Friedrich
Christoph
Dahlmann.
Gedächtnisre
80001 921 8R
II
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^Friedrich JChristoph ^Dahlmann.
Gedächtnisrede
gehalten
in der Aula der Universität Kiel
am 13. Mai 1885
Georg Wfa i t z.
Kiel 1885.
Universitäts-Buchhandlung.
(Paul Toech«.\
2.2.3 . i, 9
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Hochgeehrte Versammlung !
•
Die Wiege des Mannes, zu dessen Gedächtnisfeier wir uns heute
versammelt, hat nicht auf dem Boden Schleswig -Holsteins gestanden,
und noch nicht den vierten Theil seines Lebens hat Dahlmann hier
verbracht; weit über die Grenzen des einzelnen Deutschen Landes greift
seine Wirksamkeit hinaus. Und doch dürfen wir sagen, dass er Schles-
wig-Holstein von dem Tage an da er es betrat bis an sein Lebens-
ende mit ganzem Herzen angehört hat, dass andererseits hier im Lande
kaum ein anderer Name einen besseren Klang hat als der seine, dass
ihm auch zu einem nicht geringen Theil verdankt wird, was dasselbe
ist und hat. Indem die Universität , die allezeit eine wahre I^andes-
universität gewesen ist, den Beschluss gefasst, des Tages zu gedenken,
da Dahlmann vor hundert Jahren geboren ward, hat sie, das glaube
ich voraussetzen und aussprechen zu dürfen, nicht bloss den trefflichen
Lehrer, den berühmten Gelehrten feiern wollen, sie hat sich des warmen
Patrioten, des unermüdlichen Vertreters der Rechte des Landes, sein%r
Zugehörigkeit zu Deutschland erinnert und einer jüngeren Generation
vor Augen führen wollen, was wir Aelteren erlebt oder doch in seiner
vollen Bedeutung empfunden haben.
Und wenn die Aufforderung an mich herangetreten ist, dem Aus-
druck zu geben, und ich geglaubt habe, trotz mancher Bedenken der-
selben mich nicht entziehen zu dürfen, so kann ich als Beweggrund
auf der einen und andern Seite nur den gelten lassen , dass der Kreis
derer die mit Dahlmann gelebt und ihn näher gekannt schon sehr zu-
sammengeschmolzen ist, und wie viel des Trefflichen auch von näher-
stehenden Freunden über ihn veröffentlicht worden, doch an einem Tage
wie heute die persönliche Erinnerung ein gewisses Recht hat. Wohl
kann auch sie den Kundigen kaum etwas neues sagen, aber sie kann
versuchen das Bild zu zeichnen, das ihr lebendig vor Augen steht,
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und darf sich wohl gestatten, hie und da ein Moment hervorzuheben,
bei dem sie unmittelbar betheiligt ist, ohne den Vorwurf zu fürchten,
sich vorschieben zu wollen, und ohne die Nachsicht zu gefährden, um
welche das Alter bitten muss.
Ein Schüler oder Zuhörer Dahlmanns bin ich freilich nie gewesen.
Aber, dass ich es kurz sage, zweimal, hier und in Göttingen, sein, wenn
auch nicht unmittelbarer Nachfolger auf dem Katheder, seit 1837 ihm
persönlich bekannt, in Frankfurt sein College auch als Schleswig - Hol-
steinscher Abgeordneter, bis zu seinem Tode in ungestörten freund-
schaftlichen Beziehungen zu ihm und seinem Hause, nicht immer in
völliger Uebereinstimmung, aber voll Achtung und Verehrung vor den
seltenen Eigenschaften des Charakters und Herzens, in wahrer Bewun-
derung des hohen Geistes, des sittlichen Adels, des strengen Pflicht-
gefühls, des festen Willens , verbunden mit Zartheit der Empfindung,
vertrauenerweckender Offenheit, gewinnender Heiterkeit, in dankbar-
ster Hochschätzung dessen was der Mann unseren Universitäten, unserer
Wissenschaft, dem Deutschen Volke gewesen ist.
Erinnere ich zuerst an den äusseren Verlauf seines Lebens, das
bewegter, schwerer, aber auch reicher gewesen ist als das seiner mei-
sten Col legen.
Friedrich Christoph Dahlmann ward 1785 in Wismar geboren,
einer Stadt, die damals unter Schwedischer Herrschaft stand. Der
Mann, den man im vollsten Sinne des Wortes einen Deutschen nennen
kann, wuchs auf unter der Hoheit eines fremden Königs, glaubte an
Schwedische Herkunft seiner Familie, verbrachte einen Thcil seiner
Jugend in Dänemark. Aber der Vater, ein tüchtiger Geschäftsmann,
war Deutscher literarischer Bildung nicht fremd ; die Mutter, eine Kie-
lerin, von feinem verständigem Sinn, wie die von befreundeter Hand
vermittelte Ausgabe der Brautbriefe sie uns gezeigt hat. Dahlmann
freilich hat sie kaum gekannt, da ein früher Tod sie dahinraffte, worauf
eine Schwester an ihre Stelle trat, unter deren Obhut der schwächliche,
schüchterne Knabe heranwuchs, bis er im Jahre 1802 die Universität
bezog, um Philologie zu studieren. Aber wie ganz anders nun sein
Bildungsgang, als der der grossen Mehrzahl junger Gelehrter zu sein
pflegt! Abwechselnd in Kopenhagen, wo ein Onkel, der verdiente
Mitherausgeber der Privilegien der Schleswig-Holsteinschen Ritterschaft,
Jetisen, in angesehener Stellung lebte und dem nach dem Tode des
Vaters Mittellosen Aufnahme gewährte, und in Halle, wo Fr. A. Wolf,
der Begründer der Alterthumswissenschaft als einer wahrhaft historischen,
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und Schloiermachcr, der Philosoph , dessen „freimüthige Weisheit" er
noch später gepriesen, ihn anzogen, den Studien obliegend, dann eine
Zeit lang in der Vaterstadt lebend, ohne einen bestimmten Wirkungs-
kreis- finden zu können, mächtig ergriffen von dem schweren Geschick,
das in den Jahren 1806 und 1807 Preussen und ganz Norddeutschland
betraf, kurze Zeit in Dresden in Beziehungen zu Männern die der
romantischen Schule nahe standen, mit dem nationalen Dichter und
feurigen Patrioten Heinrich von Kleist befreundet, mit ihm im Jahre
1809, als Oesterreich den Kampf gegen Napoleon aufnahm, ausziehend,
um, wie er selber sagt,, „von Böhmen aus nach allen Kräften dahin
zu wirken, dass aus dem Oesterreichischen Kriege ein Deutscher werde",
nach dem unglücklichen Ausgang enttäuscht in die Heimat zurück-
gekehrt, 18 10 Wittenberger Doctor, 1811 nach Abfassung einer latei-
nischen Dissertation über die Anfänge der Attischen Comödie in Kopen-
hagen habilitiert und naturalisiert, mit einer Dänisch gedruckten Schrift
über Oehlenschlägers dramatische Werke und einem grösseren unvoll-
endet gebliebenen Buche über die Geschichte der Sächsischen Kaiser
beschäftigt. Er glaubte hier in Dänemark seine Zukunft sehen zu
müssen. „Möge es dem Deutschen Vaterlande Wohlergehen", schrieb er
sehnsüchtig an Fr. A. Wolf.
Aber schon 181 2 erhielt er den Auftrag in Kiel historische Vor-
lesungen zu halten, „ohne", wie er später erzählte, „ein Wort über
Geschichte geschrieben, ja sogar ohne in meinem Leben ein historisches
Collegium gehört zu haben", gewiss aber in mancher Beziehung besser
vorbereitet als viele welche aus unseren historischen Seminarien her-
vorgehen, in denen wohl Methode, aber nicht Geist und Kunst der
Geschichte und Geschichtschreibung gelernt werden können. Auch
Niebuhr und Ranke sind nicht diesen Weg gegangen. — Eingehende
Beschäftigung mit alter und neuer Literatur hatten seine Sprache, phi-
lologische Arbeiten seine Kritik, das Studium des Thucydides und
Tacitus seine geschichtliche Auffassung, die Ereignisse unter denen er
lebte seinen politischen Sinn entwickelt. Doch ist ihm der Beruf nicht
eben leicht geworden. Freie, gewandte Rede ist nie seine Sache ge-
wesen ; oft genug hat man später des schweigsamen, wortkargen Mannes
gedacht ; aber sein Ausdruck war gedrungen, wohl überlegt, gedanken-
reich ; sorgfältig vorbereitet , einfach aber mit Nachdruck gesprochen,
verfehlten seine Vorträge der Wirkung nicht und haben im Lauf der
Jahre immer wachsende Gunst gefunden; er las, wie seine Collcgen
bezeugen, mit ausgezeichnetem Beifall und Erfolg.
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Seine Vorlesungen umspannten ein weites Gebiet : Universalgeschichte
des Alterthums, der Neuen Zeit, Englische, auch Schwedische Geschichte,
auffallender Weise keine allgemeine Deutsche Geschichte, wie sie mir
spater von Kopenhagen aus zur Pflicht gemacht war, und die ich oft
mit Bedauern auf unseren Universitäten vermisse, dagegen die sog.
„Vaterländische Geschichte", d. h. die Dänemarks und der Deutschen
Herzogtümer, deren Behandlung ihm wie seinen Nachfolgern manche
Schwierigkeit machte, der er aber warmes Interesse entgegenbrachte,
wie er es noch lange nachher in seinem grossen Werk über die Ge-
schichte Dänemarks bethätigt hat : Island und Ditmarschen haben hier
neben einander Raum zu eingehender liebevoller Darstellung gefunden.
Den wichtigsten Geschichtschreiber des Dänischen Mittelalters Saxo
Grammaticus behandelte er in den Forschungen zur Geschichte mit
sicherer kritischer Hand neben Herodot, dem Vater der Griechischen
Historiographie. Das Werk des Neocorus über Ditmarschen zog er
aus der Vergessenheit hervor, während er gleichzeitig die Lebens-
geschichte Anskars, des Apostels des Nordens, in den Monumenta
Germaniae edierte, eine Zeit lang an eine neue Ausgabe des Adam von
Bremen dachte.
Und nur Eine Seite seiner Thätigkeit ist das gewesen. Die an-
dere gehörte der lebendigen Gegenwart an, den politischen Strebungen
der Zeit, dem Kampf für das Recht Schleswig - Holsteins, dem Be-
mühen für verfassungsmässige Ordnung hier und in den Deutschen
Staaten überhaupt.
Von zündender Kraft war die Rede im Jahr 1815 zur Feier des
Siegs von Waterloo gehalten, die das Heil preisst, „das uns widerfahren",
„die Herstellung eines Deutschlands durch sein Volk", und dies dann
auch für den Schleswiger in Anspruch nimmt, „der durch den verbün-
deten Holsteiner dem Deutschen Bunde angehöre". Nicht dass sie nicht
Misbilligung, Tadel erfahren, wie in Kopenhagen, so bei „verstockten
Dänen" im Lande, wie Julie Hegewisch, seine spätere Frau, schrieb.
Aber sie ward die Fahne, um die sich die Männer sammelten, Ein-
geborne lind Fremde, welche dann in den nächsten Jahren hier für
das Recht der Herzogthümer, ihre Deutsche Entwicklung, aber auch
die allgemeinen nationalen Interessen thätig waren, Falck und Welcker,
Hegewisch und PlaiT, Twesten und Wiedeinann, deren Organ, die
Kieler Blätter und Beiträge, weit über die Grenzen des Landes hinaus
Theilnahme und Anerkennung fand. Hier gab Dahlmann gleich zu
Anfang „Ein Wort über Verlassung", das einmal die allgemeinen Gruud-
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ziigc verfassungsmässiger Ordnung entwickelte, wie er sie sein ganzes
Leben lang in Wort und That vertreten hat, dann die Ansprüche
Schleswig-Holsteins auf eine solche Ordnung seiner Verhältnisse, „Auf-
erweckung", wie er sagte, „seiner alten Verfassung" begründete.
liierfür zu wirken erhielt er besondere Aufforderung, da er die
Stelle eines Secretärs der sogenannten fortwährenden Deputation der
Schleswig - Holsteinschen Prälaten und Ritterschaft übernahm , die da-
mals die Anerkennung ihrer alten ständischen Rechte, insonderheit des
Rechts der Steuerbewilligung, zu erlangen suchte, eines Rechts, das Dahl-
mann urkundlich zu begründen wusste und in dem er das Fundament
eines allgemeinen Landesrechts zu finden hoffte. Kr trat -damit in das
geschichtliche Leben ein, in Kämpfe, deren Darstellung sich dieser
Schilderung entzieht, wie sehr sie auch sein Leben bestimmt, ihm
reiche Anerkennung, aber auch Kränkung und bitteren Verdruss be-
reitet haben.
Freundlich hatten sich die Verhältnisse in Kiel gestaltet, trotz der
Ungunst, die ihm bald von oben zu theil ward, und trotz mancher
Störung, die seine schwankende Gesundheit brachte. Durch eine Verbin-
dung mit Julie Hegewisch, der charaktervollen Tochter des verdienten
Historikers, der Schwester des trefflichen Arztes, der zwei Menschen-
alter hindurch für alles, was er als recht, gut und dem Lande heilsam
erkannte, unermüdlich gewirkt und gekämpft hat, war sein häusliches
Glück begründet, mit der Schwägerin, der reichbegabten Caroline Hege-
wisch, geb. v. Linstow, deren herzgewinnendem Zauber bis zum höch-
sten Alter hin sich niemand entzogen hat, eine traute Freundschaft
geschlossen; mit ihrer Hülfe, darf man sagen, gewann er einige Zeit
nach Juliens Tod die zweite Frau, Luise von Horn, für die er in leiden-
schaftlicher Liebe entbrannt war, und die ihm und den Kindern, die
ihm geblieben, Hermann und Dorothea, die treuste Genossin des Lebens
ward, auch allen denen unvergesslich, die sie als Schmuck seines
gastlichen Hauses gekannt haben. Zu älteren, gleichgesinnten Collegen
gesellten sich jüngere Freunde, wie Ratjen, Olshausen. Die politischen
Verhältnisse brachten ihn in Verbindung mit den Grafen Adam Moltke,
Friedrich Reventlow auf Emkendorf, später Heinrich Rantzau, Männern
von patriotischer Gesinnung und geistiger Bildung. Den Reiz, den das
Kieler Leben auf uns Jüngere zwanzig Jahre später ausübte und ohne
Zweifel auch jetzt ausübt, durch die Mannigfaltigkeit und Bedeutung
der Interessen die sich hier begegneten, hat Dahlmann in vollem Masse
empfunden und nie vergessen.
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Und doch war seines Bleibens nicht. Kr war nicht zufrieden, und
konnte es nicht sein. Die Zurücksetzung der Regierung, die ihm die
ordentliche Professur versagte, die Vereitelung der Hoffnungen, die er
für das Land gehegt, der Mangel an Ausdauer und Entschlossenheit,
den er auch bei Betheiligten zu finden glaubte, verstimmten, verbit-
terten ihn. Dahlmann war keine glatte Natur, er empfand lebhaft
und tief, ertrug auch bei Freunden nicht was er für unrecht hielt, gab
dem Gefühl einen oft herben Ausdruck. Auch mit nahestehenden,
hochverehrten Männern ist er zeitweise zerfallen , mit dem Freiherrn
vom Stein, als er sich nach den Karlsbader Beschlüssen 1819 von der
Thcilnahmc an den Monumcnta Germaniac lossagte, mit Niebuhr, als
dieser sich nach der Julirevolution 1830 kleinmüthig und hoffnungslos
über die Lage der Dinge aussprach, mit Pertz, Jacob Grimm, Gervinus,
da sich Verschiedenheiten der Auffassung in öffentlichen oder person-
lichen Dingen ergaben. Doch immer hat er auch wieder die Hand der
Versöhnung angenommen oder selbst gereicht. So können wir be-
greifen und brauchen nicht zu verschweigen, wenn in jener Zeit man-
ches scharfe Wort gesprochen ward, er einmal Kiel die Stadt der Redens-
arten nannte, von der verruchten Schmeichelei redete, die im Lande
herrsche, ja im Unmuth schrieb, der Ekel an den dortigen Zuständen
habe ihn fortgetrieben.
Treu hat er ihm doch seine Liebe bewahrt, wie er es in der
Abschiedsrede versprach, sie allezeit durch die That bewährt, und nur
wenige Jahre später bekundete er, wie er sich in die Holsteinschen
Zustände verwachsen fühle, wohl nie den Riss verschmerzen werde.
Und die Frau schrieb: „Wären wir nie aus Kiel gezogen — ich kann
sagen , dass ich über zwanzig Jahre leide an dem Abschied aus der
Heimat meines Herzens".
Dahlmann ist 1829 einem ehrenvollen Ruf nach Göttingen gefolgt.
Gross genug ist der Contrast zwischen der kleineren , ganz auf die
Universität angewiesenen, durch seine nächste Umgebung wenig begün-
stigten Stadt und dem meerbespülten, von hohen Buchen Waldungen
umgebenen, im Mittelpunkt politischen Lebens belegenen Kiel, und
mancher sehnsuchtsvolle Gruss ist bald über die Elbe gegangen. Doch
auch die Vortheile der damals in voller Blüthc stehenden , zahlreich
besuchten, von der Regierung liebevoll gepflegten Universität mit den
reichen Hülfsmitteln der Bibliothek machten sich geltend. Freundschaft-
licher Verkehr ergab sich zu Collegen wie K. O. Müller, Lücke, Bluhme,
vor allem den bald darauf berufenen Gebrüdern Grimm und später
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Gervinus, denen sich eine Zeit lang Bcscler. dann Ribbcntrop, Kraut,
Thöl, Bertheau, als Lehrer der Kinder L. Bethmann anschlössen. In
Hannover genoss Dahlmann des vollsten Vertrauens und übte, wie es
öfter einem Einzelnen zu theil ward, auf die Angelegenheiten der Uni-
versität bestimmenden wohlthätigen Einfluss.
Aber bald erweiterte sich sein Wirkungskreis, da er nicht bloss neben
Deutscher Geschichte Politik und andere staatswissenschaftliche Collegien
zu lesen hatte, sondern, als die Wellen der Bewegung des Jahres 1830
auch Hannover erreichten und zu einer dringend geforderten Neuord-
nung der Verfassung den Anlass gaben, zu lebhafter Theilnahme an dieser
herangezogen ward, auch hier im Vertrauen der Regierung, im Gegen-
satz vielfach zu den Forderungen eines weitergehenden Liberalismus,
aber allezeit den Ueberzeugungen treu die er gefasst, bemüht die An-
forderungen der Gegenwart mit der historischen Entwickelung in Ver-
bindung zu halten, wie er einmal sagt „einer mittleren Meinung den
Sieg zu verschaffen". Das Staatsgrundgesetz, das im Jahre 1833 zu
stände kam, „wird", schrieb er, ' „vielleicht keiner einzigen Theorie ent-
sprechen, aber in Wirklichkeit mit allen seinen Gebrechen vieles lei-
sten 1 '. Er glaubte, „dass der Weg betreten sei, der für Deutschland
frommen könne", wie es heisst in der Vorrede zu seinem Buch über
Politik, das er 1835 ausgehen Hess, gewiss nicht, wie wohl gesagt ist,
geschrieben um die Hannoversche Verfassung zu vertheidigen, aber
um Grundsätze zu vertreten, welche in derselben im allgemeinen An-
erkennung erhalten hatten ; ein Buch, vielleicht noch mehr gelobt als
verstanden, gewiss nicht ohne Mängel in Anlage und Ausführung, aber
neben den entsprechenden Vorlesungen von dem grössten Einfluss auf
die Verbreitung der Grundsätze verfassungsmässigen Rechts in Kreisen
die ihnen bisher fremd oder abgeneigt gewesen waren.
Aber schon drohten dem Verfassungsleben neue Gefahren. Die
Ministerialconferenzen in Wien 1834 stellten engherzige Beschränkungen
in Aussicht und forderten zu Angriffen auf, wie sie in Hessen und
Baden versucht wurden. Alle Befürchtungen aber wurden weit über-
treffen durch die Massregel, mit welcher König Ernst August im Jahre
1837 die Regierung Hannovers antrat, indem er sofort die Gültigkeit
des Staatsgrundgesetzes in Zweifel zog, dann dasselbe einseitig authob
und so mit gewaltsamem Rechtsbruch sein Regiment begann.
Es ist nicht hier der Ort auf die Geschichte dieser unheilvollen
Jahre einzugehen, die für Dahlmanns Leben entscheidend wurden,
seiner Wirksamkeit in Göttingen mit der sechs gleichgesinnter Freunde
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ein gewaltsames Ende machten, die Namen aber der Göttinger Sieben,
und allen voran den seinen zu hohen Khren brachten, ihn als den
unerschrockenen, unbeugsamen Vertreter des Rechts und sittlicher Pflicht
dem Deutschen Volk werth und theuer machten. Mit ruhiger Würde
hat er in der schönen Schrift „Zur Verständigung" geschildert, was ihn
genöthigt zu handeln wie es die Freunde thaten, fast zu spät für den
lebhaften Jacob Grimm, mit dem und Albrecht ich 14 Tage vorher
einen Abend bei Dahlmann verlebte, an dem bereits die Notwendig-
keit einer solchen Verwahrung gegen die angesonnene Verletzung des
Kides auf die Verfassung besprochen ward. Wenn Dahlmann daher
jenem schreibt, „dass er es nur geradezu so hingeworfen", so ist doch
in keiner W r eise übereilt , ohne reife Ueberlegung der Schritt gethan,
der zuerst dem um was es sich handelte einen klaren , entschiedenen
Ausdruck gab. Zweifelhafte bestärkte, Zaghafte erweckte zu einem
Widerstand uegen Unrecht und Gewalt. Nicht dass ich beistimmen
könnte, wenn man das Hannoversche Volk, unter dem ich damals
lebte, als der Verfassung abgeneigt, oder doch gleichgültig gegen ihren
Bruch bezeichnet hat. In den weitesten Kreisen waren Entrüstung,
Zorn und Hass gegen die welche dem Recht untreu wurden verbreitet,
das Verlangen zu thun was möglich allgemein ; aber man fand schwer
die Wege des Widerstandes ; es fehlte an Führung und F,inigung ; auch
pflegt der Niedersachse nicht rasch zu handeln, wird unschwer über-
rascht, betäubt, um dann erst sich aufzuraffen, um drohendem Unheil zu
begegnen. St) wuchs auch hier allmählich die Opposition der Einzelnen,
der Corporationen, der dann Dahlmann auch in der Ferne, wie und wo
er konnte, seinen Beistand gewährte. Die Stimme des Deutschen Volks,
der Universitäten, Kammern, einzelne Regierungen standen ihnen zur Seite.
Aber an dem Widerstand Oesterreichs und Preussens scheiterte alles.
Wohl keiner hat es schwerer empfunden als Dahlmann, dass auch
diesmal die Bundesversammlung, wie vorher in der Sache Schleswig-
Holsteins, dem Recht ihre Hülfe versagte und so immer tiefer in der
öffentlichen Meinung sank. Aber er verkannte nicht, was diese be-
deute, und wie die Angelegenheit Hannovers das politische Gemein-
gefühl Deutschlands neu belebt und gekräftigt hat.
Er verlebte diese Jahre in Jena, in stiller eifriger Arbeit, der wir
die drei Bände Dänischer Geschichte verdanken, in Verbindung mit
Freunden wie I'rommann, Göttimg, Kieser, trolz manchen scharfen Wor-
tes, mit dem er die bedachte welche sich ängstlich oder kleinmüthig
zeigten, nicht verbittert, getragen von dem Bewusstsein der Pflichterfül-
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lung und der Uebereinstimmung mit den Besten der Nation, ohne
Bedenken die materielle Hülfe annehmend, die ihm Freunde und Ge-
sinnungsgenossen boten, auch nicht geneigt, über die Deutschen Grenzen
hinauszugehen, als ein Ruf nach Bern in Frage stand. „Wer ihn
damals sah", sagt Beseler, „musste von Ehrfurcht vor dieser festen und
milden Hoheit des Charakters ergriffen werden 4 '. Auch ich vergesse
nicht, wie ich hinzufügen darf, die Tage, wo ich damals bei einem
Besuch mich näheren Verkehrs erfreuen konnte.
Eben war der Thronwechsel in Preussen eingetreten, die Grimms
hatten ehrenvolle Aufnahme in Berlin gefunden. Auch für Dahlmann
waren Freunde und Verehrer thatig, Bettina Arnim, der neue Cultusmini-
ster Eichhorn, der Freund Steins und Schleiermachers. So erhielt er,
nachdem ein Versuch ihn wieder lür Kiel zu gewinnen an der Abneigung
des Curatoriums und des Königs Christian VIII. gescheitert war, 1842
einen neuen Wirkungskreis in Bonn , nun in dem Grossstaat , dessen
hohe Bedeutung für Deutschlands Zukunft er oft hervorgehoben hatte, so
wenig er auch mit den Wegen übereinstimmte, welche die Regierung
der letzten Zeit gewandelt. Auch mit dem Regiment Friedrich Wil-
helm IV. harmonierte er nicht, mit Eichhorn selbst kam er in Conflict.
Aber sein Ansehn und Beifall als Lehrer waren grösser als je. In den
beiden aus Vorlesungen hervorgegangenen Büchern über die Geschichte
der Englischen und Französischen Revolution, auf die ich mit einem
Wort nachher zurückkomme, griff er weit über die Grenze des Hör-
saals hinaus. An allem, was die 40er Jahre an frischem, bewegtem
Leben erfüllte, nahm er den regsten Antheil, nicht am wenigsten an
der Angelegenheit Schleswig-Holsteins, die damals in eine neue Phase
eintrat; für sie ergriff er das Wort auf der Germanistenversammlung
zu Frankfurt 1846. 1847 war er m Lübeck, wo er über Deutsche
Auswanderung sprach.
Und nun das Jahr 1848 mit seiner Erschütterung fast aller be-
stehenden Ordnungen. Der Umsturz in Preussen, die Erhebung Schles-
wig-Holsteins, das Verlangen nach einer festeren Einigung Deutschlands
traten mit voller Gewalt an Dahlmann heran. Minister, Prinzen und
Könige suchten seinen Rath. Leidenschaftslos, fest und klar stand
er der Bewegung gegenüber. Als Vertrauensmann der Preussischen
Regierung ging er nach Frankfurt, um an dem Entwurf einer neuen Ver-
fassung für Deutschland zu arbeiten, betheiligte sich am sog. Vor-
parlament, das ihn zum Vicepräsidenten proclamierte , trat dann für
einen Holsleinschen Wahldistrict , dem er vor anderen den Vorzug
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gab, in die Nationalversammlung, wo er im Verfassungsausschuss die
umfassendste Wirksamkeit hatte und neben Heinrich von Gagern als
das anerkannte Haupt der gemässigten Partei galt, in welcher zu
Anfang Oesterreicher, Preussen und Angehörige der Kleinstaaten ver-
treten waren, bis später die Frage nach dem künftigen Oberhaupt des
neu zu gründenden Reichs und die Stellung Oesterreichs in oder zu
demselben eine Trennung und neue Parteibildungen veranlasste. Es
ist bekannt genug, wie Dahlmann im Collcgium der siebzehn Ver-
trauensmänner, und als ihr Entwurf zur Seite geschoben ward, wieder
im Verfassungsausschuss der Nationalversammlung, hier hesonders unter-
stützt von Beselcr und Droysen, für die Erblichkeit des Oberhaupts,
das hiess ihm für die Verbindung der Kaiserwürde mit dem Preussi-
schen Knnigthum, gewirkt. Nur selten hat er in der Versammlung ge-
sprochen, immer ernste gewichtige Worte, über das absolute Veto, die
Erblichkeit, vor allem in der Schleswig-Holsteinschcn Sache, die auch
die Nationalversammlung beschäftigen musste, und ihn noch einmal ganz
ergriff, alle Fibern seines Geistes und Herzens in Bewegung setzte. —
Ich verweile einen Augenblick bei dem was vielleicht am meisten in
Dahlmannns Leben Anfechtung gefunden hat, seinem Verhalten nach
dem unglücklichen Malmoer Waffenstillstand, den Preussen einseitig
ohne die neue Reichsgewalt geschlossen hatte und den die Majorität
der Versammlung auf Dahlmanns Antrag verwarf. Er trennte sich da
von dem Reichsministerium und der grossen Mehrzahl seiner politischen
Freunde, ohne dann im stände oder auch nur geneigt zu sein, mit den
wenigen Gesinnungsgenossen, die auf seiner Seite geblieben, und den
Gegnern von der Linken, die die Majorität gebildet, wie ihm angesonnen
war, ein Ministerium zu bilden. Man könnte meinen, dass damals
Schleswig-Holstein ihm über Deutschland oder doch Preussen gegangen,
und wenigstens an dieser Stelle dürfte das ihm wohl kaum zum Vor-
wurf gereichen. Aber wiederholt hat er dagegen sich verwahrt, immer
die Uebcrzeugung ausgesprochen — und ich theile dieselbe — , dass,
wenn die Freunde ihm gefolgt und die ganze Versammlung „die kühne
Aufgabe der Zeit kühn auf sich genommen hätte, es, wie mit den
Schleswig- Holsteinschen, so den allgemeinen Deutschen Dingen würdi-
ger und gesegneter stünde". Er sah nicht bloss Schleswig Holstein, er
sah das Ansehn Preussens, der Nationalversammlung, Deutschlands
durch den schimpflichen Waffenstillstand gefährdet. Und auch die sein
Verhalten gemisbilligt gestehen ein, dass die Versammlung, indem
sie, nach einigen nicht unbedeutenden Modifikationen und unter Theil-
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nähme der meisten Sehleswig-Holsteinschen Abgeordneten, nun die Zu-
stimmung aussprach, immer noch sich und ihr Werk aufs schwerste
geschädigt hat: „sie billigte", sagt Treitschke, „den Waffenstillstand,
um nicht das Werk, dazu sie berufen war, das Verfassungswerk, zu
gefährden ; doch im selben Augenblicke brach ihre einzige Macht, ihr
moralisches Ansehn zusammen". — Zuerst hier, dann in der Verfassungs-
frage selbst von Preussen verlassen und verletzt, von Oesterreich
heftig bekämpft, konnte die Partei, welche eine bundesstaatliche Eini-
gung mit monarchischem Oberhaupt erstrebte , ihr Ziel nicht erreichen
— immer war es doch nur eine Partei, die gleichzeitig gegen Revo-
lution und demokratische Willkür zu kämpfen, die Throne zu schützen,
die staatliche Ordnung aufrecht zu halten hatte, die darum nicht die
Wege gewaltsamer Durchführung der Reichsverfassung zu gehen ver-
mochte, welche andere versuchten und die man auch von Dahlmann
verlangte. Beharrlich, fast hartnäckig, wie er war, entschloss er sich
schwer, das mühsam zu stände gebrachte Werk aufzugeben , die Ver-
sammlung zu verlassen, welche Deutschlands Einheit dargestellt und
für die Zukunft erstrebt hatte, in welcher aber, als Preussens König
sich der grossen Aufgabe, welche sich ihm darbot, versagte und ge-
waltsame Elemente sich der Reichsverfassung bemächtigten, die Freunde
keinen Raum mehr für eine Wirksamkeit fanden. Um in Einigkeit
mit ihnen zu bleiben, unterschrieb auch er die Austrittserklärung im
Mai 1849, folgte ihnen später nach Gotha, nahm noch an der Erfurter
Versammlung theil , wo es galt, einen Theil der Verfassung für einen
Theil Deutschlands zu retten, aber unbefriedigt von dem was geschah, und
ohne Vertrauen zu den Männern, die nun das Ruder in die Hand ge-
nommen, und die sich nicht scheuten, ihn als doctrinär zu schelten
und spöttisch zur Seite zu schieben. Mit Ingrimm sah er, wie dann
die Sache Schleswig - Holsteins, auch Hessens behandelt, das Recht
hier zu Boden getreten ward. „So werden", schreibt er, „die Blüthen
abgemäht, deren man sich als echt Deutscher erfreuen konnte".
Die 50er Jahre, da er nach Bonn zurückgekehrt die Vorlesungen
wieder aufgenommen hatte, brachten manchen Wechsel des Lebens.
Auch hier haben er und die Seinen warme Freunde gefunden, Arndt,
Welcker, Bluhme, Brandis, später Otto Abel, O. Jahn, den Kieler,
eine Zeit lang Claus Groth, Springer, der sein Biograph geworden. Aber
auch an bitteren Verlusten fehlte es nicht ; der alte Arndt und der
junge Abel starben vor ihm ; die blühende Tochter war schon vor
1848 nach kurzer Ehe dahingegangen; im Jahr 1856 verlor er die treue
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Gefährtin des Lebens ; bald darauf die „geliebte Schwägerin" Caroline
Hegewisch, mit der und deren Hans die alten, einmal gelockerten
Freundschaftsbande neu befestigt waren ; auch eine andere Freundin der
Kieler Zeit, Dora Hensler, die Schwägerin Niebuhrs, der die schönen
Lebensnachrichten verdankt werden. Jmnier hat Dahlmann den Ver-
kehr mit edeln Frauen hochgehalten, vor ihnen die milden und heiteren
Seiten seines Wesens entfaltet und dann auch den Dank treuer Ver-
ehrung empfangen : Gräfin Rantzau in Kiel und ihre Schwester Frau
von Löw, Dortchen Grimm und Victoria Gervinus in Gottingen, Julie
Pertz in Hannover dürfen hier noch genannt werden. Den Platz der
Tochter nahm im Hause die Enkelin Luise Reyscher ein, der Sohn
führte ihm eine liebe Schwiegertochter zu ; neben Caroline stand schon
lange Lotte Hegewisch. Noch in einem der letzten Jahre sandte er
herzliche Grüsse seiner jungen Freundin, der stillen Liebe, wie Springer
schreibt, von einem Aulenthalt in Elgersburg her, Marie Reimer, nun
Th. Mommsens Frau. So fehlte es doch dem Alter nicht an freund-
lichen Stunden. Auch die politischen Dinge gestalteten sich tröstlicher,
hoffnungsreicher seit der Regentschaft des Prinzen von Preussen. Am
22. Juni 1860 schrieb Dahlmann nach so vielen Enttäuschungen, Nieder-
lagen, persönlichen Kränkungen . „Ich werde, wie ich hoffe, in gutem
Glauben an die Deutsche Zukunft aus dem Leben gehen". Wenige
Monate später, am 5. December, machte ein sanfter Tod seinem Leben
ein Ende. Deutschland trauerte einen seiner besten Bürger verloren
zu haben.
Mit Erz und Granit, aus denen Freunde das Grabdenkmal errich-
ten liessen, vergleicht der Biograph die Natur Dahlmanns. Aber, wie
wahr der Vergleich in vieler Beziehung erscheint, er erschöpft sein
Wesen nicht ; reicher ist der Inhalt desselben, bei Einheitlichkeit des
Charakters und Beharrlichkeit des Strebens — die er selbst einmal für
den Stempel des Genies erklärte — seine Thätigkeit mannigfaltig, aus-
giebig, nach vielen Seiten hin eingreifend und folgenreich.
Dahlmann war Professor und ist es all sein Leben lang geblieben.
Ein warmer Freund der Deutschen Universitäten hat er mehr als ein-
mal das Wort für sie, ihre Rechte, das Gut der freien Forschung, der
freien Lehre ergriffen, 18 19 in einer Rede hier in Kiel, als sie in
Karlsbad verdächtigt und angegriffen waren, 1834 von Göttingen aus
in der Hannoverschen Zeitung, als ihnen neue Beschränkungen von den
Wiener Ministerialconferenzen drohten, 1843 in Bonn, als er in Mass-
regeln des Ministeriums Eichhorn ein Zurücklenken in eine Bahn sah,
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„auf welche jeder wahre Freund der vaterländischen Universitäten mit
Sorge blickt". „Mag man immerhin an uns zerren und zwacken, mo-
deln und hofmeistern, der tiefe freie Geist Deutscher Hochschulen wird
dennoch den Sieg davontragen". Wie berechtigt das Vertrauen war,
weiss jetzt jeder ; auch dem Geist, den man damals beargwöhnte, ver-
folgte um einzelner Ausschreitungen willen, wird nun aller Orten An-
erkennung gezollt ; in der Halle des Deutschen Reichskanzlers nahmen
vor wenig Wochen die Studenten , Burschenschaften und Corps , einen
der ersten Plätze ein. — Gern ist Dahlmann immer wieder zu seinen
Vorlesungen zurückgekehrt, die er nicht als mechanische Berufserfüllung
betrachtete, nach Ueberlegung, mit Liebe auswählte. Im letzten Se-
mester, dem 75. Lebensjahr, begann er eine Vorlesung, die ihm bisher
fremd gewesen.
Er wollte belehren , anregen, bilden , nicht blossen Stoff über-
liefern. Schon im Jahre 1820 erklärte er bei einer Vorlesung über
neuere Deutsche Geschichte die Absicht , zugleich „Politik zu lehren
und über das Völkerrecht zu unterrichten '\ Die schon erwähnten
Bücher über die Englische und Französische Revolution sind aus Vor-
lesungen hervorgegangen, die auf den politischen Sinn der Zuhörer
wirken wollten, dann in weitere Kreise hinausgegangen, wie eine hohe
Frau es ausdrückte, „ein Spiegel wurden der Lehre und Warnung für
Volk und Herrscher". Man wird nicht die Gefahren verkennen, die in
solcher Behandlung akademischer Vorträge, geschichtlicher Darstellungen
liegen können; reine Charaktere, ernste Selbstbeherrschung sind erfor-
derlich, wenn falsche Tendenzmacherei oder Abirrungen aus dem Gebiet
der Wissenschaft in die Tagespolitik vermieden werden sollen. Immer
aber wird die Geschichte das Recht, ja die Aufgabe haben, nicht bloss
die Dinge wie sie einmal waren zu erkennen und darzustellen, auch
zu zeigen, wie die Gegenwart auf der Vergangenheit ruht, und dass
die Geschichte nie stille steht, sondern fortschreitend neue Aufgaben,
freilich oft auch neue Kämpfe gebiert. „Die Deutsche Geschichte
schrieb Dahlmann 1838, „darf jetzt am allerwenigsten in ein blosses
Antiquitätenstudium ausarten, sie muss in die Gegenwart ausmünden;
ihr Neuestes muss von demselben Sinne, der das Aelteste beseelte,
durchdrungen sein". Aber mit nichten war er ein Verächter ernster,
strenger Forschung und gelehrter Arbeit ; Niebuhr vor allem war ihm
Vorbild und Meister. Die Geschichte Dänemarks ist davon der voll-
gültigste Beleg, zu der nicht ohne Schwierigkeit die Quellen und Hülfs-
mittel nach Jena geschafft werden mussten ; ein Werk gleich ausgezeichnet
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in Inhalt und Form, dem Dänemark selbst kein gleiches an die Seite
zu stellen hat, leider aber unvollendet geblieben. Gelehrte Kenntnis
und geschickte Auswahl zeigt die weitverbreitete Quellenkunde der
Deutschen Geschichte. Scharfe Kritik wird geübt in den Abhandlungen
über den Kanonischen Frieden, über Lübecks Selbstbefreiung, in einer
ungedruckt gebliebenen Ausführung über einen angeblichen Zug Otto I.
gegen Dänemark, die im wesentlichen das enthält, was 40 Jahre später
von anderer Hand zur Anerkennung gebracht ist. Immer aber
legte Dahlmann Werth auf die Darstellung: er wünschte gelesen,
nicht bloss nachgeschlagen zu werden. Knapp, markig, mitunter
etwas hart ist sein Ausdruck, aber wohl bedacht, nie nachlässig,
oft von treffendster Bezeichnung dessen worauf es ankam, nicht zu
leichter Unterhaltung, aber zum Nachdenken und zu wahrer Belehrung
dienend.
Dahlmanns Bildung gehört der Zeit an, da gegen die Aufklärung
des 18. Jahrhunderts sich eine sinnigere, tiefere Auffassung vergangener
Dinge geltend machte. Gerne versenkte er sich auch in das Germa-
nische, Skandinavische Alterthum. Er liebte das Volksthümliche und
verstand sich da aufs beste mit den Brüdern Grimm ; er achtete in-
sonderheit auf alle Spuren alter Volksfreiheit; „in der Betrachtung der
alten einzelfreien verwaltungsklugen Bäuerlichkeit", sagt er in der Ab-
handlung über den Geschichtschreiber der Ditmarschen, „erstände wieder
die verlorene, noch nicht zurück gewonnene Gemeinfreiheit aller Deut-
schen". Aber nicht der Herstellung alter abgestorbener Institutionen
lieh er das Wort, wie manche die der romantischen Schule anhingen,
mit der er sich eine Zeit lang berührte. Ihre Erzeugnisse auf dem Ge-
biet der Staatslehre, das Buch Hallers, die Halbheiten Stahls hat er
mit scharfer Feder beurtheilt.
Ihr kirchlicher Standpunkt war ihm fremd. „Der Staat", sagt er
in der Politik, „darf nicht beherrscht werden von der Kirche; aber er
darf auch nicht herrschen wollen zum Nachtheil des religiösen Lebens".
Im späteren Lebensalter hat Dahlmann sich zu einer rationalistischen
Auffassung des Christenthums bekannt ; aber durchaus abgeneigt war
er der „Verstandes- und Vernunftvergötterung", die in seiner Jugend
mancher Orten herrschte. Als Gcrvinus später sich für den Deutsch-
katholicismus aussprach, war er wenig einverstanden: er sehe nicht
ein, wie man eine Kirche auf bloss christlicher Moral bauen könne.
In Kiel theilte er die Verehrung weiter Kreise für Claus Harms, ver-
fasste, als sein Weggang drohte, eine Bittschrift an den König ihn zu
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halten; er hörte und las im Hause mit den Seinen die Predigten des
seltenen Mannes. An Luther pries er vor allem die „Heldenkraft des
Gewissens". Immer aber forderte er vor allem „Duldsamkeit". Sie hob
er an Gustav Adolf hervor. Als der Kronprinz Max von Baiern während
seines Studiums in Göttingen protestantische Neigungen kundgab, mahnte
er ab. In einem eignen Aufsatz nahm er Göthe in Schutz gegen den Vor-
wurf der Ungläubigkeit. Kirchlicher Fanatismus, religiöse Schwärmerei
waren ihm unverständlich, vor allem zuwider die Verbrämung politischer
Ansichten mit biblischen Worten, was er einmal ein „travestiertes Christen-
thum" nannte. Der Behauptung, dass die Fürsten von Gott seien,
stellt er wiederholt den Statz gegenüber, dass es nicht minder die
Völker wären ; oder, wie er einmal schreibt : „den will ich noch sehen,
der mir beweist, dass der böse Feind die Völker eingesetzt hat".
Schon 1821 bekämpfte er die Talleyrand'sche Lehre von der Legi-,
timität.
In politischen Dingen war und blieb England ihm Vorbild. In
der Englischen Verfassung erkannte er eine Fortbildung altgermani-
scher Grundlagen. Hat er aus nicht voller Kenntnis aller Verhält-
nisse sie zu einseitig als Muster hingestellt, so dadurch auch mit den
Anlass zu eingehenderer Forschung gegeben, und wie ich glaube, doch
richtiger geurtheilt als andere, welche dem modernen England und
seinen Institutionen nur Abneigung entgegentragen. Auf einen Bund
Deutschlands mit Grossbrittannien hat er noch zuletzt Hoffnungen
gesetzt.
Niemals dagegen hat ihm Frankreich Sympathien abgewonnen.
Im Jahre 181 5 sprach er von dem zwanzigjährigen, sinnverwirrenden,
völkerzerstörenden Taumel, von dem man hoffen durfte sich befreit
zu sehen. Nicht zur Nachahmung, zur Warnung veröffentlichte er
1845 die Geschichte der Französischen Revolution. Unter seinem Bildnis
stehen die Worte : „Nicht dem Deutschen geziemt es die fürchterliche
Bewegung fortzuleiten und auch zu wanken hierhin und dorthin" : aus
Hermann und Dorothea — dem Buch, von dem er sagt : „ich kenne kein
Werk, das bei dem milden Zauber der Poesie ernster und warnender
in die Deutsche Welt geleuchtet". Oft sind die Worte aus der Politik
angeführt: „Jede Revolution ist nicht bloss das Zeugnis eines unge-
heuren Misgeschicks, welches den Staat betroffen hat und einer keines-
wegs bloss einseitigen Verschuldung, sondern selbst ein Misgeschick,
selbst schuldbelastet". Wiederholt ihm vorgeworfen, aber von ihm
selber als Beweis seiner politischen Gesinnung angeführt in der Schrift
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Zur Verständigung ist die Rede, in welcher er sich 1832 in der Hanno-
verschen Kammer gegen die Begnadigung derjenigen erklärte die sich
an revolutionären Bewegungen in Göttingen und Osterode betheiligt
hatten. In der Beurtheilung der Julirevolution aber trennte er sich
entschieden von Niebuhr, antwortete auf die Besorgnisse, welche dieser
kundgab : er freue sich das zu erleben, was er lieber schon zehn Jahre
früher erlebt hätte. Und auch den Ereignissen von 1848 stand er
wenigstens nicht feindlich gegenüber.
Sein Rath an die Regierungen war damals: „alles was die con-
stitutionelle Monarchie ausmacht sogleich zu gewähren, aber keinen
Fussbreit weiter". Er wiederholte, was er immer gelehrt, dass in mo-
narchischen Institutionen die Gewährleistung wahrer Freiheit liege;
aber er hoffte auch den Beweis, „dass wahre Volksfreiheit nicht bloss in
der Grosbritannischen Insel durchführbar sei u . „Wer Freiheit will ohne
Ordnung", schreibt er 1830, „ist in meinen Augen nicht mehr verwerf-
lich, als wer Ordnung ohne Freiheit will", und er fügt hinzu: „daher
erscheint mir die Ermordung Ludwigs XVI. durch unsinnige Revolu-
tionäre durchaus nicht frevelhafter als die Zerreissung des Polnischen
Volkes durch despotische Machthaber", ein Wort, das er 1845 und
1847 wiederholt hat und das seinem Sinn für höhere sittliche Gerech-
tigkeit ohne Rücksicht auf äussere Verhältnisse oder Interessen irgend
welcher Art entsprang. Der milden culturfreundlichen Regierung der
Dänischen Könige im 1 8. Jahrhundert, dem kräftigen , staatbildenden
Regiment des Grossen Kurfürsten und seiner Nachfolger liess er volle
Gerechtigkeit widerfahren. Aber unerträglich erschien ihm das „Götzen-
bild monarchischer Unumschränktheit, die, verlassen von dem Glauben
der Völker, ein so eitles Geräusch treibt, wie die klappernden Speichen
eines Rades, dessen Nabe zerbrochen ist". Das Recht der Steuerver-
weigerung — eine Art Hungercur, wie er sie nennt — , unter Umstän-
den ein „Nichthun ohne aggressive Zuthat" hielt er für nöthig zum
Schutz ständischer Freiheit. Aber auch das Recht der Regierungen
war ihm heilig. Er betheiligte sich nicht, als in der Nationalversamm-
lung H. von Gagern den kühnen Griff empfahl und durchsetzte, den
Reichsverweser ohne vorhergehende Verständigung mit den Regierun-
gen zu wählen. Bei der Berathung des Hannoverschen Staatsgrund-
gesetzes bekämpfte er viele Forderungen des Liberalismus, wie sie
damals in Anschluss an Französische Lehren verbreitet waren. Doch
verkannte er nicht den Werth der in den Süddeutschen Staaten ein-
geführten Verfassungen, die Bedeutung, welche sie und welche auch
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Männer der liberalen Opposition für das Deutsche Verfassungsleben
überhaupt gehabt haben. Ausschreitungen der ersten Zeit bezeichnete
er wohl als „Kinderkrankheiten", als „tolle Jugend".
In solchem Sinn handelte Dahlmann, da er wiederholt zu Arbeiten
für das politische Leben berufen ward. Neben dem Antheil, den er an
dem Hannoverschen Staatsgrundgesetz hatte, steht die Abfassung eines
Hausgesetzes für die königliche Familie. 1848 formulierte er in einer
Adresse von Bonn die Forderungen, welche man damals für eine Neu-
ordnung der öffentlichen Verhältnisse glaubte stellen zu müssen. Das
neue Ministerium in Preussen ebenso wie die Mecklenburgische Regie-
rung wünschten von ihm Verfassungsentwürfe. Konnte er darauf nicht
eingehen, so ist der sog. Siebzehner Entwurf einer Deutschen Reichs-
verfassung wesentlich sein Werk geworden, und auch an der späteren
Reichsverfassung hat er, wie manches auch gegen ihn durchgesetzt
ward, den wichtigsten Antheil gehabt. Man hat es hervorgehoben, dass
in der Politik so wenig von der Deutschen Gesammtverfassung, von der
Form eines Bundesstaats gar nicht die Rede sei ; in der That scheinen
Dahlmann 1835 und noch 1847 die Gedanken einer Neugestaltung der
Deutschen Bundessverfassung fern gelegen zu haben. Hier hat er ge-
lernt, seinen Gesichtskreis erweitert. So beharrlich er an dem fest hielt
was er für recht erkannt, doch hat er sich nie abgeschlossen gegen das
was die Geschichte, das Leben forderte. So kam er auch zu der Ueber-
zeugung, wie er an Gervinus schrieb, dass den Deutschen vornehmlich
Macht nöthig sei, weit mehr als Freiheit ; und wenn selbst J. Grimm ein-
mal sagte : „je älter ich werde, desto demokratischer gesinnt bin ich",
Dahlmann blieb allezeit auf dem Boden monarchischer Staatsordnung
stehen.
So sehr aber das politische Leben ihn in Anpruch nahm, nicht
zum unmittelbaren Eingreifen, zum Handeln, zu leitender Thätigkeit
fühlte er den Beruf ; und nichts war ihm fremder als eine Eitelkeit, die
nach Ministersitzen strebt. Schon in frühen Jahren hat er, wenn auch aus
besonderen Gründen, abgelehnt, als Legationssecretär mit Niebuhr nach
Rom zu gehen, was ihn, wie später Bunsen, leicht in eine ganz andere
Laufbahn geführt hätte ; 1848 sollte er Mecklenburgischer, Preussischer
Bundesgesandter werden, dies blieb er aber nur 24 Stunden lang; als
er nach der Abstimmung über den Malmöer Waffenstillstand und dem
Abtritt des Reichsministeriums den Auftrag zur Bildung eines neuen Mini-
steriums hatte übernehmen müssen, erklärte er mir, der ich mit ihm
gestimmt, unter keinen Umständen selbst theilnehmen zu wollen.
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Gewiss aber hat er mehr gewirkt, nachhaltiger in das Deutsche
Leben eingegriffen, als er es in irgend einer amtlichen Stelle vermocht
hätte. Es sind regelmässig nicht dieselben Männer, welche Gedanken
aussprechen, Ideen vertreten, Ziele vorzeichnen, und die, welche jene
zu verwirklichen, diese zu erreichen wissen. Fällt den letzten der rei-
chere Beifall, der allgemeinere Dank zu, so ist es billig auch den an-
deren zuzuerkennen was ihnen gebührt.
Und vor allem ist Schleswig - Holstein Dahlmann solchen Dank
schuldig. Wie schön schildert er Land und Volk : „ Das Land , das
wir bewohnen, ist von Natur sehr glücklich belegen . . . seine Bevöl-
kerung, arbeitsam, in der Probe tapfer und treu, ist aus verschiedenen
Stämmen langsam zusammengekommen ; aber alle bewahren freie Er-
innerungen und die gleiche Anhänglichkeit an angestammter Sitte".
Nicht bloss, dass er das Recht der Herzogtümer auf Selbständigkeit
und Verfassung verfocht ; gleich anfangs wies er auf ihre Zugehörigkeit
zu Deutschland hin, zu einer Zeit, wo man diesem gleichgültig, fast
fremd gegenüberstand, wenn man über die Elbe ging, nach Deutschland
reiste, sich gern der wohlwollenden Regierung der letzten Dänischen
Könige erinnerte, der Dänischen Pressfreiheit erfreute, die dann der
Deutsche Bund 1819 in Holstein beseitigte. Auch Dahlmann war ent-
fernt von jeder Abneigung gegen Dänemark : „nichts könnte", schreibt
er noch in den 40er Jahren, „trauriger sein, als wenn ungezähmte
Leidenschaft von beiden Seiten gerade schlimmen Hass zwischen Dänen
und Deutschen entzündete". Und auch 1847 glaubte er dagegen warnen
zu sollen. Am wenigsten ward 1815, als er auftrat, an eine Trennung
von Dänemark gedacht; die Erbfolge kam damals noch gar nicht zur
Sprache; und auch 1845 meinte er: „der Erbfolgefall, so wichtig er
ist, scheint mir die Nebensache zu sein". Seine grosse, am Ende doch
allein zur Entscheidung führende Bedeutung hat er nicht erkannt wie
andere Vorkämpfer des Landes. Lebhaft dagegen interessierte er sich
1848 für die Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund, der man
damals auch in Preussen zustimmte, wo in den Staatsanzeiger ein von
mir verfasster Artikel aufgenommen ward der ihr das Wort redete. Und
wie Dahlmann dann die Schleswig-Holsteinsche Angelegenheit als eine
wahrhaft Deutsche vertrat, in ihrem Verlauf einen Massstab für die
Wahrung Deutschen Rechts und Deutscher Ehre sah, ist vorher schon
erwähnt worden. Das Wort, das er in der bewegten Debatte über den
Malmöer Waffenstillstand gesprochen, blieb der Leitstern seiner Ueber-
zeugung : „Wenn Sie in der Schleswig-Holsteinschen Sache versäumen,
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was gut und recht ist, so wird damit auch der Deutschen Sache das
Haupt abgeschlagen". So sehr er zürnte, als man 1850 das Land
wieder im Stich Hess, doch schrieb er am Ende des Jahres : „Ich halte
aus vielen Gründen an der Hoffnung fest, Deutschland werde trotz
aller Hindernisse doch zu seiner Einheit gelangen, und einem einheit-
lichen Deutschland kann Schleswig - Holstein nicht fehlen"; 1854 an
Hegewisch : „Mögen wir beide noch ein genesenes Deutschland und in
Folge davon eine Genesung Schleswig - Holsteins erleben. Der Erste,
der dann froh nach Holstein kommt, der bin ich". Und wer hätte
nicht gewünscht, dass er gekommen wäre, um hier die Deutsche Flagge
auf mächtigen Kriegsschiffen wehen zu sehen, die unsere Küsten schützen
und Deutschlands Namen an den entferntesten Gestaden anderer Erd-
theile zu Ehren bringen.
Seine Hoffnung war, trotz mancher Enttäuschung, auf Preussen
gesetzt Schon 18 15 nennt er die Preussen die Deutschen Spartaner;
verehrte York, den knorrigen, unliebenswürdigen, im stärksten Sinne
des Wort altpreussischen Mann. Zuneigung zu diesem alten Preussen
hatte er freilich nicht. Viel hat er sich mit Friedrich d. Gr. be-
schäftigt. „Es hat mir", schreibt er, „eine lange innere Geistesarbeit
gekostet, um dem Friedrich nur irgend gerecht zu werden". Er
rühmte, dass derselbe seinen Staat zu einer Europäischen Macht
erhoben, durch das Landrecht das provinziale Trachten dem staat-
lichen untergeordnet, dass er ein Preussisches Nationalgefühl schuf.
Aber er sagt : „Welch ein strahlendes Gestirn er auch war, und wie
viel das auch sagen wollte was ihm gelang, Friedrichs Regierung er-
mangelte doch zu sehr des idealen Inhalts, um dem Charakter des
Deutschen Volkes ganz zuzusagen". Wie um sich und seinen Zuhö-
rern Rechenschaft zu geben von seiner Bedeutung für die Deutsche
Entwickelung, widtnete er ihm dann seine letzte Vorlesung. — Am we-
nigsten war er mit dem Verhalten Preussens nach 181 5 einverstanden.
Dahlmann gehörte nicht zu denen welche auch diesen Jahren König
FViedrich Wilhelm III. glauben Beifall spenden zu müssen ; die gute
Verwaltung, die Provinzialstände befriedigten ihn nicht, selbst die An-
fänge des Zollvereins betrachtete er mit einem gewissen Mistrauen.
Er klagte über die „innerlich vegetierende Andacht", die „Selbstbewun-
derung", welche herrsche; zürnte bitter, als die Regierung 1837 dem
Hannoverschen Verfassungsbruch Vorschub leistete. Von Friedrich Wil-
helm IV. urtheilte er früh, dass er wohl guten Willen, aber schwerlich
die Kraft haben werde, seine Neigungen zu einer richtigen, folgerechten
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Ansicht zusammenzufassen ; die „ Ganzheit und Gediegenheit der An-
sicht" fehle ; ein Urtheil, dem heute wenige widersprechen werden. Aber
auch so hielt er an der Ueberzeugung fest, das Preussen die Fähigkeit
und den Beruf habe, Deutschland zu führen, zu einigen. „Es liegt**,
schrieb er 1830 an Niebuhr, „in Preussens Händen, Deutschland zu
retten und ihm eine rühmliche Zukunft zu schaffen"; 1832 in den
Worten eines Fürchtenden, einem viel Aufsehn machenden Artikel der
Hannoverschen Zeitung: „Wir haben einen Staat in Deutschland, der
den wunderbaren Speer besitzt, welcher heilt zugleich und verwundet;
das Vaterland hat ihn manchmal mit Zorn, öfter mit Bewunderung
betrachtet" ; 1847 in der Antrittsrede zu Bonn : er hege die feste Zuver-
sicht, dass Preussen und Deutschlands Wege auf die Dauer nicht aus-
einander gehen könnten ; der Vorwurf, dass Preussen sich getrennt, um
ein Leben für sich zu führen, werde verstummen vor dem unter sei-
nem Vorgange vollendeten Werke, vor Deutschlands grosser Zukunft;
Anfang 1848 in der Bonner Adresse: „Durch ganz Deutschland geht
die Sehnsucht, in Preussens König künftighin den höchsten Leiter un\l
Gewährleister der Deutschen Angelegenheiten zu verehren und so
Preussen zu einer Höhe der Bedeutung steigen zu sehen, die selbst
das Adlerauge des grossen Friedrich nicht erreichen konnte". In dieser
Gesinnung war er bereit , ehe er nach Bonn ging , in Berlin eine
„Deutsche Zeitung" zu leiten. Und wie er dann in Frankfurt unablässig
für die Begründung der Deutschen Verfassung in Anschluss an Preussen,
die Verbindung der erblichen Oberhauptswürde mit der Krone Preussen,
die anfangs mit nichten allgemeine Sympathien für sich hatte, gestrebt,
gerungen, ist in aller Gedächtnis. Dahlmann war es der auch mit
Droysen zusammen zuerst die Paragraphen der Reichsverfassung ent-
warf, die zu einer Auseinandersetzung mit Oesterreich führen sollten,
dessen Theilnahme an einem Deutschen Bundesstaat er früher als an-
dere als unmöglich erkannte.
Eben den Bundesstaat, wie das Wort in dieser Zeit verkündet
und verstanden ward, wollte er, nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Er widerstrebte der Idee eines Deutschen Einheitsstaats, mochte er
auf republicanische Ordnungen, wie sie im Jahr 1848 verlangt wurden,
oder auf kriegerische Eroberungen zurückzuführen sein. „Wenn",
schreibt er in der Einleitung zum Verfassungsentwurf der 17, „es ge-
wiss ist, dass eine Einheit in der Art, wie sie in andern Europäischen
Reichen obwaltet, sich auf Deutschem Boden nur durch eine unabseh-
liche Reihe von Gewaltthaten und Freveln, deren Verantwortlichkeit
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kein reiner Vaterlandsfreund auf sich nehmen möchte, erreichen Hesse,
so würde ebenso gewiss am erreichten Ziele das Gefühl einer völligen
Verödung und Rathlosigkcit die Deutschen Gemüther überwältigen ;
denn es wäre ein plötzlicher leichtsinniger Bruch mit unserer ganzen
Vergangenheit". Dabei verkannte er nicht die Uebelstände welche
auch hier lagen, „die Sechsunddreissigstel von Miseren'*, wie er einmal
schreibt. Aber er vertraute, dass denen eine kräftige Reichsverfassung
wehren werde, und wollte die Güter nicht preisgeben welche die Man-
nigfaltigkeit staatlicher Bildungen in Deutschland gezeitigt. Ich ver-
messe mich nicht . zu urtheilen , wie Dahlmann über Ereignisse der
späteren Zeit gedacht haben würde.
Gewiss aber hat keiner mehr als er dazu beigetragen, die Ideen
eines Reichs und Kaiserthums in der Deutschen Nation zu erwecken,
zu beleben, bis in die höchsten Kreise hin zu verbreiten. Was im
Jahr 1848 der damalige Prinz von Preussen schrieb : , .Dahlmann ge-
bührt ein unbedingtes Lob für die Grossartigkeit der Auffassung der
neuen Deutschen Verhältnisse, die aus nur echt Deutschem Herzen
entsprungen sein kann und die die Anerkennung des Gesammtvater-
landes verdient", das wird Gegenwart und Zukunft festhalten.
So ist Dahlmanns Leben und Wirken kein vergebliches gewesen.
Er hat gearbeitet, gekämpft, man muss sagen gelitten, für das Recht
Schleswig-Holsteins und seine Zugehörigkeit zu Deutschland, für ver-
fassungsmässiges Recht in den Deutschen Einzelstaaten, für die Eini-
gung der Deutschen Lande zu einem starken Deutschen Reich. Er
hat Erfolge, aber auch Rückschläge, nirgends das Ziel gesehen. Aber
wenige Jahre nach ihm ist dies in allen Hauptsachen erreicht. Und
dass es erreicht, dass es so hingestellt, so den Gemüthern eingeprägt
war, dass es erreicht werden konnte, wenn auch auf anderen Wegen,
in anderer Weise, ,als er vorausgesehen, vielleicht gewünscht hätte, daran
hat er den wesentlichsten Antheil. Wer sich des Deutschen Schles-
wig-Holsteins, Deutscher Verfassungen, des Deutschen Reichs und seines
glorreichen Kaisers erfreut, der muss Dahlmanns in hohen Ehren ge-
denken. Mit Stolz dürfen ihn die Deutschen Universitäten den Ihren
nennen; er aber gehört der Deutschen Geschichte an.
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Druck von Schmidt & Klaunig in Kiel.
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