erjten Schritte, den wir zur Freundſchaft gethan,
nicht bleiben, und verſpreche Ihnen, allezeit jo offenherzig zu
fein, als Sie mid) jet finden. Ich kann Ihnen auf der Lauf:
bahn, auf welder Sie fo große Schritte thun, nicht folgen;
) 1. Aufl. ©. 543 ff.
— 365° —
aber ohne Neid kann ich Ihnen meinen herzlichen Beifall nach—
rufen, fo oft Sie ihn mir zu verdienen fcheinen. Lieben Sie
mic), Brüderchen!“)
Wenn man diefe Briefe Lieft, follte man glauben, zwifchen
Herder und Mendelsfohn Hätte ſich ein Freundfhaftsband ge=
fnüpft, da3 unauflösbar gewejen wäre, Herder hätte bei Men-
delsfohn in der That die Lücke wenigſtens theilweife ausgefüllt,
die der Tod Leffings in feinem Herzen zurückgelaſſen hatte.
Herder war jedoch) Fein Leſſing. Was Mendelsfohn an letzterem
fo hoch verehrte, war die echte Toleranz, die eben fo fehr an—
deren Heberzeugungen gönnte, als er fie für die feine in An—
ſpruch nahm; Herder, der Apojtel der Humanität, eiferte Leffing
nach, erreichte ihn aber nit. Yhm war Mendelsfohn immer
noch der Jude; er, der Freund des „Magus im Norden“, ſchloß
den innigjten Bund mit Goethe, fühlte fich zu Jacobi immer
mehr Hingezogen; wie fonnte er auch zugleich der Freund eines
Mendelsfohn fein?
Was beide noch einige Zeit verbunden hielt, war die ge-
meinfchaftliche Verehrung für Leffing, der Herder bald in einem
pietätsvollen Nachrufe einen fo herrlichen Ausdrud gab, ehe
noch Mendelsjohn feinen Plan ausführte, etwas über den Charak—
ter feines Tiebjten Freundes zu jchreiben.
Dreiundiechzigites Kapitel.
Charalteriſtik Leſſings.
„Ich bin willens,“ ſchreibt Mendelsſohn an Herder den
18. Mai 1781, „dieſen Sommer, wenn es meine Geſund—
heitsumſtände erlauben, etwas über Leſſings Charakter zu
1) Schr. V, 582 ff.
— 366 —
Schreiben.“ !) Er hielt es für heilige Pflicht, befonders dieſe
Seite feines Freundes zu beleuchten, weil er gerade von Diefer
Seite verfannt, ja jogar zum Theil mißfannt wurde. Wer wäre
zu einer folchen Arbeit geeigneter gewejen, als eben der, der
Leffing felbjt im höhern Sinne feinen Freund nannte; niemand
fannte ihn bejjer und genauer als Mendelsfohn; niemand war
in fein Geiftesfeben tiefer eingedrungen al® er. „Nur feine
vertrautejten Freunde fannten ihn als einen von den feltenen
Menſchen, die beijer find als fie fcheinen wollen. Die Gleiß—
nerei der Modefitten und der fogenannten guten Zebensart ift
ihnen zum Efel, daß fie in ihrem Aeußerlichen lieber daS Gegen-
theil davon annehmen und eine Art von Ungefelligfeit zur
Schau tragen, daran ihr Herz nicht den mindeften Antheil hat.“
„Die Welt kennt Leffings fchriftitelleriichen Werth, wenige aber
fennen feinen freundfchaftlichen Werth; ja ich finde,“ heißt es
in einem Briefe Mendelsfohns an Hennings vom 8. Mai 1781,
„daß fein moralifcher Werth überhaupt von vielen fogar miß-
fannt werde. Auch die Begriffe von Tugend und Gittlichkeit
find der Mode unterworfen, und wer fi) nicht nach den Mode-
begriffen feine® Jahrhunderts fchmiegen fann, der wird von
feinen Beitgenofjen verfannt und verfchrien. Sp viel fcheint
mir indefjen außer allem Zweifel zu fein: wenn irgend ein
Menfch beſſer war, als er fich in feinen Schriften zu erkennen
gab, fo war es Leſſing. Die am meiften wider ihn eingenommen
waren, wußte er in einer Stunde perfönlichen Umgangs zu ge—
winnen und gleichtwol ift ihm meines Wiſſens nie eine gefliffent-
fihe Schmeichelei aus dem Munde gegangen, ja er hatte ſogar
die — wie foll ich e8 nennen? — Bizarrerie, ein abgejagter
Feind von der äußern Höflichkeit zu fein. Seine gefellichaft-
lihen Tugenden beftanden vielmehr in echter Theilnehmung, aufs
richtiger Dienftbefliffenheit, in der äußerjten Entfernung von
Eigennug und Eigendünfel und in der milden Bereitwilligkeit,
1) 1. Aufl. ©. 546 f.
— 367 —
einem jeden mit feinem Reichthum an Begriffen jo zuvorzu—
fommen, daß man fich in einer Unterredung mit ihm allezeit
Icharfjinniger glaubte, als man wirklich war, ob man gleich nicht
unterlaffen konnte, defjen Weberlegenheit innerlich recht ſehr zu
fühlen. Sarkaſtiſch und bitter gegen jeden Ged, der fich die
Wahrheit allein gefunden zu haben einbildete, war er liebreich
und befcheiden gegen jeden, der Wahrheit fuchte, und zu allen
Beiten bereit, ihm mit feinem Vorrathe zu dienen.“ !)
Das ift Leſſing, das ift fein Charakterbild voll Geift und
Leben. „Das, das allein ift das echte Gefühl des Weifen!“
vief Leſſings treue Freundin Elife aus, als fie Mendelsfohns
Brief an Henning3 gelefen Hatte. Ihr Wunſch war die ganze
mitgetheilte Stelle über den theuren VBerfchiedenen als den Aus-
zug eines Briefes ind „Muſeum“ einrüden zu lafjen. „Rein
Menſch kann den Stempel eines Mendelsfohn darin verfennen,
fein Menfch Leſſings Charakter feine Ehrfurcht verfagen. Auch
Weilely Hat diefe Stelle des Briefe gejehen und noch viel
hinzugefegt, wa3 Mendelsfohns Erfahrung aufs vollfommenfte
bejtätigt.“
Elife freute fich herzlich, daß Mendelsſohn ernitlic) daran
dachte, etwas Zufammenhängendes über Leſſings Charakter
herauszugeben, und wünſchte nur, „daß er nicht lange zögern
möchte, ich felbft und feinem Freunde dieſes Monument zu
jegen.“ 2)
Noch che Mendelsfohn zur Ausführung feines Planes
ſchritt, überrafchte ihn Herder mit einem dem gemeinfamen
Freunde in Wielands „Merkur“ gefegten Denfmale. Er nahm
e3 mit inniger Freude auf und dankte dem Berfafjer mit der
Berficherung aufrichtiger Freundfchaft. „Meine Hochachtung haben
Sie ſchon feit vielen Jahren, aber diefer Aufſatz über Leſſing
) 1. Aufl. ©. 531.
2) Elife Reimarus an Hennings, 29. Mai 1781, im N. Laufig.
Magazin, XXXVILU, 37.
— 368 —
macht, daß ich mich näher an Sie fchließe, daß ich Sie Tiebe
und jehnlichit wünfche, von Ihnen wieder geliebt, Jhr Freund
genannt zu werden; denn die Freundichaft eines ſolchen Mannes
fann den Verluſt eines Leſſings auf den Ueberrejt meiner Tage
erſetzen.“
„Wie es um meinen Aufſatz über Leſſing ſteht?“ heißt es
am Schluſſe dieſes Briefes an Herder. „Ich warte noch immer
auf meine Correſpondenz, die mir der Bruder aus der Ver—
laſſenſchaft zuzuſchicken verſprochen.) Und wenn ich nun dieſe
erhalten, werde ich auch etwas hervorbringen können, das dem
Ihrigen an die Seite geſetzt zu werden verdient? Wir wollen
jehen.“ ?) |
Die Correfpondenz ließ lange auf fi) warten. Mendels-
ſohn entwarf inzwifchen die „Hauptzüge” zur Charafteriftif des
Freundes, welche Karl Lefjing in die Hände fielen und welche
er von „Wort zu Wort“ der Lebensbejchreibung feines Bruders
hinzufügte.) Dem Entwurfe gemäß follte ſich die Charakteriftif
erjtreden über Leſſings Liebe zum Forfchen, das er für die Be-
ſtimmung des Menfchen hielt und dem er alle übrigen Nei-
gungen opfern Fonnte, über feine Lieblingsneigung, fich der
Ihwächern Seite anzunehmen, über feinen mit Wiß verbundenen
Scharffinn, über feine außerordentliche Befcheidenheit, feine un—
begrenzte Mildthätigfeit und Unverdrofjenheit, von feinen Ein-
jihten anderen mitzutheilen, über feinen Mangel an äußerlicher
Höflichkeit und feine Unfähigkeit mit den Großen umzugehen. Er
wollte feine eigene Anficht darlegen über Emilia Galotti, die
Tragödie, die ihm ganz vortrefflich ſchien und die ihn, als er
fie zum erften male las, jo angegriffen hatte, daß er die ganze
) „Daß Mendelsjfohn noch nichts von Leſſings Biographie her—
ausgiebt, daran ift Lejfingd Bruder Schuld,’ jchreibt Elife Reimarus
an Hennings am 18. Septbr. 1781. Magazin, 38; Schr. V, 696.
2) 1. Aufl. ©. 549.
3) K. Leſſing, a. a. ©. II, 14 ff.; 1. Aufl. ©. 563 ff.
— 369 —
Nacht nicht Tchlafen konnte; nur den Prinzen hätte er anders
und beſſer gewünſcht.!)
Die Charakteriſtik kam über die Hauptzüge nicht hin—
aus; Mendelsſohn wurde durch andere Arbeiten an der wei—
tern Ausführung verhindert. Zunächſt gab er im September
1781 ſeine „Anmerkungen zu Abbts freundſchaftlicher Correſpon—
denz“?) heraus, zu früh für ihn ſelbſt, wie er in der „Vorerinne—
rung“ bemerkt, da es ihm an Muße und Kraft fehlte, Diele
Anmerkungen gehörig auszuführen und in die Form zu bringen,
in welcher der wichtige Theil derjelben zum zweiten Theile des
„Phädon“ gebraucht werden ſollte. Außerdem veranlaßten ihn
gerade in jener Zeit verjchiedene dringende Umstände, feine An-
fihten über Religion im allgemeinen und Judenthum im befon=
dern darzulegen.
') Leſſings Schr. XIII, 370 f.
?) Berlin, Nicolai, 1782, aud) im 3. Theile von Th. Abbt3 ver—
miſchten Werken (Berlin 1782); Schr. V, 370—408.
Kanjerling, Moſes Mendelsſohn. 24
Vierzehntes Bud).
Jeruſalem. Staat und Religion.
Bierundjechzigites Kapitel.
Smaneipation.
„Ich Habe es jederzeit mit größerm Vergnügen gefehen,
wenn das Borurtheil der Ehriften wider die Juden von einem
hriftlichen Schriftiteller bejtritten wird. Juden müffen fich gar
nicht einmifchen, um die großmüthige Abjicht zu befördern. So—
bald das geichieht, ſobald muß fie auch gemißdeutet und übel
ausgelegt werden.“
So ſchrieb Mendelsjohn an den Freiherrn von Hiirſchen,
welcher zufammen mit dem jungen Friedrih Schönemann in
Deffau eine „Zudenbibliothef zum Beten jüdifcher und chriſt
licher Armen“ herausgeben wollte und auch ihn zur Theilnahme
an derfelben aufforderte. Um felbjt den Schein der Parteilid-
feit zu vermeiden und nicht zu Mißdeutungen Anlaß zu geben,
unterlie es Mendelsjohn, das Vorurtheil wider feine Glaubens
genofjen, „das zu tiefe Wurzeln gejchlagen hatte als daß «&
leicht mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden könnte“, in
Schriften zu befämpfen, jo oft- er auch von Juden und vor
urtheilsfreien Chrijten darum angegangen wurde Er wartete
— 371 —
ab, bis exit freie Denker unter den Chriften ihre Stimme für
die gedrücten Juden erhoben und Bahn gebrochen hatten. ?)
Die Gelegenheit bot fich bald.
Die Elſäſſer Juden, deren trübe Lage durch die aufreizende
Schrift?) eines judenfeindlicden Landrichters, des 1794 guillo—
tinirten Hell, unerträglich” geworden war, wandten ſich durch
ihren Bertreter, den geachteten Cerf Beer in Meb, an Mendels-
fohn mit der Bitte, eine die Verbefjerung ihrer Lage beziwedende
Denkichrift, welche dem franzöſiſchen Staatsrathe vorgelegt wer-
den follte, zu entwerfen, oder vielmehr dem ihm gejchicten
Memoire die geeignete Faflung zu geben. Mendelsjohn hatte
mit der Pentateuch-Ueberjegung vollauf zu thun, war auch ohne-
dies fo leidend, daß er der äußerjten Schonung bedurfte: „mein
Gehirn ift jebt,“ heißt es in einem Briefchen an Markus Herz,
„wie geförntes Pulver. Ein Funfen, den ein Gonjtabler wie
Sie, hineinwirft, entzündet augenblidlih die ganze Meafje.“?)
Da er felbjt fich der Arbeit nicht unterziehen fonnte, fo juchte
er den ihm befreundeten Kriegsrath Chrijtian Wilhelm Dohm,
der fich eingehend mit der Gefchichte der Juden befchäftigt hatte,
für diefelbe zu gewinnen. Bei der Neigung dieſes damals
faum dreißig Jahre alten talentvollen Mannes zu gemeinnüßiger,
möglichjt weitgreifender Wirffamfeit ging er gern auf den ihm
gejtellten Antrag ein, faßte feine Aufgabe, jedoch nicht blos mit
Bezug auf die Stellung der franzöſiſchen Juden, fondern der
Juden überhaupt, aus dem allgemeinen und höhern Stand
punft der Humanität und Politif,4) und fo entitand die Schrift,
welche nach dem Uxrtheile eines berühmten Borfechters der Eman-
cipation, nicht nur für ihre Zeit ihren Gegenſtand vollitändig
') Schr. V, 640.
2) Observations d’un Alsacien sur les affaires des juifs en
Alsace (1779).
3) Schr. V, 555.
+) Gronau, Chriftian Wilhelm von Dohm nad feinem Wollen
und Handeln (Lemgo 1824), ©. 84.
24 *
— 372 —
erichöpfte, jondern auch die genügenditen Widerlegungen aller
noch in der neuejten Zeit hie und da wieder zu Tage geförder
ten Einwendungen enthält. ?)
Was Leffing als philofophifcher Dichter in feinem „Nathan“,
das that Dohm als philofophiicher Staatsfundiger in feiner, im
Auguft 1781 erjchienenen unübertroffenen Schrift „Ueber die
bürgerliche Verbeſſerung der Juden“2): beide Haben den grofen
Zwed der Borjehung, die Beitimmung des Menſchen und die
Gerechtfame der Menjchheit im Zufammenhange gedacht; beide
haben ſich über den religiöfen und confejfionellen Unterſchied
hinweggejegt und in dem Menfchen nur den Menſchen betrachtet.
Auch Dohm wollte eben jo wie Lefjing „weder für das Juden
thum, noch für die Juden eine Apologie fchreiben; er führt bio:
die Sache der Menjchheit und vertheidigt ihre Rechte. Ein
Glück für uns,“ fagt Mendelsfohn, „wenn diefe Sache auch zu—
gleich die unfrige wird, wenn man auf die Rechte der Menſch
heit nicht dringen kann, ohne zugleich die unfrigen zu rec
miren.“ Dohm gebührt das Verdienſt, zuerſt und in fo au
gezeichneter Weife die Emancipation der Juden wifjenfchaftlih
erörtert zu haben.
Bor allem juchte er in feiner den Regenten der Staaten
gewidmeten Schrift nachzuweiſen, daß die Juden durch ihre
veligiöfen Grundfäge von der Erfüllung ihrer Pflichten gegen
den Staat nicht abgehalten werden, denn „ihr Hauptbuch, da:
Geſetz Mofis, wird auch von den Chriften mit Ehrfurcht ar
nannt.“ Er fcheute fich nicht zu behaupten, daß alles, wa:
man den Juden vorwirft, eine nothivendige und natürliche Folg
der drüdenden Verfaſſung ift, in der fie fich feit fo vielen Jahr
hunderten befinden, daß fie Scharfiinn, Fleiß, Betriebſamkeit
viele Tugenden und die „biegjame Fähigkeit“ befißen, ſich ir
alle Lagen zu verfegen, daß die Anhänglichfeit an dem uraltaı
') Rieffer, Stellung der Belenner des mofaishen Glaubens it
Deutjchland, S. 14; Riefjerd Gej. Schr. II, 31.
2) Berlin, Nicolai 1781; 2. Aufl. 1783.
— 33 —
Glauben ihrer Väter ihrem Charakter Fejtigfeit verlieh, daß fie
dem Staate, in dem fie leben, wenn jie nur nicht gar zu fehr
gedrüct werden, treu ergeben find und Gut und Blut für den-
felben opfern.
Zur Tilgung der bisher den Juden bereiteten Unbilden
trat er auch mit bejtimmten VBorjchlägen auf; ex forderte für fie
von den Regierungen: Gleichheit in Rechten und Pflichten mit
alfen übrigen Unterthanen, Zulaffung zu den Gewerben, Auf-
munterung zu Handwerfen und Aderbau, Bejeitigung jeder Be—
ichränfung, welche fie von wiſſenſchaftlicher und Fünftlerifcher
Ausbildung und Thätigkeit abhält, Zulaffung zu Aemtern im
Staatsdienft, Reform ihrer Schulen und ihres Unterrichtsweſens,
Beförderung ihrer Bildung und Aufklärung, völlige Religions-
freiheit und Autonomie.
Diefe durch die elfäflischen Juden veranlaßte und durch
Profefjor Bernoulfi bald nach dem Erfcheinen ins Franzöfiiche
überjegte Schrift ift durch einen ſeltſamen Zufall nie zur
Kenntnig des Staatsraths gelangt. Auf Wunfch Cerf Beers
ſchickte Dohm ſechshundert Exemplare derfelben nach Paris; dort
wurde aber der Bicherballen, weil er ohne vorher ertheilte
Erlaubniß eingebracht worden war, mit Befchlag belegt. Durch
Intervention von Lalande und andern einflußreichen Bekannten
gelang es Dohm und feinem Freunde Nicolai binnen Jahr und
Tag eine Entjcheidung des damaligen Groß-Siegelbewahrers
zu bewirken, welche die feltene Begünftigung der Rückſendung
des Ballens ertheilte. Allein al3 man bei der Chambre syn-
dicale um deren Ausführung nachſuchte, erging die Antwort,
der Ballen ſei bereit3 vor längerer Zeit in die Baftille gefchidt,
pour &tre mis au pillon, d. 5. um vernichtet zu werden; die
Bücher feien verbrannt und es könne die Entfcheidung des
Minifters nicht mehr ausgeführt werden. t)
In Deutfchland erregte die Dohmfche Schrift ungeheures
') Gronau a. a. D. ©. W.
— 37141 —
Auffehen. Für die damals verachtete und vechtlofe Menfchen-
clafje der Juden erhob ein al3 Gelehrter von allen gefchäßter
Mann feine Stimme — man denfe was das heißen wollte!
Diefelbe gehäffige Befchuldigung, welche Leffing traf, erfuhr auch
Dohm: man fprengte aus, er habe von den Juden eine große
Summe al3 Honorar erhalten! Die Zeichen der Anerkennung,
welche die Juden ihm gaben, bejtanden darin, daß die Berliner
Gemeinde ihm zum Geburtstage ein filbernes Beſteck ſchenkte,
daß die portugiefifchen Juden in Surinam in einem fchmeichel-
haften Schreiben ihm ihren Danf ausdrüdten und daß Die
Juden in Halberjtadt bei feinem dortigen Aufenthalte ihm be-
jondere Ehre erwiefen. Fing man nun in beffergefinnten
Kreifen auch an, die Lage der Juden vom Standpunkte der
Menjchlichkeit aus in Erwägung zu ziehen, fo fehlte es doch
auch an Gegenfchriften nicht, welche die edlen Beftrebungen
Dohms mit mittelalterlihen Borurtheilen zu bekämpfen fuch-
ten. Selbjt der bereits ergraute Brofefjor Michaelis in Göttingen,
trat wie zur Zeit als Leſſings Quftipiel „Die Juden“ erſchien,
auch jeßt, nach Verlauf folder Jahre der Aufklärung und Be-
rihtigung der Nationalbegriffe, „da es beinahe fein Berdienit
mehr war, die Vorurtheile dieſer Art abgelegt zu Haben“, in
der „Orientalifchen Bibliothek” gegen die Juden, ihren Charak
ter, ihre Tauglichkeit zum Kriegsdienfte auf. ')
Da konnte auch Mendelsfohn nicht länger ſchweigen. Wußte
er auch nur zu gut, daß Vernunft und Menfchlichfeit ihre
Stimme umfonjt erheben, „denn grau gewordene Borurtheil
hat fein Gehör“, fo wollte er doch wenigſtens „den verjährten
Borurtheilen die Wurzeln durchichneiden.“
An der Seite eines an Achtung und Anſehen ihm nicht
ungleichen Vertreters des jüdischen Volkes aus dem fiebzehnten
Sahrhundert erſchien ex als Vertheidiger feiner Glaubensgenofjen.
) Mendelsjohns Anmerkungen zu des Ritters Michaeliß Beurthei—
lung der Dohmſchen Schrift in Dohms Weber die bürgerliche Verbeſſe—
rung der Juden, IL, 72 ff.; Schr. III, 365—867.
— 375 —
Die „Rettung“, welche der berühmte Amfterdamer Rabbiner
Menafje Ben Sfrael!) in der Abficht verfaßt Hatte, um feine
Brüder von den Beichuldigungen und Auflagen frei zu fprechen,
welde von der englischen Geiftlichfeit gegen fie erhoben wurden,
al3 Cromwell das Geſuch Menafjes um die Wiederaufnahme
der Juden in England jehr Fräftig unterftüßte, ließ Mendelsfohn
durch feinen Freund, den Doctor Markus Herz, aus dem Eng-
liſchen ins Deutfche überfegen und begleitete fie mit einer aus—
führlichen Vorrede.
Sünfundjehzigftes Kapitel.
Vorrede zur „Rettung“
Mendelsfohn, welcher die allgütige Vorſehung preift, „daß
fie ihn am Ende feiner Tage noch diefen glüdlichen Zeitpunkt
hat erleben laſſen, in welchem die Rechte der Menjchheit in
ihrem wahren Umfange beherzigt zu werden anfingen“,?) beab-
fichtigte in den wenigen inhaltreichen Blättern, welche er der
„Rettung der Juden“ voranſchickte, den gehäffigen Recenfenten
der Dohmfchen Schrift Rede zu jtehen, dann aber auch Dohm
felbft feine Einwürfe zu machen.
Gegenüber den böswilligen Anflagen gegen feine Glaubens-
genofjen verließ ihn feine Sanftmuth und er raffte fich zu einer
energifchen Abwehr auf. Wie ein lange zurüdgehaltener Schmer-
zenzichrei tönen ung die Worte entgegen: „Merkwürdig ift eg,
zu fehen, wie das Borurtheil die Geſtalten aller Jahrhun—
derte annimmt, ung zu unterdrücden und unferer bürgerlichen
Aufnahme Schwierigkeiten entgegenzufegen. In jenen aber:
M. ſ. mein: Menaffe Ben Sfrael. Sein Leben und Wirken.
Zugleich ein Beitrag zur Gejhichte der Juden in England. Berlin 1861.
2) Schr. III, 179.
— 3716 —
gläubifchen Zeiten waren es Heiligthümer, die wir aus Muth:
willen ſchänden; Crucifixe, die wir Ddurchjtehen und bluten
machen; Kinder, die wir heimlich befchneiden und zur Augen
weide zerſetzen; Chriftenblut, das wir zur Dfterfeier brauchen;
Brunnen, die wir vergiften u. ſ. w.; Unglaube, Verſtocktheit, ge
heime Künfte und ZTeufeleien, die und vorgeworfen, um derent-
willen wir gemartert, unferes Vermögens beraubt, ins Elend
gejagt, two nicht gar hingerichtet worden find. Seht Haben die
Beiten fich geändert, die Berleumdungen machen den erwünschten
Eindrud nicht mehr. Jetzt ift e8 gerade Aberglaube und Dumm-
heit, die ung vorgerüdt werden, Mangel an moralifchem Ge
fühle, Geſchmack und feinen Sitten, Unfähigfeiten zu Künſten,
Wiſſenſchaften und nüßlichen Gewerben, hauptfächlich zu Dieniten
des Krieges und des Staates, unüberwindliche Neigung zu Be
trug, Wucher und Gefeglofigfeit, die an die Stelle jener gröbern
Beichuldigungen getreten find, uns von der Anzahl nüßlicher
Bürger auszuschließen und aus dem mütterlihem Schoße des
Staates zu verjtoßen. Vormals gab man fih um uns alle
erfinnlihe Mühe, und machte mancherlei Vorkehrungen, uns
nicht zu nüßglichen Bürgern, fondern zu Ehrijten zu machen, und
da wir fo Hartnädig und verjtocdt waren, uns nicht befehren zu
laffen, jo war dieſes Grundes genug, uns als eine unnüte Laft
der Erde zu betrachten und dem verivorfenen Scheufale alle
Greuel anzudichten, die ihm dem Hafje und der Verachtung
aller Menjchen bloßſtellen konnten. Jetzt hat der Befehrungs-
eifer nachgelaffen. Nun werden wir vollends vernachläſſigt.
Man fährt fort, ung von allen Künsten, Wiſſenſchaften und andern
nüglichen Gewerben und Befchäftigungen der Menfchen zu ent-
fernen; verfperrt uns alle Wege zur nüßlichen Verbefjerung, und
macht den Mangel an Culture zum Grunde unferer fernern
Unterdrüdung. Man bindet uns die Hände und macht uns
zum Borwurfe, daß wir fie nicht gebrauchen.“ ?)
') Schr. III, 182 f.
u A ee
Mit den Recenfenten, welche Befchuldigungen gegen die
Juden „wie aus der Luft“ griffen, war Mendelsjohn bald fertig;
er wußte, „daß alle Gegengründe fruchtlos bleiben, wenn man
ihnen nicht die erforderliche Aufmerffamfeit zuwenden mag, wenn
ſich Nebenabfichten der Ueberführung mwiderfegen, oder wenn das
Gemüth von Borurtheilen befangen if. Man fann einem ver-
jährten Vorurtheile alle Wurzeln durchichneiden, ohne ihm die
Nahrung gänzlich zu entziehen. ES faugt folche allenfalls aus
der Luft.“?)
Aber aud an Dohms Schrift hatte Mendelsfohn einiges
auszufegen. Wielleicht mit Rückſicht auf die Gefeggebung Frie-
drih des Großen, welche die VBerminderung der Juden be-
zweckte, hatte Dohm als königlich Preußifcher Archivar und
Kriegsratd auf dem erjten Blatte feiner Schrift zugegeben,
daß in einzelnen Fällen „eine Zunahme der Bevölferung
nicht nüßlich fein. dürfte”. „Dieſes ift eine Sprade, die
mir,“ fchreibt Mendelsfohn, „eine® Staat3mannes unwürdig zu
fein fcheint.“ Von feinem naturrechtlichen Standpunkte gereicht
jede Mafßregel, welche man ergreift, der Vermehrung Einhalt
zu thun, „der Cultur der Einwohner, der Beltimmung der
Menschen und ihrer Glücfeligfeit zu weit größerem Nachteile
als die zu bejorgende Ueberfüllung. So oft Menfchen in irgend
einer Verfaſſung Menfchen jchädlich werden, Tiegt es blos an
den Geſetzen oder an ihren Verweſern.“?)
Auch mit dem Vorſchlage Dohms, daß den Juden zur
Handhabung ihrer firchlichen Angelegenheiten das jüdische Recht
. und die jüdifche Jurisdietion und als Gewalts- und Zwangs—
mittel da3 Bann und Ausſchließungsrecht gelaffen werde, fonnte
ſich Mendelsfohn nicht einverjtanden erklären. Mit aller Kraft
der Wahrheit und der Weberzeugung erhob er feine Stimme
gegen eine folche Forderung. „Sch fcehweige von der Gefahr,
die mit dem Anvertrauen eines folchen Ausschliegungsrechtes
') Schr. III, 186.
2) Schr. III, 188 f.
— 3783 —
verfnüpft, von dem Mißbrauche, der bei einem folchen Bann-
rechte, fo mie bei jeder Kirchenzucht und Kirchenmacht unver-
meidlich ift. Ach! das menſchliche Gefchlecht wird fich noch in
Sahrhunderten nicht von den Geifelichlägen erholen, die ihm
diefe Ungeheuer beigebracht haben! ch ſehe Feine Möglichkeit,
den falfchen Religiongeifer in Zügel zu halten, fobald er diefen
Weg vor fich offen findet, denn am Sporne wird es ihm nie-
mals fehlen.“ ')
Der Bann mit allen feinen Schreden und Folgen erhob
ſich gefpenfterartig vor feinen Bliden. Er dachte an das Vor:
gehen der eifervollen Rabbiner gegen feine Pentateuch-Ueber-
ſetzung, an den Bann, welchen kurz vorher der Hamburg-Alto-
naer Oberrabbiner über Samuel Marcus ausgeſprochen hatte.
Mendelsfohn Fonnte fich die kleine Genugthuung nicht verjfagen,
an diefen Fall, „an die Mißbräuche, welche ſich ein berühmter
Rabbiner erlaubt haben fol“, zu erinnern. „Die Sade ijt, wie
verlautet, vor die Landesobrigfeit gebracht worden. Dieſe wird
unterfuchen und Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Sie mag in-
dejjen ausfallen, wie fie wolle, fo wünfchte ich, daß der wahre
Berlauf derfelben, wie er aus den Aecten erhellet, zur Be—
Ihämung des allzu raſchen Richters oder feines öffentlichen An-
Hägers befannt gemacht werde.“ ?)
In wahrhaft herzergreifenden Worten beſchwört er am
Schluſſe der „Vorrede“ die Rabbiner und Vorſteher auf diefes
Ihädliche Vorrecht des Bannes und der Ausfchließung Berzicht
zu thun. „Zu den exleuchtetften und frömmſten unter den
Rabbinern und Aelteſten meiner Nation habe ich das Zutrauen,
daß fie fich eines fo fchädlichen Vorrechtes gern entäußern, auf
alle Religions- und Synagogenzucht gerne Verzicht thun, und
ihre Mitbürger von ihrer Seite diefelbe Liebe und Duldung
genießen laſſen werden, nach welcher fie felbjt bisher jo ſehr
gejeufzt haben. Ach, meine Brüder! Ahr Habt das drückende
4) Schr. III, 19.
2) Schr. III, 201; vgl. oben ©. 300.
— 379 —
Jod der Intoleranz bisher allzu hart gefühlt, und vielleicht
eine Art von Genugthuung darin zu finden geglaubt, wenn
Euch die Macht eingeräumt würde, Euern Untergebenen ein gleich
hartes Zoch aufzudrüden. Die Rache fucht ihren Gegenjtand,
und wenn fie andern nicht® anhaben kann, fo nagt fie ihr
eigenes Fleifh. Vielleicht auch Tießet Ihr Euch durch das all-
. gemeine Beifpiel verführen. Alle Völker der Erde fchienen bis-
ber von dem Wahne bethört zu fein, daß fi) Religion nur
durch eiferne Macht erhalten, Lehren der Geligfeit nur durch
unfeliges Verfolgen ausbreiten, und wahre Begriffe von Gott,
der, nad) unfer aller Gejtändniß, die Liebe ijt, nur durch die
Wirkung des Hafjes mittheilen laſſen. Ihr ließet Euch viel-
leicht verleiten, ebendafjelbe zu glauben, und die Macht zu ver-
folgen war Euch das wichtigfte Vorrecht, das Eure Verfolger
Euch einräumen fonnten. Danket dem Gotte Eurer Bäter,
dankfet dem Gotte, der die Liebe und Barmherzigkeit felbft ift,
daß jener Wahn ſich nad) und nach zu verlieren fcheint. Die
Nationen dulden und ertragen fi) einander, und laſſen auch
gegen Euch Liebe und Berfchonung bliden, die unter dem Bei-
ſtande desjenigen, der die Herzen der Menfchen Ienft, bis zur
wahren Bruderliebe anwachſen kann. O meine Brüder, folget
dem Beifpiele der Liebe, fo wie Ihr bisher dem Beifpiele des
Haſſes gefolgt feid! Ahmet die Tugend der Nationen nad),
deren Untugend Ihr bisher nachahmen zu müſſen geglaubt.
Wollet Ihr gehegt, geduldet und von andern verfchont fein, fo
heget und duldet und verfchonet Euch untereinander! Liebet, jo
werdet Ihr geliebt werden !“t)
Diefe vom 19. März 1782 datirte Borrede zu der „Rettung
der Zuden“?) war von zündender Wirkung. Gegen Bann und
Kirchenrecht aufzutreten hatte bis dahin noch niemand gewagt.
Aufgeflärte chriftliche Theologen waren mit der Vorrede und
deren inhalt mol zufrieden; Teller, Spalding, Zollikofer,
1) Schr. III, 201 f.
2) Berlin, Nicolai, 1782; Schr. III, 179— 202.
— 380 —
Büſching u. a. empfahlen fie bei allen Gelegenheiten; einige
derfelben trugen fein Bedenken, feinen Gründen wider das alt
gemein angebetete Idol des Kirchenrechtes überhaupt beizutreten
und dem Refultate derjelben öffentlich Beifall zu geben. Moſes
Weſſely in Hamburg jtimmte in feinen „Anmerkungen zu Dohms
Schrift“ Mendelsjohn bei; auch er hebt die jchädlichen Folgen
der Autonomie hervor und vermweilt auf das Altonaer Factum.') .
Nur die Hamburger. waren fehr übel darauf zu fprechen. „Was
unfere Leute im Grunde dawider haben, weiß ich in Wahr-
heit nicht,“ fchreibt Mendelsfohn den 20. Juni 1782 an Hey
Homberg; „es müßte denn Beamtenſtolz — Barnaffim — fein,
wie Sie mit Recht bemerft Haben.” ?)
Angriffe in Beitfchriften und Broſchüren blieben natürlich
auch nicht aus. Ein Recenſent in den Göttinger Anzeigen
meinte: „Dies alles ift neu und Hart. Die erſten Grundſätze
werden weggeleugnet, und aller Streit hat ein Ende.“ Friedrich
Traugott Hartmann, ein verbiffener Judenfeind, fpielte den Auf:
geffärten und wandte fi) in feiner Schrift „Ob die bürgerliche
Freiheit den Juden zu gejtatten fei?“3) fowol gegen Dohms
Borichläge als gegen Mendelsjohns Vorrede. Den fchärfiten
Angriff erfuhr er von dem ungenannten Berfaffer der Schrift
„Das Forihen nad Licht und Recht, in einem Schreiben an
Herrn Mofes Mendelsſohn“.“) Dieſer „Forfcher‘ räumt ihm
ein, daß zwar alles was ex über Kirchenrecht und Bann vor-
gebracht habe, ganz vernunftmäßig fei, daß e8 aber den Grund
fägen des Judenthums ſchnurſtraks widerjpreche; ja, der „Zur
icher” geht fo weit, ihn anzureden: „Inwiefern Können Gie,
1) Moſes Mefjelys Anmerkungen erjchienen anonym (von L. C. 1)
Altona 1782, dann wieder abgedrudt in deſſen hinterlaffenen Schriften
©. 145—178.
2) Schr. V, 655; vgl. III, 302.
3) Berlin 1783.
4) Berlin 1782. Für den Verf. diefer Schrift wurde der Krieg——
rath Cranz gehalten.
— 381 —
mein theurer Herr Mendelsfohn, bei dem Glauben Ihrer Väter
beharren, und durch Wegräumung feiner Grundfteine das ganze
Gebäude erichüttern, wenn Sie das durch Mojen gegebene, auf
göttliche Offenbarung ſich berufende Kirchenrecht bejtreiten? ...
Sollte der jet von Ihnen gethane merkwürdige Schritt wol
wirklich ein Schritt von Erfüllung der ehemald an Sie er:
gangenen Lavaterfchen Wünfche fein?“
Ein folder Angriff „Drang ans Herz“. Wollte er Men—
delsſohn veranlafjen, feine Anfichten über das Judenthum aus—
zufprechen oder ihn zur Bekämpfung des Chriſtenthums reizen?!)
Genug, diefer Angriff des Unbekannten und des ſich nennen-
den Herrn-Mörſchel, der die Schrift des „Forſchers“ mit einer
Nachſchrift begleitet hatte, brachte ihn zu dem Entichluffe, das
was er in der „Vorrede“ nur in kurzen Umriffen gezeichnet hatte,
ausführlich zu behandeln und zu begründen, fein Syſtem über
die Rechte der Gewifjensfreiheit darzulegen und feine Theorie
vom Judenthum aufzuftellen. „In einer demnächit ericheinenden
Abhandlung,“ fchreibt er im März 1783 an den Probſt Schul-
ftein in PBrag,?) „vertheidige ich mich wider einen Angriff, der
auf meine Örundfäge gefchehen, in einer Schrift „das Forſchen
nah Licht und Wahrheit” betitelt, die dem Vorgeben nad) zu
Wien abgefaßt fein fol. Eine jo öffentliche Aufforderung durfte
nicht unbeantwortet bleiben, fo ungern ich mich auch in der-
gleichen Erörterungen einlaffe.“
„Jeruſalem, oder über religiöfe Macht und Judenthum“,
nannte Mendelsfohn das im Mai 1783 erfchienene bedeutungs-
volle Werf, in dem ex feine Grundſätze über Staat, Religion
und Judenthum darlegte.
1) Euchel, Biographie Mendelsfohns ©. 54.
2) Schr. V, 612. Das Schreiben ift vom März 1783 zu datiren.
— 382 —
Sechsundſechzigſtes Kapitel.
Staat und Kirde.
Kühn und unerfchroden trat Mendelsfohn mit einer For—
derung auf, welche in jener Zeit allgemeines Staunen und einen
fajt panifchen Schreden verbreitete: ex verlangte Emancipation
des Glaubens und des Gewiſſens, Glaubens- und Gewiſſens—
freiheit. Um eine befjere Stellung feiner Glaubensgenofjen an—
zubahnen und die Toleranz gegen Andersglaubende zum Geſetze
zu erheben, mußte Kirche und Religion jeder bürgerlichen Macht
entfleidet, die Trennung der Kirche vom Staate gefordert werden.
Wie Neimarus aus dem Gefichtspunfte des reinen Deismus
fi) gegen Offenbarungsglaube und Bibelreligion gerichtet Hatte,
fo richtete Mendelsfohn denfelben Gefichtspunft gegen die Kirche;
er zeigte den Widerfpruch zwifchen Religion und Kirche, wie
jener den zwifchen Vernunft und Dffenbarung.!) Staat und
Kirche — bürgerliche und geiftliche Verfaſſung — weltliches
und Firchliches Anfehen — diefe Stüßen des gejellichaftlichen
Lebens fo gegenüberzujtellen, daß fie fih die Wage halten,
daß fie nicht vielmehr Laſten des gejellichaftlichen Lebens wer—
den, und den Grund defjelben ſtärker drüden, als was fie tragen
helfen;?) dieſes Problem hat die Politif feit Zahrhunderten
beichäftigt, ohne eine Löfung gefunden zu haben. Man Hat
zwar dem Staate jowol wie der Kirche befondere Rechte und
Pflichten, Gewalt und Eigentum zugejtanden, aber die viel-
fahhen Klagen über die Eingriffe des einen auf das Gebiet des
andern, die Uebel, welche aus den Mißverhältniffen beider noch
immer entjtehen, zeigen, wie weit man bon einem wirklichen
Einverftändniß entfernt ift. Weder Hobbes, der, um den Streit
zu ſchlichten, in feiner abfolutiftifchen Rechtslehre alles Recht
') Kuno Fiſcher, a. a. O. II, 542.
2) Schr. III, 257.
— 383 —
auf Macht und alle Verbindlichkeit auf Furcht gründet, noch
Locke, welcher die Toleranz und Gewifjenzfreiheit allerdings ge-
wahrt mwiffen, aber nur die zeitliche Wohlfahrt der Menfchen
befördern will, kann fi) Mendelsfohn anſchließen; Tetterem
umſoweniger als, wie er Hinzufügt, irdifches und Himmlifches
Wohlergehen aus einer und derjelben Quelle fließt.
Um eine Entjcheidung diefer fchwierigen Frage herbeizu-
führen, unterfcheidet Mendelsjohn zwifchen Verhältniffen des
Menfchen zum Menſchen und Berhältniffen des Menfchen zu
Gott; jene gehören für den Staat, diefe find Angelegenheiten
der Religion. Inſofern nun beide, Staat und Religion, die
Beförderung der menschlichen Glückſeligkeit zur Abficht haben,
wirken beide auf Gefinnungen und Handlungen der Menfchen;
für beides hat die Gefellfchaft foviel als möglich durch gemein-
Ichaftlihe Bemühungen zu forgen: der Staat, der den Menfchen
al3 unjterblichen Sohn der Erde betrachtet, durch die Regierung,
die Religion, welche in ihm das Ebenbild feines Schöpfers
jieht, durch die Erziehung.
Wie Schiller fein politifches Glaubensbefenntniß in dem
Sate formulirt, daß „das Grundprincip, worauf alle Staaten
beruhen müfjen, einzig und allein das ift, daß Gehorfam und
Pflichterfüllung aus Einfiht und Liebe zu den Inſtitutionen,
und nicht aus fflavifcher Furcht‘ vor Strafe oder aus blinder
und fchlaffer Ergebung in den Willen eines Obern entfpringen“,
ähnlich verlangt Mendelsfohn, daß die Hauptbemühung eines
jeden Staates darauf gerichtet fei, die Menfchen durd die Er-
ziehung ſelbſt zu regieren, d. h. ihnen folche Sitten und Ge—
finnungen einzuflößen, welche von felbjt zu gemeinnüßigen Hand-
lungen führen und nicht immer durch den Sporn der Gefeße
angetrieben zu werden brauchen. Hierin muß die Religion dem
Staate zu Hülfe fommen und das Volk von der Wahrheit edler
Gefinnungen und Grundfäße überführen; fie hat zu zeigen, daß
') Schr. III, 264, 293.
— 334 —
„vie Pflichten gegen Menfchen auch Pflichten gegen Gott feien,
daß dem Staate dienen ein wahrer Gottesdienit, Recht und
Gerechtigkeit der Befehl Gottes und Wohlthun fein allerhöchjter
Wille jei.”?) So lange e8 aber unmöglich ift, durch Gefinnungen
zu regieren, muß der Staat durch Geſetzeszwang feine Zwecke
erreichen. „Wenn innere Glückſeligkeit der Geſellſchaft nicht
völlig zu erhalten jteht, jo werde wenigjtens äußere Ruhe und
Sicherheit allenfall3 erziwungen. Der Staat begnügt fich mit
todten Handlungen, mit Worten ohne Geift, mit Uebereinftim-
mung im Thun ohne Webereinjtimmung in Gedanken.“
Ganz anders verhält es fich mit der Religion. „Sie kennt
feine Handlung ohne Gefinnung, fein Werf ohne Geift, Feine
Uebereinjtimmung im Thun ohne Webereinftimmung im Sinne.
Religiöfe Handlungen ohne religiöfe Gedanken find leeres Buppen-
jpiel, fein Gottesdienſt. Diefe müffen an und für fich felbit
aus dem Geiſte fommen und fönnen weder durch Belohnung
erfauft, noch durch Strafe erzivungen werden; fie fließen ent-
weder aus freiem Antriebe der Seele oder jind ein leeres Spiel
und dem wahren Geijte der Religion zuwider.“ „Die Religion
weiß von feinem Zwange, wirft nur mit dem Stabe Gelinde,
wirft nur auf Herz und Geift. Sie treibt nicht mit eifernem
Stabe, jondern lenkt am Seile der Liebe. Sie züdt fein Rache—
ſchwert, fpendet Fein zeitliches Gut aus, maßt fih auf fein
irdiſches Gut ein Recht, auf fein Gemüth äufßerliche Gewalt an.
Shre Waffen find Gründe und Ueberführung, ihre Macht die
göttliche Kraft der Wahrheit, die Strafen, die fie androhet, find,
wie die Belohnungen, Wirkungen der Liebe.“ Das find die
wejentlichen Unterfchiede zwilchen Staat und Religion. ‚Der
Staat gebietet und zwingt, die Religion belehrt und überredet;
der Staat ertheilt Gejege, die Religion Gebote. Zwangsrecht
hat nur der Staat; die Religion fann nur auf die Ueberzeugung
!) Schr. III, 267.
— 355 —
einwirken, nur belehren und tröften; ihre Macht ijt Liebe und
Wohlthun.“?)
Die Richtigkeit diefer Behauptung jucht Mendelsſohn aus
jeinem Naturrecht herzuleiten, zu dem er die Grundzüge jchon
einige Jahre früher entworfen Hatte.?) Entjchiedener Gegner
der Anficht, daß Pflichten und Rechte erſt durch den Gejell-
Ichaftsvertrag entjtehen, ſchreibt er dieſem die Macht zu, un
vollfommene oder Gewiſſenspflichten und Rechte in vollfommene
oder Zwangsrechte und Pflichten zu verwandeln. Rechte gelten
nur da, wo auf der andern Seite Leiftungen find, die man im
Nothfalle auch erzwingen kann. Was fi) aber fchlechterdings
nicht erzwingen läßt, darauf giebt es auch nimmermehr ein
ernftliches Recht. Nun bejteht die Religion weſentlich in der
moralifchen ©efinnung. ©efinnungen und Gedanken laſſen fich
niemal3 erzwingen, leiden ihrer Natur nach feinen Zwang, feine
Beitehung, und die Religion leiſtet nichts, was belohnt oder
bejtraft werden kann. So erklärt Mendelsfohn, ähnlich wie
Spinoza in feinem theologifch-politifchen Tractat, daß die Reli-
gion ihrer Natur nach niemals durch eine Nechtsanftalt könne
ausgedrüdt werden und fommt zu dem entjcheidenden Sabe, daß
die Kirche als moralifche Perfon fein Recht auf Gut und Eigen-
thum in Anfpruch nehme, daß es überhaupt Fein Kirchenrecht
gebe, daß jedes Kirchenrecht dem Weſen und der Natur der
Religion widerfpreche.
Gefinnungen, Meinungen und Ueberzeugungen können nicht
Dbject eines gejellichaftlichen Vertrages fein. „Grundſätze find
frei. Weder Kirche noch Staat find berechtigt, mit Grundſätzen
und Gefinnungen Borzüge, Rechte und Anfprüche auf Perſonen
und Dinge zu verbinden.“ Demzufolge dürfen auch Lehrer und
Priefter nicht auf gewiſſe Glaubenslehren verpflichtet werden.
) Schr. ILL, 265, 268, 296.
2) Bon volllommenen und unvollfommenen Rechten und Pflichten,
Schr. IV, 1, 128, weiter ausgeführt Schr. III, 1% f., 269 ff.; ſ. aud)
IV, 1, 135 ff.
Kayſerling, Mojes Menpdelsjohn. 25
— 386 —
„Alles Beichwören und Abjchwören in Abfiht auf Grundſätze
und Lehrmeinungen find unzuläffig, und wenn fie geleiftet werden,
jo verbinden fie zu nicht® als zur Neue über den fträflich be-
gangenen Leichtſinn.“ Er erinnert an die Profefjoren und Geift-
lichen, an die Bilchöfe und wahrhaft großen Männer, welche in
England Amt und Würden befleiden und den Eid auf die 39
Artikel der anglikaniſchen Hochkirche leiften, und wies auf Die
Gewiſſenspein hin, in welche diefelbe gerathen, wenn ihre Ueber-
zeugung eine andere wird. ')
Welchen Einfluß räumt nun Mendelsfohn dem Staate den
verjchiedenen Religionen und Secten gegenüber ein? Weder
darf er ſich in religiöfe Streitigkeiten, al3 in ein ihm fern-
jtehendes Gebiet, unmittelbar einmifchen, noch die vorhandenen
Lehrmeinungen durch feine Autorität befonders begünftigen. Er
hat nur darüber zu wachen, daß feine Lehren ausgebreitet wer—
den, welche, wie Atheismus und Epifureismus, in ihren Prin-
cipien die ethifchen und focialen Grundlagen untergraben, denn
derjenige, welcher Gott, Vorfehung und Fünftiges Leben Teugnet,
fann auch die Zwecke des Staates nicht verwirklichen. „Ohne
Gott und Borfehung und Fünftiges Leben ift Menfchenliebe eine
angeborene Schwacdhheit, und Wohlwollen wenig mehr als eine
Geckerei, die wir uns einander einzuſchwatzen fuchen, damit der
Thor fich plade und der Kluge ſich gütlich thun und auf jenes
Unfoften fich luſtig machen könne.“?)
Diefe Grundfäge über den Charakter des Staates und der
Religion, die Objecte ihrer Thätigfeit, die Macht, die dem einen
und dem andern zufteht, waren dem Publikum nicht unbefannt;
Mendelsfohn hatte fie in der „Vorrede“ zur „Rettung der Juden“
bereits in furzen Umriffen dargeftellt und in dem erjten Ab—
fchnitt des „Serufalem“ nur weiter ausgeführt. „Neue und Harte
Meinungen“ blieben es immerhin. „Aller kirchlicher Zwang ift
) Schr. III, 288, 294 ff.
2) Schr. III, 387.
— 3397 —
widerrechtlih, alle äußere Macht in Religionsjachen gewaltfame
Anmaßung“! Wer hat es damals noch gewagt, derartiges öffent-
lich zu befennen? Mendelsfohn war, in Deutichland wenigjtens,
der Erite, welcher für Glaubens- und Gewifjenzfreiheit, für die
Trennung der Kirche vom Staate feine Stimme erhob; mit dem
blanfen Schwerte der philofophiichen Kritif zerfchnitt er das
unfinnige Band, das Jahrhunderte lang To viel Unglüd über
die Völfer gebracht hat, das einzig und allein in den Bereinig-
ten Staaten Nordamerifas und jet in dem republifanifchen
Franfreich zerrifien, das ſonſt in der Gegenwart noch überall
mit aller Zähigfeit gewaltfam zufammengehalten wird.
Was wunder daß Mendelsfohn mit feinen Principien den
febhaftejten Wideripruh fand. Die Juden nahmen anfangs
wenig Notiz von feiner Schrift und fümmerten ji) nicht um
feine Bejtrebungen und Forderungen, jo jehr fie auch in ihrem
Intereſſe waren; deſto ärger trieben es viele chriftliche Theo—
logen. Am fchärfiten griff ihn der anonyme Verfaſſer der uns
mittelbar an ihn gerichteten Schrift „Das Forſchen nach Licht
und Recht“ an; diefer behauptete, daß das Judenthum das ge-
vade Gegentheil von dem Lehre, was Mendelsfohn im Namen
der gefunden Bernunft verfündige, daß das moſaiſche Geſetz
Zwang und pofitive Strafen an Nichtbeobachtung gottesdienft-
licher Pflichten binde, ja, daß „das bewaffnete Kirchenrecht einer
der vorzüglichiten Grundſteine der mofaifchen Religion ſei“.
„Sollte der jegt von Ahnen gethane merkwürdige Schritt wol
wirklich ein Schritt von Erfüllung der ehemals an Sie er-
gangenen Lavaterfchen Wünfche fein? In wie fern können Sie,
mein theurer Herr Mendelsfohn,“ redet ihn, wie bereits erwähnt,
der anonyme „Forfcher” an, „bei dem Glauben Ihrer Väter be—
harren und durch Wegräumung feiner Grundfteine das ganze
Gebäude erjchüttern, wenn Sie das durch Mofen gegebene, auf
göttliche Offenbarung fi) berufende Kirchenrecht bejtreiten ?“
Das war eine neue Herausforderung. Mendelsſohn, der
Schon in dem Lavaterfchen Streite feine Abneigung gegen Reli—
25*
— 388 —
giongftreitigfeiten zu erkennen gab, ließ fih auch von Herrn
Mörjchel zu einer Polemik gegen das Chriſtenthum nicht reizen,
aber ganz fchweigen wollte er auch nicht. „Wenn ich bedenke,“
Ichrieb er nach) dem Streite mit Zavater an feinen Vetter Elkan
Herz, „was man zur Anerkennung der Heiligkeit unferer Reli-
gion zu thun jchuldig ift, To begreife ich) gar nicht, wie fo
manche unferer Glaubensgenofjen immer fchreien, ich folle um
Himmels willen nicht mehr davon fchreiben. Auch habe ich eg,
Gott weiß es, nicht gern gethan, daß ich mic) vom Disput los—
gemacht habe; mein eigener Wille trat gegen den Willen anderer
zurüd. Wäre es mir nachgegangen, fo hätte ich eine ganz an-
dere Antivort geben wollen. Wollte Gott, ich befäme nur wie-
der eine ſolche Gelegenheit.“ ?)
Stebenundjechzigites Kapitel.
Sudenthum.
Mendelsfohn war auch jet fejt entichloffen, die chriftliche
Religion, von der jo viele feiner Nebenmenſchen Zufriedenheit
in dieſem Leben und unbegrenztes Glück nach demjelben er-
warten, nicht öffentlich zu bejtreiten. Dem anonymen „Forscher“,
der fich mit dem neuen Befehrungsverfuh an ihn heranwagte,
antiwortete er mit feinem berühmt gewordenen Gleichniffe: „Wenn
es wahr it, daß die Edfjteine meines Haufes austreten, und
das Gebäude einzuftürzen droht, ift es mwohlgethan, wenn ic)
meine Habjeligfeit aus dem unterjten Stocdwerfe in das oberite
vette? Bin ich da ficherer? Nun ift das Chriſtenthum, wie Sie
willen, auf dem Judenthume gebaut, und muß nothwendig, wenn
1) 1. Aufl. ©. 493.
— 389 —
diejes fällt, mit ihm über einen Haufen jtürzen.“ „Beim An—
Icheine eines Widerjpruches zwiſchen Wahrheit und Wahrheit,
zwifchen Schrift und Vernunft, muß der Ehrijt nicht den Juden
zum Kampfe auffordern, jondern mit ihm gemeinschaftlich den
Ungrund des Widerfpruches zu entdeden juchen. Es geht ihrer
beiden Sachen an.“!) Um Mißdeutungen vorzubeugen, ver-
ficherte ex, daß die Juden zur Bekämpfung des Chriſtenthums
feine geheimen Nachrichten, unbefannt gewordenen Actenſtücke
‚bejien, Feine anderen Nachrichten und Aetenjtüde als die all
gemein befannt find, daß er alfo ſeinerſeits „nichts neues wider
den Glauben der Ehriften vorzubringen habe, was nicht fchon
unzählige male von Juden und Naturalijten gefagt und wieder-
holt worden fei. Es fei, meint er, „genug in der Sache re-
plicirt und duplieirt worden” — eine feine Anfpielung auf die
Streitfchriften zwifchen Leſſing und Goeze — es ſei einmal
Zeit, die Acten zu jchliegen. „Allzu vieles Gerede von einer
Sade klärt in derjelben nichts auf, und verdunfelt vielmehr
noch den fchwachen Schein der Wahrheit.)
Statt fih in eine Polemik einzulaffen, ſtatt zu zeigen,
weshalb er jich nicht zum Chriſtenthum befennen fünne, mies
er, eingedenk des Wunfches feines theuren Leſſing, lieber erſt
nach, welche Gründe ihn von jeher beſtimmten, Jude zu bleiben;
darum ſetzte er zunächſt feine über Religion und
Judenthum auseinander.
Was Mendelsſohn von Leſſing behauptet: „Seine Anhäng-
lichkeit an der natürlichen Religion ging fo weit, daß er aus
Eifer für diejelbe feine geoffenbarte neben ihr leiden wollte“, 3)
das gilt in gewiffem Sinne von ihm felbit. Sein hauptſäch—
liches Bejtreben war darauf gerichtet, die Grundwahrheiten der
natürlichen Religion zu befeftigen und allgemein zu machen: er
hatte vor allem den Menjchen als folchen und dann erſt den
1) Schr. III, 309.
2) Schr. III, 310 f., 108.
3) Schr. II, 362.
— 390 —
Suden im Auge und ericheint jo als der Aufflärungsphilofoph,
al3 der wahre Apojtel feines Jahrhunderts.
Auf die Lehren der Vermunftreligion, welche als das Er-
zeugniß der allen Menjchen gemeinfamen Natur, nicht einzelnen
Völkern, Secten, Geſellſchaften zufommt, jondern allen Menfchen,
Chrijten, Juden und Mohammedanern, als Wegweiferin durchs
Leben dient, muß, nach Mendelsſohns Anficht, vorzüglich Rück
jiht genommen, fie müſſen unangefochten, heilig und aufrecht er-
halten werden, denn ohne fie Fann. fein Vertrag gefchlofien,
Treue und Redlichkeit nicht bewahrt werden, bejteht fein Band
der Gefelligfeit. Der Glaube an die Gottheit, Nothivendigfeit
der Tugend, an eine belohnende oder durch Strafe befjernde
Zukunft find ihm als Anhänger der Leibnizfchen Philoſophie
die religiöfen Grundwahrheiten, deren Nothiwendigfeit Die Ver—
nunft eben jo jehr verlangt, wie das dem Menfchen innewohnende
Gefühl.!) Bon den Wahrheiten der Vernunftreligion ich zu
überzeugen, hat der Menjch auf jeder Stufe der Aufklärung in
jeder Lage des Lebens Vermögen, Gelegenheit und Kräfte
genug. ?)
In Abjiht auf Lehre und Meinung kannte Mendelsſohn
feine andere Ueberzeugung al3 die durch Vernunftgründe. Offen
erklärte er: „Sch erfenne feine andern ewigen Wahrheiten als
die der menschlichen Vernunft nicht nur begreiflich, fondern durch °
menschliche Kraft dargethan und bewährt werden können.“ Wie
fonnte er nun diefen rein deiftiichen Grundfag mit dem Juden—
thume vereinen? Diefe Vernunftmäßigfeit der höchſten Lehren
bildet, wie er jelbit fagt, einen wefentlichen Punkt der jüdifchen
Religion und einen charakteriftiichen Unterfchied zwiſchen ihr und
dem Chriſtenthume. „Unfere Vernunft kann ganz gemächlich von
den erſten fichern Grundbegriffen der menschlichen Erkenntniß
ausgehen und verfichert fein, die Religion auf dem Wege an—
zutreffen. Im Judenthume iſt Fein Kampf zwifchen Religion
1) Hennings, Erinnerungen an Dresden (Hdicr.).
2) Schr. III, 15.
— 391 —
und Bernunft, fein Aufruhr der natürlichen Erkenntniß wider
die unterdrüdende Gewalt des Glaubens.‘ !)
Das Judenthum it. nach Meendelsfohn feine Religion, feine
geoffenbarte Religion im gewöhnlichen Sinne „Das AYuden-
tum weiß von feiner geoffenbarten Religion, in dem Verſtande,
in welchem diejes von den Chriſten genommen wird; es hat
göttliche Geſetze, Gebote, Befehle, Lebensregeln, Unterricht vom
Willen Gottes, aber feine Lehrmeinungen, feine Heilswahrheiten,
feine allgemeinen Vernunftſätze. Diefe offenbart der Ewige den
Sraeliten wie allen übrigen Menfchen allezeit durch Natur und
Sade, nie durch Wort und Schriftzeichen.‘
Mit Leibniz unterfcheidet Mendelsfohn zwiſchen „ewigen
Wahrheiten” und „zeitlichen“ oder „Geſchichtswahrheiten“. Die
exjteren, welche der Zeit nicht untertvorfen find und in Ewig—
feit diejelben bleiben, find nothiwendig, an und für fich ſelbſt
underänderlich oder zufällig, fließen aber aus einer gemeinfchaft-
lihen Quelle, aus dem Verſtande oder aus dem Willen Gottes.
Diefe ewigen Wahrheiten, welche ji), wie alle mathematischen
und logiſchen Beweiſe, auf Vernunft gründen: die Begriffe
von Gott, feiner Regierung und Borjehung, ohne welche die
Menſchen ihre Beitimmung nicht erreichen fünnen, „durften nicht
durch unmittelbare Offenbarung eingegeben, nicht durch Wort
und Schrift, die nur jeßt, nur hier und da, diefem oder jenem
verjtändlich find, bekannt gemacht werden. Das allerhödjite
Weſen hat fie allen vernünftigen Geſchöpfen durch Sache "und
Begriff geoffenbart, mit einer Schrift in die Seele gefchrieben,
die zu allen Zeiten und an allen Orten leſerlich und verjtänd-
lich iſt . . . Ihre Wirkung ift jo allgemein, wie der wohlthätige
‚Einfluß der Sonne, die, indem fie ihren Kreislauf durdheilt,
Licht und Wärme über den ganzen Erdball verbreitet.‘ ?)
Die Gefhichtswahrheiten Hingegen, Dinge, die fich zu einer
Zeit zugetragen und vielleicht niemals wiederfommen, die uns
1) Schr. II, 311, 164.
2) Schr. III, 312 ff., 348.
— 392 —
erzählt werden, die wir aber felbjt nie wahrnehmen können,
werden durch) Beobachtung erkannt, und da fie nur don den—
jenigen vermittelt der Sinne wahrgenommen werden Fonnten,
die zu der Zeit und an dem Orte zugegen gewejen, können jie,
ihrer Natur nach, nicht anders als auf Glauben angenommen
werden; „Autorität allein giebt ihnen die erforderliche Evidenz.)
„Blos in Abficht auf Gefchichtstwahrheiten dünft mich,“ bemerft
Mendelsjohn, „ei es der allerhöchiten Weisheit anjtändig, Die
Menſchen auf menschliche Weiſe, d. i. durch Wort und Schrift
zu unterrichten, und wo es zur Bewährung des Anfehens und
der Glaubwürdigkeit erforderlich war, außerordentlihe Dinge
und Wunder in der Natur gefchehen zu Tafjen.‘?)
Wie Schon Saadia, einer der ältejten jüdiſchen NReligions-
philofophen, und nad) ihm die meisten anderen, behauptet auch
Mendelsjohn, daß die ewigen Wahrheiten, welche zur menſch—
lichen Glückſeligkeit unentbehrlich find, nicht auf eine übernatür-
liche Weife geoffenbart wurden. „Wenn das menschliche Ge—
Ichleht ohne Offenbarung verderbt und elend fein müßte, warum
hat denn der bei weiten größere Theil defjelben ohne wahre
Dffenbarung gelebt? Warum müfjen beide Indien warten, bis
e3 den Europäern gefällt, ihnen einige Tröjter zu fenden, die
ihnen Botfchaften bringen, ohne welche fie, diefer Meinung nad),
weder tugendhaft noch glücjelig eben fönnen?“?) Nach den
Begriffen des wahren Judenthums find alle Menfchen zur Glück—
feligfeit berufen und die Mittel derjelben fo ausgebreitet als
die Menjchheit felbit.
Die Nothwendigkeit der Offenbarung ewiger Wahrheiten
wird vom Mendelsjohn jomit bejtritten; ev weiß von feiner ge-
offenbarten Religion in dem Sinne, in welchem man dieſes
Wort zu nehmen gewohnt ift. Ein anderes iſt geoffenbarte
Religion, ein anderes geoffenbarte Geſetzgebung, wie fie am
') Schr. III, 313 ff., 349.
2) Schr. III, 315.
») Schr. 316, 143.
— AAR e
or THE
——
— 393 — ca:
Sinai ſtattfand, wo nicht allgemeine Menſchenreligion, ſondern
eine Geſchichtswahrheit, auf die ſich die Geſetzgebung grün—
dete, und Geſetze verkündet wurden, nach welchen das Volk
Iſrael leben ſollte. Die Geſetzgebung am Sinai betraf Ge—
ſchichtswahrheiten, „die ihrer Natur nach auf hiſtoriſcher Evidenz
beruhen, durch Autorität bewährt werden müſſen und durch
Wunder bekräftigt werden können‘. t)
Leugnete nun Mendelsjohn auch nicht, daß das göttliche Buch,
das die Kfraeliten durch Moſes empfangen ‚haben, wiewol Geſetz—
buch, auch „einen unergründlichen Schat von Vernunftwahrheiten
und Religionslehren miteinfchließt, die mit den Geſetzen fo innig
verbunden find, daß fie nur Eins ausmachen“, fo ſprach er doch
dem Judenthume von feinem deiftiichen Standpunfte den dog-
matifchen Inhalt ab und popularifirte fomit die Anficht, welche
Spinoza in feinem „Zractate‘ dunkel angedeutet hatte. Iſt das
Judenthum feine geoffenbarte Religion, fo kennt e3 folgerichtig
auch feinen „Glauben“. „Unter allen Vorfchriften und Berord-
nungen des mofaifchen Geſetzes lautet fein einziges: ‚Du follit
glauben! oder nicht glauben‘, jondern alle heißen: ‚Du follit
thun, oder nicht thun‘! Dem Glauben wird nicht befohlen; er
nimmt feine andern Befehle an, als die den Weg der —
zeugung zu ihm kommen.“?)
Wie keinen Glauben kennt er im Judenthume auch keine
Glaubensartikel, keine eigentlichen Symbole des Glaubens. Wohl
hat Maimonides die Grundbegriffe des Judenthums in ſoge—
nannte Glaubensartikel zuſammengefaßt, „zu Glaubensfeſſeln“,
ſagt Mendelsſohn, „ſind ſie gottlob! noch nicht geſchmiedet wor—
den.“s) „Das jetzige Judenthum Hat,“ ſchreibt er an feinen
Freund und Landsmann Wolf in Deſſau, welcher wegen feiner
1782 herausgegebenen „Srundfäße der jüdischen Religion“ von
feinen Glaubensgenoſſen heftig angegriffen worden war, „eben
) Er. III, 319 f.
2) Schr. III, 321.
3) Schr. III, 322.
— 394 —
jo wie das vormalige, Feine eigentlichen Symbole des Glaubens.
Es find uns jehr wenig Grundfäge und Lehrmeinungen vorge-
ſchrieben. Maimuni zählt derjelben dreizehn, Albo nur drei,
und niemand wird den Albo deswegen verfegern. Und find
Geſetze, Gebräuche, Lebensregeln, Handlungen vorgefchrieben.
In Anfehung der Lehrmeinungen find wir frei. Wo die Mei-
nungen der Rabbiner getheilt find, kann jeder Jude, der unge-
lehrte jowol al3 der gelehrte, diefem oder jenem beiftimmen. . . .
Der Geift des Judentums iſt Konformität in Handlungen und
Freiheit in Abjicht auf Lehrmeinungen: wenige Fundamental-
lehren ausgenommen, über welche alle unfere Lehrer ſich ver-
einigt haben, und ohne welche die jüdische Religion jchlechter-
dings nicht jtatthaben Fann.“!) Merkwürdigerweile verpflanzte
Mendelsfohn fich felbjt auf den Boden diefer dreizehn Glaubens-
artikel, welche er als Anhang zu einem „Lejebuch für jüdifche
Kinder“,2) mehrere Jahre vor dem Erſcheinen des „Jeruſalem“,
frei ind Deutſche überfegt hat. Da, nad) feiner Anficht, das
Judenthum feinen „Glauben“ fennt, jo übertrug er nicht „ich
glaube“, Sondern „ich erkenne für wahr und gewiß“, und nahm
die geichichtlihen Wahrheiten jo an, wie fie eben überliefert
worden. 3)
Nach diefer Darlegung feiner Auffaſſung des geijtigen In—
halts des Judenthums geht Mendelsfohn auf die Formen über,
oder vielmehr auf die geoffenbarten Geſetze, das Ceremonial-
geſetz.
') Schr. V. 602 f.
2) Berlin 1779; die 13 Glaubensartifel j. 1. Aufl. ©. 565 ff.
3) M. ſ. 2. Philippſon, die Stellung Mojes Mendelsjohns in und
zum Judenthum in Allg. Zeitg. des Judenthums, 1886, ©. 177 ff.
— 39 —
Achtundjechzigites Kapitel.
Geremonialgejet;.
Die Geſetze und Vorſchriften, welche das eigentliche Weſen
der Offenbarung bilden, belegte Mendelsjohn, wie das von
Simeon Duran und dem jüdischen Religionsphilofophen Joſeph
Albo lange vor ihm gefchehen, mit dem Namen Geremonialgefeb.
Um die reinen von aller Abgötterei entfernten Begriffe der
natürlichen Religion bei dem jüdischen Volke durch fortdauernde
Zeichen zu erhalten, gab Gott den aus egyptiſcher Sklaverei Ge—
führten das Ceremonialgefeg, um fie „zu Handlungen zu treiben
und zum Nachdenfen zu veranlaffen“, gleichſam als ein Band,
welches Handlungen mit Betrachtungen, Lehre mit Leben jtets
verbinden follte.!) Das Ceremonialgeſetz ift, wie Mendelsjohn
fic) ausdrückt, „eine lebendige, Geift und Herz erquidende Art
von Schrift, welche bedeutungspoll iſt, gediegenen tiefen Sinn
hat, und mit der fpeculativen Erfenntniß der Religion und der
Sittenlehre in genauejter Verbindung jteht.?) Weil es zwifchen
Schule und Lehrer, zwifchen Foricher und Unterweiler, perjön-
lichen Umgang, gefellige Verbindung veranlaffen und zum mind-
fihen Unterricht führen follte, deshalb waren der gefchriebenen
Geſetze anfangs nur wenige; das ungefchriebene Geſetz, die
mündliche Weberlieferung jollte erflären, erweitern, näher be-
ſtimmen, was in dem gefchriebenen Gefege abfichtlich unbeſtimmt
geblieben war. In allen öffentlichen und Privatverhandlungen,
an allen Thoren und Thürpfoften, wohin der Menſch Auge und
Ohr wandte, follte er Gelegenheit zum Forfchen und Nach—
denfen über den Geift der Gefege finden. Leben und Lehre,
Weisheit und Thätigfeit, Speculation und Umgang follten auf
das innigjte verfnüpft und ungertrennlich fein, jtet3 Hand in
Hand gehen. ?)
') Schr. III, 167.
2) Schr. III, 324.
3) Schr. III, 340, 350.
— 396 —
In der urfprünglichen Verfaffung der mofaischen Religion,
die weder Hierofratie noch Firchliche Regierung, weder Theofratie
noch Prieſterſtaat, fondern, einzig in ihrer Art, moſaiſche Berfaffung
war und verichwunden ift, war Staat und Religion, wie Men-
delsjohn erklärt, nicht vereinigt, fonders Eins, nicht verbunden,
fondern Ebendafjelbe. Das Verhältnig der Menjchen gegen die
GSejellichaft und das der Menfchen gegen Gott trafen auf einen
Punkt zufammen und konnten nie in Gegenftoß gerathen; jeder
Bürgerdienft war auch zugleich ein wahrer Gottesdienjt und
jedes Berbrechen wider das Anfehen Gottes, als des Geſetz—
gebers der Nation, auch ein Staatsverbrechen. Wer Gott läſterte,
war ein Majejtätsichänder, wer den Sabbat freventlicd) enthei-
figte, hob ein Grundgeſetz der bürgerlichen Gefellihaft auf, denn
auf der Einjegung des Sabbat3 beruhete ein wejentlicher Theil
der Berfafjung. Alle diefe Verbrechen fonnten, ja mußten be-
Itraft werden, nicht aber als irrige Meinung, als Unglaube,
ſondern als Unthaten, als Staatsverbrechen. Kirchenrecht und
Kirchenmacht gab es nach der Verfafjung des JudenthHums nicht,
Unglaube und Irrglaube Eonnten nad) ihr nicht mit zeitlichen
Strafen belegt werden. „Die Religion als Religion fennt feine
Strafen, feine andere Buße, als die der reuevolle Sünder fich
freiwillig auferlegt.‘ ')
Da die Geremonialgejege nur für das jüdische Volf ge
gegeben worden jind, jo wurde die Befolgung derjelben auch
nur von denjenigen gefordert, welche in den mofaischen Geſetzen
geboren find. Alle übrigen Völker follen fic) an das Geſetz der
Natur Halten und Tugend üben, um glüdjelig zu werden, dem
jüdifchen Wolfe aber ijt es nicht erlaubt, feine Seligkeit auf
einem andern al3 dem von Gott ihm vorgefchriebenen Wege zu
juchen. „Nunmehr muß dieſes Volk alle Schmad), Unterdrüdung,
Beripottung und Berfolgung, die e8 auf diefem Wege antrifft,
mit Geduld und Ergebenheit in den göttlichen Willen ertragen,
') Schr. III, 350 ff.; vgl. Spinoza, Tract. theol.-polit. Cap. 13 ff.
— 397° —
ohne einen Schritt breit davon zu weichen. Alle andern Völker
fünnen ihre Gefege nach Zeit, Umftänden, Bedürfnifjen und An-
nehmlichfeiten abändern; mir aber hat der Schöpfer ſelbſt Ge—
jege vorgejchriebeu; jollte ich, ſchwaches Geſchöpf, mic) erdreiften,
nad) meinem Dünkel diefe göttlichen Geſetze abzuändern?“!)
„Bir wiſſen aber zum Theil ihren Nugen nicht mehr?
Ganz vet. Wo hat aber der Gefeggeber erklärt, daß fie nicht
länger verbindlich fein ſollen, als uns ihr Nutzen befannt fein
wird? Und ohne diefe Erklärung, welcher Sterbliche iſt ver-
wegen genug, ihrer Gültigkeit Grenzen zu jegen? Menfchliche
Geſetze fünnen von Menfchen nach Zeit und Umſtänden abge-
ändert werden, aber die göttlichen bleiben unverändert, bis eine
völlige Ueberzeugung da it, daß Gott ihre Abänderung befannt
gemacht habe.“ 2)
Die eremonialgefege follten für alle Zeiten um alle im
Judenthume Geborenen ein unauflösbares Band der Vereinigung
bilden. Ihre Nothwendigfeit als einigende® Band hört nicht
auf, wenn auch ihre urfprüngliche Bedeutung als Schriftart oder
Beichenfprache ihren Nußen verloren hätte, und dieſe Bereinigung
jelbjt wird in dem Plane der Borfehung nad) Mendelsjohns
Anficht fo lange erhalten werden müffen, fo lange noch Poly:
theismus, Anthropomorphismus und religiöfe Ufurpation den
Erdball beherrfhen. „So lange diefe Plagegeifter der Vernunft
vereinigt find, müſſen aud die echten Theiften eine Art von
Verbindung unter fich itattfinden laffen, wenn jene nicht alles
unter den Fuß bringen follen. Und worin ſoll diefe Verbin—
dung beitehen? In Grundfägen und Meinungen? Da haben wir
Glaubensartifel, Symbole, Formeln, die Vernunft in Feſſeln.
Alſo Handlungen und zwar bedeutende Handlungen, d. i. Cere—
monten.‘3)
1) Schr. III, 145, 156.
2) Schr. III, 166.
») Schr. V, 669.
u BE
„Was das göttliche Geſetz gebietet, kann die nicht minder
göttliche Vernunft nicht aufheben,“?) Tautet der Bejcheid, welchen
Mendelsfohn allen giebt, die mit ihren Vernünfteleien die Juden
vom Geſetze losmachen und das ganze Convolut bei Geite
fchieben wollten. „In der That fehe ich nicht, wie diejenigen,
die in dem Haufe Jacobs geboren find, ſich auf irgend eine ge-
wifienhafte Weife vom Geſetze entledigen föünnen. Es ijt uns
erlaubt, iiber das Geſetz nachzudenken, feinen Geift zu erforjchen,
hiev und da, wo der Geſetzgeber feinen Grund angegeben, einen
Grund zu vermuthen, der vielleicht an Zeit und Ort und
Umftände gebunden gewefen, vielleicht mit Zeit und Ort und
Umftänden verändert werden fann — wenn es dem allerhöchiten
Geſetzgeber gefallen wird, uns feinen Willen darüber zu erkennen
geben; jo laut, fo öffentlich), fo über alle Zweifel und Bedenk—
fichfeiten hinweg zu exfennen zu geben, als er das Geſetz ſelbſt
gegeben hat. So Lange dieſes nicht gefchieht, jo lange wir
feine jo authentifche Befreiung vom Geſetze aufzuweifen Haben,
fann ung unfere Vernünftelei nicht von dem ftrengen Gehorfam
befreien, den wir dem Geſetze fchuldig find, und die Ehrfurcht
vor Gott zieht eine Grenze zwifchen Speculation und Ausübung,
die fein Gewifjenhafter überjchreiten darf.“ „Darf ich,“ ruft ex
aus, „in menfchlichen Dingen mich nicht exdreiften, aus eigener
Bermuthung und Gefegdeutelei, ohne Autorität des Geſetzgebers
dem Geſetze zumwiderzuhandeln, um wieviel weniger in göttlichen
Dingen? Hier heißt e3 offenbar: Was Gott gebunden, kann
der Menſch nicht Löfen.‘?)
Bon Leibniz und den englifchen Deiften ausgehend und
in Uebereinjtimmung mit dem Fragmentiften, daß die moſaiſchen
Geſetze nicht gegeben find, eine Religion zu offenbaren, ftellte
Mendelsfohn für das Judenthum ein Syftem auf, in welchem
er feine philofophifche Denkart, den reinen Deismus, mit dem
1) Schr. III, 235.
2) Schr. III, 356, 166.
— 399 —
unbedingten Feithalten an die geoffenbarten Gefege zu vereinen
ſuchte: Bernunftreligion auf der einen, göttliche Offenbarung
und zwar Offenbarung der Gefete auf der andern Seite, oder
wie er ſich während feines Streites mit Lavater in dem Briefe
vom 13. März 1770 an den Myſtiker Obereit ausdrücdt:t)
„Gott hat uns das Syitem der Moral durch Natur und Ber-
nunft, nicht durch Worte und Buchſtaben offenbaren wollen.
Was die Menfchen als Menfchen brauchen, hat Gott allen, was
fie als gewiſſe Menfchen brauchen, auch nur gewiſſen Menfchen
gegeben.“
Mit ſolchen philofophiichen Grundfägen und einer fo ftrengen
Släubigfeit, welche feiner innerjten Ueberzeuguug entſprach, mußte
Mendelsfohn in diametralem Gegenfage zu den Lehren des
Chriſtenthums stehen.
Neunundjechzigites Kapitel.
Shriitenthum.
Es fam Mendelsfohn nicht in den Sinn, gegen die chrift-
liche Religion polemifch aufzutreten; er wollte im Grunde nur
die Differenzpunkte zwifchen JudentHum und Chriſtenthum her-
vorheben und daraus die Eonfequenzen ziehen.?) Dies that ex
im zweiten Theile feines „Jeruſalem“, oder vielmehr in feinen
„Betrachtungen über Bonnet3 PBalingenefie”.?) Wie der erſte
Theil jenes Tractats eine weitere Ausführung der „Vorrede“
1) Schr. V, 497.
2) M. ſ. aud) Winkelmann, Mojes Mendelsjohns Anfichten über
Kirche und Religion. (Programmarbeit.) Lingen 1875.
3) Die Betrachtungen über Bonnets Balingenefie zum erften male
gedrudt: Schr. III, 137—176.
— 400 —
zur „Rettung“, jo ift der zweite Theil dejjelben eine theilweife
Bearbeitung der „Betrachtungen“, oder, genau genommen, Der
„Handichrift über die chrijtliche Religion“, welche er, wie es in
dem Briefe an feinen Better Elfan Her; vom 25. November
1771 heißt, niemal® aus Händen geben und aus der er bei
bejjerer Gefundheit „was machen“ wollte.?)
Außer den Belennern des Judenthums, welde auf das
geoffenbarte Geſetz verpflichtet wurden, find nach) Mendels—
fohn in Uebereinjtimmung mit den Rabbinen alle übrigen Völker
angewieſen, fich an das Geſetz der Natur und an die Religion
der Patriarchen, an die fieben noachidijchen Geſetze, zu Halten,
welche die wejentlichen Geſetze des Naturrecht3 in ſich faſſen.
‚Die ihren Lebenswandel nach den Gejegen diefer Natur- und
Bernunftreligion einrichten, werden, behauptet Mendelsfohn im
Widerſpruch mit Maimonides, tugendhafte Männer anderer Na-
tionen genannt und find „Kinder der ewigen Geligfeit“.?) Nach
diefem Grundſatze ijt dem Judenthume aud der Bekehrungsgeiit
zuwider, denn die Pflicht zu befehren, ijt offenbar „eine Folge
aus dem Grundfage, daß außerhalb der Kirche des Befehrenden
feine Seligfeit zu hoffen fei“. ?)
Mit feiner Auffaffung des Judenthums, daß dafjelbe Feine
geoffenbarte Religion, fondern geoffenbarte Gefeßgebung ift und
nur Glauben an hiftorifche Wahrheiten, an Thatfachen befiehlt,
fann er den Glauben nicht vereinen. Mit allem Nachdrudf be:
hauptet er, daß „Wunderwerfe nach) dem Judenthume Feine
Unterfcheidungszeichen der Wahrheit, feine Beweismittel für oder
) 1. Aufl. S. 495. Der Brief ift vom 25., nit 15. November
datirt.
2) Schr. III, 43, 159. Die jhon von Spinoza befämpfte dogma:
tiſche Anfiht Maimonides in deſſen Miſchne Thora, Bon den Königen
Kap. 8 8 10, wurde Gegenftand einer Gontroverje zwijhen Mendels:
john und Jakob Emden und zeigt, wie groß die Kluft zwifchen dem
Philoſophen und dem ftarren Talmudiften war. M. ſ. mein: Mojes
Mendelsjohn. Ungedrudtes und Unbekanntes, S. 34 f.
3) Schr. V, 503.
— 401 —
wider einige Vernunftwahrheiten, feine untrügliche Quelle der
Heberlieferung jind.“ „Wunder können nur Zeugnifjfe bewähren,
Autoritäten unterftügen, Glaubhaftigfeit der Zeugen und Ueber-
lieferer befräftigen; aber alle Zeugniffe und Autoritäten können
feine ausgemachte Vernunftwahrheit umftoßen.“ Die Sendung
Mofes beruhte auf einem weit fichererem Grunde. Da war „kein
Ereditiv des Geſandten“ nöthig; die gefammte Nation, an welche
die Sendung gerichtet war, hat die große öffentliche Erſcheinung
mit Augen gefehen, und mit ihren Ohren gehört, wie Gott
Mofes zu feinem Gejandten und Dolmeticher eingefegt hat.
„Das iſt eine Gefchichtswahrheit und was ihr widerfpricht, it
‚Unwahrheit.‘1) „Bei allen übrigen Erzählungen von Wundern,
die ohne diefe großen Anjtalten nicht fo öffentlich, nicht fo augen-
Icheinlich geichehen fein follen, umfaßt uns der Unglaube mit
feinen ſtarken Armen, und wir fünnen uns nicht leicht heraus-
winden. Wir wiſſen, wie leicht die Menſchen verführen und
verführt werden können; wir willen, was Vorurtheil, Aber-
alaube und Enthufiasmus fir Gewalt über die Menschen hat;
wie oft fich in einem Charakter Vernunft und Enthufiasmus,
Aberglaube und Betrug, Lift und Einfalt fo fejt verbinden, daß
es dem Scharflihtigften ſchwer fällt, ihre Grenzen zu unter-
Icheiden; wir willen, wie oft die Menfchen Gutes aus böfen
Abjichten und Böſes aus guten Abfichten gethan Haben; wir
vergleichen Erzählung mit Erzählung, feßen Zeugniß gegen
Zeugniß, ein ganzes Meer von Zweifeln jchlägt über ung zu-
jammen, und wir halten unfer Urtheil zurüd.‘2)
Dem gefchichtlichen Beweiſe für das Chriſtenthum fpricht
Mendelsiohn alle Kraft ab. Vor dem allergerechteften Richter
der Welt betheuert er, daß er Feines der chriftlichen Dogmen
annehmen könne. „Sie fcheinen mir ſchnurſtracks allem zuwider
) Schr. III, 65, 121, 320.
2) Schr. III, 158. „Ueber den Mojes Mendelsjohnihen Gedanken
von Wunderwerfen’ richtete V. E. Möller ein Schreiben an Witten:
berg, o. D. 1771.
Kanferling, Mofes Mendelsfohn. 26
— 42 —
zu fein, was mich die gejunde Bernunft, das natürliche Nach—
denken und die heilige Schrift gelehrt, die wir alle für göttlich
erkennen, und meine ganze Seele müßte verändert werden, wenn
ich jemal3 hierüber anderes Sinnes werden könne.“ „Sch kann
den Stifter eines Glaubens fir feinen göttlichen Gefandten
halten, der diefe Lehren verfündigt . . . . Er hat feine Sen—
dung dur Wunder betätigt? — Was fünnen mir Wunder
beweifen? Und wenn diefer Religionztifter vor meinen Augen
alle Todten erwecte, die jeit Jahrhunderten gejtorben find, fo
wirde ich jagen, der Religiongitifter Hat Todte erwedt, aber
jeine Lehre konnte ich nicht annehmen.“ ')
Auf die jo häufig gemachten Einwendungen, daß ſchon die
Propheten auf das Chriſtenthum hinweiſen, bleibt Mendelssohn
die Antwort nicht Tchuldig. „Sch danke,“ jagt er, „meinem
Schöpfer täglich, daß er meine Glücfjeligfeit nicht hat von exe-
getischen Unterfuchungen abhängen Lafjen. Ich würde das elendfte
Geſchöpf auf dem Erdboden fein, wenn mich meine Religion zu
diefer mühjfeligen Uebung verbände. Wozu wäre es auch nöthig,
Schriftitellen zu unterfuchen, ob fie nicht eine Lehre beweisen,
die ich nicht annehmen fann? Wenn fie diejes thäten, fo wäre
e3 nach meiner Denkungsart mehr Beweis wider die Schrift-
jtellen als für die Lehre.““) Noch jchärfer jpricht er ſich über
diefe dogmatiſche Eregetif in feinem Briefe an den Erbprinzen
von Braunfchweig aus: „Sch glaube, die Sprache des Grund:
tertes jo gut al3 irgend ein Neuerer zu verjtehen, denn jie iſt
gleichfam meine zweite Mutterfprache. Mir jcheinen diefe Stellen
alle nicht die geringjte Spur eines Beweijes zu enthalten. Die
Auslegungen der Theologen von diejen Stellen haben mir an
vielen Orten offenbar falſch und an den übrigen höchſt ge-
ziwungen und twillfürlich gefchienen . . . . Gott fei meiner Seele
gnädig! ich kann mir den Grund meiner ewigen Seligfeit un-
möglid) aus den räthjelhaften Träumen Daniel herausziffern,
1) Schr. III, 163, 130.
2?) Schr. III, 164.
— 403 —
oder aus der erhabenen Poeſie eines Propheten herauscommen-
tiren. Diefe Schriften find "zur Erwedung des Herzens, aber
nicht zur Belehrung des Verſtandes geſchrieben.“!)
Bon der Erbjünde, jagt Mendelsjohn, „weiß die gejunde
Vernunft nichts, ebenfo wenig das Alte Tejtament. Der Menſch
ift nach dem Ebenbilde Gottes geſchaffen, aber doc als Menſch,
ala ein Weſen, das der Sünde Hat unterworfen fein follen.
Adam und Eva find geftorben, weil fie gefündigt haben, und
jo ergeht es allen ihren Nachfommen; fie fündigen und fterben,
find aber nicht durch jenen Sündenfall dem Guten abgeftorben
und in die Macht des Satans gefommen.‘?)
Wie feine Erbfünde, kennt Mendelsfohn auch feinen Seelen-
tod, feine ewigen Strafen. „Rächende Strafen, Genugthuung
der beleidigten Gottheit, Böfes thun, weil Böfes geſchah, Böfes
um des Böfen willen, ewige willfürlihe Strafen! Auf allen
Dächern muß wider diefe Ungeheuer gepredigt werden,” jchreibt
Mendelsjohn an einen Freund Nicolais, von dem er erwartete,
daß er „als Wahrheitsforfcher nicht Stimmen fammeln will, um
fie zu zählen; fie wollen gewogen und nicht gezählt jein“.3)
Jede Strafe ift eine Wohlthat für den Menfchen, und ſie wird
ihm erlaſſen, fobald fie aufhört, Wohlthat fiir ihn zu fein, denn
Gott Hat den Menfchen erichaffen zu feiner eigenen Glüdfelig-
keit. Sollte aber jede Uebertretung ewiges Elend nad) fic
ziehen, jo würde Gott feine Gefege zum Berderben gegeben
haben. „Kein Individuum, das der Glüdfeligfeit fähig ift, ift
zur Berdammniß, fein Bürger in dem Staate Gottes zum
ewigen Elende auserjehen. Jedes wandelt feinen Weg, jedes
durchläuft feine Reihe von Beftimmungen, und gelangt von
') Schr. IIL, 133.
2) Schr. III, 132, 161, 165.
3) Mendelsjohn, Ueber Freiheit und Nothwendigkeit in der Ber:
lin. Monatsfchrift, II, 1ff.; Schr. III, 370 ff.; über dafjelbe Thema
Ihrieb Profeſſor Eberhard an Mendelsfohn, Berlin. Monatsfchrift II,
276 ff.
26 *
— —
Stufe zu Stufe zu dem Grade der Glückſeligkeit, der ihm an—
gemeſſen iſt.“) Gott ſtraft den Sünder nicht nach feiner eigenen
Unendlichkeit, ſondern nach der Hinfälligkeit des Sünders; die
göttliche Gerechtigkeit will nur eine Züchtigung, welche dem
Sünder ſelbſt zum beſten gereicht; iſt ſie nicht mehr zum ewigen
Wohl des Sünders unentbehrlich, ſo wird ſie ihm erlaſſen und
er wird begnadiget, dazu bedarf es keines Mittlers, der ihm
die Gnade auswirket.?)
Daß der Stifter der chriſtlichen Religion den Beruf ge—
habt, die natürliche Religion in ihre Rechte einzuführen, daß
„dieſer außerordentliche Menſch“ ein Prophet war, das zuzu—
geben, trägt Mendelsſohn kein Bedenken, wenn jener nichts ge—
lehrt, was den Worten Gottes und der Vernunft zuwider iſt
und wenn ſein Beruf ſich nicht auch dahin erſtreckte, die jüdiſche
Nation von ihrer Verbindlichkeit zu den moſaiſchen Geſetzen los—
zuſprechen.) Und er hat, behauptet Mendelsſohn, niemals mit
ausdrücklichen Worten gefagt, daß er das mofaifche Geſetz auf-
heben und die Juden davon dispenfiren wolle, ev hat vielmehr
das Gegentheil geſagt und gethan.. „Jeſus von Nazareth hat
jelbjt nicht nur das Gejeg Moſes, jondern auch die Sagungen
der Rabbinen beobachtet, und was in den von ihm aufgezeich-
neten Reden und Handlungen dem zumider zu fein fcheint, Hat
doch in der That nur dem erjten Anblide nach diefen Schein.
Wenn er gekommen tft, der eingeriffenen Heuchelei und Schein-
heiligfeit zu ſteuern, jo wird ex ficherlich nicht das erſte Bei-
ſpiel zur Scheinheiligfeit gegeben, und ein Gefeß durch Beifpiel
autorifirt haben, das abgeftellt und aufgehoben fein ſollte . . ..
Haben jeine Nachfolger in jpätern Zeiten anders gedacht und
auch die Juden, die ihre Lehre annahmen, entbinden zu fünnen
geglaubt, fo iſt es ficherfich ohne feine Autorität gefchehen. *)
1) Schr. II, 432.
2) Schr. III, 131, 142 ff. — 345 ff., 166; V, 565.
3) Schr. III, 170.
4) Schr. IN, 357 — III, 160, 132.
— 405° —
‚ Demzufolge find die Juden, jelbjt wenn fie das Chriſtenthum
annehmen, von dem moſaiſchen Geſetze nicht dispenfirt. ')
. Der Mefftas, welchen Mendelsfohn als treuer Belenner
des Judenthums erwartet, wird, feiner Anficht nach, fein Er—
Löfer fein, durch den er felig zu werden hofft, fein irdiſcher
Herrſcher, der eine Univerfalherrichaft herſtellt. „Die Menſch—
heit müßte ihre Natur ausziehen, wenn eine allgemeine Monar-
hie follte zu ihrem Beſten gereichen fünnen“: der Meſſias, den
er erivartet, wird den Beruf haben, die jüdiiche Nation von
jeder politifchen Unterdrüdfung zu befreien, daß alsdann alle
Nationen fich vereinigen werden, den einigeeinzigen wahren Gott
anzubeten.?) Da ift von feiner Vereinigung in Lehre und Ge—
feß, noch weniger von einer fogenannten Glaubensvereinigung
die Rede.
Stebenzigites Kapitel.
Toleranz, nicht Slaubenävereinigung.
Toleranz iſt der Gulminationspunft, auf den Mendelsjohns
Neligionsprincip eigentlich ausläuft; fie ift die nothiwendige Folge
der Glaubens- und Gewifjensfreiheit.
lehentlichjt bat er, am Schluſſe des „Jeruſalem“, jeine
chriftlichen Brüder, den Juden nicht zu verargen, das zu thun,
was der Stifter ihrer Religion ſelbſt gethan und durch fein
Ansehen bewährt hat. „Ahr folltet glauben, ung nicht bürger-
lich wieder lieben, Euch mit uns nicht bürgerlich vereinigen zu
fönnen, jo lange wir uns durch das Ceremonialgeieg äußerlich
unterfcheiden, nicht mit Euch ejfen, nicht von Euch heirathen,
das, fo viel wir einfehen können, der Stifter Eurer Religion
1) Schr. III, 357, 132.
2) Schr. III, 104, 171.
— 406 —
jelbft weder gethan, noch uns erlaubt haben wirde? Wenn.
diefes, wie wir von chrijtlich gefinnten Männern nicht vermuthen
fönnen, Eure wahre Gefinnung fein und bleiben follte; wenn
die bürgerliche Vereinigung unter feiner andern Bedingung zu
erhalten, al3 wenn wir von dem Gefege abweichen, dag wir für
uns noc für verbindlich halten, jo thut e8 uns herzlich Leid,
was wir zu erklären für nöthig erachten; fo müfjen wir Lieber
auf bürgerliche Vereinigung Verzicht thun. Bon dem Gefeße
fünnen wir mit gutem Gewiſſen nicht weichen, und was nüßen
Euch Mitbürger ohne Gewiſſen?“)
Mendelsiohn wollte Glaubensfreiheit, aber feine Glaubens-
vereinigung, denn diefe führt gerades Weges auf die gehäffige
Intoleranz und hat die unfeligiten Folgen für Gewifjensfreiheit.
Alle Verfolgungen find von jeher im Namen diefer Glaubens-
vereinigung ausgeübt worden, und man hat diefe wie den ge—
fährlichſten Feind des menschlichen Gefchlechtes und feiner Glück—
jeligfeit zu vermeiden und mit aller Macht zu verhindern. Liebe
und Haß find nicht jo jehr verfchieden, als Ausbreitung der
Gotteserfenntniß von Glaubensvereinigung. 2)
„Sroßen Dank für alle Toleranz, wenn man dabei noch)
immer an Ölaubensvereinigung arbeitet!“ ruft ex feinem Freunde
Homberg zu. So lange noch das Vereinigungsſyſtem im Hinter:
halte lauerte, ſchien ihm diefe Toleranzgleißnerei noch gefähr-
licher als offene Verfolgung. So fange noch diefer verkehrte
Weg zur Bruderliebe und Bruderduldung eingefchlagen wird
und man die Juden dur) Sanftmuth und Schmeicheleien ihren
Geſetzen abwendig machen will, ift e8 höchſt nöthig, daß „das
feine Häuflein derer, welche nicht befehren, auch nicht befehrt
fein wollen, ſich zufammendränge und feſt aneinanderfchließe.‘ 3)
Mendelsfohn Fonnte den Gedanken nicht faffen, daß man
die Juden, weil fie treue Befenner ihrer Religion find, von
') Schr. III, 357 f.
2) Schr. III, 235.
3) Schr. V, 671, 677.
— —
— 407. —
den Menfchenrechten ausichliegen würde. Wegen der Verheigung
von einem Hirten und einer Heerde, „braucht weder die ganze
Heerde auf einer Flur zu weiden, noch durch eine Thür in
des Herrn Haus ein- und auszugehen. Diejes ijt weder dem
Wunſche des Hirten gemäß, noch dem Gedeihen der Heerde zu—
täglich.“ „Brüder!“ vuft er aus, „it e8 Euch um wahre Glück—
jeligfeit zu thun, jo laſſet uns feine Uebereinjtimmung lügen,
wo Mannichfaltigfeit offenbar Plan und Endzwed der Vorſehung
iſt. Keiner von uns denkt und empfindet vollflommen fo, wie
fein Nebenmenſch; warum wollen wir denn einander durch trüg-
liche Worte Hintergehen? Warum ung einander in den wichtig:
iten Angelegenheiten unferes Lebens durch Mummerei unfennt-
fi) machen, da Gott einem jeden nicht umfonft feine eigenen
Geſichtszüge eingeprägt hat?“ ')
Mit Worten prophetiichen Geiſtes wendet ex ſich dann an
die „Regenten der Erde“. „Wenn es einem unbedeutenden Mit-
bewohner vergönnt ift, feine Stimme bis zu Euch zu erheben,
trauet den Räthen nicht, die Euch mit glatten Worten zu einem
fo ſchädlichen Beginnen, wie Ölaubensvereinigung ijt, verleiten
wollen. Sie find entweder ſelbſt verblendet und ſehen den
Feind der Menfchheit nicht, der im Hinterhalte lauert, oder
juchen Euch zu verblenden. Es ijt gethan um unſer edelites
Kleinod, um die Freiheit zu denken, wenn Ihr ihnen Gehör
gebet! Um Eurer und unfrer Aller Glückſeligkeit willen, Glau—
bensvereinigung tjt nicht Toleranz, iſt der wahren Dul-
dung gerade entgegen! . . . Bahnet einer glüdlichen Nach—
fommenfchaft den Weg zu jener Höhe der Eultur, zu jener all-
gemeinen Menfchenduldung, nach welcher die Vernunft noch
immer vergebens feufzet! Belohnet und bejtrafet feine Lehre,
(odet und bejtechet zu feiner Religionsmeinung! Wer die öffent-
liche Glückſeligkeit nicht ftört, den laſſet jprechen, wie ex denft,
Gott anrufen nach feiner oder feiner Väter Weile, und fein
') Schr. III, 360 f.
— 48 —
ewiges Heil juchen, we er e3 zu finden glaubt. Laſſet nie-
manden in Euren Staaten Herzenskündiger und Gedanfenrichter
jein, niemanden ein Recht ſich anmaßen, das der Allwifjende
jich allein vorbehalten hat! Wenn wir dem Kaijer geben, was
des Kaifers ift, jo gebet Ihr felbit Gott was Gottes iſt! Liebet
die Wahrheit! Liebet den Frieden!“ N)
Es thut von Zeit zu Zeit Noth, auf jolche erhabene Worte
wieder hinzuweiſen. Solche Worte müfjen alle diejenigen mit
wahrem Schauder erfaffen,. welche jicd der hehren Tugend der
Toleranz noch immer entjchlagen.
Mendelsfohn übte Toleranz gegen Andersglaubende und
Andersdenfende im weiteiten Sinne. In Abficht auf jich dog
matifch im jtrengften Berjtande, hatte er, was ihn jelbjt betraf,
in den wichtigjten Bunften der Religion und Philoſophie Bartei
genommen, aber eben fo ffeptifch verhielt ex jich, wenn er feinen
Nebenmenſchen beurtheilen follte.?) Er räumte einem jeden
daffelbe Recht ein, das er für fich forderte, und war nach den
Worten des Dichters:
„Streng gegen ſich, nachſichtig gegen andere.‘
Niemand juchte er für feine Anficht zu gewinnen, niemand
verachtete er, weil er nicht jo dachte und handelte wie er, in-
quifitorisches Kegergeriht war ihm ein Greuel, und Berfonen,
mit denen er Sich über Wahrheiten der Religion nie vereinen
fonnte, waren dennoch feine bejten Freunde. „O, wer diefe Er-
fahrung in feinem Leben gehabt hat, und noch intolerant fein,
noch feinen Nächten haſſen fann, weil er in Religionsfachen
nicht denft oder ſich nicht fo ausdrüdt, wie er, den möchte ich
nie zum Freunde haben, denn er hat alle Menichheit ausge-
zogen.‘ 3)
1) Schr. III, 361 f.
?) Schr. IIL, 69, 168.
) Schr. III, 391.
— 409 —
Einundjtiebzigites Kapitel.
Urtheile über „Jeruſalem“.
Mendelsſohns „Jeruſalem“ machte weit größeres Auffehen
ala der beicheidene Verfaſſer erwartet hatte. Ein vechtlofer
Sude hatte es gewagt für Denf-, Glaubens- und Gewiſſens—
freiheit, für Gleichheit aller vor dem Geſetze, für Toleranz und
veligiöfe Duldung aufzutreten; und er that dies mit einer Frei—
müthigfeit und Entichiedenheit, die Staunen erregte. Das Juden—
thum war dem Staate gegenüber noch nie fo vertheidigt, das
Berhältnig zwiichen Staat und Religion noch nie jo gefaßt und
abgegrenzt worden! Kleines feiner Werfe hat aber auch fo viel
„Saft und Kraft“ als „Jeruſalem“, ) das, wie der edle Graf
Mirabeau in feiner vortrefflichen Schrift „Ueber Moſes Mtendels-
ſohn“ behauptet,2) „in alle europäifchen Sprachen überjegt zu
werden verdiente‘. ?)
') Berlin, Fr. Maurer, 1783; Frankfurt a. M. 1787, Schr. III,
258—362 und in den verfchiedenen Ausgaben der Gef. Schriften, dann
aud in der Bibliothek der deutichen Nationalliteratur, zufammen mit
dem „Phädon“ (Leipzig 1869).
) Mirabeau, Sur Moses Mendelssohn et sur la reforme poli-
tique des juifs (Leipzig 1853) ©. 29; die 1. Aufl. London 1787.
3) Von „Jeruſalem“ erfchien eine italienifche Ueberjegung:
Gerusalemme, o sea del poter religioso e del Giudaismo;
Trieste 1799. Es wurde in London und in Philadelphia ind Englifche
überjegt:
Jerusalem, a treatise on ecclesiastical authority and judaism,
translated from the German by M. Samuels. 2 vol. London 1838.
Jerusalem, a treatise etc. Translated from the German by
Isaac Leeser. Philadelphia 1852,
Auch erichienen davon zwei hebräijche Ueberjegungen:
SYaRdana 1y3 DMMaR "'y Saon nash pny pmin 3 men 1 man aramım
Sitomir 1867.
jposybans yıp v’y nd nun Inu su an y Dny 2... ara
Wien 1876.
=. 40 =
Das Buch wurde mit Unwillen aufgenommen und erfuhr
Widerlegungen von geiftlichen und weltlichen Herren. Auf un-
getheilten Beifall hatte Mendelsfohn nicht gerechnet. Er war
ih) bewußt, daß er es Feiner Partei recht gemaht und nur
fehr wenige zufrieden gejtellt Habe. Er hatte fo mancherlei in
damaliger Zeit herrfchenden Vorurtheilen und falſchen Voraus—
feßungen fo geradezu widerfprochen, daß er auf Angriffe von
allen Seiten gefaßt fein mußte Die Geiftlichfeit konnte ſich
mit feinen Grundfägen nicht einverjtanden erflären, ebenfo wenig
wie die weltliche Obrigkeit; „ihr behagt blos das Syſtem des
Hobbes, der den Weihrauch vom Altare nimmt und ihr damit
räuchert“. Seine Offenbarungslehre, feine Begriffe vom Juden:
thume konnten weder Oxthodore noch Heterodore befriedigen. Und
nun gar feine Anfichten über das Chriſtenthum! Er machte jich,
wie er feinem Freunde Homberg jchrieb, Rechnung darauf, die
mehrſten Gemüther wider fich eingenommen zu finden, und faßte
daher von vornherein den Entichluß, ſich alle jchriftlichen ſowol
als mündlichen Privaterörterungen Höflichjt zu verbitten und
jeden, der ihm einen Entwurf machen würde, auf den Drud zu
verweilen. Ihm lag daran, die Streitpunfte mehr in öffentliche
Unterfuhung vor das Publitum zu bringen. So oft felbjt feine
beiten Freunde ihm ihre Zweifel mündlich zu erfennnen gaben,
erhielten fie feine andere Antwort als: „laffen Sie druden“.
Kein durchlauchtiges, hochehrwürdiges oder hochgelehrtes
Urtheil über „Serufalem“ Fonnte ihn fonderlic) befremden. „Der
Fürft, der fi) beim Frifiren fo etwas vorlefen läßt, meinte er,
„muß dem vorlefenden Abt die Schrift aus der Hand nehmen
und fprechen: Mendelsfohn ijt ein Schwäger. Ein Leipziger
Profefjor hat gejagt: Mendelsfohn iſt in dem erjten Abfchnitte
ein Sophijt und in dem zweiten Stodjude. Zu Wittenberg ſoll
jemand geurtheilt haben, er fei Sacrilege und Naturalift: alles
Auszugsweije wurde Serujalem ins Hebräifche überjegt von F.
Eudel, a. a. D. ©. 58—112.
— 41 —
dieles kam ihm nicht umerwartet.“!) Selbſt Kaiſer Joſeph hielt
ihn in Folge des „Jeruſalem“ für einen Naturaliten. Als diefer
den durch feine mannichfadhen Schidjale, vorzüglich durch fein
Wirken als Geijtlicher und Freimaurer bekannten Fehler zum
Genfor in Galizien ernannte und ihm die Beförderung der
Cultur unter den Juden ans Herz legte, machte Fehler den
Borichlag, den Raſchi-Kommentar zu ſtreichen.
„Wie, wenn ich ihnen dieſen Raſchi ſtreiche und ſtatt deſſen
Moſes Mendelsſohns Ueberſetzung beizudrucken befehle?“
„Nein, nein,“ erwiderte der Kaiſer, „das geht nicht. Men—
delsſohn war ein Naturaliſt, und ich will nicht, daß meine Juden
Naturaliſten werden.“?)
Indeſſen hatte Mendelsſohn doch die Freude, daß ſich
einige der hellſten Köpfe und beſten Menſchen in den wichtigſten
Behauptungen völlig für ihn erklärten.
Kant bewunderte Jeruſalem „wie ein unwiderlegbares
Buch“s) und gab dem Verfaſſer feinen Beifall in einem Privat—
briefe deutlich zu erfennen. „Herr PFriedländer wird Ahnen
Tagen,“ fchrieb er ihm am 18. Auguſt 1783, „mit welcher Be-
wunderung der Scharffinnigfeit, Feinheit und Klugheit ich Ihren
Serufalem gelefen habe. Ach Halte diefes Buch für die Ver—
findigung einer großen obzwar langjam bevorjtehenden und fort-
rückenden Reform, die nicht allein Ihre Nation, fondern auch
andere treffen wird. Sie haben Ihre Religion mit einem
folchen Grade von Gewiffensfreiheit zu vereinigen gewußt, die
man ihr gar nicht zugetraut Hätte und dergleichen ſich Feine
andere rühmen fann. Sie haben zugleich die Nothwendigfeit
einer unbefchräntten Gewifjensfreiheit zu jeder Religion jo gründ-
lich und fo hell vorgetragen, daß auch endlich die Kirche unferer-
ſeits darauf wird denfen müffen, wie fie alles, was das Ge-
) Schr. V, 675 f.
2) Fehler, Rückblicke auf feine fiebenzigjährige Pilgerihaft (Bres—
(au 1824), 204.
3) Kacobis Werke IV, 3, 142.
— 412 —
wiſſen beläſtigen und drücken kann, von der ihrigen abſondern,
welches endlich die Menſchen in Anſehung der weſentlichen Re—
ligionspunkte vereinigen muß; denn alle das Gewiſſen beläſtigende
Religionsſätze kommen uns von der Geſchichte, wenn man den
Glauben an deren Wahrheit zur Bedingung der Seligfeit macht.“ ')
Auguft von Hennings, ein eifriger Kämpfer für Glaubens-
und Gewiflensfreiheit, war der Meinung, „Jeruſalem“ fei aus
dem Feuerjtrome geſchöpft, in den ſich ehemals feine eigene
Seele hinabftürzte; ev Schöpfte aber blos Wärme, was Mtendels-
john herausgenommen Habe, fei ganz Licht.?)
Der junge ſchwärmeriſche Thomas Wizenmann, der ſich
Ipäter in fo unmwirdiger Weile gegen Mendelsfohn benahm,
mußte „Jeruſalem“ Gerechtigkeit widerfahren laſſen und ein-
räumen, daß der zweite Theil des Buches vortreffliche Ideen
enthalte. Ihm war es freilich nicht denkbar, wie ein Mann
das Judenthum fo vein darjtellen und das Chriſtenthum leugnen
fünne. ?)
Auch Herder hielt mit jeinem Urtheile nicht zurück. „An
Ihrem ‚Serufalem‘, jchreibt ev Mendelsfohn den 4. Mai 1784,
bei Ueberfendung feiner „Ideen zur Philofophie dev Geſchichte“,
„habe ich mit Geift und Herz viel Antheil genommen und Sie
über die mancherlei Chifane beflagt, die man bie und da da-
gegen erhoben. Aber, lieber Mendelsjohn, rechnen Sie nicht
mit zwei ungleichen Größen? Den Staat jegen Sie jo voll-
fommen, al3 ex jein jollte und — wo iſt? und zu einem folchen
fügen Sie die Kirche. Ach gebe es zu, auch nad) Ihren reinen
Grundfägen; fo lange aber jener, wie Sie jelbjt nicht leugnen,
mit der äußerften Unvollkommenheit behaftet ift, io lange wird
auch fein pflegbefohlenes Kind, als corpus betrachtet, an feinen
ungefunden Säften Antheil nehmen. Und da mag's immer nod
1) Kants Sämmtlihe Werke, herausgegeben von Rojenfranz und
Schubert (Leipzig 1842), XL, 1, 17.
2) Erinnerung an Dresden. (Hdichr.)
) Von der Goltz, Thomas Wizenmann (Gotha 1859), IL, 55
— 43 —
gut fein, wenn diejes einigen Halt für ſich hat und nicht ganz
von feiner Nahrung abhängt. Im Ferufalem droben oder im
zufünftigen — freili da wird niemand an Ihrer Theorie
zweifeln.“ ?)
Die Urtheile folcher Denker boten Mendelsiohn reihen Er-
ſatz für alle „Schale Kritik, und alles noch fchalere Lob, womit
die gewöhnlichen Recenfenten die arme Brofchüre verfolgten‘. ?)
Die meijten, welche über oder gegen die „arme Broſchüre“
ichrieben oder fie zu widerlegen fuchen, fmüpften mehr oder
weniger an die Lavaterſche Herausforderung an; nur fehr wenige
ließen alles Berlönliche aus dem Spiel und hielten fich jtreng
an die Sadıe.
Der Berliner Prediger Joh. Friedrich Zöllner, ein mehr:
jähriger Bekannter Mendelsfohns, jchrieb ein ganzes Buch über
„serufalem‘“,3) in welchem, wie Garve gegen Weiſſe äußerte,
„mehrere Säße nicht immer ſehr bündig vertheidigt werden.‘ *)
Ein anderer Berliner Prediger, Uhle, ſchickte ein noch weit-
läufigeres Product über das Buch in die Welt.) Was Men-
delsſohn in feiner „deutlichen und ftarf überzeugenden Sprache“
fagt, hält ex fir wahr und vortrefflich, nichtsdeftomweniger muß
er dem „gründlichen Weiſen“ widerfprechen: nach feinem Dafür-
halten iſt „Jeruſalem“ eine Mifchung von Naturalismus und
Barticularismus,
Am meilten Auffehen erregten die durch „Jeruſalem“ her-
vorgerufenen „Philoſophiſchen Betrachtungen über Theologie und
Religion überhaupt und iiber die jüdische infonderheit“.6) Die
) 1. Aufl. S. 550.
2) Schr. V, 616.
3) Meber Moſes Menvdelsjohns Jerufalem. Berlin, Maurer, 1784.
‘) Briefe von Garve an Weiffe (Berlin 1808), I, 184.
5) Ueber Herrn Mofes Mendelsfohns Jerufalem, politisch religiöje
Macht, Judenthum und Chriftentyum. Berlin und Leipzig. Im
Jahre 1784.
6) Frankfurt und Leipzig, 1784.
— 44 —
Berliner Juden waren jo begierig, dieſes Schriftchen zu leſen,
daß jie es fich einander in der Synagoge zuftedten.")
Die Angriffe hörten noch lange nicht auf.
Da trat der eine mit einer Schrift unter dem pomphaften
Titel „Offenbarung, Judenthum und Chriftentbum für Wahr:
heitsforscher” dagegen in die Schranfen;?) ein anderer fühlte
ſich gedrungen, über dieſe „elende Apologie” und „vabbinifche
Philofophie“ feine Gedanfen zu eröffnen und das Chriftenthum
zu vertheidigen,?) und ein dritter, namens Benedict Stattler,
wurde erſt 1787 mit feinem „Wahren Ferufalem, oder über
religiöfe Macht und Toleranz, bei Anlaß von M. Mendelsfohns
Jeruſalem“ fertig. *)
Und nun erſt der Troß der Recenjenten: Herr Loffius, 5)
der Recenjent in der „Züricher Bibliothef“,6) Doederlein”) u. a.
Doederlein gereicht e3 zum wahren Vergnügen, eine Schrift an-
zuzeigen, welche, wie „Jeruſalem“, zwar nicht an „Eörperxlicher
Größe, in der ſich oft geiftlofe Menfchen und Bücher brüjten,
aber wol an innerm Gehalt, an Präcifion der Ideen und des
Ausdruds und an Wichtigkeit und Fruchtbarfeit dev Sachen vor
vielen den Vorzug und den Beifall des Denfers verdient‘, aber
zufrieden kann ex doch nicht mit ihr fein. Alle behaupten, daß
der Staat nicht ohne pofitive, ohne eine vorgejchriebene Religion
bejtehen fünne und daß die Kirche auch Macht haben müſſe.
Auch dem theologischen Ritter Michaelis bot „Jeruſalem“
eine erwünſchte Gelegenheit, feinem Judenhaß wieder Luft zu
machen. Zufolge der im erjten Theile des „Jeruſalem“ aufge
jtellten und gegen die Bilchöfe der anglifaniichen Hochkirche ge-
') Hamburger Correjpondent, 1786, Nr. 24.
2) Berlin, Nicolai, 1785.
3») Gedanken über Mojes Mendelsjohns Jerujalem, in jo fern dieſe
Schrift dem Chriftenthum entgegen gejegt ift. Bremen, Förfter, 1786.
4) Augsburg 1787.
5) Weberficht der neueften Literatur der Philoſophie, Bd. 1, St. 2.
6) Büricher Bibliothek, Bd. 1, St. 1
) Theologifhe Bibliothek, Bd. 2, St. 12.
— 45 —
richteten Behauptung, daß alles .Beichwören von Lehrmeinungen
unzuläffig fei, warf ihm der Ritter „einen Zanf an den Hals,
der ihm in mancher Betrachtung gar hämiſch angelegt zu fein
chien“.Y) Er machte ihm ohne weitere® den Borwurf, alle
englifchen Biſchöfe als Meineidige gebrandmarft zu haben, und
bejchuldigte in der Recenjton,?) wie bei allen Gelegenheiten, die
züdiiche Nation der abjcheulichiten Grundfäge in Abjicht auf die
Eide. Mendelsfohn fand es für nöthig, ſich zu vertheidigen
und ließ die Vertheidigung, „Ueber die neununddreißig Artikel
der engliſchen Kirche und deren Beſchwörung“, in der „Ber—
liniſchen Monatsſchrift“ einrüden.?) Er ſtellt es nicht in Ab—
rede, Mißbrauch und Geringihäßung der feierlihiten Betheue—
rung den Bilchöfen des Oberhaufes, die ſelbſt am Ruder jigen,
vorgeworfen zu haben; unbegreiflich ift ihm nur, daß ein, ihm
fonjt jo verehrungswürdiger Mann, wie der Ritter Michaelis, fo
leichtfertig wie der gemeine Haufe der Recenfenten ijt. „Gewiſſe
Göttingſche Gelehrte fcheinen von jeher mit gemeinen Vorurthei—
len wider die Juden eingenommen zu fein, und obgleich das
aufgeflärte Publikum feitdem zu menfchlichern und tolerantern
Gefinnungen gelangt ift, fo beharren jie noch immer bei dem
verjährten Wahn.“ *)
Einen ſehr warmen Bertheidiger gegen die verjchiedenen
Angriffe fand Mendelsfohn in dem ungenannten Verfaſſer der
Kleinen, noch heute beherzigenswerthen Schrift „Ueber kirchliche
Gewalt. Nach Moſes Mendelsfohn“.5) Der Ungenannte, ein
Geſinnungsgenoſſe von Diez, dem Apologeten der Duldung, dem
Freunde Dohms und von Hennings, will er nur jenem Meiſter—
) Schr. V, 706.
2) DOrientalifhe Bibliothek, Theit 22, Nr. 226, 232.
) Berl. Monatsfhrift, 1784, S. 24—41; wieder abgedrudt:
Schr. III, 374—385.
4) Schr. III, 384.
°) Berlin, Mylius, 1786. Das 80 Seiten umfafjende Schriftchen
ift dem Rentjecretär Schneider in Merfeburg zugeeignet.
— 46 —
jtüde, wie er „Jeruſalem“ nennt, einige nähere Beitimmungen
und weitere Ausführungen geben, geht aber mit feinen Forde—
rungen noch über Mendelsfohn hinaus.
Niemand hat „Jeruſalem“ jo anhaltend beichäftigt, als den
nordilchen Lavater Hamann. Mit tiefem Seelengroll blickte der
Myſtiker auf diefes Glaubens- und Denkfreiheit beanfpruchende
Verf. „Mendelsfohns „Jeruſalem“ Habe ich fait dreimal durch—
gelefen,“ jchreibt ev am 4. Auguft 1783 an Herder, „und weiß
immer weniger, was er jagen will. Es ijt mir zwar lieb, daß
er ein Jude iſt, aber ich verdenfe es ihm noch mehr, einer zu
fein.) Auf das Verſtändniß fam es einem Hamann num eben
nicht an. Pour la rarete du fait, wie er fid) ausdrückt, ſchrieb
er in einer Zeit, „wo er von Geſchwüren und Ausfchlägen und
bei dem Mangel jeder Bewegung von einem jehr jtarfen Appetit
gequält wurde“, fein „Golgatha und Scheblimini”, eine Hleine,
drei bis vier Bogen umfafjende Schrift, mit welcher ex den
Juden zu befämpfen und zu vernichten beabfichtigte. Wie ent-
feglich jauer wurde ihm das Product! Nachdem er ein ganzes
Fahr daran gearbeitet, über ein Buch Papier verfchmiert und
immer gegen BVerftopfung und Durchfall der Gedanken und des
Stils zu kämpfen hatte“,?) war er endlich Anfang Mai 1784
im Stande, das Libell, „deſſen Ende auszuglätten und zu vollen:
den er überdrüffig wurde”, dem Drude zu übergeben. Hamann
trieb mit feinem alten Freunde ein ſchmähliches Spiel und übte
gegen ihn die fraudulentejte Pietät. Sein „Scheblimini“ wim-
melt von Gehäffigfeiten der gemeinften Art, und mit der größten
Kaltblütigkeit jchleudert er feine giftigen Pfeile gegen den für
Wahrheit und Freiheit fämpfenden Juden: er nennt ihn einen
Heuchler und Lügner und ſtempelt ihn fchlechtweg zum Atheisten.
Der fo Hochgepriefene, aber bei aller chriftlichen Selbit-
demüthigung hochmüthige, geiftig-zügellofe, hegende und eifernde
) Hamanns Schr. VI, 350.
2) Hamanns Schr, VII, 132.
— 47 —
Hamann, wie ein geijtreicher Theologe ihn jo treffend bezeich—
net,*) hatte einen würdigen Kampfgenofjen gefunden: ein an-
derer Prediger hatte jic) aufgeworfen, der das Ding noch gröber
gemacht als jener in der Wüſte. Der befannte oder, wie er
in einem Briefe an Herder genannt wird, der berüchtigte „Sirach
für Jedermann“, Schulz, hat eine philofophiiche Betrachtung zum
Beiten des Atheismus gefchrieben”, meldet Hamann feinem
Bufenfreunde Sacobi, „und der Iſraelit Hat feinen Wunſch er-
reicht, wie ich meinen —; jener, einen bejtimmten und mit zus
reichendem Grunde ausgerifteten Gegner gefunden zu haben;
ich, abgelöjt zu fein und einen müßigen Zufchauer abgeben zu
können.“?)
Hatte Hamann Mendelsſohn des Atheismus beſchuldigt, ſo
griff ihn Schulz von der entgegengeſetzten Seite an: er machte
ihm, wie dieſes auch von dem Ritter Michaelis und von andern
Necenfenten gefchah, den Borwurf, daß er im „Serufalem“ ein
gar zu orthodorer Jude, ja ein Nabbinite ſei. Mendelsjohn
itand fo zwifchen zwei Feuern und befand fi in einer nicht
geringen Berlegenheit.
Zweiundjiebzigites Kapitel.
Mendelsſohns Stellung im Iudenthum.
Auf dem Fundamente der Leibniz-Wolffiichen Philoſophie
ftellte Mendelsfohn in feinem „Serufalem“ ein neues Syitem für
da3 Judenthum auf. In feinem völlig felbitjtändigen Deismus
ſprach er dem Judenthum defjen eigenjtes Eigenthum, die mono—
theiftifche Erkenntniß, ab und befchränfte deſſen ganzes Weſen
— —
) Schwarz, Leſſing als Theologe (Halle 1855), 9.
2) Hamanns Briefwechjel mit Jacobi. Herausg. von Roth, 18.
Kapferling, Mofes Mendelsjohn. 27
— 418 —
auf das geoffenbarte, für ewige Zeiten bindende und unveränder-
liche Geſetz, deſſen Befolgung die Erhaltung des Judenthums
bedingt. Die religiöſe Handlung, die Beobachtung des Geſetzes,
iſt nah ihm unabhängig vom Glauben und Erkennen, ſodaß
er allen Ernſtes behauptete, „daß Spinoza feiner fpeculativen
Lehre ungeachtet, ein orthodorer Nude hätte bleiben Fönnen,
wenn er nicht in andern Schriften das echte Judenthum be—
jtritten und fich dadurch dem „Geſetze“ entzogen hätte.‘ ?)
Indem Mendelsfohn Denk- und Glaubensfreiheit einerfeits
als Prineip des Judenthums anerkannte, das ganze Wefen des-
jelben aber andererſeits in das Geremonialgejeg legte, war der
jubjectiven Auffafjung der weitejte Spielraum geboten. Die ver-
Ichiedenften veligiöfen Parteien, die Orthodoren fowol wie die
Reformfreunde, beriefen ſich mit gleichem Rechte auf ihn. Jene
führten ihn als ihren Gewährsmann dafür an, daß das YJuden-
thum weſentlich Gefeb, daß Gebote und Verbote Gottes funda-
mental feien; diefe beriefen fich auf ihn, daß man um Jude zu
fein nicht3 zu glauben brauche. 2) Bei aller Anerkennung, welche
den Hohen Berdienften Mendelsſohns um das Judenthum von
allen Seiten bereitwillig gezollt wird, fand er doch wegen des
„Jeruſalem“ befonders in neuerer Zeit unter feinen Glaubens-
genofjen viele, zum Theil fcharfe Beurtheiler.?) Man befchul-
) Schr. II, 5.
2) M. j. die Schrift: Die Religion im Bunde mit dem Fortjchritte
und die unter demjelben Titel erjchienene Gegenſchrift „von einem
Schwarzen‘ (S. R. Hirſch). Frankfurt a. M. 1854.
3) M. j. Sam. Holdheim, Moſes Mendelsjohn und die Denk- und
Glaubensfreiheit im Judenthume (Berlin 1859); Steinheim, Mofes
Mendelsjohn und jeine Schule (Hamburg 1840); M. Lazarus, Mojes
Mendelsjohn in feinem Berhältnig zu Juden und Judenthum, in
Deutſche Revue, 1886, Februar, S. 215—228; 2. Philippſon, Die Stel:
lung Mojes Mendelsfohns in und zum Judenthume, in Allg. tag. d.
Idths., 1886, Nr. 11—16. Vom Standpunkte der äußerften Reform
beurtheilt ihn I. H. Ritter, Gefhichte der jüdischen Reformation. Erfter
Theil. (Berlin 1858).
— 419 —
digte ihn der Feigheit und Zweideutigkeit, hielt feine Anfichten
für ierig und hinfällig, ja Steinheim, der fi) beftändig im
Dunftkreife der Fdeen des Judentums beivegte, von dem jüdi-
ſchen Leben und der jüdiſchen Gemeinfchaft jich aber gänzlich
fernhielt, und jich einredete, ein begeijterter Anhänger. des Juden-
thums zu fein, Hatte die Vermeſſenheit, Mendelsfohn, der mit
allen Faſern feines Herzens dem Judenthume anhing, einen
Probalitätscaleulator zu nennen, „der vom Juden nicht mehr
zurücfbehalten hatte al8 die Geremonien, Perrüde und Juden—
bärtchen“. ?)
Um „Jeruſalem“ vichtig zu beurtheilen, muß man die Zeit
und Umjtände in Betracht ziehen, in welchen das Werf ent-
ſtanden. Mendelsjohn Hatte jich ſelbſt gegen Befchrungsver-
fuche zu vertheidigen, das Judenthum in feinen Örundlehren
gegen böswillige Angriffe und dem Chriſtenthume gegenüber in
Schuß zu nehmen, er wollte um feinen Preis, daß feine nad
bürgerlicher Freiheit dürjtenden Glaubensgenofjen in Bezug auf
das religiöfe Geſetz Koncefjionen machten. In feinem Syſtem
fuchte er feine philofophifche Denkart mit unbedingter Gläubig-
feit zu verjchmelzen; es war das der Ausdrud feiner innerjten
Ueberzeugung. Bon einer Zweideutigfeit, von einem Schwanfen
zwiichen Philofophie und NRabbinismus, von einem bewußten
Zwieſpalt feiner Seele, wie, daß er fich innerlich vom Geſetze
frei fühlte, e8 aber darum äußerlich übte, um auf feine jüdischen
Beitgenofjen defto befjer wirken zu können, kann bei Mendels-
john auch nicht im entfernteften die Rede fein, und wer folches
ihm zufchreibt, wer wie Steinheim von ihm zu behaupten ic)
erfühnt, ex fei mit dem Verſtande Heide, mit dem Leibe Iſraelit
gewejen,?) der verfündigt fi) an feinem Schatten und an der
Wahrheit. Daß feine Jünger andere Wege einfchlugen und in
dem Streben nach Aufklärung und bürgerlicher Freiheit die
) Steinheim, Die Dffenbarung nad) dem Lehrbegriffe ver Syngoge
(Zeipzig 1863), III, 283.
2) Steinheim, Mojes Mendelsjohn und feine Schule, 37.
27*
— 420 —
Gläubigkeit, welche den Meiſter befeelte, verloren, daß bald nad
feinem Tode eine Erfchlaffung der religiöfen Ueberzeugung, eine
religiöfe Rathlofigfeit in den gebildeten Kreifen eintrat, ift den
Zeit- und Eulturverhältniffen zuzuschreiben, nicht aber Mendels-
fohn zur Laſt zu legen.
Wer möchte den Lehrer für die Schiller verantwortlich
machen ?
Weil die Schüler den Talmud und den Rabbinismus be
kämpften, pflegte man auch Mendelsfohn für einen Gegner des
Rabbinismus und für einen Feind des Rabbinenthums zu hal:
ten. Er war aber tweder das eine noch das andere. In feinen
in hebräifcher Sprache abgefaßten Schriften, ſteht er auf rabbı-
nishem Standpunft. Seine Einleitungen zum Bentateuh und
zu Kohelet find fo ganz und gar rabbinifch, daß fie den Beifall
der bedeutendjten talmudiſchen Autoritäten fanden, !) troßdem er
fi) in der einen auf des freifinnigen Eichhorn „Einleitung in
das Alte Tejtament” beruft und in der andern nicht verjchweigt,
„das Gute, das er in den Kommentarien der chriftlichen Schrift
fteller gefunden, als Hebe vor Gott herausgehoben zu haben.“
Dem Talmud und deſſen Auslegern zollte er fein Lebelang die
größte Hochachtung,?) und das Studium defjelben bot ihm
Freude und Erholung. Mendelsfohn war ein fcharflinniger
Talmudift, das zeigt feine Correfpondenz mit Jakob Emden‘)
und das Gutachten, welches er in einer Erbichaftsangelegenheit
dem jehr unterrichteten und von ihm hochgefchäßten Hartog Leo
) Sal. Herſchel, Oberrabbiner zu London, jpricht ſich über Men
delsfohn und deſſen Pentateuch- Heberfegung fehr anerfennend aus in
feinem Gutachten zu den von Heidenheim herausgegebenen Feftgebeten
(MWochenfeft), Rödelheim 1811.
2) Mendelsſohns Urtheile über den Talmud in der Ankündigung
von Rabes Mijchna, im 35. Literaturbriefe, ſ. auch den 122. Literatur
brief, die Recenfion der gen. Mifchna-Ueberfegung; Schr. IV, 1,59 fi,
IV, 2, 134 ff.
3) Emdens Gutachtenfammlung Sch’ilat Jaabez (Altona 1770)
II, Nr. 155, 156.
— 421 —
Lipfhig, dem „Secretär, Beglaubigter und Vorbeter der Ber-
liner &emeinde“, im Januar 1765 ertheilte.!) Jene Methode
des Talmudjtudiums aber, welche fich in der damals tonangeben-
den polnischen Schule gebildet hatte, „jene gewöhnliche Disputir-
funft, wie fie vielen Rabbinern eigen ift, die ſich fehr gelehrt
dünfen“, widerte Mendelsfohn, den geraden Denker, an. „Es
gehört, wie Sie wiſſen,“ jchreibt er 1783 an Homberg, „eine
ganz befondere Art des Unterricht dazu, an diefer Geijtes-
übung Gefchmad zu finden, und wiewol wir beide diefen Unter-
richt jelbjt genofjen haben, jo kamen wir doch darin überein,
daß Joſeph Lieber etwas jtumpffinniger bleibe, al$ daß man
ihn in einer jo unfruchtbaren Art des Wites übe.“‘?) Er war
ein abgefagter Feind des Pilpuls, wie die polnifche Disputir-
funft genannt wird. Einſt fam zu ihm ein Rabbi, da er eben
Gefellfchaft bei fich Hatte, und forderte ihn auf, mit ihm zu
disputiren. „Freund!“ kam ihm Mendelsfohn entgegen, „ich er-
kläre hiermit öffentlich, daß wir mit einander in Frieden leben,
und diefer foll nicht verlegt werden.“ Ein anderes mal empfing
er den Beſuch des Prager Talmudiften Wolf Laſch, der ein
weitichichtiges pilpuliftifches Gebäude vor ihm aufführte. Am
andern Tage fam Lafch wieder, um Abjchied von ihm zu nehmen.
Da Holte Mendelsjohn den bezüglichen Talmudtractat herbei
und erklärte das fragliche Thema in fo klarer und grümdlicher
Weile, daß das ganze pilpuliftiiche Gebäude Laſchs zufammen-
jtürzte. 3)
Sein Widerwille gegen dieſe Art von ZTalmudjtudium ſo—
wie feine Abneigung gegen das Kauderwelſch, deſſen fich die
Juden zu ihrer Umgangssprache bedienten, hing aufs innigjite
mit den Beftrebungen zufammen, welche er nie aus den Augen
verlor: die Juden in das allgemeine Eulturleben einzuführen.
) Das Gutachten abgedrudt in einem, nicht erjchienenen Cat.
9. ©. (Pinner?) ©. 54 ff.
2) Schr. V, 673.
3) Ben Chananja V, 102.
— 412 —
Eultur und Bildung war das hohe Ziel, welches ihm beftändig
vorfchwebte, für Cultur und Bildung feine Glaubensgenofien
empfänglic) gemacht und diefe unter ihnen verbreitet zu Haben,
darin befteht der große reformatorifche Einfluß, den er geübt hat.
Reformator, im herfümmlichen Sinne genommen, war Mer:
delsfohn nit. Er trat nicht zum Kampfe gegen die Xer-
gangenheit auf, er erklärte nicht das Beſtehende für abgejtorben
und unhaltbar, jtellte nicht neue Glaubensſätze auf, ſchuf nicht
neue Formen, er hob nicht alte Satungen auf und proclamitte
fich nicht ala neuer Gefeßgeber. Aber er löſte die Feſſeln, welde
um den Geiſt gewunden waren, er weckte eine neue Bewegung,
ein neues Leben in den Geijtern und jtärfte den Bildungstrieb
in ihnen.!) Gerade dadurch, daß er fi) nicht als Neformator
geberdete, daß er Feine Reform anjtrebte, gerade dadurch iſt
feine Bedeutung für die fpätere Entwidelung des Judenthums
eine fo außerordentliche geiworden.?) Er, der von allen aner
fannte, gefeierte deutſche Schriftiteller jtand in religiöfer Be
ziehung unmwandelbar in feiner Ueberzeugung; er war mit ganzer
Seele Jude, hielt ſich jtreng an die kleinſte Satzung und beob-
achtete auf das gewiſſenhafteſte jeden Brauch, ohne ſich durd
die Anweſenheit chriftlicher Bekannten daran Hindern zu laflen.
Sp erzählt der fpätere Schulratd 3. H. Campe in Braun
Ihweig: „Es war an einem Freitag Nachmittage, als wir,
meine Frau und ich, mit Berliner Gelehrten bei Mendelsfohn
zum Befuche waren und mit Kaffee bewirthet wurden. Mendel-
fohn, immer der freundlichite Gefellichafter, ſtand etwa eine
Stunde vor Sonnenuntergang von feinem Site auf, trat auf
uns zu mit den Worten: ‚Meine Damen und Herren! Ich
gehe nur in das Nebenzimmer um meinen Sabbat zu empfangen
und bin dann gleich wieder in Ihrer Mitte; unterdei wird
) 2, Vhilippfon, Mof. Mendelsfohn der Reformator des Juden
thums, in Leſſing-Mendelsſohn-Gedenkbuch, ©. 89.
2) M. A. Goldſchmidt, Feftrede bei der . .. Gedächtnißfeier No!
Mendelsſohns (Leipzig 1861), ©. 14.
— 4235 —
meine Frau Ihre Gegenwart um jo mehr genießen.“ Mit einem
unnennbaren heiligen Gefühle begleiteten unfere Blide den Tie-
benswirdigen Philoſophen in feine Andacht3-Stube, von wo er
nach einer halben Stunde mit derfelben Freundlichkeit zu uns
zurückkehrte. Indem ex fich niederjegte, jagte er zu feiner Frau:
Jetzt bin ich wieder in meinem Amte und ich will es nun
auch einmal verfuchen, an Deiner Stelle die Honneurs zu machen,
da Dich Gefchäfte abrufen; unfere Freunde werden entjchuldigen.‘
Mendelsjohns Frau empfahl ich, ging zur Familie, weihete den
Sabbat durch Lichtanzünden ein und fam dann zu ung zurück.
Wir blieben nocd einige Stunden zufammen.‘?)
„Ich freue mich,“ jchrieb er noch wenige Tage vor feinem
Tode feiner theuern Sophie Beder, „mit jedem Religionsge-
brauche, der nicht zu Intoleranz und Menfchenhaß führt; freue
mich, wie meine Kinder, mit jeder Ceremonie, die etwas wahres
und gutes zum Grunde hat; fuche das unwahre jo viel als
möglich abzuſondern, und jchaffe nichts ab, bevor ich dejjen gute
Wirkung nicht durch etwas befjeres zu erjegen im Stande bin.‘?)
Neuerungen anzuftreben fam ihm nie in den Sinn, „eine
Gemüthsart war nicht für die Neuerungen“ Damit joll nicht
in Abrede gejtellt werden, daß er die Abſchaffung mancher Mip-
bräuche nicht vom Herzen wünſchte. Er Teugnete es nicht, „Daß
er bei feiner Religion menſchliche Zufäge wahrgenommen, die
leider! ihren Glanz nur zu ſehr verdunfeln. Welcher Freund
der Wahrheit kann ſich rühmen, feine Religion von jchädlichen
Menfchenfagungen frei gefunden zu haben? Wir erkennen ihn
alle, diefen vergiftenden Hauch der Heuchelei und des Aber—
glaubens, fo viel unferer find, die wir die Wahrheit juchen,
und wünſchen, ihn ohne Nachteil des Wahren und Guten ab-
) 3. Heinemann, Mojes Mendelsjohn. Sammlung theils nod
ungedructer, theils zerjtreuter Auffäte und Briefe von ihm, an und
über ihn (Leipzig 1831), ©. 21.
2) Schr. V, 649.
— 424 —
Ihaffen zu fönnen.“!) „Unfere Bemühungen follten deshalb
dahin gehen, die eingeriffenen Mißbräuche abzufchaffen und den
Geremonien echte, gediegene Bedeutung unterzulegen, die Schrift
wieder lejerlich zu machen, die durch Heuchelei und Pfaffenliſt
unverjtändfich geworden ift.‘“?)
Ruhig und befonnen wie er war, unterließ ex es auf die
Abichaffung der von ihm erfannten Mißbräuche zu dringen und
Borurtheile zu bekämpfen; er duldete Fieber das Vorurtheil, als
die mit ihm fo verichlungene Wahrheit zugleich mitzuvertreiben,
hielt es jo lange für unentbehrlih, jo lange er fih zu ſchwach
fühlte e8 auszuxotten. „Borurtheile follen nicht unterdrückt, fie
müſſen beleuchtet werden“. 3) Erſt vermittelft der Cultur follte
Aufklärung ſich entwideln und zur gehörigen Reife gelangen;
aber Aufklärung follte der Eultur nicht voraneilen, um dieſe
nicht zu hemmen. „Wenn ich es auch in meiner Macht hätte,“
Ichreibt er den 27. November 1784 an Hennings, den jungen
Stürmer, „jo wiirde ich mich gleichwol jehr hüten, alle Vor—
urtheile mit einem einzigen Federjtriche aufzudeden. Der Auf-
klärer, der nicht unbedachtfam zufahren und Schaden anrichten
will, hat forgfältig auf Zeit und Umftände zu fehen und den
Vorhang nur in dem Verhältniffe aufzuziehen, in welchem das
Licht feinem Kranken heilſam fein fann. Die Zeloten Haben
Recht, wenn fie zumeilen die Folgen der Aufklärung für be-
denflich halten. Der Trugichluß liegt blos darin, daß fie euch
bereden wollen, den Fortgang derjelben zu hemmen. Aufklärung
hemmen iſt in aller Betrachtung und unter allen Umftänden
weit verderblicher als die unzeitigſte Aufklärung. Sie vathen
alfo zu einem Mittel, das jchädlicher ift al3 die Krankheit. Das
Uebel, welches zufälligerweile aus der Aufklärung entjtehen kann,
it außerdem von der Befchaffenheit, daß es in der Folge fich ſelbſt
') Schr. III, 41.
2) Schr. V, 669.
3) Schr. III, 415.
— 425 —
hebt. Laſſet die Flamme nur vecht auflodern, jo wird fie den
Rauch ſelbſt verzehren, den fie hat aufjteigen laſſen.“!)
Mendelsfohns unfterbliche Berdienite um das Judenthum
und die Juden, die deutichen zunächit, beftehen hauptfächlich darin,
daß er fie die veine deutiche Sprache gelehrt, die Pforte zu
neuen Unterfuchungen und Discuffionen eröffnet, daß er den
Geift von innen frei gemacht und damit die bürgerliche Gleich-
ftellung angebahnt, daß er durch fein eigenes Leben ihnen den
Weg gezeigt hat, auf welchem fie als treue Juden den allge
meinen Eulturbeftrebungen fich anfchliegen und entwiceln können.
Seine lautere Abficht wurde jedoch bald verfannt, fein religions-
philofophifches Syſtem, den klaren und Tichtvollen Ideen zum
Troß, vielfach mißverjtanden zunächſt von feinen Schülern.
Dretunditiebzigites Kapitel.
Mendelsjohns Schüler, Jünger und Freunde.
Schüler im eigentlichen Sinne des Wortes hatte Menvdels-
John nit. An Sabbat- und Feittagen verfammelten fich gegen
Abend wißbegierige junge Männer in feinem Haufe mit der
bejtimmten Abjicht, Belehrung bei ihm zu ſuchen. Dieſe jungen
Freunde der Aufklärung, durch das von ihnen betriebene Studium
des Talmuds gewandte Dialektifer, führten unter feiner An-
leitung Discuffionen über von ihm gegebene oder jelbjtgewählte
Themata. Er ſaß dann gewöhnlich als Kampfrichter auf feinem
Armjefjel mit niedergefchlagenen Augen. Oft befeuerte er den Muth
durch ein plößliches Aufbliden oder durch einen einjilbigen Aus-
ruf, oft belohnte ex durch einen lächelnden Beifall; ein jchnelles
') 1. Aufl. ©. 536; ſ. aud den Brief Mendelsjohns an Hennings
vom 20. September 1779 in L. Geigers Zeitihrift, S. 113 f.
— 426 —
Niederjehen, ein verneinendes Kopfichütteln galt für entfchiedenen
Tadel. Zuweilen erhob er fich auch von feinem Site, trat,
wenn Reden und Gegenreden jich durchkreuzten, zwifchen die
Streitenden und fchien Tiebreih um Gehör zu bitten. Sobald
dann ein ehrerbietiges Stillichweigen erfolgte, nahm Mendels—
john den Faden des Geſpräches auf, ftellte Sa und Gegenſatz
mit der ihm eigenthümlichen Klarheit gegeneinander und ließ
die Streitenden die Vergleichungspunkte jelbjt finden, ohne für
den einen oder andern Partei zu nehmen. Das was er lehren
wollte, juchte er in ſokratiſcher Weile zu entwideln. Hatte fich
dann die Hige der Streitenden gelegt, jo pflegte er oft zu jagen:
„Sehen Sie, meine Herren, e3 war ein bloßer Wortjtreit, wie
e3 gewöhnlich der Fall ift; ich glaubte gleich, Sie würden bald
eines Sinnes werden.“!)
Erziehung und Unterrichtswefen, die Religion und ihre
Grundprincipien, die jüdifche Literatur und ihre Träger boten
in der Regel den Stoff der Unterhaltungen, an welchen junge
Männer wie David Friedländer, Euchel, Löwe, Wolfiohn, Sata-
now, ferner Hartwig Wefjely und H. Homberg, die Aerzte Blod)
und Herz und mehrere andere theilnahmen.
David Friedländer, ein geborener Königsberger, fam 1771
nad) Berlin und wurde ein Jahr ſpäter Schwiegerfohn des an-
gejehenen Daniel Fig, deſſen Gattin eine Berwandte und
Landsmännin Mendelsjohns war und mit dejjen Familie Diefer
in innigem Berfehre jtand. Fanny, eine der neun ſchönen
Töchter feines Freundes, welche, ſcharfen Verſtand mit Fröhlicher
Laune vereinend und fremder Sprachen wie der eigenen fundig,
als die Gattin des in den Adeljtand erhobenen Wiener Banfiers
Nathan Arnftein, Prinzen und Fürften, Staat3männer und Ge—
(ehrte in ihren Salons verfammelte, fchrieb er ins Stammbud
die charafteriftiichen Zeilen:
') D. Friedländer, Mojed Mendelsjohn. Fragmente von ihm und
über ihn (Berlin 1819) (aus der Zeitjchrift Zedidja und dann wieder
in Heinemanns Mojes Mendelsjohn abgedrudt), S. 36 f.
Die Geſchichte der Menfhenduldung.
Auch fie entiprang wie ihre Mutter, die Weisheit, aus dem Haupte
Aupiters,
Aber nicht in voller Rüftung; Berlin jah fie geboren werden, jah
fie auf
Der Mutter Schoß kindlich tändeln und Findlich weife Thaten be-
ginnen.
Wien hörte aus dem Munde diejes Fremdlings nod nie gehörte liebe:
volle
Sprüde und erwartet nun auch bald weile Thaten:
Ahr irdifches Bild nennt fih Fanny Arnftein und ihr irdijcher Geſchicht—
ſchreiber
Moſes Mendelsfohn.!)
Eine Enkelin Itzigs, die Tochter der „ſanften“ Eliſabeth,
heirathete ſpäter Mendelsſohns Sohn Abraham!
Mit wahrhaft kindlicher Verehrung hing Friedländer an
Mendelsfohn; er begleitete ihn auf feinen Reifen, bildete jich an
feinem Umgange, wurde Freund feiner Familie, unterjtügte ihn
in feinen @ulturbeftrebungen, jo bejonders bei der Errichtung
der Berliner jüdiſchen Freifchule, der er auch fein erſtes Titera-
riſches Product widmete: ein Lejebuch für jüdifche Schulen, für
das Mendelsfohn die „Grundartifel des Judenthums nad) Mai-
monides‘“ bearbeitete und eine „Andachtsübung“ jcehrieb.?) Nach
dem Tode feines Lehrer und Freundes überſetzte Friedländer
einige hebräifche Abhandlungen deffelben, wie „Ueber die Seele“,
ins Deutjche, bejorgte auch die fünfte und ſechſte Auflage des
„Phädon“?) und jchrieb ſonſt manches über ihn. Sein Kampf
) 1. Aufl. S. 569.
2) Das Lejebuh erſchien: Berlin 1779; die „Grundartikel“ ſ.
1. Aufl. ©. 565 ff., die „Andachtsübung“, Schr. VI, 416 f.
3) „Der alte ehrliche Friedländer hat den „Phädon“ wieder neu
auflegen laſſen,“ jchreibt Zelter an Göthe den 25. December 1824,
„und mir es vorigen Sonntag geſchickt. Auch Dir wird er ein Erem:
plar zugeichicdt haben.” Briefwechſel zwiſchen Göthe und Zelter,
IIT, 480.
— 428 —
gegen Talmud und Rabbinismus, fein ganzes ipäteres Wirken
war nicht im Sinne des Meijters.
Mit Friedländer innig befreundet war Iſaak Euchel aus
Kopenhagen, ein fenntnißreicher, für Aufklärung und Fortfchritt
glühender junger Mann, der mehrere Jahre in der Friedländer-
Ihen Familie in Königsberg als Erzieher lebte. Als er im
Suni 1784 zum Befuche feiner Eltern nad) Kopenhagen reiſte,
gab ihm Mendelsfohn an feine dort wohnenden Schwäger das
folgende humoriſtiſche Schreiben mit:
An meine guten Brüder in Kopenhagen Herren Moſes
Fürſt und Joſeph Gugenheim meinen briüderlichen Segen und
Gruß zuvor.
Brüder, liebe Getreue!
Wenn ich Euch jemand empfehle, jo iſt es, verlaßt Eud)
auf mein Wort, gewiß fein Mann, der Euch um Euer Geld
oder um Euren guten Namen bringen, feiner, der in Eurem
Haufe, oder in Eurer Küche, oder in Eurem Weinkeller (wenn
Ihr einen habt), oder in Eurem Schlafzimmer wird den Meifter
jpielen wollen; feiner, der Euch ein Buch verehrt, das Ihr nicht
braucht, und Euch dafür Geld abnimmt, das Ihr gar wohl
braucht, jondern ein Mann, der mehr Eure Thüre als Euren
Beutel bejtändig offen zu finden winfcht, der Euch höchſtens
ein Stindchen Zeit abfordern wird, mit der man ohnehin nicht
ſehr karg umzugehen pflegt, und bei dem diejes Stündchen felbit
nicht8 weniger als verloren ijt, denn feine Unterhaltungen find
jo nüßlich und lehrreich, daß fie den Verluſt zweifach erſetzen,
— ein folder Mann ift nun der Herr Iſaak Euchel, der Ihnen
dieſes Handbillet oder diefen Cabinetsbefehl vorzeigt von
Ihrem guten Bruder
Moſes Mendelsjohn.!)
Auf Euchels Anregung hatte ji) in Königsberg eine Ge—
ſellſchaft hehräiſcher Literaturfreunde gebildet, welche zur Pflege
) 1. Aufl. S. 554 f.
u A
und Läuterung der Hebräifchen Sprache und zur Berbreitung
nüglicher Kenntniffe ein eigenes Organ ſchaffte. Dieſe all-
monatlich exjcheinende Zeitfchrift „Der Sammler“ brachte außer
den Poeſien Hartwig Wefjelys, David Franco Mendes in Amijter-
dam und anderer neuhebräifcher Dichter, welche das Unter:
nehmen unterjtüßten, und den Ueberjegungen der Gedichte Hallers,
Ramlers u. a., meijtend grammatifche, exegetifche und pädago-
giſche Aufſätze, ſowie furze Biographien hervorragender Männer
aus der züdifchen Gefchichte und Literatur. Der „Sammler“
legte auch gleih im erſten Jahre feines Beſtehens es den
reichen Juden ans Herz, die große Oppenheimerſche Bibliothef
anzufaufen. Mendelsſohn, an den fi) Iſaak Seligmann Kohen
in Hamburg, der damalige Beſitzer diefes feltenen Bücher- und
Handjchriftenfchaßes, gewandt hatte, gab die fchriftliche Erflärung
ab, daß die Sammlung, einzig in ihrer Art, 50 bis 60000
Thaler werth fei. Eigentlich, drüdte er ſich aus, könne er den
äußern Werth gar nicht fchägen, aber es müßten ſich Männer
finden, welche eine ſolche Summe dafür zahlten. Der edle
Mendelsfohn Hätte gewiß noch mehr gegeben, hätten feine Ver—
hältnifje ihm gejtattet, die Bibliothef zu kaufen.)
Der „Sammler“, der in allen größern Gemeinden des In—
und Auslandes, in Berlin, in Königsberg, wo er anfangs er:
Ihien, in Hamburg, Prag, Breslau, Straßburg, Kopenhagen,
beifällige Aufnahme fand, wurde von Mendelsjohn mit Bei-
trägen verjehen: einige Stüde aus feinem von dem Frommen
bald unterdrüdten „Sittenprediger”, feine mit Emden geführte
Correfpondenz über die Beerdigungsfrage und einige Heine Ge—
dichte erjchienen in diefer LZeitfchrift, deren erjter Jahrgang
(1784) auch mit feinem Bildniffe geſchmückt wurde.
Bon den zeitgenöffichen philofophifchen Denkern jüdischen
Stammes jtand Marfus Herz, der Gatte der fchönen Henriette
') ©, Friedländer bezeugt, den Brief Mendelsſohns an Iſaak Kohen
gejehen zu haben; Sammler, 1784, ©. 80; Drient, Literaturblatt, 1844,
Nr. 18.
— 430 —
de Lemos, Mendelsfohn am nächſten. Herz, von feinen armen
Eltern zum Rabbiner bejtimmt, widmete fich Tpäter dem Studium
der Medicin und lag in Königsberg mit bejonderer Vorliebe
der Vhilofophie ob. Die Natur hatte viel für ihn getan. Er
beſaß einen hellen Verſtand, ein weiches Herz, eine gemäßigte
Einbildungskraft und eine „gewiſſe Subtilität des Geiftes, Die
der Natur natürlich zu fein ſcheint“. „Ich Tiebe ihn aufrichtig,“
Schreibt Mendelsfohn den 23. December 1770 an Kant, der
ihm feinen Lieblingsichitler empfohlen Hatte, „und Habe das
Vergnügen, faft täglich feines ſehr unterhaltenden Umganges zu
genießen.“1) Herz fuhr auf der unter Kants Leitung betretenen
Bahn rühmlichſt fort. Nach feiner Rückkehr aus Königsberg
Tchrieb er „Bhilofophifche Geſpräche“ und ſchickte fie Mendels-
fohn zur Beurtheilung. Diefer, von feinem Nervenleiden noch
nicht hergejtellt, fchrieb ihm: „Sch bin ein podagriiher Tänzer;
da fie ich in meinem Lehnjtuhle und rufe den Tänzern mein
Bravo zu. Das erjte Bravo befommen Sie.” Die Geſpräche
blieben ungedrudt: Mendelsfohns Tadel Hatte den Berfaffer ab-
gefchrect, fie zu überarbeiten. Auf den Scharfiinn und das
philofophifche Urtheil des Doctor Herz legte Mendelsfohn großen
Werth, das beweiſt ſowol die zwifchen beiden geführte Corre—
fpondenz,?) al3 auch die Widmung, mit der er ihm die neue
Auflage feiner „Bhilofophifchen Schriften” zufchidte: „Seinem
Freunde Markus Herz empfiehlt folgende Aufſätze zur fernern
Ausführung, deren er ſelbſt wol auf Erden nicht mehr fähig
fein wird, der Verfaſſer.“ In ein Exemplar des neuaufgelegten
„Phädon“ fchrieb er ihm: „Sn jenem Leben ein Mehreres.
Mofes Mendelssohn.‘ 3)
Markus Herz, vom Fürjten von Walded zum Hofrath er:
nannt, und der erite Jude, der als Profeſſor der Bhilofophie
in Berlin öffentliche philofophifche Worlefungen hielt, die von
) Schr. V, 509, Kants Werfe XL, 1, 207.
2) Schr. V, 555, 558 f., 587 f., 614.
3) Aus Schlihtegrolls Nefrolog in Sulamith III, 2, 80 f.
— 431 —
Fürften und Prinzen beſucht wurden, dabei ein beliebter viel-
beichäftigter Arzt, blieb Mendelsjohn ein treuer hingebungs-
voller Freund; in feinen Armen hauchte er den Geijt aus.
Als ic) einſt vor Mendelsjohns Kranfenbett ſaß, jo er-
zählt ein Namensvetter unferes Philofophen, fam ein zerlumpter
Pole hereingeftürzt, holte ein Convolut Schriften aus feinem
Bufen, warf fie aufs Bett und verſchwand. Wiſſen Sie, ſprach
Mendelsfohn, was diefe Schriften enthalten? Diejer wilde Pole
jucht darin die zehn Sefirot durch die neuejte Philofophie zu
erklären.) Diefer Pole ward nachher der berühmte Salomon
Maimon. Chamifjos „Abba Gloſk Leczefa“, jener blutarme
jüdiſche Reber, der von heißer Begierde nad) Wahrheit gejtachelt,
von feinen unduldfamen Glaubensgenofjen verjagt, aus Lithauen
nad) Berlin pilgert, um Mendelsfohns Rath und Unterricht
zu genießen, aber auch in Berlin nicht geduldet wurde, Abba
Gloſk jtellt das poetifche Seitenftüd zu Salomon Maimons wirf-
lichen Lebensfchiefalen dar. Diefes feltene Genie, das fich durch
eiferne Willenskraft unter den ungünftigjten Verhältniffen vom
polnischen Talmudiften zum deutfchen Philofophen emporgearbeitet,
dem Kant in einem Schreiben an Markus Herz zugeitanden hat,
daß er unter allen feinen Gegnern der bedeutendjte und ſcharf—
finnigfte wäre, fand, al3 er im Jahre 1779 zum zweiten male
nach) Berlin fam und dort geduldet wurde, in einem Butter-
laden Wolffs Metaphyfif, welche ex für zwei Grofchen kaufte
und in deren Studium er fich verfenktee Er war von dem
Buche ganz entzüdt, die Ordnung und mathematijche Methode,
die er darin fand, „zündeten in feinem Geiſte ein neues Licht
an“. Aber Wolffs Theologie flößte dem mit Maimunis „Führer“
vertrauten jungen Manne Bedenken ein; den Beweis vom Dafein
Gottes nad) dem Sabe des zureichenden rundes konnte er nicht
zugeben. Seine Zweifel ſetzte er in hebräifcher Sprache auf und
überfandte die Schrift Mendelsjohn, von dem er fchon fo viel
') Orient, Literaturblatt, 1848, S. 165, Mittheilung Mojes Men:
veljons in Hamburg nad Erzählung feines Vaters.
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gehört hatte. Aufgemuntert durch deſſen fofortige und aner-
fennende Antwort, fchrieb er eine metaphyfiiche Disputation in
hebräifcher Sprache; infolge derſelben wünſchte Mendelsſohn
ihn perſönlich kennen zu lernen. Er war aber ſo ſchüchtern,
daß er es kaum wagte, in ein vornehmes Haus zu treten. Als
ich Mendelsſohns Thüre öffnete, erzählt er ſelbſt, ihn und an—
dere vornehme Leute, die zugegen waren, erblickte, ſo bebte ich
zurück, machte die Thüre wieder zu und wollte mich entfernen.
Mendelsſohn aber hatte mich bemerkt, kam zu mir, redete mich
fehr liebreich an, führte mich in fein Zimmer, jtellte fich mit
mir ans Fenſter und machte mir über mein Schreiben viele
Complimente. Diefer wiürdige Mann forgte auch für meinen
Unterhalt, empfahl mid) den vornehmiten und aufgeflärteften
Juden Berlins, die für meine Beföftigung und übrigen Bediürf-
nifje Sorge trugen.) Maimon, der Lode und Spinoza, Homer
und Oſſian durcheinander las und ſich für feinen bejtimmten
Beruf erflären wollte, lernte endlich auf Zureden feiner Freunde
drei Jahre in einer Apotheke, aber nur als theoretifcher Zu-
Schauer, dabei führte er ein loſes Leben, ſodaß Mendelsfohn
ihn endlich) kommen ließ und ihm den Rath ertheilte, Berlin zu
verlaſſen. Maimon entichloß ih nad) Hamburg zu gehen.
Mendelsfohn gab ihm ein jehr vortheilhaftes Zeugniß über feine
Fähigkeiten und Talente mit, und war froh, ihn los zu fein.
Als diejer „Verbeſſerer Kants“, über dejjen Schriften Schiller,
Göthe, Körner voll des Lobes find, nach einigen Jahren wieder
nad) Berlin zurücfehrte, war Mendelsfohn ſchon der Erde ent-
rückt. Beſonders dankbar hat er fich nicht gegen ihn gezeigt.?)
Auch ein fonft unbekannter Philofoph, Herz Ullmann aus
Mainz, der ſich im Haag häuslich niedergelafjen, der die ganze
') Salomon Maimons Lebensgeſchichte. Von ihm felbft gefchrie-
ben und herausgegeben von K. P. Morik (Berlin 1792), IL, 156 ff.
2) Der von Maimon an Mendelsjohn gerichtete, in der Biogra:
phie Elia Wilnas „Alijuth Elijahu‘ (Wilna 1856) abgedrudte Brief
und die ganze damit in Verbindung gebrachte Geſchichte ift Erfindung.
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Philoſophie nach Wolffiicher Eintheilung bearbeitet, über Logik
und Metaphufit, über Piychologie und Kosmogonie geſchrieben
hat, wandte fih an Mendelsfohn mit einer Abhandlung über
das Dafein Gottes, um fie in Berlin druden zu laſſen. Diefer
gab ſich der Hoffnung Hin, die Drudfojten, welche der in dürf—
tigen Berhältniffen Tebende Schriftjteller nicht beftreiten Fonnte,
durch eine Sammlung bei feinen reichen Glaubensgenoſſen mit
Leichtigkeit aufbringen zu können, ſtieß aber auf fo große
Schwierigkeiten, daß er den Plan aufgeben und die fonft vor-
treffliche Arbeit dem Autor zurüdichiden mußte. ')
Bon dem Regensburger Rabbiner Iſaak Alerander, der
in jener Beit deutfche Schriftchen mit philofophiichen Titeln er-
fcheinen ließ und den Nicolai auf feinen Reifen durch Deutſch—
land perfönlich fennen lernte und al3 einen merkwürdigen Mann
bezeichnete, nahm Mendelsfohn wenig Notiz. Er hielt ihn, wie
er Aoigdor Levi jchrieb, „für einen intereffirten Menfchen, der
blos Eigennuß zur Abficht Hat“.?)
Alle diefe Männer, welche mit und dur) Mendelsfohn
dachten, waren, wie der Kantianer Lazarus Bendavid, der fich,
von ihm aufgemuntert und unterjtüßt, zum Mathematiker erſten
Ranges heranbildete, treffend bemerkt,3) die Kleinhändler deffen,
was jie im Umgange mit Mendelsjfohn im ganzen einfauften:
Cultur und Aufklärung wollten fie unter den Juden verbreiten.
Die Aufklärung erhielt aber einen gewaltfamen Schwung und
verlor an Kraft, was fie an Zeit zu gewinnen jchien.
) Die Abhandlung blieb ungedrudt und ift mit andern philojo-
phifchen Arbeiten Ullmanns noch handichriftlih vorhanden; j. Katalog
der Michaelichen Bibliothek (Hamburg 1848), H. S. Nr. 297—299, 300,
302, 391, 419; Steinſchneider, Cat. Cod. Hebr. Bibl. Acad. Lugduno-
Batavae 86 ff. Der Brief Mendelsjohns an Ullmann von A. Neubauer)
veröffentlicht in Zr. Zetterbode II, 174; m. f. mein Moſes Mendels-
john. Ungedrudtes und Unbefanntes, ©. 36 ff.
2) Schr. VI, 453. Ueber Alerander ſ. mein: Ein vergefjener Zeit:
genofje Mendelsjohns, in Frankels Monatsjchrift, 1867, 161 ff.
3) Lazarus Bendavid, Charakterijtif der Juden (Leipzig 1793), ©. 34.
Kayſerling, Mofes Mendelsjohn. 28
— 434 —
Bierundjiebzigftes Kapitel.
Aufllärung und Schhwärmerei.
Die Stadt Friedrich des Großen betrachtete fi) mehr und
mehr al3 die Metropole der Aufflärung. Zur Verbreitung nütz—
ficher Aufklärung und zur Verbannung verderbliher Srrthümer
war durch den Bibliothefar Bieter und den Gymnafialdirector
Gedike im Jahre 1783 die „Berliner Monatzfchrift” gegründet;
Mendelsfohn zählte zu ihren Mitarbeitern. Zu gleicher Zeit
und zu ähnlichen Zwecken bildete fi) in Berlin eine gelehrte
Gefellichaft, der alle Männer der Aufklärung, Engel, Nicolai,
Juſtizrath Klein, Kriegsrath Dohm, der Propſt Teller, die Pre
diger Spalding und Zöllner, Hofrath Selle, Biejter, Gedife und
mehrere andere als Mitglieder angehörten. Auch Mendelsfohn
wurde zum Beitritt aufgefordert. Derfelbe Grund, der ihn ver-
hinderte, einer „Geſellſchaft der Wiſſenſchaften“ in Wien beizu-
treten, machte e3 ihm unmöglich, der Einladung Biefters zu
folgen: fein Teidender Zuftand, feine häuslichen Verrichtungen,
welche, wie er dem Freiheren von Sonnenfel3 fchreibt, „viel
Zeit und Bemühungen erfordern;“N) ein Grund, der die ab-
ſchlägliche Antwort für jeden feiner Freunde doppelt fchmerzlich
machte. Daraufhin fehrieb ihm Biefter: „Sebt hat die Gefell-
ichaft einen andern Wunfc geäußert und mir aufgetragen, Sie
um die Gewährung defjelben zu bitten. Ein in der Gefellfchaft
gehaltener Vortrag wird nicht blos dort befprochen, fondern er
cireufirt hernach bei allen Mitgliedern, um noch reiflicher über-
legt zu werden und fommt mit den beigefchriebenen Votis der
Mitglieder zurüd. Nun wünſcht man, daß man aud Ihnen,
verehrungswerther Mann, zuweilen die Kapſel fchiden darf, um
aud) Ihre Meinung über einen Bortrag zu hören, den man
dazu wichtig genug hält. Wollen Sie dies erlauben und gütig
) Schr. V, 623.
— 45 —
genug fein, zumeilen Ihr Botum zu geben? Sie werden auf
diefe Weife ein Ehrenmitglied der Gejellihaft und Haben Fug
und Recht, wenn Sie wollen oder wenn es Ihre Bequemlichkeit
erlaubt, die Gefellichaft zu befuchen oder nicht, wie es Ihnen
beliebt.‘ !)
Man fieht, welch großen Werth die gelehrte Geſellſchaft
auf Mendelsfohns Urtheil legte. Mehrere für diefelbe von ihm
gefchriebene Vota find in der „Berliner Monatsſchrift“ erfchienen.
In diefem Journale beantwortete er auch die Frage: „Was heißt
Aufflären?“?) Er unterfcheidet zwifchen Cultur und Aufklärung:
jene bezieht fich auf das Praftifche, diefe auf das Theoretifche;
fie verhalten fich zu einander wie Theorie zur Praris, wie Er-
fenntniß zur Sittlichkeit. „Wo beide, Cultur und Aufklärung,
mit gleichen Schritten fortgehen, da ſind fie fich einander Die
beiten Schußmittel gegen die Corruption. Mißbrauch der Auf-
klärung ſchwächt das moralische Gefühl, führt zu Egoismus und
Srreligion. Mißbrauch der Eultur erzeugt Ueppigfeit, Gleis-
nerei, Verweichlihung und Aberglauben.“ Und in der That!
Die mißbrauchte Aufklärung führte zur Srreligion; das Myſtiſche
wurde Mode. Schröpfer, Caglioftro und andere Schwärmer
traten auf und fanden Glauben. „Wir träumten von nichts
als Aufklärung,“ Heißt es in dem Briefe Mendelsjohns an
Zimmermann vom 1. September 1784,3) „und glaubten durch
da3 Licht der Vernunft die Gegend fo aufgehellt zu finden, daß
die Schwärmerei fi) gewiß nicht mehr zeigen werde. Allein
wie wir fehen, fteiget fchon von der andern Geite des Hori-
zont3 die Nacht mit allen ihren Gefpenftern wieder empor. Das
Fürchterlichite dabei ift, daß das Uebel fo thätig, jo wirkſam
ift. Die Schwärmerei thut und die Vernunft begnügt fi zu
ſprechen.“
Schon beim erſten Auftreten des berüchtigten Schröpfer,
) Schr. I, 30.
2) Schr. TIL, 399 ff.
3) Mein: Mofes Mendelsjohn. Ungedrucktes und Unbefanntes, S.17,
28*
— 456 —
von dem fich die angefeheniten Männer jo aufßerordentlide
Wunderdinge zu erzählen wußten, war man begierig, Mendels-
ſohns Anfichten über diefe „Arbeiten“ zu hören. Die Grafen
Hoym und von Lynar erfuchten ihn, feine Gedanfen darüber zu
Papier zu bringen. Er that e3 in einem noch heute Tejens-
werthen Auffage in der „Allgemeinen deutfchen Bibliothef.')
Gleichzeitig bejtimmte er in einer befondern, auch dem Grafen
zu Schaumburg=Lippe abſchriftlich geſchickten Abhandlung?) die
Wörter: Enthufiaft, Vifionär und Fanatifer oder Schwärmer. Er
„nennt denjenigen einen Enthufiaften, auf deſſen Gemüth minder
kräftige Vorftellungen von einer gewiſſen bejtimmten Gattung
(die nämlich feinem Genie entfprechen) mit ſolcher Energie wirken,
daß fie alle feine Geiftesfräfte aufregen und zu einem Endzwede
thätig machen. Wir find alle mehr oder weniger empfindfam
gegen Tugend, Religion, Vaterland, Freundſchaft, ob fie gleich
al3 allgemeine Ideen und als bloße Zeichen minder Fräftig jein
müffen. Wenn aber das Genie eines Menjchen danach geitimmt
und die Laune günjtig ift, jo kann bei Anhörung bloßer Worte
ein Enthufiasmus in feiner Seele entjtehen und ihm eine Thätig
feit verleihen, die ihm felbjt eingehaucht fcheinen wird, weil fie
ihren fichtbaren Urſachen fo wenig entfpricht.
Mancher ift gegen Borftellungen von einer gewiſſen at
tung fo leichtbeweglich, daß feine Erfindungs- und Einbildung::
fraft durch die bloßen Zeichen derfelben in Bewegung geraten,
die Zeichen in Bilder, und die Bilder oder Phantasmata in
gegenwärtige Empfindungen verwandeln. Diefen nennen wir
einen Viſionär, Erjcheinungsfeher.
Auf den Schwärmer oder Fanatifer wirken die een,
welche jeinem Genie analog find, mit mehr Wärme als Lid.
Sie ſetzen die verborgenften Triebfedern feines Herzens in heftige,
anhaltende Bewegung und Yafjen fie in wirkliche Handlungen,
ı) Schr. IV, 2, 561 ff.
2) Diefe Abhandlung, bereits 1775 gejchrieben, wurde zuerft ver:
öffentlicht: Deutfches Muſeum, 1858, Nr. 33, dann 1. Aufl. 551 ff.
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und zwar in ſtarke und außerordentliche Handlungen ausbrechen,
die mehrentheil3 böſe fein werden, weil fie aus einer unreinen
Duelle fließen, und nicht Wahrheit, fondern Wahn und Träu-
- merei zum Grunde haben.“
Aberglauben und Schtwärmerei, Geijterbefchwörung und
Rofenfreuzerei griffen immer mehr um ſich; „man wollte lieber
von Geſpenſtern umgeben fein als in einer todten Natur zwifchen
lauter Zeichnamen wandeln, lieber im Schlaraffenlande als länger
ohne Gott leben.“ Diefe gefährliche Krankheit der Zeit be—
ſchäftigte damals wie die bedeutendjten Denker auch Mendels—
john, der ungefähr anderthalb Jahr vor feinem Tode das Mittel
angab, „wie der einreißenden Schwärmerei entgegenzuarbeiten
jei“.) Nicht durch Spott; „die Menfchen fünnen aus ihren
falfchen Begriffen von Gott und der Vorſehung weder dur)
Satyre hinausgeladht, noch durch äußere Macht und Anjehen
hinausgefchredt werden . . . Die Duelle des Uebels fann nicht
ander als durch Aufklärung verjtopft werden. Man helle Die
Gegend auf, fo verichtwinden die Geſpenſter. Man ziehe ans
Licht, was fo gerne im Finftern fchleicht; bringe alles an den
Tag, was man von den Bemühungen, geheimen Berbindungen,
Anjtalten und Berrichtungen der Schwärmerei in Erfahrung
bringen fann; mit Verachtung gegen den Verführer, aber mit
Berihonung und ohne Geifel der Satyre gegen den Verführten,
der Mitleid, aber nicht Hohn verdient.” „Es wäre zu wün—
ſchen,“ fchreibt Mendelsfohn an Zimmermann, „daß ein glüd-
fiches Kind der Vorfehung mit eben folhen Waffen wider den
Atheismus, der bald der Vorläufer, bald der Nachfolger der
Schwärmerei ift, zu Felde züge, ein Mann, der den hohen Exnit
der Vernunft, fowie die fanftefte Wärme der Empfindung und
alle Mittel einer reichen, aber nicht verjchtwenderifchen Einbil-
dungskraft in feiner Gewalt haben müßte, mit einem Worte,
wenn ich mic das Ideal defjelben vorftellen will: ein Mann,
) Schr. III, 418 ff.
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der das für die Sache der Gottheit thun könnte, was Windel-
mann für das Heidenthum gethan. Diefer würde zu ihrem
Werfe — Ueber die Einſamkeit — den Pendant fchreiben, und
fo hätten wir dem von allen Seiten einreißenden Uebel aud)
von allen Seiten zu fteuern geſucht. Won meiner Seite muß
ic) e3 vor der Hand blos bei dem frommen Wunfche beivenden
laſſen. Ich fühle mich zur Vollendung diefes erhabenen Werfes
viel zu ſchwach. Indeſſen will ich, fo lange mir die Vorſehung
das Leben frijtet, Materialien dazu herbeifchaffen. Vielleicht
bedient fich derfelben einft ein glüclicherer Sterblidher, und viel-
leicht — tröftend und herzſtärkend ift diefer Wunfch für meine
Schwachheit — vielleicht ift diefer glücflichere mein Sohn!?)
Ihm ſelbſt wurden die letzten Jahre feines Lebens durch
den „Schalen nervenlofen“ Atheismus und die Glaubensſchwär—
merei gründlich verbittert.
) Mein: Mojes Mendelsjohn. Ungedrudtes und Unbefanntes,
©. 17 f.
Fünfzehntes Bud.
Iacobi.
Sünfundfiebzigites Kapitel.
Eliſe Reimarus und Jacobi.
Elife Reimarus, die trefflihe und hochgebildete Tochter des
Hamburger Philoſophen, verehrte Mendelsfohn als die Herzens-
freundin feines LZeffing, al3 die nahe Verwandte Hennings, und
wurde noch weit mehr von ihr verehrt.
Auf einer Reife, welche fie im März 1783 in Begleitung
Campes, welcher damals einer Erziehungsanftalt in Hamburg
vorstand, nad) Berlin machte, lernte fie den ihr fo theuern
Mann perfönlich kennen. „Mendelsſohn, meinen lieben Mendels-
fohn fah ich geſtern,“ fchreibt fie am 25. März von Berlin aus
an einen Freund. „Er ift ganz, wie ich ihn mir dachte; un—
widerjtehlid) einnehmend durch die überall aus ihm redende
Güte des Herzens und hervorleuchtende Klarheit feines Geiftes.
Wir haben viel über Leffing und Sie geſprochen. Leſſings nicht
unähnliche Büfte war das erjte, was beim SHereintreten mir in
die Augen fiel... . Mendelsfohn Hat feines Briefwechſels mit
Leffing bis diefe Stunde noch nicht habhaft werden Fünnen;
aber der Bruder Hat verjprochen, ihm nächſtens ein Packet
— 40 —
Schriften zu Schicken, worunter auch diefer Briefwechſel fein joll.
Und alsdann verfpriht Mendelsjohn fein Wort wegen des
‚Etwas über Leſſings Charakter‘ zu halten. Der Himmel gebe
ihm dazu Gefundheit und Heiterkeit, fo werden wir doch einmal
etwas über unfern Freund leſen, das des Mannes werth iſt.“)
In den wenigen Stunden, welche Mendelsfohn diefe um
fünf Jahre jüngere Schweiter des mit ihm in gleichem Alter
jtehenden Hamburger Arztes und Philoſophen Johann Albert
Reimarus zu fprechen die Freude Hatte, gewann er fie fo Lieb,
daß er als Freund Leffings fein Recht auf ihre Freundschaft
geltend machte; „aus ihren Reden und noch mehr aus ihrem
bedeutenden Stillfchweigen“ ſchloß er auf Gleichheit der Ge-
finnungen; ex nannte fie feine „theuerfte Freundin“, feine „ver—
ehrungswürdige Schweiter“, feine „theuerjte Elife“. Sie blieb
ihm eine theure Freundin, wie unangenehm für ihn auch die
Folgen ihres Beſuches wurden: Elife Reimarus brachte Men—
delsfohn zunächſt mit Jacobi zufammen. An diefen Freund war
ihr obige Schreiben gerichtet.
Friedrich Heinrich Jacobi, ein Schüler und Verehrer Bonnets
und Bufenfreund Hamanns, der, infofern er den Glauben über
die Vernunft feßt, der Glaubens- und Gefühlsphilofoph, der
Borläufer der romantischen Schule ift, hielt fi) im Juli 1780
einige Tage bei Leffing in Wolffenbüttel auf. Am zweiten Tage
jeiner Anweſenheit kam Lefjing des Morgens früh zu feinem
Gaſte, und da diefer mit Brieffchreiben bejchäftigt war, bat er
ſich etwas zu lefen aus. Jacobi reichte ihm das Goetheſche Ge-
dicht „Prometheus“, dag er in der Handichrift bei ſich trug,
mit den Worten: „Sie haben jo manches Aergerniß gegeben,
jo mögen Sie aud) einmal eins nehmen.” Zu feiner großen
Ueberrafhung fand Leffing nicht allein das Gedicht nach Form
und Inhalt von dem Tebendigen Geifte des Alterthums durch—
weht, jondern fügte noch Hinzu: „der Gefichtspunft, aus welchem
) Jacobis Werke IV, 1, 38.
— 41 —
das Gedicht gewonnen ift, das ift mein eigener Geſichtspunkt.
Die orthodoren Begriffe von der Gottheit find nicht mehr für
mich; ich kann fie nicht genießen. "Ev xal IIav! Eins und
Alles. Ich weiß nichts anderes. Wenn ich mich) nad) jemand
nennen foll, fo weiß ich feinen andern als Spinoza.“!)
Leffing Spinozift! Jacobi ftauntee Im Laufe des Ge—
fpräches fragte er ihn auch, ob er gegen Mendelsfohn, den er
unter feinen Freunden am höchſten fchäßte, feine Anhänglichkeit
an Spinoza nie hätte laut werden laſſen. „Nie!“ antwortete
Leſſing. „Einmal nur fagte ich ihm ungefähr eben das, was
Ihnen an der ‚Erziehung des Menjchengefchlechts‘ aufgefallen
ift. Wir wurden aber nicht mit einander fertig, und ich Tieß
es dabei.“ ?)
Diefes Geheimniß von Leffings Spinozismus bewahrte
Sacobi drei volle Jahre, bis er durch Elife erfuhr, daß Men-
delsfohn ernftlich daran denfe, eine Charakteriftif Leſſings zu
ichreiben. Erſt da hielt er e3 für geboten, der gemeinfchaft-
lichen Freundin das Geheimniß anzuvertrauen, damit fie, wenn
fie e3 für gut fände, e8 Mendelsfohn eröffne.
„Sie wiſſen vielleicht,“ fchrieb er ihr am 21. Juli 1783,
„und wenn Sie es nicht mwifjen, fo vertraue ich Ahnen unter
der Roſe der Freundfchaft, daß Leffing in feinen legten Tagen
ein entjchiedener Spinozijt war. Es wäre möglich, daß Leffing
diefe Gefinnungen gegen mehrere geäußert hätte, und dann wäre
e3 nöthig, daß Mendelsfohn in dem Ehrengedächtniffe, das er
ihm fegen will, gewiſſen Materien entweder ganz auswiche, oder
fie wenigstens äußerſt vorfichtig behandelte. Wielleicht hat fich
Leffing gegen feinen lieben Mendelsfohn eben fo Har als gegen
mich geäußert, vielleicht auch nicht, weil er ihn Yange nicht ge-
Iprochen, und fehr ungern Briefe fchrieb. Ahnen, meine Traute,
) Sacobis Werfe IV, 1, 52.
2) Jacobis Werke IV, 1, 42; Schr. III, 10.
— 42 —
fei es hiermit anheimgejtellt, ob Sie Mendelsfohn hiervon etwas
eröffnen wollen oder nicht.‘ ')
Der Freundin ſchien die Sache äußerft wichtig, fie ſchrieb
fofort an Mendelsfohn und entdedte ihm das Geheimniß.
Sechsundſiebzigſtes Kapitel.
Leſſing Spinpzift.
Lefiing ein Anhänger des Spinoza! Man bedenke, daß die
Leute damals von Spinoza noch immer wie „von einem todten
Hunde” redeten und was ſich nicht allein Theologen, ſondern
auch Philofophen unter einem Spinoziften vorftellten. Sehr
überrafcht war Mendelsfohn von diefer Mittheilung nicht. Wußte
er doch, daß Leffing fo gut wie er felbjt fih in der Jugend
mit Spinoza befchäftigt und defjen Einheitsgedanfen in ect
fpeculativer Weife überall folgerecht feitgehalten. Aber höchſt
unangenehm war ihm der Antrag von Seiten Jacobis. Am
“ Grunde Hatte er den Mann nie gefannt. Er Hatte wol ein-
zelne Auffäße von ihm gelefen und ihn als piychologifchen
Romanjchreiber gefchäßt; in der Philofophie hielt er ihm für
einen Dilettanten. Daß er Leffings Freundfhaft und Vertrauen
genofjen habe, das war ihm völlig fremd. Er hielt daher das
ganze Geheimniß vorläufig für eine bloße Anekdote, welche ihm
irgend ein Reifender erzählt haben mochte. Indeſſen witterte
er bald, daß man geneigt jei, Leſſing den Proceß zu machen.
Da er nun wirklich im Begriffe war, über Leſſings Charakter
zu fchreiben, fo fah er gar wohl, daß ihn diefe Anekdote weit
vom Ziele abführen würde, daß ſie Erörterungen und Unter:
) Sacobis Werke, IV, 1, 40.
— 43 —
fuchungen erforderte, zu welchen ihm Stimmung und Kraft fehlten.
Unter allen Umftänden war ihm die Entdedung Jacobis fehr
unwillfommen, und er drang auf nähere Erflärung.!)
Dhne zögern fchrieb er der „verehrungswürdigen Reimarus“:
„Was heißt das: Leffing war in feinen legten Tagen ein ent—
Ichiedener Spinozift? Wie hat fich Leffing diefes gegen Jacobi
geäußert? Hat er mit trodenen Worten gejagt: Sch halte das
Syitem de3 Spinoza für wahr und gegründet? und welches?
Hat er das Syitem jo genommen, wie es Bayle mißverjtanden,
oder wie andere es befjer erklärt Haben? Wenn Leffing im
Stande war, fich fo fchlechtweg, ohne alle nähere Beftimmung,
zu dem Syſtem irgend eine® Mannes zu verjtehen, jo mar
Leſſing zu der Zeit nicht mehr bei fich felber, oder in feiner
fonderbaren Laune, etwas paradores zu behaupten, das er in
einer ernjthaften Stunde felbft wieder verwarf. Hat aber Leffing
etwa gefagt: „Lieber Bruder! der fo fehr verfchrieene Spinoza
mag wol in manden Stüden weiter gefehen haben, als alle die
Schreier, die an ihm zu Helden geworden find. In feiner Ethik
insbefondere find vortrefflihe Sachen enthalten, vielleicht befjere
Sachen als in mander orthodoren Moral oder in manchem
Eompendio der Weltweisheit. Sein Syſtem ift jo ungereimt
nicht, al3 man glaubt.“ Hat er etwas dergleichen ſich merken
lafjen, wie ich von meinem Freunde vermuthe; — befte Seele!
ic) weiß nicht, wie nahe oder wie ferne der Tod Hinter mir
fteht und mit der Hippe droht: aber ich bin zu aller Zeit be-
reit, diefes von ganzem Herzen zu unterfchreiben, man bringe
mich, unter welche ARubrif man wolle.“ 2)
Da Mendelsfohn vermuthete, daß Jacobi der Mann nicht
fei, der fih die Sachen nur Halb fagen ließe, fo erfuchte er
Elife, den Freund zu veranlaffen, daß er ausführlich berichte,
was, wie, bei welcher Gelegenheit und auf welche Veranlaffung
fic) Lefjing über feinen Spinozismus geäußert habe. Sobald
') Schr. II, 6.
2) Schr. V, 693 ff.
— 444 —
Jacobi ihn hierüber befriedigt hätte, wollte er auch die legten
Gejinnungen feines Freundes nicht verfchtweigen; auch des beiten
Freundes Name follte für die Nachwelt nicht heller glänzen, alö
er es verdient.
Sobald Elife diefen Brief vom 16. Augujt 1783 exhiel,
fam fie dem Wunſche Mendelsfohns nad) und brachte den Sr
halt des Schreibens Jacobi zur Kenntniß. Diefer genügte der
Aufforderung und richtete von Bempelfort aus am 4. November
1783 „unter dem Umschlag an die Freundin unverfiegelt“ an
Mendelsfohn ein Schreiben, in dem er ihm das Weſenkliche
feiner Unterredung mit Leffing weitjchweifig mittheilte. Und
doch erzählte er nur den zehnten Theil von dem was er hätte
erzählen fünnen! „Wenn man ganze Tage und von vielen ſeht
verfchiedenen Dingen miteinander ſpricht, muß jich die Erinne
rung des Details verlieren.“ Die Fragen, welche Mendelsjohn
ihm vorgelegt und, wie er ſelbſt geiteht, „vielleicht etwas zu
lebhaft“ ausgedrüdt hatte,!) wurden gerade nicht in der zartejten
Weife, jondern „Dürre, troden, ja wol etwas herbe‘ beantworte,
fodaß Jacobi am Schluffe des Schreibens für jchicklich hielt,
den „Lieben edlen Mendelsfohn“ zu bitten, „es ihm nicht zum
böfen zu deuten. Gegen einen Mann, den ich jo wie Sie ver
ehre, war diefer Ton der einzige, der mir geziemte.‘?)
Das Schreiben Jacobis gab Mendelsjfohn genugjam zu
erfennen, daß er feinen Mann nicht gekannt hatte. Er hielt
ihn für einen Schöngeift und wurde einen Philoſophen gewahr,
der Kraft genug befaß, „ich vom Gängelbande loszureißen und
feinen eigenen Weg zu gehen“. Er verjtand in dem, von Jacobi
ihm geichidten langen Briefe, der einer philofophifchen Abhand-
fung glich, nur das wenigfte: der Gang der Ideen war ihm,
wie er Elife und deren Bruder, dem Doctor Koh. Albert
Reimarus den 18. November 1783 fchrieb, zu fremd, das
Bilderreihe in den Vorftellungen zu blendend, daß er wie be
') Schr. III, 7.
2) Kacobis Werke, IV, 1, 9.
———
si —
— 45 —
täubt daftand und fich nicht zu finden wußte. Indeſſen glaubte
er aus dem „ganzen Gebäude, das ſich Jacobi auf eigene Kojten
errichtet Hatte”, fchließen zu dürfen, daß diefer in die Subtili-
täten des Spinozismus tiefer eingedrungen, al3 er vermuthete,
und daß die Nachricht von Leffings Anhänglichfeit an Spinoza
feine Anekdote, fondern das Refultat einer wirklichen Unter-
redung Sei.
Mendelsfohn Hatte den Ritter, den er ſelbſt zum Zwei—
fampf aufgefordert, verfannt und war bereit, ihn fürmlid) um
Berzeihung zu bitten, wenn der Ton, in welchem diejer ihn fein
Unrecht Hatte empfinden laſſen, nicht Genugthuung wäre. !)
Höchſt unangenehm und peinlich war es Mendelsfohn ſich
mit Jacobi einzulaffen. Daß Leffing fich in den legten Tagen
feines Leben zu den Lehren Spinoza bekannt habe, darauf
legte er nicht viel Werth. Er machte fich überhaupt nicht viel
aus dem, was der größte Menſch in feinen legten Stunden jagt
oder thut; am wenigjten wenn ex die „Seitenſprünge“ fo jehr
liebte, wie Leifing wirklich gethan; „das Neue und Auffallende
galt bei ihm mehr ald Wahrheit und Einfalt.“ „Sobald ihn °
die Laune anwandelte, war feine Meinung jo ungereimt, deren
er fich nicht, aus Liebe zum Scharfjinn, anzunehmen fähig war
und in der Hite des Streits ſchien es ihm felbjt zuweilen ein
Ernſt zu fein. In diefer Stunde war ihm die Gymnaſtik des
Geijtes wichtiger als die reine Wahrheit.“?) Den Beweis für
Leſſings Spinozismus fand Jacobi in „Prometheus“! Eine gute
Perfiflage! meint Mendelsfohn. „Glücklicher hätte das fogenannte
ſpinoziſtiſche Syſtem nicht gezeigt werden können. Wer durch)
ichlechte Verſe um feine Religion kommen kann, muß ficherlich
wenig zu verlieren haben“. 3)
Dem leidenden ſchwächlichen Manne war die ganze Ange-
legenheit in der Seele zuwider, weil er wußte, daß Jacobi
1) Schr. V, 701.
2) Schr. V, 698, 702.
3) Schr. V, 702; III, 9.
es
— 446 —
überall Spinozismus witterte, auch die Leibniz-Wolffiſche Philo—
fophie auf Spinoza zurüdführte; fie war beängjtigend für ihn,
weil er gleich anfangs vermuthete, daß diefer Glaubensphiloſoph,
der bejte Freund Lavaters und Hamann, den Berfuch maden
wolle, ihn in den Schos de3 Glaubens zu führen. Er zog,
um dem GStreite aus dem Wege zu gehen, die Sache in die
Länge: erjt nad) neun Monaten, den 1. Auguft 1784, antwor:
tete er Jacobi!) und theilte ihm mit, indem er ihm feine „Er:
innerungen“ über die Unterredung mit Leifing zufchidte, daß er
von feinem Borhaben über Leſſings Charakter zu fchreiben ab-
gefommen und willens jei, erjt einen Gang mit den Spinoziften
oder „AU Einern“, wie er fie lieber heißen wollte, zu wagen.
Der Kampf mit einem neuen Glaubenshelden war be
gonnen. E3 war ein metaphyſiſcher Ehrenfampf, den der ſchwäch—
lihe Mendelsfohn unter den Augen der Dame ausfechten mußte,
die jowol von ihm als von dem Gegner Hochgefchäßt wurde.
„Waffnen Sie fi) nur mit der lieben Geduld!“ xuft ex feiner
Dame zu. „Ich jtehe Ihnen dafür, unfere Briefe werden in
"die Länge immer weitläufiger, dunkler, unentjchiedener, recht
baberifcher; aber ich hoffe, wir werden unter Ihren Augen die
Geſetze der Beicheidenheit, die Grenzen eines ritterlichen, wohl
erzogenen Berhaltens nie überjchreiten, und ung niemals Ihrer
Achtung und Theilnehmung unwürdig machen.‘ 2)
Stebenundjiebzigites Kapitel.
Widerlegung Jacobis.
„Wir müſſen nun hoffen, daß Mendelsſohn wirklich bald
Hand ans Werk legt,“ ſchreibt Eliſe den 5. Juli 1784 an
Schr. V, 707 ff.
2) Schr. V, 709.
— 41 —
Jacobi. „Sie aber, lieber Jacobi, müſſen fich freuen, daß Sie
durch Ihren Aufſatz die Beranlaffung zu einer fo nüßlichen
Arbeit gaben, wenn e3 gleich eigentlich zu einem andern Zwecke
dienen follte und mit der Zeit auch dienen wird.“1)
Mendelsfohn fah die Arbeit feines ganzen Lebens bedroht,
dad Schredbild des Pantheismus erhob fi) gefpeniterhaft vor
feinen Augen: er durfte nicht fchweigen, mußte Jacobi Rede
ftehen, fo ſchwer es ihm auch wurde. Mußte er doch der Philo-
fophie, die feine treuefte Gefährtin, fein einziger Troſt in allen
Widerwärtigfeiten des Lebens war, jebt wie einer Zodfeindin
auf allen Wegen ausweichen. Er hatte alle Hoffnung aufge-
geben aus Rüdfichten für feine ſchwächliche Gefundheit jemals
zum „Ipeculativifchen Leben“ zurüczufehren und wollte „in langer
Beit wenig oder vielleicht gar nichts Metaphyfifches mehr jchrei-
ben“; nun mußte er fich mit einem male bis über den Kopf hin-
weg in transcendentale Spibfindigfeiten verfenfen. Dabei verbot
ihm die Nervenſchwäche, welche ihn feit mehr als zehn Jahren
fo ſehr niederhielt, jede Anftrengung des Geiſtes. Er mußte
mit 'einer „Schnedenartigen Langſamkeit“ arbeiten und fürchtete,
daß eine Arbeit wie die Widerlegung Jacobis fein Gehirn gar
zerfprengen würde.?) In diefem Ieidenden Zuftande follte ex
nun wieder an die erften Begriffe gehen, ohne Efel wiederkäuen,
was Subftanz, Wahrheit, Urfache, hauptfächlic; was objectives
Dafein fei; „alle diefe Subtiligfeiten wieder vorzunehmen,‘ be—
fennt er in dem Briefe an Elife vom 5. Januar 1784, „wäre
für mich, befunders in dieſer abſcheulichen Kälte, eine tödtende
Arbeit.‘3)
Er hatte einen fchweren Stand; nicht blos weil er
) Sacobis Werfe IV, 1, 100.
2) Schr. II, 235; V, 708, 712; 1. Aufl. ©. 559. Ob Mendels:
fohn beabfichtigte, die Ethik des Ariftoteles zu überfegen, wie Satanow
in der Vorrede zu der hebräifchen EINE derfelben (Berlin 1790)
verfichert, dürfte bezweifelt werden.
3) Schr. V, 705.
— 48 —
e3 als alternder Fränfliher Mann mit einem jüngern und
rüftigern Gegner zu thun Hatte, fondern vor allem, weil ihm
diefer Gegner, den ſelbſt Kant al3 einen Herkules unter den
Denfern rühmt, an Vertrautheit mit den Schriften und Einficht
in die Denkweife Spinozas weit überlegen war. Nach dem
funfzigften Jahre, Elagt er wiederholt, „will ſich unfere Geele
nicht Leicht einen neuen Weg führen Yaffen. Wenn fie aud
ihrem Führer eine Strede folgt, fo ift ihr doch jede Gelegen—
beit, in ihren gewohnten Pfad auszumweichen, willlommen, und
fie verliert ihren Vorgänger unvermerft aus den Augen.“ Er
hatte als Widerleger, wie er ſich ausdrüdt, eine „ſiſyphiſche
Arbeit“.
Das Schlimmfte für ihn war, daß er Jacobi und Genofjen
nicht3 neues, nicht? frappantes zu fagen hatte Er fand, daß
er „zu alt und zu ſteif fei, fich fein Schibbolet abzugemwöhnen,
daß er fich in Feine andere philofophifche Sprache mehr Hinein-
jtudiren fünne, al3 die er fo lange gewohnt war“. Die alten
befannten Gründe, jo fchlußrichtig und bündig fie mir auch vor-
fommen, find den Sophiften unfere® Jahrhunderts zu Spott
und Mähre geworden. Was nicht quer durch den Sinn fährt
und wie ein Wetterfchlag erjchüttert, macht feinen Eindruck mehr,
und die Arbeit der Penelope wieder ganz von neuem anzu:
fangen, mit Yangfamen, aber fejten Tritten alle Schlupfwinfel
und Irrgänge der Sophifterei durchzugehen und das Ungeheuer
aufzufuchen, dazu Habe ich die Kräfte nicht mehr, wenn ich fie
auch gehabt haben follte.“1) lehentlih bat er den Doctor
Reimarus, der von feinem großen Vater die feltene Gabe hatte,
die abjtrufeften Speculationen ohne Wortgepränge und Bilder-
Ihmud dem fchlichten Menfchenfinne darftellen zu können, den
Gang mit den „Sophijten“ zu wagen. Gern wollte er als
treuer Gehülfe oder Schildfnappe dem Kämpfer zur Seite ftehen,
die Pfeile fchärfen und fie dem Schleuderer darreichen. Selbſt
') Schr. V, 708.
— 49 —
fonnte er nicht mit dem Gegner ringen, jo lange noch jede
Meditation ihm fchlaflofe Nächte verurfachte und mit dem Schlag-
fluffe drohete.?)
Jacobi, Leſſing, Spinoza beichäftigten ihn unaufhörlich und
ließen ihn nicht ruhen. Jacobi fchicte ihm den 5. September
1784 von Hofgeismar aus, wo er fich bei feiner Freundin, der
Fürftin Galizin, aufhielt, die Abjchrift eines franzöfiichen Send-
ſchreibens an Hemfterhuis, gegen welchen er im Namen Spino-
zas die Confequenz des Syſtems zu vertheidigen fuchte, das
Mendelsfohn im buchjtäblichen Sinne nicht verjtanden hat. Und
mit welch geringichägiger Miene der glaubensſtarke Mann auf
den befcheidenen Mendelsfohn herabblicdte! Welch brüsfer Ton!
„Daß ich ritterlih den Handſchuh Hingeworfen hätte, davon
weiß ich nichts. Wenn er mir entfallen ift, und Sie wollen
ihn für hingeworfen anfehen und ihn aufnehmen; gut, ic) wende
nicht den Rüden, jfondern wehre mic) meiner Haut, jo gut ich
fann. Daß Sie mich für einen andern halten, das fommt nicht
von irgend einem blauen Dunjt, den ich gemacht Hatte. Kampf
und Ausgang werden zeigen, daß ich Feiner unerlaubten Künſte
mich bediene und auf nicht weniger bedacht bin als mich zu
verjteen.“?) Und eine foldhe Sprache nannte Mendelsfohn in
feiner Liebenswürdigfeit „altdeutiche Offenherzigkeit“.
He mehr Erläuterungen Jacobi gab, dejto weniger wußte
Mendelsjohn was er wollte. Ex merkte gar bald, daß er ſich
mit diefem Manne, der voll NRechthaberei und Eigendünfel war
und in eine, wie ihm fchien, „mit Fleiß angenommene Hibe zu
gerathen“ anfing, nicht vereinigen fünne. Niemand war auf
den Fortgang dieſes fonderbaren Kampfes mehr gejpannt als
Herder, der damal3 mit Göthe, Knebel und Frau von Stein
das Studium des Spinoza eifrig betrieb. „Ich fürchte,“ ſchreibt
er Jacobi den 2. November 1784, „Ihr werdet, nicht zwar mit
Y Schr. V, 704.
2) Sacobis Werke IV, 1, 122.
Kayferling, Moſes Mendelsjohn. 29
— 50 —
Homeriihen Göttern, aber mitunter mit Schatten ftreiten; wenig-
ſtens hat Mendelsiohn ſchon einen guten Anfang damit gemacht,
daß er Ti für einen Spinozijten genommen.‘1)
Bevor Mendelsjohn fih in einen Wettfampf mit Jacobi
einließ, wollte er, um Verwirrung zu vermeiden, in einer etwa
zwanzig und mehrere Bogen umfaflenden Schrift erſt feine
metaphyſiſchen Grundanſchauungen darjtellen und zugleich, ohne
alles was Jacobi und Lefjing insbefondere angeht zu berühren,
den Bantheismus widerlegen. Er machte fich zwar feine Red-
nung, den Gegner durh die Schrift von feiner Meinung zu
überführen, aber die Eontroverje hoffte er wenigjtens fejtzufegen
und den Streit gehörig einzuleiten. „Mit unferm würdigen
Jacobi wird mich alles dieſes nicht zufammenbringen, fo viel
jehe ich zum voraus, Wie ich mir feinen feurigen Geift vor-
jtelle, wird er alle meine Gründe als befanntes Schulgeſchwätz
verwerfen und der Mühe nicht werthachten, es nochmals zu
unterfuchen. a, er nimmt e3 mir vielleicht noch übel, daß ih
den tieffinnigen Lehren des Spinoza meine platte Compendien-
Weisheit entgegenfegte. Am Ende fürchte ich, wir bewirthen
ung einander wie der Storh und der Fuchs in der Fabel.
Sener läßt in tiefen Flaſchen, diefer auf flachen Tellern auf
tragen.‘ ?)
Bevor noch Mendelsfohn Jacobis Antwort auf die ihm ge
ſchickten „Erinnerungen“ mit deſſen kurzem Briefe vom 26. April
1785 erhalten hatte, theilte er Elife mit: ex fei feſt entichlofien,
dert eriten Theil feiner „Morgenftunden“ herauszugeben.
N) Aus Herders Nachlaß, II, 259.
2) Schr. V, 717.
— 451 —
Ahtundfiebzigites Kapitel.
Joſeph Mendelsſohn.
Die „Morgenſtunden“, das metaphyſiſche Hauptwerk Men—
delsſohns, hatte mit der Pentateuch-Ueberſetzung gleichen Zweck:
dieſe Vorleſungen, durch den Streit mit Jacobi veranlaßt, waren
zunächſt gehalten, um ſeinen älteſten Sohn „frühzeitig zur ver—
nünftigen Erkenntniß Gottes anzuführen“. |
Auf die Erziehung und Bildung feiner talentvollen Kinder,
von denen noch Später die Rede fein wird, verivandte Men-
delsjohn ſtets die größte Sorgfalt. „Auch ich) Habe Kinder,
die ich erziehen fol,“ fchreibt er Herder den 20. Juni 1780.
„gu welcher Bejtimmung? Ob im Sachen » Gothaifchen bei
jeder Durchreife ihren jüdischen Kopf mit einem Würfelfpiel zu
verzollen, oder irgend einem Heinen Gatrapen das Märchen
von den nicht zu unterfcheidenden Ringen zu erzählen, weiß nur
der, der uns all unfere Pfade vorgemejjen. Meine Pflicht ift,
fie fo zu erziehen, daß fie in jeder Gituation fi) von ihrer
Seite feine Schande zuziehen, und die ihnen ihre Nebenmenjchen
underdient zumwerfen, mit Refignation zu ertragen.“1) Obgleich
nicht veich, fcheute er doch die Koften nicht, ihnen Hauslehrer
zu halten. Als folchen lernten wir früher Herz Homberg fennen;
nach deſſen Abgang nahm Moſes Met, ein Elfäfjer, ein tief-
finniger Denker und dabei voll Befcheidenheit und Herzensgüte,?)
feine Stelle ein.
Ganz befondere Sorgfalt verwandte er auf die Ausbildung
feines älteften Hoffnungsvollen Sohnes Joſeph. Er Tieß ihn
von Herz Homberg im Hebräifchen und im Talmud, von den
tüchtigiten Männern der Stadt in Spraden und Wifjenichaften,
in Mufit und Zeichnen unterrichten. Rector Fiſcher war fein
1) 1. Aufl. ©. 543.
2) Schr. I, 54.
29*
=
Lehrer im Lateinifhen, bis er ins Gymnaſium eintrat.!) Engel,
der Erzieher der beiden Humboldt, ſpäter Gouverneur Friedrid
Wilhelms III, übernahm es aus Freundichaft für den Pater,
ihm Anleitung im deutichen Stil zu geben. Diefer Mann eines
„Achern Geſchmacks“ follte „dem guten gründlichen, Tebhaften
Bortrage” des jungen Mendelsjohn die angemefjene äſthetiſche
Form verleihen.?) Die Borlefungen, welche Hofrath Herz über
Phyſik Hielt und welche von Prinzen und Minijtern beſucht
wurden, hörte auch Joſeph mit gleichem Eifer wie die über
Chemie bei dem Profeſſor Klaproth.?) Der Vater hemmte in
feiner Weife die freie Entwidelung feines Geijtes, er Tieß ihn
alles lernen, wozu er Luft und Trieb empfand, umſomehr „da feine
Talente und guten Anlagen zu den gründlichen Wifjenfchaften
berechtigten, etwa3 vorzügliches von ihm zu erwarten; er drang
tief ein, ſchaute mit feſtem forjchenden Blicke umher, that aber
niemal3® große Sprünge, wie junge feurige Köpfe zu thun
pflegen.“ )
Sofeph war der Stolz des Vaters; das Herz lachte ihm
vor Freude, wenn er von ihm ſprach, wenn er von diejem
„guten Jungen“ feinen beften Freunden und Freundinnen jchrieb.
Mit Sehnfuht erwartete er ihn, fobald er von ihm getrennt
war; an ihn dachte er zuerjt, fo oft Schmerz oder Freude ihn
erfüllte. Als fein Freund Reimarus einen hoffnungsvollen Sohn
verlor, condolirte er ihm mit den füßfchwärmerifchen Worten:
„Ach! das Herz blutete mir, al3 ich die Nachricht davon in
öffentlichen Blättern las . . . . Ich warf einen Bli auf meinen,
auch nicht wenig Hoffnungsvollen Sohn, und heiße Thränen ent
fielen meinen Augen.‘“5)
Im Alter von funfzehn Jahren unternahm Sofeph eine
) 1. Aufl. ©. 510.
2) Schr. V, 667.
3) Schr. V, 680.
9 Schr. II, 236; V, 673.
5) Schr. V, 718.
— 3 —
Reife nah Hamburg und GStreliß zu Berwandten. Bei der
hochgeachteten Familie Reimarus führte ihn der Bater durch
folgende charafteriftifche Zeilen an feine theuerſte Elife ein:
„Meberbringer diejes, mein Sohn Joſeph, Hat den Auftrag
von meiner ganzen Yamilie, Sie ihrer ungetheilten Hochachtung
und Freundichaft zu verfichern; und es gefällt mir, daß er,
feiner anjcheinenden Kedheit ungeachtet, zu befcheiden iſt, fich
einer Perſon, die er fo hochzufchägen gelernt hat, ohne Em-
pfehlung zu nähern. „Sie hat dic) doch gejehen, lieber Sohn!
und ihr ift nichts unwillkommen,“ ſprach ich, „Das aus unferm
Haufe kommt.“ — „Mich hat fie lange wieder vergefjen,“ ant-
wortete er, „und überhaupt macht mich nichts fo fchüchtern als
die Hochachtung.“!)
Auch Freund Hennings follte er auf diefer Reife kennen
lernen, durd) ihn, den Sohn, „Sollte das Band der alten Freund-
Ihaft von neuem befeftigt werden“. Hennings war aber gerade
damals auf einige Zeit verreift, und Joſeph kehrte zurüd, ohne
ihn gejehen zu haben.)
Wie gern hätte Mendelsfohn auch feinen Joſeph für Die
Willenichaften bejtimmt, aber er mußte einen „Knecht des Mam—
mon“ aus ihm machen. Zur Arzneitunft hatte ex weder Lujt
noch Genie, und was konnte er als Jude damals werden? „Arzt,
Kaufmann oder Bettler“.3) Er mache es allerdings, wie fein
Bater e3 hat machen müfjen, heißt e3 in einem Briefe an
Homberg; „jtümpere fich durch, bald als Gelehrter, bald als
Kaufmann, ob er gleich Gefahr Läuft, Feines von beiden ganz
zu werden.‘“#)
Sofepp wurde Kaufmann. Mit feinem jüngern Bruder
Abraham gründete er in Berlin ein Bankhaus, das unter der
Firma „Mendelsfohn & Comp.“ noch jegt beſteht. In feinen
9 Schr. V, 721.
2) 1. Aufl. S. 538.
3) Schr. V, 722.
4) Schr. V, 674.
=; Z5- =
Mufeitunden beichäftigte er fih auch Titerariih; er veröffent-
lichte: „Berichte über Rofjetis Ideen zu einer neuen Crläute
rung des Dante und der Dichter feiner Zeit‘ und „Ueber Zettel:
banfen“;?) auch fchrieb er die furze den Gefammelten Schriften
feines Vaters vorgedrudte Biographie.
Die Liebe zu den Wiſſenſchaften hatte der Vater ihm ein-
geflößt. Er hielt es für Pflicht, ihn frühzeitig zum Denfen an
zuleiten und ihm philofophifche Kenntniffe beizubringen. Zu—
vörderit ließ er ihn Ideen ſammeln, „Materie zufammentragen;
al3 e3 dann Zeit war, Form und Regel hineinzubringen, ihm
zum methodiichen Nachdenken über die wichtigjten Materien die
erforderliche Anleitung zu geben, entichloß ex ſich, die wenigen
Stunden de3 Tages, in welchen er in feinen legten Jahren nod)
heiter zu fein pflegte, die Morgenftunden, ihm zu diefem Be
hufe zu widmen.
In diefen Morgenjtunden unterredete er fich mit ihm
und andern Jünglingen „von jchägbaren Geijtesgaben und noch
befjerm Herzen“ von den Wahrheiten der natürlichen Religion,
oder hielt ihnen, wenn er dazu aufgelegt war, zufammenhängende
Borlefungen über einen und den andern Punkt aus derfelben,
aber, wie leicht zu erachten, ohne allen Schulzwang. Sie hatten
die Freiheit, ihn zu unterbrechen, Einwürfe vorzubringen, fie
unter ſich zu beantworten, und er brach zuweilen feinen Discurs
abfichtlih ab, um fie unter fich ftreiten zu laffen.?)
Es war eine muntere, lernbegierige Gefellfchaft junger
Leute, die fih um den liebenswürdigen Alten in den frühen
Morgenftunden verfammelten. Außer Joſeph, feiner ältern
Schwejter, der geijtreihen Dorothea, und dem „unvergleid-
fihen“ Simon Veit -Witenhaufen, mit dem fie den 3. April
1783?) die Ehe eingegangen war, fanden fich regelmäßig ein:
!) Berlin 1840, 1846. — Joſeph ftarb den 24. November 1848.
2) Schr. II, 236.
3) Won demjelben Tage, dem 1. Niffan = 3. April 1783, datirte
Mendelsjohn die Einleitung zur Pentateuch-Ueberſetzung.
— 45 —
der auf dem Defjauer Philanthropin gebildete, junge Weflely,
der als Kapellmeifter berühmte Neffe des alten Jugendfreundes
Hartwig Weflely, und noch zwei andere junge Männer, Die
beiden Humboldt.
Neunundjiebzigites Kapitel.
Die beiden Humboldt.
„Seit meiner frühejten Jugend Hatte ich die Ehre, in
Deutfchland mit den hervorragenden Männern unter Ihren
Glaubensgenofjen, welche in der Philofophie und Mathematik
geglänzt haben, verbunden zu jein, und einer unferer größten
und ältejten Schriftfteller, der Freund Leſſings, Moſes Mendels—
ſohn, hatte auf die Erziehung, welche ich und mein Bruder in
vorfimdflutlicher Zeit genofjen, Einfluß ausgeübt,“ Heißt es in
dem Schreiben, das Alerander von Humboldt den 12. November
1853 an den gelehrten Rabbiner Mortara in Mantua richtete?)
Mit wahrem Entzüden ſprach diefer Fürjt der Wifjenfchaften,
etwa zwei Sahre vor feinem Hinfcheiden, von den „Morgen
jtunden‘; „ich habe die Morgenjtunden ſelbſt bei Mendelsjohn
gehört,“ waren feine eigenen Worte. ?)
') Mortara, Comp. d. Rel. Iſr. (Mantua 1855), XV; vgl. Stein:
fchneider, Hebr. Bibliographie (Berlin 1859), II, 38.
2) ©. Henfel, Die Familie Mendelsfohn 1729—1847 zählte, diejer
Biographie folgend, in der 1. Aufl. die beiden Humboldt zu den Schülern
Mendelsjohns; in der 2. Aufl. (Berlin 1880) machte er jedoch S. 20
in einer Note die ganz unndthige Bemerkung, dab dieje Angabe auf
einer mündlihen Tradition beruhe. Daß dieje mündliche Tradition von
Alerander v. Humboldt jelbit jtammt, konnte Herr Henjel natürlich
nit wiſſen. M. f. au meine Recenfion Allg. Ztg. d. Idths., 1880,
©. 85 f.
— 456 —
Mendelsfohn war in der That der eigentliche Lehrer der
beiden Jünglinge und trug beſonders viel dazu bei, Wilhelm
mit den Tendenzen der Berliner Aufklärung zu erfüllen. Men-
delsfohns Freunde bildeten den täglichen Umgang der jungen
Männer. Auf Beranlaffung Engels hielt ihnen Klein, der früher
genannte Mitarbeiter an der großen preußischen Geſetzgebungs—
veform, VBorlefungen über das Naturrecht; in dem von Wilhelm
eigenhändig gejchriebenen Collegienhefte befindet fich, nebſt einem
handfchriftlihen Briefe Mendelsfohns an Klein,t) ein Furzer
Entwurf „Ueber die erziwungenen Verträge von Mofes Mendels-
fohn“,2) beftehend aus folgenden Paragraphen:
1) Der Krieg ift ein Zuftand, in welchem die Menfchen
ihre jtreitigen Rechte nicht die Vernunft, fondern die Gewalt
entfcheiden Lafjen.
2) Der Sieg giebt dem Sieger die Rechte des beleidigten
Theils.
3) Der Sieger kann alfo Entfchädigung verlangen, Exrſatz
für Schaden und Gefahr.
4) Ihm allein kommt es zu, die Grenzen der Scadles-
haltung zu bejtimmen, denn ihm allein find die Collifionsfäle
befannt.
5) Indeß iſt er innerlich verbunden, die wahren Grenzen
nicht zu überjchreiten.
6) Und wenn er diefes thut, fo beleidigt ex wiederum von
feiner Seite, wiewol nur innerlich).
7) Wenn e8 aber offenbar und über alle Zweifel hinweg
it, daß er die Grenzen überjchritten und ſich mehr einräumen
laſſen, al3 ihm Schaden und Gefahr verurfacht worden; wenn
fein Collifionsfall zu exdenfen, der jeine Schätung der Be
) Schr. V, 616 ff. Nach dem handſchr. Briefe heißt es ©. 618
ſtatt „die den Zweifel erhebt‘, „die der Zweifel angeht‘‘.
2) Das Collegienheft handſchriftlich in der Privatbibliothef ©.
Maj. des Königs von Sadjen.
22: BT. =
leidigung rechtfertigen fönnte, fo hat der Befiegte ein vollkom—
menes Recht, den Ueberfchuß zu veclamiren.
8) Es giebt alfo Fälle, wo erziwungene Tractate aufhören,
verbindlich zu fein und aufgehoben werden können.
Wie Engel und Klein, fo waren alle andern Lehrer Wil-
helms aus dem reife der Freunde Mendelsfohns: in diefen
Kreis war, wie fein trefflicher Biograph ſich ausdrüdt, fein
Leben und feine Bildung mitten Hineingeftelt.) Mit diefen
Freunden, mit Männern wie Friedländer, Herz, Mori u. a.
verfehrte er wie ein Süngerer mit Aelteren. Bei der Herz, der
dur Schönheit und Geiſt berühmten Henriette, wurde er und
fein Bruder Hausfreund; von ihr erlernten jie beide die hebräifche
Eurrentfchrift. Mit Mendelsſohns Kindern, befonder3 mit Sofeph
und Dorothea, wurden fie innig befreundet, und diefe Freund-
Ichaft vererbte fich auch auf deren Kinder. Der greife Alerander
feierte feinen Geburtstag am liebjten in dem engen Yamilien-
cirfel des, den 25. October 1871 verfchiedenen, edeln Alerander
Mendelsfohn, Joſephs ältejten Sohnes, wo denn auch der Jugend
und des theuren Mojes oft gedacht wurde.
Der Einfluß, welchen Mendelsfohn auf das mit feinen
Schriften mwohlvertraute Bruderpaar übte, tritt ganz beſonders
in Wilhelm und dejjen erjten Literarifchen Berfuchen merklich hervor.
Ueber Gott, über die Vorfehung und Unfterblichkeit philofophirte
er in dem ältejten Auffage, den wir überhaupt von ihm befiten
und den er al3 neunzehnjähriger Süngling Zöllner für defjen
„Leſebuch für alle Stände“ überließ. Er Spricht es darin feinem
Lehrer nach, daß in den Fragen über Vorfehung und Unijterb-
lichfeit jene wahre Philofophie enthalten fei, welche brauchbare
Refultate für das praftifche Leben liefere. Der junge Schrift:
jteller, jagt fein Biograph,?) jteht ganz auf dem Standpunfte
jener maßhaltenden deutichen Popularphilofophie, welche nichts
mit t gewagten Hhpothefen und nicht3 mit den Spibfindigfeiten
') Haym, Wilhelm von Humboldt (Berlin a 10.
2) Haym, a. a. D., 9.
— 458 —
der Dialeftif zu thun haben will und welche mit dem durch die
Gründe des Herzens unterftüßten Beifall des unparteiiichen
Menschenfinnes zufrieden iſt. Mit gleicher Entjchiedenheit wie
Mendelsſohn erklärt er ſich gegen den Skepticismus und gegen
die Schwärmerei für die echte Weisheit einer Kopf und Herz
gleichmäßig befriedigenden Aufklärung.
Lebhaft beſchäftigte die beiden Humboldt die ſpinoziſtiſche
Fehde, welche Mendelsſohn mit Jacobi geführt und die „Morgen—
ſtunden“ veranlaßt hat.
Achtzigſtes Kapitel.
Entſtehung der „Morgenſtunden“.
An den „Morgenſtunden“, welche Mendelsſohn im Sommer
1784 begonnen hat, mußte er ſeiner Nervenſchwäche wegen mit
einer „ſchneckenartigen Langſamkeit“ arbeiten. Da er das Manu—
feript nicht felbft ins Reine bringen fonnte, — war er dot
faum mehr im Stande, feine freundichaftliche Correſpondenz zu
führen, denn die Augen fingen ihm an zu verfagen!) — ſo
ließ er es abfchreiben, um es dem Doctor Reimarus zur Cenfu
vorzulegen; er hatte, wie er Elife bei Ueberſendung eines Theils
des Manuferipts den 24. Mai 1785 bemerkt, „einen philofo-
phifchen Freund, dem er mehr Freimüthigkeit, Wahrheitsliebe
und Beurtheilungsfähigfeit, beſſern Willen und befjere Kräfte
zutraute, ihm über feine Arbeit die Wahrheit zu fagen.“2?) Den
28. Juni fonnte er den ganzen Rejt der „Morgenjtunden“ Rei:
marus ſchicken und fchon den 21. Juli feiner Freundin melden,
) 1. Aufl. ©. 537.
2) Schr. V, 715.
— 459 —
daß der dritte Bogen bereitS unter der Preſſe feufze. Jacobi
jollte die ganze Schrift erſt gedrudt zu Geficht befommen, um
ihn nicht zu veranlaffen, noch mehrere Erklärungen abzugeben.
Es hat den leidenfchaftlichen Glaubensphilofophen nicht wenig
derdrofjen, von Fremden über das Erfcheinen der neuen Schrift
früher zu hören al3 von dem Verfaſſer felbft. Der Schildträger
Hamann Hatte ihm ſchon am 1. Juni 1785 mitgetheilt, daß er
wegen der neuen Schrift, an welcher der Berliner Jude arbeite,
neue und zwar verjchiedene Nachrichten erhalten Hätte; nad)
einigen würden e8 „Morgengedanfen über Gott und Schöpfung“,
nach andern „Gedanken über das Dafein und die Eigenfchaften
Gottes“;) während Mendelsfohn ihm exit zwei Monate fpäter
anzeigte, er wäre in der Streitſache nicht ganz müſſig gewefen,
und wenn NReimarus die Arbeit nicht ganz verwerfe, fo wiirde
der nächſte Meßcatalog ficher etwas bringen. ?)
In den eriten Tagen des October verließen die „Morgen
ſtunden“ die Preſſe. Die erften Eremplare fchidte er den
4. Dctober 1785 Elife und Jacobi, leßterm mit der Bitte, Ge—
duld zu haben und „ihn feine ganze Lection auffagen zu laſſen“.
„Auf diefe Weife denfe ich,“ heißt e8 am Scluffe feines die
Schrift begleitenden Briefes, „müſſen wir entweder am Ende zu—
fammen- oder, wie Sie gar richtig fi) ausdrüden, auseinander
fommen.‘ 3)
Auch dem Fürften von Anhalt-Defjau, dem „durchlauchtig-
ſten Beherricher feines Geburtslandes, dem weifen Freunde und
Beichüger des Guten und Schönen“, wartete Mendelsfohn mit
diefer Schrift auf;*) ebenfo feinem ehemaligen Gönner, dem Erb—
prinzen, feit 1780 xegierender Herzog von Braunfchweig, der
ſchon bei Empfang des „Phädon“ den Wunjc geäußert Hatte,
) Sacobis Werfe IV, 1, 53.
2) Schr. V, 720.
3) Schr. V, 722.
4) Schr. V. 638.
— 460 —
einen ähnlichen Tractat über das Dafein Gottes von ihm zu
lefen,?) und als „Borlefungen über das Dafein Gottes‘‘2) kün—
digten die „Morgenftunden‘ fi an.
Einundadhtzigites Kapitel.
Dajein Gottes.
Die „Morgenftunden“, die letzte Schrift Mendelsſohns,
welche zu feinen Lebzeiten erfchien und als fein philofophifches
Teſtament betrachtet werden kann, befchäftigen fich in den erjten
fieben Borlefungen mit den metaphyfiichen Grundbegriffen, den
erfenntnißstheoretifchen Betrachtungen über Wahrheit, Schein
und Irrthum, als Einleitung zu der „Lehre von Gott und feinen
Eigenschaften“,
Es war ihm Bedürfniß, ficd von den Gründen des Glau—
bens an ein höchſtes Weſen und eine göttliche Weltregierung
Rechenschaft zu geben; er wollte das Dafein Gottes erkennen,
vernunftgemäß beweifen. Der Areopagus der Bernunft follte
entfcheiden, nicht nach der Neigung, fondern nad der Strenge
der Wahrheit die Gründe abwägen und das Urteil fällen.
Darum verwahrte er ſich von vornherein gegen die Annahme
einer „Ölaubenspflicht”, wie fie Baſedow in die Philofophie ein-
') Schr. V, 636.
2) Morgenftunden oder Borlefungen über das Dajeyn Gottes.
Berlin 1785; mit VBermehrungen ibid. 1786, Frankfurt u. Leipzig 1786;
Schr. 11, 235—409. Eine italienifche Ueberjegung erſchien Trieft 1843.
Unter dem Titel no» ya wurden die ‚„‚Morgenftunden‘ ins Hebräiiche
übertragen von of. Herzberg (Königsberg 1845) und früher von Sal.
Maimon (handſchr.). Maimons Ueberjfegung von Brudftüden von XL,
XII und dem größten Theil von XIII finden fi in deſſen Kommen:
tare zum ‚More‘, I, Cap. 74.
— 41 —
geführt Hat; denn in der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß der Wahr-
heit follen wir den Wünſchen und Neigungen feinen Einfluß auf
die Heberzeugung einräumen.
Mendelsfohn, der über das Dafein Gottes mit folcher
Deutlichkeit Tprechen fonnte, wie über ein neues Mufter feiner
Seidenfabrif,!) nimmt auf die verfchiedenen Beweiſe, wie fie
von den Philofophen und Theologen geführt wurden, Rückſicht.
Die Beweisarten, welche auf das Zeugniß der äußern und
innern Sinne, auf das Dafein einer veränderlichen Welt oder
eine veränderlichen denfenden Weſens beruhen, verwirft er, weil
fie von Vorausfegungen ausgehen, die nicht von allen zugegeben
werden; er ijt eingedenf, daß der Idealiſt das wirkliche Dafein
einer materiellen Welt, der Egoiſt das Dafein aller Subftanzen
außer ſich leugnet, daß der Spinozift fich ſelbſt für Fein für
ſich beſtehendes Weſen, fondern für einen bloßen Gedanken in
Gott Hält.
Ebenfo wenig konnte er die Wolffiiche Faſſung des onto-
logischen Beweijes, der feinen Ausgangspunkt von dem Begriffe
des allerrealiten Weſens nimmt, adoptiren; er verfuchte es viel-
mehr, denjelben auf eine neue, nod) von feinem Philoſophen be-
rührte Weije zu führen und ihm eine größere Feitigfeit dadurch
zu geben, daß er aus der Möglichkeit eines allervollfommenjten
Weſens auf defjen Wirklichkeit fchließt: „Was nicht ift, muß ent-
weder unmöglich, oder blos möglich fein. Am erſtern Falle
müfjen ſich feine innern Bejtimmungen widerjprechen, das heißt:
dafjelbe Prädicat von demſelben Vorwurfe zugleich bejahen und
verneinen; im leßtern aber werden fie zwar feinen Widerjpruch
enthalten, es wird fich aber aus denfelben nicht begreifen laſſen,
warum das Ding vielmehr fein als nicht fein fol. Eins wird
mit dem wefentlihen Theil deſſelben ſowol bejtehen können,
al das andere, aus welchem Grunde das Ding möglich ge-
nannt wird. Das Dafein eines ſolchen Dinges gehört nicht zu
) Hildebrand, Deutſche Nationalliteratur ſeit Leſſing, S. 193.
2) Schr. II, 35, 388 f.
— 462 —
feiner innern Möglichkeit, nicht zu feinem Wefen, auch nicht zu
feinen Eigenschaften, und ijt daher eine bloße Zufälligfeit, deren
Wirflichfeit nicht anders als aus einer andern Wirklichkeit be
griffen werden kann. Ein folches Dafein iſt abhängig, nicht
ſelbſtſtändig. Nun kann dem vollfommenften Wejen ein folches
Dafein nicht zulommen; denn es wiirde feinem Weſen wider:
fprechen, indem ein jeder einjiehet, daß ein unabhängiges Dafein
eine größere Vollkommenheit fei, als ein abhängiges; daher
der Sat: das allervollflommenjte Weſen hat ein zufälliges Da-
fein, einen offenbaren Widerfprud enthält. Das allervoll
fommenfte Weſen iſt alfo entweder wirklich, oder es enthält
einen Widerfprud. Denn blos möglich kann es nicht fein, wie
vorher erwiefen worden; daher bleibt für dafjelbe nichts weiter
übrig, als die Wirklichkeit oder Unmöglichkeit.‘ ')
So giebt Mendelsfohn dem alten ontologifchen Beweife für
das Dafein Gottes mit feiner feinen Dialeftif und in feiner
geiftvollen Art ein moderne® Gewand. Daß er dabei ſelbſt
ftändig verfahren und auf Kants „einzig möglichen Beweis——
grund zu einer Demonftration des Daſeins Gottes“, mit dem
ex in einzelnen Punkten zufammentrifft, feine Rücficht genommen
hat, ergiebt fi) au8 dem Umftande, daß der neue Beweis in
der Abhandlung „Ueber die Evidenz“ ausgearbeitet war, langt
bevor er von Kants Schrift Kenntniß erlangt Hatte. Alles in
diefem Beweife ift, wie Garve fagt,?) Licht und zeigt Scharf
finn, aber er befriedigt nicht. Der Grundfehler des ontole:
gischen Beweifes, daß er das Dafein Gottes aus einem voraus:
gefegten Begriff über die Gottheit erichließt, während die
Aufgabe vielmehr gerade die wäre, die Wahrheit diefer Vor—
ausfegung zu erweiſen, wird natürlich auch durch die meue
Wendung, welche Mendelsfohn ihm gab, nicht gehoben. ?)
ı) Schr. II, 35, 388 f.
2) Chr. Garve, Ueber das Dajein Gottes (Breslau 1802), ©. 4.
3) Eduard Zeller, Geſchichte der deutichen Philojophie jeit Leibniz,
©. 343,
— 463 —
Bu diefem Beweife, in welchem die Möglichkeit der Begriffe
mit der Möglichkeit der Dinge TeichtHin zufammengenommen
wird, fügt Mendelsfohn noch einen dritten Hinzu, welcher aber
auf den frühern zurüdgeführt werden fann. Er geht von dem
Sate aus, daß alles Wirfliche von irgend einem denfenden
Weſen al3 wirklich gedacht werden müſſe. Was nicht wirklich
ift, muß entweder unbejtimmbar oder unbeftimmt fein; das aller-
höchite Wefen kann aber weder unbejtimmbar, noch unbejtimmt
fein, denn es enthält feinen Widerfprucdh, und was ihm zufommen
fann, ift durch feine innere Möglichkeit nothwendig beftimmt;
daher ift das allerhöchſte Wefen nothwendig vorhanden.)
Es Fam Mendelsfohn nicht in den Sinn, das Wefen
Gottes zu erklären, er wollte das Dafein Gottes nad) den Ge—
feten des Denkens vernunftgemäß beweifen und war zufrieden,
wenn die Gegner ihm einräumten, daß der Menfch fich eine
Gottheit al3 wirffic) vorhanden denfen müſſe. Er befennt ich
zu einem philofophifchen Theismus, wie wir ihn etwa bei
Roufjeau finden, und ift von den beiden Herrfchenden Anſchau—
ungen, Anthropomorphismus und theologifchem Despotismug,
gleich weit entfernt; weder auf die Güte, noch auf die Größe
Gottes follte mehr Rüdficht genommen werden. Er wollte feinen
perfönlichen Gott weder über die fublunarifche Welt erheben
und ihm nur die Sorge für die Erhaltung des Ganzen mit
völligem Verzicht auf die Schiefale der einzelnen beilegen, nod)
ihn zu menſchlichen Schwachheiten herabwirdigen: beide Wege
erfchienen ihm als Irrthümer, als zu Atheismus und Unglauben
führend.
Ueber das Weſen Gottes und feine Eigenfchaften Hat
Mendelsfohn feine Gedanken in aller Kürze entworfen; fie waren
für den zweiten Theil der „Morgenftunden“ beftimmt und fanden
ſich in feinem Handfchriftlichen Nachlaß unter dem Titel „Sache
Gottes, oder die gerettete Vorſehung“.
1) Schr. II, 36, 48.
— 464 —
Zweiundachtzigſtes Kapitel.
Theodicee.
In dem aus 84 Paragraphen bejtehenden Bruchſtücke der
1784 verfaßten Schrift „Sache Gottes, oder die gerettete Vor—
fehung‘?) entwidelt Mendelsfohn feine Anſichten über das Wefen
und die Eigenfchaften Gottes: Allmacht, Güte, Weisheit, Ge
vechtigfeit und Heiligkeit, über deſſen Beziehungen zur Welt und
zum Menfchen. Im feiner feiner Schriften tritt feine Anhäng—
lichfeit an Leibniz fo prägnant hervor al® in der „Sadıe
Gottes“, in der er die Leibniziihe Theodicee mit den Anfchau-
ungen, wie fie fich ihm aus dem jüdiichen Schrifttfum ergaben,
zu vereinigen fuchte.
Länger verweilte auch ex bei der uralten, von Leibniz
wieder angeregten Frage, warum die Welt, gerade wie fie ift,
die beite ijt, da es doch in Gottes Rathichluß gelegen, aud
eine oder verfchiedene andere zu Schaffen. Da Gott die höchſte
Weisheit zur unveränderlichen Richtſchnur dient und er nur das
vollfommenjte zur Wirklichkeit bringt, jo hat er aus allen mög-
lichen Reihen der Dinge die allerbejte Welt gewählt und diefe
allerbefte ift auch die wirklich eriftivende.?) Gegen die meta-
phyſiſche Nothivendigfeit der beiten Welt werden die mächtigjten
Einwürfe von dem Vorhandenfein der Uebel geltend gemadt,
und eben hierin weicht der jüdiiche Philofoph vermöge feines
religiöfen Standpunftes von Leibniz in wefentlichen Punkten ab.
Während Leibniz in den Uebeln ein Mittel zur Herbei—
führung eines höhern Gutes, eine Bedingung der Diesfeitigen
und jenfeitigen Gflüdjeligfeit erkannte, findet Mendelsfohn darin
nur das „populäre Syſtem“; er hält ſich an die „Höhere Sitten-
) Bum erften male gedrudt: Schr. II, 411—451, ins Hebräijche
überjegt von S. 3. Finn unter dem Titel mawnn 5y esn, Wilna 1872.
2) Schr. II, 422 ff., 339.
— 45 —
Iehre der Weifen“, nad) welcher das Gute an und für fich felbit
nicht nur Glückſeligkeit befördert, fondern auch Glückſeligkeit ift.
Sodann berührt er auch die Frage über die ungleiche Aus-
theilung der Güter. Wären die Glüdsgüter, meint er, nad)
Verdienſt ausgetheilt worden, fo würde alle Tugend, zu der der
Menſch nicht exit durch Leiden vorbereitet zu werden braucht,
und mit ihr alle Glückſeligkeit aus dem Staate Gottes ver-
fhwinden. „Wer von diefer Höhe auf das Schiefal der Menfchen
herabfchaut, wer von dieſer wolkenfreien Atmofphäre Tugend
und Lafter, Glück und Unglüd in ihren wechjelfeitigen Kämpfen
und Umwälzungen betrachtet, und das große Schaufpiel in der
unabjehbaren Reihe der Zukunft verfolgt, der wird hier anbeten
und nicht murren. Träfe ihn auch das Schidfal noch fo Hart,
fo wird er gegen die Borfehung nicht murren, jondern . mit
inniger findlicher Ergebung fein ganzes Leben hindurch anbeten
und wohlthun.“!) Somit fhwindet auch die Schwierigkeit, welche
Leibniz in Abficht auf das Fünftige Leben findet.
Ueber diefe religiög=ethifche Themata führte Mendelsjohn
einft mit Henning3 eine Unterredung, welche ung diejer in Dia-
logform in feinen Handfchriftlichen „Erinnerungen an Berlin‘
erhalten hat. Sie wurde hervorgerufen durch Roufjeaus Brief
über die Zerſtörung Liffabons, in welchem die Gerechtigkeit der
Borfehung gegen die Klagen der Menschen vertheidigt wird.
Henning. — Am beiten gefiel mir die Parallele, welche
Roufjeau zwifchen feinem eigenen Schiefale und dem Boltaires
zieht. Diefer, glüdlih und im Wohlleben, Flagt die Vorfehung
wegen der Uebel an, mit denen die Welt gefüllt ift; jener arm,
frank, verfolgt, findet, daß im ganzen betrachtet alles gut fei.
Mendelsfohn. Rouſſeau thut nicht wohl daran, fo zu
ſprechen. Wenn er der Borfehung nicht? verdanfte als Rouſſeau
zu fein, jo wäre fie ſchon verfchwenderifch gegen ihn gemwejen;
denn das ijt gewiß, ihr allein verdankt er fein Genie, feine
ftarfe Seele und feinen männlichen und durchdringenden Geift.
1) Schr. II, 431. Ä
Kayſerling, Mofes Mendelsfogn. 30
— 466 —
Henningsd Das gejteht Roufjeau ſelbſt. Sch erinnere
mich, irgendwo in feinen Schriften gelefen zu haben, daß unfere
Talente mit uns geboren werden und daß die Tugend allein
unfer Werk fei; daß die Natur einen Racine, einen Guido Reni
gebildet, daß der tugendhafte Mann feinen Werth aber durch
feine Werfe und Thaten erſt erlange.
Mendelsfohn. Hierin bin ich entgegengefegter Meinung.
Wir fchulden der Vorfehung ſelbſt die Neigung zur Tugend,
welche mit ung geboren wird.
Hennings Wenn. Sie Gott zum Urheber unferer Tugend
machen, jo machen Sie ihn auch zum Urheber der Lafter. Die
Lafterhaften werden behaupten, daß fie die ihnen angeborene
Neigung zum Böen ebenfalls von der Vorſehung empfangen
haben.
Mendelsfohn. Und was folgt Hieraus?
Henningd. Daß dem Menfchen die freie Wahl zwiſchen
Gutem und Böfem überlaffen ift, und daß es von ihm abhängt
den Weg zu wählen, welchen er gehen will.
Mendelsfohn Ach würde diefen Schluß nicht ziehen,
fondern aus dem gefagten nur einen Beweiß gegen die Ewig-
feit der Strafen bringen.
Hennings. Könnte denn aud ein vernünftiger Menſch
einen Augenblid an die Fabel von der Hölle glauben? Wenn
e3 Strafen giebt, fo begreife ich darunter nur die innere Qual,
nicht tugendhaft gewejen zu fein, wie dies Plato bewunderns—
würdig ſchön duch die Allegorie des Tantalus erklärt.
Mendelsfohn. Welche Schlußfolge würden Sie daraus
ziehen? Wenn die Strafen fo wären, daß. die Schuldigen jelbit
wünfchten, Tieber bejtraft als frei zu fein. Wenn Gott jtraft,
fo gefchieht e8 nur um zu befjern und auf den Weg der Tugend
zurüdzuführen. Die menſchlichen Strafen fünnen nicht immer
fo gerecht fein. Sie haben ebenfo wol das Beilpiel als. die
Zucht im Auge, bei den Todesstrafen erjteres ſogar ausſchließlich.
Da diefes Thema von der Belchaffenheit derjenigen iſt,
— 467 —
welche ich nicht ergründen will, weil ich das Zweckloſe folcher
Speculationen einfehe, jo begnüge ich mich mit der Annahme,
daß die Tugend zu unferem irdiſchen Glüde nothwendig ift, ohne
mic in Bermuthungen über das Schidjal einzulaffen, welches
die Tugendhaften in jenem Leben zu erwarten haben.
Ein andere mal führte Henning mit Mendelzfohn eine
Unterredung über Belohnung.
Als Mendelsfohn zum legten male mit Leffing zufammen-
traf, unterhielten fie fi) in Gegenwart de3 zu Münſter ver-
ftorbenen Hauptmann Rothmann, des Berfaffers mehrerer Theater-
ftüde und Gedichte, auch über die damal3 viel befprochenen
„Bhilofophifchen Unterfuchungen über die Amerikaner“ des Nie-
dexländers Eorneille de Pauw, welcher ſich einige Monate ‚bei
Duintus Jeilius, dem Favoriten Friedrich des Großen, aufge-
halten Hatte und Mendelsſohn perfönlich befannt war.!) „Ein
wahrheitsforfchender Philofoph,“ fagte diefer, „müßte nicht jo
fehr auf Hhypothefen bauen.” Rothmann erwiderte: „Wielleicht
fann man ihm mehr Glauben fchenfen, wenn er feinem Ber-
fprechen gemäß über das deutjche Volk und die deutichen Sitten
jchreiben wird.“ „So, fo!“ verjegte Hierauf Mendelsfohn, „ich
glaubte nicht, daß Pauw von fonjt was fchriebe, als wovon er
nichts wüßte.‘ 2)
Bei feiner Rückkehr nach Berlin erzählte nun Mendelsfohn
dem jungen Hennings von feinen Reifeerlebniffen und theilte
ihm unter andern mit, daß er mit Leffing über de Baum und
amerifanifche Zuſtände gefprochen habe. Auch dieſe Unterhal-
tung bot Stoff zu einem Geſpräche über Belohnung, das uns
Hennings ebenfall3 in jeinen „Erinnerungen an Berlin‘ er-
halten hat.
Mendelsfohn. Wie Herr Rothmann verfichert, theilen
ſich die amerikanischen Gelehrten die Kiterarifchen Producte, welche
ihnen aus Europa zukommen, gegenfeitig mit. Die Philofophie
1) 1. Aufl. ©. 518.
2) Hormayrs Archiv für Geſchichte, 1811, 472.
30*
— 468 —
Baumgartens Hat fich in der neuen Welt eines ſolchen Erfolges
zu erfreuen, daß ſogar die Jejuiten fie in ihren Schulen ein-
geführt haben.
Er hielt einen Augenblid inne Ein neues Feuer glänzte
in feinen Augen. Plötzlich rief er aus:
Es ift doch eine herrliche Welt, die Gott geichaffen hat!
Man braudt nur das Gute im Stillen zu üben, e3 ift nie ver-
foren; man iſt des Erfolges fiher. Baumgarten hat in Frank
furt leben müfjen, damit feine nächtlichen Studien den Ameri-
fanern Nuten und Aufklärung bringen, und ein anderer Erd—
theil feine Arbeit belohne.
Hennings. Schön ift es, den Glauben zu bewahren, daß
feine gute Handlung nußlos if. Es ijt ein großer herrlicher
Gedanke, daß e3 in der Tugend nicht3 geringfügiges, nichts ver-
Torenes giebt und daß die jcheinbar unbedeutendfte Handlung
früher oder fpäter aus ihrer Dunkelheit hervortritt, um in der
Verkettung von Urſache und Wirkung wiederzuerfcheinen. Die
Borjehung bedient fich ihrer gleichfam als eines Mittels, um
zu ihren Sweden, ihren erhabenen Plänen zu gelangen. Dieſer
Gedanke verleiht dem Leben einen neuen Werth, verwandelt die
Ruhe in Thätigfeit, ja es giebt feinen Augenblic der Trägpeit
mehr; das Gefühl wird wirffam: eine Geberde, eine Miene, ja
ein einfaches Zeichen des Wohlwollens hat Einfluß auf da}
Ganze, und wäre e3 auch in dem Sinne eines Waſſertropfens,
der auf die ruhige Fläche des Weltmeeres fällt.
Dennoch wünfchte ich, daß die um die Menfchheit verbdier-
ten Männer fchon hienieden für ihre Mühen belohnt würden,
daß jede Tugend auch ihre Belohnung fände, und daß die Welt
nie undanfbar gegen denjenigen wäre, der fie übt.
Mendelsfohn. Welche Größe aber, wenn man nur de
Lohnes wegen arbeitet!!) Die Belohnung ift vorhanden, das
muß genügen. Ob wir im Diegfeit3 oder Jenſeits die Früchte
) Bgl. Sprüde der Väter 1, 3.
— 49 —
unferer Mühen genießen — begnügen wir uns mit dem Be—
wußtfein, daß die Tugend nie ihr Ziel verfehlt. Das ift der
wahre Reiz, der das Leben verfchönert. Der dem Anfcheine
nad) zweifelhafte Erfolg der Tugend giebt der Seele jene Be-
barrlichkeit, ohne welche für fie weder Tugend noch Größe vor-
handen wäre. Wenn das Gift unter feiner natürlichen Form
erfchiene, wenn die Heilfamften Kräuter auch die wohlſchmeckend—
jten wären, fo hätte die Mäßigfeit feinen Anſpruch auf Ber-
dienft, und dem Menfchen bliebe nichts zu thun übrig.
Hennings Nicht doch! Ach wünſchte Feineswegs, daß
die Tugend uns fo leicht würde, daß fie durchaus Feine An-
jtrengung erforderte, aber ich wiünfchte, daß ihre Mühen und
Qualen zu einem fichern Ziele führten.
Mendelsfohn. Zweifeln Sie daran? Nicht darf das
ganze Glück im Gefühle Yiegen, e3 hängt auch oft von der Ver—
nunft ab, von der innern Ueberzeugung, Gutes vollbracht zu
haben. Wer fich gefteht, daß er für die Tugend arbeitet, und
wäre der Vortheil, der aus feinen Arbeiten erfpießen fann, nod)
fo fern, er wird ſich nie unglüdlich, immer beruhigt fühlen, troß
der Undanfbarfeit, mit der die Welt ihm begegnet.
AUS Mendelsjohn die „Morgenjtunden“ fchrieb, hatte er
den „Icholaftifchen Grübeleien“, die er vormals außerordentlich
liebte, wie e3 in feinem Briefe an Hennings vom 5. November
1785 heißt,!) beinahe völlig entfagt. Die neuern philofophifchen
Werke Lamberts, Tetens, Platners, felbft Kants, kannte er nur
aus unzugänglichen Berichten feiner Freunde oder aus gelehrten
Anzeigen. Für ihn jtand die Philofophie noch auf dem Punkte,
auf dem fie in der Mitte der fiebziger Jahre fich befand. 2)
») 1. Aufl. &. 537.
2) Schr. II, 235.
> I
Treiundadhtzigites Kapitel
Mendelsſohns philoiophiiher Standpuntt.
Die Leibniz Bolftihe Philoſophie, weldhe dem achtzehnten
Jahrhundert bis auf Kant als Exbichaft zugefallen war, haben
wir als diejenige bezeichnet, der Mendelsſohn feine philoio-
phiſche Bildung zu verdanken hatte; die Grumdideen derfelben,
die Monadologie und die präftabilirte Harmonie, blieben die
Baſis jeiner philoſophiſchen Weltanſchauung ſelbſt dann nod),
als man bereits mit Geringſchätzung auf die „Schule“ herab—
bfidte. „Sch freue mich,“ ſchreibt er den 26. April 1785 an
Brofefior Schwab in Stuttgart, „in Deutichland einen Philo⸗
ſophen zu finden, der ſich nicht ſchamt, Wolffianer zu fein. Den
Schriften diefes Weltweiien habe ich meine erſte Bildung zur
Bhilofophie zu verdanken; daher ich eine Art von Borliebe für
ihn jederzeit behalte und mir ein Bergnügen machen werde,
alles zu retten, was aus feiner Feder gefloſſen ift.“ı) Und nod
in der Borrede zu feinem legten Werke befannte er ganz offen:
„sh weiß, daß meine Philojophie nicht mehr die Philofophie
der Zeiten if. Die meinige hat noch allzu ſehr den Gerud
jener Schule, in welcher ich mich gebildet habe.“ 2)
So fehr er aber auch Wolff verehrte, jo war er doch nie
Volffianer im ftrengften Sinne. Er tadelte das „barbariiche
Gewäſch des alten Mannes“,?) fuchte die Mängel des Syſtems
aufzudedfen und Hatte das Bejtreben, über den Kreis der Schule
hinauszugehen: er gehört zu den wenigen feiner Zeit, welche in
den fruchtbaren Geift der Leibniziichen Philofophie ſelbſt tiefer
) Schr. V, 631. An Schwab richtete er den 18. Juni 1784
einen ausführlichen Brief „Ueber das fittlih und phyſiſche Gute‘;
Schr. III, 403.
2) Schr. II, 236.
3) Schr. V, 316.
— —
eindrangen, ſie theils ergänzend weiterbildeten, theils durch die
Art der Behandlung in größere Kreiſe einführten.
Die Ergänzung, welche er der Leibniziſchen Philoſophie zu
geben verſuchte, war nun allerdings eine eigenthümliche und
unphiloſophiſche. Seine Vorliebe für den Senſualismus, deſſen
Vertreter Locke und Shaftesbury ebenſo wie Leibniz und Wolff
von ihm verehrt wurden, führte ihn auf den Gedanken, Leibniz
mit Locke und den Engländern überhaupt zu verbinden!) Will
man Mendelsfohn wegen diefer fynkretiftiichen Bejtrebung der
Oberflächlichkeit zeihen, jo trifft der Vorwurf noch viele andere,
denen ein wenigſtens gleich ehrenvoller Pla in den Hallen der
Philoſophie eingeräumt wird. Schon Wolff neigt ſich dem Sen-
fualismus hin; Beaufobre und Merian bemühen ſich, Locke mit
Leibniz auszugleichen, und ſelbſt Lambert, der an logiſchem
Scharfſinn, an Strenge und Folgerichtigfeit des Denkens über
alle gleichzeitigen Philoſophen hervorragt, macht in feiner Archi—
teftonif den Verſuch einer Bermittelung zwifchen Wolff und
Lode. Es war Mendelsfohn hauptſächlich darum zu thun, mit
Hülfe des englifchen Empirismus über die dogmatiſche Einfeitig-
feit des Wolffiichen Syſtems Hinauszufommen.
Mit Lode unterfcheidet Mendelsfohn eine dreifache Art der
Erfenntniß: die anfchauende oder finnliche Erfenntniß, Erkennt—
niß der äußeren und inneren Sinne, oder unmittelbares Be-
wußtſein der Beränderungen, die in unferer Seele vorgehen,
dann Bernunfterfenntniß, die Urtheile und Schlüfje, welche aus
der unmittelbaren Erfenntniß gezogen werden, und endlich die
Erfenntniß des Wirffihen außer uns.?) Er behauptet ferner,
die anfchauende Erfenntniß, ob jie Empfindung der äußeren oder
Wahrnehmung der inneren Sinne ift, fei immer wahr, und er-
Yäutert ſehr gut, daß nicht die Sinne ung täufchen, fondern der
Irrthum darin befteht, daß wir einen gegebenen jinnlichen Ein-
) Danzel, a. a. D. I, 347.
2) Schr. I, 259 f.
— 472 —
druck durch den Gedanken falſch fubfumiren. Mit diefer Er-
färung verbindet er, bewußt oder unbewußt, Lode mit Leibniz.
Mit den Schottiihen Philofophen Reid, Beattie u. a. und
mit Rouffeau ftimmt Mendelsfohn in dem Zurüdgehen auf den
gefunden Menfchenverjtand überein. Im Grunde war der ganze
fogenannte Rationalismus, der von Leibniz an der geiftigen
Beitbewegung fi bemächtigte, ein Eflefticismus, der auf ge
fundem Menfchenverjtande baſirte. Richtig charafterifirt Göthe
die ganze Zeitftrömung, wenn er fagt: „Die Philoſophie war
ein mehr oder weniger „gefunder Menfchenverjtand“, der &
wagte, ins allgemeine zu gehen und über innere und äußere
Erfahrungen abzufpredden. Ein heller Scharfjinn und eine be
fondere Mäßigkeit, indem man durchaus die Mitteljtraße und
Billigkeit gegen alle Meinungen für das Rechte hielt, verichaff
ten ſolchen Schriften und mündlichen Yeußerungen Ansehen und
Zutrauen, und fo fanden fich zulegt Philofophen in allen Facul⸗
täten, ja in allen Ständen.“!)
Der gefunde Menfchenveritand und die Vernunft find, wie
Mendelsſohn auseinanderfegt, im Grunde eine und diefelbe Er-
fenntnißkraft. Der Unterfchied befteht blos darin: „der Menſchen—
veritand thut eilige Schritte und geht vafch vorwärts, ohne von
der Furcht zu fallen wankend gemacht zu werden, ex eilt gleid-
fam wie geflügelt zum Ziele; die Vernunft Hingegen geht lang
ſam mit fchwerfälligen Elephantenfchritten, fühlt mit dem Stabe
umber, bevor fie einen Schritt wagt; fie wankt denfelben Weg,
zwar vorfichtiger, aber nicht ohne Furcht und Zittern.“ ?)
An einer anderen Stelle vergleicht er den gefunden Men—
chenverftand mit dem bon-sens, einem glüdlihen Wahrheit
finne, und feßt diefen völlig in dafjelbe Verhältniß zur Ver
nunft. „Bon-sens ijt eine geübte Vernunft; beide wirken nad
ähnlichen Regeln. Dieſe Iangjamer, ſodaß wir die Verbindung
) Göthe, Dichtung und Wahrheit, II, 95.
2) Schr. II, 265, 283.
— 43 —
der Mittelbegriffe wahrnehmen, jener fo fchnell, daß wir von
der ganzen Folge der Begriffe nichtS behalten al3 Anfang und
Ende.) Inſofern der Wahrheitsfinn die Fertigfeit ift, das
Wahre vom Falfchen durch undeutliche Schlüffe, unmittelbar, ohne
Reflerion richtig zu unterjcheiden, ſoll er im praftifchen Leben
meijtens die Vernunft vertreten, indem e3 uns an Zeit fehlt,
die Gründe der Wahrfcheinlichfeit durch; mühfames Nachdenken
nach deutlichen Begriffen abzumägen. ?)
Mendelsfohn ift von der Unfehlbarfeit des gefunden Men-
ichenverftandes jo völlig überzeugt, daß er behauptet, die Ur-
theile und Ausfprüche dejjelben in richtige Vernunftichlüffe und
Bernunfterkenntniffe auflöfen zu fünnen.3) Demgemäß ift aud)
die Vernunft dem gefunden Menfchenverftande unterzuordnen.
„So oft jene jo weit hinter diefem zuriücdbleibt, oder gar von
ihm abjchweift und in Gefahr ift auf Irrwege zu gerathen,
wird der Weltweije felbit feiner Vernunft nicht trauen und dem
gemeinen Menfchenverftande widerfprechen, fondern ihr vielmehr
ein Stillfihweigen auferlegen, wenn ihm die Bemühung nicht
gelingt, fie in die betretene Bahn zurüdzuführen und den ge-
ſunden Menſchenverſtand zu erreichen.‘ ?)
Was wunder daß, wenn die „Ipröde Dame Vernunft“ unb
der Menjchenverjtand fich entzweien, „in den meiften Fällen das
Recht auf feiner Seite zu fein, und die Frauensperfon, wider
die Erwartung, fich belehren zu laſſen pflegt; ja, wenn aud)
das Recht zuweilen auf ihrer Seite ift, fo ift er, der Starr-
föpfige, nicht zum Nachgeben zu bringen.“ ®)
Bei der Untrüglichfeit des Menfchenverftandes nimmt ihn
Mendelsjohn zum Kompaß und Wegweifer in der Speculation.
„Wenn ic) Gründe genug für und wider einen philofophifchen
1) Schr. IV, 1, 80.
2) Schr. II, 60.
3) Schr. II, 283; IV, 1, 80.
4) Schr. II, 316. .
5) Schr. II, 318.
— 414 —
Grundfaß gefammelt Habe, fo laſſe ich den Eindrudf, den fie
einzeln auf mich gemacht, etwas ſchwächer werden, betrachte fie
im Zufammenhange, und bringe folchergeftalt die Unterfuchung
gleichfam vor den Richterſtuhl des natürlichen Meenfchenver:
ſtandes ..... . Ihn erkenne ich in der That für den oberften
Richter der Wahrheit an, und fein Ausipruch pflegt felten zu
trügen.“!) So oft die Speculation Mendelsfohn zu weit von
der Heerjtraße des Menjchenverjtandes abzuführen pflegte, ſuchte
er fi) zu orientiven, und fie beide auf den Punkt zurückzu—
führen, von dem fie ausgegangen. „Die Erfahrung Hat mid
gelehrt, daß in den meiften Fällen das Recht auf Seiten des
Gemeinfinns zu fein pflegt, und die Vernunft muß ſehr ent-
cheidend für die Speculation fprechen, wenn ich jenen verlafjen
und diefer folgen foll.“2)
Philofophie des gefunden Menfchenverjtandes und Popular-
philofophie find im Grunde genommen ein und daffelbe. Aus
der Mifchung der verfchiedenen in der Beitphilofophie gegebenen
Elemente entjtand in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahr—
hundert3 jene Denfweife, welche man Philofophie der deutfchen
Aufklärung oder auch wol fchlechtweg Popularphilofophie nannte.
AS Popularphilofophen galten alle diejenigen, welche die Form
der zufammenhängenden wijjenfchaftlichen Unterſuchung abfichtlic
verfchmähten und ohne Ziefe der Ideen dem großen Publikum
zu Munde vedeten.
Popularphilofoph in diefem Sinne war Mendelsfohn nicht,
und wenn er in verfchiedenen Compendien der Gefchichte der
Philofophie mit Männern wie Engel, Eberhard, Nicolai und
andern dieſes Schlages in eine Linie gejtellt wird, fo beruht
diefer Irrthum auf der ganz äußerlichen Thatfache, daß er zu
einigen von ihnen in freundfchaftlicher Beziehung gejtanden
ı) Schr. V, 564.
2) Schr. II, 318; III, 15.
— 45 —
und fogar an Engel3 „Philoſoph für die Welt“ 1) mitge-
arbeitet hat.
Einer flachen, alles Geiftes beraubten und aller Specula-
tion Hohn Sprechenden Philofophie tritt Mendelsfohn auf das
entfchiedenfte entgegen. Wie er fein Bedenken trägt, ſelbſt Wolff,
den er wol fonft den Großen nennt, über feine feichte Popu—
Yarität Vorwürfe zu machen, fo fpricht fi auch an vielen
Stellen feiner Schriften feine Abneigung gegen die Popular—
philofophie aufs deutlichſte aus: „Man trägt fich heutigen
Tages,” Heißt e3 im feinem erjten Literaturbriefe, „mit der
Grille, alle Wiffenfchaften leicht und ad captum, wie man e3
zu nennen beliebt, vorzutragen. Dadurch glaubt man die Wahr-
heit unter den Menfchen auszubreiten und fie wenigſtens nad)
allen Ausmefjungen auszudehnen, wenn man ihren innern Werth
nicht vermehren kann . . . Um die Beweife der angenommenen
Sätze befümmert man fi) wenig, weil man überzeugt fein
wollte; noch weniger aber dachte man an die Schwierigkeiten,
die durch das beliebte Syitem gehoben oder die mit demfelben
verbunden find.“?) In gleicher Weiſe klagt er in dem Schreiben
an 9. D. von Platen vom 29. December 1769, daß die „feich-
ten Metaphyſiker“ jebt das große Wort hätten. „Man Fann
es in Öffentlihen Schriften faum mehr wagen, recht metaphyfifch
zu denfen, weil diefe Sprecher der Metaphyfif bei allen Ge—
Yegenheiten die Zähne weiſen. Man muß diefen Herren nur
immer eine Art von Punſch vorjegen. Wenig metaphyfifche
Gründlichfeit mit einer Menge von wäfjerigem Geſchwätz ver-
dünnt, erhält allgemeinen Beifall.) Ya noch in der Vorrede
zu den „Morgenjtunden” Fagt er darüber, „daß die bejten
)Y Engels Philoſoph für die Welt (Berlin 1844), 1. Band:
Broben rabbiniiher Weisheit, S. 146 ff. (Schr. VI, 436—443); Hylas
und Phylonous, 101 ff.
2) Schr. IV, 1, 501.
9) Schr. V, 484.
— 416 —
Köpfe Deutfchlands von aller Speculation mit fchnöder Weg:
werfung ſprechen.“!)
Solche Stellen zeigen zur Genüge, wie Mendelsfohn über
Popularphilofophie dachte, und widerlegen die Anficht der Literar-
hiftorifer, welche mit Gervinus?) ihn an die Spite der Phile-
fophieverächter jtellen, und behaupten, er habe wie Hamann und
hundert andere dem Hange nachgegeben, ſich mit nichts be
ftimmtem zu befchäftigen, überall herumbdilettantirt und vertrete
überhaupt eine Philofophie des Lebens im grelliten Gegenfahe
zur Schulphilofophie. Es ift dag ein Irrthum, der ganz be
fonder8 daher entjtand, daß Mendelsfohn Autodidaft war. Auf
Grund diefer bejonder3 von Göthe an Mendelsfohn Hervorge
hobenen Autodidaris glaubt Gervinus auf eine natürliche Gegner-
Ichaft gegen ſyſtematiſche Philofophie fchließen zu dürfen; ja noch
mehr, weil Mendelsfohn in der Borrede zur erſten Auflage
feiner „Philoſophiſchen Schriften“) in der ihm eigenen Be
fcheidenfcheit äußert: „Ich traute mir das Vermögen oder die
Fertigkeit nicht zu, meine Gedanken bejtändig an eine ftrenge
ſyſtematiſche Ordnung zu binden,“ fpricht er ihm die Fähigkeit
eines ſyſtematiſchen Vortrags gänzlich ab.
Noch weit ungerechter ift der Borwurf, welchen Hegel ihm
madht,*) er Habe feine philofophifche Bedeutung überjchägt.
Fern von aller Eitelfeit und Selbjtüberhebung dachte Mendeli
ſohn nie daran, ein eigenes philofophifches Syſtem zu begründen.
„Ich babe mir niemals in den Sinn kommen laſſen,“ fagt et
im Anhang zum „PBhädon“5), „Epoche in der Weltweisheit zu
machen, oder durch ein eigenes Syſtem berühmt zu werde
Wo ich eine betretene Bahn vor mir fehe, da fuche ich feine
neue zu brechen. Haben meine Vorgänger die Bedeutung ein
) Schr. II, 237.
2) Gejhichte der deutfchen Nationalliteratur, IV, 238 f.
9) Schr. I, 105.
4) Borlefungen über die Geſchichte der Philofophie III, 434.
5) Schr. II, 191.
— 4171 —
Wortes feitgefegt, warum follte ich davon abweichen? Haben fie
eine Wahrheit ans Licht gebracht, warum follte ich mich jtellen,
al3 wüßte ich e3 nicht? Der Vorwurf der Gectirerei ſchreckt
mich nicht ab, von andern mit dankbarem Herzen anzunehmen,
wa3 ich bei ihnen Brauchbares und Nüsliches finde.“ Men
delsfohn will nichts ſelbſt wiſſen, fchreibt gern alles feinen
Vorgängern zu: unter den Männern, welche in der Wolffi-
Then Schule gebildet, ift er, mit den jüdichen Religions—
philofophen und den englifchen Moraliſten innig vertraut, der
bedeutendjte unter den Philoſophen feiner Zeit, welche nicht
jowol darauf ausgingen, ein neues Syſtem aufzujtellen, als
vielmehr alles einer gebildeten Reflerion zu unterwerfen. Men—
delsfohn iſt der edeljte Vertreter der deutſchen Aufklärungs—
philofophie. „Er fchreibt nicht blos zur Förderung der wiſſen—
ſchaftlichen Erfenntniß, fondern in erſter Reihe ift es ihm, aud)
bei feinen philojophifchen Arbeiten, um die Beförderung der
menſchlichen Gfüdfeligkeit, um die Vervollfommnung der Men-
Then duch Aufklärung ihrer Gedanken zu thun; und deshalb
will er fo fchreiben, daß ihn alle verjtehen, alle von ihm an-
gezogen und zum Guten angeregt werden.‘t)
Befeelt von dem Streben, die Leibniz.Wolffiiche Philojophie
von den engen Feffeln der ſyſtematiſchen Gefchloffenheit zu
befreien, fuchte er die von ihm behandelten Probleme durch die
Anmuth der Darjtellung, durch die Form der gebildeten Con-
verfation einem größeren reife zugängli zu machen. Er
erreichte es durch feinen Leicht flüffigen eleganten Stil.
Seine liebenswürdige Perfönlichkeit, fein edles Herz, fein
freundlicher, durchdringender Blick treten am Flarften in feinem
Stil hervor. Die Meiſterſchaft in dem deutſchen Ausdrude,
der feine Gefchmad, die edle Gefinnung befähigten ihn zu
einem echten Volksſchriftſteller. Eine ſolche Faßlichkeit im Vor-
trage, eine jo zierliche, jo anmuthige Sprache, ein fo beicheidener
') Zeller, Gejhichte der deutſchen Philoſophie ſeit Leibniz, S. 335.
— 418 —
Ton, verbunden mit einer feinen fofratifchen Ironie, eine fo
ungefuchte, ſich ſchmiegende Beredtfamfeit des Herzens: alles dies
vereinigt hatte man noch bei feinem philofophifchen Schrift-
jteller Deutjchlands gefunden. Alles in feinen Schriften ift
Licht, und dieſes Licht ift bei Problemen, welche das Herz be
rühren, mit einer Wärme verbunden, die bisweilen bis zur
Begeifterung ſteigt.
Mendelsfohn hat, wie Börne fich ausdrückt, von den Rofen
der Philofophie die Dornen weggebrocdhen; er bat für die
Philofophie ein neues Gewand, eine Diction gefchaffen, melde
noch heute mujftergültig ift und felbjt einem Kant umerreichbar
ſchien. „Man foll zwar,” jagt diefer einmal, „ebenfo wenig
allen Berfaffern Einen Stil, wie allen Bäumen Eine Rinde
wünfchen; aber dennoch fcheint und Mendelsſohns Schreibart
für die Philoſophie die zuträglichite zu fein. So frei von
aller Sucht nad). blendendem Schmud und doch) ſo elegant;
fo ſcharfſinnig und doch fo deutlich; jo wenig auf Rührung
dem Scheine nach arbeitend und doch fo eindringend. Wenn
ih die Mufe der Philofophie eine Sprache erkieſen follte, fo
würde fie diefe wählen.“ ?) |
Mit gleicher Anerkennung läßt ſich Garve, ſelbſt einer
der beiten Brofaiften des achtzehnten Sahrhunderts, über Men-
delsfohns Stil und deſſen Bedeutung für die deutihe Sprade
aus. „ALS Leffings eigener philofopifcher Wi, fein fchneiden-
der Scharffinn und feine Gedankenfülle ſich unter uns zeigten,
war allen Befonderheiten feines Stil3 unfere Sprache fo an
gemefjen und fie nahm die feltfamften Formen feiner Ideen
mit folcher Gefchmeidigfeit an, als wenn nur er ein recht
originell deutfcher Schriftiteller wäre. Und doch bot zu eben
diefer Beit eben diefe Sprache dem ruhigen Denker Mendels—
john, der die größte Deutlichfeit mit dem fanften Fluffe. der
Rede ſuchte, alle Wörter und Redensarten eines rein philo-
) Jacobis Werke IV, 3, 114, 142,
— 479 —
ſophiſchen Stil an!“!) „Der Mann macht alles fo Helle,“
Ichreibt er den 17. November 1785 an Weiffe, „was er vor—
trägt, daß man auf eine fehr angenehme und nüßliche Weife
während der Lejung feiner Bücher befchäftigt ijt, auc wenn
man durch diefelben nicht neue Auffchlüffe befümmt, auch wenn
man nicht feinen Meinungen beipflichtet.”2)
„Wenn man Shnen auch recht geben wollte, daß Ihre
Philofophie nicht mehr die Philofophie der Zeiten ift,“ fchreibt
ihm Auguft von Hennings nach Empfang der „Morgenjtunden‘,
„ſo müßte man nicht wiffen, daß Sie in Ihren Briefen
zuerft den attiſchen Ton mit dem Tieflinn des fpeculativen
Nachdenken? verbanden und der Schönheit und Wahrheit fo
wie Sokrates den Grazien opferten, daß Sie in den Literatur-
briefen Deutjchlands Gefchmad bildeten und zeigten, wie gerade
auf dem ſchlichten Pfade der Vernunft die Blumen blühen.“ ?)
Mendelsſohn galt, man kann wol jagen bis auf Göthe, nächſt
Leffing für den vorzüglichſten Profaifer, den die Deutfchen den
Ausländern entgegenzufegen hatten. Er führte die Philoſophie
aus der Schule ind Leben, in einer Hardurchdachten, wohl-
geordneten und gejchmadvollen Darjtellung in die gebildeten
Kreiſe der deutfchen Nation ein.
Mendelsſohn ift der bedeutendfte Repräfentant der Bopular-
und Aufklärungsphilofophie, in deren Dienfte er bis zu feinem
Tode ftand. Als „Atheismus und die albernjte Schwärmerei
in die beten Herzen und Köpfe Deutfchlands fich einzufchleichen
anfingen“,“) da machte er noch den legten Berfuch, die ver-
ichobenen Balken des Syſtems der Schule in ihre Fugen
wenigſtens noch zurechtzurüden; ex wollte „dem Nade einen
Schwung geben, um dasjenige wieder emporzubringen, was
durch den irfellauf der Dinge zu lange war unter die Füße
) Garve, Sammlung einiger Abhandlungen, II, 65.
2) Briefe von Garve an Weiſſe, I, 227.
3) Handſchriftl.
9 Schr. III, 415.
— 480 —
getreten worden;“) e3 war vergeblihe Mühe. Das ganze ehr-
wiürdige Gebäude des Dogmatismus der Leibniz-Wolffiichen Phi—
Iofophie war bereit3 zum Sinfen gebracht durch den Königs—
berger Alten, den „alles zermalmenden“ Kant.
VBierundadhtzigites Kapitel
Mendelsfohn und Kant.
Wie verfchieden ſich die Anfichten und Biele der beiden
Denker in der Folge auch gejtalteten, durch die Aehnlichkeit der
Bernunftbefchäftigungen, wie es in dem frühejten Briefe Kants
an Mendelsfohn heißt, und die Gleichheit des Strebens fühlten
fie fich in jüngern Jahren enger verbunden. Durch die beider-
feitige Löſung der von der Berliner Afademie der Wiljenfchaften
geftellten Preisaufgabe einander näher gerüdt, unterhielten fie
feit diefer Zeit eine Correfpondenz, welche zur Genüge beweiſt,
mit welcher Hochachtung Kant dem Verfaſſer des „Phädon“
begegnete.
Es gereichte ihm zu feinem geringen Vergnügen, ihn bei
fi in Königsberg zu fehen und wiewol gerade nicht ehrgeizig,
ichlug er es ihm doch fehr Hoch an, daß er feinen Vorlefungen
beiwohnte; er bedauerte, einen „jo feltenen Mann‘ nicht recht
genießen zu können. „Ein folder Mann, -von fo fanfter Ge
müthsart, guter Laune und hellem Kopfe in Königsberg zum
bejtändigen und täglichen Umgange zu haben,“ Heißt es in
einem Briefe an feinen Schüler und Freund Markus Herz in
Berlin, „würde diejenige Nahrung der Seele fein, der ich hier
fo gänzlich entbehren muß. Ich bitte Sie, mir die Freundichaft
) Schr. II, 237.
— 4831 —
diefes würdigen Mannes ja ferner zu erhalten.“ „Grüßen Sie
doch Herrn Mendelsfohn von mir auf das verbindlichite,“ Heißt
e3 in einem andern Briefe an Herz von März 1778, „und
bezeugen Sie ihm meinen Wunfh, daß er in zureichender
Gefundheit feines von Natur fröhlichen Herzens und der Unter-
haltungen genießen möge, welche ihm deſſen Gutartigfeit zu-
fammt feinem jtet3 fruchtbaren Geijte verichaffen könne.“!)
Als Mendelsfohn mit den früheften, an Geiftesbligen fo
reihen Schriften des „Philofophen der Zukunft“ befannt worden
war, hatte ex bereit3 einen fejten Standpunft eingenommen und
einzelne Theile des von ihm ergriffenen Leibniz = Wolffiichen
Syſtems auszubauen begonnen. Hätte er fie auch gefannt und
durchdrungen, fie würden ihn, den begeifterten Anhänger der
„Schule“, ſchwerlich bewogen haben, eine Philofophie zu ver-
Yafjen, in deren Gängen und Formen er ich heimisch fühlte.
Schon in den „Träumen eines Geiſterſehers“ erkannte
er, daß Kant der dogmatischen Philofophie nicht mehr ange-
höre. Er drüdt fein Befremden über den feltfamen Ton
in der Schrift au und weiß nicht, wie es in feiner Furzen
Anzeige derfelben in der „Deutjchen Bibliothek” heißt,“ ob der
Berfaffer die Metaphyfit Hat lächerlich oder die Geifterfeherei
glaubhaft machen wollen. Kant fteht nicht an, ihm nähern Auf-
Ihluß zu geben; er fchreibt ihm den 8. April 1766: „Solchen
Genied wie Jhnen, mein Herr, fommt es zu, in diefer Wiffen-
Ichaft eine neue Epoche zu machen, die Schnur ganz aufs neue
anzulegen und den Plan zu diefer noch immer aufs gerathe-
wohl angebauten Disciplin mit Meifterhand zu zeichnen.“ 3)
Beim Erjcheinen der Schrift, mit der Kant im Auguft
1770 jeine Profeffur antrat und in der er die Grundzüge feines
) Kants Sämmtlihe Werke, XI, 1, 37.
2) Schr. IV, 1, 529.
3) Kant, a. a. D. XI, 1, 53.
Kayſerling, Moſes Mendelsfohn. 31
— 432 —
fpätern Syſtems darlegte,!) war Mendelsfohn wegen feines
Nervenleidens faum im Stande etwas Speculatived von Tolchem
Werthe „mit gehöriger Anjtrengung durchzudenfen‘; nicht3dejto-
weniger erhob er al3 Leibnizianer Widerſpruch gegen die An-
nahme, daß die Zeit etwas blos Subjectives ſei. Mit feinem
Scharfblid erfannte er fofort, daß „die kleine Schrift die Frucht
von fehr langen Meditationen und als ein Theil eines ganzen
Lehrgebäudes anzufehen ift, das dem Berfaffer eigen und wovon
er vor der Hand nur einige Proben zu zeigen willens ijt“.2)
Durch die „Kritif der reinen Vernunft“ wurde auch wirkt
lich in der deutſchen Philoſophie jene Revolution hervorgerufen,
weiche Mendelsſohn längſt vorausgefagt Hatte Er war zu
alt und fteif, um an einer folchen Umwälzung, an einem fo
freien philofophifchen Gange noch Gefallen finden zu Können;
er „verlangte Dad) und Fach für ſich und feine Familie und
danfte der weiſen Matrone”, wie er den bauluftigen Kriticis-
mu3 Kants nennt, „für ihren bauluftigen Vorwitz. Sie mag
ihn an Kartenhäufern oder Zuftichlöffern verfuchen“.3) Der alte
Mann wollte ji in dem Gebäude des Dogmatismus, in dem
er Ruhe fand und auf deffen Grund er feine GSittenlehre auf-
geführt Hatte, nicht mehr ftören laſſen und Iegte die „Kritik“,
die noch dazu in einem fchweren und dunfeln Stile gefchrieben
war, bald aus Händen, ohne fich die Mühe zu geben, ihren
tiefen Sinn zu ergründen. „Sehr angenehm war e3 fiir mid,“
heißt es in dem Briefe an Elife Reimarus vom 5. Januar
1784, „von Heren Rudolphi zu vernehmen, daß der Herr
Bruder nicht viel von der „Kritif der reinen Vernunft“ halte.
Ich für meinen Theil muß befennen, daß ich fie nicht ver-
itehe ...... Es ift mir alfo lieb, daß ich nicht fonderlich viel
) De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et prineipiie.
Regiomont. 1770.
2) Schr. V, 510.
3) Schr. V, 704.
— 483 —
entbehre, wenn ich von dannen gebe, ohne dieſes Werf zu ver-
ſtehen.“!)
Daß Mendelsſohn der „Kritik“ ſeine „ſcharfſinnige Auf—
merkſamkeit“ nicht ſchenken konnte oder mochte, bedauerte nie—
mand mehr als Kant ſelbſt. Bei dem Einfluſſe, welchen er als
Wortführer der Aufklärungsphiloſophie übte, erwartete der da—
mals noch ziemlich unbekannte Königsberger Profeſſor, daß der
transcendentale Idealismus mehr Beachtung und ſchnellere Ver—
breitung finden würde, wenn ein Mendelsſohn dafür eintrete.
Er machte ihm daher nach dem Erſcheinen der „Prolegomenen
zu einer jeden künftigen Metaphyſik“ den Vorſchlag, falls er ſich
„nicht weiter mit ſchon zur Seite gelegten Sachen ſelbſt be—
ſchäftigen wollte“, er wenigſtens ſein Anſehen und ſeinen Ein—
fluß dazu verwenden möge, eine Prüfung der grundlegenden
Sätze des Syſtems zu vermitteln, um beiſpielsweiſe zu unter—
ſuchen, ob es mit der Unterſcheidung der analytiſchen und ſyn—
thetiſchen Urtheile ſeine Richtigkeit habe, ob der Satz, daß alle
ſpeculative Erkenntniß a priori nicht weiter reiche als auf Gegen—
jtände einer möglichen Erfahrung u. dgl. m. Große Hoffnung
machte er fih von der Erfüllung feines Wunfches nicht. „Men—
delsſohn, Garve und Tetens fcheinen diefer Art von Gefchäften
entjagt zu haben,“ heißt es in dem Briefe Kants an Mendels-
john vom 18. Auguft 1783,?) „und wo iſt noch fonjt jemand,
der Talent und guten Willen hat, fi) damit zu befafjen.“
Mendelsſohn mußte, daß er mit dem „Alles Zermalmenden” in
den Örundfägen nicht übereinjtimme Die Schaumünze, welche
er im November 1783 auf Kant entwarf: ein Thurm, der ein-
zuftürzen fcheint und dennoch alle erjtaunliche Feſtigkeit hat, die
„Kritif der reinen Vernunft“ mit der Umfchrift: „Drohet, aber
fällt nicht“,?) ift bezeichnend für feine Auffaffung des Kriticismus.
) Schr. V, 705 ff.
2) Kant, a. a. D. XL 1, 37.
3) Schr. V, 614.
31*
— 454 —
Und doc it Mendelsjohn als Borläufer Kants im wahren
Sinne des Wortes zu betrachten: in den beiden Hauptpunften der
Philofophie, in Inhalt und Form, arbeitete er ihm wacker vor.
Wie er die Sonderung von Gedanken und Anfchauung be
reit3 andeutet, jo hebt er auch den Unterſchied zwifchen beitän-
digen und unbejtändigen Erſcheinungen deutlich hervor. „Ad
glaube, e3 werde fein Vernünftiger in Abrede ftellen, daß es
wenigjtens zwei verfchiedene Arten von Erſcheinungen gebe, näm-
lich bejtändige und unbejtändige. Jene haben ihren Grund in
der innern Beichaffenheit der menschlichen Sinne überhaupt, diefe
aber in gewiſſen äußern Bufälligfeiten.“!) Es bedarf hier nur
einer Veränderung der Begriffe und der weitern Meotivirung,
fo haben wir Kants Unterfcheidung zwifchen „Schein“ und „Er-
Tcheinung“.
Die gewöhnliche Wolffiſche Eintheilung der Seelenvermögen
in Erfenntniß- und Begehrungsvermögen erflärte Mendelsfohn
für unvollitändig und fügte als ein drittes noch das „Billigen“,
den Beifall oder das Wohlgefallen hinzu al3 ein Vermögen, das
zwar der Keim der Begierde, aber nicht die Begierde ſelbſt,
fondern der Uebergang vom Erkennen zum Begehren, die Ber
bindung diefer beiden Vermögen durch die feinjte Abjtufung ift.?)
Wer vermöchte darin ein Vorbild des interefjenlofen Wohlge
fallend Kants zu verfennen?
Auch in der Beitreitung des dogmatiſchen Idealismus it
Mendelsjohn mit Kant einverftanden. Durch die Leibniziide
Philofophie gelangte er zu der Ueberzeugung, daß wir die Ob-
jecte der materiellen Borjtellungen nicht unmittelbar exfennen,
fondern daß wir blos auf ihr Dafein fchliegen. „Ihr fehet
von felbjt ein, daß durch diefe Gründe blos das Dafein eines
Objects der materiellen Borftellungen gefchloffen werden kann;
inwieweit fich aber bei der Darſtellung materieller Beſchaffen—
heiten das Subjective unferer ſinnlichen Erkenntniß miteinmiſcht
') Schr. II, 19.
2) Schr. II, 295.
— 455 —
und folche in „Erfcheinungen“ verwandelt, bleibt Hierdurch un—
entfchieden. In der finnlichen Erfenntniß liegt unftreitig Wahr-
heit. Aber diefe Wahrheit ift bei ung mit Schein, das Urbild-
Yiche ift mit dem Perſpectiven verbunden und kann durch unfere
Sinne nit von demfelben getrennt werden.“t) Er glaubt alfo,
es läge Wahrheit in dem Sinnlichen, die Sinnlichkeit entdede
Prädicate, die den Dingen an ſich zufämen. Diefen Idealis—
mus führte Kant weiter durch, indem er die Erfenntniß der
Dbjecte an fi) Teugnet und fie blos nad) einer nothwendigen
Idee in uns vorausfegt; die Sinnenwelt ift, nad) ihm, fein
Ding an fich, fondern eine bloße „Erſcheinung“.
Trotz diefer Berührungspunfte, welche Mendelsfohn mit
dem transcendentalen Idealismus Kants zeigt, war er doch
von den Felleln des philofophifchen Dogmatismus zu fehr um—
jtridt, al3 daß er dem Kantſchen Kriticismus, den er für eine
Wiederbelebung des Humefchen Skepticismus hielt, Beifall zollen
konnte. Bollftändige Kritif war ihm bei allem Scharffinn fremd.
Gerieth die Vernunft mit fich felbft in Steit, fo führte er die
Nachforſchungen auf eine gewiſſe Stufe und ftopfte dann dem
Frager furz und gut den Mund. „Wenn ic) euch jage, was
ein Ding wirfet oder Yeidet, jo fraget weiter nicht, was es ilt.
Wenn ich euch fage, was ihr euch von einem Dinge für einen
Begriff zu machen Habt, fo Hat die fernere Frage, was diejes
Ding an und für fich felbjt fei? weiter feinen Verſtand .. ..
Wir ftehen an der Grenze nicht nur der menschlichen Erfennt-
niß, fondern aller Erkenntniß überhaupt, und wollen noch weiter
hinaus, ohne zu wiffen, wohin.“2)
Buweilen bediente er fih auch des Auswegs, den
Streit auf eine bloße Modification des Ausdruds zurüd-
zuführen. „Sie wiffen, wie fehr ich geneigt bin, alle Streitig-
feiten der philofophiichen Schulen für bloße Wortjtreitigfeiten
zu erklären, oder doch wenigſtens urſprünglich von Wortjtreitig-
') Schr. II, 339. |
2) Schr. I, 29.
— 456 —
feiten herzuleiten.“)) Kant ift hierin gerade entgegengefeßter
Meinung, und behauptet, daß in den Dingen, worüber man,
vornehmlich in der Philofophie, eine geraume Zeit geftritten hat,
niemals eine Wortftreitigfeit zu Grunde gelegen habe, fondern
immer eine wahrhafte Streitigfeit über Sachen; ein Verfahren,
wie das Mendelsfohns, nennt er „den Durchbruch des Oceans
mit einem Strohwiſch zuftopfen”. Wenn dann aber Kant dem
fubtilen Manne das Bejtreben zufchreibt, „allenthHalben Logo:
machie zu ergrübeln“ und „in Logodädalie zu verfallen“, fo
fpricht er dem fonjt von ihm Hochverehrten Denker den Exnit
der Forfhung ungerechterweife ab.?) Hätte Mendelsfohn, wie
er e3 gewünſcht, „vor feinem ziwanzigjten Jahre einen Kant zum
Freunde gehabt“ ,3) fo wären feine philofophifchen Leiftungen
unftreitig von weit größerem Erfolge geweſen; andererfeits würde
der bejtändige Umgang mit einem Manne wie Mendelsjohn für
Kant und feine Arbeiten höchſt eriprießlich gewefen fein. Wer
weiß, ob er nicht durch ihn von der dunfeln Schreibart abge
bracht wäre und fich des lichtvollen Stil3 befleigigt hätte, den
er an Mendelsfohn fo ſehr bewunderte. „Es find nur menige
fo glücklich,“ Schreibt ev ihm am 18. Augujt 1783, „für fi
und zugleich in der Stelle anderer denken und die ihnen allen
angemefjene Manier im Bortrage treffen zu können. Es it
nur ein Mendelsfohn.“?)
) Schr. II, 341; V, 547.
2) Kant, in den Bemerlungen zu 2%. 9. Jakobs Prüfung der
Mendelsfohnihen Morgenftunden (Leipzig 1786), LIV, auch Sämmtl.
Merfe I, 39%.
3) Schr. V, 509.
4) Kant, a. a. D. IX. 1, 42.
Sechzehntes Bud).
Mendelsfohns lekter Kampf und Tod,
Fünfundachtzigites Kapitel.
Mendelsjohn und Spinoza.
Die Entdedung Jacobis, daß Leſſing in feinen legten Tagen
Spinozift gewejen und der darüber entitandene Streit veran-
laßten Mendelsjohn auf das „Eins und Alles“ Spinozas näher
einzugehen; in feinem vorgerüdten Alter und leidenden Zuftande
mußte er wider Willen auf das Syitem zurüdkommen, dem er
in feinen früheſten philofophiichen Schriften zuerſt Anerkennung
verichafft Hatte.
Seinem Vorſatze gemäß, des eigentlichen Streite3 mit Ja—
cobi in den „Morgenjtunden“ nicht zu erwähnen, den ganzen
Briefwechjel erſt jpäter, in einem zweiten Theile, zu beleuchten,
nahm er auf den jpinoziftiichen Pantheismus jet nur ganz im
allgemeinen Rückſicht, Tuchte ihn aber gleichwol zu widerlegen.
Zu diefem Zwede ging er von dem erjten Grundbegriffe des
Syitems, der abjoluten Einheit des ewigen Seins, der Subjtanz,
aus. Nah Spinvza ijt Gott die einzige Subjtanz, die ſich
denken läßt, alles Uebrige lebt, webt und ijt nicht außer Gott;
alle Dinge find nur Modificationen, alle Vorgänge nur Wir:
— 488 —
fungen diefer einen Subftanz. Gott und die Welt find ein und
dasſelbe. Eins ift Alles und Alles ift Eins.
Der Haupteinwurf, den Mendelsjohn gegen Spinoza führt,
ift, daß er das Unendliche der Kraft nach mit dem Unendlichen
der Ausbreitung nad, die intenfive mit der ertenfiven Größe,
verwechiele, daß er den Inbegriff aller Einzelnheiten zur
Gottheit mache oder vielmehr aus unendlich vielen endlichen
Gedanken das Unendliche gleichfam zufammenfege;?) ein Einwurf,
der den eigentlichen Spinozismus geradezu verfennt.
Giebt Mendelsfohn dann auc zu, daß nicht der Begriff
der Subjtanz Spinoza zu feinen irrigen Anfichten geführt habe,
fo findet er doch, daß in der Erklärung des Wortes felbft eine
Willkürlichkeit Liege. Er räumt ein, daß eine folche felbitge-
nügende Subjtantialität allerdings blos dem unendlichen und
nothiwendigen Wefen zufomme, unterjcheidet aber das „Selbitän-
dige“ von dem „Fürfichbeftehenden”. „Erfteres ift unabhängig
und bedarf feines andern Weſens zu feinem Dafein, ift unend-
fih und nothwendig, Tebteres aber fann in feinem Dafein ab-
hängig und dennoch als ein von dem Unendlichen abgefondertes
Weſen vorhanden fein, d. 5. es laſſen fih Wefen denken, die
nicht blos als Modificationen eines andern Wefens bejtehen,
fondern ihre eigene Beftandheit Haben und felbft modificirt find.“ ?)
Mit dieſer mehr den Ausdrud ald die Sache treffenden
Dijtinction will Mendelsfohn Spinozas Subftanzbegriff von
allen ihm blos äußerlich beigelegten, fich widerfprechenden Prä-
dicaten getrennt wiſſen. Bei Spinoza ift alles bloßer Gedante,
reiner Idealismus, feine unendliche jo angeftaunte Subftanz ift
gewiffermaßen die Sonne, deren Strahlen nie die Erde berühren;
e3 giebt für ihn feinen Uebergang vom Unendlichen zum End»
fihen, von der Einheit zur PVielheit, vom Geift zur Materie;
über die einzige Subjtanz hat er die Menfchen vergefjen. Das
') Schr. II, 342.
2) Schr. II, 348.
— 489 —
eben iſt es, was Mendelsfohn ihm beſonders zum Vorwurf
macht, daß er das Formale, die reale Welt, der Ideen wegen
außer Acht gelafien habe. „Spinoza hat blos die Quelle der
Materie angewiefen. Wo follen wir aber die Quelle der Form
fuhen? Wodurd) erhält der Körper feine Bewegung, der orga=
nifirte Körper feine Bildung, d. i. feine planvolle und regel-
mäßige Bewegung, und jeder andere Körper feine Figur? Wo
fann der Ursprung hiervon anzutreffen fein? Nicht im Ganzen,
denn das Ganze hat feine Bewegung. Das Sämmtliche aller
Körper, in eine einzige Subjtanz vereinigt, kann den Ort nicht
verändern und hat weder Drganifation noch Figur. Alfo in
den Theilen. Mithin müfjen die Theile auch ihr abgetheiltes
Dafein haben, und das Ganze ein bloßes Aggregat aus den-
ſelben fein.“!)
Das Mangelhafte des Syſtems zeigt ſich demnach in zweierlei
Rückſichten. Sowol in Abficht auf die Körperwelt als auf die
denfenden Weſen berüdfichtigt Spinoza blos das Meateriale, nicht
aber das Formale. Eine reale für fich beftehende Welt ift bei
Spinoza nicht zu finden, das Princip des Realismus ijt ihm
gänzli fremd. Die Welt an fich ift nach Spinoza nichts, fie
flieht gleichfam in Gott zurüd, wie Gott aus fich in die Welt
flieht, oder wie Mendelsfohn ſich ausdrüdt, „Spinoza verſetzt
bald Gott zu bildlich in die Welt, bald die Welt zu bildlich in
Gott.“?) Beides, Gott und'die Welt, mußte, al3 für ſich be-
jtehend, von einander gelöjt werden, und in diefem Sinne jtellte
Mendelsfohn feinen geläuterten PBantheismus in dem jchönen
Bilde auf: „Mein Pantheismus gleicht einer zweiföpfigen Hydra.
Einer diefer Köpfe führt die Ueberfchrift: „Alles iſt Eins‘; der
andere: „Eins ift Alles“. Ahr müfjet beide zugleich abjchlagen,
wenn ihr das Ungeheuer tödten mwollt.‘“3)
1) Schr. II, 344, m. f. hierzu den Brief Mendelsjohna an Leſ—
fing, V, 176 f.
2) Schr. II, 360.
3) Schr. II, 352.
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Spinoza fagt: Alles iſt Eins, Gott ift auch die Welt; der
geläuterte Pantheiſt jpricht: Gott und die Welt. Das Unend-
liche, behauptet diefer, hat alles Endliche, Eins das Viele zur
Wirklichkeit gebracht; jener Hingegen: das Unendliche umfaft
Alles, iſt ſelbſt Alles, it Eins und zugleich Alles; denn fo
wenig das Viele ohne das Eine vorhanden fein fann, eben fo
wenig kann nad) Spinoza das unendliche Eins ohne Alles
eriftiren. Sp trennt Mendelsfohn Gott von der Natur, der
Welt, fchreibt Gott ein außerweltliches, der Welt ein außergött-
liches Dafein zu, und jtellt einen Pantheismus auf, der nidt
auf Atheismus hinausläuft, der vielmehr mit der Religion und
der Sittenlehre im Einklang jteht.!)
Diefen geläuterten Spinozismus führt Mendelsfohn auf die
Behauptung zurüd, daß alles, als Vorſtellung Gottes, in Gott
jei; damit foll aber weder der Realität der Körperwelt, nod
dem abgejonderten Selbjtbewußtjein des Menfchen, noch feiner
endlofen "Fortdauer, noch dem Leibnizischen Sate von der vor:
herbejtimmten Harmonie zu nahe getreten werden.) Was
Mendelsfohn Spinozismus nennt, ift im Grunde nichts als das
Leibnizifche Syftem mit jener Zuthat des Pantheismus, den
man allerdings bei Lefjing findet, wie denn Mendelsfohn den
Freund auch zum Verfechter des geläuterten Pantheismus madt
und als Beleg dafür das „Chriſtenthum der Vernunft“, jene
in der Jugend verfaßte Abhandlung macht, davon er ihm gleich
zu Anfang ihrer Belanntichaft das Wefentliche vorgelejen Hatte. ?)
Gott ift Leſſing das allervollfommenfte Wefen; er hat von Ewig—
feit her nur fich felbjt denken können. Zwiſchen Leffing und
Spinoza ijt, fo unverkennbar jener diefem ſich auch nähert, nod)
immer ein großer, tiefgreifender Unterfchied.
Bwifchen Mendelsfohn und Jacobi lag eine zu große Kluft,
als daß ſie fich noch hätten verjtändigen können. Diefem exfchien
1) Schr. II, 357; I, 207.
2) €. Zeller, a. a. D., 346.
s) Schr. II, 369 ff.
— 491 —
Spinoza gleich Leibniz und Wolff, jenem Leibniz und Wolff
gleich Spinoza; diefer vertheidigte den Theismus der Vernunft,
jener den Theismus des Gefühls; diefer wollte Glauben und
Wiſſenſchaft in Moral, jener Moral und Wiffenfchaft in Glauben
berivandeln.
Durch den Jacobi-Mendelsſohnſchen Streit wurde ein gründ-
licheres Studium des Spinoza herbeigeführt und die ganze phi-
loſophiſche Richtung in neue Bahnen gelenft.
Wer war froher als Mendelsjohn, als er die „Morgen-
ſtunden“ endlich gedruckt vor jich fah. Die Arbeit Hatte ihn fo
angegriffen, daß ex fi) gern eine Erholung günnte,
Sechsundachzigſtes Kapitel.
Die kurländiſchen Freundinnen.
Die Herzogin Dorothea von Kurland, die Tochter des Reichs—
grafen Zohann Friedrich von Meden, und ihre unglüdliche Schweiter
Elife von der Rede, eine zur Schwärmerei geneigte und durch
den Abenteurer Caglioftro ſchmählich betrogene Frau, Ternten
während ihres zeitweiligen Aufenthaltes in Berlin im Herbite
1785 duch Nicolai auch Mendelsfohn Fennen. Bald fchäßten
fie fich glücklich, den Tiebenswiürdigen Philoſophen öfter in ihrer
Nähe zu haben. Das Geſpräch, das ex bei feinem erften Zu-
fammentreffen mit diefen intereffanten Frauen führte, hatte die
Unsterblichkeit der Seele zum Gegenftande.
Am 3. Detober 1785 machte Mendelsfohn in Begleitung
Ramlers eine Spazierfahrt nach dem ein paar Stunden von
Berlin entfernten Friedrichsfelde, um der dort rejidirenden Her-
zogin den versprochenen Beſuch abzuftatten. Früher als fie
erwartet Hatte, trafen die beiden Gelehrten am Furifchen Hofe
ein. Die Herzogin war mit ihrer Toilette befchäftigt und gab
— 412 —
der gerade anweſenden Freundin und Reifebegleiterin ihrer in
Berlin zurücdgebliebenen Schweiter den Auftrag, die willfommenen
Säfte einftweilen im Schloßgarten umherzuführen. Sie Iuft
wandelten in dem herrlichen Park, bis fie bei einem Platze,
wo Prinz Ferdinand eine große Allee hatte umbauen laſſen,
jtehen blieben. Die anmuthige Führerin, welche in der Geſell—
ſchaft diefer geiftvollen Männer Gott und feine Welt Lebhafter
al3 ſonſt zu fühlen glaubte, brach nicht ohne Zagen das Schwei—
gen: „Mir, fommt das Niederhauen eine großen ſchönen Baumes
beinahe wie ein Mord vor, ein jo wichtige Product der Natur
fheint mir der Baum zu fein.” Ramler erinnerte fich Hierbei
einer Idylle Geßners, welche die Gefchichte enthält, daß ein
Schäfer dafür beforgt ift, einem Baum, dem das Waffer an die
Wurzel greift, jo zu verwahren, daß er nicht nur gefchüst ift,
fondern auch noch feinen Wuchs fortjegen kann, und dafiir fegnet
ihn . die Dryade des Baumes in feiner Herde. Mendelsſohn
war damit nicht zufrieden, daß der Dichter für die Erhaltung
des Baumes außer der innern Belohnung durch das Bemwußtfein
der guten That noch Wohlftand verheiße und gleichfam die
Tugend zu einer feilen Dirne mache.
Sophie Beder, fo hieß die Begleiterin, war die Tochter
und Schweiter furländifcher Pfarrer, eine begabte Schriftftellerin,
deren „Gedichte und „Briefe einer Kurländerin“ ihr Gatte, der
Gerichtsdirector J. 2. Schwarz, nad) ihrem frühen Tode er-
Iheinen ließ. Als Sophie im Alter von einunddreißig Jahren
Mendelsjohn kennen lernte, befand fie ſich gerade in der Periode
des Zweifelns. Ihre Seele war von fo mancherlei dunfeln Vor—
jtellungen und von fo verfchiedenen Gefühlen bewegt, „daß fie
fi) irgendwo ergießen mußte“. Mendelsſohn erſchloß fie ihr
ganzes Herz, er wurde ihr „theuerjter Freund“, fie ihm die
„theuerjte Sophie“. Er war der erjte, wie fie in ihrem Briefe
an ihn verfichert,!) von dem fie glaubte, er würde fie verftehen,
1) Schr. V, 645 f.
— 493 —
oder da, wo fie fich ſelbſt nicht verjteht, Licht Hinhalten können.
Sn Betrachtungen über Menſchenſchickſal verfunfen, fühlte fie in
ihrem Herzen eine Leere und war fich ſelbſt ein Räthſel: fie
konnte den Gedanken „Gott“ nicht mehr faffen und nur „bei der
Betrachtung der Natur und der mannichfaltig wirkenden Kräfte
in derfelben bewundern, erjtaunen und verſtummen“. Ihre Ge-
bete waren nicht mehr Worte, jondern blos noch Gefühle, die
durch Thränen ſich ausdrücdten; für den öffentlichen Gottesdienft
hatte fie feinen Sinn mehr. „So jieht e3 in meiner Seele aus,
theuerfter Freund; nur Shnen lege ich fie offen dar,“ heißt e3
in dem erwähnten Briefe. „Rathen Sie mir, auf welche Art
ic) es anfange, meinem Herzen den Gott näher zu bringen, den
mein Berjtand im Sandkorn wie in der Sonne anbetet.“ „Wenn
Sie Geduld genug haben, theuerjte Sophie! meine ‚Morgen-
ftunden‘ durchzulefen,“ antmortete er ihr, „jo werden Sie aud)
die Stelle bemerft haben, wo id) von der Schwierigkeit handele,
die Erhabenheit Gottes in der ftärfjten Verbindung mit deſſen
allbarmherziger Herablaffung zu denken, und unferem Leffing ein
großes Verdienft um diefe wichtige Wahrheit zufchreibe. Mich
dünkt, Sie befinden fich jeßt in dem Falle, da Ihnen diefe Er-
wägung gute Dienfte leiften fann. Mit Ihrem Kopf und Ihrem
Herzen werden Sie feine fonderliche Anjtrengung brauchen, diefe
Lehre in ihrem ganzen Umfang zu fallen, und wahren Troft
und Beruhigung zu finden.‘“t)
Mit diefer Tiebenswürdigen kurländiſchen Freundin der
Skepſis, der die Unterhaltung mit Mendelsfohn Balfam mar
und fie zur veifern Prüfung jtimmte, mit diefer „theuerjten
Sophie”, welche den legten Eöjtlichen Brief, den das Herz des
Philofophen dictirte, als ein „heiliges Depoſitum“ bemwahrte,
durchſtrichen Mendelsfohn und Ramler den Schloßgarten, bis die
Herzogin felbjt erſchien. Im traulichen Geſpräche vergingen die
Morgenftunden. Als die Gäfte zum Speifen gerufen wurden,
') Schr. V, 649.
— 494 —
entfernte ſich Mendelsſohn jtillichweigend. Er ging ins Wirths—
haus, wo er fich ein frugales Mahl bejtellt Hatte, denn — es
find das Sophiens Worte — aus einem gewiß ſehr ehrwir-
digen Grunde läßt ſich diefer philoſophiſche Mann nie zu den
Mahlzeiten der Chriſten laden.
Um Mendelsſohns Gefellihaft nicht lange zu entbehren,
hob die Herzogin die Tafel bald auf; er kehrte zu den Freun—
dinnen zurüd, Ramler wurde aufgefordert etwas zu Iefen, und
da gerade Nathan der Weife auf dem Tiſche lag, fo wählte er
etwas daraus. Während die Herzogin und Sophie von den
Wahrheiten jeiner Gedanken oder von dem trefflichen Charakter
des Nathan zur lauten Bewunderung Hingeriffen wurden, ſaß
Mendelsfohn mit verjchloffenem Munde da; feine Seele fdhien
ſich blos in das Auge zurüdgezogen zu haben.
Um die ernjte Empfindung fanfter zu ftimmen, trat endlid
die Herzogin and Klavier und fpielte eine feelenvolle Arie.
Am Schlufje derjelben empfahl ſich Mendelsfohn, indem er mit
glänzenden Augen verficherte: „Sch Habe heute mit dem Geifte
geichwelgt.“t)
Er hatte einen glüdlichen Tag verlebt, fo glücklich, wie ihm
nur noch wenige bejchieden waren.
Als Sophie mit Elife von der Rede wenige Tage fpäter
Mendelsfohn einen Beſuch abftatteten, da wurde über nichts als
über Leffing gefprochen und zwar, wie Sophie bemerft, durd
Beranlafjung der ganz neuerlich) angefommenen Briefe des Ge—
heimraths Jacobi an Mendelsjohn.?)
!) Briefe einer Kurländerin II, 172. Bor hundert Jahren. Eliſe
von der Nedes Reifen durch Deutichland nah dem Tagebuche ihrer
Begleiterin Sophie Beder (Stuttgart), ©. 193.
2) Bor hundert Jahren, S. 196.
— 495 —
Siebenundacdhtzigites Kapitel.
Mendelsjohn und Sacobi.
Die „Morgenftunden‘ hatten Pempelfort noch nicht erreicht,
fo war auch ſchon von Jacobi eine Schrift bei Mendelsfohn
angelangt. Das Padet hatte fi) mit den „Rabbinifchen Vor—
lefungen“, wie es in einem Briefe Jacobis an Goethe Heißt, ')
gefreuzt. Ohne das Erfcheinen des Buches, das Mendelsjohn
ihm nie in der Handfchrift, fondern nur vollendet und gedrudt
vorlegen wollte, exit abzuwarten, Hatte er aus Furcht, der
Gegner könne die ftreitigen Punkte unrichtig darlegen, den
ganzen zwifchen Elife Reimarus, ihm und Mendelsfohn geführten
Briefwechfel ohne Vorherwiſſen und Erlaubniß veröffentlicht und
das ihm von Leffing anvertraute Geheimniß der ganzen Welt
verrathen.
Jacobis Schrift „Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen
an den Herrn Moſes Mendelsfohn,“ 2?) welche fi) den 8. October
bereit3 in des legtern Händen befanden, war eine Compofition
der wunderlichjten Art, der ganze Jacobi wie er leibt und lebt.
Mit den Briefen an Mendelsfohn und Elife verband er die Ge-
Ichichte der Briefe und zugleich die Gefchichte, warum diefelben
veröffentlich wurden. Die ihm gefchicten „Erinnerungen“ hatte
der „delicate Mann“ wohlweiglich nicht mitabdruden laſſen. Die
Sätze, welche er zu beweifen unternahm, waren: „Spinozismus
iſt Atheismus.” „Die Kabaliſtiſche Philofophie ift, als Philo-
fophie, nicht3 anderes al3 unentwidelter oder nur verworrener
Spinozismus.“ „Die Leibniz-Wolffiihe Philofophie ift nicht
minder fataliſtiſch als die Spinoziftifche.“ „Jeder Weg der
Demonftration geht in Fatalismus aus.“ „Wir können nur
) Briefwechjel zwijchen Goethe und F. H. Jacobi. Herausgegeben
von Mar Jacobi (Leipzig 1846), 101.
2) Breslau 1785; neue Ausgabe, ibid. 1789.
— 419% —
Aehnlichkeiten demonftriren, denn Demonftration ift Fortfchritt
in identifchen Säben, und jeder Erweis ſetzt etwas ſchon Er-
wieſenes zum Voraus, wovon das Princip Offenbarung ift.“
„Das Element aller menfchlichen Erkenntniß und Wirkſamkeit ift
Glaube“. ?)
Um die Tactlofigfeit fich felbft nicht zu gejtehen, nimmt der
glaubengjtarfe Mann in diefer mit Sophismen und Autoritäten
gewürzten Polemik einen anmaßenden Ton an und fchaut mit
geringfhätiger Miene auf den Juden herab. Mendelssohn
fürdhtete, „die Philofophie Hat ihre Schwärmer, die ebenfo un-
geftiim verfolgen und faſt noch mehr auf das Proſelytenmachen
jteuern al3 die Schwärmer der pofitiven Religion;“ er und Ni-
colai fahen gleich anfangs in Ddiefem ganzen Vorgehen ein
Complot der Lavaterfchen Partei.) Er war aufs ſchmerzlichſte
davon ergriffen. „Was dünkt Ihnen zu dieſem fonderbaren,
windfchiefen Betragen?“ fragt er Nicolai gleih nad) Empfang
von Jacobis Schrift.?) Die ganze Verfahrungsart war ihm fo
fremd, daß er ihr gar feinen Namen zu geben wußte. „Sit es
Unbefonnenheit, Schwachheit oder böfer Wille? Will Sacobi
heucheln oder fchwärmt er in der That? Will er den Atheismus
oder den blinden Glauben predigen? Ach mag annehmen, was
ich will, fo bleibt mir noch manches in feinem Betragen uner-
Härbar.“*) „Es Tiegt fo etwas verfchobenes, fo etwas ver-
widelte® in dem ganzen Betragen diefes Mannes,“ fchreibt er
den 21. October 1785 der „verehrungswürdigen Freundin“,
welche in ihrer Herzensgüte fich jelbjt einen Theil der Schuld
aufbürdete, „darein ich mich nicht finden fann. Warum ift er
anfangs fo vertraulich, um hernach, ohne Grund und Urfad,
jo argwöhnifch zu fein? Sit feine Eigenliebe fo zündbar, warum
fommt er dem Feuer fo nah? Warum ift er von der einen Seite
) Ueber die Lehre des Spinoza, 223 ff.
2) Schr. V, 638. Bor hundert Jahren, ©. 196.
3) Schr. V, 634.
9 Schr. V, 641.
— 497° —
fo fef, um von der andern fo furchtfam zu fein? ftößt feinen
Nebenmenſchen ins Feuer und flieht? reißt andern die Maske
oder wol gar die natürliche Haut vom Geficht, um feine eigene
Larve undurddringlicher zu machen. Sch Liebe den Umgang
mit folchen Leuten nicht und bin feſt entjchloffen, allen Privat-
Brieftwechfel mit Herrn Jacobi von nun an aufzuheben. Was
wir ung einander zu fagen Haben, foll öffentlich gejchehen.‘')
Mendelsfohn war im höchſten Grade erregt. „Ach Gott!
daß ich gerade jebt fo jehr vom Schwindel geplagt fein muß!“
ijt feine häufig wiederkehrende Klage. Er war feſt entjchloffen
zu antworten; Sacobi follte die Wahrheit hören, und das An—
denfen Leſſings mußte in Schuß genommen werden. Erſt wollte
er jedoch reiferer Heberlegung Raum geben und fi) von ein-
fihtsvollen und rechtichaffenen Männern „ihre Gedanken ausbitten“.
Er fchiete die „Morgenstunden“ den 16. October 1785 an
Profeffor Kant in Königsberg und an den Hofrath Zimmermann
in Hannover; letzterem empfahl er die Materie der ſtrengſten
Kritit, die Form aber der gütigen Nachſicht. „Der Verfaſſer
des clafjichen Werkes ‚Ueber die Einfamfeit‘ muß wiſſen,“ heißt
ed in dem Briefe, „daß das Beleden der jungen Gedanken der
Mutter fo fauer wird al3 das Gebären. Das Ausbilden und
Bollenden erfordert eine zweite Anjtrengung, und adj! ich bin
faum der erjten noch fähig, die zum bloßen Berichtigen gehört.‘ ?)
Profefjor Garve in Breslau, der die „Morgenstunden“ ebenfalls
erhielt, erjuchte er diefelben in einer müffigen Stunde durchzu-
leſen, dann auch Jacobis Schrift „Ueber die Lehre des Spinoza“
zu prüfen und ihm „feine aufrichtigen Gedanken über das Be-
tragen dieſes Mannes“ mitzutheilen. ?)
Ale billig denfenden, duch Freundichaft für Jacobi nicht
geblendeten Männer erklärten fich für Mendelsfohn.
) Schr. V, 728.
2) ©. Mein: Mojes Mendelsjohn. Ungedrudtes und Unbekanntes,
©. 19.
3) Schr. V, 641.
Kanferling, Mojes Mendelsfohn. 32
— 498 —
| „Diefe Nacht, mein Theuerjter,” jchreibt der alte Gleim
den 13. November 1785 an Herder, „las ic) Mendelsfohns
Morgenftunden, und freute mich Herzlich darüber, daß ich alles
von Leſſing gejagt jo fand, wie ich es gejagt oder Hätte fagen
mögen. Mendelsfohn ift doch ein Mann Gottes! Herder follte
ihn jparen zur Schilderung feines nähern Freundes, wie Herder
Leflings Freund war! Mein Leffing Atheift! Wer ſagt's? Wer
gab’3 zu leſen? Jacobi! Gott erbarm’s! Wär’! Goeze noch
gewefen.“ 1)
„Unter meiner neuesten Lectüre nehmen ſich Moſes' und
Jacobis Schriften aus,“ Heißt es in einem Briefe Garves an
Weiſſe. „Jenes ift Licht, diefes Finſterniß. Die Metaphyfif des
einen, wenn auch nicht immer neu, noch immer überzeugend, ijt
immer deutlich und belehrend; die des andern, die außerordentlich
neu fein ſoll, ift theils unverſtändlich, theils zwedlos!”2) „In
der That iſt mir die Jacobiſche Schrift ſehr aufgefallen,“ ſchreibt
derſelbe an Zollikofer. „Erſtlich was hat Jacobi nöthig, Leſ—
ſingen vorzuſchieben, wenn er überhaupt den Spinozismus er—
örtern will. Ueberdies ſollte Jacobi einen Brief, der blos zur
Belehrung Mendelsſohns beſtimmt war, nicht drucken laſſen,
ohne dieſen erſt deshalb zu fragen.... Was für eine ganz
andere Wrbeit iſt Mofes feine! Das Licht, das dem Leſer aud)
aus den abgezogenjten Speculationen entgegenjtrahlt, macht
alles nicht nur leicht, ſondern auch interefjant. Die Bücher
dieſes Mannes find zur Uebung des Denkens vortrefflich.‘3)
Ganz anders Yautete das Urtheil der Freunde des ſchwär—
merifchen Sacobis, der Glaubensliebhaber, und aller derjenigen,
welche dem Juden die Ehre mißgönnten, die er allgemein genoß.
Shnen ſchien Jacobi engelvein, grundehrlich; „eine Sache fo aut,
fein Handel jo rein, fein Spiel fo groß“.
) Bon und an Herder I, 114.
2) Briefe von Garve an Weifje (Berlin 1808), I, 232.
3) Briefwechjel zwiſchen Garve und Zollifofer (Berlin 1804), 373.
— 499 —
Hamann winfchte feinem Freunde „die größte Kaltblütig-
feit gegen alle Eonföderirten und Gecundanten des Rabbi zu
Berlin“, und bildete fic ein, der erſte gewefen zu fein, der den
„Rabbi Mofes auf die Sprünge gebracht, mit feinen Vorlefungen
herauszurüden“. Er ftachelte Jacobi auf, „den beiderfeitigen
Erzfeind die ganze Lection nicht zu Ende leſen zu laſſen, und
hoffte, über die Borlefungen die Epijtel zu Halten und den
Metten eine etwas ſehr jtarfe WVesperlection entgegenzujegen‘. 1)
Auf Seite Jacobi ftanden, wie fich leicht denfen läßt, alle
feine damaligen Freunde, befonders Lavater, Herder und Goethe.
Nahm doch jeder mehr oder weniger Intereſſe an einem Streite,
der den von fanatiſchen Pfaffen verfegerten Leffing und den jegt
zu neuem Leben erftandenen Spinoza betraf, und durch den, wie
Johannes von Müller mit Recht behauptet,?) die wichtigften
Unterfuchungen über den Spinozismus recht rege geworden waren.
Wo war Herders Freundichaft für Mendelsfohn geblieben?
Daß diefer die „Ideen zur Philoſophie der Gefchichte” kühl be—
urtheilt und gegen den preußifchen Gefandten Kammerherrn von
Sedendorff offen darüber gefprochen Hatte, das konnte der eitle
Mann ihm nicht verzeihen. „Denk Dir, Lieber,“ berichtet Her-
der den 25. Februar 1785 feinem Herzensbruder Lavater und
an demfelben Tage auch Hamann, „Sedendorff kommt von Berlin,
hat mit Mendelsjohn auch über die Ideen gefprochen und weißt
Du, was diefer fürchtet? Daß es zuletzt auf Schwärmerei hinaus-
gehe und oben ein Flämmchen brennen werde, das nicht für
ung ijt.“?)
Eigenthümlich benahm er fi) aud in diefem Streite.
„Mendelsjohn ift zu alt,“ äußerte ex gegen Hamann, „und ein
zu elajtifcher Philofoph der deutichen Nation und Sprache, als
daß er fich belehren Yieße, und ein zu pfiffiger Ebräer, als daß
') Jacobis Werte IV, 3, 42, 112.
2) Kohannes von: Müllers Werke, B5.'38, ©. 82,
) Hamanns Edhr., VII, 226; Aus Herders Nachlaß, II, 268.
32*
— —0——
ein ehrlicher Chriſt mit ihm auskäme. . . . Es iſt ſonderbar,
daß in dem alten Manne der verſteckte Haß gegen die Chriſten
von Tag zu Tag mehr hervorzutreten jcheint; denn allenthalben
bringt er die Chriſten al3 geborene oder wiedergeborene Schwär-
mer ins Spiel und mit diefer geheimen bitterjten Intoleranz it
alles Disputiren am Ende. In feinen „Morgenjtunden“ hat
er feinen Schatten von Leffing jo aus dem Gefechte zu bringen
gefucht, daß er durch diefe Verrüdung der Sterne jchon ge
wonnen Spiel hat.“!) Herder hatte einen giftigen Neid auf
alles Gute und, wie gegen Kant und die neuern Philofophen,
au gegen Mendelsjohn das größte Gift auf dem Heyzen.’)
Und Goethe? Sein Bufenfreund Jacobi wünfchte, daß er
thätigen Antheil an dem Streite nehme. Goethe, jet zuerſt auf
Spinoza geführt, fchwieg; er war mit der Polemif des „lieben
Bruders“ gar nicht zufrieden; er tadelte feine Form nicht weniger
al3 feine Anfichten. „Wenn die Gegner,“ fchrieb er ihm, „mur
halb Klug find, fo machen fie auf den Yanghalfigen Berfafier
Sagd, der in unendlicher Selbftzufriedenheit aus den Büſchen
herausfieht und im Schatten fich jeiner Superiorität über Elſtern
und Raben erfreut, und fie haben das ganze Publikum auf
ihrer Seite. Wenn Selbjtgefühl ji in Verachtung ambderer,
auch des geringiten ausläßt, muß es widrig ausfallen. Ein
feichtjinniger Menfch darf andere zum beiten haben, erniedrigen,
wegwerfen, weil ex fich felbjt einmal preisgiebt. Wer auf ſich
etwas hält, fcheint dem Nechte entfagt zu haben, andere gering
zu ſchätzen. Und was find wir denn alle, daß wir uns viel
erheben dürfen.“ ?)
Ließe fich bei einem folchen Urtheile nicht erwarten, dab
er auch gegen den übel mitgefpielten Mendelsfohn zum mindeften
gerecht fei?. Aber, fein; tiefwurzelnder Judenhaß Tpricht fic in
) Jacobis Werfe IV, 3, 145; damanns Briefwechſel mit Jacobi
(Gotha 1868), S. 195.
2) Briefwechfel zwiſchen Shiler und — III, 28.
3) Briefwechjel zwiichen Goethe und Fr. H. Jacobi,. 104.
— 501 —
jeder Beile aus, welche ex über ihn niederfchrieb. „Was Haft
Du zu den ‚Morgenjtunden‘ gejagt?“ fchrieb er Sacobi den
1. December 1785. „Und zu den jüdifchen Pfiffen, mit denen
der neue Sokrates zu Werfe geht? Wie Flug er Spinoza und
Lefjing eingeführt Hat? D Du armer Chrifte, wie jchlimm wird
e3 Dir ergehen! Wenn er Deine jchwirrenden Flüglein nach und
nach umfponnen haben wird!)
Der Jacobi-Mendelsſohnſche Streit wurde immer uner-
quidlicher; von allen Seiten ftürmten die Gegner auf Mendel3-
fohn und feine Schrift ein.
Kant, welcher die „Morgenftunden“ für das „lette Ver—
mächtniß der dogmatifirenden Metaphyfif und zugleich für das
vollftommenste Product derfelben, für ein nie von feinen Werthe
verlierendes Denkmal des Verfaſſers“ erklärte,?) Hatte fi an-
fangs vorgenommen, „mit aller Kälte ſich in einen Gang mit
Mendelsſohn einzulafjen‘‘; nad) veiflicher Ueberlegung fam er
davon ab. Später veranlaßte er feinen Sünger, den Pro—
fefjor Ludwig Heinrich Jakob in Halle, zu einer „Prüfung der
Mendelsfohnichen Morgenjtunden‘3) und fchrieb eine gegen die—
felben gerichtete Abhandlung, welche der Jakobſchen Schrift als
Empfehlung vorgedrudt ift.
Noch ein anderer Anhänger Kants trat gegen die in den
„Morgenjtunden‘ aufgeftellten Ariome und den darauf geführten
Beweis für das Dafein Gottes rückſichtslos auf: Samuel Hei-
nife, der Begründer des Taubftummenunterrichts in Deutjchland,
ließ ſich unwirfc über Mendelsfohn aus. *)
Unberufen, „al Freiwilliger”, brach) Theodor Wizemann für
feinen Freund Jacobi die Lanze und fchleuderte in feinen „Re—
fultaten der Sacobi und Mendelsſohnſchen Philofophie” Die
) Briefmechjel zwijchen Goethe und Fr. 9. Jacobi, 95.
2) Jenaer Literatur-Zeitung, Januar 1786.
3) Leipzig 1786.
4) Nach Kantijcher Manier aufgelöfte Ariomen von Mojes Mendels:
fohn. Göthen 1787.
— 502 —
giftigften Pfeile gegen den jüdischen Philoſophen. Dieſer bald
nachher gejtorbene junge Mann, der in Gefinnung und Denk
weife Hamann noch viel näher als Jacobi ftand, ſcheute fich
nicht zu behaupten: Mendelsfohn erſcheint Hein, tücifch, ohn-
mächtig-ſtolz, ängſtlich bekümmert den rechten Gefichtspunft zu
verfehlen, Hämifch gegen Wahrheit und Chriſtenthum.“
Achtundachtzigſtes Kapitel.
An die Freunde Lelfings.
Jacobi hatte durch den unbefonnenen Streich, durch die
indiscrete Veröffentlichung des Briefwechſels Mendelsfohn aufs
tiefite verlegt. Mehr als das gegen ihn gehegte Mißtrauen,
daß er ihn in den Verdacht des Atheismus bringen würde,
fränkte ihn, daß er „Gotthold Ephraim Lefjing, den Heraus-
geber der Fragmente, den Verfaſſer des Nathan, den großen
beiwunderten Bertheidiger des Theismus und der Bernunftreligion
als Spinozijten, Atheiften und Gottesläfterer angeklagt“, daß er
feinen beiten Freund zum Heuchler gejtempelt hatte. Er war
entrüjtet wie noch nie und raffte ji) auf zur Bertheidigung und
Ehrenrettung feines todten Freundes.
Troß feiner außerordentlichen Schwäche, jeiner tiefen Ab-
neigung gegen alle Streitigkeiten entfchloß er fich zu einer öffent-
fihen Entgegnung; er war es der Freundichaft und feinem
Glauben ſchuldig und fo entjtand die Flugfchrift „An die Freunde
Leſſings. Ein Anhang zu Herrn Jacobis Briefwechjel über die
Lehre des Spinoza.“!)
Durch die Fehde mit Jacobi war der ſonſt fo milde und
feidenfchaftslofe Mann in eine gereizte Stimmung verjegt. Mit
1) Berlin 1786; Schr. III, 1-36.
— 503 —
ungewöhnlicher Lebhaftigfeit beſprach er die Angelegenheit mit
Engel und andern Freunden oft noch in fpäten Abenditunden;
er war von der Sache feines Leſſings jo voll, daß er den alten
Gleim, in deſſen Gartenhaufe jener das Ev xai zeav als den
Snbegriff feiner PhHilofophie wenige Monate vor feinem Tode
an die Wand gefchrieben haben foll, bei feiner Anweſenheit in
Berlin im November 1785 dringend erfuchte, einen Abend im
Gaſthofe für ihn zu fparen, weil fie in feinem Haufe gejtört
würden, um fich einmal darüber auszufprechen.?)
E3 war Mendelsjohn weniger darum zu thun, den Pan—
theismus Spinozas zu widerlegen oder Jacobi von feiner An-
ficht zu überzeugen, als Leſſing gegen die Beichuldigung des
Spinozismus und Atheismus in Schuß zu nehmen. Er wollte
die Gründe und Gegengründe vor den Augen des Publikums
darlegen, die Gefchichte feines Briefwechjels mit Jacobi ergänzen
und die nöthigen Anmerkungen Hinzufügen.
Daß Leffing der Lehre des Juden Spinoza angehangen,
hatte für Mendelsfohn nichts fonderlich Befremdliches, ihn ver:
legte, daß Jacobi ihn als „Schalen Atheijten, nicht aus der
Schule eines Hobbe3 oder eine Spinoza dargejtellt, jondern
irgend eines kindiſchen Witzlings, der fich eine Freude macht,
das mit Füßen von fich zu ftoßen, was feinen Nebenmenjchen
jo wichtig und fo theuer ift.“2) Ihn fchmerzte, daß Jacobi in
ftolzer, vornehmer Weberhebung das Verhältniß zwifchen ihm
und Leſſing jo darftellte, al3 ob dieſer gar nicht fein Freund
gewejen wäre, ihn wenigjtens nicht feines ganzen Vertrauens
gewürdigt hätte. Jacobis Beftreben zielte in der That darauf hin,
Mendelsfohn von diefem Ehrenplage, den er feinem irdijchen
Geſchöpfe gönnen mochte, zu verdrängen.
Erſt Schelling übte in feinem Gtreite mit Jacobi eine
furchtbare Bergeltung. Dur) den biedern Meyer, den Bio-
1) Aus Herders Nachlaß, I, 117.
2) Schr. III, 8.
— 504 —
graphen Schröders, über die Wahrheit der Freundfchaft auf-
geklärt, fchrieb er diefem aus München den 29. Auguft 1812:
„Bas Sie mit einer Gewißheit, die feinen Zweifel verftattet,
von Leſſings Denfart in Bezug auf Mendelsfohn mir mit-
theilten, war mir infofern merkwürdig, als ich Jacobi'n nicht
einmal von diefer Seite im Unrecht glaubte. Bedenfe ich, mit
welchen Künſten, wenigjtens bei der gefammten nachgewachſenen
Welt, jene Meinung hervorgebracht worden, die Sie beftreitem,
fo entjteht in mir der Wunſch, den alten Mendelsfohn noch in
das ihm gebührende Recht auf Leſſings wifjenfchaftliche Achtung
wiedereingefeßt zu fehen, ehe die Meinung unwiderruflich auf
ihm haftet. So wenig ich mit ihm fymphatifire, fo oft Habe ich
mir einen Mann von feiner Klarheit zurückgewünſcht, mit dem
e3 doch möglich war, ind Reine zu fommen; um fo mehr wünſche
ich etwas zur Herftellung der Meinung über ihn in Anjehung
dieſes Punktes beizutragen.“ ?)
Bei aller von den Freunden fo —— Recht⸗
ſchaffenheit Jacobis ſchien deſſen ganzes Betragen Mendelsſohn
unerklärlich. Leſſing vertraute ihm ein Geheimniß, und er ver—
rieth es dem Publikum; er machte ihn in den letzten Tagen
ſeines Lebens zum Vertrauten ſeiner Schwachheit und nun
brandmarkte er damit deſſen Andenken. Leſſing geſtand ihm,
daß er Mendelsſohn, „ſeinem ſo hochgeſchätzten Freunde, ſein
wahres Syſtem verheimlicht hätte, um ihm nicht ſeine Ueber—
zeugung zu rauben, mit der er ihn ſo ruhig, ſo glücklich leben
ſah“, und gleichwol war Mendelsſohn der Erſte, dem Jacobi
das gefährliche Geheimniß aufdrang. „Wer,“ fragt Mendelsſohn,
„hat hier mehr thätige Religion, mehr wahre Frömmigkeit zu
erkennen gegeben, der Atheiſt, der ſeinem geliebten Freunde die
Ueberzeugung von der natürlichen Religion nicht entziehen will,
oder der rechtgläubige Chriſt, der ohne Erbarmen dem Lahmen
die Krücke aus den Händen ſchlägt.“?)
1) Zur Erinnerung an F. L. W. Meyer, II, 140.
2) Schr. III, 10.
— 505° —
Aus allem folgerte Mendelsfohn, daß Jacobi nichts anders
beabfichtigte, al3 jeden, der fich in der Einöde der Speculation
verloren hatte, auf den ficheren Pfad des Glaubens zurüdzu-
führen. Leffing war fchalfhaft genug, den aufmerffamen Schüler
‚zu Spielen, nicht zu widerfprechen, in alle mit einzujtimmen.
Was ihm bei Leffing mißlungen war, verjfuchte er nun bei
Mendelsfohn: während er für feine eigene PBerfon „ſich unter
die Kanone des Glaubens zurüdzog und Rettung und Sicherheit
in einer Bajtion des feligmachenden Lavaters fand“, bemühte
er ſich nad Art feines Züricher Freundes, den Juden in den
Schos der Kirche zu führen.
Jacobis Schrift Schien ihm, wie er Kant und Zimmermann
den 16. October 1785 fchrieb, „ein gar ſonderbares Monftrum:
der Kopf von Goethe, der Leib von Spinoza und die Füße von
Lavater.“?)
Die Eur war an Mendelsjohn vergeblich angebradt. „Ich
glaube,“ jagt er am Schlufje feiner letzten Schrift, „es ſei bei
fo bewandten Umjtänden duch Disput wenig auszurichten, und
aljo wohlgethan, daß wir aus einander fcheiden. Er fehre zu
dem Glauben feiner Väter zurüd, bringe durch die fiegende Macht
des Glaubens die ſchwermäulige Vernunft unter Gehorfam,
ſchlage die aufjteigenden Zweifel durch Autoritäten und Macht:
ſprüche nieder, fegne und verfiegele feine findliche Wiederkehr
mit Worten aus dem frommen engelreinen Munde Lavaters.
Sch von meiner Seite bleibe bei meinem jüdifchen Unglauben,
traue feinem GSterblichen einen engelceinen Mund zu, möchte
ſelbſt von der Autorität eines Erzengel3 nicht abhängen,
wenn von ewigen Wahrheiten die Rede ijt, auf welche ſich des
Menfchen Glüdfeligfeit gründet, und muß alfo fchon hierin auf
eigenen Füßen ftehen und fallen... Bon diefem unmwanfenden
Glauben geftärkt, fuche ich Belehrung und Ueberzeugung, imo
ich fie finde- Und, Preis fei der feligmachenden Allgütigfeit
) Schr. V, 638; mein Mojes Mendelsjohn. Ungedrudtes, ©. 19.
— 506 —
meines Schöpfers, ich glaube fie gefunden zu Haben, und glaube,
daß jeder fie finden fönne, der mit offenen Augen fucht, und
ſich nicht ſelbſt das Licht verjtellen will.“ ')
„An die Freunde Leifings“ war Mendelsſohns Teftament,
wie Gleim, Goethe u. a. diefe Schrift nannten.
Seiner Religion und der Freundfchaft opferte er im dieler
legten Geijtesarbeit den legten Reſt feiner Kräfte Der Denk
ftein, den er dem aus feiner Ruhe aufgejtörten Freunde fepen
wollte, wurde fein eigener Grabſtein.
Die Gemüthserregung hatte fein Nervenleiden in bedent-
fihem Grade gejteigert.
Am Abend des Ietten December 1785 brachte er das
Manufeript der Schrift feinem Berleger Voß. Leidend und über
Schmerzen Hagend fehrte er nach Haufe zurück.
Neunundachtzigites Kapitel.
Mendelsſohns Tod.
Als Hofratd Herz Montag den 2. Januar 1786 zufällig
hörte, daß Mendelsjohn ſich nicht wohl befinde und das Zimmer
hüte, eilte er zu ihm und fand ihn mit feinen Handlungsbücern
beichäftigt. „Wie geht es, mein lieber Mofes? Sie find Frank?“
„Ich habe mid) erfältet,“ war feine Antwort, „als ich vorgeftern
Abend meine Schrift in Betreff der Jacobiſchen Angelegenheit
zu Voſſen brachte; es ijt mir lieb, daß ich diefe verdrießliche
Sache vom Halfe habe.“ Er fagte das letzte mit einem ihm
ungewöhnlichen Widerwillen und Mißmuth, der mir durch die
Seele ging. „Sie glauben nicht, Lieber Herz,“ fuhr er fort,
1) Schr. III, 35.
— 507 —
„wie ſchwach feit einiger Zeit mein Gedächtniß ift; mein Caffa-
buch iſt voller Unordnung; bald fehlt es hier, bald da, und da
muß ich nun ftehen und mic) anftrengen, um es wieder in die
Nichte zu bringen.“
Mendelsfohn Hagte über Schwäche, machte aber nicht viel
aus feiner Unpäßlichfeit; fein Pul3 war natürlich), der Athem
frei, nur der Huften etwas feit; gegen diefen bediente er fich
eines unbedeutenden Hausmittels und nahm öfters Zuder.
Buder war überhaupt feine Lieblingsnäfcherei, fo oft man ihm
denfelben auch widerrieth. Der Zuder, pflegte er zu jagen, hat
nur den einzigen Fehler, daß man feinen Zuder dazu eſſen kann.
Wir Sprachen Hierauf, erzählt Herz weiter,?) von dem Zu—
ftande der Medicin, von dem er eine fehr große dee Hatte,
und von den Erfordernijjen eines praftifchen Arztes. Hofrath
Herz verließ ihn, ohne ihm etwas zu verordnen, weiler fchlechter-
dings feine Arznei vertragen Fonnte.
Dienjtag Vormittag Fam der Arzt wieder und fand ihn,
im Pelz gehüllt, auf dem Sopha unter Leffings Büſte ſitzen,
dem erſten Blide nad, Eränfer und ſchwächer. „Sch bin heute
vecht Herzlich Frank, Lieber Doctor,“ fagte er. „Mein Huften
will nicht Los, ich kann nicht effen, Habe nicht gefchlafen und
bin ſehr entfräftet.” Dennoch unterhielt er ſich von den
Geiftesanlagen feines jüngften Sohnes mit völliger Klarheit
des Geiftes. Sein Puls war etwas ſchwach und in einiger
Bewegung. Herz beredete ihn, dann und wann von einem jehr
gelinde auflöfenden Fühlenden Trank einen Löffel voll zu nehmen.
Dienftag Abend um fünf Uhr lag er auf dem Sopha in
einem etwas ftarfen Fieber, wobei fein Athem aber freier und
fein Geift heiterer al3 des Vormittag war. Um neun Uhr
war das Fieber fait gänzlich) gewichen; nur zeigte er eine Feine
Stelle in der Bruft, in welcher er Stiche fühlte. Herz verab-
) Borrede zu der erften Ausgabe von Moſes Mendelsjohns „An
die Freunde Leſſings“ XIII ff.
eu. BOB
redete mit dem noch zu Rathe gezogenen Doctor Bloch, auf den
feidenden Theil warme Umfchläge zu legen und, falls fich die
Stiche nicht bald verlören, ihm zu Ader zu laſſen. Er war im
übrigen bei ziemlicher Heiterkeit. Als die Aerzte jagten, es
wären zu viele Leute im Zimmer, antwortete er mit einiger
Laune: „Nach Achards Berfuchen iſt ja diefe Luft die gefündejte,“
und jo wünfchten fie ihm eine gute Nacht.
Mittwoch den 4. Januar, morgens gegen fieben Uhr, liei
Joſef Mendelsfohn bejtürzt zu Herz und bat ihn, fogleich zu
feinem Bater zu kommen, der jehr unruhig wäre. Herz eilte
hin und fand ihn auf dem Sopha; Leſſings Büſte jtand ihm
gegenüber. Seine Augen hatten nicht mehr jenes durchdringende
Feuer, fein Geficht war eingefallen und blaß. Er empfing den
alten Freund nach feiner liebevollen Weile mit einem Hände
drud. „Nehmen Sie e3 nicht übel, lieber Doctor, daß ich Sie
jo früh beunruhige, ich Habe eine elende Nacht gehabt. Die
Stiche haben fich gleich nach den Umſchlägen verloren, aber id
habe Beängitigung und Unruhe, ich fühle e8, daß e3 mir vom
Unterleibe herauftreibt, meine Bruft ift ſehr voll.“
Sein Puls war fajt natürlih, nur etwas ſchwach, ohne
die mindefte Unregelmäßigfeit. „Ich will mich einmal auflegen,
vielleicht geht es beſſer,“ ſagte er nach einer Weile zu feinem
Arzte, der in Angſt und Berlegenheit geriet. Er richtete ſich
mit ziemlicher Kraft auf, feßte fih auf einen Stuhl, jtand nad)
einer halben Minute wieder auf und nahm auf dem Sopha
Platz mit den Worten: „Nun iſt es vorüber.“ Sein Ausjehen
wurde immer mißlicher. Herz ging in das anftoßende Zimmer,
um der Gattin und der Familie des Kranken feinen Zuſtand
zu verfündigen. Plötzlich hörte er ein Geräuſch auf dem Sopha.
Er jprang Hinzu, und da lag Mendelsfohn, ein wenig von dem
Site herabgefunfen, mit dem Kopfe rüdlings, etwas Schaum vor
dem Munde; weg war Athem, Pulsichlag und Leben. Verſchie—
denes wurde verfucht, ihn wieder zum Bewußtfein zu bringen,
allein vergebend. Da lag er nun ohne vorhergegangenes
— 509 —
Röcheln, ohne Zudung, ohne Verzerrung, mit feiner gewöhn-
lichen Freundlichkeit auf den Lippen, als wenn ein Engel ihn
von der Erde hinweggeküßt hätte. Sein Tod war, wie Herz
angab, ein Schlagfluß aus Schwäche. Die Lampe exrlojch, weil
e3 ihr an Del gebrad).
So endete unerwartet das theure Leben, jo endete Mojes
Mendelsſohn im 57. Zahre feines Alters.
Tags darauf las man in den Berliner Zeitungen:
„Geſtern früh jtarb Hier im 57. Jahre feines Alters plöß-
fih an einem Schlagflufje Herr Moſes Mendelsjohn, aus Deffau
gebürtig; eine Nachricht, die außer dem, der fie niederfchrieb,
gewiß noch manchem Auge Thränen ausprefjen wird. Für die
Welt ſowol als für feine Freunde bleibt fein Verluft unerſetzlich.
In welchem fünftigen Jahrhundert wird ein folcher Geift in
der Hülle eines jterblichen Körpers wieder zur Reife fommen?
Er hat die Hülle nur abgeftreift; die Scheidewand ift gefunfen,
die ihn nur furze Zeit von feinem verewigten Freunde trennte;
fein verflärter Geift it nun wieder bei feinem Leſſing, dem er
noch kurz vorher in feinen ‚Morgenjtunden‘ ein jo rührendes
Denkmal der Freundichaft geitiftet Hat. Man fage dann: Lefjing
itarb, da er Nathan den Weifen vollendet, die Nacht des Aber-
glaubens verfcheucht und die Gottheit in ihrem reinjten und
erhabenjten Lichte den Sterblichen gejchildert hatte, und fein
Freund ftarb, nachdem er feine legten Gedanken dem erhabenften
Gegenjtande des menfchlichen Denkens, dem Beweiſe von dem
Dafein diefer Gottheit gewidmet Hatte, in deren näherm An—
ſchauen nun beide glüdlich find.“
Der öfterreichifche Gefandte in Berlin, Fürft von Reuß,
meldete dem Fürften Kaunig, Minifter der auswärtigen Ange—
fegenheiten in Wien, in einer Depefche: „Borgeftern ift der be-
rühmte jüdifche Gelehrte Moſes Mendelsfohn an einem Stüd-
fluſſe jäh allhier verjtorben.‘t) Man fieht, welch tiefen Eindrud
ı) Mittheilung ©. Wolfs in Wien, in Allg. Zeitg. d. Judths.,
1872, ©. 364.
— 510 —
der Tod des feltenen Mannes in allen reifen feiner Zeitge—
nofjen hervorrief.
Bierundzwanzig Stunden nach dem Berfcheiden, den 5. Ja—
nuar um 10 Uhr morgens, wurde feine Leiche an ihre Ruhe
jtätte gebracht. Seine aufrichtigiten Freunde, die Edelften und
Beiten Berlins, trugen die Bahre; die ganze jüdiſche Gemeinde,
bis auf wenige fanatifche Frömmler, die nicht würdig waren,
einem folchen Manne die letzte Ehre zu erweilen, und viele
Chriſten ſchloſſen ftill und trauernd dem Zuge fi) an. Einige
Fremde, die noch wenige Tage vor feinem Tode nach Berlin
gefommen waren, einzig und allein um ihn zu fprechen, drängten
fih in das Reinigungshaus, um wenigſtens feine Hülle zu
ſchauen, und benegten mit Thränen die Lippen, welche fo viel
Weisheit und Güte ausgejtrömt Hatten. Während der ganzen
Begräbnißzeit ruhte bei feinen Glaubensgenofjen Handel und
Wandel und in allen Straßen, durch welche der Zug nach dem
jüdifchen Friedhofe ſich bewegte, ſelbſt in anderen jüdifchen Ge-
meinden, wohin die Trauerfunde gedrungen war, blieben die
Geſchäfte den ganzen Tag gejchloffen.?)
„Ein Schauer drang dur meine Seele,
Als ich des Volkes Trauer: fah.
Bon Sonnenaufgang bis zu Sonnenuntergang
Sah ich der Wechsler Tiſche leer,
Der Krämer Haus verjchloffen,
Des Handels Lauf gehemmt.
Man trauert um den Redlichſten in Iſrael
Als um den Oberften im Bolf,
ALS um den AMAelteſten des Landes.’ ?)
) Berl. Priv. Zeitung v. Dienftag d. 10. Januar 1786, und andere
Zeitungen des In- und Auslandes, jo Kjobenhevns Tidender, Aar
1786, No. 5.
2) Ramler, Sulamith und Eujebia. Eine Trauercantate auf den
Tod Mendelsfohns, in der Berliner Monatsfchrift, Juni 1786.
— 511 —
Auf dem, mitten in der Stadt Hinter dem Kranfenhaufe
in der großen Hamburgerjtraße gelegenen alten jüdifchen Fried-
hofe ruht Mendelsfohn neben feinem Lehrer David Fränfel,
Sein Grabftein, in der dritten Örabreihe, etwa der dreizehnte
Leichenjtein von der linken Seite ab, ijt ein Denkmal feiner
Beicheidenheit. Die wahrfcheinlich von der Hand des demuths—
vollen Philoſophen felbjt verfaßte hebräiſche und die jpäter Hinzu-
gefommene deutfche Inſchrift des Grabjteines lautet:
Bd
NDyin VD Dann
o'on Son a Ton
Yopnn vaw 'n 7 Dya ED
‚nay3n
Moſes Mendelsſohn
geb. zu Deſſau am 6. September 1729,
geſt. zu Berlin am 4. Januar 1786.1)
Neunztigites Kapitel.
Allgemeine Theilnahme.
Selten hat der Tod eines Gelehrten fo allgemeine Theil-
nahme erregt al3 der Mendelsſohns; fie war in den weiteſten
Kreifen der gebildeten Welt eine aufrichtige und allgemeine.
Die Kunde von feinem Hinfcheiden erſchütterte alle feine
Freunde wie ein eleftriicher Schlag; ſelbſt Fürftinnen, wie
die Prinzeſſin Ferdinand, die Gemahlin des jüngsten Bruders
Friedrich) des Großen, die Herzogin von Kurland und deren
Schweſter Elife von der Rede, trauerten um den edlen Freund.
') Zebredt, Zum 150. Geburtstage Moj. Mendelsjohns, ©. 6, 12.
a —
Die Herzogin, welche die Trauerkunde am Todestage früh
morgens erhalten Hatte, jchrieb jofort der Reijebegleiterin ihrer
Schweiter: „Unier großer, weiler Mendelsiohn ift diefen Morgen
entichlafen.“ Die eriten Theilnehmer unjeres Schmerzes, be
richtet Sophie Beder, waren die Herzogin, die Campe, Haupt-
mann von Stamford, Nicolai und Parthey. „Da ſaßen wir
und verftummten, feines konnte ſprechen. D wie laut fpraden
unfere Thränen: ‚Er ift nicht mehr!“ Welche unerfegliche Lüde
hat Berlin, hat die ganze Welt erhalten! Elife, deren Befinden
ohnehin Schon jchleht war, litt viel. Keiner Hatte den Muth,
Mendelsiohns Namen zu nennen... Nicolai war fehr con
fternirt.“?)
Groß und unerſetzlich war der Berluft, den feine Glaubens-
genofjen erlitten Hatten; ihr Lehrer, Rathgeber, Führer und
Fürfpreher war dahin. „Zalmwdijten und Kaufleute, Vorfteher
und Lehrer, Künftler und Schriftjteller, alle Tiefen zu ihm wie
zu einem Orafel, das felten verfehlte und nie zu beftechen war“.?)
Wohin die Nachricht von feinem Hinfcheiden gelangte, war Klage
und Trauer; die bejjergefinnten unter den Juden condolirten
einander und heiße Thränen entrannen ihren Augen bei den
Worten: „Moſes Defjau ift todt.‘3)
Er, deſſen Blick fih jo oft im Lichte der Gottheit verlor,
Etieg fchnell von der oberften Stufe der Menjchheit zur Vorficht empor.
Sest blickt er aus hellem Lichte auf feines Volkes Trauer herab,
Und Thränen der Chriften bezeichnen jein Grab.‘)
Alle feine Bekannten, felbjt feine heftigſten Widerſacher
empfanden einen heimlichen Schauer bei der Kunde von feinem Ende.
1) Bor hundert Jahren, S. 232.
2) Berliner Priv. Zeitung vom 10. Januar 1786 und danach die
meiften deutjchen Zeitungen.
3) M. ſ. die Nahricht aus Halberftadt in der Berl. Priv. Zeitung
vom 21. Februar 1786.
4) Mendelsjohns Andenken geweiht. Berl. Briv. Zeitung vom
16. Februar 1786.
— 513 —
Eſchenburg in Braunfchweig, der Freund Leffings, war
über den Verlust nicht wenig betroffen, denn „Freunde von der
Art werden uns nicht leicht exfeßt,“ fchrieb er Nicolai den
1. Februar. Heinrich Gottfried Bretichneider, damals in Lem-
berg, meinte: „Mendelsfohn wird in Abrahams Schoß fiten und
Waffer auf die Proſelytenmacher herabfprigen,“ wie er in feinem
Briefe an Nicolai vom 1. Februar fi) ausdrückt.!)
Der mit Mendelsfohns Töchtern fpäter innig befreundete
junge Theologe Schleiermacher ift erjtaunt über das Auffehen,
das der Tod des Weifen in allen gebildeten Sreifen Deutjch-
lands machte; ex fchrieb feinem in Halle lebenden Oheim, dem
Profefjor Stubenraudh: „Mendelsſohns Tod ift Ahnen ohnftreitig
befannt, vielleicht haben Sie aud) das Diftichon in den Zeitungen
gelejen:
Es ift ein Gott: das ſagte Moſes jchon,
Doch den Beweis gab Moſes Mendelsjohn.
Stubenraud, ein Verwandter des gleichnamigen PBräfidenten
in Deſſau, der ſich Mendelsfohn in einer Erbfchaftsangelegenheit
einmal gefällig gezeigt hatte,2) erwiderte dem Neffen: „Recht
fehr Hat mir Ahr Urtheil über Moſes Mendelsjohn gefallen
und daß Sie das Unfchicliche in jenem Diftichon bemerkt. Nur
iheint mir do, als ob Sie Mendelsfohn nicht Gerechtigkeit
genug widerfahren laſſen. Mendelsfohn war mehr als Philoſoph,
ihm hat in der That unsere Literatur, unfere Sprache jelbit,
und die gefunde Fritif ungemein viel zu danken.‘ 3)
Hamann hatte die Nachricht „Sehr gerührt und feine alte
Freundichaft, die wol noch nicht Schiffbruch gelitten, von neuem
aufgewecdt“. „Der fchleunige Tod des armen Mendelsfohn,“
Ichrieb er den 15. Januar an Jacobi, „ging mir den ganzen
Donnerjtag jo im Kopfe herum, daß ich feine Ruhe hatte und
1) 2. Geiger, Zeitfchrift für die Gefhichte der Juden, I, 129.
2) 1. Aufl. ©. 49.
3) Aus Schleiermachers Leben (Berlin 1858), I, 42.
Kanferling, Mojes Mendelsjohn. 33
— 514 —
immer bedauerte, ihm nicht vor feinem Ende, wie ich mehr als
einmal willens gewejen bin, gejchrieben und mich gegen ihn
erklärt zu haben, daß mein ‚Solgatha‘ mehr die Berliner als
ihn ſelbſt angehen follte”‘) Er quälte fi) mit dem Einfall,
gegen den Sohn dasjenige zu thun, was er dem Bater fchuldig
zu fein glaubte, er wollte dem Sohne und der Familie, weil er
in feinem Haufe Höflichkeiten genofjen, fein aufrichtiges Beileid
bezeugen; aber die Grille verging ihm, wie fie fich feiner be
mächtigt hatte.
Herder hatte der Tod des alten Freundes frappirt. „Du
wirst Schon wiſſen,“ fchrieb auch ex den 15. Januar an Jacobi,
„daß Mendelsſohn todt it. Er iſt den 4. am Schlage geftorben,
und ich wollte, daß fein Aufjag nicht möge vollendet fein. Mit
Todten zu jtreiten ijt immer unangenehm. Die Göttin Hat ihn
weggerüct.“ 2)
In Goethe waren durch die Todesnahridht die unange-
nehmsten Empfindungen wach geworden?), und der junge Thomas
Wizemann glaubte fein ungerechtes Benehmen gegen Mendels-
ſohn dadurch wieder gutzumachen, daß er folgende Elegie ins
„Muſeum“ einrücen ließ. *)
Wer ift der Schatten, der dort im düftern Schimmer des Mondes
Eo ruhig empormwallt?
Wie er, in Gedanken verloren, fich hebt! Wie er aufblidt,
AL wär’ fein Gerichtätag!
Sieh! das iſt nicht des Feigen Blick, auch nicht bed Erob’rers.
D nenne mir Diejen!
Das ift des Weiſen Schatten, der vaftlos den Echimmer der Wahrheit
Auf Erden verfolgt hat.
Bol der Ahnung Gottes und der Unfterblichfeit Ahnung
Boll, hat er gewandelt.
Diejes Wandels, fich jelber bewußt, blickt auf er jo ruhig,
Als wär’ fein Gerichtstag.
Y Jacobis Werke IV, 3, 138, 141 f.
2) Aus Herders Nachlaß II, 282.
3) Briefwechjel zwiichen Goethe und Jacobi, 102.
*) Bon der Golg, Thomas Wizemann, II, 130.
— 515 —
Horch, wie hinter ihm ber die Klage tönet! — ich hör’ ihn
Beweinen mit Schmerzen.
Hat er Waiſen zurüdgelaffen, und ringt eine Witwe
Die Hände vorm Leichnam ?
Eine Witwe und Waifen. Doc weit umher hallen die Seufzer
An Deutichlands Gefilden.
Sünglinge, edel und fühn, die im Kampf mit Irrthum und Wahrheit
Sich feiner getröftet
Ah! und Germaniens Töchter, die durch ihn Hoffnung gejchöpfet
Des ewigen Lebens,
Klagen um ihn!
Nach feinem frühzeitigen Tode war jeder bemüht, ihm,
feiner Berfönlichfeit und feinen hohen Verdienſten die volle An—
erfennung zu zollen. Seinen Freunden fchien mit ihm die Fadel
der echten, die Wahrheit juchenden Aufklärung erloſchen. „Wie
viel die Gelehrſamkeit, die Weltweisheit, die deutiche Literatur
an einem Mendelsfohn verloren haben, das wiſſen alle, denen
diefe Gegenftände wichtig find; aber wie wenig reicht das Hin,
den unerjeglichen Berluft zu ermejjen, den feine Freunde erlitten!
Ich geitehe frei,“ klagt Profeffor Engel, „daß an dem Drte,
two ich lebe, mid) fein Schlag empfindlicher Hätte treffen, fein
Unfall mic) tiefer hätte verwunden fünnen, al3 der Tod dieſes
Edeln.“!)
Sein alter Freund Nicolai ſchrieb einen Nekrolog in der
„Allgemeinen Deutſchen Bibliothek“, und Bieſter widmete ihm
in der „Berlinifchen Monatsschrift“, deren Mitarbeiter er in
den letzten Jahren feines Lebens war, einen warmen Nachruf;
durch beide, mit dem Feuer der Empfindung gefchrieben, iſt er,
wie Garde fich ausdrüdt, wahr geehrt worden. ?)
Der alte Weſſely machte jeinem von Schmerz zujfammen-
gepreßten Herzen in einer meifterhaften hebräifchen Elegie Luft ?),
und Ramler feierte in ihm
) An die Freunde Leſſings, Vorrede.
2) Briefe von Garve an Weifje, S. 245.
3) Sammler, 1786, ©. 81 ff.
83*
— 516 —
„Einen Weifen wie Sofrates,
Den Gefeten der Väter getreu,
Unfterblichfeit lehrend,
Unfterblih wie er.’
Der befannte Dichter und Wefthetifer, Karl Philipp Conz
in Tübingen, durchdrungen von Mendelsfohns unjterblichen Ber-
dienften als Menſch und Philoſoph, feste ihm ein ſchönes Dent-
mal in einem, aus vier Gefängen beftehenden Iyrifch-didaktifchen
Gedichte, in dem er „Moſes Mendelsfohn, den Weifen und den
Menſchen“ zum Helden feines Epos machte. !)
Simon Höchheimer, ein junger Arzt und Landsmann des
Doctor Markus Bloch, der während feines Aufenthaltes in
Berlin mit Mendelsfohn, deſſen Kindern und Freunden freund-
Ichaftlich verkehrte und dem der Weile den 7. Auguſt 1785 das
Bibelwort „Liebet Wahrheit und Frieden!“ ind? Stammbud)
Ihrieb, gab den Empfindungen feines Herzen? „Ueber Mofes
Mendelsſohns Tod“ in einer hebräifchen und ins Deutfche über-
ſetzten Elegie zufammen mit einer Charafteriftif und Würdigung
der Verdienſte des vielbetrauerten Mannes Ausdrud.?)
Auch Kant, der freilich feinen Helden aus dem jüdifchen
Bolfe Leiden und deswegen aud Leffings Nathan feinen Ge-
Ihmad abgewinnen fonnte,?) wollte etwas über Mendelsfohns
Berdienfte um die jüdiſche und chriftliche Religion veröffent-
lichen. Bis zur Schwärmerei voll war er von feinem Original-
genie und feine Hare leichtfaßliche Schreibart konnte er nicht
genug bewundern.*) Wie bedauerte er, daß von dem vortreff-
lihen Mofes feine brauchbaren Schriften in feinem Nachlaffe
gefunden wurden!?)
) Stuttgart 1787. Den Reinertrag beftimmte der edle Verf. für
arme Judenfamilien.
2) Ueber Moſes Mendelsjohns Tod. Wien und Leipzig 1786; die
Elegie ©. 77 ff.
3) Hamanns Schriften VI, 79.
4) Jacobis Werke IV, 3, 202; Kants Werfe, XI, 1, 100, vgl. 1,371 ff.
5) Kants Werfe, XI, 1, 51.
— 517 —
Da erichien inmitten diefer theilnahmsvollen Kundgebungen
die letzte Schrift Mendelsſohns „An die Freunde Leſſings. Ein
Anhang zu Heren Jacobis Briefwechjel über die Lehre des
Spinoza“t!), und der Streit brach wieder von neuem aus. Engel,
der Herausgeber der Schrift, Hatte nämlich in der Vorrede be-
hauptet, daß Jacobi an dem Tode des Freundes ſchuld fei und
ihm den Todesſtoß verjeßt habe. Das Schriftchen, das Anfang
Februar 1786 erfchien, verurfachte große Aufregung. „Wie
wenig wünſchte ich jet an Jacobis Stelle zu fein!“ fchreibt
Garve den 5. Februar an Weiffe, unmittelbar nad) Empfang
der Schrift. „Was wollte ic) darum geben, wenn Moſes
wenigſtens den zweiten Theil feiner ‚Morgenjtunden‘ hätte heraus-
geben können.““) Goethe war einer der erſten, der fich über
das Schriftchen äußerte; er ftand ganz auf Jacobis Seite. Den
20. Februar meldete er Herder und der Frau von Stein, daß
er das „jüdifche neue Teſtament“ nicht habe ausleſen können;
er wünschte, daß die Freundin glücklicher damit fei und fügte
die recht gehäffig Elingende Bemerkung Hinzu: „Kann doch nicht
einmal ein armer Jude ohne genedt zu werden aus der Welt
gehen“.?) Bon den Berliner Freunden Mendelsfohns wurde
die Fehde mit Heftigfeit fortgefeßt. Herz, Friedländer, Nicolai,
Moritz, Philippfon in Hannover u. a. traten für ihn in die
Schranken; Campe und Reimarus, auch Mirabeau nahmen Partei
für ihn.*) Jacobi mußte es fich gefallen laſſen, mit Lavater
und den Myſtikern zufammen abgefertigt zu werden. „Der
Streit über den Einfluß, den Jacobis Schrift auf Mofes’ Ge—
fundheit und Leben gehabt hat, wird wol fo lange nicht ruhen,“
) Berlin, Voß, 1786.
2) Briefe von Garve an Weiſſe I, 239.
3) Aus Herder Nachlaß I, 88 f; „Goethes Briefe an Frau von
Stein (Weimar 1851), III, 241.
4) Berl. Briv. Zeitung, Januar 1786 (Herz, Friedländer); Ham:
burger Zeitung, Januar 1786 (NReicharbt); Moldenhauers Beleuchtung
in dem Hamburger Correjpondent, St. 15, Januar 1786; beſ. abgedrudt
Berlin 1786.
— 518 —
ſchreibt Garve an Weiffe den 22. März 1786,1) „bis Jacobi
jelbft auftreten wird.“ Das that er in feiner „Rechtfertigung
wider Mendelsfohns Beichuldigung“. Die Leidenfchaftlichfeit des
Ausdruds gab den Gegnern gewonnene Spiel, und niemand nahm
fi) Jacobis mehr an. Claudius, der Wandsbeder Bote, mußte
e3 übernehmen, eine Lanze für ihn zu brechen,?) und ein Pre
diger Schulze, „der Zopfichulze“, zu feiner Bertheidigung auf
treten mit einer Schmähfchrift,3) die fo gemein und gehäffig
war, daß fich jeder mit Abſcheu davon abwandte; ſelbſt ein
Hamann empfand Efel „über den unfchlachtigen Ton“ dieſes
„berüchtigten“ Geiftlichen. %)
Wie fehr von den Freunden und Anhängern des Glaubens-
philofophen gegen die Beichuldigung, den Tod Mendelssohn
verurfacht zu haben, auch noch fpäter proteftirt wurde; fo viel
jteht fejt: der Streit mit Jacobi hat mittelbar und unmittelbar
zur Verkürzung feines Lebens beigetragen. Was Lavater mit
feiner Herausforderung begonnen, hat Jacobi in trauriger Weife
zu Ende geführt. Schrieb doch noch fech3unddreißig Jahre nad)
Mendelsfohns Tod Goethe an Zelter: „Du erinnerft Dich wol,
daß der gute Mendelsfohn an den Folgen einer voreiligen Publi—
cation des ‚Prometheus‘ geftorben iſt.“*)
Würdig und voll Begeifterung wurde Mendelsfohns An-
denken in Berlin gefeiert. Einige Wochen nad) feinem Tode
bildete fich dort ein Comite, bejtehend aus Engel, Biejter, Ni-
colai, Friedländer, Herz u. a., das mit dem Plane umging,
Leibniz, Lambert, Sulzer und Mendelsfohn auf dem Opernplatze
)Y Briefe von Garve an Weifje, I, 244,
2) Zwei Recenfionen in Saden der Herrn Lejfing, M. Mendels:
fohn und Jacobi. Hamburg 1786. |
3) Der entlarvte Moſes Mendelsjohn, oder völlige Aufklärung des
räthjelhaften Todesverdrufjes des M. Mendelsfohn über die Bekannt:
machung des Leffingichen Atheismus von Jacobi. Amfterdam 1786.
4) Jacobis Werfe IV, 5, 296.
5) Briefwechſel zwiihen Goethe und Zelter, ILL, 87.
— 519 —
ein Monument zu errichten. Zu dieſem Zwecke wurde Dienitag,
den 23. Mai 1786, eine Gedächtnißfeier veranftaltet, für welche
Ramler fein „Sulamitd und Euſebia“ dichtete, eine Cantate, 1)
welche der Kapellmeifter Wefjely, ein Neffe Hartwig Weſſelys,
in Mufif fete.
An demfelben Tage fand in der Synagoge zu Königsberg
eine Gedächtnißfeier ftatt, der auch Kant beitwohnte,
Einundneunzigites Kapitel.
Der hundertjährige Geburts und Todestag.
Hundert Jahre feit der Geburt Mendelsfohns waren ver-
floffen. Die Juden Deutjchlands erkannten in dankbarer Liebe,
was er Großes gewirkt, und die Beten unter ihnen hielten es
für Pflicht, feinen Hundertjährigen Geburtstag feſtlich zu be—
gehen. Der 10. September 1829 wurde unverabredet an ver—
Ichiedenen Orten als Fejttag begangen, theils durch Reden und
feierliche Verfammlungen, theil3 durch eigens errichtete wohl—
thätige Stiftungen, welche Mendelsſohns Namen trugen. ?)
Die nächſte Beranlaffung zu einer Feier hatte Berlin, wo
Mendelsfohn über vierzig Jahre gelebt und feine unfterblichen
Werfe geichaffen hatte, wo feine irdischen Reſte ruheten. An
gedachten Tage verfammelten fich feine Kinder und Enfel, feine
Freunde und Verehrer in dem zu diefem Feſte gefchmadvoll ein-
gerichteten Saale der „Sefellfichaft der Freunde“. Es wurden
verfchiedene Reden gehalten. Moſes Mofer, der Jugendfreund
Heinrich Heines, entwidelte Mendelsfohns fittliches Princip und
') Berlin. Monatsjchrift, 1786, 481—489.
2) Haube: und Spenerfhe Zeitung von Sonnabend, den 19. Sept.
1829. Berf. ded Artikels ift Zunz. Zunz, Gef. Schr. (Berlin 1876),
II, 112 ff.
— 520 —
Bedeutfamkeit; der Gefchichtichreiber Joſt gab einen Abriß von
Mendelsjohng Leben, und der gelehrte Zunz ſchilderte Mendels—
ſohns Leijtungen für Mit- und Nachwelt.) Würdige Heiterkeit
belebte das feſtliche Mahl, bei dem viele Toaſte ausgebradt
wurden.?) Die jüdifche Gemeinde zu Berlin befchloß, das An-
denfen an dieſen Tag durch die Errichtung einer Stiftung zur
Erziehung und Ausbildung armer jüdischer Waijen zu ver-
ewigen und ihr den Namen „Mendelsjohniche Waifen-Erziehungs-
Anstalt” beizulegen; dieſelbe wirkt in fegensreichiter Weife und
verfügt über einen bedeutenden Yond.?) Zur Feier diefes Tages
erichienen in Berlin auch zwei Gedichte im Drud: ein hebräiiches
von ©. Heilberg, und ein deutjches, „Zion“, von Samuel B. Schön-
berg, einem jungen Arzt aus Moor in Ungarn. *)
In Defjau, dem Geburtsorte des jüdischen Sofrates, ver-
anjtaltete David Fränfel, Director der Franzichule und Heraus:
geber der Zeitfehrift „Sulamith“, eine Säcularfeier, bei der der
Gymnafialdirector 3. U. 2. Richter, ein von humanſtem Geifte
befeelter Mann, die Gedenfrede hielt.) Auch Hier wurde eine
Mendelsjohn-Stiftung begründet, aus der arme jüdiiche Jüng—
) Zunz, Rede gehalten bei der Feier von Moſes Mendelsjohns
hundertjährigem Geburtätage, den 12. Elul — 10. September 1829.
Berlin, 1829. Wieder abgedrudt: Zunz, a. a. D., II, 102 ff.
2) Auerbach, J. L., Toaft auf das Wohl der jüdiſchen Gemeinde
zu Berlin, ausgebracht bei dem am 10. September 1829 zur hundert:
jährigen Feier Moſes Mendelsjohns dafelbit ftattgefundenen Mahle.
D. D. u. J. (Berlin 1829.)
3) Das Vermögen belief fi 1855 auf ca. 75,000 Thaler.
9 Zion, Ermunterung für die Glaubensgenofjen Mojes Mendels—
ſohns. An defjen Hundertjährigem Geburtstage. Bon S. B. Schönberg.
Berlin 1829.
Heilberg, Empfindungen bei Gelegenheit der Säcularfeier zu Ehren
des jel. Mojes Mendelsjohn. Ein Gedicht in hebr. Sprade. Berlin 1829.
5) Richter, J. A. L., Mojes Mendelsfohn als Menſch, Gelehrter
und Beförderer echter Humanität. Eine Rede, gehalten bei der hundert—
jährigen Geburtstagöfeier am 10. September 1829 im Saale der Franz-
ihule zu Deſſau. Defiau 1829.
— 521 —
linge, welche ſich Künſten und Wiſſenſchaften widmeten, Unterftügung
erhalten follten.!) Die züdifche Gemeinde in Frankfurt am
Main jchidte zu diefer Stiftung eine bedeutende Summe ein.
Ihr fiel auch der Ertrag des von B. Guttenſtein zu Heidelberg
erjchienenen, „dem Andenken des Unjterblichen geweihten“
Schriftchens zu.?)
In Hamburg veranjtaltete die jüdische Freifchule eine Ge—
denffeier, bei der ©. Hahn eine Rede Hielt3) und Immanuel Wohl
will in einem Gedichte Mendelsſohns unfterblichen Namen feierte.*)
Der Hamburger Prediger Gotthold Salomon, welcher zu der-
Telben Gelegenheit eine größere Schrift, „ein Denkmal zur Er—
innerung“,?) Herausgab, nahm in feiner zwei Tage fpäter im
Dortigen Tempel gehaltenen Predigt Bezug auf die Hundert-
jährige Geburtstagsfeier und regte die Gründung zu einer
Mendelsjohn-Stiftung an, aus der Jünglinge, welche fich den
Studien widmen, unterjtüßt werden follten. 6)
Sn vielen Gemeinden des In- und Yuslandes, in
Dresden, wo der verdienjtuolle Bernhard Beer die Feſtrede
) Sm Jahre 1831 wurden ftudirende Israeliten aus den Zinjen
dieſer Stiftung unterftügt. (Lindner, Gefchichte des Landes Anhalt,
252.) Ob diejelbe noch bejteht, wiflen wir nicht.
2) Guttenftein, B., Mojes Mendelsſohns Verdienſte um die Bil:
dung jeines Volkes. Dem Andenken des Unfterblichen geweiht bei
Gelegenheit feines am 10. September 1829 gefeierten hundertjährigen
Geburtätages. Heidelberg 1829.
3) Hahn, ©., Rede, gehalten... zur Säcular-Gedächtniffeier der
Geburt Moſes Menvdelsjohns, am 10. Septbr. 1829. Hamburg 1829.
4) Zur Eäcularfeyer Mojes Mendelsjohns am 12. Elul 5589 —
10. September 1829. Hamburg, Benjamin.
5) Salomon, G., Denkmal zur Erinnerung an M. Mendelsjohn.
Zu defjen Säcularfeier im September 1829. Hamburg 1829.
6) Salomon, G., Licht und Segen, oder auf weldhem Wege fünnen
Völker wahrhaft erleuchtet und beglüdt werden? Predigt am 14. Elul
(12. Septbr. 1829) in Beziehung auf den Hundertjährigen Geburtstag
des Weltweijen Moj. Mendelsjohn, gehalten in dem neuen Tempel zu
Hamburg. Hamburg 1829.
— 52 —
hielt!) und den noch jest blühenden Mendelsfohn-Berein „zur
Förderung von Handwerfen, Kiünften und Wifjenfchaften‘ mit-
begründete, in Breslau, in Franffurt a. Main,?) Heidelberg, 3)
Prag,?) und andern Orten) wurde der Hundertjährige Geburt3-
tag in den Schulen und Synagogen in würdigſter Weiſe gefeiert.
Durch Tiebevolle Verehrung Mendelsjohng zeichnete fich die
Gemeinde Leipzig befonder8 aus. An dem Geburtstage des
unfterblichen Weifen im Sabre 1855 wurde die dortige neuer:
baute Synagoge eingeweiht und alljährfih an dem Sabbate
vor oder nach deſſen Sterbetage hielt der gefeierte Wiener Pre—
diger Adolf Jellinek, jo lange er, in Leipzig war, eine Gedenk—
vede.6) Am Jahre 1859 wurde dort ein Mendelsfohn-Berein
gegründet, der al3 „Verein zur Förderung geijtiger Intereſſen
im Judenthum“ alljährli am ZTodestage Mendelsfohns eine
würdige Gedächtnißfeier veranftaltete, wobei U. M. Goldfchmidt
aus Leipzig, Sal. Formftecher aus Offenbach, 2. Philippfon
aus Bonn, M. Koel aus Breslau, 2. Adler aus Caſſel,
2. Fürſt aus Leipzig, Prof. Wuttfe aus Leipzig, Prof. R.
Goſche aus Halle u. a. iiber Mendelsfohn oder Lefjing Reden
) Beer, B., Rede bei der Gedächtnißfeier Moſes Mendelsſohns
an defjen hundertjährigem Geburtätage. Dresden 1829.
2) Weil, J., Erinnerung an Mof. Mendelsjohn bei der Feier feines
hundertjährigen Geburtätages. Frankfurt a. M. 1829.
3) Rehfuß, E., Wie ehren wir das Andenken an den um fein
Bolf jehr verdienten Moſes Mendelsjfohn? Predigt, gehalten am 10.
September 1829. (Gdſchr.)
4) Beer, Peter, Rede gehalten am hundertjährigen Geburtstage
Mojed Mendelsfohns. Prag 1829.
5) Liepmannsjohn, S. L., Denfrede auf den großen israel. Welt:
weifen Moſes Mendelsjohn, bei der am 10. September 1829 veranital:
teten hundertjährigen Geburtstagäfeier. Hamm 1830.
6) Zellinef, Ad., Drei Gräber. Kanzel:Vortrag am 6. Januar
1849. Leipzig 1849.
— 523 —
bielten?!), und poetifche Beiträge von Morig NRappaport aus
Lemberg, 2. U. Frankl und 2. Kompert aus Wien, Friedr.
Friedrich u. a. zum Bortrage kamen. ?)
Um aud ein äußere® Zeichen der Dankbarkeit für den
edlen Weijen, den geijtigen Reformator des Judenthums, in
Deutichland zu Schaffen, regte der Verein im Jahre 1863 die
Idee zum Ankauf des Geburtshaufes Mendelsfohns in Deffau
an. Diefes Haus, dad, um den Preis von 2600 Thlr. er:
tworben, jpäter in den Bejiß des „Deutſch-Israelitiſchen Gemeinde-
bundes“ überging, wurde durch die Stiftung des Geh. Commer-
zienrath3 E. Mendelsfohn in Berlin zum Aufenthalt für einige
würdige Männer der Wiſſenſchaft bejtimmt. Der Berein gründete
im Sahre 1861 auch eine „Mendelsfohn-Stiftung“ zum Zwecke
der Unterftügung und Förderung von Süngern der Wiſſenſchaft
und Kunft; fie hat während der fünfundzwanzig Jahre ihres
Beitehens nahezu 57,000 Marf verausgabt und jo manchem
emporjtrebenden, mühſam vingenden Talente den Weg geebnet.
Bon Ddiefem Vereine und dem „Deutjch-Fsraelitiichen Ge—
meindebunde” ging auch die Anregung zur Feier des Hundert-
1) Von diefen Reden und Borträgen erſchienen im Drud:
Feitrede bei der am 3. Januar 1861... veranftalteten Gedächtnißfeier
von A. M. Goldſchmidt. Leipzig 1861.
Moſes Mendelsjohn ein Philoſoph auf dem Gebiete des Judenthums,
von Sal. Formſtecher.
Mojes Mendelsjohn der NReformator des Judenthums, von Ludw.
Bhilippfon.
Gedächtnißrede von Rabb. M. Joël. (1865).
Der Sieg des fortichreitenden Menfchengeifte oder das Verfahren
Moſes Mendelsſohns, Religion und Menſchenthum zu verjöhnen,
von 2. Adler. Berlin 1870.
2) Bon den Gedichten wurden gedrudt:
Der fterbende Sklave in Egypten, von Mor. Rappaport;
Der deutihe Jude, zur Mendelsjohnfeier, von Leopold Kompert;
Prolog zur Mendelsjohnfeier am 4. Januar 1865, von Friedrich Friedrich.
Diefe Reden und Gedichte find, außer den Reden von Goldſchmidt
und Adler, enthalten in: Gedenkblätter an Moſes Mendelsfohn. Leipzig
1863, 1865.
— 524 —
undfunfzigjährigen Geburtstages aus. Da das Jahr 1879
nicht nur das Hundertundfunfzigite jeit der Geburt Mendels—
fohns und Leffings, fondern aud) das Hundertite feit dem
Erfcheinen des „Nathan“ war, jo beichloß der „&emeindebund“, um
von der Dankbarkeit für das Wirken diefer Geiftesheroen Zeugniß
abzulegen, ihr Bild neu zu beleben und durch Borführung ihrer
Ideen und Thaten das heutige Gejchlecht zu ermuntern und zu
jtählen, in dem noch immer nicht abgejchloffenen Kampfe gegen
Slaubenshaß und Unduldfamkeit, als Feftfchrift ein „Leſſing—
Mendelsſohn-Gedenkbuch“ Herauszugeben!!) Diefes geichmadvell
ausgejtattete Buch enthält außer mehreren Originalarbeiten von
U. Bodek, U. M. Goldſchmidt, M. Brafh, U. Fränkel, W.
Sellinef und Emil Lehmann, zumeist fchon früher erfchienene Auf
jäge über Mendelsjohn. Der Hundertundfunfzigjährige Geburts
tag wurde am 30., 31. Auguft oder auch am 6. September
1879 außer in Defjau,?) Leipzig, Berlin, Frankfurt a. M., Karls
ruhe?) in allen größern Gemeinden Deutſchlands, aud in
Amerika, befonders in Baltimore!) und New-York, feierlid
begangen.
Zu einer allgemeinen Gedächtnißfeier forderte die Wieder
fehr des Todestages nad) einem Jahrhundert auf.
!) LejfingeMendelsjohn-Gedenfhudh. Leipzig, Baumgärtner, 1879.
2) Die Feier des 150. Geburtätages M. Mendelsjohns in jeiner
Geburtäftadt Deſſau am 31. Auguft 1879. Defjau. Das Schriftchen
enthält außer dem Bericht der ftattgehabten Feierlichkeiten die Predigt
von ©. Salfeld und Feitlieder von W. Wolfjohn.
3) Volles Gewicht und volles Maß. Predigt zur 150jährigen
Geburtstagsfeier M. Mendelsjohns am 30. Auguſt 1879 von A. Schwar;.
Karlsruhe 1879.
4) Zu diefer 150. Geburtöfeier erjchien von Benjamin Szold
in Baltimore eine interefiante Gedenkſchrift: Mojes Mendelsjohn, und
der von ihm am 6. September 1879 gehaltene Gottesdienftliche Vortrag.
Baltimore 1879.
— 525 —
Die eigentliche Stätte der Feier war in Deſſau, angeregt
von der Stadt und unter der Theilnahme des Herzogs Friedrich)
Leopold und de3 Erbprinzen Friedrich) mit Gemahlinnen, des
gefammten Hofitaates, der Minijter, der Mitglieder des Regierungs-
collegiums, der Geiftlichfeit und des Magiftrats. Auf Einladung
des Bürgermeijters erjchienen Deputationen aus Berlin, Wien,
Leipzig, Hamburg und andern Städten.
Die Feier geftaltete jich zu einer großartigen Kundgebung
der Berehrung. Nach einer in der Synagoge abgehaltenen
Gedächtnißrede folgten in der Aula des Gymnaſiums die Gedenf-
reden von Öymnafiadirector Widenhagen und Prof. M. Lazarus
aus Berlin.?) Zur Feier des Tages wurde nach einem Fejtmahle,
an dem mehrere hundert Perſonen theilnahmen, im herzoglichen
Hoftheater „Onkel Mojes‘?) und nad) einem Fejtprologe „Nathan
der Weile‘ gegeben.
Dem Andenken de3 Philofophen wurden in den meiften in
deuticher Sprache erfcheinenden Tagesblättern fowie in allen
jüdifchen Journalen ausführliche Artifel gewidmet und in allen
züdifchen Gemeinden Deutfchlands und Defterreich®, auch in vielen
Frankreichs, Ungarns, Galiziens, felbft Rumäniens und Polens,
fowie in den meiſten Englands und Amerikas, in Synagogen,
Schulen und Vereinen Gedenfreden gehalten. 3)
Zur Erinnerung an diefen Tag machte der Geh. Commer—
zienvath Franz Mendelsfohn in Berlin, ein Urenfel des Philo-
fophen, der Berliner Univerfität eine Stiftung von 150,000 Mark
zu Stipendien fir deutiche Studirende der philofophifchen Fakultät
ohne Unterfchied der Confefjion.
1) Die Gedenfrede von Lazarus abgedrudt: Nationalzeitung
Nr. 22 und 28.
2) Hugo Müller, Onfel Moſes. Charakterbild in 1 At. Berlin.
3) Gedenfreden erfhienen im Drud von: H. Baerwald (Frankfurt
a. M.), B. Franfl (Berlin), S. Freund (Görlis), Ad. Zellinef (Wien),
M. YoEl (Breslau), M. Stedelmader (Mannheim), $. 3. Unger (Iglau),
M. S. Zudermandel (Trier), u. a. m.
— 526 —
Die Stadt Deffau ehrte das Andenken Mendelsjohns noch
befonders dadurch, daß fie beichloß, ihm ein Standbild zu
errichten.
Zweiundneunzigſtes Kapitel.
Mendelsjohn-Dentmal.
Das fchönfte Denkmal, das der unſterbliche Mendelsiohn
bei Lebzeiten fich errichtet hat, find feine Geiftesproducte, feine
Were. !)
‚Wenige Monate nad) feinem Tode war Doctor Markus
Bloch willens, eine Gefammtausgabe der Schriften des Werfen
zu veranftalten. Er gab den Plan jedoch bald wieder auf, denn
die Witwe ſelbſt beabfichtigte die Herausgabe zu beforgen, wie
aus folgendem Inſerat in der „Berl. Priv. Zeitung‘ von Don
nerstag den 18. Mai 1786 hervorgeht: „Sch zeige einem reip.
Publikum Hiermit nachrichtlich an, daß ich einigen Freunden
meines jel. Mannes jowol die Herausgabe feiner ungedrudten,
al3 die Sammlung feiner zerjtreuten bereit3 gedructen größe
und kleinern Schriften übertragen habe. Dieje Freunde werden
den Drud feiner fämmtlichen Werfe bei den rechtmäßigen Ver—
fegern, die zu gehöriger Zeit befannt gemacht werden ſollen,
veranftalten und begleitet von deſſen Biographie von der Hand
eines allgemein beliebten Schriftjtellers beforgen.
Berlin, April 1786.
Mofes Mendelsjohns Witwe.
Mochten nun die „rechtmäßigen Verleger Schwierigkeiten
machen oder die Freunde fich der Arbeit nicht unterziehen wollen:
genug, das Unternehmen fam nicht zur Ausführung.
) M. ſ. meinen Artikel in: „Blätter für literarifche Unterhaltung‘,
1886, Nr. 3.
— 527 —
Die erite jogen. Geſammtausgabe veranftaltete ein Buch—
händler und Antiquar in Ofen, namens Burian, unter dem
Titel „Mojes Mendelsſohns ſämmtliche Werke‘, welche auf
ſchlechtem Papier und in fchlechtem Drud in Ofen (Großwardein)
1819— 1821 erihien. Von diefer Gefammtausgabe wurde zehn
Sahre jpäter ein Nachdruck in Rödelheim veranftaltet.
Beſſer ausgeftattet, aber durchaus nicht vollitändiger, dabei
voller Drudfehler ift die 1838 in Wien bejorgte Ausgabe, die
fi) gar al3 Nationaldenfmal anfündigte: „Moſes Mendelsjohng
fämmtliche Werke. Ausgabe in Einem Bande als National-
Denkmal. Mit dem in Kupfer gejtochenen Bildniffe des großen
Weltweijen“. (Wien, Mid. Schmidl3 fel. Erben und Ign.
Klang, 1838.)
Auch diefe Ausgabe, ein ftattlicher Band, enthält nur die
befannten Schriften Mendelsfohns: „Phädon“, „Serufalem“,
„Morgenjtunden“, „Philofophifche Schriften“, „Kleine philofophifch-
äjthetiiche und vermiſchte Schriften“, „Ritualgejege der Juden“,
„Pſalmen“, „Hohelied“, „Briefe“ (ſehr unvolljtändig) u. a.
Zu Anfang des Jahres 1840 regte Heinrich Brodhaus in
Leipzig bei Felix Mendelsjohn-Bartholdy, dem berühmten Enfel
von Mofes, eine Gefammtausgabe der Schriften des Großvaters
an. Hören wir, was Felir in einem Briefe an feinen Onkel
Sofeph vom 20. Februar 1840 darüber fchreibt:
„Die erſte Beranlafjung meines heutigen Briefes iſt Brod-
haus, der mic) vorige Woche fragte, warum nicht eine ordent-
fihe Gejammtausgabe der, Werfe des Großvaters erfcheine, da
die wiener Ausgabe erjtlich nur ein Nahdrud in Einem Bande,
voll Drucdfehler, und dann auch, wie er meinte, nicht ordentlich
zufammengejtellt fei, und in Hinficht der Correfpondenz und
namentlich der angehängten Lebensbefchreibung ehr viel zu
wiünfchen übrig laſſe. Er meinte, e3 werde nicht ſchwer fein,
fi) mit den rechtmäßigen Verlegern der einzelnen Werfe darüber
zu verjtändigen. Da ich nun die nähern Verhältniffe gar nicht
fenne, jo fagte ich ihm, ich würde Dir darüber jchreiben und
— 5283 —
ihm feinerzeit Deine Antwort mittheilen. Jedenfalls wird es
Dich freuen, aus feiner Anfrage den lebhaften und gejteigerten
Antheil zu erfehen, den die Menſchen jet an den Werfen des
Großvater nehmen; und wenn eine ordentliche ſchöne Ausgabe
davon, in mehrern Bänden, etwa (wie Brodfhaus Hinwarf) von
Lachmann herausgegeben, vor allem aber recht genau und edit
zu Stande fäme, jo wäre ed wol für uns alle ein Vergnügen.
Wenn Du aud jo denkt, fo ſagſt Du mir wol bald Deine
Meinung, und ic) habe noch öfter Gelegenheit, Dir darüber zu
ſchreiben.“
Die Unterhandlungen, welche Joſeph Mendelsſohn mit
F. A. Brockhaus anknüpfte, führten zum erwünſchten Ziel. Der
Bonner Profeſſor G. B. Mendelsſohn, Joſephs älteſter Sohn,
beſorgte mit Hülfe von H. Solowicz u. a. die Sammlung und
Herausgabe, und fo erfchienen „Mofes Mendelsſohns gefammelte
Schriften. Nach den Driginaldruden und Handfchriften heraus—
gegeben von Profeſſor Dr. G. B. Mendelsfohn. In fieben (adj)
Bänden“ (Leipzig, 3. A. Brodhaus, 1843—45).
Diefe erſte vollftändige Ausgabe, welche, mit dem Bildnik
Mojes Mendelsfohns nach dem Driginalbilde von Friſch ge
Ihmüdt, außer einer „Lebensgefchichte Moſes Mendelsfohns“
bon dem Herausgeber, oder vielmehr von Joſeph Mendelsfohn,
eine treffliche „Einleitung in feine philofophiichen Schriften“ von
Profefior Ch. A. Brandis enthält, ift ein fchöne® dem Philo—
fophen errichtetes Denkmal, und gereicht feiner Familie zum
Ehrengedächtniß. Sie umfaßt fämmtliche philofophifche, äſthe—
tiſche und apologetifhe Schriften Mendelsfohns, feine Kleinen
(früher gedrudten und bisher ungedrudten) Schriften, Bemer—
fungen und Fragmente, feine in der „Bibliothef der ſchönen
Wiſſenſchaften“, in den „Briefen die neuefte Literatur betreffend“,
in der „Allgemeinen Deutfchen Bibliothek“ zerftreuten Briefe,
Kritifen und Auffäge, feinen Briefwechfel mit Leffing, Abbt,
H. Homberg, Elife Reimarus und %. H. Jacobi, feine Briefe
an Berichiedene und die Berfchiedener an ihn, endlich feine
— 529 —
Ueberjegung des PBentateuch, der Palmen, des Hohenlieds, feine
Ritualgefege der Juden, Gedichte, Predigten u. ſ. w.!)
„Moſes Mendelsjohns Schriften zur Philofophie, Aefthetif
und Apologetik. Mit Einleitungen, Anmerkungen und einer
guten biographifch-hiftoriichen Charakteriftit Mendelsfohns wurde
herausgegeben von Dr. Mori Braſch“ (2 Bde., Leipzig, Voß,
1880). ?)
Obgleich Mendelsjohn durch feine Werke und fein Wirken
in der Gefchichte des deutſchen Geiftes wie des jüdischen Stammes
ein bleibendes Monument fich errichtet hat, fo erfcheint es doch
nicht überflüffig, hier der Weihe feines Andenfens durch die
bildende Kunſt zu gedenken. 3)
Anton Graff malte Mendelsjohn, als diefer ungefähr vierzig
Jahre alt war, und Baufe, einer der beiten Kupferjtecher feiner
Beit, hat das Gemälde, „einen der fchönften Köpfe Graffs“,“)
in Kupfer geftochen.
Gelungener noch als das Bild Graffs iſt das ca. zehn
Sahre fpäter angefertigte Gemälde Johann Friſchs, in Kupfer
geftochen von J. ©. Müller in Stuttgart. Das Driginalgemälde
befindet fi) im Beſitze der Familie.
Einige Jahre vor feinem Tode ſaß Mendelsjohn dem Hof:
bildhauer ZTafjaert, dem Lehrer Schadows, zu einer Marmor:
büfte; fie wurde im Februar 1785 in der jüdischen Freifchule
in Berlin aufgejtellt.?) Nach diefer Büfte, welche das Störende
') Was in den vierzig Jahren jeit dem Erjcheinen dieſer Geſammt—
ausgabe an Briefen von und an Mendelsjohn, noch aufgefunden wurde,
habe ich theils im Anhange diefer Biographie 1. Aufl., theils in anderen
in dieſer Aufl. angegebenen Schriften veröffentlicht.
2) Bon Mori Braſch erihien auch eine Sammlung von ‚‚Licht:
ſtrahlen“ aus Mendelsjohns Schriften und Briefen, eingeleitet durch
einen Eſſay über „Mendelsſohn und jeine Philoſophie“ (Leipzig 1875)
) M. j. auch S. Salfeld, Bilder und Büften Mendelsjohns in
Populär-wiſſenſchaftl. Monatsblätter, 1886, ©. 10 f.
*) Bibliothek der jhönen Wiſſenſchaften III, 322.
5) Allg. Literatur-Zeitung, 1785, Nr. 49.
Kayſerling, Moſes Mendelsjohn. 34
— 530 —
hat, daß der Mund geöffnet ift, Tießen die Kunjtanjtalten von
Eichler in Berlin und Gerber in Köln Büften in Effenbein-
Maſſe und Gips modelliven. Eine ſchöne Büfte fertigte Ernſt
Rietſchel an.
Auch eine jilberne Denkmünze, welche von dem jüdischen
Medailleur Jakob Abraham angefertigt wurde, trägt das Pro—
filbildniß Mendelsfohns. Die Umfchrift bildet der Name „Moſes
Mendelsfohn“. Der Revers zeigt einen Schädel, auf dem ein
Falter ruht. Darüber fteht das Wort: „Phädon“, darunter:
„Natus MDCOXXIX “, !)
Alle andern Bilder von Mendelsfohn, gezeichnet, gemalt,
‚in Kupfer geftochen, in Stein gefchnitten oder in Glas abgedrüdt,
find mehr oder weniger Zerrbilder, die vom den Zügen des
Driginals nicht wiedergeben. ?)
Die dee, Mendelsjohn ein Denkmal aus Stein oder Erz
zu fegen, wurde, wie bereit erwähnt, vor Hundert Jahren zum
eriten mal angeregt. Ws 1851 das Friedrichs-Denkmal in
Berlin errichtet wurde, erwartete man, daß neben Kant, Leffing
und den andern Denfern, welche dem Zeitalter des großen
Königs das geiftige Gepräge gaben, auch Mendelsfohn, dem
treneften Freunde und Strebensgenofjen Leffings, dem Berbreiter
deutscher Philofophie, dem Beförderer der Eultur unter den
deutfchen Juden, ein Pla wirde eingeräumt werden. Der an
dem Entwurf des Monuments eifrig thätige Kriegsminiſter von
Boyen wünſchte ihn allerdings unter den NRelieffiguren; das
Borurtheil aber verweigerte ihm die ihm gebührende Stelle unter
denen, welche ihn einjt mit Stolz zu den Ihrigen gezählt hatten.?)
Unter den Porträt-Medaillon® am neuen Berliner Rath-
haufe befindet ſich auch das Mendelsſohns.
Anläßlich des hundertjährigen Todestages des unvergeßlichen
Weiſen haben wieder deutſche Männer ſich vereinigt, dieſem Vor—
) Leſſing-Mendelsſohn-Gedenkbuch, ©. 393.
2) Schr. I, 36. Das Bild Ms. in Sammler, 1784, iſt von M. Lowe.
3) Voſſiſche Zeitung von Sonntag, d. 31. März 1861.
— 531 —
fämpfer der Blüthentage deutichen Geijteslebens in feiner Ge—
burtsſtadt Deſſau ein Denkmal zu errichten.
Die Nation trägt eine Ehrenſchuld ab, wenn fie das Bild
Mendelzjohng, eines der geijtig einflußreichiten deutichen Männer,
in den Kreis der deutjchen Geifteshelden jtellt als Mufter Hoch-
jtrebender Idealität und willensſtarken Gefinnungsadels.
Dreiundneunzigites Kapitel.
Der Menſch unter Menſchen.
Mendelsfohns äußere Erjcheinung contraftirte ſehr mit feinem
innern Wefen. Er war von Heiner Statur, ſchwächlich und ver-
wachen. Seine ganze Erfcheinung hätte, wie Profeſſor Kraus
verfichert, das xoheite Herz zum Mitleidven bewegen Fünnen.?)
Im Gegenſatze zu dem übrigen Körper war der Kopf ſehr ſchön
gebildet; die Stirn war Hoch gewölbt, in dem ganzen Schnitt
des ausdrudsvollen Geſichts lag etwas antifes, und aus feinen
tiefen dunfeln Augen Teuchtete fein hoher Geift und fein herr—
liches Gemüth.
Von Natur zur Leidenſchaft geneigt, hatte er es durch
lange Uebung in ihrer Beherrſchung und den ſtoiſchen Tugenden
ſehr weit gebracht. So kam einſt der junge B., in der Mei—
nung, daß Mendelsſohn ihm Unrecht gethan habe, und ſagte
ihm eine Grobheit über die andere. Mendelsſohn ſtand an
einen Stuhl gelehnt, wandte kein Auge von dem jungen
Menſchen ab und hörte alle ſeine Impertinenzen mit der größten
Ruhe an. Erſt nachdem der junge Menſch ausgetobt hatte,
ging er zu ihm und fagte: „Gehen Sie, Sie jehen, daß Sie
Shren Zwed nicht erreichen, Sie fünnen mich nicht aufbringen.‘
) Voigt, Leben des Prof. Kraus, ©. 69.
34*
— 532 —
Er hatte das bejondere Talent, ſich mit jedem, ex mode
Theolog, Philofoph, Staatsmann, Kaufmann fein, iiber das Fach
deffelben zu unterhalten, als wenn e8 fein eigenes wäre; er
verjtand die Kunft, fich in die Denkungsart anderer leicht zu
verfegen, das mangelnde in den Gedanken eines andern zu ar:
gänzen und die Lücken auszufüllen. Die polnischen Juden, deren
Ideengang oft verworren und deren Jargon unverjtändlid
ift, fonnte er recht gut verjtehen, und fie fühlten fich heimiſch
in Seiner Unterhaltung; dadurch daß er ihre Ausdrucksweiſe
annahm, fuchte ex feine Unterhaltungsart zu der ihrigen herab-
zuftimmen und fie zu der feinigen zu erheben.)
In feiner Liebenswiirdigfeit wußte er die gute Seite eine
jeden Menjchen bald ausfindig zu machen und hervorzuheben.
Der Modeton, alle berühmten Namen mit Füßen zu treten, und
Männer, die in Anfehen jtehen, durch Spott herunterzufegen,
diefer armjelige Ton war ihm unerträglich.
Gutmüthigfeit mit Verſtand verknüpft fchäßte er über alles,
und er war im Lobe derer umnerjchöpflich, bei denen ex diele
Eigenschaften antraf. Nicht jelten behagten ihm die Geipräde
mit Berjonen, deren Umgang fonft gemieden wurde; nur Dumm
heit, ZTrägheit und Stolz waren ihm aufs höchſte zumider.
Sonſt war er gegen jedermann ſehr Höflih, fogar in einem
gewiljen Sinne ceremoniell. Alle Aeußerlichfeiten und Titula—
turen beobachtete er mit einer an Aengftlichfeit ftreifenden Ge
nauigfeit, jo daß er nur feine Frau, feine Kinder und feinen
Bruder mit „Du“ anvedete, fonft aber niemand auch nur fchledt-
weg bei feinem Bornamen nannte, ohne „Herr“ oder deſſen
Tonftige Titulatur vorzufeßen. 2)
Wenn zuweilen bei ihm von auffallend guten Handlungen
die Rede war, die man durch Lieblofe Urtheile verunglimpfen
) Sal. Maimons Leben, IL, 171.
2) Mittheilungen von Markus Herz, im Hamburger Correjpondent
(Januar 1786); vgl. Der entlarnte Mojes Mendelsjohn, 63.
— 033 —
und ihnen unedle Motive unterlegen wollte, ſo war er ſehr
lebhaft in der Vertheidigung ſolcher guten Handlungen gegen
dergleichen Beſchuldigungen. Sagte man, daß ſie durch Ehr—
ſucht veranlaßt wären, ſo erwiderte er, daß das ja ſchon etwas
vortreffliches ſei, in guten Handlungen Ehre zu ſuchen.
Seine Beſcheidenheit ging bis zur Selbſtverleugnung. Eitel-
feit und Zitelfucht blieb ihm fern, Ehrenbezeigungen waren ihm
zuwider, befonders wenn fie den Schein der Schmeichelei hatten.
Einjt bejuchten ihn ein paar franzöfifche Edelleute und verficher-
ten, daß jie die Reife nad) Deutfchland unternommen hätten, um
den großen Friedrich und den Philoſophen Mendelsfohn zu fehen.
Ohne darauf zu antworten, fragte er fie, ob fie nicht etwa auch
nad) Weimar reifen würden, und nahm fo Gelegenheit, von
Wieland, Goethe und Herder mit fo außerordentlichen Lobeser—
hebungen zu fprechen, daß feine eigenen Verdienſte in Schatten
traten. Ex lenkte das Geſpräch auf mehrere der vorzüglichiten
Köpfe Deutfchlands und jchilderte deren Bedeutung feinen
beiden Bewunderern fehr lebhaft, blos in der Abjicht daß jie
ihn felbjt vergäßen.!)
Er ſprach gern und nahm an der Unterhaltung jtet3 An—
teil, ſobald fie nicht fade und gedanfenlos war. Durch gefchiete
Wendungen gab er den Gefprächen, ohne fie zu unterbrechen,
oft eine zwedmäßige Richtung?) Alle feine Gefpräche, ja jedes
Wort von ihm war lehrreich und unterrichtend, weil ex fein
einziges Wort überflüffig oder am unrechten Orte ſagte. Sobald
fein Urtheil über einen Gegenstand der Unterhaltung nicht ent-
Ichieden war, fo fchwieg er. Aber wenn er dann ſprach, waren
Gedanken und Ausdruck abgewogen. Viele feiner Gejpräche
würden, wie der befannte Piychologe K. P. Mori bemerft,3)
Sofratifchen Denkwirdigfeiten an die Seite zu feßen fein.
) (Schmidt) Leben und Meinungen Mofes Mendelsjohns, ©. 30.
2) Maimon, a. a. D., II, 175.
3) Schr. I, 41.
— 534 —
Er Hatte Hang zur Satyre und fonnte in feinen Aus:
drüden bitter werden, bejonders da er oft öffentlicd) und auf
eine unwürdige Weile angegriffen wurde, aber er jtricd die
Stellen, nachdem ſich die erſte Aufwallung gelegt Hatte, entweder
felbjt oder auf die mindefte mißbilligende Miene feiner Freunde!!)
Er war ein Freund des Scherzes und der Laune und es
fehlte ihm nie an fchlagfertigem Wi. Der Propſt Teller wandte
ſich einft an ihn mit der fcherzhaften Anrede:
An Gott den Bater glaubt ihr jchon,
So glaubt doch aud an jeinen Sohn.
Ihr pflegt doch jonft bei Vaters Leben
Dem Eohne gern Credit zu geben!
Mendelsjohn antwortete:
Wie fönnten wir Gredit ihm geben?
Der Bater wird ja ewig leben. ?)
AS einmal ein junger Lieutenant ihn anfchnarrte: „Womit
handelt er?“ fertigte er ihn mit den Worten ab: „Mit etwas
was Sie brauchen fünnen — mit Berjtand.‘ 3)
Humor und Laune verließen ihn auch in veifern Sahren
nicht und mit treffenden Antworten war er ſtets bei der Hand.
Als die Materie von der Freiheit des menschlichen Willens
unter den Philofophen aufs neue in Anregung fam, hatte ihm
ein junger Schriftjteller hierüber einen Auffag zum Durchleſen
gebracht. Nach einiger Zeit kam er, um jein Urtheil über die
Arbeit zu hören. „Sch Habe Ihren Aufſatz über die Willens
freiheit nicht leſen können,“ ſagte Mendelsjohn. Dex junge
Mann war hierüber betroffen, ſchob die Schuld auf feinen Aufſatz
und verjicherte, daß es ihm leid thäte, Herrn Mendelsfohn
damit beläftigt zu Haben. Mendelsſohn ſprach dem etwas ge
demüthigten jungen Manne Muth zu, indem ex verficherte, die
) Friedländer, a. a. O., 18.
2) Schr. L, 37.
3) Sulamith III, 2, 146.
— 535 —
Schuld läge gar nicht an ſeinem Aufſatze, daß er ihn nicht
geleſen habe, ſondern er ſei durch Umſtände daran gehindert
worden. „Wie konnten Sie aber auch,“ fuhr Mendelsſohn fort,
„aus meinen vorigen Aeußerungen ſchließen, daß ich Ihren Auf—
ſatz für ſchlecht hielte?“ „Weil ich glaubte, Sie hätten ihn nicht
leſen wollen.“ „Sie machen alſo, wie ich höre, einen Unterſchied
zwiſchen wollen und können,“ verſetzte Mendelsſohn, „dann darf
ich ja Ihren Aufſatz über Willensfreiheit gar nicht leſen, denn
ich höre, wir find einig.“!)
Seltene Herzensgüte war ein Grundzug feines Charakters.
Großmüthig unterjtügte er andere ohne Unterichied des Standes
und des Befenntnifjes weit mehr als feine Vermögensverhältniſſe
e3 ihm gejtatteten. Seine Mildthätigfeit war unbegrenzt. Als
er eines Abends feinen Freund Müchler bejuchte, erzählte ihm
diefer, daß ein gewiljer Herr von %., den Mendelsjohn dem
Rufe nad) als einen gejcheiten und redlichen Mann fannte, von
feinem Boften bei der Defterreichifchen Gejandtichaft verabichiedet
und Hierdurch als Gatte und Familienvater in die äugerfte
Bedrängniß gerathen jei. - Mendelsfohn war jichtbar gerührt.
„Ich Habe,“ jagte er nad) einer Weile, „zweihundert Thaler
einbefommen, die will ich dem Herrn von %. gern leihen.‘
„Lieber, großmüthiger Mendelsſohn!“ entgegnete Müchler; „ich
fann nicht dafür ftehen, ob mein vedlicher Freund je wieder in
den Umſtänden fein wird, die Summe zurücderjtatten zu können.‘
„Das verlange ich auch nicht,“ verjegte Mendelsfohn. „it Herr
von %. ein ehrliher Mann, jo wird er jener Verpflichtung
gedenken, und kann er feine Schuld nicht wieder abtragen, jo
bin ich mit dem Lohne meines Bewußtjeins zufrieden.“ Mendels-
ſohn Hatte ſpäter nie von der Sache geiprochen, und der ihn
überlebende Miüchler wußte nicht, ob ihm die Summe zurüdge-
fommen ſei.
Ein anderes mal trat Mendelsiohn traurig und verjtimmt
) Schr. 1, 40.
— 536 —
bei demjelben Freunde ein. Müchler fragte ihn, was ihm
widerfahren jei. „Sch bin wegen einer armen Frau in folder
Bewegung. Dieſe Frau, der ich ſchon oft Seide zum Wideln
gegeben Hatte, fam Heute mit Thränen zu mir. „Was fehlt
ihr, Frau? Habe ich ihr denn nicht gute Seide gegeben?“ Cs
ift fonjt meine Gewohnheit, die gute zum Wideln Yeichtere Seide
den bedürftigen Frauen zuzumenden, und die fchlechtere, welde
zum Wideln mehr Zeit erfordert, für die Frauenzimmer aufzu—
behalten, die den Verdienſt zu ihrem Buße verbrauchen. „Ich
bin fehr zufrieden, Tieber Herr Mendelsfohn !“ antwortete die
Frau, „und verdiene leicht fo viel, um mich und mein Kind zu
ernähren: Aber einen Kummer habe ich, der mich ins Grab
bringen wird. Mein verjtorbener Mann hatte mir fünfhundert
Thaler Hinterlaffen, um fie für unfere Tochter aufzubewahren.
Nun kam vor furzem ein dem Scheine nach redlicher Menid zu
mir und verſprach, mich zu Heirathen, wenn ich ihm die fünf
hundert Thaler zu feinem Gewerbe vorſchießen wollte. Ich
thörichtes Weib willigte ein, und der Schändliche ging mit dem
Gelde davon. Jetzt quält mich mein Gewifjen Tag und Nadt,
daß ich mein Kind fo Leichtfinnig um das feinige gebracht habe.“
Mendelsjohn verſprach zu helfen und Half.!)
Mendelsfohn war in feinem ganzen Wejen das Ideal eines
Weifen, das Vorbild von Leijings Nathan. „Sch Habe ihn,‘
Schreibt Nicolai in dem ihm gemwidmeten Nachrufe,2) „Seit dreißig
Jahren in jo vielen Borfällen des menschlichen ‚Lebens thätig
gejehen. Ich habe die außerordentlichen Beiſpiele feines Edel
muths, feiner unerjchütterlichen Redlichkeit,3) feiner Uneigenmüßig-
feit, feiner Menjchenliebe, feiner Bereitwilligfeit Feinden zu ver
geben, feiner Sanftmuth, feiner Freundfchaft geſehen.“ Die
edeliten Züge der Menfchheit waren in ihm vereinigt. Adel der
) Jedidja IL, 2, 237 ff.
2) Allg. deutiche Bibliothek, Bd. 65, ©. 630.
3) Wie edel entihied er, einen „„Gewiffensfall im Handel”! ©.
Jedidja I, 1, 173 ff; Allg. Ztg. d. Idths. 1867, ©. 587 f.
—.
.s
— 537 —
Gefinnung und Tiefe des Gemüths mit der Klarheit und Schärfe
des Geiftes find felten wieder in gleicher Volltommenheit an—
getroffen; er lebte als ein Weifer, als der Sofrates feines
Sahrhunderts.
Wie ähnlich find fic) der Weife Athens und der Berliner
Philoſoph im Leben und Leiden, im Wirken und Lehren? Beide
haben ſich aus niedriger Herkunft zu einer einflußreichen Be-
deutung unter ihren Zeitgenoſſen erhoben; beide hatten Armuth
zu ertragen, Vorurtheile zu befämpfen, Uergernijje zu vermeiden.
Wie Sokrates wirkte auch Mendelsfohn mehr noch al3 dur)
feine Werfe, dur) den Adel feiner Perfönlichkeit, durch die
Liebenswürdigfeit, der niemand widerjtehen konnte, durch den
Zauber, der von feinem ganzen Wefen ausging. Seine Nähe
heiligte und veredelte. In feiner Gegenwart, jagt Moriß, war
einem wohl, man fühlte Schon durch feinen Anblid fi) gehoben
und ermuntert, und nie ift vielleicht einer ungebefjert von ihm
gegangen.
Mendelsjohn Iebte in der glüdlichjten Ehe. Seine Fromet,
die an allem was ex fprach den innigjten Antheil nahm, war
das Mufter einer liebevollen Gattin und einer zärtlichen Mutter.
In ihrem Haushalte richtete fie alle8 auf das genauejte ein fo
zwar, daß fie in die auf den Tiſch zu jegenden Schalen mit
Süßigkeiten die Rofinen und Mandeln zählte, damit nicht zu viel
darauf gehe.) Sie ftarb den 15. März 1812 in Hamburg
und wurde auf dem. Friedhofe der deutjchsifraelitifchen Gemeinde
zu Altona begraben.
Fromet befchenfte ihren Gatten mit neun Kindern. Sein
älteftes Töchterchen jtarb, al3 es elf Monate alt war,?) ein
1) ©. Henjel, a. a. D., I, 32.
2) Schr. V, 315; M. f. auch in den von Avigdor Levi herausge-
gebenen „Iggerot R. Moſche Deſſau“ (Wien 1794) den 4. Brief vom
17. April 1780, und mein: Moſes Mendelsjohn. Ungedrudtes, ©. 46.
— 538 —
anderes Kind verfchied ebenfalls im zarten Alter; aud ein
zwölfjähriger Sohn wurde ihm entriffen. Sechs Kinder über
febten ihn und zwar drei Söhne: Joſeph, Abraham und Nathan,
und drei Töchter: Dorothea, Reha und Henriette.
Bon Joſeph war Schon früher die Rede. Abraham, !) der
Bater des berühmten Tonfünftlers Felix Mendelsfohn-Bartholdy,
begründete mit feinem Bruder Joſeph ein Bankgeſchäft. Nathan,
der jüngjte, der, beim Tode des Waters erſt fünf Jahre alt,
ih, wie Mendelsjfohn Herz Homberg jchrieb,2) „den Weiſen
nannte und deſſen Weisheit darin bejtand, daß er von dem
Mathematifer Swa LZuderbrot und von R. Samuel Breiter
fuchen erwartete,“ widmete fich der Mechanik, verheirathete ſich
mit einer Tochter des reichen Daniel Itzig und ftarb wie der
Bater am Sclagfluß.
Seine ältefte Tochter Dorothea (Brendel) verheivathet
Mendelsjohn mit dem Bankier Simon Beit in Berlin; fie Lebt,
anfangs wenigjtens, mit dem unvergleichlichen?) Manne in einer
glüdlichen Ehe, wie Moſes drei Monate nad) der WBermählung
Homberg mittheilt, „glüdlicher als wenn der Sohn des reichten
Mannes ſich großmüthig entfchloffen, fich zu ihr herabzulaſſen.“)
Recha (Reifel) heirathete den Sohn feines „innigftgeliebten Freun-
des“, des Hofagenten Nathan Meyer in Streliß;5) die Ehe war
feine glüdliche und wurde bald gelöft. Henriette, „das Tieffte
und Sinnigite“, wie Rahel Levin fie nannte, blieb unverheivathe.
Mendelsſohns Hausjtand verzehrte fo ziemlich fein Ein
') Geboren am Borabende des Neumondtages Tebet — 9. De
cember 1776; ſ. 1. Aufl. ©. 502.
2) Schr. V, 672.
3) Meber Nathan Mendelsſohn j. Voſſiſche Zeitung, Sonntags:
beilage vom 7. October 1883.
4) Schr. V, 667. Zu ihrer Hochzeit, welche den 3. April 178
ftattfand, dichtete Joſel Rachnower ein Carmen in hebr. Sprache. Weber
Dorothea und Henriette Mendelsjohn ſ. mein: Die jüdifchen Frauen
in der Gedichte, Literatur und Kunft (Leipzig 1879), ©. 182 ff.
5) Schr. V, 686, 1. Aufl. ©. 504.
—
— 539 —
fommen, das als Disponent und Factor der Bernhard’ichen
Seidenfabrif nit groß war; bei aller Sparfamfeit konnte
er nicht viel Vermögen fammeln. Die Sorge um die Zukunft
feiner Rinder trübte ihm die legten Tage feines Lebens. Einige
Monate vor feinem Tode fand ihn einer feiner Freunde unter .
dem Baume vor feinem Haufe figen und fragte ihn: „Was haben
Sie, lieber Herr Mendelsjohn? Sie fehen ja fo beforgt aus.‘
„sa,“ antwortete er, „ich bin e8 auch! ich denfe daran, wie es
meinen Kindern nad) meinem Tode ergehen wird, da ich ihnen
nur wenig Vermögen hinterlaſſe.“
Und doch war er der erſte in Deutfchland, der die Schranken,
welche den Gelehrten von der Welt trennen, durchbrach und
ein Haus ausmachte. Morgens im Haufe am früheften wach,
befchäftigte er fich in den Morgenstunden mit wiffenjchaftlichen
Arbeiten; um neun Uhr ging er in feine Fabrik, wo er in der
- Regel bis drei oder vier Uhr blieb. Den Nachmittag widmete
ex wieder wifjenfchaftlichen Arbeiten oder der Erholung. Abends
fanden ſich in feinem in der Spandauerftraße gelegenen Haufe,
in dem ex „lebte und wirkte”,1) Freunde ein, mit demen ex ſich
unterhielt; hier waren Gelehrte und Staatsmänner, Schriftiteller
und Scaufpieler, Freunde und Eingeführte, auch ungeladen
eines guten Empfangs ficher.
So jteht er vor uns da, diefer einzige Mann, der durd)
perjönliche Würde, durch wiffenfchaftlichen Eifer, durch Klarheit
und Tiefe des Denkens die Bewunderung feiner Zeit auf ſich
309, diefer Mann, ein wahrhaft religiöfer Jude und ein deuticher
Schriftiteller, ald ein Hohes Mufter der Nachwelt, auf defjen
Denkmal wir getroft die Worte fegen dürfen:
Moſes Mendelsjohn,
Ein Weifer wie Sofrates,
Den Gejegen der Väter getreu,
Unfterblichfeit lehrend,
Unſterblich wie er
) Das Haus Spandauerftraße Nr. 68 trägt auf einer Marmortafel
die Inſchrift: „In diefem Haufe lebte und wirkte MojesMendelsjohn‘.
UNIVERSITM
Or
nn j 5
IA: einen
Regiſter.
Abba Gloſtk, 431.
Abbt, Thomas, 64. 70. 108 f. 119.
121. 128—134. 137—140. 143.
156. 168. 171. 180. 197. 229. 241.
269. 369. 528.
Abraham, Jakob, 530.
d'Acoſta, Em. Mendes, 333.
Adler, 2., 5227.
Aepinus, 58. 61—63.
Atenfide, 101.
Albo, Sof., 394 f.
Albrecht, Friedrich, 344.
D’Alembert, 154.
Alerander, Iſaak, 433.
Alringer, 175.
Anſchel, Salomon, 157.
d'Argens, Marquis, 18. 26. 37.
115—117.
Ariftophanes, 143.
Arnftein, Fanny von, 426.
Auerbad, Berthold, 120.
—, Yafob, 2. 156.
—, J. L., 520.
Auerswald, von, 258.
Bader, ©. 342.
Bär, Stud., 129. 215.
Baermwald, 9., 525.
Bamberger, 59.
—, Heimann, 8.
Baſedow, Joh. Bernhard, 3%
bis 335. 460.
Batteur, 33.
Baumgarten, Aler., Aefthetiter,
25. 42. 61—63. 70. 73F. 76. 8.
87. 137. 145. 468.
Baufe, 529.
Bayle, 443.
Beattie, 472.
Beaumont, Marquije de, 162.
Beaufobre, 19. 40. 471.
Beder,Sophie,423.492— 494.512.
Bedraſi Benini, 100.
Beer, Bernhard, 521f.
— Cerf, 371. 373.
— Peter, 522.
Beer:Bing, Jeſaia, 159.
Behr, Iſachar Falkenjohn, 20.
Bendapvid, Lazarus, 433.
Bendit, Jeremias, 291.
Bernhard, Iſaak, 20f. 9. 9.
114 f. 128. 539.
Bernoulli, PBrof., 373.
Biefter, 434. 515. 518.
Bilfinger, 25.
Bleichröder, 10.
Bloch, Markus, 118. 233. DI.
426. 508. 516. 526.
—, J. ©., 342.
Bod, Tobias, 99.
Regiiter.
Bode, Johann 3. Chrift., 120.
123.
Bodek, Arnold, 104. 342. 5.
Bodmer, 40.
Börne, 478.
Boie, Heinr. Chrift., 119. 121.
254. 260.
Boileau, 173.
Bolingbrofe, 42.
Bonnet, 187—189. 194— 200. 211.
399. 440.
Boyen, von, 530. 1
Boyjen, Prediger, 283.
Brandis, Brander von, 125.
—, ©. A., 528.
Braſch, Morig, 72. 524. 529.
Breitenbaud, Georg Aug. von,
28. 50f. 94.
Breitinger, 18.
Bretfhneider, H. ©., 513.
Brockhaus, Heinrich, 527.
Bürger, ©. Aug., 254.
Büſching, 380.
Burja, 4., 158.
Burke, Edmund, 65. 87. 89—92.
Gacault, Franz, 237.
Caglioftro, 435. 491.
Campe, Joahim, 331—335. 422.
439. 512. 517.
Cartes, des, 145.
Caftro, de, 120, 123.
Glarfe, 3.
Claudius, 518.
Cohen, Raphael, 292— 300.
—, Saat Seligmann, 429.
Conz, Karl Philipp, 516.
Cramer, Prediger, 113.
Cranz, Kriegsrath, 380.
Grommell, 375.
Cronegf, Joh. Friedr. von, 109.
Cruſius, 104.
—
541
Cullen, 159.
Damm, Rector, 57. 149. 296.
Dante, 44.
Danzel, Th. W., 23. 101.
Dasdorf, Karl Wilh., 248—250.
Danejon, Alerander, 356.
Deſſau, Fürft von, 459.
—, Elia, 3.
—, Herz, 123.
— , Iſaak, 237. 276.
—, Mojes, 3.
—, Saul, 123.
Diderot, 24. 141.
Diez, 415.
Doederlein, Joh. Chrift., 318.
414,
Dohm, Chr. Wilh., 337. 353, 371
bis 377. 380. 415. 434.
Dorothea, Herzogin von Kurland,
491. 493. 511f.
Drieß, Joh. Peter, 148—150.
Dubno, Salomo, 287—289. 293.
301—304.
Dumpf, 201.
Duran, Sim., 3%.
Duſch, Joh. 3., 108.
Eberhard, Joh. Aug., 403. 474.
Ebert, 217f. 221.
Edelmann, oh. Chrift., 148f.
Eibenſchütz, Jonathan, 120. 279.
Eijenmenger, 203.
Emden, Jakob, 277—280. 400.
420. 429.
Engel, Joh. Jakob, 348. 434. 452.
456 f. 474. 503. 515. 517 f.
Eihenbad, 78.
Eihenburg, Joh. Joadim, 338.
513.
Euchel, Iſaak, 410. 428.
Euler, Aftronom, 58f. 63. 347.
542 Regiſter.
Ferber, Freiherr von, 249f. 273f. Gedike, 434.
Ferdinand, Prinzeſſin von Gervinus, 166. 476.
Breußen, 511. Geßner, Sal., 108. 179.
Ferbinandi, Carlo, 33. 158. Gleim, 107. 172 f. 175. 226. 8.
Feßler, 411. 355. 498. 503. 506.
Finn, ©. 3., 464. Glüd, Regina, 159.
Fiſcher, Mofes, 323. Goen3, van, 89.
—, Rector, 451. Goethe, 24. 100. 161. 1737. 1%.
Flies, Doctor, 357. 186. 342. 365. 432. 440. 449,42.
Fontenelle, 105. 495. 499 ff. 506. 514. 517.53.
Formey, 227. Goeze, Paſtor, 212. 333-0.
Formfteder, ©., 522. 389. 498.
Franco Mendes, David, 429. Goldjihmidt, M. A., 308. 42.
Frankel, 2. A. 523. 5227.
Franfl, P., 525. Goſche, R., 522.
Fräntel, A., 524. Gottlober, A. B., 342. 409.
—, David 9., 3. 5—8. 14. 68. 511. | Gottſched, 15—19. 101.
—, David, Director, 520. Graff, Anton, 529.
Freund, ©., 525. Groſſinger, Joſ., 125.
Friedländer, David, 157. 197. | Grün, N., 8. 13.
220 f. 247. 250. 304. 311. 321f. | Gugenheim, Abraham, 120.12.
336. 341. 411. 426—428. 457. | —, Brendel, 124.
517 f. —, Fromet, 120-130. 526. 531.
Friedrich, Friedrich, 523. —, Sojeph, 257, 428.
Friedrich Il., der Große, 9. 66. | Guhrauer, ©. E., 82.
102. 110—117. 127. 146. 216. | Guldberg, Hoegh, 296.
228—231. 267 f. 275. 349. 377. | Gumpel, M. (Prof. Lömijohn),
434. 467. 533. 325.
—, Herzog von Medlenburg: | Gumperg, Aron Sal. 14 5
Schwerin, 277. 20. 5. 38. 31. 40 f. 44. Bi.
—, Leopold, Herzog von Anhalt: 163.
Deflau, 525, Guſtav IIL., König von Schweden,
Friſch, 528f. 1.
Fritzſche, Freiherr von, 273. | Gutfhmidt, Freiherr von, Ni
Fürft, Julius, 342. niſter, 249.
— 8., 52. Guttenftein, B., 521.
|
—, Mojes, 301. 428. |
Fürftenthal, R., 215. |
Hadjits, Johann, 159.
Hahn, ©., 521.
Halberftadt, Abraham, 226.
—, Samuel, 272. 274.
Halevi, Jehuda, 100. 289.
Galigo, Joſeph, 309. 313.
Garve, Chriftian, 240. 284. 413.
462. 478. 483. 497 f. 515. 517.
Regiſter.
Haller, Albrecht von, 89. 108.
254. 429.
Hamann, oh. Georg, 128. 163
bis 168. 170f. 211. 258. 416f.
440. 459. 476. 499. 502. 513.
Hartmann, Friedrih Traugott,
380.
Haſſe, 314.
Hebler, Karl, 3427.
Hegel, 476.
Heiberg, $. A., 158.
Heidenheim, Wolf, 303.
Heilberg, ©., 520.
Heine, Heinrich, 146. 519.
Heinife, Samuel, 501.
Heinrich, Prinzvon Preußen, 150.
Hell, 371.
Helvetiuß, 157.
Hemfterhuis, 449.
Henning3, Auguft von, 149. 174.
248. 250—255. 287. 294—297.
301. 339. 360f. 366. 4125. 415.
424. 453. 465—469. 479,
Henjel, ©., 455.
Henäler, Bhilipp, 157.
Herder, 3. 8. 48. 77. 93. 138.
160f. 166—170. 173. 189, 211.
217. 2431. 308. 325. 358. 361
bi3 369. 412. 416f. 449. 451.
498—500. 514. 517. 533.
Herſchel, Sal., 420.
Herz, Elfan, 4. 206f. 212. 235.
257. 325. 388. 400.
—, Henriette, 429. 457.
— , Markus, Hofrath, 250. 258.
281. 371. 375. 426. 429—431.
452. 457. 480. 506—508. 517 f.
532.
—, Naphtali, aus Dubno, 303.
Herzberg, Joſeph, 460.
Heſſe, Baitor, 204.
Heyne, Profeſſor, 211.
543
SDirſch, NRab., 4.
—, Abraham, 110.
—, Michael, Rab., 69.
Hirſchen, Freiherr von, 370,
Hitzig, Baurath, 11.
Hobbes, 382. 503.
Höchheimer, Simon, 516.
Holbad, 157.
Holdheim, Samuel, 418.
Homberg, Herz, 230. 313— 317.
380. 406. 410. 421. 426. 451.
453. 528. 538.
Hormwik, Aron, 291. 325.
—, Pindas, 310.
Hoym, Graf, 436.
Humboldt, Mlerander von, 322.
452. 455—458.
— , Wilhelm von, 452. 455—458.
Hume, 56. 61. 485.
Hutcheſon, 24.
Jacobi, Friedr. Heinr., 172. 177.
354. 365. 417. 439—451. 487.
490f. 494—507. 513. 517. 528.
—, oh. Georg, 172f.
— , Lieutenant, 51. 58T.
Jaffe, Iſaak, 276.
—, Mordedhai, Rabb., 277.
Jakob, 2. H., 486. 501.
Janow, Hirſch, Rabb., 292.
Jaroslaw, Aron, 215, 314.
Jeilius, Duintus, 467.
Sellinet, Ad., 123. 345. 522.524.
Serujalem, Abt, 199. 216. 221.
—, Karl Wilhelm, 175.
Joel, M., 522. 525.
Solomicz, H., 317.
Joſeph, 51.
Joſeph Il., Kaijer, 230. 308f.
411.
Soft, 3. M., 520.
Joß, Aron Beer, 314.
544
Iſelin, Iſaak, 77. 178-182.
Iſſerles, Mojes, 3f.
Itzig, Daniel, 11f. 204. 350. 311.
336. 356. 426. 538.
—, Iſaak Daniel, 336.
Jung, Oberförfter, 2467.
Junker, Brofeflor, 158.
Juſti, von, 112. 114.
Käftner, Abr. ©., 174f. 229f.
Kalir, Samfon, 69. 215.
Kampe, Friedrich, 146.
Kanngießer, ©., 70. 72.
Kant, 3. 76. 92f. 133f. 258. 341.
411. 430—432. 448, 462. 469.
478. 480. 497. 500f. 505. 516.
519. .530.
Karl Wilhelm Ferdinand von
Braunfchmeig, Herzog, 191. 199.
216f. 225. 402. 459.
Karſchin, 108f.
Katharina II.
Kaiſerin, 229.
Kaunitz, Fürſt, 509.
Keith, Marſchall, 112.
Kennicott, 327.
Keyſerling, Graf, 258. 260.
Kirnberger, 28. 63f. 66.
Kiſch, Abraham, Arzt, 13.
Klaproth, Profeſſor, 452.
Klein, Ernft Ferdinand, 2847.
434. 456.
Kleift, Em. Ehriftian von, 97.
- 102.
Klodenbring, von, 239.
Klopftod, 88. 106 ff. 309.
Knebel, von, 172f. 449.
von Rußland,
Kölbele, Joh. Balth., 200—207.
König, Eva, 124. 222. 338.
Köper, Cabinetsrath, 228.
Körner, 79. 432.
Korff, von, Kanzler, 260.
Regifter.
| Kraus, Chriſt. Jakob, Profeſſor,
28 f. 531.
Kuh, Ephraim Moſes, 67f.
Kypke, Georg David, 274f.
Lalande, 373.
Lambert, Joh. Heinr., 229. 239.
469. 471. 518.
' Zamettrie, 157.
' Landau, Ezediel, 293. 310.
Landshuth, 2., 7. 12. 15. 18.
Laſch, Wolf, 421.
Lavater, 170f. 182—201. 24
bis 215. 218f. 227. 232. 2431.
247. 253 ff. 259. 2717. 320. 347.
363. 387f. 399. 413. 446. 49.
505. 517.
Lazarus, M., 162. 418. 525.
Lebredt, F., 2.
Leeſer, Iſaak, 409.
Lehmann, Emil, 524.
Leibniz, 19. 23. 25. 33—37. 411.
76. 105. 137. 145. 156. 186. 261.
391. 398. 464. 470ff. 518.
Leifemwig, 175.
Leo, Hartog, 69. 420.
Leopold v. Braunfchweig, Herzog,
ı 262.
—, Franz, Fürft von Defjau, 332.
459.
172. 188f.
|
516f. 523. 528. 530. 536.
265. 295. 350f. 351. 358. 368.
Leſſing, Gotthold Ephraim, 2.
6. 15. 19. 24—62.65— 74.77 — 82.
86-107. 110. 118—121. 124—127.
130 ff. 137. 144. 161. 168. 170.
199. 201. 207.
209—215. 217— 226. 228—241.
248. 253 ff. 260—265. 337 —369.
3725. 389. 439—446. 4497.
455. 467. 478. 497—509. 513.
—, Karl, 9. 188. 221. 223. 2507.
Regifter.
Levi, Avigdor, 200. 275f. 304.
309. 323. 433. 537.
—, Raphael, 156. 226. 260.
Levin, Hirfchel, 276. 282f. 291.
311.
—, Rabel, 538.
—, Saul, 291.
Lichtenberg, Georg Chriſt. 213f.
254.
Lieberfühn, €. ©., 104.
Liepmannsfohn, ©. 2., 52,
Locke, 13. 23—25. 186. 382, 432.
471.
Xohenftein, 109.
2offiug, 414.
Löwe, Joel, 323f. 426,
Löwifohn, M.,. 325.
Lowth, 101.
Luiſe Ulrike,
Schweden, 231.
Luther, 322.
Luzzatto, Moſes, 315.
Lynar, Graf von, 436.
Königin von
Maimon, Salomon, 431f. 460.
Maimonides, 5. 203. 393f.
400. 427. 431.
Malebrande, 37. 42.
Manſo, 87.
Marcus, Samuel, 298 ff. 378.
Martini, 58.
Marr, M. ©., Arzt, 281.
Matthijjon, 19.
Maupertuis, 18f. 26. 41—44.
112.
Maurer, Fr., Buchhändler, 321.
Meden, Johann Friedrid von,
491.
Meinhard, Joh. Nik., 161. 169.
Menafje ben Israel, 375.
Mendel Sopher, 2—6. 130.
Kanjerling, Mojes Mendelsjohn.
— — — — —— — — —
545
Mendelsſohn, Abraham, 427.
453. 538.
—, Alerander, 457.
—, Dorothea, 454. 457. 538.
—, Ernft, 341. 523.
—, Franz, 525.
—, ©. 3., 528.
—, Henriette, 538.
—, Sojeph, 33. 451—455, 457.
508. 527f. 588.
—, Nathan, 538.
—, Reha, 538.
— Saul, 2881.
Mendelsjohn« Bartholdy,
Felir, 527. 538.
Merian, 39. 163. 228. 471.
Met, Mojes, 451.
Meyer, 5. 2. W., 503f.
—, Nathan, 538.
Michaelis, Joh. Dav., Profefjor,
30. 32. 39f. 71f. 163. 210.
226. 235—239. 320. 324f. 374,
414. 417.
Michel, Mathematiker, 349f.
— David, 65. 225.
Middleton, 60.
Mirabeau, 409. 517.
Möller, Oberft, 58.
—, V. €., 401.
Morik, Karl Bh., 457. 517. 533.
537.
Mörſchel, 381, 388.
Mortara, Marco, 455.
Moſer, Karl Friedr. von, 180.
—, Moſes, 519.
Mofes (john), Aron, 69. 135.
325.
—, Sohn de3 Simda, 3f.
Müchler, 28. 40. 51. 58. 99f.
154. 535f.
Müller, Johannes von, 199.
—, J. ©., 529.
35
546
Mündhaufen, von, Minifter,
226.
Mysnikow, 159.
Naumann, Chr. Nikol., 28. 51.
120.
Newton, 24. 56. 108.
Nicolai, Friedrich, 13. 22. 41.
52-59. 65f. 69. 78ff. 95— 102.
106. 112. 116. 130. 139. 143.
158. 168f. 171. 179. 189. 199 ff.
217. 228. 236. 336. 358ff. 373.
403. 433f. 474. 491. 496. 512.
515. 517f. 536.
Dbereit, Jakob 9., 177. 399.
DOmpteda, Frau von, 243.
Oppenheimerſche Bibliothek,
429,
Pauli, Doctor, 120, 123.
Pauw, Eorneille de, 467.
Penini, Bedrafi, j. Bedraft.
Berichte, 324.
Philippſon, 2., 342. 418. 422.
522.
—, Mojes, 225. 517.
Pizetti, Franc., 125.
Platen, Auguft von, 161.
—, 9. D. von, 158. 475.
Blatner, 469.
Plato, 56f. 142. 146. 151. 153.
160. 466.
Plotin, 145. 154.
Pope, 24. 41-43. 67. 101.
Prömontval, A. P., 26. 39—41.
163.
Nabe, Kaplan, 325. 420.
Rachnower, Joſ., 538.
Raeine, 173.
Ramler, 41. 83. 163. 321. 341.
429. 491. 493. 515. 518.
Regiiter.
Rappaport, Morig, 523.
Rede, Elile von der, 491. 49.
511f.
Rehfuß, C. 522.
Neid, 472.
Reimarus, Eliſe, 223. 262ff.
291. 335. 339. 358. 367 f.439-447.
450. 453. 482. 495 f. 528.
—, Herm. ©., 145. 223. 382.
—, Johann Albert, 2. 250. 440.
444. 448. 452. 458f. 482, 517.
Reinbed, 11.
Neinhard, 43.
Reſewitz, Abt, 58. 147.
Reuß, Fürft von, 509.
Richardſon, 24.
Richter, 3. A. L., 6. 520.
Riedel, Friedr. ©., 176.
Rießer, 371f:
Rietſchel, Ernit, 530.
Ritter, 3. 9. 418.
Roſenthal, M., 322.
Rothmann, Hauptmann, 467.
Roufieau, 3. J., 24. 45—49.
164. 314. 463—466. 472.
Saadia, 39.
Salfeld, ©., 130. 524. 529.
Salomon, Gotthold, 521.
Salzmann, 335.
Samosz, Sirael, 11f. 15.
Samjon, Herz, 221.
Samuels, M., 409.
Satanomw, 215. 447.
Schade, 104.
Schelling, 5037.
Schie, Löbel, 247.
Schiller, 3. 77.79. 93. 174. 383.
432.
Schlegel, Joh. Elias, 109.
Säleiermader, 513.
Schmidt, Prof., 358.
Regifter.
Schönberg, ©. B., 520.
Shönemann, Friedrich, 370.
Schröpfer, 455.
Schulſtein, PBropft, 381.
Schulz, Prediger, 417.
Schulze, Prediger, 518.
Schwab, PBrof., 470.
Schwaich, Jakob, Rabb., 272.
Schwarz, A. 524.
—, 3.2. 49.
Seligmann, Joſeph, 257.
Sedendorff, Freiherr von, 499.
Selle, Hofrath, 434.
Semler, Sal., 210.
Shaftedbury, 24f. 33. 42. 56.
105. 160. 471.
Shafefpeare, 88. 241.
Simon, Brof., 334.
Smolensfi, P., 409.
Sofrates, 115. 139. 141—145.
160. 537.
Sonnenfel3,
434.
Spalding, 137. 246. 309. 379.
434.
Spinoza, 22. 25. 32—37. 56.225.
334. 385. 393. 396. 400.418. 432.
441—449. 487—491. 497—504.
Stahr, Ad., 343.
Stattler, Benedict, 414.
Stedelmader, M., 525.
Stein, Frau von, 449, 517.
Steinheim, Salomon, 418f.
Strauß, David Friedrich, 224.
342.
Stubenraud, 513.
Sulzer, 26f. 39-44, 69. 78.
163. 180ff. 227 f. 237. 518.
Spetit3, Johann, ſ. Habdjits.
Swa, Mathematifer, 538.
Szold, Benjamin, 524.
Tafiaert, 529,
Freiherr von,
— — — —
— — — — — —
547
Tauentzien, von, General, 118.
Deleki de Szeki, Graf, 159.
Teller, Bropft, 173. 3. 434.
534.
Tetens, Koh. Nif., 469. 483.
Tugendhold, Jakob, 159.
Uhden, von, 113Ff.
Uhle, Prediger, 413.
Ullmann, Herz, 4327.
Unger, J. J., 528.
Us, Joh. Peter, 108.
Weit, Simon, 454. 538.
Beitel, Ephraim, 127. 215. 305.
336.
—, Joſeph, 307.
—, Zacharias, 238f.
Venino, 115.
Viſcher, Fr. Theodor, 92.
Voltaire, 24. 34. 37f. 47. 110.
209. 465.
Voß, Chr. Friedr., Buchhändler,
33. 96. 506.
Weil, J. 522.
Weiße, Chr. Felix, 48. 173 f. 413.
479. 498. 57f.
Weſſely, Hartwig, 120. 159. 192.
250. 291. 304—313. 426. 429.
455. 515. 519.
—, Mojes, 120. 126. 128. 250. 331.
334. 351. 380,
—, Kapellmeijter, 335. 455. 519.
Widenbagen, Gymnafialdirec:
tor, 525.
' Wieland, 41. 141. 175—178. 533.
|
|
|
Wiener, M., 345.
Wilhelm, Graf von Schaumburg:
Lippe, 156. 241—246. 436.
Wilke, 58.
35 *
548 Regifter.
Wilna, Elia, 310. 432. Wünſche, Aug. 345.
MWindelmann, 82. 86. 105. 161. | Wuttfe, 522.
164. 248,
Winfelmann, K., 39. Zacuto, 3.
Winkler, 50. Zedlig, von, Minifter, 149. 258.
Winfopp, Benedictiner, 269. 3115.
Withof, 108. Zeller, E., 427, 518.
Wizemann, Thomas, 412. 5301f. Zimmermann, Joh. G., 41. 139.
514. 176. 178. 207. 225. 233f. 236.
Wohlwill, Immanuel, 521. 243. 254. 260. 435. 437.497. 505.
Wolf, Abraham, 347-350. Zingg, 254.
— in Deflau, 335. 393. Binzendorf, Graf, 309.
Wolff, Ehr., 19. 25. 72f. 145. | Zöllner, Joh. Friedr., 413, 434.
186. 431. 470 ff. 457.
—, Iſaak, 311. Zollifofer, 196. 240. 379. 498.
Wolfſohn, Aaron, 324. 426, Zudermandel, M. ©., 525.
—, W, 524. Zunz, 519%.
——
Urtheile der Prefe.
Literarisches Gentralblatt für Deutichland. 1862. Nr. 26.
Dr. Kayferling hat e3 unternommen, ein treue und vollftändiges
Bild von dem Leben und Wirken des jüdifchen Weijen zu jchaffen und
diejen jeinen Zwed in vollflommen anerfennenswerther Weije erreicht.
Die echt jofratijche Geftalt Mendelsjohns tritt uns Flar und deutlich)
entgegen und bringt einen ungemein mwohlthuenden Eindrud hervor.
Der Leer, wenn er andere Gefühle für fittlihe Größe befigt und frei
ift von religiöfen Vorurtheilen, wird durch das Buch bis ans Ende ge:
fefjelt und fühlt fih, wenn er es aus den Händen legt, ein befjerer
Menſch.
Europa. 1862. Nr. 11.
Ein neued Buch, deſſen Gegenftand der jüdiſche Sofrates des
18. Jahrhunderts ift, hat uns mit befonderer Freude erfüllt. Kayſer—
lings Bud) ift ded Mannes würdig, den es jchildert. Es zeigt ihn in
feinen Anfängen, jeiner Entwidelung, jeiner vollen Ausbildung, in
feinen Beziehungen zu Leſſing, Nicolai und den andern Trägern Ye
deutſchen Cultur vor hundert. Jahren, Wir lernen in dem Buche den
Menſchen ebenjo genau fennen wie den Philoſophen und werden be-
ſonders gut über die Verdienfte unterrichtet, die er ſich gegen jeine
Glaubensgenoſſen erworben hat.
Hamburger Nachrichten. 1862. Nr. 17.
An beitimmter Vollftändigfeit der Mittheilungen läßt Kayjerlings
Arbeit kaum etwas zu wünjhen übrig und dabei ift das reiche Material
fo überfichtlich geordnet, daß das Inhaltsverzeichniß einen fichern Führer
zu jeder Notiz abgiebt, die und augenblidlich erwünſcht fein Fann.
Urtheile der Breife.
Abraham Geiger, Zeitichrift für Wiffenjchaft und Leben. 1862.
©. 141 ff.
Der Berf. der Biographie Mojes Mendelsſohns befriedigt gerechte
Anfprühe. Ohne Meberjchwenglichfeit nimmt er an dem Menjchen, dem
Schriftſteller, dem Juden warmen Antheil; die reichen Mittheilungen,
die allmählih auch über M. in der lekten Zeit immer mehr hervor:
getreten, find von ihm gemiffenhaft benußt, um ein vieljeitiges Bild
jeines Wollens, Denkens und Wirfens zu liefern.... Die Darftellung
des Verf. ift faßlih und ungezwungen, frei von Schwulft und Plattheit.
3. Franfel, Monatsichrift für Geihichte und Wiflenichaft des
Judenthums. 1862. ©. 279 ff.
Wir wünjhen, dat das Buch, namentlich von der reifern jüd.
Jugend gelejen werde, damit fie daraus erkenne, dat man ein Jude,
ein wahrhafter Jude, und dabei doch eine Zierde der Literatur, eine
Zierde der Wiflenfchaft, eine Zierde der ganzen Menfchheit jein Fann.
Steinjchneider, Hebr. Bibliographie. 1862. Nr. 29.
Ein Buch von jo unverfennbaren Eigenfchaften, dak Gegenjäte
wie Frankels und Geigers Organe im Urtheile über die wifjenjchaft:
lihen Berdienjte der fleifigen Arbeit fich begegnen. Es ift der popu:
läre Stoff und die wifjenjchaftliche Verarbeitung, was die Zweckmäßig—
feit bedingt.
Leop. Löw, Ben Gananja. Wochenblatt für jüd. Theologie. 1862.
Nr. 22.
Der Verf. der vorliegenden Schrift hat ſich zur dankbaren Auf:
gabe geftellt, mit Tiefe und Gründlichfeit die Werfe Mendelsjohns aus
jeinem Leben, feinem Charakter und feinen Verhältniffen organiſch im
Zujammenhange zu entwideln. In der That fann man nur jagen,
daß der geehrte Verf. den gewaltigen Stoff aufs befte bezwungen und
verarbeitet hat; jein Werk läßt uns nirgends die Mühe und Arbeit mit-
empfinden, welche e3 Foften mußte, diefer weitverzweigten und mit der
ganzen damaligen Literatur-Epocdhe eng verflochtenen Biographie Herr
zu werden.
Blätter für literariihe Unterhaltung. 1862. Nr. 32.
Wir wiflen es dem Berf. herzlich Danf, daß er, geſtützt auf jeine
fleißigen Duellenfammlungen und feine auögebreitete Kenntnif des
Mendelsjohnihen Brifwechſels es verftanden hat, uns von dem echt
nationalen Bewußtſein, von der ferndeutichen Gefinnung jeines Helden
Urtheile der Preſſe.
zu überzeugen . . . . Da Kayjerling in jeinem Mendelsjohn zu Haufe
ift und mit den Schäten, die er uns in feinen Schriften und Briefen
hinterlaffen, gut jchalten und walten gelernt hat, jo hat er die jchönften
Steine herauögelejen, gejammelt und zu einer fojtbaren Mojaik ver:
arbeitet. Das Werk ift eine danfenswerthe Bereiherung der Wiffen-
ihaft und unſerer deutſchen Literatur inöbejondere.
Athenaeum. 1862. Juli.
The book of Dr. K. gives a very amusing and readable
picture ....
Dr. Ad. Zellinek urteilt in der Neuzeit. 1886. Nr. 7.
Kayjerlings Bud ift das ausführlichite, gründlichſte, zuverläſſigſte
und inhaltreichite über unjern Mojes. Seine Belejenheit in der ein-
ſchlägigen Zeitliteratur, feine Bertrautheit mit den Perſonen, die zu
M. Mendelsjohn in einem Rapport ftanden, jein Sammelfleiß jeste
ihn in den Stand, dem Lefer einen reichen Inhalt zu bieten und nichts
zu vergefien was irgendwie auf die Perjönlichkeit, den Charakter, den
Umgang und die literariihe Thätigfeit Mendelsjohns Bezug hat.
Prof. Dr. M. Lazarus jagt in der Deutihen Revue. 1886.
Februarbheft.
Unter den Biographien Mendelsjohns ragt das vortreffliche Bud)
des Dr. M. Kayferling durch jeine Bollftändigfeit, Klarheit und wohl:
thuende Wärme hervor.
M. ſ. auch die ausführliden Recenfionen in: Augsburger Allg.
Zeitung, 1862, April; Deutſches Mufeum, 1862, Nr. 26; Magazin für
die Literatur des Auslandes, 1862, Nr. 45; Das neue Hamburg, 1862,
Nr. 72 ff.; Godgeleerde Bijdragen, 1862, Heft 6 u. v. a.
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