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ZUR DEATSCHEN
GESCHICHTE
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Forſchungen
zur
Deutſchen Geſcſhichte.
Achtzehnter Band.
AUF VERANLASSUNG HERAUSGEGEBEN
UND MIT DURCH DIE
UNTERSTÜTZUNG HISTORISCHE COMMISSION
SEINER MAJESTAET BEI DER
DES KÖNIGS VON BAYERN KÖNIGL. ACADEMIE DER
MAXIMILIAN II, WISSENSCHAFTEN.
Göttingen,
Verlag der Dieterichſchen Buchhandlung.
1878.
Inhalt.
Kurfürft Joachim II. von Brandenburg im Schmallaldiſchen —
on Axchivſectr. Dr. Chr. Dleper ım Idſtein. . S. 1
Denkverſe bei II He GUeEET. en Geichichtäichreibern ge ammelt don Hi
bliothefar Dr. 9. Dejterley in Breslau. . . .— 1
ur Ouellenfritit des Nauclerus. Von Dr. 9. Fonig m Bremen. _
zn. 1. in dem Gonflicte zwiſchen dem peu hen Orden in Preu⸗
Polen, beionders ın den J. 15135—15 Bon Prof.
; Be in Greifswald. . a — — 84
Die Kaiſeru nden de cchivs der Stadt 2a.d.! . Mit:
getheilt von ( F ? ;
von beusfelben. . nr... — 18
u Lex Salica XXVI.
Fünf une — Kaiſerurkunden aus dem IX. bis XII. Jahr
— SR II 1b. Boerz in Gobleng. _ — 199
Sieb atjerurtunden, _Fittgelfeili_bon Prof, Weiland ın
Sieben. . ee, 204
Unebdirte umben . Rai er Karla IV. mb önig. Wenzels.
Auszügen mit — von Archivſecx. Dr.
Kritik der nveſtilurver andlungen im Ja * 111. "Don | Dr.
. Etußer in Braunichtweig. . . R — 223
Beikrär ge zur uellenfritif der Gebenzbe hreibung gen de Bi 50 3 m
. bon Bamberg. Bon Dr. ©. Haag in Sketin.. . . .. — 24l
Heinrich von Huntingdon. Won Dr. tebermann ın Berlin. . — 26:
Sur © ttoriographie des 14. Jahrhunderte. Bon Dr. H. Stmon®
eld ın München.
. Zur Cheonit Heinrichs von Dieffenhoven.. - » .» .: ....— 299
2. Zur Kırchengeichichte deg Tolomeo von U ee. 814
IV
Kleinere Mittheilu gen.
fin welchem Monat des Jahres 9 n. Chr. fiel die Schlacht im
eutoburger Walde? Von Dr. Chm. Meyer in Berlin. . ©. 325
Zur Kritik der älteften bayerifchen Seh hichte. — — arrer
agel in Mrnberg. .» » i 0. — 339
Ginhard und Die Annales Fuldenses. Bon Sch, — G.
Waitz in Berlin. . . ER .... — 354
— 362
Ueber Regino von Prüm. Don Dr. J.
Zur Kritif von Peter daf iz’ Microchronologieon. Von Dr.
‘. Heidbemann m Berlin. . . . = 392
Ueber bie im Saloh ©pies wiebergefunbenen Scyei ften des iwet
mariſchen General: Majord und Tyranzöftichen General⸗-Leu
nants Jo ann ubioie von Erlach von Gaftelen, Gouverneurs
der Fe ng Breiiah. Bon Nationalrat Dr. dv. Bonzen-
bach in Bern.. . — 409
Ueber bie 2 Nuztwechslung des Ihwebilchen Feld Nariehalle € Suffad Hom
gegen den Taiferlicen und churbaieriichen ‚yelbmarjhall- Keutenam
ean de Werth. Bon Nationalratd Dr. Aug. v. Gonzenbad
in Bern. . i EEE — 419
Der Wiener Congre "von 1515 und die Politik Moyimiliand I.
Reife e che aus alien umb anderes zur beuff u itali hen Veſchi öl.
son Hoft. Prof. E. Winkelmann IE Heidelberg... » » » ..— 469
Gbeifarb von Wulda unb bie Ratfenunkumben bes Shit Won Dr.
p ın Wien . . . . en. 0. — 493
iſchen Geichichte. Don Archibraih ‚ Rie
Donaueldingen. . . ETF N
Ueber Dent verje_ im Mi alter. Ton Dr. D. König in Fremen. — 559
Heber die Passıo Sanctorum Quatuor Coronatorum. Von Dr.
Edm Meyer in Berlin. . 2 2: 2 2 2 2 en 2. 577
Kleinere
urg. . — 607
Ueber Mipo. Won Dr. 3. Hartfung in Tübingen und Paof
‚ Day in Prorzheim. . . . — 612
Der Münzort „Mere”. Don of 9. Der eh im Bonn. ..— 635
leber die Stiftung sur nde des Nrämonftratenterklo] er3? Broda.
Bon Dr. &. Blatner in Göttingen. . . — 629
Noh ein Beitrag zur We Naeldichte_ Karls V. Non Piaf.
iſste ın Xemberg. . i — 632
Zur Geſchichte des Au aaburger Reiche age 3. Won demfelben. — 638
Berichte über Franz von Sidingens Gmbde und die darauf fol-
genden Greignifie._ Mitgetheilt von Geh. Archivr. Fr. db.
Deech in Garlörube. eu ae a ee a A
Nachtrag von 3 ui ae S. Riezler in Donaueſchingen..
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Kurfürft Soachim IL. von Brandenburg
im Schmaltaldifchen Kriege.
Von
Chriftion Meyer.
XVII. 1
Die Haltung, welde Kurfürft Joachim IT. von Brandenburg
im Schmalfaldiichen Kriege den ftreitenden Parteien gegenüber einge=
nommen hat, ijt bisher noch nicht Gegenftand einer eingehenderen
Unterſuchung gewejen. Es iſt dies allerdings leicht begreiflich, wenn
man bedenft, daß derjelbe in feiner Weile tiefer in den Gang jenes
Krieges eingegriffen hat. Doc) jo gering auch feine active Theilnahme
gewejen fein mag, fo gibt uns das Studium der auf fie bezüglichen
Briefe und Aktenſtücke eine Reihe intereffanter Auffchlüffe nicht nur
über Joachim jelbjt und den Charakter feiner Politik, fondern auch
über die beiden Häupter der großen feindlichen Parteien, Johann
Sriedrih und Moriz von Sachſen. Bei dem großen Intereſſe, das
von jeher und namentlich) in den letten Jahren die geichichtliche Er—
ſcheinung des lettgenannten Fürſten mit Recht in Anspruch genommen
bat, dürfte es fich rechtfertigen, wenn ich an der Hand bisher unbe—
fannten Materials! auf die Stellung Joachims im Schmalfaldiichen
Kriege etwas näher zu ſprechen komme.
Die Stellung des brandenburgischen Kurfürften zu den Eriegfüh-
renden Parteien iſt zu Aufang des Krieges eine andere gewejen als
im Ausgange dejjelben: aus einer ftreng eingehaltenen Neutralität ift
fie zu einem engen Anschluß an die Faiferliche Partei geworden, ja,
was noch bedenklicher ift, fie hat ihre urfprüngliche aus freien Ans
trieb ergriffene humane Aufgabe einer alljeitigen Friedensvermitt—
fung um materiellen Gewinnes wegen zu Gunjten einer felbjtthätigen
Bekämpfung der Glaubensgenoſſen verleugnet.
Schon gleich zu Anfang des Schmalfaldiichen Krieges hatte Kur—
fürſt Joachim IL den beiden Häuptern des protejtantiichen Bundes,
Johann Friedrid von Sachſen und Philipp von Heſſen, feine Dienfte
als Friedensvermittler angeboten?, wurde aber von ihnen mit dem
Bedeuten abgewiefen, daß der Friedensabichlug Sache ſämmtlicher ei—
nungsverwandter Stände fei?. Zu Anfang des Jahres 1547 wider-
1 Außer anderen Briefen und Alten des Berliner Geheimen Staatsarchivs
in&befondere ein daſelbſt befindlicher Kopialbaud betitelt: „Wechjelichreiben und
Fertigunge an hurfurft Johans Friderichen zu Sachſen kurz vor feiner nider-
lage vor Mulberg ergangen ꝛc.“.
2 Joachim an Philipp 27. Jan. 1547.
s Johann Friedrich) an Joachim 18. Jan. 1547.
1 *
4
holte er feine vermittelnden Bemühungen, vorerft bei dem Kurfürften
von Sachſen. Neben feiner thatfächlichen Friedensliebe waren es dies—
mal auch Erwägungen reeller Natur, die ihm die fchleunige Herbei—
führung eines allgemeinen Friedens wünfchenswerth erjcheinen laſſen
mußten. Seine Yande waren den friegführenden Parteien aufs em»
pfindlichjte ausgejegt. Wer auch immer Sieger blieb, jtet8 mußte
Joachim den feindlichen Ueberzug feines Gebiets durch denfelben fürdten.
Den eifrigen Proteftanten, al8 deren Führer jett der Kurfürft von
Sachſen den Kampf gegen die von Karl V. verfuchte Unterdrüdung
der reichsftändischen und- religiöfen Freiheit aufgenommen hatte, war
die laue Halbheit, welche der brandenburgifche Kurfürft von Anfang
jeiner Regierung an den protejtantischen Tendenzen gegenüber an den
Tag gelegt Hatte, jchon längft ein Stein des Anftoßes. Keine Frage,
daß fie nad) Niederwerfung des Herzogs Moriz fich gegen die bran—
denburgischen Brüder — der jüngere von ihnen, Johann von Küftrin,
ftand fogar im offenen Bund mit den Habsburgern gegen feine Glau—
bens- und früheren Bundesgenoffen — gewandt haben würden !,
Aber auch zu Moriz ftand Joachim in feinem freundlichen Verhältniß.
Er Hatte von Anfang an das Hinterliftige und gewaltthätige Verfahren
bejjelben bei der Beſchlagnahme der Yande feines Vetters mißbilligt
und die von Moriz auf Grund eines befonderen Vertragsschluffes ?
vom vorigen Jahre verlangte Hilfeleiftung mit dem Bedeuten abge=
lehnt, daß jener Schußvertrag nur für den Fall wirkffam fein folle,
daß die Schmalfaldener gegen den Kaiſer fiegreich fein und feine
(Zoahims) und Moriz Yande feindlich überziehen würden? Ein
weiterer Grund, warum Joachim den Frieden wünfchen mußte, war
fein Plan, die Bisthümer Magdeburg und Halberftadt für feinen
zweiten Sohn zu erwerben, was vorausfichtlicd; dann vereitelt wurde,
wenn einer der beiden jächjischen Bettern die Oberhand iiber den an—
dern gewann, Denn gerade die Erlangung jener reichen Stifter war
einer der hauptjächlichiten Gründe der Entzweiung der Yeßtgenannten
gewefen. Keiner von ihnen konnte zu ihrem Befige kommen, weil
ihm der Andere hindernd im Wege jtand. Nachdem Yohann Friedrich
in dem von ihm vermittelten Wittenberger Vergleich zwifchen dem
‚Erzbifchof Johann Albrecht und der Stadt Halle einen bedeutenden
Vortheil über Moriz erlangt hatte und die jchirmherrlichen Anjprüche
des Letzteren für immer bejeitigt fchienen, verjtand e8 Mloriz bei ſei—
nen Unterhandlungen mit Karl V. auf dem Pegensburger Reichstag
von 1546, die Magdeburgiiche Frage fo in den Vordergrund zu jtellen,
dag in der Bündnißurkunde vom 19. Juni die Uebertragung der
Schirmherrſchaft über die beiden Bisthümer die erjte Stelle einnimmt.
Und als Yohann Friedrich Ende 1546 aus Oberdeutjchland feinen
1 Diefer Befürchtung ift in einem Briefe Joahims an Moriz (13. Yan.
1547) deutlicher Ausdruck gegeben,
2 Bertrag zwilchen Joachim und Moriz vom 11. Dctober 1546.
’ Joachim an Moriz 13. Jan. 1547. (Vgl. Droyfen II, 2, S. 305).
5
hwerbebrängten Landen zu Hilfe fan, war die Einnahme der Bis—
thümer eine feiner erjten Kriegsoperationen gegen den Vetter.
Kurfürft Joachim konnte daher nur mit Mißbehagen von den
rafchen und großen Fortichritten Kenntniß nehmen, die Johann Fries
drih zu Anfang des neuen Jahres gegen feinen Gegner machte.
Jetzt galt e8, einem weiteren Vordringen dejjelben, wenn auch nicht
fofort durch einen Friedensſchluß, jo doch durch Anknüpfung auffchie=
bender Unterhandlungen Einhalt zu thun. Am gleihen Tage (13.
Januar) giengen an beide jtreitende Theile fowie an deren Land—
ihaften Gefandte ab: an Johann Friedrich Hans von Arnim und
Euftahius von Schlieben, an Moriz Albrecht Georg von Stolberg
und Lippold von Klitzing. Während die AYuftruction für die an Jo—
hann Friedrich gefandten Räthe einfach die Bitte um Geſtattung güt—
licher Zwiichenhandlung enthält, befchäftigt fich die für Moriz bes
ftimmte vorerjt damit, jede Urfache eines Mifverftändniffes wegzu—
räumen. Wir haben bereit8 bemerft, daß Moriz alsbald nach den
ersten erfolgreichen Operationen feines Gegners die vertragsmäßige
Hilfeleistung Joachims beanfpruchte. Aus dem Eingang der Inſtruc—
tion erfahren wir mm näher, welche Stellung Joachim diefem An—
finnen gegenüber eingenommen hat. Er theilt Moriz mit, daß er
zur Erledigung feiner Forderung feine Pandichaft eilends zufammenges
rufen habe, da dieje auch bei dem Abſchluß des Schutvertrages zu
Rathe gezogen worden ſei. Nachdem nun dieſelbe nicht habe befinden
fönnen, daß der Bündnißfall gegeben fei, müffe er von der verlangten
Hilfeleiftung Abjtand nehmen. Auch habe er vom Kaifer feinen Auf:
trag erhalten, offenjiv gegen die Schmalfaldener vorzugehen, wie es
ihm auch bedenklich erjcheine, daß Moriz den größeren Theil der kur—
fürftlihen Yande ohne feinen Rath und Vorwiſſen angegriffen und
eingenommen habe, welche er (Joahim) nun mit befchwerlichen Un—
fojten erhalten helfen ſolle. Zudem lagere der Kurfürft an ben
Grenzen feines Pandes, während auf der andern Seite die Pommern
und die Seeftädte friegsgerüjtet nur auf den Moment feines Weg-
zuges warteten, um verheerend in jein Gebiet einzubrechen. Und erft
ganz am Schluß feines Schreibens, nachdem er glaubt, die ihm miß—
günstige Stimmung des Herzogs zerftreut zu haben, kommt er mit
feinem Antrage auf Geſtattung einer Friedenszwifchenhandlung hervor.
Zur jchleunigeren Betreibung der Angelegenheit werde er ſich nad
Deifau begeben, um dajelbjt die Antwort der beiden Fürften entgegen-
zumehmen.
Die Antwort Yohann Friedrichs! wendet fich zuerft im heftigen
Ausdrüden gegen Moriz’ Hinterliftige und gewaltthätige Handlungs=
weife und rühmt dagegen die Offenheit der eigenen Abdichten. Seine
jeßige Kriegführung ſei nur ein Akt der Nothwehr. Trotzdem habe
er feine friedliche Gefinnung bereits früher an den Tag gelegt, als
er dem Yandgrafen von Heſſen vor feinem Abzug ing Oberland güt—
ı d. d. Krautheim 18. Januar 1547,
6
liche Handlung mit Moriz eingeräumt Habe, die diefer jedoch, unge—
achtet er fich vorher dem Landgrafen und den proteftantiichen Kriegs—
räthen gegenüber eines Anderen erboten, rundweg abgeichlagen, da=
gegen den erjteren von dem proteftantiichen Bündniß abzubringen und
mit dem Saifer zu verjöhnen gejucht habe. Georg von Anhalt und
die Herzogin Eliſabeth von Rochlitz hätten Moriz bereit ihre Ver—
mittlerdienjte angeboten: der erjtere habe jedoch gar feine, die letztere
eine weitläufige, Spitige und unfreundliche Antwort erhalten, deren
Anhalt ſich dahin zufammenfaffen liege, dag Moriz den gänzlichen
Verzicht auf Yand und Leute fordere. Trotzdem wolle er der Frie—
densvermittlung Joachims nicht entgegen fein, wie er auch die Beizie—
hung des Herzogs Heinrich von Meclenburg und Georgs von Anz
hale billige. Sollte aber Moriz die Handlung ablehnen, fo verfehe
er jih von Joachim der in den Grbverträgen ftipulirten Hilfe—
leiſtung.
Die Antwort Moriz’ ſucht im Eingang die von Joachim gegen
die verlangte Hilfeleiftung erhobenen Einwendungen zu entfräften.
Aus dem Umftande, daß ihr gegenfeitiger Schußvertrag mit Rath der
furfürjtlichen Landſchaft aufgerichtet worden iſt, folge nicht, daß man
diefelbe num auch bei jedem gegebenen Bündnißfall noch einmal um
ihre Zuftimmung angehen müſſe, fondern vielmehr, daß der Kurfürft
und die Yandichaft ihm ohne allen weiteren Verzug die im Vertrage
ftipulirte Anzahl Hilfstruppen zufenden müßten. Die brandenburgis
ichen Gefandten würden fid) wohl der mit feinen Räthen zu Zojfen
gepflogenen mündlichen Verhandlungen erinnern. Uebrigens habe er
bei der Einziehung der Yehenslande des geächteten Kurfürften nicht
für fich ſelbſt, ſondern lediglih im Gehorſam gegen kaiſ. Majeftät
gehandelt, daher wer ihm hierin Widerftand leifte, ihn vom Gehorfam
gegen letztere abbringen wolle. Cine Unterftügung in diefem feinem
Vorgehen fünne nicht als eine offenfive Hilfe ausgelegt werden. Auf
die Erbverträge dürfe fih Joachim in diefem Falle gar nicht zurück—
ziehen, da diefe die kaiſ. Majeftät in alle Wege ausnehmen. Zudem
habe der Kaifer den Schugvertrag ausdrücklich betätigt und Joachim
noch) befonders bei Vermeidung ſchwerer Strafe eingefhärft, ihm Zu—
zug gegen den Achter zu leiften?. Nachdem der Kurfürft feine Reiter
bereits in tapferer Anzahl verfammelt habe, jo erwarte er vorerft die
Zufendung der ftipulirten Hilfstruppen, ſpäter auch das Nachrücken
Joachims mit gefammter Macht. Durch die drohende Nähe der
feindlichen Truppen möge er fich nicht beirren laſſen: follten diefelben
in die furfürftlichen Yande einfallen, jo werde er eiligft zur Hand
fein. Die angebotene Friedensvermittlung weiſt Moriz ziemlich kühl
ab. Zwar fei auch er einem Frieden nicht abgeneigt, aber das Vor—
gehen des Kurfürften von Sachſen mache jede eruftliche Abficht zu ei—
nem folchen jcheitern.
ı d.d. Chemnitz 23. Ian, 1547.
2 Mandat Karls V. an Joachim d. d. Heilbronn 1. San. 1547.
7
Trotz diefer Verfiherung feiner Friedensliehe find wir zu ber
Annahme berechtigt, daß er nicht entfernt daran dachte, durch einen
halben Frieden ſich die Vortheile entwinden zu laffen, die fein ener-
gifcher Geiſt ihm als Preis für fein Ausharren — fei e8 auch durd)
Mißerfolge der einjchüchternditen Art hindurch — in Ausficht ftellte.
Denn das zeichnet Moriz feinem Nebenbuhler Johann Friedrich ge
genüber aus, daß er fich zu beicheiden wußte, wenn Zeit und Um—
jtände ihm die Erreichung des Gewollten unmöglich; machten, durd)
bloße Widerwärtigfeiten aber ſich nicht leicht in feinem Thun irre
machen ließ. Johann Friedrich war eine wahrhaft groß angelegte
Natur, voll jelbjtlofer Hingabe an das einmal Erfaßte, das immer
auch das Gute war, überzeugungstreun und muthig; aber fein Muth
war nur ein paffiver, ein ftandhaftes Tragen deſſen was eine höhere
Hand über ihn verhängt hatte: jein fpätere8 mehrjähriges Martyrium
in der Gefangenschaft feines grimmigften Feindes ift ein fortlaufendes
glänzendes Zeugniß hiefür. Dagegen fehlte ihm jede Energie und
Ausdauer, wo es ſich um Ergreifung und Felthalten äußerer Vor—
theile handelte; hier wurde ihm feine Selbftlofigfeit zum Hinderniß
jeder fräftigen Wahrnehmung des augenbliclichen Intereſſes; er war
bedachtſam, wo er zugreifend, nachgiebig, wo er hartnädig fein follte,
Wenn dagegen Moriz ınit Eigenfchaften gerade entgegengefegter Art
das Feld gegen ihn behauptet hat, fo ift das ein neuer Beleg für die
alte Wahrheit, daß die edeljten Eigenschaften und Fähigkeiten im
Kampfe um äußere Vortheile fid) häufig als werthlos, ja fogar ſchäd—
(ih für ihren Inhaber ausweilen. Es gibt wenige Erfcheinungen in
der Sefchichte, die, wie Moriz, den ganzen Inhalt ihres Lebens auf
das eine Endziel: Befriedigung ihrer egoiftifchen Machtgelüjte gerichtet
haben. Aud) nicht der leifefte Zug von dem, was wir Sdealität zu
nennen gewohnt find, tritt uns in dem Bilde dieſes Mannes ent=
gegen, ber trotzdem, wenn aud nur für wenige Jahre — ich glaube
nicht zu viel zu jagen — die Seele der europäifchen Politik gewefen
ift. Er ijt dies geweſen durch die Kühnheit feiner Entwürfe, durch
den Erfolg, den er mit feltener Willenskraft und Ausdauer an feine
Ferſen zu Heften verjtand. Hätte ihn nicht das Scidjal mitten in
der Arbeit abgerufen, Europa, vor allen unfer deutfches Vaterland,
würde durch ihn eine andere Gejtalt erhalten haben.
Welch ein Meifter in der Kunft der politischen Intrigue er war,
das vermögen wir redjt deutlich an der Haltung zu erfennen, die er
den Friedensbemühungen Kurfürjt Joachims gegenüber beobachtete.
An ein Eingehen auf biejelben hat er — wie wir bereit8 bemerft
haben — nicht im entferntejten gedacht, aber er iſt doch fo Hug, bei
dem Mittelsmann den Schein zu erweden, als ſei er, der überhaupt
nur gegen feinen Willen in die ganze leidige Angelegenheit hineinge-
rathen fei, der gerne zum Frieden Geneigte und werde an der Ver—
- wirflihung diefer Abfiht nur durd) die Unduldfamkeit und graufame
—— des Gegners gehindert. Es iſt bei Charakteren von Moriz'
rt immer eine und dieſelbe merkwürdige Beobachtung zu machen:
+
8
fie verftehen ihre Abfichten hinter der Maske der Gleichgiltigfeit ver-
borgen zu halten und fich zur Ausführung derfelben gleichham wider
Willen drängen zu laffen, während fie in der That die Fäden des
Spiels feinen Augenblid aus der Hand gelajjen haben. So kommen
fie ohne viel Geräufh ans Ziel, während Andere, indem fie die Mo—
tive ihres Handelns aller Welt offen legen, leicht feindliche Gegenbe=
wegungen veranlaffen. So hat aud) Moriz feinerfeits feinen Anlaß
zu dem gegenwärtigen Krieg gegeben; wenn er in benfelben einge—
treten, fo iſt dies nur gefchehen im fchuldigen Gehorſam gegen kaiſer—
liche Majeftät, den zu verweigern Hochverrath it. Seltſame Aeuße—
rung in dem Munde eines Mannes, der wenige Jahre fpäter diefe
faiferliche Majeftät wie ein gehettes Wild in den tirolischen Schluchten
vor fich her trieb! | Ebenfowenig trägt er Schuld an der grauenvollen
Verwüſtung des blühenden Heimathlandes durch diefen Krieg, Welch)
ein Unterjchied ift doc) zwifchen feiner Kriegführung und der feines
Gegners! Dort lediglidy) möglichfte Abwendung Schadens und Ge—
fahr, hier Kriegsgräuel, wie fie Ärger auch die verrufenten Nationen
nicht zu verüben vermöchten! Und dann wie fein berechnet it jener
Paſſus des Antwortjchreibens, in welchem er, gleichlam den Schwer-
beleidigten fpielend, die Zulage der Hilfeleiftung Seitens Joachims
als etwas Selbjtverftändliches Hinzuftellen verfucht, während in der
That auf Seite des Yetsteren nicht entfernt eine Verpflichtung hiezu
vorlag. Das Angebot der Friedensunterhandlung endlich weift er
nicht geradezu von der Hand, aber der Gegner wird es ihm voraus—
fichtlic) unmöglich machen, feine friedlichen Beftrebungen verwirklichen
zu fünnen, während faktiſch Niemand fo fehr den Frieden herbeifehnte
und fogar nad) glänzenden Erfolgen zu beträchtlichen Opfern erbötig
war als gerade Yohann Friedrich).
Der Erfolg diefer Operationen war, fo weit Joachim in Be—
tracht fam, denn auch ein vollftändiger. Was Moriz in erjter Yinie
von dieſem zu erreichen trachtete, war, ihn von einem Anfchluß an
die Schmalfaldener abzuhalten, der dann leicht zu befürchten ftand,
wenn feine auf nacte Eroberung und Beraubung gerichteten Pläne
dem brandenburgiichen Kurfürften offenkundig waren. Man mag die
Fähigkeiten und den Charakter Joachims auch nod) fo niedrig anjchla=
gen, das eine wenigitend wird man ihm nicht abjprechen dürfen, daß
er in allen feinem Vornehmen eine Art ritterlicher Gefinnung gerne
zum Ausdrucd brachte. Häufig veranftaltete er ritterliche Feitlichkeiten,
prächtige Bankette; zu den Reichstagen begab er ſich mit zahlreichen
Gefolge, deſſen Koften feine Mittel bei weitem überjtiegen. Unauf—
hörlich finden wir ihn bauen, Schlöffer in den Städten, Jagdhäuſer
in der Tiefe der Gehölze, an den breiten Gewäſſern, die hie und da
dem Lande eine gewiffe Anmuth verleihen, Kirchen und Dome mit
hohen Thürmen und weitichallenden Gloden!. Ich erinnere weiter
an feinen Halb abenteuerlichen Feldzug nad) Ungarn gegen die Os-
ı Hanke, Deutfche Geſchichte im Zeitalter der Reformation IV, ©, 107.
9
manen, beifen jchlimmer Ausgang allerdings am wenigiten feine
Schuld gewefen war. Mit diejer ritterlichen Gefinnung, die fich über—
all gern zum Schützer des bedrängten Rechts aufwarf, mußte Moriz
rechnen, wollte er Joachim für feine Zwecke benugen. Und er hat
meifterlich mit ihr gerechnet, indem cr den Kurfürften nicht nur an
der Unterftügung der Schmalfaldener zu hindern, jondern fogar auf
feine Seite herüberzuziehen verjtand.
Borerit ließ fih Joachim durd) den Mißerfolg feiner Friedens»
bemühungen nicht abjchreden, mit ihnen weiter fortzufahren. Moriz
hatte feine Zuftimmung zu einer Gonferenz von Bevollmächtigten
von feiner, Johann Friedrichs, Philipps von Hejjen und Joachims
Seite gegeben, aber auch hieran wieder Bedingungen gefnüpft, von
denen er im Voraus wiſſen mußte, daß fie von den Kurfürften von
Sachſen niemal® angenommen werden würden. Joachim fcheint dies
fegtere vorausgejehen zu haben, da er für den Fall der Ablehnung
Johann Friedrich die Anknüpfung direkter Verhandlungen mit dem
Kaifer und König anräth und zu diefem Behufe eine Reihe von
sriedensartifeln überfhidt, von denen er glaubt, daß fie von dem
Kaifer als eine genügende Bafis für Friedensverhandlungen erachtet
würden. Die Artifel find folgende:
1) Aufhebung aller in Religionsſachen eingegangenen Bünd—
nijfe,
2) Beobachtung der Reichsabſchiede und Friedensftände,
3) Reform des Kammergerichts,
4) Erledigung und Keftitution des Herzogs Heinrich von Braun—
ſchweig gegen genügende Verfiherung, gegen die Schmalfaldener nichts
Feindliches unternehmen zu wollen und feine Händel mit Goslar und
Braunſchweig mit gebührlichen Necht oder vor kaiſerlichen Commiſſa—
rien auszutragen,
5) Verwendung der eingezogenen Kirchengüter zu Kirchen» und
Schulzweden ,
6) Verbot aller gehäffigen Ausfchreiben und Druckſchriften,
7) Demuthsbezeugung gegen den Kaifer, mit der Erflärung,
man wäre der Meinung geweſen, al8 wolle der letztere die Freiheit
der Religion und Nation unterdrüden, hätte fich aber jett eines An—
dern überzeugt, nachdem der Kaiſer andere proteftantiiche Stände der
Religion halber verfichert Habe.
Dagegen glaubte Johann Friedrich, im Einvernehmen mit feinen
NRäthen und nah Billigung Seitens der brandeuburgiichen Abge—
jandten, folgende Modificationen anbringen zu müſſen:
ad 1) AZulaffung von Religionsbündniſſen für den Nothfall,
ad 2) Insbeſondere Aufrechthaltung des Speierjchen Neichsab-
ichiedbes von 1544, jedoch ohne Ausdehnung deijelben auf die Seften,
ad 3) Beſetzung des Kammergerichts in Gemäßheit der in diefem
Abichied vorgefehenen Bejtimmungen ,
ad 4) Reftitution Heinrichs von Braunfhweig nur in den
status quo nunc. Die Verfiherung müſſe durch zwei fürftliche
10
Bürgen erfolgen; doch follten alle gegenfeitigen Gebietswegnahmen
wieder zurückgeftellt und dieſe Neftitution aud) auf die beiderjeitigen
Helfershelfer ausgedehnt werden,
ad 5) Wo ein Uebermaaß vorhanden, darf daſſelbe auch zu an—
dern gemeinnützigen Zwecken verwandt werden.
ad 6) Geſchärfte Cenſur namentlich für Schriften dogmatiſchen
Inhalts.
Aufrichtung eines beſtändigen Friedens auf dieſen Grundlagen,
vollſtändige Amneſtie für alles während des Kriegs Vorgefallene,
Wiederaufleben der alten Verträge.
Auch an Philipp von Heſſen hatte Joachim jene Präliminarar—
tikel geſandt und bei dieſem eine noch größere Empfänglichkeit für
ſeine Friedenspläne gefunden. Nur in wenigen Punkten iſt der er—
ſtere mit der Faſſung der Artikel nicht ganz einverftanden !:
ad 1) Daß Niemand der Religion halben über die Augsbur—
giſche Confeſſion hinausſchreiten folle: „es konten wol ding fein, die
got gefellig und in folcher confeſſion nit begriffen weren, wir aber
wollens doc fo hoch nit ftreiten, .dieweil unfer religion mit uf Jolcher
confejlion, fondern dem gotlichen wort ftehet und gegrundet it“.
ad 4) Mit Heinrih von Braunschweig Habe er auf Vertrag
handeln laſſen, daß die beiderjeits aufgelaufenen Koften und Schäden
gegen einander aufgerechnet, der Herzog und feine Söhne alle von
der proviforischen Negierung vorgenommenen Handlungen anerfennen
würden, die Acht über Goslar aufgehoben und die Goslarer im Be—
fit des Holzes gelaffen werden follten, wie fie fi) des mit der Wol-
fenbüttler Regierung vertragen hätten. Weigerten fid) der Herzog
und feine Söhne deſſen, fo folle Herzog Moriz unter Zuziehung eines
oder zweier Fürften mit Güte oder zu Hecht erfennen. Das Gleiche
ſolle bez. Braunſchweigs gelten. Heinrich ſei mit alledem einverſtanden.
Freilich konnte nur eine ſo ſanguiniſche und leichtgläubige Natur,
wie ſie Joachim beſaß, ſich der Hoffnung hingeben, ſeine Friedensbe—
mühungen würden bei Karl V. und Ferdinand eine günſtigere Auf—
nahme finden als bei Moriz. Was wir oben über die Ausfichtslofig-
feit gütlicher VBergleihshandlungen auf Seiten Moriz' bemerkt haben,
gilt ganz ebenſo auch für den Kaifer und feinen Bruder. Namentlich
dem erfteren galt diefer Krieg nicht al8 ein gewöhnlicher Kampf, bei
dein es ſich höchitens um ein Mehr oder Weniger äußerlihen Macht—
befites handelte, fondern als der endliche Ausbruch eines Yahrzehnte
lang maſſenhaft aufgehäuften Zündjtoffes, der für die fünftige Geftal-
tung der höchſten Yebensintereffen, ja geradezu für die ganze Eriftenz
enticheidgebend war.
Der an König Ferdinand abgefandte Dr. Chriftof von der
Straßen? kehrte ohne befriedigende Antwort nach Haufe zurück?.
ı Philipp an Joachim 6. Febr. 1547.
8 er über ihn Opel in den Neuen Mittheil. des thüring.-jähl. Vereins
XIV, 187 fig.
3 Joachim an Joh. Friedrich s. d.
11
Nunmehr reifte Joachim in eigener Perfon ar das Fönigliche Hof-
lager nad) Auffig, nachdem er vorher noch den Kurfürften von Sachſen
von dem unginftigen Ausfall der Gefandtichaft benachrichtigt und ihm
empfohlen hatte, die Friedensartifel in einer für den Kaiſer und Kö—
nig mehr annehmbaren Weife umznändern. Die Reife follte verhängs
nißvoll für feine Haltung gegenüber den friegführenden Parteien wer—
den. Welhe Mittel Ferdinand in Anwendung brachte, den branden—
burgiſchen Kurfürften aus feiner bisherigen Neutralität heraus auf
jeine Seite zu bringen und zu einer activen Theilnahme am Kriege
zu veranlafjen, erjehen wir aus feinem Berichte über die Auffiger
Zufammenfunft an den Kaiſer!: e8 war das Verſprechen, Joachims
zweiten Sohne bei feiner Bewerbung um die Coadjutorfchaft der
Bisthümer Magdeburg und Halberftadt behilflich zu fein. Jetzt er—
flärte fih Joachim dem Kaifer gegenüber bereit, 400 Reiter unter
der Führung feines Kurprinzen drei Monate auf feine Koften unter—
halten und, im Falle eine ftärfere Hilfeleiftung ſich als nothwendig
erweiſen follte, aud) eine folche bewilligen zu wollen. Won einer per=
fönlichen Theilnahme am Feldzug müffe er dagegen, im Ginverftändniß
mit dem Könige, Abjtand nehmen, indem es für die gemeinfamen
Operationen vortheilhafter fei, wenn er in feinen Yanden bliebe, um
von hier aus namentlich) auch die VBerproviantirung des Feindes zu
hindern ?,
Von jett ab erlahmt das Intereſſe Joachims am der Herſtellung
des Friedens im fichtlihem Maaße. Was ihm zumeijt das Zuftandes
fommen eines folchen wünfchenswerth machen mußte, die Ausſicht ei=
ner leichteren Gewinnung der genannten Bisthünter, Fam jetzt nicht
mehr in Anschlag, nachdem ein Mächtigerer ihm den Erwerb derjelben
garantirt hatte?. Zwar unterläßt er es nicht, nach der erfolgten
Wahl feines Sohnes auch den ſächſiſchen Kurfürften als den that-
jählihen Inhaber der Stifter um Ausantwortung derjelben anzu—
gehen *, aber er ift fich dabei des Auffallenden feiner Bitte wohl be=
wußt und fommt, nachdem Johann Friedrich ihm Fühl geantwortet
bat, nicht weiter auf diefe Angelegenheit zurüd. Die Correfpondenz
Beider nimmt jest mehr und mehr einen unerquidlichen Charakter
an. Es gereicht dem guten Willen Johann Friedrichs zu nicht ge=
ringer Ehre, daß er ſich auch durd jo glänzende Erfolge, wie die
Gefangennahme des Markgrafen Albreht von Brandenburg in Roch—
fig, nicht blenden läßt und nach wie vor bereit ift, wofern nur Ehre
und Gemijjensfreiheit nicht geichädigt werden, die möglichiten Zuges
! Buchholz IX, ©. 408.
2Joachim an Karl V. 19. Febr. 1547 (noch aus Auffig, alfo unmittel-
bar nad) jeiner Ankunft dafelbft, da er erft am 13. von Deffau abgereift war).
’ Mol. aud das Fürſchreiben Ferdinands an den Papft in Sadjen des
jungen Markgrafen bei Bucholz IX, ©. 415.
Joachim an Joh. Friedrich 16. März 1547.
5 %ob. Friedrih an Joachim 30. März 1547.
6 Derjelbe an denfelben 5, März 1547.
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ftändniffe behufs Wiederherftellung des theuren Friedens zu machen ".
Aber gerade jene von ihm jo ängftlich behüteten Punfte waren es,
an welchen ihn die Gegner tödtlich treffen wollten. Die Vernichtung
feiner fürjtlichen Ehre und der Freiheit feines evangeliichen Bekennt—
niſſes war ihre Abſicht. Was nütte e8, daß er Joachim gegenüber
in feinen übrigen Vorbehalten Schritt vor Schritt zurückwich und eine
werthvolle Garantie nach der andern zum Opfer bradte: immer
wieder tönte ihm das Noch nicht genug! entgegen.
Zuletzt zieht fi Joachim ganz aus dem Spiele. Das lette Stück
feiner Gorrefpendenz mit Johann Friedrich ift ein Verſprechen, ein
Schreiben des letteren an König Ferdinand durch feinen Kurprinzen
übergeben und befürworten laffen zu wollen. Ob es jemals an feine
Adreife gelangt iſt? Wir milfen darüber ebenfowenig wie über
den Berbleib eines ähnlichen Schriftitiides, das der unglücliche Fürſt
noch kurz vor der Mühlberger Kataftrophe an den Kaifer gerichtet
hat?. Dagegen ift uns das eigenhändige Concept eines Briefes er—
halten, den Joachim unmitttelbar mac) der enticheidenden Schlacht an
Karl V. geichrieben hat*. Es ift ein fürmlicher Triumphgeſang, ein
Macte imperator!, das ein proteftantiicher Reichsfürjt in dem Au—
genbficke anftimmt, al8 die Neichsfürftenehre und die evangeliiche Ge—
wiffensfreiheit tief in den Staub hinabgetreten waren, ein Tprechendes
Zeugniß der furzlichtigen Politik feines Schreibers. Und fo laſſe ich
es mit Weglaffung des Eingangs zum Schluffe hier wörtlich folgen :
— — „Und naddeme id dieſe tage bericht worden, das gott der
almechtige E. Key. M. wider ire feinde glucklichen ſieg gegeben, alſo
das ſie dieſelbigen biß ufs haupt erlegt, den haubtechter und etliche
furnehmen ſeins anhangs gefangen, welches ich mit beſondern freuden
und wolwünſchung ſolches E. Key. M. obſiegens vernohmen und
got dem almechtigen dafur hochlichen dankbar bin, und zweifel nicht,
es werde E. Key. M. zu hochſtem ruhm und preiſe und meniglich
underdan zu guther wolfart, fride, ruhe, auch einem beſtendigen behar—
lichen friden und abwendung des langen miſſtrauens des heiligen
reichs gereichen, und wünſche, auch bitte von gott, E. Key. M. dotz
hohes glücke und ferner obſiegen wider den uberigen anhang dieſer
bundnus, unterthenigit bittende, &. Key. M. geruhe mid) iren gehor—
famen furfurften gnedigſt zu vormerfen und mein allergnedigfter Feifer
und herre fein und bleiben. Das bin umb €. Key. M. ich unter-
thenigfts gehorſams zu vordienen willig“.
ı Derielbe an denfelben 15. März 1547.
2 Koahim an Joh. Friedrih 25. März 1547.
3 Beide Schreiben find datirt vom 10. März. Bol. Anhang Nr. I.
* d.d. 28. April 1547.
13
Anhang.
I.
Kurfürſt Johann a a; Ferdinaud 10. März
Allerdurchleuchtiger groſmechtiger konik! Nachdeme E. K. M.
wol wiſſentlich und unverborgen iſt, das E. K. M. und ich uf vor—
ſchienen reichstag zu Speyr mit vorwiſſen und bewilligunge kay. Mat.
aller und jeder irrungen und gebrechen, ſo ſich zwiſchen E. K. M.
und mir erhalten, und alſo nit allain mit E. K. M., ſundern auch
mit kay. Mat. zu grund gentzlich entlich und ewig vertragen ſeind
worden vermmge und inhalt des vertrags, jo daruber ufgericht, aud)
E. K. M. ſelbſt und kay. Mat, fonderlichen ratification. Und ob id)
wol dorauf gegen fay. und E. 8. M. jonder rhum allerunterthenig-
fait und gehorfams erzaigt und gehalten, mid) aud) die zeit mainer
regirung zum hochiten und fo vil mir muglich gewejt gevliffen, an
fay. und E. K. M. ainen gnedigſten kayſer und fonige, do e8 one
vorletzung gotts worts und rechter criftlicher religion bejcheen mugen,
zu erlangen und zu haben, in maſſen dan aud) baide vortrege zum
Caden und Wien und mains thails nicht one groſſe muhe und koſten
zuvor erfolget, und E. K. M., aud) die ergangnen Handlungen werden
mir das zeugnus geben muſſen, das mains tailhs an allem dem, jo
mir Cadaniſchen und Wienifchen vortrege halben zugeftanden und ge=
burt, nicht mangel geweſt. So hab id) mains tailhs gemelten Spey—
riihen vortrag one rhum nicht weniger volge gethan und ungerne an
mir wollen erwinden lajfen, wie e8 dan auch, fovil das clojter Do-
brilug betrifft, nicht gemangelt. Aus was urjachen aber ich bedenken
gehabt und mich nicht ſchuldig achten mugen aus ſolchem vortrag und
deffelben verjtand furen zu laffen, das hab ih E. K. M. rath hern
Hanfen Hoffeman durch meine vethe nad) der lenge und notturftiglich
ſampt meinem erbiethen anzaigen laſſen, und bin in Hoffnung geitan=
den, ſolchs ſolte nicht fo gar hindan gefatt worden fein, dan ich je
an liebſten gewolt, das vilgemelter vortrag het in wirden und unumb—
geitoffen bleiben nungen, wie er dan uf ewigfait gerichtet, domit es
anderer und waiter vortrege nicht bedurfte. Dan ob wol allain des
ainigen artickels des Dobrilugs halben, aber one main vorurfachung,
ein mijvorjtand furgefallen, hab ich mich doc, des vertrags gehalten
und nicht vormutet, das darumb der gange vertrag hat follen umbge—
ftoffen werden, und aus folchen und dergleichen mehr urſachen nicht
glauben wollen, do ich fur ainen jar bericht worden und mir furkom—
men, als folte der fayier igo willens und furhabens fein, mid) und
meine aynungsvormwanten mit der that und heeresfraft anzugreifen
und zu überziehen, bis mir letlich die fay. refolution und antwort
uf beſcheenes erfuchen und onlangen zu handen komen, als Hab ich
jolh8 weiter auch in fain vorachtunge fegen wollen und mich, nach—
14
dein ic) und mayne aynungsvorwanten es dafur gehalten, das wir
domit in anfehung der ufgerichten vortrege fride frideſtende und reichs—
abjchiede billic) verjchonet wern worden, umb friegsvolf beworben und
im namen gott zu unjer aller erijtlichen defenfion gegenwehr und
rettung auch vorfajt gemacht und den zug im aigner perfon vorgan—
gend ſomers ins oberland gethan und furgenomen, des aber ich und
maine mitvorwanten — das wais gott — vil lieber uberig wolten
geweit fein, do wir bey gemelten vortrag fride und frideftenden und
reichsabſchieden hetten muegen gelaffen werden. Und wolt gott, das
ic) allain zu mainer entfchuldigung, wie ſich allem rechte nad) je bilfich
geburt, erfordert und allen dingen gehort worden were, fo folte fich,
ob gott will, befunden Haben, das mein unſchult des auferlegten uns
gehorjams offentlid vermarft worden. Dieweil aber gleihwoll ſolchs
nicht gejcheen, mir und maynen mitvorwanten des babjts bundtnus und
anders, al8 das mit diefem furgenomenen uberzuge im grunde unfere
wahre criftliche religion gemaint were, jo glaublichen furbracht worden,
und von fage zu tage mit der that wider maine land und leute vor=
fahren und noch, haben E. K. M. zu erachten, das ich nicht unter=
lafjen mungen, mic) der naturlichen gegenwehr auch zu gebrauchen, und
das fi) darunter allerlay Friegshandlung zugetragen, der ich mains
tail8 lieber ubrig geweſen, hoffe ih, das mir ſolchs nicht ſoll zuges
mejjen fein, dan ic) je darzu nicht urfach gegeben. Und wie gern ich
vor dieſer zeit die fachen hette zu gleichmeiligen billichen vortrag kom—
men lajfen und noch, das it dem churfurjten zu Brandenburg und
andern wiſſentlich. Dieweil aber diejelbe bifhero nicht hat wollen be=
trachtet nad) eingereumbt werden, jo hette ich, aud) meyne mitvor=
wanten wol urſach, die ding got dem almechtigen zu befehlen, hoffe
auch, er wurde mir und dem meinen, wie er fich dan unlangjt gne—
diglich bewiejen, weiter ſieg, gluck und hayl vorleyhen, dan ich mich
fur gott und der welt aynigs ungehorfams zeitlicher und prophan
ſachen halben gentzlich unſchuldig wais, one was bemelter chriftlichen
defenfion halben, darzu ich uber angeregten vortrag ufs eufjerjte ge=
drungen, bejcheen fein mag. Und es aber, wie id) von etlichen orten
bericht worden, meinethalben furnemlich umb ein zimliche demutigung
gegen der fay. und E. K. M. folle zu thun fein, do ich doch nicht
wais nocd mic erinnern fan, weihalber die felbige von mir billich
bejcheen folle. Domit nun E K. M., aud) meniglich je zu fpuren
und zu vormerken, weil ich hierinnen one ruhm nichts anders gefucht
und gemaint, auch nachmals fuchen und maynen, dan gotts wort und
feiner almechtigkeit glori und ehr, auch das warhaftige criſtliche reli—
gion, in ſonderhait aber das ich, die mainen und meine mitverwanten
durch ſeiner almechtigkeit hulf darbei und bei der lobliche freyhait
Deutſcher nation bleiben, deſglaichen das widerumb friden und ruhe
in Deutſcher nation gepflanzt, auch ferner eriſtlich blutvorgieſſen abge—
want, uf das gemainer crijtenhait erbfind dem Turcken deſter ſtad—
licher widerſtand beſcheen mag, darzu das es ſolcher demutigung halben
an mir, das alles, wie obenberurt, ungeachtet, nicht mangeln ſolle, und
15
das ich mich nicht allain aus jolchen, fondern auch aus andern umb
gotte8 worts und criftlicher religion willen und zu vorhutung blut=
vorgieſſen und ferner vorderben der lande durd) feiner almechtigfait
gnad wol uberwinden fan, fo iſt an E 8. M. main unterthenige
bitt, diefelbig wollen fich nicht bejchweren, volgende maynung an die
fay. Mat, gelangen zu laffen und mic, fegen J. M. zu vorbitten:
nachdeme ic) und meine mitvorwanten im eingang dieſes Handels be=
riht worden, das J. Kay. M. folt willens gewejt fein, die criftliche
religion und der Deutſche nation frayhayt zu vordruden, wie aud)
ſolchs jo mancherlei und vielfaltig an mich und fie gelangt, das wir
dajjelbige, weil wir ung gegen J. M. kains ungehorfams zu erinnern
gewuft, derwegen auch nie bejchuldigt und uberfommen, zudeme das
ih mit J. M. aller prophan fachen halben vortragen, das wir dem:
jelben hetten glauben geben mueſſen; dicweil wir aber numere bericht
worden, das S. M. andere ftende der religion halben verjichert, das
auh J. M. wille und gemuth nicht fein folle, diefelbige auszureutten
und zu vordruden, wie dan aud) S. M. uns ſolchs genugfam vor=
fihern wolte, neben deme das auch J. M. nicht gemaint, die frai-
hatt und Loblich herfommen der Deutſchen nation zu vortilgen, und
fih aber gleihwol in deme allerlai zugetragen, das von ums nicht
anders dan zu erhaltung unfer religion und der freihayt der Deutjchen
nation gemaint. Ob nun deihalben S. M. ainige ungnad geſchopft,
jo beten E. 8. M. von main und mainer aynungs- und mitvor=
wanten jtende wegen, J. M. geruhete folche ungnad gegen uns allen
aus vaterlichen allergnedigften willen Hinzuftellen und fallen zu lajjen,
unjer allergnedigiter kayſer und herr zu fein umd uns bei gotlichem
wort, unjern landen und leuten ruig bleiben zu lajfen, und dieſen
furstehenden vorberblichen krieg widerumb zu ftillen. So wolten wir
auch mwiderumb neben andern jtenden des reihe S. M. fachen, und
das diejelben wider feine und der ganken criftenhait erbfeinde dem
Zurden ftatliche hulfe beicheen mochte, im allerbejten befurdern und
ſich als getrewe und gehorfame des kayſers und des reichs churfurften
furften und unterthanen in allem jchuldigen und muglichen gehorfam
und unterthenidait vorhalten, ſolchs auch umb J. Kay. M. vordie-
nen. So were aud) ich erbettig, do jemands in werendem friege
etwas eingenommen, denjelben ſolchs widerumb einzureumen, doch das
es widerumb in gleichnis fegen mir, mainen ainungsvorwanten und
denjenigen, die bei uns im difem zuge geweit und was vorlorn, aud)
alfo gehalten werde. So wollen wir uns aud) gegen denjenigen, die
in unjer hende gefangen worden, auf den fall auch gerne der billicait
vornehmen lajjen. Hierauf und auf E. 8. M. furbitt und furwen—
dunge hoffe ich unterthenig, J. M. foll und werde ſich nach gelegen=
hait der jachen der gebur und billigfait finden laffen und mich und
meine aynungs- und mitvorwanten, do wie berurt ainige ungnade
vorhanden, zu gnaden annemen und zuforderjt neben unſrer unfchult
bedenken, zu was entlichem vorderb diefe beſchwerliche friege der gangen
Deutjchen nation geraichen wollen, deigleichen was den Remiſchen kay—
16
fern und fonigen, die vom Haufe zu Oſterraich gewejen, vom Haufe
zu Sachſen des hurfurftlichen ftams und in welung der igigen fay.
Mat. von meinem vettern herzog Friderichen feliger gedechtnus wider-
faren, welche wolthat der fay. Mat. indenk zu fein und ſolchs in kain
vorgejjen zu jtellen, fondern freundfchaft und gnaden zu bejchulden fich
oftmal8 erboten, des den vil S. M. aigen handſchrift vorhanden
fein. Im vall aber das ſolchs alles nicht wolte bedacht, funder wider
mi und maine aynungsvorwanten, wie e8 dan fur ift, furtgefahren
werden, fo thue ich hiemit gegen E. 8. M. und meniglich bezeugen,
das ich dasjenige gethan, fo nad) gejtalt der ſachen muglic und thun—
(ih hat fein wollen, und dieweil man es nit anders haben fonte,
fo mujften ic) und mayne ainungs- und mitvorwanttn uf unfer beites
auch dohin gedenken, wie wir bei gott8 wort und criftlicher religion
mit feiner almechtigfait hulf bleiben und davon mit der that nicht
gedrungen werden mochten, und uns unfer unfchuld, aud) des getroften,
das es an und nicht gemangelt, der unzweifelichen zuvorficht, der al—
mechtig got werde mid) und meine aynungs- und mitvorwanten, wie
er bisher gmediglich gethan, nicht vorlaffen, ſundern gnediglich bey—
ftehen ſchutzen und erretten, dan feiner almechtigfait ending mit vilen
oder wenigen den fieg zu geben. Vorſehe mid) auch gentlichen, wo
alsdan hieraus weiter criſtlich blutvorgieffen, auch vorherung und
vorderbung der lande, wie freilih nicht wurde vorbleiben konnen,
erfolgen und alfo die Deutfche nation und die furften derjelben der=
maffen gemubdiget und erjchopft werden ſolten, das fie gegen dem
Zurfen widerftant zu thun und nicht zu helfen vormochten, ich und
meine aynungs- und mitvorwanten wollen gegen gott jedermeniglich
und der ganten welt derhalben entjchuldigt fein. Das hab €. K.
M. ich nicht unangezaigt zu lafjfen wiſſen, und were Derjelben vil
lieber, do ich dabei mochte gelaffen werden, unterthenige und gehor=
fame dienfte zu erzaigen willig.
Datum Geythen, Dornftags nad) dem fontag veminiscere, den
X. Marty, anno 1547,
11.
Antwort des Hurfurften zu Saren.
Margraf Johans zu Brandenburg belangend : wie wol derjelbe
%. Chf. ©. in zweyen aymıngen vorwant und er ſich gleychwol zu
feyj. Ma. begeben, 3. Chf. ©. abgejagter feynd wurden, zudem vor
andern im lager J. Chf. ©. in allen iren geſcheften behindert, vieler
geheifiger und fpigiger wort auf J. Chf. ©. ſich vornehmen laſſen,
dorauf J. Chf. G. wol orſach hetten, widerumb feyntlich kegen jene
zu trachten, aber gleychwol unferem g. hern dem churfurften zu freunt—
licher wilfarunge, die weyl J. Chf. G. bericht, das er fid) nach kegen
17
5%. hf. G. zu Herzogen Morizen in jundere Hulf eynlaffen wolle,
wo darum margraf Johans abjtehen wolt, jo wolt auch J. Chf. ©.
widerumb die dinge anjtellen.
Den biſchof von Lebus belangend: wie wol derfelbe nicht wenig
wider %. Chf. ©. mit Haufung und Hegung irer abgejagten feynde
gehandelt: die weyl aber derfelbe unjerem g. 5. dem churfurften zu
Brandenborg ſchutzes halben vorwant, wo nun derjelbe wider J. Chf.
G. nicht rathen noch helfen wirdet, jo wollen jenen J. Chf. ©. uns
jerem g. 5. zu freuntlichem gefallen auch verjchonen.
Die graffen betreffende: hetten fich diefelben zu erzogen Moriz
in Hulf eingelaffen, und wie fie 3. Chf. ©. aus dem lager darvor
. .. . fo weren doh %. Chf. G. von den grafen jpitige antworten
begegent, und dieweyl J. Chf. ©. die. .... grafichaften under-
wegen geweft, hetten 3. Chf. ©. die grafen zu geburender haltung
der heridaften, fo fie von Herzog Morizen hetten, erfordert: die weyl
aber diejelben nicht erfchienen, fo hetten auch J. Chf. ©. orfach ge=
hagt ire herichaften eynzunchmen. Es hette aber des von Schwarz-
borgs gemahel ſich erboten, ir Herre ſolt in 8 tagen erjcheynen hoel=
dunge thuen; ſolche zeyt were lengeft vorflojfen: wo nun der graf
nachmalen queme, die Haldung! thete, jo wolten ime J. Chf. ©. zu
ſeynen berichaften widerumb kommen laſſen.
Alſo hette ſich auch graf Wolf von Stolberg zur haldung er—
botten: wenn das von ime und den anderen beſchege, wolte J. Chf.
G. ienem auch die herſchaften widerumb zuſtellen.
Regenſteyns halben hette furſt Wolf zu Anhalt mit J. Chf. G.
handelung gehapt und ſich erbotten, das ſeyn ſon die haldunge thuen
ſolle: des weren auch J. Chf. G. zufriden und hetten ime dorauf die
gefangene von Saltza widerumbloſgeben laſſen.
Was aber der grafen Stolberg und Regenſtein lehenſchaften, ſo
under J. Chf. G. zu lehen ginge, belangent, derſelben wolten J. Chf.
G. in alle wege verſchonen.
Lippolden von Klietzing: wo derſelbe in maſſen andere im ſtifte
S. Chf. G. haldunge thuen worde, ſo wolten ime J. Chf. G. auch
umb unſeres g. h. vorbitten willen bey ſeynem vorſchriebenen pfant—
ſchilling an den heuſſern Jutterboth und Dahme bleyben laſſen.
Dieterich Spiegel: wie wol ſich derſelbe in leychtfertige hand—
lunge eyngelaſſen, beyneben den feynden J. Chf. G. land und under—
thanen beſchediget, deſhalben wol eyne ſtraffen vordienet, ſo wolten
ime doch J. Chf. G. auf unſers g. h. vorbitten aus dem thorm
laſſen und auf weyter erfordern.
Unſers gnedigiſten hern rethe und diener, wo dieſelbe wider J.
Chf. G. nicht dienen oder rathen werden, wollen ſie J. Chf. G.
auch verſchonen.
ı di. Huldigung.
XVII. 2
Denkverſe
bei mittelalterlichen Geſchichtsſchreibern
geſammelt
von
H. Oeſterley.
2*
Die nachfolgende Sammlung von Denkverfen mittelalterlicher
Chroniften erhebt feinen Anſpruch auf VBolljtändigfeit, ſondern ent—
hält nur das, was mir bei meinen! Quellenftudien bekannt geworden
it; nichtsdejtomeniger Hoffe ich, daß fie gelegentlich einen willlomme—
nen Anhaltspunkt bei dem Auffuchen von Quellennachweiſen darbieten
wird, und das ift ihr einziger Zweck.
l. Adorant Christum tres reges Jam Romanorum,
Non sunt Tharsenses, nec Arabes, nec Sabinenses.
Andr. Ratisb. a. 1410, Eccard Corp. Hist. I, 2145.
la. Aceidit in urbe Salis, vestalis quod monialis
Intumuit tantum, ne transeat ipsa per antrum.
Ann. Reinhardsbrunn. a. 1296 ©. 256 ed. Wegele.
2. Anglia quem genuit, Willehadum Brema recepit,
De Karoli manibus castrum tenet hoc Willehadus.
Wolter Chron. Bremens., Meibom SS. II, 22.
3. Anni dum Domini fluxissent mille ducenti,
Octavo numero completo septuageno,
Dum sol in geminis fuit, Augustique Kalendis,
Inelytus Ockacorus rex, hostibus eius amarus,
Succubuit bello, pugnans cum rege Rudolfo,
Non vi multorum (Swevorum) cecidit, sed fraude suorum.
Versus Babenb., SS. XVII, 639. Andr. Ratisb., Ecc. I, 2089
4. Annis centenis millenis ter quoque denis
Post Christum natum Schowenborch tenet initiatum.
Lerbeck, Chron. ep. Mind. 15, Leibn. SS. II, 169. Chron.
Mind., Meib. I, 560. Cyr. Spangenberg, Holft. Chron. a. 1030,
©. 13 (2 und 3 nongentis ftatt millenis).
5. Annis conpletis octo et mille trecentis,
Rex est Albertus gladiorum morte peremptus,
Contigit hoc Jacobi festo sanctique Philippi.
Joh. Vitodur. a. 1308, ed. G. von Wyss ©. 43. Eyr. Span-
genberg, Sächſ. Ehron. S. 473.
6. Annis ducentis tibi denis mille retentis,
Facta Stralesundis fuit urbs, habens nomen ab undis,.
Korner a. 1210, Ecc. II, 833.
‚+ Mehrere Nachträge und Berichtigungen find von Mitgliedern der Re:
daction hinzugefügt; jene als la u. ſ. mw. bezeichnet,
9a.
10.
11.
12,
13.
14.
15.
22
Annis M duo C bis quadraginta duoque
Symonis et Iudae Nova Stargard sternitur hoste.
Notae Colbaz., SS. XIX, 719.
. Annis M quoque tria C vinctis septuaginta
Exurge, quare prope Rudouse bella notare:
Schinnekop marschaleus tune ruit terre miratus,
Cum famulis milites duo C pariter quoque fratres;
Certus Sethwinis abest unus quoque Ruthenis,
Et qui fugerunt geluque fame perierunt.
Detmar a. 1370, Graut. I, 293. Korner a. 1371, Ecec. II,
1119. Conr. Bitschin, SS. rer. Pruss. III, 480.
Annis M ter C Christique triginta duoque
Marchia pro parte depactatur, spoliatur,
Dux Barnym de te Wedelensis turba gravatur
Ac devastatur, Padahucum grexque necatur
Augusti mense profesto Vincula Petri.
Ann. Colbaz., SS. XIX. 718.
Annis M ter C tres X simul L dato sexque
Sex Ydus mensis Julii tunc straverat ensis
Pravorum ducem Lewpoldum, cui dare lucem
Omnipotens que pya dignatur virgo Maria etc.
ont. Zwetl. quarta, SS. IX, 689.
Annis M tria C, L, bis X, sex superadde
Eufemie nocte Tanklem perit igne repente.
Korner a. 1376, Ecc. II, 1127.
Annis millenis Domini pariterque ducentis
Atque nonagenis octo Martisque Kalendis
It dux Austrorum, turba comitante suorum,
Ad Romanorum regem, qui vi cadit horum.
Processi Jacobi dux fit rex, dantur et illi
De virtute Dei dyademata Bartholomei.
M semel et tria C simul octo patitur ve!
Al. Romanorum, quoniam cadit ense suorum
Philippi Jacobi, rogo det Deus veniam illi.
Can. Sambiens. ann. a. 1288, SS. XIX, 700. Ep. gest.
Pruss., SS. rer. Pruss. II, 279.
Annis millenis duodenis adde ducentos,
Tune multi pueri sunt effecti peregrini,
Et fugat Ottonem Fridericus anno sub eodem.
Ann. Elwang. a. 1212, SS. X, 20. Chron. Elwac. a. 1211,
SS. X, 37.
Annis millenis tercenis bisque vigenis
Lapsis, octavo terre motus fuit anno,
Luce Deus Saulum cum fecit fore Paulum.
Versus Babenb., SS. XVII, 639.
Annis millenis terdenis et octo trecentis
Judaicus populus tunc temporis est trucidatus.
Andr. Ratisb., Ecc. I, 2104.
Annis millenis transactis octo ducentis
16,
21.
23
Et nonaginta, Processi Martinian],
Prevalet Albertus rex, lite necatur Adolfus.
Ann. S. Udalr. a. 1298, SS. XVII, 434.
Annis millenis trecentis binis minus annis
In Julio mense Adolfus rex cadit ense
Per manus Austriaci Processi et Martiniani.
Martin. minor. a. 1292, Eec. I, 1633. Joh. Vitodur. a. 1298,
ed. Wyss ©. 42. Engelhus., Leibn. SS. II, 1124 (Mille-
nis trecentis binis minus annis etc.). Vgl. auch Rr. 66.
. Annis nongentis centenis ter quoque denis
vgl. Annis centenis, millenis ter etc.
Annis nongentis Mölnbeck duo bis minus annis
Folckrat et Hiltborg simul exstruxere Drogone.
Chron. Mind., Meib. I. 558.
Annis nongentis, terdenis atque ducentis
Christi carnati Rhenus ardore coactus,
Rhenus siecatur, sicco pede transpeditatur.
Andr. Ratisb., Ecc. I, 2076.
Annis terdenis biscentum mille novenis
Junius intrabat, cuius lux tercia stabat,
Sol obscuratus fuit, orbis obtenebratus,
In media luce coepit fore sol sine luce.
Ann. Calten. a. 1239, Murat. SS. XIV, 1097.
Annis ter denis minus octo, mille trecentis
Actis, Ludwicus vineit, capitur Friderieus,
Ante diem festum Michahelis quod scio gestum.
Ann. S. Udalr. a. 1322, SS. XVII, 436.
2la. Annis transactis octo cum mille trecentis,
Rex ruit Albertus Walpurgis ab ense Johanni.
Henr. de Rebdorf, Fontes IV, 511.
22. Annis undenis demptis de mille ducentis,
23.
25.
Christus ut est natus, transit mare rex Fridericus.
Cod. Paris., SS. XXII, 367. Chron. Urspergense a. 1189,
SS. XXIII, 363 (transit pater et natus, dux et rector Fri-
dericus).
Anno M duo C Hoyensis fit comecia.
Lerbeck Chron. ep. Mind. 27, Leibn. SS. II, 181. Chron.
Mind., Meib. I, 563.
Anno milleno bis C cum bis quadrageno
Et quinto Domino nostro de virgine nato,
Quidam Diethrieus Holtzschuch, truphator iniquus,
Cesar et iniustus idem, fuit ignibus ustus,
Quem dedit hiis penis Rudolfi jussio regis.
Ann, Maurimon. a. 1278, SS. XVII, 182.
Anno milleno bis C et octoageno
Octavo faci Wuring memor es Bonefaci.
Ann. Agripp. a. 1288, SS. XVI, 737.
. Anno milleno biscenteno duodeno
A duce victa fuit Legia quanta fuit.
27.
28.
29.
31.
32.
33.
34.
24
Exeidii gestis crucis est inventio testis,
Festo namque crucis urbs ruit en celebris.
Ascensus Christi se festo iunxerat isti,
Dux in Marte tuo festa fuere duo.
Ann. Parchens, a. 1212, SS. XVI, 606.
Anno milleno bis centeno duodeno
Per mundum pueri vadunt loca sacra tueri.
Ann. Leob. a. 1212, Pez I, 802.
Anno milleno bis centeno minus uno
Res dietu mira, pro pane Dei caro visa
Creditur Augustae; sit ob hoc tibi gloria, Christe!
Chron. Elwac. a. 1199, SS. X, 37.
Anno milleno CCC, bis quoque deno
Et bino, sancto Wenetzlay quoque festo
L. rex prevaluit, F. rex cito vinela subivit,
Sic quoque preclarus dux Heinrieus frater eius,
Turbaque baronum vinclatur magna suorum ete.
Contin. canonic. S. Rudberti Salisb. a. 1322, SS. IX, 823
Anno milleno CD semel Lque secundo
Carolus rex Svecie predo fuit Scanie.
P. Olai ann. a. 1452, Langeb. SS. I, 195.
Anno milleno CD simul X triplicato,
Anglica Philippa Wadsteen dormit tumulata
In festo regum, linquens mundi data legum.
P. Olai ann. a. 1430, Langeb. SS. I, 194.
Anno milleno D quater et semel octo,
Septembri mense, XXIII die,
Leodii gentes lacrimosi nunc modo flentes,
Sunt gladio caesi, corporibus undique laesi,
Per Hollandrinos prostrati Burgundiosque,
Triginta milia quinque plus adde virorum.
Andr. Ratisb., Ece. I, 2129.
Anno milleno C septenoque vigeno
Walckenred struitur, Christus ubi colitur.
Engelhus. Imper., Mader 61.
Anno milleno C ter uno septuageno,
Nocte puellarum monos et data mille sacrarum
Muros conscendunt, Luneburg subvertere tendunt,
Sie oceiduntur, velud in sacco capiuntur.
Korner a. 1371, Ecc. II, 1119.
. Anno milleno centeno bis duodeno
Friburg fundatur, Conradus dux dominatur.
Engelhus., Leibn. SS. II, 1098.
Anno milleno eenteno bis duodeno
In Premonstrato formatur candidus ordo.
Can. Sambiens. ann. a. 1124, SS. XIX, 700. Ann. Dune-
mund. a. 1124, SS. XIX, 708. Ep. gest. Pruss., SS. rer.
Pruss. II, 279.
25
31. Anno milleno centeno bis duodeno
Sub patre Nortberto Praemonstrati viget ordo.
Andr. Ratisb. Ece. I, 2075. Chron. Osnabr., Meib. II, 210.
Engelhus, Leibu. SS. II, 1097. Flor. v. Wevelink, Chron.
Münst., Münft. Geld. Du. I, 106.
38. Anno milleno centeno cum nonageno
Tune Almanorum surrexit nobilis ordo.
Can. Sambiens. ann. a. 1190, SS. XIX, 700. Ep. gest. Pruss.,
SS. rer. Pruss. II, 279.
39. Anno milleno centeno quo minus uno
Jerusalem Franei capiunt virtute potenti. etc.
Ann. Elwang. a. 1099, SS. X, 19. Chron. Elwac. a. 1099,
SS. X, 35. Ann. Zwifalt. maj, a. 1099, SS. X, 55. Cod. Paris.,
SS. XXII, 365. Ann. Admont. a. 1099, SS. IX, 576. Contin.
Claustroneoburg. prima a. 1099, SS. IX, 609. Chron.
Urspergense a. 1189, SS. XXIII, 363.
40. Anno milleno centeno septuageno
Anglorum primas corruit ense Thomas.
Ann. Eloon. maj. a. 1170, SS. V, 15. Auctar. Vindob. a.
1170, SS. IX, 723.
41. Anno milleno centeno septuageno
Septeno donis claruit urbs Veneta etc.
Andr. Dandolo 31, Murat. XII, 304,
42. Anno milleno centeno ter quoque quino
Silyam Welponis perfudit linpha cruoris.
Ann. Dunemund. a. 1115, SS. XIX, 709,
43. Anno milleno centeno ter quoque quinto
Silvram Welfonis perfuderat unda cruoris
Salvi Saxones Francones atque Thuringi,
Henrici regis exereitus est superatus.
Engelhus Imper., Mader 55.
44. Anno milleno centeno terque triceno,
Hiis quinquaginta si misces, tunc bene disces,
Austria quod tota sit principibus viduata,
Terraque cornuto discet servire tributo.
Ann. Stad. a. 1246, SS. XVI, 371. Otto Frising. cod. 10,
SS. XX, 104. Auct. Vind. a. 1260, SS. IX, 724. Detmar
a. 1246, Grant. I, 123. Komer a. 1248. Ecc. II, 888.
45). Anno milleno centeno tessera deno
Et septem pariter ceperat istud iter.
Ann. Elwang. a. 1147, SS. X, 19. Chron. Elwac. a. 1147,
SS. X, 36. Chron. Urspergense a. 1189, SS. XXIII, 363.
45a. Anno milleno C eum primo nonageno
Bernnam fundasse dux Berchtoltus recitatur.
Ann. Bernenses a. 1191, SS. XVII, 271.
46, Anno milleno cum centeno minus uno
Iherusalem scribo captam duce sub Godefrido.
Ann. Stad.a. 1099, SS. XVI, 317. Ann. Albian. (= Hamb. SS.
XVI) a. 1099, Langeb. SS. I, 202. Korner a. 1099, Ecc. II, 634.
26
47. Anno milleno ducenteno duodeno
Ad mare stultorum tendebat iter puerorum.
Herm. Altah. ann. a. 1212, SS. XVII, 386.
48. Anno milleno ducenteno duodeno
Signati pueri vadunt loca sancta tueri.
Auctar. Vindob. a. 1212, SS. IX, 723. Contin. praedic.
Vindob. a. 1212, SS. IX, 726.
49. Anno milleno ducenteno nonageno
Octavo, sancti Processi et Martiniani,
Rex fuit Adolfus pro regni sede necatus.
H. de Rebdorf a. 1298, Boehmer Fontes IV, 509.
50. Anno milleno ducenteno quoque nono
In Viti festo Lubek perit igne molesto,
Quinque tantum edes remanserunt ibi stantes.
Detmar. a. 1276, Grant. I, 153. Korner a. 1209; it. 1276,
Ecc. II, 832; it. 927.
5l. Anno milleno, duo CC septemque viceno
In fontis capite cecidit gens Danica lite,
Magdala quando pia scandit super astra Maria.
Hie quoque tune gratus fratrum fuit ordo locatus,
Et datur, o Criste, locus aptus fratribus iste.
Lerbeck, Meibom I, 510. Kormer a. 1227, Ecc. II, 859.
52. Anno milleno, quarto quoque, si bene penses,
Ac octogeno sunt orti Karthusienses.
His ortum tribuit excelsus Bruno magister,
Consul hie inde fuit papae pariterque minister. etc.
Andr. Ratisb. Ecc. I, 2072. Anon. Leob. a. 1092, Pez
I, 775 (nur Bers 1 und 2),
53. Anno milleno quatrincentenoque deno
Prutenorum vis it Kracoviensium ab ense.
Ann. Veterocell. a. 1410, SS. XVI, 46.
54. Anno milleno ter C bis decemque secundo,
Quando Wenezlai clerus canit ac Adonai,
Tune rex Ludwieus conflixit cum Friderico,
Quem captivavit, Australes et superavit, etc.
Ann. S. Udalr. a. 1322, SS. XVII, 436.
55. Anno milleno ter C bis X duodeno
Tune fuit in Reno de multo copia vino.
Quod dieebatur bodewiin.
Ann. Agripp. a. 1332, SS. XVI, 737.
56. Anno milleno, ter C, LX, duodeno
Margar Zusatum laeso fuit igne crematum.
Chron. Osnabr., Meib. II, 221.
57. Anno milleno ter C quater X quoque bino
In Jacobi festo magni Reni memor esto.
Ann. Agripp. a. 1342, SS. XVI, 737.
58. Anno milleno ter C sic septuageno
Quinto, profesto Crispini, tune memor esto
59.
66.
67.
68,
27
Valdemar decessit rex, cum Christo requieseit.
P. Olai ann. a. 1375, Langeb. SS. I, 192,
Anno milleno ter C, X depone primi
Fratres marini incurrunt forma peregrini.
Ann. Agripp. a. 1309, SS. XVI, 737.
Anno milleno tercenteno quoque seno
Et quinquageno denascenti bene Christo
In sancti Lucae festo fit motio terrae,
Hac Basilea cadit, mortem gens acrius adit.
Ann. Matseen. a. 1356, SS, IX, 830.
. Anno milleno ter centeno quoque seno
Hic in pyr vertit templum conversio Pauli.
Ann. Engelb. a. 1306, SS. XVII, 280.
. Anno milleno ter centum ter quater uno
Austria quos pavit, hos ense Bavaria stravit
Martiris in festo Theodori; sic memor esto.
Gamelstorf villa felieior ergo sit illa.
Ann. Ensdorf. a. 1313, SS. X, 8.
Anno milleno triceno parque secundo
Bavarie terre domini tune imposuere
Pro capite talem stewram pecudum generalem
X bis bos et equus pecus hoc x datque iumentum,
Nummos tres poreus dat, ovis, caper ac similiter agnus,
Sed non habens annum animal non dat preter agnum.
Cont. Herm. Altah. a. 1302, Böhm. III, 560.
Anno milleno treceno quoque trino
Philippi festo nivis venti memor esto
Et marescentes segetes facte virentes.
Ann. Veterocell. a. 1303, SS. XVI, 44.
Anno milleno tricenteno minus octo
Est per Flandrenses Hayonia suppeditata,
Cum cujus comite capto Franci remeare.
Tractat de pace discurrens inter eos dux.
Ann. Blandin. a. 1292, SS. V, 34.
Anno milleno trecenteno minus uno
In Julii mense rex Adolphus cadit ense.
Per manus Austriani, Processi et Martiniani.
Mathias Nuewenb., Böhmer Fontes IV, 170. Joh. Latom. Catal.
archiep. Mogunt. a. 1299, Mencken III, 523. Eyr. Spangen-
berg, Sächſ. Chron. a. 1298, p. 468.
Anno milleno tricentenoque triceno
Quinto sub ternis Novembri mense Kalendis
Affuit absque mora tempeste noctis in hora
Turba ventorum, que fundamenta domorum
Valde quassavit et campanilia stravit etc.
Notae Colbaz., SS. XIX, 719.
Anno milleno trecenteno quoque deno
Secta fuit ficta Leyson fratrum maledicta.
Lerbeck, Meib. I, 514.
28
69. Anno milleno trecenteno quoque quino
Vredberch in patria sunt maxima signa peracta,
Festum sanctarum dum coluit plebs animarum.
Tune pluit ignitas de celi culmine petras;
Urna velud una fuit harum eversa ruina;
In qua parte pluit, terra perusta fuit.
Ann. Colbaz., SS. XIX, 716.
70. Anno milleno tricenteno quadrageno
Octavo, Pauli Conversio cum fuerat tunc,
Terre motus erat et clara luce lucescat.
Versus Babenb., SS. XVII, 640.
70a. Anno milleno tricenteno quoque seno
Et quinquageno de nascenti bene Christo,
In sancti Luce festo fit motio terre,
Hac Basilea cadit, mortem gens acrius adit.
Ann. Matseens., SS. XI, 830.
71. Anno milleno trecenteno sine bino
Mars creat Albertum regem, nece stravit Adolfum;
Judeos sub eo mactavit tempore Franco.
Versus Babenb., SS. XVII, 639.
72. Anno milleno trecenteno vicesimo nono
Idibus Augusti ternis, simul hii duo justi
Facti sunt digni propter suspendia ligni
Et penam mortis celestis munere sortis.
Istorum preeibus nos munda, Christe redemptor,
A vieii fecibus, pene mortisque peremptor.
Ann. Colbaz., SS. XIX, 718.
73. Anno milleno trecentis bis minus anno
In Julio mense rex Adolfus cadit ense.
Eyr. Spangenberg, Sächſ. Chron. a. 1298, S. 468. Paral.chron.
Ursperg. ed. 1609 ©, 342.
74. Anno milleno tria C des et tria deno,
Tune obiit Henricus cesar, pietatis amicus.
Engelhus, Leibn. SS. II, 1125.
75. Anno milleno tria C nono quadrageno
Gens perfidorum concrematur Judeorum;
Et flagellantes per mundum suntque meantes,
Clerum pervertens, fidem non recte tenentes.
Marchio Volmarus cum Saxone regnat avarus;
Marchio Friderieus moritur virtutis amicus.
Versus Babenb., SS. XVII, 639.
76. Anno milleno tria C quadrageno secundo
Braxedis tantam Babenberch homo vidit undam:
Multos submersit, turrim cum ponte depressit.
Versus Babenb., SS. XVII, 639.
77T. Anno milleno tria C quater X quoque nono
Sunt interfecti Judaei die Benedicti.
Andr. Ratisb., Ecc. I, 2105.
18.
19,
81.
82,
86.
87.
29
Anno milleno tria C tricesimo primo
Babenberch feroces prostravit Steph regis hostes ;
Streczinweg pugnam perfidei monstrat iniquam;
Pacem spreverunt, trinitati sic perierunt.
Versus Babenb., SS. XVII, 639.
Anno milleno tria C tricesimo quinto
Nareissi festo venti rabiem memor esto.
Versus Babenb., SS. XVII, 639.
Anno milleno tria C viceno secundo
Recta potestate Ludewicus rex superavit
Australem ducem Wenezsalay Fridericum.
Versus Babenb., SS. XVII, 639.
Anno monos mille cum quadraginta ducentis
Eclypsim ponas Octobris pridie Nonas.
Chron. Magn. presb. cont. a. 1241, SS XVII, 528.
Anno quo Christus de virgine natus, ab illo
Transierant mille decies sex tresque subinde,
Pisani cives celebri virtute potentes
Ecclesie matris primordia dantur inisse etc.
Ann. Pisani a. 1063, SS. XIX, 238.
. Annos Verbigene MD semel X legis octo
Tegmine sub cupri noseitur aula tegi
Roskildis, summa Christierno sceptra tenente,
Antistes Lago doctor et ingenuus.
P. Olai ann. a. 1518, Langeb. SS. I, 196.
. Annus ab humano Christi millesimus ortu
Et decies denus sublatis quinque meabat,
Tum populo blandis quem mittit Gallia campis
Curia solemnis Clara mandatur in urbe.
Chron. Elwac. a. 1095, SS. X, 35.
‚ Annus erat Domini millesimus atque ducenta
Quattuor et quinque, junge triginta simul;
Tereia lux Junii metibus doloribus orbem
Involvit, gemuit territus omnis homo.
Non fuit hoc mirum; periit lux clara diei,
Est radius solis visus et ipse mori etc.
Barthol. Scrib. ann. a. 1239, SS. XVIII, 190.
Annus erat Domini semel MCDque secundus
Roskildis Jubileus ovans donis fit habundus.
‚ Stella cometa rubet satis ingens nec sine signis etc.
P. Olai ann. 1402, Langeb. SS. I, 193.
Annus millenus centenus septuagenus
Primus erat, primas quo ruit ense Tomas.
Quinta dies natalis erat, flos orbis ab orbe
Vellitur, et fructus incipit esse poli.
Rob. de Monte Chron. a. 1171, SS. VI, 519. Die beiden erften
Berfe Ann. Hamb. SS, XV], 382, Brem, XVU, 856. Bgl. Nr. 40,
30
87a. Annus millenus, centenus et octuagenus
88.
89.
90.
91.
92.
93.
94.
95.
96.
96a.
97.
98.
Septimus in fine Julii vincis, Saladine.
Ann. Veterocell. 1187, SS. XVI, 43, vgl. 113.
Annus millenus centenus septuagenus
Ternus erat Christi, quod Colbaz facta fuisti.
Notae Colbaz., SS. XIX, 719.
Augustae corvum hoc tempore vidimus album;
Illo candidior nulla columba fuit.
Ann. August. a. 1086, SS. III, 132.
Augustus moritur; fugit hinc pax, lis reparatur.
Ann. Zwifalt. maj. a. 1198, SS. X, 57.
Austri vexillum virtute Dei necat illum,
Qui rex ante fuit, jam necis arma luit.
Contin. Vindob. a. 1298, SS. IX, 721.
Bellicus antistes pugnaci cohorte Lupoldus
Imbelli movit bella cruenta papae.
Auxilio fretus regis quandoque Philippi,
Qui lupus ante fuit, denique factus ovis.
Joh. Latom. Catal. archiep. Mog. a. 1209, Mencken SS. III, 514.
Berno, Brunwardus, Fridericus, Teodericus
Wilhelmus, Rodolfus.
Ann. Stad. a. 1249, SS. XVI, 372.
Bis duo C post M Burckhart trigintaque septem
Hobnstein prostrabat, vinclis injuste gravabat
Semipolis cives, sed et armigeros et heriles,
Hujus consortes, Stolberg, Schwartzburgque cohortes.
Cyr. Spangenb. Sächſ. Ehron. a. 1437, p. 543.
Bis quinquaginta cum septem bisque triginta
Cum male prostratum fuit M gaudendo levatum.
Ann. Placent. Guelf. a. 1167, SS. XVII, 418.
Bis quinquaginta duos cum septem bisque triginta
Cum mille prostratum fuit Mediolanum gaudendo.
Manip. Flor. 201, Murat. SS. XI, 648.
Bis sexcenti septuaginta tresque stetere
Anni, Lausannae dum sex et papa fuere.
Nauclerus p. 965.
Bis sex centenus annus Domini quadragenus
Est et tredenus tibi, Flandria, vulnere plenus;
Nam Zelandia te vicit, censum tulit a te
C prima mensis Julii fuit hie ferus ensis.
Ann. Blandin. a. 1253, SS. V, 31.
Bis sexcentos septuaginta tres noto Cristi
Annos, quando rex factus, Rudolfe, fuisti,
Frankaefurt festo Michahelis stemate septus,
Magnatum regni Romani culmen adeptus.
Papa sedet decimus Gregorius; hie quoque primus
Ruodolfus rex est, si gesta notare velimus.
Cod. Paris. SS. XXI, 367. Conradi de Morae Commenda-
titia, Kopp Acta Mur. 5.312. Felix Faber, Hist. Suev. I, 13
9%,
100.
101.
10la.
102.
103.
104.
107,
31
Caesar ab hoc mundo migravit tereius Otto,
Vivat ut in celis, ubi vivit quisque fidelis.
Cosmae Chron. Boem. a. 1002, SS. IX, 58.
Caesar Friderieus primo bonus, hine iniquus,
Annis terdenis regnat, tribus associatis,
Post mille duo CC solo L ruit ipse.
Joh. Craws, Mader Ant. Brunsw. p. 98.
Caesaris Henrici mortem plangamus amici.
Qualiter hie vitam finivit per Jacobitam.
Per corpus Christi venenum tradidit isti.
Hic in laude Dei moritur in Bartholomaei,
Est Pysani latus et cum fletu tumulatus
Auno milleno trecenteno ter deno.
Mart. Fuld., Ece. I, 1722.
Cesar Ludwicus princeps pacis et amicus
Venandi studio obiit lapsus ab equo.
Ann. Halesbr. SS. XXIV.
Celtica Roma dehine voluit cepitque vocari,
Augustidunum demum concepta vocari,
Augusti montem quod transfert Celtica lingua.
Sigeb. V. Deod. 17, SS. IV, 477.
Christi post annos MC duo septuaginta
Octo, die terna post festum Bartholomei
Rex fuit oceisus a Roma. rege Bohemus.
Ann. Siles. sup. a. 1278, SS. XIX, 553.
Christum millenos natum centumque sub annos
Ili credebant qui Jerusalem capiebant.
Lux prior Aprilis nam phase tunc dedit illis.
Auctar. Garstense, SS. IX, 568.
Circulus annorum post sexaginta duorum
Mille cum centum patet M. digammate vietum.
Ann. Colon. max. a. 1162, SS. XVII, 775. Ann. Placent.
Guelf. a. 1162, SS. XVIII, 413. Manip. Flor. 189, Murat.
SS. XI, 643. |
.Coneilium fit Lugduni; gens Tartara sacre
Jura subit fidei, fit gratia consona Rome.
Ann. Veterocell. 1275, SS. XVI, 44.
« Concilium Rome famosum, grande, celebre
Hac fuit etate, caruit tamen utilitate.
Ann. Zwifalt. maj. a. 1179, SS. X, 56.
Congreditur bello Tuwingin Welp cum palatino.
Ann. Zwifalt. a. 1164, SS. X, 56.
1072. Consilium vanum destruxit Mediolanum.
108,
Ellenhard, SS. XVII, p. 137.
Crispini eis cras Margareta necis bibit urnas.
P. Olai ann, a. 1412, Langeb. SS. I, 199,
109.
110.
III.
112.
113.
114.
1144.
115.
116.
1164.
117.
118.
119.
120.
121.
32
ide: Sr post cras noster — fit Erick mas.
. Olai ann. a. 1406, Langeb, SS. I, 193,
Cruda virensque Deo Kerhilt, seniore sed aevo,
Fungitur in claustris reserans ergastula carnis.
Ann, Sang. maj. a. 1008, SS. I, 81.
Cum fuerint anni transacti mille trecenti
Et deciens seni post partum virginis alme,
Tune anticristus regnabit demone plenus.
Notae Colbaz., SS. XIX, 720.
Cum quinquagenus Domini tibi ducitur annus,
Tercia pars hominum transiit ad Dominum.
Lerbeck Chron. ep. Mind. 31, Leibn. SS. II, 191.
Cum Salvatoris venientis transit ab horis
Annus millenus centenus et octoagenus
Septimus, in fine Julii vincis, Salatine,
Et servit fano Jerosolima capta profano.
Contin. Cremif. a. 1187, SS. IX, 547. Bgl. Nr. 87a.
De Reme claustrales Vlotow quando redierunt,
Ducenti mille bis quadraginta vel octo
Sunt anni Domini, Prothasiique dies.
Lerbeck Chron. ep. Mind. 31, Leibn. SS. II, 185.
Dudum passa scacum mactavit Aquis Juliacum,
Dumque Quiris peditem captat, capit ipse Quiritem.
Chronic. Sampetrinum a. 1277, ed. Stübel p. 117.
Dum nongentenus terdenus ducitur annus
Exstitit a Christo, tunce rex magnus fuit Otto.
Magdeborch anno fuit huius structura secundo.
Lerbeck Chron. ep. Mind. 11, Leibn. SS. II, 166. Chron.
Mind., Meib. I, 559. Anon., Mader Ant. Brunsv. 160.
Dum viget Hermannus Pragensi pontificatu,
Est sublimatus Silvester presbyteratu.
Mon. Sazav. cont. Cosm. a. 1116, SS. IX, 155.
Dux Bertoldus obit, ventus quoque plurima lesit.
Ann. S. Trudperti 1218, SS. XVII, 293.
Dux post M post C post nonaginta novemque
Bardewik destruxit, Simonis sol quando reluxit.
Lerbeck, Meib. 1,507. Engelhus, Leibn. SS. II, 1105; Imper.,
Mader 71 (septuaginta). Chron. Osnabr., Meib. II, 214.
Dux puer en patribus apponitur hie Heremannus,
Signa capit tum res vir huieque sororius Ernest.
Ann. Sang. maj. a. 1012, SS. I, 82.
Ecce fames qua per saecula non sevior ulla.
Ann, Sang. maj. a. 1005, SS. I, 81.
Eece Moguntinae almae dat episcopus urbis
Culmen metropolis, quod erat tibi Quarmatiensis.
Joh. Latom. Catal. archiep. Mog. a. 729, Mencken III, 2147.
Eelypsis solis, undenis facta Kalendis
Octobris mensis, mansit ferme tribus horis.
Ann. Zwifalt. maj. a. 1093, SS. X, 54.
129,
130.
131.
132.
133.
134.
33
. Ein M, drey Wörste, ein L, twe X, Otto Förste,
Eins myn, ek melde, all’ hilgen wint Alevelde.
Engelhus, Leibn. SS. II, 1130.
. Eine Meyse, drey Creyen, drey Vinken, viset den hunger
Engelhus, Leibn. SS. II, 1125.
. En septingentis octoginta simul annis
Eeclesiae Mindae locus aptus conditur inde.
Anon. b. Mader, Ant. Brunsv. 160. Chron. Mind., Meib.
I, 555 (1 Heram. mehr).
. Ense Geroldus obit presul, dum dimicat ense,
Perplacet ergo chorum, non adiisse forum.
Joh. Latom. Cat. archiep. Mog. a. 723, Mencken SS. III, 438.
. Est Schowenborch natum MXXX tribus initiatum.
Lerbeck, Chron. ep. Mind. 15, Leibn. SS. II, 169. Chron
Mind., Meib. I, 561.
. Exiit Aprilis bis quatuor ante Kalendis
De muris urbis plebs tristis Mediolanensis.
Manip. Flor. 189, Murat. SS. XI, 643.
. Exurgunt reges Algard, Kynstod, duo fratres,
Cumque subintrarent Sambenses et spoliarent,
Mox juncti pariter, Winricus nempe magister,
Schindkop marscalcus, preceptores simul ejus
Hos debellarunt, captis multisque, necarunt
Ex his undena perversis milia plena,
Sed proh, marsalcus tune corruit, ut leo vivus.
Conr. Bitschin, SS. rer. Pruss. III, 480.
Filius eximii Frideriei nascitur in Lipczk,
Dietus voce patris, indole consimilis.
Ann. Veterocell. a. 1412, SS. XVI, 46.
Gurgitis exigui rex invietus perit hie vi,
Sceptri sublimis fata stupenda nimis.
Ann. Zwifalt. maj. a. 1191, SS. X, 57.
H. quartus mille tria C minus X obit ille
Mangnus in hiis annis Sle. Cra. San. dux Johannis.
Ann. Siles. sup. a. 1290, SS. XIX, 553.
Hamborch, du bist erenvast,
De van Lubeke voren den badequast.
Chron. d. Nordelb. Sass. a. 1427, Duell.» Samml. d. ſchlesw.⸗
Helft. Gef. III, 126.
Heinrich in Italiam, lecto quoque milite, Romam
Egre spectatus fertur caesarque creatur.
Compositis rebus, velut aestimat, inde reversus,
Ipsius et terrae populi mox defieit a se
Pars, post Hartwinum jam sceptra diu temerantem.
Ann. Sang. maj. a. 1013, SS. I, 82.
Henricum gentes regem multe pavitantes,
Hic censu ditat Grecus, hie Apulus diademat.
Ann. Zwifalt. maj. a. 1194, SS. X, 57.
XVIIL. 3
135.
136.
137.
138.
139.
139a.
140,
141.
143.
144.
34
Hie quatitur totus terrae globus undique motus,
Horrida ceu fissis portenta sonant in abyssis.
Ann. Sang. maj. a. 1021, SS. I, 82.
Hie situs est Nero, laycis mors, vipera clero,
Devius a vero, cupa repleta mero.
Vit. pont. Baluz., Murat. III, 2, 548. Henr. de Hervord.
a. 1341. (Korner a. 1343, Ecc. Il, 1062). Gyr. Spangenb.,
Querf. Chr. S. 352.
Hier is gekamen in dit Land
Van Hallermont Bischop Willebrand,
De hefft gebracht over ein
Rodes, Reineborg, Wedegenstein,
Chron. Osnabr., Meib. II, 245.
Hince post M ter C superadde triginta monosque,
In festo fratrum fuit hie incensio fratrum.
Chron. Oldenb., Meib. II, 152.
Hosti gentili data sancti terra sepulchri
Hic est; mundus ob id totus in arma ruit.
Ann. Zwifalt. maj. a. 1189, SS. X, 57.
Ignibus est leta, pestes fert rara cometa,
Nuncia bellorum mutat dyademata regum.
Hist. ann. 1264 sqq., SS. IX, p. 649.
Immo Verona dedit verumptamen vivere, Roma
Exilium, curas Ostia, Luca mori.
Bern. Guid., Murat. SS. III, 1, 476. Amalr. Aug., Murat.
SS, II, 2, 375. Bgl. 148.
In Christi sexta natalis maximus hora
Est terre motus per mundi climata factus.
Cujus in adventum liquido concussa fuerunt
Omnia, que telus portat vel sustinet orbis,
Anni cum Domini ceurrebant mille ducenti,
His tamen adjungas bis denos atque bis unum.
Ann. Placent. Guelf. a. 1222, SS. XVIII, 438.
. In Julio mense rex Adolfus ceeidit ense
Per manus Australis, Processi, Martiniani.
us, Leibn. SS. II, 1124. gl. Mart. min. 1292, Eccard
In Praemonstrato formatur candidus ordo.
Engelhus, Leibn. SS. II, 1097.
Insolito more tristes arsere cometae,
Tempora longa quidem, per loca non eadem.
Nunc medium mundi, nunc interiora sub austri,
Nunc se post gelidos occeuluere polos.
Consequiturque lues sine nomine corpora perdens,
Visceribus fervens, inde cruore fluens.
Ann. Sang. maj. a. 1013, SS. I, 82.
Intonat arce poli, nostri jaculantur ab igni,
Nemo tamen lesus, laus tibi, Christe deus.
Ann. Sang. maj. a. 1000, SS. I, 81.
35
146. Juniis in nonis festum venerabile nobis
Advenit, exultant fratres cum ceivibus in quo,
Tune quia caelorum meruit Bonifacius alta
Scandere, perpetuam mercatus sanguine vitam.
Presbyt. Traj. V. S. Bonifacii a. 755, Jaffe, Bibl. III, 506.
147. Jure dolet mundus, quod Jacobita secundus
Judas nunc extat; mors cesaris hoc manifestat.
Dum fuerint anni transacti mille trecenti
Et decimi trini, crastino sancti Thimothei
Ocecidit Heinricus infectus tabe veneni,
Glorius imperator, Germane gentis amator,
Justicie cultor, viduarum strenuus ultor.
Ann. S. Udalr. a. 1313, SS. XVII, 435.
147a.Kunig Wenczel waz ein liebt unde gab nicht schein,
Dorumb ist er beraubt der eren sein.
Ann. Hailsbr., SS. X, 10.
143. Luca dedit lucem, Luei, tibi, pontificatum
Hostia, papatum Roma, Verona mori.
Chron. Urspergense 1183, SS. XXI, 359. Ann. Stad. a.
1185, SS. XVI, 851. Bern. Guid., Murat. SS. III, 1, 476.
Amalr. Aug., Ecc. II, 1746; Murat. SS. III, 2, 375. Anon.
Leob. 1178, Pez I, 796 (abweidend).
149. Lucifer et Luna cum dejicerentur ab una
Mitra papati sub concilio generali,
Quintus Alexander praecellens valde magister
De Graecis natus est, Pisis papa creatus
Post M CCCC quatuor, tria post haec si referas ter
Lothan in festo, cuius sancti memor esto,
Chron. Magdeb., Meib. II. 352. Engelhus, Leibn. SS. II,
1138. Andr. Ratisb., Ecc. I, 2129.
149a. Lucius hac luce discedens morte vocatus
Urbano summam dimisit pontificatus.
Ann. Zwifalt. 1186, SS. X, ©. 57.
150, MCD, quater X sunt 8, Christoforus rex.
P. Olai ann. 1448, Langeb. SS. I, 195.
151. MCDXL quater X Christiernus morte ruit rex,
His unum jungas Junii Kalendas.
P. Olai ann. 1481, Langeb. SS. I, 195.
l5la.MC sex decies annosque recollige binos,
Tune Petrus sparsit istius odore libri nos;
Addideris si forte novem, quod passio Thomae
Pontifieis fit ibi, quem cantat Cantua pro me.
Ann. Hamb. SS. XVI, 382.
152. MC ter, L minus I nova crux surrexit Ebrei,
Truncatur presul, Agrippinus perit exul.
Ann. Agripp. a. 1349, SS. XVI, 738.
153. M, C ter, X quater, quinque semel, Cosme quoque noctu
Holla. Zelantque gemit, comitem quoque Frisia demit.
Gesta abb. Trud. cont. III, 2, a. 1845, SS. X, 425.
3 *
154.
160.
161.
162.
163.
36
MD post Christum, Juliane luce secunda,
Holsati sunt prostrati, dolo superati,
Dytmaricus proprium dum vult defendere nidum.
P. Olai ann. 1500, Langeb. SS. I, 196.
. MDX gemina rex Danorum sceleratos
Christiernus Suecos ense peremit heros.
P. Olai ann. 1520, Langeb. SS. I, 196.
. M ducenteno sexto quoque septuageno
In Viti festo Lubek perit igne molesto.
Detmar a. 1276, Graut. I, 153. Korner a. 1276, Ece.
1I, 927.
‚ M duo C sancta eonfertur erux Alemannis.
Engelhus, Leibn. SS. II, 1112,
‚.„ MetterC et L do schloch de doet de lude vill schnell.
Chron. Osnabr. a. 1350, Meib. II, 221.
. M semel et tria C simul octo rex patiturve
Al. Romanorum, qui cecidit ense suorum
Philippi Jacobi, rogo det veniam Deus illi.
Mart. Fuld. a. 1308, Ecc. I, 1722.
M simul et tria C, LL, X, I removete,
Pasche luce reus Pragae perit igne Judeus.
Engelhus, Leibn. SS. II, 1134.
M ter C denis tribus X tribus I quoque quinque
Annis locuste per Bawariam volavere.
Ann. Matseen. a. 1338, SS. IX, 829.
M. ter C LXVIII quondam cum scripta fuere,
Oldenborgenses comites cecidere per enses
Frisonicae gentis hostiliter hunc ferientis,
Quo ruit armatus simul ipsorum comitatus.
Hujus et obnixe miserere, Jesu crucifixe!
Praxedis in festo caedis hujus memor esto!
H. Wolter Chron. Brem., Meib. II, 67. Chron. Oldenb. a.
1368, Meib. II, 159.
M tercenteno cum nono septuageno
Quae sata donat, si grandinat ira Dei,
Mindae distrietus conterrent fulminis ictus,
Penteque profesto quinta feria memor esto !
Chron. Mind., Meib. I, 569. Lerbeck, Chron. ep. Mind. 45,
Leibn. SS. UI, 193 (3. 2 fehlt). .
M trecenteno ter X quoque sub anno
Aspice multorum fuit afflictus Judeorum.
Ann. Agripp. a. 1330, SS. XVI, 737.
. M tres X tria C post octo venere cicade.
Engelhus, Leibn. SS. II, 1126. Eyr. Spangenberg, Sädjf.
Chron. a. 1338, ©. 482.
. Machmet paganos a fide fecit prophanos,
Talmud Judeos, sed Huss decepit Bohemos.
Non prophetarum praesagiis, sed poetarum
Fabulis jam credunt, omnes a fide recedunt.
37
Salve nos, Christe, rex regum, tu benedicte,
Quos redemisti sanguine de nece tristi!
Andr. Ratisb., Ecc. I, 2143,
167. Maxima tres annos pressit fames hine Alamannos.
Ann. Zwifalt. maj. a. 1196, SS. X. 57.
168. Mille ducentenis octogenisque duobus
Annis Heinricus Simon Egidius Lodowieus
Albertus capti sunt in Thorenburgque redacti.
Insuper hoe ipso rex est Willelmus in anno,
Frisonibus multis oceisis despoliatis
Captis, translatus ac in Middelburg tumulatus.
Ann. Egmund. a. 1282, SS. XVI, 479.
169. Mille post annis duo C domini celebrantes,
Sicut asseritur, cum tribus assoeiatur,
Hoya dominium sumsit initium.
Anon. b. Mader, Ant. Brunsv. 162. Bgl. 171.
170. Mille quadringentis Augusto mense fit annis
Bawarus electus Romanorum rex, homo rectus.
Andr. Ratisb., Eec. I, 2125.
11. Mille sub annis duo C domini celebrantur
Hoye dominium sumpsit initium.
Lerbeck, Chron. ep. Mind., Leibn. SS. II, 181. Chron. Mind.
Meib. I, 508. gl. 189.
172. Mille ter centeno, ter terno, bis quadrageno
Matthie festo magne letis memor esto,
Alberti regis captivi dum cadit egis,
Dumque suus natus Ericus fit superatus,
Cum tripliei comite, cum multo milite rite,
Armigeri numerus quotus est, vix novit Homerus.
P. Olai ann. a. 1389, Langeb. SS. I, 192.
173. Mille trecentenis decies quinis simul annis
Hie hominum necifex locat aör milia bis sex.
Chronic. Sampetrinum a. 1350 ed. Stübel ©. 182. Cyr.
Spangenberg, Sächſ. Chr. 1350, S. 491.
174. Nille tribus demtis annis nonaginta ducentis
In festo fratrum fuit hie inceptio fratrum.
Chron. Oldenb, a. 1287, Meib. II, 152.
175. Millenis quadringentenis uno minus anno
Otto bellavit, Lymborch Vörst suppeditavit,
Sunt captivati quasi centum connumerati.
Engelhus, Leibn. SS. II, 1136.
176. Millenis trecentenis bis quattuor annis
In Majo mense rex Albertus perit ense
Perque ducem Suevum Johannem. Rumor in evum.
O Deus, hoc factum furtum fuit in Padis actum,
Festum Walpurge facit hoc facimusque notare.
Christus ab eternis defendat eum modo penis!
Ann. S. Udalr. a. 1308, SS. XVII, 435.
176a. Millenis trecentenis ete. ſ. oben 16.
177.
178.
179.
180.
180a.
181.
182.
183.
184.
185.
186.
186a.
187.
38
Millenisque trecentenis sed sex minus annis
Annus erat Christi quod Mergywolt facta fuisti.
Tempus idem cunctas inibi serpentibus undas
Infinita rane replebant flumina plane etc.
Notae Colbaz., SS. XIX, 720.
Milleno bis centeno cruce Teutonicorum
Pallia signantur, cum regnavit pius Otto,
Engelhus, Leibn. SS. II, 1112.
Milleno bis centeno deno cadit anno
Sevis seva, piis pia facit amica Mathildis.
Ann. Parchens. a. 1210, SS. XVI, 606.
Milleno bis centeno deno Minor ordo,
Postea septeno coepit qui praedicat ordo.
Engelhus, Leibn. SS. II, 1112.
Milleno centeno quindeno ruit anno
In Welpsholt mense Februo gens Saxonum ense.
Ann. Veterocell. 1115, SS. XVI, 42.
Milleno centeno quindeno necat anno
In Welspholt fortes Heinriei Saxo cohortes.
Hinc post quindenum strages Behem fuit annum
Gentis Teutonice, fortesque ruunt ibi mille.
Cod. Paris., SS. XXII, 366.
Milleno ducenteno nono nonageno
Remigii sunt suspensi bis quinque magistri.
Engelhus, Leibn. SS. II, 1124.
Millenum tricentenum quinum quoque denum
Annum transactum die post verbum caro factum,
Quum fame plere pecus ac homines periere.
Post Noe non vere clades talesque fuere.
Ann. Egmund. a. 1315, SS. XVI, 479.
Moguntinensis, Treverensis, Coloniensis,
Quilibet imperii fit cancellarius horum,
Et palatinus dapifer, dux portitor ensis,
Marchio prepositus camere, pincerna Bohemus:
Hii statuunt dominum cunctis per secula summum.
Mart. Oppav. SS. XXII, 466. Joh. Victoriens a. 1209,
Böhmer Font. I, 326. Chron. Colmar. a. 1298, SS. XVII,
267. Henr. de Hervord. a. 1000. Joh. Craws, Mader, Ant.
Brunsv. 85. 98. der Sächſ. Weltchronif S.170N. Cod. Paris.,
SS. XXII, ©. 367, wo andere Stellen nachgewieſen.
Mors populos stravit, subita quos peste necavit.
Ann. Zwifalt. a. 1094, SS. X, 54.
Motum dant Luce sex culi, quatuor ve.
Ann. Marbac. a. 1356, SS. XVII, 179.
Multi gaudebant, venit rex quando Rudolphus ;
Plures plangebant, rex dum venisset Adolphus.
Ann. Reinhardsbrunn. a. 1295, ed. Wegele ©. 273.
Navibus instructis, remis velisque paratis,
Transiit hoc anno mare, fisus milite multo,
188.
189,
39
Consul Willelmus multa virtute notatus;
Anglos constanti victor virtute subegit,
Et caput a scapulis regis mucrone revulsit ;
Hoc ita perfecto, merito diademate sumto,
Ipse coronatus, rex est de consule factus.
Ann. S. Columb. Senon. a. 1066, SS. I, 106.
Nomina bina bona tibi sunt, preclarus amictus,
Papa Bonifacius modo, sed quondam Benedictus.
Ex re nomen habe: benefac, benedic, Benedicte;
Aut cito perverte: malefac, maledic, maledicte.
Eberh. Ratisb. ann. a. 1303, SS. XVII, 599. Contin.
Weichard. de Polhaim, SS. IX, 817. Korner a. 1343, Ece.
II, 1062.
Non est urbs Acharon, quam quilibet estimat Achon,
Illa Philistea, Ptolomaida dieitur ista,
Annal. Saxo a. 1105, SS. VI, 741.
189a.Non intrant tuti, jussum papale secuti,
190.
191.
1%,
193.
194.
196,
Nostri cornuti, nec prodest eornibus uti,
Cum pressentur uti pecudes jaceantque voluti
In squalore luti. Mors est vicina saluti.
Ann. Hamb., SS. XVI, 382; cf. Ann. Thur. SS. XXIV, 40.
Nox Cosme luxit Hollos, quos Frisia flixit.
Gest. abb. Trud. cont. III, 2, a. 1345, SS. X, 425.
Octo, C bis, mille venerabilis ineipit ille
Ordo majorum, reverendus et ordo minorum.
Engelhus, Leibn. SS. II, 1112.
Octoginta ducenti necnon milia quinque
Constant omnes anni tempus usque hoc Adam.
Mar. Scot. Chron. a. 1098, SS. V, 560.
Omne dieit Jesus fieri non stabile regnum
In se dividuum et nil dissociabile firmum;
Hinc dolus, anxietas, tibi, formosissima tellus,
Hinc labor exoritur, quondam Pannonia felix.
Ann. Fuld. V, a. 884, SS. I, 400,
Orbem perstringens rex Carolus imperat ingens
Post Christum CCCD jungas, et superadde
Decem cum quatuor, Carolus rex moriebatur.
Chron. Mind., Meib. I, 557.
. Otto dux Renum tunc deserit et petit Enum,
Nec trahit hie scacum Rudolfus itque Monachum.
Contin. Vindob. a. 1298, SS. IX, 721.
Otto Meraniae princeps, cognomine Magnus,
Inspruck circumdat muris, et moenia fundat
Tricesimo quarto post annos mille ducentos
A nato Christo; privilegia dux dedit Otto.
En. Widemann, Chron. Cur., Mencken III, 610.
196a. Papatus munus tulit archidiaconus unus:
Hune patrem patrum fecit concordia fratrum.
Hermannus Gygas 1271}, ©. 129.
40
196b. Pervertunt cuncta simul haec duo schismata juncta
Regum pontificum; nec novit amicus amicum.
en chron. Moguntin. (1200), Jaffe Mon. Mogunt.
197. Pestis regnavit, plebis quoque millia stravit,
Insolitus populus flagellat se seminudus,
Contremuit tellus, populusque crematur Hebraeus,
Inclytus atque pius princeps obiit Fridericus,
Fit terrae dominus Fridericus filius ejus.
Eyr. Spangenberg, Sächſ. Ehron. a. 1349, ©, 491.
198. Pipinus moritur, consurgit Karolus acer
Natus in Ingelenheim, cui Berta fit Ungara mater
Pipinusque pater; chronica vera patent.
Be Leibn. SS. II, 1060. Andr. Ratisb., Ecc. I, 2044
nur 5. .
199. Pons fieri coepit, Domini dum annus incepit
Mille centenus, tria decem semi quoque denus.
Andr. Ratisb., Ecc. I, 2078,
200. Post annos Domini sine binis mille trecentos
Albertus dux Australis prostravit Adolfum
Regem Romanorum, regno successit eidem.
Engelhus, Leibn. SS. II, 1124.
201. Post annos mille tria C tres X duo Christi
Creverat tibi satis de vino, quod mere gratis,
Vel nummis quinque vix urna dabatur in urbe.
Versus Babenb., SS. XVII, 639.
202. Post centum mille bis denos ordo fit ille,
Quem per Nortbertum nos credimus esse repertum.
Engelhus, Leibn. SS. II, 1097.
202a. Post Christum natum tria C, tot X, quoque mille
Signis impressis, Julio quoque tempore mensis,
Frugis et arbusta devorat quoque foena locusta.
Chron. Salisb., Canisius ed. Barnage III, 2, 491.
203. Post M duo C post annos ter deca sexque
Elisabeth sancta fuerat tunc canonizata.
Engelhus, Leibn. SS. II, 1117.
204. Post M post duo C post nonaginta monosque
Harliberg capitur, moritur rex, dux superatur.
Chron. Magdeb., Meib. II, 333. Engelhus, Leibn. SS. II,
1122 (abweichend).
205. Post M post duo C tres annos lustra bis octo
Symonis et Judae Stargard est capta per hostes.
Notae Colbaz., SS. XIX, 719.
206. Post M post tria C post quatuor X et duoque
Wisera per Mindam tumuitque magna per undam.
Lerbeck, Chron. ep. Mind. 39, Leibn. SS. II, 190. Chron.
Mind., Meib. I, 567.
207. Post M post tria C post septuaginta quaterque
Wesera crescebat Hamelen stratasque tegebat.
41
Post M post quinque C et V insuper adde
Wesera crescebat Hamelenque viasque tegebat.
Joh. de Polde Chron. ecel. Hamel., Meib. II, 517.
207a. Presulis emeriti tunc et flatus Godehardi
Carnem dimisit et celica regna petivit.
Auctarium Ekkehardi Altahense, SS. XVII, 364.
207b. Quando post decimam numeratur linea quarta,
De Carlo Magno processit Gisila prudens.
Wiponis Vita Chuonradi c. 4, SS. XI (Tetralog. v. 159. 160).
Me. Quatuor exemptis et annis mille ducentis
Idibus Aprilis Roma secunda ruit.
Albriei chron. a. 1204, SS. XXIII, 882.
208. Res fit mira nimis: puero ductore marinis
Sedibus innumeri conveniunt pueri.
Ann. Zwifalt. a. 1212, SS. X, 58.
209. Rex oritur Salicus, Cuonradus nomine dictus,
Si non in pejus perdurat adhuc genus ejus.
Ekkeh. Chron. univ. cod. 5 a. 919, SS. VI, 175.
210. Rex vir magnificus fit dux Pomerensis Ericus
M quadringeno Domini nono quoque deno,
Femariam freno vietor domuit alieno.
Haffnis psalterium statuit rex ipse legendum
Tempore perpetuo, quo Christus regnat in ewo.
P. Olai ann. a. 1419, Langeb. SS, I, 194.
211. Saxonici reges tunc coeperunt dare leges,
Rex erat Heinricus inter quos nomine primus.
Quae stirps regnavit, ad finem dum propiavit.
Ekkeh. Chron. univ. cod. 5 a. 919, SS. VI, 175.
212. Scandala nova cape, quia facti sunt duo pape,
Scilicet Urbanus Rome et Clemens in Affinione.
Ann. Zwifalt. a. 1379; cf. a. 1440, SS, X, 62. 63.
213. Scandit ab R. Gerbertus ad R., post papa vigens R.
Sigib. Gembl. a. 992. Ekkeh. cod. E a. 991, SS. VI, 191.
214. Sepius afflicta capitur Jerosolima vieta
Et turrem Davit pagana superbia stravit,
Non pagana parum ruit et pars christianorum.
Contin. Lambac. a. 1239, SS. IX, 559.
215. Septimus et denus annus cum mille ducentis
Naufragium France conspexit in equore gentis.
Eripuit paucos fuga, sed multos mare mersit;
Ense cadunt vel vincla gerunt, quibus unda pepercit.
Henr. de Hervord. a. 1217, ©.
216. Simonis excelsi sternuntur turbine luci.
Ann. Agripp. a. 1332, SS. XVI, 737.
217. Stedingi sexto Junii cecidere Kalendis
Anno Gerhardi quinto decimoque secundi,
Lippia pontificem quem tibi Brema dedit;
M duo C quartus ter denus tune fuit annus.
Chron. Osnabr., Meib. II, 212. Lerbeck, Meib. I, 511. H.
Wolter, Chron. Brem. Meib. II, 59 (3. 3 fehlt; verftellt).
42
218. Stirps Karoli Magni, mundo venerabilis omni,
Ante fuit clara, coepit demum fore rara.
Leto delente paulatim deficiente,
Successit primus Cuonradus nominis hujus.
Ekkeh. Chron. univ. cod. 5 a. 919, SS. VI, 175.
218a.Sublatis annis tredecim de mille ducentis,
Hierusalem capitur et ea gens Turca potitur.
Robertus Autis. ed. Camissaeus p. 91.
218b. Snccessit non laude minor nec moribus impar,
Forma gregisque vita clarus verboque Robertus etc.
Albrici Chron. a. 1221, SS. XXIII, 912.
219. Sunt fere necati quadraginta millia quinque.
Eyr. Spangenberg, Sächſ. Ehron. a. 1115, ©. 358.
220. Sunt M, C trinum, duplex X, I quoque binum
Wenczeslayque jugum cadit Austria sub Wabarinum.
Ann. Ensdorf. a. 1322, SS. X, 8.
221. Sunt octingenti post partum virginis anni
In numero, Karolus Rome dum regnat, et unus.
Dum nongentenus tricenus septimus annus
Exstitit a Christo, tune rex magnus fuit Otto,
Madeburch anno fuit hujus structa secundo.
Cod. Hamburgensis, SS. XXII, 365.
221a.Sus fuit inventus, quo fixit castra juventus,
In medio tergo lanam tulit; accidit ergo,
Nomen ut aptarent Mediolanumque vocarent.
Chron. Sampetrin. a. 1162, ed. Stübel ©. 32,
222. Tempore quo Caesar sua Gallis intulit arma,
Tunc Mediomatricam superavit Metius urbem.
Sigib. V. Deoder. 17, SS. IV, 477.
223. Ter C milleno sexageno quoque deno
Adolphus dietus comes in Schomborg benedictus
Octobris pleno surgente die duodeno
Emisit flatum Domino gratum atque beatum.
Chron Mind., Meib. I, 568.
224. Terram Misnensem tibi, rex Adolfe, per ensem
Subdis, sex denis ex arce Vriberg jugulatis.
Ann. Veteröcell. a. 1296, SS. XVI, 44.
224a. Tot Christi nati fuerant anni numerati
Mille ducenteni decies sex ter quoque seni,
Cum rex Otakarus vitam finivit avarus
Atque Bohemorum quam plurima turba suorum.
Contin. Lambacens., SS. IX, 561.
225. Tres ubi crescit olus, nec erant tunc sydera, solus
Abbas Albertus posuit radiantia quereus.
Ann. Hamb. a. 1238, SS. XVI, 383.
226. Tria C bis mille, quo tempore primitus ille
Sumsit tunc ortum sacer ordo Praedicatorum
Fundatur fratrum nihilominus ordo Minorum.
Chron. Mind., Meib. I, 564.
43
. Turbine ventorum fit magna ruina domorum,
Fabrica multarum confringitur ecclesiarum,
Deeidit et euncti generis radicitus arbor.
Clade famis dirae plures coepere perire,
Saeviit in miseros nimium quae quinque per annos,
Sex denis solidis emptus tritici corus unus.
Eyr. Spangenberg, Sädjf. Chron. a. 1196, ©, 409.
. Una Sunamitis nupsit tribus maritis.
Rex Heinrice, ÖOmnipotentis vice
Solve conubium triforme dubium!
Annal. Saxo, a. 1046, SS. VI, 687. Ann. Palid. a. 1045,
SS. XVI, 68.
Undecies quinque junctis numeris cum mille ducentis
Et tribus annexis duodecima nocte Novembris,
Cum sine nube fuit celum nituitque serenum
Luna diu latitans, cum debuit esse rotunda
Visibus humanis se totam [subtrahit atra ?] etc.
Ann. Januens. a. 1258, SS. XVIII, 241.
Undenis demptis annis a mille ducentis
Christus ut est natus, transit mare rex Fridericus.
Ann. Elwang. a. 1189, SS. X, 19. Chron. Elwac. a. 1189,
SS. X, 36.
. Urbanus morte rerum summa spoliatur,
Pro quo Gregorius in Petri sede locatur.
Ann. Zwifalt. a. 1188, SS. X, 57.
. Urtellus tumido profugus dat tecta Leoni
Qui locuples terris exit inopsque suis.
Joh. Otho, Episc. Brem. a. 1512, Mencken III, 813.
Ut lateat nullum tempus famis, ecce cucullum
(CVCVLLVM).
Ann. Agripp. a. 1315, SS. XVI, 737. Ann. Marb. a. 1315,
SS. XVII, 179. Lerbeck, Chron. ep. Mind. 38, Leibn. SS.
SS. II, 190. Engelhus, Leibn. SS. II, 1125. Andr. Ratisb.,
Ecc. I, 2101. Korner a. 1315, Ecc. II, 982. Cyr. Spangen-
berg, Sächſ. Chron. a. 1315, ©. 477.
Ut valeas esse monachus, tibi crede necesse
Rostrum porcinum, et dorsum fac asininum
Osque columbinum, cor ovinum crusque bovinum.
Ann. Ensdorf. a. 1322, SS. XVI, 8.
234a. Victrix Roma dolet, nono viduata Leone,
235.
Ex multis talem non habitura patrem.
De Vita Leonis IX. I, c. 14, Watterich Vitae pontif.
Virginis a partu, Domini qui contigit ortu,
Anno milleno centeno minus et uno
Hierusalem Franei capiunt virtute potenti,
Cujus magnifico regnum cessit Godefrido.
Ann. Elnon. maj. a. 1099, SS. V, 14.
44
236. Vixit Alexander post concilium tribus annis,
Et moritur, post quem Lucius eligitur.
Ann. Zwifalt. maj. a. 1182, SS. X, 56.
237. Westphalus a fallo de Feylen dicere mallo,
Westphalus est sine re, sine pa, sine pi, sine vere.
‚Engelhus, Leibn. SS. II, 1061.
Die in vorftehendem Verzeichnis angeführten Stüde find im Fol=
genden nad) den Jahren geordnet auf die fie jich beziehen, einige ohne
bejtimmte Jahreszahl, die ſich leicht einordnen, in Klammern beigefügt,
nur ſolche die jeden beſtimmten Anhalts der Art entbehren übergangen;
wo zwei verſchiedene Ereigniſſe deſſelben Jahres vorkommen, ſie durch)
einen Strich getrennt. G. ©.
780: Nr. 124. 1177: Nr. 41.
80: „ 221. az; „107.
814: „ 19. (1182): „ . 236.
86: „ 18. (1185): „ 149a.
(919): „ 211 1187: „ 87a. 113. 218a.
930: „ 118. (1188): „ 231.
987: „ 21. 1189: „ 22.230.(130). —
(1002): „ 99. (139).
100: „ 17 (= 4). 1190: „ 38.
1033: „ 126. 1191: „ 45a.
(1054): „ 234a (1197)., 09.
1063: „ 82 1199 „ 28. — 117.
(1066): „ 187. 1200 „ 23. 171 (vgl. 173).
1084: „ 52. — 157. — 178. —
1095: „ 84. 226.
1099: „ 39. 46. 235. 1203: „ 173 (f. 1200).
1100: „ 1204: „ 207e.
1115: „ 42.43.180a. 181.11208: „ 191.
(219) 1209 „ 50.
1120: „ 202 1210 „ 6. — 179.
1124: „ 35. — 36. 37. 1212 „ 12. 27. 47. 48.
1127: „ 33. (208). — 26.
1130: „ 4. — 19(?). res „ 189a.
11355: „ 19. 1217: „ 180. — 215
1147: „ 8. san: „ 116a.
1162: „ 105. (127). — (1221): „ 218a.
15la. 1222: „ 141.
(1164): „ 106. 1227: „ 5l.
1167: 95. 1234: „ 196. 217.
m 98. 1236: „ 208.
1170: „ 40. 1239: „: 20. 85.
„ 87. 1öla. 1240:
„88. 1241: „
1310:
1313:
1315:
1322:
1329;
1330:
1331:
2 2 3 232 33 202323
a 3332 332 2053
2
2a 22 3 3
=
:
—
B5
z
— +
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--AKer)
. 1
ph *
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ie]
ie.)
tr
|
62, — 74. 101.
3
2
2 za 2 2 2 2 2 2 3 3 3 zz 2232 2 2 2 3 2 2
=
za 2 33 3 2 3 3 3 2 zz 2 33 2
x dar
|
& ee:
=
|
153.
101a.
13. 0,
75. 77. 182.
158. 173.
60. — 70a. 186.
111.
162,
122.
8. — 223.
34.
56.
207,
58.
10.
165. (212).
9a.
172.
175.
170,
86.
Sn.
149, — 160.
63.
210,
Bl.
94.
150.
Zur Quellenkritik des Nauclerus.
Von
D. König,
Die Chronif des feiner Zeit als Hector und Kanzler der Unis
verfität zu Tübingen in hohem Anjehen ftehenden ſchwäbiſchen Hu—
maniften Johannes Nauclerus hat vor Kurzem durch Eric; Yoachim !
die erfte fritifche Bearbeitung erfahren; manches bislang unbefannte
Onellenmaterial ift bei diefer Gelegenheit zu Tage geihafft: ausführ-
lihere Sindelfinger Annalen, eine in ihrer Zuſammenſetzung räthſel—
hafte Chronik eines Jacob von Mainz, eine der fogenannten Klingen—
berger Chronik ähnliche Gefhichtscompilation, und ſchließlich eine Chro—
nit aus St. DBlafien. Eine eingehende und ſachgemäße Beurtheilung
fand diefe durch ihren friichen Ton anmutende Monographie durch
Reiland?, der manche Behauptungen Joachims zurückwies, andere
auf ein bejcheideneres Maß zurüdführte und andere Fragen anfnüpfte,
die zur erneuten Unterfuhung des Autors anreizten.
Wir werden und daher in der folgenden Erörterung vornehmlic)
mit den beiden Vorgängern zu bejchäftigen haben und hie und da eine
von ihmen abweichende Anfiht zı begründen verſuchen. Wir be—
ginnen? mit der
Chronitvon St. Blajien.
Vorläufig erfcheint fie in eim myſtiſches, wenn aud nicht Hoffe
nungslofes Dunfel gehüllt. Diefes zu lüften muß Zrithemius dienen,
freilih mehr in handlangerifcher Weife, al8 daß er felber den Knoten
löſen Hilft. Trithemius und Nauclerus berühren fi) manchmal nahe;
das „Wie“ ſoll Später gejagt fein.
Zum Jahre 1360 erzählt Naucler den Feldzug, ben Kaifer
Karl IV. im Verein mit Schwäbischen Neichsftädten gegen die Grafen
Eherhard und Ulrich) von Wirtemberg unternahm, welche lettere mit
Herzog Rudolf von Defterreich fich verbündet hatten. Trithem be—
ı E. Joahim, Johannes Nauclerus und feine Chronik. 1874. Göttinger
tt,
ı Im der Hiftorifchen Zeitichrift XXXIV, ©. 423—430.
Die Geſchichtscompilation des Jacob von Mainz wurde mit Abficht nicht
weiter berührt, da der Ber. über fie im einem bejondern Aufſatz zu handeln
gedentt,
* Naucleri Chronicon, Coloniae 1589, S. 1015.
XVII. 4
Diffe
50
findet fi in feinen Annalen? — feine Chronit Hat diefe Nachricht
nicht — teilweife in Uebereinftimmung mit Naucer. Dieſer citirt
inmitten der Erzählung diejes Feldzugs eine Chronica S. Blasii, und
©. 1016, nachdem er einige Artikel aus dem Friedensinftrument ans
geführt hat, beruft er fich nochmals auf dieje feine Quelle, welche
mehr derfelben enthalte.
Ein beſonderes Intereſſe gewährt die Nachricht wegen eines
Verstoßes gegen eine hiftorifche Tatfadhe, den v. Stälin in feiner
Wirtembergiſchen Geſchichte? Schon bemerkt hat, ohne hier die Frage
nad) dem Berwandtichaftsverhältnis zwiſchen Trithem und Naucler näher
zu erörtern. Bei diefem heißt e8 ©. 1015: Anno Domini 1360.
Eberardus comes de Wirtemberg preses Sueviae seu advoca-
tus provincialis super 24 civitates imperiales a Carolo et ante-
cessoribus suis imperatoribus constitutus, cepit easdem civi-
tates illieitis exactionibus praegravare etc.; eine Bemerkung,
weldhe in den Annalen des ZTrithemius zweimal (II, 240. 241)
wiederfehrt. Hier Hat — und Stälin fchreibt Trithem den Fehler
zu — eine Verwechſelung zwifchen der niederfchwäbiichen Land—
vogtei des Grafen Eberhard und den fchwäbiichen Yandvogteien über-
haupt ftattgefunden, von denen die oberjchwäbiiche damals der Graf
von Helfenjtein bejaß. Indes noch weitere Differenzen finden fich :
nad) Zrithem?, welcher hier mit dem Speirer Chroniftent die Bi—
ihöfe von Conftanz, Augsburg und Speier als Friedensvermittler
auftreten läßt, neunt Naucler an Stelle des Conftanzer den Biſchof
von Straßburg. Beachtenswerth ift, daß in der Aufzählung der Frie—
densbedingungen fich zwifchen Trithem und Naucler eine Kleine Ver—
Schiedenheit findet. Wir bezeichnen zunächſt die Punkte, in denen fie
übereinjtimmen :
1) Die Grafen von Wirtemberg löſen ihr Bündnig mit dem
Herzoge von Dejterreid).
2) Eben diejelben leiften Verzicht auf die Reichsvogtei über die
ſchwäbiſchen Reichsſtädte.
3) Die Grafen ſollen den ſchwäbiſchen Städten zu Recht ſtehen
vor dem Kaiſer oder ſeinem Stellvertreter.
- 4) Der Herzog von Ted und der Schenk von Limpurg werden
wieder zu Genaden angenommen wie alle übrigen Grafen der Gegen
partei mit Ausnahme der Herzöge von Defterreid).
5) Sicherheitverfprechen der Grafen von Wirtemberg für die
Grafen, welche auf Seite des Kaijers ftanden.
6) Nücgabe der Gefangenen und Auslieferung der eroberten
Burgen und Feſten an die Grafen von Wirtemberg mit Ausnahme
von Alen mit Zugehörungen,
Ann. Hirs. II, 241. 242,
Bd. III, 264 N. 4,
Stälin a. a. O. III, 269 Nr. 2,
Würdtwein, Noya subsidia I, 180.
>» = wm
51
Die einzelnen Punkte des Vertrags find nicht in der gleichen
Reihenfolge bei beiden angegeben; Trithem ijt im Einzelnen voll
ftändiger und Hält fich offenbar mehr an den Wortlaut der Urkunde,
deren Schluß er beifügt. Im Unterichied von Naucler hat er den
Artikel befonders aufgeführt, nach welchem Graf Eberhard dem Reich
und Karl IV. treu und gehorfam zu fein verjpricht; Naucler dagegen
bemerft noch, daß das zu 3) Gefagte auch für die Söldner und Helfer
der Grafen von Wirtemberg gelte, und daß dieſe ferner feine Grafen,
Barone, Edle und Minifterialen in Sold nehmen dürfen, um fie
gegen das Reich zu verwenden. Zu 4) erſcheint der Schenk von Lim—
burg nicht in den Artikeln des Vertrages beim Trithem.
Bergleichen wir jett mit dieſer Ueberlieferung die im deutjcher
Sprache abgefahte Urkunde ?, jo bemerfen wir, daß diefelbe von beiden
Schriftjtellern abweicht. Die Reihenfolge der Artikel in der vom 31.
Auguft datirten Urkunde ift diefelbe wie bei Naucler, nur daß die
Verzichtleiſtung der Grafen auf die Reichsvogtei und die Beſtimmung
fi nicht findet, daß die Grafen aud) den von den Meichsftädten in
Sold oder zu Hilfe genommenen Leuten zu Recht ftehen, feinen Grafen
oder irgend einen andern Edlen in ihren Sold nehmen follten zum
Kriege gegen das Reich und nicht gegen die Grafen, welche auf Seiten
des Raifers geftanden hatten, ſich feindfelig zeigen wollten. Dagegen
hat die Urkunde die bei Trithem gefundene Beftimmung, nad) der
die Grafen von Wirtemberg Treue und Gehorfam gegen Kaifer und
Reich versprechen, und außerdem noch einige Anordnungen, die wegen
der Auslöſung gewiſſer Pfänder durc den Kaifer getroffen werden.
Wir fehen, wie Trithem und Naucler nicht wie fonft har—
moniren und auch nicht einmal alle Differenzpunfte fi) in dem Wort—
laute der Urkunde auflöfen: wir find veranlaßt, für Zrithem und
Naucer eine gemeinfame Vorlage anzunehmen, nicht etwa die Urkunde
wie fie uns vorliegt, fondern eine Faſſung derjelben, welche der Autor
* zu dieſem Jahre zweimal eitirten Chronik von St. Blaſien
annte,
Damit berühren wir einen neuen Punkt in der Quellenkritik
des Naucler. Joachim? hat nur die Hinweifung der einen Stelle in
einer für das vierzehnte Jahrhundert unbekannten Chronik von St.
Blafien gefunden, welche uns belehrt, daß Kaifer Karl IV. am 28,
Auguft mit feinen Böhmen Schorndorf, der Pfalzgraf Ruprecht Grü—
ningen befetste: eine Stelle, welche eigentümlicher Weife mit denjelben
Vorten in der Chronif Heinrichs von Diefjenhoven wiederkehrt.
Joahims ganz gerechtfertigter Schluß, daf hier eine neue, bisher nicht
gelamite Gejchichtsquelle vorliege, wurde von Weiland? gemißbilligt,
weil die Chronif nicht ſpeciell St. Blafianifhe Nachrichten bringe,
auch einmal Chronica ad S. Blasium heiße. Er bezweifelt, daß
4*
52
„dieſem Klofter damals eine fo hervorragende Leiftung entjproffen“
fei, und vermutet daher, wegen der Uebereinftimmung der Nachricht
mit Heinrich von Diefjenhovens Chronik, welche nad Lorenz! vom
Sahre 1343 an als Gollectaneenarbeit anzufehen ift, ausgeführtere
Reinſchriften derjelben, denen wir die der Chronik von St. Blafien
zugefchriebene Nachricht zuzuweifen haben würden.
Dagegen ift einzumenden, daß wir bei der fpärlichen Ueberliefe—
rung das Fehlen St. Blafianifher Nachrichten gar nicht erweifen
fünnen; auc find wir nicht berechtigt, dem mehrmals als Chronik
von St. Blafien durch Naucler uns vorgeitellten Geſchichtswerk we—
gen des einmal vorkommenden Ausdruces Chronica ad St. Blasium
jenen Ursprung abzufprechen. Der legte Ausdrud kann doch mur
befagen, daß die Chronik der Klofterbibliothel von St. Blafien ent-
nommen it, fchließt aber durchaus nicht aus, daß diefelbe dort verfakt
it. Naucler kommt uns felber mit eimem Beiſpiel analoger Aus:
drucsweife zu Hilfe: ©. 811 Heißt e8: In hac generatione circa
annum Domini 1100. inveniunturapud monasterium Hir-
saugiense scripta cet., worunter der fogenannte Cod. Hir-
gaugiensis, d. h. eine Chronik der Hirfchauer Aebte, verjtanden wird,
die nad) Helmsdörfer ? Naucler hier benutt hat. Es ſcheint ſomit
jene Bezeichnung eine Umfchreibung für die gewöhnliche Ausdrude-
weife Chronica St. Blasii zu fein, und wir halten daher an ber
Eriftenz diefer Chronif von St. Blafien feit, zumal es feltfan wäre,
wenn der um Quellenmaterial nicht verlegene Naucler nur für den
erwähnten fleinen Pafjus die Chronit Heinrichs von Dieljenhoven
hätte in Anſpruch nehmen wollen, Diefe Meinung unterjtügen fol-
gende Erwägungen. Heinrich von Diefjenhoven theilt zum Jahre
13603 gleichfall8 die Bejtimmungen der Verſöhnungsurkunde zwifchen
den Grafen von Wirtemberg und Kaifer Karl IV. mit und ftimmt
hier teilweiſe mit den Ausführungen des Trithem, teilweife mit
denen des Naucler und der Urfunde bei Sattler überein, hat aber
auch, wie das ſchon Stälin* bemerkt, einige Punkte ausführlicher ;
fo in den Zuſatz, daß die Grafen von Wirtemberg die neuen Zölle
aufgeben jollten, Es iſt auf den erjten Bli Far, daß Heinrich die
Urkunde nicht in der uns befannten Faſſung vor fich liegen hatte,
fondern in derjenigen, welche die Vergleihung des Zrithem und
Naucler mit dem uns erhaltenen Gremplar der Urkunde bot. Ob
nun diefe ausführlichere verloren gegangene Faffung nur Entwurf
oder eine frühere oder ſpätere Redaction war, ijt wohl ſchwerlich zu
ermitteln; für unſere Zwecke genügt es zu wiffen, daß die Chronik
von St. Blafien dieje kannte und benutte, und daß auch Heinrid; von
Diefjenhoven diejelbe Vorlage hatte. Nunmehr ftehen wir nicht an,
Lorenz, Gefchichtsquellen im Mittelalter I, 77, 2. Auflage.
» A. Helmedörfer, Forſchungen zur Gef. des Abtes Wilhelm von Hir-
(hau. Göttingen 1874.
® Böhmer, Fontes rer. Germ. IV, 119,
A. a. O. II, 270 N. 1,
53
der Chronik von St. Blafien die Notiz über die Belagerung Scorns
dorffs ſowie die zu den Jahren 1372 und 1373 mitgetheilten Nach»
rihten zuzufichreiben!. Auffällig bleibt immerhin, daß bei Naucler
unter den Friedensvermittlern ftatt des Biſchofs von Conftanz der
Straßburger erſcheint. Falls nicht die Urfache in dem oben angedeu—
teten Schickſale der Urkunde liegt, Tiefe ſich diefer Umstand vielleicht
jo erflären, daß eine Fortjeßung des Mathias von Neuburg, die der
von Naucler benutste Jacob von Mainz fannte, hier deifen Namen
eingefetst hätte.
Den zum Jahre 1360 mitgetheilten Friedensbeitimmungen fügt
Naucler noch Hinzu, daß die Verzichtleiftungen von Seiten der Orafen
von Wirtemberg nur dem Wort nad), nicht aber in Wirklichkeit ges
macht feien, denn im Jahre 1373 Habe der Graf im Namen Kaijer
Karls IV. von den Reichsftädten Um, Eflingen, Notweil, Reutlingen,
Lindau und Conftanz große Geldfummen eingetrieben. inige aber
waren der Meinung, daß der Kaijer den Grafen von Wirtemberg zu
ihrer Entſchädigung dieſe überlafjfen habe secundum eandem Chroni-
cam, d. h. nad) der furz zuvor genannten Chronif von St. Blafien.
Naucler fügt gleich) Hinzu: „denn es ging das Gerücht, wie Jacob von
Mainz erzählt, daß die Grafen feit ihrem Verzicht auf die Reichs—
vogtei in Schwaben und ſeit der Zeritörung der Burgen und Yänder
zu einer Zahlung von jährlic) dreißigtaufend Gulden verurtheilt ges
weien jeien“.
Die Zahlen der nad) Naucler den Neichsftädten auferlegten
Summen jind von feiner Quelle unrichtig angegeben ?. Die andere
Nahricht it das, für was fie ſchon Zacob von Mainz ausgegeben
bat, fama; Trithem?, „welcher hier den Naucler benutzt, — und
dies charakteriſirt ihn als Geſchichtſchreiber — macht ein Hijtorifches
Faktum daraus.
Ueber die von Naucler 1021 nach der Chronik von St. Blaſien
zum Jahre 1372 berichtete Sendung des päpſtlichen Legaten Elias de
Verdone findet ſich bei Trithem nichts bemerkt.
Wir gehen weiteren Spureu der St. Blaſianiſchen Chronik nach.
Zum Jahre 1343 erzählt Naucler 1004 von dem Streite des Grafen
Ulrich III von Wirtemberg mit dem Hauſe Oeſterreich um den Be—
ſitz der Herrſchaft und Stadt Ehingen, welche die öſterreichiſchen Her—
zoge ohne Rückſicht auf begründete oder unbegründete Anſprüche der
Wirtemberger Grafen von dem Grafen Konrad von Schelklingen im
September 1343 erworben hatten; die Stadt Mengen wurde durch
die Grafen von Wirtemberg zerſtört, nicht ohne beiden Parteien Scha—
den zuzufügen, denn Graf Ulrich, welcher durch die Seinigen unter—
‚ "Die Ehronil des Mutius, De Germanorum prima origine, moribus
institutis etc., Basileae 1859, ©. 284, bringt zum Jahre 1360 diefelbe Er:
Hblung, geht aber auf Naucler zurüd und ift deshalb nicht weiter zur berüd-
fihtigen. „Es giebt noch einige Artikel von geringerer Bedeutung, die ich aber
übergehe*, bemerlt Mutius.
ı Stälin, a. a. DO. III, 311 N. 2.
° Ann. Hirs. II, 262,
54
ftügt den Grafen von Schelflingen mit einem mächtigen Heere an«
griff, wurde gezwungen, bei Mengen Halt zu machen. Dies bemerft
ein Sohn Graf Eberhard", eim unerjchrodener Herr, belagert die
Stadt und nimmt ſie ſchließlich.
Ueber dies Ereignis ſind wir außerdem unterrichtet durch Jo—
hann von Winterthur?, welcher indeſſen nur über den 1344 erfolgten
Friedensſchluß Näheres mittheilt, durch Heinrich) von Dieffenhoven ?
und Felix Faber aus Ulm“. Keiner von ihnen aber bringt, wenn
anders meine Auslegung der Stelle richtig ift, die Nachricht von der
Theilnahme Chberhards, des Sohnes Ulrichs. Felix Faber, welchem
v. Stälin den beregten Srrtum, Vater und Sohn verwechſelt zu
haben, zujchreibt, beugt, an diefer Stelle wie öfters die Chronik Heine
richs von Diejjenhoven?. ine Vergleihung zwifchen Felix aber
und Naucler giebt, von einem fleinen Zuſatze abgejehen, jo völlige
Üebereinftimmung, daß man geneigt jein könnte, Faber al8 eine Quelle
für Naucler anzufehen. Mögen die Yandsleute einander aber auch befannt
gewejen fein, jo fpricht doch weiter nichts für die Benutung der Fa—
- berichen Chronif durch Naucler. Diefer redet auch viel richtiger von
einem domus Austriae, während der Ulmer Predigermönd von
einem dux irriger Weife ſpricht, obgleich tatſächlich drei Herzöge
von Dejterreih mit dem Grafen Ulrih von Wirtemberg in Fehde
ftanden. Gerade der höchſt wichtige Zufat bei Naucler bewegt uns,
im Hinblid auf die Uebereinftimmung der Tatfachen und bei der teilweise
obwaltenden Goncordanz des Wortlautes mit Dieffenhoven, hier wie:
derum auf eine Gemeinfamfeit der Quelle hinzuweifen, welche, wie
es nahe liegt, die uns jeßt fchon beijer befannte Chronif von St.
Dlafien fein würde.
Trithem ® geht, obſchon er Naucler kennt, Wege, die von der
hiftorischen Wahrheit abweichen. Einmal fpricht er von der Belage-
* Naucler 1004: Nam comes suorum suppetiis adjutus comitem
exercitu justo petiit, cui quoniam obviam venire non potuit, apud
Mengen resedit, quod animadvertens comes Eberardus, ut erat vir
animo imperterritus, castra obsedit ac tandem in deditionem accipiens
devastavit. Weil e8 furz zuvor heißt: et Mengen oppidum fuit devasta-
tum per comites de Wirtemberg, fo halte id) den zuleßt genannten
comes Eberardus für Ulrichs Sohn, Eberhard den Greiner, und nicht für
den mit Ulrich verbündeten Grafen Eberhard von Werdenberg-Echmalenegg. Da:
ber wird auch die Verwechſelung der Grafen Uri und Eberhard von Wir-
temberg ftammen, wenn Naucler fagt: Anno 1343. ortae sunt lites inter do-
mum Austriae, comitem Eberardum de Wirtemberg et comitem
de Schelcklingen . .. welde Stelle Trithem, Ann. II, 193, von Naucler
übernommen hat. Etälin a, a. O. III, 227 N. 2 macht auf diefen Srr-
thum aufmerkſam.
2GHerausgegeben von Wyß im Archiv F Schweizergeſch. XI, S. 199.
3 Böhmer, Fontes rer. Germ. IV,
* Historia Suevorum, bei 33 ss. rer. Suevic., Ulm 1723,
©. 150. 151.
5 Lorenz, Geſchichtsquellen des Mittelalters I, ©. 77.
® Ann. Hirs. II, 193. 194.
55
rung Eßlingens ſtatt Ehingens, und dann läßt er eine große Hungers—
not ausbrechen, die jedenfall® die Belagerten zur Ergebung gezwungen
hätte, wenn nicht rechtzeitig die Dejterreiher zu Hilfe gekommen
wären.
Naucler ? ftimmt, fowol was die Schlacht bei Reutlingen 1377
al8 die bei Döffingen im Jahre 1388 anbetrifft, vollftändig, nament«
ih auch in Zahlenangaben, mit der Chronif des Jacob Twinger
von Königshofen ? überein. Nur in der Schilderung der Einzelheiten,
der Erwähnung der Plünderungen und Raubzüge nach den auf beiden
Seiten gegeneinander abgefchlojfenen Bündniſſen ift die Duelle des
Naucler nicht erfichtlih. Hier aber Harmonirt er mit der Fortjegung
de3 ſogenannten Martinus Minorita® — wohl auf Grund gemein»
ſamer Quelle.
Naucler erwähnt den Fall Ulrichs von Wirtemberg zweimal.
Das erite Mal läßt er einen comes de Monte Leonis mit ihm
fallen; offenbar derfelbe, welcher weiter unten comes de Lewen-
stein — bei KRönigshofen ein grefe von Lowestein — genannt
wird. Die pdentificirung der beiden Namen wird nicht befremden,
da analog 3. B. ein Graf von Falkenstein aucd) ald comes de Monte
Faleonis auftritt. Eonft iſt Naucler in völfiger Uebereinftimmung
mit Königehofen: jener bringt die Namen der Gefallenen wie diejer,
macht auch denjelben Fehler, indem er einen Grafen von Zollern bei
Döffingen fallen läßt.
Nun nimmt Joahim S. 55 an, daß Naucler den Rönigshofen
und Stuttgarter Annalen unabhängig von einer Compilation, welche
die Chronif des Eberhard Müller und die fälſchlich nad) diefem be—
nannten Fortſetzungen umfaßte, benutzt und die jenen Schriftitellern
entnommenen Nachrichten einfach in dieſe Hineingejetst habe. Wir find
auch aus den angeführten Gründen der Meinung, daß Naucler den
Königshofen vor fich Hatte, nicht aber in diefem Falle die Stuttgarter
Annalen, denn die Fragmente derfelben *, welche an diefer Stelle noch
am Ausführlichiten erhalten find, zeigen Feine Uebereinftimmung mit
Naucler, und deshalb bin ich cher geneigt, auch im Hinblick auf gleiche
Veberlieferung in einer ſchwäbiſchen Quelle, nämlich der Fortſetzung
des Martinus Minorita, die Nachricht der Chronik von St. Blafien
juzumeifen.
Zum Jahre 1338 theilt Naucler? den Proteft Kaifer Ludwigs
des Baiern auf dem Frankfurter Neichstag gegen Papſt Yohann XXII.
mit und bemerft S. 1003, daß diejer überall eine große Verwirrung der
Gemüther, befonders in Schwaben, hervorgerufen habe. In Frank—
furt wurden die Prediger vertrieben, desgleihen zum dritten Male in
ı 9.0.0. S. 1029.
» Chroniken der deutfchen Städte IX, 840.
° Bei Meufchen 141.
- Herausgegeben von Stälin in Memmingers Würtemberg. Jahrb. 1849
.2, ©. 13.
» Ua. 98.1001 f.
56
Speier. „Auc erinnere ich mich, bemerkt Naucler weiter, gelefen zu
haben, daß ein Graf von Wirtemberg den Befehl des Raifers im
Yahre 1338 betreffs Ausweifung der Geiftlihen durch einen Herold
verfündigen ließ“.
Zrithem theilt die Urkunde nicht mit, nur bei obigem Jahre
den Befehl des Kaiſers und dann als ficheres Factum das lekter=-
wähnte Ereignis, freilich) mit namentlicher Erwähnung des Grafen
Uri von Wirtemberg. Deffen Namen konnte Trithem leicht er=
Funden, jo daß hier eine Benutzung des Naucler nicht zweifelhaft ift;
entscheidend ift aud) Hier, daß die Chronik des Trithem die Nachricht
nicht kennt, welche wir in den Annalen II, 184 antreffen.
Hier fühlt jih Stälin! veranlaßt, diefe Notiz unter der Reſer—
vation eines bejcheidenen „Soll“ und mit dem Hinweis auf die „jün—
gern Quellen“ in feine Wirtembergifche Geſchichte mitaufzunehmen.
In diefem Falle werden wir auch für die übrigen ſchwäbiſchen und
befonders für die das gräfliche Haus betreffenden Nachrichten dafjelbe
Maß der Glaubwürdigkeit in Anſpruch nehmen, wenn anders wir
auf der rechten Fährte find, daß die zum Jahre 1338 erzählte Nach—
richt, welche uns in den Stuttgarter Annalen nicht erhalten ift, nad)
St. Blafien gehöre. |
Zum Jahre 1361 berichtet Naucler von dem prächtigen Hoch—
zeitsfeft, das Graf Eberhard von Wirtemberg in Stuttgart feiner
Tochter Sophie gab, welche mit Johann von Yothringen verheiratet
wurde? Der Herzog Albrecht von Dejterreih war unter der Menge
der übrigen Fürſten, Grafen und Ritter fein Gaft; um den entfals
teten Prunk zu charafterifiren, erzählt Naucler, daß ein Springbrunnen
Mein gefpendet habe. Kaiſer Karl, welcher ſich jelbjt eingeladen hatte,
erichien nicht, al® er von der bei dem Feſte anweſenden Menjchen-
menge gehört hatte. |
Trithem? berichtet Ddiefelbe Geſchichte mit Weglaffung des
Springbrunnens, fügt aber al8 zweiten Grund für das Wegbleiben
Karls an, dag diefer dem Grafen Eberhard von Wirtemberg nicht
völlig getraut habe.
Stälin, weldher fonft in feinen Anmerkungen den ZTrithem
neben Naucler als Chronijten jüngeren Datums und zweifelhaften
Werthes zu ftellen pflegt, Hat diesmal“ fonft nur „den freilic) ſpä—
teren“ Naucler berüdjichtigt, während er ſtets den Heinrich von
Dieffenhoven bevorzugt, der von einem Turnier in Zofingen erzählt,
auf welchem Graf Eberhard mehrere Herren zu der feiner Tochter in
Stuttgart zu gebenden Hochzeit einlud?, Auch hier ift die Ueberlie—
ferung bei Naucler und Zrithem wieder fo, daß wir eher an eine
gemeinfame Quelle als an ein näheres VBerhältuis zwijchen beiden
ı A. a. O. II, 211.
2 GStälin a. a. O. III, 283.
8 Ann. Hirs. II, 245.
* Aa. DO. II, 284 N. 3.
5 Böhmer, Font. rer. Germ. IV, 121.
57
denfen, während Heinrich von Diejfenhoven nur in dem einen Factum,
der Mittheilung der in Stuttgart abgehaltenen Hochzeitsfeier, die an-
dern ſtreift. Es liegt,nahe, bei dem Zuftande der Ueberlieferung der
Chronif de8 Heinrich von Dieffenhoven, auf die Weilandiche Anficht
zurüdzugreifen.. Wenn irgend eine beſſer ausgeführte Reinſchrift
erftirte, eine Möglichkeit, welche Weiland felber zugiebt, fo möchten
wir in ihr die von Naucler und Trithem zum Jahre 1361 ge=
braten Notizen wieder finden, d. h. wir würden nad) dem, was
oben ausgeführt iſt, hier nicht eine Benutzung einer volljtändigeren
Chronik des Diejjenhoven annehmen, fondern die Concordanz auf
Grund der gemeinfamen Duelle finden — der verlorenen Chronik
von St. Blafien.
Ihr wird man vielleicht auch die Erzählung von der Befiegung
der Schlegler durch Graf Eberhard den Milden von Wirtemberg im
Jahre 1395 zumeifen. Nauclers kurzer Bericht ift wahrheitsgemäß,
während Trithem! einer andern Quelle folgend fabulos wird. Er
hat uns auch die hübſche von Uhland verwerthete Anekdote aufbewahrt,
nad der ein ſchalkhaftes Bäuerlein angeficht8 der drei gefangenen
„Schleglerfönige“ ausruft: „Guter Gott, hätten wir noch einen vierten,
jo hätte der Herr uns heute ein volles Kartenspiel gegeben“. Bezeich—
nend iſt für Zrithemins, welcher für die Unterhaltung feiner Pejer
forgt, daß er diejelbe Gefchichte fhon zum Jahre 1367 erzählt hat?.
Bei Naucler S. 1003 und Trithem in den Ann. Hirs. II,
185 ijt uns eine Epifode aus dem Leben des Grafen Ulrid) von
Wirteinberg erhalten, welche von feinem zeitgenöffifchen oder fonft gut
beglaubigten Autor erzählt wird und welche Stälin? offenbar als
Anekdote nur im einer Anmerkung behandelt. Im Jahre 1339 fehrt
nömlih Graf Ulrih von einem Turnier in Met zurüd, wird unter«
wegs bei Benfeld im Elſaß von einem Ritter von Binftingen ges
fangen genommen und erjt gegen Zahlung von Hundert taufend Mark
Silbers in Freiheit gefekt. So Naucler. Trithem hat — und
Stälin zieht ihn deshalb dem Naucler vor, welcher die Summe
feit „annimmt“ — das Löfegeld offenbar zu hoch gefunden und fagt
mir: pro magna pecuniarum summa taxatur, fügt aber hinzu,
dag einige die Summe auf 100000 Mark Silbers angeben. Daß
unter dem ‘sunt qui seribant’ beim Trithem fi) Häufig die An—
fiht des Naucler verſteckt, haben wir bereitS gefehen; bei der that»
fählihen und wörtlichen Uebereinftimmung conftatiren wir Hier einen
gleihen Fall.
Alle diefe Nachrichten weifen auf eine genaue Kenntnis ſchwä—
biiher Verhältniſſe Hin; fie zeigen ferner eine Bekanntſchaft mit
den perjönlichen Yebensfchicjalen und den Familienverhältnijfen der
Grafen von Wirtemberg, wie fie nach unferer bisherigen Unterfuchung
der anonyme Chronift von St. Blafien hatte.
! Ann. Hirs. II, 299. 300.
? Stälin a. a. DO. III, 364 N. 1.
’ %.a. O. II, 227 N. 5.
58
Wir fuchen jett das Verhältnis zwifchen
Nauclerus und Trithemius
näher zu beſtimmen.
An der Quellenfritif des Naucler bemerft Joachim S. 44, daß
biefer fi) 992 einmal auf den Abbas de Spanheim, alfo auf ein
Werk de8 Johann ZTrithem, berufe. „Die Stelle berichtigt, fügt
Joachim Hinzu, beiläufig einen andern Autor“, und fo liegt ihm der
Gedanke nicht ferne, hier die verbeffernde Hand des Melanchthon zu
bemerken, da fonft feine Spur von einer Benutzung des Trithem
bei Naucler fich finde. Weiland hat fi in der Kritik der Joachim—
ſchen Arbeit über diefe Aeußerung nicht ausgefprocen.
Auf welches Werk des ZTrithem beruft fih Naucer? fragen
wir zunächſt. Auf die Annalen oder auf die vor diefen entftandene
Hleinere Chronif? Hier vermiffen wir eine eracte Behandlung des
Themas: es konnte Joachim nicht entgehen, daß Trithem in feiner
„Chronik“ manchmal mit dem zweiten Theil „der Hirfauer Annalen“
faft in den Nachrichten jeden Jahres übereinftimmt.
Die geichichtlichen Werfe des Abtes von Sponheim und fpäteren
Abtes des Schottenflofters St. Yacob zu Wirzburg find in letter
Zeit mehrfach Gegenstand quellenkritifcher Unterfuchung geweſen, die
fi) indes vorzugsweife auf den erjten Theil der Annalen befchränft
hat. Die Arbeiten von H. Müller! und Paul? haben ſich auf die
Quellenerforſchung des zweiten Theiles der Annalen nicht eingelaffen;
Silbernagel® fügt einiges für dem zweiten Theil Hinzu, ohne zu er=
ſchöpfen, und berührt jo wenig wie feine Vorgänger das oben von
mir angedeutete Verhältnis zwilchen Trithem und Naucler. Erſt
Helmsdörfer * hat bei feiner forgfältigen Unterfuchung über die Ge—
ihichte des Abtes Wilhelm von Hirfau auf die mannigfahe Con—
cordanz des Trithem mit Naucler hingewieſen, das Verhältnis je-
doch, weil feine Studien einen andern Zweck befolgten, nur geles
gentlich und anmerfungsweife angedeutet®. Er hält e8 für wahr-
fcheinlich oder, wieer an einer andern Stelle fagt, es fchiene ihm, daf
Trithem den Naucler, welcher damals noch ungebrudt war, benutt
und daß er aus ihm auch nur die zum größeren Theile verloren ges
gangenen Annales Sindelfingenses gefannt habe.
Wir glauben, diefe Anficht zur größeren Gewißheit erheben und
ı H. Mueller, De Trithemii abbatis vita et ingenio. Halle. Diff.
1863. Derjelbe, Quellen, welche der Abt Tritheim im erſten Theile ſeiner
dirſauer Annalen benutzt hat. Leipzig 1871,
Paul, De fontibus a Trithemio in prima parte chronici Hirsau-
giensis adhibitis. Halle. Diff. 1867.
⸗ GSilbernagel, Johann Trithemius. 1868. S. 180 u. fi.
* Borihungen zur Geſchichte des Abtes Wilhelm von Hirſchau. Göttinger
Diff. — Die ältere Arbeit von Wolff befaßt ſich mehr mit der Kritik der
Gründungsgefhichte von Hirfau, während die jüngfte Abhandlung von Mar«
eufe den Trithemius als Theologen beurtheilt,
sA. a. O. S. 548 N. 4. S. 115.
59
in ihrer Erweiterung die Behauptung beweifen zu fünnen, daß beide
Zeitgenoffen fih in ihren gefhihtlihen Werfen gegen—
feitig benugt Haben, und zwar in der Weile, daß der Abt zu
St. Yacob den Tübinger Kanzler weder genannt noch feine Chronif
ne als in den allgemeinften Ausdrücen einige Male erwähnt
at.
Mir beihäftigen uns zunächft mit dem Antheile, ben Trithem
an der Chronif des Naucler hat, foferne diefer fich eiımal S. 992 auf
den Abt von Sponheim beruft. Die betreffende Notiz aus dem Jahre
1314 bemerft: König Ludwig der Baier habe Margarethe, eine
Tochter des Grafen von Holland, zur Gemahlin gehabt, welche ihm
ſechs Kinder geboren habe. Joachim, welcher diefe Nachricht als eine
Berichtigung eines andern von Naucler benutten Autors der bejjern-
den Hand des Melanchthon zufchreiben möchte, aus chronologifchen
Gründen offenbar, da fie in dein zweiten 1514 vollendeten Theil der
Hirfaner Annalen enthalten ift, Naucler aber befanntlid im Jahre
1510 ſtarb, Joachim, fage ich, beachtet nicht, daß Trithemius auch
eine „Chronik“ gejichrieben hat; die im Jahre 1495 begonnen durd)
den Krieg in der Pfalz und durd die Vertaufchung feines Abtfites
mit dem zu St. Yacob in Wirzburg im Jahre 1504 unterbrochen
wurde und mit dem Jahre 1370 abfchliet '.
In ihr findet man ©. 274 die obenerwähnte Nachricht, und
jolange uns nicht hier eine Aenderung von fremder Hand auf andere
Weiſe nachgewiefen wird, find wir nicht berechtigt zu läugnen, daß
Naucler die ältere Chronif des Trithem benutt hat, gleichwie wir
nach den Gitaten des Naucler an der Eriftenz einer dem Jacob von
Mainz zugefchriebenen Gefchichtscompilation, an Eberhard Miller und
der Chronik von St. Blafien fefthalten. Dazu kommt, daß noch an=
dere Stellen der Chronik mit Naucler völlig im Inhalte übereinftim-
men und auf daffelbe Verhältnis zurückgeführt werden müſſen?.
Vergleichen wir die Chronik des Naucler mit den Hirfauer Ans
nalen, fo bemerfen wir fowohl im erſten wie im zweiten Theile bald
eine wörtliche, bald eine mehr in Umschreibung, Weiterausführung
oder Kürzung der Nachrichten bejtehende Uebereinftiinmung. Diefe
hat ihre Urfache in der Benutzung gleicher Quellen. So Naucler
©. 801. 802. Die zum Jahre 1105 erzählte Erhebung Heinrich V.
gegen feinen Vater und die aus ihr folgenden Kämpfe find von Trie
them in den Ann. Hirs. I, 331 bis 334 und 337 in weit reicherer
Faſſung als bei Naucler erzählt. An andern Stellen ijt das Ver—
hältnis umgekehrt; jo kennt Naucler den Tag der Verhandlungen zu
Nordhaufen am 29. Mai, während Trithem das Datum nicht
’ 9. Müller, Quellen ꝛc. ©. 1, ift fomit nad Helmsdörfer S. 31 N. 1
ju berichtigen.
* Naucler 801. Chr. Trith. 131, über Naturerfheinungen zum Jahre
1103, Die Ann. Hirsaug. haben fie nicht. — Naucler 801. 802. Chr.
Trith. 132, über den conventus generalis in Nordhanfen. Die Ann. Hirs-
aug. I, 331 ziehen bier die Chr. fürger aus,
60
mittheilt.. Dazu kommt, daß Naucler an bdiefer Stelle den Cod.
Hirsaug. benutt, die Annalen diefes Mal lettere Quelle übergehen.
Ein anderes Beifpiel: Naucler S. 910 erzählt die Unterwerfung Cala—
briens und Apufiens durch Kaifer Dtto IV., die Verkündigung des
über den Kaiſer ausgefprochenen Bannes durch Erzbiſchof Siegfried
von Mainz md zeigt dabei wörtliche Uebereinftimmung mit den Ann.
Hirs. I, 517. 518, nur daß diefe ausführlicher find. Für beide
Autoren” hat man — Paul?! für die Annalen, Weiland ? für
Naucler — die Ann. Colon. maximi als Quelle geltend gemacht ;
indes ift es wohl fraglich, ob es dieſe allein waren, oder ob nicht, wie
e8 bei Naucler der Fall zu fein fcheint, vielmehr eine Compilation
zu Grunde liegt, welche mit ihnen Nachrichten aus der Urfperger
Shronif und andern Quellen vereinigte. Dahin würde denn auch der
von Weiland in den Ann. Colon. maximi vermißte Schlußſatz
über die Botenjendung Dttos nad) Deutichland gehören, welcher eben—
falls den Hirfauer Annalen fehlt. UWeberhaupt it es jchwierig, mit
Beſtimmtheit dem einen oder anderen die Kenntnis einer Quelle ab—
zufprechen, da neben der vorliegenden gleichen Quelle Trithem die
Shronif des Naucler fehr häufig benutt oder bei Benutzung einer
und derfelben Quelle doc noch die Meinung des Naucler feinen Le—
jern mittheilt.
Die oben erwähnte wörtliche Uebereinftimmung zwiſchen beiden
rührt her von der Benugung des Naucler durch Trithem. Der um—
gefehrte Fall ift aus zeitlichen Gründen unmöglich: den erjten Theil
feiner vom Jahre 830 bis 1265 reichenden Annalen vollendete Tri—
them im Jahre 1511, der zweite, welcher von 1265 bis 1513 reicht,
wurde 1514 beendigt — Naneler aber ftarb 1510. Hier ijt der
Ort, wo wir uns mit Helmsdörfer wieder vereinigen. Wir nehmen
die von ihm angezogenen Beifpiele zum Ausgangspunkt unferer Bes
trahtung. Die Gründungsgeihichte Sindelfingens behandeln beide
Autoren; für den Schwaben hatte fie ein felbitverftändliches, lokalge—
ſchichtliches Intereſſe; für Trithem war fie wichtig, weil Sindelfingen
die erften Mönche für fein Hirfauer Kloſter gegeben haben follte nad)
einer opinio quorundam. Helmsdörfer bemerft? mit Net, daß
unter diefer anonymen Bezeihnung Naucler verſteckt ift, den Trithem
hier benutzte.
Es war zur Zeit de8 Naucler eine weitverbreitete Annahme, der
deutfche Kaifer Heinrich IIT. fei der Schwiegerfohn, nicht der Sohn
Ronrads II. geweien. Sie ftütte fih auf folgendes Märchen. Graf
Lintpold von Kalm war wegen Landfriedensbruchs vor dem Kaifer mit
feiner ichwangeren Frau in den Schwarzwald geflohen und hatte in
einer ärmlichen Hütte ein Unterfommen gefunden. Hierhin kommt
zufällig der auf der Jagd befindliche Kaifer in Abwejenheit des Grafen,
1 A. a. O. S. 44.
2 gif. Zeit. XXXIV, 426.
.48 N. i.
61
dem in derfelben Nacht ein Knabe geboren wird; eine Stimme vom
Himmel ruft dem Kaifer zu: diefes Kind wird einjt dein Schwieger-
john und Erbe fein. Erjchredt heißt der Kaijer am andern Morgen
zweien Dienern das Kind zu tödten, welches Vater und Mutter aus
Furcht ſchon verlaffen hatten. Die mitleidigen Diener begnügen fich
mit der Ausſetzung des Kindes und bringen ftatt des Herzens dejjelben
ihrem Herrn das eines Hafen zurüd. Des Findlings erbarmt fich
der vorüberfommende Herzog Hermann von Schwaben, erzieht und
adoptirt ihn. Fahre vergehen: da ficht der Kaifer eines Tages bei
dem Herzoge einen Yüngling von angenehmen Weſen und erbittet fich
ihn, um für dejjen weitere Ausbildung Sorge zu tragen. Da fällt
es einmal dem grübelnden Sinne Konrads ein, daß fein Schutzbefoh—
[ener der in der ihm wohlbefannten Nacht geborene Sproß des Grafen
von Kalw fein müſſe. Um dem ihm beftimmten Verhängnis einen
Streich zu fpielen, trägt der Kaifer dem jungen Manne auf, feiner
Gemahlin einen Brief zu übermitteln, welcher dem Ueberbringer den
Tod bejtimmte. Während der ahnungsloſe Vote in Speier beim
Defan des Domes einfehrt, zieht diefer dem Schlafenden den Brief
aus der Taſche, lieſt den teufliichen Anschlag und ändert die auf die
Ermordung des Jünglings bezüglihen Worte dahin um, daß der
Kaiferin geboten wird, dem Ueberbringer des Briefes ihre Tochter
anzugeloben. Das geihieht, und nachdem alle Irrungen aufgedeckt
find, giebt fich der Kaijer zufrieden; an dem Orte aber, wo das Rind
gefunden wurde, wird zum Andenken das Klofter Hirfau errichtet.
Es ſchien uns der Mühe werth, diefe Sage, welche Gotfried
von Biterbo der Nachwelt erhalten hat, in Kürze wiederzugeben; fie
bildet in einzelnen Zügen ein intereffantes Seitenftüc zu den befaunten
Sagen des Altertyums. Don Gotfried, welcher das Märchen in
projaiichem wie poetiſchem Gewande feinen Lejern bietet, ging es über
in die Gefchichtswerfe eined Vincenz von Beauvais, Martin von
Zroppau, de8 Minoriten Martin und Heinrich® von Hervord: Nau—
der ift der erjte, welcher ſich von diefer Tradition freimacht; fein
ritiicher Geift fieht die Unmöglichfeit diefer Erzählung ein; weder
findet fie fich, bemerft er, im Hirfauer Klofter noch ift fie durch ir—
gend eine Urkunde beglaubigt. Seine Gründe hat nach Helmsdörfer
Trithem gefannt und verwerthet. Wir können diefer Anficht zuftine
men, wenn wir im Folgenden nachgewiefen haben, daß diefer auch
ſonſt den Naucler benutzt.
Zum Jahre 1286 wird von Naucler S. 972 berichtet, wie König
Rudolf feinen Kanzler nad) Stalien ſchickt, welcher im Namen feines
Herrn einzelnen italiſchen Communen Hoheitsrechte verkaufte; fo habe
Lucca zwölf taufend, die Florentiner ſechs taujend Goldgulden bes
zahlt; letztere hätten ſich jogleich eine Behörde, die priori delle arte
eingeſetzt und dieſen noch einen vexillifer justitiae beigegeben. Kurz
zuvor erzählt Naucler zum jelben Jahre, daß der zum Reichsvikar
ernannte Princivall aus dem Haufe der Fiesco von den guelphifchen
Kommunen den Treueid fordert. ALS diefer verweigert wird, verurs
62
theilt der Vicar die Florentiner zu 60000 Marf Silbers und die
übrigen ungehorfamen Gemeinden zu entiprechenden Summen. Er
findet indes feine Unterftügung in Italien; felbft die Ghibellinen miß—
trauen ihm, weil er einem guelphiichen Gefchlechte entjtanımt, und jo
fehrt er ohne einen Erfolg nad) Deutſchland zurüd. Darauf wird
bei Naucler die obige Geſchichte erzählt.
Trithemius dagegen confundirt in feinen Annalen II, 48. 49
beide Nachrichten. Er berichtet ſchon bei der erjten Sendung des
Bifars nad) Stalien, daß diefer die Florentiner zu 60000 Marf
Silber, die Lucccheien zu 12000 Gulden wegen ihres Ungehor-
fams verurtheilt habe. Darauf jpricht er von der zweiten Sendung
des Vifars, aber mit Weglaffung der Zahlenangaben. Bemerfens-
werth iſt hier wieder, wie er die Nachricht einführt: Fuerunt qui
scriberent, worunter in erjter Linie Naucler zu verjtehen ift.
Antonini Chroni-
con T. III. titul.
XX, c. VI, £. 75.
Anno domini
1286. Honorius
papa ordinavit
Trithemii Ann.!Naucleri Chro-
Hirsaug. II, 48. nicon 972,
Anno praenotato| Eodem anno Ho-
Rudolphus rexinorius papa or-
ad instantiam Ro-‚dinavit, ut Pin-
mani pontificisizivalla ‘de Flisco
vicarrium suumde comitibus Ja-
nomine tam suonuen. de Lan-
quam imperii mi-garna fieret vi-
sit in Italiam, utcarius generalis
in omnibus locisimperii, quiet in
jurisdietionem et/Alemaniam sta-
Justitiam face-tim profectus ad
ret imperialem.'Rudolphum im-
Qui veniens in'peratorem elec-
Tusciam, ab histum, fecit sibi
qui Guelpharum confirmari dietum
partium erant,vicariatum. Ve-
civibus Florenti-rum postquam
nis, Lucensibusin Tusciam ut
et nonnullis aliis,/vicarius impera-
fidelitatis et obe- toris venisset, ut
dientiae juramen-/que jura recupe-
tum Romano inı-'raret imperii,
perio debitum/Florentiam in-
exigebat. Quodgressus, in domi-
illi cum nullobus Mozanis ultra
pacto facere con-/Arnum prope
sentirent, vica-jecclesiam Grego-
rius in furorem rianam residen-
succensus, Floren-'tiam fecisset, vo-
tinos in sexaginta, catis Florentinis,
millibus argenti Lucanis, Pistori-
marcis, Lucenses ensibus, Senensi-
vero in duodecim/bus ac aliarum
florenorum milli-icivitatum civibus
bus pro inobe- ‚partis Guelphae,
dientiae demeritoexigebat ab eis
63
Tritbemii Ann.[Naucleri Chro-/Antonini Chroni-[Platinn, Vitae
Birsaug. II, 48. nicon 972. con T. III. titul./Pontifieum 1479,
XX, c. VI, f. 75.|Vita Honorii IV,
eondemnavit; pe-Ifidelitatis et obe- ©. 162,
cunia accepta in|dientiae jura-
Germaniam re-Jmentum imperio
versus est. Romano, quod
nullo pacto facere
voluerunt.
Col. 49.
Fuerunt quil Unde iratus re-| Unde iratus con-
scriberent, Ru-icessit et in poe-tra eos vicarius
dolpbum regeminam inobedien- predictus, recessit
auri cupidumitise condemnavitin discordia ab
cancellarium su-|Florentinos 60jeis. Etin penam
um pro vicariomillibus marca-inobedientie con-
misissein Italiam, rum argenti, etdemnavit floren-
qui accepta pe-Isimiliter alias ci-tinos in 60 milia
cunia populis li-vitates propor-|marcas argenti
bertatem vende-itionabiliter. Indelet similiter alias
ret. Eade causaiperrexit Aretium communitates
Florentinos ex-jordinavitque, ut Tuscie, que no-
posuisse tot ar- Florentini exiliojluerunt obedire,
genti marcas, Lu-jmitterentur, a-| proporcionaliter
censes quoque etimissis substantiisjmulctavit. Inde
alioss contulisseleorum, et cumipergens Aretium,
pecuniam, ut li jparvam haberetiordinavit, ut Flo
bertate coemptajobedientiam pro-|rentini exilio
imperii non sub-|pter factionemjmitterentur a
derentur deinceps Guelpham, Gibelilmissis substantiis
jussionibus. Quilquoque suspec-eorum. Moram
boc factum con-tum eum habe-autem faciente
tendunt, in argu-'bant, quia eratin Aretio, cum
mentum assertaeex progenie Guel-|paucos sequaces
veritatis conse-\phorum: eapro-haberet, unde et
quentia produ-|pter reversus in parvam poten-
eunt: quod Flo-'/Alemaniam, sineitiam, ex eo quod
rentini mox post honore ad Rudol-Guelfi nolebant
impetratam prophum pervenit.obedire, ne exal-
pecunia liberta-'Rudolphus autem|taretur imperium Rhodulfusautem
tem magistratum comparandae pe-Icontrarium Guel- imperator com-
instituerint, quem euniae studiosus, fis. Gibellinilparande pecunie
priores artium cancellarium su-quogque eum su-istudiosus cancel-
vocaverint, ad-/um e gente Fliscaspectum habe-larium suum e
ditoetalio, quemin Italiam misit,bant, quia exigente Flisca in
velut majestatisqui populos in|progenie erat|Hetruriam misit,
etlibertatis prae- Hetruria omnesjeorum qui fue-/qui populos om-
conem vexillife-liberos faceret,'rant Guelfi. Ea-inesliberosfaceret,
rum justitiae et eos potissimum propter reversuset eos potissi-
nuncupabant. Inqui se pecunialest ad imperato-mum qui se pe-
quem modum et/redimere cura-rem Rodulfum in/cunia redimerent.
alias plerasqueirent. PersolvereAlemanniam sine/Persolvere autem
urbes libertatemiautem ob eam/honore. ob eam rem Lu-
sibi comparasseirem Lucenses 12 censes duodecim
teferebant. - |millia nummum milia nummum
auri, Florentini auri. Florentini
vero sex millia, vero sex milia,
64
Trithemii Ann. |Naucleri Chro-|Antonini Chroni-|/Platina, Vitae
Hirsaug. II, 49. nicon 972. con T. III. titul./Pontificum 1479,
. XX. c. VI f. 75.|Vita Honorii IV.
©. 162.
ui statim liberi qui statim liberi
omnino facti, ma-
gistratum, quem
priorem arcium
vocant, addito
vexillifero justi-
tiae, creavere.
omninofacti, ma-
gistratum, quem
priores artium
vocant, addito
vexilifero justicie,
creavere.
Eine Vergleihung der Quellen ergiebt, daß Naucler fich enger
im Ausdrud an Antonin und Platina anſchließt als Trithem, le»
terer mithin erjteren excerpirt hat. Wir fehen zugleich, wie ſchematiſch
und äußerlich Naucler bei der Compilation feiner Chronik zu Werke
geht: erjt ein Stüd aus dem Antonin, dann aus dem Platina lofe
aneinandergereiht. Dabei würfelt er Nachrichten zufammen, wie fie
in diefer Verbindung den urfprünglichen Quellen durchaus fremd find.
Antonin hat feine Nachrichten wörtlic) dem Billani entnommen, mit
welchem der Florentiner Paolino Pieri! gleihe Quelle zu haben
ſcheint. Nach ihm werden jedoch die Florentiner zur Zahlung von
50000 Mark Silber8 entboten und die Rückkehr des Reichsvikars
in das Fahr 1287 gelegt?. Diejer Theil der Nachrichten ift, von
der chronologiichen Unordnung abgejehen, durch die Güte der Quellen
glaubwürdig. Anders verhält es ſich mit der Nachricht des Platina,
welcher in der Angabe der den Lucccheſen auferlegten Summe mit dem
Denetianer Paulinus, früher Jordan genannt ?, übereinftimmt %,
Daffelbe berichtet die Istoria di Chiusi?, welche bis zum Jahre
1595 reicht, aljo einer ſehr fpäten Zeit angehört und als Gefchichts-
quelle daher von zweifelhaftem Werthe ift®, Nach ihr bezahlen die
Hlorentiner eine große Menge Geld für die Erfaufung ihrer commu=
nalen Freiheiten. Die von Platina angegebene von den Florentinern
erlegte Summe von 6000 Marf Silbers finde ich nur bei Blondus ”,
Für die Verarbeitung der Chronik in die Annalen bei Trithem
ift intereffant zu wiffen, daß er in feiner Chronit ©. 259 die Nach—
richt von der zweiten Sendung des Vifars wörtlic aus dem Platina,
wie auch Naucler that, aufgenommen hat, er erjt bei der Herüber-
! Cronica di Paolino Pieri von 1080 bis 1305, Rom 1755, ©, 47
zum J. 1285.
2 A. a. O. S. 49.
° Simonsfeld in den Forſch. z. D. Geſch. XV, 145—153. König, Ptole-
maeus von Lucca ©, 50.
* Muratori Antiq. IV, 1016 c.
5 Tartinius, SS. rer. Ital. I, 930.
®° ©. auch Kopp, Seid. der eidgenöffischen Bünde, Bd. II, Abth.2, 2. 9.
S. 270 N. 4.
” Histor. ab inclinatione Romanorum Imperii Dec. Duo UI, 213,
Venet, 1483,
65
nahme der Nachricht in die Annalen und bei der Vorlage des Naucler
fh eine Menderung der Tatſachen erlaubte,
Beiipiele wörtlicher Uebereinftimmung finden wir auf jeder Seite
wwiſchen Naucler und Trithem, welche feinen Zweifel übrig lajjen,
dab Yesterer den Erjteren auszieht, und dahin gehört eine Anzahl
Stellen, für welde H. Müller ! feine Quelle ermitteln fonnte. Manch—
mal beruht indes die Concordanz, wie ſchon oben hervorgehoben
wurde, auf Gleichheit der Vorlage. Hierbei tritt uns ſtellenweiſe
neues hiſtoriſches Material entgegen.
Der 21. Mai des Jahres 1377 war ein heißer Tag; 700
Reutlinger Bürgern, welche Tags zuvor auf Viehraub nach dem
Uracher Thiergarten ausgezogen waren, jtellte ſich auf ihrer Rückkehr
Graf Ulrich von Wirtemberg in den Weg; es fam zu einem blutigen
Treffen, das eine dem Grafen in den Rüden fallende Schar Städter
zu Ungunjten dejjelben entſchied: 70 Edle mußten ind Gras beißen,
während die Reutlinger kaum zwei Dugend Leute verloren ?,
Dieſes Ereignis findet in den Werfen der Gefchichtsichreiber
lauten Wiederhall; Königshofen, die Fortfegung der Züricher Jahr»
büher, Naucler und Trithem geben uns ausführliche Berichte; die
beiden Letzteren in gewohnter Uebereinftimmung. Diefer bemerkt über
jeime Quelle: Verum ut monimentis edocemur veterum ...
jener citirt ® ausdrücklich das gleich) nad) der Schlacht verfahte Mif-
five der Stadt Reutlingen an ihre Mitjtädte. In der Aufzählung
der gefallenen Wirtembergiichen Edlen differiren fie ein wenig; Nau—
cder führt unter andern auf: Johannes de Seldeneck miles;
Longus de Frerltzhen miles — in der Fortjegung der Züricher
Jahrbücher *: her Hanns von Saldenegg ritter, der Lang von
Erlishain ritter, 2eßterer in dem von Gayler herausgegebenen
Miſſive der Lang von Eroltzhaim genannt, — ferner den Sifri-
dus de Vellenberg, Cunradus de Hoefingen, Cunradus Kyfer,
Waltherus de Hohenfels, Suigerus de Gemingen, Scharbo de
Bernhusen, — in den Züriher Jahrbüchern genannt: Sitz von
Wellenberg (Miffive S. 87: Seyfrid von Vellengberg), Cuonz
von Heningen (Miifive: Cuntz von Höfingen), Cuonz kaiser,
(Miffive: Conradt der kyfer), Walther von Hochenfels,
Swigger von Gassmügen (Mifjive: Schweighardt der Schwartz
von Genningen), der Scharb von Bernhusen (Mifjive S. 87:
Scharbe von Bernhausen). Dieje Namen fehlen in der Verluſt—
lite des Trithem, Ann. II, 270. 271; dagegen hat er einige, die
wir vergebens bei Naucler fuchen: fo den Conradus de Schlossberg
A. a. O. S. 30. 31.
’ Stälin a. a. O. III, 320. 321.
°* Naucler 1020: Narraturque factum hoc modo ab oppidanis de
“ellingen, et ita scripserunt rem gestam civitatibus sociis.
* Die Chronik der Klingenberge herausgegeben von Dito Henne von
Eargans S. 108,
*Geſch. der Stadt Reutlingen ©. 87.
XVIIL 6
66
(M.: Conradt der Kifer von Schlossberg), den Sifridus de
Saxenheim, Mutacus de Hirstad, Thomas Wolfskel (M. 88:
Seyfrid von Sachsenhaimb, Münch von Hainstett; den dritten
fennt das Mifjive nicht), welche bei dem Fortſetzer der Züricher
Jahrbücher: Cuonrad Kiner, Sifrid von Sachsenhain und der
Münch von Haimstett heißen. Außerdem weijen die Vornamen
einen geringen Unterjchied auf: ein Herr von Luſtnau wird bei Nau—
cler Johannes (WM. 87: Hanns von Lustnau), bei Trithem Georg,
ein Herr von Bonenftein bei diefem Heinrich, bei jenem Hermann,
bei dem Fortſetzer des Züricher Yahrbudhes Hartmann, im Miſſive
89 dagegen Hermann von Beenftain genannt. in Johannes Ried-
esel bei Trithem tritt uns bei Naucler als Johannes esel de Lor,
im Miffive 89 ale Hans Esel von Lor entgegen: kurz, Verſchieden—
heiten, welche beweijen, daß Zrithem und Naucler jeder feinen eigenen
Weg gingen, wobei diejer dem Inhalt der Urkunde noch am Nächſten
fteht. Zugleich erinnert aber die Zahl 500 der Reutlinger Bürger,
die entgegen der urkundlichen Weberlieferung beiden gemeinfam it, an
das erwähnte Abhängigkeitsverhältnis.
Der Codex Hirsaugiensis, Breitenauer Annalen
und Martin von Troppau.
Helmsdörfer? Hat bereit8 darauf hingewiefen, daß Naucler ein
älteres Eremplar der Chronif der Hirfauer Aebte in feinem erften
Theile, dem jogenannten Cod. Hirsaugiensis?, fur die Geſchichte des
Abtes Gebhard? und die des Abtes Bruno benutzt hat. Ebenſo Hat
Helinsdörfer * die Benugung Breitenauer Aufzeichnungen durch Nau—
cler für die Geſchichte der Breitenauer Niederlaffung und der Aebte
Drutwin und Heinrid mit Recht behauptet.
Dagegen ifi auf Belanntjchaft des Naucler mit Martin von
Troppau weder von Weiland noch von Joachim hingewiefen worden.
Naucler citirt ihn öfter8?, und zwar nennt er ihm Martinus, während
er die Chronik des jog. Martinus Minorita unter dem Namen Her—
mannus anführt. Die Erzählung von der zwijchen Ungarn und
Böhmen im Yahre 1260 gejchlagenen Schlacht möge das in Rede
ftehende Verhältnis darthun.
Naucleri Chr. 946. Martini Oppav. Chr., M.G. SS.
‚473.
Anno 1260. rex Hungarie regem! Anno Domini 1260. Rex Ungarie
Bohemiae —— habens in|pro terris regem Bohemie bello
exercitu quadraginta millia equi- aggreditur, habens in exercitu suo
1 A. a. O. S. 5.
2 Herausgegeben in der Bibliothek des literariſchen Vereins zu Stuttgart
I, ©. 5. 9. 42. 96 ff.
s Naucler 802,
* 4.0.0D657N. 2. Naucler jagt 818: Haec libro in eodem
monasterio reperiuntur diligenter conscripta.
5 Naucler 757. 965 über die Wahl Richards und Alpbons,
67
Naucleri Chr. 946.
tum, eui rex Bohemiae cum cen-
tum millibus equitum occurrisse
fertur, inter quos dieitur habuisse
sex millia ferro coopertos equos.
Pugna facta, tandem Hungari, rege
ipsorum vulnerato, terga vertunt,
ubi in quodam fluvio quem tran-
sire habuerunt, circiter 14 mil-
la dicuntur submersa. Potitus
rietoria rex Bohemiae, Hungariam
intrare paravit. Sed rex Hunga-
rae per legatos pacem quaesivit,
terras quae discordiae causa fuere,
restituit; per aliasque conditiones
ac per interventum matrimonii,
ut mox dicetur, satisfecit.
Martini Oppav. Chr., M. G. SS.
XXII, 473.
diversarum orientalium nacionum
et paganorum circa 40 milia equi-
tum. Cui rex Bohemie cum 100
milibus equitum, inter quos dici-
tur habuisse circa 7 milia equo-
rum de ferro coopertorum, ad re-
sistendum occurrit. Cumque in
confiniis regnorum bellum inchoa-
tum fuisset, ex collisione equorum
et armorum tantus pulvis de terra
surrexit, ut media etclara die vix
homo hominem cognoscere po-
tuisset. Tandem Ungari, rege ip-
sorum graviter vulnerato, terga
vertentes, cum cedentes festinarent
fugere, in quodam fluvio profundo,
quem transire debuerant, preter
alios occisos circa 14 milia homi-
num submersa dicuntur. Sed rege
Bohemie victoria habita Ungariam
intrante, rex Ungarie per legatos
pacem querit, terras, que’ discor-
die causa fuerant, restituit, et in
futurum amiciciam mediante ma-
trimonio confirmavit.
Klingenberg oder Gundelfingen?
Vor Kurzem hat Karl Rieger in einem Aufſatze! „Heinrich
von Klingenberg und die Geichichte des Haufes Habsburg“ auf die
Uebereinftimmung der Nadjrichten in der Neimchronif des Steirer
Dttofar, der Chroniken des Fürftenfelder Mönches und des Abtes
Johannes von Viktring mit der Chronik des Mathias von Neuburg
aufmerfam gemacht und ift durch jorgfame Vergleihung einer bisher
unbefannten Quelle auf die Spur gefommen, welche er nach Lorenz’ ?
Lerfiherung mit vollem Recht als die um das Jahre 1278 abgefaßte
historia comitum Habsburgensium des Protonotars und fpäteren
Biſchofs von Conſtanz, Heinrich) von Klingenberg, bezeichnet. Zu den
obenerwähnten Quellen treten nocd Hinzu die von Kern publicirte
Konitanzer Weltchronit?, die Sammlung von Züricher Nachrichten,
welde unter dem Namen der Klingenberger Chronif von Henne von
Sargans edirt worden ift, und die bislang nur in Heinen Bruchſtücken
befannte, mit dem Jahre 1476 abjchließende „üfterreichiiche Gefchichte“
des Konftanzer Heinrichs von Gundelfingent. Alle diefe Chronifen
I Im Archiv für öfterreich. Geih. 8b. XLVII, S. 305—355.
2 Lorenz, Geichichtsquellen im Mittelalter I, 64.
’ Im der Zeitichrift für Geſch. Freiburgs Bd. I.
+ Handichriftlich auf der Wiener Hofbibliothek Nr. 516.
5%
68
beichäftigen ſich feit dem Emporfommen der Habsburger mit ber Ge⸗
nealogie dieſes Geſchlechtes, und Rieger! leitet die genealogiſchen An—
gaben auf die rg des Klingenbergers als ihre Quelle zurüd.
Es handelt ſich für unfere Zwede zunächſt um die Abſtammung der
Habsburger von dem um 1144 aus Rom vertriebenen Geſchlechte
der Perleonen, der Grafen de Aventino monte; eine Nachricht,
welhe wir bei Matthia® von Neuenburg im 1 C., in der ältejten
Faffung der fogenannten Klingenberger Chronif, die wir beſſer als
die Sprengeriche Chronif bezeichnen ?, und bei Heinrich von Gundel—
fingen? antreffen.
Daſſelbe Bedürfnis, fich über die genealogischen Verhältniſſe des
habsburgifchen Haufes klar zu werden, fühlt mit den genannten Schrift:
ftellern Naucler *. Indes bei der Verfchiedenheit der Angaben der
Autoren wagt er feine Entſcheidung; er will das Anjehn des Königs
lieber nad) feinen Thaten als nach feiner Abftammung beurteilen,
obſchou dieſe gewiffermaßen ein Spiegel für die perfönlice Tüchtig-
feit eines Mannes fein könne. Er berichtet darauf die Herkunft der
Habsburger von den Perleonen, gejtügt? auf die Zeugniffe nicht
gerade verwerflicher Schriftſteller.
Es wäre voreilig, auf dieſe einzige Angabe hin die Benutzung
der verlorenen Klingenberger Chronik bei Naucler behaupten zu wollen.
Bielleiht führt aber die folgende Erörterung uns näher zu ihr hin.
Naucler hat nämlich einen ausführlichen Bericht über den von König
Rudolf im Jahre 1275 zu Augsburg abgehaltenen Hoftag®, auf
welchen König Ottofar von Böhmen und Herzog Heinrich von Baiern
geladen waren, nachdem beide auf dem Tage von Wirzburg nicht er»
Ichienen waren. Sie famen aud) diesmal nicht, fandten jedoch Ver—
treter,, diefer den Propjt Heinridy von Dettingen, jener den Biſchof
Wernhard von Sedau, welder in einer fo heftigen Weife die Wahl
des Habsburgers angriff, daß der Unwille der Fürſten laut wurde
und der dreilte Prälat nur der ſchützenden Hand Rudolfs die Rettung
ſeines Lebens verdankte. Einige wenige Schriftſteller haben uns dieſe
Nachricht außer Naucler aufbewahrt: es ſind der Abt Johann von
Viktring? und der Steirer Ottokar. Jenen können wir außer Acht
laſſen, da er meiſtentheils dieſen benutzt hat,
1A. a. O. S. 824 u f.
2 Henne ©, 18.
® Cod. Ms. 516 ae 30 nad; Rieger ©. 321.
: A. a. O. 6.9
A. a. O. S. 970: freti, opinor, non omnino malis authoribus,
apud quos ejus rei fides esto.
A. a. O. ©. 965. 966.
' Een, Geſch. der eidgenöffischen En: 1. Abth, S. 106 u. f.
8 Böhmer, Fontes rer. Germ. I, 304.
4 Mahrenholt in den Forſch. 3. deutfchen Geſch. XIII, 532 m. f. Bergl.
2 a Abt Johann von Biktring und fein Liber certarum hist.
69
Naucler 965. 966.
Adveniente termino rex magna
principum corona curiam cele-
brans, exspectavit, si quid rex Boe-
miae et dux Bavariae in excusa-
tionem suae inobedientiae dicere
vellent. Henricus dux satis se
submisit. Comparuerunt tum regis
Boemiae nuncii, Bernardus Seco-
viensis episcopus, veniaque petita,
episcopus pleno mandato suffultus
proposuit, electionem de Rudolpho
non valere, ut puta factam ab ex-
ecratis et de execrato: ideo Ru-
dolpho tamquam regi obediendum
non esse. Addidit nonnulla alia
sermone Latino. Cui rex: Epis-
cope, inquit, si habetis causam ad-
versus clericum, agatis sermone
Latino coram episcopo; sin vero
eontra me velcontra jura imperii,
proponatis more solito. Sed nec
papam fucatis vestris sermonibus
contra me provocabitis. Inter lo-
quendum electores laici intelli-
gentes episcopum electionem in
dubium revocare, vix manus absti-
nuerunt. Itaque episcopus trepide
abiit, ut salvum conductum a rege
repetens, confusus ad propria
mearit.
Reimchronik des Dttofar, bei Pez, SS.
rer. Austr. III, 123.
Pischof Wernhard hin fur trat,
Den kunig er urlaubs pat,
Sein red für zelegen ... .
Weil er mit kanoniſchem Rechte die
Sache feines Herrn verfocht, verftanden
die Fürften ihn nicht.
Mit red macht er enwicht
Die wal und die weler,
Und jach, der kunig gewesen wer
Zu der zeit in dem pan,
Do im daz reich ward undertan
Und auch do erdie weich enphie.
Latein manig red ergie ut.
Der vil wolgeporn
Von Rom der kunig Ruedolf
Sprach zu dem pischof:
Habt ir icht zu schaffen
Mit chainem pfaffen,
Da Latein zugehor,
Daz spart auf die chor
Ze Maincz oder ze Trier.
Habt ir aber gen mir
Oder gen dem reich icht ze suchen,
Dez magich euch aus dem puchen
Mit worten nicht gevoligen,
Mir wern darumb erpolgen.
Die herren, die ir all hie seht,
Ir seit verzic gesolher reht:
Wann ich waiz dez die warheit,
Daz der pabst dez niht vertrait,
Daz ich durch ewrn geniezz
Dez rehts lain fursten liezz
Ew taidingen mit
Nach dem pfeffleichen sit,
Und daz diz herren all geleich
Sessen vor dem reich,
Alss torn und stummen.
Wie ſchließlich den Laienfürften der
Anhalt der Rede des böhmischen Legaten
mitgetheilt wird, fährt der Pfalzgraf
auf: das muß mit feinem Blute ver»
golten werben, wenn ich gleich immer
in der Hölle Glut brennen follte; Toll
mich ein folher Menich nennen, wie
e8 ihm beliebt? Der Tumult ift groß,
König Rudolf rettet durch feine Klug:
beit den Legaten:
Manigen list newe
Bischof Wernhart ervant,
Damit er chom von dem land.
‚ Eine VBergleihung ihrer Berichte zeigt inhaltlich völlige Ueberein-
Mimmung: das Auftreten des Biſchofs, die Verteidigung feines Herrn
710
mit Sätzen aus dem fanonifchen echt, die Ungültigkeitserklärung ber
Wal Rudolfs als eines zu der Zeit vom Papſt Gebannten, die treffe
lihe Antwort des deutichen Königs, der ihm bedeutet, fein Latein für
die Meffe zu Sparen, und feine Verfiherung, daß Wernhard durd)
feine Schmeichelreden den Papſt nicht gegen ihn aufbringen werde, die
Aufregung der anweſenden weltlichen Fürften, wie fie die Beanjtan-
dung der Wal Rudolfs durch den Biſchof vernehmen, fein heimliches
Entweichen unter dem ©eleit des Königs; — und doch find in der
Form die Berichte untereinander jo verjchieden, daß ich nicht die Ab—
hängigfeit des Naucler von der Heimchronif behaupten, vielmehr die
Nachrichten beider auf eine gemeinfame Duelle zurüdführen möchte.
Da liegt feine näher als die Geſchichte der Habsburgifchen Grafen
Heinrih8 von Klingenberg !, aus der, wie erwiefen ift, die Reimchronik
ihöpfte; in ihr, bei Mathias von Neuenburg und den Schweizer
Chroniſten tritt uns der novelliſtiſche Zug derfelben lebendig entgegen.
Es iſt daher nicht unwahrscheinlich, daß Naucler die verlorene histo-
ria comitum Habsburgensium zu den non omnino malis au-
thoribus rechnete, obwohl nicht ausgeſchloſſen ift, daß er die betreffen-
den Nachrichten der Chronik feines Zeitgenofjen Heinrihe von Gun—
delfingen entnehmen fonnte. Solange diefe nicht gedruct ift, werden
wir jchwerlich zu einer befriedigenden Yöjung der oben geftellten Frage
fommen; wir wenden uns daher einer andern Quelle zu, der ſoge—
nannten
Continuatio Vindobonensis.
Niemand Hat bislang behauptet, daß Naucler diejelbe benutzt
habe, und doch wird ſich eim jeder leicht überzeugen, wenn er ©.
966 bei Naucler: Eodem anno Rudolphus rex persecutus est
marchionem de Baden, rebellem, bis col. 967: confugientes ad
ecclesias extrahi faciens ac trucidari mandans, d. h. Nadjrichten
von den Jahren 1276 bis 1279 mit dem Nachrichten derjelben Jahre
in der Wiener Gontinuation ? vergleiht. Dieſe entjtamınt der von
ihrem Herausgeber Wattenbach mit F bezeichneten Wiener Handichrift,
die biß zum Jahre 1267? von einer Hand gejchrieben ijt, dann bis
zum Jahre 1327 mehrere Fortjeger gefunden hat. Die Nachrichten
der Jahre 1279 bis 1301 finden ſich auch in dem Cod. Sancru-
censis (A), im Cod. episcopalis Vindobonen. (E) und ferner
in verfürzter Nedaction im Cod. Claustroneoburgensis (I). Nun
find die von Naucler herübergenommenen Nachrichten ſehr befchnitten
worden, und gleichwol fanı er ein Eremplar der Handichrift I nicht
benutzt Haben, da diefe erjt in den Jahren 1512 und 1514 gefchrieben
ı Weiland a. a. D. S. 427 fcheint Hier fchwäbifche Annalen des 12.
und 13. Jahrhunderts, die vielleicht nad Hirſchau gehören, als Quelle zu ver:
muthen,
2 M. G. SS. IX, 707—_711.
°» A. a. O. 698. 699.
71
it!, d. 5. zu einer Zeit wo Naucler das Zeitliche längſt geſegnet
hatte. Er jcheint ſich alfo die Compilation aus dem Cod. F jelber
gemacht zu haben. Daß e8 gerade diefer war, beweifen die Mittheis
lungen, welche Naucler zum Jahre 1261 über die Verheirathung
König Ottofars von Böhmen bringt, denn Cod. F jtimmt bis zum
Yahre 1266 mit Cod. K (Cod. episcop. Vindobon.) überein, der
wiederum nach den Melfer Annalen die Heiligenfreuzer Yortjegungen
hat, in deren zweiter fid) die erwähnte Nachricht mit denjelben Worten
vorfindet ?.
Ob Naucler die Continuatio noch über das Jahr 1279 Hinaus
benutzte, iſt wol fraglich, dem die Notiz über den Neichstag zu Augs—
burg und die Einfegung von Rudolfs Sohne Albrecht zum Herzog
von Dejterreich ift den Sindelfinger Annalen entnommen? Darnach
it anzunehmen, dag aud) die folgende Nachricht: Similiter eidem —
Decembri, in den verlorenen Ann. Sindelfing. jtand, die Belehnung
Albrechts mit Steiermark, Kärnten, Krain und Pordenone betreffend,
wern anders man nicht geneigt ift anzunehmen, daß Naucler nad)»
läffig die Wiener Continuation benugte, wo aber von der Belehrung
Abrechts und Nudolfs die Rede ift und Oeſterreich noch Hinzugefügt
üt, Man vergleiche:
Naucler 970,
Similiter eidem Stiriam, Carin-
tbiam, portum Naonis, Carniolam-
que concessit mense Decembri, et
ab eo moderni duces habuerunt
exordium.
Contin, Vindob. 712.
Item dominus Rudolphus Ro-
manorum rex apud Augustam
filiis suis Alberto et Rudolfo ter-
ras Austriam, Stiriam, Carinthiam,
Marchiam, Portus Naonum contulit
mense Decembri.
Lehrreich für die Art der Benutzung der Wiener Continuation
und die Arbeitsweife des Naucler iſt die Stelle, wo die Entſcheidungs—
ſchlacht zwiſchen König Rudolf und Ottofar erzählt wird.
Naucler 967.
„At Rudolphüs rex cum Austra-
lübus et Stirensibus et paucis
Sueris, praesente rege Ungarie,
cum tamen vix unum contra duos
haberet, 7. Kalen. Septemb.
anni 1278, feria sexta post festum
8. Bartholomaei, in campo qui di-
citur Nidersprug, ordinatis acie-
bos, Christum pro signo habens,
quod nomen semper antea a Co-
manis et Ungaris pro nihilo fuit
ı Ua. O. IX, 606.
Contin. Vindob. 709.
Et quia fraus et dolus non de-
bet alicui patrocinium inpertiri,
Rodulphus vero Romanorum rex,
qui sic ab eo fraudulenter circum-
ventus fuerat, cum Australibus
et Stiriensibus peroptime expeditis
et paucis Suevis, presente rege
Ungarie cum suis, cum tamen vix
unum pugnantem adhuc contra
duos adversarios, et non nisi du-
centos et quinquaginta dextrarios
» M. G. SS. IX, 645 zum Jahre 1261.
Naucler 967: Anno Domini 1282. Rudolphus rex curiam fecit
apud Augustam civitatem Sueviae ante nativitatem Domini et ibidem
ilium suum Albertum in ducem Austriae instituit, de consensu prin-
cipum. Aus den Sindelfinger Ann. M. G. SS. XVII, 303.
12
Naucler 967.
reputatum, acriter pugnavit. Igi-
Contin. Vindob, 709.
faleratos contra mille et centum
tur hac die ab omnibus repetitis | parte ex adversa haberet, sepe-
vicibus ‘Christus’ alta voce procla-
matur, eratque ‘Praga’ sıgnum Boe-
dicto regi Boemie viriliter cum
suis paucis, in Deo ponens spem
morum et alba stola. suam, quia Domini est salus,
Septimo autem Kalendas Septem-
bris, que fuit feria sexta proxima
post Bartholomei, in campo qui
vulgariter dieitur Ydung speugen,
circa Marchiam ex utraque parte
ad prelium convenerunt. Ordina-
tisque hinc inde agminibus, rex
Romanorum tam Comanis quam
christianis pro signo nomen Christi
precepit invocare, ut, ubicumque
essent illa die, in bello pariter vel
dispersi, hoc nomen ‘Christus Chri-
stus’ a quolibet clamaretur. Ita-
que nomen Dei gloriosum et bene-
dietum ‘Christus’, quod exercitui
regis Romanorum in signum datum
fuerat, quod semper antea ab in-
credulis Comanis et a semichristia-
nis Ungaris blasphematum et pro
nichilo fuerat reputatum, hac die
communiter tam a Comanis quam
a christianis invocando sepissime
repetitis vicibus ‘Christus Christus’
alta voce ab omnibus proclama-
tur. Rex vero Boemie suis exer-
ceitibus pro signo dederat clamare
‘Praga Praga’, et cuilibet album
peplum circa collum ante et retro
usque ad cingulum in modum stole
dyaconi, sicque bellum commissum
est ab utrisque,
Der darauf folgende Sat: Ferunt ejus coronatione (nämlich
des Wenceslaus) ducenta equitum millia apud Pragam ex re-
gia curia cibos accepisse, ift der Historia Bohemica des Aeneas
Syloins ! entnommen. Naucler hat jedoch unvollftändig excerpirt,
beim Aeneas folgt noch: peditum vero infinitam multitudinem
pastam. Woher Aeneas Syloius die ganze Nachricht geſchöpft Hat,
ift mir unbefannt geblieben.
Die Historia Bohemica des Aeneas Sylvius und
ein Catalog Mainzer Erzbiſchöfe (Cod. Darmstad. 820).
Schon eben ift bemerkt worden, daß Naucler die Historia Bo-
hemica des Aeneas Sylvius gefannt und benußt Hat; er citirt die-
jelbe col. 983, wo er nad) der Darftellung des Verhältniffes König
" Rom 1475, Bd. II, ©. 8 (vom zweiten Buch an gerechnet, da das an:
gezogene Eremplar nicht paginirt war).
13
Abrehts zu Bonifaz VIII. plötzlich die Schickſale des Wenceslaus,
des Sohnes jenes Ottokars, der in der Schlacht auf dem Marchfelde fiel,
erzählt; ſeine Erziehung durch den Markgrafen Otto von Brandenburg;
ſeine Rückkehr nach Böhmen; die Heirat ſeiner Mutter mit dem böh—
miſchen Edlen Zawiſch und die Hinrichtung des Letzteren, Wenceslaus
Stellung ferner zu Albrecht; die Krönung feines breizehnjährigen
Sohnes zum Könige von Ungarn und ſchließlich feinen im 33. Lebens⸗
jahre erfolgten Tod: lauter Nachrichten, welche teilweife an anderem
Orte (983) in viel richtigerem Zufammenhange erzählt worden find.
Diefe Stelle nun correfpondirt wörtlid) mit der Historia Bohemica
I, S. 7. 8. 9. Naucler hat jedoch gekürzt, denn Aeneas erzählt,
daß ein Wegelagerer der auf dem Grabe des Wenceslaus errichteten
Statue eine Ohrfeige gab, zur Strafe aber ſofort erblindete, das
Steinbild darauf im Sacrarium aufgeftellt und ſpäter durch ein ehernes
eriegt worden ſei. Diefe Erzählung hat Naucler ausgelaffen.
Ferner bemerfen wir col. 1016 und 1017, wo er eine Charafs
teriftit Karl IV. giebt, von der Errichtung der Prager Hochſchule,
der Erhebung der Prager Kirche zum Metropolitanfig fpricht, eine
Uebereinftimmung mit der Historia Bohemica II, ©. 13; eine
Stelle, welche deshalb eine nähere Beſprechung verdient, weil Weis
land! bei der Frage nad) dem fogenannten Jacobus Moguntinus
bier eine Concordanz mit einer fpäteren Mainzer Compilation aus
dem Jahre 1507? gefunden hat, von der er zu behaupten fcheint,
daß fie die Chronik des Jacob benutt habe. Cine nähere Kenntnis-
nahme der Handſchrift brachte mich gerade zu der gegentheiligen Ueber—
zeugung, daß eben Jacob von Mainz nicht der Mainzer Compilation
als Vorlage diente, da ſpecifiſch Mainzer Nachrichten, welche Naucler
dem Jacob entnommen hat, in der Compilation des Biichofsfataloges
fehlen und ſich auch fonft fein Zufammengehen mit dem durd) einzig
daftehende Nacjrichten ausgezeichneten Jacob zu entdeden ift. Zur
Darlegung des Verhältniffes zwifchen den drei Faktoren, dem Naucler,
dem Aeneas Sylvius und den beiden Mainzer Compilationen iſt
eine Beichreibung der Handſchrift nothwendig.
Sie ift eine Papierhandichrift in Quartformat und in Perga-
ment gebunden. Auf der Innenſeite des Umfchlags lieft man hod)
oben: Libellus Cristiani Gheverdis eolleetus per eundem Colo-
niae anno Domini millesimo quingentesimo septimo.. Man
Könnte alfo mit mehr Recht von einer Kölner als von einer Mainzer
Compilation reden. Der Sammelcoder beginnt mit einem alten ſchö—
nen Drude: Expositio Antiphone seu cantici Salve regina
Auctoritatibus propheticis necnon Biblie et sanctorum patrum
ı Ua. DO. XXXIV, 429.
* Cod. Darmstad. 820. Durd) bie gütige Bermittelung bes Herrn
Oberbibliothefar Dr. Laubmanı in Wirzburg war e8 mir vergönnt, von der
Sandfchrift, welche das Großherzoglich Heſſiſche Staatsminifterium des Innern
m ſiberalſter Weife zur Benutzung überließ, Einficht zu nehmen.
74
doctorumque dietis ac historiis decorata predicantibusque uti-
lissima per venerabilem patrem Johannem Henlin Sacre theo-
logie lectorem edita. Incipit. Ohne Angabe des Drucdortes und
der Jahreszahl. Mit ©. 45 beginnt die Handichrift mit der Ueber
Schrift in rother Dinte: Colleeta hine inde ex diversis, giebt bis
©. 56 die fagenhafte Urgeichichte der Stadt Mainz und die Gefchichte
feiner Biſchöfe bis auf Bonifaz, worauf eine leere Seite folgt und
©. 57: Baldewini tempore. Item tempore hujus Baldewini
eives Moguntinenses insurgendo contra clerum et ecclesiam
Moguntinensem et anno domini MCCCXXXIX. die S. Lan-
rencii destruxerunt monasteria sancti Albani et Jacobi nec-
non ecclesiarum S. Vietoris et plurium canonicorum in et ex-
tra eis; eine im deutfcher Sprache abgefafte Urkunde Ludwig des
Baiern, verichiedene von ftädtiichen Behörden ausgejtellte und ſchließ—
lic eine Urkunde König Wenzel8 aus dem Jahre 1383. Nach drei
leeren Seiten folgt auf S. 69 eine deutich geichriebene Geſchichte von
Mainz und feiner Erzbifchöfe bis auf Sigfried von Eppenjtein
(S. 77). Dann zwei leere Seiten und S. 79 und 79° Epigramme,
welche auf Steinen bei St. Alban gefunden wurden, darunter die
Grabſchrift der zu Franffurt verftorbenen und in St. Alban beige:
fetten Gemahlin Karl des Großen Fajtrada.
S. 80 beginnt der Cathalogus episcoporum et archiepisco-
porum ecclesie Moguntinensis und endigt mit der Dita des Erz
biſchofs Bertold, Grafen von Hennenberg (geitorben am 21. De
cember 1504). ine andere Hand jette darunter: Post Bertoldum
de anno 1484. restant anni, in quibus archiepiscoporum suc-
cessio desideratur plus minus 156 et sie ultra hominum me-
moriam. Diefer Zuſatz ift alfo erft 1640 gefchrieben worden.
Die Chronik giebt eine kurze Gefchichte der Biſchöfe und Erz
biihöfe,; ohme die Bedeutung derjelben für die Reichsgeſchichte näher
zu wirdigen, beichäftigt fie fich faft nur mit örtlichen Angelegenheiten
und theilt zum Schluß jeder Vita das Epitaph des betreffenden Bi—
ſchofs mit. An vielen Stellen find Hinweife auf das im Text Ste
hende am Rande gegeben, häufig auch mit rother Dinte eine Hand
gemalt und mande Stellen des Textes roth unterjtrichen, hie und da
wurden oben und unten auf der Seite Bemerkungen eingefügt und
halbe und viertel Blätter eingeheftet, welche Zufäge und Verbeſſe—
rungen enthalten. Die Schrift ift die des 16. Jahrhunderts.
Es folgen weiße Blätter. S. 146 beginnt mit der Ueberjchrift:
Supplementum Cronice suceinetum, eine Chronif der Biſchöfe umd
Erzbiichöfe von Mainz mit folgender Einleitung: Aurea Maguntia
toeius Germanie metropolis annis quingentis post Trevericam
urbem omnium cismaritimarum eivitatum est antiquissima,
sumpsit exordium und endigt S. 196 mit der Regierung Adolf I.
Grafen von Naffau (geftorben am 6. September 1475).
Nach mehreren weißen Blättern finden wir ©. 198 von an—
derer Hand einen Brief gefchrieben, deſſen Ueberjchrift in rother Dinte
75
fo lautet: Generoso clarissimoque domino Philippo de Duno
et Lapide superiori nobilissimo Argentinensis ecclesie prepo-
sito, domino suo observandissimo. Der Brief ift ohne Datum
und Ausſtellungsort. Sclieklic folgt S. 200 bis 203 eine in
Diſtichen abgefaßte Elegie mit dieſer Ueberfchrift im rother Dinte:
Ad Julium secundum pontificeem maximum contra falsam Au-
gustinensium accusationem elegia heratostica Jacobi Wym-
pbelingii theologi. Die Handfchrift ift diefelbe wie bei dem vor—
bergehenden Briefe.
Wir ehren zu der oben erwähnten Notiz über den Charakter
Karl IV. und die Errichtung der Prager Univerfität zurück, indem
wir die betreffende Stelle aus den drei Autoren hier wiedergeben:
l Naucler 8.1016. 1017.|II. Aeneae Sylvii Hist./III. Cod. Darmstad. 820
Bohem. ©. 13. S. 135 (Vita Gerlaei
archiepisc. Mogunt.).
Carolus imperatorı Nam scola liberalium] Hie Karolus clarus
clarıs habitus est, nisiljartium ab eo in Pragaprofecto cesar, nisi Bo-
qud, ut aliquilerecta est, Nova Civitashemici regni gloriam
seribunt, Boemicilmenibus cincta, pala-Imagis quam Romani
regni gloriam magisitium regium magnifi-imperii quesivisset, et
quam Romani imperiiicentissimeexedificatum,!Wentzlaum etc.
quaesirit.. Fuit enim|Monasteria multa fun- Eo tempore ecclesia
vir magnorum operum, data, arces constructe/Pragensis ad metropo-
qui regnum Boemiaeladmirabiles: pax totilliticum decns erecta
tun religionis cultu,'regno reddita ..... est et monasterium La-
tum legum ac bonorum Vicegradum novis mu-itomislense ordinis Pre-
morum disciplina illu-/ris ac propugnaculis monstratensis in cathe-
strart.. Nam scolacommunivit, corpus'dralem ecclesiam ordi-
lberalium artium abjsancti Viti Pragam de-Inatum, quam Clemens
& in Praga erecta est,ttulit, pontem Multavie,papa eidem ecclesie
nova civitas moenibusqui ex undationibusjPragensi in suffraga-
eineta, palatium regium|corruerat, in Praga re-neum ac Olemocensem
magnificentissime ex-stauravit, ecelesiam/in regno Bohemie olim
aedıficatum, monasteria Pragensem ad metro-Maguntinensis provin-
multa fundata, arcespoliticum decus erexit,lcie.
eonstractae mirabiles, cum antea Moguntino
corpus S. Viti detulit'pontifici subjecta esset.
Pragam, ecclesiam Pra-Clarus profecto impe-
gensem ad metropoli-'rator, nisi Bohemici
ticum decus erexit, cum/regni gloriam magis
antea Moguntino pon-Iquam Romani imperii
tifiei subjecta fuisset. |quesivisset etc. |
Aus diefer Stelle ſchließen zu wollen, Naucler Habe hier die
Mainzer Compilation benutt, ericheint im Hinblick auf den völlig
gleihartigen Text der böhmischen Geſchichte des Aeneas Sylvius ficher-
{id verfrüht: wir knüpfen vielmehr an den eben abgebrochenen Text
der Letsteren wieder an und conftatiren eine weitere Lebereinftimmung
mit der Mainzer Compilation, ohne dag wir im Naucler dazu ein
Pendant gefunden hätten.
Aeneas Sylvius ©. 13. | Cod. Darmstad. 820 ©. 135. _
Mud quoque nomini ejus non . . et Wentzlaum ex filiis suis
76
Aeneas Sylvius ©. 13.
parvam inussit maculam: quod
Venceslaum ex filiis suis natu ma-
jorem in imperio sibi successorem
adhuc vivens ordinare conatus est,
idque pecunia. Nam cum princi-
pes electores haud facile ad eam
rem trahi possent, quod virtute
obtinere non potuit, precio com-
— promissis cuique Electori
milibus aureis. Quos cum re-
presentare non posset, publica illis
Romane rei publice vectigalia ob-
ligavit: perpetuum imperii macu-
lum. Hinc Romana potestas ad
nihilum redacta. Nec post hoc
extollere capud imperium potuit.
Cum principes electores omnia sibi
retinerent imperatoremque jureju-
rando adigerent, ne pignora revo-
caret.
Fürwahr! der Mainzer giebt
rafteriftif des mittelalterlichen Reichszuſtandes!
Cod. Darmstad. 820 &. 135.
natu majorem imperii sibi succes-
sorem adhuc vivens ordinare co-
natus esset, idque pecunia. Nam
cum electores baud facile ad eam
rem trahi possent, quod virtute
obtinere non potuit, precio conpa-
ravit, promissis cuilibet electori
centum milibus aureorum ; quos
cum representare non posset, pu-
blica illis Romane rei publice vee-
tigalia obligavit perpetuo imperi
malum; hine Romana potestas ad
nichilum redacta, nec post hoc ca-
put imperium extollere potuit,
cum principes electores omnia
sibi retinerent imperatoremque
jurejurando premerent, ne pignora
revocet, prout in bulla Charoli
quam auream vocant habetur, et
bene aurea quoad principes elec-
tores, ad rem autem imperii non
valet fabam.
eine ſcharfe, aber fchlagende Cha-
Dhne mid) auf eine
nähere Würdigung diefer anziehenden Stelle einzulaffen, fete ich im
Folgenden noch eine Nachricht des Naucler mit der Mainzer Compi-
lation in Parallele, zu der fih das Geitenftü nicht beim Aenens
Sylvius findet. Sie betrifft die Abfegung des Mainzer Erzbischofs
Heinrih van Virneberg durch Papft Clemens VI., aus deſſen Ab»
ſetzungsdecret Naucler den Schlußſatz mittheilt, den er offenbar der
die Urkunde wiedergebenden Mainzer Compilation entnimmt. Im
Cod. Darmstad. ©. 122° beginnt fie mit den Worten: Collacio
facta in deposicionem Henrici archiepiscopi Maguntinensis
die VII. Aprilis anno quarto!, und endigt ©. 134. Für une
fommt nur der Schlußfag in Betracht:
Naucler ©. 1005. 1006.
Nlis etiam temporibus idem
Clemens deposuit Henricum de
Viernberg archiepiscopum Mogun-
tinensem, qui Ludovico adheserat
et ipsi favebat, propter quod exe-
cratus fuerat et in execratione
pluribus annis perduraverat, ac in
officio, ut prius, ministraverat.
Allegantur etiam perjurium et alia
quaedam, ut de hoc in alio ser-
mone. Ibi Clemens in fine ait:
Cod. Darmstad. S. 134.
In nomine ergo domini: de fra-
trum nostrorum consilio in predic-
tum Henricum licet absentem cor-
pore, presentem tamen spiritu
perpetue deposicionis sententiam
preferentes, eum ab omni honore,
potestate, dignitate et officio pon-
tificali privamus infeudacionis,
alienacionis et obligacionis, per
quas de bonis ecclesie Maguntı-
nensis presumpsit post latas in
1 Die Urkunde ift auszugsweife gebrudt bei Theiner, Ann. Eccl. T. XXV,
©. 377. 378. Sie ift ausgeſtellt in Avignon 8. id. April., differirt dem-
nad um einen Tag mit dem Texte der Mainzer Compilation.
717
Naucler S. 1005. 1006.
Et ne dieta ecclesia incommoda
sue viduationis deploret, authori-
tate Dei etc. Gerlacum filium
comitis de Nassaw, capellanum
nostrum, decanum dictae ecclesiae,
praeficimus archiepiscopum, ut
cum principibus sedeat et solium
gloriae teneat unde postea multa
Cod. Darmstad. ©. 134.
cum excommunicacionis et suspen-
sionis sententias in irritum revo-
camus, etne dicta ecclesia incom-
moda sue viduitatis deploret, auc-
toritate Dei omnipotentis patris
et filii et spiritus sancti, beate
Marie semper virginis, beati Mi-
chaelis archangeli, beati Johannis
baptiste, beatorum apostolorum
Petri et Pauli et nostra, Gerlacum
filium comitem de Nassawe, capel-
lanum nostrum, decanum ecclesie
Maguntinensis, dispensantes prius
cum eo supra etate et ordinibus
ipsius Maguntinensis ecclesie, de
eorundem fratrum consilio prefeci-
mus in archiepiscopum et pasto-
rem et de persona episcopi prefate
ecclesie providemus: ut de cetero
cum principibus sedeat et solium
glorie teneat primorum primus !
et tandem J eternam gloriam
perveniat, quam nobis et ipsi con-
cedat, qui est benedictus in se-
cula seculorum. Amen.
secuta sunt scandala.
Fragen mir zunächit, in welchem Verhältnis Naucler zu den
beiden andern Quellen jteht, fo glaube ich, da gezeigt iſt, daß er die
Mainzer Compilation bemutt ? in der Mittheilung von Nachrichten,
weihe er aus der böhmischen Gejchichte des Aeneas Sylvius nicht
entnehmen konnte, die Frage dahin beantworten zu können, daß ſowol
die böhmiſche Geſchichte des Letzteren als der Katalog der Mainzer
Biihöfe und Erzbiihöfe im Cod. Darmstad. dem Naucler als Vor—
lage dienten. Ja dieſer fpricht es eigentlich felber aus, wenn er mit
Berufung auf feine Quellen ſchreibt: ut aliqui seribunt.
Diejes Rejultat giebt einen näheren Anhaltspunkt für die Ab—
faſſung der Nauclerjhen Chronik: einige Partieen derjelben find erft
nach dein 21. December 1504 vollendet worden, da mit diefem Da—
tum der Cathalogus episcoporum ecclesie Maguntinensis en=
dig. Joachim? Hatte die Ergebniffe feiner Unterfuchung über die
Abfafjungszeit dahin zufammengefaßt, daß „die Chronik in der Periode
vom legten Decennium des 15. Jahrhunderts bis zum Tode Naus
ders 1510 entitanden fein wird“. Damit einverftanden, befämpfe
ih feine Anficht, daß fie vielleicht jchon 1504 fertig vorlag. Joachim
Ihließt dies ‚aus einer König Ludwig XII. von Frankreich angehenden
J Die Handſchrift hat hier eine Sigle, die ich in den bekannten diploma⸗
then Handbüchern vergeben® ſuchte. Herr Prof. Steindorff in Göttingen war
ho —— mid vermutungsweiſe auf die oben gegebene Löſung aufmerkfam zu
machen.
* (Die Url. lann er aber auch andersher gekannt haben. ©. W.)
2A. a. O. S. 10.
18
Notiz: et hodie regnat anno salutis 1504. Dazu ift zu bemerfen,
daß, wenn Naucler diefe S. 526 jtehende Stelle im Jahre 1504
fchrieb, er nad) Art feiner Arbeitsmethode ſchwerlich feine 1121 große
Voliodrudjeiten umfajjende Chronik in einem Jahre vollendet haben
wird; jondern er compilierte jtüchweife nad) Zeit und Luft.
Schwieriger iſt das Verhältnis, in welchem Aeneas Eylvius zu
dem Mainzer Bifchofsfatalog ftcht, zu beſtimmen, da mir zur Zeit,
wo ich den Darmftädter Coder benußte, diefe Beziehungen noch unbe
fannt waren. Aeneas Sylvius vollendete jein Bud) laut Angabe auf
der lesten Seite im Jahre feiner Wahl zum Papfte, aljo 1458; im
Drud erfchien e8 erjt im Aubileumsjahre 1475 zu Nom: es ift aljo
weit früher abgefaßt al8 der Mainzer Biichofsfatalog, und diefem hat
folgli), wenn nad den obigen Umftänden eine Vermutung auszus
ſprechen erlaubt ift, die Hist. Bohem. als Vorlage gedient!. Auffal-
[end bliebe dabei die energifche Weiterführung des von Aeneas Shyl—
vius niedergefchriebenen Gedanfens über die Beftechlichfeit der deut
hen Rurfürften und die an die goldene Bulle gefnüpfte Bemerkung‘,
daß fie wohl den Beinamen der „goldenen“ verdiene, wenn man die
Bortheile der Kurfürften in ihr anfehe, für die Nechte des Reiches
aber nicht einen Pfifferling werth fei.
Außer den erwähnten Uebereinftimmungen zwiſchen Naucler und
den beiden Mainzer Chronifen finden fich feine mehr. Erſterer be
ſchäftigt ſich vorzugsweiſe mit den Beziehungen der deutichen Fürjten
zum Auslande, kümmert fih um Mainz nur anläßlic) der Abſetzung
des Mainzer Erzbifchofs Dieter von Iſenburg (S. 1091— 1093).
Seine Quelle ift da mündlicher Bericht: et tantum de Moguntiaca
captione invenire potui, audita referens, prout a fide dignis
accepi (1093) und jehr ausführlich; die erfte der oben genannten
Mainzer Chronifen, welche wir mit A bezeichnen, behandelt 140r.
141 das Greigniß fehr kurz, die zweite (B) 194r. 195. 196 aus
führlicher, beide jedoch ohne Anklang an Naucler. Diefer giebt als
Datum für die Groberung von Mainz den 27/28. October 1462,
Chron. B. den Tag Simon und Juda an. Den Chroniften A.
lernen wir al8 Zeitgenofjen diefes Streites zwifchen Dieter von Iſen—
burg und Adolf von Naſſan feinen: er jagt 140r, daß er weder je
nen empfehlen noch diefen tadeln will. B. endet mit der Erzählung
der Eroberung von Mainz, A. mit der Regierung des DBertold von
Hennenberg (FT 1504).
Der fogenannte Martinus Minorita,
Die beiden Ausgaben der Flores temporum, die ohne Grund
I (Dies jcheint mir nicht zweifelhaft. ©. W.).
2 Benutzt hat dieſe Stelle des Aeneas Sylvius ein Fortjeger des Mar:
tinns Minorita, Michael Eyienhard (bei Meufchen 140): Promisit Carolus,
ut refert papa Pius, cuilibet electorum centum millia aureorum num-
morum pro consensu, sed cum solvere tantum aes non posset, obliga-
vit eis telonia, vectigalia, oppida imperialia, proprietates, item et
jura multa titulo pignoris,
19
einem Martinus zugefchrieben werden, bei Eecard! und Meufchen ?,
und eine von mir benutzte Wirzburger Handjchrift weichen vielfach)
von einander ab und lajjen nicht mit Sicherheit die uriprüngliche Be—
ihaffenheit des Werks erkennen. Die Nachrichten welche Naucler
giebt ftimmen bald mit dem einen, bald mit dem andern Text überein,
jo daß wir im ihr eine theil® verkürzte, theil8 mit Zufägen verjehene
und vergrößerte NRedaction der urfprünglichen Flores zu erfennen
glauben. Der populäre, unterhaltende Ton derjelben hat zu den
Bandlungen des Textes ſicherlich mit beigetragen.
Weiland bemerft in der Kritik der Joachimſchen Schrift, manch—
mol habe man den Eindrud, dag Martin Naucler gegenüber nur ei—
nen Auszug gebe, und führt die Stelle über die Ermordung des
Grafen von Yülih an im Jahre 1278, welde Yorenz aud) noch in
der neueſten Auflage feiner Geſchichtsquellen irrthümlich auf die Col—
marer Annalen zurüdführt?, Joachim S. 44 den verlorenen Sindel-
finger Annalen und Weiland dem Minoriten zuweifen möchte. Letz—
terer aber regijtriert da8 Ereignis nur: Anno Domini MCCLXXVIIL
comes Wilhelmus de Gulch oceisus est Aquisgrani, dominica
Invocavit *, während Naucler dafjelbe mit allen Nebenumftänden
erzählt.
Die Nachricht findet fi) wieder in der Continuatio Vindobo-
nensis, welche Naucler benugte, Joachimꝰ aber außer Acht ließ, weshalb
er jene den verlornen Sindelfinger Annalen zuzuweiſen verfucht war,
Continuat. Vindob., M. G. SS.
IX, 709.
Inelitus comes Juliacensis, dum
ad expedicionem regis Romanorum
ordinaverat, a civibus exigeret,
subito lite exorta, suadente pesti-
fero consilio, cum duobus liberis
suis ac ducentis militibus et fere
mille aliis hominibus suis, proh
dolor! in quadragesima ante eccle-
sam beate Virginis a predictis
eciribus et vulgo est miserabiliter
oeeisus.
Naucler. Chr. S. 967.
Anno Domini 1278. inclytus dux
Juliacen. ad expeditionem regis
Ro. veniens, Aquisgrani exactio-
nem a rege Rom. impositam peti-
vit, ubi subito cum duobus filiis
ac ducentis militibus et fere mille
aliis in quadragesima ante eccle-
siam B. Mariae virginis est occisus.
Auch das zweite Beispiel Weilands möchten wir nicht in feinem
vollen Umfange acceptiren,
Es handelt fih um ein in Regensburg
von einem bifchöflichen Minifterialen, einem von Hohenfel®, gegen
König Konrad IV. geplantes Attentat, welches durch die Aufopferung
! Martini Minoritae Flor. Temporum ab Hermanno Januensi
continuat. usque ad Carolum IV. Imp., bei Eccard Corp. hist. I,
1551— 1641.
° Hermanni Gygantis Ord. fr. Minor. Flores Temporum, Lugd.
Batav. 1750. 4.
®_ Geichichtequellen des Mittelalters I, 47 N. 2.
* Meufhen 131. So auch Eccard 1632,
*A. a. O. S. 44.
80
des mit feinem Herrn das Lager taufchenden Vertrauten, Friedrichs
von Vensheim, vereitelt wurde. Dieſe Erzählung erfcheint bei Nau—
cler! mit weit größerer VBollftändigfeit al8 in feiner Quelle, den
Flores ?.
Seine Arbeitsmethode iſt an diefer Stelle vecht erfenubar: S. 937
hat er fchon erzählt von den Bemühungen des Bapftes Junocenz für
die Wahl des Yandgrafen Heinrich von Thüringen, der am 5. Auguft
1246 Konrad bei Frankfurt im die Flucht Schlägt; — offenbar nad)
den Flores (Meuſchen 127, Eccard 1625), welche hier auch die
erste bairische Yortfegung der Sächſiſchen Weltchronif benußt?. Ob
die folgende Nadricht von der Belagerung Reutlingens im SYahre
1247 und der zum Dank für die Befreiung erbauten Marienfapelle
auch den Flores zuzuweiſen ijt oder bejjer den verlorenen Sindel-
finger Annalen, mag ic) nicht entfcheiden. Die dann fommende No»
tiz über Heinrichs Tod bei der Belagerung der Stadt Ulm zeigt
wieder auf den Minoriten als Quelle. Nach Naucler wird Land:
graf Heinrich zufällig durch einen Pfeil verwundet und ftirbt fpäter
an Dyjenterie. Der Meuſchenſche Text hat nichts der Art; Eccard
col. 1625 bemerft nur, daß er im Jahre der Flucht ohne Erben
an obiger Krankheit jtarb und zu Eiſenach begraben wurde, womit
Andreas von Regensburg * und der bairijche Fortjeger der Weltchronit
(324) übereinjtimmen,
Bei Naucler folgt darauf die Wahl Wilhelms von Holland,
welcher dein Grafen Ulrich) von Wirtemberg die Vogtei über das
Klojter Drendendorff verleiht und fchlieglih de8 Könige Tod im
Lande der Frieſen; Nachrichten, welche wir cher den Sindelfinger
Annalen zuweilen möchten, jchon wegen der nahen Beziehungen, in
welchen das Kloſter zu den Wirtembergiichen Grafen jtand. Zu
gleicher Zeit ſchaute Naucler in fein Kaiferverzeihniß und bemerkte,
daß Wilhelm wie Konrad in Ermangelung der Krönung durch den
Papit feine befondere Rubrik in ihm erhalten haben.
©. 940 fnüpft Naucler an die Wahl Wilhelms von Holland
1 Aus ihm jchöpfte Trithemius. H. Müller in feinen „Duellen, melde
der Abt Tritheim im erften Theile feiner Hirſauer Annalen benutt bat“
S. 31 weiß die Nachricht nicht unterzubringen.
2 Der Ulmer Bredigermönd Felir Faber, welcher die Chronik des Mino:
riten benutzte, fcheint ein vollftändigeres Eremplar, als uns befannt ift, befefien
zu haben: Hoc* intelligens quidam fidelis miles ejus dietus Fridericus
de Eutenschaim (!), precurrit velocius et regem de lecto traxit
et eum subter scamnum abscondit, jubens eum silere propter pe-
riculum imminens. Indes wäre e8 immerhin möglich, daß dieje neuen aber
aus der Tatſache ſich von felbft ergebenden Momente: das Herabnehmen des
Königs vom Bette und das Gebot des Stillihweigens nur ftiliftifche Aus-
fhmüdungen des einfachen Textes waren.
:» Aa. DO. ©. 324, wo ber Tert alfo hätte Hein gedrudt werben
müffen,
A. a. O. S. 532.
®* Goldast, SS. rer. Suevic., Frankf. 1605, ©. 118.
81
an, der aus Verſehen diesmal zum Landgrafen von Thüringen ge—
macht wird; Papſt Innocenz verwendet ſich für feine Anerkennung
gegen den Staufer Konrad, welcher darauf aus feinen Erblanden in
Italien nad) Deutichland zurückkehrt und mit feinem Schwager Hein-
rih von Baiern das Gebiet des Regensburger Biſchofs verwüftet ;
Heinrih quartiert jich bei den Mönchen von St. Emmeran ein,
Konrad lagert in der Kathedrale. Hier erfolgt nun am 29. Des
cember der obenerzählte Mordverſuch gegen Yeßteren, deſſen Folge die
völlige Zeritörung des Klojterd von St. Emmeram war; die Mönche
wurden gezwungen, da die Schäge ihrer Bibliothek verpfändet waren,
durch dern Verfauf eines goldenen tragbaren Altar aus der Zeit
Heinrih IV. ihre Reiniger zu befriedigen. Sowie König Wilhelm
mit Heeresmacht heraneilt, entflicht Konrad nad) Apulien; den Baiern-
berzog trifft bald darauf die verdiente Strafe.
So meit Naucer. Die VBerfuhung, zu der die obenerwähnte
Bemerkung Weilands reizt, das Plus der Nachrichten bei Naucler
auf eine ausführlichere Redaktion der Flores temporum oder auf
Annalen, welde „nah Hirichau gehören“, zurüdzuführen, ift freilich
(odend; indes zeigt die folgende Betrachtung vielleicht einen Ausweg.
Die Mordgeihichte, welche mit ihrem romanhaften Detail an
eine Ähnliche Epifode aus Friedrich I. Aufenthalt in Stalien erinnert,
findet ſich von einigen Abweichungen abgejehen in den Annalen des
Hermann von Altaic) wieder. Ein Vergleich der drei Berichte, des
Altaichers, des Naucer und des Minorita zeigt im Allgemeinen
Uebereinitimmung, doch iſt erfichtlih, wie Naucler aud Hier die
Flores benugt, dagegen in Einzelheiten, welche diefen abgehen, mit
Hermann übereinfommt. So läßt diejer das Ereignis in proxima
nocte post festum innocentum vor ſich gehen, weldes Datum dem
quarto Kalend. Januarii des Naucler entjpricht; in einzelnen Aus—
drücken? fchließt er fi) näher an, Hermann. an, und ſchließlich erwäh—
nen er und Naucler die Strafe für den Frevel, nämlich die Zerftö-
tung des Klofters zu S. Emmeran, wobei der Altaicher wieder aus—
führlicher ift, indem er Hinzufügt, daß der Abt Ulrich dem Unterneh-
men nicht ferne jtand, während der Biichof von Negensburg vor den
Zhoren der Stadt mit einer Schar Bewaffneter den Ausgang der
Sache abwartete. Auch anderweit findet ſich mehrfache Uebereinſtim—
mung? mit den Altaicher Annalen, mandmal eine jo wörtlihe, daf
ı M.G. SS. XVII, 395.
” Naucler 941: Rex — atque rex mortis periculum evadens —
Herm. Altah. Ann. 395: Rex — valde miraculose imminens peri-
culum mortis evasit,
SMS: Minor. bei Meufchen 127: et sic rex per illius mortem
erasit.
° &o Naucler 943: Isto fere tempore — factusque est dux
uno 1254. vergl. mit Herm. Alt. Ann. 393: Oceiso itaque Friderico —
et conversa.
Naucler 943: Eodem tempore Ludovicus — in Verda mit Ann.
XVIIL 6
82
man eine direfte Benutzung derjelben durch Naucler annehmen möchte,
zumal uns hier correjpondirende Nadrichten aus den Flores tempo-
rum nicht entgegentreten:
I. Naucler ©. 943.
Et quia Othocarus, filius
regis Bohemie, tunc a qui-
busdam Australibus voca-
tus fuit ad ducatum, ut eum fa-
cilius retinere posset jam usurpa-
tum, duxit in matrimonium
Margaritam, relictam prae-
dicti Henrici quondam re-
gis Romanorum, et auxilio
II. Herm. Altah. Ann. ©. 393.
— et Otaker, filius Wen-
ceslai regis Boemie, con-
silio patris et vocatione
magnatum civitatum Au-
strie et Stirie, utrumque duca-
tum sibi attraxit, dominam
Margaretam,relictam Hein-
rici quondam regis Roma-
norum, sororem scilicet supradicti
Friderici ducis, accipiens in
uxorem. Ad cujus subjectio-
nem statim tota Austria et Stiria
cum superioribus et inferioribus
civitatibus est conversa.
patrissui ac quorundam no-
bilium de Austria, terram
sibi totam subjugavit, fac-
tusque est dux anno 1254.
Auch Hier vertritt Hermann wieder den volleren Tert, Naucler
den fürzeren, während diefer wiederum ihm allein eigenthümliche Zus
fäte hat, die wir bei jenem vergebens fuchen. Wir werden deshalb
auch im Hinblid auf das oben Gejagte in den Altaicher Annalen
nicht eine Vorlage des Naucler erkennen, fondern find mehr geneigt
anzunehmen, daß die jpecifiich bairiſchen und öſterreichiſchen Nachrichten
durch ein anderes Medium, das die Altaicher Annalen benugte, dem
Naucler zugefommen find. Dabei dürfen wir aber nicht die Verbin
dung diefer Nachrichten mit dem Minoriten! vergejien: wer nicht an
eine ausführlichere NRedaction der Flores temporum oder an eine
compilivende Thätigkeit des Naucler, wie fie ſonſt nirgends zu erjehen
ift, denkt, möchte vielleicht beiftimmen, daß Nauclers Vorlage
eine Gefhingtscompilation war, welde urfprünglid
dem Altaiher Hermann und derzmweiten Heiligenfreuzer
Fortfegung? entlehnte Nahridten in der Weije mit
Nahridhten aus den Flores temporum verband, wie
die Annalen von St. Uodalrid und St. Afra zeigen.
Altah. 397 zum Jahre 1256. — Naucler 943 über den Tod Herzog Ottos
von Baiern 1253 mit Hermann 396.
ı Die einzige Nachricht, welche allen drei Autoren gemeinfam ift, ift die
Erzählung von der Hinrichtung der des Ehebruchs verdächtigen Gemahlin Her-
3098 Ludwigs von Baiern, wo Naucler noch den Zuſatz hat, daß mit derfelben
mehrere vermeintlich” Schuldige zum Tode geführt worden ſeien.
2 Mit dieler ift auch eine nicht zu läugmende Webereinftimmung mit
Naucker vorhanden, obwol diefer in den chronologiihen Angaben abweicht.
Cont. Sanerucens. II, M. G. SS. IX, 643 zum Sabre 1251: Eodem anno
Otakorus, filius regis Boemie, duxit in uxorem Margaretam quondam
Romanorum reginam, filiam Liupoldi ducis Austriae qui jacet in
Campo liliorum. Und zum Jahre 1252: Supradictus Otakorus subju-
gavit sibi totam Austriam, auxilio patris sui et auxilio quorundam
nobilium de Austria.
83
Die verlorenen Sindelfinger Annalen.
Es iſt ein Berdienft Joachims, nad) dem Borgange Böhmers in
der Borrede zum zweiten Bande feiner Fontes, auf die Grijtenz der
und verloren gegangenen oder doch nur ſehr fragmentariſch erhaltenen
Sindelfinger Annalen in der Chronik des Naucler hingewiefen zu
haben!. Sie, fomweit diefer jie benutt Hat, mit Sicherheit herjtellen
zu wollen, möchte jchwer halten; die Flores temporum, die Chronif
von S. Blafien, Fijtenport, Mathias von Neuenburg, Jacob Twinger
von Königshoven, alle Haben ſchwäbiſche Nachrichten und find von
Naucler benugt worden, ohne daß er jedesmal feine Duelle genannt
ätte. Einer jeden gerecht zu werden, wird manchmal nur durd)
Hilfe von VBermuthungen gelingen: ift e8 doc) Joachim begegnet, eis
nige den Flores temporum und der Continuatio Vindobon. zuges
hörige Nachrichten den Sindelfinger Annalen zuzuweiſen. Wir knü—
bien an die Ausstellungen an, welche Weiland? an der Joachimſchen
Arbeit zu machen hatte. Wenn Naucler 781 bei der Gründungsges
ihihte Sindelfingens bemerft: in nostris etiam libris legimus, fo
halte ich dafür, dag ihm Hirfauer Gefchichtsquellen vorlagen: er zählt
yivor die Söhne und Töchter des Grafen Albert von Kalw auf, prout
in Birsaugia reperitur; dann bemerkt er — legimus —, daß
Sindelfinger Mönche nad) Hirfau verpflanzt worden feien, und bei der
Berufung auf die libri nostri, daß Albert der Stifter des Sindel-
finger Koſters mit feiner Gemahlin in Hirfau begraben liege.
Vünſchenswerth erichien es, die einzelnen von Naucler den Sin—
dlfinger Annalen entnommenen Nachrichten foweit wie möglich genau
tujtellen. Wir verfuchen dies im Folgenden.
Zum %. 1280: Tod des Grafen Hartmann von Wirtemberg
auf dem Aaperg?. — Wiederherjtellung der durch Erdbeben zerjtörten
Stadt Rotenburg am Nedart.
„Zum 3. 1281: Beſetzung Kaltenthals dur die Ehlinger?. —
Td Hartmanns, Sohn König Nudolfs, in den Wellen des Rheins,
. Zum %. 1282: Reichstag zu Augsburg; Albert Sohn Rudolfs
rd Herzog von Defterreih. — König Rudolf in Erfurt; Zerftö-
dung von mehr al8 70 Burgen ®.
. Zum J. 1287: Kleine Notiz über die Anmwejenheit des Prop=
"8 von Sindelfingen auf dem Tage von Wirzburg ? — inmitten einer
ten Flor. temp. entlehnten Nachricht.
Zum J. 1291: Tod Rudolfs von Habsburg; kurze Schilde»
1.0.0.6. 42—45.
41.0.0. S. 426. 427.
Trithem, Ann. Hirsaug. II, 41. 42, nimmt da® unrichtige Datum
%8 Naucler aus diefem mit auf,
* Nancler 967. M. G. SS. XVII, 302.
° Naucker 868. M. G. 302.
* Naucker 970. M. G. 303,
" Naucler 973, M. G. 305.
6*
84
rung feines Charakters und feiner Thaten: unter leßteren ehrt die
©. 970 erzählte Beitrafung der Raubritter in Erfurt wieder!
Zum %. 1293: Anwejenheit König Adolfs in Ehlingen, wo von
allen Herren de8 Landes mit Ausnahme des Wirtemberger Grafen
der Yandfriede beſchworen wird ?,
Diefe Nachrichten bewegen fic) in dem Rahmen der Yahre 1276
bis 1294, wie fie Konrad von Wurmelingen, der Kellermeifter des
Sindelfingerftiftes, aufgezeichnet hat. Ungewiß, welcher Quelle, ob den
Sindelfinger Annalen oder den Flor. temp. die Nachricht angehört,
bin ich bei einer Notiz zum J. 1282, welche die Zerjtörung zweier
am Rhein gelegenen un meldet (Naucler 968); ferner bei
der zum jelben Yahre S. 970 erzählten Fabel von dem Löwen, den
alle Thiere in feiner Yurg bejuchten; der Fuchs allein merkt, daß
feiner zurückkehrt, und zieht feinen Fuß zur rechten Zeit zurüd: eine
allegoriſche Erklärung, warum König Rudolf fein Verlangen nad) ei=
nem Römerzuge trug. Dieſelbe Erzählung findet ſich aud in der
erjten bairiſchen Fortſetzung der ſächſiſchen Weltchronik? mit Eöftlicher
Naivität vorgebradit.
Hier jcheint der Zuſammenhang mit den Sindelfinger Annalen
etwas fichtbarer zu fein; zuvor ift das Gericht Rudolfs über die
Naubritter in Erfurt erwähnt; daran fnüpft ſich mit folgenden Worten
unfere Erzählung: Italos autem de industria in factionibus suis
reliquit, und S. 976, wo er die obige Nachricht wiederholt, fügt er
unmittelbar an: Sed Italiam ideo non intravit, quia eos pro
majore parte rebelles fore notavit, unde in suis factionibus
eos reliquit.
Auch die Erzählung von der Fehde des Grafen Eberhard von
Wirtemberg im %. 1256 mit Rudolf von Habsburg ftreift in ein—
zelnen Wendungen die Fragmente der Sindelfinger Annalen *.
Yoahim war ferner der Anficht?, dag Naucler Stuttgarter
Aufzeihnungen, die gleichfalls nur in fehr dürftigen Reſten uns er-
halten find, benugt habe. Ich kann Weiland nur beiftimmen, daß
diefe Behauptung nicht bewiefen worden ift.
1 Naucler 976. M. G. 306.
2 Naueler 976. M. G. 307.
sA. G. Deutiche Chroniken II, 1. Abth. S. 328. Der kunich was
ein weis, chındich man, er antwurt den herren der rede also mit dem
peispel: Es wurden vil tier geladen fur einen perch, nu chom der
fuhs auch dar; diu tier giengen elliu in den perch, der fuhs belaib
alain hie auzzen stan und warte, wenne diu tier herwider giengen.
Der chom dehainz herwider auz; do wolt der fuhs in den perch niht.
Mit dem peispel gab der künich den herren ze versten, daz vor im
manich chunich uber daz gepirg in Waelschen lant fur, die alle dor-
inne beliben. Dorumb wolt er ze Waelischen landen noch ze Rom
niht.
* Bergl. Naucler 973 und M. G. SS. XVII, 304. 305,
3A. a. O. ©. 56.
85
Neresheimer Annalen oder Johann Fiftenport?
Bei der Beiprehung der von ihm zur Darftellung verwandten
Quellen bemerft Stälin, a. a. ©. III, 10, Naucler habe ©. 1019
um %. 1372 die Ann. Neresheimenses benutzt. Es handelt ſich
da wieder um eine der beftändigen Fehden des fampfluftigen Grafen
Eberhard von Wirtemberg mit den ſchwäbiſchen Städten, die in der
Oſterwoche 1372 ausgezogen waren, um den furz zuvor von dem
Gegnern gefangenen Grafen Ulrich) von Helfenftein zu befreien. ber:
hard trug den Sieg davon; den Helfenfteiner aber fand man am
5. Mai 1372 zu Ramftein in feinem Bette ermordet !.
So iſt der hiſtoriſch beglaubigte Hergang de8 Ereignifjes. Nach
Raucler 1019 aber, Trithem?, den Neresheimer Annalen? und
dem fie benutenden Fiftenport * ftirbt der Graf von Helfenjtein auf
Neipperg; fein Tod ift die Urſache des Gonfliftes zwijchen den Städten
und dem Grafen von Wirtemberg.
In feiner Darjtellung des Greigniffes Hat Stälin? des
Naucler nicht weiter gedacht. Außer als an diefer Stelle kann ich
eine Benutzung der Neresheimer Annalen nicht entdeden. An ſich hat
8 gewiß nichts Auffälliges, dag ein Mann wie Naucler, weldjer mit
hiſtorijchem Material trefflic ausgerüftet war, nur diefer einen Notiz
wegen fih ar die Neresheimer Annalen gewandt hat. Man wird
aber mit größerem Recht einen andern Autor für den Gewährsmann
des Naucler anfchen dürfen, wenn für diefen noch einige Wahrſchein—
Üchkeitsgründe fprechen. Ich habe die fogenannte Chronik de8 Jo—
bannes Fiftenport im Auge, eines Mitgliedes des Ordens des heiligen
Örabes im Klofter zu Speier, welder aber nach Stälins Anficht ®
nur der Abjchreiber einer Continuatio Martini et Hermanni mi-
noritarum von den Fahren 1352—1421 war. Dieje Chronik Hat
neben denn Chr. Elwacense aud) die Ann. Neresheimens. ausge—
Igrieben, zum %. 1372 ift obige Nachricht bei Naucler, den Neres-
heimer Annalen und Joh. Fiftenport mit denfelben Worten gegeben.
Da num Naucler, wie befannt ijt, die Chronif der Minoriten für
kine Chronik des Öfteren verwerthet hat, jo ijt die Vermuthung nicht
ausgeihlojjen, daß er auch die Fortjegung derjelben durch Joh. Fi—
tenport kannte und benutzte.
Die Gesta Rudolfi.
Bei Naucler 965 finden fich folgende Memorial» VBerfe, welche
die Zufammenfunft König Rudolf mit Papft Gregor X. in Laufanne
befingen und dem Lejer zum beffern Fefthalten im Gedächtniſſe mit-
gegeben werden :
! &tälur, a. a. ©. III, 308.
° Ann. Hirsaug. II, 260.
’ M.G.SS.X, 26.
* Hahn, Collectio monument. vet. I, 397—405.
s Ua. ©. II, 308 N. 5.
'%. DI 7.
86
Bis sexcenti septuaginta tresque stetere
Anni, Lausannae dum rex et papa fuere,
und zwar entjtammen fie, wie Naucler angiebt, einem metrifchen Werte,
den Gesta Rudolfi, die in der hiftorifchen Pitteratur gänzlich unbekannt
find und die zu finden fchon mancher ſich viel Mühe gegeben hat.
Die erfte Bairifche Fortfegung der Sächſiſchen Weltchronif! er
zählt bei den Ende Kaifer Friedrich) IL. von dem Auftreten des fal-
hen Friedrih zur Zeit König Nubdolfs, welches noch mehrere
Quellen? des 13. und 14. Jahrhunderts melden. Die Worte lau:
ten: Darnach geschach pei chünich Rudolfs zeiten, daz sich
ainer annam, er wer kaiser Friderich. Wie ez dem ergieng,
daz vint man in den getaten chünich Rüdolts.
Dazu bemerkt der Herausgeber L. Weiland unten, daß weder bei der
Geſchichte Rudolfs no im Martinus Minorita etwas von dem fal-
ſchen Friedrich erzählt werde, wie man doch nad) obigem Gitat er-
warten jollte.
Zunächft denkt man daran, die Erzählung von dem faljchen Frie:
drih da zu fuchen, wo die Thaten, d. h. die Gejchichte König Ru—
dolfs erzählt wird; indes dort fuchen wir vergebens. Sollte der
Autor nach wenig Yederzügen Schon fein Versprechen vergefjen haben?
Er pflegt doch auch öfters auf früher Erzähltes oder jpäter zu Be
richtende8 zu verweilen; jo auf derjelben Seite noch, wo von dem
Streite Friedrid) II. mit dem Papite die Rede ift: und daz wert
piz an den pabst Innoceneium, der in wolt vertriben haben
und in ze panne tet, als dovor geschriben stet. An
Sriedrih II. Tod fnüpft die Erzählung ©. 326 jo au: In den
zeiten starp kaiser Friderich, als vorgeschriben ist, umd
etwas weiter unten heißt eg: Nu chomen wir wider an die
ersten rede, da diu maer gelazzen sint von kaiser
Friderichen, wie ez sinem geslaeht sider ergangen sei.
Ferner ©. 327, wo von Gonradin erzählt wird: Ditz wolt
rechen der jung Chünrat, künich Chünrades sun, als ir
hernach wol wert vernemen. Reiter ©. 331 ein Hin-
weis auf Cöleftin V.: Nach pabst Nicolao wart Celestinus pabst,
als hernach geschriben stet.
Es find das alles fast gleichlautende, ftehende Wendungen; ein
Hinweis dagegen auf die ‘getaten’ eines Mannes findet fich nicht.
Der Autor ſcheint damit eine bejtimmte Stelle in einem von ihm ge:
leſenen Buche im Auge zu haben, wie 3. B. der Verfaffer der dritten
bairifchen Fortfegung der Welthronif? die Gefhichte Kaifer Ludwig
de8 Baiern mit dem %. 1342 in folgendem Hinweis abbricht: Die
geschicht und wi ez dem (dem Marfgrafen Meinhard) ging,
ı M.G. Deutſche Chroniken II, Abth. 1, S. 325.
? Ann. Ellenhard., M.G. SS. XVII, 103. Ferner die thüring. Fortſetz.
der ſächſ. Weltchronif a. a. D. 303, der Fürftenfelder Mönch und im poetijcher
Weife die Ann. Maurimonasteriens., M. G. SS. XVII, 182.
2A. a. O. S. 348.
87
wer daz wissen wil, der lese der Beierischen herren Cro-
niken, — und ähnlich S. 343 und 344 eine Verweifung auf die
Beierschen Croniken. Und was für ein Buch wird es fein?
Uns fallen fogleich die Gesta Rudolfi wieder ein, jenes räthjelhafte
Verf, welches Naucler benugte und offenbar auch dem Bairifchen
Fortfeger der Weltchronif befannt war, der die Gesta Rudolfi als
die getaten Rüdolfs citirte.
Wir endigen unſere Arbeit, ohne die Frage nad) den Quellen
des Naucler abjchliegend beantwortet zu haben. Manche Partieen
feiner Chronik, 3.3. diejenige, welche vom Herkommen der Schwyzer
handelt, bedürfen noch einer genauern Unterfuhung; die im Großen
und Ganzen undanfbare Arbeit möge feiner fcheuen; gerade aus den
Verfen der humaniſtiſchen Gefchichtichreiber haben wir manche ver—
gefjene und verlorene Duelle zurücgewonnen, wie 3. B. den Jacob
von Main;.
Naucler theilt mit feinen Zeitgenoffen Mängel und Borzüge.
Unter erfteren erwähnen wir noch die Art und Weife zu citiren.
Manchen Schriftiteller führt er an, ohne ihn anders ald aus dem
Citat feiner Vorlage zu kennen. Die Humanijten beſonders haben
feine Gewiſſensſerupel dabei empfunden, von diefem Prunfen mit Ges
(ehrjamfeit den ausgedehnteften Gebrauch zu machen: unter ihnen jteht
in diefer Hinfiht Sebaftian Frank als abſchreckendes Beiſpiel da.
Naucler citirt mehrfach das leider verloren gegangene Werk des Ita—
lieners Yohannes von Cremona, von dem er aber nur durch die Ur—
iperger Chronik Kenntnis hat!. Ein Gleiches gilt von den Geſchichts—
werten des Tolomeo von Lucca, den er einmal S. 968 Bertoldus
Lucensis nennt. Diesmal bilden die zu Nauclers Zeit in Deutjch-
land vielgelefenen Gefchichtscompilationen der Staliener Blondus und
Platina da8 Medium.
Beilage.
Bon den Poefien des Konrad von Mure, eines um die Mitte
des 13. Jahrhunderts blühenden Dichters, welcher als Cantor an der
Propftei Zürich wirkte, ift wenig auf uns gefommen. Ein Gedicht,
die Commendatitia, eine Gratulationsfhrift aus Anlaß der Wahl
und Krönung des Könige Rudolfs?, ift gegen Ende des 15. Jahr—
hundert von dem oben mehrfach erwähnten Ulmer Predigermönche
Felix Faber benugt worden. Diefer jagt in feiner Historia Suevo-
rumLib.I, c. 13 (bei Goldast, SS. rer. Suev. Franef. 1605), wo
er die Regierung des Habsburgers behandelt: unde post electionem
ejus quidam de anno electionis ejus haec composuit metra versu:
Bis sexcentos septuaginta tres noto Christi
Annos, electus dum, rex Rudolfe, fuisti.
ı Bergl. Wattenbach, Gejchichtsquellen des Mittelalters II, 314.
* Lorenz, Geſchichtsquellen des Mittelalters I, 67.
88
Et de armis suis dixit idem metrista:
Tu comes in clipeo tuleras insigne leonis,
Quem velut ad praedam distento corpore ponis.
Sed rex fers aquilam, quae transvolat omnia, claris
Signans indieciis, quod tu cunctis dominaris.
Diefe Verfe find wörtlich den Commendatitia des Konrad von
Mure entlehnt (vergl. Kopp, Acta Murensia ©. 312 und 313)!
ı Sie ſtehen auch SS. XXII, ©. 367 aus einer Parifer Handſchrift; vgl.
oben ©. 30. ©. W.
Marimilian I. in dem Gonflicte zwifchen
dem deutjchen Orden in Preußen und Polen
bejonders in den J. 1513 bis 1515.
Von
Heinrich Ulmann.
Bekanntlich ift dem Kampf, welcher in den letzten Tagen des
Jahres 1519 zwifchen dem Hochmeifter des deutfchen Ordens in Preu—
den und der Krone Polen ausbrad) , eine Periode langwieriger Ver—
handlungen vorausgegangen. Seit 1497 der Hochmeiſter Hans von
Ziefen die Augen geichlofjen, war die im Thorner Frieden (1466)
ftipulirte Pehenshoheit Polens über den Orden ein bloßer Anſpruch
geworden, der von Seiten des Berechtigten ebenjo hartnädig aufrecht—
erhalten, wie er zäh von dem Verpflichteten verweigert wurde. ALS
Ent 1510 der Hochmeiſter Friedrich, Herzog von Sachſen, ftarb,
der nach einander drei polnifchen Königen gegenüber der Leiftung des
Lehenzeides und den daraus abgeleiteten Verpflichtungen fidy entzogen
batte, ward zum Theil gerade deswegen der Markgraf Albrecht von
Brandenburg zu feinem Nachfolger erforen, weil man bei König Sieg-
mund von Polen, dem Oheim des Erwählten, gewijfe Rüdjichten für
denielben hoffte vorausjegen zu dürfen. Nur zu raſch zerfloß dieſes Wahn-
bild; da beide Theile auf ihrem feitherigen Standpunft verharrten, ge=
warn der Gegenſatz, gerade weil die auf die Verwandtſchaft beiderjeits
gegründeten Vorausſetzungen als täufchend fich erwiejen, eher noch an
Shärfe. Daß zwilchen der Erhebung Albrechts (1511) und dent be=
reit8 erwähnten Ausbruch des offenen Kampfes eine fo lange Frift
veritreichen konnte, erklärt fich in erjter Linie daraus, daß der Hoch—
meiiter Verbündete fand in feinem Beftreben, die Bande zu löfen oder
doch zu lockern, welche feinen Orden an Polen feffelten. Es foll nun
an diefer Stelle erneut die Frage unterfucht werden, ob in der That
der hauptfächlichite diefer Helfer, Kaiſer Marimilian L, pflichtvergeſſen
die Sache des Ordens nur als Hebel zur Erreichung bejtimmter dy⸗
naſtiſcher Zwede ergriffen und dann, am Ziel feiner eigennüßigen
Wünſche angelangt, ohne großes Bedenken hat fallen laſſen. Diefe
Anſicht zählt nicht wenige bedeutfame Vertreter, wie denn vonvorn—
herein gar nicht in Abrede geftelit werden foll, dag in dem Charakter
und der Anfchaungsart des Kaijers fein Hinderniß einer Annahıne der
Art gefunden werden kann. Aber fehr wefentlich unterfcheiden fich doch
die Vertheidiger der lettern. 2. v. Ranke (Deutihe Gefchichte, 4.
Aufl. I, 230) meint, daß Maximilian den Hochmeifter in feiner Wei-
rung den Huldigungseid zu leiften durch fein faiferliches Verbot be—
ſtärkt Babe: er findet ein Motiv dafür in dem Umftand, daß König
92
Siegmund von Polen durch; feine Vermählung mit Barbara Zapolya
der Schwager und Verbündete des Mannes geworden ſei, der der na—
türliche Gegner der Anfprücde Habsburgs auf Nachfolge in Ungarn
war. Als danı 1515 Siegmund das Erbredt (fo faßt Ranke die
Frage) der Habsburger anerkannte, fonnte Mar feine Neigung haben,
ernftlich für den Orden einzufchreiten. Er erfaunte nunmehr aud)
den Thorner Frieden an!. Ranke irrt meines Erachtens darin, daß
er den dhnaftiichen Eigennutz des Kaifers gegenüber Siegmund von
Polen in einem zu frühen Zeitpunkt wirffam werben läßt für bie
Stellung des erfteren zum Hochmeifter. Aber ungleich weiter weicht
doch Droyien (Geh. d. preuß. Politit II, 2, 58—62 (2. Aufl.)
von Richtigen ab, deſſen Standpunft dann die Spätern faſt durch—
gängig aufgenommen haben? Nach diefer Anficht ift Alles, was
ı ante ftütst feine Anficht auf die Ausfage des (echten) Fugger, der um
bie Mitte des 16. Jahrh. fchreibend vielleicht eine Mittheilung feines Vaters
benußt hat. Auch S. Herberftein kaun hierfür angeführt werben (Selbftbiogra:
pbie in Fontes rer. Austr. Script. I, 103), der in ganz ähnlicher Weife wie
Fugger den „Widerwillen“ Marimilians gegen Siegmund begründet. Er ift
Zeitgenoffe. Bis in den Auguft 1514 ftand er der Diplomatie fern, um dieſe
Zeit wird er an den faiferlichen Hof gezogen. Bei der Zufammenkfunft in Wien
1515 war er zugegen, bauptjächlich aber ward er 1517 verwendet, das durd
die preußifch-polnische Frage verwirrte Verhältniß des Kaijers zum Großfürften
von Moskau zu ordnen. Dennoch ift aud feine Kunde feine abfolut fichere.
Mit den Worten „wie man fagt heurat halben“ Ieitet er feine Auseinan-
derſetzung über die Gründe des Zerwürfniffes zwifchen dem Kaifer und Polen
ein, Auch ift diefer Theil feiner Biographie offenbar viel fpäter (wenn aud)
nad gleichzeitigen Notizen über feine eigene amtliche Thätigkeit) verfaßt. So
beißt e8 3. 3. 1517 (S. 110) von einem Webelthäter „hat vill Jar nach dieler
meiner Raiß gelebt“, vergl. auch S. 132 3. 8. Sehr möglich, daß ihm die be»
wußte Aufklärung auch erft viel fpäter etwa in Polen geworden if. — Recht
verftändig jagt der als Secretär im Dienft des Polenkönigs ſtehende, aus dem
Elſaß ſtammende Zeitgenoffe Decius, Mar habe das Bündnif mit den Ruſſen
geichloffen, quod annis superioribus apud Pozunaniam frustra in rebus
Prutenicis laboratum esset atque Romano caesari paulo post ex Si-
gismundi nuptiis negotium contractum videretur (Pistorius Polon.
hist. corpus II, 317). Der Bole Wapowsti, damals in Begleitung des polni-
ſchen Orators 3. Lasfi auf dem Lateranconeil, wo die preußiiche Arngelegen-
heit auch verhandelt ward, (f. jetst Zeißberg, Johannes Lasfi, in den Situnge:
berichten der phil. hiftor. Elaffe der Wiener Academie Bd. LXXVII, ©. 541 ff.)
legt den Hauptnachdruck auf die Vermählung Siegmunds mit Barbara Zapolye,
erkennt aber doch die felbftändige Bedeutung von Marimilians preußiicher Polt:
tit an (j. B. Vapovii fragmentum in Martini Cromeri Polonia (Cöln
1589) ©. 558 vergl. 550. Die Polen urtheilen fomit milder als die Denticen.
Soviel ift gewiß, daß umter den Zeitgenoffen die Meinung herrichte, daß ein
Zufammenhang beftehe zwifchen den Pladereien des Kaifers gegen Polen und
dem Widerftand, den Johann Zapolya, Schwager des polniſchen Königs, ben
ungarifhen Plänen des Kaiferhaufes entgegenftellte. Am Nichternften bat bis:
* meines Erachtens J. Voigt, Geſchichte Preußens IX, 476, dieſe Frage
behandelt.
2 So vor Allen Liske, der denſelben zum Angelpunkt ſeines Aufſatzes
über den Wiener Congreß gemacht hat, (Forſchungen z. deutſch. Geſch. VII, 478
vergl. 538.) — Beſonders energiſch Cuers: De Georgii marchionis Brand.
in aula Vladislai .... vita et consiliis politicis. Berl. Differt. 1867.
93
Maximilian vom Augenbli der Erhebung Aldrechts zum Hochmeijter
bis zur Zufammenfunft der drei Monarchen in Pregburg für den
Orden gethan, eitel Yug und Trug. Alle diefe Bindniffe, Eidſchwüre,
laiſerlichen Machtgebote, diefe reichspatriotiihen Bemühungen für das
„neue Deutichland“ und die Reichsfreiheit des Ordens hatten nur dazu—
dienen jollen, auf den Polenfönig jo lange zu drüden, bis er mürbe
wurde. Nun erklärte der Kaijer ſich bereit, die Sache des Ordens zu
opfern, wein dafür feinem Haufe die Nachfolge in Böhmen und Un—
gan ficher geſtellt würde.
Den Hintergrund für diefe Betradhtungsweife bildet Droyſens An—
jiht, daß der Kaifer, um Albrecht zur Annahme der auf ihn gefallenen
Bahl zu bejtimmen, die „Verpflichtung“ übernommen habe, die
ſeit Jahren behauptete Ungültigfeit des ewigen Friedens endlich einmal
zur Anerkennung zu bringen (S. 58). Wenn der Kaiſer wirklid),
wie Droyien (vergl. S.458) einer brandenburgiichen Denkſchrift von
1543 entnimmt, Albrecht und feinem Vater die Bertröjtung gab, „ihn
umd den Orden gegen die Krone Polen auf leidlihe Mittel und Wege
zu befriedigen“ , jo liegt darin feineswegs die von Droyjen beliebte
Folgerung einer Garantie für Befreiung vom ewigen Frieden. Aber
ih habe fchwere Bedenfen, ob vor der Annahme der Wahl durch Als
breit eine ſolche Vertröftung ftattgehabt haben kann. Wie dem je=
doh auch fer, fo viel jcheint gewiß, daß die für das ganze Verhalten
des Kailers zum Orden maßgebende Tendenz, „den Polenkönig fo lange
zu drüden, bis er mürbe* werde, Feineswegs ſonſt bekannten Thatſachen
entipriht !. Auf alle Fälle könnte diefe Abficht doch erft von dem
Augenblid an vorwaltend geweſen fein, in weldem König Siegmund
durch jeine Verfchwägerung mit Johann Zapolya die Intereſſen des
habsburgiſchen Haufes empfindlich verlegte. Die Hochzeit mit Bars
bara findet aber jtatt im Februar 1512, die erjten Anfnüpfungen wa—
ren erfolgt im Dftober 1511. Aber lange vor diefem Zeitpunfte ift
der Kaifer für den Hochmeiſter eingetreten. Bei der drohenden Hal—
tung des über die Ausflüchte und Winfelzüge Albrechts hocherzürnten
Polenfönigs hat auf dringendes Anfuchen des Hochmeifters der Kaifer
bereit8 am 3. Mat 1511 den ſächſiſchen, brandenburgiichen und an—
dern Fürſten befohlen, nötigenfalls mit ganzer Heeresmadt dem Or—
den zu Hülfe zu eilen?. Daſſelbe gejchah wiederholt noch vor Ablauf
defjelben Jahres, als Verhandlungen in Thorn polnifcherjeits den ei—
genthümlichen, wohl nur als Schachzug aufzufajjenden, Vorſchlag er—
€. 27. Auletst noch weſentlich auch Krones, Handbuch der Gedichte Defter-
wihs II, 563,
ı Nah dem 30. October ift nad dem beftimmten Zeugniß des Decius,
a. a. D. 312, der Vorſchlag Siegmund gemacht worden, cf. Acta Tomiciana
8, II, Nr. 1. Wie Liste a. a. D. 470 aus den dafelbft Anmerk. 2 citierten
Acenftüden entnehmen kann, daß ſchon in Breslau zwiſchen König Wladislam
und Petrus Tomidi davon die Rede geweſen, verftehe ich nit. Sicher ift, daß
Marimilion vorher nichts ahnte und nod) nad) bereits getroffener Heirathsabrede
dem PBolentönig eine Braut feiner Wahl offerirte. Acta Tom. II, Nr. 16.
2 5. Voigt, Geſch. Preußens IX, 416. Für das folgende S. 420 u. 423,
94
geben hatten, unter anderweiter Entjhädigung Albrechts die cölibatäre
Hochmeifterwürde fortan regelmäßig mit der Inhaberſchaft des polni—
chen Throns zu vereinen. Nimmt man dazu, daß derjelbe Streitpunft
ſchon ſeit 1497 Polen und den Drden entzweite, fo darf man jagen,
daß von einer Aufreizung des Hochmeifters durch Marimiltan nicht
die Rede fein darf. Im Gegentheil Albrecht ſucht angelegentlid) aud)
nah Siegmunds VBermählung in perjönlicer Zuſammenkunft mit Marie
milian zu Nürnberg, dann auf dem Reichstag zu Trier Kaifer und
Reich gegen Polen in Bewegung zu bringen, ohne jofort Erfolg zu
haben. Selbjt als nad) dem Scheitern des Vergleichdtages zu Pe
trifau jeitens Polens dem Hochmeijter die Wahl gelaffen wurde zwi—
ſchen feindlichem Angriff oder baldiger Yeiftung des Yehenseides inner:
halb bejtinmter Frift, ſelbſt da ſchwieg trog beweglicher Bitte Albrechts
der Kaiſer, der jelbjt anderweit volljtändig in Aufpruch genommen
war und wußte, daß vom Reich Nichts zu erlangen fein würde. Noch
im Lauf d. %. 1513 mußte der Hochmeiſter von wohlmwollender Seite
ſchwächliche Nachgiebigfeit ſich anrathen laſſen. Erjt ein ganz aufer
halb jeiner Berechnung liegendes Ereignig ſchaffte ihm Yuft: der plöß:
liche Angriff des Großfürjten Walfilji Iwanowitſch auf das Polen
gehörige Yithauen. Kaiſer Marimilian hat diejen vertragswidrigen
Losbruch des Moskowiters jo wenig veranlaft, wie den daran ji)
ichliegenden des folgenden Winters, welcher — auch Droyjen weiß
davon — im Gang war, ehe fein Geſandter den ruſſiſchen Hof er
reichte. Aber, wenn mich nicht Alles täuscht, hat diefe unerwartete
Unterftügung ihm zuerst gezeigt, wie dem Orden zu helfen fei. Daß
diefer Wunſch in ihm lebte, ift, von allem Uebrigen abgeſehen, jchon
aus Voigts urkundlich belegter Darftellung erfichtlih. Zwar erfahren
wir erjt am 10. Juni d. %. 1513 von einem feiten Plan in diejer
Beziehung, deſſen Anhalt uns noch beichäftigen muß: doch war
Marimilian offenbar ſchon in diejer Gedankenrichtung, als er am 27.
Tebruar 1513 dem Orden das bejtimmte Gebot zufommen ließ, id)
dem polnischen Anfinnen nicht zu unterwerfen, jondern treu zu Sailer
und Reich zu ftehen?, Wie hier Marimilian erjt eintrat, als die
Dinge bereit ihre beſtimmte, von feinen Wünſchen unabhängige
Richtung genommen hatten, fo ift auch eine andere Maßregel nicht
auf ihn in erjter Yinie zurüczuführen, ich meine den Verſuch, zwijchen
Polen und den nach den Verträgen demjelben verpflichteten Orden den
Papft Leo, al8 oberiten Schirmherrn des Ordens, und das eben um
Leo verjammelte Yateranconcil zu fchieben. König Siegmund irrt,
wenn er fpäter auch im diefer Vexation eine kaiſerliche Mafregel
erfennt: der Schritt ging nachweislich vom Hochmeiſter aus ®.
ı Schreiben des vom Kaifer ins Vertrauen gezogenen Markgrafen Caſimir
bei Boigt ©. 451 Anm. 5.
2 Acta Tomiciana H, Nr. 229. S. 188. Erwähnt bei Voigt 445.
s Siehe das Schreiben deffelben vom 25. Mai an den Procurator in
Rom bei Voigt 450. Nach der oben eitirten Arbeit Zeißbergs über Lasti
wäre es Überflüffig, hier näher auf die nummehr in Folge polnischer und kaiſer⸗
95
Gewiß darf man daher in der Oppofition des Meifter8 gegen
den König nicht eine Taiferliche Intrigue erkennen. Vielmehr fucht
der Hochmeifter von fi aus, wie jchon feine Vorgänger, der Lehens«
abhängigfeit fich wieder zu entziehen. Dem Kaifer gab der Papſt und
Venedig und dann letzteres und Frankreich jo viel zu denfen und zu
thun, daß er gar fein Gelüfte trug fih in Nordoften einen neuen
Widerſacher zu ſchaffen. Da aud das Reid ſowie die nächitgejejfenen,
ja dem Hochmeifter verwandten Fürſten — Kurfürft Joachim von
Brandenburg hatte fi zu Albrechts lebhaftem Mißvergnügen fogar
vom Reichstag zu Trier fern gehalten — für allgemeine Zwede nicht
in Bewegung zu bringen waren, hatte fih Maximilian der beweglichen
Bitte des Hochmeifters lange Zeit taub erwiefen. Sein Verhalten würde
als Pflichtvergefjenheit zu fchelten fein, wenn es eben nicht aus Une
vermögen entſpränge. Wenigſtens foweit e& fi) um wirffame Hülfe
handelte. Erſt als eine Ausficht fich zeigte durch fremde Kräfte Polen
zu feſſeln, erit da erinnert fich der Kaifer feiner Aufgabe. Mittlere
weile hatte auch, was ja nicht geleugnet wird, die Gegenwirkung
Siegmunds in Ungarn der faiferlichen Politik Unbequemlichkeiten ver—
wiaht. Um jo leichteren Herzens konnte Marimilian jet die zum
Shut des Ordens erforderlichen Maßregeln ins Auge faſſen. Seinem
ganz in umfaſſenden Combinationen arbeitenden Geiſt erſchien jetzt
jeine eigene und des Ordens Sache unter demjelben Gefichtspuntte.
Eomit ging er energiich zum Angriff über. Die folgenden Erörte—
rungen follen darthun, daß der von Marimilian feineswegs hervor—
gerufene Gegenſatz, von ihm auch nicht aus lediglich dynaſtiſchem In—
terefje im jähen Wechſel mit der polnischen Freundſchaft vertaufcht
worden iſt. Man Hat dem Kaifer pflichtvergeifene Preisgebung des
angeblich von ihm erjt aufgejtachelten deutfchen Ordens au deſſen Tod»
feind unter unmürdiger Bevorzugung feines Vortheild vorgeworfen.
Wie, wenn genauere Einficht in den Verlauf der Feindfeligkeit ergäbe,
daß er, und zwar dur die Schuld Anderer, gar nicht in der Lage
war, feinen ernithaften Willen zur Befreiung des Ordens Polen ges
genüber durchzuſetzen!
Der bereits im Juni 1513 vom Markgrafen Kafımir erwähnte
Plan Marimilians erhält im Auguft defjelben Jahres greifbare Ge—
ftalt. Es handelt ſich um ein gegen Polen gerichtetes Bündniß des
Kaifers, ſowie des Hochmeifters, des Königs von Dänemark und der
Kurfürjten von Sachſen und Brandenburg mit dem ruffiichen Groß-
fürften von Moskau zum Schub des deutfchen Ritterordens. Der
Einfall des Moskowiters im Anfang Januar 1513 ift nicht durch
Mar veranlaft. Wir erfahren durch den Mund des Polenkönigs
jelbjt, dag man in polnifchen Kreifen den Angriff dem Argwohn des
fiher Anregungen hervortretenden Schwankungen der römiſchen Politik weiter
tinzugehen.
* Oben Geſagtem füge ich hier noch hinzu, daß ſelbſt bei Herberftein die
—— des Hochmeiſters wider Polen eine von Marimilians Politik unabs
ngige iſt.
96
Großfürſten zufchrieb, als ob Polen gegen ihn die Tartaren aufgereizt
habe!. Erjt am 11. Auguft 1513 beauftragte Marimilian feinen
Rath Ritter Georg Schnigenpaumer zur Unterhandlung über ein gegen
Polen gerichtetes ewiges Bündniß beim Groffürften von Moskau.
Falls derjelbe bereit ift, folle er mit Schnigenpaumer feine Gefandten
zum König von Dänemark fenden, bei dem auch feitens der übrigen
Kurfürften und Fürften der Abſchluß erfolgen fol. Als Zweck wird
angegeben, Polen zu zwingen von feinen unbilligen Handlungen abzu—
ftehn und den deutjchen Orden, deffen Bedeutung für die ganze Chri-
jtenheit in ſtarken Ausdrücden hervorgehoben wird, in Frieden und
Ruhe zu lajfen?. Auf dem Wege follte der Gefandte mit den für
das Bündniß ind Auge gefakten Fürſten unterhandeln. Am 24.
September 1513 erklärten die Markgrafen Friedrich und Gafimir von
Brandenburg - Kulmbach), Vater und Bruder des Hochmeifters, dem
faiferlichen Geſandten auf feine Werbung, daß fie wefentlich mit dem
Plane einverjtanden fein. Doch wünfchten fie, daß in der Inſtruction
das Hervortreten des deutſchen Ordens vermieden, und ftatt deſſen
die Widerwärtigfeit Polens gegen Kaifer, Reich und Chriftenheit her-
vorgehoben würde. Es ſei nemlich zu fürdhten, daß die Auffen die
Blüthe des Ordens nicht gern fehen und fid) dadurd veranlaft finden
könnten lieber mit Polen einen vortheilhaften Vertrag zu fchlieen®.
Wenig eifrig zeigte ſich ſogleich Kurfürft Friedrich) der Weife von
Sadjen. Er erflärte, daß er als der Sache bisher unwiſſend mit den
andern benannten Fürſten noch nicht habe Rückjprache nehmen können,
und zog ſich hinter feine Yandftände zurück. Ohne diefelben, die nad)
Polen und Böhmen Gewerbe trieben, und ohne feinen Bruder Herzog
Johann könne er fich nicht entfcheiden. Er wolle dem Kaifer durch
eine eigene Botſchaft Beicheid ertheilen. Won der Antwort der lie:
brigen wijfen wir nichts“. Weber Preußen begab ſich Schnigenpaumer
2 (Pojen im Januar 1513). Acta Tomiciana II, Nr. 149. Schreiben
des Königs an Johann Laski, feinen Bevollmächtigten in Rom. Da in defien
Begleitung Wapovius fich befand, können deſſen abweichende, fich nicht unterſtü—
gende Nachrichten, jedensfalls nicht auf officieller Kunde beruhen. Danach ift
Liste zu berichtigen ©. 474. Sicher ftedt Michael Glinsli hinter diefem Fried»
bruch. Siehe über dieſen die leider nicht fo weit reichende Berl. Differt. von
St. Warnka; De ducis M. Glinscii rebellione (1868).
2 Credenz und Inftruction d. d. Wire 11. Auguft 1513 im Erneft.
Gef. Arhiv zu Weimar. Letztere abgedrudt als Beilage I bei Fiedler:
„Die Allianz zwiichen Kaifer Marimilian I. und Waſilji Ivanovic... . aus
d. 3. 1514* (Sitsungäberichte der philof.- Hiftor. Claffe der Wiener Academie
Bd. XLIII. ©. 183 ff.). Liske hat diefe Abhandlung überjehen. Vergl. Voigt 452.
Unzugänglich blieb mir Karamfins Geſchichte Rußlands Bd. VII.
3 Wiaffenburg 1513. Samstag nad) Mauricii. Erneſt. Gef. Arch.
C. 548 Nr. 10.
Friedrichs Erklärung: Wittenberg 1513, 3. November (Exrneft. Gef.
Arch) Boigt 452 fälſchlich, daß fämmtlihe Aufgeforderte bei:
getreten feien. Der Hochmeiſter war natürlich bereit. Einen kaiferlichen Brief,
welchen Schnitenpaumer für den König von Polen bei fi) trug, übernahm er zur
Beftellung. Acta Tomic. II, Nr. 372 bis Nr. 375 incl. Dies Schreiben
Marimilians an Siegmund vom 22, Sept. verkündet letzterem die Abficht
97
ju dem ruſſiſchen Großfürften. Hier fam rafc das Bundniß zu
Stande, viel rafcher als Marimilian gedadht. Statt, wie ihm vors
geihrieben, eine ruſſiſche Botjchaft mit fi) nad) Dänemark zum Ab—
ihluß zu führen, gab der Gejandte in denfbarft feierlicher Form die
Berfiherung ab, daß der Kaifer das ſchon jetzt eigenmächtig errichtete
Bundniß beftätigen würde. Abgejehen von der berühmt gewordenen
Zitulaturfrage wid diefer Schnigenpaumerfche Tractat vor Allem da=
rin von der Intention Marimilians ab, daß er den Kaifer allein,
ohne die Bundesgenofjen, als Bertragsschliegenden namhaft machte, jo=
wie daß er eine unbedingte Offenſiv- und Defenfivallianz gegen alle
md jede Feinde enthielt, und bei jeder Kriegseröfinung des einen Pas
ciecenten den anderen ohne Weiteres zur Hülfeleiftung verpflichtete.
Es würde für unſern Zwed zu weit führen, im Einzelnen auf die,
von Fiedler genügend aufgehellten, Schritte einzugehen, zu denen
Maximilian durch die Eigenmächtigfeit oder Ungeſchicklichkeit Schnigen-
paumers fich gezwungen ſah. Genug er befhwor am 4. Auguft
1514 das geſchloſſene Bündnig, unter der freilich trügerifchen Vor—
ausſetzung, daß Wafilji ſich zum Umtaufc der vielfach compromitti=
renden Urkunde gegen eine dem Herfommen und dem Vortheil des
Laiets beſſer entiprechende bewegen lafjen würdet, Der Groß—
fürft beftand jedoch im wahrhaften Sinne des Wortes auf feinem
Schein den Kaifer gegenüber: nur hatte er dagegen nichts einzu=
wenden, daß das Bündniß aud auf die anderen erwähnten Yürjten
— Auch war er bereit, ſeinerſeits den Tag in Lübeck zu
iden.
Im Januar 1514, Tängft che e8 zu diefer Auseinanderjegung
Im, ja vor dem Eintreffen Schnigenpaumers hatte Wafilji wieder los—
geichlagen. Smolensk war durch Verrat), wie die Polen fagten, in
leine Hände gefallen. Aber dann hatte bald ſich das Glück gewendet,
ſo daß am 8. September 1514 der Großfürft bei Orfza eine fchwere
den Streit der Enticheidung des Papftes und Concils zu unterbreiten, offenbar
aur um ihm recht ficher zu machen. Recht abfichtlich wird noc hinzugefügt, daß
u diefer Entſcheidung ſowohl Polen wie der Orden von Gewalt abjehen
müßten.
! Siehe Fiedlera.a.DO. Nur in einem mefentlichen Punkt weiche ich von Fiedler
a. Nicht wie er (S. 195) kann ich die in der Proteftation Peutingers (S.
263) enthaltene Behauptung für baare Münze nehmen, daß der Großfürft zwar
die Annahme der neuen Urkunde felbft verweigert, aber dem Kaiſer zugeftanden
babe, daß Letzterer ſich am diefelbe halten dürfe. Abgeſehen von der politiichen
Unbegreiflichleit eines ſolchen Auswegs, beruft ſich obendrein Peutinger zum Be-
(eg auf eine Thatſache, welche gar nicht wahr if. Er zieht nemlich das „jeto“
dor demjelben Hofrath abgegebene Zeugniß der Ueberbringer der neuen Urkunde
an: aber in deren bei Fiedler ſelbſt Beil. VI abgedrudter Relation fteht dieje
Grflärung keineswegs. Die Proteftation des Kaiſers durch Peutinger ift eben
kein juriftiicher,, fondern ein politischer Alt; er beweift weniger, was geichehen
f, ala mas nad) des Kaiſers Wunſch dafür gelten follte. — Chronologiid
Dee ich zur Berichtigung Fiedler8 (186) darauf hin, daß Schnigenpaumer vom
& Kebr. 1514 bis 7. März in Moskau verweilte. Vergl. Strahl im
Uchiv f. ält. deutſch. Geſch. VI, 544 f. Die vorhergehenden Unterhandlungen
in Deutſchland erklären fein fpätes Eintreffen.
XVII. 7
98
Niederlage erlitt. Nad) ruffiicher Anfchauung wäre Mar verpflid-
tet geweſen, biß zum 24. Juni tätig in den Kampf einzugreifen mit
ganzer Macht?. Es war auch das offenbar nur eine der Thorheiten
Schnitenpaumers, der fi) denn auch nad) feiner im Sommer erfolgten
Rückkehr in ehrenvoller Weife unfchädlih gemacht fah?. Nur um
nicht das bereits Erreichte zu gefährden, entſchloß ſich nach offenbar
reifliher Ueberlegung (am 4. Auguft) der Kaifer formell jene von
Schnitzenpaumer entworfene Urkunde zu vollziehen, aber ſowohl zur
Heberbringung der dafür umzutaufchenden beichränfteren Vertragsurkunde
nad) Moskau, als zur Wiederaufnahme der Negociation in Deutſch—
land und Dänemark bediente er fich neuer Leute. Er war den Som-
mer über nicht müßig geweſen. Ein mit dem König von Dänemarl
im April 1514 geſchloſſener Heirathsvertrag verpflichtete denjelben
zur Theilnahme an dem Bund gegen die Feinde des Ordens, Mit
Kurſachſen war diefer und anderer Sachen halber fortwährend unter:
handelt worden‘. Mittlerweile fah fich der Hochmeijter jo im die
Enge getrieben, daß er fich bereits entjchloffen hatte, um Schlimmerem
zu entgehen, dem König Sigismund „zum Schein“ die gemöhnlice
Rathspflicht zu leiften; dazu hatten ihm außer allen Gebietigern des
Ordens fein Bruder Kafimir und der Kurfürſt von Brandenburg ges
rathen. Am 17. Augujt trafen feine Gefandten den Kaifer zu Gmun—
den, um deſſen Genehmigung zu diefem möglicherweije folgenreichen
Entſchluſſe einzuholen®. Aber hier erfuhren fie, daß Mar, nachdem
das Bündnig mit Rußland nunmehr gefchloffen, größere Hoffnung habe,
die Coalition gegen Polen zu Stande zu bringen. Schon am fol
genden Tage wurden die entiprechenden Entichliegungen vollzogen.
Borauszufchicen ift die Bemerkung, daß diejelben weit entfernt
von jener ausfchweifenden Politik Schnigenpaumers oder feiner ruf
ſiſchen Einbläfer, auf den bejchränfteren Gefichtspunften berubten,
welche der vom Kaiſer ausgehenden neuen Vertragsurfunde mit Ruß—
1 Der kaiferliche Gefandte fam erſt im Februar 1514 nad) Moskau, fo daß
nicht der Beginn, fondern erſt die Fortjegung des Kampfes als mitverurfadt
durch die faiferliche Politik angefehen werden kann. Polniſcherſeits erfuhr man
von dem Schritte des letzteren zuerft im Juli. Acta Tomician. III, Nr. 202
und 216 (letzteres ein Schreiben Sigismunds an feinen Bruder König Wie
dislaus).
2 Antwort des Großfürften bei Fiedler ©. 258.
3 Ein Briefconcept Friedrichs des Weiſen 1514 Torgau 27. Juni erwähnt
den auf der Rückreiſe erfolgten Beſuch deffelben. Die im Auguft erfolgende Er:
nennung des umvorfichtigen Diplomaten zum kaiſerl. Hausrath in Krain mit
100 fl. Gehalt, darf man doch Angefichts der Fortdauer der Unterhandlung nur
in dem im Xert beliebten Sinn auffafjen.
* Marimilian an Friedrid, Kempten 4. Mai und Gmunden 4. Auguſt.
Schon im April war in des Kurfürften Auftrag Hans von der Planit beim
Kaifer in Linz geweſen, zugleidy mit einer dänischen Geſandtſchaft. Dajelbft war
überhaupt ein rvege® Treiben. Zugleich mweilten auch päpftliche, engliſche und
ipaniiche Gefandte und auferdem ſolche vieler deuticher Stände dafelbft. Drigie
nalrelation von Montag Philippi et Jacobi (1514), Erneft. Gef. Ardiv.
5 Boigt 464. Kurfürft Joachim Hatte für alle Verſuche des Hochmeifters
nur Talte Abweifung gehabt.
99
(and eigen waren. Noch beftand lettere erjt im Wunfch des Kaiſers:
erit Ende December erreichten ihre Ueberbringer Moskau, wo freilich,
wie erwähnt, am urjprünglichen Vertrag feitgehalten wurde. Doch
hat es den Kaijer Mar befanntlich nie genirt, auf etwas jchwanfender
Grundlage umfafjende Bauten zu planen. Demgemäß enthielt die in
feinem Namen zu Gmunden am 18. Auguft 1514 für feinen Rath
Medior von Maßmünſter ausgefertigte Inſtruction! Folgendes.
Da, troß der ftiftungsmäßigen Freiheit des deutjchen Ordens der h.
Maria, Bolen denjelben in feinen Gehorfam zu bringen, auch Danzig und
Elbing, die ihm (dem Kaifer) und den h. Neid) zugehörten, innezus
haben fich unterſtehe, habe er ſich zum Schub gegen diefe Uebergriffe
Polens wider den Orden und das Neid) im vergangenen Jahr um
ein Bündniß mit dem Großfürften Bafilius, dem Herrn aller Reuffen,
bemüht. Diefer fei auf den Plan eingegangen und habe mit des
Kaifers Orator fofort Gefandte zu ihm gejchidt, um das Bündniß
abzuichliegen. Das fei nunmehr gefchehen. Da er nun bei folchem
Bündniß immer „gemeint und gemeldet“ ? habe fich felbjt nebft feinen
Dundesverwandten, König Chriftian von Dänemark, dem Hochmeifter
des deutfchen Ordens ſammt dem Meifter von Livland, Kurfürft Joa—
Hm und Markgraf Friedrih von Brandenburg, Kurfürjt Friedrid)
und Herzog Johann zu Sachſen, fowie dem Fürften der Wallachen,
mit dem er der Sache halber in bejonderer Verhandlung ftehe, jo daß
er denjelben zum Theil bejolden werde, befichlt Marimilian feinem
Geſandten, "die obgenannten deutfchen Fürſten zu bewegen, fofort in fei=
ner Begleitung ihre Bevollmädtigten zum König von Däne—
mark zu ſchicken, um das Bündniß definitiv zu errichten, auch jogleid)
zu bejtimmen, mit welcher Macht zu Roß und zu Fuß jeder dem
Bund dienen wolle. Sei das geichehen, jo denke er den Polen zuerjt
zur Rückgabe des Geraubten und zur Verfiherung künftigen ruhigen
Verhaltens in Güte zu erſuchen. Falls das nichts helfe, müſſe man
denfelben nächiten St. Zörgentag mit vereinter Macht angreifen. Zu der
gütlichen Handlung fei von ihm ein Tag geſetzt nad) Yübe auf näch—
fte Lichtmeß und Polen bereits aufgefordert. Daher follen die fürfts
lichen Bevollmächtigten zugleich ſich mit den Befehlen ihrer Herrn
verjehen, wie eim jeder giütlich fich zufrieden ftellen laſſen wolle.
Das in Dänemark genau zu formulirende, auf alle Fälle zu
ſchließende Bündniß folle ein ewiges fein: doch laſſe es fich der Kaiſer
auch gefallen, daß es auf Lebenszeit oder bis zur Ausrichtung der
Sache gejtellt werde. Er wolle fic) als Erzherzog und deutfcher Fürft
mit dem gleichen Boll, wie Brandenburg, zum Dienſt de8 Bundes
verpflichten. Den König von Dänemark habe er zum oberjten Haupts
mann auserfehen und bitte denfelben, fi) dem zu unterziehen. Dafür
wolle er ihm auch von Stund an 50000 fl. Rhein. auf das Heis
rathsgut feiner Enkelin (Iſabella) zahlen. Nach Abſchluß des Bind-
ı Erneft. Gef. Arch. (einigermaßen beſchädigt). Vergl. die Notiz bei
Beigt IX, 466.
° Inwieweit das wahr ift, ift oben gezeigt worden,
7*
100
nifjes jollen alle Gefandten der Theilnehmer mit nad) Lübeck ziehen,
um dort mit der polnischen Botſchaft zu verhandeln, gemeinſchaftlich
mit einer ruſſiſchen Gefandtichaft. Fall es nicht zur Zufriedenftel-
lung komme, werde man den Polen angreifen.
Für die gütlihe Handlung fordert Marimilian von Reichs wegen
die Städte Danzig und Elbing, doc) jcheint e8 (die Urkunde ift ver
ftümmelt), daß diefe Forderung nicht als conditio sine qua non
gelten foll.
Um den Zufammenhang nicht unterbrechen zu müſſen, reihe id)
hier gleich die wichtigſten Beſtimmungen einer nachträglid an Maßmün—
jter erlafjenen Erläuterung feiner Juftruction an!. Die etwaige Abwer
jenheit einer ruffifchen Botſchaft brauche die Bündnißverhandlung beim
König von Dänemark zwifchen demjelben und dem deutjchen Fürſten
nicht aufzuhalten. Dagegen könne der gütliche Tag in Lübeck nicht
ftatthaben ohne die ruffiihen und polnischen Oratoren. Auch habe
er jett zu letterem Ungarn aufgefordert. Den Tag, wie Ruß—
land wüuſche, bis Pfingften der Reiſeſchwierigkeit wegen zu verichieben,
ginge nicht an wegen des auf St. Yörgentag eventuell feitgeiegten
Anfangs des Kriegs. Er habe, um den Ruffen den Weg im Winter
zu erleichtern, durd) den König von Ungarn Geleit durch Polen für
diejelben nachgeſucht: auch feine Boten nad) Rußland follten mit die:
jer Gelegenheit heraus und nad) Lübeck kommen. Höchſtens bis vier
Wochen vor St. Yörgentag dürfe Maßmiünfter die Eröffnung ver:
ziehen.
Eins fpringt in die Augen: der Ernt, mit welchen der Kailer
fi zum Krieg gegen Polen vorbereitete, Man weiß, daß in derielben
Zeit Polens Abgefandte nichts weniger als zuvorkommend bei Mari
milian empfangen waren und dag auc die von Sigismund am 30.
Auli zuerjt erbetene Fürſprache des ungarischen Königs wenig frud)>
tete?. Das lange Zögern des Kaifers zwifchen den durch Schnitzen—
paumer zuerjt angeregten Verhandlungen und den nunmehr in Aus
fiht genommenen erflärt fich einfach aus dem Bedürfniß, erſt Har zu
Sehen über ſein Verhältniß zu Rußland. Auch war inzwifchen Dänemarks
Beitritt gefichert. Schon am Tage vor der Ausitellung der Haupt:
inftruction hatte der Kaifer dem Hochmeijter Kenntniß gegeben, der
num Sofort die nöthigen Schritte that. Daß Markgraf Friedrid),
wenngleih Schwager Sigismunds von Polen, feine Schwierigkeit er
heben würde, ließ fich nach feiner Haltung im Vorjahr denfen. Ber
muthlich hat auf feiner Reife von Gmunden nad) dem Norden Map:
münfter bei ihm zuerjt vorgefprochen. Es ergiebt fi) aus den Acten,
daß er jeinen Gefandten die verlangte Vollmacht zum Abſchluß des
Bündniſſes ertheilt hat ?.
1Insbruck 1514. September 30. Dieielbe wird am 19. November von
Mafmünfter aus Dorningen (Törning) au Friedrih von Sachſen gefendet.
Erneft. Geſ. Ardiv.
2 Acta Tomiciana III, ©. 154. Bergl. Fiedler 203 und Liste 479 f.
s Schreiben Hans von der Planit an Friedrih von Sachſen, Dorningen
1514 Sonntag nad Bricei (19. November).
101
Es wird fi nun fragen, wie find die Kurfürften von Sachſen
md Brandenburg dem Project entgegengefommert, die als Polen nächſt—
geieifene und dem Hochmeifter befreundete, zum Theil verwandte Fürften
für das Gelingen wejentlich in Betracht famen. Bei der Magerfeit
des Berliner Geh. Staatsarhivs für diefe Epoche ift e8 nun ganz
außerordentlich erwünscht, daß die von den Ernejtinern aufbewahrten
Acten auch auf das Verhalten Brandenburgs das hellſte Licht fallen
laſſen.
Der ſchon 1513 nach Schnitzenpaumers Sendung zwiſchen bei—
den Fürſten über das bewußte Bündniß gegen Polen eingeleitete Mei—
nungsaustauſch war reſultatlos geblieben, da er bald eingeſchlafen
war. Inzwiſchen hatte Joachim von Brandenburg ungeſcheut und
ohne Rückſicht auf den Kaiſer im Februar 1514 mit Polen einen
Vertrag abgeſchloſſen, demzufolge kein Theil die Feinde des andern in
ſeinem Yande hegen, unterſtützen oder ihnen den Durchzug geſtatten
durfte. In Sachſen hatte man mannichfache Anliegen an das Reichs—
oberhaupt, welche, abgejchen auch von dem Charakter des Kurfürjten
driedrich, jede ſchroffe Eigenwilligfeit verboten. Noch nicht zwei Mo—
note vor Makmünfters Abfendung hatte der Kurfürft fich bereit er—
Härt, neben den kaiferlihen Gefandten den von Marimilian gewünſchten
Hans von der Planitz des deutichen Ordens wegen nad) Dänemark
zu beordern?. Der Kaifer hatte offenbar in Yinz Wohlgefallen an
diefem Manne gefunden, dem zufünftig noch eine bedeutungsvolle Stel=
lung innerhalb der furfächfiihen Diplomatie zufallen ſollte. Doch
hatte er die vorfichtige Denkweiſe der fächfischen Brüder falſch tarirt,
wenn er denjelben zutraute, daß fie ohne Weiteres auf eine jo weits
tragende Politif eingehen würden. Gerade auf Betrieb Herzog Jo—
hanns, zu den Maßmünſter zuerft Zutrauen gefaßt hatte, lautete die
Antwort Kurfachiens, daß man willig fei, dem Anbringen entfprechend
Planig mit nad) Dänemark zu ſchicken und treulich mitzuhelfen, ſo—
bald es fi darum Handle, die Sache zwifchen Polen und dem Orden
völlig beizulegen. Walls das Bündniß zur Spracde fomme, folle der
Gefandte fie davon benachrichtigen, dann wollten fie ihrer Gelegenheit
nad) dergejtalt fich vernehmen laſſen, daß der Kaiſer Hoffentlich daran
Gefallen tragen würde?. Alfo der Gefandte ward (Fohanns Brief
und die Inſtruction Laffen feinen Zweifel) in der Hauptfrage auf
Hinterfihbringen angewiefen, ftatt ihm, was Marimilian gewollt,
Vollmacht zu erteilen. So ausgerüftet verließ Hans von der Planit
' Gercken, Cod. dipl. Brandenb. V, 318. Siehe Boigt 459. Dem
Hauptinhalte nad regelt die Urkunde freilich den Eriminalprocef im Fall des
Eonflicts zwiſchen beiderfeitigen Unterthanen. Diefer Gefichtspunft einfeitig er
wähnt bei Buchholtz, Geihichte der Churmark Brandenburg III, 322.
’ Marimilian an Friedrid 1514 Krems Mai 4. Letzteres Antwort 1514
Torgau 27. Juni. Erneft. Gef. Arch.
— Friedrihsd Antwort auf Maßmünſters Werbung 1514 Lohan Freitag
St. Mihelstag (29. September). Johann an Friedrid 1514 Heltberg (Held-
burg) Sonntag St. Lampertentag (Sept. 17). Erneft. Ge. Arch. Cbendaf.
nod ein undatirtes Schreiben Mafmünfters an Johann.
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Zorgau am 4. October, um zunächit ſich dem Kurfürften von Brans
denburg vorzuftellen. Im Auftrag Albrechts von Mainz unterrichtete
ihn Eitelwolf von Stein, daß der Kurfürjt ihn im Klofter Zinna
bei Syüterbod empfangen werde. Hier fand dann eine Unterredung
ftatt, über welche fofort der Geſandte jeinem Herrn einen fehr inte
reſſanten Bericht erftattete!. Nachdem Planig auf Befragen mitge—
theilt, daß er beauftragt fei, den König von Dänemark zu bejtimmen,
dem faiferlichen Begehren ftattzugeben, und ferner zur Beilegung mit
zuwirfen, daß aber über das Bündniß fein Herr noch nichts Endliches
beichlojfen habe, brach Joachim, der nad) feiner Erklärung in der Zeit
feiner Regierung noch nie eine jchiwerere und wichtigere Angelegenheit
zu entjcheiden gehabt, los. Geſandte wolle er, und zwar mit gleichen
Befehl wie Sachſen, nad) Dänemark fenden. In feiner Weife gedächte
er aber fih in ein Bündniß wider Polen zu begeben, da bei der
Nachbarjchaft feines Yandes fein Verderben darauf jtehen würde. Auch
würde, fall8 er perfönlich geneigt wäre, feine Yandichaft das nimmer
dulden. Sr. Gn. Bettern in Franken fünnten wohl, da fie nicht fo
nahe ſäßen, „leichtlic) zu dilfe vorpuntmus“ reden, obwohl er des
Glaubens geweſen wäre, fie würden im diefer Angelegenheit Sachſens
Nath eingeholt haben. Er wünsche mit Friedrich perjönlich darüber
Rückſprache zu nehmen und warte ſtündlich der Kunde, ob deinfelben
eine Zuſammenkunft in Wittenberg genehm ſei. Er verjehe fich, daß
berjelbe da8 Bündniß auch nicht annehmen werde. Es ſei ihm leid»
(ih, mit andern Kurfürjten dem Kaijer ziemliche Hülfe zu leiſten, nicht
aber ein Bündniß zu machen; denn er wolle viel lieber einen chrijte
lihen König an feiner Seite haben als einen Ungläubigen. Es jei
leicht zu denfen, wie gut er und andere umliegende Fürſten es haben
würden, wenn der Ruſſe feinen Willen erlange und Polen unter fid
bringe. Wenn er dann Hilfe aus Franken nachſuchen müßte, würden
Feinde und Freunde zugleidy fein Yand verwüjten. Sollte er aljo des
Vertreibens gewärtig fein, jo wolle er e8 lieber fo darauf anforınen
laſſen, als fich in diefes Bündniß begeben. Er hoffe aber, daß der
Raifer fic) genügen lajjen werde, wenn auf ernftliches Erfordern er
fich) erböte auf Erkenntniß des Reichs.
Nach Planitz' Eindrud war der Kurfürft feſt entichloffen. Die
Anficht fei, im Verein mit Mainz und Sachſen dem Anfinnen zu
widerftehen. In Joachim Hat man alfo den wirkſamſten Factor der
Dppofition zu erfennen. Er hatte zur Stüte feines Widerwillens
die Verftändigung mit Sachſen gejucht, ehe er gezwungen wäre, Bes
fcheid zu ertheilen auf die erwartete Werbung Maßmünjters. Die
I Planig an Friedrich 1514 Jüterbock Freitag nad Francisci (Det. 6).
Ganz ungenügend hierüber ift Planit’ Finalrelation, beide im Erneſt. Gef. Arc.
Letstere, die auch zur Kenntniß der Räthe kommen mußte, ift auffällig vorfidhtig
abgefaht. Hinfichtlich der Erklärung des Kurfürften Joachim fchreibt Planit in
feinem Brief, wenn es Friedrich gefällig fei, wolle er die angezeigte Handlung
in feinem Neifebericht nicht alfo Mar bringen, fondern ſich auf diefen Brief be
ziehen. So ift e8 auch geichehen: ein intereffantes Factum für die fritiiche Be:
urtbeilung derartiger Relationen,
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Unterredung beider Kurfürften zu Wittenberg hatte ftatt. Von derſelben
brachte Joachim, wie er felbit Planig mittheilte, die Gewißheit mit,
daß auch Friedrich nicht in das Bündniß willigen und daß beide in
diefer Sache für einen Mann ftehen würden. Es iſt charalteriſtiſch
für den Kurfürften von Brandenburg, daß er bei alledem, im der
Sorge allein und ohne Bundesgenofjen dem faiferlihen Zorn ſich
preisgegeben zu fehen, ein gewilfes Mißtrauen nicht unterdrüden
fonnte. Bei derfelben Gelegenheit in Berlin, bei der er dem ſächſi—
schen Gefandten obige Mitteilung machte, 309 er denfelben an ein
Fenſter, um ihn aufs Gewiffen zu fragen, ob er nicht von feinem
Herrn noch einen andern Befehl hätte als den angegebenen, den auch
Friedrich felbjt ihm bezeichnet; fowie, ob Friedrich anders zu handeln
dähte, als er ihm zugejagt, um ihn jo aufs Eis zu führen. Das
würde ein ungleich) und nnbrüderliches Stück fein, deffen er ſich nicht
verſehe. Ich finde nicht, daß Planit über diefen für feinen Herrn
wenig Ichmeichelhaften Zwiichenfall empört ift. Er bittet nur den
Kurfürjten, den Argwohn fahren zu laffen, fein Herr werde unvers
rüdt halten, was er ihm zugefagt . Demnach) konnte e8 nicht zwei—
telhaft fein, welcher Beicheid feitens Brandenburge Maßmünſter ers
theilt würde, der unterftütt durch die Botichaft des fränkiſchen Mark—
grafen in Berlin erſchienen war. Er wolle, fagte Joachim zu Planits,
weer zufagen noch abjagen, doc werde der Kaifer vermerken, was
die Uhr geichlagen habe. In der That warnte feine Antwort den
Kaiſer, deſſen Antereffe für den Orden freudig begrüßt wurde, dem
Orden durch fein Vornehmen nicht größeren Nachtheil zu bringen.
Der Raifer folle gnädig betrachten, daß ihm, der 20 Meilen Weges
an Polen grenze, in diefer Sache mehr Bedenken Noth thue, al® at»
dern. Doc wolle e8 der Kurfürft gemeinfam mit andern Kur—
fürften und Ständen an Nichts fehlen laffen. Auf Wunsch des
Kaiſers jchicfe er auc) einen feiner Näthe mit Makmünfter, um den
König von Dänemark zu erfuchen, das kaiſerliche Anfinmen anzunehmen
und dann, um auf dem Tag zu Lübeck den Frieden zu befördern ?.
Ein Diplomat unserer Tage hätte wohl unter fo wenig aus»
fihtsvollen Umftänden neue Verhaltungsbefehle ſich erbeten vor Fort»
jegung feiner Reife. Was konnte aber bei den damaligen Verbin»
dungen, Angeſichts der vorgerücten Zeit und feiner Inſtruction,
welche behufs des firirten Lübecker Tags ein rafches Zuftandefommen
der dänischen Negociation vorausfette, Maßmünſter Anderes thun, als
feinem Herrn Bericht erftatten und fich, begleitet von den übrigen
Gefandten, auf den Weg machen! Oder Hatten etwa die acht Wochen,
ı Panik an Friedrich 1514 Berlin Donnerftag nad) Dionyfit (October 12).
Erneft. Gef. Arch. Aus alledem erhellt, daß Ranke J, 230 im Irrthum ift mit
der Meinung, daß Kurfürft Joachim nicht abgeneigt geweſen fei, den Hochmeifter
Abreht zu unterftügen.
» 1514 Donnerftag nad Dionyfii (October 12). Erneft. Gef. Arch. Der
brandenb. Gefandte war Dr. Ketwig. Vergl. was über diefen Staatsmann von
D. Walt zufammengeftellt ift (Forſchungen X, ©. 218).
104
welche er unterwegs war feit feiner Abfertigung, hingereicht, ihm gleich
gültig zu machen gegen das Reſultat feiner Bemühungen? Seit
faft zwei Sahrzehnten ift Maßmünfter im Militärdienft des Kaiſers
bemerkbar. Von früherer diplomatiicher Verwendung zu felbftändiger
Miſſion ift mir nichts befannt geworden. Am meiften fpielt in diefe
Thätigfeit feine Stellung in den Niederlanden i. %.1497 hinein, wo
ihn Mar als Muftermeifter zurücgelaffen hatte. Aber weder Herzog
Albrecht von Sachſen noch die burgundifchen Räthe Erzherzog Philippe
hatten darauf Rückſicht genommen, noch weniger aber auf feinen
MWiderfpruch gegen die Waffenftillftandsverhandlung mit Karl von
Geldern. Selbft feine Correfpondenz mit dem Kaifer war nicht uns
gehindert geblieben. Das Mißtrauen der Machthaber, die befannte
Nacläffigkeit des Kaiſers in Geldfachen gegenüber feinen Agenten
brachte ihn in fchlimme Lage.
%. J. 1507 hatte er an den Marfgrafen von Baden den Be—
fehl zu bringen, eine Bewegung zur Dedung von Burgund auszu—
führen; 1509 gerieth er, wohl in Padua, in venetianiiche Gefangen:
Ihaft!. Am Schluß der Regierungszeit Marimilians ift er nad:
weisbar al8 Hauptmann von Wiener-Neuftadt, wo ihm auch nad
feines Herrn Tod die Bewahnug der Koitbarfeiten deffelben bis zur
Ankunft des Erben oblag. Es zeigt ein durch lange, treue Dienite
gerechtfertigte8 Vertrauen, daß ihm gerade diefer in den Kämpfen ber
fetten Jahrzehnte wiederholt ftrategiich wichtige Ort untergeben war.
Aber feine Laufbahn läßt nicht erfennen, wie man dazu fam, ihm
gerade eine fo große Gemwandtheit erfordernde Gefandtichaft zu über:
tragen. Don feiner politiichen Denkweiſe kann man, abgefehen von
feiner Ergebenheit für den Kaifer, nichts fagen.
Vermuthungsweiſe läßt fich hinstellen, daß ihm bei dem ihm auf
getragenen Geichäft das Bündniß mit Rußland, wie vielen Zeit:
genofjen, unerfreufih war. Wenigftens ruft er bei dem Auftanchen
der Nachricht einer polnifchen Niederlage durch den moskovitifchen
Sroffürften aus: „Wo dem alfo, ift mir laydt umb die Chriftenheit ?*.
Daß er fih noch fpäter bei Friedrih von Sachſen nachdrücklich
bedankt für Schenfung goldener und filberner Pfennige an feine
Hausfrau, darf fchwerlich in dem Sinne gedeutet werden, als ob bie
beiden renitenten Rurfürften es für zweckmäßig angejehen hätten, ſich
der guten Dienfte Maßmünfters zu verfichern ®.
ı ©. Mafmünfters und feines Collegen Brief v. 13. December 1497, bei
BD. dv. Kraus, Marimilians I. Briefwechſel mit Siegmund Prüſchenk S. 111fl.,
fomwie für die Jahr 1507 und 1509 ımd 1519 Le Glay, Corresp. de Maxi-
milien I. et de Marguerite I, 22; Kirchmaiers Denktwürbdigfeiten, in Fontes
rer. Austr. Script. I, 429; Le Glay, Negoc. dipl. entre la France et
Y Autriche II, 434. "
»_ Mafmünfter an Friedrich von Sachſen bei Ueberichidung ber kaiſerlichen
Nachtragsinſtruction aus Dorningen 19. November 1514. Während feiner
ganzen Miffion bleibt er mit Friedrich in brieflichem Verkehr. Erneft. Gef.- 1.
’ Mafkmünfter an Friedrich von Sachſen d. d. Lübeck 1514 December 8.
Erneft. Geſ.-Arch.
105
Die vereinten Gefandten des Kaiſers, Sachſens, Brandenburgs,
denen ſich unterwegs die des Hochmeiſters anfchloffen, zogen nun über
Virftod nah Schwerin und von da nad übel. Ungewiß, wo
Brig Chriftian II. fich treffen laffen wolle, ging die Reife dann
meiter nach Holitein. Endlich wurden die Botſchafter nad) Törning
beidhieden, wo feit dem 16. November die Unterhandlungen begannen.
Sofort ftellte fich heraus, daß Planig und Dr. Ketwig jeitens ihrer
Herren feinerlei Vollmacht befaßen, in das Bündniß zu willigen ; der
Inferfihe Gefandte erflärte, er hätte fich verjehen, daß fie volle Ge—
malt hätten, fönne e& aber auc fo nicht ändern ?, überrafchend genug
nach einer vierroöchentlichen gemeiniamen Reife. Das Anfinnen, wenigftens
vorläufig da8 Bündniß abzufchliegen, mußten beide furfürftliche Räthe
gleichfalls ablehnen. So blieb dern nur der fränkische Markgraf und
der Hochmeister übrig.‘ Da nun der Linzer Vertrag vom 29. April
1514 nur für den Fall des Beitritt der Fürften von Sachſen und
Brandenburg zum Bündniß Dänemark zu dem gleichen Schritt ver—
pflihtete, da ferner dafelbft auch der Zuziehung Rußlands nicht aus—
rüdlih gedacht war ?, konnte Chriftian II. wenig Neigung oder Ver=
mihtung fühlen, fir die Deutſchen die Kaftanien aus dem Feuer zu
holen. Was mit ihm Maßmünfter verhandelt, blieb den fürftlichen
Rüthen, welche in feiner Gegenwart ihrerfeit8 gehört worden waren,
unbefannt, da diefe Beiprechungen geheim geführt wurden dod) ift;
über das Reſultat fein Zweifel. Die in Törning abgebrochene Uns
terbandlung follte auf dem Lübecker Tag am 2. Februar 1515 wie-
der aufgenommen werden. Die däniichen Näthe Hatten dort ihr
zu thun bei den Verhandlungen, die zwiſchen Maßmünſter und
den Geichickten der Häufer Sachſen und Brandenburg über das Bünd—
niß nochmals gepflogen werden follten. Würden Sadjfen und Bran—
venburg dafelbit eiumilfigen, follten auch die dänifchen Räthe laut
des mit dem Kaifer zu Pinz getroffenen Abſchieds das Bündniß voll»
sehen? Wenig wahrfcheinlich war jedody vonvornherein, daß jetzt
roh etwas zu Stande fommen würde, wenigftens fo lange nicht Maris
nilien die gefürchteten Gefahren und Opfer den Widerftrebenden in
gend einer Weiſe vergütete.
Der Kaiſer hat freilich auf die Kunde von der Aufnahme ber
Verbung Mamünfters bei Friedrih und Joachim die Hoffnung
leineswegs aufgegeben. Am Wenigſten wollte er davon wijjen, wieder
den Reichstag mit diefer Sache zu behelligen. Er verlangte von
Jeachim, von feiner Berufung am die Neichsftände abzuftehen und fich
! Das Ganze nach Planitz' Relation. Maßmünfter ſchrieb am 19, No⸗
dember am Friedrich, die Werbung des Planitz an den König habe ihm „gueter
mafien“ gefallen. Er hoffe, in der Hauptverhandlung werde er ſich von feines
wegen, „noch volkomenlicher und wol dienlich zu der Sachen“ halten.
® Lünig, Codex Germaniae diplom. I, 575
’ Relation des Planig und „Ertract des dänifchen Abſchieds im Erneft.
&i-Arhiv.
106
der Faiferlichen Politik anzufchließen. Friedrich von Sachien, der
weniger jchroff aufgetreten war, jollte in diefem Sinne auf feinen
Gollegen einwirken !. Beiden wurde der Schimpf vor Augen geführt,
der dem Kaiſer durch ihren „Verzug oder Abichlag‘‘ des Biindnifjes
beim Großfürften von Mosfau angethan würde, mit dem er im ihrer
aller Namen und im Vertrauen auf ihre Unterftügung pactirt hätte,
und zwar fi) verlaffend auf die Vertröftung, die Kurfürſt Friedrich
ihm direct, und für Joachim der Markgraf Friedrich, als er jüngit
bei ihm in Frankfurt geweien, ertheilt hätte?. Mit Hinweis auf fih
jelbft, der zur Hilfe des Ordens die Heirath zwifchen feiner Enkelin
und Chriftion von Dänemark gefchloffen hätte, auf die Gefahr des
Ordens, da in Falle de8 Scheitern fich leicht der Moskowiter mit
dem Polen zur Vertilgung des deutichen Nitterordens verbinden fönnte,
verlangte er ernftlich, daß beide Fürften dem Bündniß ſich nicht ent-
ziehen ſollten. Dbendrein verjehe er fich nicht, daß es durch daſſelbe
zum Krieg kommen würde, da, wie er denfe, der Pole einlenken
würde. Falls fie aber in der That in Folge deifelben ins Tel
ziehen müßten, wolle er fie dafür der nächiten Hilfe, die künftig von
den Ständen des Reichs bewilligt würde, entheben.
Gegen derartigen Appell waren die deutſchen Fürſten der da
maligen Zeit hinlänglich abgeftumpft. Nicht um Fingersbreite widen
Sachſen und Brandenburg ab von der zwiichen Beiden vereinbarten
Linie des Verhaltens. Sie hatten dazu um fo weniger Veranlaſſung,
als fie in der That eine Zufage, wie die vom Kaifer erwähnte, nicht
gethan hatten. Marimilian, deffen Mittel nach anderer Seite hin
vollauf in Anfpruch genommen waren, mußte demnadh auf gänzliche
Solirung gefaßt fein, in feinem Beftreben, dem Orden zu helfen,
abgeſehen von den ſchwachen Kräften des Hochmeifter8 und feiner
nächiten Anverwandten und den in, die europäiiche Politif noch nicht
recht hineinpaffenden der Ruffen.
Die politifch zunächſt intereffirten beutfchen Fürften, das vertrag®
mäßig Schon gewonnene Dänemark fogar fcheute wie die Gefahr eine?
polnischen Kriege® vor allem auch das Odium einer näheren Ver—
bindung mit dem „ungläubigen Moskowiter. Daß der Kaifer ſelbſt
fih im diefer für die damalige Welt auffallenden Doppelrolle eine?
Vorkämpfers des zu Ehren der Zungfrau Maria geftifteten Ritter⸗
ı Mar an Friedrich von Sachen, 1514 Insbrud 20. November. Der
ar Re Joachim von Brandenburg 1514 Insbruck 21. November. Erneft.
eſ.⸗Archiv.
2 Davon ift ſonſt Nichts bekannt. Jedenfalls erflärte Joachim, daß er ſich
über die angebliche Zufage de8 Markgrafen nicht genug wundern könne, denn tt
fönne fih nicht erinnern, mit demfelben davon geredet oder ihm feinethafben
einen Befehl gegeben zu haben. Joachim an Friedrich von Sachfen, 1514 Cöln
an der Spree am Abend Thomae apostoli (December 20). Erneft. Gef.-Arh-
In einem ebendafelbft befindlichen Echreiben Herzog Johanns am feinen Bruder
an wird gleichfalls conftatirt, daf dem Kaijer Leine Zufage gemacht ke
514 Weida vigil. s. Thomae (December 20).
107
ordens umd zugleich intimen Verbündeten des als halben Heiden ! nicht
nur ſeitens der Polen betrachteten Wafilji um fo unbehaglicher fühlte,
je weiter fich die von ihm entfernten, welche die Yajt und das Bes
denklihe des Vertrags vorzugsmweife hatten tragen ſollen, ijt ohne
Zweifel. Jedenfalls fommt alle zum Theil gewiß gerechtfertigte Ent—
rüftung über des Kaifers Parteiwechiel gegen die Erwägung nicht auf,
mas er denn bei der Lage der Dinge hätte thun fünnen. Daß vom
Reich als Ganzem nichts zur Rettung des Ordens zu erlangen fein
würde, war aus dem Verlauf ſeit 1510 völlig Kar: zum Ueberfluß
haben die jpäteren Bemühungen Albrechts bis zum Ausbruch des
rien gezeigt, wie wenig Intereſſe für diefe deutiche Kolonie vor—
handen war. Jedenfalls verdient alfo das Reichsoberhaupt nur inſo—
fern ſchärfere Beurtheilung als die Reichsglieder, als die höhere
Würde ihm größere Verpflichtungen auferlegte. Hätte Marimilian
in diefer Frage das Reich Hinter fi) gehabt, oder au nur, woran
er wei Jahre lang eifrig gearbeitet hat, an der Spike jenes Bünd—
niſſes geſtanden, er hätte feine Bedingungen den Polen vorschreiben
innen. Aber er ftand völlig allein, da der Vertrag mit den oben—
drein Seit ihrer Niederlage im entjchiedenen Nachtheil befindlichen
Rufen eher eine PVerlegenheit al8 eine Stüte für ihn war. 8
fonnte unter folchen Umftänden ihn nur mit Genugthuung und heim
licher freude erfüllen, daß durch die Aufregung über all jene that-
fählih im Sande verlaufenen Veranftaltungen der König von Polen
eingeihüchtert den entichiedenjten Wunſch zeigte?, fich den Kaifer zu
! Acta Tomiciana III, 182. 185. 209, wo Siegmund es dem Papft
gegenüber als unerlanbt bezeichnet, daß ein chriftlicher Fürft gegen einen anderen
fh mit einem Schiematifer (qui ab infidelibus aliis feritate et perfidia
nihil differt) verbünde.. S. 213 hat Wladislaus das doppelte Unrecht hervor-
gehoben, das darin liege, daß ein folches Bündniß gerade gegen die Polen ge—
Ihlofien jet: qui continuo ejusmodi hostes scismaticos quemadmodum
et alios infideles cum ab aliis nationibus tum precipue ab ipsa Ger-
mania arcemus. ferner wird von Seiten Siegmunds ebendafelbft III, S. 405
Rafılji bezeichnet als homo scismaticus, nihil veteris Greci ritus preter
barbam retinens, alienus a fide christ., hostis ecclesiae Romanae
acerrimus. Bol. die Stelle des Decius, der, obwohl geborener Deuticher, ganz
in der Idee von der für die ganze Ehriftenheit bedeutenden Stellung Siegmunds
von Polen al® ‘murus et antesignanus’ aufging,, über des Kaijers Bündniß
mit Waſilji: parum mihi cognitum est, si unguam Maximilianus a
christiano principe longius recesserit, quam dum ethnicorum res contra
ehristianissimum principem tutandos susciperet (S. 317). ©. über die
ganze Anschauung die Bemerkungen Römers: De Decii vita scriptisque
(Brei. Diff. 1874) ©. 41 ff. Die Schrift Hirfchbergs Über Decius (vergl.
Sybels hiſt. Zeitichrift XXXVI, 268) habe ich nicht benußen fünnen. — Für
die Deutichen ſ. oben S. 102 u. 104 die Aeuferungen des Kurfürften von
Brandenburg, Mafmünfters u. |. mw.
2 Zuerft wohl am 30. Juli 1514 (mwenigftens feit Siegmund von bes
Leiſers Berbindung mit Moskau unterrichtet ift) wünfcht er durch feinen Bruder,
den König von Ungarn, eine Befänftigung des Kaifers (Acta. Tom. II, Nr.
268.155. Bergl. dann zum September d.%. Nr. 248 S. 209 und Nr. 254
€. 213, Aber nie, auch nicht in diefen vertrauteften Briefen
an feinen Bruder, giebt Siegmund eine andere Urjade der
108
verföhnen. ALS natürlicher Vermittler bot ſich dazu fein Bruder
MWladislam von Ungarn. Dem geichiett genährten brüderlichen Gefühl
des Letzteren widerjtrebte e8, in intime Wamilienverbindung mit dems
jelben Herrſcher zu treten, der ſich als hartnädigen Gegner Sieg
munds bewiefen hatte. Dennoch mochte er von den fajt zum Abs
ſchluß gediehenen Verträgen nicht Lajjen, welche durch eine “Doppel:
heirath, feiner Kinder mit habsburgiſchen Spröflingen auch feine in Une
garn nur zu ſehr erfchütterte Stellung befeftigen follten. Bon hier ging
daher zur alljeitigen Verftändigung der Vorfchlag einer Zuſammen—
funft der drei Monarchen aus!. Der König von Polen wilfigte
mit Freuden ein. Den Gedanken, den in Lübeck zur gütlichen Ver:
handlung anberaumten Tag zu beſchicken, hatte er aufs Aller—
entjchiedenfte von der Hand gewiefen. Hier hätte er irgend welchen
Opfern zu Gunſten des Ordens auf Koiten Polens jchwerlicy ent:
gehen können: indem er die profectirte Zufammenfunft annahın, gab
er nur das zeitweilig von ihm unterftüßte ehrgeizige Streben feines
Schwager Johann Zapolya preis zu Gunften der habsburgiſchen
Anfprühe. So lieb Yetteres dem Kaifer fein mußte, jo weuig bat
er doc deshalb das Ziel feiner Politik für erreicht gehalten. Auch
nachdem Polen und Ungarn den Tag in Lübeck abgeichrieben, hat er
fortgejett beitanden auf dem Vollzug des Bindniffes zwischen ihm
einerfeits, dem Groffürften, dem König Chriftian II., den Kurfürjten
von Sachſen und Brandenburg u. a. andererfeits. Noch anr 15.
Januar 1515 verlangte deshalb Maßmünſter von Sachen fchleunige
Sendung eines bevollmächtigten Gejandten nad Lübeck?. Der Kater
meine, fchrieb er an den Kurfürften, daß die Eriftenz des Bündniſſes
auf dem Tag zu Prefburg Polen zu einem für den Orden günftigen
Vertrag drängen würde. Grit al8 auch jett die Furfürftlichen Ge
fandten nur als zum Bericht angewiefene AZufchauer in Lübeck er-
ſchienen, und deswegen die dänische Botichaft fich nicht weiter ein
laſſen durfte, erklärte Maßmünſter feine Aufgabe für erlofchen?.
Dem Kaiſer entging dadurch der Vortheil, in Preßburg feinem Für:
wort zu Gunften des Ordens Nachdruck geben zu fünnen, dadurd),
kaiferlihen Feindfeligfeit gegen Polen an, als den Wunſch det
Kaifers, den deutfhen Orden der polnifhen Botmäßigfeit zu
entziehen. Beiläufig fei bemerkt, daß bei aller Oppofition der deutſchen
Fürften gegen ein Bündnif auf Grund der Maßmünſter'ſchen Inftruction, die
auch die Unterftütsung de8 Ordens als Motiv an der Stirne trug, nie, aud
nicht in dem intimen Geſprächen zwoifchen Aurfürft Joachim und Planit, offen
oder verftecdt der Vorwurf geltend gemadt wird, daß Marimilian nicht die
wahren, oder nicht alle Gründe feines Bündnißplanes angebe.
ı gisle a. a. DO. 482; vergl. Acta Tom. III, S. 166 und 259.
2 1515 Lübel Montag vor Sebaftian. Erneſt. Geſ.A. Die Botichafter
der vertragichließenden Mächte follen dann mit Maßmünſter ſchleunigſt nad
Prekburg fommen.
s Bericht des Plani an Friedrich von Sachſen, der nad dem Inhalt am
6. Februar 1515 (Sonntag nad) purific. Mariae) in Lübed eingetroffen war.
Gar nicht vertreten waren Rußland und der Meifter von Livland. Erueft. Geſ.A.
109
dar er als Wortführer einer zur Unterjtügung deffelben geftifteter
Goalition auftrat. Der veränderten Sadjlage entſprach es denn,
wenn jet mur noch davon die Rede iſt, Gefandte des moskowitiſchen
Groffürjten und des Hochmeilters zur Zuſammenkunft der drei
Monarchen zuzuziehen. Aber noh Ende Januar 1515 war auf
Befehl des Kaifers ein polnischer Gejandter zu Hal, am Inn, anges
halten worden, der dem Papit im Namen Siegmunds von Polen eine
Anzahl vornehmer ruffischer Gefangener aus der Schlacht von Orfza
zum Ehrengejchenf überbringen ſollte. Die befreiten Gefangenen wurden
anf Anordnung Marimilians über Yübe in ihre Heimath geſchickt!.
Sieht das aus wie die Abficht, mit Sad und Pad ins pol-
niihe Lager überzugehen? Erſt als der Kaijer erfuhr, daß der
Yübeder Tag ihm nicht die Waffe des Bündnifjes zur Verfügung
ftellte, als ferner der päpftliche Hof, durch Johann Laskis Geſchick—
lichkeit gewonnen, feine mehr neutrale Haltung ganz aufgab und durd)
ein Breve dem Hochmeifter die Yeiftung des Lehenseides anbefahl?,
erit da, als der Kaifer einjehen mußte, daß feinem Bejtreben, dem
Orden zu helfen, fchlechterdings feine nennenswerthe Unterftügung von
gend einer Seite zu Theil wurde, erjt da hat er in den Preßburger
und Wiener Abmachungen den deutjchen Nitterorden an Polen preis-
gegeben? Die Sadje jtellte fi) nunmehr für ihn fo dar: jollte
er eines Zieles halber, zu dejjen Erreihung ihm (und jedenfalls nicht
hauptjächlich durch feine Schuld) die Mittel abgingen, nun aud), die
faft fihere Frucht langjähriger Bemühungen, den Erwerb der Krone
Ungarns und Böhmens für fein Haus, dem Verderben oder wenigitens
ihwerfter Gefahr ausfegen? Auf diefe Frage hat Marimilian als
Habsburger mit Nein geantwortet. Das kann nicht bezweifelt werden,
daß er in diefer Schlußphafe ein von ihm ſelbſt lange vertretenes,
deutiches Jutereſſe den Anforderungen der Hauspolitif geopfert hat.
Aber follten nicht die vorangehenden Blätter gezeigt haben, daß dem
Kaiſer, auch wenn nicht die Stephansfrone im Spiel gewefen wäre,
ſchon nüchterne politiiche Erwägung hätte die Ueberzeugung geben
müſſen, daß er in diejer Frage, bei der obendrein der Gegner noch
das Vertragsredt für ſich hatte, füglic) nicht weiter gehen fonnte,
als er jchon gethan ?
I Dies erzählt Decius (a. a. DO. S. 322), welcher jelbft in Begleitung
det Gejandten war. Daß damals die Vereinigung der drei Monarchen bereits
teftftand, jagt auch Yastı 432.
? Schreiben Lastis an Siegmund 1515 Rom 14. Februar, Act. Tom. III,
&. 333. Bergl. Zeifberg a. a O. 545.
’ Zwar behauptet noch ganz neuerdings Krones, Handbuch der Gefchichte
Oeſterreichs II, 573, es beruhe auf feinem thatjächlihen Grund, daf der Kaifer
„NH und feine Nachkommen“ verpflichtet habe, dem Orden weder mit Rath oder
That gegen Polen beizuftehen. Es ift jedoch unbedingt gewiß, daß der Kaifer
ſich im diefer Weife verpflichtet hatte. Die Aeußerung von Krones beruht wohl
au Mißverſtändniß der Ausführungen Lisles, S. 540, wo gegen Droyjen die
Serpflichtung des Kaifers für feine Nachkommen beftritten wird. — Fälſch—
Ka iſt aud) von Krones die Schlacht von Orsza ins 3. 1515 verlegt,
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Die Kaiferurkfunden des Archivs der Stadt
Limburg a. d. Lahn.
Mitgetheilt von
Chr. Bahl.
Pimburg, an räumlicher Ausdehnung und Bevölkerungszahl ver-
hältnißmäßig von geringer Bedeutung, hatte Dank feiner günftigen
Yage ſchon frühe eine unternehmende Bürgerfchaft, der es bereits in
der zweiten Hälfte des 135. Jahrhunderts gelang, den Dynaften
aus dem Geſchlechte der Grafen von Iſenburg gegenüber fich eine
freiere Stellung zu erringen. Die Streitigfeiten zwifchen Gerlach I,
den Schwiegervater K. Adolf von Naffan, und der Bürgerichaft,
über deren Berlauf und Dauer die Quellen nichts berichten, fanden
ihren Abichluß in dem Bertrage vom 17. Oktober 1279. Die be-
fändige Geldnoth Gerlahs II. (1306—-1354), des zweiten Nachfol—
ger& des obenerwähnten Gerlach, gab der Bürgerſchaft Gelegenheit
ihre Unabhängigkeit zu befejtigen. Gerlach, welcher bei Kaifer Ludwig
in beionderer Gunſt ftand, erwirfte und erhielt die Kaiferliche Beſtäti—
gung der vom ihm und feinen Vorfahren der Stadt verliehenen Rechte.
Unter Karl IV. kam der Bürgerfchaft zu Statten, daß Erzbiſchof
Balduin von Trier, des Kaifers Vetter, auf Grund eines 1344 Ger-
nad gegebenen Darlehns von 28000 Gulden auf die Hälfte der
Stadt Pfandrecht hatte. Der Freiheitsbrief, welchen dann der Kaifer
bei Gelegenheit der Publifation der goldenen Bulle in Met der Stadt
Yımburg gab, bildete für die fpätere Zeit die Grundlage ihrer bevor-
zugten Stellung, und die in ihm ertheilten echte trugen im Verein
mit dem regen Gewerbfleiß der Bürger und dem wachjenden Verfehr
mächtig zur Hebung des Wohljtandes bei. Faſt von allen Königen
und Kaifern, welche von Karl IV. bis Yeopold I. regierten, ließ ſich
die Stadt ihre faijerlichen Privilegien beftätigen und hat u. A., als
der Yandgraf von Helfen aucd die Bürger Yimburgs dem in feinem
Gebiete eingeführten Weinzoll unterwerfen wollte, mit Crfolg vor
Kaiſer Marimilian I. die von Karl IV. verlichene Zollfreiheit geltend
gemacht. In der am 15. Mai 1510 in Augsburg ausgeftellten Ur—
kunde erffärte der Kaijer, daß der dein Yandgrafen bewilligte Weinzoll
den Dechanten, das Kapitel und die Bürger zu Limburg nicht binde,
Bei der Bedeutung Pimburgs im Mittelalter war die Vermu—
thung berechtigt, daß dort eine nicht unbedeutende Zahl von Archiva—
lim fih finden müßte; war doch davon, daß die von dem Geſchichts—
ihreiber Yimburgs, Stiftsdechant Ludwig Corden (+ 1808), citirten
Urfunden in irgend ein anderes Arhiv, etwa das Yandesardiv in
XVII. | 8
114
Idſtein, gekommen feien, nichts befannt geworden. Seit mehreren
Sahrzehnten herrichte jedoch über den Verbleib derjelben völliges Dun-
fl. So konnte H. Archivfefretär Dr. Beder in Idſtein in Bd. XVI.
der „Forſchungen“ ©. 116 Anm. fchreiben: „Diefe auf Bitten
Gerlachs III. von Iſenburg-Limburg gegebene Urkunde (ſ. unten Nr. 2)
ift meines Wiffens nur mehr in dem mir vorliegenden, im Staats-
Archive zu Idſtein beruhenden Copiar der Stadt Yimburg erhalten.
Nach einer Notiz in Act. Acad. Theod. Palat. III, ©. 2. 3, wor-
auf Fisher Bezug nimmt, fcheint freilich gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts noch das Original diefes Freiheitsbriefes im Stadt:
archiv zu Limburg aufbewahrt worden zu fein“.
Im vorigen Jahre gejtattete mir auf mein Geſuch der Gemein
derath von Yimburg, von den im ftädtiichen Archive aufbewahrten Ur:
funden ꝛc. Einficht zu nehmen und diefelben eventuell zu bemugen.
Dies führte zu dem auch in öffentlichen Blättern erwähnten und in
den Annalen des nafjauischen Alterthumsvereins von H. Archivfekretär
Dr. Beder eingehend beiprochenen archivalifchen Funde. Bisher noch
mit der Sichtung und Ordnung des reichen Materials bejchäftigt,
beabfichtige ich in der Folge die wichtigeren Urkunden, welche nur zum
geringften Theile durch den Druck weiteren Kreiſen befannt geworden
find? — Gordens Geihichte der Stadt und Herrfchaft Yimburg und
des Lahngaus iſt Manufeript geblieben — zu veröffentlihen. Außer
den hier: folgenden 13 Kaiferurfunden enthält das Archiv noch 2 Orie
ginal-Urfunden von Karl V (17. u. 22. Mai 1521), je 1 Original
Urkunde von Ferdinand I (31. Mai 1559), Marimilian II (19. April
1566), Rudolf IT (23. Aug. 1532), Mathias (14. Oft. 1613),
Ferdinand II (13. Aug. 1630) und die zu Nr. 8 mehrfach erwähnte
Bulla aurea Yeopolds I v. 19. Oct. 1663.
1.
Kaiſer Ludwig der Baier verzichtet auf Fürbitt Gerlachs von Lim:
burg auf den Anſpruch, weldyen er auf die Bürgerfdaft von Lim—
burg hat, weil diefelbe ohne feine Genehmigung einen Brüdenzoll
erhoben und den Herren von Pimburg in Budenfhuk nidyt unter:
Kübt hat. — Frankfurt, 1341, Zuni 29.
Wir Ludewig von Gots genaden Römischer keiser, ze
allen ziten merer des richs. Tun kunt || offenlichen mit di-
sem brief, daz wir uns, durch vleizzig bet des edlen mannes,
graf Gerlachs || von Lympurg, unsers lieben getruwen, ver-
zigen haben der — die wir zu den wisen lüten
den burgern gemeinlichen ze Lympurg, unsern lieben getru-
wen, gehabt haben darumb daz si einen brugkzol an unser
verloub willen und gunst ze Lympurg genemen habent. Und
ouch darumb daz si dem vorgenanten graf Gerlachen die
Juden nicht wolden helfen beschirmen, da sin not was. Also
115
daz wir noch nieman anders von unsern wegen umb die
selben sache hintzin haben sullen dhein ansprache, und geben
ouch umb die selben tat unser und des richs huld mit urchund
diss brief. Der geben ist ze Franchenford an sand Pe-
terstag, nach Christus geburt driuzehenhundert jar und in dem
ain und vierzigsten jar, in dem siebenden und zweinzigstem
jar unsers richs und in dem vierzehenden des keisertums.
Original-Pergament. — Majeftätsfiegel mit Secretfiegel an Per-
gamentjtreifen ift nur zum Eleineren Theile erhalten.
Anm.: Ueber die Rechte Gerlachs von Limburg auf die Juden zu Lim:
burg vergl. Forfhungen Bd. XVI, S, 109 Anm.
-
2
Baifer Pudwig der Baier beſtimmt, daß die Bürger der Stadt Lim—
burg nur vor dem Schultheißen zu Frankfurt verklagt werden dür-
fen, und befreit fie von allem Boll zwiſchen Fimburg und Mainz
und den Städten Frankfurt, Wehlar, Zriedberg und Gelnhaufen.
Zrankfurt, 1346, Auguft 26.
Wir Ludewig von Gotes gnaden Romischer keiser, ze
allen ziten merer dez richs. Tun kunt offenbar an disem
brief, daz wir den burgern gemainlichen und der stat ze
Lympurg, durch vleizzig bet dez edeln mannes Gerlaches her-
ren zeL,ympurg, und durch der dienst willen die er uns und
dem riche biz her getan hat, und auch noh tun mag, und
durch besunder gunst, die wir zu den burgern und der stat
2€ Lympurg haben, die gnad und freyhait von unserm key-
serlichem gewalt getan haben, daz wir wellen, daz die selben
burger gemainlichen und besunder niemand vordern noh
laden mag noh sol umb dheinerlay sache oder bruch, die
iemand zu in ze vordern oder zesprechen het, fur uns noh
für unser geriht, noh fur dhein ander geriht, dann fur
unsern schultheizze ze Franchenfurt, also swer hintz in icht
zesprechen habe, daz der ze Franchenfurt von in reht nemen
sol, wie die schepphen da ertailend, ze gelicher weiz als von
des richs burgern da selben. Ez wer dann sogetan sache,
die uns und daz riche anrürte und gieng, und auch ob si
den elagern reht verziehen und uzgen wolten. Auch tun
wir den vorgenanten burgern und der stat ze Lympurg die
besunder gnad, daz si fur den herren von Lympurg, wer
dann herre ist, von dheinerlay schuld oder geltz wegen, dez
er jemand schuldig ist, oder gelten sol, gemainlich oder
besunder niht phant noh phantbaer sein sullen. Wer si dar
uber mit phandung fur in angriffe und bekümmert, der ist
dar umb in unser und dez richs grozz ungenad chomen und
gevallen. Wir tun in auch von besundern gnaden und gunst
8*
116
die gnade, daz si zwischen Lympurg und Mentz und zwischen
den vier steten in der Wetrey, Franchenfurt, Wetflaren, Fri-
deberg uud Gailnhusen, zolfrei sin sullen, und mügen da zwi-
schen uf der selben strazz ungezollet vor aller menniclichs
irrung varen und wandeln, an wo ez die vorgenanten vier
stet tryfft und anget. Und dar uber ze einem urchund ge-
ben wir in disem (fo) brief mit unserm keyserlichem insigel ver-
sigelten. Der geben ist ze Franchenfurt an samztag nach
Bartholomei, nach Kristes geburt driuzehenhundert jar, dar
nah in dem sechs und viertzigestim jar, im dem zwai und
dreizzigestim jar unsers richs und in dem nuinzehendem des
keysertumes.
Driginal-Pergament. — Majejtätsfiegel mit Secretfiegel an ge
flochtenen grünen und rothen feidenen Strängen ſchön erhalten.
Anm. Diefe Urkunde wurde bereits 1876 in Bd. XVI. ©. 116 u. 117
der Forfchungen nad dem im Staatsarhiv im Idſtein befindlichen Copiar
der Stadt Limburg veröffentliht. Die Copie ftimmt zwar dem Wortlaute
nad mit dem Originale überein, bat aber die Schreibweife ihrer Zeit. —
Diefelbe Urkunde ift in einem Vidimus der ‘Gerlacus dominus de Lym-
urg, Petrus dietus de Lympurg, Rudigerus de Brunisberg' vom
. 1347, 28. Zuli enthalten.
3.
Baifer Ludwig der Paier verwilligt dem Gerlad; Herrn von fim:
burg für die im Rriege wider den von Böhmen und den Mark:
grafen von Mähren zu leitende Bilfe 20000 Pfund Heller und
überläft ihm deshalb die jährlidien Reichs-Steuern der Städte Frank:
De Wehlar, Friedberg und Gelnhaufen und den Boll zwiſchen
adjenburg und Mainz, bis in gedadjte Gerlad; die 20000
Pfund eingenommen hat. Zrankfurt, 1346, Auguſt 26.
Wir Ludewig von Gots genaden Römischer keiser, ze
allen ziten merer des riches, bekennen offenlich mit disem
brief, daz wir mit dem edeln manne Gerlachen herren ze
Lympurg, unserm liben getruwen, also geret haben und ober
ein komen sin, daz er und sin erben uns dienen und beholfen
sullen sin mit der stat ze Lympurg und mit aller irer mabt in
dem krieg den wir haben mit dem von Beheim und sinem
sun, dem marhgrafen von Meren, der sich des richs annimt,
und wider alle ir helfer und diener, und umb die selben hilf
und dienst haben wir dem vorgenanten Gerlachen von Lym-
purg verricht und geben zweinzig tusent phunt haller guter
werung, alz ze Frankinford geng und geb ist. Und die sel-
ben zweinzig tusint phunt haller haben wir im bewiset und
verschaffet uf den vier steden in der Wetribe, zu Frankin-
ford, Wetflaren, Fridberg und Geylenhusen, und uf die stiwre,
die si uns und dem riche jaerlich uf sand Martinstag schul-
117
dig sind zu. geben. Der sehtzelenhundert mark sind guter
werung je drei haller fur einen Colnischen pfennig ze rait-
ten, an hundert mark, die wir der stat ze Fridberg zu irem
baw ze ettlichen jaren, alz ir brif sagent, geben haben. Und
die selben stet sullent dem egenanten herren von Lympurg
oder sinen erben des geltz geben und bezalen alz hernah-
geschriben stet: achthalb hundert mark von sant Martinstag,
der aller nehst kumt uber ein jar, und dar nah’aber uber ein jar
fumfzehen hundert mark der obgenanten werunge, und danne
fürbaz alle jar uf sand Martinstag funfzehen hundert mark
an alle geverde und furzog; wann och die jar, die wir den
von Fridberg gelazzen haben, usgand, so sullen si die hun-
dert mark dem oftgenanten herren zu Lympurg oder sinen
erben zu dem andern gelt richten und geben. Und dar zu
haben wir von unserm keyserlichen gewalt einen zol und
geleittes gelt gemacht und geleget, die der oft genant herr
ie Lympurg oder sin erben uf heben und nemen sullen zu-
schen Hachinberg und Mentz, an welher stat in daz aller
best kumt und fuegt, also dazsi von jedem pferde, daz niden
her ufgelastet kumt, haben und nemen sullen sechs schilling
haller, und von iglichem pferd, daz oben herab kumt, zwen
schilling haller, und sullen die vorgenanten zolle stiwre und
geleitt inne haben und in nemen alz lang bis der vorgenant
herr ze Lympurg oder sin erben der zweinzig tusent phunt
haller gar und gentzlich verricht werdent und gewert, und
swann si der zweinzig tusent phunt verricht und gewert sind,
von welben sachen daz kumt, so sol ir dinst aller erst an-
gan und uns dann beholfen sin in dem vorgenanten unserm
krige, mit der stat ze Lympurg und aller irer maht, und sol
ouch der herre ze Lympurg, sine erben und die stat ze Lym-
purg die wile stille sitzen und wider uns und die unsern
niht sin. Ez ist ouch geret, ob ieman den herren ze Lym-
purg oder sine erben benöten oder angriffen wolt, ee daz si des
vorgenanten geltz bezalt und gewert weren, und uns oder die
unsern umb helf monten und beten, und wann wir oder die
unsern in oder den irn geholfen heten, so sullen si uns fur-
baz mit der stat ze Lympurg und mit aller irer maht ver-
bunden sin zehelfen, ob si dannoh des obgenanten geltz
niht bezalt und verricht weren, in aller der wise, als ob si
des geltz gar und gentzliche verricht und gewert weren.
Auch sol sich die stat ze Lympurg verbunden ewiglichen zu
den vorgenanten vier steten in der Wetreye, alz si dann ze
beider sitte mit einander ze rat werdent und dar umb uber
einkoment. Geschehe und wer ouch, daz wir ab giengen, ee
daz der vorgenant herr ze Lympurg oder sin erben dise vor-
genant summ geltes gentzlichen bezalt wurden, waz in dan-
uoh des geltz us stund, daz sullen si haben und des wartten
118
uf des riches guten, und mügen dar umb pfenden an allen
zorn und frevel, usgenommen der vorgenanten vier stet. Müst
ouch der herr von Lympurg oder sin erben daz riche dar
umb pfenden, welherlei kuntlichen schaden si dann da von
nement, den sullen in unser nahkomen an dem riche ab tun
und usrichten, ze gelicher wise alz umb daz obgenant gelt,
daz in dannoh usläg, an die vier stet, die sullen si dar umb
niht pfenden noh angriffen. Waz pfand si ouch nement uber
die chost, die si darumb täten, die sullen unsern nahkomen
an dem rich an dem gelt abgan. Auch sol der vorgenant
herr ze Lympurg, sin erben und die stat ze Lympurg be-
holfen und verbunden sin ze dinen und ze helfen wer in di-
sem krig an unser stat were. Also wem die vier stede in
der Wetrey gehuldigt heten und fur einen Römischen kunig
haldent. Wann ouch der herr von Lympurg oder sin erben
der zweinzig tusent phunt haller verricht und gewert sint,
von welhen sahen daz köm, so sind die stiwr, der zol und
daz geleittes gelt uns und dem riche ledig und los. Und dar
uber ze einen urkund geben wir in disen brief versigelten
mit unserm keyserlichem insiegel. Der geben ist ze Frankin-
ford, an samptztag nah sand Bartholomeustag, nach Christs
geburt driuzeben hundert jar und in dem sechs und vierzig-
stem jare, in dem zwei und dreizzigstem jar unsers richs und
in dem niunzehenden des keyserthums.
Driginal-Pergament. — Siegel an Pergamentitreifen fehlt.
Anm.: Codex Diplomaticus Moenofrancofurtanus von Böhmer ent
hält S. 601 eine Urkunde datirt vom 7. September 1346, ausgeftellt in Franl-
furt, welche beginnt: Wir Ludowig etc. becbennen offenlichen mit di-
sem brief, daz wir haben verschafft nnd verschaffen ouch mit disem
brief dem edeln manne Gerlachen umb den dienst, den er und
sein stat ze Lymburg uns getan habent und 'tun sullent, als die
brief sagent, die wir und der her von Lymburg under einander gege-
ben etc. — Ihrem wejentlihen Inhalte nad) ſtimmt dieſe Urkunde mit der
unfrigen überein.
4
Raifer Fudwig der Baier beftätigt die von Gerlach Herrn zu Lim:
burg, deflen Gemahlin Runigunde und ihrem älteften Bohne Ger:
lad; der Stadt Fimburg ausgefellten Zreiheitsbriefe. Frankfurt,
1346, Zeptember 20,
Wir Ludwig von Gots genaden Römischer keiser, ze
allen ziten merer des riches, bekennen offenlichen mit disem
brief und tun kunt allen den die in sehent oder hörnt lesen,
das wir den wisen lüten, den schephen und den burgern ge-
meinlichen der stat ze Lympurg, durch der edeln manne Ger-
laches des alten herren ze Lympurg, Kunigunden siner elichen
husfrawen und Gerlaches sines eldisten suns fleizziger bet
119
willen, alle die brief und hantfesten, als in die! die obge-
nanten Gerlach herre ze Lympurg, Kunigund sin eheliche
husfraı und Gerlach sin eldister sun geben und verschriben
habent, mit allen stukken wortten und artikeln, die dar inne
geschriben stent, von unserm keiserlichem gewalt bestätt ha-
ben und bestetten in die ouch mit disem brief. Und da von
gebieten wir allen unsern und des richs getritin vestichlichen
und ernstlichen, wie die genant sint, das si den obgenanten
burgern ze Lympurg die obgenanten unser bestettigunge niht
ubervarn in dhein wise, als lieb in unser und des richs
hulde sin. Dar uber ze urkund geben wir in disen brief
versigelten mit unserm keyserlichen insigel, der geben ist ze
Frankinford, an sand Matheus abent, nach Christes geburt driu-
zehen hundert jar und in dem sechsundvierzigstem jare, in
dem zweiunddreizzigstem jare unsers richs und in dem niun-
zehendem des keysertums.
2 Driginal-Pergamente, mit gleichlautendem, nur in der Schrei-
beweife an einzelnen Stellen differireudem Texte. — Von den Ma—
jeſtätsſiegeln mit Secretfiegel an geflochtenen grünen und vothen
feidenen Strängen ift das eine gut erhalten, das andere Fragment.
Anm.: In vigilia Exaltationis sanctae Crucis (13. Sept.) 1346 hat«
ten Gerlah Herr vom Limburg, Kunigunde und Gerlad der Jüngere die
von ihnen der Stadt Limburg ausgeftellten Freiheitsbriefe von 1328. 1330.
1331 und 1344 in Abichrift dem Kaifer vorgelegt und die Bitte beigefügt:
Gnediger herre herr Lodewig Romezhir keiser, dar um bidden wir uch
vleheliche und durch unsen ewigen dinst, daz ir unsen burgern und
unser stad zu Lympurg die brieve bestediget von uwer keiserlicher
gewalt und milte.e Und um daz ir disses gloubet und zu eime wa-
ren gezuignisse dar uber hat unser iglich sin ingesigele gehangen
an dise copien und uzchrifte. (Ardiv in Limburg).
5.
Rönig Karl IV. nimmt auf Bitte des Erzbiſchofs Balduin von
Brier Stadt und Stift Fimburg in feinen und des Beides 8 Wi
beftätigt alle Briefe, welche die Stadt vom Beide, dem Erzbifdofe
und ihren Herren hat, beſtimmt, daß die Bürger der Stadt nur
bor dem kaiferliden — zu Trankfurt verklagt werden
können, befreit die Bürger von Limburg von dem Boll zwifden Lim—
burg, Mainz, Frankfurt, Friedberg, Wehlar und ———— und
bedroht diejenigen, welche dieſen Freiheitsbrief übertreten, mit des
Königs und des Beides Ungnade und einer Strafe von 1000
Mark Silber. Mainz, 1354, Banuar 11.
Wir Karl von Gots gnaden Romischer kunig, zu allen
zeiten merer des reichs und kunig zu Beheim. Tun kunt
allen den die diesen brieff sehen oder horen lesen, daz wir
! Nur eine Urkunde hat als in die die, bie andere als in die.
120
durch vleizige bete || des erwirdigen Baldewins ertzbisschofs
zu Triere, unsers lieben vettern und fursten, und durch er-
ber alte wirdikeit des stiftes zu Triere, der ein erwirdiges
gelyed ist dez heiligen reichs, und || durch stedikeit luterr truwe
der burgere und der stat von Limpurg, unser und des heili-
gen reichs lieben getruwen, domit sie sich mit dienstlichen
truwen und gehorsamkeit dem obgenanten unserm vettern
und seinem stifte zu Triere willentlich hant beweiset und
auch tun sullen und mogen in kunftigen zeiten, dorumb so
haben wir die selben burger und die stat von Limpurg mit
allen iren guten, und die zu dem stifte von Limpurg gehoren,
in unsern und des heiligen reichs schirm, frieden und gnade
mit rechter wizze genomen, sunder alleine wyder uns, daz hei-
lige reich, unsern vettern vorgenant und seinen stift von Triere,
und haben darzu den obgenannten burgeren und der stat von
Limpurg von besundern gnaden und mit Romischer kunigli-
cher gewalt bestediget alle brieve und hantfesten, die sie von
dem heiligen reich, unserm vettern von Triere und andern
iren herren, recht und bescheidelich derworben (erworben in
der andern Urkunde) hant, in allen puncten, artiklen und mey-
nunge, als sie begriffen sein und als sie von wort zu wort
hie inne weren geschrieben, also verre und also bescheide-
lich, daz sie unschadelich sein und ewenclich bleiben un-
serm vettern vorgenant und seinem stift ze Triere, an iren
rechten, friheit und lobelicher gewonheit, und mit namen,
daz die selben burgere von Limpurg, die itzunt sein oder
furbaz werden, und waz in die stat gehoret, gemeinlich oder
besunder, nyemand ansprechen, vorderin noch laden mag oder
sal von dheinerleie sachen oder bruchen, wegen die yemand an
sie gemeinlich oder besunder zesprechen hait oder zu elagen
itzunt, oder furbaz in dheinen zeiten mag gewinnen, fur uns,
daz heilige reich, noch fur unser gericht, dan alleine vor un-
sern schultheizen zu Frankenfurt der zu zeiten ist, und also
bescheidelich wer yet zu sprechen, vordern oder zu clagen
habe an die vorgenanten burgere von Limpurg samentlich !
oder besunder, daz der oder die, wer sie sein, recht geben
und nemen von yen, waz der scheffen zu Frankenfurt vor
ein recht teilet und wiset, als von des reichs burgeren da-
selbs, iz enweren dan soliche sachen, die uns, daz heilige
reich oder des stiftes von Triere herschaft antrefen, und
auch, ob sie den clägeren wulten uz gan unvertzogliches rechten
in der stat zu Frankenfurt, als oben ist begriffen. Wir wul-
len auch von besundern gnaden, daz die stat und burgere
zu Limpurg mit allen, die darzu gehoren, unpantber sein und
ewiclich bleiben vor den edeln Gerlach von Limpurg, seine
kinde und erben, von scholt, gelubede, verbunt, nuzze und al-
! gemeinlich in der andern Urkunde,
121
ler ander sachen wegen, wie man die benennen mag mit
sunderlichen worten, und daz sie nymand dar vor ansprechen,
kummern, hinderen oder ufhalten sal mit gerichte oder ane
gerichte, in wasseren oder uff lande. Wir tun yen auch die
besundere gnade und gunst mit Romischer kuniglicher ge-
walt, daz sie tzusschen Limpurg, Mentze, Frankenfurt, Frie-
deberg, Wetflar und Geilenhusin durch aller fursten, graven,
frihen und herren stete und lant, uf wazzer oder uber lant,
zolfrei und ane alle hindernuzze, mit alle iren guten varen
sullen und wandelin zu irem nutze und urbar mit frihen
willen; sunder alleine daz sie mäzelich wegegelt vor porten
und dor der obgenanten stete, als von alter gewonlich ist,
sullen geben. Queme iz zu solichen schulden, daz sie ymant,
in welchen wirden daz er sei, an der obgenanten unser fri-
heit gemeinlich oder besunder hindern, ufhalten, bekummern,
zollen, betruben, leitigen oder schatigen wulte, oder daz selbe
mit der tait vollenbrechte, der sol wizzen, daz er in unser
und des heiligen reichs ungnade swerlich vervallen ist und
dorzu dusent mark silbers entpfallen ist, der wir unser und
dez heiligen reichs cameren funfhundert mark zu geben han
behalten, und die anderen funfhundert mark sullen dem
obgenanten unserm vettern und dem stifte zu Triere und
der stat und burgern von Limpurg gemeinlich sullen schi-
nen und gevallen. Mit urkund diess briefes versigelt mit
unsern kuniglichem insigel. Der geben ist zu Mentze, nach
Gots geburt drutzenhundert jar dornach in dem vierund-
funfzigstem jar, an dem nehsten samsztag nach der heiligen
drei kunige tag, in dem achten jar unserer reiche.
2 Driginal-Pergamente. — Majejtätsfiegel an geflochtenen grü—
nen und rothen feidenen Strängen Fragment.
Anm.: Die beiden Urkunden find bis auf einige unmefentliche Abweichun:
gen identiich. In Bd. XVI der Forſchungen ift ©. 125 N. 21 nad) dem
Eopiar der Stadt Limburg das Negeft diefer Urkunde mitgetheilt. —
Als Graf Eberhard von Katenellenbogen gegen die Bürgermeifter, ben
Rath ımd die Bürger der Stadt Limburg vor König Wenzel Klage erhob,
wurde er vor den Schultheiß zu Frankfurt verwieſen. Die betreffende Ur—
hmde, deren Original fi) im Archiv von Limburg befindet, fängt an: Wir
Heinrich von Gots gnaden hertzog in Slesie und berre zu Pryge,
hofrichter dez allerdurchleutigsten fursten und herren herren Wentze-
lawes Roemischen kunigs . . .. und fchliegt mit den Worten: Mit ur-
kund ditzs briefs versigelt mit des hofgerichts insigel, der geben
ist zu Duerschenreut an samstag vor sant Margaretentag, nach
Cristes geburt driuezehenhundert jare und in dem syben und sybent-
zıgstem jare (1377, Yuli 11).
122
6
1356, Bezember 6. Raifer Barl IV. beftätigt auf Bitte des
Erzbiſchofs Boemund von Trier die Zreiheiten und Privilegien der
Stadt Fimburg.
Geben zu Metze nach Cristus geburte drutzehenhundert
Jar und darna in dem sechsundfunfftzigestem jare, an sente
Nicolaustage, unserer reiche in dem eylften und des keiser-
tums in dem andern jare.
DOriginal-Pergament. — Meajeftätsfiegel mit Secretfiegel an ges
flochtenen ſchwarzen und gelben fetdenen Strängen bejchädigt.
7
Raifer Karl IV. verleiht der Stadt Limburg das Recht, zum Aus:
bau der fleinernen Brüdke und zur Unterhaltung der Wege von
jedem Pferde, das Wagen oder Karren über die Brüde fährt, ei:
nen großen Qurnais zu erheben. Limburg, 1357, Zuni 3.
Wir Karl von Gots gnaden Romischer keiser, zu allen
zeiten merer des reichs und kunig ze Beheim, bekennen und
tun kunt uffenlich mit diesem brief allen den, die yn sehen
odir horen lesen, daz unsir lieben getruwen, die burgermei-
ster, die scheffen und der rait gemeinlich von Lympurg uns
furgeleit han, daz sie die steynen brucke doselbes, die lobe-
lich angefangen ist, nicht wol vollenbrengen mogen, noch die
wege und lantstrazze gebezzern konnen, sunder helfe und
steur der lantleute, die ir gut mit wagen und karren dar
ubir furen, und hant uns mit vleizze gebeten, daz wir unsir
volleist von des reichs wegen dor zu geruchen zu tun. Des
haben wir genedeclich bedacht der vorgenanten von Lym-
purg bete, daz sie zeitlich und nutzber ist und wesen mag
dem gantzen lande und allen koufleuten, und haben mit
rechtir wizze und volkomenheit keiserlicher macht denselben
burgirn von Lympurg soliche gnade getan, daz sie von yg-
lichem pherde, die last mit wagen odir karren ubir lant und
ubir dieselbe brucke zu Lympurg furen, eynen grozzen Tur-
nais heben mogen und nemen, und dazselbe gelt zu bezze-
rung und bauwe der brucken und notdurft der wege, und
zu keinen andern sachen keren und bewenden, und sal diese
gnade werin und vollkomene macht han untz an die stunt,
daz wir odir unsir nachkomen an dem reich, Romische kei-
sir und kunige, daz abetun und widerrufen mit unsern offenen
briefen. Und gebieten dor umb allen fursten, graven, freihen
herren, stetten, gemeinden, rittirn und knechten, getruwen
und irtanen, daz sie die obgenanten burgere von Lympurg
123
an diesen unsirn gnaden in dheine weis sullen odir mogen
hindern odir irren, als liep sie in unsir hult und gnaten wol-
len sein und verliben. Mit urckund ditz briefs versigilt mit
unsir keiserlichen majestat insiegel. Geben zu Lympurg, nach
Crists geburt drutzenhundert jar und dornach in dem syben-
undfunftzgisten jar, am nehsten samztage nach dem Phingist-
dage, unser reiche in dem eilften und des keisirtums in dem
dritten jaren.
Originale-Pergament. — Pergamentjtreifen ohne Siegel.
8
König Wenzel beffätigt die in dem transfumirten Briefe (goldene
Bulle) Karls IV. vom 11. Dezember 1356 in Meb der Stadt Fim-
burg verliehenen Zreiheiten und Privilegien. Frankfurt,
28. Tebr. 1379.
Wenzeslaus Dei gratia Romanorum rex semper augustus
et Boemie rex notum facimus tenore presencium universis,
quod pro parte magistrorum eivium, scabinorum, consulum
at opidanorum communitatis in Lympurg nostrorum et im-
perii sacri fidelium, nobis extat cum debita precum instancia
humiliter supplicatum, quatenus litteram dive memorie sere-
nissimi prineipis quondam domini Karoli Romani imperatoris,
genitoris nostri carissimi, ipsis et eivitati Lympurgensi datam
approbare, ratificare, innovare et confirmare graciosius digna-
remur, cujus tenor per omnia sequitur in hec verba.
In nomine sancte et individue trinitatis felieiter Amen.
Karolus quartus divina favente clemencia Romanorum impe-
rator semper augustus et Boemie rex. Ad perpetuam rei me-
moriam augustalis altitudo magnifica et ejusdem excelsa
gloria ab Altissimo pro christiani populi salute deifice insti-
tuta et feliciter sublimata, quamquam universis fidelibus quos
sacri imperii latitudo complectitur, grata beneficia teneantur
impendere et tanto copiosius in subditos sue benignitatis
donaria propagare, quanto ex hujus modi distributione lar-
giflua corda fidelium erga sacrum imperium humili devocione
experitur augeri, ad illorum tamen procurandos honores sin-
gulari quodam favore inclinatur uberius, quos intemerate fidei
firma ceonstancia et inveterati laboris diuturnitas claris testi-
moniis recommendant. Sane pro parte fidelium nostrorum
et imperii dilectorum, magistrorum eivium, scabinorum, con-
sulum ae opidanorum communitatis in Lympurg Treverensis
dioceseos oblata nostre celsitudini suplex peticio continebat,
quod ipsis et eorum opido infra seriptas gracias de innata
nobis benignitatis clemencia graciose facere dignaremur. Nos
vero multiplicia merita probitatis et preclare devocionis in-
124
signia, quibus memorati opidani et opidum sacrum Romanum
imperium dignis quidem honoribus venerari studuerunt, lim-
pidius intuentes, ipsorum supplicacioni racionabiliter! annuen-
tes, infra scriptas gracias ipsis duximus faciendas. In primis
enim dietum opidum et opidanos ejusdem cum omnibus suis
curiis, eurtibus, molendinis, edifieciis, agris, campis cultis
et incultis, vineis, pomeriis, silvis, pratis, pascuis, piscariis,
aquis, aquarum decursibus, introitibus, exitibus, viis, inviis
locis, censibus, reditibus, utilitatibus, obveneionibus, emoli-
mentis, rebus bonis, mobilibus et immobilibus, possessionibus,
prediis rustieis et urbanis et aliis universis juribus, quibus-
cumque vocabulis nuncupentur, quos seu que in presenciarum
juste et racionabiliter possident et imposterum justis modis
et veris tytulis absque Juris alieni dispendio poterunt adipisei;
necnon universa et singula bona ad honorabiles prepositum,
decanum, capitulum et ecelesiam in Lympurg quomodolibet
pertinencia in nostram et imperii sacri proteccionem, tuicio-
nem et defensionem ex certa nostra sciencia et deliberato
animo recepimus et recipimus specialem. Insuper dietis opido
et opidanis ipsius ex singulari gracia universa et singula
privilegia sive litteras, que et quas a sacro Romano imperio,
a venerabili Boemundo sancte Treverensis ecelesie archie-
piscopo, sacri imperii per regnum Arelatense et Galliam ar-
chicancelario prineipi et devoto nostro carissimo, et a suis
predecessoribus archiepiscopis ecclesiae Treverensis et aliis
dominis rite et racionabiliter obtinent in omnibus suis teno-
ribus, sentenciis, elausulis et punctis de verbo ad verbum,
prout scripta seu scripte sunt, acsi tenores omnium ? forent
inserti presentibus, et etiam, si de hiis jure vel consuetudine
deberet fieri mencio specialis, necnon universas ipsorum liber-
tates et conswetudines racionabiles, et prescriptas auctoritate
imperatoria approbamus, ratificamus, innovamus, de novo
concedimus et de singulari benignitatis gracia tenore presen-
cium confirmamus. Ceterum ut opidani prefati tanto amplius
ad nostra et imperii sacri incitentur obsequia, quanto am-
pliora se a nostro eulmine beneficia senserunt? recepisse,
ipsis et eorum opido ex dono gracie specialis concedimus et
presentibus liberaliter indulgemus, ut nullus, cujuscungue
dignitatis, preeminencie, condieionis, gradus aut status fuerit,
ipsos opidanos aut opidum cum eorum attinenciis et perti-
nenciis universis in quacunque causa civili, criminali sive
mixta, que eis ex nunc vel in antea communiter vel divisim
moveretur, coram nostro, Successorum nostrorum Romanorum
imperatorum et regum ac imperii judicio citare, impettere
! Bull. Leopold. I.: rationabili.
2 Bull. Leop.: eorum.
® Bull. Leop.: seu servitia.
125
etin jas vocare presumat, sed quicunque in causis prescriptis
eosdem opidanos et opidum communiter vel divisim ex nunc
vel in antea citare, impettere aut in jus vocare voluerit, ipsos
coram nostro et imperii sacri judicio in Frankenfurd coram
sculteto ibidem et pro tempore existenti ceitare, impettere et
in jus vocare debebit ad recipiendum ibidem de ipsis, prout
scabini Frankenfordenses judicaverint, justicie complementum,
qui scabini in hujusmodi causis, sicuti in causis opidanorum
Frankenfordensium judicant, per omnia judicare tenebuntur.
Exceptis dumtaxat nostris, successorum nostrorum Romanorum
imperatorum et regum sacri Romani imperii! necnon aliis
quibuscunque causis, in quibus opidani seu opidum Lympur-
gense, sive actores sint aut rei, coram sculteto Frankenfur-
densi, ut prefertur, justiciam facere recusarent, in quibus cau-
sis exceptis pro justicia consequenda ad nostrum, dietorum suc-
cessorum nostrorum et imperii judicium in perpetuum recursus
babeant?. Preterea ut opidani et opidum Lympurg, qui no-
stre serenitati temporibus modernis et nostris in imperio dive
recordationis predecessoribus et imperio sacro integra fide et
pure devocionis constancia multa promptitudine et indefessa
sollieitudine complacuerunt et inantea nobis et successoribus
nostris Romanis imperatoribus et regibus prestancius com-
placere®, uberiora (?) gratia* a nostra majestate se sentiant con-
solatos, de cesareae plenitudine potestatis graciose duximus
eoncedendum, quod opidani et opidum Lympurgense cum suis
pertineneiis et attinenciis universis pro dominorum suorum
une aut imposterum existencium debitis, promissionibus, ob-
ligacionibus, colligaeionibus ac aliis aceionibus seu impetieio-
nibus, quibuscunque inpignorari, arrestari, impeti aut alias
in jadieio vel extra non debeant® aliqualiter impediri. Ce-
terum opidanis et opido sepedictis ex singulari gracia tenore
presentium indulgemus, quod ipsi et eorum quilibet cum bo-
nis, rebus et mercibus quibuscunque eorundem inter Lympurg,
Maguneiam, Frankenford, Fredeberg *, Wetfloriam et Geylen-
busen ae in terris et opidis prineipum, comitum et baronum et
nobilium ibidem sine qualibet exaceione ac thelonei recep-
cione interra et aqua absque omni impedimento libere debeant per-
transire, eo tamen excepto, quod in civitate et opidis pre-
seriptis competentes racionabiles et antiquas exacciones, que
vulgariter wegelt nuncupantur, de suis bonis et mereibus si-
‚ ." Bull. Leop.: Romani ac Ecclesiae Treverensis ac Antistitum
Ipsius causis,
? Bull. Leop.: habeatur.
Bull. Leop.: potuerunt complacere.
Bull. Leop.: uberiori gratia.
Bull. Leop.: non valeant.
Bull. Leop.: Friedeberg.
a u >» m
126
cud alii solvere tenebuntur. Et ut premissa omnia et singula
inviolabiliter observentur, volumus, quod, si quispiam a nobis
et imperio sacro aliquas litteras seu privilegia contra pre-
missa in toto vel in parte haberet, quod hujusmodi littere
sive privilegia presentibus nostris litteris et contentis in eis,
quas seu que in omnibus suis tenoribus et elausulis incon-
vulse servari preeipimus, in nullo prejudicium debeant ge-
nerare!. Nulli ergo omnino hominum liceat hanc nostre
majestatis paginam infringere vel ei ausu temerario quomo-
dolibet contraire, sub pena centum librarum puri auri, quas
ab eo qui contravenire presumpserit tociens, quociens Contra-
factum exstiterit, irremisibiliter exigi? volumus, et earum me-
dietatem nostre imperiali camere, residuam vero partem inju-
riam passorum usibus applicari. Signum serenissimi prineipis
et domini domini Karoli quartiRomanorum imperatoris invictis-
simi et gloriosissimi Boemie regis. Testes hujus rei sunt venera-
biles Boemundus sancte Treverensis ecelesie archiepiscopus,
sacri imperii per regnum Arelatense et Galliam archican-
cellarius; Gerlacus sancte Maguntinensis sedis archiepiscopus,
sacri imperii per Germaniam archicancellarius; et Wilhel-
mus sancte Coloniensis ecclesie archiepiscopus, sacri imperi
per Italiam archicancellarius. Illustres Rupertus senior Co-
mes palatinus Reni, sacriimperii archidapifer; Rudolffus dux
Saxonie, sacri imperii archimarscallus; et Ludovicus dietus
Romanus marchio Brandenburgensis, sacri imperii archica-
merarius, prineipes electores. Venerabiles Iohannes Argenti-
nensis, Ademarus Metensis, Ugo Tollensis, Bertrandus Wirdu-
nensis et Heinricus Lubucensis episcopi, Heinrieus Fuldensis,
serenissime: Anne Romanorum imperatricis semper auguste
et Boemie regine consortis nostre carissime archicancella-
rius®; Androinus Cluniacensis et Everhardus Wissenburgensis
abbates. Illustres Rupertus junior comes palatinus Reni et
dux Bavarie et Johannes dux Magnöpolensis. Speetabiles
Burghardus Magdeburgensis imperialis curie magister et Al-
bertus Nurenburgensis burggravii, et alii quam plures nostri
et imperii sacri fideles dilecti; preseneium sub bulla aurea
typpario imperialis nostre majestatis impresso testimonio lit-
terarum. Datum Metis, Anno Domini millessimo trecentesimo
quinquagesimo sexto, nona indiccione, 3. Idus Decembris *,
anno undecimo, imperii vero secundo°,
ı Et — generare fehlt in Bull. Leop.
®? Bull. Leop.: exsolvi.
® Bull. Leop.: Cancellarius.
Bull. Leop.: Regnorum nostrorum Anno.
Bull. Leop.: subscriptum: Ego loannes Dei gratia Lutbanensis
episcopus, sacrae imperialis aulae cancellarius vice reverendi in Christo
patris domini Boemundi Treverensis archiepiscopi, sacri imperii per
Galliam et regnum Arelatense archicancellarii, recognovi.
a»
127
Nos supplicacioni hujusmodi favorabiliter annuentes, non
per errorem aut improvide sed de certa nostra scieneia supra
dietam litteram, prout in suis membris, clausulis, articulis,
senteneiis et verborum expressionibus superius luculeneius
designatur, Romanorum regia auctoritate approbamus, ratifi-
camus, innovamus et tenore preseneium graciosius confirma-
mus; presencium sub regie nostre majestatis sigillo testimo-
nio litterarum. Datum Frankenford super Magano, Anno Do-
mini millesimo trecentesimo septuagesimo nono, indiccione
secunda, Kalendas Marecii, regnorum nostrorum anno Boemie
sextodecimo, Romani vero tertio.
Driginal-Pergament. — Majeftätsfiegel mit Secretfiegel an ge=
flochtenen gelben Strängen zerbrödelt.
Anm.: Das Original des von Karl IV, am 11. Des. 1356 ausgeftellten
Freiheitsbriefes ift im Archive im Limburg nicht vorhanden; im Archiv in
Joftein findet ſich nah einer in den „Forſchungen“ Bd. XI. enthaltenen
Notiz nur eine Abjchrift. Es ſcheint aljo das Driginal, das wahrſcheinlich
im 17. Jahrh. noch vorhanden war, verloren gegangen zu fein.
9
401, Ianuar 16. Marburg. König Ruprecht beflätigt die von
ſtinen Borfahren der Stadt Limburg verlichenen Gnaden.
Originals Pergament. — Majeftätsfiegel an Pergamentitreifen
zerbrochen.
Geben zu Marppurg, uff den sontag vor sant Anthonien-
tag des heiligen byhtigers, nach Cristi geburt dusent vierhun-
dert und eyn jare, unsers ryches in dem ersten jare.
10.
1414, December 16. Mainz. König Sigismund betätigt alle
Gnaden etc., weldje von feinen Borfahren an dem Beidje der Stadt
Limburg verliehen worden find,
Geben ze Mentze, nach Cristi gepurt viertziehenhundert
jar und dornach in dem viertziehenden jar, des nechsten sun-
tags nach sant Lucien tag, unser reiche des Hungrischen ete.
in dem achtundzweintzigisten und des Romischen erwelunge
in dem funften und der cronunge in dem ersten jare.
Driginal= Pergament. — Majeftätsfiegel an Pergamentftreifen,
wenig verlett.
11.
1442, Juli 12. Frankfurt. König Triedrich III. beftätigt der
Madt Fimburg die Privilegien etc., welche derfelben von den frü-
heren Königen verliehen worden find,
Geben zu Franckfurt nach Gots geburt vierzehenhundert
128
jare und darnach in dem zweyundvirtzigisten jare, uff sente
Margareten der heiligen jungfrauwen abend, unsers reichs
im dritten jare.
DOriginal-Pergament. — Majeftätsfiegel in Holzfapfel ar geflod:
tenen grünen und rothen feidenen Strängen fehr gut erhalten.
12,
1495, Auguft 11. Worms. König Maximilian beftätigt die Pri-
vilegien etc. der Stadt Fimburg.
Geben in unser und des heiligen reichs stat Worms, am
eylften tag des monats Augusti, nach Christi gepurt viertze-
benhundert und im funfundnewntzigisten, unserr reiche des
Romischen im zehenden und des Hungrischen im sechsten
aren.
Driginal-Pergament. — Wappenfiegel an blausweißsrothen ge
flochtenen feidenen Strängen zerbrocden.
13.
1510, Mai 15. Augsburg. Raifer Maximilian erklärt, da der
dem Sandgrafen von Yeffen bewilliate Weinzoll den Dedant, das
Bapitel, die Bürgermeifter, den Bat und die Bürger zu Limburg
nicht bindet, und bedroht die Hebertreter mit kaiferlidier Angnadt,
Strafe und einer Buße von 20 Mark lotigen Goldes.
Geben in unnser und des heiligen reichs stat Augspurg
am funnffzehenden tag des monats May, nach Cristi gepurde
funnffzehenn hunndert und im zehennden, unnserr reiche des
Romischen im funnffundzwannzigisten unnd des Hunngrischen
im ainundzwannzigisten jaren.
DOriginal-Pergament. — Wappenfiegel an Pergamentftreifen gut
erhalten.
Die Thronfolge im deutichen Reiche
bis zur Mitte des elften Jahrhunderts,
Don
Iulins Harttung.
Bei den Nordgermanen bedeutet das Wort ‘konungr’ urjprüng«
ih wohl nicht8 weiter als „Jemand von Gefchleht“ !. Wer zu einen
„Seihhlechtigen“ ?, zum Könige, gemacht wurde, erwarb diefe Bevor-
zugung nicht nur für fih, ſondern auch für feine Nachkommen, die
nımmehr die stirps (gens) regia bildeten. Solche stirps wird fchon
nad) dem Tode Armins erwähnt; fie läßt fich nachweiſen bei Skan—
dinaviern und Gothen, bei Vandalen, Burgundern, Yangobarden und
Stanfen, und aud die bairischen Aigilolfinger find dahin gehörig.
Das Königthum ftand ihr in der Weije zu, daß fie in ihrer Ge-
jammtheit das Necht, das Einzelglied den Anſpruch darauf hatte. Die
Wahl des Volkes erhob das jus ad rem zum jus in re, übertrug
die fönigliche Gewalt °; da fich diefelbe aber innerhalb der Familie
halten mußte, fo war fie nicht eine freie Wahl im weiteften Sinne,
fondern eine beſchränkte Auswählung aus gegebener Zahl‘. Der
! Konungr weift denfelben Stamm auf, wie kona, das Weib, in erfter
Linie das verheirathete Weib, die Gattin; das Wort dürfte alfo genau genom⸗
men: der von einer rechtmäßigen Gattin Stammende bedeuten, was für bie
Stellung der Frau in der älteften nordifch = germanifchen Volksanſchauung fehr
bezeichnend wäre, da der Pateiner bekanntlich anders dachte, als er das Wort
patricius, das Baterfind, bildete. Leber die fchmwierige Frage vergl. namentlich)
Taylor, The glory of regality ©. 5 (entichieden falſch), Hildebrand, in
Grimme deutſchem Vörterbug V, 1691 ff. (abweichend), Lexer, Handwörterb.
I, 8.1774. Was Kemble, The Saxons in England I, S. 168, jagt: The
Anglosaxon cyning is a direct derivative from the adjective cyne,
generosus, and this again from cyn, genus (fügen wir nod Hinzu yown,
die Fran), dedt fi dem Sinne nad) völlig mit dem oben Angeführten.
2 Der allgemeine Begriff wird prägnant, wie 3. B. auch das englifche
queen urſprünglich nit „Königin“, fondern nur „Frau“ bedeutet (Qappenberg,
Geſch. v. England S. 564, vergl. J. Selden, Tituli Honorum &, 117, und
das dänische „Kone”). — Das fpanifche infant und das frarzöfiiche enfant (de °
— in der Bedeutung von „Thronfolger“ mag gleichfalls herbeigezogen
werden.
Bezeichnend find die Worte: sta et retine locum ... . hereditario
jare tibi delegatum per auctoritatem Dei omnipotentis et presentem
traditionem nostram, welche fi ſchon in der alten angelſächſiſchen Krönunge:
formel finden, Taylor, Glory ©. 402. Waitz, Krönungsformeln &. 43; nicht
minder bezeichnend ift auch die bei Schriftftellern fich findende Phrafe: heredi-
taria successione eligere; Taylor I, &. 23 Anm. 36; LL. I, ©. 141 8.5.
* Berge. Phillips, Die deutſche Königswahl, in den Situngsberichten der
Raif. Academie der Wiffenich. zu Wien 1857, ©. 374. Bei den Papftwahlen
9%
132
Sitte nad fiel fie durchgehends auf den zunächſt Verwandten, d. 5.
auf den älteften Sohn des letten Königs, fofern er herrichaftsfähig
(idoneus) war!. Den Begriff der Herrichaftsfähigfeit ergaben die
Grundfunctionen des KönigthHums: das oberfte Nichter- und Heer
führeramt. Wer ihnen nicht vorstehen konnte war regierungsunfähig:
Meiber mithin, Geiftlihe, Krüppel, Unzurechnungsfähige ? und an der
Ehre nicht Volllommene. Der Wahlact fennzeichnete den Gewählten
als VBertrauensmann des Volkes; rechtfertigte er dieſes Vertrauen nicht,
d. h. regierte der König ſchlecht, jo vernichtete er damit das Weien
feiner Stellung, und beim Volfe lag e8, ihn feiner Würde zu ent:
jegen, auf das Wahlrecht zurüdzugreifen und einen regierungsfähigeren
(aptiorem, meliorem) an Stelle de8 ‘non idoneus’ zu erheben®;
natürlich aus der stirps regia, wenn fie einen qualificirten enthielt®,
bedeutet eligere oft nicht mehr als „zuftimmen“ (Zoepfl, Bapftwahlen S. 149.
71). Auch legere findet fid.
ı In Norwegen, wo die Kirche erft ſpät zur Macht kam, erhielten fid die
altgermanijchen Rechtsbegriffe am längften. Der Gülapingsleg zufolge, in
der diefelben zuerft mit den jungen Forderungen des Episcopats verquidt find,
foll derjenige König fein, welcher (ältefter) ehelich geborner (bis dahin hatte man
feinen fonderlihen Auſtoß an der ehelichen Geburt genommen) Eohn eines nor
wegiſchen Königs ift, ausgenommen, er leide an Bösartigkeit oder Mangel an
Berftand, dann foll derjenige unter den Brüdern, oder, wenn deren feine leben,
der zumächft Erbberechtigte König werden, weldher den Biihöfen und einem Aus—
ſchuſſe weifer Männer am geeignetften erjcheint. Zorn, Staat und Kirche in
Norwegen ©. 104.
2Zunächſt die dauernde und unabänderliche (vergl. 3. B. Sachſenſp. II,
54, 3); doch fam zu Zeiten aud temporäre Unzuredinungsfähigkeit in Betradit,
3. B. Unmündigkeit, wofür die langobardiſche Geſchichte einen intereffanten Fall
bietet. Als Kleph mit Hinterlaffung des unmündigen Authari geftorben war,
wurde das Reich 10 Jahre lang nur von Herzögen verwaltet, dann erft erlangte
ber nunmehr erwachſene Authari, nah gemeinſamem Beſchluſſe, die Würde feine
Vaters. Paulus diacon. II, 31, 32. III, 16. 30. Zur Sade Wait, Berig.
III, 241; Kraut, Die Vormundihaft S. 130. Ueber das Erforderniß der
Tauglichkeit im norwegischen Reiche vergl. auch Dahlmann, Geſch. v. Dänemart
U, ©. 151. 356, aus fpäterer Zeit, wo das Erbrecht längft in den Vordergrund
getreten war.
3 Kemble, Saxons II, 219 fifth canon: The witan had the power
to depose the king, if his government was not conducted for the be-
nefit of the people (Stubbs, Constitutional History of England |,
S. 136 Anm. 4); wozu fehr gut Sachſenſpiegel, Landredht III, 54, 4 (Ho—
meyer B. I, ©. 229) paft: ne mach deme koninge neman an sin lif
spreken, ime ne si dat rike vore mit ordelen verdelt. ©. 134
Anm, 2). Ueber die Sache: Löher, Das Nechtsverfahren bei König Wen—
zels Abſetzung, im Münchener Hift. Jahrb. 1865 ©. 8. Rechtmäßige, bezw.
als rechtmäßig ausgegebene Abfegungen von Königen finden fich bei den ver-
fchiedenften germanischen Bölkern. Auch zum Tage von Forchheim wurde
Heinrich IV. als zu einer Gerichtefitung berufen. Lambert, Annales 1077.
Vergl. noch Waitz, Berig. III, 242. 243.
* Ademar I, 54 (SS. IV, S. 114) fagt bei der Erhebung PBippins: Qui
(Hildericus) vecors erat, sicut et frater ejus fuerat (Theodericus), se
meliorem illo Franci non poterant invenire de prole regali.
(Berge, Waitz, Berfg. II, ©. 68 Anm. 1); dazu Thietmar, chron. I, cap. 10.
133
As das Königthum aus den Stürmen der Völkerwanderung ges
fräftigt hervorgegangen war, wurde e8 demjelben vielfach, möglich, das
ihm unbequeme Wahlrecht des Volkes bei Seite zu ſchieben. Am
fräbeften geichah dies bei den Vandalen, deren älteftes Hausgeſetz die
Erblichfeit nach dem Seniorat feitfegte. Anderswo drang der Einheits-
gedanfe des Staats nicht in gleicher Weife gegen das Familienrecht
durh, jo zumal bei den Franken, die ung zunächſt angehen. Bei
ihnen galt, feit Chlodovechs mächtigem Emporfommen, in der Regie—
rungsnachfolge das Privaterbrecht, über welches die Meinungen aus—
einander gehen; nad) der einen konnten Weiber überhaupt feine “terra
salica’ erben, nad) der andern wurden fie durch den Mannesjtamın
ganz ausgeichloffen, nach der dritten geichah dies nur durd) erbfähige
Männer derjelben Stufe. Königsgut und Reichsgut fiel zufammen ;
wie die Scholfe, welche der Pflug des Bauern durchfurchte, jo wurde
das Reich der Franken ein theilbares „Erbe“, was wieder zur folge
hatte, daf der Franke feine Königstreue mehr der Dynaftie zumandte
als der Berfon, welche gerade in einem willfürlich abgegrenzten Ge—
biete die Herrfchaft führte. Diefe Hinneigung zum regierenden Haufe
erflärt e$, daß die Franken fo beifpiellos zähe an demfelben feithalten
tonnten, als fich Schon längſt die Individuen, welche ihm entjtammten,
umvirdig gezeigt hatten und die Fräftigen Karolinger eigentliche Ge—
bieter geworden waren. Mehr als ein Jahrhundert hat fich dies
Dilemma zwifchen einer thatfächlich unfähigen, aber ausfchlieglich be—
rehtigten und einer herrſchensfähigen, aber nicht berechtigten Farnilie
dingeihleppt ; es hat einer geradezu planmäßigen Entwöhnung des
dolles vom merovingiſchen Königthume bedurft, ehe Pippin wagen
honute, dem Gewordenen den Stempel der Berechtigung, der Sache
den Namen beizufügen, und wahrſcheinlich unter Einwirkung angelſäch—
fer Verhältniffe und Anfchauungen ift es geichehen ®.
Die Sigebert von Weiler wegen Ungerechtigkeit auf regulärem
Wege der Herrſchaft verluftig gina, fo Childebert feines Unwerthes
halber; beides find Vorgänge, die fich durchaus innerhalb der Rechts—
begriffe halten, dem letteren wurde noch dadurd) eine bejondere
‚ * Lex Sal. LIX, 4. Auf die viel ventilirte Streitfrage einzugehen, ift
Sier nicht der Drt. Die Stellen und Litteratur bei Gengler, Lehrbuch des deutſch.
Privatrechts II, 1302; dazu Amira, Erbenfolge S. 1f., 12 ff. 222 u. a. DO,
Sadienip. I, 17, 3: De Suave mach von wif halven nen erve nemen,
wenne de wif in ereme slechte alle ervelos sin. Zur Sade Warnlönig
and Stein, Franz. Reichs» und Nechtsgeih. II, S. 436. Auch das alte nor«
weiche Landrecht kennt noch fein Erbrecht der Tochter, wenn Söhne da find,
Imann II, S. 347.
ee Im achten Jahrhundert endete, unter 15 Northumbriichen Königen, die
Fegierung von wenigftens 13 auf außerordentlichem Wege, mehrere wurden ge⸗
Goren, wenigſtens einer (und einer von Weſſer) regulär abgeſetzt (Stubbe,
Const. Hist. I, S. 136 f.). Auch das Hervortreten der damals eben von dem
Ingelfachien Bonifaz regenerirten Geiftlichleit und des Papſtes weiſt in diefelbe
Rihtung. Die Einwirkungen der Angelſachſen auf den Eontinent zeigen ſich
ich auch in deu Krönumgsformeln,
134
rg gegeben, daß er unter Beirat des Nachfolgers Petri vor ſich
” mit der Anerkennung Pippins als Herricher durch das Voll,
der Salbung durd die Biichöfe, war der Arnulfinger an die Stelle
des Merovingers getreten, feine Nachkommen bildeten nunmehr die
stirps regia, waren die einzig Thronberechtigten, ſein Privatredit,
das ripuarifche, wurde zum Königsrechte, und ihm zufolge waren
Frauen, bezw. deren männliche Descendenz nicht ausgefchloffen, ſondern
hatten nur vor dem ‘virilis sexus’ zurüdzuftehen (L. Rip. LVI, 4,
vgl. unten S. 142 Anm. 2)!. Machte ſich der Einfluß einer reich und
mächtig gewordenen Kirche bei dem Uebergange der Herrichaft geltend,
fo verlieh auch deren Oberhaupt, Papft Stephan, dem Greigniffe jei-
nen Abſchluß, indem er den König ſammt feiner Gemahlin nochmals,
daneben ihre Söhne, feierlich falbte und die Großen des Reiches unter
Androhung des Barnes in Pflicht nahm: niemals in aller Zukunft
aus einem anderen als dem jett erhöhten Geſchlechte einen König
zu wählen. Der Sache nad) enthielt dies nichts weiter, al& eine Un:
terftellung des altgültigen Rechtes unter geiftlihe Schußgewalt. Die
Erblichkeit ift da8 Erſte und Urfprüngliche, das durd) alles Andere,
durh Weihe und Wahl, nur Bejtätigung erhielt (Waig, Verfg. II,
234), und wenn in der Folgezeit, unter ungünftigen Berhältniffen,
auch diefe beiden Momente mehr hervortraten, fo follte erfteres doch
Jahrhunderte Hindurh von durchſchlagender Wichtigkeit bleiben. —
Dies im Einzelnen darzulegen, ift der Zwed der folgenden Abhandlung.
Das Dit - Franfenreih, auf dem das deutjche beruhte, war ein
Theil der Monarchie Karls des Großen und behielt fomit die hier
gültig gewefenen Normen bei: es bildete ein theilbares Erbreich; —
verdanfte es doc dieſem Principe feine Entftehung! Ausschließlich
von dem Thronrechte des Gefchlechtes getragen, konnte Karl III, bei
denkbar geringften Fähigkeiten, in einer jchweren Zeit, vom Könige
der Alemannen zum Beherrſcher des farolingiichen Reiches aufiteigen.
Im Laufe des Jahres 887 trat unwiderleglih zu Tage, daß
Karl frank an Körper und Geift, mithin regierungsunfähig fei, wo—
durch meben den Zwang der Noth die Berechtigung trat, ihm durd
einen Anderen zu erjegen?. Als Nachfolger aus königlichem Haufe
famen in Betracht: Karl (der Einfältige), des weſtfränkiſchen Ludwig
de8 Stammlers Sohn, der noch unmündig war, Bernhard, der na=
türlihe Sohn Karls III, für den das Gleiche gilt, und Arnulf, ein
uneheliher Sohn Karlmanns. Diefer, im Oft-Frankenreiche anfäflig,
war der einzige regierungsfähige Karolinger. Demnach wurde er
2 Doc mwohl zır beachten bleibt da8 Bemühen, neben der Legitimation des
Haufes durch Heilige, es vermittel® weiblicher Verwandtſchaft an das der Me
rovinger tnüpfen (Waitz, Verfg. III, ©. 69).
Vergl. oben S. 132 Anm, 3; aud) Annal. Fuld. 853: Aquitanorum
legati Hludowicum regem celebris supplicationibus sollicitant, ut aut
ipse —— eos regnum susciperet, aut fililum suum mitteret, qui eos
a Karoli regis tyrannide liberaret (vergl. noch a. 854).
135
denn, aus dem einft fo zahlreichen Herrfchergefchlechte, als allein taug-
(ih (solus idoneus) befunden, das Scepter des Frankenreichs zu
übernehmen (Regino 800). Arnulfs Mutter jtammte aus fehr vor—
nehmer Samilie !, und für die Anſchauung der Zeit ift e8 bezeichnend,
daß gerade der Ganonift Regino feinen Anftoß an feiner Geburt
mimmt?, von ihm als dem natürlichen Herrn des Geſammtfranken—
I Den Hösfuld läßt die Sage zu feinen echtgebornen Söhnen reden: „To
werdet ihr, hoffe ih), mir nicht das Recht nehmen, meinem Sohn Olaf, der
mütterlicherfeits von großedler Abkunft ift (storettad) 12 Unzen zu geben“,
Wilda in Zeitihr. für deutih. Recht XV, ©. 256. Ueber den Hornung und
Kifung und den Thyboren Sohn (Sohn einer Sclavin) ibid. 242.
* Diümmler, Geh. des Oftfr. Reichs II, S. 304: „Arnulfs Erbredt,
hinfällig, fobald ein befjeres gegenüber trat, galt, weil nur auf ihn die Hoffnung
auf eine Fortiegung des Haufes Ludwigs des Deutichen ſich gründen ließ“; vergl.
245 und Wait, Berfg. III, S. 243; V, &. 23 f. — Ueber die unehelich Gebornen jagt
Waitz, Berfg. II, S.240: — „Im allgemeinen ward zur Nachfolge Geburt aus
rechtmäßiger von der Kirche anerkannter Ehe gefordert, doch ift diefer Grundſatz
nicht zu ganz ficherer Geltung gelangt”. In den älteften flandinaviichen Rechten
und auch im langobardifchen Volksrechte — die hier, wie immer, nicht als Be—
weiſe, Sondern nur zur Bergleichung dienen follen — nehmen die unecht Gebo—
tenen als Verwandte eine fubfidiäre Stellung hinter den legitimen Blutsfreunden
en, ohne im ihrer ftaat&bürgerlichen Vollberechtigung beichränkt zu fein. Rive
in Reitihr. für Rechtsgeſch. III, S. 212; Wilda in Zeitichr. für deutſch. Recht
X, S. 254. Jene fubfidiäre Stellung iſt in den verfchiedenen Bolksrechten
ſcht verichieden normirt. Nach dem Jütiſchen Geſetz z. B. erhält das unechte
Kind die Hälfte der Erbportion eines echten, find feine echten Kinder da,
fo nehmen fie das ganze Erbe (Milda, Zeitfchr. XV, S.273). Bei den
engobarden erhielten fie, wenn echte Kinder lebten, einen halben Sohnes Theil
x, Wilda ©. 282. Die unehelichen Kinder Lonnten die vollen Rechte ehelich
geborner erlangen durch Aufnahme in das Geſchlecht, Wilda S. 279; Rive
€. 229; Amira ©. 20. 218. Zumal ift die Thronfolgeordnung König Magnus
Lagabätirs für uns intereffant, in derjelben ſteht an fechfter Stelle des Königs
Vaterbrudersſohn, an fiebenter der ımebeliche Sohn des Königs, erft an achter
des Königs ehelicher Tochterſohn. Dahlmann II, ©. 356. Wie e8 denn in
Norwegen bis ins 13. Jahrh. vortommt, daß uneheliche Söhne den Thron be-
feigen. — Mit Ausnahme des langobardiichen Rechtes enthalten unfere deutichen
Vollsrechte nichts über die rechtliche Stellung unehelicher Kinder, Wilda 281,
und auh in den Decretalen Burchards von Worms ſuchen wir vergeblich da-
nah, wenn wir nicht etwa Lib. IV, wo vornehmlich; von den Taufen gehandelt
wird, cap. 26 hieher ziehen wollen: et ut scoenicis atque hystrionibus,
eaeterisque hujusmodi personis reconciliatio non negetur; vergl. unten
Sachſenſpiegel. Doch kann in deutfchen Landen die Gleichftellung unechter Kinder
mit echten nicht fo gar felten geweſen fein, woraus folgt, daß man fie nicht für
rechtlos anſah. Wilda S. 287; Rive ©. 214. 229. Ueber uneheliche Kinder,
die zu Würden gelangten vergl. Waitz, Verfg. III, S. 240; wie Dttos I. echter
Bruder Brun Erzbiihof von Köln wurde, fo fein unechter Sohn Wilhelm Erz-
biihof von Mainz; von König Friedrichs Söhnen, aud den unehelichen, ift
feiner al einem Fürften nachftehend zu erweilen, Fider, Vom Neichsfürftenft.
€. 25. Bergl. auch die auf demtichen Urſprung zurücgehende Wilfina Saga,
cap. 49. Bei den Angelſachſen finden wir fogar wiederholt, wie unmündige
Thronerben einem erwachfenen unchefichen Eproß der königlichen Familie nad)»
fehen müſſen. Erft die Einwirkung der Kirche brachte jene tiefe Umwand—
hung in der Rechtsanſchauung zu Wege, wie wir fie im Sachſenſpiegel finden;
dort heißt es ausdrücklich III, 54, 3: De koning scal sin echt unde vri
geboren; nunmehr find uneheliche Kinder vechtlos, I, 37, 2; fie haben keinen
136
reiches redet (a. 888). Kraft feiner Geburt wird Arnulf eine
Dbergewalt über die Könige, welche in anderen Theilen des Reiches
erhoben waren, beansprucht Haben (Waitz, Verfg. V, 31. 87 f.).
Nach feiner wie nad) Reginos Auffaffung ift im Jahre 837 nur ein
Perſonenwechſel eingetreten, nichtS weiter. Bei dem Fulder Annaliften
tritt die Gewaltfamfeit des Actes mehr hervor. Karl ILL. Hat ihn
natürlich nur al8 unberechtigte Ufurpation angefehen, ſich aber darin
al8 in Unabänderliches gefügt, ja ihn fogar öffentlich anerfannt, in
dem er feinen Sohn mit Geſchenken an Arnulf fandte und ſich Yand-
güter von ihm anweifen ließ (vergl. Ann. Hildesh. 887: subieit
se... Arnulfo). Die Anerkennung und Huldigung der Großen
fanctionirte den Wegierungsantritt des neuen Königs. Ueberhaupt
fommen dieſe beiden Factoren, die fajt erdrüct waren, von jett an
wieder zur Geltung, was ſich aus der großen, im Franfenreiche vor
fich gegangenen Umwälzung erklärt: aus gehorfamen Beamten und unter:
thänigen Grundherren hatte ſich eine machtbewußte Kirche und eine eigenwil⸗
(ige Laienariftofratie herausgebildet, welche neben das Erbrecht des Ge-
ſchlechts das Wahlrecht nad) altgermanifcher Weife zu ftellen vermochte.
Ehelihe Kinder hatte Arnulf nicht, wohl aber waren ihm von
Beifchläferinnen zwei Söhne geboren, denen er, in Ermangelung er:
fterer, nad Gefeg und Herfommen feine Verlaſſenſchaft (hereditas),
wozu er ficherlih die Neichsregierung vechnete, zumenden konnte
(Wilda, Zeitfchr. für deutſches Recht XV, 287). Im diefer Abficht
berief er einen Reichstag, auf dem der Antrag gejtellt wurde, die
Großen follten ſich eidlich verpflichten, fid) nicht dem Principate oder
der Herrſchaft ſeiner zwei natürlichen Söhne Zwentibold und Ratolf
zu entziehen?. Es iſt für die Rechtsanſchauung äußerſt bezeichnend,
wie dieſer Vorſchlag allſeitig unter der Bedingung angenommen wurde,
Vormund, I, 48,1; man ſetzt fie beinahe mit Räubern in eine Linie, I, 50, 3.
Confequent war e8 demnach auch, daß fich Karl III. wegen der Nachfolge feines
unehelihen Sohnes Bernhard an den Bapft wandte, Dümmler II, ©. 247, 248.
Ueber die fchroffe Auffaffung in Frankreich vergl. Warnlönig und Stein, R
und Rechtsg. II, ©. 172,
1 Schulze, in der Zeitfchrift für Nechtegeih. VII, 1868, S. 392 Anm.
179, dürfte diefe Stelle zu fehr vom Standpunfte des modernen Yuriften auf
fafjen. Regino 887 nennt Arnulf einfah filius Carlomanni, während er
3. B. von Bernhard fagt, fillus, quem ex pellice susceperat, ibid; bgl.
Regino 880 und Erchamberti cont. (SS. II, 330); Asser, Monum. hist.
Brit. I, 491. — Philipp von Schwaben jchreibt an Innocenz III.: quia de
jure naturali et legali ad hoc tenebamur. Mon. Germ. LL. IV,
©. 210. In Florentii Wigorn. chron. (ed. Thorpe I, &. 169) heißt es
unter dem Sabre 1014: at majores natu .. ad regem Aegelredum ...
nuntios . . . misere, dicentes, se nullum plus amare vel amaturos esse
quam suum naturalem dominum, was im directen Gegenfatze zu dem
Ufurpator Knut gemeint iſt. Auch die Sachſenchronik, an. 1066, ſpricht von
dem „wahren natürlichen Rechte” Eadgars bes Kindes, dem Eroberer Wilhelm
gegenüber. Noch entichiedener hat Schulze die Stelle Folluins misverſtanden,
die im Zuſammenhange gelefen werden muß.
2 Biehen wir das feit Jahrhunderten gültige Herlommen in Ermägumg,
fo können wir faum an etwas Anderes als an eine Neichstheilung denken.
137
daß Dta ihren föniglichen Gemahl nicht noch mit einem Knaben bes
Scene".
Yudwig wurde geboren, und alle Zweifel fchienen gelöft; doch da
der König Niemand traute, ließ er fich noc) einmal und auch feinem
Keinen Sohne Huldigen. Derjelbe war erjt ſechs Jahre alt, als be-
reits der Vater ſtarb. Kraft umnbeftreitbaren Rechtes ftand ihm die
Thronfolge zu, aber ein anderes Hinderniß fam in Betracht: feine
Unmündigfeit, und zwar um jo mehr, als in König Zwentibold von
Yothringen ein erwachlener Sohn Arnulfs am Leben (vergl. Ann. Fuld.
an. 900, init.) und die Zeit durchaus danach) angethan war, das
Scepter in der Hand eines Mannes zu winjchen, der auch das
Schwert zu führen vermochte. Nichts deſto weniger fiegte die Legiti=
mität. Der thatfächlich Regierungsunfähige wurde zu Forchheim als
Herriher anerkannt und mit der Krone und Föniglichen Gewändern
geſchmückt auf den väterlichen Thron gejett , — Auch Ludwig jtarb
finderlo8, nachdem ihm bereits Zwentibold und wahrjceinlich aud)
Ratold vorangegangen waren.
Im Weiten beftand noch die von Karl dem Kahlen begründete
tarofingiiche Linie, welcher rechtlich nunmehr der nächſte Anſpruch auf
die Krone des ojtfränfischen Neiches zufam, und daß dem fo fei,
wußte jie (vergl. Richer I, Cap. 14, 20—24 u. N. Schulze S. 393).
Ir Repräfentant war Karl, den man den Einfältigen zubenannt hat,
ein kraft und wmachtlofer Fürſt, von großen Anfprücen und ges
ringer Fähigkeit. Gab dies ſchon zu Bedenken Anlaß, die feiner Er—
bebung im Wege ftanden, jo nicht minder der Gegenſatz zwifchen
deutih und romaniſch Redenden?; denn fchon für damalige Zeit*
ı Im fchonifchen Rechte Heißt e8 (Sk. L. I, 14): „Hat ein Mann un«
ehte Kinder und will er ihnen Alles zuwenden, was er Hinterläßt, fo gehe er
zum Zing, kündige es und laſſe e8 ihnen auf; dann nehmen fie Alles, was er
hinterläßt, fie möchten entweder in der Were oder außerhalb derfelben fein. Be—
fommt der Bater aber nachmals noch echte Kinder, nachdem er e8 beim Ting
gefündigt hat, fo erhalten die unechten Kinder nicht mehr als einen halben Anz
teil, im Verhältniß zu den echten Kindern“,
2 Mehr fteht nicht bei Regino, und feine Duelle weiß von einer Salbung.
Bir werden e8 hier mit einem Acte, ähnlich jener jpäteren feierlichen Inthros
nation in Aachen (Waits, Berfg. VI, S. 158) zu thun haben. Andere Wait,
Brig. V, S. 32. Nehmen wir mit diefem (ibid. Anm. 2) den Brief Hattos als
nicht ganz werthlos an, fo giebt uns derfelbe für unfere Auffaffung die Folie:
man erhebt Ludwig, quamvis parvissimus, obgleich dem feine Jugend im
Eege fteht, um das Recht des Herfommens zu wahren und keine Neuerung ein—
zuführen. Berge. Richer I, 12, wo Karl der Einfältige fich befchwert, daß er
hen das fünfzehnte Jahr erreicht habe und noch ein Anderer die Krone trage.
® Dümmler, Geſch. d. oftir. Reichs II, S. 571. Wider I, 20: Cui rei
cum admodum intenderet, Germanorum Gallorumque juvenes lingua-
ram idiomate offensi, ut eorum mos est, cum multa animositate ma-
ledietis sese lacessere coeperunt.
* Doch darf man in ftreng juriftifcher Folgerichtigkeit nicht jo weit gehen
w Sagen: Karl fer al8 Fremder für unfähig zum Richteramt und deshalb zur
Vaigewürde angefehen, indem nah dem Sachſenſpiegel III, 52, 1 fogar zur
Königsmwahl feine Nicht-Deutichen zugelaffen wurden, Noch im 11. Jahrhundert
beftand jene Auffaſſung des Sachſeuſp. nicht zu Recht, noch im 13. wurden
138
darf man dem fpäteren Worte Thietmars ein gewiſſes Gewicht nicht
abiprechen, daß es der größte Verderb fei, wen Fremde ans Ruder
kämen (Thietmar, Chron. I, 10). — Demnad) blieb der Karolinger
unberückſichtigt; doch nicht alſo die farolingische Verwandtichaft von
weiblicher Seite, weder die Yindolfinger ! noch die Konradiner, die
hieher gehören.
Viele Feinde bedrohten da8 Reich. Dtto, das Haupt der Yindol-
finger, war entſchieden mächtiger und weniger beneidet als der frän-
fiiche Konrad, und es lag fomit nahe ihn zuerft für die Krone auf-
zuerfehen, was denn auch nach Widukind geichehen ift?. Dod er
war alt umd verzichtete zu Gunften des Frankenherzogs, der in Forch—
Alfons von Aragon und Richard von Cornwallis zu deutichen Königen erhoben
und der Idee nad war Oft: und Weftfranten im 9. Jahrhundert noch Ein Reid.
ı Auf die Stammbaumconftructionen H. Böttgers (Die Brimonen ©.
343 f.) ift bier fo wenig, wie auf viele feiner anderen zu geben. — Durd die
gediegene Unterſuchung von Waitz (Jahrb. des deutſch. Reichs unter Heinrich L,
Ercurs IS. 185— 194) ıft die Verwandtichaft der Efbertiner mit den Karo-
lingern außer Zweifel gerüdt (S. 189), mit welchen erfteren wieder die Lindel:
finger, wenn auch wahricheinfich nur von weiblicher Seite, verwandt find. Der
Umftand, daf die Stiftung Efberts ſich fpäter in Liudolfs Händen befindet, läßt
vermuthen, daß feine Söhne erblos geftorben und fo das Beſitzthum der Fa—
milie — folglid) audy deren Rechtsauſprüche — auf Lindolf übergingen (vergl,
©. 192. 193). Das Berhältnif zu den Karolingern wurde dann durch die
Kinder Liudolfs noch enger geknüpft, indem deſſen Tochter Findgarde mit Ludwig
dem Jüngeren vermählt wurde und einer feiner Söhne eine Enkelin von Kö—
nigen, d. h. eine Tochter aus karolingiſchem Geichlechte, zum Weibe hatte (Agius,
Vita Hathum. SS. IV, S. 167). Leider läßt ſich micht ficher feftftellen, ob
wir Brun oder Dtto al8 den betreffenden Sohn anzusehen haben. (Für bie
Frage find heranzuziehen die lirf. Harenberg, Hist. ecel. Gandersh. Diplom.
&.63—65. Wüßten wir fiher, in welchem Jahre die Vita Hathum. gefchrieben
ift, fo könnte das Präfens in der oben citirten Stelle ausgiebig werden). Gani
unbeadhtet darf auch nicht Richer I, 14 bleiben: Ubi etiam Heinricum
regio genere inclitum, ac inde oriundum, ducem omnibus
praefecit. Derfelbe Gedante wird bei Adalbold, Vita Heinr. cap. 5, näber
auegeführt: omnibus placuit, ut de ducatu transduceretur ad regnum
(Heivricus Il.), de vexillo extolleretur in solium hereditarium, Here-
ditarium dieimus, quia audivimus a Karolo Magno ex parte patris
decimam septimam, ex parte matris decimam sextam lineam propa-
gationis tenebat. Daß Konrad I. dem farolingifchen Haufe durch Verwandt.
haft nahe ftand, bedarf feiner Erwähnung mehr. Wait, Verfg. V, ©. 59.
Auch das Anreht Svend Eſtrithſons auf den dänischen Thron ging allein vom
Weiberftamme aus, während Harald der Harte von der Schwertfeite ftammte;
wie denn auch in Norwegen Magnus V., der Sohn einer Tochter Sigurd Jor—
falafars, den männlicherfeits von Harald Schönhaar abftammenden Hakon Her-
dabreid verdrängt. Dahlmann, II, S. 147. 149. 163. Das Chron. Laur.
fagt von den Etaufern: a quo (Cunrado II.), ut ajunt, processit adhuc
permanens imperialis prosapia. SS. XXI, ©. 406.
® Die Nachricht bei Widufind wird befanntlich vielfach angezweifelt, vergl.
Waitz, Heinrih J. S. 195—198. Dümmler, Geh. des ofifr. Re. II, ©.
571 Anm.3. Waitz, Verfg.V, S. 58. Widukind I, 16 hat: omnis populus
Francorum atque Saxonum quaerebat Oddoni diadema imponere regnl,
was, wie fo oft, „die Deutſchen“ heißt, und Thietmar ſetzt auch richtig an die
betreffende Stelle: omnes regni principes.
139
heim zum Könige erhoben und als folcher von geiftlicher Hand gefalbt
wurde, Dies legtere ijt ein Act, der — fo weit wir ſehen — nod)
on feinem der früheren oftfränfifchen Könige vollzogen wurde. Der
Grund für eine derartige Neuerung liegt nahe: die Vorgänger Kon—
res ftammten aus der männlichen Descendenz Karls des Großen,
waren Rarolinger; nunmehr fam ein neues Geſchlecht, das der Kon—
radiner, zur Herrichaft, welches, ebenfo wie einft das Arnulfingifche,
zweddienlich fand, fi durd die Weihe von Prieiterhand noch eine
befondere Sanction geben zu laffen. Dürfte e8 unmaßgeblich erfcheinen,
daß Konrad an der Spite des fränkischen Stammes ftand, fo iſt es
andererjeit8 durchaus bezeichnend — nicht etwa befremdlich (Diimmler,
Ditfr. R. II, 572) —, daß beim Uebergange der Krone auf den
sranfen des Baiernherzogs gar feine Erwähnung gefchieht, obwohl
fin Stamm feit Qudwig dem Deutichen ein hervorragendes Anfehen
behauptet hatte; es ergiebt fi) aus dem Umſtande, daß er feine ka—
rolingiihe Berwandtichaft in gleicher Weife geltend machen konnte ?,
Mit dem Emporfommen Konrads follte ein Verluft für Deutiche
fand verbunden fein: Lothringen, das alte fränfifhe Stammland,
welhes in manchen Beziehungen dem Weftreiche näher ftand, als den
Vlterichaften,, die rechts vom Rheine anfäfjig waren, mit denen es
au noch micht lange und durch das Schwert verbunden geweſen, hatte
fih auf die Seite der Legitimität, zu Karl IV. gefchlagen.
’ Unfere Auffaffung dedt fid) mit der Rankes, Deutiche Geſchichte I, ©,
13 (vergl. Leibniz, Annal. Imp. II, ©. 246). Es dürfte nid ſchwer in's
Gewicht fallen, daf Konrad die letzten Könige nicht al8 feine Verwandten, fon-
dern nur als feine Borgänger bezeichnet, da wir es mit einer einfach übernom-
menen Formel der königlichen Kanzlei zu thun haben, überdies damals die ur«
kandliche Betonung der VBerwandtihaft nicht in dem Grade üblich gewelen zu
fein" ſcheint als fpäter (vergl. Wait, Berfg. V, S. 59). — Im der deutichen
Geſchichte findet ſich zweimal faft derfelbe Vorgang: Dtto von Sachſen erhält
die Krone angeboten, er verzichtet zu Gunften des finderlofen Konrad. Sener
Kırbt, und zwiſchen feiner Descendenz und Konrad breden Zerwürfniffe aus; als
au diefer vom Tode abgerufen wird, fommt Ottos Descendenz auf dem Thron,
von dem letzten Könige bdefignirt. Ein Jahrhundert fpäter trägt man dem
greifen Dtto von Kärnthen die Herrihaft an, er lehnt ab zu Gunften des kinder:
loſen Heinrih II; er ftirbt, und zwiſchen feiner Descendenz und Heinrich
brechen ebenfalls Zerwürfnifie aus, und gleichfall® gelangt nach dem Tode def-
jelben die Descendenz Ottos zum Throne, wahrſcheinlich defiguirt von Heinrich
(vergl. meine Studien zur Geſch. Konrads II., Bonn 1876, S. 195). Danad)
mödte man faft zu der Annahme neigen, daß jener erfte Verzicht nur für die
verſon des Betreffenden galt; ob es rüdfichtlich feiner Descendenz ganz bedin»
gungslos gefchehen, darf immerhin zweifelhaft bleiben, Wäre es nicht der Fall
geweſen, jo ließen fich trefflicy die erbitterten Kämpfe zwiichen den Konradinern
und Heinrich I., ja, fogar der Anſchlag auf das Leben des Letzteren erflären.
Eberhard war eben Konrads Bruder und regierungsfähig.
° Bergl. bier bie Aeußerung, die Graf Lüder gegen Effehard gethan haben
tl, Thietmar IV, 32. Waitz, Berfg. VI, ©. 125. Was es zu bedeuten
hatte, daß ein Thronbewerber aus königlichem Geichlechte ftammte, zeigt Sigeb.
Cont. Gembl. an. 1138, zu einer Zeit, wo das Rechtsgefühl ſchon unter dem
Drude des Parteitreibens ſtart alterirt war: non ferentes principes Teuto-
nei regni aliquem extraneum a stirpe regia sibi dominari, re-
gem constituunt sibi Conradum virum, regii generis,
140
Die Regierung des Konradiners geftaltete fich wenig glanzvoll,
feine Che blieb finderlos, und es lag demnach nahe, feinen Bruder
Eberhard al8 denjenigen anzufehen, welchem der vornehmfte Anfprud
auf die Thronfolge im Heiche zuftehe‘. Derjelbe war aber beim
Bolfe unbeliebt (Ekkeh. Cas. S. Gall. cap. 3, SS. II, 103) und
es jcheint ihm auch, nad) Konrads eigenem Urtheil, gerade das gefehlt
zu haben, was den wahren König ausmacht: jenes Herrjchertalent,
wodurd das Glück gefejfelt wird. Bei dem jüngeren Bruder Dtto,
der im der Geſchichte umverhältnigmäßig zurücktritt, dürften nod)
größere Bedenken zu erwägen geweſen fein. Zwieſpalt drohte im Reiche
auszubrechen (Cont. Regin. a. 919), da faßte der fterbende König
den Entſchluß, die Succeffionsrechte, welche etwa feine Cognaten bean«
Ipruchen konnten, an die verwandten ? Pindolfinger, deren Stammhalter
mächtig, beliebt und befähigt war, zu übertragen. Er berief feine
Brüder und die Großen der Franken zu ſich und ließ durch fie dem
Sachſenherzoge die Neichsinfignien bringen. Eberhard zeigte fich als
der im den Vordergrund tretende Führer diefer Geſandtſchaft. Als er
dein Bevorzugten die Kleinodien eingehändigt, ſich und all das Sei—
nige ihm tradirt hatte, waren durch diefen ſymboliſchen Act auch feine
Anfprüche auf die Regierung an denfelben übergegangen. Zu Friklar
traten Fürften und Senioren zufammen und vor den Augen der Ans
weſenden defignirte der Franke den Sachſen. Die Berfammlung, dem
Willen der Zunäcjtbetheiligten und den Zeitumftänden Rechnung tra
gend, erkannte Herzog Heinrih durch Acclamation als Herrn umd
König an?, der ſich der Salbung entzog, welche ihm die Geiftlichkeit
1 Fehlte in der Privaterbfolge die erfte Parentel, fo ward das Erbe in
die zweite hinaufgezogen, d.i. 1) die Eltern; waren biefe nicht mehr am Leben,
fo 2) die Geſchwiſter. (Marnlönig und Stein, R. u. Rechtsg. II, ©. 446;
Gengler, Lehrb. d. deutich. Privatrehts II, S. 1314), Solch ein Fall Tiegt
bier vor, denn noch konnte Eberhard den Thron, farolingifcher Tradition gemäß,
vom Privateigen wenig verfchieden erachten. Die gleiche Auffaffung ergiebt fih
aus Widufind, I, 25, wo Konrad zu Eberhard fagt: quod ad te maxime
respicit, Francorum toto regno (da8 ganze oftfränfiiche Reih!) consu-
lito. ®ergl. Ekkeh. Cas. S. Gall. cap. 3, SS. II, &. 103: Chuonradus
Eberhardum . . .. fratrem habens ad regni gubernacula, si sibi su-
perviveret, aspfrantem. Liutprandi Antap. IV, c. 22.
2Heinrich nennt Eberhard feinen propinquus, dilectus consanguineus
noster (Kremer, Orig. Nass. II, ©. 63. 64), ſpricht aber nur bon einem
comes Eberhardus. Dies darf fein Bedenken erregen, da die Bezeichnung für
Männer feiner Art damals noch ſchwankend war, fie hiefen: comes, dux und
marchio; aud werden ihre Machtbefugniſſe umfchrieben, 3.8. bei Hrotsuitha,
De primord. coen. Gand. v.309: Liudolfus suscepit primum propria®
gentis dominatum. Obige Urkunde wird hübſch commentirt durch zwei Gan⸗
dersheimer Diplome (Harenberg, Hist. ecel. Gand. ©. 64. 65), wo es in
dem von Ludwig dem Jüngeren berrührenden heißt: Brun et Otto nostri
fideles comites.. . tradiderunt nobis .. . monasterium . . . qu
Liutolf genitor eorum ... . aedificare coepit. In der Beftätigungsurkunde
Ottos I. hingegen ift die Mede von Liutoltus proavus noster... . dux
Saxonum . filii Otae, duces Brun et Otto adierunt Ludowicum.
° Es if befannt, wie ſich die Sage dieſes Stoffes bemächtigt hat. Pit
141
durh ihren Primas, den Erzbifchof von Mainz, anbot!. Er mochte
om meiften jachgemäße Darftellung dürften der Cont. Reg. 919 und Thietmar
1, 5 geben. Widufind trägt entſchieden die Spuren von Hörenfagen an ſich,
mebr noch Lindprand und Effehard (vergl. Tümmler, Geſch. d. Oftfr. Re. II,
&.613 Anm. 31). Bei dem ausführlichen Widufind, dem man mit Vorliebe zu folgen
pflegt (I, c. 25. 26) geht die Erhebung Heinrichs als ein Act privater Natur,
ausgeführt von Heinrich und Eberhard, vor fi, während die thatiächliche Be:
tbeiligung der Großen, die doch erft da8 jus ad rem zum jus in re machen
leante, ganz wegfällt. Eberbard tradirt fi) Heinrich, die Großen treten in
griglar zujammen, wo E. den H. zum Könige defignirt und der Erzbiichof von
Reinz ihm die Salbımg anbietet, die nicht angenommen wird. Dies gefällt
kr oniversa multitudo und dextris in caelum levatis nomen novi re-
gis cum clamore valido salutantes frequentabant; was dod nur heift:
de Dienge rief dem neuen Könige Heil zu, nicht aber: fie rief ihn zum neuen
Könige aus, was ihr (dem Umſtande!) ja auch gar nicht zufam. Mit anderen
orten, von der eigentlich rechtlich verbindlichen Handlung, die ſich 3. B. bei
der Erhebung Dttos I. im Porticus zutrug, weiß Widulind bier nichts, wir
hören nur von der mebenjählichen Acclamation durch das Volk (vergl. Widuf,
I, 1: Ad haec omnis populus dextras in excelsum levans, cum cla-
more valido inprecati sunt prospera novo duei), und jelbft von der viel-
lacht niht am richtigen Drte.
ı Widuf. I, 26 läßt Heinrich jagen: penes meliores vero nobis
unetio et diadema sit. Bei Thietmar I, 5 finden wir Heinrich zu
Friglar gefrönt und ihn nur die biihöflihe Salbung abweifen. Thietmar
Ihreiht allerdings 50 Jahre jpäter als Widufind, hat aber über Heinrich I. fehr
beaditenewerthe Nachrichten, er intereffirt fich für obige Sache fpeciell, und fein
Beriht dedt ſich in dem Hier in Betracht Kommenden mit dem der Bifton
der heil. Afra, wie fie uns Gerhard in feiner Vita Oudalrici cap. 3 überlie-
fer. Dort heißt e8: Die regi Heinrico, ille ensis qui est sine capulo
significat regem, qui sine benedictione pontificali regnum te-
nebat, capulatus autem, qui benedictione divina regni tenebit
gubernacula. Gerhard ſteht chronologiſch Widulind fehr nahe, Wir wiffen,
dat bei der erften Krönung Ludwigs des Frommen und Lothars feine Salbung
Statt gefunden hat, auch bei Ludwig dem Kinde heißt es nur, daf die Opti«
maten den Gekrönten und mit den Föniglichen Abzeichen Geſchmückten auf den
Thron festen. — In den Documenten, die Wahl Chriftian I. und Karl Knudſens
betreffend, wird nur die Krönung nicht aber die Weihe genannt. Werlauff in
Kongl. dansk. Vid. Selsk. Afh. V, ©. 63 Anm. 1. Erling Statte konnte
fh ansdrüdtih die Salbung feines Sohnes vom Erzbiſchof erbitten (smyria
hann til velldis), Heimskr. III, ©. 435; ja, es ſcheint, als ob die Schotti-
Ihen Könige bis Robert Bruce, d.h. bis zum Jahre 1306, gekrönt worden find, und
zwar theilweife durch die Hand eines Laien, de8 Clans Macduff, nicht aber die
Salbung eınpfingen. Burton, History of Scotland II, S. 23. 241, — In
dem Krönungeformular, welches dem Biſchofe Egbert von Mork zugeichrieben
wird, ift die Betheiligung der Laien an der Krönung noch ſehr weſentlich, 3. B.
überreichen pontifices und principes gemeinſchaftlich das Scepter (Martene,
De antig. eccl. rit II, ©. 214); in einem wahrſcheinlich gleichzeitigen Liede
über die Krönung Athelftans (an. 924) heißt e8 ausdrücklich: conveniunt pro-
teres et componunt diadema (Wilh. Malm. Gesta reg. Angl. ed. Hardy
1, &. 211, vergl. Kemble, Sachſen II, S. 31; ja nod) in Betreff Haralds ifl
8 äufßerft wahricheinlih, daß er fich jelbft die Krone auf das Haupt fette
(an. 1037), da fich die Biſchöfe e8 zu thun weigerten, oder daß es feine Partei»
gänger thaten. Vergl. Encom. Emmae, in Langebeck, SS. rer. Dan. II, ©.
496 mit Roger von Wendov. (ed. Coxe I, ©. 473), Wilh. Malmesb. Gest.
Reg. (Hardy I, ©. 319), Bromton (Twysden, Hist. Angl. SS. I, S. 932).
Ju etwas fpäterer Zeit können wir drei Arten von Krönungen nachweiſen, von
142
ſich durch Verwandtichaft, Defignation, Wahl und durch feine Macht
genugjam legitimirt erachten, um fie entbehren zu können.
Als Heinrih feinem Ende entgegen ging, hatte er drei Söhne,
die Anſpruch auf die Nachfolge erheben durften: Thankmar war der
ältejte, aber mit der Hadeburg gezeugt!, Dtto, der ältefte Sohn der
Mathilde, geboren, als Heinrich noch nicht die Königswürde erlangt
hatte, und Heinrich, der uach diefem Zeitpunfte zur Welt gefommen
war. Dem fränfifchen Rechte zufolge, das für die Ottonen fo gut
wie für ihre Vorgänger, die Karolinger, galt*, hätte jeder der Söhne
einen Theil des Reiches erhalten müſſen. Da nun aber dafjelbe von
fünf Königen ununterbrochen als einheitlicher Staat beherrſcht, dieſe
Negierungsform mithin zur Gewohnheit geworden war, die Geiſtlich—
feit, welche jtet8 für Einheit des Neiches gewefen, ſehr mächtig da—
ftand, und das ganze Staatswejen durch das Emporfommen der
Stammesherzöge fid) umgewandelt hatte, jo durfte Heinrich und wollte
er auch wohl nicht wagen, auf die alte Succeffionsform zurüdzu
denen die eine darin befteht, daß der krönende Prälat dem Betreffenden feierlich
die Krone aufjeßt, ohne ihn zu ſalben; aud in Byzanz find Krönungen ohne
Salbung nicht Selten. Näheres hierüber in meiner „Entwidelungsgefcdichte der
Krönungen“. (Bergl. noch Stubbs, Const. Hist. I, S. 475 Anm. 2). €
möchte mithin wohl zu erwägen fein, ob wir hier nicht den von Widulind ab-
weichenden Berichten zu folgen haben. Bergl. Wait, Heinrich J. S. 40 u
2. Aufl. S. 42. — Ufinger, in Hirſch Iahrb. des deutjchen Reichs unter Hein
rih II, Bd. I, &. 430. 431, fcheint mir Thietmar miszuverftehen.
ı Iſt Thanfmar als legitimer Sohn anzufehen oder nicht? vergl. Köple—
Dümmler, Kaifer Otto der Große S.15. Hrotſuitha kennt Thankınar gar nit,
ebenjo findet er feine Erwähnung bei Widulind I, 31, doch tritt er II, 9. 11
ohne Weiteres als Sohn Heinrichs und Bruder Otto® auf. II, 4 fagt Hein-
rih den Slaven Krieg an, weil fie den Gefandten feines Sohnes Thankmar Gr
walt angethan haben. (Bergl. dagegen II, 9: Thiadboldus, nothus Cobbo-
nis). Selbft Thietmar, der die Eheverhältuifje Heinrichs am ausführlichften be
handelt, läßt die Frage zweifelhaft. Heinrid und Hadeburg haben die Ehe je:
denfalls in allen Formen Nechtens geichloffen und als legitim angefehen, was
fi) daraus ergiebt, daß Heinrid dem Sprößling aus diefer Ehe den Namen
feines älteren Bruders beilegte und er die Güter der Hadeburg als ſich zugehörig
betradhtete. Erft als fein Sinn fi der Mathilde zumandte, erklärte er die Ehe
für umerlaubt, es war die® ja der einzige Weg, auf dem er zu der neuen Ge—
liebten gelangen konnte. Thanlmars Benehmen ift nicht das eines Baſtardé,
und wie er werden die Laien überhaupt gedacht haben; anders watürlich die
Hochkirchlichen, die eine Verbindung mit einer Nonne nicht anerkennen konnten.
Unfere Ueberlieferung ift bier faft ausichlieglih aus geiftlichottoniicher Feder ge
floffen. Ein ähnlicher Fall, wie der vorliegende, ift der mit Pippin, dem älteften
Sohne Karls des Großen, vergl. Wait, Berig. III, S. 240.
2 Schulze in der Zeitichr. für Rechtsgeſch. VIL, S.391.401— 405; Kraut,
Vormundſchaft S. 114 (vergl. meine Studien zur Geh. Konrads II. S. 4
Anm. 3). Auch dürfte Widufind II, 11 als Beweis heranzuziehen fein: (Otto)
Thiadricum et tres amitae illius filios, qui Thankmaro manus iunxe-
rant, lege Francorum dampnatos strangulo fecit deficere. Xhiadri-
cus und feine Bettern waren, fo weit wir jehen, Sachſen, der König ftrafte fie
als Hocverräther nach fränkiſchem Recht (Berge. Köpte— Dümmler, Kaiſer
Otto I, S. 75. Anm, 2). Die Dotirungen, von denen Schulze S. 404 redet,
laſſen ſich natürlich mehren, wir erinnern nur an Kunigunde, die Gemahlin
Heinrichs II. Vergl. Wait, Berfg. VI, S. 204 Aum, 3,
143
greifen. Wie hätte er über einen jener mächtigen Herzöge noch einen
Regulus ſetzen können ! So berief er denn eine Verſammlung der
Großen nach Erfurt, um die Angelegenheiten des Neiches zu berathen
(Vita Math. prior cap. 7) und über feinen Nachfolger Beitimmungen
teffen zu lajjen (Widuk. I, 41. Vita Math. post. cap. 7)?, Dort
Noch bei der Erhebung Knuts von England 1016 heißt es: at illi
eoeperunt dicere se procul dubio scire, quod rex Eadmundus fratribus
zullam portionem regni sui nec vivens, nec moriens commen-
dasset. Chron. Rogeri de Hoved., Rer. Brit. Ser. Nr. 51, I, &.85. Wie
das angelſächſiſche Reich durch die dänischen Eroberungen thatſächlich auseinan«
dergerifjen ward, iſt befannt. Zwei Jahrzehnte nach Heinrich I. ftarb König
Ludwig von Frankreich, zwei unmündige Kinder hinterlafjend. Mit Unterſtützung
dugos und Bruns wurde der Ältere der beiden zum König der Weſtfranken er—
hoben, doch llagte der jüngere Karl fpäter, als er mündig geworden war: licet
enim a fratre de regno pulsus sum. Pater nos duos fratres su-
perstites reliquit. Frater regnorum dominium totum possidet, nihil
mihi concessit. Richer IV, 9; vergl. III, 91. Wir fehen daraus, wie Ile:
bendig noch der Gedanke eines theilbaren Reiches war, und daß dies für Deutichland
ziht minder als für Frankreich gilt, dürfte aus Nuotger, Vita Brunon. cap.
19 erbellen: (Lindolf und Konrad) etiam parta, ut ipsi jactabant, divi-
tarım et regni gloria... inde cunctis regni finibus facile se im-
peraturos arbitrantes. Ja fogar zur Zeit Heinrich IV. konnte noch an eine
Nassthelung gedadt werden (Wait, Berig. V, S.132). Bergl. noch Dümmler,
Offrit, R. II, ©. 498. 499, vielleicht auch Eberhards Worten bei Liutprand,
Ant. V, cap. 22. Auf die Idee des Einheitsftaates wirkte vielleicht auch
das Vertild Frankreichs und Englands ein,
. "Bir befigen eine ganze Reihe von Nahrichten, die den Uebergang der
Herrihaft von Heinrich auf Otto berühren und fi in zwei Gruppen zujam«
menfafien lafjen. Der einen zufolge, gebildet aus den ottonisch-höfiichen Widu—
Kad and Hrotfuitha, wird Dito vom Vater defignirt und folgt ohne Schwierig»
tet in der Herrſchaft; nad) der anderen, die eine ganze Reihe Quellen, von fehr
verichiedenem Werthe umfaßt, jft die Sache nicht fo glatt abgegangen. Wir fol
gen der zweiten Gruppe, und zwar aus folgenden Gründen: 1) weil die Schrift:
Reller der erften Gruppe, vom Hofe beeinflußt, fehr leicht im Intereſſe deffelben
I&rieben und verſchwiegen; 2) weil die Verichterftatter aus der zweiten
Gruppe theilweife von einander ganz unabhängige Nachrichten haben, die fid
gegenfeitig aber auf das Befte ergänzen, bisweilen ſich auch deden; 3) weil die
Angaben derfelben durch die fpäteren Ereigniffe commentirt werden und e8 an
ich auffallend fein muß, daß Heinrich (und Thanfmar?) beim Ableben des Va—
rd und für die Dauer des Interregnums ganz ftill gejeffen haben follte, wäh:
end Heinrich Schon — nad Widufinds eigenen Worten II, 12. 15 — wenige
Jahre nachher unter wenig günftigen Verhältniffen „von Begierde nad) Herr:
Haft“ entflammt ift und ein verzweifeltes Ringen um die Krone beginnt. Bein:
ne Jugend (er war ungefähr 16 Jahre alt, al® der Vater ftarb) läßt ſich da—
gegen nicht geltend machen, indem er mit 15 Jahren miündig geworden war
und das Gefchleht der Ditonen überhaupt zu den frühreifen gehörte. (In wie
aunlih jungen Jahren man im zehnten und elften Jahrhundert mit allen
Frötenfionen des Mannes auftrat, zeigt zumal die däniich-norwegiiche Geſchichte).
Us cine mitberüdfichtigte Duelle der zweiten Gruppe fteht die Vita Mathildis
posterior da, obwohl Wait äußert (Nachrichten von der Georg : Augufts -Uni-
vrftät 1852, S. 226), daß von ihr für obigen Gegenftand nicht mehr die Rede
kin dürfe. Wir würden uns diefem Ausipruche unbedingt anſchließen, wenn
dt Vita Math. post. allein wäre, was aber nicht der Fall ift. Gegen Wait’
Anfihten über die hier einichlägige Flodoardftelle find Zweifel laut geworden,
vergl. Köple Dümmler Ottol. S.25 Anm. 2. — Thietmar I, 12 kann nicht
ganz in Wegfall kommen, obwohl er wahrjceinlic die Vita vor ſich gehabt hat,
144
foll er von den Anweſenden zu Rathe gezogen fein, welchen feiner
Söhne er für den regierungsfähigiten Halte. Er entjchied ſich für
Otto, den er defignirte!. Damit aber verftieß er gegen die Wünſche
jeiner Gemahlin, die gern ihrem jüngeren Lieblingsjohne Heinrich die
Krone zugemwendet hätte?, und vor Allen gegen die Wünsche diejes
Heinrich jelbft, der ſich nicht entblödete — gleichſam ſcherzweiſe, wie
uns überliefert wird? — feinem Bruder Otto, in Gegenwart de
Vaters und der Fürften, in's Geſicht zu fagen, er fei der edlere von
ihnen beiden (Vita Godeh. cap. 4). Zu einer förmlichen Erhebung
Dttos ift e8 in Erfurt nicht gefommen; König Heinrich) mußte zu:
frieden fein, ihn defignirt und feine anderen Söhne mit Yand und
Leuten ausgejtattet zu haben. Auf diefe Weife war dem Bevorzugten
ein entfchiedenes Uebergewicht gefichert, was jedoch nicht Hinderte, dag
nad) Heinrichs Tod zwijchen feinen Söhnen um die Nachfolge ge:
ftritten wurde (Flodoard. An. 936). Viele meinten, Heinrich müje
die Negierung erhalten, da er im föniglichen Palafte geboren fei’;
denn einerſeits berichtet er mehr als fie und, amdererfeits ift er über Mandes
jelbftändig gut unterrichtet und fteht er Heinrich II. nahe. Letzteres gilt aus
für den Verfaffer der Vita felbft, die, wie jhon Waitz S. 220 bemerkte, durd-
aus nicht rein panegyrifc für Heinrich if. Was fonft gegen fie geltend gemadıt
worden: der Aufput mit fremden federn, berührt das von uns Bemerfte nid.
Aud will e8 uns bezüglid) der dem Sulpicins Severus entlehnten, für Ottol.
äuferft compromittirenden Stelle bedünfen, daß man fie zur Zeit jeines Sob
nes in ein Werk, weiches auf defjen Geheiß verfaßt worden, nicht einzig
aus Bergnügen am Sate aufnehmen konnte; vielmehr jcheint e8 uns mit dielet
wie fo oft mit Entlehnungen zu gehen; fie trifft die Sade nur halb, bew.
ſchief! — Die widtigften vielfah von einander abweichenden Darftellungen der
Erhebung Dtto8 I. find: Köpke in Rankes Jahrb. des deutich. Reihe I, 2, ©. 3;
Gieſebrecht, Geſch. d. deutich. Kaiferz. I, ©. 238, 241— 243; Waitz, Jahrb.
des deutſch. Reichs unter Heinrih I, S. 177. 178 (vergl. Verfg. V, ©. 72);
Köpfe — Dümmler, Otto I. S. 21—26. Bergl. oben S. 145 Anm. 1.
1 Obwohl nur die fpäten Annales Palid, diefe Notiz bringen, fo fceint
fie doch auf guter Weberlieferung zu beruhen. Vergl. Widulind I, 41; Waih,
Heinrid I, S. 178 Anm. 1, dazu Köpke Diümmler, Otto I S. 24 Anm. 2.
2 Ein gutes Gegenbild bietet uns etwa 100 Jahre fpäter die Geſchichte
Franfreihs. Hugo der Große, der Thronfolger, ift geftorben. Sein Vater Kir
nig Robert enticheidet fid) für die Nachfolge feines nunmehr älteften Sohnes
Heinrich, während die Mutter Robert, dem jüngeren, die Krone zumenden will,
Auf einer Verſammlung der Großen zu Reims fetzt der Vater feinen Candidaten
duch (Berge. Rod. Glaber III, 9 u. U). Aehnliche Fälle finden fich auch
anderswo, zumal ift die Thronfolge der Söhne Svend Eftrithions ausgiebig,
bei der wir fehen, wie das Alter neben der Descendenz von Wichtigkeit, aber
durchaus nicht der einzige in Betracht kommende Factor ift.
s Vita Math. post.9, vergl. Liutpr. Antap. IV, 18. — Nad dem Tode
des angeljächfiihen Königs Eadgar fam es im Jahre 975 zu Zioiftigfeiten über
die Thronfolge, die Mehrzahl war für den älteften Sohn, einige Große des
Reiches wollten aber das Wahlrecht behaupten und ſtimmten für dem jüngeren,
da weder der Vater noch die Mutter des älteren bei feiner Erzeugung
gekrönt gewesen ſeien. Lappenberg, Geld. dv. England I, ©. 4l4. Eine
ähnliche Anfhauung zeigen die Worte des jungen Heinrich) III. von England
nad) feiner Krönung, wo er e8 billig findet, daß fein Bater ihm diene:
ego enim sum filius regis et reginae, ipse vero non.
thaei Paris. Hist. Angl. in SS. Rer. Angl. Nr. 44, I, ©, 353.
145
die meiften und angefehenften Fürften des Reiches aber hielten zu
Otto und brachten durch die Vorftellung, daß Heinrich) noch durch
Anderes als die väterliche Erbihhaft, etwa durch ein Herzogthum, ent=
ihädigt werden fünne, auch Mathilde zur Nachgiebigfeit (Thietinar J,
11)1. Dies. mag auf einer Zujammenfunft gejchehen fein, die der
Zhronbefegung wegen nad) dem Tode Heinrich I. ftattgefunden hat
(Widul. II, 1. Thietm. II, 1). Als man in Aachen zur Definitiv-
wahl ſchritt, war die Nachfolge Ditos eine alljeitig entjchiedene That-
ſache. Der Haß der Brüder gegen den Begünftigten aber blieb und
machte fich Luft in verheerenden Bürgerfriegen.
Wir dürften bier den altgermanifchen Rechtsfa, daß dem Ges
hlechte die Nachfolge, dem Einzelnen der Anfpruc auf diefelbe zu»
ehe, praftiich verwirklicht jehen. — Defignation und Wahl des
Volles entihieden für Otto, der auch der beſt berechtigte war?. Sehr
treffend jagen daher die Quedlinburger Annalen (936): kraft feines
Erbrehts wird Otto erforen im den väterlichen Reichen nachzufolgen.
Was Heinrih I. am Ende feiner Regierung gethan, das voll-
führte Otto mitten im bewegten Yaufe der feinigen. Er befignirte
den Sohn Lindolf zum Nachfolger und erwirkte, daß die Großen ſich
'! ®ibuf. II, 2: Sigifridus...nutriens juniorem Heinricum secum
tenuit, Heinrich war ſchon 16 Jahre alt, und brauchte deshalb feinen Pfleger
mehr) Sollten bier nicht politiihe Gründe vorliegen? das teneri fo ganz
freiteillig gewefen fein? Bergl. ©. 143 Anm. 2.
I Leider läßt fi) nad) Widukind nicht ficher enticheiden, aus welchen Grüns
ben Heinrich I. Otto deſignirte. An der betreffenden Stelle I, 41 heißi e8: qui
marimus et optimus fuit; fol das heißen: der der Aeltefte und Tüchtigfte,
oder der der Größte und Beſte war? — Letzteres nad) Analogie von Jupiter
optimus maximus. Widuf. jagt II, 1: defuncto.... maximo optimo
Beinrico, II, 36 aber: dominus rerum, fratrum natu maximus optimus.
Liudpr. Antap. IV, 15 bat: Heinricus ... potissimum ac religiosissi-
mum natorum suorum regem constituit. Hrotsuitha Gesta Oddon. v.
37. 38: Hie aetate prior fuerat, meritis quoque major Congruus et scep-
ttis defuncto patre gerendis. Vita Math. post. cap. 9: alii vero desi-
derabant Ottonem, quia aetate esset major et consilio providentior
(ergl. Thietm. I, 11). Alfo auch dort, wo feine frühere Geburt angeführt wird,
wir feinen überragenden Werth betont, bei Liutprand nur letzteren. So
Inappe Notizen wie Ruotger, Vita Brun. cap. 5, Flodoard, Ann. 936, find
unansgiebig. — Am 13. Sept. 936 ftellte Dtto eine Urkunde aus, worin fol»
gende Stelle vorlommt: si aliquis generationis nostrae (— meine Nadlom«
menihaft!) in Francia vel Saxonia regalem potestativa manu possideat
dem, in ejus defensione sit monasterium cum sanctimonialibus. Sin
autem alter e populo eligatur rex, ipse quidem in eis suam regalem
teneat potestatem, sed nostrae cognationis qui potentissimus erit ad-
vocatus loci habeatur. Hierauf dürfte nicht zu großes Gewicht gelegt werden,
md zwar, weil das Wort ‘cognatio’ darauf zu deuten fcheint, daß der Fall
angenommen, wo feine Agnaten mehr am Leben jeien. (Mer ftand aud dafür,
dab Dttoß Gefchlecht immer der Krone würdig bleibe, daf nicht jene Vollswahi
nettwendig werde?). Weberdies fällt die Urkunde ganz in den Anfang der Re
tung des neuen Königs, als fid) rings die Schwierigfeiten erhoben; da mag
einer eine niedergeichlagene Stimmung bemächtigt haben, im der er jene
Vorte {hreiben ließ. Es fomme was da wolle, die Advocatie über das ihm
deifige Stift ſoll den Lindolfingern bewahrt bleiben! —
AVIIL 10
146
eiblich verpflichteten, ihm nad) feinem Tode die Treue zu wahren.
Sehr bezeicdhnend ift, daß wir in unferen maßgebenden Quellen das
Wort ‘eligere nicht finden, e8 war eben feine Auswahl da, Liudolf
war einziger Sohn und bereits mündig '. "
Ganz anders geftalteten fich die Verhältniffe, al8 durd) Ottos Ver—
mählung mit der jugendfräftigen Adelheid eine weitere Nachkommenſchaft
in Ausficht fam. Noch war der Gedanfe der Individualſucceſſion nicht
über Anfechtungen erhaben (vergl. S.143 Anın. 1), noch viel weniger
der der Erftgeburt, und als num die Schöne Stiefmutter und Heinrich von
Baiern, der gehaßte Onfel, das entjcheidende Wort beim Könige erlang-
ten, als gar das Gefürchtete eintrat, Adelheid einen Sohn gebar, und
man ſich zuflüfterte, daß Otto dieſem fein Reich zuzumenden gedenfe *, da
hielt ſich Lindolf nicht länger; er warf das Schwert für feine Aufprüche
in die Wage, der Gemahl der Schweiter, Friedrich von Mainz, viele aus—
gezeichnete Männer und ein nicht unbedeutender Theil des Volfes hielten
zu ihm (vergl. Ruotger, Vita Brun. cap. 19). Aus ſachlicher Er-
wägung und perfönlicher Berbitterung hat er den Kampf begonnen und
verzweifelt hat er ihn geführt; doc der Sieg verblieb dein Vater und
bald erlofchen mit dem Tode des Sohnes feine Befürchtungen,
Als Otto beſchloſſen Hatte feinen zweiten Romzug anzutreten,
fammelte er eine große Anzahl von Getreuen in Worms, wo mit
einmüthiger Zujtimmung der Großen des Reiches und des ganzen
Volkes fein Sohn gleihen Namens zum Könige erwählt wurde
(Cont. Reg. a. 961). Es gefchah die8 contra morem, weil er in
gleiche Würde neben feinen noch lebenden Vater trat und er erſt das
fiebente Jahr erreicht Hatte, mithin noch regierungsunfähig war. Ob—
gleich Lindolf einen Sohn Hinterlaffen hatte, der mit dem nunmehr
Erhobenen gleichen Alter8 war, fo hatte diefer doch, nad) dem Sate
„nächſt Blut nähft Gut“, der aud im fränfifchen Rechte galt, den
vornehmften Auſpruch auf die Krone, welchen Otto I. alsdann, wie
bemerkt, ratificiren ließ; doch mag nicht ganz ohne Einwirkung ge=
blieben fein, daß damals im jächfifchen echte die Beltimmung durch—
gejetst wurde: der Sohn eines verftorbenen Sohnes fei neben dem über-
lebenden Sohne gleich erbberehtigt®. Der Vater ließ dem Neuerforenen
Schon jet die Salbung durch Priefterhand, mit ihr den Nimbus gött«
ı So umgehen Widufind III, cap. 1, Wuotger, Vita Brun. cap. 18,
Gerhard, Vita S. Oudalr. cap. 10, Hrotſuitha, Gesta Oddon. v. 442, unb
ber bier beſonders präcije Flodoard, Ann. 953, den Ausdrud; dagegen faun der
fpätere Thietmar II, 2: Unde pater (Liudulfum) communi tocius se-
natus electione honoris consortem atque laboris decerneret successo-
remque firmaret, um fo weniger geltend gemacht werden, als Thietmar
bier nicht unabhängig von Widufind zu fein fcheint und e8 mit bem consors
honoris atque laboris an ſich ein problematiih Ding ift.
® Flodoard, Ann. 953: ferebatur eidem puero rex regnum suum
promittere. Bergl. dazu Hrotiuitha v. 746 und die Geſch. Ludwigs d. Fr.
* Wibufind II, 10; vergl. Sachſenſp. I, 5, 1: dazu Lex Wisig. IV,
5, 4; cf. IV, 2, 18; Gengler, Privatreht II, S. 1313; Köpfe, Widufind
S. 90. 140. Amira, Erbenf. S.123; Warnlönig und Stein, Franz. R. und
Rechtsg. U, S. 442; Dahlmann II, S. 347.
147
fiher Weihe, und fpäter auch die Kaiferwürde zu Theil werden; Otto
II. bereitete feinem Neffen durch die Uebertragung zweier Herzogthit«
mer eine fajt königliche Stellung.
Kaum war Otto J. geftorben, al8 man feinen, nunmehr erwach-
jenen, Sohn auch als Alleinherrfcher begrüßte. Es berief derfelbe,
zehn Jahre fpäter, einen großen Reichstag von italienischen und deut»
hen Großen nad) dem lombardifc » färnthnifchen Verona, wo aber-
mals der mos' in folcher Weife gebrochen werden follte, daß der noch
nicht vierjährige Otto (III.) zum Könige erwählt wurde. Nachdem
8 geihehen, warb der Knabe über die Alpen gebracht und von den
mbiihöfen von Ravenna und Mainz in Aachen gejalbt. Noch weilte
man beiſammen, da brad plötzlich die Schredenskunde herein, geſtor—
ben jei der Vater, verwaift fei das Kind und wie diefes das Reich!
Heinrich der Zänker übernahm als nächſter Schwertmage die
Sormundichaft (Thietm. IV, 1. Ann. Quedl. 984). Doc als näd»
tem Schwertmagen ftand ihm auch der nächfte Anfpruch auf den Thron
zu, jobald e8 gelang den „unmündigen Otto, der wegen feines zarten
Üterd nicht regieren konnte“ (Richer III, 99), bei Seite zu
dieben. Er widerftand der Verfuhung nicht, fammelte ſich einen
Anhang, vornehmlich aus geiltlichen Fürften beftehend, und arbeitete
num entihieden dahin, die Negierung bei eigenen Hulden zu erlangen.
Shen war er von feiner Kartei zum Könige ausgerufen, ein Tedeum
erſchalte zu feiner Ehre!; das legte Ziel mußte die feierliche Salbung
und Krönung fein. — Mit Heinrid) in gleicher Linie von Seiten der
Spindel ftand Lothar? von Frankreich, der Sohn der Gerberge; biefer
{rat gegen Heinrich, als deſſen ehrgeizige Pläne rucdhbar wurden, auf
und nahın ſeinerſeits die Vormundſchaft in Anſpruch, aus felbftfüche
tigen Motiven, wie fein Nebenbuhler. Doc zwiſchen beiden erhob
ih eine dritte Partei, die weder den Franzofen noch den Zänfer im
deutſchen Neiche wollte regieren fehen. Sie bewahrte dem legitimen
inde die Krone und wandte die Mundichaft der Mutter zu.
Es dürfte hier daran zu erinnern fein, daß nım diefe Zeit in England
Unmündigteit wiederholt als Hinderungsgrund zur Erlangung der Krone ange-
ben wurde. Vergl. Lappenberg, Geſch. v. Engl. I, ©. 391. 461. 532. Die
emmwirtung des vielfach mehr entwidelten angelſächſiſchen Reiches auf Deutichland
wırd bedeutender geweſen jeın, als fich im Einzelnen erweifen läßt. Der gegenfeitige
Serkehr reicht nämlich ſchon bis im die Zeit der römischen Herrihaft hinauf,
Ouos des Großen Gemahlin Edith war befanntlich eine Engländerin, und der-
be Herricher ſchloß mit Aedgar ein Friedensbiindniß. Um das Jahr 1000
fuden wir die Deutichen bereits in ungewöhnlich begünftigtem Rechtszuſtande
in London (Lappenberg, Stahlhof S. 1. 2), wie denn auch der Zufammenhang
engellähfticher und deutſcher Krönungsformeln durch Waitz nachgewieſen ift.
Reis, Krönungsformeln S. 19. Auch der Umftand, daß ſowohl Heinrich II.
At and Konrad II. ihre Brüder zwangen im den geiftlichen Stand zu treten,
Bängt gewiß mit der Furcht zufammen, fie könnten bei einem vorzeitigen Tode
mr gegen etwaige noch unmündige Kinder al8 Kronprätendenten auftreten.
Brun von Braunfhmweig, der uneheliche Enkel Heinrichs J. kommt gegen
diſe fegitimen Verwandten nicht in Betracht. Vergl. noch Dronke, Tradit. S.142:
——— de Saxonia regali stirpe progenitus, Hertac no-
Zune \
10*
148
Hatte Schon Otto IT. ausgeſprochen, daß ihm von Gott feine
Herrſchaft kraft väterlicher Succeffion verliehen fei (Waitz, Verfg. VI,
123), fo rief auch erbert als kundiger Hofınann feinem Zöglinge, dem
dritten Dtto zu: du übertriffit die Griechen an Herrfchaft und regierft die
Römer nad) Erbredt!. Die Krönungsformel, deren man fich in diefer
Zeit bediente, hob an mehr als einer Stelle das erbliche Recht bei der
Nachfolge hervor (Wait, Verfg. VI, 125). Es fann feinem Zweifel
unterliegen, daß dafjelbe in Deutfchland wie in anderen Yändern fiege
reich durchgedrungen wäre, wenn bie einzelnen Dynaftien won längerer
Dauer gewejen, doch kaum Fonnten fie mit ſolchen Anfprüchen offen
auftreten, und der Tod ſchritt ein, al8 Übermächtiger Verbündeter dei
alten Rechtes der Auswahl.
Auch noch auf einen Umftand muß Hingewiefen werden, der gan;
dazu angethan war, die Nechtsbegriffe zu verwirren. Er bejteht in
dem Hereinziehen Staliens in die fränkiſch-ſächſiſche Monarchie, dei
königlichen Italiens fowohl als auch des Faiferlic) - päpftlichen, um
zwar nicht als eines bloßen Nebenlandes. — Mag eine Partei de
Staliener* und mag Dtto I. die Herrſchaft über die Apeninlände
als eine folche betrachtet haben, die, durch da8 Schwert erworben, fid
nur durch das Schwert behaupten Laffe, jo lenkte doc) fchon fein Sohn
vermittelt der Tage von Verona und Aachen in jenes andere, engere
Verhältniß hinüber, das ſich vorerft zu Gunften des Südens geſtal—
tete?, Die intellectuelle Ueberlegenheit deſſelben machte fich geltend,
Otto III. weilte in Rom und Ravenna als in ftändigen Reſidenzen,
er zog die gebornen Römer feinen Deutfchen in Kath und That vor
Gesta ep. Cam. II, 113)* und wollte gar das römiſche Recht zum
aiferrechte ausweiten. Der Nachfolger Heinrich I. war jett nidt
mehr König des Dft-Frankenreiches, er war eine internationale Größ
geworden ?, die fich felber den angeftammten fcharf umgrenzten Rechts—
boden unter den Füßen wegzog. Eine leidenfchaftlihe Unzufriedenheit
! Olleris, Oeuvres de Gerbert ©. 298. Vgl. auch ep. 27: rem hr
rilis vestri pueri, und: regem, heredem regni, regno privasti, bi
Hirſch, Iahıb. I, ©. 437.
3 Im der Grabichrift Benedicts VII. (Watterich, Pont. Rom. Vitae, S.
86) heißt e8: Hic primus repulit Franconis spurca superbi |] Culmina qui
invasit sedis apostolicae.
s Giehe das ftolze Selbftgefühl in den Versus de Ottone et Heinrico
(Dümmler, Anfelm der Peripat. S.81): Regum creatrix maxima |] Ce
mat jam Italia. Die meiften Ouellen nennen bei der Krönung Ottos Ill
nur den Primas von Italien, aud) bei Thietmar IV, 15 fteht Johannes von
Ravenna voran.
* Schr beadhtenswerth dürfte die Zufammenftellung in den Bezeichnungen
Romanus, Saxonicus, Italicus fein, die Otto III. urkundlich auf fich bezogen
bat. Waitz, Berfg. VI, ©. 111.
5 Ein eigenthümlicher Beweis für die univerfelle Bedeutung des Kailer-
thums möchte ſich auch darin finden laffen, daß im franzöfifchen KHanptkiofter,
dem des heil. Martin von Tours, noch in weit fpäterer Zeit nad) Regierung
jahren der Kaifer und der franzöfifchen Könige gerechnet ward, vergl. das Chron.
Turonens. Magn., in A. Salmon, R&cueil de Chroniques de Touraine.
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entwidelte fich gegen den fetten der Dttonen, bie ſich fogar auch auf
jein Geſchlecht erſtreckte, wie bei feinem vorzeitigen Tode empfindlich
zu Zage treten jollte, |
Durd das Ereigniß von Paterno erlangten Heinrich) von Baiern
und deifen jüngere Brüder, welche al8 Geiftliche endeten, die nächſten
Anprüde auf die Krone!. In Betreff der Verwandtichaft von weibs
iher Seite hätte man an die Söhne der Mathilde, Ottos III. Schwe—
ter, denken fünnen, doch waren biejelben noch nicht erwachien, übers
dies in einer Ehe erzeugt, die anjtößig gewefen zu fein fcheint, da
Nathildens Gemahl, Pfalzgraf Ezzo, feinen Urfprung nur aus einem
dten Minifterialengefchlechte herleiten fonnte?. Sie durften alfo nicht
ernitlich in Betracht gezogen werden. Anders verhielt es fich mit
Otto, dem Sohne der Piutgarde, welcher bedeutende Stammgüter bes
af und dem Herzogthume Kärnthen vorftand.
Da berichtet nun Thietmar (V, 16), daß diefer Otto von Hein-
rih wegen des Anrechtes der VBerwandtichaft? und des Alters und
ob feiner reifen Qrefflichkeit zum Könige auserfehen worden, daß er
N diefe Laſt aber bejcheiden verbeten und Heinrich) als den fähigeren
(aptiorem) erflärt habe, ihm aud) fortan immer getreufich freund
gedlichen jei.. Das Anerbieten als folches darf nicht angezweifelt wer—
den, dito mehr aber, ob Heinrich e8 ernft damit gemeint hat; er
war det Sohn feines Vaters, war nad altem Frankenrechte der beffer
berechtigte, war der mächtigere (Thanfmar, Vita Bernw. cap. 22),
Wehrſcheinlich ſtellte er das Anerbieten in der ſicheren Vorausſetzung,
deß es abgelehnt werde; er gewann dadurch den damals modiſch um—
worbenen Heiligenſchein der Demuth und, was wichtiger war, die
ihere Unterftügung des Kärnthners, deren er dringend bedurfte; denn
gegen die Nachfolgeberechtigten hatte ſich ein ernfter Widerjtand erho«
ben; wollten fie die Sache des Gefchlechtes retten, fo galt es, zuſam⸗
: Gesta ep. Cam. I, 113: Heinricum .. sibi legunt ... defuncti
mperatoris proxime consanguineum. Ann. Quedl. 1062: Heinricus ad
Quem summa imperii pertinebat.
? Bergl. meine Studien zur Geſch. Konrads II, S. 19 Anm. 1.
Thietmars Worte find: jus consanguinitatis. Würden wir fie mit
„Borrecht feiner Verwandſchaft“ überfegen, fo fämen wir auf den fpäteren Grund«
lag: „nächſt Blut, nächft Gut, der nächfte zur Sippe, der nächſte zur Erbſchaft“.
in feinem ganzen Umfange, da Dtto von Kärnthen dem BVerftorbenen um eine
nie näher ftand, als Heinrich von Baiern. Dies jedoch widerftreitet der An«
Kenung, wie fie in den fränkischen Volksrechten niedergelegt if. Vergl. oben
©. 133. 134. Hier mit harmonirt auch das Auftreten Heinrich® des Zänfers
Diio III. gegenüber und die Stelle der Gesta ep. Cam. I, 113 u. A. Das
Forftethingagefets ftellt in die erfte Erbfaffe den Sohn, in die zweite Tochter
md Sohnesjohn ꝛc. Wilda in Zeitfchr. für deutſch. Recht XV, 252. Biel:
lt begann um die hier in Betracht kommende Zeit die alte firenge Norm
det Kranken ſchon in der Weife ins Schwanken zu gerathen, daß bei einer
durch mehrere Zwiſchenglieder getrennten Bermwandtichaft, wie die Ottos und Hein-
ns, ſich allen Ernſtes Zweifel erhoben, ob nicht beide gleichwerthig in Ber
— fonnten, Vergl. Warnlönig und Stein, Fr. R. und Rechtsg. II,
150
menzuhalten. Ob Otto bedingungslos zurüdgetreten ift, wer mag
das ergründen? (Vergl. S. 139 Anm. 1).
Schon ehe die obigen Verhandlungen gepflogen fein können, be:
nahm Heinrich fi) al8 “hereditarius successor’, dem die Regierung
des Reiches zuftche!. Er empfing die Faiferliche Leiche ſammt den
Inſignien und fegte Heribert von Köln, der aus Privatintereffe die
heilige Lanze vorausgeſchickt hatte, gefangen, bis er fich zur Heraus:
gabe bderfelben bequemte?. Die Begleiter der Yeiche, von denen er
wußte, daß jie unter dem Einfluffe des ihm abgeneigten Erzbiſchofs
ftanden, fuchte er durch Verſprechungen für feine Succeffion zu ge
winnen; — nur fo fonnte einem Bürgerfriege vorgebeugt werden.
Die Antwort, welche er erhielt, war ausweichend.
ALS die Yeichenfeier in Aachen begangen, erklärte die Mehrzahl
der Anweſenden Heinrich) wegen vielerlei Eigenfchaften ungeeignet (non
idoneus) das Neid zu erlangen und zu beihüken (tueri) um
erhob deshalb Hermann von Schwaben, der, mächtig dajtehend, wahr:
ſcheinlich auch durch einen complicirten Stammbaum feine ferne Ver:
wandtichaft mit Karl dem Großen darthun konnte. Die Thatſache,
daß zuerjt Heinrich berücjichtigt wurde, läßt zur Genüge erkennen,
daß man in ihm den zunächſt Berechtigten ſah; da er aber nicht als
König erwünfcht war, fo berief man fi) auf die einzige rechtliche
Möglichkeit, durch welche das Reſultat erreichbar fchien: man erklärte
ihn regierungsunfähig. Vielleicht hat Mancher hier nad) befter Ue—
berzeugung gehandelt, denn Heinrich war durchdrungen von der mön—
hifchepietiftischen Anfchauung, die im Haufe der Ottonen zum guten Ton
geworden war. — Wie am Rheine zeigten fi) Viele im Oſten geſonnen,
auch dort trat in Effehard von Thüringen ein Thronbewerber auf.
Es drohte augenicheinlih die Gefahr, das nad) Ungebundenheit
ringende Fürftenthum werde das übel berathene Reich aus den Fugen
Iprengen, indem Hermann, wenn er auch officiel und vorerjt wohl
noch allen Ernftes nach der Krone der deutſch-italieniſchen Monarchie
ftrebte, doch den bejcheidneren Hintergedanfen hegte, bei einem etwaigen
Mislingen wenigftens die unabhängige Herrihaft über einen Theil
derfelben und zwar die über Schwaben und Elſaß herauszufchlagen
(Ann. Sang. maj. a. 1002. Hirſch, Jahrb. I, 217 Arm. 6).
Längft fhon wurden die Herzogthümer als Neiche bezeichnet (Waitz,
Verfg. V, 132 Anm. 3)°, und Heinricy hat im nächſten Jahre ur=
kundlich ausgefprochen, daß ihm mit Gottes Beiftand die einmüthige
! Annal. Quedl. an. 1002. Vergl. Wait, Berfg. VI, ©. 124— 126.
Ufinger in Hirfh, Sahrb. I, ©. 438—446. Boehm, Quemadmodum ab
Ottone I. etc., Berolini 1865, ©. 50 f.
2Vergl. Sigeb. Gembl. a. 1002: Insignia regni ab eo violenter
extorsit, quasi jure hereditario sibi competentia.
° Auch die Auffaffung, welche fih im Sachſenſpiegel III, 53,1 findet, ift
fiherlich nicht erft zur Zeit Eifes von Repgo entftanden; ihr zufolge waren
Sachſen, Baiern, Franken und Schwaben urſprünglich Königreiche, die, von den
Römern bezwungen, ihre Bezeichnung in die von Herzogthümern ummandelten.
Die Kaifer thaten ihnen fpäter Abbruch,
151
Wahl von Völkern und Fürften und die erbliche Nachfolge im Neiche
ohne irgend eine Theilung gewährt worden fei (Hirſch, I, 438;
&uig VI, 122).
Bir haben in diefen Worten, neben der Andeutung einer wohls
begründeten Befürdtung, den alten Grundfag des erblihen Wahl»
reiches! — Das Recht ftand auf Heinrichs Seite, es war Pflicht,
dafielbe geltend zu machen, wenn nicht ander8 — mit Gewalt! An
eine Zufammenbringung einer allgemeinen Neichsverfannnlung durfte
bei der obwaltenden Zerfahrenheit nicht gedacht werden: fo brad er
dern, nach fait jechsmonatlihem Interregnum, mit Eriegerifchen Ans
jange gegen den Rhein auf, um „in Mainz feine Einfegnung zu
empfangen“. Erzbifchof Willigis, wenn er nicht ſchon der intellectuelle
Urheber dieje8 Unternehmens war, zeigte ſich ihm günftig gefinnt ;
unter feinen Aufpicien wurde Heinrich in einer Parteiwahl erhoben
und eiligjt von ihm zum Könige gekrönt. Es gelang dem letten Liu—
dolfinger, fi fowohl in Sachſen als auch in Lothringen Anerkennung
zu verihaffen?, und bald Huldigte auch Hermann von Schwaben.
Devet, wie Heinrich war, ließ er aufzeichnen, daß die fromme Hand
Gottes ſchnell und in gutem Frieden die Rebellion unterdrückt habe
(Schöpflin, Alsat. diplom. I, S. 146). Wieder einmal hatte die
Segitimität liber praftiiche Bedenken gefiegt.
WVenn ſich unter Otto III. die enge Verbindung zwiſchen Ita—
lim und Deutfchland zu Gunften des erfteren gejtaltet hatte, fo änderte
ih dies feit der Regierung Heinrichs II. Alle unzufriedenen Ele—
mente waren gewaltiam erplodirt; noch war fein Monat ſeit dem
Greignifje von Paterno verfloffen, als fchon Arduin von Sorea, ein
entſchiedeuer Gegner der deutjchen Dynaſtie, die Krone Italiens em—
hing. Seine erfte Urkunde ftellt er aus als König durch göttliche
Vorſehung, nach dem Willen Gottes des Retters und unferes Bes
freiers®; die Ottonen erfennt er nicht als rechtmäßige Vorgänger an“.
! Zu Werla ruft maxima multitudo einſtimmig: Heinricum Christi
sdjatorio et jure hereditario regnaturum. Thietmar, Chron. V, 2.
” Bergl. Waitz, Berfg. V, ©. 106. Auch Konrad I. wurde erft nadj-
rägih in Sachſen und Lothringen gehuldigt (man denke aud an Konrad I.
und Heinrich I), was mit dem Selbftändigfeitsbemußtjein der Herzogthümer zus
lummenhängt. Dielelbe Sitte findet ſich im flandinavifchen Norden. Einen auf
km atta fylknaping in Drontheim zum Könige erwählten fehen wir eine
Rundreife durch das ganze norwegiſche Reich machen, um fid) an jeder einzelnen
Dingfätte das Königthum befonders beftätigen zu laffen. K. Maurer, Belch-
rung des normweg. Stammes zum Chriftenth. I, S. 281. Bergl. Beda, Hist.
eceles. II, 16. Ueber die Reife der Meromwingifchen Könige bei ihrem Regie—
tungsantritt, auf der fie den Unterthaneneid in Empfang nahmen, Maik, Berfg.
I,&. 158. Stubbs, Const. Hist. I, &. 148, vergl. Kemble, Die Sachſen
ir (deutſch von Brandes) I, 124. Grimm, Deutſche Rechtsalterthümer
237.
’ Provana, Studijcrit.sovra la storia d'Italia ai tempi del re Ar-
doino. Ap. Ar. 21: In nomine.... Arduinus rex divina providente
dementia secundum voluntatem Dei Salvatoris nostrique liberatoris.
Salvator fommt auch fonft vor, liberator ift mir nur hier aufgeftoßen.
* Provana Nr. 21 fagt Arbuin: per hoc nosſtrum regale praecep-
152
Er ift ein nattonal italienischer König und fühlt ſich als folcher, jei-
nen Anhang findet er wejentlich in dem niederen Adel, den Bürger:
ſchaften mehrerer lombardifcher Städte? und einem Theile der niederen
und mittleren Geiftlichkeit?. Petrus von Como, der unter Otto IIL
das Erzfanzler-Amt für Italien verwaltet hatte, der vornehmſte Be—
amte im Lande, ftand vonvornherein auf feiner Seite. Dod wenn
Arduin alfo als nationaler König galt, fo trat Heinric) auf als Rechts
nachfolger der Dttonen*. Die Mehrzahl der hohen Geiftlihen (Hirſch,
Sahrb. II, 364) und Manche aus der Yaienariftofratie hielten zu
ihm. Schon am 16. November 1002 läßt er an Stelle des italie-
nischen Biſchofs von Como den deutſchen Willigis als Erzfanzler für
Stalien fungiren?; drei Monate fpäter, zu einer Zeit mithin, wo er
noch nicht jenfeitS der Alpen gewejen und feine Sachen durch die Nie:
tum, prout justeet legaliter valemus, confirmamus, quemadmodun
a tertio Ottone (weder Titel noch praedecessor etc.) praeceptali auc-
toritate confirmata sunt omnia. — Provana Nr. 24 übergeht Arduin
Otto gefliffentlich, er jagt nur: quapropter ... ecclesiae.. . confirmare
concedere dignaremur. In der Urkunde Nr. 25 zählt er Herrſcher von
Karl dem Großen bis auf Berengar, mit ihren Titeln, als feine Borgänger auf,
ohne etwas von den Ottonen wiffen zu wollen. Vergl. Tatti, Annali saeri
di Como II, ©. 813 und 821. 816. 819. 825 umb die Privilegien Kon
rads Il. S.840 und 842, wo fogar alle drei Dttonen genannt werden, auf melde
Heinrich II. folgt, während Arduin übergangen if. Wie Otto III. und Hein
rich II. jet aud; Arduin den großen Königsbann von 1000 Pfund Gold an.
! (Arduinum) secundos veromilites pene,omnes in perjurii crimen
atrociter coegisse, Provana ©. 344.
* Das mächtige Mailand hat Arduin wahrſcheinlich ſchon anerkannt, be
vor ber Erzbiichof von feiner griechiichen Reiſe zurückgekehrt war (Giulini, Me-
mor. sulle stato di Milano III, ©. 24). Aus Thietmar VI, 7 könnte man
auf antideutiche Geſinnung in Mailand fchließen. Nod am 27. Februar 1004
urkundet Arduin dort. Prov. ©. 376. Aud Stadt und Geiftlichleit von Ber
celli, deffen Biſchof doc die erhaltenen Alode Arduins (Prov. ©. 356) zu be:
baupten hatte, dürften ihm nicht feindlich geweſen fein. (Ueber die in Vercelli
ausgeftellte Urkunde vom Ende Januar 1005 vergl. Hirſch Jahrb. U, S. 373
Anm. 3). Schon zur Zeit des Conflict mit dem Biſchof von Ivrea hielten «6
viele Bürger der Stadt mit dem Markgrafen. Prov. S. 340. In beionders
naher Beziehung fland er zu feiner Krönungsftadt Pavia (Prov. S. 362, 370,
873), woraus fid die verbitterte Stimmung der Einwohner erflärt, bie den
furchtbaren Aufftand zu Wege brachte; daß derjelbe nicht durd Heinrichs Gerech
tigfeitsliebe entftanden ift (vergl. Thietinar), bedarf kaum der Erwähnung. Hirſch,
Sahrb. II, S. 373— 375.
8 Gotefredus Mediolanensis ecclesiae presbyter ift Arduins Kanzler,
Provana ©. 376. Im Jahre 1003 ſchenkt Arduin dem Propft der Stifte
fire von Bercelli (t), feinem Kanzler (!), Höfe. Vergl. Hist. patr. Mon. Chart.
I, ©.415; Chron. Novaliciens., SS. VII, &. 128; Hirſch, Jahrb. II, &. 368.
Die italieniihen Königscataloge rechnen von 1002—1004 Arduin als König;
auch fie find von Geiftlichen geichrieben.
* Bom Standpunkte der continuirlichen Dauer des Meiches, als deſſen
Vertreter er erhoben war. Konrad II. jagt zu den Pavefen (Wipo, cap. 7):
si rex perlit, regnum remansit; bdiejelbe Auffaffung liegt im Sachſenſp. IL,
54, 2: alse man den koning küset, so scal he deme rike hülde don.
°_ Eine tiefgreifende Aenderung, die befauntlid) in der Weiſe Beſtand er-
hielt, daß die Würde an den Erzftuhl von Köln geknüpft wurde,
153
derlage Ottos von Kärnthen dort fchlecht ftanden, ließ ihn fein Ges
treuer Siegfried von Parına fern in Nymwegen durch einen andereit
Getrenen, den Markgrafen Thedald, angehen, ihm die Abtei Nonantula
zuugeitehen, was Heinrich auch kraft faijerlicher “auctoritas’ ! gethan hat.
Italien, von Außen durch Griechen und Saracenen bedroht, im
Innern durch Zwietracht und eigenwillige Ungebundenheit zerrijfen,
bot nicht Confijtenz genug für einen einheimischen wo Arduins
Königthum friſtete ein kümmerliches Daſein; der Papſt mußte über
die Alpen eilen und ein deutſches Heer in's Land rufen. — Bei ber
nächſten gemeinfamen Königswahl, die bald darauf Statt fand, wurden
die Italiener als Bürger des Reiches ebenfo erwartet, wie Sadjen,
Sothringer und Slaviſche Markbewohner ?; aber nicht, wie vor jahren,
trat man in Verona zufammen, fondern beim fränfifchen Kamba, und
einzig in Betracht kommend war nunmehr die Stimme der Deutichen.
Ohne auch nur einen Anſpruch auf felbftändige Kur oder auf Zuſtim—
mung zu erheben, zogen Große und Stadtbewohner Staliens nad)
Conſtanz und Zürih, um Konrad II. zu Huldigen, oder mit ihm zu
verhandeln ?. Als dann wenige Jahre fpäter, wie einft dem unmün—
digen Sohne Ottos II., jo jet dem des eriten Salierd das König»
thum übertragen werden follte, vereinte fich wieder auf deutfchem Bo—
! Imperialis auctoritas in der Urkunde neben nostra imperialis con-
cessio. Orig. Guelf. I, ©. 516. Oſtern 1025 (Breflau, Kanzlei Konrads II.
Nr. 2%), alfo noch ehe die italienischen Großen dem Könige Konrad gehuldigt
batten, weilte fchon der Abt von St. Pontian bei Lucca bei ihm in Augsburg
amd erbielt die Rechte jeines Klofter® von ibm beftätigt. In der Urk. vom 14.
Juni 1026 heißt e8: rex Francorum, Longobardorum et ad imperium de-
signatus Romanorum. Breflau, Kanzlei Nr.62. Im der Bulle Johanes XI.
vom 31. Dftober 994, aljo bevor Otto nad) Italien fam: per interventum d.
Ottonis excellentissimi regis nostrique spiritualis filii et futuri Dei
gratiaimperatoris. Jaffe, * Pont. Rom. Nr. 2950 (ob echt). Wipo im Te-
tralogus v. 111: (Heinricus III) caesar future. Diefer auf einer Bleibulle
spes imperii genannt. Steindorff, Jahrb. d. deutſch. Reichs umter Heinrich III.
2.1,8.17. Arduin nahm, fobald er zum Könige erhoben war, den Titel eines
Cãſar an. Hirſch, Jahrb. II, S. 356 Anm. 2, vergl. ebdj. Anm. 1. Eine von
ihm geihlagene Münze trägt die Aufichrift imperator, Provana 7, Beadjtend-
wertb ift au, daß Robulfus Glaber die Begriffe de8 Imperium und Re-
um — unterſcheidet. — Vergl. Waitz, Verfg. V, S. 112 Anm. 3; VI,
. 103. 173.
’ Wipo cap. 2: Italiam transeo, cujus principes in brevi conve-
nire ad regiam electionem nequiverunt. Weber Burgund Hingegen bemerkt
tt: Burgundia enim nondum Romano imperio, ita ut nunc, acclivis fue-
rat. Bon einer zweiten Krönung Konrads in Mailand berichtet er nichts, viel«
leicht weil fie ihm zu nebenſächlich erſchien. Arnulf. Gesta, SS. VIII, &.12,
a 1024: Heribertus adiit Germaniam solus ipse regem electurus
Theutonicum, läßt durchblicken, daß er fich zu unmittelbarer Theilnahme an
der Königswahl zu Kamba berechtigt hielt. Daß die Italiener wirklich Geſandte
nah Deutichland in der Wahlangelegenheit gefchidt hatten, fieht in dem Briefe
von Reichenau. Giefebreht II, S 674. — Eine ganz andere Anſchau—
ung war zur Zeit Eiles von Repgo herrichend, der im Sachſenſpiegel III. 52, 1
aufzeihnete: De Düdeschen scolen den koning kesen dor recht.
? Arnulf von Mailand gelobte Heinrich erft auf italienifhem Boden, doch
noch vor der Krönung zum italienischen Könige, eidlich Treue, Thietmar VI, 5.
154
den eine große Verfammlung, die Sowohl das deutſche Reich als ver-
muthlih auch Ytalien und Rom repräfentirte!, Solche gemeinfchaft-
lich unternommene, oder doch fo geplante, gemeinfam verbindende dfs
fentlihe Handlungen zeigen, daß Nord und Süd nicht in voller Sons
derung geblieben waren, daß die Nachfolger Ottos I. nicht über zwei
getrennte Reiche, fondern der dee nad) über eine große einheitliche
Monarchie herrichten ?. Vollkommen und alffeitig verwirklicht iſt dies
jer Gedanke allerdings niemals, der Gegenfäge waren zu viele und zu
große?, die Alpen ftemmten ſich ihm entgegen, und lebendig zitterte
nach der Gedanke eines felbftändigen italienischen Königreiches. Wider
ı Steindorff, Jahrb. d. deutfch. Reichs unter Heinrih III. I, ©. 15.
2 Bon diefem Gefichtspuntte aus konnte Konrad Il. den ein amberes
Prineip vertretenden Pavefen jagen, das Reich verharre in feiner Dauer, wenn
auch der König fterbe (Wipo cap. 7), wo nidjt an da® regnum Italicum zu
denken if. Wie der Benetianer Johannes nur von einem Diadem der Reid
weiß (regnorum ... diadema), das Heinrich II. rechtlich empfangen habe
(SS. VII, &. 35), fo der Hofe und Familienhiftoriograph Wipo nur von einer
Krone Konrads II. und von einer Heinrichs III. (cap. 23, SS. XI, ©. 263: Nam
dum in superioribus annis duas coronas, id est patris et matris suse,
mundus veneraretur, nunc tercia (Heinrici) addita; zu der Zeit war Kon
rad ſchon Kaifer). Ein Poet in der Umgebung Leos von Bercelli fang, lange bevor
Heinrich in Rom gelrönt wurde: Enricum sine sanguine praefecit monar-
chiae. Höfler, Die deutichen Päpfte I, 331. Im Briefe Berno® von Reiche:
nau (Siefebreht II, S. 674) werden die Italiener gemahnt, nicht übereilt zu
handeln, fondern zu warten, quatinus nunc iterum unius regis cura jun-
gat societas.. . quos hactenus nulla Alpium potuit se gregare
asperitas, nec publica aut privata causarum sequestrare necessitas,
wo klar und beftimmt die Zufammengehörigkeit der Reiche ausgeſprochen if.
Das Gleiche wollen und nicht wollen ift Bernos Ideal in Betreff Deutichlands
und Italiens, Im diefelbe Richtung dürfte es weifen, wenn das deutjche Kärn-
then durch das italienische Verona und Aquileja vergrößert wurde. Auch da
rauf mag aufmerkſam zu machen fein, daß ſich auf den Bamberger und Fuls
difch-Eberhardifchen Handzeichnungen eine dreizadige Krone als fändig ver
wendetes Attribut findet (auch auf den Köpfen der perfonificirten Provinzen x);
diefe Thatfache und die Zeit der Entftehung in Betracht gezogen, können wir laum
umbin an eine myſtiſche Deutung zu denken: die Dreiheit weift auf die Dreiti-
nigfeit, diefe dürfte wieder eine Anfpielung auf die drei Haupttheile des Rei—
ches fein, auf Germania, Italia (Roma) und Gallia, genau wie fie und das
eine der Bilder überliefert. Giefebreht II, S. 601, 95; Cod. Eberhardi ım
Marburger Staatsarh. Aus allem diefem dürfte fid) ergeben, daß der Einwand,
bie Italiener feien nur als perfonal mit den Deutichen Uniirte zur Kur gelommen,
nicht ftihhaftig ift. Der Begriff der Perfonalunion dürfte fogar den Deutſchen
des elften Jahrhunderts fremd geweſen fein. — Auch das ift zu beachten, mit
in Italien und Deutfchland die richterliche Thätigkeit des Königs für unſert
Zeit in gleicher Weiſe durchaus an das Hofgericht geknüpft iſt, wie noch in ber
ftaufiihen Periode fich ein Richten des Kaiſers nad; Urtheil der Großen findet, Fälle,
bei welchen auch in Stalien in rein italienifchen Angelegenheiten nad) der im deut-
{chen Hofgerichte üblichen Weife geurtheilt wurde. Ficker, Forſch. J, $. 160. 162. 609.
3 Wir dürfen uns jedod auch nicht die Verbindung der einzelnen demt-
{hen Stämme irgendwie eng denfen, jeder derſelben bildete ein regnum füt
fi, lebte darin mit eigenen Dialekten, Trachten, Rechten und Gewohnheiten, haßte
und verachtete den Nachbarn gewöhnlich mehr als erſprießlich war. Waiß,
Berig. V, ©. 147, 148, dazu z. B. Widufind II, 15, wo die Lothringer une
friegerifch genannt find, Thietmar VI, ©. 32, der ihnen unbeftändige Gefinnung
155
denjelben machte fich feit dem Tode Ottos III. die robufte Kraft
Deutihlands geltend ?: der Erzfanzler Staliens war ftehend ein Deut:
iher, die Thätigkeit des Pfalzgrafen, der ftetS ein italienijher
wand gewohnter MWeife Unrecht vorwirft; die Alemannen find verruchte, zum
Rauben nur zu jehr aufgelegte Menfchen, Thietmar V, 7; die Baiern begnit:
gen fich daheim mit Wenigem, find aufer Landes aber unerlättlih, Thietm. V,
11 (VI, 8). Bet foldhen Gefinnungen war es natürlich nichts Seltenes, daR
gefährliche Kaufereien entftanden, fobald verfchiedene Völkerſchaften zuſammenla—
men: auf dem Reichstage zu Tribur, 875, geriethen Sachſen und Franfen au
einander, Annal. Fuldens. an. 875; während Konrads II. Aufenthalt in Hil:
desheim ftießen die fächfiichen Getreuen des Biſchofs mit dem gewiß im MWefent-
lihen fränkischen Gefolge des Königs zufammen, Vita Godeh. prior cap. 26,
SS. XI, S. 186; bei der Krönung Kunigundens die Baiern mit den Sachen,
Thietm. VI, 11. — Demnad ift e8 als eine weile Vorficht zu betradıten, daß
Heinrih II. die Alemannen, Franken und Lothringer außerhalb Pavias gelaffen
bat. Bergi. Thietnar VI, 6; Widuf.II,6.— Wie man in den Zeiten Arnulfs
meiteln konnte, ob eine Ehe unter den Angehörigen verichtedener Stämme nad) dem
Rechte des einen vollzogen eine rechtmäßige ſei (Waitz, Berfg. V,S.149), jo tagte
aud der Mönch Gottſchalk, daß die Zeugen, welche gegemmwärtig waren, als feine
Eltern ihn für das Klofter beftimmten, nicht wie er aus ſächſiſchem Stamme,
ſendern aus fränkischen gewefen, mithin der vorgenommene Act ungültig
ki. Hraban, im Einne der univerjellen Kirche, ermiderte, daß e8 vor Allem
auf die Glaubwürdigkeit und Rechtichaffenheit der Zeugen anfomme. Kunftmann,
Htab. Magn. Maur. S. 70. Im derfeiben Richtung fiel eine Enticheidung des
Cencils von Tribur. Waitz, V, S. 149 Anm. 4. — Waren die Gegenfätze
eines deutichen Stammes gegen den anderen fchon groß, fo waren die zwilchen
Deutihen und Stalienern im Rechts» und focialen Leben doc; noch größer. Thiet«
mar findet fie beftechlich, III, 8; gottlos, V, 16 und im Böſen einig, VI, 5.
Cie verziehen Gerbert nie, daß er im Dienfte des Barbarenkaiſers geftanden
hatte, ep. 11, 5. Vergl. Gfrörer, Kirchengeih. III, S. 1406 u. A. Sclugen
die Deutichen mit dem Schwerte drein, fo wehrten fich die Staliener mit den
unbeimfihen Waffen der Unterdrüdten, mit Gift und old.
I Der Inhalt von Bernos Schreiben (Giejebr. II, S. 674) fcheint mir
im Wefentlichen darauf hinauszulaufen, daß er den Stalienern eine Nolle über:
weit gleich derjenigen der übrigen Provinzen. Bon folhem Standpunkte aus
müflen fie fich natürlich ebenfo wie diefe vor übereilten Schritien hüten, dürfen
fie nicht einfeitig vorgehen. Was der Convent bei Kamba beichließt, wird ber
Geſammtmonarchie zu Nut und Frommen gereichen. Vergl. Pabft in den Forid.
V, S. 343. 346; Waitz, Berfg.V, S. 108 Anm. 4. — Zu diefer Auffaffung
ſtimmen die Bamberger Zeichnungen. Auf der einen Huldigen vier weibliche
Geftalten dem Könige Heinrih: Roma (Stalien), Gallia (Fothringen) Ger-
mania und Slavia (das rechtselbiiche Deutichland mit den Marken und Böh-
men, vergl. Wipo cap. 2: adjacentes Sclavi). Hier find alfo die vier Be—
Randtheile des Reichs in eine Linie geftellt ; Hielten Gallia, Germania und
Slavia, d.h. die nordalpinischen, wefentlich deutichen Theile deffelben, zufammen,
oder auch nur die compacte Maffe von Germania und Slavia, fo war ihre
Ücberlegenheit gegen das vereinzelte Roma von jelber bedingt, wodurch ſich je
ned andere Bild ergiebt, im deffen Mitte die blonde Germania fteht, Scepter
und Weltfugel, die Infignien der Herrfchaft, in der Hand haltend, zur Rechten
Roma, zur Linken Gallia, während ſechs weibliche Halbgeftalten, flaviiche
Stämme, Tribut bringen. Gieſebrecht II, S. 601, 95 und Titellupfer; Förfter,
Geſch. d. deutih. Kunft I, S. 68. Doc bleibt zu beachten, daß Italien einen
Erzlanzler — allerdings einen deutichen — hatte, während es für Lothringen
feine eigene Kanzlei gab; bezw. nur kurze Zeit gegeben Hatte. Dümmler, Oftfr.
8. U, ©. 407. 499.
156
weltlicher Großer gewefen war, als Vorfigenden im königlichen Hof
gerichte hörte auf, und am feine Stelle trat der Kanzler; mafjenhaft
wurden italienische Bifchofsfite, wahrfcheinlich auch reiche Abteien, durch
Deutſche beſetzt; die Königsboten für Italien und die Kanzler deſſelben
ſcheinen überwiegend jener Nationalität angehört zu Haben, und Hein—
rich III. erhob gar eine Reihe von Deutfchen zu römiſchen Päpiten !,
Das König = Kaiferthum ging abermals von national = deutfcher Baſis
aus, was ald natürliche Folge ergab, daf ſich in dem nicht deutichen,
doc beherrichten Italien ein Ruͤckſchlag gegen dajjelbe hervorbildete.
Er erfolgte durch den toscanifchen Bauernfohn (?), der als Gregor
VIL den Stuhl Petri beftiegen hatte?. Wie dieſer das Verhältnif
von Sid und Nord durchaus umgeftaltete, fo war er e8 auch, ber
jener Tendenz einer erblichen Thronfolge, die in Deutfchland im
Er immer wieder durchzubrechen fuchte, principiell den Garaus
machte.
Vorerſt eilte die Dynaſtie der Lindolfinger ihrem Ende zu; nicht
nur Otto TIL, auch Heinrich IT. ftarb, ohne Kinder zu Hinterlaffen,
und der einzige ihm überlebende Bruder war Biſchof von Augsburg.
Es ergab ſich daraus, daß die Anfprüche auf die Krone den Vers
wandten von weiblicher Seite zufielen, welde aus den Söhnen Ezzos
bejtanden, die nunmehr erwachſen waren, und zwei Konraden, den
gleichfalls felbftändigen Enfeln Ottos, jenes Kärnthner Herzogs, deſſen
Jus consanguinitatis ihm einft das Anerbieten der Thronfolge ein:
getragen hatte. Die mißliebige Che der Mathilde und der Umſtand,
daß es den Pfalzgrafen nicht gelang, einen Ausschlag gebenden Anhang
zu gewinnen, mußte fie gegen die Konrade zurücktreten laffen. Um
diefe jammelten ſich die Parteien, und zwar in der Weile, daß Pili⸗
grim von Köln mit den Lothringern zu dem jüngeren hielt, während
Aribo von Mainz mit dem größeren Theile feiner Suffragane und
der mächtigen Familie der Luxemburger fich auf die Seite des älteren
ſtellte. Ob Kaifer Heinrich einen von den beiden defignirt hat, läßt
Ficker, Forſch. zur Reichs- und Nechtsgeih. Italiens 8.171. 178. 322.
2Intereſſant für die auch bereits anderen Ortes auftauchende Aenderung
ber Anſchauungen ift der Bericht Anfelms in den Gesta ep. Leod. cap. 58,
SS. VII, ©. 224. Wiger von Ravenna wird wegen verichiedener Vergehen
1046 nad) Aachen vor König Heinrich III. gerufen. Das Urtheil der dort ver:
fammelten Bifchöfe ward gefordert; respondentibus quibusdam ad volunta-
tem imperatoris, quibusdam vero hesitantibus, venitur ad Wazonem
episcopum (Leodiens.), illo multum excusante, Italicum episcopum
nequaquam a se cisalpino debere judicari, imperator iterum,
ut ammonitus per obedientiam super hoc acto judieii sententiam edi-
cat, vehementer insistit. Darauf Hin wendet Wazo feine Einrede, e8 handle
ſich um Kirchliche Angelegenheiten, deren Enticheidung dem Papſte zuftehe; Waʒo
mochte fühlen, daß es mit feiner erſten Ausflucht übel ſtehe. Wir haben bier
alfo die zwei Anfhauungen: Heinrich III. und ein Theil der Berfammlung will
über den italienifchen Bifchof wie über einen Angehörigen deſſelben Reiches ge-
urtheilt wiſſen, Wazo fcheidet zwiſchen italienifchen und dentichen Stantsange-
a — Steindorff, Heinrich III. I, S.296; Wider, Forſchungen II,
157
fh nicht ficher beantworten, wahrfcheinlich ijt dem jüngeren die Be—
vorzugung zu Theil geworden 1,
Die verwidelten Verhältniffe bewirkten, daß abermals, wie nad)
ku Tode Dttos III., die Mächtigeren das Haupt erhoben und nad)
den Höchſten oder doh nach Hohem ftrebten. Daß dennoch bei der
Definitivwahl nur die Nachfommen der Lindgarde ernftlich in Betracht
gezogen wurden, zwei Männer, die fi an Befitthum bei weiten nicht
mit den Stammiesherzögen meſſen fonnten, zeigt klar wie nichts An—
deres, was es ausmadıte, daß ein Zröpfchen vom Blute des großen
Karl in ihren Adern rollte?, denn noch waren die Deutfchen nicht
dahin gediehen, fi) aus Politik machtlofe Könige zu ſetzen. Bekannt—
(ih fiel die Entjcheidung bei Kamba zu Gunften des älteren Konrad,
des würdigjten?, des ärmeren. Konnte e8 doc) fogar im Auslande
heißen, es jtehe derart mit ihm, daß er nichts zu verfchenfen habe +,
Der erſte Salier hielt es mit jeinem Sohne wie der erjte Dtto,
und Heinrich IV. folgte umangefochten als unmiündiges Kind feinem
Toter. Während der Minderjährigfeit deſſelben erftarfte der hohe
Adel zufchends, doc die Schlacht an der Unftrut entſchied das Ueber—
gewicht des Königs, welches er unter Anderem in der Weife zu nuten
wuhte, daß er die Thronfolge feines einjährigen Konrad durchſetzte.
E ſchien, al8 ob die Erbfolge des Erftgeborenen das Recht der Aut»
wählung erdrüden folle, und doch beitand gerade darin eine der we—
jentlihjten Handhaben für die anmaßlich auftretende Ariftofratie. Wollte
fie fi diefelbe wahren, jo mußte fie die Praris durchreißen.
Schon beim Tode Dttos III. hatte die revolutionäre Fürſtenge—
walt mit dein altehrwürdigen Thronfolgerechte des Geſchlechts den
offenen Kampf begonnen; fie war unterlegen, und nicht befjer ſollte
es ihr bei den Verſuchen ergehen, die fie zwei Jahrzehnte fpäter
machte. Erjt jest, da fie fich nicht entblödete, mit dem furchtbarften
deinde des König-⸗Kaiſerthums, mit dem regenerirten Papſtthume ſich
zu verbünden, erft jest gelarig es ein Weiteres durchzufegen. In
Forchheim wurde in Gegenwart zweier apoftolifcher Pegaten laut alle
gemeiner Zuftimmung für Necht befunden und durch die Auctorität
! Bergl. meine Studien zur Geſch. Konrads II. S.19—27. Zu ber dort
©. 27 Anm. 2 geäufßerten Möglichkeit bezügl. der Uebergabe der Infignien
dürfte Thietmar V, 9 als analoger Fall gezogen werden, wo e8 heißt: Bern-
hardus igitur dux, accepta in manibus sacra lancea, ex parte omnium
regni curam illi fideliter committit. Heinrich II. hatte die Lanze fchon feit
Monaten von Heribert in Händen.
? Bergl. meine Studien S. 24 Anm. 3.
’ Wipo cap. 2: propter virtutem et probitatem .. . pene omnes
eligerant. Wipo iſt allerdings nicht ganz unpartetiich, bei dem jüngeren Kon-
rad betont er nur deffen potentia und ambitio. Auch die Worte bei Gotfried
von Biterbo (SS. XXI, S. 243) find troß ihrer Jagenhaften Einkleidung für die
Sache als ſolche herbeizuziehen: Cuno ... interrogatus, quis ad imperium
aptior videtur.
* Wilhelm von Aquitanien ſchreibt an Leo von Bercelli: Cunon ... . ne-
que posse donare fertur, nec aliquid auferre in regno Italiae. Bou-
quet X, ©, 484,
158
des Vicars Chrifti beftätigt, daß die königliche Gewalt Niemanden mehr
durch Erbrecht zukommen dürfe, wie es bisher Rechtsgewohnheit ges
weſen, fondern ausfchlieglid durch freie Wahl der Fürften zu verges
ben fei (Bruno cap. 91. Paulus Bernr. cap. 95). Die Zufage
Rudolfs von Schwaben, feinem Sohne nicht ſchon bei feinen Yebzeiten
die Krone zuzumenden, liefert dazu den praftiichen Commentar.
Das Belieben der Keichsariftofratie hatte Geftalt gewonnen ;
die Yegitimität nahm den Kampf auf und führte ihn durch zwei Jahr—
hunderte. Ein neuer Abjchnitt der deutjchen Gejchichte war eröffnet:
die blutige Epoche der Gegenkönige. Aber wenn aud ein König von
Fürften und Papftes Gnaden geloben fonnte, dem Nachfolger Petri
treu und gewärtig zu fein, das deutjche Volk bewährte dennoch, daß
es ein Volk des Rechtes fei.
Wohl felten ijt in einem wenig confolidirten Reiche, unter bei—
fpiello8 ungünftigen Berhältniffen, jo zähe und folgerichtig an einer
ſtaatsrechtlichen Gewohnheitsfagung feltgehalten, wie in deinjenigen,
welches fich zeitweife von der Nordfee bis gen Apulien erftredte, an
dent Rechte der Familie auf die Thronfolge ; lange Jahrhunderte war
und blieb dort die Erblichfeit das Erjte und Urfprüngliche, wejentlich
nur als Regulator derjelben diente die Kur.
Kleinere Mittbeilungen.
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——
—
Berje ans der Huflitenzeit.
Mitgetheilt von R. Peiper.
Die nachſtehenden Gedichte fand ih, nad) Rhythmen aus der
Zeit des Verfalls ſuchend, um in ihnen Aufſchlüſſe über Erzeugniffe
früherer Zeit zu gewinnen, in dem ums Jahr 1702 zumeift aus
Handiriften der Pauliner-BibliotHef in Yeipzig zufammengetragenen
‘Opus miscellaneum’ des evangelischen Pfarrers Chr. Ezedjiel, eines
für die ſchleſiſche Geſchichtsforſchung wichtigen Sammlers, über dejfen
Leben md Schriften kürzlich Dr. Markgraf in der Zeitjchrift des
Vereins für Geſchichte und Alterthums Schlefiens, XII, 163—195
(1874), ausführlich berichtet Hat. Dort ift aud) S. 179 jenes Opus
mise. erwähnt, welches fich heut im Beſitz der Breslauer Stadtbi-
iothef befindet. In dem dritten (einft fünften) Bande deffelben jte-
hen die folgenden Gedichte ald Nr. VII, VII, XIX, XXXVII und
XXXVIII auf Bl. 127°, 1297, 207°, 448”, 45lr.
Ueber die Dichter, denen IL und V zugefchrieben werden, Johann
von Weglar und B. de Marojchis Habe ich nichts in Erfahrung
bringen könnn; die jchlechten Bere, zumal de& erfteren, laſſen fie aud)
einer mühſeligen Nachforſchung wahrlich nicht werth erjcheinen.
Die Abſchrift Ezechiels ift reih) an Fehlern, deren BVerbefferung
nicht überall jofort zur Hand war; oft genug mag die jchledhte Schrift
der Vorlage die Schuld daran tragen, aber zur Erklärung von Feh—
lern wie 3. 3. IV 1, 1 promere et usque reidjt eine foldhe Ans
nahme nicht aus; wir finden ja im III und in den in der Anmer—
fung dazu angeführten Liedern Huffitifchen Inhalts, wo mehrere Hands
Ihriften zu vergleichen geftattet war, Uebereinſtimmung der letzteren
in den meiften Fehlern und müſſen diefelben alſo auf Rechnung man—
gelhafter mündlicher und fchriftlicher Weberlieferung fegen.
Dem Gedicht I ift der befannnte Hymmus de ceruce domini
des Claudianus Mamertus zu Grunde gelegt, IV der alphabetifche
Hhmnus des Sedulius: A solis ortus cardine; V der Johannes—
hymnus des Paulus Diakonus; die Vorlage für III ijt viel jünger;
von ihr wird weiter unten Mittheilung gemacht werden.
XVII. 11
1.
2.
| Hymnus, quem Bohemi Pragae in celebratione festi Johannis
Huss decantarunt.
Pange lingua gloriosi
Praelium certaminis,
Quo bellantur studiosi
Vi divini numinis
Contra dolos eriminosi
Et perversi agminis.
Virum gignit virtuosum
Bohemorum regio;
Castum, pium, fructuosum,
Suo fovet gremio;
Viva fide animosum
Transmittit concilio.
Ibi legis veritatem
Forti mente profitens,
Tectam cleri vanitatem
Clara voce detegens
Ac vivendi puritatem
Per scripturas astruens:
4. Tanquam privus condem-
natur
Verus a fallieibus,
Vinelis diris mancipatur
Justus a scelestibus,
Sanctus igne concrematur
Saevis a tortoribus.
. Sie fidelis coronatur
Servus vitae laurea,
Et honore sublimatur
In caelorum patria,
Quitriumphat, dum luctatur
Mundi cum malitia.
Patri summo atque nato
Laus sit et imperium
Spiritui ac beato
Ultra aevi terminum,
Qui fideli tribulato
Suum donat gaudium!
Versus hexametri de inceineratione haereticorum Hussonis et
Jeronymi a M. Joh. de Wetslaria compositi.
Jam breviter mundus mendacem dicere totus
Juste censetur Hussonem Parce ministrum
Et deceptorem fallacem tot animarum,
Ille haereticus combustus et incineratus
Est in concilio Constantiae rite parato
Anno milleno C quater decimo sexto.
Audivi dici, et est mihi saepe relatum,
Cum hie haereticus Husso duceretur ad ignem,
A viris doctis et magnis est sibi dietum
Neenon consultum: tantum remaneret inultum
Hoc malum, jam actum per eum et saepe patratum,
Si reclamaret; ab igne se liberaret,
Si tamen haec fieret praesenti synodo sancta.
Illis dicebat respondet atque ajebat:
15. ‘Nobiles jam multos populos et agmina multa
Petro fidem illam traxi, imo et stabilivi;
Hac mihi de causa non reclamare licebit'.
10,
I, 4,, Vineulis 9f
II, 15 populosor die Abſchrift, pplosor am Rande.
163
II. Carmen s. rhythmi Latini de haeresi Bohemorum.
l.Omnes Christicolae
mentes advertite,
statum mundi cernite,
mox ex hoc perpendite,
messem esse prope.
2. Fides — catholica,
orthodoxa ecclesia,
papa cum fratribus
ac dominis praesulibus
simulque totus elerus.
3.Hen male despieitur,
dum per vim subjieitur
seculari gladio;
inmn hujus mundi studio
‘ aufertur honos deo.
4.Montibus pellueidum
sol abstraxit radium,
quem nunc a convallibus
humiliumque eordibus
_ tredo recessurum.
‘| 9 Fides fugit Asiam,
J derelinquit Africam,
eaul est Bohemiae
‚simulque Moraviae
in finibus Europae.
‚His jam in confinibus,
diversis scismatibus,
varlis haeresibus,
perversis dogmatibus,
errores renovantur.
1, Error ibi Arrii
simulque Nestorii,
malitia Eunomii,
scelus Macedonii
ac Euticis perversi,
8. Pelagii malitia,
Ebonitae nequitia
Wiclefque stultitia,
simul Huss maleficia
ac haeresis perversa.
— in
9. Anno millesimo
| quatercentesimo
' additoque decimo
orta est haec scissio
in Pragensi clero.
10. Stipes hujus haeresis
cum suis fallaciis
est Wiclef auctor sceleris,
degens nunc in inferis
cum dogmate perverso.
11.Ex quibus post ortus est
et Johannes Husinecz
Johannesque Biskupez,
Nicolaus Kunrateez,
Christianus Jacobellus.
12. Haec sunt primogenita
in ista malitia,
qui sanctorum merita
cum sua nequitia
noverunt postergare.
13.Ex quibus post orti sunt,
qui hanc sectam astruunt,
veritatem neseiunt
sanguinemque sitiunt;
hoc est genus perversum.
14. Horum jam recensita
maledicta nomina
sunt in baratro nota,
quorum signatio tota
est maledictio plena.
15. Hi regnant in aetheris
sieut cancer in aquis,
quorum hic memoria
sine omni gloria
non est laude digna.
16. Horum jam novissimus,
Ruckizanus pessimus,
Panista scelestissimus,
nequam astutissimus,
haeresis defensor.
17.Hi de stirpe Canaan,
pater quorum est Satan,
genuit quos Jesabel,
Tschieth gym vladne
ydiabel
in regno Acherontis.
18. Romanam ecclesiam
asserunt adulteram,
papam Christi vicarium
et coetum cardinalium
Pseudo nominantes,.
1l®
164
19. Omnesque articulos 23. Heu caput nostrum ceecidit,
hos Wicklef erroneos quod huic sectae restitit,
dieunt salutiferos, Ladislaus occubuit,
heu Christo consonos, totus orbis doluit
false condemnatos. de tanti regis morte,
20.Hi ambulant in griseis 24. Jesu rex in aethere,
tunicis, caputiis in brachio potentiae,
cum longis liripipiis nutu tuae clementiae,
in summitate verticis, in regno Bohemiae
cussinam differentes. fidem tuam defende.
21. Haec secta fortissima 25. Mater misericordiae,
est et validissima pietatis et gratiae,
caput habens validum, nobis fer spem veniae,
Podiebrath Georgium, in valle hac miseriae
regem hunc modernum. populum defende.
22. Hine sanctus apostolus 26.Omnes devotae animae,
claret ex sie) baronibus, Vestro posco juvamine:
imperator validus errorem hunc ut valide
cum caeteris principibus deus misericordiae
secum pepegit foedus. conculcet, exorate!
K. Höfler, Geſchichtſchreiber der Huffitifchen Bewegung in Böh—
men I (Fontes rerum Austriacarum. Erſte Abth. SS. IL Band),
hat S. 558—560 denfelben Rhythmus als ‘cancio de autoribus
bohemieci scismatis aus der Handichrift der Prager Univerfitäts
bibliothet XI C 8 in etwas anderer Geſtalt herausgegeben. Beide
Texte liefern gegenfeitig fo manche Verbefjerung und Ergänzung. Ich
bezeichne Höflers Text durch P, den Text Ezechiels durch L.
Die Breslauer Abſchrift enthält die Notiz: compositum fuit
hoc carmen circa a.C.1463. vid. Cod. 841 Libb. Coll. Prine.
Maj. pag. Cat. Feller. 381. “Diejelbe bezieht ſich auf das bekannte
Tellerfche Verzeihniß, in welchem ich auch angezeigt finde: Rhytbmi
de morte Wenceslai Imperatoris; M. Joh. de Wezlaria versus
de ineineratione Bohemorum Hussonis et Hieronymi, ©. 363
Nr. TI und ©. 404.
1,, mente L ,ethoc L 2,, nunc fehlt P , cum suis fr. P,
lie® domnis 3,, displicitur L_ , in mundi hujus P „honorP 4,
pellueidis L_ perlucidis P. Reim und Sinn fordern pellucidum , que
convallium L , cordium L 5,, dereliquit P 6 Error ibi Arii ift
vor V. 1 geftellt aber als Anfang von 7,, dort wiederholt 6,, dimersis L
7, AriiP , que] etP „ac fehlt P 8,, Ebeonite P „ que] ibi P
« Hus simul P ,„ heresi P 9,, quadringentesimo P quatercensimo L
10 Ex quo mox exortus est ift hier in P vor Vers 1 gefetst, derielbe
Bers bildet dort den Anfang von Str. 11. , est zu tilgen; oder sceleris
und inferis zweifilbig zu lejen sa scelerum zueft L 4 inferum zu⸗
eft L 11,, Ex quo mox exortus est P Ex quibus post omnibus L
a et fehlt P Joh. deH. P Huspenitz L „BiscopitzL , Commenitz L
s Christiannus P Jacubellus L 12,, que P ,„ postergia L poster
gare bedeutet contemnere; f. Ducange 13,, orta P „ et ver
165
tatem L et fehlt P. Die Strophenorbnung ändert ſich in P, e8 werden außer
einer Anzahl böhmifcher Strophen mit einzelnen lateinischen Worten, die ich durch
Kreuze bezeichne, vier lateinische Strophen (Sternchen), welche in L fehlen, ein«
geihoben, dagegen zwei, die L hat (Str. 21 und 22) mweggelaffen; die Ordnung
it folgende:
. 13 +17 15 **r 14 y * 16 * 20 18 19 23 bis 26.
14,, incensita L_ ,—, quorum signacio | tota est maledictio [| plena P
quae insignatio tota | est maledictione plena L 15,, memoria] zuerft
romina L 16, , Rokyzcana P , sclestisimus P , nequam] ribal-
dusP ,„ heresin defenditP haeresis desordesL 17,, HiceP 17,,
Czert gymi wladne v diabelP „ achirontis au P 19,, que] hii P
‚hos] hus P erroneus zuerfi L_ , heu ift zweifilbig, es fehlt P Christi
legi consones P 20,, cusinos P deferentes P 22,, suis iſt zu tilgen
23,, sectae] heresi P „sic P fehlt L tota urbs, darüber orbis L
%4,, O Jesu P ,nutritorP „in regno hoc B.P 25,, Mater P
Jesus L 25,, brachiumque extende P 26,, deposco L Amen P.
Unfer Gedicht ift einen Schon ein halbes Jahrhundert früher ver-
faßten Rhythmus gleichermaßen Huffitiichen Inhalts nachgebildet, den die
befannte Handfchrift des Nicolaus de Coſla, feit 1414 Francisfaners zu
Gaſla, (Breslauer Univerfitätsbibl. I, D. 466) uns aufbewahrt hat:
Omnes attendite,
animadvertite,
quidnam sit plangite
et mentes avertite
ab errore tali.
Es iſt nicht dactylifcher Rhythmus, wie man leicht meinen Fönnte,
berim vierten und fünften Verſe dem trochäiſchen Platz macht, fondern
durchgehends trochäiſche Schhsfilbler, die nad) Belieben durch Anacrufis
zu Siebenfilblern erweitert werden, ein Zeichen tiefen Verfall® der rhyth—
miſchen Kunſt, den auch die entjetliche Mißhandlung des Accents be=
zeugen mag. Man hüte fih V. 111 ff. zu betonen:
licet ipsa flüctuet
räta semper permanet,
audi tü seismätice
ätque tü heretice
non tamen mergetur.
man würde fich in einer gewaltigen Täufchung betreffs des wahren Rhyth—
mus befinden!. — Ich glaube die Gelegenheit benuten zu dürfen, ei»
nige Ungenauigkeiten der früheren Abdrüce dieſes Rhythmus aus der
Breslauer Hdf. durch J. Feifalit? und H. Palm?, denen, ohne feine
Vorgänger zu fennen, K. Höfler einen Abdrud der Thunſchen Hdſ.
folgen ließ *, zu berichtigen bez. zu ergänzen; ic) bezeichne des Nicolaus
HU. durch B, die Thunfche, von der id, da fie in Bezug auf den
ı Diefelben Eigenthümlichkeiten weift das kürzlich im N.Ardiv II, 422 von
Vattenbach herausgegebene Lied (in anderer Strophenform) auf.
* Situngsberichte der Wiener Alademie XXXVI, Heit 2.
: Abhandlungen der fchlefiichen Gefellihaft für vaterländifche Cultur, phi«
isf.hift, Abth. 1862, Heft 2 Nr. VIII.
Geſchichtsſchreiber der Huffitiichen Bewegung IL, S. 93 (1865),
166
m weniger Werth befittt, nur einiges Beachtenswerthe mittheile,
durch T.
V. 16 f. Exponens argenti | copiam et auri: jo lee id
de8 Reimes wegen im Anfchluß an T, nur daß diefer aurique hat.
20 adimpleri bedeutet aucd) das conpendium in B. 26 eius
cuius BT 29 ducum gibt T, ac jtatt et BT 42 dolus B
V. 50—55 ftehen von erjter Hand hinter V. 125, find aber durd
Zeichen derfelben Hand an ihre richtige Stelle verwieſen. 56 cleri-
euli T. 65 hier jtand in B zuerjt lex est desolata, während V. 70
ganz fehlte; eine jpätere Hand hat jenes durchjtrichen, und das ride
tige hier wie V. 70 am Rande nachgetragen. 72 nam sibi hoe
placet BT. 75 defendat T. 89 jtatt ineipati lies mancipati.
V. 81—95 find am untern Rande von der genannten fpäteren Hand
in B nacdjgetragen und durch ein Kreuz vor V. 96 an ihre Stell
gewieſen. In T fehlen diefe drei Strophen ganz und gar, ebenjo die
vier Strophen V. 101—120, von denen die erite V. 101—105 in
B erft am ande nachgetragen iſt ohne ein ihre Stelle andeutendes
Zeichen; die beiden Strophen, die allein nod in T nach) V. 70 jtehen,
folgen in umgefehrter Ordnung auf einander: 121—125, 96—10.
Wenn die Lesart von B in 101 f. Conjunget (fo!) eivibus suis
celestibus und in 105 tueatur von Palm umgeändert werden, um
durch tueare diefe Strophe mit der folgenden im Schlußreim aus
gleichen, fo ift das nicht zu rechtfertigen. Denn das Verfahren, zwei
Strophen durch Reim am Schluffe zu verbinden, ift in diefem Gedicht
nicht durchgeführt, in dem von mir herausgegebenen wird es gar;
vermißt, fo aud) in dem bei Feifalik S. 155 abgedruckten; ferner
liegt uns das Lied nicht in urfprünglicher, fondern erweiterter Geitalt
vor, wie die Uebereinſtimmung der erjten Hand von B mit der Thun:
hen Hd. gegenüber den Strophen zweiter Hand in B erweilt, wie
vor allem die Strophe 116 ff. verglichen mit 56—60 bezeugen fanı;
ja wäre vom Berfaljer wie vom Snterpolator der Reim mit Strenge
durchgeführt, fo früge es fich doc immer noch, ob nicht der zweite
Schreiber eine Strophe zu wenig zur Seite notirt habe.
Bon Aeufßerlichkeiten notire ich, daß B Hinter den meiften Stro—
phen ein W’ wie T ein V gibt; in B finden fid) 94 katholica,
120 condemnati ohne p.
Der einzige Vers, der aus metrifchen Gründen anzufechten fein
dürfte, it V. 116: nirgends erjcheint wie hier eine doppelte Anacrufis.
plures érant scismatici.
Ich glaube, eine Erklärung ift hier cher am Plate, al8 eine Aen—
derung, 3.3. von erant in sunt. Die Doppelfilben ia, ie u. ſ. w.
werden jchon im früheren Jahrhunderten durch Verdichtung des i zum
Conjonanten vereinfacht, wir finden das in den böhmischen Liedern jehr
häufig angewendet; griseis wird zweifilbig gebraucht (oben Str. 20,1).
Die Funftlofe Dichtung, mit der wir e8 eben zu thun haben, geht
weiter: fie weiß ſelbſt zwei durch Conſonanten getrennte Vofale in ei—
ner Silbe zu einen, und irren werden wir ſchwerlich, wenn wir der
167
Beweglichkeit der ſlaviſchen Zunge einen guten Teil an diefem Verfah-
ren beimejfen. Ohne dieje — iſt mit dem einfachen Schema
v) — v — V — v
in dem obigen Liede nicht durchzukommen; wir müßten dann einen
beliebigen Wechſel zwiſchen drei und vier Trochäen dem Verfaſſer zu—
geben. Als Beiſpiele dieſer Verſchmelzung führe ich zunächſt Str. 16
auf, deren Superlative ſämmtlich jo zu kürzen fein dürften, daß si für
das Ohr jchwindet ; ferner en
204 cum longis liripipjis — s in summitate verticis
22, cum ceteris prineipibus — 23,ı heu caput nostrum cecidit
2%, omnes devotae animae — » vestro Posco juvamine
s errorem hunc ut valide.
Ein zweites Lied derjelben Form Hat Feifalit a.a. DO. S. 155 aus
einer Prager Hdf. mitgeteilt. Es fteht dem unfrigen in Inhalt und
Ausdrucksweiſe jo nahe, daß man beide einem Verfaſſer zuweifen möchte,
Es beginnt: O’rdo catholicus
et apostolicus
vergit noster penitus
ätque corrüptus
destruitur cünctus.
V. 4 ift zu kurz; vielleicht: atque prorsus corruptus. In
2. 20 (hec sunt in auita) lies inanita, der Punkt dahinter ift zu
tilgen. V. 30 lies fide postergata oder postergiata (vgl. oben
Er. 12,5) 45 lies feruntur 49 candidati cunctique prelati
56 Horrores 90 fert] fertur, fervet, furit: eins davon wird richtig
fin. 115 ac nunquam.
IV.
Hymnus in profligatione Vietorini Bohemi nefandi Georgü
Hirsiei primogeniti.
1. A solis ortus cardine hyreineis dat Hyrsicum,
ad usque caeli aethera quando suseipit filium.
laudes confer, oro, Christe,!5. Elisa est potentia,
natus Maria virgine. fortis ave Phetonia,
2. Beatus ergo pontifex, atlethae ferens stigmata,
Paulus Secundus ordine, perfers,quodPaulussenserat.
Christi redemptum populum |6. Caeno jacere compulit
curavit, ut ne perderet. Victorinumque vinxerat,
3. Clausa potenter moenia Pannoniae inelytus id
diri Bohemi subiit, Hyrsicus adhuc esurit.
armisqne gens acta sensit|7. Gaude chorus terrestrium
flagella, quae non noverat. et angeli canant deo;
4. Domus ruit praefulgida, ruit Sathan divinitus,
nam caesar almus heremis laus sit creatori Amen.
1,, eardine] promere Hoſ. „ ad] et Hbf. 4,, hereni HD].
168
Versiculus:
Laqueus contritus est Alleluja.
Et nos liberati sumus Alleluja.
Oremus: Perfice quaesumus, omnipotens deus, ut quae sacris
sunt inchoata primordiis pugiles tui Sanctorum Petri et Pauli
muniti vexillis feliceem consequantur effectum, per ete. etc.
V.
Hymnus in processione vietoriae de Tureis et Bohemis profligatis.
1,
Vt queant laudes decantare tuas
voces obstrusi populique fessi,
assit benignus spiritus e caelo,
Christe, emissus.
. Audiant patres proceresque tui
Petrus et Paulus, qui saepe suas
clavis et ense protexere partes,
inclyta Roma.
Traxerat Sathan Bohemusque plures,
qui Christi spreta concione sancta
bona templorum rapere non veriti
consurrexerunt.
. Morat et sectam perfidam Turcarum,
quae sacrum dogma Christi quasi signum
temere calcans et elata minis
te, Jesu Christe.
. Sed, Christe, verax fideique tutor,
Paulum pastorem gregis erexisti,
. qui zelo tui haeresim tenentes
premeret ausus.
. Namque dum Turcos Machimetis videt
cornua tendentes, Hungarum ciet,
Venetos hortatur, ut tuos hostes
sternere pergant.
. Hunc, sacri vates caelicique caetus,
praesulem nostrum precibus juvate,
ut summo patri palmam, quam concepit,
integram reddat.
Post Communionem.
O admirandum divinitatis opus, glorificata est nune sancta
Mater ecclesia, quando gentilis hereticaque turba confusa jacet.
B. de Maroschis, Sanctissimi Domini nostri Papae Depo-
sitarius composuit.
4,, perfidem Hbf. 6,, Machimetes Hbf. hugarum Hdſ.
7," Innatao Abjdrift, ’
Heinrich von Herford und Petrus von Herentals,
Don C. Müller.
In den Forihungen XI, 257 hat Lindner auch die in Baluze,
Vitae paparum Avenionensium, aus Petrus von Herental® entnom—
menen Vitae beiprochen. Er erfennt in der Vita Johannis XXI.
einen Auszug aus dem Werf des Bernardus Guidonis, nimmt dann
aber für die folgenden Abjchnitte an, daß in ihnen feine andern Quel—
fen benutst worden feien, als Urkunden und perjönliche Erfundigungen.
Das letztere iſt nicht richtig.‘ Schon in der Vita Johann XXL.
und noch mehr im den folgenden des Benedict XIL., Clemens VI.
ud Innocentius VI. finden ji) unverfennbare Spuren von Heinrid)
von Herford. Meift find die Stellen faft wörtlich abgeſchrieben, wie
fi bei einem Vergleich folgender Stücke ergeben wird:
$n der Vita Johannis XXII (Baluze ©. 182 unten)
Unde dominus Durandus bi8 per regem Franciae defensatus’
vergl. mit
Heinr. Herf. (ed Potthast) ©. 255 unten: “Item dominus
Durandus bi8 Franciae defenditure. Sodann:
Betr. Her. a. a. DO. ©. 183 ‘Item anno Domini 1334’ bis
zum Schluß mit
Heinr. Herf. 255 “Vicesimo anno bis supradictis expira-
vit, wobei nur P. H. die von H. H. theilweife gegebene Bulle voll-
fändig giebt und dafür einen fleinen Sat aus H. H. wegläft.
Ferner ift:
Vita Benedicti XII. ©. 237 mit Ausnahme des Sates
im Eingang ‘multa in principio bis vietum et vestitum’ voll-
ſtändig aus
Heinr. Herf. ©. 256 ‘Cui Benedietus XII. bis ‘apostoli elec-
tus’ und “Vicesimo primo bi8 sieut hereticus habeatur’ und S. 265
‘Vieesimo septimo bi8 repleta mero’.
In Vita Clementis VI: Der Anfang ©. 309 f. Cle-
mens VI. bis anno Domini 1342. mit
De Herf. S. 265. “Vicesimo octavo’ x.
äre uns der Theil des Werkes von Petrus von Herentals zu=
gänglich, welcher die Kaifergefchichte enthält, jo würde fi) wohl aud)
die Schilderung der Geißlerzüge finden, die H. H. ©. 280 giebt.
170
In der vita deutet Petrus S. 316 nur ganz kurz auf diefelbe Hin
und verweijt für das nähere auf das, was er unter Karl IV. (‘Ka-
rolus magnus ultimus imperator’ heißt derfelbe) gejagt.
Die Vita Innocentii VI. enthält S. 361 in dem erjten
Heinen Abjchnitt das, was H. H. S. 286 über die Yaufbahn des
neuen Papſtes fagt.
Endlich) kommt auch noch das Stüd in Betracht, das Watten- |
bad) im Ardiv für öjterr. Geih. Bd. XLII, ©. 516 ff. veröffentlicht |
hat: Hier ift die Schilderung der Uebergabe der Reichsinſignien
‘Anno autem L. Karolus bis recepit ab angelo’ ebenfalls aus
9. H. S.284 entnommen, nur mit dem Unterjchied, dag H. H. dad
jelbe Ereigniß zum Jahr 1349 erzählt.
Theodoricus von Silva benedicta.
Ein Beitrag zur Gejhichte Kaifer Friedrichs I.
Don Hermann Grandaner.
In einem um das Jahr 1168 abgefaßten Briefe erzählt Johann
von Salisbury von einem. Karthäufer, der im Februar 1168 nad
den durch den Ausbruch der Peſt fo verunglücten Zuge Kaiſer Frie—
drihs gegen Rom einen vergeblichen Verfuch machte, ihn mit der Cu—
Te auszuföhnen. „Vor den Augen der ganzen Welt“, berichtet er,
„as Feind der Kirche Chrijti geitraft und gebrandmarft, rings um—
tobt von dem Aufruhr in den lombardifchen Städten, die zuletzt ein
von gegen zwanzigtaufend Mann wider ihn auf die Beine ftell-
ten, während dagegen die Zahl feiner Anhänger und Vertheidiger ftet8
abnahm, ſei Friedrich ſcheu wie ein gehetttes Wild von Burg zu Burg
geeilt, im feiner länger dem zwei bis drei Tage verweilend und nur
jo feinen Berfolgern entgehend. Da in diefer angftoollen Lage habe
er religiöfen Vorſtellungen ein bereitwilligeresg Gehör geichenft und
namentlich einem gewiſſen Laienbruder der Chartreufe, einem vertraue
ten Freunde der vorfchismatischen Zeit, der nun neuerdings vor ihm
ericheinend im beredten Worten auf das Verderbliche jenes Wagniffes
und den allein zum Heile führenden Weg der kirchlichen Wiederver-
ſöhnung hinwies, feine Bitte um fofortige Berufung von Vermitt—
Iungsboten, nämlich des Priors der Chartreufe, des Abts von Citeaux
und des von den Kaiferlichen verjagten Biſchofs von Pavia, nicht ab—
zuichlagen vermodt. Nach dem Berichte des Engländers machten fich
auch die Berufenen fofort auf den Weg, bis auf den Abt von Citeaux,
der erfranft war und defhalb Gaufried von Aurerre, den frühern Abt
von Clairvaur, ſchickte. Doch ihre Mühe war ebenfo fruchtlos wie
des Kaiſers Vorgeben eitel Lug und Trug und ein bloßes Blendwerk
ſchnöder Politit und Kriegslift. Denn diefe Verhandlungen follten nur
andere decken, bie inzwifchen in des Kaiſers Namen von Marfgraf
Wilhelm von Montferrat mit feinem Verwandten und des Kaifers
deinde, dem Grafen Humbert von Maurienne, angefnüpft waren und
die freie und ungehinderte Rückkehr über die Päffe der Weitalpen nad)
Burgund bezweckten. Das Mittel gelang vollftändig; nicht nur daß
172
die Lombarden über die eigentliche Abficht oder die Sendung des Marl:
grafen in Unkenntniß blieben, fondern fie ftellten auch in Erwartung
eines für fie ebenfo wie für die Kirche gültigen, wenigſtens vorläufi—
gen Friedensſchluſſes ihre Verfolgungsanftalten größtenteil® wieder ein:
War hierdurd dem Kaiſer eine freiere Bewegung ermöglicht und zus
gleich die Unterhandlungen wegen des Durchzugs durch allerdings große
Zugeftändniffe zum raschen Abſchluſſe gediehen, fo brach er fofort auf,
die dargebotenen Vortheile zu benützen und fich feinen Yeinden durch
Ichleunige Flucht zu entziehen ; den Friedensboten aber gab er die Antwort:
fie würden vergeblid) kommen, außer fie brächten einen Engel des
Himmeld mit oder kämen mit Wundergewalt über Ausfägige und
Todte ausgerüftet !,
Für diefe feine Mittheilungen beruft ſich Johann von Salisbury
auf den Karthäuferbruder felbft, und wenn auch die Einzelheiten nicht
zu verbürgen find, it doch an dem Kern der Erzählung kaum zu
zweifeln. Auch Pruß hat fie für feine Darftellung verwerthet, befennt
aber über den Karthäufer felbjt nichts Näheres angeben zu Können:
„wie er hieß, wilfen wir ebenfo wenig als wie und wo er früher mit
dem Raifer in Berührung gefommen ift“. Faſt fcheint e8, als ob er
ihn der Gertoja bei Pavia zujchreiben wollte; denn dorthin ſetzt er den
von Johann von Salisbury ebenfalls erwähnten Prior der Karthaufe?,
Aber die Certofa bei Pavia ift erft über 200 Jahre fpäter von Gian
Galeazzo Visconti gegründet worden ®,
ı Joannis Saresberiensis epist. ad Baldwinum Exoniensem archi-
diaconum Nr. CCXLIV bei Giles II, 130; Migne Tom. CXCIX, col. 281.
— Nr. LXXIV Bouquet-Brial Tom. XVI, ©. 582, D: quia eum Lum-
bardi congregato exercitu usque ad 20 millia militum prosequebantur
et obsidere decreverant. — Giles II, 131; Migne col. 282 — Bouquet-
Brial XVI, 583 A--B: Est autem in domo Carthusiensi vir admodum
religiosus, quondam familiarissimus imperatori, qui ab eo pridem re-
cesserat ob conscientiam schismatis, et ei plurimo compatiebatur af-
fectu. Hic ergo accessit ad eum cum lacrymis, sibi pro certo inno-
tuisse asserens, quod pacem non erat habiturus, nisi ecclesiae Dei red-
deret pacem; institit autem et obtinuit, ut evocaret per litteras suas
priorem Carthusiensem, abbatem Cisterciensem et episcopum Papiensem,
quem expulerat, et promitteret, se consilio eorum in omnibus acquie-
turum, dummodo illi in se reciperent periculum juramenti, quod
contra papam Alexandrum fieri fecerant. — Giles 132; Migne, col.
282 — Bouquet 583, B-C: Viri autem religiosi, quos evocaverat, arri-
puerunt iter, excepto abbate Cisterciensi, qui gravi detentus infirmi-
tate, vice sua misit dominum Gaufridum Antissiodorensem, qui Cla-
revallensis fuerat abbas, praemittens [praemittentes: Bouquet] fratrem
quemdam, qui a tyranno exploraret, ubi et quando eorum vellet uti
colloquio. At ille, audito adventu eorum et litteris, jam de exitu suo
certus, induciis impetratis, respondit, eos ob hanc causam frustra ven-
turos esse, nisi angelum de coelis secum patenter adducant, aut ve-
niant in potestate faciendi miracula, ut possint mundare leprosos et
mortuos suscitare; et sic illi ad propria reversi sunt. Hoc mihi idem
conversus Carthusiae, qui legationem gesserat, retulit.
2 Kaiſer Friedrich I. Bd. II, 103. ,
3 Bgl. Francesco e Gaötano Durelli, La Certosa di Pavis, Mi-
173
Jener Karthäuferbruder ift indeſſen nicht fo unbekannt, als es
nah Prutz erfcheinen fünnte.e Schon der franzöfiiche Herausgeber hat
in einer Note zu der foeben citierten Stelle aus Johanns Briefe die
Pentität des conversus Carthusiae vom Februar 1168 mit dem mehr
dern neun Jahre fpäter noch beim Abjchluß des Venetianerfriedens (Juli
1177) thätigen und darum vom Kaiſer in feinem Schreiben “Ad
Abbates et Fratres Cistereiensis ordinis’ neben den zwei Haupt—
vermittlern aus diefem Orden dankbar erwähnten Karthäufermöndhe
Theoderich richtig betont. Schon im Vorjahr (September, vielleicht
don Auguft 1176) erjcheint Theodorih in einem an den einen der
beiden Giftercienfer, den Abt Hugo von Bonnesvaur, gerichteten Briefe
Friedrichs; er iſt e8, mit dem lekterer, al® mit einem engen Vertraus=
tn, des Abts PVerföhnungsgutachten beſpricht und den er mit neuen
Mitteilungen an den Abt betraut?, Demnach hat Theodoric) zwei—
mal in fritifchen Lagen des Kaiſers, das einemal, als die Peſt das
deutihe Heer vernichtete, da8 andere Mal nad) der verhängnißvollen
Shlaht von Pegnano, ein Verſtändniß mit der Curie herbeizuführen
uht und alſo auf die Geſchicke des Neich einen, wenn auch ver:
borgenen, dennoch tiefgehenden Einfluß ausgeübt. In welch' hohem
Grade er fic das Faiferliche Vertrauen errungen haben muß, bezeugt
feine wiederholte Berufung zu den Piacenzer und Gonftanzer Fries
lano 1863, fol., introducione S. 1: La certosa di Pavia & dovuta alla
munificenza di Gian Galeazzo Visconti, Conte di Virtü o Vertus, primo
Duca in Milano. Nel giorno 8 settembre dell’ anno 1396 ne pose egli
steso la prima pietra colla piü grande solennitä.
! Bouquet-Brial Tom. XVI, S. 583 Note a: Vocabatur is Theo-
derieus, uti videre est in epist. Frederici Imp. ad Cistercienses, apud
Gerrasium Dorob. inter Angliae scriptores X, col. 1440. Entweder hier
oder ipäter bei Bouquet-Brial im gl. Bande ©. 698, D, Ep. Frederici: No-
tum autem vestrae religioni facimus, quoniam operantibus dilectis
nostris viris magnae sanctitatis atque devotionis P. episcopo Claro-
montano et abbate Bonae-vallis, et fratre Theoderico converso Carthu-
siae, qui studiose et efficaciter pro pace et concordia inter nos et jam
pominatum A. Romanae eeclesiae pontificrem laboraverunt, discordia
et lis, quae diu viguerat, penitus est consopita, et dilectio, quae inter
nos perierat, ipsis mediantibus, est reformata. Bei Pertz Legg. II, 154
ſteht ein gleicher Brief, nur mit dem fachlichen Unterjchied, daß feine Adrefje fich
an die Erzbiichöfe, Biichöfe, Aebte und andere Bäter (‘et aliis patribus') des
Ciftercienjerordens richtet und die Verdienfte des dritten Vermittlers, des ‘frater”
eonversus Carthusiae, nicht erwähnt werden.
ı Ep. (Rr. XXIII) Frederici ad Hugonem abbatem Bonae-vallis,
bi Bouquet-Brial XVI, &.698, B: Et quoniam de prudentia tua bene
enfdimus, consilium tuum de reformanda ecclesiasticae pacis unione
teptabiliter suscepimus; et inde, quantum hoc tempore potuimus,
pro consilio familiarium nostrorum cum fratre Theoderico contulimus,
quse per eum tibi intimanda commendavimus. Für die Zeit ift maßge—
dead der folgende, gleichfalls an Hugo gerichtete Brief Fr's. Ep. XXIV, ©.
698, C: Dilectionem vestram attente rogamus, ut in proximo sancti
Michaelis festo praesens ad nos in Lombardiam venias, quoniam illie
0 tempore finaliter tractandum est ecclesiae negotium, cui tractatui
te specialiter cupimus interesse.
174
densverhandlungen im Jahre 1183 und die defhalb für ihn, den Bi—
ihof Wilhelm von Ajti und den Markgrafen Enrico-Guercio von
Savona ausgeftellte Urkunde mit unbegrenzter Vollmadjt, die in äu—
ßerſt jhmeichelhafter Weife auf ihre frühere jo erfolgreiche Thätigfeit
Bezug nimmt !, Der Raifer hatte ſich nicht verrechnet; die Männer,
welche er berufen, fanden fofort den richtigen Weg und vereinbarten
zu Piacenza mit den Lombarden wenigjtens einen vorläufigen Frieden,
wofür beiderjeit® eidliche Bürgschaft, von Theodorich dagegen als Kart:
häujerordensmann ein bloßes Gelöbniß geleitet ward ?. Selbit in
der definitiven Friedensurkunde von Gonftanz finden fich ihre Namen
und dießmal bei Theodoricd) jogar die Angabe feines Wohnorts: der
Rarthaufe Silva benedicta°.,
Die ehemalige Karthaufe Silva benedieta oder Silve benite
liegt in der Dauphine, im jegigen Departement Yjere und Arrondii:
jement la Zour du Pin, der alten Baronie, erbaut im Walde (daher
Silva b.) und am Südweſtufer des Sees von Paladru, eine Strede
vom See entfernt; Paladru ift gegenwärtig ein Dorf von über 800
Einwohnern®. Der Weg von ihr zur großen Karthaufe im Südoſten
iſt etwas länger als wie der zwijchen letterer und Grenoble, beträgt
alfo etwa vier Heine Stunden; nad) dem in %. 1510 zu Baſel er
ſchieuenen Verzeichniß ſämmtlicher Karthaufen gehörte fie zu den Klö—
1 Pertz Legg. II, 167, lin. 14—18; Vignati, Storia diplomatica
della Lega Lombarda ©. 344: Fridericus Dei gratia Romanorum im-
perator et semper augustus dilectis ac fidelibus suis Astensi episcops,
marchioni Henrico Guercio et fratri Theodorico, gratiam suam et b+-
nam voluntatem. Quia vestre devocionis ac studii fidem in multisre
rum experimentis probatam nobis et cognitam habemus, magna im-
perii negoeia industrie vestre sincera fidelitate tractanda committere
non dubitamus. Itaque etc.
3 Vignati ©. 371: Et frater Teodoricus, qui eandem licentiam
et potestatem habebat, ut in ipsis litteris ibi lectis continebatur, quod
ipsi tres juraverunt, promisit in suo ordine bonitate et legalitate per
stipulationem domino Guidoni de Landriano rectori. — Statuta an-
tiqua ordinis Cartusiensis II, cap. 21,9 = Holstenius codex Regularım
I, 355 unt. M.: Qui vero quae dicit, jurando simplieiter per deum,
per fidem suam, per Christum, sic deus me adjuvet aut alio simili
modo, audiente uno vel pluribus, affirmaverit, statim, ubicumque sit,
veniam accipiat; et si hoc pro consuetudine faciat, gravius puniatur.
3 Pertz Legg. II, 179, lin. 8-11; Vignati ©. 392—393: et sicut
per mediatores pacis, videlicet Wilielmum Astensem episcopum, Hen-
ricum marchionem Saonensem et fratrem Thidericum de Silva bene-
dieta et Rodulfum camerarium nostrum una cum eis bona fide in-
tellexerimus.
* Hitter geographifchftatiftifches Lerifon 6. Auflage II, 322 Art. Paladru,
wo fi) aber über die Karthaufe feine Angabe finde. Der See jelbft hat eine
Länge von vier Kilometern und als Zu und Adfluß die Sure; vgl. Dietionnaire
universel g&ographique, statistique, historique et politique de la France
Tom. IV, ©. 33 Urt. Paladru (Paris 1804). — Als Lartographiiche Hülit-
mittel dienen die Tabula Delphinatus et vicinarum Regionum in Histoire
de Dauphing von Fabri und Barillot, & Geneve 1722, zu Anfang des 2.
Bandes und das Blatt Nr. 62 (Departement de L’Isere) im ‘Atlas Na-
tional de France".
175
ftern der burgumbifchen Provinz!, Wir geben nun im Folgenden eie
nige Notizen über ihre Gründung, da fie unferm Sarthäufer größten-
teils ihren Urfprung verdanft und als mit feinen Scidjalen aufs
enagfte verbunden erjcheint. Die Quellen, die wir hiebei benüten, find
erſtens Chorier, Histoire generale de Dauphine, & Lyon 1672,
und brieflihe Nachrichten de8 Herrn Arhivars J. J. A. Pitot zu
Grenoble, die wir der gütigen Vermittlung der HH. P. Pius Game
D. ©. B. in Münden und Mas - Latrie Sous- directeur des ar-
ehives zu Paris verdanken; die legtern find aus einer Handichriftlichen
Chronik der Karthäufer entnommen.
As Gründungsjahr für Silve benite gibt Chorier 1166 an,
Iheint aber in feiner ſpätern Darftellung diefen Vorgang erſt ins
Jahr 1168, nämlich) in die Zeit der kaiſerlichen Rückkehr oder Flucht
duch Savoyen über Genf nad) Bejangon und bald nad) jenen von
Theodorich eingeleiteten, aber erfolglofen Friedensverhandlungen, mithin
aljo in den März des obengenannten Jahres zu fegen?. Wie er be-
richtet, war Theodorich ein naher Blutsverwandter des Kaiſers, viel
leicht ſogar fein natürlicher Sohn; für ihn ward, um ganz dem Ge—
bete und feinen religiöfen Betrachtungen leben zu können, an ödem,
waldreihem Orte das Klofter Silva Benedicta gejtiftet und mit Mön—
ans der nahen Chartreuſe bevölkert. Reichlich gewährte der Kaiſer Als
et, was zu feinem Baue und zum Unterhalt feiner Bewohner nöthig
erichien. Auch Papſt Alerander IIL wollte nicht an Freigebigfeit hinter
dem Raifer zurückbleiben und beftätigte oder vermehrte die Schenkung ®.
Die Heine Stadt Ars, an den Ufern des Sces von Paladru belegen
md den neuen Anfiedlern feindlich, büßte ihre abgeneigte Gefinnung
ı Das Berzeihniß findet fi) Hinter den damals gedrudten ‘Statuta et
privilegia ordinis Cartusiensis’, in einem allerdings feltenen und im vorigen
Jahrhundert, da noch mehr Karthaufen beftanden, ebenfo theuer bezahlten wie
kart gefuchten Buche,
’ ©. 17; vergleiche dagegen fpäter S. 67—68. ©. 42 nennt er beim
Verzeichniß feiner Ouellen aud) ‘Archivia Conventus Silvae-benedictae Or-
din. Cartus’.
> &, 67: Quoy que l’on tächät de deshonnorer Frideric, et .de le
perdre, il est vrai qu’il &toit un grand Prince, et fort Chrötien, pas-
sant & travers cette Province pour aller à Besangon, Terric Prince de
son Sang, et que m&mes l’on croit avoir (S. 68) 6té son fils naturel,
luy proposa la pensde qui luy étoit venu de se donner tout a fait a
Diea, et il ne l’en dissuada pas. Le desert de la Silve-benite avoit
plü ou & sa devotion, ou à sa me&lancholie: il y appella des Religieux
de l’Ordre des Chartreux, et leur y fit bätir un Couvent. L’Empereur
fournit abondamment tout ce qui &toit necessaire pour la construction
de la maison, et pour l’entretenement des Religieux. Le Domaine Royal
7 fut employ@, et augmenta celuy de Jesus-Christ. Le Pape Alexandre
approuva cette fondation, et adjoüta A la liberalit& de l’Empereur.
Terrie, lat. Terricus, ift nur eine abgefürzte Namensform für Theodoricus,
Theodericus, Thidericus, Dietericus, Dietricus, Tierricus, cf. Index ono-
masticus bei Bouquet XII, ©. 857 und Index rerum in M. G. SS. VI,
&. 830, hauptſächlich aber in SS. X, &.648, Entſprechend auch im Deutfchen
Dietrich, Dieter für Theodorid).
176
mit völliger Plünderung und Zerftörung, wobei ſelbſt die Kirche nicht
dem allgemeinen Verderben entging. Um das Maß des Unglücks voll-
zumachen, ward den armen Einwohnern auch nod ihr ganzer Grund
und Boden genommen und zur Klofterdomäne erflärt und Theodorich
verfäumte nicht, diefen unrechtinäßigen Befig vom Papfte, als der
höchſten geiftlichen Macht, und den beiden zuftändigen Territorialge-
walten, der geiftlichen und weltlichen, d, i. vom Erzbifchof Robert von
Vienne und Graf Humbert III. von Savoyen, in eigenen Urkunden
ſich noch beſonders verbriefen zu laſſen?).
Nach dem oben erwähnten Archivbericht dagegen iſt Silve bénite
bereits im Jahre 1116 begründet worden, und der erjte Prior war
Dinger; aber die Anfänge der Karthaufe waren gering, und fie ges
wann erſt Bedeutung durch Theodorich und Kaifer Friedrih. Der
Letztere ließ fie von Grund aus neu aufbauen, ftattete fie mit Ein-
fünften aus und gewährte ihr Privilegien. CEs eriftirte darüber eine
Urkunde vom Jahre 1167, in welcher er Theodorich bezeichnete als “Teer-
ricum carissimum et fidelem nostrum de progenie mea oriun-
dum’; in einem Schreiben vom Fahre 1170 gab ſich Theodorich felbft
folgende Bezeichnung: “Terrieus frater conversus ordinis Cartu-
siensis de domo et progenie Magni Priderici'. Der Karthäufer
hatte ſich dann einflußreicher Verwendungen bei dem Erzbifchof von
yon und den Päpiten zu erfreuen, die ihm wichtige Privilegien ver—
ſchafften. Wiederholt bediente ſich der Kaifer der Dienſte Theodorichs,
und der Papſt jandte ihn an König Heinrich II. von England ?, um
firchliche Reformen dort durchzuführen. Theodorich lebte (nad) dem
Ardiobericht ?) noch im Jahre 1185, wo er einen Streit zwijchen dem
ı ©.68: elle (la ville d’Ars) fut sacagde et ruinde: 1’Eglise
möme n'en resta pas debout. Tout y perit, et ces mal-heureux ayant
ôté exterminez, leurs fonds n’eurent plus de possesseurs. — Terric de-
manda à Alexandre pour cette maison, qui &toit l’oeuvre de ses soins,
le Territoire de cette Ville renversde, et l’obtint facilement. — Nean-
moins, il falut que quelques anndes apres Robert Archevöque de Vi-
enne, et Humbert Ill. Comte de Savoye, favorissassent de leur autho-
rit& cette donation. Ils donnerent chacun de son chef A la Chartreuse
de la Silve-benite le lieu d’Ars, comme s’il ne l’eut point encore 6t£.
Die Schenkung Humberts an die Karthanfe wird aud erwähnt bei Samuel
Guichenon, Histoire genealogique de la Royale maison de Savoye, &
Lyon 1660, I, ©. 236 aus Molini chronicon Cartusianum msp. Nach
Guichenon, Histoire de Bresse et de Bugey, a Lyon 1650, I, S. 101
unt. M. war Moulin (Molinus) Prior von Silva benedicta und Berfafler ci
ner ziemlich verlälfigen (asses exacte), damals noch ungedrudten und jeither
wie es ſcheint ganz verichollenen Ordenschronit. Deren Wiederauffindung wäre
auch für die Geſchichte Theodorih8 von großem Werthe.
2 Hier jcheint eine Verwechſelung mit einen andern Theodorich vorzufiegen,
deſſen ſich Alerander III. 1173 und 1174 mehrfach in den englifchen Angeler
genheiten als Vermittlers bediente. Bouquet XV, ©. 927. 940. Migne CC,
©. 966. Diejer Theodorich wird als Karthäuferprior bezeichnet; welche Kar:
thaufe er leitete, habe ich nicht ermitteln können.
: Das Archiv läßt ſich hier ergänzen; Theodorich erfcheint auch nod in
einem für das Klofter Chiaravalle bei Mailand ausgeftellten Schutzbrief Kaifer
177
Abt Hugo von Bonnevaur und Zancelinus, Prior der großen Rarthaufe,
zur Dermittlung brachte. Am 23. Mai 1185 wurde darüber eine
Urkunde ausgeftelit, in welcher unter den Zeugen auch Theodorich ge=
nannt it. So weit der Archivbericht, der fich, wie erwähnt, auf eine
bandigriftliche Chronik ſtützt. Won den weiteren Schidfalen des Klo—
ſters hat für unfern Gegenftand nur ein Intereſſe, daß in der ftür-
miſchen Revolutiongzeit am 1. und 2. Auguft 1789 Silve benite von
bewaffneten Schaaren aus den umliegenden Orten überfallen wurde;
man plünderte die Karthaufe und verbramnte ihre Urkunden. Damals
gingen auch die Diplome Friedrichs I. unter, welche man bis dahin
mit größter Sorgfalt bewahrt Hatte.
Auf jene Diplome geftügt haben die Karthäufer gemeint, daß
Zheodorich ein natürlicher Sohn Kaifer Friedrichs geweſen fei. Die
Urkunden find nicht mehr vorhanden, und wir fünnen daher über ihre
Echtheit nicht urtheilen,; ein beſtimmter Anhalt, diefelben zu bezwei-
feln, liegt nit vor. Die Worte Friedrichs über feine Verwandtſchaft mit
Xheodorich und Theodorichs eigenes Zeugniß über diefe Berwandtichaft
verdienen hienach, auch wenn die Schriftftücfe felbft jetst fehlen, Be—
achtung, zumal ſich aus ihnen vielleicht die eigenthürnliche Rolle des
Karthäuſerbruders am bejten erflärt. Aber die Worte ‘oriundus de
progenie mea’ fünnen unmöglich Theodorid) als Sohn Friedrichs be—
ihnen; im ftrengften Sinne ließen fie ſich nur auf einen Enfel deu—
ten, md diefe Annahme Schließen die Alterverhältniffe unbedingt aus. So
wird man progenies nur im weiteften Sinne auf Familie deuten können,
Es ift wohl auch die Meinung aufgeftellt worden, daß Theodorid) ein
natürlicher Sohn Herzog Friedrichs II. von Schwaben gewefen ei,
aljo ein Bruder des Kaifers!, Aber, obwohl der Karthäufer etwa
ein Altersgenofje des Kaiſers geweſen zu fein fcheint, deutet doch Feine
Epur auf ein fo nahes Verwandtichaftsverhältnig, und der Name ift
überdied ganz ungewöhnlich in der jtaufichen Familie. Dagegen iſt
er jehr gewöhnlich in dem Haufe der Herzoge von Oberlothringen,
mit dem Kaiſer Friedrich durch feine Schwefter Judith, Gemahlin des
Herzogs Matthäus von Lothringen, verſchwägert war. Ein Sohn ber
Friedrichs vom 10. Februar 1186 nebſt mehreren andern als Zenge zu Pavia,
ber Prutz, Kaifer Friedrih J. II, ©.391 oben (‘frater Teodoricus de Silva
Benedicta').
! &o von Raumer, Geich. der Hohenftaufen Bd. 1 (2. Aufl.), in der bie
Stommtafel der Hohenft. enthaltenden vierten Beilage; er nennt hier einen ger
wifen, an. 1177 Karthäufer gewordenen Territus als natürlichen Sohn des
an. 1147 verftorbenen Herzogs Friedrichs II. von Schwaben und als Bruder
Barbarofjas; gleichwohl verräth ein beigefetstes Fragezeichen feinen Zweifel an
der ganzen Perfönlichteit; die von ihm hierfür citierte Duelle Tromby, Storia
del ordine Cartusiano, Nap. 1775, 10 vol. fol., IV, 151, ftand uns nicht zu
Gebote. — Ueberhaupt hat das Fehlen des Wortes ‘conversus’ bei ‘frater’ in
den Urkunden des 3. 1183, wovon die Stellen bereits citirt find, zu manchen
ümern Anlaß gegeben; fo macht Raumer II, 288 Anm. 1 den Theodo-
th zum Bruder des Markgrafen Enrico Guercio, während dagegen Vignati die
Korte ‘et fratrem’ vor "Thidericum’ ©. 393 ganz ftreihen und als Gloſſem
betrachtet wiſſen will,
XVMI. 12
178
Judith, Theodoric; mit Namen, war 1173—1179 erwählter Biſchof
von Met und mußte dann wegen fehlender Weihen refigniren; Kaifer
Friedrich wird ausdrüdlih als fein avunculus bezeichnet!. Es Täge
nahe, ihn mit dem Karthäuſer zu identificieren, wenn nicht Biſchof
Theodorich ſchon 1180 geftorben fein ſollte, während der Karthäufer
erweislich noch mehrere Jahre lebte. Auffällig ift, daß fi) unter
den Brüdern des Matthäus fein Theodorich findet, da der Name fonft
bei diefer Familie in jeder Generation wiederfehrt; vielleicht war der
Rarthäufer ein Bruder des Herzogs. Aber zu ficheren VBermuthungen
wird man ohne neues Material fich nicht erheben fünnen, denn der
Name war auch in dem Gefchlechte der Grafen von Bar und in den
ri anderer lothringifher und burgundiſcher Gefchlechter nicht
elten.
i Gesta episcoporum Mettensium Cont. I., M. G. SS. X, ©. 546,
lin. 6: Successit huic filius ducis Lothoringiae Theodoricus. Cujus pa-
ter dux Matheus etc. lin. 12—14: Sedit annis 6 et paulo amplius, sub
papa Alexandro et Friderico imperatore avunculo suo. Qui et alia for-
tasse annalibus digna gessisset, nisi ejusdem Alexandri Ill. manum
sensisset validam, sua ob hoc electione cassata ab illo, quia infra or-
dines fuerat celebrata. Bgl. Cohn, Stammtafeln 3. Geſch. der deutjchen
Staaten und der Niederlande, Tafel 29.
Ueber eine Handſchrift des Wahldecrets Papft Nicolaus IL.
Bon G. Waitz.
Da in dieſer Zeitſchrift ſo oft von dem Wahldecret Papſt Nico-
laus IT. die Rede war, inſonderheit welcher der beiden Texte vorzu—
sehen ſei, jo mag hier furz von einer Handjchrift berichtet werden,
die bisher überhaupt nicht, oder doch nicht in meuerer Zeit (vielleicht
in dem Drud, der den Concilienfammlungen zu Grunde liegt) benutzt
worden ift.
Sie findet fi) in der Parifer Bibliothef Nr. 10402 (Suppl.
Lat. 271), wo fie ſchon vor vielen Jahren von dem verftorbenen
Knuft, neuerdings aufs neue von mir benutt worden ift. Der Tert
ift im wejentlichen der, den ich in meiner Abhandlung (IV, ©. 105 ff.)
als IT bezeichnet habe und fortwährend für den urfprünglichen halte.
Das Bemertenswerthe ift, daß diefer Text als Beilage einer ftreng
faijerlichen Ausführung De papatu Romano beigefügt ift, die nad)
dem %. 1084, zu einer Zeit da Heinrich monarchiam regni gla-
dio potenti et invieto gubernat, gejchrieben. Während es bisher
jo ftand, daß II von Anhängern der Kirche, I von denen des Kaifers
Derliefert erichien, jo hat jener Text num doppelte Beglaubigung.
Lie Worte ‘non papa, sed sathanas, non apostolicus sed apo-
staticus ab omnibus habeatur’, auf die man zu Gunften von I Gewicht
gelegt, fehlen auch hier, werden aber in der vorhergehenden Abhand⸗
lung angeführt: sub anathemate roboratum, universo reclamante
et collaudante concilio, videlicet ut, quisquis deinceps partes
de apostolatu faceret vel absque electione et assensu predic-
torum imperatorum Henrici patris et filii se intromitteret, non
jam papa vocaretur, sed sathanas, non apostolicus, sed apo-
staticus diceretur; und Hinzugejegt: Et expleto anathemate
dixerunt omnes: fiat! fiat! Hieraus ergiebt fich, daß diefe Worte _
als Anhalt oder Folge des Anathems ' mündlih auf dem oneil
von dem Papſte gebraucht find, wie auch wenigſtens der zweite Theil
bon ihm fpäter angeführt ift (a. a. DO. ©. 109). Der Urkunde
aber brauchen fie deshalb nicht angehört zu Haben. Ihr Fehlen in
U erſcheint mir hiernach nicht mehr, wie früher (a. a. O. ©. 117),
12*
180
ein Grund, diefe Faſſung ebenfalls für nicht ganz authentiſch zu hal—
ten, der Zufag vielmehr in I ganz der Annahme entſprechend, daß
bier ein interpolierter Text vorliegt, der einen Sat aufnahm, auf
den man, wie wir hier fehen, auf Faiferlicher Seite ein bejonderes
Gewicht legte. Der Wortlaut fchließt fi im übrigen mitunter dem
de8 Hugo von Flavigny an; namentlich lautet der Schluß wie hier
zufammenfafjend: Et ceteri episcopi numero 122 (Hugo falic) 76)
cum presbiteris et diaconibus subscripserunt. Häufiger jtimmt
er aber auc mit andern Handjchriften überein, mehrmals ſelbſt mit
dem Chron. Farf., defjen Text al8 der befte Repräjentant der andern
Claſſe angejehen werden muß, deſſen Varianten (2) Perg mur jehr
unvolljtändig angegeben hat; fo fehlen beiden die Worte S. 179 (N. a)
et — ostendant; aber ©.178 3.14 verus, das 2 allein Hat, fteht
auch Hier nicht. Einzelnes ift von allen abweichend. Ich hebe nur
noch hervor: auch hier ‘promovendi’, was wohl beizubehalten if;
in der Stelle, die Perk S. 178 N. 1 giebt: beati predecesson
Leonis, ‘episcopi’ fehlt vor procul dubio, doch ftehen die Wort
‘cardinales pr.d. auf Rafur; ſpäter S. 178 3.11: ubi congruun
judicaverunt; ©. 178 3. 28: hujus nostrae decretalis, 3. 3
jtatt ‘Rome’ quiescentium: hie q., was als urfprünglich erjcheinen
kann; in der Unterfchrift: Ego Nicholaus; nachher: Ostiensis aer
clesiae episcopus. Auffallend it ©. 178 3. 23: subiciatur mi
1 und 4 gegen abieiatur der andern, wie e8 der Sinn zu fordern
Scheint ; e8 wird eine Verderbung im urfprünglichen Text geweſen fein.
Urkunden aus Karolingiicher Zeit.
Mitgetheilt von G. Waitz.
1. Schenkung an Würzburg 810 -832.
Traditio Eginonis eomitis et uxoris eius Wentilgartae
de Arinebrunno et de aliis locis.
(In no]mine Patris et Filii et Spiritus sancti...... Be
(sempliterna. Quapropter ego in Dei nomine Egino comes
nee non et conjux mea Ventilgart, ambi pariter coglitantes
pro terrenis lucra ri] eterna bona retributione, propterea do-
namus et tradimus aliquas res nostras ad reliquias sancti
[Salvatoris et sancti Kili/ani] martyris, ubi venerabilis Wolfger
episcopus et rector praeesse videtur. Donamus igitur et do-
natum in perpetuulm volumus alodem nostram in pago Wald]-
sazi, in loco nuncupante Harnobrunno, cum eurtilis, eurticlis,
domibus, aedificiis, ma[nJeipiis, terris, silvils, campis, pratis,
pascuis], aquis aquarumque decursibus, vineis, pomeriis, pe-
euniis, pecoribus, omnia cum omnibus, quiequid in ips[o loco
Narnobrunno nostra videjtur esse possessio vel dominatio.
Simili modo tradimus in pago Hirnizgawa in loco vocato
Rezzistat, quifequid............vel aldquisivit in vineis, in
eartilis, ma[nJeipiis, terris vel quantumcumque sua videtur fuisse
possessio, item in Sclavis..... ........ [Ura]ha et Gusibah cum
cartilis, aedificiis, mancipiis, terris, silvis, campis, pratis, pa-
scuis, aquis aquarumque decurlsibus......... atque] cum omni
integritate. Ergo et in Graffeldum in villa Barethorf, quic-
qud Cristan ibi habebat et in Wanc........... [eum] curti-
lis, domibus, aedifieiis, silvis, campis, pratis, pascuis, aquis
aquarımque decursibus, mancipiis, farrinariis........[adj]a-
tentiis, vel quantumcumque in supra nominatis locis vel vil-
is nostra videtur esse possessio vel dominatio, de nostr[o jure
in possessione atque dominjatione sancti Salvatoris et sancti
Kiliani martyris soeciorumque ejus donamus et tradimus atque
in omnibus dominatlioni ejus nuncuplamus; in ea ratione,
182
ut ego Egino et conjux mea Wendilgart eandem traditionen
beneficiali prestatione [retinere valeamus usque ad o]bitum no-
strum, excepta tua loca, id est Uraha et Barcthorf; et hoc
a die presente stabilis permaneat ; post nostrum [vero ex hac vita
discessum pars] praedictae ecelesiae habeat, teneat atque pos-
sedeat, ita ut deinceps amodo et usque in sempiternum hacc
We atque traditio permajnere possit inconvulsa, stipr
atione subnixa. Mancipiorum vero nomina haee sunt.
Diefe Urkunde liegt mir in einer Abjchrift von Per vor nad
einer Copie des 10, Jahrh. auf einem einzelnen Blatt, deilen
Lucken zu Anfang und Ende derfelbe in der hier wiedergegebenen Weiſe
auszufüllen gefucht Hat. Die Zeit ergiebt jid) aus der des Biſchoft
Wolfgar von Würzburg, der von 810—832 den bifchöflichen Stuhl
innehatte (vgl. Chron. Wirzb., SS. VI, ©. 27). Der Onf
Egino wird Trad. Fuld. 405 in einer Urfunde von 8%,
die fich auf den Salagewe bezieht, als erjter Zeuge genamt;
ebenda 662 finden fi) wie hier neben einander Rezzizstat un
Barchdorf. Dieſe und die andern genannten Orte zu beftimmen
muß id) den Localgiftorifern überlaſſen. Der pagus Hirnizgaws
fommt meines Wiffens überhaupt nicht vor; ob er mit dem aud
nur einmal viel jpäter in einer Urk. Heinrichs II. (Stumpf Nr. 149)
begegnenden pagus Pfirnigowe zufammengebradht werden kann, lail
ich dahingeftellt; Landau, Gaue II, S. 155, bezieht diefen auf du
Heffische „Verne“, und Menke fcheint damit übereinzuſtimmen.
2. Teſtament der Erkanfrida, um 860.
[Com]memoratorium qualiter et quibus presentibus [Er
kanfrilda res suas disposuit atque in manus inlustrium virorun
disponendas contradidit post suum discessum.
Convenientibus itaque in unum nobilibus! viris eg
Erkanfrida in eodem conventu adveniens in loco nuncı-
pante Steinfelt, commendavi Adalardo venerabili comiti nec-
non et Waldoni, Folcuino atque Beretlando duobusque
Huodilbertis quiequid habere visa sum hereditatis in comi-
tatu Treverensi, in pago Bedinse, in loco qui vocatur Pel-
finga, et in comitatu Ardinense, in loco nuncupante Wan-
bahe, et in tercio loco qui appellatur Mariscus, super ripan
Alsuntiae illum mansum dominicum et omnem illum fiscum
ad eum pertinentem, ex[ceplta illa aecclesia sancti Michaelis
cum omni integritate quae [modo a]d eam pertinet, quod
mihi senior meus Nithadus in dot[em] [dedi]t, quam tradid
ad Sanctum Maximinum, et feci consc[ribere] [testa]mentum,
quod ibidem sceriptum ? veraciter et racionabilliter habeltur.
Ea videlicet racione liberaliter in manus [illorum sup]radietas
ı nibilibus Urk. 2 scrictum Urf.
183
res fransposui, ut, si ego desiderarem, illas [per illo]rum manus
vel saltim unius illorum ad me reverti faciam; s]ı vero non,
similiter per illorum manus statui secun[dum dJisposicionem
supradieti senioris mei, ut, si nepotes sui, filii scilicet sororis
saae Irginiburgae mares 6 et filius fratris sui Rimigarit nomine
Reginboldus, et soror ejus nomine Thiodrat et filius secunde
sororis suae Thietbirge adquirere vellent, inter hos novem
100 libras inter aurum et argentum post discessum meum die
quadragesimo persolverent, et precium inter 20 monasteria,
id est ad Sanctum Maximinum 100 solidos, ad Sanctum Petrum
similiter, ad Horream similiter, ad Palacium similiter, ad Me-
&olacum similiter, ad Toleiam similiter, et inter Sanctum Eu-
charium et Sanctum Paulinum et Sanctum Quiriacum ad
Attauanam sol. 100, ad Hornbahe similiter, ad Malmundarias
similiter, ad Stabulaus similiter, ad Indam similiter, ad Sanc-
tun Hucbertum similiter, et inter Sanctum Goarem et Appola
monasterium sol. 100, et inter Castorem et Sanctum Alexan-
drum et Sanctum Eventium 100 sol., ad Sanctum Cyriacum
so. 100, ad domum Wormaciae similiter, ad Sanctum Naza-
num similiter, ad Wizenbure similiter, ad domum Spirae si-
niliter, ad Sanctum Leonem similiter sol. 100, singillatim in
memoriam mei et genitorum meorum vel conjugalis mei Ni-
thadi dividerent; et ipse res nullatenus illis ante traderentur,
qlonsque precium statutum sub die memorato persolvant et
banc villam inter se aequa disposicione dividerent; quod si
precium supradietarum rerum persolutum non fuerit, similiter
decrevi, ut supra memorati venerabiles testes in elemosinam
ıostram ipsas res ad loca sanctorum traderent atque trans-
funderent. Sequestravi autem ad Sanctum Maximinum Tre-
verensem aecclesiam sancti Michaelis ac dotem aecclesiae ab
eorum tradieione vel conventione, quoniam ego ipsa in me-
moriam conjugalis mei et meam ipsam post discessum meum
loeis sanetorum delegavi, id est ad Sanctum Maximinum. De
hoc vero quod in Peffingis habui statui sub tali convenientia,
ut, siBernardus 30 libras precii ex hoc persolverit, post meum
discessum illi tradatur et illud precium Prumiae monasterio
deferatur, ut inde agantur dies anniversarii nostri, quamdiu
haec pecunia substiterit. Quod si et precium non dederit,
nee illi quicquam de his rebus detur, sed locis sanctorum, id
est Prumiae, condonetur in memoriam nostram. Quod vero
adWanbahc habuit senior meus, disposuit dari filiis Bernardi
preter illam aecclesiam et illas res quas Burgiridus eidem se-
üori meo in villa nuncupante Skizzang dedit. Hanc eccle-
sam vel illas res, quas memoratus Burgiridus ei dedit, jussit
monasterium Prumiae dari.
De reliquo obsecro vos propter Deum obnixe et testificor
coram Deo et Christo Jhesu, qui judicaturus est vivos et
184
mortuos, ut supradictam hereditatem cum mancipia et pecu-
nia supra taxata, id est supra scripta, sic dividatis et ordi-
netis per loca denominata, qualiter racionem vultis reddere,
ro cujus nomine ego de vestra caritate fisa me ipsam vestrae
Hei credidi commendatam.
Diefe Urkunde befindet fi) in der von Sir Thomas Philipps
hinterlafjenen Bibliothek zu Cheltenham unter Nr. 16385, wo id) jie
in diefem Herbit abgejchrieben habe. Es ijt Fein Original, aber alte
Gopie des 9. oder 10. Jahrh. Auf der Nückjeite fteht von einer
Hand des 12, 13. Yahrh.: Testamentum Erkenfidae de ec-
clesia de Mersc et de aliis circumquaque dividendis. Cie
befand fi im Jahre 1861 im Beſitz des Antiquars Troff, der
fie durch Baer in Frankfurt verfteigern ließ. Daher erwähnt jie
Goerz, Mittelrhein. Regeſten Nr. 751, I, ©. 215, ohne das
weitere Schicjal zu fennen. Derjelbe verzeichnet Mr. 579 die hier
erwähnte Schenkung der Erfenfrida an S. Marimin vom Yahr
853 (MR. Urkb. J, Nr. 83) und 750 einen Brief Ansbalds von Prüm
an diejelbe.
Bei diefer Gelegenheit bemerfe ih, daß fi in den Samm—
[ungen der Monumenta aud) eine Abichrift der Urf. MR. Urkb. 154,
©. 218, aus dem Original auf der Barifer Bibliothek befindet. Sie
hat das von Goerz, Regeſten S. 237, angezweifelte ‘Karoli vero
regis9., und auch fonft ftimmt der Drud aus dem Copialbuch von
St. Marimin wefentlicd überein, nur find im Original wie in der
entfprechenden Urk. Nr. 153 die Namen der mancipia aufgeführt;
die andern Namen lauten 3. 7: Ensilinga, 3. 10 u. 17: An-
strudae, 3.14: in pago Moslensi in comitatu Liutardi, 3. 15:
Burmiringa, 3.23: Eberhardo, 3. 24: Waberto ... Motario.
3. Zreilaffung (um STOP). \
Cum christianissimus ac religiosissimus! imperator Hludo-
vicus celestis protectionis ope suffragante? invictissimus augu-
stus sanctam matrem ecclesiam ad meliorandam instantissime
subveheret, hoc ei inter cetera sanctae devotionis suae studia
exhibuit, ut usus valde inolitus atque reprehensibilis, qui di-
gnitatem ejus® magna ex parte fuscare videbatur, eo quod
scilicet servilis et originarie* conditionis persone contra statuta
canonum sacris divinisque ministeriis eatenus applicarentur,
sue auctoritatis precepto ab ea pelleretur, et qualiter dehine
hujuscemodi conditionis homines ecclesie utilitati idonei re-
perti nexu servitutis eriperentur et ad hanc dignitatem pro-
moverentur, una cum consensu° pontificum et obtimatum im-
perii sui statuere® procuravit, id ipsum quoque veneranda
proles ejusdem imperatoris invictissimus rex ? pari voto
! religionissimus Hſ. ? suffragare Hſ. ° euius Hſ. * origi-
nare Hſ. * cosensugfj., ° stature Hſ. 7 Ieerer Raum in d. Hl.
185
honorificentie sancte ecelesiae annuit. Igitur ego in Dei no-
mine N. gratia Dei abbas ecclesie martiris Christi Simforiani
juts memorati augusti preceptum te clericum nomine illum,
a'flia ejusdem monasterii progeniem®? ducentem, in pago
Aurelianensi, ° villa, ante sanctum altare et presentiam
nobiliorum virorum et deprecatione domini N. ceterorumque
fratrum, qui* condictam villam ad usus proprios possedissent,
a vineulo servitutis ob amorem et honorem domini nostri
Jesu Christi, ad cujus militiam degeris, publice absolvo ci-
vemque Romanum instituo°, ut abhine Christo favente in tuo
jıre et potestate consistens, ita vivas ingenuus eivisque Ro-
manus, tamquam si a liberis fuisses ortus parentibus, neque
successoribus nostris seu senioribus ipsius ville quicquam no-
xialis debeas servitutis, sed sub integra plenaque ingenuitate,
quam propter sacri ordinis dignitatem accipere mereris, tem-
pore vite tue permaneas, quatenus catenas servitutis, cui
nascendo actenus obnoxius extitisti, per hanc absolutionem ®
ereptus, securius liberiusque atque honestius divine potentie,
eu manciparis, Domino adjuvante, famulari valeas. Ut vero
absolutionis hujus titulum pro reverendis cultibus venerabilis
sollemnitatis *, quam celebramus, firmum omni tempore incon-
vulsumque obtineat vigorem, manu humilitatis nostrae subter
roboravimus, nobilissimoque cenobie ® sancti Simforiani ad sti-
pulandum promtissime? destinavimus.
Signum Hugonis comitis ejusdem monasterii abbatis.
Das vorjtehende Stück, wohl cher eine Formel als eine Urkunde
zu nennen, hat Böhmer im %.1835 aus der Handichrift zu Yeiden
Voss. Nr. 17 abgejchrieben. Es fcheint in die Zeit Karl des Kahlen
zu gehören; der Graf und Abt Hugo kann wohl nur der 886 verjtor=
bene Welfe fein; bei dem Kloſter St. Simphorian möchte ich
am erjten an das zu Autumn denken. Der Tenor entipricht am
meilten der Formel 71 bei Roziere I, ©. 76, die aus Append,
Marculfi jtammt.
4. Baufvertrag.
‚ Domino magnifico Vidale et uxori sue Ermenberga pa-
nter emtores, nos enim Issimbard et uxor suo Routrus pariter
Yinditores, constat nos vobis vindedissemus, quod ita et feci-
mus, hoc sunt res proprias nostras, qui de ereditate nobis
obvenerunt: ressident ipsas res in vicaria Cantoiolo inter
Raturiode villa i. olamato !° majore, inipso terraturio vindimus
vobis campos duos, prato uno [et!! unus campus]; ille pratus
' et 9. 2 progenie Hſ. *Leerer Raumind.Hf. * apudS$i.
° instituto Hf. 6 absolutione Hſ. ” venerabiliter sollem-
niter ? Hi. m cenobii Hſ. ® promitissime Sf. 10 undentlich.
über der Zeile nachgetragen.
186
finis abent!: inde duos latus prato Jaucberto, de tercio rivo
Efcarto ad ipsos emtores; unus campus fines abet: de duos
latus terra Gaucberto, de uno rivo Efcarto terra de ipsa ere-
ditate; infra istas fines totum vobis vindimus, unde accepimas
de vos precium, sicut inter nos convenit, sol. 7, et nos pro
ipsa precia de nostro jure in? vestram traimus dominacionem
ad abendi, vindendi, donandi seu liceat comutandi, ut post ac
die in omnibus abeatis potestatem a faciendum quiquit volue-
ritis. De repeticione vero: sane si quis nos emutatas volun-
tates nostras, an ullus eres noster, an ullus omo, vel amissa
persona, qui contra vos vel contra carta ista ulla calumnia
generare presumserit, hoc ei non liceam vindicare quod petit,
set insuper conponat vobis auri lib. 1 et quod petit nihil
aquirat.
Facta carta ista die sabati mensse Octubris anno T. re-
gnante Loddovico rege.
Sign. Issimbard. Sign. Reitrudis qui carta ista scribere
vel firmare rogoverunt.
Sign. Icterio. Sign. Salomone. Sign. Eliaudo. Sign. Alal-
fred. Sign. Airardo.
Ingelftus scripsit.
5. Schenkung.
Dnio fratribus Girbalt elerico, dilecto senior, vester no-
men Eldolf presbiter in amore et bonevolienciam ea que cor-
tra te abeo, proterea pro ipsa amore dono tibi curtilo et vi-
nea cum manso et exsio et salteo et campo insimul tenem-
tem cum vitis et arboribus, qui est situs in agro Pociacens
in villa Bociago a vinea Sendran, terminat a mano via pu-
blica, a medium die et a sero terra Sancte Columba et terra
Biliart, a cercio terra Sanct. Vincent et sancti Petri et sol
terre, infra istas terminaciones totum et integrum tibi dono,
dumodo vivit Eldolfus usum et fructum et pos meum obitum
Girbalt clerico perveniet abere, tenere sine nullo contradicen-
tem, et faciat quiquit facere voluerit in omnibus. Si quis
vero, si ego ipsi, ullus omo, an ullus de eredibus meis, qui
contradicere an calumniare voluerit, de auro uncias 2 liberas
conponat, firma e stabilis permanead, constibulacione sutnixa.
Actum Eldolf, qui docione ista fierit et firmare rogavit. sn. El-
dolf. sn. Atalart. sn. Bellem. sn. Gervis. sn. Elidegrim.
sn. Teot. sn. et ita sn. et ita Eldolf. sn. Avelonius ro-
gatus escrissit, datavit die Veneris in mens. Setimber, anno
8. rengante Looi rege.
ı abet corr. abent.
2 in vesirum am Schluß umb Anfang der Zeile zweimal gefchrieben.
187
Borftehende beide Urkunden Habe ich ſchon im Jahre 1840 zu
Paris abgefchrieben. Meines Wilfens find fie bisher nicht ges
druckt. Ueber ihre Heimath vermag ich nichts ficheres anzugeben,
und auch die Zeit bleibt ungewig. Ohne Zweifel gehören fie zuſam—
men; die ſehr barbarifche Sprache erinnert an die Rätiſchen Ur—
finden, die und unter den Traditionen von Sangallen erhalten
jind; doch weder die Bezeichnung vicaria nod) die genannten Kir—
hen oder Klöfter weifen dorthin. Klöfter von St. Columba, St.
Bincenz und St. Peter zufammen finden fi in Vienne, und aud)
die vicaria würden für diefe Gegend paſſen; dagegen fällt die
deutfche Bezeichnung Raturiode in dem romaniſchen Burgund auf.
Iſt gleihwohl an diejes zu denfen, würde ich unter dem König
Yudwig den „Blinden“ verjtehen und die Urkunden alfo in bie
Jahre 907 und 908 fegen.
Die Fräukiſche Völkertafel in fpäterer Umarbeitung.
Mitgetheilt von G. Waitz.
Der nachitehende Tert findet ſich im einer Handichrift der Bod—
leianifchen Bibliothek zu Oxford 648 (2291), chart. saec. XV, mo
fol. 47. Deseriptio orbis terrarum cum regnis et populis
et nacionibus diversis fteht, zu der das Folgende gehört, was
Hr. Prof. Pauli abgefchrieben hat, als wir im vorigen Herbſt dort
gemeinichaftlicd arbeiteten. Daß der Tert des Nennius ec. 17 zu
Grunde liegt, it auf den erjten Blick Har. Willfürlicd) genug hat
der Verf. dem feine Zufäge eingefchaltet.
Fol. 4%. Alanus quidem de genere Japhet primus venit
in Europam et eum tribus filiis inhabitavit, videlicet Isichion,
Armenon et Nengo. Ab Alanio Alani dieti sunt, qui Sithis
inferioribus, id est Sarmathis, Sathis, Gothis et Swethiis impe-
rant. Ab Isichion Isaci vocantur, qui aquilanaribus in occeano
dominati sunt. Ab Armenon Armenii Germani. A Nengo
Nenii, id est Northgwegienses. Filii Isichion: Romanus, a quo
Romani, qui in Italia dominantur; Allemannus, a quo Alle-
manni, qui Swevis, Norieis, Bajoariis, Saxonibus, Danmarchiis,
Tewtonibus, Turingiis, Coloniensibus imperant. A Franco,
Isichionis filio, Franei vocantur, qui Cumbris, Lugdunensibus,
Narbonensibus, Provincensibus, Bituricensibus, Aquitanicis,
Normannis, Armorieis, Morinis et Menesohiis presunt. A
Britanno, Isichionis filio, Britones dieti sunt, qui Cambrie,
Cornubie, Loegrie, Albanie, Scocie, Hibernie, Eladibus, Or-
chadibus, Mannicis presunt. Filii Armenon: Gothus, a quo
Gothi; Gwalegothus, a quo Gwalegothi; Gepidus, unde Ge-
pidi; Burgundus, unde Burgundi; Longobardus, unde Longo-
bardi. Sunt filii quoque Nengo: Saxo, a quo Saxones; Ba-
garus, a quo Bogari; Wandalus, a quo Wandali; Tarinecius,
a quo Tarinci, id est Cantabri, dietisunt. Ab hiis disseminata
OBE. IUUFODE: 5.0.0 ae Brito ergo, filius Isichion,
filii Alanii, de genere Japhet, Britannie, ut putatur, primo
nomen dedit,
Zu Lex Salica XVI.
Bon Paul Winogradoff.
Gewöhnlich fucht man den Sat “letus qui apud dominum in
hoste fuerit’ dadurd zu erflären, daß die Freilaſſung zu vollem
Rechte urſprünglich vor dem Heere jtattfinden mußte. Mit beſon—
derer Entjchiedenheit ftellt die entiprecjende Deutung Sohm, Fränkiſche
Reichs- und Gerichtsverfaffung 47 f., auf, im Gegenjage zu Waig,
der den Zufat für umverftändlich erklärt. Sind aber durch Sohms
Annahme wirklic) alle Schwierigkeiten gehoben? — „Die Gelegenheit,
si litus apud dominum in hoste fuerit“, jagt er, „ijt die Gelegen—
hit den Yiten per denarium freizulajfen“. Er hat dabei die An—
weienheit des Heeres, das die Freilaſſung bezeugen foll, im Auge,
vergißt aber die unangenehme Gegenwart des rechtmäßigen dominus.
Jh glaube faum, daß diejenigen, welche anderer Leute Hörige une
rechtmäßig freiließen, in der Regel verfuchten,. das in unmittelbarer
Nähe der eigentlichen Herren zu thun. Viel eher läßt ſich denken,
daß entlaufene Liten, wenn fie ſich als freie Volksgenoſſen legitimiren
wollten, grade in Abwejenheit ihrer Herren, wenn auch vor dem
yet, freigelafjen wurden. Man kann aber das bejtimmte ‘apud
ominum’ nicht aus den Augen lajfen, und muß eingeftehen, daß
8 eine Deutung des Zuſatzes unmöglich madt. So wie er jet
vorliegt, ift der Zuſatz wirklic; „dem Sinne (dev Hauptbejtinmung)
in feiner Weife entiprechend“.
Ich glaube, der Fall gehört zu denjenigen, wo eine Emendation
des Textes dringend noth thut, und fie läßt jich auch wohl ohne Ge—
waltfamfeit durchführen. Man lefe den ganzen Paragraphen fo: Si
quis homo ingenuus alienum letum, qui a domino suo in
hoste dimissus fuerit, ingenuum dimiserit — — solidos C
eulpabilis judicetur. Die bejte Bejtätigung gewährt, nad) meiner
Anfiht, die oft angezogene Paralleljtelle L. Alam. Pact. II, 48,
welhe auch bloß von einer Freilaffung zum Yiten vor den heris ge-
nerationes ſpricht. Statt einer ſchwankenden Analogie hätten wir
einen vollfommenen Parallelfall.
Es iſt kaum mothwendig, ſich über den Sinn des Satzes, wie
ih ihn leſe, zu verbreiten. Der Zufag bezeichnet nicht die Gelegen-
beit, wenn eine unrechtmäßige Freuaſſung ftattfinden konnte — was
1%
da8 Geſetz auch feineswegs angeht — fondern die Qualification,
welche da8 Verbrechen fteigert: Lite und Sflave werden in den zwei
Paragraphen nicht bloß gejondert aufgeführt — e8 wird auch gejagt,
was den einen vom anderen unterfcheidet. Auch in diefer Beziehung
2 der Tall genau mit dem in der Lex Alamannorum zu ver-
gleichen.
Es iſt auch nicht Schwer zu errathen, wie die verborbene Lesart,
weldhe wir in den Handfchriften haben, entjtanden ift. Abſchreiber
wurden dur die Wiederholung — dimissus — dimiserit — ent=
weder zu einem Wlüchtigkeitsfehler oder zur Ausscheidung eines ver—
meintlih unnöthigen Wortes veranlaßt.
Achtzehnte Plenar -Berfammlung
der biftorifchen Commiſſion bei der königlich
bayerifchen Akademie der Willenfchaften.
1877.
Beriht des Secretarints,
Münden, im Dftober 1877. Die Hiftorifche Commiffion hielt
in den Tagen vom 27. bis 29. September ihre diesjährige Plenar-
verlammlung. An den Sigungen nahmen Theil der Vorftand der k.
Alademie der Wiſſenſchaften Stiftspropft und Neichsrath von Döl-
liuger, der Vicepräfident der Ef. £. Akademie der Wiſſenſchaften zu
Vin und Director des geheimen Haus-, Hof» und Staatsarchivs
Ritter von Arneth, der Director der preußiihen Staatsardive Pro—
kffor von Sybel, der Geheime Regierungsrat Wait aus Berlin,
der Reichsarchivdirector Geheime Rath von Löher, der Klofterpropft
Freiherr von Lilieneron aus Schleswig, der Reichsarchivrath Muffat,
der Geheime Haus: und Staatsardivar Rodinger, der Hofrat) Pro=
feſſer Sickel aus Wien, die Profejforen Cornelius, Dümmler aus
Halle, Hegel aus Erlangen, Kluckhohn, Wattenbach aus Berlin, We-
gele aus Würzburg und Weisfäder aus Göttingen. In Abweſenheit
des Borftandes Geheimen Regierungsrathes von Ranke leitete der
ftändige Secretär der Commifjion, Geheimrath von Giefebrecht, die
Verhandlungen. |
Nach dem vom Secretär erftatteten Bericht find im abgelau-
fenen Gefchäftsjahre die Arbeiten nach allen Seiten mit dem größten
Eifer fortgeführt worden. Abermal® mußte mit befonderem Danke
die überaus bereitwillige Unterftütung anerfarınt werden, mit meldjer
die Vorjtände der Archive und Bibliotheken die Nachforfchungen der
Commiffion unterftügen. Seit der vorjährigen Plenarverfammlung
famen folgende neue Publicationen der Commiſſion in den Buchhandel:
1) Geſchichte der Wilfenfchaften in Deutſchland. Neuere Zeit.
Bd. XVI — Gefhichte der Aftronomie von Rudolf Wolf.
2) Deutfche Reichstagsacten. Bd. III. — Deutjche Reichstags-
acten unter König Wenzel. Dritte Abtheilung. 1397 1400.
erausgegeben von Yulius Weizfäder.
3) Die ie und andere Akten der Hanjetage von 1256—1430.
B
d. IV.
4) Briefe und Akten zur Geſchichte des dreißigjährigen Krieges
in den Zeiten des vormaltenden Einfluffes der Witteldbacher.
Bd. III. Der Julicher Erbfolgefrieg. Bearbeitet von Moriz
Ritter.
5) Forſchungen zur Deutfchen Gedichte. Bd. XVIL.
XVIIL 13
194
6) Allgemeine Deutfche Biographie. Lief. XIX—XXVIL
Aus den Berichten, welche im Fortgauge der Verhandlungen die
Leiter der einzelnen Unternehmungen erftatteten, ergab ſich, daß eine
Me Anzahl neuer Publicationen für die nächſte Zeit zu erwarten
teht.
Die Regifterarbeiten für die neue Ausgabe des Schmeller'ſchen
Mörterbuchs und für die von J. Grimm begontene Sammlung der
Weisthümer find endlich fo weit gediehen, daß die Vollendung diefer
Unternehmungen nahe bevorfteht. Das von Dr. 8. Frommann be:
arbeitete, jehr umfängliche Regifter zum Schmeller’fhen Wörterbud
iſt Schon zum größeren Theile gedruckt und wird bis Jahresſchluß
vollftändig in den Buchhandel fommen. Das von Profejior 8.
Schröder hergeftellte Sadjregifter zu den Weisthümern ift fo weit
vollendet, daß es jett der Prefje übergeben und mit dem bereits ge
dructen Namensregilter bald der Deffentlichfeit übergeben werden
fann; das von Profeſſor Birlinger in Bonn bearbeitete Wortregifter
wird fid) dann Hoffentlich unmittelbar anschließen.
Bon der großen durch Profeſſor C. Hegel herausgegebenen
Sammlung der Deutichen Städtechronifen ift der vierzehnte Band
im Drud nahezu vollendet; er bildet den dritten, abjchließenden
Band der Cölner Chroniken und enthält den Schluß der allgemeinen
Einleitung über die Verfafjungsgeichichte der Stadt Cöln vom Her:
ausgeber, fodann den zweiten Theil der großen Koelhoffichen Chronil
bis 1499 (mebit vier Beilagen) in der Bearbeitung von Dr. H.
Gardaung in Cöln, das Gloſſar für den zweiten und dritten Band
von Profeffor Birlinger und zwei Regiſter für diefelben Bände von
Dr. Cardauns. Der fünfzehnte Band der Sammlung, welcher im
Laufe des nächiten Jahres zum Drud kommen foll, wird die baye
riſchen Chronifen von Münden, Regensburg, Landshut und Mühl—
dorf bringen.
Das von Brofejfor J. Weizfäcer geleitete Unternehmen der
Reichstagsacten fchreitet nach verſchiedenen Seiten raſch vorwärts.
Der zuletzt publicirte dritte Band, vom Herausgeber ſelbſt bearbeite,
umfaßt die letten Jahre K. Wenzels, feine Abfegung und die Er
wählung K. Ruprechts; binnen Kurzem hofft man den vierten Band
veröffentlichen zu fünnen, welder die Regierungszeit Ruprechts er:
öffnet und bei deſſen Bearbeitung auch Dr. E. Bernheim in Göt-
tingen betheiligt ift. Inzwiſchen Hat auch bereit8 der Drud de
fiebenten vom Bibliothefar Dr. Kerler in Erlangen herausgege—
benen Bandes begonnen, welcher ſich auf die Anfänge der Periode
Kaifer Sigmunds bezieht. Auch mit dem Drud der Akten Kailer
Friedrichs III. fol nicht gewartet werden, bis alle vorhergehenden
Adtheilungen veröffentlicht find; um die Arbeiten für dieſe Periode
möglichft zu fördern, ift der frühere Mitarbeiter Dr. Fr. Ebrard in
Straßburg wieder gewonnen worden; mit ihm ift auch Dr. H. Witte
dafelbft fiir diefe Abtheilung thätig.
Von der Sammlung der Hanfereceffe, bearbeitet von Dr. K.
195
Koppmann, reicht der jüngft erfchienene vierte Band bis zum Jahre
140. Der fünfte Band, deſſen Drud noch in diefem Jahre be=
gonnen werden joll, wird die Receſſe von 1400—1415 umfajjen.
Als Fortfegung der Jahrbücher de8 Deutfchen Reiches fteht zu—
nähft der zweite Band der von Profefjor E. Winkelmann in Hei—
dilberg bearbeiteten Geſchichte Philipps und Dttos IV. in Ausficht ;
der Druck diefes Bandes wird in den mächiten Tagen feinen Anfang
nehmen. Es ift zu hoffen, daß Profeſſor Winkelmann nad) Beendi—
gung diefer Arbeit auch die Jahrbücher Kaifer Friedrichs II. abfaffen
wird. Herr Profefjor E. Steindorff in Göttingen ftellt den Drud
des zweiten, abjchliegenden Bandes der Jahrbücher Kaifer Heinrichs IIL.
für das nächſte Fahr in Ausfiht. Bon den Jahrbüchern Kaifer Lo—
thars, bearbeitet von Oberlehrer Dr. W, Bernhardi in Berlin, lag
ein großer Theil in Manufcript vor, fo daß der Drud auch diefer
Abtheilung vorausfichtlih bald wird unternommen werden fönnen.
Mit der Bearbeitung der Geichichte Kaifer Konrads II. ift Profefjor
9. Breßlau in Berlin unausgejett beichäftigt. Die Fortſetzung der
von S. Abel begonnenen Jahrbücher Karls des Großen hat Profejjor
2. Simfon in Freiburg übernommen.
Von der Geſchichte der Wiſſenſchaften ift der ſiebzehnte Band,
Geſchiche der Mathematit von Director Gerhardt in Eisleben, im
Truf weit vorgejchritten. Won der durch den verftorbenen Geh.
deftath O. Peſchel verfaßten Gejchichte der Geographie ift eine zweite
Inflage unter der Preffe, welche Profeffor S. Ruge in Dresden be-
arbeitet hat. In den nächſten Tagen wird aud die Geichichte der
Hiteriographie von Profeſſor Wegele der Preſſe übergeben werden;
die Geſchichte der Geologie, der klaſſiſchen Philologie und der Medicin
werden dann fchnell folgen. Die Verhandlungen, um an Stelle des
beritorbenen Generallieutenants Freiherrn von Troſchke einen geeigneten
Bearbeiter für die Gefchichte der Kriegswiffenichaften zu gewinnen,
find feider bisher erfolglos geweſen.
Die Allgemeine Deutſche Biographie wird unter der Redaction
des Freiherrn von Pilieneron und des Profeffors Wegele ununter-
rohen fortgeführt. Mit der 25. Lieferung ift der fünfte Band zum
Abſchluß gefommen; vom fechiten Bande iſt die 26. und 27. Liefe—
tung bereit8 erfchienen, und eine neue Lieferung wird demnächjt aus—
gegeben werden.
Die Zeitfhrift: Forſchungen zur Deutſchen Gefchichte wird in
der bisherigen Weife unter Redaction des Geh. Regierungsraths Waitz,
kr Profefjoren Wegele und Dümmler auch ferner fortgefegt werden.
Der Drucd des achtzehnten Bandes hat bereits begonnen.
Die Arbeiten. für das umfaffende Unternehmen der Wittelsbach'-
Iben Correſpondenz im fechszehnten und ftebzehnten Jahrhundert find
nah allen Seiten gefördert worden. Für die ältere pfälzifche Abthei—
lung, namentlich für die Correipondenz des Pfalzgrafen Johann Ga-
fmir, hat Dr. Fr. von Bezold die Acten des Marburger Staats-
archivs und der Hiefigen Archive weiter durchforſcht; überdies ergab
196
fih ihn ein fehr reiches Material bei einem längeren Aufenthalt in
Paris. Nach einer abermaligen Reife nad Franfreih, die er in
nächiter Zeit auszuführen gedenft, wird die Publication der Gorre
Ipondenz Johann Caſimirs fofort in Angriff genommen werden. Für
die unter der Leitung des Geheimraths von Löher ſiehende ältere bay:
riſche Abtheilung hat Dr. von Druffel die Nachforſchungen fortgefekt.
Der Drud des zweiten Bandes der „Briefe und Akten zur Geſchichte
des jechzehnten Jahrhunderts“ hat bisher noch nicht begonnen werden
fünnen, da ſich in den hiefigen Ardiven noch ein umfängliches Ma-
terial vorfand, welches einer forgfältigen Bearbeitung bedurfte. Aud
find noch einige Kleinere Reiſen erforderlich), nad) deren Beendigung
dann ſogleich mit dem Drud begonnen werden wird. Für die jün—
gere pfälzische und die jüngere bayriiche Abtheilung, beide von Pro:
feffor Cornelius geleitet, waren Profefjor M. Ritter in Bonn und
der hiefige Privatdocent Dr. 8. Stieve thätig. Der Erftere hat mit
den drei von ihm Heransgegebenen Bänden der „Briefe und Akten
zur Geſchichte des dreigigjährigen Krieges“, welche die pfälzische Corte
Ipondenz von 1598—1610 umfafjen, feine Arbeiten vollendet. Der
vierte Band des genannten Werfs, bearbeitet von Dr. Stieve, befinde
ſich jett im Drud. Er giebt eine Darlegung der bayrifchen Poli!
in den Jahren 1591—1607, begleitet von den wichtigiten Aftenftüden.
Unmittelbar daran follen fid) darın zwei weitere Bände ſchließen, welde
die Gorrefpondenz vom Yahre 1607 an enthalten werden.
Noch find nicht zwei Decennien verflojjen, feit König Mari:
milian II. die hiſtoriſche Commiffion in das Leben rief, und ſchon
find mehr als Hundert Bände von derfelben der Deffentlichfeit über:
geben worden. Die Verhandlungen der diesjährigen Plenarverjam
lung zeigten, daß eine lange Reihe weiterer PBublicationen in Vorbe
reitung fteht. Wie viel Bayern und Deutjchland der Hochherzigen
Fürforge der bayerifchen Könige für das Studium der nationalen Ge—
ichichte zu danken Hat, wird jchon jegt aller Orten empfunden und
wird fih in Zukunft noch klarer herausjtellen.
XVII.
KRaiferurfunden.
14
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Fünf ungedrudte Kaiferurfunden aus dem IX. bis XIL.
Sahrhundert.
Mitgetheilt von Ad. Goerz.
Die vier erften der nachftehenden Kaiferurfunden befinden ich
chihtiftlich in den Habel’ihen Sammlungen zu Miltenberg am Main
unter den Manuferipten des frühern rheingräflicen Regierungs- und
Ardidraths Schott, welche Profefjor Bodmann in Mainz angefauft
hatte, und zwar Nr. 1 unter Nr. 21 der Diplomata Ringraviorum;
%.2.3 und 4 als Beilage Nr. 3. 4 und 7 in Schotts Manu—
kript „Ueber. den Hunsrücken“. Nr. 5, die Urkunde Kaiſer Fries
drihe L, ift noch in einem prächtigen Original gut erhalten im- fai-
krlihen Bezirfs- Archive zu Met.
1
König Ludwig der Deutſche ſchenkt dem Albansklofter bei Mainz
iskalifhes Ackerland mit Bugehörungen zu Kreuznach im Hahegau,
meldes fein Bafall Reginbert — Lehen hatte. Worms, 868,
ni 22.
In nomine sancte et individue Trinitatis. Ludowicus
livina favente gratia rex. Si liberalitatis nostre munere lo-
eis Deo sacratis quiddam conferimus beneficii, id nobis ad
tam eternam felieiter obtinendam profuturum liquido eredi-
ns, Quapropter comperiat omnium fidelium nostrorum pre-
&tium seilicet et futurorum solertia, qualiter nos ob nostre
herredis augmentum et pro remedio anime domini avi ac dive
Demorie genitoris nostri concessimus atque contulimus ad
Monasterium S. Albani extra muros Moguntine civitatis con-
Kruetum tres mansos arabilis terre ex fisco nostro in villa
Creiniaco in pago Nahguve, quos fidelis et vassus noster
“ginbertus antea in beneficium tenuit, cum omnibus ibidem
adjacentiis in mancipiis, terris, vineis, pratis, pascuis, silvis,
Aquis aquarumve decursibus, totum et ad integrum ex jure
14*
200
et dominatione nostra in jus et dominationem fratrum in pre-
dieto monasterio Deo sanctisque jugiter famulantium tradimus
atque transfundimus, ea videlicet ratione, ut ab hac die et
deinceps pro nostra salute Domini clementiam devotissime
exorent. Et ut hec auctoritas largitionis nostre inviolabilem
obtineat firmitatem, manu propria nostra subter eam firmavi-
mus et annuli nostri impressione assigniri jussimus.
Heribertus notarius ad vicem Grimaldi archicapellani re-
cognovi et subscripsi.
Data 11. kal. Junii anno 36. regni domini Ludowiei se-
renissimi regis in orientali Francia regnantis, indiet. 1. Ac-
tum in eivitate Wormatia. In Dei nomine felieciter Amen.
Bekannt find 2 Urkunden König Ludwigs des Deutichen vom
23. und 25. Mai 868 zu Worms ausgejtellt (vgl. Böhmer, Rx.
der Karolinger Nr. 823. 824 und Sidel, Beiträge zur Diplomati,
2. Stüd, ©. 70). Diejelben find von dem Canzler Heberhard tr
cognoscirt, während in obiger Urkunde als Necognoscent der Notarius
- Heribert unterjchreibt, welchen Sidel 1. c. noch nicht verzeichnet bat.
2.
Baifer Otto I. ſchenkt dem Convent der Abtei 3. Mazimin bei
Srier feine beiden Höfe Emmel und Winterid) im ZMofelgau in
der Graffdaft des Grafen Berthold. Köln, 966, Ban. 8.
In nomine sancte et individue Trinitatis. Otto divina
favente clementia imperator augustus. Quidquid sancte Dei
ecclesie pia devotione conferimus beneficii, premium nobis
apud Deum in eterna beatitudine recipere confidimus; qua
propter omnium fidelium nostrorum tam presentium quam fü-
turorum noscat solertia, qualiter nos interventu dileete con-
jugis nostre Adelheidis fidelisque archiepiscopi Theodorit
quasdam curtes nostras Emmele et Winteriche in pago Mu-
selgowe, in comitatu Bertholdi comitis, ad altare S. Maximin
in usum fratrum Deo ibidem famulantium cum omnibus sus
pertinentiis, id est mancipiis, edificiis, vineis, silvis, pratis,
pascuis, agris, terris eultis et incultis, aquis aquarumve de-
cursibus, quesitis et inquirendis, in proprium donamus, ea VI
delicet ratione, ut predicti fratres liberam habeant potestaten
possidendi, seu quidquid eis libet in utilitatem sue ecelesie
faciendi. Et ut hec nostra traditionis auctoritas stabilis per-
maneat etinconvulsa, hanc cartam inde conscribi et sigilli no-
stri impressione jussimus insigniri.
Signum domini Ottonis invictissimi imperatoris august.
Liudulfus cancellarius ad vicem Wilbelmi archicancellarıi
recognovi.
Data 6. id. Januar. anno dominice incarnationis 966, 1n-
201
diet. 9, anno regni domini Ottonis 31, imperii vero4. Actum
Colonie in Dei nomine felieiter Amen.
Dereit8 Tags vorher Hatte Hierjelbft die Abtei vom Kaifer 2
Urkunden erhalten, vgl. Goerz, Mittelrhein, Regeſten I, 286
(Stumpf Nr. 392. 393).
3.
Rönig Otto III. fdrenkt dem Convent zu St. Gonr die Güter zu
Werlau und Yungeroth im Trechirgau, in der Graffdaft des Grafen
Berthold, welche an ihm durd; den Tod feines Bafallen Yaridjo ge:
kommen waren. Ürier, 992, Mai 30.
In nomine sancte et individue Trinitatis. Otto divina
providente clementia rex. Noverit omnium fidelium nostrorum
tam presentium quam futurorum industria, quod nos ob inter-
ventum venerabilis Egberti Trevirensis ecclesie archiepiscopi
omnia hona, que ad nos ex obitu Harichonis fidelis no-
sti in Werelawe et in Hunzerode in pago Drechari, in
comitatu Bertholdi comitis, pervenisse dinoseuntur, ecclesie S.
Goaris et fratribus ibidem Deo sanctisque jugiter famulanti-
bus in proprietatis usum concessimus, cum maneipiis utrius-
que sexus, edifieiis, terris cultis et incultis, pratis, silvis, pa-
seuisete, ete., cum omnibus eorundem pertinentiis, tali videlicet
tenore, ut libera deinceps fruantur licentia hec tenendi, dandi,
commutandi seu quiequid sibi libuerit inde faciendi. Et ut
hee nostri presens auctoritas precepti firmior stabiliorque
permaneat, hanc inscriptionem fieri manuque propria subtus
toboratam annuli nostri impressione jussimus sigillari.
Signum domini Ottonis gloriosissimi regis. Hildeboldus
episcopus et cancellarius vice Willigisi archicapellani recognovi.
Data 3. kalend. Junii anno dominice incarnationis 992, in-
diet, 5, anno autem tertii Ottonis regnantis 9. Actum Tre-
viris felieiter in Dei nomine Amen.
Am Tage vorher hatte hierjelbft König Otto der Abtei S. Mari-
min bei Trier eine Urkumde ertheilt; vgl. Stumpf, Kaiſerregeſten
Nr. 967; Goerz, Mittelrhein. Reg. I, 318.
4
Raifer heinrich II. fchenkt dem Abt Hrold von Prim das Gut
zu Monzelfeld im Mofelgau, in der Grafſchaft des Grafen Berthold,
welches ihm der Erzbiſchof Heribert von Cöln gegeben hatte,
Frankfurt, 1016, Oct. 17.
In nomine sancte et individue Trinitatis. Heinrieus Dei
gratıa Romanorum imperator augustus — — unde pateat
notitie omnium Christi fidelium presentium et futurorum, qua-
202
liter nos pro remedio anime nostre, necnon pro salute con-
jugis nostre Cunigunde videlicet imperatrieis: auguste illnd
predium, quod nobis venerabilis Herebertus Celoniensis ar-
chiepiscopus dedit in yilla et marca Munzervelda, in, pago
Muselgowe, in comitatu Bertholdi comitis, domino Uroldo ab-
bati Prumiensis monasterii in proprium dedimus, cum edificiis,
mancipiis, vicis, villis, areis, terris cultis et incultis, agris,
silvis, pratis, pascuis, aquis aquarumve decursibus, viis et in-
viis, exitibus et reditibus eum omnibus utensilibus, que vel
scribi vel nominari possunt, in perpetuum possidendum, Et
ut hec nostre traditionis auctoritas firma permaneat et ineon-
vulsa, hanc paginam inde conscribi et sigilli nostri impres-
sione insigniri jussimus.
Signum domini Henriei Romanorum imperatoris augusti.
Guntherus cancellarius vice Erchenboldi archicapellari
recognovi.
Data 16. kalend. Novembr. anno dominice incarnationis
1017, anno vero domini Heinriei secundi regnantis 15, m-
perii autem 3. Actum Franconefurt felieiter Amen. |
An demfelben Tage und Orte hat der Abt vom Kaifer einen
zweiten Gnadenbrief erhalten ; vgl. Stumpf Nr. 1679; Goerz, Mit
telrhein. Regeften I, 337, |
5
Roifer Friedrich I. beftätigt * Erwählten (Bifhof) Friedrid
von Metz und deffen Kirche den Befik des Schloſſes Sanrbrüden,
Anden, 1171, Sept. 4.
In nomine sancte etindividue Trinitatis. Frederieus divina
favente elementia Romanorum imperator augustus. “Ad hot
divina ordinante elementia ad imperialem excellentiam per-
moti cognöscimur, ut ecclesiarum perpulsemus injurias et ea-
rundem jura manutenere, tueri ac defendere non dissimule-
mus. Eapropter notum facimus universis imperii fidelibus tam
futuris quampresentibus, quod nos Metensem ecclesiam sub
umbra alarum nostrarum protegere cupientes, ejusque pell-
cionibus ac dileeti nostri Frederiei Metensis electi majestatis
nostre assensum clementer inclinantes, predecessorum nostro-
rum, videlicet Ottonis! imperatoris et Heinriei? regis, deerev!-
1 Kaifer Otto III. ſchentte zu Rom 999 Apr. .14 die Burg Sanrbrüden
dem Hochſtift Mes, nad; der Urkunde bei Kremer, Geſchichte des Ardenniſchen
Geſchlechts 284 (Mittelrhein. Regeften I, 326).
® König Heinrich IL. ‚hatte auf einem Kriegszuge gegen den Biſchof von Me
1009 die Burg Snarbrüden erobert (Annal. Altah. maj. ap. Pertz, 88. XJ,
790), welde exft König Heinvid; IV. 1065 Apr. 3 zu Mainz dem Hodfift
Met zurüdgab; vgl, Urk. bei Kremer 1. e. 287 (Mittelrhein. Regeften I, 359
und 395),
203
mus inherere vestigiis, ne ipsius ecclesie possessiones per eos
collate et contradite a violentis invasoribus injuste distrahan-
tur, utilitatibus ecclesie subtrahantur; castrum itaque Sare-
bruggen eidem ecclesie et dilecto nostro Frederico Metensi
eleeto ejusque successoribus libere et quiete perpetuo jure
possidendum nostra imperiali auctoritate contradimus et con-
firmamus, sicut ab eisdem inclite recordationis predecessoribus
nostris predicte ecclesie confirmatum fuisse privilegia ipsorum
declarant. Statuimus itaque et precipimus, ne prefatus electus
vel ejus successores seu aliqua persona secularis vel ecclesi-
astica prefatum castrum a potestate sive Metensis ecclesie
utilitate in aliam personam transferre presumat; et quicunque
facere attemptaverit, centum libras auri purissimi pro satis-
factione componat, dimidium camere nostre et religquum Me-
tensi ecclesie. Et ut hec rata et inconvulsa omni evo per-
maneant, presentem inde paginam conscribi et sigilli nostri
impressione jussimus insigniri. Hujus rei testes sunt Arnol-
dus Trevirensis archiepiscopus, Rudolfus Leodiensis episeopus,
Godefridus Trajectensis episcopus, Erlembaldus abbas Sta-
bulensis, Florentius Indensis abbas, Reinfridus abbas S. Vin-
centü, Godefridus dux Lovanie, Heinricus comes de Gelra,
Theodericus comes de Cleva, womes Engelbertus de Berga,
comes Eyerardus de Seine, Egidius comes.de Durachio, Hein-
riengs comes de Dietze, F'olmarus archidiaconus Treverensis,
Willlmus circator Metensis, Fridericus Metensis ecelesie ca-
tonicus, Symon Metensis canonicus, Poncius dapifer Metensis,
Burkärdus de Crispi, Rikardus de Castello, Hugo scabinus
Metensis et Barsilius, filius ejus, et alii quam plures.
Me Signum domini Frederici Romanorum imperatoris invic-
imi. Ä
Ego Heinricus cancellarius vice Cristiani Moguntini ar-
chiepiscopi et archicancellarii recognovi.
'. Acta sunt hee anno dominice incarnationis 1171, indic-
tione 4, regnante domino Frederico Romanorum : imperatore
gloriosissimo, anno regni ejus 20, imperii vero 18. Dat.
Aquisgrani 2. non. Septembris. Feliciter amen.
Das Original befindet fih im kaiſerl. Bezirksarchive zu Miet.
Sieben Kaifernrfunden.
Mitgetheilt von 8. Weiland.
Die nachfolgenden Urkunden find ſämmtlich aus Handfchriften
der Gießener Univerfitätsbibliothef, über die im N. Archiv der Ge
jellihaft für ältere Deutſche Gefhichtsfunde näher Nachricht gegeben
werden wird, entlehnt,
1.
K. Zriedrid II. beftätigt dem Rlofter zur hl. Ratherina in Dortmund
die Schenkungen feines Vaters, insbefondere das Gut Rönigskamp,
erlaubt denen, welche Binsgut vom Reiche haben, das Rlofter davon
zu beſchenken, ſchenkt demfelben Holz von vier Yufen Reichswald.
Vrechenbergh, 1218, Zuni 20. i
In nomine sanctae et individuae trinitatis. F'redericus
divina favente clementia Romanorum rex et semper! augl-
stus et rex Sieiliae. Religiosam vitam eligentibus regale
convenit adesse praesidium et protectionis nostrae suffragium
impertiri, ne forte cujuslibet incursus aut eos a proposito
revocet aut robur, quod absit, sacrae religionis infringat.
Ad notitiam ergo omnium fidelilum praesentium et futuro-
rum devenire volumus, quod nos ad imitationem Henrieci sexti
patris nostri bonae memoriae Romanorum imperatoris et Te
gis Siciliae, pro remedio animae suae ac nostrae etiam pro
salute, terram curiae nostrae et imperii in oppido Tremonia®
adjacentem dedimus ad constructionem officinarum monaster),
uod ibidem ad honorem sanctissimae virginis et wartyris
atbarinae est constructum, ipsumque cum omnibus bonis
suis et praediis suis, quae nunc possidet vel imposterum Do-
mino concedente poterit adipisci, sub speciali protectione n0-
stra recipientes, ea sibi stabilitate perpetua confirmamus &
! imperator Hbf.
205
praesentis scripti privilegio communimus. Volumus siquidem,
ut ordo canonicus, qui secundum Dei timorem et beati Augu-
stini regulam ibi Deo authore institutus esse dignoseitur, per-
petuis ibidem temporibus inviolabiliter observetur. Praeterea
quascunque possessiones, quaecunque bona in terris, vineis,
mancipiis, censibus, decimis, molendinis, aquis aquarumve
deeursibus, pratis, pascuis, nemoribus, campestribus, collibus,
vallibus, terris cultis aut incultis, aut quibuslibet aliis rebus,
quae eadem ecclesia inpraesentiarum juste possidet aut in
futurum concessione pontificum, largitione regum vel prinei-
pum, oblatione fidelium aut aliis justis modis Deo propitio
poterit adipisei, firmiter eis! earumque successoribus illibata
permaneant. Ad haec paci ejusmodi providere optantes, re-
gali authoritate inhibemus, ut nulla ecclesiastica saecularisve
'persona jam dietam ecclesiam et ejus ambitum vi vel fraude
oecupare aut religiosae conversationis sorores exinde audeat
removere. Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat
eandem ecclesiam temere perturbare aut ejus possessiones
auferre vel ablatas retinere, minuere aut aliquibus vexationi-
bus fatigare, sed illibata omnia integra conserventur, earum,
pro quarum gubernatione ac sustentatione concessa sunt, usi-
bus omnimodis profutura. Firmissima etiam stabilitate con-
frmamus et observari praeeipimus, ut, quieunque fidelium utrius-
que sexus Tremoniae vel extra Tremoniam degentium man-
808, agros, prata, pascua, domos sive molendina, quae ab im-
perio sub pensione possident, praefatae ecelesiae sacratisque
Deo personis eonferre voluerint, a nostra regali munificentia
liheram et efficacem habeant conferendi facultatem; ita tamen
ne curia nostra debita pensione privetur. Praedium vero
Königskamp in vulgari nuneupatum, quod pater noster sae-
pedietae ecclesiae contulit, collatum clementer annuimus et
perpetua libertate communimus, advocatiam bonorum ipsius
ecelesiae nobis successoribusque nostris, nulla persona media, in
perpetuum reservantes. Ligna etiam quatuor hubarum in re-
gio nemore ad usum ancillarum Christi pro salute animae
nostrae nec non pro terreni nostri imperii stabilitate ipsis
in perpetuum largiri praeeipimus. Si quae ergo in futurum
ecclesiastica saecularisve persona contra hanc constitutionis
nostrae paginam temere venire tentarit, secundo tertiove com-
monita nisi praesumptionem suam congrua satisfactione cor-
rexerit, indignationis nostrae poenam sentiet, centum libras
auri compositura, medietatem camerae nostrae, alteram me-
dietatem praefatae ecelesiae.
Hujus rei sunt testes: Conradus Spirensis et Metensis
episcopus, imperialis aulae cancellarius; Cuno Voldensis ab-
bas; et Elwacensis; Ludovicus dux Baugariae, palatinus
' Cor, aus ejus Hdſ.
206
comes Rheni; Theobaldus dux Lotharingiae; eomes Ludovieus
de Cigenhagen; Ulricus de Mencenbergh; Wernerus de Bo-
lantia, regalis aulae dapifer; Philippus, frater ejus; Conradus
ne de Tramonia; Henrieus de Scharfenbergh et alii quam!
plures.
Datum apud Vrechenbergh?, anno dominicae incarnatio-
nis millesimo ducentesimo decimo octavo, duodecimo calendas
Julii, indictione sexta. |
Aus einer Abſchrift s. XVIII, in der Handſchrift Nr. 226
der Univerfitätsbibliothef in Gießen, fol, 1°.
2
®. Zriedrid II. empfiehlt das St. Katherinenklofter F Bortmund
den Schuhe des Erzbiſchofs ne Köln. Frankfurt, 1220,
pril 16.
F. dei gratia Romanorum rex et semper augustus et
rex Siciliae dilecto prineipi suo E. sanctaeꝰ Coloniensis ec-
elesiae archiepiscopo gratiam suam et omne bonum. Quia
monasterium sanctimonialium in honore beatae* virginis et
martiris Catharinae Tremoniae fundatum speciali amore com-
lectimur, advocatiam illius nulli omnino personae porrigere
ecrevimus, illam nobis successoribusque nostris, nulla persona
media, in perpetuum reservantes. Cum autem honus impe-
rialis moderaminis nos saepius ad diversas trahat partes et
remotas°, ne idem monasterium ex absentia nostra maligno-
rum gravetur incursibus, ipsum cum bonis suis tuae commil-
timus protectioni, rogantes et in Domino exhortantes, quate-
nus cum ® nostri intuitu tum pro salute animae tuae circa bona
ejusdem monasterii solertem curam et vigilem adhibeas, nulli
unquam hominum eidem monasterio irrogare injuriam per-
mittas. u
Datum apud Franckenfurt, anno dominicae incarnationis
1220, 16. cal. Maji, indictione 8.
Aus einer Abſchrift s. XVII, in der Handfchrift Nr. 226
der Gießener Univerfitätsbibliothef, fol. 3.
3.
®. Friedrich IT. ertheilt dem Viſchofe von Hildesheim das Kecht
die zu Lehen ausgegebenen Bogteien einzulöfen. Parma, 1226, Juni.
Fridericus Dei gratia Romanorum imperator, semper au-
I! aliguam Hbf. A
° ort. aus Urechenbergh Hbf., vielleiht Vrethebergh, Friedberg.
’ 8. Hbf. 4b. Hbf. 5 remoras Hdſ. °s fehlt Hdſ.
207
gustus,, Jerusalem etSieiliae rex. Per praesens scriptum notum
facimus ‚universis imperii fidelibus: cum magna sint merita
fdei venerabilis Hildesemensis ! episcopi, dilecti prineipis no-
stri, in conspectu nostro, tanto magis idem episcopus spe-
ciali debet praerogativa gaudere et a nobis grata praemia
reportare, quanto majori. stabilitate” praceminet ‚fides ejus,
maxime cum ab ipso nonnisi gratum et fidele servitium reco-
lamus omni tempore recepisse. ‘ Et ideirco sibi gratiam spe-
cialem ‚volentes facere, damus licentiam. sibi plenam, ut ad-
vocatias infeudatas tam ipse quam ecelesia sta lieite redi-
mere possit ac emere vel alio modo, sicnt .potuerit melius,
valeat revocare vel adipisci, justitia mediante, auctoritate
praesentis seripti districte praecipientes, quatenus ® nullus sit
ausus, qui praediecto episcopo, dileeto prineipi nostro, vel suis
suecessoribus aut eccelesiae suae super hoc impedimentum vel
eontrarietatem opponat, sieut confidit de nostrae gratia ma-
jestatis.
Datum apud Parmam anno dominicae incarnationis mil-
lesimo ducentesimo vicesimo sexto, mense Junii, 14. indiet.
Aus einer Abfchrift s. XVIII der Handſchrift Nr. 492 der Uni—
verfitätätsbibliothef zu Gießen, fol. 158.
4,
Zeinrich (VIL) erwählter Römiſcher Rönig nimmt die Abtei zu
Zürich in feinen Schuß und beftätigt der Aebtiſſin insbefondere
das Recht die niederen Hofbeamten felbhändig ein= und abzufehen.
(1220, April 23 — 1222, Mai 8).
H, dei gratia Suevorum dux in Romanorum regem elec-
tus abbatie Turicensi in perpetuum. Per presens sceriptum
notum facimus tam presentibus quam futuris, quod nos de
solita gratia et consulta benignitatis nostre clementia abba-
tiam et ecclesiam in Turego, Constanciensis diocesis, sub no-
stra .speciale proteetione. et defensione recepimus, tam perso-
nas ibidem divino servicio maneipatas quam ceteros. homines
suos nec non et omnia bona tam fixa quam mobilia et jura
ad eandem abbatiam pertinentia, confirmantes ipsis omnes
bonas consuetudines, quibus uti hactenus consueverunt. Spe-
cialiter autem decernimus, ut cuilibet abbatisse predieti loci,
que* pro tempore fuerit, in minoribus offieiis, coci, pistoris
videlicet et carpentarii ac reliquis, instituendo ofliciales et
destituendo, prout sibi et ecelesie expediat, absque contradic-
tione qualibet, disponere liceat et ordinare. Mandamus ergo
firmiter statuentes, ut nullus ammodo prefata loca super ali-
quo predietorum presumat offendere vel molestare. Si quis
! Hildesem. Hbf. 2 stibilitate Hbf. ® quantumvis Hbf.
* qui Sp].
208
autem quod absit hujus nostri edieti transgressor extiterit
penam proscriptionis! se noverit incursurum. Datum®...
Aus einer Abfchrift s. XVIII in der Handichrift Nr. 226 der Uni«
verjitätsbibliothef zu Gießen, fol. 72. Der Copiſt bemerft: „Ex
archivis abbatissae prineipis. Das Siegel von rothem Wachs
hanget an Pergament und ift dem folgenden gleich“.
| 5.
Heinrich (VII.) erwählter Römiſcher Rönig meldet den Bidtern
und Bathmannen in Bürid) den in feiner Gegenwart ergangenen
Rechtsſpruch, daß die Acbtiffin dafelbi die niederen Hofbeamten
abfehen dürfe, gebietet ihnen diefelbe in ihrem Rechte zu ſchühen
(1220, April 23 — 1222, Mai 8).
H. dei gratia Suevorum dux in Romanorum regem elec-
tus dileetis fidelibus suis judieibus et consiliariis in Turego
gratiam suam et omne bonum. Causa ventilata in presentia
nostra de jure abbatisse in Turego, procuratores predicte ab-
batisse obtinuerunt in sententia, quodipsa debeat mutare co-
cos, pistores et carpentarios et omnes ofliciales suos, si ipsa
sibi eos non utilescognoverit. Inde est, quod nos mandamus
vobis et per gratiam nostram precipimus, ut vos predicte ab-
batisse jus suum conservantes in hiseam non permittatis ul-
terius molestari.
Aus einer Abſchrift s. XVII in der Handichrift Nr. 226 der
Univerfitätsbibliothef zu Gießen, fol. 72. Der Copiſt bemerft:
„ohne datum. Das Siegel in rothem Wachs hanget an Pergament“.
Die beigefügte genaue Abzeihnung des Siegeld zeigt eiuen Ritter
auf Sprengendem Pferde mit Schild und Fahne. Auf letteren find
je 3 rückwärtsblickende Löwen. Von der Umfchrift find nur noch
erhalten: THEIN .. „2.0.4 e.
6
RB. Wilhelm gibt dem Abte Wilhelm von St. Trond und deflen
Madjfolgern die zur Graffdaft Holland achörige Vogtei über die
Leute des Rlofters in Aclberg zu Lehen. Anden, 1250, Juni 9.
Wilhelmus Dei gratia Romanorum rex semper augustus
et comes Hollandiae universis praesens scriptum visuris im-
perii fidelibus gratiam suam et omne bonum. Cupientes ex
liberalitate regia virum religiosum Wilbelmum Dei gratia ab-
batem S. Trudonis, dileetum capellanum nostrum, favore pro-
sequi speciali et ipsius ecclesiae praecavere dispendiis et jac-
turis, notum facimus® universis, quod nos advocatiam nostram
de....* ac hominibus ecelesiae S. Trudonis in Alburgh et
I preseriptionis Hbf. * ft nicht ausgeſetzt“ bemerkt der Eopift.
® fecimus Hdſ.
Angedentete Heine Lücke in der Hdf., vielleicht ift zu ergänzen praediis.
209
in villis adjacentibus, quae ad nos ratione comitatus Hollan-
diae nosceitur pertinere, cum suis pertinentiis praedieto abbati
et suis successoribus jure feudali concessimus perpetuo ac li-
bere possidendam, quod abbates praedictae ecclesiae, qui pro
tempore sunt futuri, homagium et fidelitatem nobis et succes-
soribus nostris comitibus Hollandiae facere et pro requisitione
sive relevatione praedicti feudi unam marcam argenti et non
amplius persolvere tenebuntur. Adjicimus etiam, si praedic-
tam ecclesiam S. Trudonis aut homines ipsius super dieta
advocatia aut bonisad ipsam pertinentibus a quocunque con-
tigerit molestari et abbas praedictae ecclesiae ad nos et suc-
cessores nostros recursum habuerit, nos dietam ecclesiam ac
homines ipsius ab omni violentia et injuria defendemus, ut
semper protectione nostra gaudeat speciali nec molestatione
aliqua perturbetur!. Ut autem hujusmodi concessio robur
obtineat firmitatis, praesens scriptum sigilli nostri munimine
fecimus roborari.
Testes hujus sunt nobiles viri Arnoldus de Diest, Willel-
mus de Brederode, Giselbertus de Armestelle, Gerhardus frater
suus, magister Arnoldus prothonotarius et quam plures alii.
Datum apud Aquisgranum anno Domini millesimo ducen-
tesimo quinquagesimo, quinto id. Junii, indietione octava.
Aus einer Copie s. KVIIL der Handichrift der Univerfitätsbibliothet
zu Gießen Nr. 549, fol. 140°. Der Copijt bemerft: et appendebat
sigillum. Collatione facta cum literis originalibus in perga-
meno concordat, quod testor Joannes Henr. van Langenacken
publ. caes. in supremo consil. imperiali aulico admissus no-
tarius manu propria. Dgl. übrigens Acta imp. selecta Wr. 358,
7
K. Heinrich; VII. beflätigt den Stiftungsbrief K. Albredits I. für
den königlichen Altar der hl. Jungfrau in der Kirche zu ZSpeier.
Speier, 1309, März 13.
Heinricus Dei gratia Romanorum rex semper augustus
universis sacri Romani imperii fidelibus presentes literas in-
Speeturis gratiam suam et omne bonum. Accedentes nostre
majestatis presentiam honesti viri Rudolffus et Joannez, ca-
pellani regalis altaris beate virginis in ecclesia Spirensi con-
structi per inclyte recordationis Albertum Romanorum regem
antecessorem nostrum, nobis humiliter supplicarunt, ut privi-
legium ejusdem Alberti super fundatione, dicatione et dota-
tione ipsius altaris confectum innovare et confirmare de be-
nignitate regia dignaremur. Cujus privilegii tenor sequitur
in hee verba: Nos Albertus Dei gratia ete’ Nos igitur die-
torum Rudolffi et Johannis, capellanorum altaris predieti, quod
! perturbentur Hbj.
210
constructum esse dinoseitur pro dive memorie omnium impe-
ratorum et regum Romanorum illustrium antecessorum et suc-
cessorum nostrorum salutis augmento et remedio animarum,
votivis supplicationibus gratiosius inclinati, memoratum privi-
legium et omnia que continentur in ipso innovamus, Confir-
mamus et presentis scripti patrocinio communimus. Nulli
ergo omnino hominum liceat hane nostre innovationis et con-
firmationis paginam infringere vel ei ausu temerario contraire;
alioquin qui secus attemptare presumpserit, indignationem
nostram et offensam gravem se noverit incurrisse. In cujus
innovationis ‘et confirmationis nostre testimonium presentes
literas conseribi et majestatis nostre sigillo feeimus communiri.
: Datum Spire, 3. idus Martii; indietione septima, anno
Domini millesimo trecentesimo nono, regni vero nostri anno
primo. |
Aus einer Abſchrift s. XVIII in der Handfchrift Nr. 226 der
Univerfitätsbibliothet zu Gießen, fol. 122.
Als Anhang theilen- wir mit:
Konrad TI. König von Jeruſalem und Sirilien, Herzog von
Schwaben beftätigt dem Orden des hi. Antonius zu Memmingen
die Schenkungen feiner Borfahren. Bonftanz, 1266, September 18.
In nomine sancte etindividue Trinitatis amen. Conradus
secundus Dei gratia Jerusalem et Sieilie rex, dux Suevie, om-
nibus presens scriptum intuentibus salutem in vero et salu-
tari. Pium esse dinoscitur et non solum presentis vite sola-
tium prestat, verum etiam in futuro premium eterne retribu-
tionis largitur, cum religiosarum personarum devotio respieitur
et eorum necessitatibus largifluis misericordiae ac operum
donationibus subvenitur. Inde est, quod nos, consideratis
hine inde eircumstantiis ordinis gloriosi sancti Anthonü, ege-
state ac necessariorum defectu, quem fratres ejusdem ordinis
in Memmingen Augustensis diocesis propter tribulationes di-
versas sunt perpessi, nos de nostre liberalitatis munificentia
et in remedium anime divorum progenitorum nostrorum colla-
tionem et donationem videlicet per domnum Fridericum quon-
dam imperatorem, Hainricum et Cunradum natos suos, prae-
dietos progenitores nostros, eidem ordini in ecclesia Mem-
mingensi factam et eorum privilegiis confirmatam damus, con-
cedimus presentibus et confirmamus. In cujus rei memoriam
et roboris perpetui firmitatem presens privilegium conseribi
jussimus et nostre majestatis caractere consigniri.
Datum et actum apud Constantiam, anno Domini 1266,
14. kl. Octobris, nona indictione.
Aus einer Abfchrift s. XVIII der Handfchrift Nr. 226 der Unis
verjitätsbibliothel in Gießen, fol. 78.
Unebirte Hrfunden Kaiſer Karls IV. und König Wenzelß.
In Auszügen mitgetheilt von Arthur Wyß.
Die nachſtehenden Urkunden bilden den Anhang einer in der
Univerſitätsbibliothek zu Gießen aufbewahrten handſchriftlichen Mainzer
Chronik, welche ich durch die gütige Vermittlung des Herru Oberbi—
bliothekars Prof. Dr. Noack benutzen konnte. Das Manuſecript
(Adrian Catalog Nr. 499 -500) ſtammt aus der reichen Bucher⸗
ſammlung des Frankfurter Schöffen 3. C. von Uffenbach, der es im
Jahr 1715 nad) einer alten ihm von Johann Ernft von Glauburg
aus dem zum Jungenſchen Archive mitgetheilten Vorlage fertigen ließ.
68 find zwei Quartbände mit zufammen 4640 bejchriebenen Seiten,
von welchen die Chronik 1507 einnimmt. Dann folgen 31 Urkunden
ans den Jahren 1288—1515, ſämmtlich auf die Mainzijche Patri—
tierfamilie der zum Jungen bezüglich, darunter die 15 Nummern, welche
ih hier gebe. Der Schreiber des Meanuferiptes hat bei diefen letz—
teren nicht die Originale vor fich gehabt, fondern feine Abſchrift nad
einem Copialbuch gemacht, wie die. :mit herübergenommenen: alten Anz
gaben über die. Befiegelung einzelner Stücke beweiſen. Heinz : zum
Jungen, Bürger zu Mainz und lange Zeit Schultheiß zu Oppenheim,
der Empfänger von 14 der im Folgenden mitgetheilten Urkunden, war
ein angejehener und einflußreicher Mann, der zu Kaifer Karl IV.
mehrfache Beziehungen hatte‘. Was aus dem zum Jungenſchen
Archive, welches im vorigen Jahrhundert in Befi der Frankfurter
Batrizierfamilie von Glauburg ſich befand, geworden ift, vermag ich
nicht zu jagen. Wenn einzelne Stüde, welche einjt diefem Archive
—** haben müſſen, ſich bei Baur Heſſiſche Urkunden abgedruckt
fo werden ſolche nicht aus dieſem Familienarchive, ſondern
ed mit Deainzer Archivalien an das Staatsardiv zu Darm—
ftadt gelangt fein.
Ueber. die vorausgehende Chronif, Antiquitates Moguntinenses
betitelt, zu welcher die Urkunden in feiner Beziehung ftehen, mag bier
nut bemerft werden, daß fie nicht eine Geſchichte der Mainzer Erz.
I Bot. Huber Regeften Karls, wo Being nicht felten genannt wird,
2z. B. Baur II, 513 Nr. 1427
212
bifhöfe, fondern der Stadt Mainz enthält. Namentlich berüd-
fichtigt fie die VBerfaffungsfämpfe und Aenderungen im Stadtregiment
und bringt dafür eine beträchtliche Anzahl wichtiger Documente bei.
Sie begimmt mit einer deutjchen Weberfegung des befannten von Erz-
biſchof Adalbert I. der Stadt Mainz im Jahre 1135 ertheilten Frei-
heitsbriefes und endigt mit einem Altenftük vom Jahre 1452 über
die Irrungen zwijchen dem neuen Rathe und der Pfaffheit zu Mainz
mit den Worten: undt den burgern wol dinen. Der Verfaſſer
ijt für die jpäteren Abjchnitte, etwa von 1400 an, Zeitgenofje. Die
Chronik ift identifch mit der in der Stadtbibliothek zu Frankfurt a. M.
befindlihen Handſchrift „Sagen von alten Dingen der erlichen Stadt
Menge“, welde von Joannis, Schaab, Droyfen und Hennes theil
weife benutzt worden iſt!.
J. Kaiſer Karl IV.
1
1356 December24. Meg. Karl erhöht den Zoll zu Mainz
mit zwei großen Turnoſen und bejcheidet davon dem Heinrich zum
ungen, Bürger zu Mainz und Scultheißen zu Oppenheim, andert-
halben in gleicher Weife, wie derfelbe anderthalb Turnofen zu Oppen—
heim gehabt hat, die er dem Kaijer auf feine Bitte überlafjen hatte,
Den übrigen halben Turnos giebt er der freien Stadt Mainz auf
fo lange, als er oder feine Nachfolger am Reich die Pfandichaft zu
Oppenheim und was dazu gehört von der genannten Stadt nicht
wieder löſen?.
G. zu Metze 1356, an dem heyligen Cristabend, unsers(!)
riche in dem eylfften und des keysertums in dem andern
iare. Registr. Herwicus.
Das Majeftätsjiegel Hieng an eyner pirmenten priesse.
2, 1508.
2
1357 März; 10. Sulzbad. Karl giebt demfelben mit
Rückſicht auf feine fleifigen und getreuen Dienfte 2000 Kleine Gulden
Florenzer Münze, alſo daß er ihm bejcheidet auf dem Zolle zu Mainz
ı Joannis SS. rerum Mogunt. Bd. III; Schaab, Geſch. d. Erfindung
d. Buchdruderfunft Bd. I u. II; Droyjen, Ueber Eberhard Winded, in den Ab-
handlungen d. kgl. Sächſ. Geſellſch. d. Wiſſenſchaften, philol.-hiſtor. Ciaffe I,
147 - 229; Hennes, Ueber der Reichsſtadt Mainz wichtigſte Verfaſſungsänderung,
in den Periodiſchen Blättern der Vereine f. Heſſ. Geſch. 1854 Nr. 2, S. 52-57.
2 Die Berpfändung von Oppenheim, Odernheim, Schwabsburg, Nierfteiit,
Dber- und Niederingelheim und Winterheim nebft Zubehör an die Stadt Mainz
gefhah am felben Tage. Bgl. Huber, Regeften Karls 206, 2555.
213
anderthalben alten großen Turnos je von dem Fuder Weins und von
aller Kaufmannfhaft nad) „Martzal“ fo lange, bis er oder feine
folger am Reiche ihm die 2000 Gulden gänzlich bezahlen. Für
der dall, dar die Prandichaft zu Oppenheim nebjt Zugehör wieder
an da8 Reich gelöft wird und alsdann die Bürger von Mainz den
genannten Heinrich im Bezug der 1'/. Großen vom Zolfe zu Mainz
nicht ſchützen, weiſt er demfelben den gleichen Betrag auf den Zoll
ju Oppenheim an.
G. zu Sultzbach 1357, am nehsten frittag vor dem sonn-
tag in der fasten so man singet Oculi, unserm rich(!) in dem
eilften und des keysertums in dem andern jare. Per domi-
num magistrum curie Nic. de Cremsir. Registrata Herwicus.
Das Majeftätsfiegel hieng an eyner syden snur swartz und
gele. 2, 1513.
3.
1357, October 9. Prag. Karl befennt, daß er demfelben !
wegen feiner getreuen Dienfte anderthalben alten großen Turnos auf
dem Zolle zu Mainz je von dem Fuder Weins und von anderer
Raufmannschaft nad) der „Margzal“ gegeben habe, und beftätigt ihm
auh als König von Böhmen, des heiligen Reiches oberjter Schent
und Kurfürft, die Faiferlichen Briefe, die er ihm darüber gegeben hat
er noch geben wird.
G. zu Prage 1357, des nehsten montags vor sant Gallen
tag, unser reiche in dem zwolfften jar und des keysertums
in dem dritten. Per dominum cancellarium Johannes de
Glatz. Registr. Johannes.
Das Siegel hieng an eyner permenten pressen. 2, 1510.
4,
1358, Juni 2. Sulzbad. Karl fchlägt demfelben wegen
des im Dienfte des Reiches an Hengiten, Pferden und fonft erlittenen
Schadens, der auf 4000 Gulden von Florenz zu achten ift, diefen
Betrag auf die anderthalb große Turnofen am Rheinzoll zu Mainz,
auf welche ihm bereits 2000 Gulden verjchrieben find, bis zur Be—
Ahlung der Gefammtfumme von 6000 Gulden und ohme daß der
Ertrag der Turnojen von diefer Summe abgerechnet werden ſoll.
..6. zu Sultzbach 1358, am nehsten sonnabent nach Gotis
Lichams tage, unser riche in dem zwolfften und des keyser-
tums in dem vierden jare. Per dominum imperatorem Ru-
dolphus de Frideberg.
Das Majeftätsfiegel Hieng an eyner syden snur swartz und
gele. 2, 1517.
ı Nur erfcheint der Borname Hier und im den folgenden Urkunden in ber
dorm Heinz.
XVII. 15
214
5.
1360, Dctober9. Mainz. Karl ſetzt Henne zum Jungen,
Bürger zu Mainz, in Anfehung feiner getreuen Dienfte und gehabten
Koften in einen „Engelihen“ an feinem (Karls) Theile Geldes des
Zolles zu Mainz, der jetst ledig ift oder nächſtens ledig wird, bis zur
Zahlung von 500 Gulden von Florenz und ohne daß von diejer
Summe der Ertrag des Engelihen abgerechnet werden foll.
G. zu Mentze 1360, an sanct Dionisius tag, unser riche
in dem funfftzenden und des keysertums in dem sechsten
jare. Per dominum magistrum curie Conradus de Gysinheym.
Registrat. Johannes Budwitz.
Bemerkung über das Siegel fehlt. 2, 1561.
6.
1372, Juni 8 Mainz. Karl verpfändet dem Heinz zum
ungen, feinem Schultheißen zu Oppenheim, für 4000 Gulden, die
derjelbe ihm bei feiner Anmwefenheit in Mainz geliehen hat, feinen Theil
de8 Zolles zu Mainz, Oppenheim Burg und Stadt nebft dem Zole
und allen Turnofen dafelbft, Odernheim Burg und Stadt, Schwabt:
burg, Nieritein, Ober- und Niederingelheim und Winterheim mit allen
ihren Aemtern und Renten,
G. zu Mentze 1372, uff den nehsten dinstag nach sanct
Bonifacien tag, unser riche in dem sehs und zwentzigstem
und des keysertums in dem achtzenden jare. Ad relacionem
domini de Kelditz! de registro transsumpta cum addicione
aliquorum verborum Nic. Camicen. pus?, nr &c. de Crisenh.’
Regist. Johannes Saxo,
Das Meajeftätsfiegel hieng in eyner permynten presse.
2, 1522.
1
1372, Juli 14. Miltenberg. Karl erhöht die 4000
Gulden, die er Heinzen zum Jungen, Schultheißen zu Oppenheim,
feinem und des Reiches Amtınanne, vormals verfchrieben hat*, um
700 gute Heine Gulden, die ihm der jelbe Heinz geliehen hat.
G. zu Miltenberg 1372, an der nesten mittwochen nach
sant Margreten tage, unsir riche des Romischen in dem sie-
benundzwentzigstem, des Beheimischen in dem sehsundzwent-
zigstem und des keysertums in dem achtzehendem jare. Per
ı Lies Koldit; vgl. Huber, Regeſten Karls S. XXXIX.
2 2ies Nicolaus Camericensis prepositus; vgl. Huber a. a. O. S. XLV.
s Verſtümmelt für: notarius Conradus de Gisenheim; vgl. Huber
a. a. O. ©. XLIII.
Bgl. Nr. 6.
215
dominum de Kolditz Nie. Camericensis prepositus. Registr.
Johannes Saxo.
j Das Meajejtätsfiegel Hieng an eyner permynten priesse.
1526
;
8
1373, Mai 25. Mühlberg. Karl befennt, daß Heinz
zum Jungen, Scultheiß zu Oppenheim, ihm 1000 Gulden geliehen
hat, und will, daß derfelbe diefe Summe auf den kaiſerlichen Renten
und Gülten zu Mainz und Oppenheim aufhebe gleih den andern
4000 Gulden die er ihn (Karl) zu Mainz geliehen.
G. zu Molberg 1373, an dem heyligen Uffart abent, un-
ser riche in dem siebenundzwentzigstem und des keysertums
in dem neunzenden jare. Per dominum de Colditz Jo. Ja-
men!. Registr. Jo. Saxo.
i — Majeſtätsſiegel hieng an eyner permynten presse.
9
1374, December 8. Nürnberg. Karl bekennt, daß er
Heinzen zum Jungen, Schultheißen zu Oppenheim, ſeinem und des
Reiches Amtmanne, 613'/s Gulden ſchuldig ſei, die dieſer ihm uff
dieser reyse, do wir nu uff dem Reyn gewesen syn, geliehen
hat, und weift ihm diefe Summe an auf feinen Zöllen und Aemtern,
die Heinz won ihm und dem Reiche auf dem heine inne hat.
G. zu Nurenberg 1374, an unser Frauwen tage, den
man nennet Conceptio, unser riche in dem nunundzwentzig-
sten und des keysertums in dem zwentzigstem jaren. De
mandato domini imperatoris Nicolaus Camericensis prepositus.
Registr. Wilhelmus Kortelangen.
R — Majeſtätsſiegel hieng an eyner permynten presse.
1530.
10.
1376, Mai 17. Nürnberg. Karl bekennt, daß Heinz
zum Jungen, etwan Schultheiß zu Oppenheim, ihm die Pfandſchaften
Oppenheim, Odernheim Burg und Stadt, Schwabsburg, Ober- und
Niederingelheim mit Zöllen und allem Zubehör abgetreten hat, und
verpfändet demfelben zum Erjfag dafür die vier alten großen Zurnofen
auf den Zolle zu Mainz, die ihm vormals verpfändet waren, bis
jur Tilgung der demfelben fchuldigen Summe. Und zwar foll Heinz
von je 1000 Gulden, die der Kaifer ihm ſchuldet, von den genannten
ı Ich finde unter dem Perfonal der von Huber a. a. O. S. XXXVI—
XLVI behandelten Kanzlei Karls IV. diefen Namen nicht; wahrſcheinlich Liegt
eine Entftellung des Originales vor und ift Petrus Jaurensis zu leſen.
15*
216
Zurnofen 100 Gulden jährlich) und von 10 Pfennigen einen Pfennig
nach „Marckzale“, ohne allen Abjchlag von der Hauptjumme der
Schuld erheben; was aber darüber fällt, foll er an der Hauptjumme
abſchlagen. Tragen die vier Turnofen jährlich nicht den zehnten Theil
der Schuld ein, jo foll das Fehlende auf die Hauptfumme aufge:
Ichlagen werden. Auch foll Heinz alle Schreiber, Zöllner, Amtleute
und Diener am Zolle zu Mainz jegen, jo lange ihm die Turnoſen
verpfändet find. Wenn König Wenzel von Böhmen zum Römiſchen
König erwählt und gefrönt wird, fo foll er dem Heinz die vier Tur—
nofen gleichfall8 verbriefen. Weitere Verleihungen der vier Turnoſen
jolfen nicht ftattfinden, nur joll Herbord von Hexheym! einen der»
jelben auf Lebenszeit aufheben.
G. zu Nurenberg 1376, an dem nehsten sonnabende vor
dem sonntage als man singet Vocem jucunditatis, unser zu
in dem| drisigsten und des keysertums in dem zweyun
zwentzigsten are) Per dominum de Colditz Theodor. Da-
merow. Regist. Wilhelmus Kortelangen.
Das Majejtätsfiegel hieng an eyner syden snur swartz und
gele. 2, 1532.
II.
1378, März 6. Heidelberg. Karl ſchlägt dem Heinz
zum Jungen, Bürger zu Mainz, 1000 guter Kleiner Gulden Mainzer
Währung auf die vier alten großen Turnoſen, die er demfelben vor-
mals am Zolle zu Mainz verfchrieben hat.
G. zu Heydelberg 1378, an dem nehsten sunabend vor
dem suntage Invocavit, unser riche in dem zweyunddrissig-
sten und des keysertums in dem dry und zwentzigsten jaren.
De mandato domini imperatoris Nicolaus Camericensis pre-
positus. Registr. Johannes Lust.
Dos Majeftätsfiegel hieng an eyner permynten presse.
2, 1550.
I. König Wenzel.
12.
1376, Juli 16. Mainz Wenzel verpfändet dem Heinz
zum ungen, etwan Schultheißen zu Oppenheim, zum Erſatz für die
zurückgegebenen Pfandichaften Oppenheim, Odernheim Burg und
Stadt, Schwabsburg, Ober» und Niederingelheim vier alte große
Zurnofen auf dem Zolle zu Mainz.
G. zu Mentze 1376, an der mittwoch[en] nach sanct
Margreten tage, unser kunigriche des Behemischen in dem
1 Hechtsheim bei Mainz.
217
viertzenden und des Romischen in demersten jare. Ad man-
datum dömini imperatoris! Theodor. Damerow. Registr.
Wilhelmus Kortelangen.
Das Siegel hieng an eyner permenten pressen. 2, 1541.
Die Urkunde ift ganz gleichlautend mit Nr. 10, weshalb ich mic) auf
das dort mitgetheilte ausführlichere Regeſt beziehe. — Am gleichen
Zage verpfändete übrigens Wenzel dem Heinz zum Jungen noch einen
weiteren Turnos auf dem Zolle zu Mainz. Baur, Heffiihe Ur-
kunden III, 513 Nr. 1427.
13.
1380, April20. Franffurt am Main. Wenzel fchlägt
feinem Diener Heinz zum Jungen, Bürger zu Mainz, die 1500
gute Feine Gulden, die derfelbe ihm gelichen hat, auf die demfelben
bereit8 früher verfchriebenen fünf alte große Turnoſen auf dem Zolfe
zu Mainz, die er fo lange ohne Abichlag an der Hauptfumme be=
siehen ſoll, bis dieje bezahlt ift.
G. zu Franckfurt uff dem Mewn 1380, an dem nehsten
frytag vor sant Gorgentag, unser riche des Behemischen in
dem siebenzendem und des Romischen in dem vierten jare.
Per dominum magistrum curie per Joannem (sic!). Reg.
Wilbelmus Kortelangen.
Das Majeftätsfiegel hieng an eyner syden snure swartz und
gele. 2, 1553.
14,
1380, Zuli 4. Frankfurt am Main. Wenzel erlaubt
dem Heinz zum ungen, Bürger zu Mainz, um feiner getreuen
Dienjte willen, die fünf Turnofen auf dem Zolle zu Mainz, die ihm
von Kaiſer Karl und ihm (Wenzel) verpfändet find, ganz oder theil—
weile einem andern zu verfegen.
G. zu Franckfort uff dem Mewen 1380, an sant Ulrichs
tage, unser riche des Behemischen in dem achtzehenden und
des Romischen in dem vierden jaren. Per dominum Petho-
nem de Eyascolowitz Martinus Sueymen Dathu. Registr.
Wilhelmus Kortelangen.
r — Majeſtätsſiegel hieng an eyner permenten snure.
15.
‚1398, Januar 14. Frankfurt. Wenzel erlaubt dem
Heinz vom(!) Zungen, Bürger zu Mainz, den Engeljchen, welchen
! Demmad) ift die Urkunde aus der Kanzlei Karls, nicht aus der Wenzels
hervorgegangen.
218
mweiland Kaiſer Karl IV. Hennen zum ungen für 500 Gulden auf
dem Zolle zu Mainz verſetzt hat!, an fich zu löfen.
G. zu Franckfort 1398, des montags vor sant Anthonii
tage, unsir riche des Behemischen in dem fünffunddryssigsten
und des Romischen in dem zweyundzwentzigisten jaren. Per
dominum Lampertum episcopum Bambergensem Franeiscus
canonicus Pragensis. Registrat. Petrus de Wischow.
ra über das Siegel fehlt. 2, 1564 und nochmals
2,1
1 Bel, Nr. 5.
Regeſten Sigismunds.
Mitgetheilt von H. Breßlau.
Nachdem zu den mir von Prof. Pellegrini zu Belluno ſchon
früher überſandten Regeſten Sigismunds, welche deſſen Beziehungen
zu den Städten Belluno und Feltre betreffen, durch weitere liebens—
wirdige Mittheilungen noch einige andere hinzugekommen find, glaube
ih mit deren Publication nicht länger zögern zu follen. Es find im
ganzen 38 Stücke aus den jahren 1412 bis 1419, von denen bis—
ber nur 12 bei Piloni und Verci gedrudt find. Da Sigismund
delluno im Dec. 1411 in Befit nahm, e8 aber ſchon im April
1420 wieder an die Venetianer verlor, fo dürfte das dort für feine
Gefchichte vorhandene Material mit diefen Urkunden erfchöpft fein.
1. 1412, Mai 21, Budae,
verleiht den belfunefischen Adelsfamilien Miari, Doglioni und Foro
das Recht, den Adler in oberen Schilde ihres Wappens zu führen. —
Copie im Beſitz des Prof. Fr. Pellegrini zu Belluno.
2. 1412, Mai 21, Budae,
nimmt den Edlen Johannes Antonius Miari zu feinem familiaris
an. — Cod. authogr. continens fragmentum historiae G. Pi-
loni f. 239 im Museo civico zu Belluno.
3. 1412, Mai 23, Budae,
verleiht den Miari und Doglioni das Recht der Repreffalien gegen
a — Gedrudt: Verci, Marca Trevig. XIX, doc. 2103,
4. 1412, Mai 24, Budae,
beftätigt die Privilegien, Ordnungen und Statuten der Stadt Bel-
luno. — Gedrudt Piloni, cart. 103. PVollftändiger in den Atti
del notajo Barcelloni mss. I, 118 zu Belluno.
5. 1412, Dec. 29, Udine,
befiehlt feinem Vicar in Belluno, einen gewiffen, von ihm eingefer-
ferten Chriftoph di Agrone, der mit königlichen Geleitsbrief verjehen
it, in Freiheit zu ſetzen. — Im Liber B. provisionum magni-
ficae communitatis Beluni f. 22 im Stadtarchive zu Belluno.
220
6. 1413, San, 1, Udine,
beglaubigt Mil fo (!) di Gemiffe, Hauptmann von Sol (Zohl), bei dem
Rath der Edeln von Belluno. — Liber B. provisionum f. 72*,
7. 1413, Yan. 1, Udine,
beauftragt den Vorgenannten, die Güter der Venetianer und ihrer
Anhänger im Gebiete von Belluno zu confisciren. — Liber B. pro-
visionum f. 72*,
8. 1413, Ian. 2, Ubine,
befiehlt den Städten Belluno und Feltre ihrem Biſchof Heinrid
Scarampi die Hälfte der Bußen zu zahlen. — Liber B. prov.f. 73.
9. 1413, Yan. 3, Udine,
befiehlt denen von Belluno ihrem Biihof Heinrich, den er als Ge
fandten anderswohin bejtimmt hat, 200 Ducaten Gold zu zahlen. —
Liber B. prov. f. 73*.
10. 1413, April 17, Feldlager bei Gaftelletto in Friaul,
verfündigt dem Rath von Belluno den auf fünf Jahre mit Venedig
gefchloffenen Waffenftillftand. — Lib. B. prov. f.75*; ital. Copie im
Cod. Corretioni et aggiunte alla hist. Pilona f. 11, im Museo
eivico zu Belluno, gedrudt Verei XIX, doc. 2111, ©. 66.
11. 1413, Juni 4, Belluno,
befiehlt dem Biſchof und Capitel zu Feltre, dem Clemens, Sohn des
Paul Miari, Canonicus zu Belluno, eine Pfründe zu verleihen. —
— zu Nr. 2 erwähnten Coder im Museo Civ. zu Belluno
12. 1413, Juni 5, Belluno,
ernennt Johann, Sohn de8 Paul Miari zu feinem familiaris. —
In dem zu Nr. 2 erwähnten Cod. f. 241*.
13. 1413, Juni 23, Feltre,
verleiht dem Grafen Heinrich von Görz für fein Guthaben von 16000
Goldflorinen die Hauptmannſchaft und die volle Gerichtsbarkeit über
die Städte Belluno, Feltre, Serravalle u. ſ. w. — Liber B. f. 17,
gedrudt Verci XIX, doc. 2113, ©. 67.
14. 1413, Juni 25, Trient,
fchreibt dem Rath der Edlen von Feltre zu Gunften der Billa Pri-
molano. — Gedrudt Verei XIX, doc. 2114, ©. 69.
15. 1413, Sept. 22, Chur,
befiehlt dem Nath der Edlen von Belluno bei Strafe von 4000
Ducaten, die Brüde von Gapodiponte wieder herzuftellen. — Liber
B. prov. f. 76.
16. 1413, Nov. 15, Como,
befiehlt den Bellunefen abermals, die Piavebrücde von Plasprud (Ca
podiponte) ohne Verzug herzuftelfen. — Liber B. prov. f. 78.
17. 1413, Nov. 20, Como,
befiehlt den Bellunefen, dem Grafen Heinrich von Görz zu gehorden. —
Liber B. prov. f. 77°, gevrudt Verei XIX, doc. 2118, ©, 7.
18. 1413, Dec. 21, Laude Pompeja,
intervenirt beim Nath von Belluno zu Gunften des Gebannten
— — ——
221
Mario di Bafa. — Liber E. provisionum im Stadtardiv zu
Belluno f. 80*.
19. 1414, Febr. 4, Cremona,
giebt dem Grafen von Görz auf, die Privilegien und Rechte der
Stadt Belluno zu refpectircen. — Lib. B. f. 80, gedrudt Verei
AR, doc. 2122, ©. 79.
20. 1414, Febr. 23, Piacenza,
beftehlt den Belluneſen nochmals die Herftellung der Brüde von Ca—
podiponte, widrigenfall® der Graf von Görz die angedrohte Strafe
einziehen werde. — Lib. B. f. 81.
21. 1414, Mai 1, Aſti,
Ihreibt an Hauptmann und Vicar zu Belluno zu Gunften des Bi-
ſchofs Heinrich. — Lib. B. f. 81*.
22. 1414, Juni 17, Ponte Sturiae,
ihreibt an den Rath von Belluno zu Gunften von Francesco da
Ponte und Mario da Pafa. — Lib. B. f. 83*.
23. 1415, Juni 26, Conftanz,
ernennt Ulrih Scala von Piezz zu feinem Generalvicar in ben
Städten Belluno und Feltre. — Lib. B. f. 91*, gedruckt Piloni
cart. 209.
24. 1415, Juli 2, Conftanz,
Beichle für den Rath zu Feltre, die dem zu Belluno mitgetheilt
werden jollen. — Lib. B. f. 90.
25. 1415, Yuli 3, Conftanz,
befreit die Bellunefen für alle Zukunft von jeder Schuldverpflichtung
wm des jährlichen Genfus an den Grafen von Görz. — Lib.
: 92°,
26. 1417, Febr. 28, Conftanz,
befiehlt den Belluneſen, das Caſtell zu befeftigen und beglaubigt den
Vicecaſtellan Abardo von Adlar bei ihnen. — Lib. B. f. 96.
27. 1417, März 1, Conftanz,
verwendet ſich bei Rath und Volk von Feltre für 32 Gebannte diefer
Stadt, feine Getreuen. — Lib. B. f. 97.
28. 1417, März 1, Gonftanz,
\hreibt an den Rath von Belluno zu Gunften des feltrenfifchen Ge—
dannten Antonio Donati da Carve, Vicar von Mel. — Lib. B. f. 98.
29. 1417, März 1, Conſtanz,
bewilligt dein Georg Doglioni ein neues Stemma: — Gedrudt Pi-
loni cart. 212.
30. 1417, Yuni 2, Conftanz,
befichlt dem Kath zu Feltre, den jährlichen Cenſus zu zahlen, das
Caſtell mit allem Nothwendigen auszurüften und mit dem Gajtellan
Öymram von Mrazenym (!) in Frieden zu leben. Lib. B. f. 110.
31. 1418, Januar 16, Conftanz,
befiehlt dem Kath von Belluno, dem Gaftellan von Serravalle 300
Ducaten zu geben und die Mishelligkeiten zwiſchen ihm und den
Bürgern von Serravalle zu fehlichten. — Lib. B. f. 116.
222
32. 1418, Januar 16, Conſtanz,
befiehlt dem Gaftellan und den Söldnern von Serravalle, mit den
Bürgern diefes Ortes Frieden zu ſchließen. — Lib. B. f. 116.
33. 1418, October 17, Ingolſtadt,
ernennt Rudolf Becze (!) pr Statthalter über Belluno, Feltre und
Gerravalle. — Lib. E. f. 54, gedrudt Piloni cart. 214.
34. 1419, Juni 20, Cassaviae,
beftätigt den Miari und Doglioni das Recht der Repreſſalien gegen
die Venetianer. — Gedruckt Verci XIX, 111N. 2143.
35. 1419, Juni 20, Cassaviae,
ſchickt dem Rath von Belluno durch Michele Miari 2250 Florinen,
um 300 Mann Fußvolk zur Vertheidigung des Thals von Belluno
anzuwerben. — Lib. E. f. 92*,
36. 1419, Oct. 1, Varadini,
meldet dem Rath von Belluno, daß er im Begriff iſt, Dionys v.
Mardali, Ban von Stavonien, mit Truppen zur DVertheidigung ihrer
Stadt abzuſchicken. — Lib. B. f. 124, gedrudt Verei XIX, 115,
N. 2148,
37. 1419, Oct. 5, Augustae,
empfiehlt feinem Vicar zu Belluno, Xodovico Se Vorſicht in
der Bewachung der Stadt. — Lib. B. f. 126*
38. 1419, Oct. 5, Augustae,
verfpricht dem Rath zu Feltre baldige Hilfe und empfiehlt ihm, ihrem
Söldner Jacob von Frankfurt während feines ee bei Hofe
den Sold nicht vorzuenthalten. — Lib. B. f. 126*.
Zur Kritit der Inveftiturverhandlungen
im Sabre 1119.
Von
E. Stuber.
Das rege Antereffe, welches in unferer Zeit den‘, hiftorifchen
Studien zugemandt wird, hat fich nicht zum mindejten in der Periode
des ſog. Inveſtiturſtreits thätig gezeigt, um jo mehr, da grade für
diefe Zeit eine Fülle wichtigen Hijtorifhen Materiald neu gewonnen
it. Die Bedeutung Gregors, der ganze Charakter des welthiftorifchen
Streits, dejfen allmähliche durch das Zufammentreffen verjchiedener
Momente bedingte Entjtehung, fein vorläufiger Abſchluß — alles dies
it im eim neues und unzweifelhaft helleres Licht geftellt. Nicht ge-
nügend beachtet dagegen erjcheint mir eine — wenn man fo fagen
ſoll — Epifode jenes Streits, für die neue Quellen zwar nicht er=
Ihloffen find und die aud) an und für fich feine pofitive Entfcheidung
gebracht hat (welche zwei Umftände vielleicht grade die weniger ge—
naue Behandlung derjelben veranlagt haben), die aber doch für die
Beurtheilung des Ganzen jehr wejentlich ift: ich meine die im Jahre
1119 gepflogenen Unterhandlungen. Auf diefe möchte ich die Auf-
merffamfeit Hinlenfen, um jo mehr, da auch bei ihnen die verjchie-
denen Anfichten fchroff ſich gegemüberftchen,, die durch das Werk v.
Giejebrechts aber am Weitejten verbreitete mir in einigen Punkten
unrihtig, in anderen ungenau zu jein jcheint.
Bergegenmwärtigen wir uns furz den Verlauf des Inveſtitur—
ftreits 6i8 zu jenem Momente!. Durdaus nicht nad) einem be—
mußten, forgfältig vorbereiteten Plane handelnd, jondern vielmehr durch
rein örtliche Conflicte (den Streit um das Mailänder Erzbisthum)
gedrängt nahm Gregor den allerdings unvermeidlich gewordenen Kampf
mit dem Staate auf. Es handelte ſich in ihm anfangs nicht bloß
um jene drei Momente der Simonie, der Inveſtitur und des Gölibats,
jondern zugleich um die beiden großen den Geift der Menfchheit aus=
drüdenden Principien des imperium und sacerdotium felbjt. Erſt
ald allmählich diefer Prineipienfampf fich erichöpfte, als man in ihm
zur Erfenntniß gelangt war, daß die Gegenfäge in ihrer Schroffheit
nicht neben einander beftehen fünnten, fondern auszugleichen feien, da
fonnte der andere Act de3 großen Drama beginnen, da8 man von
num am erft mit Recht den Amveftiturftreit nennen kann. Denn jet
trat wieder jener eine Factor, von dem der Kampf urſprünglich aus—
Bgl. Bernheim, Forfhungen XVI, 281 ff.
/ 226
gegangen war, in den Vordergrund: die Inveſtitur, und um die praf-
tiiche Yöfung diefer Frage handelt es fih vom Hegierungsantritt
Heinrichs V. an. Doch jchwer war es für die beiden Mächte, die
jo lange im jchroffiten Gegenfag, im heftigiten Streit gejtanden hatten,
eine joldhe zu finden, und diefe in der Natur der DVerhältniffe liegende
Schwierigfeit wurde noch unendlich vergrößert durd den Charakter
der dad imperium und das sacerdotium vertretenden Männer.
Einem jchwanfenden, unfelbjtändigen, aber an den Lehren feines
Herrn und Meifters Gregor mit zähem Eigenfinn feithaltenden Papſte
ſtand gegenüber der nicht minder zähe, dabei herrichlüchtige, energijche,
hinterliftige Heinrich V. Die beiden Gegner traten fi), nach mehr»
maligen vergeblichen Unterhandlungen, ohne einander das Geringite
nachgegeben zu haben, zuerſt in dem verhängnißvollen Jahre 1111
gegenüber. Es ift hier nicht der Ort, näher auf jene befannten Er—
eigniffe einzugehen, durd) die der Papft gefangen und dann gezwungen
ward, dem Kaiſer feierlich; mit einem ide die volle Inveſtitur zuzu«
gejtehen, alſo das aufzugeben, worauf jo lange alle Bejtrebuugen der
Kirche Hinzielten. Die unbefangene Gefhichtsforihung wird in Be—
treff der Beurtheilung jener Vorgänge al8 das Wichtige anerfennen
müſſen, daß Paſchalis' Plan, die Kirche follte auf die Regalien! ver:
zichten, nicht etwa von tief religiöfer, idealer Anficht eingegeben war ?,
oder gar eine Lit fein follte um den Kaifer zu fangen ®, fondern ein-
fach) von einer mit auf der Beichränftheit des heiligen Vaters beru—
henden“ Verzweiflung dietirt war, und daß Heinrich in fchmählicher
Weife letztere benutzte, um den Papft einen Vertrag eingehen zu
lajjen, von deifen Unausführbarfeit er überzeugt war, durd) den er
dann aber ſich allein den Vortheil fihern wollte”. — Co ſchien man
ı db. das vom Reich herſtammende Gut, nicht (mie Fider, Eigenthum
des Reihe am Reichskirchengut S. 58 ff. meint) alles weltliche Gut; |. Wait,
G. ©. 4. 1873, S. 821; Berfaffungsgeih. VII, 196 ff.
* Mie dies Zoepfl (nam. in den NAiterthümern des deutſch. Reichs und
Rechts II, 18 f.) und Hefele (Coneiliengeſch. V, 267 fi.) ausgeiprocden haben;
beide, nam. aber Erfterer, in höchſt unangemefjener Form, durch die fie nur fiber
fi, felbft urtbeilen.
* Diele Anfiht haben fich nicht geſcheut aufzuftellen Menzel (Geſch. der
Deutichen III, 865), Gervais (Geſchichte Heinrichs V., S. 40 ff.; dieler aber
zweifelnd) und Sugenheim (Geſch. des deutih Volls II, 298 f.).
Wie dies Schon Guido von Vienne erfannte; vgl. Mansi XXI, 75.
5 Welche Anficht nam, Stengel (I, 634 f.) und v. Gieſebrecht (III, 4. Aufl.
810 f.) gut darlegen. Gregorovius (Stadt Rom IV, 322.) betont in manchen
Einzelheiten viel zu wenig, daß Paſchalis nur in verzmeifelter Hoffnungslofig-
keit handelte. v. Gieſebrecht jcheint mir in Bezug auf die Quellentritil in der
Erzählung der Kämpfe zwiſchen Römern und Deutichen (nam. S. 816 und 817)
dem Petrus Casinensis (SS. VII, 799) zu fehr zu folgen, deffen Zu:
thaten zu dem Bericht des registrum neben manchen wichtigen Nachrichten doch
bei jenen Kämpfen grade rein rhetoriihe Ausihmüdungen enthalten, die mit
der Darftellung des registrum, Effeharde, der vita Paschalis u. a. durdaus
nicht harmoniren. Auch die Paderborner Annalen (Sceffer-Boihorft S. 123—
125) find, fo anfchaulich fie die Sachen darftellen, ebenfalls von rhetoriihen
Ausihmüdungen in kaiſerlichem Sinne nicht frei (mas Scheffer-Boidorft S. 89
227
dur die Refultate diefes Verſuchs, die Inveſtiturfrage zu löfen, um
keinen Schritt vorwärts gefommen. Aber doc hatte fich bei ihm
grade deutlich gezeigt, daß die Kirche die Negalien nicht entbehren
fonnte und wollte, fie hatte jelbit, wenn auch wider Willen, einges
ftehen müjjen, daß der Staat Rechte an der Einfegung der Biichöfe
habe. Dieſe waren durch einen gewaltfamen Staatejtreid) einfeitig
zu Gunſten der einen Partei durchgeiett: daher war e8 nur natürlic),
dak von Unterhandlungen zunächit feine Rede war, daß vielmehr die
firhlihe Partei, durd; den unerwarteten Sieg des Staates aufs
Aeußerſte erbittert, zumächit die durch die Schwäche ihres Dberhauptes
ihr geichlagene Scharte auf alle Weije wieder auszınvegen fuchte und
abfihtlih alle Kräfte ins Feld führte, um das, was das Schwert
gewaltfam durchgefett, mit Schwert und Bann wieder zu entreißen.
Und da war e8 von großer Bedeutung, daß die deutfchen Fürften, in
Oppofition gegen den Kaiſer, der Kirche die Hand zum Bunde
reichten. Der Doppelfampf mit Papjt- und Fürſtenthum, dem einjt
der Vater unterlegen war, follte auch den Sohn in ſchwere Gefahren
fürzen: immer mehr verbreitete fid) der Bürger» und Religionskrieg,
nicht genug hervorgehoben); v. Gieſebrecht (S. 818) hat daher, wenn er aud)
einmal ein „ſoll“ Hinzufegt, auch ihmen vielleicht zu viel entnommen. Ent—
ſchieden unrichtig ift aber, wenn die allein von Wilhelm. Malmesbur. (SS.
X, 479 u. 480) berichtete Verleihung des Patriciats® an Heinrich von v. Giefts
breht in der Anmerkung S. 1199 bezweifelt (e8 ift aber fein Grund angegeben)
und im Texte gar nicht erwähnt wird. Wilhelm folgt hier David; diefer war
Augenzeuge und konnte foldyes Factum unmöglich erdichten. Wenn auch fonft
einzelne Angaben Wilhelms (mie die: ad columnas, quae sunt in foro; eine
andere Unrichtigleit weiſt v. Gieſebrecht S. 1211 nad) zu verwerfen find, fo
fiegt doch bei dieſer nicht der mindefte Grund dazu vor, wie aud) geurtheilt
haben Stenzel (I, 645), Gregorovius (IV, 334), Hefele (V, 280) und neuer-
dinge Maik (Berfaffungsgefh. VI, 198). Bielleiht wird aud die Angabe
Wilhelms beftätigt durch einen bei Petrus Casinen. ſich findenden Zujat;
diejer fügt nämlich (SS. VII, 782, Zeile 14) nad; den Worten des registrum
(cf. Leges II, 71, Zeile 45) beim Verſprechen auf der mammaeiihen Brüde:
et regnum et imperium (adjuvabit) hinzu: et patriciatum. Weshalb ift
dieier Zuſatz gemacht? Stenzel (I, 643 N. 1) findet ihn als bei Petrus allein-
Rehend merkwürdig und fett hinzu: „von dem WBatriciate wollte man ipäter
Nichts hören”. Diele Angabe findet ſich aber meines Wiffens in den Quellen
nirgends; denn die Worte Effchards: quamvis nonnulli longe aliter inde
sentiant, fönnen fid) doch nur auf die Art und Weiſe der Kaiſerkrönung (die
ja ungewöhnlich genug war; vgl. Wait, BVerfaffungsgeih. VI, 191) beziehen,
und von dem BPatriciate ſpricht ja Eklehard gar nicht. — Gregorovius (IV,
331) nimmt die Worte des Petrus in den Text, bemerkt aber Nichts dazu;
Heiele und v. Giefebrecht übergehen fie ganz. Hat nun Petrus jene Worte hin«
zugefügt, eben weil er wußte, daß Heinrich der Patriciat übertragen ſei? Er
weht jonft vom Wortlaut des registrum nur ab, indem er einestheils bei den
Verträgen indirecte Rede anwendet, anderentheil® beftändig imperator und im-
perium ftatt <rex und regnum fagt (S. 778 Zeile 49; 779, 3. 1; 5—9;
19—14;, 37. 780, 3. 22; 781, 3. 44; 782, 3. 8—15); jonft aber hat er
me in die Aftenftücde mehrere Worte (wie hier et patriciatum) eingefchoben.
Und würde er dies an diefer Stelle gethau Haben, wenn Heinrich nicht die
Würde des patricius empfangen hätte?
228
immer jchroffer jtanden fich die Parteien einander gegenüber, fogar
einen Gegenpapft ftellte der Kaifer auf; und was Paſchalis trog feines
Eidbruches nie gewagt, vollführte fein Nachfolger: er bannte Gegen
papit nnd Kaijer. Als aber diefer Bann weit und weiter verbreitet
und jo der Krieg aufs Neue entflammt ward, da erfannten Papſt
und Fürften, daß e8 an der Zeit fei, den Kampf zu einem Abſchluß
zu bringen, wenn nicht bei dem in Kirche und eich herrichenden
Zwiejpalt ihre eigenen wichtigften Intereſſen follten gefährdet werden.
Und lettere entjchieden. Calixt II., eine wejentlicy politiihe Natur,
wenn er al8 Biſchof unter den Eifrigen der Eifrigfte geweſen, zeigte
jest als Papſt jofort ji) nicht abgeneigt, die Unterhandlungen zu
beginnen. Und hierzu, fowie zur Wiederordnung des Reichs überhaupt,
forderten die Fürſten felbft den Kaifer auf. Das deutiche Fürften-
thum trat jetzt als vermittelnde Macht auf, — ein bedeutfames Zeichen!
Zu ZTribur, wo fo oft jchon über des Neiches Wohl und Wehe be-
ichloffen war, ward Ende Juni 1119! ein allgemeiner Reichsfrieden
feſtgeſetzt, die Entiheidung über die kirchlichen Angelegenheiten aber
einem allgemeinen Goncil vorbehalten. So ſtanden ſich Kaifer und
Papft aufs Neue gegenüber zu enticheidenden Verhandlungen; e8 mußte
ſich jetst zeigen, ob Beide aufrichtig gewillt waren, die beiderjeitigen
Rechte anzuerkennen und billig auszugleichen und jo die alle Streit-
punkte genau und unbefangen behandelnden theoretiichen Erörterungen,
wie fie in dem Tractat de investitura episcoporum ? und in den
Schriften des franzöfifchen Clerus, namentlicy eines Ivo von Chartres
und Gottfried von Vendôme, längft dargelegt waren, aud in der
Praris durdyzuführen.
Unfere Hauptquelle über die folgenden Ereigniffe, die den eigent=
lichen Gegenftand unjerer Erörterungen bilden jollen, ift der Straß-
burger Scholaſticus Hejjo?, und feinen Bericht haben wir zunächſt in
den Hauptjachen kurz wiederzugeben. — Zu Straßburg kamen der
Biſchof von Chalons und der Abt von Cluny mit dem Kaiſer zuſam—
men. Erſterer jtellte Heinrid) vor, wie er ohne irgend eine Vermin—
derung feiner füniglichen echte auf die Inveſtitur ganz verzichten
könne; denn aud) in Frankreich würden die Bilchöfe vom König nicht
invejtirt und dienten ihm doch in Bezug auf alle jtaatlichen Rechte
ebenjo treu wie die deutjchen Biſchöfe feit jener unheilvollen Inve—
ftitur. Der König erklärte, mehr wolle er nicht, beſprach ji dann
mit feinen Fürften und gelobte endlich durch Handichlag, wenn er
beim Papfte Treue fände, auf die Inveſtitur zu verzichten; dajjelbe
befräftigten die anmwejenden Fürſten. Die beiden Unterhändler be=
richteten zu Paris das Verfprechen des Kaifers dem Papſte; diefer
meinte: „möchte es doch ſchon geichehen fein, wenn es ohne Hinterlift
ı Mie dv. Giefebrecht (III, 1218) richtig hervorhebt gegen Stengel (II,
332) und Gervais (S. 257); aud) Hefele (V, 312) folgt der falſchen Anſicht
Beider.
2 ©. Bernheim a. a. DO,
s SS. XU, 422—428,
229
geſchehen könnte“, berieth fich mit feiner Umgebung und fandte zur
nohmaligen Verhandlung jene beiden Boten ſowie den Bifchof von
Dita und den Gardinal Gregor zum Kaiſer zurück, den fie zwifchen
Mes und Verdun trafen. Es ward nun ſchriftlich aufgejetst, daß der
Kaifer auf die Inveſtitur aller Kirchen verzichte, daß er und der Papft
ih gegenfeitig ihre Beſitzungen zurüdgeben würden und daß wahrer
Frieden herrjchen ſolle. Dieſe Verträge jollten am 24. October in
Mouzon abgeichlojfen werden. Eilig Ffehrten die Gefandten nad)
Reims zurück, wo am 18. October ein allgemeines Concil eröffnet
ward; der Papft ließ der Verſammlung von den beiden Bifchöfen die
mit dem Kaiſer gepflogenen Unterhandlungen berichten und verkündete
am folgenden Tage, daß er nun felbjt zu ihm aufbrechen werde. —
Zu Mouzon angelangt beſprach er ſich nochmals mit feiner Umge—
bung, und man fand für gut, die Urkunden genauer zu interpretiren,
um einer etwaigen liftigen Auslegung des Kaiſers vorzubeugen.
Man erflärte, dag man bei dem Ausdrude „Inveſtitur der Kirchen“
auch die Kirchengüter mit einbegriffen habe, und daß der Papſt, wenn
er wahren Frieden verfprocden, die Gegenbiſchöfe und abgefegten Prä-
laten ausnähme. Dem gegenüber erklärte der Kaiſer fofort, Nichts
davon verfprochen zu haben; und als er daran erinnert ward, daß jene
Urkunde doch beſchworen fei, gab er dies zu, beflagte ſich aber, daß
mar fo ihm Meichsrechte vermindern wolle. Auf Weiteres ließ er
fih nicht ein, fondern verlangte Auffhub der Verhandlungen. “Der
Papit, an einer Verftändigung faſt fchon verzweifelnd, fandte trogdem
nochmals an Heinrich; diefer erklärte aber, nur auf einer allgemeinen
Reiheverfammlung könne die Sache entjchieden werden. Da begab
ih der Papſt fofort hinweg, ließ fich auch durch eine Aufforderung
Heinrichs nicht zu längerem Bleiben bewegen, fondern eilte mit größter
Schnelligkeit nad) Reims zurüd. Auf dem Concil verbot er jodann,
neben anderen Beitimmungen, die Inveſtitur ſämmtlicher Kirchen und
Kirhengüter durch Yaienhand, ward aber durch den allgemeinen Wider-
and genöthigt, das Verbot nur auf die Inveſtitur der Bisthümer
und Abteien zu beſchränken. Am Schluſſe des Concils wurden neben
bielen anderen auch Kaifer Heinrih und der Gegenpapft excom—
municirt.
Heſſo jagt am Schluſſe diefes feines Berichtes: quae vidi et
audivi, fideliter — deseripsi, und die Wahrheit diefes “fideliter’
üt von den meiſten Forfchern * im Allgemeinen anerfannt. Allerdings
gehört Heſſo der ftreng kirchlichen Partei an? und ift dem Kaifer
nit weniger als wohlgefinnt *; aber thatfächliche Unrichtigkeiten oder
13.8. Wattenbach, SS. XII, 422; v. Gieſebrecht III, 1218.
? Gradezu fagt er dreimal von den päpftlichen Unterhändlern: nostri.
Doch darf man dafür nicht mit Stenzel (I, 691) und nameutlich Ger-
vas (S. 259 und 271) anführen, daß Heinrich) von Hefjo immer rex genannt
ki, welher Ausdrud mir vielmehr ohme jede Abfichtlichkeit gebraucht zu fein
cheint. Denn wie zwiihen regnum und imperium nie fireng unterjchieden
wird (vgl, Waitz, Berfaffungsaeih. Vl, 364), jo finden ſich imperator (was
XVII. 16
230
Unwahrjcheinlickeiten können ihm nicht nachgewiefen werben. Sein
rein fachlich und ohne jeden Schmud der Darftellung gehaltener Beridt
ift völlig glaubwürdig " und muß bei der Beurtheilung jener Ereigniffe
allein zu Grunde gelegt werden. — Wie war e8 möglich, fo müſſen
wir und fragen, daß nad) fo langen, blutigen Kämpfen, bei dem all:
gemeinen Wriedensbedürfnig, bei der ſchon längſt theoretiſch ausge
Iprochenen und in England bereits 1107 praktiſch durchgeiegten Lö—
fung des Inveſtiturſtreits dennoch wiederum die beiden Gegner feind-
lid von einander fchieden und der Kaifer fogar abermals gebannt
ward? Warum ward der fid) jo leicht darbietende und nach drei Jahren
auch in Deutjchland eingejchlagene Weg zur Löſung nicht fchon hier
betreten? — Die Antworten lauten verjchieden. Stenzel ? meint, die
päpftlichen Geſandten hätten Heinrich Hintergehen wollen, diejer jedoch
hätte fich in feiner Klugheit zweideutig ausgedrückt und ſich nicht von
ihnen betrügen laſſen wollen, und hierüber erzürnt, hätten jene die
Verhandlungen abgebrochen. Gervais? glaubt, daß Beide den Ber:
trag zu ganz entgegengejetter Nußanmwendung zweideutig ließen, fcheint
aber — joviel man aus feinem langen, oft unklaren Raifonnement
Ichließen darf — dem Papſt den größeren Theil der Schuld zuzu—
jchieben. Gregorovius ? (der die Ereignijfe nur fehr kurz berührt)
jagt: „Heinricd) zögerte (mit dem Ausgleich) indeß noch voll Schlau
heit, er ſchien — wieder auf eine Papftjagd zu ſinnen“. Hefele®
(der ebenfalls eine eingehende Beurtheilung nicht giebt) glaubt, daß alle
Zweidentigfeit allein vom Kaifer ausgegangen, daß diefer habe be—
trügen wollen. Mücke? faßt alles zufammen in das Wort: „30,000
Krieger lagerten, um den unverjchämten Zumuthungen der Fremd:
linge gegenüber die deutiche Ehre mit dem deutichen Schwert zu ver:
theidigen“. v. Giefebrecht endlich meint ®: „kaum ließ fich bezweifeln,
auch wohl ſchon vor der Kaiferfrönung gefagt wird, 3. B. Adam Brem. Il,
59. Arnulf, Hist. Mediol. III, 22) und rex ohne beftimmtere Untericheidung
fowohl bei Gejchichtsichreibern (3. B. Ekkehard, SS. VI, 250 u. 252) als in
Briefen (3.8. Mansi XXI, 75). — Wohl aber ift der zweimal zur Bezeichnung
des Kaiſers gebrauchte Ausdrud ‘homo ille’ bemerfenswerth.
Einiges hat Gervais ohne Grund dagegen angeführt, 3. B. daß fid
Heſſo durch das Wort ‘condescendentes’ „jelbft verrathen“ habe (6 284; man
wird dies aber nicht mit Gervais überjeten dürfen: „Ne ſtimmten ihren Ton
herab“, jondern : „fe ließen fid) herab“, was befjer in den Zufammenhang
paßt und ganz im Sinne des Autors ift) oder durch den Ausdrud ‘quorundam'
verglichen mit ‘communi consilio' „abſichtlich gemildert“ habe (S. 291; aber
e8 heißt ja auch: et multorum laicorum). &o fann man Gervais wie in
vielen anderen Dingen fo auch in diefem Zweifel an der Zuverläffigfeit Helios
(den in neuerer Zeit A. Miüde, Kaifer Heinrih IV. und V., Halle 1870, ein
populär gehaltene® Schriftchen, "wiederholt hat) nicht beiftimmen,
‚691 fi.
©. 261 ff.
Bol. nam. ©. 277 und 289.
1V, 372.
V, 312—319.
— 220-224 ; es finden fi hier übrigens manche Widerſprüche.
on a ma am a» m »
231
daß ſich die gänzliche Befeitigung der Laieninveftitur würde verkünden
laſſen“ und!: „von beiden Seiten hatte man ohne Zweifel aufrichtig
den Vertrag gewollt“. Wem aber eigentlich das gänzliche Scheitern
der Verhandlungen beſonders zur Yajt zu legen fei, darüber enthält
er fi jedes bejtimmten Urtheils. — Man fieht, die Anfichten jtehen
ih ähnlich gegenüber wie bei den Vorgängen des Jahres 1111, und
doch fann Hier wie dort unferer Meinung nad) das Nichtige nicht
zweifelhaft fein.
Im Concordate von Sutri 1111 war beftimmt?: rex refutabit
omnem investituram omnium ecclesiarum. Setzt gejtand der Kaiſer
in der zwiſchen Met und Verdun aufgefegten Urkunde zu ®; dimitto
omnem investituram omnium ecclesiarum. Er wiederholte alfo
wörtlich das Concordat von Sutri. Diejes war aber nicht zu Stande
gelommen; denn die regalia, auf die ſich eben das oberhoheitliche
Recht der königlichen Inveſtitur gründete und gegen deren Abtretung
allein aljo der König die Inveſtitur aufgeben fonnte, diefe regalia
fonnte die Kirche nicht entbehren, wie der allgemeine Tumult bewies,
der ji beim DVerlefen jenes Decrets erhob. — Alſo müffen wir aud)
bier doc) irgend eine nähere Beſtimmung erwarten; denn ohne jolche
war ja die Sache num geradezu umgekehrt: der Kaifer verzichtete auf
köwede Inveſtitur bei jeder Kirche; die Laieninveftitur war gänzlich
bejeitigt, die jo lange bejtrittene Forderung der Kirche mit einem
Schlage zugeftanden. Wo bleiben da aber die Rechte, die der Raifer
und da8 Reich auf die regalia hatte? Sollte er fie aufgeben ?
Verzichtete er jetzt plöglih darauf? Wir müffen hierüber eine
nähere Beſtimmung erwarten, aber eine folche findet fih in den
Urkunden nirgends. Die beiden Gefandten in Straßburg jtellen
ale vor, wie in Frankreich die Biſchöfe überhaupt Feine Inve—
fitur erhalten vom Könige und diefem doc in Bezug auf die ftaat-
lichen Rechte treu dienen, dann fordern fie: dimittere te oportet
investituram. Es jollte aljo in Deutfchland grade fo werden wie
in Sranfreih*: wie hier die Kirche die Inveſtitur mit Ring und
Stab verboten hatte, dabei allerdings die Rechte des Staats ſtillſchwei—
gend anerkannte, jo jollte jett in Deutichland der Kaifer auf die biß-
ber geübte Inveſtitur mit Ring und Stab verzichten, feine ftaatlichen
Rechte allerdings und namentlich die Fortdauer der Peiltungen an das
Reich ſollten nicht beeinträchtigt werden. Der Kaifer follte alfo jeg—
liche Inveſtitur aufgeben, nur das kann wie 1111 fo auch jet der
Sinn der urfundlichen Worte: dimitto omnem investituram om-
nium ecclesiarum fein. Der Kaijer ließ alfo feine Rechte nur ftilf»
ſchweigend anerfennen und überlieg fomit die Fortdauer der fo höchſt
wihtigeg Leiftungen der Kirche mehr oder minder dein Belieben der>
ı II, 915.
% Mon. Leges II, 66 Zeile 22.
° SS. XII, 424 Zeile 21.
4 Ueber die dortigen Berhältniffe, die Echmidt in der Geſchichte Frankreichs
ur oberflädlich berührt, vgl. Pland IV, 2, 24 ff.
16 *
232
felben!. Von einer urkundlichen Fixirung der dem Staate für bie
regalia zu leiltenden Pflichten nahm er ganz Abjtand. Dies muß
bei einem Manne wie Heinrid) auf das Höchſte befremden. Noch
auffälliger aber ift fein nachheriges Verhalten. Die firdhliche Partei
fand e8 nämlich fpäter für nöthig, dem Kaiſer ausdrücklich zu er:
klären, daß fie die Worte in jenem Sinne auffafje, nicht etwa unter
ecclesiarum nur die kirchliche Würde verjtände, fondern - vielmehr
jede Inveſtitur, auch die auf die Kirchengüter, meine. Und der
Kaifer? Er erwiderte hierauf, Nichts dergleichen verfprochen zu haben;
und als man ihm vorhielt, er hätte doch jenen Vertrag im Sinne
der kirchlichen Partei geichloffen, mußte er dies zugeben, beflagte ſich
aber über jene Rathgeber, die ihn zu einem die Rechte des Staats
Ihädigenden Vertrage bejtimmt. Wie fonnte er aber jene Rathgeber
anklagen? Diefe hatten ihm ja ausdrüdlid erklärt: wenn er aud
auf jede Inveſtitur verzichte, follten doch die ftaatlichen Rechte nicht
beeinträchtigt werden! So bleibt nur eine Erklärung übrig: der
Kaiſer hat ſich abjichtlic) jener Worte bedient, denen zufolge Jeder
meinen mußte, er verzichte auf jegliche Inveſtitur, die er aber fpäter,
wenn der Vertrag angenommen, jophiftiich interpretirt und nur auf
die Kirchenwürde, nicht auch auf die Kirchengüter bezogen hätte. Cine
etwaige Einrede, das Verhältnig der letteren jei durch das mündliche
Verſprechen der Unterhändler ja gefidhert, war, wie auf der Hand
liegt, ehr leicht zu befeitigen. Man hätte dem Kaifer dann jene
Worte feiner eigenen Urkunde von 1111 entgegenhalten können, und
er gab ja auch jelbjt zu, dag man unter jenen Worten nur das meinen
fönne, was die firchliche Partei darunter verſtehe?. Folglich hat er
nicht aufrichtig jenen Vertrag gewollt, fondern fuchte Hinterliftig durch
Zweideutigfeiten und Sophiftereien ſich wiederum allein den Vortheil
zu fihern. Denn fo wäre ja das Verhältnig im Wefentlichen beim
Alten geblieben. — Wie kam es aber, daß die Firdhliche Partei über
haupt nicht von Anfang an Anſtoß nahın an einem foldyen Vertrage,
durch den der Kaifer feine guten Rechte preisgab ? Wollte fie felbit-
ſüchtig nur ihre eigenen Intereſſen verfolgen, da8 Recht des Staates
nicht beachtend? Auf diefe Fragen müffen wir zunächſt Antwort
geben.
Nachdem die beiden Abgejandten von Straßburg mit der Zus
fiherung Heinrich, auf jede Inveſtitur verzichten zu wollen, zum
Bapft gelangt find, wird ihnen auf ihren Bericht geantwortet: utinam
jam factum esset, si sine fraude fieri posset! Der Papſt hegt
alfo fehr jtarfen Zweifel an dem Zuftandefommen des Vertrags; er
mußte verwundert fein, daß der Gegner der Kirche plöglih im alle
Forderungen derfelben willigen, gänzlich auf die Inveſtitur verzichten
wollte. Zweifel mußten in ihm aufjteigen, ob die Boten recht be
richtet oder ob der Kaiſer aufrichtig verfahren — und derartiges hatte
ı ©. über diefen Punkt Fider, Eigenthbum des Reichs S. 143 ff.
2 Tandem conpulsus est confiteriquod prius negaverat, jagt Hefio.
233
auch der Bifhof von Chalons felbft vorhergefehen; denn er hatte fich
vom Kaifer die Erfüllung der Zufage durch Handſchlag verfichern
loffen (mas bei einem Fürjten einem Eide gleich galt‘), ut domnum
pspam ad exequendam pacem facilius inclinarent, während man
doh erwarten jollte, daß jolcher Vertrag, falls die Aufrichtigfeit der
anderen Partei nicht bezweifelt ward, fofort ohne Bedenken angenom=
men wurde. — Daher fandte der Papjt wiederum an den Kaiſer,
um die capitula diligentius retractare, und zwar nicht jene zwei
Boten allein, fondern mit ihnen den Gardinal Gregor und den Biſchof
Fambert von Oſtia, letterer ein Vertrauter des Papftes und fpäter
mit einer der Wortführer des Concils zu Reims ?; — alles dies
weilt darauf hin, daß Galirt einestheils dem Verfprechen des Kaiſers
durhaus nicht traute, anderentheil® aber die Verhandlungen jedenfalls
fortgefetst zu ſehen wünſchte. Sie führten jedoch wirklich zur Auf—
fegung jener Urkunden, und Galirt ging, nachdem er dem Goncil die
Sache vorgelegt, zum Kaiſer. Glaubte er jett wirklich, dag Hein—
th aufridhtig den Frieden unter jenen ihm offenbar jo ungünftigen
Bedingungen ſchließen wollte? Nach dem Berichte des Heffo zu urs
theilen mit Nichten; denn offen fprac er feinen Argwohn vor dem
Concile aus, und nur das Verlangen, noch vor Schluß deffelben den
lange erfehnten Vergleih mit dem Kaiſer zu erreichen und überhaupt
eine Entjcheidung herbeizuführen, mochte ihn dazu bewegen, diejent
perfönlicy gegemüberzutreten. Und fein Miftrauen ward volllommen
beitätigt,, als er in Mouffon anlangte?; denn man fand den Kaifer
in der Nähe von einer nicht unbedeutenden Heeresmacht begleitet, und
unwillkürlich mußte fich den Glerifern die Erinnerung an das Yahr
1111 qufdrängen. So ließ man den Papft nicht einmal perjönlich
mit Heinrich zufammenfommen und hegte allgemein ſolches Mißtrauen
in die aufrichtige Erfüllung des Vertrags von Seiten des Kaijers,
dag man fich zu jener genaueren Interpretation veranlaßt ſah. Und
wie gerechtfertigt die Beforgnijfe waren, bewies die Antwort des
Kaifers Hinlänglih. — So zeigt der Bericht des Hejfo deutlich, daf
Calixt von Anfang an* mißtrauifch war, wenn gleich der Scholafticus
2 Bol. Waitz, Verfaffungsgeih. VI, 381.
! Ordericus Vitalis, SS. XX, 69— 75.
° Hier kommt Ordericus Bitalis mit in Betracht, der fonft mehr die
ftanzöſiſchen und englifchen Angelegenheiten berüdfichtigt. Er erwähnt in der
Rede des Johann von Crema (auf die ich fpäter zurückkommen werde), daß
Htinrih cum ingenti exercitu von faft 30,000 Mann gelommen fei. Auf
die Zahl ift nun Nichts zu geben; denn belanntlich fpielen die 300, 3000,
30,000 bei den mittelalterlichen Schriftftellern ein große Rolle, — wegen ber
befannten Bedeutung des trecenti. Um nur ein Beifpiel anzuführen, ſoll
Heinrich ebenfalls mit 30,000 Mann nad) Italien gezogen fein (Ann. Disibod.
83. XVII, 20). Daß aber Heinrich ein größeres Heer bei ſich hatte, daran if,
wenn auch Hefjo ganz davon ſchweigt, nicht zu zweifeln.
* Dies hat v. Giefebrecht III, 911 nicht berüdfichtigt, nam. ganz die
Borte Ealirte im Paris übergangen; und daß der PBapft „hocherfreut“ die
Boten zurüdgefandt, ift aus Heſſo nicht zu entnehmen; wenn er fagt: quibus
applaudens, jo fanı dies doch nur heißen: fie belobend (wegen ihres Eifers).
234
ſich jeder näheren Erklärung enthalten Hat; der Natur der Sache nad),
bei folher gänzlichen Sinnesänderung des Kaiſers, dann aber wieder
bei dejjen befanntem Charakter, mußte der Papſt fofort Argmwohn
hegen. Daß er aber trogdem die Unterhandlungen fortjette, ja ſo—
gar perfönlich in die Nähe Heinrichs ſich begab, iſt einestheilß eben
fall8 in der Natur der Dinge begründet: man jehnte jich eben nad)
Frieden; anderentheil® aber werden hierauf die beiden Straßburger
Unterhändler von Einfluß geweſen fein.
Heſſo läßt ala Wortführer und eigentliche Hauptperfon ſowohl
in Straßburg als ſpäter in den Verhandlungen bei Mouſſon den
Biſchof Wilhelm von Chalons erſcheinen; der Abt Pontius von Cluny
tritt ganz zurück. So ſehr nun Erſteres auch begründet ſein mag,
fo wenig kann man Letzteres glauben. Vielleicht verdankte Heſſo das,
was er audivit', grade dem Biſchof oder Einem aus feiner Umge—
bung, oder er jtand überhaupt mit ihm im irgend welchen näheren
Beziehungen, fo daß er deshalb ihn die Hauptrolle fpielen läßt. Daß
aber mindeftens ebenfo wichtig bei jenen Unterhandlungen der Abt
Pontius war, fcheint mir nicht bezweifelt werden zu können; und mur
zufällige Umftände werden veranlaßt haben, daß er bei Heſſo nidt
befonders hervortritt. Pontius !, Verwandter des Kaifers und fomit
auch des Papites, von Yetterem 1109 zum Abt geweiht, hatte von-
jeher in fehr nahen Beziehungen zu Heinrich gejtanden, die auch be
wirkten, daß er 1115 zum Unterhändler mit Rom ausermählt
ward — melde Miffion ihm jedoch im Wejentlichen mißlang. Denn
Paſchalis Tieß ſich auf Unterhandlungen gar nicht ein; und dab er
Heinrich nicht bannte, verhinderten nad) bejtinmten Zeugnifjen ® viel
gemwichtigere Perfönlichkeiten al8 der Abt. So hören wir von ihm
in nächfter Zeit wenig; daß aber grade er jett bei den wieder begin
nenden Verhandlungen eine Rolle fpielte, ift ficherlich nicht zufällig
geſchehen. Ihm, dem jehr eitlen, ftolzen Manne, der durch feine
Hoffart am Schluſſe des Reimfer Soncilg noch ärgerliche Scenen ver⸗
anlaßte, mußte das damalige Scheitern der Unterhandlungen höchſt
demüthigend fein; jest aber glaubte der „Abt der Aebte“ 3 die Zeit
gefommen, um als Friedensitifter zwifchen Raifer und Papſt auftreten
und das vor drei Fahren Verfäumte oder Mißlungene gut machen zu
fünnen. Wenn aud, feine beftimmten Zeugniffe dafür vorliegen, fo
wird es doch nicht unwahrſcheinlich gefunden werden können, daß er
ſich Calixt, der ja damals länger in Cluny verweilt hatte, zum Un—
terhändler anbot, und dieſer hatte nicht wohl einen Grund, ihn zurück—
zumeifen. Daß e8 nun aber dem Kaifer, der mit dem Entichluffe
fam, durch liftige Zmweideutigkeiten zu täufchen, nicht fchmer werden
konnte, feinen hochfahrenden, eingebildeten Verwandten und den grunds
gelehrten (und alſo wohl für praftifche Politik nicht befonders be
2 Bol. über ihn v. — III, 866.
2ELxkkebard 1116, SS. VI, 25 2,
® Petrus Casinensis IV, 60.
235
gabten) Biſchof über feine Anfichten gründlih zu täufchen und fie
glauben zu machen, er wolle wirflich auf jede Inveſtitur verzichten,
das wird ihm, dem „Meiſter in der Verſtellungskunſt, wie es We—
nige gegeben“ ?, wohl dreijt zugetraut werden fönnen. Und daß es
ihm gelang, beweiſen ja eben die folgenden Verhandlungen ; die beiden
Doten werden dem Papſt die fcheinbar unerflärliche Nachgiebigfeit
Heinrih® weniger unerflärlich zu machen geſucht haben — waren fie
es doch, die noch zuletst, al8 man jeder Hoffnung auf einen Vergleich
entiagt hatte, abermals zum Kaifer gingen, da fie eben fich noch nicht
überzeugen fonnten, daß er wirflic) zweidentig mit ihnen verfahren
ſei. — Auf folche Weife jcheinen mir alle Borgänge ſehr wohl erklärt
werden zu fünnen. Dod noch ein Umstand ijt zu berückſichtigen in
Betreff des Verhaltens des Papſtes: die Amwejenheit Adelberts von
Mainz auf dem Reimſer Concil. Diefer, ein Charakter von ſchnei—
dender Härte und in diefer Beziehung Heinrich würdig zur Seite ſte—
hend, einem Adelbert von Bremen (vom dejjen Yiebe zum Baterlande
er feine Spur in ſich trug) an Hoffart und Ehrgeiz, einem Anno
von Cöln an Nückjichtslofigkeit und Frevelmuth gleich, wird jedenfalls
Galirt in Reims vor Heinrich, feinem jegigen Todfeinde, gehörig
gewarnt haben. Und Galirt jtand mit Adelbert in den engjten Be—
ziehungen: er meldete ihm, dem apojtolischen Yegaten in Deutjchland ?,
jeine Wahl ſofort in einem Schreiben * und ließ ihm bei feinem Ein—
juge in Reims den Grafen von Troyes mit Eriegerifcher Mannſchaft
freundichaftlichit * entgegengehen. Und lieſt man bei Anfelm?, daß
dissensu quorundam invidorum lux pacis perturbatur, und bei
Dito von Freifing® gradezu: sententia quoque anathematis —
suadente Alberto Moguntino in eum datur, fo kann nicht zwei—
telhaft fein, daß Adelbert, wie fpäterhin beim Wormfer Concordat ?,
jo auch bei jenen Berhandlungen eine bedeutendere Rolle fpielte, als
wir aus den uns vorliegenden Berichten abnehmen fönnen. Sicher
wird der Bapit mit feinem freunde die Urkunden in Reims nochmals
durchgegangen haben und wohl jofort von Abdelbert vor der Lift
Heinrich® gewarnt fein; daß er diefe nicht vor dem Concil näher ans
ı Worte dv. Gieſebrechts.
2 Bol. Kolbe, Adelbert von Mainz, Heidelberg 1872, ©. 68. Sonft han—
delt er über diefes Jahr wie überhaupt über Adelberts Antheil am Inveftiturftreite
änferft kurz. Eine Schrift von Huperz, die Kolbe bedauert nicht gelefen zu
baben (es ift ein Programm des Eorsfelder Gymnafiums, 1859), erzählt in
torrectem Latein nur die alleräuferlichften Facta.
® Ekkehard, SS. VI, 254.
* amicabiliter, wie Ordericus jagt.
° Im der Fortjegung des Siegbert; v. Gieſebrecht III, 1219 hat darauf
anfmerffam gemacht. Doch find die Worte wohl nicht allein auf die Verhand—
lungen zu beziehen.
6 Chron. VIl, 15 (SS.XX, 255), welche von Stenzel (I, 695), Gervais
(S. 276), Hefele (V, 326), Kolbe (S. 95) beadhtete Stelle v. Giefebrecht unbe»
rüdfichtigt läßt.
S. Bernheim, Lothar und das Wormſer Concordat (1874) S. 6 fi.
236
deuten und überhaupt nicht, ehe er beftimmte Beweiſe hatte, deutlicher
feinen Argwohn fundgeben Fonnte, liegt in der Natur der Dinge.
Vielleicht Hat grade Adelbert durch feine Warnung jene genauere In—
terpretation veranlagt; — wir fünnen eben auch hier nicht hinter die
Couliffen fehen, fondern müffen die Vorgänge auf dem Welttheater
nad unferen bdiejelben mehr oder weniger in ihrem Zufammenhange
durchichauenden Berichterftattern möglichit dem Verlaufe der Begeben-
heiten entiprechend zu erklären fuchen. Und dies jcheint mir nur in
der gegebenen Weife geichehen zu können.
Wir haben oben das Verfahren des Raifers allein nach dem
Wortlaute der Urkunde und nach feiner fpäteren Erklärung beurtheilt.
Beiden zufolge Hat er nicht aufrichtig den Vertrag gewollt, jondern
die Kirche follte durch zweideutige Pift betrogen werden. Und dieſes
Urtheil über die Handlungsweije Heinrichs wird durch eine Reihe an-
derer Momente nur nody mehr, und meiner Anficht nach unzweitelhaft,
beftätigt. Zunächſt wird wohl Niemand zu behaupten wagen, dak
jenes Verfahren mit dem Charakter des Kaiſers nicht harmonire,
vielmehr wird fo die längft erkannte und dargelegte Denf- und Hand»
lungsweife defjelben leider in gar Fein anderes Licht treten können.
Der Mann, welcher feinen fchon von dem älteiten Sohne verrathenen,
von der Gattin ſchmählich verlajfenen, durd) Elend und Kummer ges
beugten Water ſchändlich verrieth und in den Kerfer warf, welcer
heuchlerifc; den Fürften und der Kirche gegenüber Demuth zeigte,
biefer dann aber durd einen in der Geichichte fait beifpiellofen Ges
waltaft gegen ihr Oberhaupt Schimpf anthat, welcher feinen Reichs—
fanzler und erften Erzbiichof wie einen Knecht überfallen, in Feſſeln
werfen und dann im Kerfer bis zum Sfelett abmagern ließ, welcer
in ähnlicher Weife auf feinem Hochzeitsfefte gegen Yudwig von Thü—
ringen verfuhr — biefer Mann follte Bedenken getragen haben, den
Papft durch Zweideutigkeit, im Nothfall durd; Gewalt, zu überliften ?
Und zwar den Papft, der einft als Erzbifchof es zuerjt gewagt, den
Bann gegen ihn zu jchleudern, der ihm aller Orten Gegner erregt,
gegen den er einen erbitterten Haß hegte!?. Man Fönnte verfucht
fein zu behaupten, daß e8 wunderbar wäre, wenn ein Heinrich V.
ſolchen Gegner nicht erft zu überliften geftrebt hätte, um fo mehr, da
ihm die erfte Lift gegen den heiligen Vater von 1111 fo trefflich ge-
lungen. Wie dort mit roher Gewalt, jo wollte er jett mit Zweideu—⸗
tigfeit feinen Zwed erreichen, und wäre Calirt von ähnlicher Be—
ichränftheit gewefen wie Paſchalis, und nicht vielmehr ein politifcher
Kopf, der die Art und Weife feines Verwandten wohl fannte, fo
hätte er ihn wohl ficher erreicht. Deshalb von Anfang an feine
1 ©. das Schreiben an die burgundiſchen Großen bei Stumpf, Acta
imper. ©. 468, was doch wohl mit diefem in die Zeit von 1116 zu ſetzen ifl,
nicht mit v. Giefebreht (III, 1201) in das Jahr 1112; denn im Heinrichs
Munde darf man den Ausdrud ‘contemptor apostolicae auctoritatis’ wohl
on fo genau nehmen, um fo weniger da noch darauf folgt: et imperatoriae
et divinae,
237
Gautelen, si fidem et justitiam apud domnum papam inveniret
u. a.; deshalb führte er eine bedeutendere Heeresmacht mit ſich, die
fonft gänzlich überflüffig war. Vollends deutlich aber offenbarte er
feine Umaufrichtigkeit bei jenen Berhandlunden in Beureliacum (bei
Mouffon), wie das Orderieus Vitalis fchon fehr unzweideutig aus»
Ipricht !, — Als er hat zugeben müjjen, daß er jenen Vertrag bes
Ihworen, will er erft mit den Fürſten fich berathen und „ihre Herzen,
wenn's möglich wäre, zur Ausführung des Verfprechens bewegen“ ?;
er thut alfo, al8 ob er, nachdem die Gefandten ihn über den eigent»
lichen Sinn feiner urfundlihen Worte belehrt, auch jo damit einver=
itanden fei und nur fürchte, feine Fürften möchten das nicht zugeben
wollen! Der fchlaue Kaijer fah eben ein, daß er doc) der Arglofig-
feit feiner Gegner zuviel zugemuthet; fah ein, daß der Papſt die
deutichen Krieger von 1111 noch nicht vergeffen und ſich deshalb gar
nicht in ihre Nähe gewagt hatte. So fuchte er, indem er bei feiner
Heuchelei blieb, die Unterhandlungen Hinzuziehen, vielleicht * in der
Hoffnung, Calixt doch noch perjönlich gegenübertreten zu fürnen. Als
diefer aber dann eiligjt zurückwich, da fandte diesmal er ihm Boten
nah mit dem Versprechen, er würde alfes thun, was er jo oft abge-
wielen. Und ficher würde er num andere Saiten aufgezogen, grade
über die regalia ein Abkommen getroffen haben, — aber da war es
zu Spät. — Auch die von den Raiferlichen plötlid) wegen der Abſo—
Iution des gebannten Kaifers erhobene Frage*, die gar nicht in jene
Verhandlungen gehörte und auch bisher nicht im Mindeften berührt
war, scheint darauf hinzu deuten, daß der Kaifer wohl ernſtlich die
Unterhandfungen wieder begonnen haben würde und nur fi) vorher
über die Stimmung gegen ihn und über die Anſprüche der Kirche
verfichern wollte. Die Antwort konnte dann allerdings den Kaifer
niht grade noch mehr antreiben.
Endlich hat der Kaiſer felbft beim Abfchluß des Bertrages feine
Abfiht mehr oder weniger verrathen — foviel wir nämlich ſchließen
fönnen. Es zeigt dies ein bisher meines Wiſſens noch nicht beachteter
! Im der Rebe, die er dem Abt von Erema in den Mund legt (SS. XX,
72 und 73). Allerdings muß bei dieſer in Etwas Gervais (S. 287) Recht
gegeben werden, daß Orbdericus abfichtlich die Stimmung gegen Heinrich erbittern
wollte, Mecht gefliffentlich hebt er die Größe des Heeres, die Drohungen ber
Krieger, die Hinterlift des Kaifers hervor, fpricht vou einem formidabilis ty-
rannus u. a., wie dergleichen Uebertreibungen von den Elerifern nachher wohl
mit Vorliebe erzählt wurden. Daß dennod „wichtige Nachrichten‘ bei Orde-
tıcus ſich finden, fagt v. Giefebreht (S. 1219) mit Recht; nur hat er felbft
diejelben in Bezug auf die dem Kaifer in den ftärkften Ausdrücken fhuldgege-
bene Hinterlift nicht gehörig benukt.
‚.. ” BHesso: ad exequendum promissum, si posset, eorum corda
inflectere,
’ DOrbdericus fpricht dies beflimmt aus: praesentiam papae ut eundem
taperet — operiebatur.
..* Die 5.8. von Müde (S. 233) in ein gänzlich falfches Licht geftellt
wird. Ein zweites Canofja war jhon damals unmöglid).
238
Sat des Heſſo felbit: exegit etiam ipse a nostris, eodem modo
firmari sibi, quod si in ipso non remaneret, eadem die dom-
nus papa quae in scrjpto suo eontinentur adimpleret!. Dieſe
Beitimmung macht der Kaiſer, al8 zwiihen Meß und Verdun jene
zwei Urkunden ausgeftellt werden. Die Kaiferlichen haben gejchworen
und der Raifer mit Handichlag verfprochen, daß er die Urkunden am
24. October bei Mouffon mit dem Papfte auswechjeln werde; nun
verlangt Heinrich von den Päpftlichen, daß auf diefelbe feierliche Weile
ihm verfichert werde, daß an demfelben Tage auch der Papit jene
Beitimmungen erfülle, si in ipso non remaneret. Was bedeuten
letztere Worte? Auf wen beziehen fie jih? Augenfcheinlich auf den
Raifer; denn domnus papa fommt als Subject ja erjt Später. Was
heißt aber “in ipso non remanere’? Es ſcheint dies nur örtlid
verstanden werden zu fünnen, aber an dem Ausdrude muß Anitof
genommen werden. Cine folche Ellipſe des ‘loco’ möchte ſonſt faum
vorfommmen, und Heſſo ſelbſt fagt weiter unten: in eodem loco ma-
nere. Hat er ſich nun hier nur ungenau ausgedrüdt? Das fommt
aber ſonſt in feinem ganzen Berichte nirgends vor, obichon die Aus:
drucksweiſe ſtets etwas fteif ift?. Ohne allen Zweifel hat Heſſo aud
an jener Stelle eine fchriftliche Vorlage gehabt, aus der er den Wort:
laut nicht nur der beiden Verträge jondern auch des Verſprechens dei
Kaiſers nimmt, folglich alſo auch des DVerfprechens der Päpitlichen.
Entweder hat fich nun der Kaifer ungenau ausgedrüdt, fo daß Heilo
die Vorlage unflar war, oder Petsterer hat ein ‘loco’ o. ä. ausgelaſſen.
Auf alle Fälle aber muß fich hier Einem die Heberzeugung aufdrängen,
daß jener Zufag mit der Zweideutigfeit und dem Vorhaben des Kaiſers
in Zufammenhang fteht; deshalb macht er ihn nur, nicht die Päpit-
lichen. Höchſt wahrscheinlich fahte Heinrich eben den Fall ins Auge,
daß der Papft wirklich nicht wagen würde, in feine Nähe zu kommen,
weil er Argwohn Hegte. Leider können wir aber jenen einen Satz
nicht genügend ficher erflären — und dies eben, fowie noch mehr der
Umftand, daß eben diefer Sat in dem vom Raifer verlangten Ver-
fprechen fich findet, find auf alle Fälle ein weiterer Beweis für die
vom Raifer beabfichtigte Ueberliftung.
Was aber die Beurtheilung des Verfahrens der päpftlichen Partei
betrifft, fo blieb Galirt, als ihm Heinrich jo gegenübertrat, eben nur
auf feinem Standpunkte ftehen, und wollte ebenfalls fich allein den
Vortheil fihern. Beide Parteien handelten nicht aufrichtig, aber in
dieſem Falle lag die Schuld alfein am Kaifer. Cr hat durd) feine
Zmeideutigfeit das Scheitern der Verhandlungen bewirkt, ihm allein
muß die Hauptfchuld beigemeffen werden. — Nur auf folcdhe Weile
fcheinen mir jene Vorgänge genügend erflärt werden zur können. Zus
gleich tritt aber auch die fchlieliche Löfung des Streits im Wormfer
1 SS. XII, 424 Zeile 19 und 20.
2 Bol. 3. B. die viermalige Wiederholung des Ausdruds: capitula di-
ligentius retractare.
239
Concordat fo in ein anderes Yicht. Die jüngfte Forfchung ! hat dar-
auf Hingewiejen, wie ungenau und diplomatifc » zweideutig die Faſſung
der päpitlichen Urkunde von 1122 ift, und die Curie deshalb der
mala fides geziehen. So wenig nun Vebteres geleugnet werden kann,
ebenjowenig darf aber verfchtviegen werden, daß es Heinrich war, der
mit der mala fides in den Borverhandlungen den Anfang gemacht
hatte. Beide Parteien fahen ſich gedrängt, in der Inveſtiturfrage
einen Ausgleich zu treffen; feine wollte aber die Rechte der anderen
unzweideutig anerfennen, fondern fuchte durch diplomatische Schlau—
heiten ji den Bortheil zu fichern — und zwar war e8 der Kaiſer,
der zuerjt in folcher Weile mandvrirte, dem dies aber freilih, wie
jeinen Nachfolgern, in ſpäteren Zeiten reichlich von dem Gegner ver-
golten ward. Der ganze Berlauf des Inveſtiturſtreites aber bietet
wohl das deutlichjte Bild von der fteten, wechielfeitigen Spannung
und dem Schwanfen, in dem da8 ganze Verhältniß des imperium
und sacerdotium ſich befand. Auf der Ymdividualität der jedesma—
ligen Gegner beruhte ftet8 der Ausgang des Kampfes; derfelbe war
wejentlih immer ein perjönlicher. Dies aber, fowie der Umſtand,
daß die Rechte des deutichen Kaiſerthums nicht feit beftimmt, fondern
jtets im Schwanfen begriffen und den wechſelndſten Einflüffen preis-
gegeben waren, bedingten hauptfächlich den Ausgang des Kampfes zwi-
jhen imperium und sacerdotium.
! Bol, nam. Bernheim, Lothar und das Wormſer Eoncordat S. 1 ff.
Bitte, Forfchungen zur Gefchichte des Wormſer Eoncordats I, (1877) ©. 8 ff.
Beiträge zur Quellenkritik
der Lebensbeichreibungen
des Biſchofs Otto I. von Bamberg.
Von
Georg Hang.
Als ic; meine Unterfuchung über „Quelle, Gewährsmann und
Alter der älteſten Lebensbeichreibung des Pommernapojtel® Dtto I.
von Bamberg“ ! abjchloß, wußte ich jehr wohl, daß dieſe Unterſuchung
in den Abjchnitte über den Verfaſſer der in Priefling gefchriebenen
vita Ottonis nicht jo fejt begründet jei, um nicht entgegenjtehenden
Anfihten noch Spielraum zu laſſen. Im Wefentlichen ift e8 nur
eine, allerdings eine jehr bezeichnende Stelle, in welcher die vita Ot-
tonis mit der gleichfalls in Priefling verfaßten vita Theogeri wört=
lihen Gleichlaut bietet?., Aus ihr folgerte ich die zeitliche Priorität
der vita ÖOttonis vor der nad) Jaffés Argumentation ſpäteſtens
1144 verfaßten vita Theogeri, ferner die Identität des Verfaſſers
für jene beiden Prieflinger Schriften.
Den Herren W. Arndt und P. Ewald, welche die übrigen Re—
fultate meiner Unterfuhung in der Senaifchen YLiteraturzeitung ? und
in v. Sybels hiftorifcher Zeitichrift* einer anerfennenden Beſprechung
unterzogen, fühle ich mich gedrungen hier auszuſprechen, daß ich jelbit
die Identität des Verfaſſers für jene beiden Yebensbejchreibungen von
Anfang an nur al8 eine Vermuthung im die wiljenichaftliche Welt
werfen wollte. Klempin ſelbſt, der Begründer der Forſchung über
die vitae Ottonis, weldyer meine Unterfuchung entjtehen ſah und dies
ı Feftihrift der Gejfellichaft für pommerſche Geſchichte und Alterthums—
Kunde zu ihrem 5Ojährigen Jubiläum am 15. Juni 1874, Stettin, zugleid) als
Differtation erfchienen Halle 1874.
2 Die Stellen lauten:
Vita Ottonis Priefl. IT, 19, SS. XII,, Vita Theogeri I, 8, SS. XII, ©. 451,
896
Sed ejus ecclesine (Julinensis)]| Neque enim ignorare magistri
curam sacerdos quidam Adalbertus | (Theogeri) facta discipulus (Erbo)
nomine, qui illi terra marique | poterat, qui illi nonsolum domi
comes et forisque comesindividuus, verum
In peregrinatione tota so-jetiamin peregrinatione tota
cius ac consolator extiterat, consolator ac socius eum
episcopoo adhuc vivente suscepit. | usque sub ipsas suscepti pontificii
infulas est prosecutus,.
’ Nr. 49, ©. 865 des Jahrgangs 1875.
Erſtes Heft des Jahrgangs 1876, ©. 178 - 180.
244
jelbe, wo er nur irgend fonnte, durch feinen ftet8 wohlbegründeten
Widerfprucd zu möglichit ficheren Reſultaten förderte, ermunterte mid,
diefe Vermutung lieber fcharf formulirt Hinausgehn zu laſſen, als
daß ich das auch nad) diefer Richtung gewonnene Beobachtungsmoment,
d. 5. die wörtlich gleichlautenden, auffälligen Stellen der vita Theo-
geri und der vita Ottonis einfach unterdrüdte oder nicht im Zu—
jammenhang meiner Unterfuchung verwerthete.
Nun hat mir P. Ewald entgegnet: „wer im Leben Ottos das
Berhältnig Heinrichs IV. zu feinen Caplänen und zur Inveſtitur der
Biſchöfe derartig geichildert hat, fann nicht in der vita Thheogeri
vom entgegengejetten päbjtlihen Standpunkte aus den ſchärfſten
Zadel über die Maßregeln Heinrichs ausiprechen“. Daß diefe Ent:
gegnung fowie, was Ewald über die von mir behauptete Gleichheit
des Stiles in den beiden Schriften bemerkt, zutreffend erfcheine, darf
ich nicht läugnen, und fo ziehe ich jene Vermuthung über die Identität
des Berfajjers hiermit zurüd. Wird doch, wie W. Arndt ausdrüd-
lid) anerfennt, „auch bei Annahıne verichiedener Verfaſſer das für die
5 ofallungögeit der vita Ottonis gewonnene Reſultat unberührt
bleiben“.
Neben anderen Reſultaten meiner Unterfuhung hat Hr. von
Zittwig aus Yauban in diefen Forſchungen! auch meine Aufjtellung
über die zeitliche Priorität des Prieflingers berührt. Ich betone gleid)
hier, daß 3.? die Beweismomente, aus denen ich die zeitliche Prio—
rität der vita Ottonis vor den Schriften Ebo8 und Herbords fol-
gerte? — im Gegenſatz zu jenen beiden Gelehrten — faft völlig ig-
norirt und nur die allgemeine Bemerkung ausgeiprochen hat: „das
Verhältniß zwifchen diefer Schrift und der vita Theogeri, welde
nad) Haag von demjelben Verfaſſer fein follen, ift durch die eine gleich—
lautende Stelle und den behaupteten’ gleichen Stil zu wenig aufgehellt,
um daraus irgend welden Schluß auf die Abfaffungszeit zu ziehen“,
a. a. O. ©. 334. So halte ic) diefer ohne Gründe gegebenen Be
hauptung gegenüber um des Tenors meiner übrigen Nejultate und
um der für meine Behauptung beigebrachten verfchiedenen Gründe
willen meine Aufftellung über die Abfaffungszeit der vita Ottonis
Priefling. einfach aufrecht.
Die Confequenz meines wichtigſten Ergebniffes, daß der Prief-
finger Biograph Ottos die alte von mir wieder entdeckte Quelle für
das I. Buch der drei Biographen Ottos viel treuer und eingehender
benutt hat ald Ebo und Herbord* — diefe Confequenz drängte mid)
ı Die drei Biographien Ottos I. von Bamberg nad ihrem gegenfeitigen
Verhältniß, ihren Quellen und ihrem Werth unterfudht. Korichungen zur
deutſchen Geſchichte XVI. Bandes 2. Heft, S. 299 — 334.
2So hat der Kürze wegen ſtets die Redaction geſetzt.
:s ©. 95—104. 122 meiner Unterfudung.
* Auf die Bemerkung von 3.: „ohne Grund, wie uns fcheint, ſchließt
Haag das 34. Eapitel der vit. Priefl. lib. I, von der Denkſchrift aus“, er
widere ih, daß ich dies aus zwei Gründen that, 1, weil ich in ihm nichts
245
aud) einem Gewährsmann für den Bericht des Prieflingers über die
Reifen Ottos, die er in vielen Punkten abweichend von den andern
beiden Erzählern und mit ganz eigenthümlichen Zügen berichtet, nach—
jujpüren und ſo auch das II. und III. Buch des Prieflingers von
der Geringſchätzung zu befreien, welche jeit Klempins Unterfuchung
auf ihnen lag. Ich zeigte, wie in des Prieflingers Reifebericht eine
genauere Bekanntſchaft mit den pommerfchen Orts-, Eigen- und
Kirhennanten hervortrete, als wir jie bei Ebo und Herbord finden,
ja ein Verſtändniß der pommerjc = flavischen Sprade, eine genauere
Kenntniß von den Vorgängen während der I. Mifjionsreife in Wollin,
von einer Wolliner Yocalfage, die jich gleich) während Dttos Aufent-
halt in Pommern noch gebildet haben muß und die uns weder Ebo
noch Herbord, ſondern nur noch der um vier Jahrhunderte ſpätere
Bugenhagen (ein: Wolliner von Geburt) berichte, der des Prieflingers
Schrift gar nicht gefannt hat; ich zeigte, wie hier viele Einzelheiten
der Reifen Ottos mit der Treue des Selbiterlebten erzählt jeien,
Einzelheiten auch über jonftige pommerfche Verhältnijfe, welche Ebo
und Herbord nicht fennen, auch über polnifche Neifebegleiter Ottos
Momente, die fi) bei Ebo und Herbord nicht finden, dann über des
eriten Bischofs Adalbert Stellung in Wollin Genaueres als Ebo und
Herbord wiſſen; endlich) daß der Prieflinger an verfchiedenen Stellen
gerade diefen Geijtlichen befonders hervorhebe.
So konnte ich mit Sicherheit das Vorhandenfein eines bejtimmten,
wohlunterrichteten Gewährsmannes, der mit Pommern und Wollin
bejonder8 genau vertraut fein mußte, folgern, ganz im Cinflang mit
des Prieflingers eigener Bemerfung: ea tantum quae vel ipsi pro
certo cognovimus vel quae a notis religiosisque personis no-
bis sunt comperta narramus, ita laboris nostri exspectantes
a Deo mercedem, sicut puram et simplicem historiae exequi-
mur veritatem. Prolog. ad libr. I. Man beachte doch wohl: dies
Refultat meiner Unterfuchung ijt völlig ficher, daß hier — und für
die I. Reife läßt e8 auch 3. gelten — ein Beitand von trefflichen
Nachrichten, die auf Eine Quelle zurücdgehen, vorliegt. Diefe Quelle
floß dem Prieflinger, wie ich aus zwei Aeußerungen unferes Autors
ſchloß!, mündlich, nicht fchriftlich zu. Ueber die Perſon des Gewährs-
mannes gab ich die Vermuthung, die nad) meinen eigenen Worten
fachlich Neues und Bemerfenswerthes oder für ſolche Denkichrift Nöthiges ift,
2) weil nur der Prieflinger, nicht Ebo, nicht Herbord, nicht das Neuenkirchner
Frogment oder das in SS. XII, ©. 908 diefen Abſchnitt aufweiſt. — Bei
diefer Gelegenheit erlaube ich mir um Correktur eines ſchlimmen, ohne meine
Schuld eingedrungenen Drudiehlers in meiner Unterfuhung zu bitten. Die
Borte ‘Nam et’ find von S. 41 aus dem Tenor des Andreanifchen Ebo in
den des Prieflingers auf S. 40 an der entiprechenden Stelle zu jegen.
ı Sn der eben wiedergegebenen Aeußerung des Prieflingers ift ‘comperio'
im Sinne mündlicher, nicht fchriftlicher Keuntnignahme gebraucht. Ebenſo III,
13: Miraculum quod apud ipsam Julinensium civitatem accidisse com-
perimus, quia ad praesens memoriae occurrit, dignum putamus in-
serere.
XVIII. 17
246
S. 9. 91 nie mehr als eine Bermuthung fein follte, daß jener erjte
Biſchof Adalbert von Wollin, früher Caplan Herzog Boleslavs von
Polen und Dolmetscher Ottos auf feinen Reifen, diefer Gewährs—
mann gewejen!. Gerne will ich diefe VBermuthung preisgeben, wenn
mir Jemand diefen Gewährsmann anders md jicherer beftimmen will.
Daß ſich aber die gute Quelle des Prieflingerse nur im IL. Buche
deſſelben, nicht aud) für das dritte nachweilen laſſe, wie 3. behauptet ?,
ift einfach) unrichtig. Gerade im III. Buche bietet der Prieflinger
die Nachrichten über das, was während der zwiſchen Ottos beiden
Reiſen verlaufenen Zeit in Pommern vorfiel, d. h. Dinge, die weder
Udalrich noch Sefrid felbjt erlebten, jondern nur der in Pommern
gebliebene Adalbert. Gerade über Adalbert fteht hier im III. Buche
c. 8 die Notiz, daß er damals, als der Verfaſſer jchrieb, noch Bi—
ihof von Pommern war. Die Schreibung der erft auf der II. Reiſe
befehrten Drte Chozgo, Timin (Gügfow, Demmin) tritt nur bei dem
Prieflinger III, 4 unlatinifirt auf, ganz wie die Ortsnamen im Be—
richt der erjten Meife. Ebo hat Chozegowa, Timina, Herbord gar
Sozgaugia. Nur der Prieflinger III, 4 giebt den Namen der pom—
merſchen provincia Wnzlo an; nur er III, 10 hat von feinem pom—
merjchen Gewährsmann, gleidyviel ob es Adalbert oder ein Anderer
war, die eigenthümliche Nachricht, das Wort „Otto“ habe im Munde
des Stettiners Wirisca ® wie das pommerſche Wort Otta' (Väterchen)
geflungen. Geſetzt auch, die Namen Wizlo, Chozgo, Hologoit, Timin
ftauden jchon als projeftirte Neijeftationen in jenem „Reiſetagebuche“,
welches 3. uns als Quelle für den Bericht der drei Biographen
über die I. Reiſe — wir werden freilich fehen, mit welchem Er—
folge — nachzuweiſen verfucht hat, fo konnten die Nachrichten über
die Zeit zwifchen den beiden Reiſen, fo konnten Wortformen wie
* Schon aus den Citaten in meiner Unterfuhung (S. 96 Anm. 5) hätte
3. erjehen können, daß der Tod dieies Adalbert, ſpäteren erften Biſchofs der
Pommern, nicht vor 1160 angelegt werden darf, wie er e8 ©. 334 ıhut. Ju
jener Anmerkung batte ich die Worte Klempins aus deffen Urkundenbuch (S. 25)
wiedergegeben: „der Tod des Biſchofs Adalbert kann früheftens 1160 und ſpä—
teften® 1162 erfolgt fein, weil fein Nachfolger Conrad noch bei Lebzeiten des
— Alerander (f 1181 den 30. Auguſt) fein zwanzigſtes Pontificatejahr
rechnet“.
» „Er iſt Haag völlig entgangen, daß die guten Nachrichten über Pom—
mern fi nur in der VBeichreibung der erften Reife befinden” a. a. DO. S. 326.
° Wie wenig forgfältig 3. hier den Text feiner Quellen betrachtet bat,
zeigen uns die mechlelnden Formen diefes Namens Wirtsca oder Wirisca.
Id hatte ausdrücklich in meiner Unterfuchung S. 75 betont, daß bei Ebo in
verichiedenen Handjchriften die Wortformen Wirieus, Wirtiscus, Wirtschachus,
bei Herbord ftet# nur die Form Witscacus, nur beim Prieflinger die Form
mit pommerich-flavischer Endung Wirtsca (corrumpirt aus Wirisca durd die
Abjchreiber) fi, finde. 3. aber ſchiebt dem Ebo die Bhantafieform Wirtisca,
dem Herbord gar die form Wirtschachus, die nur Ebo in der Handicrift
bes Andreas bat, unter! a. a. D. S. 332 Anm. 1. Daß dies fein Irudiehler
ift, beweift die frühere Aeußerung S. 311: „die Thätigleit Wirtſchachs — wie
ihn Herbord nennt‘,
247
Otta und Wirisea unmöglich fchon im jenem „Tagebuche“ der
erſten Reife Stehen, da fie einzig erjt bei Greiguiffen der IL. Reife
ihre Stelle finden fonnten. Auc die von bo eigenthümlicd) ab—
meichende Erzählung über den zwiſchen 1125—1127 fallenden Kirchen=
brand in Wollin, welche bei beſſerer Anordnung des Stoffes nicht
im IL. Bude ec. 17 und 18, fondern im III. Buche ihre Stelle
hätte erhalten müſſen, weilt auf eine Quelle für den Prieflinger, die
dem Ebo und Herbord nicht floß. So finden wir demm im diefen
Nachrichten des III. und den dahin gehörigen Nachrichten des II.
Buches ganz denfelben fpecififchen Charakter, welchen wir ſchon für
die Quelle des II. Buches herausfanden: deutlihe Spuren eines
pommerjchen Gewährsmannes, die — im Falle jenes Tagebuch der
I. Reife, welches 3. al8 Quelle der drei Autoren fordert, ſich als illu—
joriich erweift — es uns unmöglich machen, für das III. Bud) des
Prieflingers eine andere Quelle anzunehmen als für das zweite.
Cine ganz andere Frage iſt e8: woher fonımt die Dürftigfeit
de8 II. Reifeberichtes bei dem Prieflinger? Gerne räume ich ein,
dag meine eigene Unterfuchung hier, jofern ich dieſes kümmerliche
Fließen des Berichtes über die IL. Reife nicht erklärte, noch eine
Lücke bot.
Wer die geringere Neichhaltigfeit des IL. Neifeberichtes bei dem
Prieflinger nicht mit mir aus der Kürze des Aufenthaltes erklären
will, den Biſchof Adalbert von Wollin in Bamberg genommen, der
wird immerhin anerkennen müffen, daß, wenn nicht Adalbert jelbit, fo
doch ein pommerfcher, dem Biſchof Adalbert nahejtehender Gewährs-
mann unter allen Umjtänden angenommen werden muß, wenn ſich
jenes von 3. al8 Quelle des II. Buches der drei Biographen ange—
nommene Reiſetagebuch Sefrids al8 eine unhaltbare Annahme heraus:
geitellt Haben wird. Als ſolche hoffe ic) dies „Reiſetagebuch“ zu ere
weiſen; dann aber ift feine Frage, daß der zu fordernde, pommerſche
Gewährsmann, felbft wenn es nicht Adalbert gewefen wäre, uns ges
nau die Anſchauungen des, wie man aus verjchiedenen lobenden Aeuße—
rungen fieht, von dein Gewährsinanne hochverehrten Biſchofs Adal-
bert wiedergiebt. Für Adalbert, der ja fchon nach der I. Reife dejig-
nirter Bifchof von Pommern war, hatte die II. Reife Dttos ficherlic)
nicht mehr das Intereſſe, und die reine apoftolifche Bedeutung, wie
die I. Reife, welche als die grundlegende doch immer die Hauptjache
1 &. meine Unterfuhung S. 87—94. — 3. a. a. D. ©. 326: „Ohne
anf die Gezwungenheit der Haagichen Hypotheje näher einzugehen, wollen wir
nur bemeifen, daß der defignierte Bifchof ein wunderbar ſcharfes Gedächtniß
müßte bejeffen haben, wenn er nad) 16 Jahren noch die Zahl der in Cammin
Getauften jo genan wußte‘. — Warum ſoll fich ein Seelenhirt diefe wenigen
Zahlen über die erften Taufen in feinem Sprengel in einem noch keineswegs
Ihreibjeligen und daher aud nicht gedächtnißfaulen Zeitalter nicht genau ge—
merft Haben? Mancher Ländliche Hirte weiß die Zahl der im jeiner Heerde
Jährlich gemorfenen Lämmer dod für viele Jahre genan anzugeben. 3. fcheint
gering zu denken von der Macht geiftigen Iuterefjes, welche dem Menichen auch
eine Reihe folher Zahlen unauslöſchlich einzuprägen verinag.
17*
248
blieb, während diefe zweite jchon die eigene Thätigfeit Adalberts in
feinem Sprengel in Schatten ſtellte. Gerade aber Adalbert wird
Priefl. III, 8 als die rechte, fichere Hand des rathlojen Otto and:
drücklich hervorgehoben. Außerdem iſt zu bedenken, daß 3. B. Daten
über die Zahl der an diejem oder jenem Orte Getauften jchon darum
in dieſem Neifeberichte nicht mehr angebracht find, weil jetzt Alle ge
tauft wurden und die Bekehrung al8 auf alles Volk ſich erſtreckend
bezeichnet wird. So fagt Ebo von der Belehrung zu Gütfow II,
12: populo sacre regenerationis lavacro in sinum matris ec-
clesie congregato, fo von der Berfammlung der Fürften und Edlen
Pommerns in Ujedom III, 7: baptizatis principibus unpiversis;
fo Priefl. II, 4 von der Belehrung in Uſedom, Wolgajt und
Gützkow: baptizatis omnibus quos invenit. Auf folche Art hat
man die geringere Fülle des II. Reifeberichtes bei dem Prieflinger zu
erflären, nicht aber dur die Annahme 3.8, die gute Duelle der
drei Autoren für die I. Reife, das „Reifetagebud) Sefrids“, habe dem
Prieflinger für den Bericht über die II. Reife naturgemäß nicht mehr
dienen können, hier habe er nur überall umlaufende Anekdoten wieder
gegeben.
Man beachte ferner in diefem Zufammenhange zwei für die Re—
daction der Prieflinger vita fehr wichtige Stellen, Prolog. ad libr.
II: Sufüicere — — arbitratus sum, sitantum excellentia nota-
rentur, cum quidem et lectoribus fuerit consulendum, ne quid
his pareret rerum copia congesta fastidium; dann Priefl.
III, 12: Super his autem et super aliis, quae quidem digna
——— esse viderentur, episcopus sanctus firmissimum
iseipulis indixit silentium, docens eos de Domini pietate
presumere, non de suis actibus superbire. Dieje letzteren
Worte al8 eine „unglückliche Nachahmung“ von Math. 8, 4 (wo
Chriftus zu dem Geheilten ſpricht: „Siehe zu, fage ee Niemanden“)
zu verdächtigen (v. Zittwig a. a. O. ©. 331), iſt völlig unzuläffig
bei einem Autor, dem man wohl Ungeſchick und Wunderglauben, aber
gar nirgend abjichtlihe Ausihmüdung oder Waltenlaffen der eigenen
Phantajie im Stile Herbords nachweiſen kann, bei einen Autor, der
von ſich jelbit fagen fanıı: ita laboris nostri (exspectamus) a
Deo mercedem, sieut puram et simplicem historiae exequimur
veritatem. Praefat.libr.I. Ganz anders hat doch Ebo die obigen
Worte des Prieflingers betrachtet, ja jogar deutliche Polemik in der
Einleitung feines III. Buches gegen fie geübt. Gerade weil dein
Ebo felbft die geringe Zahl von Nachrichten im IT. Neifeberichte des
Prieflingers auffiel und er die Motive für diefe Enthaltfamfeit in
den obigen zwei Stellen des Prieflingers fucht, polemifirt er (Anfangs
de8 III. Buches) jo dagegen: nefas judicavi tam laudabilia (Ot-
tonis) gesta infructuoso tegi silencio. Unde non pre-
sumtionis, sed pocius intime caritatis spiritu ductus, de se-
cundo ejus apostolatu in Pomerania, sieut fidelis cooperator
ipsius Udalricus presbiter S. Egidii michi innotuit, scripto
249
tradere curavi; nam de primo alias seriptum est. Legat
ergo qui voluerit; invitum et fastidientem nemo legere
compellit. „Gewiß eine feltfame Einleitung!“ ruft 3. aus. „Selt=
ſam bejonder8 der lette Sat!" Nur dem feltiam, ber hier Ebos
Unwillen über das bei dem Prieflinger herrfchende silentium, der
hier Ebos Betheuerung, zum Schreiben dränge ihm nicht die bei deu
Prieflinger verpönte presumptio, fondern die Liebe, der hier endlich
Ebos Gleichgiltigkeit gegen die Rückſicht des Prieflingers auf ein et=
waiges, aus zu langwieriger Lektüre entipringendes fastidium feiner
Leſer nicht Flar ausgeiprochen fieht! Ich nehme Hier einfach Alt da=
von, daß in diefen Worten Ebo8 ein neuer, um jo ftärferer Beweis
für die zeitliche Priorität des Prieflingers vor Ebo liegt, da 3. die
in meiner Unterfuhung ©. 95 ff. gegebenen Momente für dieje
Priorität ignorirt hat.
Seltjam findet 3. in diefen Worten Ebo8 auch den Hinweis auf
Udalrich als feinen Gewährsmann, da auch dies fchon in der Einlei—
tung zum I. Buche ähnlich gejagt ſei. Seltſam findet er weiter, daß
die Beichreibung Stettins, des Triglavbildes, die Angabe über Page
und Namen der zwei Stettiner Kirchen hier erft, nicht Schon im II.
Bude auftrete, jeltfam auch, daß Ebo den Abfall der Städte Yulin
und Stettin, den er ſchon am Schluß des II. Buches angedeutet, am
Anfang des III. Buches noch einmal mit ganz ähnlichen Worten
aufführe . Aus diefen Momenten folgert er, das dritte Buch müffe
eher verfaßt fein als das erjte und zweite, a. a. D. S. 305. 306.
Nun wollte aber doch Ebo ohne Zweifel hier im III. Buche in
der Beichreibung der II. Reife, deren Bericht er gerade dem Udalrich
verdankte, alle diefe Nachrichten genau und peinlich getreu jo zuſam—
men niederjchreiben, wie er fie aus dem Munde Udalrich® vernommen,
um dergeftalt, was er den Gewährsmännern des I. Reifeberichtes und
was er dem Udalrich verdanfte, fauber auseinanderzuhalten. Darım
hat er hier im III. Buche nicht nur Stettin und feinen Haırpttempel,
wie 3. bemerkte, fondern auch den Haupttempel Julins und die Lanze
Cäfars darin, wie ich bemerfe, (III, 1) zuerft bejchrieben?. Da aber
..* Nam due precipue illie eivitates Julin et Stetin instinetu ini-
mici apostasiam incurrerunt, abjectoque veri Dei cultu, priscis demo-
niorum ritibus se perdendos prostituerunt. Ebo II, 18. Bgl.: due ex
nobilissimis civitatibus, i. e. Julin et Stetin, invidia diaboli insti-
gante ad pristinas ydolatrie sordes rediere. Ebo III, 1.
* Bielleicht find die Worte im II. Buche Ebos (cap. 9 ed. Jafle ©. 631):
que (urbs Stetin) principatum omnium Pomeranie civitatum obtinens
— quatuor montes suo ambitu inclusos habet, erft durd Abt Andreas im
XV. Jahrhundert oder duch einen früheren Abfchreiber hier in das II. Bud
berübergenommen aus dem Berichte Udalrichs im III. Bude, wo fie lauten:
Stetin vero amplissima civitas et major Julin tres montes ambitu suo
eonelusos habebat, denn hier erft im III. Buche fchließt fi an dieſe Einlei-
tungsworte, die im II. Buche als Parenthefe nur eingeichaltet find, eine genaue
Schilderung des anf dem mittleren Hügel liegenden Triglavtempels. Hält man
aber jene Worte im II. Buche, fo wie fie Abt Andreas und das Stargarder
Fragment mit der Schreibung ‘quatuor montes’ unabhängig von einander
250
gewiß einige Zeit zwifchen dem Niederichreiben des II. und dem bes
III. Buches verftrich, und da ein folch epifches, einfültiges Zeitalter
wie das de8 Ebo Wiederholungen des Wortlautes nicht forgfältig zu
vermeiden fuchte, wie wir es vermeiden, jo brauchte Ebo ähnliche
Wendungen, due precipue civitates dort, due ex nobilissimis ci-
vitatibus hier. Macht doch Ebo auch Udalrih nicht nur im TIL
Buche, fondern fhon im zweiten ganz mit ähnlichen Worten als
feinen Gewährsmann wieder namhaft, wie er es ſchon im eriten ge—
than. II, 1 ed. Jaffe ©. 616: Hujus autem (primi) aposto-
latus que fuerit occasio scire volentibus aperiam, sicut ex ore
servi Dei Udalriei, sacerdotis ecclesie beati Egidii, quam idem
pius Otto construxit, audivi; cujus reverende maturitati et
spectate coram Deo et hominibus fidei ita me necesse fuit
credere, acsi propriis oculis ea que dicebat vidissem. Ajebat
ergo: quia episcopus!ete. Die zwei eriten Gapitel des II. Buches
füllt dann diefer Bericht Udalrichs über die occasio, der wieder mit
Anklängen an die obigen Worte fo ſchließt (ed. Jaffe ©. 621):
hac igitur occasione pius Otto Pomeraniam evangelizandi
gracia adiit. — Und doch wird Niemand aus diefer Wiederholung
ähnlicher Ausdrücke über Udalrich im II. Buche folgern, dies Buch
müffe früher verfaßt fein als das erite.
So bleibt denn feine Seltfamfeit mehr im Cingang des IIL
Buches, die uns nöthigte, dies Buch ums früher verfaßt zu denfen
als die beiden anderen.
Noch aber werden jene Einleitungsworte Ebos zum IIT. Buche von 3.
benutst ?, um daraus die Eriltenz einer zufarımenhängenden Aufzeich—
nung über die I. Reife, die dem Ebo, dem Prieflinger und Herbord
al8 Quelle diente, zu folgern. Nur auf das Werf eines anderen
Verfaffers vermag 3. das ‘nam de primo alias seriptum est’ bei
einem Schriftsteller zu beziehen, der „ſonſt und unmittelbar zuvor von
fich in der erſten Perſon Schreibt”. In umftändlicher Auseinander:
ſetzung vergleicht er dann den Erzählungsftoff der I. Reiſe bei den
drei Biographed, um Beweismomente für das Vorhandenfein folcher
üiberliefern, als ächt eboniſch feft, fo gewinnen wir einen noch ftärkeren Beweis
für unfere Erflärung: der Gewährsmann für den I. NReifebericht läßt Stettin
auf vier, Udalrich unzweifelhaft auf drei Hügeln liegen (ba letterer von einem
mittleren Hügel redet), und beide Berichte wollte Ebo eben als von zwei verfchie-
denen Berichterftattern herrührend auseinanderhalten. — Diele zwei. auffallenden
Stellen hat 3. für feine Beweisführung nicht bemerft, wenigftens nicht erwähnt
oder verwerthet.
ı Aus diefem ‘ajebat ergo’ im II. Bude fieht man, wie getreu Ebo fid
an den Bericht feines Gewährsmannes hält, daher wir berechtigt find, das Auf-
tauchen der Drtsichilderungen von Stettin und Wollin erft im III. Buche, ob-
wohl fie beffer ins zweite gehörten, eben daraus zu erflären, daß er hier ben
ii Neifebericht Udalrichs genau fo geben will, wie jener ihn mit
geteilt.
2 — — de secundo ejus apostolatu in Pomerania, sicut fidelis
cooperator ipsius Udalricus presbiter Sancti Egidii michi innotuit,
scripto tradere curavi; nam de primo alias scriptum est. Ebo III, 1.
251
gemeinfamen Quelle zu gewinnen. — Ich erfläre aber vonvornher-
ein, daß Folgerungen aus fo verſchwommenen, unficheren Spuren von
Gemeinfamfeiten in dem Neifebericht der drei Autoren, foweit diefe
fi) nur im Stoffe nachweiſen laffen, ohne jede Beweiskraft find.
Ohne Frage werden immer und überall bei drei Autoren, welche die=
ſelbe Reife erzählen, gewiſſe, ja jehr viele Gemeinſamkeiten des Stoffes
ji finden müffen, nur daß der Eine manches fürzer und unflarer,
der Andere dafjelbe eingehender und forgfältiger als Jene berichten
wird. Für eine gemeinfame fchriftliche Quelle der drei im IT. Buche
würde nur eine auffallende Gemeinſamkeit irgend welcher Kor,
d. h. der Zahldaten oder des Wortlautes, deutlich reden.
Wie foynte beim Vorhandenfein diefer Quelle, dieſes Reiſetage—
buches, dann Herbord II, 8 Otto am 24. April zur erften Reife
von Bamberg aufbrechen laffen, wofür Ebo gar fein Datum, der
Prieflinger IL, 1 gar den Juni angiebt? Wie kann dann Ebo .
II, 4 den Aufenthalt Dttos in Gnefen auf 3 Wochen ausdehnen, wo
Priefl. II, 2 nur von 8 Tagen fpriht? Wie konnte dann Ebo
II, 4 den Bug durd den Grenzwald zwiſchen Polen nnd Pommern
T Tage währen lajfen, wofür der Prieflinger (bei der Rückkehr Ottos
nad Polen) III, 1 nur 3 Tage, Herbord II, 10 aber 6 Tage an—
giebt 1? Wie dann Priefl. II, 2 dem Wartislav beim Empfange
Ottos ein Gefolge von 300, Herbord II, 11 eines von 500 Mann
beigeben ? Wie follte dann ferner Herbord II, 17, wenn Ebo II, 5
den Otto 14 Tage in Pyrit bleiben läßt, ihm dort einen Aufenthalt
von 20 Tagen geben, wie dann der Prieflinger II, 4 die Zahl der
Zäuflinge in Pyritz auf 500, Herbord II, 17 fo abweichend auf
7000 angeben können, wenn beide derfelben älteren fchriftlichen Quelle
hierüber folgten? Wie dann Herbord II, 36 den Dtto mad) der
Belehrung Stettins noch fait 3 Monate, alfo, wie 3. felbjt aus-
rechnet, noch vom 25. October bis in den Januar, dort verweilen
lajjen, da er nad) Ebo II, 8, Priefl. II, 8 überhaupt nur 9 Wochen
I Wenn 3. S.320 Anm. 1 aus Ebo I, 4. 5 für den Weg von Ufjchtich
nah Pyritz 9 Tage, für den von Belgard nach Uſchtſch aber aus Priefl. LIT, 1
nur 3 Zage anfegt, fo bemerfe ich" 1) daß fchon ein flüchtige Betrachtung
der Karte 3. von letsterer Annahme zurückgebracht haben würde, da die Di«
fanz zwiſchen Belgard und Uſchtſch in der Luftlinie faum 15—20 Kilometer
Heiner ift als die Diftanz zwifchen Uſchtſch und Pyritz; dann aber 2) bemerfe
ih, daf der Prieflinger III, 1 ausdrüdtih nur dem Grenzwald, nicht dem
ganzen Wege von Belgard mac Uſchtſch die Ausdehnung von 3 Zagereifen zus
Ipridt, ja daß er mit Haren Worten Dttos Zug von Belgard nad) dem Grenz-
wald angiebt, bevor er den Biſchof diefen Grenzwald in dreitägigem Zuge durch-
wandern läßt. (Episcopus) versus Poloniam iter tetendit, quam a con-
finio Pomeranorum horrenda quaedam ac vasta admodum solitudo
disjungit. Quo cum in capite jejunii pervenisset, tria offieia trium
dierum illius hebdomadae, qui reliqui erant, una cum officio ejusdem
diei per singulos sacerdotes cantari fecit, eo quod haec suo ordine
celebrari tum propter horrendam eremi vastitatem, tum propter la-
tronum incursum non posse praevidit. Tandem vero eadem solitudine
peragrata ad civitatem Uzdam — — pervenit:
252
in Stettin bfieb? Wie könnte dann der Prieflinger II, 4 von nur
2 Gontinen (Tempeln) in Stettin, Herbord II, 32 von deren 4
reden? Wie dann Herbord II, 25 den Aufenhalt Ottos vor Wollin
auf 15 Tage ausdehnen, wo Ebo II, 6 Priefl. II, 7 nur 8 Tage
notiren, wie endlich Herbord II, 42 den Otto ſchon vor dem Palm—
fonutag in feinen Sprengel zurücktehren laffen, während Ebo II, 18
und Priefl. III, 2 den 29. März (dem Oftertag) als den Tag von
Ottos Rückkehr bezeichnen ?
Wenn das „Reifetagebuch“, in welches 3. zufolge Sefrid „die
hauptſächlichſten Erlebniffe, die Dauer des Aufenthalt® in den ein—
zelnen Drten, die Zahl der Getauften u. ſ. w. eintrug* S. 329 —
wenn diefe Quelle ſolche Daten im Zweifel und unerwähnt ließ, was
— außer für ſolche Unterfuhung ungreifbaren Gemeinfamfeiten der
Erzählung — Stand denn überhaupt darin? Wie verdiente dieje
Aufzeihnung danı den Namen eines „Reifetagebuches*? — Wo bleibt
denn aber nun die Fülle der gemeinjamen Reiſedaten bei allen drei
Autoren ?
Den 25, Oftober als Tauftag der Söhne des Domazlav be—
richtet nur der Prieflinger Il, 9, nur er den 11. Februar als den
Zag der Rückkehr an die polnische Grenze III, 1, nur er, daß bie
Nückreife bis Ufchtfch drei Tage währte, III, 1. — Er allein II, 4
fennt die Zahl der Getauften in Chamin: 3585, er allein II, 2 be-
ziffert das Gefolge des polnischen Geleitsmannes für Otto, des Grafen
von Zantof (60 Mann). Er allein weiß II, 3 von dem zwei Ges
leitsmannen, welche Wartislav dem Biſchof Otto mitgab, ſowie (II, 6),
dag Otto den Yulinern ihre heilige Lanze für 50 Talente abfaufen
wollte und (II, 8), daß die Zahl der Clerifer, welche Otto in Stettin
noh um fich Hatte, 18 betrug.
Eine andere Reihe von Zahlen bietet uur Ebo: fo nur er die 2
Tage für die Dauer von Dttos Aufenthalt im Breslauer Bisthum
II, 3, nur er II, 3 14 Tage für die Reife von Bamberg nad)
Gnefen, nur er II, 5, daß man vom Grenzwalde aus am dritten
Tage Pyrig erreichte, nur er Il, 9 läßt Stettin auf 4, bezw. 3
Hügeln liegen. Den 24. Juni al8 den Ankunftstag in Camin bietet
nur er IL, 5, etwa den 2. Februar als Tag des Aufbruchs von
Wollin nur er II, 18.
Die dem Ebo und dem Prieflinger gemeinfamen Zahlenangaben
find gar wenige, fo die Geſammtzahl der auf der I. Reife Getauften:
nach dem Priefl. II, 20 find es 22165, nad) Ebo IL, 11 etwas ab-
weichend 22156; fo die Dauer des Aufenthaltes in Camin, welde
Ebo II, 5 auf „14 Wochen oder mehr“, Priefl. II, 4 auf „volle
drei Monate“ angiebt; jo die Dauer des Anfenthalte® vor Wollin,
die beide (Ebo II, 6; Priefl. IL, 7) auf 8 Tage angeben, die Dauer
des Aufenthaltes in Stettin, weldye nad) Ebo IL, 8 und Priefl. II, 8
im Ganzen 9 Wochen dauerte, endlich der 29. März (der Ojftertag)
als a. der Rückkehr Dttos nad) Bamberg (Ebo II, 18; Priefl.
I,
253
Da Herbord die Gefammtzahl der Getauften gar nicht bietet,
für die fibrigen aber, zwiichen Ebo und dem Prieflinger gemeinfamen
Zahlenangaben andere Daten berichtet, fo folgere ich mit Redt: in
diefern Zahlen folgt Ebo dem Prieflinger, Herbord aber hat die ab»
weichenden Zahlen einfach, wie jo vieles Andere, erfunden !.
Wunderbar wäre ferner bei Benutzung der gemeinfamen Quelle
durch alle drei Autoren, daß der Prieflinger allein die ältefte pom—
merfche Schreibung der Orts- und Cigennämen durchweg feitgehalten
haben follte, daß nur er Peris, Piris (Pyritz), Chamin, Belgrod,
Cloden, Chozgo, Timin, Domazlavus, Wirisca fchreibt, während
Ebo Piriscum, Gamin, Belgroensis urbs, Clodinensis locus,
Chozegowa, Timina, Domizlaus, Wirtiscus (oder Wirtschachus),
Herbord aber Pirissa, Camina, Belgrada, Clodona, Gozgaugia,
Timina, Domizlaus, Witscacus geben ; noch wınderbarer, daß Ebo
und der Prieflinger in den Namen der pommerfchen Kirchen fo aufs
fällig von einander abweichen und doch beide diefelbe Quelle hiefür
benugt haben follten! Priefl. II, 13 nennt die Stettiner Wallkirche,
wie fie noch heute heißt, die Peter-Paulsfirhe, Ebo TIL, 1 nur Pe—
trifirche; der Prieflinger II, 16 läßt die Kirche in Wollin den Hei—
ligen Adalbert und Georg (noch zu des Wolliners Bugenhagen Zeit
hieß fie Georgenfirhe!), Ebo II, 15 den Heiligen Adalbert und
Wenzel; der Priefl. II, 19 die Kirche außerhalb Wollins dem Hei—
figen Michael (mie fie wiederum zu Bugenhagens Zeit noch hieß !),
Ebo II, 15 hingegen dem Heiligen Petrus geweiht werden. Herbord
III, 16. II, 37 nennt in Stettin und Wollin immer nur eine von
den zwei am Orte befindlichen Kirchen mit Namen: bei beiden Städten
giebt er nur den Namen der Adalbertsfirche, in welcher Benennung
er den Ebo und den Prieflinger iübereinftimmend fand, und fchmeigt
ganz von den anderen Kirchennamen, weil er bei ihnen abweichende
Berichte feiner Vorgänger vor ſich Hatte. Lag ihn das „Reifetage-
! Nur etwa die Zahlenangabe Herbords, in welcher er mit Ebo und dem
Brieflinger übereinftimmt, daß das Götenbild Triglavs 3 Köpfe gehabt, darf
man als völlig ſicher gelten laffen. Zahlen, welche nur Herbord bietet, find
folgende. 18000 pommerſche Krieger find im lebten polnifchen Kriege vor
1124 gefallen, 8000 Frauen und Kinder von Boleslav III. in die Ges
fangenichaft geführt II, 5. — Bis 200 Schritt vor Gneſen hinaus zieht Bo—
leslav mit feinen Magnaten dem Biſchof Dtto entgegen II, 9. — In den pom«
merihen Dörfern zwiſchen Pyritz und der Grenze tauft Dito 30 Menfchen
I, 13. — In der eliten Stunde des Tages nähert ſich Otto der Burg Pyrits,
woſelbſt 4000 Menſchen zu einem heidniſchen Feſt verfammelt find II, 14. —
3 Taufbeden läßt Dtto in Pyritz herftellen II, 15. — In Kamin weilt Otto
40 Zage II, 20. — In Kamin mweilt Otto 50 Tage II, 24. — Der pommer«
Ihe Fürft Wartislav hatte 24 Kebsweiber II, 22. — Bor Wollin, weiß Her:
bord genau, erhält Otto 3 Hiebe, nicht mehr noch minder II, 25. — Boles:
lad beftimmt 300 Mark Silber als jährliche Tributfumme den Bommern, und
je 9 pommeriche Familienväter follen im Kriegsfalle zum Beiftand für Polen
immer den zehnten Mann ausrüften II, 30. — 9 Langen find e8, zwiſchen
denen das Stettiner Dralelpferd immer Imal hin und hergeführt wird II, 33. —
900 Familienväter zählte die Stadt Stettin II, 34.
254
buch“ vor — gefett, daß Ebo und der Prieflinger aus beffen reiche—
ren Kirchennamen ihre abweichenden Benennungen gezogen haben
follten —, warum 309 Herbord diefe Kircheunamen daun nicht zu
widerfpruchslofer Volljtändigfeit daraus?
Halten wir uns nicht an wenig greifbare Gemeinfamfeiten des
Erzählungsstoffes, fondern an diefe reellen, nüchternen Differenzen der
Daten, fo wird ſchon aus dieſer trodenen Zufammenftellung deutlich,
dag nicht einmal von dem Vorhandenſein einer dürren Notizenreide
über die Daten der I. Reife Ottos als gemeinfamer fchriftlicher Duelle
der drei Autoren geredet werden fan. Hätte num gar ein derartiger
Reiſebericht auch mur in fo zufammenhängender Erzählung, wie wir
fie bei dem Prieflinger ? finden, exijtirt, fo müßte ſich doch irgendwo
die Benutzung derjelben durch identischen Wortlaut in dem II. Bude
der drei verrathen. Zeigen ſich doch je im I. Buche der drei, wo
von ihnen jene Denkichrift über die Stiftungen Ottos in langen, zus
fammenhängenden Abjichnitten ausgeschrieben it, fo überreiche Spuren
gleichen Wortlautes! Gerade aber im Il. Buche findet fi) eine ſolche
wörtliche Uebereinſtimmung nirgend als da, wo wirklich eine gemein
ſame Quelle benutt ward, d. h. wo jener Hirtenbrief Ottos von Ebo
II, 12 und Priefl. II, 21 völlig wörtlich ausgefchrieben ift. — Diele
Nothwendigkeit identiichen Wortlautes laffe ich mir nimmermehr fo
furz abweilen, wie e8 3. ©. 328 gethan, wo er als Erflärungs
grund für diefen Mangel wörtlicher Uebereinjtimmung nichts anzıe
führen weiß als: Ebo und Herbord haben diefe Quelle „ſichtlich jehr
frei“ benugt. Mit diefem „Tichtlich fehr frei“ ift freilich allen Be—
hauptungen über Eriftenz, Umfang und Inhalt einer jo hypoſtaſirten
Duelle Thür und Thor geöffnet. Für das I. Buch der drei Otto:
biographen erwies ich da8 VBorhandenfein der gemeinfamen Duelle,
indem ich ihre Fragmente als noch in zwei völlig verichiedenen Hand»
ichriften außerhalb der vitae Ottonis vorhanden aufwies, S. 49—
52. 58 meiner Unterfuchung. — Zeige man mir doc) die Fragmente
der für das II. Buch behaupteten Duelle als nod irgendwo außer:
halb der vitae Ottonis erfeunbar! — Doc ich will mid) auch ſchon
mit Nachrichten über diefelbe zufrieden geben, wofern nur diefe Nach—
richten unzweidentig von folder Quelle Zeugniß ablegen. Ein der- »
artige8 Zeugniß findet 3. in den Worten Ebos III, 1: de secundo
ejus apostolatu in Pomerania, sicut fidelis cooperator ipsius
Udalricus presbyter S. Egidii michi innotuit, scripto tradere
curavi; nam de primo alias seriptum est. Aber es giebt Bei-
fpiele genug, daß ein Schriftfteller mit ‘alias’ oft einen früheren oder
fpäteren Abfchnitt in feinem eigenen Werke bezeichnet. So fagt der
I ‚Der Prieflinger hat fich fichtlich mehr an die Einzelheiten gehalten und
diefe wohl in engem Anſchluß aud an den Ausdrud feiner Duelle, zwar oft
recht ungefchict, aber doc; im Ganzen trem wiedergegeben, daher denn auch feine
Erzählung des rechten Zuſammenhanges entbehrt und ähnlich der im II. Bude
Ebbo8 den Eindrud lofe an einander gereihter Dittheilungen macht‘. So meint
3.0.0.9. S. 330.
255
Prieflinger III, e. 10: Sed de hoc alias (sc. agetur); nune re-
liqua agemus, und fhon im 12. Gapitel erzählt er dann das Er—
eigniß, welches er nad) c. 10 alias, d. h. an anderer Stelle, er-
zählen will.
Außerdem aber wird alias nicht felten gleichbedeutend mit alio
tempore, ja mit alia condieione und aliter gebraucht, und auch in
diefen Bedeutungen läßt nufere Stelle fi) ungeswungen auf das II.
Bud des Ebo beziehen. Zumal nachdem wir gejehen, daß die Exi—
ftenz weder eines notizenhaft dürren noch eines in zufammenhängender
Erzählung gefchriebenen „Reiſetagebuches“ annähernd genügend be=
wiejen werden fonnte, fo haben wir feinen Grund, in den bezeich-
neten Worten Ebo8 dem ‘alias’ einen anderen Sinn beizulegen als
einen der drei: alio loco mei operis, alio tempore oder alia con-
dieione (aliter). „Ueber die zweite Reife“, ſagt Cbo, „will ich nad)
dem Berichte des Reiſegenoſſen Udalrich fchreiben (die8 muß ich hier
ausdrücklich erwähnen), denn die Erzählung über die erite Reife ge=
ſchah unter anderen Umſtänden“ (als diefe hier, d. h. unter Benutzung
anderer Gewährsmänner). Wir müſſſen daher lateinisch jo ergänzen:
nam de primo alias (a me) scriptum est (quam nunc scrip-
turıs sum hoc libro et hoc locupletissimo teste).
Ro wirflih in Ebo8 Reisebericht außer dem Bericht des Udal—
rih umd der Prieflinger vita eine ältere fchriftliche Duelle anzuneh—
men ift, wie bei der genauen Angabe der durd Otto in Franken zum
Beginn der I. Reife vollzogenen Kirchenweihen und der Stationen
beider Reifen, Soweit fie im Bamberger Sprengel lagen, da mögen
dem Ebo Bamberger Annalen vorgelegen haben, eine Art von Quelle,
die Schon Klempin für Ebo forderte. „Zum Theil erzählt er, was
er aus der Chronik feines Klofters geihöpft hat“, a. a. O. ©. 122,
Auch leugne ich keineswegs, daß Ebo von Sefrid oder anderen Reiſe—
gefährten Ottos über die I. Reife mündliche Nachrichten erhalten habe.
Jedenfalls galten fie ihm aber nicht für fo ficher wie fein Gewährs—
mann Udalrich für die II. Reife, fonft würde er fie namhaft machen.
Gerade aber, daß Herbord den Sefrid in feinem Dialoge die Reifen
jelbft erzählend einführt, fpricht gegen das Vorhandenfein eines fchrifte
lichen Reifeberichtes von der Hand Sefrids. Vermeidet ja dod) fonft
Herbord in feinem Schriftitellerdinfel peinlich; jede Andeutung über
die Benugung von Vorgängern; fo fecretirte er im feinem Werle
durchweg Ebo und den Prieflinger, obwohl er beide, wie 3.
jelbit einräumen muß, kannte und vielfach benutzte. Wohl weiß ich,
dat nad) Ebo II, 3 Udalrich den Sefrid als Neifebegleiter, qui
etiam cartis in itinere cum necesse est scribendis promtus et
impiger erit, dem Bifchof Dtto vorichlägt. Aber bei dem Prief—
linger die Bezeichnung Sefrids als eines „Secretärs des Biſchofs
Otto“ zu finden (3. a. a.D. S. 329), ebenfo wie die Behauptung,
diejen „Secretär“ mache der Prieflinger „zum eigentlichen Befehrer
der Kinder Domazlavs* (S. 328), ftütt fi) auf ein Mißverjtändnig
folgender Stelle des Prieflingers II, 9: Pueri isti secretarium epi-
256
scopi Dei nutu frequentare coeperunt et crebro cum ipso con-
ferre sermonem. Quibus episcopus, quantum illa patiebatur
aetas, de fidei illuminatione, de judieio futuro, de immortali-
tate, de spe resurrectionis, de gloria beatorum breviter com-
modeque disseruit. Offenbar ift dody mit den Worten ‘cum ipso'
der Biſchof felbjt gemeint. Außerdem — wo fteht hier etwas davon,
daß diefer „Secretär“ Sefrid geheißen? und heißt denn secretarium
hier iiberhaupt „Seheimfchreiber, Secretär“? Du Gange u. a. mögen
bezeugen, daß secretarium hier nicht eine PBerfon, fondern ein Ge:
mad; (penetrale episcopi) bedeutet!
Ein anderer Punkt, in dem ich unmöglicd die Aufftellungen 3.'8
gelten laffen darf, ift das Verhältniß Ebo8 zu dem Prieflinger. Ich
zeigte aus verfchiedenen Gründen, daß der Prieflinger früher als Ebo
und Herbord gejchrieben. Für Herbord geiteht es 3. zu, für Ebo
leugnet er es, ohme aber auf meine Gründe einzugehen. Ich führe die
hauptjächlichjten Gründe in meinem eigenen Wortlaute noch einmal
furz auf.
1) Nur der Prieflinger, nicht Ebo oder Herbord, entichuldigt,
daß er zu einer Theilung des Erzählungsftoffes in drei Bücher ges
ſchritten. Priefl. prolog.ad libr. Il: Unde nec in unum omnia
coartavi, sed in tres partes, quarum prima ufcunque jam
edita est, suis capitulisque suisque praefatiunculis praenota-
(tam) distinxi, quominus fastidiosa sit lectio, cum a novo
fuerit repetita prineipio. Bei Ebo und Herbord finden wir die
Dreitheilung fchon ala etwas Selbitverftändliches und den Stoff zwi—
ſchen Buch II und III fachgemäßer und gejchiefter vertheilt als bei
dem Prieflinger, der den Schluß der I. Reiſe erjt am Anfang des
III. Buches erzählt.
2) Ebo III, 22 und Herbord III, 29 berichten zwei Wunder
des Presbyters Bodens, die er, wie Ebo jagt, in urbe Games
dieta, in einer ganz fabelhaften Stadt, verrichtet habe. Der Prief:
(inger fennt von diefen zwei Wundern nur erft eines (III, 13).
Dieſes eine Wunder erzählt er ähnlich wie Ebo und Herbord, er
ſchickt aber ausdrüdlic; folgende Worte vorauf: Aliud quoque mi-
raculum , quod apud ipsam Julinensium civitatem accidisse
comperimus, quia ad praesens memoriae occurrit, hoc in loco
dignum putamus inserere. Nach den fchon oben aufgeführten
Stellen müſſen wir ‘comperire’ vom Hören mündlichen Berichtes
verjtehen, zumal ‘quia ad praesens memoriae occurrit’ dabei—
ſteht. Wie aber könnte der Prieflinger von mündlichem Bericht über
dies Wunder reden, wenn ihm Ebo hier vorläge, in welchem dies
Wunder ausführlich erzählt it? Erzählt aber der Prieflinger hier
wie fonft, was aus feiner Juliner Quelle ihm zufloß, und begegnen
wir furz vor diefem Wunderberiht (3 Gapitel früher) einer Stelle,
wo er mit Ebo gleichen Wortlaut hat, fo ift jet der Schluß zwin-
gend, daß nicht er der Abjchreiber ift, fondern Ebo. Es find die Ge—
betsworte Wiriscas im dänischen Gefängniß, Priefl. III, 10: Do-
257
mine Deus, qui gentem nostram per eundem episcopum ad
agnitionem tui nominis venire fecisti. Ebo III, 2: Domine
Deus omnipotens, qui nos ad cognitionem tui nominis per 08
sancti patris nostri Ottonis episcopi venire tribuisti. Wie 3.
meint, „Find diefe Worte doc) zu geringfügig, um daraus irgend et=
was zu Schließen”, a. a. D. ©. 332. Ya, wären dieje gleichlau-
tenden Worte bei irgend einer anderen Beranlaffung, nicht bei der-
jelben, wo fie der Prieflinger bietet, von Ebo gebraucht, jo würbe
ih nimmer in diefen Worten ein Beweismoment für Abhängigkeit des
Einen vom Andern erfennen. So aber fommen diefe Worte bei Bei—
den aus dem Munde dejjelben Mannes (des Wirisca), bei derjelben
Situation (im Gefängnig) und find beidemale an Gott gerichtet.
Manchen mag bier für die Unabhängigkeit Ebos ftimmen, daß
er doch gerade im III. Buche den Bericht des Augenzeugen Udalrid
wiedergebe, alfo bier gewiß erjt recht felbjtändig ericheinen müſſe.
Den Wunderberidht aber, in welchem ich jener gleiche Wortlaut fin-
det, verdanft Ebo auf feinen Fall dem Udalrich, jowenig wie manche
anderen Wunderberichte des III. Buches. Deutlicdy läßt fich dies An
den Bodeuswundern nachweiſen. Angenommen, der Ort des Bodens
wunders, den Ebo Games (der Prieflinger Julin) nennt, ſoll Gamin
bedeuten, jo begeht Ebo einen chronologiſchen Verſtoß, Otto am Tage
diejes Wunders, am 10. Auguft, in Camin verweilen zu lajfen, Wie
Köpfe zuerft betomte?, weilte Otto zu diefer Zeit ja gar nicht in Ca-
min, fondern in Stettin. Bodens aber iſt hier presbyter ex co-
mitatu pii Ottonis genannt, und als er fünf Tage darauf (am Feſte
der Aſſumption der Mutter Gottes) ein zweites Wunder an einer
Frau vollbringt, welche den Feiertag durch Feldarbeit entweiht, ſendet
Otto die Frau, der die Hand erſtarrt iſt, zur Heilung in die Adal—
bertöfirche. Nirgend ſonſt wird eine Caminer Adalbertsfirche erwähnt,
jo daß auch diefe Angabe auf Wollin, wo nad dem Prieflinger das
Wunder geichieht, oder auf Stettin Hindeutet, wo Otto damals weilte.
Chronologisch und topographiich jo verwirrte Angaben find dem
Ebo von dem jonjt jo genauen UÜdalrih, dem Zufammenfteller des
eodex Udalriei, unmöglich zu Theil geworden. Diefe Anfäge einer
Sagenbildung famen erjt ipäter, geraume Zeit nad) Ottos Miffions-
reifen, nad) Bamberg, Mithin haben wir allen ‚Grund, dem bo,
der nicht minder wunderfüchtig als der Prieflinger war ?, ja der hier
2 Andererfeits hielt e8 3. als weiteren Beleg für die Abhängigkeit Her-
borde von Ebo doch nicht für zu geringfügig aufzuführen, daß dem Herbord,
der fonft den Wortlaut Ebos faft immer geſchict mit anderen Worten um»
Ichrieben bat, gerade in ber a de „eine ſonſt nicht gerade häufige
Bhraie (des Ebo) entjdjlüpft iſt“! Bei Ebo III, 2 und Herbord III, 15 iſt
Birisca im Kerfer ‘in somnum resolutus'!
: SS. XII, ©. 875 Aum. 67. 70.
u Kleinpins Urtheil über Ebo a. a. DO. S. 142: „Schon das Natürliche
nimmt in feiner Auffafjung den Stempel des Wunderbaren an. — Das Außer:
gewöhnlihe —, dies durfte er ja nur der Wunderkraft feines Heiligen zuſchreiben“.
258
(III, 21 und 22) in Einem Athen fünf Wunder Dttos berichtet,
wo wir bei dem Prieflinger davon nur erjt zwei finden (III, 12 und
13), dieſe Abhängigkeit in Wumnderberichten von anderen Gewährs—
männern und Berichteritattern als Udalrich zuzutrauen. So müſſen
wir dabei beharren, daß Ebo dem Prieflinger den gleichen Wortlaut
in dem Wiriscawunder entnommen hat, zumal ich jetst im Anfang
des III. Buches Ebos eine ganz auffällige Stelle der Polemik gegen
den Prieflinger enthüllt habe.
Noch bleiben einige Einwände, die 3. machte aus Anlaß meines
Benühens, die Mifverftändniffe, denen wir bei dem Prieflinger bes
gegnien, aus dem kurzen Aufenthalte Adalbert oder überhaupt feines
pommerſchen Gewährsmannes in Bamberg zu erklären. „So mi
verjteht er auch“, äußerte ich mich, „den Gewährsmann bei Erzäh—
(ung des Weges, den Dtto bei der erften Reife von Polen nad)
Pommern nahın Hier erwähnt er allein (IL, 2), daß Otto den
Warthefluß paſſirte. Gewiß hatte der Gewährsmann mur erzählt,
Paulus, der polnische Geleitsmann Ottos, ſei Graf von Zantok an
der Warthe geweſen (mur der Prieflinger nennt Paulus als comes
Zntochanus). Der Prieflinger aber mißveriteht fo, als habe num auf
der pommerſche Fürft Wartislav Otto Schon an der Warthe getroffen,
während der Ort der Zufammenfunft erjt an der faulen Ihna, der
alten Grenze zwiichen Polen und Pommern, war, wie Klempin gezeigt
hat“ (Klempin, Einleitung zu Kratz, Die Städte der Provinz Pon-
mern S. XXV Anmerfung).
Zunächſt habe ic) hier nicht, wie von 3. S. 327 gejagt wird, be—
hauptet, die faule Ihna fei „die älteſte“, fondern „die alte Grenze zwiſchen
Pommern und Polen“. Scon Klempin betonte mir mit echt, daR,
ſoweit urfundliche Zeugnifje reichen, die faule Ihna immer als die
Grenze hier erjcheine, wie fie denn feitdem die Grenze zwifchen Pom—
mern und der Neumark geblieben ift. Dann aber ift für mic der
Beriht Ebo8 II, 4 über den Zug DOttos aus Polen nah) Pommern
nicht die gleiche Autorität wie für 3., der mit Ebo den Bilchof über
Uſchtſch, nicht, wie der Prieflinger, über das viel weftlichere Zantot
nad) Pommern ziehen, ihm dann in der Burg Ztarigrod (Ebo II, 4)
noch jüidlic) von dem Grenzwalde mit dem pommerſchen Fürjten War:
tislav zufammentreffen läßt und unter Berufung auf die Berichte des
Martinus Gallus (bei. II, 17) über die ponunerfc- polnijchen Kämpfe
um Zantof und Nafel annimmt , daß auch im Jahre 1124 „noch
hier und da (unweit der Worthe) eine pommerſche Burg (wie Ztari—
grod) beitand, die (erjt) ſpäter verloren ging“, S. 327 Anmerf, —
ft num glaublich, daß Otto von Uſchtſch aus den unwirthlichen, pom—
merſchen Grenzwald der Länge nad) von Dit nad) Welt durchzog, um
ſchließlich in Pyrig die erfte Stadt Pommerns zu betreten, während
er von Zantof aus den nur Halb fo langen Sidnordweg aus dem
befreundeten Polen nah Pyrig nehmen fonnte? Die Entfernung
von Zantok nah Pyrig beträgt in der Puftlinie etwa 60 Kilometer
(8 Meilen), die Entfernung von Uſchtſch mac Pyrig in der Yuft-
259
linie 120—125 Kilometer (über 16 Meilen). Schon dies allein
Ipriht für die Reijeronte Zantof-Pyrig. Wollen wir aud) dem bo
glauben, Wartislav habe Dtto jchon jüdlic) von dem Grenzwald in
der von ihm erwähnten Burg Ztarigrod zuerjt begrüßt, fo kann dies
doh im J. 1124 feine pommerjche Burg mehr gewejen fein. Nennt
doh Ebo jelbit (IL, 5) Piriscum das primum castrum Pome-
ranie, welches Dtto erreicht habe. Mag auch M. Gallus! von
einer Burg berichten, welche die Pommern al8 eine Art Trutz-Zan—
tof im den meunziger Jahren des 11. Jahrhunderts gegen Zantof er—
richtet hatten, — nad) den vernichtenden Schlägen, die Boleslav III.
1119—1121 gegen Pommern geführt, kann von einer pommerjchen
Burg ſüdlich von dem Grenzwalde feine Rede mehr fein. Aus allen
Nahrichten der Dttobiographien geht unzweifelhaft die Suzeränität
Polens über Wartislav von Pommern hervor. Wenn aber Nafel und
Zantof, d. h. die Hauptfeften am Nordufer der Nee und Warthe,
um diefe Zeit in den Händen der Polen find, wie fann man da an-
nehmen, daß noch um diefe Zeit die Grenze zwijchen Pommern und
Polen „längs der Netze“ lief? Dehnte ſich doc nördlich von diejen
Selten noch ein Grenzwald von mindeſtens 3 Tagereiſen Ausdehnung
(Priefl. III, 1). Wie wir num die polnischen Feten füdlich diefes
Waldes finden, jo haben wir die pommerſchen nördlich deifelben zu
juhen. Damals aber, wie heute noh, muß 5—6 Meilen nördlich
von Zantof die faule Ihna Greuzfluß gewejen fein. Dahin glaubte
ih daher die Zufammenkunft im Einverjtändnig mit Klempin ver—
legen zu müſſen. Heute muß ich mich anders entjcheiden. Aus—
drücklich läßt der Prieflinger den Biſchof Dtto erft zu Graf Paul
von Zantof gelangen und von diefem erſt zu Wartislav geleitet
werden; die Zujfammenfunft muß dann ummweit der Warthe ſelbſt
(juxta Wrtam jagt der Prieflinger) in einem polnischen Burgwall
Ztarigrod (Ebo Il, 4) nördlid) von Zantof jtattgefunden und War—
tislav alfo ſchon ſüdlich vom Grenzwalde den Biſchof mit pommer-
! Nuntiatum est, Pomoranos exivisse eosque contra Zantok regni
custodiam et clavem castrum oppositum erexisse ed. Bandtkie S. 168.
-—Wenn Ebo II, 4 Uzda in confinio utriusque terrae liegen läßt, fo
if dies nicht fo au verftehen, als ob Uzda unmittelbar an der Grenze gelegen
babe; dem widerſpräche Schon die ausdrüdliche Nachricht des Prieflingers III, 1,
daß Polen gerade in diefer Gegend von Pommern (a confinio Pomeranorum)
durch eine wilde Einöde getrennt ſei. Wichtich ift da nur als Grenzort bezeichnet,
fo wie wir heute wohl Königsberg als öſtliche Grenzfefte gegen Rußland be:
zeichnen, ohne daß es unmittelbar an der Grenze liegt. — Zum Weberfluß ei—
tire ich noch Roepell, Geſch. Polens I, S. 253. 263. 634. Auch Roepell be»
merkt, daß „in der päbftlihen Beftätigungsurkunde des pommerichen Bisthums
v. 3 1140 Vyritz der füdlichfte Ort ift, welcher im diefer Gegend al® zur pom—
merſchen Diöceſe gehörig genannt wird‘, und daß „dieſe Lanpdftriche füdlicd von
Pyritz bis zur Warthe und Nee in politifcher Beziehung unmuttelbar mit Polen
(durch Boleslav III.) vereinigt wurden‘. — Daß dagegen in der Gegend der
Barthemündung bis ins XIII. Jahrhundert hinein noch pommerſche Befigungen
fih befanden, ift mir aus Urkunden wohl befannt und keineswegs hier von mir
überjehen.
260
fchen Geleitsmannen verfehen haben. Alle Umftände wohl erwogen,
muß ich demnach an der Route Zantok: Pyrig feithalten, nur daß ich
die Burg Ztarigrod nicht wie Ebo bei Uſchtſch liegend glaube, aud
nicht für ein damal® noch pommerjches castrum halte, wie 3. will.
Das Neue, was 3. noch erwiejen zu haben meint, will id) mit
feinen eigenen Worten herjegen (S. 315. 316):
„Stellen wir die Ergebniffe unferer Unterfuchung über Ebbos
und Herbords drittes Buch zuſammen.
1. Ebbo! hat ſein drittes Buch urſprunglich als beſondere
Schrift verfaßt und es erſt ſpäter mit den jetzt voraufgehenden ver—
bunden“.
Dieſen erſten Punkt aber erkaunten wir als eine keineswegs
gerechtfertigte, am allerwenigſten gegen Widerſpruch geſicherte Ver⸗
muthung.
2. „Es beruht dies Buch (Ebos), was die zweite Reife Ottos
betrifft, durchweg auf den Meittheilungen des Augenzeugen Udalrich“.
3. a. a. O. ©. 315.
Dies wär aber längſt ein gründlich bewieſenes Ergebniß der
Forſchung Klempins. Balt. Stud. IX, 1, ©. 126: „Bei weiten
den wichtigften Theil feiner Biographie hat Ebo aus dem Munde des
Priefters der St. Uegidien-Kapelle Udalrich, namentlich die Erzählung
von dem jpanifchen Mönche Bernhard im II. Buche und die ganze
zweite Reife des Biſchofs nad) Pommern im III Buche“. Nur
habe ich noch Hinzuzufegen, daß nad unferer obigen Ausführung Ebo
in den Wundergefchichten der II. Reife noch anderen Quellen als dem
Udalrich gefolgt ift.
3. „Herbord hat dies (Ebos III. Buch), aber, wie aus feiner
Jugendgeſchichte Ottos hervorgeht, auch Ebos erjtes — „a deſſen
ganzes Werk, gekannt und benutzt“. Z. a. a. O. ©.
Dieſer Bunkt wurde indeß fchon feit dem —— F Monu-
menta Bambergensia, aljo feit dem Jahre 1869, als ein ficheres
an. Jafféſcher Forſchung betrachtet und lautet in Jaffés Latein
(S. 697) jo: Tertius liber (Herbordi, welches Buch auch die
Sugenbgefichte Dttos enthält) paene omnino ex Ebonis opere
manavit.
4. „An mehreren Stellen (im III. Yuche Herborde) zeigt fi
eine überaus auffallende Uebereinftimmung Herbords mit dem Prief
linger“ 3. a. a. O. ©. 310.
Gerade aber die einzige Stelle wörtlicher Uebereinftimmung zwi⸗
ſchen dem Prieflinger und Herbord, welche 3. im Drucke wieder:
ı ‚Nebenbei verweiſe ih Z. auf jene wohlbegründete Bemerkung Jaffés,
ſeit der von jedem Forſcher die Schreibung „Ebbo“, welche er durchweg jefige-
halten ai: unmeigerlid vermieden und dafür , Ebo⸗⸗ geſetzt werden mußte.
Jaffé, Mon. Bamberg. S. 580: Nomen ejus in saeculi XII necrologio
S. Michaelis et in codice lat. Mon. 23582 saec. XIV sic scriptum est:
‘Ebo'. Andreas demum abbas $. Michaelis exeunte saeculo XV hac
nominis forma: ‘Ebbo’ utebatur.
261
giebt, Hat zuerft Klempin (Balt. Stud. IX, 1, ©. 225) erkannt!
und dann weiterhin noc eine Reihe von Punkten aufgeführt, in denen
Herbord mit dein Prieflinger übereinkommt.
Gehen wir zum fünften Punkte diefer Ergebniife:
5. „Herbord hat jeine Quellen, befonders die Schrift Ebbos,
derartig benutt, daß er nicht blo8 dem Ausdruck änderte — was ihm,
wenige, verrätheriiche Stellen ausgenommen, gut gelungen iſt —, ſon—
dern dag er ſich auch vielfach, Entjtellungen des Inhalts hat zu Schule
den kommen laſſen. Dieje Entjtellungen find theils Ausſchmückungen
und Uebertreibungen, dieje bejonders in Zahlenangaben, theils bejtehen
fie in Unterdrüdung, ja jogar in Fälſchung des ihm befannten Ma—
terials. Unterdrüdt hat er namentlich) das üble Verhältniß zwijchen
Otto und Norbert, von dem feine beiden Quellen meldeten, ferner den
Namen des Grafen von Sulzbad) in der Beichreibung von Ottos
Inveſtitur, endlich die politifche Abjicht der Gefandtichaft des Bären.
Sefäliht Hat er die beiden von ihm mitgetheilten Briefe an Pa—
Ihalis und von diefen und — damit wir dies hier wiederholen —
die Leichenrede im erften Buche“.
Dies Ergebniß aber lautet wiederum in Jaffes Latein (S. 697 ff.)
jo: In quo quidem Herbordus, quae (ex Ebonis libro) adhibet,
nimirum sie sermone mutare nititur, ut alia esse videantur.
Neque vero eflieit ubique quod intendit. Nonnunquam enim
ipsa Ebonis verba orationi Herbordianae inhaeserunt. Of.
Ebo III, 10 cum Herbord. III, 8; Ebo III, 9 cum Herbord
III, 8. — Herbordus quo magis opus suum ab opere Ebo-
niano differret, mendaciuneulis historiam aspersit. Of. Ebo
I, 9 — Herbord III, 39; Ebo III, 15 — Herbord III, 11
(Uerania insula); Ebo III, 2 — Herbord III, 18 (sermo
Witseaei); Ebo III, 16 — Herbord III, 18 (nugatoriae Ste-
tinensium appellationes). ©. 699 erhärtet dann Yaffe des Weis
teren, warum die Veichenrede auf Otto, welche Herbord dem Biſchof
Embrico von Würzburg in den Mund legt, nicht wirklich fo gehalten
jein fönne, fondern eine Erfindung Herbords ſei. Dann entwickelt
Yaffe die Gründe, durch welche fi) die Darftellung der Inveſtitur
Ottos und der Briefwechſel zwiſchen Paſchalis und Otto, wie fie
Herbord giebt, al8 eine abfichtlihe Erfindung fennzeichnen. Danu
Ihlieft Yaffe: satis multa haec esse debent ad intelligendum,
quod fuerit Herbordi ingenium, quae voluntas, quod genus
historicum secutus sit. Wir meinen, diefe von Jaffé gegebenen
Thatfachen mußten zu der Erfenntniß genügen, daß Herbords Dialog
Ipäter als das Werk Ebo8 verfaßt, daß er „dem choro fallacium
librorum beizuzählen, bei Dingen, die Herbord und Ebo gemein—
Ihaftlich berichten, immer jener diefem nacjzufegen und, was Herbord
Eigenes hat, mit der höchſten Vorfiht und nirgend ohne genauere
Unterfuhung (neque usquam sine deliberatione) aufzunehmen jei“.
1Treulich habe ich in meiner Arbeit S. 99 aufgeführt, daß wir die Beo-
bachtung dieſes gleichen Wortlautes Klempin verdanten.
XxVIII. 18
262
Was jett von diefen in Punkt 2—5 aufgeführten Ergebniſſen
v. Zittwigicher Forihung über Ebo und Herbord übrig bleibt, be:
fchränft fich auf einige Beläge zu jenen von Klempin und Yaffe zus
erit gefundenen und ſchon vollgejicherten Ergebnijjen, wie 3. B. daß
Herbord Norberts Verhältnig zu Otto, daß er. den Namen des
Grafen von Sulzbach unterdrüdt habe u. dgl.
Mir war nad) Yaffes meijterhafter Beweisführung die Infe—
riorität Herbords als hiſtoriſcher Duelle eine fo ausgemachte Sadıe,
daß ich es für wenig fruchtbar halten mochte, die Abhängigkeit Her
bords auch von dem BPrieflinger mehr noch zu zeigen, als es der
Zweck und Fortfchritt meiner Arbeit über den Prieflinger gebot: id)
hielt die weitere Ermittelung des Erzählungsftoffes, wie er richtiger
bei Ebo und dem Prieflinger als bei Herbord dargeftellt fei, jetzt mehr
für die Sache des darjtellenden Hiftorifers als für die einigermaßen
noch lohnende Aufgabe einer eigenen, quellenkritiichen Unterſuchung.
Gewiß wäre e8 eine lohnende Aufgabe hiſtoriſcher Sachfritif, jett eins
mal wieder, wie e8 Volckmann feiner Zeit gethan, da® Facit für die
Geichichtsdaritellung aus den Unterfuchungen über alle drei vitae
Ottonis zu ziehen. — Will man es aber auch als eine löbliche, ob-
ſchon nad) Yaffes Vorgang verhältnigmäßig leichte Leiſtung bezeichnen,
die Fehler Herbords möglichjt volljtändig zu verzeichnen, jo muß man
ihm doc nicht Fehler unterfchieben, die er nie gemacht hat. Solches
ift 3. u. A. auch begegnet.
Wenn Herbord II, 1 ein Land Flavia neben Ruseia und
Pruseia im Oſten Pommerns liegen läßt, fo rechnet ihn 3. ©. 324
dies al8 argen, geographiichen Fehler an und belehrt uns, unter
Flavia fönne „nichts anderes gemeint fein als Polabien im heutigen
Mecklenburg“. Daß aber wirklich Flavi, wie Herbord behauptet, in
einem von Pommern öftlichen Gebiete wohnten, das hätte 3. jchon
aus Jaffé s Monumenta Bambergensia entnehmen fönnen, da
Kaffe ©. 446 zu den Worten im Codex Udalriei: Flavos qui
vulgari nomine Valwen dicuntur, die Bemerfung jegt: Flavos =
Cumanos.
Bei dem Anſpruch auf Volljtändigfeit, den 3. für diefe feine
Unterfuhung über die Quellen und den Werth der drei Ottobiogra-
phien macht, wundern wir ung drei andere Elemente von Ebos Er:
zählung ! nicht berückſichtigt zu finden.
„Ebo erzählt, was er aus der Chronik feines Kloſters ges
ſchöpft“, jagt Klempin a. a. DO. ©. 122 und verweift dafür auf
Ebo I, 1, wo fic die Achte des Klojters Michelsberg aufgezählt
finden. In der That, wie Yaffe zeigt (Mon. Bamb. ©. 589), ilt
diefe Aufzählung zum Theil jelbit in ihrem Wortlaut aus den Necro-
logien und Annalen dieſes Klojters geichöpft.
2. Choerzählt auch, „was er als Augenzenge felbft erlebt hat“,
Klempin S. 122. Dahin gehört, wie Klempin richtig beinerft, was
ı In dem Ehlufrefume feiner „Ergebniſſe“ gar nit und aud jonft
höchſtens nebenher.
263
Ebo III, 19 berichtet über Ottos Verhältniß zu dem Kloſter Michels»
berg, über die treue Gebetshülfe, die ihm die Bewohner dieſes Klo»
fters während jeiner Abwejenheit leiften, dahin die Viſion iiber Ottos
Ehren im Himmel, über Ottos Woplthätigfeit III, 25 und Ottos
Ende III, 26, dahin zum guten Theil, was er I, 18—22 von dem
Abt Wolfram berichtet.
3. „Einen andern Theil feiner Nachrichten über das Yugend«
(eben Ottos jcheint Ebo aus den anefdotenartigen Erzählungen geſam—
melt zu haben, welche in feinem Klofter von Mund zu Mund gehen
mochten“, Klempin a. a. DO. ©. 125. Hierher rechnet Klempin aud)
die Geſchichte vom Pſalmbuch Kaifer Heinrich des IV. (I, 6), dann,
wie die Kinder dem Kaiſer den Rath ertheilen, Dtto zum Bijchof
von Bamberg zu machen I, 7, hierher die Geſchichte vom Speierer
Bürger Anshelm I, 5. „Daß dergleichen Begebenheiten, wenn fie
auh nicht müſſig erfunden find, dem geringiten Glauben verdienen,
liegt in der Natur der Sache“, Klempin a. a. DO.
Nachdem wir die Grundlofigfeit der Annahme einer fchriftlichen
Quelle für den I. Reiſebericht bei Ebo erfannt, müſſen wir aud
hierin zu Klempins Aufftellung zurüdkehren, dem Ebo habe für die
Erzählung der erjten Reife der mündliche Bericht „anderer Gefährten“
als des Udalrich gedient. Dieſer machte ja die erjte Reife nicht mit.
Aus den widerfprechenden Angaben diefer Gewährsmänner erklärt
Klempin S. 140 mit Recht die „verworrene und widerfpruchsvolle“
Darftellung der I. Reife bei Ebo. Mithin haben wir nicht nöthig,
diefe Widerfprüche, wie 3. S. 319. 320 will, aus unachtſamer Be—
nugung der ohne Grund angenommenen Quellenſchrift zu erflären.
Faffen wir aber ein Gejammturtheil über den Werth der Ebo-
hen Schrift im II. Buche, fo iſt jest das Nefultat der v. Zitt-
wigichen Unterfuchung iiber Ebo, diefer zeige fi „in dem von ihm
Gegebenen überall zuverläffig“ (a. a. D. ©. 333), wieder einzu-
Ihränfen auf das von Klempin S. 140 gegebene Urtheil, wofern
man nur ftatt des Anonymus (Herbord) in dem Klempinfchen Ur—
theil den Prieflinger fegt: „Man muß überall, wo des Ebo II. Buch
mit dem Anonymus (vielmehr dem BPrieflinger) in Widerſpruch tritt,
dem letsten Bericht mehr Glauben jchenfen, doch erſtreckt fich dies nicht
foweit, daß micht manche einzelne Nachrichten, die Ebo außer dem
Anonymus (Prieflinger) angiebt, glaubwürdig fein fünnten“. Ueber—
all da aber, wo Ebo ausdrücklich auf Udalrich fich beruft, wie in dem
Bericht über des Bernhard Miffionsverfucd (im II. Bude) und im
Bericht der II. Reife (außer den Wundergeihichten), nicht minder da,
> Ebo als Augenzeuge redet, ijt er ohne jede Frage die erfte
uelle.
Auch in der Zeitbeſtimmung über die Abfaſſung der Eboſchen
Schrift liefert Z. einen Rückſchritt hinter das von Jaffé ſchon er—
zielte Reſultat. „Für die Zeit der Abfaſſung ergiebt ſich als frühſtes
Jahr 1147, da Ebo in dem ſpäter verfaßten Theil der Schrift den
Abt Hermann als verſtorben bezeichnet“, 3. a. a. DO. ©. 333. —
18*
264
Kaffe Hingegen weift auf des Ebo Bericht über den Abt Wignand
hin: cujus abbatis et vivendi rationem et mortem, quam die
18. Maji 1151 accidisse liquet, adeo coneitato animo prose-
cutus scriptor est, ut librum non ita multo post factum esse
oporteat. Mon. Bamb. ©. 581; cf. Ebo II, 17.
Weil „Herbord über die I. Reiſe nad) Pommern allein ausführ-
lichen Aufichluß giebt“, meint 3. ©. 334, „müſſen wir ihm haupt-
fächlich folgen, doch ift er in den Einzelheiten, befonder8 in den Daten
und Zahlen, überall durch Ebo und den Prieflinger zu controllieren
und, wo ſich Widerfprüche finden, zu verwerfen“. Dagegen fordert
Jafféè (S. 703), man dürfe auch das was Herbord allein bietet
„nur mit der höchſten Vorficht und nirgend ohne Bedenken“ anneh-
nen. Wir fönnen dem nur beiltimmen und meinen, daß man redjt
thun wird, felbft in der Verknüpfung der Ereignijfe und im Inhalt
der Erlebnifje nit nur in den „Daten und Zahlen“ nur Ebos und
des Prieflingers Bericht über ‚die I. Reife als ficheren Stoff zu
geben.
Erheblichen Fortfchritt in der Erforjhung der vitae Ottonis
wird uns, ich bemerfe dies zum Schluſſe, nur die Herbeiziehung oder
Auffindung neuen Material® bringen. So bradıte und die Entdedung
des Herbordoriginales im %. 1865 durd Wilhelm von Giejebredht
die von Yaffe gezogenen Folgerungen über den geringeren Werth
Herbords im Vergleiche zu Ebo, jo ermöglichte die Herbeiziehung
jener Denkichriftfragmente aus Mon. Germ. SS. XII und des in
meiner Unterſuchung veröffentlichten 17. Capitels aus dem I. Buche
Ebos die Reconftruction einer gemeinfamen Quelle für das I. Bud
der drei Autoren und die von mir gezogenen, fiheren Schlüffe über
die Unabhängigkeit des Prieflingers von Ebo und Herbord,
Solange uns nicht der volljtändige, originale Ebotert ebenfo als
Hermaion zu Statten fommt, wie der Originaltert Herbords feiner:
zeit, fünnen die Akten — über Ebo wenigitens — noch nicht als ge—
Ichloffen betrachtet werden. Noc haben wir feine Gewißheit darüber,
ob nicht der fpäte Abt Andreas, der Contaminator de8 Ebo — und
des Herbordberichtes, Manches, was wir gar nicht ahnen, im Ebotert
verändert oder außsgelaffen hat. Ich betone zum Schluffe, daß die in
Bamberg lagernde, deutfche Bearbeitung Ebos, die Jack im Archiv
für deutſche Gefchichtsfunde VI. Band, S. 65, beichrieben hat, jetzt
endlich veröffentlicht werden muß. Möglich, da dann Manches fich
noch anders ſtellt, al8 bei den mir zugänglichen Mitteln mir zu fols
gern möglich war.
Heinrich von Huntingdon.
Bon
F. Liebermann.
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— —
— —— ae —
Heinrich) von Huntingdon hat für die anglolateinische Literatur—
geihichte des 12. Jahrhunderts in dreifacher Beziehung hohe Bedeu—
tung: als Dichter, dann als Compilator gejchriebener und mündlicher,
engliſcher ſowohl als Lateinischer Nachrichten zur angelſächſiſchen Ge—
ſchichte, endlich als ſelbſtändiger Hiſtoriker ſeiner Zeit, des zweiten
Viertels des zwölften Jahrhunderts.
Wir kennen ſeine Lebensgeſchichte nur aus ſeinen Werken. Auch
was von letzteren ungedruckt iſt, ergiebt nur wenig mehr als feine
bisherigen Biographen boten, Der erſte derſelben, Johannes Cap—
grave!, ſchrieb ſchon unter Heinrich VI., der legte, Sir T. D. Hardy?,
faßt viele frühere Forſchungen zuſammen und fügt zuerſt einen z. Th.
ausführlichen Bericht über 45 noch vorhandene Handſchriften bei.
J.
Heinrichs Geburtsjahr wird nicht vor c. a. 1080 anzuſetzen
jein (da er noch 1155 literarifch arbeitete, 1094 “puerulus’ gewejen
fein und feinen 1092 verftorbenen Diöceſan-Biſchof Remigius „nicht
mehr gefannt“ haben will), und nicht Später als c. a. 1085, da er
1110 Ardidiacon wurde, noch vor 1123 nicht mehr adolescens
oder juvenis, fondern fchon vir gewefen ift, ſich 1135 senex nennt
und jhon von 1087 an vorgiebt zu erzählen quae vidimus aut
audivimus?,
Sein Vater hieß Nicolaust. Er wurde von jenem Remigius
von Lincoln, der fonft faft ausnahmslos Ausländer? anftellte, zum
! Liber de illustribus Heinricis (Rolls Ser. 7) ec. 10.
* Descriptive Catalogue of Mss. rel. to the Hist. of Great-Britain
(Rolls Ser. 26) II, &. 269, im Folgenden citirt als H. — Die Londoner, Or«
forder und Cambridger Hdfj., etwa 29, habe ic) eingeichen. Wo „Arundel” ger
nannt ift, ift die Sammlung des Britt. Muf., nicht des Herald’s Office (Col-
legium Armorum) gemeint.
® Aus Epist. de Cont. mundi, Prol. u. c. 1 uud Hist. Anglor.
Prol. ad L. VII.
* Aus Obigemn erhellt, daß er vor der normannifchen Groberung geboren
war. Unter den Angelfahien war der Taufname Nicolaus ungebräudlid).
’ 4 ©. die Namen in Cont. mundi c. 1: von etwa 30 find 28 cons
nental.
268
Arhidiacon Über drei Graffchaften geſetzt. Beides Ipricht dafür, daß
er dieſſeits des Canals geboren ſein wird. Heinrichs eigenen Vor⸗
namen, einige Gallicismen! in ſeinem Latein, die Schwierigkeit, die
ihm das Angelſächſiſche machte, ſeine Anſicht über die normanniſche
Eroberung wage ich doch nicht, als zwingende Gründe für die Annahnie
feiner continentalen Abſtammung anzuſehen. — Aber die Mutter,
deren Heinrich als Sohn eines Geiſtlichen nirgends erwähnt, wird
Engländerin geweſen ſein: ſeine Liebe für das engliſche Volk im Ge—
genſatz zu den Normannen, für deſſen Geſchichte, Sagen und Geſänge
wäre ſonſt unerklärlich.
In oder nahe Huntingdon wird Heinrich geboren fein: dort
war fein Vater fchon vor 1092 Archidiacon; die Diöcefe Lincoln
allein feunt er auffallend genau, befonders den Fen-Diſtrict, und für
fie allein zeigt er Yocalpatriotismus,.
Dort, in der Abtei Ramſey?, ift er zwiichen 1091 und 1102
erzogen worden. Früh erhielt er, was angehende Glerifer damals all-
gemein erjtrebter, einen Plag im Gefolge eines Prälaten, nämlich
des Robert Bloet, der Kanzler des Groberers? uud Wilhelms II.,
dann feit 1094 Biſchof von Yincoln und bis furz vor feinem Tod,
1123, einer der erjten Staatsmänner Heinrichs I. war. Durd)
den Glanz diefe8 neuen Patrous wurde unfer Heinrich geblendet *:
ein Beweis, daß er aus feiner großen Familie war. Robert ver—
ſammelte neben Rittern und vornehmen Yünglingen — ein Bajtard
des Königs war unter ihnen — aucd Gelehrte um fih. Den Als
binus Andegavenfis, der Schon von Remigius am Dome von Lincoln
angeftellt war, bezeichnet Heinrich al® magister meus®. Die Yin=
colner Domherren jener Zeit hat Heinrich oft im Chor gejehen und
nennt dem Domdechanten decanus noster®. Dod folgt daraus
nicht, daß er felbft Domherr geweſen ift.
Nod bevor Nicolaus „der Stern des Lincolner Clerus, ſchön an
Leib und Seele“ ?, wie ihn der Sohn befingt, 1109/10 ftarb, war
Cambridgeſhire von der Diöcefe Lincoln abgetrennt worden. Für die
beiden übrigen Grafichaften Huntingdon und Hertford erbte Heinrid) den
Erzdiaconat: nicht felten ging damals noch ein Kirchliches Amt vom
Vater auf den Sohn über. Yu diefer Eigenfchaft beitätigte er als
! Servicium magni aa (service de grand coüıt), nadger
wiefen von D’Adhery, ib. c. 6. — ‘Werra’, Hist. Angl. s. a, 1111, beweift
nichts: auch die agf. Annalen s. a. 1140 brauchen das Wort.
Cont. m. ce. 6: Ealdwine ‘dominus abbas meus'. Nicht Regi-
_ ift Heinrichs .‘preceptor’ geweſen oder gar ‘friend’. Im Gegentheil.
i
h na c. 2. Eonft nur als Kanzler Wilhelm II. bekannt.
mr
— J c. : — hat dieſe Nachricht nicht aus Unedirtem!
——
8 c. * A. s. a. 9 Henr. I; Nicolaus unter den zur
Translation der h. Etheldreda von Abt Richard en) Ey eingeladenen Prälaten :
Hist. Elyensis (ed. Anglia Christiana) &. 289
269
‘quidam litterarum peritissimus, senio atque canitie veneran-
dus’, wie ihn der Hiftorifer von Ely rühınt, dem amico carissimo
Alexandro priori Elyensi (diefer begegnet, wie es fcheint, nicht
viel vor 1154), daß Nicolaus der Erzdiacon von Cambridge oder
feine Vorgänger niemal® von einem ottesgeridhte in Elys Immu—
nität8bereiche Sporteln bezogen hätten. ;
Nach feiner Selbitihilderung in den Epigrammen erfreute er fich
eines behäbigen Wohlſtandes. Auch wurde er von feinen Bifchöfen
öfterd ins Vertrauen gezogen: a. 1122 hörte er Robert bei Tafel
bitter über den Verluſt der königlichen Gnade Hagen. Deſſen Nach—
folger Alexander hat er 1130 die engliſche Geichichte gewidmet. Er
theilte mit diefem und mit defjen Familie, die das ganze 12. Jahrh.
hindurch einen Hauptantheil an der Regierung gehabt hat, die Vor»
liebe für die Partei der Kaiferin. — Als er den Erzbifchof Theobald
1139 auf der Romreiſe begleitete, die diefer Ende Januar mit meh:
reren Prälaten zum April» Concil antrat?, hat er wahrfcheinlich in
Aleranders Auftrage gehandelt und Innocenz II. Privileg für Lincoln
vom 28. April? erwirft. Möglich, daß Alerander fchon damals den
Boden am föniglichen Hofe wanfen fühlte — er ward im Juni mit
feinen Verwandten gejtürzt — und deshalb in Nom einen Rückhalt
juchte: wie denn feine Familie im Auguft offen den Papft gegen den
König anrief.
Auf diefer Reife nah Rom begegnete Heinrich in Bec dem
Mönche Robert von Torigni“, theilte ihm feine englische Gefchichte
mit und machte ſich dagegen einen Auszug aus Gottfried Arthurs
(von Monmouth) Historia Britonum.
Auch fonft Scheint er nicht immer an feinen Amtsfprengel gebun—
den gewefen zu fein und nicht bloß die Kirchen des öftlichen Mittel-
Englands, fondern auch York, London, Winchefter gejehen zu haben.
Zum Hofe hatte er feine näheren Beziehungen: zwar widmete
er Heinrih I. fein ‘De serie regum’, befingt die Könige und ihre
Gemahlinnen Friechend genug; doch die heftigen Angriffe gegen die
Unfittlichfeit des Thronerben Wilhelm und feiner Umgebung, der
Spott? gegen Glerifer, die nah Magnatengunft buhlen, während fie
Weltveradhtung predigen, der Mangel an Intereſſe für politifche
Actenſtücke, endlich das Nicht» Vorkommen feines Namens auf (ge-
drudten) Urkunden jener Zeit würden fid) bei einem clericus regis
nicht erklären laſſen. — Die Baffet und Nidel, denen er „einft gern
! Ib. ©. 170. |
2Johann von Herhbam; Contin. des Florenz von Worcefter s. a.
® Jafle, Reg. Pontif. 5724. Seinrich® Begleiter, der Biſchof von Co:
ventry, erhält feine Bulle auch erſt am 18. April, ib. 5711.
_ Defien Ehronit ed. Delisie (Soc. de l’hist. de Normandie) I,
5.
® Cont. m. c. 1 und bie Satire ‘Carmen puerile’, Und doch ärgert
er ih, daß die Großen, im Gegenfate zu Harthacnuts viermaligem Tafeln,
nad) ‘consuetudo nostri temporis semel in die tantum suis escas ante-
ponant',
270 ”
gefällig war“ !, mag er auf deren Richterreifen fennen gelernt, durch
Geſchenke ſich vor ihren Chicanen geichütt haben.
Heinrich ftarb in der zweiten Häfite des Jahres 1155 ?, wenige
Monate nad) der Krönung des erjten Anjou-Königs, mit welcher das
lete, zehnte Buch der Historia endet. Er beabfichtigte diefem ein
neues, eilftes Buch? zu widmen, als ihm der Tod die Feder entwand.
II.
Heinrichs frühefte Cchriften, deren er doch auch im Alter noch
gern gedachte, find die — feit Lelands Zeiten wie es jcheint verlo-
renen — ſechs Bücher Epigrammata jocunda’*, verfchiedenen Me»
trums und Inhalts, ‘ridieulosi, religiosis non adeo utiles’, dar=
unter ‘In amorem, Proelia Veneris. Won einem bei Wright
(Biogr. Britann. liter. II, 169) ‘On herbs’ betitelten und ihm zu=
folge dem Macer — damit ift wohl der Arzt Odo gemeint — nach—
geahmten Carmen citirt Yeland zwei Eingangspdiftichen, eine Widmung
an Phöbus und die Mufen. Wielleicht bilden einen Theil diefes Ge—
dichtS die in MS. Br. Mus. 24061 zwifchen Ende der Historia und
Explicit eingefchalteten 34 Herameter über Medicinen, namentlich
Kräuter zur Augenheilung®.
Genen ſechs Büchern folgten einft die wol noch von Heinrich
felbjt der Historia Anglorum al® Bud) 11 und 12 angehängten
Epigrammata seria. Bud, 11° enthält einige zwanzig Satiren und
Epigramme im Gefchmade des Horaz und Martial. Zum Theil ſcharf
pointirt, verfpotten fie den Geizhals, den Verleumder, den Neidifchen,
warnen vor Liebesleidenfchaft und Ruhmfucht, oder erzählen aufchaue
(ih, 3. Th. nachweislich nach eigenen Erlebniffen, des Tages Thor
heit. Die Diftihen reimen hier und da; ein Klageruf über Englands
Unglüd zu Stephans Zeit ijt in furzen modernen Verſen. — Ein
Epigramm auf Robert Bloet findet ſich in der Historia s. a. 1123
ı Cont. m. c. 6.
2 Cont. m. erwähnt noch den am 5. Juni 1155 gemeihten Robert II.
von Ereter; aber im jelben Jahre findet fih als Erzdialon von Huntingdon
Nicolaus de Sigillo. Der Borname ift zwar der von Heinrich® Bater. Doc
hält Stubbs (Vorr. zu Radulf de Diceto I, S. XXXV) ihn verwandt mit dem
Biſchof Robert de Sigillo von London. Und eines Ardidiaconus Eohn hätte
chwerlih auf des Vaters Stand fo geiholten, wie Nicolaus nad) Johann von
Salisbury Ep. 166 that.
s MSS. Reg. 13 B. VI u. Coll. Magd. Ox. 36, s. XIV, enden, ähnlich
wie Buch VII, ‘et jam regi novo novus liber donandus est’, und MS,
Corp. Chr. Cambr. 280 fügt dem Hinzu ‘Explicit liber X. Hie incipit
liber XI. de Henrico juniori’.
* Prol. u. Epil. zu Cont. m.; Prol. zu 8. XI; namentlich aber zu
B. XI. |
5 Das Orakel der Diana bei Hardy II, S. 2704 ift dagegen aus Got«-
fried von Monmouth.
° Ed. Wright in Anglo-Latin Satirists (Rolls Ser. 59) nah MS,
Lambeth 118. Zahl und Ueberfchriften ftimmen mit MS. Coll. Job. Cambr.
G. 16; nne müfjen die zwei letzten Berfe von De Superbia II, 166 ein be»
jonderes Epigramm ‘De inani curia’ bilden.
271
nochmals. Das iſt neben mander Stylähnlichfeit’ ein Beweis, daß
die anderen zahlreichen Epigramme in der Historia — die übrigens
im Ganzen gezwingener und jtereotyper find — ebenfall® von Heine
rich felbjt herrühren, aud) wo er feine Autorfchaft nicht deutlich an—
giebt. Nur einmal nennt er als Verfajjer des Epitaphs auf Wilhelm
von Flandern den Walo versificator ?, und in der geographiichen Ein:
leitung führt er Verje aus einem Gedicht zum Preife Englands an,
von denen die zwei erſten aud in einem an gleicher Stelle bei Tho—
mas Dtterbourne eingefchalteten, übrigens anders lautenden Gedichte
vorkommen; dieſes hat ſeinerſeits wieder einige Verſe mit dem im
N. Archiv I, 1876, S. 600 gedrudten gemeinfan. Zu diefer Stelle
bringt MS. Reg. 13 B. VI die Randuotiz 8. XIV. ex. ‘Isti sunt
versus Alfredi’. — Fälle, in denen Heinrich „aus lateinischen Poeten,
die nicht mehr vorhanden find, citirt“, find jedenfalls nicht „häufig“.
In einigen Sammlungen gleichzeitiger Gedichte (MSS. Cott. Tit.
DXXIV, s. XII. ex. und Bodl. Laud. 86) jtehen Epigramme aus
der Historia neben Hildebert von Ye Mans und find daher dieſem
irrig zugeidhrieben worden.
Das eilfte Bud) ift einem Jugendfreunde, Namens Walter, ges
widmet, mit dem er zujammen im Lincolner Dome fungirt hat: laut
dem Prologe zu dem ebenfall® an ihm gerichteten aber erit nad)
Walters Tode vollendeten Briefe De contemptu mundi. Unrichtig
hat man diefen Freund mit dem Archidiaconus Walter Calenius von
Orford (von dem Gottfried die feltifche Vorlage feiner Historia
Britonum befommen haben will) identificirt: von letzterem Walter
ipricht der Brief al® ‘superlative rhetorieus’? entſchieden in dritter
Perfon. Und Heinrid; würde die gefuchte Brittengeſchichte dod) eher
in Oxford bei feinem Freunde al8 in Bec gefunden haben! Over
man hat an Abt Walter von Ramſey gedacht; diefer jtarb aber erft
1161, mehrere Jahre nad) Abichluß des Briefes De contemptu.
Das zwölfte Buch enthält einen herametriihen Hymnus auf
Gott als Wunderthäter im alten Bund, als Chriftus, als Erlöfer;
dann eine Ode im dritten asclepiadeiichen Metrum auf Chriſt als
Zilger der Erbſünde, dann wieder ſchwungvolle Herameter auf Gott
in der Natur und auf Chriftus als im alten Teftament Verheißenen.
Hierauf folgt eine Dde* auf der Tugend „Duft, ſchöner denn alle
Wohlgerühe“. — An Umfang und Bedeutung ift das Hauptjtüd
Bol. das Lob auf Königin Adeliz mit dem auf Heinrich II., das er mit
‘sic diximus’ einleitet.
* Epigramm eines Magifter Walo bei Giraldus Cambrensis, De in-
vect. I, 3. Gedicht eine® Gualo an Gerbert, der dem Gualo, dem Ohme des
Dichters, im Bisthum Paris nachfolgt, in Opp. Hildeberti Cenomannensis
ed. — — S. 1325. — An Gualo Brito, den Verfaſſer der Invectiva
in monachos zu denken, iſt ohne Grund.
3 Aehnlich Gottfried, Prol. ad Hist. Brit. ‘vir in oratoria arte atque
eıteris historiis eruditus’,
BEE: nn ns ſ u ae Mr
ws
272
dieſes Buches: ‘De amore virtutis per allegoriam’. Es beginnt
und endet mit je drei Strophenpaaren, von denen jede Einzeljtrophe
aus zwei Diftichen befteht. In der Mitte ftehen zwei Strophenpaare,
jede Einzeljtrophe zu act Diftichen; fo daß alfo da8 Ganze 112
Bere zählt. — Diefes Zwiegeſpräch zwifchen amicus (dileetus) und
amica hat von feinem Original, dem Lied der Lieder, die concrete
Plaftit fo. gut bewahrt, daß nur der Titel an eine Allegorie erinnert.
Die Bilder find der Zahl nach vermehrt, aber die lebenswarme Aus»
führung fehlt; in dem Mittelſtück ift die bibliiche Farbe durch pedan—
tiihes Prunken mit feltenen Namen von Naturgegenftänden — die
dann oft falfch deelinirt und gemeſſen find — verwifcht. Endlich
ermübdet die Regelmäßigfeit, womit einer Strophe ſtets die Gegen-
ftrophe genau gleiche Wendungen und gleiche Zahl von Gedanken
folgen läßt’,
Schon der erften? Ausgabe der Historia Anglorum folgt eine
Betrachtung über Vergänglichkeit alles Ardiichen und des Weltende —
Heinrih Hält es mit dem Bifchofe Herbert Yofinge von Norwich,
deſſen Schriften er auch fonft citirt?, noch nicht für nahe bevorſte—
hend. — Diefes Stüc giebt ſich als 1130* verfaßt und bezieht ſich
auf die Historia. In den fpäteren Ausgaben leitet e8 drei zwiſchen
1130 und 1155 bearbeitete Briefe ein und zählt mit ihnen unter
dem Titel De summitatibus® rerum als adte® Bud. Doc
bringen ſchon einige alte Handfchriften die Geſchichte Stephans von
der vorhergehenden ungetrennt als achte® Buch und nennen dann die
Briefe Buh 10%. — Den Schluß jener Einleitung hat Capgrave
a. a. D. abgejchrieben: nur da ift er gedrudt. Gefondert erjcheint
weder das ganze Buch noch ein Theil daraus in alten Handfchriften ?.
Der erfte jener Briefe ift die nad 1131° an Heinrich I. ge=
ı m alten Hoff. begegnen biefe Gedichte nirgends feparat, fondern flet®
als 8. 11 u. 12 f. H. und dazu MS. Coll. Joh. Cambr. G. 16 s. XIV.
° MS. Hengwrt 101. Coll. Om. Anim. Oxfd. 31.
® Gont. m. c. 6. Bale kennt von ibm De fine mundi und De pro-
lixitate temporum.
* a. 30 Henr. I. Hengwrt. u. Om. An. ®Die folgenden Zahlen, nam.
a. 1163, mehrmals, aud) in MS. Br. Mus. 24061, müſſen corrumpirt fein:
damals waren ja der als Tebend angeredete Alerander und Heinrich felbft tobt.
Bielleiht find fie erft bineincorrigirt auf Grund der Erwähnung des Lucius
Berus als vor einem Jahrtauſend. Denn fpätere Ausgaben (H. II, 180), MS,
Joh. Camb., Trin. Coll. Camb. R. 5, 42, Sidney Coll. Camb., Vespas.
A.XVIII, Bodley. 564 und Capgrave geben conjequent a. 35. Henr. I. und
a. g. 1135.
a db. i. abbreviatio; cf. Hist. Angl. Ende von Bud) 5.
® &o MS. Trin. Camb.; Joh. Gh: Sidney; Lambeth 118 u.
179; Otho D. VII s. XIIL in.; Br. Mus. 21088; Harley 64.
” Ramb. 179 bringt die Ginleitung hinter De Cont. m. Sie ſchließt
aber ‘Expl. lib. de Summ. Rer.’ Hier hat alfo eine fpätere Umorduung und
Meglaffung der Briefe 1 u. 2 flattgefunden.
® (Innocentium II.) tu apud Carnotum opportune (Arund. 48; Reg.
13 B. VI; optime, Br. Mus. 24061) suscepisti.
273
richtete und wieder angeficht8 der vergangenen Größe zum Streben
nad dem Himmelreiche ermahnende Aufzählung der Patriarchen, Kö—
nige und Kaiſer mit dürftigen hiftorischen Notizen. Urfprünglic)
muß diefer Katalog ‘De serie regum’ mit Lothar von Sachſen! ge—
endet haben, wurde bei feiner Aufnahme in die Historia, zuerjt zur
Herausgabe von 1139? bis Konrad, qui vixit ann. 2, nondum ta-
men Romam venit, fortgejett und blieb allein in diefer Form über-
all erhalten?, — Sr ift ungedrudt.
Deijelben 8/10 Buches zweites Stüd ift der 1139, etwa im
Februar zu DBec gefertigte Auszug aus der Historia Britonum des
„Salfridus Arthur“. Der in diejem Briefe als vir comis ac fa-
cete’, am Schluſſe ‘carissime’ angeredete Warinus Brito hatte in
der Historia Anglorum die brittiiche Gejchichte vermißt. — Auf—
fallend bleibt immer, daß Heinrich ein Werk in England vergeblich)
fuchte und zu Bec fand, deſſen Quelle fein Oxforder College geliefert,
aus dem der DBerfaffer ein Stüd, die Prophetia Merlini, dem Diö-
cefanbifchofe gewidinet, und das einen Engländer zum Autor hatte, der
feinerjeit8 Heinrichs hiſtoriſche Arbeit recht wohl kannte. — Den
Auszug nahm Robert von Zorigni, der bis zum Jahre 1147 die
Historia Anglorum vielfach ausjchreibt, mit Einjchaltung feines ei—
genen Namens und des Jahres 1139 in feine Chronif s. a. 1100
auf*; er befigt nur litterarifchen Werth.
Der letzte Brief des 8/10 Buches ift an jenen Walter gerichtet
und De contemptu° (al. appetitu) ® mundi betitelt; er ijt 11357
verfaßt, aber in diejer eriten Ausgabe nicht erhalten. Zu den Aus—
gaben von 11398, 1148 und 1155° wurde er ſtellenweiſe nicht
durchgängig fortgeſetzt und interpolirt und zeigt daher im Druck !°
1 Deſſen Regierungsjahre blieben in mehreren Hdſſ. unausgefüllt: fo
24061; Reg. 13 B. VI.
. 2 Br. M. 24061; nit zur Ausgabe von 11301
:» Sm Coll. Trio. Oxfd. 64 s. XIII; in den oben u. bei H. genannten;
außer Bibl. Publ. Cambr. Dd. 1. 17 ce. a. 1400, einer von einem 9. an
Heinrich III. gerichteten Königsgeneaiogie, die gegen Ende den Ailred von Rie—
vaur finnlos abfürzt.
* Berhmanns Ausg. M. G. SS. VI gibt nur Anfang und Ende; bei
Delisie ſteht er vollfändid. MS. Bibl. Publ. Cambr. F. f. 1. 31 bringt
den Brief jeparat, ift aber nur Ercerpt aus der Historia.
5 Nicht De viris illustribus. Mit diefen Worten beginnt vielmehr das
neunte Bud.
o MS. Trin. Camb.; Reg. 13. B. VI.
7 0.5, Ende: (Henricus 1.) 35 annis jam regnavit .. jam non
per biennium regnaturum vir Dei praedixit, quod si feri potest,
absit!
® &o MS. Corp. Camb. 280; Br. M. 24061; Domit. A. VIII, s. XIII.
; Tebsteres enthält den Brief jeparat, ift doch aber nur ein aus der Historia
—— Stück, da es a art Exemplar autem epistolae tertiae.
» MS. Reg. 13. B. VI; drei Lambeth MSS.; Joh. Camb.; Trin.
Camb.
io Mad) Jumieges D’Achery Spicileg. 4. VIII, S. 178 (wiederholt fol. III,
503 und Bouquet XIV, 265) und aus zwei Lambeth Hdfj. bei Wharton, An-
274
nad) der legten Form viele hronologiiche Widersprüche. Diefe mögen
es verjchulden, daß er noch zu wenig benugt wird. Er enthält das
jpätefte Datum, 5. Juni 1155, deſſen Aufzeichnung durch Heinrich wir
fennen (vgl. S. 270%). — Zeitgenöjjiiche Könige, Fürften, Prälaten,
Staatsmänner, litterariihe Größen, die Amtsbrüder der Diöeeſe Pin-
coln ziehen wie in einem Zodtentanze vor dem Auge des Greiſes
vorüber. Hie und da nennt er leere Namen, meift fügt er einige
bezeichnende Epitheta hinzu, einzeln führt er gelungene Charakteriftifen
aus, 3. Th. ähnlich", meiſt aber, 3. B. betreffend Heinrich I., weit
rücjichtslofer, als er in der englifchen Geſchichte gewagt hatte. —
„Eitelkeit der Eitelfeiten!* ijt das tete Grundthema diefer Schrift:
im erſten Gapitel wird dies am Lincolner Glerus, im zweiten an
Fünglingen von glänzenden Anfängen, im dritten an der Weisheit
diefer Welt, im vierten am Ruhm, im fünften an der Fürjtenhoheit,
im jechsten an der Magnatengröße demonjtrirt.
Das neunte, urfprünglich „vorlegte* Buch der Sammlung heißt
Liber miraculorum und copirt im Zufammenhang die in Bedas
Historia Ecelesiastica zerftreut vorfommenden Wundergeichichten,
meift im gleichen Wortlaut, nur ftarf gekürzt. Doch find auch ſpä—
tere englifche Heilige furz erwähnt, daher auch der Titel De moder-
nis Sanctis Angliae. — Im dritten und vierten Buche der Hi-
storia verweift Heinrich ſchon auf dieſes Werk, indeſſen find die
Worte ‘in Ely statuti sunt episcopi’? wol nicht vor dem Amts—
antritt des zweiten Biſchofs, 1133, geichrieben; mit der Ausgabe
von 11393 iſt es schon verbunden. — Nur das vorlegte Gapitel,
enthaltend Namen und Ruheſtätten fpäterer angelfähjiicher Heiligen,
ijt gedruckt: Robert hat es nämlich hinter jenem Briefe an Warin
feiner Chronik einverleibt. — — In der Vorrede ſchilt Heinrich die
Mönche, welche aus Gemwinnfucht, den Pöbel, der aus Yeichtglänbigfeit
erlogene und unbewiefene Wundergefhichten von Heiligen verbreitet.
Qui enim de veritate non vere loquitur, ipsi veritati — dies
wol aus Anſelm — quae Deus est, ingratus et infidus apparet.
Unbewiejenen Wundern gegenüber zwar nicht ‘“contradixero, nisi
aperte frivola sunt’; er jelbjt erzähle aber meijt nur nad) Bedae
auctoritas firmissima. Doch citirt er zum h. Albanus miracula
seripta in Saint Albans — vielleicht eine Vorlage des Wilhelm
(H. I, ©. 4 ff.) —, zum 5. Germanıs des Gildas Sapiens hi-
storia de rebus gestis hujus provinciae’, womit Nennius gemeint
ist, zu den H.h. Eadmund martyr, Dunftan, Aethelwold, Aelfeah
u. A. Biographien jedesmal aus ihren Kirchen. — Neue Thatſachen
glia Sacra II, 694. Wichtige Bariante: c. 2. Achery: Gilbertus Univer-
salis dum scholas regeret juvenis; Wharton: Nivernis.
2 Bol. 3. B. den Tod Roberts von Meulant und des Kanzlers Randulf,
in Hist. Ang. a. 1118 resp. 1123, mit Cont. m. c. 3 resp. 4.
? Leland Colleetanea II, 261 (ed. Hearne 1770, III, 304).
= NY Br. M. 24061. — 68 fteht (außer bei H.) aud) Coll. Joh. Camb,
275
(ehrt dies Werf wenig: das Stüc über die h. Etheldreda, zu deren
Translation ja Heinrichs Vater eingeladen war, ijt der Historia
Eliensis verwandt. — Zu feiner Zeit, die zwar lafterhaft aber nicht
von Gott abtrünnig fei, geichähen Wunder allerdings felten; als
glänzendes Beifpiel aber führt er — am Schluffe des Buches, der
auch zur 1155er Ausgabe feine Aenderung erfuhr — den „noch les
beuden“ Wlfric Loricatus (F 1154) an.
Im dritten Buche feiner Geſchichte läßt der Verfajfer beim Er-
cerpiren des Beda, wie die längeren Wundergefchichten, fo auch die
ausführlicheren Actenjtücke aus. Für das Goncil Theodors a. 673
(vgl. Beda IV, 5) ‘decreta in ultimo librorum ponentur’. Sein
Plan war alfo, an den Schuß der Historia Anglorum ein Bud)
Decrete zu ftellen ; vielleicht auf dieſes fpielt er an bei der Fort-
laffung der Antworten Gregor I. auf Auguftins Fragen (L. III,
Anfang, vgl. Beda I, 27): rescripta papae quia prolixa sunt,
in decretis vel canonibus lector quaerat et inveniet. — Ich
finde nur diefe einzige Spur eines zweiten verlorenen Werkes oder —
was bei der Fülle der Copien der übrigen Bücher der Historia wahr-
Iheinlicher ift — eines unansgeführten Planes. Die Nechtsdenf-
mäler, die mit der Historia in alten Handichriften verbunden er=
Iheinen, gehören nicht hierher: es find das Gejege Cnuts, des Be—
fenners, Wilhelms.
III.
„ Während des Tetten BVierteljahrhunderts feines Lebens arbeitete
Heinrih an feinem Hauptwerfe, der “Historia Anglorum’!. Nad)
der Widmung an Alerander von Lincoln ift fie durch diefen, der 1123
Biſchof wurde, veranlaßt. Bei der Beurtheilung des noch lebenden
Heinrih® I. in De Contemptu ce. 6 vertheidigt fi) der Verf. wegen
der abweichenden, günftigeren Darftellung in der Historia. Könnte
man jchon daraus die Annahme einer „erjten Ausgabe vor Heinrichs I.
Tode“ beweifen, fo folgt mehr noch, ihre Exiſtenz jchon 1130, aus
der Einleitung zu Buch VIIL?, die 1130 Alerandern anredet: ad
quem .historiam praesentem dirigimus.
Hardy entdecte mit gewohnten Scarffinne das 1129 endende
MS. 101° der Hengwrt Sammlung, die jest Wim. W. E. Wynne
I &o citirt der Berf. ſelbſt. Das vor einigen Hdff. erfcheinende Ber:
zeichniß des Inhalts der Bücher und der Gapitelinder für Buch I find nicht
original. Später wird natürlich der Zitel mannichfady geändert: um 1200 cis
tiren ihn Zuſatznoten eines Hoveden Ereinplars, Arundel 69, aus Bury ©.
Edmunds als liber chronicorum Henr. a. de Hunteden. Hoveden edit.
(Rolls Ser. 51) I, S. CIV.
* Nicht aus dem Briefe De serie! Dieſer beweift nur, daß das erfte
Buch zu Lebzeiten Heinrich® I. geichrieben war.
° Mir danfenswerthefter Bereitwilligkeit fandte der Herr Befiger dielen
Schatz für mich nad) London.
276
Esq. zu Peniarth in der Wallifer Grafichaft Merioneth gehört, ſei
vielleicht diefe erjte Edition. Folgende Unteriheidungsmerfinale gegen=
über der gedrudten Ausgabe von 1147, die bis 1155 fortgejegt wurde,
machen das unzweifelhaft: in der geographiichen Einleitung des erjten
Buches ſteht 1) die Zahl der Shires ald 33, 2) fehlen die Worte
[comitatus tricesimus] quintus illa regio, in qua est [3)] novus
episcopatus Carleoli; 4) it demgemäß die Zahl der Bisthümer
nur 16; 5) find die Bemühungen des Bisthiuns S. Davids um
das Pallium unerwähnt. Berner iſt 6) zum Ende der Kreuzzugsge—
ihichte 8. a. 1096 die Reihe der Könige von SYerujalem nicht bis
zum zweiten Anjou geführt, fondern endet hinter Balduin II. mit
Gaufridus (fo aud anderswo und in allen! Hoff. ftatt Fulco).
Geichrieben ijt dieſes MS. kurz? vor 1197°. Der Tert ift ſchon
oft verderbt, und daher ſcheint mir ein zweites MS. diefer erjten Aus—
gabe — unter Londoner, Cambridger und Oxrforder Hdff. das ein-
jiget — Wr. 31 in All Souls College, Oxford, obwohl erjt
8. XV, von unabhängiger Bedeutung. Dieſes giebt feinen Prolog,
und aud auf dem fehlenden erften Blatt von Hgt. 101 fann fein
Plag für einen folchen gewefen fein. Eine Zert-Collation des Druds
mit legterem von a. 1064— 1129 gab materiell feine neuen That-
ſachen.
Eine zweite Edition der Historia ſchloß mit Heinrichs J. Tode.
Denn Robert von Torigni citirt s. a. 1100 eine ſolche [wiewohl er
ipäter ein bis 1147 fortgeiegtes Exemplar (beide find verloren) be=
nutte und für Mont St. Michel abjchreiben ließ], und eine hand—
Schriftlihe Spur derjelben it die Rubrif im MS. Corp. Coll. Camb.
280 ‘contexta 1135’®, das nur Einen Anjou unter den Jeruſalem—
fönigen und a. 1123 Rogerius qui justiciarius est’ erwähnt,
aber nicht 1135 jondern 1154 endet und die Briefe aus der Form
von 1139 bringt.
Schon der Epilog des 7. Buches “in tanti regis (sc. Hen-
riei 1.) fine finem libro praesenti dieabimus’ verräth den Plan
der Fortſetzung. ine ſolche liegt vor in der dritten und vierten
Edition, die überall mitten im Buche enden. Die dritte fliegt 1139,
erwähnt, daß S. Davids dad Pallium ‘nostro tempore recepit',
ı Nur Lamb. 327: Fulco, wol Correctur des Schreibers.
2 Mad dem Schriftcharafter.
s Dies wird in fpäterer Randnotiz als das laufende berechnet.
« MS. Advoc. Edinb. 33. 5. 4 endete nad) Hardy urjprünglid) an der
jelben Stelle.
5 Diefe Abichrift ift Bibl. nat. lat. 6042. So Delisfe in Rob. Tor.
I, ©. LIX u. II, S. XV, gegen Hardy.
6° &o audy MS. Ashburnham App. 111 (nur B. 1 mit Widmung an
Alerander) und Br. M. 24061,
So auch Saviles Bartante; Roger wurde 1138 geftürzt.
® Br.M. 24061; Coll. Armor. Arund. 30 Fragment. — Im Sidney
Coll. Camb. MS. find einfad) jpäter mehrere Blätter ausgeriſſen; der zweite
Anjon ift hier erwähnt.
277
3
fügt aber nicht, wie die fpäteren Ausgaben thun, ‚hinzu: statim
tamen amisit. — Als vierte faſſen wir die von 1145! — dieſes
Jahr blieb in der Rubrik für alle fpäteren Fortfegungen als Ab—
faljungszeit ftehen — zufammen mit der eilf Zeilen jpäter in a.
12 Stephan und der nad) a. 13 Stephan? fchliegenden Ausgabe. —
Je nachdem jenes Buch der drei Briefe vor oder hinter B. 9 de
miraculis gejtellt ift, bildet diefe Fortjegung der Historia in den
Handichriften das zehnte oder achte Buch; heut Heißt fie allgemein
3.8. Deſſen Schluß, Englands poetiicher Glückwunſch an den neuen
König Heinrich II., beendet die letzte, 5. Edition®,
Saviles erjter Drud der adıt Bücher der Historia in Rerum
Anglicarum SS. post Bedam praecipui, Lond. 1596 fol., ift jelten.
Es giebt zwei Nachdrucke: der Wechelſche, Frankf. 1601 (aus dem
Bouquet XI ı. XIII excerpirt) ift nicht gleich gut; der Mignefche,
Patrologiae Latinae Curs. compl. T. CXCV, wimmelt von Drud:
fehlern im den Eigennamen. Sonſt läßt ein Vergleich mit Robert
de Monte, Roger Hoveden und frühen Handfchriften vermuthen, daf
der Tert dem Originale fehr nahe fteht. Nur die erften 5'/s Bücher,
bi8 a. 1066, find nad) MSS. Arundel 48; Grosvenor; Corp. Chr.
Camb. 280 (f. o.) und Reg. 13 B. VI, s. XIV in Monumenta
hist. Britann. 1848 von Petrie edirt*, davon B. 3 nur ſtückweiſe.
Die Historia Anglorum ift in acht Bücher getheilt, und zwar
jo, daß das Ende eines jeden mit einer geichichtlichen Epoche zuſam—
menfältt. Nach einem Prolog beginnt das erfte Bud, mit der phy-
fitalifchen, politiſchen und kirchlichen Geographie und der Ethnographie
Britanniens, der nach kurzer Erwähnung feltifcher Sagen von Brutus
und über Irland ein Abriß der römiſchen Cäfaren folgt. Das zweite
Bud ‘de adventu Anglorum’ (S. 718 E) bricht den annalifti=
Ihen “Tractatus’ (S. 722 A) mit a. 686 ab, den dann (nachdem
das dritte, mit Ausjcheidung der Wunder und Actenftüde (f. o.),
‘de conversione Anglorum’ (©. 715 B) gehandelt hat) Bud 4
! Nur MS. Edinbg. Adv. 33. 5. 2.
2So auch Coll. Joh. Cambr. s. XIV; Lamb. 118; Grays Inn.; Bodl.
Laud. 565. Nicht 1145! Ebenfo Lamb. 179 (s. XIII, läßt den Kreuzzug
1096 aus); Reg. 13 A. XVIII (ohne Prolog). Harl. 64 s. XIV. ine. (Der
Rand dieſes letztern mit Stellen aus Malmesburyg bededt; Prolog fehlt; nur
B. 9 moderne Abichrift),. Dem MS. Coll. Joh. Camb. ift eng verwandt Trin.
Camb. R. 5. 42, (liber fratris Roberti de Popultone precii 20. s. Diefer
ift vielleicht der Compilator von MS, Paris 4126 (aus Huntingdon und Bes
verlen), das Hardy Il, S. 170 beichreibt).
3 Diefe vollftändige Geſchichte fteht in Reg. 13 B. VI (bringt im erften
Kreuzzug zu den Worten ‘Ascalon in scelere perseyerat’ die Note: Nunc
Ascalon a christianis inhabitata subditur per omnia Christo); All
Souls Oxf. 36 (giebt zur Standartenihlaht 1138 das in den X SS. Angl.
ed. Twysden veröffentlichte Bild, das aljo nicht Phantafie ift!); Arundel 46
(Erfter Kreuzzug fehlt, Buch 7 auch ſonſt ftark gekürzt; feine Buchabtheilung);
Vatican Christ. 587 und (Ardiv XII, S. 306) 732 (ohne Bud) 10, chart.).
* Darauf beziehen fi die nachf. Eitate der paginae. — Der fpätere
Theil ift nad) dem Jahre citirt.
XVII. 19
278
bis zur Begründung der englifchen Monarchie fortſetzt. Das 5.
Bud) ‘bella Danorum’ reicht von a. 837 bis c. a. 1000; das
6. ‘de adventu Normannorum’ von der „verhängnißvollen“ Che
Emmas bis zum Tode des Groberers, das 7. handelt über dejjen
Söhne, das 8. über Stephan. Beſſerer Ueberſicht halber fteht
am Ende von B. 2. 4. 5. 6 eine “Recapitulatio’ (“Abbreviatio’)
der Könige, die alfo nicht einer felbitändigen Regententafel! folgt.
Die Yahreszahlen rechnet H. jelten nad) Chrifti Geburt, ſondern
ſchon feit a.519 omnium aliorum tempora regnorum ad (West-
sexiae) reges applicare libet (cf. 714 C), daneben, joweit Bedas
Chronik reicht, nad) den Kaifern. Daher ift vielfach arge Verwirrung
in feiner Zeitrehnung. Der augelſächſiſchen Chronologie jedoch hilft
es nichts, im Huntingdon Ordnung zu ſchaffen; es kann nur auf
feine Vorlagen, die ja vorhanden find, anfommen. Wo ihn dieje
verlaffen, ift er nicht etwa geneigt, eine Yüce zu conftatiren, jondern
jet das Ereigniß zu einem felbjt combinirten Fahre. Offenbar auf
diefe Art ijt 3. B. der Untergang Aelfreds Hinter den Tod König
Hardeenuts verfhoben. Für genauere Daten hat er wenig Sinn,
und zwifchen a. 1075—1085 hat er fogar die Jahre mehrfach bei
der Ueberjegung fortgelaffen. — Uebrigen® bedeutet annus sequens
oft nicht das zeitlich, jondern in der Annalen-Ausfüllung nächſte Fahr.
Dagegen für das zwölfte Jahrhundert ift die Chronologie gut
und, namentlich) wo er gleichzeitig arbeitet, forgfältig nach den Faiten
der Neichstage geregelt; fie fühlt fofort deren Aufhören a. 1140. —
Er beginnt das Jahr mit Weihnachten.
IV.
Man Hat lange Zeit geglaubt, im Huntingdon einen reichen
Schatz originaler Ueberlieferung zur angelſächſiſchen Geichichte zu
befigen, und ihn andererfeits die Benugung zahlreicher noch vorhan—
dener Quellen zugetraut. Beides wird noch mehr zu bejchränfen
fein, al8 in den legten Jahrzehnten ſchon gejchehen ift.
Für die römische Geſchichte jchöpft er aus Solin, der Epitome
aus Aurelius Victor, die er als Gesta mirabilium virorum
©. TOLD citirt, dem Eutrop, der Historia Miscella, die er als
Paulus, anderswo Historia Romana citirt. Den Sueton nennt er
einmal ©. 699 C, wo er den Eutrop benugt. Diefen Schrift-
ftellern entnimmt er die laus authentica eines jeden Kaiſers. Der
hronologische Faden ftammt dagegen aus Bedas Chronik, die er nir—
gends von der Kirchengefchichte ſcheidet. Oft finden ſich beide in dem—
ſelben Sate mit den angeljächfiichen Annalen verarbeitet. Den Beda
verehrt er überaus: regibus ipsis non inferior dignissime regum
in ordine quasi rex ponatur (725E. 726 A). Von ihm nimmt
ö a; So auch Theopold, Krit, Unterf. über die Quellen zur angelj. Geſch.
279
er als lex historiae (727 A) an ‘simpliciter id quod fama
vulgante colligitur, scribendo posteris notificare. Dem Beda
folgt er nicht nur von dem eriten Sage an größtentheil® wörtlich,
nur mit der Tendenz, zu fürzen — er hat auch die Anlage des
Buches, die geographiiche Einleitung von ihm gelernt. Weniger
in Buch 2, aber fait ohme Zuthat im 3. beruht Huntingdon auf
Beda; manchmal vergißt er beim Copiren, daß er nicht mehr zu
Bedas Zeit fchreibt; dagegen läßt er bei der Erwähnung der Gefete
Ethelberts von Kent den Zufaß der Hist. ecel. II, 5 ‘hactenus ha-
bentur et observantur’ aus und bemerkt S. 694 C, die Picten
jeien ausgeitorben.
Daneben benutt er namentlich für geographijche Nachrichten und
teltiiche Sagen von Brutus, Vortigern, Arthur im erjten und zweiten
Buche den Nennius. Er kannte diefen Namen nicht, alfo auc nicht
die verdäcdhtigen Prologe, und citirt ihn mit einem feiner Zeit häu—
figen Irrthume S. 712 C als Gildas. — Er trennt (694 D.
695 D) ſcharf ‘quod in Beda inveni’ von diefen Wallifer Nach—
richten und nennt fie (695 E) ‘non certissima’. — Den Gottfried
Arthur Hat er Hier nicht bemußt (ſ. o.). Vielleicht aber fannte er
die Weilfagung Merlins in einer früheren! Form. Zum Anfang
des 6. Buches findet ſich nämlich die Prophezeiung, erjt die Nor—
mannen, dann die jo veradhteten Scoti würden dereinft den Englän—
dern gebieten, eine Aenderung der Kleidung ? eintreten,
Wo ſich Huntingdon von Beda verlaſſen fieht, will er ‘quae in
seriptis veterum (vgl. 728 B. 732 D) diligenti scrutinio
eolligendo invenire potuimus’ bringen. Aehnlich?ꝰ citirt er 755 D
historiae veterum, 745 C Anglici seriptores und meint damit die
angelfächfiichen Annalen, die er von a. 477 an bis c. a.‘ 1127 be-
nut, aljo vierzig Jahre länger als man vermuthen follte nad) feinen
Worten zum Jahre 1087: Hactenus de iis quae vel in libris
veteribus legendo reperimus vel fama vulgante percepimus.
Nunc de his quae vel ipsi vidimus vel ab iis qui viderunt
audivimus® pertractandum est. In Wahrheit bringt er für
Wilhelm I. und II. wenig Neues®: für den legten fajt nichts als
eine Nachricht über Lincoln und zwei Anekdoten über die Großartig-
feit des Könige.
Um eine gleihmäßige Geſchichte zu erhalten, hat Heinrich zu den
1Auch Ordericns Bitalis (ed. Le Prevost) IV, 490 benutt eine ſolche.
ı Bol. San Marte, Sagen von Merlin S. 22.
9 Uber nirgends wie Malmesbury 3. B. als Chronica.
+ Jedenfalls endet die Benutung vor a. 1131, dem Beginne der lebten
Hand in den Beterborongher Annalen.
5 Menn er über die Briccius-Meffe 1002 ‘in pueritia nostra quosdam
vetustissimos loqui’ gehört hat, jo braudjt er nicht nothwendig Augenzeugen
— Solche müßten über hundert Jahr geweſen ſein, wenn ſie Heinrich
noch ſprach.
‚ Für die Unſittlichleit des Königs braucht er nur ſchärfere Worte ale
die Annalen, die wol dafjelbe meinen.
19*
280
früheren Theilen der Annalen, wo diefe ſehr mager find, reiche Zu—
fäte gebradht, dagegen im zehnten und eilften Jahrhundert ſtark ge-
fürzt!. Mande Mißverftändniffe, oft nachgewiefen (vgl. aud) 711 A),
zeigen, wie fehr die angelſächſiſche Sprache veraltete ?; beſonders die
Uebertragung ? des Siegesliedes von Brunanburh, an einigen Stellen
überrafchend glücklih und fogar den Stabreim nadhahmend (deeus
ducum), läßt doc) oft merfen, welche Schwierigkeit er fand im den
‘extraneis tam verbis quam figuris’ (S.745 C). Andere häufige
Tehler entftanden durch Verlefung des angelſächſiſchen w als p in den
Eigennamen. — Heinrid) hält nicht wie Beda daſſelbe lateinifche Wort
für denfelben englischen technifchen Begriff confequent feſt; auch jucht
er mehr einen vollflingenden als juriftiich genauen! Ausdruc, Spricht
auch ohne Weiteres von barones und justitiarii ſchon in angelſäch—
fifcher Zeit. Wenn er ad a. 755 Siegbert von Weſſex durch pro-
ceres et populus?° abjegen läßt, fo iſt daraus eine Theorie ber
Anmwejenheit des Volkes in der Reichsverſammlung wahrlich nicht
zu folgern: Heinrich überfeßte einfach ‘“witan’. Ebenſowenig verdient
er angeführt zu werden für den Untergang des Cynewulf und Chyne—
heard (731 A); das ift auch ganz aus den Annalen.
Man Hat bisher angenommen, Heinrichs Vorlage fei verloren
und habe den Annalen von S. Auguftin (Canterbury), d. i MS.
Cott. Tib. A. VI, bis a. 977 genannt B, oder denen von Abingdon,
d. i. Cott. Tib. B 1, bis a. 1066 genannt C, nahe gejtanden, fei
aber weiter fortgeſetzt geweien.
Aber wenigftens nothwendig ift das nicht. Das fog. MS. E,
Bodl. Laud. 636, aus der, Huntingdon nicht fernen, Abtei Peter-
borough, reiht bis a. 1154 und dedt ſich für 1087—1100 fait
völlig mit der Historia Anglorum. Und nicht bloß dieje E eigen:
tümlihe Fortſetzung hat Heinrich bemutt. Auch für viele früs
here Fahre find ihm ganze Säte, einzelne Worte, Schreibfehler, im
Gegenfat zu allen übrigen Hdff. der agf. Annalen, mit E gemeinjam;
3.8. a. 1079° der Name Gerberoi; 1077 Normann.sfranz. Ver:
trag; 1041 Hardecnuts Grab; 1039 Haralds I. Sciffegeld; 933
e ı Historiarum abbreviationem in unum (codicem) contraxi. 8. 8
nde.
® Earle, Two of the Saxon Chronicles parallel S. LXIII.
2 Earle S. 113 drudt fie neben dem Original mit Hervorhebung der miß—
verftandenen Stellen.
* Ein gegen feinen König jure gentium spreto aufrührerifcher dux
jure Dei occiditur ©. 730 B. Wilhelm erbt England secundum jus gen-
tium ©. 751 D, Stephan nimmt feinen Vaſallen a. 1144 in der curia ge
— gegen jus gentium. Ein klarer Begriff iſt damit offenbar nicht ver—⸗
unden.
5 Bor der Standartenichlaht a. 1138 werden in einer Anrede ‘pro-
ceres.. Normannigenae’ au die Befiegung Englands erinnert. Darauf
jauchzt ‘omnis populus Anglorum'’!
°_ Iahrzahlen E.'s; Lesarten nur in Thorpe, The Anglo-Saxon
Chron. (Rolls Ed. 23),
281
Edwin Aetheling ertrinft und u. A. drei Fälle, die ſehr wahrſchein—
(ih machen, daß Huntingdon das Laudfche MS. brauchte: a. 991
Gwie (jtatt Gippeswic, Ipswich); a. 892 Awldre (jtatt Apul-
dre); 692 Nithred (ftatt Withred). Doch hat Huntingdon neben
E nod) eine andere der angelfächfiichen Chronifen gehabt. Denn er
bringt, was nicht in E fteht: 1) ©enealogien der Könige; 2) a.
891 nnd 894—920 (die Slanzperiode angelſächſiſcher Gefchichte und
Geihichtsfchreibung, die bei E faſt ganz fortgelaffen iſt; 3) die An—
nalen der Aethelfleda a. 902—924; 4) das Yied von Brunanburh;
5) die Eroberung der Fünf Burgen a.942; 6) a. 943; 7) a. 1006
den Namen Cholsey; 8) a. 1011; die Worte ‘micel on Ham-
tunseire’ fehlen E, find aber bei Hunt. überſetzt.
Keiner diejer Zufäße fteht im MS. F, das auch wohl jünger
iſt als Huntingdon felbft. In D, Cott Tib. B. IV, aus Wor—
ceiter, stehen die Annalen der Nethelfled bereits verarbeitet mit dem
übrigen Text, nicht mehr in dem urfprünglichen Zufammenhang. —
Dem MS. B fehlt aus diefen Annalen das Jahr 921; auch endet
es jhon a. 977. — MS. A, Parfer CCCC, CLXXIIL wenigftens
zulegt in Canterbury fortgejett, hat jene mercifchen Annalen gar nicht
und von 1005—1017 eine Lücke.
Können ihm aljo alle diefe Hdfjf. weder einzeln noch zufammen
jene Hinzufügungen zu E geliefert haben, fo muß man an C denken.
In der That enthält das MS. aus Abingdon ! alle obigen 8 Zuſätze.
Hat alfo Huntingdon E und C benukt, jo doc das erjtere
öfter. Außer den oben erwähnten Fehlern fett er auch zu a. 1012
das Dänengeld, ftatt mit C auf 48000 ®., mit E auf 8000 L. an.
Daß er fonftige angeljächjtiche Schriften herangezogen hat, ift
unwahrſcheinlich — außer etwa die, übrigens auch anderwärts über»
lieferte Genealogie der Könige von Effer?, S. 712 C.
Aber allerdings verdankt er einem anderen hochwichtigen Annalen—
werf, das jett verloren ift, einige Notizen zur fränfifchen Geſchichte
des achten und zur nmorthumbrifchen des neunten und zehnten Jahre
hunderte.
Hinde?, Stubbs* und Pauli Haben aus verfchiedenen Durhams
hen Gompilationen des 12. Yahrhunderts, den angelfächfifchen An—
nalen und dem Chronicon von Melrofe die Spuren der Gesta ve-
terum Northanhymbrorum, einer bi8 802 reichenden annaliſtiſchen
Fortjegung des Beda, nachgewiefen. Diefe Gejten nun wurden, wie
ih glaube, ftylijtifch überarbeitet und nad) der normannifchen Crobes
rung wie eine ganze Reihe füidenglifcher Annalenwerke verbunden mit
! Dem northbumbr. Schlußſatze defjelben entnimmt er die Heldenthat des
Rorwegers zu Stamfordbridge, 1066, nicht einem Liebe.
® Florent. Wigorn. App. (ed. Thorpe I, 250) mit einer Berfdjie-
denheit. — Alle fonftigen Genealogien bei Huntingdon ftehen auch in der
Sachſen · Chronil.
Ausg. des Simeo Dunelm. (Surtees Soc. 1868) I. Praef.
* Ausg. bes Hoveden I. Praef.
*Forſch. 3. D. Geld. XI, 137.
282
den Annalen von Rouen. Dieje kann man reconftruiren aus den
Cadomenses ! und den Uticenses ?; erft um 1100 wurden fie nad)
England gebracht, denn fo weit reichen locale Nachrichten aus Rouen
in den ungedrudten Jahrbüchern des 12. Yahrh., 3. B. denen von
Wincheſter, Worcefter (?), Rocefter, Southwarf, Bury S. Edmunds,
Plyınpton, Battle, Canterbury ?.
Ferner wurde jene lleberarbeitung bis mindeftens a. 943 dürftig
fortgefett, und zwar mit Benutzung der angeljächliichen Annalen, denn
a. 886 heißt e8: Alfredus Lundoniam .obsedit, ftatt, wie Florenz
überfett, fundavit; was nur aus einem Mißverftändnifje des ‘“gesette’
für ‘besaet’ erffärlih ift. Sie wird dann als Huntingdons und der
Melroſe Chronik gemeinfchaftlihe Duelle mindeften® in allen jenen
Stüden zu betrachten fein, two dieje beiden von einander unabhän—
gigen Werfe wörtlich gleichlautend von den agſ. Annalen, dem Flo—
renz, der fog. erſten Simeonfchen Compilation, der Historia post
Bedam (d. i. Hovedens Vorlage) abweichen; f. 3.8. a. 737. 740.
744. 839 (= Hunt. B. V, Anf.), 943, fowie die continentalen
Notizen a. 768. 769. 775. 799. Zu der leßteren Glaffe, d. h. den
auch im jenen füdengliichen Annalen nachweisbaren Rouener Nachrichten,
gehören auch die bei Huntingdon, nicht in der Melroſe Chronik ſte—
henden Güte: a. 780. Karolus Romam ivit; a. 786. Apparauit
signum crucis in vestibus (nad) Heinric ein Vorzeichen des Kreuz:
zuge8). — Jedenfalls aber darf die Melrofe Chronif* nicht als blok
aus der Durhamer Compilation und den agi. Annalen entjtanden
betrachtet werden.
Auch mehrere Mißverftändniffe, für die Huntingdons Ueberſetzung
bieher verantwortlich gemacht wurde, erfcheinen fchon im jener gemein-
ſamen Vorlage: fo fennt auch die Melrofe Chronif (a. 766) einen
Fridewaldus episcopus ‘Cestrensis’ ftatt Candidae Casae'. Die
Duelle, repräfentirt durd die angelſächſiſche Chronik D, E, F, hatte
nämlich angegeben, er fei zu Geaftre (Morf) geweiht.
Bon geichriebenen Quellen hat Heinrich ferner gehabt: eine
franzöfifche Megentenreihe, von Antenor bis Ludwig VI., die wohl
! Duchesne, SS. Norm. 1015.
» Le Vrovoſt und Delisles Ausgabe des Orbericus Band V.
® MS. Claud. C. IX, mol aus Worcefter, zeigt Winchefter Iocale Nach⸗
richten. Es ift vielleicht Quelle für Rocheſter Reg. 4 B. VII. Aus Ietsterem
ober beiden ſchöpft Vespas. A. XXII, ebenfalls Rochefter. — Southwark, Fau-
stina A. VIII hat nachweislich bis Mitte s. XII folche füdengl. Vorlage. —
Annal. S. Edm. in Harley 447. — PBlompton in Addit. 14250, für 1066—
1080 aus Rouen, — Wegen Battle f. Harley III, 23. — Aus Christ Church ifl
Nero C. VII, aus dem Nero A. VIII nur abgefürzt iſt — Bollftändigfeit iſt
bier a beabfihtigt, ohme fie aber eine zuverläffige Genealogie der Jahrbücher
unmöglich.
* Ich Fonnte fie im Göttingen in der feltenen Ausgabe Stevenjons (für
den Bannatyne» Club), benugen und fage bei biefer Gelegenheit gern ber
ei Univerfitätebibliothet für die auch an mir bewährte Liberalität meinen
anf,
233
ihon für De serie regum benutt war und in das fiebente Buch
eingefchaltet wird; die Gefchichte des erften Kreuzzugs, eingefligt zum
Jahre 1096 „eine vermuthlich abgeleitete Copie der Gesta Franco-
rum ohne alle Bedeutung !*, und vielleicht den römischen Brief Enuts,
der die einzige Urkunde zu jein Scheint, die er je direct benukt hat.
Selbft die reihen Archive der nahen Klöfter Ramjey, Ely haben der
Historia Anglorum ebenfowenig gedient als die localgefchichtlichen
Arbeiten diejer Stifter. Die in den Annalen von Peterborough bes
gegnenden Schenkungs-Urkunden läßt fie bei der Ueberjegung aus—
nahmslos fort. — Wie fie die firchlichen Decrete der angelfächfifchen
Zeit nicht mit aufnahm, wie fie zeitgenöffifche Goncilien furz übergeht,
fo zeigt fie auch fein utereffe für Staats» Acten. Kein Zeitgenoffe
hat die wichtige zweite Krönungs-Charte Stephans fo entjtellt als
Huntingdon: er Hagt, die verſprochene Abfchaffung des Dänengeldes
und Forftrechts fei nicht gehalten worden; in Wahrheit war fie nie
zugefagt. Namentlich durch diefen Fehler iſt er als Gefchichtsquelfe
bei Weiten nicht jo ausgiebig al8 feine beiden ſonſt jo verfchiedenen
dortfeger Hoveden und Nemwburgh.
Daß Huntingdon, wie behauptet worden, den Florenz von Wors
cefter benutt hat, habe ich nirgends finden können?: aud zur Eins
nahıne von Canterbury 1012 hält ſich erjterer wörtlich an die Elegie
in E, während letzterer eigene Kunde hat. Ebenſowenig wird aus
der Characterijirung der Regierung Cadgars 747 B eine gemeinfame
lateiniſche Quelle zu folgern fein. Hier weilt Florenz weit länger
bei Dunftan, von dem Hunt. nur die wunderbare Rettung und den
Tod, beide® aus E, kennt. Und Dunſtans Unglüdsprophezeiung für
Ethelreds Regierung knüpft Florenz an die Krönung, Heinrich an bie
Verunreinigung des Taufwaſſers : letzteres offenbar ein fortgefchrit=
tenes Stadium der Legendenbildung.
Vielmehr hatte Heinrich ein weit bejchränftere® Quellenmaterial
als die anderen zeitgenöfjischen Hiftorifer: er kennt nicht einmal den
Cadmer, geichweige normannifche Hiltorien. Bietet er daher weniger
bunt unterhaltenden Stoff als die Mönde von Malmesbury und
Duches, fo iſt er dafiir ftrenger einheitlich beim Thema feiner Ge—
ſchichte geblieben.
Doch ift nicht Huntingdon der Percy des zwölften Jahrhunderts,
* unermüdliche Sammler und Ueberlieferer altangelſächſiſcher Bal—
aden?
1 Sybel, Geſch. des erſten Kreuzzuges S. 40.
2 Bunt. hätte auch manchen Üeberſetzungsfehler nicht machen können,
wenn ihm Florenz vorlag, z. B. a. 1010 überſetzt H. Myranheafod, Mähren-
haupt, mit caput formicae (mira Ameiſe), Fl. caput equae; a. 920 nennt
er Aelfwyn soror Adelfled ftatt Tochter; 912 den Aethelred pater
Edelfled ftatt Gemahl; 941 den Eadmund I. filius ftatt Bruder Kethelflans,
Sehler, vor denen ihn Florenz Stammtafel hätte bewahren können.
Daſſelbe erzählt Matthäus Paris ad a. 1166 von Johann.
284
Zwiſchen ben J. 617—823 fügt Huntingdon zu fechs! furzen
Schlahtnotizen des Beda und der angelſächſiſchen Annalen ein jede
mal mit “unde dieitur’ eingeleitetetes Citat von 1—3 Zeilen bei, das
in der lateinischen Form deutliche Spuren englifchen Stabreims, im
Anhalt, der ſtets an die Dertlichkeit anfnüpft, den Charakter alter
Poeſie erkennen läßt.
Man Hat nun angenommen, auch zu jenen anderen 30—40
Schlachtberichten, wo H. feine profaifche Vorlage ohne jene Merk:
male erweitert, habe er 3. Th. Volkslieder benutzt. An eine bereits
aufgezeichnete Sammlung hat man dabei kaum gedacht, wohl weil H.,
der ja fonft feine Gewährsmäuner angiebt, eine foldhe doch einmal
genannt hätte, ihr fpurlofes Verfhwinden und ihre Benugung gerade
durch einen Autor, der verhältwigmäßig wenig Bücher brauchte, auf
fallen würde. Und die Cäſarſchen, die britifchepictiichen Kämpfe fin
den heute feinen Vertheidiger. Aber verdient denn die für die Taktik
der Barbaren auffallende Belagerung von Anderida (a. 490, ©. 710C)
mehr Glauben, weil jie anfchaulicher ift, weil fie mit ‘locus tantum
nobilissimae urbis (destructae) transeuntibus ostenditur deso-
latus’ ſchließt? Oder die Schladht bei Burford a. 752, ©. 728C,
weil fie zu den gewohnten antifen Phrafen (securibus Amazonieis!)
einmal hinzufügt: (erant) arma pro veste, ossa pro carne: eine
Wendung die, vielleicht germanifcher Poejie angehörig, leider ſchon
halb verbraucht ijt für — eine britifch = pietifche Schlacht vor Ans
funft der Deutſchen! S. 706 A, ımd weil fie außer den allgemeinen
Berhältniffen, die den agl. und north. Annalen entnommen find, den
Ethelhun zum Feldzeichenträger macht, der den feindlichen vexillifer
tödtet, worauf erft ‘acies sibi offenderunt’ — ein Zug, der ftarf
an den Beginn des Kampfes von Senlac ©. 763 B erinnert ?
Im Zufammenhang betrachtet zeigen jene dreißig Huntingdon—
ihen Schilderungen folgende Bedenken:
1. Zu jeder Schlacht der agf. Annalen weiß er Einzel»
heiten.
2. Er kennt feine einzige Schladht, die in den Annalen uner—
wähnt wäre.
3. Keine feiner Einzelheiten widerfpricht den Annalen.
4. Und doc fügt er nie a) einen neuen Perfonen » Namen,
b) einen Ort, ec) ein Datum (etwa die Yahreszeit!), d) eine
Zahl bei.
5. Höchſt felten ift eine Einzelthat erwähnt.
6. Nirgends erjcheint ein individueller Charakter; natürlich,
jene Krieger find alle kühn, tapfer, wild, blutig.
7. Die Schilderungen find meift fo fchablonenhaft wie heutige
Schlahtgemälde aus dem Atelier; fie betonen faft nirgends die Oert—
ı a. 617. 633. 634. 642. 654. 823 reſp. ©. 715 D. 717 B. 720 D.
721 A. 721 A. 733 B.
285
lichleit (f. o.), während Huntingdon diefe bei den Kämpfen feiner ei—
genen Zeit genügend hervorhebt.
8. Dreifahe Schlachtordnung, antife Kampfweiſe fpielen eine
verdächtige Rolle.
9. Formell find fie im Gegenfag zu den obigen Liederfrag-
menten a) nirgends mit *ut dieitur’ eingeleitet, b) neben verein-
zelten, nirgends als beabjichtigt nachweisbaren, Alliterationen mit an—
tifen Wendungen ? geipidt.
10. Sie haben ihm nicht vor gröbiten Mifverftändniffen der
angelfächftichen Annalen bewahrt, wo 3. B. Higbalds Tod im felben
Jahre aber ohne Znfammenhang mit Ines Kampf gegen Wales ge—
meldet wird, fabelt H.: im Anfang der Schlacht fiel Higbald; fpäter
wendete fich der Walliferfönig mit den Seinen zur Flucht und ließ
Waffen und Spolien den Verfolgern, S. 724 B, zu a. 710.
11. Wo die Annalen unbezweifelt gelehrte Combination geben,
begleitet fie die angebliche Yiederquelle dennod) 3.9. a. 501, wo Port
in Portsmouth (!) landet.
12. Die meijten Stüde gehören nicht etwa der Glanzzeit an—
gelſächſiſcher Geichichte und Poeſie an; im Gegentheil, nur für das
5. bi8 6. Jahrhundert fließen fie reichlich.
13. Nirnends fagt Hunt. oder läßt merken, daß ihm die Ueber—
jegung folcher Poeſien Schwierigkeit machte, während er das Lied von
Brumanburh, alfo die Sprache des 10. Yahrh., wie er ausdrücklich
hervorhebt, voll von ‘extraneis tam verbis quam figuris’ findet, de8=
halb de ‘verbo in verbum’ übertragen will, dabei aber die wunder-
bariten Fehler mad, f. o. ©. 280 N. 3.
14. Eben diejes Lied kannte er nicht aus dem Volksmund ſon—
dern aus ‘Angliei seriptores’ (d. h. den Annalen).
15. Wenn er viel derartiges brachte, warum entichuldigt er
„hier die Einführung des quasi carmen causa recreandi“ und
trennt e8 von der ‘historia’?
Nein! wir haben e8 mit einem Autor zu thun, der nicht Ges
ſchichte fälſchen will, aber einen lesbaren Zufammenhang der nadten
Wahrheit vorzieht, mit der Thätigkeit eines Hirns, das (für die
Kritit glücklicher Weife!) zu wenig Phantaſie befittt, um mit erborgten
Phraſenfetzen die Dürre des Annalengerippes verhülfen, geichtweige ihm
Leben einhauchen zu können. Auch gegen folche Ausführungen, bei
denen ausnahmsweiſe nicht alle unfere 15 Bedenken zutreffen,
wird Mißtrauen daher gerechtfertigt fein (Ueber das wenige Uebrig—
bleibende ſ. u. „Zradition“).
Auch daß jene Schilderungen auch nur fünftlerifch wahr (ich
meine, wenn nicht wirklich, doch für die betreffende Umgebung möglich
oder gar bezeichnend) wären, ift fehr unmwahrfcheinlich: faft nirgends
betont H. dem einen, von der Culturgefchichte doch nothwendig vor—
1 Garle 1. c. LXI beuft an Drofius.
286
auszufetenden Unterſchied zwiichen der Kampfesweiſe der Barbaren
des 6. Jahrh. uud der Anglo-Normannen.
Mit unferer Abweifung diefer rhetorischen Baftarde aus jpät-
lateinischem Bombaft, theologiicher Salbung ! und germanifcher Waffen:
luft des 12. Jahrh. verliert nur die Einzeldarjtellung, nicht die willen»
ſchaftliche Geſchichtsbetrachtung: für dieſe bleibt die Thatſache des
heißen Ringens der verfchiedenen Racen um den Boden, der Kleinen
deutihen Stämme um die Begründung eines mächtigen Einheitd-
Staats.
Iſt fomit der felbftändige Werth der erften ſechs Bücher der
Historia ſehr herabgefegt, fo beger nen doch beiläufig einige intere]-
fante Notizen: fo gleich zu Anfang über den rheinischen Eilber-Erport
gegen Englands Fleiſch, Fiih und Wolle S. 691 C. Sonſt finden
jih in diefer geographifchen Einleitung: einige in Nennius Anhang
fehlende britische Städte S. 697 A, eine Erwähnung von Stone:
henge S. 694 A und den Römerftraßen ©. 694 B, der Heptardjie
und den 35 Shires ©. 692 C. Dem Antiquar bietet H. im
Ganzen wenig Ausbeute: doch erklärt er zweimal (S. 753 A und
a. 1085) das Wort hide, feufzt zur Anfegung des Dänengelds:
modo persolvimus ex consuetudine ©. 749 B, bringt einige
Etymologien von Ortsnamen (Huntingdon? ©. 153 E, Colcheſter
©. 702 D, Belgien S. 691 E) und YPocalfagen von London und
Colcheſter S. 703 B. Beſonders rei find die topographiichen
Nachrichten, mit Angabe über Ruinen °, Koftergründungen * ac. in
H.'s Nahbarichaft. Hierher gehören endlich die Notizen über das
Schlachtfeld von Fulford S. 762 A, die Yage von Anderida (f. o.),
die domus belli (Belagerungsmafchine Wilhelms I.) in Ey ad a.
1071, das Domesdayboof (ad a. 1085), den Londoner Dom—
bau (ib.).
Heinrich Schreibt durchweg Reichs-, nicht Localgeſchichte: auf den
Streit zwiſchen Lincoln und York geht er 3. B. nicht näher ein;
doch bemerkt er Romreiſen, Amtsantritt, Todesfälle feiner zeitgenöſſi⸗
ſcheu Biſchöfe und widmet ihnen einige Verfe und eine Charafter-
fchilderung. Aus ähnlichem Intereſſe mag er die zwei Anefdoten
(S. 760 A und C) über Earl Siward von Huntingdon und Nor—
thumberland eingefügt haben: die eine, daß derielbe bei der Nachricht
vom Fall des Sohnes nur fragte, ob er die Todeswunde vorn em—
pfangen, Klingt ebenfo antit wie einige Erzählungen über die Landung
ı Fromme Betrachtungen * hier übergangen; ſie finden ſich natürlich
häufig mit Bibelſtellen z. B. 717
2 Weber die Anſetzung des Siffgefbes S. 753 A weiß er nicht mehr
als E.
s Er erffärt mons venatorum, vgl. Freeman I, 428. Kemble nimmt
die Endung a8 identifch mit tun, Zaun.
* Weber Huntingbon S. 692 B.
sVUeber die Stifter des Fen:Diftriet® S. 747 E, Ueber Stom S. 760D.
Ueber die Stadt Pincoln S. 720 0. Auch daß der erſte Sachſenſieg a. 449
bei Stamford erfochten ſei, könnte Localſage fein.
287
Wilhelm I.?, zeichnet aber doch den fpartanifchen Geift des Kriegers;
und noch charakteriftifcher ift die andere, der alte Däne-habe es be—
fagt, wie eine Kuh, micht im Kampfgetöfe enden zu follen, vollge—
waffnet Habe er den Geiſt ausgehaucht; — gewiß eine echte Erinne-
rung germanischen Heidenthums. — ine naturwüchfige Yocalfage ift
auch die vom Helden von Balsham S. 753 D, der auf den Thurm—
ftufen de8 Gotteshaufes, quod adhuc ibidem stat, ſich gegen ein
ganzes Dänenheer wehrt. Wie klingt da® anders als jene obigen
Schlachtberichte! Selbitändige Nachrichten iiber ausländiiche Geſchichte
hat H. im Bergfeihe zu Wilheln von Malmesbury, Florenz von
Worceiter oder gar Orderich äußerft felten?. Kaiſer Yothar und Frie=
drih I. werden gar nicht, die gleichzeitigen Päpfte mur kurz gelegentlich)
erwähnt.
Nachdem ſchon die Nachricht von der Ermordung Wilhelms III.
per proditionem regis Franciae ©. 746 B, wo Ea. 942 nur
das Factum des Thronmwechield fennt, normannifchen Nationalhaf
verrathen Hat, durchbricht für die Jahre 1000 bis 1067 der Strom
zweifello8_ normannifcher ® Weberlieferung an etwa fieben bis acht
Stellen die auf den angelſächſiſchen Annalen und englischen Berichten
ruhende Erzählung. Hierher gehören: 1) Ethelred II. Hilfegefuch an
Rihard den Guten S. 753 A, 2) das Eril der Königin» Wittwe
Emma in Flandern, weil ihr Großneffe Wilhelm unmündig * und da=
ber‘Normannia fiscus regalis’ war — dies ein bezeichnender Irr—
tfum, entftanden aus Uebertragung normannifchen Lehnrechts, 3) die
doppelte Decimation der Gefährten des Melfred Wetheling 759 A,
4) Wilhelms Siege bei Val &8- Dunes und Mortemer ©. 760 C,
5) der Eid Haralds, England für Wilhelm zu erhalten, und die Ver—
(obung mit feiner Tochter S. 760 E, 6) die Pift des Wilhelm von
Breteuil, welche die Normannen zum Zuge gegen England bewegt,
S. 762 A, 7) Harald II. erfährt zu York beim Bankett Wilhelms
Landung, 8) die Schlaht von Haftinge ®.
Die zu Grunde liegenden Thatfachen hat Freeman erichöpfend
ı Er gleitet aus, ein Soldat ruft “Tenes Angliam’, Malmesbury $. 238;
ähnfih Roman de Rou. Hardys Anm. bezweifelt die Anekdote mit vollem
Recht; die Verbrennung der Schiffe, die Wace meldet, nimmt auch Freeman
II, 407 nicht auf.
2In De Cont. M. c. 5 über Magnus den Geblendeten von Norwegen.
s Die Gründung von Eontances durch Conſtantius Chlorus vielleicht aus
einer Legende von der 5. Helena, da auch bei Orbericus II, 334 mit letzterer im
Berbindung. — Der Bericht von Eoel, der Eolchefter gegründet S. 702 D,
vol. 703 B (f. a. Wait in M. G. SS. XXII, S. 287 zum Gottfried von Bi-
terbo, der von Huntingdon unabhängig Achnliche® weiß) vielleicht aus einer
Vita 8. Albani (über deren Benutung f. o. zu ®. 9); ein Coel dux Col-
cestriae und Helena filia ejus fommen in einer foldhen vor, laut Hardy I,
&. 19. — Die Sage von der Erlöfung Trajans aus der Hölle auf Gregor I.
Fürbitte, fchon von Johann Diaconus II, 5 als fpecififch englifch bezeichnet,
and) bei Johann v. Salisbury Polyer. V, c. 8
* Ausnahmsweife eine glüdlihe Combination.
5 Bu Wilhelms Rede vol. die Anmerk. in Bouquet XI, ©. 208.
288
erörtert. Huntingdon fteht für die erfte Nachricht allein; materiell
unmahrfcheinlih ift fie nicht. Für diefe und die vierte wird es
freilich fchwer, bloße Tradition als feine Quelle anzufehen. Alles
Uebrige aber Fonnte er, der bald nad) 1100 am normannischen Hofe
eines Lincolner Biſchofs Iebte, vom Hörenfagen haben. — Am
nächiten fteht dem Huntingdon für einige jener Nachrichten, nam. die
6., der Roman de Rou!, und doch weicht er anderswo wieder zu fehr
ab, als daß ich eine gemeinfame Quelle annehmen möchte. Die
fiebente ift im dem letteren nicht fo ähnlich mit Huntingdon erzählt
al8 in der Historia von Ramſey c. 120, die mit H. den NYorker
Aufenthalt irrig auf den Schladhttag von Stamfordbridge fett und
fait diejelben Worte braucht wie er. Ich glaube, daß fid) doc) alle
jene Nachrichten dadurc al8 mündliche Tradition zu erfennen geben,
daß ſich bei nicht zwei der zahlreichen Hiltorifer jener Periode meh:
rere von ihnen — ja aud) nur eine einzige — mit gleicher Jahres—
angabe, gleichen Einzelheiten, gleicher Bollftändigfeit finden. Und nur
in diefen alle wäre eine verlorene Duelle anzunehmen.
Alle nicht unter die bisherigen Rubriken fallenden Nachrichten
Huntingdons bis zum Jahre 1100, wo feine eigene Erinnerung bes
ginnen wird, können leicht al8 mündliche englifche Tradition gelten.
Es find dies folgende: a) über König Offa ©. 730°? b) Xethel-
wulf fei einst Priefter geweien S. 737 C, eine Sage, hier zuerit
erſcheinend und aus den clericalen Neigungen des Königs entfprungen?,
c) das Martyrium Cadwarde IL., mit ‘dieitur’ eingeleitet S. 748 E;
d) die Briccius-Meffe ſ. o. S. 279 N. 5; e) Eadric Streones Berrath
an Edmund Eifenfeite durch den Ausruf Flet Engle, ded is Ed-
mund! ©. 756 B zur Schlacht bei Aſſaudun“. Dieſelbe Erzählung
jetst Florenz zu einer anderen bejtimmten kurz vorhergehenden Schlacht,
der Ramſey-Hiſtoriker e. 72 zu einer ungenannten. Wir haben alfo
vermuthlich troß der engliichen Worte fein Lied vor und, da ein
ſolches die Dertlichfeit bewahrt hätte; f) das Duell zwiſchen mut
und Edmund S. 756 C. Unmöglich iſt diefe Tradition, wie be=
hauptet wird, entjtanden, indem dem zweideutigen ‘comon togaedere’
der angelſächſiſchen Chronif ein hostiliter irrig unterfchoben wurde;
denn fie findet fich nicht bloß bei Huntingdon und Aethelred, der ihn
benutt, jondern auch in den Gesta Cnutonis und bei Malmesbury.
Die Wahrheit der Tradition will ich damit nicht vertheidigen !
g) Eadries Hinrichtung; Freeman I, 647 verfolgt genau das all
mählihe Anwachſen der Ausihmüdung; h) Godwins Heldenthat
gegen die Wenden S. 757 B; i) zwei Anekdoten von Ennts Demuth
ı Bol. Körting, Quellen zum Roman de Rou ©. 56.
2 Theopold 1. c. S. 96 denkt ebenfalls an mündliche Tradition.
3 Pauli, König Aelfred ©. 52.
Außer diefem einen Zuge ift darin ebenfowenig echte Weberlieferung wie
in jenen obigen Schlachtſchilderungen. Bei Florenz flieht Edmund, bei Hunt.
Enut in dreifaher Schlahtordnung; außer dem in den Annalen Gebotenen haben
fie nichts gemein; man darf alfo nicht combiniven.
289
gegen Gott S. 757 E, wie e8 jcheint mönchiſche Erfindungen ;
j) unter Enuts drei größten Thaten, außer den Kriegen, ‘primum
est quod filiam suam imperatori Romano cum ineffabilibus
divitiis maritavit’. In Wahrheit fand die Heirath erjt nad) Cnuts
Zode ftatt, und war Heinrich III. damal® nur rex. — Wenn Hun—
tingdon iiber Cnut ziemlich viel weiß, jo mag dies mit des Königs
Vorliebe für den Fen-Diſtrict zufammenhängen, wegen welder aud)
die Hiltorien von Ely und Ramſey gern ! über ihn berichten; k) bei
dem Untergange Aelfreds (ſ. S. 287 3. 8 v. u.) ift der Heiratheplan
Godwins nicht nur falich, jondern macht fogar den Eindrud der Er-
findung durch Huntingdon ſelbſt, fogut wie die Zeitanjegung ges
lehrte Combination iſt; I) aber die Huntingdonfche Anſchauung über
Godwin und feine Söhne fand ſich bereits 3. Th. im den ihm ja
auch vorliegenden Abingdon= Annalen. Daß fie richtig ift, bejtreitet
Freeman durchaus. Die einzelnen ihr entipringenen Anekdoten :
m) über Toſtigs Streit mit Harald an des Könige Tafel und
n) über die Unmenschlichfeit Toſtigs ©. 761 A find zweifellos uns
hiſtoriſch; aber bewußte Fälihungen find fie doch ſchwerlich. Min—
deſtens verfolgt Huntingdon keineswegs einen Parteizweck in ihrer
Wiedergabe: wie wenig er etwa antigodwiniſch war, folgt aus dem
Berichte h), ſ. o. und daraus, daß er bei der Ueberſetzung der agſ.
Erzählung über die Verbannung des Aelfgar S. 760 D, der ein
Sohn Peofrics, folglid” Haralds Gegner war, die Entlajtung von
der Schuld des Hochverraths ausläßt. — 0) Des Eroberers Fluch
gegen der aufrühreriihen Sohn ad a. 1079 fonnte ebenjo leicht
combinirt werden als Glauben finden; p) ebeuſo oft bejprochen ift
der Tod Wilhelms des Rothen.
Das Bild von Heinrichs Art, Gefchichte zu fchreiben, wäre un:
vollftändig ohne den Hinweis auf feine oftinaligen Gombinationen, die
nur meiſt (wieder für die Kritik glücklicher Weije!) durchfichtig find.
Er kennt 3. B. aus den Annalen einen giünftigen Charakter von
König Eadgar und deſſen Verheernng der Inſel Tanet: folglich fügt
er jelbftändig hinzu ‘quia jura regalia spreverant’ ©. 748 A.
Achnlich werden S. 723 B aus Einem Kenter König zwei, 730 A
aus einem Erzbiichof von Ganterbury ein Morfer. — Zum Jahr 1000
erzählen die Annalen, Ethelred verheerte Cumberland; Huntingdon
ihiebt S. 750 A als Grund ein, dort fei der Hauptjig der Dänen
geweien. — Die Annalen melden die Königs-Wahl der Stiefbrüder
Harald und Hardienut, Huntingdon Hilft fich über die Schwierigkeit
fort: Harald jollte dem Bruder ‘regnum conservare’ (vgl. Free—
man I, 540).
Nur zur Hebung des Styls bringt er Gitate aus der Aeneis ?,
ı 9. verteidigt ©. 754 E die PVerftümmelung der Geifeln durch Knut
damit, er habe das ihm verbündete und von den Engländern verheerte Lindfey
rächen wollen. Dagegen bedauern die Annalen diefe Brovinz als von Cnut
treulo® verlaſſen.
» S. 697 D ift Georgic. II, 25 aus Nennius mitentlehnt,
290
den Amores, Horaz Satiren, Lucan, Juvenal und — nicht eben viele
aus der Bibel. — Die eingefchobenen Panegyrifen in hochtrabenden
Herametern auf die Mächtigen feiner und früherer Zeit wollen nicht
wörtlich verjtanden fein, ebenfowenig die rhetoriichen Schilderungen
(3. B. über die Greuel der Schottenfriege, a. 1138). — Stereotupe
Einzelphrafen (‘Marte et Vulcano comitantibus’; eine Würde, eine
Waffe die weniger den Mann ziert als durd den Träger gehoben
wird) kehren immer wieder und rauben, dicht neben einfacher Anna—
lenſprache ftchend, dem im Ganzen gewandten und logiich flaren, wies
wohl im Sagbau unclaffishen Style die Einheit. Von eigenthüm—
liher Schärfe find einzelne kurze Urtheile, im Gewande einer rein
thatfächlichen Meldung: 3. B. als Heinrich® I. Leiche geöffnet wird,
der Arbeiter vor Gejtanf jtirbt; “Hic est ultimus e multis quem
rex Heinriceus oceidit'.
Die langen Reden im achten Buche werfen zwar durch Anſpie—
lungen mehrere Schlaglichter auf die Perfonen der Zeit, bieten aber
font nicht bloß den Worten, auch dem Gedanfengange nach nur Hune
tingdons Erfindung: fo bilden 3. B. die zwei vor der Schladht von
Lincoln genaue Gegenjtüde. Für den einzelnen Wall lernen wir nur
die Thatſache, dag und von wein geiprochen wurde, für die Gulture
geichichte vielleicht, daß ſolche Auſprachen das Heer an feinen und der
Bäter Ruhm zu mahnen, den Gegner zu verhöhnen pflegten.
Nach ihrem Fortfall aber bleiben auch im achten Buche, das
doc) allein im ftrengften Sinne gleichzeitig, wiewohl auch nicht Yahr
für Jahr! gearbeitet ift, ziemlich dürftige Annalen, denen e8 nur zu
Gute fam, daß ſich die Hauptereigniffe jener Zeit gerade um Lincoln
abipielten.
Wahrſcheinlich einfeitig ift der junge Heinrich II. geichildert:
unfer Verfaffer hat mehrfach von lebenden Perfonen (Heinrid I.
3.3.) nur die Pichtfeite gezeigt und erft nad) ihrem Tode die Schatten-
jtrihe aufgefegt, die das Bild total verändern. Außerdem hegt er,
obwohl jelbjt einmal warnend, man möge die Vergangenheit der
ihlimmen Gegenwart wegen nicht überfchägen, parteiiiche Abneigung
gegen Stephan, die fich herichreibt aus deſſen Verhaftung von Cleri—
fern, und vielleicht aus den harten Forftprocefien, die ihn Heinrich
gleich) zu Anfang der Regierung dicht bei Huntingdon abhalten jah
(a. 1135).
V.
Im übrigen färben ſich die Urtheile eines damaligen engliſchen
Hiſtorilers je nach dem Hintergrund feiner Anſchauung von der nor—
manniſchen Eroberung, von Kirche und Staat.
Huntingdon hält das Wolf der Angelſachſen als ſtaatlich or—
ganiſirt für untergegangen, aber als Stamm, der Abkunft nach
1Gleich der Anfang iſt erſt nach Stephans Unglück geſchrieben.
291
‘Britanniam (adhue) obtinent’, während die ‘Daci deperierunt’ —
eine für Ojt- England, wo ſich ja Dänenthum feſt eingeniftet hatte,
merkwürdige Aeußerung. Jene Vernichtung Habe Gott verhängt zur
Strafe der Unfittlichfeit, auch der politischen: die northumbrifchen
Thronftreitigfeiten, die Parteifämpfe unter Edward III. gehören dazu.
Die ‘Dei vindices’, die Norinannen, beginnen zur Vergeltung
ihrer WildHeit, jobald nur die Unterwerfung des Yandes vollendet
ift — wie in der Normandie, Stalien, Antiohia — auch in Eng—
land einander felbft aufzureiben. ‘Impraesentiarum Anglis domi-
nantur’; da feit Wilhelins I. Ende fein *princeps (Magnat) de pro-
genie Anglorum’ übrig, der Name Anglicus’ “opprobrio’ geworden
it, fällt Adel und Normannen zufammen. Mit bitterem Haß verfolgt
Huntingdon dieſe “proceres immo proditores Angliae’, dieje ‘per-
Juri Normanni’, die Bedrücker des engliſchen Volkes.
Dagegen die Dynaſtie Cerdic usque ad nostra tempora du-
rat, Wilhelm ift nicht ein bloßer Eroberer, fondern ‘heres’ der ‘mo-
narchia’ Eadgars durd) jus gentium, jus cognationis’, weldes ſich
auf Aethelreds Heirat}! mit Emma gründet; er hat drei Klageredhte
gegen Godwins Sohn: wegen der Ermordung des Aetheling Alfred,
der Austreibung der Normannen =» Partei unter dem Bekenner, des
Treueides, den ihm Harald einjt geleijtet. Letzterer hat die Thronbe—
fteigung von Edinund Eiſenſeite's Enkel verhindert, diadema invasit,
doch heißt er ‘rex Angliae’, vermuthlich wegen der formell unanfecht-
baren Krönung, nicht (wie in der normannifchen Kanzleifprache)
comes ®,
Vielleicht Löft fi jo der fcheinbare Widerſpruch? in Hunting-
dons Anficht von der normannifchen Eroberung: er betrachtet den
angelſächſiſchen Staat als untergegangen, die Dynajtie rechtmäßig
fortgefett, die regierenden Claſſen als normannifch, das englische Volk,
dem er fich angehörig fühlt, al8 erhalten. — Die heutige Wiſſenſchaft
verneint davon wohl nur dem zweiten Punkt und bejchränft den
eriten.
Sämmtlihe Schriften Heinrichs durchzieht die Mahnung zur
Weltflucht S. 690 E. 707 A. 720 A: Mönd) zu werden ijt eines
Königs ruhmvollite That (S. 723 E. 725 B. 727 B und 2. 9
Prol.); auch Gelehrfamteit jei ohne Verachtung des Irdiſchen unmög—
ih. Auch in ihm ſchlägt leiſe eine Neformader: er eifert in der
Satira communis gegen Ausjchweifung, Habgier, Nadjläffigfeit des
Glerus, auch gegen allgemeine Mifbräuche in der Kirche, wie die amt—
lojen Pfründen, die Verpachtung der Seeljorge, den Bisthumserwerb
durh Kauf, VBerwandtichaft, Staatsamt. Er verurtheilt die ehrgeizige
ı Diele fol (Anfang B. 6) geichloffen fein ‘ad tuitionem regni’ nad)
Ausg. MHB, gegen frühere Lesart ‘ruitionem”,
» Aus 2 C. 732 E. 751 D. 761 D.
°_ Freeman nennt 9. absolutely without english feeling in (Ha—
rald8) great controversy; Carle rühmt ihn: not one of the early chro-
niclers shews so much of an Englishman.
292
Politif der Prälaten, die er mit Net für die unglückliche Thron-
folge Stephans verantwortlid madt (a. 1135. 1152). — Man
hört den Weltgeiftlichen, wenn er, wie auf Zehnt- und Beichtpflicht
der Laien, auf die Lmverleglichkeit der Clerifer (a. 1139. 1143),
deren Bruch er Stephan nie verzeiht (a. 1152), fo auf Schutz der
Pfarreinfünfte gegen Ordensübergriffe dringt. Den Inveſtiturſtreit
erwähnt er mit feiner Sylbe und der von Anfelm verfochtene Cölibat
(a. 1002) „ſchien „einigen“ (des Geiſtlichen Sohn redet) gefährlich“.
Er bringt faft Nichts von allgemeiner Kirchengeſchichte. Römiſcher
Habjuht (a. 1148), römijhen Legaten (a. 1125) und römiſchen
Appellationen (a. 1152) iſt er gleich) jehr abhold. — Er will die
Poefie von den Theologen nicht verachten laſſen — das hieße ja die
Plalmen findiih nennen!. — Lieber als von Goncil&verhandlungen
erzählt er, wie * ‘terribiliter et pulcherrime’ auf einander
ſtoßen (S. 715 C).
Die Klagen der Geiftlihen gegen die Unfittlichfeit bei Hofe
finden ſich bei Heinric (a. 1100. 1120) auch, und deutlicher al8 an»
derswo ; ebenfo die allen am Exchequer Unbetheiligten gemeinjamen
Beichwerden gegen das Dänengeld (a. 1135, ſ. 0.) das Korjtredt
(a. 1135), die Procegfniffe des Fiscus und den gierigen Beamten-
Clerus (a. 1123). — Das Redtsiprichwort ‘Regia res scelus est
(Cont. m. c. 5), d. h. Griminalfälle gehören dem föniglichen Gericht,
deutet er wörtlich, im bitterem Zorn gegen die Regierung. Denuoch
hegt er tiefe Ehrfurcht vor dem gejalbten Haupte auch des gefan:
genen Stephan (a. 1141). Er verlangt eine ftarfe Regierung, miß—
billigt die unpolitifche Milde gegen adliche Aufrührer (a. 1135) und
(wie wir fahen, feinem Temperament nach fein Gegner des Kriege),
die unblutigen Scheingefechte, die faulen Waffenftillftände zwiſchen
Thronprätendenten, die nur die Krone zum Spielball des Naubritter
thums machen (a. 1141. 1153). — Englands Heil hofft er von
der Perfon des Herrichers, den er fid) regelmäßig von der Curia des
hohen Glerus und Adels umgeben vorftellt (a. 1140). Ihre poli—
tiſche Bedeutung ift ihm nicht eingefallen; wenn er auch den Einfluß
einiger mächtiger Barone, Bifchöfe, Kanzler auf die Entſchließung des
Königs kennt. — An eine politiiche Betheiligung des Volfes, eine
eonftitutionelle Beſchränkung der Krone denft er nicht: für die Auf-
bewahrung alter angelſächſiſcher Geſetze?, neuer normannifcher reis
heitscharten mangelt ihm aller Sinn. — So vertritt er eine ‘Periode,
die eine ftarfe Gentralgewalt auf der Inſel gegenüber den auflöjenden
Tendenzen in der Arijtofratie vor Allem brauchte.
Welches auc feine Abftammung und die Quelle feiner Hift o—
ı Epigramm de veritate libri.
2 Und do nennt er ©. 694 C die vier NRömerftraßen ‘saneiti edietis
regum, scriptisque verendis legum'. Die vier Namen begegnen nur im
franzöf. Zert der Gefetge Wilhelms I. (I, 26) und in den fog. Leges Edwardi
Confessoris (12 Pr. $. 7 Geſetze der Angelſachſen ed. Schmid 1858). Bgl.
oben ©. 279 3. 9.
293
rifhen Anfihten fein mögen, — für feine Zeit fühlt er vollfont«
men md nur als englifcher Patriot. Mag fein Intereſſe für alte
Yieder ein nur antiquarifches fein; es iſt bezeichnend für feine englifche
Gefinnung, wenn ſich feine Urtheile über Miterlebtes (3. B. über
Euſtach a. 1153) aucd da mit denen des legten angelſächſiſchen Hi—
ſtorilers decken, wo diefer aufgehört hat, feine Quelle zu fein. Trotz—
dem er die Thronfolge Stephans ungern fieht und e8 als ‘malum
signum’ (a. 1135) politiſcher Unfittlichfeit betrachtet, wie ihn ganz
England fofort anerkannte, jo ijt ihm doch der Schottenfönig, der
für die Gegenpartei ficht, ein bloßer Yandesfeind (a. 1138). —
Stolz auf die Segnungen feiner Inſel, auf die Schönheit feiner
Yandsleute (693 C) weiß er vom Gontinent wenig und entfchuldigt
es, wenn er vom Thema der englifchen Geichichte jo weit abweicht —
den erjten Kreuzzug zu erzählen (a. 1096).
Heinrich hegt eine hohe Meinung vom Werthe ber Geſchichte:
Homers trojanischer Krieg — es ift ein Citat aus Horaz’ Epifteln —
lehre beſſer Moral als die Philoſophen. Durd die Geichichte erkennt
der Mensch die Zukunft aus der Vergangenheit, durch fie erhebt er
ji über das Thier; fie gibt unter allen literariihen Studien am
meilten Erholung und Troſt!.
Freilich müjfen wir Huntingdon den Namen bes Hiftoriferd in
höherem Sinne verfagen — um jo mehr bewundern wir an einzelnen
Stellen die glückliche Wahl des aufzunehmenden Stoffes (3. B. der
Aelfredichen Zeit, des Lieded von Brunanburh), die Heranziehung
jener Volksgeſänge, die Ausicheidung der Wundergefchichten, den phi—
loſophiſchen Blick für Entwickelungsepochen?.
Sieht er auch in den Vorgängen meiſt nur directe Vergeltung
Gottes für moraliſche? Eigenſchaften der Menſchen, fo iſt doch das
Streben feines Werkes, aus der Annalenform herauszuwachſen, logi-
ie Gejchichte zu werden, unverfennbar; es ift dies die Fortfegung
der Tendenz ſchon der jpäteren angelfähjiichen Annalen, die dann von
Wilhelm von Newbury durd Einführung zufammenhängender Capitel
vollendet wird. — Huntingdons Intereſſe für Eurialfaften bewahrt
die andere Fortführung der Hiltoria: die de8 Roger von Hoveden.
Huntingdon ift nach Ethelward, Florenz und Simeon der lekte
annaliſtiſche Ueberjeger der angelfächliichen Jahrbücher; er it im
Gegenfag zu feinen Zeitgenofjen Malmesbury und Orderich der
erite, der wallififche Ueberlieferung ohne die nöthige Skepſis behan—
delte. Nur zu bald überfluthete dann deren Strom die echte Geichichte;
der kritiſche Proteſt Wilhelms von Newbury Half nichts. — Andere
! Prolog zur Hiftoria. Die beften Gedanken daraus find benußt vom
&. Albans Opus Chronicorum.
2 &o die Büchereintheilung; vgl. auch eine meifterhafte Vergleichung der
fünf Eroberungen Englands im Prolog zu B. 5.
* Die Eroberung von Liffabon gelingt dur das Volt, nit durch Mo—
narchen, weil Gott die Niederen zu erhöhen liebt, Grundlos ift in diefer Aeuße—
rung demofratifher Sinn gewittert worden; fie ift rein geiftlich.
XVII. 20
294
Keime Huntingdons, die der Anekdotenbildung, wurden durch Bromton
zu üppigen Ranfen gezogen; nur die vereinzelten Accorde alter Lieder
fingen bei feinem Fortſetzer weiter.
Für die Geſchichtswiſſenſchaft der nächſten Zeit hatte Hunting—
bon eine bejondere Bedeutung, die er heut verloren Hat: nur durd
ihn war der Stoff der angelfächfischen Annalen in der Peterborough
Fortſetzung bis 1128 bekannt. Schon Gottfried von Monmouth
nennt ihn neben Wilhelm von Malmesbury als Gejchichtichreiber der
englifchen Könige; noch der zeitgenöffifche Abt von Rievaux und der
Mönd von Durham gebraudten ihn. Des leteren Historia post
Bedam, vor 1161 verfaßt, jchöpft für a. 752—866 und 1121—
1148 lediglih aus feiner Edition von 1148. Sie ift dann Hove—
den's! Grundlage, der neben dem anderen Fortſetzer, Wilhelm von
Newbury, die Bibliotheken Nord-Englands beherrſchte (Stubbs). Der
fog. Benedict entnahm aus Huntingdon nur einige ftyliftiiche Wen:
dungen. In Frankreich benußten ihm zunächſt Robert von Torigni
und Johann von Marmoutier, im füdlichen England Gervas von
Canterbury, Radulf de Diceto, der Armalift von Waverley und Roger
Wenbover ?,
Noh im zwölften Jahrhundert wurden Huntingbons Werke
unter dem Namen des Marianus Scotus ? abgejchrieben : diefer Srr-
thum hat weniger Grund als bei Marians Fortjegern Florenz und
Johann von Worcefter, da Heinrich den Marian nicht bemutst hat, ent»
ftand aber 3. B. in der Vorlage des Walter von Coventry darauf,
daß fein Werk für 1131—1154 als Fortfekung Johanns ver:
wandt wurde.
Gleichzeitig wurde Heinrichs geographifche Einleitung einzeln ab-
geichrieben, oder mit dem Nennius* verbunden, und gilt dann u. d.
T. Descriptio Britanniae fälſchlich als befonderes? Werk. Und
manches Epigramm aus feiner Hiftoria wurde ercerpirt und geht heut
unter Hildeberts ® Namen. Die Yobverfe auf England’ wurden oft,
namentlid) auf Cinbandblätter, eingetragen — vieler Ercerptfamme
lungen ®, und gar derer des 16. bis 19. Jahrh., nicht zu gedenken.
Schlieglih finden fi) — wie anderwärts im Mittelalter hiſto—
riſche Aufzeichnungen in Rechtsbücher — fo in Heinrichs Hijtoria
1 Gtubbs Ed. I XXXI.
2 Bielleicht klingt auch Dialogus de Scaccario I, 11 an den Prolog zu
B. 5 an. — Unter fpäteren ift nur Bartholomaens Cotton als Benuter des
Huntingdon genau unterfucht: von Luard, Borr. zu Rolls Ser. Nr. 16.
® &oinBibl. publ. Cambr. Dd.I, 17; Bodl.521; Coll. Magd. Ox. 36.
— MS. Ashburnham Appendix 104 s. XIV und Coll, Arm. Arund. 30
s. in.
5 Bol. Eave, der ein Cambridger Bibl. publ. MS. fennt, wol Mm. V,
29 e. X.
° MS. Bodl. Laud. Latin. 86.
” MS. Corp. Chr. Coll. Oxford 256.
® MS. Cott. Claud. D. VII s. XII, ans Malmesbury und Humtingdon
ef, Hardy IH, ©, 148 und Pits, De illustribus Angliae SS. ©. 212,
295
Geſetzſammlungen eingefügt. Zur Gefchichte Enuts, vor der Erwäh—
nung von feinem Tode 1035, fteht in MS. Lambeth 118 von c.
1200 und in zwei Cambridger! Hdjf. s. XIV, die von einer ge=
meinfamen Vorlage abgefchrieben find: “Ineipit lex, que Anglice?
Danelage est vocata, Latine vero lex Dacorum est interpre-
tata, ab invictissimo et glorioso rege Anglorum? Dacorum
Noragenorumn Suevorum Kannuto* instituta et diligenter cu-
stodita. Nach diefer mißverjtändlichen Weberjchrift folgen die geift«
lien und weltlichen Geſetze Cuts in einer ungedrudten, der Colber-
tina am Nächiten verwandten Verfion?, die an einigen Stellen den
angelſächſiſchen Text am Zreuften wiedergiebt. Es folgt jodann der
jog. Pieudo-Enut, im ZTert® der Colbertina näher, aber an derjelben
Stelle abbrechend wie Textus Roffensis und Harley 746.
Wichtiger noch find die ebenfalls unedirten Anhänge zu Christina
587 im Batican und 118 und 179 Lambeth Erſteres gibt
hinter den 12 Büchern (laut Bethmann ?) ‘Guilelmi regis Angliae
leges; catal. ducum ac regum Angliae’, was vielleicht identiſch
it mit? Wilhelms I. 10 Artikeln, denen die „Geſetze des h. Ead⸗
ward, welche fein Erbe Wilhelm beftätigte“ folgen mit der angehängten
normannifchen Genealogie? feit Rollo. Aus! einem fo vermehrten
Eremplar wird wol Roger von Hoveden 8. a. 1180 die Artikel und
die Leges Confessoris geſchöpft haben.
Coll. Joh. G. 16 und Trinity R. 5, 42 = Bernard 158 (21).
Anglie. Tr. und Joh.
ab inv. Ang. re. et glo. Tr.
Kanrico. Tr.
® ]J, c. 12: Scotum ad luminaria, lithigescot; ebenfo II, c. 1 eigen«
tbümlih. Bor zwei Jahrhunderten hat ein Antiquar Randnotigen über feine
Collation des Coll. Joh. MS. mit dem Textus Roffensis dazu gemacht.
° II, e.12: Hec sunt consuetudines regis quas habet in Westsexe
super omnes homines; mundbrece i. e. forisfacturam — hamsocne —
forestal — ferderpite — ein verlefenes angelfächfijches w.
’ Ardiv 1872, ©. 296.
® Decreta Willelmi regis qui Angliam conquisivit (Tr. quesi-
vit), legum mutationes et emendationes, quas in Anglia composuit.
Dann wie Hoveden II, 216: Hic intimatur; Variante wie Thorpe: infra 5,
nit 15 im Artifel III.
Ju Lamb. 118 und 179 bis Stephan, in Lamb. 118 von fpäterer
Hand bis Edward I. fortgeſetzt. Eine Hand s. XIV hat hier nochmals die erften
6 Artikel Wilh. I. zugefügt. Und nur diefe ftehen aud) in Trin. R. 5, 42. —
Lamb. 179 enthält auch eine Tafel von engliſchen Rechts-Ausdrücken, franzöfifch
überfegt „nad; Alerander archid. Sarum* (Salop?, Swereford wird gemeint
fein); fie ift von fpäterer Haud und Abfaffung als Hovedens ähnliches Lericon,
mit dem fie ſich nur zum Heinen Theil dedt.
Das umgekehrte Verhältniß ift vielleicht aus paläographifchen Gründen
und jedenfalls deshalb nicht möglid, weil Lambeth Lesarten mehrfach originaler
zu fein fcheinen.
— zur" —
20*
Zur Hiftoriographie des 14. Jahrhunderts.
Bon
9. Zimonsfeld.
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4
— —
= —
Il. Zur Chronit Heinrichs von Diefjenhoven.
Unterfuchungen über das Verhältniß zwiſchen der Weltchronik des
Frater Paulinus, Bischofs von Puteoli, von welcher ich ſchon früher
in diefer Zeitichrift (Bd. XV, ©. 145 ff.) gehandelt habe, einerfeits
und der Kirchengeichichte de8 Tolomeo von Yucca andererjeits, fowie
die Abhandlung wmeines Freundes H. Dr. D. König: „Ptolomäus
von Yucca und die Flores Chronicorum de8 Bernardus Guidonis“
(Würzburg 1875) gaben mir Veranlaffung, auch der Chronik des
oben genannten deutſchen Gejchichtfchreibers, Heinrichs von Dielen»
hoven, etwas mäher zu treten. Konnte id) ja dabei auf der hiefigen
Hof- und Staatsbibliothet die einzige bisher bekannte Handichrift
diefer Chronik benußen; und ift diefelbe auch nach diefem Codex
(Um 59, jest Cod. lat. Monac. 21259) bereits zweimal heraus—
gegeben !, eine nochmalige theilweife Vergleihung ergab doch einige,
wie mich dünkt, nicht unwichtige Reſultate. Hubers eingehende Er—
Örterungen in derVorrede zum 4. Bande der Fontes (S. XI—XX)
haben insbejondere bei Dttofar Lorenz Widerſpruch gefunden, welcher
in feinen „Geſchichtsquellen“ unferem Autor einen eigenen Artifel ges
widmet hat, der aus der erften Auflage unverändert in die neue zweite
übergegangen iſt? und eben deshalb zu wiederholter Unterfuchung der
trittigen Punkte anregt.
Bor Allem die Frage jcheint mir bisher nicht endgültig gelöft
zu fein, warn denn Heinrich® fchriftitellerifche Thätigkeit ihren Anfang
genommen.
Es fei zumächit daran erinnert, daß Heinrichs Chronif nad) feinen
ı Buerft von E. Höfler in den „Beiträgen zur Geſchichte Böhmen“,
Abth. I Quellenſammlung, Anhang zum II. Bd., Prag und Leipzig 1865;
dann von A. Huber in Böhmers Fontes Rer. German. IV, S. 16—126.
? Dort ©. 56—60; hier Bd. I, S.73—77; cf. Bd. II, S. 248 N. 3
und ©. 335. Leider find auch zwei Drudfehler ftchen geblieben, weldye zu
Mifverftändniffen Anlaß geben könnten. Die beiden von Heinrich nad) Kap. 15
eingeihobenen Briefe find nicht an Clemens V., fondern an Clemens VI. ge:
richtet, und zum Jahre 1353 fpricht Heinrich nicht von einer Verlobung zwi:
[hen einer Tochter des Markgrafen Johann Heinrich mit einer Tochter, ſondern
— a Sohne Herzog Albrechts von Defterreihh (cf. Fontes IV, ©. 39
und 87).
300
eigenen Worten! eine Fortſetzung der Kirchengejchichte des ZTolomeo
bon Lucca fein foll; und zwar umfaßt die felbjtitändige Arbeit Hein-
rih8 die Jahre 1333—1361. Denn daß der erfte Theil des Lebens
Johanns XXI. bis zum Jahre 1323 (Fontes IV, ©. 16—17)
nicht von Heinrich felbjt herrührt, geht deutlich aus der Ueberſchrift
des erſten Kapitel® hervor “Hic incipit liber XXV. conscriptus
a domino H. dapifero de Diessenhoven — — excepto primo
capitulo hujus libri’, wie dies zuerjt Th. Lindner im eben dieler
Zeitihrift (Bd. XII, S. 241 Anm. 1) betont hat. In jenem
Umfange (1333—1361) nun ift die Fortjeßung Heinrichs, foviel
wir wenigſtens bis jett willen, nur im der obenerwähnten Ulmer
Handichrifterhalten ; während ein Theil derfelben von 1333—1337(8) —
mit geringen Abweichungen — noch in anderen Handichriften über»
liefert und daraus öfters publicirt if. So aus einem oder der
Baticana (Nr. 3766) ftüchweife von Raynald in den Annales Eccle-
siastiei zu den Jahren 1333— 1337, und vollftändig im Zuſammen—
hange von Papebroh in den Acta Sanctorum tom. V Maji;
ferner von Baluze, der aber wie leider öfters die von ihm benutzte
Handſchrift nicht angibt, im den Vitae Paparum Avenionensium
tom. I, ©. 175—178 als ‘quinta Vita Johannis XXI’ und
©. 219—226 als ‘tertia Vita Benedieti XII’, und endlid) von
Muratori in den SS. Rerum Italicarum tom. XI, col. 1211—
1216, aus einer Handichrift der Ambroſiana. „Es ſcheint“, jagt
nun Huber deshalb (S. XIX), „daß von dem erjten heile der
Fortſetzung noch vor der Niederfchrift der folgenden Partieen eine
Abichrift gemacht wurde“. Achnlih König (S. 68): Heinrid) von
Dieffenhoven habe feine Chronit anfänglich nur bis zum Jahre
1337(8) fortgeführt und publicirt. Diefe an fi ja ſehr einfache
und ganz natürliche Erklärung jenes Verhältniffes zwijchen der ganzen
Vortfegung und dem erften Theile hat fir Huber und König nur
deshalb Schwierigkeiten, weil Beide annehmen, daß Heinrich erit,
nachdem er Canonicus in Conſtanz geworden — und als folder iſt
er feit 1341 urkundlich nachweisbar —, daß er alfo erjt Anfang
der vierziger Jahre fein Gefchichtswerk überhaupt begonnen habe (jo
daß der erfte Theil von Gonjtanz aus auf irgend welche Weife in
jene italienischen Handfchriften Eingang gefunden haben müßte). Der
Hauptgrund ober vielmehr der einzige Grund diefer Annahme hin=
wiederum liegt ihnen darin, daß bei dein Jahre 1335 jchon auf
Benedikts XII. Nachfolger, auf Clemens VI. hingewiefen wird, mwelcer
erft im Jahre 1342 den päpftlichen Thron beſtieg. Es Heißt nämlich
dort (Fontes IV, ©. 22): Insuper voluit (Benedietus) exami-
nari quibus providebat, in quo imitatus fuit eum successor
suus Clemens VI. Bona consuetudo utinam non obmittenda
ı Fontes IV, ©. 87: — ut supra in libro XXV. patet intuenti,
qui est additus cronice precedenti per me H. de Diessenhoven docto-
rem decretorum canonicum Constantiensem.
301
per pontificees Romanos. un fehlt aber gerade diefer Paſſus bei
Muratori und in den anderen Ausgaben des erſten Theiles; und
wenn man dies auch den Schreibern der verfchiedenen Handfchriften
oder dem Schreiber des Archetypus derſelben zur Yajt legen könnte,
jo ijt man doc) ebenfogut berechtigt, die Folgerung daraus zu ziehen,
daß jene Worte von Heinrich erſt fpäter hinzugefügt wurden. Da
ferner in dem erſten Theile der Fortſetzung Heinrichs fonft fein Hin—
weis auf ein fpäteres Datum vorfommt, fo jteht, wie ich glaube,
nichts im Wege, die von Huber (und König) gegebene Erklärung da=
hin zu modificiren, daß man jagt, es fei nicht ſowohl eine Abſchrift
von dem erjten Theile vor der Niederfchrift der folgenden Partieen
gemacht worden, fondern vielmehr: derfelbe iſt überhaupt früher, iſt
vor dem Anfang der vierziger Jahre, iſt mit einem Worte entjtanden,
bevor Heinrich in Conftanz Canonicus wurde.
Dafür laſſen fich noch weitere Beweisgründe geltend machen.
Heinrich hat befanntlich (ef. Fontes IV, ©. 16) die Würde eines
Kaplans bei Johannes XXII. am päpftlihen Hofe zu Avignon bes
Heide. „Er dürfte fih hier“, fagt Huber (Vorrede S. XII) von
1333 bis 1337 aufgehalten haben, da er die Vorgänge diefer Jahre
offenbar al8 Beobachter in Avignon darjtellt“. Und zum Jahre
1338 bemerft derjelbe (S. 27 Anm. 1; vgl. Vorr. S. XIII. XIV),
dar der Verfaffer feinen Standpunkt in Avignon verlaffe und ihn in
der Didcefe Conftanz nehme. Denn während in jenem eriten Theile
vorzugsweife Vorgänge an ber päpitlichen Kurie berichtet werden,
nimmt die Erzählung vom Jahre 1338 ab eine entichieden locale
Färbung an. Ungereimt fcheint mir nun aber, daß Heinrich als Ca—
nonicus in Conftanz (in welcher Stellung er ja nad) Huber fein Ge—
ſchichtowerk erjt begonnen) die Jahre 1333—1337(8) vom Stand-
punkte eines in Avignon lebenden Beobachters dargeftellt haben ſoll.
Viel näher liegt doc) vonvornherein die Annahme, daß Heinrich den
Bericht über jene Jahre noch in Avignon jelbjt zur Zeit feines dor—
tigen Aufenthaltes und nicht erſt in Gonftanz niedergefchrieben habe.
Und der Autor gibt uns felbit die befte Beitätigung fiir eine ſolche
Vermuthung. Sagt er doch an folgender, bisher nicht genügend bes
achteter Stelle (Fontes IV, S. 86—87): Eodem mense Decem-
bris anno Domini 1352, 15. kal. Januarii electus fuit in pa-
pam — Innocentius VI. Inicium seribendi tribuet anno 53,
quod ab ejus actibus merito incipiet, et utinam bonum finem
dabit seribendis per me, que incepi tempore pape Jo-
hannis XXIl.!, ut supra in libro XXV. patet etc... Jo—
hannes XXII. ftarb am 4. December 1334 (Fontes IV, ©. 21);
vor diefem Zeitpunft muß alfo Heinrich feine Fortſetzung der Kirchen-
geihichte begonnen haben. Und da wir gejehen, daß feine felbitän-
dige Arbeit mit dem Jahre 1333 anhebt, fo bezeichnen wir nunmehr
diefes als das Anfangsjahr feiner fchriftitelleriichen Thätigfeit. —
ı Könnte vielleicht auch heißen „von der Zeit Johannes an“? ©, W.
302
Damit ftimmt auf das Beſte folgende Stelle. Das 18. Kapitel des
23. Buches der Kirchengefchichte jchließt in der Ambrofianifchen Hand:
Ihrift mit einem größeren Paffus (Muratori t. XI col. 11740 —
1175 A: Habuit et alium fililum — debet poni), welcher von der
Ermordung König Albrehts I. und der Stiftung des Klofters Kö—
nigsfelden handelt und offenbar ein Zuſatz Heinrichs von Diefjenhoven
ift. Die Schlußworte nun dieſes Zufages, in welchen des Aufent«
haltes der Tochter Albrechts, der früheren Königin von Ungarn
Agnes, im diefem von ihr vollendeten Klofter gedacht wird, lauten in
der Ulmer Handichrift etwas anders als bei Muratori. Denn hier
heißt e8: quae nunc ibi moratur, et sanctam vitam dueit 1333.
anno, et qui vidit, testatur praemissa. Et inde (vide?) infra
ista (sic!) lib. XXIV, cap. XXXVII, et ibi ista additio debet
poni; die Ulmer Handichrift aber liest hier (fol. 252€) folgender:
maßen: quae nunc ibi moratur et sanctam vitam ducit anno
Domini 1333, quo hec addicio scripta fuit, sed
monasterium fundatum est 1308. Et qui vidit testatur pre-
missa. Et vide infra li. XXIV, capitulo XXVII (sie! falid
ftatt XXX VII), et ibi ista addicio debet poni.
Darnach Scheint mir fein Zweifel mehr darüber bleiben zu
können, daß Heinrich von Dieffenhofen wirklich ſchon in Avignon Hand
an feine Fortſetzung gelegt hat, indem er höchſt wahrjcheinlich im ein
Exemplar der Kirchengefchichte des Tolomeo von Lucca fowohl feine
Zufäge zu einzelnen Stellen derjelben als auch den Anfang feiner eis
genen Fortfegung von 1333—1337 (8) einfügte. Bon Avignon aus
fonnte auch wahrlich diefer erſte Theil leichter in andere, italienische
Handfchriften übergehen, als von Deutichland, von Gonftanz aus.
Hier als Canonicus hat dann Heinrich fein Gefchichtswerf weiter
geführt, dabei aber zu dem Vorausgehenden noch einzelne Zufäte,
wie den obenerwähnten “Insuper voluit — Romanos’, gemadjt und
einige Aenderungen vorgenonmmen, wie fie und mun in der fchließ-
lichen Reinſchrift des Ganzen, in der Ulmer Handfchrift, vorliegen.
Spuren einer jolchen Umarbeitung zeigen namentlich die Kapitel 7
und 8 de8 25. Buches (im Vergleich zum 43. Kapitel des 24.
Buches bei Muratori), bei welchen ic; etwas länger verweilen muß,
weil gerade hier der erfte Theil bei Muratori und in den anderen
Ausgaben fchlieft.
Es beginnt Kap. 7 (Fontes IV, ©. 25) mit der Entjcheidung
der quaestio visionis durch Benedikt XII. am 29. Januar 1336
(4. kal. Februarii), der Frage nämlich, ob die Seeligen Gott von
Angefiht zu Angeficht ſchauen (Anno autem — publicari man-
davit). Dann wird die Zurüdnahme der Erlaubniß erwähnt, die
firhlichen Zehnten für den verabredeten Kreuzzug, zu welchem fid)
namentlih Philipp VI. von Frankreich verpflichtet Hatte, zu verwen
den (Revocavit eciam papa — Fuit autem revocatio facta
anno supradieto — d. i. 1336 — 17. kal. Januarii, alſo am
16. December 1335). Soweit ftimmen auch Muratori und die An—
303
deren überein. Nun aber folgt in der Ulmer Handfchrift fogleich
als Schluffag von Kap. 7 ein Paſſus, der gewifermaßen die Hand»
lungen Benedift8 XII. in feinem Pontififat bi8 zum Jahre 1336
zufammenfaffen fol. Er bejagt nämlih, Benedikt Habe feit feiner
Erwählung (December 1334) bis zum Ende des genannten Jahres
1336 außer dem vorher Erzählten ſonſt nichts befonders Denkwür—
diges vollführt; nur kurz wird noch feiner Bauten in Avignon ges
dadit (A tempore autem sue creationis usque ad annum 36.
completum papa Benedictus XII. preter premissa nichil dig-
num relatione fecit — alta existit)., Dieſer ganze Paſſus folgt
bei Muratori und den Anderen erſt ſpäter. Dafür haben fie an
diefer Stelle, unmittelbar nach der Revocatio decimarum einige
Sätze mehr (die Huber in Klammern eingefchloffen), von denen der
erite meldet, daß am 3. März 1336 Philipp VI. mit Benedikt eine
Unterredung über den Kreuzzug Hatte, der am 1. Auguft des ver-
floffenen Jahres hätte angetreten werden follen (quod debebat in-
cepisse kal. Augusti proxime preteriti)!. Werner werden die
Nachıtheile Hervorgehoben, welche aus dem Scheitern des Kreuzzugss
planes bejonders den Armeniern erwuchſen. Endlich) wird nod) die
im Jahre 1337? erfolgte Abjolution Herzog Heinrichs von Nieder-
baiern erwähnt.
Mebereinftimmend mit Muratori zc. erzählt ſodann Kap. 8
(Fontes IV, ©. 26) zuerft von der freundlichen Aufnahme der Ab-
geiandten Kaifer Ludwigs des Baiern durch Benedikt in Avignon (am
3l. Januar 1337) und hierauf von der Meſſe, welche Benedikt am
30, März 1337 celebrirte, bei welcher Gelegenheit er dem einen
jener Gejandten, dem Pfalzgrafen Rupert, Herzog von Baiern, Lud⸗
wigs Neffen, die goldene Rofe verlieh ?.. Der andere Geſandte war
der Graf Wilhelm von Jülich, deffen Taufname hier in der Ulmer
Handjchrift gar nicht, bei Muratori ꝛc. aber fälſchlich Konrad ge-
nannt wird. Auch über den Tag der Ankunft der franzöfifchen Ge—
jandten differiven die Ulmer Handſchrift und die Ausgaben; denn
jene jet fie auf den 3., diefe auf den 1. April 1337. Das find
num freilich Verfchiedenheiten, die nicht nothiwendig dem Autor zuges
Ihrieben werden müffen, fondern leicht von den Schreibern herrühren
Önnen. Anders ift e8 mit dem Bericht über die abjchlägige Ant—
wort, welche Benedikt jchlieglih (am 11. April 1337) den erwähnten
Sejandten Ludwigs ertheilte. Denn während diefelbe in der Ulmer
* Eben biefe Bemerkung zwingt uns aber, mit Raynald ad ann. 1337
Nr. 22 die Unterredung in das Jahr 1337 zu verlegen, da der Antritt des
Kreuzzuges anf den 1. Auguft 1336 feftgefetst worden war, wie aus Raynald
ad ann. 1336 Nr. 43 hervorgeht.
* Nad) Böhmer, Reg. Imper. 1314—1347 ©. 228 Nr. 142, am 20.
Oltober 1337.
® Nur diefer kann unter dem ‘duci praedicto' (Fontes IV, ©. 26)
er fein; Ruperts Bater, Rudolf I., war befannlid) ſchon früher ge-
en.
304
Handichrift etwas ausführlicher mitgetheilt wird, befchränft fich bei
Muratori zc. der Bericht auf ein paar Worte und auf die Hervor-
hebung des Grundes, warum Benedikt fi) weigerte, Ludwig vom
Banne Loszufprehen (Col. 1216 D: Item 3. idus Aprilis re-
spondit praedietis nuntiis, quod dominus eorum non esset pe-
nitens, et ideirco ad presens ipsum non posset absolvere).
Unmittelbar daran fchließen fich bei Muratori ꝛc. die in der Ulmer
Handichrift fehlenden Worte: Et sic nunquam absolvit eum papa
Benedictus XII., quia moriebatur sub anno Domini 1342.
So wird aljo in dem eriten Theile von Heinrichs Fortſetzung
doch noch ein fpäteres Datum erwähnt! wird man vielleicht jagen und
al8 Argument gegen meine obigen Auseinanderfegungen über die Ab»
faffung dieſes Theiles in Avignon vorbringen. Ich will dagegen
nicht nochmals auf die pofitiven Zeugnijfe, die ich oben angeführt,
verweilen, ſondern möchte nur fragen, warum denn gerade dieſe
Worte in der Ulmer Handichrift fehlen. In Avignon kann fie Hein-
rich auch nicht gefchrieben haben, weil er ja wenigiten® feit 1341
Canonicus in Gonitanz war; man wird fie daher nothwendig ale
einen Zuſatz eines Anderen erklären müſſen, vielleicht desjenigen, der
zuerſt die Kirchengejchichte mit der Fortſetzung Heinrichs copirte und
auch wohl oben den falfchen Namen Konrad bei dem Grafen von
Jülich zugefett hat. — Etwas anders liegt die Sadje bei den oben
(S. 303) angeführten Säten zum Jahre 1337 (Unterredung Phi—
(ipps VI. mit Benediftt — Abfolution Heinrich® von Niederbaiern),
die ja gleichfall8 in der Ulmer Handichrift fehlen. Hier könnte man
vermuthen, daß Heinrich fpäter bei der Umarbeitung, wie er die von
Benedift den Geſandten Yudwigs ertheilte Antwort weiter ausführte,
jo jene Sätze geitrichen habe.
Auffallend iſt ferner die Stellung des in der Ulmer Handſchrift
den Schluß von Rap. 7 bildenden Sates ‘A tempore autem suae
creationis — alta existit’ (cf. oben). Bei Muratori ꝛc. folgt
derjelbe nämlich erjt hier nach den Worten “Et sic nunquam ete.
und fchließt die ganze Fortfegung des Tolomeo (bei Baluze die
“tertia vita Benedieti XII). Dabei ift noch zu bemerfen, daß es
bei Baluze ftatt “usque ad annum 36. completum’ heißt “usque
ad annum septimum completum’. Da aber die anderen Hand-
Ichriften und auch ein Coder der Barberinifchen Bibliothef in Rom
(Nr. 181), den ich eingefehen, die erftere Yesart Haben, halte ich das
‘septimum’ für eine Aenderung von Baluze, welche er vielleicht des⸗
halb fich erlaubte, weil aus dem Jahre 1337 noch verfchiedene Er-
eigniffe erzählt find. Denn freilich, iſt „1336“ die richtige Yesart,
jo gehört der Sat dahin, wo er jett in der Ulmer Handfchrift fteht,
an den Schluß von Kap. 7. Auf die Frage aber, warum bei Mu—
ratori ꝛc. der Sat eine andere, unrichtige Stellung erhalten hat,
möchte man mit der DVermuthung antworten, daß Heinrich feine
Fortfeung zuerft mit den Jahre 1336, und zwar eben mit jenem
Sape ‘A tempore — existit’ abgefchloffen und dann die Ereignifje
305
des Yahres 1337 am Rande feines Eremplars der Kirchengefchichte
beigefügt habe, der Schreiber aber, der dieje zuerjt copirte, unbedacht-
famer Weife die Ereignilfe des Jahres 1337 in das Jahr 1336
hineinzwängte. Man fann für diefe Anficht ſogar ein jcheinbar recht
gewichtiged Moment anführen. Raynald jagt nämlich (ad ann.
1335 Nr. 67), daß im dem von ihm bemugten Manufeript der Kirchen-
geihihte — nad) Huber eben Cod. Vaticanus Nr. 3766 — fid)
folgende Schlußnotiz finde: Finitus est liber iste anno Domini
1337, die 14. Januarii. Damit würde jener Schlußſatz ‘A tem-
pore suae creationis usque ad annum 36. completum ete.
vortrefflich ftimmen. Aber abgejehen davon, daß Naynald wohl aus
der nämlichen pay jpätere Daten des Jahres 1337 anführt
(ad ann. 1337 Nr.5, 22) — die man als fpätere Zujäge erklären
müßte — ber Cod. Vatic. 3766 enthält, wie mir H. Dr. Ewald
auf meine Anfrage mitzutheilen die Güte hatte, jene Schlufnotiz gar
nicht. Dagegen ftehen fie in der nämlichen Faſſung in dem bereits
itirten Cod. Barberinus (Wr. 181); nur jtand zuerft da ‘anno
Domini MCCCCXXXVI. Das lette C aber ift durchſtrichen, und
an den Rand hat eine andere Hand die Bemerkung zugejegt: per
scriptorem qui copiavit illum. Ob nun Raynald aus diefer
Handfchrift oder aus einer anderen jene Notiz aufgenommen hat, man
wird ihr jedenfalls fein beſonderes Gewicht beilegen dürfen.
Endlich iſt noch ein Paſſus zu beſprechen, der vielleicht geeignet
it, die früher angenommene Grenze der Arbeit und des Aufenthaltes
einrichs in Avignon weiter Hinauszurüden. “Der erjte Abſatz von
ap. 9 in der Ulmer Handichrift (Fontes IV, ©. 27) berichtet von
der Zufammenkunft Kaifer Yudwigs des Baiern mit König Eduard
von England im Auguft 1338 zu Koblenz: Anno Domini 1338.
Johannes (faljch ſtatt Eduard) rex Anglorum transfretavit de
mense Augusti et venit in Confluentiam, quod dieitur Co-
blenez, dyoc. Magunt. (faljch ftatt Trier), ad Ludewicum ete.
(sic!), ubi erant electoresomnesexcepto rege Bohe-
miae, et ibi firmaverunt se ituros contra regem Ludewicum
(falſch ftatt Philipp) Francie, et aggressionem se facturos et in-
cepturos in proximo festo sancti Georgii, sed minime com-
pleverunt. Dies kann eigentlich nicht vor dem April 1339 ges
Ihrieben fein. Bis dahin müßte fich alſo Heinrich in Avignon aufs
gehalten Haben ; denn der nämliche Paſſus findet ſich Schon in dem
Cod. Ambrosianus (Muratori col. 1213 E) und, wie mir 9.
Dr. Ewald gefälligſt mitgetheilt, ebenfo im Cod. Vatiecanus 3766 ! —
in beiden Handichriften jedoch an einer ganz anderen Stelle, als in
der Ulmer Handſchrift: nämlich eingefchoben zwifchen die Erzählung
vom Tode Johanns XXII. (4. December 1334) und dem darauf-
folgenden Gonclave (13. December 1334)! Man wird diefen auf-
Ob auch in ber Barberinifchen Handſchrift, weiß ich nicht; Baluze und
Papebroch haben ihn weggelafien.
306
fallenden Uinftand kaum anders erklären können, als durch die An—
nahme, daß Heinrich diefen Paſſus in feinem Exemplar der Kirchen-
geichichte ohne Nücdficht auf den Zufammenhang am Rande flüchtig
notirt hatte, der Schreiber der Ambrofianifchen Handihrift aber (oder
des Archetypus derjelben) bei der Abjchrift ebenſo gedanfenlos ver—
fuhr. — Zu verwundern ift, wie man bisher gänzlich überjehen Hat,
dag Heinrich) von Diejjenhoven diefe Zujfammenkunft Ludwigs mit
Eduard zweimal erzählt: das erſte Mal an der angegebenen Stelle
(Fontes IV, ©. 27) und danı nad anderen Vorfällen des Jahres
1338 nicht eben viel ſpäter (S. 29) in folgender Weife: Anno
predicto 38. mense Augusti Edewardus rex Anglie cum sua
milicia numero quatuor milia equitum transfretavit et sexa-
ginta milia peditum. Et venit ad predietum Ludewicum in
Confluencia, et erant ibi omnes electores excepto archiepiscopo
Coloniensi, sed frater suus comes Juliacensis loco suo erat
cum pleno mandato. Ibi eciam aderat rex Bohemie.
Sed ceteri principes et plures alii promiserunt se ituros post
festum sancti Georgii contra regem Francie .cum domino Lu-
dewico et rege Anglie, qui magnam pecuniam predictis prin-
cipibus promiserat et partim jam dederat. Et ob banc cau-
sam mare remeare disposuit, ut aggressio predicta cicius ex-
pleretur. Daraus gewinne ih ein neues Argument für meine
Behauptung, Heinrich habe jenen erjten Theil von 1333—1338(9),
wie wir nun richtiger jagen müſſen, noch in Avignon verfaßt. Warum
hätte er ſonſt dajjelbe Faktum zweimal erzählen follen? Er Hat
offenbar, wie er als Canonicus in Gonftanz feine Arbeit fortführte,
die Darjtellung bei dem Syahre 1338 wieder aufnehmend VBeranlafjung
genommen, über die Zufammenfunft ausführlicher zu berichten.
Hier bietet ſich uns Gelegenheit, die Erörterung einer anderen
Trage anzufnüpfen: diefer nämlich, ob die Ulmer Handſchrift wirklich,
wie Lorenz meint, von Heinrich felbft angelegt it. Dann müßten
freilich feine Zuſätze zur Kirchengeſchichte auch äußerlich als ſolche
ſichtbar ſein; dies iſt jedoch nicht der Fall: ſie ſind in der Ulmer
Handſchrift bereits in den Text übergegangen. Aber vielleicht iſt dieſe
eine von Heinrich verfertigte Reinſchrift? Vergleicht man die beiden
Berichte über die Zuſammenkunft von 1338, ſo fällt außer der
größeren Reichhaltigkeit, welche die zweite Verſion auszeichnet, nament—
lich eine Differenz fofort auf. Sie betrifft den König Johann von
Böhmen, von dem es an der erſten Stelle heißt, er ſei in Coblenz
nicht zugegen geweſen, während an der zweiten das Gegentheil davon
behauptet wird. Daß aber das Erſtere der Fall war, dafür bedarf
es, glaube ich, kaum eines urkundlichen Nachweiſes, wiewohl es auch
an einem ſolchen nicht fehlt. Denn faßt man den Ausdruck ‘eciam’
ı In der am 5. September 1338 zu Coblenz erlaffenen Urkunde, in
welder Ludwig die zu Coblenz beſchloſſenen Reichsgeſetze verlündigt (Böhmer,
Fontes I, ©. 219) wird er (jowie der Erzbifchof von Eöln) nicht aufgeführt.
307
und die Worte Sed ceteri prineipes’ der zweiten Stelle ins Auge,
fo erhellt daraus, daß Yohann von Böhmen, wie der Erzbiſchof
Walram von Cöoln, nicht anweſend war, und daß es jtatt Tbi
eciam aderat heißen jollte Thi eciam aberat rex
Bohemie.
Wenn ih nun diejen Irrthum nicht Heinrich, fondern einem
Schreiber zur Laſt lege, wird man vielleicht entgegnen, daß aud) der
Autor bei einer Reinſchrift ſich eines ſolchen Schreibfehlers ſchuldig
machen konnte; wie wir jchon früher (S. 9) einen anderen gerügt
haben, indem bei der Additio zu 1. XXIII e. XVII in der Ulmer
Handihrift Fälichlih auf 1. XXIV c. XXVI jtatt XXXVII ver-
wiefen wird !. Aber faum möglich ift diefer Einwand, wenn es bei
dem Zufat Heinrichs zu Albreht I. (l. XXIV ec. XXXVII) in der
Ulmer Handſchrift fol. 255 heißt (ef. Fontes IV, ©. XVII): Ad-
dieio domini H. Dapiferi de Diessenhoven, qui historiam
continuat a morte Johannis pape XXIL, cujus ca-
pellanus fuit. Denn dies iſt thatſächlich unrichtig; Heinrichs Fort—
ſetzung beginnt anerkanntermaßen mit dem Jahre 1333, alſo noch
während des Pontificates Johanns XXII., nicht erſt mit deſſen Tode.
Dieſer Irrthum, der überdies in Widerſpruch ſteht mit der Ueber—
ſchtift von J. XXV c. I, wo nur dies erſte Kapitel als nicht Hein—
rich jelbft angehörend bezeichnet ift — diefer Irrthum, fage ich, ift
zu groß, als daß man ihm dem Autor felbjt zujchreiben könnte.
Die Hand, welche diefen Zufag gejchrieben hat, ijt aber aud)
entihieden die nämliche, von welcher die vorausgehende Kirchengefchichte
und die nachfolgende Fortjeßung zum Theil herrührt. Böhmer hat
gemeint (cf. Fontes IV, ©. XVII), daß diefe urfprüngliche Hand
nur bis fol. 272 (bis zum Jahre 1345) reihe, und dat fol. 273
bei veränderter Liniirung eine etwas abweichende Schrift beginne.
Diefer Anficht kann ich mic ebenfowenig anfchliegen als Huber,
welcher (ibid. Anmerkung) auch diefen Theil bis fol. 281d (bis zum
Jahre 1349) der erften Hand zufchreibt. Und dies gewiß mit Recht.
Es beginnt mit fol. 273 (mit den Worten “in bonis predicti co-
mitis’ Fontes IV, ©. 48 3. 13 v. u. mitten im Sage!) lediglich)
ein neuer Quaternio; daher die veränderte Yiniirung. Ya, Doceu,
welher zuerſt die Handfchrift beichrieben, geht jo weit (Archiv d. ©.
f. ä. d. G. Bd. I, ©. 31), ſelbſt den folgenden Theil von fol. 282
bis fol. 287 (von 1349—1354 Fontes IV, ©. 74 3.6. v. u.
‘Reservati attem fuerunt — ©. 95 3. 12 v. o. die Thome
apostoli’) der erjten Hand zuzuschreiben; und fie zeigt allerdings noch,
Henricus Kuyghtons Notiz (ibid. ©. 191 cf. S. XXI), daß der Erzbischof
von Cöln damals die Meſſe celebrirt habe, kann alfo nicht richtig fein. Vgl.
Johannes Bictorienfis (Fontes I, ©. 432): — — presentibus Moguntino,
Treverensi episcopis.
Aeyhnlicher Flüchtigfeitsfehler finden fich jehr viele; 3. B. heißt es in
der Addicio zu c. XLI ftatt ‘Recedente Ludovico de Pisis’ (col. 1210 C)
in der Handichrift ‘Rec. Lud, de ipsis’!
308
wie Böhmer fagt, die Heine rundlihe Schrift aus Yudwigs des
Baiern Zeit!, aber dod) einen von der erjten Hand etwas verſchie—
denen Charakter. Vollends bei dem legten Theile von fol. 287 an
fann fein Zweifel darüber beitehen, daß man es mit einer ganz ans
deren Hand zu thun hat. ch vermag nun aber nicht mit Yorenz
einzufehen, warum Böhmer Borausjegung jo verfehrt fein ſoll, daß
Heinrich fih (im Alter) feine eigenen Notaten habe kopiren lajjen.
pricht Yorenz ja jelbjt die Vermuthung aus, daß „Heinric während
der erjten zwei oder drei Jahre feines Gonftanzer Ganonicatd eine
Fortſetzung des Ptolemäus Lucenſis redigirte, diefe Arbeit aber fallen
ließ, und fich dann damit begnügte, die ihm befannt gewordenen Er:
eigniffe der Zeit annaliſtiſch und ganz gelegentlich, wahrſcheinlich unter
jeiner Auffiht von mehreren anderen Perſonen verzeichnen zu
laſſen“. Von dem erjten Theile aber bis fol. 281d (bis zum Jahre
1349) glaube ich nachgewiejen zu haben, daß er nicht von Heinrichs
eigener Hand gejchrieben. In dem zweiten Theile, wenn ich fo fagen
darf, fand ich eine beachtenswerthe Raſur, deren bei Huber nicht ges
dadıt wird. In dem Abjchnitt ‘De quibusdam que astronomus
quidem Parysiensis (fo die Handfchrift mit der gewöhnlichen Ab-
fürzung p) futura esse scripsit’ (Fontes IV, ©. 76) heißt e®:
— — Item anno L. quarto recuperabitur terra sancta et
Constinopolim (jo die Handichrift) et multi Latini eicientur.
Item anno LXX. septimo duo erunt pape, unus Londenensis,
alter Rome, et se mutuo excommunicabunt, sed Londenensis
justus, alter, id est Romanus, injustus. Das LXX num it
Raſur, und es ijt noch deutlich fichtbar, daß zuvor nur L da jtand.
Meberdie8 macht eine Hand und das Wort Nota' am Rande aus—
drücklich auf diefe Stelle aufmerkſam, welche in ihrer veränderten Ge—
jtalt offenbar auf John Wiclif anfpielt, gegen den die Kurie eben im
Jahre 1377 energiicher auftrat (vgl. R. Pauli, Bilder aus Alteng-
land, 2. Aufl. 1876, ©. 240 ff.). Da Heinrid von Diefjenhoven
\hon 1376 jtarb (Fontes IV, ©. XIII), jo kann er jelbjt die Aen—
derung nicht mehr vorgenommen haben. Ich war Anfangs geneigt,
fie der Hand zuzuschreiben, welche den letzten Theil geichrieben; aber
ic) wage dies nicht zu enticheiden. — Aus diefem legten Theile ver—
dient bemerft zu werden, daß die drei Abjchnitte des Jahres 1360
(Fontes IV, ©. 118—119 ‘Item quod imperator — episcopum
Constantiensem’) in der Handſchrift an einer anderen Stelle ftehen,
als es nad) der Ausgabe den Anjchein hat. Sie folgen nämlich dort
erst am Schluß des Werfes auf einem eigenen Blatt (fol. 296) und
darüber ftehen mit Mennig gefchrieben die Worte: ‘Gesta trium men-
sium subscriptorum deberent stare, si in loco debito starent,
in anno LX, ubi reperitur hoc signum o PB, quod si invenire
1)
* Lorenz hat diefen Ausſpruch Böhmers fälſchlich auf dem erften Theil bis
1341 (sic!) bezogen.
309
vis, verte duo folia et in tercio fere in fine invenies. Und
dem entfprechend ftehen zwei Blätter weiter vorne (fol. 295d) bei den
Worten ‘remanserunt usque ad’ (Fontes IV, S. 117) am Rande
folgende: Gesta trium mensium require in fine libri hoc
signo Bo. — Alles dies von der legten Hand. Ob man e8 hier
d
mit einem Verfehen des Schreibers zu thun hat, oder ob der Bericht
über die Vorgänge jener drei Monate erjt ſpäter abgefaßt worden,
bleibt fraglich.
Doch wenden wir und mun zu ber Anjicht von Yorenz über
Heinrichs Chronik felbft, die ſchon in dem vorher mitgetheilten Sage
angedeutet ift. Es jcheint Lorenz nicht zweifelhaft, daß „Heinrich®
im ftrengeren Sinne redigirte Arbeit wit dem Jahre 1343, d. 5.
mit dem Rap. 15 (Fontes IV, ©. 38) ſchließt“, welches übrigens
nicht vor dem Jahre 1345 gejchrieben fein fan, da in dem voraus—
gehenden Kapitel (14), wie Lorenz felbjt betont, bereit8 auf ein Er—
eignig des Jahres 1345 Hingewiefen wird!. Denn mit diefem
Jahre 1343 fchließe die Kapitelbezeichuung (in der Ulmer Handſchrift)
a. Dabei hat Lorenz aber überjehen, daß es mit der Kapitelbezeich-
nung überhaupt eigenthümlich beftellt ift, daß fie eine ungenaue, feh—
lerhafte ift. Denn das auf Kap. 7 folgende Kapitel ift in der Hand-
\hrift „gar nicht numerirt; Hierauf wird mit Kap. 6—9 weiter ge=
fahren; dann find vier nicht numerirt, hierauf kommt Kap. 10, dann
wieder zwei ungezählte, weiter Kap. 1I—15, morauf die Zählung
ganz aufhört“ (Huber, Fontes IV, ©. XVII). Ob man gerade
bierin Zeichen einer ftreng redigirten Arbeit erblicen darf, möchte
fraglich fein?, Wenig ftichhaltig fcheint mir auch folgende Begrün-
dung. Lorenz fagt nämlich ferner: „Erwägt man überdies, wie es
gewiß fein Zufall fein dürfte, daß eben um die Zeit, wo der redigirte
Theil des 25. Buches fchließt, unfer Heinrich eine veränderte Lebens—
fellung erhalten Hat, indem er eben um das Jahr 1340 Canonicus
in Conjtanz geworden ift, jo mag man die Annahme für gerechtfertigt
finden, daß der neue Ganonicus eben nur noch Zeit gewann, feine
Notaten zwei bis drei Jahre fortzufegen, um dann das Scidjal
feiner italienifchen Chronit anderen Händen anzuvertrauen“. Ganz
abgeiehen davon, daß Lorenz hier von zwei bis drei Jahren fpricht,
während er doch felbft früher bemerkt, daß das Kap. 14 nicht vor
1345 gefchrieben: aus der „veränderten Pebensftellung“ läßt ſich —
wenn man diefelbe überhaupt als Argument benugen will — wohl
I 8 ift dort in Kap. 14 nämlich von dem am 19. San. 1343 (Fontes
IV, &. XIV) gefchloffenen Waffenftiliftand zwifchen England und Frankreich
ht Rede und wird zugleich defien Bruch erwähnt, der im Sommer 1345 er«
te,
So iſt 3. B. auch der Schluß von Kap. 3 (S. 18 anno Domini —
Epiphaniam) in der Handichrift in den Anfang von Kap. 4 geſetzt! Es folgen
ter nad) Epiph. noch die von Huber ausgelaffenen Worte: et conclusit ut
supra,
XVIII. 21
310
eher der umgekehrte Schluß ziehen. ine neue Xebensftellung läßt
im Anfange wohl eher feine Zeit übrig, eine derartige Arbeit fortzu:
fegen, vollends gar „im ftrengeren Sinne zu redigiren”.
Grinnern wir uns vielmehr (cf. oben S. 300), daß in der Ulmer
Handichrift bei der Erwählung Benedikts XII. bereit8 auf deſſen
Nachfolger Hingewiefen wird (Fontes IV, ©. 22 Insuper — Ro-
manos); erwägen wir ferner, daß (ibid. ©. 29) bei der Verleihung
der Kardinalswürde an den Erzbifchof Petrus von Rouen im Jahre
1338 ebenfalls ſchon feiner fpäteren Erhebung auf den päpftlichen
Thron (al8 Clemens VI.) gedacht wird, daß unter demjelben Yahre
(ibid. ©. 30) Heinrich die allzu große Strenge Benedikts tadelt, der
niemal® aud nur auf furze Zeit das über Deutjchland verhängte
Interdikt habe fuspendiren wollen — was nicht vor Benedikts Tod
(im Yahre 1342) gejchrieben fein fann — und daß bei dem Jahre
1339 (ibid. ©. 32) bereit8 auf die Bermählung Ludwigs des Bran-
denburger8 mit Margaretha Maultaſch (ebenfalls im Jahre 1342)
angejpielt und Hinzugefett wird ‘ut infra dicetur tempore oppor-
tuno’: jo werden wir mit Huber den Beginn von Heinrichs Arbeit
in Conftanz in eben die Zeit feen, in welcher er jie nad) Lorenz
fallen ließ, das Heißt in die Zeit nad) Mitte 1342 (am 7. Mai
1342 wurde Clemens VI. gewählt, ibid. S. 37); vielleicht fogar im
Hinblid auf das nicht vor 1345 gejchriebene Kap. 14 (cf. oben)
und auf Kap. 10 (ibid. ©. 31), wo Heinrich von der väterlichen
Bürforge Herzog Albrechts II. von Deftreich für feine beiden unmün—
digen, 1344 geftorbenen, Neffen Friedrich und Leopold fpricht !, erit
in da8 Jahr 1345. Von diefem Jahre an fchreibt Heinrich, wie
Huber im Einzelnen nachgewiejen, faft ganz gleichzeitig.
Nur eine Bemerkung muß ich mir gegen diefen noch erlauben.
Das Interdikt, welches von Johannes XXIL. (1324) über Ludwigs
Lande verhängt worden war, hatte daſelbſt allenthalben Spaltungen
hervorgerufen. In den einzelnen Städten ftanden Bürger und Mis
noriten der Geiftlichkeit und den Predigermönchen gegenüber. Die
unerquidlihen Zuftände, die fi) aus diefem Schisma entwidelten,
ſchildert Heinrich fpeciell von Conftanz an mehreren Stellen (Fontes
IV, ©. 30. 38. 50. 65. 71. 73). Die Bürger vertrieben bie
Predigermöncde aus der Stadt, nur wenige fchismatifche blieben zus
rüd. Von diefen fagt Heinrih (S. 65) zum Jahre 1348: novem
annos prophanaverunt, dum hoc sceripsi? „Da num“, fett
Huber (S. XIV) erflärend Hinzu, „die Nichtachtung des Interdiktes
in Conftanz Anfangs 1339 begonnen hatte (S. 30; vgl. ©. TI),
jo zeigt fih, daß der Verfaſſer dies ganz gleichzeitig niedergefchrieben
hat“. Soll dies joviel heißen, daß Heinrich bereits 1339 mit feiner
! Quos dux Albertus nutrivit ut filios, quamvis et ipse filium
genuisset nomine Rudolfum (geboren im Nov. 1339, Fontes IV, ©. 33),
ıpsos tamen paterne prosecutus est. Ihr Tod wird berichtet S. 45.
” Im der Handidrift fol. 278c: novem annis prophanaverant dum
hec scripsi.
311
Arbeit begonnen, fo würde dies mit Hubers fonftigen Ausführungen
in entjhiedenem Widerfpruch ftehen. Doch zweifle ich, ob Huber den
Ausdruck dum heec scripsi’ dahin verftanden hat, ob man ihn über-
haupt in dem Sinne abfoluter Gleichzeitigfeit auffaffen muß. Nicht
unerwähnt darf ich laſſen, daß der Zuſatz, der fi in l. XXIV
c. XX der Kirchengeſchichte über den Kardinal Neapolio de Urfinis
in dem Cod. Ambrosianus und nad gütiger Mittheilung des 9.
Dr. Ewald aud) im Cod. Vaticanus 3766 findet und fo lautet
(Muratori col. 1194 E): qui adhuc superest anno Domini
MCCCXXXVIIL in Epiphania Domini, in der Ulmer Handſchrift
(fol. 258d) geändert ift in: qui adhuc superfuit anno Do-
mini MCCCXXXIX. in E. D. Und im 37. Kapitel des
24. Buches der Kirchengefchichte, wo Heinrich in einer längeren Ad-
dicio die Söhne König Albrechts I. nennt, findet fich zu Albrecht IL
bon Oeſtreich (Mur. col. 1204 CD) in der Ulmer Handſchrift die
beachtenswerthe Notiz (fol. 262b): qui omnibus (sc. fratribus
suis) supervixit. Von den fünf anderen Söhnen Albrechts I.
ftarb Rudolf im Jahre 1307, Leopold 1326, Heinricd 1327, Frie-
drih 1330, Otto aber nad Heinrich® eigener Angabe (Fontes IV,
©. 31) am 16. Februar 1339 (14. kal. Marcii). Don deffen
Tod hat Heinrich eben wahrſcheinlich erft in Conftanz Kenntniß er-
halter und daraufhin jene Worte Hinzugefügt !.
Auch diefe beiden Stellen fcheinen mir eine VBeftätigung meiner
Arfiht zu enthalten, die ich in Kürze dahin zufammenfaffen möchte:
Heinrich, von Dieffenhoven beginnt feine Fortfegung der Kirchengefchichte
ded Tolomeo von Lucca noch in Avignon im Jahre 1333 und führt
fie bier fort bis zum Jahre 1338(9). Von hier, von Avignon aus,
findet diefer erfte Theil Eingang in andere (italienifche) Handichriften
der Kirchengeſchiche. In Conftanz, wohin Heinrich) vielleicht im
Jahre 1339 ſchon übergeſiedelt, fett er Anfangs oder Mitte der vier-
nger Jahre feine Arbeit fort, den Baden der Erzählung bei den Er—
eigniffen des Jahres 1338 wieder aufnehmend und im Vorherge—
henden einzelnes ändernd, anderes zufegend. Die in der Ulmer
Handihrift vorliegende Reinſchrift aber hat er nicht ſelbſt beforgt ®.
Endlich ift noch der Irrthum Lorenz’ zu berichtigen, daß in der
Umer Handfchrift „mit großer Genauigkeit alle von Heinrich ges
madten Zufäge zum Ptolemäus als folche bezeichnet fein follen“ ®,
Der Sag ‘et ipse Rodulphus — reperiuntur’ in 1. XXI
e. III (Muratori col. 1166 C) 3.8. ift meiner Anficht nach eben=
Sollten fich vielleicht auf diefe Zufäte die Worte ‘dum hec scripsi’
beiehen? oder darauf, daß Heinrich etwa 1339 mit der Abſchrift der Kirchen
geihichte beginnen ließ?
Weilands Hypothefe (in Sybels Hiftor. Zeitf hr. XXXIV, 429), daß von
Heinrichs Chronik ausgeführtere Reinſchrifien eriftiren könnten, fcheint mir des:
halb nicht vecht plaufibel.
’ Aus dem in unferer Handfchrift fehlenden Theile der Kirchengefchichte
halte ich den Paſſus ‘Quod hodie apparet — Papam’ 1. XII c. VII (Mu-
satori col. 933 A) für einen Zufag Heinrichs von Diefjenhoven.
21*
312
falls ein Zufag Heinrichs, ohne daß derfelbe in unferer Handichrift
als folcher bezeichnet wäre. Bei der ſchon beiprochenen Addicio zu
l. XXIII c. XVII (Muratori col. 1174C) — 1175 A Habuit
et alium — debet poni) ijt nicht erwähnt, daß fie von Heinrich
jei; auch wird der Anfang nicht ausdrücdlic; angegeben. Ebenſo be»
trachte ic) als Zufag Heinrichs ibid. c. XX die Worte ‘nomine
Elisabeth, quae sibi filiium nomine Rodulphum, qui fuit rex
Bohemiae, genuit ete. — comiti de Oetingen’! und ebenda-
jelbft ‘quem (sc. Ludovicum) papa Joannes XXII. crebro ex-
communicat' (Muratori col. 1175 E und 1176 A); ferner
1. XXIV ec. XX die gleichfalls ſchon von mir citirten Worte ‘qui
adhuc — Domini’ (Muratori col. 1194 C)?. Daß Heinrid in
den Bericht über den Römerzug Heinrihs VII. ibid. c. XL einige
Worte eingefchoben hat (col. 1206 B ‘inter quos fuit dux Au-
striae nomine Lupoldus’; D “nter quos dominus Lupoldus
dux Austriae et Stiriae, filius regis Alberti, cum suis mag-
nam stragem fecit'; 1207 D ‘dioecesis Basiliensis’) — dies
hat bereits König (S. 69) hervorgehoben; jowie, daß die Verſe auf
Heinrichs VII. Tod (col. 1209 A) von Heinrich) von Diefjenhoven
berrühren, der in der vorausgehenden Addicio (col. 1208 D) ja
Ihon von der angeblichen Vergiftung des Kaifers ſpricht. Vielleicht
find auch die Verſe auf Kaifer Albrecht (Muratori col. 1204 D),
welche in der Ulmer Handichrift wörtlich gleichlautend bereits bei
Adolfs Tod in den Text (col. 1198 C vor ‘Regnavit autem')
eingefügt find, Heinrich zuzuschreiben, und ift die Grabjchrift auf
König Rudolf (col. 1198 A) erjt von ihm zugefet worden. Doch
farın darüber nur eine Vergleihung älterer Handſchriften der Kirchen:
geſchichte ficheren Aufſchluß geben; ebenjo darüber, ob — was id) für
ı Statt ‘Lupuldum ducem Austrise, qui fuit amicus papae Jo-
annis XXI.’ Tiest die Ulmer Handſchrift natürlich richtig: Joannis XXII. ®r
rade dieſe ſicherlich erſt nach Leopolds Tod (Februar 1326) gemachte Bemerkung
veranlaßt mich, den ganzen Paſſus Heinrich zuzufchreiben.
2Nachtrag. Ich bin in der Lage, für meine oben ausgeſprochene
Bermuthung, daß col. 1175 E ff. der Paffus ‘“nomine Elisabeth — comiti
de Oettingen’ und ‘qui dux — Bavariae regem’ Zufäte Heinrichs von
Dieffenhoven feien, Handichriftliche Belege beizubringen. Die bezeichneten Worte
fehlen nämlich in der von Muratori benutten Handſchrift der Kirchengeichichte
des Zolomeo zu Padua, melde fich noch dafelbft in der Bibliothek der Cathe—
drale befindet und jetzt die Signatur A 41 (cod. chart. 4. s. XV) trägt. —
Außerdem beſitzt die Univerfitätsbibliothel (jetzt Bibliotheca Regıa) in Pa
dua eine allerdings jimge, dem 17. oder 18. Jahrhundert angehörende Abſchrift
der Kirchengeihichte (Nr. 854 chart. 4.), welche aber deshalb wichtig, weil fie
eben eine Abichrift des Cod. Patavinus Muratoris if. Fraglich, ob gerade
von der erwähnten Handichrift der Caihedrale -Bibliothef, von welcher fie nas
mentlich darin abweicht, daß das 25. Bud; hier gleichfalls in Kapitel — 47 au
ber Zahl — getheilt ift. Auch schließt fie, wie Muratoris Ausgabe (col.
1212 C) mit den Worten ‘a suo confessore digno fide’ fetst aber noch hinzu
‘praedicatore tamen’!. Hingegen flimmt fie mit jener überein col. 1166 C,
1174 C und fpeciell noch an der citirten Stelle col. 1175 E; jedenfalls ift
fie bei einer neuen Ausgabe der Kirchengeſchichte genau zu vergleichen,
313
ſehr wahrfcheinlich halte — 1. XXIV c. XLI, wie der Paſſus Re—
eedente autem — tractabatur’ (col. 1210 C), fo aud) folgender
Heinrichs Eigentum ift, der in der Ulmer Handſchrift (fol. 264b)
nad den Worten ‘per ducem Bavariae et detentus’ (col. 1209 B)
folgt und fo lautet: duobus annis et 6 mensibus in castro
dieto Truweaniht (sic!) in Bawaria situm, in quo ad ipsum
venit spiritus malignus volens ipsum abduxisse, si se ei com-
misisset, quod renuit facere; tandem per compositionem libe-
ratus uterque se regem Romanorum intytulabat. Endlich fei
erwähnt, daß die Ulmer Handichrift in 1. XXIV ec. XXXVI (fol.
261d) nad) den Worten ‘rex Angliae in mari victoriosus effi-
eitur’ (col. 1203 C) nod folgenden Paſſus enthält: Item se-
cundum aliam cronicam hic Bonifacius natione de
Anania sedit annis 8, mensibus 9, dies 10. Cessgt episcopa-
tus dies 20. Hic Benedietus primo vocatus est qui longam
habuerat eurie experientiam; prius in curia advocatus, pape
notarius, postea cardinalis; propter quod in cardinalatu ex-
pedicior ad casus collegii terminandos et extraneis ad re-
spondendum nec habuit in hiis parem, sed ex hoc factus est
fastuosus et arrogans omnes contempnens. Unde factus pon-
tifex predecessorum suorum Nycolai et Celestini gratias revo-
cavit. Abeuntem Celestinum ad heremum detinuit et in cu-
stodia posuit ad cautelam vitandi diseidii, quia aliqui inusi-
tabant (sic! musitabant), quod cedere papatui non potuit 1295.
De Neapoli Romam vadit et Celestinum recludit. Eodem
anno statuit festa Apostolorum’ (ete. Muratori col. 1203 D).
Diefer Paffus ift deshalb wichtig, weil er beftätigt, daß die
Kirhengeichichte de8 Tolomeo von Lucca eben mit den Worten ‘sed
rex Angliae in mari vietoriosus efficitur’ abſchloß (cf. darüber
Muratori ©. 750; König ©. 5)!. Welche Chronif aber unter
jener „anderen“ verftanden ift, ob aus diefer Chronik auch die weitere
Fortjegung der Kirchengefchichte entnommen, ob man aus diefem
Ausdrud "Item secundum aliam eronicam’ nicht eigent-
{ih folgern follte, daß Heinrich ſelbſt mit diefer anderen Chronif
(zu welcher er noch feinerfeits Zufäge machte) die Kirchengefchichte
fortgefetst habe, oder ob er bereit8 in dem von ihm benußten Exem—
plar der Kirchengefchichte die Fortſetzung bi® zum Jahre 1323 (col.
1203 D — 1211 D) vorfand und nur bei der Reinfchrift feiner
eigenen Arbeit jene Worte zur Erflärung hinzufügte: das find Fragen,
ju deren Beantwortung ebenfall® die Heranziehung weiteren hand-
Ihriftlichen Material8 nöthig fcheint. Hier fei nur noch bemerft, daß
König (S. 65 ff.) den Bernardus Guidonis für den Fortjeger der
Kirchengefchichte bis zum Jahre 1323 Hält, und allerdings jtimmt,
wie König richtig vermuthet und zum Theil ſchon gezeigt hat (S. 64),
das von Kaifer Ludwig dem Baiern handelnde Kapitel 41 der
ı Berfaft ift fie befanntlich fpäter; vgl. darüber dem folgenden Abfchnitt.
314
Kirchengefchichte (Muratori col. 1209 B ff.) faft wörtlich mit dem
entfprechenden Abichnitt in der Kaiferchronif des Bernardus. Die
anderen Partien aber vor und nad) diefem Kapitel fcheinen mir eine
größere Uebereinftimmung mit den ‘Anonymus Venetus’ bei Baluye
(Vitae Paparum Avenionensium tom. I, col. 85—94 uud col.
169—172) und mit der Chronif des „Jordanus“ (Muratori Anti-
quitates tom. IV col. 1019 ff.), das heißt! mit der dritten Re
daftion des Gefchichtswerkes jenes Biſchofs Paulinus von Rıuteoli,
und eine noch größere mit deifen zweiter Redaktion zu bejigen, wor:
über ich in einem anderen Jufammenhange, in einer Arbeit über diejen
Paulinus, zu handeln gedenke, jobald mir das nöthige handſchriftliche
Material vollftändig zu Gebote fteht.
I. Zur Kirchengeſchichte des Tolomeo von Lucca.
Ich gebe im Folgenden zu dieſer eine Anzahl von Varianten
aus der Ulmer Handſchrift, welche den Muratoriſchen Text mannig—
fach verbeſſern und vielleicht für ſpätere Vergleichungen anderer Hand-
Schriften als Anhaltspunkt dienen können.
Zuvor möchte ich jedoch einige Worte über die Abfaſſungszeit
diefer jo überaus wichtigen Quelle einfchalten. Man hat aus dem
MWidmungsbriefe des Tolomeo an den „Presbptercardinal“ Wilhelm
von Bayonne (Muratori ©. 751) fehr richtig gefolgert, daß die
Kirchengefchichte zwiſchen 1312 und 1317 verfaßt ſei. Denn erſt im
December 1312 erhielt der Genannte die Kardinalswürde, während
er andererfeits von Tolomeo nicht als Biſchof von Sabina bezeichnet
wird, was er erjt im Jahre 1317 wurde. (Ganz irrig ift, wenn
in der Einleitung zu der neuen Ausgabe der Annalen Tolomeos in
den Documenti di storia italiana tom. VI, ©. 19 behauptet wird,
die Kirchengefchichte müjfe vor dem Jahre 1312 abgefaßt fein, weil
Tolomeo den Wilhelm von Bayonne nicht Kardinal nenne! Und
doch heißt es ausdrücklich Muratori S. 751 — Domno Guilhelmo
de Bajona tituli Sanctae Caeciliae presbytero cardinali
frater Ptholomaeus). König meint nun aber (S. 36), der Wid—
mungöbrief fei erft ſpäter zugefetst, die Kirchengefchichte felbft bereits
1311 abgeſchloſſen worden, weil Bernardus Guidonis fie in feiner
erften Ausgabe der Flores Chronicorum vom Jahre 1311 benukt
babe; und in Folge deſſen ift er ſogar geneigt (S. 68), das 35. Ka-
pitel des 24. Buches (Muratori col. 1202), welches die Kanonifation
Cöleſtins V. behandelt, und in welchem Clemens V. als bereits ge-
ftorben erwähnt werde, für einen Nachtrag von Bernardus Hand zu
halten. Allein, abgefehen davon, daß ich Klemens darin nirgends als
gejtorben erwähnt finde — denn die Ausdrücke Suo autem tem-
2 Bol. meine Differtation (1876) „Andreas Dandolo und feine Gejchichtt-
werte” S. 116 und 117,
315
pore’ (D) und ‘Hujus etiam pontifieis tempore’ (E) find doch
auf Göleftin zu beziehen — fo gut als Tolomeo nad) Könige Anficht
den Widmungsbrief erſt fpäter, nad) dem December 1312, zugeſetzt
hat, ebenfowohl konnte er die nur wenige Monate fpäter! erfolgte
Ranonifation Cöleſtins felbjt noch zuſetzen. Denkbar wäre ferner,
dog Tolomeo im Jahre 1311, wo Bernardus Guidonis angeblich)
die erite Ausgabe feiner Flores Chronicorum veranitaltete, die Kirchen
geihichte erft bi8 Kap. 34 geführt hatte; denn ob Kap. 35 und 36
(bis col. 1203 D) ebenfalls von Bernardus benutzt find, ift aus
König nicht erfihtlih. Endlich kann ich felbft gegen den Abſchluß der
eriten Ausgabe der Flores im Jahre 1311 ein gewiſſes Bedenken
nicht unterdrücken. Denn wenn auc die Vorrede zu der erſten Aus—
gabe im Cod. Paris. 4976 (Bouquet, Recueil t. XXI, ©. 693
Anm. 1; König ©. 34) fo fchlieft: usque ad tempora domini
papae Clementis quinti, qui hodie, scilicet in crastino Annun-
ciationis dominicae, quo haee scripsi, sedet in cathedra
saneti Petri, cujus pontificatus anno sexto Avinioni consistens
in Romana curia sine curis, anno Domini MCCCXI. hoe con-
seripsi opus . . .', jo enthält doch der nämliche Cod. 4976 nad)
Recueil S. 691 Anm. 2 bereits die Widmung an Johannes XXIL.
und am Schluß derjelben die Yahreszahl 1319. Aus den Worten
diefer Widmung aber ‘Jam pridem — floseulos collegi — us-
que ad obitum felicis recordationis domini Clementis pape
quinti’ möchte ich fchließen, daß Bernardus die erjte Ausgabe der
Flores noch bi8 auf Clemens Tod (1314) geführt habe. Ich ſetze
aljo mit K. Krüger „Des Ptolomäus Yucenfis Leben und Werfe“
(1874 ©. 82), der feine Anficht freilich nicht gehörig motivirt, die
Abfaſſung der Kirchengefchichte in die Zeit zwifchen 1313 und 1317.
Es beginnt die Kirchengefchichte in der Ulmer Handjchrift (Cod.
lat. Monac. 21259) auf fol. 243 leider erſt in lib. XXII und
liest nun alſo:
ec. 8(Mur. col. 1145 B) ftatt in dominio Florentino — in dyocesi Flor.
» > » C > et comitem — ut comitem.
» Zingheriae — Zinghene.
e. 9 » a Saxonibus — a Frisonibus
» apud Florensulam — apud Feronsolam.
c. 10 c. 1146 A fl. quem totum canonistae — quasi totum quem can.
» et auctoritate — et auct, pape.
e. 11 » D » aggravantes — generatas.
12 c. 1147 C » hodie extant — hodie currit.
c. 13 E » de Anagnia — fehlt.
1148 A > quo pauperes — quod p.
cardinalis de Florentia — de diocesi Florentinensi,
Ezelinus — Acolinus (sic!)
B >» auctoritates — auctores.
D » Alexandri anno III—IV.
c. 14
oO
vuvxv
c. 15 c. 1149
c. 16
" Mad; Baluze, Vitae P. Av. I, col. 19, am 5. Mai 1313.
.18 c.
c. 18 c.
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.19 c.
20
. 22 c.
23 c.
24
.25 o.
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29 c.
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. 32 c.
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c. 34 0.
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316
ad naturalem experientiam — ad particularem
experientiam.
fecit librum ubi — f. 1. de coequevis.
cum ense et lancea — c. e. et 1. jure pontificalis
Germanice.
vel circa — vel citra.
fecit casus — f. causas.
de civitate Trecensi — d. c. Tortensi.
sub initio textu — sub miro contextu.
glossanda — abservanda (sic!)
Doctor sanctus — D. scilicet
Mathematicam — Methonomicam.
contra Jordanum — c. comitem J.
partem ecclesie omnino deficere — omnino eccle-
siam def.
circa honoris augmentum — contra hon. a. (sic!)
virtuose se habuit — v. s. h. et gratiose.
Auxiensis episcopus — Anisiensis ep.
circa regionem Regni — c. regimen regale.
quod non deberet — quod debet (sie!)
sibi promissis — sibi provisis.
castra munitissima — c. m. et gente nobilissima.
belligerantes Romano more — b. antiquorum Ro-
manorum more
Sancto Elobro — S. Elloro.
elapsis IV mensibus — obsesso IV m.
castrum de Mutrone — c. d. Mucrone.
Finale — Fiennale.
combinari non potuit — obviari n. p.
atque certas partes — atque circa partes.
apud Austuram — ap. Auscuriam.
de quo supra est facta mentio — fehlt.
Certacarus — Certacarne.
jam epidemia — jam dictus ep.
Neapolitanum — Tyrapolitanum (sic!)
MCCLXX — MCCLXX III (sic!)
XLIX — XLVIII.
XLVI — XLVI.
XXIII a Primo — a Pipino. j
in festo Sancti Aegidi — i. f. S. A. hoc est in
principio Septembris,.
Lib. XXIII.
et addextravit — et ipse petidando (peditando)
destravit.
et ipse Rodulphus — et iste R.
circa partes Basileae — positus c. p.B. quam ipse
tunc obsidebat.
Lausanam occurrit eidem — Laus. LXXV (1275)
II. Nonas Octobris oceurrit ei ibidem.
quod prius contendebat cum Richardo — qui
pen contend. Rodolfo sicut contendebat
ichardo.
Imperio etiam vacante — I. e. v. licet Rudolfus
esset electus
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317
sine arbitris — sine armis
eumque multis ictus — e. inermem m. ict.
cum multa sua utilitate — c. m. subtilitate,
domini de Ceccano — d. d. Cycano (sic!)
quemque ego probavi — quam e. pr.
corpus transferri — c. transvehi.
doctrinam assumit — d. asseruit.
dominus Martinus — d. Marinus.
dictus Matthaeus — dominus M.
ad judicium sanctitatis — ad indicium se.
frater Raymundus — fr. Rynaldus,.
alii dicunt XLIV — a. d. XLVIII.
et creaturis — et creature.
super philosophiam, videlicet de coelo, et de ge-
neratione — 8. ph. et super decreta et super de
vacione (sic!)
Petrus de Alvernia — P. d. Alverina
de rationibus fidei — de ratione f.
quia omne quod movetur — q. o. bonum q. m.
quomodo fuerunt — q. sunt.
tractatus de infantibus qui sic incipit: Quomodo
circa naturam verbi — tr. de instantibus q. se.
i.: Quomodo omnem duracionem. Item tractatus
de verbo quod sit quisic incipit: Quoniam circa
naturam verbi.
secundus habitus est — sermo h. e.
super librum de divinis nominibus — s. 1. Dyo.
de d. n.
librum de caussis — super L. d. c.
sed inde subtractum — s. i. subtractus.
ac praesente rege Carolo — ac pr. r. nostro C.
Hartinanus — Hartmannus,
vietorioso — victoriosus.
Habuit et alium filium primogenitum — H. e. a.
f. secundogenitum.
Albertum secundogenitum filium — A. primoge-
nitum f,
Acharim — Ararim.
praebendam sibi sufficientem — praebendas s. suf-
ficientes.
habebatur — habeatur.
ab uxore — ab u. nomine Elyzabeth
vitam dueit etc. — cf. oben ©. 302.
et XX dies — et IX dies.
et ad tempora ordinationis — et ante t. o.
constitutionem Gregorii de reformatione cardina-
lium — c. G. de restrictione o.
Joannis XXI. — J. XXI.
Rex Hungariae — in margine manu alia saec. XV
vel XVI: quintam vero dedit regi Bohemie.
MCCLXXVII — MCCLXXVI.
in distinetione — in discretione.
mitis tantum in moribus — minus cautus in moribus
descripsit Valerius — diffinit Valentinus (sic!)
Joannes Numoms — J. Numonis.
dominus Manoellus — d. Numio genere (sio!)
sic arctatur — sic portatur. |
p
2999
2999
8229
*
*
318
. 1178 B ft. juxta palatium — preter p.
. 1178 E » sine vassallagio — sive vassallus.
„1199: D
. 1180 B
de Tuderto — de Turcheto
absolvere ab officio magisterii. Quatuor — ab. a.
o. m. et sic ipsum dimittens in suo statu nec
ulterius de patriarchatu molestans in dieto officio
magisterii iste III.
fieri domum — f. domos.
censeatur, videlicet dominus, vel capitaneus —
censeatur dominium, ut capit.
» 96 dist. 63 — 96 dist. et di. 63.
KUWNVMKMWHY
quarum reliquiarum pars quaelibet in propria ca-
psa erat — qu. r. qu. i. p. c. erant.
et custoditis ibidem — et c. in die ib.
pravitatis haereticae — inquisitionis h.
suam fecit audientiam — constituit aud.
Paschali papae I — P. p. I qui in ordine ponti-
ficum est. C.
et attentatio et cogitatio — hec cogit.
tertiam partem — certam p.
Lib. XXIV.
fuit aggravata turbacio — f. aggenerata t.
sex cardinales institut — V c. i.
dominum comitem Mediolanensem tituli SS. Mar-
cellini et Petri — fehlt.
Sed illi regi suceurrit Palaeologus — sed illo
mortuo successit ei P. (sic!)
ne sua victualia perderentur — ne sui v. perderent
cum suis destreriis — c. s. dextariis,
virum humanitatis — v. humilitatis.
mantellos sbarratos — m. subauratos.
quae Gerunda vocatur — qu. Gerenda voc.
cum D militibus — cum CL m. (cf. Guilelm. de
Nangis ad a. 1285).
Joannes Claricove — J. Daricorce.
dominus de Vigella — d. de Nigella.
nimis erant necessaria — minus (sic!) e. n.
decanus Pisanus — d. Parisiensis.
dominus Anteis — d. Anchorius.
de civitate Asculo — d. c. Excule (sic!)
Aprilis fuit — A. f. Et vacavit sedes ann. II et
mens. III.
adhuc superest MCCCXXXVII — adh. superfuit
MCCOXXXIX (cf. oben ©. 311).
homo religiosus — bonus religiosus.
praefata multa mala — mala predicta.
Fecerant enim armatam — P. e. armaturam.
et aliquos spoliabant — et aliquando sp.
Libelletum — Gybellectum.
Surti — Suri.
Jacha — Sacca.
Arseinferum castrum — Archiufferum C.
c. 29 ec.
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ESS
epoen
c. 35 c.
c. 36 c.
1202 C
D
1203 A
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Nu uwuw uw ou
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319
Boceronel — Botrone castrum fortissimäm.
Nemphinum — Nefinum castrum nobilissimum.
Nagatum — N. castrum potentissimum.
Templariorum — T. castrum nobilissimum.
Haec omnia — Omnes igitur diete civitates et castra
MCCLXXXIX oritur discordia — MCCXC or. d.
strenuitatem; unde habebat versus super suo epi-
taphio — str. et quamvis fuerit parvus comes
dietus de Habspurg dyocesis Constantiensis. Unde
versus descripti super ipsius epitafio sic habent.
anno mille — a. milleno (sic!)
de Nassau — de Nassowe.
paucos habebat introitus — pauperes h. i.
Hasembuel — Hasenbuhel; vor Regnavit — unde
versus: Alberhtum lacrimosa dies Veneris tumu-
lavit Adolfumque regem sibi terna dies sociavit.
in passione Romae moritur — in parascefe R. m.
in quodam saxo — in quadam saxa
dominus Pandulphus — d. Landolfus.
de Brocho — de Glotho.
in quibus curiales — in q. curie.
recitat et confirmat — autenticat et conf.
a VI. kal. Julii — a VII. K. J.
vel circa — vel citra.
dubitatur — inusitabatur (sic !)
Fumonis — Firmonis (sic!)
S. Petri Coelestini confessoris — S. Petri conf.
Bajonensium — Baronensium,
MCCXCV. — MCCXCIV. et ab Urbe condita
MMLXXXV.
ad casus declarandos — ad causas d.
ad exteros respondendum — ad exteris r.
nad efficitur — Item secundum aliam cronicam
etc. (cf. oben ©. 313).
nah catalogo sanctorum — Eodem anno (i. e.
1296) fecit publicari VI”,
Hic fecit alios cardinales — Hic f. inter a. c.
Joannem de Mo. .. — J. d. Mo. (Morone ?)
fuerit Guillielmus de Nugareto, Hungareco — fuit
G. de Ungareto.
videre — intuere.
in dyocesi Const. — dyocesis.
Kengefuelt — Kunigfuelt.
Agnetem — A. filiam predicti regis.
Albertum — A. qui omnibus supervixit (cf. oben
©. 311).
Haberspurg — Hapspurk.
nad unde versus — de hoc supra de Rudolfo.
MCCCII. — et ab Urbe MMXCIII.
nad) sedit autem — in kathedra Petri.
et cessat — et cessavit episcopatus.
Nicolaum de Pruto — N. de Prato.
ac libertates restituit — ac l. regi Franciae.
nah MCCCV. — et ab Urbe condita MMXCVI.
MCCCVII. — et ab Urbe condita MMCCCV. (sic!)
operibus factisgque — tam op. quam f.
c. 1206 A
B
C
c. 40 c. 1206 C
D
1207 A
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uyuu“ vuw—x“
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320
seque velle restituere universis pacem — nitens
injuriam passis restitucionem, universis pacem
in ingressu in Lombardiam — ingresso ex Lom-
bardia et Tuscia.
et materiam tradidit regiminis. Pietatem — et
meram trad. regiminis potestatem.
sperare et qui — sp. remeare qui (sic!)
Guido de Turre — G. d. Turri lature.
ne pro Matthaeo — ne per Mathei.
ost unum mensem — uno mense
inde instabilem fieri — inde Guido inst. f.
ab archiepiscopo — a dyocesanies.
cuncta perpetrata — c. paccata.
retributionem — contributionem.
informis summa taxata est — C”,. florenorum
8. t. e.
caesar prosilire suos jubet — cesaris principes
prosiliere cum suis
Matthaei filius — Maphei f.
pacem frangentes — p. fingentes.
nulla mearum — n. me horum (sic
ad bas terbinum commotiones — has turbines
commutacionum.
Nonne Italia diu lacerata — En It. d. concussa.
nos refugit — huius ref.
et Guelfum non admitti — G. non (sic!) abradant
Cremonensium placationem curavit; at caesar —
Cr. pl. indixit et c.
propter praeteritos casus — pr. pr. contemptus.
exponunt — deponunt.
nihbil quam fidelitatem solam petunt et navigiorum
copiam — nulla quam (sic!) fidelitate solam pe-
tunt nav. cop.
comitem de Homburg — c. de Honberk.
Sed vix itinere coepto — 8. v. cum centum.
Gammatesa — Gambachesa.
cum militum praesidio — c. m. subsidio vel praes.
evocatis illuc nobilibus — ev. absque dicta
(sic!) nob.
quid nuntii celeres — q. n. celebres.
A Clemente papa tres — a Cl. p. missus tr.
Frustra nego missus u — Fr. ergo mis.
qui advocatus adveni 8., vocatus adv.
quo fulcientibus vobis adveni id edat optio singu-
lorum — quod f. v. adjuver id edat oppinio s.
Nicolaus de comite — N de milite
Joannes de Sabello — J. de Sabellis. .
Theobaldus de Campoflore — Th. de Campofloris.
privata quaeque odia — pr. quoque od.
suscipere arctatus est. Deinde — suscepit; arta-
tus deinde.
confluunt — confluebant.
et forte istud — et f. iste.
et hie dedit — et hoc d.
sub speciebus panis — in sp
et die XXIV — et diebus X v.
Conradinus — Cunradus (sic )
e. 40 c. 1209 A >
c. 41 c. 1209 B
C
D
c. 1210 A
—
—A
321
traditur isti — tradidit isti.
Hic in laude Dei moritur in die — Hinc i. J. D.
m. die,
Est Pisam latus — E. Pisani |. (sic!)
terdeno — terideno.
MCCCXIUI. — MCCCXUL.
nad) detentus — duobus annis etc. (cf. oben).
sui vendicans — sibi v.
Ludovicus autem imperium suscepit — L. ipsos susc.
MCCCXXII. — MCCCXXUN.
competebat aut competierat — nur competebat.
veris tempore — verno t.
se ostentavit — ostentari.
legibus etiam latis ordine perversis — leg. et or-
dine perversis.
Raymallurii — Raymallucii (sic!)
Reatinensis dioecesis — Reacine d.
qui uxorem habebat, habuerat et adhuc habet,
Joannis Matthaei filiam — q. ux. habuerat et
adhuc habuit Johannam M. (filiam fehlt).
ecclesiae praesidem — e. praesidentem.
non esse etiam papam — non esse p.
audita essent horori — auditui sunt h.
O insana — O insani est capitis,
furor furiens — f. furens.
non volens sed nolens — non nolens sed volens (sic!)
quo hoc scripsimus — q. hec sc.
de Pisis — de ipsis (sic!)
antipapam cepit — a. c. praedictum.
antipapa — papa (sic!)
in dieto palatio — in praedicto p.
beati Galli — sancti G.
Kleinere Mittheilungen.
In welhen Monat ded Jahres 9 n. Chr. fiel die Schladt
im Teutoburger Walde ?
Bon Edm. Meer.
Das große Intereſſe, welches die Schladht im Teutoburger Walde
zumal nach dem detaillirten Berichte des Dio Caſſius (LVI, 18—22)
nothiwendigermweife für uns haben muß, Hat nicht verfehlt, Unter-
fuhungen auch darüber hervorzurufen, an welchem Tage des Jahres
9 fie geliefert fei. Allein wenn es ſchon an Zeugniſſen fehlt, welche
ung das Jahr durch Angabe der Confuln oder nad) Olympiaden oder
ſonſt wie direct überliefern, fo find wir Hinfichtlich des Monats
und Tages gänzlih auf Combinationen angewieſen. Denn wermn
Ludwig Jahn — der Turnvater — in feinem „teutfchen Volksthume“
als Tage für allgemeine Nationalfefte neben den Zagen der Schlacht
bei Merfeburg und des Augsburger Religionsfriedensg auch den Tag
der Hermannsichlacht vorichlägt und diefe nad Florus IV, 12 mit
der Schlacht von Cannä auf ein Datum — den 2. Auguft — fallen läßt,
jo hat er die Stelle des Florus nicht richtig verftanden. Florus
jagt: Varus perditas res eodem quo Paullus Cannensem diem
et fato est et animo secutus. Das heißt aber offenbar nichts
anderes als: Varus machte e8 in der Schlacht ebenfo wie Paulus
am Tage von Gannä, d. h. verzweifelte und nahm ſich das Leben.
‘Dies’ jteht mithin für ‘clades’ und fann nicht im Entfernteften an—
deuten, daß beide Schlachten gleiches Datum Hatten.
Des Curioſums wegen fei erwähnt, was wejtfälifcher Localpa—
triotismus auch hier geleiftet hat. Der Paſtor Peterſen in Weitmar
(zwiſchen Bochum und Dortmund), der das Schlachtfeld in der Nähe
jeines Pfarrdorfes ausfindig gemacht hat, glaubt als Tag der Schladht
den 15. Auguft deshalb annehmen zu dürfen, weil diefer Tag, an
dem die Kirche die Himmelfahrt Mariä feiere, ficher ehemals ein
großes heidniſches Feſt geweien ſei. Da nun auf ein foldhes in
Weitmar die noch immer alljährlich daſelbſt ftattfindende Kirchweihe
verbunden mit Jahr- und Viehmarkt hinweiſe, jo fei anzunehmen,
daß jenes heidniſche Feſt dem Andenken der bei Weitmar gelieferten
Schlacht gegolten Habe.
Mejentlih anders fteht e8 mit der Kombination von Eduard
XVII. 22
326
Schmid, welcher in der Heinen Schrift „Beſtimmung de8 Tages der
Hermannsſchlacht“ (Jena 1812) und fpäter in dem Artikel „Herman“
der Enchelopädie von Erich und Gruber (2. VI, 221) die Tage vom
9—11. September als Tage der Schladyt hat erweifen wollen. Da
fein Anja mehrfach acceptirt ift, z. B. von Klrafft?) in dem Ars
tifel „Arminius* in Paulys Nealenchel. d. cl. Alterth., und da aud)
diejenigen, welche die Beitimmung des Tages für unmöglich halten,
doch wenigjtens bei den September jtehen bleiben, jo ſcheint es der
Mühe werth, Schmids Beweisführung näher zu betrachten.
Schmid ſucht zuerft nachzuweien, da Arminius, von dem es
bei Bell. II, 118 Heißt, er habe die Zeit des Ueberfalls vorher feit-
gejett, wohl einen Neumond als den Zag bejtimmt Habe, an dem
loszubrechen jei.
Denn Tacitus Germ. c. 11 fage, die Deutjchen Hätten die Zeit
nad) Nächten berechnet und wichtige Angelegenheiten am Voll- oder
Neumond vorgenommen; und fo erzähle auch Cäſar (B. G. I, 5l),
den Deutjchen des Ariovift fei von ihren Priefterinnen verboten wor:
den, vor dem Neumond anzugreifen. Sei letzteres Verbot vielleicht
auch nur für den bejonderen Fall gegeben worden, fo beweije c& dod),
wie viel die Deutjchen gerade auf den Neumond gaben. Darum
werde Arıninius wohl den Ueberfall lieber auf einen Neumond als
auf einen Vollmond angeordnet haben.
Nah Dio 1. 1. aber hätten die Deutfchen zu gleicher Zeit re
mit einem Male ($Earuvaios) und von allen Seiten (mavzagoder
angegriffen: wie hätte eine folche Uebereinftimmung bei einem noch jo
ungebildeten und unter fich getrennten Volke herrichen follen, wenn
nicht eine fo ausgezeichnete und fo befannte Naturerfcheinung zu Hülfe
genommen wäre ?
Sodann glaubt Schmid als wahrfcheinlichen Monat den Sep—
teinber auf Grund folgender Angaben der Alten annehmen zu dürfen.
Erftens fage Vellejus II, 117 Varus habe den Sommer mit
Gerichthalten und Kechtiprechen zugebradit.
Ferüer fei nach Tacitus (Germ. 26) der Winter in Deutſch—
land jehr früh eingetreten, jo daß weder der Name des Herbites
nod) feine Güter befannt gewejen feien. Negen und Wind, die nad)
Dio den Römern fo verderblicd) wurden, beftätigten dies,
Drittens werde erzählt bei Dio (LVI, 23), Tiberius, der joeben
die Unruhen in Pannonien beigelegt hatte und nach Rom geeilt war,
habe jogleid) mit einem neu geworbenen — nach Gallien eilen
müſſen, um einem etwaigen Vordringen der Deutſchen entgegenzutreten.
Endlich werde ebenfalls bei Dio LV, 18, 1 gemeldet, daß Au—
guſtus, als die Nachricht von der Niederlage nach Rom gekommen
ſei, die Spiele unterſagt habe, die alljährlich an feinem Geburts—
tag — dein 23. September — gefeiert ſeien.
Hiernach ſei e8 Mar, daß die Schlacht nicht früher als im
Auguft und nicht fpäter als im September ftattgefunden haben Fönne.
Nach aftronamifcher Berechnung fei aber der zunehmende Mond
327
im J. 9 zuerft am 8. September Abends fichtbar geworden: Halte
man nun die Zeit von etwa 13 Tagen für genügend, damit die Nach»
riht am 23. September in Rom fein konnte, jo werde die Schladit,
die drei Tage dauerte, wohl am I—11. September gejchlagen jein.
Obwohl man nicht recht einfieht, wie das Zuſammenfallen der
Schlaht mit dem Ende des pannonifchen Aufftandes zur Beſtimmung
des Monats beitragen foll, fo wird man Schmid Argumentation
das Lob nicht verfagen fünnen, welches fein Lehrer Yuden, Geld). d.
teutſch. Volks I, 602 2°, ihr giebt, daß jie ſinnreich jei; ja es ijt be=
merkenswerth, daß Luden nichts weiter gegen fie einzumenden hat, als
daß die Deutfchen nicht alles in der Hand gehabt hätten, um fich die
Schlachttage zu wählen. Und in der That würde der September als
Monat der Schlacht unzweifelhaft von Schmid erwiejen jein, wenn
es rihtig wäre, daß die Nachricht von der Niederlage am 23. Sep
tember in Rom eingetroffen wäre. Allein hier hat fih Schmid ge—
irrt: davon jteht bei Dio nichts, das Felt, welches nicht gefeiert
wurde, ijt vielmehr das, welches wegen glüdlicher Beendigung des
pannoniſchen Krieges durch Tiberius begangen werden follte: lei—
der giebt Dio aber hier fein Datum an. — Dies hat Schmid wohl
auch bald jelbft eingejehen, denn im dem Artifel „Hermann“ bei Erich
u. Gruber 1. 1. ift er auf diefen Punct nicht wieder zurückgekommen.
Damit aber fällt jeder weitere Anhalt für den September.
Denn wenn Bellejus fag: Varus aestiva trahebat
mit Rechtiprechen u. ſ. w., fo bezieht fich dies auf die ganze Zeit,
die Barus in Deutfchland war (7—9); und jelbjt wenn es fich auf
das J. 9 bezöge, braucht e8 noch nicht zu heißen, der Sommer ei
vorüber geweſen.
Die Angabe des Tacitus aber, die Deutfchen hätten den Herbft
und feine Güter gar nicht gekannt, ift einmal gewiß im Sinne des
Stalieners zu verftehen, der an das Einbringen der Herbftfrüchte und
namentlich an die Weinernte dachte, und wäre dies aud) nicht der Fall,
wir wiſſen aus einer Notiz des Bellejus (II, 105) aud) für jene Zeit,
dag die Witterung mitunter bi® in den December hinein jo mild war,
daß fie ein Verbleiben des Heeres in den Sommerquartieren geftattete.
Der Sturm und jtrömende Regen, deren Dio allerdings zweis
mal Erwähnung thut, erinnern freilich an die Stürme des Herbit-
äquimoctiums, die ja Häufig ſchon Anfangs Septeinber eintreten: aber
kommt nicht ähnliches Wetter in unjerer Norddeutichen Ebene zu
allen Jahreszeiten vor? Wer auf einen folchen Umſtand eine genauere
— gründen wollte, würde doch in der That in die Luft
uen. |
Schmid hat aber bei Erſch und Gruber a. a. D. noch ein neues
Zeugniß für den Herbft beigebracht, das er in feiner Schrift noch nicht
hatte. Nach Bellejus (TI, 120) ſei nämlid L. Aſprenas, VBarus’
Neffe und Legat, Schon in die Winterquartiere gegangen gewefen. —
Allen auch aus diefer Stelle ift gerade das Gegentheil zu entnehmen.
Sie lautet, nachdem unmittelbar vorher nicht etwa die Rede von der
22%
328
Schlacht geweien, fondern von Tiberius' Maßregeln zur Sicherung
des Rheines: reddatur verum L. Asprenati testimonium, qui
legatus sub avunculo suo Varo militans gnava virilique opera
duarum legionum, quibus praeerat, exercitum immunem tanta
clade servavit matureque ad inferiora hiberna descendendo
vacillantium cis Rhenum sitarum gentium animos confir-
mavit.
Wenn die Völker auf dem linken Aheinufer ſchon wanften, jo
liegt auf der Hand, daß Ajprenas erft nach der Niederlage des Varus
in die Winterquartiere am untern Rhein gegangen ijt, und zwar wird
man aus dem ‘mature’ entnehmen müljen, daß es eigentlich nod)
nicht die Zeit war, in die Winterquartiere zu gehen..
Möglicherweife heißt aber ‘mature’ hier geradezu „Ichleunig“,
welche Bedeutung es bekanntlich mehrfach hat; e8 mag nur an das
befannte ‘primum omnium consulito, sed ubi consulueris, ma-
ture facto opus est’ bei Salluft erinnert fein. — Ganz verfehrt
ift e8 deshalb, aus der Stelle folgern zu wollen, Varus habe fid
nicht bei Zeiten in die Winterquartiere begeben, ſei von der jchlechten
Jahreszeit überrafcht worden und habe dadurch feinen Untergang ver-
jchuldet. Denn man müßte alddann annehmen, daß Varus während
des Winters ſtets aus Deutjchland heraus an den Rhein gegangen
jei. Aber er — und, wie Puden ſchon mit Recht bemerkt, wohl der
Kaiſer ſelbſt — hielt Germanien für fo gefichert, daß er es eben
ganz nad) Art einer römischen Provinz einzurichten unternahm !.
Wenn nun jchon Fiberius, dem eigentlich die Unterwerfung Nord-
weſtdeutſchlands zu verdanken war, fein Heer “in mediis Germaniae
finibus ad caput Lupiae fluminis’ überwintern ließ (Bell. II, 105),
fo fann man von Varus unmöglic) annehmen, daß er jeden Winter die
Provinz fich ſelbſt überlaffen habe und an den Rhein zurückgekehrt
fei. MUeberwinterte doch auch Cäfar in Gallien immer inmitten des
neu eroberten Landes! Es fommt dazır, daß Dio LVI, 18, 2 aus
drücklich ſagt, es hätten römische Truppen damals in Deutichland
überwintert. — Wäre übrigens das Unglücd des Varus vorzugsweile
als eine Folge feines zu langen Verweilens im Sommerlager ange
gefehen worden, fo würden wir das ſicher auc deutlich ausgeſprochen
finden, da man mit Vorwürfen gegen den Unglüdlichen durchaus
nicht zurüdhaltend war. Es wird ihm aber nur zur Laſt gelegt,
daß er denen nicht geglaubt habe, die ihm von der Verſchwörung des
Arminius Mittheilung machten, und daß er fein Heer nicht jo zu—
ſammen gehalten habe, wie e8 in Feindesland nöthig war.
Für den Herbft des J. 9 kann daher auch nicht geltend gemacht
werden, daß Varus, als er überfallen wurde, in ber Richtung von
Oſten nad Weften gezogen fei, d. h. nad dem Nhein zu im die
1 Luden fagt mit gutem Grund, Barus werde nicht auf eigene Hand,
fondern auf ausdrückliche Inftruction des Auguftus Deutihland regelrecht haben
zur Provinz machen wollen,
329
BDinterquartiere. Er wollte wicht nur gar nicht in die Winterquar-
tiere an den Rhein, wie wir eben nachwiefen, fondern die Richtung
ſeines Zuges wurde lediglich; durd) den Ort beftimmt, an welchem
der Aufitand ausgebrochen war, durd den ihn Arminius nach einer
beitimmten Richtung Hin engagiren wollte. — Xeider wilfen wir ja _
trog aller Unterfuchungen doch nichts Genaues über den Ort der
Shladht und über den Punct, von dem Varus auszog; es ift aljo
die Richtung von Oft nah Weit, die Varus angeblich innehielt,
ganz unficher. An ſich ift fie aber nicht wahrſcheinlich; Arminius
wird ihn doch nicht nach dem heine zu haben loden wollen, fon»
dern vielmehr vom Rheine weg an die nördliche oder füdliche Grenze !
des Gebiets, welches in der Machtſphäre der Römer lag.
Es ftehen fomit weder die von Schmid vorgebradhten Gründe,
noh die anderen eben bejprochenen einer früheren Datierung ent—
gegen: zu einer folchen glaubte aber genügenden Grund zu finden
9. Brandes, in der Zeitichrift Im neuen Reich 1875, I, 746, wo
er anläßlich der bevorjtehenden Enthüllung de8 Hermannsdenfmals
darauf hinwies, daß als Jahr der Niederlage das Fahr 9 Fäljchlich
angenommen werde, da e8 nad) Dio vielmehr das %. 10 fei?.
Tiberius, deducirt Brandes, jei noch im Jahre der Schladht
jelbft mit einem neugeworbenen Heere an den Rhein gegangen. Das
Heer zufammenzubringen aber fei ſchwierig geweſen, da Dio berichte,
Anguftus Habe dabei folchen Widerftand gefunden, daß er gegen bie
Renitenten nicht nur mit Güterconfiscationen vorgehen mußte, fon-
dern ſelbſt mit Hinrichtungen. Sei aber hieraus zu folgern, daß das
Aufbringen des Heeres nur langjam von Statten ging, jo habe Ti-
berius unmöglid) noch in demfelben Jahre an den Rhein gelangen
fönnen, wenn die Schlacht im September ftattgefunden habe; fie
werde aljo in den Auguft zu fegen fein. — Brandes würde voll-
fommen Recht haben, wenn es in der That feſtſtünde, daß Tiberius
noch im Fahr der Schladht am Rhein war. Aber das wird nirgends
bezeugt. Denn wenn Dio ihn edIus und orovdH an den Rhein ab»
gehen läßt, jo muß das, wie ſchon Hot, Röm. Raifergefh. II, 78,
richtig bemerkt, in Relation zu der Marſchbereitſchaft des neuen Heeres
verftanden werden.
Und noch weniger fönnte man fir Brandes etwa anführen, Dio
ı Nach Dio läßt Arminins eins der ferneren (Tv anwder olxovvıwy,
l. 1. 19, 4) Bölfer ſich erheben.
? Kür das Jahr 10 ift auch, ohne Angabe von Gründen, Mommſen
(C.I. III, 2, 280); aber es ift durchaus am 3. 9 feftzuhalten. Die Frage ift
in Jahns Jahrb. f. Phil. und Pädag. 1876 in vier Meineren Auflägen von
Gardthauſen, Arm. Schäfer, Lüttgert und Schrader erörtert worden; am einfachften
und präcifeften hatte das Richtige ſchon dargethan Abraham in dem Progr.
der Sophienrealjchule in Berlin von 1875 ©. 12.— Herr Dr. D. Gruppe hat mid)
freundlichft daranf aufmerkfam gemacht, daf das Jahr 9 auch aus der Ehrono-
logie der ovidiſchen Triftien und Briefe aus P. bervorgehe. Das ift richtig und
Ihon von Maffon in feinem Leben Dvids bargethan sub a. Ch. IX, U. C
DCCLXIL ID, 4.
330
erzähle das Abrücen des Heeres noch in demſelben Jahre, in welchem
er die Schlacht erzählt hatte. Die Anordnungen zur Bildung des
neuen Heeres, an welche Dio die Meldung von Tiberius’ Abreife an
den Rhein anfchließt, fanden ja jedenfalls noch im J. 9 ftatt; es
würde ein leicht erflärliches und fehr entjchuldbares Uebergreifen in
da8 folgende Yahr fein, wenn er zwei fo eng zu einander gehörende _
a wie die Bildung des Heeres und fein Ausrücen zufanmen
erzählt.
Allein noch durch eine andere uns zufällig überlieferte Thatſache
könnte man Brandes’ Anficht ftügen wollen: er felbft konnte fie nicht
für fi) vorbringen, da er für die Schladht das Jahr 10 annimmt.
Wir wiffen nämlich durd die Faften von Pränefte, daß Tiberius am
= Januar des J. 10 in Rom war und den Goncordientempel
weihte.
Da e8 nicht wahrfcheinlich ift, fann man fagen, daß Tiberius
erft nach dem 16. Januar nad) Deutſchland abging, fo muß er aus
Deutichland fchon wieder zurückgekehrt geweſen fein, wie er ja meift
den Winter nah Rom ging, um die Regierung des alternden Kaiſer
nicht in Bahnen gerathen zu laffen, die ihm nicht genehm waren.
Und eine Beftätigung diefer Anficht Fünnte man aus der Meldung
de8 Dio entnehmen, daß Auguftus die Feier aller Feſte unterfagt
habe. Sollte er daher die Einweihung des Concordientempels zuge:
laffen haben, bevor Tiberius an. den Rhein abging? Sie fcheint
eher begreiflich, wenn Tiberius bereit3 die Rheingrenze gefichert hatte
und der Raifer ruhiger fein konnte.
Jedoch auch diefe Argumentation ift unfiher. Denn derſelbe
Dio erzählt uns, Auguftus habe fich beruhigt, als er erfahren, daß
die Deutfchen nicht daran dächten, den Rhein zu überfchreiten. Daß
aber diefe Nachricht bald nad) Rom gelangt fein wird, darf man
kaum bezweifeln: Auguftus hatte nicht umfonft jo viel Sorgfalt auf
das Syſtem der Militärftraßen und den cursus publicus verwendet,
Einrichtungen, die er unter die “instrumenta regni’ zählte, um von
jedem Vorfall in der Provinz möglichit fchnell und zuerft unterrichtet
zu fein. Wie fchnell aber die Fuftitution der Staatspoft functionirte,
wiffen wir daher, daß Tiberius, als er im J. 9 v. Chr. aus Ober:
Stalin an das Krankenbett feines Bruders Drufus eilte, in 24
Stunden 200 Millien, d.h. 40 geographiiche Meilen, zurücklegte, und
nod) dazu ‘per modo de victam barbariem’, wo die Straßen nod)
nicht fo gut waren wie im übrigen Reiche (Val. Mar. V, 5,3). Lange
wird e8 aljo nicht gedauert haben, bis Auguftus’ Furcht vor einem Angriff
der Deutfchen verfchwunden war. — Und wenn man fagt, e8 fei nicht
wahrfcheinlich, daß Tiberius erjt nach dem 16. Januar des folgenden
Jahres an den Rhein gegangen fei, fo fcheint dein Sueton gegenüber
zu ftehen, der mit Beziehung auf die Beendigung des pannonifchen Auf⸗
ſtandes von Tiberius fagt: proximo anno repetita Germania.
ı Tib. c. 18,
331
Man denkt eben gar nicht au die Möglichkeit, daß die Schlacht
noch fpäter als am 9—11. September ftattgefunden Haben fönnte.
Und follte man nicht gerade vermuthen, daß Arminius auc die
Ihlehte Jahreszeit und die längeren Nächte mit in feine Berechnung
gezogen habe?
In der That fcheint fi) ein Umftand anführen zu laffen, der
für eine ziemlich fpäte Datierung der Schlacht ſpricht.
Wie bereitd erwähnt, jteht e8 aus dem übereinftimmenden Zeug—
niß des Dio und Vellejus feſt, daß die Schlacht furze Zeit vor die
Beendigung de8 pannoniſchen Krieges fällt, fo daß die Nachricht fünf
Tage nach Beendigung des Krieges bei Tiberius eintrifft.
Nun fallen aber nach Dios jehr ausführlicher Erzählung in das
legte Fahr des Krieges fo viele Ereignijfe, daß man geglaubt hat, fie
auf zwei Fahre (9 und 10) vertheilen zu müſſen. Das geht jedoch nicht
an; alsdann bleibt aber nichts übrig, als den Krieg ſich bis fpät in
den Herbit des J. 9 Hinein erjtreden zu laffen, und es wirde noth-
wendig fein, auch die Schlaht im Teutobitrger Walde gegen das Ende
des September hinabzurüden.
Auguftus war im %. 8 mit der ficheren, aber ſehr vorfichtigen
Kriegführung des Tiberius nicht zufrieden gewefen, fondern hatte ihm
vorgeworfen, den Krieg abfichtlic, in die Yänge zu ziehen, und ihm
deshalb den Germanicus an die Seite geitellt; im J. 9 Hatte er
diefem fogar allein die Führung des Krieges übertragen, indem er
Tiberius in Rom zurück behielt (Dio LV, 31).
Germanicus belagerte und nahm nun im %.9 zuerjt einige dal=
matische Bergfeften, aber nicht ohne Schwierigkeit (Dio LVI, 11). Ins—
bejondere widerftand das feſte Splaunon feinen Belagerungsmafchinen
ebenfo wie wiederholten Stürmen und wurde endlich nur durd) einen Zur
fall genommen; die Burg hielt fi) aber noch längere Zeit, nachdem die
Ortichaft felbit fchon in den Händen der Römer war. — Es folgte
die Belagerung eines andern Caſtells, Rhätinum; aber auch diefe
ſcheint nicht jehr Schnell beendigt worden zu fein, da Dio fagt, die Römer
jeien dabei felbjt in große Gefahr gerathen. Gleichzeitig mit Rhäti—
num war zwar eine dritte Feſte gefallen, die Tiberius einſt vergeblich
belagert hatte, Seretion, aber der Widerftand der Dalmater dauerte
fort. Da ſich mithin, fagt Dio, der Krieg in die Ränge
309, Jah ſich Anguftus dennoch wieder genöthigt, den Ziberius auf
den Kriegsichauplag zu fenden. Diefer fand bei jeiner Ankunft die
Soldaten über die lange Dauer des Krieges fehr mißmuthig; fie
wollten fich, heißt es, allen Anftrengungen unterziehen, wenn nur der
Krieg bald endete. Allein in dem fchwierigen Terrain war mit einem
fühnen Schlage nichts zu machen, und Ziberius, von dem Vellejus
rühmt, daß nie ein Feldherr weniger fi) von den Wünſchen des
Heeres habe leiten Laffen, griff daher den Krieg fyftematiih an. Er
theilte fein Heer in drei Corps, die in verfchiedenen Theilen operirten
und das Pand gewiffermaßen ausfegen follten. Er felbjt übernahm
dabet die ſchwierigſte Aufgabe, den Kampf gegen den Defidiaten Bato,
332
der die eigentliche Seele des Krieges war. — Die beiden anderen
Armeen wurden denn auch jchneller mit ihrer Aufgabe fertig als Ti
berius: er mußte den Bato durch das ganze Land hindurch von
einem Orte zum andern treiben, was natürlich faum im furzer Zeit
möglid war. Endlih mußte Bato fi) in das von Natur auferor-
dentlich ſtark befeftigte Andetrium ! bei Salona zurückziehen, das Tiberius
num belagert. Alleines madhteihm gewaltige Mühe — dewäc
Errovnoev jagt Dio —, und bie Belagerung wird fich daher wiederum in
die Länge gezogen haben. Trotzdem aber ſah Bato jett ein, daß län«
gerer Widerſtand auf die Dauer vergeblih ſei. Er fuchte deshalb
die Befagung zu Verhandlungen mit den Römern zu bewegeu, allein
umfonft. Als fein Rath nicht befolgt wurde, verließ er die Feſtung
und betheiligte fich wicht mehr am Kriege, obwohl er nad) vielen
Puneten, wo noch Widerftand ftattfand, eingeladen wurde. — Jetzt
dachte Tiberius leichteres Spiel mit der Feltung zu Haben, aber au
ihn verließ einmal feine fonjtige Vorfiht: ein Sturm, den er unter
nahm, brachte die angreifenden Truppen in die höchſte Gefahr; nur
eben zur rechten Zeit konnte Ziberius, der den Kampf genau verfolgt
hatte, ihnen Hülfe ſenden. Damit wandte fi) aber das Blatt: die
Römer befegten einen Felfen, der den Dalmatern die Rückkehr in
die Stadt abſchnitt, und fie ſahen fich genöthigt, in den Wald zu
flüchten. Hierhin verfolgten fie die Römer und machten alles nieder,
damit der Aufftand nicht neue Kräfte gewänne. Allerdings ergab ſich
die Fefte jett, aber der Krieg war immer noch nicht beendet.
Germanices follte ihn zu Ende führen. Diefer nahm das eben-
falls fehr feſte Arduba, freilich nur, weil in der Befagung ein Zwie⸗
ſpalt ausgebrochen war; fonft hätte, jagt Dio, auch ein viel größeres
Heer die Feſte nicht bezwingen fünnen.
Der Fall diefer Feſtung fcheint dann die letten Poffnungen der
Dalmater vernichtet zu haben: denn die umliegenden Gajtelle ergaben
fich ohne Widerftand, und Germantcus fonnte die Reſte des Auf-
ftande8 dem Poftumins überlaffen, um ſelbſt zu Ziberius zuriüdzus
fehren. Da ergab ſich endlich auch Bato, nachdem er durch feinen
Sohn mit Tiberins Verhandlungen angefnüpft und die Zuficherung
der Straflofigfeit erhalten hatte. Auf einem Throne figend nahm
ZTiberius offenbar mit großer Feierlichkeit feine Unterwerfung ent
gegen, und der Krieg war beendet (Dio 1. 1. 16).
Allerdings muß nad) diefer Reihe von Ereigniffen der Krieg ſich
bis tief im den Herbft des J. 9 hineingezogen haben; fiel dann aud)
die Schlaht im Teutoburger Walde fpäter, jo wäre wohl begreiflic,
warum Tiberius erft nad den 16. Januar an den Rhein abgehen
fonnte.
Bei diefen verfchiedenen mit einander ftreitenden Momenten
könnte e8 vielleicht da8 Beſte ſcheinen, fich zu befcheiden und einzuges
ftehen, daß mit den uns zu Gebote ftehenden Quellen eine genauere
ı &o bie Imfchriften, Dio nennt e8 Anbderion,
333
Datierung der Schlacht im Teutoburger Walde unmöglich fei. Allein
Ale, welche fi) mit dem pannonifchen und deutjchen Kriege des J. 9
beihäftigten, haben überfehen, daß über den pannonifchen Krieg ein
Zeugniß vorhanden ift, welches auf fein Ende und damit auch auf
das Datum der Schlaht im Zeutoburger Walde ein neues Licht
wirft. In den Faften von Antium (C. I. L. I, 326 ff.) lejen wir
folgende Inſchrift.
IIL NON. AVG. TIL AVG. INLYRICO VIC. d. h. Ti—
berius fiegte in Illyricum — denn fo ift offenbar zu verbeffern —
am 3. Auguft.
Die Confuln, in deren Jahr der Sieg ftattgefunden haben foll,
find freilich nicht angegeben, aber es kann feinem Zweifel unterliegen,
daß die Inſchrift auf den großen pannonischen Aufftand von 6—9
und zwar auf fein Ende geht, wie denn Mommfen auch dazu in den
Comment. diurnis (C. 1. I, ©. 398) bemerft: spectant haec ad
bellum gestum in Dalmatia (nam hanc ea aetate Illyrieum
appellatam notum est) a.p. C.6—9' = u.c. 759—762, intel-
legiturque omnino extremi a.762 vietoria, qua facta Bato se
dedidit honoresque ducibus Romae decreti sunt.
Allerdings hatte Tiberius fhon einmal in den %. 12 und 11
v.Chr. (u. c. 742—743) in Pannonien einen nicht unrühmlichen Krieg
geführt; ja fein Verdienit war es, daß Pannonien überhaupt unter—
worfen und zur Provinz gemacht war. Vellejus II, 96 rühmt daher
die gloriosissimae multiplicesque vietoriae dieſes Krieges, für
welhe Tiberius die Auszeichnung des Ovation erhalten habe. Den
noch ift eine Deutung der Infchrift auf diefen Krieg abzulehnen.
Denn troß jenes Ausdrucks des Vellejus ift ſchwerlich eine
Schlacht des Krieges von folher Bedeutung geweſen, daß man fi
hätte veranlaßt fühlen können, fie in den Faften zu vermerken; viel—
mehr hätte fich Vellejus ficherlich nicht die Gelegenheit entgehen laffen,
feinen Helden Tiberius hier ganz befonder8 mit Nennung des Factums
zu preifen. Ebenſo wenig wie Vellejus erwähnt aber auch Dio einer
einzelnen hervorragenden Schlacht, und Dio ſcheint über die Feldzüge
de8 Tiberius nicht Schlecht unterrichtet.
Doch die Inſchrift fünnte auch den Sinn haben: Tiberius be—
endete den Krieg [743] fiegreidh. Diefe Bedeutung von vincere,
der jaan und für fich nichts entgegenfteht, wird ficher geitellt durch die
Verwendung des Subftantivs vietoria und des griechiſchen vixn
in dem Sinne von „fiegreiche Beendigung“. Vellejus II, 96 jagt
gerade mit Rückſicht auf den erjten pannonifchen Feldzug des Tiberius,
ohne, wie vorhin bemerkt wurde, von einer einzelnen Schlacht ge=
Iprochen zu Haben: hujus viectoriae compos ovans triumphavit,
und in gleicher Weife jagt Dio, von der Beendigung des großen pan—
nonischen Aufftandes fprechend: aunyyads ımv vienv ö Teguavızdg
ı Damals hielt Mommfen noch an dem 3. 9 für die Schlaht am Teu-
toburger Walde feft.
334
(LVI, 17, 1). — Aber wen man auch das ‘vieit’ der Inſchrift in
dieſem Sinne nimmt, die Inſchrift paßt dennoch nicht zum erften
Kriege des Tiberins. Denn wer die fiegreihe Beendigung diejes
Krieges melden wollte, würde vermuthlid in großer Verlegenheit um
einen beftimmten Tag geweſen fein, an weldem der Krieg beendet
fein follte; wollte er überhaupt etwas von diefem Kriege aufzeichnen,
jo hätte wohl der Tag, an welchem ZTiberius in Rom feinen feinen
Triumph feierte, am nächſten gelegen, und wir würden ‘ovavit’ in
der Inſchrift finden, nicht vicit'.
Es kommt dazu, daß die Bedeutung des erften pannonifchen
Krieges feinen Vergleich aushält mit der des zweiten. Der von aller
Uebertreibung gänzlich freie Sueton nennt den leßteren (Tib. 16)
‘gravissimum omnium externorum bellorum post Punica’, und
wenn für ung feine Gefährlichkeit nach den Darftellungen des Dio
und Vellejus nicht ganz jenem Ausdrude des Sueton entſprechend
hervortritt, jo liegt da8 wohl nur daran, daß jene beiden Schrift:
jteller vom römifchen Standpuncte aus fchreiben und den Erfolgen der
_ tapferen Bergvölfer nicht volle Gerechtigkeit widerfahren ließen. Das
gegen bejtätigen die Nichtigkeit von Suetons Urtheil einige unzweifel
hafte Thatſachen. Als der Krieg ausgebrochen war, erklärte der Kaiſer
im Senat, der Feind fünne in zehn Tagen vor Rom ftehen, wenn nicht
die energiichiten Mafregeln getroffen würden: e8 mußten daher von
allen Bürgern, Männern wie Frauen, nad) Maßgabe des Genfus
Sclaven zum Eintritt in das Heer freigelaifen und mit Vorräthen
für ſechs Monate ausgeftattet werden. Der Kaiſer jelbft ging noch im
J. 8 nah Ariminum, um in größerer Nähe des Kriegsichauplates
zu fein; außerdem gelobte er für die glückliche Beendigung des Krieges
Feſtſpiele und ließ die Nitterprüfung ausfallen (Dio LV, 31). Und dem
entiprechend wurden ZTiberius und Germanicus in Rom vom Senat
mit jo reichen und großen Ehren bedacht, daß Auguftus für Tiberius
einen Theil derjelben zurückwies. Wird man es hiernach als ſicher
annehmen können, daß die Inſchrift auf den großen pannonijchen
Aufftand von 6—9 geht, fo ift dagegen nicht fofort erfichtlich, auf
welches Ereigniß des Krieges fie zur beziehen ift. Indeſſen wird ſich
leicht erweifen laffen, daß nur ein Ereigniß gemeint fein kann, welches
mit dem Ende des Krieges in naher Beziehung ftand. Das hat Momunfen
auch richtig gefehen, obichon feine Erklärung fonft nicht genau: ift.
Bei der großen Bedeutung, die, wie wir fahen, der Krieg Hatte,
wird es an und für ſich das Wahrfcheinlichite fein, daß man dasjer
nige Ereigniß in den Faſten vermerfte, welches das von Soldaten,
Volk und Kaifer lang erfehnte Ende des Krieges bezeichnete, und das
wird noch wahrscheinlicher, wenn man fieht, daß große Feldſchlachten
in dem Kriege, mit Ausnahme der im erjten Jahre an den Bolcäifchen
Sümpfen gelieferten gar nicht vorfommen, und im diefer hatte nicht
Tiberius gefiegt.
Denn offenbar hatte der Krieg jehr bald den Charakter einer Gue-
villa angenommen, wozu das Land ja wie gejchaffen war; und wenn man
335
bedeuft, daß Vellejus, der die Schlacht au den Volcäiſchen Sümpfen
mit Ausführlichkeit beipricht, von Tiberius, den er fonjt lobt, wo er
num irgend kann, feine einzige Waffenthat meldet, dafür aber mehr-
mald hervorhebt, daß er ſtets das Nitsliche dem Glanzvollen vorge—
zogen und das Sicherfte für das Ruhmvollſte gehalten habe, aud)
niemals von dem Willen des Heeres gelenkt jei, — jo kann man
fiher fein, daß der Krieg ſich m einer Reihe Heiner Kämpfe und in
der Belagerung fefter Buncte abgefpielt habe, jo etwa, wie die Kriege
Cäſars in Gallien.
Allein man fünnte die Inſchrift deuten wollen auf ein Ereigniß
des %. 8, welches infofern nicht ohne Bedeutung war, als es dent
einen Theil des Krieges, dem in Bannonien, ein Ende machte. Unter dem
Namen Yllyricum begriff man nämlich in weiterem Sinne auch Pan»
nonien *, und die Unterwerfung Pannoniens, d. h. des Landes zwi«
hen Drau und Sau, erfolgte im J. 8 derart, daß die Völferfchaften
am Fluſſe Bathinus ? feierlich die Waffen ſtreckten. Leider kennen wir
diefe Thatfache nur aus einer kurzen, aber mit der Yobpreifung des
Ziberius verbundenen Notiz bei Vellejus II, 114, da bei Dio gerade
im %. 8 eine große Lücke iſt; aber die Bedeutung der Unterwerfung
erhellt nicht nur daraus, daß Vellejus fie hervorhebt, fondern vor allen
Dingen daraus, daß, wie ſich aus Dio nachweifen läßt, Tiberius ſich
veranlagt ah, den Germanicus mit der Nachricht von diefem Erfolge
nah Rom zu ſchicken. Denn indem- er davon Spricht, daß Germa—
nicus im J. 9 die Nachricht von der glücklichen Beendigung des
ganzen Krieges nad) Nom überbradht habe, fagt er (LVI, 17, 1):
adyıyysıls dd xal zors ınv viamv Ö Tsguavızdc.
Das xas, welches die Erflärer mit Stillfchweigen übergehen,
zeigt, daß Germanicus fchon einmal eine folche Siegesnadhricht nad)
Kom überbracht hatte und daß dies von Dio erzählt war: da ſich
aber in Dio fonft nichts davon findet, muß er es in jenem verlo=
renen Stücke mitgetheilt haben, welches die Ergebung der Pannonier
enthielt. Und hierzu würde das Datum des 3. Auguft gut paſſen:
denn Vellejus jagt, die Unterwerfung am Fluſſe Bathinus habe im
Sommer ftattgefunden. Hierauf würde, da Vellejus die zum Krieg
geeignete Jahreszeit meiſt als aestas dem Winter entgegenftellt, nicht
viel zn geben fein, wenn nicht gerade an unferer Stelle ‘aestate’ im
Gegenfage zu einem bald darauf folgenden “auctumno’ ftände, jo daß
man allerdings annehmen darf, jene Unterwerfung habe im Hoch—
jommer ftattgehabt.
Trotzdem ift die Deutung der Inschrift auf dieſes Ereigniß nicht
wahricheinlih. Denn derjenige, welcher dieje Thatſache für wichtig
genug hielt, um fie im dem Faſten zu vermerken, würde dann das
Ende des ganzen Krieges erſt recht verzeichnet haben: in diefem Falle
ı S. Mommfen, C. I. L. III, 1, 279.
2 Den fonft nicht weiter erwähnten Bathinus übergehen die neueren Bes
arbeiter der alten Geographie; darum mag darauf hingewieſen fein, daß ein
füdlicher Nebenfluß der Drau Bodeja, auf älteren Karten Bedeja heißt.
336
aber würde er ſich des Gegenjages zwijchen den Kriegen in Illyricum
und Pannonia gewiß deutlich bewußt geweſen fein und von dem in
Pannonien beendeten Kriege ſicherlich nicht in Illyrico vieit
gejagt haben, fondern “in Pannonia’.
Zritt doc der Unterſchied der beiden Yandichaften gerade für
diefen Krieg nicht nur bei den gleichzeitigen Schriftftellern und Dio,
fondern auch noch bei dem fpäten Florus hervor.
Wir werden fomit auf die Ereigniffe hingewiefen, die den Krieg
abjchloffen, und hier, fahen wir, ſpricht Mommfen von dem legten
Siege des Tiberius, der die Ergebung des Bato herbeigeführt habe.
Jedoch Bato, deſſen Unterwerfung aud für Mommfen offenbar erit
den eigentlichen Abſchluß bildet, hat fich nicht in Folge eines bes
ftimmten von Tiberius errungenen Sieges ergeben, ſondern im wahriten
Sinne des Wortes als der lette feines Volkes, al8 alle Bergfeiten,
in denen noch Widerftand geleiftet war, in die Hände der Römer ges
fallen waren. — Inſofern iſt Mommfens Bemerkung nicht erac;
ja, e8 muß überhaupt auffallen, daß er nicht geradezu das Greigniß
nennt, welches für den „letzten Sieg“ des Tiberius angeſehen werden
fönute, die Einnahme von Andetrium. Wir fahen S. 332, daß hierbei
allerdings ein größerer Kampf ftattfand, der faft mit einem erhebliden
Unfall der Römer geendet hätte; demnach würde man die Yuschrift
auf diefen Kampf beziehen fönnen, aber nur unter der Bedingung, daf
es wirklich die letzte entjcheidende That des Krieges gewejen. Aus Dive
Darftellung ergiebt fich das freilich nicht, nad) ihm leiften vielmehr
noch andere Gaftelle Widerftand, die Germanicus und Poftumius er-
obern müffen; dennoch ift e8 möglich, daß hier ein eigentlicher Kampf
nicht mehr ftattgefunden, daß e8 vielmehr nur des Erfcheineng des rö-
mifchen Heeres bedurft hat, um die Befagungen zur Ergebung zu ver-
mögen. So fcheint e8 wenigſtens bei dem nad) Andetrium von Germa-
nicus belagerten Arduba gewejen zu fein: von einem Kampfe vor dem
jehr feiten Orte fagt Dio nichts, während er ausführlich von dem
unter der Beſatzung ausgebrochenen ſpricht. Es wird danad) wohl
anzunehmen fein, daß das Eintreffen des Germanicus vor der Feſte
den Zwiefpalt unter der Beſatzung herbeigeführt hat, welcher die Er-
gebung des Platzes zur Folge hatte. — Man würde bei obiger Er-
klärung der Inſchrift wohl ferner anzunehmen haben, daß die von
Dio nad der Einnahme von Andetrium gemeldeten Ereigniſſe in für
zejter Zeit, aljo bald nad) dem 3. Auguft, geichehen feien.
Allein die Anschrift läßt ſich vielleicht auch noch anders deuten.
Es muß bei Vellejus II, 117 auffallen, daß er, der felbft als
Legat des Tiberius den Creignijfen beimohnte, das volljtändige
Ende des Krieges (consummatum belli opus) auf einen ganz be»
ftimmten Tag fallen läßt, von dem ab er den Tag als den fünften »
zählt, an welchem die Trauerbotfchaft aus Deutichland eintraf. Was
aber oben von dem erften ilfyriichen Kriege bemerkt wurde, daß bei
der Art defjelben ein Tag als Ende dejfelben jchwer zu bejtimmen
geweſen fein möchte, muß auch für den großen illyriſchen Krieg gelten,
337
wenn nicht ber Tag, mit dem der Krieg gänzlich beendet war, ein
iharf marfirter war. Ein fo ſcharf marfirtes Ende gewann aber
der illgrifche Krieg mit der Ergebung des Bato, die Tiberius offen«
bar im feierlicher Audienz; — auf einem Tribunal figend, fagt Div —
entgegennahm. — Bato war der gefährlichjte Gegner der Römer ge=
weſen, weshalb Dvid, indem er fich den Triumph des Ziberius in
Gedanken ausmalt, von ihm fagt: belli summa caputque Bato.
Seine Ergebung war daher nicht bloß ein wirfliher Triumph für
Ziberius, fondern bezeichnete, wern irgend Etwas, das Ende des Krieges.
Von diefem Tage aus wird alfo Vellejus gerechnet haben; mithin
fonnte er gewiß auch in den alten vermerkt werden als Ende eines
jo hartnädigen und gefahrvollen Krieges. Und daß die glückliche Be-
endigung des Krieges recht wohl durch vicit' ausgedrückt werden
fonnte, ift oben nachgewieſen.
Aber noch eine dritte Erflärung wäre denkbar. Wie mehrfad)
erwähnt, fanden in Rom zu Ehren des Tiberius und Germanicus
Feſtlichkeiten ftatt, welche durch das Eintreffen der Nachrichten von
Barus unterbrochen wurden: dawn ug ayyella dxwWivos oyas
dssopracas, jagt Div. Ohne Zweifel hatte der Senat eine sup-
plieatio decretirt, wie fie zuerjt dem Cäfar und zwar in der Daner
von funfzehr Tagen (Später von 20) zuerfannt war. Es wäre mög«
ih, daß der 3. Auguft der Anfangstag diefer Feiertage geweſen
wäre. Dies könnte um fo wahrjcheinlicher fein, als die Vergleichung
der Notizen in den Faſten von Antium mit den gleichen Notizen an—
derer Falten lehrt, daß die der Faften von Antium aus den offiziellen
römischen gekürzt find.
Zum 2, Auguft geben die Faſten von Amiternum:
FERIAE || QVOD EODIE C.CAES.C.F. IN HISPANIA
CITER. ET QVOD IN PONTO EOD. DIE REGEM
PHARNACEM DEVICIT.
Daß fo etwa die officielle Form der römischen Faften lautete,
ſcheint beftätigt zu werden durch Notizen einiger Faſten über andere
Schlachten. So heißt e8 in den Faſten von de la Valle über diefelbe
Schlaht: FERIAE QVOD HOC DIE 1MP. CAESAR HISPA-
NIAM CITERIOREM VICIT, und in gleicher Weiſe in den Fajten
von Pränefte zum 6. April: F(ERIAE) Q. E. D. C. CAESAR
IN AFRICA REGEM (IVBAM) V(ICIT).
Uebereinftimmende Form findet fich in den Falten von Amiternum
zum 9. Auguft (Schlaht bei Pharjalus) und in den Notizen über
die Schlachten von Actium (2. September) und von Naulochus (3.
September).
Zum 2. Sept. heißt e8 noch insbefondere: feriae ex S. C.
und zum 3. Sept. werden neben feriae aud) supplicationes apud
omnia pulvinaria erwähnt.
Der in den Faften von Amiternum zum 2. Augujt erhaltenen
offiziellen Norm gegenüber geben die Taten von Antium aber nur
DIVVS IVLIVS HISP. VICIT.
338
Wenn diefelben Falten nun zum 3. Auguft nur TL AVG. IN
ILLYRICO VICIT Haben, jo liegt die Vermuthung nahe, daR «8
in ben offiziellen Faſten hieß: FERIAE QVOD EO DIE TI.
AVG. IN ILLYRICO VICIT.
Womit dann faum ein anderes Feſt als jenes von Dio er—
wähnte, in jo trauriger Weiſe unterbrochene, gemeint fein könnte.
Nimmt man den 3. Auguft als Tag der Einnahme von Ande—
trium, jo würde die Nachricht von der Niederlage im Teutoburger
Walde — fünf Tage nach der Beendigung ded ganzen Krieges —
etwa um den Beginn des leßten Drittel de8 Augujt bei Tiberius
eingetroffen fein, wenn man für die Operationen des Germanicus und
Poſtumius nod) etwa vierzehn Tage rechnet. — Deun daß Vellejus jagen
will, die Nachricht fei fünf Tage nad) Beendigung dee Krieges bei
Tiberius eingetroffen, — nit in. Rom, wie meijt und felbjt von
Gardthaufen 1. 1. geglaubt wird — ergiebt fic) aus dem Zufammenhang.
Bellejus müßte ein jchlechter Stilift fein, wenn er meinte: faum
hatte in Yllyrien Tiberius den Krieg beendet, als fünf Tage darauf
in Rom die Nachricht eintrifft. Offenbar ift für den Sat die Eins
heit des Ortes fejtzuhalten, und dies wird bejtätigt, wenn Vellejus
nad) der Epijode über die Schlaht c. 120 fortfährt: His auditis
revolat ad patrem Caesar. Traf aber die Nachricht bei Tiberius
um den 20. Auguft ein, fo wird die Schlacht felbft im dem letzten
Tagen des Yuli oder den erften des Auguft jtattgefunden haben.
Noch früher, wohl in die erjte Hälfte oder um die Mitte Juli,
wiirde fie anzujegen fein, wenn man die anderen Erklärungen der
Inſchrift annimmt, wonach einmal die Botjchaft bei Tiberius am
8. Auguft, das andere Mal in Rom in der erften Woche des Auguft
eingetroffen wäre.
Welche Erklärung aber auch die wahrjcheinlichere fein mag, man
wird immer von der Schmidfchen Berechnung Abjtand nehmen und
die Schladht in den Hochſommer ſetzen müjfen, und das ift der une
ficheren Begründung Schmids gegenüber immerhin ein Gewinn.
Es bleibt nur noch übrig, nachzuweiſen, wie mit der verhältniß—
mäßig frühen Beendigung des pannonifchen Krieges die Darftellung
de8 Dio zu vereinigen ijt, mach welcher es fcheinen mußte, daß der
Krieg bis tief in den Herbſt hinein gedauert habe. Allein mit Be
ziehung auf diefen Punkt hat Schon Abrahaın, Zu den germ. und
pannoniſchen Kriegen unter Auguftus S. 13, darauf hingewieſen,
daß die Kämpfe de8 Germanicus wohl noch ins %. 8 gehören: ent»
weder habe jie Dio ſchon im feiner Vorlage an falfcher Stelle ge
funden oder fie bei feiner verwirrten Art, Kriege zu erzählen, und der
gefährlichen Manier, Creigniffe aus Nom und in den Provinzen
durch einander zu erzählen, an unrechter Stelle eingefchoben. — Je—
denfalls darf Dio feinen Einwand abgeben gegen ein fo ausdrüde
liches Zeugniß, wie e8 die Inſchrift dafür bietet, daß der pannoniſche
Aufſtand am 3. Auguſt entweder jein Ende erreichte oder demjelben
ganz nahe war.
Zur Kritik der älteften bayeriſchen Geſchichte.
Bon Fr. Nagel.
Die Salzburger Breves notitiae berichten zum Jahre 702:
Interea vero Theodo infirmabatur commendavitque filio suo
Theodberto ducatum Bavariae!. Der uubefangene Lefer wird
diefe Worte nicht anders verjtchen, denn als einen Bericht über den
Tod des Herzogs Theodo II. Allein „es bedarf nur der einfachen
Annahme, dag Herzog Theodo von jener Krankheit genejen fei“,
werden wir belehrt?. Denn derjelbe Herzog foll im Jahre 716 nad)
Rom gewallt fein und nod im Yahre 722 den Heiligen Corbinian
in Regensburg empfangen haben. Wenn letteres Datum auch noch
vielfältig beftritten wird, jo gilt doch das erjtere für dejto ficherer.
Denn eine ummittelbare Folge der Romreiſe Theodos foll die Abord—
nung einer päpftlichen Gefandtichaft nad) Bayern gewejen fein, deren
Injtruftion uns noch vorliegt, wenn gleich von dem Eintreffen der
Geſandten im Bayerlande oder von irgend einer Thätigfeit derjelben
anderweitig feine Spur zu finden ift®.
Es iſt nun freilich jehr nwahrſcheinlich, daß Abgeordnete des
römiſchen Stuhles mit ſo bedeutenden Vollmachten, wie ſie das ſoge—
nannte Kapitulare Gregors II. enthält, ihre Sendung umverrichteter
Dinge aufgegeben Hätten, ohne zum Mlindeften durch Hervorrufung
des heftigjten Widerjtandes die Spuren ihrer Anwejenheit für lange
Zeit erfennbar dem Yande eingeprägt zu haben. Darum hatte En—
huber* im der Ueberzeugung, daß ein jolches Unternehmen des rö-
mischen Stuhles unmöglic im Sande verlaufen könne, auf das Ka—
pitulare Gregors II. fofort auch jein erjtes bayeriiches Nationalconcil
vom Jahre 716 gebaut. Zwar hat bereits Winter® diefes Concil
„wieder in fein Nichts, aus dem es mit vieler Mühe herausgezogen
wurde“, zurücgewiefen; aber neuerdings ließ J. Merkel? daſſelbe
Indiculus Arnonis und Breves notitiae ed. Keinz ©. 29.
Rettberg, Kirchengeſchichte Deutſchlands II, 210.
Nettberg a. a. ©. II, 212— 213; Monum. Germ. LL. III, 236,
Conceil. Ratisb. brev. recens. ©. 4 ff.
Vorarbeiten zur bayer. —— II, 2. ©. 39 fi.
Mon. Germ. LL. III, 237—239
a mn =» = wm -
340
nicht bloß wieder aufleben, fondern glaubte fogar die Akten defjelben
in jenen Regensburger Synodalbejchlüffen finden zu follen, welche be»
reit8 Frobenius Forfter ! in das fünfte Dezennium des achten Jahr—
hunderts verwiejen hat.
Die Gründe, welche Merkel zu diefer Annahme beſtimmen, be-
ftehen zumächit darin, daß in den Regensburger Synodalaften mehrere
Beitimmungen der statuta Bonifacii vermißt werden, welche nad)
feiner Meinung nicht fehlen würden, wenn jene Regensburger Sy
node fpäter fiel, als die Verabfaffung jener statuta; und weiterhin
findet er in den Beitimmungen der Regensburger Synode über die
Duatemberfaften fein Hinderniß für die frühere Abfafjungszeit, weil
diejes Kirchengebot doch bereits durch das Kapitulare Gregors nad
Deutfchland gebradjt gewejen fei. Allein die Regensburger Synode
fonnte, aud) wenn fie in das fünfte Dezennium des 8. Jahrhunderts
fällt, vecht wohl ihre guten Gründe haben, mancherlei Bejtimmungen
der -statuta Bonif. vor der Hand zurüdzuftellen; und wie es mit
den Kapitulare Gregors II. ſich verhalte, werden wir noch zu unter
ſuchen haben. Einen ficheren Anhaltspunkt für die Zeit dieſer Syne
dalakten giebt unferes Bedenkens bloß die Stelle in cap. 2: absti-
neant se a fornicationis malo, pro quo maximae istas pati-
mur tribulationes et pressuras, quae novae nobis et insolite
superveniunt. In der That ſtammte alles Unglücd, welches Bayern
in den Jahren 720—750 traf, aus fornifatoriichen Verbindungen:
Grimoalds Verhältnig zu Pilitrud war die eigentliche Urſache, melde
ihon 725 und 728 den Karl Marteli ins Land rief; und die Em:
pörung Odilos von 743 mit all ihren traurigen Folgen war aud)
angezettelt von einer Concubine (Karl Martells) ?, der bayerifchen
Sonidilde. Und was in Folge diefes Aufitandes über Bayern fam,
das war allerdings neu und unerhört. Nad dem Märzfelde von
743 hatten ſich Karlmann und Pippin gegen Bayern aufgemacht, den
Odilo troß der Einſprache des päpftlichen Legaten Sergius? am Lech
geichlagen, Bayern 52 Tage lang verwüſtet, und endlich Herzog Odilo
als Gefangenen mit ſich fortgeführt*. In dem von dem Aoareneit:
falle von 738 her noch erjchöpften Bayern? mußten die traurigiten
Zuftände entftehen. Hierauf wird die Synode von Regensburg Be:
zug nehmen, und aljo in die Jahre 743 oder 744 fallen, nicht aber
in das Jahr 716, wie J. Merkel will (denn in dieſem Jahre war
gar fein gejchichtlicher Anlaß zu folder Klage über tribulationes et
pressuras), noch aud) in das dritte Jahrzehnt, wie er eventuell zus
Mansi, Coll. coneil. XIII, 1025.
Annales Mettenses, in Mon. Germ. SS. I, 327.
Ibid. 328. Fredegar contin. 112.
Breves notitiae cap. 7 ed. Keinz ©. 33,
5 Hubbard, Bayer, Geſchichte S. 272. (Diefer Avareneinfall beruht nur
auf der angeblichen Urkunde Arnolfs für den Biſchof Wihing von Paffau vom
9. Sept. 898, Mon. Boica XXVIII, S. 119, einer der Lorſcher Fäl—
ſchungen. €. ©.)
> w 1
341
geben wiirde, denn die Demüthigungen, welche Bayern unter Grimo«
ald erlitt, waren noch nicht noyae et insolite, wie die zu Odilos
Regierungszeit.
Müffen wir ſonach befennen, daß die Megensburger Synodal-
aften ich nicht dazu eignen, und eine Wirkung des Gregorianifchen
Kapitulare von 716 aufzuzeigen, jo werden wir deſto genauer der
angeblichen Beranlafjung diefer Yegation, nehmlich der Romreiſe des
Herzogs Theodo II. jelbjt, nachzuſpüren habe.
Ueber diejelbe befiten wir zwei Nachrichten hochangefehener Ge—
ſchichtsquellen: die eine in der Vita papae Gregorii II. des Liber
pontificalis!, die andere in der Hist. Langob. des Paulus diaco-
nus? Der leichteren Beurtheilung wegen beginnen wir mit der
zweiten, Paulus erzählt uns, daß gegen Herzog Faroald von Spo—
leto fih deifen Sohn Tranſamund empört, die Gewalt an fich ge=
riſſen und den Vater im den geiltlihen Stand gejtedt habe. Dieſe
Umwälzung wurde bereit8 von Cäſar Baronius® auf das Yahr 726
berechnet, ift aber in das Jahr 723 oder 724 zu fegen. Im un—
mittelbaren Anfchluffe daran erzählt Paulus weiter, daß Herzog Theudo
von Bayern „in diefen Tagen“ nad) Rom gewallfahrtet jei. Es ift
nun unbeftritten, daß Theodo das Jahr 724 nicht mehr erlebt habe.
Es ift weiter befannt, daß derartige Zeitangaben bei Paulus, wie
"his diebus’ oder ‘hoc tempore’, wie fie aud hier zur Verbindung
ber beiden Notizen dienen, für Zeitbeſtimmungen niemals enticheidend
fein dürfen‘. Aber man macht ſich die Sache zu leicht, wenn man
diefe Sachlage mit M. Büdinger dahin fteigert, daß eine derartige
Einführung bei Paulus „gar nichts bedeute“ ®. Irgend welche An—
halte: oder Anfnüpfungspunfte hat er in feinen Quellen für feine
Hronologifchen Reihen immerhin gejucht, nur daß diejelben ſich ihm
manchmal verichoben haben, oder undentlich gemwejen find. Wenn aljo
in unferm Falle fejtfteht, daß die Romreiſe Theodos falich eingereiht
wurde, fo werden wir die Anfnüpfung an den Namen Tranſamunds
nicht einfach wegwerfen, fondern in erjter Linie der Gonjeftur Raum
geben, daß Paulus hier den jüngeren Tranſamund von Spoleto, den
Sohn Faroalds, mit dem ältern Tranſamund, dem Vater Yaroalds,
der im Sahre 703 geftorben iſt, verwechjelt habe®, und demgemäß
den Schluß ziehen, daß nah den Duellen des Paulus Herzog
Theodo II., wenn feine Romreiſe nicht 724 fallen kann, vor dem
Jahre 703 die ewige Stadt beſucht Haben wird.
Aber Paulus foll ja feine Notiz über diefe Romreiſe einfach aus
Mansi, Coll. concil. XII, 227. Muratori, SS. rer. Italic. III, 154.
Paulus diac. hist. Langob. VI, 2.
Annal. eccles. IX, 79.
Bergl. Bethmann in Pertz' Archiv X, 282. 314.
„Zur Kritik altbairifher Geſchichte“ in Wiener Sitzungsberichten
a » m KM —
XXIII, 387.
° Hist. Langob. VI, 30.
XVII 23
342
der Vita papae Gregorii II. abgefchrieben haben!. Und e& fit ja
eine allbefannte Sache, dak Paulus die Vitae pontifieum in der ans
giebigften Weife als Gejchichtsquelfe benutt Hat. Aber Hiemit iſt
noch nicht bewiefen, daß nothwendig alle Nachrichten, welche Paulus
mit der uns vorliegenden Rezenſion des Lib. pontificalis gemeinfam
hat, aus letzterem abgefchrieben feien. Iſt e8 doch unbeſtritten, daf
der Liber pontificalis, jo jehr er aud) vom Anfange des 8. Jahr—
hundert8 an als eine gleichzeitige und in den meiſten Fällen glaub:
würdige Gefchichtsquelle anzufehen ift?, doc) noch bis zum Ende des
9. sec. allmählic) die eine und andere Zuthat empfangen hat, bie er
die ung gegenwärtig vorliegende Geftalt erhalten hat?. inzelne No:
tizen deffelben erfordern daher immerhin noch eine kritiſche Beleuch—
tung. Vergleichen wir daher zunächſt die fragliche Stelle des Paulus
mit der Nachricht der Vita papae Gregorii II. über Theodos Rom-
reife. Es berichten:
Paulus diac. h. Long. VI, 44: Vita Gregorii II. papae:
Contra hunc Faroaldum ducem | Hujus temporibus signum in
filius suus Transamundus insur-|luna factum est indictione 14,
rexit, eumque clericum faciens, lo-|et visa est cruentata usque
cum ejusinvasit. Hisdiebus Teudo | mediam noctem. Eo itaque tem-
Bajoariorum dux gentis orationis |pore Teudo dux gentis Bajoario-
gratia Romam ad beatorum apo- rum ad apostoli beati Petri limina
stolorum vestigia venit. primus de gente eadem occurtit,
orationis voto.
MWiüfte man nit, an welchem Orte diefe beiden Nachrichten
jtehen, ſo hätte die Kritik feinen Augenblick gezaudert, die Priorität
der erfteren Relation zuzugeftehen; denn die zweite charafterifirt ſich
felbft durch die Einleitung ‘eo itaque tempore’ jowie durch den
Beiſatz ‘primus de gente eadem’ als Gorrectur, wenn vielleicht auch
nicht Speziell der Nachricht des Paulus Diaconus, fo doch einer derfelben
gleich oder ähnlich lautenden, fo daß alfo ebenfowohl Paulus wie der Liber
pontif. aus einer dritten Quelle gefchöpft haben würden. Es fommt
hinzu, daß in der indiet. 14 der Vita Gregorii II, alfo im Sabre
716, feine bis Mitternacht andauernde totale Mondfinfterniß ſich bes
geben hat*. Don den beiden totalen Mondfinfterniffen diejes Jahres
wird die eine auf den 13. Januar Abends 6'/s Uhr berechnet, endete
alfo fhon vor 9 Uhr, während die andere am 9. Yuli Mittags ein-
trat. Dagegen fand ſowohl in dem vorhin fchon genannten Jahre
723 am 20. Auguft Abends 9 Uhr eine totale Mondfinfterniß ftatt,
deren Dauer ſich bis 11 Uhr erftredkte, al® auch am 16. April 702
ı Mon. Germ. LL. III, 236 annot. 94.
* Bergl. Giefebrecht, Ueber die Quellen der früheren Papftgeichichte, in
Allgem. Monatsichrift f. W. u. 2. 1852, ©. 259,
® (Der Text des Lib. pont. fteht in diefer Zeit doch foweit feft und das
Verhältnis des Paulus zu ihm ift ein fo conftantes, daß die hier vorgetragent
Anfiht ſich m. E. nicht wird aufrecht erhalten Taffen. -G. W.)
* L’art de verifier les dates I, 315 (ed. Saint-Allais, Paris 1818).
343
eine Eklipſe des Mondes eintrat, auf welche das 'visa est ermentata
usque ad mediam noctem’ volljtändig paßt, denn diefelbe erreichte
ihre Höhe um 10'/s Uhr Abends und dauerte aljo genau bis Mit-
ternacht. Hatte daher die von und angenommene gemeinfame Duelle
jowohl den Zranfamundifchen Regierungswechſel in Spoleto als
auch die Romreife Theodos mit einer totalen Mondfinfternig in Ver—
bindung gebracht, wie jolches auf das Jahr 702 paffen würde, fo ift
leicht erflärlih, wie Paulus diejelbe Thatſache auf 723 oder 724
jegen konnte, während ein Anderer die herzogliche Romreiſe mit der
ihm anderweitig befannten Mondfinfternig von 716 in Verbindung
jegte und zur Ausſchmückung der leßteren verwerthete. Betrachten
wir endlich nod) den Zufammenhang der Erzählung in der Vita Gre-
gorii, jo müßte nad) der ganzen Anſchauungs- und Schreibweife jener
Zeit dur) die Erwähnung der Mondfinjternig der Bericht eines
ihweren Unglüds eingeleitet fein, als welches die Thronentſetzung
des orthodoren Kaijers Anajtafius II. gelten mußte. Es ijt eine dem
Gedanfenzufammenhang volljtändig unterbrechende Einjchiebung, wenn
jwiihen dem umnheilverfündenden Zeichen und der Erzählung des un—
lücklichen Feldzuges des Anaftafius jet der Bericht über den für
om jehr erfreulichen Beſuch des erjten Bayernherzogs eingejchoben
wird. Der letztere giebt ſich daher ſelbſt als eine jpätere Interpo—
lation zu erfennen. Iſt diejelbe (von ‘usque ad mediam’ bis ‘ora-
tionis voto’) zu ſtreichen, jo ijt die Mondfinfternig vom 13. Januar
116 ganz an ihrem Plage, um die im Januar 716 erfolgte Thron-
entſetzung Anaftafius Il. einzuleiten.
Wir nehmen diejes um fo unbejorgter an, als auch noch an—
dere Zahlen und Daten im erften Theile der Vita Gregorii II.
eine mit der Wirklichkeit nicht übereinjtimmende Umarbeitung erfahren
zu haben jcheinen. Denn wenn die Vita Constantini papae be»
richtet hat, daß diefer unmittelbare Vorgänger Gregors II. ‘sepultus
est 5. Id. April. indiet. 13, Anastasio augusto, et cessavit
episcopatus dies quadraginta’, jo ergiebt fich für die Inthroni—
firung feines Nachfolgers der 19. Mai 715. Und wenn ebenfo die
Vita Gregorii II. als Begräbnißtag des letzteren ‘die 3. Id. Febr.
indiet. 14. angiebt, jo fann unmöglich die Zeitangabe der Regie—
rungsdauer Gregors II., mit welcher feine Vita beginnt, ‘sedit an-
nos 16, menses 8, dies viginti’ richtig fein. Denn nad) diefer
müßte er jchon am 21. Mai 714 den päpftlichen Stuhl bejtiegen
haben. &8 liegt aber auf der Hand, daß die Angaben der Todcs-
und Begräbnißtage ſowie der Dauer der Sedisvacanzen in diefen of—
fiellen Papftgefchichten eine nahezu unbedingte, zum Mindeften aber
eine größere Ölaubwürdigfeit beanfpruchen dürfen, als die Berechnung
ihrer Negierungsdauer !,
ı Nur die ſtärkſte Voreingenommenheit kann biejes Verhältniß umtehren,
wie es 3.8. behufs Rechtfertigung der Vita S. Corbiniani auctore Aribone
geichehen if. Vergl. Sulzbeck, Leben des Hi. Corbinian S. 5, und Lertha
(Thaler), St. Eorbinian ©. 5.
23*
—
344
Sonach werden wir nach den Ergebniffen unferer bisherigen
Unterfuhung zwar die Romreiſe Herzogs Theodo II. von Bayern
fefthalten, aber wir werden fie in den Eommer‘des Jahres 702 zu:
rücdatiren — wenn nicht die leßte und gewichtigite Inſtanz, welche
für diefelbe angeführt wird, uns wieder auf 716 vordrängt. Diele
it da8 mehrerwähnte Kapitulare Gregors II, weldjes einer, in Folge
jener Romreiſe fofort nad) Bayern abgeordneten päpftlichen Yegation
als Anftruftion mitgegeben worden jein will.
Daffelbe ! trägt am Schluffe die Zeitangabe: Datum jussione
Idus Mad. imperante domino augusto Anastasio a Deo co-
ronato magno imperatore anno tercio pontificatus ejus. An
dem Ausdrude ‘pontificatus’ anftatt imperii' wird fich fein des
Sprachgebrauches jener Zeit Kundiger ernſtlich ftoßen?. Anſtoßreich
dagegen ift die Zeitangabe ſelbſt. Welches Jahr ift mit dem dritten
des Anaftafius IL. bezeichnet? Der Vorgänger dejjelben, Bardanes
Philippifus, war mit der Ermordung AYuftinians II. im Dezember
711 Kaiſer geworden. Nad einer Regierung von 1 Jahre und 6
Monaten wurde er geblendet. Die freie Wahl des Senates und des
Bolfes erhob den Geheimjchreiber Artemius zum Kaijer, welcher den
Thron am 4. Juni 713 als Anaftafins II. beſtieg. Aber bereits im
Januar 716 mußte er nad) der blutigen Schlacht bei Nicäa von
Theodofius III. da8 Leben mit der Tonſur erfaufen? War mun
713 da8 erfte Regierungsjahr Anaftafius IL, fo war 715 fein
drittes, und die Id. Mad. feines dritten Jahres können nichts an-
dere al8 den 15. Mai 715 bedeuten, Am felben Tage des Jahres
716 war Anaftajius nicht mehr Raifer, und fonnte alfo die päpft-
7 Kanzlei überhaupt nicht mehr nad) feinen Regierungsjahren
zählen *,
Es möchte auffallend erjcheinen, warum troß diefer Klaren Sad-
lage Binterim? der Einzige gewefen und geblieben ift, welcher das
Datum des Kapitulare mit 715 überjegte, wenn wir nicht wüßten,
daß alle andern Forjcher durch die Rückſicht auf Papjt Gregor IL,
deſſen Regierungszeit ihnen geläufiger war als die des oftrömijchen
Kaifers, fi ohne Weiteres für 716 beftimmen ließen.
Nun Haben wir vorhin bereit8 nachgewiefen, daß Gregor II.
am 19. Mai 715 inthronifirt wurde; ebenfo, daß Kaiſer Anaftafius II.
im Januar 716 aufhörte zu regieren. Nach der Ueberfchrift des
ı Mon. Germ. LL. III, 451--454.
2 Mergl. Du Cange, Glossar. V, 649 s. voce ‘pontificium'.
® Paul. Diac. hist. Long. VI, 32. 34. 36. Gibbon, Hist. of the
fall etc. VIII, 333 (ed. Basil).
* Der Beleg, weldien Jafſs (Bibl. III, 131. Forſchungen X, 404 f.)
dafür gefumden zu haben meinte, daß unter Umftänden die Päpfte ihre Urkunden
noch nad) bereit8 verfloffenen Regierungen datirt hätten, ift duch Düngelmann
dadurch hinfällig gemacht worden, daß derjelbe (Forſchungen XIII, 14 f.) für
die betreffenden Briefe des Bonifacius (Jaffs 48 und 49) das Jahr 743 alt
Abfaffungsjahr nachgewieſen hat.
*Pragm. Geſch. d. deutſchen Concilien II, 8.
345
fraglichen Kapitulare ift baffelbe ‘a Gregorio secundo papa urbis
Romae’ ausgefertigt, nad) der Unterfchrift am 15. Mai zur Zeit
des Kaiſers Anaſtaſius II., in der That aber hat Gregor II. ale
Papit mit Anaftafius IL. als Kaifer gar feinen 15. Mai erlebt —
abgejehen davon, daß des Anaftafius drittes Jahr bereit8 715 und
nicht 716 war. So enthält alfo das Datum dieſes Schriftſtückes
im Zujammenhalte mit feiner Ueberfchrift eine gefchichtliche Unmög—
lichkeit, welche auch dadurd noch lange nicht aufgehoben wird, daß
man für ‘Id. Mad.’ ein ‘Id. Mart.’ conjicirt, wie fchon frühzeitig ge—
ihehen ift?, um mit dem vermeintlichen 15. März 716 der noch
bejtehenden Regierung des Anaftafius II. näher zu kommen,
Auch im weiteren’ Verlaufe der Ueberfchrift erfcheint es jehr aufs
fällig, daß Georgius nur al$ ‘presbyter sanctae sedis apostolicae’
und ebenfo Dorotheus nur als ‘subdiaconus praedietae sedis’ be—
zeichnet werden. Denn jeder Presbyter in Rom gehörte ebenjo wie
jeder Diafon einer beitimmten Kirche an. Geiſtliche Würdenträger
lediglih zum Dienfte des römischen Stuhles wurden nicht ernannt.
Aus der päpftlichen Kanzlei fann daher diefe Ueberjchrift nicht ſtam—
men; denn dort wußte und beobachtete man alle Zeit, daß bereits
can. 6 de8 conc. Chalcedon. das xsıgorovsiv anokvrwg ver=
boten hatte.
Allein die Heberfchrift- iſt noch fein fo integrivender Theil des
ganzen Aktenſtückes, daß diefelbe nicht möglicherweife ein fpäterer Zus
ag fein könnte. Auch die Datirung am Schluffe könnte vielleicht
Ipäter erjt im täufchender oder aufklärender Abficht zugefügt fein (wie
diefelbe ja auch wirklich in der Aldersbad - Münchener Handjchrift
fehlt). Wir Haben daher den Inhalt des Kapitulare im Einzelnen
zu prüfen, um die wirfliche Zeit feiner Abfaffung aus inneren und
äußeren Merkmalen feftzuftellen.
Es ift mit Recht darauf verwiefen worden?, daß in der Bulle
Papſt Leos III. vom 11. April 800° von der Errichtung eines
bayerifchen Erzbisthums gejagt ift, daß es ‘a multis temporibus ab
ista sancta sede fuit praeordinata, sed diversarum rerum
eventu impediebatur usque temporibus nostris’. Dieſe Stelle
lann fehr wohl auf cap. 4 unjeres Kapitulare bezogen werden und
beweift dann, daß letteres im Fahre 800 zu Nom befannt und an—
erfannt war. Aber wir haben ein noch früheres, wenn auch indi=
reltes Zeugniß für diefes Kapitulare. Da nehmlich tit. VII, 1—3
der Lex Bajuwariorum*, welche durd) cap. 13 der synodus Aschai-
mensis® aus den Jahren 755—760 unzweifelhaft in Bayern ihre
geiegliche Gültigkeit erlangten, in den Ehehinderniffen bereits trengere
Bergl. Mon. Germ. LL. III, 454 z. d. St.
Rettberg, Kirchengeſch. Deutichl. II, 212.
Kleimayrn, Juvavia, append. 58.
Mon. Germ. LL. III, 297,
Ibid, ©, 458,
= >» m me
346
Beitimmungen treffen, als cap. 6 unferes Kapitulare, jo iſt ſicher,
daß lesteres vor dem Jahre 755 verfaßt fein muß‘.
Diefes Kap. 6 des Kapitulare enthält aber in Betreff der ver-
botenen Verwandtichaftsgrade jo wenige Beſchränkungen, dag eruftlid
bezweifelt werden muß, ob jemals feit dem fechsten Jahrhundert die
reft von Rom aus folche Conzefjionen gemacht worden feien. Hier
wird die Che bloß mit der Gattin (Wittwe) des Vaters, Vaterbrus
der und eigenen Bruders, fowie die mit der eigenen Schweiter, oder
der Schwefter des Vaters und der Mutter, oder mit der Schweſter⸗
tochter (Nichte), endlich mit der (Stief)-Tochter des Vaters oder der
Mutter verboten. Alle andern VBerwandtichaftsgrade erjcheinen als
erlaubt. Man leſe nun dagegen nicht mur die auderen, von Rom in
gleichem Betreffe ausgegangenen, ächten Dokumente, fondern auch die
entrüfteten VBerwahrungen der fpäteren Päpfte dagegen, al8 ob jemals
an eine ſolche Erlaubniß hätte gedacht werden fünnen ?, und die aus:
drücliche Verfiherung, daß ſich eine derartige Conzeſſion aus den
päpftlichen Archiven nicht erfinden laſſes; man nehme noch Hinzu, daf
dem hl. Corbinian bei feinem Kampfe mit Grimoald und Bilitrud
eine Berufung auf eine derartige Beitimmung noch micht im den
Sinn fam, während fie ihm doc fehr gelegen gewejen fein müßte,
wenn er fie gefannt hätte (und follte man demfelben, wern man ihn
nad) Aribos Behauptung in Rom zur Rückkehr nad) Bayern drin
gend ermahnte, von ber bereits für Bayern erlaffenen Inſtruktion
nicht8 gefagt haben ?)*: fo wird man der Autorfchaft Gregors II.
und des Jahres 716 für diefes Kapitel nicht mehr ficher fein können.
Den Inhalt von Kap. 7—13 findet man gewöhnlich fehr paſ⸗
fend für ein junges Chriftentfum?. Uns jedoch fcheint das Chriften-
ı Ibid. ©, 229.
2 Bergl. die Antwort des Papftes Zacharias an Pippin über die Be
banptung, daß fein Borfahr die Ehe im 4. Berwandtichaftsgrade (canoniſchet
Computation) erlaubt habe, bei Jaffs IV, 18—31. Der Inhalt von ep. 63
(Jaffé) ift nah Düngelmann (Forſchungen XIII, 18) in innigem Zuſammen⸗
bange mit dem römischen zur Verurtheilung des Aldebert und Clemens beru«
fenen Eoncil vom Jahre 743.
In der angeführten Bulle Papft eos III. vom 11. April 800 führt
derfelbe wörtlich al® Aeuferung feines Vorgängers Zacharias an: Sed neque
hoc silendum est, quod in Germaniae partibus divulgatum est —
quod quidem in archibo sanctae ecclesiae scriptum non repperimus,
ipsis tamen asserentibus hominibus de Germaniae partibus didici —
quod beatae recordationis sanctus Gregorius .. . licentiam illis de-
disse in quarta sese copulari generatione. Er fpielt hierbei wohl auf bie
in jener Zeit vielfältig von der germanichen Welt citirten, fogenannten cano-
nes Gregorii M. an. Aber es fällt durch diefe Abläugnung doch aud) ein ei-
genthümliches Ficht auf die Taktik des römischen Stuhles, welcher in derfelben
Bulle unfer Kapitulare anerkennt, wo cap. 4 bdeffelben zu feinen damaligen Ab-
fihten paßt, von einer Conzeſſion, wie fie in cap. 6 deſſelben enthalten ift, aber
im ganzen Archive nichts gefunden zu haben behauptet.
* Aribonis Vita Corbiniani cap. 15 u. 19,
5 Mettberg, Kirchengeſch. Deutſchl. II, 213,
347
tum, für weiches diefe Kapitel gemünzt find, nicht mehr fo ganz jung
gewejen fein zu können.
Eben erit bekehrten Heidenchriften, insbeſondere deutſchen, welche
in ihrem Heidenthume von einem Unterfchiede der Speijen nicht® ge—
mußt hatten, wußte in Kap. 7, wenn es ji) einmal um Speijeges
bote handeln follte, vor Allem eingefchärft werden, daß fie fich des
Sötenopferfleifches zu enthalten hätten!. Wenn aber hier bereits
davor gewarnt wird, den Begriff des Unreinen weiter al8 auf das
Götzenopfer auszudehnen, jo richtet fich diefe Warnung gegen eine
hyperchriſtliche, jüdiſch-asketiſche Gefeglichkeit, die in eine bereits be=
jtehende Kirche eingeführt werden wollte ?,
Die Kapitel 8 und 9, welche gegen die Ueberlieferungen heidni-
ſchen Aberglaubens in Zeichendeuterei und Tagewählerei gerichtet find,
waren ebenjowohl jhon 715 wie noch um 800 zeitgemäß ?; fie wer»
den aljo für unfere Unterfuchung außer Anfag bleiben müſſen.
Kapitel 10 handelt von den Firchlichen Falttagen. Es wird aber
durchaus nicht, wie man jungen Gemeinden gegenüber erwarten jollte,
auf die Beobachtung der pofitiven Faftengebote gedrungen, ſondern
bloß einer übertricbenen Ausdehnung des Faftens auf Sonn= und
Feſttage entgegengetreten.
Kap. 11 wendet fich zunächft gegen jede Aeußerung der chrijt«
lichen Piebesthätigkeit, welche nicht innerhalb der Beitimmungen der
firdlichen Ordnung ſich bewegt, fett aljo eine bereits vorhandene
reichliche Yiebesthätigkeit voraus. — Wer im zweiten Sate dieſes
Kapitels unter den ‘desidentes’ zu verftehen fei, deren Oblationen in
der Kirche ‘priusquam reconeilientur’ nicht angenommen werden
jollen, ift nicht ausgemacht. Iſt desidentes in feiner claſſiſchen Be—
deutung zu nehmen, fo bedeutet es die müffigen, gleichgültigen Glieder
der Kirche, welche fi) an Gottesdienſt und Gnadenmitteln nicht mehr
betheiligen,, durch ihre Abgaben aber immerhin noch ihre äußerliche
Rechtszugehörigkeit zur Kirche wahren wollen. ine ſolche Beſtim—
mung wird in einer jungen Miffionskirche, wie e8 die bayerifche im
Jahre 715 ſicherlich noch war, ziemlich überflüffig fein, hätte aber in
einer Maffenkirche, wie die bayerifche durch die Bonifacianifche Or-
ganifation geworden war, ihren guten Grund. Wäre aber vollends
desidentes gleich dissidentes zu faffen*, wie es ſchon die Wein-
gartener Handſchrift und nad) ihr alle älteren Drude in Erinnerung
an coneil. Carthag. IV can. 935 thaten, fo wäre hier gegen hä—
retiſche Elemente angefämpft, welchen ihre Zugehörigkeit zur Kirche
beftritten werden mußte, und wir hätten uns nad) derartigen Ketzern
ı Of. Act. apost. 15, 29.
° Cf.S. Pauli I, Cor. 10, 28; I, Tim. 4, 4.
° Cf. conc. Rispacensis ct Frising. anni 796 can. 15 in Mon.
Germ. LL. IH, 471.
* Reschius, Annal. Sabion. sec. VIII annot. 41, und Mon. Germ.
l. c. annot. 23.
5 Mansi, Conc. III, 958,
348
umzuſehen, wenn wir die zeitgejchichtliche Stellung diefes Kapitels er»
mitteln wollten.
Zur Ermittelung ſolcher Keter aber zwingt uns das 13. Ra-
pitel. Diefes wendet fi in feinem zweiten Theile gegen die Lehre
von der anoxardoracıg nravıov: Ipsum quoque Satanam cum
angelis suis atque eultoribus aeterno incendio concremandum,
neque secundum quorundam sacrilegam dispu-
tationem ad pristinam, id est angelicam dignitatem, unde
cecidit, reducendum. Etwas Ungeichiefteres, al8 vor Neubefehrten
eine Polemik gegen die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge zu
eröffnen, ließe fich kaum denken. Wer auf dem Jahre 715 oder
716 für die Abfaffung des Rapitulare befteht, kann aber bei diejem
Kapitel an keine andere kirchengeichichtliche Erfcheinung denfen, als an
Drigenes oder die Manichäer!. Mir glauben aber, daß die jung
befehrten Bayern für diefe Sekten cbenfowenig Verjtändnig und Ems
pfänglichfeit gehabt haben werden, wie für Bar Subdaili, den jüngjten
Srrlehrer diefer Art, welchen wir vor dem Jahre 716 kennen?.
Viel einleuchtender ftellt fi die Sache, wenn wir unfer Augen—
merk auf das fünfte Dezennium des 8. Jahrhunderts richten. In
biefem fpielten vornehmlich; die Kämpfe des Bonifacins mit dem
Schotten Clemens und mit Aldebert (Adalbert), Wie weit jich der
Einfluß und der Wirkungsfreis diefer letzteren erſtreckt habe, jteht
zwar noch nicht feft. Es läßt ſich nur vermuthen, daß Aldebert in
Neuftrien, Clemens in Auftrafien gewirkt haben?. Bei den engen
Beziehungen, in welchen die bayerifche Kirche verınöge ihres Urſprunges
(Salzburg von dem auftrafiichen Worms, Freifing von dem neuſtri—
chen Chartres) mit den kirchlichen BVerhältniffen in beiden Reiche:
theilen ftand, bei der notorijchen ausgedehnten Wirkfamfeit, welche die
irrfchottifchen Mönche in Bayern entfalteten*, bei dem Umftande, daß
eine Yeengemeinfchaft des im Jahre 736 in Bayern abgejegten Erem-
wulf mit Clemens nicht wohl geleugnet werden fann?, ift eine De
fümpfung diefer Clemens-Adalbertſchen Irrthümer auf bayerijchem
Boden wohl begreiflich.
Ebenſo gerechtfertigt wird zu der beregten Zeit in einem bayeri-
Shen Aktenſtücke die Bezugnahme auf eine kirchliche Partei ericheinen,
welche Bonifacins allerdings zunächit am fränfifchen Hofe® fand, mit
welcher er aber bis fpät im die vierziger Jahre des achten Yahrhuns
! Reschius, Annal. Sabion. sec. VIII annot. 43, auf welden fid
auch die Mon. Germ. a. a. D. beziehen.
» Herzog, Realencyclopädie XV, 204 f.
°» Rettberg, Kirchengeich. Deutſchl. I, 324.
* War dod) das Erfte, wovor Gregor TII. die Bifchöfe der neuorganifirten
bayerischen Kirche warnen mußte: gentilitatis ritum, et doctrinam vel ve-
nientium Brittonum vel falsorum sacerdotum et hereticorum, sive
adulteros, aut undecungque sint, rennuentes ac prohibentes abiciatıe.
Jaffe, Mon. Mogunt. S. 103.
8 Rettberg a. a. O. I, 347.
®° Jaffe, Mon. Mog. ©. 158.
349
derts zu kämpfen Hatte, und welcher er vorwirft: . . falsos sacer-
dotes et hypochritas, . . . offerentes populis et docentes no-
vas sectas et diversi generis errores: quidam abstinentes
a cibis, quosDeusad pereipiendum creavit, quidam
melle et lacte proprie pascentes se, panem et ceteros abiciunt
eibos. Iſt uns nun in diefen Klagen des Bonifacius der zeitges
iichtliche Anlaß der Bejtimmungen in Rap, 7 unferes Rapitulare
aufgehellt, jo Liegt in der Firlichen Nichtung jener Iroſchotten über-
haupt Veranlaffung genug für den Wortlaut von Kap. 10. Denn
die ſämmtlichen angeljächftichen Bußordnungen würden nicht fo heftig
gegen das Faſten au Sonn» und Feiertagen eifern !, wenn fie nicht
in der von ihnen befämpften iroſchottiſchen Kirchengemeinfchaft jo ge—
gründeten Anlaß dazu gehabt hätten,
Diefen Schotten ſammt ihrem Anhange, welche ihre Zugehörig-
feit zur Kirche nicht bloß behaupteten, ſondern jehr rege in Werfen
der Liebe zu bethätigen pflegten?, wollte Bonifacius die kirchliche Be—
rehtigung abſprechen, und hHiezu eignet ſich Kap. 11 des Kapitulare
vortrefflih, wenn anders desidentes im Sinne von dissidentes
zu verſtehen iſt.
Zum 12. Kapitel aber (Ut poenitentiae remediis nemo
se non egere putet pro quotidianis humanae fragilitatis ex-
eessibus) könnten wir einen erwünſchteren Commentar nicht mehr
finden, als ihn Bonifacius ® ſelbſt in feinen Klagen über Aldebert
ung darbietet: Venienti enim papulo ... et cupienti confiteri
peccata sua dixit (Aldebertus): Scio omnia peccata vestra,
* mihi cognita sunt occulta vestra, non est opus con-
teri ®.
Und wenn mir endlich aus dem Munde des Bonifacius gegen
den Schotten Clemens die Beihuldigung erheben hören: Qui contra
fidem sanctorum patrum contendit dicens, quod Christus filius
Dei descendens ad inferos omnes, quos inferni carcer deti-
nuit, inde liberasset, ceredulos videlicet et incredulos necnon
eultores idolorum. Et multa alia horribilia de praedestina-
tione Dei contraria fidei catholicae adfirmat —,, fo ift von
bier aus bis zu der Lehre von der Wiederbringung aller Dinge,
melde in Rap. 13 unferes Kapitulare befämpft wird, ein ſehr Heiner
Schritt, den jeder Schüler des Klemens thun fonnte, ja den wohl
Glemeng jelbft Schon gethan hatte, wenn er jeine Speculation unter
diefen Prämiſſen auch auf die Prädeftinationslehre ausdehnte.
Aldebert und Klemens wurden aber auf Betreiben des Boni—
ı Wafferfchleben, —— S. 167. 195. 227. 488. 608. (Canon.
—— Theodor. I, 11 8. 2. Bed. VIII, 8. Mart. 59 8. 5. Cumm.
I, 8)
2 Bergl. Ebrard, Miffionsfirhe 138—146.
® Jafie, 1. c. epist. 50 ©. 140.
. Bergl. bierzu Rettberg a. a. O. I, 315 f.
°® Jafle, 1. c. ©. 140.
350
facius von der Synode von Ejtinnes im März 743 verdammt uud
mit Hülfe Karlmanns zur Haft gebracht!.
Und in diefe Zeit der zur Enticheidung drängenden Kämpfe mit
diejen „Ketzern“ paſſen auch die erften Kapitel der uns beichäftigenden
Juſtruction. Man hat fich zwar bisher allgemein durch die Freude,
in Rap. 3 eine jo genaue Bezugnahme auf bayeriiche Verhältniffe zu
finden, leichtgläubig täufchen laſſen. Allein ein ſolches Vorgehen bei
der Organifirung einer entitehenden Landeskirche, wie es in diejem
Kapitel fich zeigt, Hat Rom ſich niemals zu Schulden fommen lajjen.
So ind Blaue hinein, ohne zuvor über die gute Begründung der
biſchöflichen Site jich vergewiffert zu Haben, hat Rom niemals ein
Erzbisthum errichtet. Erinnern wir uns dagegen, mit welchen Schwie-
rigfeiten Bonifacius bei der Organifirung der bayeriichen Bisthümer
zu kämpfen hatte, wie er den einzigen Vivilo von Paſſau als rite
ordinirt vorfand?, von den übrigen Biſchöfen aber ſich bloß Ermbredt
von Freifing zur Annahme der römifchen Ordination verftand, wäh.
rend für Negensburg und für Salzburg Gegenbifchöfe ernannt werden
mußten ®, erinnern wir uns, daß Bonifacius im Jahre 744 e8 wie
der geichehen lajjen mußte, daß der Salzburger Stuhl mit dem iro—
Ichottiichen Virgilius befegt wurde, welcher die Annahme der römijchen
Drdination lange verweigerte*, fo begreifen wir, wie Kap. 1—4
diefer Inſtruktion gefchrieben werden fonnten, um einerſeits die völ-
(ige Unterwerfung der ſämmtlichen bayerischen Biſchöfe unter die rö-
miſche Ordnung als ein altes Geſetz erfcheinen zu laſſen, andererſeits
denjelben Biſchöfen das erzbiichöfliche Pallium als verlodenden Yohn
ihres Wohlverhaltens in Ausficht zu ftellen. Denn aud), daR der
Sitz des in Ausfiht genommenen Erzbisthums in fo unbejtimmten
Dunfel gehalten ift, entipricht weniger der römiſchen Praxis, als es
auf eine gewiſſe Abficht hindeutet.
Hiermit ift dann auch die fchwierige, oftmals aufgeworfene und
doc) niemals geniigend beantwortete Frage? gelöft, warum dod in
diefer Yuftruftion der Name Ruperts von Salzburg gar nicht er-
wähnt werde? Die Auffrifhung feines Gedächtniffes konnte dem
Fälſcher in Feiner Weiſe opportun erjcheinen.
Endlich beſtärkt uns im unferm bisherigen Refultate auch nod)
Rap. 5 dieſer Inftruftion. Daffelbe enthält die befannte constitutio
Gelasii, welche al® ‘synodale, quod aceipit episcopus’, oftmals
hinausgegeben wurde, befonder8 auch von Gregor II. unter dem 1.
Dezember 723 an Bonifacius®, Aber in unferm Kapitel finden
fih) — abgefehen von dem Schlußſatze, welcher hier die allgemeine
Unterwerfung unter die römifhe Ordnung noch ausführlicher umd
Rettberg I, 361.
Jaffe, 1. c. &. 105.
Nettberg, a. a. O. I, 348—351 und II, 233.
Nettberg, a. a. DO. II, 233—237.
Ibid. Il, 209. 213.
Mansi, Coll. conc. XU, 239 f.
a an » © 1 m
351
eimbringlicher betont, als fonft fchon zu gefchehen pflegte — zwei cha=
rakteriftiiche Abweichungen :
Constit. Gelasii:
ne... aut expoeuitente, vel cu-
riae aut cuilibet conditioni ob-
‚Capitul. Gregorii:
ne aut expenitentem vel cui-
libet conditioni obnoxium atque
noxium notatumquesacros or- | notatumı sacros ordines permittat
dines permittat accedere accedere .... Afros.. nulla ra-
Afros .. nulla ratione suscipiat, | tione suscipiat, quia plerique
quia aliqui eorum Mani- illorum Manichaei rebapti-
chaei, aliqui rebaptizati | zati saepius sunt probati.
saepius sunt probati.
nn. 0. 8
Die letztere Abweichung zeigt uns zur Evidenz, daß diefes foge-
nannte Rapitulare Gregors II. aus der päpftlichen Kanzlei nicht her—
vorgegangen fein fan. Denn dort hätte man die Manichäer, welche
von einer Wajfertaufe überhaupt nichts wiſſen wollten, nicht der
Wiedertaufe bezichtigt; dort wußte man ficher, daß Gelafius mit den
aliqui rebaptizati die Novatianer und nicht noch einmal die Ma—
nihäer befämpft hat. Außerhalb Roms, in glaubenseifrigen, aber
nicht gründlich) theologiich gebildeten Kreifen, in Yändern, in welchen
e8 niemal® Novatianer oder Manichäer gegeben hat, war ein folcher
dogmengefchishtlicher Unfinm allerdings möglich. Und giebt uns dieſe
abweichende Lesart eine Andeutung über den Ort der Abfaffung, fo
wird uns die erfte notirte Bariante auf die Zeit der Abfaſſung führen.
Denn daß jenes ‘vel curiae’ (obnoxium notatumque) ausgefallen
üt, dürfen wir feineswegs auf Rechnung eines leichtfinnigen Abſchrei—
ber& jchieben, jondern wir werden hierin eine Abficht merken dürfen.
Eine folche erklärt jid) aber bloß in einer Zeit, in welcher c8 ent»
weder opportun erichien, diefe Beihränfung momentan fallen zu lafjen,
weil man auch Minijterialen für den Dienft der Kirche gewinnen
wollte, oder in welcher die firchlichen und politischen Verhältniſſe eine
Erwähnung der curia überhaupt mißlich ericheinen ließen.
Und dieß war eben in der Zeit von 743 auf 744 in Bayern
der Fall. Der aufitändiihe Bayernherzog Odilo war fanımt feinem
jungen Söhnlein in die Gefangenfchaft weggeführt, Bayern aber dod)
von dem fränfifchen Reiche noch nicht völlig verichlungen worden: das
Schidjal des Landes, des herzoglichen Hofes und feiner Minijterialen
bieng noch in der Schwebe.
Alsbald nad) Beendigung des bayerischen Feldzuges im Jahre
743 hatte Bonifacius fich wegen der bayeriichen Kirche wieder nad)
Rom gewendet und von Papſt Zacharias d. d. 5. November 743
die Antwort erhalten: Quia, si deberes in Bajoariae provinciam
jus habere praedicationis, sciscitasti annon, quam a deces-
sore nostro habuisti concessam. Nos ... quae tibi largitus
est... . praedecessor noster, non minuimus, sed augemus etc. !.
Jetzt hielt Bonifacius die Zeit für günftig, um fein Kirchenorgani-
ı Jaffe, ep. 49 ©. 135.
352
fationswerf in Bayern, das im Jahre 739 noch keineswegs zu feiner
Zufriedenheit fich geftaltet hatte, um einen Schritt weiter zu führen.
Er hielt fie doppelt für günftig, weil gerade um diefe Zeit Pippin,
der bisher feine Hoheitsrechte betreffs der Concilienberufung jo ängſt—
lic gewahrt hatte, gemeinfchaftlich mit Karlmann den Bapft um An—
ordnung und Peitung von Goncilien in ihrem Gebiete angegangen
hatte!. Das vom Papfte ſchon längft angeordnete, aber immer noch
nicht zu Stande gefommene bayerische Provinzialconcil juxta ripam
Danuvii’? wurde nad) Regensburg ausgefchrieben — jo fünnen wir
jest conjiciren, nachdem wir die Akten diefes Concils im Cingange
unjerer Abhandlung fejtgeftellt haben. Zur Vorbereitung der rechten
Stimmung und zum Hinterhalte für die al8 unerläßlich betrachteten
— — wurde dieſes angebliche Kapitulare Gregors II.
gefertigt.
Nur um ein Mißverſtändniß abzuwehren, bemerken wir noch
ausdrücklich, daß wir diefe Fälfchung feineswegs dem Bonifacius felbft
zufchreiben, Sondern einem feiner Gefinmings- und Kampfgenoſſen,
und zwar einem der begabteiten. Denn es dofumentirt ebenfoviel
Geſchicklichkeit, wie politifche Klugheit. Hat es doch in dem allezeit
heiflen Kapitel von den Ehefachen feine weiteren Hindernifje aufzu=
nehmen ſich beichieden, al8 welche durch den bisherigen Gang der baye—
rischen Geſchichte an hervorragenden Beiſpielen al8 gemeinverderblich
zu erweifen waren.
Mit der Echtheit diefes Kapitulare fällt aber der lette Anhalt
für das Yahr 716 als Wallfahrtsjahr Herzog Theodos II. von
Bayern. Es hindert nichts mehr, diefe Wallfahrt auf 702 zu fegen.
Und felbft den Tod Theodos II. können wir jett getroft nad) den
Salzburger Breves notitiae und ihrer erften Ueberarbeitung, dem
Sermon?, auf 702 annehmen. Denn das aus dem 14. Jahrhun—
dert ſtammende Auctarium Garstense, welchem Büdinger * eine be=
jondere Glaubwürdigkeit zufprechen wollte, hat mit feiner Angabe ®
zu 717: Theodo dux Bajovarie obiit, pro quo Theodoaldus
et Grimoaldus filius ejus, feinen weiteren Werth, al8 den einer
hijtorifchen Combination. Und die Inſtanz, welche aus Aribos Vita
S. Corbiniani cap. 10 beigebracht wird ®, wonad) Corbinian 7 Yahre
nach feinem erften Befuche bei Bapft Gregor II. den alten Theodo II.
noch am Leben getroffen haben foll, wird bei fritiicher Sichtung des
biftorischen Gehaltes diefer Vita auch hinfällig. Denn da in ſämmt—
lihen uns bisher befannten Redaktionen diefer Vita Corbinian nad)
feiner Rückkehr von Papft Gregor II. den im Dezember 714° ver—
Jaffe, in den Forſchungen X, 410.
MNettberg, a. a. DO. II, 223-224.
Canisius, Lection. antiqu. IH, 3, ©. 357.
Zur Kritik zc. a. a. O. ©. 389.
Mon. Germ. SS. IX, 563.
Rettderg a. a. O. II, 209 f.
Annal. S. Amandi, Tiliani, Laubacenses, Petaviani, in Mon.
00 m >» © 1 mi
353
ftorbenen Pippin von Heriftal noch am Leben getroffen haben foll, fo
it allgemein anerkannt, daß „man alfo nur die Wahl hat, Hier ent—
weder einen früheren Papſt oder einen fpäteren Sranfenherricher han—
deln zu laffen“ ?. Wir unfererfeits halten dafür, daß Aribo in feiner
Vita Corbiniani mit den ihm befannten gefchichtlichen UWeberliefe-
rungen überhaupt jehr frei umgegangen fei, um Alles, was ihm aus
dem Ende der Regierungszeit Theodos und feiner Söhne befannt war,
in feinen Heiligen-Roman zu verweben. Die Vita Corbiniani harrt
noch auf eine, freilich ebenfo mühjame wie undankbare, fritiiche Be—
arbeitung.
Zum Schluſſe fajjen wir das Reſultat unſerer Unterfuhung in
folgenden Sätzen zufammen :
1) Herzog Theodo II. von Bayer iſt im Jahre 702 geftorben,
wie die Salzburger Breves notitiae berichten.
2) Die mehrfältig erwähnte Romreiſe bdejjelben fällt in das
Yahr 702.
3) Das angebliche Kapitulare Gregors II. für die nad) Bayern
abgehende Gefandtichaft wurde im Jahre 743 in Deutichland verfaßt.
4) Auch die in den Mon. Germ. LL. III, 455 neu ebdirten
Regensburger Synodalakten ftammen aus dem Jahre 743 oder 744.
Germ. SS. I, 6. 7. Ebenfo Annal. Lauresbamenses, Alamanuici, Naza-
riani, ibid. ©. 24 und 25.
ı Mettberg, a. a. DO. II, 215.
Einhard und die Anmales Fuldenses.
Bon G. Waitz.
An Herren Profeffor Wattenbadh.
Auch in der neueften Auflage Ihrer „Geſchichtsquellen“ S. 184,
folgen Sie zunädhft der von B. Simſon vertheidigten Anficht von
dein Verhältniß der Annales Sitbienses zu den Fuldenses, ſtellen
ihr dann die neuerdings von Dünzelmann entwicelte wieder abwei—
chende zur Seite, ohne ſich über die Richtigkeit derjelben zu entſchei—
ben, „ihre Nachprüfung weiterer Forſchung vorbehaltend“. Gerne
wäre ich, nachdem ich über die, wie ich gemeint habe und noch im—
mer meinen muß, im ganzen einfache Frage dreimal gehandelt habe,
einer jolhen überhoben gewejen, fie einem andern überlaffend. Da
es ſich nun aber bald aufs neue darum handeln muß, ob und in
welcher Weife in die für Band XIII der Scriptores bejtimmten
Nachträge die Sithienses aufzunehmen find, habe ich geglaubt, mid)
der wenig erfreulichen Arbeit nicht entziehen zu dürfen und dafür,
wie auch jchon einmal früher, die von mir geleiteten hiſtoriſchen
Uebungen benutzt, und habe mich da bemüht, die Unterfuchung fo uns
befangen wie möglich, ohne nähere Rückſicht auf die früheren Darle-
gungen, führen zu lafjen.
Wir fnüpften an den Sat an, ben Sie ald Grund des Be-
harrens bei Ihrer Anficht anführen: Simſon habe den Nachweis gege-
ben, daß den Annales Sithienses gerade alles dasjenige fehle, was
die Annales Fuldeuses den Laurissenses minores entnommen ha=
ben, da doch unmöglich angenommen werden könne, daß gerade alle
diefe Zufäge bei einem Auszuge weggelaffen wären. Hier darf id
anführen, daß ich ſchon in der erjten Erörterung über den Gegenjtand
(Nachrichten v. d. Gef. d. Will. zu Göttingen 1864, ©. 68) diejen
Beweis für einen ic) möchte jagen das Auge täufchenden erklärt
habe, indem Simſon bei feinem Paralleldruck auch ſolche Stellen
der Ann. Sithienses, deren Nachrichten auf die Laurissenses mi-
nores zurückgehen, durch den Drud von diejen unterjcheidet, wo fie im
Wortlaut näher mit den Fuldenses übereinftimmen, und jo den Schein
hervorruft, al8 wenn diefe aus zwei Vorlagen zufanunengefett wä—
ren, wo das Berhältniß in Wahrheit nur das ift, daß die Sith,
355
einen Theil der Fuld. wiedergeben. Mit Rückſicht darauf hieß es
mohl im der vorigen Ausgabe der GO. (I, ©. 372) „Daß aud)
in den Ann. Sith. die Benußung der Ann. Laur. min. fenntlich
fei, it von Waig freilid behauptet, aber durchaus nicht erwiefen“.
Sind diefe Worte auch jet nicht wiederholt, jo glaube ich doc an—
nehmen zu müſſen, daß diefe Anficht nicht aufgegeben ift, und ich
meine daher vor allen Dingen verfuchen zu jollen, eben jene Behaup—
tung zu erweifen.
Dabei wird es freilich darauf ankommen, ſich darüber zu ver—
ftändigen, warn ein folcher Beweis für erbracht gelten fan, Nah
meiner Anficht dann, wenn in Annalen, die doch Niemand al8 glei)
zeitig oder auf urjprünglicher Kenntnis der Dinge beruhend betrachten
lann, fih Nachrichten finden, die fich auf feine andere uns befanmnte
Quelle zurücführen laffen oder mit feiner jo genau in der Form
übereinftimmen. Denn nur mit dem vorhandenen Material können
wir operieren und müffen es meines Erachtens, fo lange e8 ausreicht,
um die vorliegenden Erſcheinungen zu erklären; auf unſichere Mög—
lichkeiten haben wir erft einzugehen, wenn auf jenem Wege fein Re—
jultat zu erzielen. Von einem zweiten Grundjaß, daß wir ohne Noth
nicht verfchiedene Quellen zu ftatuieren haben, wo wir mit einer aus—
reichen, will ich zunächjt wenigſtens an diefer Stelle feinen Gebraud)
mahen, alfo nicht, wo für die Fuld. allenfalls die Wahl zwifchen
Annahme einer Benugung der Ann. Laur. min. und Sithienses
bliebe, mich für jene entjcheiden, weil anderswo ihre Benugung un—
zweifelhaft it. _E8 gilt aljo nur den gemeinfamen Beſtand der Ann.
Sithienses — denn einen beſonderen haben dieje ja überhaupt nicht
— und Fuldenses an Nadrichten in ihrem Verhältniß zu den Laur.
min. zu prüfen.
Da zeigt fi) für die erften Jahre, daß, mit Ausnahme einzel-
ner Stellen, auf die ic nachher zurückkomme, alles aus den Ann.
Laur. min. genommen fein fann, aber, da die Form eine freiere,
und der mwejentliche Inhalt fich auc anderswo, d. h. in den Laur.
maj., die Simfon ald Quelle betrachtet, findet, ſich dies nicht
mit voller Sicherheit behaupten läßt. Auf einige nähere Uebereinjtim-
mung mit jenen, wie 741 ‘dividunt’ (maj.: diviserunt); 747 ‘mutato
habitu’ (min.: religionis habitum suscepit; maj.: se totondit)
will ic) fein Gewicht legen. Aber es gibt auch ſolche Stellen, wo
in der That fein Zweifel fein faun. 752, wo die Sith. mit den
Fuld. fagen: Stephanus papa Romanus (fo zu leſen) auxilium
contra Langobardos petens, in Franciam venit. Gripho, fra-
ter regis, cum Italiam petere conaretur, a comitibus fratris
in Burgundia oceisus est, haben nur die min.: Stephanus papa
Romanus venit ad Pippinum regem postulans adjutorium et
defensionem adversus Aistulfum regem, und vorher: Gripho
Italiam cupiens penetrare a Thedoino comite in valle Mau-
rienna obprimitur. Die majores haben in dem erjten Sat nicht
die Bezeichnung ‘Romanus’ für den Papft, fie jagen nicht, gegen
356
wen er Hilfe fuchte, fondern ftatt deffen für wen: pro justitia
sancti Petri. Ueber Grifo haben fie eine ganz andere Nachricht: qui in
Wasconiam fugatus est, nichts von dein Ort feines Todes. Das
‘in Burgundia’ ftatt des genaueren “in valle Maurienna’, das die
Ann. Fuld. beibehalten, ijt ganz in der Art, wie die Sith. auch ſonſt
verfahren, Kleine Veränderungen bei der Beichreibung von Yocalitäten
— Ich erwarte auch nicht die Einwendung, daß die Ann.
Sith. hier zu der Quelle der Aun. Laur. min., der Cont. Fre-
degarii zurüdgegangen feien, für deren Kenntniß gar nichts jprict,
die auch den Sat iiber Stephan nicht hat.
Yın Fahr 754 heißt es:
Ann.Laur. maj.JAnn. Laur. min.| Ann. Fuld. Ann. Sith.
Stephanuspapa Stephanus papa Stephanuspapa, Stephanus papa
reductus estadRomam rever-duce,Hieronimo Romam _rever-
sanctam sedem titur. fratre Pippini, titur.
per missos d. Romam rever-
regis Pippini, titur.
Folradum et
reliquis qui cum
eo erant.
Hier fünnte ich den Einwurf erwarten, nicht daß die Sith. die
Laur. min. nicht benugt, fondern vielmehr, daß fie es direct gethan,
nicht durch Vermittelung der Fuld., deren ganz abweichenden Zuſatz
fie nicht Haben. Aber folhe Weglaffungen, wie ich e8 aufehen muß,
finden fih Jahr für Jahr: jedenfalls bleibt mir fein Zweifel, daß
das Gemeinfchaftlihe auf die min. zurückgeht.
Zweifelhaft kann e8 fein bei der Stelle 756, wo es von dem
Langobardenfönig Aiftulf heißt: in venatione quadam equo ca-
dens mortuus est; in den Laur. min.: Heistulfus in venatione
equo lapsug regnum cum vita perdidit; in den maj. nur: quo-
dam die venationem fecit et percussus est Dei judicio, vitam
finivit. Sicher können diefe hier nicht die Quelle fein. Dagegen
laſſen ſich als ſolche allenfall8 die jog. Ann. Einhardi in Anschlag
bringen, die ähnlich wie die min., nur ausführlicher als dieje und
die hier beiprochenen Ableitungen, berichten: Heistulfus autem post
abscessum ejus, cum meditaretur, quomodo sua promissa non
tam impleret quam dolose ea quae impleta fuerant commu-
taret, in venatione de equo suo casu prolapsus est, atque ex hoc
aegritudine contracta, intra paucos dies vivendi terminum
fecit. Es ijt nicht zu zweifeln, daß die Worte, welche die Sith.
mehr haben als die Fuld.: ac deinde post reditum Pippini in
Franciam jid) auf die Einh. ftügen. Aber diefe überhaupt und aud)
für die Fuld. als Quelle anzunehmen, ift wenigjtens bedenklich, da
hier Aiftulf nicht gleich, fondern erjt in Folge einer Krankheit nad)
dem Wall ſtirbt.
Nur den Laur. min. fönnen die Worte 764: Hiems valida
et praeter solitum prolixa entlehnt fein; Facta est hiems valida
357
a. D. 764; maj. und Einh. haben nichts davon, die Petav., die
hier wie anderwärts in Betracht kommen fünnten, ganz abweichend:
gelus magnus; andere Aufzeichnungen: hiems (oder hibernus)
grandis et durus. Ganz wörtlid) den Laur. min. entlehnt ift
772; Adrianus Romae pontificatum suseipit.
Diefe Stellen genügen, um die Behauptung zu begründen , daß
nicht die Sith. nur folche Nachrichten haben, welche nicht auf die
Laur. min. zurücdgehen; daß es nicht nöthig, ja gar nicht möglich
it, anzunehmen, jene hätten alle jene Stellen („Zufäge“ darf man
es wohl überhaupt nicht nennen) bei ihrem Auszug weggelaffen. Sie
haben manches weggelajjen, was aus diejer, wie anderes, das aus
anderer Quelle jtammt. Sie haben auch viel mehr beibehalten, was
wir allen Grund haben auf die min. zurüdzuführen, was nur ähn—
lich ſich auch anderswo findet, und deſſen Quelle bei der fürzeren
und veränderten Faſſung fich eben nicht mit Sicherheit angeben läßt,
wie e8 bei der nahen Verwandtichaft und großen Uebereinjtimmung
der verjchiedenen in Frage kommenden Annalen nicht Wunder neh-
men kann.
Iſt alfo diefer Einwand nicht ftihhaltig, fo werden alle jene
Gründe Geltung erhalten, die ic) früher weitläuftig genug dargelegt
habe und die Niemand zu widerlegen verfucht, die ich hier deshalb
auh feinen Anlaß habe zu wiederholen. Nur den Sat glaube
ih noch einmal hervorheben zu follen, daß es bei der Frage
nah dem Verhältniß zweier Texte zu einander vor allem darauf atı=
fommt, welcher der Quelle näher jteht. Alles andere, muß ich jett
wie früher (Nachr. 1873, ©. 595) jagen, jcheint mir unficher, ſub—
jectiver Auffajjung unterworfen. Und da kann doc) wahrlich fein
Zweifel bleiben. ‘Die Fuld. fpredjen 792 mit den Quellen von der
conjuratio Pippini, die Sith. von einer conspiratio. “Die Fuld.
nennen die Hauptitadt des Yangobardenreichs 756 wie die Quellen
Papia, die Sith. Tieinum; wo jene von regiones der Huni, wie jie
mit vielen Autoren der Zeit die Avaren nennen, jprechen (791), ma—
hen die Sith. unpajfend aus dem vorhergehenden “Pannonias ingressi’
Pannoniorum regiones; das Land fonnte mit dem alten Römiſchen
Namen bezeichnet werden, jo gut wie Einhard die von den Slaven
bewohnten Lande öftlic; der Elbe zu Germania rechnet, aber nicht
die Bevölkerung, und die Quellen haben nichts der Art. Wo die
Sith. einen Zufag machen, ift er nichtsjagend wie 754: Haistulfus rex
Langobardorum in Langobardia superatur; oder 779: Hilti-
brandus Langobardorumdux Spolitanus. Oder er beruht auf
Misverftändnig. Dahin gehört das ganz verfehrte'aFraneis’ in dem
Sat 768: Vaifarius dux a Francis interfectus est, was Abel
allein für ausreichend hielt, um die ganze Streitfrage zu entjcheiden,
und was wahrlid) durch Simſons „unzählige Möglichkeiten“ der Er—
Märung (Ludwig d. Sr. I, S. 402) nicht gebeijert wird. Ganz der=
ſelbe Zuſatz findet ſich 809: castrum Essesfleth trans Albiam a
Franeis aedificatur. Er it hier unfchuldiger, da er nicht wie
XVII. 24
358
dort etwas ganz unrichtiges in die furze Notiz hineinbringt, aber ge:
nau kann man den Ausdrud auch nicht nennen, da die Quellen, aud)
die Ann. Fuld., nur jagen, Karl habe befohlen das Caſtell zu bauen,
der Bau ſelbſt offenbar zunächit den Umwohnern, den befiegten Sadjien
oblag. Biel übler iſt der Sat 794: in qua heresis Feliciana
iterum a suo auctore condempnata est. Das ‘iterum’
iſt an die Stelle des tercio' getreten, das die Fuld. mit der Quelle,
den Laur. maj. gemeinfchaftlih haben und das die Sith. änderten,
weil jie 792 wegließen, daß Felix zum Papſt geführt denuo eam
confessione facta damnavit’; das ‘a suo auctore’ aber ift will
fürlih und unrichtig eingefügt, da es fich hier nicht wie 792 um den
Widerruf des Felix, jondern die VBerurtheilung durd) die Synode han-
delte (}. Capit. Francof. 794. c.2; Chron. Moissiac. SS. I, ©. 301
und die Acten Mansi XIII).
Es trifft fih unglücklich, daß dies gerade das Jahr ift, von
dem an neuerdings Dünzelmann eine wejentliche Aenderung des Ber:
hältniffes der Sith. zu den Fuld. annimmt (N. Arch. II, ©. 502),
indem er bi8 793 mit mir diefe als Quelle, nachher umgefehrt als
Ableitung der Sith. anſieht. Wie wenig Wahrfcheinlichfeit an fid
eine folche Anficht Hat, bedarf Feiner Ausführung. Hier glaube id
jagen zu dürfen: die angeführte Stelle widerlegt fie allein fchon. Und
nicht anders ift e8 mit dem J. 796. Ich habe früher ausgeführt
(Nadır. 1864, ©. 64), wie aus den "Worten der Ann. Einh.:
regia, quae... hringus, a Langobardis autem campus voca-
tur, in den Fuld. geworden: campus eorum, quem vocant hrin-
gum, und wie die Sith. dann im gewöhnlicher Weife abkürzend
gefagt: campus Hunorum. Simſon hat faum eine Cinwendung ge
macht, nur gemeint, wenn das Verhältnis iiberhaupt jo fei, wie er
annehme, — und dazu gehört, worauf ich zurückkomme, daß die Fuld.
nicht die Ann. Einh. benugt —, fo müfje auch hier der Ausdrud
der Fuld. nicht auf diefen, fondern auf einer Verbindung (er jagt
„Vermifhung“) der beiden als zu Grunde liegend angefehenen Ele—
mente (Ann. Laur. maj. und Sith.) beruhen. Daſſelbe wiederholt
nun Dünzelmann ©. 503. Die Sith. follen alfo, wie Simfon für
möglich hielt, einen Langobarden zum Berfalfer haben? — Aber ih—
rem Autor ift paffiert, daß er gar nicht gewußt oder in gedankenlo—
ſem Excerpieren vergefjen, was der hringus oder campus war.
Denn er fagt, fi) von allen andern Berichten entfernend: Campus
Hunorum ... subaetus est, als wenn e8 ein Gefilde, ein Land
gewejen, dad man unterwarf, während die Fuld. das richtige “aditus
et captus est’ haben (die Ann. Einh., welche die doppelte Einnahme
getrennt berichten, das eine Mal ‘spoliata’, nachher ‘ex toto destructa’).
Ich denke hiernad) genügt e8 zu bemerken, daß im übrigen das Ver:
hältniß nad) 793 ganz dafjelbe iſt, wie vor dem Jahre: daß die Sith.
die Fuld. abfürzen, wie ganze Säte, jo einzelne Worte weglaffen, die
in diefen wie in der Quelle ftehen (3. B. 799 juxta Tharsaticam
Liburniae eivitatem; Sith.: juxta Th. civitatem), oder einen
359
Ausdrud ändern, weil er der abgefürzten Faſſung nicht entfpricht
(797 Fuld.: Bareinona Hispaniae civitas, quae jam pridem a
Francis defecerat, per Zatum Sarracenum praefectum ejus Ca-
rolo reddita est; Sith.: Barcinona Hispaniae oppidum per
Zanum Sarracenum Carolo tradita; ‘tradita’ nit ‘reddita’,
weil der Abfall weggelafjen; “reddita’ aber aud) fowohl die Laur.
maj. wie Einh.), daß fie endlich aus den Ann. Einh. einzelne Zu—
fäge machen, und fo aud einen Fehler der Fuld. (817) vermeiden.
Daß die Ann. Einh. ſowohl jelbjtändig in den Sith. wie in
den Fuld. benußt, habe ich früher behauptet; das legte hat Simfon
(Forſch. IV, ©. 580) bezweifelt, indem er meint, alle Stellen, welche
jene nicht aus ihren ficheren Quellen, den Laur. min. und maj., ha=
ben, ließen fich einfacher aus den Sith. ableiten. Aber bei allen ift
da8 feineswegs der Fall. Da Laur. maj. und Einh. vom %. 801
an befanntlich weſentlich zufammenfallen, it die Vergleichung allerdings
eine beſchränkte. Aber wenigitens 783: Eodem anno rex Fastra-
dam duxit uxorem; 785: partim caecitate liegt e8 am nächſten
an dieje zu denken. Dünzelmann bat an der legten Stelle die Ann.
Lauresham. als Quelle der Fuld. angefehen. Und manches ſcheint
allerdings dafür zu jprechen, daß auch jie zu den hier benußten
eg zu rechnen find. So heißt e8 in der Handfchrift, welche
uhesne benußte, jegt Christ. 213 (N. Ard. U, ©. 329), SS.
I, &. 33: et filio Aregiso inde in ospitatum recepit; Ann.
Fuld.: Grimaltum, filium Aragisi ducis Beneventanorum in
obsidatum accepit, wo denn die Sith. fid) wieder weiter von der
Quelle entfernen, wenn fie fagen: in obsidatum regi datur!,
ebenfalls haben aljo die Fuld., wie ein jeder erfennt, als größeres
hiſtoriſches Werk über die ältere fränkische Gefchichte angelegt, eine
Reihe ihrem Autor zu Gebote ftehender Werke benutt, von den ung
befannten die Ann. Laur. min. und maj., dann die Einh., weiter
die Petaviani und vielleicht die Laurishamenses: ein Apparat, der
für den knappen Abriß der Sith. an fic gewiß wenig Wahrjchein-
lichkeit Hat. Aber auch noch anderes uns unbekanntes Material müfs
jene jene gehabt haben, da fie einige Nachrichten bringen, die vor de=
nen der angeführten Annalen abweichen. Etwas davon findet fich
auch in den Sith., und Simſon hat das für feine Anficht geltend ge=
macht, indem er meint, daß diefe ald Duelle angenommen die Nach—
rihten der Fuld. erflärten. Ich habe dagegen ſchon früher bemerft,
daß jo die Erklärung nur weiter hinausgefchoben wird, da es an ſich
gerade jo auffallend, ja bei dem ganzen Charakter der Sith. viel
anfallender ift, wenn fie eigenthümliche Nachrichten bringen. Dazu
lommt, daß fie wieder feineswegs alles haben, was die Fuld. geben.
I Dagegen fteht die Stelle über die Sonnenfinfternis nur in dem ganz
abweichenden Zert der andern Handfchrift. Und auch fonft bleiben Zweifel; die
Nachricht iiber die Hruotrud 787 fteht Lauresh. 781; das Webrige kann aud)
den Ann. Einh. entlehnt, 792 der Ausdrud Gothia für Septimania von dem
Autor gejetst fein, dem diefe Bezeichnung von 732 und 736 her geläufig war,
24 *
360
Unter den %. 754, wo beide abweichend von’den Laur. min. und
maj. jagen, daß Karlmann zu Lugdunum gejtorben, erzählen fie weiter,
daß Papft Stephan ‘duce Hieronimo fratre Pippini’ nad Rom
zurücgeführt jei; woher das eine ftammt, daher doch ohne Zweifel auch
das andere. Ebenſo ijt die Notiz 756, daß die Lebergabe von Ra—
venna und der Pentapolis ‘per Folratum missum suum’ erfolgte,
die fi) nicht in den Sith. findet, gewiß mit Wahrjcheinlichkeit
derjelben Quelle zu vindicieren. Zeigt ſich Verwandtfchaft mit der
Vita Stephani, jo iſt diefe doch jchwerlich direct benutzt.
Ich erlaube mir hieran eine Bemerkung zu knüpfen, welche die
Ueberfchrift diefer Erörterung und in gewiſſem Maße überhaupt das
Zurüdfommen auf diefe Frage rechtfertigen mag, indem fie aud
ihrerfeit8 darauf Hinweift, daß diefe Unterfuchungen doch noch feines
wegs für ganz abgejchloffen gelten können. Dünzelmann (S. 590)
hat noch einmal auf die VBerwandtfchaft Hingewiefen, die im Ausdrud
der Ann. Fuldenses mit den Ann. Einh. an zahlreichen Stellen
ftattfindet, wo jonft fein Grund wäre, die Benugung anzunehmen,
was Simfon und ſelbſt Sie (3. Aufl. S. 150) faft geneigt machte,
an eine Benugung der Sith. auch in der Ueberarbeitung der großen
Reichsannalen, die wir unter Einhards Namen citieren, zu denken.
So unmöglich; mir das fcheint, fo wenig abgeneigt wäre ich, einen
Zufammenhang zwijchen der Entftehung des erften Theils der Fuld.
und jener Annalen anzunehmen. Auch mid hat e8 fchon oft gereizt,
bei dem “hbucusque Enhardus’ des einen Goder der Fuldenses ;. J.
838 an Einhard zu denken, ohne daß ich das Werk oder einen Theil
des Werkes, wie es vorliegt, diefem ſelbſt vindicieren möchte, wenn
derjelbe aud, biß zum J. 840, aber in dem fernen Blandinium, lebte.
Konnte Rudolf in Fulda aber nicht ein jenem angehöriges oder ihm zu
gefchriebenes Werf fortjegen, vielleicht im erften Theil mit Zufägen,
die fich auf Fulda bezogen, verfehen, und das dem fpäterem Schreiber
Anlaß zu jener Randbemerkung geben ?
Die Ann. Sith. gehen nur bis z. J. 823; e8 liegt nahe anzu
nehmen, daß das Eremplar, dem fie folgten, ſich auch nicht weiter er-
ſtreckte. Sithiu (St. Bertin) liegt nicht weit entfernt von Blandi⸗
nium (S. Peter bei Gent), und leicht konnte ein Goder von hier
dorthin wandern. Man fünnte fagen, der Auszug möchte vielleicht
von demjelben gemacht fein, der das ausführlichere Werk zufammen:
geftellt, wenn nicht die vorher hervorgehobenen Misverjtändniffe und
Verderbnifje dies al8 unmöglich ericheinen ließen. Immerhin ſcheint es
mir beachtenswerth, daß einiges in den Ann. Fuld. und Sith. aud
da Verwandtichaft zeigt, wo fein unmittelbarer Zufammenhang ob—
walte. So nennen jene 784 in einer Stelle, welche Sith. nicht ha-
ben, den gleichnamigen Sohn Karl d. Gr. Karolus junior, und die.
jelbe Bezeichnung brauchen die Sith. 808 und 811, hier abweichend
von den Fuld. Es mag daneben bemerkt werden, daß das oben her:
vorgehobene Tieinum jtatt Papia der Sith. ſich wenigftens 774 aud)
in Einh. findet. Später find e8 zum Theil Heine, aber immerhin
361
bemerfenswerthe Zuſätze oder abweichende Ausdrücde, die Sith. mit
Einh. gemein haben, 801 maximus zu terrae motus, 803 per in-
seripfionem, 804 Aquis, 806 comes ftatt praefectus; während
außerdem beſonders nur Notizen über Himmelserfcheinungen diefen
entiprechend find.
Wir würden auf unferm bisherigen Standpunkt fagen müffen:
aus Einh. aufgenommen find. Will man ftatt dejjen eine Duelle
ftatuieren, noch verjchieden von den Fuld., aber diefen aufs nächfte
verwandt, die aber auch jenes Plus jchon enthielt und deren Excerpt
dann in den Sith. vorläge, jo läßt fich dagegen nur jagen, daß die
Gründe für eine jolhe Annahme wohl nicht zwingend find, daß aber,
da neuere Entdeckungen gezeigt, in wie mannigfadjen, unter ſich nahe
verwandten Formen damals der gleiche Stoff verarbeitet ift, es ja
immerhin fehr wohl möglich ift, daß eine folche eriftiert habe. Ob fie
dann mit Einhard in Verbindung zu bringen, ift eine Trage, die ich
hier nicht weiter verfolge. Aber ihm die Fuld. in ihrer jeßigen Ge—
ftalt bis zum J. 792 zu vindicieren, find wir ficher nicht berechtigt,
noch weniger, die Sith. direct mit ihm in Verbindung zu bringen, am
wenigften, um es noch einmal zu fagen, die Sith. al8 Duelle der
Fuld. anzufehen.
Ueber Regino von Prüm.
Don 3. Harttung.
In der praefatio, die Regino feiner Chronik vorangehen läft,
jagt er: (chronicam) in duobus libellis distinxi, exordium
capiens a primo incarnationis dominicae anno, et consum-
mans coeptum opus usque jn praesentem annum, qui com-
putatur a praefata incarnatione Domini nongentesimus octa-
vus. ©enau interpretiert, zeigen fich Unklarheiten in diefen Sätzen.
Regino giebt einerfeitS an: feine Chronif beginne mit Chrifti Geburt,
worauf zunächſt erwartet werden muß, er berichte andererfeits: fie
ſei fortgeführt bi8 da und da Hin, d. h. ſchließe mit dem und dem
Jahre. Dem entspricht denn auch die Accufativwendung usque in
praesentem annum (908), nicht aber das ‘consummansg’ Statt ‘per-
ducens’ oder dergl., da es fich doc faum anders als mit „fertig
werden“ überfegen läßt. Nur diefe Stelle berücfichtigt, werden wir
e8 demnach in der Schwebe lafjen müſſen, ob Regino Hier hat jagen
wollen, er habe fein Werk bis 908 geführt, oder er habe es 908
zum Abjchluffe gebracht; mit anderen Worten, ob er den terminus
ad quem im Sinne gehabt hat, oder den terminus quando.
Gehen wir jett zu feinem, durch die Vorrede eingeleiteten,
Werke über, jo bietet fich in Betreff des Schluffes eine andere Schwie-
rigfeit. Die Mehrzahl der Codices läßt auf das Jahr 903 gleih
905 folgen, die erfte Hand des Codex 1 jedoch, ferner Coder 2 umd
5 geben 904 an: da num die erfte Hand des Coder und der Coder
2 von entichiedener Wichtigkeit find, jo muß es als fraglich erichei-
nen, ob nicht ihre Angabe die urfprünglichere gemwefen; von Seiten
ferner heranzuziehender Quellen ftehen dem feine entfcheidenden Gründe
im Wege, und wir perſönlich halten e8 auch für das wahrfcheinlichite.
Anders fteht e8 mit der Anfegung des nächſten Jahres, hier haben
alle Codices 906 bis auf Nr. 5, der dagegen nicht in Betracht
fommen kann!.
ı Dimmler, Geſch. d. oftfr. Reichs II, ©. 537, Anm. 50, macht darauf
aufmerffam, daf die Zahl 905 in feiner Ueberfetung des Regino ein Drudieb-
ler fei; jo auch Büdinger im Vorwort der Ueberfegung des Cont. Reg. II,
Anm. 3; wo jedoch, ftatt 995, 905 zu leſen ift.
363
Es fehlt alfo die Darftellung der Ereigniffe eine Jahres, wo—
bei ſich fogleich die Frage aufdrängt, welche Gründe mögen dafür
anzunehmen fein? Regino erzählt hier nur Gfleichzeitiges, und zwar
reiht er in gewiffenhafter Weife ein Jahr ftätig an das andere. Die
Annahme, e8 habe fid) in dem Jahre 905 (?) nichts zugetragen, was
er der Ueberlieferung werth erachtete, wird jchwerlich zuläffig fein, wohl
aber ift in Erwägung zu ziehen, daß eime große Lücke unter dem
Jahre 892 erfichtlich macht, Reginos Chronik habe in der erften Zeit
ihre® Beitehens fein ſonderlich gutes Schickſal erfahren!, wonach
es möglich wäre, jene Lücke zwiſchen 904 und 906 falle einem
Abſchreiber zur Laſt. Sicjerheit wird fich hier fchwerlich gewinnen
laſſen. Das nächſte Fahr, welches im Texte des Gefchichtswerfes
fehlt, ift 875; es liegt alſo der Zeit, wo der Chroniſt ausarbeitete,
ichon fern, ohne daß e8 ihm darım an genügender Kunde gemangelt
hätte. Der legte unter 8374 mit eodem anno angefnüpfte Sat fteht
nit am richtigen Orte, fondern gehört in das Jahr 875, woraus
fi, jedoch bei Reginos chronologiſcher Ungenanigfeit feine Folgerungen
ziehen lajfen. Abweichend gejtalten ſich die VBerhältniffe vor 855.
Scieben wir die Wahrfcheinlichkeit bei Seite, daß jene Lücke
zwiſchen 904 und 906 ? von jemand anders herrühre, al8 von Re—
gino felber , und halten wir uns ganz allein an feine Berfon, fo er-
geben fich abermals zwei Möglichkeiten für ihr Entftehen, die nämlich,
daß der Hiftorifer fein Werk eigentlid) nur bi8 904 hat führen wol-
len und fich dann bewogen fühlte, da8 Yahr 906 mit feinem interef-
fanten und wichtigen Inhalt nachzutragen; und die, daß er 906 oder
vielleicht gar 907 als das Endjahr feiner Chronik angefehen hat, jene
unter 906 erzählten Thatjachen aljo nicht als eine Art von Nachtrag
daftehen, fondern das Jahr 905 direct als Ausfall anzufehen ift.
Für erfteres ließe fih der Umftand anführen, daß das Jahr 906
unverhältnigmäßig viel ausführlicher gehalten worden, al8 feine näch—
ften Vorgänger; für letteres müſſen wir nad bejonderen Gründen
fuhen, und da ftoßen wir zunächſt auf die große Vorficht Reginos,
die Schon äußerlich darin Hervortritt, daß er vom Jahre 892, d. h.
von feiner Abſetzung als Abt an, dürftiger in den Nachrichten ift,
al8 zuvor, obwohl er fich doc dem Zeitpunfte feiner Aufzeichnungen
immer mehr nähert und es an Stoff wahrlich nicht gebrach. Be—
ſtimmt formuliert wird jene Vorficht überdies in den Worten der Ein-
leitung, in welchen es heißt, er Habe Sorge getragen, von Vielem Weni-
ges aufzuzeichnen, von da an aber, wo er zur Gegenwart überginge,
habe er fich beſchränkt, um nicht gewiſſe Yeute zu beleidigen, die noch
am Leben feien. Aehnlich fpricht er fich unter dem Jahre 892 aus®:
ı Mäheres darüber weiter unten.
2 Die obigen Auseinanderfegungen bleiben im Wefentlichen auch be:
fiehen, wenn man, wie bisher, das Jahr 904 ausgefallen fein läßt.
s Anders lautet die Bemerkung hinter an. 813: ubi vero ad nostra
tempora ventum est, latius sermonem narrationis protraxi; Pertz
SS. I, ©, 567.
364
er habe beſchloſſen über die jüngfte Zeit zu jchweigen, weil, wenn er
die Wahrheit der Dinge fließend darftelle, er ſich ohne Zweifel Haf
und Unwillen gewiffer Leute zuziehen würde, die noch am Leben ſeien
(vergl. auch an. 899).
Fragen wir nun, wer diefe gefürchteten quidam find, fo liegt
es nicht fern, an die Stelle zu denken, wo Regino von feiner Abje-
gung fpridt: in regimine tamen non diutius immoratus, ae-
mulis agentibus, Richarium, fratrem Gerhardi et Mathfridi,
invidiosum mei negotii successorem sustinui. Wer die aemuli
find, fteht auch Hier nicht, zupörderft glaubt man natürlich Richard
jelbft, Gerhard und Matfried!. Doc, fogleich erheben fich einige
Schwierigkeiten. ft es denkbar, daß diefe Grafen mit ihrem Brubder,
dein Abte, dermaßen weitherrfchend find, daß Negino, als er wohlge—
borgen unter dem Schute feines Erzbifchofs in St. Marimin weilt,
fi geradezu gezwungen ſieht, Manches, was er gern erzählte, mır
anzudenten, Anderes zu verjchweigen, furz die ganze Geftalt feiner
Jahrbücher dadurch beeinfluffen zu laſſen? Und wie verträgt es ſich
mit der Berfchweigungstheorie, wenn zum Jahre 906 von der Ge:
waltfamfeit der Grafen Gerhard und Matfried, deren Bitte um Frieden
und Achtung durch den König berichtet wird? Wollen wir dies nicht
durd die etwaige fpätere Nachtragung des Jahres 906 erklären, jo
müffen wir offenbar an mächtigere Perfonen denken, die Regino Furcht
einflößen.
Da fommt uns nun eine eigenthümliche Notiz in des Trithemius
Chronicon Hirsaugiense zu Statten. Es heißt dort unter dem
Jahre 899: Regino abbas Brumiensis, vir certe doc-
tissimus, jussione Caroli regis Gallorum a sua
dignitate deponitur, propterea quod cum Rı-
perto, duce Galliae Celticae, fratre quondam Ot-
tonis, sentire videretur. Quod verumne fuerit an
falsum, scire non possumus, maxime cum ipse Regino depo-
situs in chronica sua ita inter caetera dicat: ‘Anno Domini
899 Richarius abbas monasterii Brumensis Constituitur. Qua-
liter autem erga me actum sit, ideirco in hoc loco adnotare
distuli, ne forte injuriis provocatus, ultra quam christiana
patientia permittit, persecutionis meae causas exaggerasse
viderer'. Reginone per regem, sicut diximus, injuriose depo-
sito, Richerus monachus ejusdem coenvbii abbasin
locum ejus ordinatus est, qui partes regis secutus, tan-
dem ab eo in episcopum Leodiensem, abrogato Hiltuino ejus
loci praesule, fuit sublimatus.
Woher diefe Nachrichten ftammen, ift nicht gefagt; daß fie dem
Text der Reginofchen Chronik nicht entnommen find, zeigt die Art ih:
rer Erwähnung. Prüfen wir den Inhalt derfelben im Einzelnen, jo
finden wir ihn durchaus glaubhaft; im Jahre 899 regierte der weit:
. — Dümmler Ueberſetzung, Einf. S. VIII; Geſch. des oſtfr. Reichs II,
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fränfifche Karl, Odo war 898 gejtorben, aljo richtig ‘quondam fra-
ter’ Roberts, der zugleich der Erbe feiner Anfprüche geworben. Richer
erlangte 920 das Bisthum Lüttich. Auffallen muß es zunächſt, da
Regino jussione Caroli abgefegt fein foll, da Lothringen im Jahre
899 doch noch nicht zum wejtfränfifchen Neiche gehörte; wir kommen
ipäter darauf zurück, prüfen vorerft, ob Reginos Chronik felber An—
haltspunfte dafür bietet, dag König Karl die gefürchte Hauptperfon
eweſen.
esots ergiebt fih, daß an. 878 von Karl nur einfach an—
gegeben ift, er fei geboren umd ihm der Name feines Großvaters bei—
gelegt, während bei feinen Halbbrüdern auf deren jchöne Geftalt und
Beherztheit Hingewiefen wird. Bei der Erhebung Odos (an. 888)
erfahren wir von dejien Thatkraft, Schönheit und Weisheit, diejenige
Karls wird blos dürr berichtet, ohme jede Nebenbemerfung über die
Perfon, dafür aber im Sate vorher über Ddos Krankheit, Tod und
Begräbniß gefprochen. Karls Herrſchaft iſt zu Odos Lebzeiten eine
angemaßte (an. 893), fie beruht auf Abfall der Fürften (an. 892);
daß Karl kraft Erbrechts die nächſten Anfprüche auf die Krone hatte,
daß im feinen Augen und in denen der rechtöfundigen Zeitgenoffen
(wozu die Fürften in erfter Pinie gehörten) Odo der Ufurpator war,
davon weiß der gelehrte, Canonift Regino nichts. Die Siege Odos
über Karl werden vegiftriert, eine Aeußerung des Unwillens bei dem
Ueberfalle der Gefandten des letteren (an. 895) findet ſich nicht; bis
zu feinem Tode wird Odo der Königstitel beigelegt, während Karl
bis zu feiner zweiten Wahl nichts derartiges erhält. Vor Allem aber
muß bemerkt werden, daß Karl mit dem Jahre feiner Erhebung fo
zu fagen aus dem Gefichtsfreife des Chroniften verfchwindet, da doch
von König Odo ziemlich regelmäßig Bericht abgeftattet war; nur noch
einmal unter an. 903 geſchieht bei Gelegenheit der Wirren, die we—
gen der Abtei St. Vaaſt ausbrachen, nebenher auch des Karolingers
Erwähnung.
Diefe Thatfachen, mit den Andeutungen NReginos über feine un—
freiwillige Schweigjamfeit und mit der Angabe des Trithemius zu—
Jammengeftellt, können faum noch Zweifel übrig laffen, wer der ge-
fährlichfte „Jemand“ gewefen. Und ziehen wir nun die hiftorifchen
Ereigniffe näher in Betracht, fo zeigt fich, daß eben in dem Jahre,
welches Reginos Abfegung vorausging (an. 898), jener Zug König
Karls gegen Zmentibold ftattfand, das Vordringen des erfteren bis
Aachen und Nymwegen; daß Karl auf feiner Rückkehr juft nach
Prüm kam und fich alsdann mit Zwentibold verftändigte. Wie aus-
gezeichnet gerade in diefen Rahmen das von Trithemius Mitgetheilte
paßt, liegt jo auf offner Hand, daß faum noch darauf verwiefen zu
werden braucht. Regino wird gegen den feindlichen, weit in Loth—
ringen vorgedrungenen Karolinger confpiriert und dabei hoffnungsvolf
jeine Augen auf den mächtigen, hochitrebenden Robert gerichtet haben,
was Karl ihm bei dem Friedensfchluffe anrechnetee Der Umftand,
daß Regino, obwohl ein oftfränfifcher Unterthan, dennoch ein größeres
366
Intereſſe für weſtfränkiſche Angelegenheiten als für die feines eigenen
Landes zeigt, ift hier anzumerken.
Wird num aber das bisher Dargelegte zugeftanden, fo zeigt ſich
auc noch ein Ferneres wahrfcheinlich, dasjenige nämlich, daß Keginos
Furcht dermaßen triftige Gründe Hatte, daß der Beweis davon
bis auf den heutigen Tag in ber Vernichtung der näheren Umftände
feiner Abſetzung (an. 899) erhalten geblieben. Schon Dümmler
hat vermuthet (Ueberf. Ein. S. VII), hier feien bereits Zeitge—
nofjen thätig geweien, wofür ja auch die früheften Codices zeugen;
nur fügt er bei, daß vielleicht die Trägheit der Abjchreiber, denen der
betreffende Bericht unwichtig erfchienen, die Schuld daran trüge. Er-
wägen wir, wie viel Umwichtiges und für einen Geijtlihen Uninterej
fanteres die Abfchreiber überliefert haben, wie zu Reginos Zeit im
weitfränfifchen Neiche das viel beeinflußte Kind Yudwig und in Loth—
ringen bald darauf Karl felber herrichte, wie rückſichtslos man im
Mittelalter überhaupt oft mit Schriftftiicken umgegangen ift, jo dürfte
die Annahme mehr für fich haben, daß hier nicht Trägheit, fondern
Abſicht, daß Gewalt maßgebend gewejen, wofür aud) die völlig mitten
aus dem Text herausgerifjene Art des Fehlenden zeugt.
Dod wir find noch nicht am Ende. Im zweiten Buch Cap. 8
von Anselmi Gesta ep. Leod. heißt es: Regino abbas Prumien-
sis, ita seribens in chronieis suis, quae a primo incarnationis
dominicae auno usque in nongentesimum octavum ejusdem
Domini annum extendit (Pertz, SS. VI, S. 19). Selbjtändig
bringt ZTrithemius die Notiz (S. 44): (Regino) scripsit inter cae-
tera ingenii sui opuscula ad Adalberonem Metensis eccle-
siae praesulem chronicon satis conveniens a nativitate
Domini usque ad annum ejusdem nongentesimum octavum.
Die Magdeburger Genturiatoren geben (Cent. X, S. 660) an: serip-
sit historiam de rebus Francorum etGermanorum
a primo nativitatis dominicae usque ad sua tempora, annum
videlicet 908, eamque Adalberoni Trevirensium ! episcopo in-
seripsit lib. 2. Die Abweichungen in den beiden legten Nachrichten
und der Mangel des Citats zeigen an, daß die Genturiatoren hier
unabhängig von ZTrithemius und Anfelm find. Alle drei mal heißt
e8 aber, daß Reginos Gefchichtswerf bis 908 geführt fei, es müßte
aljo dreimal felbjtändig das ‘consummans’ der Reginojchen Einleitung,
deren Verwandtichaft mit obigen Angaben augenſcheinlich ift?, in dem
Sinne von ‘perducens’ genommen fein, oder ein Exemplar vorgelegen
haben, welches wirklich noch die Ereignijfe des Jahres 907 enthielt.
Zur letteren Annahme würde man fi) nur im äußerten Noth—
falle entfchliegen, nun gar hier, wo die zahlreichen uns erhaltenen
ı Cober 5 hat episcopo treverensi ; Adalbero war befanntlich Biſchof
von Würzburg.
2 Es muß jedoch bemerkt werden, daß die Sache ſich nicht viel anders
ausdrüden läßt, als es an den drei Stellen gefchehen, mithin ein Zurüdgehen
auf die Einleitung immerhin etwas gewagt ift.
367
Codices, die aber offenbar auf einen einzigen bereits verjtümmelten
zurüdgehen, dagegen zeugen, wie in gleicher Weife der Anfang des
Continuator Reginonis und der Annalista Saxo, der befanntlich
Regino fehr ſtark ausgefchrieben Hat. Nichtsdejtoweniger Tiefe ſich
auch etwas dafür geltend machen, nämlich eine Notiz der Magdebur:
ger Genturiatoren. Es heift in derjelben von Negino, cum munere
suo aliquamdiu cum laude functus esset, et ipse invidiam
suae virtutis comitem habuit. Nam Richarii ceujusdam dolo
dignitate sua privatur, non sine ignominiae nota, quasi
videlicet pessima fide res sui coenobii admini-
strasset: ut ex epistola quadam Reginonis libro
adjecta videre est.
Die Centuriatoren citiren Reginos Ganonesfanımlung nur nad)
der kurzen unausgiebigen Notiz bei Trithemius (Trith. ©. 44), ha-
ben feine epistola de harmonica institutione, die auch feine hie-
her gehörigen Nachrichten bietet, überhaupt nicht gekannt, während fie
jeine Chronif, oder wie fie jagen, feine 2 Bücher historiae de re-
bus Francorum et Germanorum (der Titel vielleicht beachtens—
werth!) vor fic hatten; danach ijt fajt jede andere Möglichkeit aus—
geichloifen, als diejenige, daß die Genturiatoren hier mit dem liber,
welden der Brief beigefügt fei, eben die Chronit meinen. Was
aber dann? die bisher gefundenen Handichriften wiſſen nichts von ei—
nem folchen.
Fragen wir, wie die Notiz der Genturiatoren über den Brief
mit der Angabe des Trithemius von der Abjegung Reginos zuſam—
menhängt, deren Quelle ji) gleichfalls unſerem Blicke entzieht, fo
werden wir uns dahin enticheiden müſſen, daß die Möglichkeit, letzte
rer habe ebenfall3 aus dem Briefe entlehnt, nicht abzumeifen ift, jo
wenig fich auc der Bericht der Genturiatoren mit dem des Trithe—
mius det. Ausfchliegen thut der eine den andern ebenſowenig.
Die Abfegung wird eine ziemlich verwicelte Sache gewefen fein, bei
der man ſich ſcheute, Reginos Parteiftelung gegen Karl als offenen
Grund anzugeben, und deshalb dolo', wie es bei den Genturiatoren
heißt, die jchlechte Verwaltung des Klofter8 (der Kloftergüter ?) hervor—
holte. Rider und jeine Brüder dürften die Vollftreder, Karl ber
eigentliche Leiter gewejen fein. Regino wird fein Mißgeſchick im Ein-
zelnen entwidelt haben, woraus dann Trithemins einer- und die Gen-
turiatoren andererjeit8 ihre dürren Angaben ſchöpfen mochten; doc)
darf ebenſo wenig verfannt werden, daß Trithemius, der mehrfach
uns verlorene Quellen benußt hat, auch hier eine folche ausgejchrieben
haben fann, die mit dem Briefe nicht identifc war.
Der Einwurf, es fei unwahrſcheinlich, daß Regino zwei mal
von feiner Abjegung, einmal in der Chronif und einmal in einem
ihr beigefügten Briefe, geredet, ift beachtenswerth, jedoch in doppelter
Beziehung nicht ftichhaltig. Erſtens, weil Regino fid) überhaupt nicht
vor Wiederholungen ſcheut, feine Abſetzung ihm auch fo bitter nahe
ging, daß er fie dermaßen breit in fein doch die großen Weltereigniffe
368
enthaltendes Werk einfügte, daß er fürchten mußte, der Bericht ermüde;
und zweitens weil wir an ſich zu wenig Pofitives über den Brief
wifjen, ob er in der Art eines abjchliegenden Nachworts gehalten, ob
er überhaupt zu der Chronik direct in Beziehung geftanden, oder ob
er felbftändig gewejfen und nur zufällig in einem oder beigefügt
wurde.
Völlige Sicherheit fehlt noch) durchaus; immerhin dürften aber die
Nachrichten des Trithemius und der Centuriatoren derartig fein, daß
fie unfere Aufmerffamkeit auf fich lenken. Hoffen wir auf weitere
glückliche Funde, die das gewünjchte Licht verbreiten.
I — ie
Die Gründer von Raſtede und ihr Zujammenhang mit
Ya von Elsthorpe und dem Oldenburger Grafenhanfe.
Bon 8. €. H. Kranfe.
Für die Verwandtſchaftsverhältniſſe des Grafen Huno, des
Gründers von Raſtede, ſagt Lappenberg!, ſei ein lehrreicher Anhalie⸗
punkt dadurch gegeben, „daß uns vielfach mitgetheilt wird, daß Graf
Huno, deffen Sohn unbeerbt blieb, die Vogtei über die Abtei Raſtede
dem Grafen Egilmar, Sohne feiner Schweiter, übertragen habe“.
Lappenberg nimmt diefe Schwejter für die Mutter Egilmars II., alfo
die Gemahlin Egilmars J., d. h. für Rikence, die Tochter Idas und
des Grafen Etheler, des Meißen, von Dithmarjchen. Darnad) wäre
dann Graf Huno ein Sohn oder Stiefjohn der Ida von Elsthorpe.
Als ich die Verwandtſchaft der letteren aufs Neue unterſuchte?, habe
ic, diefen angeblihen Zufammenhang unbeachtet gelaffen, da mir ein
jolher überhaupt nicht vorhanden zu fein jchien, jett mag die ge=
nauere Beweisführung hier verjucht werden.
1. Daß die VBerfchwägerung des Grafen Huno und eines der
beiden Grafen Egilmar „vielfach mitgetheilt“ ſei, ift irrig; feine be=
fannt gewordene Urkunde bietet fie. „Vielfach“ ift nur die Ueberlie-
ferung erhalten, daß Graf Huno mit feiner Gemahlin Willa und
feinem Sohne Friedrich das Kloſter Raftede gegründet habe*; und
einmal (in der päbftlichen Beftätigung von 1124, Sept. 27)4 die
fihere Nachricht, Graf Huno habe den Vater des Grafen Egilmar II.
als jeinen Nachfolger in der Advocatie über das Klofter beftimmt®.
Alle ſpäteren Beltätigungen ftammen aus diefer Quelle und der Ur—
ı CEhrentraut, rief. Archiv II, S. 231.
2Forſchungen z. D. Geſch. XV, S.639—648. Neuerdings hat fich mit der
Abſtammung Idas beihäftigt und glaubt andere Reſultate zu — Ahrens,
in Zeitfchr. d. hiftor. Vereins für Niederſachſen 1876, S. 66
s Ehrentraut bat fie, nad) Lappenberg und Seiberk, l. c. "u, S. 289 fi.
rer
* Hamb. Urk.⸗B. I, Nr. CXXXVII ©. 127 ff.; daraus Ehrentraut
l. c. ©. 292. — Bielleicht aud noch jelbftändig in der Urkunde Erzbiſchof
Abalbero® von 1135.
5 Samb,. Url.-®. 1. c. S. 129: sibi providerat in advocatia suc-
ere.
370
funde Adalberos von 1135. Da aber, wegen diejer Nachfolgebeftim-
mung durch den Gründer, der Pabſt Galirtus II. ohne Weiteres
wieder den Grafen Egilmar II. al8 Kirchenvogt anerfennt und diejes
Recht für alle Zeiten auf den Erjtgebornen der männlichen! Linie
dieſes Gejchlechtes überträgt, fo wird anzunehmen fein, daß ſchon
Huno in der verlorenen Stiftungsurfunde diefes Erbrecht gefchaffen
habe, und ſomit anzuerkennen, daß Egilmar I. in irgend einem Erb—
verhältniffe zu Huno ſtand. Mit Ausnahme diefes, foweit urkundlich
bezeugten, Verhältniſſes liegt überhaupt nur die Nachricht in der
‘Fundatio Rastedensis’ bei Chrentraut? vor: Comes Egilmarus,
ut dieitur, filius sororis comitis Hunonis, und diefer Egilmar
it als Gemahl der Eylifa, aljo als Egilmar II., beftimmt.
Diefer Stelle allein folgt Zappenberg in der oben angeführten
Darlegung der VBerwandtichaft?, während er früher den älteren Egil-
mar, den Gemahl der Kifence, einen Sohn einer Schweiter des Huno
fein ließ, ohne indefjen weitere Beweismittel zu haben.
2. Es kommt demnad) alles auf die Unterfuchung der Glaub-
wiürdigfeit diefer einzigen Nachricht an.
a. Die Stelle felbft, wie fie Lappenberg 1. c. hat abdruden
lajjen, ift nach feiner Angabe nicht von der alten Hand der Historia
fundationis, die er vielleicht nody dem 13. Jahrhundert angehörig
nennt; aber die Schrift ſei ſehr alt’. In der Beichreibung der
Handichrift jagt er, fie fei von etwas jpäterer Hand ®; ebenfo fpricht
er aus, daß der Verfaffer der Fundatio zu Ende des 13. oder An—
fang des folgenden Jahrhunderts Tebte?.
Der letzte Abt, von dem die ältefte Hand noch berichtet, iſt Gott:
half, der nur 2%/s Yahr regierte und 1292 vorfoınmt®. Einige
andere, verjtecktere Zeitbeftimmungen finden ſich noch für dieſen
Schreiber: 3. DB. die Erzählung vom Abt Dietrih von Stade, deſſen
Tod als befannt vorausgefegt wird: er ftarb 1281°. Ebenſo wird
vom Abt Dito eine Bewirthung der Archidiaconen von Friesland
(Ruftringen) berichtet und Hinzugefügt, von feinen Nachfolgern hätten
einige dafjelbe gethan, andere fich dejjen geweigert ). Das jet min-
deſtens vier Nachfolger voraus, und da Gottſchalk erft der zweite nad)
Graf Otto von Oldenburg war, noch mindejtens Heinrich von Nien-
burg als todt und Arnold als entweder noch regierend, oder auch
Ib.: major natu in eadem parentela.
Ehrentraut Il. c. ©. 253.
Ib. ©. 231 und ©. 253 N. 20.
Hamb. Urk.-B. Nr. CL ©. 137 N. 6.
Ehrentraut J. c. ©. 253 N. 19.
Ibid. ©. 241, aus Per Ardiv VI, ©. 750 ff.
Ibid. ©. 242, ebendaher,
Ibid. S. 237.
Ibid. S. 271. 272.
io Ibid. ©. 281: quidam abbates, sui successores, postea fecerunt,
quidam autem — illud facere noluerunt.
a so a » 0 2
371
verftorben. Der lettere kommt als Abt vor 1302—1315!. Vor
ihm kann alfo die ältefte Schrift nicht angefetst werden. Die Notiz
über Egilmar II. iſt daher noch jünger eingetragen, ſicher nicht vor
dem zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts, und ein älterer Nach—
weis für ihren Anhalt eriftirt nicht. Der erfte, früheftens im erjten
Jahrzehnt emfig zuſammenſuchende Verfaſſer hat ihm jedenfalls noch
nicht gekannt. Auch der Nachtragende wußte felbit nicht, daß Egil-
mar II. der Schweiterfohn Hunos gewejen, das verräth fein ‘ut di-
eitur’ deutlih, während er von der Advocatie nad) den Urkunden ?
fpriht (“in privilegiis continetur’) und auch noch eine Schenfungs-
urfunde über Kojtbarfeiten von Egilmar II. und feiner Gemahlin
Eylifa (von Cappenberg) ihm vorgelegen haben muß. Auch die Be—
gräbnißftätte beider, Yadelo, fannte er noch, läßt freilich bei ihrem
Tode fälſchlich ſchon Dominikaner dort haufen.
Nach allem ift zu fchliegen, daR, weil man in Klofter aus ben
Verbriefungen nur den Grafen Egilmar II. und die Eylifa fannte,
weil man aber aus benjelben Urkunden erfah, daß ein Verwandtichafts-
Verhältnig zwifchen Graf Huno und ihm beftanden haben müffe, und
doh Egilmar I. nicht directer Erbe habe fein fünnen, man einfad)
einen wahrjcheinlichen Verwandtſchaftsgrad erfand, diejes aber durch)
jenes ‘ut dieitur’ andeutete. Es ijt anzunehmen, daß das ganze
Klofter fih an der Ausarbeitung jeiner Gefchichte mehr oder minder
betheiligte, und die geichichtliche Unkunde, welche Lappenberg? dem
eriten Verfaſſer nachgewieſen hat und deren Beiſpiele fich leicht ver-
mehren laſſen“, fällt damit auf den ganzen Gonvent, aljo aud) auf
den Nachtragichreiber.
b. Augenſcheinlich ift die ganze Historia fundationis nicht
aus einem Guſſe. Die Like, welche durd die faljche Verwandtichafts-
notiz über Egilmar II. 3. TH. gefüllt wurde, ijt gewiß nicht durd)
Ausreifen einiger Blätter zu erflären?, da ja eine halbe und nod)
die folgende Seite (vielleiht nocd die zweitfolgende) urfprünglich leer
gelaffen war, Der erſte Schreiber hat aljo diefen großen Perga=
1 Ibid. ©. 237.
2 Er meint die oben genannte päbftliche Beftätigung von 1124.
3 GEhrentraut I. c. S. 242, doch rechne ich dahin nicht ohne Weiteres
das bekannte genealogiſche Räthſel duas sorores de Schodis’ (Ehrentraut
©. 274 f.) trotz der Nachweiſungs-Verſuche in v. Hodenberg, Calenb. Urk.B.
und deren Aufnahme in die Dldenburgiiche Genealogie durd) v. Bippen, Bres
miſches Jahrb. IX, S. 147 und Taf. 8.
* So läft er den Abt Konrad von Raſtede dem Dietrich von Stade nicht
nadeifern, der doch erft Ipäter Abt wurde. Auch in der Didenburger Genen:
logie find Verwirrungen. Nicht minder im der Zeit verfchoben ift die Fehde
der Grafen Dietrich und Milo von Ammenesleven gegen das Kloſter, die nad)
1124 fallen foll, während Dietrih ſchon 1120 ftarb.
5 Ghrentraut S. 253 N. 21; wo aber dur einen Drudfehler S. 47
(R. 43) ſteht, während ib. ©. 241 3. 12 auch ſeltſamer Weife „S. 45”
(f. ge berdrudt ift, wie 3. 15 ergiebt. Die Zifferzeichen der Handſchriftfolien
e na.
372
mentraum von 1'/s oder 2°/, Seiten, der nachher durch jpätere
Hände ausgefüllt ift, ſich abſichtlich offen erhalten.
Er hatte augenfcheinlich zunächſt eine ältere Vorlage ; dieje ältefte
Fundatio fchrieb er nur ab, fie jchließt offenbar mit den Worten:
quam gratiam eis concessit, qui sine fine vivit et regnat in
secula seculorum. Amen! Daran wollte er eine Kloſtergeſchichte
fügen und. fing fie an, brach aber nad) den einleitenden Worten ab.
Was er befchreiben wollte und wofür er das Jahr augenblidlich nicht
mehr wußte?, läßt ſich nicht feititelen; zu ſpäterer Ergänzung lieh
er den Raum offen und begann dann mit der Abtsreihe: De abba-
tibus hujus monasterii etc. °.
Wann jenes ältefte Stüc verfaßt fei, ift nicht zu jagen ; jeden-
fall8 vor der Erhebung der Gebeine der Gründer durd) Abt Gott-
ſchalk“‘, was aber auch an ſich feitftände.. Man könnte noch anführen,
daß die weitfälifchen Güter der Fundatio weniger zur päbjtlichen Be-
ftätigung von 1124 als der Hadrians IV. von 1158 ftinmen ?,
deren Holthof' wahrjceinlicd das wegen des Namens Huning, Huno
abfichtlihh in der Fundatio voraufgeftellte Huninchove iſt. Das
ergäbe immer noch den Zeitraum von 1158—1290,
Da aber jchwerlid jemand, trotz Yappenbergs vorjichtiger Be—
handlung, den Yöwenfampf des Grafen Friedrich für mehr als Sage
halten wird, die Löwengejchichten aber in unferem Norden erjt nad
Heinrichs des Löwen Kreuzzuge allmählid) mehr ins Volk drangen,
jo kann diefe Sage fih faum vor dem zweiten Jahrzehnt des 13.
Jahrhunderts jo feſt gebildet haben, daß der Verfaſſer diefer Fun-
datio fie volljtändig gläubig aufnahm.
3. Sclojjen die Mönde im Anfange des 14. Jahrhunderts,
weil fie einen Egilmar als Inhaber der Advofatie über das Klofter
aus den Urkunden Fannten, deſſen Vater nicht mit Namen genannt
war, und der augenjcheinlich nicht im directen Mannesjtamme mit
art zufammenhing, aber doch im irgend einer verwandtichaftlichen
eziehung ftehen mußte, auf den Grund der Advocatie= Uebertragung,
jo lag es am nächſten, auf des einen bekannten Egilmar Herkunft aus
einer Verſchwägerung zu rathen. Es möchte daraus zu jchlieken
fein, daß ſchon damals andere Urkunden nicht mehr vorhanden waren.
Die erfchloffene, vielleicht auc) noch in der Tradition erhaltene Ver—
ſchwägerung übertrug der Verfaffer, der die Mutter Egilmars II.
nicht kannte, auf deifen Vater, während nad) den detaillirten Angaben
Alderts von Stade® es feinem Zweifel unterliegt, daß Rikence, die
Tochter der da, nicht einen Bruder Huno Hatte. Wollte man felbft
ı 1. c. ©. 252 unten.
2 Ibid.: Anno autem ab incarnatione Domini M..... mortuis
etc. Vielleicht ſuchte er nach dem Todesjahre des Grafen Friederich.
l.c. ©. 253
“ Um 1292 — 1. c. ©. 287, verglichen mit &. 151 f.
5 Ibid. S. 250 und 294.
®°° Bergl. meine Ausführung in Forſchungen 1. c.
373
an eine zweite Bermählung Egilmars I. denken, fo Könnte wieder
Egilmar II. nit aus diefer Ehe ftammen !; überhaupt Iprechen auch
die Zeitintervalle dagegen. Ein Stiefbruder der Rikence, aljo ein
Sohn Ethelers oder auch Dedos von Dithmarschen, kann Huno eben
jowenig gewefen fein, denn dann hätte die cometia in Dithmarſchen
ſchwerlich auf das Stader Grafenhaus, die Markgrafen der Nord-
marf, übergehen fünnen.
Iſt daher die Schlußfolgerung des Schreiber8 oder die damals
ſchon zweihundertjährige Tradition nicht überhaupt abzumweifen, jo muß
auf die ältere Yappenbergfche Anficht zurückgegangen werden, wonach
Egilmars I. Vater mit Hunos Schweſter vermählt war?. Thatfächlich
liegt aber ein anderer Beweis als die Uebertragung des Erbes der
Advocatie nicht vor.
— ——— — — — — — ñ r—
Huno F vor 1091 filia ?
ux. Willa F vor 1091 mar. N.
— — — —
Egilmar I. F c. 1112 Giſelbertus
ux. Rikence + nad) 1108
idericus
T nad) 1091, vor 1120
Chrijtianus Egilmar I. Gertrud
7 vor 1112 ux. Ehylika
v. Gappenberg
4. Zur Erledigung des hiſtoriſchen Materials würden noch ge-
hören
a) der Nachweis über die cometia Hunos;
b) die Erklärung der Erbanfprüche der Ammeneslebener;
c) die Gründe, weshalb Huno die Rafteder Advocatie dem
Egilmar I. und nicht feinem Sohne Friedrich übertrug;
d) endlih das angebliche Vorkommen der Willa in einem
Intſcheder Denkmal.
a. Die Fundatio nennt Huno comes Rustringiae und
ebenjo feinen Sohn Friedrih?. Die Gründungsurfunde der St. Ul«
rihsficche zu Najtede vom 11. Sept. 1059 * nennt den erfteren nur
gloriosus comes, und diefe Bezeichnung kehrt des Eingenden Titels
wegen in der Fund. öfter wieder. Seine Gattin heißt dafelbjt aeque
ı rk. von 1108 bei Möfer, Osnabr. Geſch. II, docum. S. 55, daraus
bei v. Halem ©. 455, dort find aud) "die Brüder der beiden Egilmar angegeben.
Ehriftinus ift aber wohl mit Recht von v. Bippen 1.c.&. 138 1) und Taf. II
in Chriſtianus geändert, Aus der oben S. 370 N. 1 angeführten Thatſache er:
Beilt, daß diefer Ehriftian ſchon vor 1124, und aus dem Erbfolgefriege Egil:
mars II. um die Güter der Ida, daß er ſchon vor 1112 geftorben war.
ı ©. oben S. 370 N. 4.
° CEhrentraut 1. c. ©. 246.
*« Hamb, Urk⸗B. Nr. LXXXI; daraus Ehrentraut 1. c.
XVIII. 25
374
venerabilis Guilla. Die fpäteren Urkunden nennen die Graficaft
überhaupt nit. Da Huno und Willa die Ulrichskirche bauten,
weldyer dann Erzbifchof Adalbert einen Sprengel zuwies, fo fcheinen
fie in Raſtede vorzugsweile ihren Sig gehabt zu Haben, aljo im
Ammergau. Sicher haben fie auch das Nonnenſtift an diefer Kirche,
in welches Willa als Witwe eintreten wollte !, aus ihren Gütern do—
tirt. Dagegen nennt die Fundatio als den Machtbereich diejer
Grafen „in waldiger Hand“: Rustringia, Stedingia, Ambria,
partem Saxoniae et Westphaliae et prope Wmnam terram.
Ein Einblid in die Urkunde Calixts II. von 1124 ergiebt, daß diele
Namenlifte nur aus dem dortigen Negifter der Güter entnommen ift,
die aufgezählt werben “in Ambria, Frisia, Steringeng, Westpha-
lia, juxta Wemno, in Bardinge, Bardewich, Luneborch’”. Es
find aljo der allgemeine Name Frisia und der unbekannter gewordene
Steringeng (Sturgau) durch die dem Schreiber geläufigen Rustrin-
gia und Stedingia, die freilich jene nicht decken, erjekt.
Die bedeutenden Weftfäliichen Güter werden durch die Fund.
einem Geſchenke des Kaifers, alſo Heinrichs IV., in Folge des fabel-
haften Löwenkampfes zugefchrieben, von ihnen hätte aljo Huno vorher
den Grafentitel nicht führen fünnen. Ebenſo Mar ift, daß die come-
tia in dem zerftreuten Lüneburgiſchen Beſitz nicht gefucht werden kann.
Wie eine cometia des Huno in Ruſtringia eriftirt hätte, die doch
zu vollem Eigenthume? an das Klofter übergegangen fein foll, it
überhaupt nicht einzufehen, das Klofter hatte dort nur zerftrente Güter
und feine aus der Grafichaft herzuleitenden Rechte. So bliebe nur
die cometia im Ammergau und Sturgau übrig, die ebenfalls zu der
cometia gehört Haben follen, welche fpäter Hunos und dann des
Klofters EigentHum wurde. Gerade hier, wiſſen wir aber urfundlid,
hatte Markgraf Udo die Grafichaft, die 1062 befanntlid; mit dem
ganzen Stader Comitat vom Kaifer der Hamburg-Bremer Kirche ver
liefen und darnad) wieder im Lehnsbefite der Stader war?. Später
lieg Udo ihn durch den Grafen Friedrid) von Stade verwalten, aljo
fiher auch, feine Machtbefugniß tm Ammergau, bis diefer die Grafen-
gewalt ſelbſt an ſich riß. Als der Mönd) jchrieb, war die Bedeu—
tung der alten cometia aud in dem zäheren Norden ziemlich vers
ſchollen; daß aber eine foldhe von Huno nicht ohne weiteres als Allo-
dium veräußert oder verfchenft werden konnte, wußte man damals nod
recht gut. Das reich gewordene Klofter, deſſen Abt die Mitra trug‘,
mochte aber, dem Erzſtift Bremen nadheifernd, auc gern im Beſitz
einer Grafſchaft fein; das ausjterbende Geſchlecht des Huno, deſſen
ganzer Allodialbefig dem Kloſter zufiel, follte ihm daher auch die co-
1 Ehrentraut 1. c. II, ©. 251.
2 Ebeuda ©. 250: postea in perpetuam liberam et de omni jure
inpheodationis imperii ipsam excluserat et exemit.
Hamb, Urk⸗B. XCH. Bergl. Dehio, Geſch. des Erzbistums Hamburg:
Bremen I, ©. 231 ff.
fl
* Mel. von 1130 Hamb, Urk⸗B. CXLII,
375
metia mit übertragen haben. Und nur deshalb ift die fabelhafte Be:
Ihenkung für den Löwenkampf in Weftfalen noch überboten durch die
Erzählung von der gleichzeitigen Schenkung der früher als Lehn ge—
tragenen undefinirbaren Grafichaft; während andererjeitS das volle
Alodialrecht des Klofters doch immer wieder mit den üblichen Aus—
drüden faiferlicher Beftätigungen betont wurde, jchon zur Sicherung
gegen event. Ansprüche der Oldenburger Herren.
Während alfo u urfundlich comes heißt, iſt doch feine co-
metia aus den Urkunden nicht nachzuweifen; wo das Klofter fie
Juden wollte, hatte er fie ficher nicht; wenn ein Schluß nad) dem
unten folgenden erlaubt ijt, fo war fie am ehejten in Weftfalen. Das
Kofter aber hatte nie eine befeffen.
Wollte e8 indeffen mit ſolchem Befige großthun, fo mußte der
Titel unverfänglich fein; im Ammergau hatte man die gefürchteten
Oldenburger zu beachten, namentlich feit der Abfindung Egilmars II.
durch Friedrich von Stade war hier ihr Machtbereih. Nur Rus
ftringen war verhältnigmäßig wenig verfänglich, fo fabelte man den
comes de Rustringia; und vielleicht trug dazu noch bei das Ab»
handenfommen der Raftedichen Güter in Friesland, welches vor dem
Beginne des 14. Jahrh. eingetreten fein muß ?, ohne daß wir weitere
Kunde davon hätten. Man fuchte Rechte für günftigere Zeiten zu
behaupten.
b. Nach dem Ausfterben de8 Hunonifchen Geſchlechts erhoben
die Grafen Dietrih umd Milo von Ammenesleben? Anfprücde auf
defjen dem neuen Klofter Raſtede geſchenktes Allod* als rechte Erben.
Diefe Anfprüche müffen, da Dietrich urkundlich mit genannt ift, fchon
vor 1120 erhoben jein. - Aus Adalberos Urkunde von 1135 erhellt,
dag die Ammeneslebener den Befit des Klofters ziemlich volljtändig
eingenommen hatten, zulett aber die Güter mit einer anfcheinend nicht
bedeutenden Zulage wieder herausgaben, worauf eben Adalbero das
Klofter "neu ordnete. Adalbero wurde 1123 Erzbifchof, 1126 fiel
Milo, von 1123—1126 müßte alfo die Reftitution und der Verzicht
dur Milo allein gefchehen fein. Augenfcheinlich Hatte aber Adalbero
eine jet verlorene Urkunde von Dietrich und Milo zuſammen vor
Augen; auch beruft er fi) auf die lange Verwilderung des Kloſters
unter feinen Vorgängern. Die Erzählung der Fund. ftimmt daher
nit mit den Thatjachen, die Aınmeneslebener haben jpätejtens 1120,
wahricheinlich früher, verzichtet. Wäre der Plural „Vorgänger“ zu
urgiren, fo fümen wir mit der Slojterverwilderung, aljo der Fehde
Dietrichs, ſchon in die Zeiten des Erzbischofs er und Hunos
Sohn Friedrid) wäre vor 1104 verjtorben. In Rom nahm man
1 © 374N. 2.
2Ehrentraut 1. c. ©. 240.
ı Die Quellennachweiſe daf. S. 232 N. 7.
* Dominium ebenda ©. 255; patrimonium 1135. Hamb. Urk.B. CL,
Ehrentraut S. 299. Der Bericht der Fundatio if nur eine Umfchreibung
der Url. von 1135.
25 *
376
freilich 1124 feine Notiz vom Ende des Krieges, vielleicht hatte Abt
Sweder in der unfreiwilligen Fremde nicht einmal davon erfahren,
er fcheint auch die Beftätigung von 1124 weſentlich mit gegen den
Erzbiſchof erwirkt zu haben.
Die Verwandtichaft der Ammeneslebener Herren mit Huno weilt
nah Weitfalen hinüber, und fo lafjen fich die angeblid) vom Kaijer
geſchenkten Neichsgüter etwa al8 eine von weiblicher Seite eingelom-
mene Grbjchaft betrachten; vielleicht aus Salmſcher Sippe, welde
dann auch das Hereinziehen eines „Kaiſers“, wenn auch richtiger nur
eines Königs, in die Sage erflärliher machen würde. Theoderich
(Dietrih), der zweite Gemahl der Amulrada (der Nichte Biſchof
Suidger8 von Bamberg, der fi) als Pabjt Clemens II. nannte,
7 9. Oct. 1047) wurde durd) feine Gemahlin Herr von Ammenes-
leve. Er wird aber vom Ann. Saxo ad a. 1040 Schweiterjohn
des Königs Hermann (Allium) von Salm genannt; fein Sohn war
Milo. Diefe Beziehungen fonnten fih in Anfnüpfung an die Löwen-
fage leicht fo gejtalten, wie in der Fund. Natürlich giebt es aud)
andere Möglichkeiten, und es foll daran erinnert werden, daß Amul
radas DVaterbruder Hanulf von Ammenesleve genannt wird. Yautete
der Name etwa richtiger Hunolf, fo läge eine bedeutfame Namens-
wiederfehr vor.
Wahrſcheinlich ift Holthof in Weftfalen Huninchove ber
Fund.', das von Milo dem Klofter übergebene Sühngefchent, denn
diefes Gut fehlt noch in der Urk. von 1124, kommt aber in der
Giüteraufzählung von 1158 vor.
Iſt Friedrich, welcher die Einweihung der Nafteder Kirche durch
Biihof Hartwicd von Verden wünſchte, Sunos Sohn, wie nidht zu
bezweifeln, fo wird der Zufammenhang mit König Hermann nod)
wahricheinlicher. Denn Hartwich war einer der Führer feiner Partei
unter den Biſchöfen Sadjjens ?,
c. Weshalb übertrug Huno bei Abtretung feines Allodialbefiges
an das Klofter deſſen Advocatie nicht feinem Sohne Friedrich), der
doc nad) dem Mönchsbericht erjt im Höheren Alter geftorben ift, und
ı Höllinghofen, Lappenberg bei Ehrentraut 1. c. S. 250 N. 11.
2 Außer den befannten neueren Werken allgemeineren Inhalts fei bier auf
Pfannkuche, Weltere Geichichte des vorm. Bisth. Verden ©. 61 f., vermieden.
Wenn dort indeffen nah Meibom SS. rer. Germ. Il, ©. 95, d. h. nad) dem
neueren Chronicon Rastedense, angegeben wird, daß Hartwich 1091 bie
Klöfter Raſtedt, Stade und Harfefeld, die beiden letzteren auf den befonderen
Wunſch des Grafen Friedrid; von Stade, weihete, fo find da brei Irrthümer:
St. Georg zu Stade weihete Erzbiſchof Adalbero 1137 oder jedesfalls zwiſchen
1132 und 1137; der Kirche Bremen war dies Klofter übertragen auf befondert
Bitte des Pfalzgrafen Friedrih; Hamb. Urk.:B. CLV. Klofter St. Marien
vor Stade entfteht erfi um 1147. Harſefeld ——— weihete 1001 der Ery-
biſchof Libentius jelbft; Adam Brem. II, c. 31. Hamb. Urk⸗B. LVII. Ends
lich paßt Graf Friedrichs Zeit nicht für Harjefeld; der Friedrich aber, welcher
Hartwich veranlaßte Naftede zur weihen, war nicht Friedrih von Stade (meldyer
ber Zeit nad) möglich wäre) ſondern Friedrid, Hunos Sohn.
377
dem biefelbe als nächften Erben zuftand, fondern feinem muthmaß-
lichen Schweiterfohne Egilmar 1.7? Allerdings liegen uns nur die
Urkunden von 1124 und 1135 vor mit der Anerkennung des jchon
ererbten Rechtes Egilmars II., und e8 ließe fich denken, daß im Do—
nations⸗Inſtrument Hunos, das bei Austellung der Beitätigung Ca-
lirts IL. 1124 und bei Abfaffung von Adalberos Urkunde 1135 vor-
(ag, eine Eventualbedingung („falls fein Sohn Friedrich unbeerbt ver-
fterben ſollte“) geftanden hätte, welche in den obengenannten Urkunden
nach Friedrich Tode wieder aufzunehmen überflüffig war.
Aber dann mußte immer ein Grund vorliegen, weshalb Huno
die Erblofigfeit Friedrichs vorausfegte. Bei der Schenkung der auf
Hunos Eigengut erbauten Pfarrkirche von Naftede wird nur Huno
und feine Gemahlin Guilfa genannt, kein Sohn oder rechter Erbe.
Die Vollendung des neuen, der 5. Jungfrau geweihten, damit wohl
auch der Hamburger Kirche überwiefenen Kloſters erlebten jene beiden
nicht, fie find alfo vor 1091 geftorben. Unter diefen Umftänden
würde man jogar an der Exiſtenz eine® Sohnes zweifeln, wenn nicht
die Adalberonifche Urkunde ihn mit Beſtimmtheit nennte,
So liegt nur eine doppelte Möglichkeit vor: entweder der erft
nad) 1159 geborene einzige Sohn war franf und unzurechnungsfähig,
als feine Eltern die Schenfung machten, oder er war geiftlich ge=
worden, eine Annahme, die nicht allzu nahe liegt. Won einer. Schen=
fungsurfunde diefes Friedrich ift daher weiter feine Nede. Sein Lö—
wenfampf und die übergroße Frömmigkeit mit allem Zubehör ift eitel
Einbildung der Mönchsphantafie; das ganze Gut Hatten ſchon die
Eltern vergeben. Friedrichs Tod benutten dann Dietrich) und Milo
zur Erhebung ihrer Erbanfprüche, die zugleich Fehde gegen den Vogtei-
Inhaber werden mußte. Iſt Friedrich wirklich ziemlich alt geworden,
d. h. höcjitens über 53 Jahr, fo fällt fie nicht mehr in die Zeit
Egilmars L., fondern in die Jahre von 1112 bis 1120, die Zeit der
Wirren in der Grafichaft Stade, in welcher Egilmar II. fi) vom
Stader Grafen Friedrich eine Abfindung für das Erbe feiner Groß-
mutter Ida ertrogte. Genaueres ift nicht anzugeben.
Beiläufig fei erwähnt, daß der Name Friedrich nachher in dem
mit dem Oldenburgiſchen Haufe nahe verbundenen der Herrn von Ans
vorde vorkommt. Ggilmars II. Tochter Beatrir heirathete der Edle
Friedrich aus diefem Gefchlechte ?.
Pappenberg giebt an, daß fih an die Gräfin Willa eine
Erinnerung in der Kirche zu Intſchen (Intschede) in einer Inſchrift
erhalten habe, wonach die Kirche zu Wiljtede an der Wörpe in ber
! (Egilmarus) cujus patrem comes Huno sibi providerat in ad-
vocatia succedere a. 1124. Hamb. Url.-B. OXXXVIU; Ehrentraut 1. c.
©. 138. Diefelben Worte nur fl. succedere: successorem 1135 Hamb.
Urf-B. CL; Ehrentraut S. 302.
°2 Ehrentraut 1. c. &. 266. Beatrir ift Hamelmanns „Heylke“,
alfo Heilwig. Die Namen find als einfache Ueberſetzungen identisch; fie hieß
nad) ihrer Mutter Eylika, welches auch Heilwig ift.
378
Grafſchaft Wölpe von ihr gejtiftet fei!. Lappenberg folgte aber nur
einer Behauptung v. Spilders.
Das unter dem gefchenkten Erbe Hunos und der Willa befind-
liche Willftedt hatte noch 1124 Feine Kirche, denn die würde fo gut
genannt fein, wie die übrigen. Es war eine curia mit der volleren
Namensform Willinstede ?, deren noch ältere Willianstedi in der
Vita S. Willehadi, Mon. SS.II, ©. 387, vorkommt. 1190 hatte
e8 dagegen ſchon eine Kirche erhalten? v. Roth jagt in feiner
Geographie der Herzogthüümer Bremen und Verden (1718) * darüber:
„Die Kirche hat zum Patron S. Königl. Majeftät von Däne—
marf der Grafihaft Oldenburg (wegen), vielleiht darum, weil
Gwilla, eine Gräfin von Oldenburg, diefe Kirche gebaut. Denn in
einer Kirchenagenda von Inſchen find diefe Worte zu lefen: Gwilla
Comitissa in Oldenburg fundavit Gwillstede apud Wurpam.
Daraus hat v. Spilder und nachher v. Kobbe die Nachricht genom—
men, wie früher Pratje?. Die Nachricht ftammt ohne Frage aus
dem Chron. Rastedense®. Heute fcheint in Intſchede nichts Aelteres
vorhanden zu fein als ein Kirchenrechnungsbuch von 1593 und das
ältefte Kirchenbuch von 16097, Das Kirchenpatronat zu Willjtedt
aber datirt von der Säcularifirung des Kloſters Raſtede.
Die Nachrichten über das Geſchlecht Hunos zeigen, wie gering:
fügig unfere Kenntniß von den alten Dynaftengeichlechtern ift. Bon
diefem hat nur die Stiftung des Raſteder Klofters uns dunkle Kunde
erhalten, wie ebenfo dunfle über den Grafen Hed und das Ausjterben
feines Gefchlehts die Gründung des Klofters Heslingen (Zeven) in
deinfelben erzbiichöflichen Sprengel®. Die beiden darüber jprechenden
Urkunden Halte id) aus vielen Gründen für unecht“, die Ottos IIL
ı Ghrentraut 1. c. ©. 232.
2 Das unter den Befigungen “juxta Wemno’ (fo Hamb. Urf.-B., Eh—⸗
rentraut drudte: ‘Wemmo') genannte Widagheshude ift Filcherhubde.
° Hamb. Urf.-B. CCXCII ©. 260.
* Bon mir jetzt herausgegeben: Archiv des Vereins f. Geſch. und Alterth.
in Stade VI, ©. 215.
5 9, Kobbe, Bremen und Berden I, ©. 54 Anm.
° Bei Meibom 1. c., nad Lappenberg: verfaßt von Wolters,
? Beitichr. des Hift. V. f. Niederfahlen 1865, S. 328.
8 Geftiftet 961 nad der Randbem. zu Ann. Stad., SS. XVI, 312 d.
und p., 323 N. 2. Thietmar, SS. III, 756. Adam, SS. VII, 309. Bergl.
v. — Zevener Urk. B. S. IX ff, und meine Bemerkungen Archiv des
Bereins f. Geſch. zc. zu Stade I, 20 N. 7. 21 f.; Waitz bei Dönniges, Jahrb.
I, 3, ©. 227; Dehio 1. c. I, 114. Daß Hed zu den Dithmarfiihen Grafen
gehörte, ift mir zweifelhaft; daß Ebert ein Graf von Dithmarſchen geweſen
(ib. frit. Ausführ. XX, S. 70), habe ich ebenfalls angenommen; Forſch. 3-
D. Geſch. XV, 642.
2. Die von Dehio citirte Urk. Adaldags s. a. ift augenscheinlich Fälfchung.
v. Hodenberg ſetzt, Geſchichtsq. III (Zevener Urk.B.) Nr, 1, die Schrift ins 12,
Ehrentraut II, 343 „ohne Zweifel“ ins 10. Jahrh. Es ift der Verſuch, eine
gefälichte Urkunde Ottos I. herzuftellen, S. meine Bemerkung in Archiv des
Vereins zu Stade VI, 198. Auch die Urk. Ottos III, 986, März 17, bei
v. Hobdenberg 1.c. Nr. 2, Stumpf 894, habe ich dort ſchon als gefälfcht bezeichnet.
379
hat bie viel befprochenen „Yamundlinge“ ! nur aus den Verbriefungen
für das Erzbisthum aufgenommen.
Erft während des Drudes finde ich, daß Wilmans, Die Raifer-
urkunden Weitfalens I, ©. 388 ff. die Herkunft Hunos unterfucht
und ihn mit Widufind in Verbindung gebracht hat. Ich vermag dem
ebenfowenig zu folgen, wie v. Hammerftein, Bardengau ©. 14, der
Ida von Elsthorpe wieder als Hunos Mutter annehmend den Najteder
Beſitz auf die Immedingiſche Glismod zurücführen möchte. Auffal-
[end iſt Hunos großer Befis in und um Lüneburg und Bardowik,
hier namentlid) der census von der Brüde, der wichtigen und ein=
zigen alten Heerftraße zur Uebergangsftelle über die Elbe bei Artlen-
burg. Daß die Lüneburger Memorie: 4. Id. Aprilis O. Hun com.
nicht mit Wedelind (und wieder v. Hammerftein) auf den Grinder
von Raſtede fic beziehen fan, der nicht am 11. April fondern am
2. Nov. ftarb, Hat fchon Yappenberg (Pers Archiv VI, 751) mit
Recht hervorgehoben. Die großen Lüneburgifchen Befigungen fcheinen
aber einen Zufammenhang mit den Billungern anzudeuten, namentlic)
auch der verhältnigmäßig bedeutende Antheil an der Süße: 6 Pfannen
d. h. 1'/ Sülzhäuſer von den 50; denn den alten Beſitz der Sülze
fheint v. Hammerftein S. 134 ff. für die Billunger nachgewiefen
zu haben, trotz der entgegengejetten Anficht Volgers (Geſch. der Lüneb.
Sülze, im Püneb. Ofterblatt 1862 ©. 8). Vermuthlid führt auf
Hunos Befig einer der uralten Namen der 50 Siedehäufer Lüne—
burgs zurüd: Huninge, Huning, der ſchon 1231 vorkommt; v. Ho-
denberg, Verd. Geſch. Quellen II, 89; Volger 1. ec. S. 14 Anm.
Daß H. auch al8 Gründer des Lüneburger Kirchdorfs Rade gefeiert
werden follte (v. Hammerftein 194), it wohl nur Yefe- oder Schreib-
fehler Gebhardis.
2 Ich erinnere daran, daf die Ältefte Form nur ‘jamundling’ heißt, bei
Dtto I, 937, Hamb. Urk,:B. Nr. 31, mo Lappenberg das Wort ale aus
einer farolingiihen Urkunde flammend anſieht. Ihm folgt Ehmd, Brem.
Url.-B. I, S. 11 (Böhmer 78. Stumpf 67). Hier paßt aber Grimme Ans»
nahme, RA. 311, ausgezeichnet, daß das Wort aus jam mundling entftanden
fei. Die fpäteren beclinirten Formen find ſämmtlich aus der citirten Urfunde
geflofjen.
Eilo von Repgow und der Sachjenfpiegel.
Bon F. Winter.
—— — —
Wenn ich zu meiner im 14. Bande der Forſchungen S. 303—
345 veröffentlichten Abhandlung einige Nachträge und Berichtigungen
hinzufüge, jo wird das Hoffentlich nicht den Schein auf diefelbe
werfen, als ob fie mit nicht geniügender Sorgfalt gefchrieben worden
ſei. Bei einer Unterfuhung, die aus Hundert Kleinen, zerjtrenten ur:
fundlichen Notizen ihre Refultate zu ziehen fuchen muß, gilt recht eis
gentlih die Erfahrung: dies diem docet. Befouders ift mir aber
in dem zweiten Bande des Codex diplomatieus Anhaltinus manches
pre Material geboten worden, welches auf unfere Frage Be—
zug hat.
1. Das Geſchlecht der Herrn von Repgow.
Wenn ih a. a. O. S. 305 und 306 die Vorfahren Eifos als
im Gau Serimunt angefejfen und auf dem Landgericht diefer Graf-
Ihaft zu Wörbzig anweſend nachgewiefen habe, jo vermag id) dies
auch von einigen fpäter lebenden Sproſſen diejes Geſchlechts. Als
Graf Heinrih I. am 29. Yuli 1253 in Wörbzig zu Gericht fit
und die Vebereignung von Freiengut in den Dörfern Görzig, Reine-
dorf, Glauzig und Maasdorf unter Königsbann beftätigt, erjcheinen
unter den Schöffen auch Ludeko von Reppichau und Dietrich von
Reppihau!. Einer von beiden dürfte Eikos Sohn gewefen fein.
Daß damals Eifo ſchon geftorben war, ift ein nahe liegender Schluß,
ber auch fonft durch die Jahre feines urfundlichen Auftretens ges
ftügt wird.
Daß Gero der ältere von Neppichau 1287 bei einem placitum
de8 Gaues Serimunt zugegen ift, wurde a. a. O. ©. 311 und
312 fchon erwähnt. Die Urkunde ift jegt auch im Cod. Anbalt.
II, 441 gedrudt.
Wir wollen Hinzufügen, daß derfelbe auch auf dem Grafendinge
' Cod. dipl. Anhalt. II, 155. gl. darüber Magdeburger Geidicts-
Blätter X, ©. 12.
381
der Graffhaft Mansfeld, das am 31. Auguft 1264 zu Eisleben ab»
gehalten wurde, als Gero miles de Repchowe anfcheinend als han-
deinder Schöffe erfcheint!. E8 Handelt ſich Hierbei um Uebereignung
von Gütern, welche die Edelherren von Friedeburg in Polleben, He—
deröleben und Straußhof an das Klofter Wiederftedt verkauft hatten.
2. Die urkundlihen Nachrichten über Eiko.
Wenn ih a. a. DO. ©. 310 aus der Urkunde von 1219 ge—
folgert habe, daß Eiko neben feiner Eigenſchaft als ſchöffenbar Freier
auch im Minifterialenverhältniß zu den Fürjten von Anhalt geftanden
habe, jo wurde ich zu diefem Schluß dadurch bewogen, daß Eifo hier
hinter Konrad Schlihting und — von Redern ſteht, welche ſonſt
als Miniſterialen erſcheinen. So wird in der Urkunde von 1215
Hugold von Redern ausdrücklich unter den Miniſterialen geuannt,
während Eiko zu den Edlen geſtellt wird. Allein Ficker hat in ſeiner
Schrift vom Heerſchilde S. 169 ff. mit Recht die Anſicht ausge—
ſprochen, daß nicht überall in Sachſen Miniſterialität und Schöffen—
barkeit fi ausſchloſſen, und daß es aljo ſchöffenbare Minifterialen
gab. Erſcheinen diefe im Gefolge ihres Vehns -(Dienft)= Herrn, fo
führen fie, wie wir aus den Urkunden Oſtſachſens glauben gefunden
zu haben, das Prädicat: Miniſterialen. Erjcheinen fie aber in den
Urkunden anderer weltlicher oder geijtlicher Fürſten, fo ftehen fie mit
den ihöffenbar Freien in gleihem Range. in Gleiches gilt auch für
die Gegenwart auf den Grafendingen. Die Urfunde von 1219
ſcheidet nun micht namentlich zwiichen Freien (Cdlen) und Miniſte—
rialen; fie prädicirt Hoier von Valfenjtein als Grafen, Hermann
von Wettin als Burggrafen, alle andern find ohne Standesbezeich-
nung, wenn man von der Bezeichnung „Truchſeß“ abſieht. Nun find
bis Konrad Maketſerf unbejtritten Edle genannt; unter den übrigen
fieben ift Eifo von Repgow ſonſt ftets als fchöffenbar Freier uns ent=
gegen getreten. Der am legten genannte Konrad von Mandere fcheint
ebenfalls einem fchöffenbar freien Geſchlecht anzugehören; denn um
1200 erfcheint Stepo de Mandre mitten unter Freien. Aber auch
der an vorletter Stelle genannte Helembert von Hedlingen ift noch
1223 jchöffenbar frei. Er und fein Bruder Friedrich und Helembert
der Yüngere verfaufen eine Hufe zu Klein Winningen an das Lieb⸗
frauenftift im Halberjtadt®, Daß dies Freiengut war, geht daraus
hervor, daß fie e8 im Grafending zu Ajchersleben übereignen. Graf
inrih von Anhalt nennt fie dabei zwar feine fideles, beftätigt den
erfauf aber nicht als Lehnsherr, fondern als Graf.
Auch Conradus dapifer comitis Ascariae, hier Konrad von
! Cod. dipl. Anhalt. II, 214. Aud 1265 und 1266 fomnıt Gero de
Repchowe mit dem Prädicat dominus vor; Cod. Anhalt. II, 220. 234.
2 Cod. dipl. Anhalt. I, 543.
® Ibidem II, 53. 55.
382
Waldeſer genannt, erfcheint 1215 und fpäter an der Spike von
ichöffenbarfreien Zeugen. Derſelbe gehörte einem Gejchlechte an, das
von Winningen feinen Namen führte !,
Nach allem dem müffen wir annehmen, daß Eifo von Repgow
aud) in der Urkunde von 1219 unter fchöffenbarfreien Mannen er
Scheint. Und ift dies der Fall, fo fann allenfalls auch diefe Urkunde
auf einem Grafending ausgeftellt fein.
3. Die Vorrede von der Herren Geburt.
Zu dem Nachweis, daß diefe Vorrede fpäteftens 1240 abgefaft
fein muß, den ih a. a. O. ©. 312 ff. geführt Habe, filge ich noch
folgende beftätigende Notizen hinzu.
Unter des Reiches Schöffen von ſchwäbiſcher Geburt iſt auch
angeführt: Hynriec, Judas von Snetlinge nad) Homehers Yesart,
nad) anderer Hynrie Judases. Nad) letzterer Pesart muß es Eine
Perfon gewejen fein: Heinrih, Judas' Sohn von Schneidlingen.
Nun fommt 1223 auf dem Yandgericht zu Afchersleben vor: Hein-
ricus Judas sen. unter den Schöffen *. Derfelbe erjcheint ohne
weiteren Gefchlechtsnamen, aber e8 dürfte feinem Zweifel unterliegen,
daß eben damit jenes Gefchlecht der — von Schneidlingen gemeint
und daß in der That Hynric Judas nur eine Perſon iſt. Wäh—
rend alſo in einer andern Urkunde von 1223 Henricus et filius
suus de Snetlingen auf den Grafending zu Ajchersleben erfcheinen,
wird hier der Vater allein und zwar unter dem Namen Hein-
ricus Judas sen. genannt. Wenn die Vorrede des Sachjenfpiegeld
nur von einem Heinrid Judas von Schneidlingen ſpricht, 1223 aber
nad zwei Urkunden Vater und Sohn lebten, welche beide im der
Lage waren, beim Grafengericht zu erfcheinen, fo ift auch hiernach der
Schluß nahe liegend, daß die Vorrede erjt nach 1223 abgefaßt if.
Albdreht von Spandau und Konrad von Schneidlingen habe id
bereit8 auf S. 314 mit Wahrfcheinlichkeit al8 Brüder und zugleid
Albrecht als fungirenden Schultheißen nachgewieſen. Ich füge Hinzu,
daß in einer andern Urkunde von 1223 Conradus scultetus vor
fommt, in dem ich eben jenen Bruder Albrehts von Spandau aus
dem Geſchlecht der Schultheißen von Schneidlingen jehe?.
Das Geſchlecht von Giersleben fonnten wir auf S. 352 nur
für das zwölfte Jahrhundert als fchöffenbarfrei nachweiſen. Auch
jet vermögen wir unter diefem Namen für das dreizehnte Jahrhun—
dert Fein Glied dieſes Gefchlechtes aufzuführen. Dagegen erfcheint
1258 in einer zu Bernburg ausgefteliten Urkunde des Grafen Bern
hard I. von Anhalt: dominus Scerfo*. In diefem Marne finden
! Cod. dipl. Anhalt. II, 15. 55. Bgl. über den Zuſammenhang mit
ben Herren von Winningen Cod. Anhalt. II, 350.
2 Ibidem II, 55.
® Ibidem II, 53.
* Ibidem II, 181.
383
wir Scrapen kind von Jersleve wieder. Daß derfelbe erſt jetzt
ung entgegentritt, ift ſehr natürlich, denn zur Zeit der Abfaffung der
Vorrede war er noch ein Kind, das aber feines Vaters Namen führte,
Scerfo ift die mitteldeutiche Form, welcher im Niederdeutfchen Scerpo
entfpricht, aus welcher der im Magdeburgifchen häufig vorfommende
Name Scherping abzuleiten ift, im Volksmunde noch jet Scharping
geſprochen. Mit Verſetzung der Buchſtaben wird daraus Scrapo,
Serape, mitteldeutfch Schraphe, Schrafe, wie die mittelhochdeutichen
Handicriften des Sachſenſpiegels theilweis lejen.
Es iſt ſehr erflärlich, weshalb dies Gefchlecht nicht mehr unter
dem Namen von Giersleben erfcheint. Es nahm den Namen Scerfe,
Scherp an. Am 3. Mai 1274 erfcheint al8 erfter unter den ‘scha-
bin’ Albertus Schrape, auf dem Landding zu Aichersleben, am
26. Januar 1275 ebenfo an zweiter Stelle als Albertus Scrape,
1276 zu Ballenftedt ebenfalls als Schöffe Albertus Schrape, am
18. Januar 1280 wieder unter den Schöffen zu Ajchersleben. Der
1279 als einfacher Zeuge erfcheinende Albertus famulus dietus
Serape jcheint fein Sohn gewefen zu ſein!.
Hermann von Mehringen vermögen wir auch jetzt nicht nachzu—
weiſen. Heinrih von Mehringen kommt 1228 und 1269 vor.
1279 erfcheint der Ritter Heinricy von Mehringen in dem genannten
Orte mit einem feften Hofe angefeffen?. Ob derjelbe fchöffenbarfrei
war und ob derjelbe ftammverwandt mit Hermann v. M. war, er-
hellt nicht ?,
Wir wolfen noch) darauf hinweiſen, daß 1162 unter den Schöffen-
barfreien der Grafichaft Seehaufen Dietrich von Muringen (Murigge)
vorfommt; indeß e8 fcheint uns zweifelhaft, ob unter diefem Namen
da8 Gefchlecht der Herren von Mehringen zu verftehen iſt.
Ebenſo haben wir Heidolf von Winningen bisher nicht in den
Urfunden entdecken können. Während von 1186—1199 die Brüder
Abreht und Heinrich von Winningen anfcheinend als Freie vorkom—
men?, begegnet uns fodann längere Zeit hindurch unferes Wiſſens
fein Herr von Winningen. Das Schweigen der Urkunden im diefer
Zeit würde indeß fehr beredt beftätigen, was der Sachſenſpiegel fagen
zu wollen fcheint: Heibolf war früh geftorben und feine Kinder waren
noch nicht jo weit heran gewachſen, um als Zeugen bei Urkunden
auftreten zu können. 1254 tritt uns ein Otto miles de Winninge
entgegen, der vom Grafen Heinrich II. von Aſchersleben in Groß-
und Klein-Winningen Pehngut hat. Der Umftand, daß er nicht mi-
les noster heißt, fünnte immerhin auf eine fchöffenbarfreie Stellung
hinweifen. 1267 kommt dominus Johannes de Winnige vor“.
Zu S. 330 bemerken wir, daß die Herren von Gnied ihren
Cod. dipl. Anhalt. II, 316. 325. 355. 363. 366.
Ibidem II, 26. 261. 363.
Ibidem I, 476. 518. 543.
Ibidem II, 159. 235.
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384
Namen von Gnetſch Hatten, unter welchen Namen zwei Orte zwiſchen
Defjau und Bernburg vorhanden find.
4. Vermiſchtes.
Zum Schluß will ich noch von den inzwifchen über die Grafichaften
in Oſtſachſen, in denen Eiko von Repgow vorkommt, erſchienenen Ab—
handlungen eine Zuſammenſtellung geben.
Die Grafſchaft Mühlingen iſt behandelt in den Magdeburger
Gefhichts - Blättern IX, 282—300; ein Nachtrag dazu findet ſich
ebendort X, 416. 417.
Die Graffchaft Wörbzig (oder die Grafſchaft im Gau Seri—
munt) iſt behandelt ebendaſelbſt X, 4—18 und 419 und 420.
Die Grafihaften Eilenburg und Wettin jind behandelt im Archiv
für — Geſchichte, Neue Folge 3. Band (1876), S. 116—132
und 134-140
Von Intereſſe wird es fein zu erfahren, daß in der Stadt Aken
nicht, wie ih S. 341 nad) unzulänglichen Nachrichten mittheilte, nur
ausgeprägtes Mitteldeutich herricht, ſondern daß die untere Bevölle—
rung niederdeutſch Tpricht.
Für Hoier von Valfenftein dürfte folgende Urkunde noch von
Bedeutung fein: 1246 am 19. Juli verkauft Erzbiſchof Wilbrand von
Magdeburg eine Curie des Stifts, quam nobilis homo comes
Hoierus de Valkensten in feodo quondam de manibus no-
stris tenebat et quam postea nobis resignavit '. Hoier muß
demnach zeitweis, vielleicht für längere Zeit, in Magdeburg gewohnt
haben. Damit ftimmt es aud), daß er am 22. Yanırar 1241 in
einer Urkunde des Erzb. Wilbrand, die allem Anfchein nad) in Magde-
burg ausgeftellt ift, als Zeuge erjcheint?. Daß er auch nad) ber
Nefignirung feiner Magdeburger Curie noch in nahen Beziehungen
zum Erzitift Magdeburg blieb, zeigt die Urkunde von 1254, worin
ihm vom Erzbifchof Rudolf jährlih 4O Mark Be werden,
! Cod. dipl. Anhalt. II, 134.
2 Magd. Geſchichts⸗ Blätter VI, 146.
° MNene Mittheilungen des Thür. Sächſ. Vereins IX, 2, 37.
Zur Geſchichte Kaifer Sigismunds.
Bon H. Breßlau.
Mit gütiger Erlaubnis des Herrn Prof. Pellegrini zu Belluno
theile ich im Nachjtehenden drei von ihm bei Gelegenheit einer Hoch—
zeitsfeier 1875 veröffentlichte Berichte des bellunefiichen Gefandten am
—* Kaiſer Sigismunds zu Conſtanz, Michele Miari, mit. Der
weck der Geſandtſchaft waren wahrſcheinlich Beſchwerden gegen den
Grafen von Görz, dem Sigismund am 23. Juni 1413 die Städte
Belluno und Feltre für 16000 Goldgulden überlaſſen hatte, und gegen
deſſen Statthalter Kaſpar Kuchmeiſter.
Die drei Berichte ſind in dem Liber provisionum B. der
Commune von Belluno erhalten; der Text iſt theilweiſe ſehr ver—
derbt; einige offenbare Schreibfehler ſowie die Orthographie habe ich
ſtillſchweigend verbeſſert und die Interpunction hinzugefügt: an an—
deren Stellen weiß ich keine Abhilfe. Das Intereſſanteſte an den
Briefen, in denen die Klagen über die immer ſich wiederholende Ver-
zögerung der Geſchäfte nicht weiter auffallen können, find die czechi—
ihen Schmähmworte Sigismunds, al8 er die Abreife des feltrenfischen
Gefandten erfährt. Sie find fo gemein, daß man fie dem Kaiſer
faum zutrauen würde, wenn nicht Miari als Ohrenzeuge berichtete.
Ich verdanfe ihre Deutung der gütigen Vermittelung Dr. Bachmanns
in Prag: diefelbe jtammt von Conſt. Sirecef. ‘Na ser& luzo’ an der
erften Stelle würde heißen: Na, gemeines Gefindel. Wahrfcheinlicher
aber ift zu lefen ‘naseru luzo’, was dann noch viel ärger fein und
bedeuten würde: „ich jh . . . auf das Gefindel“. Schlimmer nod)
ift die zweite Stelle. Es ift zu lefen ‘na, vuti mare’, vut =
eunnus, mare — robyla, Stute — alfo ein wahres Stallfnechts-
Schimpfwort !.
1417. 18 Augusti. Constantiae.
Instantius® alteri profeeto negocio quam presenti inten-
! Bergleihen mag man das deutiche Hundsfott.
2 Der Anfang ift unverſtändlich. Pellegrini fehlägt vor zu leſen: In-
stantius alteri profecto negotio quam praesenti intendere neque magis
in id pervigilare non possem. (Bielleiht nur: in hoc ©. W.).
386
dam, quo magis in non(?) pervigilare possem ingenio, [patres)
spectabiles et egregii; ad quod, credite, dupliei causa moveor,
publica vestra et privata mea. Publica res nostra nescio si
unquam eguit ac nunc egeat his infinitis expensis, quibus
maxime presenti legatione vexata est; que utinam previderi
potuissent! Compacior edepol, et valde, ac doleo, quia ex
tam facilire, qua huc profectus, tam diu frustratus sum, licet
nostram cum plurimis parem contrastat mora causam. Pre-
stolabar ex avidissima mihi et celeri expeditionem a nobis
vilius?! reeipi, et amplecti gaudio et affatibus, que amodo,
quandocumque licentiatus abiero, earebo, quia nullum tante
principalis ımunificentie beneficium mecum feram aut gratiam,
quam non mea luctuosa ardeat ac sumptuosa procrastinatio.
Privata?*: quia tempus amitto, quod preponderat omni lucro,
licet id parvum faciam. Cum enim hoc onus assumpsi, ex-
plicandum bino mense putabam; jam autem? est sextus, et
utinam°®) Tus non effluat! Crebre effunduntur querele et
ululatus eorum, qui, dum desperatam expeditionem morati
sunt, evacuatas bursas queruntur. Credebatur pridie, gratam
supervenisse horam. Dixerat enim serenissimus dominus
noster: ‘Domine Rodulfe *, tempus est, ut vos expediam’. Quare’
sperabatur, tunc conclusisge ®se bellum moturum cum df[uce]'.
Quod minime factum est, et an adhuc fieri id habeat, scıri
pro certo non potest. Sompniasse nunc video. Venerat enim
dux huc prope per 15 miliaria ad quoddam castrum, ubi
hucusque moratus est, inde legatos suos miserat, et hine illuc
rediere, qui huc iterato reversi sunt. Diu indie videor® ten-
tabitur res hec, hujus finis lodii® boni optimus nobis fiat.
Feltrenses videntes se multo nostris majoribus sumptibus gra-
vari, revocarunt dominum Laurentium de Guslinis, unum ex
oratoribus suis, cujus discessus preter licentiam, non dubito,
notificabitur per exiticios Feltri aut malivolum alium prelibato
domino nostro, et consequenter ille Ypoliti!°, ob quem petar,
et responsio parata est. Tanta invite legationis unitate vin-
cimur, quod comunem causam secum participare videmur.
Recepi die 15. presentis literas vestras per Guielmum del
Focho, quibus non desinitis aliquantulum me mordere, cur
Pellegrini: a vobis, melius,.
Hdſ. utrum; autem Pellegrini. #2 Hbf. privati.
Hbf. utrum; utinam Bell.
Rudolf Becz, Laiferliher Bicar in Serravalle (Pell.).
Hd. quia; quare Pell,
Hbf. condusisse; conduxisse Bell,
—— von Oeſterreich (Pell.).
innlos, Pell. diu videre videor, was aber auch nicht befriedigt.
So Hdſ. finnlos, Pell. laudi.
Hippolytus Doglioni, Miaris College, der ſchon im Juli zurücbe⸗
rufen war.
soo so aa >». m —-
—
387
non expediar: credentes forte desidie gratia! aut modice sol-
lieitudinis illud accidere. Non est, sed lapide durius, quod
fieri non potest. Imaginabar, cum frugi non fuerit expeditioni
vacare, hac forte uti cautela fore utilius, ut literam compo-
nam, quam fingam a vobis tunc nuperrime recepisse ipsam-
que presentare prelibato domino et supplicare ut legat aut
legam ipse; ea sit tenoris hujusmodi in effeetu: Quod, quia
videtis perspicue, me, quantis nostra comunitas presentialiter
ac diversimode sumptibus aflligatur, parumper inspicere ac
indulgere fatis, dum habende celeri expeditioni non vacem,
quam mea desidia distuli nunc habere, cognoscentes, gratiam
regiam tantam esse et mira benivolentia ac caritate vos fo-
vere et fidelitate ex prompto amplecti, quod, si per me ei
vestra fuisset patefacta necessitas, certos vos redditis, fuis-
sem jam diu integraliter expeditus; propterea notum facitis,
quod a die receptionis presentium in antea deliberatio facta
est, mihi non de cetero subvenire, ita ut amodo sciam, quod,
si huc quantumcumque restavero, id faciam propriis meis
sumptibus et expensis etc. Sicque, si non proficiant facta,
veniemus ad artes. Vos tamen estote mei memores, precor,
ut sine pecunia hic non degam. Plura de novis scriberem,
que viarum discrimina reticeri malunt.
Post predicta, que vobis per Polidorum mittere opinabar,
lator presentium supervenit, qui mihi tres vestras literas pre-
sentavit, unam in forma brevis, quam presentavi prelibato
domino nostro, aliam reverendo domino episcopo nostro, ter-
tiam mihi scripsistis. Cum diu itaque, patres egregii, non
tantum me mihi, verum etiam patrie natum fore meminerim,
[ut] his, que honoris ejus, commodi, status pacifici et aug-
menti sunt, meus omnis perpetuo spiritus vacare teneatur,
nec ejus tantum sed vestrum singulis; eo tunc magis, cum
per vos, laudabiles rei vestre publice defensores, jussibus im-
positum sit. Nullis igitur modis, inventionibus, obsecrationi-
busque, quos scivi et valui, non defui, quin prefatus dominus
episcopus noster annueret votis vestris ac filialibus condescen-
deret — acquiesceretque a vobis annuatim reci-
pere loco partis dimidie condempnationum vestrarum libras
200 parvorum, propositis sibi causis quam pluribus, quibus sua
paterna benignitas ad hoc Dei intuitu tenebatur. Et cum
istud absque suo proprio et ejus etiam gravi dispendio se
assereret posse non facere, ultro citroque multa verbositate
confecta, ejus, licet ante ferrea, mollis tamen effecta paterna
caritas in istam firmam sui propositi deliberationem descen-
dit, ut, etsi obventura dieta condempnationum annualis di-
midia majori sit emolumento pensanda, paterne vobiscum
ı Hbf. quam; gratia Pell.
388
vestros participans labores contentus est, detis ac dare et
solvere debeatis annuos pro sepe dieta dimidia dietarum con-
dempnationum ducatos 40, hac addita paetione, ut hujus com-
positionis vinculum duorum annorum in capite dissolvatur,
qui in kalendis mensis instantis Augusti inicium sumant:
quos conatus sum in principio mensis preteriti principiari.
Non profuit. Quo interim ad vossperat felicibus successibus
profieisci, ubi de reliquis factis precationibus vobiscum taliter
paciscetur, quod utrimque parentisin filios et filiorum in pa-
trem benivolentia et obedientia vincientur caritate majori.
Acquieseite, queso, patres honorandi, prediete conventioni pa-
cifice, que omni excogitato fine gratior esset, dum et carior,
nec vobis cum antistite vestro dissensionem eligite, quia, licet
nunc in prelibati domini odio habeatur, non modicum in con-
cilio veneratur, ex quo speratur, quod Superni gratia mediante,
cum mater etiam fecundabit, altiorem sedem conscendet, cum
quo filialiter si fueritis conversati, futuris in nostris- necessi-
tatibus sua amicieia apud creandum pontificem nobis esse po-
terit valde grata; nec si per manus prelibati domini nostri
tractandum esset negotium antedietum, cum ad presens vix
suppetat sibi ipsi et ultra solitum sponte aut invite agendis
majoribus implicetur, unquam vel cum difficultate gravissima
optinerem: causas amodo nimia sermonis prolixitas preter-
mittit. Compensandum! esset hoc, aid plus dabitis in
lagio? ducatorum, in liberis expensis necessario, que licet de
facto ad modicum servarentur, superveniente novo papa va-
loris modici censerentur. Ista non eredatis, quod aut spe ali-
cujus futuri premii loquar aut animi forte pusillanimitate, ut
pro vobis vel pro patria melius nolim mihi inimicum assu-
mere aut diffieili honeri et labori terga retraham, sed ad
futura prospectum mitto. Super his omnibus ultra [per] lite-
ras suas prefatus dominus episcopus informavit Polidorum,
qui vos alloquuturus venit, quibus etiam si consenseritis an-
ne, precor, velitis et placeat me per vestras literas certum
facere. Vestri insuper contemplatione et amore promisit mihi
ınutuare in fine mensis florenos 50 de camera, quorum, precor,
tot ducatos restitui faciatis Zampetro de Ramponibus ejus
factori. Taliter mihi provideo pro incerto tempore mansionis.
O que et quanta convicia etopprobria die ante applica-
tionem latoris presentium ingessit in dominum Ulrieum Scala
prelibatus dominus noster, cum ipse notificaturus venisset re-
cessum dicti domini Laureneii. Dieit ipsi domino Ulricus:
Ambaxiatores Feltri volunt recedere. Respondit in Boemico:
ı Hbf. Compensante; Pell. compensatum.
” agio; die Ducaten hatten ein Agio von 8 Soldiz 40 Ducaten waren
aljo gleich 216 Lire, während die Stadt 200 geben wollte (Bell.).
389
'na sera lusso’ — et in eum figens rigidum supereilium, re-
dixit: ‘na futi mare’: — Et hoc fuit in presentia multorum
baronum, militum et nobilium, quorum in ambitu eram ego.
Et iterum in proxima nocte comparente ipso domino Ulrico
coram eo et aliqua forte petente, iterum inquit: O traditor,
como a tu ardimento de vignirne davanty? EI non a man-
cado per ti, de farme perdre el mio honore in quelli luogy
que te comese: che se altro ne seguisse de quelli la qual
colsa (cosa ?) penso che vigneria per toa caxone, e te faro tayar la
testa, traditor, ete mandie, che facessi rasone, e tuse andado
a robera e a tuor denary, e da l’altra parte tu se vignudo
a nuy per denari. Sel non fosse che guardo per altro re-
specto, adesso te faria tayarel capo. Vame davanti, traditor”.
Et ista fuerunt astantibus pluribus, quorum aliqui eredebant,
quod ex verbis ad facta procederet. Ista vobis scribo, ut
cognoscatis, qualiter tractetur in curia, et si ventus est illuc
an ne. Valete felices.
Datum Constancie die 18. mensis Augusti 1417.
Vester ad mandata paratus
Michael de Miliario cum recommendaecione.
A tergo — Spectabili et Egregiis viris dominis Vicario et
Rectori, Consulibus et Consilio Civitatis Belluni, majoribus
suis honorandis.
1417. 31. Octobris. Constantiae.
Spectabilis et Egregii majores honorandi. Post missionem
Corradi seripsi vobis bis, primo per quemdam Marchianum
amicissimum domini episcopi nostri, qui per Caput-pontis!
transire debebat, secundo per quemdam fratrem minorem so-
lütum ibi morari, et si verum existimo, Romanus est: per
utrasque illas literas latissime vobis multa scripsi cum de
novis que illucusque obvenerant, tum etiam respondendo ad
illas vestras per familiares Abarti? latas. Hic ergo restat,
ut vos dulei aliquo pascam. Proximis hiis diebus res saluti-
fera ac sanctissima Deo propitio facta est. Nam ut per pre-
dietas vobis scripseram, cum restaret solummodo de modo
gerendo electionis summi pontificis, quod inter collegium car-
dinalium et nationes plurimas et grandes dissidias attulit,
communi eorum concordia convenerunt et decreverunt, ut de
quaque natione eligantur viri sex, qui una cum cardinalibus
conclavim intrent electuri futurum eligendum antistitem, quod
Capodiponte norböftlih von Belluno; UWebergangspunft über die Piave,
2Abardo von Adlar, Schloßhauptmann von Belluno (Bell).
ZVIL 26
3%
decretum publica facta!. die proximo precedenti sessione fir-
matum est. Istud amodo restat, ut unaqueque natio suos
eligat, quod facillimum erit, deinde conelavim intrabunt. Non
eredo dies 12 elabantur?. Cum hec itaque facta coneilii quasi
ad caudam venerint, pro quibus serenissimus dominus noster
tociens insudavit, ettot et tantas lugubrationes et incommoda
est perpessus, credo firmissime, nostris amodo vacabit nego-
tiis, qui cum aliquos dies hine affuerit, eitissime redditurus,
nos existimo primitus expediendos suseipiet: signa palpavi-
mus hujus rei, dietim meliora. Valete. Sub compendio ta-
liter vobis scribo, ut absque suspitione aliqua possit lator iti-
nerare presentium.
Constancie die ultimo Octobris 1417.
Michael de Miliario vester
cum recommendatione.
A tergo — Spectabili et Egregiis viris dominis Vicarıo
et rectori . .... Consulibus et Consilio Civitatis Belluni.
1418. 3. Februarii. Constantiae.
Spectabilis et Egregii majores honorandi. Scripsi vobis
pridie per quemdam nuncium de Sancto Salvatore, quod spe-
rabam, post datam earum habere recedere absque expeditione
aliqua transactis sex diebus. Verum cum pro hodierno die
me disposuissem ad iter, et die precedente ivissem ad reve-
rendissimum dominum patriarcham notificavissemque me pre-
dieto die recessurum esse, ex causis pridem ei notificatis, et
insuper ut dignaretur vos communitatemque vestram commit-
tere serenissimo domino nostro, ac ipsam et me pro sepe
dicto recessu prelibate majestati reddere justissime excusatos
supplicassem etc., idem me instantissime est hortatus, ut vel-
lem usque ad diem dominicum differre, saltem cum senserit
prelibatum dominum nostrum et alia expediturum esse. Ego
vero tum prefati hortatu, cum etiam, ne manibus vacuis re-
deam, sed potius quid vobis salutare ac jucundum optatum-
que mecum feram in tanta temporis frustratione et intolera-
bilibus vestris sumptibus, existimavi salutiferum fore illue
usque differre et ultra aliquantisper, si certissime expedien-
dus ero; aliter die lune proxime sequuturo Deo duce discedam.
Concordia sive unio injecta est pratice, que diu tractata fuit
inter prelibatum dominum nostrum, et dominum ducem Me-
diolanum (sie), adeo quod hiis pauculis sequentibus diebus
! Rn factum ?
°» Die Wahl Martins V. erfolgte in der That am 11, November,
391
cn. ET ! ambassiata Mediolanum, in qua
nominati sunt tres nobilissimi viri, primus dominus episcopus !
r . nuper creatus imperialis . cancellarius mortuo
priore, "secundus dominus Brunorius de la Scala, tercius Co-
mes Utinus. Et inter cetera, que facturos fertur, accepturi
sınt a prelibato domino duce juramentum fidelitatis. Hee
igitur diu tractata tanta negotia, cum plurimum prelibatum
dominum nostrum tenuerint occupatum, nunc feliciter expe-
dita, ad alia etiam infima sua expedienda negocia amodo
ipsum manus inicere satis comode relaxabunt. Valete.
Constantie die Jovis 3. Februarii 1418.
Michael de Miliario
cum recomendatione.
A tergo — Spectabilibus et Egregiis viris.... . . Vicario,
Consulibus, Consilio et communitati Civitatis Belluni majo-
ribus honorandis.
ı güde in der Handſchrift.
26*
Zur Kritil von Peter Hafftiz’ Microchrenolegicen.
Don 3. Heidemann.
Unter den von Riedel gefammelten und im 1. Bande der 4. Abs
theilung feines Codex diplomaticus Brandenb. veröffentlichten
Quelleniriften für die Gefchichte der Mark Brandenburg befindet
ſich auch ein umfangreiches Annalenwerf unter dem Titel Microchro-
nologicon, weldes nad der von Riedel zum Abdrude benugten
Handihrift vom Jahre 1411 an!, nad anderen Handjchriften von
1388 ab bis gegen das Ende des 16. Jahrhunderts Nachrichten über
die Fürften und Bewohner der Marf Brandenburg enthält. Leber
den Verfaſſer des Werkes Beter Hafftiz, welcher von 1560 bis 1574
an ber Nicolaifchule zu Berlin und dann von 1576 bis 1589 an
der Betrifchule zu Köln an der Spree das Rektoramt bekleidete, ſo⸗
wie über die wiſſenſchaftliche Thätigkeit und Zuverläffigfeit des Mannes
find bereit8 im dem Auffage über die Märkiſche Chronik des Engel
bert Wuftermwig ? Mittheilungen gemacht worden, auf welche hier ver-
wiefen werden kann. In jenem Auffage wurde ferner dargethan, daß
afftiz für den Zeitraum von 1388 bis 1423 die eben genannte
hronif in fein Werk aufgenommen und daneben für einzelne jener
Jahre Angaben aus den Rerum Marchicarum Breviarium von
Andreas Angelus entlehnt habe. In den folgenden Blättern foll hier
die Frage erörtert werden, woher die Nachrichten ftammen, welde
das Microchronologicon zu den Jahren 1426 bis 1592 dar-
bietet.
Als Hafftiz feine Chronik zu fehreiben begann, war fein Zeitge
noffe Andreas Angelus, damals Prediger in Strausberg bei Berlin,
nachdem er 1590 bis 1592 ebenfalls ein Lehramt in Berlin befleidet
atte, mit dem Abfchluffe eines umfaſſenden Geſchichtswerkes über die
art Brandenburg, der Annales Marchiae Brandenburgicae, be
ſchäftigt?, welches 1598 zu Frankfurt a. DO. bei Johann Hartmann
in Folio auf Koften des BVerfaffers gedrudtt wurde. Aus dem Mas
! Cod. dipl. Brand. IV, I, ©. 47 bis 167. Diefem Abdrucke Tiegt
ein Autographum des Berfaffers vom 3. 1597 zu Grunde.
8 — zur Deutſch. Geſch. XVII, 530—538,
’ Cbend. ©. 527.
393
nuferipte dieſes Werkes Hatte Angelus bereit8 1593 einen kurzge—
faßten Auszug angefertigt und unter dem Titel Rerum Marchica-
rum Breviarium in Wittenberg bei Chriftoff Arin druden Laffen !,
wie er in der Vorrede des Buches fagt, „denen zu gute, fo weite
feufftigere Schriften zu leſen nicht Yuft oder Gelegenheit haben“. Er
verfolgte mit diefer Publication aber auch den Nebenzwed, die Haupt⸗
refultate feiner Forſchungen über die brandenburgische Geſchichte dem
Publicum zur Prüfung und im Jutereſſe feines Hauptwerfes zur Bes
richtigung darzubieten. „Bitte demnach alle und jede — fo heift es
in der Borrede — denen dies Werclein fürfömpt, jo fie etwas haben,
das zur Beilerung meiner vorgedadhten Annalium March. Brand.
nüß und dienftlic, oder auch, das darin möchte zu corrigiren fein, das
fie unferm Vaterland zu befondern Ehren, auch dem Werd jelber zum
beften, mich candide fhrifftlih oder mündlich dejfen verjtendigen und
mir die hilffliche Hand darin unbeſchweret reichen wollen“. Sein
Breviarium war in der That das erfte lesbare Handbuch der bran-
denburgiſchen Geſchichte. Es beginnt mit dem Jahre 416 vor Chr.
und endet mit dem 1. November 1592. Die Form des Werkes ift
die annaliſtiſche, und fait alle einzelnen Angaben beginnen mit der
Formel: Anno Chriſti“ oder „Im folgenden Jahre“. Der Inhalt
ift ein mannigfaltiger und bunter, denn er umfaßt Nachrichten von
dem Leben und den Thaten der brandenburgifchen Fürften, von Städte-
und lojtergründungen, von Seuchen, Bränden, theuren und wohl«
feilen Zeiten und dergl.
Durch dieſes Werk angeregt faßte um 1595 Peter Hafftiz, das
mals al8 Privatgelehrter in Berlin lebend, den Entſchluß fih als
Chronograph um die Mit- und Nachwelt Verdienſte zu erwerben.
Sein Mierochronologicon erjdien im Jahre 1595, wenn man diefen
Ausdrud hier verwenden darf, denn Hafftiz veröffentlichte fein Wert
überhaupt nur handichriftlih, aber in der Weife, daß er daifelbe
jährlidy mehrere Male abichrieb, die einzelnen Exemplare an fürftliche
und adliche Gönner und die Magiftrate der brand. Städte verfchenfte
oder verkaufte und dabei je nad der Würde des Empfängers fein
Werk fürzte oder erweiterte. Nach feinem um 1602? erfolgten Tode
fetten Andere die BVervielfältigung feiner Chronif durch Abfchreiben
fort. ine der Handichriften des Mierochron., melde die Königl. Bi—
bliothef zu Berlin befigt (Mnfer. in 4. Nr. 186), ift noch im Jahre
1724 angefertigt. Die märfifhen Geichichtsforfcher benutten das
Werk vielfah als Quelle, und G. ©. Küfter fchrieb e8 mit eigener
and ab. Die Handihrift der eben genannten Bibliothek Menfer. in
. Nr. 24 enthält die Vorbemerfung: Ex variis Manuscriptis
ı Das Bud umfaßt 179 Duartfeiten und trägt auf dem Xitelblatte bie
Jahreszahl 1593. Das Hier benugte Eremplar war der Königl. Bibliothek zu
Berlin entnommen. 5
2 In einer Handfchrift der Breslauer Univerfitäts -Bibliothef (f. Riedel
IV, I, 148) wird noch der 9. October 1601 erwähnt, was in dem oben er-
wähnten Aufjoge (Forſch. XVII, S. 530) überfehen if.
394
Hafftitii manu beati G. G. Kusteri Rectoris Berolinensis.
Riedel endlich ſprach dem Microchr. den Werth einer originalen
Duelle zu, indem er es im die 4. Abtheilung jeine® Cod. dipl.
Brand. aufnahm. In der That machen dajjelbe die Auszüge werth-
voll, welche Hafftiz der jet verlorenen Märkiichen Chronik des Wu—
fterwig entnahm und in fein Werk einfügte. Damit aber dürfte auch
fo ziemlich das Lob erichöpft fein, welches dem Microchron. gebührt,
denn der Hauptiheil des Werkes, der die Yahre 1426 bie 1592 be—
handelt, hat feinen Anſpruch auf einen Pla in der Reihe der mär—
kiſchen Quellenfchriften. Bereits in dem Auffage über die Märkiſche
Chronif des Wufterwig hatte ich darauf hingewieſen, daß Hafftiz
diefen Theil feiner Chronit auf Grund des Breviarium von Ans
gelus gearbeitet habe, infofern dieſes Werf ihm dem zu bearbeitenden
Stoff angab. Diejes Urtheil, welches für Hafftiz viel zu jchonend
und für die Art feiner Quellenbenugung viel zu unbeftimmt lautet,
gründete ſich auf die Vergleihung de8 Breviarium mit dem Ab»
drude des Microchron. bei Riedel und nur einer ungedrudten
Handfhrift des Hafftiz. Bei der Ungleichheit des Maaßes der Mite
theilungen in den verfchiedenen Handſchriften de8 Microchron. war bie
Möglichkeit nicht ausgeichlojfen, daß Hafftiz in einzelnen Eremplaren
feines Werkes ausführlichere Angaben veröffentlicht und vor allem
mehr jelbjtändig gearbeitet habe, als es in den zuerit genannten Hand»
Schriften der Fall war. Zu einem ficheren Urtheile über den Werth
des Microchron. fonnte daher nur die Vergleihung möglichft vieler
Handichriften führen, und dazu bot die Königl. Bibliothek zu Berlin
dur) eine Collection von neun Handſchriften die befte Gelegenheit
dar!. Außer dieſen find noch verglichen worden drei Handichriften,
welche die Bibliothek des Magiftrates zu Berlin beſitzt?, und ferner
drei andere aus dem Nachlaife Friedrich Nicolais, jetst im Beſitze der
Erben Guftav Partheys. Die Vergleihung hat hinfichtlich der Jahre
1426 bis 1592 faft durchgehends eine Webereinftimmung der Hand»
fchriften mit dem Abdrude bei Riedel? umd wejentliche Abweichungen
nur am Anfange und Schluffe des Microchron. ergeben. Auf Grund
diefer Thatjache nun muß das obige Urtheil dahin modificirt werden,
daß ber Abichnitt des Microchron. von 1426 bis 1592 nichts anderes
ift al8 eine Wiedergabe des Breviarium von Angelus mit Auslaſſung
einzelner Stellen, ftiliftiicher Aenderung von anderen und mit Zu«
fügen, die entweder dem Autor jelbft angehören oder von ihm ande—
ren Schriften entlehnt find. Den Beweis für diefe Behauptung
würde am einfachiten und überzeugendften die Gegenüberftellung der
Texte des Breviarium und Mierochron. ergeben; der Umfang beider
Schriften jedoch geftattet ein derartiges Verfahren an diefer Stelle
ı 8 find die Handidriften im Fol, Nr. 23. 24. 28. 461. 475. 689,
in Ouart Nr. 24. 186. 187,
° In Fol. Nr. 4 und 5, in Quart Mr. 16.
Gime Reihe von Angaben, welche nur im einzelnen Handſchriften ſich
vorfinden, hat Riedel feinem Wobrude in Heineren Lettern beigefügt.
395
nicht, und es muß daher die Vergleichung demjenigen überlaffen blei=
ben, welcher in die Lage kommt, Nachrichten aus dem bezeichneten Ab-
ichnitte de8 Microchron. benuten zu müffen. Auch Handelt e8 fich hier
nicht etwa um eine erjt mit Mühe und Kritif zu erweiſende geſchickte
Berarbeitung des Breviarium durch Hafftiz zu einem jcheinbar neuen
und felbjtändigen Werke, jondern um eine handgreifliche, grobe und
zweifelloſe Hinübernahme des Breviarium in das Mierochron. und die
Identität ganzer Partieen beider Schriften. Zu diefen gehören die
Abichnitte über die Jahre 1426 bis 1439, 1441 bis 1449, 1451
bi8 1463 (mit Auslaffung von einzelnen Notizen), 1465 bis 1470,
1472 bis 1500 (mit Zuſätzen zu den Jahren 1486. 1488. 1499);
und erjt vom Jahre 1510 an mehren fich die von Hafftiz ſelbſt her»
rührenden Erweiterungen und Zugaben. Die Abhängigkeit dieſes Au—
tor8 von dem Breviarium erjtredt fich aber nicht auf den Tert allein,
fondern auch auf die Quellenhinmweife des Angelus, welche daher im
Munde des Hafftiz nichts find als eitel Flunkerei.
Indem wir von den mit dem Breviarium gleichlautenden Ab-
fchnitten des Microchron. abjehen, wenden wir uns zu der Frage, in
welcher Weife Hafftiz die Angaben jener Schrift abgeändert habe, und
was von den von ihm gegebenen Erweiterungen feiner Quelle zu
halten fei.
Eine der bemerfenswertheften Aenderungen, welche er mit dem
Stoffe des Breviarium vornahm, beiteht in der Beſeitigung aller
Notizen, welche geeignet Schienen, die von ihm ausgeichriebene Duelle
zu verrathen. Angelus hatte nämlich in dem Breviarium auch über
fich ſelbſt und das Schickſal feiner Familie Mitteilungen gemacht und
ferner feinem Werke dadurd den Charakter einer Strausbergiichen
Localgeſchichte aufgeprägt, daß er oft von den Geſchicken erzählte, von
welchen feine Baterjtadt Strausberg im Laufe der Jahre betroffen
worden war. Hafftiz hielt es für gerathen, alle Angaben des Bre-
viarium, welche Angelus und feine Familie betrafen, zu unterdrüden
und die Notizen aus der Gejchichte Strausbergs biß auf eine jehr ge—
ringe Zahl zu beichränfen, dafür aber andere aufzunehmen, welche
feinem'Microchron. das Anfehen einer Chronik der Stadt Berlin ver-
fiehen. So meldete Angelus zum Jahre 1561: „Sn diefem Jahre
am 16. Tage des Wintermonats (November) ift zu Straußberg ges
born M. Andreas Engell, diefer Chronographbien Autor“.
Die letzten Worte fonnte Hafftiz in fein Werf natürlich nicht aufneh-
men, aber er hätte den Verfaffer des Breviarium nennen fünnen,
wie er fo manchen anderen von den märfifchen Geiftlichen und Ges
(ehrten erwähnt hat; indeſſen er zog es vor, die ganze Stelle zu
unterdrüden, als fcheute er fich des Mannes überhaupt zu gedenken,
deifen Werf er fich aneignete. — Nur aus dem Beſtreben des Hafftiz,
feine Quelle zu verbeden, ift ferner eine Aenderung zu erklären, melde
er au einer Notiz des Breviarium zum 24. Juni 1569 vorgenom=
men hat. Angelus nämlich fchreibt: „Am Tage Johannis Baptiftae
fing e8 an zu regnen und regnete aljo die ganze Ermdte über, daß
396
auch groß Schade am Getreyde geihah. Der Wein ward dermaffen
von vielfeltigem Regen verderbet, daß auch in allen Bergen vor
Straußberg niht über aht Tonnen zufammen gelejen
wurden“. Bei Hafftiz unter demfelben Datum I (autet dagegen bie
Stelle: Anno Chriſti 1569 am Zage S. Johannis Baptijtae fing
es an zu regnen die ganze Erndte über, daß auch großer Schade am Ge—
treide geihadh, und ward der Weinwachs dermajjen verderbt, daß man
ſich dejien wenig zu getröjten und zu erfreuen hatte“.
Hier ift die für einen Strausberger Chroniften ganz angemejjene und
natürliche Hindentung auf den fchlechten Ertrag der Weinlefe in
Strausberg durch eine höchſt triviale Phrafe erſetzt, um die locale
Färbung der Duellenfchrift zu verwiſchen. Die gleiche Abficht endlich
muß man aud in dem Umſtande erkennen, daß Hafftiz, während er
bein Breviarium eine ganze Menge durchaus unbedeutender Sachen
nachſchrieb, folgende die Stadt Strausberg betreffende Notizen feiner
Duelle in dem Microchron. vollftändig unterdrüdte: 1451 wies Kur«
fürjt Friedrich II. die Strausberger an, die jährliche Orbede von 34
Schock böhm. Grofchen fortan an die Karthäufer zu Frankfurt a. O.
zu bezahlen, denen er diefelbe verpfändet hatte; 1464 raffte eine Epi-
demie in Strausberg viele Menfchen hinweg; 1486 am Egidiustage
verlieh Kurfürft Johann der Marienkirche zu Strausberg mehrere
Renten und Zinfen; 1510 im November übergab Kurfürft Joachim I.
der Stadt Strausberg das Gericht dafelbft mit allen Zinfen, Renten,
Ruthen und Gerichtsgefällen; 1515 verlieh ihr derjelbe ein Zollpri—
vilegium; 1521 am 14. October brad zu Strausberg im Haufe des
Bürgermeifters Belendorff Feuer aus, welches 23 Wohnhäufer in
Aſche legte; 1524 wurde in Strausberg die Marienkirche rejtaurirt
und das Rathhaus erweitert; 1541 im Februar wurde der zu Straus-
berg geborene Matthias Schüge als der erfte lutherifche Prediger in
feiner Vaterſtadt angeftellt; 1549 wiüthete in Strausberg eine peft-
artige Seuche, und ebenfo im Jahre 1575, in welchem 600 Berjonen
ftarben, darunter Angelus’ Eltern ſammt feinen drei Brüdern und
zwei Schweitern; 1584 forderte dafelbft die Bräune unter den Kin-
dern zahlreiche Opfer; 1588 am 28. Februar wurde von „vielen
Leuten zu Strausberg“ ein feltfames Geftirn am Himmel beobadhtet ;
1588 am 22. Mai ertranf ein Zimmerman bei dem Baden in ei-
nem bei Strausberg belegenen See nad) begangener grober Gotteslä-
fterung; 1591 erhob ſich die Strausberger Gemeinde gegen den Rath
der Stadt, fo daß die Yandesregierung einfchreiten mußte, um die
Ruhe mwiederherzuftellen. Alle diefe Notizen fucht man in dem
Microchron. vergebens, al8 habe Hafftiz fich vor dem Namen der Stadt
Strausberg nicht minder al8 vor dem des Angelus geſcheut. An ein
abfichtslofes Ueberfehen jener Mittheilungen ift um fo weniger zu
denken, als Hafftiz die denjelben vorangehenden und nachfolgenden An
gaben des Breviarium faft überall aufgenommen hat. Als Erjag
» Riedel IV, I, 126.
397
für den Ausfall bot Hafftiz dem Leſer zuweilen Nachrichten, welche
Berlin betreffen. An Stelle der oben erwähnten Verleihung eines
Privilegiums an die Stadt Strausberg durch Yoahim I. im %.
1515 erzählt er von einem „Widerwillen“, welcher ſich 1515 zwifchen
der Gemeinde und dem Rathe Berlins erhob! und von dem das
Breviarium nichts meldet.
Wenn binfichtlih der obigen von Hafftiz übergangenen Stellen
Zwed und Tendenz unverkennbar find, jo ilt es dagegen jchwer zu
ermitteln, aus weldem Grunde er andere Notizen des Breviarium
überging, die fi) auf damals angefehene Perfönlichkeiten in der Marf
Brandenburg bezogen. Einzelne freilich mochten ihm nicht bedeutend
genug fcheinen, um einen Pla in feiner Chronik zu finden wie wenn
er die Mittheilung feiner Quelle verfchmähte: „1451 in Vigilia cor-
poris Christi ijt geftorben &leuterus, Herr zu Cotbus, und im
Klofter zu Cotbus begraben“. So wenig wie wir heute wird aud)
Angelus etwas Näheres über diefen Herrn Eleuterus gewußt haben,
und ihre Aufnahme in das Breviarium wird nur erflärlich durch die
Annahme, daß fie in den von Angelus oft citirten, bis jet verlo=
renen Annales Cotbusiani fi) vorfand und mit anderen Notizen
in jenes Werf überging. Für Hafftiz mochte die Stelle zu unerheb⸗
lich ſein, um Berückſichtigung zu finden. Anders aber ſteht es mit
den folgenden biographiſchen Notizen ſeiner Quelle, die ſich in ſeinem
Microchron. nicht vorfinden: 1525 am 28. März wurde zu Soltwedel
Abdias Prätorius geboren, „ein fehr gelehrter Mann“, wie Angelus
bemerkt (im übrigen Hafftiz perſönlich ſehr wohl befannt)?; 1525
am 23. October ferner wurde zu Frankfurt Chriftoph Stymmelius
geboren, „der fih um Kirchen und Schulen wohl verdient gemacht“ ;
1515 Bartholom. Rademann, fpäter Profeffor an der Univerfität zu
Frankfurt und Erzieher des Kurfürften Johann Georg von Branden=
burg. 1579 am 13. Dec. ftarb der Domprobit Cöleftinus zu Kölln
an der Spree, „ein fehr ehr= und geldgieriger Mann“, nad) dem Ur-
theile de8 Breviarium. 1586 jtarben zu Frankfurt die ‘Professores
et lumina Academiae’, wie Angelus jagt, Matthäus Hoftus, Pro—
feffor der griechiſchen Sprache, Wilhelm Hilden, der Herausgeber des
Organon des Aristoteles, und Jacob Jociſcus, Profejfor der Mes
dicin; 1585 aud der oben erwähnte Rademann und 1573 Abdias
Prätorius. Die Geburts- und Sterbejahre diefer Männer hat Hafftiz
nicht genannt und bei der Erwähnung anderer die Urtheile des An—
gelus über diefelben nicht wiederholt. In feinem Berichte über Dr.
Georg Sabinus, den erjten Rector der neu gejtifteten Univerfität Kö—
nigsberg, einen Schwiegerfohn Melaucdhthons?, fehlen die Worte des
Breviarium: „der bey dem Hauß Brandenburg feiner Geſchicklich—
feit halben in groffem Anfehen war“, wie dann auch jpäter die Er-
wähnung ſeines Todes am 1. December 1560.
ı Stiebel a. a. > ©. 86.
ı Ebend. ©. 1
s: Gbend, ©, 106.
398
Daß die Nihterwähnung jener hervorragenden märktichen Ge—
lehrten bei Hafftiz auf bloßer Willfür in der Auswahl des Stoffes
beruhen follte, davon wird man fich ſchwerlich überzeugen, wern man
fieht, wie er ſonſt Schritt für Schritt dem Breviarium folgt und
fogar alle in diefem enthaltenen feltfamen Himmelserjcheinungen und
Geipenftergefchichten nacherzählt. Ich vermuthe daher, daß fein
Schweigen auf perfönlichen, unfreundlichen Beziehungen zu jenen
Männern, oder mindeften® zu einigen von ihnen, beruhte und folglich
als ein „beredtes“ Schweigen bezeichnet werben darf. So gehörte der
Juriſt Dr. Rademann, welchem zu Ehren Angelus fpäter in feinen
Annalen! eine Stammtafel des Rademannfchen Gefchlechtes veröffent-
lichte, einer 1573 von dem Kurfürften Johann Georg ernannten Com—
milftion an, welche die von dem Rektor Hafftiz geleitete Nicolaifchule
in Berlin einer Prüfung unterwarf, die Zuftände in derfelben nicht
tadellos fand, die Schule reformirte und in das zum grauen Klojter
genannte Gymnaſium ummandelte und ihren bisherigen Yeiter nö—
thigte, wider Willen feinen Abfchied zu nehmen. Es fonnte daher
feine freundliche Erinnerung fein, die der Name Rademann in Hafftiz
erwedte, weßhalb er über denfelben ſchwieg. Wilhelm Hilden ferner
ftand jenem Gymnaſium als Rektor von 1581 bis 1586 vor und
nahm ſomit eine Stelle ein, deren Verluſt Hafftiz niemal® vers
fchmerzt hat. Gegen Abdias Prätorius theilte Hafftiz vielleicht die
Antipathie, mit welcher die ftrenglutheriiche Partei in der Mark unter
der Führung des Generalfuperintendenten Andreas Musculus jenem
Vertreter einer bejonderen theologischen Richtung begegnete ?, fo daß
er fi) in der Frankfurter Univerjität troß der Gunst des Kurfürften
Joachim II. nicht zu halten vermochte und nach Berlin überfiebelte,
wojelbft der Kurfürft ihm ein Haus zur Wohnung überwies. Unter
dein Nachfolger Joachims II., Johann Georg, gelangte die Partei des
Andreas Musculus vollitändig zur Herrichaft. — Bon Hafftiz’ Be—
ztehungen zu dem Domprobft Göleftinus, über welchen Augelns ein
fo herbes Urtheil fällte, ift nichts bekannt. Hafftiz jcheint jenes Ur—
teil gebilligt zu haben, aber die Rückſicht auf den kurfürftlihen Hof
gebot ihm über dem Hofprediger zu ſchweigen. In diefer Hinficht ift
alfo das Microchron. als eine nad) den perfönlichen Lebensverhält-
niffen des Autors mobdificirte Bearbeitung des Breviarium zu bes
zeichnen.
Fragen wir nun weiter, was Hafftiz zur Ergänzung und Er—
weiterung feiner Quellenjchrift Neues herbeigebracdht hat, jo begegnet
und zunächit eine Reihe von Zufäken, welche man für mißverftänd-
liche Auffaffungen und verfehlte Deutungen der Worte des Brevia-
rium erflären muß. Zum Jahre 1477 erzählt Angelus von einem
verheerenden Einfalle des Herzogs Hans von Sagan in das märkiſche
1 ©, 282,
* Nähere Angaben über die berührten Lehrftreitigkeiten enthält die Bio-
graphie des Andr. Musculus von Spieder.
3%
Ddergebiet, durch welchen Frauffurt Schwer zu leiden Hatte, während
die fleinen Drte Reppen und Drofjen fich der Angriffe des Herzogs
hinter ihren Mauern tapfer erwehrten und die Belagerer mit Verluft
zurüdjichlugen. Angelus hebt dieſen Erfolg der Städter mit der
Iprüchwörtlichen Nedensart hervor: „da fie ihn danı (wie man
jagt) mit heifjem Brey von der Stadtmauer getrieben“.
Hafftiz an diejer Stelle dem Breviarium wörtlid) folgend nimmt den
ſprüchwörtlichen Ausdruck im eigentlihen Sinne und erzählt ohne
weiteres Bedenken, die Einwohner von Drojjen und Reppen hätten
den Herzog von Sagan vertrieben „mit heiſſem Brey, fo fie
von der Mauer auf die Soldaten geihüt“!. — Wenn
ferner Angelus ſich begnügt zu melden: „Anno Christi 1525 hörte
man offtinal8 die Kreen in der Lufft mit einander friegen, und fielen
auch etliche von ihnen todt herunter auf die Erde“, jo bemerft Hafftiz
dazu: „welchs jonder Zweifel des Aufflauffs und Tumults der auff—
rhüriſchen Pauren, jo dis Jahr darauff erfolgt, ein Fürfpiel ift ges
weſen?“. Ganz im derjelben Richtung bewegt ſich aud die Deutung
eine® im Breviarium zum Jahre 1590 erzählten natürlichen Vor—
ganged. „Zu Blumberg bei Bernau — jo ſchreibt Angelus — find
in diefem Jar drey Knechte im einen nmeugegrabenen Brunnen, ehe fte
halb Hinuntergelommen, erftict und geftorben, das man zur Stunde
niht wijjen faun, wie ed mag zugangen fein“. Unbe—
fannt mit den gefährlichen Eigenſchaften der Grubengafe wie feine
ganze Zeit enthält ſich Angelus, die Urſachen des für ihn überra-
fchenden VBorganges zu erörtern; Hafftiz dagegen ijt fühn genug, fich
in Bermuthungen über den Vorfall zu ergehen, und findet, „es
babe ein Bajilifchfe oder Unde alda feine Wonunge*“.
Die Befangenheit, mit welcher er feiner Quelle gegenüber fteht,
und die Ungefchiclichkeit, mit welcher er ihre Worte verwendet, üben
zumeilen eine geradezu erheiternde Wirkung auf den Peler aus. Man
iſt zwar gewöhnt, Hafftiz von vielen jeltiamen und wunderlichen Dingen
erzählen zu hören, aber deſſen ungeachtet fühlt man ſich überrafcht
durch die bedenkliche Simplicität eines Schriftitellers, welcher ohne
einen Anflug von Zweifel jchreiben Fonnte: „Es iſt aud den 27,
April (1547) ein groß Faß“ fast eine itundenlang am Himmel ge—
fehen, welchs hernach herunter gefallen. Darauf it Herr Johann
Friedrich, Churfürft zu Sachſen, bei Miülberg an der Elbe geſchlagen
und gefangen, die Stadt Wittenberg belagert mit Verheerung und Ver—
wüjtung de8 Sachſenlandes“ u. j. w. Sicht man fich daraufhin
feine Quelle an, fo liegt feiner Darjtellung des Mirakels folgender
Sat des Breviarium zu Grunde: „Den 23. April (1547), welches
war der Tag zuvor, ehe der Churfürft zu Sachſen, bey Mülberg an
der Elbe von Keyſerlicher Majeftät Carolo V. gefangen ward, fahe
1 Riedel a. a. DO. ©. 72.
ı Ebend. S. 90.
⸗Ebend. ©. 147.
* Ebend, S. 109 und fo auch in den Handſchriften.
400
man einen groffen Stern faft ein ftundelang, welcher darnach
herunter fiel“. Auch diefer Bericht ftreift da8 Gebiet de8 Wunders,
aber das Wunderfame darin ift wenigftens in ſich anſchaulich und
beziehungsvoll, denn der finfende Stern foll auf den bevorftehenden
Tall des Kurfürften Hindeuten. Die unfchöne Verwandlung des
Sternes in ein Faß bei Hafftiz macht unmwillfürlich den Verdacht
rege, daß fie dem Worte „Faft“ Hinter Stern ihren Urfprung ver—
danfe, indem das Auge ded Autors dadurch irretirt wurde.
Diefe Stelle ift jedoch nicht allein durch den feltfamen Irrthum
bemerfenswerth, welchen Hafftiz bei ihrer Reproduction beging und im
feinen Handfchriften ftetig wiederholte, fondern auch dadurch, daß fie
ung eine bejondere Art und Weile der Bearbeitung des Breviarium
durch jenen Schriftiteller fennen lehrt. Angelus hatte nämlich dem
auf die Schilderung der märkiſchen Verhältniffe gerichteten Zwecke
feines Buches gemäß der Niederlage des Rurfürften von Sachſen bei
Mühlberg nur in einem Nebenfate feines Berichtes gedacht und da=
mit offenbar Hafftiz nicht genug gethan. Diefer hielt e8 vielmehr
für geboten, umfafjendere Nachrichten über den ſchmalkaldiſchen Krieg
bis zur Rückkehr Karls V. nad) Augsburg im Sommer 1547 in fein
Werk aufzunehmen, und dem entfprechend trennte er die Stelle des
Breviarium in einen befonderen und eben dadurd) im Microchron.
beziehungslofen Bericht über da8 vom Himmel herabgefunfene Faß und
in einen zweiten über den Krieg von 1547. Bei diefem aber ſcheint
ed ihm wiederum vorwiegend auf eine Darlegung der Wirkjamfeit
des Kurfürften Joachim II. von Brandenburg angefommen zu fein,
denn er berichtet, daß bderfelbe die Gemahlin de gefangenen Johann
Friedrich, Sybilla von Jülich-Cleve, aus dem belagerten Wittenberg
zum Kaiſer geleitet habe, da fie deſſen Gnade für ihren Gatten an—
flehen wollte; ferner daß fie von dem Kurfürften von Brandenburg
auch wieder nad) Wittenberg zurüdgeführt worden fei u. ſ.w. Dieje
Stelle ijt jedoch nicht die einzige, welche zu bemweifen vermag, daß ihm
da8 Breviarium aud da als Directive diente, wo er den Anflug zu
einer felbftändigen Darftellung nahm. Aus der Angabe diejes Wer-
fes: „Anno Chriſti 1483 (in welchem Lutherus am 10. November
zu Eißleben geboren) war in Sadjfen und hier zu Lande eine große
Theurung“, machte er zwar nicht wie im obigen Falle zwei Süße,
aber er erweiterte die eingejchaltete Notiz über Luther durch eine all=
gemein gehaltene Schilderung von deſſen Wirkfamfeit um mehr als
das Dreifahe!. Dagegen ließ er es fich nicht entgehen, die Mitthei-
fung des Breviarium: „Anno Chrifti 1530 (in welchem die Augſpur⸗
nische Confeſſion Keyferlicher Majeftät Carolo V. ijt übergeben wor=-
den) ift Margareta — Joachims I. Tochter, Herzog Georg in Pom-
mern vermählt worden“, in zwei befondere Berichte zu fcheiden ?, deren
einer fi) auf die Vermählung bezieht, während der andere über bie
ı Niebel a. a. D. ©. 74.
» Ebend. S. 94.
401
Vorgänge in Augsburg Handelt. Ein derartiges Verfahren brachte es
mit fi, daß Hafftiz bald Hier bald da in Relativ» und ſonſtigen
Nebenfägen Bemerkungen in den Text feiner Quelle einfchaltete, die
zum Theil als unmefentlihe Erweiterungen, wie in den zuletzt ges
nannten Beifpielen, zum Theil al® bemerkenswerthe Ergänzungen ans
zufehen find. So meldet er!, über den Bericht des Breviarium
hinausgehend, hinſichtlich des Brandenburgifchen Biſchofs Hieronymus
Schultz, des erſten Vorgeſetzten, mit welchem 1517 Luther zu thun
befam, daß derſelbe ein überaus beredter Mann geweſen ſei, weshalb
ihn der Kurfürſt Joachim J. von Brandenburg auch vielfach als
„Drator und Legat“ verwendet habe. — Zu dem Berichte vom Tode
de8 genannten Kurfürjten am 11. Yuni 1535 fügt er hinzu, der
Kurfürft jet kurz zuvor von der Jagd frank in das Hoflager zurück—
gekehrt ?; die Anzeige von der Geburt des Markgrafen Georg Friedrich
von Anſpach am 5. April 1539 begleitet er mit den Worten: „itzt
regirender Herr dajelbit?“; das Breviarium berichtet zum Jahre
1563 von einem Sturm, weldyer die Kirhthürme zu Stendal und See=
haufen jtarf beſchädigte; Hafftiz ergänzt, daß durch denſelben Sturm
auch die Marienkirche zu Berlin ihrer Thurmſpitze beraubt worden
fei*. Andere feiner Zugaben find topographijcher Natur, Angaben
der Ortsentfernungen (aber von Berlin, nicht von Strausberg aus)?,
Münzreducirungen® und dergleihen. Daneben aber fehlt es auch nicht
an Erweiterungen — vornehmlich bei der Erzählung von Wundern
und fenfationellen VBorfällen —, welche der ausmalenden Phantafie des
Hafftiz ihren Urfprung verdanken und deutlich den Standpunkt eines
Autors verrathen, der nicht Selbjterlebtes oder Selbſterforſchtes mit—
theilt, fondern ſich Mühe giebt, über jchon Gejagtes noch etwas Be—
fondere® zu äußern. Bei dem Mangel an realer Sachkenntniß, der
Hafftiz harakterifirt, kann es daher auch Niemanden befremden , daß
diefer Autor fo überaus leicht in Irrthum verfiel und in Namen
und Zahlenangaben, wie jett die Vergleihung feines Mierochron. mit
den Breviarium erweift, nicht wenige Fehler beging. So berichtet
er’, daß am 6. Yuni 1554 zu Sranffurt a. O. der Dr. Hierony-
mus Schunftins geftorben jei, „ein fürtrefflider, gelerter,
berhümter und geredter Juriſt“. Ein Hiftorifer, der im
Intereſſe einer Gelehrtengefchichte, durch jenes ob angeregt, e8 unter=
nähme, über Herfommen, Yeben und Schriften des Dr. Schunftius
Näheres zu ermitteln, würde aud bei dem größten Fleife und im
Befige des umfafjendften Quellenmateriales nicht das Geringjte üher
denjelben in Erfahrung bringen, denn das Breviarium belehrt ung,
daß es fi) gar nicht um einen Dr. Schunftius Handelt, jondern um
den Genofjen Luthers Dr. Hieronymus Schurf, welchen Angelus mit
Riedel a. a. O. ©. 83,
Ebend. S. 90.
Ebend. S. 96.
Ebend. S. 122. s &b. 73. °s &b. 72,
Ebend, S. 116.
402
Recht das obige Lob fpenben durfte. — Nach den Annales Cotbu-
siani berichtet Angelus, daß 1468 „am Gorgoniustage oder
auff dem neunden Zag des Herbſtmonates“ (9. Sep
tember) ein großer Brand faft die ganze Stadt Kottbus in Aſche
legte. Ungeachtet diefer umjtändlichen Datirung nennt Hafftiz! dod
als den Tag des Brandes den 4. September. — Der erftere ferner
erwähnt des Ablebens des erjten Herzogs von Preußen Albrecht im
Jahre 1568 zu Tapiau (bei Königsberg); der andere nennt den
Drt Tapſaw“?. — Bei einer ſolchen Art der Verwendung feiner
Duelle ift es begreiflih, daß Hafftiz auch die notorischen Irrthümer
derjelben nicht nur wiederholte, ſondern durd feine Nachläffigkeit jo
gar vergrößerte. in ſehr bezeichnendes Beiſpiel davon ift feine eben—
jowohl gegen die gejchichtlihe Wahrheit überhaupt wie gegen den
Wortlaut de8 Breviarium niedergefchriebene Mittheilung, daß im
Yahre 1440 die Bürgerichaft Berlins fih) gegen dm Kurfürjten
Friedrich empört habe und in Folge deſſen um ihre politische
Selbjtändigfeit gekommen fei?. Die Stelle des Breviarium, welde
diejer Mittheilung zu Grunde liegt und zugleich erjt die übrigen von
Hafftiz zum Jahre 1440 gegebenen Nachrichten verſtändlich macht,
lautet folgendermaßen: „Anno Chrifti 1440 (in welchem aud die
edle Kunſt der Buchdruderey in Deutjchland erfunden) hat ſich die
Bürgerjhafft zum Berlin wider den Raht dafelbjt empöre
uud jind dadurd) um ihre Freyheit gefommen, denn Marggraff Frie-
drich der Churfürjte hat die Stadt eingenommen und ein Schloß dar:
ein gebauet. (Etliche jeten das folgende Jar. Aber das es im fol
genden Jar nicht gefchehen, fchließe ich daraus, weil Margraff Frie—⸗
drich — damals jchon todt gewejen. Denn wie ein Brieff Marg
graffen Friederichen, des Churfürjten Sohn, im 1440 Jar Mittwochs
nad) ©. Francisci gegeben an die Strausbergiichen, darin ihnen auff
erlegt wird, auf die Mittwoch nad) St. Yucä zum Berlin zu er
fcheinen und die Erbhuldigung zu thun, ausweifet, fo ift ja Marggraff
Friedrich der Churfürft nicht allererft 1441, fondern 1440 gejtorben.
Der Brieff fol von Wort zu Wort in den grofjen Commentariis*
gejet werden)“. Angelus bewegt fich hier in der irrigen Annahme,
daß der erjt im Jahre 1442 ausgebrochene Zwift der Städte Berlin
und Kölln an der Spree, welcher dem Kurfürften Friedrich IL. die
Handhabe zu einer folgenreichen Einmiſchung in die ftädtifchen Ans
gelegenheiten bot, bereits in das Jahr 1440 falle, und er fucht jeine
Meinung fogar durch urkundliche Gründe zu fügen. Hafftiz, von
ı Riedel a. a. O. ©. 68.
2 Ebend. S. 126. Andere Abweichungen von dem Breviar. find viel
leicht auf die unleferlihe Schrift des Hafftiz zurüdzuführen. So nennt das
Microchron. (Riedel S. 99) den erften Iutherifchen Prediger in Kottbus Lu⸗
derus, das Breviar. aber Lüdide; Hafftiz muß alfo Ludecus gejchrieben Haben,
® Ebend. ©. 62.
* Gemeint ift fein größeres Werk, die Ann. March. Brand,
*VBergl. Fidiein, Hiſt.dipl. Beiträge III, 117 u. fg.
403
bein Beweiſe vollfommen überzeugt, folgt ihm daher blindlings, macht
aber auf eigene Hand aus der Erhebung der Bürgerfchaft gegen den
Kath eine Empörung derjelben gegen den Kurfürſten. Nach
einer Schilderung des Schloßbaues in Kölln an der Spree und deijen
Folgen berichtet er dann ferner: „Eben in demjelben Jahr (1440)
iſt die Löbliche Kunjt der Druderei erfunden und Marggraff Friedrich),
Ehurfürft zu Brandenburg, gejtorben, wiewohl Juſtus feinen Tod ine
folgende Fahr fett. Aber aus gewiſſen Documentis und briefflichen
Urkunden ift offenbar, daß er im 40. Jahre gejtorben“. Alle dieje
Notizen beruhen, wenn auch Hafftiz jelbjtändig den Chronijten Juſtus
nennt, ausſchließlich auf den oben mitgetheilten Worten des Brevia-
riam. Wenn Hafftiz von Documenten und Urkunden im Plural res
det, jo ijt das in feinem Munde nichts als eine bloße Nedensart,
und man kann ficher jein, daß er Urkunden über Friedrich I. weder
gejucht noch gefehen hat. Denn feine Mlittheilungen über diefen
Kurfürften würden fonjt anders ausgefallen fein. — Berichtigungen
des Breviarium aus einer anderweitigen UWeberlieferung find in dem
Microchron. überhaupt jo jelten, daß ich augenblicklich nur eine ans
zugeben vermag, und die betrifft leider nur eine Geſpenſtergeſchichte.
ch dem Breviarium fah man im Jahre 1559 nicht weit von
Berlin 15 Männer ohne Köpfe Hafer mähen; nad) Hafftiz! aber
trug fi dies Wunder zu „auff dem großen Leude? bey
Bellin an der Fehre“, d. h. bei dem heutigen Fehrbellin in der
Gegend von Rathenow. — Eine überrafchende Sorglofigfeit in den
Zahlenangaben bekundet Hafftiz jogar in Berichten, welche feine eis
gene Perſon mitbetreffen. 1561 erjchienen in Berlin der Biſchof
von Zakynthus Johannes von Farnefe und ein Jeſuit, um den Kurs
fürften Joachim II. zur Beſchickung des 1562 wieder zu eröffnenden
Eoncil8 zu Trident einzuladen. Der Kurfürft nahın die Gelegenheit
wahr und veranjtaltete eine Disputation zwifchen jenen Geiftlichen
und feinen Theologen, von denen er zu diefem Zwede Johannes
Agricola, den Profejjor Abdias Prätorius von der Frankfurter Uni—
verfität und Peter Hafftiz berief. ‘Die Disputation fand am 2. Fer
bruar des genannten Jahres ftatt, wird aber von Hafftiz unter dem
2. Februar 1555 berichtet ?, obgleich) in dem letteren Jahre von einer
derartigen Einladung nicht die Rede fein konnte.
Es erübrigt hiernady noch, auch diejenigen Zuſätze des Hafftiz
zum Breviarium zu charafterifiven, welche er nicht durch bloßes
Dehnen und Deuten feiner Quelle gewann, fondern entweder einer
ı Riedel a. a. DO. ©. 120,
° Peuche oder Luh = Sumpfwieſe.
A. a. O. S. 117. Hafftiz bezeichnete den Iefuiten als einen fpitfin-
digen Kopf, den Biſchof aber mit der Bemerlung: ut pari ipsius dicam,
ald einen indoctus Alberus per omnes gradus comıparationis. Das Wort
pari im obigen Saße hat feinen Sinn; jedoch läßt nur der Abdrud bei Riedel
den hafftiz unklar reden, denn andere Handjchriften de8 Microchron. haben richtig:
ut pace ipsius dicam, fo daß der Sag unſerem „mit Verlaub“ entſpricht.
404
anderen mündlichen oder fhriftlichen Quelle oder feiner perfönlichen
Erfahrung verdanfte. Sie betreffen faſt ausnahmslos Berlin und
das brandenburgijche Fürftenhaus. Cs ijt felbftverftändlich, daß Hafftiz
bei feinem langen Aufenthalte in der märfifchen Hauptitadt Mancherlei
jehen und erfahren mußte, was der Aufzeichnung in einer Chronik
werth war; aber man würde fich der Täuſchung ausfegen, wenn man
in feinem Microchron. Aufſchlüſſe über die Bolitif der brandenburgis
ihen Regenten, ein verjtändnißvolles Urtheil über Stadt und Yand
oder aud nur Aeußerungen einer wie immer gearteten individuellen
Auffaffung der Dinge erwartete. Seine Darftellung erſtreckt ſich wohl
in die Breite, fteigt aber nie in die Tiefe, wo die wirfenden Urſachen
zu fuchen find, jondern faßt nur den äußerlichen Verlauf der Creig-
niffe und Handlungen ins Auge. Sein Microchron. berichtet daher, in
welchen Jahren Braud, Sturm oder fonjtige Unglüdsfälle die Stadt
Berlin, ihre Kirchen und ihr Rathhaus betroffen haben, warn Miß—
wachs und theure Zeiten gewejen, welche fremden Fürjten zu den Hoch—
zeits- und Tauffeſten am Berliner Hofe ſich einfanden, mit welchen
Förmlichkeiten und an welchem Drte die gejtorbenen Mitglieder der
furfürftlihen Familie bejtattet wurden, wie man ſich bei den Zur«
nieren und Volksfeſten in Berlin vergnügte u. dergl. Hafftiz hat
ferner in einzelnen Handjchriften die Geſchichte des Roßtäuſchers Hand
Kohlhaſe aufgezeichnet, welche durch das Dichtertalent Heinrichs von
Kleijt jo populär geworden ift, und die ımartervolle Hinrichtung des
jüdischen Kaufmannes Yippold zu Berlin im Jahre 1573 be
ſchrieben.
Dieſe Zuſätze haben eine gewiſſe Bedeutung für die Geſchichte
Berlins und des brandenburgiſchen Hofes. Sobald aber Hafftiz eine
Schilderung der politiichen Verhältniſſe oder eine Charafterzeichnung
der Yandesfürften unternimmt, giebt ſich auch fofort die Unzulänglich—
feit feiner Ermittelungen über diejelben wie feines Urtheiles fund.
Der erjte größere Abjchnitt, den er felbftändig den Mittheilungen des
Breviarium hinzufügte, betrifft die Thaten und Qugenden des Marl:
grafen Albrecht Achilles!, welcher 1470 feinem Bruder Friedrich I.
in der Regierung deg Kurlandes folgte. Es iſt befannt, daß derjelbe
nach wenigen Jahren die Verwaltung der Mark feinem Sohne Jo—
hann überließ und diefer ſich bald in fchwere Kämpfe mit den bes
nachbarten Fürſten und in einen bedrohlichen Conflict mit den mär—
kiſchen Ständen verwidelt jah. Dieje Verhältniffe darzulegen war
eine dringende Pflicht, wenn auch eine nicht leichte Aufgabe des mär—
fischen Chroniften. Wer jedoch bei Hafftiz Auffchlüffe über jene bes
merfenswerthe Epoche der brandenburgifchen Gejchichte fucht, wird
deſſen Microchron. arg enttäufcht bei Seite legen, denn e8 fchildert nur
die rittermäßigen Qugenden des Markgrafen Albrecht Achilles und
feine Händel mit Nürnberg und den bairijchen Fürften bis um das
Yahr 1460; und Hafftiz geht dann zu den Mittheilungen des Bre-
ı Riedel a. 0. O. S. 69 u. fg.
405
riarium mit ber Wendung zurüd: „Daß ich aber in diefem Theil
nicht möge zu lange verharren, hat Marggraff Albrecht — Churfürft
zu Brandenburg — einen Krieg angefangen mit dem Herzogen in
Pommern“ u. f. w. Ueber die Verhältnijje der Mark Brandenburg
ſchweigt er, indem er nur das Breviarium reden läßt. Glücklicher
Weiſe hat er felbft die Gründe feines feltiamen Verfahrens verrathen,
indem er angiebt, daß für den von ihm gelieferten Abjchnitt über Als
brecht Achilles die Commentare des Aeneas Sylvius feine Quelle
waren, und diefe reichen nur bis zum Jahre 1463. — So wenig
wie über Albrecht, haben ihm über Joachim II., feinen Zeitgenoffen,
deſſen er nicht felten im felbjtändigen Berichten gedenft, befondere märz»
kiſche Quellen zur Benutzung vorgelegen. Dies ergiebt ſich nament=
üih bei der von ihm verfuchten Erörterung der für alle damaligen
Bewohner der Mark wichtigen Frage, warum der protejtantifche Jo—
achim IL. 1546 fi nicht an dem Kampfe feiner Glaubensgenofjen
gegen den Kaijer und die Katholiken betheiligt habe, zumal da der
Landgraf Philipp von Heſſen perjönlic in der Mark erfchien, um
den Kurfürften zu einem Bündniſſe mit Heſſen und Kurfachjen zu
bewegen. Wie wir heute aus v. Rankes Genefis des Preuß. Staa—
tes? entnehmen können, wurde Joachim II. zu einer neutralen Haltung
während des Schmalfaldiihen Krieges vor allem durch fein wenig
freundliches Verhältniß zu dem Kurfürften Johann Friedrich von
Sadjen und durch feine reichsfürftlihe Hochachtung für Karl V. und
das Haus Defterreich bewogen. Dieſe machte ihn bedenklich, überhaupt
die Waffen gegen den deutjchen Kaifer zu erheben; eine Vergrößerung
Kurjachjens aber widerſprach jo jehr dem brandenburgifchen Intereſſe,
daß Joachim II. ohne Zögern die Sache der Religion dem Geſichts—
punkte der Politif unterordnete. Motive anderer Art für das Ver—
halten des Kurfürften hat Hafftiz angegeben?. Nachdem er zunächſt
der Unterredung dejjelben mit Philipp von Heſſen auf der Lochauer
Haide bei Jüterbock gedacht, läßt er jenen das Anerbieten eines Binde
niſſes mit nl und Sachſen mit den Worten ablehnen: „So bitte
et zum fleißigften, man möchte ihn in die Verbündniß nicht fo hart
nötigen und zwingen, denn wenn das Unglück zufchlüge (wie mans ſich
vermuten mußte), daß dies Spiel einen widderwertigen Ausgang hette
und der Keyfer die Leberhandt behielte, jo hetten fie an ihm einen
Friedemacher, welcher den zornigen Siegesfürften zufrieden fprechen,
die Brücke niddertreten, den. überwundenen Gnade erwerben und fie
widder ausfönen könnte“. Es ift ſchwer zu glauben, daß Joachim II.
jo beftimmt die Niederlage der Proteftanten vorhergefehen und bereits
vor dem Beginne des Krieges den Fürften von Sachſen und Heffen
feine guten Dienfte als „Friedemacher“ angeboten habe. Die Worte,
I Er citirt died Werk unter der Bezeichnung: Aeneas Sylvius in sua
Europa, welden Titel die Ausgaben von 1490 und 1699 führen. Auch des
Antonins Sabellins (geft. 1506) gedenft er ©. 71.
ı ], S. 163—165.
2 Riedel a. a. O. S. 106.
XVMI. 27
406
welche Hafftiz ihm in den Mund legt, find ohme Zweifel nach Maf-
gabe der jpäteren Greigniffe und entjprechend der vermittelnden Thä-
tigfeit des Kurfürften frei concipirt, worüber an ſich nicht weiter mit
dem Chronijten zu rechten iſt. Es ergiebt fi) dann aber, worauf es
bier beſonders anfomınt, daß feine Nachrichten über die Verhandlungen
auf der Yochauer er der quellenmäßigen Grundlage entbehren und
für die hiſtoriſche Forſchung allen Werth verlieren.
Unter den fonjtigen von Hafftiz benugten Quellen find noch fol
gende nachweisbar oder vermuthungsweie zu nennen. “Die bekannte
Erzählung, daß der Kurfürjt Johann Cicero vermöge jeiner großen
Rednergabe einjt Frieden zwifchen den zum Kriege gerüfteten Königen
von Ungarn und Polen geitiftet Habe, führt Hafftiz auf eine Mittheis
lung Melanchthons zurück, der diefelbe unter Berufung auf den Kur
fürften Johann Friedrich von Sachſen als feinen Gewährsmann „mit
großer Luft in publica lectione“ vorzutragen pflegte!. — Eine ein
gehendere Daritellung ferner als das Breviarium widmete Hafftiz
der in Berlin 1510 an 38 Juden vollzogenen eg wegen
Entweihung von Hoftien, Chriftenmord und dergl. Die von ihm hier:
bei benugte Quelle ift ohne Zweifel eine unter dem Titel „Hijtoria
von der Jüden erfhredlidher Uebelthat“ erfchienene Schrift,
welche auch Angelus nicht bloß feinen Mittheilungen zu Grunde legte,
jondern 1598 in feinem Annalenwerfe ſogar volljtändig abdruden
ließ?. Auch die Volfspoefie hatte ſich des Gegenftandes bemächtigt,
denn Angelus berichtet: „Es hat aud damals einer ımit Namen
Jacob Winter ein Pied von diefer Gefchichte gemacht und zum Drud
verfertigt, welches ich, weil mans nicht viel mehr findet, dem günfte
gen Leſer zu gute auch hierher feten will“. — Aus einer befonderen
Schriftquelle endlich muß die von Hafftiz mitgetheilte, an fich nicht
jagende Erzählung von einem böfen Geifte entnommen fein, der dem
Mainzer Erzbifchof Albrecht, dem Zeitgenofjen Luthers, in Geftalt
einer Kate gedient haben follt. In diefem Abjchnitte kommen näm⸗
lich Wortformen einer älteren Sprachbildung vor, deren ſich Haffti
in feinem Microchron. jonft nicht bediente, wie: do für da, hefft für
hatte, Ruge für Ruhe, fumpt für fommt, Gefhwurm für
Schwarm, furdern für fordern und andere. Die Erzählung ſcheint
aus einem Buche abgejchrieben zu fein, welches die Wirffamteit des
Kurfürften Albrecht ſchilderte und wahrſcheinlich zu Luthers Zeiten
erjchienen ift. Bei der Hinübernahme derjelben in fein Microchron.
übte Hafftiz die ihm eigene Fertigkeit des Abſchreibens in der Weile,
daß er ſich nicht einmal Mühe gab, die Archaismen feiner Duelle zu
bejeitigen und in feinem Werke eine Gleichheit der Diction herzus
ftellen. Im Uebrigen bemerkte ſchon Riedeld, dag die obige Etzäh—
ı Riedel a. a. O. ©. 75.
2 ©. 269-277.
® Ann. ©. 277.
* Riedel a. a. O. ©, 107.
5 Ebend. &. 108,
407
fung in fehr vielen Handjchriften fehle, was durchaus richtig ift; fie
fehlt aus leicht erflärlichen Gründen in den für den Berliner Hofe
freiß beftinmten Exemplaren, unter anderen auch in denjenigen, welches
Hafftiz dem Kurfürften Joachim Friedrih 1598 widmete. Dagegen
hielt e8 Hafftiz für umverfänglich, dem Rathe von Templin, dem die
von Riedel abgedrudte Handjchrift gewidmet war, zu erzählen, daß
ein Mitglied des Hohenzollernfchen Haufes mit böjen Geiftern in Ver—
bindung gejtanden habe.
Ziehen wir nun das Reſultat diefer Erörterungen, fo ergiebt
fih, daß da8 Microchron. im Wejentlihen aus der Märfifchen Chro—
nie des Engelbert Wujterwig und dem Breviarium des Angelus be=
fteht und erjt vom Jahre 1593 ab eine jelbjtändige Arbeit des Hafftiz
durch die Zugabe von einzelnen Notizen wird, welche in dem knappen
und farblojen Tone des Breviarium fortgeführt find. Hinfichtlich
der Jahre 1426 bis 1592 Hat Hafftiz ein fremdes literariiches Ei—
genthum im folder Weije für feine Zwecke verwendet, daß jein Ver—
fahren ein Plagiat im vollen Sinne des Wortes genannt werden
darf. Wie wenig er im Ganzen auch jelbitändig für das Mi-
erochron. gethan hat, jo hat er doch beitimmt und dreift ſich felber
das Verdienſt der hiltoriichen Forſchung für jenes Werk zugeichrieben,
denn in der Vorrede zu einer dem Brandenburgiichen Prinzen Chri—
tan Wilhelm gewidmeten Handjchrift? führt er aus, daß, wie fein
feliger Vater, der in Berlin geboren und erzogen fei, in der Marf
viel gefehen und verzeichnet habe, jo habe auch er jelbjt darin 50
Yahre hindurch „viel objervirt“ und von feinen Discipeln, die in
Kurfürftlichen Aemtern oder als Präceptoren bei dem Adel oder als
Schreiber in den Städten und Fleden jett fungirten, „allerhand
glaub- und denfwürdige Nachrichten“ eingezogen. Die Empfänger
feiner Handſchriften fonnten aljo feiner anderen Meinung fein, als
dag fie ein von Hafftiz ſelbſt verfaßtes Werk in die Hände befämen,
und fie werden dem entjprechend ihren Dank und ihre Belohnung be=
meſſen haben. Hafftiz erndtete alfo ein, was einem Anderen zu em—
pfangen gebührte. Sein Verfahren erjcheint um jo miderwärtiger, je
mehr er ſich mit feiner Schrift an die höchiten Perfonen des Yandes,
den Kurfürften und die Mitglieder der kurfürftlihen Familie heran—
drängte und in langen falbungsvollen Vorreden von dem religiöfen
und moralifchen Werthe geſchichtlicher Studien handelte.
Sobald man die Art der Entjtehung des Microchron. erwägt,
wird man auch manche diefer Schrift anhaftende Eigenheiten begreiflic)
finden. Zu diefen gehört vor allem die nur handſchriftliche Verviel=
fältigung und Verbreitung, die das Werk erfahren hat. Früher nahm
man an, daß Hafftiz perfönlic arın gewejen ſei und die Koften einer
Bublication feines Microchron. durch den Drud nicht Habe beitreiten
können, ferner daß es ihm nicht gelungen ſei, einen Verleger zu fin—
den. Indeſſen ift e8 eine auffallende Erſcheinung, daß Hafftiz in
ı Handſchr. der König. Bibl. zu Berlin Fol, Nr. 24.
27°
408
feiner jeiner vielfach modificirten Vorreden über die Ungunft feiner
Berhältuiffe und den Mangel eines Verlegers Klage führt, was ihm
doch nahe genug lag, wenn er wirklich die Abficht gehabt hätte, fein
Werk durd den Drud befannt zu machen. Und follte jich denn unter
allen feinen Gönnern nicht einer gefunden haben, der die Koften bes
Drudes zu übernehmen fich bereit erflärt hätte, wenn er darum ges
beten worden wäre? — Ich vermuthe daher, daß Hafftiz von vorn
herein gar nicht den Plan gehabt habe, fein Microchron. druden zu
laffen, da fonft die von ihm begangene Täufchung ohne Zweifel bald
entdeckt worden wäre. Als Handichrift vertrieben und im die fürfte
lihen und ftädtiihen Ardive aufgenommen, entzog fi) dagegen das
Werk leicht der öffentlichen Controle; und diefem Umſtande dürfte es
auch zuzufchreiben fein, daß Angelus in der Vorrede zu feinen Ans
nalen 1598 nicht von dem echte der öffentlichen Anklage gegen
Hafftiz wegen Verwendung feines Breviarium Gebraud machte.
Eine andere Abjonderlichkeit der Schrift des Hafftiz liegt in ih—
rem ungewöhnlichen Titel Mierochronologicon oder auch Mierochro-
nicon, wie ihn einige Handjchriften führen, ohme ſich wejentlid von
anderen zu unterfcheiden, die den erfteren an der Spige tragen. Die
Titelnamen indeß verlieren fofort den Charakter des Ungewöhnlicen,
jobald man berüdjichtigt, daß das Breviarium Hafftiz’ Hauptquelle
war und dejjen Name von ihm durch eine Gräcifirung verjtedt
wurde, Die Unfelbjtändigfeit und Entlehnung der Bezeichnung Mi-
erochron. ergiebt fi) auch daraus, daß fie ebenſo unpaffend für Hafftij
Chronik, wie der Name Breviarium zwedentiprechend für das Bud
de8 Angelus gewählt worden it. Das legtere jtellt nämlich in allen
feinen Theilen einen furzen Auszug aus dem großen Annalenwerte
bejjelben Autors dar und giebt auszugsweife auch die in diefes Werk
aufgenommenen Abjchnitte der Märkiſchen Chronif von E. Wufterwit
wieder; das Microchron. dagegen ijt nicht ein Auszug aus einer ume
fafjenderen Schrift deijelben Verfaſſers und giebt jogar jene Märkiſche
Chronik in einer viel vollftändigeren Weife wieder als Angelus Ans
nalen. Gerade die auf Grund jener Quelle niedergejchriebene jehr
detaillirte Darjtellung der Märkischen Geſchichte um die Wende des
14. Jahrhunderts, die einen jehr erheblichen Theil des ganzen Mi-
erochron. bildet, macht es unwahrſcheinlich, daß Hafftiz aus fich felbit
und ohne Nüdfiht auf das Breviarium feiner Schrift den Titel
eined kurzen Zeitbuches gegeben habe.
Das Microchron., dejjen Verfaſſer fich als ein fchwacher Kopf
und bedenklicher Charakter enthüllt, muß demnach al8 eine unerfren-
lihe Erſcheinung im der älteren Hiftorifchen Literatur der Marl
Brandenburg bezeichnet werden. Den Werth einer für die märkiſche
Geſchichte bedeutfamen Quelle, den Riedel dem Werke durch Aufnahme
in den Codex diplom. Brandenb. zuerfannte, können nur noch jene
Abfchnitte für fih in Anfpruch nehmen, in denen entweder der ältere
Chroniſt Wufterwig oder Hafftiz felber redet.
Meber die im Schloß Spiez wiedergefundenen Schriften
des weimarifchen General Majord nnd franzöfiihen Ge:
neral-Leutenants Johann Ludwig von Crlad von Caſtelen,
Gonvernenrs der Feſtung Breyſach.
Bon Auguft v. Gonzenbad).
Der General Yohann Ludwig von Erlach von Gaftelen ftarb
am 26. Januar 1650 in Breiſach.
Seine Frau, auch eine geborene von Erlach, zog mit ihren drei
Töchtern Satharina Sufanna, Maria und Johanna Loyſa nach Schloß
Gajtelen, das fie ihrem Manne zugebracht hatte. Die Leiche des
Generals wurde feinem Wunfche gemäß in der Kirche zu Schinznach,
ber Piarrfirde von Caſtelen beigefett, wo ihm die Wittwe ein jchö-
nes Denkmal errichten lieh.
Bei diefem Anlaß find auch die vom General hinterlaffenen
Schriften nad) Gaftelen gebracht worden; zweifelsohne in guter Ord—
nung — da in des Generalgouverneurs Kanzlei eine mujterhafte Ord—
nung geherricht hat. — Die Wittwe folgte fünf Jahre fpäter 1655
ihrem jeligen Marne im Tode nad).
Schloß Caſtelen fam in Folge deffen in den Befit der drei
Töchter, von welchen beim Tode der Mutter noch feine verheirathet war.
Daß diefe fih um die Hinterlaffenen Schriften de8 Generals
nicht fonderlich befümmerten, iſt ſelbſtverſtändlich — daher, wie Röſe
erwähnt, einzelne Urkunden zerrilfen und von Mäufen benagt wor=
den fein mögen !.
Daß der General aber diefelben in beiter Ordnung hinterlafjen
habe, dieſes bezeugt der Herausgeber der Me&moires historiques con-
cernant le General d’Erlach, Gouverneur de Brisach etc.
Herr Albreht von Erlach von Spieß, und daß diefelben heute noch
jehr gut erhalten find, davon kann ſich jeder überzeugen, der diejelben
befichtiget.
Da alle drei Töchter des Generals fi) außer Yandes verheira-
teten, fo ftand feit dem Jahr 1659 das Schloß Gajtelen mit feinen
literariſchen Schägen von feinen Eigenthlimern verlajfen da.
ı Siehe Röfe, Herzog Bernhard der Große Bd. IL, Vorwort ©. IV,
410
AZuerft hatte fi) im Jahr 1656 Maria verheirathet mit bem
ſchwediſchen Oberſten Arel von Zaupadel aus dem Heſſiſchen —
dem Sohn des Generalleutenants und Kriegsgefährten ihres Vaters
Georg Ehriftoph von Taupadel.
Im Jahre 1659 verheirathete ſich Catharina Sufanna mit
dem Freiherrn Johann Cafpar von Döringenberg zum Hirzberg eben-
falls im Heifiihen, und im gleichen Jahre noch Yohanna Loyſa an
den Freiherrn Yohann Friedrih von und zum Stein, hurpfälziichen
Rammerherrn.
Die Freifrau von Döringenberg hatte zwei Kinder, einen Sohn
Wilhelm Ludwig, Herrn zu Wildenftein und Hirzberg, und eine Tochter
Charlotte Sophie, welche den Herrn Georg von Riedeſel, Freiherrn
zu Eiſenach und Hermannsburg, ehlichte.
Diefe beiden Kinder ihrer verjtorbenen Schwefter Catharina Su:
fanna, Freiin von Döringenberg, fette die Frau von Stein mitteljt
Teftaments vom 20. Aug. 1701 zu %/s und !/s als ihre Erben ein,
fid) bei diefem Anlaß zum legten Mal ale Frau von Gajtelen und
Auenftein unterfchreibend.
Dreißig Jahre fpäter, am 11. Yan. 1732, hat die Regierung
von Bern Schloß und Herrſchaft Gaftelen von Johann Ludwig Ried:
ejel, Freiherrn zu Eifenah und Hermannsburg, Königlich ſchwediſchem
und hochfürſtlich Heſſen-Caſſelſchem geheimen Kriegsrath, im Namen
der übrigen Erben handelnd — für die Summe von 90000 Thaler
oder 21600 Louisdor und 400 Louisdor Trinkgeld angefauft und
einen Amtsfig daraus gemacht.
Bei diefem Anlaß wurden die mehrerwähnten hinterlaffenen
Schriften de8 General® Johann Ludwig von Erlady von Gaftelen
durch den damals regierenden Schultheigen Hieronimus von Erlad)
von Hindelback behändiget.
Durch deſſen Sohn aber, den Schultheißen Albrecht Friederid)
Herrn zu Hindelbaef-Fägiftorf-Mattjtetten-Urtenen u. f. w. find die:
jelben dem Herrn Albrecht von Erlach Freiherrn von Spieß ausge:
händigt worden, welcer aus diefen Schriften, während er Gajtellan
zu Frutigen war, im Jahre 1767 dasjenige Memoire in der „Tel—⸗
lenburg“ zufammenftellte, deſſen auch Röſe erwähnt, und das er zus
nächft für feinen Sohn bejtimmt Hatte, dann aber aud) für die Def
fentlichkeit, wenn es eine andere Geftalt erhalten haben würde?.
= Siehe deutſches Spruchbuch ©. ©. ©. S. 667 im bernifchen Staatd-
archiv.
» Siehe Röſe Band II, Vorwort S. IV. Dieſe Schrift führt den Titel
M&moires pour servir à l’histoire de la vie du General d’Erlach et
de l’armee Weymarienne sous les Rois de France *Louis XII. et
Louis XIV. Das Original ift hier bei dem handſchriftlichen Nachlaß des
General® Johann Ludwig von Erlach. Eine Abichrift davon ift im dem 2Oger
Jahren dieles Jahrhunderts dem Großherzog Carl Auguft von Sadjien-Weimar
mitgetheilt worden, und eine andere fehr fchöne Abſchrift davon befigt gegen
wärtig Herr Alt-Großrath Fritz Bürki in Bern.
411
Diefer gleiche Herr Albrecht von Erlach ordnete fodann die ihm
übergebenen Schriften und ließ diefelben in 104 Folio- Bänden, nad)
Materien geordnet, binden.
Später im Jahre 1784 hat derfelbe Herr Albrecht von Erlad)
von Spieß die urjprünglic nur für feinen Sohn ? beftimmte Zuſam—
menftellung des Lebens des Generals Johann Ludwig von Erlach von
Gaftelen für den Drud uıngearbeitet und in Iverdun in 4 Bänden
herausgegeben.
Das Werk führte nun den Titel: Me&moires historiques con-
cernant le General d’Erlach, Gouverneur de Brisach Pays et
Places en dependantes Pour servir etc. à l’histoire de la fa-
meuse guerre de 30 ans et des regnes de Louis XIII. et
Louis XIV., und wurde vom Berfaffer, der im gleichen Jahre 1784
ftarb, dem Großherzog Carl Auguft von Sachſen Weimar gewidmet ®,
Seit 1784 fcheinen diefe Originalaften, auf welche die vorer-
wähnten Me&moires historiques ſich jtüßen, im Schloß Spiet
gelegen zu haben, ohne daß diefelben je wieder jchriftitelleriich ver—
wendet worden wären *.
Aus dem Vorwort Röfes zum zweiten Band feines Herzog Bern-
hard des Großen muß jedoch geichlojfen werden, daß im Yaufe der
jwanziger Fahre diefes Jahrhunderts dein Großherzog Carl Auguft
von Sachſen Weimar ein Theil diefer Akten abſchriftlich mitgetheilt
worden iſt.
Röfe, deſſen Buch im Jahre 1829 erichienen iſt, fagt näm—
[ih auf Seite IV des Vorworts zum zweiten Band: „es bleibe un—
beitimmt, wie viel von den in dem Erlachiſchen Familienarchive in der
Schweiz aufbewahrten Nachrichten auf Verlangen des verjtorbenen
Großherzogs (Carl Auguft) dem großherzoglichen Geheimen Hof» und
— vor einigen Jahren in Abſchrift überliefert wor—
ei“.
Im Jahre 1829 wußte man demnach noch, daß die hinterlaſſe—
nen Schriften des Generals Johann Ludwig von Erlach von Caſtelen
im von Erlachiſchen Familien-Archiv (zu Spieß) aufbewahrt ſeien.
Später fcheint ſich diefe Tradition gänzlich verloren zu haben.
So führt Herr Wilhelm Feticherin-Lichtenhahn, welcher im Jahre
1861 eine Biographie des Generald Johann Ludwig von Erlach von
* &iehe Mémoires historiques, concernant le Général d’Erlach
Iverdun 1784. Preface ©. IX.
’ Diefer Sohn ift der fpätere Landvogt in Laufanne Gabriel Albrecht von
Erfah, ein fehr verdienter bernifcher Staatsmann.
° Siehe die Dedication à Son Altesse Serenissime Monseigneur
Charles Auguste.Duc r&gnant de Saxe Weymar.
* May de Romainmotieu, Hist. milit. Suisse, Lausanne 1788, der dem
Marſchall von Erlach einen längeren Artikel widmet, bemerkt nur, daß ihm der
Driginalvertrag der Weimarifhen Armee vom 20. Sept. 1639 gezeigt worden
fei, die Hinterlaffenen Schriften aber hat er nicht benugt.
412
Gaftelen im Berner Tafchenbuch veröffentlicht Hat, unter den Quellen
in erjter Linie die eben erwähnten Memoires historiques von 1784
an und bemerkt dabei, das Werf enthalte in 4 Bänden einen Auszug
aus den handichriftlihen Memoiren und der Aktenſammlung des Ge:
neral®, welde nach den Göttinger gelehrten Anzeigen des Yahres
1785 aus 104 Bänden beitanden haben foll!.
Daß aber diefe 104 Bände Original» Akten noch im Archiv zu
Spieg eriftiren, fcheint er fo wenig als andere bernifche Hiftorifer
geahnt zu haben.
Erſt als im Jahre 1875 (am 15. und 16. Sept.) im Schloß
Spiet die dortige Bibliothek zur öffentlichen gerichtlichen Verſteige—
rung gebradht wurde, kamen die hinterlajjenen Schriften des Generals
Johann Ludwig von Erlad wieder zum Vorſchein, und zwar fcheint
dje Steigerungsbehörde feine Ahnung von dem literarischen Werth
biefer Schriften gehabt und überhaupt nicht gewußt zu haben, woher
die „alten Schriften“, unter welcher generellen Bezeichnung die 104
Solianten ausgerufen wurden, ftammten.
Daß am erften Steigerungstag am 15. Sept. 1875 näm—
lih, aud) das fteigernde Publicum, in dejfen Mitte fich doch Gelehrte
befanden, nicht wußte, um was es fich eigentlich handle — ſcheint aus
dein Umftand hervorzugehen — daß nicht weniger al8 12 Folio-Bände
diefer Sammlung, welche in ihrer Gejammtheit entweder von ber
Familie von Erlad) oder von der Stadt» Bibliothef von Bern gleid>
fam um jeden Preis hätte erfauft werden follen, an franzöfiidhe
Bücherliebhaber, deutſche und fchmeizerifche Buchhändler und Antiquare
verfauft worden waren, nebit einem Band Original-Correjpondenzen
des Marſchalls Turenne in Quart gebunden. Durd den Ber
fauf der Briefe QTurennes iſt man in Bern erft darauf aufmerkſam
geworden, daß die „hinterlafjenen Schriften“ de8 Generals Yohann
Ludwig von Erlach von Gaftelen in Spieß verfteigert wurden; denn
unter diefen nur konnten fi) jene Original= Correfpondenzen Zur
renne® befinden. Glüclicherweife ift e8 denn auch dem Verfaſſer
diefes Aufſatzes gelungen, am 16. Sept. 1875 die noch übrigen 90
Bände der „hinterlafjenen Schriften“ für ein Mitglied der Familie
von Erlad) zu erfteigern. Seither find von den mehrfach erwähnten
104 Folio-Bänden durh Rückkäufe 100 Bände in Bern wieder ver-
einigt worden.
Bon den 4 nocd fehlenden Bänden hat ein einziger hiſtoriſche
ı Siehe Berner Taſchenbuch auf das Jahr 1861, Borwort ©. 2. Doch
ift dabei zu bemerken, daß der General Johann Ludwig feinerlei „handfchriftliche
Memoiren“ hHinterlaffen bat. Er mar bis zu feinem Tode viel zu be
ſchäftigt, um auch nur Zeit zu finden, Notizen über feine Erlebniffe niederzu⸗
reiben.
” 2 Siehe Nr. 283 umd 290 des in Bern erfcheinenden Zeitungsblattee
„Bund“ dd. 14. und 21. Oct. 1875, wo erwähnt wird, daß je 30 Bände
vereinigt für 10 Fr. gewerthet und jo ansgerufen worden find.
413
Bedeutung. Derfelbe ift betitelt: Lettres du General du Hallier
et du Duc de Longueville!,
Zu beffagen bleibt indejjen immerhin der Verluſt des Quart-
Bandes der Original-Correfpondenz des Marſchalls Turenne, der nicht
mehr zurüdgelauft werden fonnte?., —
Was nun ben Hiftorifhen Werth der aus dem allgemeinen
Schiffbruch geretteten hundert Bände betrifft, jo iſt derfelbe fehr ver-
fchieden, indem fi) darunter eine Menge Correfpondenzen abminiftra-
tiven oder finanziellen Inhalts befinden, wie 3.3. die Correfpondenzen
mit den unter dem Befehl des General» Gouverneurs von Breyſach
ftehenden Commandanten anderer Feltungen und Plätze, wie Hohen—
twiel, Lauffenburg, Rheinfelden, Freiburg, Stollhofen u. ſ. w.
Aber auch die Frage ift ſchwer zu enticheiden, ob denjenigen
Bänden, welche wirflich hiftorifhen Werth Haben, viel Neues werde
entnommen werden fünnen, und zwar aus dem Grunde, weil hier-
feit8 nicht befannt ift, welche und wie viele der vorhandenen Docu=
mente feiner Zeit abſchriftlich nach Weimar mitgetheilt und von Höfe
bereit8 benußgt worden find.
; Daß fehr viele diefer Aktenſtücke abfchriftlih im Weimarifchen ge—
heimen Hof» und Staats» Archiv liegen, ift aus der Angabe Röſes
erſichtlich, welcher bezeugt, daß daſelbſt in ſechs Abfchnitten fünf
ftarfe Folianten folher Abichriften vorhanden feien. Ohne Zweifel
find zunächſt wohl alle diejenigen Briefe und Gorrefpondenzen ab»
ſchriftlich nach Weimar mitgeteilt worden, welde vom Jahr 1635
bis zum Tode Herzog Bernhards den °/ıs. Juli 1639 direct an
diefen gerichtet worden find,
Diefe Correfpondenzen füllen aber in der Hiefign Sammlung
allein ſchon 3 Folianten, überjchrieben :
Band I Lettres & SA. le Duc Bernard de Saxe- Weimar
1635--1637.
Bad I „ „ » » ” „9 )
— II „ „ „ „ „ »» „
Daß dieſe Correſpondenzen im Jahr 1642 dem Kammerjunker
Heinrich Philibert von Kroſigk nicht ſammt der übrigen, laut Röſe
im Archiv zu Gotha liegenden Canzlei Herzog Bernhards und den
ı Die drei andern Folio⸗Bände, welche fehlen, find:
1) Ein Band betitelt Lettres de Mr. d. Mollondin. Biefer war Se—
eretär und Dolmeticher bei der franzöfiichen Ambaßade in Solothurn und heißt
Jaques d’Estavayer Seigneur de Mollondin, Häufig nur Molendanus
enannt,
: 2) Ein Band Revue du Regiment d’Erlach betitelt. Diefe beiden Bände
befinden ſich im Beſitz des Hrn. Gaiffe, Befiters des Schloſſes Oron.
3) Ein Band Eorrefpondenz der Frau von Erlach, gebornen von Mülinen, -
der Mutter des Generals, im Beſitz des Herren Fürſprech Mofer in Biel.
2 Auch diefer befindet fich im Beſitz des Herren Gaiffe.
° Siehe Röfe Bd. I, Borwort S. IV.
414
ihn gehörigen Mobilien übergeben worden find, ift ebenfo aufs
fallend, als daß die drei Brüder Bernhards, die Herzöge Wilheln,
Albrecht und Ernft, wie Röſe bezeugt!, in den weitläufigen und noch
vorhandenen Verhandlungen mit dem General-Major von Erlach jo
wohl als mit der franzöfifchen Regierung wegen ihres Bruders Ver
lafjenschaft diefe Correſpondenzen nie erwähnt haben.
Ein vierter Band, der feinem Hauptinhalte nad) wahriceinlic
ebenfalls nach Weimar mitgetheilt worden ift, führt den Titel: Lettres
entre Son Altesse le Duc Bernard et Mr. d’Erlach Siege de
Brisach
In diefem Band find indefjen mehrere eigenhändige Schreiben
und Fuftructionen Herzog Bernhards enthalten, die nicht für die
Memoires historiques benutt worden find und die weder Röſe noch
Molitor zu kennen feinen, wie 3. B. die Inſtruction für den Ges
neral-Major, ganz von der Hand Herzog Bernhards gefchrieben , bei
Anlaß der Ernennung von Erlachs zu diefer Stelle, fowie die In—
ftructionen, welche Herzog Bernhard in Pontarlier furze Zeit vor
feinem Tode und nad den Beiprehungen mit Guebriant für den
Abſchluß eines neuen Vertrages mit Franfreich entworfen hat.
Ein fünfter Band, der zuverläffig in Abichrift nad Weimar mit-
getheilt worden ift, führt den Titel: Tractaten mit Frankreich und
Schweden vor und nah dem Tode Herzog Bernhards; derjelbe ent
hält die von Herzog Bernhard am !P/gs. April 1635 und am 27.
October 1635 mit Frankreich abgeichloffenen Tractate im Original.
Diefer Band enthält namentlich auch die Verhandlungen, die
bei Anlaß der Erneuerung der Verträge der weimarifchen Armee mit
Frankreich ftattgefunden haben, ſowie da8 Original der beiden am
er endlich abgeichloffenen Verträge, mit den Original =» Unter:
fhhriften von drei Directoren (Reinhold Rofen war damals in Boll:
weiler) und von ſechs Oberjten veriehen.
Auch die damals mit der Krone Schweden, mit dem Reichs—
fanzler Oxenſtirn und dem Feld» Marichall Banner gewechſelten
Schreiben find in diefem Bande enthalten ?.
ı Siehe Röſe Bd. II, Vorwort S.IX. Röſe irrt, wenn er auf S. VII
des Vorworts die Bermuthung ausfpricht, diefe Schriften feien erft bei Abho-
lung der Leiche des Herzogs Bernhard am 12. Sept. 1655 von Breiſach nad
Weimar gebradjt worden. Im Jahre 1642 haben die drei Brüder Milbelm,
Albreht und Ernft von Sachſen dem General-Major für alle dem Kammerjunter
von Krofigk übergebenen Mobilien und Schriften quittirt. Einzig das Silberge-
ſchirr und ein paar ganz genau befchriebene Juwelen follten als Pfand für
die ihm fchuldige Penfion von 20,000 Reichsthalern in der Hand des General:
Majors verbleiben, welcher deren Auslöfung wiederholt den Herzogen angeboten
bat, dabei bemerkend, „dieſelben feien zu niedrig geichätst, er aber fei nicht reich
genug, diefelben zu behalten“. Die bezügliche Note Röfes zum Teſtament Her-
309 Bernhards Bd. II, S. 555 und 556 bedarf daher mehrfacher Berichtigung.
2Daß diefe letztern abjchriftlich nad Weimar mitgetheilt worden find, er-
giebt fi, aus Note 1 und 2 zu ©. 64 von Dr. Molitors Berrath von Brei-
ſach, aus NR. 2 zu ©. 62, N. 2 zu ©. 68, 0.2 zu ©. 64 u ſ. w.
415
Außer diefen fünf Bänden, von welchen angenommen werben
darf, daß diefelben durch die in Weimar liegenden Abfchriften und
deren Verarbeitung durch Röfe und Molitor ihrem Hauptinhalte nad)
bereit8 befannt find, gewähren noch 17 andere Bände hiftorifches
Intereſſe. Vieles daraus ift zwar in den Memoires historiques
bereit8 verwendet worden, Manches aber auch bisher unbeachtet ge=
blieben. Bon diefen 17 Bänden find:
5 Bände betitelt: Lettres de toutes Parts, und enthalten die mwichtiaften
Eorreipondenzen des Generald von Erlach vom 1. Jan. 1639 bis zum Schluß
des Jahres 1648. Weniger wichtig aber doch manches Intereffante enthal-
tend find:
3 Bände betitelt: Schriften von 1630 bis 1639 und Schreiben von 1645
bis 1648. ‚
Bon großem biftorifchen Werth dagegen ift:
1 Band betitel: Lettres du Roi de la Reine et de la Cour.
Die wihtigften Briefe dieſes Bandes find indefjen bereits in den M&moi-
res historiques abgedrudt worben. — Sehr wichtig ift auch
1 Band betitelt: „Weimar“, die Eorrefpondenz Herzog Bernhards und
des General:Majors von Erlach mit den Herzogen Wilhelm, Albreht und Eruſt
von Sachſen-Weimar-Gotha enthaltend.
Wichtig für die Kriegsgeichichte find ferner:
2 Bände beiitelt: Schreiben von und zu der Armee.
1 Band betitelt: Schreiben vom und zum Feind.
1 Band betitelt: Generals» Berfonen, allerhand Obrifter und DOfficieres
Schreiben.
3 Bände — überichrieben, Gefangene Offiziere. I. Bd. Baßompierre und
Sperreuter. II. Bd. Feldmarſchall Horn und Feldmarſchall-Leutenant Jean
de Werth. III. Bd. Schaffelizti.
Hieraus ergiebt fi, dag von der ganzen Sammlung 104 Bände
beiläufig der vierte Theil, nämlich 22 Bände, mehr oder weniger hi-
ftorifches Intereſſe darbietet; wozu indeſſen noch ein Duartband kommt,
Driginal » Correfpondenz der Marichälle Turenne, de L'hopital und
d’Harcourt mit dem General von Erlach von 1643—1649 enthaltend.
1 Band interceptirter Briefe enthält das Euriofum einer eigenhändigen
Unterfchrift Jean de Werbts.
Unter dem militärifchen Correſpondenzen befinden ſich auch:
3 Bände betitelt: Papiers de la Chancellerie du Général Bek trou-
ves & la Bataille de Lens 20. Aug. 1648.
1 Band betitelt: Lettres de Mons. le Baron d’Oisonville famt dem
Lothringiſchen Einfall in das untere Elſaß.
1 Band betitelt: Lettres lorsque Mons. d’Erlach comandait l’Armde
du Roi 1649.
Diefer letztere enthält manches Intereffante,
Siebenzehn weitere Bände find mehr politifhen Inhalte.
416
Die Titel berfelben find folgenbe :
1 Band Lettres de Messieurs les Plönipotentiaires de Münster et
d’Osnabrük.
Da der General von Erlach zum erften Bevollmädtigten Frankreichs bei
der Bollziehungscommiffton für den mweftphälifchen Frieden ernannt worden war,
die fi In Nürnberg verfammelte, ohne daf er fich indeffen je dorthin begeben
fonnte, fo theilten feine Eollegen ihm ben Verlauf der Verhandlungen ſchrift⸗
lich mit,
2 Bände Lettres des Ambassadeurs du Roi à Soleure, Caumartin,
de la Borde de l'Isle, von 1640 an.
3 Bände Eorrefpondenzen mit den Kantonen Züri, Bern, Baſel, Schaff-
haufen, Solothurn, mit den zugewandten Graubündten und Mühlhaufen und
mit den Bilhöfen von Chur und Conſtanz von 1641—1647.
3 Bände betitelt: Fürften und Grafen Würtemberg, Baden, Eberftein,
Sulz, Fürftenberg von 1639 - 1650.
2 Bände betitelt: Vergleich mit dem Markgraf zu Baden und Markgräflid
Badiſche und Herzoglid) Würtenbergiſche Schreiben von 1639— 1642.
3 Bände betitelt: Reichsſtädte Straßburg, Colmar, Schlettftadt u. |. w.
2 Bände betitelt: Bisthum Bafel von 1642 —1650.
1 Band betitelt: Geiftliches und geiftliher Perfonen Schreiben.
Acht Bände enthalten hauptfählich Eorrefpondenzen über finanzielle Ange
Tegenheiten, nämlich:
1 Band betitelt: Eorrefpondenz mit Hrn. von Rehlingen 1639 — 1642.
1 Band Lettres de Messieurs Herwart, Banguiers in Lyon.
2 Bände Sollicitations en Cour von 1639 bis 1649.
1 Band Herrn Zieglers Schreiben von Schaffhaufen und Lyon 1646-41.
1 Band Comptes avec Mr. d'Oisonville.
2 Bände betitelt: Komiffarius ER.
35 Bände find hauptſächlich adminiftrativen Inhalte. Sie enthalten die
Eorrefpondenz mit den Kommandanten der Feftungen und Plätze, die unter dem
Befehl des General» Gouverneurs von Breyſach ftanden oder fonft nahe Bezie
hungen zu demjelben hatten, Davon betreffen:
5 Bände die Feftung Hohentwiel.
2 Bände Lauffenburg, Selingen und Waldshut.
2 Bünde Rheinfelden.
2 Bände Freiburg und Offenburg.
3 Bände Breyſach, Decreta, Juftiz und Kammerſachen, Bergwerle.
1 Band Kirchhofen, Kenzingen, Endingen.
1 Band Mahlberg, Gengenbadh, Zell 1639 und 1640,
4 Bände Dadıjftein und Molzbeim 1639 —1649,
5 Bände Stollhofen von 1645— 1649.
1 Band Altkirch und Plünderung von Kinzheim.
2 Bände Neuenburg und Enfisheim 1639 —1649.
4 Bände Tann, Enfisheim, Mürbach, Wildenftein, Gebweiler 1640 —1649.
417
2 Bände Toul und Mümpelgard, Belfort 1641— 1648,
1 Band Benfeld 1638—1645.
Bon wenig Bedeutung find folgende vier Bände, theild militärifhen und
abminiftrativen, theils politiſchen Inhalte.
1 Band betitelt: die Einguartierung der Negimenter von der Armee 1647,
1 Band Schreiben der Offiziere von des Generals v. Erlach Regiment zu
Pferd 1650.
1 Band betitelt: Artillerie, Schanz: und Proviant-Sadıen.
1 Baud Lettres de Mr. d’Etoy à Mr. d’Erlach Ambassadeur de la
Seigneurie de Berne 1628.
Sieben Bände endlich find überfchrieben: Privatfahen und berühren Red)
numgs-Berhältniffe und Familien-Angelegenheiten von 1626—1656.
Dahin ift auch zu zählen: Ä
1 Band betitelt: Copies et Minutes de Demarchais et Laroche.
Es waren dies die franzöfifhen Privat-Sekretäre des Generald von Erlad).
Dies find die Titel der geretteten 100 Bände von den hinter—
laffenen Schriften des Generals Johann Ludwig von Erlach von
Gajtelen.
Wir wünfchen ſehnlich, daß dieje reiche Sammlung von Ori«
ginal-Eprrefpondenzen von den deutjchen Geichichtichreibern, die über
die Zeit des dreißigjährigen Krieges jchreiben, gewiſſenhaft benutzt
werden möge. — Schiller, Röſe, Barthold, Wolfgang Menzel u. ſ. w.
würden den General- Major von Erlady viel günjtiger beurtheilen,
wenn feine hinterlaffenen Schriften ihnen zur Verfügung geftanden
wären, und Dr. Molitor Hätte in diefem Fall feine Brochüre wohl
kaum gefchrieben.
Ueber die Auswechelung
des ſchwediſchen Feld-Marſchalls Guftav Horn
gegen den kaiſerlichen und churbaieriſchen
Feldmarſchall⸗Leutenant Jean de Werth.
Von
Aug. v. Gonzenbach.
XVIIL 23
Kurze Zeit nad Abführung des im zweiten Treffen vor Rhein—
felden am = * 1638 in Kriegsgefangenſchaft gerathenen Jean de
Werth nach Frankreich! hatte Herzog Bernhard den franzöſiſchen
gl darüber jondiren lajlen, ob man geneigt wäre, die Mheinfelder
efangenen (Jean de Werth und Enfeforth) gegen den Feldmarſchall
Horn auszumwechjeln ?, der feit der Schlacht von Nördlingen 5. Sept.
1634 in Ingolſtadt als SKriegsgefangener feitgehalten wurde. Allein
der König fcheint Bedenken getragen zu haben, Sean de Werth frei
zu geben; daher er rieth, die bezügliche Anregung der Krone Schwe-
den für jegt und bis nad Ablauf des gegenwärtigen Feldzuges une«
beantwortet zu laſſen.
In diefer Auffaffung wurde der König durd feinen Gefandten
in Stodholm d'Avaux beftärft, der die Beſorgniß äußerte: die Rüde
fehr des Feldmarſchalls Guſtav Horn könnte mit Rückſicht auf die
ı Am a 1638 begfeitete Rittmeiſter Starrſchaedel mit 150 Pfer-
den von bes Herzogs Bernhard Leibeompagnie die beiden Generale Sean de
Werth und Adrian von Enteforth von Benfeldt nad; Marfal in Lothringen, wo
biefelben einer franzöfiihen Escorte übergeben wurden. Siehe Journal ber
Weimariſchen Armee aus den Jahren 1837 und 1838 unter den binterlaffenen
Schriften des General-Majors Johann Ludwig von Erlach von Eaftelen. Dieſes
Journal if höchſtwahrſcheinlich eine Abichrift des vom General:Adjutanten Jo-
hann Ehriftoph von der Grün verfaßten Journals, welches Röſe in dem Bor-
wort zum I. Thl. S. XII und XIII feiner Biographie Herzog Bernhards des
Großen von Sadjfen-Weimar erwähnt.
2 Siehe umter den binterlaffenen Schriften des General-Majors von Er-
lad) den Band , überfchrieben Lettres entre S. A. le Duc Bernard et Mr.
d’Erlach. Siege de Brisach, fol. 5l. In einem Schreiben ohne Datum
und Unterfchrift, aber zuverläffig im Monate Juli 1638 von der Hand bes
franzöfifchen Secretär® des Herzogs, Feret, gejchrieben, wird dem General-Major
von Erlach, damals Gejandten Bernhards in Paris, gemeldet: Je vous envoye
cette d&peche par un expres pour plus grande surete, d’autant qu’il
y en & deux pour le Roi et Mssr. les Ministres que vous prendrez la
ine de delivrer; l’une concernant la dötention de Mr. le Mardchal
orn, duquel la Reine et Couronne de Sutde m’ont dcrit pour &ssayer
de procurer la libert6 par le moyen des prisonniers considerables qui
furent pris en la bataille de Rhinfeld; à quoi je n’ai voulu donner
röponse, que je ne sache les volontes de Sa Majesto.
28*
422
innern Angelegenheiten Schwedens eher ungünftig wirken; im Felde
aber fünne derfelbe dermalen aus dem Grunde nicht verwendet wer—
den, weil bei der Armee feine Stelle für ihn offen ſei!.
Bereitwilliger jcheint der Churfürjt von Baiern für die Aus-
wechslung Horns gegen Sean de Werth damals geftimmt gewejen zu
fein; Hatte er doch mit Schreiben vom 5. Dechr. 1638 Jean de
Werth Ehefrau die Verficherung ertheilt, die Auswechslung ihres
Ehewirths wäre längjt erfolgt, wenn es nicht am Gegentheil erman—
gelte?, Wirklich fandte der Churfürft dann neuerdings einen Trom—
peter mit bezüglichen Anträgen an Herzog Bernhard ®, welcher feiner
Seits fich bereit erklärte, den Generalleutenant Jean de Werth, den
Generalfeld » Wachtmeifter Adrian von Enfeforth und den Feldzeug—
meifter Bafjompierre gegen den Feldmarſchall Horn, den General-
major Zaupadel und den General-Commiſſär Scaffelizfi auszu—
wechſeln.
Herzog Bernhard konnte indeſſen dießfalls nicht ſelbſtändig han—
bein, ſondern hielt ſich für verpflichtet, den von ihm geſtellten Aus—
wechslungs-Antrag dem König von Frankreich zur Genehmigung vor=
zulegen.
In Frankreich wußte man aber dadurch neue Verzögerung in
die beantragte Auswechslung zu bringen, daß man fich weigerte, die
faiferlichen Generale aus Händen zu geben, bevor man fi) mit
Piccolomini über das Löfegeld einiger anderer in kaiſerliche Kriegsge—
fangenſchaft gerathener franzöfiicher DOfficiere, unter welchen ſich der
Marquis de Feuquières befand, verftändigt haben werdet.
ı Siehe Röfe Bd. II, Urkunde 55, S. 552. Der König antwortet auf
die vorftehende Anregung betreffend die Auswechslung des Feld-Marihalle Horn
am 18. Juli 1638 mie folgt: Pour le second point qui est la proposi-
tion faite pour l’öchange du mare&chal Horn contre les Barons Jean
de Vert et Enkefort, que vous avez pris à la bataille de Rheinfelden,
considerant ces prisonniers comme les votres, vous me trouverez pret
& les remettre en votre disposition, quand vous le desirez, neanmoins
je juge apropos pour le bien de la cause commune, que vous differiez
e reponse à cette demande le plus que vous pouvez, ensorte que
vous laissez &couler le tems de cette campagne, durant lequel les éne-
mis, qui ont peu de chefs parmi eux, pourroient tirer avantage de la
delivrance de ces prisonniers, particulierement de Jean de Vert, que
j’apprends qu’ils considerent beaucoup. &iehe aud) Barthold, Geſchichte des
großen deutichen Kriege Bd. II, ©. 388.
2 Barthold Il, S. 389.
s Siehe Schreiben Biqueforts an Herzog Bernhard d. d. Bafel !?/,,.
Nov. 1638.
* Eiche Röfe Bd. II, Urkunde Nr. 55, ©. 551. Graf Guebriant,
welcher im Frühjahr 1639 zu Herzog Bernhard nach Pontarlier gefandt wurbe,
erhielt folgenden Auftrag: S’il parle de Jean de Wert, il faut lui dire que
le Roi demeure d’accord que lui et Hinkefort (Entefortb) soyent
changes pour le Mar&chal Horn, Tubal (Zaupadel) et Chevalisqui
(Schaftelizty), mais que 8. M. ne desire pas quils sortent de ses mains
quen même tems que Piccolomini, qui veut avec grande passion ra-
voir le dit Hinkefort, soit d’accord de delivrer en möme tems les
423
In gleichem Sinne fehrieben Oberjt Betz und Hugo Grotiug
in Briefen, die erft nad dem am ®/ıo. Tag erfolgten Tode Herzog
Bernhards in feinem Hauptquartier ankamen‘, Durch den Tod
Herzog Bernhards fam diefe Auswechslungs = Angelegenheit begreiflic)
noch mehr ins Stoden, objchon die durch das Teſtament des Herzogs
mit der Führung feiner Armee betrauten vier Directoren, nämlich der
General-Major Johann Ludwig von Erlach, Oberſt Bernhard Ehm,
Oberſt Graf Wilhelm Dtto von Naſſau und Oberjt Reinhold von
Roſen, an der Thatjache feitzuhalten trachteten, daß die im zweiten
Treffen von Rheinfelden gefangenen Officiere ihrer Armee gehörten
und daher auch nur gegen Gefangene ihrer Armee ausgewechjelt wer«
den ſollten.
Allein die franzöfiichen Unterhändler Graf von Guebriant,
Staatsrath Choify und Baron d'Oiſonville weigerten fi, dießfalls
eine Bejtimmung in den am — Zt 1639 mit den Oberften der
weimarischen Armee abgeichlojjenen Vertrag aufzunehmen, und bes
Ihränften fi, ohne Jean de Werth und Enfeforth ausdrücklich zu
erwähnen, auf die Erflärung, der König werde fich angelegen fein
lafjen, für die Befreiung des General-Majors Taupadel und General:
Commiffärs Schaffelitsfy das Mögliche zu tun ?,
prisonniers quil a au Roi, non en dchange pour ceux lA, mais pour
l'argent, selon qu’il se pratique entre le Cardinal-Infant et les troup-
pes de S. M.
! Siehe unter den hinterfaffenen Schriften des General-Majors von Er-
lad den 3. Band überfchrieben: Lettres à S. A. le Duc Bernard de Saxe Ja—
nuar — Yuli 1639. Lettres du S.A. Colonel Betz, Baris 12. Juli 1639, und
Lettre de Hugo Grotius, Paris 24. Juli 1639, in melden beiden die Erfolg-
lofigleit aller bezüglichen Bemühungen angezeigt wird. — Bet ſchrieb: Le
Cardinal me dit qu’il rendrait Jean de Wert a V.A. mais puisque ce
malbeur &toit arrive que Mr. de Feuquitre &toit prisonnier avec quan-
tite d’officiers, quil prioit V. A. d’avoir un peu de patience jusqu’ à ce
qu’ils soyent d’accord pour la rancon de leurs prisonniers, craignant
que Jean de Wert 6tant relache * enemis leur feraient payer au
double etc. etc. Hugo Grotins aber jchrieb am !*,,. Juli an den Herzog
in bolländifcher Sprache, wie gewöhnlich, was Hier ins Franzöſiſche überfett
folgt: Monsieur le Colonel Betz n'a pas neglige de faire tout ce qui
est possible pour que le maréchal Horn soit mis au plütot en liberte
par l'intercession de V. A. ce qu'on desire en Sudde autant que chose
au monde. Non obstant tout le zele avec lequel on a agi dans cette
affaire nous n’avons pü obtenir de la cour qu’une röponse ambigue:
qu’on rendra à V. A. les prisonniers qui sont ici apres qu’on aura
traite de la delivrance de Mr. de Feuquieres, ce qui pourra tarder en-
core longtems; ainsi pour Mr. le mar&chal Horn etpour ceux qui desi-
rent sa libert& il n’y a d’autre ressource que la patience, Personne
ne doute que V.A. continuera de faire dans cette aflaire tout ce qui
pourra servir à la rdussite d’une si bonne chose.
» Siehe unter den Hinterlaffenen Schriften des General:Majors von Ers
lady den Band überschrieben: Zractaten mit Schweden und Frankreich vor und
nad dem Tode Herzog Bernhards, Die franzöfifhen Unterhändler erklärten:
Nous vous osons bien assurer que S. M. fait une telle &stime du Gé-
424
Im Laufe des Jahres 1640 wurde indeflen von Seiten Schwe-
bens, und zwar ſowohl durd den ſchwediſchen Feld-Marfchall Banner
al8 durch den ſchwediſchen Gefandten Hugo Grotius in Paris, die
Auswechslung des Feld-Marjhalls Horn gegen Jean de Werth neuer-
dings eifrig betrieben.
Bereit8 war Jean de Werth nad Nancy und der Feld-Marfchall
Horn von Ingolſtadt, wo er gefangen gehalten wurde, bis Lindau
geführt worden, um demmächft ausgemwechfelt zu werden, als durch
den am 9/20. Mai 1641 erfolgten Tod des Marichalls Banner,
alles wieder rücdgängig wurde, indem der Kaiſer und der Churfürft
von Baiern es verhindern wollten, daß Horn das Commando der
ſchwediſchen Armee an Banners Stelle übernehme; aber aud) von
Seiten Frankreichs fcheinen Schwierigkeiten gemacht worden zu fein,
indem der Gefandte d'Avaux in Stodholm nicht darein willigen wollte,
daß beide ausgewechfelten Generale fofort wieder in Dienſt-Activität
treten dürften.
Unter folhen Verhältniffen wurde Feld -Marichall Horn von
Pindau wieder in fein altes Gefängniß nad) Ingolſtadt zurückgeführt,
was von Seiten des Churbaieriihen Minifteriums Sean de Werth
mit Schreiben vom 26. Juni 1641 nad) Nancy mitgetheilt worden ift.
Bon welcher Seite einige Monate jpäter die bezügliche Unter-
handlung wieder aufgenommen wurde, iſt aus den uns zu Gebote
ftehenden Akten nicht erfichtlich.
Unter den bis in die neueſte Zeit im Schloß Spies (einer alten
Beſitzung der Familie von Erlach) verwahrten ! zahlreichen Schriften
und Correfpondenzen des General» Major Yohanı Ludwig von Er—
lach von Eajtelen befinden fich nämlich zwei Folio-Bände überfchrieben :
„Gefangene Officiere“.
An dem einen diefer Bände find die Correfpondenzen rüdjichtlich
der Auswechslung des Faiferlichen Feldzeugmeiſters Bafjompierre
(Neffe des Marfchalls) und des kaiſerlichen General = Wachtineifter®
von Sperreuter enthalten.
Der andere Band, der hier zunächſt benutt werden foll, enthält
die Verhandlungen und Gorrefpondenzen, die bei Anlaß der Auswechs—
lung des ſchwediſchen Feld-Marſchalls Guftav Horn gegen den faifer-
fihen und churbaierifchen Feld - Marfchall » Peutenant Sean de Werth
gepflogen worden find ®.
In den legten Tagen September 1641 überbradhte eine Ejtaf-
fette des Gouverneurs von Nancy, General® du Hallier, ein Schreiben
d.d. 22. Sept. nad) Breifach, die Anzeige enthaltend: Jean de Werth
neral-Major Dobalt (Zaupadel) et du General-Comissaire Chevalisky,
qu’elle ne refusera aucuns moyens honnötes et raisonnables pour les
mettre en libert6 et avec Vous.
ı ©. vorher ©. 409 ff.
» Siehe hinterlaffene Schriften des General-Majors Johann Ludwig von
Erlad; Band II, überfchrieben: Gefangene Officiere. — Wir werden diefen
Band nur mit G. D. citiren.
425
folfe aus Auftrag des Minifters Grafen Chavigny nach Breiſach ge«
bracht werden, daher der General» Major von Erlad eine Eskorte
nah St. Die enden möge, um den hohen Kriegsgefangenen dort in
Empfang zu nehmen, nachdem er zuvor den Tag der Uebernahme bes
jtimmt haben werde.
Betreffendb die Sicherheit des Transportes war nad) du Halliers
Anfiht um fo weniger zu beforgen, als die Truppen des Herzogs
von Lothringen fern feien, zwei feiner Angeftellten ſich aber gegen
wärtig am Hoflager des Königs befänden !.
Der General-Gouverneur von Breiſach kannte den franzöfifchen
Hof und namentlich den Gardinal Richelieu zu genau, um in einer
fo wichtigen Angelegenheit irgend etwas zu verfügen, bevor er ent—
weder directe Befehle oder doc) Abfchriften der dießfalls an du Hallier
gelangten Inſtructionen würde erhalten Haben.
Er jchrieb daher zunächſt um Verhaltungsbefehle an den Hof
und erfuchte mit Schreiben vom 28. Sept. den General du Hallier,
ihm, da er direct nicht avifirt worden, die bezüglichen königlichen Be—
fehle mitzutheilen.
Bevor indejfen dies Schreiben an feine Beſtimmung gelangte,
traf ein vom 30. Sept. datirtes Schreiben du Halliers ein mit ber
Anzeige: „er habe, vom Hof gedrängt, Jean de Werth bereits nad)
Saverne escortiren laffen, wo der General» Major von Erlach den:
felben baldinöglichft in Empfang nehmen möge, da der König wie ber
Gardinal die Auswechslung der kaiſerlichen und bayerifchen Kriegs-
gefangenen gegen den Feld-Marſchall Horn zu beichleunigen wünſchen.
Die von Breiſach ausgefandte Escorte traf fodann in Dadau
mit derjenigen zufammen, mit welcher Hauptmann de Patiniere den
Jean de Werth begleitete und die aus 5O Pferden und 50 Musque-
tären beftand.
Am 5. October überlieferte Hauptmann de Patiniere dem Ge-
neral-Gouverneur von Breifad Jean de Werih gegen übliche Quittung,
in welcher bezeugt wurde: der hohe Kriegsgefangene werde jo lange
in Breifah in Verwahrung behalten werden, bis der König über
denfelben verfügt haben werde?.
Unmittelbar darauf begannen die Unterhandlungen für die beab-
fichtigte Auswechslung, und zwar wurden diefelben nicht nur durch di-
recte Correfpondenzen zwifchen dem General-Gouverneur von Breiſach
und den churbaieriichen und franzöfiihen Miniftern betrieben, fondern
auch durch Correfpondenzen der beiden friegsgefangenen Generale.
Feld⸗Marſchall⸗Leutenant Jean de Werth injiftirte theils fchrift-
ı ©. O. Bd. II, Fol. 39.
» Siehe ©. D. Bd. II, Folio 42: Certifions que le Sieur de Pati-
niere Capitaine au Regiment de St. Etienne a satisfait à ses ordres
et nous a remis et livrd le dit Baron de Werth ce jourdhui, lequel
nous garderous ici jusqu’& ce que nous recevions ordre ou commande-
ment de ce qu’il plaira à S. M. d’en ötre fait... . En foi de quoi
avons signe ce present certificat fait a Brisac le 5. Oct. 1641.
426
(ich theil® mündlich) durd feinen Secretär und feinen Pagen beim
churbaieriſchen Minifterium für feine möglichft baldige Befreiung, und
Feld⸗Marſchall Horn unterhielt eine nicht weniger lebhafte Correſpon⸗
benz in gleicher Abficht mit dem General-Gouverneur von Breiſach
und mit dem ſchwediſchen Reſidenten Friedrich Richard Mokel in
Benfeld, auch fandte er bald feinen Secretär Georg Suoilsfy, bald
feinen Diener Matthias Hilgartner an den ſchwediſchen Feld-Marſchall
bir an Mofel oder an den General-Major von Erlad nad)
reiſach.
Schon am 6. Oct. 1641 Hatte ſich der General-Major von
Erlach bezügliche Befehle von Seite der Minifter Desnoyers und
Chavigny erbeten, dem Pagen aber, den Jean de Werth! mit dringen-
den Schreiben an das churbaierishe Minifterium nad) München fandte,
gab der General- Major ein eigenhändiges Schreiben an ben Felde
Marſchall Horn mit, um diefem feine Freude darüber zu bezeugen,
ihn endlich am Ziele einer jo langen und harten Kriegsgefangenichaft
zu wiſſen, ihn dabei, geftütt auf ihre alte Befanntichaft und Freund»
ſchaft, verfichernd, daß er feiner Seits nichts unterlaffen werde, was ber
baldigen Auswechslung förderlich fein könne ?,
Beinahe gleichzeitig, mit Schreiben d. d. Stodholin den 9. Det.,
ſprach der Ganzler Orenftirn feine Zuverficht gegen den General-Major
von Erlach aus, daß er bereit fein werde, „an feinem mwohlvermögenden
Ort“ zur Befreiung des Feld-Marſchalls Horn, „der allezeit fein guter
Freund geweien“, feiner Seits mitzuwirken.
Das Schreiben des Reichskanzlers ilt in Form und Inhalt
wichtig, indem aus demjelben ſich abnehmen läßt, weſſen man fich da-
mals in Schweden von Seiten des General-Majors von Erlad)
verjah ®.
ı Siehe ©. D. Bd. II, Folio 43: Schreiben vom 6. Det. 1641.
» G. 0. Bd. II, Folio 44: Je n’ay voulu laisser partir le page
du Baron de Werth, sans l’accompagner de ce petit mot, pour vous
reiterer les assurances de mon tr&s humble service, et vous t6moigner
la joie que je ressens de vous voir en termes de sortir d’une si longue
et ennuyeuse captivite, vous suppliant, de croire, que je n’obmetterai
rien de tout ce qui sera en mon pouvoir, pour faciliter à avancer le
dit change, et n’avez qu’a me commander ce que desirez que je fasse
a ce sujet, et j'y travaillerai avec autant de zele et de franchise
comme l’honneur de notre ancienne connaissance et amiti6 m’y ob-
lige, dont j'espere bientöt vous assurer de vive voix et t6moigner par
tout que je suis veritablement etc. (Schreiben des General» Major von
Erlach an den Feld-Marihall G. Horn in Ingolftadt),
2 Seit Abſchluß des Bertrags der Directoren der Weimarifchen Armee
mit Franfreih am 5 Sr 1639 waren zwei und ein halbes Jahr ver»
floſſen: hätte der Reichslanzler Drenftirn jene Verhandlungen ähnlich beurtbeilt,
wie dieß im neuerer Zeit wiederholt, namentlih von Dr. Earl Molitor, geſchehen
ift, fo hätte er faum in diefem Ton an den General» Gouverneur von Erlach
geichrieben. Das Urtheil Orenftirns ift aber im vorliegenden Fall um fo ent«
ſcheidender, als der Reichslanzler zunächſt durch den Bertrag der Directoren
427
Wir glauben daher da8 Schreiben feinem ganzen Inhalte nad)
bier aufnehmen zu follen. Daſſelbe lautet:
„Wohledler geftrenger und vefter, inſonders freundlich geliebt und
geehrter Herr General - Major.
Darnad) ich vernehme, daß es mit Meines geliebten Herrn
Schwiegerſohnes des Herrn Feld - Marjchallen Gujtaff Horn Erledi-
gung und Auswechiel ſoweit kommen, daß auf der K. Majejtät zu
Frankreich nunmehr erfolgten gnädigiten Conjens, der Bayeriſche Ge—
neral Jean de Werth ehilter Tage von Nancy naher Zabern und
jo fürters nacher Breyſach überbracdht werden folle, um dem Aus—
wechfel mit wohlgedahtem Herrn Feld-Marſchall dejto näher zu fein,
und Ich mich bemebft der mit dem Herrn General-Majoren hiebevor
alfezeit gehabter guter Converſation, auch feiner gegen Mir jederzeit
temoignirten guten Affection erinnere, au weiß, daß der Herr Ges
neral-Major wohlgedachtenes Meines geliebten Herrn Schwiegerjohnes
des Herren Feld» Marfchallen Horns, guter Freund allewege gewest,
jo habe ich das gute Vertrauen zu dem Herrn, Er werde von ſich
jelbiten dasjenige was Er dißfalls Ihm zu gute und Freundſchaft
erweijen fann, gerne befördern helfen; Ich hab’ aber gleichwohl aud)
nicht unterlaffen fünnen, dem Herrn General- Major, mit dieſem
Meinem Schreiben, gedadhten Meines geliebten Herrn Schwiegerjohng
Sade und Erledigung zum beften zu reccomandiren, freundlich den=
jelben erjuchend: Er möge an feinem wohlvermögenden Ort dahin
cooperiren helfen, daß Hochgedachter Ihrer Königlichen Majeſtät gnä-
diger Verordnung in diefem passu gebührend gelebet, und jo fürder-
lichſt als möglich ſolcher Auswechjel fortgejegt werden möge, Der
Herr General-Major wird dadurd Mid und die Meinigen, infonder-
heit aber wolbemeldten Herrn Feld-Marſchall Horn zum Höchiten
obligiren. Selbiger auch es mit allen angenehmen Dienſten zu er—
fennen unvergeijen fein. Was auch Ich für Meine particulare dem
Herrn General-Major an angenehmen guten Willen und Freundjchaft
erweifen kann, dazu wird Er mid) jtets bereit finden, als der Ich
ftet8 verbleibe !
Des Herrn General- Major
dienftbereitwilliger
Axel
Oxenſtirn.
Datum Stockholm den 9. Oct. anno 1641*.
fi) hätte verletst fühlen müffen, wenn ein „Verrath“ darin lag, wie er denn
feiner Zeit durch den Vertrag Herzog Bernhards von 1635 mit Frankreich
wirffich verlegt worden ift.
ı Siche G. O. Bd. UI, Folio 45. Die Adreffe des Briefes, der mit dem
DOrenftirnifchen Wappen in rothem Siegellad verfiegelt war, lautet: Dem Wohl«
edein, Geftreng und Beften Herren Hank Ludwig von Erlach, der Königlichen
Majeftät zu Frankreich beftalltem General: Major und Gouverneuren der Beftung
Bryſach, Meinem infonders freundlich geliebten aud) geehrten Herrn. — Das
vorftehende Schreiben ift dem General-Major von Erlach durch den ſchwediſchen
Refidenten Friedrich Richard Mokel in Benfeld übermittelt worden, Es ift dieß
428
Während die beiden FKriegsgefangenen Generale mit Ungeduld
ihrem bevorftehenden Auswechjel entgegenfahen, ſcheinen fich neue
Schwierigkeiten erhoben zu haben, die man franzöfifcher Seits durch
die Drohung: Yean de Werth an Schweden auszuliefern, wenn fein
Auswechſel nicht beichleunigt werde, zu befeitigen hoffte.
Durch fünigliches Schreiben d. d. Nesle den 17. Oct. erhielt
der General-Major von Erlach nämlich den Befehl, dem Churfürften
von Baiern zu eröffnen: „man werde Jean de Werth, Schweden als
Pfand für die Piberirung des Feld-Marfchalls Horn zuführen, wenn
der projectirte Auswechjel nicht bald erfolge“. Der General» Major
beeilte jich dem erhaltenen Auftrag nachzukommen, allein bevor fein
bezügliches Schreiben in Miinchen angekommen fein konnte, wurde
durch ein Schreiben des Feld-Marſchalls Horn d. d. Ingolſtadt
Yo. Nov. die eingetretene Verzögerung dahin aufgeklärt:
„daß die Römiſch Kaijerliche Majeftät bei demfelben Anlaß ei—
nige andere im jchwedifche Kriegsgefangenschaft gerathene faiferliche
Dfficiere ansgewechfelt zu fehen wünfche“.
Feld-Marſchall Horn hatte in Folge deffen feinen Secretär Georg
Snoilsky an die Schwediiche Generalität abgefertigt, um bei derjelben
auf Eutfprehung zu dringen.
In Erwiederung aber auf das obenerwähnte Schreiben des Ge—
neral-Majors von Erlach d. d. 8. Oct. hatte der Feld- Marfchall
diefem wörtlich geichrieben :
„Wohlgeborner Herr!
Daß mein hochgeachteter Herr in feinem vom 8. Oct. au mic
erlajienen geliebten Schreiben fid) unferer alten Connaiſſance und
Freundſchaft erinnern umd die Continuation derfelbigen in möglichiter
Beförderung meiner Erledigung dergejtalt wohlmeinentlich temoigniren
wollen, dejjen bedanken gegen denfelben mich ganz dienftlichen, mit
Bitte ſich gänzlich zu verfihern, daß ich nichts Mehreres, als die
Gelegenheit zu erlangen wünjche, meinem Herrn hinwiederum anges
nehme Dienfte zu erweijen“ ?,
derfelbe, welcher im Jahr 1639 bei Erneuerung der Berträge der weimarifchen
Armee mit frankreich den General:Major von Erlach „franzöfifcher Gefinnung“
beichuldigt hatte. Im Bewußtſein vielleicht, dem General Unrecht gethan zu
haben, jchrieb Mokel bei Ueberjendung des obigen Briefes des Reichslanzlers an
von Erlach: „Die fonderbare favorable und eifrige Affection, weldje mein groß-
günftiger Herr General: Major, feit die erften Aviſen von Herauslieferung des
Herrn Generald von Werth eintommen, zu Abvancirung des hochdefiberirten
Auswechſels durch fleißige Communicationes an Herrn Obrift Mofer und fonften
in der That bewiefen, ift allzit mit jchuldigem Ruhm an die Kron Schweden
berichtet worden, und ich ſoll nicht unterlaffen derjelben Continuation an all
denjenigen Orten zu bepraebiciren, wo id) verfichert bin, daß mein hochgeadhteter
Herr General-Major fonderlihe Ehre und herzlichen Dank damit meritirt“.
ı Mit Schreiben aus Chaulne hatte Graf Chavigny dem General-Major
von Erlach geichrieben: Die Krone Schweden verlange, daß ihr Jean de Werth
als Pfand für die vom Churfürften von Baiern immer wieder hinausgeicho-
bene Erledigung‘ des Feld-Marſchalls Horn zugeführt werde.
’ ©. O. Bd. I, Folio 49. Feld-Marihall Horn ſchließt fein Schreiben
429
Die gemachte Andeutung, als könnte Jean de Werth unter Um—
ftänden nad) Schweden abgeführt werben, fcheint indefjen bei dem
hurbaierifchen Minifterium nicht die gewünfchte Wirkung gehabt zu
haben, vielmehr richtete Feld-Marſchall Horn in einem eigenhändigen
Schreiben d. d. Ingolsſtadt "9/25. Nov. 1641 an den General»
Major von Erlach die dringende Bitte:
die angedrohte Transferirung Jean de Werths wenigitens bis
zur Rückkehr feines Secretärs aus dem ſchwediſchen Feldlager zu ver-
ſchieben, damit nicht feine fo lang gehoffte und nunmehr jo nahe ges
brachte Eliberation abermals ins Stoden gerathe!.
Bon Seiten des Churfürften von Baiern war nämlich dem Feld—
Marſchall Horn durch den Hof» und Kriegsrath Johann Kitner er—
öffnet worden, daß der Churfürft e8 bei dem, was hinfichtlich feiner
Auswehslung gegen Jean de Werth beichloffen worden, wolle be=
wenden laffen, „Römiſch Kaiſerliche Majeftät aber die befagte Aus-
wechslung nicht wolle wirklich effectuirt haben, es jei denn die Aus—
wechslung des Herrn Grafen Buchheimb und Herrn von Hofkirchen
folhermaaßen, wie fich Herr Feld-Marſchall Bannier feelig den nächſt—
vergangenen Frühling erklärt gehabt, zuvor adjujtirt“.
Diefe ihm günftige Stimmung des Churfürften von Baiern be=
forgte der Feld-Marſchall durch die Androhung, Jean de Werth nad)
Schweden abzuführen, beeinträchtigt zu ſehen; allein er fcheint fich
darin geirrt zu haben.
Bald darauf kamen nämlich ganz beruhigende Schreiben in Brei—
fah ein, indem der churbaierifche Minifter Graf Khurz: Sean de
Werth meldete, feine Auswechslung hänge einzig noch von der Her—
beibringung beider KRaiferlicher Kriegsofficiere von Hoflirh und Buch—
heimb ab, „daher er nicht wolle hoffen, daß um dieſes geringen Ver—
zugs willen (dafern e8 anders der Krone Frankreichs Herrn Feld⸗
an den General-Major von Erlach wörtlich wie folgt: „Meinem Herren babe
ih durh dieß wenige meine Schuldigkeit bezeigen und deſſelben beharrlichen
Freundſchaft mich ganz dienſtlich reccomandiren wollen, verbleibende meines
Hochgeehrten Herrn
Dienftwilliger
Guftaf
Horn
Ingolsftadt den !/,,. Ibris 1641.
Diefem Schreiben war eine Abichrift desjenigen Schreibens an den feld:
Marihall ZTorftenfohn beigelegt, das fein Sekretär Georg Snoilsky ins ſchwe—
diſche Hauptquartier überbringen follte und mittelft deffen der Feld - Marichall
Horn empfahl, dem Wunſch des Kaiſers um gleichzeitige Auswechslung des Feld-
Marihall-?eutenants von Hofkirchen und des General-Majors Grafen von Bud-
heim zu entipredhen.
ı GSiche Schreiben des Feld» Marihalle Horn fammt Beilagen, ©. DO.
Bd. H, Folio 53. Dieß Schreiben war ſammt demjenigen des churbaiertichen
Minifters Marimilion Graf Khurz an Jean de Werth d. d. Münden 1%/,,.
Nov. 1641 durch einen Trompeter des dhurbaierifchen Kavallerie» Oberften von
Neuenel aus dem Feldlager vor Hohentwiel an den Gonverneur der Feftung
Breiſach überbracht worden.
430
Marſchalls Horn Libertät zu befördern Ernft fei) fie den Herrn
Feld-Marichall-Leutenant wieder zurüdführen werden“ !,
Noch zuverjichtlicher lautete ein Schreiben God. von Banrs, des
Secretärs Jean de Werths, den diefer jeinem in München erkrankten
Pagen Chriftoph Kugler nachgefandt hatte. Dieſer meldete nämlich ?:
„es jei fein Zweifel, weilen die Kron Schweden des Feld-Marſchalls
Horn Erledigung fo hoch defiderire, fo werde man Tags und Nachts
die Sache fo fehr avanciren, daß der Herr Feld-Marjchall-Leutenant
das Fünftige neue Jahr in Freuden auf freiem Fuß anfangen
werde“.
Biel mißtrauiſcher Scheint man indefjen in der Umgebung des
Feld-Marſchalls Horn gewefen zu fein.
So ſchrieb deifen Sekretär Georg Snoilsfy aus Nürenberg an
den ſchwediſchen Nefidenten Mokel in Benfeld:
Churbayern habe überaus jchlechte Luft, den Feld-Marſchall
loszulaſſen, falls e8 nicht durch emfiges Betreiben von Seiten Sean de
Werths und von den Kaiferlichen gleichſam forcirt werde“ ®,
Dieje letztere Andeutung Snoilskys bezieht fi) auf den Bruder
des Grafen Buchheim, welcher Oberfämmerer des Kaiſers und da=
dur im Fall war, fi zu Gunſten des gefangenen General-Majors
zu verwenden.
Auch Refident Mofel war fortwährend voller Mißtrauen und
zwar nach beiden Seiten: von Baiern erwartete er nicht® Gutes,
weil der Feld-Marſchall ſelbſt wenig Vertrauen in die Aufrichtigkeit
der Gefinmungen des Churfürſten jete, und daß auch auf Frankreich
nicht zu zählen fei, hatte ihm das Auftreten des Gejandten d'Avaur
in Stodholn im Laufe diefer Unterhandlung mehrfach bewiefen.
Der General- Major von Erlady, der dieſes Mißtrauen durch-
ſchaute, fette demfelben die größte Offenheit entgegen und theilte dem
Refidenten Mofel in der Regel die eingelangten GCorrefpondenzen im
Originale mit.
Diefes loyale Verfahren ift ihm von Seite des ſchwediſchen Re—
jidenten wiederholt angelegentlich verdankt worden.
Diefelben Zweifel in die Aufrichtigkeit Frankreichs ſcheint auch
der Feld-Marſchall Horn getheilt zu haben, und man darf fid) daher
nicht wundern, daß der Reſident Mokel ſich glücklich fchätte, ihm im
Laufe December8 eine Anftruction des Cardinals Richelieu an den
franzöſiſchen Gefandten d'Avaux in Stodholm übermitteln zu können,
welche feinen Zweifel mehr darüber auffoınmen ließ, daß Frankreich
! Siehe G. DO. Bd. II, Folio 61: Schreiben des Grafen Khurz d. d.
Münden 19. December 1641.
2 Eiche G. DO. Bd. II, Folio 63: Schreiben Banrs d. d. Münden 21.
November 1641.
’ Siehe ©. D. Bd. II, Folio 51: Schreiben Snoilsfys d. d. */,,.Nov.
an dem Mefidenten Mokel in Benfeld und Schreiben Snoilsfys vom gleichen
Datum an den General:Major von Erlach Folio 57.
431
dermal die Auswechslung des Feld-Marſchalls gegen Jean de Werth
wirklich wünfche ®.
Auh von Minden lauteten die Nachrichten günftig; ein am
10. Dec. aus dem Feldlager von Hohentwiel abgefertigter Neuenef-
jcher Trompeter überbradjte Briefe des Grafen Khurz d. d. 3.
Dee., die Nahricht enthaltend, daß der Churfürft geneigt fei, Straß—
burg als Auswechslungeort anzunehmen, und aud) von Jean de Werths
Pagen famen Briefe, die eine baldige Erledigung hoffen liegen ?,
Noch einläklicher ſchrieb Graf Khurz am 17. Dec. an Jean de
Werth, ihn verjichernd: „man fei berechtigt, vom ſchwediſchen General
Torftenjohn, der dermal in Braunfchweig ftehe, demnächſt die Adju—
ftirung der Gefangenen zu gewärtigen, auch fei Alles jchon worbe-
reitet, um dem Feld-Marſchall Horn glei) nad) der Rückkehr feines
Sefretärd nad) Straßburg abführen zu laſſen, daher er hoffe, dem—
nächſt feinen Pagen, der wieder genejen, mit guten Aviſen an ihn ab=
fertigen zu können“ ®,
In Uebereinftimmung damit meldete Jean de Werths Secretär
Banr mit Schreiben vom 1. Yan. 1642, daß durch den Kammer—
diener des Grafen Buchheim eigenhändige Schreiben des Feld - Mar-
ſchalls Zorjtenfohn nah Münden gebradht worden feien, das Ber-
Iprechen enthaltend: „daß, ſobald Feld-Marfhall Horn ledig oder an
einen unparteiiihen Ort geführt worden fei, aljobald auch Graf
von Buchheim und Herr von Hofkirch nebſt Jean de Werth frei und
ledig herüber convoijirt werden follen“ *,
ieje frendige Neujahrsbotichaft konnte allerdings durch den
Sieg, welden Graf Guebriant an der Spike der weimarifchen und
1Dieſe Inftruction Richelieus an d'Avaur, melde dem Refidenten Motel
von Stodholm zugelandt worden war, ift vom 27. Oct. 1641 datirt und lautet:
Outre qu'en raison de l’6tat de l’armde de Sutde je desire grande-
ment que Mr. le marechal Horn soit delivre, il n’y a rien que je ne
voulusse faire pour le respect de Mr. le chancelier Oxenstiern que
j’honore particulierement. Il le verra bien, je m’assure, en cequ’il y
a d6ja quelque temps, que le colonel Jean de Vert est à Brisach, oü
on l’a fait avancer, pour faciliter plus aisement l’&change qui doit
ötre fait de sa personne avec le dit mardchal Horn. Il est honteux
à ceux qui ont promis cet echange de la part de Monsieur le Duc
de Baviere, d'avoir donn€ leur paröle d’une chose qui ne s’execute
pas. Pour nous je m’assure, qu’on remarquera en toute la suite de
cette guerre, que si nous sommes consideres à promettre nous sommes
promts à exdcuter ce à quoi nous nous sommes engages. Giche G. D.
Bd. II, Folio 68.
» Siehe ©. DO. Bd. II, Folio 65 und 66, fowie den vom Faiferlichen
Kriegsrath, Kämmerer und Feldzeugmeifter, beftellten Obrift zu Roß und Fuß,
dem Neuenelſchen Negiments-Trompeter ausgeftellten Paß nad Breiſach, ſowie
das Begleitichreiben des Oberſt von Neuenel an den General-Maior von Erlad)
Folio 69 und 70.
2 G. 0. Bd. II, Folio 71.
* Siehe ©. DO. Bd. II, Folio 72: Schreiben Gob. von Banrs d. d.
Münden 1. Jan. 1642 und Schreiben des Grafen Khurz d. d. 14. Januar
1642,
432
beifiichen Truppen am 17. Yan. 1642 bei Kempen, in der Nähe von
Grefeld, über die Generale Lamboy und Caſpar Mergi, die beide ge-
fangen wurden, erfochten hatte, wieder in Frage geftellt werden.
Auch wurde ſchwediſcher Seits gleich wieder das Mißtrauen wach,
al8 dürfte der Churfürft von Baiern die Liberirung Mergis an die
Erledigung des Feld-Marſchalls Horn knüpfen wollen !,
Auch diefes Mißtrauen war unbegründet, konnte doch der General⸗
Major von Erlach wenige Tage ſpäter dem Reſidenten Mokel ein
Schreiben des Grafen Khurz an Jean de Werth d. d. 28. Jan.
1642 abſchriftlich mittheilen, die Verſicherung enthaltend: „daß nad)
der Rückkehr des Sefretärs des Feld-Marjhalls Horn, der bei Toriten-
john gute Satisfaction erhalten haben foll, der Feld-Marſchall Horn
unfehltbar nah Straßburg abgeführt werden folle“.
Der ſchwediſche Nefident, feiner Seits ſtets zum Mitrauen geneigt,
war durch diefe Mittheilung Hoc) erfreut und antwortete, nachdem er
diefelbe geziemend verdankt: „er hab fie auch alfofort, nicht weniger
al8 andere bisher erwiejene große Zeugnüffe meines hochgeneigten
Herrn General-Majors dem Herrn Feld-Marfchall Horn und deſſen
vornehmer Familie zu tragender fonderbarer Affection, an höhern Ort,
da e8 mit würflicher Gegenbezeugung Mehrers erkannt werden könne,
gelangen Lafjen“ ®
Endlich) (angte in München aud die förmlihe Zuftimmung des
— zur Auswechslung des Feld-Marſchalls Horn ein.
Um 29. Yan. 1642 theilte Kaifer Ferdinand III. den Chur:
fürften Maximilian von Baiern nämlich die Antwort mit, welche
Feld-Marſchall Torſtenſohn dem Grafen Schlif rüdfichtlich der Freie
gebung der beiden kaiſerlichen Officiere von yore und Graf Bud
heim hatte zufommen lafjen, und fügte in Betreff der Auswechslung
Horns wörtlich bei:
„Nun erinnern Wir ums zwar wohl derjenigen Bedenken, fo
vorhin wegen Yoslaffung gedachten Horns nad) erfolgten Todesfall
de8 Bannoͤrs fürgefallen fein, allweilen aber feither das Schwediſche
Corps ein ander caput, nämlich ermeldten Torftenfohn, befommen,
und dieß, wenn er fchon losgelaſſen wird, doc an fich jelbiten nicht
Mehreres wird fchaden können, als was ohne das die nod übrige
Schwediſche vires auf des Reichs Boden ohne ihr zuthun ver=
mögen, als wollten wir Uns nicht zuwider fein laffen, zum Fall
anderft Euer Liebden auch Ihres theils dawider fein Bedenken
hätten, dag mehrermeldter Horn gegen deu von Werth ......
möge ausgemwechjelt und dimittirt werden, weilen ohne Zweifel her—
ı Siehe ©. DO. Bo. II, Folio 73: Schreiben Mokels, durch welches er
bie Schreiben abſchriftlich mittheilt, weldhe Graf Buchheim aus Cafſel an ben
Ambafjador Wolf und an den Grafen Schlil richtete.
G. O. Bd. J Folio 74.
*BG. O. Bd. I, Folio 75: Schreiben Motels d. d. Benfeld den .
Februar 1642.
433
nach wenn folches bejchehen der Dorjtenfohn feine paröle in acht
nehmen, und den von Hofkirch und Buchheim auch losgeben wird,
darauf wir diegorts trauen und uns verlajfen wollen, und wollen auch
Euer Liebden ehijte Erklärung darüber erwarten“ !,
Diefe Faiferliche Erflärung hat der Churfürjt dem Feld-Marſchall
Horn am 17. Febr. 1642 mitgetheilt und ihm gleichzeitig eröffnen
lafjen: er werde demmächit jemanden nach Ingolſtadt abordnen,
der ihn nad) dem Ort feiner Auswechslung begleiten werde.
Bald darauf am 26. Febr. fchrieb der Churfürft an Feld-Marſchall
Horn: „daß nunmehr die Sache wegen Auswechslung feiner Perfon
gegen den Feld-Marſchall-Leutenant Johann von Werth wie auch bei-
der Cavalliere von Hoffirh und Grafen von Buchheim beiderfeitig
arretirt fei, zu welchen Ende Er (der Churfürft) feinen Truchſeſſen
Renatum Ypphofen abgefertiget habe, ihm an dem Ort der Auswechs—
lung aufzuwarten“,
Dabei „congratulirte“ der Churfürft dem Feld-Marſchall Horn
zu feiner Eliberation, die er ihm wohl gönne und gewünſcht hätte,
diejelbe wäre jchon längſt erfolgt ?.
Die vorjtehenden Schreiben, welche dem General- Major von
Erlad abermals aus dem Teldlager vor Hohentwiel zugefandt worden
waren, theilte er fofort dem Reſidenten Mokel in Benfeld mit, bei«
fügend, daß er leider feine neueren Befehle, diefe Auswechslungs-An—
gelegenheit betreffend, vom franzöfifhen Hof erhalten habe.
Das lette Schreiben, welches der General-Major dießfalls em-
pfangen hatte, war vom 26. Oct. 1641 batirt und befchränfte fich auf
die Weifung: den durch den General du Hallier auf des Königs Be—
fehl nad) Breiſach geführten Baron Jean de Werth fo lange daſelbſt
in DVerwahrung zu behalten, bis ihm weitere Befehle zugehen
würden ®,
Diefe in Ausficht geftellten Befehle waren bis dahin nicht einge—
ı © O. Bd. II, Folio 76. Siehe dort Abichriften des Schreibens des
Kaifers an den Ehurfürften von Baiern vom 29. Jan. 1642 und der Schreiben
des Ehurfürften von Bayern d. d. 17. und 26. Febr. 1642 an Feld-Marihall
ort.
* Barthold II, S. 392 dürfte fi) daher doch wohl geirrt haben, wenn
er annimmt, die Befreiung des von Hofkirchen fei mit dem Erledigungségeſchäft
Johannes von Werth nicht in Berbindung geftanden,
: ©. D. Bd. II, Folio 48. Das Schreiben des Königs d. d. Berberye
26. Dct. 1641 lautet wörtlich:
Monsieur d'Erlach
ayant seu comme le Sieur du Hallier a envoy& le Baron de Werdt
& Brisach, &estimant que le maréchal Horn y pourroit &tre arriv6 pour
faire l’6change qui a &t& convenu de leurs personnes: J’ai bien voulu
vous t&moigner par cette lettre que j'approuve que vous l’ayez
regu et que mon intention est que vous le fassiez garder avec la su-
ret6 requise jusques-a nouvel ordre etc,
Louis,
Sublet,
434
getroffen, daher der General Major die Auswechslung vorher nicht
hätte über ſich nehmen dürfen.
Der ſchwediſche Nefident Mofel erfuchte in Folge diefer ihm ge—
machten Mittheilung den General= Major, einen Expreſſen nad) Hof
zu jhiden, um die nöthigen Befehle zu erwirfen, und erbot fich die
dadurch erlaufenden Koften zu übernehmen !.
Diefem Wunſch entfprad der General-Major, indem er am 3.
März an die Herrn Herwart in yon eine Staffette abgehen ließ
mit dem Auftrag, die überbradhten Schreiben fofort durch Expreſſen
an die Herrn Des Noyers und Baron d'Oiſonville zu fenden und
die zu gewärtigende Antwort ihm mittelft feines Couriers fofort wies
der zufommen zu laffen.
Allein bevor die Schreiben des General-Majors an ihre Adreffe
gelangt waren, trafen Befehle des Königs und des Grafen Chavigny
in Breijad ein, welche geeignet waren, nad) allen Seiten Beruhigung
zu verbreiten.
Der König eröffnete nämlich mittelft Schreibens d. d. Valence
26. Febr. dem General- Major: der päpftliche Nuncius habe dem
Churfürften von Baiern angezeigt, daß man franzöjifcher Seit zur
Auswechslung des Marfhalls Horn gegen den Baron de Werth be=
reit ſei, daher diejer legtere feine Yiberation beim Churfürften be=
treiben möge, wie denn alles dem König genehm fei, was diefe Aus—
wechslung beſchleunigen werde ?.
Im gleichen Sinn hatte Graf Chavigny ebenfalld am 26. Febr.
aus Lyon an den General-Major gefchrieben ®.
ı Siehe G. DO. Bd. II, Folio 77: Schreiben des Nefidenten "Motel an
den General-Major von Erlady d.d. Benfeld *%/,,. Febr. 1642. Mofel fchrieb:
„Er zweifle nicht, es werde der großgünftige Herr General-Major durch ſolche
courtoisie fowohl die ganze Krone Schweden als infonderheit den Herrn Feld-
Marſchall und deffen gefammte Familie zu immermwährender Dankbarkeit aufs
Höchſte obligiren“ zc.
2Siehe G. O. Bd. II, Folio 89. Das Schreiben des Königs lautet:
Monsieur d’Erlach.
Le Sr. Nonce de Notre Saint Pere le Pape en cette cour a fait
savoir & mon cousin le Duc de Baviere qu'il ne tient pas & moi, que
l’öchange du Baron de Vert ne se fasse pour le mardchal Horn, qui
est prisonnier de guerre entre ses mains, et ndanmoins jene vois pas,
que cette affaire s’avance comme je le desire bien fait. C'est ce qui
me donne sujet de vous &crire cette lettre, pour vous dire que vous
donniez avis au dit Baron de Vert de faire de son cot& tout ce qu’il
pourra, pour faire resoudre promptement le dit Sr. Duc à cet change,
à quoi vous contribuerez aussi de votre part tout ce que vous jugerez
y pouvoir etre utile. Vous assurant que vous me rendrez en ce fai-
sant service tres agréable. Sur ceje prie Dieu qu’il vous ayt, Monsieur
d’Erlach, en Sa Sainte garde.
derit a Valence ce 26. Fevrier 1642,
Louis.
Bouthillier.
: Eiche G. DO. Bd. II, Folio 79. Chapigny ſchriebt Comme S.M. a
cette affaire fort à coeur, vous lui rendrez service tr&es agreable de
435
Allein während man dergeftalt in der Zuverficht beftärft wurde,
daß von Seite Frankreichs feine neuen Schwierigkeiten zu erwarten
feien, erwedten zwei Schreiben, die Feld-Marſchall Horn heimlicher
Weife mit verjtellter Schrift und unter falſchem Namen aus feinem
Gefängnig an den Nefidenten Mofel hatte gelangen laſſen, bei diefem
wieder lebhafte Bejorgnifje über die Abfichten Churbaierns.
Feld-Marſchall Horn jchrieb am 18. Febr. nämlid unter dem
Namen Michael Brumeyer und in verdedter Weife dem Refidenten
Mokel: den bayerifchen Verſicherungen fei nicht zu trauen, daher der
General-Major von Erlad) aufgefordert werden folle, Jean de Werth
nicht frei zu geben, bevor der Feld-Marſchall ihm übergeben fein
werde, überhaupt aber, je näher er ride, um jo mehr folle er auf
feiner Hut ſein!.
Diefe beiden Schreiben theilte Reſident Mofel dem General-
Major am mn 1642 im Original mit und wiederholte gleich-
zeitig die Bitte um Abjendung eines Expreſſen an den König, „damit
der großgünftige Herr General-Major die Ehre und den hohen Ruhm
erhalten möge, zur Erledigung eines jo ehrlichen und vornehmen
Gavaliers das Allermehrite und Beſte gethan zu haben“.
Während durch diefe beiden anonymen Schreiben des Feld-Mar-
contribuer tout ce qui vous sera possible pour la faire rdussir, si vous
en savez quelque moyen etc.
ı Siehe ©. D. Bd. II, Folio 81 und die dazu gehörigen Beilagen Folio
100 und 101.
Der Brief Horns ift an „Ferdinand Pendt“ gerichtet, welches ein zwiſchen
ihm und Refident Mofel übereingeflommener Name zu fein ſcheint. In dem
Brief wird ein Berlauf einer Waare fimulirt, unter weichem der Auswechſel
der beiden Gefangenen verftanden wird. Der „Michael Brumeyer“ umnterzeich-
nete Brief, den Reſident Mofel mit den zu feiner Berfländniß nöthigen Auf-
ichlüffen dem General» Major im Driginal zugefandt hat, lautet: „Mit dieſen
wenigen Zeilen aber will ich den Herrn gebeten haben, daß er auf Alles gute
Acht gebe und mitdem „bewußten guten Herren in der Nachbaurſchaft“ (jo wird
General: Mojor von Erlady bezeichnet) wegen der bewußten Sache vertrauliche
Eorrefpondenz pflegen und fie ermahnen wolle, daß fie durch einige guten Mie-
nen und ftarfe Beriprechen und Aufichneiderei der „Schwäger‘ (jo wird EChur-
baiern bezeichnet) oder derjenigen fo fie dieſesfalls expreß der Dexter einſchicken
nicht wollen abufiren und zur Sicherheit oder Unachtſamkeit bewegen laffen,
fondern mit Fleiß dahin vigiliren, daß die „bewußte Waare“ (fo wird Jean de
Werth bezeichnet) wohl verfichert bleibt, bi® die contente Bezahlung davon er
folgt fein wird‘ ac.
Das andere Schreiben Horns, ebenfalls vom 18. Febr. datirt, ift viel weit—
läufiger, aber nicht unterichrieben, und giebt unter verdedten Namen Kunde von
der Einwilligung des Kaiſers zur Auswechslung; auch darin wird die größte
Borficht empfohlen. Der Auswechſel Jean de Werths wird bezeichnet mit „Be—
zahlung der niederländiſchen Waare“. Der Ehurfürft von Baier heißt Herr
Wilhelm, Ber Kaifer Herr Rudolph. Zorftenfohn unfer Advocat. Hof
tirch umd Buchheim heißen beide Stüd. Smoilsfy Heißt Better Jacob. Die
kaiferlichen und baierifhen Gefangenen heißen die mothleidenden Vupillen.
Motel Heißt Herr Factor. von Crlad heißt der Bormund im SOberhaus
n. |. w.
XVIII. 29
456
ſchalls in Benfeld und in Breiſach allerlei Zweifel erweckt wurden,
war indejjen Feld-Marſchall Horn bereit8 von Ingolſtadt abgeführt
worden, um dem Auswechtlungsplat näher zu fein.
Allein diefe Zweifel wurden durch ein am 5. März in Breiſach
eingelangte8 und vom 2. März aus Rain datirtes Schreiben des
Churbaierischen Hauptmanns und Truchſeß Renatus von Ypphoven
wieder weſentlich beſchwichtigt.
In dieſem Schreiben wurde der General-Major nämlich erſucht:
„ermeldten Herrn von Werth zu der bevorſtehenden Auswechslung
ohne Verzug nah Straßburg zu liefern, allwo man fich der weitern
Auswechslung Halb vergleichen werde“. Gleichzeitig wurde der Ge—
neral-Major gebeten: „ſich darüber vernehmen zu laſſen, wie jtarf
man mehrerwähnten Johann von Werth; auf den Auswechslungsplag
zu bringen gedenfe, damit der churbaierifche Comiſſär ſich mit noth-
wendigen Gavallieren und Reutern in gleihmäßiger Quantität gefaßt
machen fönne“ 1,
Tags darauf am 6. März traf der Diener des Feld-Marſchalls
Horn Mathias Hilgartner mit einem eigenhändigen, ebenfall® von
Rain 2. März datirten Schreiben feines Herrn an den General-
Major von Erlady in Breiſach ein, welches die Anzeige enthielt:
„Der Churfürit beabfichtige ihn (Horn) zum Zwed des Auswechſels
nah Tübingen zu transferiren, von dort aber nicht eher aufbrechen
und dein Auswechslungsplag näher rücen zu laſſen, man habe denn
zuvor gewijfe Nachricht erlangt, daß der Herr Feld-Marjchall-Yeutnant
Johann von Werth zu Straßburg wirklich angelangt fei* ?.
Gleichzeitig erfuchte Feld-Marjchall Horn, feinem Abgefandten in
Allem, was er mündlid) vorbringen werde, vollen Glauben beizu—
mejjen.
Worin diefe mündlichen Mittheilungen beftanden haben, ift nicht
zu ermitteln, jedoch irren wir faum in der Annahme, daß der Diener
Horns den auch im dem itberbrachten Schreiben ausgeſprochenen Wunſch
unterftügen follte, daß der Auswechslungsplat dieſſeits Rheins, aljo
auf dem rechten Rheinufer, bezeichnet werden möge.
Auch auf Beihleunigung follte derfelbe wohl dringen; dieſem
letztern Wunſch aber ftanden dienftlihe Rückſichten im Wege.
Die Zumnthung, daß der Feld» Marjchall » Yeutenant Jean de
Werth vorerjt nad) Straßburg gebracht werden folle, lehute der Ges
neral-Major am gleichen Tage (am 6. März) dem Hauptmann von
Mphofen gegenüber mit aller Entjchiedenheit ab, „da er ein ſolches
Vorgehen nicht verantworten könnte, e8 wäre denn, daß der Feld—
Marſchall Horn zugleich nach Straßburg gebracht und nur Egalität
darin gehalten werde, auch der Auswechjel in jelbiger Stadt vollzogen
würde; und fönnte auf folchen Fall ermeldte Stadt fi reverfiren,
feinen von obgedachten Herrn [08 zu laffen, bis beide dahin fommen
' Siehe ©. D. Bd. II, Folio 83.
» Siehe ©. O. Bd. II, Folio 82.
437
und zugleich auf freien Fuß gejtellt würden, demjenigen auch, fo zuerft
dahin gelangen würde, falls der Andere wider Verhoffen nicht Hin-
eingebracht werden follte, wieder zurüdführen zu laffen“.
Für den Fall, daß ein ſolches Vorgehen baierifcher Seits nicht
beliebt würde, jchlug der General-Major noch einen andern Weg vor,
der darin bejtände, „daß beide oftgedachte Herren zwiſchen Breiſach und
Dffenburg an einen gewijfen Ort begleitet und dafelbjt im freien
Felde gegeneinander ausgewechfelt würden, wejjentwegen man fich denn
beiderjeitig vergleichen möchte, mit wie viel Pferden es gefchehen folle,
mit der Offerte, fi im Namen feines allergnädigften Herrn und J.
K. M. Soldatesca dahin zu verobligiren, daß Alles aufrichtig und
redlih, ohne alle Arglift und Auffag zugehen foll, auch ohne Hinde—
rung diefer Partie mit ermeldtem Herrn Feld» Marfchall frei ficher
dahin gelangen, und hingegen J. von Werth nad) bejchehener Aus-
wechslung ſicher wieder zurücführen zu fönnen, verhoffend, daß fie
ebenmäßig ihrerjeits ein Gleiches thun wollen“.
Sclieglid wurden dem Hauptmann von Mphoven vorgejchlagen :
„bis Alles vichtig gemacht würde, den Feld - Marfchall Horn in die
Nähe, entweder nach Offenburg oder nad Stolihofen zu begleiten,
wodurch viel Zeit gewonnen und die Sache beſſer exrpedirt würde !*”.
Dem Feld-Marfchall Horn gab der General-Major von feinen
Vorſchlägen Kenntniß und bemerkte dabei: „den ihm gemachten Vor—
ſchlag, daß Herr Feld-MarfchallsLeutenant von Werth querit nachher
Straßburg gebracht werden folle, finde er gar zu inegal, und könnte
er auch, wie der Herr Feld» Marjchall felber ermeſſen würde, gegen
% 8. M. nicht verantworten, fonderlich weil ſolches wider die Re—
putation laufen würde“ ?,
In der Zwijchenzeit war Feld-Marſchall Horn bis Tübingen
escortirt worden, wo die beiden vorgenannten Schreiben in Empfang
genommen wurden.
Hauptinann von Mphofen wagte begreiflich von ſich aus nicht zu
entjcheiden, welchen der beiden WBorjchläge des General - Majors
der Vorzug zu geben jei, fondern fandte den Pagen Jean de Werths,
Chriſtoph Khugler, damit nad) München an den Churfürften ®.
I Siehe ©. D. Bd. II, Folio 90: Schreiben des General» Majors von
Erlach à Mr. d'Yphofen Capitaine au Service de S. A. de Baviere, Brisac
6. Mars 1642.
» Siehe ©. DO. Bd. 1I: Das Schreiben des General- Majors von Er—
lad) an den Feld⸗Marſchall Horn d. d. Breifad den 6. März 1642, al® Ant
wort auf das durd Mathias Hilgartner überbrachte Schreiben. Es wird darin
wiederholt: „daß der General- Major von Herzen wünſche, daß der vorhabende
Auswechſel eheft Fortgang gewinne, und er zu feiner höchſt befiderirten fis
bertät ohne ferneren Aufenthalt gelangen möge, dazu er denn feines Theils
allen möglichen Borihub zu thun, und fein vormaliges Anerbieten feiner
Sculdigkeit nad in dem Werk zu erweifen ganz begierig und gefliffen ſei“ ꝛc.
: Siehe ©. DO. Bd. II, Folio 87: Ein Driginal-Schreiben Feld-Marihall
Horns an den Mefidenten Mofel d. d. Tübingen 6. März 1642, in welchem
die Abfendung Khuglers nad) München erwähnt wird. Schreiben Motels d. d.
Benfeld °/,,. März 1642,
29 *
438
Während des dadurd) veranlaften mehrtägigen Aufenthaltes in Tü—
bingen fcheinen im Feld-Marſchall neue Bejorgniffe aufgetaucht zu
fein, veranlaßt durd das Gerücht, daß zwiſchen Straßburg und Brei—
ſach franzöfiiche Truppenzufammenzüge ftattfänden, daher er den Reſi—
denten Mokel erjuchte, von Seite des General- Majors von Erlad)
einen fürmlichen „in optima forma außgeftellten Geleits-Brief (Salva=
Gonduct) zu erwirfen“ ?,
Allein der General: Major beichränfte ſich darauf zu erwidern,
er habe dem bayerijchen Commiſſarius bereits alle wünſchbare Sicher—
heit angeboten ?.
Wirklich ſcheint man denn aud) in München weniger Beforgniffe ges
habt zu haben als in Tübingen, zumal der Churfürft Marimilian am 13.
März das nachfolgende Schreiben an den Hauptmann von Mphofen erliek,
das hier feinem Wortlaute nad) aufgenommen wird, weil daraus die Ver-
Schiedenheit des Styles der fürftlicen Ganzleien, wie er damals in Deutſch—
land und in Frankreich üblich war, deutlich erfehen werden kann.
„Wir haben dein (jo jchrieb der Churfürft an feinen Truchjeß von
Mphofen) ans Tübingen von 10. diefes Uns zugethanes Schreiben
ſammt den Driginal-Beilagen empfangen und daraus vernonmen, was—
geftalt, fowohl unfer Feld-Marjchall-Yientenant der von Wörth felbft,
als auch der General-:Major von Erlach vorfchlagen und fürs Beſte
erachten, daß der bevorjtehende Auswechjel zwiichen ihnen von Wörth
und dem Feld-Marfchall Horn nit zu Straßburg, fondern bei Yahr
auf der Höhe geſchehe“.
„Die weilen wir dann an ſolichem Vorſchlag fein Bedenken, als
wollen wir auch gejchehen lagen, dag du ihnen Horn zu ſolchem Ende
dahin nad Offenburg überbringeft, dem von Erlach de8 Horn An—
funft nad) befagtem Offenburg commmunicireit, den Tag und Stunde,
warn auf angezogenem Berg bei Yahr die Auswechslung gefchehen
folfe, avifireft und vergleicheft, und weil der von Erlach die Anzahl
beiderjeit8 mitkommender Reiter dir heimgeftellt, fo haft neben dem
Neuenkirchiſchen Oberjtleutenant von den befchriebenen 150 Reutern allein
100 auf Auswechſelplatz mitkommen, die übrigen 5O aber ins Quar-
tier zurücgehen zu laffen,. Auch jolche mitfommende Anzahl der 100
Neuter dem Erlach, damit er feinerjeitS auch foviel und mit mehr
hide, in angeregtem deinem Schreiben zu notificiren. Ihme bei—
neben zu bedeuten, daß man mit feiner gethanen Obligation, dag Alles
aufrichtig, vedlich, ohne Arglift und Auffag zugehe ze. zufrieden, auch
darin feinen Zweifel mache, uud ji) diejjeites allerdings zu einem
gleichmäßigen obligirt haben wolle :c.
Datum München, den 13. Martii.
Sig. Marimilian,
Scott, Secretär“.
! Siche ©. D. Bd. II, Folio 92 und 93: Schreiben des Refidenten
Motel d. d. Benfeld 9. März 1642,
2Siehe ©. D. Bd. II, Folio 93: Die Antwort des General: Majors
auf vorficheudes Schreiben.
439
Diefer Erlaß des Churfürſten ift durch den eng von Yp⸗
hoven mit Schreiben d. d. Weilerſtadt den %/ıs. März dem General—
Major von Erlach abſchriftlich mitgetheilt und dabei bemerkt worden:
er habe den ſchwediſchen Feld-Marſchall Guſtaf Horn mit einem
Obriſtleutnant zwei Rittmeiſtern und 100 Pferden nach Stollhofen
begleitet, „daher den Herrn General-Major erſuche, den Feld-Marſchall⸗
Yentnant Herrn Yohan von Werth dur ebenmäßige Officier und
100 Pferd nad Yahr auf benannte Höhe und Mealftatt, um beider
Herren Generalen relaration zu effectuiren, zu begleiten, ſowohl den
Tag und Stund, um alldort unfehlbar zu erjcheinen, baldmöglichit be=
deuten zu laſſen“.
Dies Schreiben ſchließt mit folgender Verſicherung: „ALS thue
im Namen der Römiſch Kaiferlichen Majeftät, ſowohl Churfürftlic)
Durchlaucht in Bayern vor deren ſämmtliche Soldatesfa gutiprecden,
und daß dießſeits feine Zreulofigfeit verübt, aufrichtig procedirt,
Herr Feld» Marjchall » Yeutnant von Werth ungehindert jicher von
Ahnen nad) Yahr oder auf den zum tauglichiten findenden Pla und
Herr Feld» Marjchall Horn wieder ficher zurückgeführt, ja Alles mit
gleihmäßigem Candor und gutem teutſchem Vertrauen zugehen folle,
fraft dieſes meines hiemit an Verſicherungs jtatt verfertigten Schrei:
bens erflären, und dießſeits feitzuhalten allerdings mich verobligiren“ 1,
Am gleihen Tage hatte Feld: Marihall Horn wieder feinen
Diener Mathias Hilgartner mit Schreiben d. d. Weilerjtadt P/ıs.
März an den General- Major abgefertigt, die Bitte enthaltend, Ort
und Tag der Auswechslung zu bejtimmen, und mit diefem Entjcheid
den Hilgartner beförderlichit nach Stollhofen zurüdzufenden ?,
Dieß Drängen fette den General-Major jedoch in etwelde Ver—
legenheit, zumal fein durch die Vermittlung der Banquiers Herwart
m 3. März nad Hof gefchiefter Courier noch nicht zurückgefehrt und
aud) vom Baron d’Difonville, dem er am 6. März die von Rain
anı 2. März erhaltenen baterifchen Auswechslungs-Vorfchläge mitge-
theilt hatte, noch feine Antwort erfolgt war ®,
1G. O. Bd. II, Folio 99: Schreiben des Renatus von Yphoven an
ben General-Major d. d. Weilerftabt den 16. Martii 1642 in originali und
demſelben abjchriftlich beigelegt das —— des Churfürſten Marimilian
ke 5 bei — Erbtruchſeſſen ꝛc. d. d. Münden 13. Martii 1642,
. O. Bd. II, Folio 90.
3 ein ° 'o. B. II, Folio 89: Das Schreiben an d'Oiſonville d. d.
6. März lautet:
ar Je vous &cerivis il y & trois jours par un extraordinaire
et vous priai de vouloir solliciter en Cour un ordre comme j'aurais à
me conduire en ce rencontre. Depuis est arrive ici le valet de cham-
bre de mon dit Sr. Horn qui m’a present deux lettres dont je vous
envoye cy-joint les copies...... or nonobstant quil y ait bien à
redire aux propositions que vous verrez dans la lettre du capitaine
d’Yphofen commissaire du Duc de Baviere, et que je ne sois pas si
sot, que d’envoyer Jehan de Vert en un lieu neutre avant que je
sois assurdE que le Sr. Horn y vienne, aussi je ne laissai pas de les
entretenir toujours en traitant jusqu'à ce que je regoive réponse A mes
440
Unter ſolchen Verhältniffen blieb dem General- Major nichts übrig,
al8 den Auswechslungstermin fomweit Hinaus zu rüden, dag in ber
Zwilchenzeit die verlangten Verhaltungs- Befehle noch eintreffen konnten.
Er nahm um fo weniger Anftand, dieſes Auskunftsmittel zu er=
greifen, als ber ſchwediſche Nefident Mokel ihm empfohlen hatte:
„fh wohl zu hüten, weder dem Herrn von Werth oder den Sei-
nigen, und noch viel weniger den bayeriichen Comiſſariis in einig
Weg zu entdeden, als ob die Sachen dießorts anftänden, ſondern allein
ob dem was neulich und unbillig . . . - - des Auswechjelplages wegen
zugemuthet worden, erhebliche Urſach zu nehmen, daß bis zur Einfunft
einer gehofften erfreulichen Refolution aus Franfreih die Zeit mit
Hin- und Widerfchreiben und Scicden gewonnen, ſolches aber ber=
maßen menagirt werden möge, daß ja die Bayerischen feine geuugſame
Urſach daraus ergreifen mögen, mit dem Herrn Feld-Marſchall wieder
zurüdzulauffen“ ?,
Den vorftehenden Rath des fchwedifchen Reſidenten befolgend,
jandte der General-Major den Mathias Hilgartner am gleichen Tag,
an welchem er in Breiſach angefommen war, am °/ıs. März nämlich,
mit feiner Antwort an den Hauptmann von Mphoven zurüd, in
welcher er den Auswechslungstag bis auf den !*/sı. März hinaus:
ſchob, obſchon in der plöglichen Unpäßlichkeit Jean de Werths und in
der fchweren Erfranfung Torftenfons ein Grund mehr für Beichleu-
nigung ber Auswechslung zu liegen fchien.
Der General-Major fchrieb nämlich dem baierifchen Commiſſarius:
„daß ihm der gethane Vorfchlag in Allem beliebig; feine jchriftliche
Gegen-Verfiherung, daß alles redlich ohne Falſch und einige Argliſt
zugehen folle, nehme er gleichfalls auf Cavalliers Parole an, welche
er fi laut feines vorigen Schreibens ebenmäßig ohne Betrug auf-
richtig zu halten nochmals obligire. Auch wolle er den Feld⸗Marſchall⸗
Leutenant von Werth, mit einem Obriftleutnant zwei Kittmeiftern
und 100 Pferden zum beſtimmten Wechfelplag begleiten laſſen, wo fie
künftigen Montag ben 4. März Morgens um 9 Uhr gewiß au«
fommen folfen. in Rittmeifter famt einem Trompeter und 4 Pferden
folfen eine halbe Stunde vorangehen, die Gelegenheit des Ortes zu be=
fichtigen, deßgleichen der Herr Hauptmann von feiner Seite zu thun
auch belieben wolle, damit beide Parteien fich vorderift, wo die Truppen
ftehen und auf welchem Plat zwifchen denfelben beide Herrn Generale
gegeneinander ausgeantwortet werben folfen, vergleichen mögen“ ac.
Am Ya. März, aljo drei Tage vor den feſtgeſetztem Termin,
kam endlich der langerfehnte Courier mit Briefen vom Hof zurüd.
Und zwar überbrachte derfelbe nicht nur Schreiben des Königs und
— — de ne donner sujet de plainte aux ministres de la Reine
e Suede.
! Siehe ©. DO. Bd. II, Folin 86: Schreiben Molel® d. d. Benfelb
5. März
23. Sehr. 1642,
441
des Minifters Desnoyers d. d. °/ıs. März aus Narbonue, ſondern
auch ein aus Agde vom *ıs. März datirtes Schreiben des Cardinals
Richelieu, worauf der General-Major den größten Werth legte, da er
des Beifalls dieſes legtern ficher fein wollte.
Der König befchränfte fi darauf, zu wiederholen, daß er die
Auswehslung, bisher durch die Feinde verhindert, beſchleunigt zu
jehen wünſche!.
Das Memoire, ebenfalls vom König unterzeichnet, jtellte die Art
und Weife, wie diefe Auswechslung geschehen folle, ganz und gar der
Klugheit und Vorjicht des General-Majors anheim und gab einige
Direetionen, wie man ſich dem Feld-Marſchall Horn gegenüber zu
benehmen habe, dem eröffnet werden jolle, daß der König alle andern
Anträge in Betreff der Piberirung Jean de Werths abgelehnt habe ;
im übrigen folle dem Feld-Marſchall Horn völlige Freiheit gelajfen
werden, ſei e8 nach Frankreich zu kommen, wo er einen guten Em—
pfang erwarten dürfe, ſei e8 direct nad) Schweden zu reiſen?.
Das Schreiben des Minifters Desnoyers bejtätigte den Inhalt
der Füniglihen Schreiben ®.
Der Cardinal Richelien aber empfahl ausdrücklich, den Feld-Mar-
ichall mit allen ihm gebührenden Ehren zu empfangen und denfelben
der hohen Achtung zu verfichern, in welcher er auch bei ihm ftehe®.
ı Siehe ©. O. Bd. II, Folio 94. Das Schreiben des Königs lautet:
Monsieur d’Erlach. Vous verrez par le mémoire que vous recevez
avec cette lettre, quelle est mon intention touchant l’&change du Ba-
ron de Vert avec le mar&chal Horn. Sur quoi n’ayant & vous faire
savoir d’avantage, je vous dirai seulement que je serai bien aise que
cette affaire soit ex&cutde apres tant de retardement que les enemis
y ont aporte. Priant sur ce Dieu quil vous ait Monsieur d’Erlach en
Sa Sainte Garde.
Ecrit & Narbonne le 13. Mars 1642,
Louis.
Sablet.
2 Siehe ©. DO. Bd. II, Folio 95. Im Memoire wurde gejagt:
L’intention du Roi est que l’&change du Baron de Vert se fasse
effectivement avec le Sr. mardchal Horn, S. M. voulant donner à la
Reine et Couronne de Sutde ce temoignage de la part quelle prend
a Ses interöts, outre quelle considere en cela le Sr. Oxenstern grand
Chancelier de Suede, dont le dit Sr. mardchal Horn est si proche, et
le merite particulier du dit Sr. mardchal. Sa Majeste commet cette
affaire & la prudence du dit Sr. d’Erlach, ne doutant point quil ne
sache bien prendre ses pr&cautions pour la faire avec sureté en sorte
quil ne soit point tromp& par les enemis. Quand le dit Sr. mardchal
Horn sera hors de leurs mains et en liberte, le dit Sr. d’Erlach lui
fora entendre avec quelle impatience Sa. Majeste a désiré sa delivrance
et avec quelle fermöte elle a refuse diverses propositions qui ont été
faites, pour celle du Baron de Vert sans cet échange etc.
s Siehe G. DO. Bd. II, Folio 97. Das Schreiben Des Noyers, ebenfalls
wie da8 Memoire aus Narbonne vom 13. März datirt, ift eine bloße Wieder:
holung defielben.
* Siehe ©. DO. Bd. II, Folio 96. Das Schreiben des Cardinals Niche-
fieu, das aud im 3. Bande der M&moires historiques ©, 44 abgebrudt ift,
442
Kaum hatte der General» Major diefe verichiebenen Schreiben
eınpfangen, durch welche das legte Hinderniß bejeitigt wurde, das ber
beabfichtigten Auswechslung noch entgegenftand, als er diejelben im Ori—
ginal dem Reſidenten Mofel nad) Benfeld überfandte, feiner Ueber—
zeugung getreu, daß, je größer das Mißtrauen, um fo größer aud)
die Offenheit fein müffe, durch welche jenes bekämpft werden foll.
Der ſchwediſche Refident, der urfprünglich ficherlicy nicht zu den
Berehrern de8 General-Majors gehörte, antwortete denn auch darauf
wörtlich folgendes':
„Hochwohlgeborner Geftrenger Herr General,
Großgünftiger Höchftgeehrter Herr!
Für die großgünftige Communication hiemit wiederfommender
Driginalien, auch Alles was zur Entledigung des Herrn Feld-Mar—
ſchalls Guſtaf Horns bishero jo gutmüthig und eifrig angewendet
worden, fonderlich aber für die erwiinfchte resolutiones, jo der Herr
Obriſte Mofer mündlich mitgebracht, fag ich ganz dienftlichen und ge—
horfamen Dank, Hab folches Alles nicht weniger gegen die fünig-
liche Majeftät zu Schweden, Meiner allergnädigften Königin und
Fräulein jelbit, al8 gegen Dero und Ihrer Reiche Kanzlern, der ſchul—
digen Gebühr nad) bereits uffs Höchfte angerühmt, und werde es
ferner zu preifen ohnabläffig continniren, ift auch an dein Danf, fo
darauf erfolgen würdt, durchaus nicht zu zweifeln; Wie folhen dern
Hochmohlermeldter Herr Feld» Marjchall zum forderjten perjönlich
ablegen wiürdt, warn Ihm Gott die Guad verleihet, vollends anhero
zu kommen, und ein oder andere Nothwendigfeit zur vorhabenden
Reis in Frankreich an Hand zu bringen. Jenes verhoffen wir
heute, diefen Tag zu erleben, und fein eben in Bereitſchaft, deßwegen
nach Rheinau entgegen zu ziehen, den Reitern fo die Convoi thun eine
falte Küch mitzubringen, und die erfolgende Freude anf den Abend
mit Löſung etlicher Canons allhier zu bezeugen. Darneben bitt id,
ganz dienftlih umb nur ein wenige Andeutung, was wegen des
Courriers fo diefe gute Brief von Hof gebracht für Ohnkoſten aufge=
gangen, folle der Gebühr nad dankbarlich refundirt werden. Reco—
lautet: Monsieur. Le Roi Vous envoyant ordre de faire l’&change du
general Jean de Vert avec Monsieur le mar6chal Horn, je prends la
plume pour vous faire connoitre particulierement que S. M. sera tres
aise que vous fassiez le dit dchange avec toute la courtoisie et la ci-
vilit& qu'il se pourra et que vous tdmoignez à mon dit Sr. marechal
Horn l’&stime qu’Elle fait de sa personne. Vous m’obligerez aussi
beaucoup de l’assurer de mon aflection et de mon service et du desir
que jai de lui en rendre des preuves aux occasions qui m’en donne-
ront lieu. En votre particulier Vous croirez, s’il vous plait, que je
n’en perdrai aucune de vous faire voir en effet que je suis veritablement,
Monsieur,
d’Agde 14. Mars 1642.
Votre tres affectionnd Serviteur
Le Cardinal de Richelieu.
" Siehe ©. O. Bd. II, Folio 100: Schreiben des Refidenten Mokel in
Benfeld an den General-Major bon Erlach, Gouverneur der Feftung Breiſach ac.
443
mandire Meinen Hochgeneigten Herrn General hiemit der Huld Gottes
und mic, feiner beharrlichen gratia. Datum Benfeld Marty
1642
Meines Hochgeneigten Großgünftigen
Herrn Generales
Gehorſam willigfter Knecht
und Diener
Friedrich Richardt Mokhel“.
So brach denn endlich der für die Auswechslung beſtimmte
14/94. März an.
Früh Morgens an diefem Tag fetten ſich Obriftlentnant ofen
mit zwei KRittmeiftern md 100 Pferden, in deren Mitte der Feld—
Marichall-Leutenant Jean de Werth, in Bewegung und ritten aus der
Feſtung Breiſach bis auf die Höhe von Yahr, wo fie unweit Mahl:
berg an der für die bevorjtehende Auswechslung bejtimmten Brücke
anhielten.
Durd) die beiderfeits vorausgeſchickten Nittmeifter war verabredet
worden, daß beide begleitenden Esforten auf der Seite der Brücke
ftehen bleiben jollten, von welcher fie auf die Brücke zugeritten waren,
während die auszuwechſelnden Generale allein die Brücke überjchreiten
und fi unter den Schuß der jenfeitigen Escorte ſtellen jollten.
Opriftlentnant Roſen, der zuerjt auf dem Plage angekommen
war, hatte feine Escorte dieffeit8 der Brücke bereits gehörig aufges
ftelft, al8 von der andern Seite die baierifche Escorte mit dem Feld—
Marſchall Horn ſich näherte.
Kaum erblicten die zuerjt anfommenden Baiern ihren alten hoch—
verehrten General in Mitte der Roſenſchen Reiter jenfeits der Brücke,
als fie von ihren Pferden jprangen und zu Fuß mit dem Feld-Mar—
Ihall Horn über die Brüde hinüber famen, Jean de Werth umrin-
gend und freudig begrüßend.
Die biefjeitige Escorte unter des Obriftleutnant Rofen Commando
verblieb dagegen im Sattel, fo daß es ihr ein Leichtes gewejen wäre,
wenn fie nicht durch Gavaliers- Parole gebunden geweſen wäre, bie
jenfeitige Escorte, die ohne Führer daftand, in die Flucht zu
ihlagen, und den baieriichen Commiſſär famt feinen Officieren mit
beiden Generalen in die Feftung Breiſach zu führen.
Jean de Werth war der einzige unter den Seinigen, welcher den
Fehler fühlte, den die baierifche Escorte begangen hatte; er war es
denn auch, der zum Aufbruch drängte.
Nachdem man fich gegenfeitig falutirt, ritten beide Escorten, den
——— General an ihrer Spitze, nach ihrem Standquartier
zurück!.
Dieſe Darſtellung iſt dem offieiellen Bericht wörtlich entnommen, welchen
der General: Major von Griah den Miniftern Des Noyers, Chaviguy am
16/4. März 1642 erftattet hat. Siehe ©. D. Bd. II, Folio 98. Das Thea-
trum Europaeum 3b. IV, S. 961 und auch Barthold II, S. 392 laſſen
die beiden Generale über Kriege: und Friedenszeitungen ſich unterhalten und in
444
Der Gouverneur von Breiſach war dem Feld-Marſchall Horn
bis Kenzingen entgegengeritten, ihm freiftellend, ob er nad) Benfeld
oder nach Breifach geleitet fein wolle.
Nachdem der Feld-Marſchall ſich für Breifach entfchieden Hatte,
ritt er dort unter dem Donner der Gefchüte ein, und wurde da=
febft mit allen militärischen Ehren und Auszeichnungen empfangen,
die feinem hohen Rang zufamen.
Der General-Major von Erlach, der wahrzunehmen glaubte,
Teld-Marfchal Horn hege ſtets noch ein gewiſſes Mißtrauen, als fei
Tranfreich feiner Auswechslung abgeneigt gewefen, handelte ihm gegen-
über in gleicher Weife, wie gegen den Refidenten Mofel, indem er
dein Feld-Marſchall feine ganze bezügliche Korrejpondenz im Original
vorlegte und ihm auf feinen Wunſch jogar Abjchriften der königlichen
Schreiben gab.
Dadurch jcheint der Feld-Marſchall jo jehr befriedigt worden zu
fein, daß er fich entjchloß, dem König und dem Gardinal Richelieu
feinen Dank perfönlih darzubringen.
Der König empfing ihm mit großer Auszeichnung im Yager von
Perpignan und beſchenkte ihn mit einem mit Diamanten reich bes
jetsten Degen.
Die vom General-Major von Erlach im Yaufe der Unterhand-
lung wiederholt ausgefprochene Anficht aber, daß Frankreich von der
Befreiung des Feld-Marſchalls Horn größere Vortheile, al8 von der:
jenigen Sean de Werts Nachtheile zu gewärtigen habe, Hat jich nicht
bewährt; zumal der Feld- Marjchall Horn nicht mehr an die Spike
der fchwedifchen Armeen getreten it, während Jean de Werth den
franzöfifchen Feldherren und Armeen noch ſchwere Schläge beigebracht
hat; dein Marjchall Guebriaut bei Rothweil und Zuttlingen 1643,
dem Herzog von Enghien vor Freiburg 1644 und Qurenne bei
Dachau, wenige Tage vor der Proclamirung des Friedens von Münfter
und Osnabrüd im October 1648.
ritterlicher Höflichkeit erfi von einander fcheiden, nachdem reichlich gemoffener
* ihr Geſpräch immer mehr belebt hatte? Der officielle Bericht erwähnt
nichts davon,
Der Wiener Congreß von 1515
und die Politik Marimiliand I. gegenüber
Preußen und Polen.
Bon
Xaver Liske.
I.
Seitdem ich im J. 1867 im VII. Bande der Forſchungen
meine Studie über den Wiener Congreß von 1515 veröffentlicht,
haben ſich meines Wiffens die Quellen für diefes jo wichtige Ereigniß
nicht wejentlich vermehrt. Cine Bemerkung des Prof. Hirih (SS. rer.
Prussicar. Band V, ©. 469) hat aber meine Aufinerkjamfeit auf
zwei bisher nicht benutzte Handichriften gelenkt, welche neues Material
für diefe Zufammenkunft enthalten follten. Prof. Hirſch Schreibt näm—
[ih an der citirten Stelle: „ein ausführlicher Bericht über diefe Ge—
jandtfchaftsreife Eberhard Ferbers nad Krakau und auf den Congreß
zu Preßburg mit vielen intereffanten Einzelheiten von der Weder eines
Theilnehmers diefer Reife findet ſich theils in Bornbachs Sammlung
der Randtagsreceife Tom. IV, ©. 728—818, theil® in einer Hand»
Ihrift der ehemal. Delrihsfchen Bibliothek (jet in der Bibliothek des
Joachimsthaliſchen Gymnafiums in Berlin, 8. Nr. 78), 82 Seiten,
welhe den Zitel führt: De itinere regis Polon. seripsit E. F.
aut Mgr. A., und in lateinischer Sprache denfelben Gegenjtand fürzer
und theilweife wenigſtens in felbitändiger Auffaffung darftellt, Die
Bemerkung am Schluſſe, daß diefe Handichrift am 13. Sept. 1515
in Wien auch gedruckt veröffentlicht ſei, fcheint ſich auf ein anderes
Bud) zu beziehen“. |
Diefer kurzen Erwähnung bin ich nun weiter nachgegangen, und
es ift mir gelungen, durch die Zuvorfommenheit des Prof. und Dans
jiger Stadtarchivars Herrn R. Boeszoermeny eine von ihm collatio«
nirte Abschrift des Bornbachſchen Receſſes! zu erlangen und durch
die Piberalität des Vorftandes der Joachimsthalſchen Bibliothek Herrn
Oberlehrer8 Dr. von Bamberg die Berliner Handirift hier an Ort
und Stelle in Lemberg benugen zu dürfen. Diefen Herrn erlaube
ih mir auch Hier nochmals meinen verbindlichiten Dank auszufprecen.
Welche Ergebnifje liefern mun die beiden ebengenannten Hand«
Ihriften ?
ı Die Bornbahihe Sammlung der Landtagsreceffe gehört befanntlich der
Uphagenſchen Bibliothel in Danzig an, fie befindet ſich aber jetst feit längerer
Zeit im Danziger Stadtardiv.
448
Der Name Stenzel Bornbachs (er lebte von 1530—1597) ift
zwar nicht ſeit langer Zeit, aber jet fchon wohl befannt in der
preußifchen Hiftoriographie. Unter feinen Werfen, die er im Ma—
nufeript hinterlajfen, nehmen den wichtigſten Pla ein: feine Samm
lung preußifcher Yandtagsreceffe, von der jetzt nur noch leider 6 Bände
aufgefunden worden find, und feine große preußiiche Chronik, heute
theil® in der Berliner föniglichen, theil® im der Danziger Uphagen-
hen Bibliothef. Die legtere hat Prof. Hirfch ausgiebig für die SS.
rer. Pruss. verwerthet.
Nicht geringere Bedeutung Hat die Sammlung der Landtagsre-
ceffe, zumal da die Originalreceffe diefer Yandtage und Zagfahrten,
welche fich heute noch in den preußifchen und vor Allem den Danziger
Archiv befinden, zahlreihen Schädigungen und Verftümmelungen unter
legen find, fo daß man fie nur allzu Häufig allein aus der Born
bachſchen Sammlung ergänzen kann!.
In diefer Sammlung, und zwar in Band VI, ©. 727—819,
findet fich ein vorwiegend im deutfcher Sprache gejchriebene® Tage⸗
buch) der Zufammenkunft zu Preßburg und Wien im Jahre 1515.
Es fragt ſich nun, wie fo kommt ein folches Tagebuch in eine
Sammlung, die doch ausfchlieglic den Landtagsreceifen der preußifchen
Stände gewidmet iſt? Dieſe Frage läßt ſich meines Erachtens ohne
Schwierigkeit beantworten. |
Als König Sigismund L von Polen beichloffen hatte nad Pref-
burg zu fahren und in Krakau über diejenigen Angelegenheiten ver
handelt werden follte, welche fpäter auf dem Congrefje mit dem Kö—
nige von Ungarn Wladislaus und dem Kaifer Marimilian den Ges
genftand eingehender Erwägungen bilden follten, da wurden auch durd)
den füniglichen Abgefandten Haphael Leszezynski, Starojten von Schlochau,
die preußischen Stände aufgefordert, ihre Deputirten nad) Krafau ab-
zuordnen, die nöthigenfall® den König auc nach Preßburg begleiten
dürften. Die preußifchen Stände beriethen darüber auf dem Landtage,
welcher fihh am 21. Januar 1515 verfammelte, und erwählten dem
königlichen Willen gemäß Deputirte, darunter als Vertreter Danzigs
den Eberhard Ferber?. Werber begab ſich fodann nad) Krakau am
2 Weber Bornbachs Perfon und die Wichtigkeit feiner Sammlungen ver:
gleihe: Preußische Sammlung (Danzig 1747) Band I, 307—321; Caſpat
Weinreichs Danziger Chronik heransgeg. u. erläut. von Th. Hirſch und Voß
berg (Berlin 1855) S. XXIV und XXVI; Th. Hirſch, Danzigs Handels- umd
Gewerbsgeſchichte unter der Herrichaft des deutichen Ordens (Leipzig 1858) 8.71;
SS. rerum Prussicarum, wo in dem Inder zu Band V alle auf Bornbad)
bezüglichen Stellen namhaft gemacht find.
ı SS, rer. Prussic. V, ©. 468. 469. Chriftoff Beyer der Aeltere ſchreibt
darüber fo in feiner Danziger Ehronit: „Die land und flette bilden auch ein
tagefahrt auf Agnetis (21. Januar 1515) zur Neumark im binderland, dor
den ein jendbote vom bern konige der herr Raphael hauptman zu Slochau fo-
men war, und von Dantzke gefant woren herr Gfert Ferber burgermeifter, Phi
lipp Biſchoff ratman und magifter Ambroſius der jecretarins. Alda war gt
handelt erftlich von wegen der notturft des landes und darnach, mas man vor
449
8. Februar 1515 zugleich mit dein Stadtjecretär Ambrofius Sturm!.
Bon Krakau fuhr er mit dem Könige nad) Preßburg, dann nad)
Wien, und fehrte am 29. Auguft 1515 nad) Danzig zurüd.
Während feines Aufenthaltes in Krakau, Preßburg und Wien
führte er ein ausführliches Tagebuch, in welchem er die hervorragen—
deren Begebenheiten verzeichnete. Da ihn auf diefer ganzen Reife der
Secretär Ambrojius Sturm begleitet hat, jo läßt es fich nicht ent—
ſcheiden, wer bei diefer Aufzeichnung die Feder geführt hat: Werber
jelbjt oder Sturm. Dies ift übrigens ein nebenfächlicher Umftand,
jedenfalls geſchah dies mit Wiffen und Willen Ferbers, jodaß wir
das Tagebuch als fein Werf betrachten dürfen.
Als fie nun am 29. Auguft nad) Danzig zurückgekehrt waren,
verſammelte fich bald darauf der preußifche Yandtag, auf den 30. No—
venber nad) Marienburg berufen. Auf diefen Yandtag wurde wie—
derum von Danzig Werber abgefandt, daß er vor den preußijchen
Ständen einen Bericht über die Preßburger und Wiener Verhand—
lungen erftatte?. Zu diefem Zwede ließ er aus feinem Zagebuche
einen Auszug anfertigen, und diefen legte er den Ständen als jeinen
Bericht vor. Ä
Diefen Bericht fand Bornbah in den Danziger Alten vor und
verleibte ihn im einer Abichrift feiner Sammlung der Yandtagsreceife
ein. Ein Fragment des Originalauszuges Ferbers, welches bis zu
der Ankunft des Cardinals von Gurk in Preßburg reicht, befindet
fih nody heut zu Tage in dem Danziger Stadtardiv, nimmt 17 Fo—
liofeiten ein und bricht mit den Worten (deficiunt 30 folia’ abs.
Aller Wahrjcheinlichkeit nah alfo Hat Bornbach eben diefen
derberfchen Driginalreceß in feiner Sammlung abgejchrieben (die
gelandten len Crokau auf den reichstag ſchicken wolte auf befehl fgl. Mat., fo
duch den herr Raphael geſchach. Alfo war do geforen erftlic) von wegen der
lande herr Zörge von Bayſen und herr Ludwig von Mortangen, von der ftete
wegen aber als von Thorn herr Saufel burgermeifter und von Danczt herr
Efert Ferber burgermeifter. Diele folden ziehen auf die große tagefahrt fen
Krofe und vortan mit fol. Mat. und jeinen rethen fen Preßburgt oder wo es
weiter von thuende fein wirt“.
ı Chriftoff Beyer der Aeltere beichreibt die Abreife Eberhard Ferbers fo
(SS. rer. Prussie. V, 469): „Herr Efert Ferber machte ſich auf die fart mit
magiftro Ambrofio des donnerstages nad) s. Dorothee (8. Februar) und rü—
ftete ſich hüpſch und fertig zu mad feinem ritterlichen ftande, dem fenige zur eh-
ten, nam mit fih 16 beyreiters, 4 hupfche braune pferde vor feinem wagen,
6 pferde vor dem fpeifewagen und noch 2 wagen mit ſoldners, puchſen und
Tpiffen, jeder wagen zu 3 pferden, umd des kochs wagen hatt auch 3 pferde,
fumma das in alles war 35 pferde; dorneben zogen mod; mitte etliche burgere
und burgerfinder, als herr Pegnis, Hanus Nimptſch und andere mehr, alle
wol gezieret und zum ernft wol geruſt“.
2Chriſtoff Beyer der Aeltere (SS. rer. Prussic. V, 473) evzählt: „Es
war zur tagfart geforen der herr Efert Ferber, auf das er mochte vor land und
fetten relation einbringen aus der tagfart von Presburgk und Win, wie die
— vorhandlunge zuegegangen were noch laut des receſſes, ſo daruber ge—
macht iſt“.
®° Diefe Nachricht verdanke ich der Güte des Herrn R. Boeszoermeny.
450
Bornbachſche Kopie ftimmt nämlich wörtlich mit diefem Fragment
überein) und die weiteren entlehuten 30 Folioblätter nicht mehr den
Archiv zurückgeſtellt.
Ich habe bereits erwähnt, daß Ferber während ſeiner ganzen
Reiſe ein ausführliches Tagebuch geführt und den Ständen nur einen
Auszug aus demſelben vorgelegt hat. Daß dem ſo war, davon wer—
den wir uns überzeugen, wenn wir die Berliner Handſchrift näher
betrachten. Hier aber muß ich ſchon im voraus ſagen, daß aller
Wahrſcheinlichkeit nach jenes urſprüngliche Tagebuch Ferbers ganz in
lateiniſcher Sprache abgefaßt war, und daß den den Ständen vorge—
legten deutſchen Auszug nicht er ſelbſt angefertigt hat, ſondern viel—
leicht einer der Secretäre unter ſeiner nicht ſehr ſorgfältigen Controlle.
Ich ſchließe dies daraus, daß in dem von Bornbach copirten
Auszuge an einer Stelle (fol. 795 der Uphagenſchen Handſchrift)
Erzherzog Karl „nefe“ Marimilians genannt wird und an einer ans
deren (fol. 810) Erzherzog Ferdinand „Ichweiterjoen“ des Kaiſers.
Es ijt durchaus nicht vorauszujfegen, daß Werber nicht gewußt hätte,
die Erzherzöge Karl und Ferdinand feien Enfel Marimilians geweien,
wie er fie übrigens au anderen Stellen jelbft nennt, und jene irr-
thümliche Ausdrucsweife konnte nur dadurch entjtehen, daß der,
welcher den Auszug anfertigte, einen lateinischen Text vor ſich hatte
und die Bezeihnung nepos durd) „nefe“ und „Ichweiterfoen“ wie—
dergegeben hat. Zrogdem jcheint der Auszug im Allgemeinen correct
zu fein. Er ijt übrigens nicht von Anfang bi8 Ende im deutjcher
Sprache gefchrieben, jondern längere Abjäge find in der lateinifchen
wiedergegeben.
In diefem Tagebuche, fo wie wir es jet in der Uphagenſchen
Haudichrift haben, erzählt Ferber nur das, woran er perfönlich Theil
genommen, oder wenigitens das, was er von den hervorragenditen
Perjönlichkeiten, dem Könige, feinen Minijtern oder anderen polnifchen
Großen erfahren. Es it dies aljo eine Quelle erjten Ranges, die
in ihr mitgetheilten Nachrichten ſtammen vorwiegend aus erfter Hand.
Menn mir den JInhalt unſeres Tagebuches mit den uns bes
fannten Diarien der Zufammenfunft zu Preßburg und Wien ver
gleihen, aljo mit Bartholin und GCufpinian, jo werden wir ohne
Zweifel zugeben, daß das Werberiche Tagebuch in Bezug auf politiiche
Bedeutung bei Weitem höher zu ſtellen ift als die beiden fo eben
genannten. Bartholin und Gufpinian bejchäftigen ſich beinahe aus—
ſchließlich mit den Aeußerlichkeiten der Zuſammenkunft: den Feſtlich—
feiten, VBergnügungen, Gelagen, Gejchenfen, öffentlichen Sitzungen; von
den Verhandlungen und Berathungen findet fi) bei ihnen beinahe
fein Wort. Ganz anders Werber, fiir ihm Handelt es ſich vor Allen
um die politische Bedeutung der Monardenzufammenkunft, um das
was verhandelt und berathen wurde, darüber alfo breitet er ſich des
Weiteren aus. Bisher, wenn wir über diefe Berathungen und Ber:
handlungen Aufichluß erhalten wollten, waren wir genöthigt, beinahe
als einzige Quelle die in den Act. Tomician. abgedrudten Briefe
451
des Königs Sigismund zu benußen, und in ihnen waren mur einzelne
abgebrochene und dürftige Beinerfungen darüber zu finden. Jetzt aljo
haben wir in dem Tagebuche Ferbers neues Material, welches unfere
bisherigen Nachrichten erheblich ergänzt. Von Allem, was die Ver—
handlungen über die preußifche Angelegenheit anbetrifft, liefert ung
Ferber jehr ausführliche und ausgiebige Nachrichten, und darauf beruht
auch vor Allem die Bedeutung feines Tagebuches. An diefen Ver—
handlungen hat er, fo viel ich jehe, ohne Ausnahme perfönlich Theil
genommen, zu wiederholten Malen jelbjt das Wort ergriffen, in meh—
reren Audienzen darüber mit dem Könige, dem Kanzler und Unter-
fanzler Rath; gepflogen. Ebenſo finden wir bei ihm über die Vorbe—
reitungen zu der Tagfahrt, über die Berathungen, welche vorher in
Krakau zwifchen dem Könige Sigismund und feinen Räthen geführt
wurden, Nachrichten, die wir vergeblid in einer anderen Quelle fuchen
würden. So erjehen wir, daß die polnische Regierung jpeciell für die
bevorstehende Zufammenfunft mit dem Kaiſer durch den in den preußis
ſchen Angelegenheiten von dem polnischen Hofe häufig verwandten
Spanier Garcias Quadros ein bejonderes, die Drdensjache betreffen-
des ausführliches Memorial ausarbeiten ließ, welches in einer Sigung
des polnischen Rathes, an der aud) die preußiichen Abgeordneten Theil
nahmen, vorgelefen und näher erörtert wurde. Das Ablefen diejes
Shriftftücles nahm allein zwei Stunden in Anfprud. An der Dis-
cuffion betheiligten ſich von preußifcher Seite Georg von Baifen,
Yudwig von Mortangen, Konrad Hitfeld und Eberhard Ferber, und
wir finden ihre Reden in dem Zagebuche ausführlich angeführt, am
ausführlichiten die Ferbers. Werber wußte fih eine Abjchrift diejes
Memorial in Prefburg zu verichaffen und Hat fie dem Danziger
Rath übergeben, in dem Tagebuche findet fi aber nur eine Ynhaltsr
angabe !.
Intereſſanter noch iſt das, was uns Ferber über die in Pref-
burg in der preußifchen Sache gepflogenen Unterhandlungen erzählt,
und er ift auch Hier al8 Theilnehmer an diejen Unterhandlungen aufs
beite unterrichtet.
Wo er aber nicht perfönlich Theil genommen, da fußt er aus—
ſchließlich auf offiziellen Berichten der Theilnehmer, wie 3.3. des Car—
dinal8 von Gran. Aus diefer ganzen, bei Ferber lang ausgeſponne—
nen Darftellung (fol. 769 und 770, 773—775 der Uphagenfchen
Handihrift) erjehen wir, daß fich die polniihe Diplomatie mit Ein-
ſchluß Ferbers gegenüber dem Verlangen des Cardinals von Gurf, daß
in die die preußische Sache jchlichtende Urkunde folgende für Polen
jehr fatale Worte aufgenommen werden follten: Salvis his, quae
debentur Romano imperio, im Allgemeinen ziemlih mürbe
bewies (charafteriftiich ijt vor Allem die am 11. April in dem fö-
niglichen Nathe von Werber gehaltene Kede) und daß, wenn der Gar-
* Dieſe intereſſante Verhandlung vom 28. Februar 1515 findet ſich fol.
—745.
XVIIL. 30
462
dinal und der Kaijer auf dieſem Zufage entfchieden beftanden, fie ihn
aller Wahricheinlichkeit nach auch durchgeſetzt Hätten.
Nicht jo viel und nicht jo wichtiges weiß Werber über die Che
unterhandlungen zu erzählen, aber auch hier findet fi) für den Kun—
digen manche intereffante Nachricht, wie 3. B. die (fol. 771) über
eine „echtihaft die Lande Dejterreih und Stewermarf aljo zu vor-
jegen oder zu vorfchreiben, das fie an die crone Ungern, Polen und
Behemen folden vorfallen“.
Am alferwenigften finden wir über die moskowitiſche Sadıe.
Die Mdoptionsurfunde wird auch nicht mit einem Worte er-
wähnt, augenjcheinlich war ſie nur dem gefrönten Häuptern und ihren
nächjiten Nathgebern befannt. Aber auch diefes Tagebuch bejtärkt
mic in meiner in der Studie über den Kongreß ausgejprochenen Ber
muthung, daß über diefes fonderbare Schriftjtüd erft in Wien ver-
handelt wurde, daß der Kaiſer dadurd feinen Gäften ein für ihn fehr
billige8 und dem Anfcheine nach äußert glänzendes Geſchenk anbieten
wollte, um ſich auf diefe Weife theils dankbar zu beweiſen, theild
is die Könige noch tiefer in feine Pläne und Abfichten Hineinzu-
ziehen.
Wenn ich num noch hinzufüge, daß wir auch manches culturges
Ihichtlich wichtige Detail in diefem Tagebuche finden, wenn wir aud
diefe Einzelheiten nicht jo hoch ftellen, wie die die diplomatifchen Uns
terhandlungen betreffenden Nachrichten, zumal Bartholin und Cuſpi⸗
nian in diefer Hinficht viel reichhaltigeres Material bieten, und daß
uns Ferber einen eingehenden Bericht über die Rückreiſe des Königs
Sigismund I. von Wien nad) Krafau liefert und auch dadurd) eine
Lüde ausfüllt, fo habe ich wohl in allgemeinen Zügen die Tragweite
diefer bisher unbefannten und unbenugten Quelle hinlänglich charafterifirt.
Unter den Handichriften des Joachimsthalſchen Gymmafiums in
Berlin befindet fi) ein Heiner ungebundener Quartband (VII, On.
78), der aus der ehemaligen Bibliotheca Oelrichsiana in die Gym-
nafialbibliothef übergegangen: ift.
Er zählt 44 unpaginirte Blätter, von dieſen das letzte unbefchrieben,
und ift von Anfang bis Ende von derjelben Hand gefchrieben ; die
Schrift hat viele Abbreviaturen, ift aber fonft leſerlich und deutlich
und gehört nad meinem Dafürhalten ihrem Character nach in die
zweite Hälfte des XVI. oder den Anfang des XVII. Jahrhunderte.
Das Waſſerzeichen des Papiers ftellt einen Adler dar mit ausgebrei:
teten Flügeln, nad) rechts gewandtem Kopf und geöffnetem Schnabel.
Die ganze Handfchrift befteht aus vier Yagen, die erfte von 8, die
drei folgenden von je 12 Blättern, in Summa 44 Blätter,
Sie enthält ein in lateinischer Sprache gejchriebenes Tagebuch
der Prefburger und Wiener Zufammenkunft vom J. 1515, abgefakt
nicht von einem Augenzeugen, fondern von einem am Ende des XVL
oder am Anfange des XVII. Yahrhunderts Lebenden Compilator.
453
Diefer Name Compilator harakterifirt vollfommen die Thätigfeit des
Berfaffers, denn dieſes Tagebuch ift eine Compilation aus zwei an—
deren Tagebüchern, und zwar dem urjprünglichen Tagebuch Ferbers
und dem des Richard Bartholinus.
Die Entftehung diefes Tagebuches witrde ich auf folgende Weife
erflären, In der zweiten Hälfte des XVI. oder am Anfange des
XV. Yahrhumderts lebte eine uns übrigend nicht näher befannte
Perfönlichkeit, welche das handichriftliche urfprüngliche Tagebuch Fer-
ber8 und den aus dem Jahre 1515 ftammenden erften Drud des
Bartholinſchen Tagebuchs befeffen hat. Aus diefen beiden Tagebüchern
beſchloß unfer Compilator ein neues volljtändigeres zuſammenzuſetzen,
und zwar wo möglich mit den Worten feiner beiden Quellen.
Zu welchen Zwede er diefe Arbeit unternommen, weiß ich nicht
zu jagen, es fcheint aber nicht dazu, um fie zu druden. Die Be—
nugung feiner Quellen hat er übrigens nicht verheimlicht, fondern
führt die Namen derjelben häufig an, theild auf dem Rande, theils
im Zerte jelbft. Sogleih an der Spige feiner Compilation hat er
urfprünglid; die Worte verzeichnet: Locupletius nonnulla
de itinere Regis Poloniae scripsit E. F. (das ift au—
genſcheinlich Eberhard Ferber) aut magister A, (was nur Am⸗
brofius Sturm. bedeuten kann) anno domini 1515, ut se-
quitur. Dann aber hat er die beiden erften Worte (Locupletius
nonnulla) ausgeftrichen und nur den Reſt belafjen.
Das ganze Tagebuch befteht aljo nur aus Abjchnitten aus dem
urfprünglichen Ferberfhen und dem Bartholinfhen Tagebuche. Da
das lestere Tagebuch bereits zu wiederholten Malen gedrudt worden ift,
jo würde die Arbeit des Compilators heute für uns gar feinen Werth
haben, werm wir das urjprünglice Tagebuch Ferbers beſäßen. Da
wir aber mur jenen Auszug befigen, den Ferber den preußifchen
Ständen in Marienburg vorgelegt hat, jo gewinnt die Arbeit des
Compilatörs an Bedeutung al8 dankenswerthes Supplement zu dem
Verberichen Auszuge.
Daß aber Ferber wirklich außer jenem Auszuge in Krakau,
Prefburg und Wien ein bei Weiten ausführliceres Tagebuch geführt
bat, und daß unfer Sompilator aus ihm ganze Seiten ausgefchrieben,
daran kann Niemand zweifeln, der den Text der Joachimsthaler
Handichrift mit dem Bornbachſchen Receſſe verglichen Hat. Stellen-
weife ftimmt unfere Compilation wörtlid) mit Ferbers Auszuge über«
ein, an anderen Stellen aber ijt fie viel reichhaltiger und ausführ-
licher ; eine ganze Neihe von Tagen, vor Allem der Anfang der Reife
Königs Sigismund, welche in dem Ferberichen Auszuge entweder ganz
ausgelaffen oder nur kurz ſtizzirt find, finden ſich hier eingehend dar-
geftellt. Im Betracht diefer Aehnlichkeiten und Unterfchiede dürfte
vielleicht Jemand zu dem Glauben verleitet fein, daß unſer Compilator
drei Quellen benutt hat: den Ferberſchen Auszug, das Bartholinfche
Tagebuch und noch eine dritte uns Heute unbekannte, von beiden ver—
fchiedene. Eine folhe Vermuthung hätte vieles für fi, wenn unfer
30*
454
Compilator bei der überwiegend größern Zahl der Stellen, welche id
in dem Ferberfchen Auszuge nicht befinden und auch aus Bartholin
nicht entlehnt find, nicht die Buchſtaben E. F. Hinzugefetst hätte oder
noch ausführlier: ut E. F.seribit, oder endlid), wie glei am
Anfange: seripsit E. F. aut magister A. ut sequitur.
So kann es alfo feinem Zweifel unterliegen, daß unſer Compis
lator nur zwei Quellen benutzt hat: das Tagebuch Ferbers und Bar:
tholin. Da wir aber trogdem bei ihm eine Menge von Abſätzen fin-
den, die wir in dem oben befprochenen Ferberſchen Tagebuche verge-
bens fuchen würden, fo fönnen wir dies nicht anders erklären, als
eben durch die Annahme, daß Ferber während feiner Reiſe ein aus
führliches Tagebuch) geführt und den Ständen in Marienburg nur
einen Auszug vorgelegt hat, den Bornbad in feiner Sammlung ab—
gejchrieben.
Diefes urfprüngliche Tagebuch Ferbers war aber aller Wahr-
Icheinlichfeit nad in lateinischer Sprache gefchrieben. Einen Beweis
habe ich bereit8 oben angeführt. Die Joachimsthalſche Compilation
beftärft mich in diefer Meinung, fie enthält nämlich auch nicht den
geringften Pafjus in deutfher Sprade und giebt Reden und Ge-
ſpräche, die lateinifch gehalten wurden und die in dem Ferberſchen
Auszuge deutjch gegeben werden, in lateinifcher Sprache, und zwar fo,
daß fie ohne allen Zweifel nicht aus dem Deutſchen zurücküberſetzt,
fondern fofort urſprünglich lateinisch niedergefchriebeu worden find.
Der Compilator hat aber feine Quellen nicht immer gleichmäßig
behandelt. Anfangs fchreibt er ganze Seiten (S. 1—13 der oa-
chimsth. Handfhrift) wörtlic aus Ferbers Tagebud) ab, und das ift das
Werthvollſte in feiner Compilation, denn gerade diefe Stellen finden
ſich zum alfergrößten Theile nicht in dem Auszuge Ferbers. Dann
nimmt er Bartholins Tagebuch vor und bringt nun vom 11. de
bruar an (S. 13 der Handichrift) eine Compilation zu Stande, in
der Abfäge aus Werber mit entweder wörtlich aus Bartholin entnom—
menen oder auch abgefürzten und nur hie und da etwas veränderten
fürzeren und längeren Abjchnitten abwechjeln. Im weiteren Verlauf
feiner Compilirung aber wird er entweder diefer Mofaifarbeit über-
drüffig, oder es zieht ihn die Bartholinfche Beichreibung mehr an,
furz je weiter vorwärts, je weniger wird Ferber benutzt. Mit S. 52
hat er ſchon beinahe ganz Werber bei Seite gejchoben, fo daß wir
S. 52 bis 60 nur einen beinahe wörtlichen Auszug aus Bartholimus
finden. ©. 61 und 62 fehrt er aber wieder zu Ferber zurüd umd
giebt und aus ihm einen längeren Paſſus, welcher wiederum nur
theilweife in dem Auszuge erhalten if. In der Mitte der ©. 62
wird endlich Ferber ganz im Stiche gelaſſen, und jetst Mitte der
©. 62 bis 86, d.h. der legten bejchriebenen, giebt er uns nur einen
Auszug aus Bartholinus, und das Ferberſche Tagebuch ift ihm in
Folge diejes fo langen Ausfchreibens aus Bartholin der Art aus dem
— entſchwunden, daß er zum Schluß feiner Compilation hin
zufeßt :
455
Hieronimus Vietor hoc opus Richardi impressit Viennae.
Quod impressioni 14. Cal. Septemb. datum est. Absolutum
vero Idibus Septembris A. domini 1515.
Augenfcheinlich bezieht ſich diefer Zujag auf das befannte Ho-
doeporicon Bartholins, welches wirklich im J. 1515 zum erjten
Male gedrudt wurde, und nicht auf die Compilation der Joachims-
thalſchen Handichrift, wie Prof. Hirſch anfänglich geglaubt hat.
Wir fünnen alfo den Text der Joachimsthalſchen Handichrift in
drei Kategorien eintheilen. Die wichtigiten Stellen find die, welche der
Compilator zwar aus Ferbers Tagebuch entnommen hat, aber die ſich
in dem heute befannten Auszuge nicht finden. Viel weniger Werth
haben die Stellen, welche der Compilator abgefürzt oder wörtlich
ebenfalls dem Ferberſchen Tagebuche entlehnt hat, aber die fich aud)
in dem uns bekannten Auszuge finden: einige von ihnen find ganz
werthlo8, andere wiederum, wie 3. B. die urfprünglich lateinifch ge>
haltenen Reden, die der Compilator auch lateinifch giebt, verdienen
Berücfichtigung, da der Ferberfche Auszug fie nur in einer nicht
immer gelungenen deutfchen Ueberſetzung enthält. Zur dritten Kategorie
gehören die wörtlich) oder gefürzt aus Bartholin entnommenen Abfäge,
diefe haben jelbftverftändlich feinen Werth.
Der Compilator Hat fich übrigens beinahe ſklaviſch an feine Vor-
lagen gehalten, wichtigere Veränderungen hat er eigentlidy gar nicht
vorgenommen, nur einzelne Abfchnitte, die ihm nicht intereffirten, Hat
er ausgelajjen, andere gekürzt und einzig und allein Ausrufe und
Bemerkungen religiöfer Natur Hinzugefügt, aus denen wir erjehen
fönnen, daß er eifriger Proteftant gewejen, dem die Geremonien der
katholifchen Kirche gründlich mißfielen und als tenebrae antiqui tem-
poris, wie er an einer Stelle fagt, erjchienen.
Es unterliegt weiter, meiner Anfiht nad), feinem Zweifel, daß
ne Joachimsthaler Handichrift das Originalmanufeript des Gompi-
ators ijt.
Dies ift aus verfchiedenen Gorrecturen erfichtlih, die der Ver—
faffer in feinem Claborat bewerkſtelligt. An manden Stellen hat er
bereit8 begonnen einen Sag aus Bartholin abzufchreiben, dann be—
finmt er ſich eines befferen, ftreicht die begonnenen Worte aus und
Ihiebt einen anderen Sat aus Bartholin oder Ferber ein.
Was die Nationalität des Compilators anbetrifft, fo läßt ſich
die Vermuthung aufftellen, derſelbe fei ein Deutfcher gewefen: die
deutichen Namen fchreibt er correct, ausländifche zum Theil mit deut-
her Orthographie.
Aus diefer Compilation können wir am beiten erjehen, um wie
vieles reichhaltiger das urfprüngliche Tagebuch Ferbers als der oben
beichriebene Auszug gewefen ift. Der Auszug befhäftigt fi, da er
den preußifchen Ständen als Bericht vorgelegt wurde, vorwiegend mit
der preußiichen Sache. Das urſprüngliche Tagebuch Ferbers dagegen
enthielt überhaupt eine Befchreibung der königlichen Reife, der Verfaſſer
theilte die gehaltenen Reden mit, bejchrieb die Luftbarkeiten, Gelage
456
verbreitete fi über anderweitige Unterhandlungen, copirte Corre⸗
fpondenzen, berichtete über Geipräce, verzeichnete mit einem Worte
Alles, was er gejehen und gehört, Alles dies hat Ferber in feinem
Auszuge weggelafien.
Der Verfaffer der Joachimsthaler Handichrift, den die preußiſche
Sache augenscheinlich nicht jo viel interejfirte, hat nun wiederum die
dieſe Angelegenheit betreffenden Berichte weggelaffen und dagegen folde
abgefjchrieben, die vorwiegend culturhiftoriiche Bedeutung haben, aber
auch päpftliche Schreiben, Briefe des Kaiſers, de8 Cardinals von
Surf. So bildet aljo diefe Compilation ein dankenswerthes Suppler
ment zu dem Ferberſchen Auszuge, und erſt wenn wir beide neben ein
ander jtellen, fönnen wir jehen, wie reich) an Nachrichten das ur
fprüngliche Tagebuch Ferbers geweſen fei.
Beide Tagebücher nun, ſowohl den Ferberſchen Auszug, wie die
Compilation der Berliner Handſchrift, habe ich in den Schriften der
Krakauer Akademie veröffentlicht, mit polniſchem Titel, polnischer Ein
leitung und polnischen Noten, den Text ſelbſt in der Sprade der
Handihriften, und zwar in dem im Laufe diefes (1878) Jahres
ericheinenden Bande des Archivs der hiſtoriſchen Commiffion dieſer
Afademie ; einige wenige Separatabdrüde find unter dem Titel: Dwa
dyaryusze kongresu wiedenskiego z roku 1515 (Zwei Tage:
bücher des Wiener Congrejjes von 1515) bereits erjchienen.
Il.
Das Berhalten Marimilians I. gegenüber Preußen und Polen
in den Jahren 1513—1515 ift jüngft von Brof. H. Ulmaun (Forid).
z. D. ©. XVII, 89—109) zum Gegenftande einer befonderen Ab»
handlung gemacht worden. Bisher herrſchte darüber die beinahe ein
müthige Meinung, daß Marimilian die Sache des deutſchen Ordens
fo lange lau betrieben habe, al8 nicht feine dynaftischen Intereſſen in
Colliſion mit dem Auftreten des polnischen Hofes gerathen waren;
erst da rafft er fich plöglich zu einer äußerſt energiſchen Thätigfeit
auf, arbeitet an dem Zuftandefommen eines großen Bündniſſes gegen
Polen, theil® um dadurch den deutichen Orden von der Huldigungs
pflicht zu befreien, theil$ aber und dies vor Allem, um feine dynafti-
ſchen auf Böhmen und Ungarn gerichteten Beftrebungen ins Werl
zu fegen und Polen abzuhalten, ihm hierin Hinderniffe entgegenzu-
jtelfen. Als er diefes Ziel erreicht, als König Sigismund zu Preß—
burg und Wien in die Ehebündnijfe zwifchen den faiferlichen Enteln
und den Kindern des Königs von Ungarn eingewilligt, ſchwenkt er
plöglih um, läßt den Orden und feinen früheren Verbündeten, den
Großfürften von Moslau, im Stiche und wird aus einem Gegner
Sigismunds fein aufrichtigfter Freund. Diefe Anficht habe aud) ic
in meiner Studie über den Wiener Congreß von 1515 (Forſch. VII)
vertreten oder, wie Hr. Prof. Ulmann fagt, ich habe fie zum Angels
punkt diefes meines Aufjages gemacht. Prof. Ulmann bemüht ſich
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nun, die Sache fo barzuftellen, als ob Kaifer Marimilian bei einem
folhen Gebahren ſich nicht von dynaſtiſchen Intereſſen Hätte leiten
laſſen, ſondern von der Rüdficht auf das Wohl umd Wehe des deut-
chen Ordens, als ob e8 ſich für ihm vorzugsweife oder vielleicht aus—
ſchließlich darum gehandelt hätte, den Orden von der polnifchen Ab-
hängigfeit zu befreien, und endlich al8 ob er diefe Beitrebungen erft
dann verlaffen, al& er fich überzeugt, daß das deutfche Reid) ihn voll-
jtändig im Stiche lajfen werde.
Ich glaube jo in allgemeinen Zügen richtig die beiden entgegen-
gejetsten Meinungen charakterifirt zu haben: die einen jtellen bei Mari-
milians Gebahren die dynaftiichen Beftrebungen an den erjten Platz,
Ulmann jchiebt fie ganz in den Hintergrund.
Die Streitfrage iſt — glaube id — nicht jo Leicht zu entjchei-
den, es handelt fi) hier vor Allem weniger um den Sachverhalt,
mehr um Beweggründe, und auf diefem Felde hängt die Entſcheidung
doch wohl jtet8 bedeutend von der Subjectivität des Autors ab.
Aber ein richtiger Thatbeftand muß auch naturgemäß zu richti=
geren Motiven führen, und wenn die Vertreter jener oben jfizzirten
Anfichten jo jtark divergiren, fo wird e8 wohl zum großen Theil dem
zuzujchreiben fein, daß bisher der Thatbeftand noch nicht mit völliger
Sicherheit feitgejtellt ift.
Ich gebe vollkommen zu, daß, wenn ic) heute, elf Jahre nad
dem Erfcheinen meiner Studie über den Kongreß von Wien, über diejes
Ereigniß ſchreiben follte, die Einleitung in vielen Stüden ander aus—
fallen würde, als es damals der Fall war. Seitdem find neue
QDuellenpublicationen und zumal in der polnischen Literatur zahlreiche
Monographien erjchienen, welche manchen einleitenden Punkt in einem
klareren Lichte daritellen, ich würde daraus und aus meinen eigenen
weiteren Studien Vortheil ziehen und könnte hie und da zu einer ab-
weichenden Anficht gelangen, aber der „Angelpunft“ würde dennod)
verbleiben.
Soll die Anficht, welche auch ich vertreten habe, daß Marimilian
bei feinem Verhalten dem deutichen Orden gegenüber ſich vorwiegend
von feinem dynaſtiſchen Intereſſe leiten ließ, ftichhaltig fein, jo muß
in feinem Gebahren ein Wendepunft wahrzunehmen fein und diefer
kann nur dort liegen, wo das Verfahren des polniichen Hofes biefen
dynaſtiſchen Antereffen in den Weg zu treten fchien. Bekanntlich ift
diejer Zeitpunkt die Vermählung Sigismunds I. mit Barbara Z&-
polya, der Schweiter jenes ungariſchen Magnaten, welcher vor Allen
die antiöfterreichiiche Partei vertrat. Wann diefe Vermählung zu
Stande fam, ift allgemein befannt; aber warm begannen die erſten
Unterhandlungen über diefe Verbindung? Das wäre der erjte Streit-
punft. U. fagt nun (a.a.D.©. 93 Note 1): „Wie Liste a. a. O.
470 aus den dafelbft Anm. 2 citierten Aktenftücden entnehmen kann,
daß Schon in Breslau zwifchen König Wladislaw und Petrus To—
midi davon die Rede geweſen, verftehe ich nicht. Sicher ift, daß
Marimilian vorher nichts ahnte und noch nad) bereits getroffener
458
Heirathsabrede dem Polenkönig eine Braut feiner Wahl offerirte.
Acta Tomic. II, Nr. 16*. Ein aufmerfjamer Lejer wird aber wahr»
uehmen, daß ich an der angeführten Stelle aus den dafelbft citierten
Aktenſtücken gar nicht das herausgelefen habe, was U. will: ich Habe
©. 470 Note 2 nur die betreffenden Aktenſtücke angeführt, welche
beweifen follen, daß Petrus Tomidi im März 1511 an Wladislaw
nad) Breslau gefchieft wurde, und darauf habe ich die Bermuthung
aufgeftellt: „hier fcheint die Heirath zum erjten Male befprochen wor:
den zu fein“. Diefe meine aus der allgemeinen Sadlage und nicht
aus jenen Aktenjtücen gefhöpfte Vermuthung bejtätigt ſich aber jetzt
vollfommen.
Den Gefandten wurden gewöhnlich öffentliche und geheime In—
ftructionen mitgegeben, und in der Acta Tomiciana betitelten Samm-
lung finden ſich auch in der Regel beide veröffentlicht. Bei der ftrei-
tigen Gejandtihaft Tomidis aber finden wir nur die öffentliche In—
ftruction abgedruckt, ſei e8 aus Nachläffigkeit' des Herausgebers, jei
es, daß diejelbe in dem von ihm benutzten Goder gefehlt hat. Nun
hat aber vor langen Jahren Engel in v. Schedius Zeitihrift von
und für Ungarn (Peith 1802) eine Abhandlung unter dem Zitel:
„Actenmäßige Skizze der Unternehmungen Joh. Zäapolya’s v. 1507—
1515“ veröffentlicht. Derfelbe hat bei der Abfaffung diefes Auffates
ein ihm vom Grafen Offolinsfi geliehenes Ereinplar der Acta Tomic.
benugt und zum größten Theil für diefe Frage excerpirt. Nachdem
er num (I, 162) die Gefandtihaft Tomidis nad) Breslau vom J.
1511 wörtlich nad) den uns bekannten Inſtructionen und Reden be-
fchrieben, fchreibt er weiter: „Allein Tomicki hatte auch geheime Auf-
träge, und dieje beftanden darin, daß fih Sigmund entichloffen habe
zu heirathen, und zwar, um feine Eiferfucht unter den Polen zu er:
regen, eine Ungarin, zu deren Auswahl er fi zum Schein Wladis-
laws Rath erbat. Die Wahl war indejfen ſchon getroffen, fie war
auf Barbara, Yoh. Zuͤpolyas Schweſter und Tochter der Hedwig
Zaͤpolya, gebornen Fürftin von Zeichen, gefallen. Es fam nur dar:
auf an, dem König Wladislam in einer von feinem Kanzler unbe:
wachten Stunde die Einwilligung abzuloden. Tomicki entledigte ſich
feines Auftrags meifterlih; Michael Hammel, Beichtvater Wladislams
und Burgpfarrer von Dfen, gewonnen von Sigmund und den Zäpol-
yanern, wußte ihm die herrlichen Eigenjchaften der Barbara und der
Hedwig jo fehr Herauszuftreichen, wußte fi hiebei fo Hug auf die
diesfalls von der verftorbenen Gemahlin Wladislaws, der Königin
Anna, öffentlich gefällten Urtheile zu berufen, wußte Gafimirs, Her-
3098 von Teſchen, Bruder der Hedwig, dringende Empfehlung fo
geltend zu machen, daß Wladislaw, gleich als obs aus eigener Be-
wegung gefchähe, dem Tomidi in einer geheimen Audienz die Barbara
ı Siehe darüber die Abhandlung W. Keträunsfis in den polnischen Jahr-
büchern der Pofener Gefellihaft der Wifjenichaftsfreunde Band VI und meine
Kr in dvd. Sybels Hiftor. Zeitihr. XXVI, 494 und 495; XXXVII,
459
Zapolya vorfhlug und mit diefem Vorfchlag auch den Herzog Ca—
fimir von Tefchen und den Burgpfarrer von Ofen Michael Hammel
nad) Krakau ziehen ließ. Die Zäpolyaner eilten fogleich, durch den
Herzog Caſimir Alles ins Reine zu bringen und den Heirathscontract
zu unterzeichnen“. So Engel.
Wir erjehen aljo hieraus, daß Engel außer der uns heute be»
fannten öffentlihen Inſtruction Tomickis nod eine zweite geheime
und wahrſcheinlich nocd einen uns heute auch nicht mehr befannten
Brief vor ſich hatte. Es kann demnach feinem Zweifel unterliegen,
daß ſchon im März 1511 in Breslau die Berhandlungen wegen der
Heirath Sigismunds begonnen haben. Deffentlich, officiell, mag der
Vorſchlag erft nad) dem 30. October, wie Decius (S. 312) erzählt,
dem Könige Sigismund gemacht worden fein; Decius weiß überhaupt
nie Etwas von geheimen Unterhandlungen, zu feiner Kenntnig ges
langen diplomatische Negotiationen erit, wenn fie bereit8 größeren
Kreifen befannt geworden find. Es waren aljo Fleinlihe Mittel, mit
denen ınan den König Wladislam zu einem fo wichtigen Schritte be-
wogen, aber auf eine folche Fleinliche Perfönlichkeit, wie der ungariiche
König, konnten auch nur Heinliche Mittel wirken, und diefe wirften
vor Allem; wenn man die fentimentale Saite bei ihm anſchlug, er=
langte man gewöhnlich Alles, was man wollte.
Im März 1511 begannen aljo die Unterhandlungen wegen der
Heirat Sigismunds, Anfang November wurde der offizielle Antrag
dem Könige Sigismund gemadht, am 2. December 1511 fam der
Heirathsvertrag zu Stande, und am 7. Februar 1512 wurde die Ehe
zwijchen Sigismund und Barbara gefchloffen.
U. behauptet nun, Maximilian hätte vor dem öffentlichen Antrag
nichts davon geahnt, und glaubt einen Beweis dafür darin zu fehen,
daß er „noch nach bereit8 getroffener Heirathsabrede dem Polenkönig
eine Braut feiner Wahl offerirte*. Mit einer ſolchen Deduction
fann ic durchaus nicht übereinftimmen, ich würde im Gegentheil eine
ſchnurſtracks entgegengeiegte Schlußfolgerung für natürlich und allein
entjprechend halten. Gerade das Gebahren Marimilians zeigt, daß
er jehr früh von diefer ihm unliebjamen Gefchichte Wind befam und
fofort die ihm gutdünfenden Maßregeln dagegen unternahm. Georg
Sterk wird darauf vom Kaifer nach Polen gefandt, um dem Könige
Sigismund eine der beiden Töchter des Herzogs Ludwig von Gonzaga
zur rau anzubieten?, doc wohl nicht defhalb, weil der Kaiſer von
Sigismunds Heirathsplänen nichts „geahnt“ hätte, fondern nur deß—
halb, um noch jet, womöglich, den Anfchlag zu Hintertreiben. Doc)
die Sendung fruchtete nicht. Ein zweiter Abgefandter des Kaijers
kommt zu Wladislam, um ihn zu bearbeiten, erreicht aud) feinen
* Hirfhberg in feiner Monographie über Decius (o Zyciu i pismach
J. L. Decyusza, &. 100), welche, wie fo manches Andere, Prof. Ulmann „nicht
— konnte”, bat zuerſt dieſe intereſſante Stelle aus Engels Aufſatz ver-
werthet.
2Sitehe meinen Aufſatz über den Congreß S. 470.
460
Zwed bei dem wankelmüthigen und ſchwachen Wladislaw, der fofort
einen Hofcavalier nach Polen ſchickt, um feinen Föniglichen Bruder
noh in der zwölften Stunde von der Heirath mit Barbara abzu⸗
bringen. Aber auch dies fruchtet nicht. König Sigismund bleibt
ftandhaft, die Heirath wird nicht rückgängig gemacht. Marimilian
fieht nun ein, daß alle feine Beftrebungen vergeblich waren, und jetzt
erft wird er zum entjchiedenften Gegner Polens. Hier tritt aljo der
entjchiedene Wendepunkt in feinem Verhalten gegen Polen und ben
deutichen Orden ein.
U. behauptet zwar (S. 93): „lange vor diefem Zeitpunfte ift der
Kaifer für. den Hochmeifter eingetreten“, und beruft fi) auf das von
Boigt, Geſch. Preußens (IX, 416), citirte Nefeript des Kaiſers vom
3. Mai 1511, womit er „ben fächfischen, brandenburgifchen und an—
dern Fürften befohlen, nöthigenfall® mit ganzer Heeresmacht dem Orden
zu Hilfe zu eilen“, umd darauf, daß er dafjelbe wiederholt noch vor
Ablauf deffelben Jahres getan. Dies ift Alles wahr, aber was be—
weilt da8? Meiner Anficht nah: Nichts. Die Breslauer Zuſam—
menkunft fand im März 1511 ftatt, auf diefer Zufammenfunft kam,
wie wir bereitS gefehen, die Heirathsangelegenheit zur Berathung.
Maximilian hatte am ungarifchen pol: fo zahlreiche ihm durchaus
ergebene Seelen, unter Anderen ben Reichsfanzler felbft, und jo zahl-
reiche Zwifchenträger, daß er bi8 zum 3. Mai fehr gut über den iu
Breslau gefaßten Anfchlag unterrichtet fein konnte, und deßhalb unter-
nahm er einen doppelten Schachzug dagegen, einerſeits die Aufforde
rung an die deutfchen Fürften, andererfeits die Geſandtſchaft an Si-
gismund und Wladislaw und das Anerbieten der Primzeffinnen Gonzaga
zu Gemahlinnen für Sigismund und Wladislaw. Beide Mittel follten
vereint wirken, zuerft kam alfo die Kriegsdrohung vom 3. Mai und
dann fpäter die Geſandtſchaft: eingefchüchtert durch die erſtere ſollte ſich
Sigismund defto bereitwilliger der zweiten erweifen. Die Schwenkung
bereitet fi) aljo fofort nach der Breslauer Zuſammenkunft vor, fie
tritt immer entfchiedener hervor und kommt zu ihrer volltommenen
Evidenz nad dem Abſchluß der Heirath Sigismunde, als alle Gegen-
mittel fehlgefchlagen hatten. Da wird fofort am 27. Februar 1513
(am 7. Februar hatte die Hochzeit Sigismunds ftattgefunden) dem
Drden ber entfchiedenfte Befehl zugefchtett, unter feiner Bedingung ber
Krone Polen fich zu unterwerfen und die Petrifauer Vereinbarungen
nicht zu erfüllen, fondern treu zu Raifer und Reich zu ftehen. Hec
est totalis nostra voluntas et severa intentio !, ſchließt ber
Kaifer, und fchon im Juni 1513 weiß Markgraf Kafimir von dem
großen Plan des Kaifers, einen Völkerbund gegen Polen zu ſchließen
und dafjelbe mit Krieg zu überziehen. So hat er nie vorher ges
ſprochen, und er hat auch nie vorher fo gehandelt, wie er von nun
an dem Orden und Polen gegenüber handelt. Stimmt dies nicht
Alles genau überein mit unferer Anficht, daß ihm bei diefem Ver—
! Acta Tomic, II, Rr. COXXIX.
461
halten vorwiegend ober vielleicht fogar ausſchließlich das dynaſtiſche
Intereſſe leitete? Vergleichen wir doch nur fein jetziges Gebahren
mit dem früheren. Marimilian jaß ja ſchon feit vielen Jahren auf
dem Throne, der Streit zwifchen dem Orden und Polen 309 fich ja
ſchon feit dem Tode Tieffens, d. 5. feit dein Jahre 1497, Hin, zahl-
reiche Unterhandlungen hatten bereits ftattgefunden, zur Zeit bes
Hocmeijters Friedrih von Sadjen hatten jic die Verhältniſſe bereits
jo geichärft, daß die Polen ein Heer zufammenzogen, um den Wider-
fpänftigen mit Krieg zu überziehen, und nur äußere Gefahren, aber
nicht von Deutjchland her, Hatten dies verhindert: und war denn ir—
gend ein Mal der Kaiſer mit der Eutjchiedenheit aufgetreten, mit der
er jest auftrat? In dieſem ganzeu Zeitraume ift fein Betragen lau,
er hat nur unentjchiedene Phrafen im Munde, möchte den Streit vor
fih und des Neiches Forum ziehen, möchte ein Schiedsgericht zuſam—
menrufen, jelbjtverjtändlich jteht er auf der Seite des Ordens; aber
nie denft er daran, ernitlih mit Polen darum zu brechen, einen Krieg
mit dem polnischen Könige anzufangen, oder gar einen Kriegsbund
gegen das Polenreich zufammenzubringen, der Deutfchland, Dänemarf,
Rußland, den Orden im Kampfe gegen Polen verbinden foll !.
Ich glaube, man braucht diefe Sachen nur objectiv ins Auge zu
faffen, um zu dem Refultate zu gelangen, daß das Verhalten des
Kaiferd vor der Heirath Sigisinunds mit der Schweiter Zäapolyas
ein durch und durch anderes ift, wie das, welches er nach diefer *
rath befolgt. Es iſt, als ob ſeit dieſem Zeitpunkte eine andere Per—
ſönlichkeit auf dem deutſchen Kaiſerthrone ſäße.
U. ſagt nun zwar, daß erſt der Angriff des moskauiſchen Groß—
fürften dem Kaifer gezeigt hat, „wie dem Orden zu helfen fei“: es
joll aljo daraus wohl folgen, daß der Kaiſer früher auf diefe Weiſe
ben Orden nicht hätte helfen fünnen. Aber war denn dies der erjte
Angriff Moskaus auf Polen? Standen die Dinge während des Auf-
ruhrs Glinskis nicht viel fchlimmer für Polen? Warum Hat denn
damals der Kaifer nicht an einen Bund mit Mosfau zu Gunjten
des Ordens gedaht? Auch damals nahm ja den Hochmeifterjtuhl
ein Fürſt ein, welcher Polen die Huldigung verjagte und ſich um die
ülfe des Reiches und des Kaijers gegen feinen Lehnsherrn bewarb.
noh mehr. Im %. 1508 bemühte fich der Gropfürft von
Moskau, indem er fih Glinskis als Vermittlers bediente, mit Mari-
milian ein Bündniß zu fchliefen?. Im folgenden Yahre bemühte
fih Glinsli, den dänischen König gegen Polen aufzureizen?. Am An—
1 Ich babe bieje Berhältniffe eingehender —— — meiner polniſch
geſchriebenen Monographie über die Tagfahrt zu Poſen 1510.
2 Karamſin, Geſch. des ruſſiſchen Reichs VII, * —* deutſch. Ueberſ.,
VI, 35 des ruſſiſchen Originals. Wie ſo einem Gelehrten von der Stellun 4
Prof. Ulmanns die ins Deutiche überfetste, und in allen größeren Bibliothef
befindliche Geſchichte Karamſins „unzugängfich“ fein fonnte, it mir nicht er:
tlärlich. Befindet fie ſich nicht in Greifswald, fo ift fie in Berlin und anderswo,
® Akty zapadno) Rossii (ruſſiſch) II, Nr, 57, 1.
462
fange des Yahres 1511 ſchickte Georg Herzog von Sachſen den Chri«
ftoff von Schleinig an die Meifter von Preußen und Liefland und
an den Großfürften von Moskau, um einen gemeinfamen Bund gegen
Polen zu fchliegen!. Warum hat denn da der Kaifer nicht mit ein
gegriffen, wenn er von je her die Ordensſache zu feiner eigenen zu
maden gewohnt war? Die Gelegenheit vom %. 1513 war alio
nicht die erjte, aber in jenen Zeitpunkten waren die dynaſtiſchen ne
terefjen des Kaifers nicht im Spiele, der König von Polen hatte fid
= * Familie Zapolya nicht verſchwägert, alſo wurde er im Ruhe
gelafjen.
Was diefe preußische Angelegenheit anbetrifft, jo ſtimme ich übri-
gens U. (S. 93) bei, daß die Anficht Droyſens, al8 ob Marimilian,
um Albrecht von Brandenburg zur Annahme der Hochmeifterwahl zu
beitimmen, die Verpflichtung übernommen hätte, die Ungültigfeit des
ewigen Friedens von Thorn zur Anerkennung zu bringen, unhaltbar
it. Das Brandenburger Memorial von 1543 ijt doch ein zu
ſchwacher Beweis fir diefe Behauptung.
Ich gebe auch zu, daß der Hochmeifter Albrecht von Seiten des
Kaiſers Feiner Aufreizung bedurfte, um fich gegen Polen jtörrifch zu bes
weifen, aber die Widerjtandsfähigfeit des Hochmeifters wäre doc eine
viel geringere gewejen, wenn ihn feit der Heirat Sigismunds mit
Barbara der Kaifer nicht immer wieder in derſelben bejtärft hätte.
Bereit3 war Albrecht mehrfach auf die polnischen Forderungen einge:
gangen und wich jedesmal zurück, al8 der entjcheidende Zeitpunkt her—
anfam, und dies hätte er nicht gethan, wenn er nicht auf des Kaijerd
Hilfe und Berfprechen gezählt. Voigt und auch U. fehen zwar dieſe
Vereinbarungen Albrehts mit Polen, alfo aud) die Petrifauer, mur
als Ausflüchte an, aber fie wurden zu Ausflüchten und Verzögerungen
nur in Folge der Zureden und Befehle des Kaiſers. Inſofern alio
faın man von Aufreizung feiten® Marimilians fprehen. Der Or
den war viel zu ſchwach, und dies wußte Albrecht wohl, als daß er
allein ſich Hätte Polen länger widerfegen können, und wenn Albrecht
jpäter dennoch zum Schwerte greift, fo geſchieht es unter dem Einfluſſt
der Stellung, die der neue Kaifer Karl zu der preußischen Frage ge
nommen, und bewogen durd die Hilfe, welche ihm vom Reiche ver-
fprochen und auch wirklich gewährt wurde. Das Richtige Liegt alio
hier meiner Meinung nach in der Mitte: Albrecht war an und für
fich ftörrifch gegen Polen, wäre aber gewichen, wenn ihn feit Mai
1512 der Kaifer nicht immer wieder in dieſer Störrigfeit beftärkt
und fogar zu ihr angetrieben hätte.
Weiter wird von den Gegnern unferer Anficht durch den Mund
Us. behauptet, daß auch in den vertrauteften Briefen König Sigis—
munds an feinen Bruder König Wladislaw feine „andere Urſache
der faiferlichen Peindfeligfeiten gegen Polen angegeben werde, als nur
2 Diefes und das Vorhergehende bei A. Hirfchberg in feiner Monographie
über I. 8. Decius S, 104. . —
463
der Wunfc des Kaifers, dem deutjchen Orden der polnijchen Bot—
mäßigfeit zu entziehen“, und daß auch in den Aeußerungen der deut=
hen Fürften, troß ihrer Oppofition gegen Marimilians Pläne, fein
Verdacht gegen feine Aufrichtigkeit durchſchimmere. Dies ift richtig,
aber beweilt Nichts. König Sigismund durfte bei der Geiſtesſchwäche
feines Bruders und mit Rückſicht auf deffen zum großen Theile dem
Kaiſer ergebene Umgebung nicht immer oder vielmehr nie in feinen
Briefen die reine Wahrheit jagen, wenn er auch den Kaifer im Ver—
dacht gehabt hätte, es Handle fi) für ihn nur um feine dynaſtiſchen
Pläne.
As er jene Briefe jchrieb, wollte er die Familienverbindungen
zwijchen den Kindern Wladislaws und den Enfeln des Kaiſers nicht:
hätte er dem Bruder gejchricben, dies fei der wahre Beweggrund der
Feindſchaft des Kaijers, jo hätte er ihn ohne allen Zweifel gerade zu
einer ſolchen Verbindung getrieben, und dieje wollte er ja Hintertreiben,
da er damals ganz den Zäapolyanischen Beftrebungen angehörte. Es
wäre aljo von feiner Seite unpolitiich geweien, mit einer ſolchen
Dffenheit in feinem wenn auch vertrauten Briefwechſel aufzutreten.
Mas aber die deutjchen Fürften anbetrifft, jo durchſchauten fie viel-
feicht nicht die eigentlichen Pläne Marimilians, oder aber e8 würden
wohl dergleichen Vermuthungen auch von ihrer Seite hervortreten,
wenn wir nur genauer wüßten, wie die Verträge von 1515 in
Deutichland aufgenommen wurden und was damal® zwijchen den
Fürften über das Verhalten Marimilians vor dem Wiener Congreß
geredet wurde. Daß nämlich die Meinung, der Kaifer ließe fich bei
jeinem Auftreten gegenüber dem Orden und Polen von jeinen dyna—
ſtiſchen Zielen leiten, im der damaligen Welt verbreitet war, davon
überzeugen uns die Urtheile der gleichzeitigen Schriftiteller. U. führt
fie ja jelbjt zum großen Theile an, jo alfo von den Deutjchen Fugger
und Herberftein, von den polnischen Schriftitellern Decius, Wapowski
(welcher hier weniger in Betracht fommt, da er bis zum %. 1516
nur den Decius paraphrafirt) und Görsfi, den Sammler der Acta
Tomiciana, welcher (A. T. II, 1) jagt: Acerbe id (d. i. die
Weigerung Sigismunds in die vom Kaiſer vorgefchlagene Ehe zu
willigen) tulit Maximilianus et hostilem animum adversus
Sigismundum regem induit, contra quem Cruciferos de Prussia
cum eorum magistro Alberto, marchione Brandeburgensi, in-
stigabat, et cum duce Moscovie fedus iniit ad societatem
belli Sigismundo regi inferendi.
Endlid) behauptet noch U. (S. 108 und 109), daß auch Mari»
milians Auftreten noch in den letten Tagen vor dem Zuftandefommen
der Zufammenfunft in Preßburg beweife, daß er nicht „mit Sad
und Pak ins polnische Yager überzugehen“ gedachte, oder, um dies
anders auszudrüden, daß es ihm um des Ordens Sade zu thun
war, die er nur nmothgedrungen verlafjen.
Dafür foll Sprechen einerjeit8 der Umftand, daß er noch am
15. Januar 1515 den Abſchluß jenes Bündniſſes gegen Polen ver—
464
langte, und andererfeits, daß er noch Ende Januar 1515 den polni-
hen Gefandten mit den ruffifchen Gefangenen in Hall am Inn an
halten ließ. Aber fpricht dies Alles nicht eben für die von und dem
Kaiſer zugejchriebene Tendenz? Ein Bündniß des Kaifers, der deut»
hen Fürften und des Königs von Dänemarf, gegen Polen geſchloſſen
und gerichtet, mußte auf der Zufammenfunft zu Preßburg überhaupt
allen Forderungen bes Kaiſers Nachdruck verleihen und braudte
durchaus nicht nur die Ordensfache zum Ziele zu haben. Marimi-
lian an der Spike eines folden Bündniſſes konnte in Prekbur
den polnischen Forderungen gegenüber eine ganz andere Stellung ein
nehmen, als allein, von allen deutfchen Fürſten vwerlaffen ; er font
feine eigenen Hausintereffen mit größerem Nachdrude vertreten, als
ohne einen ſolchen Bund. Wie ließ fich ein ſolches Bündniß mader
ausnügen? Man brauchte ja nur den Bolen in Preßburg zu fagn:
werdet mürbe, gehet auf die Wünfche des Kaiſers ein, denn jomf
droht euch eine ungeheure Gefahr von Seiten dieſes Bundes; werke
ihr aber die Wiünfche des Kaiſers erfüllen, fo wird diefer Bund im
Sande verlaufen. Aeußerſt natürlich ift alfo der Wunſch des Kate,
no im Sanuar 1515 den Bund zuſammenzuſchweißen, und ji
ganzes Gebahren ein durchaus confequentes.
Auch ich zweifle nicht daran, daß der Kaiſer am der Spike dieet
Bundes ſich wohl auch nicht in der Ordensfache fo lau und gefchmeidig
in Prefburg und Wien gezeigt Hätte, wie er fich ohne ihr gezeigt bet.
An der Spige diefes Bundes hätte er nicht nur feine Wamilienplin
erreichen können, fondern auch manches andere Zugeftändniß von Pole,
zumal ja auch, wie wir bereit8 oben gefehen, die polnifche Diplomat
in Preßburg in der preußiſchen Angelegenheit feine entfchiedene Stan»
haftigfeit bewies. Und lieber, angenehmer wäre es jedenfalls für der
Kaifer geweſen, zugleich mit feinen Familienplänen auch irgend et
Zugeftändnig für dem Orden zu erringen; follten aber dieſe veriät-
denen Intereſſen in Collifion gerathen, jo ftanden für ihn, WER
jelbjt von ſich jagte, er habe „fein Yebtage gearbeitet, fein Haus
zu machen“, die dynaſtiſchen Errungenfchaften hoch oben am, und de
Intereſfe des Ordens und feines moskowitiſchen Verbündeten mut
vollfommen verschwinden.
So enthält auch das noch Ende Januar vom Kaifer anbefoh
lene Anhalten des polnischen Gejandten nichts mit feiner Zenden
unvereinbares. Der Kaifer wußte ja damals noch nicht, zu welchen
Nefultate die anberaumte Zufammenfunft führen würde, er mi
nicht, ob fich die bald zu beginnenden Unterhandlungen nicht überhaupt
zerichlagen würden, ja noch mehr, er wußte überhaupt noch nicht, IE
fein ganzes fpäteres Zögern beweift, ob er ſelbſt perſönlich auf dieſet
Zuſammenkunft erfcheinen würde: ganz natürlich alfo, daß er im je
nuar 1515 noch in dem Großfürften von Moskan feinen Berbin
deten und in der polnifchen Gejandtichaft feinen Gegner ſah ud |
— Gegner anhalten und die ruffifchen Gefangenen be—
eien ließ.
465
Einen Streitpunft bildet endlich noch der Antheil des Kaifers
an dem moskowitiſchen Kriege.
Ich Habe in meiner Studie über den Congreß (S. 474) den
Markgrafen Albrecht und den Kaiſer für den Yosbruc des Groß—
füriten von Moskau verantwortlich gemacht. Dies ift nicht richtig.
Vie ich heute fehe, ftellt fi) die Sache doch theilweife anders, und U.
hat hier im Allgemeinen das Richtige getroffen,
Wir müfjen in dem rufjischen Kriege von 1512 —1514 drei
Phafen unterfcheiden.
Mit Ende des Jahres 1512 bricht der Groffürft in Litthauen
em. Als Gründe dieſes Losbruches werden von ruffischer Seite
angegeben: Vergewaltigung der Königin Helene und Aufreizung der
Zartaren zum Ueberfall des moskowitiſchen Yandes im J. 1512 durch
den König von Polen. Ob, wiell. verinuthet, Glinski Hinter diefem
Friedbruch ftecke, ift nicht auf Grund der bisher befannten Materia—
lien mit Sicherheit anzugeben, aber jedenfalls fehr wahrjcheinlich.
Dieſer erfte Feldzug ift für den Großfürjten entjchieden ungünftig;
Idon in der zweiten Hälfte Februar 1513 muß er ſich wiederum
nah Mosfau zurüdziehen.
Ende Yuni oder Anfang Yuli 1513 bricht der Großfürft wie-
drum gegen Polen los, aber auch dieje zweite Phafe des Krieges. ift
für ihn total ungünftig; im der erjten Hälfte November ift er wie—
derum gezwungen, die Grenzen Polens zu verlaffen und nach Moskau
zurückzulehren.
Endlich beginnt im Frühlinge des Jahres 1514 die dritte und
letzte Phaſe des Krieges, welche dem Großfürſten zwar den Erwerb
Smolensks, aber auch die totale Niederlage bei Orsza einträgt!.
Für die beiden erjten Phaſen ift Maximilian nicht verantwortlich
ju machen, aber die dritte ift fein eigenftes Werk, Im Auguft 1513
hatte er Schnitzenpaumer nad) Moskau gefandt, am 2. Februar
1514 aber kam derfelbe erjt in Moskau an, und es gelang ihm, die
bereit8 begonnenen Unterhandlungen zu Hintertreiben und den Groß-
fürften zu dem dritten Losbruch zu bewegen.
So ftellt fi) meiner Anficht nad) das Verhalten Marimilians
vor dem Wiener Congreſſe dar. Nun ift das bleibende Verdienft der
Ahandlung Us., daß er die unterdeß in Deutfchland betriebenen Un—
terhandlungen klar dargelegt hat und die ganze Reichsmiſere offen
aufgedeckt hat, daß er gezeigt, wie die deutjchen Fürſten hierbei nur
ihr Privatinterefje im Auge zu haben pflegten, ohne fich um das
Wohl des deutfchen Ordens irgendwie zu befümmern.
Wenn mın aber U. daraus den Schluß zieht, daß das Reiche-
oberdaupt nur infofern jchärfere Beurtheilung als die Reichsglieder
verdiene, als die höhere Würde ihm größere Verpflichtungen aufer=
" Siehe darüber die eingehende, auf erjchöpfender Kenntnif der polnifchen,
tuffjhen und deutſchen Ouellen beruhende Darſtellung Hirfchbergs in feiner
oben eitirten Monographie über Decius S. 104—109,
466
fegte, fo fünnte ich) mich damit mur dann einverftanden erklären, wenn
ih mit U. annähme, daß Marimilian in Wirklichkeit für den Orden
und nicht für feine dynaftiichen Jnterejfen gearbeitet. Daß dem aber
nicht fo war, glaube ich oben gezeigt zu haben.
So kam alſo endlich die Zeit der Prekburger Zufammentunft
heran, und aud hier wiederum unterfchiebt U. in feinem Vertheidi—
gungseifer dem Saifer ein Motiv, welches in Wirklichkeit nicht eri=
jtiren konnte. Er behauptet nämlich, den Kaifer hätte zum Preis—
geben des Drdens in Prefburg und Wien auch der Umſtand bewogen,
daß „der päpftlihe Hof, durch Johann Laskis Gefchiclichkeit ge—
wonnen, feine mehr neutrale Haltung ganz aufgab und durd ein
Breve dem Hochmeifter die Leitung des Yehenseides anbefahl“. Es
ift mir nicht erflärlich, wie U. und auch v. Zeifberg (Johannes Laski
und fein Tejtament ©. 545) aus dem Briefe de8 Erzbifchofs Laski
vom 14. Februar 1515! herauslefen fonnten, daß der Papſt ein
ſolches Breve an den Hochmeifter abgejandt hat. Der Erzbifchof
jchreibt hier wörtlid): Perpuli deinde ipsum sanctissimum pontifi-
cem, ut, dum obtinere minime potui interdictum dari, tamen pol-
licitus est duo brevia, alterum ad imperatorem, alterum
ad magistrum. In altero cohortari debet cesarem, ut illos
captivos omnino remittat, alterius vero tenor is esse debet,
siservabuntur, que mihipromissa sunt, ut magister
Prussie prestet debitum juramentum vre. Serme. Mti. Hec
omnia quomodo scripta erunt, siquidem scribentur, curabo, ut
videam priusquam hinc exierint et dimittantur, haud enim
ambigo, quin factum istud (d. h. die Befreiung der ruſſiſchen für
den Papft beitimmten Gefangenen) permoturum sit pontificem ad
aliquam acerbitatem.
Diefes Breve iſt nie zu Stande gelommen. in ſolches Ver-
iprechen Hat die römische Curie den polnischen Botjchaftern nicht nur
dies Mal gegeben, aber nicht gehalten.
Laski fpridht hier nur von einem Verſprechen und fett jelbit
hinzu: si servabuntur, que mihi promissa sunt. In den ſpä—
teren Briefen Laskis vom 19. und vom 27. März, im dem Breve
des Papites von 24. März? findet fi auch nicht ein Wort darüber,
daß der Papſt fein PVerfprechen gehalten hätte, es ijt alſo bei dem
Verſprechen geblieben, die That iſt nicht nachgefolgt und konnte aljo
Marimilians Verhalten auf dem Wiener Congreſſe nicht beeinflufjen.
Auf dem Congreſſe ſelbſt ließ fi) aber dann Marimilian mit
folder Yeichtigfeit von der preußifchen und mosfowitiichen Sade ab—
wenden, daß König Sigismund fogar in einem Briefe an feine Ge—
mahlin (Acta Tomie. III, Nr. 532) feinem Erjtaunen darüber in
den Worten Luft macht: Caesarea Mtas. se a magistro Prussie
et a Mosco facile abstrahi passa est.
! Acta Tomiciana III, &. 332 und 333.
? Acta Tomiciana II, Nr. 474. 479 und 480,
467
Was nun die in Wien zu Stande gekommenen Abmachungen
anbetrifft, jo beruft fi Krones (Handbuch der Geſchichte Defter-
reichs IL, 571) noch immer darauf, daß mit den Heirathspacten auch
ein gegenfeitiger Erbvertrag verbunden worden fei, „wie ihn die gut
unterrichtete venetianische Diplomatie verbürgt“. Wenn im J. 1515
in Wien ein venetianischer Gefandter anwefend gewejen wäre, und
wenn wir von ihm einen gleichzeitigen Bericht vor uns Hätten, in
welchen eine ſolche Nachricht ftünde, jo würde auch ich vielleicht troß
alfer anderen Bedenken Krones zuftimmen; aber dieje ganz unhaltbare
Nahricht ift ja nur in dem Berichte Marino Cavallis enthalten, und
diefer wurde erft 1541 an den Hof des Königs Ferdinand gefchict
und hat erft im December 1543 feinen Bericht vorgelegt. Gegen-
über dem Mangel aller fonftigen Nachrichten alfo muß ich auch heute
an meiner früheren Anficht fefthalten und kann nur auf meine Be—
weisführung (Forſch. VII, 501 ff.) verweifen. Wenn man aber
dieſe Sache jo auffalfen will, wie dies U. (S. 92) thut, nämlich
dag Sigismund durd die Einwilligung in die Wiener Heirathen fac=
tiſch auch das Erbreht der Habsburger anerkannte, ohne einen be=
fonderen Erbvertrag, am allerwenigiten einen gegenfeitigen aufzufegen,
jo kann auch ich damit übereinjtimmen.
XVII. 31
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— —
— — —
Neifefrüchte aus Italien
und anderes zur deutich-italiichen Geſchichte.
Von
Ed. Winkelmann,
31*
Die nachfolgenden Mittheilungen ergaben fich mir bei einer im
vorigen Jahre unternommenen Reife nah Sicilien und Süditalien,
über welche das „Neue Archiv“ Bd. III, Heft 3 ausführlichere Nach-
richten gebracht hat. Ich beinerfe deshalb Hier nur, daß der über
Erwarten erreichte Zwed der Reiſe vornehmlich die Vervollftändigung
des urfundlichen Materials für die Zeit Friedrichs II. geweſen ift.
Daß andere Quellen dabei nicht außer Acht gelajfen worden find,
zeigen diefe Mittheilungen, aber ebenjo jehr auch, daß auf eine bedeu—
tendere Vermehrung derjelben für jene Periode von dort her faum
noch zu Hoffen ift; ein paar kleinere aumaliftische Stücke werden in
den Monumenta Germaniae bekannt gemacht werben.
Es ſchien wegen der Verwandtfchaft des Inhalts zweckmäßig,
dieſen Reiſefrüchten aus Italien einige von $ Dr. Liebermann in
England entdeckte und mir freundlichſt zur Verfügung gejtellte Ge—
dichte anzureihen, welche auf den literarischen Verkehr Friedrichs II.
neues Yicht werfen.
1. Neecrelogia Panormitana.
I.
Bibl. Panorm. municip. Mss. Qq. E. 2: Martyrologium
capellae regiae Panorm. sec. XI. XII. membr. 8., jest 260 ©.,
doch jcheint ein erftes Blatt zu fehlen. An den Rändern mancherlei
Eintragungen von verjchiedenen Händen, deren frühejte wohl noch der
eriten Hälfte des 12. Jahrhunderts angehört. Diefe Notizen find
zum Theil volljtändig abgegriffen und nicht mehr leferlich, zum Theil
nachher wieder getilgt, zum Theil beim Einbinden fortgefchnitten.
Die angemerkten Sterbefälle und Ereigniffe gehören, foweit ich fie im
Augenblide zu beftimmen vermag, den jahren 1090—1270 an.
Eine (ungenügende) Abjchrift hat Dom. Schiavo, durch den die Hand—
ſchrift in die Commmmalbibliothef von Palermo kam, im Sammel-
bande derjelben Qg. F. 34 Nr. 9 Hinterlaffen.
4 non. jan. Depositio domini...regis pii Rogerlii] (1194).
8 idus febr. Depositio Elvire regine Sicilie et Italie (1135).
14 kal. mart. . Eodem die obiit dominus Parisius elericus ca-
9 kal. mart.
4 kal. mart.
2 non. mart.
17 kal. apr.
2 kal. apr.
16 kal. maji.
4 kal. maji.
6 non. maji.
3 non. maji.
8 idus maji.
idus maji.
4 idus junii.
9 kal. juli.
472
pelle regie Panorm., qui indicavit [pro] an-
niversario pro quolibet anno tarenos quin-
decim ..... 5
Depositio Rogerii ducis Apulie (1111).
Obitus Adelasie.
— et magnifici Ro]gerii regis
Sieillie, ducatus Apulie [et prilncipatus Capue
IIII anno se ejus, anno djomini]
MCLIIII, [ind.] 11°.
Obitus ducis Rolgejrii, fili magni regis
Guillelmi (1161).
Hic decessit Tancer[edus] princeps Barensis,
Gr Rogerii regis.
odem die obiit Beatrix] regina, uxor feli-
cissimi regis Rogerii, [anno] MCLXXXV.
Hic obiit Adelasia regina, mater domini re-
gis (1090?).
Obiit Adeildis [. . .]?.
Eodem die dedicatio ecclesie s. Petri, capelle
regie Pan., facta fuit tempore gloriosı et
magnifici regis Rogerii anno dominice incar-
nationis MCXL. Omnibus vero christianis
ad eam ecclesiam venientibus in die dedica-
tionis prephate dati sunt pro indulgentia quo-
libet anno sex anni et totidem quarantane
de peccatis omnibus, de quibus veraciter fue-
rint confessi.
Ling]uens terrenas, milgravit] dux ad amenas
ogerius sedes, nam celi [detlinet edes
(1149?).
Eodem die obiit m....... capelllanus]
regis.
Anno domini millesimo ducentesimo septua-
gesimo dedicata est ecclesia s. Andree.
Transitus Grim[oaldi].
Anno ab incarnatione domini MCLXXX[X]
obiit mal[gnilficus ac tr[fium]phator er
Federicus.
Vigesimo tertio die [men sis junii, die jovis,
anno ab infcarn]latione domini nostri Jesu
Christi MCCXXII, indietionis X, obiit [Con-
sta ]ntia, illustrissi[ma Roma norum imperatrix
semper [augusjta et gloriosissilma rejgina
ı Bon viel jüngerer Hand.
? Shiavo glaubte noch zu leſen: avia domini regis,
17 kal. aug.
10 kal. aug.
2 kal. aug.
14 kal. sept.
4 kal. sept.
2 non. sept.
4 idus sept.
15 kal. octob.
93 kal. octob.
4 kal. octob.
6 idus octob.
5 idus octob.
4 kal. nov.
14 kal. dec.
Sch. julii.
>» = m m
Undeutlich.
473
Sieilie, plosita] in sarcofaco sex[to deeilmo
die mensis |... .]! prefate indictionis.
Eodem die obiit Robertus Guiscardus dux
Apulie et Calabrie (1085).
Hie obiit Man. marchisius, avus [comiltisse
avie domini [regis].
Eodem die obiit Mar[garilta regina [Sicilie]
et Italie, mater gloriosisslimi re]gis W. se-
cundi, fanno] dominice incarnationis MCL
. ..) indietione X[.) (1183).
odem die hf[obliit Henrieus canonicus ca-
pelle domini.
Eodem die obiit Henricus fijlius] magnifiei
[regis] Rogerii ?.
Rogelrii regis viventis ordine legis
lm Henriceus [stell]las transivit amicus.
Hic obiit Seg[ellgarda comiti[ssa] de Mil...)
(r 1090).
Eodem die depositura Heſ. . .| confessoris et
canonici.
Obitus Jordani [filii comitis Ro|gerii.
Eodem die obiit Julita, filia magni comitis
Rogerii.
Obitus Symeonis, filii Rogerii magni (1101).
Anno ab incarnatione domini nostri Jesu
Cristi MC nonagesimo VI|I] obiit Henri[eus]
magnificus ac [trium]phator Romanorum im-
perator semper augjustus] et rex Sicilie, vi-
cesimo octavo [die] mensis septembris, [prijme
indictionis, sex|to imperii anno].
Prineipis Amphosi n[unec] transitus est ani-
m|osi],
Octobris deno no... „rebus ameno (1144).
[.. . Honjrius ....... fidus amicus
[mu]ndum cum fastu dijvi]no liquerit astu
Vicesimo [nono] die mensis octobris Pelf....]
vend?.... obit.
[Anno ab] inc[arnatione domini] MC —
simo nono, indictionis octave, obiit rex
secundus, magnificus ac thriumphfaltor, filius
mag|ni] regis W., oct[a]vo decimo 9 men-
sis novembris, positusque in sarc[o|phago
ventura [die] prime lune. | |
Die folgenden Berfe von anderer Hand. -
Die Einzeihnung könnte auch zu 10 kal. oct. gehören,
4714
3 kal. dee. Vicesimo octavo die mensis novembris, die
sabbati, anno ab incarnacione domini nostri
Jesu Christi MC nonagesimo oc[tavo], indie-
tionis secunde, obiit Constancia illustrissima
Roma[norum] imperatrix semper auguslta]
et gloriosa regina Sieillie], positaque in sar-
cophago sequenti die do[mijnice.
idus de. Anno dominice incarnationis MCCL,
die mensis dec., none indietionis, obiit domi-
nus noster imperator Fredericus, filius magni
imperatoris quondam Henriei, et fuit positus
I sar]chophago vicesimo quinto [die] mensis
ebruarii eiusdem incarnationis in ceivitate
Panormi in matre Pan. ecclesia.
Eodem! die obiit dominus Aquinus pres-
biter...... sancti Angeli, qui [ilndicavit pro
anniversario suo ex [pro]ventibus jardini in
quolibet anno tarenos quatuor.
II.
Bibl. Panorm. municip. Mss. Qq. F. 34 fol. Nr. 10 ent—
hält in Abſchrift Schiavos aus einem Pergamentcoder der capella
Palatina (dort nicht mehr vorhanden) folgendes Necrologium, deffen
Eintragungen nicht über das 12. Jahrhundert herabgehen. Ganz
vereinzelt fcheint im Original noch der Tod der Kaiſerin Konftanze
1222 augemerft gewejen zu fein.
8 idus febr. Depositio Elvire regine Sicilie et Italie (1135).
9 kal. mart. Hic obiit Adelasia avia domini regis Rogerii.
4 kal. mart. Depositio regis Rogerii (1154).
17 kal. april. Hic obiit Tancredus princeps Barensis, filius
Rogerii regis.
2 kal. april. Depositio regine Beatricis (1185).
16 kal. maji. Obitus Adelasie regine et Adeleis eius avie.
3? kal. maji. Eodem die dedicatio ecelesie sancti Petri,
cappelle regie Panormitane (1140).
6 non. maji. Linquens terrenas migravit dux ad amenas
Rogerius sedes, nam celi detinet edes.
idibus maji. Transitus Grimoaldi.
9 kal. junii®. 1101. Obiit Rogerius maximus comes Sicilie
et Calabrie mense junii.
9 Kal. juli 0000.“ —
1 Das Folgende von jüngerer Hand.
2 sic. ° sic
* Sc. fett auf biefe Zeile gleich da8 Folgende Anno 1186 ꝛc. Er bat
offenbar eine Notiz über Konftanze II. ausgelafien. s
475
Anno 1086, ind. 9, mense julii, 17. cal. aug.
obiit Robertus Guiscardus dux Apulie et Ca-
labrie (1085).
2 non. sept. Transitus Seguelguarde comitisse de Molisio.
14 kal. oct. Hic obiit Jordanus, filius comitis Rogerii.
13. kal, oc. Eodem die regina Sybilla obiit (1150?)
6 idus oc. Depositio principis Amfossi (1144),
2. Necrologium Salernitanum.
Bibl. Panorm. munieip. Mss. F. 34 fol. Nr. 11 enthält in
Abfchrift Anton. Amicos Notizen ex libro anniversariorum ecele-
sie 8.
Matthei de Salerno, die, ohne erfennbare Regel gegeben,
hier nad) den von Amico (aus der Handfchrift ?) mitgetheilten Jahren
geordnet find, denen ich zum Theil die rectificirten Jahrzahlen in
Klammern beigefügt Habe.
1086.
1110.
1111.
1120.
1135.
1144.
1150.
1153.
1159.
1160.
1163.
1166.
1170.
1177.
1182.
1183.
1184.
1304.
Dominus Robertus Guiscardus dux obiit (1085).
Depositura! domini dueis Rogerii (1101).
Depositura domini Rogerii ducis, filii magnifiei regis
Rogerii (1149).
6. julii obiit dominus Gulielmus dux (1160).
6. februarii depositura illustris regine Albirie.
Depositura domini Amphusi Capuanorum prineipis.
Depositura domine Sibille illustris regine.
Depositura domini Rogerii magnifiei regis (1154).
Obiit dominus Adrianus papa IV.
Dominus Romualdus Guarna archiepiscopus Salerni-
tanus (1181) et 1180 Robertus Guarna archidiaconus
ejus frater et 1166 Petrus Guarna eorum pater ?.
Dominus Teodorus domini regis magister camerarius.
Depositura domini Gulielmi magnifici regis.
Depositura domini Henrici Capuanorum prineipis.
Obiit Jacobus Guarna dominus Castelli maris.
Depositum ® domini Riecardi, filii domini Roberti co-
mitis Caserte, 5. januarii.
1. augusti domina Margherita illustris regina Sicilie.
Simon Guarna miles, filius domini Luce Guarne ju-
stitiarli.
Dominus Rogerius de Bonnomasco cappellanus pape
et electus Montis regalis.
. 21. januarii obiit rex Robertus (1343).
. 26. maji obiit dominus Ludovicus rex Sicilie.
sic.
Der Name bes Vaters war bisher ınbelannt,
Hier jo ausgeſchrieben; fonft abgelürzt -tu.
476
3. Necrolegium Liciense.
Neapel Brancacciana Mss. 4. E. 2 sec. XVI, fol. 38: Ex
libro martirologii monasterii s. Nicolai et Cataldi existentis
penes nob. Franeiscum Colletta 1. januarii, VII. ind., 1549.
Der Abfchreiber hat fchon nicht mehr Alles lefen Können, und feine
eigene Schrift ift ebenfalls ſehr undeutlich und verblaft. Er hat
ferner die Daten nicht immer vollftändig ausgejchrieben, an einzelnen
Stellen fie auch wohl verdorben.
9 kal. jan.
7 kal. jan.
5 kal. [jan.?]
8 idus jan.
4 febr. ?.
7 kal. febr.
6 kal. febr.
3 kal. [mart.].
15 [kal.?] mart.
10 kal. [apr.]
6 kal. |apr.]
7 idus apr.
6 idus [apr.]
primo maji.
18 kal. julii.
10 kal. julii®.
a a we
Obiit rex Rogerius, filius domini regis Tan-
credi a. d. 1194, ind. 12.
Obiit comes Robertus de Gravina.
Obiit Gullelmus, ducis Rogerii bone memorie
filius et frater domini Rogerii.
Obiit rex Carolus a. d. 1285'.
Obiit comes Alexander de Gravina.
Obiit rex Tancredus fundator istius monasterii
a. d. 1194, ind. 12.
O regine Sicilie nostre
egregie.
Obiit rex Rogerius bone recordationis (1194).
Obiit Gualterius dux Athenarum, Brenne et
Litii comes 1311, ind. 9.
Obiit Cecilia Modania, mater regine Sibilie.
Obiit Sibilia regina Sicilie ®.
Obiit Rogerius Bellus episcopus Litiensis.
Obiit comes Goffridus Litiensis. Obiit Sire
Urso Castaldo #,
Obiit Gulielmus episcopus ...... densis
anno 1251.
Obiit Fulgo epise & bee Litiensis a. 12.
Obiit Corus Accardus Litiensis.
Obiit dux Rogerius bone memorie, pater do-
mini regis Tancredi (1149).
Obiit Carolus secundus Hier. et Sicilie rex
1309, ind. 7.
Obiit comes Gualterius anno domini 1205,
ind. 8.
Obiit domina nostra imperatrix Constantia.
(1222).
eg Einzeichnung fteht in der Hdſchr. obenan.
Wohf die Gemahlin des Königs Tancred.
Den folgenden Eintragungen ift fein Datum —
junii Hoſchr.
Das richtige Datum iſt 9. kal. julii.
477.
[. .?] idus aug. Obiit domina Agnes, uxor domini Guilielmi
de Canın 1265.
5 idus aug. Obiit dominus Ugo comes Brenne et Litii
a. d. 1296.
3 kal. [sept.] Obiit Tancredus archiepiscopus Hydrontinus
(ec. 1219).
primo sept. Obiit domina Isabella comitissa Brenne et
Litii.
7 idus [sept.?]. Obiit Octavianus primus abas monasterii
1194, ind. 12.
11 kal. [oct.?]. Obiit domina M. abatissa s. Joannis de Litio
an. 1271.
4, Berfe auf König Manfred und Karl von Anjon.
In der von Agnello beichriebenen Brieffanmlung des 14.
Jahrhunderts, im Beſitze de8 Principe di Fitalia, folgen der gegen
Manfred gerichteten Bulle Aleranders IV. von 1259 April 10 (Ca—
pajjo Nr. 310) diefe Verſe, S. 28
Rex novus eveniet totum ruiturus in orbem,
ut donet eterne matris honore plagam,
ex inexperato properans de montibus altis
ac cavernosis mitis et absque dolo,
5 pauper opum, dives morum, ditissimus almi
pectoris ob meritum, cui deus augur erit.
Hie Siculos pravamque tribum sevi Frideriei
conteret, ulterius nec sibi nomen erit.
Cuncta reformabit, que trux Fridericus et ejus
10 cuncti soboles seu suosque sequaces. (sic)
Es folgt dann Manfreds Brief! an die Römer 1265 Mai 24
(Sapafjo Nr. 460) und weiter S. 32° diefe Notiz:
Versus de cometa apparente tempore domini dieti regis
Manfredi, que quidem cometa apparuit parum ante casum
ejusdem:
Mirandum signum visum fuit ex oriente,
stella micans radiis resplenduit una repente,
quam referunt homines et firmant esse cometam.
Regibus ista solet vel tollere vel dare metam,
5 de qua sic legimus libros recitare Sibille:
ı Der moderne Abjchreiber des cod. Fital. in ber
Sir Palermo, Bibl. comm. Mss. fol. F. 706.33, bemerft ſehr naiv über
diejen Brief: Haec Babe non a — tum quia de summi pon-
tifieis potestate male olebat, tum quia potius a viro furiis agitato ac
ex omni parte odium spirante conscripta fuerat, ideoque ex industria
omissa fuit.
478
Postquam transierint annorum tempora mille,
visibus humanis splendebit stella cometa,
‚queque novum regem signat, quoque regna quieta.
Die Veneris, sexto februarii, none indictionis, prope Be-
neventum interfectus fuit in bello predictus rex Manfredus a
rege Karolo et! exereitu suo, et sepultus postmodum fuit
apud pontem Valentinum, et erat anno? domini millesimo du-
centesimo sexagesimo quinto.
5. Nachträge zu den Kaiferregeiten.
982 Aug. 2. in Calabria. Otto II. (sup. disp. prov. Rom. imp. aug.)
beftätigt cuidam monasterio in Apulia vocabuli s. Angeli in Vultu
die Befigungen. Johannes canc. ad vicem Petri epi et archic. Mit
Data 4 non. aug. 984, regn. 25, imp. 15, ind. 10. Actum in Cala-
bria juxta flumen quod dieitur Lagrinum. Orig. Napoli, Bibl. naz.,
Mss. I, Aa 39 (Nr. 2). Beftätigt von Heinrich VI., ibid. (Nr. 3). Bol.
St. 822. 823.
(1037) Padelbrunnen. Konrad I. St. 2083. Neuere Abjchrift: Napoli,
Gr. Arch., Processi di regio padronato vol. 116, &. 19, mit ind. 5,
ohne Tag.
1038 Juni 19. juxta Sangrum. Konrad II. ſchentt auf Fürbitte der Kai-
ferin Gifela, feines Sohnes König Heinrich und deffen Gemahlin Kunigund
der Abtei s. Marie in insula maris nominata Tremiti genannte Güter. —
Kadelous vice Hermanni. Mit 1038, ind. 6, regnil4, imp.13. Act.
juxta Auvium Sangrum in loco qui dieitur Peranum. Beglaubigte
Abſchr. von 1779, ibid. vol. 89, ©. 21.
NB. Der Graf von Termoli Transmund filius Landulfi für Tremiti
1038 Juli, regn. Conr. imp., a. imp. in Italia 13, ibid. ©. 16.
1054 Mai 31. Heinrich III. auf Fürbitte der Kaiferin Agnes und feines
Sohnes Heinrih für Tremiti. — Gunterus vice Hermanni. d... kal.
junii 1054, ind. 7, ord. 27, r. 15, imp. 8. Actum...ibid. ©. 38.
(Das Tagesdatum nad) Napoli, Bibl. naz., XIV. A. 27 f, 4°).
1055 Mai 27. Florentie. Heinrid III. St. 2473. Neuere Abſchr. ibid.
vol. 116, ©. 23, nod) mit a. ord. 28.
1137 Aug. 18. Salerni. 2othar III. St. 3352. Neuere Abſchr. ibid. S. 27:
Riccardus vice Henr. Mit ind. 15, 15 kal. dec.
1150 März 14. Nuremberge. Konrad II. St. 3569. ibid. S. 30. Mit
ind. XIII, 1150, regni 13.
1185 Sept. 18. ap. Cucurionem. Friedrich J. St. 4433. ibid. ©. 34:
apud Cuc. in territorio Spolet. — ind. 3, r. 34, imp. 32,
1194 Olt. 28, ap. Messanam. Heinrid VI. verleiht Meffina Handelsfrei-
ı ab Hdſ. ® anni Sf.
479
beiten, Unterthänigfeit des Landes von Lentini bis Patti u. ſ. w. Z.: Hein:
rih B. dv. Worms, Walter B. v. Troja, Ludwig H. dv. Baiern, Konrad 9.
v. Spoleto, Markwald Reichstruchſeß, Heinrich Marſchalk, Heinrich Schenk.
Actum a. d. i. 1194, ind. 3, regn. 24. Data ap. Mess. 5 kal. Nov.
p. ın. Alberti imp. aule prothonot. — Messina, Arch. municip. Privi-
legienbuch (neue Abſchr. aus dem Stadtrehtsbuche von Trapani f. 29. Bol.
&t. 4887.
1194 Dec. 13 Panormi. Heinrih VI. St. 4890, 3.: Mattheus Erzb, v.
Capua, Heinrih B. dv. Worms, Bonifaz Mfg. v. Montferrat, Philippus
frater noster, Hubert de Dune, Vollſt. Abſchr.: Palermo, Bibl. comm,
Mss. Qq. H. 11 ©. 305.
1194 Dec. 30. Panormi. Heinrich VI. St. 4894: in palatio Panormi.
1195 Ian. ... SHeinrih VI. St. 4900. Orig. Palermo, Arch. di
stato, fehr Hein, überall bis an deu Rand befchrieben. Ortsangabe fehlt
aud bier, Siegel nicht mehr vorhanden.
1195 März 6. ap. s. Maurum. Heinrich VI. St. 4907. Bollftändig in:
fr. Jacobus cognomento Graecus Syllaneus, Joach. abb. chronologia,
Cusentiae 1612, ©. 118,
1195 März; 30. ap. Barum. Heinrich VI. beftätigt dem Kloſter s. Angeli
das eingefchaltete Privileg Ottos II. (j. o. 982) und die Berleihungen der
Könige Roger und Wilhelm. Orig. Napoli, Bibl. naz., Mss. I, Aa 39
(Nr. 3). Der untere Rand mit dem Siegel ift abgefchnitten.
1195 April 13. ap. Barolum. Heinrich VI. St. 4922. Auch im Diplo-
matarium 8. Laurentii, Mss. von 1746 bei 9. Prof. Capaſſo. Z.: Mate
theus Erzb. v. Capua, Heinrich B. v. Worms, Philippus frater noster
dux Tuscie, Bonifaz Migr. v. Montferrat, Konrad 9. v. Spoleto, Konrad
Migr. v. Molife, Marloald Senefhalt, Robert v. Durne, Heiurich Marſchall
v. Ralindin, Diopuld von Rocca Ardis (Rocca d'Arce). Mit 1195, regmi
Teuton. a. 25, Sic. 1, imp. 2.
1195 Juni 18. ap, Comum. Heinrich VI. giebt dem Abte Palmerins vom
Klofter s. Stephani de Monopoli ein fehr ausführliches Privileg. 3.:
Mattheus Erzb. v. Capua, Wilhelm Erzb. v. Ravenna, Heinrich B. v.
Worms, Philippus frater noster, Kourad Herzog dv. Spoleto, Vilar des
Königreichs Sicilien, Konrad Migr. v. Molife, Marloald Reichstruchſeß,
Heinrich Marſchall. Ego Conradus .... una cum Gualterio Trojano
ep. Dat. ap. Cisonam (Cijonam) p. m. Alberti protonot. In Beftäs
tigung der Kaiferin Konftanze 1197 Ian, 5. Neuere Abſchr. Palermo, Bibl,
eomm. Mss. Qq. H. 15; Girgenti, Bibl. Lucchesiana; Napoli, Gr.
Arch., Processi vol. 220, f. 19,
........ Heinrich VL für s. Maria de Tropea. Dat. Panormi
Olt. 8. ind. 13, 11951 (Bon der Regentichaft ausgeftellt?) Neuere Abſchr.
Palermo, Bibl. comm. Mss. Qq. H. 10 £. 175.
1197 April 28. (Panormi). Heinrich VI. beurkundet das Stadtredt Meffinas,
3.: archiep, Ragusie (?), Marloald Reichsſeneſchall Herzog dv. Ravenna
480
und’Marfgr. v. Ancona, Konrad Herz. v. Spoleto, Wilhelm Graffus Gr. v.
Malta u. Admiral, Gr. Bartholomens de Luce, Gentifis de Palearia Gr. v.
Manupello, Leo Gr. v. Ealvi. Ego Conr. Hildesh. ep. Actum 1197
. vicesimo octavo .... Regni vero ... . (üden). Messina,
Arch. municip., Privilegienbud) (f. 0.) f. 27. Bol. St. 5064.
1197 Sept. 25. Messane. Heinrih VI. für den Genuefen Marinus de Ma—
rino und feinen Sohn Mattheus., Mit 1195 (?), ind. 1. Neuere Abfchr.
Palermo, Bibl. comm. Mss. Qgq. H. 13 f. 13, unter vielen gefäljchten
Königsurkunden für italifche Familien.
1311 April 19. Mediolani. Mag. Bartholomeus de Vargiana Bonon. et
Mag. Arnaldus de Puteo Placent., medici d. regis, übergeben im Auf—
trage des Königs Heinrich VII. dem Kloſter des 5. Ambrofius zu beftändiger
Aufbewahrung die ‘coronam ferream lauream', mit der er am 6. Januar
vor dem Altare des Heiligen zum Könige von Italien gefrönt worden ift.
Rom, Bibl. Vitt. Eman. Mss. Nr. 101 (früher s. Croce Nr. 186)
f, 464°.
6. Nachträge zu den Regeften der Kaiferin Konftanze 1.
(Bol. Toeche, Heinrich VI. ©. 694; Winkelmann, Philipp von Schwaben
S. 497).
1195 Dec. Panormi. beftätigt Schenkungen früherer Grafen von Lecce an das
Bisthum Lecce. Mit ind. XII. Napoli, Gr. Archivio, Processi di
regio padronato vol. 18 f. 10.
1196 Ian. Panormi. beflätigt der von ihrem Bater gegründeten Kirche von
Eefalu ihre Güter mit allen Rechten wie zur Zeit Wilhelms II, Mit 1196
ind. XIV; Henr. a. regni 25 (27?), imp. 5, Sie. 2, Orig. Palermo,
Arch. di stato, Scuola paleogr. Das Siegel fehlt.
_ — — beſtätigt dem Biſchofe von Cefalu eine von der Nichte
des Königs Roger Abdelicia gefchenkte Mühle, pro salute dni Henr. ....
karissimi viri nostri et ut felicitatem suam deus custodiat tempori
longiori et pro salute nostra, des Königs Roger umd der Adelicia. Mit
denfelben Daten. Orig. Palermo 1. c. Siegel fehlt.
— — — für die Johanniter von Meſſina. Mit denſelben Daten.
Abſchr. Palermo, Bibl. comm. Mss. Qq. H. 12 fol. 14.
1197 Ian. 5. Panormi. beftätigt das eingerüdte Privileg Heinrihs VI. von
1195 Juni 18. für ©. Stefano di Monopoli, Mit 1197, ind. 15, a. regni
Henr. 26 (28?), imp. 5 (6?), Sic. 2 (37). Abſchr. daſelbſt H. 15; Gir-
genti, Bibl. Lucchesiana; Napoli, Gr. arch,, Proc. di regio padron.
vol. 220 f. 19.
1197 San. 13, Panormi. für s. Maria in valle Josaphat, p. m, Conradi
431
Brunswicensis not. — d. Pan. p. m. Matthei Capuani aepi 1196,
ind. 15, imp. 6, Sic. 2 (3?). Abſchr. daſelbſt: H. 11 ©. 306.
1197 April 25... . beftätigt eine Schenkung des verftorbenen Grafen Ro-
bert von Lecce für das -Bisthum. Mit 1197 ind. XV, Napoli, Gr.
arch., Processi vol. 18 f. 9.
——— . ſoll zuſammen mit ihrem Sohne Friedrich dem Otto Frangi-
pani principatum Tarenti cum tota terra Idronti verliehen haben. j.
Sunocenz IV. 1249 Mai 29. Huill.-Breholles VI, 734.
eo 00. fol dem Kanzler Walther von Palear den Garten eines Scedid
in Palermo gejchenft Haben. Amato de princ. templo Panorm. ©, 127
in der Urk. Walthers von 1209 April.
1198 Oft. 24. Panormi. für den Biſchof Urfo von Girgenti. Auszug ohne
Daten bei Pirrus I, 703. Bollftändige Abſchr. Girgenti, Arch. cattedr.
Priv. eccl. Agrig. Tom. III, ©. 41.
7. Neue Nachträge zu den Regeſten Manfreds.
(Bl. Forſch. 3. d. Geſch. XII, 381 fi; Capasso, Hist. dipl. regni Siciliae.
Napoli 1874. 4.).
-1254 Dec. 3. Fogie. Böhmer, Reg. Manfr. 6; Capasso Nr. 183. Mit
Ort und Tag Palermo, Bibl. comm. Mss. Qq. H. 13 ©. 35,
........ Manfred erneuert im einem Umfjchreiben au die Juſtitiare das
Studium zu Neapel, wie e8 unter feinem Vater beftanden, und bebt alle
übrigen Particnlarfchulen auf, mit Ausnahme der mediciniſchen zu Salerno.
Ad regie — publicare. Martene II, 1219.
........ M. beruft einen Lehrer der Decretalen an die Univerfität zu
Neapel. Inter alia — observari. ibid. ©. 1218.
1258 Aug. ... B. 14. 15; Capasso Nr. 285. In Palermo, Bibl. comm.
Mss. fol .F. 69. Tom. I, 355, heißt der Ort Burgilmercusium und ift nad)
Hartwig in Hif. Ztſchr. 1876 Heft 3, S. 255 — Menfri zwiſchen Selinunt
und Sciacca.
1259 März 5... . M. beftätigt ein Privileg feines Vilars Percival Doria
für Rocca in der Mark Ancona. ſ. Ardiv d. Gefellih. XL, 553.
1259 Juli in castris prope Piscariam. M, beftätigt Fabriano das Privileg
des Reichsvilars Gualter de Manupello 1250 Sept. 12, die Beftätigung
Friedrichs II. 1250 Olt., und das Privileg feines Generalvilars BPercival
Doria 1259 März 5. — p. m. Gualterii de Ocra regn. Hier. et Sic.
canc. — Collez. stor. Marchigiana II, 231.
1260 Nov. Fogie. M. beftätigt dem Nonnenklofter s. Maria zu Meſſina das
Privileg feines Vaters 1210 Mai, auf Bitte der Aebtiſſin VBeatrir, feiner
consanguinea; p. m. Gualterii etc. — Erwähnt: Palermo, Bibl. comm,
Mss. Qq. H. 10 £. 173.
482
1263 ..... M. urkundet für s. Martino delle Scale zu Palermo. ibid.
Grande Archivio, Prov. s. Martino.
1263 Juni... M. beftätigt dem Matteo Pipitone von Palermo bort gewiſſe
Häufer gegen Zins. Orig. ibid.
Fälſchungen.
. ....... M. urkundet als König für Gualter de Caltagirone. — p. m.
Rainaldi secret. — d. in castris ap. Bentecorum regni Neapolis.
1253 April 14., ind. 15. Neuere Abichr.: Palermo, Bibl. comm. Mess,
Qq. H. 13 ©. 6.
FERN ... M. deögl. für Russus Rubeus baro Martinorum. — p. m.
Rain, secret. — d. in castris ap. Barlectam regni Neapolis 1257,
April 14., ind. 15. ibid. ©. 21.
—— M. giebt die entſprechende Anweiſung an die Juſtitiare. d. in
castris ap. Barolum regni Neapolis 1258, April 14, ind. 15. ibid.
©. 23.
—— M. urkundet für die Roſſi in Bezug auf eine Geldſchuld Fried-
richs II. d. ap. Barolum p. m. Perroni de Jecuemio (?) secret. et
not. 1258, April 14, ind. 15. ibid.
........ M. Schreibt dem Stratigot von Meffina wegen fchlecdhter Amıte-
führung. d. in castro Nöle p. rev. patrem confessorem et canc. no-
strum Julianum aepum Beneventi 1272, Juli 4. Messina, Arch. mu-
nicip., Privilegi (Neue Abſchr. aus d. Stabtrehtsbuche von Trapaui) f. 36,
Bgl. B. reg. Manfr. Nr. 30 zu 1262; Capasso ©. 326. .
........ M, in gleicher Sache. d. Capue per rev. etc. 1275 Mai 3,
ibid. f. 38. Es folgt f. 39° die bei Capasso S. 327 gebrudte Fälichung,
äber mit 1278 Aug. 4.
8 Drei Gedidhte Heinrihd von Avrauches an Kaiſer
Friedrich IL
Den Bemerkungen, mit welchen Hr. Dr. Liebermann die Freund-
fichfeit hatte mir die folgenden Gedichte zuzufenden, entnehme ich zu=
nächſt Einiges über die Herkunft derfelben. Sie finden ſich auf fol
32 col. 1— fol.33® col. 1 der Handfchrift der Univerfitätsbibliothet
Cambridge Dd. XI, 78, welche in St. Albans gefchrieben iſt und jo
ſchon zur Zeit des Mattheus Parif. beiſammen war,. da der Band
in der Hist. major ed. Luard III, 43 als fein Eigentum citirt
wird, quem habet de versibus Henrici de Abrincis. In Wirf-
lichkeit befteht aber der Band aus drei gefonderten Stüden, welche
indejjen ſämmtlich Arbeiten des genannten Dichters enthalten, der ſich
wiederholt al$ Henricus und Normannus bezeichnet, u. A. auch dem
Biſchofe Peter von Wincheſter f. 114 eins feiner Werfe widmet. Der
483
dritte Theil des Bandes wird ganz von feinem Leben des h. Franz
eingenommen. Ueber die fpäteren Scidjale des Dichters bringt ein
jetst der Handfchrift beigehefteter Brief de8 Baron Perche mancherlei
auf Quellen geftügte Angaben, aus welchen hervorzuheben ift, daß
der versificator jeit 1245 in dem Kampfe zwifchen Heinrich IIL
und den Baronen für den König Partei ergriff, 1250 für fein ver-
(orenes Gedicht gegen die Barone archipoeta ward und eine Penfion
erhielt, mit dem Satirifer Michael Blancpain in Streit gerieth
und ficher bis 1264 gelebt hat. Vgl. Hist. litter. de la France
XVII (1835), ©. 530.
Was nun die Gedichte an Friedrich IL. betrifft, fo fcheint es
mir feinem Zweifel zu unterliegen, daß fie ebenfalls von Heinrid) von
Aoranches herrühren. Dafür fpricht, abgefehen von ihrer Stellung
in der Handfhrift unter feinen Werken, im zweiten V. 23 ff. bie
Beziehung des Autors zu dem Bifchofe von Winchefter Pierre des
Roches und noch mehr, daß er. 70 fich felbft Henris nennt. Ihre
Abfafjungszeit aber läßt fich wenigitens annähernd bejtimmen.
A — Reditfertigung des Faiferlihen Vorgehens gegen die Lom—
barden und Verheißung des Sieges über diefelben — ift, wie V. 84
zeigt, abgefaßt nad) dem Tode des Michael Scotus. Es iſt mir
leider nicht gelungen, das Todesjahr dejjelben, der nur bis 1228 nach⸗
weisbar ift, feitzuftellen; fiir diefes wird umgekehrt aus unſerem Ge—
dichte wenigjtend ein terminus ante quem fid ergeben. Denn es
ift gefchrieben, als Sriedrih II. zum Kampfe gegen die Lombarden
entjchieden war, ihn aber noch nicht begonnen Hat, aljo 1235 oder in
der erften Hälfte des Yahres 1236.
B — das Nnerbieten des vom ungemejjenften Selbftlob über-
fließenden Dichters, in den Sold des Kaiſers zu treten — wird wegen
diefes Inhalts wohl etwas früher angefegt werden müſſen als das
vorangehende Gediht. Immerhin war nad V. 24 ſchon einige Zeit
feit den Kreuzzuge Friedrichs verfloffen. Mag num der Dichter hier
um feines Zweckes willen die wijjenfchaftlichen Beftrebungen Friedrichs
übertrieben haben, wir lernen doch aus ihm, wenn ich fo fagen foll,
den literarifhen Ruf fennen, in welchem bderfelbe bei feinen Zeitge—
noſſen jtand, und die Anziehungskraft, welche er auf fie ausübte.
C — Mahnung an Friedrid, eine Summa der unüberjehbaren
leges, d.h. des römiſchen Rechts, herftellen zu laffen, als Seitenſtück
zu der von Gregor IX. unternommenen Godification des canonifchen
Rechts — enthält jo deutliche Beziehungen auf Gregors Bulle vom
5. Sept. 1234, mit welcher leßterer feine Defretalenfammlung publis
cirte, daß das Gedicht jedenfall® nad jenem Datum entftanden fein
wird. Dürfte man bei dem domesticus hostis®. 44 an den Auf«
ftand Heinrichs VII. denken, jo würde es beftimmter ins Jahr 1235
gefett werden müſſen. Indeſſen ift dieſer Feind doch wohl fein an=
derer als die gens una rebellis ®. 61 oder die Lacii cives V.
72, unter welchem Ausdrude auch ſchon A. V. 88 ff. die Lombarden
zu verftehen waren. Die Abfaffungszeit des dritten Gedichtes dürfte
XVII. 32
"484
alſo von der bes erjten nicht ſehr weit entfernt fein, mit Friedriche
Aufenthalt in Deutſchland 1235—1236 zufammenfallen, und man
könnte deshalb vermuthen, daß der Dichter bei Gelegenheit der Ver—
mählung Friedrichs mit Iſabella II., der Schweſter des englifchen
Königs, Beziehungen zum Kaifer gefucht und gefunden habe.
Indeſſen ift er wohl kaum damals zuerft nach Deutſchland ge=
fommen. Schon in einem an den Erzbifchof von Canterbury Stephan
Laugton (geft. 9. Yuli 1228) gerichteten Gedichte, das in der er-
wähnten Handſchrift den Kaifergedichten unmittelbar vorangeht und
das ganz unzweifelhaft Heinrih von Avranches zum Verfaſſer hat !,
Hagt er darüber, daß in England Niemand feine Verſe belohne; er
wünſcht Mittel zur Bezahlung feiner Schulden zu Haben, um ſich
dann nach Deutfchland begeben zu fönnen?. Wann aber hat er dieſe
Abficht ausgeführt? Wenn ein Gedicht an den Erzbiſchof von Köln,
das fich in dem zweiten Theile der Handſchrift £. 191 findet, eben-
fall8 von unferm Dichter Herrührt, wie ich vermuthe, fo dürfte er
nad) den dort gegebenen Andeutungen ? fchon 1232 oder wenig fpäter
in Köln geweſen fein, als der Erzbiſchof Heinric) von Molenark von
einer zu feiner Rechtfertigung unternommenen Reife an den päpjt=
lichen Hof zurückgefehrt war, vgl. Ann. Col. max. ©. 843.
A.
Ad imperatorem Friethericum], cujus commendat pru-
denciam.
Coram prineipibus nisi multis ceca favorem
Indignis fortuna daret, regeretur honeste
Auctorisque sui splenderet ymagine mundus.
Sed paciuntur opes quocunque sophismate falli,
5 Utque methaforice loquar infortunia regum,
Sunt hominum eure quasi fluctus, rex quasi navis,
Verba susurronum quasi venti, credere dictis
Palporum quasi naufragium. Quociensque sinistris
Aceidit alitibus, quod, adulatoris iniquo
10 Princeps consilio blande seductus, omittit
ı Der Dichter jagt da:
Quid mihi profecit, vestro donasse priori
Sancti scripta Thome miracula
Diefe miracula aber, mit denen die Handfchrift beginnt, find ald versus ma-
gistri H. rubricirt.
Sic facio versus, quos nemo remunerat. O si
Anglia Theutonie me saltem redderet album!
Sed cum me teneant captivum debita, non est,
Qui redimat etc.
r Presul Agrippine, vir magne, vir inclite, qui ne
Invidia tristi —— infamis, adisti
Vtaliam sponte e
Der presul wird weiterhin als yachlolger Engelberts gelennzeichnet.
485
Id quod agi debet, vel agit quod debet omitti,
Iminet exicium populis, populacio regnis;
Cum requirendum prius est in principe, quod sit
Diseretus: nec enim princeps rudis arte regendos
15 Arte reget populos verbisque fidelibus aures
Non inclinabit, sed plus simulata placebunt.
Cujus tanta rudem premit ignorancia sensum,
Nee sibi nec populis existet idoneus: unde
Est opus ut sapiat; alioquin, pace soluta,
20 Principis et regni pavor est utrobique molestus. —
Hoc non simplieiter premisi, sed quia laudis
Argumenta tue, Fretherice, probancia sensu
Opposito: quod te divina sciencia rebus
Preficit humanis, in te sua dona coronans.
25 Obstupefecit cum mundum prudencia quondam
Ytala, nunc Ytalos tua sie excellit, ut, in qua
Ipsi vincebant omnes, vincantur ab uno:
Nullus adulator, nullus te palpo fefellit,
Nullus amicicie simulator, et omnia cautus
30 Perfidie fingmenta notas, nec multa minaris,
Immo dissimulas animi secreta profundi.
Quantus is est sensus! Princeps, si quando minatur.
Inde minoratur, tacitusque preoccupat hostem.
Ingenioque tuo non suflicit ars moderandi
35 Imperium: quin ipsa scias archana sophie,
Consultis oculo libris, non aure magistris.
Nullus in orbe fuit dominans et in arte magister:
In te perecipitur instancia. Se tibi mundus
Subdit, at ars subicit; donans Deus omnia, quid cui
40 Maius vel melius, maiori vel meliori
Immo pari similive dedit, tibi quoslibet uni
Et regere effectus datur et perpendere causas.
Cum sic ergo tuos prudencia dirigat actus,
Plebsque tibi, sicut* Pan Phebo, sicut Aragne
45 Palladi, cisma gerat, causas oblita priores,
Si commota semel nudaverit ira mucronem,
Imperiale decus et avita tuebere iura;
Felle carens, milvos aliquando columba repellit.
Neve putes, quod adinveniens presagia fingam;
50 Si qua mathematici prefantur enigmata rerum,
Arte movente sua numerum, numeroque movente
Astrorum seriem, mundumque moventibus astris;
Si qua super causis doctrina latentibus aure
Auguris aut oculo fit aruspicis aut meditatu
55 Arioli: quedam de te presagia, cesar,
° sic Hbf.
32%
486
A Michaele Scoto me percepisse recordor,
Qui fuit astrorum serutator, qui fuit augur,
Qui fuit ariolus, et qui fuit alter Apollo.
Hunc super imperio cum multi multa rogarent:
60 Esse sibi, dixit, certa ratione probatum,
Quod status imperii, te supportante, resurget.
Prelatis adhibere fidem nolentibus illi,
Addidit hiis verbis formalem pandere causam:
‘Hac princeps, et non alia, ratione regendis
65 Preficitur populis, ipsius ut una voluntas
Unanimes faciat populos, sua jussa sequentes.
Sic opus est; nec enim poterit consistere regnum -
In se divisum, sed desolabitur. Hoc est
Ergo: quod imperii rupisse videtur habenas
70 Princeipis ad nutum plebs dedignata moveri.
ed sic est — celum si non mentitur, et astra
Si non delirant, et mobilitate perhenni
Corpora si sequitur supracelestia mundus —:
Excellens alias prudencia principis hujus
75 Cisma voluntatum dirimet, populosque rebelles
Conteret et legum dabit irresecabile frenum.
Nec tamen arma feret spontanea, sed spoliatus
In spoliatores, quos talio puniet equa:
Omnia dat qui justiciam negat arma tenenti’.
80 Veridicus® vates Michael, hec pauca locutus,
Plura locuturus, obmutuit, et sua mundo
Non paciens archana plebescere, jussit
Ejus ut in tenues prodiret hanelitus auras.
Sic acusator® fatorum fata subivit.
85 Neve fide careant tanti presagia vatis:
Ytala Theutonico fraus est ferienda furore ;
Illius insultu populi populaberis istum ;
Et postquam Lacias in humum prostraveris arces ®
Imperioque tuo servire coegeris urbes,
90 Sicut Theutonicos Laciis, sic euilibet hosti
Oppones Latios fiesque monarchior orbis,
Quam fuit Augustus, minimeque resistere tanti
Principis impetui poterit quantuslibet hostis.
Hiis igitur restat, tua qui rapuere, timendum,
95 Ne sua tu rapias. Nec enim lex equior ulla est
Quam dare mercedem pro merce, nocere nocenti,
Ledere lesorem, clavoque retundere clavum.
Sed taceo; nec enim, quid oporteat, ipse requiris:
b
. —— im Text. Am Rande Veridieous.
0
NUeber artes iſt T [vel] ces ubergeſchrieben, alſo aroes.
487
Consilii satis est in te tibi. Teque monendo,
100 Ut sapienter agas, fluctus maris augeo stilla
Fluminis et lucem solis juvo luce lucerne.
B.
Captat et probat dominum Fr[ethericum] fore sibi pla-
cabilem. |
Principis ut summi sinat excelleneia, dicam ;
Applicet o placidas dignacio cesaris aures!
Suntque* modi duo: prosa-metrum, quibus omnia constant,
Que loquitur vel que scribit homo. Sine pondere prosam
5 Et sine mensura profert humana voluntas;
Est autem metrum species divina loquendi.
Utque Deus numero, mensura, pondere, mundum
Feeit eisque tribus essencia quinta refulget,
Sie data lex Moysi, sic sermo propheticus omnis,
10 Sie ewangelium loquitur, precisaque® pulchrum
Verba sonant: metitur enim modus iste loquendi,
Ponderat et numerat voces et tempora° vocum.
Hunec ex Hebraico vir Adonius et Sapha conjux
Transtulit ad Grecos; Greci miseri Latinis.
15 Qui prosam conferre? metro contendit, et antra
Deserti poterit domibus componere regni:
Fit quasi desertum, cum sermo deserit artem,
Fitque quasi regnum, cum voces arte reguntur.
Hujus ego regni jus et moderamen adeptus,
20 Hispida prosarum reliquis deserta reliqui
Jamque poetarum teneo fastigia solus.
Extitit® ista tuam faciem mihi causa videndi:
Wintoniensis! enim michi dixit episcopus olim,
° que halb ausradirt. b_ precisog: a vom berfelben Hand über«
geſchrieben. ° pignora Hdſ., am Rande von derſelben Hand ——
d transferre Hdj,; am Rande con. e Extitat Hdf.; am Rand
in derfelben Hand extitit.
2 BVierre des Roches, Biſchof von Wincheſter. Bol. Geſch. K. Friedr. II.
Bd. I, 296, 3, 305, 2. Röhricht, Veitr. 3. Gefch. d. Kreuzzüge I, 18. Die
Ann. de Dunstaplia bei Luard III, 126 bezeugen ihm, daß er im heiligen
Lande adeo se strenue habuit, ut tam apud Rom. ecclesiam quam apud
Fred. gratiam promeruit et favorem. Et cum essent ad invicem ad-
versarli, inter eos esse meruit mediator et quasi lapis inter parietes
oppositos angularis. Ann. de Theokesberia, ibid. I, 76: pacificavit
pam et imperatorem. Auch Matth. Paris hist. minor II, 409 rühmt
den Bifchof bei Gelegenheit feines Todes (9. Juni 1238) al8 mediator zwiſchen.
Papft und Kaifer, LE FT F |
488
Qui fuit in Syria peregrinus et advena tecum
25 Et bene te novit, et eum puto quod bene nosti,
Quod pocius placet ille tibi, quo* nullus habetur
Major in arte sua, seu sit mechanica, sive
Libera. Tanta tui micat excellencia cordis.
Si sit equus celer ut Bucifal, aut mucro cruentus
30 Ut Duredal, aut hasta rigens ut Pelias, aut si
Fabricet arma Ciclops, quorum rigor® Hectoris ictus
Spernat et Ajacem species opponat° Ulixi,
Et tibi conveniunt et talia solus habebis,
Constatura licet precio quantilibet auri.
35 Si tubicen canat ut Perseus, tibicen ut Athlas,
Aut fidicen sicut Orpheus, tuus ut sit, oportet,
Arbitrioqgue tuo silvas et saxa movebit.
Si sit arismeticus‘, qui norit plurima, sicut
Ysidorus, logicus ut Plato, rethor ut Ancus,
40 Seu sit gramaticus® ut Donatus, geometerve
Qualiter Euclides, aut! musicus ut macilentus
Pitagoras, aut astrologus quasi rex Tholomeus —
Non est argentum, propter quod omittere velles,
Quin conviva tuus civisque domesticus esset.
45 Inde probo, quod me venerari jure teneris,
Quotquot sunt preter tres componuntur® usie:
Quiequid enim simplex in usiis, aut Deus, aut est
Angelus, aut anima. Deus hujus et illius auctor:
Hunc intellectu perfecit et hanc ratione.
50 De ratione nichil ad presens! Sed quia voce
Intellectus habet intellectuque notari
Res, dignum duxi premittere de tribus istis.
Est "intellectus, quem non fantasmata turbant,
Optima pars anime, perfeccio demonis, ipsum
55 Nata videre Deum; res est quodeunque videmus;
Voxque quod audimus, Intellectusque videntur
Et res et voces tres optinuisse m[on]barchi:
Prima Deo, tibi cura sequens, michi tercia cessit.
Jure subalterno preest intellectibus ille,
60 Tu sub eo rebus, ego sub te! vocibus. Actu
Namque Deus semper intelligit omnia, rerum
Ille* monarchiam tibi contulit, et michi vocum.
® qui corr. in quo. Der Eorrector ift ber Schreiber wahrſcheinlich
überall und gas an den meiften Stellen ſelbſt, nur jchreibt er am Rande
— ta Hd. Am Rand rigor. © apponat corr. in opp.
Gramaticus am Rand. ° arismeticus ut Arestes am Rand.
ut corr. aut. 5 Go in der Abfchrift.
N Hinter m zwei Buchftaben durch Wachsfled unleſerlich.
i sb te zwifchen den Zeilen; am Rande geändert in nonnisi.
k ılle eſchrieben vero Hbf.
489
O quam dissimiles! Tua permanet, et mea transit.
Orbis enim semper, vox nonnisi dum sonat; orbem
65 Lis elementorum faeit infinita perhennem,
Vocem motive necat* interrupceio cause.
Ergo, cum sit apud voces essencia pauper,
Me, qui pauper eram, fecit Deus inde monarchum.
Et, ne sim monachus, me litera sola tuetur.
70 Hine vocor Henris?: Hen' — in; ‘ris’ —- risus; dicitur
Henris
‘In risu’; — non in risu, quo rideo, sed quo
Rideor et toti sum factus apostropha vulgo®,
Coram quo mea ridiculum me fecit egestas.
Rerum dicior est esseneia; dicior ergo
15 Preesse monarchus eis parili ratione tenetur;
Cumque sibi pacis prefigant omnia metam,
Causa Deus rerum primaria noluit ipsas
Rege regi nisi pacifico, te scilicet; at, ne
Dicar adulare, Lacio memorabile vulgo
80 Sit pro teste michi nomen Frethericus amicum!
Est adhibenda fides rationi nominis hujus
Compositi Fretherich: duo componencia cujus
Sunt Frithe® — rich: ‘Frithe' quid nisi pax? ‘Rich’
quid nisi regnum ?
Ergo per endiadin Frethericusf quid nisi vel ‘rex
85 Paeificus’, vel ‘regia pax’? Pax pacificusque
Est idem®, pax emphatice, sed regia tantum ;
Pacificus proprie, sed rex et gloria regum,
Quos tibi conferri tua si dignacio ferret,
Istud qua fieret habitudine, vix reperirem.
90 Cuiquet sat est regum' sua pars aliquantula mundi;
Augusto satis est Augusta domuncula mundus.
Sanguis, honor, sensus, pietas, virtusque decenter
Sullimavit eos. Sed non ita sanguis eorum
Preclarus, vel honos celsus, vel sensus inundans,
95 Vel pietas dulcis, vel virtus est preciosa.
Sunt ut sidera, sunt ut frondes, sunt ut harene,
Vel sunt ut cere, vel sunt ut marmora quedam —
Tu quasi sol, quasi flos, quasi fons, quasi mel, quasi
Jaspis!
Quocirca sic inter eos excellis, ut inter
100 Sidera sol, inter frondes flos, inter harenas
® necat im Xert; am Rande erfetst dur) fact. P Henricus corr.
Henris, ° mundo corr. vulgo. adulare im Xert; e halb
ausradirt. Am Rande ri. ° de corr. the. t Fre mit überge-
ſchriehenem i. g Am Rande erfegt durch pariter.
b que am Rande. i regnum corr. regum.
490
Fons, inter ceras mel, et inter marmora jaspis!
Cum tua sic alios premat excellencia reges,
Simque poesis ego supremus in orbe professor,
“ Dicendi, licet equivoce, sumus ambo monarchi,
105 Et summum reputo, quod in hoc communico tecum.
Ergo, si qua polo pietas, si Jupiter equus,
Si quid habent voces domino venerabile rerum,
Ex quo tantus apex tibi me confederat, unum
Inter utrumque dabis, nulla mediante repulsa:
110 Aut princeps in carminibus non esse probabor,
Aut tua me tanquam socium decorabit honestas!
C.
Item ad Fr[etherieum] imperatorem quedam persuasio.
Ne quando tua gesta vacent, o maxime rerum
Cesar, et o nostri decus admirabile secli,
Excercenda tibi committitur utraque Pallas.
Nonnisi supremus rex supremusque sacerdos
5 Condere jura potest: quod enim quantuslibet altus
Constituet, quamvis justum, gravitate carebit.
Canonicum jus papa novat; civile novari
Debet pocius, cum sit diffusius. Ex quo
Ergo tua refert leges componere, sicut
10 Et pape jus canonicum. Dispendia quare
Differs in summam conferre? volumina legum,
Que correptorem nisi te diffusa requirunt?
Est labor exiguus, famamque mereberis illo
Perpetuam; nec habebis opus suplere minuta,
15 Immo sufficiet resecare superflua, quorum
Vix homo diluvium toto percurreret evo;
Ante senectutem leges vix perleget infans.
Tu solus patrare potes compendia, tanto
Humani generis finem positura labori,
20 Et mundi renovare statum diffusaque tantis
Scripta voluminibus modico perstringere libro !.
Neve laborantes obdicat inercia sensus:
Assignabo modum, quo possunt jura doceri.
Optima doctrine via pretermittere causas
2 Bol. die Bulle Gregors IX, vom 5. Sept. 1234, mit welcher biefer
Bapft die Dekretalenfammlung des Raimund de PBennaforte publicirte, Potth.
Nr. 9693: Diversas constitutiones .... ad communem et maxime
studetium utilitatem in unum volumen, resecatis superfluis,
providimus redigendas etc.
491
25 Et perhibere prius: quia, qua, propter quid, ut ergo
Cedat in exiguum prolixa scientia corpus.
Argumenta vacent nimiis pregnancia verbis;
Et veniat facieque mera similisque puelle
Eloquio suceincta brevi conclusio. Summam
30 Insinuang breviter, quam vix liber explicat unus,
Assumat multas nova compilacio tales,
Quas in corpus ubi liber ille redegerit unum,
Destruet antiquam nova lux caliginis umbram.
Quoque sit hoc firmum: si leges astruat omnes
35 Esse coequivocas* alicujus opinio, sensu
Indiget aut pena. Nam quedam sunt ibi prime,
Quas per se notas non est aliunde probari;
Sunt alie, quarum ratio dependet ab istis,
Sicut ab igne calor; quod si consideret utens,
40 Ex aliis alias habitudo probabit eorum,
Cumque sit in sese completa scientia legum,
Nulla procul dubio foris argumenta requirit.
Forte recusabis huic insudare labori,
Quem diversa trahunt vexatque domesticus hostis.
45 Excidat hec ratio! Licet indignere latenter,
Nunquam subjectos dignabere cesaris ira.
Esto, quod iratum te provocet hostis ad arma —
Resque dedere suas hostes tibi, non metuendo
Usurpare tuas; quis enim tibi marte resistet ?
50 Guischardus, David, Cesar, vel Karolus, omnes
Oppugnaret eos, paucis si viveret annis:
Regi Guiscardo Romana potencia cessit,
Philistea David, Cesar pessumdedit omnes,
Karolus ydolatras; quantum® restat agendum?
55 Tu Guiscardus apud Sieulos, tu Cesar haberis
Rome, tu David Acon, tu Karolus Aquis!
Qualiter obstabunt tibi, cum sis quatuor isti,
Qui non obstarent uni de quatuor istis!
Unum bisextum contingere quatuor annis
60 Invenit Julius, eivilis tempore belli:
Tu, Julio major, si te gens una rebellis
Provocat ad lites, in se divisa nichilque
Constituens certum, pregnantibus undique membris,
Hacne resignabis blandam ratione sophiam ?
Esto, quod totus te marte lacesseret orbis!
Hoc solum reor esse bonum, quod omittere nolles,
Si quid omittendum contingentibus esset.
Ergo supradictum tua magnificencia, cesar,
Agrediatur opus, cui si® propensius instes,
* coequas Hbf. b ergänge: tibi. ° god Hhf.
492
70 Nil summum tam de facili complere valebis,
Nullum majorem prestare scolaribus usum,
Nullis® plus armis Lacios affligere cives.
Tunceque per ebdomadam poterit plus scire jocando
Quilibet auditor, quam nunc discendo per annum.
75 Parvulus iste labor totique salutifer orbi; .
Laudis erit quasi summa tue, mansura per evum,
Et per secla tibi dabit indelebile nomen !
* nullus Hbf.
Eberhard von Fulda
und die Kaiferurfunden des Stifte.
Bon
R. Solk,
Der Urkundenvorrath des Klofters Fulda wurde um die Mitte
de8 XII. Yahrhundert8 im Codex Eberhardi zuerſt abſchriftlich
gefammelt, deffen Original ſich jest im Staatsardive zu Marburg
befindet . Das Werk ift in Anlage und Schrift einheitlih. Der
Schreiber nennt fi), e8 ift Bruder Eberhard unter Abt Marfward;
nur die erjten Blätter (f. 3—11 prima) fcheinen von einem anderen
oder etwas früher gejchrieben. Der erfte Theil ift nicht vor 1155
entitanden, denn er enthält eine Urkunde von 1155—1159, wol
aus dem Jahre 1155 °, der zweite Band ift früheftens 1158 ° volle
endet, noch zu Zeiten des Abtes Markward (1150—1165), wol vor
1162, denn es fehlt eine Urkunde diejes Jahres, die Eberhard wegen
ihres Inhaltes gewiß eingetragen hätte *.
Anordnung des Stoffes. |
Erjter Band. I. f. 1—69. Päpftliche Privilegien in zwei
Reihen, bi8 1155—1159.
Il. f. 70—135. Königliche Präcepte: Verleihung oder Bejtä-
tigung von Immunität, freier Abtswahl, Wildbann und anderen Vor-
rechten, bis 1151.
III. f. 136—178. Schenkungen Privater, Fortfegung der II.
Abtheilung des II. Bandes; zum Schluß Notizen über einige zu
Fulda gehörige Kirchen.
Zweiter Baud. I. f. 1-82. Schenkungen der Kaifer und
Könige, fowie einzelner Großen.
II. f. 83—115. Kleinere Schenkungen Privater, in Negeften,
topographiic geordnet, ein Auszug aus den Godicellis des IX. Yahr-
hunderts
III. f. 116—131. Tauſchhandlungen, viele angeblich in Gegen⸗
wart des Königs oder vom König beſtätigt.
IV. f. 132 -157. Zinsbuch des Kloſters, Verzeichniſſe von
Hörigen, von Lehensleuten.
2 Bol. die Beichreibung des Coder in Dronkes Vorrede zu den Tradi-
tiones et antiquitates Fuldenses und Karl Roth, Beiträge II, 66.
® Dr. 820. — Id citire mit Dr. die Nummern von Dronle® Codex
— — und ſeine Traditiones nach Capiteln.
* Dr. 829,
496
V. f. 158—190. Schenkungen an die Brüder fpecielf.
v1. f. 191—195. Bericht des Abtes Markward über feine
Berwaltung.
Welchem Zwede die Anlage dieſes Buches dienen follte, das ift
Kar ausgeſprochen. Das Klofter hatte im XI. und XII. Jahrhun⸗
dert Vieles von feinen Befigungen, feinen Einkünften und Rechten an
die weltlichen Herren verloren!. Abt Markward bemühte fich, fie
wiederzuerlangen. Den Kirchenräubern follten die Bannbullen von
mehr als vierzig Päpiten, die Schugbriefe der weltlichen Autorität
entgegengehalten werden. Man wollte eine Weberficht gewinnen über
die rechtlih zu begründenden Anfprüche des Kloſters. Den Laien
gegenüber vertheidigt Eberhard das Berechtigte, die Nothiwendigkeit
weltlicher Einkünfte für die Brüder; das Flingt in den einleitenden
Worten wie in feinen Zufägen bei mancher Urkunde durh?. Aber
auch im Gegenjage zum Abt fucht er die Rechte der Brüder zu
mehren. Das bejtärkt mid) in der Annahme, daß wir diefen Mönch
nicht für ein bloßes8 Werkzeug des Abtes halten dürfen, daß die Zus
fäge nicht Markward zugefchrieben werden müffen, fondern daß Eber-
hard aus eigenem Antrieb und um die redtlihe Stellung der
Brüder vor allem beforgt neben der mechanischen Thätigkeit des Ab-
ſchreibens auch jene umfafjende geiftige Arbeit verrichtete, das ganze Ur—
fundenmaterial in einer beftimmten Abficht zuzurichten und zu verfälfchen.
Ueberhaupt muß man mit den von Eberhard überlieferten Texten
feine Vorreden und Markwards Verwaltungsbericht zufammenhalten.
Daß er an den Urkunden mancde Willkür geübt, ift fchon mehrfach
hervorgehoben worden?. Über daß der Zwed, welder ihm bei An—
lage der Sammlung vorfchwebte, ihn auch zu ganz fyjtematifcher und
umfangreicher Fälſchung verleitete, ift nod) nicht genügend dargelegt
worden*. Die gewaltthätigen Eingriffe in die Rechte des Klofters,
welche fich die großen und Heinen Herren im XII. Jahrhundert er=
laubten, follten ſchon Jahrhunderte vorher durd Königliche Vorſchrift
ausdrücklich verboten fein? Dieſe Stellen dürfen wir von vornher⸗
I Rambert von Hersfeld zu 1063, M. G. SS. V, 164.
2 Dronke Trad. IX Borrebe Eberhards; Cod. dipl. Nr. 158 Schluß;
Dr. 524: abbas fratresque . . adeuntes . . retulerat (sic); Dr. 623 ab-
bas una cum turba monachorum; Dr. 716 Precipimus etiam ....
Dr. 718 Preterea precipimus ... Dr. 738 Hoc tantum caveant...
observentur. B. 1236a abbas . . necnon et monachi ejusdem congre-
gationis . . suggesserunt ... . tenerent fratres F. monasterii ac possi-
deant .... ut postulaverunt fratres .. . confirmantes eis...
3 &idel, Beitr. z. D. II, 141; IV, 627; A.K. II, 213.
* Dronke, Trad. Borrede S. XIII, leugnet es durdaus. Er fagt, die
Zuſätze feien ganz harmlofer Natur. Zeitihr. f. heſſ. ©. u. 2. (1847) IV,
381. Kunſtmann, in Gel. Anz. d. Münd. Alad. 1849 Mr. 138, weift die Be»
zeichnung “falsarius’ zurüd, muß aber doch zugeben, daß auch bei Eberhard an
Nachläffigkeiten und Irrthümern fein Mangel ſei. Gegenbaur, Das Klofter
gute im Rarolinger » Zeitalter I, 51. 95, will die Schuld Hauptfählih auf
berhards Borlagen ſchieben, and auf fein gebanfenlofes Abfchreiben.
° Man mollte mit den in den Privilegien angedrohten Höllenfirafen anf
497
ein mit Mißtrauen anfehen. Iſt die Vergleihung mit den Drigis
nalen noch möglich, fo lafjen ſich die Zuſätze leicht erkennen; für die
andern Fälle bieten Kanzleigebrauh und Sprache der Zeit ein Kris
terium. Viele Einfhübe find an unrechter Stelle angebracht, etwa
nad) der corroboratio, fie verrathen ſich fogleidy durch andere Tinte
im Original= Coder. DBeijpielsweije hat diefer bei St. 769 zum
Schluß einen Sag, welcher in der Urfchrift fehlt: Preterea preci-
pimus et confirmamus, ut nemo hominum ulla affinitate pre-
diorum suorum fretus de eodem foreste aliquod novale sibi
facere audeat absque Fuldensis abbatis licentia. Scire au-
tem debent omnes affines et comprovinciales, quia termini
Fuldensis ecclesie non solum precepto regum, sed etiam banno
apostolicorum ceterorumque sanctorum patrum, etiam et ip-
sius sancti Bonifacii interdicto comprehensi sunt, ut nullus
se de his temere intromittere audeat. Quod si quisquam
hominum aliquod ibi novale posuerit, abbas habeat potesta-
tem in utilitatem sue illud ecclesie accipere. Si autem quis-
quam, quod absit, aliqua potestate fretus resistere et temere
aliquid possidere temptaverit, anathema sit. Und Abt Marf«
ward flagt, daß die ärmeren Yeute “faciebant sibi novalia et vil-
las in nemoribus et forestibus s. Bonifacii’ !.
Zum Belege bringe ich num das Ergebniß der Collation des
Cherhardfchen Textes mit einer Anzahl von Originalen. Daß diefe
auch feine Vorlagen waren, fann man nach feinen eigenen Worten
annehmen; für die Kritik ift es gleichgiltig, ob eine oder die andere
Verderbniß des Wortlautes ihm oder einem früheren Copiften zur
Yaft fällt. Alle wichtigen Interpolationen weijen auf ihn und auf
feine Zeit. Ach gehe von der Gollation der Nummern St. 612.
650. 756. 769. 820 auß?.
In der Orthographie läßt ſich Eberhard von der Vorlage nicht
beeinfluffen. So ift ae verfchwunden, neben e tritt aud) e an deſſen
Stelle. Conſequenz fehlt hier fo gut wie bei ti oder ci vor Vocalen,
bei n oder m vor Yabialen, bei Eigennamen. Perſonen- und Orts⸗
namen jchreibt er nach dem Gebrauch feiner Zeit. Genauigfeit in
Heinen Dingen darf man von ihm nicht erwarten. Daß er für
ac et fchreibt, für deinde oder dehinc: deinceps, für antefati
oder prescripti: prefati, für prefatum: eundem, für venerandi:
venerabilis, für aspicientibus: pertinentibus, für disponente
die Bebränger wirken. Einen ähnlichen Gedanken entwidelt ein Mönch von
Bobio im zehnten Jahrhundert. Mabillon, AA. SS. ed. Ven. Il, 48: Ad
208 qui res s, Columbani injuste suis obsequiis deputant.
ı Dronke Trad. &. 153. Doch geſchah dies oft mit Zuftimmung des
Abtes. Gegenbaur II, 23.
2 Dr Ähnlichen Ergebniffen gelangt Sidel, A. K. II, 214, indem er von
den Originalen der erften Karolinger ausgeht. Namentlich auf dieje bezieht fich
die Klage des Eopiften, daß er Manches nicht leſen konnte; hier ift die Möglich:
keit von Lefefehlern am größten. |
498
gratia nur dispensatione, für munitatis: immun., für domina-
tionis: donationis oder auctoritatis, für breve: carta, für jussi-
mus assignari: insigniri precepimus, daß er ein scilicet, videlicet
ausläßt, das oder ähnliches fommt bei jeder Urkunde vor. Auch än-
dert er gern an der Wortftellung, aus suaeque devotionis ob
amorem madjt er: et oba. 8. d.; firmior temporibus, humiliter
nostram, fidelibusque suis, vocatione divina, possint invenire
ftellt er um. Der Königstitel wird durch Zufäge erweitert. Die
Schlußformeln (X—XI) fallen oft weg, wenn der Raum zu knapp
wird, alſo befonders dann, wenn der Urkunde nur eine Seite zuge:
wieſen ift; die Diplome beginnen faſt alle oben auf der Seite. Bor
dein Namen des Kanzlers fteht immer Ego. Was auf feinen Titel
folgt (ad vicem N. archic.) wird ausgelaffen, nur das Schluß⸗
wort (recognovi) wieder gejett. Vom Datum bleibt meift nur der
Kalendertag und eine Yahresangabe, 3. B. Indiction, zurück, ferner
das Actum und, wenn der Raum reicht, die Apprecation. Läßt der
Copift auf den Titel des Kaifers einen Gruß folgen, wie: omnibus
Christi fidelibus tam futuris quam presentibus gratiam et sa
lutem eternam, gratiam et salutem in domino, gratiam in
Christo, fest er nad) confirmavimus am Schluß noch Hinzu: atque
conscripsimus nostri nominis caracterem, ac nom. nostri car.
inposuimus, fchreibt er ftatt anuli nostri impressione signari
jussimus u. f. w.: sigillo nostro juss. insigniri — fo hat das
zwar der Diplomatifer zu beachten, aber für die Rechtsverhältniſſe
des Kloſters waren ſolche Veränderungen ohne Bedeutung. Auch
nicht, wenn er in St. 612 nad Thuringiae zufegt: et Orueiburc
totumque Milinge, denn diefe Güter werden gleich darauf auch im
Original wieder genannt. Anders in St. 756, wo nad) viam per
flumen (concessimüs) eingejchaltet wird: ei in flumine piscationis
potestatem, oder in St. 769 (f. oben), oder in St. 820, wo Dito
den Königszins von der villa Medenheim dem Kloſter jchenft:
Fuldensem ecclesiam de regio et imperiali censu absolvimus
[omnia loca et villas Fuldensis abbatig| quam exactores de
villa M... redigere soliti fuerant, eundem censum [non so-
lum ab illa villa sed etiam a ceteris villis abbatis] trad[imus
et omnia loca ejusdem jene ab hoc tali fisco penitus absol-
vimus]. Jubemus ut nullus . . exactor [seu quecumque judi-
ciaria persona eundem Fuldensem locum immo et omnia ip-
sius monasterii loca per aliquam offensionem vel calumpniam
inquietare presumat vel familiam ejusdem ecclesig ad aliquod
servicium et injustam exactionem compellat, neque aliquis
regius vel publicus exactor] a pref. [monasterii] abbate ..
censum . . exigere . . presumat.
Mit Yuterpolationen kargt Eberhard nicht. Willkürliche Ver—
änderungen der Namen von Aebten oder Königen find ihm mehrfach
nadhzumweiien!. Warum follte er nicht auch durch Bertaufhung von
ı In 8. K. 87 wird aus Baugulfus: Rabanus. Gidel, A. K. U,
499
Ortsnamen aus einer alten Urkunde eine neue fabricirt Haben? So
it das spurium Fuldense 4 entjtanden. Eberhard ſchrieb II, 64
die Schenfungsurfunde Karls d. Gr. über Hamalumburce (S. K.
60) in feiner Weife ab und machte dann durch Raſuren an den
Namen aus Hamalanburce: Clingemburc, aus Salegowe: Rinec-
gowe, aus Salaha: Sulaha.
Auh ganz neue Urkunden erfand der Fulder Mönd. Neben
dem jo verunftalteten S. K. 60 und neben ©. K. 87 fteht Eb. II, 9
die bei Schöttgen und Kreyfig I, 9 Nr. 23 gedrudte Urkunde, den
Inhalt beider Schenkungen zufammenfaffend. Auf die Immunität
Konrads J., 8.1236, folgt &b. II, 95 eine harakteriftiiche Fälſchung
Eherhards, eine Immunitätsurkunde, die zum Theil mit Benutzung
von B. 1236 verfaßt ift; für einen Artifel war St. 2508 Vorlage,
das Meifte ift Erfindung Eberhards. Es verlohnt ſich nicht, das lange
Machwerk Hier zu veröffentlichen.
Schwieriger ift die Entfcheidung über eine Reihe von Fulder
Immunitäten des XI. und XII. Jahrhunderts. Die Mönche haben
die von Karl d. Gr. ihnen verliehene Immunität und freie Äbts-
wahl von jedem meuen Herricher bald nad) deſſen Negierungsantritt
beftätigen laffen und die Urkunden forgfältig aufbewahrt. Das Ardiv
enthält noch die faſt vollitändige Reihe der Originale. Außerdem
überliefert uns Cherhard 9 Immunitätsurkunden, die den neu ges
wählten oder eingefeten Aebten gegeben wurden, von Rohing (1043—
1047) bis auf Markward; feine einzige ift durch ein Original be—
glaubigt,, einige find durch unpaffende oder corrigirte Namen und
Titel des at verdächtig. Das Verzeichniß der Präcepte, welches
der Abt 1069 an den Papft fandte, ſchweigt von ihnen gänzlih. Ahr
214; in L. 374 aus Hugo Huggi ebenda 355. Der Name Hatto in B.
1082 paßt nicht in Arnulfs Zeit (Br. 636), der des Kaifers Konrad nicht zum
Abt Roding, (St. 23232, Anhang). Die Echtheit von St. 558, welches wegen
ber Nennung Erchenbalds und anderer Widerfprühe aud von Stumpf ver
dächtigt wurde, wird durch das in Idſtein aufgefundene Driginal- Fragment ge
fihert. Ohne daffelbe zu kennen, ſprach fich Rieger im N. Archiv I, 528 nad den
Formeln flir die Echtheit aus. Der Name bes Abtes muß von Eberhard verändert
worden fein. Er ſteht im Coder zweimal, von der Haud des Schreiber, urfprüng-
fi und nicht auf Rafur (Mittheilung von Dr. Könnede), An manden Stellen
feines Coder radi Schreiber jelbft den urfprünglichen Namen aus und fett
einen andern dafür bin. So in der Schenkungsurkunde Hertacs für den Fulder
Convent, Eb. II, 159° = Dronte Trad. c. 64. Das curfiv Gedrudte fteht auf
Rafur, daneben gebe ich in [ ] das urfprüngliche Wort; die Leſung der getilgten
Namen ift ganz fiher. Regnabat pius imperator Otto rufus [Ludowicus]
magni imperatoris Ottonis [Caroli] filius. Hertacus a domno Weren-
hero [Rabano] abbate susceptus est. Facta tempore gloriosissimi im-
peratoris Ottonis rufi [Ludowici]. Signum domni Ottonis [Ludowici]
l. imp. Anno d. inc. DCCCCLXXYVIII Der in der Schenkung des
Srafen Tacgolf, &b. II, 161 = Dronte 578. Facta sub Zudowico
[Kerol.] glorioso rege [impre.] a. d. inc. [MJDCCCZXT [XI oder VI
oder II]. Bielleicht find die Correcturen doch von Eberhard gemadit; nur in-
diet. X ift ficher fpäterer Zuſatz. Xacgolf farb 873, die Veränderungen fchei«
nen alſo mit gutem Grunde gemacht.
XV. 33
500
Text fchließt fich zum Theil an die früheren Immunitäten an. Es
empfiehlt fi, die Entwiclung der Jmmunitätsformeln für Fulda hier
im Zufammenhang zu verfolgen !.
Rarl d. Gr. verleiht dem Klofter Fulda Immunität (S.K. 31)
und freie Abtewahl (S. K. 32 vom felben Tage). Beide Vorredte
werden in der Folge zufammen in einem Diplom beftätigt. Die erfte
neu ftilifirte und ſich an die allgemeine Formel anfchliegende Urkunde
ift jene Ludwigs d. Ir. (S. L. 84). Die erjte Hälfte der Urkunde
wird wegen des Hinzukommens der Erwähnung der Vorurfunde ums
gearbeitet unter Yudwig d. D. (B. 730) und Lothar I. (B. 570),
beidemale unabhängig von einander, während die dispositio mit den
Schlußformeln unverändert bleibt. Indem die Urkunde Ludwigs
d. D. von feinem gleichnamigen Sohne beftätigt wird (B. 886),
tritt eine Heine Zufammenziehung des Textes ein. In diefer Form
wird die Immunität erneuert durch Karl d. D. (B. 941la), Arnolf
(8. 1026 und 1095), Ludwig d. 8. (B. 1173a), immer mit Bes
ziehung auf die unmittelbar vorangehende Urkunde und mit wörte
licher Herübernahme des Tertes, fo gedankenlos, daß auch finnft-
rende Auslaffungen ſich wiederholen, und mit ganz geringen Variau—
ten. Ebenfo verfuhr man unter Konrad I., als man für B. 1236
die Urkunde Karls d. D. B. 9414 abichrieb, während man aus
der Urfunde Ludwigs d, J. von 880, Juli 23, die Beftimmung
über die Einhebung des Zehnten von den Hörigen des Klofterd
zwiſchen Immunität und Abtswahl einſchaltete. Dieſe Faflung
wird beibehalten unter Heinrich I. (St. 1), Otto I. (St. 57),
Otto II. (St. 650) und Heinrich II. (St. 1749). Unter Konrad I.
(St. 2023) wird die Immunitätsformel nen ftilifirt, die Vorlegung
von Vorurkunden wird nicht mehr erwähnt, es heißt einfach: more
antecessorum nostrorum Pippini Karli Ludowiei Chuonradi
necnon trium Ottonum et Heinrici, fpäter auch Konrads IL
Das “trium Ottonum’ ift wol Phrafe, wir wiſſen von feiner Im—
munität Ottos III. für Fulda. Nach Konrads Urkunde find die von
Heinrich III. (St. 2209 und 2508) und Heinrid V. (St. 3082)
gefchrieben, die beiden Tetten mit einem Zufaß, daß die milites de#
Kloſters nur dem König, aber nicht dem Grafen Heerfolge leiſten
müßten.
Soweit die Originale. Nebenher gehen die von Eberhard über:
lieferten Immunitätsurfunden. Man kann fie nur nad) den Aebten
einreihen. Die erfte ift fir Rohing vom 13. Februar 1047, Et.
2323a, f. unten S. 512. Sie ift nad) St. 2023 ftilifirt, die Namen
der königlichen Vorfahren, der Intervenienten, die Drtsbezeichnungen
bei Fulda find ausgelaffen — wenn wir echte Vorlage annehmen
wollen, vielleicht erft von Eberhard —, dagegen find in der petitio
mehr nutbare Rechte aufgezählt, in der dispositio Säge beigefügt
wie: decimas sibi ab apostolica auctoritate collatas accipere
3 Bol. Sidel in Wiener S. B. XXXVI, 372.
501
nec laicis in beneficium tradere . . nullus eos contristet . .
thelonea et monetas ac vectigalia reditusque agrorum. Der
Schluß ift verkürzt. Nach diefer Urkunde find gefchrieben: St. 2986
für Witerad (1060—1075); St. 2897 für Ruthard (1076—1095,
wol 1089), 1. Aug.; St. 3224 für Erlolf (1114—1122, nennt
die Vorfahren, fchiebt dabei an ungehöriger Stelle Lothar und Ar-
nolf ein); St. 3194 für Oudalrich (1123), 1. Sept.; St. 3250
für —— (1127—1133) von 1127 oder 1130, Mai; St. 3301
für Konrad (1134 Oct.); St. 3588 für Marfward (1151) Sept.
Die leten vier find in ihren erften Theilen (arenga, narratio) an-—
ders jtilifirt, wegen des befonderen Falles der Einfegung eines neuen
Abtes durch den Kaifer. Der Eingang von St. 3250 und 3285
(Original) ift gleichlautend, Teßteres enthält aber feine Immunität.
Eine Strafandrohung findet ſich nur in diefen beiden Stüden. Es
wäre nicht unmöglih, dag St. 3250 von Eberhard aus St. 3285
und 2323a zufammengefett wurde. Bedenken erregt auch St. 2462a
vom 15. Dec., ind. VII (f. unten S.514). Als Kaiſer war erit vr
rich genannt, dann Konrad, nach dem Abt (Egbert) fällt die Urkunde
zwiſchen 1048 und 1057, nad der Indiction auf 1054, alfo unter
Heinrich III. Bon diefem Kaifer hat Egbert 1056 eine Urkunde er-
halten (Original), welche dem Kloſter ein neues Vorrecht betreffs der
milites ertheilt. Dieſes wird im Original Heinrichs V. beftätigt,
in den bloß von Eberhard überlieferten Immunitäten aber nicht er=
wähnt. St. 24628 iſt gefchrieben nad) St. 1749, mit willfürlichen
Zufägen Eberhards vor und in der Arenga, mit Zufammenziehung
der alten Ymmunitätsformel und Erweiterung durch Zoll- und Münz⸗
recht. Der Schluß von der Beftätigung freier Abtswahl an ift nad)
diefer Urkunde oder St. 2023 ftilifirt, deren Benugung für den
übrigen Text nicht anzunehmen ift. Ebenſowenig kann St. 2323a
als Vorlage gedient haben.
Ein abjchliegendes Urtheil über die von Eberhard überlieferten
Immunitäten zu geben ift noch nicht möglich. Bei der ſtarken Ver-
fürzung der Daten, in welchen nur einmal ein Ausjtellungsort ges
naunt ijt, läßt ſich natürlich fein Widerfprud mit dem Itinerar nach—
weilen, während andererſeits nicht ausgeſchloſſen ift, daß diefe An—
gaben einfach erfunden find. Da fie nad den echten VBorurfunden
tilifirt find, können fie ebenfogut in der Kanzlei wie von Eberhard
verfaßt fein. Ich stelle mic) da Lieber auf die Seite der Miftrauifchen.
Eherhards Specialität ift die Umwandlung einer Privaturfunde
in eine Königsurkunde. Er hat damit den Diplomatifern fchon
manchen böjen Streich gefpielt. Wir wollen zufehen, wie er babei zu
Werke geht. Nehmen wir Ruoggers Schenkung von 1025. Das
Driginal findet fich auf der Kafjeler Landesbibliothek, danach druckt
Dronfe 740. Gberhard II, 51 madıt daraus eine Tradicio Hein-
rici imperatoris de loco Sunnebrunnen. in fönigliches Proto-
koll wird vorangeftellt: In nomine sancte et individue trinitatis.
Heinricus dei gratia Romanorum imperator augustus. Aus
33 *
502
tam presentibus quam et futuris wird: regni nostri Christique
fidelibus; die erfte Perfon wird zur dritten, ego (3. 1) entfällt,
vor ante altare (3. 8) wird idem nobilis vir Ruggerus einge
fchaltet. Die Stelle (3.12): Si autem fortuitu evenerit, ut rex
sive abbas hanc precariam infringere temptaverit, wird umge—
arbeitet: S. a. f.e. quod absit, ut aliquis hominum hanc carte
_ descriptionem et nostre auctoritatis i. t., regie majestatis
reus sit. Damit bricht der Text bei Eberhard ab, der Schluß mit
Zeugenanführung, die Datirung und Schreibnotiz paßten nicht für
ein Diplom. Schannat (Trad. Nr. 602) hat die Fälſchung Eber-
hards fchon erkannt und durch Streichen de8 Eingangs und des
Schlußſatzes wieder eine Privaturfunde daraus gemadt. Ebenſo ver-
fuhr er in zahlreichen ähnlichen Fällen !.
Auch bei der Schenkung der Diudeha von 1057 können wir
Eberhards Arbeit controliven, indem wir den Text des Driginals
Dr. 756) mit dem angeblihen Diplom St. 2977 vergleichen. Des
aiſers Name und Titel ift vorgejett, aus der erjten Perfon wird
die dritte, vor den Zeugen ift der Sat eingefhoben: Rogavit ergo
celsitudinis nostre dignitatem, ut super hanc donationis sue
oblationem nostre auctoritatis scribi Jjuberemus preceptionem.
Precipimus igitur atque jubemus, ut nullus hominum hanc vio-
lare audeat donationem, ut nostre auctoritatis non contempnat
preceptionem; der Schluß ift verfürzt.
Noch Iehrreicher ift der Taufchvertrag zwifchen Graf Stephan
und Abt Huogge vom Yahr 900. Er ift uns in dreifacher Faſſung
überliefert, 1. aus den alten Traditionsbüchern bei Pijtorius III,
572; 2. bei Eberhard II, 118 etwas gekürzt; 3. ebenda I, 105 =
Dr. 647 in angeblicher Föniglicher Beftätigung. Ich ftelle die Texte
zur DVergleichung nebeneinander, das curfiv Gedrucdte findet fich nicht
in der älteften Ueberlieferuug.
1. Kaufvertrag zwiſchen 2. Taufchvertrag, jüngere]3. Angebliche königlicht
Stephan und Huogge, äl: Veberlieferung. Beftätigung.
tere Veberlieferung.
Pistorius (ed. Struvius) Eb. I, 118. Eb. I, 105 = Dronke
III, 572 647
CCXLU. Cambium| LXXXXII. Concam-ı XXVI. Concambium
inter comitem Stepha-|bium de Salzaha quod quod factum est inter
numetabbatemHuogge.iest in Wetereiba. abbatem Huggi et co-
mitem Stefanum sub
re — de —
za receptum
concambio).
In nomine domin.
Ludowicus dei gratıa
rex omnibus Christi fide-
libus gratiam et salutem,
2 Weber woilffürliche Behandlung der Texte durch Schannat vgl. Sidel
A. K. II, 215; Gegenbaur, Fulda I, 108.
503
1. Tauſchvertrag zwiſchen 2. Taufchvertrag, jüngerel3. Augebliche königliche
Stephan uud Huogge, äl- Veberlieferung. Beftätigung.
tere Ueberlieferung.
Pistorius (ed. Struvius) Eb. II, 118, Eb. I, 105 = Dronke
III, 572. 647.
Condecet inter fami-] Condecet inter fami-|Non decet inter fami-
liaree, cum propria-|liares, quando propria-|liares sive erternos, cum
rum commutationem/ rum commutationem|propriarum ve? ecclesia-
rum comutationem fa-
facere voluerint rerum, facere voluerint rerum,!cere voluerint rerum,
vicissim tradendo vieissim composita ra-|ut vicissim sol sine te-
tione tradendo stificatione et auctoritate
majorum tradendoalter-
alterutrum committere,/alterutrum equali divi-utrum committant;
ut sione commutent res unde precipimus et regia
suas non sine testimonio|nostra auctoritate decer-
probatissimorum viro-Inimus, ut omnes tradi-
rum, qualinus sub pre-jciones seu comutationes
sub presentibus testi-sentium testificatione'sub presentibus idoneis
bus sibi idoneam testium idoneam sibitestibus fant et quel-
bei persona sive tradens
seu accıipiens sibi legi-
timam faciat confirma-
tionem regiamque per-
ducat ad notitiam, ne
ne ea quae utrique tra-Ineea que utrique partiea que utrimque tra-
dita fuerint irrita vi-tradita sunt irrita sint, dita fuerint, irrita fiant,
deantur, sed firma sta-ised mayis firma stabi-‚sed in posterum firma
bilitate perpetualiterilitate perpetualiter so- stabilitate permaneant.
perseverent. Igitur no-|4data perseverent. Quallgitur notum sit om-
tum sit omnium saga-de re notum sit omni-nium fidelium sagaci-
eitati ideliumtam prae- bus Christi fidelibusitati tamque presentium
sentium quam futuro-tam futuris quam pre-/quam subsequenlium
rum, qualiter ego Ste-itibus, commemorationi, qua-
phan humiliscomescum'qualiter ego Stevan hu-jliter nobilis comes Ste-
venerabili abbate Ful-\milis comes cum vene-fan nomine cum vene-
densis coenobii, vide-rabili abbate Fulden-ırando abbate Fuldensis
licet Huogge, nobis pla- sis!) monasterii, Huggelcenobii videlicet Hügge
eitum inivi concam-|videlicet, placitum no-|coram me sibi placitum
bium; quod etiam cum|bis inivi concambium. |concambium secundum
consilium principum in-
terit, quod etiam cum
consensu et licentia ger- consensu germani sus,
mani mei Walahes scilicet Walohonis viri
religiosi et aqua deum
timenlis, idem prefatus
faciant confirmationem, faciant confirmationem,
facere non omisi, qui se
ipsum in regio palatio
quod dicitur Thribure
de subnotatis locis, si
in eis aliquid proprie-
tatis haberet vel habere
debuisset, fecit extra-
neum adversus me, qua-
tenus ego legitimam in
ı Fuldendensis Cod,
comes facere non omisit,
qui se ipsum in regio
palacio quod est Tri-
bure de subnotatis lo-
cis, si in eis aliquid
proprietatis haberet vel
habere debuisset, fecit
extraneum, quatinus
idem prefatu comes
504
1. Tauſchvertrag zwiſchen 2. Tauſchvertrag, jüngere[3. Angebliche konigliche
Stephan und Huogge, äl- Ueberlieferung. Beftätigung.
tere Ueberlieferung. ‘
Pistorius (ed. Struvius) Eb. II, 118. Eb. I, 105 = Dronke
IIL, 572. 647.
eis haberem potestatem Stefan nomine potesta-
in meam eleemosynam tem liberam haberet de
tradendi vel commu- suis bonis tradendi vel
tandi seu quicquid mihi commutandi seu quic-
de his placuisset fa- quid de his placuisset
eciendi. Quare tradidi/Tradidiitaque ad sanc-faciendi. Quapropter
ad sanctum Bonifacium tum Bonifacium precio- sepedictus comes tradidit
Christi martyrem dig- sum martirem, qui injad sanctum Bonifacium
nissimum, qui in mona- prefato monasterio sa-|Christi martirem, quiin
sterio Fulda sacro re-|cro requiescit corpore,|Fuldensi nıonasteriocor-
quiescit corpore, ubiet prefatus venerabilisjporaliter requiescit, lo-
supranotatus abbas piojabbas Hugge regimen|cum qui consistit in
regimine pastor esseitenet fratrum regulariter\regione Wetereiba no-
dignoscitur, locum quildeo servientium, locum/mine Salzaha omniaque
consistitin regione We-iqui in regione Weter-jad illum pertinentia
tareibu nomine Salzahaleiba consistit nomine loca quesita et inqui-
omniaque ad illum per- Salzah omniaque ad il-/renda, in domibus edi-
tinentia locis quaesitislum pertinentia culta ficiis areisagris campis
et inquaesitis in do-er ınculta, silvis pratis pascuis mo-
mibus aedificiis areis lendinis aquis aquarum
agris campis sylvis pra- decursibus exitibus et
tis pascuis aquis aqua- reditibus et omnibus
rumque decursibus exi- legitime adjacentibus
tibus et reditibus etiid est ubi Brahtahalhoc est ubi Brahtaha
omnibus legitime adja-iin Kineicha defluit et fluit in Kincicha et inde
centibus, id est! ubiliinde sursum juxtalsursum juxta Brahtaha
Brahtaha defluit in/Brahtaha usque in Ri-jusque in Richenbach
Kinzicha et inde sursum/chenbach usque in Vo-indeque usque in Vo-
juxta Brahtaha usqueilenbach inde quoque in/lenbach et deinde us-
ın Richenbah inde us-Cressenbach et a Cres-|que in Cressenbach inde
ue in Volenbab etisenbach usque in Stei-/quoque in Steinaha et
einde in Gressenbah'naha et inde usque in de Steinaha usque in
inde quoque in Stei-/Kinciza; econtra acci-|Kincecha; et ab eccle-
naba et de Steinaha;piens a supradicto ab-sia Fuldense abbate
usque in Kinzicha, objbate cum consensu fra-|Huggi mediante recepit
mei eleemosynam, etutitrum locum quendamjidem Stefan comes locum
inde reciperem locum/ad sanctum Bonifacium qui dicitur Criechesfelt
qui dieitur Crichesfeld|pertinentem nominelcum omnibus jure ad
cum omnibus jure ad Creischesfelt cum omni-eum pertinentibus;
eum pertinentibus, il-bus jure ad eum perti- — est autem hoc
lum quoque accepi ainentibus, concambium cum con-
jam dicto abbate cum sensu fratrum Fulden-
consensu fratrum sub sis monasterii inter ab-
ipso degentium, batem et comitem e&
ea ratione ut utrumquelea scilicet ratione ut/condicione, ut ex utra-
concambium sine ulliusjutrumque concambium que parte sine ulla am-
hominis contradictioneisine ullius persone con-|bigustate seu mutabili-
atque mutabilitate fir-itradictione firmum etitate firmum atque mu-
mum atque munitumimmutabile perpetuo/nitum sempiterno tem-
perpetuo persistat. consistat. pore permanest. Eiut
ı idem Pist.
505
1. Xaufchvertrag zwifchen]2. Tauſchvertrag, jüngere 83. Augebliche lönigliche
Stephan und Huogge, äl— Ueberlieferung. Beſtätigung.
tere Ueberlieferung.
Pistorius (ed. Struvius) Eb. II, 118. Eb. I, 105 = Dronke
III, 572. 647.
firmior ac stabslior hec
traditio utrimque ın po-
sterum permaneat, pla-
cuit nobis eam sigıllo re-
gie majestatis insigniri,
Acta est haec con- Acta est autem heo
scriptionis chartula tradicio et ex ulraque
arte legitima commu-
tatio presente rege et
cunctis regni principi-
bus, ipsoque rege preci-
iente facta est hujus
conscriptionis cartula
anno dominicae in- anno dominicg incarna-
carnationis DCCCC, in- tionis nongentesimo, in-
dietione tertia, anno dietione tercia, anno
autem primo Ludovici vero primo Ludewiei
serenissimi regis, in serenissimi regis, in
loco qui dicitur Thri- loco quidieitur Tribure,
bure, scientibus istis scientibuse? annuentibus
subnotatis testibus: atque faventibus cunctis
qui aderant principibus.
Testes sunt Hartman 4; sunt igitur testes
Brunicho et abi. qui afuere ex utraque
parte collecti viri reli-
giosi veraces et deum
limentes, quorum nomina
Hartman Brunicho Gil- sunt hec: Hartman
ting Thacholf Wenilo Briunicho Giltinch Tac-
Arnolf Marcwart Sigol icholf Wönelo! Arnolf
Ruodolf Engilscale 'Marquart Sigeloh Ru-
Gunzo Hadeger Gerhart dolf Engelscalch Gunzo
Gundecar Berehthelm Hadelger Gerhart Gun-
Wenito Babo Gerhart dechar Berhthimil We-
Albirih Ratolf Arnhelm nido Babo Gerhart Al-
Werdant Berenger Wo- berich Ratolt Arnhelm
nat Folcnand Hartrat Werdant Berenger Wol-
Hartroh Berolt Otacar nant Folcnant Herrat
item Otacar. Hartroch Berolt ÖOta-
char item Ötäccher.
Ich gebe num eine Zufammenftellung der Fälle, in welden Eber-
hard einer Privaturfunde durch Ra föniglicher Betätigung
in irgend welcher Form mehr Anſehen verſchaffen will?.
ı Corr. aus Wönilo.
2 Die erfte Zahl bezeichnet die Nummer bei Dronte, die zweite den Platz
in Eberhards Coder, das folgende Datum ift das der Tradition, Danach fteht
der Name des Königs und bie Angabe der Zeit, in welcher der Beftätigungsact
geichehen fein fol. Dann bezeichne ich die Stellen, welche ich für interpolirt *
wobei mir das in [ ] Geſetzte und nur zur Erklärung Beigefügte urſprünglich ſcheint.
506
68 2,60° (754—779) Jan. 20, Fulda. — Karl d. Gr. (769779) presente Ka-
rolo rege (für Subfcriptionen fehlte der Raum auf dem Blatte). — Schon
von Schannat und Dronte für Interpolation genommen.
62 2,58‘ 779, März 9 (109) — Karld. Gr. 779 [Karolo rege] qui et ipse
aderat et eandem traditionem suo precepto confirmavit. — Juterpo⸗
lation nad) Schannat und Dronke; dagegen Böhmer RK. 96. — Tert von
Eberhards Vorlage, dem alten Copialbuch, bei Dronke, ohne den Zufak.
75 2,79 774 oder 786, Sept. 25. — Karld. Gr. 774 oder 786 cum idem glo-
riosissimus rex Carolus curiam haberet apud nos (fo bei Eb.) und ber
Schluß: Et hec traditio coram rege confirmata est.
157 2,59° 800 Febr. 3, Milze. — Karld. Gr. 800 [Carolo rege] qui et pre-
sens affuit et sua potestativa manu hanc preceptionem fecit, ut nullus
hominum eam irritam faceret. Signum domni Caroli (M) gloriosi
regis Francorum. — Tert von Eberharbs Borlage aus dem alten Ehartu-
lar bei Piftorins und Dronte.
158 2,71° 800 Febr. 8, Milze? — Karld. Gr. 800. Diefelbe Schenkung erwei⸗
tert, in der Faffung einer Königsurkunde, vielleicht Son vor Eberhard um:
gearbeitet. — Sidel spur. Fuld. 8.
84 2,8 786 (801?) Sept. 2, Lori. — Karl d. Gr. 801. Carolus dei gratia
imperator augustus — licentiam habeatis; devotioni vestre .. fidelis
noster ... et a nobis stabilitam et confirmatam. Et ut hec dona-
tio — jussimus. Signum domni Karoli imperatoris. — Sidel spur.
Fuld. 3.
169 2,57' 801, Juni 6, Fulda. — Karld. Gr. 801. Aderant.. rex Karolus
magnus .. Signum domni Karoli. — Xelterer Zert bei Dronte.
176 2,80° 802, Mai 26. — Karl d. Gr. 802. [sub Carolo] imperatore, qui
et eandem traditionem confirmavit et sigillo suo insigniri precepit.
Signum domni (M) Karoli imperatoris. Actum Fulde feliciter amen.
Aclterer Text bei Dronle.
189 2,75 (780 [800?]—802). — Karl d. Gr. (801—802). Facta est autem
hec traditio sub Carolo imperatore, ipso presente et confirmante et
anuli sui impressione roborante — injuriam; vielleiht ift Facta —
imperatore urfprünglid.
578 2,161 861.— Rarlb. Gr. 802? 806? 811? [Facta tradicio sub] Ka-
rolo imperatore, qui et stabilivit et confirmavit eam et anulo suo
insigniri precepit kartam inde conscriptam. Urſprünglicher Text Eber-
hards, fpäter verändert (S. 499 N.).
296 2,31 (803—817). — Karld. Gr. (803—814). Signum Karoli regis in-
victissimi. Ego Karolus hanc traditionem firmavi. — Original? bei
Schannat Trad. Nr. 289.
323 2,120° 816, Mai2, Retzbach. — Ludwig d. fr. 816. Ego vero Ludewi-
cus Romanorum imperator et semper augustus . . sigillo anuli no-
stri confrmavi. Signum domni Ludewici (M) pii et invietissimi im-
507
peratoris Romanorum. — Ebenſo in dem Eremplar s. XII, welches in
der Zeit Eberhards gefchrieben ifl. — S. spur. Fuld. 9, vgl. A.K. I, 190.
488 2,129 831 Mai 1, Prüm. — Ludwig d. Fr. 831. [regnante] et mediante
atque presente [d. Ludewico e. i.]. Signum domni Ludowici sere-
nissimi imperatoris. Sidel A. K. I, 190 und II, 341. Simfon, Jahrb.
X. d. fr. II, 8.
Tr. c. 64 2,159° (822—840) ober 978. — Ludwig d. fir. (822—840). [Ludo-
wici] cujus precepto confirmata et sigillo.consignita — fiat. Signum
domni Ludowici (M) gloriosissimi imperatoris augusti; |. S. 499 N.
Hertac lebte wol in der zweiten Hälfte des IX. Jahrh. Falle 370. 494. 510,
Bol. Dronke Tr. c. 73. 74.
530 2,30 (822—842 [840 ?]). — Ludwig b. Fr. (822—840). Facta est tra-
ditio sub imperatore Ludowico, qui et confirmavit eam, ober minde-
fiend qui — eam.
565 2,130 856 Ian. 2, Fulda. — Ludwig d. D. 856. Coram ipso rege et
cunctis principibus. Signum Ludowici gloriosissimi regis. — Die
Anmejenheit des Königs in Fulda um 956 läßt fich micht ermeifen, aber auch
nicht das Gegentheil. — Stumpf, Reichsk. 1, 100 Nr. 163, ift fir Urfprüng-
keit der Namensunterfertigung.
578 2,161 861.— Ludwig d. D. 861. Beränderung der bei Eberhard zuerft auf
Karl d. Gr. lautenden Urkunde, |. ©. 499 N. Bol. Dümmler Oftfr. I, 328
N. 32 und Forſch. V, 393,
647 1,105 900 Trebur. — Ludwig d. 8. 900 (Oct) ſ. 8.502. — 8. 1177.
648 2,131 901 Mai 8, Trebur. — Ludwig d. K. 904. [ipsorege presente et
annuente] atque subscribente. [his testibus hoc confirmantibus].
+ Signum domni Ludo (M) wici gloriosissimi regis. — Ludwig feiert
Dftern 901 (Apr. 12) in Franken. Ann. Fuld. 901. — Urfprünglicher
Tert (anderes Eremplar?) bei Dronte.
650 2,121’ 904 (9057), Forchheim. — Ludwig d. K. 904 (905?) Inn. d. d.
et s. n. J. Chr. Ludowicus dei gratis rex Romanorum; noster fidelis
ac familiaris; novalibus; fidelis noster; et ut memoria — precipimus;
jubente ac mediante(?) Signum domini Ludowiei pii et invictissimi
regis Francorum. — Aufenthalt Ludwigs in Forchheim ift nicht nadjzu-
weifen.
654 2,128 910 Apr. 6, Trebur. — Ludwig d. 8. 910. quarum — conser-
ventur; qui et conscribi et sigillo suo insigniri jussit; et precepto
regio confirmarent. Signum domni Ludowici gloriosissimi regis. —
B. 1230; vgl. B. 1228 von 909 Dec. 13, Ingelheim, für Mainz.
659 2,127 914 Yuli, Forchheim. — Konrad J. 914. Signum domni Cunradi
regis.
Tr. c. 66 2,162° (Handlung vor 1058, Aufzeihnung ſpäter). — Otto J. (962—
973). Regnabat eo tempore Otto imp. .. qui omnes ejus traditio-
nes et cenobitarum constructiones [suo confirmavit precepto — in
508
aliquo. — Bol. Dronke Tr. c. 60a. (Sprenger), Dipl. Geſchichte von
Banz 3.
Tr. c. 64 2,159° 990? 980? oder (322—840). — Otto II. 978. Was zur Beit-
beftimmung dienen kann, fteht auf Rafur ſ. S. 499 N..
724 2,81' c. 1137? 983? [983— 9912]. — 983 [Dtto III.? 983—991]. [sub
Ottone imperatore], qui et confirmavit eam et sigillo suo roborawit
precipitque ut firma semper permaneat.
(740) 2,51‘ 1025. — Heinrich II. (1018—1024) ober Heinrih III. 1039.
ſ. ©. 501. Mit Formel I. II.
749 2,55’ 1048 Dec. 19, Breitungen. — Heinrid) III. 1048. [regnante Hein-
rico tercio imperatore], qui et hanc cartam sua potestativa confir-
matione solidavit et sigilli sui impressione munivit. [testes:] Hein-
ricus imperator. — ©t. 2381 zu 1049 beanftandet diefe Unterzeichnung nicht.
754 2,79' (1048—1056). — Heinrid) III.(1048—1056). [sub H.imp.], qui
et confirmavit eam sua auctoritate et sigilli sui impressione pre-
cepit insigniri deditque — reus sit.
757 2,81 1057, Fulda. — Heinrich IV. (1057). [sub Heinrico imp. IlII], at-
que ab eo confirmata est et sigillo ipsius insignita et precepto ejus
ita corroborata ut nullus hominum eam infringere debeat.
Stumpf A. ined. 310 1057, Bibra (Hofbiber?). — Heinrid IV. (1057 —
1058) j. ©. 502. — St. 2977.
761 2,51’ 1061, Groß/-Borſchla. — Heinrich IV. 1061. Sed et regis Hein-
riei decreto et auctoritate munita et confirmata est hec eadem carta
et sigillo regie majestatis insignita — removere. — St. 2598.
Ich halte auch im den legten angeführten Fällen die königliche
Beftätigung für Auterpolation Eberhards, obwohl Stumpf diefelbe
gelten läßt und Ficker, der ſich Beitr. I, 282 fehr vorjichtig dariiber
ausdrückt, fie nicht unbedingt verwirft. Es handelt ji) um Beglau-
bigung von Privaturfunden durch angekündigte Siegelung von Seite
des Könige. Für diefe Uebung ift nur noch ein Beweisſtück aus dem
10. Jahrh. angeführt, die Urkunde des Kölner Erzbiichofs Everger 989
für Groß-St. Martin zu Köln. ch will den Fall gleich hier beſprechen.
Die Urkunde Liegt uns im zwei Faſſungen vor und jede wieder
in mehrfacher Ueberlieferung. I. Evergers Schenkung, favente et
consentiente serenissimo tercio Ottone imperatore, mit dem
Schluß: mea peticione interveniente imperator augustus Otto
tercius suo proprio sigillo fecit confirmari. A. Cop. s. XIII
in Düſſeldorf, Staatsardiv, — Yacomblet Ardiv III, 171 Nr. I;
B. Liber antiquus s. Martini Coloniensis s. XIII m., Pfarr:
ardiv von Groß-St. Martin, — Ennen u. Ederg I, 471 Nr. 17,
etwas jünger aber nicht aus A unmittelbar genoinmen, mit der Ueber—
ihrift: A. 2. Item privilegium Evergeri Coloniensis archiepi-
scopi sigillatum sigillo Ottonis imperatoris tercii super eodem.
Diefe Wendung beweift noch nicht, daß die Urkunde damals ein Siegel
Ottos III. Hatte, fie ift einfach Regeſt des Schlußfates, der diejes
509
Eremplar kennzeichnet. — II. Diefelbe Schenkung, vermehrt durch den
Fiſchfang auf dem Rheine und den Bann, die Kirche eines der ge=
ſchenkten Orte, mit bejtimmter Umgrenzung eines zinspflichtigen
Häufergrundes; zum Schluß fieht eine Strafandrohung. A. Original
in Köln, jest Stadtardiv, mit Siegel Evergers, — Lacomblet
Archiv III, 171 Nr. I = Lacomblet UB. I, 75 Nr. 123 —
Ennen u. Eder I, 472 Nr. 18; B. Original in Köln, Pfarrarchiv,
faft ganz zerjtört, mit A gleichlautend, wol von derjelben Hand, mit
Siegel Heribert8; C. Liber antiquus s. XIII m. unter A. 1, aus-
führliches Regeſt in Catalogus abbatum s. Martini Colon. s. XI
in. = SS. UI, 215 = Böhmer Fontes III, 346; und in der
Urkunde Hadrians IV. 1158 = Ennen u. Eder I, 548 Nr. 72.
Wenn man auch an der Originalität von B zweifeln könnte, fo ift
doc) der Tert durch A beglaubigte. Die Stilifirung deifelben Elingt
ganz gut. Die Ueberlieferung der Faffung I läßt fich nicht über den
Anfang des XIII. Jahrhunderts zurückverfolgen, andererjeits fcheint
der Text älter als Il, da diejes die erweiterte Schenkung enthält;
vermuthlich wollte Everger die erfte Urkunde dem König vorlegen, er
erlangte aber feine Bejtätigung derfelben, worauf er die vergrößerte
Schenkung neuerdings verbriefte.
Bon diefen Fällen abgefehen hat auch Ficker für die Zeit ber
farolingifchen und fächfischen Könige feine Privaturfunde anzuführen
vermorcht, die durch den König befiegelt worden wäre. Und ic) meine,
wir können ruhig fagen, daß dergleichen in diejer Zeit überhaupt nicht
vorgekommen fei.
Zu einem ähnlichen Ergebniß gelange ich bezüglich der Heriiber-
nahme von Zeugen aus einer Privaturfunde in eine königliche Be—
ftätigung (Beitr. I, 229). Ich fehe natürlich davon ab, dag man
an ein Diplom eine Grenzbefchreibung anhängt oder eine Notiz über
die Ausführung der Königlichen Verordnung. Aber die Annahme ift
faum zuläffig, daß die von Eberhard überlieferten Bejtätigungsdiplome
durch Zufammenfügung einer Königsurkunde und einer Aufzeichnung
über die Zeugen der Handlung entftanden feien. Vielmehr ijt Fickers
Bermuthung, die er zu St. 2977 äußert (l. c. 230), auf alle von
mir oben zufammtengeftellten Urfunden auszudehnen: es hat da feine
Königsurkunde dieſes Inhalts dem Copiſten vorgelegen, fondern es iſt
einfach eine Traditionsaufzeichnuug in die Form einer kaiſerlichen Be—
ftätigung gebracht, wie wir Hinzufegen dürfen, von Eberhard jelbft.
Unterfuchungen über die Fulder Urkunden, wie ich fie als Vor—
arbeit für die Ausgabe der Diplome durd) die Monumenta Germa-
niae vorzunehmen hatte, machten ein näheres Eingehen auf Eberharde
Arbeit zur Pflicht. Die Zufanmenftellungen, welche ich bei diejer
Gelegenheit nach dem von Sidel in N. Ardiv I, 433 ff. gegebenen
Mufter machte, füge ich bei.
Benennungen des Kloſters. Monasterium quod a
(Bonifatio) noviter constructum est in solitudine Boconia
510
juxta fluvium Vuldaha in loco quem b. m. Carlomannus le-
gitima donatione ei concessit (Dipl. Fuld. 1); m. noncupante
Fulda qui est constructus in honore s. Salvatoris quem s.
Bonefatius a novo construxit opere ubi ipse praeciosus mar-
tyr corpore requieseit (D. 2, Or.); — m. Fuldense q. e. c. i.
h. s. domini nostri Jesu Christi ubi s. m. Chr.B. r.(D.14); —
m. F.... in pago Graphelt super fl. ipsius Fulde (D. 7);
ebenfo in vasta solitudine Boconie in h. s. B. m. ubi ipse pr.
domnus et sanctus c. r. (D. 8); m. s. Bonifatii etc. (D. 9);
m. Fulta q. e. in h. b. apostolorum Petri et Pauli in p. Graf-
felt constructum ubi pr. corpus B. m. r. (D. 10, Or.); ceno-
bium s. F. ecelesie in h. d. n. J. Chr. necnon et s. d. gen.
semperque virginis Marie atque s. m. B. (D. 88); e. in h. d.
gen. sanctique B. archiepiscopi et m. consecrata ac constructa
(D. 98, Or.); in loci qui F. d. ubi m. sub regula monachica
in h. s. d. g.M.ac b. B. m. in p. Pochonia c. est (D. 99, Or.).
Diplome: 1) Sidel P. 7; 2) P. 17; 3) P. 24; 4) spur.
Fuld. 1; 5) sp. F. 2; 6) K. 17; 7) K. 31; 8) K. 32; 9) K.
50; 10) K. 60; 11) sp. F. 4; 12) sp. F. 5; 13) K. 73; 14)
K. 74; 15) K. 87; 16) K. 88; 17) sp. F. 7; 18) K. 94; 19)
sp. F. 3; 20) sp. F. 8; 21) sp. F. 6; 22) K. 224; 23) K.
235; 24) sp. F. = Schöttgen u. Kreyjig I, 9 Nr. 23; 25) L.
84; 26) sp. F. 9; 27) L. 114; 28) L. 141; 29) L. 288; 30)
Böhmer 730; 31) L. 342; 32) L. 366; 33) L. 368; 34) L.
374; 35) L. 382; 36) sp. F. 11; 37) sp. F. 10; 38) 38. 570;
39) B. 571; 40) B. 748; 41) Dronte 554; 42) Dr. 556; 43)
B. 605; 44) Dr. 566; 45) Dr. 602; 46) Dr. 603; 47) B.
833; 48) B. 844; 49) Dr. 614; 50) Dr. *615; 51) Dr.
*616; 52) 8.886; 53) Gegenbaur II, 54; 54) 8.891; 55) Dr.
622; 56) B. 974; 57) 3. 996; 58) B. 1026; 59) Dr. 629;
60) B. 1061; 61) B. 1082; 62) B. 1095; 63) 3.1126; 64)
Dr. 646; 65) B. 1177; 66) Dr. 650; 67) B. 1209; 1 BD.
1215; 69) 3. 1236; 70) spur. Konrad I. 912 Apr. 12; 71) B.
1237; 72) 8. 1238; 73) Dr. 667; 74) Stumpf 1; 75) ©t.5;
76) St.51; 77) St. 40; 78) St. 57; 79) St. *93; 80) St.110;
81) St.153; 82) St. 192; 83) ©t.537; 84) St. 558; 85) Et.
612; 86) St. 650; 87) St. 651; 88) St. 652; 89) St. 709;
90) St. 756; 91) St. 769; 92) St. 820; 93) St. 886; - Et.
*1569; 95) St. 1570; 96) St. 1828; 97) St. 1639; 98) St.
1651; 99) St. 1730; 100) St. 1749; 101) St. 1823; 102)
St. 1825.
Acta deperdita. Ludwig d. Fr. beitätigt einen Tauſch mit
Ratgeri (814— 817) nah Dr. 324; derfelbe ſchenkt Salzungen
(814—840) nad) B. 571 (Sidel A. K. I, 368). Ob man aus
der notitia Dr. 513 fchließen kann, daß ein Diplom über den dort
erwähnten Schiedsſpruch ausgeftellt worden fei, jcheint mir zweifelhaft.
Berloren ift eine Urkunde Ludwigs d. D. über die Schenkung von
511
Geismar und Borſch (825— 839) nad) S.L. 368 und eine Arnolfs
über Folkach u. ſ. w. (896—899) nad) B. 1209. Aus den ge=
fälfchten oder ftarf verderbten Urfunden Dr. 615. 616 läßt ſich faum
ein Schluß auf ältere Vorlagen machen. Auch die um 1065—1069
angelegten Berzeichniffe der Fulder Privilegien bieten wegen ihrer
fnappen und oft fehlerhaften Angaben feine Anhaltepunfte.e Sie wur—
den veröffentlicht von ‘Dronfe in Zeitihr. f. heil. ©. u. 2. (1847)
IV, 360 und Gegenbaur, Fulda II, 58, vgl. ebenda I, 22. 37.
Hergquet specimina Einleitung.
Archivgeſchichte. Das Fulder Arhiv blieb auch nad) der
Aufhebung der Abtei 1803 an Ort und Stelle, bis e8 1871 nad)
Marburg übertragen ward.
Ueberlieferung. Im Original find erhalten: D. 2. 3.
15. 16. 25. 27. 30—32. 38—40. 43. 47—49. 52-55. 57—
60. 62. 67—69. 71. 72. 74. 75. 78. 80—82. 85. 86. 90 -93.
95. 98 - 101 in Marburg, 10. 23 feit 1816 in Minden, Alte
Copien oder ziemlich gleichzeitige Fälfchungen liegen in Marburg von
D. 1. 6. 89, jpätere Copien oder Tranſumte von D. 12. 22. 26.
34. 79. 94. Für zwei Texte (D. 35. 64) muß der Fulder Rotulus
zu Grunde gelegt werden, die erite Sammlung von Königsurkunden
des Ardivs, Hundert Jahre fpäter angelegt als die ältejten Traditions-
bücher, beſchränkt auf die Bejtätigungen der päpftlichen Zehntſchenkung
und der Immunität. Man fchrieb die Urkunden auf Blätter von
21— 23’ Breite und 32—40’ Höhe, welche man der Höhe nach anein-
anderreihte, jo daß der Schluß einer Urkunde aud) auf dem nächjten
Blatt ſtehen konnte. Der Streifen bejteht aus 10 Blättern und ift
faum 4 Meter lang, doc) fehlen jett die erften 4 Urkunden, wie man
aus den Nummern auf der Rückſeite erficht. Sie find jünger ale
* — ichzeitig mit den Abſchriften entſtandenen kurzen Inhaltsangaben
ajuskel. Die Nummern 5—11 find von einer Hand des be—
—— X. Jahrhunderts geſchrieben, die 12. und 13. von andern
gleichzeitigen Händen, die jüngste Urkunde ift von 912, die Abfchriften
find gut.
Für alle andern Diplome find wir auf die Ueberliefernng durch
Eberhard gewiefen. Er hat mur wenige Kaiferurfunden des Fulder
Arhivs nit aufgenommen. Bon ©. K. 60 abgejehen, welches er
alferdings abjchrieb, aber durch Veränderung der Namen zu einer
neuen Urkunde umgeftaltete, find dies Dr. 629 für Wigant, St. 1.
1828. 2209. 3082, ferner St. *93 und *1569 für die Scholaftici
von Fulda und St. *709 für Rasdorf. Neben den Driginal-Coder
in Marburg würden die zahlreichen Abjchriften bejfelben gar nicht
zu berücjichtigen fein, wenn micht in jenem Hin und wieder ein
Blatt herausgefchnitten wäre. An diefen Stellen ift das Copia-
riam III de8 Marburger Archivs zu benugen, welches zu Ende des
ı Marum SHerquet (Specimina Einf. 1) die Anfertigung diefer Rolle
auf Widerad um 1069 zurüdführen wollte, ift mir nicht begveiflich.
512
XIII. oder Anfang des XIV. Jahrhunderts angelegt wurde und in
einem Bande von 248 Pergamentblättern in Folio den gefammten
Inhalt des Codex Eberhardi wiedergibt. Eine Papierhandichrift,
von Schöttgen auf einer Auction erworben, nach feinem Tode (+
15. Dec. 1751) verschollen, enthielt den II. Band des GCoder?. Ich
glaubte fie in einer Papier-Handichrift in Wolfenbüttel, Extravag.
105, wiederzuerfennen, welche eine Abfchrift des zweiten Theile von
Eherhards Coder enthält. Doch ftimmen die Texte nicht fo genau
überein, um dies mit Sicherheit behaupten zu können. Die Ab-
Schrift ift nach 1710, vielleiht 1716° für einen braunfchweigischen
Rath Koch (wol den fpäteren Helmftädter Profeffor Cornelius Die:
trih K.) gemadht*. ine andere Abjchrift aus diefer Zeit liegt jetzt
auf der Fön. Bibliothek in Hannover (God. 1018 aus Kindlingers
Befiß)d. Stumpf dructe daraus Acta ined. Nr. 317. 77. 91. 94.
99. 310, leider find die Abjchriften unvollftändig, und die von Stumpf
aus anderen Urfunden entnommenen Ergänzungen ſtimmen meift nicht
mit dem Texte im Original-Cobder.
Ueber die Ausnugung des Fulder Archivs zu Urkunden-Publica=
tionen fiehe Sidel A. K. II, 214; Gegenbaur Fulda I, 102.
Zwei noch ungedructe Diplome feien hier mitgetheilt.
Anhang.
I.
Raiſer Heinrich III. beftätigt dem Abte Being von Fulda Im:
munität und andere Rechte (1047?%), Febr. 15. St. 2323a.
Codex Eberhardi Fuldensis s. XII m. im Marburger Archiv,
vol. I f. 124 (A).
In nomine domini et salvatoris nostri Jesu Christi. Hein-
ricus® divina favente clementia imperator augustus. Constat
nos divina disponente gratia ceteris supereminere mortalibus;
unde oportet, ut cujus precellimus munere, ejus studeamus
modis omnibus voluntati parere. Quapropter omnium dei no-
strique fidelium presentium seilicet et futurorum noverit indu-
stria, qualiter fidelis noster Rohingus Fuldensis monasterii
abbas adiit excellentiam nostram humiliter obsecrans, ut more
1 Gegenbaur I, 102.
* GSchöttgen und Kreyfig S. XI.
® Eine Bleiftiftnotiz im Driginal:Eoder I, 122° erwähnt einer 1716 ge
machten Abjchrift.
* Mittheilung von Prof. Dr. O. v. Heinemann und Dr. Banl Zimmers
mann in Wolfenbüttel.
Bodemann, Handjchr. 205.
® Chunradus A.
513
antecessorum nostrorum regum et imperatorum prefatum mo-
nasterium, cui ipse deo donante presidet, cum rebus et homi-
nibus et talibus bonis que ab antecessoribus nostris regibus
vel imperatoribus et episcopis vel abbatibus vel ab aliquibus
beate recordationis viris illuc collata sunt, in munitatibus in
forestis in villis in deeimis! in theloneis in monetis in ad-
vocaciis in ecclesiis in beneficiis in familiis in censualibus
in prediis majoribus et minoribus in mancipiis utriusque sexus
in vineis in molendinis®? in omnimodis utilitatibus, per aucto-
ritatem nostri precepti in nostrum mundiburdium et tuicionem
susciperemus et confirmaremus. Cujus peticioni pium sicut
dignum fuit assensum prebentes, ob divinum amorem predic-
tum Fuldense monasterium cum monachis et cum supranomi-
natis bonis in nostrum mundiburdium et in jus nostre defen-
sionis per hoc imperiale preceptum suscipimus et omni pro-
tectionis® munimine solidamus, ea videlicet ratione ut nullus
publicus vel privatus judex aut quilibet ex judiciaria potestate
in ecclesias villas aut loca vel agros aut possessiones quas
moderno tempore infra regnum nostrum prefatum possidet
monasterium vel que deinceps divina pietas adauxerit, ad
causas judiciario more audiendas autfreda exigenda vel man-
siones faciendas vel servos aut colonos distringendos nee ul-
las redibitiones vel illicitas occasiones requirendas, nostris
futurisque temporibus ingredi audeat vel ea que supra me-
morata sunt exigere presumat, sed abbati Fuldensis mona-
sterii liceat totum sibi subjectum populum cum cunctis ejus-
dem ecclesie rebus sub nostra defensione possidere et decimas
sibi ab apostolica auctoritate collatas aceipere nec laicis in
beneficium tradere; et quidquid de supradictis rebus jus fisei
nostri exigere poterat, pro eterna remuneratione prefato mo-
nasterio et fratribus deo ibi famulantibus conferimus, firmis-
sime precipientes, ut in bonis et locis atque hominibus eorum
nullus eos contristet; habeat ergo abbas prefati monasterii
potestatem thelonea et monetas ac vectigalia reditusque agro-
rum simul cum decimatione tollere et in sue ditionis utilita-
tem redigere propter edificia facienda vel restauranda et ho-
spites pauperesque recreandos secundum preceptum regule.
Et si abbas monasterii obierit, fratres liberam electionis ha-
beant potestatem. Quicumque hoc preceptum violaverit, ana-
thema sit.
Data id. feb.
1 indecimis wiederholt und durchſtrichen A.
2 ol ift Eorrectur A
® ctio auf Rafur A.
614
II.
Roifer Heinrich III. beftätigt dem Abte Egbert von Fulda Im:
munität und andere Rechte. (1054?) Bec. 15. St. 2462a.
Codex Eberhardi Fuldensis s. XII m. im Marburger Ardiv
vol. I, f. 120°. (A).
In nomine sancte et individue trinitatis.. Heinricus! di-
vina favente ordinanteque? clementia Romanorum imperator
augustus omnibus suis et Christi fidelibus gratiam et salutem
in Christo. Constat nos divina® dispensante* gratia ceteris
supereminere mortalibus ct gubernacula imperit non sine causa
suscepisse, immo et ecclesiarum defensacula ex divina mise-
ratione nobis commissa velle providere; unde oportet, ut cujus
precellimus munere, ejus studeamus modis omnibus volunts-
tem adimplere. Quapropter comperiat industria atque utilitas
omnium fidelium nostrorum presentium ac futurorum, quia vir
venerabilis Egbertus abbas° Fuldensis monasterii, quod con-
structum est in honore sancti Bonifacii martiris, in quo idem
gloriosus martir requiescit corpore sacratissimo, adiens ex-
cellentissimum ® imperium nostrum ’, obtulit nobis antecesso-
rum nostrorum regum et imperatorum auctoritatem Ziterasque
decretales memorabilium preceptorum eorum, in quibus contine-
batur, qualiter idem principes celarissimi Fuldense venerabile
monasterium cum rebus et hominibus ad se juste pertinenti-
bus sub sua constituissent defensione simul et auxissent sug
donationis oblatione. Obsecravit namque prescriptus abba
Egbertus, ut similiter ipsum monasterium cum rebus et ho-
minibus ad se pertinentibus sub nostra etiam statueremus de-
fensione et inmunitatis tuitione. Hujus ergo venerabilis viri
eticionem quia justam et rationabilem vidimus, annuimus
implere, et ideo hanc auctoritatem nostram auctoritati sanc-
torum patrum predecessorum nostrorum adjungentes, monaste-
rium sancti Bonifacii simul cum rebus et hominibus et cum
omnibus sibi rite attinentibus in nostram suscipimus defen-
sionem, ut nullus judex in ecclesias villas loca vel agros ip-
sius monasterii vel in servos et colonos seu in familiam sancti
Bonifacii aliquam violentiam vel injuriam facere presumat
vel mansionem aut exactionem ab eis tollat, sed liceat abbati
Kunradus corr. au® Heinricus A.
ordinanteque auf Rafur, früher clementia A.
vi corr. au® na? A.
das Tetste e übergejchrieben A.
das zweite b mit einem Ablürzungsftrih A.
8s corr. aus u? A.
nr in nrm auf Rafur A.
a a a» W WM m
515
suisque successoribus cum sibi subjectis res monasterii tam
intus quam exterius sub nostra defensione possidere; et quic-
quid in reditibus suis seu villis aut monetis seu teloneis ha-
bent quod ad fiscum nostri juris spectat, pro eterna remune-
ratione prefato monasterio et fratribus deo in eo servientibus
concedimus. Precipimus etiam atque donamus eis omnem
decimationem de villis et possessionibus suis, habeatque pre-
fatus abbas et ejus sequaces potestatem decimas accipere,
monetas et thelonia ad! suam utilitatem disponere propter
edificia perficienda vel restauranda, luminaria et odoramenta
adolenda, et ut sibi suisque fidelibus, pauperibus quoque et
eregrinis tempore susceptionis usus necessarios possint pre-
ere, juxta quod sancte regule? propositum ac mandatum ju-
bet monachos in susceptione? hospitum et pauperum semper
esse paratos. Et siquando vocatione divina abbas monasterii
de hac luce migraverit, quamdiu ipsi monachi tales inter se
ossint invenire qui ipsam congregationem secundum regu-
am sancti Benedicti ducere valeant, per hanc nostram auc-.
toritatem licentiam habeant eligendi abbates quos sibi previ-
derint. Et quisquis huic nostre preceptioni reniti temptaverit
vel nostre donationis confirmationem irritam fecerit, excom-
municationis sententiam que in privilegio Zacharig pape ex-
pressa est experiatur. Hec vero regalis nostrg preceptionis
auctoritas ut pleniorem in dei nomine obtineat firmitatem,
manu propria subter eam firmavimus et caracterem nominis
nostri inscribi jussimus, nostro quoque regio sigillo insigniri
precepimus.
(M.)f Signum Heinrici* imperatoris augusti°.
Ego Winitherius® cancellarius recognovi.
Data XVII. kal. jan., indietione VII.
a corr. aus o A.
e corr. aus u? ober is? A.
e corr. aus s? A,
Cunradi A.
olgt in A: ad confirmationem Fuldensis ecclesie.
untherus A.
aa un > 0 8
Zur älteren bairifchen Geſchichte.
Von
Sigmund Niger,
34*
1. Für die Rettung des älteften Aftenftüdes zur bairiſchen
Geſchichte.
Als ſolches darf man die Litterae Gregorii II. papae decre-
tales bezeichnen, welche am beſten von Merkel in Mon. Germ. LL.
III, 451 veröffentlicht ſind. Sie enthalten eine Inſtruction, welche
der nad) Baiern geſchickten päpftlichen Geſandtſchaft für die dort zu
treffenden kirchlichen Einrichtungen und Vorſchriften zur Richtſchnur
dienen ſollte. Diefes hochwichtige Document — hochwichtig, wiewohl
die darin ausgejprochenen organifatoriichen Pläne der Curie aus un
befannten Urfachen damals nicht zur Ausführung gelangten — Hat
im legten Hefte diefer Zeitfchrift Hr. Fr. Nagel! als eine im Jahre
743 in Deutfchland in den Kreifen des Bonifazius entftandene Fäl-
fung erklärt. Seine Gründe gegen die Echtheit aber haben mid)
nicht überzeugt, und an eine Fälfhung aus winfriedifchen Kreifen ver-
mag ich ſchon gar nicht zu denlen.
1. Hr. Nagel findet zunächft Schwierigkeiten in Widerfprüchen
des Datums fowohl in ſich al8 gegenüber der Ueberſchrift. Das Ca—
pitulare ift datirt: idus Mad. imperante dom. aug. Anastasio
. anno tertio pontificatus ejus. Kaiſer Anaftafins II. habe
den Thron am 4. Yuni 713 bejtiegen und im Januar 716 bereits
verloren. Weber die Iden des Mai 715 noch 716 könnten daher als
Tag feines dritten Regierungsjahres bezeichnet werden. Papft Gregor II.
aber, der laut der Weberfchrift die Inftruction erließ, habe, da er am
19. Mai 715 inthronifirt wurde, als Papft mit Anaftafiıs als
Raifer zufammen feinen 15. Mai erlebt. Diefe Schwierigkeit ift
fhon früher nicht unbemerkt geblieben und gab Veranlaffung, daß
manche Forfcher ftatt Mad. der Xefeart Mar. den Vorzug gaben, welche
die auf einer alten, jett verlorenen Weingartener Handfchrift beruhende
Ausgabe von Binius, Coneil. gener. et provinc., bietet. Rückt
hiermit da8 Datum des Schriftftückes näher an die Thronentfagung
des Anaftafins, fo wird die Wahrfcheinlichkeit erhöht, daß die Nach—
richt der Thronummälzung damals von Byzanz noch nicht nach Rom
gelangt war. MUeberhaupt muß man fich aber erinnern, daß Anafta=
1 Zur Keitif der äfteften baieriſchen Geſchichte, oben S. 344—358.
520
ſius bei einem Seekriege gegen die Araber durch feine Schiffemann:
Schaft geftürzt und im Anfange des Jahres 716! zur Abdankung ge
zwungen, daß fein Nachfolger Theodofius tumultuarifch erhoben wurde,
und daß bald darauf Anaftafius feinem zweiten Nachfolger, Leo dem
Iſaurier, den Thron wieder ftreitig machte. Bei folder Sachlage
läßt fi) die Möglichkeit nicht von der Hand weifen, daß die Curie
auch am 15. Mai 716, obihon damals von den byzantinischen Bor
gängen der legten Monate wohl bereit8 unterrichtet, doch zur Aner-
fennung des durch einen Matrofenaufitand erhobenen Theodoſius ſich
noch nicht entfchloffen Hatte, daß fie einen baldigen Widerruf des er
zwungenen Rücktrittes feines Vorgängers für möglich hielt, und dag
ihre Kanzlei daher zunächſt noch nad) den Regierungsjahren des Ana—
ftaftius datirte. Diefe Auffaffung fcheint mir annehmbarer als die
von Hrn. Nagel gegen fich felbft eingewendete, daß die Datirung am
Schluffe vielleicht erjt fpäter, fei e8 in täufchender oder aufflärender
Abfiht, Hinzugefügt fein könnte. Sicher ftammt dagegen, wie Hr.
Nagel ſelbſt anerkennt, die Neberfchrift nicht aus der päpftlichen Kanzlei,
und hiemit verliert e8 alles Auffällige, daß die Gefandten Georgius
und Dorotheus hier nicht nach beftimmten Kirchen, fondern nur al
presbyter und subdiaconus 8. sedis apostolicae bezeichnet werden.
2. Hr. Nagel glaubt ernftlich bezweifeln zu müfjen, ob jemals
feit dem 6. Jahrhundert direct von Rom aus folche Eonceffionen ges
macht worden feien, wie fie Cap. 6 mit feinen wenigen Bejchräns
fungen in Betreff der verwandtichaftlichen Ehehinderniſſe enthalte.
Vergleichen wir aber die Ehehinderniffe, wie fie etwa ein Menſchen⸗
alter fpäter, in den erften Negierungsjahren Taſſilos III., als Tit.
VII, 1 des bairishen Volksrechtes Geſetzeskraft erhielten, fo erweiſt
ſich der Unterfchied zwiichen ihnen und den hier aufgeftellten als nicht
fehr groß, denn man iſt nur um einen Grab der Verwandtſchaft
weiter gegangen. Und gerade von Papft Gregor II. wijjen wir, daß
er fich gegenüber deutihen Stämmen in diefem Punkte auch font zu
einer gewiſſen Nachficht verjtand, wenn diefelbe auch hinter der aus
Gap. 6 erfichtlichen noch zurückſtand. Mit Bezug auf die Thüringer
fchrieb er 726 an Bonifazius, in tam barbara gente feien Hei-
rathen post quartam generationem zu geftatten *, Gin weiteres
Bedenken gegen die Echtheit diefes Capitel8 und damit der ganzen In⸗
ftruction erblidt Hr. Nagel darin, daß dem Gorbinian in feinem
Kampfe mit Grimoald und Pilitrud die Berufung auf eine derartige
Beſtimmung noch nicht in den Sinn gefommen fei. Woher aber
ſchöpft Hr. Nagel diefe Kenntnig? Wenn aus dem Schweigen der
ı So beftimmt die Zeit der neueſte Darfteller diefer Ereigniffe, Herz
Geſch. Griechenlands I, 177. Nagel dagegen fetst des Anaſtaſius Thronperziät
unter Berufung auf Gibbon auf den Januar 716. Meine Hilfsmittel geftatten
mir nicht zu entfcheiden, ob dieſe engere Zeitbegrenzung durch die Quellen be»
gründet wird (fe beruht auf der Berechnung von Pagi, zu Baronius Ann.
ed. Mansi XU, ©. 716. ©, ®.).
2 Jafls, Mon. Moguntina ©, 89,
521
Vita Corbiniani — und eine andere Grundlage läßt fich in der
That nicht denken —, fo wäre dieß unter dem vielen unberechtigten
Schlüffen, zu denen das silentium der Quellen ſchon herhalten mußte,
einer der Fühnften. Wenn Papſt Zacharias (vergl. oben ©. 346,
Anm. 3) nad) dem Zeugniffe Papſt Yeos III. betonte, daß er im
ganzen päpftlichen Archive eine Erlaubniß Gregor des Heiligen, alfo
Gregors I., zu Verwandtenheirathen im vierten Grade nicht gefunden
habe, fo bedarf e8 faum der Erwähnung, daß hiedurch die Echtheit
unferer von Gregor II. rührenden Inſtruetion nicht verdächtigt wer—
ben fann, wie denn aud Hrn. Nagel feineswegs eine ſolche Folge—
rung daraus zieht. Kin Verdacht erhebt fih hier nur gegen bie
Curie: es ift möglich, daß fie auf den von Deutfchland aus erhobe-
nen Einwand, Bapft Gregor habe die Verwandtenehen im vierten
Grade geitattet, ausweichend antwortete: Papft Gregor I. hat eine
ſolche Erlaubniß nie gegeben. Ungerechtfertigt aber ift der Vorwurf,
wie ihn Nagel fat: es falle durch diefe Ableugnung ein eigenthüm—
Tiches Licht auf die Taktik des römischen Stuhles, welcher in derfelben
Bulle Gregors II. Gapitulare anerfenne, wo Gap. 4 deffelben zu
feinen damaligen Abfichten paßte, von einer Gonceffion aber, wie fie
in Cap. 6 enthalten, nichts gefunden zu haben behaupte. Ich kann
nicht einräumen, daß in der Bulle Papſt Leos eine Anerkennung uns
ferer Smftruction liege. Erwähnt Yeo, die Errichtung eines bairifchen
Erzbisthumes fei a multis temporibus ab ipsa sancta sede prae-
ordinata, fo muß er hiebei feineswegs Gap. 4 unſerer Inſtruction
im Auge gehabt haben: die lange gehegte Abficht der Curie kann
ihm aus mündlicher Tradition oder anderen Aktenſtücken befannt ges
wejen fein. Ein andermal (S. 345) urtheilt denn aud Hr. Nagel
vorfichtiger und richtig: diefe Stelle kann auf unfer Gapitulare be=
zogen werden.
3. Das Chriftenthum, für welches die Kapitel 7—13 gemünzt
find, könne nicht mehr jo ganz jung gewejen fein. Es ſei auffallend,
daß hier bereit8 davor gewarnt werde, den Begriff unreiner Speijen
weiter als auf Götenopfer auszudehnen (Cap. 7); auffallend, daß
nicht auf Beobachtung der pofitiven Faftengebote gedrungen, fondern
bloß der ibertriebenen Ausdehnung des Faſtens auf die Sonn und
Feſttage entgegengetreten werde (Gap. 10); auffallend, daß eine bereits
vorhandene reichliche Yiebesthätigkeit vorausgejegt werde (Gap. 11).
Etwas ungefchiefteres endlich laſſe ſich kaum denfen als Gap. 13 mit
feiner Polemik gegen die Wiederbringung aller Dinge, wenn man
annehme, daß diefe an Neubefehrte gerichtet fei. Dagegen paſſe die—
jelbe jchr gut auf das 5. Yahrzehnt des 8. Jahrhunderts, auf die
Kämpfe des Bonifaz mit dem Schotten Clemens und mit Aldebert.
In der kirchlichen Richtung der ro» Schotten liege auch genügende
Beranlaffung für den Wortlaut von Cap. 10, auf fie beziehen ſich
auch Gap. 11 und 12.
Hier find alfo zugleich Gründe gegen die Echtheit und für die
Entftehungszeit der angeblichen Fälſchung zurückzuweiſen. Da fchiden
522.
wir denn zunächft die Erinnerung voraus, daß das Schreiben des
Papftes nicht an das neubefehrte Volt, fondern an feine eigene Ges
fandtichaft fich richte. Daß auf Beobachtung der pofitiven Faſtenge—
bote zu dringen ſei, darüber brauchte dieje nicht erjt belehrt zu werben.
Derartige allgemein bekannte chriftlihe Gebote find als ſelbſtverſtänd⸗
(ih) in der ganzen Inſtruction nur foweit berührt, als fie in Baiern
auf Widerftand tiefen. Es Handelt fi hier nur um ſolche Punlte,
bei welchen die eigenthümlichen Verhältniſſe Baierns entweder eine
befondere Nachficht oder befondere Warnungen und Verbote veran-
laßten. Und was diefe letteren betrifft, fo pflichte ih Hrn. Nagel
bei, daß fie fi) auf Lehren beziehen, welche von den Schottenmönchen
verbreitet wurden. In den Nachweifen, die derſelbe Hiefür im ein-
zelnen beibringt, liegt das Werdienftliche feiner Unterfuhung. Er
zeigt, daß die iro=fchottifche Schule manche Speifen für verboten hielt,
welche, um mit Bonifaz zu fprechen, Deus ad percipiendum crea-
vit, und er macht wahrfcheinlic),, daß fie das Faften an Sonn= und
Feiertagen befahl. Werner aber weilt Hr. Nagel (S. 349) bei Alde-
bert die Lehre von der Entbehrlichkeit der Beichte nach, gegen welche
Gap. 12 gerichtet ift, und bei Clemens Anfichten, welche fich mit der
in Cap. 13 verworfenen Lehre von der endlichen Erlöfung des Teu—
fel8 berühren. Aldebert und Clemens wurden auf die Anklagen des
Bonifazius »hin von einer römischen Synode 745 verurtheilt. Alfo,
folgert Hr. Nagel, iſt unfer Aftenjtüd um 743 oder 744 entjtanden.
Um diefen Schluß zu rechtfertigen, müßte man beweifen fünnen, daß
Aldebert und Klemens in Baiern gewirkt haben, wofür es an jedem
Anhalt in den Quellen gebricht, müßte vor allem aber nachweiſen,
daß die von Gap. 12 und 13 der Inſtruction verworfenen Lehren
von Aldebert und Clemens zuerit aufgeftellt, daß fie nicht der briti«
ihen Schule gemeinfam gewefen ſeien. Don Clemens ift aber ficher,
daß er ber britiichen Richtung angehörte, auch von Aldebert nehmen
die Kirchenhiftorifer an, daß er gewilfe Eigenthiimlichkeiten derfelben
vertrat!. Und gerade in dem Punkte, auf den es hier ankömmt,
Derwerfung der Ohrenbeichte, war feine Lehre wahrjcheinlich Feine an-
dere als die der Iro-Schotten. Eine Beichte vor Menſchen, urtheilt
Ebrard?, fcheinen die Culdeer überhaupt nicht gehabt zu haben. Ein
dritter Nachweis, der die von Hrn. Nagel gezogene Folgerung erft zu
begründen vermöchte, der fich aber gleichfall8 nicht erbringen läßt,
müßte uns darthun, daß die iro⸗ſchottiſche Nichtung in Baiern wohl
um 743, aber nicht um 716 vertreten war. Man braucht nicht fo-
weit zu gehen wie Ebrard, der Ruprecht, Emmeram, Corbinian, Er-
hard, Pirmin der culdeifhen Schule zumeist; aber foviel dürfte feft-
ftehen, daß die von den iro=fchottifchen Mönchen vertretene, gegen Rom
feindfelige oder mindeſtens gleichgiltige, antihierarhifche Richtung nicht
erst feit der Zeit des Bonifaz in Baiern in Aufnahıne kam, daf fie
Bergl. Werner, Bonifazius, ©, 283,
Die iroſchottiſche Miſſionskirche, S. 112. 113,
523
bort vielmehr feit deſſen Auftreten allmählich zurücgedrängt wurde.
Schon 736 feste Bonifaz in Baiern den Eremmwulf ab, deſſen Ideen⸗
gemeinſchaft mit Clemens nad) Nettberg auch Nagel anerkennt. Die
heftigen Klagen des Bonifazius über feine britifchen Gegner in Baiern
zeigen, wie ftark diefelben waren, und ihre Stärke ſowie alle anderen
Erwägungen machen ſehr wahrfcheinlih, daß diefelben ſchon geraume
Zeit vor Bonifazius im Pande Wurzeln gefchlagen hatten. Weil wir
durch die Briefe von und an Bonifazius zum erften Male über ihre
Wirkfamkeit in Baiern beftimmte Kunde erhalten, darf man nicht
ſchließen, daß dieſelbe dafelbft damals erjt begonnen habe. Wie Hr.
Nagel folgert: die angelfächfischen Bukordnungen würden nicht fo
heftig gegen das Falten an Sonn und Feiertagen eifern, Hätten fie
nicht in der von ihnen befämpften irosfchottiichen Kirchengemeinfchaft
gegründeten Anlaß dazu gehabt — fo folgern wir: unſere Inſtruction
würde nicht gegen jo manche Abweichungen von der römischen Norm
anfämpfen, wenn diejelben nicht in Baiern Anhänger gezählt hätten.
Dieß allein fcheint uns ein richtiges hiſtoriſches Verfahren; dagegen
die Behauptung, diefe oder jene Lehre fei in Baiern um 716 nicht
vertreten gewejen, müſſen wir bei unferer dürftigen Kenntniß des bai=
riſchen Kirchenwejens jener Zeit als unberechtigt zuriictweifen.
Die Abweichungen endlich, mit denen Gap. 5 die constitu-
tio Gelasii wiederhole, follen zeigen, daß daffelbe nicht von Gregor II.
ausgegangen fein könne. Diefer hätte nicht die Manichäer, welde
von einer Waffertaufe überhaupt nichts wiſſen wollten, der Wieder-
taufe bezichtigt.. Auch in der Aufzählung derer, die von den kirch—
lichen Weihen ausgefchloffen fein follen, feien die Worte ‘vel curiae’
abfichtlich ausgelaffen, entweder weil e8 opportun erfchien, diefe Be—
ſchränkung fallen zu lajfen, oder weil eine Erwähnung der curia miß—
lich erſchien. Letzteres nun fei eben in der Zeit von 743 auf 744
in Baiern der Fall gewefen.
Die Bedeutung diefer Einwände kömmt nur dann in Frage,
wenn die Heinen Abweichungen von der fonft wörtlich wiederholten
constitutio Gelasii nicht Tertverderbniffe, fondern von dem Verfaſſer
beabfichtigte Aenderungen find. Dieß läßt fi) aber um fo weniger
feititellen, al8 wir die Driginalaufzeihnung der Inſtruction nicht bes
figen. Bon den erhaltenen Zerten ftammen fchon die beiden älteſten
aus dem 9. Jahrhundert. Die Möglichkeit ift gegeben, daß ſämmt—
liche auf einer älteren Copie als gemeinfamer Quelle beruhen, und
daß ſich Schon dort die Auslaffungen vorfanden. Hieß e8 im Origi—
nale, übereinftinmend mit der Vorlage: aliqui (plerique) eorum-
Manichaei, aliqui rebaptizati saepius sunt probati, fo fonnte
ein unverftändiger Abfchreiber durch Weglaffung des zweiten ‘aliqui’
den Text zu verbeffern glauben, indem er daſſelbe als irrthiimliche
Wiederholung des vorhergehenden auffaßte. Warum die Auslaffung
der Worte ‘vel curiae’ „Leineswegs auf Rechnung eines leichtfinnigen
Abſchreibers gefchoben werben dürfe”, ift uns nicht Flar. Nehmen
wir aber einmal mit Hrn. Nagel an, daß dem jo wäre, Was folgt
524
daraus gegen bie Echtheit des Stückes? Es ift durchaus unverſtänd⸗
(ih, warum die Kirche 743 eher als 716 die Abficht haben konnte,
Dienftleute unter die Kleriker aufzunehmen. Und ebenfo unverftänd-
lic ift e8, wenn Hr. Nagel, nad) einer anderen Auffaffung ‘curia’
nur auf dem herzoglichen Hof beziehend, meint, die Firchlichen und po—
litiſchen Verhältniffe hätten eben in der Zeit von 743 auf 744 eine
Erwähnung der euria mißlich erfcheinen laſſen, weil Datilo in die
Gefangenschaft abgeführt war, das Schickſal des Landes, des Hofes
und feiner Minifterialen noch in der Schwebe Hing Nah Hrnu.
Nagels Auffaffung follte ja die Fälſchung als ein älteres Document
ausgegeben werden, das ſich nicht auf die Verhältniffe von 743, jon-
dern auf ältere und zwar doc) wohl die von 716 bezog. Auch mit
der curia war alfo dann nicht die Datilo8 gemeint. Cine Erwäh—
nung des Hofes liegt ja aud in Cap. 3 in den Worten ‘unusquis-
que dux’ vor, aber gewiß nicht des Datilonischen, fondern mehrerer
über das getheilte Yand regierender Herzoge.
Sämmtlihe Gründe gegen die Echtheit erfcheinen alfo als unzu—
länglich, und hoffentlich wird man nicht behaupten, daß durch ihre
Summirung erjeßt werden könne, was jedem einzelnen an Gewicht
mangelt. In einem Aftenftücde, das in unferer Ueberlieferung fo ver
einzelt jteht und auf Zuftände anfpielt, über die wir von anderer
Seite feine oder nur die dürftigfte Runde haben, darf man nicht in
jeder etwas auffälligen, unjeren Erwartungen und Vorausſetzungen
nicht völlig entfprechenden Angabe gleich einen Beweis gegen die Echt—
heit fuchen. Doppelte VBorficht empfehlen uns die Erfahrungen der
letsten Jahre, in denen fo manche vermeinte Fälſchung durch eine bes
fonnene Kritik im ihre Nechte wieder eingefetst worden ift. Folgen
wir aber einmal Hrn. Nagel auf feinen Standpunft, verfuchen wir
das Stück als eine um 743 aus den Kreifen des Bonifazius her-
vorgegangene Fälfchung zu betrachten. Da treten uns denn ſogleich
unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Welchen Zweck follte die
Fälſchung erreihen? Hr. Nagel antwortet: „fie follte zur rechten
Stimmung für das beabfichtigte bairische Provincialconeil vorbereiten
und für die als unerläßlich betrachteten Minimalforderungen zum
Hinterhalte dienen“. Aber waren denn Bonifazius und feine Kreife
nicht gut eurialiftisch gefinnt? Wollten fie 743 in einer päpftlichen
Erffärung gegenüber der großen Maſſe des Klerus und Volkes einen
Rückhalt für ihre Forderungen finden, fo brauchten fie zu feiner Fäl—
hung zu greifen, fo war Papſt Zacharias, wenn ihm Bonifazius
dieß al8 wünſchenswerth meldete, gewiß jeden Augenblick bereit, das
bairifche Volk im einer befonderen Bulle an feine kirchlichen Pflichten
zu erinnern. Aber noch mehr: die Inſtruction Gregors II. entipridt
gar nicht mehr vollftändig den von Bonifazius vertretenen Forde—
rungen, zu denen die Curie in dem Zeitraume von 716 bis 743
nad der Befeftigung des kirchlichen Weſens in Baiern vorgeſchritten
war. Als Bonifaz feine Wirkfamkeit in Baiern begann, waren die
Priefterehen, die ihm als Goncubinat erfchienen, dort gewöhnlich.
525
Mit großer Mühe fetten er und feine Gehilfen den Cölibat durch,
und, wie ich jchon früher in diefer Zeitjchrift machgewiejen zu haben
glaube!, eben auf Anregung diefer Kreiſe ift e8 wohl zurüdzuführen,
wenn das Verbot des Gölibates wahrjcheinlic; um diefelbe Zeit, in
welhe Hr. Nagel die angebliche Fälſchung verſetzt, in das Volksrecht
aufgenommen wurde. Und in denfelben Kreifen foll nun ein etwas
älterer päpftlicher Befehl erdichtet worden fein, wie er in Cap. 5 une
jerer Inftruction vorliegt, welcher im Widerfpruche mit den damaligen
Vorderungen nicht alle Verheiratheten, fondern nur die zum zweiten
Male und nicht mit einer Jungfrau Verheiratheten von den Weihen
ausichlog? Die eifrigen Anhänger der Curie felbft follen ihren Geg—
nern eine Waffe in die Hand gegeben haben, indem fie ganz unnd-
thigerweife den Einwand herausforderten, in Rom ſelbſt habe man
ja vor furzem über Priefterehen noch anders gedacht?
Wenn aber Hr. Nagel fpeziellere Zwede der Fälſchung darin
ſucht, daß durch diefelbe einerfeits die völlige Unterordnung der bairi=
hen Biſchöfe unter die römische Ordnung als ein altes Geſetz er-
Iheinen, andererjeit8 den Biichöfen das erzbifchöfliche Pallium als ver-
(odender Lohn ihres Wohlverhaltens in Ausficht geftellt werden follte,
jo vermag ich auch darin feine zureichenden Erklärungsgründe für eine
Fälſchung zu erfennen. Die bairifchen Biſchöfe waren jeit 739 der
römischen Kirche untergeordnet; es ift befannt, daß Bonifaz vorher
nur einen einzigen, den Vivilo, als kanonifch geweihten, alſo eine
Abhängigkeit von Nom anerfennenden Bischof fand. Wie hätte man
da ſchon nach vier Jahren auf den Gedanfen kommen folfen, die Bi—
Ihöfe über das Alter der Beziehungen ihrer Kirchen zu Rom zu
täufhen? Und welchen Werth foll es für Bonifazius gehabt haben,
die Biſchöfe zu erinnern oder glauben zu machen, daß ſchon 716 in
ganz unbeftimmter Form von der Begründung eines bairifchen Erz=
bisthums die Rede geweien fei? Es lag wenig Verlodendes in der
Erinnerung an eine päpftliche Zufage, die nun ſchon feit mehr als
dreißig Jahren nicht erfüllt worden war.
Man ift im neuerer Zeit nur zu geneigt, den Bonifazius in une
biftorifcher Weife mit einem Maßſtabe zu mefjen, der nur Epigonen
des 16. Jahrhunderts zu Gebote fteht. Möge man nicht gegen ihn
und feine Genofjen auch noch den Vorwurf der Yälfchung erheben,
von dem fie bisher verfchont geblieben find! Denn es ift ja Har:
der Angriff des Hrn. Nagel betrifft als Mitfchuldigen, wenn nicht
Hauptichuldigen, den Bonifaz felber. Vergebene verwahrt fich dagegen
der Angreifer, der nur des Bonifazins Geſinnungs- und Kampfge—
noffen im Auge haben will. Wäre das Dokument in der Zeit und
zu dem Zwecke verfaßt, wie Hr. Nagel annimmt, hätte es im der
That der Regensburger Synode vorgelegt werden follen, jo könnte es
zum mindeften nicht ohne Wiffen und Genehmigung des Bonifazius
fabrizirt fein; als fehr wahrfcheinlich aber müßte man in diefem Falle
I Yeber die Entflehungszeit der Lex Bajuwariorum, Bd. XVI, 412 f.
526
bezeichnen, daß es geradezu durch ihm oder auf feine Anregung ent
ftanden fei.
Iſt aber unfere Inſtruction echt, fo bleibt auch der Hauptgrund
bejtehen, welcher die Datirung der Romreife Herzog Theodos auf 716
veranlagt hat. Auch den weiteren Ergebnijfen Hrn. Nagel, daß
Herzog Theodos Romreiſe und Tod in das Jahr 702 zu feten feien,
fann ich daher nicht zuſtimmen. Ich kann es um fo weniger, als
hier fchon der Ausgangspunkt fich nicht als richtig erweilt. Die
Salzburger Breves notitiae nämlich berichten die Erfranfung Her-
zog Theodos und die Uebertragung der herzoglichen Negierung auf
feinen Sohn Theodebert feineswegs, wie Hr. Nagel (S. 339) be—
hauptet, zum Jahre 702. Diefes Jahr wird in unferer Quelle
weder genannt noch angedeutet, und überhaupt hat man, wie Bits
dinger? mit Necht bemerkt, Fein Mittel, die Zeit jener Erkrankung
Herzog Theodos genau zu beitimmen.
2, Ueber die Bedeutungen des Wortes judex in Baiern
bis zum Ausgange des 12, Jahrhunderts.
In der Lex Bajuwariorum erſcheint judex befanntlih in
doppeltem Sinne: im engeren für das Baiern und Schwaben eigen:
thümliche Stammesinftitut der Michter ?, im weiteren für richterliche
Behörde überhaupt, insbefondere für den Grafen. In diejer allge—
meineren Bedeutung wird das Wort wohl auch jpäter gebraudht, Graf
und Herzog 3. B. als judex, Heinrid) d. Löwe als judex provin-
eiae bezeichnet. Die prägnante Bedeutung von judex aber wird
in der Karolingerzeit in Baiern die des Schöffen. Es läßt ſich dieß
nicht bezweifeln, wenn man die nun häufige Mehrzahl von judices
im gerichtlichen Urkunden ins Auge faßt. So werden in eier Ge—
rihtfigung des Jahres 829 in Heimhaufen bei Dachau neun judices
genannt*, Beſonders deutlich pricht einmal ihre Siebenzahl?. Auch
anderwärts findet ich wohl die Bezeichnung des Schöffen als judex
neben der gewöhnlicheren scabinus; in Baiern aber (gleichwie in
Sidfranfreih)® ift fie die ftehende, neben der mur vereinzelt die Aus-
drüde: scabini (826) und doctores (828) ſich finden‘, Beſeler
hat gegenüber abweichenden älteren Anfchauungen bereit8 darauf hin—
ı Zur Kritik altbaieriicher Geſchichte S. 388,
2 Leber diefes ſ. Befeler in der Zeitfchrift f. Rechtsgeſchichte, IX, 244 f.
(gegen Merkel, ebend. Bd. I).
3 Mon. Boic. V, 316; X, 18; III, 462.
* Graf Hundt, Urkunden des Bisthums Freifing a. d. Zeit der Karo—
linger, Nr. 14, ©. 12.
° Meichelbeck, Hist. Frising. I, b, Nr. 124.
° Sohm, Die altdeutiche Reichs: und Gerichtsverfaflung, I, 383, Nr. 40.
” Meicelbed, I, b, Nr, 487. 530, Bergl. Beſeler a. a. O. 256.
627
ewieſen, daß das Schöffenthum in der Farolingifchen Zeit auch in
iern eingeführt wurde, daß es hier die alten Richter verdrängte
und daß die judices in bairischen Urkunden diejes Zeitraums als
Schöffen aufzufaffen find. Es ift leicht zu erklären, warum in
Baiern der Name der alten Behörde auch für die neue beibehalten
‚wurde. Nicht nur Hatten beide in der Hauptjache diefelben Obliegen-
heiten, fondern es wurden wohl gerade die bisherigen Richter in der
Regel zu Schöffen beftellt. Eine analoge Erjcheinung ift es, wenn
in den Ländern fränkifchen echtes der alte Name Radineburgen auf
die Schöffen übergeht!. Ich möchte daher auch unter dem Ellanperht
judex v. %. 836 (bei Meichelbed, I, b, Nr. 591), worin Bejeler
noch einen Richter im alten Sinne und zwar deffen letzte Erwähnung
findet, einen Schöffen verjtehen?. ben ſolche oder etwa die richter-
lichen Behörden der Oftmark im allgemeinen hat man unter den ju-
dices orientalium zu fuchen, die Marfgraf Aribo um 906 bei der
Raffelitetter Zollunterfuhung zu Mathe ziehen ſoll?.
Später werden für den Schöffen auch in Baiern die Namen
scabinus, scabineus, scabinio, Scheffe, arbiter, causidicus ge=
wöhnlih. So im %. 961: scabinei (Ried, Cod. dipl. Ratispo-
nens. I, Nr. 105); in den Ranshofner Gejegen Herzog Heinrichs II.
um 990: scabinus (Mon. Germ. LL. III, 484); im Beginne des
12. Jahrhunderts: fere omnes legitimi arbitres hujus provincie
Housin (Oberbayer. Ardiv, XXXII, 10); um 1140 scabini —
Boie. I, 53); um 1180 sentencia scabiniorum in placito legit-
timo in Reichenhall (Quellen und Erörterungen z. bayer. u. deutjch.
Geich. I, 320); vor 1180: nobiles viri, shefen seilicet et dinclite
(Mon. Boic. VII, 434); um 1180: audientibus viris, qui di-
cuntur sheffen, et aliis judicialibus et questoribus et eensori-
bus viris (l. c. 471). Im Ruodlieb, der in der erjten Hälfte des
11. Zahrhunderts in Baiern gedichtet wurde, jigen rector und cau-
sidiei zu Gericht (Ausg. v. Schmeller, Fragment VI, ©. 168 ff.).
Vereinzelt aber erjcheint auch in fpäterer zeit noch judex fir
den Schöffen gebraudt. So unter K. Heinrich) IL.: omnes judices
vel scabiniones, qui in eodem comitatu erant, und zu denen,
wie auch Beſeler? annimmt, der ebendort zugleich als Fürjprecher
oder Anwalt auftretende judex Opholt gehört (Mon. Germ. SS.
IV, 571). So bei der Feſtſtellung des bairiſchen Reichsgutes unter
K. Konrad II. 1027, wozu außer fänuntlichen Grafen der Provinz
electi judices entboten werden (Meichelbeck, Hist. Frising. I, a,
©. 221). So 1131: presentibus illius comitatus judicibus tri-
bus, Mon. Boic. XXL, 12, auch l.c. 35 und 61: judices illius
comitatus, qui vulgo scephhen vocantur; wohl aud; Mon. Boic.
IX, 436
1 Sohm a. a. O. I, 383,
2 Mon. Germ. LL. III, 480.
Zeitſchrift f. Rechtsgeſchichte, IX, 257.
528
Daneben aber gewinnt judex feit dem 12. Jahrhundert eine
dritte Bedeutung und diefe ift num die weit überwiegende. Judex
heißt num der Unterrichter der Grafichaftsverfaffung, der früher als
Gentenar, Centurio, Schuldheiß, vicarius bezeichnet wurde. Zu ben
fpäteren Erwähnungen der letzteren Namen in Baiern gehören:
Egilolf centurio zwijchen 1068 und 1091 (Mon. Boic. VI, 51);
Eberhardus de Chinouttingen centurio, vielleicht fchon aus dem
Beginne des 12. Yahrhunderts (Ebersberger Traditionen, Oefele,
SS. rer. Boic. II, ©. 39, Nr. 194); und ber scultheize als
Stellvertreter de8 Grafen 1131 (Mon. Boic. XXI, 16, 61). Ju-
dex dagegen erſcheint im Sinne des Unterridhter8 im 12. Jahrhun⸗
dert an zahlreichen Stellen, von denen ich nur erwähne: 1130 Arbo
judex comitis Ekkeberti (von Formbad und Pütten; Mon. Boic,
IV, 521); vor 1180 Fridericus de Prunoe, judex ducis in
Ranshofen, sub quo causa ista terminata est er c. III, 499);
um 1180 judices et legati ducis Ottonis (l. c. VI, 133).
Heinrich von Laufen wird 1144 zugleich als Richter und Geldwechsler
(judex et trapezita) des Erzbiſchofs Konrad I. von Salzburg ge=
nannt (l. c. XXIX, a, 284). Mit dem oflicialis des Pfalzgrafen,
der an deſſen Stelle da8 Freifinger Vogtding halten fann (Meichel-
beck, Hist. Frising. I, a, S. 360), ift wohl auch nur deffen Richter
gemeint.
3. Ueber den Ort, wo Emmeram überfallen wurde.
Biſchof Arbeo von Freifing nennt den Ort, wo Emmeram von
Lantbert ereilt und auf deffen Geheiß verftümmelt wurde, Helphindorf;
er bemerkt, daß derjelbe miliario fere duodecimo, der Ort aber,
wo Emmeram unterwegs ben Geiſt aufgab, miliario tertio von
Alchheim entfernt fei!. Ebenfo nennt Meginfried, deſſen Biographie
nur auf der Arbeonifchen beruht und feinen felbjtändigen Werth bat,
al8 Ort des Ueberfalles Helphandorf?. Die Dörfer Groß- und
Kleinhelfendorf liegen dicht bei einander im Landgerichtsbezirk Aibling,
erftere8 an der früher fehr belebten Straße, die Münden und Aib-
ling verbindet, und wahrfcheinlih an der alten Römerſtraße. Die
angegebene Entfernung von Ajchheim ftimmt ungefähr, wenn man
miliarium, das nad) dem Weſſobrunner Gloſſiſten gleichbedeutend ift
mit lewa, etwa unferer heutigen Poftftunde entjprechen läßt, und wenn
man in Betracht zieht, daß man felbjt heute noch, um mit einem
Wagen von Helfendorf nad Ajchheim zu gelangen, wegen der ausge—
dehnten Forſte entweder weſtlich über Perlach oder öftlih über Zornes
ding einen beträchtlichen Ummveg einfchlagen müßte. Zu einer nod
genaueren Ortebeftinnmung aber verhilft die Urkunde bei Meichelbed
‘ Vita Emmerami, Acta Sanctor. Boll. Sept. VI, 477.
2 1. c. 492,
529
(I, b. Nr. 1172), wonach das Bisthum Regensburg um das Yahr
1020 in loco, qui rustice vocatur Gruoba, quo sanctus
Emmeramus spiritum ad coelos misit, durd Tauſch
fünf Morgen erwarb, wohl eben wegen diefer Hiftorifchen Bedeutung
des Ortes. Die Heine Ortihaft Grub liegt ungefähr eine halbe
Stunde füdlih von Großhelfendorf. Schwanfen die Angaben wie
hier zwifchen einem mehr und einem weniger namhaften Orte, fo
verdient ſchon im allgemeinen der letere cher Glauben. Ueberdieß
wird man gerade in Regensburg gute Kunde von dem erwarten dürfen,
was den Schutsheiligen des Bisthums betrifft. Ich nehine alfo an,
daß Arbeo die Thatjache, vielleicht jogar die ihm vorliegende Nachricht,
daß der Heilige bei Helfendorf überfallen wurde, ungenau wiederge=
geben hat, und daß andererjeits die Regensburger Urkunde Grub irr-
thümlich al8 Ort des Todes ftatt der todbrüngenden Verftümmelung
bezeichnet. So künſtlich diefe Kombination Hingen mag, fie ift dod)
diejenige, welche den beiden Zeugniffen am wenigften Zwang anthut.
Durch diefelbe wird nicht unbedingt ausgejchloffen, daß die fpäter dem
Heiligen geweihte Kirche St. Emmeram zwiſchen Ober- und Unter-
föhring an der Iſar, etwa eine Stunde von Ajchheim entfernt, die
Zobesitätte bezeihne. Es ijt wohl möglich, daß der Zug zunächſt bie
far zu erreichen juchte, dann bis in die Gegend von Föhring ſich
an deren Ufer hielt und von dort erſt ſcharf öſtlich nach Afchheim
wandte. Arbeos tertium miliare würde dann die Entfernung freis
(id) etwas zu weit angeben.
4. Ueber die Abflammung des Hauſes Scheiern von den
Huofiern.
Die genealogifche Frage, die wir aufwerfen, gliedert ſich in zwei.
Zunächſt ift die behauptete Herkunft der fcheirifchen Linien, Wittels-
bad, Dachau, Vallei, von den Liutpoldingern zu prüfen, dann erft zu
unterfuchen,, ob fich nicht Ahnen der Liutpoldinger noch höher hinauf
erkennen oder vermuthen lajjen. Die erjtere Frage darf man unferes
Erachtens entichieden bejahen, während man auf die zweite die in der
Ueberſchrift liegende Antwort nur als Hypotheſe auszufprecdhen be=
rechtigt ift.
AS Nachkommen der Liutpoldinger bezeichnet die Grafen von
Scheiern Otto von Freifing in feiner Chronif, VI, 20. Abt Kon
rad von Scheiern! berichtet dafjelbe al8 ut fertur. Otto von reis
fing hat num allerding® mit einer ähnlichen genealogijchen Behauptung
jehr wahrſcheinlich Unrecht; nad) allen Anzeichen ift e8 nicht begrün=
det, wenn er fein eigenes Gejchlecht, die jüngeren nordgauifchen Ba—
benberger, auf die alten oftfränkifchen Babenberger zurückleitet. Man
ı Mon, Germ. SS. XVII, 621,
530
fönnte glauben, er ſei, wie bier von dem Wunſche, feiner Familie
alte und berühmte Ahnen beizulegen, jo dort von dem Beſtreben miß-
feitet gewejen, die ihm verfeindeten Grafen von Sceiern in Verbin—
dung mit einem Haufe zu bringen, von dem der hervorragendfte Ber-
treter, Herzog Arnulf, in klerikalen Kreifen, von dem andere Angehö-
rige wegen ihrer Beziehungen zum ungarischen Reichsfeinde auch an«
derwärts fein gutes Andenken Hinterlafjen hatten. Aber eine ſolche
Unterfhiebung entbehrte doc jedes ficheren Anhaltes, und fie wird
geradezu widerlegt durch eim drittes Zeugniß für die Herkunft des
Hauſes Scheiern von den Liutpoldingern, das, von den beiden andern
unabhängig, ſchwer ins Gewicht fällt. Schon vor Otto von Freifing
nennen die Annales S. Rudberti Salisburgenses ! den Verräther
von 955, den Liutpoldinger Berchtold, Sohn des Pfalzgrafen Arnuff,
anachroniftiich al8 einen Grafen von Scheiern, freilich mit dem irri»
gen Namen Dtto.
Als Hausnamen der Lintpoldinger find befonders Liutpold, Ars
nulf und Berchtold zu bezeichnen. Von diefen kehrt im fcheirifchen
sa nur Arnulf wieder, während Udalrich, Otto, Edehard und
ernhard hier nen auftreten. Die Befigungen aber bieten immerhin
einigen Anhalt. So entjprechen den Liutpoldingiichen Gütern Aiter-
bofen und Wifchelburg noch im älteſten Wittelsbachiſchen Salbuche
Befigungen im diefer Gegend der Donau ?. Das fchwäbiiche Reiſens—
burg a. d. Donau, wo Berchtold, Sohn des Pfalzgrafen Arnulf, 955
in der Verbannung lebte, erfcheint aud in Beziehung zum fcheirifchen
Dur Ulrich von Reifenburg ift vom Pfahgrafen Otto VI. von
ittelsbach mit Vogtei und Kirchenſatz des Dorfes Berg im Gau
bei Schrobenhaufen belehnt ®.
Daß aber Hufchbergs Verſuch, die Lücke der Stammreihe zwi-
ichen den legten nachweisbaren Liutpoldingern und dem Grafen Otto
im Kelsgau, dem äfteften ficheren Ahnen des Haufes Sceiern, aus—
zufüllen, theils zu Mißgriffen theil® zu werthlofen Hypotheſen führte,
hat in der Hauptſache bereits Hirſch nachgewieſen“, der mit Recht
die Abftammung der Grafen von Scheiern von den Liutpoldingern
gleihwohl für gefichert erklärt.
Heutzutage wird niemand Werth darauf legen, daß der Ritter
von Yang, fei es aus übertriebener Skepfis, ſei es aus unzuläng-
licher Kenntniß, diefen Zufammenhang geleugnet hat. Derſelbe bemerkt
im Hermes (1829, ©. 38) von der Genealogie der Wittelsbacher
wie der meiften anderen Fürftenhäufer: „da fprengt man aus —
theſen und zuſammengeklaubten hiſtoriſchen Namen Raleten in die Luft,
denen die Menge ſo lange nachſchaut, bis ſie endlich wieder gar nichts
ſieht“. Ein Spott, nicht übel angebracht gegenüber ſo manchen dama⸗
ı Mon. Germ. SS. IX, 771.
2 Riezler, — — Baiern, ©. 296. ° Mon. Boic. X, 441. 461.
* Seimid, IL, I, 426—428. Auch F. H. Graf Hundt, der befte Kenner
der ſcheiriſchen Genealogie, bekennt noch in feiner neueſten Publication (Bayrifche
Urkunden, 1878, ©. 26), die Lüide nicht ausfüllen zu können. |
531
ligen Berfuhen, der uns aber nicht beirren fol, noch einen Schritt
weiter zurüd zu wagen und die Bermuthung auszufprecdhen, daß Lit»
pold, der Stammvater der Liutpoldinger, den Huofiern angehörte,
dem nad den Agilolfingern vornehmften Gefchledhte des alten baiu—
warifchen Adels. Die Hypotheſe wird durd fo viele Gründe ges
ftügt, daß man ihre Berechtigung nicht beftreiten darf. 1. Die
Huofier wurzeln im Huofigau, der nad) ihnen benannt ift. In der
ganzen nördlichen Hälfte dejjelben Gaus ericheinen ſpäter die Grafen
von Scheiern als das weitaus begütertfte Gejchlecht, das etwa im nörd⸗
lichen Drittel des Gaus zugleich des Grafenamtes waltet. Und zwar
ift fein Huofigauifcher Befit alter Stammbefig, wie ſich daraus er»
gibt, daß jede der drei fcheirifchen Linien, Witteldbah, Dachau und
Ballei, daran Theil Hat!. 2. Im befondern liegen einzelne Orte,
die in Beziehungen zu den Huofiern genannt werden, im fcheirifchen
Machtgebiete oder find felbjt fpäter als fcheirifche Stammgüter nach—
weisbar. So haben zw. 788 und 798 Glieder der Yamilie Hofi
Streit über das Eigenthum an ber Kirche des hi. Martin in Awi-
cozeshusir ?; der Ort ift Haushaufen, B. A. Pfaffenhofen, wenige
Stunden von Sceiern inmitten altſcheiriſcher Stammpgüter gelegen.
849 Hält Biihof Erchanbert von Freifing, wahricheinlich ein Huofier ®,
eine Berfammlung in Tannara (Zandern, B. A. Aichach), ubi plu-
rimi de Hosiis...... convenerunt. Derſelbe fauft 843 Güter
in Helidkereshusir, Chleninawa und Munninpah, heute Hilgerts«
haufen, Klenau, Singenbad bei Aichach und Schrobenhaufen*. Alte
diefe Orte liegen inmitten jcheirifher Güter, und in Tandern felbft
begegnet ein wittelsbachiſches Minijterialengefhleht®. 3. In der
nädhjften Umgebung des zum Huofigan gehörigen Freifing erjcheinen
wie vorher die Huofier jo fpäter die Grafen von Scheiern als das
mächtigfte Gejchlecht, und wie die Huofier dem Freifinger Bisthume
im 9. Jahrh. wahrſcheinlich vier Biſchöfe gegeben haben®, fo find
die Grafen von Scheiern feit ungefähr 1020 als feine erblichen
Vögte nachzuweiſen. 4. Don den Hausnamen der Liutpoldinger
findet ſich Lintpold ſchon bei einem Grafen des Huofigaus unter
Rarl d. Gr. und Ludwig d. Frommen?, und der Name Arnold-Ars
nuff ıbei jenem von 8T5—883 regierenden Freifinger Bifchofe, der
wahrjcheinlich ein Huofier war?, 5. Nach dem Sturze der Agilol-
finger waren bie Huofier das vornehmfte einheimifche Geſchlecht und
1 Bergl. Niezler, Das Herzogthum Baiern, 252— 273.
®? Meichelbeck, I, b, Nr. 129. Demſelben Heiligen weiht auch die Gräfin
Hazaga von Scheiern ihr Klofter Fiſchbachau.
: ©. Graf Hundt, Urk. d. Bisth, Freifing a. d. Zeit d. Karolinger,
©. 35.
* Graf Hundt a. a. D. 36.
5 Herzogthum Bayern a. a. O. 262.
° Graf Hundt a. a. O.
7 ®Bergl. Meichelbeck, I, b, Nr. 127. 148. 170. 197. 295. 302. 305
u. f. w.
° Bergl. Graf Hundt, 41.
XVII. 35
532
insbefondere durch die Forſchungen des Grafen Hundt a. a. O. ift
nachgewiefen, daß fie noch im 9. Jahrhundert in mehreren mächtigen
Zweigen blühten. Von einem Angehörigen dieſes Haufes läßt ſich
am ehejten begreifen, daß er, wie Herzog Arnulf vermochte, zum
Stammesherzog ſich aufichwang, indem das Bewußtjein alten Vor—
ranges einerſeits ihn jelbjt zu jeinem Auftreten ermuntern, andererjeits
die übrigen Großen des Landes zu bereitwilliger Unterordnung bes
ftimmen fonnte.
Bon den bei v. —— Herzog Luitpold, S. 98, geſammelten
älteren genealogiſchen Verſuchen über die Liutpoldinger knüpft der 5.
vom Grafen Dubuat in den Orig. Boic. aufgeſtellte Liutpold an die
Huofier an, enthält jedody in den Einzelnheiten theil® Unerweisliches
theil8 Irriges. Buchners Annahme (Baier. Geſch. II, 124), daß
Lintpold der Sohn Engildeos und der Hiltegard fei, hat bereits
Dümmler als unhaltbar nachgewieſen.
Zu Gunften einer anderen, verbreiteteren Hypotheſe, daß die
Andechſer Huofier find, läßt ſich nichts anführen, als daß diejelben
in dem füdlichen Theilen des Huofigaues die Grafſchaft befigen, und
mit der Annahme gemeinfamer Wurzel der Häufer Scheiern und An-
dechs, die auch ſchon Ausdrud gefunden Hat, gelangt man vollends
in ein Gebiet, wo Laugs Spott Berechtigung gewinnt.
5. Meber den wegen Inceſtes verurtheilten Grafen oder
Markgrafen Otto.
In der Urkunde K. Heinrichs IIT. vom 10. Dezember 1055,
Mon. Boic. XXIX, a, 123, wird ein Markgraf Otto genannt, dem
wegen Inceſtes Güter abgejprochen wurden. ‘Da viele Confiscationen,
die gegen bairische Große in diefen Jahren verhängt wurden, unziveis
felhaft gegen Anhänger des geächteten Baiernherzogs Konrad gerichtet
find, hat Gfrörer?, dem Thaufing® darin zuzuftimmen geneigt jcheint,
auch Hier ein politifches Vergehen gewittert. Die Urfunde aber jagt
ausdrüdlih, daß er dereinft wegen Inceſtes verurtheilt wurde, und
dabei hat e8 zu bleiben. Es fehlt daher aud an jeder Veranlaſſung,
ihn mit jenem Otto zu identificiren, von dem Adam von Bremen*
berichtet, daß er das Weich unter Heinrich III. mit Unruhen erfüllt
habe. Zitel I, c. 7 des bairischen Volksrechtes zeigt, daß gerade
Inceſt mit Gütereinziehung beftraft wurde, und jo ijt die Urkunde,
wie bereit8 Steindorff? bemerkt hat, ein werthvolles Zeugniß für das
1 Jahrbücher des oftfränfifchen Neiches, II, 393. 394.
2 Papſt Gregor VII. und fein Zeitalter, I, 427.
® Die Neumark Oefterreich und das Privilegium Heinricianum; For
jungen 3. Deutſch. Geſch. IV, 372,
* Mon. Germ. SS. IX, 347.
DdJahrbucher des dentichen Reichs unter Heinrich IIL., I, 452.
633
Fortleben alten bairifchen Rechtes im 11. Yahrhundert. Unter Inceſt
aber hat das Mittelalter bekanntlich jede kirchlich verbotene Ehe ver-
ftanden, und zu diefen gehörten auch Verbindungen zwiſchen folchen,
die nach unjeren Begriffen nur jehr weitläufig verwandt waren.
Ueber die Perfönlichkeit diejes Markgrafen Dtto haben jchon manche
Forſcher Muthmaßungen geäußert, ohne nad) der Urkunde zu fuchen,
laut welcher Dtto, wie der Kaijer erwähnt, feine Güter an die Frei—
finger Domherren gab. Diefelbe ift wiederholt gedruckt, bei Meichel-
bed, I, b, Nr. 1153, bei Zahn in den Fontes rerum Austriaca-
rum, XXXI, 52; vergl. auch Graf Hundt, Urkunden des 10. und
der 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts aus dem Bisthume Freifing,
Oberbayer. Archiv, XXXIV, 302. Auch die Urkunde bei Meichel=
bef, I, b, Nr. 1170 kömmt hier in Betradt. Man erfieht aus
diefen Urkunden, daß Otto Alpen im Stubaithal, einen Weinberg in
Bozen, Güter in Yegian (Leian inter montana) und Parpian
füdlih von Seben, in Tihötih und Tiers, im Grödnerthale und
fonft an vielen Orten in Tirol, daneben aber auch foldhe auf der
bairijchen Hochebene befaß. Denn Ufehirchin ift, wie mir Herr Graf
Hundt, auf ein Freifinger Urbar gejtügt, gütigjt mittheilt, unter den
vielen bairifchen und Tiroler Ortſchaften Aufkirchen in der bei Erding
gelegenen und Eparanashusa, Ebarhusin, in Ebertshaufen im X.
G. Brud an der Amper zu fuchen. Die Urkunde für das Frei—
finger Domkapitel ift noch unter Bischof Gotſchalk von Freifing, alfo
vor 1007, und die weitere, die denfelben Dtto bereits als verftorben
bonae memoriae, Meichelbet, Nr. 1170) bezeichnet, nody unter
ifchof Egilbert von Freifing, alfo vor 1040, ausgeftellt. Könnte
man nad dem Bisherigen noch zweifeln, jo ergibt ſich doch hieraus
augenscheinlich die Unmöglichkeit, daß die Verurtheilung Ottos mit
ben politifchen Greignijfen von 1053—1055 zufammenhing. Otto
aber wird in der Urkunde vor 1007 nur Graf, nicht Markgraf ge—
nannt, Muß die noch nicht als Widerſpruch gefaßt werden, da
Markgrafen in der älteren Zeit ja häufig nur mit dem Grafentitel
erfcheinen, fo liegt doch ein umverfennbarer Widerſpruch zwifchen den
beiden Urkunden darin, daß es in der älteren heißt, Otto habe die an
die Freifinger Dombherren abgetretenen Güter zu ewigem Eigenthum
gegeben, dagegen den Hof Geroltespach auf Yebengzeit erhalten, wäh—
rend die Urkunde Kaiſer Heinrichs davon ſpricht, daß er die Güter
in Legian u. f. w. als Prefarien Hingegeben habe. Gleichwohl wird
man, da die Orte Ufkiricha, Eparanashusa und Leian in beiden Ur⸗
kunden übereinftimmen, nit umhin fünnen, in dem Grafen Dtto den
Später wegen Inceſtes BVerurtheilten zu fuchen. Daß bei der Bezeich-
nung Ottos als Markgraf in der Urf. von 1055 ein Irrthum der
Erinnerung vorliege, iſt bei der beträchtlichen Zeit, bie feit Ottos
Tode damals bereit8 verjtrichen war, nicht al8 unmöglich zu erachten ;
hat die Urkunde aber mit ihrem Titel Recht, fo dürfte Otto doc)
wohl eher unter die Kärntner als etwa die nordgauiſchen Markgrafen
zu rechnen fein; denn die Ottonen und Heinriche, die unter den letz—
35*
534
teren im 11. Jahrhundert nachzuweiſen find, betrachtet man wegen
des Uebereinftimmens beider Namen und wegen der Nachbarſchaft wohl
niht mit Unrecht al8 einen Zweig der Regensburger Burggrafen.
Chronologifc unmöglich aber geftaltet ſich durch unfern Nachweis die
von Thaufing ! vorgefchlagene Verſetzung Ottos in die erit 1044 er-
richtete Neumarf. Sicher gehörte Otto einem jener zahlreichen bairi-
ſchen Gefchlechter an, deren Macht zugleich) im heutigen Altbaiern und
in Tirol wurzelte; auch andere Urkunden zeigen ihn im Tiroler Uns
terinnthale, befonder8 aber im Norithale reichbegütert?. Wie bereits
Gieſebrecht bemerkte, weift die Page der Befitungen vor allen auf
zwei Gefchlechter ?, die Grafen von Scheitern und die von Dieſſen, und
in beiden Gefchledhtern ift auch der Name Otto gewöhnlid. Schon
ültere Forſcher haben unfern Otto als Otto I. von Scheiern be-
trachtet,, der 1014 al8 Graf im Kelsgau auftritt. Der Einwand,
den Hufchberg* dagegen erhebt, daß dieſer nicht als Markgraf bekannt
iſt, kann nicht als widerlegend erachtet werden, da man von diefem
Dtto überhaupt fehr wenig weiß. Unmöglich aber aus chronologi-
Shen Grunde ift wiederum die von Thaufing geäußerte Vermuthung,
dag Otto identifch fei mit Dtto IL, dem Gemahl der Hazaga; denn
diefer lebt noch unter den Bijchöfen Nitger und Ellenhard. Will
man Otto in das fcheiriiche Haus einreihen, jo muß man in ihm
entweder Dtto I. fuchen oder einen bisher unbefaunten Sprofjen einer
Nebenlinie, etwa einen Sohn des Freifinger Vogtes Udalſchalk. Ein
Verſuch mit der Dieffen’schen Stammreihe, durch die Befigungen eben-
falls begründet, führt doc auch nur zu einem negativen Ergebniſſe.
Dtto I. von Dieffen nämlich, der noch zwifchen 1057 und 1062 in dem
Tegernſeer Giüterverzeichniffe al8 lebend genannt wird’, kann in unferem
Otto nicht gefucht werden. Für einen älteren Dtto des Haufes aber,
etwa einen Bruder Friedrichs I., hat auch die forgfältige Forſchung des
jüngften Gefchichtichreibers der Andechjer fein Zeugniß gefunden ®,
6. Meber die Herkunft des Biſchofs Gebhard I. von Eid;
ftädt, ald Papſt Bictor 1.
Etwa um Weihnachten 1053 übertrug 8. Heinrih IIL die
ı 0.8. ©. 373.
2 Bergl. Resch, Annales Sabionenses, II, 650, Nr. 638, wo jedoch
mauche baltiofe Hypotheſen aufgenommen find.
8 Kaiferzeit, IL, 671.
* Geld. des Haufes Scheyern-Wittelsbadh, S. 209.
5 Freiherr Edm. Defele, Geſch. der Grafen v. Audechs, S. 109, Reg. 13.
° Nachdem obige Mittheilung bereits gejetst war, hat auch Graf Hundt in
feinen Bayrifchen Urkunden aus dem 11. u. 12. Sahrhundert, S.27 ff., einge:
hend über diefen Dtto gehandelt. Ohne feine Zugehörigkeit zum Haufe Dieſſen—
Andechs beftimmt auszufcliegen, betont auch er in erſter Reihe die Wahricein-
lichleit, daß Dtto im dem fcheirifchen Kelsgauer Grafen zu ſuchen, läßt aber
— die Möglichkeit feiner Abſtammung von deu Grafen von Semt- Ebers-
erg. offen.
535
den Namen nad) in die Hände feiner Kinder Heinrich, dann Konrad
gelegte Regierung des Herzogthums Baiern thatfächlich dem Biſchofe
Gebhard I. von Eichſtädt, der in den Geichäften der Reichsregierung,
vornehmlich als Richter, durch Fülle des Wiſſens und Schlagfertigfeit
des Urtheils die Aufmerffamkeit auf fich gezogen hatte Schon 1055
zum Papjte gewählt, waltete Gebhard bis zu feinem Tode (29. März
1057) auf dem Stuhle Petri, ohne darum fein Heimifches Bisthum
aufzugeben.
Eine Randbemerkung des 14. Jahrhunderts zu Gundechari
lib. pontif. Eichstetens., Mon. Germ. SS. ‚ 245, Note c,
nennt ihn: comes de Tollnstain et Hirsperg natus. Gundechars
Herausgeber Bethmann aber bezeichnet diefe Angabe als einen Irr⸗
thum, der aus der Verwechielung mit Biſchof Gebhard II. von Eidh-
jtädt entiprungen fei. Daß jedoch Gebhard II. ein Graf von Hirfch-
berg war, fchließt nicht aus, daß Gebhard I. diefelbe Abſtammung
Hatte. Die Grafen von Kregling und Dolfnftein, die fich erſt ſpäter
nad) Hirſchberg nannten, waren vielleicht das hervorragendite Gefchlecht
des ganzen Eichjtädter Sprengel®, ihre Burgen lagen gerade ringe
um den Bifchoffit, und ſchon im 11. Jahrh. führten fie die Dome
vogtei (vergl. Mori, Stammreihe und Geſchichte der Grafen von
Sulzbach, 8. Stammtafel). So ift vonvornherein nicht unmwahr-
icheinlih, daß diefelben dem Bisthum mehr ald einen Vorſtand
gaben. Nach dem Anonym. Haserens. 1. c. 263 hieß Gebhards
Bater Hartwig, feine Mutter Beliza. Nun wüßte ich nicht, daß die
Namen Hartwig und Gebhard bei irgend einem anderen, bier mög—
(ichermweife in Betracht kommenden Grafengefchlechte zufammen vorfä=
men, als bei den Hirfchbergern, bei denen fie traditionell find; vergl.
v. Lang, Baierns alte Grafihaften, 323. 324. inem gräflichen
Gefchlechte aber wird Gebhard wohl angehört haben, da er nad) Hein«
richs III. eigener Erklärung mit dem Königshaufe verwandt war,
freilih nur entfernt, fo daß er felbft diefe Ehre fanft ablehnte; Ano-
nym. Haserens. ]. c. Die Bapftfataloge bezeichnen Papft Victor II.
daher mit Recht als: natione Noricus (Watterich, Vitae ponti-
ficum, I, 177. 188), aber auc der Hafenrieder und der Annalista
Saxo (SS. VI, 690) gehen nicht völlig irre, wenn fie jagen: Sue-
via oriundus und: genere Alemannus; dann die Befigungen der
Grafen von Dollnftein erftrecdtten fi) vom bairischen Nordgau aus
auch auf das benachbarte, ethnographifch zu Schwaben gehörige Sua=
lafeld. Die erft bei Brufchius und jüngeren Schriftftellern auf-
tretende Bezeichnung Gebhards al8 Grafen von Calm, der Beth.
mann und Game (Series episcop. 274) Glauben fchenfen, während
fie Stälin (Wirt. Gef. I, 568) dahingeftellt läßt, ift entjchieden zu
verwerfen, da bei den Calwern die Namen Hartwig und Gebhard
nicht vorfommen (vergl. Stälin a. a. D. 567. 568), Gebhard aud)
in diefem Falle weder al8 Baier noch als Schwabe bezeichnet fein
fönnte, denn die Grafen von Calw zählten damals zu Franken.
536
7. Meber die, beabfihtigte Verlegung des Biſchofſihes
Eichftädt unter K. Heinrid 1.
Der anonyme Herrieder (Mon. Germ. SS. VII, 263) berichtet,
Heinrich III. Habe dem Bisthume Eichftädt zur Zeit Biſchof Heri-
bert8 (c. 1022—1042) das TFrauenklofter Neuburg a. d. Donau
zugedacht unter der Bedingung, daß dahin die Reliquien des hl. Wis
libald und der Bifchoffig verlegt würden; doch feiern beide Pläne nicht
zur Ausführung gelangt, da ſowohl der Biſchof als die Neuburger
Nonnen widerjtrebten und zulett der König felbit feinen Sinn änderte.
Die Richtigkeit diefer Angaben wird ſchon dadurd zweifelhaft gemadıt,
dag Neuburg im Augsburger, nicht Eichitädter Sprengel lag, vom
erjteren aljo erjt hätte abgelöjt werden müjfen. Unmöglich aber, wie
mir fcheint, erweiſt fie fich gegenüber der Thatjache, daß das Frauen⸗
Hofter in Neuburg a. d. Donau bereit von Heinrich) II. an das
Bisthum Bamberg gejchenft worden ift (Mon. Boic. XXVIII, a,
341). Hirſch! Hat beide Bedenken angedeutet, ohne aus ihnen die
Unglaubwürdigfeit der Nachricht zu folgern, wie auch Steindorff?
feinen Anftand nahm fie wiederzugeben. Meines Erachtens ift man
aber wohl berechtigt die Trage aufzumwerfen, ob nicht beim Anonym.
Haserens. jtatt Nuenburgens.: Nuorenbergens. zu leſen jei.
Es kömmt in Betracht, daß der Nebdorfer Coder, die Grundlage von
Bethmanns Ausgabe de8 Anonym. Haserens., erft aus dem Ende
de8 15. Jahrhunderts ftammt, überdieß das Wort: Nuenbergensem
(abbatiam) fi in ihm nicht findet, fondern von Bethmann au
jüngeren Ercerpten eines Mönches von Blanfitetten, allerdings auch
mit Rücfiht auf das folgende “Nuenburgenses sanctimoniales
ergänzt wurde. Für eine gewiſſe Bedeutung Nürnbergs jchon in da
maliger Zeit dürfte die von Heinrich III. dahin berufene Fürſtenver⸗
ſammlung? ſprechen. Jedenfalls zeigt diefelbe, daß gerade Heinrich II.
die Stadt begünftigte. Im den Jahren 1050 und 1051 hat dieſer
rrfcher dort geurfundet *, und er war es, der nad) dem urfundlichen
eugniffe feines Sohnes, Heinrich IV., Markt, Zoll und Münze von
Fürth nad Nürnberg übertrugd. Wenig fpäter, zum Jahre 1072,
berichtet Lambert von dem großen Zulauf, den in Nürnberg ber Hl.
Sebald fand®. Und wenn ſchon unter Heinrich II. Biſchof Megingaud
von Eichftädt von den Erzeugnijfen ſeines Sprengel® meiſt ſolche ge
werblicher Thätigfeit als Gegengabe für den Wein feines Würzburger
Nachbarn wählt’, drängt fich die Frage auf, ob diefelben nicht bereits
ı Seinrich IL, II, 86.
Heinrich III. I, 166.
Annal. Altah. major., M. G. SS. XX, 803.
Stumpf, Nr. 2390. 2410.
Mon. Boic. XXIX, a, 161.
2
3
4
5
®° M.G.SS. V, 191. gl. Ann. Weissenburg., August. 1070, SS.
II, 2. 128.
Anonym. Haser. 1, c. 259.
537
aus Nürnberg und Fürth ſtammten. Andere Orte des Eichſtädter
Sprengel8 haben ſich wenigftens auch im fpäteren Mittelalter durch
Anduftrie nicht hervorgethan. Gleichwohl gehen Hofmann und an=
dere ältere Forfcher (vergl. Hirih a. a. DO.) zu weit, wenn fie als
gefichert ausſprechen, Heinrich IIII habe das Bistum nach Nürnberg
verlegen wollen, und chronologisch unmöglich ift, wie Hirfch bemerkte,
deren weitere Angabe, daß er dem Bisthume dort die Aegidienabtei
zu unterwerfen gedadhte. Die Erfegung von Neuburg durch Nürns
berg in der Nachricht des Herrieders bleibt nur eine berechtigte Ver—
muthung, der man höheres Gewicht beilegen dürfte, wenn es gelänge,
den Beitand eines Frauenkloſters in Nürnberg ſchon im 11. Jahr⸗
hundert nachzuweiſen.
8. Meber die Marken Cham und Nabburg.
Die Frage, ob die Namen: Mark Cham und Marf Nabburg
zwei verfchiedene oder einen und denfelben Verwaltungsbezirk bezeich-
nen, wird durd die Verfchiedenheit der namengebenden Burgen nod)
nicht nach der erfteren Nichtung bejaht. Sie läßt fih nur durd
Feſtſtellung der innerhalb diefer Marken genannten Orte entjcheiden,
und das Ergebniß diefer Unterfuchung bejtätigt die Annahme von
Waitz!, daß die Gebiete verjchieden find. Furt, Krawitz (Grawat)
in deffen Nachbarſchaft, Schlamering bei Cham?, Trasenwileingon
am Chamb°, der weiße Regen und der Keider&bad) (Chudratispach) ®,
überhaupt was von Dertlichkeiten in der Mark Cham genannt wird,
liegt im füdöftlichen Theile der heutigen Oberpfalz und im nörblichften
des heutigen Niederbaiern, dagegen das zur Mark Nabburg gehörige
Pullenreut (Pillungesried) bei Kemnath, die Dertlichkeiten um bie
obere Haidnab u. ſ. w.? und Nabburg felbft liegen im nörblicheren
Theile und in der Mitte der heutigen Oberpfalz. Auch liegt, was
zur Mark Nabburg gehört, nach den Urkunden zugleih in pago
Nortgowe, während dieſer Zuſatz bei Erwähnung der Mark Chan
ftet8 fehlt, und dieß dürfte den alten Gauverhältniffen entfprechen, da
das Land um den Regen, wie e8 fcheint, micht zum Nordgau gehörte,
wenigſtens in unferen Urkunden nie dazu gerechnet wird. Man hat
wohl vermuthet, die Mark Cham fei in näherer Verbindung mit der
Burggrafichaft Regensburg geftanden ®; ich finde aber in feiner der
ı D. Berf. Geſch. VII, 76.
Mon. Boic. XII, 97.
Ur. v. 1058 bei Büdinger, Ein Bud) ungarischer Geſchichte, S. 161.
Mon. Boic. XXIX, a, 101.
Mon. Boic. XXIX, a, 71 und 148,
s Waitz a. a, D. 77. Wahrſcheinlich Tiegt Verwechſelung mit der Mart
Nabburg vor, wo 1040 ein Graf Dito, 1061 ein Graf Heinrich erwähnt
werden (Mon. Boic. XXIX, a, 71. 148), die man wegen der übereinftimmen-
ben Namen einem Zweige der Burggrafen von Regensburg zumeifen will.
mn di u ——
538
Urkunden, in denen dieſelbe erwähnt wird, etwas, was fidh dahin
deuten ließe. Auch wird man nicht fagen dürfen, die nordgauifche
Mark jei in die Marken Cham und Nabburg zerfallen. Das Ber:
hältniß fcheint mir vielmehr folgendes zu fein. Nachdem unter Hein-
rih IV. Dietpold von Giengen einen Marfgrofentitel geführt Hatte,
der nur auf Verleihung durch König Heinrich beruhen und an ben
bairiihen Nordgau geknüpft fein kann, blieb der marfgräfliche Titel
in feinem Haufe, das Grafichaftsgebiet aber, an dem derjelbe fortanu
haftete, entſprach Feineswegs noch der alten bairiſchen Markgrafſchaft
gegen Böhmen, wie diefelbe unter den Karolingern eingerichtet und
unter Otto II. erneuert worden war, umfaßte vielmehr nur mehr
einen Theil dieſes Gebietes. Als ſolchen hat man das nad) feiner
Hauptburg zuerjt 1040 als Mark Nabburg bezeichnete Yand im Nor:
den und Centrum des Nordgaues zu betrachten. Daran ift nicht zu
denfen, daß die anderen mächtigen Grafen des Nordgaues, die Sulz:
bacher, Sreglinger u. f. w., in Abhängigkeit von diefen Marfgrafen
geftanden wären. ‘Deren Machtgebiet kann alfo nur ein viel befchränf-
teres gewejen fein, als ſonſt bei Markgrafichaften ber Fall war, und
ihr Marfgrafentitel hielt nur eine hiftorijche Erinnerung feit. Eine
bedeutende Vergrößerung erfuhr Dietpolds II. Gebiet, als ihm nad
dem Tode des Grafen Rapoto II. von Cham und Vohburg deſſen
Befitungen und darunter die nach ihrem Hauptorte genannte Mark
Cham oder der Gau Campriche um Regen und Chamb an der böh—
mifchen Grenze zufie. Der pagus Campriche und eine mit ihm
wohl zufammenfallende Grafihaft de8 Grafen Sizo werden zuerft in
einer Urkunde 8. Heinrichs III. von 1050 genamt!. In den Urs
funden Heinrich III. von 1056, Yan. 19°, und Heinrichs IV. von
1058? erfcheint dann die marcha Champiae und Kamba, ohne
daß eines Grafen dieſes Gebietes gedacht würde, und da es in der
letteren Urkunde heißt: Marcha Kamba versus Boemiam, que
pertinet ad ducatum Bawaricum, als Yntervenient auch die Kai—
jerin Agnes auftritt, in deren Hand damals das bairische Herzogthum
lag, darf man vermuthen, daß in dem Zeitraume zwifchen den Grafen
Sizo und Rapoto die Grafengewalt hier unmittelbar vom bairifchen
Herzoge geübt wurde. Markgrafen des chamifchen Gebietes werden
nie genannt, der Name Mark entbehrte hier, wie es fcheint, auch der
biftorifchen Grundlage einer alten Marfgrafichaft, hatte demnach wohl
feine andere Bedeutung als die einer Grafſchaft im Grenzgebiete, mo
auch, durch manche Ortsnamen noch heute nachweisbar, ſlaviſche An-
fiedler faßen. 1182 erjcheint dafür der Ausdrud: in confinio
Kambe*. Für den Gebrauch des Wortes Mark ohne Markgraf-
Mon. Boic. XI, 157; vergl. XXIX, a. 101.
Mon. Boic. XXIX, a, 127; Stumpf, Nr. 2490.
Büdinger a. a. D.
Mon. Boic. XXVI, 32.
>» = m —
539
ſchaft find die von Wait ! angezogenen Sellen bezüglich des böhmischen
Grenzgebietes zu vergleichen.
9. Namen und Vaterland des Geſchichtſchreibers Rachwin.
Noch immer findet man theild die Form Ragewin, theil® gar
Radewin und NRadewic, faſt nie aber die richtige gebraucht. Dieſelbe
ift Rachwin, denn in den urkundlihen Erwähnungen, die allein ent=
fcheidend fein können, überwiegen weitaus die Formen: Rachwin,
Rachewinus, Rahewin (was natürlich nicht anders geſprochen wurde
als die vorhergenannten) und Rawinus. Man fehe die von Wilmans
in feiner Ausgabe, Mon. Germ. SS. XX, 342, gefammelten Zeug=
nijfe, denen ich Hinzufüge: Rachwinus, Freifinger Kleriker, und Reh—
winus, Freiſinger Kanoniker; Meichelbeck, I, b, S. 561. 563. Der
Name, abgeleitet vom ahd. rahhön, ſagen, ſprechen (Müller-Zarncke,
II, 547) bedeutet „Freund der Rede“ und kömmt im bairiſchen Stamme,
als ob hier eine ſolche Charaktereigenſchaft mehr als anderwärts aufge—
fallen wäre, im 12. Jahrhundert und vorher ſehr häufig, vereinzelt auch
noch ſpäter vor. Ragewinus iſt nur latiniſirende Schreibweiſe, welche
das unlateinifche h oder ch im Inlaut vermeiden will. Ganz falſch
und auf Fehler theils von Abjchreibern theils von Editoren zurückzu—
führen find die Formen Radewin und Radewic. H. Pruß, der für
die Form Radewin eintritt ?, gelangt zu diefem Ergebniß nur dadurd,
daß er den erhaltenen Handichriften von Rachwins Werfen, von denen
doch feine als Autograph des Verfaſſers ſich nachweiſen läßt, gleichen
Werth mit den Urkunden beilegt. Es iſt dieß um fo unzuläffiger,
als fi) unter den Urkunden, welche Rachwins Namen nennen, vier
befinden, melde von ihm, dem biſchöflichen Notar, eigenhändig ge—
ſchrieben find. Dieſe zeigen die Yormen: Reguinus, Rachuwinus,
Rahewinus, Rahuvinus. Daß Rachumini in der zweiten diefer
Urkunden (Mon. Boic. II, 447) nur Editionsfehler für Rachuwini
ift, hat ſchon Wilmans bemerkt, aber auch die Yejeart Radwini des
Dupfifates der dritten diefer Urkunden darf man mit Rückſicht auf
die Form Rahewini im zweiten Eremplar derjelben auf einen Edi:
tionsfehler der Mon. Boic. III, 426 zurüdführen.
Pruß geht ferner von der Identität Rachwins mit dem Kloſter⸗
neuburger Ruodewin aus, aber diefe von Wilmans (S. 342) be—
hauptete, von Wattenbach wenigjtens für möglich gehaltene Gleichung
ı 9.009. VO, 75, N.
2 &. u. a. Mon. Boic. Kurs, 129; Ried, Cod. dipl. Ratispon. I,
S. 249; Duellen uud Erörterungen, L 67 und 540; Hund, Metropolis Sa-
lisburg. II, 204; Stülß, Geſch. des ‚Kiofere Bithering, 489. Bergl. auch
Förflemann, Altdentiches Namenbud) 1028.
Radewins Fortſetzung der Gesta Feiderici, Danzig 1873. Bol.
W. Meyer, der gleichfalls der Form Radewin den a gibt (Situngs-
bericht der philof.-hiftor. KL. der Münchener Alad, 1873 &, 63).
540
ift zu verwerfen, da Ruodewin ein ganz anderer Name als Rachwin.
Und wenn eine Zegernfeer Handſchrift (Sigungsber. der phil. = hift.
KL. der Münchener Akad. 1873, ©. 687) ein Gedicht enthält mit
der Ueberfchrift: Flosculus Rahew. ad Ha. prep., fo darf man
in dem Dichter wohl unfern Rachwin erkennen, deſſen Name hier
wieder einmalrichtig gefchrieben erfcheint, dagegen ift die von Watten⸗
bach vorgejchlagene Beziehung des Propſtes Ha. auf den Propft
Hartmann von Klofterneuburg, den fpäteren Bifchof von Briren,
unmwahrjcheinlih. Denn am Yreifinger Hofe felbjt treten auf: 1139
und 1144 ein Propit Hoholdus von Sen, ein Name, der fonit
au in der Form Hahold erſcheint; 1143 ein Propſt Hainri-
cus; 1157 endlih ein Propft Haremodus von St. Veit in Frei-
fing ?, diefer Inhaber derjelben Pfründe, welche in feinen letzten Le
bensjahren befanntlih Rachwin erlangte. Es liegt näher, daß ber
Floseulus an eine diejer Perfönlichkeiten, al8 daß er an den ent:
fernten Hartmann gerichtet ift, und hiemit fällt jeder Anhalt für die
angenommene Herkunft Rachwins von Klofterneuburg. Vielmehr
Scheint unfer Geſchichtſchreiber, da er felbft in lib. IV, cap. 11 die
Vreifinger Kirche als patria sua bezeichnet, wenigſtens im deren
Sprengel geboren zu fein.
10. Zu den Lebensbejhreibungen des Marinus und Ania
nnd, Erhards und Albarts, der Alrune, Udalrichs von
Negensburg und der Aebte Berengar und Wirnto von
Formbach.
Die Legende von Marinus und Anianus ſtammt aus einer Te
gernfeer Handichrift ungefähr von 1150? und ift wohl auch um dieſe
Zeit und von einem Tegernfeer Mönche aufgezeichnet worden ; der
Verfaſſer ift aus feiner gebildeten Kreifen, fpricht von Virgils Mes
trum und Ciceros Proſa. Nach feinem Berichte lebten die beiden
Heiligen in den Zeiten Pippins und Karlmanns iu Baiern dieffeits
der Alpen zwei Meilen von einander entfernt al8 Einfiedler. Ma—
rinus wurde von einbrechenden Wandalen, d. 5. Wenden, auf einem
Sceiterhaufen verbrannt, mährend Anianus am felben Tage eines
natürlichen Todes ftarb. Nach Jahrhunderten habe man ihre Ge
beine, die ein Priefter Priamus in gemeinfamem Grabe beerdigt, nad)
dem Klofter Rott gebracht. Schon der Verfaffer der Legende bemerkt
ausdrüdlich, daß man den Ort, wo die Heiligen gelebt, nicht kenne.
Der Anſpruch, den die Kirchen Wilparting und Alb am Irſchenberg
nördlich !von Miesbach auf diefe Ehre erheben?, erfcheint demmad)
Schlecht begründet. Iſt Schon unwahrscheinlich, daß die flavifche Sturme
* Meichelbeck, I, b, ©. 545. 550. 547; I, a, 336.
» M. B. I, 348—350, wo in ber Ueberſchrift faiſch Mariani ſteht.
® Bavaria, I, 885.
541
fluth je bis zur Leitzach vorgedrungen, fo muß man jedenfalls mit
alfer Beftimmtheit zurückweiſen, daß dieß erſt unter PBippin und
Rarlmann gejchehen fein fünnte. Beſſere Kenntniß zeigt der Verfaffer
in dem, was er über die feiner Zeit näher liegende Stiftung des
Klofters Rott berichtet. Die Gründung defjelben durch den Pfalz-
grafen Kuno für die Seele feines im Kriege gefallenen Sohnes wird
durch die Stiftungsurfunde betätigt, und die Angabe, daß Kunos
Bater Poppo geheißen habe, findet eine Stüße in der Ebersberger
Urkunde bei Oefele, SS. rer. Boic. II, ©. 25, Nr. 49, die uns
einen Grafen Poppo de Rota mit feinem Sohne Konrad eben in
diefer Zeit und Gegend fennen lehrt.
Wenig beſſer jteht e8 um unfere Kunde vom hl. Erhard, beifen
Gebeine 1052 in Regensburg von Papft Leo IX. zugleich mit denen
des hl. Wolfgang unter großem Zulauf erhoben wurden!. Wir be=
figen von ihm drei Lebensbeichreibungen. Die ältefte verfaßte auf
Anregung der Aebtiſſin Heilifa von Niedermünfter in Negensburg,
an die Prolog und Epilog gerichtet find, Paul oder Paululus. Man
hat an den jpäteren Bernrieder gedacht, der ja vorher in Regens—
burg lebte und durch feine Biographien Gregors VII. und der Her-
fufa al8 Schriftjteller eben in diefer Gattung befannt iſt. Bernhard
Pez Hat aber bereits darauf Hingewiefen ?, daß der fogenammte Ano-
nymus Mellicensis de scriptoribus eccles. aus dem 12. Jahr⸗
hundert die Vita Erhardi einem Mönde von Fulda, Namens Pau—
(us Yudaeus, zumeife?. Nahezu gleichzeitig, wie diefe Nachricht wahr-
icheinlich ift, verdient fie allen Glauben. Ueberdieß kömmt in Be—
trat, daß der Anonymus wahrfcheinlich nad) Regensburg gehört *,
aljo, wenn dieß richtig ift, über den Verfaſſer einer für dieſe
Stadt jo wichtigen Schrift wohl unterrichtet fein Fonnte. Jeden—⸗
falls muß aber Erhards Biograph Paul einige Zeit in Regens—
burg gelebt haben. Die zweite Vita ift nur eine fürzende Um—
arbeitung der erften. Auch die dritte, von Konrad von Miegen«
berg verfaßt, beruht auf diefer und fügt nur einige chronologijche
Stoffen Hinzu? Das Andenken an die Erhebung der ebeine
Erhards durch Papft Leo IX. fcheint zur Zeit Megenbergs be-
! Annal. Altah. major. zu 1052; Notae St. Emmerammi und Auc-
tarium Ekkehardi Altahense, SS. XVII, 572. 364.
2 Thes. I, &. LII.
° Gap. 64, ©. 469 ber Ausgabe bei B. Pez, Bibliotheca Benedic-
tino-Mauriana, 1716.
Wattenbach, Gefchichtequellen *, I, 73; vgl. II, 57. Eine gewiſſe Stüte
findet diefe Angabe darin, daß der Anonymus gerade über die Regensburger, Arnold
oder Arnulf von St. Emmeram, den Muſiler Aribo, die hl. Wilhelm und Udalrich,
fomwie über die Nachbarn Arbeo von Freifing, Willeram von Ebersberg ſich gut
unterrichtet zeigt. Allerdings fehlt Otlob, aber man weiß nidht, ob der Auony⸗
mus fein Werk vollendete und ob unfer Tert vollftändig ift.
5 Die drei vitae find gedrudt in den Acta Sanctor. Boll., Jan. I,
535 fi. 539 fi. 541 ff.
542
reits zu dem Irrthume verblaßt zu fein, Erhard habe zur Zeit
Leos IX. gelebt. Megenberg widerlegt dieß, hält aber an dem Namen
Leo feit und gelangt, indem er zwijchen diefem und dem von Paul
als Erhard gleichzeitig genannten Pippin einen Ausgleich fucht, zu
der Angabe, daß Erhard mit Pippin, Karlmann und Karl, aljo
unter anderen Päpften auch mit Leo III. gleichzeitig gewejen fei.
Für uns kömmt alfo nur Pauls Schrift in Betradht. Deren
Quellen find leicht nachyzumweifen. Möglich, daß für die Schilderung
des frommen Lebenswandels Erhards in etwas die Vita Godehardi
als Vorbild diente, an die mir wenigftens einige Wendungen anzu=
Klingen fcheinen!. Den Hiftorifchen Inhalt aber fchöpfte Paul aus
dem Leben der hl, Dttilie, fei e8 aus dem älteren, gleichzeitigen, von
dem wir nur ein Bruchſtück beſitzen, fei e8 aus dem zu Anfang des
11. Jahrhunderts verfaßten?, und aus dem Leben des Hl. Hildolf
von Trier und Moyenmontier. Im zweiten Peben Ottiliens, wo Hil-
dolfs Name nicht genannt wird, tritt Erhard als Herhardus de par-
tibus Bauvariorum, im Leben Hildolfs als dejjen Bruder Namens
Hairardus auf. Der Tert der letteren Schrift iſt nun von Paul
jtelfenweife fast wörtlich beibehalten Wo aber das Leben der Dttilie
und Hildolfs nicht übereinftimmen, gibt Paul dem legteren den Vor—
zug. Sed quia (cap. III, 12) in b. Hildolphi vita scriptum
est, ipsum eam (Ottilie) baptizasse istumque sanctum virum
(Erhard) eam de fonte levasse, negligenter hunc locum relin-
quere visum non est, sed admonere, quid horum verius sit,
de s. Othiliae vita quaerendum. Daß dieß in der That auf
Benutung der Vita Othiliae zu
ı! &o Vita Erhardi, ©. 535:
Nam cum alii canum volucrum-
que delectentur lusibus, hi prae-
ceptorum evangelicorum imbui si-
tiebant roribus, ac sancti spiritus
aspirante gratia in cordis ejus
plantario vitae fructificabant ger-
mina,
deuten, ergiebt fi) daraus, daf
Vita Godeh. prior, M. G. SS. IX,
171:
Totum enim studium, quod cae-
teri, ut id juventutis genus asso-
let, in equorum falerumque prae-
ciosarum quoque vestium super-
fluitate pueriliter consumpserant,
ipse semper legendo, cantando
scribendove divinae servitutis cul-
tui mancipare malebat.
2 Bergl. über diefe Vitae Nettberg, Kirchengeihichte, II, 76. Das er-
baltene Bruchſtück der älteren (bei Grandidier, Hist. de l’eglise de Stras-
bourg, I, Preuves justificatives, Nr. 27) nennt Erhards Namen ſchon def»
wegen nicht, weil e8 den Bericht über Ditiliens Taufe nicht enthält.
3 Mabillon, Act. Sanct. Ben. saec. III, 2, 444.
* So u. a. bei der Begegnung Erhards mit Hildolf;
Vita Erhardi S. 536:
Ecce, inquit, frater et carnalis
Vita Hildulfi, A. S. Boll. Juli III,
©, 223:
Ecce, inquit, frater, quem diu
et spiritualis ministerii communis | concupisti, locum tuae conversa-
ordine, diu quaesitum et optatum | tionis habilem invenisti.
obtines locum.
543
diefe Quelle bei der Taufe Ottiliens Erhard allein nennt, ſowie dar-
aus, daß Paul von Ottiliens Erziehung im Kloſter Baume = les⸗
Nones (Palma) weiß, ein Umftand, den wohl das Leben Ottiliens,
nicht aber das Hildolf8 berichtet. Für die Angabe, daß Hildolf und
Erhard zufammen vierzehn Klöfter gegründet, beruft fi) Paul (Cap.
II, 9) ferner auf Romanae historia bibliothecae auctore s.
papa Leone IX., worunter der Herausgeber eine Bulle bezüglich
der Elevation Srharde vermuthet.
Was Paul hienach von Erhards Leben weiß oder zu willen
glaubt, ift fehr dürftig und macht den Ausſpruch im Prologe begreif-
(ih, eine Biographie Erhards fei nec satis studenti possibile nec
discenti eredibile. Vom Tode Erhards in Regensburg jagen die
Lebensbeſchreibungen Dttiliens und Hildolfs nichts; aber diejen Um—
ftand folgert Paul wohl aus Erhards dortigem Grabe. Auch über
Erhards Nationalität enthalten Pauls Vorlagen feine Angabe; de
partibus Bauvariorum im zweiten Leben Ottiliens bezieht ſich ftrenge
genommen nur auf ben Wohnjit. Hildolf aber war nad) feiner Vita
claro Nerviorum ' genere ortus und Erhard deſſen leiblicher
Bruder, alfo bezeichnet Paul auch ihn als Nervius civilitate, Neu
‚und ſowohl hiezu al8 unter einander fchlecht ſtimmend find aber Pauls
weitere Angaben, Erhard fei geweſen Narbonensis gentilitate und
genere Scoticus. Sollte hier eine Regensburger Tradition zu
Grunde liegen?
In der That gab es eine folche, die von den Nachrichten über
Erhard in den Lebensbeſchreibungen Ottiliens und Hildolfs völlig un—
abhängig, ja mit ihnen kaum vereinbar iſt. Dieſelbe iſt in der
Vita Albarti? erhalten und beſagt, daß Erhard in Hibernien geboren
und Biichof von Ardagh in Irland (Attinacha) war. Er befuchte
Abart, einen geborenen Londoner, der jeinem Freunde nad) Yrland
folgte und dort Erzbifchof von Gajhel (Caselle) wurde. Der Ber:
fofjer weiß von einer dreitägigen Verfammlung der Bifchöfe und
Fürſten des Landes in der Stadt Yismore (Lesinor) zu berichten,
wo Albart predigte und der Entſchluß zur Wanderſchaft in ihm er—
wachte. Mit ſeinem Collegen Erhard und mit neunzehn Brüdern
trat er die Reiſe an, die ihn und ſeine Begleiter zunächſt nach Rom
zum Papſte Formoſus (891 -896) führte. Deſſen Namen bietet den
einzigen, aber wohl trügeriſchen Anhalt für die Zeitbeſtimmung Al—
barts; daß er nicht etwa Verderbniß ſpäterer Abſchreiber iſt, zeigt
ı Man bat an eine Corruption aus Noricorum gedacht, und dieſe An—
nahme findet allerdings eine gewichtige Stütze, weniger darin, daß Hildolfs
Bruder Erhard in Baiern wohnte (demm die Ieibliche Bruderfchaft der beiden
dürfte erft aus einem Mifverftändniß 2 — erwachſen fein), als darin,
daß Hildolf jelbft nad) feiner Vita (S. 221) in Regenesbuorch die geiftlichen
Weihen erlangt haben fol. Es ift zu beadhten, daß fi) der Name Erhart
unter den Baiern in se 2 et" Zeit findet; Breves notitiae Salz-
burgens. XIV, 52, ed. Keinz, ©.
2 Pez, Thes. II, c, 181—183.
544
der folgende Satz, der auf ihn anjpielt: Quos Romanus pontifex
secundum nomen suum pulchre informavit. Von Rom, wo
fich Albart und Erhard trennten, ging der erftere mit fieben Gefährten
über das Meer, um das Grab des Herrn aufzufuchen, und dort ruht
einer von diejen, Gillipatrih. Auf der Heimkehr kam Albart über
Salzburg, wo er einen andern Gefährten Namens Johannes beer-
digte, nach Regensburg, getrieben von dem Wunfche, mit feinem ge—
liebteften Bruder !, dem Bifchofe Erhard, zufammenzutreffen. Diejer
aber war dort bereit geftorben und begraben. Auf Erhards Grabe
ward dann auch Albart an einem 25. Mai todt gefunden, worauf
man ihn neben Erhard in der Marienfirche (Niedermünfter) beftattete?.
Pez hat die Vita Albarti aus einer, Handihrift von St. Em—
meram, wie es jcheint, aus dem 14. Jahrhundert (quadringento-
rum annorum) veröffentlicht. Das Material aber, das Vertraut⸗
heit mit irischen Verhältniffen befundet, dürfte aus dem Regensburger
Schottenklofter ftammen. Verfaßt ift die Vita Albarti wohl nicht
vor 1152, denn fie erwähnt des Erzbifchofs von Gafhel; Caſhel aber
wurde erjt 1152 vom Bisthume zum Erzbisthume erhoben. Gams
fennt dort feinen Biſchof Albart, doch in Emly, dem älteren Sige der
Didcefe Cafhel, einen 819 verftorbenen Sectabraty. Sollte daraus
Sanct Albart entftanden fein? Unter Ardagh nennt Gams (S. 208),
der fich auf die Werfe von Waraeus, Cotton und Walſh ſtützt, einen
c. 700 angejegten Bifhof Erhard. Dieß würde den Sieg der Vita
Albarti über die Vita Erhardi entjcheiden, wenn ſich nur nachweiſen
ließe, daß diefe Angabe in letter Reihe nicht eben auf der Vita Al-
barti beruht.
Un die irosfchottifhe Abkunft Erhards haben fi) dann aud) die
fpäteren bairischen Annaliften gehalten?®. Diefe Annahme fordert die
weitere, daß der Name Erhard erft aus einem ähnlich klingenden fs
tischen zurechtgemacht worden iſt. Ebrard in feinem Buche über die
iro⸗ſchottiſche Miffionskirche wies Erhard gleih Ruprecht, Pirmin
u. a. der culdeischen Richtung zu, was freili in der Verehrung,
welche diefe Männer fpäter von römischer Seite erfuhren, feine Wider:
legung, aber aud) in den Quellen feinen Anhalt findet. Die oft wieder:
fehrende Angabe, daß Erhard Biſchof von Regensburg war, bedarf
ihon defhalb faum einer Widerlegung, da fie fich weder in den Bio—
graphien Erhards noch in der älteren Hildolfs noch in der Albarts
ı Wie ſich aus dem vorhergehenden Texte ergibt, darf man dieſes ‘fra-
trem charissimum’ nit mit Wattenbach, D. Gejdichtsquellen *, II, 57, auf
leibliche Bruderſchaft deuten.
2 Yeber die Berehrung Erhards in Miedermünfter f. Gumpeljhaimer,
Regensburgs Geſchichte, Sagen u. Merkwürdigkeiten, 1830, I, 130 f., wo audı
weitere Piteratur verzeichnet iſt. Vergl. and) Öthloni Vita Wolfkangi, M. G.
SS. IV, 533, N. 18 des Herausgebers, und Hirfh, Heinrich II., I, 12],
N. 2 und 5,
° ©. bie Einleitung zum II. Bande, S. LIU.
* Games, Series episcoporum 208.
*Bergl. Rettberg, I, 467, N. 13.
545
findet. Erſt die dritte Vita Hildolfi fagt, Erhard fei nach der Tren-
nung von Hildolf nad) Regensburg, suam videlicet sedem, ge-
gangen!. Als Hiftorifch gefichert aber dürfte faum etwas weiteres
gelten, als daß Erhard, ein angefehener Klerifer in alter Zeit, jeden-
fall8 vor dem 10. Yahrhundert, im Regensburger Niedermünfter be=
graben ward. Als Zeitgenofje der Dttilie würde er dem Ende des
T., als folder des Papſtes Formoſus dem Ende des 9. Jahrhunderts
angehören. Diefen Widerfpruch zu Heben, feine Nationalität und Yes
bensverhältniffe zu beftimmen, Hat und auch diefe Unterfuhung nicht
geitattet. Immerhin wird man eben wegen der verworrenen und ums
klaren Tradition, die ſich über ihn gebildet, für wahrjcheinlicher halten,
dag Erhard vor Bonifaz gelebt hat, als nachher.
Das Leben Alrunens ? dürfte in der erften Hälfte des zwölften
Jahrhunderts in Niederaltaich verfaßt fein, wo dieje in aſtetiſchen
Kreifen hochverehrte Wittwe ihre Nuheftätte fand. Ihr Biograph
nennt fie eine Tochter aus dem Haufe der illustres Chambenses,
eine Bezeichnung, die zunächlt auf die Grafen von Cham weiſt, ohne
doc die Edlen von Cham ficher auszufchliegen. Alrunens Gemahl,
mit dem fie in kurzer Ehe lebte, ſoll Mazelin geheißen haben, und es
ift auffallend, daß diefer feltene Name, wahrſcheinlich Kojeform für
Meginhard®, gerade im Haufe der Edlen von Cham auftritt. Der
Edle, Vogt Mazelin von Cham, der um 1130 und 1134 urkundlich)
genannt wird‘, fann jedoch als Alrunens Gemahl nicht in Betracht
fommen, wenn anders der Biograph Recht hat, ihre Geburt in bie
Zeit 8. Heinrichs II. zu fegen. Dem Namen Alrune bin ich weder
je in bairifchen Urkunden begegnet, noch feunt Förjtemann ein Bei—
fpiel dafür. Vielleicht ift er erſt durch einen Copiſten entjtellt wor—
den; vergl. darüber auch Pez, Einleitung, LVII. Der felige Wil-
helm, der nad) der Vita Alrunae in Rinchnach begraben ward, ift
faum ein anderer als jener, von dem in der Historia Windbergen-
sis berichtet wird.®, wiewohl es dort heißt, er habe in Windberg das
Grab gefunden.
Ueber die Entftehung der von Wilmand in Mon. Germ. SS.
XI veröffentlichten Vita Udalriei Cellensis® gibt eine noch nicht
beachtete Stelle in Pauls Leben der Herlufa Aufihluß. Paul fagt
bier, er habe längft bemerkt, daß ihm Herlufa deßhalb jo viele Liebe
ı A. Sanct. Boll. Jan. I, &, 235.
2 Vita Alrunae; Pez, Thes. II, c. 253 f.
s Wenigftens nennen Wipo, Vita Chuonradi imp. c. 1, und der Ano-
nym. Haserens,, M. G. SS. VII, 259, fo den Würzburger Biſchof Meginhard,
*« Mon. Boic. IV, 386; V, 117.
5 M.G. SS. XVII, 561.
“ Prior, ©, 251 f,, posterior, S. 253 f.
546
erwies, weil fie durch göttliche Eingebung vorausfah, daß er dereinft
ihre Heiligkeit enthüllen, d. h. ihr Yeben bejchreiben werde. Dann
fährt er fort: Talis praesignatio caritatis extitit erga Severum
Sulpicium in b. Martino, erga Adalbertum Ratispo-
nensem inclusum in moderno Udalrico Clunia-
censis attinentiae apud Suevos praeposito, quo-
rum alter precem, materiam sumptumque dedit
adcomponendam vitam sui dilectoris!. Da Baul,
bevor er in das Chorherrenitift Bernried eintrat, in Regensburg
febte, konnte er über dortige Verhältniffe wohl unterrichtet fein. Nach
feiner Angabe hatte aljo Udalrich in feiner Heimath Regensburg in
einem gewiſſen Adalbert, der dort als Eingemauerter lebte, einen glü
henden Verehrer Hinterlajjen, und auf dejjen Bitten und Koften und
nad) den von ihm gelieferten Nachrichten entjtand, jedenfalls vor
1130, um welches Yahr Paul fein Leben der Herlufa fchrieb, die
Biographie Udalrichs. Und zwar wohl die nicht volljtändig erhaltene
ältere, in der auch die bairifchen Verhältniffe Udalrichs mehr hervor
treten. Ihr DVerfaffer dürfte in dem in Cap. 4 (S. 254) ber jüns
geren Lebensbefchreibung erwähnten Schüler Udalrichs zu fuchen fein.
Die cella, wonach Udalrid) benannt wird, hat Wilmans irrig
auf Zell im Schwarzwälder Wiejenthale gedeutet, und ſeitdem hat ſich
diefe Berwechfelung in der Hiftorifchen Literatur feitgefegt. Der Name
bezieht fi auf das heutige St. Ulrich im Hochthale des Melinbaches,
weftlihh vom Abhange des Feldberges im Scwarzwalde. An bie
Stelle der dort abgegangenen Wilmarszelle ? verpflanzte Udalrich ein
zu Grüningen geftiftetes Kloſter, deſſen Leitung er 1085 als Prior
übernommen hatte. Grüningen, ein im 14. Jahrhundert zerftörter
und feitdem abgegangener Ort, lag am Tuniberg bei Oberrimfingen
zwifchen Freiburg und Breifah. In dem Stifter Heſſo dürfte einer
der benachbarten Herren von Ueſenberg am Kaiferftuhl zu fuchen fein,
in deren va der Name Heffo herkömmlich war. Die neue Grün
dung am Melinbache erhielt ftatt der alten Bezeihnung Wilmarszel
nad) dem Heiligen, dem fie geweiht war, den Namen BPeterszel,
Cella s. Petri, fpäter aber, nachdem die Verehrung ihres Gründers
durchgedrungen, nach diefem den Namen St. Uri, den der Ort
noch heute trägt. Nun empfiehlt ſich nicht, von einem feligen Ulrid
von St. Ulrich zu ſprechen, aud die alten Namen feiner Stiftung
Wilmarszell und Peterszell kann man nicht hervorholen, den erjteren,
weil er fchon bei Gründung des neuen Klofters fallen gelaſſen wurde,
den andern, weil auch er längft nicht mehr üblich ift und wiederum
nur zur Verwechſelung mit dem heutigen Peterszell bei St. Georgen
im Schwarzwalde Anlaß geben würde; am bejten wird man daher
Udalrich zur Unterfcheidung von feinem berühmteren Namensvetter,
dem heiligen Bifchofe Udalrih von Augsburg, nad) feiner Heimat)
’ Acta Sanct. Boll., April. II, 556; cap. III, 42.
” ©. die Urf. bei Neugart, Cod. dipl. Alemanniae, U, 31.
547
als Ubdalrih von Regensburg bezeichnen. Neuerdings handelte über
Udalrich Rothhelfer (Leben und Wirken des Gründer8 von St. Ul-
rih, mit Nachworten von Bader; Freiburger Didcefanardiv, X,
125—180), der bezüglid) der Dertlichfeit feiner Stiftung bereits das
Richtige bemerkt Hat.
Derſelben kirchlichen Richtung wie Udalrich und wenig jüngerer
Zeit gehören an die Aebte Berengar (F 1108) und Wirnto (F 1127),
die nad) einander das Klofter Formbach leiteten. Ihre kurzen Bio—
graphien !, voll von Wundererzählungen und arm an gefchichtlichem
Inhalt, galten bisher als ein Werk Gerhohs von Weichersberg.
Schon Wattenbad)? hat bemerkt, daß die Wunder von Gap. 10 an
wegen der Beziehung auf die Salzburger Mirafel von 1181 nicht
von Gerhoh befchrieben fein fünnen. Man muß aber noch weiter
gehen amd dem 1169, Juni 27. verjtorbenen Gerhoh die ganze
“ Schrift abſprechen. Denn im 8. Gapitel (S. 411) wird der 1158
vor Mailand gefallene Graf Edbert von Formbach und Pütten, In—
haber der Grafichaft Neuburg am Inn, als marchio Neoburgensis
bezeichnet. Nun war Ebert nicht Markgraf, wohl aber war dieß
jeit 1173 Berthold III. von Andechs, der nad) Eckberts Tode die
Grafſchaft Neuburg geerbt hatte. Augenſcheinlich liegt eine Verwech—
jelung vor, die nicht vor 1173 begangen werben konnte. Da aber
fein Grund befteht, die Abfaffung der erſten neun Capitel vom Folgen-
den zu trennen, ift die Entjtehung der ganzen Schrift nach 1181 zu
jegen.
11. Zum Kürnberger.
Wie eine ftrengere Prüfung von der literarhiftoriihen Bedeutung
des Kürnbergers wenig übrig gelaffen hat?, fo muß man gegenüber
manchen zu beftimmten Aeußerungen darauf hinweifen, daß wir auch
feine Perjönlichkeit, ja feine Familie nicht feitzuftellen vermögen. Zwei
Gefchlechter diefes Namens hat man vornehmlich ins Auge gefaßt, ein
uffgauifches, bei Wilhering weſtlich von Yinz, und ein öfterreichifches,
am Mankbache ſüdlich von Mel figend. Stammeseinheit der beiden
fann aus dem gleichen Namen nod) keineswegs gefolgert werden; auch
Sonst find ja die Namen Kürnburg und Kürnberg wenigftens in Ober:
deutichland nicht felten. Eine Kürnburg lag bei Kenzingen im Breis—
gau, eine fürftenbergiiche Burg des gleichen Namens beim jett ebenfalls
abgegangenen Kiürnbergerhofe weſtlich von Bräunlingen im öftlichen
ı Gebrudt bei Pez, Thes. I, c. 399 f., vergl. Praefatio LXXXV.
2 Deutſchlands Gefchichtsquellen, 3. Auflage, II, 220, Anm. 1. -
’ ©. Scherer in Haupts Zeitſchrift f. deutſches Alterthum, XVII, 561 f.
und in den Deutſchen Studien, II, 16 f. Vollmöller, Kürenberg u. die Nibes
ungen, 1874, |
XVIIL 36
548
Schwarzwalde, eine Kürtenburg bei Eflingen, und zahlreiche Dertlid-
feiten des Namens Kürnberg oder Kirnberg finden ſich «noch heute
auf bairiſchem wie ſchwäbiſchem Stammesgebiete. Zu der vorgeidle
genen Ableitung ded Namens von goth. quairmnus, Meühle?, ftimmt,
boß wenigftens die mir bekannten Bildungen von Kürnz, Kirn- fänmt
ih an Bächen liegende Orte bezeichnen. Die von Lachmann und
Haupt ? offen gelajfene Möglichkeit, daß die öfterreichifche Kürnburg
erft von dem bei Wilhering angefeffenen Gerolt gegründet wur,
nachdem derfelbe feinen früheren Wohnfig an Kloſter Wilhering abge:
treten, ift aus chronologifhen Grunde zu verneinen. Kloſter Wilhe-
ting, an welches Gerolt zur Zeit feines erften Abtes Gebhard feine
Befigung in Kürnberg vertaufchte?, ward 1146 gegründet; ſchon vor
1138 aber ericheint ein Küruberger, den man mit Sicherheit dem
Öfterreichifchen Haufe diefes Namens zumeifen darft. Die öfterreihi-
ſchen Kürnberger gehörten zur Dienftmanufhaft der bairifchen, aber
durch den Befig der Herrſchaft Schala auch in Defterreid) murzefuben
Grafen von Burghauſen. Nicht fern von dem öſterreichiſchen Kürn-
burg lag die Schalaburg, welche mit der dazu gehörigen Herridaft
wahrſcheinlich erjt von der Babenbergerin Sophie, Schwejter des Mart:
grafen Leopold III. von Defterreih, Gemahlin Sighards II. von
— an deſſen Haus gebracht wurde (vergl. Mon. Boie.
AXIX, b, 313). Zhaufing® bemerkt, daß Magenes von FKürnberg,
der Bruder jenes Otto de Polan, von Polle bei Petzenkirchen unweit
der Erlaff, ber miles des Grafen Sighard von Schala ift, gleichzeitig
in einer Paſſauer Urkunde unter den Miniſterialen dieſes Domftiftes
genannt werde®; aber ministeriales ecclesiae, das fich allerdings
auf nachfolgende, nicht auf vorhergenannte Zeugen bezieht, dürfte hier
doc faum für alle 28 folgenden gelten, unter denen der Kiürnberger
an der 26. Stelle ericheint. Vor ihm wird Werinhere de Lohhein
genannt, aus einer Familie, von der Dietpolt um diefelbe Zeit als Dienit-
mann der Grafen von Burghaufen bezeugt ift’. Kam es auch vor,
daß Brüder, ja daß ein und derfelbe Minifteriale in Dienftverhältnif
zu verfchiedenen Herren ftand, jo find dieß doch jeltnere Bälle.
Lachmann und Haupt a. a. DO. und Pfeiffer? haben bereits die
2 Berg. Förſtemann, Die Deutichen Ortsnamen, 92. 119. Zahlreiche Br
fege für den Ortsnamen Kürnberg ſammelt Bollmöller 41 f.
2 Des Minnefangs Frühling, 229.
:s Stuülz, Geſch. des Kloſters Wilhering, ©. 473. Diefe Befigung um
faßte nicht den ganzen Ort, wie ſich aus den Urkunden a. a. O. 450, 492 u.
U. 8. des Landes ob ber Enns I, 170 exgibt.
* 11.8. bes Landes ob der "Enns, IL, 477.
5 Nibelungenftudien: 2. Die Kürnberger und Aribonen. Oeſterreichiſche
RE Sahrgang 1864, ©. 73 f.
Landes ob der Euns, I, 477.
° x. J 8 545.
In en Germania II, 493. Dort iſt zw berichtigen: 3. 4 — I, 4 47
. 2477; 3. 5: Urf. zw. 1146 und bald nach 1180 fi. 1155—1159; 3. 6:
73 fl. 373; 3. 10: 1161 fi. zw. 1155—1160.
urkundlichen Zengniffe des 12. Jahrhunderts für” Kürnberger aus
diefen beiden Gejchlechtern gejammelt. Nachzutragen find; Ernestus
de Curinberg, Schenker an Kloſter Wilhering, Bruder jenes Hein-
rich de Zruma, der im derfelben Urkunde als Dienjtmann des Herzogs
Leopold von Defterreich genannt wird!, und Hainricus de Churen-
berch in einer Raitenhaflaher Urkunde von 1156?. Denn fo darf
man wohl für Churenbach emendiren, da der Genannte zugleich
mit den Grafen Sighard von Burghaufen und Heinrich von Scala
auftritt. Nicht vor 1156 fällt auch, wie Herzog Heinrichs Titel ala
dux Orientis zeigt, die Heinrich von Kürnberg nennende Urfunde bei
Pez, Thes. VI, a, 354, welde Lachmann und Haupt 1150, v.
Meiller 1155 festen. Heinricus de Chorinberch, Dienftmann dee
Grafen Engelbert von Reichenhall und Wafferburg, wird von Zahn?
mit Recht auf Kornberg bei Wafferburg bezogen. Konrad und Ger-
hohe de Churnenbure aber, welche 1178 auf einem Gerichtstage
des Grafen von Bogen in einer Oberaltaicher Sache in dem Walde
Schahe unweit Wiare und Huntzagele auftreten *, könnten wohl zu
einen der benachbarten Kürnberg gehören, fei e8 zu Kürnberg bei
Stadtamhof, zu einem der Kirnberg im B. A. Regensburg oder zu
Kirnberg im B. X. Roding? Auch Markwart von Churnberch er-
fcheint zugleich mit dem Grafen Berthold von Bogen auf einem Ge—
richtstage des Yandgrafen Dtto von Steffling in Regelsmais bei Ro—
ding‘. Man darf aljo die Frage aufwerfen, ob nicht neben dem
uffgauifchen und öſterreichiſchen noch ein drittes Gejchlecht von Kürn⸗
berg bairischen Stammes in Betracht kommen könnte mit dem Wohnte
fige bei Roding oder bei der bairifchen Yandeshauptitadt, wo ja am
Hofe der Burggrafen fo veges dichterifches Yeben herrſchte. Eben in
den beiden Urkunden, welche diefe Vermuthung nahe legen, werben
auch Glieder des burg- und landgräflichen Haufes von Regensburg,
Niedenburg und Steffling genannt,
Dem öſterreichiſchen Gefchlechte find nach der Geſellſchaft und
den Dertlichfeiten ihres Auftretens ſicher zuzumeifen Magenes? und
Heinrich, wohl auch Dtto, Burkhart und Markwart, wenn der letz⸗
tere nicht zu einem dritten Haufe diefes Namens gehören folltee Dem
uffgauifchen find zuzuweifen Konrad (1147), Gerolt, Walther (1161),
wohl auch Ernft. Die Erwähnung des legteren ift das einzige Zeuge
niß, welches wegen feiner gleichzeitigen Beziehung auf das Klofter
Wilhering und die Herzoge von Defterreic die Möglichkeit eines Zu⸗
ı 1.8. d. Landes ob der Enns, II, 483. 480.
Mon. Boic. III, 112.
U. B. des Herzogthumes Steiermark, I, 248; vergl. 790,
Mon. Boic. XII, 56.
5 Auf dem letzteren VBergichloffe, von dem noch Trümmer ftehen, ſaß im
14. Zahrhundert das Geflecht der Kürn zu Kürnberg; ſ. Gfellpofer, Berhand-
lungen des hiſt. Vereins der Oberpfalz u. vom Regensburg, VII, (1843) 100.
© Mon. Boic. ‚129. ”
? Diefer Borname ift im 12. Jahrh. in oftbairiichen und oftmärkischen
Samilien häufig; ſ. u. a. Mon. Boic. III, 112; XIII, 129.
36*
550
fammenhangs zwifchen den uffgauifchen und öſterreichiſchen Kürnber:
gern eröffnet. Das Standesverhältnig der erjteren aber läßt fich nicht
gleich dem der letzteren ficher erkennen. Walther wird Minifteriale
genannt, fein Herr aber nicht angedeutet. Der Tauſch von Kürn-
berg, den Gerolt vornimmt, ohne daß der Zuftinmmung eines Herr
gedacht wird, kann zwar nach feiner Seite beweifen, da Minifterialen
auch Eigengüter befigen, oder der urkundliche Bericht nicht erjchöpfend
fein kann, macht aber immerhin wahrfcheinlicher, daß Gerolt ein Freier
war. Jedenfalls berechtigen die urkundlichen Zeugniffe nicht zu der
Behauptung Thaufings, auch die uffgauifhen Kürnberger feien in
Dienftverhältnig zu den Burghaufern geftanden, und hiemit ift der
Bermuthung bezüglich eines Einfluffes der Aribonen auf die Entjteh:
ung des Nibelungenliedes auch von diefer Seite der Boden entzogen.
Einen Oeſterreicher jchledhtweg dürfte man den Kürnberger nur dann
nennen, wenn ſich al8 feine Heimath die Burg am Mankbache nad:
weifen ließe. Die Gegend um Wilhering aber iſt altbairifches Ge
biet und gehörte wenigſtens bi8 1180 auch politifch zum bairijchen
erzogthume. Noch kurz vor 1220 wird das in der Graficaft
teier unweit der Enns liegende Klofter Gleink urkundlich bezeichnet
als liegend “in inferioribus Noricorum partibus Austrie conter-
minis’!. In den Urkunden der Babenberger, wo Dietmar von Alt
fo oft begegnet, tritt ein einziges Mal (Bez a.a.D.) ein Kürnberger
auf, ficher einer der öfterreichiichen, da er fich im Gefolge des Grafen
Gebhard von Burghaufen befindet.
12, Serufalempilger und Krenzfahrer aus Baiern.
Bor den Kreuzzügen:
723 Wilibald, fpäter der erjte Biſchof von Eichftädt, und deſſen
Bruder Wunibald . — Johannes, Gefährte Albarts von London,
der mit diefem angeblich zur Zeit des Papftes Formoſus (891—
896) nad) Rom, dann Yerufalem pilgerte und auf der — in
Salzburg ſtarb und begraben ward (Vita Albarti, bei Bez, Thes.
II, c, 184). — Zwiſchen 955 und 973 Judith, Tochter Herzog
Arnulfs und Wittwe Herzog Heinrichs I. von Baiern. Sie ſchenlte
von den heiligen Stätten mitgebrachte gg dem Klofter Nieder:
münfter in Regensburg (Pauli Vita Erhardi, Act. Sanctor. Boll.
Jan. I, 536 f.; vergl. His Heinrih IL, I, 121, Anm. 5). —
Etwa um diefelbe Zeit Adalbert, Cuſtos und Pförtner von St. Ems
meram in Negensburg (Arnold. de St. Emmeramo, Mon. Germ.
SS. IV, 552). — Ueber Italien und Griechenland nahm der gelehrte
ı Böhmer, Wittelsbach. Regeften, ©. 9.
1... „Soweit keine Belege angegeben, findet man dieſelben bei Röhricht, Die
Pilgerfahrten nach dem heiligen Lande vor den Kreuzzügen (Raumers Hiſt. Tas
ſchenbuch, 5. Folge, 5. Jahrgang, 388 f.)
551
Biſchof Reginold von Eichftädt (966989) den Weg nad) Paläftina
(Anonym. Haserensis, M. G. SS. VII, 257). — Eher im An—
fange des 11. al8 am Ende des 10. Jahrhunderts zog Hademut, die
Schweſter des Grafen Udalric von Regensburg, nad) dem Tode ih-
re8 Gemahls, des kärntiſchen Markgrafen Markward, nach dem ge=
lobten Lande, wo fie im Geruche der Heiligkeit ftarb. — Um 1051
pilgerte von Freifing aus der heilige Üdalrich von Regensburg nad)
Jeruſalem, Tag für Tag nicht eher fein Roß befteigend, bis er den
ganzen Pſalter gebetet hatte. — Zwei Engländerinnen, angeblich aus
Föniglichem Gefchlechte, die Jungfrau Salome und die Wittwe Ju—
dith, ließen ſich nach ihrer Rückkehr aus Paläftina, wie es fcheint,
unter 8. Heinrich IV., im Kloſter Niederaltaic einmanern!. — Im
Jahre 1064 verbreitete fih, in fonderbarer Weife aus einer chrono—
logischen Berechnung hervorgehend, der Glaube, daß die Welt unter—
gehen werde, weil Oftern im nächften Jahre mit dem ſtets am 27.
März gefeierten Feſte Resurrectio Domini zufammenfiel?, An dem
großen Pilgerzuge, der deßhalb aufbrach, betheiligten ſich Biſchof Otto
von Regensburg, Altmann, damals Kaplan der Kaiſerin Agnes, nach
feiner Rückkehr Biſchof von Paſſau, Konrad, ſpäter Dompropſt zu
Paſſau, Siegfried aus dem kärntiſchen Haufe Ortenburg, der auf dem
Rückwege in Bulgarien ftarb?. Aventin (Annal. Boior. ed. Gund-
ling 527) und Hochwart (Catalogus episcoporum Ratisbon., bei
Oefele, SS. I, 182.) nennen auc) die Grafen Effehard von Scheiern
und Friedrid) von Diejfen und Ortulf von Hohenwart. Die Theil-
nahıne des erjteren iſt chronologisch jehr unmahrjcheinlich *; die oft
erzählte Gejchichte vom Ekkehard Bundſchuh feheint eine der vielen
Fabeln zu fein, welche erft die zu Ende des 14. Jahrhunderts ent=
ftandene Fürftentafel im Klofter Sceiern in Umlauf fegte?. Nach
! De Salome virgine et Juditha vidua, Acta Sanctor. Boll. Juni
V, 492-498. NRöhridht 389 fetst diefe Pilgerinnen um 880, aber die als gleich-
zeitig genannten Hiftorifchen Perfonen weifen ihnen eine um zwei Jahrhunderte
fpätere Zeit an. Ejusque (filiam) in Cap. II, 18, ©. 496 ift auf den Grafen
Udalrich, nicht auf deffen Bropft zu beziehen. Unter dem Herzoge Eugelbert
von Sftrien aber, der eine Tochter des Grafen Udalrich zur Frau Hat, iſt der
1143 verftorbene Herzog Engelbert III. von Kärnten, vermählt mit Uta, Tochter
des Grafen Udalrich Bilrih) von Paffan, und unter dem Abte Walther von
Altaich, zu deffen Zeit die Frauen anfamen, doc wohl Waltfer zur verftehen, der
in der Urf. v. 1079 (Mon. Boic. XI, 159) auftritt. Die Stelle: Engilber-
tus dux eos, qui nunc supersunt, Ortembergenses comites praeclaros,
raeclarus avus, profudit, zeigt, daß die Schrift nicht vor Ausgang des 12,
Babıh. verfaßt wurde, da dem Sohne Engelberts III., Rapoto I. von Orten-
burg, der bisher allein den orteuburgischen Namen in Baiern vertrat, 1190 die
Söhne Rapoto II. und Heinrid) folgten.
°® Vita Altmanni, M.G. SS. XII, 230, eine für die Chronologie diejer
Pilgerfahrt wichtige Stelle.
v. Hormayr, Die Bayern im Morgenlande 27, ans einem Salbude von
St. Paul im Lavantthale; v. Anfershofen, Gef. von Kärnten, II, 910.
* Bergl. Hirich, Heinrich II., I, 424; Graf Hundt, Bayrifche Urkunden, 35.
5 Dberbager. ia IT, 191; vergl. über diefelbe Graf Hundt, Klofter
Scheyern, 269279,
552;
Deit Arnpeck (Pez, Thes. III, c, 144. 145) foll Graf Friedrich
von Andechs (Diefjen)', genannt Roch, im heiligen Lande geftorben
und ſchon vor ihm, angeblich 951, fein Bruder und Vorgänger, Graf
Razzo, d.i. Rapoto von Andechs, nach Jeruſalem gepilgert fein, Ans
gaben, deren Glaubwürdigkeit ebenfalls fehr gering ijt. Dagegen
könnte wohl die Pilgerfahrt des Edlen Herrand von Falkenſtein am
Jun (Mon. Boic. VII, 464) hieher zu ziehen fein. Kurz vor den
erften Kreuzzug fcheint endlich die Pilgerfahrt des Regensburger
Schottenmönches Clemens zu fallen, der in Serufalem feine Tage ber
ſchloß (Vita Mariani, Acta Sanct. Boll. Febr. II, 368).
Kreuzzug Welfs L!.
Herzog Welf, der am 1. April 1101 aufbrad und am 8. Nov.
1101 zu Paphos auf Eypern ftarb; Erzbifchof Thiemo von Salz
burg, der in Gefangenfchaft fiel und dort wahrſcheinlich ein klägliches
Ende nahm; Bifchof Udalrich von Paſſau; zwei Kanonifer des Na-
mens Bruno aus edlem Gefchlechte, die verhungerten und verſchmach—
teten, deren Zugehörigkeit zu Baiern freilich zweifelhaft bleibt ?; Abt
Gifilbert von Admunt, der am 1. Oftober in Serufalem ftarb’;
Burggraf Heinrich von Regensburg, der zu Jeruſalem ftarb (Ekkeh.
SS. VI, 221; Mon. Boic. XXIX, b, 60); Graf Friedrid) I. von
Bogen (Scholliner, Neue Hift. Abhandl. d. Mindener Akad. IV,
41. 76); vielleicht Graf Ekkehard von Scheitern *; vielleicht aud
ber in Jeruſalem geftorbene Bruder des herzoglichen Kämmerers er:
mund aus der Gegend von Ranshofen®. Aventin (V, ec. 16; VII,
c. 1) nennt auch einen Otto von Scheiern als Theilnehmer; doch
ift fo viel ficher, daß Otto comes de Scirun praefecturus Hieru-
salem im Ebersberger Schenkungsbuche (Oefele, SS. II, ©. 32)
und bei Meichelbeck (I, b, Nr. 1291) erft zwifchen 1119 ımd 1122
zu fegen ift®. Konrad von Sceiern (M. G. SS. XVII, 621) läßt
einen Otto von Scheiern zwar auf einer Kreuzfahrt umkommen, doch
ift diefe fpäte Nachricht, wenn überhaupt richtig, jedenfalls wicht hier:
ber zu beziehen, da Dtto noch nad) 1101 urkundlich auftritt. Zu
Aventins Angabe (VII, ce. 1), daß aud) Ottos Bruder Effehard von
Scheiern auf diefem Kreuzzuge umgefommen, ſtimmt, daß derjelbe jeit
ı Nöhrichts Beiträge zur Geſchichte der Kreuzzüge II, S. 297, z. Th. früher
bei Zacher, Zeitſchr. f. deutiche Philol. VII, 125 f., find dem Berf. erft nad:
träglich bekannt geworben und fonnten nicht mehr verglichen werden.
2 Hist. Welfor. Weingart., M. G. SS. XXI, 462; Passio Thiemo-
nis, 1. c. XI 58 u. metrice scripta 1. c. 29.
s Vita Gebehardi et successorum, SS. XI, 41; Annal. Mellicens.
u. St. Rudberti Salisburg., Auctar. Garstense, SS. IX, 500. 774. 568.
* Graf Bernhard aber, der nad Effeharb a. a. DO. 1101 in Jeruſalem
arb, ift faum anf den fcheirifchen zu denten, denn die Urkunden machen wahr-
cheinlich, daß deffen Tod erft Ende 1103 oder Anfangs 1104 erfolgte; vergl.
Graf Hundt, Bayr. Urkunden, 37.
5 WM. B. des Landes ob der Enns, I, 215.
® Bergl. Graf Hundt, Klofter Scheyern, 261.
” Hmfchberg, Geſch. des 8 Scheiern: Wittelsbadh, 228 f. Graf Hundt,
— —* ſch. des Hauſes Scheiern⸗Wittelsbach * 8 —
553
diefer Zeit aus den Urkunden verſchwindet. Markgräfin Ida, die
Mutter des Markgrafen Liutpold ILL. von Oeſterreich, blieb, wie es
fcheint, unter dem Schwerte; denn diefe, deren Theilnahme durch die
erwähnten Salzburger, Melter und Garftener Berichte gefichert iſt,
darf man wohl unter der marchisia N. trucidata verftehen, die
Gffehard (M.G. SS. VI, 220) unter nostrates aufführt. Daß ein
Sarazenenfürft mit ihr als jeiner Gefangenen den Imad Eddin Zenfi
(Sanguineus) erzeugt habe, wie Hist. Welfor. Weingart. a. a. O
berichtet, gehört zu ben vielen Sreuzzugsfabeln. Schon vor dem
Weingartner nennt die Kaiferchronit, B. 16615—16629, wie Gieje-
brecht (Kaiferzeit, IV, 472) erinnert, als Zenkis Mutter eine Hera
zogin Agnes von Baiern, die vor dem erften Kreuzzuge nad) Jeru—
ſalem gepilgert fei, wobei alfo wohl Verwechſelung mit der Herzogin
Judith zu Grunde liegt.
1126: Der Welfe Konrad, ältefter Sohn Herzog Heinrich des
Schwarzen von Baiern, Mönd zu Clairvaur, der auf der Heimkehr
von Paläftina zu Bari ftarb (Hist. Welfor. Weingart., SS. XXI, 463).
Kreuzzug 8. Konrads II.
a Heinrih XI. von Baiern; die Biſchöfe Otto von Freie
fing, Heinrich von Regensburg, Reginbert von Pafjau aus dem Edel-
geichledhte von Hagenau am Inn!. Die drei erjtgerannten find zus
rücgefehrt, Reginbert ftarb in finibus Graeeiae, 10. November
1149 (Annal. Reichersperg., M. G. SS. XVII, 464). Ferner
Markgraf Ottofar von Steiermark; Pfalzgraf Otto V. von Wittel8»
bad) und fein Sohn Dtto VI. ?; die Grafen Konrad von Beilenftein ®,
Poppo und Berthold von Andechs, wahrſcheinlich auch Gebhard von
Burghaufen %; die Edlen Adalbert von Moosburg, Vogt von St.
Gaftulns Friedrich, Vogt von Regensburg und Oberaltaid), aus dem
eat Bogen, Dtto von Eurasburg an der Loiſach“?, Rudolf von
adhland in der Oftinarf®, Berthold von Schwarzenburg im Nord»
gau?, der auf dem Zuge ftarb'. Vielleicht ift auch die Fahrt des
ı Mon. Boic. IX, 533. 534; XXVIII, b, 227.
2 9. Meiller, Babenberger Regeften, S. 34, Nr. 20; Zahn, U. B. von
Steiermarl, I, 291. 292. 294. Der hier auch genannte jüngere Friedrich von
willelsbach if dem zurüdtchrenden Bater und Bruder wohl nur bis Salzburg
entgegengeeilt.
3 Bahn a. a. D. 278.
41 S. die er Bien auf dem Marſche ansgeftellten Urkunden bei Meiller
a. a. O. ©. 33. 34; die Zeugen der Urk. = un find zu berichtigen nad
dem Auszuge im — f. öſterr. Geſch. V, 2, 251. Graf Poppo * am
11. Dez. und ward in Ag rg se: "Mon. Boic. VII, 3
5 Dberbayer. Archiv, II, 18.
6 Mon. Boic. XII, 47; Pez, Thes. III, c, 777. Die Regensburger
Domvogtei fcheint während Friedrichs Abrwefenheit dem Burggrafen Heinrid von
Regensburg übertragen worden zu fein, der 1147, Mai 10. urkundlich als Re:
gensburger Domvogt bezeichnet wird; Mon. Boic. XXIX, b, 39.
” Mon. Boic. VI, 110. Zahn a. a. O. 281.
®° Vita Mariani, Acta Sanctor. Boll. Febr. II, 369.
10 Lang, Regesta Boica, I, 195.
554,
Ortenburgers Engelbert IV. des Weißen, Markgrafen von Rraiburg',
bieher zu ziehen.
Bon geringeren Freien und Minijterialen: Heinrich von Brun⸗
nen der jüngere, bifchöflich Freifingifcher Dienftmann”; Egilolf, der
feinen Entſchluß erjt nad) langer Veberlegung faßte?; Gozbert von
Harde, Dienftinann Friedrihs von Bogen *; Starfrit von Iſma⸗
ning bei München?; Hermann von Schmidgaden bei Nabburg ®;
Ezzo von Tandern bei Atomünfter; Hartmann von Ueberachen am
Ann®; Wernher von Winberg, Minifteriale des Kloſters Tegernfee ’;
wahrſcheinuch auch Adalbero von Maurbach bei Aichach °. Im Hoch—
gebirge Walther von Malentin und ein Brixener Minifteriale Lud⸗
wig “; vielleicht auch jene Edlen Berthold und Bruno, die vor der
Ausfahrt an Kloſter Garſten ſchenken2; ſicher ſodann die Steier—
märker Rutpert von St. Georgen an "der Stiefing, Hartnid von
Niegersburg, During aus dem Sulzbach (?) bei Adınunt, Nicher von
Wildon, Rudolfs von Machland Eigenmann Adalram, Reginher von
Tovernich, d. i. doch wohl Defereggen im gleichnamigen Seitenthale
des Pufterthales, Udalrih von Holzhaufen, genannt Chalpsenge, Sig:
frid von Gleiß und ungenannte Minifterialen von Salzburg und Ad—
munt !®; wahrſcheinlich auch Wazaman und Berthold), Minifterialen
bes fteirifchen Markgrafen +. in anderer Dienftmann deſſelben,
Heinrich von Dunfelftein, ift ihon im Juni 1146 zur Kreuzfahrt
gi Daß auch von den auf dem Regensburger Hoftage 1147
erfammelten, welche die Urkunden bei Stumpf Nr. 3532 und
3534—3536 ale Die dr aufführen, der größere Theil das Kreuz ges
nommen, ift wahrſcheiklich; doc) laſſen jich hier die Kreuzfahrer , fo:
weit fie nicht durd anderweitige Zeugniffe als folche gekennzeichnet
werden, nicht bejtimmt von denen fondern, welche nur der Hoftag in
Regensburg zufammengeführt hat.
Pilgerfahrt von 1167.
Welf VL; Pfalzgraf Friedrich von Wittelsbach; Burggraf Hein-
rich (III.) von "Regensburg io
Pilgerfahrt von 1172.
Heinrich d. Löwe; die Pfalzgrafen Friedrich und Otto VII.
1 Mon. Boic. II, 323. 2 ].c. VI, 108; IX, 404.
® ]. c. III, 32. * Le X, 4. 5 1. c. IX, 398.
6 Ensdorfer Schenkungsbuch bei v. Freyberg, Sammlung if. Schriften,
II, 205. ” Amdersdorfer Urk. Oberbayer. Archiv, XXIV,
° =. B. IX, 534. Meiller, Bab. Reg. 224 Nr. 202 dieſe Stelle
irrig — den — Hartwig von hegenon bezogen.
‚89. 4.
1 hehe Beiträge 3. —8* der bifchöf. Kirche — u. Brixen,
III, 412. 413. 426 u, Fontes rer. Austr. II, T. 34, ©.
U. 8. d. Landes ob der Enns, I, 162. 167.
18 Bahn, I, 279-283, wo quidam de familia nicht überjegt werden
darf: ein Höriger.
* 1.8. d. Landes ob der . 123. 162. 164, is Zahn, I, 252.
"* Append. ad Ragewin,, id. SS. XX, 492,
555
d. j. von Wittelsbah. Der erſtgenannte diefer Brüder ift unzweifel-
haft unter Fridericus marchio de Sudbach bei Arnold von Lü—
bed zu verftehen!; denn die Continuatio Cremifanensis ? meldet,
daß mit dem Herzoge duo palatini reilten, und des Pfalzgrafen
Friedrich Teftament? ijt beim Antritt feiner zweiten Pilgerreije ab—
gefaßt. Beide wittelsbachiiche Brüder find zurückgekehrt. Irrig läßt
Arnold auch einen ſteiriſchen Markgrafen theilnehmen. Keinesfalls
darf man auch mit Hufchberg * die Pilgerfahrt des Herzogs Konrad III.
von Dadan? zu 1172 fegen. Denn jener Patriarch E., der Kon—
rad laut jeines Schreibens in Jeruſalem begrüßte, fann nur Heraclius
fein, der von 1180— 1187 in Serufalem regierte, und da Konrad III.
von Dachau 1182 ftarb, fällt die Pilgerfahrt in feine beiden letzten
Yebensjahre.
Kreuzzug R. Friedrichs J.
Don den Biſchöfen Konrad III. von Regensburg und Dietpold
von Bajjau, der vor Affon fein Grab fand (F 3. November 1190) ®,
Der Pfarrer Meginhelm von Paſſau umd fehs Dombherren des Paj-
fauer Kapitel, Burkhard von Cham, Propſt Udalrich von Ardafer,
Propft Markfward von St. Andreas (F 12. Sept. 1190), Rudiger
von Aham, der Prior Konrad und der Dekan Tageno, einer der Ges
Ichichtichreiber de Zuges, der in Tripolis ftarb und begraben ward,
nahmen mit Dietpold das Kreuz und fanden vor ihm den Tod’. Bon
weltlihen Fürften Markgraf Berthold von Vohburg und Berthold IV.
von Andehs, Herzog von Meranien, der mit dem Negensburger
Biſchofe glücklich nach Haufe kehrte, noch ehe die Belagerung Akkons
ihr Ende erreichte. Von Grafen: Gebhard von Dollnſtein, Kuno von
Fallenſtein, Siegfried von Lebenau, der die aber nicht wieder ſah?,
Dietpold von Yeuchtenberg und die Brüder Konrad und Friedrich von
Dornberg. Bon Edlen, Rittern und Minifterialen: Hartwig von
ı M.G.SS. XXI, 116. *» 1.c. SS. IX, 546.
3 GOberbayer. Ardiv, XXIV, 10—13.
Gecſchichte des Haufes Scheyern-Wittelebad), 256 ff.; vergl. die bort an-«
geführten Schreiben aus dem Münchener Reichsardive.
5 Außer den erwähnten Schreiben ſ. die lirfunden, Mon. Boic. VI, 131;
VIII, 393, Ietstere vom Herausgeber wohl irrig unter 1140— 1153 eingereiht.
° Soweit fir da8 Folgende feine Belege angegeben find, finden fich die-
felben in dem Theilnehmerverzeichniffe im X. Bd. diefer Zeitichrift, 141— 149,
Defterreicher und Steiermärfer find von hier an nicht mehr verzeichnet.
” Daß Drtolf von Seben, Propft des freifingiichen Klofters Innichen, nad)
Wien gereift fer, um den Kaifer auf dem Kreuzzuge zu begleiten, bat Zingerle
(Germania XX, 268) und vor ihm wohl Reich (vergl. Sinnader, III, 466)
nur aus feinem Auftreten als Zeuge in der 1189, Mai 18 in Wien ausge—
ftellten Urt. K. Friedrichs gefolgert; aber feine dortige Aumelenheit kann wie die
anderer Freifinger Chorherren und Minifterialen nur durch den Ausgleich zwi—
jhen dem Babenberger und dem Bisthume Freifing veranlagt worden fein. Daß
nicht alle hier genannten Zeugen der Kreuzfahrt ſich angeichloffen, ergeben die
Urkunden bei v. Meiller, Salzburger Regeften, S. 151, Nr. 48, und Baben-
berger Regeften, S. 68, Nr. 49. |
St. Emmeramer Urkunde bei Pez, Thesaurus, J, c, 106,
556
Angefizze, Habubrand von Arnsberg bei Kipfenberg!, Friedrich von
Berg, jest Mitterberg, im Mühlviertel, Vogt der pafjauifchen Güter
in Dejterreih, Yiupold von Edermanning bei Deggendorf (Ederas
mingen), Yehensmann von Niederaltaih, der in Gefangenſchaft der
Sarazenen geriet, der Reichsminifteriale Gottfried von Falkenberg
aus dem Nordgau (ſ. aud) Mon. Boic. XIV, 427), Berengar von
Gambach, Heinrich) von Grunnebach, ein Nitter von Hall oder Hals,
der bei einem Ueberfalle in Serbien fiel, der Edle Konrad von Har—
bach bei Vilshofen, der zurückgekehrt, ſpäter auf einer Reife nad) Rom
in Verona jtarb (Mon. Boic. IV, 320. 279), Arnold von Horn=
berg, der fi) bei Saloniki mit fechzehn Mann durch einen weit über-
legenen griechiſchen Reitertrupp durchſchlug, Gottpold von Lochhaufen
(weitlih von München), Sigboto oder Boto von Maffing bei Eggen-
felden?, der Edle Adalbero von Bruckberg (B. A. Freifing) (Ober-
bayer. Archiv, II, 47, Nr. 148, eine Urk., welche zeigt, daß Ansberts
Adalbert von Pruckbach in diefer Weife zu emendiren), Karl von
Ried, Hugo von Teisbach bei Landshut, der am 3. Februar 1190
in einem Gefechte gegen Griechen fiel, Konrad von Wolfersborf bei
Sreifing, der ebenfalls auf dem Kreuzzuge fein Leben verlor?, wahr:
Iheinlich auch Wernhard, Sohn des Richters von Megling am Inn“.
Kreuzzug Raifer Heinrihs VL, 1196— 1198.
Konrad von Wittelsbah, Erzbifchof von Mainz, früher von
Salzburg’; Biſchof Wolfger von Paffau‘. Mit Wolfger hatten am
6. Dez. 1195 zu Worms das Kreuz genommen’: Bifchof Konrad IIL
von Regensburg, Berthold IV. von Andechs, Herzog von Meranien,
und einer feiner Söhne, Abt Manegold von Tegernfee, ein Graf
von Bogen, ein Graf (Heinrich oder Rapoto?) von Ortenburg. Aus
—— zogen aus Propft Heinrich und Pfarrer Ulrich mit ihren
euten?,
Kreuzzug des KönigsAndreas von Ungarn 1217—1219.
— Otto von Meranien und deſſen Bruder, Biſchof Eckbert
von Bamberg '°; Graf Liutold von Plaien, der vorher feine Graf⸗
ı Weber ihn f. and) Falckenstein, Cod. dipl. antiquitat. Nordgarv.
©. 38, Er wird noch 1194 in einer Berchtesgadener Tradition al® lebend ge-
nannt, wenn es nicht etwa ein gleichnamiger Sohn des Kreugfahrers if;
Duellen u. Erörterungen I, 350,
2 Bergl. Quellen u. Erört. I, 322,
°3 Mon. Boic. IX, 555. ‘ 1. c.I, 193.
5 Annal. Scheftlar. major., M. G. SS. XVII, 337.
® Contin. Cremifan., M. G. SS. IX, 549.
? Annal. Marbacens., M. G. SS. XVII, 167. (Mit dem bier ge
nannten Grafen von Bilftein kann nicht der bairische gemeint fein, da berjelbe
als Bruder des Grafen von Bichelingen bezeichnet wird). Ansbert, Fontes rer.
Austriac. I, 5, 88. Bei allen diefen ift zweifelhaft, ob fie ansgezogen find.
*Bergl. Defele, Grafen v. Andechs, 96. 171.
° Annal. Ratispon., M. G. SS. XVII, 590.
” Annal. St. Rudberti Salisburg., M. G. 88. IX, 780; Annal.
557
Schaft verpfändete und vom Pfeile eines Sarazenen im Auge getroffen
auf der Heimfehr zu Tarvis in Kärnten ftarb!; die Grafen Albert
oder Adalbert und Berthold von Bogen, von denen ber letztere 1218,
12. Auguft vor Damiette ſtarb, mit 39 anderen Rittern dur Bruch
einer Belagerungsmafchine in den Strom gefchleudert?; Poppo von
Stierberg (wahrjceinlich von dem Drte diejed Namens im ®. U. Pegnig,
ba er in Frantenohe B. A. Auerbach begütert iſt) iſt jchon 1216 zur
Ueberfahrt gerüftet®. Aus Salzburg: Dompropſt Albero, der ſeit Sep⸗
tember 1218 zurückgelehrt iſt, der erzbiſchöfliche Burggraf Konrad und
der erzbiſchöfliche Miniſteriale Konrad von Pfarr, heute Mariapfarr,
der nach dem Kreuzzuge urkundlich nicht mehr erſcheint, alſo wohl den
Tod fand. Propſt Friedrich II. von Berchtesgaden ſtarb am 27.
Auguſt zu Brindifit. Wahrſcheinlich gehört auch hierher Grimolt
von Leiten Liten), Dienftmann des Herzogs Ludwig (zwijchen 1197
und 1219) °.
Aegyptiſcher Kreuzzug des Herzogs Ludwig von 1221.
Außer dem Herzoge Bifchof Ulrich von Paſſau, der auf der
a am 30. Oktober 1221 ſtarb °. Diefe zwei erfcheinen am
April 1221 mit Kaiſer Friedrih in Tarent und haben fich wohl
zufanmen dort eingefchifft”. Graf Adalbert von Bogen zum zweiten
Male?, Otto, Domvogt von Regensburg, aus dem Haufe der Edlen
von Lengbach, Traiſma und Nechberg?, die beide zurückgekehrt find.
Marbae. 1. c. 174. Wie bereits Willen (Kreuzzüge VI, 131) bemerkte, ift
* dieſer Herzog Otto zu verſtehen unter dem von Jalob v. vitry (Bongars, Gesta
ai = Francos, 1129) als Theilnehmer genannten dux Bavariae. Bergl.
au
ı Ann. St. Rudb. Salisb. l. c. 781 3. J. 1219. Magn. Reichers-
perg., SS. XVII, 527.
2 Ann. Salisb. l. c. Hermann v. un: M. G. SS. XVII, 372.
Mon. Boic. XI, 185. 191; au: 74; XV, 6.
® Mon. Boic. XXIV, 4
* Ann. St. Rudberti — l. o. 781. Mon. Boic. II, 195.
v. Meiller, Salzburger Regeften, Eberhard II., Nr. 186. 188 u. Noten 78. 88,
Daß Erzbiichof Eberhard v. Salzburg ausgezogen fei, wie noch Buchner behaup-
tete, hat fhon Hanſiz, Germ. sacra, II, 323, widetlegi
Mon. Boic. IX,
° Ann. St. Rudberti "Salisburg., Ann. Mellic. u. Gottwic., Cont.
Garstens. u. Claustroneoburg. secunda, Cont. Praedicat. Vindobon. 1. c.
782. 507. 603. 595. 623. 726. Bergl. Böhmer, Wittelebach. Negeften ©. 9,
mo jedoch der Biſchof von Paſſau irrig Walter genannt wird.
Huillard-Bröholles, Hist. dipl. Frid. II. 1I, 158. 160. 162. Der
ebenfalls am 10. April 1221 in Tarent anmefende Martgraf Dietpold von Boh-
—— und Hohenbur hat ſich wenigſtens damals nicht nad Damiette eingejchifft,
er noch im Mai und Juni am kaiſerlichen Hofe in Meifina erfcheint.
Haillard Bröholles 1. c. 180. 188.
s Hermann v.Altaih, M.G.SS. XVII, 372; Mon. Boic. XII, 118. 123.
°® 9. Meillr a. a. O. S. 537, N. 105. Ueber die Rücklehr des Dom-
bogtes Otto j. Contin,. Garstens., SS. IX, 595.
558
Kreuzzug 8. Friedrichs IL. 1227. 1228.
Hierher gehören wahrfcheinlid Graf Konrad von Wafferburg,
der zur Zeit des Bifchofs Ulrich) von Paſſau (1215—1221) bereits
das Kreuz genommen, aber erft unter Bifchof Gebhard (1222—1233)
die Fahrt angetreten hat, von der er glüdlich zurückgekehrt iſt?; und
der Richter Friedrich d. A. von Braunau , der die gelobte Kreuzfahrt
jedoch nicht ausgeführt hat ?, wie ſich auch Abt Konrad von Scheiern
1225 vom Erzbifchofe von Salzburg feines Gelübdes entbinden ließ ?.
Ausgezogen aber find 1227 aus Deutfchland die Bifchöfe Gebhard
von Paſſau, Siegfried von Regensburg, Siegfried von Augsburg,
der am 23. Auguft 1227 in Brindifi ſtarb“.
1233: Graf Adalbert von Bogen, Stiefbruder Herzog Ottos IL
von Baiern?.
Nicht genau beſtimmen läßt fich die Zeit bei dem in der Ebers—
berger Gegend, u. a. in Taglaching (Tragaleichingin) begüterten Freien
Rudolf (wohl Anfang des 12. Yahrhdts.; Oefele SS. II, ©. 38), bei
Dtto von Ramsberg und Hadmar, dem Sohne feiner Schweiter (zw.
1184— 1220) ®, bei dem Pfarrer Berthold von Sandsbach (B. A. Rotten-
burg, Sandispach) ?, bei dem Chorherrn von St. Caftulus in Moos—
burg, Konrad von Murr (B. A. Freifing, Muren) und feinem Bruder,
Herrn Berchtold von Murr, bei dem Chorherrn Konrad von St. Ca-
ftulus in Moosburg, vielleicht identifh mit dem erfteren, bei dem
Ritter Sibot von Thulbach (B. U. Freifing, Tolbach), Minifte-
rialen des Grafen Konrad von Moosburg, bei den drei Brüdern
einrich und Dietmar von Moosburg und Wernher, Chorherrn von
: t. — daſelbſt?, und bei Ulrich von Rain (B. U. Strau-
ing)”.
! Mon. Boic. XXVIU, b, 145. Schon 1218 erjdeint er mit dem
Kreuze bezeichnet, Regesta Boica II, 86.
2 1.8. d. Landes ob der Enns, I, 271; vergl. Mon. Boic.III, 306. 499.
3 Konrad v. Sceiern, M. G. SS. XVII, 632.
* Bergl. Röhricht, Beiträge 3. Geſch. der Kreuzzüge I, 19.
5 Ried, Cod. dipl. episcop. Ratispon. I, 373; Mon. Boic. XI, 200.
355; XIV, 46. 47. Bon demfelben heißt e8 1232, daß er auf Mahnung des
Papftes Gregor mit den Deutfchherren gegen die Preußen 309; 1. c. XIV,
43—45; aber mit der transfretatio faun nicht wohl diefer Kreuzzug ge
meint fein.
© Reg. Boic. II, 44.
” Mon. Boic. XIV, 224.
8 Fraditionscoder von St Eaftulus, Oberbayer. Ardiv, II, S. 47. 50.
52. 67. 68. 77, Nr. 148. 159. 164. 209. 210. 250. 251; wahrſcheinlich
rühren die Einträge aus dem Ende des 12. oder den erſten Dezennien bed
13. Zahrh. ber. Daß Bischof Eh. von Regensburg (Konrad II., III. oder IV.?)
und Propft H. von Rohr (Herbord, Hugo I. oder Heinrich I.? vergl. Mon. Boic.
XVI, 95) als gleichzeitig erwähnt werden, verhilft auch nicht zu näherer Zeit«
beflimmung.
..” _Mon. Boic. XII, 78, dort zu c. 1232 geſetzt. Die Ortsbeftimmumng
ergibt ſich aus Ulrichs Grumdbefit in Atting a. d. Laber (Aetingen) und den
Beziehungen zu Oberaltaid).
Weber Denkverfe im Mittelalter.
Bon
Dietrich König.
Die lateiniihen Memorialverfe, welche der Hiftoriographie vom
frühen Mittelalter Her eigenthümlic find, mehren fi) in den Chro—
nifen feit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts und während des
vierzehnten Jahrhunderts; dieſer Litterarifche Geſchmack überdauert
jelbjt die, wie auf manchen andern Gebieten, jo auch auf dem der Ge—
ſchichtſchreibung reformatoriich wirkende Epoche der Humaniften, we—
nigitens in einzelnen Gejchichtswerfen, obſchon ſich fagen läßt, daß bie
Vorliebe für die Poefie der Memorialverfe mit dem fechszehnten Jahre
hundert jchwindet. Unter den Memorial oder Gedenkverjen verftehen
wir wenige in heroiſchen oder leoninischen Herametern oder in Dis
ftichen abgefaßte Verſe, welche, an ein beftimmtes gefchichtliches Ereig-
niß, welches nach der Anficht des Autors bedeutungsvoll ift, anknü—
pfend, dem Lejer zum Feſthalten im Gedächtniffe mit auf den Weg
gegeben wird!. Da fam es vor allem auf genaue Beitimmung der
Zeit an, und in einer Art von Spielerei ſuchte man die Jahreszahl
oft auf dem Wege eines umftändlichen Rechenexempels wiederzugeben ?;
die Liebhaberei in der Anwendung römischer Zahlzeichen ging fo weit,
dag man eigene fonderbar Eingende Namen bildete, wie 3. B. das
an eucullum, in dem Gedenkverſe auf die Hungersnot im Jahre
1315:
Ut lateat nullum tempus, ecce cucullum ®.
Lieft man nämlich u als v und fegt für die übrigen Buchftaben die
entfprechenden Zahlenwerthe ein (CVCVLLVM), jo erhält man durd)
Addition die Zahl 1315,
. Oefterley hat fi) das Verdienft erworben, eine große An⸗
zahl Denkverſe aus mittelalterlihen Chroniken zu jammeln*; für dem
ı Daher finden wir am Eingang der Berfe Ausdrüde wie memor es
oder esto. —* Forſch. z. Deutſchen Geſch. Bd. XVIII, Nr. 25. 57. 58. 62.
64. 79. 149. 162. 163. 172.
2 Dieſe Zahlenoperation wird eingeleitet durch Ausdrüde wie ‘si misces’
Ford. a. a. O. Nr. 44, oder ‘si bene penses’ Nr. 52, ferner ‘adde' Nr. 32,
207, ‘addideris’ Nr. 15la, ‘superadde’ Nr. 138 u. 194, ‘junge’ Nr. 85,
‘jungas’ Nr. 141. 151. 194, ‘recollige’ Nr. 151, ‘lustra’ Nr. 205, ‘si re-
eras’ Nr. 149, ‘removete’ Nr. 160, ‘notare’ Nr. 98 und 176.
: ©. Forſch. XVII, ©. 43 Nr. 233.
* Im den Ford. XVII, ©. 21—44, Die Sammlung umfaßt 237
Nummern,
562
praftifhen Gebrauch wäre eine andere Anordnung zu wünfchen ge
weien, und das am Schluß der Verſe mitgetheilte Regijter kann als
ein angenehmer, wenn auch unbequemer Nothbehelf für das, was der
Autor unterlaffen hat, angejehen werden.
Bon den Denfverfen waren nad) dem einmal gegebenen Titel
Mittheilungen aus größeren Gedichten auszuschließen, ebenfo VBaticinien
und Epitaphien, welche einer eigenen Betrachtung als dem Mittel-
alter bejonders angehörige poetifche Erzeugnifje bedürfen; hier liegt
dem Forſcher nocd ein weites deld offen, wie ein Bli in den Ab-
ſchnitt „Lateinische Gedichte“ in den Gefchichtsquellen von Lorenz !
(ehrt, der unter dieſem Namen alle drei Dichtgattungen fo erfchöpfend,
wie e8 das bislang befannte Material geftattete, behandelt hat.
Die folgenden Zeilen theilen einige zwanglofe Bemerkungen mit,
welche fich der Verf. bei der Durchficht der Sammlung von Defterley
gemacht hat und welche gewiß von fundigeren und mit größeren
Kenntniffen ausgeftatteten Gelehrten leicht vermehrt werden fönnen.
Wir knüpfen an die auf König Rudolf von Habsburg und feine Zeit
fid) beziehenden Verfe an. Ueber fein Leben und Wirken find trog
der mannigfachen anekdotifchen Züge in demjelben verhältnigmäßig
weniger Denkverje erhalten, als wir erwarten Om nad) der Popu—
larität dieſes Königs.
Deiterley giebt a. a. O. ©. 30 Nr. 98 einige Verſe über die
Wahl und Krönung König Rudolfs: fie gehören ftreng genommen
nicht zu den Memorialverfen, da fie einem größeren Gedichte, einer
Gratulationsihrift aus Anlaß feiner Wahl und Krönung, nämlich)
den Commendatitia de8 Konrad Mure entnommen wurden®, Ob
die Verſe in Nr. 962 ©. 30, welde fih auf die Zufammenkunft
de8 Papſtes Gregor X. mit König Rudolf in Yaufanne im Jahre
1275, nit 1273 wie jene irrthümlicd) angeben, beziehen, nur von
dem Humaniften Naucerus zu Beginn des 16. Jahrhunderts über-
liefert werden, ift noch fraglich, da fie vielleicht ebenfalls einem Ge—
dichte, den Gesta Rudolfi, werden zugewiefen werden müſſen?.
Außerdem find noch aus dem elſäſſiſchen Klofter Maurmünfter
Berjet vorhanden, welche den Tod des auf König Rudolfs Geheiß
verbrannten politiichen Agitators Dietrich Holtzſchuh mit—
theilen.
Mehr Anregung zu dichteriſchen Verſuchen und Denkverſen bot
der gewaltige Kampf Rudolfs mit dem Böhmenkönig Ottokar: da iſt
es nicht ohne Intereſſe zu ſehen, wie felbft in den kurzen Verſen der
PBarteiftandpunft des Screibers fih im fräftigen Ausdrücken geltend
macht. Einige aus oberjchlefiihen Annalen ftammende Berfe? machen
davon eine Ausnahme; dagegen ift leidenfchaftlicd gegen Ottokar ein=
ı Zn ale ha mi im MA. Bd. UI, ©. 128 u. f. 2. Aufl.
% ©. Forid. XVII, ©. . 88,
» ©.0.0.0.© 8 687.
S. a. a. O. S. 23 Nr. 24.
0 S. a. a. O. S. 31 Nr. 108.
563
genommen ein Mönd aus dem öfterreichiichen Klofter Yambad) !; auf
König Rudolfs Seite ijt ebenfalls die Continuatio Vindob.?; den
„erlauchten“ Ottofar aber, „der nicht durch die Macht der Schwaben,
ſondern durch Verrath der Seinen fiel“, preift ein Bamberger, deſſen
Bere, nad) Bezeichnung des Herausgebers Yaffe unter dem Namen
Versus Babenbergenses ? befamut, bei den Presbyter Andreas von
Regensburg aus dem 16. Jahrh. wiederfehren‘,
Wie diefe in einem Calendarium de8 14. Yahrh. verzeichneten
Verſe bald füdlich zu den bairifchen und öfterreichiichen Klöftern ware
derten, wird weiter unten noch Gelegenheit fein auseinanderzufegen;
wir bemerken hier, daß die Vers. Babenberg. um zwei Verſe und
gerade um diejenigen, welche eine Einleitung zu den folgenden bilden,
kürzer find al8 in der Faſſung der Regensburger Chronik: im Hin—
blif auf den fragmentarifchen Charakter der Bamberger Verje wäre
die Annahıne eines volljtändigeren und urfprünglicheren Textes bei
Andreas nicht ausgejchloffen.
Bor allen verherrlichen Dttofar folgende Verſe der Hist.
Annor.®
Ile vir oceubuit, qui turris, qui leo, qui dux,
Qui flos, qui gemma, quique columpna fuit.
Den Tod König Rudolfs merken folgende Verſe an:
Mortuus est anno milleno C triplicato,
Sex minus atque tribus, Julii rex mense Rudolfus.
Sie ftehen in der fogenannten Klingenberger Chronif®, im Martinus
Fuldenſis? und in der Hist. Suevor. des Ulmer Predigerinönches
Felix Faber?. Erſtere Chronik, nach den Unterfuhungen von Waig ?
auf Züricher Aufzeichnungen zurücgehend, ift die ältefte Weberlieferung
für diefe Verfe; die unter dem Namen des Martin von Fulda ge—
hende Chronik gehört erjt dem letten Viertel des 14., Felix aber
dem Ausgang des 15. Jahrhunderts an. Nach ihm find die Verje
die Grabſchrift König Rudolfs und als ſolche nicht zu den Denkverſen
zu rechnen; wir fügen hinzu, daß der Speirer Schreiber der Chronik
des Matthiad von Neuenburg nur eine Grabſchrift des Königs in
Proſa mitgetheilt hat !°.
1 9.0.0.6. 42 Nr. 224a.
° M.G. SS. IX, 721 von Defterley nicht mitgetheilt. Außerdem finden
ſich Verſe auf König Ottolar und König Johann bei dem böhm. Abt Neplacho
in Pez SS. rer. Austr. II, 1040.
3 M. G. SS, XVII, 639. — ®orenz, a. a. D. Bd. I, ©. 124.
* Thes. Anecdot. IV, 545. — Forid. a. a. D. ©. 21 Nr, 3.
5 M. G. SS. IX, 654. Bon DOefterley nicht —
8 Herausgegeb. von Otto Henne von Sargans ©. 4
” Eccard, Corp. hist. I, 1715.
8 Bei Goldast, SS. rer. Suev. Francof. 1605.
» GBött. gel. Nachrichten 1862, ©. 80. 81.
10 &, Studer, Matthiae Neob. Chronica, Bern 1866, S. 27. —
Huber-Böhmer, Fontes rer. Germanic. IV, 167.
XVII. 37
564
Die furze Regierung der folgenden Könige Adolf von Nafjau
und Albrecht von Oeſterreich bot den Verfificatoren einige naheliegende
Stütpunfte: Adolf Zug gegen Thüringen, der Kampf beider Könige
um die Krone in der Schlacht bei Göllheim, der Fall Adolfs und
Schließlich) die Ermordung Albrechts durch Johann von Schwaben for=
derten das Dichteriiche Talent der Chroniften in die Schranfen !.
Der Haß der Thüringer gegen König Adolf gab Anlaß zu einem
größeren Gedichte, das nur in einem Bruchſtücke von fünf und funfzig
feoninifchen Herametern in der Vita Friderici Admorsi? erhalten
ift und feinem Urfprunge nad) auf eine verlorne Chronik von St.
Peter zurücgeht?. Die von Oefterley a. a. DO. ©. 38 Nr. 186a
aus den fogen. Reinhardsbrunner Annalen mitgetheilten zwei Verſe
find nur die Anfangsverfe jenes Gedichtes und daher nad) unferer
Interpretation der Denkverfe ftreng genommen nicht als folche aufzufaffen.
Den Kampf Adolfs mit Albrecht jchildern eine Anzahl Chronijten
in Denfverjen, welche auf den eriten Bli große Aehnlichkeit mit ein-
ander im Wortlaut zu haben fcheinen und doch wohl von einander zu
fcheiden find. Wir fnüpfen an die Verfe ©. 23 Nr. 16 an, für
welche Defterley den fogenannten Martinus Minorita, Johann von
Winterthur und Engelhufius als Gewährsmänner geltend madıt:
Annis millenis trecentis binis minus annis
In Julio mense Adolfus rex cadit ense
Per manus Austriaci, Processi Martiniani.
Oeſterley giebt fir den Martinus Minorita den Text nad) Eccard,
Corp. hist. I, 1633. Es ift nit unwichtig, daß der Tert bei
Meufhen S. 131 folgende Varianten hat: Adolfus rex und Per
manus Austrani. In den Chroniken zweier Minoriten werden die
Denkverfe gefunden: wer ift der Verfaffer derjelben, oder wer ijt der
ältefte Gewährsmann für diefelben? Da nad) den Unterfuchungen
von Lütolf“ Johann von Winterthur den Martinus Minorita erjt
fennen lernte, als er fein Zeitbuch ſchon begonnen Hatte, doch bevor
er die Regierung Papſt Nicolaus III. behandelte, für den er jenen
heranzog, jo werden wir nicht fehl gehen, wenn wir Vitoduran die
Kenntniß unferer Denfverje aus der Chronik feines ſchwäbiſchen Mit:
bruders ſchöpfen lafjen ®.
Zu entfcheiden, wer der Urheber der Verſe geweſen ift, wird bei
borliegendem Material und der noch nicht abgefchlojjenen Unterfuchung
der angeführten Quellen nicht möglich fein, doch iſt fchon ein Gewinn,
die Heimat der Verſe annähernd beftimmen zu fünnen. Das Wert
des Minorita und feines Interpolators weift auf Schwaben hin; Lütolf
ı Wie Lorenz, a. a. DO. Bd. II, ©. 129 N. 7 mittheilt, war Jaffé ein
Gedicht: De morte Alberti regis befannt.
?2 Mencken, SS. rer. Germ. II, 934—935.
s Wie Otto Poffe nahweift, Spuren eines verlorenen größeren Chroni-
con Sampetrinum, Forſch. XIII, 338.
* Im Unzeiger für fchweiz. Geſch. 1876, Nr. 2, ©. 213.
°_ Ju dem urſprünglichen Tert der Flores finden fie fih nit. ©. W.
565
fucht bekanntlich den Verf. des erjten Theiles der Flores temporum
in Eßlingen!; für Schwaben fprechen ferner die aus dem fchwäbifchen
Klofter Zwifalten ftammenden Annalen ?, welche nad) der Anficht ihres
Herausgebers Abel vom %. 1228 an den Eindrud machen, daß bald
die Ereigniſſe unmittelbar aufgezeichnet wurden, bald eine fpätere Hand
Lücken nachfülte?. Gin Beweis für dieſe Anficht ergiebt ſich aus
dem Wechfel der Tempora, die Berje auf den Tod König Adolfs
find im Präſens gejchrieben, aljo gleichzeitig; indes möchte bei den
Denkverjen gerade auf diefe Argumentation wenig zu geben fein. Außer—
dem ſcheinen in den Verſen aus Zwifalten verjchiedene Bejtandtheile
getrennt werden zu müſſen:
Austrie dux magnum prelio prosternit Adolfum,
Necnon in vice regimen sibi possidet ipse.
Millenis trecentis binis minus annis
In Julio mense rex Adolfus cadit ense
Per manus Austriaci, Processi Martiniani.
Die letzten drei Verſe tragen einen anderen Charakter wie die
beiden erften, und erbliden wir in diejen ein Produkt eines Zwifal—
tener Klojterbruders, jo würden wir die leßten drei einer andern
Duelle zuweifen, deren Heimat Schwaben, deren Urfprung vielleicht
minoritifch war.
Ders drei und vier mit unwichtiger Aenderung treffen wir in
der Chronif des ſchwäbiſchen Humanijten Naucler S. 979* an;
diefer hat nachweislich? die Chronik des Minoriten, von ihm Hermann
genannt, benutzt und er übermittelte fie der Chronik eines Anonymus,
den Paralipomena rer. memor.®.
Nach der Schweiz weifen außer Johann von Winterthur die
irrthüimlic den Klingenbergern zugefchriebenen Aufzeichnungen ? Hin,
welche in dem einen Ausdrud ‘per manus Austrani’ mit dem Text
der Flores temp. bei Menſchen übereinftimmen.
Haft diefelben Verſe, nur in etwas erweiterter Faſſung, treffen
wir weiter in der von Eccard herausgegebenen größeren Yandgrafen-
geichichte?, von Poſſe als Historia Eccardiana bezeichnet, welche
aus den Reinhardsbrunner Geſchichtsbüchern jchöpfte, denen wiederum
ein ausführlichere® Chr. Sampetrinum als das auf und gefommene
Eremplar zu Grunde lag’. In der Hist. Eccard. leſen wir fols
gende Verſe:
ı Serie. zur deutih. Geh. Bb. XV, ©. 575.
2 Die Ann. Zwifalt. maj., M. G. SS. X, 61.
2A. a. O. S. 53.
* Ausgabe Kölln 1579,
5 Korid. a. a. O. ©. 66.
°_ Im Anhange der Urfperger Chronik gedrudt Straßburg 1537. — Vergl.
auch Forſch. a. a. D. ©. 28 Nr. 73.
A. a. O. ©. 47,
® Eccard, Hist. genealogica princip. Saxoniae sup. ©. 449. 450.
? Aus dem Chr. Sampetr. flammen aud die in Nr. 2212 mitgeteilten
Bere, weldje die Hist. Eccard. 3. 3. 1158 ©. 385 wiebergiebt.
37*
566
Post annos Domini sine binis mille trecentis
Albertus dux Australis prostravit Adolphum,
Regem Romanorum, regno successit eidem.
In Julio mense rex Adolphus cadit ense,
Per manus Australis processit machina malis.
Diefe Verfe vindieirt Poffe einem ältern verlornen Chronicon
Sampetrinum!, Vergleichen wir fie mit den Berjen der uns
befannten anderen Faſſung, jo fällt fogleih der Mittelſatz Alber-
tus — eidem auf, welcher einmal da8 am Schluß ausge-
Iprochene Yactum vorweg nimmt, dann als ein neues Moment die
ZThronfolge König Albrehts anreiht, zu dem dann der wiederholte
Schlußgedanfe nicht paffen will. Aus diefem Grunde jchließe id)
B. 2 und 3 von der originalen Faffung des Denkverfes in feiner
urfprünglichen Einfachheit aus, ohne weiter unterfuchen zu wollen, ob
diejelben der verlorenen Chronif von St. Peter angehörten oder ein
Einjchiebjel des Verf. der Hist. Ececard. find. Keinenfalls find aber
die Denkverſe in diefer, wie Grünhagen? und nad ihm Poffe?
versucht find zu tun, in Verbindung zu bringen mit den fünf und
fünfzig leoninifchen Herametern* der Hist. Eccard. und der Vita
Frideriei Admorsi, dem Bruchſtücke eine8 größeren Gedichtes.
Die Gründe, twelche Grünhagen für feine Anficht anführt, die
Schreibung der Yahreszahlen mit römischen Zahlzeihen und diefelbe
Art des metriſchen Ausdrucdes der Yahreszahlen, als die, welche auch
in anderen Ableitungen aus dem verlorenen Chr. Sampetrinum vor—
fomme, brauchen nicht weiter widerlegt zu werden, da obige Merkmale
nicht vereinzelte Kriterien find, fondern zu dem ganzen Charafter der
Memorialverfe gehören.
Meine Beweisführung ſtützt fi) freilih auf ein bislang till
ichweigend poftulirtes Argument, auf die Behauptung, dag die Schluf-
worte obiger Verſe verderbt jind und für processit machina malis
zu lefen ift: Processi Martiniani. Der Text der Flor. temp. bei
Eccard? hat eine ähnliche Corruptel: processit Martiniani, während
die Ausgabe bei Meufhen S. 131 hat: Processi Martiniani.
Grünhagen® Hält freilich dafür, daß die lettere Yesart „weder
einen grammatischen Sinn“ gebe noch „aus metrifchen Gründen“
ftatthaft fei, um jo weniger, da der Endreim auf Australis fehlen
würde. Die Unrichtigfeit jener Behauptung braucht nicht erſt be=
wiejen zu werden: diefe würde fich hören lafjen Fönnen, wenn Grün
hagen den Beweis für die Originalität der Yesart “Australis’ erbrächte;
jegen wir mit den übrigen Gewährsmännern Austriaei oder lieber Au-
strani, fo ift der grammatifche und auch der logische Sinn wiederhergeftellt.
Forſch. a. a. O. ©.
— in der Brut für tür. Geſch. Bd. III.
Forſch. a D. ©
Siehe — ©. Ir
Corp. hist. a. a. O. ©, 1633,
9.0.0.6, 92,
oa u >» = =
567
Die Sächſiſche Chronit des Cyr. Spangenberg ©. 468 zum
%. 1298 und die von Defterley nicht beachtete Vita Friderici Ad-
morsi des Tentelius haben die faljche Lesart offenbar ſchon vorge—
funden, und jene zieht daher nur den erften (mit der unbedeutenden
Veränderung bi8 minus anno) und den leßten der oben angeführten
fünf Verſe an, läßt alfo die Hauptjache in V. 4 aus.
Auch bei Engeldufius finden fich die befannten fünf Verſe wieder ;
diefer trennt aber ausdrücklich die erjten drei von den legten durch
ein ‘item’ und hat außerdem die richtige Lesart. Da nun Engelhu—
fins nach Poffe! aus der verlorenen thüringiichen Chronik von ©.
Peter fchöpfte, fo haben wir damit einen Beweis dafür erbracht, daß
die oben von uns ausgejchiedenen Verſe dem urfprünglichen Chr.
Sampetr. fremd find und von dem Verf. der Yandgrafengejchichte
herzurühren jcheinen.
Aus der Chronik des Engelhufius gingen die drei erjten Verſe
in die Meigener Annalen des Chemnigers Georg Fabricius ? über mit
einer geringen Variation des erjten Verſes. Auf thüringifche Quellen
weiſt auch die Sächſiſche Chronik des Cyriacus Spangenberg, in der
die Verſe in zwiefacher Form, die eine für das %. 1299, die andere
für das %. 1298, angegeben wird: „Etliche ſetzen diefe Schlacht ein
jar ehe, wie diefe Berflin mit ſich bringen“; die Faſſung 3.%. 1298
hat von Nr. 16&. 23 nur die erften zwei Verje, die zum J. 1299
die Variante ruit ense’ und die oben angegebene Tertverderbniß.
Aus der verfchiedenen Zeitangabe für die Schladht bei Göllheim
dürfen wir jchliefen, daß dem Autor der fie in das J. 1299 verle-
genden Memorialverfe die Erinnerung an jenes Creigniß nicht mehr
frisch im Gedächtnijfe war, daß er aljo Später fchrieb als der Verf.
der Verſe, welche die richtige Fahreszahl angeben. Bon den Chro—
nifen, welche die Schlaht in d. J. 1299 ſetzen, können wir den
Mainzer Bifchofsfatalog de8 1609 verjtorbenen Decans Yohannes
Latomus an der S. Bartholomäi-Kirche zu Frankfurt und Spangen—
bergs ſächſiſche Chronik? als jüngere Quellen außer Acht laſſen;
größere Aufmerkfamteit beansprucht die Chronif de8 Mathias von
Neuenburg *.
Es entſteht die Frage, woher Mathias ſeine Verſe geſchöpft
hat; er ſelber ſagt: De quo (Adolfo) scripti sunt versus; er
entnahm fie alfo einer fchriftlichen Weberlieferung. Nach Soltaus®
Unterfuchungen hat Matthias zu feiner um das %. 1353 compilirten
Chronik treffliche Aufzeichnungen eined anonymen Bafelers ® benukt,
ı A. a. O. S. 347. 348.
2 G. Fabricii Chemnicensis Ann. urb. Misnae L. II, ©. 122 ad
ann. 1302. Engelhufins wird BURN, * ſo S. 120 und 195.
s Defterley, a. a. DO. ©. 27 Nr.
+ Bei Studer ©. 32; Bhar Erb Font. rer. Germ. IV, ©. 170.
5 Der Berf. ber Chronit des „Matthias von Neuenburg“, Progr. des
Gymnaſiums zu Zabern 1877, ©. 24.
6 Der Berf. ſcheint nur nicht gerade Heinrich Schörlin, wie Soltau S. 14
568
den er auch auf S. 14, wenn anders ich fein Fragezeichen recht
deute, Cap. 33, dasjenige nämlich, in welchem die beregten Verſe fich
finden, zufchreiben möchte. Ob die Verſe gerade der Chronik des Ba»
jelers entnommen wurden, ift nicht auszumachen ; hingewieſen mag
noch darauf fein, daß jene auf minoritiichen Einfluß vielleicht zurück—
gehen, da zu Neuenburg am Rhein ein Minoritenklofter war!. —
Die Verſe bei Oeſterley S. 22 Nr. 11 wären beſſer mit denen
in Nr. 159 ©. 36 zu einer Nubrif zu vereinen geweſen; ein Blick
lehrt, daß die unter der legten Nummer ıwmitgetheilten drei Verſe nur
ein Fragment der in Nr. 11 gegebenen fein fünnen. Dieſe erzählen
zunächſt den Zug Herzog Albrechts von Defterreidh im. 1298 gegen
König Adolf, welcher in der Schlacht fällt; die Wahl des Defter-
reicher zum deutfchen Könige, jeine Krönung und ſchließlich feine
Ermordung am 1. Mai 1308. Es ſind diefe Ereignijje in 9 Verſen
überliefert in den Annalen eines Samländer Domberren ?; die letzten
drei Berfe hat der fogenannte Martinus Fuldensis® und die von
Oeſterley überjehene Klingenberger Chronik *,
Der Samländer Domherr compilirt? hauptſächlich aus den An—
nalen von Melt, Salzburg und Admunt, bemußte die dritte Klojter-
neuburger und die zweite Heiligenkrenzer Fortſetzung; wir dürfen da=
her annehmen, daß er von Oefterreid her die Keuntnig der Verſe
erhalten hat; gleichwohl werden wir nicht mit Bejtinnmtheit beweifen
fönnen, daß ihm alle die aufgezählten Gejchichtswerfe vorgelegen haben ;
er mochte die Nachrichten in einer Älteren, originaleren Faſſung, aus
der diejelben erft im jene übergingen, vereinigt vorgefunden Haben ®,
Bemerfenswerth ift jedenfalls, daß ung an der äußerften Grenze des
Reiches, im Nordoften, Verje begegnen, deren urfprüngliche Hei—
mat Defterreich oder die Schweiz ift.
Der fogenannte Martinus Fuldensis, eine Chronif, welde man
ich weiß nicht mit welchem Rechte einem Fuldaer Mönche zufchreibt,
ift bislang einer Fritifchen Unterjuhung und Analyfe noch nicht unter-
worfen worden. Die Chronik ſcheint mir zwijchen 1378 und 1380
abgefaßt? zu fein, alfo in verhältnigmäßig fpäter Zeit, ſodaß fie fei-
und 24 vermutbet, zu fein, da das Benehmen diefes Ritters im jeinem Quartier
zu Nürnberg — Studer C. 21, S. 20 — nicht gerade der Art war, daß er
daffelbe der Nachwelt hätte überliefern follen. Freilich wird „Vivianus nur
mit Hinweis auf Heinrih Schörlin in die Chronik eingeführt“; diefer Umftand
beweift aber nicht, daß Letsterer der Berf. jener Aufzeichnungen war.
ı gütolf, a. a. O. ©. 574.
2 M.G. SS. XVI, 700 und gleichfalls SS. rer. Pruss. I, 279 nidt
8. II, wie bei Oefterley a. a. DO. ©. 22 fteht.
3 Bei Eccard, Corp. hist. I, 1722.
MA. a. O. ©. 47.
5 M. G. SS. XVI, 696.
° Diefer Anficht ift Mar Toeppen, der Herausgeber d. Samländer Auf.
zeichnungen in deu SS. rer. Pruss. I, 274.
Das mag aus der Bergleihung folgender Stellen hervorgehen: Eccard
©. 1731 Streit um den Mainzer Stuhl zwilchen Adolf von Raffau und Lud—
569
neswegs mit der Klingenberger Chronik, welche im übrigen feine Ver—
wandtſchaft mit ihr zeigt, um das Alter der Verſe ftreiten wird. —
Memorialverfe über die Schlacht bei Göllheim und den Tod
Adolfs leſen wir nod) in den Versus Babenbergenses (M. G. SS.
XVII, 639) und in der Chronik Heinrich von Rebdorf, welcher in
den fechziger Jahren des 14. Yahrh. fehrieb und den Minorita fort=
fegte!; über den Tod König Albrechts durch Johann von Schwaben
bei Johann von Winterthur, in den Augsburger Annalen von ©.
Uodalrid; und S. Afra, ohne daß diefelben auf eine Verwandtſchaft
untereinander hindeuteten. Werner find noch auf den Tod König
Adolfs Verſe erhalten, weldye auf eine Wand der Kirche des Frauen=
Flofters NRojenthal bei Worms gefchrieben wurden, wo die Gebeine
des erichlagenen Königs eine Auhejtätte fanden. Sie tragen nicht
mehr den eigentlichen Charakter von Denkverfen, ſondern gleichen eher
einem Epitaphium. Da diejelben an einer entlegenen Stelle im kri—
tiſchen Apparat des Buches von J. Geiffel, Die Schladht am Hafen-
bühl u. ſ. w. ©. 110, ſich finden, mag e8 der Mühe werth fein, fie
hier zu wiederholen:
Heu vieibus mille, quod Adolphus nobilis ille
Rex Romanorum, vir multorum meritorum,
Strenuus in bellis, homo mellis, non homo fellis,
Electus rite, concorditer et sine lite,
Et non convictus, pro justitia necis ictus,
Sustinuit dire magis optans laudis inire
Mortem famose, quam vivere dedecorose.
Divus vir factus, effuso sanguine nactus
Tantam virtutem, quod nune conferre salutem
Dieitur aegrotis. — Nostris, Deus, annue votis,
Ut tua laus crescat et rex in pace quiescat.
Wir knüpfen hier eine Beſprechung der mit Vorliebe von den
Chroniſten des Mittelalter8 oft commentirten und angezogenen Denk—
verfe auf den Papſt Bonifaz VIII. an, welche in einem für ihm nicht
gerade jchmeichelhaften Wortjpiel mit feinem Papftnamen Bonifaz und
feinem Taufnamen Benedikt bejtehen. Sie lauten jo:
Nomina bina bona tibi sunt, praeclarus amictus,
Papa Bonifacius modo, sed quondam Benedictus.
Ex re nomen habe: benefac, benedic, Benedicte;
Aut eito perverte: malefac, maledie, maledicte?,
wig Biſchof von Bamberg vergl. aud) Chronici Moguntini miscelli fragm.
collecta bei Böhmer, F. r. G. IV, ©. 373 zum 93. 1373 und ©. 375 3.9.
1379. — Ferner ift der Schluß der Chronik für die Zeitbeftimmung beadhtens-
werth, two e8 von dem Gegenpapft Clemens VII. heißt, S. 1732, daß er unter
dem Schutze des franzöfiichen Königs Karl V. in Avignon lebe.
i Huber-Böhmer, Font. rer. Germ. IV, 509. Die Berje klingen an
die 3. 3. 1298 mitgetheilten an.
2 Defterley, a. a. O. ©. 39 Nr. 188.
570
Mo mögen bdiefe Verſe entjtanden fein? Oeſterley weiſt fie nad
bei dem Regensburger Arhidiacon Eberhard, bei dem Salzburger Erz⸗
biſchof Weihard Polhaim und bei dem Lübecker Dominikaner Her-
mann Korner; ich finde fie weiter unter den Deutjchen bei Engel-
huſius!, wo der letzte Vers eine unbedeutende Variante hat. Da die
beiden letten Schriftiteller im Verhältniß zu den erjtgenannten um
ein Bedeutendes fpäter lebten und daher außer Acht gelaffen werden,
find den zwei übrigen noch die italienischen Chroniften des 14. Jahrh.,
vor allem der Dominikaner Franciscus Pippinus aus Bologna, gegen-
über zu ftellen. Kamen nun die Verſe aus Stalien oder find fie in
Deutfchland entftanden? Eberhard von Regensburg vollendete fein
Gefchichtswert um das Jahr 1305 ?; ob er die Verfe etwa aus Al-
taicher Aufzeichnungen entnommen oder ob er jelber ihr Verſaſſer iſt,
läßt fih, da die Forſchung über Eberhards Werk noch nicht abge-
Ichloffen ift®, nicht ausmachen.
Meichard Bolhaim foll nur bis zum J. 1307 der Verfaſſer ber
unter feinem Namen gehenden Salzburger Annalen fein‘; da nun der
größte Theil des Werkes des Regensburger Ardidiaconus in Salz:
burg benutt wurde?, fo mögen auch die Verfe über Bonifaz von
Negensburg dorthin gemwandert fein. Indes ift durchaus nicht aus—
geichloffen, daß der Erzbiſchof Weichard diejelben mit aus Nom
brachte, wohin er gereift war, um von Saifer Heinrich VII. die Re—
galien zu empfangen. In Italien die Heimat der Verſe zu jehen,
Scheint mir die zunächſt liegende und natürlichjte Erffärung zu fein —
da die italienischen Chroniften, welche die Verſe mittheilen, jpäter
ichreiben als die deutichen, müßen fie uns zur Löſung der Trage
nichts; — im andern Falle ftänden wir vor der eigenthimlichen Er—
ſcheinung, daß Spottverfe auf einen Papft aus Deutjchland über die
Alpen gewandert wären und daſelbſt eine außerordentlicd große Be—
liebtheit erlangt hätten.
Raifer Heinrich) VII. hat, wie Lorenz treffend hervorhebt ®, bie
Verſificatoren beſonders angeregt; feine ritterlihe Erſcheinung, fein
ehrenwerther Charakter, der Glanz feines Römerzuges und fein jähes,
von merfwürdigen Umftänden begleitetes Ende mögen die Luft zum
Reimſchmieden angefacht haben.
Leibniz, SS. rer. Brunsvic. II. 1123.
Lorenz, Geſchichtsquellen Deutichlands im 13. u. 14. Jahrh. I, 152.
Lorenz, a. a. D. ©. 152, Anm. 3.
Lorenz, a. a. D. ©. 175.
Lorenz, a. a. D. ©. 152.
° Lorenz, a. a. DO. II, ©. 129. — Größere und Heinere Gedichte im
Tateinifcher und in deutfcher Sprache find mehrfach erhalten. Die nad) Lorenz
N. 7 im Serapeum 1856, S. 247 befindlichen werben jet beffer in d. For-
[Hungen Bd. XV, ©. 591 gelefen. Ebenda in NR. 7 muß e8 heißen: Arch.
stor. ital. Append. IV, 160, 1847. — Ein Gebiht ‘De adventu impera-
toris in Lombardia, in MCCCXT' ift in den Rime istoriche d’anonimo
Genovese enthalten im Arch. stor. ital. App. IV, 50 u. f.
u er
571
Ich knüpfe an die ſechs Verſe in Nr. 101 ©. 31 an, eine
Todtenklage um dem Kaifer, welcher dur einen Dominifanermönd)
(Jacobita) vergiftet und in Pija unter lebhafter Theilnahme der Be-
völferung im J. 1313 beigejegt wird. So nad) den Verſen der von
Defterleyg angezogenen Chronit des Fuldaer Martin!. Außer ihm
finden fich diefelben Verſe nody in der Klingenberger Chronit ©. 47
und in der Fortjegung der Kirchengefchichte des Italieners Tolomeo
von Lucca?, welche, wie ich nachgewiefen zu haben hoffe’, von dem
Tranzofen Bernardus Guidonis fortgefet und von dem Konftanzer
Domherrn Heinrich von Diejjenhoven interpolirt wurde. Die Verſe
auf Heinrid VII. Zod gehören der verbeffernden Hand des Letzteren
an; Dieffenhoven beginnt aber erjt Anfang der vierziger Jahre des
14. Yahrhunderts zu fchreiben*, alſo weit jpäter als der Verf. des
ältejten Theiles der Klingenberger Jahrbücher. Welche Chronik ſich
auch rühmen mag, jene Verſe zuerjt ihren Leſern mitgetheilt zu haben,
jo viel ift fiher, daß die Spuren ihrer Heimat auf die Schweiz
hinweiſen.
Eine ähnliche Todtenklage enthalten die Aunalen von S. Uodal—
rih und ©. Afra®; Oefterley hätte hier die Verſe bei J. Wolf,
Lectiones I, 527, und bei %. Hocfemius® anfügen können, Sr
ſchöpft aus Joannes Presbiter; Ni Verſe lauten fo:
Anno milleno C ter I junctis duodeno
Regi Romano fuit in potu male sano,
Henrico vita privata viro Jacobita
Mortem quod sydus sexto Julii subit idus.
Das Datum des Todestages iſt ſowohl hier falſch angegeben als
in den Annalen des Augsburgijchen Klofters, es fei denn daß man
unter den Worten ‘crastino sancti Timothei’ den Feiertag des Ti—
motheus und Apollinaris, welcher auf den 23. Aug. fällt, alſo nur
um ar Zag von dem wirklichen Todestage abweicht, verſtan—
den hat.
Einen Zimotheustag als Sterbetag geben ferner folgende Verſe
an, welche in einer mit Heinrih VIL und Clemens V. abſchließenden
Papft- und Kaiferchronik zum Fahre 1313 am Schluſſe geleſen wer»
den?, nachdem der Tod des Kaiſers, ohne daß eine Vergiftung er—
wähnt wäre, erzählt worden ijt:
1 Eccard, a. a. O. S. 172
8 Muratori, SS. rer. —8 T. XI, 1209.
° König, Ptolemäus von Lucca und bie Flores chronicorum des Ber-
nardus Guidonis. Würzburg ©. 68.
* Lorenz, Gefhichtsquellen ©. F
Bei Oeſterley Nr. 147 ©.
® Hist. episc. Leod. bei — II, 355, auch N Barthold, Geld.
bes Römerzuges K. Heinrich VII. Bd. LI, Beilage 26.6
" Im einer Handihrift des dierzehnten Schehunderte” nbr. fol. auf der
Wiener Hof- und Staatsbibliothel 2161 (Jus canonic. 53) angeführt in Pertz
Arhiv X, 487 und in der ur verwandten 4265 (Univ. 815), ebend. X, 513
(Gedrudt 88. XXIV, S. 288. G. W.).
572
Annis millenis tria C X cum tribus I que
Proh dolor Heinricus cesar probitatis amicus
In festo duplici Tymothei Symphoriani,
Toxatus calice moritur Domino miserante.
Jure dolet mundus, quod Jacobita secundus
Judas nunc extat, mors cesaris hoc mani-
festat.
In diefen Verfen wird alfo der 22. Auguft irrthümlich als To—
deötag angegeben. Die letten zwei ftimmen mit den Anfangsverfen
in den Slingenberger Jahrbüchern und mit der Fortfekung der
Kirchengefchichte des Tolomeo überein; follten num die vier erjten zu
diejen gehören? Es erfcheint mir zweifelhaft, da wir dann eine Wie-
derholung hätten in der Angabe der Yahreszahl, de8 Tages, der Hei-
ligen und des eigentlichen Factums der Vergiftung. Es wird daher
der Schreiber diefer Chronif aus den uns befannten Verſen eine Pa—
raphrafe in Gejtalt jener vier gebildet und die erjten zwei, mit denen
die Todtenklage beginnt, ohne Veränderung Hinzugefügt haben. —
Auf den Römerzug Kaifer — VII. und die an denſelben
geknüpften Erwartungen gehen folgende Verſe!, welche eigentlich aus
dem Rahmen unferer Beiprehung herausfallen, da fie feine Denk—
verje, ſondern Prophezeiungen find. Indes findet ſich doch ein Zu—
jammenhang mit jenen fpäter. Die Verſe lauten:
Gallorum levitag Germanos justificabit,
Italie gravitas, Gallo confuso, negabit.
Annis millenis ducentis et nonaginta,
Bis denis adjunctis, consurget aquila grandis.
Gallus subeumbet, aquile vietricia signa
Mundus adhorabit, erit urbs vix presule digna;
Constantine, cades, et equi de marmore facti,
Et lapis erectus, et multa palatia Rome.
Papa cito moritur, cesar regnabit ubique,
Sub quo tunc vana cessabit gloria cleri.
Daß wir e8 mit einer wirklichen Prophezeiung, nicht mit einem
Vaticinium ex eventu zu thun haben, lehrt der Inhalt: der Papft
ftirbt raſch; die Franzofen werden unterliegen, das Reiterftandbild des
Mark Aurel, welches auf „den Namen des Kaiſers Conftantin ge=
tauft wurde, nachdem die Neiterfigur Conftantind am Severusbogen
untergegangen war“ ?, wird fallen; überall wird der Kaiſer herrſchen
und unter ihm der eitle Ruhm des Clerus aufhören. Wir jehen,
der Verfaffer diefer Prophezeiung verräth große Unfenntniß der poli=
tifchen Verhältniffe, oder feine im Spiel der Phantafie Hingeworfenen
1 m einer Wiener Handfchrift des 14. Jahrh. mbr. fol. Rec. 676, Schn.
U, 606, jett 447. Sie enthält die Summa dictaminis des Thomas von
— * ber letzten Seite die Prophezeiung. Angeführt in Pertz Archiv
» Gregorovius, Geſch. der Stadt Rom II, 388. 389.
573
Gedanken fpiegeln nur die Wünfche feines Franzofen- und Clerus⸗
feindlichen Herzens wieder, das fich bei der Kunde von dem neuen
Heereszug über die Alpen in obigen DBerfen Luft machte. Daher
wird ſchwerlich ein Geijtlicher ihr DVerfaffer fein. Aus dem topo=
graphiſchem Detail auf einen Ytaliener oder fpeciell einen Römer zu
ſchließen, wäre jicherlich übereilt, denn der Autor konnte die Bezeich—
nung der Lofalitäten aus der Chronik des Martin von Troppau ent«
nehmen, welcher uns in fchematifcher Weife den Stadtplan mit allen
Thoren, Baläften und Tempeln mittheilt. Die bezüglichen Stellen
find diefe: Item regen Constantini, ubi est quidam equus
ereneus cum insidente, qui dieitur Constantinus, sed non est.
Ferner bei der Zahl der Tempel: Item juxta caballos marmoreos
fuit templum Saturni et Bacchi, ubi nunc jacent simulacra
eorum?; der Schluß dieſes Capitels Klingt auch an die Weilfagung
an: Hec et alia palacia multa et templa cet.
Ein launenhafter Zufall war es, daß falt vierzig Jahre fpäter
diefe Berje den Kapuzinermönchen im Engelberg bei Miltenberg am
Main in die Hände geriethen; die Liebhaberei , welhe man nad) dem
Geſchmacke der Zeit an Denkverfen und Prophezeiungen fand, erlaubte
jelbft eine Anwendung diefer auf Verhältniffe und Zeiten, auf welche
der Inhalt gar feinen Bezug Hatte, ja nicht einmal den Vortheil
einer hiſtoriſchen Parallele bot. Und was mengte man da alles zu=
jammen: Verſe auf ben Tod Königs Adolfs, mit Anklang au die
oben beſprochenen; eine Bitte an Gott, fi der in der Schlacht bei
Woringen im %. 12838? Gefallenen und Gefangenen gemädiglich zu
erbarmen und fchließlic; die Weiljagung aus dem %. 1310, melde
jest für das %. 1349 zu gelten hat, ohne daß ſich nur die geringfite
—— Beziehung finden ließ.
Wir ſetzen hier den Anfang dieſes hiſtoriſchen Quodlibets hin:
Nota versus de obitu regis.
Mille tricenteno ruit Adolffus sine deno
Ense sub Alberti, Processi Martiniani.
Mille tricentis Domini bis sex minus annis
Warninch detentis parcas Deus atque peremptis!
Anno milleno tricenteno nono deno
Ter deno junctis consurget aquila grandis* u. ſ. w.
In einer Ähnlichen Betrachtung über die Todesart Heinrich VII.
ı M.G. SS. XXII, 400.
2 M.G.SS. XXII, 402.
°* Daß unter “Warninch’ Woringen verftanden if, bemeift auch eine
Stelle aus den Ann. Moguntini 3. 3. 1288 in d. M. G. SS. XVII, 3, wo
der Ort Worneg, nad) einer andern Handſchrift Wurnec genannt wird.
* Betreff des Tertes in den Monumenten einige Bemerkungen: Das
Komma hinter signa im 7 B. wird wohl befjer zu tilgen fein; dem Sinne
nad) kann man aquile nod) zu succumbet, wie wohl zu (efen fein wird,
ziehen.
574
wie in den oben mitgetheilten Verſen ergehen ſich die Annalen des
alten Ciftercienferflofters Golbaz bei Stargard zum %. 1313!
Divulgatur ita, quod prodit quidam Jacobita,
Per virus stravit in missa, quam celebravit,
Corpus Cesareum trideno post jubileum,
A Juda credo non venit tanta gravedo. —
Mir verzeichnen weitere Verſe aus der Chronif des Engelhufius ?:
Milleno tricenteno Henricus in anno
Octavo Domini, sine stirpe primordia regni,
Factus rex; binis regnans cum praefuit annis,
Subdit Lumbardos sibimet filioque Bohemos.
Woher Engelhufius diefe Verfe entnommen, ob er fie jelber ge
dichtet oder fie in den größeren Gedichten, deren er eine Anzahl aus:
zugsweife uns erhalten hat, gefunden hat, wird jpäteren Unterfuchungen
vorbehalten fein,
Greigniffe von großer politiicher Tragweite finden im 13. und
14, Yahrhundert lauten Wiederhall in den Denfverjen: jo die zwie—
fpältige KRönigswahl des J. 1314, der Kampf der beiden Gegner,
die Befiegung Friedrichs des Schönen in der Schladht bei Mühldorf
1322. Uns mögen hier einige Verſe von gleichlautendem Texte be:
ſchäftigen: die einen lefen wir in eincın Bamberger Galendarium, als
Versus Babenbergenses® in der Yitteratur befannt; die andern
ftehen am Schluß einer Aldersbacher Handichrift, welche unter andern
die von Böhmer herausgegebene Chronica de Gestis Principum
enthielt*, Die Verfe derfelben find nah) Böhmers Urtheil von einer
jpäteren Hand des 14. Jahrhunderts, während jene dem 14. und
15. angehören.
Suchen wir die von Dejterley auseinander gerijfenen Versus
Babenberg. wieder zufammen, jo zeigt ein Vergleich derfelben mit
den Verſen der Aldersbacher Handichrift, wie jchledht der Text jener
überliefert ift. Die Varianten find leicht zu finden; ich bemerfe nur,
daß überall der Yesart Jaffes der Vorzug zu geben ijt mit Ausnahme
einer Stelle in den DVerjen, welche das Weinjahr 1332 feiern, wo
mir das ‘michi’ bei Böhmer paläographiich richtiger aufgelöft zu fein
Scheint, al8 das ‘mere’ in den Bamberger Berjen ?.
Ferner fällt auf, daß die Handſchrift aus Aldersbach einige Ge—
denkverſe mittheilt, welche dem Bamberger Calendarium fehlen: ie
zum J. 1356 das Erdbeben zu Bafel und z. %. 1338 die Heu:
ſchreckenplage. Die übrigen Verfe find in beiden Ueberlieferungen
M. G. SS. XVI, 717. Nicht bei Oeſterley.
Leibniz, SS. rer. Brunsy. II, 1125. Nidt bei Defterley.
M. G. SS. XVII, 639.
Böhmer, Fontes rer. Germ. I, Vorrede S. XII.
Defterley, a. a. D. ©. 40 Nr. 201.
a » = DB m
575
diefelben, mur die Reihenfolge der Ereignifje verſchieden: wir verzeich-
nen diefe ach der Aldersbadher Handſchrift.
[1356 Erdbeben in Bajel].
1331 Kampf in Bamberg.
1342! Wafjersnot ebenda.
1332? gute8 Weinjahr.
1348 ? Erdbeben.
[1338 Heufchredenplage].
1335 * Octoberftürme.
1322° Ludwigs von Bayern Sieg über Friedrich von Oeſterreich.
Die Chronologie ift jo wirr wie möglich: anders in den Bam—
berger Berjen, melde mit Ausnahme der Notiz 3. J. 1332, welche
am Ende fteht, eine zeitlich richtige Reihenfolge der Ereignifje beobachten.
Wo werden wir nun die Heimat diefer Berje juchen ? Von Alders-
bach und feinen Mönchen wiſſen fie nichts zu erzählen; dagegen wird
zwei Mal Bamberg als Schauplatz einer Begebenheit genannt; in
Bamberg, dürfen wir vermuthen, wird der Autor das gute Weinjahr
1332, wo er den Wein umfonft erhielt oder dod) fpottbillig kaufte,
und die elementaren Creigniffe der Jahre 1335 und 1348 erlebt
haben. Das Yahr 1322 kommt nicht in Betracht, da es fo bedeu—
tungsvolfe Begebenheiten mit ſich brachte, daß diefe leicht einen Zeit-
genoſſen zu einer poetifchen Verherrlichung veranlafjen konnten. Wohl
aber ſpricht die geordnete Neihenfolge der Creigniffe in dem Bam—
berger Galendarium dafür, daß die Verſe in Bamberg aufge-
zeihnet wurden.
Bon hier find diefelben nad) Süden gewandert; in Aldersbad)
warf ein unglüdlicher Schreiber fie faleidoscopijch durcheinander und
fügte noch eine Notiz über das Erdbeben zu Dajel in %. 1356 bei,
welches ähnlich in den Annalen des Klofters Matfee ® angemerkt wurde,
2 Kaft in derſelben Zeit auch in Köln, vergl. Ann. Agrippin. M. G.
SS. XVI, 737. Oeſterley Nr. 57 ©. 26, Ebenſo Hoher Wafferftand bei
Minden an der Weſer. Defterley Nr. 206 ©. 40.
* Diejes merfen die Ann. Agripp. an M. G. SS. 737. Oeſterley ©. 26
Nr. 55. — Die Versus Babenberg. ©. 40 Nr. 201 find in dem Regifter
der Forid. S. 45 irrthümlich unter die Rubrik d. 3. 1313 gekommen. —
Nr. 206 zeigt unter andern Beifpielen, daß zur Multiplication auch Cardinal-
zahlen verwandt wurden.
s Defterley S. 22 Nr. 13 und S. 28 Nr. 70 find inhaltlid) und wört—
lich faft identiſch.
* Defterley ©. 29 Nr. 79. Im Colbaz raſte faſt zur ſelben Zeit ber
Sturm. Vergl. Notae Colbaziens., M.G. SS. XIX, 719. Oeſterley S. 27
Mr. 67.
5 Bergl. aus Salzburg ſtammende Berje in der Contin. canonic. 9.
Rudberti Salisburg., M. G. 88. IX, 823. Oeſterley S. 24 Nr. 29 und aus
S. Uodalrich u. S. Ara zu Augsburg M. G. SS. XVII, 436. Oeſterley
©. 26 Nr. 54. Ferner die Ann. Ensdorf. SS.X, 8. Oeſterley S. 42 Nr. 220,
wo ftatt jugum Wabarinum zu leſen ift: sub jugum Bawarinum, In
Baiern wird natürlich der Schladht bei Mühldorf am meiften gedacht.
° M. G. SS. IX, 830. Defterley S. 27 Nr. 60.
576
wie über den Heufchredenfchwarm des %. 1338, deffen ebendort in
Berjen gedacht wurde !,
So zeigt fih in der Wanderung der Denfverfe eine Litterariiche
— zwiſchen der Schweiz und bairiſchen und öſterreichiſchen
öſtern.
In der Münchener Handſchrift der Chronik des Johann von
Viktring, des Liber certarum historiarum werden f. 66a adt
Derje gelefen, welche ſich auf die Schladht bei Mühldorf beziehen.
Da fie fi nicht in der Sammlung von Dejterley finden, fegen wir
fie hieher ?, Ä
Annis millenis trecentenis atque vicenis
Adde duos et habes aspera bella ducum
Austri cum Bauro, Friderici cum Ludewico:
Quis dyadema ferat Romuleum, furiunt.
Mars animos acuit, strident acies, fremit ensis,
De palma Baurus rexque Bohemus ovant.
Cum Salzpurgensi cadit Auster presule victus,
Quod dedit Octobris quarta kalenda dies.
Es entfpricht diefe Schilderung der Darjtellung in feiner Chr
nit; der Fall des Defterreichers iſt natürlich figürlich zu verftehen,
und die Perfon des Erzbiihofs von Salzburg vertritt hier die “turma
presulis Salezpurgensis’ der Chronif® oder das Banner defjchen
nad „dem Streit zu Mühldorf“. —
Wir fchliegen mit einigen von Defterley nicht aufgenommenen
Verſen aus der Chronik des Minoriten Johann von Winterthur, di
den Tod Ludwigs befingen:
Mortuus est anno milleno, C triplicato,
Cesar septeno Ludwicus et in quadrageno,
Octobri mense, nullo laesus tamen ense.
Sed dum venatur eques, casumque minatur,
Equo detrahitur, moritur mox, post sepelitur.
Annis ter denis regnum tenuit bene lenis,
Et tribus, ut fatur, cum tempus ei numeratur,
Octava tacta jam mors est luce peracta,
Sancti Francisci confessoris benedicti.
ı 9.a.0D.6©. 829. Oeſterley S. 26 Nr. 161. Das ‘denis’ Ihr
bier überflüffig zu fein. Die zeitgemöffifchen Berichte fprechen alle von biee
Ereiguiß. Spätere, wie Engelhufius und Eyr. Spangenberg, verfificirten #
ebenfalls. Bergl. Defterley S. 36 Nr. 165.
ke Fournier, Abt Johann von Biltring und fein Liber cert. his.
©. 26.
3 Böhmer, Font. rer. Germ. I, 394.
* Böhmer, a, a. O. ©. 165.
Ueber die
Passio Sanctorum Quatuor Coronatorum,
Bon
Edm. Meyer.
Die Legende der Heiligen Vier Gefrönten, obwohl bereit8 1563
in dem Sanetuarium des Mombritins und 1570 in den Vitis pro-
batorum Sanctorum des Surius gedrudt, ift einer unverdienten
Bergeijenheit dennoch erjt durch Wattenbach entriffen worden, der auf
fie in einem Gothaer Coder ftieß und in richtiger Würdigung ihrer
Bedeutung danach einen neuen Text in den Situngsberichten der
Wiener Akademie 1853 veröffentlichte. Seitdem hat fie in fo weiten
Kreijen Aufmerkſamkeit und Intereſſe erregt, daß eine eigene Kleine
Literatur über fie erijtirt. Neben v. Karajarı, der Wattenbachs Text
mit einem Nachworte begleitete und darin einige wichtige Puncte der
Legende erörterte, hat ic) vorzugsweife Mar Büdinger große Ver—
dienfte um fie erworben, indem er nicht nur die Theologen Keim
und Hunzifer und den Archäologen D. Berndorf zu Unterfuchungen
über fie veranlafte, fondern ihr auch felbit eingehende Studien wid-
mete!. Jedoch troß der Arbeiten diefer Gelehrten jcheinen die Fragen,
zu denen die Legende Anlaß giebt, noch nicht immer richtig beantwortet
zu fein, fo daß 3. B. die furzen literarifchen Notizen Wattenbachs in
den Gejchichtsquellen ?, die doch aber die Quintejjenz der Forſchung
geben jollten, weſentlich umzuändern fein dürften. Vor allen Dingen
hat man nicht gefehen, dag man es in einen Theile der Legende mit
einer Unterfchiebung der eigenthümlichhten Art zu thun hat.
Die Legende berichtet und von fünf Arbeitern in einem Stein—
bruche Pannoniens, die ſich durch ihre Gefchieflichkeit fo auszeichneten,
daß der funftfinnige Diocletian, der einſt den Steinbruch bejuchte und
darin eine Neihe von Bildwerfen anfertigen Tieß?, ihnen vor ihren
1 Büdinger befprad) die Legende zuerft Fury im feiner Defterreichiichen Ge—
ſchichte (Leipz. 1858) I, 34; feine Hauptabhandlung fteht in feinen Unterſuchungen
zur röm. Kaifergeichichte III, 357 fi. Eben Hier befinden ſich auch Hunzikers
Arbeiten (II, 262 ff. w. III, 3 ff.) und Benndorfs archäologische Bemerkungen
(III, 359 ff.); auch Wattenbad hat hier auf Büdingers Anfuchen nad) befjeren
Handſchriften einen neuen Text gegeben. Keims Abhandlung fteht in Heyden«
heims Deutfcher Vierteljahrsſchrift III, 3 fi. — Durch Widerfpruch gegen eine
Behauptung Büdingers ift veranlaßt die Abhandl. U. Dunders im Rh. Muf.
1876, 440 fi.
2 ], + 38 med.
° In den Steinbrüchen befanden fid) häufig auch Bildhauerwerfftätten, ſ.
Bennborf 1. c. 341.
XVIIL 38
580
617 Mitarbeitern nicht nur Lob, fondern auch große Belohnungen
zu Theil werben ließ. Sie heißen Claudius, Nicoftratus, Sympho—
rianus, Gaftorius und Simplicius. Von diefen fünf find aber die
vier erften heimlich Chriften, der fünfte, Simplicius, ift zwar noch
Heide, aber durch langjährige Freundſchaft und Arbeitsgemeinichaft
mit den Chriften fo verbunden, daß er vonvornherein von Claudius,
der zuerft als Wortführer auftritt, al8 zu ihm und feinen chriftlichen
Genoſſen gehörig bezeichnet wird. Das Geſchick diefer Arbeiter be—
ruht nun eben darauf, daß fie alles in Chrifti Namen thun, und das
Glück, welches fie in Folge deffen auch begleitet, ijt jo auffallend, daß
auch Simplicius fich zu dem Gott befehrt, der es verleiht. Cr wird
von dem in dem Steinbrucdhe gefangen gehaltenen Biſchof Cyrill von
Antiochia getauft und unterfcheidet fi) nunmehr in nichts von feinen
urſprünglich chriftlichen Genoffen.
Die Auszeihnungen jedoch, welche der Kaifer den fünf Freunden
hat zu Theil werden laffen, haben ſchon lange den Neid der techni⸗
chen Yeiter des Steinbruches erregt, und als die Chriften, nachdem
fie viele Aufträge Diocletians ausgeführt, einſtmals auch dem wieder:
holten Aufforderungen des Kaiſers gegenüber ſich beharrlich weigern,
eine Statue des Aesculap anzufertigen, werden fie von den Philo-
fophen — fo heißen die technischen Leiter — dem Kaifer als Chriften
angezeigt. Obwohl Diocletian diefe Denunciation zuerft zurückweiſt,
fieht er fich dennoch genöthigt, „damit nicht die Verehrung der Götter
untergehe“ , dem Drängen der Philofophen nachzugeben und gegen die
Chriften einen Proceß auf Saerilegium zu inftruiren. Auch hier wird
mit großer Milde vorgegangen, aber da die Chriſten unerſchütterlich
bleiben, ertheilt Diocletian endlich den Befehl, fie in bleiernen Särgen
in den bei dem Steinbruch vorbeifliegenden Fluß zu verſenken. Cie
ftarben, heißt e8, am 8. November; und nun folgt ein Stüd, de
des beſſeren Verftändnifjes wegen volfftändig umd im Urtext mitgetheilt
werden muß.
In ipsis autem diebus ambulavit Dioclitianus exinde ad
Syrme!. Et post dies quadraginta duos quidam Nicodemus
christianus levavit loculos cum corporibus et posuit in domo
sua. Rediens vero Dioclitianus ex Syrme post menses unde-
cim ingressus est Romam et statim jussit in Termas Traja-
nas templum Asclepii aedificari et in eo simulacrum fieri es
lapide proconisso, Quod cum factum fuisset, praecepit omnes
curas in eodem templo in praeconias cum caracteribus infigl
et jussit, ut omnes militiae venientes ad simulacrum Asclepi
sacrificiis seu ad thurificandum compellerentur, maxime autem
urbanae praefecturae milites. Cumque omnes, ut dietum est,
ad sacrificia compellerentur, quatuor cornicularii quidem, quo-
rum nomina haec sunt: Severus, Severianus, Carpoforus et
. ! Diefe Stadt war vorher noch nicht erwähnt, fondern nur im Allge
meinen von Pannonien gefprocen.
581
Vietorinus, hi compellebantur ad sacrificandum, sed ipsi re-
luctantes nec omnino consensum impiis praebentes. Nuntia-
tum est Dioclitiano imperatori, quos ilico jJussit, ut ante ip-
sum simulacrum ictibus plumbatarum caesi deficerent. Qui
cum diu caederentur, emiserunt spiritum. Quorum corpora
Jussit in platea canibus jactari, quae etiam corpora jacuerunt
diebus quinque. Tunc beatus Sebastianus venit noctu cum
Melciade episcopo et collegit corpora et sepelivit in via La-
vicana, miliario ab urbe Roma plus minus tertio, cum aliis
sanctis in arenario.. Quod factum est eodem tempore, sed
cum post duos annos evenisset idem VI. Id. Nov. et nomina
eorum repperiri minime potuissent, jussit beatus Melciades
episcopus, ut sub nomina sanctorum Claudii, Nicostrati, Sym-
phoriani, Castorii et Simplicii anniversaria recolatur dies
eorum.
Hiernah muß ſich jedem eine doppelte Bemerkung aufdrängen :
einmal, daß unter einem Titel zwei Legenden vorliegen, die im Grunde
jo gut wie gar feinen inneren Zufammenhang haben !, und zweitens,
daß beide dem Titel nicht entfprechen. Denn zunächſt muß der Titel
offenbar auf die Hauptlegende, d. h. die erjte, bezogen werden, welche
die zweite an Umfang faft zwölfmal übertrifft ?; allein im diefer treten
ftatt der vier Heiligen, die der Titel ankündigt, fünf auf, Mit
Wattenbach aber dieje Differenz daher zu erklären, daß von den fünf
Arbeitern urfprünglich nur vier Chriften waren, geht nicht an, weil,
wie bereit8 hervorgehoben, der fpäter befehrte Simplicius nicht nur
vonvornherein al8 zu ihmen gehörig bezeichnet wird, jondern — und
darauf kann e8 für den Titel allein ankommen — im Puncte des
Martyriums den vier urjprünglichen Chriften volljtändig gleich fteht.
Der Zahl der Märtyrer nad) würde aljo die zweite Legende
bejjeren Anſpruch auf den Titel haben, aber fie fteht Hinter der erjten
nit nur an Umfang, fondern auch an Intereſſe derart zurüd, daf
es nicht angeht, den Titel auf fie zu beziehen.
Wenn hieraus zu folgern ift, daß der Titel Feiner von unfern
beiden Legenden urjprünglich zugefommen fein kann, jo wird diefer
Schluß noch durch einen andern Umstand beftätigt: feine von beiden
erklärt den eigenthümlichen Namen „Gekrönte“. Denn ihn zu
deuten = martyrio coronati (nad) einer befannten Stelle der
Dffenbarung Joh.) ift deshalb unzuläffig, weil die Heiligen dann nur
in ganz allgemeiner und darum nichtsfagender Weile al Märtyrer
bezeichnet jein würden, während doch der Name durd) eine charafte-
riſtiſche Eigenfchaft hervorgerufen fein wird. Und ebenfowenig darf
coronati als die mit einer corona (civica, muralis) „Decorirten“
aufgefaßt werden. Ganz abgejehen davon, ob die Römer coronatus
je in diefem Sinne gebraucht haben, verftand es fi) von den Flügel—
2 Dies erkennt aud; Wattenbadh an, f. u.
2Nach den Zeilen in Wattenbachs neuem Tert berechnet.
38 *
582
männern der zweiten Legende — und auf diefe allein würde der Aus-
druc dann bezogen werden können — doch keineswegs von jelbt, daß
fie „decorirt“ waren, fondern mußte gejagt werden; und wie Died
durch einen Zuſatz zu corniceularii wie “ique coronati’ leicht zu
fagen war, fo wäre e8 ohne Zweifel auch gejagt worden, um die
Chriſten in einem noch bejjeren Lichte erjcheinen zu Lafjen.
Jedoch wenn auch feine der uns vorliegenden beiden Yegenden
für die echte der Vier Gefrönten gehalten werden kann, fo ijt doch
offenbar eine von ihnen durch irrthümliche Tradition zu dem Titel
gefommen; und fragen wir ung, weldhe?, jo kann die Antwort nicht
zweifelhaft fein: der Titel bezieht fi) auf die Hauptlegende, d. h. bie
erste, zu der fi) die zweite nur wie ein Anhängſel verhält.
Mithin wird ſich das Räthſel, das uns offenbar in der Passio
vorliegt, in folgende Puncte gliedern: 1) wer find die wahren Vier
Gefrönten gewejen? 2) wie ift die erjte Legende — fie mag ber
Kürze wegen die pannonifche genannt werden — zu dem faljchen Titel
gefommen? und 3) was hat es mit der zweiten Legende am Schluß der
eriten für eine Bewandtniß, d. 5. was hat die Vereinigung beider
Legenden bewirft.
An die Löſung diefer Fragen iſt erſt Büdinger herangetreten ;
bie Forſchung vor ihm hat fid) vorzugsweife dem fachlichen Inhalt
der erjten Legende zugewendet, indem fie deren Glaubwürdigkeit zu
erweifen fuchte und ſich deshalb die Aufgabe ftellen mußte, Zeit und
Ort des Martyriums ausfindig zu machen. In Zufammenhang mit
den obigen drei Fragen ftehen diefe Unterfuchungen zwar nicht, weil
man aber aud) hier und zwar namentlich Hinfichtlich der Beitimmung
der Zeit auf Abwege gerathen jcheint, verlohnt es fi), die früheren
Anfichten einer Kritif zu unterwerfen.
In dem Nachworte, mit welchen, wie bemerkt, Karajan Watten-
bachs Text und Einleitung 1.1. begleitete, hatte er aus der Datirung
von Gejegen, die uns im Codex Justinianeus nod) vorliegen, al$
Zeit des Martyriums das Yahr 294 p. C. zu erweifen gejucht, in
welchem fi Diocletian von Februar bis December, alſo elf Monate,
in Pannonien aufhielt. Das Vertrauen zu diejer Beftimmung mußte
dadurch fteigen, daß es Karajan gleichzeitig in überrafchender Weile
gelang, den Ort des Martyriums zu finden. Denn die in der Le—
gende erwähnten Steinarten — thafifcher und proconnejischer Marmor —
kommen nach den geologiſchen Unterfuchungen von Karajans afademi-
ſchem Collegen P. Partſch im Bereiche des alten Pannoniens, d. 5.
des Landes zwifchen Drau und Sau, nur an zwei Stellen vor:
nördlih vom untern Yauf der Sau nahe bei ihrer Einmündung in
die Donau in der fogen. Frufchfa Gora, und dann nördlid) vom mitt—
leren Lauf deſſelben Fluffes in dem Pofeganer Gebirge!. Da letz—
teres aber eben fo unfruchtbar und rauh und arm an Spuren römi—
her Anfiedlungen ift, wie die Fruſchka Gora bebaut und reih an
©. Rarajar, Wien. SB, S, 136 Anm. 2.
583
Ueberreften aus römischer Zeit — es finden ſich dort nicht nur Reſte
einer von Diocletian gebauten Wajferleitung, ſondern in&befondere auch
Spuren eines alten Steinbruches, und im 13. Jahrh. waren noch
die Trümmer eines großartigen Tempels vorhanden! —, fo kann in
ber That an der richtigen Beſtimmung des Locals nicht gezweifelt
werden: warum follte die Zeit nicht ebenfo glücklich gefunden fein ?
Als eine Beftätigung feiner Zeitbeftimmung fah ed Karajan ar,
daß Diocletian nad) der zweiten Legende elf Monate von Rom abive-
fend war, genau diefelbe Zeit, die ſich als Zeit der Anweſenheit Diocle-
tians in Pannonien aus feinen Geſetzen ergiebt; aber auf der andern
Seite entging e8 ihm nicht, daß drei Umftände zu feiner Datirung nicht
jtimmen wollten. Erſtens heißt es in der pannonifchen Legende, der
Biihof Eyrill von Antiohia, der den Heiden Simplicius getauft
hatte, jei aus Aufregung über da8 Martyrium der fünf Chriften ge=
ftorben, alfo aud) im J. 294. Jedoch nad) Eufebius, der den Cyrill
ſowohl in der Kirchengefchichte wie in der Chronik erwähnt und feinen
Zeitgenoffen nennt ?, beftieg Eyrills Nachfolger Tyrannus den bijchöf-
lihen Stuhl von Antiochia erjt um 305, wonad denn Cyrill aud)
erjt in diefem Jahre oder kurz vorher gejtorben fein würde.
Sodann ift ein Aufenthalt Diocletians in Nom vor 303 nicht
befannt, während fi) ein folcher nach) der zweiten Legende doch für
das %. 295 ergäbe, und drittens endlich hat Melchiades, der die
Leichname der römischen Flügelmänner beftattete, das römiſche Bis—
thum viel jpäter innegehabt, nämlich 311—8313. Diefen letten
Widerfprud; mit der beglaubigten Gefchichte vermochte Karajan nicht
zu erflären, wohl aber fand er für die beiden erjten Auswege. Dem
Cyrill, meinte er, fei vielleicht, al8 er in die Gefangenfchaft abgeführt
wurde, der bifchöflihe Sit längere Zeit offen gehalten und für ihn
durch Stellvertretung verwaltet worden; nad) feinem Tode könne dann
der Ausbruch der großen diocletianiichen Verfolgung jeine Wiederbe—
feßung verhindert Haben. Endlich den Aufenthalt Diocletians in
Rom anlangend, jo trıig Karajan fein Bedenken, die Angabe unferer
Legende über einen ſolchen für eine danfenswerthe Bereicherung uns
feres hiltorischen Wiſſens zu erklären, zumal es nicht wahrfcheinlich
fei, daß Diocletian erft zwanzig Jahre nad) feiner Thronbefteigung die
Hauptftadt feines Neiches zum erjten Male betreten Habe.
Indeſſen Hier hat Karajan einen Punet überfehen, der auch von
andern nicht mit dem nöthigen Nachdruck hervorgehoben if. Wenn
die pannonifche Yegende, wie es allen Anfchein hat, Anfpruch auf
Glaubwürdigkeit erheben darf, fo ift fie offenbar zuerft in Pannonien
aufgezeichnet worden, da, wie Wattenbach bereits richtig gejehen Hatte,
derjenige, der fie aufzeichnete, mit dem technifchen Betriebe der Stein-
brüche und mit ihrer Yocalität genau befannt war. Dagegen ijt die
zweite Legende, die, wie wir fahen, mit der erften in feinem inneren
ı Karajan 1. 1. S. 128 Anm.
» Hist.eccl. VO, 32, — Chronica (ed. Schöne) S. 184—187. 217.
584
Zufammenhange ftand, ohne Zweifel in Rom aufgefchrieben. Haben
demnach beide augenscheinlich nicht von Anfang an eine Einheit ge-
bildet, jondern find erjt im Laufe der Zeit mit einander verbunden
worden, fo fünnen die in der einen berichteten Facta weder für nod)
gegen die in der andern erzählten zeugen; vielmehr muß jede Legende
für fich geprüft und dabei an die Möglicjfeit gedacht werden, daß der
Nedactor, um eine Einheit herzuftellen, fid) Aenderungen oder Zufäte
erlaubt habe. Wie daher die zu Anfang der zweiten Yegende erwähnten
elf Monate nicht für Karajans Jahr 294 fprechen fünnen, jo kann
auch die Erwähnung des Bischofs Melchiades nicht gegen dajjelbe
eingewendet werden, und einen Aufenthalt Diocletians in Rom für
295 zu folgern ift dann ebenfo mißlic wie unnöthig.
Anders verhält e8 ſich mit dem Auftreten des Cyrill von An—
tiohia in der erjten Legende: Hier ift Karajans Vermittelungsverſuch,
wie Keim richtig ſah, gezwungen und wenig wahrſcheinlich; aber Keim
jelbft Hat nicht bemerkt, daß fich aus Eufebius’ Kircheugefchichte nach—
weifen läßt, daß der hiltorifche Cyrill von Antiochia überhaupt nicht
ein Opfer der Verfolgung geworden ift, wie e8 nad) unferer Legende
der Fall fein müßte. Denn Euſebius erwähnt den Cyrill in der
Kircengefhichte 1. c. nah den römischen Bifhöfen Eutychianus,
Gaius und Marcellinus; von letzterem bemerkt er: öv xai adrör 6
dswywög xareiimpev. Cr giebt dann als den genannten römischen
Biihöfen gleichzeitig an die antiochenifchen Timäus und Cyrillus:
von Cyrillus erzählt er, es habe unter ihm ein in der hebräiſchen
Literatur ſehr bewanderter Presbyter Dorotheus gelebt, den er jelbit
gefannt Habe; danı heißt es weiter, auf Cyrill ſei Tyrannos gefolgt,
x03 oV Nruacev m ıwv Exxincıwv nohogxie. Euſebius macht
aljo bei zwei Biſchöfen, zwiichen denen Cyrillus erwähnt wird, Be
merfungen, die fi auf die Verfolgung beziehen, und da follte er eine
ähnliche Bemerkung bei Eyrill unterlaffen Haben, wenn derfelbe in
Folge feines Glaubens zu den Steinbrüden verurtheilt und in diefer
Gefangenschaft geftorben wäre? Bedenkt man, daß für Eufebius und
feine Lefer nichts größeres Intereſſe hatte als was fi) auf die Ver—
folgung bezog, jo wird man hier aus dem Schweigen des Eufebius
mit Sicherheit fliegen dürfen, daß dem Cyrill bei der Verfolgung
nichts zuftieß, was außergewöhnlid und der Erwähnung werth ge
weſen wäre. Es fommt dazu, daß bei Eufebius an jener Stelle
ganz augenjcheinlicd das Streben obwaltet, die Namen der Bifchöfe
durch irgend eine Bemerkung dem Leſer interejfanter zu machen, was
durch Relativfäte gejchieht; und da weiß er von Cyrill nur das eine,
daß unter ihm der gelehrte Presbyter Dorotheos gelebt habe! —
Daß Eufebius die Gefangenschaft des Cyrill und feinen in derjelben
erfolgten Tod hätte erwähnen müſſen, wenn diefe Facta wahr wären,
hat auch Büdinger gefühlt, der aus dem Schweigen des Eufebius fol=
gern will!, diefer legtere habe mit Cyrill nicht in guten Beziehungen
ı ©. 372 f.
585
geitanden und deshalb abſichtlich das Martyrium deffelben verfchtwiegen.
Das heißt in der That, die Sache am verfehrten Ende anfaſſen. —
Wir werden demnach Hinfichtlich des Cyrill einen entſchiedenen Irrthum
unferer Legende zu conjtatiren haben: Tiegt aber eine Verwechſelung
vor, fo kann das Todesjahr des Eufebianifchen Cyrill nicht gegen Ka—
rajans Jahr 294 eingewendet werden.
Allein Schwierigkeiten ganz anderer Art hat Hunzifer erhoben.
Nach den neueren Unterfuhungen Mommjens über die Zeitfolge
der diocletianifchen Verordnungen ! ergab fich, daß der Kaiſer in Pan—
nonien vom 11. Sept. 293 bi8 zum 20. Auguft 294 verweilte.
Da nun das Martyrium der fünf Arbeiter am 8. November ftatt-
gefunden haben foll, fo würde zunächſt das J. 293 ftatt 294 anzuneh-
men fein. Das wäre jedoch nicht von Belang, wenn nicht nad) uns
ferer Legende Diocletian mehr al8 neun Monate? vor dem Martyrium
in dem Steinbruche oder in feiner Nähe gewefen fein müßte, während
er feinem beglaubigten Jtinerar nad) faum zwei Monate dort gewejen
jein könnte.
Dazu kommt noch Folgendes. Der Biihof Cyrill befindet fich
nach der Legende bereit drei Yahre in der Gefangenschaft und mit
ihm viele andere Bekenner. Diefe große Zahl verurtheilter
Chriften ift aber nur dann erflärlic, wenn ihre Verurtheilung bei der
großen diocletianischen Verfolgung ftattfand: denn, wie Eufebius aus—
drücklich angiebt?, famen vor derjelben nur vereinzelte Fälle von Ver—
folgung vor, die mithin eine größere Anzahl verurtheilter Chriften
ausfchliegen würden. Die große Verfolgung begann jedoch erjt im
%. 303, und wenn der Bijchof, der den Simplicius taufte, bereits
drei Jahre gefangen gehalten wurde, als das Martyrium gejchah,
würde für letteres das %. 306 herausfommen.
Aber diefer Berechnung ftellt fi) wiederum der Umftand ent-
gegen, daß Diocletian bereit8 am 1. Mai 305 abgedanft hatte. Oder
follte hier eine Verwechſelung mit feinem Nachfolger Galerius vor-
liegen? — Jedoch gerade die Zeichnung des Diocletian ift in der
Legende fo richtig, daß, wenn in irgend einem Puncte, die Yegende hier
wahr erzählt; ja das zutreffende und mit der Geſchichte übereinftims-
mende Bild des Kaifers iſt einer der Hauptgründe, warum unferer
Legende eine höhere Glanbwürdigkeit zugefchrieben werden darf als an-
deren, die den Kaifer als dem Urheber der Kirchenverfolgung ganz
gegen die Hiftorifche Wahrheit für einen graufamen Wütherich aus-
geben.
Man befindet fich aljo Hinfichtlih der Zeit allerdings in einem
Dilemma: da ift Hunzifer auf folgenden Ausweg verfallen. Diocle—
tian, meint Hunzifer, wie er in unferer Legende auftrete, ſei nicht
al8 der noch regierende aufzufalfen, fondern als Altkaiſer“, Au-
ı Abhandl. d. Berl. Atad. 1860, 430 fi.
2 Bon Hunziler berechnet 1. 1. III, 8.
3 H.e. VIU, 4,
* Ein fpecififch ſchweizeriſcher Ausdruck, der aber, wie man fieht, dem Ia-
586
gustus senior, wie er nad) feiner Abdanfung auf alten Denkmälern
bezeichnet wird.
Denn durch die ganze Legende hindurch fei Diocletians DVerhält«
niß nur das des fürftlichen Arbeitgebers, der da fomme, um die be=
ftellten Arbeiten zu befichtigen, und daher Lob und Zadel austheile;
ja bei dem regierenden Kaifer würde es unbegreiflicd fein, daß er
die Denunciation der Philofophen gegen die Chriften zurückzuweiſen
ſuche. Freilich ſehe er fich fpäter genöthigt, die Anklage der Chrijten
zu gejtatten, aber nicht eigentlich er gebe den Befehl zur Hinrichtung,
jondern der Richter; überhaupt finde feine andere Einmiſchung von
Diocletiang Seite ftatt, al8 die einer für den Richter maßgebenden
Autorität, und diefe werde dem Diocletian auch nad) feiner Abdan-
fung nicht wohl fünf Arbeitern gegenüber abgeiprochen werden fünnen,
wenn er im J. 307 auf dem Kaifertage von Carnuntum die Ansprüche
von fünf mit einander hadernden Kaifern verglichen habe. Aus diejer
Kaiferzufammenkunft gehe hervor, daß Diocletian die Yahre feiner
Muße Feineswegs in abfoluter Zurückgezogenheit zubrachte, ja es jei
fogar nicht unmöglich, daß er gerade im %. 306 in den Donaulän=
dern verweilt habe. Denn damals habe in Italien der Krieg gegen
den Ufurpator Marentius gefpielt, den Diocletian vielleicht in größerer
Nähe von Sirmium aus habe beobachten wollen.
Obwohl diefe Anficht Hunzifers von Büdinger III, 368 adoptirt
it und aud von A. Dunder im Rhein. Muf. 1876, ©. 446 als
an fich ſehr ansprechend bezeichnet wird, kann man fie doch nur ale
einen Verſuch reiner Verzweiflung bezeichnen. Denn derjenige, der
nicht bloß zugiebt, daß der Proceß gegen die Chrijten eingeleitet wird,
jondern der einem beftimmten Richter befichlt ihn zu führen und
ihm noch befondere Yuftructionen ertheilt, kanı unmöglich jemand an«
deres als der regierende Kaiſer fein, und e8 ijt unbegreiflich, wie Huns
zifer das mit der Bemerkung fann leugnen wollen, nicht Diocletian,
jondern der Richter ertheile den Befehl zur Hinrichtung. Es heißt
vom Kaiſer: iratus est vehementer et nimio furore plenus
dixit: Fiant loculi plumbei et vivi in eos includantur et pro-
jieiantur in fluvio. Won dem Richter aber wird gejagt: et fecit
quod jusserat Diocletianus. Et fecit loculos plumbeos et vi-
vos omnes in eos inclusit et praecipitari jussit in fluvio.
‘Praeeipitari jussit’ heißt e8 nur, weil der Richter nicht felbjt die
Särge in den Fluß wirft; fonft ift der Nichter doch ala bloß Aus
führender deutlich genug bezeichnet. — Wenn nun Dioclelian dem
Urtheil des Richters geradezu vorgreift, indem er den Befehl zur
Hinrichtung ertheilt, ehe der Proceß beendigt ift, jo ift das ein Ein—
griff in die Erecutivgewalt, den ſich niemand ander als der regierende
Kaiſer erlauben darf und den fich der ftreng confequente Diocletian
teinifchen analog ift, um den Kaiſer nad) feiner Abdankung zu bezeichnen. —
Augusti seniores werden Diocletian und Marimian auf alten Dentmälern
vielfadh genannt, Budinger III, 368.
587
ficher nicht erlaubt hätte, er, von dem Hunziker ſelbſt nachzumeifen
ſucht, daß er an feinem künſtlich erfonnenen Regierungsſyſtem mit
jolher Hartnädigfeit fefthielt, daß er feinen Mitkaifer Marimian, der
‚gern noch die Regierung behalten hätte!, zwang, mit ihm zugleich ab»
zutreten. Mit dem Eingreifen Diocletians in die Keichsangelegen-
heiten auf dem Fürftentage zu Carnuntum ift aber jener Eingriff in
die Erecutivgewalt des regierenden Kaifers jchlechterding® nicht zu ver—
gleichen. In Carnuntum handelte e8 fich nicht nur darum, den Eine
fturz des von Diocletian ſelbſt erfonnenen Regierungsſyſtems zu ver—
hindern, fondern das ganze Neid) vor einem Bürgerfriege zu be=
wahren: da war es für Diocletian gebieteriche Pflicht, feine Ruhe
in Salona zu unterbrechen.
Daß das Todesjahr des Cyrill, wie Hunziker meint, nun zu ber
Zeit der Legende paſſe, iſt nad) dem oben Ausgeführten eine Täufchung.
Hunzifer würde auf eine folche Löſung der Schwierigkeiten nicht
gefommen fein, wenn er fi auf eine Kritik der Legende felbjt einge
laſſen hätte; er wiirde gejehen Haben, daß fih in ihr eine größere
Reihe von Ungenauigkeiten und Ungefchichtlichfeiten findet, als man
bisher annahm: find diefe auch nicht derart, daß man die Glaubwür—
digfeit der Legende ganz und gar in Abrede ftellen müßte, fo erklären
fie fi) doch nur dadurd), daß die Legende nicht unmittelbar nach dem
Martyrium aufgezeichnet wurde, jondern erjt längere Zeit im Munde
des Volkes umlief.
Daß es ein unhiftorifcher Zug fei, wenn bei der erjten Züchtie
gung, welche die halsftarrigen fünf Arbeiter erleiden, der Nichter, der
fie anbefohlen, von einem Dämonium ergriffen wird — Wattenbad)
fagt: vom Teufel geholt wird —, wird von allen anerkannt; richtig Hat
dann Schon Keim bemerkt, daß es im diefelbe Kategorie der Wunder
gehört, wenn das Glüc der Chrijten auf da8 Schlagen des Kreuzes
zurücgeführt wird; er hätte hinzufügen fünnen, daß es diejelbe Be—
wandtnig mit dem Segen hat, den Claudius über das Handwerkszeug
des Simplicius ausſpricht, um ihm dafjelbe, welches in dem harten
Geftein beftändig brach, unzerbrechlich zu machen. Ya nod) auffallen»
der ift, daß diefer Segen nicht ſehr lange vorhält, fondern wiederholt
werden muß, fo daß man auf den Gedanken kommt, das Unglück des
Simpficius wiederhole fich nur, um ihn zur Befehrung zu vermögen.
Müffen wir diefe Abweichungen von der eracten Wahrheit als
eine Ausſchmückung durch die Tradition anfehen, fo führt auf eine
fpätere Aufzeichnung auch die Art, wie der Bau des Tempels erzählt
wird, in welchem Diocletian die 25 Fuß hohe Statue des Sol auf»
ftelft, die er in dem Steinbruch hatte anfertigen laſſen.
Eadem vero hora (wo die Statue vollendet war) ibidem in
parte Pannoniae praecepit aedificare templum in loco qui ap-
pellatur Ad montem pinguem? et ibidem constituit et posuit
ı Hunzifer bei Büdinger, Unterf. II, 252 f.
Eine Localität des Steinbruches.
588
simulacrum et deauravit e. q. s. Als ob der Bau eines Tempels,
in dem ein fo großes Götterbild ftehen foll, nur befohlen zu werben
brauchte, um fertig zu fein! Unmöglich konnte jemand fo erzählen,
der felbjt den Greigniffen mit beigewohnt hatte. — Auch muß die
Frage aufgeworfen werden, ob eine fo colofjale Statue de8 Sol mit
dem reichen Beiwerf, das an ihr ausdrücklich hervorgehoben wird, aud)
nur bei handwerfsmäßiger Ausführung in jo kurzer Zeit hergeitelit
werden konnte, daß Diocletian, wie er thut, auf die Vollendung wartet.
Ebenfalls muß es fchweren Bedenken unterliegen, daß der Sol mit
Wagen und Pferden u. ſ. w. aus einem einzigen Blod gearbeitet
fein ſoll, den ausfindig zu machen dem Scharfblid der auf ihres
Gottes Hilfe vertrauenden Chriften gelingt. Hier ſcheint doch aud
in majorem Dei gloriam ausgefhmücdt zu fein! Und ebenfo
fcheint fich der VBolfsmund darin gefallen zu haben, wie um die Kunft
der Chriſten zu zeigen, die Zahl der Arbeiten zu vermehren, die ihnen
aufgetragen werden: denn diefe erhalten immer neue und neue Bejtel-
lungen, ohne daß es für den Gang der Begebenheiten von Einfluß
wäre. Man möchte jagen, die Chriften müffen alfe Arten der Kunſt—
thätigfeit durcharbeiten, die überhaupt in dem Steinbruch geübt wer:
den. — So würden fi) auch noch einige Incongruenzen der Compo—
fition nachweiſen lajjen, die auf die breite Redſeligkeet mündlicher
Ueberlieferung hinweifen ; ſah ſich doch auch Büdinger veranlaft, die
Möglichkeit von Erweiterungen zuzulaſſen, nur daß er fie an einem
andern Orte fucht, in den Geſprächen zwiichen den Chriften und Phi—
lojophen über Religion. |
Man wird daher wohl zu der Annahme berechtigt fein, daß die
Thatfachen, die der Legende zu Grunde liegen, in einer bedeutend für:
zeren Zeit verliefen, als die Yegende angiebt, jo daß auf die neun Mo—
nate, die Diocletian vor dem Martyrium in dem Steinbruche ge
weſen fein müßte, fein Gewicht zu legen ift. Werner wird man in
dem Martyrium der fünf Arbeiter einen Fall vereinzelter Verfolgung
fehen dürfen, der im Paufe der Zeit mit der großen Chriftenverfolgung
zufammengeworfen wurde: das war gewiß um fo leichter, als wohl
auch der pannonifche Steinbruch dazu gedient haben wird, verurtheilte
Chriften in größerer Zahl aufzunehmen. “Daher denn die multi con-
fessores, die auf da8 %. 306 Hinweifen, während für dag Marty:
rium der fünf Arbeiter — wenn überhaupt der Pegende ein Factum
zu Grunde liegt — die Zeit des 8. November 293 feftzuhalten ift,
für welche die Anweſenheit Diocletians in Pannonien bezeugt ift.
Was den Bischof Cyrill anbetrifft, fo ift recht wohl möglich,
daß ein Bifchof diefes Namens in dem Steinbruch gefangen ſaß, mur
war es nicht der Biſchof von Antiohia. Der Name Eyrill’war ja
im vierten Jahrhundert fehr Häufig, und Biſchöfe gab es bekanntlich
in großer Anzahl, da felbit unbedeutende Ortichaften Bisthümer waren.
Wie freilich der Zufak de Antiochia in den Tert gefommen, ift
nicht Mar; man fönnte geneigt fein, hier die Hand eines gelehrten
Ueberarbeiters zu fehen, dem aus der Eufebianifchen Chronif des Hie-
589
ronymus der Antiochener befannt war und der den Cyrill der Le—
gende ohne weiteres mit jenem identificirte.
Im Anfchluffe hieran mag noch die Meinung beleuchtet fein, die
Legende fei urfprünglich griechisch abgefaßt gewejen. Dieje Vermu—
thung hatte zuerft Büdinger in feiner Oeſtr. Geſch. I, 34 Anm. aus—
geſprochen, darauf geftügt, daß nicht nur Aesculap ftet8 in griechi—
her Form Asclepius genannt werde, fondern daß einmal auch nad)
griehiicher Konftruction auf einen Comparativ für quam mit ent-
ſprechendem Caſus der Genetiv ftatt des lateinischen Ablativs vorfomme
(peritiores horum — quam hi). — Später fuchte Hunzifer diefe
Bermuthung dadurch zu fügen, daß er nachwies, einzelne Stellen
ließen fih aus jchlechtem Latein in beſſeres Griechiſch überfjegen !.
Wenn Büdinger jett auch eingefteht, daß die Form des Namens As—
clepius, da fie in den Meonumenten der Kaiferzeit fogar überwiegt,
zu feinem Schluffe berechtige, die andern Indicien aber nicht Be—
weisfraft genug haben, fo kann er fich dennoch nicht ganz von feiner
Hhpothefe trennen und Hält es für möglich, daß die erſte Aufzeich-
nung der Legende feitens der griechischen Begleiter des Cyrillus ge—
ſchehen ſei. — Hat fich die Legende längere Zeit nur mündlich fort«
gepflanzt, fo wird fie wohl in der Spracde zuerjt niebergefchrieben
fein, die in Pannonien geiprochen wurde, und das war die lateinifche ®.
Wir fönnen nun zu den anfangs aufgejtellten Fragen zurück—
fehren, die mit der Detailfritit in feinem Zufammenhange jtehen, und
da liegt e8 auf der Hand, daß die beiden erjten, wer die echten Ge—
frönten waren und wie die fünf Pannonier zu diefer falſchen Bezeich—
nung famen, nicht aus der Legende felbjt heraus beantwortet werden
fönnen. Zum Glüd haben wir eine Duelle, die uns auf das Rich—
tige führt. In dem römischen Staatsfalender oder dem fogen. Chro-
nographen von 354° iſt ein Verzeichniß der in Rom im %. 354 ge-
feierten chriftlichen Feſte enthalten, in welchem, wie Keim zuerſt be=
merfte*, zum 9. November fich folgende Notiz findet:
V. Id. Nov. Clementis, Semproniani, Claudii, Nicostrati
in comitatum. D. h. der 9. November war der feitlich begangene
ı Sie hätten noch anführen künnen, daß einmal Diocletian als rex be-
zeichnet wird, was im Lateinifchen ebenfo ungewöhnlih, wie im Griechischen
Baoıleus = imperator gewöhnlich ift; man denke nur an den Spracdgebraud
des Herodian und des Procop. — Allein beweifend ift das ebenfowenig wie der
von Büdinger angeführte Genitiv und Hunzifer® Rüdüberfegungen. Der Ge
nitiv findet feine Erflärung wohl aus der Volksſprache, in welcher er fi ja im
Stalienifchen als Regel und im Franzöſiſchen und Spanijchen in einzelnen Fällen er«
halten hat (nad) plus und moins, mas und meno). Humzifer8 Verſuche aber
würden nur daun Beweiskraft haben, wenn die Stellen nur durd das Griechiſche
verftändlic würden.
2 Bol. über die Latinifirung Pannoniens Vell. Pat. II, 110.
3 Belanntlich von Mommfen nen herausgegeben und commentirt in ben
Abhandl. der Kgl. Sächſ. Geſellſch. d. W., hift. K., 1850. Das Wejentliche
über ihn giebt kurz Wattenbach I *, 48.
* Im der Anmerkung zum Schluß feiner oben angeführten Abhandlung.
590
Todestag von vier Märtyrern, die in einem Comitatus genannten
Kirchhofe Roms beigefettt waren.
Daß, der Name Syinphorianus der pannonifchen Legende ver=
derbt werden konnte aus Sempronianus, liegt auf der Hand; einen
Namen Symphorianus hat e8 allerdings gegeben, er it jedoch hier durch
die auch in den Hdoſſ. wechjelnden Formen Simpronianıs, Sympro=
nianus, Symphronianus hindurd) aus Sempronianus geworden. Dann
aber haben wir unter den vier römischen Märtyrern des 9. November
drei, die mit ebenfo vielen unferer pannonifchen Märtyrer ſtimmen.
Nimmt man nun an, daß die vier römischen Märtyrer den Beinamen
„Vier Gekrönte“ hatten, und daß im Laufe der Zeit der eine Name
(Clemens — Gaftorius) ſchwankend angegeben wurde, fo erflärt fih uns
ſchwer, wie die Bannonier zu ihrem falfchen Beinamen famen. Denn
der Todestag der Pannonier, den die römifche Kirche recipirte und
an deſſen Nichtigkeit, wie Büdinger mit Recht bemerkt, fein Grund zu
zweifeln ift, war der Tag vor dem Feſt der Vier Gefrönten: wie leicht
konnte ſich alfo nicht das Volk gewöhnen, beide anfeinanderfolgende
Feſttage als ein Felt anzufehen.
Naturgemäß mußte in dieſem Falle das Hauptgewicht auf den erſten
Feſttag, den 8. November, fallen. Wurden dann, was ja leicht ge=
Schehen konnte, die Heiligen beider Feite zufammengewworfen, jo war es
wiederum wohl erflärlih, wenn die dem Volke feit lange bekannten
vier ftadtrömifchen Heiligen die fremden und neuen pannoniſchen März
tyrer verdrängten: fo wurde mit den Namen der Heiligen auch ihre
Benennung „Vier Gekrönte* der Fünfzahl der pannonifchen Legende
zum Troß auf die Märtyrer der letteren übertragen. Diefer Vor—
gang wird noch wahrfcheinlicher, wenn man annimmt, daß eine Yes
gende der Vier Gekrönten nie vorhanden gewejen war oder fich ver-
loren hatte: Volk und Geijtliche mochten dann, jo zu jagen, die Ge—
legenheit ergreifen, um ihre legendenlofen vier Heiligen mit einer fo
ergreifenden Yegende auszuftatten, wie e8 die der fünf Pannonier war.
Selbftverftändlich verlor fic dann der eigentlihe Tag der Vier Ge
frönten, der 9. November, dem erften Fefttage, dem 8. November,
gegenüber !.
So ungefähr dürfte ſich wohl auch Dümmler den Sachverhalt
gedacht haben?, wenn er nad einer nur in der 2. Auflage von
Wattenbachs GQ. S. 34 befindlichen Anmerkung annahm, es jeien
die Namen römischer Märtyrer den in Pannonien verurtheilten Ars
beitern beigelegt worden. Auch Büdinger ftimmt im Ganzen mit
unferer Ausführung überein, nur daß er einmal zweifelt, ob Sem»
ı De Roffi, im Bull. di archeol. crist. 1869 VII, ©. 69b, ift ber
Anficht, die Vier Gefrönten feien urfprüngli ohne Namen geweſen. Offenbar
hat er dies nur aus dem eigenthümlichen Namen gefchloffen. Er kannte umjere
Legende nicht.
” Ich Hegte in der That eine ähnliche Anficht, die ich jedoch nicht weiter
ge babe, weil ich die von mir gefammelten Notizen an Büdinger über
591
pronianus und Symphorianus ein und derfelbe Name ift, und dann
aus der römischen Märtyrerreihe nur die beiden Namen Sempronia«
nus und Nicojtratus auf die Pannonier übergehen läßt: er meint,
Claudius, ein zu jener Zeit fo verbreiteter Name, habe fid) wohl aud)
fhon in der pannonischen Legende gefunden. — Es wäre möglich,
daß ein gleicher Name in beiden Märtyrerreihen die Uebertragung
der römischen Namen auf die Pannonier erleichtert hätte; doch kommt
auf ſolche Einzelnheiten nichts an, wenn man nur über die Art und
Weiſe des Vorgangs im Großen und Ganzen einig ift.
Um fo verfehlter ift aber Büdingers Antwort auf die Frage,
was die Vereinigung der römischen Legende von den vier Flügel—
männern mit der pannonifchen herbeigeführt habe.
Er glaubt nämlich), den nächſten Anlaß zu der Verbindung der
beiden Legenden werde man „in der unmittelbaren Aufeinanderfolge der
Zage ihrer Verehrung, in dem Ausgangspuncte von Sirmium und !
im Anlajfe ihres Martyriums“ zu fuchen haben.
Allein hier irrt Büdinger zuerft, indem cr von der Voraus—
ſetzung ausgeht, die Legende der vier Tlügelmänner fei die echte der
Bier Gefrönten. Freilid) war, wie wir fahen, auch Büdinger der
Meinung, die bei dem Chronographen von 354 zum 9. November
genannten Heiligen (Clemens, Sempronianus, Claudius, Nicoftratus)
feien die echten Gefrönten; dennoch ift er, wenn er jett die Flügel—
männer dafür hält, die ja ganz anders hießen, nur jcheinbar mit fich
im Widerſpruch.
Denn er hat richtig gefehen, daß die Namen in unferer zweiten
Legende interpolirt find. Einmal fügen fie fich fchledht in die gram—
matische Gonftruction ein, und dann waren fie ja aud nad) dem
Schlußpaſſus der Legende verfchollen. Dennoch kann, wie fchon oben
gejagt wurde, die zweite Legende nicht die wahre der Gefrönten fein,
weil fie den Namen „Gekrönte“ nicht erklärt.
Den zweiten Punct betreffend, daß die römische Legende ihren
Ausgangspunct von Sirmium nehme, in deifen Nähe die erjte fpiele,
fo fragt fi jehr, ob Sirmium vonvornherein in der zweiten Yes
gende genannt war.
Büdinger hat von zwei Angaben diefer Legende nachgewieſen, daß
fie lediglich der Stlügelei eines Redactors ihre Entjtehung verdanken.
Erjtens beruhen die auffallenden 42 Tage, nad) denen der h. Nico-
demus die Särge der Arbeiter aus dem Fluß gehoben Haben foll, le—
diglic) darauf, daß zwiichen dem Todestag der Märtyrer und dem
Tage des h. Nicodemus — dem 20. December — 42 Tage liegen: eine
jolhe Berechnung ift ganz dem Charakter der oft in alberner Spie-
lerei fich ergehenden Combinationsluft des Mittelalters angemefjen.
Sodann ift von einem Nedactor auch die Angabe erſt hineinges
2 Diefes „und“ fteht bei Büdinger vor den Worten „in dem Ausgangs-
punete“, offenbar in folge eines Drudfehlers, der in jener Abhandlung nicht
der einzige wäre.
592
bracht, daß Diocletian nach elf Monaten in die Hauptftadt feines
Reiches zurückfehre. Auf echter Ueberlieferung kann dieje Angabe des—
halb nicht beruhen, weil Diocletian nad) feinem Aufenthalt in Panno—
nien im %. 293/4 nicht nad) Rom, fondern in den Orient zurüd-
fehrte!. Wenn man nun fieht, daß nad der Anfchauung unferer
Legende die Flügelmänner ein Yahr nach den Pannoniern hingerichtet
werden?, jo wird man nicht zweifeln, daß die elf Monate nur den
Zwed haben, das zwijchen beiden Martyrien liegende Jahr auszu—⸗
fülfen: ein Monat ift auf die Neije gerechnet.
Auf diejelbe Weife wird nun aber auh Sirmium hineingefom-
men fein. Es muß jehr auffallen, daß Diocletian aus dem Stein«
bruche nad) Sirmium geht, nur um fo zu jagen von dba wieder fort-
zugehen. Zwijchen den beiden Süßen aber, die feine Reife nad)
Sirmium und feine Abreife von da erzählen, fteht ganz unvermittelt
die Angabe, nad) 42 Tagen habe Nicodemus die Särge aus dem Fluffe
genommen.
Um diefe eigenthümliche Art der Erzählung zu verftehen, muß
man bedenken, daß der Ueberlieferung nad) die Gebeine der fünf
Pannonier in Rom ruhten®: daß wir diefe Ueberlieferung als falſch
bezeichnen müſſen, thut nichts zur Sache; jedenfalls durften dann die
Särge der Märtyrer nicht in dem Fluffe verbleiben, ſondern ein Chrift
mußte fie retten. Diefer hätte aber nicht wagen dürfen, fie aus dem
Fluß zu nehmen, fo lange Diocletian in dem Steinbruche verweilte.
Zudem wußte die Legende nicht, was Diocletian nad) der Hinrichtung
der fünf Arbeiter fonjt noch in dem Steinbruch gefollt hätte, alfo ließ
man ihn den Steinbruch verlafjen.
Was aber nun mit ihn anfangen, da er erjt nach einem Jahre
in Rom zu fein brauhte? Man ließ ihn nad) der berühmten Haupt«
ftadt Pannoniens gehen, die noch dazu als Kaiferrefidenz durd ihren
Palaft befannt wart. — Es mag hier auch nod darauf aufmerkſam
gemacht fein, daß unfere Legende fich fo ausdrückt, als ob Diocletian
nach PBannonien auch von Rom aus gefommen fei (rediens in-
gressus est Romam), d. h. al8 ob er feinen bejtändigen Sig in
Kom gehabt habe. Mithin kann in diefem Theile der Yegende von
alter und guter Weberlieferung feine Rede fein; wir haben es hier le=
diglich mit Füllſtücken zu thun, die eine engere Verbindung der beiden
Legenden bewirken follen.
Der dritte von Büdinger angeführte Bunct, daß der gleiche An—
(aß des Martyriums, d. h. die Weigerung, den Aesculap als Gott
anzuerkennen, zur Verbindung der Legenden beigetragen habe, kann diefe
Wirkung allerdings gehabt haben. Dennod iſt diefe Verbindung in
ganz anderer Weife zu Stande gelommen, als Büdinger glaubt.
Um hier dem Richtigen auf die Spur zu kommen, muß zunächſt
ı ©. Hunziker III, ©. 8.
* Mir werden auf diefen Punct noch zurückkommen.
° Auch hiervon ein Mehreres weiter unten.
+ Mannert, Geogr. d. Gr, u. R. III, 675 f.
58
der Schlußpaſſus der zweiten Legende von Quod factum est' an
richtig erklärt werden; aber wie dieſer nicht nur den ignoranten Mar—
tyrologienſchreibern des Mittelalters, ſondern auch den gelehrten und
umſichtigen Bollandiſten unverſtändlich geblieben iſt, ſo hat man ihn
auch in neuerer Zeit entweder für ſinnlos erklärt! oder wie Büdinger
falſch verftanden.
Bidinger glaubt nämlich, er befage nichts anderes, als daß Bi—
ihof Melciades die Verlegung des Tages der Vier Gefrönten vom
9. auf den 8. November angeordnet habe.
Zunächſt ift Hieraus zu conftatiren, daß auch Büdinger richtig
annimmt, dem Autor des Echlußpajfus hätten die vier Flügelmänner
al8 die Vier Gefrönten gegolten; aber dann ift gegen ihn zu jagen,
daß, wenn feine Erklärung richtig wäre, der Autor eine Kenntniß
davon verrathen müßte, daß ehemals die Vier Gefrönten ihren Tag
am 9. November hatten. Davon tritt aber nicht nur nichts zu Tage,
fondern der Autor ift vielmehr der entjchiedenen Meinung, die vier
Flügelmänner hätten mit den Pannoniern einen und denjelben Tag,
den 8. November, gehabt.
Denn warum forfcht Melchiades bei der Wiederkehr dejfelben
8. Novembers (cum idem rediisset VI. Idus Nov.) nad) den
verfchollenen Namen der Flügelmänner? Offenbar, um an diefem
Zage ihr Felt zu feiern, wie dies ganz evident hervorgeht aus der
richtigen Erklärung der zwei Jahre, nad) deren Verlauf Melchiades
feine Forſchungen angeftellt haben fol. Der Erwähnung der zwei
Jahre gehen nänmiich unmittelbar voran die Worte: quod (bezogen
auf das römische Martyrium) factum est eodem tempore. Zu
eodem fehlt die Beziehung: offenbar aber will der Autor hinzuges
«dacht wiſſen: wie das Martyrium der Pannonier. Wie er nun hier
letzteres als felbftverftändlih im Sinne hat, jo geht er aud) von ihm
aus bei der Berechnung der zwei Jahre.
Da aber die Flügelmänner ein Jahr nad) den Pannoniern
hingerichtet gedacht werden, jo ift das zweite Jahr nad) dem Tode
der Pannonier das erjte nach den Martyrium der Römer, alfo will
Melchiades die Namen der lettteren wiſſen, al8, wie ſachgemäß war,
die erjte Wiederkehr ihres Todestages gefeiert werden follte.
Man ertappt aljo den Autor auf der von wenig Nachdenken und
Kenntniß zeugenden Meinung, daß das Martyrium der Pannonier
unmittelbar nad) ihrem Tode in Nom befannt und gefeiert worden
fei. Das würde an und für fid) höchſt ummwahrjcheinlich fein, wird
aber als ganz irrig auch durch das Feftverzeichniß des Chronographen
von 354 erwiejen, das am 8. November feinen Fejttag fennt.
Wenn aljo der Autor des Schlußpaffus nicht kann fagen wollen,
Melchiades habe die Verlegung des Feittages der Vier Gefrönten vom
9. auf den 8. November angeordnet, was will er dann jagen? —
Nichts anderes, als worauf jeder durch ftrenge Interpretation des
ı So Karajan und Hunziter 1. 1. II, 264. III, 10,
594
Mortlautes geführt werden müßte: Melchiades befiehlt, dag der Ge—
denftag der Flügelmänner unter dem Namen (sub nomina) der
fünf Pannonier gefeiert werde. Da er nun, wie wir fahen, die
Slügelmänner für die Gefrönten hält, fo heißt das nichts anderes, als
daß die Vier Gefrönten unter den fünf Pannoniern gefeiert d. h. ver—
ftanden werden follten.
Es ſoll daher durch die angebliche Anordnung des Melchiades
erflärt werden, wie e8 fommt, daß ald Vier Gefrönte fünf Hei—
fige auftreten, d. 5. jener Widerfpruch der Zahlen in Titel und In—
halt, der fi) auch uns al8 Problem dargeftellt hatte. Es folgt aber
hieraus, daß der Autor, der ja die Flügelmänner als die echten Ge—
frönten anfieht, doc die Pannonier im traditionellen Befig der Bezeich-
on „Bier Gekrönte“ kannte: ſonſt hätte feine Erklärung feinen
inn.
Beruht nun aber dieſe Erklärung der von uns vorhin aufge—
ſtellten gegenüber auf irgend welchen verbürgten Thatſachen? — Das
wird man rundweg verneinen dürfen. Denn weder war Melchiades
ſchon unter Diocletian Biſchof, ſondern von 311—313, noch war es
richtig, daß die Pannonier unmittelbar nach ihrem Martyrium in
Rom gefeiert wurden, noch können wir die Flügelmänner als die echten
Gekrönten anerkennen.
Wir werden es daher hier lediglich mit einem auf reiner Comes
bination beruhenden Erklärungsverjuche zu thun haben: ijt dies aber
richtig, jo folgt von jelbft, daß der Autor, behufs der Erklärung, die
zweite Legende an die erjte angefügt hat, und es kann nur fraglich
bleiben, ob er, indem er die Bezeichnung der fünf Pannonier als der
Dier Gekrönten erklären wollte, auch die Abficht hatte, die Tradi—
tion in der Weife zu rectificiren, daß nunmehr die nad) feiner Mei-
nung wahren Vier Gefrönten, -alfo die Flügelmänner, wieder in ihr
Recht eintreten follten, d. h. ob er die fünf Pannonier ihres Beina-
mens berauben wollte oder nicht. Gleichviel aber, ob dies feine Ab-
ficht war oder nicht: indem er die Legende von den Flügelmännern
an die pannonische anfügte, Hat er bewirkt, daß als die Bier
Gefrönten niht mehr die fünf Pannonier, fondern die
vier Slügelmänner angefehen und gefeiert wurden.
Denn daß dem fo iſt — und e8 würde dadurch unfere ganze
Ausführung beftätigt werden —, ergiebt ſich aus Thatſachen, die Bü—
dinger wohl befannt waren, die er aber nicht gewürdigt hat.
Wir fahen, daß der Autor des Schlußpaffus die fünf Pannonier
im traditionellen Befit des Titels „Vier Gefrönte* fannte. Nun
hat aber um 600 Gregor der Große in feinem Sacramentarium oder
ı Mie man e8 jett in Rom damit hält, wo bekanntlich no) immer am
Nordabhange des Cälius nicht weit vom Coloſſeum die Bier Gefrönten eine
Kirche befien und eine Straße ihren Namen trägt, ift mir nicht befannt. Aus
Roffis Angaben in der bereits angeführten Abhandlung über die Katacomben
von Albano, im Bull. di arch. crist. 1869 VII, 69b, möchte zu fchließen jein,
baß noch jetzt die Gefrönten die Namen der Flügelmänner führen,
595
liber de sacramentis, d. h. einer Agende, die für alle Feſttage des
Yahres die geeigneten Kirchengebete enthält, zum 8. November, der
al8 Natale IV Coronatorum bezeichnet wird, folgendes Gebet:
Praesta, quaesumus, omnipotens Deus, ut qui gloriosos
martyres Claudium, Nicostratum, Symphorianum, Castorium
atque Simplicium fortes in sua confessione cognovimus, pios
apud te in nostra intercessione sentiamus.
Alfo auch Gregor d. Gr. kennt als Vier Gefrönte die fünf
Pannonier, und es iſt unrichtig, wenn der fonjt fo eracte Sollerius
zum Martprologium des Ufuardus S. 859 jagt: in Sacramentariis
Romanis et notanter in Gregoriano quinque priores (d. h. die
Pannonier) nominatim et Quatuor Coronati anonymi in eadem
missa conjuncti habentur!,
Ebenfo aber wie bei Gregor und unferem Autor heißt es in ei=
nem römischen Fremdenführer, der fogen. Epitome de locis sanctis
Martyrum ?, die von Roſſi in der Roma sotterranea II, ©. XXII ff.
2 Auf diefe Angabe des Sollerius hat ſich Büdinger offenbar verlaffen ;
hätte er das Sacramentarium felbft nachgeichlagen, wäre er vielleicht auf das
Richtige geleitet worden. Uebrigens findet fi) in jüngeren Codices zu jener
Meſſe folgende Borrede: Quatuor Coronatorum nomina haec sunt: Seve-
rus, Severianus, Victorinus et Carpophorus, quorum dies natalis per
incuriam neglectus minime reperiri poterat; ideo statutum est, ut in
eorum ecclesia horum quinque Sanctorum, quorum nomina in missa
recitantur, natalis celebretur, ut cum istis eorum quoque memoria
pariter fiat.
Diefer Titel ergiebt ſich von felbft als fpäterer Zuſatz; in Pamelius’ Aus«
gabe (Rituale sanctorum patrum latinorum), die auf einem alten Coder be—
ruht, fehlt er, und ebenfo in den fehr alten Eodiced des Menard. ©. die Bor-
rede zu deſſen Ausgabe des liber sacramentorum. — Ein ähnlicher Zufat
bat in den Ordo Romanus (d. h. das Ritual des ganzen römischen Gottes:
dienftes) zum 8. November Aufnahme gefunden (ed. Hittorp 1583 ©. 84b).
Es heißt hier:
Ordo.
Quatuor Coronatorum nomina per incuriam neglecta Deo reve-
lante haec sunt: Severus, Severianus, Victorinus, Carpophorus. Sol-
lennitas tamen eorum, ut statuta fuerat, in aliorum sanctorum nomine
celebris permansit.
Der Ordo Romanus beruht zum Theil auf alter Tradition, die Bemerkung
über die Bier Gekrönten giebt fi) aber als fpäterer Zuſatz ſchon deshalb fund,
weil fie feine Ritualvorfchrift enthält, wie die Ueberſchrift Ordo verlangt und
wie fie im Borhergehenden ſtets unter dem Titel Ordo gegeben werden. —
Daß diefe erflärenden Notizen freilich fchon früh in die Agenden und Nitual-
bücher eindrangen, beweift die Bemerlung in dem Liber de divinis officiis,
das vielleicht fälſchlich Alluin zugeichrieben wird. Sie ftimmt mit der Vorrede
in den jüngeren Eodices des Gregorianifchen Sacramentars, bat aber den Schluß:
fa aus der angeführten Bemerkung im Ordo Rom. (S. 70 ed. Hittorp).
Alle diefe Bemerkungen gehen, wie im Xert ſogleich nachgewieſen werden wird,
zuletst auf unfere zweite Legende zurüd, deren Schlußpaſſus man eben nicht verftand.
Auffallender Weile hat VBüdinger diefe Epitome mit der Stabtbeichrei-
bung Wilhelms von Malmesbury verwecjelt, die freilich bei Roffi II, 174 in
der Spalte nebenan fteht.
XVIUL 39
596
neu edirt wurde und nad) ihm um 640 entjtanden ift, folgendermaßen:
Juxta viam Lavicanam ecclesia est S. Helenae, ubi ipsa cor-
ore jacet. Ibi sancti isti dormiunt: ... . Quatuor Coronati,
id est Claudius, Nicostratus, Simpronianus (sie!), Castorius,
Simplicius, und die gleiche Tradition findet ſich in dem ältejten aller
uns erhaltenen Martyrologien, dem fogenannten Hieronymianifchen !.
Diefes ift nach Roſſis Unterſuchungen (Roma sotterranea Il, XVIff.)
auf Grund alter, aber ſehr verderbter Martyrologien in Aurerre zu
Lebzeiten des Biſchofs diefer Stadt, Annarius oder Annacharius, um
600 von einem unwiſſenden Geiftlichen compilirt, jedoch ſpäter, cben-
falls in Auxerre, durch Zufäte erweitert, fo daß es die Gejtalt, in
welcher e8 uns jest vorliegt ?, um 7OO erhalten hat. Wir befiten
es in ſechs Handichriften, die zwei verfchiedene Recenſionen repräſen—
tiven, in einer großen Anzahl von furzen Auszügen, den früher joge-
nannten Breviarien, und einer fiebenten Handichrift, welche den Ueber—
gang der volljtändigen Necenfionen zu den Breviarien darjtellt?., Für
den 8. November fällt eine diefer Handfchriften, die zweite Gorbieer,
fort, die vielfach) verderbten Yesarten der andern Handichrift, ver:
glihen mit denjenigen Breviarien, welche den November haben, führen
aber darauf, daß der Prototyp des Martyrologs, wie er um 700 in
Aurerre entjtand, zum 8. November als römijche Märtyrer nur die
fünf Pannonier fannte und dieje als die Vier Gefrönten.
Eine Ausnahme macht nur die von D'Achéry im Spieil. XII
(ichlecht) abgedrudte erjte Gorbicer Hd8., die aus dem 12. Yahrh.
ſtammt, während die andern nicht über das 10. Jahrh. Hinabgehen:
fie nennt neben den Pannoniern die vier römischen Flügelmänner als
die Gefrönten. Der Uebereinftimmung aller übrigen und noch dazu
bedeutend älteren gegenüber muß fie aber als interpolirt angeſehen
werden. Und die Zradition der älteren Hdj. wird durd) Bedas
1 Heransgegeben von fiorentini, Vetustius occidentalis ecclesiae
martyrologium. 1668. Büdinger hat diefe Ausgabe gar nicht benntzt und ſich
an den von D'Achery Spicil. XIII edirten Text einer ſehr jpäten Hdf. gebalten.
Die Entftehungszeit hat Roifi, Roma sotterran. I, 113 und Il, S. XVI fi,
beftimmt.
* Genauer würde zu fagen fein, der Prototyp, welcher unfern Hand»
jhriften zu Grunde liegt und ſich unfchwer reconftruiren Tiefe. Roſſi fcheint
fid) mit dem Gedanken, eine neue Ausgabe diejer alten Quelle zu veranftalten,
getragen zu haben und würde nad den umfaffenden Borarbeiten, die er für
feine Roma sotterranea aud) auf dem Gebiet der Martyrologien machen
mußte, leicht dazu im Stande fein. Aber ſeitdem find mehr als 10 Sabre
verfloffen.
3 Der Handichrift von Epternady (1. Hälfte des 8. Jahrh.), die man früher
als die befte anfah, ſodaß die Bollandiften fie facfimiliren laffen wollten. Roſſi,
Rom. sott., hat die Berner Hof. (aus Bongars’ Bibliothef, 8-9. Jahrh.) als
die befte nachgewiefen, twelcher gegenüber der Cod. Blumanus (nad) dem Beſitzer
fo genannt (von c. 770), der von Lucca (10. Jahrh.), der von Sens (9. Jahrh.)
und die beiden Corbieer (jet in Paris, der zweite nım aus einigen Blättern
beftehend, beide aus dem 12. Jahrh.) eine andere Kecenfion geben.
597
(+ 735) Martyrolog beftätigt, das anerfanntermaßen auf dem Hie—
ronhmianifchen beruht. Bei ihm Heißt es:
VI. Id. (Nov.) Romae Sanctorum IV Coronatorum Claudii,
Nicostrati, Symphoriani, Castorii, Simpliecii!.
Wenn Biidinger S. 361 zweifelt, ob hier die fünf Pannonier
als Gefrönte bezeichnet find oder die Vier Gefrönten nur angekündigt,
nicht mit Namen aufgeführt find, jo hat er eben die alte Tradition
nicht erkannt.
Diefer alten Tradition gegenüber ift e8 nun im höchſten Grade
auffallend, daß um diefelbe Zeit, wo in Auxerre das Hieronymiani=
ſche Martyrolog feinen Abſchluß erhielt, in Rom ein anderes verfaßt
wurde, in dem eine neue Anfchauung über die Gefrönten auftritt.
Es iſt dies das fogenannte kleine römische, das Erzbifchof Ado
von Bienne (8359 — 874) in Ravenna bemugte, feinem eigenen ausführ—
licheren zu Grunde legte und an der Spitze dejjelben wiederholte. Er
jagt in der Vorrede zu feinem Martyrolog, es fei perantiquum et
venerabile gewejen und von einem Papfte nad) Aquileja gefchenkt
worden? Seine Zeit — Ende des 7. oder Anfang des 8. Jahrh. —
ergiebt fi) aus der Erwähnung einiger römischer Kirchen und Felte,
die jener Zeit in Rom ihren Urſprung verdanfen ®,
In ihm heißt es nun zum 8. November:
Romae Martyrium Claudii, Nicostrati, Symphroniani, Ca-
storii, Simplicii. Et ipso die IV Coronatorum Severi, Seve-
riani, Carpophori, Vietorini, quorum festivitatem statuit Mel-
chiades papa sub nominibus quinque martyrum celebrari, quia
nomina eorum non reperiebantur; sed intercurrentibus annis
cuidam sancto viro revelata sunt.
Alſo die Gefrönten find nicht mehr die fünf Pannonier, fondern
! &o würde wohl der Tert des Hieronymianischen Prototups zum 8. Nov.
lauten müfjen. Die fünf vollſtändigen Handfchriften geben nur die Namen der
Baunonier, ohne den Zuſatz „Bier Gelrönte”, einzelne auch nicht alle fünf
Namen, fondern nur vier, offenbar ift der eine nur fortgelafen, um die Zahl
mit dem Beinamen Bier Gefrönte in Uebereinftimmung zu bringen. Denn daß
dieſer Zuſatz uriprünglic nicht fehlte, berveifen aufer Beda die verfürzten Terte,
von denen das Breviar. Gellonense (Hdf. der Abtei St. Guillem du Dejert
bei 2odeve) (D’Achery, Spic. IV), das Labbeanum und das Neichenauer
(Acta SS. VII, 2, 14. 19) die fünf als IV Gekrönte bezeichnen. Unſere Stelle
würde für die Kritik der Handfchriften von Bedeutung fein.
2 Die meiften Eodices des Ado haben dies römische Martyrologium nicht;
offenbar ift es als überflüffig fortgelafien worden. — Enblid fand Rosweyde
es in einem Kölner Eoder und veröffentlichte e8 in feinem Vetustum Rom. eccl.
Martyrologium (Paris 1645). Allein man beftritt die Echtheit deffelben und
erffärte es für einen bloßen Auszug aus Ado: dasjenige, von welchem Ado
ſpreche, ſei vielmehr das Hieronymianifche. Dem gegenüber bewies Sollerius
in der Borrede zum Martyrolog des Uſuardus, daß dennoch das von Roëweyde
efundene das von Ado gemeinte fei, und Roſſi fand dann aud eine ganze
nzahl von Kodices, die c8 wieder Kölner enthielten, Rom, sotterr. II,
©. XXVIO.
= Roffi, 1.1.
39*
598
die vier Flügelmänner unferer zweiten römischen Legende, und daß die
Aenderung gerade auf Grund diefer legteren vorgenommen ift, ergiebt
die hinzugefügte Bemerkung über das Verlorengehen und Wiederaufs
finden der Namen, die ja ganz offenbar auf den Schlußpajjus der
römischen Legende zurüdzuführen ift.
Und dies wäre nicht der einzige Fall, wo in Beziehung auf
Feſttage durch das Heine römische Martyrolog eine Aenderung in der
alten und richtigen Tradition herbeigeführt ift. Roſſi hebt ale bie
Schlagendften Beiſpiele 1.1. S. XXX die Tage des Pontianus und
Felix I. hervor.
Das Feſt des erfteren feierte die alte Kirhe am 13. Auguft,
das des Felix am 29. December: in dem römischen Martyrolog da=
gegen tritt für jenen der 20. November, für diefen der 30. Mai
auf. Der Grund diefer Aenderung ift die zweite Recenfion des Liber
Pontificalis, die aus dem 6. Jahrh. ftammt und hier neue Daten
hat. Wie den Liber Pontificalis hat der Verfaffer des Martyro-
logs aber auch andere hiſtoriſche Quellen benutzt: jo des Rufinus la—
teinijche Ueberſetzung der eufebianifchen Kirchengefchichte und, was für
uns insbefondere wichtig ift, Märtyreracten, namentlich römijche.
In ähnlicher Weife hat er das traditionelle römische Mlartyro-
(og auch vermehrt, indem er nicht nur Feſte in fein Verzeichniß auf:
nahm, die im feiner Zeit gegründet wurden, fondern auch die Pro—
pheten des alten Teſtaments und alle bedeutenderen Perſönlichkeiten
mit eigenen Tagen verfah, von denen die alte Kirche nichts wußte. War
nun aud) die Berichtigung des in Rom geltenden Martyrologg —
und die Abſicht einer jolhen wird man wohl bei dem Verfaſſer mit
Rückſicht auf die von ihm benutten hiftorifchen Quellen anzunehmen
haben — nicht eine officielle Arbeit, jondern nur privaten Intereſſe
entfprungen, jo ijt doc) jehr erklärlich, daß Ado nad) der Authenticität
feiner Vorlage nicht fragte. Daß das Meartyrolog fehr reichhaltig
war, in einem alten Goder Stand und aus Nom ftanunte, genügte
ihm, um es für das von der römischen Kirche recipirte zu halten.
Und da nun fein Martyrolog die Grundlage aller fpäteren wurde, fo
ift e8 gefommen, daß er in einem Falle, der unfere Gefrönten eini—
germaßen berührt, als derjenige bezeichnet wurde, der die alte Tra-
dition umgeworfen habe, während die Schuld vielmehr der von ihm
benugten ftadtrömischen Quelle beizumefjen ift.
Unfere fünf Pannonier waren nämlich recht befannte Heilige ge-
worden, und da in Rom am 7. Juli der Todestag eines primi-
serinius Nicoftratus gefeiert wurde, fo wurde er mit dem Pannonier
gleichen Namens in der Art verwechſelt, daß nicht nur die Namen der
andern vier an jenem Tage ſich einfanden und einbürgerten, fondern
daß fpäter einem bderjelben, Claudius, ein ähnliches Amt beigelegt
wurde: er avancirte zum commentariensis!, “Die blogen Namen der
! Bei Florus, dem Fortſetzer Bedas, Acta SS. Mart. II, S. XXIV;
vgl. Bübdinger 1. 1. &. 376, der jedoch eine Erklärung der noch anzuführenden
Stelle Notkers nicht verfucht. — 5 & anzufäh
599
bier andern finden fich beim 7. Juli nun fchon in dem Heinen rö—
mifhen Martyrolog des Ado: nichtsdeftoweniger fchiebt Notker Bal«
bulus in feinem Martyrolog Tetterem die Schuld zu, ben Tag ber
Pannonier vom 8. November auf den 7. Juli verlegt zu Haben. Er
fagt zu dem genannten Tage!:
Romae (natalis) martyrum Nicostrati primiserinii, Claudii
commentariensis, Castorii, Vietorini, Symphoriani, quos beatus
Sebastianus credere Christum docuit et S. Polycarpus pres-
byter baptizavit. Quorum natalem VI. die Iduum Novembris
eatenus nos celebrasse credidimus, donec venerabilis pater
Ado alios et alios pro eis nobis honorandos insinuaret, de
qnibus in suo loco vita eomite commodius disseretur. Leider
haben wir den November bei Notker nicht; vielleicht Hatte er dort
gefagt, dag Ado die Pannonier ihre® Beinamens „Gekrönte“ bes
raubt habe, um ihn auf die römischen Flügelmänner zu übertragen :
die Schuld trägt, wie wir fahen, das römische Martyrolog, dem Abo
nur folgte?,
Aus dem Alter der Epitome einerfeitS und des Heinen römischen
Martyrologiums andererjeits ergiebt ſich nun auch von felbft die Zeit,
in welcher die zweite Legende an die erfte angereiht ift: zwiſchen c.
640 und 700. In ihr iſt jedoch noch ein Punct bemerfenswerth.
Wir hatten oben S. 591 gefehen, daß die Namen der Flügel-
männer interpolirt waren. Nun finden wir aber, wie Keim unter
ben neueren Forſchern ebenfalls zuerit a. a. D. bemerkte, bei dem
Chronographen von 354 zum 8. Auguft eine Gruppe von vier Heiligen,
welche mit unfern Flügelmännern bis auf einen die gleihen Namen
haben ®: offenbar find beide Gruppen auch in diefem Falle identifch,
wie Schon Zillemont, die Bollandiften und andere ältere Forſcher
fahen®. Da nun die Namen der vier Tlügelmänner bereits in den
beiden Martyrologien von 700 ftehen, fo jcheint e8, daß berfelbe,
welcher die zweite Yegende mit ihren urfprünglich namenlofen Heiligen
anhängte, ſich bemüht hat, für lettere, die er für die Gefrönten aus—
gab, auch noch Namen ausfindig zu machen: er fand jene Gruppe
! Canisius, Antiquae Lect. VI.
* Auffallend bfeibt bei Notker immer die Wendung ‘alios et alios pro
eis honorandos insinuaret’, die auf das, was er Ado zufchreiben durfte,
nicht paßt.
® VI. Idus Aug. Secundi, Carpofori, Victorini et Severiani Al-
bano. Dit Letsterem ift der fehr alte Kirchhof bei dem heutigen Albano ge-
meint, Albano ift aus dem Standlager der Legio II. Parthica entftanden, bie
bei der dortigen Albanım genannten kaiſerlichen Billa garnifonirte und in
welcher das Chriſtenthum früh Anhänger gefunden zu haben fcheint. — Der
Kirchhof wurde im 7. Jahrh. wegen der zahlreichen dort ruhenden Märtyrer
nad) Ausweis der Epitome de locis sanctis martyr. von ben frommen
Pilgern gern beſucht; hierüber Rofft, im Bullettino di archeologia cristiana
1869 (VII), 65 ff.
* Auch Roffi, 1. 1. S. 69b, zweifelt nicht, dak e8 die Namen ber Mär-
tgrer des 8. Aug. waren, bie auf die Bier Gelrönten übertragen wurden.
600
vom 8. Auguft und interpolirte die Namen. Daß er dadurd mit
ſich ſelbſt in gewiſſen Widerſpruch gerieth, wenn er die Namen, bie
angeblich Melchiades nicht hatte ermitteln fünnen, nun doch arngab,
fümmerte ihn wohl fehr wenig: wie man fid) im Mittelalter über
einen ſolchen Widerfpruch weghalf, lehrt die Notiz, welche der Ver—
faffer des Fleinen römischen Martyrologs der Erklärung halber hinzu—
fügte: intereurrentibus annis (nomina) cuidam viro sancto re-
velata sunt: es war eben ein Wunder gefchehen, und von denen,
die im Mittelalter gefhahen, wäre dies noch nicht da8 wunderbarſte!.
Das Verfahren unferes Autors, der natürlich al8 ein Geiftlicher
zu denken iſt, läßt fich daher im Zufanmenhange jo daritellen.
Es fiel ihm auf, daß in der pannonifchen Legende als Vier Ge-
frönte fünf Heilige auftreten.
Er Schloß daraus mit Recht, daß die Pannonier nicht die wahren
Gekrönten fein könnten, und fuchte der echten Legende der Gefrönten
auf die Spur zu kommen; dabei ging er davon aus, daf die Ueber:
tragung des faljchen Beinamens auf die Pannonier darauf beruht
habe, daß die Vier Gefrönten den gleichen Todestag hatten. Da traf
er in dem Legendenſchatze der Kirche, der damals vermuthlich viel
größer war, als wir jett nachweiſen fünnen, auf eine Yegende von
vier namenlofen Flügelmännern. Waren diefe die Gefrönten, jo löſte
fi) das Räthſel leicht: damit die Namenloſen ihres Gedenktages nicht
verluftig gingen, Hatte Melchiades, von dem man im 7. Jahrh. wohl
noch gewußt haben wird, daß er nad) der Verfolgung die Kirche in
Rom zu reorganifiren hatte und demnach auc den Feſtkalender wieder
einrichten mußte, die Anordnung getroffen, daß fie unter dem Namen
der Pannonier gefeiert werden follten. Dann aber that er noch mehr
und verjuchte feinen Heiligen zu ihrem Namen zu verhelfen: aud)
hier gelang es ihm eine paffende Gruppe von Heiligen zu finden,
von der man nichts wußte, und jo fchob er deren Namen in jene Le—
gende ein. — Wir würden jett ein ſolches Verfahren mindeſtens ei-
nen frommen Betrug nennen; dennod) kann der Urheber defjelben recht
wohl bona fide gehandelt haben. Er Hatte im Grunde nur eine
Combination gemacht, und zwar eine Gombination, die für feine Zeit
gar nicht fo ſchlecht war; aber täppiich, wie die mittelalterliche Wiffen-
ſchaft war, die von fubjectivem Glauben getragen zwiichen Möglichkeit,
Wahrjcheinlichkeit und Gewißheit nicht unterfchied, gab er feine Ber:
muthung als fichere Gewißheit aus und glaubte vielleicht noch einen
fleinen Beitrag zum größeren Ruhme Gottes geliefert zu haben, wenn
er eine Legende und vier Heilige jo gut untergebracht hatte. —
Eine ſolche Kombination, wie fie in Obigem dargelegt ift, konnte
natürlich zu jeder beliebigen Zeit jedem in den Sinn fommen, der fid
mit der Legende eingehender bejchäftigte; dennoch ift es vielleicht nicht
Es mag hierbei noch einmal auf da8 oben ©. 598 dharakterifirte un
kritifche Verfahren bes Ye
soiefen fein. fahren des Berfafjers des Heinen römiſchen Martyrologs binge
601
zufällig, wenn wir die zweite Qegende zwifchen 640— 700 an bie große
pannonifche angehängt fehen. Es findet fi nämlich unter der Re—
gierung Honorius I. (625—638) ein Factum, welches wohl geeignet
war, die Beichäftigung mit der Legende der Vier Gefrönten wieder
in Fluß zu bringen: nachdem fchon Gregor der Große von der Kirche
der Vier Gefrönten einen geiftlichen Titel entlehnt hatte!, baute ihnen
der erjt genannte Papft eine neue. Daß dies der Anlaß werben Fonnte,
die Legende der Heiligen wieder dem allgemeinen Bewußtſein näher
zu bringen, liegt auf der Hand; und wenn wir vor bdiefer Zeit und
um diejelbe die fünf Pannonier im Beſitz des Namens „Vier Ge-
frönte” fanden, fo mußte gewiffermaßen jeder Nachdenkende auf ben
Widerfpruc der Zahlen aufmerfiam werden: follte da nicht auch der
Verſuch angeftellt fein, den Widerfpruh aufzuhellen? — Daß die
MWeihung der Kirche vor 638 gefchehen fein witrde — dem Todesjahre
Honorius’ —, während wir noch um 640 die fünf Pannonier in
der erwähnten Epitome als Vier Gefrönte finden (f. o. S. 596), ift
natürlich nicht von Belang und läßt fich leicht erflären.
So bleibt nur noch übrig, die Anficht Büdingers zu befprechen,
daß noc zur Zeit Leos IV. eine letzte Ueberarbeitung unferer Legende
ftattgefunden Habe: auch Wattenbah ift GO. I*, ©. 38 der Mei:
nung, daß die beiden Legenden nur dadurch in zufällige Verbindung
gebracht feien, daß die Meliquien der fünf Pannonier fich fpäter in
der Kirche der Heiligen Vier Gefrönten gefunden hätten.
Da erst Leo IV. (847— 855), der früher Priefter an der Kirche
der Gefrönten gewefen war und fpäter diefe Kirche durch Reliquien
heben wollte, nad) den Gebeinen der Gefrönten und ber fünf Pan
nonier fuchte und fie auch fand?, fo würde die Vereinigung beider
Legenden allerdings um 850 ftattgefunden haben müffen. Allein Watten-
bachs Anficht ift nur eine nicht weiter begründete Vermuthung, bie
unferer oben gegebenen Darftellung gegenüber eine Widerlegung nicht
bedürfen wird: Büdinger dagegen ſtützt fich für feine Behauptung auf
den Umftand, daß unfere Legende die Gebeine der Gefrönten in einer
beitimmten Katafombe an der Via Lavicana beigefetst werden laffe, der
von ihm angenommene Ueberarbeiter demnach wohl von der Auffindung
der Gebeine der Vier Gefrönten unter Leo IV. Kenntniß gehabt Habe.
Aber Büdinger entzieht fich felbit allen Grund und Boden, indem er
die Bemerkung macht, wo die Gebeine ruhten, hätten fchon die Fremden—
führer des 7. Yahrh. gewußt: alfo brauchte, damit der Ort in uns
ferer Legende genau angegeben wurde, feineswegs die Auffindung der
ı Gregorovius, Geſch. d. Stadt Nom II, 134.
2 Vita Leonis IV, bei Muratori III, 236: multa corpora sancto-
rum, quae diu occulte jacebant.... . congregavit. Nam et corpora
sanctorum IV Coronatorum sollerti cura inquirens reperit.... et
.. .. eorum sacratissima corpora cum Claudio, Nicostrato, Sympro-
niano atque Castorio et Simplicio necnon Severo, Severiano, Carpo-
— Victorino quatuor fratribus ... . sub sacro altari recondens col-
oeavit.
602
Gebeine unter Leo IV. voraufgegangen zu fein. Wenn aber der Autor
der zweiten Legende gegen die Epitome noch die weiteren gerimieren
Beitimmungen hat, ‘miliario plus minus tertio in arenario’, jo
weiſt das eben nur auf genaue Localkenntniß Hin, und einen Römer
als Autor anzunehmen wird man ja ohnehin geradezu gedrängt. —
Hervorgehoben mag noch fein, daß in der Vita Leonis IV. bei Mu:
ratori 1. 1. die Bier Gefrönten anonym erfcheinen und nicht nur
von den fünf Pannoniern fondern auch von den vier Flügelmännern
geichieden werden: lettere heißen fratres. — Das ijt eine Verfion
der Ueberlieferung, die nur auf der Unbefanntichaft des Verfaifers jener
Vita mit den recipirten Legenden beruhen kann: denn den überein—
ftimmenden Angaben der Martyrologien gegenüber wird man faum
annehmen dürfen, daß Yeo IV. felbjt die Heiligen Severus, Severi-
anus, Carpophorus und PVictorinus als eine von den Vier Gekrönten
(d. i. den Flügelmännern) verfchiedene Gruppe angefehen habe.
Auf Bidingers Anfiht, daß in der zweiten Legende ftatt des
Diocletian urſprünglich der Kaifer Claudius fungirt habe !, braucht
nicht näher eingegangen zu werden: fie iſt bereit8 von A. Duncker
1. 1. mit Recht zurückgewiefen worden. Es mag nur bemerft werden,
daß, wenn die Namen interpolirt find, ſich ergiebt, daß dem Interpo—
lator ein feitftehender Text der Legende vorgelegen haben muß: fonft
hätte er wohl die Namen im gefchiekterer Weife in den Zufammenhang
verflodhten. Alt kann demnach die Yegende immerhin fein: welche
Puncte fie aber urfprünglich enthielt, und welche erjt hineingebracht
find, um fie an die pannonifche Legende anzuſchließen, wird fich mit
Sicherheit faum feftjtellen laſſen.
Nur zwei Vermuthungen Jordans, Topographie von Rom II,
©. 525, mögen hier erwähnt fein.
Erftens glaubt Jordan, der Verfaſſer der Mirabilia urbis 27, 9°
habe in unferer Passio Thermas Diocletianas ftatt Thermas
Trajanas gelefen. In den Mirabilien heißt es nämlich, im Palaft
de8 Diocletian, worunter deſſen Thermen gemeint find, die im
Mittelalter nad) ihren Rotunden Modii genannt werben, feien vier
Tempel, des Aesculap, des Mars, des Apollo und des Saturn. Bon
diefen Namen feien drei wohl willkürlich erfunden, der Aesculap
aber nicht; der Verfaffer, der fi) in Märtprergefchichten wohl be-
wandert zeige, würde vermuthlich unfere Passio gefannt, aber darin wohl
den Text mit der oben angegebenen Wenderung gehabt haben. Indeß
hebt Yordan die Subjectivität diefer Anficht felbft hervor („mir we—
nigftens wahrſcheinlich“), und er bedenkt nicht, daß der Autor, wenn
er in der That unjere Passio gefannt haben follte, immerhin einen
Tempel des Aesculap für die Diocletiansthermen nad) Analogie eines
folhen in den Thermen des Trajan auf Grund unferer Legende er-
funden Haben könnte. — Selbit die Möglichkeit ift ja nicht ausge—
ſchloſſen, daß ſich eine Tradition über einen Aesculaptempel in den
1 ©. 368.
” Des Iorbanfhen Tertes im Anhange zur Topographie II, 607 ff.
603
Thermen Diocletians erhalten hatte und Anlaß wurde, daß die drei
andern Rotunden nun auch für Tempel gehalten und mit Göttern
verjehen wurden. — Daß aber ein Tempel des Gottes der Heilfunde
in Bäbderanlagen an und für ſich wohl denfbar war (in balneis
salus!), giebt Jordan ſelbſt zu, und Bedenken wird e8 nicht erregen,
wenn Diocletian, ehe feine eigenen Thermen fertig waren, die erft
zwifchen 1. Mai 305 und 25. Yuli 306 geweiht wurden, in fo be=
deutenden Bädern, wie e8 vor Erbauung feiner eigenen die des Trajan
fein mußten, einen Tempel des Aesculap erbauen läßt.
Ebenfowenig begründet ift die andere Vermutung Jordans, die
milites urbanae praefeceturae jeien erft aus den Soldaten ber
Legio II. Parthica, die bei dem kaiferlichen Albanum jtand !, von einem
mittelalterlichen Bearbeiter der Yegende umgejtaltet: wir fahen, daß die
Namen ſchon im 7. Jahrh. interpolirt waren.
Zum Schluß fei noch bemerkt, daß Roffi, 1. 1. S. 69b, ber
Anficht ijt, die Uebertragung der Namen der Heiligen vom 8. Auguft
auf die nad) feiner Meinung urfprünglicd namenlojen ? Vier Gekrönten
jei ungefähr im 5. Jahrh. gefchehen. Dafür führt er Beweiſe nicht
— das Unrichtige ſeiner Meinung ergiebt ſich aus dem Obigen zur
nüge.
1 S. o. S. 599 Anm. 3.
2S. o. ©. 599 Anm. 4.
Kleinere Mittheilungen.
Zu den Annales Sithienses.
Bon B. Simfon.
In feinem Auffage über „Einhard und die Annales Fulden-
ses“ im 18. Bande der Forfhungen hat Wait das Verhältniß diefer
Jahrbücher zu den Annales Sithienses nochmals einer Erörterung
unterzogen. Da diejelbe zwar nicht an mich, aber wenigjtens zum
Theil gegen mich gerichtet ift, gejtattet man mir vielleicht einige
Einwendungen. Ich will e8 vermeiden, die Controverfe felbft von
Neuem aufzunehmen und bejchränfe mich auf den Verfuch, gewiſſe
Argumente, die Waig für feine Anficht anführt, zu entkräften!,
Auf ©. 355 f. weiſt Waik auf die enge Verwandtichaft Hin,
welche der Bericht der Ann. Sithienses zum Jahr 753 (752 ift
Drudfehler) mit den Ann. Lauriss. min. zeige. Cr läßt dabei den
Unterjchied unberührt?, daß, während die Ann. Lauriss. min. von
Grifo jagen: a Theodoino comite ... obprimitur, Ann. Fuld.
und Sith. denfelben a comitibus fratris (sui) getödtet werden laffen.
Diejer Plural Hat feine Berechtigung nach der Fortfegung des Fre—
degar, auf melde ich mir deshalb hier nochmals (wie bereit For—
dungen z. D. ©. IV, 582) zu verweifen erlaube, obihon Waitz fich
gegen eine ſolche Verweifung verwahrt. Man lieft dort (Bouquet
V, 2):... a Theodone comite Viennense seu et Frederico
Ultrajurano comite ... interfectus est; vgl. auch Oelsner, König
Pippin S. TEN. 4.
©. 356 fügt Waitz Hinzu, in der Cont. Fredeg. fehle aud) der
Sa über Stephan, womii nad den Zufammenhange der Sag über
die Ankunft diefes Papftes im Frankenreiche gemeint zu fein fcheint,
Thatſächlich findet ſich diefer Sat jedoch im nächftfolgenden Gapitel
(119 Bouquet 1. c.) der Cont. Fred.°: Ibique Stephanus papa
Romensis ad praesentiam regis veniens, multis muneribus tam
ı Ich glaube nicht, daß in der Sache durch die folgenden danfenswerthen
Bemerkungen etwas geändert wird, und habe mir nur erlaubt einiges erwiedernd
oder zuftimmend beizufügen. ©. W.
*» Beil er m. E. gar nicht in Betracht kommt; wäre die Cont. Fredeg.
an: jo ift das ebenfo gut, ja eher bei den Fuld. als den Sith. möglid,
Bergl. aud) Oont. Fred. c. 121-122 zu dem was Waitz ©. 356 beſpricht.
608
ipsi regi quam et Francis largitus est, auxilium petens contra
gentem Langobardorum et eorum regem Aistulfum etc.
Auf S. 356—357 heißt e8, nur den Ann. Laur. min. fönnten
die Worte 764. Hiems valida et praeter solitum prolixa entlehnt fein;
„maj. und Einh. haben nichts davon“. — von habe ich einzu=
wenden, daß die Ann. Laur. maj. und Einh. den ungewöhnlid
ſtarken Froſt jenes Winters allerdings erwähnen (j. SS. I, 144.
145), wenn aud) bereit8 unter der Jahreszahl 7631. Jene ſchreiben:
Et facta est hiemps valida; diefe: Facta est autem eo tem-
pore tam valida atque aspera hiemps, ut inmanitate frigoris
nullae praeteritorum annorum hiemi videretur posse conferri.
Früher wollte Wait die betreffende Stelle der Ann. Fuld. übrigens
theilweije aus den Annales Petaviani herleiten (Nachrichten von der
K. Geſellſch. d. Wiffenfh. zu Göttingen 1864 Nr. 3, ©. 67).
Weiter lieft man bei Wai auf ©. 357: „Ganz wörtlich den
Laur. min. entlehnt iſt 772: Adrianus Romae pontificatum sus-
eipit“. Diejer Behauptung muß ein Verjehen zu Grunde liegen;
dern die Ann. Laur. min. enthalten diefe Worte gar nicht.
Auf derielben Seite rügt Waig, daß die Ann. Sith. 791 die
Bezeichnung Pannoniorum anwenden. Die Yesart Pannoniorum
beruht aber nur auf unzutreffender Ergänzung von Mone, Nach den
Ann. Blandinienses (791, SS. V, ©. 22 lin. 42), in welchen bie
Sith. benutzt find, ijt dafür Hunorum zu lejen?,
Noch jtärfer tadelt Wait (S. 358) die Sith., weil fie 794 von
der Franffurter Synode fchreiben: in qua heresis Feliciana iterum
a suo auctore condempnata est, und zwar namentlich wegen des
a suo auctore, „da es fid) nicht ... . um den Widerruf des Felix,
jondern die Verurtheilung durd die Synode handelte“. Auch hier
liegt der Fall fo, daß von dem Vorwurf nur Mlone getroffen wird,
ber die Präpofition a ergänzt hat. Ann. Blandin. (794 1. c. lin.
46— 47) zeigen, daß cum suo auctore gelefen werden muß ?,
Diefe Beifpiele beweifen, wie fehr die Ausgabe Mone’s, dem
die Ann. Blandin. übrigens noch unbefannt waren, der Berbeiferung
bedarf. So ijt, wie diefe Annalen und die Ann. Enhardi Fuld. er:
geben, 3. B. auch 783 ftatt Berta regina mater zu leſen: Berta
regis mater; 795 devastat ftatt devastavit*; 800 exereitus in
Beneventum missus est ftatt exereitum in Beneventum misit;
! Die Laur. min. nennen aber ausdrücklich d. J. 764, das Fuld. und
Sith. haben. ©. W.
2 Diele beiden Berichtigungen find ganz am Plate; auf die legte war ich
nad Einfiht von Jaffés Abjchrift nn ſelbſt aufmertſam geworden, da die
Lücke nur dieſe Ergänzung zuläßt. G. W
s Auch Jaffé hat a ergänzt; doch wird das cum der Ann. Bland. vor:
zuziehen fein. Nur ift aud) das ein willfürlicher Zufag, von dem die Duellen
nichts wiſſen, der ſich auch nicht in den Fuld. findet, wie nah Simjons An-
nahme zu erwarten wäre. Bon dem “üterum’ ftatt ‘tercio’, das fie unrichtig
haben, wird geſchwiegen. G. W.
* Der leere Raum würde mehr für devastavit fpreden, ©. W.
609
813 consortem imperii ftatt consortem regni; 816 usa ftatt
fisa u. ſ. w. Da überdies Jaffé eine Abjchrift des Tertes der Ann.
Sith. aus dem Coder Hinterlajfen hat, jo wäre e8 in der That wün—
ſchenswerth, daß die noch nicht bejtimmt im Ausficht geitellte neue
Ausgabe im 13. Bande der Seriptores uns nicht vorenthalten würde,
Ob die von Waitz S. 355 vorgefchlagene Emendation Romanus für
Romanis (753) zutrifft, it mir zweifelhaft; denn auch Romanis
giebt hier einen Sinn und die Ann. Blandinienses (743 ©. 22 lin.
16) haben es ebenfalls!. Daß 810 pulverum sparsorum zu leſen
ift, hat Wattenbach gezeigt (Geichichtsquellen I, 4. Aufl., S. 184 N. 3).
Zur Begründung feiner Anficht, daß in den Ann. Enhardi
Fuld. aud) die Ann. Einhardi benugt feien, beruft ſich Wait
©. 360 auf die Zufammenftellung von Dünzelmann (Neues Archiv
II, 500 f.)?. Ich darf Hier nicht geltend machen, daß nach meiner
Anficht weitaus die meiſten diefer Nehnlichkeiten mit den Ann. Ein-
hardi aus den Ann. Sith. in die Fuld. übergegangen find. Ich
will auch nicht betonen, daß es wohl kaum der Annahme einer di—
reften Benußung bedarf, um zu erflären, daß zwei Schriften, welche
beide den Inhalt derjelben Quelle (Ann. Lauriss. maj.) wiedergeben
und zugleich deren vohes Yatein in eim bejjeres verwandeln, bisweilen
im Ausdruck übereinjtimmen. Dagegen bemerfe ich, daß Dünzelmanns
Angaben theil® nicht überall richtig find, theil® zwar für eine Be—
nugung der Ann. Fuld. in den Einh., aber niemals für das umge—
fehrte Verhältniß, welches Waitz annimmt, geltend gemacht werden
fünnen. Unrichtig ift e8 nämlich, wenn Dünzelmann (S. 501) be= .
hauptet, Ann. Fuld. meldeten übereinftimmend mit Ann. Einh. die
Niederlage der Franken am Süntel (782), weldje in den Ann. Laur.
maj. verichwiegen wird. Ich muß vielmehr daran feithalten, daß
Ann. Fuld. hier lediglih den Bericht der Laur. maj. wiedergeben
und von einer Kenntniß der gänzlich abweichenden, ausführlichen Erzäh-
(fung der Ann. Einh. feine Spur verrathen (vgl. Jahrb. des Fränf,
Reichs unter Yudwig d. Fr: I, 403). Wie e8 fcheint, hat Dünzel—
mann hier die Worte der Fuld.: non sine grandi clade suorum,
mißverjtanden, indem er suorum auf die Franken bezog. Es bezieht
fid) aber ohne allen Zweifel auf die Sachſen und entjpricht den
Worten der Ann. Laurissenses (S. 162): et multos Saxones
interementes. Unter den Vebereinjtimmungen im Ausdruck, welche
Dünzelmann anführt, findet ſich ferner folgende:
Ann. Fuld. Ann. Einhardi.
774. Langobardi obsidione per-| Fatigatam longa obsidione civi-
taesi. tatem ad deditionem compulit.
Nun find die betreffenden Worte der Fuld. den Lauriss. min.
entlehnt (775 ©. 117: Langobardi obsidione pertaesi), Will
ı Auch die Handſchrift. G. W.
2 Nur auf die von Dünzelmann bervorgehobene Webereinftimmung im
Ausdrud habe ich Hingewiefen. G. W.
610
man alfo mit Dünzelmann und Waitz! auf diefe Uebereinftimmung
Gewicht legen (was ic freilich nicht thue), jo wäre fie geradezu ein
Argument gegen die Abhängigfeit der Fuld. von den Ann. Ein-
hardi. Ich halte nad) wie vor für wahrjcheinlic, daß in den Ann.
Einh. hier Einhards Vita Caroli (ce. 6 — quam et Desiderium
regem, quem longa obsidione fatigaverat, in deditionem sus-
eiperet) benugt ift. Denn Dünzelmanns kühne Ausführungen ruhen
auch fonft vielfach auf unficherm Grunde. So läßt er u. a. die von
Pertz, SS.I, 338, feineswegs ohne alle Berechtigung angedeutete Mög-
lichkeit ganz unberüdfichtigt, daß in den Ann. Fuld. 751 von Ein-
hards Vita Caroli (cap. 1) Gebrauch gemacht fei (man vergleiche
namentlich die Worte plaustro bubus trahentibus vectus, welche
in Ann. Laur. min. ©. 116 fehlen). Wie würde ſich aber hiemit
Dünzelmanns Auffaffung reimen, nad) welcher der erjte Theil der
Ann. Enhardi Fuld. in den Ann. Einh., dieje aber wieder in der
Vita Caroli benußt wären ?
Da Ann. Laur. maj. und Einh. vom %. 801. an zufammen:
falten, meint Waig (S. 359), fei die Vergleihung der Fuld. mit
beiden eine befchränfte. Allein, fo geringfügig die Abweichungen jener
beiden Redaktionen der Reichsannalen von hier ab auch find, läßt ſich
doc; erfennen, daß der Verfaſſer der Fulder Jahrbücher ſich auch Hier
an die Faſſung der Lauriss. maj. hielt?. So ſchreibt er mit ihnen
802 de pace confirmanda, 805 Lechonem, 807 tentoria atrü
vario colore facta, 810 etiam per, während Einh. Ann. haben:
ropter pacem confirmandam — Bechonem — tentoria atrii
8* den Zuſatz) — etiam super. Unter 823 enthalten bie Fuld.
ferner eine Nachricht über eine Wundererfcheinung in Gravedona am
Comer See (S. 358 et in territorio Cometense — irradiavit),
welche fi) auch in einigen Handichriften der Ann. Laur. maj. und
in den Ann. Bertiniani, dagegen in feiner Haudjchrift der Ann. Ein-
bardi, fondern nur in der editio — derſelben findet, welche
von Suterpolationen nicht frei iſt (ſ. SS. 1, 129—130. 132. 211).
Schon früher wiederholt und auch jest (S. 355) hat Waig die
Ann. Sithienses al8 eine nicht gleichzeitige Quelle bezeichnet. Na—
mentlich deutet nach feiner Meinung auf fpäteren Urfprung die Stelle
3. J. 810, welche nad Wattenbach zu leſen ift: Magna boum pe-
stilentia per totam Europam immaniter grassata est, et inde
pulverum sparsorum fabula exorta est. Mone be
merft (Sp. 5), daß die era in welche die Ann. Sith. einge-
tragen find, aus dem 9. Jahrhundert herrühre, und ſetzt ausdrücklich
Hinzu: „Die Schrift diefer Annalen gehört ebenfalls in das 9. Yahr-
Hundert“. ft diefe Angabe richtig — und meines Wiffens ift ihr
bisher nicht widerſprochen — jo find wir jedenfall® genöthigt, die
Abfaffung der Sith. in dies Jahrhundert zu ſetzen. Was die Stelle
ı Ich habe diefe Stelle nicht angeführt. ©. W.
2 Daß dies regelmäßig der Fall, habe ich mie bezweifelt. ©. W.
611
unter 810 betrifft, jo meint Wattenbach (a. a. O. ©. 184), in di—
rekteſtem Gegenfag zu Waitz, diefelbe weile auf einen Zeitgenofjen,
Er geht darin vielleicht zu weit, aber Thatjache ift, daß jene fabula
nicht etwa eine in fpäterer Zeit entjtandene Sage, fondern ein aber-
gläubifcher Wahn war, welcher fich damals, al8 jene Rinderpeſt
herrfchte, verbreitete. Hierüber geben die von Wattenbad) angeführten
Stellen bei Agobard von Lyon und in den Gapitularien (LL. J,
162. 163; vielleicht auch zu vergleichen V. Walae II, 1, SS. II,
547: pulverum fallax adinventio) klare Auskunft. Agobard
Schreibt in einer wenige Jahre nad) 8IO (vgl. Blügel, De Agobardi
vita et scriptis. Halle 1865, ©. 16 f.) verfaßten Schrift: Ante
hos paucos annos disseminata est quaedam stultitia, cum es-
set mortalitas boum, ut dicerent Grimaldum ducem Beneven-
torum transmisisse homines cum pulveribus, quos spargerent
per campos et montes, prata et fontes, eo quod esset inimi-
cus christianissimo imperatori Carolo, et de ipso sparso pul-
vere mori boves etc. (De grandine et tonitruis).
Am Schluffe feiner Erörterung geht Waitz auf Vermuthungen
über den Zufammenhang zwiichen den Fulder Annalen und Einhard
ein. Er hat dabei die Thatfache unberührt gelajfen, daß die Ann.
Sith. in den Ann. Blandinienses benugt find. Perg (SS. V, 20)
weiſt nad), daß diefe Ann. Blandin. auf älteren Annalen dejjelben
Klofters beruhen, welche in einem im 10. Jahrhundert angelegten
Zinsbuche ftanden und auch ſchon die aus den Sith. entlehnten Stellen
enthielten. Wenigftens macht er dies jehr wahrjcheinlih. Hienach
dürfen wir annehmen, daß die Sith. in jener ehemaligen Abtei Ein—
hards, in St. Peter auf dem Mont Dlandin zu Gent im 10. Jahr—
hundert bekannt waren. Merkwürdig ift, daß nur Blandin. und
nicht Sith. unter 810 (S. 23) jchreiben: et Karolus novissime
in Sithiu fuit — eine Nachricht, die fi zwar nicht mit dem Iti—
nerar dieſes Kaiſers vom Jahre 810, aber beſſer mit den vom Jahre
811 verträgt.
XVIII. 40
Ueber Wipo.
Bon J. Harttung und J. May.
I. Bon J. Harttung.
Die Frage, wann Wipo das Leben Kaifer Konrads zum Ab:
ſchluſſe gebracht, hat bereits wiederholt die Aufmerkſamkeit der Forſcher
auf fich gelenkt. Schon Stenzel bemerkte, daſſelbe müjfe nad) 1046
verfaßt fein (Geſch. Deutſchl. unter den fränk. Kaiſ. II, ©. 44),
Perg erklärte fid) für die Jahre 1046 bis 1050 (1049?)!, Pflüger
(N. Ar. II, ©. 133) verwies darauf, der Umftand, daß der Tod des
Biihofs Wilhelm von Straßburg nicht in der Vita erwähnt sei,
liege die Vermutung auffommen, fie jei zwifchen dem 25. Dec.
1046 und dem 7. November 1047 vollendet, wofern wir uns nicht
mit den vorhin bejtimmten Grenzen begnügen wollten. Letzteres dürfte
hiernad unbedingt nöthig fein, weil Wipo die Angaben über Bijchöfe
und dergl. meiſtens nur feiner Vorlage entlehnt hat, und er weit
entfernt davon iſt, Negierungsantritt und Tod gewijjenhaft aufzu=
zeichnen: erwähnt er 3. B. doc) nicht einmal das Ableben Aribos und
Piligrims (vergl. aud) meine Studien S. 10 Anm. 1). Gieſebrecht
entjchied fic) in der vierten Auflage feiner deutichen Kaiferzeit II,
©. 562 dahin, das Werf fei vor 1045 abgefaßt, Später aber über:
arbeitet, und zwar habe es im Jahre 1049 die uns vorliegende Ge—
ftalt erhalten. In meinen Studien S. 18 fam ich, auf Grund der
abweichenden Zitulaturen, zu dem Scluffe, die Abfaffungszeit der
Vita lafje fi) nicht genau beſtimmen; c8 möge dahin gejtellt bleiben,
ob wir an eine Interpolation, vielleicht von Wipos eigener Hand,
denfen wollten, daran, der einleitende Brief fei ſpäter geichrieben, als
die Ueberfchrift dejjelben, oder ob wir offen ein non liquet einge-
ftehen müßten. Breflau hat im N. Archive Il, ©. 588 die Frage
mit Weiterführung der von Giefebrecht angenommenen Snterpolationen
dahin zu entjcheiden gefucht, daß die Vita vor Weihnachten 1046,
der Raiferfrönung Heinrichs III., verfaßt, aber erjt nad) diefem Tage
publicirt und dem Kaiſer überreicht ſei. Urſprünglich habe Wipo
Abhandl. d. f. Alad. d. Wiſſenſch. zu Berlin 1851, ©. 230, vergl.
Pflüger, N. Arch. II, ©. 133. teniß 3 r » DES
613
beabfichtigt, die Gefchichte Konrads IT. und Heinrich III. gemeinſam
zu bearbeiten, habe dann aber feinen Plan geändert und die Vita
Chuonradi gejondert behandelt.
Bei diefen fo vielfach im Einzelnen abweichenden Anfichten dürfte
es der Mühe verlohnen, die Unterfuhung noch einmal aufzunehmen
und fo weit als möglich zum Austrage zu bringen, wobei als An-
halt die Arbeit Breflaus gelten muß, die eingehendfte ihrer Art und
diejenige, für welche die übrigen bereitS vorlagen. — Der einleitende
Brief der Vita trägt die Ueberſchrift: Epistola ad regem Hein-
rieum Chuonradi imperatoris filium, im Text des Briefes da—
gegen ift von einem imperator Heinricus die Rede; dies fteht
nicht im Einklange mit einander und läßt fich auch nicht durch die
Annahme löfen, daß die Lleberfchrift von jemand anders als W. her-
rühre, denn feine ſämmtlichen von Perg edirten Werke tragen eine
Ueberfchrift, und in den Werfen wieder ſämmtliche einzelnen Abjchnitte:
der Brief ftünde mithin geradezu als Ausnahme da, wenn ihm eine
folche fehlte. Die Umftändlichkeit in der Titulatur, namentlicd die
Beifügung des ‘Chuonradi imperatoris filium’ (Näheres unten) und
die Fanzleimäßige Haltung weijen hier fogar noch ganz bejonders
deutlich auf den Verfaſſer.
In dem Prologe findet fi) das Folgende: Siquidem cum de
publieis gestis paratus sum dicere, praecipue duorum acta re-
gum complectar, scilicet Chuonradi imperatoris atque filii ejus
regis Heinriei tercii.. .. Patris vero gesta quae meis
temporibus aceiderant, prout ipse vidi aut relatu aliorum di-
diei ... effigiabo. Acta autem clarissima filii,
quoniam adhuc ... . superstes regnat, quamdiu vixero, con-
gregare nondesinam. Quodsi hoc acciderit, ut, sicut
ante regem hanc vitam mihi contigit introire, sic mihi
accidat exire, et eo modo opus meum imperfectum dese-
ram, obseero post me scribentem, ne pudeat illum meis
fundamentis parietes suos superponere .. . Haec de pro-
oemii compendio proposui, nunc ad gesta imperatoris
venio. Hier jteht alfo, daß Wipo vorhabe die Thaten Konrads, wie
er fie fah oder erfuhr, darzuftellen (zu geftalten, effigiare), daß er
aber diejenigen Heinrich nicht aufhören werde zu ſammeln (congre-
gare), um fie, fügen wir hinzu, nad) dejjen Tod (quoniam adhue
.. . superstes regnat), aljo zeitlich ganz gejondert, gleichfalls nie—
derzufchreiben.. Es entjpricht dies den Worten in dem Widmungs-
briefe: et quoniam sunt quaedam quae vivente patre laudabi-
liter egisti, eadem inter patris acta ponenda censueram, quae
vero post obitum illius gloriose feceras, per se
ordinanda decrevi; und ebenjo denen im 36. Cap. ber Vita:
quod plenius in gestis regis, si Deus voluerit, exequar; des-
halb geht denn auch Wipo im Prologe ſchließlich ad gesta impera-
toris über, nicht ad gesta imperatoris et regis, oder ad gesta
imperatorum. Widerſprüche laſſen ſich Hier aljo nicht entdedten, wie
40 *
614
es auch kaum viel für fich haben dürfte, daß zwiſchen dem einleitenden
Briefe und dem Prologe, zwei jahlid jo eng zufammenhängenden
Schriftitücen, der Plan des Autors geändert fein follte, ohne daß er
fi) die Mühe nahm, Anhalt und Aenderung in Uebereinftimmung zu
bringen. Auf die Worte complectar und opus ein großes Gewicht
zu legen, dürfte fich bedenklich; ausnehmen, und zwar in Betreff des
‘complecti’, weil es bereit8 im klaſſiſchen Yatein als einfach „bes
Schreiben, vortragen“ gebraucht wird, in Betreff des ‘opus’, weil es
nur gefchehen kann gegen die Meinung Wipos, wie fie fi) aus dem
Zufammenhange ergiebt, weil Wipo namentlid im Prologe einen
verſchnörkelten Stil fchreibt, mithin wenig auf den einzelnen Ausdrud
gegeben werden darf, und weil fich der Begriff der inneren Zuſam—
mengehörigfeit zweier Lebensbeichreibungen von Vater und Sohn jehr
gut mit dem unfcharfen ‘opus’ (Werf, Unternehmen, Arbeit ꝛc) ver-
trägt. Hier den Schluß zu wagen, Wipo betrachte die gesta Kon—
rads und Heinrichs nur als ein ‘opus’ und daraus zu folgern, jcheint
ung unzuläjfig zu fein.
Dieſe Thatfache hindert uns auch zuzugeben, daß deshalb die An-
nahme nahe liege, der uns erhaltene Text Wipos jtelle ſich nachträglich
al8 ein überarbeiteter dar, infoweit als die Aenderung feines Plans,
die Vita Chuonradi gejondert herauszugeben, folche Ueberarbeitungen
nöthig machte. Zwar pafjen gleich in dem erjten Capitel die Worte
‘nune ad propositum redeo’ nicht zu dem folgenden auf Ungarn
bezüglihen Sate, doch darf hieraus ſchwerlich ohne Weiteres ges
ſchloſſen werden, diejer letztere fei dadurch als eingefchoben gekennzeich—
net, um fo weniger al8 er durchaus dein Zujammenhange entipricht.
Wipo giebt nämlich eine Art von Weberficht über die zu Deutjchland
in Beziehung ftehenden Länder, erjt redet er von Stalien, dann von
Burgund, dann von Ungarn. Es laſſen fich eine ganze Reihe von
Möglichkeiten denken, was es mit jenen Worten nunc ad proposi-
tum redeo’ für eine Bewandtnig habe: fie find nichts als eine
Nachbildung der Wendung nunc ad inceptum redeo’, welche ſich
cap. 4 von Sallujt8 Bell. Jug. findet, in einen Capitel, das Wipo
auc ſonſt, namentlich im Prologe, reichlich benutzt hat, wie er ſich
überhaupt, ganz in Widufinds Art, Salluftiischen Phrafen nur zu
fehr geneigt zeigt. Nur wenige Zeilen höher bringt er im cap. 1
ebenfall® eine „äußerſt ungeichieft mit autem“ zwiſchen Stalien und
Burgund eingefchobene Aufzählung der deutichen Herzöge, die auf eine
Interpolation gedeutet werden könnte. Entſchieden hätte fie bejjer vor
Italien und dejjen prineipes gepaßt!, wie der Sat ‘nunc ad pro-
positum redeo’ hinter Ungarn.
Dod nehmen wir hier jpätere Einfchiebungen an, gegen welche
ſich als Möglichkeit nichts vorbringen läßt. Nunmehr gilt es, folce
auch in dem jpäteren Capiteln nachzumweifen, wofür zwei Stellen bei—
* Borber: res petit, ut dieam summorum nomina quaedam, seu
pontificum sive secularium principum, qui tunc in regnis vigebant,
615
gebracht find. Die eine findet fi im cap. 8 und lautet: Heinri-
cus, ‘qui postea rex et augustus effectus est. Mit ihr ift zu
vergleichen: Epistola ad regem Heinricum, Chuonradi impera-
toris fillium, was nicht minder trivial und nichtsfagend fein dürfte;
oder, wenn man dies nicht gelten laffen will, im Prologe: Chuon-
radum imperatorem, patrem gloriosissimi regis Heinrici tercii,
ferner: scilicet Chuonradi imperatoris atque filii ejus regis
Heinriei tercii, oder cap. 1: rex Heinricus tertius, pius, paci-
ficus, linea justicia, oder cap. 36: cum gratia Heinriei regis,
filii imperatoris u. A. Alle diefe Stellen gehören offenbar in dies
jelbe Kategorie, alle drehen fih um die Perfon Heinrichs ILL, und
das it bei dem Hofmanne Wipo, der dieſem fein Buch überreicht,
fein bloßer Zufall. Gerade hier möchte es am wenigiten angebracht
fein, auf Snterpolationen zu ſchließen, da aud ſchon im Zetralogus
V. 110 auf die Kaiferwürde Heinrichs hingewiefen: pie rex caesar-
que future.
Die zweite für Ueberarbeitung herangezogene Stelle Tautet
(cap. 29): defuncto Misicone, Gazmerus filius ejus fideliter
serviebat huc usque imperatoribus nostris. Sie fpridt
ihon an ſich jo wenig für fich felber, daß wir auf nähere Erörterung
verzichten fünnen, nur darauf machen wir aufmerffam, daß jie zu—
fammenzuftellen ift mit: duorum acta regum complectar, seili-
cet Chuonradi imperatoris atque filii ejus regis Hein-
riei tertii, welche wieder zu vergleichen mit dem Titel der Carlsruher
Handichrift: Gesta quorundam imperatorum Chuonradi et Hein-
riei (conscripta per Wiponem presbyterum). Während hier, in
cap. 29 und in dem einleitenden Briefe von Heinrich als Kaifer die
Rede ift, wird er im Prologe, in der Ueberichrift des Briefes und
an vielen anderen Stellen als ‘rex’ bezeichnet. Das Eine fteht da
wie das Andere.
Zum Schluffe fei noch auf cap. 36 verwiefen, wo e8 heißt:
cives Mediolanenses ... . Heribertum usque obitum ejus cum
honore retinuerunt, sed tamen cum gratia Heinrici regis, filii
imperatoris, quod plenius in gestis regis, si Deus vo-
luerit, exequar; welches das jtärfjte Argument gegen die Annahme
ift, die gesta Konrads und Heinrich feien al8 ein Werf zu be—
tradhten, wenn anders man auch hier nicht annehmen will, e8 laffe
„ſich leicht ausſcheiden“.
Schwer iſt zu ſagen, wie es mit der etwaigen Urſprünglichkeit
des Titels der Carlsruher Handſchrift ſteht. Wir glauben, Pertz iſt
hier mit richtigem Takte verfahren, daß er ſie nicht aufnahm; denn
Wipo felber würde ſchwerlich Festa quorundam imperatorum’
geſagt haben. Auch die Erſetzung von ‘rex’ durch imperator' iſt
bei Späteren, wo jener Begriff von dieſem überdeckt worden, alltäglich,
das Umgekehrte dagegen nur als ſeltene Ausnahme vorkommend, wes—
wegen wir auch der Ueberſchrift Ppistola ad regem’ ein entſchie—
denes Gewicht einräumen müſſen.
616
Nach alledem Können wir nicht zugeben, daß ber Beweis erbracht
fei, oder fich erbringen ließe, Wipos urfprürngliche Abficht ſei geweſen,
die Thaten Konrads und Heinrichs in Einem Werke zuſammen zu
faffen. Wir können uns hier nur den Worten Steindorffs, Yahrb.
I, ©. 418, anfchließen, daß Wipo mehrfach ausgeiprocdhen habe, aud)
gesta Heinriei regis zu bearbeiten, und daß anzunehmen ſei, er habe
bereit allerlei Stoff dafür gefammelt, als er mit feinem Werfe über
Konrad hervortrat. Dies ftimmt genau zu unferer Interpretation
des Prologs und läßt fich trefflich mit dem Ausſpruche Mays im
N. Arch. III, S. 412 verbinden, dem zufolge er zu der Ueberzeugung
gediehen, daß unfer Text ein fehr mangelhafter.
Dbwohl nun Wipo unfer vornehmiter Berichterjtatter über
Konrad II. ift, der uns Nachrichten vom höchſten Werthe überliefert,
fo darf doch nicht verfannt werden, daß wir in ihm feinen jo unbe—
fangenen Schriftiteller wie Widufind oder Thietmar vor uns haben,
vielmehr einen folchen, der der höfifchen Hrotfuith fehr nahe fteht.
Er verfchweigt die Zugeftändniffe Konrads in feiner Eheangelegenheit,
verfchweigt den Abfall der Italiener und die Ausbietung der italieni-
chen Königsfrone, weiß nichts von der Flucht (?) Bruns und Hein-
rihs vor den fchwäbiichen Aufftändifchen, nicht® von den Zerwürf—
niffen zwifchen Vater und Sohn bei der Abjegung Adalberos von
Kärnthen. Das Emporfommen des falifchen Haufes beruht auf uns
mittelbarem Einwirfen Gottes, denn: non erat fas alicui in terra
militare, quem Deus omnipotens praedestinavit omnibus im-
perare (cap. 2 fin). Bor dem Ueberirdifchen müſſen ſelbſtverſtänd—
(ih die auf der Erde Wallenden, namentlid) Erzbiichof Aribo von
Mainz, zurücktreten. Wie die Thronfolge Konrads, jo färbt er den
Rücktritt der Lothringer, welcher officielle Verhandlungen?! des Pfalz-
grafen Ezzo nöthig machte, fo vertufcht er den Grund der Empörung
Herzog Konradse, wo an Stelle des wahrfcheinlichen Unrechts des
Königs der Teufel eintreten muß, fo redet er bei Konrads erjter An—
wefenheit in Ronjtanz von ‘bene ordinato regno Sueviae, ad ca-
strum Turicum perrexit’ (cap. 7), während wir es mit der Zeit
zu thun haben, wo der ſchwäbiſche Aufftand entweder in hellen Flam—
men ftand, oder bald darauf, noch im Laufe defjelben Jahres, aus:
ı Die vornehmften weltlichen Großen Lothringens befanden fi 1025
gegen den deutichen König in offener Oppofition, einzelne mit nachweisbaren Be
ziehungen zu Franfreih. In Frankreich hatten ſich die Dinge feit dem Sep-
tember derartig geftaltet, daß von dorther feine Unterftügung mehr ermartet
werden durfte (vergl. meine Anfänge Konrads II, ©. 41). Anfang November
1025 war Pfalzgraf Ezzo, Ottos III. Schwager, in der Pfalz zu Aachen, alio
am officielfen Orte, ‘occupatus cum totius Lotharingiae majorum collo-
quio. Etwa 1'/, Monate fpäter fehen wir die hervorragenbften diefer ma-
jores, namentlich die lothringiſchen Herzöge, in eben derielben Pfalz zu Aachen
Konrad II. die Huldigung leiſten. Danach liegt die Rolle, welche Ezzo geſpielt
hat, völlig Mar; Hier noch die Vermuthung zuzulaffen, er fönne vielleicht mit
‘totius Lotharingiae majores’ Privatgefpräche geführt haben, ift mehr ale
nöthig. Anders Breßlau, in Sybels Hifi. Zeitſchr. N. F. II, ©. 138.
617
brach. Erft im 10. Gap. berichtet Wipo Hiervon, und zwar fehr allge
mein und obenhin (vergl. Ann. Sang. 1025). Nur zart deutet er
an, daß es bei der Kaiferfrönung der Giſela auch nicht ganz glatt
hergegangen fein muß (Studien S. 12); chronologiſche Ungenauig»
feiten find nicht jelten, auf die im cap. 33 hat bereits Waitz auf-
merkſam gemacht (Forih. VII, ©. 397). Andere finden fich in den
eriten Gapiteln, in cap. 8'. 12, 21 und wahrjceinlid im cap. 13
(Studien ©. 15).
Auh im cap. 25 hat man fachliche Fehler zu finden geglaubt
(N. Arch. II, ©. 592). Die Stelle lautet: Qualiter dux Ernu-
stus ducatum accepit et statim amisit. A. D. 1030. imperator
Chuonradus apud Ingelenheim pascha celebravit. Ibi Ernu-
stus supra memoratus dux Alamanniae, a custodia solutus,
ducatum recepit, eo tenore ut Wezelonem militem suum ...
quasi hostem rei publicae cum omnibus suis persequeretur,
idemque se facturum cum sacramento confirmaret. Quod cum
dux facere nollet, hostis publicus imperatoris dijudicatus est,
et penitus ducatu amisso, cum paucis inde recessit.
Die Ueberfchrift giebt hier kurz den Anhalt des Textes an:
Herzog Ernjt empfing das Herzogthum und verlor es fogleich wieder.
Dies wird num näher ausgeführt. Zu Ingelheim am heil. Oftertage
erhielt er fein Herzogthum zurück, es geichah unter der Bedingung,
dag er Werner mit ganzer Macht nachitelle, was er durch einen Eid
befräftigen mußte (confirmaret iſt wie persequeretur von eo te-
nore ut abhängig). Der fo wieder eingejeßte Herzog wollte nun aber
nicht thun (facere), nicht ausführen, was er verfprocen Hatte, wollte
Werner nicht verfolgen, worauf er feiner Würde ein für alle mal
verluftig erklärt wurde (quod cum dux facere nollet bezieht fich
nicht auf die Ablegung des Eides, fondern auf die Haltung deſſelben:
idque se facturum, beidemal dajjelbe Wort; die Ausdrucksweiſe ijt
gedrängt und etwas unbehülflich, welches letztere ganz gewöhnlich in
der Vita ijt). Hiermit ftimmt Herimann von Reichenau überein,
der auch unter 1030 berichtet; Ernust dux, cum exilio relaxatus
ducatum suum recepisset, pravorum consilio usus et denuo
imperatori refragatus ducatu privatur. Nad) diefen beiden Quellen
kann weder über die Zeit nocd über den Hergang ein Zweifel ob—
ı Wipo cap. 8: (Basileae) provisor ante tres menses, quam rex
veniret, migravit a saeculo.. Da Konrad am 23. Juni 1025 in Bafel war
(Stumpf 1892), fo ergäbe jene Notiz Ende März 1025 als die Zeit von Adal-
beros Ableben. Dies fteht in Widerfpruch mit den Angaben des Kalendar.
necrol. Basil., Böhmer Fontes IV, ©. 146: (Mai 12) IIII. id. Adalbero
episcopus obiit, qui sepultus est in cripta posteriori et dedit curtes
suas et proprietates earundem in villis et bannis Tenningen et Illen-
kilch 1025. Offenbar verdient diefe genaue Nachricht den Borzug vor Wipos
mehr allgemeiner Gedächtnißnotiz. Vergl. Merian, Geſch. d. Bild. v. Bajel I,
©. 30: „Im Iahrzeitenbuche des Münfters heißt es von einem Adalbero, er fei
geftorben den 12. Mai“. So: Gams, Series ep. ©. 261: Abalbero III. +
12. V. 1025; S. 262 die Literatur; vergl. Stumpf, Reichel. 1877.
618
walten, und ebenfowenig, daß die Webereinftimmung beider auf die
verlorene Neichsgeichichte deutet (vergl. Stud. S. 11 Ann. 2
Nun findet fi) ein Ernastus dux — ohne Frage der unfrige —
in einer Urkunde SKonrads vom %. 1028. Steht das mit den
hronifaliichen Angaben in Widerfpruh? Durdaus nicht, denn 1027
war dem Empörer nur die thatfächlihe Regierung in feinem Herzog—
thume genommen, nicht aber feine Würde; diefe behielt er genau jo
wie Herzog Heinrich der Zänfer, als er in Haft nad Ingelheim,
oder Erzbiſchof Friedrih von Mainz, al® er in Gewahrjam nad)
Hamelburg gebraht wurde. Daß dem fo ift, beweifen Wipo cap. 20,
die Ann. Sang. maj. und Herimann an. 1027, bei denen allen nur
die Rede davon ift, daß der Herzog mit Gefangenjegung, nicht aber,
daß er mit Abſetzung beftraft worden. Es wird ferner durch den
Umstand bewiefen, daß 1027 Fein neuer Herzog erhoben wurde, was
1030 alsbald gefhah; und fchlieglih dur die Titulatur im 25.
Gapitel Wipos, wo Ernft vor der Wiedererlangung des Herzogthums
in der Weberfchrift und im Texte dux genannt wird; jo wie ihm
feine Wirde genommen, ift von ihm nur als Ernustus die Rede, der
Titel fehlt (Näheres Stud. S. 13 Anm. 2).
Nach diefer Seite Hin ift alfo die Zeugenangabe nur eine Be—
ftätigung unferer übrigen Nachrichten, von ſelbſtändigem Werthe wird
jie erft für die Dauer der Haft; denn, wenn Ernft ſchon im Mai
oder Juli 1028 in Weftfalen oder Magdeburg auf einem faiferlichen
Diplome figurirt, jo iſt daraus zu folgern, daß er damals bereits
feiner Haft auf dem Gibichenftein entlaffen war, womit Herimanns
Worte jtimmen: Ernustum ... per aliquod tempus exilio de-
putavit, die bei einem im chronologischen Dingen fo gewiſſenhaften
Manne, wie dem Reichenauer Mönche, kaum auf Jahre zu beziehen
find. Demnach hatte der Stiefvater alfo ſchon in der eriten Hälfte
de8 Jahres 1028 feine faiferliche Gunst (befanntlidy im Meittelalter
techniich) theilweife feinem Sohne wieder zugewandt, da er ihm aber
nicht traute (vgl. cap. 28 fin.), gab er ihm das Herzogthum erjt
zwei Jahre ſpäter zurüd. Es wird unterdeſſen interimiftiich verwaltet
fein, vielleicht durch Brun von Augsburg und nad) dejfen Tode durch
Warmann von Konftanz !.
Wie manche Ungenauigfeit Wipo ſich ſonſt Hat zu Schulden
kommen laffen, über Ernft II, den Sohn feiner Raijerin, feinen
wahrfcheinlichen Herzog ?, erweilt er fi) im Gap. 25 nicht Schlechter
unterrichtet al8 in anderen.
ı Verl. Wipo cap. 11. 19. 23. 25. Die Verwaltung Lothringens durch
Brun von Köln war noc) nicht vergeffen, fpäter finden ſich befanntlich interimi-
ftiiche Verwaltungen wiederholt.
2 Märe der Krönungsleihh in Conradum Salicum bald nad) der Erhe-
bung des Königs gedichtet, fo ließe auch er fich für die nichtburgundifche, bezw.
für die fchmwäbifche Heimath Wipos heranziehen (vergl. Arndt, Die Wahl
Conrad H. ©. 46). Wipos Worte cap. 8: Ruodolfus rex promissa sua
irrita fieri voluit, find nicht gerade vom burgundifchen Standpunkte ge-
ſchrieben; vergl, noch Tetral.120: Salve flos patriae. Näheres Stud. S, 16.
II. Von J. May.
Nur die Ueberfchrift der Carlsruher Handichrift, bekanntlich der
einzigen die erhalten (im folgenden C bezeichnet), nicht der von Pi-
ftorius in feiner Ausgabe gewählte Titel, hat Auſpruch auf Urfprüngs
lichkeit. Die Bezeichnug ‘Gesta Chuonradi et Heinrici’ entſpricht
der an drei Stellen (epistola, prol. und c.36) ausgefprochenen Ab»
ficht, aud) über die Taten König Heinrichs zu berichten.
Wipo betrachtet demnach beide Schriften als fo eng zuſammen—
gehörig und ftellt die Abfaffung der zweiten fo ficher Hin, daß er der
erjten eine Lleberjchrift gibt, die ftreng genommen nur für beide Bio—
graphien zufammen paßt. Der handfchriftliche Titel iſt alfo ein deutliches
Wahrzeichen von dem, was unfer Schriftiteller noch gewollt, aber
wahrjcheinlich nicht mehr vermocht hat, da ihm der Tod den Griffel
aus der Hand nahm (prol.: obseero post me scribentem, ne
spernat stylum cadentem erigere). Der Prolog gilt überhaupt
für die Biographien beider Könige (duorum acta regum) und jtellt
das opus al® imperfectum dar, fall e8 dem Verf. unmöglich fein
jollte, die gesta Heinriei zu fchreiben.
Bon Giefebreht! und H. Breßlau? ift die Vermutung ausge⸗
ſprochen worden, daß die gegenwärtige Geſtalt der gesta Spuren einer
von Wipo felbft herrührenden Ueberarbeitung an fid) trüge.
AS wichtig gilt in diefer Beziehung ec. 1 die Stelle über Un—
garn, welde ſich wegen der ungeſchickten Anfnüpfung mit ‘autem’
an das Vorhergehende als jpäteres Einjchiebjel erweilt, wenn man
nicht mit Giefebreht die Worte “nunc ad propositum redeo’ um—
jtellen und an das Ende diefe® Satzes verfegen will, Außerdem
hält H. Breflau auch c. 8 die Beifügung ‘qui postea rex et au-
gustus effectus est’ für fpäteren Zujat. Diefe Stellen beziehen
fid) beide auf Heinrih, und es ift merfwürdig, daß gerade an den
Aeußerungen über diefen die Weberarbeitung erfannt werden fann.
Vergleiht man nämlid) epistol. prolog. und c. 1 mit den übrigen
Partien, fo ift ein Unterfchied nicht blos in der Titulatur, fondern
auch in der ganzen Charafteriftift des Königs unverfennbar. Dort
zeigt id) ein auffallendes Hervorheben der perſönlichen Eigenjchaften
und Verdienſte Heinrich®. Um von der epistola zu jchweigen, bei der
fi) ein ſolches Beſtreben von felbjt verfteht, will ich nur erwähnen,
s zen II 4, &. 562.
2N. A. Bd. II, dt. 2, S. 590.
620
daß das Epitheton “linea justitiae’ in furzer Aufeinanderfolge (prol.
und c. 1) zweimal wiederfehrt, das zweite Mal in Verbindung mit
‘pius, pacificus”. Die burgundifchen Angelegenheiten werden ‘divina
providentia’ geordnet und die Ungarn ‘nobili atque mirabili vic-
toria’ bewältigt. An ſich wäre das nicht auffallend, wenn es nicht
in fo ſtarkem Gegenfag zu dem Tenor der übrigen Partien ftände.
Wir fehen dort Heinrich ganz fucceffive in die Weltgefchichte eintreten,
fo daß bei der aufinerfiamen Yectüre diefed Teiles der gesta unwill—
fürlih die Vermutung einer mit den Ereigniſſen gleichzeitigen Auf—
zeihnung und Abfaſſung des Werfes ſich aufdrängt, in welchem Falle
es freilich mit dem Jahre 1047 (Pflüger) nichts wäre. Die Stelle
(e. 8) über die Simonie, foweit fie König Heinrich betrifft, wacht
durch den Zuja ‘qui — effecetus est’ und durch die Worte “in
omni vita’ den Eindrud, daß auch hier ein Einfchiebjel der II. Be-
arbeitung zu conftatiren ift, da der Biograph wol erft nach einer
längeren Regierungszeit Heinrich® behaupten fan, daß der König
fi) zeitlebens der Simonie enthalten. Die übrigen Stellen, an
denen von Heinrich die Nede, find doppelter Art: fie berichten ent=
weder von den verfchiedenen Phafen feines Entwidlungsganges
(e. 11. 23. 35. 38) oder von denjenigen Ereigniffen, an denen er
teil8 als Begleiter der Eltern (c. 24. 30. 35), teils felbitändig Teil
nimmt (e. 10. 26. 33. 35 Urteil über die Verbannung der Bi-
ihöfe, 39). Die meiften Greignijfe fallen in die aetas puerilis,
und ſelbſt die ſlaviſche Action vollbringt er noch “in puerilibus an-
nis’. Heinrich erjcheint im IL. Teil der gesta al$ “imperii spes’
(e. 39), d. h. noch nicht al8 der fertige, abgejchloffene Charakter, wie
ihn die Epitheta ‘pius, pacificus, linea justitiae’ (ec. 1) erfennen
laffen. Die II. Partie it demnach, was Heinrich anlangt, objectiver
und frei von jeder Ueberſchwänglichkeit, was man von der I. nicht
behaupten könnte. Der Unterfchied ift alfo unverfennbar. Er ift
aber auch natürlich. Wipo dachte bei der erjten Bearbeitung nicht
daran, daß der II. Teil des opus möglicher Weife unvollendet bleiben
fönnte, weswegen er auch immer bei den Taten Heinrich® darauf ver-
weilt. Als er aber endlich nad) 1046 die gesta Chuonradi allein
dem neuen Kaifer zu überreichen gedachte, hielt er jenen Fall doch für
möglich und machte nun einige Einſchiebungen, die der veränderten
Sachlage entfprechen. Welche find das?
Die Adreffe der epistola ‘ad regem’ (C) fucht irre zu führen
und die Entſtehung derſelben zurückzudatiren; da fie aber jo offen-
bar dem nachfolgenden Text widerfpricht, fo geht daraus hervor, daR
fie nicht von Wipo !, fondern von einem fpäteren Schreiber herrührt.
Die epistola ift, wie aus den darin enthaltenen Zitulaturen hervor:
geht, nach Weihnachten 1046 gefchrieben, alfo an den imperator
gerichtet, während die Biographie felbit Schon vor 1046 fertig war.
Als Wipo das 39. Cap. fchrieb, war Heinrich noch rex, ſonſt wiirde
ı 9. Breflau S. 588.
621
er ihn ſchwerlich als “imperii spem’, d. h. als fünftigen imperator,
bezeichnet haben. Wenn Wipo, wie aus der Gefammtüberfchrift und
aus den Worten des Prol. ‘opus meum’ hervorgeht, beide vitae als
ungertrennliche8 Ganzes betrachtete und auch anfänglich zufammen her—
ausgeben wollte, jo Hat er diefen Plan vielleicht mit Rückſicht auf
feine Kränklichkeit geändert und die Sonderausgabe beichloffen. Diefer.
Plan ijt, wie gejagt, nad) 1046 zur Ausführung gefommen, und eben
aus diefer Zeit datirt die Ueberarbeitung, wie auch die Abfaffung der
epistola. Wenn eben Sranfheit als Motiv des geänderten Planes
angegeben wurde, jo hat er daſſelbe in der epist. rhetorifc anders
gefaßt, indem er jagt: „wenn die ruhmreichen und glänzenden Taten
jenes nicht vorausgingen, fo würden fie von dem folgenden Glanze
deiner Tugenden einigermaßen verdunfelt“.
Der Prolog, in weldem fremde Gedanken! durchſchimmern,
trägt im I. Teil — si quidem cum — einen durchaus philofophiichen
Charakter. Der II. Zeil fpricht über den Plan des Werfes, und
zwar fo, daß er die gesta beider Könige als zufammengehörige® opus
(duorum acta regum complectar) betrachtet, von dem er vorläufig
nur ben I. Teil veröffentlicht, während er den II. weiterer Forſchung
vorbehält. Die gesta Heinriei werden alfo fpäter und für jich er=
feinen, per se ordinanda decrevi, wie er fi) in der epistola
ausdrückt. Wipo hat es demnach für nötig gefunden, ſich nochmals
über die Aenderung feines Planes auszufprechen; dies konnte er aber
erft tun, als er fich zur Sonderausgabe entjchloß, nämlich nad) 1046.
Ich bin alfo der Anficht, daß die Stelle ‘si quidem cum — opus
praeparatum’ zu derjelben Zeit entjtanden ift, wie die epistola.
1 Außer Macrobius hat Wipo nad einer furzen Bemerkung von Julius
Kaizl (Differtation über Wipo, feine Schriften, in&bejondere feine Vita Chuon-
radı imperatoris. Wien o. 3.) die Einleitung des Sulpicius Severus zum
Leben des bi. Martin (ed. Halm 1866) benutt. Sulpicius fagt, daß fehr
viele (studio et gloriae saeculari inaniter dediti) das Andenken ihres Na-
mens durch die Biographie berühmter Männer zu fihern glaubten; diefen Zweck
erreichten fie theilweife, quia et suam memoriam, licet incassum, propa-
gabant et propositis magnorum virorum exemplis non parva aemula-
tio legentibus exeitabatur. Wipo wendet den Gedanken anders und findet
den Nutzen der Aufzeichnung geichichtlicher Ereigniffe in dem Nahruhm der
Träger derjelben und (Übereinftimmend mit Sulp.) in dem guten Beijpiel,
das der Nachwelt gegeben werde (Rerum labentium — solet). Aber zum fe-
ligen Leben, fährt Sulp. fort, trägt diejes eitle Streben nichts bei: aut quid
posteritas emolumenti tulit legendo Hectorem pugnantem aut Socra-
ten philosophantem? Wipo: praeterea videtur non licere ete. Erft
die Biographie eines Heiligen hat den wahren Wert: quo utique ad veram
sapientiam et caelestem militiam divinamque virtutem legentes inci-
tabuntur. Wipo: ex qua re boni ad virtutes (sic! C) incitantur.
Aus derepistola entjpricht der Ausdrud: ne lucerna lateat sub modio dem
Sulpicifhen: ne is lateret qui esset imitandus. c. 39 fagt Wipo, daf er
propter commoditatem legentis den Stoff zufammengezogen habe; denjelben
Gedanken hat Sulp.: simul et legentibus consulendum fuit, ne quod
his pararet copia congesta fastidium.
622
Geſtützt wird diefe Anficht durch den Nebenfag: quem Henricum
lineam justitiae cuncti pene prudentiores cognominant.
Diefe Stelle ift fiher erft fpäter Hineingetragen, als eine län—
gere Regierungszeit Heinrichs ein definitive Urteil überhaupt zu=
lieg. — Wenn H. Breflau c. 1 den Sat “Ungaria autem —
sustinuit' als nachträgliches Einſchiebſel bezeichnet, „deilen Zweck
offenbar wird, wenn man jieht, wie Heinrich III. darin gepriefen
wird“, jo halte ich das für richtig, muß aber Hinzufügen, daß der
voraufgehende Bericht über die Ordnung der burgundifchen Angelegen-
heiten durch Heinrich; ganz denjelben Charakter trägt und ganz den—
jelben Zwed hat. In einer Biographie Konrads follten doch deſſen
Berdienfte die Hauptjache fein, und in der Tat liegt der Fall auch fo, daf
die endgültige Einverleibung Burgunds unter Kaifer Konrad geichah;
Statt dejjen wird Heinrich III. ‘pius, pacificus, linea justitiae’ ale
derjenige bezeichnet, der Burgund bello et pace cum magnificentia
beruhigt habe, und was die göttliche Vorſehung weiter getan, will er
andern Orts mitteilen. Man erkennt deutlich, warum Heinrich ein
fo gloriofer Anteil an der Pacification Burgunds zugefchrieben wird.
Die Sache bleibt diefelbe, auch wenn man die Worte nunc ad pro-
positum redeo’ hinter sustinuit ftellt. Urfprünglih ift nur der
Sat: Burgundia enim nondum Romano imperio ita ut nunc
acclinis! fuerat; der Zweck deffelben war, anzugeben, warum feine
Vertreter aus Burgumd bei der Königswahl anmefend waren; die ges
ſchichtliche Notiz aber Iteht in gar feinem inneren Zufammenhang mit
der übrigen Auseinanderjegung. Ebenſo iſt e8 mit Ungarn. Wipo
ftand aber noch unter dem frifchen Eindrud der Schlaht an der
Naab (1044) und benutzt diefe Gelegenheit, den „herrlichen und
wunderbaren Sieg“ Heinrichs zu preifen. Indem ich alfo annehme,
daß ‘nunc ad propositum redeo’ ehemals hinter fuerat jtand, be=
trachte ich die Stelle ‘Secundus Heinricus — sustinuit’ als ſpä—
teres Einſchiebſel Wipos.
Ueber den Paſſus in ec. 8 ift ſchon geſprochen. Hinfichtlich des
letsten Sates in c. 29 wird von Breklau ebenfall® Einfchiebung an«
genommen, obgleich dagegen geltend gemacht werden kann, daß Wipo
der Kürze wegen in dem Ausdrud “imperatoribus nostris’ aud)
Heinrich mit inbegriffen habe, wenn er auch noch rex war.
Keinen ficheren Anhaltspunft bietet die Stelle in ec. 35: refe-
rebant nobis etc. Auffallend ijt aber die Freiheit und Entſchieden—
heit des Urteil8 über die Gefangennahme und Verbannung der drei ita=
lieniſchen Bischöfe, indem fie wenig zu dem ergebenen Ton jtimmt,
der in den übrigen Partien dem Kaifer gegenüber vorwaltet. In
c. 8, wo Konrad und feine Gemahlin der Simonie geziehen find,
wird der Kaifer durch die bewiejene Reue fogleic wieder gerechtfertigt,
hier aber begegnet man frappantem Tadel. Wenn man aud) annimmt,
daß in der Verurteilung der Biſchöfe der Priejter ſich verletzt ſah, fo
1 &o Zwetl.
623
wird das ſchwerlich in einem Buche gejtanden jein, das möglicher:
weife noch Konrad lefen konnte. Da aber die Stelle ſich in einem
der legten Capitel findet, jo kann fie ſehr leicht erjt nad) 1039 auf-
gezeichnet fein.
Offenbar hat die Zeit auf Gejtaltung des Tertes nachtheilig einge-
wirft; jedenfalls ift unfere Leberlieferung eine jehr mangelhafte. Die Ab-
fchreiber haben aber auch im einer andern Beziehung das ihrige getan.
Ihr Schlechter Einfluß läßt fich erkennen 1) an dem Weberjchriften der
Gapitel, 2) an den reimartigen Ausgängen der Sätze.
Die Ueberfchrift des Briefes an K. Heinrid, in C ‘Epistola ad
Regem’, bei Pistorius ‘Epistola ad regem Henricum Chunradi im-
peratoris filium’ lautend, muß aus einem bereits befannten Grunde als
unecht bezeichnet werden. Nun iſt e8 auffallend, daß in zu c. 27,
23. 34. 36. 37. 38 die Ueberjchriften fehlen. Der Text zeigt an
diefen Stellen feine Lücke, ſondern läuft ununterbrochen fort. Bietet
num auch C Häufig ſolche unbezeichnete Lücken, jo ift doch der Fall
denfbar, ja fogar wahrjcheinlich, daß die betr. Stellen von Anfang an
feine Ueberjchriften hatten. Daß fie bei Pist. nicht fehlen, beweift
nicht viel, da wir wiljen, daß er ſich Häufig durch Gonjectur geholfen,
Die vorhandenen Ueberjchriften werden durh 3 Momente verdächtig
1) dadurch daß eine gauz falſch ift, 2) daß manche nur einen kleinen
Zeil des Inhalts des Capitels angeben und 3) daß viele dem Wort-
laute des Textes entjtammen. Ad 1 hat Breßlau! nachgewiejen, daß
die Heberfchr. zu c. 25 an einem inneren Widerjpruch leidet. Ad 2
bemerfe ih, daß die Ueberjchriften völlig unſyſtematiſch gemacht find.
Wenn es dem Schreiber darum zu tun war, die Hauptpunfte durch
Einteilung in Gapitel dem Leſer deutlicher vor die Augen zu führen,
jo mußte er die Ueberjchriften bedeutend vermehren. ec. 8 ijt 3.8,
nicht blos von der Einfegung eines Biſchofs von Baſel die Rede,
jondern auch von dem wichtigen DBerhältnis Konrads zu Burgund
und von den Verſprechungen des Königs Rudolf. ec. 9 find Mifico
und Udalrich ebenfo wichtig wie Boleslav. c. 10 enthält 3 Punkte
1) den Zwiſt zwiſchen König Konrad einerfeit® und Herzog Ernit,
Kuno von Franken und Friedrid von Lothringen andererfeits, 2) die
Vorbereitung zum Römerzug, 3) die Nejtitution Ernfts. Die Ueber-
fchrift aber heißt ‘De inimieitia inter regem et Ernestum ducem’,
Man fieht, da dem oberflächlichen Autor die erſten Sätze der einzelnen
Partien genügen, um diefen ihre ganze Signatur aufzuprägen. Es
ift unnöthig, alle Stellen zu berühren, da man jchon aus dieſen das
ganze umnkritifche Verfahren deutlich erfennt. Nur noch c.35. Diefes
jtellt 4 Bunfte dar, 1) die Heirat König Heinrichs, 2) den Mailänder
Aufftand, 3) die Verbannung der drei Biichöfe und R den Tod Odos.
Unfere Ueberſchrift handelt aber blos von 1. Und dod) hat Wipo alle
Punkte dadurch geichieden, daß er echt annaliftisch jeden mit ‘eodem
ı 0.00 ©. 592.
624
anno’ anfängt. So gut aljo bei andern Partien, die mit "Eodem anno’
beginnen, neue Capitel zu ftatuiren waren, ebenfo mußte dies conjequen-
terweife hier gefchehen. Aber e8 ijt in dem ganzen Machwerf feine Conſe—
quenz. Ad 3 wird es genügen, auf c. 4. 5. 11.14. 15. 17. 21. 26.
'29. 30. 31. 33 und 35 hinzuweifen.
Die Ueberfhriften ftammen, dem Vorftehenden zufolge, nicht von
Wipo, jondern find das Werk eines Späteren, der der leichteren
Ueberfichtlichkeit wegen vielleicht zu Schulzweden die Fülle der Creig-
niffe fichten wollte, dabei aber unkritiſch und ſyſtemlos verfahren ift.
Der Tert Scheint aber noch in anderer Beziehung Veränderungen
erlitten zu haben. Der Endreim, der in der vorderen Partie (nament—
lid) in den Reden) häufiger auftritt, als in dem eigentlich annalifti-
ichen Zeil des Werkes, ift durch die Schuld der Abjchreiber da umd
dort verfchoben worden. Am auffälligften it mir im Prol. Matth.
10, 27. Wipo führt ſolche Stellen, wie die in der epist.! und
c. 52 beweift, nicht wörtlich an, fondern gejtaltet fie metrifch um, umd
jo wird er auch der Prologitelle den beliebten leoninifchen Charafter
gegeben und gejchrieben Haben: — super tecta praedicate Der
- Übjchreiber hat entweder aus DVerjehen oder der Vulg. folgend die
Worte umgeftellt. Ebenſo, doc) nicht ganz ficher, liegt der Fall in
andern Süßen, die einen gewiſſen rhythmiſchen Charakter mit Endreim
haben. Häufig ift diefer durch das Streben bedingt, einen Gedanken
mit bejonderem Nachdruck abzufchliegen, wie in der epist., wo es
wahrscheinlich heißen muß: ne virtus memorialis obducatur rubi-
gine oblivionis, und am Schluß: omnibus illis, favente deo
omnipotente, obtinere merearis. Aus demjelben Grunde bin ich
überzeugt, daß Wipo ec. 1 vor der Aufzählung der Reichsfürſten zur
Markirung eines abjchliegenden Gedankens ſchrieb: cernitur actum —
optimum credatur factum.
ı Vulg.: in ore duorum aut trium testium stabit omne verbum.
3 Vulg.: Pes meus stetit in directo.
Der Münzort „Mere”.
Don 9. Loerſch.
An dem großen und verdienftlihen Werfe über die Münzen der
ſächſiſchen und fränkiſchen Kaiferzeit beichreibt Danneuberg auf ©. 143
vier Denare, welche ſämmtlich auf der VBorderfeite den Namen Go—
defridus’ tragen, von denen dam zwei als Prägeort auf der Rück—
jeite *Mere eivitas’ angeben, die beiden anderen auf diefer Seite an—
Scheinend finnlofe Nahahmungen diejer letzteren Umfchrift zeigen!. Er
ermittelt mit Mückjicht auf das Gepräge fowie auf den Fund, dem
die Münzen entjtammen, als Prägherrn den Herzog Gotjried II. den
Bürtigen von Yothringen (1044—1069) und nimmt als Prägitätte
Meer an, ein feines zwei Meilen nördlid) von Neuß gelegenes
Dertchen, das Gräfin Hildegund von Are 1164 dem Erzbiichof Rei—
nold von Köln zur Stiftung eines Nonnenklofters übergab. Aus den
Bemerkungen Dannenbergs geht nicht hervor, und er jcheint nicht be=
achtet zu haben, daß mehrere Orte im Mittelalter mit dem Namen
Mere bezeichnet werden; außer dem von ihn genannten nämlich nod)
ein Hof Mere bei St. Trond und das Dorf Mere in der alten
Srafihaft Dalheim. Es wird aljo aud) nicht ohme weiteres einer
diefer Orte als Prägitätte herausgegriffen werden dürfen, ſondern viel—
mehr zu erwägen fein, für welchen von ihnen die größere Wahrſchein—
lichfeit Spricht, und da wird wohl am ehejten die Zugehörigkeit zu den
Hausbefigungen des Prägheren einen Anhalt für die Entſcheidung ges
währen. Es ift num zwar feiner der drei Orte durch ein directes
Zeugniß als zu den Hausbefitungen des Gejchlechtes der Ardeunen—
grafen gehörig bezeichnet, für das oben zufegt genannte Mere glaube
ich aber nachweiſen zu können, daß es inmitten derjelben gelegen war.
Für meinen Zwed gemügende Auskunft geben hier die Gesta episco-
porum Virdunensium, continuatio cap. 9 (Mon. Germ. SS. IV,
48 a. E. u. 49), welche die Schenkungen aufzählen, die Graf Her:
mann, der Sohn Gotfrieds von Verdun, der Abtei St. Vannes
machte. Hier heißt e8: tradidit beato Vitoni Rogeri curtem et
Felsicam cum bono quod vocatur Hasluth in comitatu Bra-
bantino, atque Munau cum dimidio Mosomensi mercatu; in
1 Die Abbildungen fichen auf Tafel 13 unter Nr. 304306,
626
Harvia quoque triginta mansos cum familia magna, in Geavia
duas ecelesias cum capella indominicata . . Godefridus etiam
dux Fontagiam villam!. Die genauere Bejtimmung diefer Ort:
ichaften, welche aud) die Ausgabe in den Monumenta nicht verfucht
hat, verdanfe ich Herrn Piot, archiviste adjoint du royaume, der
fie auf die gütige Vermittelung des Vorftandes der belgischen Archive,
Herrn Gadhard, vorzunehmen die Sreundlichkeit Hatte. Kommt es mir
hier nur auf eine einzige Ortsbezeihnung an, fo will ich doch ala
Ergänzung zur Ausgabe wie zu den Yahrbüchern fünmtlihe Angaben
des Herrn Piot folgen laſſen. Sie verwerthen deifen gründliche Ar—
beit: ‘Les pagi de la Belgique et leurs subdivisions pendant
le moyen äge’? und berichtigen ein älteres Bud von Ch. Du—
vivier: “Recherches sur le Hainaut ancien’ (Brüffel 1865).
Rogeri curtis: Rocourt, Provinz Hennegau, Canton Perwez
(Pagi ©. 99).
Felsica: Velſique, Provinz Oſt-Flandern, Canton Sotteghem
(Pagi ©. 100).
Haslud: Op: Haffelt, Provinz Oft- Flandern, Canton Neder:
braedel (Pagi S. 98). Dupivier will S. 111.342. 371. 388. 390
den Ort mit Elsloo, einer Dependenz von Everghen bei Gent, identi=
ficiren. Everghem aber gehörte zu dem Heinen Genter Gau, welcher
felbjt in dem großen pagus Mempiscus lag, Haslud dagegen wird
in allen Urkunden (— aud) in der oben angeführten Stelle —) als
zum pagus (comitatus) Brabantinus gehörig bezeichnet.
Munau: Muno, Provinz Luxemburg, Canton Florenville (Du—
vivier ©. 343).
Mosomensis mercatus: Mouzon, Departement der Ardennen
in Frankreich.
Harvia: Herve, Provinz Limburg, Hauptort des Cantons
gleichen Namens.
Geavia: Jagnée, Provinz Namur, Canton Ciney (Duvivier,
©. 343).
m iiber Fontagia weiß aud) mein Gewährsmann Feine Aus—
funft zu geben, indem er feinen der zahlreichen mit dem Namen Fon«
taine bezeichneten Orte in Belgien als hier gemeint bezeichnen will.
Die Thatſache nun, daß das Ardennische Grafengefchlecht in
Herve (jet einer kleinen Stadt n.-w. von Verviers)* Grundbefig hatte,
Icheint mir maßgebend dafür zu fein, daß die Prägeftätte „Mere“
derjenige von den Orten diejes Namens ift, welcher in unmittelbarer
Nähe von Herve liegt; heute Mheer in der niederländifchen Provinz
ı Die Stelle ift abgedrudt in den Jahrbüchern des deutichen Reichs unter
Heinrich II., Bd. I, ©. 335 f. in der Note unter e und c. Die abweichende
Angabe des Hugo von Flavigny, der entichieden weniger zuverläffig ift als ber
Eontinuator, kann hier unberüdfichtigt bleiben; vgl. Jahrbücher a. a. O.
2In den Mémoires de l’acaddmie de Belgique, 1876.
Bgl. Delvaux, Dictionnaire geographique de la province de
Liege 1, 207 ff.
627
Limburg, hart an der holländifch-belgiichen Grenze und öſtlich von der
Maas und dem Derthen Breuft. Diefes Mere fteht nicht auf der
Karte 32 der neuen Ausgabe des Spruner-Menkeſchen Atlaffes, wohl
aber auf der verbreiteten Reymannſchen Karte. Bis zu Heinrich IL
Zeiten war hier aud) füniglicher Befig, der dann durd Schenkung
an das Achener Marienftift gelangte‘. Im fpätern Mittelalter ge=
hörte der Ort zur Grafſchaft Dalheim oder Dalhem?, und das dor-
tige Gericht Hatte den Schöffenftuhl zu Achen als Oberhof?. Daß
übrigens grade in diefen Gegenden der Ort Mere zunächit zu fuchen
fein muß, beweifen auch die beiden anderen Prägjtätten, welche allein
auf den Münzen der niederlothringifchen Herzoge vorfommen: Löwen
und Herftalt.
Der Hof ‘Mere prope Halle’, jest Meer in der befgifchen
Provinz Limburg, dürfte hier als alter Befig von St. Trond nicht
weiter in Betracht koınmen?, da auch feine frühere Zugehörigkeit zum
Hausbefig der Ardennifchen Grafen in feinem Zeugniß angedeutet ift.
Jedenfalls aber ift nicht zu denfen an das von Dannenberg in An—
ſpruch genommene Dertchen bei Neuß. Von diefem liegt die erfte
Nachricht vor in den Urkunden von 1166 bei Yacomblet ®, und da tritt
e8 uns entgegen als ein zum Allodialbefig der Grafen von Liedberg
gehöriges castrum, von welchem ſich die eine Tochter des Grafen
Hermann, nachdem es ihr in zweimal wiederholter Erbtheilung zuges
fallen war, “comitissa de Mere’ nanıte. Vermählt war diefe Gräfin
mit dem Grafen Lothar von Ahr, da aber ihr ältejter Sohn finder-
[08 verjtorben war und ihre beiden anderen Kinder dem geiftlichen
Stande angehörten, jo übergab fie das Schloß mit den Minifterialen
und fänmtlichen Erbgütern dem Kölnischen Stuhle zur Errichtung
eines Kloſters. Von verwandtichaftlichen Beziehungen zwischen den
Grafen von Piedberg uud den Ardennergrafen wifjen wir nichts; über-
haupt iſt aber auch nicht anzunehmen, daß die Beſitzungen diefer letz—
tern Familie fich foweit bi8 an den Rhein hinunter erftredit hätten.
Ich bin im Vorftehenden von der Annahme ausgegangen, daß
die Münzherren auf ihren Grundbefigungen, mochten diefe nun Allod
oder Lehen fein, prägen ließen und daher denn auch die Umfchriften
ı Bol. Urk. Friedrich II. von 1226, Juli, bei Lacomblet, Urk.Buch II,
72, Nr. 135. Heinrich III. verichenfte Grundbefits zu Herve, der durch Urteil
an den König gelangt war: Urk. v. 1041, Februar 15, bei Lacomblet a. a. DO.
I, 109, Nr. 175, Stumpf Nr. 2207; vgl. Steindorff, Jahrb. Heinrich III., I,
102 (Herre in Note 4 daſ. ift Drudfehler). Im Jahr 1143 fchenft Graf
Heinrich von Limburg ein Allod dajelbft an Füttih, Wauters, Table chro-
nologique des chartes belges II, 243.
Ueber diefe und ihre Dynaften vgl. Ernst, Histoire de Limbourg I,
48 ff., V, 211 ff.
° Bol. meine Abhandlung über den Achener Schöffenftuhl als Oberhof,
zweite Beilage zu Haagen, Geſchichte Achens I, 347 fi.
4 Bol. Dannenberg, a. a. O. ©. 95.
5 gl. Piot, Cartulaire de St. Trond II, 217.
o Lacomblet, Ürk.-Bud I, 285 ff. Nr, 414—416,
XVLL 41
628
entnommen find. Das fcheint mir für das 11. Jahrhundert doch
bereits das Nächitliegende zu fein. Freilich wijfen wir ja kaum etwas
von den Gefichtspunften, nad) welchen ſich die Wahl eines beftimmten
Ortes als Münzftätte oder auch die Wahl eines beftimmten Orts—
namens als Auffchrift für vielleicht anderwärts geprägte Münzen ges
richtet hat. Denkbar wäre auch, daß nod im 10. und 11. Jahr—
hundert das Vorkommen eines Namens auf Farolingifchen Münzen
zu fortdauernder Anwendung deſſelben Veranlaſſung gegeben hätte.
So viel ich bei faft gänzlihem Mangel der von Wait, Verfaſſungs—
geſchichte IV, 75 ff., angeführten Hilfsmittel hier conjtatiren kann,
fommt übrigens der Name Mere auf einer jener älteren Münzen
nicht vor. Yiegt es andererfeits nahe, daß auf gewilfen Königshöfen,
welche jpäter ganz oder theilweife durch Schenkung, als Amtsausjtat-
tung oder auf andere Weiſe in den Befig mächtiger Gejchlechter ge—
langten, ſich die nöthigen Einrichtungen für die Prägung befanden !
und zur Fortſetzung derjelben Veranlaſſung gaben, jo fünnte auch das
nur für die Annahme jprechen, daß das Mere auf den Gottfriediichen
Münzen eben „Mere im Lande von Dalhem“ fei, wo ich königlichen
Beſitz vorjtehend nachweiſen konnte.
ı Ich denke hier an Ein- und Nachwirkung der bei Waitz, Berf.- Geid.
IV, 77. 78, angeführten Kapitularien von 806 und 808,
Meber die ann * Prämonſtratenſerkloſters
roda.
Von C. Platner.
In meinem Aufſatze „über Spuren deutſcher Bevölkerung zur Zeit
der ſlaviſchen Herrſchaft in den öſtlich der Elbe und Saale gelegenen
Ländern“, Forſchungen XVII, 411ff., hatte ich es unternommen, ſich—
tend die Zeugniſſe zuſammenzuſtellen, welche für einen in manchen
Strichen des öſtlichen Deutſchland zur Wendenzeit noch vorhandenen
deutſchen Bevölkerungsreſt mit größerer oder geringerer Beſtimmtheit
ſprechen. Als ich dieſe Unterſuchung dann der gelehrten Welt vorzu—
legen wagte, war ich darauf gefaßt, daß mir von mancher Seite wi—
derfprochen werden würde, Was von den hergebrachten Anſichten über
eine beſtimmte Trage abweicht, fordert ja naturgemäß zur Hervorhe-
bung des Gegentheil® und der diefes ftügenden Gründe heraus. Der
Widerſpruch gegen. meine Behauptungen hat denn auch nicht auf ſich
warten lafjen. Ein junger Gelehrter, Georg Wendt, hat ihn in
allen Hauptpunkten in jeiner Ynaugural-Differtation durchgeführt und
recht eigentlich zum rothen Faden feiner Arbeit erhoben: „Die Na—
tiomalität der Bevölferung der deutichen Oſtmarken vor dem Beginne
der Germanifirung“. Göttingen 1878.
Indem ich anderes anderer Gelegenheit vorbehalte, fühle ich mid)
doch verpflichtet, jetzt jchon auf Einen Punft zurüdzufommen, bei dem
e8 ſcheinen könnte, al8 hätte ich eine Urkunde benutzt, welche zu einem
gültigen Beweiſe nicht mehr angeführt werden darf.
Die Stiftungsurkunde v. 3. 1170 für das Prämonftratenfer-
flofter Broda, in welder homines tam Slavi quam Teutonici
auf den Kloſtergütern erwähnt werden, iſt nämlich in der Geitalt,
wie fie vorliegt, von R. Klempin (Pommerſches Urk.=B. I, 28) für
ein den dreizehnten Jahrhundert entjtammendes Machwerk erklärt worden
(vgl. Wendt S. 9 gegen Forſchungen XVII, 472)!. Aber ſchon Klempin
ı Menn die von mir (S. 481, Anm. 1) angeführte Urk. Barnims J.,
zwei Dörfer des Landes Gützlkow betreffend, ebenfalls für unächt erflärt wird,
und zwar namentlid auch wegen der im ihr vorfommenden deutſchen Localbe-
zeichnungen (Klempin S. 202), fo fann id) diefen Grund zur Verwerfung be»
greiflicherweife nicht anerkennen. — Auf die Colbatzer Urkunde v. 1173 babe
ich jelber von Haufe aus kein mejentliches Gewicht gelegt; ich habe ausdrüclich
41 *
630
jelber beichränft fein Verdammungsurtheil von vorn herein auf den
reichen Grundbefig, der dem Kloſter laut diefer Urkunde als erite
Ausstattung überwielen wurde, und er bemerft ausdrüdlich, daß die
uns vorliegende Fälſchung nad einem ächten Original angefertigt ift
und daſſelbe im Uebrigen faft wörtlich) abgejchrieben haben muß.
Hierüber erhalten wir erwünfchte Sicherheit, wenn wir unfere Stif-
tungsurfunde mit der Bejtätigungsurfunde des pommerfchen Herzogs
Bogislaw v. %. 1182 vergleichen.
Iprechenden Stellen
in der Stiftungsurkunde:
Locum vero eundem Deo obla-
tum cum omnibus pertinentiis suis
a nobis alienando manumisimus,
et ab omni exactione juris, quod
in eo habuimus vel habere debui-
mus, vel quisquam ex parte nostra,
liberrimum constituimus. Absolvi-
mus etiam eosdem fratres nostros
et homines ipsorum, tam Slavos
quam Teutonicos, ab omni exac-
tione thelonei per totam terram
nostram, tam in terra quam in
aqua, in foro videlicet, in ponti-
bus, in urbibus et in navibus.
Es heißt nämlid an den ent-
in der Beflätigungsurfunde:
Locum vero predictum, afratre
meo Deo oblatum, cum omnibus
pertinentiis suis, sicut ipse fe-
cerat, ita nos manumittimus, et
ab omni exactione juris, quod ullo
modo in eo habere possemus, vel
quisquam ex parte nostra, liberri-
mum constitulmus. Omnem etiam
immunitatem, quam frater
meus eisdem canonicis et homini-
bus eorum, tam Thevtonicis quam
Slavis, concesserat, nos simili
devotione indulgemus, remittentes
eis onus edificationis urbium, et
ut per totam terram nostram ab
omni exactione thelonei liberi exi-
stant, tam in terra quam in aqua,
in foro videlicet, in pontibus, in
urbibus et in navibus.
Die Sätze beider Urkunden laſſen die allernächite Verwandt»
Schaft unter einander erfennen, derjenige der Bejtätigungsurfunde weijt
auf den der Stiftungsurfunde zurüd: ganz unzweifelhaft hat der
Schreiber der eritgenannten hier die ächte Stiftungsurfunde von 1170
vor Augen gehabt. Sie war feine Vorlage, und es leuchtet ein, daß
fie den von mir ausgehobenen und meiner Beweisführung überhaupt
zum Grunde gelegten Sat in ganz ähnlicher Faſſung enthalten haben
muß, wie die Beftätigungsurfunde ihn aufweilt; d. h. dieſer Sat
muß in der ächten Urkunde genau ebenſo gelautet haben, wie in der
uns vorliegenden Fälſchung. Wendt felber jcheint dies auch anzuer-
kennen, indem er wenigftens die Möglichkeit zugibt, daß die von mir
angezogene Stelle ſchon in der ächten Stiftungsurfunde ftand; es geht
in der That ganz offenbar aus der Faſſung der Beltätigungsurfunde
von 1182 hervor. In der falfchen Stiftungsurfunde, die erft jpäter
angefertigt wurde, hat man eben, wie Klempin bemerkt, nur die dem
Klofter angeblich gefchenkten zahlreichen Ortichaften interpolirt, auf
deren Ginfchaltung es den Brodaer Mönchen hauptfählih ankam.
Wir find deshalb heutzutage immer noch berechtigt, bis zu einem ge=
wiſſen Punkte auc die gefälfchte, uns allein noch erhaltene Stiftungs-
meine auf fie gegründete Schluffolgerung gemildert durch ein vorangeflelltes
„\Heint“ (S. 468, 3. 26 v. 0.). en
631
urfunde bei einer Beweisführung zu verwenden, natürlich nur in
Verbindung mit der Beftätigungsurfunde von 1182 und unter fteter
Vergleichung diefer letzteren.
Jenes in beiden Urkunden enthaltene Zeugniß für die homines
tam Slavi quam Teutoniei auf den Gütern des neuen Kloſters
wird nun von Wendt in Uebereinftimmung mit Barthold fo ausge:
legt, al8 ob hier Deutfche gemeint feien, „deren Anfiedelung voraus—
zufehen war“. Wendt (S. 10) beruft fih, um diefe Erklärung zu
ftügen, auf die Urkunde Herzog Barnims I. v. %. 1229 (Cod.
Pomer. dipl. I, 406, Wr. 177), in welcher ebenfalls etwas, was
erjt in Zukunft gefchehen fünne, vorausgefagt werde. In diefer Ur—
funde wird nämlich dem Sohanniterorden die Burg Stargard mit
zwölf Dörfern beftätigt, und es heißt am Schluffe: hoc autem fac-
tum est, ut fratres domus hospitalis libere possint hospites
(Anfiedler)! qualeseunque jure teutonicali in omnibus villis
suis collocare, Hier liegt aber offenbar die Sache ganz anders, ala
bei jenen beiden Brodaer Urkunden; denn hier iſt die Ertheilung des
Rechts zum Golonifiren die Thatjache, die durch die Urfunde beglau—
bigt wird; natürlicherweife mußte die Ausübung diefes, wie jedes an—
deren erjt ertheilten Rechts, der Zukunft vorbehalten bleiben. In den
beiden Brodaer Urkunden dagegen werden ohne die leifefte Andeutung
eines Vorbehalts, ohne den leifeften Unterfchied, Slaven und Deutſche
unmittelbar neben einander genannt: und von diefen beiden Nationen
ſoll man ſich nur die Slaven als bereit8 auf den Kloftergütern vor—
handene, die Deutichen dagegen als erft von außen her zu erwartende
und hereinzuführende Inſaſſen denken? — Wären wirklich unter den
Deutfchen bloß Coloniſten der Zufunft zu verftehen, fo würde gewiß
das angeblich in den allgemeinen Beſtimmungen beider Urkunden mit
inbegriffene, den Brodaer Mönchen jtillfchweigend zugefprochene Colo—
nifationsrecht Kar und deutlich hervorgehoben worden fein, fo gut wie
in Hundert andern Privilegien, welche damals an geiftlihe Stiftungen
im Wendenlande ertheilt wurden.
Daß in folchen Privilegien die geiftlihen Herren, außer ihren
altangefejfenen, auch) ihre neu herbeigerufenen Bauern von den gewöhn—
fihen Frohnden befreien ließen, habe ich mit feiner Silbe beftritten.
Nur aus dem Charakter diefer Frohnden, wie fie in den beiden Bro—
daer Urkunden aufgezählt werden, namentlich des fogenannten Burg»
werfs, habe ich gneichloffen, daß unter dem allgemeinen Ausdruck ho-
mines in der That grumdhörige Leute — nidt etwa von
Grund und Boden losgelöfte, wie perjönliche Diener, Laienbrüder
oder irgend welche fahrende Leute — zu verstehen find. Die Ein-
würfe MWendts auf S. 11 und 12 fönnen mid deshalb durchaus
nicht treffen. Wegen der übrigen glaube ich ſchon einer vorurtheilsfreien
und unbefangenen Prüfung Seitens meiner Leſer vertrauen zu dürfen,
auch bevor ich mich weiter geäußert habe.
I Meber diefe Bedeutung des Wortes hospes vgl. Forſch. XVII, 477.
Noch ein Beitrag zur Wahlgeſchichte Karls V.
Bon KZaver Kiste,
Ich habe in meinem zweiten Beitrage zur Wahlgeihichte Kaifer
Karls V. (Forſch. VIII, S. 171—176) den Beweis unternommen,
daß das daſelbſt beiprochene Mahnfchreiben Karls V. an den Hoch—
meifter des deutfchen Ordens Markgraf Albreht von Brandenburg
nur ein Project geweſen fei, welches die polnischen Abgejandten zur
Raiferwahl von 1519 bei dem neuen Kaifer durchlegen follten und
wollten, aber dies nicht erreichten, im &egentheil erfolgte bereits im
folgenden Jahre der Brüſſeler Mahnruf Karls, welcher jo ziemlich
das Gegentheil davon enthielt, was man in dem Project verlangte.
Ich habe bereits damals erwähnt, daß wir im der zahlreichen Corre—
fpondenz aus dem Jahre 1519 nirgends auch nicht die leifefte Er—
wähnung des fraglichen Mahnfchreibens finden. Dagegen aber finden
fih) in den Gorrefpondenzen, welche die Acta Tomiciana enthalten,
Erwähnungen eines anderen räthjelhaften Schriftitüdes, das von
Rarl V. ftammen foll und welches in der unmittelbarften Verbindung
mit dem von uns befprochenen Mahnproject zu ftehen jcheint. Dar:
über wollen wir bier in Kürze Bericht erjtatten.
Als Gefandter des polnischen Hofes in Spanien war im %.
1519 und noch lange nachher Johann Flachsbinder, gewöhnlich Dane
tiscus genannt, acereditirt. Nun fchreibt der polniſche Gejandte am
17. Auguft 1519 von Barcellona an den Unterfanzler von Polen
Biihof Petrus Tomicki unter anderem wie folgt: Istas literas pro
confirmatione pacis perpetue ad pontificem facile expedivi,
quia fugi illos, quibus negotium cognitum est, et illi ofliciales,
quos adhibui, nesceiunt, ut novi in his rebus, quid fecerunt!.
Die pax perpetua, von der Dantiscus hier fpricht, kann doch
ı Acta Tömic. V, Nr. LXXXII, ©. 81. Siehe über biefes und das
Folgende St. Lukas, Erazm Ciolek, biskup plocki, dyplomata polski
XVI, wieku (Erasmus Ciolet, Bifhof von Plod, polniſcher Diplomat des XVI.
Zahrhunderts, in der Zeitfchrift Biblioteka Warszawska, October:, November-
und December:Heft 1877). Der Berfafier diefer äußerſt forgfältigen und höchſt
interefjanten Monographie hat für dieſe Epoche die Acta Tomiciana fo gründ-
lich durchſtudirt, wie nod Niemand vor ihm, er ift and der Erſte, welcher das
von uns hier beſprochene Factum aufgefpürt, mitgeteilt und verwerthet hat.
633
nur den eigen Frieden von Thorn bedeuten: er berichtet aljo, daß er
mit Leichtigkeit die Abfendung eines Schreibens an den Papft zur
Beitätigung des ewigen Friedens von Thorn erlangt und zwar auf
die Weife, daß er fich nicht an die Beamten (jelbftverftändlich der
Kanzlei Karls) gewandt, welche fi) auf die Sache verftehen, ſondern
an diejenigen, welche erft feit kurzem in der Kanzlei find und deß—
halb nicht wußten, was fie thun. Wenn hier nicht ausdrücklich ftände
literas ad pontificem, würden wir geneigt fein zu glauben,
diefe ganze Stelle beziehe ji) eben auf das von uns in unferem
zweiten Beitrage beſprochene Mahnproject Karls. Die angeführten
Worte aber zeigen mit Evidenz, daß der Gefandte hier ein anderes
Schreiben im Auge hat und zwar ein Schreiben Karls an ben
Papit, in welchem derfelbe aufgefordert wurde, den ewigen Frieden
von Thorn zu beftätigen!. Die Mittel, welche der Geſandte ange:
wandt, um ein folches Schreiben zu erlangen, und die er felbit Halb
euphemiftiich charafterifirt, waren jedenfalls feine ſtatthaften. Er hat
fi alſo dazu neuer Kanzleibeamten bedient, welhe nesciunt quid
fecerunt. Dadurch charafterifirt er ſelbſt am beiten fein Ver—
fahren und zeigt, daß diejenigen Beamten, welche Einfiht in die
Staatsangelegenheiten Karls hatten, ein ſolches Schreiben nie ausge—
ftellt hätten, oder mit anderen Worten, daß diefes an dem Papſt ab-
geſchickte Schreiben ein erichlichenes und aljo mindeiten® eine halbe
Fälſchung geweſen ift. Wenn wir über diefes jedenfalls väthfelhafte
Schriftſtück nur diefe furze Erwähnung des Dantiscus befäßen, fünnten
wir überhaupt im Zweifel fein, ob wir auch die angeführte Stelle
richtig verftanden haben, und ob diefe ganze Angelegenheit nicht in das
Dereih des Fabelhaften gehört. Wenn wir aber auch leider dieſes
ı Daraus, daß Dantiscus hier die Worte istas litteras’ gebraucht,
alfo diefes Schreiben wie ein bekanntes und bereits beiprochenes behanbelt,
Ihließt Lulas (a. a. DO. 376), daß er bereits früher davon an den König ge
ſchrieben. Da er aber in feinem Briefe vom 30. Juli 1515 (Acta Tomic.
V, Nr. LXVI, &. 70) keine Erwähnung davon thut, fo ſchließt Lukas daraus,
daß er diefes Schreiben an den Papft in den Tagen zwijchen dem 30. Juli und
dem 17. Auguft erlangt und auch in diefem Zeitraume den König davon benad):
richtigt hat. Die Schluffolgerung ift im Allgemeinen richtig. Wir haben vom
30. Juli 1515 nur den Brief des Dantiscus an den König von Polen, der
Brief an den Unterkanzler, deffen Dantiscus in feinem Schreiben vom 17. Aus:
guft Erwähnung thut, fehlt aber. Hier aber am 17. Auguft haben wir mieber«
um jein Schreiben an den Unterkanzler, aber keinen Bericht an den König, und
doch hat Dantiscus ohne allen Zweifel mit derfelben Poft auch einen Brief an
den König abgefhidt, wie er die® regelmäßig that. Als königlicher Geſandter
berichtet er vor Allem an den König und legt nur mebenbei Briefe am feine
Freunde und Belannte hinzu, wie z. B. an den Unterkanzler Tomidi. So hat
er alfo ohne Zweifel am 17. Auguft aud an den König geichrieben und in
biefen Schreiben wird er wohl ‘istas literas’ näher beiprodhen haben, def:
halb findet fi in dem Briefe an den Unterkanzler nur dieſe kurze Erwähnung,
da Tomidi nähere Einficht in diefe Sache fo wie fo ans dem Berichte an den
König belommen mußte. Im feiner Stellung als Unterlanzler durfte ihm näm—
lich der Geſandtſchaftsbericht nicht geheim bleiben. Leider ift der Bericht dee
Dantiecus an den König vom 17. Auguft nicht befannt.
634
Schreiben an den Bapft heute nicht mehr näher Kennen, fo finden wir
doc) in anderweitigen Correſpondenzen weitere Nachrichten darüber.
Zwiſchen dem 30. Juli 1515 und dem 17. Auguft d. J. muß
die Abfendung diefes Schreibens aus Karls Kanzlei an den Papit ers
folgt jein, wie wir dies bereits gefehen.
Als Gefandter Polens war feit November 1518 an dem päpſt—
lihen Hofe Erasmus Ciolek, Biſchof von Plod, angeftellt und ver-
brachte damals zu Rom einen Zeitraum feines Lebens, der durchaus
nicht zu den angenehmen zählte!. Die Depefchen diefes Gejandten
find leider bisher zum allergrößten Theil nicht aufgefunden worden,
nur ein Heiner Theil derjelben befindet fi in den Act. Tomie. und
einer anderen polnischen Publication.
In einer diefer Depefhen, vom 25. Januar 1520, lejen wir
nun: Scripsi ego latissime in re ista (sc. confirmationis pacis
pruthenicae) de medio Julii et postea de Augusti, in quibus
terminis negotium consistebat et ut quam primum summa
pollicita ordinaretur et quod sperabam literas cesaree Mtis.
in hoc facto. Sed dum ita negligenter ordinatio ipsa auri
curaretur, supervenerunt expectate litere cesaris, ad quas se
pontifex referebat. Commissa fuit illico bulle expeditio, que-
situm apud me aurum per intermedias personas, que dum ex
defectu dilationem acciperent, supervenit dominus cardinalis
de Medieis, cujus consilio pontifex omnia facere solet, et qui
toto illo tempore, quo rem hanc inciperem, Florentie mane-
bat. Protector is est magistri et sui ordinis, ut ante scripse-
ram. — Que deinde impedimenta successerunt ex defectu im-
pense per Bilowski, curiensem Mtis. vestre, in fine Octobris
abunde descripsi, simul cum exemplari literarum cesaris, et
quod jam opus esset aliam viam accipere, quam vestra Mtas.
suis etiam literis designavit, ut videlicet pontifex aliquos ar-
ticulos in dieto privilegio pacis contentos tanquam ex se re-
formaret, und im derſelben Depejche an einer anderen Stelle: Ab
illo tempore, quo dnus. cardinalis de Medicis advenit, ponti-
fex semper est in deliberatione, quamvis satis propensus esse
videatur ad confirmandum cum aliquorum capitulorum refor-
matione, et itidem dominus de Medicis pollicetur. Ego ni-
mium urgere non possum, donee informationem suflicientem
super modo reformationis eorundem capitulorum a vestra Mte.
accipiam; nollem enim quidquam istorum transgredi, que mihi
committere dignatur, ex quo maxima illa opportunitas, literis
cesaris allatis in absentia cardinalis de Medicis, ita negligen-
ter ob defectum impense amissa fuit, prout in primis literis
Lulas in feiner Monographie ftellt anfhaulic und Mar die zahlreichen
Berationen dar, bie der polnifche Gefandte dort auszuſtehen hatte, vor Allem
wegen des preußifchen Streites, zumal im folgenden Jahre, als der Krieg mit
dem Orden bereit® ausgebrochen war.
635
de Octobre satis abunde progressum totius! negotii vestre Mti.
descripsi?.
Die hier erwähnten Depefchen von Mitte Juli, vom Auguft
und die wichtigfte von Ende October 1519 find uns leider nicht be=
fannt, fie würden ohne Zweifel diefe ganze Angelegenheit vollklommen
aufklären. Noch in einer fpäteren Depejche des polnischen Gefandten
vom 8. März 1520 finden wir wiederum eine Erwähnung diefer
Sache; er jchreibt hier: Profecto transissent omnia ista (d. 5.
die Sache der Beitätigung des ewigen Friedens), antequam ad no-
titiam domini de Medicis et suam (se. fratris Nicolai Schön-
berg) devenissent, nisi dilatio disturbasset, quae ex defectu
ordinationis auri intervenit. Cujus vero negligentia id ac-
tum sit, ego de his rationem dare nec scio nec possum. Unum
hoc luce clarius est, quia in mense Majo Andreolus huc venit,
qui primam commissionem adtulit de confirmatione ipsa pe-
tenda et largitionibus faciendis; hie de prineipio Junii ex
urbe discessit, per quem respondi, quid alicui promissum sit,
et quae ordinanda forent. Jostus (i. e. Jodocus Ludovicus
Decius) venit cum commissione ad bancam de prineipio Ja-
nuarii (1520), qui a Junio octavus mensis estꝰ.
Diefe hier angeführten Stellen zeigen troß ihrer Lückenhaftig—
feit dennoch, wie fich diefe Angelegenheit in allgemeinen Zügen ver=
halten hat. Im October 1519 befand ſich bereits das Schreiben
Karls von Spanien, erwählten Kaifers, in om. Der Papft war
damals allein, der Protector des deutfchen Ordens Gardinal von Mes
dici befand fich in Florenz.
Der polnische Geſandte wollte diefe Abwejenheit fofort aus—
nügen, der Papſt zeigte fich bereit, das in dem Schreiben Karls
verlangte Breve an den Hochmeiſter auszuftellen und abzuſchicken, aber
in dem damaligen Rom war nichts umfonft zu haben. Das wußte
der polnifche Gelandte jehr gut, und defhalb Hatte er fchon früher,
bereit8 im Juni, eine namhafte Summe von feinem Könige verlangt.
Diefe fam aber nicht an, der Gejandte war, wie dies gewöhnlich der
Fall war, ohne Geld. Nun verlangte aber der römische Hof, wahr-
ſcheinlich die Cardinäle, welchen jchon im Juni der Gefandte „Hand-
ſalben“ verfprochen und die er in feiner damaligen Depeche namhaft
gemacht hatte, per intermedias personas die verfprochenen
Summen, davon war die Expedition der Bulle an den Hochmeifter
abhängig.
Der Gejandte konnte die Zahlung nicht leiften, die Sache ver:
ı In dem Abdrud der Depefche: totiens.
2 Acta Tomic. V, Nr. CXLV, S. 150 und 151.
3 Dieje Depeiche des Erasmus findet ſich gedrudt in Wlad. Gr. Broel-
Plater, Zbiör pamietniköw. I, &. 132 und 133. Das Datum ift in dem
Abdrud falſch wiedergegeben, ftatt MDX[VIII] muß augenfheintich ftehen
MDX[X]. Das Original war hier verftümmelt und ber Herausgeber hat das
Datum jo unpafjend ergänzt; im März 1518 war Erasmus gar nicht in Rom.
636
fchleppte fih. Da kommen der Gardinal von Medict, Protector des
Drdens, und der Bruder Nicolaus von Schönberg, der eifrigfte Ver—
fechter der Sache des deutfchen Ordens, in Rom an und Hintertreiben
das ganze von Dantiscus und Giolef fo künſtlich und gefchieft einge—
füdelte Unternehmen. Der Papſt wird jchwierig, Ende October 1519
hat fich die Sache bereit8 total zerichlagen, der polnifche Geſandte be—
richtet in dieſem Zeitpunkte an feinen Hof und iüberjendet dem Kö—
nige eine Abjchrift jenes von Dantiscus erfchlichenen Schreibens
Karls von Spanien, ermwählten deutichen Kaifers. Im Januar
1520 aber kommt erjt die im October 1519 nöthige Summe von
7000 Ducaten zu den Händen des höchlich entrüfteten Gejandten an.
Der Gefchichtichreiber Jodocus Ludovicns Decius hat fie dem
Erasmus überbraht. So zerichlug ſich die Sache alfo an der Nach—
läjfigfeit und finanziellen Mifwirthichaft des polnifchen Hofes.
Nun nod eine Trage. In welchen Zufammenhange jteht diejes
hier befprochene Schreiben mit dem von uns in unferem zweiten Bei—
trage behandelten? Ich glaube, das Verhältniß der beiden Schrift-
ſtücke zu einander ift ein im Allgemeinen Elares.
Dantiscus fchreibt an den König von Polen am 30. Juli 1519:
Accepi paulo ante literas ex conventu Francofordiense a rmo.
dno. Vladislaviense epo. et mgeo. dno. castellano Landense,
quibus mihi injunxerunt, ut artieuli, qui ibidem in conventu
cum mandatariis cesaree Mtis. tractari debuerunt, per me hie
sollieitarentur : dies follte er vor Allem deßhalb thun, weil die fai-
jerlihen Bevollmächtigten, welche vor der Wahl erflärten zu Allem
Vollmacht zu haben, nach der Wahl äußerten feine Vollmacht dazu zu
befiten!. Der Brief der polnischen Gejandten aus Frankfurt an
Dantiseus ift uns nicht näher befannt. In diefem Briefe hatten fie
ihm aller Wahrfcheinlichkeit nach) jenes Mahnfchreibenproject, welches
wir in unferem zweiten Beitrage behandelt haben, zugeſchickt, und auch
wohl, wie ſich jetst zeigt, das Project eines Schreibens des Kaijers
an den Papſt, in welchem er den Papſt aufforderte, jeinerjeits ein
Breve an den Hochmeilter mit der Betätigung des Thorner Friedens
zu richten. Zugleich wurde Dantiscus von den Gejandten aufgefor=
dert, diefe beiden Schriftftüde an den Papft und den Hochmeijter
aus der Faiferlichen Kanzlei zu erwirfen. Das erfte gelang ihm, wie
wir geſehen, er hatte e8 erichlichen; das zweite ließ fich nicht erreichen,
wohl deßhalb, weil e8 der Raifer offen nicht ausjtellen wollte, ein er»
fchlichenes hätte aber beim Hocmeifter keine Wirkung gehabt. Ein er—
Ichlichenes Schreiben an den Papſt aber, unterftügt von einer name
haften, an die Gardinäle vertheilten Summe, konnte jedenfall® zu der
von Polen jo jehnlichit erwünfchten Beftätiguug des ewigen Friedens
führen. Da wir den Tenor des erfchlichenen Schreibens nicht Fennen,
jo wiljen wir auch nicht, ob es die Aufforderung enthielt, den ewigen
Frieden zu beftätigen oder den Hochmeifter aufzufordern, den Huldi=
! Acta Tomic. V, Nr. LXVI, &. 69.
637
gungseid zu leiften. Wie wir aber aus den oben angeführten Citaten
aus Ciolels Depefchen erjehen, hatte er im Mai 1519, aljo als die
Unterhandlungen wegen der Kaiferwahl in der Schwebe waren, bereits
die Aufforderung von feinem Hofe erhalten, Unterhandlungen wegen
der Beſtätigung des ewigen Friedens am römifchen Stuhle anzuknü—
pfen und zugleich diejenigen zu bezeichnen, die man mit Geld gewinnen
müffe. Möglicherweiie hatte der für den König Sigismund ſo ſchmeichel—
hafte Brief des Papftes vom 27. März 1519" die Hoffnung in ihm
erwect, daß Seine Heil. jett vielleiht, wo ihm an der Stimme des
Polenfönigs bei der Kaijerwahl gelegen fein mußte, fich bereit finden
lajfen wirde, dem ewigen Frieden zu beftätigen. Im Juli und Auguft
1519 erwartet ſchon Ciolek jenes Schreiben vom Saifer an den
Papſt, man muß ihn aljo ſchon vorher von Krakau, Frankfurt oder
Barcellona her in Nachricht gejetst haben. Jedenfalls erjehen wir
daraus, daß die polnische Diplomatie die Kaijerwahl von 1519 weid-
(ih ausbeuten wollte und daß fie damals eine Rührigkeit und Ver—
ichlagenheit bewies, welche fie ſonſt nicht zu zeigen pflegte. Don echter
ee Kunft ift ſpäterhin faum wo in der polnischen Geſchichte
die Rede
! Acta Tomic. V, Nr. XLII, ©. 42 und 43.
Zur Gefhichte des Augsburger Reichstages 1518.
Bon Xaver Kiste,
Bekanntlich war auf dem Augsburger Neichstage von 1518 auch
Polen vertreten, vor Allem deshalb, weil dort unter Anderem aud)
über die Türfenerpedition und die Wahl des Nachfolgers Marimilians I.
verhandelt werden follte und König Sigismund als nächiter Anver—
wandter des minderjährigen Ludwig von Böhmen die Stimme Böh-
mens der goldenen Bulle gemäß für fih in Anfprudy nahm. Die
polniiche Geſandtſchaft beitand aus Erasmus Ciolek, dem Biſchof von
Plot, Raphael Leszezynski, Gaftellan von Pad und Starojt von
Schlochau, und Boguslav, Marſchall des GroßfürftenthHums Yitthauen.
Am 16. Auguſt langte diefe Gefandtichaft in Augsburg an!, am
20. Auguft hatte fie die Empfangsaudienz beim Kaiſer. Die pol-
nischen Gefandten jendeten während ihres Augsburger Aufenthaltes
drei Depefchen an ihren König ab, die erfte vom 30. Auguit, die
zweite vom 12. September, die dritte und legte vom 27. September,
in welchen fie de omnibus, quae hie fiebant, ausführlich
berichteten. Yeider find die beiden erſten Depefchen bisher nicht auf—
gefunden worden. Die dritte aber ift von Graf Wladimir von
Broel-Plater in einer polnischen, der deutfchen gelehrten Welt ganz
unbefannten Publication veröffentlicht worden. In demjelben Werke
findet fi) auch ein Brief Marimilians an Sigiemund von Polen
vom 14. September 1518, welcher auch feinem deutichen Forſcher
bisher befannt war?. Es wird aljo vielleicht der Mühe lohnen, diefe
beiden Schriftitücde hier abzudruden und jo aud den deutichen Ge—
lehrten zugänglich zu machen.
Der Brief Marimilians an Sigismund von Polen behandelt
eine Angelegenheit, welche auch in der Depeſche der polnijchen Ge—
2 ch fchliehe dies aus einem Paſſus der weiter unten angeführten De-
peiche der polnifchen Gefandten. Wir Iefen da: Haec sunt, quae sex istis
septimanis in eo conventu per nos acta fuerant. Da nun die Depeiche
—* 27. September datirt ift, jo würde ihre Ankunft eben auf den 16. Auguſt
allen.
” WI. Gr. Broel-Plater, zbiör pamietniköw do dziej6w polskich,
Band I, S. 94— 110 (Warfchau 1858). s mer
639
fandtichaft ausführlich beſprochen wird. Sie ijt für uns troßdem
geradezu räthielhaft.
Marimilians Schreiben nämlich enthält von Anfang bis Ende
lauter leidenjchaftliche Anjchuldigungen und VBerdächtigungen gegen den
in Augsburg angelangten Dominifanermönd Nicolaus von Scön«
berg, eine in der Drdensjache thätige, äußerſt rührige und verjchla=
gene Perſönlichkeit. Maximilian verdächtigt ihn jogar, er fimulire
nur, als ob der Papjt ihn abgejandt, in Wirklichkeit fei er nur ‘a
quibusdam cardinalibus Romae agentibus, nobis
minus benevolis ac partibus nostris adversanti-
bus’ abgefchiet worden, um die Faiferlihen Pläne zu Hintertreiben
und den Kaifer mit anderen Fürſten zu entzweien, und doch fann es
feinem Zweifel unterliegen, daß Nicolaus von dem Papſte ausdrücklich
abgefandt und bevollmächtigt war!. Es iſt mir ganz unerflärlich,
was den Kaifer und einen Theil feiner Umgebung, unter Anderen den
befannten Ziegler, derart gegen den Mönc aufbringen konnte, Ni—
colaus war der deutichen und der Ordensſache aufs eifrigite ergeben,
das erjehen wir aus feinem ganzen fpäteren Gebahren, vor Allem in
Rom in der zweiten Hälfte des Jahres 1519.
Beinahe könnte es ung scheinen, als ob der Kaijer und feine Rath—
geber im diejer Angelegenheit mit den Polen nicht aufrichtig handeln
und als ob Hinter diefem fcheinbaren Groll gegen Schönberg eine für
uns noch unverjtändliche Yutrigue ſich verberge. Vielleicht werden
die von uns hier mitgetheilten Schriftjtüdle dazu beitragen, diefe dunkle
Angelegenheit aufzuklären. Jedenfalls verdient es der Dominifaners
mönd, daß man fich mit feiner Perjönlichkeit eingehender bejchäftige:
die Acta Tomiciana und Theiner® Monumenta enthalten ziemlich
reichhaltiges Material für feine Gejchichte, weldyes ſich wohl aus au—
deren Sammlungen vervollitändigen ließe.
Außer einer ausführlichen Darftellung diefer Scönbergiichen
Epijode enthält die polnifche Depeche vom 27. September noch einen
Bericht über die Thätigkeit des Reichstages. Yeider war die Wahl-
angelegenheit in dem Zeitpunkte, mit welchen die Gejandten beginnen,
bereits zu ihrem Abjchluffe gediehen, wir erfahren aljo aus diejer De—
pejche nichts über diefelbe. Ohne allen Zweifel hatten-die Gefandten
über fie in den beiden erjten Depefchen eingehend berichtet. Hier alſo
beichäftigen fie fi) nurnocd, vorwiegend mit der Türfenhülfe und dem
Abſchiede. Trotzdem aber wird, glaube ich, diejes von den Polen ent=
worfene Bild eines Abſchnittes des Neichstages hier und da das bis—
her Bekannte theils bejtätigen, theils aber auch ergänzen, vor Alleın
aber ijt diefe Depeſche ein jedenfall® ziemlich belangreiches Supple=
1Siehe 3.8. Theiner, Mon. Pol. II, Nr. 406 und 407, S. 378—380,
wo ſich zwei Schreiben des Papftes vom 1. October 1518 finden, in welchen
Nicolaus ausdrüdlih ‘nuntius noster’ genannt wird. In dem erften Schrei«
ben belobt ihn der Papſt wegen der am Hofe des Groffürften von Moslau ge-
führten Unterhandlungen, in dem zweiten fordert er ihn auf, die hriftlichen
Monarchen zu der Türfenerpedition anzufenern.
640
ment zu dem von Theiner im II. Bande feiner Mon. Pol. veröffent-
lichten Acta legationis episcopi Plocensis.
Beide Schriftjtüde hat Graf Plater nad) den Originalen abge-
drudt, die mit der Zeit in den Originalen entjtandenen Lücken habe
ich mich bemüht zu ergänzen. Das Ergänzte gebe ih in Klammern.
I.
Kaiſer Maximilian I. an den König Bigismund I. über die In—
triguen des Mönchs .. Em m. Augsburg 14. Sep-
ember :
Maximilianus divina favente clementia electus Romano-
rum Imperator semper Augustus ac Germaniae, Hungariae,
Dalmaciae, Croaciae etc. Rex, Archidux Ausltriae], Dux
Burgundiae, Brabanciae etc., Comes Palatinus etc. serenissimo
prinleipi] domino Sigismundo Poloniae Regi etc., fratri et
consanguineo nostro chafrissimo], salutem et fraterni amo-
ris continuum incrementum. Serenissime princeps, fralter]
et consanguinee charissime! Significamus Serenitati vestrae,
venisse in curiam n|ost|r[am] praeteritis mensibus monachum
quendam ex familia de Schennperg [ab] urbe Roma, qui as-
serebat se a pontifice missum, ut nobiscum et cum sacf[ri]
imperii prineipibus in nostra civitate imperiali Augusta con-
gregandis agleret] de instituta jam expeditione salutari ac
prope necessaria contra infildeles| habereque de eo a ponti-
fice particulare mandatum; ac ostendit modum quendam et
viam hujuscemodi expeditionis, addebatque, se, postquam hie
[man]data peregisset, iter habere ad Serenitatem Vestram ac
ceteros christianos [reges] et principes, acturus de hoc eo-
dem negotio, quo maturius perficeret[ur). Verum nunc fide
dignis authoribus intelleximus fratrem [is|tum non jussu, prout
simulabat, [pontifieis], verum a quibusdam cardinalibus
Romae agentibus, [nobis] minus benevolis ac partibus nostris
adversantibus, subornatum venisse, [qui] accessionibus nostris
vel honoris vel cujuscunque alterius boni invideant vel indo-
leant, ideoque praefato monacho eos in secretis mandatis de-
jene ut inter nos tanquam Romanorum imperatorem et
archiducem Austriae ceterosque [chrijstianos reges, electores
et principes difficultates ingereret ac opinionum diversitates
morasque ac impedimenta omnibus bonis consiliis et decretis
intersereret, quod timerent praefati cardinales partibus nostris
infesti, [ne] cum nos omnes christiani reges ceterique sacri
Romani imperii prineipes ac rel tantum amarent, ob-
servarent, considerent ac omnibus in rebus de no[bis] bene
641
sentirent, accedente praecipue favore auctoritateque serenissi-
morum filior[fum] nostrorum, Hyspaniarum regum, ecelesiastica
re superiores essemus, a|c ne] in nobis foret, malos mores
consuetudinesque jam inveteratas emenda[re] ipsosque cardi-
nales ac totum elerum ad debitum christianae religioni sta-
tum reformare ac reducere conaremur; per quas illorum pes-
sim[as] artes ac machinationes quis non videt quanta uni-
versae christianae r[ei]publicae damna, incommoda, morae di-
lationesque bonis laudabilibus ac necessariis inceptis, et e
contra principia communium malorum, si procederent, impor-
tarentur, quae a nullo rege aut principe negligenda sunt,
debetque unusquisque putare, cum aliquid in commune aceci-
dat sive boni sive mali, id accidere et regno, dominiis ac
subditis suis. Quid enim est aliud, quod isti efficere conan-
tur, nisi aut dilatio perturbatioque, aut omnino sublatio hujus
sanctae et necessariae expeditionis, ex quo tidei nostrae ho-
stes atrocissimi majorem spem sumerent ac contra rem chri-
stianam magis animarentur, quod nos, ne aceidat, quantum
in nobis sit, studemus avertere; cumque ceteros reges, elec-
tures, prineipes ac status de hujus monachi dolis et machina-
tionibus sincere fidelitergue admonendos duxerimus, Sereni-
tati quoque Vestrae fraterne denuntiare voluimus. Et quod
vera sint ea, quae diximus, nobis de praefato monacho com-
perta esse, ex eo quoque ostenditur manifeste; nam primo bono
argumento nobiscum locutas est verisimiliterque judicavit, ut
omnes ecclesiastici contra infideles nervos jurium suorum in-
tendere vellent, quodque illorum ope et auxilio, quod eorum
nomine ipse nobis offerebat, aliorum praecipue christianorum
regum, prineipum et statuum accedente suffragio, facile esse
infidelibus resistere, ac etiam eos ultro appetere facultas esset.
Quae eadem cum ad serenissimum filium et fratrem nostrum
charissimum Hungariae regem profeetus primo protulisset ac
sincere pro republica egisset aut se agere simulasset, fuit
finis a prineipio longe diversus: in eadem fraude ac dolis,
quibus apud nos fuerat usus, illie quoque deprehensus est.
Cum itaque eum apud Serenitatem quoque Vestram non melius
facturum arbitraremur, voluimus illi haec omnia nota esse,
ut ipsa facilius cavere possit, quam etiam fraterne rogantes
plurimum adhortamur, velit nos per eundem, qui has litteras
attulit Serenitati Vestrae, certiores facere, quae ista omnis
tractatio istins monachi fuit, quidve egerit in princeipio aut
quid in fine coneludere studuerit. Quod nos seire una cum
Serenitate Vestra omnino pertinet ad ea quae habentur de
totius christianitatis salute consilia. In quo fecerit nobis Se-
renitas Vestra rem gratissimam omni fraterno amore propen-
saque voluntate vicissim cum res tulerit recognoscendam, et
ea diu feliciter valeat. Datum in civitate nostra imperiali
642
Augusta die 14. Septembris anno Domini 1518, regnorum no-
strorum Romani 33, Hungariae vero 28.
Vester integer frater
Maximilianus I. Imperator.
Serenissimo Prineipi Domino Si-
gismundo Poloniae Regi etc. fratri
etc. consanguineo nostro cha-
rissimo.
II.
Die polnifcen Gefandten Erasmus Ciolek und Raphael Leszczynski
beridyten an König Sigismund I. über den Zortlauf des Augs-
burger Reidjstages. Augsburg den 27. Beptember 1518.
Serenissime Rex et domine, domine gratiosissime! Com-
mendatis orationibus et servitiis nostris in gratiam Vestrae
Majestatis. Scripsimus nuper de omnibus, quae hic fiebant,
penultima Augusti, et postea de his, quae subsequenter acta
sunt, secundis litteris de data 12. Septembris significavimus,
quae per postam caesaris celerrime missae fuerant, in quibus
singulos dies cum audientiis, sessionibus et actionibus hujus
conventus satis abunde consignavimus.
Quid deinde successit a tredecima hujus, praesentibus
explicamus, in his praesertim, quae ad generalem expeditio-
nem attinent, super quibus per principes, electores et alivs
duces, qui huc multi convenerant, ac status varios in dies
consultabatur, et, quantum notare potuimus, satis diligenter;
conveniebant enim bis in die, et semper ad horam usque ta-
bulae consilium durabat.
Habet jam Vestra Majestas ante a nobis descriptum, quae in
festo natalis Mariae [8. Scpt.] de hac materia expeditionis per
caesarem et legatos ac oratores regum acta sunt super pro-
positis a prineipibus, eleetoribus atque aliis statibus, qui si-
mul consultare solent, et quod caesar cum legatis ac orato-
ribus generalem illam oblationem prineipum acceptare noluit,
qua se omnes offerebant in personis propris, quisque pro
conditione cum potentia qua majori posset refutata proposi-
tione legatorum, ut quinquaginta personae unam expedirent,
et similiter denegata decima decimae per spirituales, contra,
quam oblationem generalem aliae conditioues per caesarem
et legatos proponi debuerant.
Super quo altera die data fuit principibus propositio ista,
ut videlicet constituerent certam aliquam summam militum
bellatorum. Optabant vero legati quinquaginta millium equi-
643
tum et peditum, aut quod imponeretur erueiata, quam qui per-
sonaliter ‚obtinere nollet vel non posset, ut certam quotam
imponeret ad capsam pro milite conducendo, de quibus quin-
que diebus continuis consultabant, et usque in festo sanctae
Crueis, quae fuit 14. hujus, talem dederunt resolutionem:
‘Nihil eos ‚constituere potuisse ad certam aliquam bellatorum
summam ‚promittendam, quandoquidem praedecessores ipso-
rum nunquam adhuc artari poterant per quoscunque caesa-
res, ut eorum servitium benivolum ad certum aliquem nume-
rum taxari debuisset, neque ipsi hoc auderent aut possent’.
De cruciata etiam nullam mentionem facere voluerunt,
repetentes, quae tumultuationes in Hungaria et alibi ex ea-
dem ortae sint, et plura ad rem hanc, et quod mallent potius
honestam aliguam pecuniarum summam ad expeditionem ip-
sam contribuere, adhibitis cautelis oportunis, ut non ad ali-
um effectum praeterquam contra Turcos expendantur, et pro-
posuerant modum hunc, ut quilibet utriusque sexus commu-
nicans daret singulis annis tribus continuis vicesimam partem
ducati Renensis, quam summam ipsi taxabant ad unum milli-
pnem, et quod tantum verisimiliter constituere deberet. _
Misit propositionem hanc Caesarea Majestas ad dominos
legatos eadem die in Germanico s|eriptam], ubi et oratores
omnes convocati fuerant, quae in domo domini Gajetani acta
sunt: [quod] dum interpretaretur dominus Gurcensis et referret
mentem caesaris, quia Suae Majestati parum videatur, itidem
et reverendissimus dominus Gajetanus cum oratoribus appro-
babat, quia paucum aut nullum adjutorium ex eodem tributo
sperari debeat.
Proposuerant demum domini legati nobiscum simul alium
modum, et profeeto justiorem, ut, quieunque de propriis in re-
bus mobilibus et.immobilibus non haberet supra centum flo-
renos, solveret hoc modo partem videlicet vigesimam Renensis,
omnes vero alii, qui supra centum florenos de suis habent,
solverent quotannis pro expeditione ipsa tantum quantum
unius septimanae expensa pro sua quisque et familiae suae
rovisione valere.possit, cui etiam propositioni Caesarea Ma-
jestas assentire videbatur, ut alii referebant. Super quo ite-
rum [tribus] diebus sequentibus consultabant.
Feria sexta.tandem, quae fuit 17. hujus, dederunt re-
sponsum sutm Caesareae [Majestati et legatis] in Ger-
manico scriptum, quod reverendissimis dominis legatis et ora-
toribus r[egum ad manus]| Gurcensis oblatum fuit; ibi enim
de mandato caesaris tum conven[erunt, ad] illud septima-
narum tributum consentire eos velle, et quod totam pecuniam
ex Germania tributum hoc tale emungeret, sed stare eos con-
stanter in illo primo responso de vicesima parte Renensis per
eommunicantes singulos solvenda, et quod jam ultimum sit
XVIIL 42
644
hoc eorum responsum, dum eadem die dux Saxoniae et ali-
quot episcopi primarii proponebant propter aegritudines quis-
que suus, ut reverendissimus dominus Gurcensis referebat.
Excanduit plurimum dominus Gajetanus, quia ita peremp-
torium terminum assignabant, ubi neque ipsi replicare possent,
et quod quadraginta diebus nihil actum sit in tanta christi-
ani status necessitudine et periculo imminenti, ubi adducebat
multa cum protestationibus contra germanicam nationem,
commemorans pontificis curam et diligentiam pro eadem ex-
peditione, qui mittit legatos suos ad varios principes, sine
ullis facultatibus, allegando, quod jam quinque millia de the-
gauro papae ipse pro se et suis stando hic et veniendo ex-
penderit, et quod pontifex invitus tractabit rem hanc cum
aliis regibus, Germania in sua temeritate relicta, et plura
alia ad effectum similem.
Replicabat reverendissimus dominus Gurcensis, quia Cae-
sarea Majestas adhibet omnem operam suam ad principes et
status, ut habeant dignam tantae rei considerationem, cum
quibus importunitate nihil posset, neque eos credit retinere,
conabitur tamen efficere, ut per diem crastinam maneant,
prout factum erat, et quia adhuc curabit caesar, quantum-
cunque poterit eniti et persuadere, ut magis aliquid faciant,
verum ad illam contributionem hebdomadariam nullis modis
prineipes conduci volunt.
Consultabant omnes die sabbati usque ad meridiem, et
hora vesperorum accesserunt caesarem cum responso, ubi si-
mul in crepusculum usque manserunt concertantes rationibus,
quamvis referebant nonnulli et nos ita credimus, quod caesar
potuisset cum eis omnia, quae voluisset. Sed ex proposito,
ut ante etiam scripsimus, conabatur rem diferread alium con-
ventum, ut sic teneret pontificem et traheret eum sub ea spe
in rem suam, ut ex ea sententia procederet actus ille elec-
tionis.
Dominica demum, quae fuit 19. mensis hujus, vocati
sumus ad caesarem hora vesperorum, ubi etiam aderant re-
verendissimi domini legati et oratores ac dominus episcopus
Tridentinus cum cancellario imperiali et aliquot secretariis.
His vero verbis caesar usus est: ‘Habemus jam responsum
finale prineipum, faciunt bene aliquid magis quam ante, sed
omnia referunt ad alium conventum, qui post quinque aut
sex menses tenebitur. Sed omnino facient, quae promittunt,
et forte adhuc aliquid majus’. Offerebat cedulam cum re-
sponso dominus Czygler secretarius, quam reverendissimus
dominus Gurcensis interpretabatur, nam et ista germanice
scripta erat. Quae omnia a proposito sic faciebant, nam porri-
gebantur ante aliquot vieibus chartae latinae, quarum exem-
plar quia petebat dominus Gajetanus et nos simul, semper
645
t{amen] denegatum fuit, nunquam deinceps in scriptis nisi
germanica dabantur responsa, ut eorum copia commode peti
non posset.
Responsum hoc continebat in summa: quia attentis tam
gravibus periculis, quae a Turcarum potentia sie aucta Chri-
stianitati imminent, vellet germanica natio eam se praestare,
ut tantae tamque necessariae expeditioni non deesset. Com-
memoratis deinde gravaminibus, quae a sede apostolica sus-
tinent, et reformatione petita, obtulerunt a qualibet persona
utriusque sexus communicante decimam partem auri Renensis
ad tres annos sequentes, cautelis [ratiJone conservationis ap-
positis, ut ad eum et non ad alium effectum collectae pecu-
niae exponantur, [re]petitis similibus nonnullis praeteritis
eventibus, et quod ista cum subditis eorum communicare
[vellejnt, quorum mentes primis erroribus exacerbatae vi-
dentur, et ne aegre ferant domini legati [banc] dilationem,
quae necessario fit, et alia ad hunc effectum. Nescimus,
qua astutia in ea curia laboratur, ideo cordiale hoc adjun-
gere voluimus, neque id publicari debet.
Aliquot diebus ante adventum fratris Nicolai Szyemberk
venit ad nos dominus Laurentius Zaurer vicedominus Au-
striae, perquirens inter cetera, quid de fratre illo sentiamus,
aut quae sit de eo opinio apud Majestatem Vestram. Nos
respondimus, quod bene de eo sentiamus, neque in alia repu-
tatione esse apud Majestatem Vestram, quippe qui satis con-
siderate et prudenter egit omnia cum Majestate [vestra]; sub-
junxit ipse: ‘Aliter de eo credere debetis, est enim fraterculus
dolis, simultatibus et omni malignitate plenus, qui fingit se
agere et sollicitare apud reges christianos expeditionem con-
tra Turcas, aliud tamen curat, dum ipse sit missus per ali-
quos cardinales novos ad explorandas voluntates et delibera-
tiones principum, si quid contra eos aut pontificem molian-
tur propter tam numerosam creationem ipsorum; et ideo Cae-
sarea Majestas miserat hanc informationem serenissimo regi
vestro, ut sciat caute procedere cum eodem. Quam informa-
tionem recepi in itinere hoc dum transirem ad caesarem, et
videbatur mihi tutius, ut eam prius vestrae dominationes vi-
dissent. Super quo consului caesarem, et placuit Suae Ma-
jestati vultque, ut eam mittatis regi vestro’. Et illico obtulit
cedulam sigillatam minori caesaris sigillo et subscriptam !,
Nos multum admirati sumus et tensa palpaba[lmus] retia.
Diximus tamen, nos missuros cedulam ipsam cum primis
litteris nustris. Tribus vero diebus ante posta illa cum litte-
ris nostris discesserat, neque commode potuimus tam repente
eam mittere. Quarta postea die venit huc frater Nicolaus
ı Bweifelsohne eben jener, oben von uns abgedrudte Brief Marimilians,
42 %*
646
ex Ungaria et in crastino nos visitavit, quaerulans admodum,
tanquam de eo Vestra Majestas aliquid suspecti seripsisset
ad caesarem, et quod nos etiam de ipso pessimam relationem
feeissemus. Stupebamus vafris illis adinventionibus et inge-
niis perditis ac dolosis. Excusavimus quantum lieuit Vestram
Majestatem, quae talibus levitatibus uti non solet, et nos si-
mul, ut potuimus. Videbamus tamen hominem, ut solers est,
subdubitare plurimum et alteri parti majorem fidem prae-
stare; distulimus tandem in crastinum rem hanc, et perqui-
rebamus, quae in Ungaria et apud magistrum per eum acta
sunt; dixit aliqua superficialiter, intimum vero tangere noluit,
suspicione hac, ut notari potuit, exacerbatus. Consultabamus
deinde mutuo, quid magis rebus Majestatis Vestrae condu-
ceret, an relinquere eum in illa animi amaritudine et falsis
de Majestate Vestra narratis, aut potius manifestam facere
malignitatem hominum et eum in fide erga Majestatem Ve-
stram firmare. Alteram itaque partem elegimus, quae tutior
videbatur, maxime dum intelleximus iterum ad Ungariam et
Poloniam rediturum, ac tandem ad magistrum, ne sie irri-
tatus mentem ad nocendum converteret, considerata etiam di-
scretione hominis, qui seit secretis uti et credita fidei conser-
vare. Quem die sequenti ad nos vocavimus et sigillo confes-
sionis astrietum, aperuimus omnia et ostendimus chartam de
eo obsignatam, quam diximus ideo ad Majestatem Vestram
non misisse, quia nibil de fide sua dubitabamus, sed potius
cognovimus instrumenta fuisse discordiarum, et ut persona
sua sic in suspiecionem inducta nibil amplius Vestra Majestas
sibi confideret. Haesit ipse et aeque ut nos stupere videba-
tur, maledicens pessimas hominum adinventiones, et addebat,
quod ea etiam die, antequam ad nos venisset, unus homo de
primariis in curia caesaris firmabat hoc, quia ‘rex Poloniae
multa mala ad caesarem de te scripsit’ etc.
Aperuit deinde plurima, quae in Hungaria et cum magistro
fide integerrima egisset, de quibus jam constat Vestrae Ma-
jestati, et ipse alia adhuc referet. Consuluit demum, ut ea-
dem charta sigillata ostenderetur pontifici, dum et illuc tenta-
bant modis istis suspectos reddere aliquos principes, et forte
adhuc non desistent, ut sie cognoscat Sua Sanctitas, quam
fidem talibus adhibere debeat aut possit, et per hoc autoritas
Vestrae Majestatis apud eum augebitur, dum sincera mente
Suae Sanctitatis nuntios prosequitur. Mittimus igitur Vestrae
Majestati exemplar ejusdem cedulae sigillatae, et originalis
Romam portabitur.
Credimus enim, quod de Vestra Majestate aliquid illue
per malivolos suggestum sit, quae non semper mandato cae-
saris fiunt; invident enim aliqui, quia tantus amor et obser-
yantia 'inter- caesarem et Vestram Majestatem crescit in dies
647
et firmatur, euperent potius, ut ad primam malivolentiam re-
dirent omnia, quae inter Brandenburgenses re ipsa cognovi-
mus, et eorum totum est refuginm ad dominum Gurcensem,
de cujus faretra tela ista prodeunt, sed brevi solum ipsum fe-
rient. De quibus postea latius.
Ista secretius.
Ibidem Caesarea Majestas voluit audire vota singulorum
super his, quae a principibus pro finali responso data sunt,
Reverendissimus dominus Gajetanus paueis replicavit,
quia subsidium hoc nimis sit pareum et quia incerto labora-
tur, dum nulla vera summa designari potuit istius collectae,
quamvis caesariani diceebant unum millionem cum medio su-
perare debere. Finaliter dixit, quia nihil conelusive respon-
dere sciret, donee habeat responsum in scriptis, cui etiam
alii fere omnes innitebantur, quilibet suas rationes adducens,
quas omittimus.
Feria secunda [Zept.20] data fuit responsio in scriptis, cujus
exemplar hic alligatum est. Etillieo omnes principes discesse-
runt, et solutus est conventus, neque remansit quisquam, cui
replicandum foret. Nos eadem die una hora ante meridiem
audientiam octavam babuimus, in qua primum hortati sumus
caesarem pro litteris reversalibus, aliter enim mandatum dare
noluimus, quas ibidem commisit dandas domino Czygler se-
eretario. Agebamus praeterea gratias Suae Majestati de no-
vis nobis missis, et quia nihil a Majestate Vestra hucusque
habuimus, in quantum licuit excusabamus. Declarabat domi-
nus marsalcus oflicia et dignitates eorum, qui inter Moscos
primarii in illo conflietu oceisi sunt, de quo videbatur pluri-
mum contenta Sua Majestas. Petimus demum licentiam no-
bis dari, ut alter Romam, alter ad Majestatem Vestram se
conferat, et tertius hic maneret pro voto Suae Majestatis,
dum jam conventus dissolveretur; ibidemque diem Mereurii
sequentem pro expeditione nostra designavit.
Feria quarta [|Sept. 22] assignata fuit nobis hora secunda
noctis pro audientia et expeditione nostra; mane enim agebat
cum reliquis prineipibus, qui discedebant, et post prandium cum
legatis, nam in crastino caesar exire debuit versus Vels, pro-
ut et factum est. Hora noctis adveniente conducti sumus ho-
neste et reducti. Fuit vero eirca expeditionem nostram re-
verendissimus dominus Gurcensis et nonnulli secretarii. Do-
minus Andreas de Burgo dabat responsum, cujus exemplar
per dominum marsaleum mittimus, qui etiam dicet alia plura,
quae hie et in itinere tempore intermedio acta sunt. De quo
hoc damus testimonium, quia fuit semper bonus et obsequen-
tissimus socius noster, qui etiam pro virtute sua satis gra-
tiose a Caesarea Majestate expeditus est. Reverendissimi
domini cardinales legati commendant se et servitia sua Ve-
648
strae Sacrae Majestati. Credimus alterum ad Hungariam
iturum, qui forte etiam constituetur apud Majestatem Vestram,
expectat tamen adhuc informationem pontificis. Haec sunt,
quae sex istis septimanis in eo conventu per nos acta fuerant,
si quid minus debite, non nos sed illos, qui ita voluerunt, in-
eulpabit. Cupimus Vestram Sacram Majestatem longe et fe-
lieiter valere. Cujus gratiae nos et servitia nostra simulque
et expensas graves commendamus. Ex Augusta Vindeliciae
ipso die sancti Stanislai' anno Domini 1518.
Vestrae Majestatis obsequiosissimi
servitores
Erasmus [episcopus Plocensis]
Raphael de [Leschno].
Serenissimo principi et domino domino
Sigismundo Dei gratia Regi Poloniae
magno dueci Lithuaniae et domino no-
stro gratiossimo.
ı Die Translatio sancti Stanislai, weldhe in Weidenbachs Calendarium
nicht angeführt ift, wurde in Polen am 27. September gefeiert.
Berichte über Franz von Sidingens Ende nnd die daranf
folgenden Ereignifje.
Mitgetheilt von F. dv. Weed).
Bei Gelegenheit einer Nachforſchung fanden fi) in dem noch nicht
Inftematifch geordneten Theile des Pfälzer Generalien-Akten-Archives
im eneral=Landes=- Archive zu Karlsruhe, und zwar unter einer
Neihe von Faszifeln, welche Berichte des General8 von Wrede über
die friegeriichen Greigniffe der 1790er Jahre enthalten, einige Blätter
in einem Umfchlage, dem eine Hand des vorigen Jahrhunderts die
Aufichrift gegeben hat: „Die Einnahme der Sclöffer des Grafen
(sic!) Franz von Sicdingen und deffen Tod betr. 1523".
Diefe Blätter enthalten die ziemlich gleichzeitige Abjchrift zweier
Berichte des Reinhard von Neuneck, welcher mit dem Herzog Ott—
heinrih von Neuburg den Zug gegen Sickingen mitmachte und zu den
Kriegsräthen der verbündeten Fürſten gehörte. Seine Berichte, die
an Adam von Törringen, Ritter, und Konrad von Nechberg, Hof:
meifter, gerichtet find, beftätigen die bereit8 befannten Nachrichten über
diefen Kriegszug und ergänzen und ermeitern biefelben im einigen
Punkten. Yedenfalls find fie, al8 gleichzeitige Aufzeichnungen eines feiner
Stellung nach wohl unterrichteten und an den bedeutenden Vorgängen
unmittelbar betheiligten Zeitgenoffen, der Veröffentlichung wert. ALS
Beilagen zu dem eriten Berichte Neuneds finden wir den Brief, den
Sickingen am 6. Mai an die Fürften richtete, um die Unterhandlung
zum Zwecke der Uebergabe von Landſtuhl anzubahnen, fowie die Ant«
wort, welche ihm in deren Namen am gleichen Tage ihr oberiter
Teldhauptmann, Wilhelm von Rennenberg, ertheilte. Gegen die Echt:
heit des Wortlautes der beiden Schreiben kann wohl fein Zweifel
beftehen. Die von Spalatin (Friedrichs des Weifen Leben und Zeit-
gefchichte, herausg. von Neudeder und Preller, Jena 1851, ©. 177)
mitgetheilte DVerfion ift “eben nur eine allgemeine Inhaltsangabe,
wahrfcheinlih nad) miündlicher Ueberlieferung Rudeckens niederge-
fchrieben. Durch den Wortlaut des Sickingen'ſchen Schreibens wird
die Angabe Sturms (bei Münch, Sidingen Bd. II, ©. 63) be-
ftätigt, daß Sicdingen ſich darüber bejchwert habe, daß an ihm noch
nie „ainich fprach nod) was die von mir ze Haben begern, angezaigt“
650
fei: eine Aeußerung, welche, nach den bisher vorliegenden Quellen,
Ulmann (Sidingen S. 377 Ann.) in Abrede ſtellt.
Als weitere Beilagen liegen dem Neunedichen Berichte Abjchriften
der beiden Briefe bei, welde Sicdingen an feinen treuen Balthafar
Schlör richtete. Ulman hat die (Hiffrirten) Originale in Kaſſel ge—
jehen und auszugsweile mitgetheilt. Ich glaube, daß auch der voll-
Ttändige Abdruck diefer Briefe gerechtfertigt ericheint, und bemerfe nur
noch, daß der erſte, der in der mir vorliegenden Abjchrift undatirt iſt,
nad Ulmann (S. 374 Anm. 1) das Datum Samftag nad) Jubilate
(Mai 2) trägt.
Her Benhart von Heunegks neue mär, her Adamen und dem hof:
meifter des ſchlos Hanflal! halben zuegefdriben.
Mein freuntlic dinft zuvor, lieben her Adam und hofmeijter,
fonder gut frund. Ich han Euch vergangner tagen bei) Graf Hangen
Schreiber geichriben, auf welhen tag die drey furjten jich fur Nanſtal
gezogen haben. Das iſt am mittwoch) acht tag gewejen?, und weh
fich) dazumal zu oberftem haubtman, nemblich des von Rennenbergs,
zu verjehen geweit, auch wer zu friegsrethen verordent ſeien 2c., das
ir ungezweifelt mumer vernommen habt, und lag Euch weiter wiljen,
das vorgemelter von Rennenberg, oberjter haubtman, verordent und
die friegsräth wie im nächſten briefe beftiimbt fein, und das man die
acht tag ein vajt ernſtlichs und groß ſchieſſen gethan hat, dergleichen
ich vormals vor ainichem schloß, ſtat oder flegken in ainer ſolhen zeit
nit mer gehort habe. Und am mitwoch vergangen [Mai 6] nit lang
nach mittentag, al8 man, wie vorjtet, bi8 an achten tag geichoijen
hat, ſchigkte Frank ainen trumenfchläger aus dem ſchloß, ainen brief
in ainer Euppen? tragend, an die drey furften lauttend, der begerte
ain fprad) ze halten. . Alfo ward geratichlagt und zuerjt verordnet der
von Rennenberg und ich, die ſprach aufzenemen, und zu ums aus dem
ſchloß geichigft mit namen Wilheln von Baldegkh, Balthas vor News
haus, PBaule von Gueltlingen, ir fueßfnecht haubtman Feirabent uiid
ir fendrih Hans von Straßburg genannt, und was ir ſprach und bes
geren, das man irm jungfer und ſy mit irer hab ziehen laffen ſoll,
jo wollten ſy das ſchlos aufgeben; welhs an die furften gebracht, hin
und wider beratichlagt und doch am leßjten, nach vil hin und wiber-
ſchigkens von ainem teil zum andern, befchloffen ward, da man ſy zu
guaden, und nemblich Franken und die von adel in ritterliche ges
fengfnuß aufgenommen, die fueßknecht, deren ungeverlich bey achzigen,
ziehen laſſen Hat mit ber verjtrigfung, in ainem monat tiber ber
dreyer furften fainen ze bieten. Und als den andern morgen, nems
* Nanftal, Nanftul, ift der ältere Name des Scloffes Landftuhl.
» Afo am 29. April, * *
° Zange, Frangholz; Lexer, Mittelhochd. Wörterb. I, 1640.
651
(ich an geftern frue, verorndt ward, das ſchlos einzenemen, bin ich
erftens gefchigft worden und der gefangen zwen mit mir, mit nanten
Wilhelm von Baldegf und Balthas vom Newenhaus. Und Hab ich
mit Frangen, der mit ainem palfen, von ainem ſchuß auf ine ges
falfen, in die feiten auf den tod verwundt worden was, gehandelt und
geret, wie Ir in aim folhen fall, als der ding verftendig, wiljt zu
bedengfen. Darnach find di drey furften auch zu ime fommen, haben
mit ime und er mit imegeredt, doch nit vil, das fich als nit ſchreiben
laffen will. Und gleich in derfelben jtund iſt Fran todtes vergangen,
dem Got gerad. Und hab ich erlangt bey meinen gnedigften und gne—
digen herren, das ſy mir vergumt haben, ine zue der erden zu be=
ftatten und begraben ze lajjen, wie ich dann gethan Habe. Und ich
verfich mich, das di furften ungeverlih in zwaien tagen alhie auf«
brechen und fur andere ſchlos, nemlich meins achtens fur Hohenburg
und Dradenfels, ziehen werden. Der vom adel im ſchloß namen
Ir ab innliegender verzaichnus vernemen werdt. Auch ift Dietrich)
Speten ſone ainer, Ulrich genant, ein gewachiner bueb, im fchloß ge=
wefen, durch Frantzen uferzogen, den haben mir alle drey furften er—
geben, und iſt ytz bey mir, wil ine feim vatter haimſchigken, und wie
jich die fach weiter zuegetragen wirdet, Uch aud) nit verhalten. Und
bit Euch fruntlih, wellet Euch fain bottenlon daurn laffen und mir
auch neue zeitung fchreiben, was doben das geichray ſey, wie ſich die
Tranden halten und ob Ir nichts weiters von Hartman von Cron—
berg practigt gehabt Habt. Es ſeien nemlich zwayhundert pferd gen
Bogkſperg fommen, deßhalben der Pfaltgraf reiter gen Moßbach ges
legt hat, darımder wir Jörgen Reindel als haubtman mit aim umd
zwaintig pferd haben, und wo die drey Churfurften und furften das
geſchutz ſo gelegen auf Bogkiperg bringen mochten. Als daher han
ich darfur, ſy wurden ſy am demfelbigen ort auch etwas underfteen.
Wellet auch meinen gnedigen herren Eurs rat und guttbedungfen bes
richten, jo man weiter ziehen wirdet, ob man fchloß gewenn, oder fo
man in ain leger verordnet wurd, was meim griedigen herren thunlich ſey.
Item. Der von Konigjtein, Eyienberg, Volport von der Ya
und ich find verordniet worden, das wir follen alle ding im 8
verwaren und beſetzen und in der dreyer Churfurſten und furſten hand
antworten. Das iſt beſchehen, doch darneben ſey ſer geſtolen worden,
und bin ich uberbliben.
Item. Wo wir mit den dreyen herren lang mit einander raifen
jollen, acht ich, das wir ainmal ſelbs zeſamen dretten und die beut
mit bluetigen föpfen tailn werden. lat hangt am nagel, wer mir
nimbt, dem wil ich auch nemen. Dat. im leger vor Nanftal, frey—
tage nach Cantate [Mai 8.] anno etc. 23.
Renhart von Neunegk
Ritter, Pfleger zu Laugingen, Haubtman.
An Herrn Adam von Tötringen,
Ritter, und Chonradten von Rech:
berg, Hofmeiſter.
652
Die friegsräth feien geweſen:
Der von Rennenberg, oberjter au -- des Biſchofs von Trier
Der von Eyſenburg wegen
ig von ber ea
Ain Graf von Wefterber
Schlengk Eberhart von Erbach von des Pfalggrafen wegen.
Her Renhart von Neunegkh von Herkog Otthainrich wegen.
Graf von Konigſtein —
Ainer von der Molburg, Marſchalh, von des Landtgrafen wegen.
Der gefangen namen, die in Nanſtal betretten ſein:
Wilhalm von Baldegk, Melhior von Schawenbergk, Balthaſar
vom Newenhaus, Paulus von Gultlingen, Mathes von Mathenheim,
genant Kreutter, Ludwig von Eſchenaw, Fridrich vom Han, Marſilius
Faut, Conrad von Helmſtet, Hans Beheim, Hans Vetzer, Eberhart
von Berlingen, Criſtoffel vom Obernſtein, Wilhelm von Segkendorf,
Fabian Peuller, Bernhart von Stainheim an der Straß, Hans von
Fernbergs knecht, Michel Frangkh, Fritz Schmid, Baſtian Ringk, Cri—
ſtoffel Vogt.
Wie Trank von Sigkingen den Churfürſten und Fürften geſchriben
und ain ſprach zu halten begert hat.
Euch den hochwirdigften, durchleuchtigften, durchleucdhtigen, hochge—
bornen Churfürften und herren, herren Reicharten, Erzbiichofen zu
Trier, des heyligen Römischen Reichs durch Gallien und das fonig-
reich Arelat Ertcantler, herren Ludwigen, des heyligen Römifchen
Reiche Ertdruchjäffen, und herren Philippfen, Yandgrafen zu Heilen zc.
Embiet ic Franciscus von Sigfingen: Nachdem Eur Churfürftliche
gnaden mich ainhelligclich uberzogen, belegert, meine behaufung, wie
Inen wiſſen, hart befchedigt und aber noch nit an mich ainich ſprach,
noch was die von mir ze haben begern, angezaigt, alfo das mir nit
wijfen, weß gemut® Sy gegen mir und den meinen feyen, jo it an
Eur Churfürftlichen, fürftlichen gnaden mein underthenig bitt, Sy wellen
yemands der meinen ſprach mit Eur Churfürftlichen gnaden ze halten,
Ir begern, auch weß gemuet® Sy gegen mir und den meinen jehen
zu vernemen, mit gemuegfamer ftragfer freyet und ficher verglaittung
zu Eurn Churfürftlichen [gnaden] und wider von dannen an ir ge-
warſam ze fomen vergonden, Eur Churfürftlihen gnaden furftlich
Schriftlich antwort bittend. Urfund mein aufgedrugft betichafft. Dat.
anno etc. 23 mitwochs nad) dem fontag Cantate [Mai 6].
Wie dem von Sigkingen die ſprach zu halten zugefdriben if.
Wir Wilhelm herr zu Rennenberg ꝛc. der hochwirdigiften, durch—
leuchtigiſten und hochgeborenen fürften und herren, herren Neichart,
653
Ersbifchofen zu Trier, und Qudwigen, Pfaltgrafen bey Nein, baid
Churfürften, und Philipps, Yandgrave von Heffen 2. oberfter veror«
denter veldhaubtman, fueg dir, Frank von Sigfingen, zu wijfen, nach—
dem du obgemelten meinen guedigiften und gnedigen herren ain fprad)
ze halten under deinem betfchaft zugefchriben haft, das ir Churfürft-
liche gnaden mir diefelbig mit dir ſambt irer Churfürftlichen und
fürſtlichen gnaden viern zuegeordneten retten zu halten bevolhen hat.
Geben dir auch ain ftund von wegen ir Churfürftlichen und fürft-
lichen gnaden, ſolh ſprach zwifchen baiden pollwerdhen zu halten, ain
frey ftragf gelait aus und wider in das haus bis in dein gewarfam
ſonder alle geverde. Zu urkund under meinem Handzaichen mitwod)
nad) Cantate anno etc, 23.
Wie herr Renhart von Heunegk herren Adam und dem hofmaifter
die neue märe mit den ausgebrenten ſchlöſſern zuegeſchriben hat.
Mein fruntlich dinft zuvor, lieben her Adam und hofmeifter,
jonder gut frundt und brueder. Eur widerjchrift, mir beym Rus
prechten gethan und auf geftern zumacht zuefommen, hab ich nachlengs
vernommen, und dieweil nit ſonders darinn ijt, das antwort bedarf,
jo laß ich Euch weiter neue zeutung willen, das am montag acht tag
vergangen [Mai 11] di furften das leger vor Nanftal verrugft, von
dan ungeverlic; drei meyl wegs fich mit irme hörn in die borffer,
und nemlich mein gnedigiter herr Pfalkgraf mit meinem gnedigen
herren hertzog Ottheinrich in ain dorf Rodtalben genant, getan und
davor den von Nennenberg, oberjter haubtman, und Scengf Eber-
hardten von Erbach ungeverlich mit dreyhundert pferdten und zway
fenlin knechten furgeichigft haben, die Schloß Trachenfels, ain ganer-
benhaus, und Hohenburg, das Franten geweſen ift, aufzefordern. Und
als ſy alfo fur Trachenfel® fommen find und dajjelb aufgefordert,
haben fich die innhaber ain weil geſpreitzt, als wollten ſy ſich wörn,
doch aljobald ſy geiehen, das man ſich mit dem gefchuß darfur le—
gern hat welfen, habens das fchloß one alle wer aufgeben, dergleichen
Hohenburg auch gethan hat. Und find die fchloß aus bevelc der
furften ausgebrennt und geichlaifft.
Am erchtag darnach [Mai 127 find mein gmedigifter herr der
Pfaltgraf und mein gnediger herr herkog Otthainrich mit dem rai-
figen zeug alher in ain dorf Schlaitenbach, ungeverlich ain meil wegs
von Weißenburg gelegen, fommen, da ir gnaden noch ligen, und am
aufarttag [Mai 14] die furften Trier und Heffen aus iren legern
zu irn gnaden auch alher geritten, entlich der meynung zu underfteen,
Neuenthann, ain Schloß von dem ftifft zue Speir zu lehen rurnde,
auch gewaltigclich zuerobern, aber aus bit oud anfuchen des bijchofs
von Speyr am meinen gnedigiten herren den Pfaltgrafen, als an des
ftiffts erbverwandten fchirmherren, beichehen und ir beder gnaden
aynungen und fruntichaft, mil ſy damit an einander gewandt find,
654
angefehen. So hats (gleihwol durch meinen gnedigiten herren. aus.
aim trug behalten) dahin geraicht, das alle drey Churfürften und
fürften das ſchlos eingenommen haben, ungeverlich ain monat lang
innbehalten und alsdann dem von Speir einantworten follen, furter
damit zu gefarn laut des lantfriden. Und fol Hainrid) von Tann,
der des Schloß ain anheber geweien ift, dem von Trier umb fein vor—
drung rechtens fein vor faiferliher Maieſtät fammergericht oder
meinem gnedigften herren Pfaltgrafen oder dem Pandgrafen, ar welher
der ende ainem es dem von Trier am bafjten gefellig it, aus diſer
urſach, dieweil er die gefangen aus dem ftifft von Trier, darumb
dann Franken anſprach geweſen ift, im fchloß Thaun enthalten hat.
tem der herkog von Lottringen hat bey den fürften fein tref-
lich botjchaft mit credents gefertigt gehabt, nemblich graf Johan von
Salin, Adam Bairn und fein rentmaifter, fich durch diefelben gegen
irn gnaden groſſer fruntichaft deufelben profiaud und ander notturft
zuegeen ze lajjen, auch in feinen fürftentHumben fainerley gewerb
oder verfamblung wider ſy zue geitatten erboten. Solhs die fürjten
zu frumtlichem dangf von ime angenonmen, doch daneben nit under=
laffen und den potjchaften angezaigt haben, wie mein gnedigiter herr
Pfaltzgraf aus dem fchloß Putlburg, darinn ir herr auch ain ganerb,
dermaſſen beichedigt und gebrennt wer worden und nemblih mit En—
hertzhauſen, das ſy ye und fonderlicy mein gnedigſter herr nit umb—
geen kunden, ſonder dahin geurſacht weren, zu underſteen daſſelb auch
zu ſtraffen. Auf das ſind die rete abgetretten und haben den fürſten
diſe antwort gegeben, wie es inen laid, das beſchedigung aus diſem
haus, diweil ir herr ain ganerb darinnen, beſchehen were, deßhalben
ir herr ſolhs die andern ganerben vertedingen laſſen und kain hör
von irentwegen aufbringen würd. Und am nechſten montag hat der
Rotenburg mit ainer anzal volks fur dafjelbe fchlos Lutzlburg gerugft,
ſolhs, on alle wer, eingenommen und auch ausgebrennt, und find
wenig perfonen darinnen geweſen.
tem die von Weiffenburg, ain reichitat, obgenant, haben auch
ir potfchaft beiy meinem guedigiten herren Pfaltzgrafen hie gehabt, im
wein, habern und ochſen geichengft und fich dar vor, ee wir hinein,
und profiand in das leger zugeen ze lajfen, mit ander® verjehen ge-
habt, das man würde ir tat legern, wie dann viler mahnung war,
aber die fürften habens zu thun nit in rat gefunden. Doch fy, die
von Weiffenburg, fich nichts deft minder bejorgt und ungeverlich mit
drey oder brithalb hundert fuehfnechten inen durch die von Straßburg
zuegeſchigkt ſtergken wellen. Als mein gnedigifter herr ſolhs erkundt—
ſchafft, hat ſein gnad inen den weg fürkommen mit ainer anzal pfer—
den auf ſy halten laſſen. Und als dieſelben an die knecht kommen
find, haben ſy derſelben etlich erſtochen, etlich gefangen, die ubrigen
auseinander zerſtrat und zurugk gejagt, alſo das den von Weiſſenburg
der knecht ye auf daſſelbmal wenig zuekommen ſind; was daraus oder
wer das anden wirdt, müſſen wir warten.
Die von Straßburg, biſchof und ſtat, haben ir botſchaft hie ge—
655
habt, meinen gnedigſten herren, dieweil fein gnad, auch mein gne—
digfter herr, zu Lutzlſtein, fiben meil davon, ungeverlich mit achzig
pferden gewefen find, mit gefunden umd nichts deß minder ir werbung
und bitte dem hofmeilter, marjchalh und reten hie im leger eröffnet,
die gewejen find von des Grafen von Furjtenbergs wegen, das fein
hurfürftliche gnad denfelben mit uberziehen fol. Darauf ift noch von
meinem gnedigften herren Fein antwort gefallen; wie mans halten
wirdet, fol Uch nnverhalten bleiben.
An heut ift meinem gnedigijten herren mär kommen, das fic zu
Rotenburg an der Zauber umb drey taufent knecht verfanmelt haben
Sollen und das geichrey, ſy gehörn dem von Braunfchweig zue, und
ſollen ain tail derjelben auf Frangkfort und die andern auf Schlei—
fingen ziehen; ob ime aber entlich alfo ift oder nit, wais man nit.
Bon Frangens finder wegen find Bernhart Göler, hofmeifter,
und her Philipps von Schwalbah, vicari zu Speier, als underthe-
dinger, und her Philipps von Flersheim, jenger daſelbs zu Speier,
her Philipps von Dalberg, ritter, Conrad von Sigfingen, Berchtold
von Flerkheim, Philipps von Helmftet, Wolf von Dalwerg (sie!)
und Dieter von Dalberg, all fründt Brangens finder, zu meinem
gniedigen herren fommen, zu auftellung und friden zu handeln. Aber
ſy haben von Schweigfer von Sigkingen wegen keinerlay macht gehabt;
ob die richtumb noch gieng und wie oder was deßhalben verrer fur=
genommen woirdet, will ich Uch auch ein wiffen machen.
Ich Hab darfur kundt, mein gnedigifter herr mit feinem hör und
geſchütz allein gefondert von den andern fueglid) uber Nein kommen ;
er wurd fich ſelbs fur Bockſperg jchlahen und dem bund vorfommen.
Datum Schlaitenbah mitwochs nad) Exaudi [Mai 20] anno
etc. 23.
Renhart von Neunegkh,
Ritter, Pfleger zu Yaugingen, Haubtinan.
An herren Adanı von Törringen,
Hitter, und Conradten von Rech—
berg, hofmeifter.
Bwei Briefe Franz’ von Sickingen an Balthafar Schlör.
I.
Lieber maifter Balthafar. Nachdem meine feind, wie ir wiſſend,
fur mid) gerugft, haben ſy mitwochs nechſt vergangen mit groffen
ſtugken anfahen zu fchieffen, haben alle ding ſeer zerichoffen und alfo
hart umbjigelich, gewaltiglid und unabjchlegig geichoffen und noch, das
alle friegsleut, jo e8 gebraucht, jagen, ſy haben dergleichen fchieffen
nie gehört. Doc jo hab ich nit mer dann ainen man verloren, wies
wol mid) die jtein ain wenig geſchlagen, jchatt es mir doch nichts,
hab von allen ain gang willig onerjchregklich gefind im Haus, bin un—
656
gezweifelter hoffnung, wir wellen mit Gots Hilf halten. Das alles
wellet Graf Wilhelmen anzeigen, bey yme, aud andern muglich vleis
anferen, damit furderlid; an orten, wie ir wiljt, oder wo man zum
nuglichijten fein meint, angegriffen werd. Das will ich mic) zu euch)
aljo verlajjen. Datum anno etc. 23.
drang von Sigkingen.
An maifter Balthafarı Schlörn.
II
Lieber maiſter Balthaſar. Nachdem meine feind ſeer hefftig
ſchieſſen und ſo hart geſchoſſen, das niemand gemaint, das ſy in vier
wochen ſovil maurn gebrochen hetten, wiewol es noch ſturms halben
fein not hat, jo wellen vleis anferen, das furderlich zur ſachen gethan
werd, und ſo man ichts von volkh bey ein hat, den nechſten allher
gezogen uud die feind aufzeſchlagen underſtanden werd. Daun die
nit ſtargk jonder jchwac hie vor ligen, acht, ſy haben den mererthail
und ir bejjt volf andern orten gegen den heujern und flegfen, jo nod)
onbezogen jein, darvor ſy ſich jchaden zue gewarten bejorgen Ligen.
Darumb es nit hohe not haben, jonder ſy gut aufzeichlagen fein were
den und inen das geſchutz daruber wol zenemen. Hab darfur, ſy
haben nit mer leut hievor dann ſy zu beichirmen des geſchutz bedorffen,
jo Ligen ſy zerjtreit in dreyen legern: in dem ainen leger gegen der
firchen nit meer dann ain venlin knecht, gegen Kuenſpach zway venlin,
und dag gewaltig her under der hohe, jo man zu dem brumnen, der
vor das ſchloß gefurt ift, gegen will. Wellet in allem fürderlichen
vleis anferen, wie ich euch vertraw. Datum Cantate [Mai 3].
Nachtrag zu S. 558.
Zu den bairischen Kreuzfahrern find nocd einige Minnefinger
nachzutragen, deren Betheiligung au Kreuzfahrten nicht durc Urkunden,
aber durd ihre Yieder bezeugt it. Albrecht von Johannsdorf oder
Kansdorf, aus der Paljauer Gegend, wahrjcheinlid) diefelbe Perſön—
(ichfeit mit dem um 1180 (mit um 1155, denn Biſchof Dietpold
von Paſſau regierte 1172—1190) in Urkunden von St. Nicolaus
in Paffau genannten Adalbertus de Janestorf, Sohn des Albertus
de Janestorf (Mon. Boie. IV, 264. 268), hat eher den Kreuzzug
Friedrichs J. als jenen Heinrichs VI. mitgemadt; ſ. v. d. Hagen,
Minnefinger IV, 252; Forſchungen X, 116. Hildebold von Schwan—
gau (Hohenshwangau bei Füſſen am rechten bairijchen Yechufer) und
Nithart, genannt von Reuenthal, haben ji) wohl den Zuge von
1217 augejchlojfen, während der Tanhuſer, der eutweder der ſalzbur—
gischen Familie dieſes Namens oder dem biichöflich vegensburgiichen
Minifterialengeichlechte von Thonhaufen im L. ©. Riedenburg anges
hören dürfte, durch feinen Reiſeleich eher die Kreuzfahrt Friedrichs II.
von 1228 anzudeuten jcheint; f. v. d. Hagen a. a. O. 190. 437.
423. Bei allen dreien iſt jedoch die Zeitbejtimmung ziemlich unficher.
Endlich ift zum Kreuzzuge Friedrichs I. nachzutragen Graf Lintold
von Plaien, wenn anders das Gedicht von des Yandgrafen Ludwig
von Thüringen Kreuzfahrt (herausgeg. von v. d. Hagen, f. Regiſter,
©. 297) nit aud hier einen feiner häufigen Anachronismen begeht
und die jpätere Kreuzfahrt des gleichnamigen Plaiers irrig hieher be=
zieht. Die Thaten des Grafen Yiutold auf dem Kreuzzuge wurden
nach diefer Quelle in einem eigenen Buche aufgezeichnet; ſ. Vers 1032,
Riezler.
Berihtigungen.
Die S. 179 angeführte Schrift des Pariſer Eoder ift identifch mit den von
Floto I, S. 437 herausgegebenen Dieta cujusdam; hier fehlt aber die Ur-
kunde Papft Nicolaus,
Bon zwei Seiten ift die Redaction darauf aufmerfiam gemadt, daß die
S. 204 fi. Nr. I und II von Weiland aus einer Gießener Haudſchrift mitge-
theilten Urkunden gedrudt find aus den Originalen des Münſterſchen Archivs
in Fahnes Urkundenbudh von Dortmund.
©. 338 3. 3. Der Berf. bemerft in einem Aufſatz: Die Chronologie
ber Ovidiſchen ZTriftien und Briefe aus Pontus mit Beziehung auf das Jahr
der Schlaht im Zeutoburger Walde, 3. f. Gymnaſialw. XXXI, ©. 449, daß
EO DIE ſelbſtverſtändlich Hier fortfallen muß.
Drudfehler.
Band XV.
©. 639 3. 21. KE. ©
©. 641 3. 13 v. u. 1.: 3. 3 flatt: 2. 2.
©. 642 3. 16 I.: co las
Band XVIII.
©. 335 Anm. 3. 3 1.: Bodnja — Bednja.
Göttingen,
Drud der Dieterihfchen Univ.»Buchdruderei.
W. Fr. Käſtner.
Digitized by Google
* J 7
4 hr
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Digitized by Google