Skip to main content

Full text of "Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft"

See other formats


: 



'f 



\ 

... \ 



IVB 




DigitizecWjy Google 



- 



Digitized by Google 



Digitized by Google 




Verlag von Robert Binder. 



r 

Google 




Digitized by Google 



I. JAHRBÜCHER 



für 



slawische 

Literatnr, Kunst und Wissenschaft. 



»» 



-! Versöhnung! Vereinigung!" 



Herausgegeben 



von 



J. 3?» J 0 H D Ä IST , 

öffentlirnem Lehrer der slawischen Sprache und Literatur an der Universität Leipzig. 



Erster Jafir^aim. 



Leipzig. 

Verlag yoa Robert Binder. 



Digitized by Google 




Digitized by Google 



für 

slawische 

Literatur, Kunst und Wissenschaft. 

„Verständigung! Versöhnung! Vereinigung!" 

I. Jahrg. D Bm. 1. Heft. 



Programm. 



Wenn zwei grosse Völkerschaften neben einander zu wohnen kommen, so 
liildcn sich, sie mögen in geistiger und materieller Entwickclung weit vorgeschritten 
sein oder auch auf der niedrigsten Stufe der Kultur stehen, dennoch alsbald die 
mannichfalligsten Wechselbeziehungen zwischen beiden aus, und hemmend oder 
befördernd wirken sie auf einander ein, je nachdem ihr Nalionalcharakler, ihre 
Grösse und Stärke, ihre geistige Kraft zu dem einen oder dem andern sie befähigen. 
Dasselbe fand auch zwischen den Slawen und den Deutschen statt. Seil "vor- 
historischen Zeiten ist der slawische Stamm der Nachbar des deutschen; Jahr- 
tausende führten sie blutige Kriege gegen einander und \on der Weichsel bis zum 
herzynischen Walde, längs den Küsten der Ostsee und in den weiten Gefilden der 
Donau hin ist keine Flüche, kein Gebiet, das nicht mit deutschem und slawischem 
Blute getüncht wäre. Es war ein Kampf auf Leben und Tod, und tausendjähriger 
Hass, ungemessene Erbitterung war der Preis der beiderseitigen Siege. Wer es 
verschuldet, ist dem Tode anheimgefallen, und die Geschichte hat seinen Namen 
in ihre Blätter verzeichnet. Die Zeit, die Allvcrsöhnende, hat die ergrimmten 
Wogen des Vöikermeeres in Mitteleuropa beschwichtigt, das Schwerdt ist in der 
Scheide, die rohen Waffen ruhen; der Geist ist es, der den Fehdehandschuh auf- 
gehoben um die Kräfte der Partheien zu messen; aher in einem Kampfe, der 
nicht verwüstet, sondern aufbaut; der nicht mordet, sondern belebt-, der nicht 
fluchet, sondern segnet; der nicht schmäht, sondern Achtung gebiert, der nicht 
hasset, sondern Liebe weckt. Es nahet die Zeit, wo die beiden Nationen einander 
endlich verstehen lernen, wo sie einsehen werden, was jede zu fordern be- 
rechtigt, was jede an der andern zu achten, zu ehren, zu schätzen verpflichtet 
ist; dann wird stillschweigend der Waffenstillstand geschlossen, wie er zwischen 
Nationen nölhwendig und vernünftig ist, und wie wir ihn zwischen anderen Völkern 
besiehen sehen, und der einzige Kampf, der uns dann verbleibt, ist der Wett- 
kampf, wer es dein andern zuvorthue in materieller und geistiger Entwickclung. 

Zwar sind die Slawen in diesem Kampfe die schwächeren, weil von ihren Nach- 
barn seit der Mongolenzeit überflügelt und nicht durch eine Reformation gekräftigt, 

Slaw. Jahrb. I. I 

Digitized by Gocfgle 




die alle Fugen des Geistes neu erfrischte; allein desto mehr Aufforderung für 
sie, alle ihre Kräfte aufzubieten, dem Nachbar nachzueilen; und den einen grossen 
Vorlhcil haben sie voraus: die Errungenschaft der vorangehenden Jahrhunderte 
kömmt ihnen zu Gute, dass sie augenblicklich in ihr eigen Fleisch und Bein sie 
verwandeln können. Es ist ja dies der einzige Ausweg, welcher den Freund der 
Menschheil hofTen lässt, es werden sich auf diese Weise noch einstens die Völker 
zu einem mehr oder weniger gleichem Grade der Enlwickelung empor schwingen. 

Freilich ist es ein altes Recht in Deutschland, über Alles bald mit Spott, 
bald mit Verachtung abzusprechen, was Slawisch heisst. Man begnügt sich nicht 
damit, an den Erinnerungen alter Zeiten sich zu weiden, die Orte, die Tage 
sich in's Gedächtniss zu rufen, wo slawische Völkerschaften besiegt, „ihre Reihen 
decimirl", ihre Gaue verwüstet worden, mit einer seligen, behaglichen Selbst- 
genügsamkeit die LUnder aufzuzählen, die man ihnen entrissen, die Völkerschaf- 
ten, die man dem Slawenlhum treulos gemacht hat. Wir wollen diese Handlungs- 
weise mit keinem Namen bezeichnen, wünschen müssen wir aber zur Ehre der 
deutschen Wissenschaft und des deutschen Gemülhes, die wir so hoch an der 
deutschen Nation zu schätzen wissen, dass ein solches Wohlgefühl sich auch in 
ihren einzelnen Gliedern nicht kund gebe, da es dem Charakter derselben ganz 
entgegengesetzt ist. — Aber es gibt Menschen, die noch viel weiter gehen; den 
Charakter des Slawen zu entstellen, auf jede mögliche Weise ihn zu verdäch- 
tigen; ja der Nation jede geistige Befähigung überhaupt abzusprechen, — das 
ist das ausgesprochene und nicht ausgesprochene Bestreben gar mancher Männer, 
die damit ein besonderes Verdienst um die deutsche Nationalität sich zu erwerben 
venneinen. Wir sind überzeugt, nicht Böswilligkeit, nicht Hass ist es, was sie 
dazu bewegt; sondern lediglich der Mangel an Kenntniss unserer Zustände, das 
Missverstehen dessen, was wir wollen, wornach wir streben, das Verkennen der 
beiderseitigen Verhältnisse der zwei Nationen in der Gegenwart und der nächsten 
Zukunft. Und das stellt in uns den unerschütterlichen Glauben fest, dass wir 
eine nützliche, eine verdienstliche Arbeit unternehmen, wenn wir die Missversländ- 
nisse zu beheben suchen, welche seit uralten Zeiten zwischen denselben obgewal- 
tet haben; wenn wir uns bemühen, auch von unserem Gesichtspunkte aus die Ver- 
hältnisse der Vergangenheit, wie besonders der Gegenwart in ein helleres, wah- 
reres Licht zu erheben. 

Auf welche Weise wir dabei verfahren wollen, darüber haben wir uns be- 
reits in unserem Prospecte ausgesprochen. Was irgend die slawischen Völker- 
schaften im Einzelnen oder im Ganzen angeht, sei es nun in der Vergangenheit 
oder der Gegenwart oder auch der nächsten Zukunft, wollen wir allmählig in den 
Kreis unserer Besprechung ziehen, wir wollen uns bemühen, nach und nach über 
Alles zu berichten, was auf den Charakter der Slawen, ihren eigentümlichen 
Entwickclungsgang, ihre gegenwärtigen Zustände und ihre nächsten Hoffnungen 
irgend wie ein Licht werfen kann. Wir werden also Berichte.geben über den 
gegenwärtigen Zustand und über die Fortschrille bei den Slawen in allen Zwei- 
gen der Wissenschaften, der Künste, der Industrie und Oekonomie; eine beson- 
dere Aufmerksamkeit werden wir dabei auf die Geschichte und ihre Hilfswis- 
senschaften, die Geographie und Ethnographie verwenden; denn gerade das ist 
eine Seite des Slawentums, für welche sich Deutschland ehemals mehr interes- 
sirte, die es aber seit einigen Decennien gänzlich vernachlässigt. Unser Haupt- 
augenmerk jedoch wird auf die Literatur der Slawen gerichtet sein; sie ist es, 
in welcher der Geist des ganzen Volkes widerscheint. Wir werden sie ihrer Um- 
fänglichkeit und Wichtigkeil wegen in zwei Rubriken behandeln; unter dem Ab- 
schnitt: Literatur und Kritik, werden wir nicht nur wichtige Werke in slawischer 
oder in einer andern Sprache über slawische Gegenstände weitläufig besprechen 
und kritisch analysiren, sondern auch literaturhistorische Skizzen, selbst kleine 
Proben aus Romanen, Gedichten, Volksliedern, Sagen und dergleichen millheilen, 
so wie endlich auch den Charakter einzelner periodischer Blätter genauer dar- 
stellen und ihre Leistungen näher bezeichnen. Aus den wichtigem slawischen 

Digitized by Google 



3 

Journalen werden wir nach und nach alle einzelnen wissenschaftlichen Artikel seit 
ihrer Gründung durchgehen und ihren Inhalt miltheilen. Die Rubrik: Specicllc 
literarische üehersicht, werden wir in zwei Abtheilungen zerlegen; in der ersten 
wollen wir eine möglichst vollständige slawische Bibliographie (nach allen 
Sprachdialeklen) , so wie eine specielle Uebersicht aller deutschen Werke über 
slawische Gegenstande gehen; in der zweiten wieder die eben erscheinenden sla- 
wischen Zeitschriften nach der Reihe durchgehen und die interessanten Artikel 
aus denselben in kurzen Auszügen miltheilen; dabei auch die in nicht slawischen 
periodischen Blättern vorkommenden Aufsalze über Slawisches angeben und wo 
es noth thut, näher besprechen. Correspondenzen aus den verschiedenen slawi- 
schen Ländern , so wie Miscellen und Anzeigen werden jedes Heft beschliesscn. — 
Der Realisirung eines so weitsichtigen Unternehmens stehn allerdings vielerlei 
Schwierigkeiten im Wege; wir verkennen das nicht im Geringsten, und wenn wir 
auch nicht alsobald allen Anforderungen zu genügen im Stande sein werden, wel- 
che wir selbst an uns stellen, so hoffen wir in Anbetracht jener desto eher Nach- 
sicht und Geduld zu finden. Allein uns stehen doch mancherlei Mittel und Wege 
zu Gebote, welche einem andern unzugänglich sind; denn durch personliche Be- 
kanntschaften wie durch literarischen Verkehr haben wir eine Reihe der tüchtig- 
sten Männer für unsere Sache gewonnen, mit deren Unterstützungen wir unseren 
Plan wenigstens allmählig auszuführen hoffen dürfen. Vor allem aber entschied 
über unseren Entschluss und setzte uns über jeden Zweifel hinweg die Ucberzeu- 
gung, ein Vermiltelnngsorgan zwischen Deutschland und dem Slawentum sei ein 
dringendes und unabweisbares Bedürfniss, dessen Nichlbefriedigung in Kurzem 
Rache nehmen müsse an beiden Kationen zugleich. Deutschland muss die Slawen 
aus sich selbst kennen, es muss sie aus ihrer eigenen Individualität auffassen ler- 
nen, damit es sich endlich von den Vorurteilen heile, welche es aus einer tau- 
sendjährigen Geschichte von Hass und Zwietracht gegen die Slawen eingesogen. 
Den Slawen liegt daran, dass sie nicht langer verkannt werden; Deutschland 
selbst fühlt dieses Bedürfniss und kräftige Stimmen haben sich bereits erhoben, 
welche zur Ausgleichung der tiefen Kluft zwischen den Westen und dem Osten 
auflodern. Soll das geschehen, so muss Deutschland die Slawen in ihrer natio- 
neilen Eigentümlichkeit auffassen, wie sie sind, nicht wie sie sein könnten oder 
sein sollten, und das ist nicht allzu leicht. Die beiden Nationalitäten sind in ih- 
rem innersten Wesen viel zu verschieden von einander, als dass sie einander so 
leicht verständlich wären. Da reichen einzelne Schilderungen vun Reisenden und 
andern Beobachtern nicht hin; es muss eine umfassende, eine allseilige Kenntniss- 
nahme möglich gemacht werden, die Slawen müssen gleichsam selbst in ihrer 
Natur und Wesenheit, in ihrer eigentümlichen Gestalt den Deutschen vorgeführt; 
es muss ihr reinstes und unmittelbarstes Abbild, wie es sich in ihren geistigen 
Schöpfungen abspiegelt, der deutschen Beobachtung vorgehalten; also die schrift- 
lichen Produkte ihrer geistigen Entwickelung in getreuen Bearbeitungen oder 
Uebersetzungen auf deutschen Boden verpflanzt und so dem deutschen Volke die 
Möglichkeit gegeben werden, mit eigenen Augen zu sehen, aus eigener An- 
schauung sich zu überzeugen, was die Slawen sind, wie sie es geworden und 
was sie noch werden können. Und das wird eine der ersten Aufgaben unserer 
Jahrbücher sein. Dabei werden wir es freilich nicht unterlassen dürfen, diese 
gebotenen einzelnen Lichtstrahlen zusammen zu fassen und nach unserer Weise 
in ein Ganzes zu verknüpfen; denn nur ein Strahlenbund ist im Stande ein 
munteres Licht zu geben und die Art des Zusainmenfügens bestimmt die Farbe, 
in welcher es vor unserem Auge strahlt. Und gerade dieser Punkt ist der ge- 
fährlichste für uns, da wir hier manches zu sagen gezwungen sein werden, was 
vielseitigen Ansloss finden dürfte. Denn einerseits werden wir Deutschland so 
manches vorhalten, was wir nicht im Stande sind für recht und gut und schön 
anzuerkennen; und andrerseits wieder deu Slawen manche bittere Wahrheit sagen, 
manches herbe Wort an sie richten müssen, an welchem viele in ihrem schwin- 
delnden Patriotismus gar heftigen Ansloss nehmen dürften. Allein da wir ent- 

Digitized by Google 



4 



schlössen sind, stets in den Schranken der Massigkeit, in den festen Gränzen der 
Wahrheit uns zu halten, vor allem aber, weil wir uns bei jedem Schritte von 
der wahren, ungeheuchellcn Absicht werden leiten lassen, die beiden benachbarten 
Nationen mit einander zu verständigen, zu versöhnen: so endlich jene Vereinigung 
zwischen ihnen zu Stande zu bringen, welche gebildeten Nationen eben so ehren- 
voll als erspricsslich ist : so leben wir der festen Hoffnung, dass die Männer bei- 
der Nationen, welche mit ruhigerem Augen dem Gange der Geschichte zu folgen 
gewohnt sind, die obgleich Parthei für ihre Sache, doch nicht mit Blindheit ge- 
schlagen gegen alles Gefühl, Bewusstsein und Recht der anderen Parthei, auch 
des Gegners Verdienst nicht zu schmälern noch die Achtung ihm zu versagen ver- 
mögen, die er sich erringt; dass gerade jene Männer, die durch ihre Anzahl so- 
wohl als durch die VorlrefTliehkeit ihrer Gesinnung für den Vorurteilsfreien die 
Stimmgebenden sind, die Redlichkeit unseres Slrebens anerkennen, und uns die- 
jenige Aufmerksamkeit schenken werden, welche eine so hochwichtige Sache, wie 
die unsrige, auf jeden Fall in Anspruch nehmen darf. 

MHe Hedaction. 



I. 

Schreibweise der slawischen Wörter 

und Namen. 

Die slawischen Sprachen haben durch ihren Reichthum an eigenthümlichen 
Lauten seit jeher allen denen Kummer und Sorgen gemacht, welche es nöthig 
halten, ein Wort aus denselben in seinen Originallautcn mit fremden Zeichen zu 
bezeichnen. In unsern Tagen ist es nun endlich dahin gekommen, dass ein jeder 
schreibt, wie es ihm einfällt und so die Verwirrung und das bunte Allerlei ver- 
mehren hilft, welches an sich schon gross genug ist. Wir unserseits werden 
häufig in den Fall kommen , slawische Namen in unseren Text aufnehmen zu müs- 
sen, und hallen es demnach für nolhwendig, alsbald im Anfange die Grundsätze 
festzusetzen, nach denen wir dabei verfahren werden. 

Im Deutschen schreibt man französische und englische Namen und Wörter 
durchweg so wie sie in ihren Ursprachen geschrieben werden; wollte man nun 
dasselbe Recht für die Slawen in Anspruch nehmen, so wäre damit wohl mit ei- 
nem Schlage alles abgemacht; aber eine vollständige Ordnung und Uebereinstim- 
mung würde hiebei doch noch nicht zu erwarten sein, denn einerseits sind die 
slawischen Sprachen in Deutschland viel zu wenig bekannt, als dass sich die deut- 
schen Leser in diese unerhörten Laute so] leicht würden hineinfinden können; 
anderseits weichen die Schreibeweisen der einzelnen Slawinen unter sich selbst 
so von einander ab, dass dann im Deutschen ein gleich auszusprechendes Wort 
öfters mit ganz verschiedenen Zeichen geschrieben erscheinen würde. Gegen- 
wärtig bemüht man sich nun zwar, eine allgemein slawische Orthographie ein- 
zuführen, allein sie ist bisher nicht durchgedrungen und es dürfte noch lange 
dauern, ehe eine solche volle Gellung erringt. Den meisten Beifall hat sich unter 
den neuesten die illyrische erworben; besonders bei denen, welche selbst für 
Freunde des lllyrenthums gellen; so dass sich schon einzelne Stimmen dafür aus- 
gesprochen haben, man möge diese für die; allgemein slawische annehmen. Sollte 
das zu Stande kommen, so wäre damit wohl für die Slawen ein Forlschritt ge- 
than; für unseren Zweck indess können wir die illyrische Schreibeweise nicht 

Digitized by Google 



5 



brauchen, da sie von der deutschen allzu sehr abweicht. So sind wir denn ge- 
zwungen, ans den verschiedenen slawischen Schreibweisen, wie sie jetzt bestehen, 
- dasjenige auszuwählen, was wir nöthig haben, um die slawischen Laute [deutsch 
wiederzugeben. Wir werden also ausdrücken durch: 

cz den Laut, der im Polnischen mit cz, im Böhmischen, Illyrischen und Lau- 
sitzisch -Serbischen mite, im Südserbischen und Russischen mit *i bezeichnet 
und wie ein scharfes „tsch" ausgesprochen wird. Derselbe wurde von den Deut- 
schen bisher auf die mannigfaltigste Weise ausgedrückt; mit cz, c, z, tsrh, auch 
t» u. dergl. c den Laut, den dasselbe Zeichen im Polnischen, Illyrischen und 
Lausitzisch- Serbischen bedeutet, ein t mit einem leisen Zischlaut, z den sanften 
Zischlaut des französischen j; dieser Laut hat seit dem Bekanntwerden des Sla- 
wischen unter den Deutschen den Schriftstellern stets die meiste Schwierigkeit 
gemacht; Schlözer, welcher sich zuerst gezwungen sah, ihn irgend wie genauer 
zu bezeichnen, schrieb in s. Nestor */#, was denn lange Zeit von seinen Kachfol- 
gern beibehalten wurde; weil aber dieses Zeichen dennoch vielen unverstandlich 
und unaussprechlich blieb, andere wieder mit Zuziehung des Englischen es wie 
ein scharfes seh aussprachen; so wurde dadurch die Genauigkeit wenig befördert. 
Unterdess schrieb und druckte man in der Regel und viel allgemeiner geradezu 
sch, ohne es von dem slawischen sch [sx, s) zu unterscheiden. Ganz neu, aber 
wie uns dünkt noch viel unglücklicher ist das Mittel, welches der. geehrte Erman 
in s.Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland ergriff. Da, wie wir schon 
früher sagten, das slawische z ganz den Laut des französischen ./ (z. B. in jour) 
hat und die Aussprache dieses in Deutschland als ziemlich allgemein bekannt an- 
genommen werden darf, so Hess sich jener tüchtige Gelehrte verleiten, zur Be- 
zeichnung unseres z- Lautes das französische j zu nehmen. Da wir nun aber doch 
ein j auch sonst noch haben, so unterschied er dieses von jenem so, dass das j 
nur dann den z-Laut bezeichnet, wenn es cursiv gedruckt ist; also z.B. «/tfkowski, 
bq/aja matj.ya/da, noch besser (summen). Alle diese Versuche, einen 

guten Ausweg zu finden, um den Laut des slawischen z zu bezeichnen, ohne in 
die deutsche Sprache einen neuen Buchstaben zu bringen, zeigen deutlich, wie 
sehr sich das Bedürfniss zeigt, in diese Schwankungen endlich einige Festigkeit 
zu bringen. Uns genügen die eben angeführten Bezeichnungsarien nicht, wir ge- 
stehen es offen, und halten es daher für das Beste, uns an die anzuschliesscn, 
welche in Böhmen bereits seit langen Jahren in Schrift und Druck gäng und gäbe 
ist, nämlich das slawische z auch mit einem accentuirlen z zu bezeichnen. Wir 
wissen kein anderes Miltel, aus dieser Klemme herauszukommen. 

Den Laut des deutschen sc/t, welcher im Slawischen verschieden ausgedrückt 
ist: poln. sz, böhm., illyr., lserb. *; russ., serb., bolg. iij, werden auch wir 
durch ich ausdrücken, ausser wo slaw. Namen und Wörter in ihrer reinen Ori- • 
ginalform vorkommen. Die übrigen Buchstaben bleiben wie im Deutschen; nur 
das grobe \, ausgesprochen wie 1 in halb, hallen bei den Niedersachsen, muss 
beibehalten werden, so wie auch die drei Consonanlen c, z und s in ihrer slawi- 
schen Bedeutung verbleiben; so dass c überall wie das deutsche z, z wie das ein- 
fache deutsche s (z. B. Rasen), s endlich wie das deutsche ff oder auszuspre- 
chen sein wird. Es ist diess um so nolhwendiger, je mehr Zweideutigkeiten und 
Verwechselungen durch das subslituirle deutsche Laulzeichen bisher schon beson- 
ders bei den slawischen Eigennamen entstanden sind. Ueberdiess sieht es auch 
ziemlich sonderbar aus, wenn am Anfange eines Wortes ein ff oder £ steht, wie 
das unter andern in den Büchern der lutherischen Serben in der Lausitz zu lin- 
den; z. B. sserbjo, die Serben; oder Ssacharow (russ. Schriftsteller ) u. dergl. 
Wir wollen hier nicht die Klagen wiederholen, welche von den Slawen so oft 
schon geführt worden, dass man ihnen in Deutschland nicht ein Mal ihre Namen 
lassen wolle, sondern sie alle umtaufe und bis zur Unkenntlichkeit verdrehe. Aber 
sie sind gerecht und es muss ihnen zuletzt doch ein Ende gemacht werden, da es 
die Natur der Sache selbst erfordert. In der neuesten Zeit, wo auch in Deutsch- 
land die slawischen Gegenstande eine immer weitere Besprechung finden, haben 

Digitized by Google 



6 



sich Yorzflglich in der Journalistik gewisse stereotype Albernheiten geltend ge- 
macht, die aus Frankreich nach Deutschland verpflanzt, jetzt keinem Menschen 
mehr auffallen. So wird die Endung ow in den russischen Eigennamen fast all- 
gemein in off verwandelt; dieselbe Silbe ow, wenn sie in der Mille vorkommt, 
erhält aber nur ein/*; diese Inconsequenz bei solchem Mangel an allem Grunde 
dazu würde einem Franzosen Ehre machen. Es ist wahr, die Endung ow im 
Russischen und Slawischen überhaupt wird im Nominativ wie off ausgesprochen ; 
aber im Genitiv tritt sogleich das w wieder hervor, owa, owu u. s. w., und kei- 
ner Seele Talk es ein, hier ein f hören zu lassen. Wie lächerlich es für den 
Slawen ist, wenn so ein Heer auf ^angezogen kömmt, können wir nur andeu- 
ten. Analog dem müssle man ja auch Schäcksbier, Grähm, Muhr u. s. f. schrei- 
ben; wem würde das nicht komisch klingen! Eben so grundlos ist das Verdop- 
peln der Consonanten, wie z. B. in Tittoff (Titow); die Slawen verdoppeln nie- 
mals ihre Consonanlen, ausser wenn bei Zusammensetzungen und Ableitungen zwei 
gleiche an einander kommen. Warum macht man also solche Namen durch eine 
Umgestaltung unkenntlich? 

Diese hier angedeutete Schreibung werden wir in allen slawischen Wörtern 
und Namen, seien sie aus was immer für einem slawischen Dialekte, streng durch- 
führen, da eine gleiche und consequente Bezeichnungsweise der verschiedenen sla- 
wischen Laute vor dem deutschen Publikum, vor das wir zunächst treten, uns 
Notwendigkeit und Pflicht ist. Nur in der bibliographischen Uebersicht werden 
die Titel der Bücher in ihrer jedesmaligen dialektischen Orthographie angeführt; 
denn das erfordert die Genauigkeit. 



II. 

Wissenschaften. 

1. Schaf arik's slawische AUerthümer. 

Schon mehr als fünf Jahre liegt nun bereits dieses viel inhaltsreichere als 
umfängliche Werk der gelehrten Well vor; es ist in das Russische und Polnische 
übersetzt, und eine deutsche Ausgabe wird so eben bei Engelmann in Leipzig 
vorbereitet; und dennoch hat es bis diesen Augenblick Niemand weder im Slawi- 
schen noch im Deutschen auf sich genommen, die Resultate der eben so tiefen 
als glücklichen Forschungen dieses vortrefflichen Werkes in einer Uebersicht 
zusammenzufassen und so durch die Darlegung des Werthes auch das Interesse 
für dieses Buch selbst bei jenen zu wecken, welche der Umfang desselben vom 
Lesen abhalten könnte. Wir wollen hier eine solche Uebersicht zu geben versuchen. 

Der erste, historische Tiieil 

der slawischen AUerthümer, welcher bis jetzt veröffentlicht ist, enthält zwei Haupt- 
abschnitte („Zeiträume") und eine Einleitung, in 46 $$. auf 948 Lexicon-Oktav- 
Seiten ganz compressen Druckes, ausser denen noch urkundliche und andere Zu- 
gaben bis zu S. 1005 reichen. 

Die Einleitung nun bezeichnet als den Zweck der Schrift: „Sie möge zur 
Ausfüllung einer bedeutenden Lücke dienen; der Lücke in unserem Wissen über 
den Ursprung, die Ursitze, die Slammeinlheilung, die Geschichte, den Charakter, 
die Lebensart, den Glauben, die bürgerlichen und öffentlichen Verhältnisse, die 
Sprache, die Literatur und die Wissenschaft des slawischen Urvolkes." f. 1. In 
diesem Umfange müssen also die slawischen AUerthümer ausser der Forschung 
über den Ursprung und die Abstammung des slawischen Volkes auch dessen Schick- 



Digitized by Google 



sale enthalten von den frühesten Jahrhunderten bis zu jenem Zeitpunkte, wo die 
zuverlässige Geschichte jedes einzelnen Stammes beginnt; also die Urgeschichte 
von Herodot an bis zum Falle des hunnischen Reiches, eine Periode, in welcher 
die Slawen unter fremden Namen verborgen in der Geschichte erscheinen, so wie 
die Zeit von dem Augenblicke an, wo sie bereits unter ihrem eigentlichen Namen 
als Slawen, Wencdcn und Vinden bei den Quellenschriflstellern auftreten, bis da- 
hin, wo sie ihre neuen Wohnsitze in Mitteleuropa einnehmen, also zum Schlüsse 
des VII. Jahrhunderls, oder bis zur völligen Annahme des Christenlhums unter 
denselben, also bis in das X. Jahrhundert hinein. Jede dieser zwei Perioden zer- 
fallt wieder in zwei Abtheilungen, von denen je die erste den Ursprung, die Sitze, 
die Stammverzweigungen und die Geschichte; die zweite wieder den Charakter, 
die Lebensweise, die Rcligions- und Staatsverfassung, Literatur und Wissenschaft 
der in ihr auftretenden Völkerschaften bespricht, (fc. 2.) — Die Quellen zu die- 
sen Forschungen, welche §. 3. besprochen werden, sind für die erste Periode die 
der alten Geschichte Europa's überhaupt, dazu einige wenige einheimische; in der 
zweiten Periode werden letztere nicht nur zfihlrcicher , sondern auch wichtiger; 
ihre Angabe nimmt bei dem Verfasser allein sieben volle Seiten ein. 

1. Zeitraum (von 456 v. Chr. — 469 oder 476 n. Chr.). 1. Abschnitt. Ursprung 
der Slawen. $. 4. Bei der Masse der heterogensten Meinungen, welche über die 
Abkunft der Slawen, ihre Ursitze, ihr Einwandern in Europa bei den Historikern 
herrschen, dreht sich die Grundangel jeder künftigen Forschung über diesen Ge- 
genstand um die Entscheidung der zwei Hauptfragen: 1) Sind die Slawen 'alle 
oder neue Einwohner in Europa? und 2) „unter welchen Namen erscheinen die 
Vorfahren der Slawen zuerst in der Geschichte der Menschheit?" — $. 5. Zur 
Entscheidung der ersten Frage ist zuerst nothwendig zu bestimmen, wohin die 
Slawen in der Reihenfolge der Volksslamme unseres" Erdballs zu stehen kommen. 
Eine selbst nur oberflächliche Betrachtung ihrer Sprache und ihrer Sitten, ihres 
Acussern und ihrer Geschichte liefert das Resultat, dass sie ein Volk indoeuro- 
päischen Stammes und die nächsten Anverwandten der Lithauer, dann der Germa- 
nen, Kellen, Laliner und Griechen sind. Uebrigens liefert das ganze Werk Scha- 
fariks den bündigsten Beweis davon. §. 6. Die Slawen sind ein „reines, selbst- 
sländiges Urvolk"; das beweiset am unwiderleglichsten die Originalität der sla- 
wischen Sprache; sie waren bereits vor Christo eine volkreiche, weit ausgedehnte 
Nation und konnten seit Herodot aus Asien nicht eingewandert sein, da ihre grossen 
Massen gewiss historische Erschütterungen verursacht hallen ; sie müssen also ein 
alteuropäisches Volk sein. Ueberdiess ist die slawische Sprache so alt, als 
die griechische, lateinische und deutsche; hat viel gemeinsame Wörter mit der 
keltischen und golhischen, worunter die Völker - und Personennamen besonders 
herausgehoben. Die Sillcn, der Cultus, die Verfassung der Slawen gleichen un- 
gemein der der genannten Völkerschaften. In den ältesten griechischen und römi- 
schen Quellen finden sich bereits rein -slawische Local- Namen. Endlich Mellen 
die Griechen und Römer die Slawen selbst für ein altes europäisches Volk und 
„in der ersten Hälfle des Mittelalters herrschte unter den Schriftstellern die all- 
gemeine Meinung, die seien ein solches." §. 7. Bei den Historikern des VI. Jahrb. 
haben die Slawen zwei verschiedene Namen: Winiden und Serben; es ist somit 
die Frage zu lösen: A. „Hiessen die Vorfahren der Slawen, wie Jornandes ver- 
sichert, Winiden? B. Oder hiessen sie, wicProkopios behauptet, Sporen (Serben)?" 
Die deutschen Kellen, Lithauer und Finnen nennen die Slawen Winden, Wenden, 
Wenen; diese selbst aber heissen sich mit ihrem einheimischen Namen Serben, 
Srben. Die historischen Zeugnisse über die Winden und Serben müssen also zu- 
vor erforscht werden, ehe man sich an eine Geschichte der einzelnen slawischen 
Völkerschaften macht. 

2. Abschnitt. Wohnsitze und Geschichte der alten Slawen. $. 8. 
Die Weneden. Der Bernslein bringt den Griechen die ersten Nachrichten von den 
Weneden zur Zeit des Aeschylos und Herodot; damals sassen sie am kellischen 
Meere bis an die Karpathen hinab. Des Timaios Baunonia, Raunonia bei Plinius 



Digitized by Google 



8 



ist wahrscheinlich Bannoma, Wannoma, Wendenland; eben so die Indi des Mela 
nnd Plinius baltische Windi. Die Venedi des PHnius sitzen zwischen den Sarma- 
len und Seinen, die des Tacilus zwischen den Peucinern und Fennen; beide 
Schriftsteller zusammen begränzen somit die damaligen Wohnsitze der Slawen 
(§. 8. 5.). Ptolemaios setzt die Weneden zwar an den „wendischen Meerbusen 
(Ostsee)", aljein von den vielen Völkerschaften, die er zwischen diesen und den 
Peucinern und Koxolanern aufzahlt, sind die meisten auch slawischen Stammes. 
Endlich kennen auch die Peulingerschen Tafeln im II. u. III. Jahrh. die Vcnedi 
jenseits der Karpathen. Zu Ende des IV. und im V. Jahrh. durchzogen die Lon- 
gobarden das Wenedenland , wie Paul Warnefried bezeuget. Die Odhinsage bei 
Snorre Slurleson ist ihrem geographischen Inhalte nach wahr; die Wanen darin 
sind wie früher Wanden, Wenden, Veneden, und wohuten seit jeher den Scandi- 
naviern östlich. Von diesen alteren weniger klaren Zeugnissen über die alten 
Vencdi ist nun kein grosser Sprung zu den gründlichen, zuverlässigen und um- 
fangreichen Berichten der neueren Historiker, unter denen Jornandes und Proko- 
pios oben an stehen. Der Name dieser Weneden selbst kommt in den Urkunden 
in den verschiedensten Formen vor und wird auch in nichtslawischen Ländern an- 
getroffen; wie in den adriatischen, den armorischen Weneden, den Henelern in 
Paphlagonien, den Vindeliciern in Süddeutschland und den Wandalen; die Wurzel 
aller dieser verschiedenen Formen ist Wind; von der Grundbedeutung derselben 
giebt es aber bis diesen Augenblick keine genügende Erklärung. — $.9. Die 
Serben. Unter diesem Namen sind die Slawen in den Werken der Alten wenig 
bekannt; nur Plinius findet am Maiotis „Serhi" und Ptolemaios zwischen den 
keraunischen Gebirgen (Kaukasus) und der Rha (Wolga) ebenfalls „Serhi" (oder 
„Sirbi"). Yon diesen sich widersprechenden Angaben über die Sitze derselben 
nimmt Schafarik die des Plroius für die glaubwürdigere und wahrscheinlichere. 
Später gibt Prokopios Spori (verderbt für Srbi) als den „aiterlhüm liehen" 
und „allgemeinen" Namen der Slawen an. Endlich trennt bei Vibius Seque- 
ster die Elbe die „Suevos a Cervcliis", was Obetiin ganz grundfalsch mit Che- 
rusci gegeben, während „Servitiis", das einige Codices haben, festzuhalten und 
Serbi darunter zu verstehen ist. Der Name Serb. selbst endlich, dessen Wurzel 
nach Schafarik ser, verwandt und ähnlich bedeutend mit s/r und »yn ist, bezeich- 
net „weiter nichts als Nation, gens, in welcher Bedeutung ihm das indische von 
derselben Wurzel entstandene serira (nalio) vollkommen entspricht." — Das Re- 
sultat aller dieser Erörterungen ist also: „dass der slawische Stamm bereits in 
den urällesten Zeilen ein grosser und volkreicher und seil jeher, d. h. eben so 
lange, wie die verwandten Stämme der Thraken, Romanen, Kellen, Germanen 
und Lithauer, in Europa angesessen war; und dass 2) derselbe vom V. Jahrh. 
vor Christo bis zum V. Jahrh. nach Christo in den Ländern zwischen der Ostsee 
und dem schwarzen Meere, zwischen den Karpathen, dem Don, der obern Wolga 
und dem Gebiete der Finnen hinler Nowgorod unter dem Namen Winden und Ser- 
ben gewohnt habe." §. 10. Die slawischen Völkerschaften im allen Serbenlande. 
Die eben begränzle Heimath, der Slawen war in der frühesten Zeit von den ver- 
schiedensten Völkerschaften bewohnt, die bald dem nordischen (Finnen, Skythen), 
bald dem indoeuropäischen (Sarmaten, Kellen, Deutsche, Lithauer, Thraker), gröss- 
tenlheils jedoch dem slawischen Volksstamme angehörten. Zu letzterem rechnet 
nun Schafarik: A. bei Herodol 1) die Budiner, im jetzigen Wnlynien und Weiss- 
russland; 2) die Neuren oder Nuren neben jenen im Dnj estergebiete. B. bei Pto- 
lemaios: von seinen mehr als 50 Völkerschaften im europäischen Sarmatien sind 
die Weneden, Bulanes, Arsieten, Saboci, Piengilae, Biessi, Slawani, Igilliones, 
Coestoboci (Kostoboci), Tranomonlani, Weltae, Karbones, Kareotae, Pagyritae, 
Sawari, Borusci, Akiwi, Nasci, Iwiones, Idrae, Sturni, Karioncs, Karpiani, Gewini, 
Bodini, Amadoci, Nawari, Tagri und Tyrangitae ächt slawisch, während die übri- 
gen wahrscheinlich zu den oben angegebenen fremden Volksslämmen gehören; bei 
den späteren Schriftstellern kommen ausser diesen keine andern zweifelhaft slawi- 
schen Völkerschaften mehr vor. $. 11. Die Slawen in den Donauländern und die 



Digitized by Google 



9 



Weneder am adrialischen Meere. Die bisher erhaltenen Resultate gründeten sich 
lediglich auf die Erforschung von auswärtigen, nicht slawischen Quellenschriften; 
nun nimmt aber Schafarik noch die einheimischen Quellen, als: die Ueberliefe- 
rungen des slawischen Volkes und ihrer ersten Geschichtschreiher: Nestor, Dali- 
mil, Kadluhek und Boguchwal hinzu, und da werden jene Resultate nicht bloss 
bestätigt, sondern auch in vielen Punkten noch vervollständigt. Aus ihren verein- 
ten Zeugnissen schliesst der Verf., dass die Slawen nicht nur seit den ältesten 
Zeilen in den oben angegebenen Sitzen angesiedelt waren, sondern dass sie auch 
um das Jahr 350 — 336 vor Chr. aus ihrer Urheimath, dem spater sogenannten 
Illyrien längs der Donau, durch die Wlachen verdrangt und weiter nach Norden 
geschoben wurden, und dass diese Wlachen der slawischen Quellen Niemand an- 
deres waren, als die Kelto- Gallier, welche auch nach lateinischen Schriftstellern 
um jene Zeit aus ihrer Heimath gegen Süden und Osten losbrachen und den gan- 
zen Landstrich an der Donau durchstreiften und sich unterwarfen, ja selbst bis 
nach Asien vordrangen. Eine eben so sichere Vermuthung ist die, dass die We- 
nden (Enelen) am adrialischen Meere mii den eigentlichen Wenden (Slawen) 
stammverwandt gewesen; von den armorischen Wendern in Gallien ist dieses nicht 
so klar darzuthun. Auf diese W r eise wird es also sehr wahrscheinlich, dass die 
Slawen in den vorhistorischen Zeiten in einer wenig oder gar nicht unterbroche- 
nen Linie von der Bernsteinküstc bis an das adrialische Meer hinab wohnten und 
hier den ausschliesslichen Handel mit jenem edlen Naturprodukt ffihrten, so lange 
bis sie von ihren westlichen und nördlichen Nachbarn aus diesen Gegenden ver- 
drangt wurden. 

3. Abschnitt. Uebersicht der mit den Slawen grunzenden Völkerstämme. 
Die Wechselwirkung dieser und der Slawen ist so ausserordentlich , dass man das 
Alterlhum der letzteren nicht erforschen kann, ohne beide zugleich zu betrachten. 
Hieher gehören nun zuerst die Skythen. §. 13. Man unterscheidet bei Herodot 
die nomadischen Skythen in der nogaisch-taurischen Steppe und am untern Dnjepr, 
deren Oberherrscher, die königlichen Skythen, die goldene Horde, zwischen dem 
Don und dem Donec ihre Sitze hatten, von den ackerhauenden Skythen, welche 
in dem ganzen Flussgebiet des Dnjepr bis zu den Quellen des Dnjcster und Bog 
und noch weiter hinaus wohnten „und ohne Zweifel nicht skythischer, sondern 
slawischer Herkunft waren." Diese waren von den wilden Skythen höchst wahr- 
scheinlich unterjocht worden, und wurden von den Griechen, die nur oberfläch- 
liche Kenntniss über die ferneren Gegenden am obern Dnjepr hatten, für wirkliche 
Skythen genommen. In dieser Untcrthänigkeit blieben sie, bis die Skythen von 
den Sannatcn aufgerieben wurden. §. 14. Die Finnen oder Tschuden in der 
vorhistorischen Zeit der in Europa am weitesten ausgebreitete Volksstamm, sind 
bereits bei Herodot unter den Namen Thyssageten verborgen, auch seine Andro- 
phagen und Melanchlainen scheinen zu ihnen zu gehören, da sie alle den tiefsten 
Norden Europa's bewohnen; bei den spätem Historikern stellt sich ihr eigentlicher 
Name, Tschuden oder Finnen, immer deutlicher heraus. Höchst wichtig für das 
Altcrthum der Finnen sind die scandinavischen Sagen, in denen diese häufig vor- 
kommen. §. 15. Zu den uralischen Tschuden gehören als besondere „Abzweigun- 
gen" die Spalen, Skamaren, Hunnen und Sahiren. §. 16. Die Völker des sar- 
matischen Slamines, die bereits einige Jahrhunderte vor Christo nach Europa 
eingezogen waren, theillen sich in vier Hauptabiheilungen: die Jaxamaten zwi- 
schen dem Don und der Wolga, die Roxolanen an den Dnjeprmündungcn; die Ja- 
zygen, der westlichste Sarmalenstamm , besetzten um 50 n. Chr. Siebenbürgen und 
den Südosten von Ungarn; endlich die Alanen, in der asiatischen Geschichte 
seit dem grauesten Altcrthume, in der europäischen erst seit dem II. Jahrh. nach 
Christo bekannt. Sie theillen sich in drei Theile, von denen der am Wolchonski- 
Walde sitzende für die slawischen Allerlhümer sehr wichtig ist; es ist derselbe 
Alanenslamm, der in der nordischen Sage unter dem Namen „Asen" so häufig und 
so kräftig auftritt. Alle diese sarmatischen Völkerschaften aber verschwinden seit 
dem IV. Jahrh. von dem Schauplatze der Geschichte gänzlich, da sie bis dahin 

SUw. Jahrb. f. 2 J 

Digitized by God^le 



von den umwohnenden Völkerschaften theils aufgerieben, theils in sich aufgenom- 
men waren. Und wenn spatere lateinische und griechische Schriftsteller im Nor- 
den Europa's immer noch Sarmatcn finden, so werfen sie unter diesem Namen 
eine Reihe von Völkerschaften aus den verschiedensten Stämmen zusammen, ohne 
Unterscheidung und Kenntniss. Neuere Historiker haben sich dadurch verleiten 
lassen anzunehmen, die Sarmalen seien die Vorväter der Slawen und hätten die- 
sen ihren jetzigen Namen erst später in Europa angenommen; allein die ganze 
Geschichte der sarmalischen Völkerschaften, ihr Auftreten unter den osteuropäi- 
schen Nationen, ihre Lebensweise und ihr Charakter thun doch zur Genüge dar, 
dass sie von den Slawen in jeder Hinsicht himmelweit verschieden sind. Sic wa- 
ren ein nomadisches Räubervolk, dem medopersischen Stamme angehörig, das wie 
jedes seines Gleichen unter den wilden Streifzflgen und beständigen Kämpfen end- 
lich gänzlich aufgerieben wurde. 17. Die Völker des keltischen Stammes, 
bei den Slawen unter dem Namen Wlach (Wälsche) bekannt, einer der mächtig- 
sten und grösslcn Volksslämme des alten Europa, breitete in etwa 5 Jahrhunder- 
ten seine Herrschaft von der Loire bis zum schwarzen Meere aus. Aus Gallien, 
der Urheimath, zogen im Verlauf jener Zeit aus und Irafcn mit den Slawen zu- 
sammen folgende Völkerschaften, welche für keltisch genommen werden müssen: 
die Bojer, Taurisker, Skordisker, Ombronen oder Ambronen, Kothiner oder Go- 
thiner, Bastarner, Feukiner (Galatcr vor Olhia). Auch die Anarlophraklen , so 
wie die Anarten und Teurisker des Ptolemaios hält Schafarik für Kelten. $. 18. 
Ueber die Völker deutschen Stammes spricht sich in Rücksicht auf die Slawen 
der Verfasser hier so aus: „Die Züge der Kimbern und Teutonen zeigen den 
Weg an, auf weichein die allen deutschen Völkerslämme keineswegs von Osten 
nach Westen, sondern von Westen nach Oslen über die Karpathen hinaus nach 
den Pontos hin zogen. Eben so kamen die Slawen nicht von Osten nach Westen, 
sondern sassen seil der frühesten Zeit in den Ländern des östlichen Deulschland 
und an der untern Donau; aber die kriegerischen deutschen Völkerstämme des 
östlichen Deutschland siegten in langwierigen blutigen Kämpfen in nicht mehr be- 
stimmbarer Zeit über die Slawen und setzten sich unter ihnen als Lehnsherren, 
etwa so wie die Franken unter den Galliern oder die Longobardcn unter den 
Italienern fest, so dass die mittelalterliche Geschichte des östlichen Deutschland 
fast blosse Wiederholung der ältesten ist." Die Grunze der Germanen und Sla- 
wen im Anfange der historischen Zeit liegt zwischen der Oder und Weichsel: 
„wir lassen den Urgermanen das grosse Germanien im Westen der niedern Oder, 
ohne die Sueven mit Wersebe für enlnalionalisirte Slawen zu erklären; den Ur- 
slawcn vindiciren wir aber die lygischen Lande östlich von der Oder, indem wir 
Gothen und die übrigen Sueven für blosse Einwanderer erklären." Daher führen 
die Bewohner dieser Gegenden hei den späteren Schriftstellern „ihrer Abkunft 
nach den Namen Sueven, wegen ihrer Vermischung mit den Winden den Spitz- 
namen Windilen, Wandilen, Wandalen, in geographischer Beziehung wegen ihrer 
Besitzergreifung der slawischen Luhy (feuchte Niederungen mit Wald) den Namen 
Lygii, Lugii, Lugiones." Ausser diesen werden nur diejenigen germanischen Völ- 
kerschaften näher besprochen, welche mit den Slawen in Berührung kamen. 
§. 19. Die Völker des Ii litauischen Slamines sind den Slawen viel näher ver- 
wandt als andere indoeuropäische Völker, auch sind sie seit undenklicher Zeil 
immerwährende Nachbarn derselben; haben daher für die slawischen Allerthflmer 
eine besondere Wichligkeit. Beide bildeten ehemals zusammen eine Nation, wel- 
che Schafarik den „windischen Volksstamm" nennt. Die lilh. Sprache hält die 
Mille zwischen der slawischen und griechischen. Diese Lilhauer waren seit jeher 
ein kleines Völkchen und sassen in ihrer jetzigen Heiinalh neben den Slawen so 
lange als diese. Und wenn spätere, besonders deutsche Forscher die bei den 
Lateinern an den Oslsecküslcn genannten Aeslicr durchweg für deutsche Gothen 
erklären und von Lithauern in jener Gegend nichts mehr wissen wollen, so ist das 
eine historische Unwahrheit, die nur in der nationellen Eitelkeil jener Männer ih- 
ren Erklärungsgrund findet, f. 20. Die Völker des thrakischen Stammes. Sie 

Digitized by Google 



11 



waren zwar clicmals Nachbarn der Slawen, als diese noch an der unfern Donau 
und dem adriatischen Meere sassen. Allein bereits im IV. Jahrhunderte vor Chr. 
wurden diese von den Kelten nach Norden und hinter die Karpathen gedrängt und 
somit aus aller Verbindung mit den thrakischen Völkerschaften gerissen. In spä- 
teren Jahrhunderten erst kamen sie wieder mit ihnen zusammen, wie mit den Da- 
ken oder Geten, so wie den Agalhyrsen. $. 21. Aus der bisher gegebenen Ueber- 
sicht erhellet nun zur Genüge, eincsthcils: „dass während des ganzen Zeilraumes 
von der Mitte des V. Jahrhundertes vor Chr. bis zur Mitte des V. Jahrhunderies 
nach Chr. im Nordosten von Europa kein anderer grosser Volksstamm gesessen 
haben konnte, als: die Skythen, Finnen, Sarmalen, Kellen, Germanen, Lithauer, 
Thraken und Slawen," und dass wir anderntheils „entschlossen die Behauptung 
aufstellen können: dass der ganze Landstrich diesseits der Karpathen bis zur un- 
tern Donau und Sawc, dann jenseits der Karpathen von der Scheide der Oder 
und Weichsel nach Norden hinauf bis zum Ilmensee, und nach Osten bis zum 
obern Don, in der angegebenen Periode von keinem andern europäischen Volks- 
stamme eigentlich und dauernd besetzt gewesen sein konnte, als [einzig von den 
Winiden oder Slawen" — und „dass somit dieser Landstrich für die europäische 
Urheimalh der Slawen angenommen werden darf.'- 

4. Abschnitt. Geographischer Ueberblick der slawischen Urheimath. f. 22. 
Neben den schriftlichen Beweisquellen für das hohe Alterlhum der Slawen in dem 
von uns bezeichneten Gebiete gibt es noch eine Reihe geographischer Dokumente 
für dasselbe, welche die früher ausgesprochenen Wahrheilen nur noch erhärten. 
So ist der Gebirgsname der Karpathen sicher aus dem Slawischen Chrb (Berg) 
entstanden. Von dm Flüssen sind die in den älleslen Quellen vorkommenden 
Wisla, Piena, Berestina, Czerna, Brzawa, Bystrica, Polisi und Hron, so wie der 
See Pleso ohne allen Zweifel rein slawische Namen, während der Rudon, Tyras, 
Dunaj (Donau) allen europäischen Sprachen gemeinsam angehören, sich aber am 
natürlichsten noch aus dem Slawischen ableiten lassen. In Hinsicht der Städte 
wird zwar die Behauptung des Jornandes, als hätten die Slawen gar keine Städte 
gebaut, mit genügenden Gründen zurückgewiesen, dennoch aber aus den Schriften 
der Alten nur die Namen Azagarium-Zagorijc, Sarbakum, Serbinum, Serbetium- 
Srbec, Pessium-Pest, Paliskon-Potisje, Bersowia-Berzawa, Tsierna- Czerna für 
zweifellos slawisch erklärt, über deren geringe Anzahl man sich aber nicht wun- 
dern dürfe, da den Römern und Griechen die innere Heimath der Slawen Über- 
haupt weniger bekannt gewesen sei. Ausserdem giebt es aber auf der Oberfläche 
der Erde und zunächst unter derselben allerlei Dinge, welche beweisen, dass hier 
einst ein grosses Volk gewohnt habe; wie die vielen Grabhügel von grossen Män- 
nern, Erdwällc, Schanzen und dergleichen mehr, welche sich in der slawischen 
Urheimath sehr zahlreich vorfinden, aber bisher noch fast gar nicht untersucht 
und erforscht sind. Erst in der Neuzeil haben sich einzelne tüchtige Gelehrte 
daran gemacht, wie Chodakowski, Koppen, Kucharski, Strojew; aber ihre [Arbei- 
ten sind noch wenig veröffentlicht, so dass die slawische Archäologie bis auf die- 
sen Augenblick noch sehr darnieder liegt. 

5. Abschnitt. Recapilulation und Schlussbclrachtungen. §. 23. Nachdem 
der Verfasser noch ein Mal die gesammten Nachrichten kurz zusammengestellt hat, 
welche uns in den Schriften der Allen über die erste Periode des slawischen Al- 
lerlhums hinterblieben sind; gesteht er ein, dass dieselben zwar an sich wenig 
zahlreich sein, setzt aber hinzu, dass sie durch ihre Bestimmtheit und Ergiebig- 
keit dennoch hinreichen, um mit Zuhilfenahme der Geschichte der Nachbarvölker 
und mit Berücksichtigung des natürlichen Ganges der Weltgeschichte überhaupt 
ein wahres und hinlänglich vollständiges Bild des slawischen Allerlhums zu ent- 
werfen, wie es sich in Europa entwickelt hat; denn die vielerlei Hypothesen über 
den Einzug der Slawen aus Asien nach Europa und ihre Ausbreitung in den Land- 
strichen diesseits und jenseits der Karpathen gehören in die vorhistorische Zeit 
und liegen daher ausserhalb der Forschungen von Schafariks Werke, das auf rein 
historischem Grunde fusst. Die Ursache dieser geringen Aufmerksamkeit für die 



Digitized by Google 



Slawen von Seiten der Griechen und Römer liegt theils darin, dass sie mit ihnen 
weniger in Wechselverhältnisse in Krieg und Frieden kamen, da sie ihnen fern 
sassen; theils weil die allen Slawen ein stilles Volk waren, das den Frieden über 
alles liebte, um seinem Ackerbau, den Gewerben und dem Handel obzuliegen, und 
so der Weltgeschichte, welche immer mehr Rücksicht nimmt auf wilde Kampfe 
und Schlachten, als auf harmloses Glflck im] Schosse einer geliebten Heimalh, 
wenig Stoff zu äusserlich glänzenden Berichten gaben. Denn der Krieg war nicht 
das Handwerk der Slawen und die Waflen trugen sie nur zum Schutz, nicht aber 
zum Angriff. Liebe zum Frieden war die schönste Tugend in ihrem Charakter; 
allein ohne dass sie in Feigheit ausartete; denn gar oft führten sie blutige Kriege 
mit ihren Nachbarn, wie die Geschichte erwähnt; auch mochte es in ihrer Hei- 
malh nicht ohne Kampf und Fehde gegangen sein, eben so wenig als sich anneh- 
men lässt, dass sie die deutschen Gegenden diesseits der Oder bis zur Saale und 
niedern Elbe nur in friedlicher Colonisation besetzt haben, da in diesen Gegenden 
trotz aller Auswanderungen noch ansehnliche deutsche Völkerstämme zurückgeblie- 
ben sein mussten. Uebrigens liefert die Geschichte der hier eingezogenen Slawen 
die glänzendsten Beweise von ihrer Tapferkeit, trotz dem, dass sie von den deut- 
schen Historikern fast durchweg im ungünstigen Lichte dargestellt werden. — 
Eben so sparsam als über die Geschichte sind bei den Allen auch die Nachrich- 
ten über den geistigen und den Culturzustand der Slawen; das erhellt aber klar 
aus allen Zeugnissen zusammengenommen, dass sie ein Acker hauvolk waren, 
und zwar ein der Barbarei entwachsenes, feineren Sitten bereits hingegebenes, 
daher den Fremden nicht feindseliges, sondern zugängliches und gastfreundliches 
Volk waren, das bereits in jenen Jahrhunderlen nicht ohne mannichfaltige Erfin- 
dungen, Bequemlichkeilen im häuslichen Leben, Handel und Gewerbe sein konnte; 
es mögen fremde Schwärmer und Verlänmder der Nation dagegen behaupten, was 
sie wollen. Ihr Cullus war einfach und ohne Menschenblut; sie glaubten an einen 
obersten Göll, an die Unsterblichkeit; alle Menschen waren einander gleich, eine 
Bevorzugung, eine Art Adel, kam erst vom Westen herein; Knechtschaft und Scla- 
verei nahmen sie im Westen von den Deutschen, im Süden von den Römern und 
Kellen an; in den ältesten Zeiten bestand das Gesetz, dass ein Gefangener oder 
Sclave, wenn er ein geborner Slawe, augenblicklich frei war, sobald er slawi- 
sches Gebiet betrat; fremde Sclaven durften sich nach einer bestimmten Zeit vom 
Erlrag ihrer Händearbeit loskaufen, und konnten dann nach Hause zurückgehen 
oder als Freunde im Lande bleiben. Neben dem Ackerbau, und der mit ihm ver- 
bundenen Vieh- und Bienenzucht war die Jagd, besonders aber der Handel, ihre 
Hauplbeschäitigung. Ihre Prieslerschaft stand bei den Nachbarvölkern im höch- 
sten Ansehen durch ihre Wissenschaft; die Runenschrift war ihnen genau bekannt. 
Zwei Hauptfehler aber hat man den Slawen, den alten wie den spälem und den 
gegenwärtigen, vorzuwerfen, ihre innere Zerrissenheit und Uneinigkeit, und ihre 
Zuneigung für das Fremde. 

Mit diesen Betrachtungen, welche der Verfasser im zweiten, dem kultur- 
historischen Theile seines Werkes weiter auseinander zu setzen verspricht, be- 
schliesst er den ersten Zeitraum des slawischen Alterthums. Wir durften uns bei 
der Uebersicht der darin verhandelten Gegenstände kurz fassen, weil die Ueber- 
selzung dieses ersten Zeitraumes von M. v. Aehrenfeld und Dr. H. Wuttke be- 
reits gegenwärtig bei Engelmann in Leipzig ausgegeben und somit denen, die 
sich für die Sache interessiren , Gelegenheit geboten ist, sich selbst an der 
Quelle umzusehn °). Ein anderes ist es mit der Uebersetzung des zweilen Zeit- 
raumes, deren Erscheinung sich wohl noch einige Zeit hinziehen dürfte und wel- 
che auch viel detaillirtere Forschungen enthält, die sich nicht werden so kurz 
zusammenfassen lassen. Eine Uebersicht des ganzen zweiten Zeitraumes sind 
wir wegen Mangel an Raum für diessmal nicht zu geben im Stande; um jedoch 
unsern Lesern eine festere Aussicht zu geben auf das, was sie im II. Zeitraum 

•) Wir haben desshalb bereits einzelne Stellen naeh dieser Uebersetznng wiedergegeben. 

Digitized by Google 



13 

zu erwarten haben, und im Voraus die Gegenstande etwas genauer zu bezeichnen 
und die Reihenfolge zu bestimmen, in welcher sie besprochen werden sollen, ge- 
ben wir nur noch eine kurze Uebersicht dessen, was Schafarik über die Ge- 
schichte der Slawen dieser Periode im Allgemeinen sagt. 

II. Zeitraum. Vom Falle der hunnischen und römischen Herrschaft bis zur 
Ueberhaudnahme des Christenlhums unter den Slawen. 

1. Abschnitt. Geschichte und Ausbreitung der Slawen im Allgemeinen. 
§. 24. Die Behandlung des zweiten Zeilraumes unterscheidet sich gar wesentlich 
yon der, an welche der Verfasser im ersten gebunden war; und zwar nicht bloss 
durch die Zeit, sondern vielmehr noch durch die besprochenen Gegenstände; 
denn dort galt es, das Urslawenthum aus der finstern Nachi der Vergessenheit und 
des Verfalles zu reiten, nnd dazu waren oft Untersuchungen der scheinbar unbe- 
deutendsten Gegenstände nothwendig; dort handelte es sich meistenteils um Streit- 
sachen, welche den verschiedensten Auslegungen, allerlei Hypothesen und mannich- 
fachem Widerspruch unterliegen; hier ist dagegen ein weites Feld von historischen 
Ereignissen zu tiberschauen, von den zahlreichen, von jedem Historiker den Sla- 
wen unangefochtenen Fakten die wichtigsten, die charaklerisirenden und die in 
einander eingreifenden herauszuwahlen. Endlich durch den Reichlhum, die Um- 
fanglichkcit und die Klarheit der historischen Quellen, welche für die Zeil seit 
dem allgemeinen Bekanntwerden der Slawen in Europa auf uns gekommen sind; 
denn dort waren die Slawen in den einzelnen, zweideutigen, oft sich selbst bald 
scheinbar und bald wirklich widersprechenden, ja selbst falschen Nachrichten un- 
ter fremden, ihnen von auswärtigen Volkerschaften oder nach der Lage ihrer Sitze 
beigeleglen Namen verborgen; hier treten sie nun bereits unter ihrem eigenen Ge- 
sammtnamen und unter den verschiedenen Stamm- und Zweignamen auf, in welche 
sie sich im Verlaufe der Jahrhunderte zerlheilt, und geben ihnen auch einzelne 
Schriftsteller noch fremde und unbestimmte, wie z. B. geographische Namen, so 
zeigt sich doch aus ihren Schriften selbst, so wie durch das Zusammenhalten mit 
anderen gleichzeitigen, oft reichlich messenden Quellen, mit der genauesten Evi- 
denz, dass sie von den Slawen reden. — Die Ucberhandnahme deä Christenthums 
und somit den Schluss seiner Untersuchungen in den slawischen Altcrlhümern setzt 
Schafarik auf die Jahre 11(55 u. 988, wo die Fürsten der Polen und Russen, der 
zwei slawischen Hauplvölkerschaften, sich taufen Hessen, desshalb, weil dies ein 
entscheidendes Faktum für das Geschick der Slawen, so wie Millelcuropa's (denn 
welch einen ganz andern Gang hätte die Geschichte unseres Erdlhcils genommen, 
wenn Wladimir und seine Bojaren, wie sie nach dem Zeugnisse Nestors bei den 
glänzenden Schilderungen der mohamedanischen Friesler von ihrem Paradiese und 
seinen Seligkeiten schon nahe daran waren, den Glauben Mohaineds angenommen 
hätten!! — ) und zugleich der Anfangspunkt eines ganz neuen Lebens und Ent- 
wickeins aller slawischen Völkerschaften ist. — §. 25. Nachrichten von den Win- 
den, Anten, Slawen,. Durch den Sturz des hunnischen und römischen Reiches ging 
das Uebergewicht in der Geschichte Europa's auf die Germanen und Slawen über; 
es erfolgten die grossen Wanderungen dieser beiden Nationen, welche verschiedene 
Richtung und verschiedene Gründe, aber gleiche Folgen für beide hatten. Die 
Germanen wanderten aus Wanderlust; die Slaweu gedrängt durch die Umstände. 
Unter den Wanderungen der Slawen müssen zwei Hauplzüge unterschieden wer- 
den; 1) der von ihren Ursitzen an der Donau nach dem Norden vom IV. Jahr- 
hundert vor Ohr. bis zum II. nach Chr., weil sie von den Kelten, Germanen und 
Römern bedrängt wurden, und bei den finnischen Völkerschaften in den fruchtba- 
ren Ebenen Mitlelrusslands nur schwachen Widerstand fanden; 2) der umgekehrte 
Zug vom Norden nach dem Süden und dem Südwesten zurück aus den Landstri- 
chen jenseits der Karpathen nach Mösicn, Illyrien, Ungarn, Böhmen und Nordost- 
deutschland im III. bis zum VII. Jahrhunderte. Diese Gegenden waren durch die 
Ereignisse der Völkerwanderung bedeutend entvölkert, und da die friedfertigen 
und ihre im' Schweisse des Angesichts zur Fruchtbarkeit und Kultur erhobene Hei- 
niath liebenden Slawen die Wanderlust ein Mal ergriffen halte, sex es wegen des 



Digitized by Google 



14 



Beispiels der benachbarten Germanen, sei's weil es die Notwendigkeit gebot, da 
ihr Gebiet seit den vielen Jahrhunderten, wo sie darin Ackerbau und Viehzucht 
trieben und sich durch ihren Handel reichlichen Wohlsland und Ueherfluss erwar- 
ben, wohl dem Gange der Natur nach an Ucbervölkcrung leiden musste: so wen- 
deten sie sich nach dem fruchtbaren Westen und dem Süden, dem Eldorado aller 
Nationen in jener Zeit. Seit dieser Zeit nun wurden die Slawen den Griechen 
sowohl als den Germanen, welche damals schon kräftige Fortschritte zur Vereini- 
gung ihrer Kräfte machten, bekannter, allein die reinen Quellen über sie Wessen 
immer noch sehr spärlich, da man sie für allerhand alte Völker, wie Skythen, 
Sarmatcn', Gelen, oder für Awaren und Hunnen nahm; und spater, als unter die 
Germanen wieder der Geist der Eroberung und Vernichtung fuhr und sie unter 
dem Deckmantel der religiösen Bekehrung die Unterjochung und Entnalionalisirung 
der Slawen an der Elbe und im ganzen Westen begannen, wurde zwar Manches 
über die Slawen geschrieben, aber diese meist einzelnen, abgerissenen Berichte 
sind in der Regel so yoII Unwahrheilen, absichtlicher Entstellung, Hass, Verläum- 
dung, Verachtung, Beschimpfungen, dass man sie nur mil der grösslen Vorsicht 
gebrauchen darf. Auch waren die slawischen Einzügler in jener Zeit in so viele 
von einander ganz getrennte Völkcräsle und Zweige zersplittert, dass man ihre 
Tcrschicdcnen Namen aus jener Zeit kaum je zu unterscheiden im Stande sein dürfte. 
Doch blieben die Hauptnamen dieser Periode Winden, Slawen, „Anten"; nur letz- 
terer verliert sich allmählich aus der Geschichte. Erst als sie in grossen Massen 
zusammen traten, anfangs unter Samo, dann unter Swatopluk in Mähren und Kurik 
inRnssland, wurden sie ein welthistorisches Volk, und von diesem Augenblicke an 
finden sie auch in der Geschichte eine entsprechende Vertretung. — Wahrschein- 
lich schon zu Ende des IV. und im Verlauf des V. Jahrhunderts mochte es ge- 
schehen sein, dass die Slawen im Süden bis an den Fontus vordrangen, wo wir 
sie später finden. So wurde der Tod des Königs der Anten, Boze, bereits im 
J. 384 von den Hunnen auf das strengste gerächt. Das Odergebiet stand den Sla- 
wen bereits im IV. Jahrhunderte offen und im V. mochten sie ihre Vorposten wohl 
schon bis zur Sale, der untern Elbe und der westlichen Ostseeküste vorgeschoben 
haben; im letzten Viertel des V. Jahrh. bevölkerten sie auch Mähren und Böhmen. 
Diese Besitzergreifungen mochten wenigstens zum Theil mit gewaffaeler Hand er- 
folgt sein. Auch nach Mösien und Pannonien mochten sie bereits im V. Jahrh. 
ihre Einwanderungen angefangen haben; und die sieben slawischen Gemeinden in 
Mösien sind wenigstens seit der ersten Hälfte des VI. Jahrhunderts dagewesen. 
Im VIII. Jahrh. hallen sie sich in Thessalien, Hellas und dem Peloponnesos bereits 
dermaassen ausgebreitet, dass griechische Schriftsteller klagend ausrufen: „Ganz 
Griechenland sei schon slawisch geworden!" — Der Einzug der Donauslawen 
nach Kärnthen und Krain bis zur tyroler Gränze ward mit ungemeiner Schnellig- 
keit zwischen den Jahren 592 — 595 beendet. Damals mochten sie wohl auch 
Islrien und das Furlanengebiet besetzen. In der ersten Hälfte des VII. Jahrhun- 
derts nahmen die Bielochrowaten und Bicloserbcn, von jenseits der [Karpathen 
kommend, Pannonien, Dalmalien und das übrige Illyricum ein. Hier breiteten sie 
sich bald zu kräftigen Staaten aus; selbst Karl d. Gr. Hess sie von ihren eigenen 
Fürsten verwallen. Um diese Zeit fing man auch an, slawische Ackersleute als 
freiwillige Colonisten nach Deutschland zu übersiedeln; seihst nach Brittanien und 
Balavien kamen sie um diese Zeit. — Während dess bleibt aber das Geschick 
der im slawischen Stammlande Zurückgebliebenen immer noch in dunkle Nacht 
gehüllt. Sie mochten wohl ihr friedliches, ungestörtes Ackerbauleben fortführen, 
da sie von den wüthenden Zügen der Awaren und ihrer uralischen Nachfolger, 
welche mit so bestialischer Wulh die süd - und westslawischen Völker knechteten, 
nur in ihren äussersten Gränzen berührt wurden. — Der Name Anten kommt 
nur von 550 — 770 vor, scheint bei den Deutschen besonders gebräuchlich gewe- 
sen zu sein, aber nur von einem Theile der östlichen Slawen, der vom Dnjester 
und dem Maiotis weiter nach Norden sass. Der einheimische Name Slawen kommt 
in den Quellen in den verschiedensten Gestalten vor; die reinste, ursprüngliche ist 

Digitized by Google 



15 



Slowane, abgeleitet bald von Slowo, Wort, dann wieder von Slawa, Ruhm, und 
endlich von Slowy, einer Gegend, in welcher jener slawische Volkszweig ehemals 
wohnen mochte, von welchem ans im Laufe der Zeit der Name Slowenen auf alle 
Winiden - Serben überging; «als Partikularnaaie gilt er noch bei den Slowenen im 
Innern von Russland am Ilmensce bis zum XII. Jahrh., die man dann auch Rus- 
sen und ihr Land swjataja Rusj (das heilige Russjen) nannte, so wie bei den 
Slowenen in Mösien bis zum X. Jahrhunderle; gegenwärtig haben ihn nur noch 
die „Slowencen" in Steyer und Kärnthcn, und die „Slowaken" in Ungarn. Der 
ehedem weit verbreitete Name Serben ist ebenfalls nur noch zwei Völkerschaften 
verblieben, den Slawen in beiden Lausitzen und den in Sildungarn, in Serbien, 
Bosnien und Dalmatien. $. 26. Nachdem nun die im vorigen $. erwähnten Züge 
der slawischen Völkerschaften nach Süd und West zu ihrem Ende gediehen waren 
und die einzelnen Stämme in ihrer neuen Heimath sich festgesetzt hatten, nm die- 
selbe nie wieder zu verlassen: da kräftigten sie sich hier in kurzer Zeit durch 
ihre friedliche Bebauung des Feldes, durch Viehzucht und Handel so, dass sie 
eigene Königreiche und Fürstenlhümer bildeten, welche getrennt von einander und 
ohne alle Rücksichtnahme auf ihre altgemeine Slammverwandtschaft, ihre eigenen 
Bahnen wandelten. Von diesem Augenblicke an beginnt denn auch die Partikular- 
geschichle der einzelnen slawischen Völkerschaften und der von ihnen gegründeten 
Reiche. — Nach Dobrowsky's Einlheilung, welche bis auf diesen Augenblick die 
beste ist und es auch für die Folge bleiben wird, da sie sich auf den Unter- 
schied in den Sprachdialekten gründet, zerfallen die Slawen in zwei Reihen, in 
die I. Ost- und die II. Westslawen. Zu beiden Reihen gehören 3 Klassen: 
zur ersten l) die Russen, und zwar Gross-, Klein-, Weiss -Russen und Nowgo- 
roder; 2) die (alten und neuen) Bolgarcn; 3) die il lyrischen Slawen, näm- 
lich die Donau -Serben, die Chorwaten und Slowencen; zur zweiten dagegen 1) die 
Liechen, d. i. die Polen, Schlesier und Pomcraner; 2) die Czechen, nämlich 
die eigentlichen Czechen in Böhmen, die Mährer und die Slowaken; 3) die Elb- 
slawen, zu denen einst die Lnticer, die Bodricen, Milczaner u. a. gehörten, die 
aber nun bis auf die Lausitzer Serben völlig germanisirt sind. Von jeder einzel- 
nen dieser Völkerschaften giebt nun Schafarik erstens eine Ucbcrsicht ihrer Ge- 
schichte bis zur Ueberkunft des Chrislenlhums; dann beschreibt er auch noch die 
einzelnen kleinen und grössern Zweige, in die sie zerfallen, so wie die Sitze, 
welche sie im Verlaufe der Zeit angenommen haben. Wir verschieben es bis auf 
das zweite Heft unserer Jahrbücher, auch diese Forschungen in gedrängter Ueber- 
sicht unsern Lesern vorzulegen. 

2. Lfjudewit Gaj und der niyrismus. 

Kein Stamm der Slawenwelt hat sich in so viele einzelne Zweige gegliedert, 
als der illyrisch -serbische, oder, wie er jetzt von gewissen Seilen schlechtweg 
genannt wird, der illyrische. Im Laufe der Zeit halten in den Gebieten, welche 
von diesem Stamme «bewohnt werden, mehr als zehn verschiedene Volks - und 
Landestheile eine gewisse nationale Selbständigkeit errungen, die freilich mehr 
oder minder fremdem Drucke und Einflüsse ausgesetzt war. So waren die illyri- 
schen Slawen in Steyermark und Kärnthcn frühzeitig unter deutsche Oberherr- 
schaft gekommen, welche namentlich von den Glänzen und den grösseren Städten 
aus zersetzend auf ihr nationales Wesen einwirkte. Fester hielt das stammver- 
wandte Krain an seiner slawischen Eigenthümlichkcit. Ein ganz anderes Geschick' 
traf Croatien, Slawonien und das mit ihnen innig verbundene Gebiet der Militair- 
grenze. Das alte Croatcnreich unterlag früh dem Andränge Ungarns, während 
die slawischen Bewohner in Dalinalien und in einem kleinen Gebiete des heutigen 
Oberitalicns italienische Civilisation annahmen. Diese vernichtete in den zwanzig 
slawischen Sladtgemeinden in Dalmatien jeden Ansatz zu einem Bundesstaate. In 
Serbien and Bosnien und den ihnen benachbarten Gebieten schien im XIV. Jahr- 



Digitized by Google 



16 



hunderte sich eine slawische Schwerkraft bilden zu wollen. Da legte der Muha- 
medanismus sein hartes Gebot den Christen in der Bolgarei und Serbien auf. Nur 
Montenegro beugte seinen Nacken nicht unter das türkische Joch, sondern eröff- 
nete den Freiheits - und Glaubenskampf der christlichen Sfldslawen. Zahlreiche 
Schaaren von Serbiern gewannen unter Ungarns Schutze und auf ungarischem Bo- 
den ein friedlicheres und glücklicheres Dasein; ein anderer Theil des Serbenstam- 
mes erkämpfte sich in diesem Jahrhunderte seine Unabhängigkeit und harrt der 
Zeit, wo er Bosnien dem Halbmonde entreissen könnte, mit Ungeduld entgegen. 

Der politischen Zerrissenheit dieser illyrischen Slawen entspricht, und zwar 
in einem noch höheren Grade, die religiöse. Karnthcn, Krain, Sleyermark wur- 
den mit dem Christenthume von Deutschland aus bekannt; von hier aus erhielten 
sie spater die Reformation, lin deren Gefolge ein geistiger Aufschwung die Ge- 
müther beseelte. Allein dem Fanatismus des XVI. und XVII. Jahrhunderts gelang 
es, die „Ketzereien" in ihnen wieder auszurotten, und nun sind sie bis auf ge- 
ringe Ueberreste wieder katholisch. Slawonien, Kroatien, Dalmatien gaben früh 
das griechische Glaubensbekenntniss auf und nur geringe Trümmer in Croatien 
und Dalmatien bezeugen seine frühere Herrschaft. Die Reformation fand wohl in 
Kroatien viele begeisterte Anhänger, aber auch bald ihren Untergang. In Bosnien 
und Serbien hat die griechische Kirche sich gegen alle Bekehrungsversuche der 
katholischen Priester behauptet und nur der Muhatnedanismus hat ihr einige Tau- 
sende von Anhängern entzogen. Die ungarischen Serhen haben sich in zwei kirch- 
liche Richtungen geschieden; die Einen sind der griechischen Kirche zugethan ge- 
blieben, die Andern haben sich der griechisch -unirten zugewandt. 

Mit der religiösen Spaltung ging auch die literarische Hand in Hand. Eine 
gemeinsame illyrische Schriftsprache hat es bis auf die neueste Zeit nicht gege- 
ben; sondern es halten sich bei den Illyro - Serben nach und nach gegen zwanzig 
mundartliche Nüancen ausgebildet. In dein grössten Theile derselben wurde auch 
geschrieben und gedruckt, so dass die bunteste Reihe von Winkelliteraturen ent- 
stand. So gab es eine windo - slowenische vor und nach der Reformation in dem 
eigentlich sogenannten Illyrien; neben ihr ging eine kroatische einher und un- 
abhängig von ihr entwickelte sich die reichhaltige dalmatinische namentlich im 
Laufe des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Die griechischen Serben blieben auch 
nicht geistig todl und suchten seit dem vorigen Jahrhundert wieder eine National- 
lileratur ins 'Leben zu rufen. Da jede von diesen kleinen Literaturen auf eine 
selbständige Entwicklung Anspruch inachte, so konnte natürlicher Weise keine 
ein allgemeines Interesse unter der Hauptmasse der illyrischen Slawen erregen. 
Schon die Verschiedenheit des Alphabets Hess ein solches nicht leicht aufkommen. 
Die Windo -Slowenen schrieben und druckten abwechselnd in lateinischer und deut- 
scher Schrift; in Kroatien und Slawonien hatte sich eine lateinische Schreibweise 
Gellung verschafft. Neben ihr war im kroatischen Küstenland e die glagolitische 
Schrift, eine yerslümmelung der kirchenslawischen, in Gebrauch gekommen', wäh- 
rend in Dalmatien noch lateinische und russische Schrift sich bis auf die Gegen- 
wart kreuzen. Nur die Serben behielten die ächt slawische Kirchenschrift bei 
und verstanden sich, so wie die Bolgaren erst in der neuesten Zeit, zur Annahme 
des russischen Alphabets.*). 

So vielfach war der Stamm der Illyro - Serben gesondert und zerfallen! Nur 
ein Band hielt die getrennten Glieder zusammen. Es war die gemeinsame Sprache. 
Mit dein Beginn einer höhern Sprachforschung unter den Slawen musste sich un- 
willkürlich die Ueberzeugung aufdringen , dass alle jene Mundarten und Unter- 



°) Uebrigens haben nenere Forschungen gezeigt, dass Peter der Grosse nicht der Er- 
finder des heutigen russischen Alphabets sein kann, wie man gewöhnlich annimmt; viel- 
mehr sind schon am Knde des 17ten Jahrhunderts in einer slawischen Stadt unweit des 
adriatischen Meeres Bucher mit russischen (den sogenannten bürgerlichen) Lettern gedruckt 
worden. D.e unausgesetzten Beziehungen, in welchen Peter der Grosse, namentlich wegen 
seiner Pläne auf Constantinopel , zu den Siidslawen stand, scheinen ihm zur Verpflanzung 
des vereinfachten kirchenslawischen Alphabets nach Rossland Veranlassung gegeben zu haben. 



Digitized by Google 



mundarten der Illyro - Serben im Wesentlichen ein und dieselbe Sprache ausmachen. 
Es kam nur darauf an, diese Ansicht ins Leben einzufahren , um so auch die ein- 
zelnen Winkelliteraturen zu einer gemeinsamen Literatur zu erheben. Diess er- 
kannte als seine Aufgabe der Croat Ljudewil Gaj. 

Gaj gehört unstreitig zu den bedeutendsten und interessantesten Männern im 
heutigen Slawenthum. Wir wissen von seinen äusseren Lebensumständen nur we- 
nig; es ist diess auch für unsern Zweck von keinem grossen Belange. Seine Ge- 
burt fällt etwa in die Zeit, als Napoleon die ihrer Hauplbevölkerung nach slawi- 
schen Provinzen Kärnthen, Krain, Istrien, Görz und das Triester Küstenland von 
Oeslerreich losriss und ihnen den alten Namen „Illyrien" gab. Die Erziehung des 
jungen Gaj fiel schon in friedlichere Zeiten und wurde unter den Augen einer 
liebeTollen Mutter geleitet. Sie, welche mit flammender Liebe an Allem hing, 
was ihrem Volke theuer und national ist, hat auf die Gesinnung und das ganze 
Wesen ihres Sohnes einen entschiedenen Einfluss geäussert. Noch heute spricht 
derselbe mit frommer Rührung davon, wie sie ihn für die Bahn vorbereitet habe, 
die er sich später auserwählte. Unterstützt von herrlichen Anlagen musste es dem 
jungen Gaj leicht werden, sich schon in seiner Heimath mit deutscher Bildung zu 
befreunden. Ein längerer Aufenthalt auf österreichischen und deutschen Universitä- 
ten gab dem in der Ueimath erworbenen geistigen Kapital eine höhere Weihe. 
In sie kehrte er als Doctor der Rechte mit feiner Menschen- und Völkerkennlniss 
bereichert zurück. Es war dies in jener Zeit, als einerseits die Magyaren sich fest 
vornahmen, allem Slawischen innerhalb ihres Landes den Krieg bis zur unbarm- 
herzigsten Vernichtung zu führen, und die Staatsregierung mit sichtlichem Wohl- 
gefallen die Bestrebungen derselben unterstützte, als aber auch anderseits die Böh- 
men bereits zu einer klaren Einsicht in die Weise gekommen waren, wie sie die 
Wiedergeburt ihres Vaterlandes zu betreiben hätten, und allmählig zu ahnen anfin- 
gen, welchen Beruf ihnen die Wellgeschichte auferlege. Alle diese Gährungen 
und Verhältnisse hatte Gaj mit seinem scharfen Blicke an Ort und Stelle würdi- 
gen gelernt; er hatte sie im ersten Momente als die Vorboten künftiger, verhäng- 
nissvoller Ereignisse erkannt; es war ihm klar geworden, dass auch sein Geburts- 
land und der Stamm, dem er angehörte, mit oder ohne Willen in diesen Gäh- 
rungsprocess hineingezogen werden würde. Das Beste schien ihm, selbst die 
Initiative zu ergreifen und die Erweckung seiner Landsleute vom langen Schlummer 
durch geistigen Einfluss auf literarischem Wege zu erzielen. Es galt dem Traum 
des Jünglings im Mannesalter Leben und Gestalt zu geben. 

Alles hing davon ab, wie Gaj selbst sich seines Strebens bewusst geworden war. 
Er wusste, was er wollte und kannte die Gemülher seiner Landsleute. Auf sie 
musste schon seine äussere Geslalt, sein hoher und schlanker Wuchs, die feste 
Willenskraft, die sich energisch und ernsthaft auf seinem Gesicht ausdrückt, die 
aus seinen Augen auflodernde Begeisterung, sobald es sich um nationale Interes- 
sen handelt, den stärksten Eindruck machen, und namentlich musste der unaufhalt- 
sam aber zugleich würdevoll und gemessen dahinströmende Fluss seiner Rede ihm 
die eines höhern Gedanken Fähigen seiner Slamingenossen , vorzüglich aber die 
junge Generation zuwenden. Unverzagt und entschlossen warf er selbst, ihnen 
zum Beispiel, die aristokratischen und religiösen Vorurtheile ab, unter denen er 
aufgewachsen war. Zuvörderst war es ihm nur darum zu thun, eine Zeitschrift 
in der Nationalsprache zu begründen. 1 Als Croat halte er sich desswegen an die 
ungarischen Behörden zu wenden, welche den Wünschen des Bittstellers natürlich 
nicht entgegen kamen. Da wandte sich der kaum fünf und zwanzigjährige Literat 
an den Kaiser Franz, der ihm in einer Audienz die nöthige Vollmacht ertheille. 
Ohne Verzug richtete Gaj in Agram eine Nationalbuchdruckerei ein. Die Zeitung 
erschien anfangs in der Mundart von Frovincialcroatien und als „croatische Na- 
lionalzeilung", wurde aber nach wenigen Monaten in die „illyrische Nationalzei- 
tung", und das literarische Beiblatt in den „illyrischen Morgenstern" umgetauft. 
Zugleich ging die Sprache dieser Blätler allmälig in den Dialekt über, wie er 
vorzugsweise in Dalinatien, dem Gränzlande, und Bosnien gesprochen wird und in 

Blaw. J.brt. I. 3 

Digitized by Google 



18 

der sogenannten dalmatinischen Literatur zur Schriftsprache erhoben und aasgebil- 
det worden ist. Eine den slawischen Laoten und dem kyrillischen und russischen 
Alphabet analoge lateinische Orthographie gab aurh äusserlich der Sprache ein 
geschmackvolleres, wenn gleich anfanglich befremdendes Gewand. 

Die Vertauschung des Namens war ein kühnes Wagslück; sie konnte das 
ganze Streben Gaj's ins Lacherliche wenden. Er gab seine Erklärung dahin ab, 
dass der slawische Stamm der Illyrer, Croaten und Serben, welcher eine, nur 
durch geringe mundartliche Verschiedenheiten bezeichnete gemeinsame Sprache be- 
sitze, auch eine gemeinsame Literatur mit einem gemeinsamen Namen aufbauen 
müsse, wenn er nicht geistig und moralisch verwittern wolle. Um dem Namen 
„illyrisch" seine Freindartigkeit zu benehmen, berief er sich darauf, dass die 
alten Illyrier, welche zum Theil in den Ländern der heutigen Südslawen ihre 
Wohnsitze hatten, Slawen gewesen waren. Mit grosserem Recht konnte er fer- 
ner sich darauf berufen, dass heute wenigstens ein Theil der Südslawen den Na- 
men Illyrier führt und besonders, dass im Mittelalter und den folgenden Jahr- 
hunderten „illyrisch" Öfter von den meisten jener Slawenstamme gebraucht wurde. 
Solche Erklärungen führten wohl dem aufgehenden Illyrismus zahlreiche Anhänger 
und Schwärmer zu, konnten aber nicht die Gegner desselben gewinnen. 

Zu ihnen gehörten und gehören vorzugsweise die Magyaren, denen der Illy- 
rismus von seinem Entstehen an ein Dorn im Auge war, da er nicht nur ihren 
nationalen Grausamkeiten gleich kühn entgegen trat, sondern ihnen auch Besorg- 
niss wegen der Zukunft einflösste, namentlich weil er ihnen den Weg nach dem 
ad riatischen Meere und dem sogenannten ungarischen Hafen zu versperren drohte. 
Man hat daher magyarischer Seite alle erdenklichen Mittel angewendet, um die 
Flamme des Illyrismus zu ersticken. Anfangs glaubte man ihn zu beseitigen, wenn 
man den Begründer desselben, Ljudewit Gaj, zu gewinnen vermochte. Die magya- 
rischen Magnaten Hessen es an Lockungen und Versprechungen nicht fehlen. Sie 
machten Gaj, als er einst mit ihnen zusammenkam, in freundlichem Tone darüber 
Vorwürfe, dass er den croatischen Namen vernichte, und boten ihm jede Forde- 
rung seiner Zwecke an, wenn er blos für Croatien, nicht aber für den Illyrismus 
thatig sein wolle. Von diesem können sie nichts Gutes erwarten; sie besorgen, 
dass einst, wenn die ungarischen Slawen mit den Magyaren den unvermeidlichen 
Kampf auf Leben und Tod beginnen werden, die kriegerisch gesinnten und schon 
jetzt schlagfertig dastehenden Slawen der Militairgränze ihren Brüdern in Ungarn 
zu Hülfe eilen mochten. Darum suchten auch die Magnaten Gaj's Wirksamkeit 
in den Augen der ungarischen Regierung zu verdachtigen, indem sie ihn beschul- 
digten, dass er den Russen in die Hände arbeite. Ihm aber nOthigten solche Ver- 
laumdungen keine Verlheidigung ab, sondern er trennte sich von ihnen mit den 
Worten: „Ihr Magyaren seid nur eine Iosel auf dem slawischen Ocean, über- 
strengt Ihr Euch zu sehr, so werden Euch die Wellen desselben bedecken." Wir 
lassen es dahin gestellt sein, ob diese Worte nicht etwas poelisch klingen, und 
bemerken nur, dass Gaj, obgleich er, so wie andere angesehene Slawen in Un- 
garn, kaum seines Lebens vor den Magyaren sicher ist, doch diesen selbst die 
grösste Anerkennung als frischen, thalkräfligen Naturen zollt. In der jüngsten 
Zeit scheinen die Magyaren zu der Einsicht gekommen zu sein, dass Croatien und 
die ihm stammverwandten Lander sich nie zur Magyarisirung bequemen werden. 
Wenigstens gestehen sie ein, dass Gaj's Bedeutsamkeit von Tag zu Tage wachst 
und dass die von ihm ausgegangene Idee von selbst immer weiter um sich greift 

Ganz andere Hindernisse traten dem Streben Gaj's in seiner Heimath und un- 
ter den ihr zunächst wohnenden Stämmen entgegen. Die Aristokratie in Croatien 
nnd Slawonien sah in dem Illyrismus zugleich ein demokratisches Element, das 
ihren Vorrechten einst den Todesschlag beibringen mochte. In der That haben 
sie dieses zu erwarten, wenn nicht, wie es den Anschein bat, die heranwachsende 
junge Generation des illyrischen Adels ihren Beruf besser erkennen wird. In 
Krain, Kärnthen und Steyermark hatte der Illyrismus ausser manchen andern Hin- 
dernissen noch eine unglaubliche geistige Trägheit und Dumpfheit zu überwinden; 

Digitized by Google 



19 



indessen hat auch hier die neue illyrische Schreibweise in den letzten Jahren meh- 
rere Freunde gefunden und weitere, wenn auch noch unbedeutende, Regungen ver- 
anlassL Dalmatien wollte lange keinen Antheil an dem geistigen Wiederaufleben 
des illyrischen Volksstammes haben, bis einzelne Köpfe erst in der neuesten Zeit 
die hohe Bedeutung desselben erkannten. Als Gaj im vorigen Jahre nach Ragusa 
kam, bewies ihm die gebildete Bevölkerung auf das Lebhafteste, wie man sein 
Wirken einer dankbaren Anerkennung zu würdigen wisse. Wahrend aber in den 
eben angeführten Landern die Idee des Illyrismus unaufhaltsam, wenn auch lang- 
sam, die Gemülher ergreift, findet sie in den Serben in der Türkei und Ungarn 
die halsstarrigsten Bekämpfet*. Sie wollen ihren Nationalnamen nicht gegen einen 
andern opfern, der ihnen nur als Phantom erscheint. Die eifrigsten Bemühungen 
Gaj's sind hier gescheitert; doch lassen gewisse Umstände, die hier nicht weiter 
angedeutet werden sollen, nähere Verständigung zwischen den Illyriern und Ser- 
ben Toraussehen. Bereits hat der bekanntlich durch geistige Bildung hoch über 
seinem Volke stehende Wlädyka von Montenegro seinen Seherblick auf den Illy- 
rismus gerichtet, so wie auch Gaj mit grosser Begeisterung von der nationalen 
Gesinnung dieses Slawenfürsten spricht. Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dass 
die Bewegungsparlei in Serbien, welche unlängst ans Ruder gekommen ist, ganz 
im Geiste der Illyrier handelt und mit ihnen in einem innigen Vernehmen steht. 

In welcher Stellung steht aber Gaj zu der österreichischen Staatsregierung, 
da seine Wirksamkeit nicht blos auf einige Hitzköpfe, nicht einmal auf einige 
Tausende, sondern auf mehrere Millionen österreichischer Unterlhanen mittelbar 
und unmittelbar sich erstreckt? Wer Gaj nur nach gewissen Berichten und ein- 
zelnen Handlungen beurtheilen würde, möchte leicht verleitet werden, ihn für ei- 
nen gemeinen Agitator anzusehen. Dieser Vorwurf kann ihn nicht treffen. Schon 
das Vertrauen, das die österreichische Regierung bei seinem ersten Auftreten in 
ihn gesetzt hat, beweist, dass sie ihn eher für einen Ehrenmann, als für einen 
verschlagenen und ränkeschmiedenden Aufwiegler hielt Auch hat sie ihm später 
bei verschiedenen Gelegenheiten zu erkennen gegeben, dass sie seine Verdienste 
um die Veredlung der illyrischen Slawen zu würdigen sich berufen fühle; ein 
kostbarer Ring, welcher ihm huldreichst von dem jetzt regierenden Kaiser zum 
Zeichen der Anerkennung seines Strebens verliehen wurde, beschämte seine Feinde, 
die ihn so gern gestürzt hätten. Magyaren und Deutsche hatten sich hierin ge- 
täuscht. Allerdings inuss in Gaj's Brust eine gewisse Antipathie gegen das deut- 
sche Wesen ruhen; sie erklärt sich einem unparteiischen Beobachter der Vergan- 
genheit und Gegenwart sehr leicht. Er weiss es, was der Volksstamm, dem er 
angehört, Gutes und Böses von den Deutschen genossen hat, und es gereicht ihm 
zur Ehre, dass er bei mehreren Gelegenheiten den in Folge früherer Ereignisse 
tief eingeprägten Hass seiner Landsleute gegen Deutsche zu zügeln verstand. Ihm 
ist ferner deutsche Bildimg und deutsche Geisleskraft kein Gegenstand der Ver- 
achtung; nur wird es Jeder mit den dortigen Verhältnissen einigermassen Vertraute 
sehr natürlich finden, wenn er weder zur Magyarisirung, noch zur Germanisirung 
seiner Stammgenossen die Hand bietet. Auch scheint die österreichische Regie- 
rung immer mehr zu der Einsicht zu kommen, dass die Zeit vorüber ist, wo ge- 
waltsame und hinterlistige Maassregeln ein Volk seiner Nationalität berauben konn- 
ten. Das Slawenthum hat Front gemacht gegen das Deutschlhum und scheint dem- 
selben von allen Seiten ein dreistes, wohl zu selbstgenügsames „Bis hierher und 
nicht weiter" zurufen zu wollen. So mag vielleicht auch Gaj denken. Es hängt 
nun von der österreichischen Regierang ab, den sich gestaltenden Umschwung der 
Dinge so zu benutzen, wie es eines christlichen Staates, welchem nationaler Fa- 
natismus eben so wie religiöser als sündhaft erscheinen muss, würdig ist. In der 
jüngsten Zeit hat Oesterreich einige Schritte gethan, um die ihm oft abgespro- 
chene Deutschheit seiner Gesinnung öffentlich an den Tag zu legen. Woher kommt 
eine so plötzliche Umwandlung der Gesinnung in dieser „Welt für sich"? Ist sie 
das Ergebniss einer reinen Begeisterung für die herannahende Einigung der deut- 
schen Stämme oder haben äussere Motive sie hervorgerufen? Die Frage bleibe 



Digitized by Google 



so 



hier absichtlich unbeantwortet; nur so viel sei angedeutet, dass jene magyarischen 
und slawischen Stimmen, welche gern nach einigen Decennien den österreichischen 
Staat aus seinen Angeln gehoben sehn möchten und sein Zerfallen als unfehlbar 
ansehen, wohl etwas zu Torlaut sind. Oesterreich hat, wenn es überhaupt einer 
Rettung Tor seinen Magyaren, tschechischen, russinischen und illyrischen Slawen 
bedarf, dieselbe in dem innigen und aufrichtigen Anschliessen an die sich bildende 
deutsche Nationalgesinnung, keineswegs aber in gewissen politischen Kunstgriffen. 

Von hoher Wichtigkeit für das künftige Geschick des illyrischen Slawen- 
slammes ist auch das weitere Verhalten Oesterreichs zum Deutschthum. Von einer 
Germanisirung der illyrischen Slawen können nur noch solche träumen, welche 
Weder mit dem zähen Wesen der Slawen, noch mit dem, was jetzt unter ihnen 
Torgeht, hinlänglich Tertraut sind. In eine ganz untergeordnete Stellung können 
sie schwerlich bei dem künftigen Nationalitätenkampfe herabgedrückt werden. 
„Ganz Illyrien wimmelt yon gewappneten Männern", sagte unlängst der wohl un- 
terrichtete Fallmerayer, und die slawischen Küstengebiete des adriatischen Meeres 
könnten leicht ein Zankapfel werden, um den Magyaren und Slawen, — oder auch 
Deutsche sich zu streiten haben werden. Regt sich doch selbst in Triest wieder 
das slawische Leben, das, wenn es sich auch zu keiner slawischen Universalmo- 
narchie gestalten will, doch xon Tage zu Tage in seinen einzelnen Repräsentan- 
ten immer entschiedener sich zu gemeinsamer Gesinnung erhebt. Allerdings wächst 
dabei der oft so lächerlich sich aufspreitzende Uebermuth der überspannten Partei 
der Slawen, die namentlich auch bei den Illyriern zu finden ist. Solche und ähn- 
liche Richtungen strafen sich selbst, mögen sie gegen das deutsche oder ein an- 
deres Element gerichtet sein. Thörichter Wahn aber auch ist es, yon der Be- 
geisterung und der gemeinsamen Gesinnung der aufgewachten Slawcnwelt nur ge- 
ringfügige und vereinzelte That zu erwarten, und noch unkluger und kurzsichtiger, 
sich mit ihr anders, als auf dem Wege der Humanität vertragen zu wollen. — 

E. Ku 71 ick. 



3. Her polnische Historiker Joxef 

Itukasaten>ic8. 

Unter den wenigen polnischen Historikern der Gegenwart, welche mit kriti- 
scher Schärfe Gediegenheit des Wissens vereinen und sich keine Fälschung des 
geschichtlichen Stoffes in Folge ihrer Vorliebe für gewisse politische und religiöse 
Richtungen zu Schulden kommen lassen, gehört der Bibliothekar J. Lukaschewicz 
(Lukaszewicz) mit vollem Fug und Recht. Seine „Geschichte der Stadt Posen", 
welche auch die Aufmerksamkeit deutscher Forscher verdient, hat gezeigt, wie 
gediegen er die polnische Städtegeschichte zu bearbeiten versieht. Noch grössere 
Verdienste hat er sich um die Geschichte der Reformation in Polen erworben, 
worüber er etwa seit zehn Jahren mehrere äusserlich von einander unabhängige, 
doch der Sache und der Bearbeitung nach innig mit einander zusammenhängende 
Werke veröffentlicht hat. Es gehört dahin zuvörderst seine Geschichte der böh- . 
mischen Brüder in Polen, durch welche wir erst in den Stand gesetzt werden, 
uns eine deutliche Vorstellung davon zu machen, wie schnell und wie kräftig der 
Hussitismus in Polen um sich griff und wie damals schon die Westslawen auch in 
politischer Hinsicht auf eine Verbrüderung hindachten. Hin und wieder ist der 
Stoff von Lukaschewicz noch nicht reichhaltig genug zusammengebracht worden. 
Diess findet jedoch meistens in der Unzugänglichkeit vieler Quellen seine Ent- 
schuldigung und es ist um so mehr zu wünschen, dass Prof. Kaubek in Prag mit 
seinen Zusätzen und Berichtigungen in Betreff des Hussitismus in Böhmen und 
Polen bald hervortrete, als dieser Gegenstand bis jetzt in slawischen und mehr 
noch in deutschen Geschichtswerken nicht nur ganz falsch, sondern oft mit absicht- 
licher Entstellung der Wahrheit aufgefasst ist. Von Palacky lässt sich schwerlich 



eine genügende Behandlung des Hussitismus und seines Fort- und Unterganges er- 
warten, da er bei seinen Schriften an vielfache Rücksichten gebunden ist, und jede 
derselben eine mehr als doppelte Censur zu bestehen hat. 

Seine Arbeit über die böhmischen Brüder will übrigens Lukaschewicz nur als 
Vorläufer einer Reihe von Werken angesehen wissen, welche das Auftreten und 
den Untergang der Reformation in allen Theilen des alten Folenreiches schildern 
sollen. Zunächst trat er dann mit einer Geschichte der Dissidenten im Grossher- 
zogthum Posen auf, und diese so wie die Arbeit über die polnischen Uussiten 
bilden die vorzüglichsten Quellen, auf welche gestützt der polnische Graf Krasinski 
seine ungenügende Geschichte der Reformation in Polen geschrieben hat. Daher 
kommt es auch, dass Krasinski Ton dem Eindringen der Reformation in Lilhauen 
so gar wenig und so unsicher spricht; es fehlte ihm an tüchtiger Einsicht in die 
Sache, da sein Vorgänger sich darüber noch nicht hatte vernehmen lassen. Erst 
in diesem Jahre hat Lukaschewicz durch sein zu Posen erschienenes Werk über die 
reformirte Kirche in Lilhauen die historische Kenntniss auch über diesen Punkt 
ungemein bereichert. Die Reformation in Lilhauen hat den unermüdlich thätigen 
Verfasser auch auf das Eindringen derselben in andern russisch - polnischen Provin- 
zen hingeleitet. So ist er jetzt damit beschäftigt, die Geschichte der Reformation 
in Wolynien, Podolien, Kleinrussland, Galizien und Kleinpolen zu bearbeiten. 1 Es 
stehen ihm für diese Länder sonst ganz unbekannte Materialien zu Gebote, die 
ihn in den Stand setzen, den Antheil jener Länder an der Reformation zu schil- 
dern, wie es die geschichtliche Wahrheit fordert"). — K. 



4. Das russische Weihnachtsfest. 

Eine ethnographische Schilderung nach Sacharotc. 

Das russische Weihnachtsfest umfasst die ganze Zeit vom Weihnachts - bis 
zum heiligen Drei -Königs -Tage oder die sogenannten 12 Nächte. Es ist diess 
das heiterste und ungezwungenste aller russischen Feste; denn in diesen Tagen 
jubelt und freut sich Alles, Jung und Alt, Arm und Reich, Vornehm und Gering; 
und wenn in dem Charakter des Russen ein leichter, froher Sinn besonders her- 
vorsticht, so ist es in diesen Tagen, wo er sich demselben ganz hingibt, wo er 
den ganzen Kern seines innem Lebens ohne Scheu und Hehl entfallet. Wenn die 
strenge Sitte — • mit Moralität gleich ernst und bedeutungsvoll — das ganze Jahr 
hindurchjden Menschen in gewisse Schranken zwingt, die er ohne Tadel nicht 
überschreiten darf; so sind es die Weihnachten, wo für den Russen auch diese 
fallen, und wo nur die Göttin des Vergnügens, der Heiterkeit und des Frohsinns 
von ihrem rosenbestreuten Throne herab die Erdenkinder regiert. Da sitzen die 
jungen Burschen und Mädchen ungezwungen neben einander, Hand in Hand, und 
die; Jungfrau spricht frei und unbespöttelt mit dem Jüngling, den sie „erwählt" 
hat*. Und die guten Väterchen sehen ganz lustig d'rein und erzählen von den alten 
Zeiten ihrer schönen Jugend, und werden so mitten unter all der Jugend selbst 
jugendlich. Und die guten Mütterchen sprechen mit Wehmuth von dem reizenden, 
sorglosen, behaglichen Leben, das sie als Madchen geführt, und lehren ihre jun- 
gen Nachfolgerinnen mit schmerzlich -süsser Freude alte Sagen und Lieder der 
Heimath, wundervolle Mahrchen und unterhaltende Räthsel. — Solch ein freier 
Ton verbindet in diesen Tagen ganz Russland zu einer Familie, daher sind die 
Weihnachlstage ein wahres Familien -Fest, entstanden aus dem innigen Verkehr 
verschiedener Familien unter einander, bestimmt durch freie Annäherung der bei- 



*) Bei dem Interesse, dessen sich die Geschichte der Reformation in Deutschland jetzt 
erfreut , wird es vielleicht dem deutschen Publiknm erwünscht sein , zu vernehmen , dass 
gedrängte Auszüge aas den Werken von Lukaschewicz nächstens in deutscher Sprache er- 
scheinen werden. 

Digitized by Google 



2» 

den Geschlechter neue enge Familienbande zu gründen; sie sind aber auch ein 
achtes Mädchenfest, denn die Madchen führen bei denselben den Reigen an, 
und für sie allein scheint es entstanden zu sein. 

Ueber den Ursprung dieser Festlichkeit lasst sich in unsern Tagen nichts 
Genaues mehr ausforschen. Ueberhaupt liegt die alte russische Ethnographie sehr 
im Argen. Die mannigfaltigen Sitten und Gewohnheiten des alten russischen Le- 
bens, wo sind sie hin! Keine Feder hat sie beschrieben, kein Pergament der 
Nachwelt aufbewahrt! Das russische Volksleben ist so reich an ächter National- 
Eigcnthümlichkeit, wie kein anderes mehr; aber Russland ist eben so arm an Be- 
schreibungen und Schilderungen derselben, dass es in der That Schande ist für 
eine so grosse Nation. Nur im Munde des Volkes lebt das Andenken an jene 
alten Zeiten, aber es ist Terhüllt in das Gewand der Mythe, in den Nebel des 
Mahrchens, in die Morgenröthe der Sage und des Liedes; und wer könnte sich 
■vermessen, aus den mannigfaltigen Schöpfungen des dichtenden National -Geistes 
mit entschiedener Gewissheit bestimmte, genaue Resultate zu erschliessen? — Und 
diese Dichtungen der Nation selbst, wo sind sie gesammelt? Wie wenige kennt 
sogar die russische Literatur! wie so gar keine die deutsche oder eine andere? 
Fing man ja doch erst seit einigen Jahren an, den Sagen und Liedern dieses 
Volkes mit herablassender Güte einige gnadige Aufmerksamkeit zu schenken; ob- 
gleich diese schuldlose Naivität und Einfachheit, und dieser Adel und diese Würde, 
welche die Seele derselben sind, ein jedes unverdorbene Gemüth im ersten Augen- 
blick entzücken müssen! 

Die Russen feierten die Weihnachten immer um dieselbe Jahreszeil; allein 
nach ihrer Zeitrechnung fand diess in gar verschiedenen Monaten statt. In den 
alten Zeiten hielt man dieses Fest in den letzten Tagen des zehnten Monats; die- 
ses geschah, so lange man das Jahr mit dem Monate März anfing. Später kamen 
andere Menschen und andere Sitten, das Jahr fing mit dem September an und so 
kamen die Weihnachten in das Ende des vierten Monats. Aber später erlitt auch 
diese Veränderung eine Umwandlung. Peter der Grosse kam und von ihm ward 
alles Alte mit Füssen getreten; er fand es für gut, das neue Jahr mit dem Ja- 
nuar zu beginnen und die Weihnachten wurden wieder in das Ende des zwölften 
Monates verschoben. So einfach und natürlich auch diese Veränderungen an sich 
sind, so hat sie doch kein russischer Schriftsteller uns gemeldet; nein, die Na- 
tion hat uns diese Nachrichten selbst aufbewahrt und zwar in ihren wundervollen 
Traditionen, in ihren Sagen, Wie gross und wie mannigfaltig nun diese auch 
sind , so sind doch die russischen Weihnachtsfeiertage selbst viel grossartiger und 
mannigfaltiger. Beinahe mährchenhaft klingen die Sagen von den Weihnachtsfesten 
in Moskwa, Tula, Kaluga und Rjazan, wie sie in alten Tagen gefeiert wurden. 

Gegen das Ende des November, wenn bei uns der Advent eintritt, als die 
guten Hausväter schon anfingen nachzusinnen, was für Fleisch, was für Wurst und 
dergleichen sie wohl einkaufen sollten: da ward auch in dem Herzen der Haus- 
mutter der Gedanke rege, den sie schon im vorigen Jahre ausgesprochen: „Bei 
wem wollen wir die. Weihnachten feiern? Wen sollen wir auf die langen Abende 
einladen? Was für Mädchen können wir als willkommene Gäste unsern Töchtern 
zuführen?" Aber solch ein Gedanke ward nicht etwa zu Hause oder im eigenen 
Kopfe durchdacht, nein, in Russland war es schon seit Allers her Brauch, wäh- 
rend der Philipowki (eben jene Zeit) seine Verwandten und Bekannten zu besuchen. 
Da nahmen die jungen Frauen gar bald nach dem Frühstück ihre Arbeit in die 
Hand und gingen aus, um den übrigen Tag bei ihren Freundinnen zuzubringen; 
und war der Vespersegen gesprochen, so kamen ihnen auch die bejahrteren nach, 
und nun fingen die guten Mütter und die alten Müllerchen an zu plaudern und 
guten Ralhes zu pflegen. Einen Hauptgegenstand der Verhandlungen bildeten ne- 
ben den Stadt- Neuigkeiten natürlich die nahe bevorstehenden Weihnachten. Bei 
solchen Familien - Rathssitzungen ging es in der Regel sehr scharf her. Am lau- 
testen Hessen die alten Mütterchen ihre Stimme erschallen; sie wollten, als die 
Erfahrneren, immer mit ihrer Meinung durchdringen, während die jüngern Frauen 

Digitized by Google 



ebenso standhaft bei ihrer Ansicht beharrten. Daraus entspann sich oft gar hefti- 
ger Streit und man konnte zu keinem Schlüsse kommen. Sahen sich die jungen 
Frauen etwa in Minorität und halten sie gerechten Grund zu besorgen, ihre An- 
sicht könnte durchfallen, so beschlossen sie nicht selten die Berathung mit den 
Worten: „Ach, bis zum Wasilij -Abend ist's noch lange Zeit, da wollen wir es 
noch ein Bischen überlegen; aber nichts für ungut, dann kann ja jede ihre Mei- 
nung sagen." Aber das geschah nur, wenn die Aelleren hartnackig auf ihrer 
Forderung bestanden. Wahrend dieser Zeit nun hatten die jflngern Frauen Tollauf 
zu thun. Sie gingen Ton Freundin zu Freundin und suchten überall ihre Ansicht 
durchzusetzen mit allen den kleinen Künsten, welche den jungen Frauen so schön 
anstehen. Nach diesen Präliminarien fing man an, einander Geschenke zuzuschicken. 
Die Kindsfrauen und alten Kammerfrauen gingen Ton Hofe zu Hofe und brachten 
alles wieder zu Frieden und Eintracht. 

Das Haus, welches man zur Feier des Weihnachtsfestes auswählte, musste 
immer ein reiches, vermögliches sein, „wo man gut lebte." Schon lange Tor 
dem Wasilij -Abend fing die Mutter eines solchen Hauses an, ihre Verwandten zu 
besuchen und lud Alt und Jung, jeden namentlich, mit vielfachen Bitten und Ehren- 
bezeugungen zu dem Weihnachtsfeste ein. Nach ihr machten in den folgenden 
Tagen, ihre Auftrage in der Hand (narjadnoje djelo), die Kindsfrauen dieselbe 
Runde, „um dieses und dieses Madchen auf das Weihnachtsfest zu Gaste zu bitten." 
Trat solch eine Kindsfrau in das Haus, so war Alles Jubel und Freude; man 
nahm sie mit allerlei Ehrenbezeugungen auf und wahrend sie „ihrem Auftrage zu- 
folge ihre Verbeugungen austheilte (ponarjadu razdawala poklony)", wobei sie 
wieder jeden einzelnen bei seinem Namen mit Hinzufügung seines Geburtsortes 
aufrief, und nun die Einladungen ankündigte," — sorgte die Hausfrau dafür, dass 
die Abgesandte gehörig bewirthel wurde. Bei einer Schale Wein plauderten die 
guten Kindsfrauen alles aus: wer eingeladen wäre und wen man nicht haben wolle, 
was für Jünglinge und was für Jungfrauen man fflr einander bestimme. Solch 
ein Paar hiess Suzennyja, für einander Bestimmte, Erwählte; die Hausfrau hatte 
das Recht, wenn es ihr so gefiel, für dieses oder jenes Mädchen zu bestimmen, 
doch nahm sie hierbei immer auf die Familienverhältnisse der jungen Leute Rück- 
sicht, ebenso auf die nähern Beziehungen, wenn sich solche zwischen zwei Leuten 
entwickelt hatten. Der Erwählte hatte seiner Erwählten gegenüber mehr Vor- 
rechte, als ein anderer Jüngling, doch war er dafür auch verpflichtet, für ihre 
Unterhaltung und die Befriedigung ihrer etwaigen Bedürfnisse und Wünsche Sorge 
zu tragen. Unter den Eingeladenen durften die nächsten Anverwandten nicht feh- 
len; den Unverheirateten unter ihnen vergass man nie hübsche Mädchen auszu- 
wählen. In Hinsicht derer waren also die Einladerinnen nicht so zurückhaltend, 
über die anderen aber waren sie schwerer auszuforschen. Da musste man seine 
Zuflucht zu einer List nehmen. Die gesprächige Hausfrau führte die Kindswär- 
terinn in das Speisegewölbe und hier, wo sie ganz allein waren und Niemand sie 
hören konnte, entlockte sie der guten Alten ein Geheimniss nach dem andern und 
vergalt ihr jede neue Nachricht mit einem oder einigen Büscheln ukrainischer 
Früchte. Während dess waren die Mädchen ebenfalls auf das Ihrige bedacht; sie 
durchsuchten die Schmucksachen ihrer Mutter und sandten unter der Hand ein 
altes Mütterchen (babuschka, die in keinem Hause fehlt) zu der oder jener Freun- 
din, zu fragen, mit wem sie auf das Weihnachtsfest kommen, wie sie sich pu- 
tzen, was für einen Kokoschnik, was für einen Saraphan sie nehmen werde und 
dergleichen mehr. Alle diese Einladungen und die ganze Vorbereitung geschah 
• binnen der Tage „vor dem Sterne" (do zwjezdy) vor dem heiligen Abende. An 
diesem musste Alles beendet sein, und man fing weder früher an, noch hörte man 
später auf, denn so war die Sitte. 

Endlich erschien der „Grosse Tag" (Welikij denj). Alle Rechtgläubigen 
hielten nun nach der langen Fastenzeit (die ganze Adventszeit hindurch) wieder 
das erste Mahl mit Fleisch - und Milchspeisen; und das that ein jeder zu Hause 
und zwar sehr frühe, so frühe, dass die alten Leutchen schon vor Mittag ihr 



Digitized by Google 



24 



Schläfchen beendet hatten. Kaum aber hatten diese den letzten Schlummer aus 
den Augen gerieben, da traten schon die jungen Manner und Frauen zu ihnen und 
brachten ihre Bitten vor: die Söhne ersuchten um die Erlaubniss, ihre Schwieger- 
eltern besuchen, die Schwiegertöchter ihren Eltern ihre Verehrung beweisen zu 
dürfen. Beim Weggehen befahl die alte Mutler im Hause den jungen Frauen, 
sich genau zu erkundigen, was es für Erwählte gäbe; denn das war eine Haupl- 
sorge der russischen Matronen. Diese Besuche dauerten bis zum Abend und bil- 
deten eine Art Ton Recognosciren, um zu erfahren, was man von dem Feste zu 
erwarten habe. Hatten sich diese Besuche endlich entfernt, so kamen die Her- 
zensgäste der Hausmutter: die „ babki - pozywatki." Dieses waren die eigentlichen 
Einladerinnen yoii Seiten der Hausfrau, gewandte Zungen, die wohl Gäste für das 
Haus zu werben verstanden, aber eben so wenig sich scheuten, jeder Hausfrau zu 
spolten und ihr mancherlei wahre und erlogene Dinge nachzureden, wenn sie nicht 
gehörig bewirthet wurden; eine gefürchtete Gesellschaft, die mit allen erdenklichen 
Ehrenbezeugungen empfangen und mit Speisen und Getränken überhäuft wurde. 
Ihre spitzen Zungen kehrten sich leicht gegen die Häuser und Familien der näch- 
sten Gegend und nahmen sich's heraus, manches zu besprechen, was andere Men- 
schen kaum zu denken wagten. Nachdem sie sich reichlich gesättigt und man- 
cherlei Geschenke mit auf dem Weg empfangen hatten, trug ihnen die Hausfrau 
auf, zu allen Verwandten und Bekannten zu gehen und alle so herzlich und ver- 
bindlich als möglich auf den und den Tag zu Gaste zu bitten. Mit dem frühen 
Morgen des nächsten Tages begannen die babki ihre Besuche in den nahen Fa- 
milien. Dieses war die ehrenvollste Einladung, welche man den Frauen machen 
konnte. Sogleich griffen sie nach ihren Kleidern und den Schmucksachen. Die 
Verheiratheten waren mit ihrem Putz bald fertig, aber bei den Mädchen erfor- 
derte er eine besondere Sorgfalt; keines getraute sich da allein nach seinem Kopfe 
zu verfahren, es mussten einige Verwandte und Freundinnen aus der Nachbarschaft 
herbeigeholt werden, damit nichts versehen werde. 

Auch die Hausväter waren unterdessen nicht müssig geblieben, denn auch von 
ihrer Seite mussten die Gäste eingeladen werden, wenn man nicht beleidigen wollte. 
Schon am frühen Morgen riefen sie den Swat (chozalyj swal) herbei und sandten 
ihn zu Verwandten und Bekannten. Die Swaten waren gewandte und ihres Amtes 
wohlkundige Männer. So ein Swat geht immer früh Morgens aus, seinen schön 
verzierten Stock in der Hand. Tritt er in ein Haus, so betet er zuerst vor den 
Heiligenbildern, verbeugt sich dann vor dem Hausherrn und der Hausfrau und 
spricht: „Philimon Spiridonowitsch und Anna Karpowna verbeugen sich Euch, 
Väterchen Arlamon Triphonowitsch, und Euch, Mütterchen Agaphja Nelidowna." 

Bei diesen Worten verbeugt sich der Swat bis zum Gürtel , und die Becom- 
plimentirten antworten ihm ebenfalls mit einer Verbeugung: „Wir danken unter- 
thänigst dem Philimon Spiridonowitsch und der Anna Karpowna." 

Der Swat beginnt wieder: „Sie haben mir befohlen, Euch, Väterchen Arla- 
mon Triphonowitsch, und Euch, Mütterchen Agaphja Nelidowna, nnlerlhänigst zu 
bitten: den Abend ein Paar Stunden bei ihnen zu bleiben, nach Belieben sich die 
Zeit zu vertreiben, auf hübsche rothe Mägdlein zu schauen, ein Stückchen Brodt 
und Salz zu kauen, in's gebratene Gänschen mit ihnen zu hauen." 

Auf diese freundlichen Worte des Swaten erwiedert man: „Philimon Spirido- 
nowitsch und Anna Karpowna machen sich ohne Grund Schaden und Mühe; wir, 
das heisst, die Unsrigen, werden auch ohne diese Ehre den Abend zubringen." 

Da sagt der Swat wieder: „Sie lassen Euch, Väterchen Artamon Triphono- 
witsch, und Euch, Mütterchen Agaphja Nelidowna, bedenken: Schon seit Jahrtau- 
senden ist das so eingeführt, mit uns hat es nicht angefangen, mit uns wird es 
nicht aufhören. Störet also nicht die Festlichkeit, bringt die guten Leute nichi 
zur Verzweiflung. Ohne Euch giebt es keine Freude bei Philimon Spiridono- 
witsch, ohne Euch giebt's kein Mädchenfest bei Anna Karpowna," 

„Ja, ja, mein SwaUschka (lieber Swat!)! Bei Philimon Spiridonowitsch ist 
Alles im Ueberflusse, und Gäste werden genug hinkommen," antwortet der Hausherr. 

Digitized by Google 



25 



„Freilich, wir sind sicher nicht die ersten Gaste bei Anna Karpowna; auch 
ohne unsere Kinder wird ein lastiges Madchenfest zu Stande kommen, "_erwiedert 
die unerbittliche Hausfrau. 

„Was lasset Ihr also dem Philimon Spiridonowitsch und der Anna Karpowna 
sagen?" fragt nun der Swal. 

Nun tritt eine kleine Pause — Bedenkzeit ein; man sieht, es kostet den bei- 
den Gatten Mühe, sich zu entscheiden. Man schwankt zwischen Wollen und Nicht- 
Sollen, endlich wird dem Abgesandten der Bescheid: „Verbeuge Dich dem Phili- 
mon Spiridonowitsch und der Anna Karpowna, mein lieber Swatuschka; wir wer- 
den also kommen; — wir werden ganz beistmmt kommen." 

• 

Nun kam der erste Abend des Festes. Durch die Gassen zogen die Reise- 
schlitten; an den Thoren standen ganze Schaaren von Frauen. Auf den Schlitten 
fahren die Madchen nach dem gastlichen Hause (zwanyj dorn). Ein Mädchen, das 
Braut war, wurde Ton ihrer Mutter, ihrer Wärterin, den Gespielinnen und ande- 
ren älteren und bekannten Frauen geführt. Dem Zuge schlössen sich aus Neu- 
gierde auch fremde Weiber an, um den Zug anzusehen, um zu wissen, was für 
Schmuck die oder jene trägt, wie man die Gäste im gastlichen Hause aufnimmt. 
In dem ersten Schlitten, der den ganzen Zug anführte, sassen: die Mutter mit 
der Tochter; zu ihren Füssen die Lieblingsgespielin, irgend ein armes Mädchen 
aus niederem Stande; im zweiten Schlitten lagen in verschiedenen Bündeln und 
Päcken die Schmucksachen, dann die Näschereien, das Backwerk und andere sol- 
che Geschenke, auch sassen die Begleiterinnen darin. Je grösser der Zug war, 
desto mehr Ruhm und Ehre für das gastliche Haus. Vor dem Zuge ging die 
Einladcrin (babka pozywatka) einher. Wenn die Gäste an das Thor des gastli- 
chen Hauses kamen, erwarteten sie im Schlitten (ohne auszusteigen) lärmend und 
knallend, dass man ihnen entgegen käme. Alsbald traten der Hausherr und die 
Hausfrau heraus und kamen den gebetenen Gästen bis zum Thore entgegen. Wäh- 
rend nun die Angekommenen durch das Pförtchen schweigend eingeführt wurden, 
nahmen die Begleiter die Bündel aus dem Schlitten. Nach Beendigung allerhand 
stummer Höflichkeitsbezeugungen traten die Gäste auf den Hof und nun erst grüsste 
einer den andern. Allmählig kamen nun die Gäste in die Gemächer, da beteten 
sie zuerst vor den Heiligenbildern, dann machten sie den Anwesenden ihre Ver- 
beugung und empfingen und gaben nun dem Willkoinmsgruss. Unter den Anwe- 
senden entstand alsbald eine allgemeine Bewegung. Man nöthigte die Neuange- 
kommenen vor Allem Platz zu nehmen, allein dazu waren sie nicht zu bewegen. 
Der Hausherr und die Hausfrau wandten nun alle Mittel an, Scherz und Ernst, 
Bitte und Drohung, doch umsonst; — Gäste, welche man vorzüglich ehren wollte, 
wurden mit besonderer Auszeichnung an die ersten Plätze genöthigl und sollten 
dadurch auch die übrigen beleidigt werden. Das war nun einmal so Sitte. Wäh- 
rend dieses Hin- und Her- Streitens reichten die Kindsfrauen den ihnen Anbefoh- 
lenen die Schmucksachen in die Hände; die alten Kammerfrauen vertheilten die 
Süssigkeiten und das Backwerk unter die Kinder. Die Mütterchen aber steckten 
den Stubenmädchen kleine Geschenke zu. Nachdem man einander noch einige 
Verbindlichkeiten gesagt, nahm die Mutler endlich von ihrer Tochter Abschied; 
feierlich übergab sie dieselbe dem Herrn und der Frau vom Hause und bat sie 
mit Thränen in den Augen: „Auf ihre liebe, liebe und gute Tochter ein aufmerk- 
sames Auge zu behalten, ihr mit Trost und Liebe entgegen zu kommen." Und 
die Frau vom Hause gab ihr die Versicherung: „Wir werden uns keine Schande 
mit ihr verdienen, das Kind soll in allem befriedigt werden; wir werden uns nicht 
so wegwerfen (d. h. erniedrigen)," und mit solchen Worten begleitete sie die 
Fremden bis zum Thore. — Und alle diese Ceremonien wiederholten sich regel- 
mässig bei jedem Mädchen, das man im gastlichen Hause willkommen hiess. 

Die eingeladenen Mädchen wurden auf der Stelle gute Freundinnen, sie moch- 
ten einander früher kennen, oder nicht Vor Alters nannten sie einander auch nie 
anders als „podruienka, liebe Gespielin"; bei dem Herrn und der Frau, sowie der 

SUw. Jahrb. I. 4 

Digitized by Google 



ganzen Dienerschaft im Hause aber Wessen sie „Krasnyja djewusehki, rothe (d. i. 
rotwangige oder rothgeputzle?) Mädchen, Schon vom ersten Abend an sannen 
die „Gespielinnen" hin and her, was sie an den Feiertagen alles vorgeben sollten. 
Was sie am Tage, was sie in der Nacht machen wollten? Denn nun blieben sie 
für dieses Fest beisammen und an eine Trennung war nicht zu denken. Alsbald 
fingen sie nun an, nach ihrem Gutdünken zu wirtschaften. Jede neue Gespielin 
bewirtheten sie mit allen möglichen gekochten und gebratenen Speisen, bis alle 
Eingeladenen endlich beisammen waren. Nun begannen die Spiele. Am ersten 
Abende brachte man die Zeit meistenteils mit Rathseigeben und Lösen zu. Die 
volkstümlichen russischen Räthsel sind so zahlreich und mannichfaltig, dass die 
Mädchen bei diesem Spiel in der That keine lange Weile haben konnten. War 
so unter Spielen und Beratschlagungen für die folgenden Tage die späte Nacht 
herangekommen, so wurden die roten Mädchen in die Schlafstube geführt. Diess 
war gewöhnlich ein grosser Saal; mitten in demselben lag auf dem Fussboden 
eine Menge ton Federbetten, auf welche sich die „Gespielinnen" ohne Weiteres 
zum Schlafen legten, alle in einem Gemache. 

Mit dem frühen Morgen nun erhoben sich alle Rechtgläubigen in ganz Russland 
yon ihrem Lager, denn Alle weckte der Gedanke: „Heute ist der Wasili- Abend!" 

Die alten Mütterchen schickten alsbald bei allen Nachbarn Boten herum, um 
auszuforschen: Bei wem gestern Schlitten Torgefahren? Wieviel trer gewesen? 
Wieviel Menschen in ihnen angekommen? Wie sie aufgeputzt gewesen? Wieviel 
Päcke und Bündel sie aus dem Schlitten herausgenommen? Wie man die Gäste 
empfangen? Was für Geschenke die Fremden ausgeteilt hätten? Und an wen? 
Alle diese Fragen waren unumgänglich notwendig, denn nach ihnen wurde die 
Achtung bemessen, die man dem gastlichen Hause zollte. In dem gastlichen Hause 
aber war es die- ganze Nacht hindurch zu keiner Ruhe gekommen; die arme Haus- 
frau musste tausenderlei Dinge für den morgenden Tag besorgen, ehe sie nur 
daran denken konnte, dem Beispiel der roten Mädchen zu folgen. Kaum war 
die erste Morgendämmerung eingetreten, da waren die sorglichen Kindsfrauen die 
ersten, welche aus den Federn sprangen, denn sie musslen den Wzwarjec kochen, 
ein Getränk aus Wein, Bier, Honig und Gewürze. Auch das übrige Dienstper- 
sonale war bald auf den Beinen; aber es sprach noch vor Tagesanbruch so dem 
„grünen Weine" zu, dass keiner den hellen, lichten Tag sah, und mit den Hän- 
den herumtappend, sich an den Wänden festhalten musste, um nicht umzufallen. 
In den übrigen Häusern gab es nun auch mancherlei Sorgen. Die Hausmütter 
waren untröstlich, nicht zu wissen, wie es ihren Töchtern ergangen, ob sie gut 
geschlafen, ob sie gut geträumt, wie sie sich unterhalten hätten? Allein, was war 
zu tun? — Selbst durften sie nicht hingehen, um nachzufragen. — Geschwind 
nahmen sie daher Backwerk und mancherlei andere süsse Geschenke, schütteten 
alles zusammen in ein Säckchen und schickten die Kindsfrauen damit aus, um 
nach dem roten Mädchen zu sehen. Während aller dieser Sorgen und Vorbe- 
reitungen schliefen die Mädchen allein ganz ruhig und Niemand wagte sie zu 
wecken, bis die Zeit heran kam, wo man in die Kirche gehen sollte. 

Diesen Augenblick erwartete die Hausfrau mit Ungeduld. Kaum erscholl der 
erste Glockenschlag von dem Geläute, da stand sie schon an der Schwelle des 
Zimmers, in welchem ihre schönen Gäste schliefen, und rief mit lauter Stimme: 
„Hallo! hallo! tr roten Mädchen! 's ist Zeit zum Aufstehen. Eure Erwählten 
sind lange, längst schon aufgestanden, haben drei Gewände ausgedroschen, auf 
zwei Märkten wohl sich umgesehen und drei Schweine teuer losgeschlagen; ha- 
ben auf den Steppen hin und her gejaget, überall nach ihrer Erwählten gefraget. 
Hallo! Auf, auf! — Und nun, was hat Euch geträumt? Wer ist Euch im Schlafe 
erschienen?" — 

Mit diesen Worten öffnete sie angelweit die Thür, und trat nun mit den 
Grossmüllerchen zu den roten Mädchen, um ihre Träume auszulegen. Unter die- 
sen sah man auch immer die Freiwerberinnen, welche von den „Erwählten" heim- 
lich hingeschickt wurden, so wie die Einladerinnen, welche wieder von den Müttern 



Digitized by Google 



schon den Abend vorher angestiftet waren, auf die Freiwerberinnen aufzupassen, 
um die Träume auszulegen, wenn die Deutung jener nicht günstig und angenehm 
genug ausfiele. Der Herr und die Frau vom Hause konnten den Freiwerberinnen 
und Einladerinnen nicht den Zutritt versagen, dieses hiesse die alte Sitte ver- 
letzen und Handel anfangen mit der ganzen Stadt. Die Träume der rothen Mad- 
chen in dieser Nacht waren höchst wichtig, denn sie trafen sicher ein; aber sie 
zu deuten, dazu gehörte besondre Kunst und Wissenschaft Vorzüglichen Ruf ge- 
nossen darin die alten Weiber und an jedem Orte gab es einige oder wenigstens 
eine, deren Aussprüche allgemein für unfehlbar galten. Daher wurden denn auch 
diese Träume und ihre Deutungen die ganzen Weihnachten hindurch in allen gast- 
lichen Häusern Wort für Wort erzählt und wieder erzählt. — Man höre den 
Traum eines rothen Mädchens. 

„Nun höre meinen Traum, Iwanowna!" rief vor allen anderen ein reiches 
Mädchen. 

„Nu, nu, sprich mein Himbeerchen, Agrafjena Fedosjejewna (Tochter des 
Fedosi, Theodosius). 

„Na siehst Du, Iwanowna, kaum war ich ein wenig eingeschlummert, da sah 
ich schon, wie der Mond aufging, und denke Dir nur, wo? Bei meinem Vater 
im Erker. Seine goldenen Hörner blickten in den grünen Garten hinunter und 
im grünen Garten blüheten hellrothe Blumen, da wuchsen Glasäpfel, da sangen 
kleine Vöglein und braune Grasmücken. Wie ich das Alles erblickte, da erschrack 
ich so, dass ich mich augenblicklich in das Kissen einhüllte !" 

„Ei siehst Du, Podruzenka! Du hättest Dich beinahe verschnappt!" riefen 
die anderen Mädchen. 

„Ach, das war schrecklich, meine Gespielinnen! Ich wollte reden und konnte 
die Zunge nicht drehen, ich wollte aufstehen und konnte die Füsse nicht erheben. 
Mir war's, als wollte mich was unter den Kissen erwürgen. Da spring ich auf. 
Hu, was sah ich? — Ein Casuar schreitet im Garten auf und ab, als ginge er 
spazieren. Auf einmal bin ich im Garten unten; er kommt mir entgegen; ich 
laufe vor ihm her; er — fliegt mir nach. Ich reisse die Thür auf, da war der 
Casuar schon auf den Mond geflogen und sass auf dem goldenen Hörne und lockte 
mich zu sich heran. Ich weiss wahrhaftig nicht mehr, wie? Aber im Nu war 
ich auf dem Monde und sass ganz neben dem Casuar!" 

„Nun und weiter?" fragte die Alte. 

„Weiter weiss ich nichts mehr, Iwanowna!" 

„Du hattest wohl den Arm um den Kopf geschlungen?" 

„Ich weiss nicht!" 

„Ja, ja, wir habens Alle gesehen, Iwanowna, wie Agrafjena Fedosjejewna 
die Hand unter den Kopf legte und dann fest einschlief!" 

„Nun da habt ihr's, ihr rothen Mädchen; ihr seid selber Schuld daran, dass 
ihr alle eure Träume vergesset." 

„Sagt uns lieber, was der Traum der Agrafjena Fedosjejewna bedeutet, 
Iwanowna ! " 

„Ach was für ein schöner Traum, ihr rothen Mädchen! Hört nur her! Der 
glänzende Mond, das ist ihr eigener Vater, Fedosij Iwanowitsch; die goldenen 
Hörner am Monde, das sind die Kinder, die Fedosij Iwanowitsch hat, Agrafjena 
Fedosjejewna und Iwan Fedosjewitsch ; der grüne Garten, das ist ein fremder Hof, 
die hellrothen Blumen, die in diesem Garten blühen, das sind die jungen Jung- 
frauen, die ehrbaren Bräute, die hellen Glasapfel, das sind die jungen Bräutigame 
und die kleinen Yögelein, die grauen Grasmücken, die dort singen, das sind die 
rothen Mädchen; der Casuar im grünen Garten, das ist der Erwählte in seinem 
Hofe; der Casuar bei Fedosi Iwanowitsch im Erker, das ist sein Eidam beim 
Feslesschmause; der Casuar, der auf dem einen goldnen Hörne sitzt und Agraf- 
jena Fedosjejewna auf dem andern, das ist eine Hochzeit. Und so ist's und kei- 
nen Augenblick anders!" 

„Aber wie bald wird sich der Traum erfüllen, Iwanowna?" 



Digitized by Google 



„Ach ineine lieben, allerliebsten Täubchen! Nicht wahr, der Traum ward 
nicht ausgeträumt? Gewiss also sehr bald, sehr bald, ihr werdet gar nicht mer- 
ken, wie die Swjalki Torübergehen ; werdet nicht merken, wie die Freiwerberin- 
nen kommen ; werdet nicht merken , wie die Conlrakte abgefasst und deponirt wer- 
den; ihr werdet es kaum fühlen, wie man sich den Handschlag giebt und sich 
hinter den Eichentisch setzt; werdet es beinahe gar nicht sehen, wie man die 
Kranzlein aufsetzt und nur eines werden alle bemerken: die Pracht und Schönheit 
der glänzenden Braut beim fürstlichen Mahle, den Preis und Ruhm des glänzen- 
den Bräutigams beim lauten Hochzeilfeste. — Seht, so bald wird es sein und 
nicht später." 

„Ei, Du redest immer so, Iwanowna; mein Traum hat ganz und gar diese 
Bedeutung nicht, ich glaube Dir gewiss nicht." 

„Wisse, Agrafjena Fedosjejewna, diesen Frühling noch wirst Du Braut; 
wisse, die Erwählten haben längst schon die Inventarien durchgesehen und die 
Conlrakte besprochen!" 

„Was machst Du denn, Iwanowna?" lispeil die Hausfrau der Alten in'sOhr: 
„Bringe Fedosij Iwanowitsches Angelegenheilen nicht in Ruf. Vielleicht geht noch 
die ganze Sache auseinander!" 

„Ach, was ich weiss, das weiss ich, und Geheimnisse habe ich noch nie 
ausgeplaudert. Wir haben Hochzeit: . . . 

Wie ein Zobel ist Agrafjenchen durchfalle Wälder gegangen; 
und hat die Wälder bedeckt, die Wälder bedeckt 
mit dem schwarzen Sammt, 

und auf dem Wege gekollert, dem Wege gekollert, 

mit dem gold'nen Ringlein." 
„Ja, ja, so wird sie singen, Iwanowna, Du hast Recht. — Nun aber müs- 
sen die Mädchen aufstehen, 's ist hohe Zeit, der Wzwarjec ist beinahe schon 
kalt geworden!" 

Nun standen die Mädchen auf, zogen sich an und tranken den Wzwarjec. 
Eine Einladerin ging nun im Namen des gastlichen Hauses herum, die lieben 
Mütter zu bitten, sie möchten kommen und sehen, wie sich ihre allerliebsten 
Töchter unterhielten; die lieben Väterchen einzuladen, den Abend einige Stunden 
bei ihnen zu sitzen, die Grossmüller, die Tanten, die Gevatterinnen, die Kinds- 
frauen, die ganze Dienerschaft des Hauses zu Gaste zu bitten. Bei einer Schale 
Weins plauderte die Einladerin leicht aus, was für Erwählte eingeladen seien, 
vergass aber niemals, an den Herrn und die Frau vom Hause die Frage zu stel- 
len, mit wem sie auf das Fest zu kommen gesonnen seien? Für jede Nachricht, 
die sie gab, belohnte man sie mit einem kleinen Geschenke an Geld oder an 
Näschereien, Backwerk und dergl. mehr. Kaum war die Einladerin aus der Stube, 
so eilten alsbald die Kindsfrauen mit grossen Bündeln von Backwerk und Näsche- 
reien in das gastliche Haus, um nachzusehen, „ob ihr Töchlerchen schon angezo- 
gen, ob sie lustig und heiter sei, nicht etwa Langeweile habe, ob sie nichts 
brauche?" Ueberdiess bekamen sie den Befehl, ihr heimlich zu sagen, mit wel- 
chem Erwählten sie freundlicher thun solle und unter der Hand auszuforschen, 
was für Erwählte sie bei den Spielen geleitet und unterhalten hätten. 

Die Kindsfrauen wurden immer sehr liebreich aufgenommen. Anfangs ärgerte 
sich die Hausfrau: „Wozu sie nur das Backwerk mitgebracht hätte!?" Die Kinds- 
frau aber bat, die Sachen doch anzunehmen und den Mädchen mit den Näsche- 
reien eine Freude zu machen. Die Hausfrau meinte darauf, in ihrem Hause seien 
die Gäste immer fröhlich und hätten stets zur Gnüge. Alsbald kamen auch die 
Madchen selbst hinzu, stellten sich rings um die Angekommene und fragten, was 
ihre Eltern, Verwandten und Bekannten machten. Die Alle erzählte nun „von der 
Angst und Unruhe der Mutter, der kummervollen Besorgniss des Vaters, der Lan- 
geweile des Bruders." Nicht selten geschah es wohl, dass die Mädchen weinten 
bei diesen Erzählungen und dann nur erst wieder heiter und guter Dinge werden 
wollten, wenn die Podruzenki alle ihre Kräfte aufboten, sie zu Irösten. Kinds- 



Digitized by Google 



Ä9 



frauen, welche ihren Pfleglingen mit besondrer Liebe zugethan waren, unterhielten 
dieselben, wenn sie die Auftrage der Mutter vollständig erfüllt hatten, auch noch 
mit allerhand Sprichwörtern, Räthseln und Wahrsagereien. Und so gab es immer 
Unterhaltung für die rothen Mädchen, welche desto lauter und muntrer wurden, 
je mehr Kindsfrauen nach und nach zusammen waren. Mitten unter diesen lusti- 
gen Gesprächen überraschte sie auf einmal die Hausfrau mit dem Frühstück; denn 
es lag ihr sehr daran, den Kindsfrauen zu zeigen, wie glänzend sie ihre Gäste 
bewirthe, damit diese es wieder zu Hause den Eltern der Mädchen berichteten. 
Die Speisen wurden insgesammt in zinnernen Schüsseln aufgetragen. Die Mäd- 
chen durften von ihnen nur kosten, viel mochte keines essen; denn die scharfen 
Augen der Kindsfrauen hatten gar üble Gerüchte darüber in der Stadt verbreitet. 
Bei den vollen Schüsseln schon fing man an zu berathschlagen , „was für Spiele 
zu spielen seien." Manche Mädchen waren eigensinnig und wollten in Allem ih- 
ren Willen haben, da stritten und zankten sie sich gar bald mit den Andern, und 
wenn ihnen diese nicht nachgaben, standen sie wohl mit Verdruss und Zorn in 
Kurzem vom Frühstück auf. Die Kindsfrauen hörten Alles ruhig mit an und hin- 
terbrachten es mit mancherlei Zusätzen und Ergänzungen, mit den Aussagen der 
Nachbarn und mit ihren eigenen Bemerkungen ausgestattet, der Mutter zu Hause. 
Da geschah es dann sehr häufig, dass wenn die Kindsfrauen ihre Zusätze in's 
Weite trieben, die Mutler eines solchen Mädchens in ihrer blinden Zärtlichkeit 
und übergrossen Liebe sich selbst beleidigt fühlte durch eine solche Behandlung 
ihres Lieblings und nun plötzlich und ganz unerwartet in das gastliche Haus ge- 
fahren kam und ihre Tochter- mit sich nach Hause nahm unter dem Vorwande, 
„als sei der Vater ganz ängstlich und hochbekümmert um seine Tochter und als 
hatte sie selbst (die Mutter) einen schrecklichen Traum gehabt, der ein nahes 
Unglück ihr zu bedeuten schiene und dergl. mehr." Verständige Leute wussten 
aber wohl, was sie damit wollte, und dachten sich das Ihrige im Stillen. 

Lief das Frühstück ruhig und friedlich ab, so nahmen die Kindsfrauen so- 
gleich Abschied von ihren Mädchen. Beim Begleiten führte die Alte ihren Pfleg- . 
ling abseits in eine Ecke des Zimmers, um ihr die letzten Rathschläge und die 
Zeichen ihrer Anhänglichkeit zu geben. Die Mädchen begleiteten ihre Wärterin- 
nen bis an den Hof hinaus und gaben ihnen den Auftrag, sich Väterchen und 
Mütterchen und allen Verwandten und Hausgenossen zu verbeugen." Und die 
Hausfrau setzte hinzu: „sie lasse die Eltern bitten, ihre Töchter zu besuchen und 
heute Abend gewiss zu kommen." Und nun wurden die Kindsfrauen von der gan- 
zen Familie bis zum Thore begleitet. 

Kaum waren sie nun hinaus, so wurde das Thor mit festen Riegeln verschlos- 
sen, um jedem fremden Eindringling den Zugang zu verhindern; in diesen Au- 
genblick liefen die Mädchen von allen Seiten herbei und fingen an einander mit 
Schneebällen zu werfen. Dieses Vergnügen dauerte aber niemals gar lange; die 
Kälte trieb die Mädchen bald wieder in die warmen Zimmer zurück. 

(Der Schluss im folgenden Hefte.) 



in. 

Künste. 
1. Russisches Theater in Petersburg. 

Bekannt ist es, welche ungeheuere Summen in Petersburg jährlich auf das 
Ballett verschwendet werden, während für das eigentliche Theater, das doch sei- 
nem Werthe nach weit über jenem steht, verhältnissmässig nur wenig geschieht. 



Digitized by Google 



30 



Der eigentliche Grund mag wohl in dem Gesehmacke der höchsten Regionen lie- 
gen, nach welchem sich wie tiberall die ganze Stadt richtet. Das Theater findet 
überhaupt wenig Interesse bei den höchsten Standen; denn diesen bieten sich an- 
derwärts so unzählige, noch glänzendere Vergnügungen , dass es das Schauspiel 
nicht bedarf. Höchstens geht man in das französische, weil diess Mode ist. Für 
das deutsche findet sich immer noch ein zahlreiches Publikum, da die Deutschen 
in Petersburg meist Kauf- und höhere Gewerbsleute sind, und mithin auf das 
Theater etwas verwenden können. 

Das russische oder Alexander -Thealer hat nun ebenfalls ein sehr zahlreiches 
Publikum; allein trotz dem will es nicht recht Fortschrille machen, weil die alles 
belebende Aufmerksamkeit des Hofes sich nur höchst selten ein Mal demselben 
zuwendet, und weil die höheren Stande, deren gewöhnliche Umgangssprache so 
wie ganzes Thun und Wesen französisch ist, es unter ihrer Wörde halten, das 
russische Theater zu betreten. Demnach bleibt fflr das Alexander-Theater ein 
Publikum ganz eigener Art, welches keineswegs besonders dazu geeignet ist, das 
russische Bühnenwesen zu heben. Die „Vaterlandischen Memoiren", eine Zeit- 
schrift, welche Russland tiberall nur nach westeuropäischem Maasse misst und so- 
mit gezwungen ist, beinahe Alles zu tadeln, was ihr unter die Hand kommt, spricht 
sich in ihrer sonderbaren Weise so über das Alexander -Theater -Publikum aus: 

„Das Publikum des Alexandertheaters ist ein ganz eigenlhümliches Publikum, 
wie man ein ähnliches weder in der alten noch in der neuen Welt finden dürfte. 
Es ist das ein Publikum ohne Erinnerung, ohne Kern und ohne festen Boden; es 
besteht entweder aus jener von Zeit zu Zeit in Petersburg zusammenströmenden 
Bevölkerung, welche heut hier und morgen Gott weiss wo ist; — oder aus jenen 
Geschäftsleuten, welche in das Theater kommen, von den Protocollen und Refera- 
ten entfernt, ein wenig zu Alhem zu kommen , und denen nach dem Canzlcistyl die 
Diction der „Nordischen Biene" und der Humor der „Lesebibliothek" und das 
feine Spiel eines Vauxdevilles-Witzes , das Beste und Höchste in der Welt dünkt. 
Wo sollen sich alle diese Menschen merken , was vor 20 Jahren geschehen ist." — 
Und etwas vorher heisst es: „Der Productivgenius unserer nationellen Dramatur- 
gen ist nun endlich ganz verschwunden. Selbst das Publikum des Alexanderthea- 
ters, dieses mit dem Geringsten zufrieden zu stellende und weniger wählerische 
Publikum, als alle anderen in der Welt, fängt sogar an allmählig einzusehen, dass 
„man nach dem Scinigen nicht weit zu gehen braucht." Was ist da zu thun, be- 
sonders für die armen Beneficianlen ? — Aus Kummer haben sie sich zu einem 
verzweifelten Schritte entschlossen: gute alle Stücke auf die Bühne zu bringen 
und so die verwitterten Gebeine des gottseligen Classicismus von neuem in Bewe- 
gung zu setzen. Das Publikum des Alexandertheaters entschloss sich ebenfalls aus 
Kummer, diese Stücke mit anzusehen, welche übrigens für dasselbe eine nagel- 
neue Novität sind und welche es im Kurzen nicht weniger langweilen werden als 
die selbstgemachten oder übermachten Vauxdevilles, sobald es dieselben einige 
Male wird angesehen haben. Ach mein Gott, wie schnell geht doch alles in un- 
serem Russland! Vor wenigen Jahren noch herrschte in unserer Literatur und auf 
unserer Bühne der französische Pseudoclassicismus. Vor wenig Jahren erst hörten 
die wüthenden Kämpfe für das Romantische gegen das Classische auf! Und sieh, 
schon schaut man die Stücke Racines und Moliere's im Theater wie neue an, von 
denen nur die Journalisten und die Literaten wissen, dass sie alt sind. Uebrigens 
ist die Ursache davon nicht allein der schnelle Umschwung der Meinungen, son- 
dern auch die unschuldige Unkenntniss dessen, was gestern geschah, und was heute 
nicht mehr geschieht." 

So gibt man denn nun Racinc's „Iphigenie in Aulis", Moliere's „Schule der 
Frauen", ja sogar die „Kritik auf die Schule der Frauen"!! — Letztere hätte 
wohl wegbleiben können; sonst aber können wir es nicht so unbedingt verwerfen, 
dass man auch gute alte Stücke auf die Bühne bringt. Der Geschmack des Pu- 
blikums wird dadurch nur klarer und kommt zum Bewusstsein des Unterschiedes 
zwischen dem Ehemaligen und dem Jetzigen. Auch sind sie bei weitem besser 

v • Digitized by Google 



31 



und nützen dem Publikum mehr, als die neuesten französischen Lustspiele und 
VauxdeYilles, die in solcher Masse als Uebersetzungen, Bearbeitungen, Umarbei- 
tungen u. dergl. dem Publikum immer und immer wieder aufgetischt werden und 
worin besonders Herr P. Obodowski so stark ist Dieser hat in den 15 Jahren, 
die er nun etwa für die Buhne arbeilet, gegen hundert Dramen thcils übersetzt, 
thcils überarbeitet, theils selbst verfasst. Von demselben heisst es in den oben- 
gedachlcn Yaterl. Mein.: „Jetzt steht in dem hellen Vordergründe der dramatur- 
gischen Thätigkeil der Alles umfassende Herr Kukolnik. Hinler ihm in ehrfurchts- 
Toller Ferne glänzt das ewig junge Talent, Herr Polewoj. — Hinter ihm an der 
dritten Stelle verbeugt sich mit der einem wirklichen Talente eigentümlichen Be- 
scheidenheit vor dein Publikum für seine erhebenden Hervorrufungen: — das un- 
ermüdele und der Sache vom ganzen Herzen ergebene Talent des Herrn Obodowski. 
Ueberhaupt ist das Talent des Herrn Obodowski ein wunderbar schmiegsames, be- 
fähigtes und dem gegenwärtigen Zustande der russischen Literatur entsprechendes; 
er kann durch sein Vorgezogenwerden Niemandes Eigenliebe beleidigen, obgleich 
er in der That gar vielen Dramatikern vorgezogen wird und werden muss. Die 
Dramen Obodowski's, die übersetzten, die bearbeiteten und die originalen, unter- 
scheiden sich durch einen charakterischen, ihnen allgemeinen Zug von denen ande- 
rer Schriftsteller, den nämlich, dass sie nicht schön genug sind, um sie gut zu 
nennen, noch anderseits aber auch ganz schlecht: — so ist sein Wahlspruch, die 
goldene Miltelslrasse ! Ein glückliches Talent, keine Feinde aber viel Ruhm und 
Ruhm ohne Dornen, ohne Gram! — „Christine" ist ein bearbeitetes, „Car Wa- 
silij Joanowicz Schujski" ein originales Drama von Obodowski; aber beide 
tragen den Stempel der nächsten Blutsverwandtschaft an sich , beide scheinen Ori- 
ginalprodukte eines und desselben Verfassers zu sein. — Es ist eine längst be- 
kannte Sache, dass Herr Obodowski nicht ganz glücklich ist in der Auswahl 
fremder Stücke zu seinen Uebersetzungen und Bearbeitungen; auch bei seiner 
„Christine" ist er diesem Missgeschiek nicht entgangen, das ihm so lange Zeit 
und so hartnäckig verfolgt. Und dieses Stück, matt und schläfrig in seiner Hand- 
lung, aber desto rührender für die deutschen Bürger 0 ), deren Leben dahin schleicht 
unter der Devise: „Bete und arbeite"; desto effectvoller für die gefühlsamen gu- 
ten deutschen Philister, welche auch im Drama so gern die Abgespanntheil und 
Mattheit ihres häuslichen Zustandes abgebildet sehen; wer dieses Drama auf der 
Bühne sieht ohne Hülfe des Theaterzettels, der wird noch im dritten Acte nicht 
im Stande sein, eine Person von der andern zu unterscheiden, wozu neben dem 
verzweifelten Mangel an aller Charakteristik und Individualisirung der Helden auch 
sehr viel der magnetisch einschläfernde Einfluss beiträgt, den das Drama auf den 
Leser macht." 

Neben Obodowski ist N. Polewoj der eifrigste und thätigste Arbeiter für die 
Alexanderbtthne. Ucber diesen, welcher seit vielen Jahren mit den meisten russi- 
schen Literaten im Streit liegt, lässt Krajewski ebenfalls seine ganze Galle aus; 
so heisst 'es bei Gelegenheit einer Recension von Polewoj's „Elina Glinskaja": 
„Alles in Allem zu sein und in allem der erste zu sein, das scheint die Devise 
der literarischen Thätigkeit Polewoj's. — — Statistik, politische Oeconomie, 
Geschichte, Philosophie, Philologie, Kritik, Grammatik, Ethik, Journalistik, lyri- 
sche Poesie, Erzählung und Roman, — Alles das ist das Feld, auf welchem Po- 
lewoj arbeitet, der einzige ohne Nebenbuhler, ohne Beihelfer ...." Krajewski 
behauptet dann , nur der Ruhm dieses und jenes Mannes habe Polewoj veranlasst, 
das Feld zu betreten, auf dem jener gross geworden, und deutet damit an, dass 
nur Ruhmsucht die Seele des Mannes beherrsche. Wir haben unsere Meinung 



•) Uns sind die deutschen Bürger mit ihrem „Bete nnd arbeite!" viel achtungswer- 
ther, als -die in Faulheit versumpfende russische Aristokratie, welche die Früchte von dem 
Schweisse ihrer TJnterthanen muthwillig in der Hauptstadt verschwendet. Trotz dem hiel- 
ten wir es für unsere Pflicht, diese Stelle ganz wiederzugeben, um zu zeigen, welche Be- 
griife man sich in Russland über Deutschland macht. 



Digitized by Google 



über denselben an einem anderen Orte (Blatt, f. litt. Unlerh. 1840) ausgesprochen 
und halten es für überflüssig zu wiederholen, wie hoch wir die Verdienste dieses 
eben so regsamen und entschlossenen als talentvollen und freidenkenden Mannes 
anschlagen. Ueber seine dramatische Wirksamkeit, die erst Ton jüngerem Datum 
ist, schreibt Krajewski so: „Der Voltaire und Göthe unseres Zeitalters, warf sich 
Herr Polewoj endlich auch auf die dramatische Poesie. Seine kleinen Stücke 
sind nicht ganz schlecht; — er schreibt ohne weiter zu berechnen; lasst drucken, 
ohne darauf stolz zu thun, bringt sie auf die Bühne, ohne nach dem Beifall der 
Menge zu jagen, obgleich er — aus Höflichkeit — doch auch herTOrkommt, wenn 
das Publikum des Alexandertheaters ihn herausruft. Was sind ihm auch diese 
Kleinigkeiten! Sie können ja ohnehin seinem Ruhme weder etwas hinzubringen 
noch abnehmen (diese Ironie bezieht sich zunächst auf die patriotischen Stücke 
Polewoj's, welche er für die Beneficianten schreibt, und welche ihm, dem einst 
so freisinnigen Kritiker, in den Augen Vieler und zwar mit Recht Schaden ge- 
bracht haben). Aber auch in den nicht patriotischen Stücken sucht Herr Polewoj 
sein Verdienst. Hier will er mit Shakespeare in die Schranken treten, und wenn 
ihn auch nicht besiegen, so ihm doch nicht weichen! — Zu diesem Zwecke 
machte er zuerst den Hamlet „zurecht," d. h. arbeitete ihn um und erreichte ohne 
alle Berechnung und Absicht, ja vollkommen sich selbst unbewusst, dieses herr- 
liche Ziel. Indem er dieses für die Ewigkeit bestimmte collosale Werk in einen 
Miniaturrahmen hineinzwängte, brachte er es eben dadurch dem Sinne der Menge 
näher und machte mit Hülfe einiger talentvollen Acteurs diese schwache Copie des 
Shakespeare'schen Werkes, welche ihr Original darstellte wie ein Wassertropfen, 
in dem sich die Sonne spiegelt, einheimisch und nationcll in Russland. „Die 
Umarbeitung des Hamlet von Polewoj ist im Vergleich zum Original natürlicher 
Weise sehr unglücklich ausgefallen, da die tiefsten Gedanken und die erschütternd- 
sten Stellen häufig verwischt sind bis zur Unkenntlichkeit; allein Polewoj's Ab- 
sicht war eine andere; wenn Hamlet von dem Alexanderpublikum nur irgend wie 
mit Nutzen gehört, ja nur verstanden werden sollte, so musste er in ein Gewand 
gebracht werden, in welchem er dem niedern Beamtenstande und den mittlem Bür- 
gerclassen in Petersburg zugänglich war. Was hätte es genützt, eine vollständige 
Uebersetzung des grossen Werkes des Genius zu geben, wenn das Publikum nicht 
im Stande gewesen wäre, die Erhabenheit und die Grösse desselben zu fühlen, 
Dass Polewoj sein Publikum sehr wohl kannte, und Tact genug hatte, ihm zu 
bieten, was es zu geniessen fähig war, zeigt der Erfolg, welchen das Stück hatte. 
Polewoj's Hamlet, obgleich fast nur ein Schatten des Shakespearischen, machte 
Furore auf der Bühne, und wurde, wie Krajewski selbst gesteht, ein National- 
stück. Ein anderes, was die Vaterl. Mem. Polewoj vorwerfen, ist, als habe er 
es eingeführt, dass man den einzelnen Acten recht anziehende Ueberschriflen gebe. 
Dies fordere die Kunst Thealerzettel zu machen, und in der sei Herr Polewoj 
sehr bewandert. Es ist wahr, er versteht es vortrefflich; allein zumeist nützt das 
doch nur der Kasse oder dem Beneficianten, für welchen er geschrieben; auch 
hat Polewoj diess Titelmachen nicht erfunden; was man an ihm tadeln könnte, 
ist einzig das, dass er sich herbei lasst, diesen Missbrauch mitzumachen, und sich 
so gleichsam selbst zu jener Classe von dramatischen Schriftstellern herabdrückt, 
welche solcher Mittel bedürfen, um ein Publikum heran zu ziehen. — Ferner 
wird Polewoj von Krajewski getadelt, dass er seine Stücke „dramatische Vor- 
stellungen" nenne; „William Shakespeare und Herr Polewoj," so lauten seine 
Worte, „nennen ihre dramatischen Versuche (?!) niemals Dramen, noch Tragödien, 
sondern immer „dramatische Vorstellungen" — ein Privilegium des Genius!" — 
Es ist diess eine kleine Eitelkeit Polewoj's, welche wohl ein scherzhaftes Be- 
lächeln verdient, aber nicht werth ist eines immer und immer wiederholten jour- 
nalistischen Federkrieges. Der Kritiker, welcher alle Augenblicke auf solche 
Kleinigkeiten zurückkommt, um dem „Bekrittelten" einen Klaps versetzen zu kön- 
nen, erscheint uns immer als ein händelsüchtiger Raisonneur, der durch solche 
kleine Bekleksungen den wohlverdienten Ruf eines Mannes verdunkeln will, der 



Digitized by Google 



33 



nra das Vaterland und die Literatur gar grosse Verdienste hat Und Polewoj ist ein 
solcher Mann, und die Geschichte der Aufklarung Russlands wird ihm Gerechtigkeit 
widerfahren lassen trotz allen journalistischen Anfeindungen und kleinlichen Unitrieben. 

Ueher Polewoj steht nun in Hinsicht der Fruchtbarkeit noch Herr Kukolnik; 
wir werden von seinen Leistungen in einem der folgenden Hefte ausführlicher sprechen. 

Ein anderer in der russischen BUhnenwelt ebenfalls sehr gefeierter Name ist 
der Karatygins; er ist Schauspieler und dramatischer Schriftsteller zugleich, und 
hat sich in beiden Eigenschaften vielen Ruhm und manches bleibende Verdienst 
erworben. Seine Stücke, fast ausschliesslich Vauxdevilles , theils aus dem Fran- 
zösischen bearbeitet, theils Original, zeichnen sich durch Bühnengerechtheit sowie 
durch theatralischen Effect aus. Besonders schön sind darin die Couplets, die we- 
gen ihrer feinen Anspielungen auf gegenwärtige Verhältnisse und wirkliche Fakta 
sich immer einer ungemein günstigen Aufnahme erfreuen und in Kurzem von allen 
Besuchern des Alexanderthealers auswendig gesungen werden. — Aber noch aus- 
gezeichneter ist Karatygin als Schauspieler. Die Feinheil und Grazie seines Spiels, 
die Bonhomie, der unwiderstehliche Ausdruck des Komischen in seiner ganzen Er- 
scheinung, die glückliche Gabe, in treffenden Momenten über seine Rolle hinaus- 
zugehen und mit einem leisen Schlage Dinge zu berühren, die sonst immer uner- 
wähnt bleiben: Alles das macht ihn zum ersten Schauspieler der Petersburger 
Bühne. Ihm zunächst steht Marlynow, eines jener glücklichen Talente, das in 
kurzer Zeit die volle Gunst des Alexander -Publikums sich erwarb und sich nun 
nicht wieder ans derselben verdrängen lässL Er und Karatygin entscheiden in der 
Regel über den Fall oder den Succes eines neuen Stückes. Ist es ihnen beiden 
anempfohlen, liegt es in ihrer beider Vortheil, dasselbe auf der Bühne zu halten; 
dann wird es gewiss gefallen und noch oft das Haus füllen. Ihre Gunst ist die 
Richterin über Tod und Leben. — Diese beiden sind aber auch die einzigen er- 
wähnungswerthen Erscheinungen auf dem Alexanderlheater; die Männer sind zum 
grössten Theil sehr Mittelsorte, und unter den Frauen ragt keine besondere Er- 
scheinong hervor, welche die Aufmerksamkeil des Zuschers länger zu fesseln im 
Stande wäre. Der Grund davon liegt in den Verhältnissen Russlands. Nur selten 
meldet sich Jemand für die Bühne, und von diesen Seltenen ist immer wieder nur 
erst Einer und der Andere, welcher durch eine bessere Erziehung befähigt ist, 
mit Glück und Erfolg auf die Bretter zu treten. Denn wer in Russland etwas 
Tüchtiges gelernt hat, kommt immer noch in andern Branchen des Lebens fort; 
vor Allem bedarf der Staat eine Masse von Beamten, an welche man oft nicht 
grosse Ansprüche machen darf, da höher Gebildete bereits auch höhere Stellen 
beanspruchen unjl erringen; und der „Dienst" gilt allgemein für die ehrenvollste 
Stellung in der Welt, und ein „Beamter" ist ein grosser Herr. Ausser dem Staate 
verschlingen auch' die immer neu sich erhebenden Fabriken alljährlich eine Menge 
der fähigsten Köpfe. Was nun noch übrig bleibt, gehört dann zu dem grossen 
Haufen derer, welchen jede bessere Erziehung, ja oft auch selbst die Fähigkeit, 
zu etwas Gediegenem sich heranzubilden, abgeht. So lange das russische Theater 
aus dieser Menschenclasse seine neuen Glieder anwerben muss, wird es einen be- 
deutenden Fortschritt nicht zu machen im Stande sein. Erst wenn die sich immer 
weiter verbreitende Bildung auch die niedern und die mittleren Kreise der russi- 
schen Bevölkerung durchdringt, wenn jährlich eine den Bedürfnissen entsprechende 
Masse von wohl erzogenen und tüchtig gebildeten Menschen aus den russischen 
Lehranstalten hervorgehet, wenn die mancherlei Vorurtheile der Aristokratie ge- 
gen das Russische verschwinden und sich allseitig eine innigere Theilnahme und 
ein lebendigeres Interesse für das Nationale zu regen anfangen wird : erst dann darf 
auch die russische Bühne ihre vollständige Umwandlung und Verjüngung erwarten, 
erst dann darf sie hoffen, dass sie der russischen Nation das wird, was den an- 
dern Nationen ihre Schaubühnen sind. Bis dahin aber bleibt sie ein Ort, in dem 
man sich versammelt, um sich von den Tagesgeschäflen zu erholen, um einen 
Abend angenehm und unter Scherz und Lachen zuzubringen, wenn man eben nichts 
Besseres zu thun hat. — ». • 

SUw. Jahrb. I, 



34 



2. Die böhmische Bühne in Prag. 

Prag, als der Centralpankt alles geistigen Lehens und Strebens der böhmi- 
schen Nation, giebt in jeder Hinsicht den übrigen Städten Böhmens, Mährens und 
Nordungarns den Ton an. Das ist nun auch in theatralischer Hinsicht der Fall. 
Von Prag aus verbreiten sich neue Stücke, welche hier gefallen haben, über alle 
drei Provinzen; von Prag aus gehen selbst einzelne für die Nalionalsache begei- 
sterte Künstler in die kleineren Städte und verbreiten die Liebe für böhmische 
Kunst in weiteren Kreisen. Die Präger Bühne ist somit als die Mutter aller übri- 
gen zu betrachten, von deren Aufblühen grossen theils das Aufblühen der ganzen 
böhmischen Kunst abhängt Gerade diese Wichtigkeit, welche die Prager Bühne 
hat, ist auch Ursache, warum in der neuesten Zeit sich die böhmische Journali- 
stik der Besprechung derselben mit grösserem Eifer zugewandt hat, besonders da 
auch äussere Veranlassungen hinzutraten, welche die Aufmerksamkeit dem Gegen- 
staude zuzogen. 

Seit Jahren nämlich bestand die böhmische Bühne nur als ein besonderer 
Theil des Prager ständischen Theaters. In diesem nämlich wurde und wird täg- 
lich deutsch gespielt und ein tüchtiges Personale, aus dessen Milte nicht selten 
schon die gefeiertsten Künstler hervorgingen , verschaffte demselben Geltung und 
Ansehen unter den übrigen Bühnen Deutschlands. Seitdem sich nun aber das Be- 
dürfniss eines böhmischen Thealers in Prag immer mehr herausgestellt, seitdem 
nicht nur die böhmische Literatur zu neuem Leben erwacht, sondern auch das 
böhmische Volk in socialer Hinsicht sich empor gehoben halte; war der ständi- 
sche Ausschuss für das Theater durch einige Freunde des Czechenlhums nach vie- 
len Bemühungen endlich dazu bewogen worden, die Erlaubniss zu ertheilen, dass 
neben dem deutschen Schauspiel an Sonn - und Feierlagen vor der deut- 
schen Vorstellung auch böhmische Stücke zur Aufführung gebracht werden dürfen. 
Anfangs gab man nur Schauspiele und Lustspiele, später kamen auch ernste dra- 
matische Werke zur Aufführung ; die Oper und das Ballet bestehen erst seit einem 
nicht vollen Jahrzehend. 

Zur Aufführung dieser Stücke wurden anfänglich meist Dilettanten verwendet ; 
erst nach und nach bildeten sich einzelne vom Theater besoldete Künstler aus, 
welche im Böhmischen aufzutreten im Stande waren. In diesem Zustande besieht 
die böhmische Schauspielergesellschaft bis zur Stunde; neben den Mitgliedern des 
ständischen Theaters giebt es noch eine Reihe von anderen Männern und Frauen, 
welche — nicht eigentlich Schauspieler — doch regelmässig im Böhmischen auf- 
treten. Dieser Umstand bringt eines der grössten Hindernisse für eine glückli- 
chere Entwickclung des Prager Bühnenwesens »hervor. Diese Dilettanten - Schau- 
spieler nämlich empfangen keine andere Besoldung als eine oder ein paar Benefiz- 
vorstellungen. Der Missbrauch, der mit solchen getrieben wird, die Mittel, wel- 
che man hierbei aufbietet, ein zahlreiches Publikum ins Haus heranzuziehen, die 
Wahl der Stücke, welche dann allerdings mehr auf Effekt berechnet sind als auf 
inneren Werth: — alles das ist von entschieden ungünstigem Einfluss auf das 
böhmische Drama selbst. Dennoch aber hat man sogar die Einrichtung getroffen, 
dass man den Mitgliedern der Schauspielergesellschafl anstatt einer vollständigen 
Benefizeinnahme zwei solche Vorstellungen giebt, von deren jeder aber die Hälfte 
des Ertrags der Direction zufällt. Dadurch geschieht es nun freilich, dass die 
böhmischen Vorstellungen bei weitem zur grössern Hälfte Benefizvorstellungen sind. 

Ein anderes Hinderniss der Entwickelung eines bessern Zustandes für die 
böhmische Bühne in Prag liegt in der jetzigen Leitung derselben. Durch Zu- 
sammentreffen von Umständen, welche wir hier nicht weiter auseinandersetzen mö- 
ge«, wurde vor Jahren, als der gegenwärtige Director, Herr Stöger, die Prager 
Bühne auf 12 Jahr in Pacht bekam, der frühere Director derselben, Herr Stie- 
panek, zum Regisseur der böhmischen Bühne ernannt. Herr Stiepanek hat sehr 
viele Verdienste um das böhmische Theater; unter seiner Leitung kam die böhmi- 
sche Bühne zuerst zu Stande; seine originalen Stücke, unter denen einige wirklich 

Digitized by Google 



35 



vortrefflich, füllten oftmals das Haus; seine Uebersetzungen waren lange Zeil fast 
ausschliesslich auf dem Repertoir. Allein anderseits kann man auch doch wieder 
nicht laugneu, dass er gerade durch die Bearbeitung so vieler fremder Schau- 
spiele, an der man besonders in der neuesten Zeit die Eilfertigkeit, ja man möchte 
fast sagen, das sorglose Hinsudeln nicht verkennen kann, indem er sich nicht nur 
der ganz gewöhnlichen Umgangssprache, wie sie bei den untersten (-lassen üblich, 
ausschliesslich bedient und die besten Schönheiten durch Achtlosigkeit in Platt- 
heiten und mattes Salbadern verwandelt, während man mit Recht fordert, dass 
selbst im edeleren Lustspiele, sowie im Schau- und Trauerspiele die Sprache ei- 
nen höhern Schwung nehme und edler und classisdier auftrete, als man sie in den 
Werkstätten und auf dem Markte hört: dass er gerade durch solche Bearbeitun- 
gen dem rascheren Aufblühen der böhmischen Dramaturgik keinen Vorschub ge- 
leistet hat. Man wirft ihm auch vor, und wie es scheint mit Recht, er lasse 
durch die Sucht, als Schriftsteller glänzen zu wollen, von der Erfüllung seiner 
andern oft schwierigen und umfangreichen Pflichten sich abhalten, die ihm als 
Regisseur sonst noch obliegen; ja man beschuldigt ihn sogar, dass er Niemandes 
andern Stücke auf die Bühne kommen lassen wolle, damit sein Ruhm nicht ge- 
schmälert werde. Wie viel hieran Wahres ist, lässt sich mit Gewissheit nicht er- 
messen, allein das ist und bleibt gewiss, dass nur selten ein Stück auf der Prager 
Bühne gegeben wird, das nicht Stiepanek zum Verfasser oder Bearbeiter hätte; 
und dennoch spricht sich die allgemeine Meinung gegen dieselben aus und die 
Kritik muss gar manchem anderen Stücke den Vorzug vor den Seinigen geben. 
In der neuesten Zeit hat sich besonders Tyl durch seine Bearbeitungen auswärti- 
ger Stücke ausgezeichnet; trotz dem findet man sie nur selten auf dem Repertoir, 
und wenn er nicht im Stande wäre, die Aufführung derselben zu erzwingen, so 
würden sie wohl noch seltener hinkommen. Will Jemand Anderer ein Stück zur 
Aufführung bringen, so gelingt ihm das nur nach den grössten Schwierigkeiten, 
und dann wird es gewiss immer noch lange Zeit hingelegt, ehe es auf den Zettel 
kommt. Auf diese Weise ist das Repertoir des böhmischen Theaters höchst man- 
gelhaft, und darin liegt der andere Grund, warum dasselbe nur so langsame Fort- 
schritte macht. So lange man der böhmischen Bühne nicht eine kräftige, von 
allem Egoismus und von Partheisucht möglichst freie, für das wahre Wohl und 
die geistige Bildung der Nationen begeisterte Leitung giebt; so lange darf man 
nicht hoffen, dass irgend etwas Grosses und Tüchtiges von ihr geleistet werde. 

Unter den bisherigen Umständen konnten nur während des Winters böhmische 
Vorstellungen Statt haben, da sie, wie wir oben sagten, vor dem deutschen Schau- 
spiele, nämlich Nachmittags von 4 bis 6 Uhr, gegeben werden mussten. In dem 
letzt verflossenen Wintersemester nun, das mit den 26. September anfing und mit 
dem 12. Juli endete, kamen zur Aufführung: Novitäten durch Wahl der Benefi- 
cianten: 1 Trauerspiel, 3 Schauspiele, 3 Lustspiele, 4 Possen. Ausser diesen 
gab die Direction selbst eine Novität, das Lustspiel: „Einfalt vom Lande"; aber 
von allen diesen 12 Novitäten war kein einziges Originalstück. Die übrigen Stücke 
waren mehr bekannt, darunter aber auch Sachen, wie Abellino, die Räuber auf 
Chulm, der Prinz und die Schlange, die zur Lebzeit todlen Ehegatten, Hutmacher 
und Strumpfwirker und dergl. Dazu kamen auch noch 8 verschiedene grössere 
und kleinere Ballets und Pantomimen. Im Ganzen wurden gegeben: 7 Trauer-, 
13 Schau-, 9 Lustspiele und 12 Possen. Originalsacheu waren nur 3; von Ver- 
fassern kamen vor: der unermüdliche Stiepanek 23 Mal, Kolar 4 Mal, Hybel 2 Mal, 
Filipek 2 Mal, einige andere zu einem Mal. Aus dieser Uebersicht leuchtet die 
Wahrheit der von uns oben aufgestellten Behauptungen am deutlichsten hervor. 

Im Verlaufe des vergangenen Sommers nun haben die Hoffnungen der Freunde 
des czechischen Thealers eine viel grössere Wahrscheinlichkeit gefunden, dass es 
endlich einmal besser werden dürfte mit demselben. Der dermalige Direclor und 
Pächter des ständischen Theaters in Prag, Herr Stöger, hat nämlich auf eigene 
Kosten ein grosses Gebäude aufgeführt, in welches nun die Aufführung der böh- 
mischen Vorstellungen verlegt werden soll. Es ist ein weites grosses Gebäude mit 

Digitized by Google 



einem ovalförmigen Saale, dessen oberes Ende mit leichler Mflhe in eine Bühne 
verwandelt wird, wahrend der übrige Ranm mit 2 Reihen von Logen und einem 
weit umfassenden Parterre einer ansehnlichen Masse ton Zuschauern Platz zu ge- 
ben geeignet ist. Der Saal, sowie das ganze Gebäude mit allen seinen Neben- 
bauten, als Speisesälen, Billard-, Kaffee- und Rauchzimmern, Gesellschaftsälen, 
Weinkellern u. s. w., ist auf das Glänzendste eingerichtet, und wird demnach dem 
böhmischen Theater nicbt nur eine würdige, sondern auch eine passende, bequeme, 
zweckmässig eingerichtete und glänzende Behansung bieten. Die Hoffnungen, wel- 
che man auf dieses neue Gebäude baut, sind gross, allein sollen sie verwirklicht 
werden, so muss so manches Hindemiss zuvor aus dem Wege geräumt sein, das 
jetzt noch wie ein lastender Alp auf dem böhmischen Theater ruht. Wie weit 
diess die Freunde des Czechenthums erreichen werden, muss die Folge lehren; 
für jetzt lässt sieb nur der Wunsch aussprechen, es möge ihnen gelingen, was 
sie zum Wohle ihrer Nation und ihrer Heimath beginnen. 



3. Das neue Theater in Lemberg. 

Die Polen halten bereits im Mittelaller ihr eigenes Schauspiel. Wie in 
Deutschland in den Klöstern und den Klosterschulen wurden auch hier in densel- 
ben die Legenden der Heiligen und andere biblischen Geschichten in lateinischer 
Sprache aufgeführt. Später entwickelte sich unter dem Einflüsse der königlichen 
Macht, von Frankreich aus verpflanzt, ein eigenes polnisches, nicht- geistliches 
Theater, das bereits im XVII. und XVIII. Jahrhundert in hoher Blüthe stand. 
Mit der Neuzeit wurde auch das Drama weiter verbreitet und alle wichtigen Städte 
im ehemaligen Polenreiche hatten ihr Schauspiel. Als Polen fiel, sank auch seine 
Wissenschaft und Kunst; der Fall des Schauspiels war somit unvermeidlich. Nur 
langsam erheben sich aus den Trümmern des grossen Reiches die Musen schüch- 
tern und wie aus langem Schlummer wieder empor. Auch Lemberg war ein sol- 
ches Geschick vorbehalten. Bereits im Jahre 1835 begann der edle Graf SL 
Skarbek, getrieben von patriotischem Eifer, an dem nordwestlichen Ende der in- 
nern Stadt, wo seit vielen Jahren die Trümmer des unlern Schlosses gestanden, 
den Bau eines grossarligen prachtvollen Gebäudes in fast reiner Quadralform, näm- 
lich 140 Schritte lang und 110 breit. Die Architectur des Gebäudes ist einfach 
und wenig glänzend. Die Hauplseite, deren Fronte auf sechs jonischen, auf einem 
Balkon ruhenden Säulen den schönsten Anblick gewährt, hat fünf grosse Thore, 
welche nach dem Theater führen; oben über den Säulen in einem dreikantigen 
Schilde glänzt das gemeinsame polnische Wappen und an der Spitze erhebt sich 
ein Apollo mit dem Viergespann. 

Nach Allem, was man davon gehört und gesehen, muss man bekennen, dass 
das neue Lemberger Theater den grössten Gebäuden dieser Art in der ganzen 
österreichischen Monarchie sich kühn an die Seite stellen darf; was die wohlge- 
ordnete Einrichtung im Innern betrifft, dürfte es von keinem übertroffen werden. 
Alles ist nach den besten Mustern gemacht; das Proscenium hat eine ansehnliche 
Höhe, die Bühne ist ebenfalls tief genug; alle Plätze sind so eingerichtet, dass 
die Aussicht auf die Bühne nirgends verdeckt ist; Logen sind im Ganzen 64, und 
zwar in 4 Reihen über einander. Die ganze Ausstattung, die Malerei, die Gold- 
staffi rungen , der Ausschlag der Sitze, die Beleuchtung, Alles ist auf das Präch- 
tigste hergestellt. Den einzigen Fehler jedoch darf man nicht unerwähnt lassen, 
weil er an sich wichtig und von grossen Folgen ist; das Orchester ist nämlich 
etwas zu tief, wesshalb sich die Musik im Parterre sehr verliert. Die Pracht 
und Eleganz der Coulissen und der Reichthum der Garderobe ist ausserordentlich. 
In diesem Gebäude winLnun abwechseld deutsch und polnisch gespielt. Die Schau- 
spielergesellschaft, welcro bei dem alten Theater angestellt war, wird wahrschein- 
lich grossen Theils auch für das neue verbleiben. Schau - und Lustspiel sind 
ziemlich gut besetzt; weniger vortheilhaft steht es mit dem Trauerspiel und der 

Digitized by Google 



37 



Oper; ein Ballet war gar nicht vorhanden. Der Graf Skarbek soll nnn auch 
noch die Absicht haben, ein solches mit aller Fracht und Eleganz nach dem Mu- 
sler des Warschauer einzurichten. Es wird dasselbe den übrigen Branchen wenig 
Abbruch thun, da das Theaterpublikum allzu gemischt und yon verschiedenem Ge- 
schmack ist; vielleicht denkt er spater auch daran, eine polnische Oper zu Stande 
zu bringen, was bisher wegen des Mangels an Mehligen polnischen Sängern un- 
möglich war. Ueberhaupt hofft man noch so gar vieles von dem neuen Unter- 
nehmen, da man dem guten Geschmacke des Grafen Skarbek nur das Beste zu- 
trauen darf und von seinem regen Eifer für die Sache, auf die er so viel Zeit 
und Geld verwendet, manches Tüchtige erwarten kann. Vor Allem bleibt zu wün- 
schen, dass die Gesellschaft selbst in aller solchen Eintracht unter einander und in 
gleicher Achtung und Liebe bei dem Publikum, wie es sie bisher genossen, auch 
in dem neuen Institute erhalten werde. Unvergesslich wird in dieser Hinsicht ge- 
wiss jedem Anwesenden der Abend des 18. Febr. d. J. bleiben; es war der letzte 
Schauspielahcnd für das polnische Theater im allen Gebäude. Man gab Korze- 
njowski's „fünften Akt", dann einzelne Scenen aus dem zweiten Theile der „Kra- 
kauer und Goralen" von Kaminski; zum Schluss ein allegorisches Tableau: die 
Trennung. Das Publikum und die Schauspieler nahmen von einander gegen- 
seitig Abschied, wie alte Freunde; der im dreissigjahrigen Dienste der Oeffenl- 
lichkeit ergraute Director Jan Kaminski dankte in einer rührenden Rede dem Pu- 
blikum für seine Theilnahme und nahm dann öffentlich Abschied von der Schau- 
spielergesellschaft, die er zum grossen Theil gewissermaassen selbst erzogen hatte. 
Nun sprach jeder von den sich entfernenden Mitgliedern einige tiefgefühlte Worte; 
des Rufens, Klatschens, Schreiens und Weinens war kein Ende und erst spat nach 
11 Uhr verliess man in der tiefsten Rührung das Haus. Scenen so wahren Ge- 
fühls und solch aufrichtiger gegenseitiger Achtung und Anhänglichkeit finden ge- 
wiss nur selten statt. Desto ehrenwerlher aber sind sie für beide, das Publikum, 
wie die Schauspieler. (Nach ^ Kwg£y ) 



4. Kunst na ehr ich ten. 

Herr Prcvdt, der Commissionair der Gesellschaft zur Aufmunterung der Kün- 
ste, gibt eine „Sammlung von Lithographien, welche die wichtigsten Ereignisse 
aus der russischen Geschichte darstellen" heraus. Das erste Heft bilden 4 Stücke, 
deren Sujet aus dem Leben Peter des Grossen genommen ist: 1) die Beruhigung 
der Altgläubigen (Raskolniki); 2) die Errichtung eines Kreuzes auf dem Grab- 
hügel, unter welchem alle bei Poltawa gefallenen russischen Krieger ruhen; 3) das 
Ereigniss am Prut; 4) seine Anwesenheit in Lachla. Bekanntlich ging Peter der 
Grosse wenige Tage vor seinem Ende nach Zesterbek, um die dortigen Arbeilen 
anzusehen; als er in die Nähe des Dorfes Lachta kam, bemerkte er ein Fahrzeug, 
das mit Passagieren von Kronstadt kam und durch einen heftigen Sturm auf eine 
Sandbank geschleudert wurde. Sogleich sandte er einige seiner Leute zur Hülfe ; 
allein bald merkte er, dass sie langsam und zögernd arbeiteten. Trotz einem 
Uebelbefinden, das ihn bereits ein paar Tage plagte, stürzte er sich ins Meer 
nnd rettete einen grossen Theil der Passagiere, wobei er freilich eine lange Zeit 
im Wasser stand. Dieser Moment nun ist auf jenem Gemälde mit dem hellsten 
Farben dargestellt. Die Figur Peters grossartig und herrlich, sein Gesicht ausge- 
zeichnet, die Gruppen der Matrosen, der Passagiere und der zu ihrer Rettung 
Herbeigeschickten sind mannigfaltig und sehr glücklich verlheilt. Die Reinheit, 
Weichheit, Treue und Sicherheit des Abdrucks lässt die Lithographie auf gleiche 
Stufe mit den besten ausländischen stellen. Das Gemälde macht dem jungen 
Künstler Czorikow alle Ehre. Auf Stein gezeichnet wurde es von Razamichin, 
der durch seine Lithographie des letzten Tags von Pompei berühmt ist; gedruckt 
ist es bei Pol; die Höhe beträgt 1 Arschin, die Breite 1 Arschin 5± Wersch. 

Digitized by Google 



38 

— Die beiden Künstler Sokolow und Klükwin haben allen Verehrern Pusch- 
kins einen grossen Dienst erwiesen. Der erstere nämlich zeichnete den Grabes- 
hilgel Puschkins im Swjatogorcr Kloster nach der Natur, und Herr Klükwin litho- 
graphirle die Zeichnung. Auf dem Bildchen zeigt sich Ton der rechten Seile ein 
Theil der Klosterkirche mit dem Altar; ihm gegenüber erhebt sich ein Hügel mit 
einem einfachen schwarzen Kreuz, darauf steht mit weissen Buchstaben: „Pusch- 
kin." — Eine kurze, aber in der That viel sagende Aufschrift. 

— Der bekannte Maler Brüllow hat das grosse Gemälde: „die Entsetzung 
vom Pskow," so ziemlich beendet; es ist eines der besten Gemälde unter denen, 
die er bisher geliefert und erregt die allgemeine Bewunderung. Bekanntlich hat 
Brüllow nur auf den ausdrücklichen Wunsch des Kaisers sich auf die russische 
Geschichte geworfen, und man hofft nach dem, was er bisher geleistet, dass er 
auch in diesem Fache der Stolz der russischen Kunst bleiben werde. 

— „Die Gemälde der russischen Malerschule." Unter diesen Na- 
men gibt der bekannte Journalist und Theaterdichter Kukolnik eine Sammlung von 
Kirchengemälden heraus, die von geborenen Russen gemalt sind. Die ganze Sammlung 
soll aus 12 Heften bestehen, d. h. aus 12 vorzüglichen Gemälden, zu deren jedem 
ein Text von 2 Bogen gehört Für jetzt sind folgende Composilionen zum Stich 
ausgewählt worden: 1) Mariens Verkündigung nach einem Gemälde von Borowi- 
kowski; 2) das Verhör des Erlösers nach Jegorow; 3) die Erscheinung Christi 
vor Magdalena nach Jwanow; 4) die Verhüllung einer Sterbenden nach YVenecia- 
now; 5) Jerusalem nach Worobjew; 6) die göttliche Jungfrau mit dem Jesus- 
Kindlein nach Bruni; 7) der heilige Wasilij, der Grosse, nach Schebujew; 8) die 
Himmelfahrt der göttlichen Mutter nach Brüllow; 9) das Grab des Herrn nach 
Worobjew; 10) die Grnft des Herrn nach demselben; II) die heilige Familie nach 
Jegorow; 12) das heilige Abendmahl nach Schebujew. Diese Copien werden auf 
Stahl gravirt und zwar in England von Robinson und anderen Londoner Graveurs 
erster Classe. Der beigelegte Text wird ethisch - literarischen Inhaltes sein. So 
enthält das 1. Heft: „die russische Malerschule" von Kukolnik, ein religiöses 
Gedicht von Benediklow, und „der Blogowjeschczenski-Dom in Moskwa." Der 
Preis eines jeden Heftes ist auf 50 Kop. Silber, der der ganzen Sammlung auf 
5 Rubel festgesetzt Es lässt sich manches Gute von dieser Sammlung erwarten, 
wenigstens wird sie znm Theil als Probirstein dafür dienen können, was für Fort- 
schritte die Kunst in Russland gemacht und ob die Theilnahme für dieselbe auch 
in dem Volke Eingang gefunden hat. In Russland geht Alles von Oben aus und 
wenn das in den Gebieten des Wissens der Entwickelung einer nationalen Wissen- 
schaft nur langsam und mit Mühe entgegenführt; wenn man sieht, welche unge- 
heueren Anstrengungen der Staat machen muss, um der Gesammlheit zu Nutzen 
kommen zu lassen, was das künstlich befruchtete Studium auf Akademien und ge- 
lehrten Anstalten zu Tage gefördert hat: so ist es vielmehr noch die Kunst, bei 
welcher jede Bemühung, sie künstlich ins Leben zu rufen oder die Erweckte zu 
fördern, misslingen muss. Wenn sie nicht aus der Nation selbst hervorgeht, wenn 
sie sich nicht von selbst als Resultat ergibt von der all mahl igen geistigen und 
materiellen Entwickelung des Nationalgeistes, dann bleibt sie dem Volke ewig 
fremd und ohne Einfluss auf dasselbe. 

— Die Sucht Denkmäler zu setzen, über welche in Deutschland schon so 
viel geklagt wurde, hat sich auch nach Russland verbreitet Vor Kurzem wurde 
erst ein grosses Denkmal errichtet auf den Schlachtfeldern von Borodino; jetzt 
erhält auch Smolcnsk ein solches. Dasselbe ist aus Gusseisen, im byzanlinisch- 
gothischen Geschmack. Nach der eigenen Bestimmung des Kaisers wird dasselbe 
auf dem Paradeplalze aufgestellt, gegenüber der königlichen Bastion, welche der 
Hauplangriffspunkt am 5. August 1812 war. Das Denkmal ist dem von Borodino 
ähnlich, nur mit dem Unterschiede, dass es mit zwei goldenen, in der Luft schwe- 
benden Adlern geschmückt ist Die Höhe des Denkmals sammt dem Erdaufwurf, 
auf welchem es steht, beträgt 35 Arsch., der Umfang des Piedestals 19£> Arsch. 

Digitized by Google 



39 



In der Mitte des Obelisks ist ein Bildniss der Mutter Gottes von" Smolensk ; auf - 
dem Piedestal der Plan der Schlacht und folgende Aufschriften: 1) den 5. August 
beschützten Smolensk 62 Bataillone, 8 Escadronen und J44 Stück Geschütz; 
2) Befehlshaber waren Rawwski und Dochlurow; 3) Obercommandant Barcley de 
Tolli und Bagration; 4) das TrefTen unterhalb Smolensk am 4. u. 5. August 1812; 
5) vom Feinde fiel 1 General und 3 waren verwundet, 20,000 Mann wurden waf- 
fenunfahig; 6) russische Generale fielen 2, verwundet 1, gegen 9600 Mann waf- 
fenunfähig gemacht; 7) am 5. August griff der Feind an mit 111 Bataillonen, 
28 Escadronen und nahe an 300 Geschützen. • 

— Aber die russischen Krieger finden nicht nur in ihrer Heiinath ein ruhm- 
volles Andenken, sondern auch benachbarte Völker bemühen sich, ihnen Achtung 
und Ehre zu erweisen. So wurde in Bucharest ein grosses Denkmal errichtet für 
die russischen Krieger, welche in den Jahren 1828 und 1829 unter den General- 
Adjudauten Geissmann in der sogenannten kleinen Wallachei fielen. Dasselbe war 
zwar schon im Jahre 1828 errichtet, damals aber so eilfertig aufgestellt worden, 
dass es immer mehr und mehr verfiel und einein völligen Zusammensturz entgegen 
sah. Jetzt hat es der Anführer der wallachischen Truppen, Wel Spatar Ghika, 
„aus Ergebenheit für die siegreiche russische Armee" (so drückt sich ein russi- 
sches Journal aus) auf eigene Kosten wieder herstellen und herrlich verzieren lassen. 

— Im Jahre 1839 starb bekanntlich der talentvolle junge Historiker J. We- 
nelin; er halle sich besonders auf die Geschichte der Bolgaren geworfen. Seine 
„alten und neuen Bolgaren" machten unter den gebildeten Mannern dieser Nation 
in Odessa (bekanntlich ist die Gegend westwärts von Odessa bis an die Donau 
und die wallachische Grenze rein von Bolgaren bewohnt, welche nach Schafarik 
80,000 Köpfe stark sind; ihre reichsten und vornehmsten Glieder hallen sich in 
Odessa auf, um da theils eine höhere wissenschaftliche Bildung sich zu erwerben 
und dann auf ihr Volk geistig einwirken zu können, theils treiben sie wieder als 
Kaufleule die ausgebreitesten Geschäfte) ungemeines Aufsehen, und ihnen verdankte 
man zunächst die weitern Forschungen, welche auf diesem Felde der Geschichte 
in den letzten Jahren geschehen sind. Die Bolgaren wussten ihm dafür tiefen 
Dank, ja sie sprachen es öffentlich aus, dass er durch seine Werke „die Auf- 
merksamkeit auf die bedrängten Nachkommen der allen Bolgaren gewendet, dass 
er die Nachkommen derselben zu neuem Leben aufgeweckt und so vielleicht der 
Urheber ihrer Wiederauferstehung geworden ist." In Folge dessen beschlossen 
sie, ihm in Italien ein Denkmal machen zu lassen, welches nun bereits in Odessa 
angekommen ist Dasselbe besteht aus einer grossen Marmorsäule, geziert mit 
einer Urne und dem Kreuze; auf dem Piedestal steht folgende Aufschrift mit gol- 
denen Buchslaben: auf der erslen Seite: I0PIK) HBAHOBH'ty RKHE.1HHV Oleome 
Eoarape. 1841. (Dem Georg Iwanowicz Wenelin die odessaer Bolgaren 1841.); auf 
der zweiten: Poaiucmi 1802; cKomnuwi 1839 ro^a (geb. 1802, gest. 1839.); auf der 
dritten: HanoMHiwb cB*my o 3a6bimoMT>, no irfiKor^a cjobromt,, MoryiqeciniieHHOM'i» njeMeiin 
Bojrap-b, H n.iaMeuuo me.ta.rb Bivvtunb cro D03pom^eHie. (Er erinnerte die Welt an den 
vergessenen, aber einst berühmten, mächtigen Volksstamm der Bolgaren, und 
wünschte glühend, die Wiedergeburt desselben zu sehen); auf der vierten: Bo«e 
BceMorymin! voji-ihih Mo.inm6y pa6a mBoero! (Allmächtiger Gott! Erhöre das Gebet 
deines Knechtes!) Das Denkmal wird in Moskwa auf dem Grabe des Verstor- 
benen im Daniel -Kloster aufgestellt. Dieses an sich unwichtige Faktum, das von 
einzelnen Privatmännern ausgegangen ist und durch ihre vereinte Bemühung aus- 
geführt wurde, bekommt durch die eigentümlichen Zeitumslände, unter denen 
es geschehen, und durch die innigen Verhältnisse, welche sich in den neuesten 
Zeiten zwischen den russischen und den türkischen Bolgaren herausgestellt haben, 
eine eigentümliche Bedeutsamkeit, welche man nicht übersehen darf. Die ehren- 
volle Auszeichnung eines Einzelnen scheint uns unter den obigen Umständen ein 
Compliment, das man allen Russen gemacht hat. 



Digitized by G«5ogle 



40 



MV. 

Industrie und Oekonomie. 



1. JDie gewerbliche M/iteratur in Höhnten. 

Die Industrie Böhmens hat sich, begünstigt darch mancherlei Umstände, in 
der neuesten Zeit so gehoben, dass sie die aller andern Lander des österreichi- 
schen Kaiserthums weil hinter sich zurücklässL Die Grenzdistriete , besonders 
nach Sachsen und Schlesien hin, blühten seit den letzten Decennien des vorigen 
Jahrhunderls durch ihre Leinwand - und Tuchfabrikalion ; im Innern des Landes, 
in den grösseren und kleineren Städten, nahmen Fabriken und die übrigen Ge- 
werbe einen raschen Aufschwung. Dadurch verbreitete sich ein industrieller Geist 
über das ganze Land, welcher nicht nur eine vollkommenere Erziehung des nie- 
dern Mittelstandes überhaupt, sondern vorzüglich auch vollkommeneren Unterricht 
für die Gewerbe nothwendig machte. Die Stände des Königreichs errichteten da- 
her eine polytechnische und später eine Realschule in Prag; eine solche wurde 
auch in der volkreichen, durch ihre Industrie oben an stehenden Stadl Reichenberg 
gegründet. Alle diese Schulen waren deutsch; deutsche Lehrer und ausschliess- 
lich deutsche Vorträge machten nur der des Deutschen kundigen Jugend eine hö- 
here Ausbildung möglich; und doch war gerade diese bei Weitem weniger zahl- 
reich und drängle sich nicht so sehr nach dem Unterricht als die böhmische Ju- 
gend. Kaum dass sie im Stande waren, die deutschen Vorträge auch nur halb 
zu verstehen, so scheuten diese lernbegierigen Jünglinge doch keine Mühe und 
Anstrengung, sich die erwünschten Kenntnisse auch auf einem fremden Gebiete 
zu sammeln. 

Diese Verhältnisse hatten bereits öfters die Nothwendigkeit zur Sprache kom- 
men lassen, man müsse eigene Gewerbeschulen auch für die böhmische Jugend 
einführen, in denen die Gegenstände in böhmischer Sprache gelehrt wurden. Die 
Sache fand von vielen Seiten günstige Aufnahme, von andern wurde sie mit Ent- 
schiedenheit zurückgewiesen, indem man behauptete, solche Vorträge seien an sich 
unmöglich, da die böhmische Sprache sich bisher zu einer solchen Vollkommen- 
heit noch nicht erhoben habe. - Hinter solche Unwahrheit verbarg man den eigent- 
lichen Grund, böhmische Gewerbeschulen zu verhindern, welcher einzig darin be- 
stand, dass man befürchtete, dadurch der böhmischen Literatur und dem Czcchen- 
thum Überhaupt Vorschub zu leisten. Denn um diese Zeit hallen die Arbeiten ei- 
nes Jnngmann, Sedlaczek, der beiden Presl, Ammerling's, Stanjeks und Anderer 
die Naturwissenschaften auch in der böhmischen Literatur bereits zu ansehnlicher 
Höhe erhoben; eine feste Nomenclalur, gestützt auf den Genius der Sprache und 
die tüchtigen Vorarbeiten, welche die altböhmische Literatur lieferte, hatte sich 
herausgebildet, und so stand dieser Zweig der strengen Wissenschaften in der 
böhmischen Literatur in einer Vollkommenheit da, wie kein anderer. (Wir ver- 
weisen hier nur auf die Zeitschrift „Krok", deren jede Seile einen schlagenden 
Beweis gegen jene Verkleinerer enthält. In unseren Tagen hat die „Physik" von 
Smelana die Wahrheit unserer Behauptung noch glänzender dargelban.) Von ei- 
ner Unmöglichkeit böhmischer Gewerbeschulen konnte also keine Rede sein; aber 
dennoch kostete es den Frennden des Czechenthums gar manchen harten Kampf, 
ehe sie es dahin brachten, dass solche erlaubt wurden. Zuerst nun organisirte 
der Orden der Piaristen ein solches Institut, welches alsbald von einer Masse 
lernbegieriger Jünglinge überfüllt wurde. Um dieselbe Zeit entschloss sich auch 
die königL ständische ökonomische Gesellschaft in Prag, allwöchentlich an Sonn- 
und Feiertagen Vorlesungen über gewerbliche Gegenstände hallen zu lassen. Der 
eben so thätige als gelehrte und für seine Nation begeisterte Dr. Ammerling be- 
kam den ehrenvollen Ruf, an der sogenannten „Sonntagsschule" die böhmischen 



Digitized by Google 



Vorlesungen zu halten. Sein Geist wosste sogleich die eigentümliche Stellung 
Tollkomraen aufzufassen, und in kurzer Zeit versammelte sich eine solche Anzahl 
lernbegieriger Jünglinge aus allen Gcwcrbszweigcn um ihn, dass er nun mit dem 
glücklichsten Erfolg und mit der sichern Uehcrzcugung wirken kann, seine Mühe 
und Anstrengung sei nicht eine vorlorene. Dies veranlasste den thätigen, in der 
vollen Kraft des Mannesallers stehenden Freund seines Volkes, die Ergebnisse 
seiner Studien in diesem ihm sonst fern liegenden Gebiele auch in einem weiteren 
Kreise zu verbreiten. Er entschloss sich also, unter dem Titel: „der Gewerbe- 
bote" eine in zwangloseu Heften erscheinende Zeilschrift herauszugeben, welche 
in einer gemeinfasslichen Darstellung die wichtigsten, in das industrielle Leben 
eingreifenden Resultate der Naturwissenschaften in dem Hause des niedern Bür- 
gersmannes, sowie selbst in der Hütte des Bauers bekannt machte. Das Blatt er- 
freut sich einer grossen Ausbreitung und der Einfluss, den es ausübt, ist uner- 
messlich. Neben dem Gewerbeboten erseheinen auch, von der ökonomischen Ge- 
sellschaft herausgegeben, „die ökonomischen Bialter" in böhmischer Sprache; sie 
enthalten neben mancherlei Belehrungen über Feldbau, Wiesenkullur, Viehzucht 
und dergl. auch noch Nachrichten über Erfindungen uud Entdeckungen in diesen 
Fächern; zur Aufheiterung und Zerstreuung für den Landmann, für welchen diese 
Blätter eigentlich allein bestimmt sind, werden jedem Hefte auch noch kurze Er- 
zählungen und Anekdoten, kleine Gedichte und dergl. beigegeben. Die ganze Ein- 
richtung des Blattes ist eine höchst glückliche zu nenneu; allein die Hedaction ist 
Händen anvertraut, welche einer solchen Arbeit nicht ganz gewachsen sind, und 
daher kommt es auch, dass man mit den ökonomischen Blüttern nicht ganz zu- 
frieden ist; sie könnten viel, viel mehr leisten, wenu sie kräftiger, natioucller, 
mit einem Worte umsichtiger geleilet würden. 

Neben diesen Blättern erscheint nun alljährlich eine Reihe von anderen Schrif- 
ten Aber dieses Fach in böhmischer Sprache; sie linden schnellen Abgang, wenn 
sie nur irgend einen Werth haben, und das ist der sicherste Beweis, mit welchem 
Feuer sich die böhmische Nation den Gewerben zugewendet hat. Noch vor einem 
Decennium trieb ein Jeder sein Handwerk, wie er es vom Meister und Altgesellen 
überkommen, und bei dein alten Schlendrian fiel es Niemandem ein, über den Grund 
nachzudenken, warum das gerade so und nicht anders gemacht werde, noch über 
Verbesserungen und Vervollkommnung nachzusinnen. Jetzt ist das ganz anders; 
seit die böhmische Literatur sich auch des Gcwcrbefachcs angenommen, seitdem 
sie Kenntnisse über dasselbe, sowie Nachrichten über Verbesserungen und neue 
Erfindungen für dieselben durch Schriften und Journale in immer weiteren Kreisen 
zu verbreiten bemüht ist: seitdem hat sich auch unter dem böhmischen Gewerbe- 
stande, welcher bis dahin einer bewegungslosen Masse glich, ein neues Leben, 
eine Regsamkeit und ThUtigkeil, ihren Zustand zu verbessern und ihre Kenntnisse, 
und ihre Geschicklichkeit zu vervollkommnen, zu zeigen angefangen, wie man sie 
keineswegs erwarten konnte. Es ist dies ein neuer Beweis, wie wohllhUlig es 
wirkt, wenn man ein Volk durch das Mittel seiner eigenen Nalionalsprache zu 
heben sucht. Nur in diesem Falle nimmt es das Dargebotene als sein Eigenthum 
an und schaltet mit demselben nach Gutdünken. Auch in Böhmen ist erst jetzt 
dieser Geist erwacht und die Wirkungen, die er in kurzer Zeit geäussert, sind 
höchst erfreulich. Schon zeigen sich dieselben au den glänzend sleu Beispielen, 
und wenn ihrer bisher nur wenige allgemein bekannt geworden sind, so liegt es 
mehr an der Bescheidenheit, welche das eigene Verdienst nicht vor aller W r elt 
Augen stellt, sondern im stillen Wirken ihren Lohn in sich selbst findet. Ein 
solches Beispiel erzahlt uns Herr Hurban, der Slowake, in seiner „Reise nach 
Böhmen und Mahren. 4 ' In der Stadt Teuritz fand er unter andern eine Anstalt 
für arme Handwerker, aus deren Fonds armen oder anderswie unschuldigerweise 
herabgekommenen Handwerkern alljährlich bedeutende Summen nach Umständen 
bald zu geringen, bald ohne alle Zinsen ausgeliehen werden. Ferner war hier 
eine Schulbibliothek, welche bei der Matice czeska und der Stiftung des heiligen 
Johannes des Täufers betheiligt war; ausserdem eine Baumschule, von deren Er- 

SUw. Jahrb. I. 6 

Digitized by Googie 



— 43 

trag böhmische Bücher zur Belohnung fleissiger nnd wohlgesitteter böhmischer 
Schulkinder angekauft werden. Die böhmischen Zeitschriften wurden alle gelesen, 
die technologische und die ökonomische wurden von einem Lesezirkel gehalten. 
Alle diese Einrichtungen verdankt man zum grössten Theil dem eifrigen und hoch- 
gebildeten Syndikus der Stadt, Herrn Jos. Pelikan, welcher alles anwendet, um 
den Sinn für das Kaiionale unter der Bürgerschaft zu erwecken; ja sogar die 
schwere Mühe auf sich genommen hat, den Kindern in der Schule die böhmische 
Geschichte vorzutragen, womit er zugleich die Ortsgeschichte von Teinitz verknüpft. 

Noch glänzender ist ein anderes Beispiel, das uns derselbe Reisende aus 
Mähren berichtet. Als er hier in die Stadt Ncdwedic kam, wurde er von den 
dasigen Einwohnern auf das Freundlichste empfangen und sogleich zu dem dorti- 
gen Bürger und Schlosscrmeisler YVendnlsky geführt, bei welchem eine grosse 
Menge von Bürgern, Meistern, Gesellen und ihren Gallinnen und Töchtern ver- 
sammelt war. Nach einem lebendigen Gespräche über die nationalen Angelegen- 
heiten und die Bildung des böhmisch -mährischen Volkes: „besah ich (so erzählt 
Herr Hurban) ihre Bibliothek, deren erste Grundlage aus eingesammelten einzel- 
nen Kreuzern bestand, die aber nun bereits eine schöne Sammlung von Büchern 
umfassl und ein Beweis ist, dass aus geringem Anfange bei Fleiss, Beständigkeit 
und Ausdauer Grosses erwächst. — Dann zeigte mir ein Geselle des Herrn Wen- 
dolsky eine Elektrisirmaschinc, welche er ganz allein nur nach der Anleitung, wie 
sie in der „Physik" von Schadek gegeben, gebaut halle. Derselbe junge Hand- 
werker halte auch einen Erdglobus, mehrere geographische Charten und dergl. 
gemacht, ohne alle fremde Anleitung, nur wie er aus den böhmischen Schriften 
darüber belehrt worden war. — Freilich gehörten diese Bürger (so fährt Herr 
Hurban fort) nicht zu jenen, welche an Sonn- und Feiertagen lieber Wirthshäu- 
ser besuchen und die kostbare Zeit (odlschlagen, als dass sie dieselbe zu etwas 
Nützlicherem verwendeten. Der junge und schon rühmlich genannte Herr Thomas 
Jaroslaw Zrzawy, der dortige Caplan, versammelte während dieser Zeit häufig 
die jungen Handwerker, Meister und Gesellen um sich, um ihnen die neuen in 
ihr Fach einschlagenden Erfindungen milzulheilcn und sie zum Fortschreiten mit 
dem neuen Zeitgeisle aufzumuntern. In seiner Bibliothek besass er fast alle Schrif- 
ten, welche in den letzten Jahren als willkommene Erscheinungen auf dem Hori- 
zonte unsrer neuerwachten Nationalität sich zeigten. Herr Zrzawy war ein eifri- 
ger Freund und Verehrer eines regelmässigen und schlichten Lebenswandels, wel- 
chen er auch unler das Volk recht geschickt auszubreiten wussle. Wie mancher 
Bürger, der ehedem dem Trünke und der Schlemmerei ergeben war, rühmt und 
preiset nun seinen Wohlthäter, welcher ihn aus dem vernichtendem Abgrund der 
moralischen und physischen Verderbniss herausgerissen hat. Ueberdiess war er 
ein warmer Freund kleiner Klinder, sowie aller Armen und Verlassenen. Vor 
Allem aber glühte seine Seele von der himmlischen Flamme zur slawischen Nation; 
sie war der Polarstern seines thatenreichen Lebens. Dadurch erwarb er sich eine 
zahllose Menge von Freunden und Verehrern, wodurch es geschah, dass er immer 
tiefer eindrang in die eigenlhümlichen Lebenszuslände der mährischen Slawen. 
Und mit Recht nannte ihn einer von unseren grossen Slammgenosseu den ersten 
unler den ersten Patrioten, welche in Mähren thatsächlich den Samen der slawi- 
schen Nationalität ausstreuen. Die Bürger von Nedwedic und die Valerlandsfreunde 
in der Gegend umher hielten ihn so hoch, und liebten ihn so sehr, dass, als er 
nach Zabrdowic umzog, sie ihn haufenweise begleiteten und Thränen wahren 
Schmerzes vergossen. Jetzt haben sie einen Brunnen, der etwa eine Viertelstunde 
von der Stadt entlegen, von Herrn Zrzawy häufig besucht und gewissermassen 
in Ordnung gebracht wurde, mit Sitzbänken versehen und mit Linden auf dem 
schönen Ufer des Schwarzawa- Flüsschens ausgesetzt, der ganzen netten Anlage 
aber den Namen „Slowanka" gegeben. Diesen Namen erhielt der Brunnen bei 
einem eigenlhümlichen Feste, welches die Nedwedicer Bürger hier feierten. Als 
nämlich der Brunnen gereinigt und die ringsum angebrachten Verschönerungen fer- 
tig waren, wurde ein Tag festgesetzt, an welchem man hinauszog, und durch 



Digitized by Google 



43 



feierliche Reden, durch Musik und Tanz und Verlheilung von mannigfaltigen Ge- 
schenken an die kleinen Kinder den Ort einweihte, an welchem er, der Erwecker 
der Nationalität in Ncdwedic, sein Wohlgefallen gehabt. Und weil Herr Zrzawj 
auch ein frommer und religiöser Mann war, beschlossen die Ncdwedicer, an der- 
selben Stelle die Bildnisse der beiden Slawen -Apostel, Cyrill und Methodius, als 
der ersten Verkündiger des Chrislcnlhums im grossmährischen Reiche, aufzustellen. 
So feiert die Nation das Andenken ihrer grossen Männer; zwar nicht mit Brillant- 
Ringen und goldenen Medaillen, noch mit glänzenden Ordeussternen, sondern durch 
eine herzliche Verehrung und unvergesslichcs Andenken." — Zwei Stände sind 
es also, welche der Verbreitung der böhmischen Literatur und ihrer die Wohl- 
fahrt der Nation befördernden Erzeugnisse unter dem Volke mit besonderer Vor- 
liebe sich zuwenden: die Beamten und die Geistlichen. Beide stehen schon durch 
ihren Wirkungskreis dem Volke selbst nahe genug, um zu wissen, was für das- 
selbe am notwendigsten ist, und wie man seine Bedürfnisse am leichtesten nnd 
ausgiebigsten befriedigen müsse, damit das wahre Wohl der Nation nach Kräften 
gefördert, und dieselbe bald zu der Höhe erhoben werde, welche ihr eine ehren- 
iverlhe Stellung neben den andern Völkern Europas sichert. 



JWe Agronomische Wissenschaft in llussland. 

Russlands wichtigste Ausfuhr besteht bisher immer noch trotz allen zweck- 
mässigen und onzweckmässigen Mitteln, die man angewendet hat, die inländische 
• Industrie zu heben, in Rohstoffen, unter denen die Produkte des Ackerbaues eine 
der ersten Stellen mit einnehmen. Seit Jahrtausenden, möchte man sagen, versor- 
gen die fruchtbaren Ebenen Mittel - und Westrusslands weile Länder und grosse 
Völker mit ihren Naturprodukten; denn diese Landstriche sind ein wahres Acker- 
land, und die Bevölkerung, welche sie nun bebaut, ein achtes Ackervolk. — 
Die wechselseitige Einwirkung eines Volkes und des von ihm bewohnten Landes 
auf einander hat sich wohl nirgends so glänzend gezeigt, als hier. Seit mehre- 
ren Jahrtausenden wohnen die Russen nun bereits auf diesem Boden, und sie ha- 
ben sich mit ihm so assimilirt, dass eine Trennung von demselben ihnen undenk- 
bar ist; aber sie haben ihn während dieses langen Zeitraumes auch so ganz ken- 
nen gelernt, ihm alle seine leichtesten Grillen und Launen, seine günstigsten Mo- 
mente abgelauscht, dass sich in diesen Gegenden die Agricultur von selbst und 
allmählig zu einer Vollkommenheit emporgeschwungen hat, wie man sie bei dem 
wechselvollen Klima und bei den so verschiedenartigen Bodenmischungen fast nicht 
für möglich halten sollte. Dadurch hat die besiehende Weise des Feldbaues eine 
Festigkeit und Zuversichtlichkeit erlangt, welche wohl lange noch jeden Einfluss 
einer sogenannten „rationellen" oder wissenschaftlichen Oekonomic polarisircn 
dürfte. In der Neuzeit nämlich, wo die Oekonomie durch ihre Bearbeitung als 
eigene Wissenschaft und durch die rationelle Behandlungsweise des Bodens in 
Westeuropa einen so bedeutenden Aufschwung genommen hat, hat auch die russi- 
sche Regierung angefangen, alle Mittel in Bewegung zu setzen, um diesen Zweig 
des Nationalreichthums auf einen entsprechenden Grad der Vollkommenheit zu er- 
heben. Demzufolge wurden vor allen Dingen an den Universitäten Professuren 
der Oekonomie errichtet; dann gründete man ökonomische Schulen und ähnliche 
Lehranstalten; auf den Domainengülem wurden mit ungeheueren Kosten besondere 
Musterwirthschaflen angelegt, von denen die Bauern sich ein Beispiel nehmen 
sollten ; ja das Domainenminislerium gibt sogar auf Staatsunkosten eine eigene 
„agrarische Zeitung" heraus, neben welcher noch mehrere ähnliche Blätter über 
das Land zerstreut sind. Die Grundsalze, nach denen man hierbei verfuhr, und 
die man als Norm für jede „rationelle" Bearbeitung des Ackers aufstellte, waren 
fast ausschliesslich jene, welche man in den ökonomischen Werken und Zeitschrif- 
ten der Deutschen, Franzosen und Engländer vorfand. Nun ist die Oekonomie 

Digitized by Google 



44 

selbst in den letztgenannten Ländern noch eine sehr junge Wissenschaft, welche 
einer vollständigen Consolidirung und einer systematischen Organisation noch ent- 
gegen sieht. Erwägt man nun hiezu, welchen ungeheueren Modifikationen die von 
der Wissenschaft aufgestellten Grundsatze in ihrer praktischen Ausführung schon 
in den westeuropäischen Ländern unterworfen sind; nimmt man hiezu die Mannig- 
faltigkeit des Bodens, den plötzlichen W'echscl des Wetters, das unbeständige 
Klima, und alle jene äusseren Einflüsse, welche in Russland herrschend jede Theo- 
rie zu Schanden machen: kann man sich da wundern, dass die sogenannte „ratio- 
nelle Oekonomie", welche man mit solcher Hast in dem ganzen weilen Reiche ein- 
führen wollte, mit eben solcher Schnelligkeit in vollständigen Misskredit gerathen 
ist? dass sie die russischen Ockonoinen fast nur spoltweise nennen und sich ge- 
wallige Stimmen von allen Seiten gegen sie erheben? So heisst es in einem sol- 
chen Artikel, der die Arroganz der Lehrer der neuen „ europäischen Methode 
mit gehöriger Kraft zu paren treibt: „Bis auf diesen Augenblick stützt sich un- 
sere agronomische Gelehrsamkeit in jeder Beziehung auf die Theorie, welche man 
im Auslände aufgebaut hat. Wie können wir annehmen, dass diese Theorie, in 
die Praxis eingeführt, allgemein nützlich sein könnte für uns und für jenes (das 
Ausland) zugleich, da ja doch der Zustand uuserer Wirtschaften , unsere Capita- 
lien, unser Clima, der Preis der Producte und die davon abhängige landwirt- 
schaftliche Berechnung, welche nun doch einmal den Angelpunkt des Ackerbaues, 
der Viehzucht und der Landwirtschaft überhaupt bildet, in jedem Punkte gänz- 
lich abweichen von denen des Auslandes?" — Den wichtigsten Einfluss auf das 
Wachsthum der Feldfrüclite übt die Temperatur, welche in Russland verhältniss- 
mässig viel stärker einwirkt als in Westeuropa. Das Klima Russlands ist unter 
gleichen Graden viel rauher und unfruchtbarer, als im Westen; der W'echsel der 
Temperatur viel häufiger und schneller, als dort; endlich ist die Hitze viel drücken- 
der und die Kälte viel vernichtender, da sie beide immer allzu lange anhalten. 
Dagegen aber kann die Theorie nicht schützen, weder mit meleorologischen Ta- 
bellen, welche immer nur das gewesene W T etter anzeigen, noch mit Thermome- 
tern und Barometern, von denen man nur ein Paar Stunden das Wetter voraus 
sehen kann. Unter diesen Umstanden kann die bisherige Weise der agronomischen 
Theorie für Russland nur von geringem Nutzen sein; dazu müssen erst die weit- 
sichtigsten Untersuchungen und Beobachtungen angestellt, die ausgedehntesten Er- 
fahrungen gemacht werden; erst dann wird man es wagen dürfen, die Gesetze der 
Theorie mit den notwendigen Modifikationen practisch auszuführen; denn die ganze 
ökonomische Wissenschaft stützt sich auf Erfahrung, und ohne Erfahrung ist eine 
glückliche Theorie uniröglich. 

Hiezu kommt für die russischen Agronomen noch eine besondere Schwierig- 
keit. Die Naturwissenschaften wurden zwar von der Akademie bereits seit einer 
langen Reihe von Jahren mit allem Ernste bearbeitet, und einzelne Akademiker 
haben sich auch ausserhalb Russland Ansehn und Ruhm erworben. Wie aber in 
Russland bis auf diesen Augenblick in allen geistigen Angelegenheiten überhaupt 
fast durchweg ein der Nation fremder Geist sich herrschend zeigt; so macht 
wohl auch das Studium der Naturwissenschaften immer grössere Forlschritte; aber 
die nationelle Cultur hatte davon nur geringe Vortheile; denn ihre Bearbeitung ge- 
schah und geschieht zumeist in fremden Sprachen, und so ist man denn nach jahre- 
langen Arbeilen nicht ein Mal dahin gekommen, selbst in den Wissenschaften, die 
em gründlichsten und am ausgebreiletslen bearbeitet wurden, eine durchgreifende, 
(lern Genius der russischen Sprache entsprechende, dem gegenwärtigen Höhepunkt 
der Bildung angemessene Nomen clatur zu besitzen. In dieser Hinsicht sind die 
Czcchcn den Russen weil vorangeeilt; während dort gelehrte, mit allen Hülfsmil- 
teln ausgerüstete Akademien und Staalsinstilute ihre Kräfte vergeblich anstrengten, 
schufen hier, wie wir in dem vorhergehenden Artikel zeigten, einige wenige Pri- 
vatmänner, geführt von der ächten Liebe zur Wissenschaft und geleitet von der 
edlen Begeisterung für die Nationalsache ohne alle Unterstützung von Oben, 
unr auf sich selbst und ihren energischen Patriotismus gestützt, in wenigen Jah- 

Digitized by Google 



45 



ren eine wissenschaftliche Sprache, welche durch ihre charakteristische Ausge- 
prägtheit, ihre Präcision und Wissenschaflliehkeit die gelehrte Welt in Erstaunen 
setzen würde, wenn diese, im Stande wäre, sie zn würdigen. Dieser Mangel ei- 
ner bestimmten festen Nomenclatur nun macht die Schriften der tüchtigsten russi- 
schen Agronomen ungeniessbar, ja oft rein unverständlich. So sind die Schriften 
des tüchtigen Pawlow, ehemaligen Professors der Oekonomie an der Moskwacr 
Universität und Herausgebers des „russischen Oekonomcn", grossentheils desshalb 
ohne Nutzen und Einfluss geblieben, weil ein jeder des Russischen kundige Oeko- 
nom seine Sprache missverstehen und durch seine Anleitung zu Missgriffen und 
Fehlern verleitet werden musste, an die er sonst im Traume nicht gedacht hätte. 

Unter diesen Umständen dürfte es der Regierung lange Zeit hindurch noch 
schwer werden, trotz allen Musleranstallen, als Mustermeiereien, Musterzüchtereien, 
Mustcrgeslülen und dergleichen kostspieligen und nur den äussern Glanz von sich 
strahlenden Instituten, die Agrikultur des Landes auf jene wissenschaftliche Höhe 
zu erheben, in welcher sie in den westeuropäischen Ländern steht. Es fehlt vieles, 
noch gar zu vieles. Und den Mangel dessen in kurzer Zeil auszufüllen, dürfte 
selbst die Kräfte einer energischen und thalkräfligeu Regierung überschreiten. 



V. 

Literatur und Kritik. 



1. Puschkin 

Ton 

Mleklewlcz. 

Der Krieg gegen Napoleon , welcher ganze Massen russischer Heere bis in 
den fernsten Westen Europa's führte und den intelligentesten und bewegtesten Theil 
der russischen Nation mit den Deutschen, Franzosen und Engländern in die ge- 
naueste Berührung brachte, hinterlicss in den Gcmülhern der entschlossenen Vater- 
landsvertheidiger eine Masse von halhvcrdautcn und oft übelverstandenen Freiheits- 
ideen, welche nach ihrer Rückkehr auch in der Hcimalh [ihren zersetzenden Ein- 
fluss auf alle gesellschaftlichen Verhältnisse nicht verläugnen konnten. Selbst der 
Kaiser schien den freieren Ideen Vorschub leisten zu wollen; denn er entfernte 
die religiösen Schwärmer, die ihn in Wien umgaben, gab Lilhauen eine grosse 
Amnestie und setzte sieb mit den Polen auf einen freundschaftlichen Fuss. Allein 
er fiel den Marli nisten und dem Fürsten Galicin in die Hände; ein Magnicki 
schmiedete seine heimlichen Pläne und wussle das Ansehen des Kaisers niederzu- 
drücken. Mit ihm vereinigle sich gewissermaassen die allrussische Parthei, den 
Admiral Schischkow an der Spitze, um das System Peters des Grossen in seiner 
Gänze wieder einzuführen. Durch alle diese mehr oder weniger geheim gehalte- 
nen Vorgänge zu Verdacht erregt, desavouirtc die öffentliche Stimme alle diese 
Machinationen und sprach sich mit rückhaltloser Entschiedenheil gegen sie aus. 
Allmählig tauchte die Idee auf, man müsse ihnen mit Kraft entgegen treten, und 
sollte dabei auch die herrschende Dynastie der Vernichtung anheim fallen. Die 
Unzufriedenheit und das Missbehagen ward immer grösser und der Enlschluss, 
eine vollkommene Revolution, wie etwa die französische, zu M erregcn, immer fester. 
Die sämmllichcn Schriftsteller, die zum Theil in der Verwaltung, zum Theil im ^ 
Heere dienten, traten der Yerschwörurg bei uud schon um das Jahr 1820 stand 

Digitized by Google 



46 



die ganze Literatur auf der Seile der Opposition, wobei sie über jeden Schrill 
der Regierung ein drohendes Schweigen beobachtete. Kaiser Alexander, dem ganz 
Europa Weihrauch streute, war nicht im Stande, einen einzigen Lobredner in 
Russland zu erkaufen; die Öffentliche Stimme hätte einen jeden solchen vernichtet. 
Unter diesen Umstanden erhob sich milteu aus der Opposition eine Stimme, welche 
in Kurzem alle andern übertäubte und eine neue Epoche in der Enlwickelung 
Russlands begann. Es war die Stimme Puschkins. 

Das erste von diesem Dichter herausgegebene Gedicht (so heisst es im zwei- 
ten Bande von Mickiewicz's Vorlesungen über slaw. Literatur S. 217.) alhmete 
finsteren Jacobinismus, einen bitteren Hass gegen alles Bestehende, gegen ganz 
Russland. Im Augenblick wurde der Name Puschkin das Losungswort für alle 
Unzufriedenen; von Petersburg bis nach Odessa und in den Kaukasus hinein ver- 
breitete man seine Ode an den Dolch; sie ward in alle Sprachen übersetzt, wel- 
che die Volker Rnsslands redeten, und in allen Kriegslagern gesungen mit beben- 
der Begeisterung, obgleich sie keinen Vorzug, keinen Reiz an sich halle, als den, 
dass jeder in ihr sein eigenes Gefühl wieder fand. — In welcher Weise er die 
freieren Ideen der Gegenwart auffassle, zeigt unter andern folgendes Gedicht, des- 
sen Uebersetzuug uns von Herrn Wolfsohn im Mauuscript mitgelhcilt wurde: 

Ein Fremdling, will ich heilig weihen 

den allen heimathlichen Brauch: 
ein Vögelein will ich befreien 

bei stillem, heitern Lenzeshauch. 

Nun will ich mich dem Trost ergeben, 

nicht murren über Gottes Lenken; 
nun ich ein Wesen fand im Leben, 

dem ich die Freiheit konnte schenken. 

Die Literatur war damals in vollständigen Verfall geralhen; man lehrte sie 
noch in den Schulen, lernte ihre Regeln nach den Büchern ein, aber im Leben 
verschwand und verkümmerte sie allmählig mehr und mehr. Jetzt war sie plötz- 
lich zum neuen Leben erwacht. Lomonossow und vor allem der alle Ruhines satte 
und mit allen Gnaden überschüttete Derzawin erwarteten gewiss nicht, dass einst 
derselbe Puschkin sie der Vergessenheil überliefern würde. Allsogleich traten nun 
die neuen Dichter Zukowski, ein Mann mit grossem Talente, und Baljuschkow, 
in die zweite Reihe zurück; man lobte ihre Form und ihre Poesie, sie waren be- 
liebt, aber sie erregten keine Begeisterung. Puschkin allein entzündete alle Her- 
zen seit dem Augenblicke, wo er das kaiserliche, von Franzosen geleitete Lyceum 
verlassen. Seine Erziehung war in Hinsicht der classischen Wissenschaften etwas 
vernachlässigt, allein er hatte vieles gelesen, besonders französische Werke; er 
las auch die Schriften Zukowskis, welcher auf die allslawische Poesie hinarbei- 
tete; Über alle aber erhob und verherrlichte er Lord Byron. Byron entzündele 
in ihm das poetische Talent. Von nun an wiederholte er alles, was er in der 
russischen Literatur vorfand. Er schrieb Oden in demselben Tone, aber weil 
besser als Derzawin; er ahmte das Allrussische nach, wie Zukowski, aber Über- 
traf ihn an Vollendung der Form und besonders an der Grösse seiner Schöpfungen. 
Endlich warf er sich auf die Bahn Byrons; von ihm nahm er den innern Bau und 
die Sicherheit seiner Gedanken. Die Helden Puschkins erinnern an Lara, den 
Corsaren, und andere in den Dichtungen des genialen Britten bekannte Figuren. 

Es ist das der unfreiwillige und nolhwcndige Gang der Ereignisse. Ein je- 
der Schriftsteller muss erst die Schulen durchmachen, die ihm vorangegangen; er 
muss erst eine Zeit lang auf den Wellen der Vergangenheit kämpfen, ehe er in 
die Zukunft hindurchdringt. Puschkin ward bei seiner Nachahmung^ Byrons, selbst 
ohne nur daran zu denken, auch ein Nachahmer Waller Scotl's; damals sprach 
mau überall von einem örtlichen Colorit, von dem historischen Elemente, von der 
Notwendigkeit, wie man die Geschichte in die Poesie und den Roman hineiu- 

Digitized by Google 



bringen müsse. Zwei Werke Puschkins schwanken zwischen diesen beiden Mustern : 
„die Zigeuner" und „Mnzeppa" ; das eine Mal ist er Byron, .das andere Mal Waller 
Scott; aber noch ist er nicht er selbst; anch seine originellste Dichtung, der Ro- 
man Onegin, welcher für immer in den slawischen Ländern mit der grössten Ent- 
zückung wird gelesen werden und ein ewiges Denkmal dieser Epoche bleibt, hat 
denselben Zuschnitt wie Byrons Don Juan. Puschkin nahm Don Juan als Muster 
für seinen Onegin. Er fing dieses Werk in jungen Jahreu an, schrieb dann von 
Zeit zu Zeit einen Abschnitt dazu und machte endlich ein Gedicht in 8 Gesängen 
daraus; hinreissend dnrch den Reiz seiner Einfachheit und seinen Styl. Er ist 
nicht so reich, so fruchtbar wie Byron, er erhebt sich nicht zu solcher Höhe, 
steigt nicht so bis auf den Boden des menschlichen Herzens hinab; aber er ist 
gleichmassiger, nimmt mehr Rücksicht auf die Form, ist einfacher und erreicht 
so oft Byron, ja übertrifft ihn sogar. Die Grundanlage Onegins ist überaus ein- 
fach. Anfanglich zeigen sich zwei junge Menschen, die in zwei Mädchen verliebt 
sind. Der eine von ihnen fällt alsobald in einem Zweikampfe; der andere kehrt 
kaum gegen das Ende der Erzählung auf den Schauplatz zurück. Aus einem so 
ärmlichen und kurzen Thema war es ausserordentlich schwer, ein langes Gedicht 
auszuspinnen ; allein Puschkin, welchem die Bilder des häuslichen Lebens Russlands 
und so manche andere Ereignisse vor der Seele standen, fand darin hinlänglichen 
Stoff für seine Gesänge, welche bald Tragödie, bald Komödie und dann wieder 
dramatische Erzählung sind. Was in allem dein die grösste Bewunderung in An- 
spruch nimmt, ist die seltene Glatlheit und Vollendung des Slyls. Es ist das ein 
herrliches Gemälde, dessen Grund und Colorit sich immerwährend verwandelt; und 
der Leser bemerkt es nicht einmal, wie er von dem Tone der Ode zu einem Epi- 
gramm herabsinkt und wieder unmerklich sich erhebend, den Anfang zu einer Er- 
zählung beginnt mit dem Gewichte eiuer wahren Epopee. Ueber dieses ganze Ge- 
dicht Puschkins ist eine bange Angst ausgegossen, weit tiefer und erschauernder 
noch als wir sie bei Byron finden. Man sieht, dass für den Dichter Alles seinen 
Reiz verloren, was es nur Grosses und Schönes auf dieser Welt geben kann. 
Puschkin hatte so vieles gelesen, hatte so viele Erschütterungen in der Gesell- 
schaft seiner jungen Freunde — der eingefleischten Liberalen — durchgemacht, 
und nun fühlte er überall lange Weile. Und dieses Gefühl zieht ohne seinen 
Willen wie ein düsterer Schalten durch seine poetische Schöpfung. Die Heldin 
der Erzählung, ein Ideal, wie es sich Puschkin bei sich selbst geschaffen, ist 
Olga, ein junges und schönes Russenmädchen, auf dein Lande erzogen. Sie liebt 
lebendig, heftig, mit der ganzen Reinheit der poetischen Liebe, und verliert ihren 
Geliebten auf eine schauderhafte Weise — im Zweikampf. Dann heirathet sie ei- 
nen Officier und lebt glücklich und zufrieden. Neben ihr tritt eine andere weib- 
liche Gestalt auf die Bühne; diese hat Etwas von Byrons Franziska; sie besitzt 
ein leidenschaftliches Herz, den Kopf voll Roman -Ideen, liest nichts als Romane 
und Gedichte, sie hängt ihren eigenen Gedanken nach, wacht die Nächte durch, 
jagt einer gewissen Grösse nach, will ein Original sein und Andel ihr Ideal in 
einem jungen Dandy, der in der gewöhnlichen Weise der Gestalten Byrons sich 
das ganze Leben langweilt, alle andern anekelt, gewaltsame Zerstreuungen sucht 
und Karlen spielt. Von diesem Geliebten verlassen und Verstössen wird sie die 
Gattin eines allen Generals. Ein ewiger Welldurchsegler, ein zweiter, aber russi- 
scher Child Harold, lernt sie später in Petersburg kennen als glückliche und ge- 
feierte Heldin des Salons, er erglüht von Liebe zu ihr; aber dieses mal behandelt 
sie ihren Verehrer kalt und stössl ihn mit der ganzen Verachtung einer Frau von 
hohem Ton von sich. — Es scheint als habe Puschkin bei der Ausarbeitung der 
ersten Parlhien noch keine feste Idee gehabt, wie das Ganze zu lösen sei; denn 
sonst hätte er wahrscheinlich die Liebe der beiden jungen Leute, die dann einen 
so traurigen und prosaischen Ausgang nimmt, als nicht so zart und rein und innig- 
kräftig dargestellt. Im Onegin erscheint Puschkin selbst in seiner ganzen Gestair. 
Wenn er da von einem lebensüberdrüssigen Byronisten spricht, so malt er in we- 
nigen Versen sein eignes Portrait. „Es war das — so spricht er — ein Mensch, 



Digitized by Google 



4S 



geneigt zu Reformen, originell ohne Gezwnngenheit, mit kalter Besonnenheit und 
heftigem Sinn." Gerade so war Puschkin. Und wenn er wieder den Dichter be- 
schreibt, so schildert er nur seine eigenen Zustande. Jener Russe, der in Deutsch- 
land erzogen worden, lange Haare tragt, ein Verehrer von Kant und Schiller ist, 
und ein Enthusiast ohne Ziel und Gegenstand, ejn Traumer, der Über den Aus- 
druck Ideal mit der Feder in der Hand einschläft: so mall er damit eine ganze 
Periode seines eigenen Lebens. Ja was noch sonderbarer ist, er bat in diesem 
Gedichte sogar die Art seines Todes vorher verkündigt: wie der junge Wladimir 
sank auch er von der Hand seines Freundes im Zweikampf wegen einer Kleinig- 
keit — Der Hauptgedanke des ganzen Gedichtes ist der Widerspruch gegen Al- 
les, was Mode, was guter Ton der Gesellschaft heisst. Zwei Helden Puschkins, 
wahre Herzensfreunde, schlagen sich mit einander nur aus der einzigen Ursache, 
weil der eine von ihnen sich ?or der Meinung seines französischen Lakais fürch- 
tete und weil der andere einem hohen Beamten einen Gefallen machen wollte, wel- 
cher auf dem Lande lange Weile empfand und gern eine Zerstreuung durch einen 
Zweikampf gehabt hätte, um so durch seine Theilnahme an demselben die Leute 
von sich reden zu machen. Die beiden Frauen endlich erliegen ebenfalls der Herr- 
schaft des Salons. — So ist Puschkins Onegin. 

Wir wollen uns hier nicht ferner aufhalten mit den lirischen und dramati- 
schen Dichtungen Puschkins, auch wollen wir nicht herausziehen, was in demsel- 
ben charakteristisch Slawisches, Volkstümliches ist; denn unser Ziel ist vielmehr 
das Band zu entdecken, welches zwischen der slawischen und den andern europäi- 
schen Literaturen besteht, um so den Hauptcharakter und den der einzelnen Lite- 
raturen aufzufassen. 

Während Puschkin in aller Ruhe seine Gedichte schrieb, brachten seine 
Freunde eine Verschwörung gegen die russische Regierung zu Stande. Je weni- 
ger die Details derselben in Europa bekannt sind, desto mehr Veranlassung haben 
wir, hier etwas mehr davon zu sagen. — Zwei waren die Feuerheerde, von wel- 
chen die Verschwörung ausging; der eine war in Petersburg, der andere in Süd- 
Russland, mit welchem letzteren auch Polen in Verbindung stand. Man trieb die 
Sache fast öffentlich und was ewig denkwürdig bleibt, ist, dass Niemand von den 
Verschworenen ein Verrather ward. Mehr als 500 Personen verschiedenen Stan- 
des, verschiedenen Ranges und verschiedener Gemülhsart gehörten thalsächlich zu 
der Verschwörung, welche unter den Augen einer wachsamen und argwöhnischen 
Regierung zehn Jahre lang fortdauerte, und doch gab es keinen Angeber in ihr. 
In Petersburg versammelten sich viele Oflieiere und Beamte in Wohnungen, die 
nach der Gasse gingen; man beratschlagte bei offenen Fenstern und dennoch kam 
die Polizei nicht hinter den Grund dieser Zusammenkünfte. Die öffentliche Mei- 
nung war mächtiger als die Furcht vor der Regierung. Bei solchen beratschla- 
genden Versammlungen ging die allgemeine Meinung der Verschworenen dahin, 
man müsse die Regierung stürzen und selbst die ganze kaiserliche Familie aus- 
rotten. Man sang Lieder des schauderhaftesten Inhalts und zeichnete alles in ei- 
nem so rohen, finnischen und mongolischen Charakter, dass selbst die Polen, wel- 
che sich unter der Gewalt der Russen befanden, nicht im Stande waren, sie ohne 
Entsetzen zu hören, obgleich sie soviel unter derselben Regierung gelitten hatten. 
Aber am Ende wusste man nicht, womit oder in wessen Namen man anfangen solle. 
„Was werden wir auf der Gasse schreien?" fragte einer von den Verschworenen, 
womit er vortrefflich die Schwierigkeit des ganzen Unternehmens bezeichnete. 
„Was sollen wir dem Volke sagen, damit es uns verstehe? Sollen wir rufen: 
Es lebe die Freiheit? Wir haben keinen Ausdruck dafür; unser Wort „Swoboda" 
bedeutet nicht das, was Freiheit in den westlichen Ländern heisst; Swoboda ist 
bei uns die Zeil der Ruhe, der Erholung, der Zerstreuung. Oder sollen wir 
schreien: Es lebe die Constitution? Wer wird uns verstehen, was das ist Consti- 
tution?" — Man ist nicht im Stande, mit einem Blick zu übersehen, welche 
tiefe Wahrheiten in diesem Worte lagen. Trotz dem beschäftigte man sich ernst- 
lich mit dem Losbrechen; man legte weite Pläne vor, holte den Rath der deut- 

Digitized by Google 



sehen Junten ein, welche Form der künftigen Verwaltung zu geben sei; aber 
Niemand bestimmte weder den Tag noch den Ort. Die polnischen Verschworneu 
sandten ihre Delegaten an die russischen, aber in diesen Einversländigungen hin- 
terging man einander von beiden Seiten. Die Polen verheimlichten nicht gegen 
ihre Vertrauten, dass es sich bei ihnen nur darum handelte, in Russland die Un- 
ordnung zu entzünden und danu den guten Augenblick zu benutzen ; die Russen ver- 
trauten ebenfalls ihren Freunden an, dass, wenn sie den Polen gleich Unabhängig- 
keit versprächen, sie doch, so bald sie ihre Dynastie gestürzt, augenblicklich 
daran denken würden, Polen in ihrer Hand zu behalten. Ja nicht einmal unter 
den Russen selbst war Einigkeit. Der sogenannte nordliche Verein wollte sich 
des südlichen entledigen. Auf der andern Seite dachte wieder Pestel, eines von 
den Mitgliedern, das im Süden die grösste Rolle spielte, lange hin und her, wie 
er sich die Petersburger Rädelsführer vom Halse schaffen möchte. So täuschten 
sogar die Russen einander selbst; denn die ganze Verschwörung beruhte auf einer 
negativen Idee, auf dem Hasse. Niemand sagte, was er gut heisse, was er wün- 
sche; Niemand bezeichnete den Menschen, der die ganze Sache leiten; Niemand 
wollte den Tag bestimmen, an dem man losbrechen sollte; aber dennoch verrieth 
Niemand. Der Verräther und der Denuncianl war ein Fremdling, ein Engländer 
mit Namen Sherwood, welcher, zu der Verschwörung beigezogen, berechnete, dass 
er mehr gewinne, wenn er sie verrathe, als wenn er ihr treu bliebe, und so 
schrieb er Alles an Witt. — Der Graf Witt, der Sohn eines polnischen Gene- 
rals von einer griechischen Muller. der selbst uicht wussle, zu welcher Nation er 
gehöre, zu welchem Glauben er sich bekenne, war ein wahrhaftiger Repräsentant 
der Parlhei der Ausländer, welche sich in Petersburg eingenistet hatten. Er führte 
damals das Hanplslcuerruder der Polizei in den südlichen Gouvernements und halte 
bereits vor dem Berichte Sherwoods Nchrichl von der Verschwörung, welche ihm 
ein Agent gegeben, den kein amtliches Schreiben, noch das Erkenutniss des Ge- 
richts von seiner schlechten That freizusprechen im Stande ist. Dieser Verräther, 
ein Spion, gewandter als alle bekannten Helden dieses Geschlechtes, hiess Boschnjak. 
Nachdem er früher wegen Diebstahl und verschiedener anderer schlechten Streiche 
Öfters eingezogen worden war, wurde er später wieder herausgelassen und heim- 
lich zum Collegialassessor ernannt; gewöhnlich galt er für einen Literaten und 
begleitete Witt unter dem Namen eines Naturalisten überall hin. Er sprach ge- 
läufig alle Sprachen, drängte sich in alle Gesellschaften und wusste den Leuten 
geschickt ihre Geheimnisse zu entlocken. Durch diesen über Alles in Kenntniss 
gesetzt, beeilte sich Witt jedoch nicht, die Regierung darauf aufmerksam zu ma- 
chen; denn von der einen Seile kannte er Arakczejew zu gut, der damals an der 
Spitze der Geschäfte stand; von der andern Seile wusste er genau genug, was die 
Absichten und welches die Mittel der Verschworenen waren. Allein die Anzeige 
Sherwoods zwang ihn, einen Bericht nach Petersburg zu senden. Es geschab das 
in dem Augenblick, wo der Kaiser Nicolaus auf den Thron stieg. Die Verschwo- 
renen sahen sieb gezwungen, alle die schauderhaften Mittel in Bewegung zu setzen, 
wie sie in Russland seil den Zeilen des Pseudodimiler vorgekommen waren, selbst nicht 
die Tendenzen der Dolgoruki ausgenommen. Nuu ward es nolhwendig, Jemanden aus 
der kaiserlichen Familie zu nehmen und ihn unter dem Schulze seines Namens auf 
den Thron zu heben. Kaum hatte sich also die Nachricht verbreitet, der Care- 
wiez Konstantin habe der Krone entsagt, so erfasste man diese Gelegenheit und 
beschloss zu den Waffen zu rufen im Namen des Grossfürsten Konstantin. Wäre 
dieser zufällige Umstand nicht eingetreten, so hätte sich die Verschwörung noch 
andere zehn Jahre in die Länge gezogen, ohne auszubrechen. Allein auch dieses 
war Täuschung; denn Niemand halte die Absicht, den Fürsten Konstantin zum 
Grossfürsten auszurufen. Daher kam es auch, dass die Begeisterung so bald er- 
losch. Was dann weiter daraus entstand, ist bekannt. — Der Kaiser Nikolaus 
halte gar keine Idee von einer Verschwörung in Petersburg und war der Meinung, 
dass einige Bataillone nur aus eigenem Antriebe nach seinem Bruder gerufen hätten. 
Diese Unwissenheit war auch der Grund, dass er mit so kaltem Blute den Vcr- 

SUw. Jahrb. I. 7 

Digitized by Google 



50 



schworenen entgegentrat, sie mit einer überlegenen Macht umschloss und mit eini- 
gen Kartetschenschassen das ganze in Frieden brachte. Mittags versuchte Murawiew 
eine neue Bewegung, aber sie misslang ebenfalls; ja die Verschworenen kämpften 
sogar selbst gegen einander, denn diejenigen, welche sich in der Abtheilung des 
General Geismar befanden (dieser zog den Anführern entgegen), hofften von einer 
unbegreiflichen Furcht hingerissen sich selbst Amnestie zu verdienen, wenn sie ihre 
Genossen aufopferten und über sie siegten. Allein General Geismar vergab Keinem. 

Auf diese Weise endete eine Verschwörung, die in der edelsten Absicht den 
Zustand der slawischen Völker zu verbessern hervorgerufen, aber nicht im Stande 
war, die feste Stütze einer einzigen Grundidee zu finden. Biese geheimen Ver- 
bindungen bestanden aus der edelsten, thatigslen, feurigsten und vortrefflichsten 
Jugend Rasslands. Niemand von ihnen halle Frivalrache oder Gewinnsucht vor 
Augen. Alles Krumme, Falsche in den Schritten, welche die Verschwörung machte, 
hatte seinen Ursprung nicht im Herzen der Leute, die ihr angehörten, sondern in 
der falschen, negativen Idee. 

Puschkin wurde durch ein Wunder bei allem diesen Unglück gereitet. Er 
war damals auf dem Lande, und als er Nachricht von dem Tode des Kaiser 
Alexander erhielt, eilte er in die Hauptstadt. Da begegnet ihm auf der Strasse 
ein Hase, was ihn schon unangenehm berührte; denn er glaubte an Anzeichen und 
bei den Slawen ist ein solches Begegnen ein schlimmes Zeichen. Allein er fuhr 
weiter, aber in wenigen Minuten begegnete er wieder — ein noch schlimmeres 
Anzeichen — ein altes Weib; endlich nach einer Weile einen Popen. Da schleu- 
derte sein Kutscher die Peitsche auf den Boden, stürzte auf die Knie und bat und 
beschwor den Herrn, er möchte umkehren. Puschkin erhörte ihn. Spater erzahlte 
er diese Geschichte öfters, halb im Scherz halb im Ernst; sicher aber bleibt es, 
dass er dem seine Rettung verdankte; denn sonst wäre er wie viele seiner Freunde 
zu Grunde gegangen oder wie einige Wenige in die sibirischen Bergwerke gekommen. 

Das traurige Ende der Verschwörung hatte indess einen ganz unvorteilhaften 
Einfluss auf den Geist Puschkins; es benahm ihm seine Entschlossenheit und glü- 
hende Begeisterung. Von da an beginnt sein Fall. Noch gesteht er vor sich sel- 
ber es nicht ein, dass er geirrt; aber schon sieht man das an seinen Dichtungen. 
(Aus dieser Zeit sind folgende Verse, die uns ebenfalls Herr Wolfsohn initlheüle 
und welchen man wohl eine tiefere Bedeutung beilegen muss: 

Wohl überm Kelch der Rose 

erhebt den Wonneschall 
in stillen Frühlingsnächten 

im Hain die Nachtigall. 
Nicht hört's die zarte Rose 

in Schlummer eingewiegt, 
wie auch der Klang der Liebe 

sich lispelnd um sie schmiegt. 

Ob Du nicht auch, o Dichter 

um kalte Schönheit singst?! 
Ermanne Dich und fühle, 

wem Du die Lieder bringst. 
Sie hört Dich nicht, sie ahnt nicht 

Dein lieberglühend Leben 
Du siehst — sie blüht; Du rufest: 

Sie kann nicht Antwort geben.) 

Manchmal in vertrauter Gesellschaft verlachte er sogar seine früheren Freunde 
oder wenigstens ihre Ideen und Grundsätze; übrigens war es sein offener und 
heisser Wunsch, den Kaiser zu hassen, aber er wusste nicht, wie er einen Grund 
zu diesem Hasse herausbringen könne. In Kurzem fing man an, ihn des Verraths 
zn beschuldigen. Der Kaiser Nikolaus liess ihn zu sich rufen; seit Rossland Rnss- 

Digitized by Google 



51 



land ist, geschah dies das erstemal, dass der Car mit einem Menschen sprach, 
dem keine Rangstufe das Recht zu diesem Vorzüge gab. Nicht genug daran, der 
Kaiser erklärte Puschkin auch, warum er so den Thron bestiegen; er sagte, es 
scheine ihm, dass Russlaud ibn nicht dulden wolle, weil es meine, er habe den 
Grossffirslen Konstantin voin Throne gestossen; er rechtfertigte sich gegen diesen 
Vorwurf; er lud und munterte Puschkin dringend auf, dass er mehr schreibe und 
bedauerte sein Stillschweigen. „Wenn Du Dich vor der Censur fürchtest, so werde 
ich selbst Dein Censor sein", sprach er zu ihm. Puschkin empfahl sich, tief er- 
schüttert. Er erzahlte seinen ausländischen Freunden, denn den Russen wagte er 
nicht das zu bekennen, dass, wie er den Kaiser gehört, er nicht im Stande ge- 
wesen, ihm zu widerstehen. „Ach wie möchte ich ihn hassen, wiederholte er, 
allein was ist zu thun, warum sollte ich ihn hassen?" Von diesem Augenblicke 
an wurde er gewissermassen prosaischer in seinen Gedichten und verspottete den 
Enthusiasmus, das Philosophenwesen und den Liberalismus. Man schrieb und be- 
hauptete, er habe sich der Regierung verkauft; das erfüllte mit Bitterkeit seine 
Seele; er fing an, das Publikum zu hassen, schleuderte die giftigsten Epigramme 
gegen OefTenllichkeit und gegen seine Feinde. Er kam sich vor, wie verlassen 
und verralhen von seinen Freunden und band mit der ganzen Welt an. 

Allein er und die OefTenllichkeit hatten ihr Recht Die Oeffentlichkeit verliess 
ihn nicht aus Rache oder Zorn, sondern weil sie in ihm nicht ihren Stützpunkt 
mehr fand. Sic wollte in ihrem Lieblingsdichter den Führer ihrer eigenen Mei- 
nung haben; sie sagte zu ihm: „Du versprachst in deinen ersten Dichtungen eine 
blutige Verschwörung und sie ist erfolgt; du sagtest später voraus die Entzaube- 
rung, den Fall unserer heissen Phantasien, des romantischen Schwunges ; und alles 
das ist wahr geworden. Aber was kündest du uns nun an? Was haben wir zu 
thun, was zu erwarten?" Puschkin wusste darauf nicht zu antworten, er war 
selbst in Verzweifelung, und warf ebenfalls die Blicke nach rechts und links und 
fragte um sich herum; und wohin er blickte, sah er ein völliges Nichts. Alles 
was im Herzen der civilisirlen slawischen Gesellschaft sich vorfand, die politischen 
Ideen der edlen Jugend, die leidenschaftlichen Träume, die Byron ausgestreut, die 
Erinnerungen aus den alten Zeiten des Slawenthums: Alles halte er hervorgezo- 
gen und in poetischen Werken der Oeffentlichkeit vor die Augen gestellt; jetzt 
war es nothwendig, einen Schritt weiter zu thun, und dazu hatte er die Kraft 
nicht. Das erfüllte mit tiefer Bangigkeit sein Herz, und in allen seinen letzten 
Arbeiten schlägt die Trauer durch, die sein ganzes Herz umzogen. 

Aus dem Gesagten nun ersehen wir, wie und warum die neue russische Lite- 
ratur gerade so enden musste. In Wahrheit ist sie mit Puschkin gestorben. Ohne 
Widerspruch sind noch heut zu Tage in Russland Schriftsteller von Talent und 
hohem Sinn; aber es möge jeder Russe von gutein Glauben sagen, ob in ihren 
Schriften etwas sich vorfindet, was neu, was schlagend, was über Puschkin ^lände. 
Dieser Mann, gehasst, von den Parteigängern verschiedener Pariheien verfolgt, 
starb und liess ihnen freie Ställe. Wen aber sollen sie nun auf den verödeten 
Thron setzen? Wollen sie durch Witz ihn beherrschen? Puschkin ist witziger 
als sie alle. Wenn sie eine Ballade schreiben oder ein Sonett, so hat Puschkin 
schönere. Wohin sollen sie sich also wenden? Mit den Ideen, die sie haben, 
können sie auch nicht einen Schritt vorwärts machen; die russische Litera- 
tur ist also jetzt auf lange Zeit abgeschlossen. — So weitMickiewicz; 
seine Auffassung Puschkin's ist eigenlhümlich und neu; und wenn die Höhe, auf 
welche er ihn stellt, ihn verleitete, mit seinem Tode den Tod der russischen 
Literatur unzertrennlich zu verknüpfen: so zeigt das, wie hoch er seinen Freund 
zu schätzen weiss, wird aber schwerlich den Beifall der russischen Literaten und 
Literar- Historiker finden. Man vergleiche damit den folgenden Artikel. 



Digitized by Google 



5fc 

fc. Gegenwärtige Uichtung der russischen Mjiieratur. 

UTach Prof. Schewirjew. 

Das ersle Heft des vom Prof. Pogodin herausgegebenen Moskwiljanin enthalt 
einen Artikel von dem durch seine kritischen Arbeilen, besonders durch seine Ge- 
schichte der Poesie rühmlichst bekannten Prof. Schewirjew in Moskaw, aus wel- 
chem wir seiner Tüchtigkeil wegen das Interessanteste hier mitlheilen. 

In der ersten Abiheilung seines Artikels gibt Prof. Schewirjew eine kurze 
Skizze der Geschichte der russischen Literatur; er zeigt, wie sich dieselbe aus 
dem kirchlichen, dem dynastischen und dem nationalen Elemente Kuss- 
lands allmählig in der vorliegenden Gestalt entwickelte und unter ihren Chorfüh- 
rern Lomonosow, Karamzin und Puschkin von der einseitig- höfischen Richtung zu 
der allgemein europäischen Bildung sich erheben, dann aber wieder als zu ihrem 
Schlussstcin zu der rein nalionalcn Eigentümlichkeit zurückkehren mussle, wenn 
sie den Bedürfnissen und Erwartungen der Nation irgendwie entsprechen wollte. 
Nachdem er so den Gang näher bezeichnet, den die russische Literatur bis auf 
Puschkin und die Gegenwart genommen, geht er auf ihren gegenwärtigen Znstand, 
auf ihre nächsten Aussichten und Hoffnungen über. Seinen umfassenden Gegen- 
stand theilt er in fünf Theile ein; im ersten stellt er den gegenwärtigen Stand 
der russischen Sprache und des Styles dar, im zweiten giebt er eine Skizze der 
Thätigkeit der russischen Dichter und ihres Strebens nach Originalität, im drillen 
stellt er ein Bild der Prosaiker, besonders der Roman- und Novellenschreibcr auf, 
im vierten zeigt er den Einfluss der Ausländer auf die russische Literatur, im fünf- 
ten endlich entfaltet er ein allgemeines Bild der Civilisation in Russland überhaupt. 

Bei der Behandlung des ersten Theiles wirft sich der Verfasser folgende drei 
Fragen zur Beantwortung auf: In welchem Grade hat sich die russische Sprache 
in der Gegenwart entwickelt? was verspricht sie für die nächste Zukunft? und 
welche Mängel muss man ihr gegenwärtig zur Last legen? 

Zur Beanlworlung dieser Fragen ist es nolhwendig, den Einfluss zu unter- 
suchen, den Karamzin auf die russischen Schriftsteller ausgeübt hat und noch 
ausübt. „Zwölf Jahre sind verflossen, sagt Schewirjew, seit der letzte Band der 
Geschichte Karamzin's erschienen; und ich frage alle gegenwärtigen Schriftsteller, 
alle, welche für die jetzige Literatur arbeiten: wer war ihr Lehrer, nach wessen 
Muster hat ihr Styl sich gebildet? In der That, es können Veränderungen ein- 
getreten sein , in Folge des persönlichen Charakters eines oder des andern Schrift- 
stellers, zu Folge der Art ihrer Schöpfungen; es können Neuerungen stattgefunden 
haben im Gebrauche einiger einzelnen Wörter: aber lernet unterscheiden, ihr Män- 
ner, die zufalligen Abweichungen im Style von den allgemeinen Formen der Spra- 
che, welche immer noch dieselben bleiben und sich nicht verändern konnten, seit 
sie einmal festgestellt durch Karamzin. In dem einen Schriftsteller sieht man das 
fröhliche, üppige Spiel der Phantasie, in dem andern glüht ein starkes Gefühl, 
in dem dritten ist Alles erstarrt zu eisiger Kälte durch die Idee; alle diese indi- 
viduellen Zeichen spiegeln sich bei Jedem ab in dem Charakter seines Styls; ein 
nationcller Roman, ein? wellliche Erzählung, ein provinzielles Lustspiel, Volks- 
sagen, ein gelehrtes Buch mit der Prätension neue Gedanken zu verbreiten, eine 
gelehrte Abhandlung, ein Journalartikel, das Feuilleton eines Tageblattes, können 
nicht in einem und demselben Styl geschrieben seyn, aber sie können mit einan- 
der übereinstimmen in der Gleichheil der Sprach formen. Ich frage die 
Geschlechter, welche jetzt herangezogen werden: welchen Meister werden sie sich 
auswählen unter den vorhandenen Schriftstellern, wenn sie eine bessere Sprache 
bilden wollen, statt der in classischen Formen entwickelten, welche ja doch das 
Eigenthum aller Gebildelen seyn soll? Was für ein Musler werden sie nehmen, 
die Geschichte Karamzin's, oder eines von unseren bogenreichen Journalen? Ich 
frage, bei wem haben unsere anderen Lehrer: Zukowski, Baljuschkow, Puschkin 

Digitized by Google 



53 



ihren Unterricht empfangen? Ich frage, kann Jemand, der die Geschichte Karam- 
zin's nicht gelesen und seinen Styl nicht kennen gelernt hat, kann er mit Recht 
Anspruch machen auf den Namen eines Schriftstellers, oder in den gelehrten Kreis 
unserer jetzigen Literaten gehören wollen? — Ja, Karamzin wird noch lange 
unser Lehrer bleiben in der russischen Prosa, er ist der erste Künstler und Mei- 
ster in ihr, wie Puschkin im russischen Verse. Um den gegenwärtigen Zustand 
unserer Sprache aufzufassen, muss man von den Arbeiten dessen beginnen, dessen 
Namen die gegenwartige Periode führt. Diese Untersuchung überzeugt uns, dass 
gegenwärtig immer noch die Ton Karamzin aufgestellten Grundsätze entwickelt 
werden, mit Hinzugabe vielleicht eines neuen Zeichens, welches aber nur die 
Folge der Richtung ist, welche er der Sprache gegeben; anderseits aber lernen 
wir auch einsehen, dass die von Karamzin in den letzten Jahren seines Lebens 
aufgenommenen Grundsätze eine allzugrosse Vernachlässigung finden. 

Der Hauptgrundsatz in der Entwicklung unserer Sprache ist bei allen unsern 
Schriftstellern immer noch die Annäherung der Schriftsprache an die Umgangs- 
sprache; wem gehört nun dieser Grundsatz ursprünglich an? Einige Journalisten 
schrieben, von ihrem Stolze verleitet, eitel genug diese Erfindung sich selbst zu; 
allein sie konnten nur jene Leser täuschen, denen die Geschichte der russischen 
Literatur unbekannt war. Karamzin war der erste, welcher es zu einem Gesetze 
des russischen Slvls erhob, „zu schreiben, wie man spricht"; aber er setzte auch 
gleich die notwendige Warnung hinzu: „und sprechen, wie man schreibt." Jene 
Journalisten, welche die Idee* Karamzin's für ihr ■ Eigenthum erklärten, verderbten 
seinen Grundsatz dadurch, dass sie blos die erste Hälfte desselben annahmen. 
Die gegenseitige Annäherung der Schrift - und Umgangssprache grfiudet sich auf 
die gegenseitigen Rechte der einen wie der andern; auf Seiten der Umgangs- 
sprache steht der Ursprung des Lebens und aller Bewegung, auf Seilen der Schrift- 
sprache der Ursprung des Geschmackes und jeglicher Kunst, gebildet durch das 
Gefühl des Schönen und die vernunflmässigc Idee. Die Schriftsprache schöpft ihr 
Leben, ihr Material aus der Umgangssprache, aber dafür giebl sie dieser Ge- 
sct.mark, Schönheil und Idee zurück. Die Umgangssprache gehört Allen und Je- 
dem, die Schrillsprache ist das Eigenthum einiger Auscrwählten , die berufen sind, 
für ihre Nation zu denken und die innerliche Ahnung derselben auszusprechen; 
diese Auserwählten sind die Schriftsteller. Karamzin war der Erste, welcher den 
wahren Zusammenhang der jSchrifl- und Umgangssprache begriff und die nothwen- 
dige gegenseitige Abhängigkeil derselben feststellte ; dies ist die erste Thal, wel- 
che ihm Niemand absprechen wird. — Der zweite Grundsatz, nach welchem sich 
die russische Sprache gegenwärtig entwickelt, ist die Annäherung derselben zu 
jenen europäischen Sprachen, welche in ihrer Conslnikliou das Sprechen 
mit der Schrift verbinden und in dem Sprechen eine einfache und natürliche Ord- 
nung einhalten. In dieser Hinsicht sind wir die klügsten Eklektiker. Die Deutschen 
überragen uns durch die Idee: und wir athmen nur deutschen Geist, fühlen mit 
der deutschen Philosophie und Poesie, und haben sie zu unsern Führern in der 
Wissenschaft erwählt; wir nehmen ohne Unterschied die Tennini an, welche un- 
serer Sprache durch sie zufliessen. Aber trotz dem unterliegen die Formen unse- 
rer Sprache, der Charakter der russischen Ausdrurkswcise, nicht im Geringsten 
dem deutschen Einflüsse; ja er ist uns sogar zuwider. In dieser Hinsicht halten 
wir es bei Weitem mehr mit jenem Volke, dessen Art zu denken am wenigsten 
Einfluss hat auf die unsrige. In der Thal , es ist eine merkwürdige Erscheinung, 
dass wir deutsch denken und französisch uns ausdrücken; das spricht zum Vor- 
tlieil für unsern guten Eklektismus und gibt uns die Hoffnung, dass wir endlich 
auch noch dahin kommen, russisch zu denken und zu sprechen. Wer war es 
nun wieder, der zuerst unsere Schriftsprache mit diesen europäischen in Verbin- 
dung brachte? Derselbe Karamzin. Er erhielt die Sprache aus den Händen Lomo- 
nosow's in Gestalt einer langen Periode nach lateinischem Masse zugeschnitten 
und in eine rhetorische Figur verwandelt. Diese Form stand der deutschen viel 
näher, als den übrigen europäischen Sprachen. Bei Karamzin nun erschien die 



Digitized by Google 



54 



russische Sprache zum ersten Male in der Gestalt der leichten neueuropäischen 
Diclion. Das rassische Volk Terhüllt seine Gedanken mit einer erstaunenswerten 
Leichtigkeit unter bestimmte Sprachformeln und macht in seiner Rede die gewand- 
testen Wendungen. Die Deutschen, welche ihre Sprache nach dem Muster der 
künstlichen Lateinischen bildeten, können bis auf diesen Augenblick von ihren lan- 
gen, gedehnten Perioden nicht lassen und vermögen trotz aller Bemühung, die 
leichten französischen Formen in ihrer Rede einzuführen, diese Riesenarbeit nicht 
durchzusetzen; selbst Gölhe war nicht im Stande, die harte Form überall zu be- 
siegen. Wir dagegen haben uns so leicht und so natürlich von der figurirten la- 
teinischen Periode losgesagt, welche — wir müssen es gestehen — einst zur Aus- 
bildung unserer Sprache nolhwcndig war und ihr zu ihrer Zeit grossen Vortheil 
brachte. Nach unserer Ansicht nämlich mussle unsere Sprache notwendigerweise 
die Periode Lomonosow's durchwandeln, denn sie hatte ohne dieselbe sich nie iu 
dieser wohlgeformten, harmonischen und freien Gestalt zeigen können, die ihr Ka- 
ramzin gab. Demzufolge äussert die französische Prosa mehr als jede andere ih- 
ren Einfluss auf die russische. Nach den Franzosen und Engländern sind wir die 
ersten Romanschreiber in Europa und sind in dieser Hinsicht den Deutschen weit 
vorangeeilt: der beste Beweis dafür, was wir oben behaupteten. 

Karamzin zeigte uns in den letzten Zeiten seiner Herrschaft noch ein ande- 
res Element, das wir aber nicht mit solcher Wärme annahmen, wie wir es hatten 
thun sollen. Bekanntlich nahm Karamzin im russischen Styl zwei Grundsätze auf, 
wie wir sie oben auseinandersetzten. Aber auf diesem Wege stiess er auf einen 
kräftigen Gegner in Schischkow, der, wie der alte Calo vor das neue Geschlecht, 
das dem westlichen Einflüsse erlag, sich stellte und den in sich hervorgerufenen 
Geist des alten nationalen Slawenthuins ihm entgegenstemmte. Dadurch rief er uns 
eben zur gelegenen Zeil unsere alte reiche Schatzkammer ins Gedächlniss zurück, 
auf welche zuerst Lomonosow hingedeutet hatte, und erzeigte durch seinen heftigen 
Widersland, trotz dem scherzhaften Spott des jüngeren Geschlechtes, der guten 
Sache einen grossen Dienst Karamzin zog Nutzen aus seinen Warnungen; denn 
als er sich daran machte, das Leben unseres alten Vaterlandes zu schildern, als 
er zu diesem Zwecke alle Denkmäler der slawisch - russischen Literatur durch- 
ging: da entdeckte er neue, noch unberührte Schatze und fing an, mit dem ihm 
eigentümlichen Geschmacke die russische Sprache, wie er sie selbst herausgebil- 
det, mit denselben auszuschmücken. Von Band zu Band verwandelt sich allmäh- 
lig die Sprache in der Geschichte des russischen Reiches und allmählig zeigt sich 
der ganze Reichthum derselben. So geschah mit dem Styl Karamzin's dasselbe, 
was mit der ganzen neuen Umgestaltung Russlands allmählig geschehen muss. 
Sein Styl entfernte sich immer mehr von der europäischen Grundlage und ward 
immer eigentümlicher und nationaler in dem Maasse, wie sich Karamzin in die 
allrussische Literatur hineinlas: ein Gleiches muss mit unserer neuen Bildung ge- 
schehen, nach Massgabe dessen, wie wir, durchzuckt von dem europäischen Prin- 
eip, tiefer eindringen werden in die Kenntniss unserer selbst. Bekannt ist es, dass 
Karamzin gegen das Ende seines Lebens seine frühere Weise, über das alte Russ- 
land zu denken, in vielen Punklen durchaus geändert hat. So ist dieser Schrift- 
steller nicht nur durch seinen Styl, sondern auch durch den Charakter seiner in- 
neren Entwickelung bis auf diesen Augenblick der Repräsentant unserer gegen- 
wärtigen Cultur; daher ist eine Darstellung seines Lebens eine unbedingte Not- 
wendigkeit, denn mit ihm beginnt ein grosser Umschwung in der Richtung, welche 
Russlands Bildung eingeschlagen. — Dieses Zurückwenden zu den altslawischen 
Quellen bei Karamzin wurde in unserer Literatur bisher weder verstanden, noch 
gehörig gewürdigt. Von allen Schriftstellern betrat der einzige Puschkin densel- 
ben mühsamen Weg nach ihm; mit gleichem Fleisse sludirte er nach dem Beispiele 
seines gefeierten Lehrers die Denkmäler des alten Russenthums. Von den lebenden 
Schriftstellern hat der einzige Lazecznikow in seinem „Bisurman" sich mit Glück 
desselben bedient und ein schönes Beispiel gezeigt, auf welche Weise die Dar- 
stellung des allen Lebens der Russen ein Kunstwerk sein kann mit Hülfe unserer 



Digitized by Google 



alten Sprachdenkmäler. Uebrigens darf man nicht vergessen, dass gerade dieser 
Grundsatz in der russischen Literatur am Wenigsten durchdrang. 

Die gewöhnliche Unigangssprache, die neueuropäischen Formen der westlichen 
Ausdrncksweise, der Wohlklang und das Gesangartige der russischen Sprache, 
endlich der grosse Schatz der altrussischen Literatur: das waren die Elemente, 
aus denen sich die Sprache Karamzins entwickelte. In der Neuzeit ist dazu noch 
das Bestreben gekommen , auch die langvergessene Quelle der gesprochenen Volks- 
sprache dem Schatze der Schriftsprache einzuverleiben. Diese Tendenz stellte sich 
klarer heraus seit den Zeilen Puschkins, welcher zuerst als Künstler die Aufmerk- 
samkeit auf die russischen Lieder und Sagen wandle und die Volkssprache für 
eine Quelle der reinen ausgewählten Sprache erklarte. Vor Puschkin zeigte sich 
diese Richtung schon in den Mahrchen Krylows; allein dieser blieb einseilig, weil 
er sich auf einen zu beengten Raum der Poesie einschränkte. 

Dieser allgemeine Anstrich der Prosa Karamzin's erschien Anfangs als mo- 
noton, besonders als sie auf einen Haufen von Literaten überging, welche kei- 
nen bestimmten Charakterzug hatten. Sie rief unabänderlich Gegenbestrebungen 
hervor. Es erschien ein Schriftsteller, ausgestaltet mit lebendiger Phantasie und 
noch mehr mit scharfem, glanzenden Witz. Er begann die einfache glatte Sprache 
Karamzin's mit allerhand bunten Flecken auszustaffiren. Nach den classischen, 
slrenggeformten , ausgeprägten und vollendeten Gestalten, wie sie durch den Cha- 
rakter der Gleichmassigkeit bei Karamzin sich geltend machten, erschien eine 
solche buntscheckige Sprachform sehr anziehend. Den Glanz der aufgeputzten 
Phrasen nahm man für Feuer, für Lebendigkeit, für Kraft und die Uebertreibung 
für Offenbarung der Seele. Das ist der Grund der ersten und schnellen Einwir- 
kung Marlinski's, welcher nun der Gegner der classischen Schule Karamzins wurde. 
Seine Fahrt nach Rewel, seine ersten Erzählungen und der Ueberblick der Litera- 
tur, alles im Nordstern abgedruckt, nahmen die ganze Aufmerksamkeit der Lese- 
welt in Anspruch. Diese Kunst, Alles nicht auf gewöhnliche Weise, sondern ir- 
gend anders wie auszudrücken, fand ungewöhnlichen Beifall; seine Vergleichungen 
waren schlagend, aber nicht aus wahrer Nachahmung der Natur, nicht wegen ih- 
rer Schönheit, sondern wegen ihrer Heftigkeit und Sonderbarkeit. Das Schicksal 
wollte, dass dieser Schriftsteller — ohnedies so geneigt zu gesuchten Redensar- 
ten — nach dem Osten geworfen wurde. Hier unter dem Einflüsse des asiati- 
schen Geschmackes, welcher alles bis ins Unendliche vergrössert und übertreibt, 
erlangte die Weise Marlinski's ihren höchsten Gipfel. Aber die Mode der bunten 
Ausstaffirung und der Aufgeblasenheit musste vorttbergehn ; und so geschah es auch, 
besonders seit die Muse Puschkin's sich vom Verse zur Prosa wandte und die 
russische Sprache zu jener reinen, durchsichtigen und wunderbaren Einfachheit 
erhob, welche selbst die Schlichtheit Karamzin's übertraf. Gegenwartig hat Mar- 
linski allen Reiz verloren, höchstens wirkt er noch auf die unerfahrene Jugend, 
welche über seinen Styl bisweilen entzückt ist und dann ihre Sprache so frisirt, 
wie ihr Kopfhaar. — Bei allen seinen Mängeln besass Marlinski dennoch seine 
besonderen Schönheiten, die ihm Niemand absprechen kann, besonders wenn er sich 
nicht zum Witze zwang und das Exlrem vermied. Seine Originalität konnte höchst 
erheblich wirken für seine Feder; sowie bisweilen der Schnitt eines Kleides, ob- 
gleich von sonderlicher Form, doch einem Menschen gut ansieht, während er für 
Niemand anderen passt. Aber solch einen Schriftsteller nachzuahmen, ist ein Un- 
glück; da entgeht man nie der Schlinge. Und dennoch hatte auch Marlinski ei- 
nen Nachahmer, welcher seinen Styl bis zu der äussersten Stufe der Karrikatur 
übertrieb. Das war der Baron Brambeus (Senkowski). — Wenn ein Ele- 
gant in einem sonderbaren Anzüge, welcher ihm jedoch bei seinem originellen 
Aeusseren gut ansteht, über den Boulevard geht, so erscheint dann leicht ein An- 
derer mit mancherlei Zusätzen und Anhangsein, eine ausgesuchte Copie des Ersten: 
und das ist die Geschichte des Baron Brambeus, welcher dem Marlinski Schritt 
für Schritt nachfolgte und, indem er seine Sucht nach Extremen bis zum non plus 
ultra übertrieb, dadurch der Literatur den Dienst erwies, dass nun niemand An- 



Digitized by Googfe 



56 



«lerer versuchen konnte, weiter zu gehen. So richtete Brambeus, selbst ein Zög- 
ling des Marlinski, die Schule desselben rettungslos zu Grunde. Durch einen be- 
sonderen Zufall befand sich der Lehrer aus Eigensinn des Schicksals im Oriente ; 
der Schüler selbst war Orientalist und Beide liebten die Schwülsligkeil , Beide 
musslen also in Asien lernen, diese unglückliche Eigenschaft bis ins äusserstc 
Extrem zu treiben. — Die russische Sprache stellte unter der Feder des Baron 
Brambeus die allersonderbarsle, vielgestaltige Mischung verschiedener Apparate dar. 
Die falsche Schwülsligkeit, von Marlinski übernommen und in das Grenzenlose 
übertrieben, war ihr Hauptmerkmal. Da fand man Arabismen, Persismsn, Tur- 
cismen, Tatarismen, Polonismen, Gallicismen, Anglicismen; alles das fortwährend 
ausgeschmückt mit Fehlern gegen die russische Sprache, mit unzähligen Epitheten 
und Einschiebswörlchen aller Art ä la Jules Janin, versetzt mit etwas Salz, nur 
nicht mit attischem, und übergössen mit dem Essig eines giftigen Scherzes. — 
Diesen Mischmasch stellte man uns dar als dem Geschmacke des Landes entspre- 
chend, tractirle damit das ganze lesende Publikum; und in dieser Sprache wieder- 
hallte über ganz Russland hin ein Journal, auf welchem die Namen aller russi- 
schen Literaten standen. Merkwürdig bleibt die geräuschvolle Erscheinung des 
Baron Brambeus in unserer Literatur; man könnte ihn mit einem langgeschweiflen 
Komet vergleichen, allein mehr dünkt er uns einem ungeheueren papiernen Dra- 
chen zu ähneln, welcher über den Strassen hinflaltert und Scharen von Neugie- 
rigen und Pflastertretern herbeizieht. — Der Styl der „Lesebibliolhek" glich ei- 
ner russischen Heerstrasse, wenn im Winter kein Weg gangbar ist; über eine 
sonderbare Mischung von russischem Schnee und westeuropäischem Kolhe zogen 
sich lange Reihen von Verbalien, Adjectiven, Verben und anderen Wortschnörke- 
leien lang und breit hin und verrammelten den ganzen Weg; verschiedene Parti- 
keln srhlüpflen wie leichte Schlitten ohne Ladung zwischen ihnen durch; mitten 
unter dieser ennuyanten und Überladenen Einförmigkeit erhob sich ein abgemager- 
tes, dürres Paar von Pronominen, „und erfreute das Volk in seiner narrenhaflen 
Beschirrung mit seinen Klingeln und Schellen; oben darauf paradirte der Baron 
Brambeus selbst, theils aus eigener Freude an der Sache, theils zur Unterhaltung 
des Publikums." — Dieses Schattenbild der russischen Literatur führt der Ver- 
fasser deshalb so weitläufig aus, weil Senkowski einen grossen Einfluss auf die 
besten russischen Schriftsteller ausübte. So sagt er von Grecz, „dass er, hervor- 
gegangen aus der Schule Karamzin's und nachdem er einige Jahre auf das Stu- 
dium der russischen Sprache verwendet, zuerst seine Sprache in ein grammati- 
sches System brachte und ihr eine Correctheit gab, wie sich alle seine früheren 
Schriften durch dieselbe auszeichnen; dass er aber später, wie er in literarische 
Verbindung mit der „Bibliothek" gekommen und sich gezwungen gesehen, die 
Correctur derselben zu lesen, sehr viel von seinen früheren Reizen verloren habe 
und einer unwillkürlichen Sprachverderbung um so mehr erlegen sei, als ihm die 
Grammatik, die er damals schon verlassen und vergessen hatte, nicht länger mehr 
zu. Hilfe kam." Solch einen Einfluss zeigte die „Bibliothek" auch auf andere. 
„Zukowski (so heisst es dann weiter), der älteste Schüler Karamzin's, verschmolz, 
so zu sagen, die Sprache seiner Poesie mit der prosaischen Sprache seines Leh- 
rers; in Zukowski, dem Prosaiker, sieht man immer und überall Zukowski, den 
Dichter; man sieht, dass es ihm viel Mühe gekostet, die ihm gewohnte Lyra zu 
verlassen und zu der gewöhnlichen Sprache überzugehen, in welch? er unwill- 
kührlich die Akkorde seiner poetischen Töne hineinklingen lässt. Zukowski ist 
der wahre Schöpfer der bei uns sogenannten poetischen Prosa, welche er durch 
sein tiefes, aus der Seele kommendes Gefühl belebte. Er ist auch in der Prosa 
Lyriker, seine „Madonna" und die „Gedanken bei Gelegenheit der Enthüllung der 
Denksäule für Alexander den Gesegneten" können ihrem Charakter nach unter die 
lyrischen Schöpfungen gerechnet werden. " — Wie Zukowski die Sprache Ka- 
ramzin's der Darstellung des freien Ergusses seiner Gefühle zuwandte, so wendete 
sie der Fürst Wjazemski, der Erste unserer Schriftsteller, der Darstellung aller 
der delikatesten und feinsten Schattirungen des forschenden Gedankens zu. Dieser 



Digitized by Google 



57 



Zug zeigt sich in seinen Kritiken und besonders in seinen Biographien, welche 
allemal den Charakter einer tief eindringenden, gedankenvollen Erzählung an sich 
tragen. Der Fürst Wjazemski vermag es nicht, einfach und schlicht hin ein Er- 
eigniss zu erzählen, einen Gegenstand zu beschreiben, nur seine Aussenseite zu 
berücksichtigen; bei seiner Erzählung, wie in der Kritik denkt er zugleich, und 
fühlt darüber. Er bildete bei uns zuerst jenen Styl aus, durch welchen früher 
Villemain glänzte und durch den sich gegenwärtig in der französischen Literatur 
Saint Beuve auszeichnet. Durch seine Biographie Vonwisins, die man bisher nur 
aus Bruchstücken kennt, gab er uns das erste Muster, wie man bei uns die Ge- 
schichte der russischen Literatur immer nur im Zusammenhange mit den socialen 
Leben, das in ihr sich abspiegelt, bearbeiten und darstellen müsse. — . Puschkin 
stellte in seiner Prosa den lebendigsten Widerspruch gegen die Prosa Zukowski's 
dar. Der Verfasser der „Madonna" trug sein poetisches Element in die Prosa 
Uber; Puschkin dagegen theilte seine Prosa durch einen sichtbaren Schnitt von 
seiner Poesie und benahm ihr jeden poetischen Schmuck. Er führte die Sprache 
Karamzin's auf die höchste Stufe der Einfachheit, wie man sich dieselbe nur den- 
ken kann. Nur der feine Geschmack Puschkins allein und die Erstaunen erregende 
Kunst, mit welcher er jede Form der Sprache beherrschte, waren im Stande, ei- 
nen so durchgreifenden Unterschied zwischen seinem Vers und seiner Prosa darzu- 
stellen. In seinen Erzählungen stellt er das eigenthümlichste Muster derselben auf; 
die Prosa Puschkin's ist ein Mädchen vom Lande, welches freiwillig allen über- 
flüssigen Schmuck von sich wirft und sich in dem einfachsten ländlichen Gewände 
zeigt, aber auch in diesem noch glänzt durch den ganzen Adel ihrer Wohlgestalt 
und feinen Erziehung. Das Beispiel Puschkin's ist natürlicher Weise nicht für 
Alle und Jeden; die Prosa unseres ersten, unseres Meistersängers konnte nur ihm 
allein und persönlich angehören. — Die Geschichte der Verschwörung Pugaczew's 
ist ein ganz neuer Versuch des historischen Styls; die Geschichte erscheint hier in 
den nackten Formen einer einfachen Erzählung. Ucbrigens ist das nur eine Probe, 
und das Buch berührt eine Person, bei deren Darstellung der Pinsel Puschkin's 
sich nicht entfalten konnte. — Der Erzählungsslyl Puschkin's fand einen ausge- 
zeichneten Nachahmer in Lermontow, diesem für die russische Literatur so 
frühzeitig verlorenen Talente. Das Schicksal dieses Dichters war durch eine wun- 
derbare Fügung in vielen Punkten mit dem Geschicke Puschkin's verknüpft; als 
wäre es vorher bestimmt gewesen , ward er in den ersten Zeiten seiner Enlwicke- 
lung der klare und vollständigste Abglanz unseres grossen Genius. Er ist ein 
Satellit, der augenblicklich mit der Erscheinung des Planeten zugleich auf dem 
Firmament erglänzte, aber auf demselben Wege und in demselben Gebiete wieder 
verlosch, weil er nicht im Stande war, selbst eine besondere Welt für sich zu 
sein. Niemand aus dem ganzen gegenwärtigen Geschlechte war berufen, die Kunst 
Puschkin's so in tiefer Seele aufzufassen und sie ganz sich anzueignen, als dieser. 
Mangel an Ererbung ist aber nicht etwa ein Vorwurf für das originelle Talent 
Lermonlow's , welcher keinen bessern Lehrer wählen konnte , aber leider nicht Zeil 
hatte, sich in dem ganzen Glänze seiner Seibstthätigkeit zu zeigen. Die Einfach- 
heit und die Vollendung der äusseren Form in seinen Erzählungen waren von sei- 
nem Lehrer auf ihn herabgekommen; ohne Zweifel hätte er in Folge der Zeit 
auch den Geist desselben ererbt. — Zagoskin stellte in seinen Juri Miloslawski 
das Muster eines nationeilen Styles auf ; die Redeweise des russischen Landmanns, 
wie man sie auf den Strassen und in den Dörfern aus dem Munde desselben hört, 
zeigte sich in der ganzen Kraft ihres Charakters und trug so bedeutend zu der 
Richtung bei, welche sich offenbar jetzt in unsrer Sprache zeigt Die Erzählung 
Zagoskins ist immer lebendig und gutmüthig heiter, es ist das ein heimisches 
Zeichen, welches die Leser immer an ihm lieben werden. Die Heiterkeil des Styles, 
bedeutet sie bei dem Schriftsteller etwas anders, als das Lächeln auf dem Antlitze 
eines guten Menschen, der in Gesellschaften beliebt ist? — Von Laiecznikow 
sprachen wir oben; hier wollen wir unsere Gedanken genauer ausdrücken. Er ist 
einer von den russischen Erzahlungsschreibern, welcher, den Fusstapfen Karamzin's 
si«w. Jakrb, i. 8 *■ 



Digitized by Google 



58 

folgend, als achter Künstler die Schatze von Altnissland benutzte and an sich das 
Beispiel gab, wie sie fruchtbringend auch für die Sprache sein können, wenn wir 
sie nur mit Geschick zu benutzen wissen. Wir haben noch nie in dein Style eines 
russischen Schriftstellers eine so erstaunliche Verwandlung gesehen, wie sie das 
russische Altcrthum durch seine schöne Diction in seiner Sprache hervorgebracht 
hat — Allzufrühe verlor unsere Literatur Denis Dawydow; er war unser Horace 
Vernet in der militärischen Prosa; mit den lebendigsten Farben zeichnete er die 
Schlachten, bald schritt er in wohlgeordneten Reihen auf und ab, dann fuhr er 
auf wie die flackernde Flamme und erdröhnte mit dem Donner des Geschützes, 
bald lagerte er sich wieder wie eine dichte Rauchwolke über das ganze Bild: 
in ihm wiederhallle die ganze wilde Harmonie der Schlacht. Das Schicksal ge- 
stattete ihm nicht, die Reihe der Kriegsbilder zu vollenden, die er angefangen. — 
Wir haben noch einen zweiten Schriftsteller, dessen Seele, genährt mit den Er- 
innerungen des denkwürdigen Jahres 1812, ihre Gefühle in entsprechender Weise 
ausdrückte. Das ist Glinka: das kräftige Gefühl für alles das, was Grosses, 
Schönes und Moralisches im Vaterlande ist, erwärmt seinen originellen Styl. Kaum 
erglüht seine Seele in diesem Style, so schmückt sich seine Sprache mit den 
strahlenden Funken überraschender Wendungen und Epiletha, Wir möchten wün- 
schen, dass das Andenken an unsern Ruhm recht oft seine feurige Seele ent- 
zündete. — Zu den eifrigen Nachfolgern Karamzins, welche besonders seinen Styl 
sich aneigneten und seine Grundsätze weiter zu verbreiten suchten, muss man auch 
Nikolai Grecz zählen. Er untersuchte, der Erste, die Sprache Karamzins, ent- 
wickelte aus ihr wissenschaftliche Regeln und führte in seinen ersten Arbeiten die 
grammatische Regelgerechtheit auf die sichere Stufe der Schönheit. Während 
Grecz mit allem Fleisse die Wissenschaft seiner Muttersprache bearbeitete und 
unter dem Einflüsse der guten Schule Karamzins selbsllhälig für dieselbe wirkte, 
beschenkte er neben seinen eigenen Schöpfungen die russische Literatur auch mit 
dem Style Bulgarins. Ja, Bulgarin ist, nach seinem eigenen Geständnisse, ein 
Schüler von Grecz; diesem verdankt unser Publikum den Verfasser des Wyzigin; 
der Styl Bulgarins ist eine überraschende Frucht der Grammatik Grecz's. Das 
Hauptmerkmal desselben ist die grammatische Regelgerechlheit und Vollendung der 
Form; sie gewahrt dem uns Verbrüderten, welcher bei uns und unter uns nicht 
mehr in seiner Muttersprache schrieb, eine genügende Verlheidigung und Be- 
schützung. — Bulgarin und Senkowski, Beide uns verbrüdert hinsichtlich der 
Sprache, schrieben Beide ehedem polnisch und schreiben jetzt russisch; sie Beide 
beweisen durch ihr Beispiel die Grundlosigkeit der Meinung jener, welche von 
dem Einflüsse der nahen Schwesterdialecle der russischen Sprache grosse Vor- 
theile für die Bereicherung derselben erwarten. Es ist merkwürdig, dass diese 
beiden Schriftsteller auch gar nichts aus dem Polnischen in das Russische hinein- 
trugen , was wir uns aneignen könnten. Bei dem Ersten von ihnen sieht man keine 
Spur des Polnischen; er wusste in seinen russischen Schriften seine polnische Ab- 
kunft vollkommen zu verbergen. In gewisser Hinsicht hat das seiner Originalität 
Eintrag gelhan, denn für uns wäre es weit angenehmer, in seinen Schriften den 
Polen wieder zu finden, der aber russisch schreibt. Bei Senkowski bemerkt man 
den Polonismus nur in der Gestalt von Fehlern gegen die russische Sprache, wel- 
che in einer unzulänglichen Kenntniss derselben ihren Grund haben; nicht aber in 
der Gestalt von kühn eingeführten Neuerungen, gegründet auf den freien und offe- 
nen Wunsch, die beiden verschwisterten Dialecte einander zu nähern. 

Ein anderes ist es mit einem zweiten uns durch die Sprache Verbrüderten, 
mit Osnowjanenko: er ist ein Kleinrusse, wenn er auch grossrussisch schreibt; 
und gerade das giebt ihm ein grosses Gewicht bei uns und grossen Reiz, denn 
es hat den grössten Einfluss auf die Originalität seines Charakters und bringt un- 
serer Sprache mancherlei Vortheile. Seine Sprache ist russisch, aber mit dem 
eigen thümlichen, kleinrussischen Accent, welcher einfach und gerade so, wie er 
aus der Seele sich entwickelt, unter seiner Feder sich beugt, so zu sagen noch 
warm, noch nicht abgekühlt, ohne sein südliches Coloril abgestreift zu haben. 



Digitized by Google 



59 



Es ist dies eine herzliche, eine ungeschminkte, eine einfache, biedere Sprache; 
die kleinrussische Naivität und Grazie verschmilzt unter seiuer Hand gar oft auf 
die geschickteste Weise mit der russischen Diction. In diesem Dialecte nämlich 
giebt es keinen so schlagenden Unterschied zwischen der Schrift - und Umgangs- 
sprache, Vfie sie seit jeher im Grossrussischen besteht; und darum kann die klein- 
russische Diction, welche von den Lippen unmittelbar in die Feder fliesst, ohne 
vorher nach den Regeln der feinen Kunst bearbeitet sein zu müssen, viel dazu 
beilragen, die grossrussische Sprache selbst einfach und schlicht zu machen; — 
und in dieser Hinsicht hat der thätige Osnowjanenko durch seine russische Schrei- 
beweise unserer Nationalität die mannigfaltigsten Yortheile gebracht. Die 

genannten Männer gehören grösslen Theils zu der älteren Schule, neben ihnen aber 
bildet sich ein junges Geschlecht von Schriftstellern, an deren Spitze Schewirjew 
den nationeilen Gogol stellt. Von seiner Schreibeweise sagt er: „Seine Sprache, 
wird von dem kräftigen Willen seiner Phantasie beherrscht und liebt nicht den 
grammatikalischen Zügel. Er hat sie auf die höchste Stufe des Colorils geführt: 
Gogol — ist unser erster Maler in der Diction ; seine Sprache — ein Pinsel ; 
seine Worte — eine unzählige Reihe der lebendigsten Farben auf einer polirten 
Platte; was wir nie gesehen haben, zeichnet er uns durch seine Ausdrücke so 
deutlich, dass es uns scheint, es stehe vor unsern Augen. Ueberdies hat er noch 
die grosse Gabe, die russische Umgangssprache zu hören und sich anzueignen, 
und dann, je nach dem Charakter, dem Gegenstande und dem augenblicklichen 
Gefühl der Personen, welche er uns vorführt, sie zu verarbeiten. — Drei Schrift- 
steller vertreten bei uns die Erzählung aus dem sozialen Leben und vermählen so 
unsere Schriftsprache mit der Sprache der besseren Gesellschaft; sie sind Pawlow, 
der Fürst üdojewski und der Graf Solohub. Pawlow schafft Kunstwerke und* 
pflegt seine schöne Diction, welche er aber despotisch der höheren Gesellschaft 
überantwortet; der Graf Solohub beobachtet auf den Lippen der höhern Gesell- 
schaften selbst die Sprache derselben mit aller ihrer lebendigen Schönheit und 
den lieblichen Mängeln; der Fürst Odojewski hält die Milte zwischen beiden, in- 
dem er in seinem Style die Kunst mit dem Leben verbindet." — Auch auf die 
weiblichen Schriftsteller kommt Schewirjew zu sprechen; besonderen Dank erlheill 
er den Damen, welche Kinderschriflen geschrieben. Denn vor ihnen wussle selten 
Jemand, wie man mit Kindern sprechen müsse. Welcher Mann wäre im Stande, 
die Schönheiten des Stylcs einer Ischimowa in ihren Erzählungen aus der russi- 
schen Geschichte, nachzumachen? Die Frau Sonnlag machte den schönen Slyl 
Karamzin's und Zukowski's selbst den kleinen Lesern versländlich und man kann 
behaupten, sie bildete den Styl für Kinderschriflen classisch aus. Ein feuriges 
religiöses Gefühl weht durch die Prosa der Madame Glinka, welche sich auch 
durch Dichtungen ausgezeichnet hat. Malerisch ist der Slyl der Madame Zeneidc R. 
in ihren Erzählungen. Eine liebliche Einfachheit zeichnet die Beschreibungen der 
Madame Zukowa in ihrem Roman Chopin - Schnjski aus. Madame Schischkinowa 
ragt besonders durch vortrefflichen Geschmack in der nationalen Schreibweise her- 
vor. Durch eine ungezwungene Diction steht die Feder der Madame Zrazcwska 
über den Andern. — Der Verfasser schliesst seine weitläufigen Bemerkungen über 
die russischen Schriftsellerinnen mit der einzigen W r arnung, Gott möge die Rus- 
sinnen vor der falschen und nichtigen Idee der Frauencmancipalion selbst in der 
Literatur bewahren, vor einer Idee, mit welcher der Westen so leicht Russland 
ansiecken könne. „Es wäre dies (sagt er) bei uns eine Parodie auf das bekannte 
Ballet der „Frauenaufruhr im Serail", und kein Reiz in der Welt, selbst der ei- 
ner Taglioni, in Sprache verwandelt, wäre im Stande, die Frau vor der Lächer- 
lichkeit zu retten , welche in Russland die revolutionäre Rolle einer literarischen 
Zulma spielen wollte." — Zum Schlüsse seiner Abhandlung bespricht Schewirjew 
noch die Schriftsteller, welche das nationale Element der russischen Umgangs- 
sprache besonders gepflegt haben. Die erslc Slelle nimmt hier Puschkin ein ; er 
hat zuerst auf diese Quelle hingewiesen; ihm folgt Pogodin, welchem der Ver- 
fasser jedoch bisweilen Mangel an Geschmack vorwirft; endlich Zagoskin. Aber 



Digitized by Google 



die Palme der Superiorität gebührt unter allen rassischen Romanschriftstellern 
ohne Widerspruch dem Dal' - Luganski. Er fühlte Sympathie für die Sprache, in 
welcher er aufgewachsen und erzogen war, aber er sah auch zugleich die Un- 
möglichkeit ein, dieselbe ohne Weiteres zur Schriftsprache zu erheben. So blieb 
ihm also nur das einzige Mittel, sich für einen russischen Mährchenerzähler aus- 
zugeben und uns so ein neues Bild dieser bereits vergessenen Umgangssprache zu 
zeigen — zuerst in dem künstlichen Gewände unserer, nationalen Sage. Aber in 
dem Masse, als sich das Talent dieses beachlungswerthesten Schriftstellers ent- 
wickelte, zeigte sich auch in seiner Erzählung und seiner Sprache eine ausser- 
ordentliche Veränderung. Auch früher schon hatte sich in der Erzählung unter 
einem phantastischen Schleier die tiefe Ahnung eines eigentümlichen russischen 
Wesens, einer neuen Welt, verborgen; allmälig aber bereicherte sich diese Ah- 
nung durch neue Erfahrungen und gedieh zu immer grösserer Reife, bis sie end- 
lich in eine erschöpfende praktische Ansicht von dem ganzen Wesen des russischen 
Volkes sich umgestaltete: und so entwickelte sich aus der phantastischen Erzäh- 
lung Dal'- Luganski's die schöne, tief innige russische nationale Erzählung, welche 
ein vollständiges und allseiliges Bild des häuslichen Lebens in Russland darstellt. — 
Den Schritten Dal' - Luganski's folgte Weltman in derselben Kathegorie. Er ver- 
einte in der Sprache seiner historischen Romane die Wissenschaft der alten russi- 
schen Sprache und der Umgangssprache des Volkes mit der Kenntniss der andern 
slawischen, besonders der südlichen Dialekte und war der erste unserer Schrift- 
steller, welcher aus denselben mit vielem Geschick eine Reihe glücklicher Aus- 
drücke uns zuzueignen wussle. — Skobelew entdeckte in seiner militairischen 
Diction eine neue Quelle für die russische Umgangssprache. Snjegirew, Sacha- 
row, Passek, Maksimowicz und andere, wirken durch Herausgabe der Sprichwör- 
ter, Lieder und Sagen, durch Beschreibung der Sitten und Gewohnheiten des rus- 
sischen Volkes, durch Aufklärung von allen Denkmälern und dergleichen, auf ge- 
lehrtem Wege für die Wiederherstellung des Urelemenles, welches die Grundlage 
der russischen Sprache bildet. — Nachdem er so die wirbligsten Schriftsteller 
der Gegenwart aufgezählt, geht Schewirjew auf die des zweiten Ranges über, zo 
denen er Masalski, den Baron Korf, Baschucki, Kamjenski, Grebenka, Polewoj 
und Kukolnik rechnet. Von den letzleren Beiden bemerkt er, es sei ihre Bestim- 
mung, nicht mit eigenem Lichte zu glänzen, sondern den weitesten Raum zu umfassen. 

Nach einer so umfassenden Schilderung der eigentlichen belletristischen Lite- 
ratur geht der Verfasser auf die kirchliche über und behauptet, sie nähme in der 
Gegenwart immer mehr und mehr eine nationale Richtung an ; ein besonderes Ver- 
dienst darum habe der Metropolit Philaret und seine Nachfolger. Tiefe Innigkeit 
und eine erhabene religiöse Milde zeigt sich in den Predigten Innokenli's. Uehri- 
gens arbeiten auch mehrere weltliche Schriftsteller 'mit grossem Nutzen für die 
kirchliche Literatur; darunter gehört besonders Murawjew wegen seines populären 
Styls. „Am wenigsten ausgebildet (fährt der Verfasser fort) ist bei uns die wis- 
senschaftliche Sprache. Aber auch hier geben die Arbeilen der vielen Gelehrten 
auf den verschiedenen russischen Universitäten glänzende Hoffnungen. Das gleich- 
zeitige Erscheinen vieler vortrefflichen Werke in den verschiedenen Zweigen der 
Wissenschaft spricht gar sehr für die nationale Richtung derselben, welche mit 
Triumpf dahin strebt, sich in der Nationalsprache geltend zu machen. Die Phi- 
losophie bereichert die russische Terminologie — Dank den Anstrengungen der 
gelehrten Geistlichen: Golubinski, Sidonski, Karpow, Gabriel, und der weltlichen 
Philosophen: Wellanski, Pawlow, Dawydow, Dmilrijew, Nowicki und Anderer. 
Die slawisch -russische Philologie erwartet an dein „Evangelium von Ostromir mit 
grammalischen Erläuterungen" von Wostokow eine Riesenarbeit. Bodjanski, Preis 
und Sreznjewski bereiten sich vor, auf den Lehrkanzeln der slawischen Dialekte 
ihre gesammelten Schätze der Well vorzulegen. Die Literatur als Wissenschaft 
fand vortreffliche Bearbeiter an Dawydow, Maksimowicz, Pletnjew und Nikilenko. 
Das Recht bearbeileten: Newolin (Encyklopädie der Rechtskunde in zwei Bänden), 
Moroschkin, welcher die russische Rechtsgeschichle, Dauilowicz, der das alle 



Digitized by Google 



61 



slawische Recht, Krylow, welcher das byzantinische Recht bearbeitet, die Crimi- 
nalisteD Barschew, Redkin, Leschkow und andere. Die Mathematik gewann durch 
Perewoschczikow ; die Naturwissenschaften durch Pawlow, Maksiraowicz , Spaski 
und Schczurowski. — Bei der Bearbeitung der russischen Sprache in dieser Hin- 
sicht ist es unbedingt nothwendig, in die Schatzkammer unseres russischen Alter- 
Ihuins zurückzugehen. In den allen Ueberselzungen der griechischen Kirchenväter, 
in den theologischen Werken und Sireilschriften der allen russischen Geistlichkeit 
sind vielleicht die Uranfänge unserer nationalen Philosophie und mit ihr zugleich 
auch die einheimischen Sprachmaterialien für dieselbe verborgen. Auch unser 
Recht kann nur in ihnen seine Urquelle finden. Die Regierung hat das Siegel 
des Geheimnisses, welches auf ihnen lag, zerrissen und eröffnet allen den Zutritt 
zum freien Gebrauch derselben. Wird man nicht endlich anfangen, diese Quellen 
zu benutzen? Die von der archäographischen Gesellschaft herausgegebenen Werke 
von unermesslichem Werthe verkünden eine neue Aera für die russische Sprache. 
In ihnen zeigt sich die Möglichkeit, die Urelcmente in ihrer vollen Kraft zu ent- 
decken, welche die Thatkraft Karamzin's in den letzten Jahren seines Lebens so 
belebten. Die Umgestaltung der russischen Akademie, welche nun zu neuem Le- 
ben und zu neuem Arbeiten berufen ist, berechtigt ebenfalls zu grossen Hoffnungen 
ffir die Zukunft; gewiss wird ein Lexikon der allen slawisch -russischen Sprache 
ihre erste Arbeit sein." — Endlich schliesst der Verfasser seinen Artikel mit 
folgenden kräftigen Worten, welche als Zeichen gelten können, von welchem Geiste 
die jüngere Generation der russischen Gelehrten beseelt ist: „Wer Hoffnung hat, 
der arbeitet; nur wer glaubenlos an der Gegenwart und der Zukunft verzweifelt, 
ist lodt für das Leben. Hell wird der Gesichtskreis vor unseren Augen; gross 
sind die Erwartungen für die Entwickelung unserer Nalionalsprache. Wenn wir 
alle, so viele wir Russen sind, einmülhig unsere Muttersprache liehen und wün- 
schen, dass sie aufblühe und erwachse mit dem Aulblühen Russlands: nun so lasst 
ons insgesammt ein für allemal abwerfen das Sklavenjoch einer fremden Sprache 
und sprechen unsere eigene. Unsere Schriftsteller mögen nach dem Beispiele 
Puschkins immer öfter horchen der Redeweise unseres Volks, sie mögen mit un- 
seren Gelehrten zugleich auidecken die Schatze unserer alten Sprache; sie mögen 
nicht langer mehr verachten das Slawenlhum, sondern immer mehr und mehr sich 
bekannt machen mit den Arbeiten der uns stammverwandten Gelehrten, welche mit 
uns ein und dasselbe Feld der Wissenschaft bearbeiten. Alle vier Quellen: die 
Sprache der höheren Gesellschaft, die Umgangssprache des Volkes, die alte 
Schrift - und die allgemein slawische Sprache müssen sich vereint ergiessen in 
unser vaterländisches Idiom : dann wird sein Strom fliessen zum Erstaunen der Welt, 
weit und breit, üppig und reich, wie er nie noch geflossen im Russcnlande. 



3. IMie populäre Literatur im Po senschen. 

Zu den wichtigsten Folgen der letzten polnischen Revolution gehört auch die, 
dass der gebildete Theil des polnischen Volkes durch dieselbe endlich zu der 
Uebei zeugung kam, dass nicht der Adel allein die ganze Nation bilde, sondern 
dass auch die übrigen Stande als inlegrirende Theile derselben nothwendig sind, 
ohne welche kein Volk im Stande sei, zu geistiger und nalioneller Selbstständig- 
keit zu gelangen. Die Folgen hievon fangen sich nun an zu zeigen. Besonders 
war es der Bauernstand, welcher in der „Republik" (!!) auf eine Weise bedrückt, 
niedergehalten und mit Füssen getreten wurde, wie man sich es kaum vorzustellen 
im Stande ist. Der stolze Edelmann, der Herrscher des Landes, dessen Velo über 
Krieg und Frieden, über Glück und Unglück entschied, sah den Bauer für gerin- 
ger an, als die Pferde und Hunde, die zu seiner Lust dienten, und war der festen 
Ueberzeuguug, er sei nur geschaffen einzig und allein für den „Gnadigen Herren" 

Digitized by Google 



GS 

zu arbeiten, zu beten und zu sterben. Dadurch ist der polnische Bauer in jeder 
geistigen Entwicklung so sehr zurückgeblieben, dass er in vieler Hinsicht selbst 
weit hinter dem russischen steht, für dessen Erziehung bisher leider auch nur 
sehr wenig geschehen ist. Der neuesten Zeit war es vorbehalten, hier wie dort 
die ersten Schritte zu thun, um den seiner Zahl nach überwiegenden Theil der 
Nation der Humanität, Gesittung und Cultur zuzuführen. 

Nur mit der innigsten Freude kann der Freund der Menschheit die ^Bestre- 
bungen betrachten, welche sich in neuester Zeit in dem Grossherzogthum Posen 
nach dieser Seite hin gezeigt haben. Drei Gesellschaften sind hier zusammenge- 
treten in Gnjezen, Gostyn und Szainotuty (Schamotuly), welche unter dein Namen 
Ackerbau- und Industrie- Vereine auf die wahren Bedürfnisse des polnischen Bür- 
gers und Bauers, höhere geistige Bildung durch Schulen, Leetüre und nationale 
Erziehung, genauere Kcnnlniss seines Zustandes und Verbesserung desselben in je- 
der Hinsicht, ihre volle Aufmerksamkeit richten und alle ihre Kräfte aufbieten, 
um den Bauer allmählig in jenen vollkommeneren Zustand zu erheben, in welchem 
wir ihn z. B. in Deutschland erblicken. Das Wichtigste von den Mitteln, welche 
ihnen zu Gebote stehen, zu diesem Ziele zu gelangen, bleibt für die Gegenwart 
immer noch die Einwirkung durch populäre Schriften, auf welche man daher sein 
besonderes Augenmerk gerichtet hat. Von vorzüglicher Wichtigkeit ist in dieser 
Hinsicht der liierarische Ausschuss, welcher in Gostyn neben dem Gewerbe -Aus- 
schusse besieht. Seit Kurzem erst hat sich derselbe gebildet, und dennoch hat 
er schon manches Gute gestiftet. So heisst es in einem Berichte des Gnjezencr 
(Gnesener) Vereines über seine Thätigkeit im Tygodnik literacki: „Der literari- 
sche Ausschuss hal mit dem gewerblichen ein und dasselbe Ziel — das Beste der 
Gesammtheit , und dabei auch die Verschönerung des Landlebens für die Bewoh- 
ner der Umgegend in den arbeitsfreien Augenblicken. — Derselbe wandte daher 
seine vorzügliche Aufmerksamkeit auf den Bedarf von Elemcntarschriftcn für un- 
sere Dörfer und Städtchen, die im Stande wären, den wohllhätigen Einlluss der 
Schulen auf unser Volk so zu sagen erst vollkommen zu machen. Dieser Gegen- 
stand wurde im Schoosse des Vereines gründlich erörtert, und dann Projekte vor- 
gelegt, welche bisher in dieser Hinsicht wohl vor allen andern am notwendigsten 
seien. Ausserordentlich angenehm war jedoch in dieser Rücksicht die Nachriehl, 
welche Herr Günther aus Lissa mitlheiltc, dass er sich einein neuen Abdrucke der 
wertvollsten aller unserer Elementarschriften „des Pilgrim's in üobromil" unter- 
ziehen wolle. Sogleich übernahm es der Ausschuss, Pränumeranten zu sammeln, 
und auf der einzigen Versammlung vom 2. Marz in Gostyn wurden 204 Exemplare 
gezeichnet. Auf diese Weise werden wir uns bemühen, einzig und allein nütz- 
liche Werke, als eine gesunde Nahrung, unserem Volke darzubieten. — Dabei 
hal sich der Ausschuss nicht einzig und allein darauf beschränkt, die Bedürfnisse 
unsres katholischen Landvolkes zu befriedigen; mit grösster Sorgfalt verschaffte 
er sich Nachrichten über die evangelischen und reformirlen Gemeinden in unserem 
Lande, über ihre religiösen Schriften, Gesangbücher und dergleichen. Mit grossem 
Leidwesen hat man sich von dem vollständigen Mangel solcher Schriften in unse- 
rer Sprache überzeugt. Zum Unglück gibt es auch keine Verbindungen mit den 
Calvinislen in Lilhauen, und obgleich der Ruhm der Gelehrsamkeit ihrer vortreff- 
lichen Prediger bekannt, so kommen doch ihre Kirchenschriften nicht in unsere 
Hände. Den Bedürfnissen der polnischen Bewohner in Preusscn bemüht sich zum 
Theil der ehrwürdige Mrongovius in Danzig abzuhelfen; aber man muss von der 
andern Seile wieder bekennen, dass die dortigen evangelischen Grundbesitzer ihm 
ganz und gar nicht zu Hülfe kommen; sie tragen ein unheilvolles Vorurtheil ge- 
gen Alles, was polnisch ist; sie lernen weder unsere Sprache, noch kümmern sie 
sich um die Religiosität ihrer Bauern, die doch eines Glaubens mit ihnen sind. 
Die evangelischen polnischen Gemeinden in Grosspolen aber sind wieder so dürf- 
tig, dass bisher für ihre religiösen Bedürfnisse nur noch wenig gelhan worden ist. 
Ach, es gibt sogar polnische Gemeinden, in denen deutsch gepredigt wird, und 
die in der Kirche versammelten Bauern sind ganz uud gar nicht im Stande, etwas 



Digitized by Google 



63 



zu verstehen (also nur für die deutschen Gutsbesitzer nnd ihre Beamten , die wahr- 
scheinlich noch selten genug in die Kirche kommen). Uebrigens, wer wüsste es 
nicht zu seinem Schmerze, wie Tiel polnische Gemeinden es gibt, in denen auch 
die letzten Spuren unsrer Sprache bereits vernichtet sind. Wir hörten ja noch 
unlängst die Nachrichten über die polnische calvinische Kirche in Königsberg; 
aber wozu so weit gehen, war ja doch auch in Lissa eine polnische calvinische 
Kirche. Demnach empfahl derAusschuss einem seiner thatigsten Mitglieder refor- 
mirler Confession die Sammlung von Materialien an zur Herausgabe eines polni- 
schen Gesangbuches für die evangelischen Gemeinden in Grosspolen; auch wurden 
zum Gebrauche derselben Gemeinden die neuesten theologischen Schriften in der 
Bibliothek von Goslyn angeschafft. Diess alles ist ein hinlänglicher Beweis, dass 
im Schoosse unserer Gesellschaften die Liebe zu unseren Landsleulen, wären sie 
auch verschiedenen Glaubens, eine wahre Toleranz erzeugt." — Solche Bemühun- 
gen der Vereine bleiben nicht ohne Wirkung; besonders sind es die mehr oder 
weniger von denselben abhängigen Zeitschriften, aus deren Verbreitung man er- 
sieht, welchen Einfluss jene Bestrebungen nehmen und besonders in wie weiten 
Kreisen sie denselben äussern. Unter diese Zeitschriften gehört der Przewodnik 
rolniczo - przemyslowy (der Agrarisch- industrielle Führer), ein von den Gesell- 
schaften selbst herausgegebenes Blatt, das sich einer tüchtigen und kräftigen Re- 
daction erfreut; dann der Przyjaciel ludu (Volksfreund), eine Art von Pfennig- 
magazin mit eingedruckten Bildern, aber für ein höher gebildetes Publikum be- 
rechnet; endlich die Szkolka niedzielna (Sonntagsschule), ein Blatt zur Belehrung 
und Unterhaltung für den Landmann, religiös - moralischen , ökonomischen und un- 
terhaltenden Inhaltes; die letzteren beiden erschienen bei dem schon früher er- 
wähnten ungemein thätigen Günther in Lissa. Diese Zeitschriften sind nun durch 
das ganze Grossherzoglhum verbreitet; allein trotz dem haben sie nicht ausschliess- 
lich diese Provinz im Auge. Ausdrücklich erklärt der literarische Ausschuss an 
derselben Stelle, er habe die Herausgabe eines besonderen Almanaches „Swjento- 
janka" aufgegeben, „da er auch nicht auf einen einzigen Augenblick nur Gross- 
polen im Gegensatz zu den andern Antheilen Polens personificiren, noch die ab- 
seitigen wissenschaftlichen Leistungen desselben auf die Wagschale legen wollte 
neben den grossen Werken, wie sie in ganz Polen sich erheben zur Aufklärung 
und Verherrlichung des Vaterlandes. Gegen nichts hat man dabei eine solche 
Scheu, wie gegen einen kränkelnden Provinzialismus, und wenn wir sehen müssen, 
wie selbst die erhabenste Gesinnung und das edelste Herz in diesen Abgrund ver- 
fallen kann, wie das z. B. in der Ukraino - Manie geschieht, so werden wir in 
unserem kleinen Kreise nicht aufhören uns zu bemühen, die brüderliche Liebe 
hoch zu erheben über Neid und Missgunst. So wie unsere Zeitschriften alle Ar- 
beiten, woher immer sie ihnen zugesendet werden, mit herzlicher Freude anneh- 
men und sie sogleich der Oeffentlichkeit übergeben , so sollen auch unsere wissen- 
schaftlichen Vereine die verschiedenartigen Bemühungen von allen Seilen zusam- 
men bringen und zu einem Ganzen vereinigen." — Aus diesem Grunde ist die 
Thätigkeit des Vereines auch Uber die heiinalhlichen Gränzen hinausgegangen: 
„Der literarische Ausschuss (so heisst es an der angezogenen Stelle weiter) hat 
eine besondere Aufmerksamkeit auch auf den Antheil gerichtet, den die andern 
Provinzen an unserem literarischen Leben nehmen, und daher sorgfältig Nachrich- 
ten eingezogen, wie viel Exemplare der Zeitschriften für's Volk, nnd namentlich 
der Szkolka niedzielna in Schlesien, Preussen und Galizien verbreitet sind. Wir 
müssen den Geistlichen in Oberschlesien unsern Dank sagen für ihre Bemühungen, 
diese Zeitschriften zu verbreiten; es gibt einzelne unter ihnen, die 10 und 20 
Exemplare unter ihren Gemeinden vertheilen. In Alt -Preussen im Marienburger 
und Kulmer Bezirke finden diese Schriften viel weniger Abgang und doch gibt es 
auch dort noch viel polnische Einwohner. Es ist demnach zu wünschen, dass sie 
auch gleichermaassen bemüht wären, die Aufklärung unter unsern Landsleuten aus- 
zubreiten, wie der ehrwürdige Stand der katholischen Geistlichkeit in Schlesien." — 
Und weiter heisst es dann über Schlesien überhaupt: „Unsere Verbindungen mit 



Digitized by Google 



64 



Oberschlesien werden immer vollständiger. Wie das Königreich (?) mit Ober- 
schlesien in industrieller Hinsicht immer mehr in ein engeres Band tritt, desto mehr 
nähern auch wir uns demselben in wissenschaftlicher Hinsicht. Den Anfang dazu 
inachte die kleine Gedichtsammlung des Lehrers Loinpe; seit dem begann eines 
von den gelehrten Gliedern unsers Ausschusses die Volkslieder Oberschlesiens zu 
sammeln, um die. sich bisher Niemand von unseren Gelehrten gekümmert hat 0 ), 
und deren weder Zegota Pauli noch Wojcicki erwähnt. Diese Sammlung hat schon 
über dreihundert Lieder. Die interessantesten davon wurden dem Ausschüsse mit- 
getheilt; was uns aber eine besondere Freude machte, war, dass einige von ihnen 
die neuesten Zeitereignisse, wie z. B. die Regulirung der Bauern und die Meute- 
reien, die dabei vorfielen, wie die Expedition nach Twarkow zum Gegenstande 
haben. Diese Lieder beweisen am besten, dass der Urquell der schöpferischen 
slawischen Phantasie unter diesem Volke trotz dem vierhunderljährigen Einfluss 
des Germanenlhums noch nicht versiegt ist; diese urgeborne Körnigkeit zeugt für 
die Lebenskraft des unterdrückten Volkes der Schlesien viel eher sind seine Für- 
sten ihren Ahnen, den Piaslen, als das Volk seinem Stamme untreu geworden." 

Auf diese Weise wirken die drei Vereine höchst wohllhätig auf den gegen- 
wärtigen und besonders den nächstfolgenden Zustand der polnischen Nation in 
Preussen ein; und wenn sie besonders die untern Klassen des Volkes zum Gegen- 
stande ihrer Bestrebungen erwählt haben, so kann man ihnen dafür um desto 
mehr Dank wissen, je mehr Noth es that, für diese etwas zu thun, und je weni- 
ger Hoffnung man hatte, dass etwas für sie geschehen würde. Aber gerade da- 
rum ist die Thätigkeit dieser Vereine auch um so wichtiger, und wir werden es 
für eine unserer angelegentlichsten Pflichten halten, getreuen Bericht über die 
Wirksamkeit derselben abzustatten. Vom Volke aus muss eine Regeneration des 
polnischen Lebens ausgehen ; der Arislokratismus hat seine Machtlosigkeit hinläng- 
lich und leider zu oft schon dargelhan. 



4. Kritiken. 



Haiepmame ciobhhcroK MH»(Morin. Entwurf 
einer slawischen Mythologie von Mich. 
Kastorski. Petersburg 1841. Fischer. 8. IV 
182 Seiten. 

Die Wissenschaft des slawischen Mythus im 
weitesten, den altprenssisch-lithauischen 
Mythus mit umfassenden Sinne. Nach 
Quellen bearbeitet, sammt der Literatur 
der slawisch -preussisch-lithauiscben Ar- 
chäologie und Mythologie. — Als ein Bei- 
trag zur Geschichte der Entwicklung des 
menschlichen [Geistes entworfen von Dr. 
Ignaz Johann Hanusch, öffentl. ord. 
Professor d. Filosofie (sie) und ihrer Ge- 
schichte an der k. k. Universität zu Lem- 
berg. Lemberg, Stanislawrfw u. Tarnow. 
1842. Verlag von Job. Millikowski. 8. XX 
u. 432 Seiten. 

Zwei Werke über einen weniger bearbei- 
teten Gegenstand, die ziemlich zu gleicher 
Zeit erschienen und somit von uns zugleich 
besprochen werden dürfen. Zuerst also den 
Inhalt des deutschen als des umfassenderen. 



I. Nachdem der Verfasser desselben un- 
ter A. den Begriff des Mythus und der My- 
thologie fester bestimmt und unter B. den- 
selben näher erörtert hat, findet er in Hin- 
sicht des Geistes, der im Mythus überhaupt 
lebt, drei mögliche Hauptarten, welche hi- 
storisch durch den indischen, persischen und 
griechischen Mythus personificirt sind; und 
sagt, der slawische Mythus berühre sowohl 
seiner Zusammengesetztheit, als seiner ge- 
netischen Fortentwickelung wegen die Ge- 
biete aller drei Arten der Mythen (S. 6). 
Mit sichtlicher Vorliebe wird dann unter F. 
der Nationalcharakter der alten Slawen be- 
handelt. In dem folgenden Abschnitte nun 
gibt der Verfasser zwar zu, dass die jetzt 
europäischen Völkerschaften ihre Mythen ein- 
ander gegenseitig mittheilten; aber die An- 
sicht, als sei der slawische Mythus ein Ag- 
gregat fremder Mythenelemente (und nichts 
Selbstständiges) oder als sei derselbe nichts 
anders als eine Copie des indischen , weiset 
er mit aller Kraft zurück. Das Wesen des 
slawischen Mythus, meint er, bestehe im Ge- 
gentheil darin, dass er neben den alten orien- 



*) Unsers Wissens hat Prof. Hoffmann von Fallersleben in Breslau eine ansehnliche 
Sammlung schlesisch- polnischer Volkslieder, worauf wir aufmerksam machen. 



Digitized by Google 



65 



talischen Mythenelementen auch nicht orien- 
talische, aber eigentümliche, eigene Grund- 
ideen enthalte. Aber gerade wegen dieser 
Zusammensetzung und in Folge der Vielheit 
der slawischen Völkerschaften und der man- 
gelhaften Kunde ihres Alterthumes „scheint 
die Idee einer allgemeinen slawischen Mytho- 
logie nur ein (unerreichbares) Ideal 4 * zu sein. 
Krst durch Beizieh ang der „reichen litaui- 
schen" und „ altpreussischen " Mythologie 
kann die slawische genügend vervollständigt 
und ergänzt werden. Nun geht der Verf. 
auf die Quellen (geschriebene und unge- 
schriebene, primäre und sekundäre) für die 
slawische Mythologie über 1 , und theilt sie 
von S. 47 — 71 in einer beispiellosen Voll- 
ständigkeit mit. Nachdem dann der gegen- 
wärtige Zustand der slawischen Mythusfor- 
schung und das, was hierin zu Jwünschen 
bleibe , näher besprochen (warum der Verf. 
alles Bisherige nicht unter der Rubrik „Ein- 
leitung" oder dergl. zusammengefasst hat, 
ist uns nicht klar), kommt er endlich S. 85 
unter N. zu „dem Versuche einer Wissen- 
schaft des slawischen Mythus/ 4 Der Verfas- 
ser nimmt einen Urmythus an, der sich spä- 
ter in den indischen und persischen spaltete; 
jener ist nach ihm der den Slawen ureigen- 
tliumliche, diesen durchlebten sie bei ihrem 
Durchzuge durch Persien. Von dieser Hy- 
pothese aus sucht der Verf. nun zuerst die 
mannigfaltigen slawischen Mythenelemente im 
indischen, dann im persischen Mythus auf. 
Die Aehnlichkeit in den Götternamen und 
ihrer Attributen ist eine ausserordentlich gros- 
se, grösser als zwischen irgend einer andern 
mythologischen Schöpfung. Der „indische 
Erd- oder Natur- Cultus 44 und der „persi- 
sche Lichtcultus 44 , beide finden in den sla- 
wischen mythischen Gestalten entsprechende 
Ideen. Auch der persische Dualismus wird 
als ein altes Element im slawischen Mythus 
angenommen (wie bei Kollar) und dann be- 
sonders auf das überraschende Zusammen- 
treffen der slawischen Mythenfeste mit den 
persischen hingewiesen. Beide Grundmythen, 
der indische wie der persische, seien nun im 
Mythencyclus der Slawen auf das innigste 
mit und in einander verschmolzen. Diess 
war dadurch möglich, weil sie gleichen Ur- 
mythus (Lichtverehrnng) hatten, und weil je- 
der Mythos auf die Natur sich basirt; doch 
herrschten im westlichen Slawen lande die 
persischen , im östlichen die indischen Ele- 
mente vor; in den sudlichen „scheinen sie' 4 — - 
„vereint und von mannigfachen fremden My- 
then-Elementen durchwebt, den slawischen 
Mythus constituirt zu haben. 44 (S. 212.) 

Indess mit den im indischen und persi- 
schen Mythus herrschenden Gestalten ist der 
slawische Göttercyclus noch nicht abgeschlos- 
sen. Er bat noch zwei andere [Verwandte, 
welche beide erst im Verein mit den frühe- 
ren zweien eine vollständige Auffassung des 
slawischen Mythus möglich machen. Diess 
ist der slawisch - preussische und der lithaui- 
sche Mythus; der Grundcharakter der ersten 
ist die Götterdreieinheit: 1) Perkun-Brama- 
Sonnengott, dem ein ewiges Feuer gehalten 
wurde ; 2) Potrimbo - Wischnu- Radegast. 
SUw. Jahrb. I. 



Luft- und Wassergott mit Schlangencultns ; 
3) Pekello-Ziwa, Gott der Unterwelt, Hölle, 
mit einer Schnur von Todtenköpfen ; 4) die 
Trimurti , als Einheit jener drei , ist als be- 
sonderer Gott weniger ausgebildet, doch 
scheint -es Perkunos gewesen zu sein, wäh- 
rend Schwaixtyx der Sonnengott blieb. Der 
preussische .Mythus bildet mit dem lithanischen 
ein Ganzes, dieser ist aber am vollständig- 
sten erhalten, da Lithauen erst im 15. Jahrb. 
zum dir istent Imme bekehrt wurde. Er bat 
Elemente, „die sich sowohl ihrem Inhalte als 
der Form nach oft den ansgebildetsten My- 
then (ja selbst den griechischen) an die Seite 
stellen können. 44 Durch sein anthropogoni- 
sches Element, wo auch die SündHuth und 
die Erhaltung und Verbreitung der Mensch- 
heit nach ihr angedeutet wird, unterscheidet 
sich der lithauische Mythus vor allen slawi- 
schen. Auch das weibliche Element hat sich 
in ihm am vollständigsten erhalten, da je- 
der Gott als Mann und Weib, „Vater 44 und 
„Mutter 44 zugleich existirt. Eben so finden 
sich deutliche Spuren griechischer und selbst 
ägyptischer Mythen vor. 

Nach diesen vorbereitenden Untersuchun- 
gen kommt der Verfasser endlich auf „die 
eigenthüinliche Umformung der slawischen 
Mythen in Kuropa. 44 

1. Die reine Objectivität der indischen 
Mythologie nahm erst in Europa die sob- 
jectivere Gestaltung an; neben dem rei- 
nen Seelenleben ward nun ein Naturleben 
unterschieden , jenes brachte zur Seelenwan- 
derung, dieses zum Polytheismus der Natur- 
gegenstände. Die Begriffe „Fürst 44 und 
„Priester 44 haben im Slawischen einen Na- 
men; vielleicht sind also die Slawen Nach- 
kommen einer indischen Priestercolonie , wie 
die im Nilthal, die sich nach den Tanais 
(Wolga) , zum Fasis (Bug) zog (nach Ritter 
in s. „Vorhalle 44 p. 816/. 

2. Die Snbjectivitat als selbstständig ge- 
dacht, unterschied ein diesseitiges und ein 
jenseitiges Leben; daraus ergaben sich dies- 
seitige Götter und jenseitige (unterirdische) ; 
die jenseitigen theils auf der 'Erde, theils 
ober der Erde (Firmament). Daher also A. 
oberirdische Götter, a. Das Firma- 
ment als Schild des Lichtgottes; b. Perun 
(Swjatowid) ist der allgemeine Licht-, Son- 
nen-, Blitz- und Donnergott, und als sol- 
cher Bei- und Czernobog. Auch gilt er als 
Bog, die Gottheit, überhaupt; besonders wo 
die Swjatowid -Verehrung im Hintergrunde 
stand, c. Die Gestirne: a. Sonne, Mond und 
Sterne sind Kinder Gottes, und Geschwister; 
ß. Morgen - und Abendstern sind die wichtig- 
sten Sterne, die Milchstrasse Seelen von 
Verstorbenen in Vogelgestalt. Die kleineren 
Gestirne Endpunkte des Lebens des Men- 
schen, jeder hat einen solchen Stern. Anch 
der Regenbogen, Sonnenfinsterniss , Wetter, 
Luft und Wind hatten eigene Gottheiten. 
B. Die irdischen Götter waren die zahl- 
reichsten und erhielten sich am längsten im 
Andenken des Volkes; zu den physischen: 

I. das Symbol des allgemeinen Naturlebens 
Cica, mater mammoaa, die Allernährerin. 

II. Die einzelnen Kiemente der Natur hatten 

9 

Digitized by Google 



66 



ihre besondere Verehrung, doch ist sie we- 
niger auf uns gekommen. Indess lassen sich 
immer noch die eigentlichen Naturgeister 
von den menschenähnlichen unterscheiden ; 
jene sind symbolisch und an sie knüpft sich 
die unermessliche Reihe guter und böser 
Vorbedeutungen und der ganze Volksaber- 
glaube; oder sie sind personificirt, und zwar 
Geister der organischen und unorganischen 
Natur; die ganze Natur lebt, Alles ist voll 
Geister. Die der unorganischen Natur sind: 
1) Feuergeister, 2) Wassergeister. Die Was- 
serverehrung ist sehr verbreitet, und mit 
besonderen Festen, z. B. dem Johannis- 
oder Oster- Wasser, wie es noch jetzt in 
vielen alfslawischen Gegenden gebräuchlich. 
3) Erdgeister sind fast alle bösartig. 4) Die 
Ijnftgeister fallen mit den oberirdischen gröss- 
tenteils zusammen. Eine ganz eigcnthiim- 
liche Gestalt sind die Wilen; wunderlieblich, 
gutmüthig, ausser wenn gereizt, luftartig, 
zart. Die pcrsonificirten Geister der orga- 
nischen Natur sind a) Pflanzenkräfte: be- 
sonders viel heilige Heine, wo den Göttern 
geopfert wurde; eben so die beiden heiligen 
Eichen zu Romowe in Prenssen und in Li 
thauen. Ein böser Feldgeist Polednica, das 
Mittagsgespenst, so wie böswillige Waldgei- 
ster, die dem Menschen nach dem Leben 
trachten; in jedem Walde muss alljährlich 
einer sterben, b) Animalische Kräfte: Von 
den Thieren wurden heilig gehalten: beson- 
ders die Pferde; von den Vögeln als Seelen 
der Verstorbenen besonders der Guckguck, 
die Schwalbe, der Sperber, der Hahn, die 
Raben, die Spechte, Schlangen und Eidech- 
sen; eine besondere Gestalt bilden die Wil- 
kolaki , Wehrwölle und Upiry Vampyre, von 
denen der Verfasser zu unserer Verwunde- 
rung ganz schweigt; obgleich nicht bloss im 
2'en Bande der böhmischen Lesebibliothek, 
sondern selbst in „Ost und West" J. 1839. 
Nr. 1 — 10. (von uns mitgetheilt) sich weit- 
läufige Nachrichten darüber vorlinden. — 
Neben den reinen Naturgeistern unterschei- 
det der slawische Mythus auch noch men- 
schenähnliche Geister; als die Pestjungfrau, 
Riesen, die einheimischen gut, die fremden 
sind bös, häutig historische Gestalten. 

Zu den irdischen Göttern gehören neben 
den physischen zweitens die auf das Men- 
schenleben bezüglichen; hier ist eine unge- 
meine Innigkeit und Tiefe des Gefühls vor- 
herrschend. A. Die Gottheiten des häuslichen 
Lehens Ziwa (auch Zibog) verleiht das Le- 
ben; Porenuc beschützt es im Mutter-Leibe, 
zlota-Baba bei der Geburt. Alle drei bilden 
die Schutzgottheit der Ehe. Im 7ten Jahre 
bekam das Kind seinen Namen und brachte 
den Göttern sein Haar zum Opfer (postrüna). 
Zwischen den erwachsenen Schwestern be- 
steht das innigste Band der Liebe und An- 
hänglichkeit; zwischen Freunden besteht die 
Verbrüderung, pobratimstwo, der herrlichste, 
innigste Nationalzng der Slawen. Der Jüng- 
ling und die Jungfrau fielen der Obsorge 
Lada's, der Göttin der Liebe, und Lel's und 
PolePs, als ihrer einzelnen Momente anheim. 
Die Ehe war heilig und das Weib nicht ohne 
Beweise von grosser Achtung. 



B. Die Gottheiten des ausser-häuslichen Le- 
hens. Neben Viehzucht und Ackerbau war 
der Krieg ein wichtiges Moment im Leben 
des slawischen Volkes ; obgleich nie Angritts-, 
sondern stets nur Vertheid igungskrieg. Wo- 
her auch kein eigentlicher, reiner Kriegsgott 
bei ihnen. Die Sonnen - und Lichtgötter 
wurden beim Kampfe angerufen und nach 
ihm verehrt, wie die Königinhofer Hand- 
schrift darlhut 

Ansserdem aber beschäftigten sich die 
Slawen nur vorziiglicherweise mit Handel 
und Gewerben und hatten für sie ihre Göt- 
ter. Ebenso konnten sie in den Künsten 
nicht unbewandert sein; denn einzelne Göt- 
terstatuen werden uns als sehr schön be- 
schrieben und ihre Tempel waren prachtvoll 
geschmückt; in der Musik zeichnete sich der 
Gesang vorzüglich aus, wie ja alle slawi- 
schen Völkerschaften geborene Sänger sind. 
In der Poesie können sie sich mit allen Na- 
tionen messen; ihre Volkslieder sind zahllos, 
und schon im höchsten Alterthume besassen 
sie cyclische Dichter, welche die Thaten der 
Vorfahren sangen. Ilochberühmt sind: ,,der 
Zug Igors" und die „Königinhofer Hand- 
schrift", von Hanke gefunden. In Hinsicht 
der Wissenschaft behauptet der Verfasser 
ganz im Gegensatz zu der bisher geltenden 
Annahme , „ dass gerade im tieferen Alter- 
thume die heidnischen Slawen eine Selbst- 
ständigere und tiefere Bildung hatten als in 
spätem Zeiten", welche Bildung sich natür- 
lich bei den Priestern concentrirte. Kniez, 
Fürst und Priester, und Kniba(Knizy) Buch 
stehen unmittelbar neben einander. Ks wird 
sogar wahrscheinlich, die alten slawischen 
Priester hätten ein Religionsbuch gehabt. 
Erst als sie zu Zauberern herabsanken , fiel 
auch ihr Ansehen, und ihren Namen Kniez 
gab man bei allen slawischen Völkerschaf- 
ten den christlichen Priestern , während die 
Deutschen z. B. das griechische Wort dafür 
nahmen. 

C. Die unterirdischen Göller der Slawen. 
Die Seele entfloh dem Menschen als Vogel; 
der Leichnam wurde verbrannt, spater auch 
begraben. Todtenspiele hiessen Trysna ; über- 
diess gab es ein jährliches allgemeines Tod- 
tenfest, wozu man die Verstorbenen förm- 
lich einlud, sie mit Speisen und ihren Dampf 
bewirthete und allerhand andere geheimniss- 
volle Dinge trieb; dieses Todtenfest hiess 
Stypa, Strawa, auch Dziady (wesshalb eine 
der grossartigsten Dichtungen von Mickiewicz 
diesen Namen führt). An ein Wiederlinden 
nach dem Tode und an eine Vereinigung 
der Seele mit dem Körper glaubte man fast 
überall. Ueber die Abgeschiedenen richteten 
eigene Gottheiten, Sndice. „Die Guten woh- 
nen am mitternächtlichen Ende der Milch- 
strasse", bekommen jeder 100 Sinne, jeder 
Quell von 100 Vergnügungen. Die Bösen 
in der Unterwelt Pragaras, wo Martern und 
Foltern. Den Todesgöttern wurden die Opfer 
stets in die Erde gelegt 

Der Verfasser unterscheidet nun zwar ei- 
nen slawischen Urmythus von dem , der sich 
„in Europa ausgebildet"; allein da wir von 
jenem gar nichts wissen, auch der Einzug 



Digitized by Google 



67 



der Slawen in Europa in die Urzeit ver- 
setzt werden muss: so ist jene Einteilung 
sehr unfruchtbar an sich ; mehr noch , wenn 
man bedenkt, dass nun alle Nachrichten über 
die slawische Mythologie in den zweiten Zeit- 
raum zusammengeworfen werden. Viel er- 
giebiger wurde uns eine Einteilung dersel- 
ben der Art bediinken , dass man den Mythus 
der einzelnen Stämme, die sich vom Anfange 
der historischen Zeit unter den Slawen zei- 
gen, erst in seiner Eigentümlichkeit auf- 
fasste, und dann durch Zusammenstellung 
dieser einzelnen Mythologien den einen sla- 
wischen Mythus herausbilde. Dafür hat nun 
der geehrte Herr Verfasser in seinem Buche 
nichts gethan; im Gegentheil, er nimmt die 
Gottheiten der einzelnen Stämme, wie sie 
ihm passend erscheinen, und stellt sie nach 
Analogien in Namen und Sinnbildern zusam- 
men, wie und wo es ihm gut dünkt. Anders 
hält es Kastorski , von dessen Buche wir nun 
auch eine üebersicht geben wollen. 

II. Ziemlich abweichend von Hanusch be- 
hauptet Kastorski , die Slawen müssten als 
ein selbstständiger Volksstamm auch eine 
selbstständige Mythologie gehabt haben ; da- 
her sei es lächerlich, die slawischen Gotter- 
gestalten mit denen der andern Völker zu 
vergleichen und dann zu meinen , man habe 
damit ein grosses Werk gethan und die Ar- 
beit vollendet, wie diess im vorigen Jahr- 
hundert so oft geschehen. Zu den Urquellen 
selbst müsse man zurückgehen, zu den dem 
slaw. Heidenthume gleichzeitigen Schriftstel- 
lern und den Sagen, Sitten und Glaubens- 
meinnngen , die sich im Volke bis auf diese 
Stunde erhalten haben. Und das geschieht 
nun im II. Cap. Mit der Verbreitung des 
Christentimms unteij den Slawen (Cap. III.) 
kommt ein den Slawen feindseliger partheii- 
scher Geist in die von Fremden verfassten 
Quellenschriften, die man daher nur mit der 
grössten Behutsamkeit, aber zu vielem Vor- 
theil benutzen könne. — Die Slawen glaubten 
an einen einzigen obersten Gott (Cap. IV.); 
die Mehrheit der Götter entwickelte sich erst 
allmählig; Bjel-Bog und Czerny-Bog sind 
nur Bezeichnungen der günstigen oder un- 
günstigen (z. B. strafenden) Einwirkung der 
Gottheit, an einen Dualismus dürfe man bei 
ihnen nicht denken. Für die östlichen Sla- 
wen war Parom, Perun dieser oberste Gott 
(Cap. V.) , der jedoch auch von den andern 
slawischen Stämmen verehrt wird. Sein Cul- 
tus kommt mit dem des Swjatowid ausser- 
ordentlich überein. Bei den westlichen Sla- 
wen dagegen waren Swjatowid u. Badegast die 
beiden obersten Gottheiten (Cap. VI.), de- 
ren Ansehn und Ruhm sich gegenseitig so 
ziemlich die Wage hielt und zu heftiger Ei- 
fersucht, ja zu förmlichen Blutvergiessen 
führte. Das Ende derselben war die Nieder- 
drückung Retra's, das Kruko beugte. Beide 
Tempel wurden genau beschrieben, jener 
von Dithmar, Adam von Bremen und Hel- 
mold , dieser von Saxo Grammaticus. Ihr 
Cultus mochte wohl ganz gleich sein, wie 
diese Beschreibungen zeigen. Wegen der 
vorherrschenden Verehrung dieser obersten, 



aber örtlichen Götter traten die vom ganzen 
Slawenstamme verehrten Gottheiten weniger 
in den Vordergrund , und so sind uns auch 
ihre Eigenschaften weniger bekannt gewor- 
den (Cap. VII.). Jedenfalls war der Glaube 
der Slawen Natnrglaube; in dem Cha- 
lakter und der Lebensweise derselben müs- 
sen also die Grundzüge ihres Cultus gesucht 
werden. Gastfreundschaft war die vor- 
herrschende Tugend der Slawen (historisch 
erwiesen nur von den westlichen) ; daher 
Radegast auch ein allgemeiner Gott des 
ganzen Stammes. Die Slawen waren aus- 
schliesslich Ackerbauer; daher von der 
Natur sehr abhängig, was dem Veifass»r 
Veranlassung gibt, die Götter nach den Jah- 
reszeiten zu besprechen, in denen sie eine 
besondere Verehrung erhielten. Murena, 
Morana, die Göttin des Winters, war zu- 
gleich die des Todes. Lada, die Göttin der 
Liebe und des Frühlings, stand in der höch- 
sten Verehrung. (Cap. VIII.) Eine beson- 
dere Verehrung zollte man auch einzelnen 
Bäumen und Gewässern, die im Frühjahr 
zu frischem Leben erwachen, wegen der 
darin wohnenden Gottheiten; in den BIchen 
lebten die muntern, reizenden Rusalken, auf 
den Bergen die lieblichen, entzückenden Wi- 
len. Die ganze Natur lebte voll herrlicher 
Götterbilder. — Der Sommer brachte eine 
mehr physische Liebe hervor, deren Bild Tur 
ist; auch Lada ist allmählig zu demselben 
herabgesunken. In diese Zeit falten auch die 
Johannisfeuer, durch das ganze Slawenland 
bekannt. Swjetowit (sie!) ist der Gott des 
Feuers. Den Namen Swjetowit nimmt Ka- 
storski als Adjectiv, mit der Formationssylbe 
wit, wity, von swjety, siaty abgeleitet: also, 
siantowity , siatowity splendidus von siati. 
Ein Gleiches gilt von den Namen: Jarowit, 
Ruewit, Porewit. Im Herbst endet die Ver- 
ehrung der Götter nicht; nun kommen Haus- 
götter an die Reihe; an ihrer Spitze steht 
der Wolos oder Weles; ihre Zahl ist endlos 
bei den verschiedenen Stämmen. (Cap. X.) — 
Auf diese Weise, schliesst der Verfasser, ist 
der Kreislauf des Jahres geschlossen und der 
Kolednik ruft uns zu: „Nun stirb!" 

Was nun zuvörderst die Art angeht, wie 
der Verfasser die slawischen Gottheiten ein- 
ander neben und unterordnet, so ist dieselbe 
in Hinsiebt der Götter zweiten Ranges, die 
er Stammgötter (plemennyje) nennt, auf je- 
den Fall unzweckmässig. Die drei obersten 
Gottheiten, Perun, Swjetowit und Radegast 
scheinen einander coordinirt zu sein; nur 
lässt sich das keineswegs genügend darthun, 
und wenn Jemand Perun als den obersten und 
einzigen Gott annehmen, die andern beiden 
dagegen unter ihn setzen wollte, so würde 
man genügende Gegengründe wohl nicht auf- 
zufinden vermögen. (Man darf nicht ver- 
gessen, dass die beiden Hauptgötter der 
Klbeslawen durch den Zusammenstoss der 
hier angesiedelten Völkerschaften mit den 
Deutschen so sorgfältige und glänzende Be- 
schreiber gefunden haben. Wie leicht konn- 
te es im tieferen, Slawenlande noch weit 
glänzendere Tempel, noch höhere Gotthei- 
ten geben, die hoch über Radegast und 



Digitized by Google 



68 



Swjatowit erhaben waren, die aber nur dess- 
halb in untergeordneter Stellung verbleiben, 
weil sie uns Niemand beschrieben. ) Hier 
gilt Hypothese gegen Hypothese; keine aber 
wird sich vollständig erhalten, keine im 
Stande sein, eine allseitige Anerkennung 
sich zu verschaffen, so lange wir nicht die 
Mythologien der einzelnen slawischen Völ- 
kerschaften, wie sie uns historisch vorliegen, 
durchgearbeitet haben (wir deuten hier auf 
die trefflichen Arbeiten Thumnanns und be- 
sonders Bartholds hin) , so lange nicht jede 
einzelne Göttergestalt in ihrer Individualität 
aus dem Wüste der tausend verschiedenen, 
einander nicht selten widersprechenden Nach- 
richten herausgehoben und eine vollkommene 
Kenntnis» ihres Inhaltes und ihres Umfanges 
uns möglich gemacht wird , wie das der eh- 
renwerthe Schafarik mit den Rusalken gethan. 
Erst dann werden wir das Verhältnis« der 
einzelnen Gottheiten gegen einander und zum 
menschlichen Leben auffassen, und aus den 
einzelnen Mythenkreisen, in welche dann die 
bisherigen Systeme zerfallen werden, die ur- 
sprüngliche Gestalt des slawischen Mythus 
als eine einzige Gesammlheit und ein Gan- 
zes herausarbeiten können. Und darum schei- 
nen uns beide vorliegende Schriften, so werth- 
voll und verdienstlich sie an sich sind, den- 
noch nur ein geringer Fortschritt für Hie 
Wissenschaft selbst. — Deberhaupt scheint 
es uns aber jetzt schon an sich zu frühe, 
wenn wir von einer Wissenschaft des slawi- 
schen Mythus, von einer systematischen My- 
thologie des Slawenthums reden wollen. Wir 
haben noch eine grosse, übergrosse Menge 
Quellen für diesen Gegenstand zu sammeln; 
es sind diess die Fingerzeige, die sich in 
den Sitten und Gebräuchen, in den eigen- 
thümlichen Meinungen und dem Aberglauben, 
in den Örtlichen Sagen und Mährchen, in 
den Sprichwörtern, in den Volksliedern, selbst 
in der Sprache (einzelne Wörter, die oft 
Appellative aus Eigennamen geworden und 
umgekehrt) bei den einzelnen slawischen 
Volksstämmen bis auf diese Stunde vorfin- 
den, welche aber leider so ganz unbeachtet 
gelassen werden, bis sie im Volke ausster- 
ben. Ein einzelnes Wort, eine einzige Idee, 
ein unbedeutender Gebrauch, eine gewöhn- 
liche Redeweise kann da über einzelne .Fra- 
gen Aufschluss geben, mit deren Lösung 
man sich lange Zeit umsonst abgemartert 
hat. Und dennoch versäumen noch so viele 
Männer, die mitten unter ihrem slawischen 
Volke leben, so interessante Data aufzuzeich- 
nen und verweigern so selbst diesen gerin- 
gen Dienst, den sie der Wissenschaft erwei- 
sen könnten. Wenigstens in unserer Lausitz 
geschieht das; denn dort gibt es noch so 
viele Sagen unter dem Volke, Erzählungen 
von Kobolden und Hexen und dergleichen 
mehr, an die wir uns aus unserer frühesten 
Kindheit nur dunkel noch erinnern, die aber 
keiner unserer gelehrten Männer dort auf- 
zuschreiben für nothwendig hält. In andern 
slawischen Ländern mag das wohl anders 
sein und ist anders, wie man sich z. B. nur 
aus den Schriften Kollar's überzeugen kann, 
ber esgiebt noch so viele andere slawische 



Länder, in welchen man für diesen Zweck 
ungeheuere Ausbeute finden tnüsste, wie 
z. B. die südslawischen Länder, besonders 
Montenegro mit seiner urslawischen Verfas- 
sung und Sitte, die Karpathengebiete, Russ- 
lands belebtere Gouvernements n. s. w. ; denn 
je weniger ein Volk der europäischen Kultur 
und Wissenschaft sich genähert, desto weni- 
ger bekannt ist sein eigentliümliches Leben, 
seine Seele. Und darauf machen wir alle 
gebildete Slawen aufmerksam , dahin müssen 
die Bestrebungen unserer Archäologen zu- 
nächst gerichtet sein. Wir haben noch viel, 
sehr viel zu sammeln, ehe unsere Scheuern 
die Fülle des Segens fassen werden, welche 
uns die Gottheit zugetheilt. 



Kurs drugoletni (1841 — 1842) Litera- 
tury stawiariskiej wyktadanej w Kol- 
legium Francuzkieni przez Adama 

Mickiewicza. (Der zweitjährige Kurs 
der slawischen Literatur, vorgetragen im 
College de France von Ad. Mickie wiez.) 
Paryz 1642. XII u. 276 S. 8. 

Nach der Vorrede ist das vorliegende 
Buch auf eine eigenthümliche Weise entstan- 
den. Mickiewicz hat nämlich bei seinen Vor- 
lesungen weder ein Concept, noch trägt er 
nach etwa gemachten Notaten vor; sondern 
er spricht frei und wie es ihm der Augen- 
blick eingibt, über den Gegenstand, den er 
zu seinem Vorwurfe genommen. Alles was 
daher von seinen Vorlesungen übrig bleibt, 
sind entweder allgemeine kurze Notizen oder 
stenographische Nachschreibung. Beides bie- 
tet eigenthümliche Schwierigkeit, wenn man 
den Text möglichst getreu und dem Geiste 
des Gesprochenen angemessen zu Papier för- 
dern will. Mickiewicz hat zwar die Absicht, 
wie es daselbst weiter heisst, seine Vorträge 
nach Stenographien zu veröffentlichen ; allein 
darüber vergehe viel Zeit und die Redaction 
des polnischen Jonrnals : Dziennik narodowy, 
entschloss sich in Anerkennung der ungemei- 
nen Wichtigkeit des Gegenstandes und in 
Besorgniss, es sei Gefahr im Verzug, da es 
sich um höhere Zwecke handele, die Vorle- 
sungen allwöchentlich unter jdem Titel von 
, ? Auszügen" in ihrem Blatte zu veröffent- 
lichen. Diese „Auszüge" wurden nun frei- 
lich ohne Beihülfe des Autors nach Notaten 
und Stenographien gemacht und es können 
sich bei der Eile, mit welcher diess gesche- 
hen musste, leicht Irrthümer, Missverständ- 
nisse des Gesprochenen und dergleichen ein- 
geschlichen haben. Der Verfasser war auch 
nicht im Stande, die Handschrift zu lesen, 
noch die etwa vorkommenden Fehler zu ver- 
bessern; allein dennoch erkannte er selbst 
den Text für ächt an und setzte dem Unter- 
nehmen kein Hinderniss in den Weg. So 
wurden dann jene Berichte im Dziennik na- 
rodowy umgebrochen und in dieses Buch zu- 
sammengedruckt Auf eine ähnliche Weise 
soll auch der erste Curaus (1840 — 1841) 
herausgegeben werden. Wenn wir nun offen 
eingestehen, dass es uns viel lieber gewesen 



Digitized by Google 



60 



wäre, wenn Mickiewicz die Herausgabe sei- 
ner Vorlesungen selbst übernommen hätte, 
auch wenn wir noch ein Jahr auf die Er- 
scheinung derselben hätten warten sollen: 
so müssen wir doch anderseits auch wieder 
der Redaction des Dz. nar. uns zu Dank 
verpflichtet fühlen für ihre Gabe, da wir 
sonst vielleicht ganz um dieses eben so in- 
teressante als wichtige Werk hätten kommen 
können. 

Der „Kursus" von Mickiewicz ist nicht 
etwa eine Geschichte der slawischen Litera- 
tur; eine solche zu geben lag nicht in seiner 
Absicht, noch hielt er es für seiner Stellung 
angemessen. In der Einleitungsvorlesung zu 
diesen zweiten Kurs sagt er ausdrucklich: 
es handle sich hier nicht um die Literatur- 
geschichte der vielen slawischen Völker; und 
setzt hinzu: so oft es dann bei der Ueber- 
fülle des Gegenstandes nothwendig werde, 
einen Augenblick inne zu halten und sich 
umzusehen, um sich nicht zu verirren, um 
alles unter einen Gesammtbtick zusammen- 
zufassen: dann müsse er sogar das slawische 
Land ganz und gar verlassen, und sich auf 
einen höheren, allgemeinen Standpunkt stel- 
len, ja selbst dem Westen seine philosophi- 
sche Sprache entlehnen und die Idee des 
Slawenthums mit der Europa's verknüpfen. 
So habe er es im vorigen Kurse gethan, so 
wolle er es auch in diesem halten. 

Der Zeitraum vom Ende des XVIF. bis 
zum Anfang des XIX. Jahrhunderts soll in 
seinen literarischen Werken der Politik, Phi- 
losophie und der Kunst die Materialien zn 
den Untersuchungen für den folgenden Kurs 
liefern. Dieser Gegenstand wird sich leich- 
ter behandeln lassen , weil die Slawen in 
dieser Zeit bereits an den Geist Europa's 
sich anzuschliessen begannen. Hier waren 
die Uranlange zu der gegenwärtigen allge- 
meinen Kegung unter den slawischen Völker- 
schaften, deren Grundidee der Autor zu ei- 
nem Hauptgegenstande seiner Entwickeln ng 
machen wolle. (I. Leck) — Das Jahr 1620 
ist der Wendepunkt für die Geschichte der 
slawischen Literatur; hier brach die böhmi- 
sche zusammen, die polnische fing an, ihrem 
Falle sich zu nähern, und in Russland sank 
die slawisch -kirchliche immer tiefer hinab; 
an ihrer Stelle erhob sich aber nur langsam 
die neurussische oder moskowiscbe im Volks- 
dialekte. Sie wurde anfangs vom polnischen 
Geiste beherrscht ; aber allmäblig verlor sich 
die Macht desselben; die Jesniten begannen 
alle geistige Kraft an sich zu reissen, um 
jeden Fortschritt zu hemmen ; die Scholastik 
fing ihr Wesen an zu treiben, und Schwiit- 
stigkeit und schmachvolle Lobhudelei herrsch- 
ten in der Literatur. Unter diesen Umstän- 
den erhob sich auch in Polen die Volks- 
sprache, deren schönstes Denkmal aus je- 
ner Zeit die Memoiren von J. Chr. Pasek 
sind, aus denen Mickiewicz vieles Interes- 
sante zur Charakteristik jener Tage beibringt. 
(II. Lect.) Nun wurde bald das Franzosen- 
thum herrschend in Polen, und Warschau 
hatte bereits 1650 ein polnisches Theater. 
Allein eben weil es französisch war, blieb 
es dem Geiste der Nation fremd. Dann ka- 



men die Schweden in das Land und bedroh- 
ten die Selbstständigkeit des Staates; aber 
kein inländischer Historiker berichtet das 
Unglück jener Tage, wo Polen von seinen 
eigenen Söhnen verlassen und an Schweden 
übergeben wurde. Der unglückliche Jan Ka- 
zimir war nach Schlesien geflohen, das ganze 
Land dem Feinde überlassen ; nur ein M ö n c h 
blieb treu dem Vaterlande und seiner Nation 
und vertheid igte im unerschütterlichen Ver- 
trauen auf Gottes Hülfe den einsamen Fel- 
sen von Czenstochow mit einigen Hunderten 
gegen viele Tausende; und stellte damit den 
glänzendsten Beweis dafür aul, dass in dem 
Glauben „an einen unmittelbaren Einfluss der 
unsichtbaren Welt auf die sichtbare die ei- 
gentliche moralische und politische Kraft Po- 
lens'* liegt. Die Memoiren Kordecki's sind 
das einzige, aber ein herrliches Denkmal je- 
ner Zeit (Lect. IV.) Der Verfasser geht nun 
(Lect. V.) auf die gleichzeitige Geschichte 
Russlands über; er zeigt, wie seit der Er- 
hebung des Hauses Romanow auf den russi- 
schen Thron das Fremdenthum immer mehr 
überhand nahm; Deutsche, Franzosen, Eng- 
länder strömten schaarenweise nach Russ- 
land; eine slawische Sitte nach der andern 
wurde vernichtet; den tiefsten Schlag ver- 
setzte dem slawischen Elemente die Aufhe- 
bung des mjestniczestwo (wornach unter den 
Bojaren der ältere im Staatsdienste immer 
einen Vorzug genoss vor dem jungem) und 
des öffentlichen Gerichtsverfahrens, dieses 
urslawischen Staatselementes durch Einfüh- 
rung der „geheimen Kanzelei." Durch 
beide Massregeln indess wuchs die Macht 
des Staatsoberhauptes. In Polen dagegen 
kam nm dieselbe Zeit das fürchterliche Veto 
auf, das alle Bande der Ordnung zerstörte, 
und jede literarische Bestrebung mit dem 
Lärmen der Kriegstrompete übertäubte. Russ- 
land bekam um diese Zeit ein neues Leben 
durch Peter den Grossen. (Lect. VI.) Seine 
Reformen verwandelte Russland nach Grund- 
sätzen, die ganz antislawisch waren. Nun 
wurde die grossrussische Volkssprache 
zur Geschäf tssprache gemacht, (Lect. 
VII.) und das war ein ungemein wichtiger 
Schritt, der, wenn er auch nicht im Stande 
war, alle den die nationale Literatur und 
Kunst Russlands vernichtenden Einfluss der 
Gewaltigen zu polarisiren , doch den Keim 
zu der spätem nationalen Entwickelung in 
sich trug. Durch denselben ward die Geist ■ 
lichkeit anfangs von allem Einfluss auf die 
Literatur ausgeschlossen — sie sprach diu 
Kirchensprache — und der Ausgangspunkt 
der neuen Literatur aus dem Leben des Vol- 
kes oder des Staates nothwendig gemacht. 
Sie entwickelte sich in Russland aus dem 
beides in sich vereinigten Militairstande; 
und da dieser von dem durch Peter herein- 
gebrachten fremden Geiste beherrscht wurde, 
athmeten auch die ersten merklichen Erschei- 
nungen derselben nur ausländischen Geist; 
Kantemir schrieb in russischen Worten, aber 
französische Gedanken und französischen 
Witz; so zwar, dass ihn einzelne Literatur- 
historiker sogar als der russischen Literatur 
nicht angehörend übergehen. Von einer rus- 



Digitiaed by Googte 



sischen Schriftsprache (im Geist« der Nation) 
war damals noch keine Kede ; sie führte erst 
Lomonossow ein. Kr, sowie Chwastow und 
die übrigen gleichzeitigen Schriftsteller un- 
ter Katharina I. und ihren Nachfolgern wa- 
ren Männer von Rang und Würden, oder 
wurden wenigstens zu solchen gemacht; die 
Literatur erfreute «ich im Dienste des Hofes, 
ohne an den Geist der Nation sich anzu- 
schliessen. Und der Hof war damals noch 
nicht im Stande, sie aus ihrer Niedrigkeit 
zu erheben; denn er ward von den auswär- 
tigen Angelegenheiten des Staates allzusehr 
in Anspruch genommen. Erst als unter Ka- 
tharina II. Ruhe und Frieden in das Land 
zurückkehrte, wurde ein legeres geistiges 
Leben wach. Dasselbe fand in Polen unter 
Stanislaw August statt; denn die früheren 
Bemühungen eines Konarski und der Piari- 
sten zeigten erst jetzt ihre Wirkung. So be- 
ginnt denn mit dem Jahre „1760 eine 
neue Periode*' für die nördlich-slawi- 
sche Literatur; die südliche und westliche 
(in Böhmen) blieb in ihrem Todesschlummer, 
aus dem letztere auch die Anstrengungen ei- 
nes Marschall Kinsky* nicht zu wecken ver- 
mochten. Naruszewicz und Derzawin sind 
die beiden Vorkämpfer dieser Epoche. Letz- 
terer ist kein lyrischer Dichter ; die Slawen 
haben überhaupt bisher noch keinen solchen, 
sonst wurden sich grössere Krfolge in der 
Literatur zeigen; denn die Lyrik hat auf 
die Slawen ein ungemeines Gewicht, das 
zeigen ihre Volkslieder und die Musik der- 
selben (worüber sehr viel Treffliches gesagt 
wird). In Polen beginnt eine neue Geschich- 
te; dieConfederation von Bar und ihre Grund- 
idee, ausgebildet durch den Priester Marek, 
und in ihrer Literatur die erste Stimme wah- 
rer lyrischer Poesie erhebend, bildet den 
Dichter- Kreis, an dessen Spitze Krasicki 
steht , widerspricht aber durchaus der Idee, 
welche sich an dem Petersburger Hofe ent- 
wickelt hat, so dass sich endlich der Grund- 
gedanke herausstellt, das erwacliende Gefühl 
der Unabhängigkeit unter den Russen könne 
sich nicht vereinigen mit der Freiheit Polens. 
Dadurch wird nun der Kampf vorbereitet, 
in welchem „Polen von Russland zermalmt" 
wurde. „Und nun (fahrt Mickiewicz S. 130 
(ort) ist es nothwendig, die Umgestaltung 
der von Polen repräsentirten Idee zu ver- 
folgen und zu sehen, ob diese Idee wieder 
verkörpert werden könne; denn ausser die- 
ser Idee gibt es keine hinreichende Macht, 
welche im Stande wäre, Russland zu bän- 
digen, und seinem Einfluss ein Gleichge- 
wicht zu halten — oder es auf eine bessere 
Bahn zu lenken." Ehe er indes» auf diesen 
Wettkampf tiefer eingeht, überblickt der Au- 
tor noch ein Mal den Zustand des slawischen 
Volkes, zeigt wie derselbe ein viel schlim- 
merer sei )als zu den Zeiten des Jornan les 
und Prokopios, da dasselbe von allen Seiten 
niedergebeugt werde; aber zwei ^Grundideen 
seien gerade durch diese Bedrückungen fin 
das Volk desto tiefer eingedrungen, dio'Zu- 
versicht auf die Hülfe Gottes und der Ge- 
danke, dass alle slawischen Völkerschaften 
nur ein einziges Voik bilden. Dieses führt 



ihn zu „dem Ueb ergange In die 
neue Literatur" (S. 132). Die gröss- 
ten Dichter der vergangenen Periode in Po- 
len begleiten im feierlichen Zuge ihr Vater- 
land zu Grabe (Lect. XIX.); in Russland 
singt Derzawin seine Ode auf die Ein- 
nahme Warschaus. Aber selbst unter dem 
Joche Russlands schreitet Polen vorwärts; 
es beginnt seine socialen Reformen und führt 
so die „Geschichte und Literatur 
der Jfc'euzelt" herbei, welche beide von 
Mickiewicz gemeinschaftlich behandelt wer- 
den. Ausserhalb Polens (Lect. XXI.) wirkt 
der Geist eines Niemcewicz für sein Volk 
und die Freiheitslieder der Legionisten sind 
das Losungswort für die nächstfolgende Ge- 
schichte. Während den Polen im Westen ein 
neuer Anhaltspunkt in Napoleon in Aussicht 
gestellt wird, schmachten Tausende ihrer 
Brüder in Sibirien und veranlassen nun, dass 
der Name „Sybir" zuerst in der polnischen 
Literatur genannt wird, aber dann desto 
häutiger und immer in den Farben, mit wel- 
chen Dante seine Hölle gemalt. Napoleon 
kam und gründete das Fürstenthum War- 
schaw; es entstand die polnisch - napoleoni- 
sche Literatur (Lect. XXVI.): Kozmian, 
Wenzyk (Wezyk), Godebski, Reklewski, 
Gorecki. Aber Napoleon fiel, und aus dem 
freien Fürstentum ward ein russisches Kö- 
nigreich (Napoleons Wichtigkeit für das Sla- 
wentum, seine Sendung S. 200.). In Russ- 
land war indess das Licht Karamzins aufge- 
gangen; es entstand eine Reaction des Sla- 
wenthums gegen das eindringende Fremden- 
thum von Petersburg, an deren Spitze Isich 
Moskwa stellte. Die Geschichte der Litera- 
tur verwuchs mit der Staatsgeschichte auf 
das Innigste. (Lect. XXVII.) Das religiöse 
Gefühl , das einzige Mittel , die slawischen 
Völker zu vereinen, machte sich in Polen 
wie in Russland geltend, Batjnschkow ist 
hier der Trüger desselben. Dieses und das 
neuerwachte Gefühl der Nationalität, das in 
Puschkin seinen glänzenden Repräsentanten 
fand, riefen die grosse Verschwörung her- 
vor, die nach dem Tode des Kaiser Alexan- 
ders zum endlichen Ausbruche kam, aber 
gänzlich Inisslang, und so nach der Ansicht 
des Autors die russische Literatur zu Grabe 
trug. (Vrgl. den von uns aus dem „Kursus" 
mitgeteilten Abschnitt S. 51.) — Die polni- 
sche Literatur der Gegenwart hat 
zwei einander fern stehende Elemente, eines 
im Vaterlande, und ein anderes in der Emi- 
gration. Jenes berührt Mickiewicz nur ganz 
oberflächlich ; dieses dünkt ihm das Wicbtig;- 
ste und das für die Zukunft entscheidende. 
Es ist rein politisch seinem Wesen nach; 
die beiden Dichterschulen: die litauische 
und die ukrainische, reichen einander die 
Hände, die Idee des Panslawentbums ver- 
breitet sich nun allmählig unter diesen Schrift- 
stellerkreis. (Lect. XXXII.) Die letzte, die 
drei und dreißigste (!) Vorlesung ist die in- 
teressanteste des ganzen Werkes; hier stellt 
der Verfasser seine Grundansichten über den 
Charakter und die Zukunft der slawischen 
llauptvölkerschaften auf. Er sagt, in Russ- 
lands Staatsmaxime herrschen noch dieGrund- 



Digitized by (jOOgl 



sätze des früheren Jahrhunderts, der Mate- 
rialismus und das Streben der Regierung, 
alle Kräfte zu beherrschen, um sie nach die- 
sem Ziele zu leiten. Die Czechen haben ihre 
Sendung unter den Slawen erkannt; sie sol- 
len die Vorkämpfer derselben auf dem Felde 
der Wissenschaft sein. Die Idee Polens ist 
die Idee des Messianismus, concentrirt in 
einem einzigen Menschen, den die Nation 
erwartet (die übrigen slawischen Völkerschaf- 
ten werden als nichtstimmfiihrend gar nicht 
erwähnt). Auf diese Weise sind nur die bei- 
den wirklichen Slawenstämme berufen , in 
die Räder der Politik einzugreifen. Durch 
den Gang der Geschichte ist das tatarische 
,,AUa!" der Ton geworden, den die russi- 
sche Nation anschlägt; der ritterlich -christ- 
liche Grundton der polnischen Nation dage- 
gen ist ermattet, seit das Mittelalter eine 
andere Wendung genommen. Russland fand 
an Napoleon einen iiherlegenen Gegner; al- 
lein er vermochte es nicht zn beugen. Po- 
len, das zu anderen Grundsätzen sich be- 
kennt, als welche die Philosophie des Westen 
lehrt, hofft einen Messias in seiner Mitte 
zu erwecken, der die grossen Fragen des 
Slawenthums entscheidet; das haben seine 
Dichter und grössten Männer vorher ver- 
kündet. Mickiewicz führt ihre oft merk- 
würdigen Prophezeiungen an und schliesst 
seine Vorträge mit den Worten Brodzinski's: 
„Und darum wachet also, all' ihr Mütter, 
und all* ihr Lehrmeister und Prediger! jede 
lebende polnische Seele sehne sich und wa- 
che; denn du weisst weder den Ort noch|die 
Stunde, wo du berufen wirst. Kin Jeder 
wache, der gemeine Mann wie der Weise, 
der entschlossene Held wie das schwache 
Weib. Kr horche, wo das Gras wächst und 
beachte jedes Wehen des Windes : vor allem 
aber glühe seine Seele zu Gott , welcher al- 
lein die Gnade herab sendet und die Befähi- 
gung schafft, sie zu empfangen!'* — 

Diess ist in kurzen und unvollkommenen 
Zügen der Inhalt eines Buches , das die 
Runde durch das ganze Slawenthum machen 
wird, das Jeder lesen muss, der irgendwie 
Anspruah auf Kenntnis» des slawischen Na- 
tionalgeistes und seiner tintwickelung ma- 
chen will. Wir wiederholen , es lag nicht 
in der Absicht des Verfassers, eine Geschichte 
der slawischen Literatur vorzutragen; dazu 
fehlt es ihm bisher nach seinem eigenen Ge- 
ständniss an der allumfassenden Krudition, 
welche das Kleinste wie das Grösste kennen 
muss, um ein Urthcil darüber zu halten. 
Das Buch ist vielmehr eine Geschichte der 
Kntwickelung des slawischen Nationalgeistes 
nach jeder Seite hin, in staatlicher, wissen- 
schaftlicher, artistischer, kurz in jeder Rück- 
sicht, wo sich der Geist einer grossen Na- 
tion offenbart. Und zu einer so grossarti- 
gen Aulfassung des Slawenthums ist der Ge- 
nius Mickiewicz's besonders berufen; von ihm 
verlangen wir nicht das Sichverlieren im De- 
tail, dazu reichen unsere eigenen Kräfte hin; 
er muss das All umfassen und in seiner Seele 
die tiefsten Beziehungen unserer Nationali- 
tät zu dem Geiste der Menschheit, zu dem 
Geilte der Zeit und Ewigkeit abspiegelnd 



die Wege uns zeigen, die wir zurückgelegt 
und die Bahnen uns vorzeichnen, die wir 
wandeln sollen. Und darum ist sein Buch 
von nnermesslichem Werthe Air die Gegen- 
wart und ein entscheidendes Gewicht für die 
Zukunft in der Wagschale des Slawenthums. 



Slowanskj Ncirodopis. Slawische Ethno- 
graphie von P. J. Schafarik. Mit einer 
Karte. Prag 1842. XII u. 167 Seiten. 
Ein Buch, dessen erste Auflage bereits 
vor ihrem Erscheinen vergriffen war, und 
sogleich einen zweiten Abdruck nothwendig 
machte. Der Name Schafariks und die be- 
kannte Thatsache, dass er sich seit mehr 
als 10 Jahren mit diesem Gegenstande be- 
schäftigt, dass er mit den verschiedensten 
Männern in allen slawischen Ländern in die 
genaueste Correspondenz getreten, mit ei- 
nem Worte, dask er Alles aufgeboten hatte, 
was in den Kräften eines Einzelnen bei Un- 
terstützung einer zahlreichen Menge von 
Freunden stand: war die Ursache einer so 
einzig und allein dastehenden Erscheinung 
auf dem Felde der böhmischen Literatur. 
Bereits vor einigen Jahren hatte der hoch- 
geehrte Verfasser seinen Kntschluss geäus- 
sert, er wolle für jede der zwei historischen 
Epochen, die er in seinen ,, slawischen Alter- 
thümern" aufstellt, eine eigene Karte über 
die Sitze und die Ausbreitung der einzelnen 
slawischen Völkerschaften veröffentlichen. In 
der Folge änderte er seinen Entschluss da- 
hin, dass er eine umfassende Karte über die 
gegenwärtigen geographischen Verhältnisse 
der Slawen entwarf, ans welcher man auch 
die früheren Sitze der ein/einen Stämme 
herauszusuchen im Stande sei. Zur Grund- 
lage der seinigen legte er den Abschnitt der 
grossen Reymannischen Karte von Europa, 
welche freilich unter seiner Hand in vieler 
Hinsicht eine andere Gestalt bekam. Auf 
der vom Verfasser so ausgearbeiteten Karte 
bilden nun die Grenzen der einzelnen slawi- 
schen und der anwohnenden fremden Völker- 
schaften die Grundlage; die Vertheilung der- 
selben unter die verschiedenen Staaten ist 
nur leichthin durch rothe Grenzstriche ange- 
deutet. Bei der Bestimmung der Grenzen 
der einzelnen Volksstärnme wurde die gegen- 
wärtige Sprache derselben zum Kennzeichen 
ihrer Stammeseinheit angenommen; die Aus- 
breitung eines Stammes aber in jene Gren- 
zen eingeschlossen, bis wohin der oder jener 
slawische Dialekt von dem Volke als herr- 
schend gesprochen wird. Auf die Städtebe- 
wohner konnte nach der allerdings gültigen 
Ansicht des Verfassers hierbei nicht Rück- 
sicht genommen werden, da in manchen sla- 
wischen Länderstrichen die Städte zum gros« 
sen Theil von NichtSlawen bewohnt sind. 
Um den Gebrauch der Karte noch zu er- 
höhen, wurde derselben eine ethnographische 
Uebersicht unter dem obenstehenden Titel 
beigegeben. In dieser nun ist der ganze 
slawische Volksstamm nach seinen Haupt- 
völkerschaften abgetheilt und von jeder der- 
selben eine noch genauere Umgrenzung des 



Digitized by Google 



von ihr bewohnten Gebietes bis auf die 
kleinsten Zwischenräume beschrieben. Da- 
bei sind die eigentümlichen provinziellen 
and örtlichen Volksnamen, wie sie sich hier 
und da erhalten haben, allenthalben angege- 
ben ; ebenso die Zahl der einem jeden Stam- 
me Angehörenden Uberhaupt, sowie in An- 
betracht der religiösen Verschiedenheit, ge- 
nau bestimmt Und dieses ist der Hauptge- 
genstand des Buches. Dagegen bilden die 
grammatischen Unterscheidungsmerkmale der 
von den einzelnen slawischen Völkern ge- 
sprochenen Dialekte, welche der Verfasser 
bei jedem derselben angiebt, sowie der kurze 
Ueberblick der Literaturgeschichte, welchen 
er bei jedem Stamme mittheilt, nach dem 
Willen Schafarik's nichts als untergeordnete 
Beilagen seines Buches. In Hinsicht der 
statistischen Angaben bemerkt der Verfasser 
ausdrücklich, „er habe seit vielen Jahren 
weder Fleiss noch Muhe gespart, um in die- 
ser Hinsicht die grösstmöglichste Gewissheit 
oder wenigstens Wahrscheinlichkeit zu errin- 
gen. Sollten daher seine Bevölkerungszah- 
len mit den gebräuchlichen, vielleicht für of- 
fiziell ausgegebenen, nicht überall überein- 
stimmen , so bittet er den Leser, er möchte 
die Ursache ^ davon nirgends anders suchen, 
als wo sie einzig zu suchen sei, nämlich in 
der Sache selbst, keineswegs aber in seiner 
Unaufmerksamkeit oder seinem Leichtsinn. 
Er könne davon (setzt er hinzu), sowie von 
einigen andern Dingen gar manches Beleh- 
rende und Erbauliche erzählen, wenn das 
anders her gehörte.** 

In der Einleitung theilt der Verfasser die 
Bewohner der Knie nach ihren einzelnen 
Stämmen ab und hebt den slawischen, als 
den ihn vorzüglich interessirenden hervor. 
Der erste Theil seines Buches bespricht die 
slawische Sprache, welche in den östlichen 
und westlichen Zweig abgetheitt wird. Der 
«etliche Zw eis; (I. Abth.) breitet 
sich über ganz Russland, einen grossen Theil 
der Türkei und den südöstlichen Theil Oest- 
reichs aus, und zählt 62.017,000 Köpfe, von 
denen auf Russland 48,5 f JO,0O0, Oestreich 
7,327,000, die Türkei 6,100,000' kommen. 
Dazu gehört ( Cap. 1. ) die magische 
Sprache; sie dehnt sich über Russland und 
den östlichen Theil Oestreichs aus, und wird 
von 51,184.000 Menschen gesprochen, von 
denen 48,410,000 zu Russland , 2,774,000 zu 
Oestreichl gehören. Davon bekennen sich 
47,844,000 zur griechischen, 2,990,000 zur 
griechisch-unirten und 350,000 zur römischen 
Kirche. Die Sprache theilt sich in 3 Dia- 
lekte, a) Das Grossnusische nimmt den grÖss- 
ten Theil des russischen Reiches ein und 
hat einen wichtigen Unterdialect , den Now- 
gorodischen. Die Anzahl der Grossrassen 
belauft sich mit Kinschlnss der Nowgoroder 
auf 35,314,000, ohne diese auf 32,084,000, 
welche sich sämmtlich zur griechischen Kir- 
che bekennen, aber in Rechtgläubige (»ra- 
woslawni) und Altgläubige ( raskolniki ) un- 
terscheiden. Unter den verschiedenen Mund- 
arten, welche von dieser Menschenmasse ge- 
sprochen werden, ist die um Moskwa herr- 
schende als die schönste und in Folge histo- 



rischer Ereignisse zur Schriftsprache erho- 
ben worden. Neben ihr und der bereits er- 
wähnten Nowgoroder wird anch die Suzda- 
lische und die jenseits der Wolga unterschie- 
den. Die Nowgoroder Mundart wird in dem 
giössten Theile des Gebietes dieser ehema- 
ligen Republik, und zwar in dem ganzen 
Pskower und dem grössten Theile des Now- 
goroder, Petersburger und Twerer, sowie 
einem Theile des Smolensker Gouvernements 
gesprochen. Zu ihr bekennen sich 3,230,000 
Anhänger der griechischen Kirche. Die ei- 
gentümliche Literatur dieser Mundart dauer- 
te nur bis zum Fall der Republik in die 
zweite Hälfte des XV. Jahrhunderts. 

b) Der k1einru**ische Dialekt, südlich dem 
grossrussischen gesprochen , herrscht in den 
ehemals von den Kosaken bewohnten Ge- 
bieten bis zu den Mündungen des Dnicpr 
und Dniester und dehnt sich westlich nach 
Galizien und über die Karpathen nach Un- 
garn hinein. Anch die sogenannten russischen 
oder südöstlichen Provinzen des ehemaligen 
Polenreichs, die Ukraine, Podolien, Woly- 
nien, sowie das sogenannte Rothrnssland (die 
czerwenischen Städte) sind von Kleinrussen 
oder Russinen, wie sie auch heissen (auch 
Rothrussen werden sie genannt), bewohnt; 
nur ist in diesen Gegenden der Adel und die 
Städtebewohner polnisch der Abknnft und 
Sprache nach. Mit Ausschluss dieser zählt 
man ächte Russinen 13,144,000, von denen 
10,370,000 russische und 2,774,000 östreichi- 
sche Unterthanen (2,149,000 in Galizien nnd 
tt25,000 in Ungarn) sind. Unter diesen gehö- 
ren 10,154,000 zur griechischen und 2,990,000 
zur unirten Kirche ; von letzteren sind 2,774,000 
in Oestreich und 216,000 im Königreiche Po- 
len. Der kleinrussische Sprachdialekt im 
XIV. XV. und XVI. Jahrhundert häufig 
schriftlich angewandt, sank durch die Herr- 
schaft des Grossrussischen zur blossen Volks- 
sprache herab und wurde erst vor wenigen 
Jahren als eine eigentümliche Seltenheit 
von einigen kleinrussischen Schriftstellern 
mehr als Spielerei und zu komischen Zwe- • 
cken wieder als Schriftsprache gebraucht. 

c) Der weitsrmsiache Dialekt, in den ehe- 
maligen polnischen Provinzen Weissruss- 
lands gesprochen, hat noch weniger Gewicht 
als der kleinrussische, denn im Ganzen giebt 
es 2,726,000 Weissrussen, von denen 2,376,000 
der griechischen und einige 350,000 der rö- 
misch-katholischen Kirche zngetlian sind. 
Das Weissrussische theilt sich in zwei Unter- 
mundarten, die eigentliche weissrnssische und 
das lithauisch- russische , von denen die er- 
stere im XIV., XV. und XVI. Jahrhundert, 
die letztere dagegen in der Jetztzeit, freilich 
nur in lithnrgischen und religiösen Schriften 
für das Volk, angewendet wird. 

2. Die bolsjar Ische Sprache, wel- 
che einst in den ganzen Donauländern herr- 
schend war, wird gegenwärtig nur noch von 
dem Stamme der Bolgaren gesprochen. Scha- 
farik nennt den cyrillischen oder Kirchendia- 
lekt auch den Altbolgarischen und giebt so- 
mit an dieser Stelle die eigentümlichen 
Kennzeichen desselben, sowie den Kntwicke- 
lungsgang seiner Literatur und der Forschun- 



Digitized by CjOOgl 



gen in demselben bis auf unsere Tage an. 
Das eigentliche, oder N en bo Igaris che, 
das sudlich von der Donau in den Gegenden 
des allen Mösien, Thracien und Macedonien 
gesprochen wird, unterscheidet sich in vieler 
Hinsicht gänzlich von dem Attbolgariscben 
und es dürfte wohl Niemand im Stande sein 
(wie Schafarik in seinen „Altertbümern" sich 
ausdruckt), in diesem die Ursprache für Je- 
nes wieder zu finden. Schafarik nimmt die 
Anzahl der Bolgaren in der Türkei zu 3'/» 
Millionen (Ami Boue 4Yi Mill.) an; in Kur- 
land zählt er K),000, in Südungarn 7,000, 
was zusammen 3,687,000 beträgt. Von die- 
sen bekennen sich 3,2*97,000 zor östlichen 
und etwa 50,000 in Ungarn und Bolgarien 
zur römischen Kirche; 250,000 sind zum Mo- 
liamedanismus abgefallen, ohne jedoch ihrer 
angestammten Sprache entsagt zu haben. 
Für die Literatur kann jetzt, so lange sie 
unter dem türkischen Joche sehmachten, fast 
gar nichts gescheiten; nur diejenigen, welche 
unter russischem Scepter stehen, haben in 
unseren Tagen angefangen , einiges für die 
geistige Hebung ihres Volkes zu thun ; Paw- 
low in Odessa gibt sogar eine kleine Zeitschrift 
unter dem Titel: „bolgurischer Morgenstern 4 * 
heraus. 

3. Der südslawisch«, oder wie 
ihn Schafarik nennt, der IllyriwChe 
Dialekt, herrscht in den westlichen Provin- 
zen der Türkei und den sudöstlichen Oest- 
richs; und zwar hier in Sud - Steiermark, 
Kärntben, Krain und dem Küstenlande, im 
Osten des Königreichs Venedig, in Dalmatien 
und auf den Inseln, in Siidungarn, in Croa- 
tien, Slawonien und der diesen drei Landern 
anliegenden Militairgrenze ; in der Türkei: 
in Bosnien, der liercegowina, dem alten Kas- 
cien, in Serbien, Czernagora (Montenegro) 
und in Nord -Albanien. In diesen weiten 
Gebieten wohnen an 7,246,000 Südslaweu, 
von denen 4,54*3,000 unter östreichi scher, 
2,800,000 unter türkischer und 100,000 (das 
sogenannte neue Serbien in Siidrussland) un- 
ter russischer Herrschaft stehen. Unter ih- 
nen sind 3,603,000 Katholiken, 2,890,000 grie- 
chischen Glaubens, 13,000 Protestanten und 
550,000 Mohamedaner. Die Sprache theilt 
sich in drei Dialekte: l._Der urbische Dia- 
lekt, herrschend in den türkischen Provinzen 
nnd dem grössten Theit von Südungarn , in 
Slawonien, Croatien, Dalmatien, Sudkrain 
und Istrien, hat seit alten Zeiten eine wohl- 
ausgebildete Literatur, welche in unseren 
Tagen durch die glücklichen Verhältnisse 
Serbiens und durch die aufopfernden Bestre- 
bungen vieler Volksfreunde in Ungarn zu 
immer grosserem Leben sich entfaltet; die 
eigentlich sogenannte serbische Literatur un- 
terscheidet sich weniger durch die Eigen- 
tümlichkeit der Sprache, welche mit den 
übrigen von diesem Volkszweige gesproche- 
nen Dialekten fast ganz gleichlautend ist, 
als durch die Schrift von diesen; denn die 
Serben gebrauchen, weil sie zum griechisch- 
Blawischeu Glauben sich bekennen , die in 
den griechisch - slawischen Keligionsbüchern 
gebrauchliche cyrillische Schrift. Eine ganz- 
abweichende Schreibeweise entwickelte sich 

8l.w. J.krb. I. 



in den früheren Jahrhunderten in Dalmatien, 
die glagolitische, die aber nun nicht 
mehr im Gebrauch ist. Die Serben, als der 
HauNtstamin der Südslawen, werden auf etwa 
5,294,000 Köpfe geschätzt ; von diesen woh- 
nen in Ungarn und dem Banat 542,000, in 
Slawonien und seiner Gränze 738,000, in 
Croatien und der croatischen Grenze 620,000, 
in Sudkrain 40,000, in Istrien und dem Lit- 
torale 254,000, in Dalmatien 391,000. zusam- 
men in Oestreicb also 4,546,000; dagegen in 
Serbien 950,000, in Bosnien, Hercegowina, 
Rascien und dem Arnautischen 1,552,000, in 
Czernagora 100,000, zusammen in der Tür- 
kei 2,600,000; zu ihnen gehört auch die Co- 
lonie Neuserbien in Ruasland mit 100,000 
Köpfen. Der Religion nach sind 2,8<->0,000 
griechisch, 1,864,000 römisch, 550,000 moha- 
medanisch. 2. Der croa tische Dialekt, wird 
in Westungarn, im westlichen Theile von 
Croatien und auf der croatischen Gränze 
gesprochen ; er unterscheidet sich nur durch 
geringe Einzelnheiten von dem serbischen 
und hat erst seit dem XVI. Jahrhundert eine 
eigene Literatur, welche anfänglich durch die 
Reformatoren hervorgerufen, später durch 
die Fürsorge der östreiceischen Regierung 
wieder katholisch wurde. Dieses ist das ent- 
scheidende Kennzeichen derselben gegen die 
Serbische und eine der wichtigsten Ursachen, 
warum das unter den Crösten erwachte Stre- 
ben- nach Vereinigung aller Südslawen zu 
einer gemeinsamen Nationalität und Litera- 
tur bei den griechisch-slawischen Serben so 
heftigen Widerstand findet. Die Anzahl der 
eigentlichen Croaten ist gering, denn sie be- 
lauft sich nur auf etwa 801,000 Köpfe, aber 
sie sind alle eines Glaubens, katholisch, und 
streben nach einem gemeinschaftlichen Ziele 
und das gibt ihnen Gewicht 3. Der kärnih- 
nische Dialekt, gesprochen in Kämthen und 
Krain, in Südsteiermark, im Küstengebiet, 
in Friaul und in dem westlichen Strich von 
Ungarn; auch er hat einige kleine Ab wei- 
ch uu gen von den beiden vorigen Dialekten, 
sowie er sich durch die unglücklichen Zeit- 
versaltnisse, welche die Südslawen in viele 
Theile zerrissen, eine abgesondeite Literatur 
herausgebildet hat. Sie war zur Zeit nach 
der Reformation in grosser Blüthe und eine 
Masse von Büchern erschien, weil jeder 
Kreis seine besondere Mundart und Schrei- 
beweise beibehielt, welche dem benachbarten 
wieder fremd war. In der Neuzeit haben 
sich bereits einzelne Stimmen auch in die- 
sen Gegenden kund gegeben, welche ein 
vollständiges Anschliessen an die iiiirische 
Gesammtliteratur fordern. Die Völkerschaf- 
ten dieser Zunge nennen sich fast durchgän- 
gig Slowencen, was denn auch von uns fer- 
nerhin zur Bezeichnung ihrer Gesammtheit 
angenommen werden soll. Ihre Anzahl be- 
läuft sich gegenwärtig auf 1,151,000 K., da- 
von iu Steiermark 378,000, in Kämthen 
84,000, in Krain 398,009, im Küstengebiete 
217,000, in Friaul 22,000 und in Ungarn 
52,000. Auch sie sind, wie wir früher sag- 
ten , durchgängig Katholiken , nur einige 
13,000 Protestanten haben in Westungarn 
eine Zufluchtsstätte gefunden. 

J0 

Digitized by Google 



94 



2te Abth. Der westliche Sprach- 
zweig umfasst Polen, Böhmen, Mahren, Nord- 
ungarn and die beiden Laaaitzen, ist aber 
trotz seiner verhältnisstnässig geringen Aus- 
breitung unter 5 Staaten, Preussen, Sachsen, 
Oestreich, Russland und den Freistaat Kra- 
kau zertheilt. Zu dem westslawischen Zweige 
gehört auch der Klbflialckt, welcher 
einst in Norddeutschland bis an das Erzge- 
birge gesprochen, jetzt indess völlig ausge- 
storben ist. Cap. I. Der lechiMclie Sprach- 
zweig, herrschend in dem ehemaligen polni- 
schen Reiche, in Ostpreußen, in Ostpom- 
mern und Oberschlesien, theilt sich in zwei 
Dialekte: I. Der pol nisc he Dialekt wird 
gesprochen in dem Königreiche Polen, in 
den Westprovinzen von Russland, in Galizien, 
dem Freistaate Krakau, in Schlesien, dem 
Grossherzogthum Posen und dem ganzen 
südlichen Landstriche von Ost- und West- 
preussen. Die Anzahl der Polen beläuft eich 
auf 9,365,000 , wovon in Russland 4,912,000 
(im Königreiche 3,728,000, in den Westgon- 
vernements 1,184,000 ) ; in Oestreich 2,341,000 
(in Galizien 2,149,000 und in östreichisch 
Schlesien 192,000) ; in Preussen 1,992,000 ; 
im Freistaat Krakau 130,000 gerechnet wer- 
den. Nach der Religion sind 8,923,000 Ka- 
tholiken und 442,000 Protestanten ; diese zu 
meist in Ost- und West- Preussen. Zum 
Polnischen gehört als eine Nebenmundart das 
Kaschubische; die Anzahl dieses Volkes 
gibt Schafarik nicht an. Die Literatur der 
Polen ist nach der russischen die reichhal- 
tigste, doch durch das gegenwärtige Unglück 
des Volkes nur mit trüben Aussichten auf die 
Zukunft. Das Kaschubische in der Herrschaft 
Lauenburg und Biztom hat nur ein einziges 
Buch in seiner Literatur aufzuweisen; es ist 
der Catechismus von M. Pontan. Cap. II. 
Die böhmisch -catechische Sprache 
breitet sich vom Riesengebirge südlich nach 
Böhmen, Mähren und Ungarn bis an die Do- 
nau aus und wird von 7,167,000 Menschen 
gesprochen, wovon 44,001 zum preussischen, 
die übrigen zum östreichisch en Staate gehö- 
ren; 6,223,000 sind römisch-katholischen, 
944,000 protestantischen Glaubens. Dialekte 
unterscheidet man zwei, das eigentlich Cze- 
chische und das Ungarisch - Slowenische. 
1. Der czechische Dialekt wird in Böh- 
men und Mähren und dem äussersten Rnde 
von Preussisch - Schlesien gesprochen. Un- 
terdialekte hat derselbe eigentlich nicht, denn 
das Mährische ist eigentlich nur Mundart 
des Böhmischen. Im Ganzen rechnet man 
4,414,000 Czecben, davon sind 3,016,000 in 
Böhmen (die Deutschen in Böhmen belaufen 
sich auf 1,145,000, die Juden auf 66,000), in 
Mähren 1,354,000 (Deutsche sind in Mahren 
603,000, Polen 192,000, Juden 28,000) ; dazu 
wie oben 44,000 Mährer in Preussisch-Schle- 
sien. Von diesen sind 4,270,000 katholisch 
und 144,000 protestantisch. Die böhmische 
Literatur hat zwei Perioden, das sogenannte 
goldene Zeitalter, das die Schlacht am weis- 
sen Berge zu Grabe trug, und die jetzige 
Periode der neuerwachten Nationalbestrebun- 
gen, welche in raschem Fluge das ganze 
Volk durchdringen. Die Literatur des böh- 



misch-czechischen Dialektes ist zugleich aoeh 
die des ungarisch - slowenischen , denn die 
Slowaken schreiben czechisch und die Schrif- 
ten im Volksdialekte sind mehr als Spielerei 
zu betrachten. 2. Den ungarisch -slo- 
wenischen Dialekt sprechen die Slowaken 
im Norden von Ungarn; ihre Anzahl beträgt 
2,753,000, von denen 1,953,000 Katholiken 
und etwa 800,000 Protestanten sind. Cap. 
III. Die lautiitzitich •serbische Spra- 
che, gesprochen noch in den beiden Lausi- 
tz en von etwa 142.0C0 Serben. Sie theilt 
sich in zwei Dialekte: I. Der Oberlau- 
sit zische, als der höher gebildete und 
volkreichere, zählt 98,000, davon wohnen 
H0,000 in der sächsischen, 38,000 in der 
preussischen Lansitz. 68,000 sind von ihuen 
Protestanten, 10,000 Katholiken. Eine Lite- 
ratur langt erst seit der Reformation an und 
umfasst ausschliesslich religiöse Schriften; 
erst in der neuesten Zeit fängt man auch 
an, andere Gegenstände zu bearbeiten. 2. 
Der Niederlausitzische, nur von eini- 
gen 44,000 Menschen in der preussischen 
Niederlausitz gesprochen (sie sind durchaus 
Protestanten), und hat eine noch ärmlichere 
Literatur, welche auch nicht einmal in der 
Gegenwart zu einigem Leben sich zu erhe- 
ben vermag. 

Im II. Theile seines Buches bespricht Scha- 
farik die übrigen Sprachen, welche mit der 
slawischen im Verlaufe der Zeiten in grös- 
sere Berührung kamen. Sie gehören zn den 
Indo-Ruropäischen und dem nordischen Volks- 
stamme an (nach derselben Rintheilung wie 
sie der Verfasser in seinen Alterthümern in 
Hinsicht der Bewohner unserer Erde ange- 
nommen hat). I. Zu den Indo-Ku- 
ropäern gehört 1. der lithauiach«» 
Stamm, der sich nach seinen Dialekten in 
zwei Hälften theilt, den lettischen im Witebs- 
kischen , in Liefland und Curland und den 
eigentlich Lithauischen in den Gouvernements 
Wilno, Grodno, Augustowo und in Ostpreus- 
sen. Ihre Anzahl beläuft sich auf 2,3S0,00O, 
und zwar eigentliche Lithauer 1,438,000 (da- 
von 1,282,000 in Russland, 156,000 in Preus- 
sen; jene sind katholisch, diese evangelisch) 
und Letten 942,000 (alle in Russland, 822,000 
Katholiken und 120,000 Protestanten). Ihre 
Literatur liegt fast gänzlich brach. — 2. Der 
romanische Stamm, von welchem hier 
zwei Zweige in Betracht kommen: a) der 
Urwallachische Stamm oder die Rumuni, 
wie es scheint, auf thrakischer Grundlage 
durch Beimischung von slawischen und rö- 
mischen Elementen entstanden, bewohnt die 
nördlich von der Donau gelegenen Landstri- 
che von Ungarn, Russland und der Türkei. 
Ihre Anzahl beläuft sich auf 7,806,000; da- 
von in der Türkei, nämlich in derWallachei, 
der Moldau und Serbien 4,324,000 (darunter 
300,000 Macedo - Wallachen) , in Oestreich 
2,828,000, nämlich in Siebenbürgen und sei- 
ner Grenze 1,330,000, in Ungarn mit seiner 
Grenze 1,220,000, in der Bukowina 278,000, 
in Russland endlich 654,000, nämlich in Bes- 
sarahien 554,000 und in Cherson und Podo- 
lien 100,000. Von dieser Gesammtheit sind 
6,964,000 griechischen, 842,000 unirten Glau- 



Digitized by Google 



*5 



bens. Die Literatur wird erst seit einigen 
Jahrzehenden bearbeitet, b) Die Italiener 
grenzen mit den Slawen im Venedigschen und 
im Illyrischen, ebenso sind sie auf dem Litto- 
rale, im Friaul and in Dalum den mit denselben 
vermischt. — 3. Der deutsche Stamm, 
mit den Slawen mehr als jeder andere gren- 
zend und untermischt. Alle slawischen Län- 
der des östreichischen Staates haben einzelne 
deutsche Colonien in sich aufgenommen; man 
zählt in Böhmen 1,146,000, in Mähren <>03,000, 
in Galizien 93,000, in Krain 21.000, in Kärn- 
then 2:12,000, in Steyermark 600,000, in Un- 
garn ebenfalls 600,000, in Siebenbürgen 
430,000, zusammen 3,725,000 Deutsche ; da»u 
kommen in den deutschen Provinzen 2,750,000, 
so dass der ganze Staat eine deutsche Be- 
völkerung von 6,475,000 K. hat. — In Russ- 
land zählt man ebenfalls eine bedeutende 
deutsche Bevölkerung, so in Rsthland, Lief- 
land und Curland 80,000 Deutsche, in ein- 
zelnen Colonien, in Sud-, Ost- und Nord- 
Russland zusammen in einer Anzahl von 
etwa 160,000 Köpfen, wozu noch die deut- 
sche Bevölkerung von den drei Hauptstädten 
des Reiches mit 100,000 K. hinzu kommt. 
Kbenso hoch rechnet man die schwedisch- 
germanische Bevölkerung in einzelnen finni- 
schen Colonien, so dass das russische Reich 
wenigstens 440,000 germanische Bewohner 
hat. — 4. Der albanische Stamm, die 
sogenannten Arnauten, oder Schkipetaren in 
Albanien und den übrigen Provinzen der eu- 
ropäischen Türkei, die nach Ami Boue auf 
1,600,000 K. angeschlagen werden und theils 
Christen nach lateinischem und griechischem 
Ritus, theils Mohamedaner sind. Kine Lite- ■ 
ratur ist nicht vorhanden. — 5. Der uric- 
chische Stamm mit den Bolgaren gren- 
zend , auch über die übrigen Länder der 
Türkei , des Handels wegen zerstreut. — 6. 
Der armenische Stamm in Russland, 
am Don und der Umgegend wohnend, dann 
einzeln über das Land zerstreut; sie werden 
auch inOestreich und der Türkei gefunden.— 
7. Der ossetische Stamm mitten in dem 
Kaukasus zählt in Russland etwa 20,000 Seelen. 

Zu dem nordischen Völkerstamme 
gehören hieher, als mit den Slawen in Ver- 
bindung gekommen: 1. Der czudisch- 
finnlsche Stamm. Er theilt sich A. in 
die westliche und östliche Hälfte, zu der a) die 
Zyrjanen im Archangelskischen, 30,000 K.; 
b) Pennier 35,000 K. stark ; c) die Wotja- 
ken in Wjatka, 100,000 K.; d) dieCzeremis- 
sen in Kostroma und Kasan, Simbirsk und 
Orenbnrg 200.000 K. ; e) die Mordwinen in 
Nizegorod, Simbirsk, Orenburg, Saratow 
und Pensa 02,000 K. ; f) die eigentliche Czu- 
den oder Rethen in Rsthland und Nordlief- 
land 500,000 K. ; g) die Cznchoncen in Finn- 
land , Archangelsk , Olonec und Petersburg 
1,300,000 K.; h) die Loparen am weissen 
Meere und in Nordfinnland kaum 22,000 K. 
gehören. Die Gesammtzahl dieser czudisch- 
tinnischen Völkerschaften in Russland beläuft 
sich auf 2,580,000 Seelen. — B. Die f mili- 
chen Czuden, d. i. die Magyaren in Ungarn 
und Siebenbürgen mit den Szeklern, Rumä- 
nen und Jazygen; sie sind nirgends in com- 



pakten Massen, sondern überall unter den 
Slowaken , Chorwaten , Serbiern, Wallachen 
und Deutschen vermischt. Ihre Anzahl be- 
trägt in Ungarn 3,500,000, in Siebenbürgen 
528,000, zusammen 4,028,000; davon sind 
2,000,000 Protestanten, die übrigen römische 
Katholiken. — 2. Der samojedische 
Stamm in Archangelsk und tief nach Nord- 
asien hinein verbreitet, zählt kaum mehr als 
70,000 Seelen. — 3. Der tatarische oder 
tfirkiseke Stamm. A. In Russland: a) 
die eigentlichen Tartaren zu beiden Seiten 
der Wolga, in Orenbnrg, Simbirsk, Saratow, 
Nidegoroz , etwa 150,000; b) die Nogaier, 
die einen am caspischen, die andern am aso 
wischen Meere , zusammen etwa 400,000 ; 
c) die krimmischen Tataren 200,000; d) die 
Basjaner und Kumier auf den Gipfeln des 
Kaukasus und am Terek und Sulah in sehr 
geringer Anzahl. Dazu gehören auch noch 
in Russland : e) die Baschkiren am Südural 
200,000; f) die Meschczeraken in Orenburg 
93,000; g) die Cz u waschen in Kasan 270,000 
und in Orenburg 57,000, welche indes» be- 
reits ziemlich ganz russisch sind. Die An- 
zahl dieser tatarischen Völkerschaften ersteigt 
die Höhe von wenigstens 2,000,000. B. In 
der Türkei : Obgleich die Türken hier das 
herrschende Volk sind, so belauft sich ihre 
Anzahl doch kaum auf 700,000, während die 
übrige Bevölkerung der europäischen Türkei 
wenigstens 15,000,000 beträgt. Die wahren 
Osmanli sind in dem östlichen Theile des 
Reiches um Constantinopel und Drinopel zu- 
sammendrängt und über das andere Land 
nur in den Städten ausgebreitet oder leben 
in demselben als Grundbesitzer; nur in der 
Moldan und Wallachei, in Serbien und Czer- 
nagora sind sie rein ausgeschlossen. — 4. 
Der kalmückische Stamm ; sie sind 
doppelt, die regulairen oder bewaffneten 
Kaimucken , den donischen Kosaken einver- 
leibt ; und die nomadischen Kaimucken in 
Astrachan und dem Vorder- Kaukasus ; jene 
15,000, diese 98,000. - 5. Die kaukasi- 
schen Stämme, nämlich die Czerkessen, 
Lesgier oder U waren und Grusier gehören 
zu einem VÖlkergeschlechte, obgleich sie ver- 
schiedene Sprachen sprechen. Sie beschlies- 
sen die Reihe der mit den Slawen grenzen- 
den Völkerschaften. 

In den nun folgenden Beilagen gibt der 
Verfasser eine Uehersicht der Völker des 
slawischen Stammes : V nach der Sprache 
und nach den Staaten, zu denen sie gehö- 
ren. Demnach zählt Kassland 53,502,000 
Slawen; nämlich Grossrussen 35,314,000, 
Kleinrussen 10,370,000, Weissrussen 2,726,000, 
Bolgaren 80,000 , Serben 100,000 und Polen 
4,912,000. Oestrelch 16,701,000, und 
zwar Kleinrussen 2,774,000, Bolgaren 7.0C0, 
Serben 2,594,000, Chorwaten 801,000, Slo- 
wencen 1,151,000, Polen 2,341,000, Czechen 
4,370,000, Slowaken 2,753,000. Preussen 
2,108,000, davon 1,982,000 Polen, 44,000 
Mährer, 88,000 Ober- und 44,000 Nieder- 
Lansitzer. Die Türkei 6,100,000, nämlich 
3,500,000 Bolgaren und 2,600,000 Serbier. 
Krakau 130,000 Polen, Sachsen 60,000 
Oberlausitzer. 



Digitized by Google 



16 



H. Nach der Sprache und der Religion; 
sjriectalBcheiiGlauhens54,01 1,000: Gross- 
nissen 35,314,000, Kleinrussen 10,154,000, 
Weissrassen 2,370,000, Bo'garen 3,287,000, 
Serbier 2,880,000. Zur unirten Kirche 
2,W0,000 Kleinrussen. K »thol Ilten 
J9,35ft,000: Weissrussen 3ö0,000, Bolgaren 
50,000, Serbier 1,854,000, Chorwaten 801,000, 
Slowencen 1,139,000, Polen 8,«33,000, Cze- 
dien 4,270,000, Slowaken 1,953,000, Ober- 
lausitzer 10.C00. Protestanten 1,531,000 : 
Slowencen 13,000, Polen 442,000, Czechen 
144,000, Slowaken 800,000, Oberlausilzer 
88,000, Nie.Ierlausitzer 44,000. Moll am e- 
dnner 800,000, davon 250,000 Bolgaren 
und 5.50,000 Serbier. 

C, Nach der Sprache überhaupt: Ros- 
sen 51,184,000 , Bulgaren 3,587,000, Illirier 
7,240,000, Polen 9,305,000, Czechen 7,167,000, 
Lausitzer 142,000; zusammen eine Volks« 
iiinsse Ton 78,091,000 Köpfen. 

Eine fernere interessante Beilage bilden 
die Beispiele von Volksliedern ans jedem 
einzelnen der verschiedenen slawischen Dia- 
lekte; die Auswahl derselben ist eine gluck- 
liche zu nennen; die untenstehenden An- 
merkungen machen sie jedem des Slawischen 
etwas Kundigen verstandlich. Eine kurze 
Uebersicht der Städtenamen, welche im Deut- 
schen einen andern Namen fuhren, beschulest 
das ganze, höchat werthvolle Buchelchen, 
das auf seinem geringen Räume eine Masse 
der interessante.- ten Daten enthalt. Es wäre 
unbescheiden von uns, wollten wir einem 
Mann wie Schafartk gegenüber, ein grosses 
Kritisiren anfangen ; der Inhalt des Buches, 
den wir in einer, so viel als möglich ge- 
drängten, TJebersicht uns wiederzugeben er- 
laubten , möge den einzigen Beweis liefern 
von dem Reichthum und der Brauchbarkeit 
des vorliegenden Büchleins, sowie der eth- 
nographischen Karte, zu deren Erklärung es 
bestimmt ist. 



Petersbarger Skizzen. Von Treumund Welp. 
3 Theile. Leipzig, Weber. 1842. 

Unter den Russen konnte sich in den 
letzten Jahren mit vollem Fng ond Recht 
die Ansicht bilden, dass die Detitschen, so- 
bald sie an eine Auffassung russischer Zu- 
stände gehen, eine gleiche Beschränktheit, 
wie die Franzosen bei Besprechung deut- 
scher Angelegenheiten, an den Tag legen. 
Nur einen hierbei wichtigen Unterschied zwi- 
schen der deutschen und französischen An- 
schauungsweise ubersehen gewöhnlich die 
Russen. Der Deutsche vermag es leicht, 
sich von falschen Vorstellungen zu befreien, 
sobald ihm nur Mittel zur Gewinnung einer 
richtigeren Einsicht geboten werden. 

Um solche hellere Begriffe über russi- 
sche Zustände unter den Deutschen zu ver- 
breiten, hat es auch Treumnnd Welp für 
nöthig gehalten, mit seiner Weisheit hinter 
dem Berge hervorzukommen. Wenn auch 
sein Buch nicht dazu geschrieben ist, Bilder 
von Leben und Fülle zu geben, so soll es 
doch wenigstens ein Beitrag zur Kunde rus- 



sischer Lebensweise sein. Ks fragt sich nur, 
ob Herr Welp der Mann ist, der hierüber 
mehr Wahres als Falsches , mehr Seichtes 
als Gediegenes geben kann. 

Eine der ersten Forderungen, die man 
an einen solchen Skizzenmacher zu richten 
bat , ist, dass er der russischen Sprache hin- 
reichend mächtig sei, d. h. dass er nicht nur 
im Stande sei , ans der russischen Literatur 
über gewisse materielle und geistige Zustände 
die nöthigen Aufschlüsse zu schöpfen , son- 
dern auch zugleich mit dem praktischen Ge- 
brauch der Volkssprache so sehr als mög- 
lich vertraut sei. Von einer selbstständigen 
Kenntniss der russischen Literatnr ist in dem 
ganzen Buche des Hrn. Welp, der gern den 
Gelehrten spielen mochte , nicht die gering- 
ste Spur; er kennt sie nur vom Hörensagen. 
Wie sollte er auch je einen russischen Auf- 
satz gelesen haben, da er bei jeder russi- 
schen Phrase, die er citirt, beweist, dass 
er das Russische weder richtig zu hören, 
noch zu schreiben und zu lesen versteht. 
Kr hat sich in dieser Beziehung eben so 
lächerlich, wie Herr Kohl gemacht. Sollte 
daher der Skizzenfabrikant im Stande ge- 
wesen sein , die ihm von Russen gemachten 
Mittheilungen ohne starke Verdrehung des 
Sinnes derselben wiedergegeben zu haben? 
Einer Antwort bedarf es nicht. 

Fragt, man ferner, wie ond woher Herr 
Welp seine Notisen und Anekdoten zusam- 
mengestoppelt hat, so gewahrt man leicht, 
dass Alles in dieser Beziehung vom Zufalle 
abhing. Ihm war es nur darum zu thun, 
Notizen zu haben, gleichviel ob diese den 
Stempel der Wahrheit an sich trügen, oder 
ob sie bei ihrer Dürftigkeit verstanden wer- 
den oder den Leser ganz irre führen könn- 
ten. Aus solchen Kinzelnbeiten und Zufäl- 
ligkeiten des Lebens eiue Skizze oder ein 
Bild zusammenzuflicken , zeugt von einer 
gänzlichen Unknnde der Art und Weise, wie 
man Sitten- und Völkergemälde, sei es anch 
in beschränkten Sphären, zu entwerfen hat. 

Die grössten Blossen aber gibt sich Herr 
Welp, sobald es sich darum handelt, sich in 
rnssische Gedanken- und Lebensweise hin- 
einzuversetzen. In dieser Beziehung erscheint 
er als ächter deutscher Philister (?). Weil 
er es in Petersburg nicht so behaglich fin- 
det, als hinter seinem schlesischen Ofen, so 
lässt er nun seinen Unmuth am russischen 
Leben aus. Daher sucht er auch, das in die 
Augen springende Schlechte nnd Verkehrte 
der Russen in so grellen Farben als mög- 
lich zu schildern, ohne sich viel darum zn 
kümmern, ob diess bei der gegenwärtigen 
Bildungsstufe der Nation nicht seine natür- 
liche Erklärung finde. Wie sollte aber Herr 
Welp einen mehr als oberflächlichen Blick 
in das russische Leben thnn können. Für 
ihn existirt dasselbe ohnediess nnr, soweit 
seine Blicke in den Jahren 1836 und 1837 
reichten. Auch würde es zu viel sein, von 
einem solchen literarischen Stümper zu ver- 
langen, dass er den heutigen Znstand im 
Zusammenhange mit der frühern Rntwicke- 
lung des russischen Volkes auffasse. 

Somit fällt das ganze Gebäude der Welp- 



Digitized by Google 



11 



»eben Anschauungsweise von selbst zusam- 
men, ohne dass man nöthig hat , einzelne 
Kapitel näher zu zergliedern. Der Verfasser 
hat sich an einen Stoff gewagt, dein er in 
keiner Beziehung gewachsen war. Entschul- 
digen kann er sich nicht mit de*n Kinwurf, 
dass er nur Erlebtes und fluchtige Anschau- 
pngen dem deutschen Publikum vorlegen 
wollte. Wer sich zur Anschauung und Be- 
urtheilung so mannigfaltiger und hochwich- 
tiger Dinge hinaufschwingen will, wie Herr 
Welp, thut besser, zu schweigen, als einen 
neuen Beleg zu der obigen Ansicht der Ras- 
sen zu liefern. Das russische Leben will ans 
sich selbst erklärt werden. Dazu bedarf i 



freilich ganz anderer, historisch- statistischer 
und ethnographischer Kenntnisse , als Herr 
Welp ausgekramt hat. Wäre wirklich das 
russische Volk so durch und durch unsittli- 
chen Wesens, so könnte man gar nicht be- 
greifen, wie es überhaupt zu einem so gros- 
sen gesellschaftlichen Vereine erwachsen und 
als solcher bis jetzt bestehen konnte. Ohne 
Zweifel liegt in dem Volke ein kräftiger 
Kern; ihn unter der Hülle zu erkennen, ist 
aber nicht die Sache eines Mannes, der sich 
wegen seiner Anrnassnng und Unverschämt- 
heit an der Oder wie an der Newa einen 
grossen Namen unter seinen Collegen sowie 
bei vielen andern Personen gemacht bat. 



VI. 

Specielle literarische Uebersieht. 



A. Bibliographie. 

Bemerkung: Die mit • bezeichneten Schriften werden später weitläufiger besprochen. 



I. Russische Schriften. 

a) Wissenschaften. 

1. O Pacuosuasani« a .leqeuia 3ouomyaiHofi 
Eojrt>3Hi: Von der Erkennung und Heilung 
der Skropheln. Vom Medicochirurgen 
Bredow. Petrb. 1642. 8. XII. 272 S. 
Seit der Uebersetzung von Hufeland's 
Schrift das erste Werk über diesen Ge- 
genstand in russischer Sprache, und darum 
schon, sowie durch seinen innern Gehalt, 
sehr verdienstlich. 

2. C&*bcitiA ^oiiauiHbiii .le<ie6Hnm>: ländli- 
ches Arznei-Buch oder ärztliche Unter- 
weisungen für die kaiserlichen Bauern. 
Herausgegeben vom Domaineministerium. 
2 Thle. Im ersten die Regeln für die 
Heilung menschlicher Krankheiten, im zwei- 
ten für die der Hausthiere. 48 und 78 
Seit. 8. Hin Buch, rein für das Volk ge- 
schrieben, von den auf den kaiserlichen 
Gütern angestellten Aerzten verfasst und 
vom Medicinalrathe begutachtet. 

3. bleierne Mononom» : die Heilung mit Milch, 
oder medicinische Heilkräfte der Milch; 
von A. S — w. Moskwa. Lazarew. 1842. 
18 und 71 S. Dine populär gehaltene 
Compilation , die aber für das russische 
Volk nicht ohne Nutzen sein kann. 

4. ^er«aiuiifi Cnoeofrb .AeieHÜi .loma^efi ■ 
Kopovb (die leichteste Webe, die Krank- 
heiten der Pferde und Kühe zu hei- 
len). Moskwa 1842. Stepanow. 12. 3 
Tbl. Eine schlechte Compilation aus alten 
russischen und einigen wenigen ausländi- 
schen Schriften. 

5. ^onoaHenie m» 06flCHeniinrbAinncKapcKH.vb 
CnrBamypit. Zusätze zu der Erklärung der 
Apotheker-Signaturen, zum rechten 



Gebrauch der Arzneien für die Landleute. 
Vom Akademiker IV. Worobjctvtki. Moskwa 
1642. Lazarew. 12. 30 S. Die Notwen- 
digkeit uud_ Nützlichkeit eines solchen Bu- 
ches steht über allen Zweifel. Das vorlie- 
gende wird den Bedürfnissen so ziemlieh 
genügen. 

6. Kpamaoe na&seqenie nai» PyKOBo^cmaa 
Bo^onomoaaro .leieuui. Kurzer Auszug aus 
der Anleitung zur Hydrosudopathie 
nach der Methode des Priesnitz von Dr. 
Bigeinig (?). Aus dem Französischen von 
Dr. IFns. Worohjewtki. Eine neue Frucht 
der Bemühungen des Verfassers, seinen 
Landsleuten richtige Hegriffe vom Heilver- 
fahren und Rath in Krankheiten zu er- 
theilen. 

7. Mentopin Rennest <I>n.imo<|HH : Ge- 
schichte der altenPhilosophie, für 
das Verständniss jedes Gebildeten einge- 
richtet von Dr. A'. Sederholm. Moskwa. 
Semen. 1642. 2 Thle. 282 n. 197 S. Ein 
an sich und für Russland insbesondere sehr 
wichtiges Buch. Der Verfasser bespricht 
im l.Theile die sogenannte indische, chi- 
nesische und persische Philosophie und 
scliliesst mit den griechischen Sophisten. 
Der 2. Theil beginnt mit Sokrates und 
scliliesst mit dem Verfall der griechischen 
und ihrem allmähligen Uehergange in die 
römische Philosophie. Der Standpunkt des 
Verfassers ist nicht der der neuesten Phi- 
losophie, was ihm von russischen Kritikern 
sehr Vorgehalton wird , welche von Send- 
ling und Hegel wie von alten Bekannten 
sprechen. Der Verfasser prend ton bien 
oh il It troHve, und ist somit am meisten 
geeignet, eine populäre Geschichte der 
Philosophie zu schreiben. Und dies ist 



Digitized by Google 



sein wahres Verdienst', wenn man auch 
auf der andern Seite nicht von ihm erwar- 
ten darf, er werde die Philosophie selbst 
um eine Stufe höher bringen. Seine Ten- 
denz ist nur, die Wichtigkeit derselben 
darzuthun und die Liebe für dieselbe un- 
ter den höher Gebildeten zu erwecken; 
mehr kann man von einem Manne nicht 
fordern, der durch Berufsgeschäfte (er ist 
evangelischer Divisionsprediger) anderwei- 
tig in Anspruch genommen, solchen Ar- 
beiten nur seine Mussestunden widmen 
kann. 

8. ApmpMcmHKa , reoMempia n 3e»MBeM-fcpie. 
Arithmetik, Geometrie und Feldmes- 
sung; für den ersten Unterricht in Volks- 
schulen mit 135 Figuren. Vom Prof. 
Xuissis. Aus dem Französischen ubersetzt. 
Moskwa. Glazunow. 1842. 3 Thle. S. 92, 
70, 48 S. Hin gutes Handbuch. 

9. PyKOBOAcmBo in. Ilpeno^aaaniy ApucfmeiniiKH. 
Anleitung zum Lehren der Arithmetik 
bei kleinen Kindern. Von Pet. Gurtete. 
2 Thle. Ptbg. Kraj. 1642. 8. IX. 221 S. 
Der Verfasser, als praktischer Lehrer mit 
seinem Gegenstände wohl vertraut, gibt 
hier jungen Lehrern eine Anweisung , wie 
sie kleinen Kiudern die oft schwierigen 
arithmetischen Begriffe beibringen sollen. 
Er thut diess durch Fragen und Autwor- 
ten, in denen er seinen Gegenstand er- 
schöpfend klar darzustellen weiss. 

10. Apn<pMemaita : Arithmetik. Eine zum 
leichtern Lehren der kleinen Jugend ver- 
besserte, von P. Kuminski. 13te unverän- 
derte Auflage. Moskwa 1842. Lazarew. 12. 
187 S. Trotz dem etwas lang ausgedehn- 
ten Titel (wir geben nur einen Auszug) 
scheint das Buch nicht ohne Werth zu sein, 
da es so viele Auflagen erlebte. 

11. PjKOBo^cmBo m> OheMirfe, MtpeBauuy h 
HuBexiupoBaHiy: Anleitung zum Aufneh- 
men von Landgutern, zum Feld messen 
und Nivelliren. Von A. Bolotow. Ptrbg. 
1642. 6. XII. 362 S. Herr Bolotow, Obrist 
beim Generalstabe und Professor der Geo- 
desie an der kaiserl. Militärakademie, ist 
bereits durch seine im Jahre 1837 erschie- 
nene „Geodeaie", in welcher er den Ge- 
sammtinhalt seiner Vorlesungen der Oef- 
fentlich ubergab, rühmlichst bekannt Von 
noch viel grösserem Fleisse und tieferem 
Eingehen in den Gegenstand zeigt das vor- 
liegende Werk, das besonders auf die vie- 
len Ingenieure und die Oekonomieverwal- 
ter berechnet ist. Die Naturwissenschaf- 
ten , besonders aber jene Seite derselben, 
von welcher sie in das praktische Leben 
eingreifen, finden in Rnsslaud eine immer 
ernstere und würdigere Bearbeitung. Das- 
selbe gibt von den Kriegswissenschaften, 
welche an den Militärinstitiiten mit allem 
Eifer behandelt werden. Lange Jahre hat 
man sich nur bemüht, den Westeuropäern 
nachzukommen; jetzt bat man sie in die- 
sen Wissenschaften bereits eingeholt und 
fängt nun an, auf eigenen Füssen zn ge- 
hen. Herr Bolotow ist einer der Coriphäen 
dieser Classe von Gelehrten in Russland. 
Seine Stellung als Lehrer von russischen 



Zöglingen fordert , dass er seinen Gegen- 
stand in der Volkssprache bearbeite und 
durchforsche, und so gehört er zu jener 
Reihe von Männern, welche bestimmt sind, 
in der russischen Sprache eine wissen- 
schaftliche Literatur zu begründen, 
welche bis jetzt noch nicht existirt Auch 
von diesem Punkte aus betrachtet sind 
seine Schriften von der höchsten Wichtig- 
keit, sowie sie es durch ihre tiefen For- 
schungen und neuen Entdeckungen sind. 

12. IlpaKmntiecKia YnpucueHin bi> <S>h3hk-b, 

Srak tische Uebungen in der Physik, 
ammlung von Fragen und Aufgaben mit 
ihren Antworten und Auflösungen, von 
Pierre. Aus dem Französischen von A.N. 
Ptrbg. 1842. 2 Thle. VI. u. 279 S. 8. 
Ein für die russische Jugend an techni- 
schen and andern Schulen desto notwen- 
digeres Buch, da es bis jetzt kein solches 
gab. Die Uebersetzung ist ganz gut, nur 
sind die Berechnungen für Paris auch für 
Russland beibehalten, was zu einigen Miss- 
verständnissen Anlass geben wird. 

13. PyKOBo^cmBo in> reorBoain: Anleitung zur 
Geognosie, vom Universitätsprofessor 
und General - Major des Bergingenieure- 
Corps D. Soholow. Ptrbg. 1842. Pratz. 
2 Thle. 8. XXVII. u. 472 u. 344 S. Dazu : 
Atlas von 70 Tabellen zur Anleitung zur 
Geognosie von Sokolow. 8. 35 S. Text. 
Als praktisches Handbuch unterscheidet 
sich vorliegendes Werk von dem im Jahre 
1839 erschienenen Lehrbuche der Geog- 
nosie dadurch, dass der Verfasser in dem 
neuen Werke die rein wissenschaftlichen 
Deductionen (geognostische Untersuchun- 
gen und dergleichen) tbeils zusammenge- 
drängt, theils bloss die Resultate dersel- 
ben gegeben und an deren Stelle eine 
Menge von praktischen Gegenständen be- 
handelt hat, welche in jenem Werke nicht 
passend gewesen wären; besonders auch 
dadurch , dass er das classische Werk des 
englischen Geognosten Leyell(?): Elements 
of Geoioyy mit vielem Geschick und Glück 
benutzt hat. Der leichte, angenehme reine 
Styl und seine klare Darstellungsweise ma- 
chen das Buch zu einem der werthvollsten 
in der naturwissenschaftlichen Literatur. 
Die trefflich ausgeführten Zeichnungen ge- 
ben dem Buche eine vorzügliche Brauch- 
barkeit. 

14. IIpoGnpHoeHcKycniBo. DieProbirknnst, 
ein Lehrbuch für die Zöglinge der Stro- 
ganowsclien Bergwerksschnle. Ptrbg. 1842. 
Fischer. 8. IV. 80 S. Ein sehr zweck- 
mässiges Handbuch über den angedeuteten 
Gegenstand , das um so wichtiger ist , da 
es nach den Handbüchern der Geognosie 
und Mineralogie erst das dritte Original- 
Werk in russischer Sprache in diesem 
Fache ist. Schade, dass es in der ausge- 
dehnten Form von Fragen und Antworten 
abgefasst ist. Der Vorstand jenes Insti- 
tutes will ähnliche Handbücher auch für 
die übrigen Bergwerkswissenschaften ab- 
fassen lassen und veröffentlichen, was zur 
Ehre der russischen Literatur und Wissen- 
schaft sehr zu wünschen wäre. 



Digitized by Google 



70 



15. HcrnopimecKifi ßbinn> Poccin: Das hi- 
storische Wesen Russlands; oder 
Darstellung der merkwürdigsten Ereignisse 
in Rnssland and der Thuten ihrer recht- 
gläubigen Caren. Ein Lesebach für das 
Volk. Von Mich. Maksimow. Moskwa. 
1842. Lazarew. 12. 32. Ein auf die grosse 
Menge berechnetes Buch voll Liebe und 
Bewunderung für Rnssland. Der erste 
Theil enthält die Erzählung von Russlands 
Entstehung als Staat bis nach Jaropolk; 
der Styl ist leicht und gefällig und die 
Darstellung oft sogar schön. Die längere 
Vorrede zeugt für die Begeisterung des 
Verfassers für Russland und für seine Ab- 
sicht, dieselbe auch seinen Lesern mitzu- 
theilen. 

16. Hcmopiü Majioif Poetin: Geschichte 
von Kleinrussland. Von Bantysch- 
Knmenshi. Mit Portraiten, Karten und Zeich- 
nungen. Dritte Auflage. Moskwa. 1842. 
Stepanow. 8. 3 Thle. 318 u. 80, 202 u. 
51 , 239 u. 99 S. Für jetzt das beste 
Buch , das wir über die Geschichte von 
Kleinrussland haben; denn der Verfasser 
hatte nicht nur alle gedruckten Werke zur 
Hand, sondern auch eine Masse von Hand- 
schriften zu seiner Verfügung, ans denen 
er das Beste und Wichtigste auszog und 
oft wörtlich in seinem Buche deponirte. 
Allein trotzdem ist das Werk keine genü- 
gende Geschichte von Kleinrussland; denn 
erstens ist es an sich mehr eine Compila- 
tion und Anhäufung von Fakten und histo- 
rischen Daten, denen die höhere Anschau- 
ung und die Uebersicht fehlt; dann aber 
sind in demselben die neuesten Forschun- 
gen und ihre Resultate unberücksichtigt 
gehlieben. Und das ist ein grosser Man- 
gel. Denn in den letzen zehn Jahren ist 
für die Geschichte dieser Gegenden, sowie 
für die Russlands überhaupt Ungeheures 
geleistet worden. Allein bis diesen Au- 
genblick ist alles in einzelnen Werken und 
Journalen zerstreut. 

17. Hcmopiü Hcmpa BcmRaro: Geschichte 
Peter des Grossen, mit 500 in Lon- 
don gravirten Originalbildern. Ptrbg. 1841 
o. 1842. Eisner. Eine in Heften erschei- 
nende Compilation meist nach dem Werke 
von Golikow in schlechtem Styl zusammen 
geschrieben, von Lambin, wovon die Kupfer 
das beste sind. Schade, dass dadurch das 
gleiche Unternehmen Polewoj's zu Grabe 
ging, das wohl einen grösseren Werth ge- 
habt hätte, da sich Polewoj seit seiner 
Jugend mit Peter den Grossen beschäftigt 
und eben ein grosses Werk über ihn dru- 
cken lasst. 

18. Historien Russiac Monument a y ex tmtiquis 
exterarum gentium archivis et bibliothecis de- 
prompta, ab A. J. Turgenevio. Tom. I. 
Scripta varin e seireto archivo Vaticano 
et äiiis archivis et bibliothecis Romanis ex- 
cerpta continens, inde ab anno MLXXV ad 
annuum MDLXXXIV. Petropoli. Pratz. 
Der erste Band der von der archäogra- 
phiseben Gesellschaft herausgegebenen : 
„Auslandischen (historischen) Actenstü- 
cke." 



19. Tpoe cymoKT» bt» Horbropo^b: Drei mal 
vierundzwanzig Stunden in Nowgorod. 
Von J. N...u>. Ptrhg. 1842. Pratz. 8. 
86 S. Eine Schilderung der alterthiimli- 
chen Gebäude, Denkmäler und dergleichen 
aus dieser Stadt, welche ehedem die wich- 
tigste von ganz Russland war. 

20* OuepKH Poccia : Skizzen ans Rass- 
land Herausgegeben von Wlad. Passek. 
V. Buch. Moskwa, Stepanow. 1842. 8. 
234 S. Herr Passek hat ein überaus lo- 
benswerthes Unternehmen begonnen, indem 
er einzelne Artikel über Russlands innere 
Zustände in der Gegenwart und Vergan- 
genheit sammelt und der Oeffentlichkeit 
übergibt. Bis zum vorliegenden Bande 
kann man sagen, er habe sein Vorhaben 
trefflich ausgeführt; denn er ist weder zu 
eitel, um nicht auch fremde Artikel aufzu- 
nehmen, wenn er sie werthvoll findet, noch 
zu ruhmsüchtig und hastig, als dass er sich 
mit seinen eigenen Arbeiten übereilte. Auch 
der vorliegende Band enthält Vortreffliches. 
Oben an steht das „Portefeuille Lomonos- 
sows 1 *, ein zwar für den gegenwärtigen 
Standpunkt der Wissenschaft gleichgültiger, 
aber für einen Biographen Lomonossow'* 
(den er noch erwartet) höchst wichtiger 
Artikel. Das Portefeuille enthält allerlei 
Projekte und Vorschläge über die verschie- 
densten Angelegenheiten, die er der Aka- 
demie als Mitglied machte. Es ist aus dein 
Autograph Lomonossow's entnommen und 
zeigt durch das eigentümliche Verhältniss 
des Dichters zu seinen Mitakademikern, 
wie tief derselbe die grossen Umwandlun- 
gen Peters gefühlt, wie klar er in seine 
Grundgedanken eingedrungen und wie weit 
entfernt er, als Nationalrusse im wahren 
Sinne des Wortes, war, das Uebertragen 
der westlichen Elemente antinational zu 
finden, so lange sie in diesem Geiste hin- 
über gepflanzt wurden. — Ausser diesem 
Artikel verdienen eine besondere Beach- 
tung noch: die Sitten und der Aberglaube 
der Finnen vom Herausgeber selbst. Es 
sind interessante Einzelnheiten über das 
häusliche Leben dieses Volkes so wie eine 
genügende Darstellung seiner Nationalpoe- 
sie ((das Interesse an den Finnen wächst 
in Russland von Jahr zu Jahr). Ebenso 
einige Machrichten über das Nowgoroder 
Gouvernement, worin besonders die Was- 
sersysteme dieses Landes ausgezeichnet 
dargestellt sind. Unter den kleineren Auf- 
sätzen ist eine Abhandlung über das Wort 
Kvtioqb (Schlüssel) in dem Traktat Oleg's. 

21. O A3iamcKnx-b uapo^arb: Von den asi- 
atischen Völkerschaften inKlein- 
russland. Ptrbg. 1841 u. 1842. Hintz. 
8. Unter diesem Titel kündigt Herr A. 
Pawlow eine Darstellung der Zustände die- 
ser Völkerschaften an, unter denen er in 
den Jahren von 1824 bis 1S35 herumge- 
reist ist. Das Unternehmen soll aus 12 
Theilen bestehen, von denen 3 bisher er- 
schienen. Sie besprechen: 1. Heft: Die 
Armenier, 8. 53 S. 2. Heft: Die Nogaier 
in der Kitzljarer Steppe: 47 S. 3. Heft: 
Die in Astrachan angesiedelten Indianer, 



Digitized by Google 



so 



15 8. Der Verfasser bringt viele interes- 
sante Data; aber sein Styl ist schreckbar 
und der Preis des Ganzen, auf das man 
noch dazu pränumeriren soll (15 Rbl.Silb.), 
in der Tliat enorm. Monatlich erscheint 
ein Heft t 12 Hefte soll das Werk enthalten. 

22. ranciurb: Gapsat, ein alt«s zerstörtes 
Scbloss in Esthland und eine Bezirksstadt 
mit Seebadern. Mit einer Ansicht des 
Schlosses. Ptrbg. 1842. Johansohn. 8. 
65 S. Mine Geschichte des alten Schlos- 
ses, Beschreibung der Stadt f der Seebäder 
und der Umgegend, von einem dort ge- 
wesenen Badegaste. 

23. MamepiaviM \*h CuianiucniuKU PocciiicKuu 
HitneptH: Materialien zur Statistik 
des russischen Reiches. Mit aller- 
höchster Genehmigung herausgegeben Ton 
der statischen Abtheihing des Ministeriums 
des Innern. Ptrbg. 8. V. »82, 45, 205, 
144 S. mit 5 Tabellen. Diess ist der zweite 
Theil eines Werkes, in welchem die rus- 
sische Regierung statistische Nachrichten 
der Oetfenttichkeit übergibt; der erste 
Theil erschien unter demselben Titel im 
Jahre 1839; und enthielt eine Menge der 
interessantesten Details. Vom zweiten lässt 
sich mit gutem Gewissen dasselbe behaup- 
ten; denn er bringt: 1. eine kurze Ueber- 
sicht der alten russischen Bauten und an- 
derer einheimischer Denkmäler; 2. Popu- 
lationsgesetze Russlands, numerisches Ver- 
hältnis* der Geschlechter zu einander, des 
Raumes zur Bevölkerung, der Gestorbenen 
zu den Geborenen u. s. w.; 3. historisch- 
statistische Uebersicht des Gouvernements 
Rjazan ; 4. statistische Uebersicht der Kau- 
kasusländer; 5. die Städte des Rjazaner, 
und 6. des Tuler Gouvernements; 7. histo- 
rische und statistische Notizen über den 
Adel und die adeligen Besitzungen im 
Czernigo wer Gouvernement; 8. der Wein- 
bedarf in Russland; 9. statistische Nach- 
richten über den Holz- und Fisch-Handel 
im Werchino-Udiner Bezirke; 10. verglei- 
chende Nachrichten über die Versendung 
von Getreide in den letzten zehn Jahren 
von 1830 — 1840; II. Uebersicht der Er- 
gebnisse der Privat- Bergwerke im Oren- 
burgischen vom Jahre 18*8; 12. die Ein- 
kaufspreise für Proviant und Fourage in 
Moskwa während 21 Jahren, von 1819 — 
1840 (mit Tabellen). — Bei der ungemei- 
nen Schwierigkeit , über Russland statisti- 
sche Nachrichten zu sammeln, welche für 
Einzelne und Privatpersonen zur reinen 
Unmöglichkeit wird, kann man der Regie- 
rung nicht genug Dank wissen , dass sie 
so der Wissenschaft in die Hände arbeitet. 
Wenn man sich aber auch nur auf jede 
Angabe verlassen könnte!! 

24. PocciäcKan Cmamncmnita: Russische 
Statistik (s. h. Statistik Russlands) von 
E. Zjablowski, emerirten Professor der Pe- 
tersburger Universität, Staatsrath u. s. w. 
Zweite Aufl. Ptrbg. Glazunow. 8. 2 Tbl. 
170 u. 188 S. Ein Wiederabdruck des be- 
reits im Jahre 1832 erschienenen Werkes. 
So verdienstlich dasselbe damals auch war, 
so hat es jetzt doch nur sehr geringen 



Werth, da binnen der zehn letztverllosse- 
nen Jahre in Russland die ungeheuersten 
Veränderungen geschehen sind, und so das 
Buch voll falscher Angaben und Mangel ist. 
So, um nur einiges zu erwähnen, fehlt bei 
der Aufzählung der Ministerien das später 
entstandene der kaiserlichen Guter; der 
ungeheuren Umwandlungen beim Ministe- 
rium der Volksaufklärung wird mit keiner 
Sylbe gedacht, die Skt Wladimir -Univer- 
sität (in Kiew) extstirt bei ihm noch nicht; 
die medizinisch-chirurgische Akademie steht 
dagegen in voller Blüthe ; ebenso behalten 
die Kaukasusländer ihre damalige Verwal- 
tung. So ist das Buch jetzt völlig un- 
brauchbar. 

25. Hcmopia üoxo^a 1815 ro^a: Geschiebte 
des Feldzugs 1815. Vom preussischen 
Major v. Damitz , mit Bemerkungen eines 
alten französischen Divisionsgenerals. Aus 
dem Franz. von Chatow. I Bd. 2 Thle. 
8. 519 S. Mit drei Planen nnd einer 
Karte über den Feldzug in den Nieder- 
landen. — Ein für die Geschichte jenes 
Krieges sowie für die Taktik wichtiges 
Buch, dessen schöner Uebersetzung und 

Crachtvoller Ausstattung man das grösste 
ob zollen muss. 
20. BceoGmaa HcmopimecKafl Ba&uomeita: 
Allgemeine historische Bibliothek. 
12. Heft. Geschichte der Lombardei von 
F. Q. A. Haue. 3 Thle. Moskwa 1842. 
Steqanow. 8. 91 S. Wieder einmal ein 
Helt von der Bibliothek für die allgemeine 
Weltgeschichte. Ein Unternehmen, das, 
ähnlich dem Perthesschen (Gesch. d. eorop. 
Staaten) , aber fast nur aus Uebersetzun- 
gen bestehend, sich mit diesem bei Wei- 
tem nicht messen darf. 

27. YieoHan nj»ra Bceo6iuesj Hcmopiu : Lehr» 
buch der allgemeinen Weltgeschichte. 
Von Prof. Kajditnow. Alte Geschichte. 
Vierte, verbesserte Auflage, mit chronolo- 
gischen Tafeln. Ptrbg. 1842. Zaikin. 8. 
333 S. Eines der weitest verbreiteten hi- 
storischen Lehrbücher, aus dem ehemals 
fast ganz Russland Geschichte lernte. Seit 
der Erscheinung der „Geschichte** von 
Smaragdow und der von Lorenz jedoch 
ist der Werth des Buches gefallen; man 
sieht das auch an der Ausstattung: ein 
grobes, dunkles Papier, alte abgenutzte 
Schrift und die ganze Herstellung so ge- 
schmacklos, dass man sieht, selbst der 
Verleger mochte sie nicht mehr. 

28. KpamKoe Haqepmanie nceo6in,eö Hcmopia : 
Kurze Skizze der allgemeinen (Weit-) 
Geschichte. Von Prof. eraer. Jn. Jf<r/- 
dimow. lOte Aufl. Ptrbg. 8. 112 S. Ein 
Auszug aus dem vorhergehenden Werke, 
aber eben so unphilosophisch, unhistorisch 
und schwach. 

29. Keeapn: Die Cäsaren. Von F. de 
Champngny. Ptrbg. 1842. 8. 223 S. Eine 
sehr gelungene und sorgfältige Ueberse- 
tzung dieses classischen Werkes, für welche 
man dem ungenannten Bearbeiter nicht ge- 
nug danken kann. 

30. PyccKan rpaMMamHKa 4.1a PjccKHx-b: Rus- 
«ische Grammatik für Russen. Von 



Digitized by Google 



Victor Polotrcvtv. Fünfte verbesserte Auf- 
lage. Ptrbg., 1842. Wingeber. 12. VI. and 
löö S. Binnen etwa drei Jahren fünf- 
mal aufgelegt, also gewiss brauchbar. 
31. PyccKM rpauvamaKa : Russisohe 
Grammatik von A. Iwanow. Dritte 
verbesserte und vermehrte Auflage. Ptrbg. 
1842. 8. 107 8. Eine Compilation aus den 
bestehenden Werken dieser Art, an der 
noch sehr, sehr viel „verbessert** und 
„vermehrt** werden muss, ehe sie ihren 
Zweck erfüllen soll. 

b) Belletristik. 

1. Hnra,in: der Bettler. Drama mit einem 
Prolog. Moskwa. 8. 116 S. Bin Drama 
in Versen, von P. Schestow, ohne dramati- 
schen Gehalt nnd poetische Schönheit, 
matt und schwach. 

2. Myats bt> rrh^fe : der Mann im Miss- 
eschick, oder ohne Schuld schuldig, 
auxdeville in einem Akt von P. Sokolow. 

Moskwa. Stepanow. 1842. 12. 106 S. 
Leichte Arbeit, ohne Characteristik t ohne 
Poesie, ohne Wahrscheinlichkeit. 
Ky neqecKax ^oqbaa : die Kaofmannstoch- 
ter und der Beamte der 14. Klasse. 
Vauxdeville in 1 Akte. Von iV. Sokolow. 
Dritte Auflage (?). Moskwa. 1842. Stepa- 
now. 12. 108. S. Matt und ohne Effekt, 
wie fast alles von Sokolow. Mit der „drit- 
ten Auflage** mag es wohl nicht ganz rich- 
tig stehn. 

4. En;e Kynet^u 3-1 Thj^mb : Noch K a n f- 
leute der 3. Gilde. Original-Vauxdevill 
in 2 Akten. Vom Schauspieler Peter Gri- 
ftorf ew 2. Ptrbg. 1842. Syczew. Hin recht 
heiteres,', natürliches, wahrhaft komisches 
Lustspiel, das recht oft gespielt zu werden 
▼erdient. 

5. * CmnxomBopeiiifl Ano-wona MauKoaa. Ge- 
dichte von Ap. Majkow. Ptrbg. 1842. Pratz. 8. 
240 S. Ein junges, selbst in Russland nur 
wenig bekanntes Talent, dessen liebliche 
Schöpfungen allgemein überraschten. 

6. raä r \uMau: die Hajdamaken. Ge- 
dicht von T. Schewczenko. Ptrbg. Syczew. 
8. 131 S. Im klein-russischen Dialect ge- 
schrieben, welcher bei vielen Schriftstellern 
immer mehr Anklang findet. Doch ist vor- 
liegendes eines der weniger gelungenen 
Producte; denn die Verse sind nicht 
nur bisweilen sehr holperig und hart, son- 
dern auch die Darstellung gar weit ent- 
fernt, das nationale Gepräge an sich zu 
tragen, eine Eigenschaft, durch welche 
sich die bisherigen Dichtungen und Er- 
zählungen in dieser Mundart vortheilhaft 
auszeichneten. Der Verfasser scheint hier 
seinen ersten Ausflug gewagt zu haben; 
da er sonst unbekannt. 

7. üovbemu B*b Cmiixax'b : Erzählungen 
in V e r s e n , von Elisabeth Schadow. Ptrbg. 
1842. Wingeber. 8. 167 S. Prosa in 
Versen. Warum E. Schadow nicht bei 
ihrer guten Partie geblieben, ist uns un- 
begreiflich, sie fand doch manchen Beifall. 

8. Ufffembi My3bi: Blüthen der Muse, 
von Alex. Gradcew. Petrbg. 1843. 8. 73 S. 
Eine Sammlang von schlechten Gedichten, 
SUw. J.Urb. I. 



nichts als Erstlingsversuche eines jungen 
Mannes. 

0. .Inmepamypiibisl Ha6nH<*nn»: Literari- 
sches Kabinet, Arbeiten der Künstler 
an dem kaiserlichen Theater in Moskwa. 
Moskwa. 1842. 2 Tbl. 12. 124 u. 79 S. 
Eine Masse von diesen Künstlern haben 
hier ihre poetischen Geistesprodukte ge- 
sammelt, von denen aber nur die wenig- 
sten, etwa einige von Mocznlow und Jero- 
m'm Juinoj, einen Werth haben. 

10. Ajöomt» nafipaaabix-b CnraxomBopeiiin : A 1- 
bum ausgewählter Dichtungen. 
Dem schönen Geschlechte gewidmet vom 
Staabscapit. Miljukow. 12. 98 8. Einige 
Gedichte von Zukowski, Puschkin, Der- 
2awin und vom Herausgeber selbst, letz- 
tere oft sehr gemein gehalten. 

11. PyccniX Hampionrb: der russische Pa- 
triot. Vaterländische Gesänge« Ptrbg. 
Kraj. 1842. 8. 24 S. Eine Menge sehr 
schlechter Verse und noch schlechterer 
Gedichte, in denen sich der Verfasser für 
sein Vaterland zu begeistern sich bemüht, 
dabei aber oft sogar lächerlich wird. 

12. KapMaHBbia ll'hceiiBurb : Taschen- 
Liederbuch, oder Sammlung der neu- 
esten Couplette aus Opern und Vauxde- 
villes von A. Andrjejew. Moskwa. Lazarew. 
1842. 16. 146 S. Eine reine Bochhändler- 
specnlation, ohne allen Werth. Die er- 
bärmlichsten, gehaltlosesten Sachen auf- 
einander gehäuft. 

13. PyrcBan Bertha: russische Gesell- 
schaft. Sammlung von Aufsätzen russi- 
scher Schriftsteller. Ptrbg. 1842. 8. III. 
Band. 616 S. Bekanntlich ging das Ge- 
schäft des rastlosen Buchhändlers Smirdin 
in Petersburg durch seine übermässigen 
Anstrengungen zum Besten der russischen 
Literatur zu Grunde. Da vereinten sich meh- 
rere russische Schriftsteller und gaben un- 
ter obigem Titel eine Sammlung von Ar- 
tikeln verschiedener russischer Autoren 
heraus, deren Ertrag dem edlen Freunde 
seiner Nation zu Gute kommen soll. Un- 
ter dem Vielen, das die ersten drei Bände 
bieten, ist mancherlei Gutes und Schlech- 
tes; eine besondere Erwähnung verdieneu 
aber nur zwei Artikel; „die Dame (Bary- 
nja)" von Panajew, und die „Apotheke- 
rin" vom Grafen Sollohub. Beide sind in 
der That ausgezeichnet. 

c) Periodische Schriften. 

1. AuManax^: Alm an ach zum Andenken 
an das zweihundertjährige Jubiläum der 
Alexander- Universität. Herausgeg. v. J. 
Orot. Helsingsfors 1842. Sumelius 8. 303 S. 
Eine desto interessantere Erscheinung, je 
weniger man von Helsingsfors erfährt. Der 
erste Artikel: ,, Erinnerungen der Alexan- 
der-Universität** vom Herausgeber, enthält 
eine Geschichte derselben seit der Grün- 
dung (durch Christine von Schweden im 
J. 1640.) Ueber die Sitten aus jener Zeit 
werden höchst interessante Data beigege- 
ben. Seit der Vereinigung Finnlands mit 
Russland gestaltete sich die Universität aber 
ganz anders. 1608 wurden^ihre Privilegien 

Digitized by Google 



83 



bestätigt und 1809 sie vom Kaiser Alexan- 
der selbst besucht. 1832 ward sie nach 
Helsingfors verlegt und blüht nun in der 
Mitte des Landes frischer auf, als je fro- 
her. Dann folgt eine „Heise zum Jubiläum 
1840", ein grosses Gedicht von dein aus- 
gezeichneten linnischen Dichter Francen; 
hierauf „Finnland in der russischen Poe- 
sie", ein Brief von Pletnjew an Cigneus; 
} , Einige Tage in Lappland" ein höchst 
interessanter Artikel von KastrÖn , Docen- 
ten der finnischen und der alten nordischen 
Sprachen in Helsingfors und Verfasser der 
schwedischen Uebersetzung des grossen fin- 
nischen Poems: „Kaiewala"; dann „das 
unumgangene Haus", eine Erzählung vom 
Fürsten Odojewski; „über den National- 
charakter der Finnen" von Emin, sehr in- 
teressant; endlich neben zwei literarischen 
Artikeln von geringem Werthe ein höchst 
wichtiger Aufsatz: „die gegenwärtigen 
Bauern- (Natur-) Dichter Finnlands" von 
Lenrot (Lehnroth ?), der als eifriger Samm- 
ler finnischer Nationallieder, Sprüchwörter 
u. dergL bekannte Herausgeber des „Kan- 
teletar" (Tochter der Harfe), einer grossen 
Sammlung einzelner Lieder, und der „Ka- 
levala" (Finnland) , einer Sammlung von 
32 Liedern, die zusammen ein Ganzes, eine 
Art Nationalepos bilden. 

2. VuipennaH 3a pn: MorgenrÖthe, Alma- 
nacli für das Jahr 1842. Herausgegeben von 
llladislawkw. 12. 372 S. — Seit seinem 
Entstehen hat sich dieser Almanach fort- 
schreitend verbessert. Der vorliegende 
vierte Jahrgang enthalt ausser 7 schönen 
englischen Kupferstichen viele Gedichte 
und Erzählungen. Unter diesen sind die 
besten: „das Ereigniss auf der Eisenbahn,, 
vom Grafen Sollohub, „Kapustin der Mos- 
kawer Kaufmann" von Kukolnik. Unter 
den Gedichten zeichnen sich: „die Liebe 
des Leichnahms" von Lermontow, „Reise- 
gedanken" von Wjazemski, und „An 0 * 0 " 
von Korenew aus. 

3. HaiajicmBeHHbia Pacnopnatenifl no KasaH- 
CKOMy yqeönoMy oKpyry Verordnungen und 
Verfügungen für den KasanerLehr- 
bezirk, herausgegeben von der Kanzlei 
des Curators des Kasanei Lehrbezirks. 
V. Bd. Jahrgang 1842. 1. u. 2. Heft. 8. 
16, 15, 3, 60, 0 Seiten mit drei Tabellen. 
Diese bereits seit 1838 von dem Curato- 
rium der Universität Kasan herausgegebe- 
nen Hefte haben eine ungemeine Wichtig- 
keit auch Tür die nicht zu jenem Lehrkreise 
Gehörenden, da sie eine Masse der inte- 
ressantesten Details über die Fortschritte 
des Kussenthums und der Givilisation in 
diesem Asien mit Europa vermittelnden 

- Lande liefern. Für jeden Monat erscheint 
ein lieft, welches erstens die kaiserlichen 
Befehle, dann die Ministerial- Verordnun- 
gen, ferner die Verfügungen des Curato- 
riums, viertens officielle Nachrichten über 
Lehrinstitute, fünftens die Veränderungen 
und Begebenheiten im Lehrerpersonale, 
endlich Eröffnungen neuer Lehranstalten 
u. s. w. berichten. Da fallen manchmal 
sonderbare Dinge vor; so ist z.B. gegen- 



wärtig der ausgezeichnetste Schüler des 
ganzen Bezirkes ein Anbeter des Schakia- 
muni und des Dalaj-Lama, ein Mongole, 
Namens Dordii Banzarow. 

4. Die Zeitung für Kunst"» die zwei 
Jahre hinter einander von Struyowschczikow 
herausgegeben wurde, ist für das Jahr 1842 
„ausgesetzt" (nicht aufgegeben) ; denn es 
steht zu erwarten f dass der ehrenwerthe 
Redacteur bei seiner ungemeinen Liebe 
für den Gegenstand, die erste Gelegenheit 
benutzt, seine Zeitschrift wieder anf die 
Beine zu bringen. Allein er wird damit 
immer zu frühe kommen; in Russland ist 
noch die Zeit für speciale Journale nicht 
gekommen ; da muss alles noch in grossen 
Massen und gemischt für allerlei Leser ge- 
boten und so das nur für Wenige Interes- 
sante von dem für Alle Beachtungswerthen 
mit fortgetragen werden. Besonders triüt 
diess die Gegenstände der Kunst; „Ge- 
mälde, Statuen, Kupferstiche und derglei- 
chen sind bei uns grösstentheils noch nichts 
mehr als Stuhenputz, etwa wie Tapeten 
und schöne Möbel; über Kunst selbst wird 
bei uns nur wenig gesprochen, noch weni- 
ger wird sie gekannt; am wenigsten findet 
sie Verehrer oder Liebhaber." Das |sind 
die eigenen Geständnisse der Rassen über 
diesen Gegenstand, und denen lasst sich 
wohl nicht widersprechen. 

5. Pencpiuyap-b pycenaro Tcampa: Reper- 
toir des russischen und Pantheon 
aller europäischen Theater auf das Jahr 
1642. Herausgeg. von •/. PemckL Peters- 
burg 1342. Mit dem russischen Theater- 
wesen und der dramatischen Literatur geht 
es, wie wir bereits oben auseinandersetz- 
ten, nur langsam vorwärts. Das Interesse 
für die Sache mehr zu beleben, kam man 
auf die Idee, die interessantesten Theater- 
stücke durch den Druck in ein grösseres 
Publikum zu verbreiten. So tauchten im 
Januar 1839 plötzlich zwei Unternehmun- 
gen auf, welche gleiche Zwecke zu ver- 
folgen ankündigten: das „Repertoir das 
russischen Theaters" und das „Pantheon 
aller europäischen Theater." Die beiden 
Nebenbuhler geriethen gleich in allem An- 
fange in den {heftigsten Kampf mit einan- 
der ; um die Wette arbeiteten sie einander 
zuvor, um sich bei dem Publikum Geltung 
und Verbreitung zu verschaffen. Allein das 
doppelte Inanspruchnehmen desselben, so 
wie der geringe Eifer für das Theater 
überhaupt führten den beiden Journalen 
nur geringe Theilnahme* zu. Sie waren 
auf dem Punkte, beide zu Grunde zu ge- 
hen, als sie sien vereinigten und die Re- 
daction an Pesocki allein überging (seit 
Januar dieses Jahres). Im Programm er- 
klärt derselbe selbst, er sei in den frühe- 
ren Jahrgängen oft genöthigt gewesen, aus 
„dem Sehl echten das Mittel massige" 
herauszuwählen. Für die Folge nun je- 
doch macht er Hoffnung, er werde durch 
Uebersetzung guter Stücke und durch kräf- 
tige leitende Artikel den Beifall seiner Le- 
ser sich zu erwerben im Stande sein. In 
Hinsicht jener hat er bereits Wort gehal- 



Digitized by Google 



83 



ten; acbon in den ersten Heften ist Scri- 
be's neuestes Stück: La chäine, freilich 
etwas allzuftücbtig, übersetzt; daneben 
stehn : „Vater u. Tochter'*, ein altes Stück ; 
dann „Elena Glinskaja" von Polewoj, und 
„das Ereigniss auf dem künstlichen Ge- 
wässern" von Karat) gin, von dem bereits 
oben (S. 33.) die Rede war. Unter den 
nicht- dramatischen Artikeln findet sich nur 
selten ein gutes Korn; zumeist leiden sie 
an Verzerrtheit, wie das „Fragment aus 
den philosophischen Memoiren des Souf- 
flears Phokion Sawelicz Pjctuschkow" von 
Bulgarin, oder an einer sonderbaren Sucht 
nach Originalität und Haschen nach neuen 
Gedanken, wie der „Ueberblick der russi- 
schen dramatischen Literatur*' vom Für- 
sten A. Schachowski. Von der Kritik im 
Repertoir behauptet Krajewski , sie werde 
von Kindern verwaltet und unter den „Mis- 
cellaneen" kommen so gehaltlose, erbärm- 
liche, ja oft gemeine Coupletts vor, dass 
sie bereits die allgemeine Missachtung ha- 
ben erfahren müssen. Ob sich das Blatt 
unter diesen Umständen lange halten wird, 
lässt sich schwer bestimmen ; jedenfalls 
wäre es Schade, wenn es zu Grunde gin- 
ge; denn die innliegende Idee ist wichtig 
für die Kultur Russlands. 

6. TeampajHbii A^Gojrb: Theater -Album. 
Petersb. 1812. 1. Heft, gross Fol. Unter 
diesem Titel beginnt ein höchst interessan- 
tes, für Russtand ganz neues Unternehmen, 
das folgende Gegenstände bringt: 1) Ori- 
ginal- Portraite der dramat. Schrift- 
steller, Compositeure, Künstler und Künst- 
lerinnen der Petersburger Theater vom 
Drama, der Oper und dem Ballet. 2) Cro- 
quis von Scenen aus beliebten Dramen, 
Opern und Balletten; auf jedem Blatte ste- 
hen acht solcher Scenen , die Hauptscene 
in der Mitte, oben das Miniatur- Portrait 
eines Künstlers. 3) Die beliebtesten 
Motive und ausgewählten Nummern aus 
den Opern, Balletten und Vanxdevilles in 
Noten. 4) Dekorationen nach den besten 
Malern; 5) Biographische Skizzen zu 
den Portraiten der Künstler; 6) kurze Pro- 
gramme zu den in den Croquis dargestell- 
ten Scenen. Auch werden einzelnen Hef- 
ten noch Tänze und Romanzen der besten 
Compositeure beigegeben. Ein solches Un- 
ternehmen dürfte für Russland von unge- 
meinem Nutzen sein , da es das Kunstge- 
fühl immer mehr weckt. Das erste Heft, 
das bisher erschienen, enthält : das Portrait 
der Louise Alexander- Meier vom franzö- 
sischen Theater, das des Theater -Musik- 
direktors Maurer; dann 8 Scenen aus dem 
„L'ombre" mit dem Portrait der Taglioni ; 
die Zeichnungen sind wunderschön und der 
Druck herrlich ausgeführt. Die Ausstattung 
ist prachtvoll, die Titel mit goldenen Buch- 
ataben gedruckt Beigelegt ist eine Bio- 
graphie Maurer's und die Musik zum L'om- 
bre im Fortepianoaoszng. 

7. ^areppomam» : Daguerrotyp. Heraus- 
gabe (Sammlung?) von literarisch- daguer- 
rotypischen Produkten in Folge einer be- 
deutenden Anhäufung von Materialien und 



noch zu erwartender bedeutender, schon 
versprochener Artikel. Restebend aus 12 
Heften zu 2 und mehr Bogen. 1. Hft. Pe- 
tersb. 1842. 8. 35. Ohne Namen eines Un- 
ternehmers und Redacteurs, trotz des el- 
lenlangen (von uns sehr gekürzten) Titels. 
Die darin enthaltenen Artikel sind durch- 
aus belletristischen Inhaltes, nur ein lite- 
rar-historischer ohne schärfere Auffassung 
und ohne Unparteilichkeit. Jonrnalauf- 
sätze, die man anderwärts nicht brauchen 
konnte. 

d) Vermischte Schriften. 

1. Ciiucok ßbicuiHsrb <iHiiairb rocy^apcmacH- 
Haro, rj6epncKaro n Enapxiauiiaro YnpaB- 
jeuia. 1842. Petersburg. 8. 120 S. Ein 
Staats - Adresskalender über alle 
Staats - und Kirchenämter. 

2. MocROBCKin A^peccb Kajeu^api»: Mos- 
kwaer Ad res s - Kalender für die Be- 
wohner Moskwa's von K. Nistrem. 1. Thl. 
Wegführer durch Moskwa. 1842. Seliwa- 
nowski. 8. 117 S. Ein Adress - Kalender 
ist für das weit ausgedehnte Moskwa sehr 
nothwendig, da noch kein zweckmässiger 
vorhanden. Allein der gegenwärtige dürfte 
wohl auch dem Zwecke nicht entsprechen, 
da Alles ohne Ordnung unter einander ge- 
worfen ist, und wichtige Dinge, z. B. ganze 
Plätze, im Buche fehlen. 

3. naMfloiHan Kanwaa: Geden'kbuch für 
das Jahr 1842. Petersb. 64. 360 S. im 
Kriegsdepartement. Einer der schönsten 
Almanache besonders für das Militair be- 
rechnet. Die Ausstattung ist ausgezeichnt; 
10 Kupferstiche , von Londoner Meistern, 
stellen die interessantesten öffentlichen Ge- 
bäude in Russland dar. Das Ganze bildet 
zugleich eine Art von Adresskalender für 
das russische Militair. 

4. Pociiucauic TpaKmoirb oim» CaHRmnemep- 
Gypra: Aufzeichnung der Strassen von 
Skt. Petersburg und den anderen wich- 
tigen Städten des russischen Reiches nebst 
Berechnung für zwei Postpferde auf jeder 
Station und einem alphabetischen Verzeich- 
niss der Städte. Petersb. 1842. Wingeber. 
16. 178 S. Mit vielem Fleisse ausgearbeitet. 

5. Uapuau> a-b 1838 h 1830 ro^ax-b: Paris 
im Jahr 1838 n. 1839. Von Wind. Slrojeiv. 
Petersb. 1841 — 1842. Johanson. 2 Thle. 
222 u. 215 S. Krajewski sagt darüber : 
Strojews Buch ist ausserordentlich interes- 
sant seinem Inhalte nach, reich an Fakten, 
gut geschrieben, lebendig gehalten, und 
überhaupt — so interessant, dass man sich 
nur schwer von demselben trennt. 

6. KoucuiaimiHHonaii» a Typxn: Konstan- 
tinopel und die Türken. Petersburg. 
1842. Borodin. 4. 221 S. Eine detaillirte 
Geschichte des alten Byzanz von seiner 
Gründung bis auf die Gegenwart; mit ei- 
nem chronologischen Verzeich niss aller Kai- 
ser von Konstantinopel; endlich eine um- 
fassende Beschreibung aller merkwürdigen 
Gebäude, Plätze, |der Sitten Hnd der Le- 
bensweise in der ottomannischen Haupt- 
stadt. Dieses höchst interessante Buch (das 



Digitized by Google 



84 



den Ronen wahrscheinlich nur beiläufig 
einen Vorgeschmack für Konstantinopel ge- 
ben soll) ist eigentlich englisch verfasst 
and mit herrlichen Stichen in London er- 
schienen. Die Platten Ton fliesen hat spä- 
ter Smirdin an sich gebracht und den Text 
ubersetzen lassen. Der erste Theil hat 47 
artistische Beilagen , einen Plan von Kon- 
stantinopel and eine Karte des Bosporus. 

7. üocpe^Hnm» : Der vermittelnde 
Schiedsinann, oder Angabe der Art 
einer gutlichen Specialzertheilnng von zer- 
rissenen und Gemeindegrundstücken, nebst 
Formularen von Deklarationen, Zusiche- 
rungen, gütlichen Vergleichungen, Tausch- 
arkunden und andern Akten für alle Falle 
der Feldvermessung und Vertheilung. Hin 
Handbuch für Grundstücksbesitzer von TA. 
Riutmow. Moskwa 1842. Stepanow 1842. 
12. 160 S. Hin Buch, das gerade zu ge- 
legener Zeit kommt, da man jetzt in Russ- 
land allgemein mit der Vermessung nnd Spe- 
cialzertheilnng der Grandstücke beschäftigt 
ist. Freilich haben die Grundbesitzer schon 
grösstenteils ihre Schieds-Commissare ge- 
wählt and zwar aus dem Adel. 

8. Hrpa Bh ri|»e(pcpaHCT>: Das Präferance- 
Spiel. Petersburg. Borodin. 16. 123 S. 
Oopmyna, Fortuna, ein neues Karten- 
spiel, ebendaselbst Man lehrt auch in 
Russland schon das Kartenspielen aus Bü- 
chern, üeber das Präferance erschien noch 
ein anderes Buch, das wir seiner Wichtig- 
keit wegen nicht weiter anführen. 

II. Polnische Literatur. 

a) Wissenschaften. 

1. Rozbior krytyczny: kritische Ent- 
wickelung der Grundsätze für die Geschichte 
des Menschengeschlechtes von Hugo Kot- 
tqtaj. 1 Band. Herausgegeben von F, 
KomeuHcz, Prof. in Krakau. 1842. 8. VIII. 
und 405 S. Hin höchst wichtiges Werk 
aus den (unterlassenen Manuscripten die- 
ses berühmten Gelehrten abgedruckt, wel- 
chen noch zwei andre Bände über densel- 
ben Gegenstand als I. Abth. dann seine 
seine Briefe als II. Abth., und endlich ver- 
mischte Schriften als III. Abth. seiner hin- 
terlassenen Werke folgen sollen. 

2. *Dzieje KoScioiow: Geschichte der 
helvetischen Kirche in Lithauen, von Jos. 
Luknszewicz. I. Bd. Posen. 1842. 8. 
VIII und 414 S. Wir beziehen ans auf 
den Artikel II. 3 dieses Heftes. 

3. Wilno: Wllna von seiner Entstehung 
bis zum J. 1780» von Kraszewaki. Wilna 
1842. 4. and letzter Band ; mit zwei Por- 
traiten und einem Plane der Stadt. 8. 
XVI. 408 S. So ist denn diese ungeheure 
Arbeit fertig and Kraszewski hat sich am 
die lithaoische Geschichte einen neuen Lor- 
beer erworben. 

4. Dzieje wewnetrzne: Innere de» 
schiebte des llthauischen Volkes 
aus den Zeiten Jan So bieski's und 
A u g n s f 8 II. Aaszüge aus verschiedenen 
Notaten and Manuscripten von Fr. Nar- 



butt. Wilno 1842. Dworc 2 Bd. 12. 129. 
130 S. 

5. Tymofei Chmielnlekl, ein nlnto- 
rierhesj Fragment ans dem XVII. Jahr- 
hundert von tidw.Mnrjanna. (Galli?) Wilno 
1842. 

8. Chronicon Wigandi Marburgen- 
sis: Annalen von Wigand von Marburg, 
aus dem Lat. in's Poln. übersetzt von Ed. 
Grafen RaczynslsL Posen 1842. kl 4. XIII 
und 377 S. 

7. Pamietnik do dziejow Polskicht 
Denkmäler für die Geschichte Polens. Her- 
ausgegeben von St. A. Lachowics. Wilno 
1842. Glücksberg. 8. III und 323 S. Ent- 
hält Originalbriefe von Sigmund August 
an verschiedene Personen und andre hi- 
storische Dokumente. 

8. Statut litewski, das lithauisehc 
Statut- und Gesetzt»» tn ml ii ng vom J. 
1389 bis 1529 sammt den Reichstagsver- 
handlungen, von Tit. Dzinlynski. Posen 
1842. Hin werthvolles Werk für den For- 
scher. 

9. Wspomnienie Zmudii: Erinnerun- 
gen an Sainoftitien von P. Ludw. 
Jnlcewicz. Wilno 1842. Glückberg. 8. 
211 S. Der Verfasser der „Sprichwörter 
des lithauischen Volkes'* and der „Links- 
mine (literarische Arbeiten) 4 * bietet hier 
eine sehr gelungene Beschreibung seiner 
geliebten Heimath. Das Buch verdient in 
ethnographischer, topographischer, histo- 
rischer und mythologischer Hinsicht die 
Aufmerksamkeit unsrer Gelehrten. Ein 
zweiter Theil soll nachfolgen. 

10. Wyci*gi Piotrowickie: Piotrowicer 
üxcerpte, oder einige Excerpte aus 
der Bibliothek in Piotrowic (bei Lnblin), 
herausgegeben von K. Koimian. Breslau 
1842. Briefe von interessanten und wich- 
tigen Personen. 

III. Böhmifiehe Schriften. 

a) Wissenschaften. 

1. •MalaEncyclopedianauk. Kleine 
Encyclopedie der Wissenschaften. Herausg. 
vom böhm. Museum. l.Thl. Torneys kurze 
allgemeine Weltgeschichte. Mit einer Vor- 
rede von Schafarik. Prag 1842. Kronber- 
ger. 12. 263 S. (24 Xr. C. M.) 

2. Sjlozpyt: P h y s i k von Jos. Stneiana. 
(2. Thl. der neuböhm. Bibl.) Prag 1842. 
Museum, gr. 8. 29 Bog. 11 Tabellen. Ein 
durch Gründlichkeit, präcise und dem Ge- 
nius der Sprache angemessene Nomencla- 
tur, und zweckmässige Darstellung ausge- 
zeichnetes Werk. 

3. "Archiv €eskV: Böhmisches Archiv 
oder alte schriftliche Denkmäler aus Böh- 
men und Mähren. Von Fr. Palacky. Zwei- 
ter TheiL I.Heft. Prag 1842. Kronberger. 
Enthält: Zuschriften von A. v. Sternberg 
vom J. 1436 — 1451. Auszüge aus alten 
Handtafeln von 1391—1456 und Ordo juris 
Czechici, lateinisch und böhmisch. 

4. Wpad Mongoluw doMorawy: Der 
Mongolen - Einfall in Mähren. Von AI. 



Digitized by Google 



Schemhern , Prof. der böhm. Sprache nnd 
Lit. in Ollmiitz. 2te Auflage. Ollmiitz 1842. 
Mit 4 Kupferstichen. 8. IV u. 7« S. Eine 
Monographie, die als Denkschrift an jenes 
Kreigniss nnd wegen ihres historischen 
Werthes viel Abgang hatte. 
5. Rozbor staroCeske literatory: 
Forschungen über die altböhmische Lite- 
ratur, gelesen in den Sitzungen der könig- 
lichen böhm. Gesellsch. der Wiss. philolog. 
Sect. in den Jahren 1840 u. 1841. (Ans 
Hen Verhandl. der k. böhm. Ges. d. Wiss.). 
Prag 1842. Kronberger. 216 S. Enthält: 
I. Ueber die ältesten Handschriften des 
böhm. Psalmisten, von Schafarik; 2. Ei- 
nige handschriftliche Gebetbücher, von Jos. 
Jnngmann*, 3. Von einigen Büchern reli- 
giösen Inhaltes, von Czelakowsky; 4. Ue- 
bersicht der Kechtsquellen in Böhmen, von 
Hanka ; 5. Jan Bechjßka's Schriften christ- 
licli - moralischen Inhaltes, zwei Theile von 
Jos. Jungmann ; 6. Der böhmische Cisioja- 
nus von Hanka*, 7. Astronomisch - medici- 
nische Kunst von Jos. Jungmann ; 8. Tho- 
mas von Schtitny Bücher der christl. Lehre 
von dems. ; 0. Excerpte ans dem Rheimser 
und Ostromiser Evangelium, von Hanka. — 
Die Gesellschaft der Wissensch, wird fort- 
fahren, ihre gediegenen Abhandlungen zu 
veröffentlichen. 

b) Belletristik. 

1. Basn£: Gedichte von W. Jaromjr Picek. 
Prag 1842. Hage. Picek ist als glücklicher 
Liederdichter (and das ist sein grösster 
Vorzug) in der böhmischen Literatur seit 
langem bekannt. Hier hat er unter seinen 
I. „Gedichten" und II. „Liedern" eine gute 
Auswahl getroffen, wenn man auch geste- 
hen muss, dass unter den letzteren man- 
ches Schone, sonst bekannte vermisst wird. 
Vaterland und Liebe sind die beiden An- 
gelpunkte seines Gesanges; er ist „das 
leichte Lied einer Lerche, die sich über 
Feldern und Auen zu den Wolken empor 
schwingt**, sagt ein böhmischer Kritiker, 
und das mit Recht. Und von solchen Lie- 
dern fodert man weder Gedankentiefe noch 
erschütternde Kraft. 

2. Pyrkera Perly poswatn*?: Pyrkers 
Perlen der keiligen Vorzeit, übers, von 
K, Winarichj. 3 Bdchen. Prag 1842. 

IV. IVichtslawiBche Schriften 
filier Slawisches. 

a) Wissenschaften. 

1. Honumenta Livoniae anliqua, 
Sammlung von Chroniken, Berichten, ür- 



knnden n. a. schriftl. Denkmalen u. Auf* 
sätzen welche zur Erläuterung der Ge~ 
schichte Liv-, Ksth- und Kurland'* dienen. 
3r. Band. — Auch unter dem Titel: Mo- 
ritz Brandls Chronik, oder älteste Livlän- 
dische Geschichte, und Collectanen, oder 
die Ritter-Rechte des Fürstenthums Ehsten. 
Zum ersten Male in Druck gegeben mit 
Anmerkungen von Dr. Varl Jul. Alb. Pflü- 
cker, gr. 4. i72'/» B.) Riga, Prantzen (Leip- 
zig, Fr. Fleischer). 

2. Codex diploinaticiift Brnnden- 
burffentgiti: Von Wedel, Prof. Dr. I. 
Haunttheil. 2. Band. 3. Lieferung. Berlin 
Morin. 37b* S. 4. 

3. Codex »iploinnticus Prusslcus. 
— Urkunden-Sammlung zur altern Ge- 
sehichte Preussens aus dem Königl. Ge- 
heimen Archiv zu Königsberg, nebst Re- 
gister, von Prof. Voitfl. II. Bd. gr. 4. 
(31 Vi B.) Königsberg, Gebrüder Born- 
träger. 

4. Gründung*" rknnde der Stadt 
<*riitz a. d. Oder. Mit I Üthograph. 
Beilage. 8. 24 S. Berlin, Giopius 1842. 

5. Scriptores exteri saeculi XVI., his- 
toriaeRuthenieae, colleg. et vet. edit 
fid. edid. Adaeb. de Starczewski. Vol. 
II. gr. Lex. 8. (26 B. u. 1 Bildniss) Be- 
rolini et Petropoli, (Behr.) 

d) Vermischte Schriflen. 

1. Hundert Tage auf Reisen in den öster- 
reichischen Staaten von J. G. Kohl. 3r. und 
4r. Tbl. — Auch unter dem Titel: 
Reise in Ungarn. 2. Abtheil. Pesth u. 
die mittlere Donau. — Das Banat, die 
Pusten nnd der Plattensee. Mit 2 Titel- 
kupfern und 1 Karte von Ungarn. 8. (68'/» B.) 
Dresden nnd Leipzig, Arnoldische Buchh. 

,2. Dasselbe, 5r. Tbl. — Auch unter dem 
Titel: Reise in Steiermark und im bayer- 
schen Hochlande. Mit Titelkupfer. 8. 
(22*/* B.) Dresden und Leipzig, Arnoldi- 
sche Buchhandlung. 

3. Uber den Gegenwärtigen Stand der hö- 
mischen IiUeratur nnd ihre Bedeu- 
tung. Von Leo Gr. Thtm. Prag. Korn- 
berger. 104 S. 

4. Berichtigungen der Ansichten eines Öster- 
reichischen Staatsbürge4s über die böh- 
mischen Frovinxialxuatände in 
dem Werke Oesterreich und seine Staats- 
männer. Voneinem kompetenten Böhmen. 
Gr. 8. (l 1 /* B.) Leipzig, Müller. 

Bemerkung. Die übrigen Schriften 
aus den andern Fächern werden wir im näch- 
sten Hefte nachholen, da uns hier der Raum 
beengt. 



JB) Zeitschriftenrevue. 



1. Archiv für wissenschaftliche 
Kunde von R ussland, herausgegeben 
von A. Erman. 1841. 1.- 4. Hft. Ber- 
lin. Reimer. 704 S. 8. Mit 1 geognost. 
Karte nnd 2 Tafeln. 



Durch seinen rein wissenschaftlichen Cha- 
rakter in streng abgeschlossene Gränzen ein- 
geengt, bewegt sich das „Archiv** mit einer 
höchst achtungswerthen Sicherheit auf dem 
Gebiete, das es ausgewählt hat. Seine Ar- 



Digitized by Google 



tikel sind theits Original theils übersetzte; 
zeichnen sich aber fast durchweg durch 
Gründlichkeit aus. Sie zerfallen in vier Ab- 
teilungen, in denen wir nur die wichtigsten 
Artikel herausheben wollen. 1. ,,phyfti- 
knliNfli-inntlieimitiachc Wissen- 
schaften." Besonders interessant 



schienen uns hier: „Ueber die Vorarbeiten 
zur Anfertigung der ueu erschienenen .Spe- 
cialkarte der westlichen Theile von Russland. 
Von v. Schubert;*' ebenso die „Specialkarte 
Ton Lievland in 6 Bl. von Hücker." Sehr 
werthvoll ist: „Ueber den dermaligen Zu- 
stand und die allmahlige Entwickelung der 
geognostischen Kenntnisse vom Europäischen 
Kussland," von A. Erman, ein Artikel, der 
Russland in den verschiedenen Stufen seiner 
geistigen und materiellen Entwikelung von 
einem neuen Standpunkte uns charackterisirt. 
Derselbe gibt auch noch (im 3. Hefte) 
„Beiträge zur Klimatologie des russischen 
Reichs, welche unsere Kenntniss desinnern 
Russlands mit manchen interessanten Daten 
bereichern. Dasselbe gilt von „A. v. May- 
endorfTs und seines Begleiters Bericht über 
ihre Reise im Europäischen Russland" in 
welchem Berichte Mejendorff über Industrie, 
Blasius von Braunschweig' über Zoologie, 
G. Kaiserling über die vorgenommenen ba- 
rometrischen Höhenmessungen im Innern 
Russland's spricht, sowie sämmtliche Theil- 
nehmer ihre geognostischen Bemerkungen 
hier mittheilen. Sehr verwandten Stoff be- 
handelt: „die klimatischen Verhältnisse Russ- 
land's nach ihrer Abhängikeit von der geog- 
nostischen Lage und von lokalen Umständen, 
in Beziehung auf die Land wirth Schaft," 
vom Finanzminister G. Cancrin. „Ueber Kul- 
tivirung der südrussischen Steppen" von J. 
Kresling lässt uns einen erschrockenen Blick 
in die grauenvolle Leere dieser Einöde thun. 
„Ueber die russische Real-Encyclopedie" von 
Erinan (über welche auch Schott in demsel- 
ben [4. Hefte] einen Aufsatz liefert) führt 
uns zu der Abtheilung2. Hie liistorisch- 
linguistisehen Wissenschaften. 
Hier heben wir aus den vielen Guten nur 
folgendes heraus: „Verteidigung der russi- 
schen Chronik des Nestor" von Butkow; P. 
Jakinfs Beschreibung der Dzungarei, und 
des östlichen Turkestan" von Schott; „schrift- 
liche Denkmähler aus den Zeiten des Toch- 
tamysch-Chan" von demselben. „Ueber des- 



selben Kitaj (China)* 1 von demselben ; „neue 
Data, die saporogischen Kosacken betreffend." 
von Kalkowski; „über die Czuwaschen und 
Czeremissen" von Fuchs ; „über den Einfluss 
der Griechen auf bürgerliche Bildong in 
Russland" von Dombrowski ; „über den Aber- 
glauben des russischen Volkes" von Ande- 
jewa; „Eine Nachricht über die historisch- 
philologischen Memoiren der Akamie der 
zu St. Petersburg** so wie über Czuhinow's 
„persisch-russisch-französisches** und Hand- 
ieri „französisch - arabisch - persisch- türki- 
sches Lexikon" von Schott, ist recht anzuem- 
pfehlen. 3. Industrie und Handel. Hier 
zeichnen sich aus: „Vorschläge zur Siche- 
rung gegen die Folgen des Misswachses** 
von Brüning, für Russland von ungemeiner 
Wichtigkeit; „von einigen der neueren sta- 
tistischen Werke und deren Resultaten über 
die Bevölkerung des russischen Staates;** 
die „Vereine der freiwilligen Matrosen" thnn 
einen eigentümlich wohlthätigen Eindruck, 
wenn man auf den Zustand dieser Menschen- 
klasse z. B. in England hinsieht. Ein all- 
gemeines Interesse linden die „Betrachtun- 
gen über Russlands Handel mit Asien,** da 
sie schon an das Gebiet der Politik hinstrei- 
fen. 4. Unter der Rubrik: Allgemein- 
liiterariacbes hat zuerst Varnhagen von 
Ense „die neueste russische Literatur** be- 
sprochen und ihr in jeder Hinsicht eine gar 
zu günstige Beurtheilung zukommen lassen; 
dann übernimmt Schott seine Stelle, indem 
er den ruskij wjestnik (russischer Anzeiger), 
Greczs Vorlesungen über russische Sprache 
und Literatur und Muraalt's neueste (histo- 
rische) Werke, sowie die schon oben er- 
wähnte Real-Encyclopedie, mit ansehnlicher 
Weitläufigkeit bespricht. 

Der Jahrgang 1842. 1. Heft enthält aus 
der zweiten Abth. „die westliche Gränze der 
Slawen** von Gleim; „über Bronowski's 
Geschichte der donischen Kosacken** von 
Schott; überKöppens Atterthümer in der süd- 
lichen Krimm, von dems. ; „zur Geschiebte 
des Adels und des Bauernstandes in Kuss- 
land** von Hagemeister und endlich „Erzäh- 
lungen des Grafen Sollohub" von Schott. 
Diess die bisher erschienenen Hefte. 



Bemerkung. Die eigentliche Zeitschriften 
nevite beginnt narli unserer Ankündigung erst 
mit dem Jahre 1843. 



VII. 
isoellen. 



•- 
I 



Der russische Sinologe Jakinf 
Bitschurin ist anerkannt einer der gründ- 
lichsten Kenner des chinesischen Staates und 
Volkes. Als Mitglied der Mission, welche 
alle zehn Jahre von Petersburg nach Peking 
abgesendet wird, gelang es ihm, mit einem 
emsigen Studium der chinesischen Literatur 



eine unbefangene Beobachtung des heutigen 
chinesischen Lebens zu verbinden. In zahl- 
reichen Journalartikeln, Originalwerken und 
Uebersetzungen aus dem Chinesischen legte 
Bitschurin nach seiner Rückkehr den Erl'olg 
seines Fleisses nieder. Der in Zeitschriften 
ausgestreuten Artikel sind so viele, dass der 



Digitized by Google 



Verfasser sie selbst nicht mehr übersehen 
kann. Manche von ihnen sind besonders 
desswegen von Wichtigkeit, als sie die An- 
sichten französischer nnd englischer Sinolo- 
gen, welche nnr von der Meeresseite in das 
Innere des ungeheuren Reichs einen Blick 
thun konnten, berichtigen. Von den Werken, 
deren Herausgabe Bitschurin in der nächsten 
Zeit versprochen hat, erwähnen wir nur zwei: 
nämlich eine Schilderung der chinesischen 
Gesetzgebung und eia grosses chinesisch- 
russisches Wörterbuch. Letzeres ist längst 
ausgearbeitet, wird eine Stärke von 15 Bün- 
den in Folio erreichen und erscheint auf 
Kosten der russischen Regierung, die zu die- 
sem Zwecke mehr als 100,000 Rubel Papier 
bestimmt hat. 

Wir lassen hier in chronologischer Ord- 
nung ein Verzeichniss der Werke des be- 
rühmten Sinologen folgen; 

1. Beschreibung von Tibet. 1828. Ueber- 
setzung aus dem Chinesischen. 

2. Denkschriften über die Mongolei, 1828. 

3. Beschreibung der Dzungarei. 1820. Ue- 
bersetzung aus dem Chinesischen. 

4. Geschichte der ersten vier Chane aus 
dem Hause Tschirtschi. Uebersetzung 
aus dem Chinesischen. 1829. 

5. Beschreibung von Peking mit einem 
Plane. 1829. 

6. Geschichte von Tibet u. s. w. 1633. 
Übersetzung aus dem Chinesischen. 

7. Geschichtliche üebersicht der Oirolei (?). 
1834. 

8. Chinesische Grammatik. 1834. 

9. China, seine Bewohner, Sitten, Gebräu- 
che, Kultur. 1840. 

10. Statistische Beschreibung des chinesi- 
Reiches mit Karten. 1842. — K. 

Zwei jungen Gelehrten der Ka- 
saner Universität, Berezin und Dittel, wur- 
den von der russischen Regierung die Mittel 
verschafft, eine Reise uach der europäi- 
schen Türkei, nach Kleinasien, Persien, Sy- 
rien und Egypten zu unternehmen , um sich 
in der arabischen , persischen und türkisch- 
tatarischen Sprache zu vervollkommnen ; ihre 
Gehalte sind ihnen auf drei Jahre gesichert. 

In Rossland werden nun auch Real- 
schulen nach Art der deutschen einge- 
richtet; in Moskwa, Tula , Kursk, Wilno, 
Riga und Kercz besteben solche bereits seit 
2 Jahren; im vorigen Jahre wurde eine sol- 
che in Archangelsk errichtet. Ueberhaupt ist 
das Ministerium der Volksaufklärung in dem 
Jahre 1841 wieder sehr thätig gewesen; denn 
ausser der neuen Realschule hat es auch 
noch ein Gymnasium, 4 Bezirks - und 38 
Pfarrschulen eingerichtet. Dabei wird es 
freilich vom Adel und der Kaufmannschaft 
sehr unterstützt; so um nur ein Beispiel an- 
zugeben, wies der Adel des Gouvern. Minsk 
im vorigen Jahre 15,000 R. Silb. zur Erbau- 
ung eines Gebäudes für die „ adelige 



Pension" an und bestimmte eine eben 
so grosse Summe dazu, dass von ihren In- 
teressen eine entsprechende Anzahl armer, 
adeliger Kinder erzogen werde. 

Die technische Bergwerks- 
sehule» ein Theit des technologischen In- 
stitutes in Petersburg, hat die Erlaubniss er- 
halten, «Ire issig Pensionäre zu halten, um 
sie zu Maschinisten und Mechanikern für die 
Petersburg-Moskwaer Eisenbahn heranzubil- 
den. Man sieht, es wird der Regierung Ernst 
mit der Sache. 

Die Israeliten in Russland beginnen 
gegenwärtig recht thätig für die Erziehung 
von Kindern ihres Glaubens zu sorgen. In 
Odessa haben sie ein schönes Institut einge- 
richtet; eben so in neuester Zeit wieder in 
Wilna nnd in Goldingen in Kurland zwei 
grosse Elementarschulen und sechs kleinere 
im Königreiche Polen. 

W. P. Burnaschew beschäftigt sich seit 
mehr als drei Jahren mit einem „termi- 
nologischen Lexikon der Land- 
wirthsehaft, der Industrie und 
des Fabrikwesens." In Folge seiner 
öffentlichen Auffoderung wurden ihm aus 
allen Gouvernements die reichhaltigsten Bei- 
träge geliefert. Einzelne Personen sandten 
ihm ganze Reiben von eigenthümlichen, ächt 
russischen Bezeichnungen der einzelnen Dinge 
in Jenen drei Fächern , wie sie unter dem 
rein russischen Volke gäng nnd gäbe sind. 
Das wird ihn in den Stand setzen, eine tüch- 
tige Arbeit zu liefern und so eines von den 
Hindernissen ans dem Wege räumen, die wir 
oben S. 44 als die Einführung einer ratio- 
nellen Agrikultur unmöglich machend anga- 
ben. Burnaschew ist Adjunkt des Direktors 
der Apanagen-Ackerbauschule in Petersburg. 

Die literarische Zeitung hat sich 
seit dem Jahre 1842 bedeutend verbessert, 
sie ist gründlicher und mannichfaltiger ge- 
worden. Schriftsteller wie Lazecznikow. Os- 
nowjanenko, Grebenka, Podolinski und an- 
dere, nehmen thätigen Antheil an ihr. Ueber 
die neuesten theatralischen Vorstellungen wer- 
den schnell genaue Berichte gegeben, und 
die Bibliographie ist sehr vollständig; die 
Kritik zeichnet sich durch Gründlichkeit und 
Wahrheit aus. 

Von Gogols Werken erscheint näch- 
stens eine Gesammtausgabe in 4 Bänden. 
Der erste enthält die Bcucpa ua Xymopt; 
der zweite Mirgorod und mehrere kleinere 
Erzählungen (darunter Taras Bulba ganz 
umgearbeitet); der dritte die ,, Arabesken w 
und mehrere Novellen, die in Journalen ab- 
gedruckt waren; der vierte den „Revisor" 
und noch ein (ganz neues) Lustspiel: „die 
Hochzeit 1 ', so wie einige andere dramati 
sirte Arbeiten. Im December soll der erste 
Band ausgegeben werden. 

Vor Kurzem starb in Odessa eine der 
talentvollsten russischen Schriftstellerinnen, 
Helena Andrejewna Hahn, bekannt unter 
dem Namen Zeneide R — wa. Das innigste 



Digitized by Google 



SS 



Gefühl, die lebendigste Phantasie und eine 
hinreissemle Darstellung machte sie binnen 
Kurzem zum Lieblinge des russischen Lese* 
publik n ms. Ihr Tod ist ein ausserordent- 
licher Verlust für die russische Literatur; 
sie war eben in ihrer besten Kraft (27 Jahr) 
nnd stand im Begriffe, die höchsten Hoff- 
nungen zu erfüllen. 

Ein russisches Journal kündigt den fünf- 
ten Band der Erzählungen von P. P. Stima- 
rokow an und bemerkt dazu, die drei ersten 
Theile seien in der Buchhandlung von Smir- 
din, der vierte im Comptoir der „Vaterlän- 
dischen Memoiren ** zu haben. Der russi- 
sche Buchhandel steht in der That 
auf einer hohen Stufe der Vollkommenheit, 
wenn man ein Werk von 5 Theilen an drei 
Orten zusammensuchen mnss. Herrn Pelz's 
Mission scheint ihm noch nicht auf die Socken 
geholfen zu haben. 

Kupfermünze in RnsBland. Sie 
wird geprägt: 1) im Ekaterinburger Münz- 
hof; im Jahre 1841 bereitete er Kupfergeld 
im Wertbe von 509,623 R. 50 K. Silb.; 2) der 
Snzuner Münzhof; er prägte in demselben 
Jahre 151,722 R. 43 Kop. Silb. ; 3) endlich 
ausserordentlicher Weise seit 1840 der Ad- 
miralitätshof in Izora, in welchem für 352,000 
R. Kupfer gemünzt wurde. Russland erhielt 
also in dem einzigen Jahre 1841 nicht weni- 
ger als für 1,013,346 R. Silb. neues Kupfer- 
geld. 

Eine Anzahl Kosaken und kaiser- 
licher Colonisten im Czernigower Gouverne- 
ment haben im Verlauf der Jahre 1840 und 
1841 den Gemeinde-Bescliltiss gefasst (sie 
haben bekanntlich eine sehr freie Communal- 
verfassung), einander gegenseitig bei unvor- 
hergesehenen Unfällen mit Geld, Nahrungs- 
mitteln, Viehfutter und dergleichen zu unter- 
stützen. Solche Fälle sind bereits vorgekom- 
men und einzelne Gemeinden haben sich da- 
bei ausserordentlich hilfreich gezeigt. — Auch 
ist es den Bemühungen der Regierung und 
einzelner Volksfrennde gelungen, die Bauern 
endlich von der Wichtigkeit und Vortrefflich- 
keit der Versicherungsgesellschaf- 
ten zu überzeugen; die Theilnahme an den 
öffentlichen Instituten dieser Art nimmt über- 
all zu, und so wird auch von dieser Seite 
die Aussicht auf einen besseren, geregelte- 
ren, sichereren Wohlstand des Bauern- 
Standes allmähtig heiterer. 

Zur Beförderung der Communication anf 
dem Ladogasee hat sich eine Aktiengesell- 
schaft gebildet, welche eine stehende Dampf- 
schifffaurtsverbindung auf demselben halten 
wird, um Passagiere zu fördern, Güter zu 
transportiren und andere Schiffe den See 
hinauf zu bugsiren. Ihre Statuten sind be- 
reits von der Regierung genehmigt; gegen- 
wärtig werden nun die Actien 4000 Stuck zu 
100 Kübel Silber ausgegeben und finden gu- 
ten Abgang. 

Im Königreiche Polen bestanden im 
J. 1841 folgende Lehranstalten mit 

Schülern: 



1. Specialschulen: Inst Schüler 
Pädagogische Ergänznngsschnle 1 178 
Landwirtschaftliche Schule 1 115 
Realgymnasium (neu einger.) 1 325 
Schullehrerseminar in Lowicz 1 54 
Rabbinenschule 1 175 

2. Allgemeine Lehranstalten: 
Gymnasien 10 3,886 
Kreisschulen 21 2,847 
Sonntags -Gewerbeschulen 74 6,842 
Niedere Schulen 941 40,758 
Israelitische Schulen (neu) 6 27» 

1057 55,459 " 
Dazu Privatinstitute J85_ &,400 

1,242 60,059 
Die letzteren haben gegen das vorige Jahr 
an Zahl ab-, an Schülern aber zugenommen. 

Für die Oekonomle regt sich auch 
im Königreich Polen ein immer lebendigeres 
Interesse. Mit Anfang dieses Jahres (1842) 
hat erst eine Zeitschrift für die Landbewoh- 
ner „Kmiot** (der Bauer) angefangen 
zu erscheinen, und schon ist wieder die er- 
ste Nummer einer neuen unter dem Titel: 
Roczniki gospodartwa Krajowego Jahrbücher 
für die innländische Lnndwirthscliaft I. Bd. 
1. lieft. LXIII und 96 S. Warschau 1842 
ausgegeben. Nach der ersten Nummer, wel- 
che zwei recht kräftige Artikel enthält: 1. 
Fassen wir das Wesen unserer Betriebsam- 
keit, besonders der Agrikultur von dem rech- 
ten, unsern Localverhältnissen entsprechen- 
den Standpunkte auf? von K. G., und 2. 
vom Einfluss der Wettrennen auf die Pfer- 
dezucht von Eberhard : lässt sich manches 
Gute von diesem Unternehmen für die Oeko- 
nomie Polens erwarten. 

Ein bömigeh« deutsches Lexi- 
kon ist bei dem gegenwärtigen Zustande 
der beimischen Literatur eines der dringend- 
sten Bedürfnisse. So viel uns bekannt, ar- 
beitet Hanka seit längerer Zeit an einem 
solchen. Nun kündet auch Franta-Schumaw- 
sky eins an, dessen erstes Heft noch im 
Jahre 1842 evscheinen soll. Unter seiner 
Leitung nämlich haben sich viele der jüngern 
Literatoren vereinigt und die einzelnen Buch- 
staben ausgearbeitet. Er selbst hat die Re- 
daction des Ganzen und Spurny in Prag den 
Verlag übernommen. Alle sechs Wochen 
soll eine Lieferung von 12 Bogen fertig wer- 
den, deren „wenigstejn neun sein werden'*. 
Die Pränumeration für's Ganze 6 Fl. ein- 
zeln 1 Fl. die Lieferung, im Buchhandel 
1 FL 10 xr. 

Auch in der Musik zeigen die jungen 
Csechen ihren Eifer für das Nationale. 
Die Namen der Tänze, die wie gewöhnlich, 
alle „Faschinge 4 * in mancher Anzahl erschei- 
nen, sind bömische; so z. B. sehr beliebte 
Galoppe von Gutmannsthal: Horimir Dalibor. 
ZiZka's Traum: seine Polka: die Slawin; 
letztere beide im Grundton slawische Volks- 
melodien enthaltend. 

Der thätige J. Hoffmann in Prag, bei 
welchem bereits 4 Hefte Melodien zu den 
bömischen Liedern von Erben erschienen, 



■ 



Digitized by Google 



80 



hat den schonen Gedanken, nach den 16 
Kreisen Böhmens 18 Polka's mit bo- 
mischen Titeln und bedeutungsvollen Sinn- 
sprüchen herauszugeben. Die ersten drei, 
der „Kanriuier, Ktattaner and Ellenbogner 
Kreis 4 * alle drei von Labicky, sind schon er- 
schienen. — Auch beabsichtigt er ein lile- 
der buch (ges. von Pichel) zu verlegen. 

Im Februar 1843 erscheint in Pesth: 
Beschreibung einer Reise nach 
Oberitalien, Tyrol und Bayern, 

mit besonderer Rücksicht auf slawische 

Nationalelemente beschrieben von Jan Kollar. 
Das Werk wird aus dfei Theilen bestehen: 

I. Ungarn jenseits der Donau und Illyrien; 

II. Venedig und die Lombardei; III. Tyrol 
und Bayern ; mit bestandiger Hinweisung auf 
Geschichte, Goographie, schöne Wissenschaf- 
ten, Sprache, Volkssitten und Spiele und an- 
dere Erscheinungen, die in diesen Landern 
auf slawische Elemente hindeuten. Dazu 
kommen noch 3 Ansichten, 2 historische Ur- 
kunden und eine historisch -etymologische Ab- 
handlung über das Wort holub fcolumba). 
Eine besondere Beilage bildet noch : das 
Lexikon slawischer Künstler al- 
ler Stamme, von den ältesten Zeiten bis 
auf die Gegenwart. Das ganze Werk wird 
etwa 25 gross Octavbogen umfassen; der 
Pränumerationspreis ist bis zum 1. Februar 
auf 2 Fl. 10 Kr. CM. (1 Thlr. 14 Ngr.) 
festgesetzt. 

Unter dem Titel: „dieschönwlssen- 
schnftliche Literatur der Bus- 
sen. Auserwähltes aus den Werken der vor- 
züglichsten russischen Poe*en und Prosaisten 
älterer und neuerer Zeit, in's Deutsche über- 
tragen und [mit historisch -kritischer Ueber- 
sicbt, biographischen Notizen und Anmer- 
kungen begleitet von C. Wilh. Wolfsohn" 
erscheint bei L. Fort in Leipzig ein Werk, 
das Deutschlands Ansichten über die russi- 
sche Belletristik bedeutend verändern wird, 
und nicht bloss hier, sondern auch in den 
slawischen Ländern verbreitet zu werden ver- 
dient. Von dem ersten Bande, der die Ge- 
dichte enthalten soll, liegt uns die erste Ab- 
theilung 13 Bogen stark vor; wenn wir aus 
diesem Grunde unser Urtheil bis zum Er- 
scheinen des ersten Bandes hinausschieben 
müssen , so können wir doch schon jetzt im 
Voraus versichern, dass das Werk mit vor- 
züglichem Fleisse ausgearbeitet ist, der bei 
der Schwierigkeit, sich russische Sckriften in 
Deutschland zu verschallen, gewiss alle An- 
erkennung verdient. 



Prag, den 15. Novbr. 1842. 

Und so haben wir denn gegrün- 
dete Hoffnung, dass es mit unserem böh- 
mischen Drama endlich ein Mal besser 
wird. Die Mittel sind vorhanden (Gebäude 
und Schauspieler), alles liegt nun an der 
Direction; wird diese kräftig genug und das 
nationale Ziel im Auge behaltend ihres Am- 
tes walten, so wird unsere Literatur in die 
Slaw. Jahrb. I. 



ser einen wirksamen Stützpunkt für ein neues 
Moment linden und Herr Stjepanek (Regis- 
seur) sich ein ewig dauerndes Verdienst um 
mehr als zwei Dritttheile der Gesammtbe- 
völkerung unseres Vaterlandes und einen Na- 
men für die Zukunft verschaffen. Sollte er 
dagegen diess ans den Augen verlieren, sollte 
er in der Weise fortfahren, wie er es bis- 
weilen jetzt gethan, so wird sich ein späte- 
res Geschlecht (trotz allen jetzigen journali- 
stischen Verschonungen und Complimenten) 
fürchterlich dafür rächen und die Geschichte 
unserer Nationalentwickelung ihren Fluch 
über ihn aussprechen. Der Moment ist wich- 
tig, die Aufgabe gross: also entweder mit 
kräftigem Arm sie erfasst oder — anderen 
Händen sie anvertraut! Neulich er- 
hielten wir zu unserem Erstaunen auch ei- 
nen bolgarischen „Morgenstern**, 
den Herr Pawlow in Odessa herausgibt 
Nach dem ersten Hefte, das ich nur flüchtig 
sah, lässt sich nichts Sicheres voraussagen; 
allein ein schönes Zeichen bleibt es doch, 
dass unter dem russischen Scepter auch für 
die geistigen Bedürfnisse einer stammver- 
wandten Nation gesorgt werden dürfe. Uns 
Czechen aber, die wir uns mit Recht die 
Erwecknng des Panstawismus zurechnen, ist 
sie ein schöner Beweis, dass wir nicht um- 
sonst seit Dobrowsky thätig gewesen sind; 
denn jetzt können selbst unsere wüthendsten 
und bornirtesten Gegner nicht mehr läugnen, 
dass unter den slawischen Völkerschaften ein 
reges geistiges Leben erwacht ist. Ueber 
jedem Volke ist ein heiter glänzender „Mor- 
genstern" aufgegangen, danica ilirska 
(illyrisch), denice (böhmisch), denica- 
jutrzlnka (russisch und polnisch), jut- 
n i c k a (lausitzisch-serbisch) und der bolga- 
rische; ein erquickendes Morgenroth steiget 
im Osten auf und verkündet den strahlenden, 
sonnenhellen Tag des Slawenthums. 

T. 

Pesth, den 28. Novbr. 1842. 

Unser Kampf gegen die Uebergriffe des 
Magyarenthums dauert nicht nur fort, son- 
dern wird auch noch von Tag zu Tag hef- 
tiger. Viel scheint dazu besonders die De- 

Sutation nach Wien beigetragen zu haben; 
enn unsere wüthenden Gegner sind dadurch 
noch wüthender, aber unsere Stammgenos- 
sen (katholischer wie evangelischer seits) da- 
für auch aufmerksamer auf die Nationalsache 
geworden, und damit ist schon alles gewon- 
nen. Wenn nur unsere Geistlichkeit und der 
gebildete Theil unserer Nation erst einsehen 
lernt, worum es sich handele, wenn sie sieht, 
dass unsere Nationalität, unsere Denk- und 
Sinnes weise, unsere Sprache, unser ganzes 
Wesen und Sein auf dem Spiele steht; dann 
wird sich auch Alles aufrichten und wie E i n 
Mann dem Feinde entgegen treten. — Ein- 
zig zu bedauern bleibt dabei nur , dass die 
zahlreichen Deutschen in unserem Lande ihre 
Stellung so gänzlich verkennen und sich eher 
magyarisiren lassen, als dass sie sich mit 
uns vereinten, um mit uns gemeinschaftlich 
den Uebergriflen der herrschsüchtigen magya- 

12 

Digitized by Google 



90 



Hachen Aristokratie Einhalt zu thiui. Uns 
Slowaken dünkt das unbegreiflich, wie man 
so leichten Herzens seiner Nation und den 
süssen Lauten seiner Muttersprache entsagen 
and eine finnische Individualität and die mo- 
notonen Laute einer uralischen Zange an- 
nehmen kann. Uns ist das unmöglich und 
macht den Deutschen anderseits wenig Ehre. 
— — Die Magyaren werfen uns vor, wir 
arbeiteten den Rosten in die Hände, and die 
panslawistischen Bestrebungen würden von 
Petersburg aus geleitet. Wir wissen hievon 
nichts ; aus Freundschaft aber und damit sie 
sich an uns rächen mögen , rathen wir den 
Magyaren an, sie möchten eine ähnliche 
Vereinigung ihrer Volksstämme zu Stande 
za bringen suchen, einen Fanfinnimui ; 
das misste eine weit ausgedehnte and gross- 
artige Nationalvereinigung geben, wenn sie 
ihre ganze Sippe unter Eine Haube bräch- 
ten. Die Sirjanen (Zyrjanen) in Nordruss- 
land, die Ostjaken, Wogulen, die Finnen and 
die ganze Freundschaft könnte da ihre De- 
putaten in unser freilich eigentlich slawi- 
sches Pesth senden, am da tob ihren euro- 
päisch sein wollenden Stammesbrüdern ma- 
gyarische Cultur: d. i. Slawen- and Germa- 
nen- Hass und Finnomanie za lernen. Da- 
bei hätte man noch überdies» den wichtigen 
und welterschütternden, den Erdkreis civili- 
sirenden Vortheil za hoffen, dass diese klei- 
nen Vorposten magyarisch -finnischer Natio- 
nalentwickelung, die über den ganzen Osten 
und Norden Russlands zerstreut sind, zu- 
gleich als Spione dienen könnten, jede Be- 
wegung, die injRussland und unter den Kir- 
gisen und Tataren sich zeigt, augenblicklich 
an ihre Brüder und Häuptlinge an der Donau 
za berichten, die nun einmal vom Schicksal 
bestimmt sind (wenigstens nach den Worten 
des weltberühmten Historikers und magyari- 
schen Philosophen Honrath), in den nächsten 
Decennien die Zügel Europas in die Hand 
zu nehmen und allen Völkerschaften der Er- 
de, den romanischen, germanischen und sla- 
wischen, in rothen Czischmen voranzuschrei- 
ten in jeglicher Weisheit und Wissenschaft. 
A Dien. Ein Slawe. 

Breslau, den 19. Octbr. 1842. 

In unserem Schlesien gebt es dem Sla- 
wenthum immernoch sehr hart; unsere Guts- 
besitzer und die höheren Stände in den Städ- 
ten sind fast völlig germanisirt; das Deut- 
sche herrscht in den Kanzelleien und im öf- 
fentlichen Leben; in Schule und Kirche wird 
dem Slawenthum Schritt lür Schritt mehr 
Terrain abgenommen; mit einem Worte, wir 
sind in demselben Zustande, oder eigentlich 
noch in einem schlimmeren, als Böhmen zur 



Zeitj wo Dobrowsky sein „Lehrgebäude 44 
schrieb. Denn uns steht eine kräftige ger- 
manische Partilei gegenüber, welche die öf- 
fentliche Meinung für sich zu gewinnen sucht 
und Schlesien für ein rein deutsches Land 
erklärt; ja in ihren Bestrebungen sogar so 
weit geht, das Polnische in unserer Pro- 
vinz für ein ausgeartetes Sprachidiom aoe 
zuschreien, welches von den Polen selbst ge- 
hasst werde, so dass die polnische Nationa- 
lität in Schlesien als untergegangen zu be- 
trachten sei. Wir können hierauf nichts er- 
widern , als was der Tygodnik literacki be- 
reits vor längerer Zeit aussprach: die Polen 
in Schlesien könnten nur dann aufhören sich 
für Slawen zu halten, wenn sie ihre Ge- 
schichte vergessen ; die Fürsten sind ihren 
Ahnen, den Piasten, treulos geworden, das 
Volk aber hängt mit eiserner Treue an sei- 
nem slawischen Stamme; wir können hier 
nicht anders, als im Namen der Grosspolen 
die Oberschlesier für unsere Brüder zu er- 
klären und jeden der Verläumdung und Lüge 
zu bezüchtigen, der uns einen andern Glauben 
zumessen will. Aber unsere Gegner wissen 
auch die Regierung für sich zu gewinnen, 
und keine der wohlthatigen Einrichtungen 
in Kirche and Schule, wie sie zur Erhaltung 
der polnischen Nationalität in Posen getrof- 
fen werden, wird auf unsere Provinz ausge- 
dehnt, obgleich wir in dieser Hinsicht mit 
dem Grossherzogthume ganz gleiche Bedürf- 
nisse und (nach den Gesetzen der Humani- 
tät und Civilisation) gleiche Ansprüche auf 
dieselben haben. Aber gerade dieses weiss 
man vor den Augen der Regierung geschickt 
zu verbergen, und unsere Wünsche, wenn 
wir sie offenbaren, so zu verdrehen und zu 
entstellen, dass sie das Gepräge entweder 
der Albernheit oder der Unverschämtheit er- 
halten. Und so wird es denn unsere Pflicht, 
selbst, in eigener Person vor die Regierung 
zu treten und mit dem vollen Vertrauen, das 
wir zu ihren humanen und jeder Nation un- 
seres Staates wohlwollenden Gesinnungen he- 
gen, unsere Bitten, unsere Wünsche, unsere 
Erwartungen ihr vorzutragen. Deutschland 
wundere sich daher nicht, wenn wir mit ent- 
schiedener Kraft auftreten gegen unsere Geg- 
ner, unter denen es leider so viele gibt, in 
deren Adern unser eigen Blut fliesst; wenn 
unser Eifer nach so vielfacher Bedrängung 
bisweilen vielleicht etwas zu weit geht und 
Kotierungen stellt, welche unsere Gegner 
lür „unverschämt 4 * ausschreien. Unsere Sa- 
che ist gerecht; wir müssen in dem Kampfe 
für sie den Sieg erringen; wir Oberschlesier 
bleiben Polen von Herz und Sinn, von Wort 
und That, wenn einzelne deutsche Hitzköpfe 
auch noch mit grösserer Wuth auf unsere 
Nationalität einstürmen. — cA. 



Drink von J. ü. Jlir*c Ilfeld iu Lei| xi«. 



Digitized by Google 




für 

slawische 

Literatur, Kunst und Wissenschaft, 



„Verständigung! Versöhnung! Vereinigung! 



I. Jahrg. o mB, 2. Heft. 



1. 

Der Fanslawismus. 

> 

Schon im hohen Alterthume finden wir die „acht slawische Gewohnheit", wie 
sie Schafarik nennt, bei den Völkern dieses Stammes, sich in kleine Theilc mit 
eigener Verfassung und separaten Zwecken zu zersplittern, die von einander un- 
abhängig nie zu einer imposanten Macht sich zu erheben im Stande waren und 
nicht seilen durch blinde Verfolgung ihrer Particularinteressen einander gegenseitig 
aufrieben. Und darin liegt einer der Hauplgrttnde, warum die Slawen in Folge 
der Zeit in eine politisch so untergeordnete Stellung herabgedrückt wurden. Erst 
in der Neuzeit haben sich unter den Slawen selbst Gegner jener Zersplitterungs- 
sucht erhoben. Man halle eingesehen, in welchem engen Zusammenhange die slawi- 
schen Sprachdialekte mit einander standen, und wie ohne die Kenntniss der übrigen 
auch eine reine und durchdringende' Auffassung des einen nicht möglich sei ; man 
fing an zu ahnen, welche endlose Reihe von wohlthäligen Folgen ein näheres An- 
schliessen der einzelnen slawischen Völkerschaften an einander für diese selbst 
haben müsste, und wie sie erst dadurch in den Stand gesetzt werden könnten, den 
übrigen europäischen Nationen in Kunst und Wissenschaft nachzukommen. Dass 
eine so grossartige Idee immer weiter um sich griff, ist bei dem allerwachten 
Leben der Slawen in der Gegenwart wohl sehr natürlich. Böhmen ist es beson- 
ders, wo dieselbe ihre edelsten Priester und gewandtesten Apostel fand, wo sie 
immer reiner und klarer herausgebildet wurde, so dass sie nun, von ihren Schlacken 
gereinigt, frei und ohne Scheu vor die Welt hintreten und gerechte Würdigung 
und Anerkennung fodern darf. Alle slawischen Völkerschaften bilden zusammen 
eine Nation, die slawische, die, obgleich unter verschiedene Staaten vertheilt, 
dennoch von der Elbe bis hinter die Wolga, vom adriatischen und schwarzen Meere 
bis zur Ostsee und nach Archangelsk hin ein grosses Ganze ausmacht; alle Sla- 
wen haben eine einzige gemeinsame Sprache, die in mehrere, zu Schriftspra- 
chen erhobene Dialekte zerfällt, aus deren Gesammtheit aber allein der Grund- 
charakter der slawischen Haupt- und Ursprache erkannt werden kann. Die ächt 
und rein slawischen Wörter und Formen, welche in diesen Dialekten zerstreut sind, 

Staw. Jahrb. I. 13 

Digitized by Google 



02 



zusammengenommen, bilden die panslawische Sprache, die in ihrer Reinheit dar- 
zustellen und als gelehrte oder Schriftsprache einzuführen nicht eine Chimäre ist, 
wie man so gern glauben machen will; die Slawen haben einen gemeinsamen Na- 
tionalcharakter, der, ein Resultat der verschiedenen Individualitäten der slawi- 
schen Völkerschaften, einen einigen, harmonischen Nationalgeist darstellt, aber zu- 
gleich durch seine eigentümlichen Grundzüge von dem der andern europäischen 
Nationen sich scharf unterscheidet; beides jedoch, der slawische Nalionalgeist wie 
die slawische Sprache sind durch die widrigen Geschicke der Nation mit dieser 
zugleich zerrissen, zersplittert worden. Es fehlt ihr das gemeinsame Verbindungs- 
und Vereinigungsini llcl. Dieses ist die Literatur. Die Slawen sollen eine ge- 
meinsame Literatur haben: in ihr muss sich jener Nationalgeist kund geben, in 
ihr jene panslawische Sprache sich ausbilden. Die Slawen haben einen gemein- 
samen Beruf in der Weltgeschichte, dessen Erfüllung sie nur durch An- 
strengung aller Kräfte der ganzen Nation erreichen können; und die Nationallite- 
ratur muss ihr auf dem Wege, den sie wandeln soll, Führerin sein. Diess sind 
die grossen Ideen, welche das Wesen des Panslawismng bilden. 
In den einzelnen Slawinen nun alles aufzusuchen, was in ihnen ächl Slawisches 
vorhanden ist, und diesen Elementen allmählig das Uebergewicht zu erringen über 
die fremdartigen, später in sie eingedrungenen Spracheigenthtimlichkeiten ; in dem 
Charakter jeder einzelnen slawischen Völkerschaft (in ihren National -Liedern, 
Mährchen, Sagen, in ihrer Literatur, in ihrem Privat- und Staats - Leben) Alles 
auszuforschen, was sie mit den übrigen Gemeinsames hat und dieses mit beson- 
derer Sorgfalt in Wort (Schrift) und That gellend zu machen; auf diese Weise 
also einesteils alle einzelnen Dialekte von ihren fremdartigen Formen zu säubern 
und sie wieder rein -slawisch darzustellen, und andertheils die ächten nationeilen 
Elemente in jeder geistigen Entwickelung ausschliesslich zur Herrschaft zu brin- 
gen, damit alle Slawen von jedem geistigen Vorwärts - Streben aller slawischen 
Völkerschaften gemeinsamen Nutzen ziehen und sich so vorbereiten, die erhabe- 
nen Zwecke auszuführen, um derentwillen das höchste Wesen diese grosse Nation 
in die Welt gesetzt hat: das ist der Innbe^riff und die Sclilnssidee 
aller Bestrebungen des Panglawismiig, wie wir ihn auffassen und wie 
man ihn — nach unserer Ansicht — nicht anders auffassen kann, wenn man sich 
nicht an der Wahrheit, an der Pflicht, an dem Heile der Nation selbst versündi- 
gen will. Und ein solches Streben ist weder moralisch- schlecht, noch politisch- 
verwerflich; wir sind berechtigt, nach diesem Ziele, auf diesem Wege zu rin- 
gen, wir sind verpflichtet dazu. Denn wenn wir mit einer gewissen Beschä- 
mung auf den geringen Grad der geistigen Entwickelung hinblicken müssen, zu 
welcher sich unsere Nation bis auf diesen Augenblick erhoben hat, und wenn wir 
uns selbst und unseren Vorfahren die bittersten Vorwürfe zu machen haben, dass 
wir in vieler, vieler Hinsicht hinler unseren westlichen Nachbarn zurückgeblieben 
sind: so ist es ja eben unsere heiligste Pflicht, den Fehler, so viel in unseren 
Kräften steht, wieder gut zu machen, und das Versäumte nachzuholen in dem 
möglichst kürzesten Zeiträume. Und welcher Vernünftige wollte da wohl läug- 
nen, dass eine Entwickelung im nationalen Geiste, durch das Mittel der nationa- 
len Sprache, auf dem Wege einer gemeinsamen, grossartigen, allumfassenden Li- 
teratur, einzig und allein zu diesem Ziele uns zu führen im Stande ist? Aber 
gerade um dieser letzteren Wahrheit willen wittert die Politik eine Gefahr in der 
Thätigkeit des Panslawismus. Und ist es denn wahr, dass eine geistige, eine 
literarische Einigkeit auch die politische Einheit so unbedingt und nolhwendig 
fodere? Ich dächte, Deutschland mit seinen 38 Staaten läge uns zu nahe, als 
dass wir eine Antwort auf diese Frage geben müssten. Und kann man nicht ein 
guter Bürger des Slaates sein, trotz dem, dass der grössere Theil des Vaterlan- 
des, oder vielleicht nur die Regierung eine andere Sprache spricht? Ist der El- 
sasser darum weniger deutsch, weil er in Paris die Hauptstadt seines Landes hat? 
Und sollte er sich gleichwohl etwa sehnen , lieber ein preussischer oder östreichi- 
scher Unterlhan, als ein französischer Staatsbürger zu sein? Die Antwort mag 




0.1 



ans die freie, deutsche Presse geben! — Grossartige Institutionen in dein Cha- 
rakter unserer Zeit, Entwirkelung aller materiellen Kräfte im Staate zu dem Vor- 
theile jedes Einzelnen wie der Gesammlheit: — das ist es, was uns gegenwärtig 
an einen Staat fesseln kann; nicht aber Nationalität oder Sprache, noch viel we- 
niger Religion, wie man immer noch zu behaupten sich nicht entblödet. Die Na- 
tionalität hemmt weder den geistigen noch den materiellen Verkehr in einem Staate, 
und die Verschiedenheit der Sprache ist in unseren Tagen kein Hinderniss mehr 
(mit Ausnahme etwa der magyarischen, die freilich mit keiner europäischen, ge- 
bildeten Verwandtschaft hat), meinem anders redenden Vaterlande ein nützlicher 
Barger zu sein. 

Und was sollten wohl die Slawen in Preussen, Oestreich und der Türkei zu 
thun beabsichtigen, nachdem sie sich von dem gegenwärtigen Slaatenverbande los- 
gerissen (denn man kann doch den an der Spitze der slawischen Bewegungen ste- 
henden Männern nicht zutrauen , dass sie planlos und blindlings aufs gerade Glück 
hin eine Europa aus den Fugen hebende Revolution anfangen werden)? — „Ein 
grosses Slawenreich gründen!" schreien die „wfilhenden Häupter an der Donau." 
„Mit Russland sich vereinigen!" schallt es von Deutschland herüber. Und den- 
noch ist das Eine so wenig denkbar, als das Andere. Die Slawen sollen sich mit 
Russland vereinigen wollen? Sollten sie in Russland so viele Vorlheile finden, 
dass sie ein solch blutiges Mittel, sich an dasselbe anzuschliessen , nicht für allzu 
kostspielig erkennen sollten? Rnsslands innere Zustände kann man nur dann gehörig 
würdigen, wenn man bedenkt, aus welchen Elementen Russland das geworden, was 
es jetzt ist, wenn man zurückblickt, was es vor einem Jahrhunderte war. Dass 
die Regierung die ernstliche Absicht hat, Land und Volk vorwärts zu bringen, 
liegt allzu offen am Tage; und wer es auch nicht zugeben wollte, dass die jetzige 
Verwaltung bei der gegenwärtigen Lage der Dinge unbedingt die beste sei, der 
wird, und ist er auch der wüthendste Feind des „nordischen Colosses", ihr doch 
das achtungsvolle Zeugniss nicht abzusprechen wagen, sie verfolge jene humane 
Tendenz mit einer Kraft und Energie, die man gar oft zu bewundern gezwungen 
sei. Trotz dem aber wird sich keine slawische Völkerschaft an Russland gern 
anschliessen wollen. Das Princip des Staates, aus der Geschichte seiner Enlwicke- 
lung erklärlich, von dem er gegenwärtig nicht zu weichen im Stande ist, ist 
Einheit in der Nationalität und Sprache. Und sollten die Slawen geneigt sein, 
diese einem Bündnisse mit Russland zu opfern? Uebrigens fragt es sich ja, wer 
soll sich an Russland anschliessen? — Die Westslawen? — Die Polen in Preus- 
sen und Oestreich? — Nie und nimmermehr! — Die Czechen in Böhmen, Mähren 
und Nordungarn ? — Ausserdem, dass sie durch die Polen überall von den Russen 
getrennt sind (mit Ausnahme einer Strecke von etwa 15 geogr. Meilen in Galli- 
zien, wo die Slowaken mit den Russinen grunzen), vernichtet ihre Religion, mehr 
noch ihre weit vorangeschrittene geistige und materielle Kultur jeden Wunsch nach 
dem Osten (die albernen Verläumdungen und Verdächtigungen, mit welchen ein- 
zelne slowakische Männer von den Magyaren überhäuft werden, entbehren aller 
Vernunft und können eben nur an der Donau geglaubt werden!) Von der Lau- 
sitz, in welcher Herr Tereschczenko auch. Verehrer „des weissen Cares" fand, 
schweigen wir aus Schmerzgefühl. — Oder die Südslawen? — Auf diese weiset 
man besonders in Ungarn hin. Aber man frage nur einen Serben, was er für 
Vorliebe für Russland hat Und die Slawen in Oestreich, sollten nicht ihre ma- 
terieüen Interessen, die Aussicht auf selbstständige Entwickelang im nationalen 
Geiste sie abhalten, sich Russland in die Arme zu werfen, so lange sie sich nur 
halten können. Anders ist es mit den Bolgaren; auf sie hat Russland ungemeinen 
Einfluss, da es eine Art von Garantie für das Bestehen ihrer Nationalität zu ge- 
währen scheint (Vergl. damit Heft 1. Abth. III. 4. S. 39.) — Die Meinung, als 
zielten die panslawistischen Bestrebungen dahin , eine slawische Universalmonarchie 
zu gründen, würden wir für einen schlechten Witz gehalten haben, wenn sie nicht 
ebenfalls in dem Treibhause aller Verläumdungen gegen die Slawen entsprungen 
wäre. Aus diesem Grunde und weil sie von dort aus immer und immer wieder- 



Digitized by Google 



04 



holt wird, müssen wir doch annehmen, dass sie ia der Thal in dem Kopfe eini- 
ger Slawenfeinde gespuckt hat und noch spuckt. Es hiesse wahrhaftig leeres 
Stroh dreschen, wollten wir .die Unausführbarkeit und somit die Lächerlichkeit 
einer solchen Idee des weitern auseinander zu setzen uns bemühen. Wie könnten 
die Slawenfrennde hei der so strengen und argwöhnischen Ueberwachong jeglicher 
geistigen Bewegung, sie mag sich öffentlich oder privatim äussern, nur irgend wie 
hoffen, dass irgend ein derartiges Zusammentreten Mehrerer auch nur eine kurze 
Zeit geheim bliebe. Wie viele, weit unbedeutendere, nur wenigen Vertrauten be- 
kannte Dinge sind in dem letztverflossenen Decennium entdeckt worden, wo jedes 
Verrathenwerden eine Unmöglichkeit schien ! Hat sich ja doch noch vor Kurzem 
eine sonst recht umsichtige Regierung, verleitet durch falsche, verläumderische 
Berichterstalter, die Blösse gegeben, in dem Zusammenleben einiger jugendlichen 
Gemfither eine politische Verbindung zu suchen ! Nein, eine jeune Stavie würde 
noch viel weniger zum Ziele führen, als ihre älteren Schwestern es vermocht ha- 
ben. Mit Recht sagt daher der Graf Leo Thun (in s. Broschüre: Ucber den ge- 
genwärtigen Zustand der böhmischen Literatur und ihre Bedeutung, in welcher 
dieser Gegenstand mit kräftiger Würde besprochen wird): „Uns scheint eben diese 

gefürchtele slawische Universalmonarchie nichts mehr als ein Gespenst 

Anch die von einander am meisten entfernten Slawenslämme, z. B. die Böhmen 
und die Russen, sind sich noch nahe genug, um ihre Verwandtschaft innig zu 
fühlen. Gleichwohl stellen die am nächsten verwandten Slawenstämme, z. B. die 
Russen und Serben, lange nicht so sehr ein Volk dar, wie die nahe Verwandten 
unter den Germanen, z. B. die Schwaben, Franken und Sachsen; vielmehr sind sie 
eben so, wie ihre Sprachen, durch vorgeschichtliche Schicksale zu weit von ein- 
ander geschieden, als dass sich ihre Eigen thümlichkeiten je wieder verlieren könn- 
ten. Nicht nur zwischen den russischen und illyrisch -serbischen Völkern eines, 
und den polnischen und böhmisch -slowakischen Völkern anderen Theiles, sondern 
sogar zwischen diesen einzelnen Stämmen ist eine Verschmelzung für alle Zu- 
kunft undenkbar. Auch ungebildete Rossen und Böhmen können sich zwar Ober 
die dringendsten Bedürfnisse des Lebens so ziemlich verständigen: dagegen wird 
den gebildetsten Böhmen die Kenntniss seiner Sprache, wenn er sie nicht mit phi- 
lologischer Gelehrsamkeit ergründet hat, nicht in den Stand setzen, nur ein polni- 
sches Buch zu verstehen. Aus diesem eigentümlichen Verhältnisse ergibt sich 
zweierlei: vorerst die Möglichkeit und die Natur des gemeinschaftlichen sla- 
wischen Strebens, sodann aber auch die Gränze, welche diese Tendenz nach 
Vereinigung nicht überschreiten kann. Es gibt ein Interesse, das allen slawischen 
Völkern gemein ist, und um dessenwillen sie gegenseitiger Unterstützung bedürfen: 
die Erhaltung der slawischen Nationalität gegenüber anderen Yolksckarakteren. 
Da nun diese mit der kräftigen Entwicklung der Sprache und Literatur in der 
innigsten Wechselwirkung steht, so sind auch die mächtigsten Mittel, die Natio- 
nalität zu bewahren, diejenigen, welche zur allseitigen Entwicklung der Sprache, 
ohne ihrer Reinheil Eintrag zu thun, beilragen, und die Literatur beleben. Hier- 
zu nun ist ein wechselseitiger, literärischer Verkehr unter den slawischen Völkern, 
nämlich das Bestreben eines jeden, sich in steter Kenntniss der literärischen Lei- 
stungen und Bedürfnisse aller übrigen zu erhalten, vorzüglich geeignet. Er för- 
dert in jedem Stamme ein gründliches Studium der eigenen Sprache, leitet jene 
Stämme, deren Sprache in einzelnen Gebieten vernachlässigt worden ist, auf den 
natürlichsten Weg zur Erweiterung ihrer Sprachformen, leistet allen in höherem 
Grade die Dienste, welche eine Schriftsprache von Volksdialekten zu erwarten hat, 
bereichert jede slawische Literatur mit Uebersetzungen, die fast Originalien glei- 
chen, inehrt die Zahl der Männer, welche die geistigen Interessen der slawischen 
Völker zum Gegenstande ihres Nachdenkens und ihrer Pflege machen, und ver- 
grössert das Publicum , auf welches diese einwirken. Allein die literärischen Pro- 
duete eines slawischen Volkes müssen immer übersetzt werden, um auch das 
Gemeingut eines andern zu werden, und so lange sie nicht übersetzt sind, können 
sie nur denjenigen, welche mehrere Sprachen zum Gegenstände ihres Studianis 



Digitized by Google 



95 



gemacht haben, zngänglich werden. Auf die grosse Masse eines jeden slawischen 
Volkes können daher die Leistungen aller übrigen immer nur mittelbar wirken; 
sie können ihm nur in dem Lichte der eigenen Nationalität erscheinen. Da nun, 
wie bereits erwähnt worden, den slawischen Völkern ausser den literarischen In- 
teressen nichts gemeinschaftlich ist, so ist es offenbar, dass es, wie an einem 
Mittel, dem Begriffe eines allgemeinen Slawenthumes auch unter den Ungebildeten 
Eingang zu verschaffen, ebenso an einer Idee fehlt, welche (abgesehen Ton dem 
Falle unduldsamen Druckes von aussen) die Gemflther der grossen Menge dafür 
entflammen könnte. Ein allgemeines slawisches Nationalgcfühl kann daher immer 
nur in der Brust des gebildeten Slawen leben; dadurch wird es mittelbar für 
den Zustand der slawischen Völker und für den Einfluss, den sie auf die Ent- 
wicklung des Menschengeschlechtes zu üben bestimmt sind, zwar Ton grosser 
Wichtigkeit sein, aber eine Tendenz nach politischer Vereinigung niemals enthal- 
ten. Der Glaube an diese kann nur bei einer oberflächlichen Beobachtung beste- 
hen, die Natur der Dinge widerspricht ihr." 

Unter diesen Umständen nun fragen wir, was berechtigt Deutschland, die 
panslawistischen Bewegungen bei ihren Landesbrüdern mit besorglichen, argwöh- 
nischen Augen zu beobachten? Was veranlasst die deutsche Presse, Befürchtun- 
gen gegen die Westslawen zu äussern, als arbeiteten sie den Russen in die Hände? 
Befürchtungen, deren Grundlosigkeit ja bei einer sorgfältigeren Betrachtung unse- 
rer Verhältnisse in der Gegenwart in die Augen springt? — Wir hoffen auf eine 
bestimmte Antwort, aber auf eine ruhige, der Würde des Gegenstandes angemes- 
sene, wohlbegründete, yon Vorurtheil freie Antwort, damit wir in gleichem Tone 
ihr zu entgegnen im Stande sind. „Wahrheit! — Verständigung!" — 



n. 

Wissenschaften. 

1. SchafariVs slawische Alterthümer. 

(Beschluss zu S. 15.) 

2. Abschnitt. Die russischen Slawen. §. 27. Uebersicht ihrer Ge- 
schichte. Die russischen Slawen bildeten yor ihrer Vereinigung unter Rurik 
Tiele einzelne, yon einander durch Abstammung und Sprache verschiedene Völker- 
schaften, welche „ gewissermassen ein Bild des gesammten Slawentums darstell- 
ten." Ihre Namen sind bei Nestor und den spätem Chronisten nur zum Theil 
aufgezeichnet; einzelne haben sich bis zur Stunde erhalten. Dieses sind die Wi- 
nidarum natio populosa des Jornandes und die fthi? tä *Avx&v äfitjga des 
Prokopios. Nach den Nachrichten der Byzantiner waren besonders letztere be- 
rühmt durch ihre Tapferkeit und dienten schaarenweise als Söldner in den grie- 
chischen Heeren (der Name Anta bedeutet sogar bei den Germanen einen Riesen). 
Der Einfall der Awaren von der Wolga her (um 560) zwang die Slawen bald, 
ihre ganze Macht gegen diese zu wenden; nach den Worten Menander's wurden 
sie von ihnen zwar besiegt und ihr Land ausgeplündert, nie aber dasselbe er- 
obert, dass es ihr beständiges Besitzthum geworden wäre. Nur einzelne Stämme 
unterlagen ihnen gänzlich, wie z. B. die Dulebier (zwischen 563 u. 584). Nach 
dem Falle der hunnischen Macht lebten die russischen Slawen im Vollgenusse ih- 
rer Freiheit ausschliesslich dem Ackerbau, dem Handel und den Gewerben bis 
zum zweiten Vierllheil des VIII. Jahrhundertes, wo die südlichen Stämme bis zum 
Dnjepr und der Oka von den Kosaren unterworfen wurden. Während der Osten 
und Süden so von asiatischen Feinden beunruhigt wurde, litt der Nordwesten des 



Digitized by Google 



06 



heutigen Russland durch die häufigen Besuche der Nonnannen. Die allen skandi- 
navischen Sagen sind für diese Verhältnisse sehr wichtig; allein alles Resultat, 
das man aus diesen Dichtungen für die slawische Geschichte ziehen kann, be- 
schränkt sich darauf, dass die Skandinavier schon vor Rurik im VI. bis VIII. 
Jahrhunderte häufig mit den Slawen zusammen stiessen, dass sie ihren Weg nach 
Byzanz meist durch Russland nahmen und da die Handelsstädte sich unterwerfen 
wollten, was ihnen jedoch misslang, so dass sie bereits im Anfange des IX. Jahr- 
hundertes mit Gewalt aus dem Lande verwiesen wurden. Um 862 endlich wähl- 
ten die russischen Slawen in Gemeinschaft mit den benachbarten Finnen frei- 
willig drei Warjäger- Häuptlinge von „russischem Stamme'*, kriegerische Skan- 
dinavier, zu ihren Fürsten, deren einer, Rurik, in Kurzem Alleinherrscher wurde. 
Um dieselbe Zeit befreiten Askold und Dir, ebenfalls Skandinavier, aber aus ei- 
nem andern Geschlechte, Kijew von dem Tribute, den es an die Kosaren zahlte, 
und gründeten den südrussischen Staat, in welchem noch dasselbe Jahrhundert die 
ersten Keime des Christenthums Wurzel schlugen. Rurik's Nachfolger, Oleg, nahm 
ihnen diese Herrschaft durch List ab und gründete so das Grossfflrstenthum Kijew, 
nachdem er sich fast alle slawischen Völkerschaften in Südrussland unterworfen. 
Unter kräftigen Herrschern wuchs dasselbe an innerer Festigkeit und äusserer Macht; 
das Christenthum verbreitete sich seit der Grossfürslin Olga immer mehr, bis sich 
Wladimir selbst taufen Hess, und verwischte die letzten Spuren der verschiedenen 
Abstammung zwischen den Warjägischen Fürsten und ihren slawischen Unterta- 
nen. Mit der Religion kam auch die slawisch -bolgarische Schrift in das Land; 
zugleich aber schwächte die nach normannischer Sitte eingeführte Theilung des 
Reiches unter mehrere Söhne schon seit Swjatoslaw die Herrschaft, und führte so 
die endlosen Bürgerkriege herbei, welche Russland vorbereiteten, eine leichte 
Beute der Mongolen zu werden. Der $. 28 beschreibt die einzelnen Völkerschaf- 
ten, welche im Umfange des heuligen Russland wohnten, und ihre Sitze. Vor der 
Ankunft der Warjäger hiess das Land bei den Schriltstellern bald Sarmalien, Sky- 
thien, Weneden-, Winden -Land, Ostragardhr, Austrvegr und ähnlich, auch Grie- 
chenland und sogar Germanien. Der ächte Name: Serben oder Slawen, fand im- 
mer nur selten Anwendung; doch ist der älteste ächte Name bei den Germanen 
Wendland und Wenaland; eben so der „Anten" im Anfange der historischen Zeit 
sehr häufig. Seit der Ankunft der Warjäger aber verbreitete sich der Name 
Russe, Rus' mit solcher Schnelligkeit, dass er bereits im X. Jahrhundert allge- 
mein war. Die so grundlose Form Rossianin, Rossia kam erst im XVI. Jahrh. 
dnreh die griechischen Geistlichen auf. — Unter den Provinzialnamen ist der der 
Slow jenen (Slawen) am wichtigsten. Diese setzt Nestor an den Ilmensee, und 
Schafarik nimmt sie für den Ueberrest des slawischen Hauptvolksslammes, der 
hier seinen Ursitz gehabt habe. Eben so wichtig ist der der Serben, deren 
alte Heimath von der Weichsel östlich bis nach Polen und Südrussland hinein 
sich erstreckte. Die Kriwicxen behält Schafarik nach unumstösslichen Gründen 
für Slawen (gegen Schlötzer und Strahl). Die Uliczen sind weder Suliczen noch 
Luliczen, sondern eine eigene Völkerschaft, die auch Ugliczi hiess. Die Stelle 
in dem Münchner Geographen fol. 148. b. (Phesnnzi habent civitates LXX.) er- 
hält eine detaillirte Untersuchung; eben so die bei Constantin Porphyr, über die 
Wasserfälle des Dnjepr. (Adm. iinp. c. 0.) 

3. Abschnitt. Die bulgarischen Slawen. Unstreitig ist die erste Be- 
völkerung in dem ehemaligen Dacien, d. i. der jetzigen Moldau, Wallachei, Sie- 
benbürgen und dem südwestlichen Ungarn, seit dem V. Jahrh. rein und ächt sla- 
wisch, die als freies Volk häufige Einfälle in das griechische Kaiserthum machte, 
und von welcher erst im VII. Jahrh. die westlichen Stämme den Awaren unter- 
than wurden. Die slawische Bevölkerung Mösiens, die erst im Anfange des VII. 
Jahrh. in der Geschichte auftritt, scheint bereits gegen Ende des V. Jahrb. mit 
Erlaubniss der griechischen Regierung aus freiwilligen Einwanderern und angesie- 
delten Kriegsgefangenen sich allmählig im Verlaufe des ganzen VI. Jahrh. gebil- 
det zu haben. Allein dort wie hier wurde die fremde Macht durch das Eindrin- 



Digitized by LiOOQlc 



07 



ffcn der uralisch -filmischen Bulgaren gebrochen, welche Mösien und die anliegen- 
den Länder (um 680) eroberten, und gleich den Warjägcr-Russen auf slawischem 
Boden ein kräftiges Reich stifteten, indem sie im Verläufe Ton zwei Jahrhunder- 
ten mit den Urhewohnern in ein einziges Volk mit slawischer Sprache, Sitte und 
Religion, aber finnischem Namen verschmolzen. Das Christenthum, von welchem 
sich bereits um die Milte des VII. Jahrh. deutliche Spuren unter der slawischen 
Bevölkerung des Bulgarenlandes zeigen, wurde von den herrschenden Bulgaren 
erst 861 nach der Taufe des F Arsten Boris angenommen und dadurch der letzte 
Unterschied zwischen den beiden Nationen verwischt Trotz allem dem kam keine 
Festigkeit in das Reich; die Russen verwüsteten es fürchterlich, und die Griechen 
machten es endlich zu einem Theile ihres Reiches (1019). Dasselbe Schicksal 
traf auch die slawischen Völkerschaften, welche um diese Zeit in Macedonien, 
Thessalien, Hellas, bis in den Peloponnes hinab sassen. $. 30. Das von den 
Südslawen besetzte Land hat bei den griechischen Schriftstellern verschiedene Na- 
men, von denen der slawische StMaöinia, Slawenland, der wichtigste ist. Mit 
ihm wird theils das ganze Land vor und wenn er mit Bulgarin gleich bedeu- 
tend ist, auch nach dem Eindringen der Bulgaren, theils wieder ein kleiner Strich 
in Macedonien und den Gränzen Albaniens und Thessaliens bezeichnet, wenn näm- 
lich Sthlabinia dem Bulgaria entgegengesetzt wird. Die slawischen Elemente in 
der moldauischen und wallachischen Sprache sind von den bulgarischen Slawen in 
sie gekommen, welche sich hier mit den allen Dakern und Gelen und den Ueber- 
reslen der Römer zu einem neuen Volke vermischt haben. Die Szekler in Sie- 
benbürgen scheinen fast magyarisirle Slawen zu sein. In der Wallachei war das 
Slawische lange herrschend, und bis in's XVII. Jahrh. hinein Kirchen- und Amts- 
sprache (alle Hofämter hatten und haben slawische Namen). Die Mainoten schei- 
nen zum grossen Theil aus den um Lacedämon angesiedelten Slawen in Morea 
entstanden zu sein. Die slawischen Ansiedelungen in Kleinasien, bei „Seleucia ad 
Belum", Nicea (im Lande Opsicium), in Bithynien an der Arlana, von denen sich 
Ueberreste noch bis zur Stunde erhalten haben, sind theils freiwillige Einzügler, 
theils Ueberreste slawischer Söldlinge in den griechischen Heeren. Zum Schlüsse 
dieses Paragraphes wird noch die Frage: „Von woher die bulgarischen Slawen 
in die Donauländer gekommen?" nach Gründen der Wahrscheinlichkeit dahin be- 
antwortet, dass ihre Hauptmasse aus den nordöstlichen Reichen der alten Slawen- 
heimath in Russland, aus den Gegenden am Ilmensee und den Flüssen Dwina, 
Dnjepr, Oka u. s. w., wohin Nestor seine Slawen, Kriwiczen, Wjaliczen, Radi- 
miezen und Sjeweraner setzt, ausgegangen, und dass zu ihnen sich einzelne Fami- 
lien aus den Mi tlel Völkersen aften , z. B. den Dragowiczen, keineswegs aber etwa 
die westlicheren Stämme, wie Serben, Chorwaten, Lechen oder Czechen gesellt 
haben. Noch als die bulgarischen Slawen in diesen Gegenden waren, mochte es 
geschehen sein, dass die uralischen Magyaren die slawischen Wörter, die wir jetzt 
in ihrer Sprache vorfinden, annahmen. 

4. Abschnitt. Die t er bitchen Slawen. Vom Kaiser Heraklius gegen die 
Awaren in Dalmatien aus Weisschorwatien und Weissserbien hinter den Karpathen 
herbeigerufen, breiteten sich diese Völkerschaften unter dem Namen Serben und 
Chorwaten gar bald (zwischen 634 und 638) über das ganze ehemalige Illyrikum 
aus (die allzugewaglen Bestimmungen eines Pojaczewicz und Mikocy in Hinsicht 
der Zeit werden theilweise als grundlos erwiesen). Diese Weisschorwatien und 
Weissserbien ist aber nicht in Böhmen und den Lausitzen zu suchen, sondern ist 
das ehemalige Czerweno- oder Rothrussland, d. i. Ostgallizien und Wladimir, 
wo noch gegenwärtig der slawische Volksstamm derBojken existirt. Gleich vpm 
Anfange an theilten sich die Serben in 7 einzelne Staaten, an deren Spitze Zu- 
pane standen; einer von diesen behauptete stets eine gewisse Oberherrlichkeit, bis 
nie indess insgesammt von den Bulgaren -Car Simeon überwunden, und das Land 
nach Vertreibung der Einwohner verwüstet wurde (924). Nach dem Sturze der 
bulgarischen Herrschaft kommt Serbien unter die griechische Oberherrlichkeit, ge- 
gen die sich auflehnend es oft die blutigsten Kriege führt; wülhender noch sind 



Digitized by Google 



93 



die Kampfe im Innern zwischen den einzelnen Zapanen und ihren Parteigängern. 
Erst um die Mitte des XII. Jahrh. fangt sich eine feste Herrschaft zu entwickeln 
an unter Stepan Nemanja; im Anfange des folgenden Jahrhunderts erhebt sich 
das serbische Königreich zu bedeutender Blttthe, fallt aber auf dem Amselfelde 
(Kosowo) unter den Winnenden Streichen des Halbmonds. Im folgenden (32) Pa- 
ragraph e werden nun die sieben serbischen Fürstentümer einzeln nach ihren Gren- 
zen und wichtigsten Ortschaften durchgegangen, wie sie in den Schriften des Kai- 
sers Konstantin Porphyr, sich vorfinden, welcher aus sichtlicher Vorliebe dieses 
Land und Volk mit den reichhaltigsten Nachrichten bedacht hat 

5. Abschnitt. Die cfwrwatUehen Slawen. Mit den Serben (s. d.) zu- 
gleich in die Gegenden nördlich vom adriatischen Meere berufen, theilten sie sich 
nach der Bezwingung der Awaren in zwei Theile, von denen einer den dalmati- 
nisch - chroalischen Staat mit der Hauptstadt Bjelohrad auf dem Littorale, der 
andere den illyrisch - chroatischen mit der Hauptstadt Sisek bildete, welchen letz- 
teren Schafarik nach Mikocy gegen alle anderen Historiker nach Pannonien und 
Norikum versetzt. Der Kaiser Heraklius Hess ihnen das Christenthum predigen 
und blieb ihr Oberherr; unter seinen Nachfolgern aber suchten sie sich dem Ein- 
flüsse von Byzanz zu entziehen, und da sich die dalmatinischen Chorwaten mit 
den ihre Herrschaft immer weiter nach Osten ausbreitenden Franken in Verhand- 
lungen setzten, so wurden endlich ihre Stammesbrüder in Illyrikum und kurz dar- 
auf auch sie von Karl dem Grossen unterjocht. Die furchtbare Unterdrückung 
und die unerhörte Grausamkeit der Franken zwang sie endlich zu den Waffen zu 
greifen. Nach einem siebenjährigen, blutigen Kampfe errangen sie unter dem An- 
führer Porin (zwischen 825—830) ihre Selbstständigkeit. Als einige Zeit später 
in Bulgarien, Serbien und dem grossmährischen Reiche das Christenthum nach der 
orientalischen Kirche mit slawischem Ritus eingeführt wurde, nahmen es auch die 
Chorwaten (um 868) aus eigenem Antrieb an; später nach Einführung der glago- 
litischen Schrift wurden die Grundsätze der römischen Kirche herrschend, doch 
blieb die slawische Liturgie; endlich aber wurde auch diese verboten (928). 
Nach dem Aussterben der Herrscherfamilie der Drzislawe kam es zu den blutig- 
sten Kämpfen im Innern, da jeder der Bojaren König werden wollte. Einer von 
ihnen rief den König Ladislaw von Ungarn auf den chorwatischen Thron, wel- 
chen derselbe auch nach einigem Widerstande einnahm, indem er der Nation ihre 
alten Freiheiten und Rechte zusichern mnsste. Sein Enkel, Koloman, wurde 1102 
zum Könige von Chroatien gekrönt; das Land blieb unter der Verwaltung eines 
königlichen Banes. Nachdem der Verfasser im §. 34 die Sitze und die Zweige die- 
ser chrowatischen Völkerschaften genauer durchgegangen, erklärt er zum Schlüsse, 
dass der eine Theil dieses Gebietes, Slawonien, erst seit der Schlacht bei Mo- 
hacz (1526) von dem eigentlich jetzt noch so genannten Croatien unterschieden 
wurde. Zur Erklärung der zwei verschiedenen Sprachdialekte unter den chroati- 
schen Slawen nimmt Schafarik an, schon in ihrer Heimath, in Rothrussland (Weiss- 
chroatien) hätten zwei abweichende Mundarten dieses Dialektes bestanden, und 
seien mit der Nation selbst nach dem Süden gekommen. 

6. Abschnitt Von den k'dmthniichen Slawen. Erst in der zweiten 
Hiilfte des VI. Jahrh. (nicht früher, wie viele meinen) wurden diese Slawen in 
das nordwestliche Pannonien, Norikum und Carnien von den Awaren entweder vor- 
wärts gedrängt (so dass sie die neuen Länder mit gewaffneter Hand einnahmen), 
oder von ihnen als Colonisten und Gränzwächter gegen die Franken und Longo- 
barden dahin versetzt; ihre Ausbreitung und Festsetzung in diesen Ländern ge- 
schah zwischen 592 und 595. Auch mochten die awarischen Chane während der 
Friedenszeit von 601 — 611 einzelne Abtheilungen von Donauslawen in diese Ge- 
genden fiberführt haben, woraus sich die Verschiedenheiten in Sitte und Sprach- 
dialekt unter den heutigen Winden erklären lassen. Lange Zeit lebten sie bald 
abhängig von den Awaren, bald wieder frei; mit den Franken führten sie blutige 
Kämpfe, bis sie von Karl dem Grossen für dauernd zu dem fränkischen Reiche 
vereint wurden. Erst jetzt konnte das Christenthum unter diesen Slawen freien 



Digitized by Google 



Eingang finden. Der frühere Bischof von Salzburg, Virgilius, und sein Nachfol- 
ger Arno, erwarben sich den grössten Ruhin. Die Bischöfe von Aquileja trugen 
nur wenig zu diesem Zwecke bei. So ward von deutschen (und italienischen) 
Priestern der römische Glaube mit lateinischem Ritus bei den kärnthnischen Sla- 
wen eingeführt, und blieb es bis Zur Zeit des Cyrill und Method. Das Land 
wurde in drei Marken gelheilt, die Ostmark (das jetzige Erzherzogthum Ocstreich), 
das Herzogthum Kärnthen und slawische Gränzmark (ganz Krain und ein Theil 
von Kärnthen und Steiermark); diese wurden von Markgrafen verwaltet und die 
kleinen slawischen Fürsten mit scheinbarer Selbstständigkeit ihnen Untergeben. 
§. 36. Von den verschiedenen Namen, welche das von den kärnthnischen Slawen 
ehedem besetzte Gebiet führt, ist der Rakausy (bei den Czechen und Mährern) 
von dem alten Volke der Rakaten (bei Ptolomaeus) auf die Oestreicher übertra- 
gen. Karanlanum, Kärulhcn, ist das keltische karn Felsen, und tan Land, mit 
Karnia eines Stammes. Die gallischen Karni in Krain und Friaul können aber 
auch Nachkommen der gallischen Karnuti sein. Der Name Krajn (bereits 974 u. 
9b8 vorkommend) ist entweder aus Karnia von den Slawen verderbt, oder aus 
dem slawischen krajina, Gränzland entstanden. Die Gränzen der slawischen Be- 
sitzungen reichten im VIII. und XI. Jahrb. im Westen bis an die Quellen der 
Drau in Tyrol, zu der Salza und dem Inn in Baiern, im Norden aber bis an die 
Donau im Erzherzoglhume. Der Hauptslainin der kärnthnischen Slawen scheint 
aus gleicher Heimalh mit den Serben und Chrowaten nach dem neuen Valerlande 
gekommen zu sein; diess zeigt ihre Sprache, besonders auch die Personen-, 
Volks- und Localnamen, wie Chorwati, Suselcy, Dulebi, Stodcrani, San (Fluss), 
Schlyr (Fluss) u. s. w. 

7. Abschnitt. Die polnischen Slawen. Keines andern nur irgend wie 
bedeutenderen slawischen Volkes Geschichte liegt so sehr im Dunkeln, als die äl- 
tere des polnisch -lechischen Zweiges. Die Ursache liegt darin, dass die einhei- 
mischen Schriftsteller bis tief in das XV. Jahrh. hinein nicht bloss lateinisch schrie- 
ben, sondern auch Alles in ein classisches Gewand kleideten, von Parihern, Ge- 
len, Juh Casar und dergleichen sprachen, wo sie von Polanen, Masowiern, Rus- 
sen, von Kasimir und dergleichen erzählen wollten. Kadfubek und Martin Gallus, 
die ersten unter ihnen, schöpften ihren StofF aus den Volkssagen und Volksliedern, 
in denen manches historische Faktum ?erborgen, das aber genau darzustellen in 
unseren Tagen eine Unmöglichkeit ist. Ossolinski und Lclewel haben hier frucht- 
los viele Mühe verschwendet. Die Urheimath der polnischen Slawen ist unbedingt 
das Land zu beiden Seilen der Weichsel; hier lebten sie in stiller Ruhe (nur die 
Gränzslämme kamen in Reibungen mit den Nachbarn) und mochten wohl durch 
ihr Uebergcwicht zu den Zügen der germanischen, im Westen an sie gränzenden 
Völkerschaften nicht wenig beigetragen haben; denn sonst hätten diese wohl nur 
einzelne Streifzügler und Abentheuer -Schaaren ausgesendet, nicht aber das Land 
gänzlich geräumt. Bis zur Milte des IX. Jahrhundertes sind die Nachrichten über 
diese Völkerschaft bei allen Historikern sehr unbedeutend. Um 860 erhob sich 
unter den kleinen Fürsten zuerst Semowit und gründete ein Reich, das seine Nach- 
folger immer weiter ausbreiteten. Mieczyslaw nahm zuerst das Christenthum an 
965, und sein Sohn Boleslaw befestigte es und sein Reich durch glückliche Siege. 
Von der slawischen Liturgie finden sich nur einzelne Spuren; seit dem J. 1000 
war der lateinische Ritus vollständig eingeführt. Zu den Polen gehörten auch die 
Schlesier und die Pommern der Abstammung, der Sprache, und seit Boleslaw auch 
der Regierung nach. $. 38. Unter den Volksnamcn ist der öfter vorkommende 
der Weissserben und Weiss - oder Gross- Chroalen sehr wichtig und findet hier 
eine sehr detaillirte Untersuchung. Eben so der Name Lech, der mit xctnjanin, 
Grundbesitzer, gleichbedeutend ist. Der Name Slezak, Schlezane, Schlesien wird 
von den germanischen Silingen abgeleitet. 

8. Abschnitt. Die czec/tücAen Slawen. Ob Böhmen vor dem Eindrin- 
gen der Bojer bereits slawische Einwohner gehabt, ist nicht gewiss, indess sehr 
wahrscheinlich. Die Czechen kamen nach der Vernichlung der Markomannen zwi- 

Skw. Jahrb. I. 14 

Digitized by Google 



100 



sehen 451—495 von den gallizischen Karpathen herein. Mit ihnen kamen noch 
andere Stamme, welche eine Reihe einzelner Fürstentümer bildeten. Erst Samo 
vereinigte dieselben zn einem Ganzen , und yertrieb mit ihrer Hülfe nicht nur die 
Awaren aus Böhmen, sondern eroberte auch alle anliegenden slawischen Länder. 
Die frühere Geschichte des Landes ist meist Sage; erst die Kriege Karls des Gr. 
bringen einiges Licht in sie. Das Christentum findet zuerst 844 einige Beken- 
ner, 871 lasst sich in Mähren der Fürst Boräwoj selbst taufen; so kam vom We- 
sten die lateinische, vom Osten die slawische Liturgie fast gleichzeitig in das 
Land und beide bestanden lange neben einander. $. 40. Der Name Cxech ist sehr alt ; 
aber keine der bisher versuchten Erklärungen genügt. Die übrigen Volksnamen 
zeugen für so viele verschiedene Völkerschaften, welche hier neben den Czechen 
wohnten, und woraus allein sich die verschiedenen fremdartigen Sprachformen im 
Altböhmischen erklären lassen. 

9. Abschnitt. Von den Mährern und Slowaken. In den ältesten Zeiten 
hatten beide Völkerschaften eine Geschichte; damals scheint die G ranze des czechi- 
schen und slowakischen Sprachdialektes mitten durch Mähren gegangen zu sein, 
so dass es die jetzige mährische Mundart gar nicht gab; auch nennen sich noch 
bis zur Stunde die südöstlichen Bewohner Mährens „Slowaken." Erst der Fall 
des grossmährischen Reiches machte Mähren zu einem besondern Lande. Die Ge- 
schichte beweiset, dass die Slawen in Mahren, Nordungarn, so wie die in Oest- 
reich und der obern Donau von Einem Stamme waren. Unter Karl dem Gr. ga- 
ben sie sich sammt ihren feindseligen Nachbarn, den Awaren, in den Schutz des 
fränkischen Reiches und erhielten so allmählig das Christenlhum. Der grossmäh- 
rische Fürst Rastislaw errang zuerst wieder die Unabhängigkeit, und war der 
grösste und verdienstvollste slawische Fürst des IX. Jahrhunderts. Ihn übertraf 
noch Swatopluk an Macht und Ansehen; allein seine Streitigkeiten mit den Fran- 
ken veranlassten diese zu seiner Demüthigung die wilden Magyaren herbeizuru- 
fen , die auch in der Schlacht bei Pressburg (907) das grossmährische Reich für 
immer vernichteten. Das Christenthum kam in diese Länder von den Bisthümern 
Salzburg und Fassau, und zwar nach dem Ritus der römischen Kirche; Rastislaw 
rief aber schon 863 die beiden Slawenapostel Cyrill und Methodius herbei, deren 
Wirksamkeit mit schönen Worten geschildert ist. f. 42. Den. Kern des mähri- 
schen Reiches bildete das ganze heutige Mahren, und ein Theil Oeslreichs, dann 
das ungarische Slawenland von der Mündung derMorawa bis an den Torys (Toreza). 
Die slawische Eintheilung des Landes unter einzelne Fürsten war gewiss auch 
hier gebräuchlich, wenn sich auch kein bestimmtes Zeugniss dafür vorfindet; die 
jetzigen ungarischen „ Gespannschaflen " scheinen nur Ueberreste der alten Zupen 
zu sein. 

10. Abschnitt Die Elbeslawen. In dem von der Oder und dem Riesen-, 
Erz - und Fichlelgebirge nordwestlich liegenden Landstriche wohnten ehedem drei 
slawische Hauptvölker: die Luticen oder Weleten; die Bodricen und die Serben 
(Wenden). Schafarik fasst sie unter dem Namen: Elbeslawen, zusammen. Sie 
kamen von der Weichsel, der westlichen Düna und der Berezina über die Oder 
her in's Land. Diess geschah im Verlaufe der zweiten Hälfte des V. und der er- 
sten des VI. Jahrhundertes, und zwar mit gewaifneter Hand (die Meinung Thun- 
manns und Gebhardts, als seien sie als Colonisten berufen worden, ist vollständig 
widerlegt). Unter Karl dem Gr. fangen die wüthenden Vernichtungskriege der 
Deutschen gegen die Elbeslawen an, welche letztere wegen ihrer Uneinigkeit nach 
beinahe 4 Jahrhunderten gänzlich erlagen. Allein er selbst hat sie keineswegs 
unterjocht, sondern sie nur als Oberherr regiert. Aber selbst das war den Frei- 
heitsdurstigen zu viel. Schon unter Ludwig 844 erhoben sie sich und erkämpf- 
ten ihre Freiheit. Erst die sächsischen Kaiser konnten sie wieder dauernd an 
sich ketten. Unter ihnen wurden sie anch zur Annahme des Christenthums ge- 
zwungen (960). Allein schon nach anderthalb Dezennien wurden wieder alle Spu- 
ren desselben vernichtet; 983 erfolgte ein allgemeiner Aufstand aller Elbslawen; 
die Macht der Deutschen wurde gebrochen auf lange Zeit, bis in's XII. Jahrh. 



Digitized by Google 



1Ö1 



hinein. Heinrich der Löwe machte endlich der slawischen Macht der Lulicen ein 
Ende, indem er Alles mit Feuer und Schwerdt verwüstete (1160). Ein Gleiches 
that Albrecht der Bär mit den Bodricen. Die westlichen Serben unterjochte der 
Markgraf Konrad von Meissen, aus dem Hause Wettin (1123), und dehnte seine 
Herrschaft auch nach Osten Aber die Elbe hinaus. So unterlag allmählig das 
ganze Westslawenthum der deutschen Macht. Eine eigentümliche Erscheinung ist 
es, dass die Elbeslawen unter allen Slawen am spatesten das Chrislenthum ange- 
nommen. Die Hauptschuld lag an der masslosen Herrschsucht, der Habgier und 
unmenschlichen Grausamkeit der deutschen Fürsten, welche seit Otto I. die Reli- 
gion zum Vorwande nahmen, um diesen Leidenschaften zu fröhnen und das sla- 
wische Volk zu knechten, und gerade dadurch den heftigsten Widerstand und Ab- 
scheu und Verachtung dessen hervorriefen, was dem Naturmenschen das Heiligste 
ist. §. 44. Die allgemeinen Namen „Winden" und „Slawen" werden den Elbc- 
slawen oft gegeben; „Serben" heisst ihre Gesamratheit einmal bei Vibius Seque- 
ster, „Hunneu" bei Beda, „Sannaten" bei Gerbert und Hugo. Seit Karl d. Gr. 
kamen die Namen der einzelnen Stamme in Gebrauch. Die Luticen hiessen auch 
Weleten (deutsch: Wilzen und Walzen) und Welci, Welczkowe, Wölfe (deutsch: 
Wuczschken, Wulzkern). Sie kamen aus dem Gouvern. Wilno, nahmen wahrschein- 
lich die baltische Küste bereits zwischen 150 — 170 den Gothen und Wandalen 
ab, wurden hier nach Normannenarl Seeräuber und setzten ihre Eroberungen längs 
der ganzen Nordküste Deutschlands fort, sandten ihre Colonien nach Batavien und 
ßriltanien (Wiltshire) aus, trieben wahrscheinlich auch die Anglosachsen Über das 
Meer und gründeten endlich eine feste Eroberung an der Ostsee. (Die Darstel- 
lung alles dessen ist meisterhaft.) Die Anwesenheit der Slawen in den Nieder- 
landen wird sehr wahrscheinlich aus den Zeugnissen des Beda und des Venantius 
Fortunatas (dessen Wasco = Walco , Walzo, Wilzen) und aus den Zeitumständen. 
Die Bodricen (Obotriten) westlich von den Weleten, zwischen der Ostsee und der 
Elbe, von der Warnow und Slekenitz bis zur Trawe in Meklenburg und Holstein, 
Hessen sich von allen zuerst in Bündnisse mit den Franken ein und bereiteten da- 
durch nicht nur sich, sondern auch den übrigen Elbeslawen den Untergang. — 
Die Serben, südlich von den beiden vorigen, sind Luzldane, Lausilzer, in der 
sog. Niederlausilz ; Miläaner, Milzen, in der Oberlausilz. Letztere haben Namens- 
brüder in Dacien und dem Feloponnes, mit denen sie wohl einst einen kraftigen 
und mächtigen Volksstamm bildeten, der seine Urheimath an der Gränzscheide 
Lithauens und Polens, in der Nachbarschaft der Weleter, haben mochte. Eben so 
haben die Susli oder Siusli verwandte Stämme in Russland, in Wagrien und un- 
ter den Winden. — Die übrigen in Deutschland sich vorfindenden slawischen 
Gemeinden sind meislentheils Colonien, welche nach der slawischen Besetzung 
Böhmens und der Elbgegend von den deutschen Herren des Ackerbaues wegen 
mitten in Germanien angesiedelt wurden. Selbst in der Schweiz gibt es slawi- 
sche Gemeinden (gegen Joh. v. Müller). — Dass die Heimath der Elbeslawen 
das Weichselland in der Nahe der Lithauer sei, wird nun noch eiu Mal aus der 
Geschichte, aus ihren Religionsgebräuchen, ihren Sitten und besonders ihrer Sprache 
dargethan. Letzterer nach aber gehörten sie in ihrer Hauptmasse von jeher /u 
den Westslawen. 

In $. 45 gibt nun der Verfasser zum Schlüsse noch eine alphabetische Ue- 
bersicht aller der Völkerschaften, welche die GeschiAte als unzweifliche slawische 
darstellt Es sind ihrer mehr als anderthalb hundert. — Die folgenden Bei- 
lagen geben Auszüge aus 26 Quellenschriftstellern. 

Wenn wir nun unsere Uebersicht dieses in der Wissenschaft Epoche machen- 
den Werkes schliessen, so sind wir nicht etwa der Ansicht, als hätten wir selbst 
auch nur die wichtigsten Ideen, die in dem Buche enthalten sind, hier wiederge- 
geben; das war unsere Absicht nicht. Es fehlte uns der Raum dazu; wir hätten 
ein besonderes Buch daraus machen müssen. Nein, wir wollten nur unsern Lesern 
zeigen, was Alles in dem Buche besprochen wird, und wo man es in demselben 
suchen muss; wir wollten nur die Hauptresultate des Werkes andeuten und die 



Digitized by Google 



Gelehrten Deutschlands aufmerksam machen auf die neue und oft ganz eigentüm- 
liche Auffassung eines Gegenstandes, an dem sich die deutsche Wissenschaft lange 
Jahre, und nicht selten mit grossen Erfolg, ohne jedoch immer die Wahrheit zu 
finden, abgemüht hat. 

9, Ha* fliegende Blatt. 

Beitrag xur Geschickte de* Kosakenaufttandet im Jahre 1649. 

Aus dem Hebräischen übersetzt von 
»r. Jul. Fürst. 

Das hier in einer deutschen Uebersetzung mitgetheilte „Fliegende Blatt" 
führt im Hebräischen, in welcher Sprache es ursprünglich niedergeschrieben wur- 
de, den Titel: MegillaAfah, d. h. eigentlich die fliegende Schriftrolle, die 
fliegende Zeitung, wofür ich aber den passenderen Ausdreck: „das fliegende Blatt" 
gewählt Der Bericht selbst berührt den eigentlichen Aufsland der Kosaken in den Jah- 
ren 1648 u. 1649, und die Losreissung des Kosakenlhums von der Herrschaft Polens, 
um unter dem Hetman Bogdan Chmjelnicki eine selbstständige Kriegerkaste 
zu bilden, entweder gar nicht oder nur oberflächlich, weil der Schreiber, welcher 
dieses fliegende Blatt an alle Judengemeinden Europa's sendete , nur die in Folge 
dieses Aufstandes aHsgebrochenen Judenverfolgungen, wobei über 100,000 seiner 
Glaubensbrüder das Leben verloren, zu schildern beabsichtigte. Natürlich musste 
er dabei den Punkt bezeichnen, wo der Aufsland begonnen, die Züge der Kosa- 
ken von Stadt zu Stadt schildern, wo immer blutige Spuren unter den Juden zu- 
rückgelassen wurden; und diese und ähnliche beiläufige Bemerkungen sind eigent- 
lich für die Geschichte des Aufstandes an sich die einzigen nützlichen Ergebnisse, 
wenn nicht die grosse Judenverfolgung, wie sie in der Geschichte der Slawen 
nicht wieder vorkommt, auch an sich von historischein Interesse wäre. Der Ver- 
fasser, welcher inmitten der Ereignisse lebte, hiess Sabbati Ben Me'ir Kohen, 
und war aus Wilna gebürtig. Als einer der berühmtesten Rabbiner seiner Zeit, 
der durch grossartige Werke über das jüdische Ehe - und Civilrecht, so wie durch 
seine schriftstellerischen Arbeiten auf dem Gebiete des rabbinischen Judenthums 
schon vor dem Eintreten dieser Ereignisse einen grossen Namen hatte, besass er 
vollkommen das Recht, einen alljährlichen Fasttag zum Andenken an diese Cala- 
mität festzustellen und durch das hier übersetzte fliegende Blatt zu motiviren, so 
wenig auch ein historisches Talent ihn zur Beschreibung dieses Ereignisses be- 
fähigte, oder auch die gereimte Prosa, in welcher es geschrieben ist, ihn als ei- 
nen guten Stylisten bezeichnen könnte. Ausser dem fliegenden Blatte, welches ge- 
gen Ende des Jahres 1649 geschrieben und versandt wurde, hat derselbe Ver- 
fasser noch Trauergedichte (Kinot) und Busslieder (Srlichot) in Bezug auf dieses 
Ereigniss geschrieben und mitversandt, wie er es selbst am Schlüsse seiner Er- 
zählung angiebt. Die Trauergedichte und Busslieder wurden schon 1651 zu Am- 
sterdam in 8. gedruckt (bei Immanuel Benveniste), welchen das fliegende Blatt 
beigegeben wurde. Auf dem Titel heisst es ausdrücklich: nach dem lithauischen 
Ritual. Im Jahre 1671 wurden dieselben mit der Beigabe daselbst bei Uri Phö- 
bos überdruckt, so wie später im Jahre 1702 zu Dyrenfurt in Schlesien. Ausser- 
dem sind noch zwei Folioausgaben von diesen erwähnten Arbeiten Sabbati's vor- 
handen, nämlich eine vom Jahre 1651, die andere vom Jahre 1672, und zwar 
beide in Amsterdam gedruckt. Die hier mitgetheilte Erzählung ohne die Lieder 
wurde zu Amsterdam im J. 1700 der jüdisch -deutschen Uebersetzung des Geschichts- 
buches Schebet Jehuda von Salomo Virga, und der hebräischen Ausgabe da- 
selbst im Jahre 1709 beigedruckt, nach welcher letzten Ausgabe die hier folgende 
Uebersetzung gemacht ist. Für einen spätem Bearbeiter dieser Geschichte wird 
es vielleicht nicht ohne Interesse sein, wenn ich literarhistorisch alles das zusam- 



Digitized by Google 



menstelle, was über diese Begebenheit yon Seiten der Juden in hebräischer Spra- 
che erschienen ist; vielleicht bietet sich auch bald die Gelegenheit dar, selbst in 
diesen Jahrbüchern aus den andern vorhandenen Quellen das zu ergänzen, was 
die Dunkelheit dieses Aufslandes zu beleuchten geeignet ist, zumal fast alle Pro- 
ductionen Ton solchen Zeitgenossen herrühren, welche diese Begebnisse mit erlebt 
haben. — Ausser den Arbeiten Sabbati's, der sich nach Mähren geflüchtet 
und dessen schönes hebr. Epitaph man noch auf dem Judenkirchhof zu Holleschau 
lesen kann, haben noch folgende Schriftsteller dieses Thema beschrieben: 1) Meir 
Ben Samuel, aus Sczeberschin. Dieser schrieb noch während der Ereignisse das 
Werkchen „Zuk ha-'Ittim, oder Geschichte der Judenverfolgungen in Lilhauen, 
Russland und Polen, veranlasst durch die Empörung der Kosaken in den Jahren 
1648 u. 1649." Zuerst gedruckt in Krakau 1650. 4., also gleich in dem ersten 
Jahre nach dem Ereignisse; hierauf Venedig 1656. 8. bei Giov. Imberto, also 
nach kaum sieben Jahren. Von dieser Schrift sagt Hottinger in seiner Biblio- 
theca orientalis, dass der Styl concis und edel gehalten sei, was sich freilich von 
der Beschreibung Sabbati's nicht sagen lässt. 2) NataB-Nela Ben Mose aus 
Hannover, der während der blutigen Verfolgungen in Saslaw unweit Ostrow 
gewohnt, aber dem Tode durch eine Flucht nach Livorno entging. In dieser 
Stadt Italiens, so wie dann in Venedig ergab er sich ganz dem Studium der jü- 
dischen Mystik, wurde später Rabbiner der Juden in Jassy, kehrte dann nach 
Italien zurück, wo er unweit Padua starb. Er beschrieb unter dem Titel Jewen 
Mezula ausführlich die Ereignisse der genannten Jahre, so weit sie für die jü- 
dische Geschichte von Interesse sind, und es erschien in Venedig 1653. 4. bei 
Imberto, später in einer jüdisch -deutschen Ueberselzung in Amsterdam 1606. 8. 
bei Uri Phöbos. 3) Samuel Phöbos in Gemeinschaft mit Natan Feidel, 
ebenfalls Zeitgenossen. Sie schrieben unter dem Titel Tit ha-Jawen ebenfalls 
eine Geschicke dieser Verfolgungen, welches Werkchen in Venedig s. a. (aber 
nicht lange nach der Begebenheit) 8. erschienen ist 4) Mordechai Ben Naf- 
tali Hirsch, aus Kremsier in Mähren und damals in Krakau wohnhaft. Er 
schrieb ein Trauerlied (Kina) über die Blutzeugen der zwei Jahre 1648 u. 1649. 
Es erschien in Amsterdam s. a. 4., mit einem Gommentar und findet sich noch 
handschriftlich in der Bibliothek zu Oxfort (Bibl. Opp. N. 1610.). 5) Mose 
Mordechai Ben Samuel, in Krakau. Er schrieb ein Busslied (Selicha) zum 
Andenken der Märtyrer jener Jahre, welches der Ausgabe der Busslieder (Selichot) 
zu Dyrenfurt 1702 beigedruckt wurde. Auch erschien es Frankf. a. d. 0. s. a. 8. 
6)Jom-Tob Lippmann Heller 1 ), der inSlemirew in Lilhauen, Wladimir 
in Wolynicn, in Przemysl und endlich in Krakau Rabbiner war und auch in der Ma- 
thematik und in der Sprachwissenschaft sich Kenntnisse erworben hatte, wie seine 
zahlreichen Werke beweisen. Dieser, bei jenen Ereignissen schon ein Greis, 
schrieb ein Heflchen Bussliedcr über diese Verfolgungen unter dem Titel: „Seli- 
chot 'al Geseral Ukraine", welches in Prag s. a. 8. erschienen ist 2 ). Ausserdem 
sind aber noch viele andere Busslieder und Fürbitten anonym erschienen, die theils 
unter dem im Ritual aufgenommenen Bussgebeten für den 20. Siwän sich finden, 
theils noch besonders erschienen sind. Unter diesen verdient noch besonders her- 
vorgehoben zu werden die „Fürbitte für die im Jahre 1648 Erschlagenen (Beka- 
scha 'al haruge Tach)", zu welcher ein gewisser Mose Kohen, Rabbiner in Metz, 
einen Commcnlar geschrieben. Es erschien in Amsterdam 1699. 4. — So viel wusste 
ich , bei der Schwierigkeit der Herbeischaflfung der Notizen , über das Literarhisto- 
rische beizubringen, das auf den Kosakenaufstand BezHg hat. Ohne Zweifel giebt 
es noch mehrere hebräische Relationen, die wohl eine Berücksichtigung verdienen; 



1) Seine Biographie unter dem Namen Megillat Ebah, yon ihm selbst beschrieben, 
wurde von Dr. Jost in's Deutsche übertragen und in Sulamith Vit. Jahrg. Bd. 2 Heft 3 
abgedruckt. In Breslau wurde vor einigen Jahren eine besondere Ausgabe davon veranstaltet. 

2) Diese Busslieder finden sich nicht einmal bei den Bibliographen angegeben. 

Digitized by Google 



104 



aber bei dem Zustande der jüdischen Liierargeschichte würde es wohl verzeih- 
lich sein, wenn auch manches unberührt geblieben, zumal ich selbst von den Er- 
wähnten nichts als „das fliegende Blatt" erhalten konnte, das unter allen sogar 
die ungeschickteste Schilderung zu sein scheint 

Was den Charakter der Erzählung anlangt, so kann sie ihrer Bestimmung 
und Form nach natürlich nur einseitig sein. Die Bestimmung ist eine parlikulari- 
stisch jüdische, für die Synagogen niedergeschrieben und daher mit Bibelremini- 
scenzen und religiösen Faden durchwoben; die Form ist eine ephemerische, daher 
das unabgeklärle Wesen in derselben wie in einem Zeitungsblatte. Dabei blickt 
noch allenthalben die Absicht des Verfassers durch, durchaus Alles zu vermeiden, 
was nicht die Hebräer berührt; er erwähnt keinen Namen eines Helman's, er lie- 
fert keine specielle Angabe über die Kosakenpulks, und selbst die Städte würden 
von ihm nicht berührt worden sein, wenn deren Erwähnung nicht für die Syna- 
goge nothwendig wäre. Genauere Berichte über Bogdan Chmjelnicki und über 
seine Losreissung von Polen, so wie überhaupt das Verhältniss der Polen zu den 
saporoger Kosaken, finden sich in den andern hebräischen Schriften, aber gerade 
diese konnte ich nicht auftreiben. Ich bin aber der Meinung, dass auch der 
kleinste Beitrag zu jener Geschichte nicht ohne Interesse ist; denn das Jahr 1648 
und 1649 ist nicht blos für slawische Juden, sondern auch in der Geschichte der 
Polen ein höchst denkwürdiges. Der Aufstand der Kosaken, vereint und in bestem 
Einverständniss mit den Tataren, wie die jüdischen Historiker berichten, gegen 
die Uehergriffe der Jesuiten und gegen den Uebermuth des polnischen Adels, ist 
die erste bedeutsame Kalamität der polnischen Politik, welche, allmälig fortwu- 
chernd, endlich den Untergang des polnischen Staats herbeigeführt. Der Abfall 
der Ukraine von Polen ist der Wendepunkt der jesuitischen Umtriebe. Bei den 
Slawen findet der römische Katholicismus keinen natürlichen Haltpunkt, daher 
dem Adlerfluge der Kosaken, die nur auf die Beute ihr Augenmerk^gerichlel ha- 
ben, das griechische Kreuz folgte, so dass die Kleinrussen in ihnen die Kämpfer 
für ihren Glauben erblickten. Aber auch für die politische Geschichte der sapo- 
roger Kosaken muss jeder Beitrag, welcher jenen Aufsland erläutert, willkommen 
sein, da die Urkunden, welche Herr Skalkowski mit so grosser Mühe zu- 
sammengebracht l ), so reichhaltig sie auch sind, doch nicht bis zu diesem Auf- 
sland reichen. Die saporogischen Kosaken treten mit dem Anfange des XVI. Jahr- 
hunderts als rein slawische Glieder auf den historischen Schauplatz, indem sie 
früher mit türkischen und andern asiatischen Elementen ganz durchmischt waren 2 ), 
und die Sichlossreissung von Polen ist ihre erste historisch wichtige That. In der 
jüdischen Auffassung des Kosakenlebens liegt nichts Unwahres und Unhistorisches, 
obgleich Hr. Skalkowski sie als eine Genossenschaft slawischer Helden oder als 
einen Ritterorden darzustellen sucht. Sie erscheinen auf dem Schauplatze in der 
That nicht anders als eine organisirte Räuberbande, auf der niedrigsten Stufe der 
Bildung stehend, kaum den wilden Bewohnern der Wüste vergleichbar, indem sie 
ohne Unterschied Freund und Feind beraubten, und wie die wilden Kirgisen oder 
wie früher die Talaren Menschenraub trieben und auch nur von Beute lebten. 
Dass die saporoger Kosaken nur Kriegerkolonien oder Krieger- Genossenschaften 
aus den Rusnjaken wären, also ursprüngliche Einwohner von der Ukraine, Woly- 
nien, Podolien, Galizien, wie Hr. S. meint, ist durch Nichts begründet. Die An- 
sieht «her das Wesen des Kosakenthums haben die Hebräer mit den an Russland 
grenzenden asiatischen Stämmen gemein; denn auch diese verstehen unter Kosaken 
nur Freibeuter, welche blos des Raubes wegen sich dem ersten besten als Mieth- 
liuge hingeben. Selbst die Russen scheinen von den Kosaken keine bessere An- 



1) s. die Abhandlung in Jurnal ministerstwa narodnago u. s. w. , im Auszüge wieder- 
gegeben in Archiv f. wissensch. Kunde v. Kussland. 1S41. Hft. 2. 

2) vgl. Broncwski's Geschichte der donischen Kosaken u. s. w. , s. ilie Anzeige der- 
selben von W. Schott im Archiv f. wissensch. Kunde y. Russland. 1842. Heft I. 



Digitized by Google 



sieht zu haben; denn bei den Kleinrusscn heissen die Personen, die um Lohn die- 
nen, also blos als blinde Werkzeuge sich dem Willen anderer unterwerfen, Ka- 
saki, und die von den russischen Knjäsen gemielheten Polowcer zur Zeit der 
Bürgerkriege wurden Kosaken genannt. Dass sie mit den Talaren gemeinschaft- 
liche Sache machten, scheint darauf hinzuweisen, dass sie aus einer Mischung 
?on Türken, Mongolen und Slawen entstanden, was theils ihre asiatischen Sitten, 
theils ihre Physiognomie, theils aber auch der Umstand zu beweisen scheint, dass 
es Tom XIV. bis zum XVI. Jahrhunderl auch Kosaken türkischen Stammes gab, 
wie z.B. die Azowischen, und dass nach Bronewski (in der erwähnten Geschichte) 
selbst die saporoger Kosaken aus einer Mischung der Slawen mit den türkischen 
Resten am Dnjeper entstanden sind. Ausserdem ist noch darauf aufmerksam zu 
machen, dass der Held der Judenverfolgungen, welche Sabbali beschreibt, näm- 
lich Bogdan Chmjelnicki, welchen die Hebräer Chmel nennen, der erste 
war, welcher den zügellosen Banden der saporogischen Kosaken eine Art Statut, 
Universal genannt, gab, wodurch sie erst politisch exislirlen. Chmjelnicki 
hat bei Gelegenheit des Aufstandes 1648 zuerst eine gewisse Obergewall, durch 
die Wahl der Kämpfer, über die Saporoger erhalten, und er bestätigte ihnen den 
15. Jan. 1655 in Bjela Cerkwa alle diejenigen Privilegien und Rechte, welche 
ihnen der polnische König Stephan Batori, um sie im Zaume zu halten, in 
Gnadenbriefen versprochen; aber selbst aus dem Universal ist deutlich zu ersehen, 
wie wenig sie ein selbslständiges Gefühl beseelt und wie sie bald dieser bald je- 
ner slawischen Macht ihre Dienste als Freibeuter anzubieten geneigt sind. 



Vernehmet die Kunde, ihr frommen Gemeinden Gottes, wenn ihr sie noch 
nicht gehöret; vernehmet ihr, die ihr Jehova anrufet und in heiligem Beben auf 
sein Wort lauschet, die ihr nach allen Zipfeln der Erde verstreuet seid und iso- 
lirt wohnt; vernehmet auch ihr, wo das königliche Wort und das heilige Gesetz 
verstanden wird, die betrübende Kunde. Eine namenlose Trauer hat die Juden 
erfüllet; Fasten, Weinen und die bitterste Klage durchschauert alle Herzen; die 
Hochgeachteten und Grossen geheu in Trauergewändern gehüllt, und die Angese- 
hensten streuen Asche auf ihr Haupt. Denn die israelitische Genossenschaft, das 
Volk Goltes, fiel durch das blitzende Schwerd; es fiel durch grenzenlose Verfol- 
gungen, in namenlosen Ausrottungen durch die Hände von seelenschmutzigen Chri- 
sten. Fluchreiche Horden und Empörer metzelten Tausende und Myriaden from- 
mer Israeliten nieder; gottbegeisterte Männer und Frauen, Israeliten von der edel- 
sten Art, deren gottgeweiheter Sinn unschätzbar war, gelehrte Rabbinen und hoch- 
gelehrte Forscher, welche grossen talmudischen Akademien vorstanden, fielen 
durch das Schwerd. 

Eine verächtliche Horde, eine niedergetretene und gemeine, ein Schelmenge- 
sindel und eine Raubbande, das sind die Griechisch - glaubigen *), die man mit Namen 
Kosaken nennt. Die Ackerer und Winzer unter denselben, vorzüglich die Land- 
bauer, rotteten sich nah und fern zusammen und empörten sich wider den polni- 
schen König, wider seinen Adel und seine Vasallen, die eine edle, stolze und 
riesenkräflige Menschenklasse bildeten. Der genannte bedrohete König hiess Wla- 
dislaw, ein frommer Herrscher, der unter die Gerechten gezählt zu werden ver- 
dient; denn auch gegen die Juden war er gütig und mild, und Hess walten mit 
ihnen seinen Bund. Da geschah es im Jahre 5408 nach Erschaffung des Erden- 
runds und der Himmel — also 1648 — im ersten Kirchenmonat des jüdischen 



1) Tn den hebräischen Schriften jener Periode Messen alle Slawen, welche der griechi- 
schen Kirche anhängen, schlechtweg Jewanim (ö"0^) d « h. Griechen; daher die Benen- 
nung Griechen für Kosaken. Beim Aufblühen der russischen Macht führten die Russen 
diesen Namen, und der Car hiess „König der Griechen." In den Trauer- und Busslie- 
dern, worin über die harten Bedruckungen und Verfolgungen der Griechen geklagt wird, 
sind die Russen zu verstehen. 



Digitized by Google 



Jahres» im Monat Nisan (April), als dieThränen der Terfolglen Glaubensgenossen 
sich mehrten; denn um jene Zeit begannen jene Horden zu jagen und zu heizen 
die schwachen, geplagten Israeliten; viele durch Frömmigkeit gekrönte Häupter 
büsslen ihre Kronen ein, und viele Hunderl arme, bedrängle Juden fielen als Mär- 
tyrer. — Zwar zogen grosse Haufen des polnischen Adels und Volkes den Em- 
pörern entgegen, um zu streiten wider die Schelme und ihnen zu vergelten nach 
der Frucht ihrer Uebellhaten; aber da geschah es, dass, als die Polen ihren 
Schaaren sich näherten und allmälig in das Land der Unreinen, genannt Ukraine 
mit seinen Umkreisen, gelockt wurden, die Schelmenbanden sie durch List und 
Verrath überfielen; denn auch jene Kosakenschelme, welche beglaubigt in den 
Büchern des polnischen Militärs conscribirt waren — es war nämlich von alter 
Zeit her ein unabänderliches Recht der polnischen Krone, eingetragen in ihrem 
Gesetzbuche, dass zwölf Tausend waffenfähige und kampfgerüslele Kosaken stets 
zum Dienste der Krone bereit sein müssen, um ihr Hülfe zu leisten, wie sie es 
ihnen gebietet — brachen den Eid und missachteten das Gesetz, und schlössen 
sich als Bundesgenossen ihren schelmischen Brüdern an. Auch grosse Schaaren 
von Tataren rotteten sich zu den Kosaken *), umzüngellen so gemeinschaftlich den 
Anführer des polnischen Heeres mit all seinem Adel, seinen Reisigen und Knechten, 
richteten unter ihnen ein grässliches Gemetzel an und plünderten all ihr Gut. Auch 
die Heeranführer mit einem Theile des Adels erschlugen sie. Das war kurz vor 
Pfingsten, drei Tage vor ihrem Feste, am Mittwoche, ein Tag, der zu dem Un- 
glücke der Polen bestimmt war. An selbigem Tage ging der König Wladislaw 
heim zu seinen Ahnen (starb), seine Seele schied aus ihm in der Provinz Li- 
thauen, weit von dem Lande der Ukraine; er verschied nämlich in der Nähe der 
grossen Stadt und Residenz Wilno. Der König wusste bei seinem Verscheiden 
noch nichts 2 ) von dem Kosakenaufstande, und auch umgekehrt hatten die Kosaken 
auch nicht seinen Tod erfahren. Und wir, das Volk und die Diener Jebova's, 
seine Heerde, die wir in der ganzen Provinz Lithauen umher verstreuet sind, wir 
weinten und trauerten um den König. Ehre seinem Grabe 3 ). Noch aber wusslen 
wir nicht von dem harten Geschicke, welches der Unerforschliche über uns ver- 
hangt halle, als bereits alle Israeli lengemeinden in der Ukraine den heiinathlichen 
Heerd verliessen, Vaterstädte und Vaterland im Stiche liessen und sich nur mit 
dem nackten Leben und mit der geringen Habe zur dürftigen Selbsterhaltung 
fluchteten. An der heiligen Feier des Wochenfesles (Pfingsten) mussten sie das 
mosaische Gesetz entweihen, denn sie waren genölhigt zu entfliehen und für ihr 
Leben einzustehen nach Kräften; zerstört war die Festfreude und die heilige Feier, 
die doch jeder Israelit begehen sollte. — Es flüchteten sich Viele nach Nie- 
mirow, der grossen und berühmten Judenstadt, welche die vorzüglichste Juden- 
gemeinde halte, ohne dass noch in der ganzen Gegend der Tod des Königs ge- 
ahnt wurde, so dass sie noch immer zu Gott flehe ten, dass er durch den König 
und sein grosses Heer Hülfe senden möge. Als sie aber hierauf die Wahrheit 
erfuhren, da war ein herzzerreissendes Jammern und Klagen überall; Thränen in 
den Augen stimmten sie Klagelieder und Trauerweisen an, denn sie sahen, dass 
das Unglück von Gott beschlossen sei. Bei der Todeskunde des Königs jubelten 
und frohlockten die Kosaken, aber das Volk der Polen erbebte und ein namen- 
loser Schrecken erfassle es. Es lagen wüste die öffentlichen Strassen und die 
Wege waren verödet (da Niemand mehr sicher war). Da kamen fünfzig Kosaken 



1) Siehe Salvandy in seiner Hist. de Pologne I. j>. 129, wo es in dieser Bezie- 
hung üeisst: Les Tartares de Bessarabie, cenx de Krimee, deposant leurs vieitles haines 
de religion et de voisinage, vinrent se valtier aux etendards des r£vottes pour les aider a 
mettre la republique en lambeanx (s. Zedner: Atiswahl historischer Stucke aus hebräi- 
schen Schriftstellern vom zweiten Jahrhundert bis auf die Gegenwart. Berlin 1840. 8.) 

2) Salvandy Hist. de Pol. das. ; Zedner das. 

3) In Wladislaus Grabschrift heisst es: Civium Amori, Patriae Patri, Orbis Parenti, 
Moesta parentat Polonia. S. Lauterbach's Polnische Chronica. 



Digitized by Google 



mit List und Verschlagenheit nach Nicmirow herangezogen, Hessen Trompeten 
und Posaunen laut in einer Weise erschallen, dass man glauben musste, dass die 
Polen mit ihren Kriegern hoch zu Koss mit klingendem Spiele heranzögen, um 
so den Zweck zu erreichen, dass die Thore der Vesle geöffnet werden und nicht 
bleiben verrammelt. Das Satanswerk gelang; die Kosaken konnten ihren Plan 
ausführen, die grausamen Tuaten. Sechstausend Juden hüssten in dieser Stadt 
ihr Leben ein; fromme, gelehrte Manner und Rabbiner; Greise und Hochbetagle, 
Jünglinge und Jungfrauen, Frauen und Kinder wurden niedergemetzelt, und unter 
den Gefallenen war der hochgelehrte und weltberühmte Rabbi Jechiet Michel. 
Viele Hunderle wurden ertränkt, Viele durch die grausamsten Marlern hinge- 
opfert; in der Synagoge vor der heiligen Lade wurden die Vorsanger, die Auf- 
seher und die Küster förmlich geschlachtet; die Israeliten brachten wieder, wie 
ehemals, blutige Opfer; sie waren selbst die grausamen Opfer, ihrem Gölte sich 
weihend. Hierauf zerstörten sie die schöne Synagoge, die einem kleinen Prachl- 
leinpel glich; die heiligen Geselzrollen wurden entweder zerschnitten und von den 
Füssen der Barbaren und ihrer Rosse zerstampft, oder es wurden aus denselben 
Sandalen und Gewander gemacht. Dieses geschah am Mittwoche, den 20. Siwän 
(Juni). Dieser Monat scheint ein alter Unglücksmonat für uns zu sein; denn im 
Jahre 4931 d. h. 1171 war eine grosse Judenverfolgung an demselben Tage des- 
selben Monats. Die fromme Judengemeinde zu Niemirow war das erste grosse 
Opfer des Kosakenaufstandes; von da aus verbreitete sich der Kosakenhaufen in 
viele Pulks gelheilt. Eine grosse Raubbande ging von da nach Tulczyn, wo 
ebenfalls eine grosse Judengemeinde und ein zahlreicher Adel war. Sie belager- 
te diese Vesle acht Tage lang, so dass die Einwohner, die Juden und der Adel 
fast ausgehungert wurde, ohne desshalb aufzuhören, Tag und Nacht Ausfalle ge- 
gen die kosakischen Empörer zu machen. Da Hessen endlich die Kosaken dem 
Adel sagen: „Warum kämpft ihr so heftig, um die armseligen Juden zu beschützen 
und zu verlheidigen ? Die Juden allein sind unsere Feinde aus frühester Zeit, 
diese verdienen nicht euern Schulz; wir wollen euch Adeligen nichts Böses zu- 
fügen, nur gebt uns die Juden Preis, die unsern Glauben verläugnen, damit wir 
uns mit deren Ausrollung trösten und unsere Rache an ihnen kühlen." Der Adel 
ging in die Falle, willigte in seiner Bedrängniss in diesen verräterischen Vor- 
schlag und sie gaben den Kosaken die Juden Preis. Dreitausend Juden büssten 
ihr Leben ein unter den schrecklichsten Martern, welche die Barbarei nur erfin- 
den konnte; manche wurden zerhackt, erschlagen mit Kolben, Aexten, Sägen und 
dergleichen. Das war an einem Freitag, den 4. Tammus, an welchem Tage einst 
Moses die heiligen Tafeln zerbrochen und an welchem die Urim und Tumim ver- 
schwunden. An diesem verhängnissvollcn Freitage sahen wir deutlich, dass Gott 
Über uns ein unabänderliches Schicksal bestimmt, denn an demselben Tage wur- 
den von einer andern Kosakenbande 1500 Juden in Humanj in Russland vernichtet. 
Die russische Stadt Humanj ist von Tulczyn ungefähr 70 Ferseng entfernt, etwa 
260 Sabbalwege. Auch noch viele andere Juden büssten ihr Leben ein. Es ist 
bekannt geworden, dass diejenigen Juden, welche in Humia eingeschlossen waren, 
wahrhafte Blutzeugen des Glaubens wurden, eher als alle anderen in den andern 
Städten. Denn dort ereignete es sich folgendermassen. Die Kosaken kamen auch 
hier mit den Adeligen fiberein, dass die Juden ihnen ausgeliefert werden sollen, 
und wirklich wurden sie ihnen hierauf preisgegeben. Sie wurden aus der Stadt 
geschleppt und auf einem Felde, im Angesichte der schönen Triflen und Wein- 
berge, zusammengetrieben; hierauf wurden sie von einem Kreise umschlossen, 
nackt ausgezogen, und so, niedergekauert auf dem frischen Grün, vor Schaam 
und Schmerz zerrissen, lagerten die zum Tode geheizten Juden und glichen einer 
zur Schlachtbank bestimmten Heerde.- Da sprachen die Kosaken zu den Juden in 
gulen, tröstenden Worten: „Warum lasst ihr euch morden, erwürgen und hin- 
schlachten wie Opferthicre, einem Gölte zu ehren, der seinen glühendsten Zorn 
ohne Erbarmen über euch ausgegossen? Wäre es denn nicht besser für euch, 
wenn ihr unsere Götter anbetetet, unsere Bilder, unsere Kreutze ehrtet, so dass wir 
SUw. JtLrb. i. 15 

Digitized by Google 



10S 



nur ein Volk bildeten, und ihr w&rel dann frei and bliebet am Leben und unver- 
sehrt; die geraubten Güter gaben wir euch dann wieder, nnd im Besitze des Reich- 
thums würdet ihr so die Edlen sein." Aber das heilige, treue Volk Gottes, das 
schon so oft um seines Glaubens willen hingeopfert wurde, verachtete das Leben 
dieser Welt, und gemeinschaftlich ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters 
erhoben sie, anstatt einer Antwort, ihre Stimme in einem inbrünstigen Gebete zu 
dem höchsten in den Himmelshöhen thronenden Gott, und sprachen: „0 du Jehova, 
unser Gott, du einig -einziger, dir werden wir immerdar geopfert, lass uns, Gott 
Israels, im Glauben bleiben. Nicht wollen wir in Gemeinschaft mit der Rotte 
der Lüge wohnen und nicht wollen wir eingehen ein Bündniss mit den Tückischen." 
Hierauf beteten sie das grosse Beichtgebet, welches da beginnt: „Wir haben es 
in Wahrheit verschuldet", erkannten das schwere Gericht Gottes an und sprachen 
das grosse Leichengebet, das da beginnt: „Fels und Hort, gerecht ist dein Straf- 
gericht"; dann sangen sie Todtenlieder und ihr Schluchzen stieg bis zu den Him- 
mel. Als die Kosaken eingesehen, dass die Juden ihrem Glauben treu ergeben 
blieben, da veränderten sie ihre milde Sprache und redeten sie mit flüstern und 
harten Worten an: „Wie lange wollt ihr hartnäckig und trotzig bleiben und 
Selbstmörder sein? Ihr vergiesset selbst euer Blut, indem ihr dadurch, dass ihr 
unseren heiligen Glauben verschmähet, euere Niedermelzelung und Hiomordung 
veranlasst." Da sprachen die Juden: „Verzögert nicht euer Vorhaben, und was 
ihr später zu thun gedenkt, das thut jetzt. Nimmer werden wir eurer Verlockung 
folgen und eurem christlichen Heidenihume unsere Herzen öffnen; unser Gott ist 
ein einig -einziger, der in den Himmeln wie auf der Erde thronet, und dieser 
Gott wird uns gnädig sein. Ihr seid nur die geschickten Sendlinge Gottes, um 
uns hier zu vernichten; denn nur durch lodeswerthe Rotten, wie ihr seid, lasst 
Gott Strafgerichte üben, durch Fromme werden keine fluchreichen Thalen vollbracht. 
Ihr seid unsere Erzfeinde und unsere Hasser, also würdige Vollstrecker eines fin- 
slern Geschickes; wenn ihr es nicht thut, so wird Gott noch andere Sendlinge 
finden, und wenn es die wilden Bären der Wälder sein müssen." Nach diesen 
Reden begann die Niedermelzelung, weder Aller noch Geschlecht wurde verschont; 
ungeheuere Reichthümer wurden erbeutet, dass das Silber fast auf den Strassen 
lag. Denn die reichsten Juden der Ukraine haben sich gerade hierher geflüchtet, 
und so sind die ursprünglichen Einwohner, wie die neuen Ankömmlinge umgekom- 
men. Von hier aus theillen sich die Kosaken in viele Pulks und verbreiteten sich 
über unser ganzes Land, zerstörten unsere Plätze und rissen allenthalben unsere 
Synagogen nieder. In Czernigow büssten zweitausend Juden mit ihrem Leben; 
in Chatardow (?) zwölfhundert; ausser den vielen Juden, die zu Hunderten auf den 
Landslrassen umgebracht wurden, oder die vor Hunger und Durst gestorben oder 
von den Feinden in den Flüssen ertränkt wurden; ausser den Jungfrauen und Wei- 
bern, die sie zu Tausenden in ihr Land gefangen fortgeschleppt Auch die in 
der Ukraine einheimischen Kosaken verbreiteten sich über das ganze Land, rich- 
teten in der Ukraine, in Podolien und Wolynien grosse Verwüstungen an und wir 
wissen nicht mehr, wohin wir flüchten sollen. Auch die Gränzen Lithauens haben 
sie überschrillen und mit ihnen der Schrecken und der Mord; auf den Bergen 
liegen unsere Brüder erschlagen, denn schneller als die Adler des Himmels sind 
unsere Verfolger. Die Stadt Pawolocz haben sie fast ganz geschleift und 
unser Herz wurde darob verzagt; die Stadt P arabisch wurde so ausgeplündert, 
dass in der Umgegend nicht einmal Nahrungsmittel blieben; in Weiss-Feld 
(Bieto pole) wurden wir in Trauer gehüllt; in Bar wurden dreitausend Juden 
hingemordet, unsere Synagogen zerstört und unsere Geselzrollen zerrissen und ent- 
weihet. In Konstantinow verloren fünfzehnhundert Juden ihr Leben; in Po- 
lonne, einer sehr festen Stadl, wohin sich auch sehr viele Juden, namentlich 
vornehme und reiche, geflüchtet, wurden zehntausend Juden umgebracht; in Ostrog 
wurden alle vorgefundenen Juden umgebracht, die Stadt selbst verwüstet und die 
Judengemeinden des ganzen Kreises, mehr als dreihundert an der Zahl, wur- 
den vernichtet. Ein trauriges Geschick hatten die Jadengemeinden in Nehul 



Digitized by Google 



Szeberschzyn and Tomaschow, wo sie im Monat Tischri 1649 zu Tausenden 
hingeschlachtet worden. Aus den Synagogen nämlich wurden die Gesetzrollen geholt, 
aus ihnen grosse Teppiche gemacht, auf weichen dann die Juden Truppweise hin- 
geschlachtet wurden; in das grosse Quellbad der Juden wurden fünfzehnhundert 
Kinder lebendig- hineingeworfen und fast noch lebendig mit Erde überschüttet. In 
der Stadt Wladoi geschah ein Gleiches; die Stimme der Klage und die Schauer- 
töne des Jammers wurden weithin vernommen; in den grossen Judengemeinden zu 
Brzerfö Litewski und Pinsk, so wie in den zahlreichen jadischen Gemeinden der 
ganzen Provinz, gab es kaum eine, die nicht hart betroffen worden wäre. Die 
Anzahl der gemordeten Juden in den zwei Jahren 1648 — 49 beträgt über 100,000, 
und dabei sind nur diejenigen mitgerechnet, deren Tod durch die Kosaken man 
mit Bestimmtheit erfahren hat; denn die Uebrigen, welche durch grenzenlose Lei- 
den auf der Flucht oder in der Fremde gestorben, konnten kaum gezählt werden; 
in den weit entfernten Gemeinden gab es kaum ein Haus, worin nicht ein unglück- 
licher Emigrant gestorben; kaum war man im Stande, Särge und Leichenkleider 
für so viele Märtyrer zu besorgen. Alle Fluchorakel, acht und neunzig an Zahl, 
die im Gesetzbuche gegen die Uebertreter der göttlichen Gebote ausgesprochen 
wurden, sind an den Juden der Ukraine, Wolyniens, Podoliens, Lithauens u. s. w. 
in Erfüllung gegangen, ja noch so manches harte Strafgericht, das nicht ver- 
heissen war. In der gallizischen Stadt Lemberg, die doch ausserhalb des Be- 
reiches dieser Begebenheilen lag, ereilte die Juden ein trauriges Geschick; sie 
wurde um jene Zeit hart bedrängt und belagert, die Häuser in der Umgebung 
der Veste wurden zerstört, und durch pestartige Krankheiten und durch Hungers- 
not starben Tausende von Juden. Unter den Verstorbenen waren die berühmte- 
sten Männer Israels, die durch ihre Gelehrsamkeit berühmt, grossen jüdischen 
Akademien vorstanden; von solcher Art war der gelehrte Rabbi Joschim, Rabbiner 
in Krakau, ausgezeichnet durch seinen Scharfsinn in der jüdischen Theologie und 
als Autorität ein Yater Israels; der berühmte Rabbi Naftali, Rabbiner in Lublin, 
der unerschöpfliche im jüdisch -theologischen Wissen; der gelehrle, jugendliche 
Rabbi Salomo, Rabbiner in Slanow, Sohn des berühmten Natan Schapira. Der- 
gleichen hochgelehrte und berühmte Männer waren viele, die ich kaum aufzu- 
zeichnen vermag. Der Rest der Juden, der sich vor der blutdürstigen Kosaken- 
horde geflüchtet, blieb in schrecklicher Annuth und Dürftigkeit zurück; die sonst 
so reichen, im höchsten Wohlstande erzogenen Glaubensbrüder sähe ich in Jammer 
und Elend auswandern und bettelnd in die weile Ferne ziehen, in Lumpen gehüllt 
und abgehärmt und hungernd die Hand nach Brod ausstreckend. Sie wandern ihre 
Füsse wund und richten ihre Blicke nach allen Gegenden, wo Brüder wohnen, 
um durch das Mitgefühl der Glaubensgenossen Hülfe und Milderung der Leiden 
zu erwarten; denn Israel, der Glaubenswächter, übet Milde und ist wohlthätig; 
Israel ist mildsinnig, von mildsinnigen Ahnen herstammend. Ich sähe sie gebeugt 
und zerknirscht in innbrünstigem Gebet vor Gott, die Brust schlagend und Er- 
barmen erflehend. — Das ist die traurige Kunde, die mich veranlasst, für mich 
und meine Zeitgenossen, für unsere Kinder und Kindeskinder, einen strengen Fast- 
tag, einen Tag der Trauer und der Klage festzusetzen; dieser Fasttag sei am 
20. Siwän, an welchem Tage zuerst die Gesetzrollen vernichtet wurden, an wel- 
chem doch einst das Gesetz uns gegeben worden war. An diesem Tage haben 
die Verfolgungen begonnen und an diesem Tage war es auch, an welchem die 
Verfolgungen des Jahres 1171 begonnen ; er wird nie mit einem Sabbat zusam- 
menfallen. Ich habe Busslieder und Klagegesänge für diesen unsern Trauertag 
verfasst, die Jahr für Jahr an diesem Tage in den jüdischen Gemeinden gesun- 
gen werden mögen. Ihr Frommen, die ihr von Gottesfurcht durchdrungen seid, 
die ihr euch Israeliten nennet, schenket dieser traurigen Kunde euer Augenmerk 
und bestimmt für dieselbe diesen Tag der Trauer, damit sich Gott unserer an- 
nehmen möge; denn noch, während ich dieses niederschreibe, ist die Hand des 
Drängers ausgestreckt; noch streifen Kosakenpulks umher, wohlgerüstet und treff- 
lich bewaffnet, zum Kriege wie zur Vernichtung der Juden wohl bereit. Mi» den 



Digitized by Google 



Tataren vereint ist kein Jude seines Lebens sicher, wenn sie ihn irgendwo an- 
treffen ; es gilt unserer gänzlichen Vernichtung. Lasst uns an Gott denken, 

zu ihm unsere Blicke richten; er wird das in Strömen vergossene Blut seines Vol- 
kes, seiner Frommen und Gesetzlehrcr rächen, die als Blutzeugen ihres Glaubens 
ihr Leben hingegeben. Das Jahr 1648 war ein grosser Opfertag, wo nicht die 
Priester die Opfernden waren, sondern an welchem man die Priester, Leviten und 
Israeliten geopfert. Das Jahr 1649 ist das Jahr der grossen Glaubenshelden und 
Blntzeugen; in demselben am 7. Monate wareu die grossen Niedermetzelungen 
durch vereinte Banden von Tataren und Kosaken. Ich glaubte, dass dies Jahr 1649 
schon ein Jahr der Ruhe sein wird, aber es war trauriger als sein Vorgänger. 
Unvergesslich sind uns diese beiden Jahre, in welchen wir so tief alle Strafge- 
richte Gottes empfunden. — 

3. Das russische Weihnacht s fest* 

(Beschluss zu S. 29.) 

Nun brachte eine der älteren Kindsfrauen im Hause den. Mädchen festliche 
Spiele in Vorschlag; allein sie fanden in der Regel nur geringe Theilnahme, 
denn die Mädchen hatten jetzt ganz andere Dinge im Sinne, welche ihre ganze 
gespannteste Erwartung in Anspruch nahmen. Es nahte die Zeit heran, wo sie 
neue Genossen und Führer bei ihren Spielen bekommen sollten. Der verhängniss- 
volle Augenblick erschien, die Flügelthttren wurden angelweit aufgerissen und 
herein trat ein langer Zug von jungen Männern, den Brüdern und nächsten An- 
verwandten der anwesenden jungen Mädchen; dieses waren die „Erwählten." 
Der Hausvater und die Hausmutter führten die „Erwählten" den Mädchen zu und 
übergaben diese gleichsam den Händen jener. Es war ein höchst interessantes 
Schauspiel, die mannigfaltigen Regungen des Herzens bei allen diesen Ueher- 
raschungen, getäuschten Erwartungen und erfüllten Hoffnungen von den Gesichtern 
der jungen Leute zu lesen; ein Schauspiel, wie man es anders in dieser Weise 
der Sitte gemäss das ganze Jahr hindurch nie wieder zu Gesichte bekam. Nach 
dieser Cercmnnie fingen sogleich die Spiele an. Unter die wichtigsten Spiele ge- 
hörte das „Si2u-pnsi2u" (Ich sitze — bleibe einen Augenblick sitzen"); denn in 
diesem Spiele kamen die Mädchen oft auf den Knieeu der Brüder (natürlich nicht 
ihrer leiblichen Brüder) zu sitzen. Ebenso das „Koza i slepoj Kozel" (die Ziege 
und der blinde Bock), wo der blinde Bock (ein Bruder) seine sehende Ziege in 
einem von den jungen Leuten in bunter Ordnung geschlossenen Kreise suchen 
iiiussle; ein Spiel, welches häufig Gelegenheit bot, die jungen Leute einander 
näher zu bringen, als es sonst geschehen durfte. 

Nach Beendigung dieser gemeinschaftlichen Spiele empfahlen sich die Brüder 
bei den Schwestern und entfernten sich. Einige Mädchen fingen nun an Räthsel 
aufzugeben und andre lösten sie auf; dieses Spiel wurde allmählig immer leb- 
hafter und interessanter und man setzte es nicht selten bis zum Abend fort. 
Diese volkstümlichen Räthsel kamen nur in dieser Zeit zur Sprache, sonst hörte 
man das ganze Jahr nichts von ihnen. Unterdessen erzählten die älteren Frauen 
aus der Gesellschaft alte Mährchen und Schilderungen der Lebensweise im alten 
Russland. Diese Erzählungen sind an sich ungemein wichtig, mehr als man ver- 
mulhet. Aber man muss Russe sein, man mnss die alte Sitte achten und von 
Herzen lieben, um ihren ganzen Werth schätzen, um die ganze Würde derselben 
fühlen zn können. Die Berichte der Fremden über das russische Alterthum sind 
über alle Massen erbärmlich und nichtig im Vergleich zu den Erinnerungen des 
russischen Volkes selbst. „Wer ein einziges Mal den Swjatki als aufmerksamer 
Beobachter zugegen war", sagt der Fürst Sacharow, „der wird niemals wieder 
Glauben schenken den Beschreibungen, welche uns fremde Schriftsteller von ihnen 
geben; er wird fest überzeugt sein, dass man nur an den Swjatki Aug' in Auge 

Digitized by Google 



111 



sehen kann in das vergessene, alte- russische Leben; in diesen Tagen zeigt es sich 
mit allen seinen Reizen und wunderbaren Herrlichkeilen, mit allen seinen Eul- 
zfickungen und seinem herzerfüllenden, beseeligendcn Glauben. Das dankbare An- 
denken der Nation hat die Schicksale ihrer Vater aufbewahrt und sie in ihren Sa- 
gen lebendig mit Fleisch und Bein personificirt. Und hierin liegt der Grund, 
warum die russischen Rathsei und Sprichwörter, selbst wenn sie in den nationei- 
len Sagen nicht vorkommen, dennoch nicht verloren gegangen, wie die grosseren 
Denkmaler verschwundener Zeiten — die Annahm, von denen keine Spur mehr 
zu finden." 

Um die Dunkelslunde strömten die geladenen Gäste, einer nach dem andern, 
zusammen. Der Hausherr empfing sie am Thore, die Hausfrau erwartete sie an 
der Freitreppe, die Madchen kamen ihnen bis in das Vorhaus entgegen. Nach 
langen Höflichkeitsbezeugungen, nach allen möglichen Anwünschungen und Vor- 
würfen wegen ihres gespreizten Stolzes brachten sie die Gaste endlich an ihre 
Platze. Bei der Vertheilung derselben wurde aber wieder eine scharfe Auswahl 
beobachtet; wem der Hausvater und die Hausmutter besonders wohl wollten, den 
setzten sie oben an, um wen sie sich weniger kümmerten, mehr auf die Seile. 
Alle Goldjunker erhielten immer die ersten Platze auf der rechten Seite, neben 
ihnen wurden häufig auch bejahrtere Frauen gesetzt. In einem reichen Hause fan- 
den sich immer gesunde, starke und wohlbeleibte Frauen; solche Frauen bildeten 
den Glanzpunkt des Festes, solch eine Dame führten der Hausherr und die Haus- 
frau mit tiefen Verbeugungen an den Ehrenplatz. Die jungen Frauen sassen an 
der linken Seile, alle beobachteten ein tiefes Stillschweigen, denn ihnen war keine 
Unterhaltung erlaubt, als das „Fingern (pereboroezka)", d. h. die Hände in den 
Schooss zu legen, sie zu fallen und Finger an Finger zu pressen, und dabei den 
rechten Daumen um den linken, zur Abwechslung sogar auch den linken um den 
rechten zu drehen. Dieses galt für den höchsten Grad von „Gesetztheit" bei 
einer Frau. Mutter und Schwiegermutter blickten mit süssem Lachein nach einer 
solchen Tochter, Galle und Bruder waren stolz auf solch ernste Würde, die übri- 
gen Frauen steckten aus Neid und heimlichem Aerger die Köpfe zusammen und 
zischelten mit einander von fremden Dingen. Die jungen Leute, besonders „die 
Erwählten" sassen in den Ecken in bestimmter Ordnung. Sie zischelten und kicher- 
ten fast ununterbrochen mit einander und unterhielten sich herrlich, obwohl mit 
unterdrückter Stimme (denn laut durften sie kein Wort sprechen, diess wäre ganz 
gegen die Sitte der Ehrfurcht gewesen); auch gingen sie von Zeit zu Zeil hinaus 
und holten sich Naschereien, Backwerk und dergleichen aus den Nebenzimmern, 
wo die Warterinnen solche Sachen für sie immer im Vorrath hielten. So sassen 
und belustigten und unterhielten sich die jungen Leute ganz für sich allein, ab- 
geschlossen von der übrigen Gesellschaft, welche dieselben fast niemals zu Ge- 
sichle bekam; und Niemand hätte es gewagt, sich in ihre Unterhaltung zu mi- 
schen, ihre Gespräche zu unterbrechen. 

Die Gästp kamen „im schweren Schmucke" (Ijazkich narjadach), im festlichen 
Putze. Der russische Schmuck zeichnete sich immer durch sein hohes Alterlhuin 
und die unveränderliche Gleichförmigkeit aus. Das Kleid, das für den Vater ge- 
näht worden, kam im Verlaufe der Zeit auf Sohn und Enkel. Der Mann unter- 
suchte nicht, ob der Kaflati leicht auf der Taille sitzt, ob die Acrmcl lang oder 
kurz sind; das Kleid ward einmal lang und breit genähet, und so passte es allen, 
die es anzogen. Eine solche Gleichförmigkeil charakterisirtc die Familie und bei 
sonst vermöglichen Verhältnissen galt sie für Familienwürde. Eine grosse Biber- 
mülze, ein Zobel - oder Fuchspelz, ein Kaftan mit kupfernen oder silbernen Knö- 
pfen, auf dem Rücken reich mit Schnüren besetzt, ein seidener persischer Gürtel 
oder ein solcher von rothem bucharischen Kummatsch (Baumwollenzeug) — diess 
zusammen bildete den festlichen Schmuck, den vollständigen Putz eines reichen 
Gastes. Der Frauenschmuck erlitt noch weniger Veränderungen und charakleri- 
sirte nicht allein die Familien, sondern selbst ganze Städte und Gegenden. An 
dem Kokosehnik oder Sbornik (ein Kopfpulz, dessen schönster Theil, vorn an der 

■ 

Digitized by Google 



11* 



Stirn anlehnend, mit Schmelzwerk, Perlen und Spitzen geziert ist,) konnte man 
bestimmen, aus welcher Gegend eine Frauensperson sei. So gab es Kaluger, 
Bjelewer, Os tager, Torzkower, Moskwaer Kokoschniks, Tuler, Moskwaer, Orlo- 
wer, Mczensker, Jaroslawler Sborniks. Die Kokoschniks und die Sborniks wurden 
aus grellgeblümlen Seidenstoffen oder aus hoch - oder cannoisin • rolhem Barchent 
Terfertigt und mit Posamentirarbeit an den Randern und Perlenstickerei an den 
hervorragenden Theilen — oft mit grosser Pracht — verziert. Die Ohrgehänge 
und der Halsschmuck hatten ebenfalls ihre alterthflmliche Gestalt und bildeten 
selbst bei den reichsten Madchen den wichtigsten Theil der Mitgift; denn sie be- 
hielten ewig ihren unveränderlichen Werth und ihre ungeschmälerte Brauchbarkeit, 
und man schätzte sie desto höher, je öfter sie von Mutter auf Tochter in einer 
Familie vererbt worden waren. Der Halsschmuck bestand aus Perlenschnuren, 
Kopfbinden (powjazka), dann allerhand anderen Schnüren und Bändern. Die Per- 
lenschnüre waren aus Zahlperlen angereiht; die Schnuren uud Bänder mit den 
feinsten Perlen gestickt , die Kopfbinden aus Perlen in Gestalt eines breiten Fitzel- 
bandes gearbeitet Mit dieser Arbeit beschäftigten sich die heirathsfahigen Mäd- 
chen in der Fastenzeit, wenn die verwandten und bekannten Frauen zusammen 
kamen, um, wie man sagte, „auf den Tag zu sitzen (posidjet na den)." Ueber- 
diess trug man noch an den Händen Ueberärmel, auch mit Perlen gestickt. Ein 
Saraphan (langes Oberkleid, vorn mit einer Reihe Knöpfe, wie die Prieslerröcke 
bei uns) von Gold- oder Silberstoff, ein sloffener Mantel mit Zobel verbrämt, 
weisse, steifgestärkte Aermel von Nesseltuch, an drei Arschin lang, ein golde- 
nes Kettchen auf dem Halse, unter diesem eine kleine Krause, eine weisse Fata 
(Art Schleier) von Seide oder Nesseltuch von dem Kokoschnik herab, feine Strüm- 
fe, nette Schuhe mit hohen Absätzen (baschmaki oder czerewiczki), — diess Mi- 
ete den festlich -schönen Anzug einer reichen, verheirateten Frau, wenn sie bei 
einer Tafel oder einer Abendunterhaltung erschien. Der Putz der „rolhen Mäd- 
chen" bestand aus einem Corset ohne Aermel (dusche -grjejka, Seelenwärmer), 
einen Saraphan, einer Halskrause, einem hellrothen Bande in dem blonden Haar- 
zopfe; aber aller Schmuck war nichts gegen den Glanz, den ein dichtes blondes 
Haar dem Mädchen gab, wenn es dasselbe in einem Zopfe zusammengeflochten 
trug, das war ein unschätzbares Besitzthum, ein Schatz über alle Schätze. 

Schon vor der Ankunft der Gäste war mitten in dem Zimmer, doch etwas 
naher an die Thüre, ein Tisch aufgestellt, und auf diesem ein pöle-indle aus 
allerhand Speisen zum Iinbiss vorbereitet worden. Da waren auf zinnerne Teller 
aufgeschüttet: Hasel -Nüsse, gedörrte sibirische, griechische und welsche Nüsse, 
Pfefferschwämme, Pfeffernüsse, Wjasemer Pfefferkuchen, Bjelewer, Tuler Papusch- 
niks (kleine, lockere, gesäuerte Brödchen); frische Aepfel von mannigfachen Sor- 
ten, dann eingelegte, gedörrte, mit Kwas gedünstete und Ukrainer Aepfel; grosse 
und kleine Rosinen, Corinthen, Weinbeeren; gebackene Ukrainer und überseeische 
Pflaumen, frische, gedörrte, eingemachte Birnen; grosse gelbe Birnen, Dulja ge- 
nannt, Bergamotbirnen ; getrocknete Wladimirer und Ukrainer, dann Weihnachls- 
und Basilius - Kirschen ; mit Zucker und Honig eingesottene Johannisbeeren (Ribis), 
Kirschen, Himbeeren, eingemachte Preusselsbeeren ; mit Honig gedünstete Mass- 
holderbeeren (Kalinken), Pfirsiche; eingemachte Moosbeeren, Kolomensker Moos- 
beer- und Aepfelsaft, mit Zucker dick gesollen und in Scheiben gegossen. In 
reichen Häusern wurden solche Leckerbissen immer aufs ganze Jahr in Vorrath 
zubereitet. 

Kaum waren nun die Gäste eingetreten, so wurden sie auch schon mit Speise 
und Trank versehen. Auf einem hölzernen Präsentirteller brachte der Hausherr 
in silbernen Pokalen abgezogenen Johannisbeer-, Aepfel-, H im beer - und Eber- 
äschen - Liquenr ; weissen, auch schwarzen, mit Moosbeeren versetzten Meth; 
wohlriechendes und Sammes-Bier (besondre Arten), sowie März-Braga (auch 
eine Art eigenthümlichen Bieres). Einen jeden Gast rief der Hausvater bei sei- 
nem Namen auf und trug ihm das Getränke an, oder bat ihn, wenn er sich gar 
sehr sträubte, doch wenigstens zu kosten. Die Hausfrau aber stand hinter ihm 

Digitized by Google 



and neigte sich bei jedem seiner Worte stillschweigend Tor dem Gast. Ein fei- 
ner Gast (lomliwyj) nahm den Trank aus der Hand des Wirthes nicht an, er bat 
instandigst, die Hausfrau möge ihn bewirthen. Der Mann gab also seiner Frau- 
den Teller. Der Gast nahm nun seinen Becher in die Hand, wünschte Jedem in 
der Familie tausend schöne Dinge an, und leerte ihn dann in einzelnen Absätzen; 
diess hiess mit gewichtigem Anstand trinken. Einem solchen Gaste erlaubte man 
der Hausfrau einen Kuss auf die Stirn zu drücken. Nach dem Tranke betheilte 
die Hausfrau sogleich ihre Gäste mit etwas Festerem zum „Beissen (zakusk)", 
and beklagte bei jedem einzelnen , dass die ehrenwerthen Gäste zu wenig nähmen. 
Den jungen Frauen wurde kein Wein angetragen, sie gingen öfters selbst hinaus 
in die andern Zimmer, um einen Schluck Kwas zu nehmen. Dort brachte die 
Hausfrau einen dunkelfarbigen Krug zum Vorschein und bewirthete ihre schönen 
Freundinnen mit Kirschliqueur oder einjährigem, starken Meth. Den Mädchen bot 
man nichts an; sie hatten ihre Bündel bei sich, in denen ihnen die sorglichcu 
Mütter allerhand Leckerbissen mitgegeben hatten. Die „Erwählten" nahm man 
allemal für nicht trinkend und nicht essend (ne-pituschtschi) an; man meinte, die 
Liebe mache schon an sich satt. 

Unzählig und mannigfaltig waren die Speisen und Gelränke, mit denen man 
die Gäste bewirthete, denn je mehr und je mannigfaltigeres man bot, desto glän- 
zender und gastfreier zeigte man sich. War das Mahl zu Ende und wollten die 
Gäste, trotz allen möglichen Nöthigungen und Zuredungen, nichts mehr nehmen, 
da erschienen Spassmacher, um die Gäste zu unterhalten. In allerlei Kleider ge- 
hüllt, fingen sie an, russische Nationaltänze aufzuführen (pljasali) und Fabeln, 
Mährchen und Sagen zu erzählen, in welche sie oft die trefflichsten Sprichwörter 
einzuflechlen und auf die Charaktere der Gäste und die Schwächen der besorgten 
Mütter, ihren Töchtern „Erwählte" aufzusuchen, heiler und unschuldig spöttelnd 
anzuspielen wussten. Nachdem sie die Gäste so unterhalten, entliessen der Haus- 
herr und die Hansfrau dieselben mit höflichem Danke und gaben ihnen mancher- 
lei Leckerbissen und allerlei Geschenke mit auf den Weg. Mit ihnen zogen sich 
nach Erlaubniss des Herrn und der Frau auch die Verkleideten und Maskirten 
zurück. Die unterhaltendsten und gangbarsten Masken der Verkleideten waren: 
Bare, Ziegen, blinde Lazarus, Kämpfer und dergleichen. Statt der Schminke rie- 
ben sie sich das Gesicht mit Russ ein und rötheten es mit gestossenen Ziegel. 
Auf den Kopf setzte man eine schlechte Mütze ohne alle Form; die Ziege und 
den Bär hüllte man in umgewandte Pelze "von Schaaffell. Die blinden Lazarus's 
erschienen in zerlumpten Kaftanen mit einem Stocke in der Hand. Anstalt des 
Buckels steckte man Kopfpolsler unter den Kaflan. Die Gäste baten die Verklei- 
deten, sich einen Spass zur Kurzweil zu erlauben, und diese folgten der Einla- 
dung mit Freuden. Die Ziege fing mit dem Bären an zu tanzen, die Lazarus's 
sangen die Lieder aus der Vesper, die Kämpfer fielen über einander her und 
schlugen d'rauf los, soviel sie konnten oder wollten; alte Mütterchen bewachten 
die Erbsen im Küchengarten und fingen die Diebe. Zu den Dieben gehörte auch 
immer der jüngere Theil der Gäste, die „Erwählten" beiden Geschlechts. Wenn 
diese Feinde hatten, so geschah es immer, dass sich letzlere als alte Weiber ver- 
kleideten, und ihnen dann alle ihre Fehler in Form einer Conduiten- Liste, wie 
sie den Dienstboten mitgegeben wird, vorhielten. Niemand durfte es wagen, sol- 
che Vorwürfe Übel zu nehmen, sobald man ihn dabei nur nicht mit seinein Namen 
nannte. Wurden aber die Verkleidelen unbescheiden, so entfernte man sie auf 
der Stelle. Nicht selten geschah es auch, dass unter den Masken ganz nahe Ver- 
wandte des gastlichen Hauses sich verbargen; wenn diese erkannt wurden, so 
wechselten sie all sogleich ihren Anzug. Der Hausherr war verbunden, die Ver- 
kleideten mit Getränken zu bewirlhen. Gäste, die nichts annahmen*, worden für 
vornehm gehalten und man begleitete sie beim Weggehen mit hober Achtung bis 
in den Hof hinaus. Wenn sie nichts als ein Paar Tropfen Liqueur kosteten, dann 
war die Dienerschaft des Hauses verpflichtet, sie bei ihrer Entfernung einige Au- 
genblicke zu schaukeln: so brachte es die Sitte mit sich. 



Digitized by Google 



Nach allen diesen Belustigungen nahmen die Schüsselspiele ihren Anfang. 
Man brachte einen Tisch und stellte ihn mitten in das Zimmer. Die alteren Man- 
ner und Frauen standen auf und machten den jüngeren, sowie den „Erwählten'* 
beiden Geschlechtes Platz. Da erschien die ehrbare Freiwerberin mit einem Tisch- 
tuche und deckte damit den Tisch. Die älteste Kindsfrau brachte eine Schüssel 
mit Wasser und stellte sie auf den Tisch. Die „rothen Mädchen" und ihre „Er- 
wählten", die jüngern und alleren Frauen nahmen ihre Arm - und Fingerringe, 
ihre Ohrgehänge und dergleichen ab und legten sie auf den Tisch, um sich aus 
ihnen ihr Schicksal (swoju sudjbu) wahrsagen zu lassen. Die Hausfrau brachte 
eine Serviette, und die Freiwerberin bedeckte damit die Schüssel. Nun setzten 
sich die Gäste im Kreise nieder; in der Mitte, gerade der Schüssel gegenüber, 
sass die Alle. Die Ammen legten auf einen Stuhl einige kleine Stücken Brod, 
Salz und drei Slücklein Kohle. Die Freiwerberin stimmte das erste Lied „dem 
Brode und Salze (chljebu i soli)" an, und alle umsilzenden Gäste sangen mit ihr. 
Dieses Lied hat eine Masse von Varianten, doch ist und bleibt der Charakter 
und der Grundinhalt desselben fast in allen Gegenden Russlands, von Sibirien bis 
an die Grenzen Polens, sich gleich. 



Chljebu i soll. 

Dem Brode und Salze ein langes Sein (Jahrhundert); 

und unserem Kaiser ein längeres noch. 

Unser Kaiser, er werde nie alt, 

Seine guten Rosse, sie werden nie matt, 

Sein glänzend Gewand, es bleibe stets neu, 

Seine guten Diener, sie bleiben stets treu. 

Aus: Zapiski i zamjeczania o Sibirii ... y .... oj . M(oskwa) 1S37. 



Schuseelliedcr. 

Ruhm unserm Gott im Himmel — Slawa 

Unserm Kaiser und Herrn auf der Erde — Slawa 

dass unser Kaiser und Herr nie altern möge, Slawa 

sein blühend Gewand sich nie abtragen möge, Slawa 

seine guten Rosse nie vom Laufe ermüden mögen, Slawa 

seine treuen Diener nie im Gehorsam wanken mögen. Slawa. 

Dass Gerechtigkeit blühe im Russenland — Slawa 

glänzender als die helle Sonne, Slawa 

dass der Kaiser goldener Schatz Slawa 

in Ewigkeit voll sei und überfüllt. Slawa. 

Dass unsere grossen Ströme Slawa 

den Ruhm trügen zum Meere Slawa 

und die kleinen zur Mühle. Slawa. 

Denn dieses Lied singen wir dem Brode und Salze, Slawa 

singen dem Brode, geben die Ehre dein Brode, Slawa 

singen dem Salze, geben die Ehre dem Salze Slawa 

die alten Leute damit zu erfreuen, Slawa 

die guten Leute damit zu zerstreuen — Slawa. 

Nach Beendigung des ersten Liedes .hob die Freiwerberin den Stuhl in die 
Höhe und Hess Brod, Salz und Kohlen in die Schüssel fallen, und nun legten die 
Gaste ihre Sachen darauf; dann wurde die Schüssel wieder bedeckt. Nun stimmte 
man die andren Weihnachts- Tisch -Lieder (swjatocznyja podbljudnyja pjesni) an. 
Wahrend des Absingens dieser Lieder rührle die Freiwerberin in der Schüssel 
herum und mit dem Schluss des Gesanges schüttelte sie dieselbe. Ein jedes Lied 
halte seine Bedeutung; doch bedeutele ein oder das andere Lied in verschiedenen 
Gegenden nicht ein und dasselbe. An vielen Orlen hatten wieder verschiedene 

Digitized by Google 



115 



Lieder ein and dieselbe Bedeutung, je nach der Sitte der Gegend. _ Diese Tisch- 
lieder bedeuteten : eine baldige Verheiratung, Wiedersehn, Heirath mit Jemandem 
Ton gleichem Alter und gleichem Stand, Heirath mit einem Beamten, Brautstand, 
Armuth, Lebensttberdruss , Hochzeit, Reichthum, Erfüllung eines besondern Wun- 
sches, ein frohes Leben, Glück, eine Reise, Verheirathung an den Geliebten, Tod, 
Krankheit, Freude. So bedeutete Reichthum: 

Es kommt der Schmidt ans seiner Schmiede Slawa! 

er tragt ein Pelzlein gar schmal und schmachtig, Slawa 

der eine Schooss um hundert Rubel Slawa! 

der andre Schooss um ein ganzes Tausend — Slawa 

das ganze Pelzlein unbezahlbar nach dem Werth — Slawa. 

Nur bezahlbar aus des Ktisers Schatze, — Slawa 

aus des Kaisers Schatze, den goldenen Kassen — Slawa. 



Hochzelt. 

Es kommt der Schmidt aus seiner Schmiede Slawa, 

es tragt der Schmidt den Hammer mit — Slawa. 

Mein Schmidt, mein Schmidt, schmied' einen Kranz mir, Slawa 

schmied' einen Kranz mir, einen goldnen und neuen; Slawa 

aus dem Ueberbliebenen schmied' ein goldenes Ringlein, Slawa 

aus dem Abgeschnittenen ein goldenes Nadlein, Slawa 

denn mit dem Kranze soll ich mich kränzen, Slawa 

und mit dem Ringe die Hand mir ringen, Slawa 

und mit der Nadel das Tuch annadeln. Slawa. 



Heirath mit Einem verschiedenen Standes. 

Es flog der Sperber aus der einen Gasse — Slawa, 

es flog das Täublein aus der andern Gasse — Slawa, 

flogen zu einander und küssten einander, Slawa, 

umarmten einander mit den blauen Schwingen — Slawa. 

Und die guten Leutchen wunderten sich und erstaunten, Slawa 

wie Sperber und Täublein so friedlich ein Nest sich bauten — Slawa. 

Heirath mit dem Geliebten. 

Ach, die träge Faullenzerin, Slawa 

war sie doch so trage — Slawa 

öfter um Wasser zu gehen, Slawa 

und da (baut sie Schnee, Slawa 

auf einem schwarzen Tische auf, Slawa, 

und da thaute sie sich heraus, Slawa 

ein goldenes Ringelein, Slawa 

ein goldenes Ringelein, Slawa, 

ein drei gegliedertes Ringelein, Slawa. 

Wem wird der Ring auf den Finger kommen? Slawa 

Dem Burschen und dem Mädchen wird er kommen, Slawa 

dem jungen Burschen und dem jungen Mägdelein. Slawa. 



Mancherlei Bedeutungen, unbestimmt. 

Es windet, es windet sich frischer Hopfen, Slawa, 
um seine silbernen Stangen herum, Slawa, 
so wendet ihr Euch, ihr Knjasen und Bojaren, Slawa, 
um den rechtgläubigen Car herum. Slawa. 

Slaw. Jahrb. I. 16 

Digitized by Google 



116 



Nach jedem Liede sang der Chor den nur hier gebräuchlichen Refrain: 

Und wem wir's gesungen, dem bekomm' es wohl, Ruhm (Slawa!) 
Und wem es gefehlt, der muss' es verlieren, Ruhm! 
Der muss es verlieren, es kann nicht fehlen — Ruhm! 

Bei dem letzten Ringe wird gegenwärtig in den Gubernien um Moskwa herum 
kein Tischlied mehr gesungen; dem, glaubt man, stehe ein schlimmes Geschick 
bevor. Ganz anders denkt man in Sibirien und schon in den Städten jenseits der 
Wolga. Dort singt man dem letzten Ringe ein Hochzeitslied, dann aber rollt 
man ihn auf den Fussboden, um zu sehen, nach welcher Seite hin er kollern wird. 
Wenn der Ring eines Mädchens nach der Thür hinläuft, so wird sie heirathen; 
bei einem Manne aber bedeutet diess eine Reise. 

In den Golonien des Bezirks von Jarensk (Gouvernement Wologda) werden 
die Tischspiele ganz anders gehalten. Dort bringt man eine leere Schfissel, ohne 
Wasser, in das Zimmer und stellt sie auf den Tisch; dann kommt ebenfalls Brod, 
Kohle und Asche (statt Salz), das wird in Leinwand eingebunden und in die 
Schüssel gelassen. Hierauf macht ein Jeder der Anwesenden aus den Leinwand- 
flecken, aus Schnupftüchern und Halstüchern allerhand Figuren: Pferde, Kühe, 
Kinder, Vögel, allerhand kleine Wald - und wilde Thiere und dergleichen mehr. 
Ist nun alles in die Schüssel hineingethan, so stellen sich die Mitspielenden um 
den Tisch und singen das Lied: 

„Ruhm unserm Gott im Himmel, Slawa! u. s. w. 

wie oben S. 114. 

Während des Singens heben die Theilnehmerinnen die Hände und stampfen 
am Schlüsse eines jeden Verses ein Mal mit. dem Fusse. Dann setzt sich einer 
der angesehensten Gäste auf einen hohen Fussschemmel ; sobald nun das erste 
Lied ausgesungen, so heben ihn die Mädchen von dem Schemel auf und schau- 
keln ihn. Endlich ist das Schaukeln beschlossen, die Mädchen laufen zu dem 
Tische, und nehmen mit der grössten Behendigkeit aus der Schüssel, was einer 
jeden zuerst in die Hand fällt. Diese Sachen werden in einer Ecke des Zimmers 
in kleine Häufchen aufgeschichtet. Die Mädchen verbinden sich die Augen und 
dann geht die ganze Gesellschaft paarweise, immer ein Mann mit einer Frau, um 
den Tisch herum und singen anfangs Weihnachtslieder, später Reigenlieder. Wäh- 
rend des Singens bemühen sich die Mädchen, die einzelnen Leinwandbündel, die 
zerstreut hin und her liegen, aufzusuchen. Nach Beendigung dieser Ceremonie 
lassen sie die Binde von den Augen fallen und sehen nach, was einer jeden zu 
Theil geworden. Aus diesem nun werden allerhand Prophezeihungen gemacht. 

Sind nun alle Tischlieder abgesungen, die für die Swjatki gehören, so fängt 
man an „Gold zu verstecken («horonit zloto)." Von den Tischliedern wird im- 
mer ein Ring übrig gelassen. Diesen nimmt nun eines der Mädchen und geht 
rings um die Mädchen, welche in geschlossenem Kreise die Hände auf den Knieen 
fest an einander schliessen. Während der ersten vier Verse hat die Versteckerin 
den Ring in irgend eines Mädchens Hand gelegt, dieses hat ihn seiner Nachbarin 
gegeben und so ist er immer weiter gekommen. Endlich ist das Lied abgesun- 
gen, nun muss die Schatzgräberin rathen, wer das Gold begraben hält; errät h 
sie es, so ist dieses Spiel zu Ende, wenn aber nicht, so fängt das Goldgraben 
von Neuem an. (Wir brauchen nicht zu erinnern, dass dieses Spiel ganz mit dem 
deutschen „Thaler, du inusst wandern" übereinkommt.) Das Lied, welches man 
zu diesem Spiele singt, ist folgendes: 



Digitized by Google 



Spiellieder. 

Dieses, mein Gold, vergrabe, vergrabe ich, 

reines, mein Silber vergrabe, vergrabe ich, 

und bei Vaterchen im Erker, im Erker hoch, 

bei Mütterchen im Dachkammerlein, Kämmerlein; 

mein Ring, er fiel, er fiel 

in den Massbeerstrauch, Himbeerstrauch, 

in den schwarzen Johannisbeerstrauch. 

■ 

Rat he, rathe, Mädchen fein, 
rath', mein rolhes Mägdelein! 
in wessen Hand es möchte sein? 

Und wohl möchte gerne ich rathen, 
und wohl möcht' ichs gern errathen, 
wenn ich's könnte, wenn ich's wüsste? 

Und durch die Fluren eile ich, 

meine blonde Flechte flechl' ich, 

mit Seide sie durchwind* ich, 

mit gold'nen Spangen sie bind' ich. 

Ach, ihr Basen, ach ihr lieben Täubcbcn! 

Saget mir es ohne Hehl, 

gebt mein Gold mir schnell zur Stell: 

Sonst wird mich die Mutter schlagen, 

drei Mal morgens und am vierten; 

drei Mal mit der gold'nen Ruthe, 

am vierten mit der Perlenschnur. 

Und die Mädchen alle rathen, 
all' die rothen Mädchen rathen, 
können's nimmer rathen. 

* 

Der Ring, er fiel, er fiel 

in den Massbeerstrauch, Himbeerstrauch, 

in den dunklen Johannisbeerstrauch. 

Ei da erscheint der Ring, 
bei dem Bojaren, dem jungen, 
an seiner Hand, der rechten, 
an dem Finger, dem kleinen. 

Und die Mädchen alle rathen, 
können's nimmer errathen; 
all' die rothen Mädchen rathen, 
können's nimmer errathen. 

» 

Doch unser Gold ist wieder verschwunden, 
ist, wie leichter Sand, verschwunden, 
und nun muss es schimmeln, vermodern. 
Du jung Weiblein, auf nun! frisch! 

Schon früher bemerkten wir, wie ungemein schwierig es sei, den Ursprung 
der russischen Weihnachtsfeste anzugeben. Wir enthielten uns daher und werden 
uns auch für immer einer jeden weitläufigen Untersuchung hierüber enthalten. 
Doch können wir bei diesen letzten Spielen mit der Schüssel Wasser nicht um- 
hin, zu bemerken: dass diese Spiele sammt den dabei gebräuchlichen Liedern 
wahrscheinlich aus Griechenland nach Russland übergegangen. Dort kannte man 
nämlich ein Spiel und Lied unter dem Namen Kledon. Dieses Spiel spielten die 



Digitized by Google 



118 

Griechinnen, wenn sie die Liebe Jemandes und das künftige Glück oder Unglück 
bei einer Heiralh wissen wollten. Da kamen sie zahlreich zusammen» legten in 
ein mit Wasser gefülltes Glas Ringe, Goldreifen, Münzen und dergleichen, dann 
sangen sie Lieder und nahmen die Sachen während dess wieder hinaus. Das ab- 
gesungene Lied bestimmte das Schicksal der Griechin, deren Eigenthum heraus- 
gezogen ward. Doch hatten die Griechen nicht den Refrain: „Slawa Ruhm;" 
dieser ist nur bei den slawischen Russen üblich. 

Nach allen diesen muntern Belustigungen fingen die Gaste ernstlich an, sich 
zu heben, um nach Hause zu gehen. Der Hausherr und die Hausfrau mussten sie 
gar sehr bitten, noch ein Weilchen zu bleiben. Endlich liess man sich denn doch 
nicht mehr halten; nun ging es an das Abschiednehmen und das Begleiten, wel- 
ches allemal eine Stunde und noch langer dauerte; denn jeder Gast musste ein 
Geleite bis zum Thore bekommen. 

Je langweiliger diese ganze Ceremonie war, desto freier athmeten die rothen 
Mädchen auf, wenn die älteren Personen sich nun endlich entfernt hatten und 
Niemand mehr da war als sie selbst und ihre ,. Erwählten." Das erste Spiel, 
welches sie nun vorbrachten, hiess: den „Erwählten" rufen (Klikati suzenago); 
dann kamen allerhand Wahrsagereien zum Vorschein, bei denen die wohlerfahre- 
nen Ammen die erste Stimme führten. Erst die späte Mitlernacht machte diesen 
Belustigungen ein Ende. 

Nach der ersten Abendunterhaltung besprachen sich die Verwandten und Be- 
kannten, um ein kleines Fest in ihrem eigenen Kreise zu feiern. Hier traten nun 
die Männer wieder in ihr Recht und ordneten Alles nach ihrem Gutdünken. Es 
wurden einige Häuser bestimmt, in denen man an einem Abende sich belustigen 
wollte. Nach eingetretener Dunkelslunde wurden die Schlitten angespannt und die 
junge Herrschaft des Hauses , der Mann mit der Frau, fuhren maskirt mit bedeck- 
tem Gesichte aus, um sich zu vergnügen. Solche unkenntliche Gäste nahm man 
mit Freuden auf, bewirthete sie mit grösster Zuvorkommenheit und bemühte sich, 
unter der Hand zu erfahren, wer sie sind. War dieses lange Zeil nicht möglich 
auszuforschen, so nahm man seine Zuflucht zum Schaukeln; "einige Leute vom 
Hause fassten den Gast fest an, hoben ihn in die Höhe und schwenkten ihn in 
den Händen hallend hin und her, bis „er Busse thäte." So wurde der Gast ge- 
zwungen, sich zu erkennen zu geben — und vom Neuen begann das Trinken und 
Schmausen und Jubeln. Nach und nach kamen nun mehrere solche Gäste an; war 
die volle Anzahl da, so setzte man sich wieder in die Schlitten, um in anderen 
Häusern „im ganzen Zuge" d. i. in ganzer Gesellschaft zu schmausen und zu 
zechen. So zog man die ganze Nacht hindurch von einem Hause zum andern und 
kam erst zur Frühmesse nach Hause zurück. 

In den Städten und Dörfern waren besonders die Nächte des Weihnachtsfes les 
dazu gewidmet, um bei den lustigen Fahrten und den lärmenden Gastereien die 
alten Familienbündnisse und Verwandtschaften zu erneuern und neue Bekanntschaf- 
ten zwischen den jungen Leuten beider Geschlechter anzuknüpfen. Denn die Töch- 
ter der schlichten Bürgersleute und die Landmädchen waren bei ihrer einfachen, 
naturgemässen Erziehung viel zu schüchtern, als dass sie am Tage eine grössere 
Annäherung erlaubt hätten; überdiess wagte es auch Niemand aus den höheren 
Ständen, Vormittags auszufahren; diess war ein Vorrecht der Bojaren, welche ei- 
nen Tag wie den andern in ungeheuren Schlitten mit zahlreichem Gefolge vor 
Tische die Strassen der Städte auf - und abjagten und tobten. 

Aermere Leute, welche keine reichen Verwandten halten und niemals unter 
die Ehrengäste zu den Abendunlerhallungen eingeladen wurden, belustigten sich 
auf der Gasse in kleinen Kreisen. Maskirt dienten sie durch die unzähligen car- 
rikirten Gestalten jeder .Art und Form, die da zum Vorschein kamen, einer dem 
andern zur Unterhaltung Die Kühneren unter ihnen wagten es, von einem mas- 
kirten jungen Manne aus reicher Familie angeführt, in eines und das andere gast- 
liche Haus als Lustigmacher uud Kurzweillreiber zu gehen. Die Mädchen der 
ärmeren Classen dagegen versagten sich nicht die eigentümlichen Vergnügungen 



Digitized by Google 



119 — 

dieses Festes; sie kamen in bestimmten Familien zusammen, sangen ihre Tisch- 
iieder, gaben einander Rathsei auf und erzählten die alten Sagen, die sie von 
ihren Mflltern und Grossmflttern gehört. 

In den Städten Krestcy, Tichwin und Nowgorod nannte man die Kurz- 
weiltreiber bei dem Weihnachtsfeste Okrutniki. Dort zogen vom Abend des 
28. Decembers an alle Stände als Masken zu Fuss und zu Schlitten schaaren- 
weise durch die Strassen der Stadt, um „ein Licht zu suchen." Stand nämlich 
in irgend einem Hause auf dem Fenster ein Licht, so bedeutete das eine Einla- 
dung; nahm man aber bei Jemandes Ankunft das Licht vom Fenster weg, so hiess 
das, der Angekommene könne seiner Wege gehen. In der Regel wurde da, wo 
„Erwählte" wohnten, immer ein Licht ausgestellt, denn das zu unterlassen, wäre 
ein Schimpf für das Haus, für die ganze Familie gewesen. Der gewöhnliche An- 
zug einer Maske bestand: aus einem Kaftan von Matte, einem Kasakin von ver- 
schieden-farbigen Tuch - und Leinwandlappen, einem Handtuche, quer über die 
Schulter gebunden, mit einem grossen Messer daran, einer rothen Leibbinde mit 
einem .hölzernen Jagdmesser. Ein besonderer Theil dieser Okrutniki waren die 
Kniniki, Rollenspielcr, welche Histörchen und Mährchen erzählten und Volkslie- 
der sangen. 

Das russische Weihnachtsfest in Turopka, einem Bezirksstädtchen im Pskower 
Gouvernement, behielt seine ganz eigene Benennung, Subbolki, Sonnabende, bei; 
eine Benennung, wie sie in vielen Gegenden Böhmens, Galliziens und an den Kar- 
pathen der östlichen Abdachung gebräuchlich ist; doch darf man aus der Gleich- 
heit der Namen nicht auf die Gleichheit der Sache selbst schliessen. Die Sub- 
bolki von Turopka unterscheiden sich von denen der genannten Gegenden wesent- 
lich durch die Gebräuche, die das Volk an denselben hat. Bei den Subbotki spie- 
len die ehrbaren Wittwen von Turopka, bekannt durch ihre tadellose Aufführung, 
die Hauptrolle. Die Ceremonie des Festes ist e(wa folgende. Millen in dem Zim- 
mer wird eine farbige Laterne von Papier, mit Bändern geschmückt, aufgehängt. 
In dieser Laterne brennen einige Kirchenlichter. Vor Allers wurden diese Lichter 
als Geschenk von den Mädchen den Wittwen in das Haus gebracht: und damit 
hatte es sein eigenes Bewandniss. Das Madchen, dessen Licht am längsten brannte, 
hatte das längste Leben von allen zu erwarten. Wenn das Licht ruhig und gleich- 
mässig fortbrannte, so stand dem Mädchen ein ruhiges, zufriedenes Leben bevor ; 
flackerte aber Jemandes Licht wild auf, so halle das Mädchen Unglück, Unzu- 
friedenheit im Ehestande zu fürchten. Das gab nun ein grosses Fest. War bei 
einer Willwe eine beträchtliche Anzahl von Lichtern zusammen gekommen, so lud 
sie alle die Mädchen und eine zahlreiche Gesellschaft anderer Gäste ein, um das 
Niederbrennen der Lichter anzusehen. In einem grossen Halbkreise wurden auf 
der einen Seite des Zimmers Reihen von Bänken bis zur Decke hinauf errichtet, 
auf welchen die Mädchen sassen, die ihre Lichter brennen Hessen. Auf der ent- 
gegengesetzten Seite standen Bänke für die Männer, in der Mitte hing die La- 
terne und um sie herum waren die übrigen Lichter aufgestellt. 

Gegen Abend nun versammelten sich die jungen Turopkerinnen in dem Hause 
der Wiltwe zu den Subbotki, glänzend in dem prächtigen, uralten Nationalpulz. 
So lange die Zusammenkünfte, das Aufstellen der Lichter und die übrigen Vor- 
bereitungen dauerten, wurde das Thor fest zugeschlossen und bekam auch nicht 
ein einziger Mensch die Erlaubniss zum Eintritt. Nach Beendigung aller Zurü- 
stungen fingen die Mädchen an, festliche Lieder zu singen. Da erst wurde das 
Thor geöffnet und nun traten die unverheiralhelen Männer, einer nach dem andern 
ein. Mit Preisgesängen gingen die Mädchen den Männern entgegen, und wurden 
nun für diesen Preis von jedem Manne reichlich beschenkt. Die erhaltenen Ge- 
schenke wurden von den Mädchen der Wittwe gegeben, theils für die vielen 
Mühen und Sorgen, theils auch, damit sie das Dargebrachte auf ihren eigenen 
Putz verwende. Verheirathele Männer und Frauen hatten nicht das Recht, den 
Subbolken beizuwohnen; sie durften nur aus einem andren Zimmer oder von der 
Gasse aus durch's Fenster ihnen zusehen. Doch fängt man an von dieser Regel 



Digitized by Google 



allmählig abzuweichen. Die Subbotken bringen den Töchtern Turopka's unzählige 
Vortheile, denn fast nnr an ihnen wählen sich die Franen ihre Freier aus, fast nur 
an ihnen schliessen sich die jungen Manner fest und für ewig an die Mädchen. 

So feierten ehemals die „rechtgläubigen Christen" in Russland ihr Weih- 
nachtsfest. Die Enkel und Urenkel dieser achten National -Russen aber, die ge- 
genwärtige Generation, verkürzt und verflacht dieses Fest immer mehr und mehr, 
so dass der Yolksfreund die Aussicht hat, in einigen Jahrzehnten schon mit Be- 
dauern sehen zu müssen, wie dieser alten, ehrwürdigen Nationalsitte nur noch 
in den untersten Kreisen des Volkes, von den Bauern auf den Dörfern, einige 
Anhänglichkeit und Verehrung gezollt wird. 

Der wichtigste Abend war der Wasili - Abend ; er war der Glanzpunkt der 
russischen Swjatki. Für diesen machte man alle möglichen Vorbereitungen; die 
heitersten Familien - und die glänzendsten gesellschaftlichen Abendunterhaltungen 
wurden an ihm gefeiert; die Prophezeihungen dieses Abendes galten für die wich- 
tigsten des ganzen Jahres und gingen ganz gewiss in Erfüllung. 

In den Gouvernements hinter der Oka werden die Weihnachtsfeierlichkeiten mit 
dem Abende des vierten Januars beendet. An diesem Abende kamen die guten 
Mütter in vollem Putz in das gastliche Haus, und nahmen nach Beendigung aller 
Prophezeihungen und Wahrsagereien ihre Töchter mit sich nach Hause. 

j. r. j. 



Künste. 

JDer russische und der französische Soldat. 

Wir entnehmen folgende treffliche Charakteristik der beiden Nationen in mi- 
litärischer Hinsicht einem Werke, das zu Ende des vorigen Jahres unter dem 
Titel: „De la Russie et de la France. Entretiens politiques. Par un inconnn" 
in Paris erschien und manchen vortrefflichen Gedanken, aber auch manches schiefe 
Urtheil über die beiden Staaten und das Verhältniss der übrigen Nationen Euro- 
pa's zu beiden enthält. 

Der Franzose ist sorglos, der Russe resignirt; der Eine ist zu Allem bereit, 
der Andere beklagt sich nie über Etwas; der Eine vertraut auf seine Kräfte, der 
Andere verliert niemals die seinen. Der Franzose hat mehr Elasticität, der Russe 
mehr Schwerkraft. Der Eine ist lebendig, der Andere ausdauernd; der Franzose 
eilt behend, der Russe kommt auch an. 

Die Individualität verliert sich niemals in der französischen Armee: soviel 
Mann soviel Individuen. Die russische Armee ist kein Aggregat von Individuen, 
sie hat nur einen Geist und einen Körper. Der Franzose will von Allem den 
Grund kennen; er urt heilt, discutirt und disputirt: sein Ich tritt überall hervor. 
Der Russe discutirt nicht, noch urlheilt er, er führt aus; seine Kräfte wachsen 
mitten in der Ausführung; alle seine Geisteskräfte sind erschöpft in dem Gefühle 
seiner Pflicht; er behält nichts, als die Fähigkeit, zu gehorchen; für die Furcht 
hat er keinen Sinn mehr. In der französischen Armee herrscht die Liebe zum 
Ruhm und der Enthusiasmus des einzelnen Mannes; in der russischen dagegen 
Verläugnung seiner selbst und der Enthusiasmus des Gehorsams. Menschliche 
Leidenschaften erregen die erstem, das Gebot des Schicksals scheint die andern 
in Bewegung zu setzen. In der einen führt die Ehre vor Allem das Wort, in 
der anderen befiehlt die Disciplin; im Moment], wo es gilt, entwickelt eine fran- 
zösische Armee mehr Thatkraft und Bereitwilligkeit; immer aber ist mehr Ein- 
heit im russischen Heere, ist man mehr Herr desselben. 



Digitized by Google 



1*1 



In der Action ist die französische Armee drohend wie der Blitz; die rassi- 
sche unerschütterlich wie der Fels. Die ungestüme Tapferkeit der einen hat Et- 
was vom Losbrechen des Sturms, die feste Unerschrockenheit der andern gleicht 
der Unbewegl iihkeit der Zeit. Der Franzose ist furchtbar im Angriff, der Russe 
unermildbar im Kampfe. Der eine ist heftig, wie die Flamme, der andere wider- 
steht wie das Eisen. Mit Sturmschritt rückt der eine Tor, kaum ein Marsch ist 
die Retirade des andern. Einen unvollständigen Sieg hat man selten gegen den 
einen , leichte Vortheile aber nie gegen den andern. Alles ist möglich in den Au- 
gen des Franzosen, verlangt das Unmögliche vom Russen und er antwortet sofort: 
es wird schon gehen (mozna). Der eine misst die Gefahr, um ihr zu trotzen, 
der andere tritt ihr dreist naher, um sie ins Auge zu fassen. Der eine nimmt sein 
Leben für ein Schwerd, der andere seinen Körper zu einem Schild. Liest man 
Homer, so möchte man glauben, Achilles wäre ein Franzose und Ajax ein Russe. 

Der Franzose giebt sich seiner Phantasie hin; er sieht alles mit Ueberspan- 
nung an, Glück und Unglück. Es ist nicht russischer Charakterzug aus einem 
Extrem in das andere überzuspringen. Man gebietet in gleicher Maasse über den 
Geist wie über den Arm. Das Genie des Feldherrn wirkt auf die Franzosen wie 
das Feuer auf das Pulver. Das Gommando hat dieselbe Wirkung auf den Russen 
wie der religiöse Glaube auf den Menschen. Verachtung des Lebens ist Folge 
der Exaltation bei dem Franzosen, für den Russen ist sie Folge der Pflicht. Der 
eine opfert sich hin, der andere lasst sich todtschlagen *). 

Der Franzose ist ehrgeizig, der Russe Eroberer. Der eine will sich erhe- 
ben, der andere sich ausbreiten. Der eine sucht den Ruhm als Motiv zur Supe- 
riorität, der andere die Macht als Mittel zum Wohlsein und zur Bedeutung. Die 
Franzosen haben mit einem Satz Europa erobert, die Russen vermögen gewöhn- 
lichen Schrittes Asien ihren Gränzen einzuverleiben. Der Franzose hat sich frisch 
gekräftigt durch die Freiheit, der Russe kann ein anderer werden durch die Auf- 
klärung. Es scheint, ab habe die Vorsehung, als sie diese beiden Völker wie 
ein Paar Waagschalen an die entgegengesetzten Endpunkte Europa' s setzte, sie 
mit grosser Macht bewaffnete und ihnen gleiche Interessen und eine instinctartige 
Neigung sich einander zu nähern gab, den Frieden Aller den wechselseitigen Be- 
ziehungen dieser beiden anvertrauen wollen. Mot. v. Aehr. 



IV. 

Industrie und Oekonomie. 

1. Ungarns Anschluss an den deutschen Zollverein* 

Unter diesem Titel erschienen im vorigen Jahre in der „Pesther Zeitung" 
eine Reihe von Artikeln, die als „Votum" aus der Feder eines der Vorkämpfer 
der magyarischen Interessen, Ludw. v. Kossulh, geflossen sind. (Deutsch: Leipzig 
1842, Einhorn.) In den zwei ersten Artikeln spricht der Journalist über die Ent- 
stehung, den Endzweck und die Wirkungen des Zollvereines, wie sie sich bisher 
gezeigt haben. Die letzten fasst er mit den Worten zusammen: „Alles zusammen 
genommen kann man wohl behaupten, dass die Staaten des Zollvereins innerhalb 
zehn Jahren an Wohlstand, Industrie, nationalem Selbstgefühl und Nationalkraft 
um ein Jahrhundert vorwärts geschritten sind. In jenen zwei Worten: nationa- 



•) Der Verfasser will damit keineswegs den Rassen alle Thatkraft, allen Ehrtrieb ab- 
sprechen. Das slawische Blut glühte stets für den Kahm; aber in einer Parallele handelt 
sichs um die am meisten charakterisirenden Zuge, nnd diese glaubte er in der Heiligkeit 
des Kides und im Gefühle des Gehorsams zu erblicken. 



Digitized by VjOOQlc 



129 



les Selbstgefühl und Nationalkraft ist die wichtigste politische Seite der 
Wirkongen des Zollvereins angedeutet" Und etwas weiter unten heisst es: „Es 
ist unmöglich, nicht wahrzunehmen, dass der deutsche Fürstenbund innerhalb 25 
Jahren nicht entfernt so viel für die politische Einheit des deutschen Volkes ge- 
wirkt, als der Zollverein innerhalb 8 Jahren. Dieser kurze Zeitraum lehrt be- 
reits hinlänglich, wie das national - einheitliche deutsche Element im Verein auf 
alle Falle ein so lebendiges Selbstgefühl und entschiedenes üebergewicht gewon- 
nen hat, dass wir kühn behaupten können, dass ein Land, welches ein Glied des 
deutschen Zollvereins wird, dadurch zugleich ein Glied der deutschen Nation und 
darum über kurz oder lang zum deutschen Lande werde." — In dem dritten 
Artikel kommt es dann zu der Frage: ob der Anschluss Ungarns an den deut- 
schen Zollverein „gut, nützlich und wünschenswerth" sei? — Der ge- 
genwärtige Zustand Ungarns ist freilich kein sehr erfreulicher: Fabriken — ein 
oder zwei ausgenommen — sind gar keine vorhanden, die Bedürfnisse deckt gröss- 
tentheils die Industrie der östreichschen Staaten. Die ungarischen Rohproducte 
sind daher unmittelbar nur an Oeslreich gewiesen; da dieses aber — ausseror- 
dentliche Falle, dann Wolle und Tabak ausgenommen — selbst genug produzirt, 
so ist auch dahin die Ausfuhr nicht bedeutend, so dass ungarisches Gelraide oft 
gar keinen Käufer findet. Ueberhaupt war die Ausfuhr im J. 1837 nach Oest- 
rich 47,878,435 Fl.; nach dem übrigen Auslande 8,236,314 Fl. Die Einfuhr 
dagegen von dort 90,804,567 Fl. (also fast das doppelte), von hier 9,429,796 Fl. 
Im J. 1838 Ausfuhr: 61,684,121 Fl. und 9,527,922 Fl. tinfuhr aber 101,396,479 
Fl. und 9,969,496 Fl. Also mit geringem Unterschied. Demnach wäre ein er- 
weiterter Markt für Ungarn sehr wünschenswerth. Allein die Gesetzgebung, „wie 
sehr sie auch das Gewicht der T hatsachen fühle und gelten lasse, darf doch 
das Hecht nie aus den Augen verlieren." Dieser etwas dunkele Satz heisst mit 
anderen Worten so viel als: unsere Gesetzgebung darf nicht die Bedürfnisse und 
das Wohl unseres Lande» zum Massstabe nehmen, sondern die Bedürfnisse und 
das Wohl, die Foderungen und Tendenzen des M agy arismus. Wenigstens 
sind wir nicht im Stande, jene Worte anders zu fassen, wenn wir unmittelbar 
darauf lesen: ,,Nach dieser Constatirung des Standpunktes sei es uns nun ver- 
gönnt, zuerst zu fragen: Worin besieht die Hauptbedingung unseres Daseins? (un- 
seres d. i. Ungarns oder der Magyaren? denn diess beide ist bis jetzt noch Gott 
sei Dank nicht eins) und wir antworten ohne uns einen Augenblick zu bedenken: 
in unserer Nationalität! (das ist eine Lüge, eine erbärmliche Lüge!) 
Ohne sie kann die Nation, welche dieses Land bewohnen wird, sehr reich, 
wohlhabend und mächtig sein, aber — sie wird keine ungarische (soll wohl 
heissen magyarische) Nation sein. Wir aber sind eine ungarische Nation (ganz 
richtig: eine ungarische, d. i. eine von den ungarischen Nationen) und wollen 
es bleiben. Vor diesem Interesse muss jedes Andere in den 
Hintergrund treten!" Schmach und Fluch auf so liberale Grundsätze 
(und Herr Kossuth brüstet sich ja immer mit seinem Liberalismus!), welche die 
Macht, die Moralität, die geistige Bildung und Entwicklung von 11 Millionen 
darniederzuhalten und die Vorhandene zu Grunde zu richten befehlen, um einer 
asiatischen Horde von 4 Millionen es möglich zu machen, dass sie europäische 
Cullur annehme. — Und in Folge dieser Gesinnung wird der Anschluss Ungarns 
an den deutschen Zollverband abgewiesen. Denn derselbe beruht nach des Jour- 
nalisten Ansicht streng auf einer national - deutschen Grundlage, und es 
wäre „Thorheit, die Augen vor dem unläugbaren Factum verschliessen zu wollen: 
dass seit dem Bestehen des Zollvereins die deutsche Nation an Kraft, Einheit und 
Gemeingeist in 8 Jahren um ein Jahrhundert vorwärts geschritten ist" Und so- 
mit müsste sich auch in Ungarn nach seiner oben angegebenen Ansicht das Ger- 
manenthum ausbreiten und festsetzen. Nun wollen ja aber (oder wie sie sagen, 
müssen) die Magyaren nicht nur dieses verhindern, sondern auch noch die vor- 
handenen deutschen Elemente in Ungarn vernichten und sie so in sieh selbst 
absorbiren. Bei diesem Bestreben sehen aber alle Partheien ein, dass die Ent- 



Digitized by Google 



Wickelung Ungarns nur durch die je frühere Begründung eines ehrenwerlhen Mit- 
telslandes möglich werden kann; der jetzt vorhandene ist aber durchaus deutsch. 
Der Journalist gesteht das selbst ein: „Woher, fragt er, können wir am ersten 
jenen Mittelstand zu erhallen hoffen? aus den Bürgern der königl. Freistädte; 
dass aber dieser Mittelsland ein ungarischer sein müsse, und kein anderer sein 
dürfe — dies brauchen wir hoffentlich nicht erst zu beweisen. Unsere Städte 
sind aber dem grössten Theile nach noch deutsch, und zwar so deutsch, dass sie 
kaum noch irgend ein Merkmal der Magyarisimng verrathen (in Pressburg z. B. 
ist jedes dritte Jahr Landlag, und die ganze Kraft des Magyarismus, der sich 
Ton Zeit zu Zeit in seinen Mauern versammelt, glitt erfolglos an dessen Ein- 
wohnern ab); die Industrie in unserm Vaterlande ist deutsch, der Handel seinem 
Wesen nach deutsch und muss es (wie dies der Verf. der „Ansichten über die 
Angelegenheit des Zollvereins" ausdrücklich zugibt) durch denAnschluss an 
den deutschen Zollverband natürlicherweise noch immer mehr 
werden; und so würde denn aus diesem Anschluss unausweichbar folgen, dass 
unsre deutschen Städte, unsre deutsche Industrie, unser deutscher Handel nie und 
nimmermehr ungarisch würden. Und darum wäre unsre Nationalität gefährdet, 
nicht weil der Ungar zum Deutschen würde, sondern weil die Magy arisi- 
rung der deutschen Bürgerschaft (!!) unserer Slädle und mit ihr 
die Begründung eines uugarischen Mittelstandes verhindert würde. Nein, nein! 
zu solchen Experimenten sind wir noch nicht stark genug." Und dieser Grund 
allein ist hinreichend, dem magyarisirungswüthigen Kossuth jede Verbindung mit 
Deutschland für einen Bund mit der Hölle ansehen zu machen. Und einen andern 
gibt es eigenlich in der Thal nicht. Auch Kossuth ist sich dessen wenigstens dun- 
kel bewusst. Denn um den nur aus nationaler Rücksicht verworfenen Anschluss 
an Deutschland auch bei denen, welche von der magyarischen Nationalität mit 
ihm nicht gleiche Ansichten haben (und deren sind in Ungarn, selbst unter den * 
Magyaren ausserordentlich viele), verdächtig und unerwünscht zu machen, beant- 
wortet er im 4. Artikel die Frage: „ob ein solcher Anschluss in national - ökono- 
mischer Weise wirklich irgend einen dauernden Vortheil verspreche?" absichtlich 
mit Nein! und stellt die Sache in einem ganz schiefen Lichte dar. Der Anschluss, 
sagt er, würde die Begründung einer Manufacturinduslrie in Ungarn für alle Zeit 
unmöglich machen. Wir fragen: sollten denn durch den so erweiterten und guten 
Markt der ungarischen Rohprodukte nicht bedeutende Capitalien mehr dem Lande 
zufliessen und so die Manufaclurthätigkeit anregen? Würden bei der ungemeinen 
Wohlfeilheil der Nahrungsmittel nicht selbst deutsche Capitalien nach Ungarn ge- 
hen , um da in Fabriken zu wirken ? — Der Anschluss würde zweitens auch für 
die ungarischen Produkte keinen weitern Markt eröffnen, meint der Journalist; 
denn der Zollverein hat selbst Ueberfluss an Gelraide , und Schlachtvieh wird im- 
mer noch zahlreich ausgeführt. Würde denn aber, da durch den Anschluss an 
Deutschland die Verbindung in Kurzem ausserordentlich vermehrt und erleichtert 
werden würde (woran gewiss kein Zweifel), Deutschland nicht gern das viel 
wohlfeilere ungarische Schlachtvieh und Gelraide, das ja nach unseres Journali- 
sten eigenem Gcständniss in guten Jahren gar keinen Käufer findet, consumiren 
und sein theureres an England u. s. w. ablassen, und so auf die so wünschens- 
werthe Hebung und Vervollkommnung der noch „sehr zurückgebliebenen" Agri- 
kultur Ungarns die thätigstc Rückwirkung äussern? In viel höherem Grade gilt 
das noch von der Wolle. Und was sollen wir vom feurigen Ungarwein und vom 
Tabak sagen? Diesem letzteren gesteht der Journalist zwar einigen Vorlheil zu; 
allein da kommt er wieder auf „seine Nationalität" zurück, „vor der jede 
andere Rücksicht weichen muss"; denn dann würde man ja die Deutschen in den 
Freistädten nicht zu magyarisiren im Stande sein. Und vor den Deutschen scheint 
er eine besondere Angst zu haben, denn er wirft die Frage auf: „Ware es nicht 
eiBe keineswegs zu rechtfertigende Selbstüberschätzung, eine grundlose Tollkühn- 
heit, sich nicht mit dem slawischen Gegner zu begnügen , sondern noch als Stütze 
des in unserm Yalerlande sehr gewichtigen deutschen Elementes, uns den national- 
Slaw. Jahrb. f. 17 

Digitized by Google 



124 



slen Zustand des wackern und mächtigen deutschen Volkes freiwillig auf den Hals 
zu laden, ehe bei uns daheim die Nationalität — ich will nicht sagen festge- 
wurzelt, sondern an vielen Orten nur der Same dazu gestreut worden ist?" — 
Später einmal, nun da will er schon noch sehn, was sich thun lasst — Für 
jetzt findet der Journalist nur einen Anschlüss en Oestreich wflnscheoswerlh, fodert 
dafür aber freilich, dass Oestreich sich gegen Deutschland abschliesse. — Bei 
solchen Gesinnungen bleibt natürlich das Votum Ton Kossnth ohne alles Gewicht; 
wer so blind für die Interessen eines einzelnen Theiles eingenommen ist, ist nicht 
befähigt, eine Sache von so grossarligem und das Wohl oder Wehe des ganzen 
Landes in ihrem Schosse beherbergenden Folgen allseitig zu würdigen, noch viel 
weniger über sie abzusprechen. Die Verhältnisse müssen aas einem ganz an- 
dern Gesichtspunkte erwogen werden, als aus dem nationalen. Wir wissen frei- 
lich, wie man an der Donau gegenwärtig fast keinen andern Gesichtspunkt kennt; 
aber desto gespannter warten wir auf den nächsten ungarischen Landtag, der noch 
in diesem Jahre eröffnet werden soll! Wir wollen sehen, ob die Landesrepräsen- 
tation und die Regierung eine so verächtliche, alles Rechtes bare Gesinnung bil- 
ligt, oder nicht. 



V. 

Literatur und Kritik. 

!• Broschüren- Literatur über Ungarn* 

Die mit rascher Kraft sich emporarbeitende Nationalität der Magyaren in 
Ungarn hat die bestehenden Verhältnisse dermassen in Unordnung gebracht, und 
die ungeheueren Umwälzungen, die seit den letzten zwei Decennien geschehen, 
eine solche Menge von Stimmen pro und contra ans ihren Schweigen emporge- 
rissen, dass es dem der Sache etwas ferner Stehenden oft schwer wird, nur auf- 
zufassen, was hier Alles vorgeht; viel schwerer noch, ja fast unmöglich, sich 
ein klares Urtheil darüber zu bilden. Die Partheien sind sich selbst noch nicht 
ganz klar, wohin sie wollen; das zeigt sich aus der Masse der oft groben Wi- 
dersprüche der einzelnen Corypheen derselben. Dass unter solchen Umständen die 
Magyaren, bei denen nicht bloss die politische, sondern auch die pekuniäre Ue- 
bermacht ist, am schnellsten sich ihrem Ziele nähern, kann um so weniger be- 
fremden, als ihnen auch noch die künstlich erregle und stets vermehrte Furcht 
vor der Anhänglichkeit der ungarischen Slawen an Russland (?) auch wenigstens 
früher höheren Ortes zu Hülfe kam. 

Da die bei weitem überwiegende Anzahl der Bewohner Ungarns slawischen 
Stammes ist, und bei jeder Bewegung im Lande das slawische Interesse im höch- 
sten Grade betheiligt wird: so hallen wir es für unsere Pflicht, auch Ungarn mit 
allen seinen verschiedenen Nationalitäten (da sie denn nnn einmal ein Ganzes, als 
Staat, bilden) in das Bereich unserer Jahrbücher zu ziehen. 

Eigenthümlich mag es erscheinen, dass in neuester Zeit so viele einzelne 
Schriften über Ungarn in deutscher Sprache erschienen sind. Bei den Deut- 
schen haben beide Partheien sich zu verlheidigen, zu rechtfertigen, das Interesse 
der deutschen Literatur für sich in Anspruch zu nehmen gesucht. Der Grund da- 
von liegt theils in der Achtung, welche alle Partheien gegen die deutsche Wissen- 
schaft haben, theils in dem Umstände, dass die Kenntniss des Deutschen in Un- 
garn sehr weit verbreitet ist, und endlich und vorzüglich in dem Hasse der zwei 
Hauptpariheien gegen einander, welcher sie überzeugt sein liess, dass ihre gegen- 
seitigen Streitschriften von der andern Parthei nicht gelesen würden, eben weil 



Digitized by Google 



sie in der Sprache des Gegners geschrieben waren. — Die Anzahl dieser Streit- 
schriften nimmt alljährlich zu, und es thnt nolh, sie einmal zusammenzustellen. 
Wir thun diess vom Jahre 1842 an. Vorausschicken wollen wir nur noch die 
Grundtendenzen der magyarischen Parlhei, wie sie von einem Anhänger derselben 
(Graf Zay?) in dem Buche: „Protestantismus, Magyarismns, Slawismus (Leipzig 
1841, Georg Wigand)" S. 12 ausgesprochen werden: „1) Die gesetzliche Be- 
gründung des Rechtszuslandes aller ihrem heiligen Zwecke entsprechenden Reli- 
gionen auf die Principien der Gleichheit und Reciprocität; Union der augsburgi- 
schen und helvetischen Confessionsverwandlen. 2) Beförderung der Sittlichkeit und 
Intelligenz durch zweckmässigen Religionsunterricht ; geregelte Volks - und öffent- 
liche Erziehung. 3) Die Magyarisirung aller Nationalitäten Ungarns. 4) Das 
Festhalten des Grundsatzes: „nihil de nobis sine nobis", wie auch das einer ge- 
regelten Municipal - Comitatsverfassung. 5) Das Festhalten des Zweikammersystems ; 
Creirung einer erblichen Pairie. 6) Redefreiheit; ein loyales Pressgesetz; ein 
zweckmässiger Criminalcodex. 7) Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz; 
gleiche Verlheilung aller Staalslasten ; dessen natürliche Folge die Controle bei 
der Nation; Verantwortlichkeit der Minister Ungarns. 8) Zweckmässige Organi- 
sation der königlichen Freistädte und in Folge dieser erweitertes Wahl - u. Stimm- 
recht; völlige Emancipation des Bauernstandes und zu seiner Zeit (!) Verleihung 
des Wahl - und Stimmrechtes. 9) Aufhebung der Aviticiläl bei verhällnissmässi- 
ger Entschädigung des Fiscus. 10) Aufhebung der Gränzsperre. Die hierdurch 
verursachten Ausfalle in den Finanzen würden durch das Beilragen des Adels zu 
den Staatslasten mehr als hinlänglich gedeckt werden. Beförderung des Handels, 
der Industrie. 11) Aufhebung der Insnrrectionspflicht, jedoch allgemeine Mi litair- 
pfUchligkeit. Ungarische Armee. 12) Treues Aufrechterhalten der pragmatischen 
Sanclion , daher auch des Verbandes Ungarns mit Oestreich unter einem und dem- 
selben Herrscher, und zugleich der in jener uns garanlirten Selbstständigkeil Un- 
garns. 13) Treue und Anhänglichkeit bis in den Tod zum Könige, zur öslreichi- 
schen Dynastie; treues Aufrechterhalten und Verlheidignng deren gesetzlichen 
Rechte bis zum letzten Lebenshauche." — Wir wollen hier keine logische Un- 
tersuchung anstellen über die Form dieser Punkte; nur auf die Materie einiger 
machen wir aufmerksam, die uns besonders zugesagt haben. So das Festhalten 
des Zweikammersystems; ja sogar die Creirung einer erblichen Pairie; also das 
freie Ungarn, wo die Grundsalze der Gleichheit immer oben an gestellt werden, 
einen hohen Adel mit erweiterten Prärogativen? Und wozu dann die Magnaten, 
oder wer sind die eigentlich? Aber noch besser: Auch der Bauer soll emaneipirt 
werden; jedoch „zu seiner Zeil" d. h. wenn es dem Adel gefallig ist. Und wann 
komml die Zeit? — Wenn es im Vorlheile des Adels liegt oder — wenn er 
magyarisirt ist, oder aber — wenn der Adel nicht anders kann. Das beste ist 
jedoch Nr. 3. Die 4 Millionen Magyaren sind also gesonnen, die übrigen 11 Mil- 
lionen der Bevölkerung Ungarns zu magyarisiren ! In der Thal keine geringe 
Arbeit! Und diese muss bald vollendet sein, denn S. 9 desselben Buches heissl 
es: „So wird denn unser Vaterland nur dann gross und glücklich, wenn es ma- 
gyarisch wird!" Auf jeden Fall sind sie also in ein Paar Dezennien fertig! — 
Allein die Hoffnungen der Magyaren sind noch viel grösser; das zeigt sich am 
deutlichsten in dem Buche: 

1. „Ungarns Wünsche. Eine politische Abhandlung über die 
wichtigsten in dieser Hinsicht obschwebenden Fragen von Lajos v. K.... Leipzig 
1843, Reclam jun." Das Büchelchen, 112 S. in kl. 12., ist grösstenteils ge- 
gen den Wiener Advocaten Dr. Wildner v. Maithstein wegen seiner Schrift über 
das ungarische Creditswesen gerichtet. Die Polemik ist freilich sehr massiv und 
artet nicht selten in Plumpheit aus, wie z.B. S. 20, wo der Verfasser sein Buch 
eine „in schwäbischer Sprache" geschriebene Broschüre nennt (schwäbisch ist der 
verächtliche Spotlausdruck für deutsch). Der Streit entsteht über die Besteuerung 
des Adels und Clerus in Ungarn, die von beiden für nothwendig anerkannt wird. 
Die Verwendung dieser soll für Bauten von Canälen, Strassen , Eisenbahnen be- 



Digitized by Google 



1*6 — 

stüuml werden. Zur Ersparnis» sollen aucb einige ungarische Regimenter aufge- 
löst und dafür eine Nationalgarde errichtet werden. — Die Haupthindernisse des 
geringen Aufblühens der Industrie sind: I) der mangelhafte Credilzustnnd, 2) die 
Abneigung aller Volksklassen gegen grossere commercielle Unternehmungen , 3) der 
Mangel an Absatzwegen. Der Grund des Mangels an Credit für den ungarischen 
Adel liegt in der Unverändcriichkeit des Grundbesitzes (Aviticität) , nach welchen 
der Adelige nie sein Besitzthum verlieren, sondern nur als Pfand dem Creditor 
überantworten kann. Der Verf. sucht die schlimmen Folgen dieses Rechts so viel 
als möglich zu verdecken, weil er aus andern Gründen für die Beibehaltung des- 
selben ist. Denn: „Wer würde sich (heisst es S. 44.), so weit nach den jetzt 
vorliegenden Prämissen zu urtheilen erlaubt ist, possessioniren? Wer anders, als 
der Fremde (Deutsche? Slawe?), der Jude, der Wucherer und der wohlha- 
bende Bürger (die bekanntlich fast durchweg deutsch!)? Höchstens würden noch 
einige schuldenfreie Glieder der hohen Aristokratie und der wohlhabende Clerus 
auf Erweiterung ihres Besitzstandes spekuliren. Mit einem Worte, wir möchten 
in nicht langer Frist eine gänzliche Umkehr unserer socialen Verhältnisse erleben. 
Der unnalionale Geist käme in den Besitz der Macht..." Man sieht, der Ver- 
fasser weiss es recht wohl, aber will es sich nicht eingestehen oder wenigstens 
nicht öffentlich zugestehen, seine eigene Nation, die magyarische, sei zu trag 
und indifferent, um im Falle der Möglichkeil eines Ankaufes von Grundbesitz den 
emsigen und betriebsamen Deutschen und Slawen, so wie den Juden die Wage 
zu halten. Denn der achte Magyare liebt es, in seine Bunda (weiter Schafpelz) 
sich zu hüllen und sich ruhig neben seiner Herde Ochsen oder Schweine nieder- 
zulegen. Das Bebauen des Feldes und die Gewerbe überlasst er den Slawen und 
den Deutschen. Um Industrie und Handel im Lande zu heben, hat man vorge- 
schlagen, den Mittelsland zu heben. Allein hier tritt, wie überall, die Nationa- 
lität als hindernd entgegen. Ausdrücklich heisst es S. 54: „Aber die Bewohner- 
schaft der königlichen Freislädte mit ihrer corporativen Verfassung bietet uns 
durchaus keine hinreichende Garantie für die ungefährdete Entwickelung unserer 
Nationalität, wenn wir derselben erweiterte Rechte einräumen sollten." Also weil 
sie nicht Magyaren sind, so müssen ihre Interessen, die doch zugleich die In- 
teressen des Landes bleiben, unterdrückt werden. Selbst das Wohl des Landes 
wird so der Nationalität zum Opfer gebracht. „Die Bewohner der freien Städte 
(heisst es dann weiter) stammen von Deutschen, reden, denken, fühlen deutsch, 
und sind durch dieses natürliche Band ungleich inniger an Oeslreich als an die 
Nation geknüpft." Da nun aber die Notwendigkeit des Handels allzuleicht in 
die Augen springt, so rälh der Verfasser an, der magyarische (nicht ungarische) 
Adel solle sich auf dieses Feld werfen, und wie er jetzt nur Getraide und Schaf- 
wolle verkauft, auch anfangen mit Grütze, Graupen, Leder und Tüchern zu han- 
deln. Der träge, stolze, durch und durch aristokratische Edelmann!? — Der 
Verfasser nennt das nur einen „frommen Wunsch" von seiner Seite, und dabei 
wird es wohl auch bleiben. — Die genannten drei Hindernisse liegen in der 
ungarischen Nation selbst, sie kann sie beseitigen; nicht so die folgenden. Za 
diesen gehört erstlich schon die „verhängnissvolle geographische Lage" — von 
allen Seiten ist das Land mit Zolllinien umschlossen. — Dadurch ist es gehin- 
dert, seine Producte auszuführen; so dass es mehr consumirt als ausgibt. Ein 
solcher Zustand muss allmUhlig zum völligen Ruin des Ganzen führen, wenn nicht 
schleunig geholfen wird. „Mit bebender Lippe" und zitternd spricht der Ver- 
fasser das einzige Mittel aus, das hier retten könnte: „Verbinden wir Pesth und 
Fiume durch eine Eisenbahn!" S. 75. Die Summen zu dieser ungeheuren Anlage 
herbeizuschaffen, macht der Verf. folgenden Vorschlag (S. 92): „der Adel möge 
die sich ergebenden ausserordentlichen Ausgaben (auch zu Strassen, Canälen und 
dcrgl.), insofern sie nicht das Verhällniss seiner Vcrmögensgrösse und numerischen 
Menge überschreiten, in Zukunft übernehmen. (Ein für alle Mal?) Nach Verlauf 
einiger Dezennien wird es möglich sein, ein vollständiges Budget zu entwerfen, 
worauf eine gleichförmige Reparation zwischen sämintlichen Ständen des König- 



Digitized by Google 



reichs statt finden mag/' So fodert er z. B. für die Eisenhahn „jährlich einige 
Millionen." Freilich milsste dann die Dooane in Fiuine „nach dem Interesse der 
ungarischen Handelsinleressen" modifizirt werden. Diese Kleinigkeit haben die 
Ungarn nach dem Ausspruche des Verfassers „ein unbestreitbares Recht" zu lo- 
dern; sonst würden sie anfangen, „lebhafter daran zu mahnen, dass wir ein con- 
slitutionelles, ja beschworenes Recht haben, die Wiedereinverleibung Galiziens, 
Dalinaliens und Siebenbürgens in den Complex der königlich ungarischen Länder 
zu verlangen (und weiter nichts?). — Es kommt nur darauf an, dass wir diese 
unsere, gewiss nicht übertriebene (? ei! ei!), nicht unbillige (!) Forderung zur 
Conditio sine qua non (uun und was folgte? Steuerverweigerung? oder gar 
Losreissung? Brechung der „Treue und Anhänglichkeit bis in den Tod? bis zum 
letzten Lebenshauche?") machen, und bei edler, fester Beharrlichkeit werden wir 
auch zuverlässig unsere Absicht erreichen (wenn nämlich das Wiener Cabinet blir«! 
oder eine Memme wäre). Das Aufheben der ostreichisch- ungarischen ZolU\.ie 
stellt der Verf. als zwar für Ungarn an sich wünschenswert!!, aber für Oestreich 
selbst vernichtend und somit unmöglich dar. Indcss werde übrigens, so schliesst 
der Verfasser, das blödeste Auge einsehen und einräumen, dass der jetzige Zu- 
stand der Dinge ein vollkommen unerträglicher ist. Er bewirkt eine systemati- 
sche Schwächung und Erschlaffung der nationalen Lebenskräfte, da er sie ver- 
möge ihrer natürlichen Intensität nicht ganz zu er lo dien vermag. — Eine An- 
sicht, welche von den meisten unterrichteten Männern des Landes getheilt wird, 
besieht darin, dass mindestens die Hälfte aller im Lande consumirten 
Fabrikute aus den östreichischen Provinzen eingeführt werde, und dass wie- 
der mindestens die Hälfte derselben aus ungarischen Rohprodukten 
erzeugt sei. Wenn nun der Verfasser noch die Hoffnung ausspricht, man werde 
es nicht leugnen, dass seine „Tendenz aus edler Quelle strömt"; so sind wir 
weit entfernt, das Schöne und Erhabene in den Bestrebungen der magyarischen 
Patrioten nicht anerkennen zu wollen. Ungarn soll gross und herrlich aulblühen! 
Das ist auch unser herzlicher W T unsch und der unserer slawischen Brüder auf 
beiden Ufern der Donau, die sich in den geringen Wirkungskreisen, die man ih- 
nen noch belassen, gewiss redlich bemühen werden, Alles beizutragen zu der 
Grösse des geliebten Vaterlandes. Allein wenn der Verfasser seine Grundsätze 
über Nationalität und das Absorbirlwerden aller Individualitäten Ungarns durch 
den Magyarismus verficht, wenn er jedes Aufblühen des Vaterlandes nur dann gut 
heisst, wenn es für das Magyarenthum erspriesslich ist, und das Erheben jeder 
anderen Völkerschaft in den Koth tritt und als slaalswidrig darstellt: dann ver- 
nichtet er unsere ganze Achtung für ihn mit einem Schlage; wir sehn in ihm 
nichts als den blinden Fanatiker, der Recht und Gesetz mit Füssen tritt, der für 
die Gefühle der Humanität erstorben, die Moralität und den allen ehrwürdigen 
Charakter ganzer Nationen untergräbt, aus Egoismus, aus Liebe für sich und den 
Gegenstand, den er verficht. Verrath an der Sache der Menschheil, Verralh an 
dem Glauben und der Sittlichkeit, Verrath an dem Höchsten und Heiligsten, was 
die Menchheit hat, an Recht und Wahrheil, ist es, einem Volke seine Nationali- 
tät gewaltsam zu nehmen und es zu einem Zwillergeschlecht zu machen, todt für 
jede höhere Idee, abgestorben für alles Grosse, Wahre und Schöne. Und das 
wird jede Nation, der man eine fremde Individualität aufzwingt, und bleibt es 
Jahrhunderte lang. Noch ein Mal: Achtung und Segen dem Magyarenthum, wenn 
es in seinem Innern sich kräftig entwickelt: aber Schmach und Fluch, wenn es 
seine Gränzen übersteigt! 

Ungarische Wirren und Zerwürfnisse. Leipzig, Oito 
Wigand. 1842. — Ganz im entgegengeselztcn Sinne von dem vorigen Buche 
geschrieben. Der Verfasser gibt zwei Hauptursachen der Wirren und Zerwürf- 
nisse in Ungarn an, den Sprachenkampf und den Religionskampf. 
Der Druck der magyarischen Parlhei auf alle anderen Nationalitäten sei in der 
That furchtbar; die Absicht, jede andere Völkerschall zu vernichten, stehe klar 



Digitized by Google 



vor Aller Augen. Interessante Facta werden S. 12 angeführt, die wir uns nicht 
enthalten können, hier milzutheilen : „Dieser Unfog, heisst es da (dass nämlich in 
einer rein slawischen Gemeinde die Schulkinder in allen Gegenständen magyarisch 
unterrichtet werden und dass nur der Religionsunterricht noch slawisch bleibt), 
auf den sich die nyiregyhazer Magyaromanen gar viel einbilden, wird auch an- 
ders wo getrieben. Und das sollte heissen, neben der Mutlersprache auch die 
magyarische zu lernen! (das stellen die Magyaren als ihre einzige Foderung auf.) 
Denn warum führte man in Gemeinden, die aus lauter Slowaken bestehen, wi* 
zu Csetnek und Ochtina, magyarische Predigten ein? Warum wird zu Komlos 
slawisch und zu Dopschau deutsch gesungen, und dann magyarisch gepredigt? 
Hat man auch zu Kis Csalomia blos einen Nebenunterricht in der magyarischen 
Sprache beabsichtigt, als man auf dem Kirchenconvenle den Beschluss fasste: 
„damit die Nationalisirung durch den allgemeinen Gebrauch befördert werde, und 
wir selbst uns je eher magyarisiren , so soll man dahin wirken, dass jedes Schul- 
kind magyarisch zu beten, nach drei Jahren aber auch zu lesen, zu singen, ja 
sogar zu sprechen wisse." Diess war unter Androhung einer augenblicklichen 
Absetzung dem armen Schulmeister zur Pflicht gemacht. Ferner wurde beschlos- 
sen, der eben neugewählle Prediger habe jeden dritten Sonntag und am ersten 
Tage der hohen Feste magyarisch zu predigen. Am Charfreitage müsse der Got- 
tesdienst und das heilige Abendmahl magyarisch verrichtet werden (heisst das nicht 
das Heiligste profaniren?). So soll es ein Jahr lang dauern, nach dessen Ver- 
lauf in den drei nach einander folgenden Jahren wechselsweise magyarisch und 
slawisch gepredigt werden. — Spater auf die darauf folgenden Jahre hat man 
den Slawen nur jeden dritten Sonntag eingeräumt, und den Erwachsenen die hohe 
Gnade ertheilt, sich das heilige Abendmahl in der slawischen Sprache adminislri- 
ren zu lassen. Nach zehn Jahren dieser diocletianischen Verfolgung sind alle diese 
Slowaken fertige Magyaren, und der slawische Gottesdienst hört ganz auf. — 
Und dabei heisst es ausdrücklich: „Nur bei dieser Ordnung könne der neue Seel- 
sorger auf das ausgezeichnete Wohlwollen des Patronats rechnen." — Um end- 
lich diess Alles um so sicherer zu erreichen, so wird der „verehrte und in der 
Hoffnung alles Guten, Schönen und Wohlthätigen gewählte Seelsorger" ermäch- 
tigt, aus der Gemeindekasse so viel A-B-C-Bücher, Katechismen und Gesang- 
bücher (nota bene Alles magyarisch) anzuschaffen, als es Schulkinder giebt. Auch 
will das löbliche (?) Patronat bei der Schulprüfung die in der magyarischen 
Sprache ausgezeichneten Schüler belohnen. — Diese väterliche Fürsorge 
wird natürlich auch auf die Filialgemeinden ausgedehnt, und von nun an sollen 
die Leichenbegängnisse daselbst in magyarischer Sprache ausschliesslich gehalten 
werden. — Oder Freiheit, die man so ofi im Munde führt, und die eigentlich 
jene nur für sich behalten wollen, welche sich berechtigt glauben, dergleichen 
Vertilgungsgesetze zu machen, und eine ganze Gemeinde sammt Pfarrer und Schul- 
meister so zu beknechten! — Diese Beispiele widerlegen jene von einem berüch- 
tigten Manne (Grafen Zay) bis zum Ekel wiederholte Behauptung, der Protestan- 
tismus sei der Träger der Freiheit; denn wenn dieses Benehmen kirchlicher Be- 
hörden und Vorstände keine Gewallthätigkeit , und diese Lage lutherischer Slowa- 
ken keine Sklaverei ist, so sind die Peitschenhiebe der Sklavenaufseher lauter 
Liebeserklärungen und die vom Grafen Zay gefttrchlete '„russische Knute" höch- 
stens ein Diachylumpflaster. — „So viel ist also gewiss (so schliesst der Verf. 
seine Darstellung dieses Gegenstandes), es handelt sich von Seite der Mehr- 
zahl der Magyaren darum, die alleinige Oberherrschaft im Lande zu behalten, 
und die übrigen Bewohner „fremder Zunge" planmässig sobald als möglich zu 
vertilgen!" — Dabei drängt sich dem Verf. die Frage auf: „Womit be- 
schöntgen oder rechtfertigen denn die Magyaren ihre Anmanenn- 

fen, welche sie sich gegen die Nichtmagyaren erlauben?" — „Mit dem Rechte 
sr Eroberung!" ist die Antwort Der Verf. beweiset nun aber mit historischer 
Sicherheit, dass die Slawen das Land als Bundesgenossen besetzt hielten und 
dass es vor Kaiser Joseph Niemandem eingefallen, die Slowaken als Knechte der 



Digitized by Google 



1*9 — 

Magyaren anzusehen ; im Gegen th eile habe der slowakische Adel seit jeher gleiche 
Rechte mit dem magyarischen gehabt nnd Niemand sei bevorzugt gewesen vor 
dem Andern, als etwa die königlich privilegirten Städte. 

Die Zerwürfnisse und Wirren bestehen nun I. in der Kirche und den 
kirchlichen Ang ele genheiten. Die gemischten Ehen haben die Ka- 
tholiken und Protestanten gegen einander aufgebracht; die Lutheraner und die 
Reformirten (diese meist Magyaren, jene grossentheils slawisch) verachten einan- 
der aus Nationalhass , und weil der Graf Zay eine Union vorschlug, wird sie 
eben desshalb nicht zu Stande kommen, da sie auf jeden Fall als Mittel zur 
Magyarisirung verwendet würde. Die katholische wie die lutherische Kirche ist 
in sich selbst zerfallen und uneins; in jener herrscht die Hierarchie und der UI- 
Iramontanismus; in dieser der rüdeste Aristokratismus. Die Zerwürfnisse zeigen 
sich auch II. in Schule und Wissenschaft. Alle Unordnungen und 
Misshelligkeiten rühren hier vom Einführen des Magyarischen und von seinem 
Henschensollen her; die magyarische Jngend erlaubt sich unerhörte Frechheiten 
gegen ihre slawischen Lehrer. Die Wissenschaften liegen darnieder, und wenn 
die Magyaren in der letzten Zeit hierin etwas geleistet, so ist diess eine Folge 
der ungeheueren Geldopfer, welche theils das Land hergeben muss, theils einzelne 
Reiche freiwillig beisteuerten. Der Kampf ist auch III. im politischen Le- 
ben, d. i. zwischen dem Staat und der Kirche erwacht. Das päbstliche 
Breve über die gemischten Ehen hat das Placetum regium erhalten, ist aber ge- 
gen die Ansicht der Stande; der nächste Landtag wird hier entscheidend sein. 
Die meisten Zerwürfnisse äussern sich indess IY. unter den verschiedenen 
Nationen Ungarns. Von den unterdrückten Nationen sind die Slawen 
selbst Schuld an ihrer jetzigen Lage; denn früher haben sie ganz geschwiegen 
und selbst in der Neuzeit bis auf ein Paar „bittere Broschüren" keinen Wider- 
stand gegen das Aufdringen des Magyarenthums geleistet. Von ihren Coryphäen 
stelle sich der einzige Csaplowicz „unmaskirt" zur Vertheidigung hin. Ja unter 
den Magyaren selbst herrscht sogar die grösste Verwirrung; sie sehen endlich 
ein, dass durch die Heftigkeit einzelner Journalisten die Sache des Magyaren- 
thums erst recht verdorben ist. Ohne die Verfolgungen waren die Slowaken ru- 
hige und fleissige Einwohner geblieben, welche einer allmähligen Magyarisirung 
doch hatten näher gebracht werden können.. Nun aber ist Alles vorbei. (Vergl. 
unter Kritiken: „Nitra Almanach."). Die Zwietracht herrscht nun auch V. im 
Familienleben, der Gatte verachtet den Galten, das Kind erhebt sich wider 
die Eltern, der Bruder flucht dem Bruder um des Glaubens, um der Nationalität 
willen. Und wie schauderhaft sieht es VI. nun noch im wechselseitigen 
V er kehr , im bürgerlichen Leben aus! Niemand kann es sich denken, der es 
nicht mit angesehen hat. — Und so ist denn die jetzige Lage Ungarns eine in 
der That höchst traurige, und keine rettende Aussicht, die ihm Hülfe brächte. 
Wie wahr heisst es daher in dem Briefe des edlen Grafen Aurel Dessewffy, dem 
letzten, den er vor seinem Tode an seine arme Mutter schrieb: „Man muss täg- 
lich die Pulsschläge des Volkes belauschen, um genau zu erkennen alle die nie- 
drigen Leidenschalten, den Hass gegen den Besitz, die Ordnung, die Obrigkeit 
nnd die Gesetze; um zu kennen den gänzlichen Mangel an Religion, Grundsätzen 
und Sittlichkeit, und all' die beklagenswerthen Elemente, die in unserem Vater- 
lande gähren und sich mit schreckenerregender Schnelligkeit verbreiten. Man 
muss sie hören, diese in wissenschaftliche Systeme gebrachten Revolulionslheorien, 
man muss beiwohnen den von solchen Elementen geleiteten Comitatsverhandlungen, 
um vorherzusehen die Zukunft, der wir zueilen!" Und der Verfasser schliessl 
sein Buch mit den Worten: „Wie die Sachen jetzt stehen, sind die Anmassungen 
zu frech , anderseits die Aufregung der Gemüther durch Hass, Furcht und Kummer 
zu gross, das religiöse Gefühl, der Patriotismus, der Nationalismus zu sehr ge- 
spannt, als dass sich ein ruhiges Ende hoffen Hesse, wenn nicht eine höhere, 
göttliche oder menschliche, Hand eingreift, die im Stande wäre, diese Misslöne 
in Harmonie aufzulösen. — Gebe Gott das letztere, und_erleuchle die Köpfe und 



Digitized by Google 



1 



leite die Herzen zora Frieden! Hüten wir uns den Grundsatz aufkommen zu las- 
sen: Es mnss recht schlimm werden, ehe es wieder gnt werden kann!" 

(Wird fortgesetzt.) 



2. Das Elementarschulwegen in Oberschlesien. 

Bei dem Kampfe, der gegenwärtig zwischen dein polnischen und deutschen 
Nationalelemente in Oberschlesien erwacht ist, und der in mehreren deutschen und 
slawischen Zeitschriften von verschiedenem Standpunkte aufgefasst, nicht selten 
mit Heftigkeit und Bitterkeit fortgeführt wird, kommen uns die vom Oberlehrer 
Joseph Heimbrod in Gleiwitz herausgegebenen „Beitrage zur Kennlniss des 
Elemenlarschulwesens Oberschlesiens von 1764 bis 1838" wie gerufen. Der Ver- 
fasser kann gar nicht anders, als es höchst rechtlich und nothwendig finden, dass 
diese polnischen Einwohner je eher je besser vollständig germanisirt werden. 
Diese ruhige klare Uebcrzeugung lässt ihn denn nicht bloss jede Massregel zu 
diesem Endzwecke höchst lobenswerth erscheinen, sondern es presst ihm sogar 
allemal einen Herzensseufzer ab, wenn er sieht, wie wenig das deutsche Element 
um sich greife. Schon bei dem Jahr 1178 beklagt er (S. 3), dass das Deutsche 
nicht genug Einfluss auf Schlesien nehmen konnte. In einer geographischen Ue- 
bersicht giebt er dem Regierungsbezirke Oppeln (Oberschlesien) 248V 2 OMeilc 
Flächenrauin und 818,346 Einwohner. Wie viel darunter Slawen sind, bestimmt 
er nicht weiter (Schafarik zählt 44,000 Mahrer in Oberschlesien, die Polen giebt 
er ebenfalls nicht an). Doch giebt er zu , „der bei weitem grössle Theil der Be- 
wohner dieses Regierungsbezirkes ist polnisch und spricht polnisch", so dass man 
demnach wohl eine halbe Million Slawen annehmen kann. Auf der rechten Oder- 
seite ist „im Ganzen das Slawenthum noch vorherrschend in Sprache und Sitten, 
namentlich bei feierlichen Gelegenheiten, als Hochzeiten, Kindtaufen, Kirchweihen 
u. s. w. Dieser Unterschied ist auch die vorzüglichste Ursache, dass der polni- 
sche Oberschlesier dem Deutschen nicht recht gewogen ist, und besonders bei 
richterlichen und andern öffentlichen Verhandlungen, selbst wenn ihm das Verhan- 
delte durch einen vereideten Dolmetscher übersetzt wird, sich beeinträchtigt glaubt." 
Unter der öslreichischen Herrschaft wurde es nach des Verf. Meinung gewiss für 
eine Nebensache gehalten, Schlesien zu germanisiren ; „sobald aber Schlesien 
preussisch geworden, war es stete Bemühung der Regierung, die deutsche Spra- 
che immer mehr und mehr zu verbreiten." Schon Friedrich der Grosse erliess 
dahin bezügliche Befehle. „Seit jener Zeit sind die Befehle, die Einführung und 
Einübung der deutschen Sprache betreffend, stets erneuert worden. Aber noch 
bis diesen Augenblick, obgleich Schlesien jetzt hundert Jahre preussisch ist, ist 
die polnische Sprache bei dem grössten Theile der Einwohner die Muttersprache, 
und obgleich nicht geläugnet werden kann, dass durch die steten Bemühungen der 
Regierung, die deutsche Sprache immer mehr einheimisch zu machen, durch die 
Militaireinrichtungen, wo die jungen Oberschlesier in deutsche Provinzen als Sol- 
daten geschickt werden, durch die von Jahr zu Jahr verbesserte Einrichtung der 
Elementarschulen, viel Deutsch nach Oberschlesien gekommen ist, so ist der ge- 
meine Mann polnisch, und wenn er ja auf der Schule oder als Soldat etwas 
deutsch gelernt hat, so Terlernt er diess wieder in seiner Heimath, und es wer- 
den daher nur Wenige angetroffen, die im Stande sind, sich deutsch zu unter- 
halten. Bei dem weiblichen Geschlecht ist diess noch weit mehr der Fall." Seit 
dem Jahre 1816 dient das gleichsam im Mittelpunkte des polnischen Oberschle- 
siens gelegene Gymnasium zu Gleiwitz, welches grösstenteils polnische Schüler 
zählt, als Centraipunkt für die Germanisirung Oberschlesiens. Es sollen zwar nur 
Schüler, die gut deutsch sprechen, lesen und schreiben können, in diese Anstalt 
aufgenommen werden, allein bei Bauerssöhnen ist das nicht möglich, streng durch- 
zuführen; „und die Erfahrung hat gelehrt, dass solche Knaben binnen Kurzem 
ercht gut Deutsch lernten, und ihre deutschen Mitschüler nicht allein einholten, 



Digitized by Google 



sondern noch übertrafen, denn der Oberschlesier, ich spreche hier nur Ton dem 
polnischen (Oberschlesier, hat von Nalar sehr viele Geistesanlagen." Der den 
letzten Worten zu Grunde liegende Gedanke ist ein trefflicher Wink für den Psy- 
chologen und beweist, wie durch das Umgiessen in eine fremde Nationalität dem 
Volke sein höchstes Gut, die geistige Kraft und Befähigung, geraubt wird. Sollte 
das die „germanisirungswüthigen" Schlesier nicht zu einiger Besonnenheit führen? 
Dem oben erwähnten Edicte Friedrichs des Grossen folgte 1744 ein neues Schrei- 
ben an die Domainenkammer zu Breslau, das mit folgenden Worten beginnt: „Wir 
haben höchst missfällig vernommen, dass in Oberschlesien die Jugend im Christen- 
thuin, Lesen, Schreiben und Rechnen, am wenigsten aber in den ganz polnischen 
Gegenden in der deutschen Sprache unterwiesen werde, u. s. w." Und dennoch 
gab es damals ganze Städte in Oberschlesien, wo man nichts vom Deutschen 
wusste. So berichtete der Magistrat Ton Gleiwilz in demselben Jahre, dass in 
der Stadt zwar zwei Lehrer, dass aber beide der deutschen Sprache nicht mäch- 
tig waren. In Folge der nach jenem Edict eingegangenen Berichte wurde nun 
1764 eine detaillirte Instruction an die katholischen Pfarrer und Schullehrer in 
Nieder- und Oberschlesien erlassen. Allein alle diese Befehle nutzten nichts, da 
sich Niemand um ihre Ausführung bekümmerte, vorzüglich in den polnischen Ge- 
genden , wo das Nationalelement in Ruhe gelassen wurde, und wo noch lange Zeit 
hindurch in ,dem zur Erzdiöcese Krakau gehörigen Theile viele Geistliche aus 
dem benachbarten Polen angestellt wurden, die des Deutschen gänzlich unkundig 
waren. In einem besondern Rescripte von 1764 wird auf die Besetzung tüchti- 
ger und der deutschen Sprache hinlänglich gewachsener Schulmeister ge- 
drungen und absolut befohlen, dass an Orten, „wo die Schulmeister ganz polnisch 
sind, und weder deutsch reden noch lesen können, solche abgeschafft und dagegen 
ohne Widerrede von den Magisträten andere tüchtige Leute eingesetzt werden 
müssen, welche in beiden Sprachen völlig geübt sind." Wie viele Ungerechtig- 
keiten und Unbilden bei diesem Wechsel geschehen sein mögen, lässt sich denken. 
Zugleich wurde auch verboten, dass Kinder von Bauern und überhaupt aus dem 
niedern Stande zu den lateinischen Studien zugelassen würden. Wahrscheinlich 
wollte man dadurch bezwecken, dass bei den grossen Fähigkeiten, welche die 
polnische Dorfjugend nicht selten zeigte, dieselbe nicht in die höhern Stände 
empor sich dränge. Besonders streng ward verboten, in den geistlichen Stand 
zu treten; denn die Geistlichen sind ja überall die sorgfältigsten Pfleger der Na- 
tionalität. Später wurde sogar eine Art von Seminarien gebildet, und zwar für 
Oberschlesien die Schule der Stadt Ralibor und des Cislerzienserklosters zu Raud- 
ten, wo die Schullehrer „in der Kunst, die Jugend in der deutschen Sprache zu 
unterrichten", angewiesen wurden. Durch ganz Schlesien wurde die sogenannte 
Sagansche Methode (von dem Abt Felbiger) eingeführt. Ein neues Rescript von 
1767 verordnete, dass kein Knabe in die Lehre aufgenommen werde, „bis der- 
selbe sich durch ein Attest des Schulinspeclors über seinen erworbenen saltsamcn 
Unterricht in der deutschen Sprache sowohl, als im Rechnen und Schreiben legi- 
liinirt haben wird." Und so dringt denn jeder Befehl der Regierung mit aller 
Macht darauf, dass alle Stände allinählig germanisirt werden. Alle diese Ver- 
ordnungen nennt der Verf. „weise und gut", gesteht aber doch ein, dass „bei der 
weiten Entfernung der obersten Aufsichtsbehörde, bei der grossen Abneigung des 
Oberschlesiers gegen die deutsche Sprache, an ein Gedeihen nicht zu denken war." 
Und eben deshalb waren jene Verordnungen nicht weise, weil man die geringen 
Früchte solcher Bemühungen, die gegen den Hass, den man sich dadurch beim 
Volke zuzog, gar kein Gleichgewicht boten, hätte sollen voraussehen. Nach dem 
Tode Friedrichs des Grossen blieb das Schulwesen lange Zeit gänzlich unberück- 
sichtigt, bis endlich die strenge Verordnung von 1801 ihm ein neues Leben ein- 
hauchte. Allein die nächstfolgenden kriegerischen Zeiten vereitelten jede Wirkung 
dieser Massregeln. Erst nach dem Frieden, als 1816 in Oberschlesien zu Oppeln 
eine eigene Regierung eingerichtet wurde, ging man mit Ernst an die Verbesse- 
rung des katholischen Schulwesens im polnischen Oberschlesien. Nun hat man es 

Slaw Jahrb. I. 18 



Digitized by Google 



endlich dahin gebracht, dass in den" Städten, besonders in den grösseren, fast 
allgemein deutsch gesprochen wird. „Auf dem platten Lande, in dem polnischen 
Thcite Oberschlesiens , ein ähnliches Resultat zu erzielen, sagt der Verf., ist bei 
den vielen Hindernissen vor der Hand unmöglich; indessen niuss man, wenn man 
sonst nicht ungerecht sein will, eingestehen, dass auch hier geschieht, was man 
nur verlangen und wünschen kann. Ein Haupthinderniss ist und bleibt die Spra- 
che, das sobald nicht weggeräumt werden kann. (Warum nicht? — Mit einem 
Schlage! Man lasse nur den unglückseligen Gedanken fahren, das Landvolk ger- 
manisiren zu wollen, und richte die Schulen rein polnisch ein. Dann wird aller 
Zwiespalt zwischen dem Volke und den Schulbehörden auf einmal gehoben.) 
Sämmtliche Kinder sind polnisch, und wenn nun auch der Unterricht deutsch, 
wenigstens grösstenteils , ertheilt wird, so kann in den wenigen Schulstunden 
doch nicht genug geleistet werden." Natürlich! denn die Schüler müssen erst 
deutsch verstehen lernen, und das nimmt selbst bei slawischen Kindern (obgleich 
der Slawe jede fremde Sprache leichter erlernt, als sobald ein Auderer) wenig- 
stens zwei Jahre Zeil hinweg. Aller andere Unterricht während dieser Zeit ist 
verloren, und selbst dieser kann nur langsam vorwärts gehen, weil der Geist des 
Kindes übermässig angestrengt wird, indem dasselbe nicht nur auf den Gegen- 
stand, sondern vielmehr noch auf die Sprache Acht geben muss, in weicher er 
ihm vorgetragen wird. Der Verf. schliesst mit den Worten: „Nach der Ansicht 
vieler achtbarer Männer wäre es daher zweckmässiger, wenn auf dein Lande der 
Unterricht polnisch erlheilt würde, jedoch mit aller möglichen Berücksichtigung 
des Deutschen. (Allerdings, auch wir halten diess für nothwendig; vielleicht etwa 
so, dass das Deutsche in den letzten beiden Jahren als Unlerrichtsgegenstand be- 
handeft werde.) So lange die Kinder bloss in der Schule deutsch hören, und 
ausser der Schule durchaus keine Gelegenheit haben, sich weiter zu üben, kann 
hei dem besten Willen, und dem angestrengtesten Eifer, kein grosser Gewinn für 
Verbreitung der deutschen Sprache erzielt werden." 

• 

3. Kritiken. 

Wendische Geschichten aus den Jahren 780 bis 1182. Von 
Ludw. Giesebrecht. I. u.U. Bd. Berlin 1843, Amelang. 8. XVI, 309 u. X, 368 S. 
Das vorliegende Buch ist eines der inhallreichsten und werthvollslen Werke, wei- 
che in neuerer Zeit über slawische Geschichte von deutschen Gelehrten geschrie- 
ben wurden. Einzelne Bruchstücke desselben waren bereits im 0. und 7. Jahr- 
gange der Baltischen Studien mitgetheilt , und fanden schon als solche ein fast 
allseitiges Lob wegen der glücklichen Benutzung der vorhandenen Quellen und 
des weiten JJmfanges der in ihnen deponirten Forschungen. Gegenwärtig nun hat 
der Verf. das Ganze zusammengestellt und in drei ziemlich gleiche Bände einge- 
teilt, von denen der dritte im Februar d. J. erscheinen soll. Nach den eigenen 
Worten des Verf. umfasst das Buch „die Anfänge der Landesgeschichten von Hol- 
stein, Lauenburg, Ratzeburg, Meklenburg, Rügen, Pommern, der Mark Branden- 
burg und der Lausitzen zusammen, und greift nicht selten auch nach Polen, Böh- 
men, Sachsen, Dänemark, Norwegen, bis nach Island hinüber." Auf diese Weise 
behandelt der Verf. nicht nur die Geschichte aller der verschiedenen slawischen 
Volksstämme, welche Schafarik mit dem Namen Elbeslawen bezeichnet, sondern 
berührt auch die Verhältnisse der sie rings umgebenden Völkerschaften slawischen 
und germanischen Stammes; besonders die letzteren nicht selten mit bevorzugter 
Weilläufigkeil. Dadurch hat sich in sein Werk eine eigenthümliche Auffassungs- 
weise eingeschlichen, oder vielmehr umgekehrt ist seine Auffassungsweise Grund 
seiner eigentümlichen Darstellung. Prof. Giesebrecht schreibt nämlich nicht eine 
Geschichte der von ihm sogenannten „wendischen" Nation; weit entfernt davon 
trägt er nur vor, was die westlichen und nördlichen Germanen (und im Vorüber- 
gehen ein und das andere Mal die Polen und die Czechen) mit den Elbeslawen 



t 



Digitized by Google 



gethan haben. Er stellt die Ereignisse, welche diese Völkerschaften betroffen, 
nicht dar, wie sie von den Slawen selbst, aus ihrem freien Entschlüsse, aus ihren 
inneren Verhaltnissen, aus der Macht der Umstände ausgeflossen sind, sondern er 
schildert nur, was die Nachbarn an ihnen gethan, wie sie mit ihnen glücklich 
und unglücklich gekämpft haben, ohne weiter darauf einzugehen, was die „Wen- 
den" dann gethan, welchen Einfluss diese Ereignisse auf sie gehabt und wie hier- 
aus die folgenden Begebenheiten sich entwickelt haben; mit einem Worte: er 
schreibt keine innere Geschichte der Elbeslawen, sondern eine äussere. 
Und das dünkt uns ein sehr wesentliches Merkmal dieses Buches zu sein, dass 
wir es besonders hervorheben zu müssen glaubten. Der I. Band zerfallt in eine 
Art von Einleitung unter dem Titel: „Die Wenden" (S. 1 — 94), vielleicht der 
schwächste Theil des ganzen Werkes. Unter dem Abschnitt „das Wendenland 
und die Wendenvölker" gibt er eine Art historischer Geographie, wie sie in den 
germanisch -lateinischen Urkunden allmählig und in einzelnen Zügen zum Vor- 
schein tritt. Die Lander und Völkernamen werden dabei ganz in der Gestalt bei- 
behalten, wie sie in jenen Urkunden stehen; z. B. Luitizen, Welelaben, Wiltzen, 
die alle drei streng von einander unterschieden werden, Circipani, Zirzepani, 
Ciryszpani, Abodriten und dergL Ein zweiter Abschnitt: „Arbeit der Wenden" 
bespricht ihre Gewerbthäligkeit, Ackerbau, Vieh - und Bienenzucht, Handel, Kunst. 
In dem Abschnitte „Recht und Sitte der Wenden" werden Unfreie und Freie und 
unter diesen wieder mindere Freie und die Edelen unterschieden, wohl nicht ganz 
mit historischer Begründung. Ueber „Religion und Cultus der Wenden" wird 
sehr lange und sehr viel gesprochen, ein System in den Cultus natürlich nicht 
gebracht, der Naturcultus aber doch als vorherrschend bezeichnet. Dabei aber 
der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele dem Volke gänzlich abgesprochen. 
Dieses ist unbedingt falsch; denn die Stelle aus der Königinhofer Handschrift ist 
ganz falsch erklärt. — Dieses Capilcl führt uns denn wieder ein Mal recht klar 
vor die Augen, wie selbst so fleissige Männer, wie Herr Giesebrecht, so gar 
wenig gründliche Kenntniss über unser slawisches Alterthum haben; wie sie bis 
zur Stunde sich immer noch abmühen, die einzelnen, freilich oft sehr ergiebigen, 
aber doch immer auf einseiliger Auffassung und schiefer Bcurlhcilung beruhenden 
Berichte der alten Chronisten in ein Ganzes zu bringen, und da ihnen dieses nicht 
gelingt, lieber ein zerrissenes Flickwerk hinstellen oder langst besprochene und 
vielfach beschriebene Dinge von Neuem auftischen, ohne sich zu kümmern, was 
die slawische Literatur der übrigen Stämme Vortreffliches und Gutes über diesen 
Gegenstand bereits geleistet hat. Deutschlands Gelehrte sollten sich denn doch 
ein Mal überzeugen, dass wenn sie über die alle Geschichte gewisser jetzt mit 
deutschen Einwohnern besetzter Landstriche schreiben wollen, es ein unumgäng- 
liches Bedürfniss sei, erst wenigstens cinigermassen die Sprache des Volkes sich 
eigen zu machen, das einst diese Gegenden bevölkerte. Wie viele so augenfällige 
Mängel hätte der Verf. vermieden, wie viele so störende Schwachheiten beseitigt, 
wenn er nur ein wenig Bekanntschaft mit den slawischen Sprachen nachgesucht hätte. 

Nach dieser Art von Einleitung kommt nun der Verf. zu der eigentlichen Ge- 
schichte. Er fängt sie mit der Unterwerfung der West - und Oslfalen durch Karl 
den Grossen an und erzählt, wie der Kaiser nach dieser „zuerst mit den Wenden 
jenseits der Elbe unterhandelte." Ueber den ganzen vorangegangenen Zeilraum, 
Uber die Einwanderung und die Ausbreitung der Wenden und die alle Zertheilung 
des Landes unter dieselben, verliert er nirgends ein Wort, obgleich denn doch 
auch die allen Quellen manchen gewichtigen Fingerzeig darüber geben und die 
Sache an sich gewiss der Feder auch eines so tüchtigen Historikers, wie Prof. 
Giesebrecht ist, würdig gewesen wäre. Allein der Verfasser kümmert sich von 
seinen deutschen Standpunkte herab, wie wir bereits oben zeigten, nun ein Mal 
nicht im Geringsten um das, was die „Wenden" an sich betrifft, sondern nur in- 
sofern der deutsche Einfluss sich auf sie wirksam oder erfolglos gezeigt hat. 
Indess auf diesem Standpunkte hat er die allen deutschen und nordischen Quellen 
in einer Vollständigkeit und Umsicht benutzt, wie gewiss selten ein Anderer, und 



t 



Digitized by Google 



134 



darum hat das Buch, so einseitig es an sich ist, einen ungemeinen Werth für die 
Forschung der Geschichte des deutschen und westslawischen Mittelalters. Freilich 
lauft da nicht selten auch Manches mit unter, was an andern Orten Tollsländiger, 
genauer und besser schon längst dargestellt ist; aber man stösst auch wieder auf 
Capitel, welche das bisher Bekannte weit übertreffen. Die Hauptabschnitte, in 
welche der Verfasser seinen Gegenstand! zerlegt, sind im I. Bande: Die Begrün- 
dung der deutschen Herrschaft unter den Wenden von S. 97 — 150, d. i. von 
Karl d. Gr. bis zu den Ludolfingern in der ersten Hälfte des X. Jahrhunderts. — 
Die Begründung der römischen Kirche im Wendenlande von S. 151 — 201, d. i. 
die Nordelbinger Mission, das Erzstift Hamburg, die wendischen Bisthümer, das 
Erzbisthum Magdeburg. — Die Vikinger des Wendenlandes von S. 203 — 250. 
Die Jomsburg. — St. Adalbert der Slawe und der Abfall der Wenden bis auf Kaiser 
Otto III. und seine Wallfahrt nach Gnesen. S. 251 — 308. — Der II. Band be- 
ginnt mit dem Streite der Deutschen und Polen um das Wendenland S. 1 — 58. — 
Der Kampf der selbsterwachten Slawen oder: die Vernichtung der deutschen und 
polnischen Herrschaft im Wendenlande S. 59 — 124. — Als Folge dieses Kam- 
pfes die Freiheit und Verwüstung im Wendenlande S. 125 — 182, wobei Hein- 
rich IV. sich besonders thätig zeigt. — Erneuerung der deutschen Oberherrschaft 
(besondere Abodriten- oder Bodricen- Herzoge unter sächsischer Oberhoheit) im 
Wendenlande S. 183 — 218. — Erneuerung der Missionslhätigkeiten im Wenden- 
lande S. 219 — 288. Otto und Norbert, Hartbert und Vicolin; Bernhard. — 
Wirren aus der deutschen Herrschaft und den kirchlichen Bestrebungen im Wen- 
denlande S. 289 — 363. Die Kämpfe unter Kaiser Lothar. — Wir wünschen 
von ganzem Herzen, die Erscheinung des dritten Bandes möge sich nicht über die 
versprochene Frist hinausziehen. 

Diplomatische Geschichte der polnischen Emigration. Von 
•••r. Stuttgart 1842. Casü. 8. Vni u. 346 S. 

Die polnische Emigration bildet selbst in ihrem jetzigen Znstande, obgleich 
sie fast bereits 11 Jahre aus dem Vaterlande entfernt, obgleich sie in die ver- 
schiedensten Länder des Westens zerstreut, obgleich sie unter sich in die schroffe- 
sten und grimmigsten Partheiungen zerrissen ist, einen so interessanten Gegen- 
stand der Betrachtung und Aufmerksamkeit dar, dass sich unwillktihrlich jedes 
Auge nach der Seite hinlenket, wo eine Stimme über dieselbe sich hören lässU 
Und daran ist nicht bloss „jener übertriebene, jeden Vernünftigen zuletzt wahr- 
haft anwidernde Enthusiasmus, den die Polen und ihre Revolution bei der Um- 
wälzungsparthei (!!?) aller Länder fanden", Grund, wie der ehrenfeste und rit- 
terliche Herr Verfasser sich selbst auf das Deutlichste charakterisirend in den 
ersten Zeilen seiner Vorrede sich auszudrücken beliebt; sondern vielmehr noch die 
Ehrfurcht und die gewissermassen heilige Scheu, welche man dem Sturze einer 
grossen Nation zollte. Und dieses Mitgefühl wird der Verfasser, der einer der 
wüthendsten Feinde nnd Verächter Alles dessen ist, was polnisch heisst, nicht im 
Stande sein, aus dem Herzen der Völker zu vertilgen, in die es die allmächtige 
Stimme der Oeffentlichkeit mit hellen Zügen eingegraben hat Für jetzt wendet 
er jedoch noch das ganze Unmass seines Ingrimms gegen die Emigration: „es 
ist nicht mehr zu frühe, ruft er aus, der Welt über dieses Getriebe die Augen 
zu öffnen, nachzuweisen — so viel diess möglich — wo diese sogenannte Be- 
geisterung ihre Heimath habe, welches Geistes Kind sie selbst, was ihr letz- 
ter Zweck sei." Und dein Verfasser war in der That sehr viel möglich. Er 
theilt seinen StofT in drei Zeiträume ein: Geschichte der polnischen Emigration 
von dem Eintritte der ersten Flüchtlinge in Frankreich bis zum Schlüsse des Jah- 
res 1833 S. 7 — 25, Dann: Gesch. der poln. Emigr. in den beiden Jahren 1834 
und 1835 bis S. 102. Und endlich die Geschichte in der neuesten Zeit bis zum 
Schlüsse des Jahres 1841 bis S. 140. Seine Darstellung ist kurz und gedrängt; 
die Hauptfakta immer gehörig hervorgehoben, kurz, die Diction lässt nichts zu 
wünschen übrig. Ob aber die Fakta alle so und gerade in dieser Extensität 



Digitized by Google 



wahr, ob die Motive der Personen, die hier handelnd angeführt werden, immer 
aus reiner Quelle oder nur aus Ueberzeugung geflossen, ob alle Data historisch 
wahr oder nur moralisch wahrscheinlich sind: das Alles sind wir natürlich nicht 
im Stande zu beurlheilen, da wir der Sache von jeher viel zu fern standen, um 
in die geheimen Irrgänge dieser sich gegenseitig zerfleischenden Parlheiungen ein- 
dringen zu können. Doch können wir nicht umhin, nach reiflicher Erwägung des 
Gelesenen uns überzeugt zu halten, dass vieles, vieles übertrieben, manches rein 
erfunden sein müsse. Einzelnen Behauptungen mangelt in der That alle Wahr- 
scheinlichkeit; so viel Unbesonnenheit, so viel moralische Verderblheit, wie hier 
zusammen wirkend dargestellt wird, scheint uns ein Ding der Unmöglichkeit. 
Khen so wenig können wir uns entschliessen , die folgenden 62 „Dokumente zur 
Gesch. der poln. Emigration", wie sie der Verf. nennt (von S. 143 — 346), für 
durchaus ächt und unverfälscht zu hallen. Unser Herr # r verwahrt sich zwar 
dagegen, indem er jeden Zweifelnden in die Reihe jener wirft, „denen wir die 
letzte Trulzwaffe entwunden, denen wir — so zu sagen — die Blösse aufgedeckt 
haben" (wie fein und zart gesagt!). Auch sagt er ausdrücklich, solche „Ein- 
sprüche liegen in der Natur der Sache." Aber er setzt gleich hinzu: „Auf kei- 
nen Fall werde er indiscrel sein und die, welche ihn in den Besitz der Papiere 
gesetzt, den Händen ihrer Widersacher, den Dolchen von Meuchelmördern (! — ) 
überantworten." Solche Ausdrücke meint der Verfasser rechtfertigen zu können? 
Die Polen haben gefehlt, aber sie sind nicht Meuchelmöder gewesen. — Seine 
Worte zeugen klar genug, dass er auf keine ehrenhafte und rechtmassige Weise 
zu jenen Papieren gekommen ist; das steht fest. Wie ein Spion kennt er alle 
geheimen Schliche seines Gegners und scheint ihm Schritt für Schritt auf der 
Ferse zu folgen. Wie ist er zu der Kenntniss aller, selbst der geringsten Ein- 
zelnheiten gekommen? Hatte er einst mit zu jener Fahne geschworen, die er 
jetzt in den Koth tritt? Oder ist er wenigstens der Helfershelfer eines Ver- 
räthers ? 

Blicke in die vaterländische Vorzeit von Karl Preus- 
ker. Leipzig 1843. 2. Bdch. 241 S. mit 3 Sieindrucktafeln. 

Der Verfasser dieser Schrift sucht dem deutschen Volke durch Darbietung 
besserer Kost die alle, in Deutschland zumal wahrhaft giftig wirkende Roman- 
leserei zu verleiden. Er hat sehr richtig erkannt, dass geschichtliche Erzählun- 
gen dem Volke am meisten zusagen würden, zumal Erzählungen aus der Geschichte 
des eigenen Vaterlandes. Es sind hier jedoch keineswegs die gewöhnlichen Ge- 
schichtserzählungen für Schule und Haus gemeint, welche in hundert verschiede- 
nen Ausgaben Deutschland überschwemmen und als gewöhnliche Fabrikwaare nur 
geringen Nutzen zu schaffen im Stande sind, vielmehr sind hier in edler, gefälli- 
ger Sprache, welche dem höher Gebildeten ebenso mundet wie dem gewöhnlichen 
Manne aus dem Volke, die Resultate fast vierzigjähriger Forschungen des Ver- 
fassers über die Geschichte der Lausitzen, seines Vaterlandes und der benachbar- 
ten Provinzen, Meissen, Brandenburg und Schlesien, mitgetheilt. Wir gedenken 
dieses Buches hier nur darum, weil es auch für die slawische Wissenschaft man- 
ches Neue bietet und insofern es auch die Beachtung slawischer Forscher verdient. 
Des ersten Bändchens, welches dem Referenten eben nicht vorliegt, wird später 
gedacht werden; wir geben hier bloss die slavica im zweiten Bändchen an. 

Sehr wichtig auf langjährige eigene und unparteiische Anschauung begrün- 
det ist der §. 26 des zweiten Bändchens: „Die Sorbenwenden in der Ober - und 
Niederlausitz." Es ist darin fast alles zerstreute Detail mit vielem selbst Beobach- 
teten geordnet zusammengestellt. Unstreitig seit Hortschanskys Zeiten die beste 
Abhandlung über diesen Gegenstand. Sodann §. 27: „Ringwälle und älteste Be- 
wohnung der Gegend um Camenz und Budissin und der letzteren Stadt Belagerung 
im Jahre 1005." Ebenso §. 28: „Der Sibyllenstein, Protschna und Flinsslein"; 

20: „die schlesisch-lausitzi8chen Gebirgsmundarten und die früheren Bewoh- 
ner des östlichen Deutschlands (mit Dialect- Proben); $. 22: „früheste Schutz - 



Digitized by Google 



136 



and Opferorte der östlichen Oberlausitz"; §. 23: „Erz- und Eisenwaffen ans vor- 
chrislliclier ZeiL" 

Wir können hier bei der erstaunlichen Reichhaltigkeit der einzelnen Notizen 
und Forschungen nicht wohl Auszüge millheilen, empfehlen das Buch jedoch sehr 
angelegentlich allen slawischen Forschern, sowie allen Freunden der Geschichte 
der heutigen norddeutschen Provinzen. Mo*, v. Aehrenfeld. 

Theoretisch -praktische Anleitung* zur schnellen und gründlichen Er- 
lernung der cechisch- slawischen Sprache nach einer neuen, leicht 
fasslichen Methode. (Mit der neuen Orthographie.) Von J. N. Koneeny. Wien 
1842, Rohnnan. gr. 8. XII u. 276 S. 

Theoretisch -praktische Grammatik der slawischen Sprache 
in Steiermark, Kärnten, Krain und dem illyrischen Küstenlande. Von A. J. Murko. 
Zweite umgearb. und sehr verm. Auflage. Grätz 1843, Ferstl. kl. 8. VIII u. 267 S. 

Das Erscheinen praktischer Lehrbücher für eine Sprache, besonders wenn 
sich dasselbe wiederholt, ist immer ein Zeichen der Anerkennung für sie, und 
bezeuget nicht selten, dass dieselbe Werth für das Leben und Gewicht durch ihre 
Literatur hat. Im Böhmischen haben wir seit Kurzem drei solche Werke erhal- 
ten; das vortreffliche etwas umfangreiche von Burian, das von Ziak und das vor- 
liegende. Alle sind gut und für den Gebrauch recht zweckmässig eingerichtet. 
Das letztere ist überdiess noch in der neuesten Orthographie (j statt g, i statt j) 
geschrieben, und da es auch noch das sonst gewöhnliche System (z. B. der Brö- 
der'schen Grammatiken) in gewisser Hinsicht mit dem von Dobrowsky eingeführten 
acht slawischen Sprachsysteme verbindet, so hat es die meisten Vorzüge vor allen. 
Daher ist es denn auch bereits in Prag als Schulbuch eingeführt worden. Mit 
vorzüglicher Sorgfalt ist das Verbum ausgearbeitet. Weil aber der Verfasser von 
Dobrowsky abgegangen ist, so hat die Conjugalion eine so unförmliche Ausdeh- 
nung bekommen. Die fünf Conjugaüonen (woläm, ufim, piji, dgkuji, pasu) haben 
nicht weniger als 88 Anomala, und da giebt es noch viel unregelmässige For- 
men, die hier nicht angegeben. Nachdem die einzelnen Redetheile durchgenom- 
men und jeder einzelne derselben und jede besondere Regel mit sehr reichhalti- 
gen Beispielen znr Uebung belegt worden ist, kommt der Verfasser an die Mo- 
tion der Substantiva, nimmt noch die Dimunilion und Augmentalion durch und 
schliesst mit der Syntax, die er im Bausch und Bogen auf 10 vollen Seiten ab- 
macht. Dem Ganzen sind noch Gesprächsformeln und Redensarten (böhmisch und 
deutsch) und Leseübungen (böhmisch mit unterstehender Erklärung) beigefügt. — 
Die neue Methode, wie sie der Verfasser nennt, besteht darin, dass er sehr we- 
nig Regeln überhaupt gibt, zu jeder aber eine grosse Reihe von böhmischen Bei- 
spielen theils mit theils ohne gegenüberstehende Ueberselzung hinzufügt. Er scheint 
auf diese Weise den Charakter der Sprache mehr aus dem Gebrauche, als aus 
Regeln lehren zu wollen, was allerdings der einzig vernünftige, weil naturgemässe 
Weg ist. 

Weniger sorgfältig hat der Verf. der slawischen Grammatik diesen Weg ver- 
folgt, indem er es für besser gehalten hat, anstatt jener unmittelbar nach der 
Regel folgenden Beispiele eine Sammlung von 50 kleinen Abschnitten als „practi- 
sche Uebungen zum Uebersetzen aus dem Deutschen in das Slowenische" der ei- 
gentlichen Grammatik als Zugabe beizufügen. Auch dieses ist ein guter Weg, 
wenn nur die Beispiele selbst glücklich gewählt sind. Die Grammatik zerfällt 
bei Murko ganz nach der gewöhnlichen Form der lateinischen Schriften dieser 
Art in die bestimmten Theile. Declinationcn hat er bei den Substantiven vier; 
1. duh, tat, möi, grad, zöb; 2. riba, voda; 3. nit, klöp (Bank), mäli, cerkew; 
4. lice. Also nach dem Genus geordnet; nur bei den Femininen zwischen hartem 
und weichem Endkonsonanten unterschieden; obgleich z. B. möi bedeutend ab- 
weicht von duh; z. B. duhövu, muievu, tatovu, talovi, inozeTi u. s. w. Conjuga- 
tionen sind nur drei: delam, nagnem, vuclin, da der Verf. die sieben durch den 
Acccnt des vor dem Schluss-»» stehenden Vocals unterschiedenen Formen des 



Digitized by Google 



Presens in drei zusammen zieht. Zur grösseren Vollständigkeit werden aber auch 
die sechs Dobrowsky'schen Bildungsformen des Vernums durchgenommen , eine für 
die Forschung wichtige Beigabe. Schade, dass auch in der Declinalion nicht mehr 
auf das System Dobrowskys Rücksicht genommen ist. Das alle Imperfect 
auf -ch hat sich bei den Slowencen nicht erhalten, wie z. B. bei den lausitzer 
Slawen; dagegen ist der Dual ebenfalls durchweg gebräuchlich. Als nützlicher 
Anhang ist der Grammatik beigefügt, ausser den bereits oben erwähnten practi- 
schen üebungen zum Uebcrsetzen, eine „Sammlung der zum Sprechen notwen- 
digsten Wörter" von S. 214 — 226, fast ä la Meidinger; dann deutsche und slo- 
wenische Gespräche bis S. 251, die uns nicht ganz unzweckmässig scheinen, wenn 
gleich wir zu solchen Dingen nicht viel Vertrauen haben; endlich Uebungsstücke 
zum Ueberselzen in's Deutsche bis S. 267. Diese, die uns gerade für den Ler- 
nenden am wichtigsten scheinen, sind leider! nur in geringer Anzahl vorhanden. 
Der Verf. wird sie bei einer etwa folgenden Auflage gewiss bedeutend vermehren 
müssen, wenn er den Wünschen und Bedürfnissen vieler seiner Schüler genügen 
will. — Ein besonderes Verdienst dieses Buches ist es auch, dass der Verf. die 
neue böhmische Orthographie angenommen, statt der früheren, von allen slawi- 
schen Schreibeweisen gänzlich abweichenden. Wir stimmen gern mit ihm überein, 
wenn er in der Vorrede sagt:* „Durch die Wahl einiger öechisch- slawischen 
Schriflzeichen habe ich nur den schon in der Vorrede zur ersten Auflage dieser 
Grammatik von mir angedeuteten Weg, um die Dialecte der Westslawen durch 
eine gemeinschaftliche Orthographie einander zu nähern, nun wirklich betreten, 
in der vollen Ueberzeugung, dass die erwähnte Annäherung dieser Dialecte so 
lange ein frommer Wunsch bleiben wird, als die in der Literatur ärmeren und 
an Zahl unbedeutenderen sich nicht an die durch Cullur ausgezeichneteren und 
zahlreicheren Stämme anschliessen werden." Allein sonderbar ist es nun doch, 
warum sich der Verfasser gerade an die böhmische und nicht an die seinem 
Stamme doch viel nähere oder eigentlich verbrüderte illyrische Schreibeweise an- 
geschlossen hat. Wir sind im Stande, die Vorzüge der böhmischen Orthographie 
in vollem Masse zu würdigen; dennoch aber müssen auch wir mit Schafarik der 
sogenannten illyrischen den Vorzug vor ihr geben. Uns möchte fast bedünken, 
als habe sich hier gerade der Fainilienhass eingeschlichen, und Herr Murko nur 
darum die illyrische Schreibeweise nicht angenommen, weil er gegen die Illyrier 
überhaupt eingenommen sei, und ihnen nicht freiwillig durch einen solchen An- 
schluss an sie in die Hände habe laufen wollen. Wäre unsere Vennuthung wahr 
(was nicht unbedingt nothwendig, da wir Herrn Murko viel zu fern stehen), so 
sollte sie den Illyriern als Fingerzeig dienen, wie sehr sie sich massigen müssen, 
um die Stammesbrüder Slowencen nicht zu beleidigen und wie sie vielmehr durch 
die Macht der Idee einer gemeinsamen Vereinigung des gemeinsamen Volkes zu 
einer Literatur zu wirken haben, als wie jetzt mit der unglücklichen Idee des 
„Illyrismus" zu kokettiren. Herr Murko aber wird bei ruhiger Ueberlegung ge- 
wiss zuletzt selbst auf die Notwendigkeit kommen, sich der illyrischen Schreibe- 
weise auzuschliessen, ohne desshalb von der Eigenthümlichkeit der slowenischen 
Mundart abzuweichen. 

lläsne. Gedichte von W. Jaromir Picek. Prag, Haas e 1843. 12. 105 S. 
Herr Picek ist bereits seit einer Reihe von Jahren vortheilhafl in der böhmischen 
Literatur bekannt. Seine ersten Gedichte erschienen in den Kwety und der von 
Chmelensky herausgegebenen „Kytka" (Traube) und erwarben ihm schon damals 
manchen warmen Freund. Herr Picek ist einer von jenen Glücklichen, welche in 
jedem Dinge, das ihrem Herzen nahe steht, eine Reihe der angenehmsten Seiten 
entdecken und so Genuss haben an Dingen, an denen der gewöhnliche Mensch 
achtlos vorübergeht. Das leichte Gefühl der Anmuth, ohne vorwaltende Tiefe 
oder Umfänglichkeit, die Innigkeit der Freude über sein Vaterland, seine Liebe, 
sein heimliches und heimathliches Glück, welche in den Dichtungen Picek's im- 
mer und immer wieder kehren, finden bei jedem unverdorbenen und fein fühlen- 



Digitized by Google 



den Herzen bereitwilligen Eingang. Picek ist einer der besten Liederdich- 
ter Böhmens. Das ist sein Hauptfach; schwächer schon sind seine ernsten Ge- 
dichte; wie die vorliegende Sammlung, die aus zwei Theilen, 15 Gedichten und 
39 Liedern, besteht, deutlich an den Tag legt. Picek hat sich auch im Drama 
Yersucht; Wile'm Roimberk und Swatopluk erschienen bald nach einander auf der 
Bühne; keines aber vermochte sich länger daselbst zu erhalten. Es fehlte den- 
selben das Dramatische, Handlung und Leben. Es gab einzelne Stellen, voll 
Kraft und ergreifender Energie; aber die Kraft war keine dramatische, sondern 
nur lyrisch, die Energie sprach sich zwar in Worten aus, aber sie blieben hohle 
Fräsen, da man die That nicht sah. Solche poetische Unwahrheit kann nun wohl 
auf den ersten Anblick erfreuen, entzücken; aber ein zweites Mal gehört, lässt 
sie den Menschen kalt, weil er ihre Grundlosigkeit vorausfühlt. Daher wurden 
denn auch die Dramen Piceks bei der ersten Aufführnng immer mit Beifallssturm 
aufgenommen, während sie bei der Wiederholung jedes Mal ganz ruhig über die 
Bretter gingen. Picek ist durch und durch Lyriker und muss das bleiben, wenn 
er seine Nation, wenn er sich selbst liebt. Nicht die Art der Dichtung gibt den 
Werth dem Künstler, sondern die Gelungenheit, die YortrefTlichkeit, das Meisler- 
hafte in eben seiner Art. Ein ausgezeichneter Liederdichter steht nicht unter ei- 
nem vortrefflichen Dramatiker, und Picek scheinf berufen, der Liederdichter Böh- 
mens für die Gegenwart zu werden. (Eingesendet.) 

„Rok 1843.** Das Jahr 1843 in wissenschaftlicher, industrieller und 
publicistischer Hinsicht. 1. Band. Posen, Kamienski u. Comp. XI u. 147 S. 

Bei den mannichfaltigen Schwierigkeiten, welche der Gründung einer neuen 
Zeitschrift in Posen entgegengestellt werden, hat man sich gezwungen gesehen, 
eine Reihe von Artikeln, welche sonst in ein Journal abgedruckt worden wären, 
in eigenen Heften nach einander zu veröffentlichen. Unter dem obigen Titel sol- 
len in mehreren Lieferungen, zusammen 60 Bogen stark, eine Reihe solcher Ab- 
handlungen aus der Feder der besten „in - und ausländischen" Schriftsteller ge- 
sammelt werden. Der Preis für alle 60 Bogen ist auf 6 Thlr. angeschlagen. Der 
erste, uns vorliegende Band enthält eine Vorrede der Redaction, welche kraftvoll 
und nach der Wahrheit den jetzigen Zustand Polens in wissenschaftlicher und in- 
dustrieller Hinsicht schildert. „Alle (Zeit-) Schriften und Werke, die bei uns 
seit einem Vierllheii Jahrhundert erschienen sind, heisst es darin unter andern, 
haben entweder einen poetischen oder einen historischen Werth; erst in den letz- 
ten Stunden kaum dringen aus dem Nebel der deutschen Philosophie einzelne phi- 
losophische Begriffe zu uns hindurch und werfen die Strahlen der Wahrheit auf 
unsere heimischen Auen. Alle übrigen grossen Fragen der Zeit liegen brach, wie 
eine weite Steppe, in welcher, wie bei den wilden Söhnen der Ukraine, nur die 
Grabhügel der National -Niederlagen die einzigen Wegweiser sind, und gleicher- 
massen auch immer bleiben werden, wenn wir uns nicht auch auf diesem Felde 
orientiren und dort uns unsere Hütten bauen." Daher sei es nun Zeit, einen 
Schritt vorwärts zu thun. „Ohne politische Ausbildung, ohne Interesse und Theil- 
nahme an den Lebensfragen der Zeit, würden wir eine Null vor dem Einer ste- 
hen, welcher die lebendige, zeugungsvolle, fortschreitende Gegenwart ist." Ohne 
daher das Alterthum zu missachten oder die Männer, welche der Erforschung des- 
selben ihr Leben weihen, entfaltet sich darum eine andere Fahne vor unseren 
Blicken mit dem Losungsworte: „Vorwärts, nationaler Gedanke!" — Von dieser 
Idee geleitet, entschlossen sich die Herausgeber des „Jahres 1843", ein Collectiv- 
Werk zusammenzubringen, „das nun ein Reichstagssummarium sein möge, worin 
das Volk durch seine gelehrten und der Sache kundigen Repräsentanten seine 
Stimme abgebe, die grosse Frage allseitig beleuchte und zuletzt nach Massgabe 
der Ueberstimmung und der vernünftigen Ueberzeugung als Gesetz decretire." — 
Der I. Band enthält nun 5 verschiedene Artikel. 1) „Das Verhältniss der Philo- 
sophie zur Theologie von dem auch in der deutschen philosophischen Literatur 
wohlbekannten Bron. Trentowski. S. 1 — 94." In einer etwas allzu poetischen 



Digitized by Google 



Spracne verkündet der Verf. „enien entzückenden Morgenstern auf dcra Gesichts- 
kreise des polnischen Volksgeistes, der die Östlichen Wolken röthe, und die Sonne 
der Nationalphilosophie, welche gewichtig hinter den dunklen Schatten hervor- 
blicke." Unter 5 Abschnitten tragt er nun seine Meinung über Religion, Hiero- 
logie, Liberiinismus, Philosophie und Theologie vor', die von seinen früheren An- 
sichten nicht sehr abweichend, allerdings gelesen zu werden verdient. Der ästhetisch- 
philosophische Artikel: „Stellung der Dichter in der Gesellschaft" (S. 95 — 111) 
ist um so interessanter, als der Verf. Sew. Goszczynski (Goschczynski) selbst ei- 
ner der besten polnischen Dichter der Gegenwart ist. Einzelne Grundsatze, die 
darin aufgestellt werden, klingen eigenthümlich genug: z. B. dass der Verstand, 
die Phantasie, die Sinne und dergleichen an dem Körper haften; das geistige 
Gefühl aber sei die Hauptkraft unter den Seelenkräflen. Wie nun die Wissen- 
schaften jenen materiellen Seelenkraften entsprächen, so entspräche die Poesie 
dem geistigen Gefühl. Und dadurch ist die Poesie eines der Hauptorgane zur 
Darstellung der religiösen Wahrheit. Denn dann ist die Poesie die Erhebung des 
Geistes einer Creator zur Höhe des göttlichen Geistes; aber vermittelst einer Ei- 
genschaft der Gottheit, der Schönheit. Und auf diesem Standpunkte ist die Poe- 
sie die höchste Wahrheit in der schönsten Form. Diese soll nun der Dichter 
sichtbar darstellen, und darum muss er der vollendetste Ausdruck der Bewegung, 
des Fortschrittes, der Vervollkommnung sein. Denn er ist gewissermassen das 
Organ der Zukunft für die Gesellschaft; er hat so ziemlich dieselbe Rolle in ihr, 
wie die Ahnung, das Vorgefühl in der Seele des Menschen. So haben auch die 
epischen Dichter, wenn gleich sie mit der Vergangenheit sich beschäftigten, doch 
aus ihr nur den Rahmen zu ihren Bildern für die Zukunft genommen. Und darum 
stellt der Verf. die israelitischen Propheten als Muster für die Dichter auf; sie 
hätten ihre Stellung durch Religion und Prophelie im Volke gehörig eingenom- 
men. — Die nun folgende „Skizze der politischen Ereignisse im Jahre 1842 
von Wolniewicz" (S. 111 — 131) gibt eine kurze Uebersicht über den gegen- 
wärtigen Zustand der Lebensfragen Europa's. Gleich im Anfange wird Frank- 
reich die „Initiative des Fortschrilles" für ganz Europa zugeschrieben. Am in- 
teressantesten für uns war, was S. 116 über den russischen Einfluss in der Tür- 
kei, in den Donaufürstenthümern und in Serbien gesagt wird. In Hinsicht des 
Panslawismus sind wir, wie aus Artikel 1. dieses Heftes erhellet, ganz anderer 
Ansicht; und wir meinen, die Sache liege allzu klar vor Augen. Noch Niemand 
hat die Apostel des russischen Panslawismus genannt; man thue es doch; nur dann 
können wir an eine solche Tendenz in Petersburg glauben. Bis dahin halten wir 
uns an das, was sichere Fakta, und vor allem, was die Wahrscheinlichkeit ge- 
bietet. — Der 4. Artikel: „Von der Concentration der geistigen Bestrebungen 
und Leistungen im Grossherzogthum Posen von A. Cieszkowski" ist einer der in- 
teressantesten des ganzen Bandes. „Um einen Brennpunkt des wissenschaftlichen 
Lebens im Grossherzoglhum zu begründen (fängt derselbe an) und zugleich die 
Thätigkeit und Wirksamkeit der Bestrebungen zu erhöhen, welche zu einem all- 
seiligen Fortschritt des Geistes beitragen können, wäre zu wünschen, dass in 
Posen eine »Gesellschaft der* freunde des f ortschritte»" ge- 
gründet werde. Die wirksamsten Mittel, den Zweck der Vereinigung zu errei- 
chen, werden sein: 1) Eröffnung eines Kampfplatzes für schriftliche sowohl als 
mündliche Discussion aller die Gesammtheit betreffenden Fragen. 2) Die Heraus- 
gabe einer nach Massgabe des Reichthums an Material monatlichen oder viertel- 
jährigen Colleclivschrift, worin die in den Sitzungen vorgelesenen oder aufgenom- 
menen Abhandlungen zugleich mit dem Grundtext der Discussion, zu der sie An- 
lass gegeben, abgedruckt werden. 3) Eröffnung oder Feststellung von populären 
Vortragen über physische und geistige Wcissenschaften, die entweder das ganze 
Bereich einer einzelnen Wissenschaft oder auch die zugänglichsten und für die 
Menge Wissenswerthesten und nothwendigsten Resultate umfassen, wie das die zahl- 
reichen absichtlich zu diesem Endzwecke gegründeten englischen Vereine thun. 
4) Ausschreibung von Concursen und Aussetzung von Preisen für die Lösung von 

Slaw. Jahrb. I. 19 

Digitized by Google 



Fragen, welche der Verein oder aoch einzelne Personen für besonders wichtig 
und einer gründlichen Forschung werth halten werden. 5) Endlich die lieber- 
nähme Ton allerlei wissenschaftlichen Unternehmungen, welche wegen ihres Um- 
fanges und ihrer Wichtigkeit auf dem Privatwege nur mit Mühe Terwirklicht wer- 
den könnten." Ueber diese Vorschlage spricht sich dann der Verf. weitläufiger 
aus nnd thut die entschiedene Notwendigkeit ihrer Verwirklichung dar. — Der 
folgende Schlussartikel enthalt Nachrichten aus dem Gebiete der Wissenschaft und 
Literatur Ton A. Moraczewski, denen wir eine grössere Vollständigkeit gern an- 
empfehlen möchten. Sollte nicht ein möglichst vollständiges bibliographisches Ver- 
zeichniss aller im J. 1843 erschienenen polnischen Werke hier am Platze sein? — 
Wir sehen dem zweiten Hefte mit grosser Begierde entgegen. 

Gedichte Ton Apollon Majkow. St Petersburg 1841. Russlands 
Literatur hat ein eigenthümliches Schicksal. Die grössten Talente, die zu den 
schönsten Hoffnungen berechtigen, sterben in ihrer Blüthe dahin. Aber der Ge- 
nius der russischen Nation erstirbt nicht; immer und immer wieder tauchen junge 
Kräfte auf, welche, selbst durch die fauligen Sümpfe der von Partheisucht und 
Neid beherrschten russischen Kritik, sich Bahn brechen und in Kurzem zu einer 
Anerkennung kommen, welche von den wohlthäligsten Rückwirkungen auf ihre 
weitere Entwickelung begleitet ist. Zu diesen jungen Talenten gehört unstreitig 
auch der Verf. der oben bezeichneten Gedichte. Noch vor wenigen Jahren kaum 
dem Namen nach bekannt, findet er jetzt schon in den weitesten Kreisen Verehrer. 
Die ausserordentliche Einfachheit und Natürlichkeit, welche gegen die Geschraubt- 
heit und Verzerrtheit seiner übrigen Landsleute desto mehr absticht, je weniger 
sie sonst in dem Charakter des Russen liegt; die Naivität, welche auf jeder Seite 
seiner Gedichte den an Unnatur, Verstellung und Sucht nach Gelehrtheit gewöhn- 
ten Leser überrascht; die zarte Anschauung der Natur und das Versinken und 
Sichverlieren des ächt dichterischen Gemüthes in dieselbe; endlich der ungemein 
glatte, elegante und reine russische Vers, der den jungen Dichter nirgends ver- 
lässt: — diess sind die Potenzen, auf welche sich der Beifall gründet, den 
Majkow bei seinen Landsleuten findet. Besonders ist es die Natur, an welche sich 
das junge Herz Majkow's mit Innigkeit anschmiegt; sie begeistert ihn zu seinen 
schönsten Gedanken, von ihr lässt er sich aber auch leiten in den erhabensten 
Augenblicken seines Seelenlebens; sie ist ihm zugleich Führerin auf dem Gebiete 
des Schönen und Lehrerin in den Gesetzen der Kunst. — Unter seinen Dichtun- 
gen unterscheidet man zwei Hauptarien, welche durch ihren Charakter wesentlich 
von einander verschieden sind: eine klassische und eine moderne Dichtungsweise. 
Majkow hat für die Natur ein wahrhaft hellenisches Herz; seine Anschauung, 
sein Gefühl, seine Bilder und seine Phantasien tragen den unverkennbaren Stem- 
pel des Himmels von Hellas. Er hat die griechischen Dichter viel studirt, das 
sieht man überall. Es ist diess die erste Periode seines dichterischen Wirkens; 
in ihr steht er jetzt gross und glänzend da. Allein schon bricht der moderne 
Geist in einzelnen, wenn auch noch unklaren Strahlen, durch die attischen Wol- 
ken, und bürgt dafür, dass der Dichter auch zu der modernen Weltanschauung 
die Kraft erringen werde. 



Digitized by Google 



141 

VI. 

Specielle literarische Uebersicht. 



A. IZibliographie. 

Bemerkung: Die mit • bezeichneten Schriften werden später weitläuüger besprochen. 



I. Russische Schriften. 

a) Wissenschaften. 

32. Wissenschaftlich und gehaltreich ist 
die rassische Grammatik .von Alexander 
Wottokow: Pyccnaa rpaMMaraiiKa A.ieKcaa- 
Apa BocmoKOBa. Nach der Skizze seiner 
kurzen Grammatik vollständiger bearbei- 
tet. 5te Auflage. Ptrbg. Akademie 1842. 
8. XXII und 417 S. Die fünfte Auflage 
eines rein wissenschaftlichen Werkes zeigt 
den Werth desselben. Wostokow ist un- 
bedingt der gründlichste Kenner der rus- 
sischen Sprache und seine Grammatik die 
beste von allen, die einzige gute. Ein 
besondres Verdienst hat er sich um die 
Conjugation und um das Verbum über- 
haupt erworben, das sein Vorgänger, N. 
Grecz, auf eine Weise behandelt hatte, in 
der man unmöglich den Geist des russisch- 
slawischen Verbums aufsuchen konnte. 
Seit Wostokow's Grammatik erschienen, 
wurde sein System in allen Lehrbüchern 
dieses Faches zur Grundlage genommen. 

33. YpoKu PyccaoÄ TpaMMarnnRH : L e c t i o- 
nen der russischen Grammatik. 
Von A. Ochotin. Ptrbg. 1842. 8. 75 S. Kino 
ganz gewöhnliche Compüation; das Beste, 
dass sie so kurz ist. 

34. .lamHHCKafl TpaMMarnnKa: Lateinische 
Grammatik, von A. Leibrecht, ehemali- 
gem Lehrer der lateinischen Sprache ain 
Moskower Gouvernements - Gymnasium. 
Vierte Auflage, verbessert und vermehrt. 
Moskwa. 1842. 8. 278 S. Der Verfasser 
war einst ein tüchtiger Lehrer, das bewei- 
sen seine Schriften: „die deutsche Gram- 
matik," die „deutsche Chrestomathie" und 
die „lateinische Grammatik," welche immer 
noch ihren Werth haben und gesucht sind, 
trotz dem, dass sie schon zu den alten, 
d. h., vor vielen Jahren erschienenen Wer- 
ken gelieren. 

35. MempnRa rpeuecKaro fl3i>iKa : Metrik der 
griechischen Sprache. Von iwan 
Sinajski. Moskwa. Semen. 1842. 8. 110 S. 
Ein in einem schauderhaften, oft kaum ver- 
ständlichen Russisch geschriebenes Werk, 
das entweder eine Uebersetzung oder eine 
Compüation aus deutschen Schriften dieser 
Art sein muss. Als Lehrbuch der Metrik 
jedoch sehr brauchbar und darum verdienst- 
lich, weil es in der russischen Sprache 
bisher ein solches nicht gab. 

36. 3üuHK.ioneAiü ^oMOBo^cuiBa : Enzyclo- 
p ä d i e der Oekonomie und Hauswirth- 
schaft, enthaltend alle Gegenstände der 
verschiedenen Zweige der städtischen und 



der Landwirtschaft, der russischen Oekono- 
mie angemessen und mit Hinzusetzung der 
neuesten Versuche und Entdeckungen über- 
setzt aus dem berühmten, von der öko- 
nomischen Gesellschaft abgefassten, von 
Fr. Kirchhof herausgegebenen Werke. 1. 
Heft. Vom Humus (Ha3eMi>), seiner Ge- 
winnung und seines Gebrauchs als Mittel 
zur Verbesserung des Bodens. Moskwa. 
8. IV. 48 S. In einem populären Style 
geschrieben, beschäftigt sich dieses Werk 
mehr mit praktischen Anweisungen für die 
Landwirthe, als mit gelehrten Discnssionen 
und Streitfragen, und ist so für den Be- 
darf Russlands besonders geeignet. 

37. 06o3p*i>uie vcirfexoBT» naytin cc.ibcitaro 
Xo3fläcniBa bt» Poetin: Uebersicht der Fort- 
schritte der ökonomischen Wissenschaf- 
ten in Russland in dem letzten Trien- 
nium. Von K. Wcselowski. Ptbrg. 1842. 
8. 164 S. Das Buch behandelt zuerst die 
Ackerbausch ulen und ähnliche Anstalten in 
Russland und preist ihre Wirksamkeit-, dann 
kommt es auf die Agrikultur -Literatur zu 
sprechen, wo es die Leistungen der einzel- 
nen ökonomischen Werke und der in die- 
ses Fach einschlagenden Journale darstellt. 
Endlich bespricht es auch noch die Versu- 
che der Regierung und Einzelner, die The- 
orie in das praktische Leben einzuführen. 
Als der erste Versuch einer etwaigen 
Uebersicht leidet das Buch an mancherlei 
UnVollständigkeiten und Mängeln, allein 
der erste Schritt ist der schwerste und so 
kann man sich schon mit demselben zufrie- 
den stellen. 

38. 06o3|rbHic CBCK.iocaxapHaro npou3B<ucmna : 
Uebersicht der Rübenzuckerfabrika- 
tron. 1. Abthl. Moskwa. 8. 55 S. Mit 
Zeichnungen. Ein für die Kenntniss der 
Industrie Russlands wichtiges Buch. 

39. OnMcanic YcoBcpuicHcmBOBauiiaro cnocoöa : 
Beschreibung einer verbesserten Art den 
Rübensaft warm auszupressen. Von 
N. Sehischkow. Moskwa. 1842, Kirilow. 
8. 39 S. Beide Broschüren erschienen im 
Auftrage des Committcs der „Zuckersieder' 1 
und wurden unter die Mitglieder des Ver- 
eins ausgetheilt. 

40. 0 PoiKKa.vb n CnophiHbii: Vom Brand 
und Mutterkorn (?) in den Roggenähren 
und der Krankheit, die aus ihrem Genüsse 
entsteht. Moskwa. 1842, Kirilow; 2. Auf- 
lage. 12. 32 S. Kine kleine Broschüre für 
das Volk, recht nützlich. 

41. Hamypa^buaa Hcinopin 4.1a lOuomecmBa : 
Naturgeschichte für die Jugend. 
Nach der 7. franz. Auflage übersetzt. 1. Thl. 



Digitized by Google 



14* 



8. 229. S. mit einem Atlas. Moskwa, Semen. 
1842. 2. Thl. 156 S. Das ganze Buch 
enthält nur die Zoologie obgleich im Titel 
alle drei Naturreiche angekündigt sind. 
Aber selbst diese ist nicht vollständig. 
Schlechte Speculation ! 

42. Ilouafl ^amcKafl 6n6viiomcBa : Nene Kin- 
de r b ib I i o t h e k. Sammlung von Erzählun- 
gen für beide Geschlechter. Mit 8 Bildern. 
Ptrbg., Kraj. 1842. 16. 112 S. Meist über- 
setzte Erzählungen von geringem Gehalte 
in sehr schlechtem Russisch mit vielen 
grammatischen Fehlern. 

43. CeMeSubiu öecrfc^bi: Familien Unter- 
haltung; oder Sammlung von Erzählun- 
gen für Kinder. Ptrbg. 1842, Johanson. 
16. 176 S. Gewöhnliche Kindercrzäblun- 
gen, nicht ganz schlecht, aber mit ganz 
schlechten Lithographien. 

14. ^bmcKoe 3epita.io: Kinderspiegel, 
ein Sittenbüchlein für Kinder des ersten 
Alters. Frei übersetzt aus dem Deutschen. 
Ptrbg. 1842. 16. 163 S. Ist ein altes, 
russisch-französisches Buch, neu aufgelegt, 
und enthält eine alberne ? langweilige Er- 
zählung, die kein Kind liest. 

45. Tpu Kom<vvh Aisi ^-bmcu: Drei Lust- 
spiele für Kinder, von Anna Sonntag. 
Ptrbg. 1842. 12. 225 S. Gar zu überzu- 
ckert und dabei aller Wahrscheinlichkeit 
ermangelnd, dass es selbst die kleinen 
Kinder nicht glauben werden. 

46. ^,'hmch-iii Teanipi>: Kindertheater. 
Ptrbg. Borodin. 32. V. 95 S. Beide Stücke, 
der „Flatterhafte" wie „Mary Seymour" 
sind aus den: „Veillees de famille" recht 
gut übersetzt und für Kinder in der That 
sehr angemessen. Eine Fortsetzung wird 
versprochen. 

47. /l,nmH-XyAo»BHK'b : Das Kind als Künst- 
ler. l.Heft. Ptrbg. 1842. 8. 53 S. Eine 
sehr zweckmässige Anleitung, den Kindern 
beim Spielen das Zeichnen beizubringen, 
mit allerhand Figuren zum Ausschneiden, 
Zusammensetzen, Zusammenleimen u. s. w. 
Das erste Heft enthält nebst den allerer- 
sten Anfangsgründen (Linien, einfache 
Figuren u. dgl.) Vorlegeblätter von den 
gewöhnlichen Stubeninöbeln, dann von 
Wagen, angeschirrten Pferden und derglei. 
chen. Der Preis ist sehr niedrig angesetzt. 

48. Unter dem Titel 3irb.\v>«iha: Stern- 
lein, erscheint in Petersburg ein Journal 
für Kinder, das, von Alexandra Osipowna 
Jschimowa t der Verfasserin der „Familien- 
abende", der „Erzählungen des alten 
Mütterchens" und der „heiligen Geschichte 
für Kinder," redigirt, recht vielen Anklang 
lindet und selbst von der Kaiserin dadurch 
unterstützt wird, dass sie die Erlaubniss 
ertheilt hat, alle weiblichen Zöglinge der 
unter ihrer Protection stehenden Institute 
dürften es für sich halten. 

b) Belletristik. 

14. 3B-h3^o<iKa : Das S t e r n I e i n. Ver- 
mischte Schriften von Iwan Wanenko. Mos- 
kwa 1842, Lazarew. 2 Thl. 12. 146 und 
208 S. Wanenko hatte vor etwa einem 



Jahre bei seinem ersten Auftreten als er- 
zählender Schriftsteller (in Prosa), einige 
gute Hoffnungen erregt, die er aber nun 
durch den ersten Theil dieser Sammlung, 
welcher eine Reihe von wässrigen und 
geschmacklosen Gedichten enthält, auf ein 
Mal vernichtet. Des Matten und Geist- 
losen ist hier so viel zusammengetragen, 
dass man dem Verfasser in der That alles 
Talent, ja selbst einen feineren Geschmack 
abspricht. 

15. Ilauiii: Unsere (Gestalten^ wir?) nach 
der Natur gezeichnet. Herausgegeben von 
J. Isakow. 1842. 1. 2. 3. 4. 5. Heft. 40 S. 
Ein sehr glücklicher Gedanke: russische, 
charackteristische Gestalten in Schilderung 
und Bild vorzuführen. Es wird von K. 
Baschucki, welcher die Leitung des ganzen 
Unternehmens übernommen, mit ebenso 
vieler Umsicht als Glück ausgeführt. „Der 
Wasserträger," von Baschucki , mit einem 
sehr gelungenen Bilde , ist eine höchst 
merkwürdige und eigenthümliche Erschei- 
nung. „Das Fräulein (öapiamuH)" über- 
trifft denselben noch an Schlichtheit der 
Darstellung. 6. 7. 8. Lieferung. „Der 
Armee-Oflicier," eine geistreiche, lebendige, 
witzige Schilderung mit feiner Ironie; sein 
Bihlniss ist nicht ganz gelungen, zu wenig 
exaet. 9. 10. 11. Lief. Der „Todtengrä- 
ber" 33. S., eine Gestalt ganz aus dem 
Leben gegriffen, voll Wahrheit und Cha- 
rakter. Die Ausstattung der „Unseren" 
ißt wahrhaft ausgezeichnet und gibt denen 
des Auslandes nichts nach. Druck, Papier 
und Polytypage wetteifern mit einander. 

16. ,ZI,epeBencKan 3u6aiuian Cmapyuitta: Das 
unterhaltende Mütterchen auf dem 
Lande, die am Abend volkstümliche, 
lustige Sagen und verschiedene, alte, närri- 
sche Dinge erzählt. Moskwa. 1842. 8. 
274 S. Eine Sammlung von verschiedenen, 
alten und neuen Erzählungen , die im 
Volkstone gehalten sein sollen, obgleich 
sogar ein „Eduard (deutscher Name) Ca- 
rewiez" darin vorkömmt 

17. IIoB-bcmn n Ch-a3aHiii Hapo^öm» CiaBAHCKaro 
llaeMcnn: Erzählungen und Sagen des 
slawischen Stammes» Herausgegeben 
von J. Boriczewski. Zweiter Theil. Ptrbg. 
1842. 12. 192 S. Eine interessante Samm- 
lung. Vorliegender Theil enthält 28 sol- 
cher alten Sagen. 

18. Map»HHi>i: Die Marannen. histori- 
sche Erzählung von Ludwig Philipsohn. 
Bernhard Birtensohn. Odessa. 1842. 12. 
269 S. Der Uebers etzer, ein Schüler der 
hebräischen Schulanstalt in Odessa, hat 
sich als tüchtiger Kenner des Russischen 
bewährt. Das Original ist in Deutschland 
bekannt; wir können nur bedauern, dass 
er nicht eine auch in Deutschland mehr 
in Ansehen stehende Erzählung zu seiner 
Arbeit gewählt hat. 

19. Ko3e.n> ByHnioBiii.nK'b: Der Ziegen- 
bock als Revolutionär. Neue Er- 
zählung. Zweite Auflage. Moskwa. 
1642, Lazarew. 8. 81 S. Eine alte Er- 
zählung, mit neuem Umschlag und Titel- 
blatt — als zweite Auflage. Also kennt 



Digitized by Google 



man in Russland diese Kunstgriffe auch 
schon? Di« Kultur macht Fortschritte. 

20. /^B-biia^ivuiib MisrnueRit : 12 M o n a t e oder 
der Wechselseitige Kreislauf des Lebens 
und der Natur (t). Ein Kranz geflochten 
aus 12 Erzählungen, den jungen Freunden 
der Natur gewidmet, mit 12 Kupferstichen. 
Moskwa, Semen. 162 S. Hin Neujahrsge- 
schenk, aus Spekulation geschrieben. Ei- 
nige entlehnte Erzählungen gut, die an- 
dern, eigenen, schlecht. 

21. Pokoko: Rococo, Sammlung von 333 
Erzählungen, Schauspielen, histo- 
rischen Skizzen und Erzählungen, original 
und übersetzt. Herausgegeben von A. 
lfolkow. 1. Buch. Zweite Auflage. Mos- 
kwa 1842, Lazarew. 12. 63 S. Die Samm- 
lung ohne Umsicht und ästhetischen Ge- 
schmack; die Sprache gedehnt, matt, farb- 
und lebtos. Eine reine Buchhändlerspe- 
kulation. Dasselbe gilt von der: 

22. BtiöaiomeKa PuMaiioBii: Bibliothek von 
Romanen, Krzählungen, Reisebeschreibun- 
gen u. dgl. Herausgegeben von A\ Ulitinin. 
3. Lief. 1. Heft, die „Unbekannte." 8. 
138 und 124 S. in 2 Thin. 2. und 3. Heft, 
die „Familie Kastalski." Roman in 3 Thln. 
126, 86, 124 S. Moskwa, Stepanow. 1842. 

23. * lIoxojK^eifui Uu'iuuoBa u.iu MepiiiBbin 
^uiu: Schicksale Cziczikow's oder 
die todten Seelen. Dichtung von N. 
Gogol. Moskwa. 1842. 8. 475 S. Ein 
Roman, der ungewöhnliches Aufsehen 
macht, über den wir im nächsten Hefte 
uns weiter aussprechen. 

24. * K) 3bMa HempoBuwb Mupnuiea-b ! Cosmas 
Petrowicz Miroschew; russische Erzählung 
aus den Zeiten Katharina's II. von M. N. 
Zagoskin. Moskwa. 1642. Stepanow. 4 Tbl. 
12. 200, 248, 279 und 296 S. Eine der 
ausgezeichnetsten Erscheinungen der rus- 
sischen Literatur, 

25. A.ib<{rb it Ajb^oiia: Alf und Aldona, 
historischer Roman in 4 Bänden. Von N. 
Kukolnik. Ptrbg. 1842, Glazunow. 12. 
267 , 286 , 235 und 260 S. Schon im 
1. Heft S. 33 erwähnten wir der ungemei- 
nen Thätigkeit Kukolnik 1 s für die Bühne; 
hier finden wir ihn in einem andern Lite- 
raturfelde; auch in diesem leistet er Vie- 
les, sehr Vieles, und das nicht bloss Mit- 
telmassiges. Herr Kukolnik hat unbedingt 
viel Talent, er ist einer der wichtigsten 
russichen Literatoren der Gegenwart, allein 
er ist nicht das, wozu ihn einige Journa- 
listen erheben wollen, er ist kein Genie. 
Nur diesem ist es erlaubt, in jedem Ge- 
biete der Wissenschaft und Literatur 
ungestraft sein Wort mitzusprechen; und 
wo es nur irgend in die Räder eines sol- 
chen eingreift, schiebt es den Wagen mit 
jedem Federzuge eine grosse Strecke wei- 
ter. Das Talent dagegen muss sich auf 
einen bestimmten Kreis beschränken, hier 
muss es durch anhaltenden Eifer und tie- 
fes Studium das ganze Wesen desselben 
bis in sein innerstes Mark durchdringen; 
dann erst wird es etwas Tüchtiges, etwas 
Gediegenes , etwas Einziges zu schaffen 
vermögen. Das nun übersieht Kukolnik 



ganz ; er arbeitet viel, er arbeitet in Allem, 
und erarbeitet nichts Grosses. Auch sein 
vorliegender Roman beweist dieses. Sein 
Gegenstand ist, ein Gemälde des politi- 
schen und socialen Zustandes Lithauens 
um die Mitte des XIV. Jahrhunderts zu 
entwerfen. Gewiss ein grossartiger, aber 
ein wahrhaft romantischer Stoff, dessen 
Grundton, der Kampf des Christenthums 
mit dem Heidenthume, indem schon ein- 
zelne Fürsten zu jenem sich bekannten, 
während andre noch fest an diesem hin- 
gen, eine der schönsten Staffagen bildet, 
die man nur haben kann. — Aber wie hat 
er diesen herrlichen Stoff benutzt ? — Die 
schönsten Bilder, die grossartigsten Cha- 
raktere, die die Geschichte darbietet, ein 
Olgerd, Kjejstut und andere, verschwim- 
men unter seiner Hand in solche matte, 
seelen- und marklose Nebelgestalten, dass 
man sie kaum von einander unterscheiden 
kann. Dabei sind der auftretenden Per- 
sonen so viele, dass man sie nicht zu über- 
sehen im Stande ist, und keine tritt unter 
ihnen so glänzend und so anziehend her- 
vor, dass man für sie allein sich zu begeistern 
vermöchte. Dadurch wird die ganze Er- 
zählung gedehnt, haltlos, unbestimmt, mit 
einem Worte, so wenig interessant, so 
ohne Spannung, dass man das Buch jeden 
Augenblick ruhig bei Seite zu legen bereit 
ist Nur einzelne glanzvolle Stellen, ge- 
lungene Scenen, lebensvolle und reizende 
Schilderungen sind im Stande uns für das 
Ganze zu entschädigen. Denn in solchen 
Einzelheiten ist Kukolnik ausgezeichet und 
an sie muss man sich bei ihm halten. Kin 
Hauptmangel bei Kükolnik's Darstellungs- 
weise ist, dass er alles beschreibt; wir 
erfahren, wie die Personen gedacht und 
gefühlt haben, ans seinen Worten, nicht 
aber aus den Handlungen und den Worten 
der Personen selbst ; ihm fehlt die drama- 
tisirende Darstellung wie die epopäische; 
er ist Maler, Schilderer, ßeschreiber. Dar- 
aus folgt auch, dass seine Erzählung nicht 
den Charakter eines umfassenden, wohl- 
durchdachten, überall in einander greifen- 
den und allseitig abgeschlossenen Ganzen 
hat, sondern episodenartig in einzelne Ge- 
mälde sich zerreisst. 
26. 3Be.inHa ,\c Ba.ibcp»ub: Eveline der 
Vaillerole, Roman in vier Bänden, von 
N. Kukolnik. Zweite, verbesserte Auflage. 
Ptrbg. 1841 — 42. 12. 249, 264, 274, 
345 S. Ein Roman aus den Zeiten de« 
Cardinal Richelieu, welcher eine der Haupt- 
figuren desselben, obgleich grundfalsch 
aufgefasst, ist; denn Richelieu wird die 
Absicht zugeschrieben, er habe die Macht 
der französischen Aristokratie brechen wol- 
len, und habe dadurch den Thron selbst 
untergraben, während doch gerade seine 
Anstrengungen es waren, durch welche 
ein Zeitalter Ludwig XIV. hervorgebracht 
wurde. Uebrigens wirft man der Charak- 
terzeichnung Kükolniks viele Mängel vor; 
auch sind dadurch alle einzelnen Theile 
des Romans so zerrissen und dermassen 
ausser allen Zusammenhang gebracht wor- 



Digitized by Google 



144 



den, dass das Ganze mehr einer Maase 
nach einander sich ergebender Scenen 
gleicht, die nur durch Znfall zusammen- 
hangen, als einem Gesammtbilde des Zu- 
Standes der menschlichen Gesellschaft 
jener Zeit, oder einer wohldurchdachten, 
innig in einander verwebten Erzählung. 
Fast ganz für sich bestehend sind die 
ersten sechs Kapitel über die französische 
und italienische Kunst im XVII. Jahrhun- 
dert, welche, an sich interessant genug, 
mit dem Roman fast keine Verbindung 
haben. Uebrigens hat der Roman Alfred 
de Vigny's : „Saint-Mars u einen besondern 
Einfiuss auf den russischen Autor gehabt; 
obgleich eine Vergleichung beider nicht zum 
Vortheil des Letzteren ausfallen möchte. 

27. l IejioB"fcirb crt> BuemnM-b BsrjH^osrb: Der 
Mann mit scharfem Blick. Roman 
in 4 Thl. 259, 197, 162 und 188 S. 12. 
Von E. G. Ptrbg. Aus einem jungen, fa- 
den, verschrobenen Styl, matt und platt. 

28. Jifiti npHapana; Zwei Erscheinun- 
gen. Roman von Th. Van - Dim. Ptrbg. 
1842. 4 Thl. 252«, 208, 226 und 258 S. in 
12. Ein neuer Romanschreiber, der bis- 
her nur durch eine Erzählung „Aleksan- 
drina u bekannt ist. Schon diese fand bei 
ihrer Erscheinung eine verschiedene Be- 
urtheilung; während sie von den einen 
bis in den Himmel erhoben wurde, traten 
sie andere in den Kolh. Dasselbe ge- 
schieht mit vorliegendem Romane; man 
lobt ihn, man tadelt ihn, und das Publiknm 
weiss nicht, wem es glauben soll. Eines 
steht fest, Van-Dim ist ein Mann von Geist 
und ruhiger, gesunder Anschauung der Ver- 
hältnisse ; allein er ist kein Dichter und die 
Schöpfungskraft bei ihm von keinem durch- 
gefühlten Geschmacke geleitet. Daher das 
viele Ungereimte, Abgeschmackte, das Un- 
glaubliche in seinen Schriften. Dazu kommt 
noch sein schrecklicher Styl, in der Manier 
Marlinski's, altein ohne dessen Geist und 
unabsehbare Tiefe. 

29. Mamb u flflnb: Mutter und Toch- 
ter. Roman in zwei Theilen. Von Mich. 
Czernjawski. Moskwa. 1842, Kirilow. 12. 
167 und 167 S. Ein neuer Schriftsteller, 
von dessen „Werk" nicht viel Grosses 
behauptet wird. 

30. Co.iHeqHbiä vlyqb:' Der Sonnen- 
strahl. Ein Begebniss aus den Zeiten 
Katharina's II. Roman in 5 Thln. von J. 
Stchewen. Ptrbg. 1841 — 42. 12. 270, 
21X>, 288, 238 u. 242 S. Eine sehr schwache 
Arbeit, die kein Aufsehen machen wird. 

31. JKsuKHb h IIo33ia Bn.ibflMd llleKcnupa: 
Leben und Dichtungen William 
Shakespear's. Roman von König; aus 
dem Deutschen übersetzt Moskwa. 1842, 
Stepanw. 4 Thl. 12. Das Original fand 
in Deutschland eine beifällige Aufnahme; so 
wird die Uebersetzung und muss in Russ- 
land mit vieler Freude willkommen geheis- 
sen worden ; wozu nicht wenig der Umstand 
beiträgt, dass die Uebersetzung selbst sehr 
flüssig und gewandt and in einem leichten 
correkten Style geschrieben ist; dass sie 



also unter den vielen jetzt eben erschie- 
nen russischen Romanen ganz Tortheilhaft 
sich auszeichnet. 

c) Periodische Schriften. 

8. Ko.Mapbi. BcHKan Bcnqnna. Mucken. 
Buntes Allerlei. Von Th. Bulgarin» 
Erster Schwann 1842. Petersb. 259 S. 12. 
Ein den Guepes nachgemachtes Unterneh- 
men, bei dem aber Herr Bulgarin seine 
Rechnung schwerlich finden dürfte. Herr 
Bulgarin ist ein Mann von Geist, das hat 
er durch seine früheren Schriften gezeigt; 
er kann gut erzählen und seine Romane 
und Novellen wurden ehedem viel gelesen. 
Nun aber gibt es bessere Novellisten und 
er bleibt liegen. Bulgarin ist ein tüchti- 
ger Journalist und als Red acte» r hatte er 
früher nicht seines Gleichen; diess ist sein 
eigentliches Feld, das er nie ungestraft 
verlässt. Schrecklich aber und in der That 
langweilig ist sein Humor. Das zeigt sich 
besonders in den Mücken, wo hellere Ge- 
danken und Witze so selten vorkommen, 
wie das Wetterleuchten im Winter. Dazu 
kommt die unerträgliche Bissigkeit gegen 
seine Feinde , die er auf jeder Seite mit 
der schärfsten Galle überschüttet, und das 
widerwärtige Hervordrängen seiner eige- 
nen Persönlichkeit, von welcher er desto 
eifriger spricht, je weniger die andern 
Menschen von ihr sprechen. Persönlich- 
keiten und nicht selten an Gemeinheit strei- 
fende Ausfälle sind etwas ganz Gewöhnli- 
ches. Die „Mücken" werden Herrn Bul- 
garin's Ansehn wohl noch zu Tode tragen. 

(Nach den omeq. sanncRn.) 

II. Polnl§che Literatur. 

a) Wissenschaften. 

11. Chowanna: Ein System der National- 
erziehung von Br.Trentowski. 2 Bde, jeder 
zwei dicke Hefte. Posen 1842, Kamienski. 

12. Fizyka: Physik von Jos. Zochotvski. 
Warschau 1642. 2 Thle. Herausgeg. von 
Sapahki. Ein sehr werthvolles Buch. 

13. Staroiytnosci polskie: Polnische 
Alterthüiner in alphabetischer Ord- 
nung. Redigirt von Moraczewtki. Posen 
1843. Dritter Band. Neben vielen treff- 
lichen Artikeln manches Flüchtige und 
Oberflächliche. 

14. Polska: Polen. Enthält die Geogra- 
phie und Geschichte des alten Polenrei- 
ches vom Beginne der Entwickelung des 
Volkes bis auf die neueste Zeit. Von 
J. Andrysowicz. Posen 1842. Eine kurze, 
aber gute Uebersicht. 

15. 'Historia literatury polskiej: 
Geschichte der polnischen Litera- 
tur von Mich. Wiszniewsky (Wiachniewski) 
4. Bd. 8. 482 S. Krakau 1842. Geschichte 
der dritten Periode oder des XV. Jahr- 
hunderts. 

16. Studia literackie: Literarische 
Studien von Kraschewski. Wilno 1842. 
Verschiedene Abhandlungen rein literari- 
schen Inhaltes. 



Digitized by Google 



145 



17. Pamiejniki o Koniecpolskich: 
Denkmäler der Familie Koniecpolski. Bei- 
trag zur Gesch. des XVII. Jahrhunderts. 
Herausgegeben von St. Przytecki. Lemberg 
1842. 452 S. 8. Alte Urkunden. 

18. Ukrainne sprawy: Ereignisse der 
Ukraine* Beitrag zur polnischen, ta- 
tarischen und türkischen Geschichte des 
XVII. Jahrhunderts. Herausgegeben von 
8t. Przylecki. Lemberg 1842. 133 S. Briefe 
aus den Jahren 1627 — 1630. 

19. Przygotowaniado nanki dziejo w: 
Propädeutik zur Wissenschaft der 
Weltgeschichte von Titus Szczeniow- 
ski (Schczeniowski). Wilno 1842. Glucks- 
berg. 8. 160 S. Ein gut geschriebenes, 
in der polnischen Literatur sehr verdienst- 
liches Buch; für die Wissenschaft aber — 
tarnen est laudanda voluntas. 

20. Polska: Polen bis zur ersten Hälfte 
des XVII. Jahrh. in Hinsicht auf seine 
Sitten und Gewohnheiten beschrieben von 
Alex. Maciejowski. 4 Bde. Petersburg und 
Warschau 1842. Ein Werk, in welchem 
alle schlechten Seiten einzelner Individuen, 
wie sie in alten polnischen Schriften dar- 
gestellt werden, zusammengetragen und 
der ganzen Nation als charakterisirendes 
Merkmal beigegeben werden. 

21. Pamia,tki Seweryna Soplicy: 
Memoiren von Sew. Soplica. 2te Auf- 
lage in 4 Heften. Eine der gediegensten 
Sittenschilderungen des vorigen Jahrhun- 
derts ; ohne allen Bezug auf die Gegenwart. 

22. Zarysy domowe: Skizzen aus der 
Heiina th.* Von K. W. Wojeida. War- 
schau 1842. 4. Thl. von 350-450 S. 
Eine Sammlung aller charakteristischen 
Züge im häuslichen Leben des polnischen 
Adels und Volkes. 

23. Wspomnienia Wielkopolskie: 
Erinnerungen aus Grosspolen, das ist den 
Wojewodschaften Posen, Kaiisch und Gne- 
sen von Ed. Raczynski. I. Bd. Posen 1842. 
Enthält erstens eine skizzirte Geschichte 
dieses Landes, dann eine Abhandlung über 
den Handel und die Industrie, ferner über 
den Adel und endlich viertens eine detail- 
lirte historische Beschreibung der Städte 
und grösseren Ortschaften in Grosspolen. 
Der Verfasser benutzte hiezu eine Masse 
von verschiedenen Urkunden und histori- 
schen Dokumenten, deren Werth freilich 
sehr verschieden war. 

24. J. Andrysowicz, Geografia staro- 
Zytnej Polski ku powszechnemu uzytkowi 
wydana. Geographie des alten Polen. 16. 
(10 Ngr.) Posen. Neue Buchhandl. 1842. 

25. Krdtki opis Buska: Kurze Beschrei- 
bung von Busek und seinen Umgebungen. 
Warschau 1842. Mit einer Darstellung der 
Bäder und einer Karte der Umgegend. 
Eine zum Besten der dortigen Kranken 
von der Gräfin Adele Lubienska verfasste 
Broschüre, worin die früheren Schicksale 
der Stadt, als man noch Salz dort sott, 
so wie ihr gegenwärtiger Zustand als sehr 
besuchter Badeort mit den schönsten und 
lieblichsten Farben geschildert wird. Die 
historischen Data sind nicht unwichtig. 



26. Rys statystyczno-Jegraficzny: 
Statistisch-geographischer Abriss von Oest- 
reichisch-Schlesien. Von M . W. Posen 1642. 

27. Lexicon latino-polonicnm: La- 
teinisch-polnisches Lexikon, von Lt. Fl. 
BobroivtH. II. Bandes lr Thl. Wilno 1842. 
Zawadzki. 4. 288 S. 

28. Pfociennictwo: Das Linnenwesen, 
über das Zurichten der Flachsgewächse 
und des Flachses, das Spinnen, Weben 
von Linnen und Hanf, das Bleichen und 
die weitere Zubereitung. Von Aug. Bern- 
hardt , Mag. phil. , Prof. des Realgymna- 
siums u. s. w. lr Theit. Warschau 1842, 
Dietrich. 8. 242 S. mit zwei Tafeln. Ein 
sehr gutes Buch, mit vorzüglicher reiner 
Nomenclatur, zu welchem alle bisherigen 
polnischen Werke über diesen Gegenstand 
benutzt worden sind. 

29. MySlictwo Ptasze: Die Vogeljagd, 
ein Werk aus dem XVI. Jahrhundert. Neu 
umgedruckt und mit Zusätzen und Erläu- 
terungen versehen von Anton Waga. War- 
schau 184?, Chmielewsii. 

30. Elementar» dla dzieci Polskich. 
Elementarbuch für polnische Kinder. Ber- 
lin, Behr. (14\ B.) 8. 

31. Powie£ci dla Siostry: Erzählungen 
für meine Schwester zum Angebinde von 
Florentine Kunicka. Warschau 1842. Sehr 
gelungene Erzählungen für Kinder. 

32. Bajki i powiastki: Fabeln und Er- 
zählungen, original und nachgeahmt von 
Th. Nowosiehki Warschau 1842, Sonnewald. 

33. Powiastki i Bajki: Erzählungen und 
Fabeln von St. Jachowicz. 6. Auflage mit 
12 Kupferst. 3 Bde. Warschau 1842. 

b) Belletristik. 

1. Umarli i iywi: Die Lebenden und 
Todten oder ein wenig von Allem. Drama 
in 5 Akten von J. Korzeniowski. Wilno 1842. 

2. Kontrakty: Die Contracte. Drama in 
5 Akten von K. Drzewiecki. Wilno 1842. 
8. 205 S. 

3. Przeczncie: Ahnung. Lustspiel in 3 
Aufzügen von John of Dncalp (Jankowski). 
Wilno 1842. 

4. Bazar, Komedja w 1. akc. przez 
Panne. Dziubinska.: Der Bazar, Lust- 
spiel von Frl. Dziubinska. Posen, Scherk. 
1842. 8. 

5. Adept: ,Tragödie in 5 Akten von Fr. 
Halm, übers, von A. Kolbukowtki. 1842. 
Lemberg. Die Uebersetzung ist nicht im- 
mer ausgezeichnet. 

6. Szekspir: Shakespeare," im Familien- 
kreise, oder die Freunde. Drama in 4 
Akten von K. Holtej. Uebers. von A. 8, 
Warschau 1842. 8. 137 S. 

7. Piosnki ludu wielkopolskiego 
zebrat i wydat J. J. Ltpinski. T. 1. 
12. (l T tal.) Posen. Neue Buchhandl. 1842. 

8. Poezye: Poesie von Anna h. der Kra- 
kau erin. Krakau 1842. 126 S. 16. 

9. Poezye: Poesien von Ludwig'de Parthe* 
Wilno 1842. 8. 



Digitized by Google 



146 



10. D r o b n e P ! s m at Kleine poetische Schrif- 
ten von Viciorin XicUnski. Warschau 1842. 
Sollen recht schwach sein. 

11. Poezye oryginalne: Originalpoesien 
von K. Korah Lnskowski. Warschau 18 42. 
216 S. Eben so schwach, wie seine Er- 
zählung: „Die drei Schwestern" und ohne 
Werth. 

12. Poezye tlumaczone i oryginalne: 
Uebersetzte und originale Dichtungen 
von Jos. Paszkowski (Paschkowski). War- 
schau 1842. Eine sehr gelungene Ueber- 
setzung von Lord Bayron's Kain u. Man- 
fred, die nach einem polnischen Kritiker 
sogar das Original bisweilen an Kraft 
ubertrifft; dann einige kleinere Gedichte, 
darunter die originalen bald gut und schön, 
bald auch prosaisch und gedehnt. 

13. Axel: Gedicht von Jos. Tegner; nach 
der prosaischen Uebers. von P. Chake pol- 
nisch bearbeitet (metrisch) von J. Wierni- 
kowski. Das herrliche Gedicht ist in den 
schönsten Versen wiedergegeben. 

14. Zofia Olelkowiczowna: Die Für- 
stin von Sluck, historische Originalerzäh- 
lung von Josephine O. 3 Bde. Warschan 
1642. Behandelt mit der ^letzten Fürstin 
von Sluck" von Kraschewski gleichen Stoff, 
steht aber dieser in vielen Punkten nach. 

15. Powiesci ludu: Tolkgerzählun- 
gen"Jnach Sagen verfasst von K. Ba- 
lmski , herausgeg. von K. Wl. Wajcicki. 
Warschan 1842. 

16. Powiesci pani Pauliny z L. W. 
Erzählungen von Frau Pattline von L. W. 
(Verf. des „ Dorf und Stadt ") 2 Bdchn. 
Warschau 1842. 

17. Wedrdwka: Wanderung auf kleinen 
Wegen. Wilno 1842. Zawadski. Eine gut 
aufgenommene Erzählung. 

18. Morena* Oder blasse Erzählungen 
vom Verf. der Amerikanerin in Polen. 
(Ab. Tyszynski.) Warschau , Sonnewald. 
1842. 8. 149 S. Enthält drei Erzählun- 
gen, die nicht besonders gelobt werden. 

19. Obrazy: Bilder aus dem häuslichen 
Leben in Lithauen: Herr Choroszcza. 
Wilno 1842. 

20. Obraz warszawskiego spofe- 
czeristwa: Bild der warschawer Gesell- 
schaft in zwei Erzählungen von Anna 
Nekwaska. Posen 1842. Stefanski. 8. 108 S. 
Die erste Erzählung stellt Warschau im 
Jahre 1767, wo die Fürstin K. dem Kö- 
nige Stanislaw August einen Ball gibt, 
und im Jahre 1807 dar, wo in denselben 
Gemächern Napoleon ein Ball gegeben 
wird. Zwei sehr schöne Epochen, aber 
von der Verfasserin nicht genug zu einer 
Sittenschilderung benutzt. Die andere Er- 
zählung enthält eine häusliche Geschichte. 
Man tadelt den Styl als „verwickelt" 

21. Chwila: Ein Augenblick. Erzählung 
von John of Dycalp. Wilno 1642. Glücks- 
berg. 8. 120 S. Ein neuer Beweis, fdass 
dem Verf. die humoristische Erzählung 
nicht gelingt 

22. Ostatny upidr w Bielchradzie: 
Der letzte Vampyr in Bjelhrad. Wörtlicher 
Auszug aus einer böhmischen Chronik des 



XVF. Jahrhunderts. Von John of Dycalp. 
Wilno 1842. Soll ein seSir mittelmässi- 
ges Buch sein. 

23. Nad ziemia i na ziemi: TJeber der 
Erde und auf der Erde, eine Reise und 
zwei Erzählungen. 3 Bdchn. Warschan 1842. 

24. Obrazy: Bilder aus dem Leben und 
von meinen Reisen. Von J. J. Kraszewski. 
Mit 2 Kupferstichen. 2 Bde. Wilno 1842. 

25. N o c y , Tysiqc i jedna, PowieSci Arabskie. 
Tausend und eine Nacht. Arabische Erzäh- 
lungen, übers, von A. Oalland; nach der 
letzten Pariser Ausgabe in's Polnische von 
• 0 1. u. 2. Bd. 20h Bgn. mit 4 Stahlst 
Leipzig, Breitkopf u. Härtet 

c) Periodische Schriften. 

1. Allein ja; Religiöser Almanach. 1942. 
Warschau. Bereits der dritte Jahrgang, 
gut und wahrhaft christlich geleitet Er- 
scheint stets zum Anferstehungsfeste. 

2. Slawianin: Der Slawe, ls Heft 1841. 
2s Hft 1642. Paris. Herausgegeben von 
A. Alph. Starzynski. Historische und mili- 
tairische Artikel über das Slawenthum. 
(Unter Panslawismus versteht der Verf., 
wie viele seiner Landslente, Polonismus). 

3. Noworocznikdemokratyczny: De- 
mokratischer Almanach. 1842. I.Jahrgang. 
Paris. 12. 315 S. Interessant durch die 
hier veröffentlichten Aktenstücke und die 
Nachrichten über die Emigration. 

4. Swietojanka: Oekonomischer Alma- 
nach, herausgeg. von K. Lange. Krakau: 
1642. Alle Artikel sind aus andern Wer- 
ken abgedruckt, natürlich ohne Anfrage 
bei deren Verfassern. Das ganze Buch 
wäre also besser ungedruckt geblieben. 

d) Vermischte Schriften. 

1. Polska Chrystusowa: Christi Polen. 
Eine Schrift, den socialen Grundsätzen 
gewidmet; herausgeg. von L. Kr6likow*ki. 
Erstes Heft. Paris 1842. Soll also «ine 
Art von Zeitschrift bilden; stellt wohl mit 
dem Propheten Towianski in Verbindung. 

2. Pielgrzymka: Pilgerfahrt in das ge- 
lobte Land. Von O. Holowinski. Wilno 
1842. 8. 2 Bde. 246 u. 452 S. Ein sehr 
interessantes Buch. 

3. Ksiqüka do czytania: Katholisches 
Lesebuch für die höhere Classe der ka- 
tholischen Elementarschulen im Fürsten- 
thum Schlesien und der Grafschaft Glufz. 
2 Thle. Neue unverand. Aufl. 8. (31$ B.) 
Breslau, Grass, Barth u. Comp. 

4. Kwiaty Wschodnie: Blüthen aus 
dem Osten* Sammlung von moralischen 
Grundsätzen, theologischen Sprüchwörtern 
etc. ans dem Talmud und ihm gleichzeitigen 
Schriften von A. Rüchner, Lehrer d. hebr. 
Sprache in der Rabbinerschule. Worschau 
1842, Chmielewski. 8. XXVII u. 260 S. 
Ein werthvolles Bnch, das noch besser 
geworden wäre, wenn der Verfasser mehr 
Entschiedenheit gezeigt hätte. 

5. Nowara Ks. L. , Slowa prawdy dla 
uiytka wszystkich stanow. 8. (64 B.) 



Digitized by Google 



147 



Lipsk, Nakladem ksiegarni zagranicznej. 
(Librairie etrangere.) 

6. Ostatnie Rady Ojca dla syna: 
Der letzte Rath des Vaters an seinen 
Sohn. Breslau, Korn. 8. (24 B.) 

7. Kobieta: Das Weib im Zustande ihrer 
Reife, wie es ist und wie es sein soll. 
Von Juliane Weinberg. 1. Tbl. Warschau 
1842. 

8. Polska w Apostazii: Polen in der 
Apostasie oder dem sogenannten Russo- 
Slawismus, und in der Apotheosie oder 
dem sogenannten Gallokosmopolitismus. 
Herausgegeben von L. Niedzwiedzki. Pa- 
ris 1842. Ein sehr sonderbares Buch, voll 
der vernünftigsten und der wahnsinnig- 
sten Ideen. 

9. Kilka mysli: Kinige Gedanken über 
und für Polen. Von Jos. Garnysz. Poi- 
tiers 1842. Sociale, besonders communi- 
stisclie Abhandlungen, deren schauderhafte 
Sprache nur selten zu verstehn ist. 

10. Mieszkania: Wohnort und Lebens- 
weise der Krakauer Studenten in älteren 
Zeiten. Von J. Muczkowski , Prof. u. Bi- 
bliothekar. Krakau 1642. 8. VI u. 158 S. 

11. Wody mineralne Szczawnickie: 
Die Mineralwässer zu Szczawnica im Kö- 
nigreiche Gallizien; beschrieben von Dr. 
Uralter. Aus dem Deutschen übers, von 
M. K. und J. A. Lemberg 1642. 8 Bogen 
mit einer Ansicht. 

IU. llühinischc Schriften. 

a) Wissenschaften. 

6. *Cechoslowan: Der Czechoslawe, oder 
die Nationalsprache in Böhmen, Mähren, 
Schlesien und Nordungarn. Von Fr. Vyr. 
Kampeljk. Prag 1842, Pospischil. 

7. Mluwnice teskä: Böhmische Gramma- 
tik für die (böhm.) Schuljugend von Jos. 
Ziegler. Chrudim 1842, Wascha. 8. 175 S. 

8. Neykratsj spusob: Die kürzeste Wei- 
se, die böhmische Rechtschreibung voll- 
ständig zu erlernen. Aus Ziegler's böhm. 
Grammatik besonders abgedruckt. Czas- 
law 1642. 12. 34 S. 

9. Maly Cech a Nemec: Der kleine 
Böhme und Deutsche; erste Sprechübun- 
gen im Deutschen und Böhmischen. Von 
J. Swoboda. Prag 1642, Hase. 192 S. 

10. Pastyfska domaej kniha: IJirten- 
buch fiir'sHaus; Anleitung, wie das Rind- 
vieh in Böhmen und Mähren verbessert 
und gut gezogen werden kann. Von Jos. 
AI. Duntier. Prag 1643, Pospischil. gr. 12. 
X n. 122 S. 

11. Kancional: Eine Sammlnng von häus- 
lichen und kirchlichen Liedern» wie sie 
in den böhmischen Gemeinden gesungen 
werden. Gesammelt von Josrj)h. I'uhorely. 
Prag 1842, Spumy. Eine reichhaltige 
Sammlung (das Inhaltsverzeichniss nimmt 
6 enggedruckte Seiten ein) , höchst werth- 
voll und verdienstlich bei dem gänzlichen 
Mangel eines allgemeinen Liederbuches. 
Der Preis, 48 Xr. Silb., ist ausserordent- 
lich niedrig. 

SUw. Jalirb. I. 



12. Cjrkewnj Historie: Kirchenge- 
schichte. v Aus dem Deutschen von l*ra- 
tcoslaw Venvenak iCzerwenak). Beigege- 
ben eine Kirchengeschichte des slawischen 
Volkes und der böhmischen Brüder. Kisek, 
Neidhart. 1842. 15 Bgn. Das Testament 
des edler., leider zu früh dahingegangenen 
Slawensohnes. 

13. Nenj cjrkew, gako cjrkew! Es 
gibt keine Kirche ausser der Kirche ! Wel- 
che führt zum Heil. In sechs Predigten 
von At,t. Horn. Prag 1842, Pospischil. 64 S. 

14. Jezjs Krystus, wzor doskona 
losti: Jesus Christus, das Muster der 
Vollkommenheit. In sechs Fastenpredig- 
ten von J. K. SAWrt (Schkoda) Prag 1842, 
Pospischil. 8. 108 S. 

15. Missionarnj-Kni2ka katolicka: 
Katholisches Missionsbiichelchen. Sechste 
Auflage. IB. 27 Bgn. Wien. 

16. Dwadcatero pratelskych listu: 
20 freundschaftliche Briefe an die Evan- 
gelischen oder Protestanten in Böhmen 
von J. V. Jirsjk. Prag 1<?42, Spinka. 108 S. 
12. Von einem Geistlichen; nichts Neues, 
aber gtit gemeint. 

17. O s inj sc nein manzelstwj: Von der 
gemischten l£hc. Ein Wort der Liebe 
an die katholischen Jünglinge und Jung- 
frauen. Prag 1842. 12. 53 S. 

b) Belletristik. 

3. Bäsne od Ludewjta Zella: Gedichte 
von L. Zell (?). Pesth, Trattner Karoly. 
1842. 8. 62 S. 

4. Moudreho Katona inrawnä pou- 
3ow;'ini: Des weisen Kato Sittenbeleh- 
rungen. Aus dem Lat. metrisch übers, v. 
J. R. Kometisky. Nacli der letzten Amster- 
damer Ausgabe neu abgedruckt. Prag 1842, 
Sninka 12. 23 S. 

5. Ceskebesedy: Böhmische Gesellschaf- 
ten. 1842. Prag 1S42, Pospischil. XXXIV 
u. 174 S. Eine Sammlung von gemisch- 
ten Aufsätzen, die grösstenteils bei den 
böhmischen lleunionen in Frag vorgelesen 
wurden ; als Erinnerungsgabe an diese 
nationalen heiteren, glücklichen Abende. 

6. Albina. Originalerzähtung von Ant. 
Schuihlik. Mit einem Bilde. Prag 1842. 8. 

7. Slawibor oder der Unterschobene. 
Originale Kittergeschichte von A. Schwihlii. 
Prag 1642. 8. 126 S. 

8. Kazatel Wakefieldsky: Der Predi- 
ger von Wakeheld. Von Ol. GoUlsmithy 
böhmisch von IV. Filipck. Prag 1842, 
Neureuter. 12. 267 S. Schön und nützlich. 

9. Dwe Marie: Zwei Marien. Eine wahre 
Begebenheit nach Jacobs von L. Pospischil. 
Prag 1842. Pospischil. 134 S. 

10. Iwan Wyzihin: Iwan Wyzigin; eine 
erheiternde und belehrende Erzählung von 
TA. Bulgarin. Aus dem Russischen Ton 
J. Batkora (Baczkora). 3. u. 4. Thl. Prag 
1842. Der bekannte Roman in guter flies- 
sender Uebersetzung. 

11. Timoteus a Filemon: Timotheus 
and Philemon. Erzählung von K.Schmidt, 
aus dem Deutschen von L. Pospischil. Als 

20 

Digitized by Google 



148 



viertes Bändchen von Schmidt's Schriften. 
Prag 1842, Pospischil. 12. 84 S. 

12. Reinold o w y o s u d y: Reinbold s Schick- 
sale, oder: Wunderbar sind die Wege der 
göttlichen Vorsehung. Erzählung aus dem 
ÜOjäbr. Kriege. Nach dem Deutschen von 
We*elshj. Frag 1842, Nenreuter. 12. 202 8. 

13. Ceska Thalia: Böhmische Thalie, 
Sammlung von übersetzten und Original- 
Dramen, herausgeg. von J. K. Tyl. 5tes 
Heft. „Mutter und Tochter" Drama in 
4 Akten, und „die Liebe im Kckhause" 
Lustspiel in 2 Akten. Prag, Spinka. 295 S. 
Beides recht nette Sachen, wenn sie hier 
Stjepanek nur geben wollte. 

14. Tri hodiny pred swatbau: Drei 
Stunden vor der Hochzeit Schwank in 
einem Aufzug. Nach Oettingers Krzählung 
Eau des mille tieurs von B. Herrmann, 
ubers. von J. N. Stjepanek. gross 12. 32 S. 
Prag, Spinka. 

15. WSickni sehaSteri: Alles zerrt sich. 
Lustspiel in 1 Akte nach Hutton's „das 
war ich" von J. N. Stjepanek. gr. 12. 44 S. 
Prag 1842, Spinka. 

16. Prostotawenkowskä: Einfalt vom 
Lande, Lustspiel in 4 Akten von Töpfer, 
ubersetzt von J. N. Stjepanek. Prag 1842, 
Spinka. 111 S. 

c) Periodische Schriften. 

1. Nitra: Eine Gabe den Töchtern und 
Söhnen des Slowakenlandes, Mährens, 
Böhmens und Schlesiens dargebracht. 
Herausgegeben von Af. Hurban. 1. Jahrg. 
Presburg 1842. 310 S. Ein Almanach, wie 
ihn Nordungarn *nur in seinem jetzigen 
Zustande hervorbringen konnte; voll Va- 
terlandsliebe, Begeisterung für die Natio- 
nalität und Hass und Spott nnd Verach- 
tung des fremden Unterdrückers. Man 
muss die Liberalität der östreichischen 
Censur bewundern, dass sie gegen die 
wüthenden Magyaren so aufzutreten er- 
laubt. — Diess ist aber auch der grösste 
Werth der ausserordentlich vielen Artikel ; 
in ästhetischer Hinsicht und besonders in 
Vollendung der Form lassen sie durchweg 
mit nur äusserst wenigen Ausnahmen viel 
zu wünschen übrig. 

2. WSstnjk: Anzeiger. Mit Hülfe einiger 
Liebhaber herausgegeben von J. Kniina. 
1. Heft. Prag 1842. 12. 48 S. Eine Art 
Zeitschrift in zwanglosen Heften, welche 
für das Volk berechnet sein soll. 

d) Vermischte Schriften. 

1. Zlate zapisy: Goldene Denktafeln; 
ein Denkmal des Dankes für die Erneue- 
rung und Verschönerung von Karlsteyn, 
für die Errichtung der Brücke in Beraun, 
die Gründung und Hebung der Vorstadt 
Karolinenthal, der Chotekischen Gärten 
nnd vieler anderen öffentlichen Verschö- 
nerungen nnd Bauten. Mit 4 Lithographien. 
Prag 1842. Eine Gabe des Dankes an den 
um Böhmens Wohl wahrhaft verdienten 
jetzigen Oberstburggrafen Grafen Chotek. 



2. Cesta Slowaka: Reise eines Slowa- 
ken zu seinen slawischen Brüdern in Mäh- 
ren und Böhmen, von M. J. Hurban. Pestb. 
8. 112 S. Ein recht nettes Reiseandenken, 
das durch den patriotischen Sinn, der über 
das Ganze ausgegossen, und durch man- 
cherlei interessante Data Nutzen schaffen 
wird. 

3. Hlat'opisecke obrazy: Krystallo- 
frrapliiHch« Bilder zum Ausschnei- 
den und Zusammenkleben. 4 gr. Blätter. 
Von Dr. K. Ammerling. Als Spielzeug für 
Kinder, bei dessen Anfertigung man ihnen 
recht beouem und leicht die Grundgestal- 
ten der Naturgegenstände beibringen kann; 
recht brauchbar. 

4. Wecer pred swatbau: Der Abend 
vor der Hochzeit. Ein Geschenk für Bräute. 
Nach Zschokke von J. Potpiachil. 20 S. 12. 

5. Rozmlauwanj okoralce: Gesprä- 
che über den Branntwein, als das grösste 
Laster im häuslichen Leben. Nach Bött- 
cher von Fr. Radio. Prag 1842. 12. 119S. 

6. Den weliky* se blizj! Der grosse 
Tag naht! 20 Betrachtungen nach Abbe 
Jung für die fromme Jugend von Fr.Lukel. 
Prag 1842. 12. 15« S. 

7. T. Kempenskeho zlatäkniha: Tho- 
mas a Kempis goldnes Buch von der Nach- 
folge Christi. Uebers. v. A. Stransky. 3te 
Aull. Prag 1842, Pospiscbil. 12. XXIV n. 
464 S. Zu gleicher Zeit erfolgt eine in 
Leipzig stereotypirte Au (läge dieses Wer- 
kes, jedoch dem Bedürfnis» der Gegen- 
wart angemessen. 

IV. AichtMlawische Schriften 
über Slawisches. 

a) Wissenschaften. 

6. Vermischte Abhandlungen aus dem Ge- 
biete der Heilkunde, von einer Gesell- 
schaft prakt Aerzte zu St. Petersburg. 
6te Sammlung, gr. 8. (27| B.) St Peters- 
burg; Leipzig, Rud. Hartmann. 

7. Ledeboor, Botan. Prof., emer. Dr., 
Flora KoNNica, sive enumeratio plan- 
tarum in totius imperii Rossici Provinciis 
Europaeis, Asiaticis et Americanis hueusque 
observatarnm. Fase II. Lex. -8. (154 B.) 
Stuttgartiae, Schweitzerbart. 

8. Die Mineral -Quellen zu Szcza- 
wnica im Königreiche Gallicien. Physi- 
kalisch-chemisch untersucht; beschrieben 
und gewürdigt vom Kreisarzte Dr. Heinr. 
Kratter. Zum Gebrauche der Szczawnicer 
Brunnengäste. (Mit 1 Ansicht von Szcza- 
wnica in gr. 4.) gr. 8. (9J B.) Lemberg, 
Piller. 

9. Sammlung derRechtsqucllenldv-t 
Ksth- und Curlands. Herausgeg. von 
den Professoren F. G. v. Bunge und C. O. 
v. Medai. le Abthl. : Quellen des Revaler 
Stadtrechts, le Liefr. Das alte und neuere 
Lübische Recht gr. 8. (10£ B.) Dorpat 
RevaL, Eggers Bucha.) 

10. Das Ungarin che Weehselrecht 

in Bezug auf die Landeskonstitution, den 



Digitized by Google 



140 



Handel, die Industrie und den Kredit. 
Nebst einer 'kurzgefaßten kritischen Ue- 
bersicht der Werke, welche seit 1810 über 
das ungarische Wechselrecht erschienen 
sind. Von Alex. Pusztay. gr. 8. (14 B.) 
Leipzig, Georg Wigand. 

11. t'rkunden - Sammlung znr Ge- 
schichte des Geschlechts von Maltzahn 
vom Archiv. Lisch, lr Bd. 1197 — 1331. 
Mit 2 Steindrucktfln. gr. 8. (31 \ B.) Schwe- 
rin, Stiller'sche Hofbuchh. in Comm. 

12. Chroniken der Grafscliaft Glatz. 
I. Bd. 14. Heft. Dokumente 1. Liefr. Glatz- 
Pompejus. 60 8. 4. 

13. Die besten Poinmerschen Chroni- 
ken. Herausg. von Ij. v. Mcdi'tn. I. Bd. 
Aach u. d. Titel: Th. Kanzow's Chro- 
nik von Pommern in hochdeutscher Spra- 
che. Nach des Verf. Handschrift, gr. 8. 
Anklam 1841, Dietze. 

14. Nachricht von der Wiederanffindung der 
durch Thomas Hantzow eigenhändig 
geschriebenen zweiten hochdeutschen Ab- 
fassung seiner Poinmerschen Chro- 
nik« Nebst lithogr. Proben der Hand- 
schriften Thomas Kantzows und Nikiaus 
von Klemptzens. Von Prof. Dr. Kosegarten. 
(auf 1 Blatt.) gr. 8. (2 B.) Greifswald, 
Koch in Comm. 

15. Die Gründung»* - l'rkundc der 
Stadt Gartz an der Oder, rücksichtlich 
ihrer Authencität betrachtet vom Conrector 
Schladebach. 8. (2^ B.) Berlin Gropius. 

16. Diplomatisch -kritische Beiträge zur 
Geschichte und dem Staatsrechte von Sach- 
sen. Von Dr. Miircker. 1. Tbl. Markgraf- 
schaft Meissen nebst Urkundenbuche. Leip- 
zig, Brockhaus. 8. (33» B.) 

17. Ueber Formelbucher, zunächst in 
Bezug auf böhmische Geschichte. Nebst 
Beilagen. Ein Quellenbeitrag znr Geschich- 
te Böhmens und der Nachbarländer im 
XIII. , XIV., und XV. Jahrhundert. Von 
Fr. Palacky. lste Liefr. gr. 4. (19 B.) 
Prag, Kronberger. 

18. Der Mongolen Einfall im Jahre 1241* 
Eine kritische Zusammenstellung und Sich- 
tung aller darüber vorband. Quellennach- 
richten, mit besondrer Rücksicht auf die 
Niederlage der Mongolen bei Olmütz. Von 
Fr. Palakif. gr. 4. (5 B.) Ebend. (Beide 
sind ans den Abhandlungen der k. böhm. 
Gesellschaft der Wissenschaften V. Folge, 
Bd. 2., besonders abgedruckt.) 

19. Ueber den Einfluss der Chemie auf 
die Ermittelung der Völker der Vor- 
zeit« oder Resultate der chemischen Un- 
tersuchung metallischer Alterthümer, ins- 
besond. der in den 0*t*eCKouverne- 
ments vorkommenden, Behufs der Er- 
mittelung der Völker, von welchen sie ab- 
stammen. Von Prof. Dr. Göbel. gr. 8. 
(3 B.) Erlangen, Enke. 

20. Handbuch der vorzüglichsten, in Deutsch- 
land entdeckten Alterthümer aus heidni- 
scher Zeit. Von Sup. Wagner, Beschrie- 
ben und versinnlicht durch 1390 lith. Ab- 
bildungen auf 145 Tafeln, gr. 8. (49 B.) 
Weimar, Voigt 



21. Sohlen I ho he« Wappenbuch, 

oder die Wappen des Adels im souverai- 
nen Herzogthum Schlesien, der Grafschaft 
Glatz und der Ober-Lausitz. Vom Archi- 
tekt Dorrt. 15 Hft. gr. 4. (12 lithogr. u. 
sauber illuminirte Blätter mit Einfassung.) 
Görlitz, Heinze et Comp. 

22. Genealogien und beziehungsweise Fa- 
milienstiftungen PomuierNcher, be- 
sonders ritterschaftlicher Familien, ge- 
sammelt, geordnet und weiter ausgearbei- 
tet von Dr. Ooslerding, le Samml. gr. 8. 
(20 B.) Berlin. (Greifswald, Koch.) 

23. Wendische Geschichten aus 

den Jahren 780 bis 1182. Von L. Giese- 
brecht. lr Bd. gr. 8. (20V B.) Berlin 1843. 
Gärtner, Amelang'sche Sort. -Buchhandl. 
Velinp. (Das Ganze giebt 3 Bände; 2r 
u. 3r Bd. folgen bald.) 

24. Ueber den Ursprung und die Grundlage 
der Verfassung in dem ehemals slawi- 
schen Norddeutschland und besonders in 
Pommern. Berlin 1842, Krause. 90 S. 6. 

25. Waren germanische oder slawi- 
sche Ur- Einwohner der beiden L an- 
sitzen? (Soll heissen: Waren die Ur- 
Einwohner der beiden Lausitzen slawischen 
oder germanischen Stammes ?) Von Schelz. 
Görlitz 1842, Heinze. 144 S. 8. 

20. Zusätze und Verbesserungen zu der 
Geschichte der bildenden und zeichnenden 
Künste in Mähren. Mit 2 Holzschnitten. 
28 S. 8. Brünn, Gastl. 

27. Die Slawen in den ältesten Zeiten 
bis Samo. Von R. Kaülfms. Berlin, Schrö- 
der. 116 S. 8. Eine erbärmliche Biicher- 
spekulation, voll gelehrt klingender Re- 
densarten und mit Dingen ausgespickt, die 
bereits abgemacht sind. 

28. Uebersicht der Geschichte des ©st- 
reichiaehen Kaiserthums, von den äl- 
testen bis auf die neuesten Zeiten. Von 
Dr. J. Beidtel. gr. 8. (26fr B.) Brün. 
Wien, Beck. 

29. Geschichte des Östreich. Kaiser- 
staates von Gr. Mailath. 3 Bde. 8. (34 B.) 
aus Geschichte der europ. Staaten. Ham- 
burg, Perthes. 

30. Geschichte von Böhmen. Von 
Fr. Palackg. II. Bd. 2. Abth. (1306-1378.) 
Prag, Kronberger. 8. 490 S. 

31. Handbuch der Geschichte des Her- 
zogthums Kärnthen. I. Abthl. Bis zur 
Vereinigung mit den östreichischen Für- 
stentümern. 1. Heft. Geschichte Kärn- 
thens vor 'der Römer -Herrschaft. Von 
G. Ankershofen, gr. 8. (8^ B., Titelbild u. 
1 Karte in Fol.) Klagenfurt, Leon'sche 
Buchhandl. 

32. Geschichte von Rügen und Pom- 
mern. Von Prof. Dr. Harthold. 3. Thl. 
von 1278-1411. 8. (40^ B.) Hamborg, 
Perthes. 

33. Geschichte der polnischen 
Revolution der Jahre 1830 und 1831 
und ihrer Helden. Mit Benutzung der be- 
sten historischen Quellen bearbeitet von 
Dr. G. Hermes, ls Hft. (Mit 1 Bildniss.) 
gr. 8. (4 B.) Berlin, Hübenlhal et Comp. 



Digitized by Google 



34. Diplomatische Geschichte der polni- 
schen Kmigration. Von oee r. gr. 
8. <22; B.) Stuttgart, Cast'sche Buchh. 

35. Histoire de l'anarchle de Pologne 

et du demembrement de cette repnblique 
par Cl. Rulhii're. Suivie des anecdotes sur 
la revolutlon de Russic, en 17«2, 
par le meine auteur. Nouv. Edit. IV. To- 
ines. 6. (116 B.) Paris et Leipzig 1843, 
Michelsen. 

36. Grosspolens RTationalsasen, Mähr- 
chen und Legenden und Lokalsagen des 
Grossherz. Posen. Von San-Martc. 1. Hft. 
Bromberg, Levit. 8. 80 8. 

37. Bulletin de la Classe des sciences 
historiques, philologiques et politiques de 
l'Academie de St. Peterbourg. Tome 1. 
24 Nro. 4. (Leipzig, Voss). 

38. Berichte über die Verhandlungen 
der Königl. Böhm. Gesellschaft der Wis- 
senschaften in ihren Sectionsversammlun- 
gen von 1840 u. 1841. gr. 4. OH Bgn. u. 
1 Hotzsch.) Prag, Calve in Comm. 

39. Allgemeiner historisch - statistisch - topo- 
graphischer FabrikN-llilder-Atlas 
der östreichischen Monarchie. Von C. v. 
Frankenstein. 1. Liefr. Jan. 1842. Grätz, 
Kienreich. 

40. Mähren topographisch, statistisch u. 
historisch geschildert von Greg. Wolny. 
VI. Bd. Iglaner Kreis. 5s Hft. Brünn 1842, 
Winiker. 8. 128 S. 

41. Historisch - geographisch - statistisch - to- 
pographisches Handbuch vom Reg. Bez. 
Magdeburg. Von Hermes u. WeigeU. 2r 
topograph. Thl. gr. 4. (60 B.) Magde- 
burg, Heinrichshofen. 

42. Geographie des russischen Reiches, 
nach den neuesten Quellen bearbeitet von 
Aug. v. Oldekop. Ptrbg. 1842, Kraj. Hin 
gutes Buch, das seine besondere Brauch- 
barkeit d esshalb hat, weil neben den deut- 
schen Namen allemal die russische Ueber- 
setzung gesetzt ist, so oft ein Zweifel ent- 
stehen könnte, und weil die russischen 
Namen correkt und vernünftig geschrie- 
ben sind. 

43. Verzeichnis!? aller Orte des König- 
reichs Sachsen, gr. 4. (6^ Bgn.) Leipzig, 
Tauchnitz jun. - 

44. Ceber Russlands Wassencr- 
binriuiigcn, wie solche bis zum Jahre 
1830 bestanden und seitdem bis jetzt ver- 
mehrt oder verändert worden. Vom Bar. 
v. Witfenheim. 2te Aufl. mit Nachtrag n. 
1 hydrographischen Karte (v. Stavenhagen). 
gr. 8. (16 ß.) Mitati, Reyher. 

45. Hydrographische Karte des Europäi- 
schen Russlands, nach Anleitung der von 
der Oberverwaltung der Wegecommunica- 
tion, so wie früher von dem Herrn von 
Bachtnrin u. A. herausgegebenen Karten 
zusammengestellt von Stavenhagen. Lith. 
u. illum. Imp. Fol. Mitau, Reyher. 

46. Statistisch -topographische Industrie- 
Karte d. Königreichs llöhinen. Nebst 
erklär. Uebers. 2. Bl. Prag, Borrosch. u. 
Andre. 

47. Sohr's Atlas über alle Theile der 
Erde. 5e Liefr. Bayern, Ungarn, Gallizien 



und Siebenbürgen, Pommern, Schlesien. 
4 Bl. Glogan, Flemming. 

48. General - Karte des Herzogthnms 
Steyermark'; nach der Specialkarte redu- 
cirt im Milit. Geogr. Institute. (Leipzig, 
Weigel.) 

49. Karte des Königreichs Illyrien und 
Herzogthum Steyermark nebst dem kön. 
ungar. Littorale. Vom k. k. General- 
Quartiermeisterstabc. ibid. 

50. Karte der Bukowina oder Czerno- 
witzer Kreis des Königreichs Gallizien, 
nach den zuverläss. Quellen bearbeitet u. 
entworfen. Lithogr. u. illum. Roy. -Fol. 
Leinberg u. Czernowitz, Winiarz. 

51. Karte vom Grossherzogthum Posen, 
speciell? bearbeitet v. Heschet, Reg.-Sekre- 
tair, aus 3 Blatt bestehend, gr. Karten- 
format auf Leinewand in Futteral. (IThlr. 
10 Sgr.) Posen 1842, Scherk. 

52. Kuini Hungarici hactenus cogniti, quo» 
delineatos ac e monumentis historico-nu- 
mariis illostratos exhibet J, Rupp. Perio- 
dus Arpadiana. 4. (32 B.) 11 Steintafeln, 
Pesth, Gelbel. 

53. Polyglotte, oder Sammlung von 
neun Tausend der gebräuchlichsten Wör- 
ter in acht Sprachen und zwei Idiomen, 
nämlich : Französisch , Deutsch , Englisch, 
Spanisch, Holländisch, Italienisch, Russisch, 
Polnisch, so wie in Russischen und Polni- 
schen Idiomen, zum täglichen Gebrauch 
für alle Bedürfnisse des Lebens, des Han- 
dels, der Reisenden , des Rechtsgelehrten, 
des Militairs, der SchifTfabrt und der gros- 
sen Hotels. Von Vnmeyn. Mit einem Wör- 
terbuch für die deutsche Ausgabe, und mit 
fünf für die nichtdeutschen Länder, qu. 
a Fol. (112 B.) Aachen 1841. (Leipzig, 
Michelsen.) 

54. Vergleichende Grammatik des 

Sanskrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, 
Litthauischen , Altslawischen , Gothischen 
und Deutschen von Franz Bopp. 4te Ab- 
theil. 4. (33 B.) Berlin, Dümmler. 

55. Prof. Dr. Pott de Borussio-Lithuaniae 
tarn in Slavicis quam Letticis Unguis prin- 
eipatu. Gommentatio II. 4. (9^ B.) Halle, 
Gebauer. 

56. Nachrichten der Russischen Aca- 
demie. Aus d. Auszuge übers. 3 Tille. — 
II. u. III. Thl. auch u. d. Titel; Unter- 
suchungen über die Sprache. Lex. - 8. 
(45» B.) geh. St. Petersburg 1826. 27. 37. 
(Leipzig, Voss.) 

57. Szrzeniawa's Wortforschungslehre 
der polnischen Sprache. 2 Bde. gr. 8. 
Lemberg. (Leipzig, Librairie Prangere). 

58. Hühiniache Sprachlehre für 
Deutsche* Von V. P. Zink. Brünn 
1842, Rohrer. gr. 8. 440 S. (2 Fl. C. M.) 
Eines der brauchbarsten Lehrbücher über 
diesen Gegenstand. 

59. Theoretisch -praktische Anleitung zur 
schnellen und gründlichen Erlernung der 
ezechisch - slawischen Sprache. 
Von J. N. Konehny. Wien 1842, Rohr- 
mann, gr. 8. 276 S. 

60. Praktische russische Sprachlehre für 
Schulen und den Selbstunterricht. Von 



Digitized by Google 



151 



Prof. J. A. K. Schmidt. (13 Bgn.) 12. Ham- 
burg ii. Leipzig 1843, Schuherth u. Comp. 

61. Schmidt, Prof. J. A. E., Nouveau 
Dictionnaire portatif Russe -Francais et 
Francais- Kusse. Kdit. stereotype. (46|B.) 
16. Leipzic, Charles Tauchnitz. 

62. J. K. Trojanski's deutsch polnisches 
Handwörterbuch. lsHeft. A - Auf. Le.v.-8. 
(11 B.) Posen, Berlin u. Bromberg, Mittler. 

63. Livlamlische Jahrbücher der 
Land wirth schaft. Neue Reihenfolge. 
5r Bd. 4 Hefte gr. 12. Dorpat u. Moskau, 
Severin. — Dem ersten Hefte liegt bei: 
Graphische Darstellung der Witterung, be- 
obachtet u. gezeichnet von Prof. Dr. Mäd- 
ter. (In cni. |Fol ) 

64. Landwirtschaftliche Mittheilungcn 
für das Kurländische Gouvernement. 8ter 
Jahrg. 1642. 24 Nummern (Bogen) gr. 4. 
Mitau, Reyher. 

b) Übersetzungen. 

1. Elisabeth Kulm an. Eine Phantasie 
von Timofejew. Aus d. Russ. ubersetzt v. 
K. F. v. 0. 8. (144 ß.) Leipzig, Friese. 

2. Krylow's Fabeln in acht Büchern. Aus 
d. Russ. von Ferd. Tonte;/. Mit d. Bild- 
nisse des Dichters. 8. (2Ö£ Bgn.) Mitau, 
Reyher. 

3. Der Novize, von Lermontow. Aus 
d. Russ. von Budberg - Benninghausen. 8. 
(3 B.) Berlin, Besser. 

4. Czaykowski's Auserwählte Romane. 
1. 2. 3. 4. Bündchen. Deutsch bearb. von 
J. P. Jordan. 16. Leipzig, Binder. 

c) Vermischte Schriften. 

5. Reise durch Kussland nach dem 
kaukasischen Isthmus in den Jahren 
1836 , 37 u. 39 vorn Prof. Dr. Koch. 8. 
(29 B.) Stuttgart, Cotta. 

6. Dr. Biasoletto, Relazione del Viaggio 
fatto nella prima vera delf anno 1838 dalla 
Maestä del Re Frederico Augusto di Sas- 
sonia nelP Istria, Dalmazia e Montenegro, 
gr. 8. (16} Bgn., des Königs Bildniss u. 
5 Lithogr.) Trieste 1841, Favarger. Velinp. 

7. Reise Sr. Majestät des Königs Fried- 
rich August von Sachsen durch Istrien, 
Onlmatien und Montenegro im 
Frühjahr 1838. Von Dr. Biasoletto. Aus 
d. Italien, übersetzt n. mit Anmerkungen 
versehen von Eugen Frhrn. von Outschmid. 
gr. 8. (9£ B.) Dresden, Gottschalk. 

8. Dr. Ebel, zwölf Tage auf Montenegro. 
1. Hft. Reisebericht. Nebst Ansicht von 
Lettigne, der Residenz des Vladika. gr. 8. 
(8J B ) Königsberg, Born. 

9. Hundert Tage auf Reisen in den öst- 
rcichischen Staaten. Yon Kohl. Zwei 
Theüe. — Auch u. d. Titeln: Reise in 
Böhmen und Reise von Linz nach Wien. 
Mit 2 Titelkupfern. 8. (43 \ B.) Dresden 
u. Leipzig, Arnold. 

10. Bilder aus Böhmens Vorzeit von 
W . A, Oerie. Burgvesten u. Ritterschlösser 
in Originalansichten dargestellt. Gezeich- 
net von Würbs. Prag, Haase Söhne. 8. 
(29+ Bgn.) 



11. Beitrüge zur Kenntniss des Ele- 
meiitarschulwcsens Oberschle- 
Slens von 1764 — 1838. Von Heimbrod. 
Gleiwitz, Landsberger. 96 S. kl. 8. 

12. • Slawen, Russen, Germanen* 
Ihre Verhältnisse in der Gegenwart und 
der nächsten Zukunft. Leipzig, Engel- 
mann. (15 Bgn.) 

13. Der Polen Zukunft. Von Chr. 
Gurowski. Deutsch von Dr. C. Herrmann. 
gr. 8. (3| B.) Leipzig, Hunger. 

14. Geschichtliche Beweise, dass die 
röm. Päbste dem ungar. Reiche zu allen 
Zeiten in jeder Noth und Gefahr mit Rath 
und That treulich beigestanden. Von ei- 
nem Vaterlandsfreunde. 8. (2 B.) Tirnau, 
Wach I er. 

15. Kurland und Ungarn. Eine Pa- 
raltelle von J. v. Csaplowics. Im Anhange: 
Ueber die Deutschen in Ungarn. 8. (9 B.) 
Halle, Berger. 

16. Ungarn im Jahre 1841. 8. (6 Bgn.) 
Leipzig, Meyer u. Wigand. 

17. Zur Charakteristik der Gegenwart in 
Ungarn. 8. (2 Bgn.) Ebendas. 

18. Die Ungarn in ihrem Staats - und 
Nationalwesen von 899 bis 1842. Von 
Alex. Pusztag. Ir Bd. 8. (28 jB.) Leipzig, 
Meyer u. Wigand. 

19. Ungarische Wirren nnd Zerwürf- 
nisse, gr. 8. (4$ B.) Leipzig, O. Wigand. 

20. Ungarns politische Stellung 

in Europa, von Einwanderung der Magya- 
ren bis auf die Gegenwart. Von Gr.v. L. 
80 S. 8. Leipzig, Teubner. 

21. Ungarns Anschluss an den deutschen 
Zollverband. Votum von Kossuth. Ans 
dem Ungar, (soll heissen Miigy arischen) 
von G. St. 64 S. 6. Leipzig, Einhorn. 

22. Ungarns Wünsche. Eine politi- 
sche Abhandlung über die wichtigsten in 
dieser Hinsicht obschwebenden Fragen. 

Von Lnjos v. K (7 B.) kl. 8. Leipzig 

1843, Reclam jun. 

23. Ungarns politische Zukunft. Von 
ff. Berg, (in demselben Jahre schon die 
2te Aull. ) gr. 8. (2 B.) Leipzig, Teubner. 

24. Bemerkungen über die Ostsee!- Gou- 
vernements in Beziehung auf „J. G. Kohl's 
deutsch-russische Ostseeprovinzen." Von 
Prof. Dr. Kruse in Dorpat. 8. (3| Bgn.) 
Leipzig, Brandes. 

25. Erwiderung auf Dr. Fr. Kru- 
se's, kaiserl. russischen Staatsraths und 
Professors an der Universität Dorpat, Be- 
merkungen über die Ostsee -Gouverne- 
ments. Von J. G. Kohl. 8. (2 l s B.) Dres- 
den n. Leipzig, Arnohfsche Buchhandl. 

26. Ueber die Örenz - Verhältnisse der 
östlichen Provinzen der preussi- 
schen Monarchie. Ein politisch -militai- 
risches Fragment. (2 Bgn.) gr. 12. Ham- 
burg, Hoffmann u. Campe. 

27. Preussens und Kusslands Ge- 
nius. Eine Festgabe zur Feier des Vi 4- Juli 
1842. Berlin, Asher. 34 S. 8. — ? — ah! — 

28. Ostdeutschland, Glocke nnd Ka- 
none. Zwei Zeitgedichte. Lex. -8. (1$B.) 
Königsberg, Theile. 



Digitized by Google 



15* 



29. Der Casar und der Nachfolger des h. 
Petrus. Eine Erklärung der päpstli- 
chen Darlegung über die schweren Lei- 
den der kath. Kirche in Russland u. Polen, 
und der damit verbundenen Aktenstucke. 
8. (3i B.) Mainz, Kirchheim. 

30. Russische Zustände. Von Theo- 
dor v. Klingtn. gr. 8. (4£ B.) Königs- 
berg, Theile. 

31. »Petersburger Skizzen. Von Treu- 
mund Welp. 3 Thle. 8. (51 B.) Leipzig, 
Weber. 

32. Allgemeines Adressbuch für das 
Gouvern. Livland und die Prov. Oesel. 
Herausgeg. von Dr. Budberg (Bönninks- 
hausen). Neue Ausgahe. 8. (13£ Bgn.) 
Riga, Götschcl. 

33. • Finnlands Gegenwart u. Zu- 
kunft. Eine Sammlung politischer Streit- 



schriften von J. Hwasser, Pekka Kuoha- 
rinen, C. G. Geijer und Olli Kekaläinen. 
Ans d. Schwed. von N. gr. 8. (25 Bgn.) 
Stockholm, Bonnier. 

34. Sjögren, russ. Akademiker, Ueber 
Finn Magnusen's: Runamo og Runerne. 
8. (0| Bgn.) Petersburg. (Leipzig, Voss.) 

35. Annuaire de la Principaute de Valachie. 
16. (14£ Bgn. mit 1 Karte.) Bukarest, 
Walbaum. 

36. Briefsteller für Privat- und Ge- 
schäftsleute (in 5 Sprachen: Wallaehisch, 
Französisch, Deutsch, Italienisch, Englisch). 
8. 1264 B.) Bukarest 1841, Walbaum. 

37. Les rudimen8 de Thistoire, a l'usage de 
la jeunesse Moldo- Valaque. Par L. Repey. 
(Französisch und Wallachisch.) 8. (22 Ii.) 
Bukarest, Walbaum. 



H> Z,eit*chriftenrevue. 



Kwety. Nr. 1 — 6. „Nowf rok (Neu- 
jahr) "; eine recht hübsche Erzählung, aus 
dem Vorhandenen zu schliessen. 2. Unter 
dem Titel: „Ohaaky a Palcaty" wird eine 
besondere Rubrik zu Berichten über aus- 
wärtige Journalartikel und Verteidigungen 
gegen Verläumdungen und Entstellungen des 
„böhmischen Volkes und Namens" bestimmt 
und dieselbe mit einem Artikel gegen die 
Wiener Theaterzeitong (letzte Nummer 1642) 
eröffnet. 3. Das Gedicht Newesta; sehr 
schwach. 4. Napoleons Leibpagen. An sich 
interessant. 6. PadneS (du sinkst!) von Ne- 
besky , zu wenig klar. Ecin Gieraj , eine 
historische Erzählung. — Beilage. BFo- 
winy« Kurze Uebersicht der böhmischen 
Literatur im Jahre 1842. Ein , dem Anfange 
nach, guter Artikel, über den später ein 
Mehreres. — Uebrigens bemerken wir, dass 
der neue Jahrgang wieder Fortschritte in 
der äussern Form gemacht ha'. Das Format 
einerseits ist bedeutend grösser, als das der 
früheren Jahrgänge. Anderseits wird nun 
auch Alles mit lateinischen Lettern gedruckt. 
In allem Anfange nämlich wurde diese Zeit- 
schrift ganz mit deutschen Lettern gedruckt; 
später ling man an, die Gedichte mit den 
allgemeiner werdenden lateinischen zu dru- 
cken, dann auch die Correspondenzen und 
andere Nachrichten, so dass in den letzten 
Jahrgängen nur noch die Erzählungen deut- 
sche Lettern behielten. Diese sind denn nun 
auch lateinisch . und so hat das Ganze an 
schönem, gleichmässigein Aussehen bedeu- 
tend gewonnen. 

Ont und West. Nr. 2. Illyrische 
Literatur: Ueber Gaj'a deutsch -illyrisches 
Lexicon; Berlid Grammatik (2te Auflage); 
Pogled n Bosnu ili kratak put u onu krajinu, 
uCinjen 1839 — 1640 po jednom Domorodcu. 
Ein Blick nach Bosnien, oder eine kurze 
Reise in jenes Land im Jahre 1839—1840; 
und Mali Katekizam za velike ljnde od Drag. 
RakoYca: Kleiner Katechismus für grosse 



Leute von Drag. Rakovac. Beides interes- 
sante Schriften ; letztere über die Reibungen 
der Ungarn mit den Illyrern. — Nr. 4. Ko- 
menius und seine Nachfolger in Böhmep. 
Besonders ist es Dr. Ammerling, der be- 
kannte naturphilosophische und Gewerbe- 
schriftsteller, und J. Swohoda, Lehrer einer 
Kleinkinderschule, der bereits 1839 seine 
„Kleinkinderschule (Skolka)" schrieb (auch 
in's Polnische und Dänische übersetzt) ; im 
folgenden Jahre ein kleines Lesebuch für 
denselben Zweck: Mary fctenar (kleiner Le- 
ser) , 1841 einen Maly pisa? (kl. Schreiber), 
vor Kurzem wieder: Cech a Nemec (der 
Czeche und der Deutsche), Uebungen im 
Deutsch- und Böhmisch -Sprechen herausgab. 
An sie schliessen sich seine: „Lieder für 
Kleinkinderschulen" von Prof. W. A. Swo- 
hoda in's Deutsche übersetzt und so eben 
bei J. Hoffmann in Prag erschienen. — 
Nr. 10. I'ilder aus Bosnien. Dem Kroati- 
schen nacherzählt von Prof. Wanicek. I. Sa- 
rajevo. 11. Die schöne Fata und Mehmed. 
III. Aschik Wahala und die Liebschaften. 
Nette Bilderchen, characteristisch und in- 
teressant. — Nr. 12. Der alte Diener. Nach 
dem Polnischen des Wojcicki von B. Dorfe!. 
Hübsche Erzählung. — Nr. 13—14, Fort- 
setzung davon. 

Leipxi^er allgem. Zeltung. 
Januar. Nr. 3. Beil. Verteidigung der Op- 
position in Bezug auf Ungarn. Ein Gegen- 
artikel, nur als solcher von Werth. — Nr. 9 
u. 10. Ueher das Buch: „Slawen, Russen, 
Germanen"; ein grosser Bericht, welcher 
das Politische desselben besonders hervor- 
hebt. — Nr. 22. Seit der Einverleibung 
Finnlands zu Russland hat sich in diesem 
rein protestantischen Lande allmühtig, ohne 
Bemühung der Regierung, sondern in Folge 
der Umstände eine bedeutende russisch-grie- 
chische Bevölkerung ausgebreitet. Man rech- 
net jetzt etwa 30,000 Bekenner der russischen 
Kirche, also jährlich im Durchschnitt 1000 



Digitized by Google 



153 



Köpfe. — Nr. 24. Ueber die polnisch -na« 
tionale Lebenathütigkeit im Posenseben, be- 
sonders über die Bestrebungen), den Bürger- 
und Bauernstand zu beben, die drei Vereine 
in Gostyn, Gnesen und Schamotuiy, so wie 
über die Leistungen des Historikers Xuka- 
schewiez wird sebr viel Wahres berichtet. 
Nur ist der Verfasser auf dem Holzwege, 
wenn er „zu den Holen in Preussen — nur 
den grossen Theil der Bevölkerung der po- 
senschen Provinz rechnet und nicht, wie 
jene Slawomanen, auch die Hälfte von Schle- 
sien und ein Stück von Ostprenssen. 14 Für's 
Erste rechnet Niemand halb Schlesien zu den 
Polen, sondern nur die grössere Hälfte von 
Oberschlesien, die von Polen bis diese Stunde 
bewohnt ist. In Ostpreussen ist der ganze 
südliche Strich des Landes bis an die Weich- 
sel, und von da etwas an ihrem linken Ufer 
ab bis nach Danzig und an die Ostsee hin- 
unter ebenfalls bis zur Stunde von Polen 
bewohnt Und der Verfasser wird sie mit 
seinem Gänsekiel wohl schwerlich von da 
„ausrotten/* Da nun aber diese Leute ein- 
mal Polen sind, und jene Lander zu P r e u s- 
sen gehören: so ist es keine Slawomanie, 
sondern es wäre vernagelte Dumm- 
heit, sie nicht zu „den Polen in Preussen" 
rechnen zu wollen. Der Verfasser wider- 
spricht sich in dieser Hinsicht selber, da er 
später ausdrücklich erklärt, der „literarische 
Ausschuss" sei bemüht, seine polnischen 
Schriften auch „in Ostpreussen bei den Ma- 
suren, in Schlesien bei den Wasserpolen, so 



wie Gallizien" auszubreiten. — Nr. 28. Beil. 
wird die Hospodarswahl in Bukarest aus- 
führlich und in's Detail beschrieben. 

Augsburger nllgem. Zeitung* 

Januar. Nr. 7. Beil. Reisebriefe aus der 
Krimin, Baktschisaraj. Sind recht interes- 
sante Schilderungen. — Nr. 15. Gewerbliche 
Zustände in Polen und Kussland; sehr viel 
genaue Daten über Zoll und Eingang von 
Waaren. — Nr. 16. 17. 18. Beil. Ueber 
Schwedens Stellung zu Kussland u. Deutsch- 
land. Ein tiefdurchdachter Artikel, in dem 
erstens die ungeheuren materiellen und po- 
litischen Vortheile Kusslands bei der Erwer- 
bung Finnlands dargethan, dann aber auch 
die Nachtbeile aufgezählt werden, welche 
Schweden durch dessen Verlust gehabt; de- 
ren nicht geringster ist, dass Schweden ohne 
Finnland zu einer Macht zweiten Ranges 
herabgesunken. Daraus hat es die Verbin- 
dung mit Norwegen nicht gezogen; nur 
wenn Dänemark sich an sie zu einem Staate 
anschtiesst, kann Schweden die alte Stellung 
wieder erringen. Und das wird als leicht 
möglich dargestellt. Dann aber auch noch 
in Aussicht gestellt, dass Finnland wieder 
schwedisch und die Ostseeprovinzen deutsch, 
nämlich preussisch werden. Wie bald mag 
der Mann wohl meinen, dass das geschieht; 
Nr. 22. Beil. Ueber das juridische Werk von 
Pusztay über Ungarn, eine sehr anerken- 
nende Besprechung. — Nr. 31. Die hohen 
Begriffe von der Industrie im Königreich 
Polen als illusorisch dargestellt. 



VII. 

Miscellen. 



In Charkow erscheint ein besonderer 
„ukrainischer, literarischer 
Sammler," unter dem Titel: Mmoaski» 
(der Anfänger), in zwei Bänden, herausge- 
geben von J. Becki. Die bekanntesten russi- 
schen, besonders auch die charkower Schrift- 
steller nehmen Antheil an demselben. Der 
Redacteur bemüht sich, seine Sammlung 
durch den localen Charakter und das locale 
Interesse auszuzeichnen. Ausser einigen Ue- 
bersetzungen aus dem Polnischen, wie von 
Korzeniowski's piqty akt, seinen Gorali 
(Fragment) und K rasch ewski's Mädchen 
von Ostra brama, enthält der erste Band in 
kleinrussischer Sprache: Perekatipole von 
Osnowianenko , der Bettelsack, die Jagd 
(Volkssagen); ein Bruchstück aus der Kö- 
niginhofer Handschrift, übers, von Haika; 
ukrainische Nationalromanzen, Hochzeitlie- 
der u. 8. w. Der zweite Band; Die ersten 
Kriege der kleinrussischen Kosaken mit den 
Polen; ein Bild von kleinrussischen Ueber- 
lieferungen nnd Sitten. Leb ersieht der in 
kleinrussischer Sprache geschriebenen Werke 



von Halka u. A. Dazu kommen Portraits 
von ukrainischen Schriftstellern und grossen 
Männern (Dubr. lutrzenka). 

Die Warschauer Zeitschrift: Iutrzdnka- 
Dennica (polnisch und russisch zugleich), 
redigirt von Dubrowski, welche bisher mo- 
natlich zwei Mal zu 1'/, bis 2 Bogen stark 
erschien und mit unsern Jahrbüchern die 
Idee des Panslawenthums gemein hat, er- 
scheint von Januar dieses Jahres an in mo- 
natlichen Lieferungen. 

Unter dem Titel: „Lieder des polni- 
schen Volks (pie&ni ludu polskiego) , hat 
Herr Kolberg, ein junger, vielversprechen- 
der Compositeur, bei Znpanski in Posen 
24 Lieder, Text und Melodie mit trefflicher 
Begleitung, herausgegeben, welche in der 
musikalischen Welt eine desto grössere Auf- 
merksamkeit verdienen, je nationaler sich 
die polnische Musik bisher entwickelt hat. 
Die Ausstattung ist ausgezeichnet nnd eines 
solchen Unternehmens, das den Dank Aller 
verdient, würdig. 



Digitized by VjOOQle 



154 



Ausser dem „Rok 1843", von wel- 
chem wir oben eine Inbaltaanzeige gaben, 
wird in Posen auch noch ein anderes Unter- 
nehmen ähnlicher Art angekündigt. Es soll 
den Titel „Lech 4 * führen and vom Anfange 
dieses Jahres an von der Redaction des 
„Tygodnik" in einzelnen Heften, jedoch so 
ausgegeben werden, dass jährlich zwei Bän- 
de, jeder zu 20 Bogen, erscheinen. Die 
Schrift ist, nach der Ankündigung, dem fort- 
schreitenden Nationalleben gewidmet, und 
wird enthalten : Abhandlongen im Betreff des 
socialen Lebens überhaupt, theologische, po- 
litische, historische, philosophische, juridi- 
sche und administrative Abhandlungen; Kri- 
tiken der neuesten polnischen, deutschen, 
französischen, englischen (von böhmischen, 
iüyrischen, russischen nichts?) Werke, wel- 
che die oben angeführten Gegenstände be- 
sprechen; die wichtigsten Zeitereignisse mit 
angehängten Betrachtungen. — Der Pränu- 
merationspreis auf 6 Hefte oder einen Band 
beträgt 3 Thaler. 

Von den Gedichten des Oberschle- 
siers Ijoinpe, deren erster Band so viel 
Aufseben machte und das nationale Gefühl 
für das Polenthuin in jenen Gegenden zu so 
lebendigem Bewnsstsein brachte, ist eben 
der zweite Band erschienen. 

Eine der thätigsten Buchhandlungen in 
Posen ist gegenwärtig die sogenannte: Neue 
Buchhandlung, Kamienski u. Comp. Die 
von derselben herausgegebene Zeitschrift: 
Dziennik domowy» Hausblatt, ist rein 
auf gebildete Unterhaltung und Belehrung 
berechnet; sie bringt daher vorzuglich No- 
vellen, aber diese sind gut; die Namen der 
Verfasser derselben bürgen schon dafür, 
Goszczynski, Sieinienski. Neben ihnen ste- 
hen sociale Abhandlungen von Dr. Libelt, 
so wie die Berichte über die im Dzialynski- 
schen Palais gehaltenen polnischen Vorlesun- 
gen. Besonders interessant waren im Jahr- 
gange 1842 auch die Nachrichten über die 
Vorlesungen von Mickiewicz in Paris, die 
regelmässig auf einander folgten. Die Be- 
richte über Moden und die Modenkupfer sind 
freilich eine an sich unnütze, aber dem ge- 
genwärtigen Geschlechte nun ein Mal unum- 
gänglich nothwendige Zugabe, die von allen 
Seiten gefodert wird. — Ein viel ernsteres 
Unternehmen ist der „Rok 1$43", über 
den wir oben berichteten. — Sehr interes- 
sant sind: Die Geschichte der polnischen 
Republik bis zum XV. Jahrhunderte, von 
Andr. Moraczewski und Krdl Zamczyska: 
der König des Schlosses, eine Erzählung 
von Sew. Goszczynski. Ueber beide Schrif- 
ten sprechen wir im nächsten Hefte aus- 
fuhrlicher. — Für dieses Jahr sind ange- 
kündigt: Switezianka, dramatische Phantasie 
von Luc Siemienski; Muzamerit oder Er- 
zählung bei Mondschein von dems.; Poesien 
von Berwinski, und endlich: Philosophie der 
schönen Künste von Dr. K. Libelt, von wel- 
chem bereits eine vortreflliche Arbeit dieser 
Art in der Bibl. Warsz. stand. 

Die Gesellschaft zur Druckbeförde- 
rung von streng wissenschaftlichen und klas- 



sischen Schriftwerken in böhmischer Sprache 
in Prag, deren Mitglieder, Stalcy, d. i. be- 
ständige Abonnenten genannt, und gegen- 
wärtig wohl über 300 an der Zahl, sich ver- 

E fliehtet haben, jedes in jenen Bereich ge- 
örige Buch zu kaufen, tritt gegenwärtig 
nach mehrjährigem, bescheidenem Wirken 
im Stillen in das Gebiet der Oeffentlichkeit 
und fängt an, seibat Werke der bezeichne- 
ten Art zu verlegen; der beste Beweis von 
innerer Kraft und Entschlossenheit. Sie be- 
sitzt eine eigene Kanzlei in Prag und hat 
es unternommen, die Classiker aller Zeiten 
nnd Völker in guten Uebersetzungen heraus- 
zugeben. Der Anfang wurde mit Shake- 
speare gemacht, dessen Werkt* indess ein 
besonderer Verein von Bühnenfreunden in 
Prag zu verlegen übernahm. Othello, über- 
setzt von J. Maly, ist bereits erschienen und 
ein zweites Stück befindet sich unter der 
Presse. Ausserdem wurden Thomson's Jah- 
reszeiten, böhmisch von Fr. Daucha, ver- 
sendet. Die Direction fordert in einem Auf- 
rufe zur Theilnahme auf und schliesst ihre 
Worte mit folgenden, kräftigen Ausdrücken: 
„Die Zeit bringt alles an das Tageslicht, 
und das Wahre und Gute und Schöne wer- 
den gewiss immer siegen, wenn auch jene 
ewigen Grundpfeiler eine längere Zeit und 
Ausdauer und Anspannung aller geistigen 
und weltlichen Kräfte erfoderten. Ein Volk, 
das seine Lebensbestimmung wenigstens ge- 
wisser Massen verstehen gelernt hat, ent- 
wickelt eine überaus reiche Fülle von früher 
ungekannten Kräften; und wenn sie dieselbe 
erreicht, so klatscht die ganze Welt aus 
voller Seele ihren reinhumanen Bestrebun- 
gen Beifall zu. " 

Die Mährischen Volkslieder 

wurden bereits von H. Fr. Suschil in zwei 
Bändchen (1840 und 1841, wenn wir .nicht 
irren) herausgegeben. Jetzt sammelt ein H. 
Lelek in Hulczin (?) eine Nachlese unter 
den Mähren in Schlesien. 

Die Zahl der sogenannten Orfinder 
der Matlce cesk» (als solche werden 
alle jene angesehen, welche im Verlaufe von 
5 Jahren die Summe von 50 Fl. C. M. er- 
legen) hat im Verlaufe des Jahres 1842 um 
ganze 10O Personen zugenommen. 

Der bekannte Dichter S. Hn&wkows- 
ky, einer der ältesten und ersten Dichter 
in der neuerwachten böhmischen Literatur, 
hat so eben in seinem 73. Lebensjahre ein 
Gedicht in neun Gesängen vollendet und 
zum Druck fertig gemacht, das den Titel: 
„Iloctor Faust" führt. Es ist diess 
eine neue, aber selbstständige Bearbeitung 
der berühmten Sage. 

Lazecznikow's ausgezeichneter (rus- 
sischer) Roman: das „Kishnus", wird 
in's Böhmische übersetzt; deutsch ist er schon 
erschienen. 

Nach einem Berichte der deutschen Agra- 
mer politischen Zeitung ist es der illyrischen 
Nationalzeitung durch ein Hofdekret verbo- 
ten worden, sich ferner „Illyrisch" zu 



Digitized by Google 



155 



trennen; angeblich, damit die Partheiungen 
aufhören, welche durch diesen Namen ent 
standen sind. 

In Laihach (Krain) soll eine Zeit« 
schritt in krainischer Sprache 

herauskommen; der Hauptinhalt aber Oe- 
konomisches und Haus wirtschaft- 
liches besprechen. 

Herr Joseph Chladek hat in Prag 
eine Singschule gegründet (es bestehen schon 
mehrere solche, deutsch), wo auch Uöh- 
■nisch Bingen gelehrt wird. 

Unter dem Titel: „Slawische Bn- 
lalnjka", hat der, der deutschen Lite- 
ratur auch besonders durch seine trefflichen 
üebersetzungen aus dem Slawischen wohl- 
bekannte, W. v. Waldbrühl, eine Samm- 
lung von grossrussischen, ukrainischen und 
polnischen Volksliedern herausgegeben, die 
so eben bei Hirschfeld in Leipzig erschienen 
ist. Das Buch enthält auf XII u. 524 Seiten 
in gr. 8. unbedingt die reichhaltigste Samm- 
lung von den gelungensten üebersetzungen 
der Volkslieder der beiden slawischen Haupt- 
stämme. Die Uebersetzung ist so fliessend, 
so gut deutsch und dennoch häufig so wort- 
getreu, dass mau über die Gewandheit des 
Uebersetzers staunen müsste, wenn man sie 
nicht von früher her schon kennte, üeber 
den Inhalt, die gelungene Auswahl, kommen 
wir im folgenden Hefte zu sprechen. 



An merk. Bei dem ungemeinen Interesse, 
das gegenwärtig die polnische Nationalität 
in Schlesien bei den Deutschen sowohl als 
bei den Slawen findet, ist jede Nachricht 
wichtig, welche den Gegenstand nur in Et- 
was sicher und klar darzustellen vermag. 
"Wir theilen daher auch folgendes Bruchstück 
einer Correspondenz im Tygodnik lit. mit, 
da der Verfasser derselben, sonst als red- 
licher und tüchtiger Mann hinlänglich be- 
kannt, aus eigener Anschauung spricht. 

Breslau, November 1842. 

Die Beschuldigungen, welche einige Male 
in der Leipziger allgem. Zeitung gegen un- 
seren, seit lange von Polen abgefallenen 
Landestheil vorgebracht wurden, die Arti- 
kel, welche dem Volke von Oberschlesien 
alle Zeichen der polnischen Eigentümlich- 
keit absprachen, welche behaupteten, dass 
dieses Volk bereits dermassen vom deutschen 
Elemente durchdrungen sei, dass es lächer- 
lich wäre, irgend eine Rücksicht auf die 
Muttersprache desselben zu beanspruchen: 
hatten in mir die Lust erregt, die Verhält- 
nisse näher kennen zu lernen. Ich nahm 
mir also vor, jene Gegend zu besuchen und 
sie in die Länge und Breite zu durchwan- 
dern, um mich durch eigene Anschauung 
von der Wahrheit zu überzeugen. Da in- 
dess die hierzu nothigen Mittel nicht aus- 
reichten, so musste ich mich nur auf einen 
kleinen Flächenranm beschränken. Damit es 
jedoch nicht den Schein gewinne, als wolle 
SUw. J.brb. r. 



ich, nachdem ich einen Theil kennen gelernt, 
über das Ganze sprechen , so bezeichne ich 
zuerst das Bereich meines Ausflugs. Von 
Oppeln aus ging ich auf der Strasse nach 
Strelitz, Dost, Peiskretscham, Gleiwitz, Kö- 
nigshütte, Betitlien , Tarnowitz, Lublinitz, 
Gutentag, Malapane und wieder durch Op- 

f>eln nach Brieg. Mehrere Male verliess ich 
lier die Landstrasse, besuchte die Dörfer 
innerhalb dieses Umkreises und war nicht 
wenig erfreut , da ich 'einen ganz andern 
Stand der Dinge antraf, als man bisher ge- 
wöhnlich meinte. Die Aussprache des Vol- 
kes in den Dörfern ist ausdrucksvoll, aber 
etwas verbauert, ganz wie im Posenschen; 
stellenweise jedoch spricht man den Vokal a 
weit reiner, und das nasale e wie das fran- 
zösische en aus. Die weichen Consonanten 
cz, rz, sz verwandelt man in harte und zwar 
um so merklicher, je mehr man zur kra- 
kauer Grenze kommt (wo sie bekanntlich 
auch hart ausgesprochen werden). Die Spra- 
che ist überhaupt, so viel sich das aus dem 
Munde des Volkes erforschen lässt, hinrei- 
chend fliessend und wohltönend; Germanis- 
men sind noch so selten, dass man sich in 
der That wundern muss, wie die Bemühun- 
gen um Einführung der deutschen Sprache 
so ganz in Nichts verschwinden konnten. 
Die Art der Anrede an Fremde in der 3ten 
Pers. PI. , welche auch in Böhmen und Uly— 
rien, zweifelsohne seit der Einnahme dieser 
Länder durch die Oestreicher, verbreitet ist. 
und das antwortende „Ja!'* anstatt „tat 
sind die zwei gewöhnlichsten Germanismen. 
Beim Zählen setzen die Oberschlesier oft 
die kleinere Zahl voraus; allein sie kennen 
auch die gewöhnliche Weise, so dass ich 
von einem und demselben Menschen in ei- 
nem und demselben Satze Folgendes hörte: 
„mialem tedy lat osm dwadzieicia (acht und 
zwanzig), teraz jui mam trzydziesci piec 
(dreissig fünf)." Die Ausdrücke: ,, pieknie 
dziekuj?", — augenscheinlich das deutsche 
„schön Dank" — werden oft wiederholt; 
dafür aber findet man einzelner Ausdrücke, 
die unmittelbar aus dem Deutschen über- 
nommen wären, im Flusse der Rede des 
Landmannes über alle Erwartung wenig. 
Einige sind aus dem Böhmischen angenom- 
men, z. B. stadek statt piwowar, dycki 
statt zawsze; neben ihnen haben sich viele 
altpolnische Redeweisen erhalten, wie sifa 
in der Bedeutung wiele, &wiecznik (Leuch- 
ter), wiadro statt weborek, cma (Rauch- 
wolke). — Das Geld zählen sie nur nach 
piftaki (Gröschel) oder drei Pfennige, und 
zwar gibt es bei ihnen böhmische, rheini- 
sche und harte Gröschel. Der augenschein- 
lichste Beweis indess, wie wenig und wie 
langsam sich das Deutsche hier Verbreite, 
besteht darin, dass das Volk in den Dörfern 
grösstenteils nicht einmal weiss, wie selbst 
die nächsten Städtchen deutsch heissen, so 
dass man nur mit Mühe den Weg erfragen 
kann, wenn man ihre polnische Benennung 
nicht weiss. In den Städten ist die Sprache 
schon mehr gemischt; die niedere Classe 
spricht mit Ausnahme fremder Einzügler 
ausschliesslich polnisch und versteht kaum 

Digitized by Ood^Ie 



156 



deutsch (das Sprechen ist ihr aber immer 
noch sehr schwer) ; die vermöglicheren Be- 
wohner sind in der That beider Sprachen 
mächtig, aber anch unter ihnen kennt man 
sogleich den Polen aus ; die Beamten wieder 
reden fast allgemein nur deutsch. Die Ju- 
den, welche grösstentheils die Schänken auf 
dein Lande und den Handel in den kleinen 
Städten übernommen haben, verstehen ihr 
Interesse so gut wie überall und haben sich 
die Volkssprache so gründlich zu eigen ge- 
macht, dass man oft aus ihrer Aussprache 
auch nicht im Entferntesten ihre Abkunft 
erkennen kann. — Uebrigens ist das Volk 
tugendhaft, aufrichtig und gastfrei, aber 
weiss wenig von der Welt Gottes; denn 
wie könnten es auch die Schullehrer und 
Geistlichen irgend etwas lehren, da sie ja 
seine Sprache nicht verstehen? Und wenn 
nun unter solchen Umständen nach so viel- 
jähriger Erstarrung jetzt ein geistiges Le- 
ben sich zu zeigen beginnt, wenn selbst ein- 
zelne Fruchte dieses Erwachens hervortre- 
ten , soll man sie nach dem deutschen Masse 
messen, sie verspotten und aushöhnen als 
Infusorien? Wie unpassend und kindisch 
nehmen sich solche Urtheile aus, neben Ar- 
tikeln, worin Klage geführt wird, dass in 
dem Gymnasium zu Luxemburg bei einer 
öffentlichen Einschreibung Reden in franzö- 
sischer Sprache gehalten wurden, dass wäh- 
rend der ganzen Feierlichkeit zwischen der 
deutschen Jugend und den deutschen Leh- 
rern auch nicht ein Wort deutsch gewechselt 
wurde! Hellt doch die Hindernisse auf, 
welche jeden Fortschritt der Aufklärung in 
Oberschlesien hemmen, gebt dem Volke 
Lehrer, welche seine Sprache kennen und 
sich mit ihm verständigen können (und seien 
sie auch von germanischer Aufklärung durch- 
drungen); dann wird es ohne Zweifel jene 
überholen, welche es heute verhöhnen. Un- 
terdessen müssen wir aber Erscheinungen, 
wie die Gedichte vom Lompe, wenn gleich 
Infusorien, mit Begeisterung aufnehmen, denn 
sie verkünden uns eine neue Epoche für Schle- 
sien. Die jungen Geistlichen erkennen auch 
die Notwendigkeit an und lernen polnisch. 
. . . Anidewski. 

Brünn, 6. Januar 1643. 

Wie in so vielen Punkten ist es doch 
in Böhmen ganz anders, als bei uns! Ein 
eigentümliches Schicksal scheint über Mäh- 
ren zu walten, dass wir uns gar nicht zu 
einiger nationeller Kraft zu erheben im Stan- 
de sind. Viel trägt dazu der Umstand bei, 
dass wir keinen Centraipunkt unserer gei- 
stigen Entwickelung haben; denn wir haben 
zwei Hauptstädte und sind überdiess ge- 
wohnt, Prag auch für unsere nationale Mut- 
ter anzusehen. Dazu kommt, dass der süd- 
östliche Theil unserer Slawen schon mehr 
den slowakischen Dialekt spricht, während 
in einzelnen Gegenden des Nordens der pol- 
nisch - schlesiscoe Accent überwiegend ist. 
Am meisten schadet aber der Entfaltung un- 
serer mährisch -czechischen Nationalität der 
gänzliche Mangel einer besondern mäh- 



rischen Zeitschrift, welche sich aus- 
schliesslich mit den Interessen unseres Lan- 
des befasste. Das Bedürfniss einer solchen 
zeigt sich in jeder Hinsicht so klar und be- 
stimmt, dass es selbst ein Blinder nicht läug- 
nen kann. Und dennoch erhebt sich noch 
keine. Die Kräfte kommen nicht zusammen; 
die Böhmen sind uns weit vorangeeilt, und 
machen es möglich, das gröbste Bedürfniss 
bei ihnen zu befriedigen. Allein das reicht 
bei weitem nicht hin; jeder ächte Mährer, 
jeder ächte Czeche wird das zugestehen. 
Auf einem ganz andern Felde, als wir er- 
warteten, ist nun ein kleiner Anfang zum 
Zusammenwirken mehrerer für die Landes- 
interessen gemacht. Der bekannte und höchst 
verehrte Professor Fr. Diebl nämlich, wel- 
cher bereits so viele Opfer gebracht hat, um 
unseren Landmann auf eine höhere Stufe 
der Bildung und des Wohlstandes zu erhe- 
ben, hat den Entschluss gefasst, eine be- 
sondere Zeitschrift für das mähri- 
sche Landvolk, mit Berücksichtigung 
seiner wahren, geistigen und materiellen Be- 
dürfnisse herauszugeben. Das Unternehmen 
entspricht denen in [Böhmen erscheinenden 
gleicher Art und wird gewiss in Kurzem die 
gesegnetsten Früchte für unser Land brin- 
gen. — J. 

Prag. . . . 

Wie mächtig sich unsere Nationalität in 
jeder Hinsicht zu heben beginnt, hat sich 
besonders im vorigen und im Anfange des 
jetzigen Jahres gezeigt. Das böhmische Na- 
tionalmuseum , dessen unter dem Namen 
Matice ceskä bekannter Unterstützungsfond 
für die Nationalliteratur sich in etwas mehr 
ah einem Decennium zu einer so ausser- 
ordentlichen Höhe empor geschwungen hat, 
dass sein Stammkapital von nun an nicht 
mehr vermehrt zu werden braucht, hat im 
vorigen Jahre das höchst wichtige Unterneh- 
men der Herausgabe einer böhmischen Bi- 
bliothek, and zwar einer alten und neuen, be- 
gonnen. Werke, wie Viktorin von Wschehrds 
böhmisch«.: Gesetztafeln, Jungmanns vermisch- 
te Schriften, Smetanas Physik, sind die Zierde 
der böhmischen Literatur, und ihre Nachfol- 
ger werden es nicht weniger seyn. Die Ge- 
sellschaft der Stalci für Abnahme aller rein 
wissenschaftlichen und classischen, in böh- 
mischer Sprache erschienenen Werke, hat 
ihre Kräfte concentrirt und giebt sämmtliche 
Classiker des Auslandes in guten Ueber- 
setzungen heraus. Beiden diesen für sich 
bestehenden Gesellschaften ist es nach den 
Umständen möglich, ihre Verlagswerke zu 
einein sehr niedrigen Preise auszugeben, 
was für eine junge Literatur , wie die onsri- 
ge, von höchster Wichtigkeit ist. Die Ge- 
sellschaft des heiligen Johannes des Täufers 
endlich verwendet ihre bedeutenden Capita- 
lien ausschliesslich zur Veröffentlichung von 
religiösen und erbaulichen Schriften, beson- 
ders für das Volk, und weiss vermittelst der 
Geistlichkeit denselben eine ausserordentliche 
Verbreitung zu verschaffen (nicht selten in 
sechs und mehr Tausend Exemplaren). — 



Digitized by Google 



Was aber unbedingt am meisten in das Volk 
eingreift and den Sinn für die heimische 
Sache in den weitesten Kreisen auszubreiten 
veimag, ist das Theater. Viele Jahre 
spielten nur Dilettanten, später Dilettanten 
und besoldete Schauspieler gemeinschaftlich 
an dem ständischen ( deutschen ) Theater. 
Jetzt endlich sind wir dahin gekommen, dass 
wir nicht bloss ein eigenes Schauspielhans, 
sondern auch eine besondere Schauspieler- 
gesellschaft für das böhmische Theater be- 
sitzen. Beides verdanken wir dem thätigen 
und umsichtigen Direktor und Pächter des 
ständischen Theaters, Herrn Stöger, wel- 
cher nicht nur auf eigene Faust, mit unge- 
heuren Kosten, zu diesem Zwecke ein gross- 
artiges Gebäude in der Kosengasse aufrührte, 
sondern nun auch noch eine besondere Ge- 
sellschaft für dasselbe zusammen brachte. 
Der Dank der ganzen Nation (folgt ihm da- 
für und jedermann ist bemüht, die Last der 
Ungeheuern Ausgaben, welche zu diesem 
Zwecke notwendig sind, nach Kräften tra- 
gen zu helfen. Herr Stöger empfängt diese 
Beweise von Dankbarkeit mit frohem Be- 
wusstsein, und bietet auch von seiner Seite 
Alles auf, das neue Theater in jeder Hin- 
sicht zu heben. So hat er vor Kurzem ei- 
nen dreifachen Preis für das beste, bühnen- 
gerechte, dramatische Werk in böhmischer 
Sprache ausgesetzt. Das Originaldrama ern- 
sten oder heitern Inhalts, das von den dazu 
bestimmten Richtern für das Beste erkannt 
wird, erhalt einen Preis von 20 Dukaten in 
Gold; das zweite nach diesem 15 Dukaten, 
ein drittes 10 Dukaten; unter der einzigen 
Bedingung, dass dasselbe zur freien Auffüh- 
rung auf dem Prager Theater hergegeben 
werde. Zu diesem löblichen Vorhaben ist 
ein zweiter, „Ein Liebhaber der böhmi- 
schen Sprache, der ungenannt sein will", 
hinzugetreten und bietet den Verfassern je- 
ner drei Stücke ein gleiches Honorar nach 
den drei Graden für die Berechtigung, die 
gedachten drei Stücke Öffentlich in den Druck 
zu geben. Zu Schiedsrichtern bei dieser 
Preisbewerbung sind bestimmt: die Herren 
Joseph Jungmann, als Vorsitzender, dann 
der Kleinseitner Hnmanitäts- Professor Wen- 
zeslaw Swoboda, der ständische Historio- 
graph Franz Palacky, der Professor der 
böhmischen Sprache n. Literatur Jan Kaubek 
und der bekannte Dichter Erasmus Wocel, 
als Beisitzer. Die Einsendungen müssen wie 
gewöhnlich versiegelt an den Direktor Stöger 
gemacht werden. Der letzte Termin ist Weih- 
nachten 1843. — Ein solches, in unserer 
Literatur bisher unerhörtes Faktum, kann 
nicht anders als von den wohlthätigsten Wir- 
kungen für unsere Kunst und Literatur sein. 
Weil nun diese Verdienste des Direktor Stö- 
ger von allen Seiten gebührend anerkannt 
werden, so hat sich, um seinen Bestrebun- 
gen für die Entwickelung einer dramatischen 
Literatur kräftige Unterstützung zu geben, 
in Prag eine Gesellschaft von Männern ver- 
eint, welche, Freunde des böhmischen Thea- 
terwesens, sich entschlossen haben, sämmt- 
liche dramatische Schriften Shakespeares in 
guten Uebersetzungen auf eigene Kosten her- 



auszugeben. Und so sieht denn der Freund 
des Czechenthums , wie unsere Nationalität 
selbst unter den ungünstigsten Umständen, 
die sich erst in letzter Zeit durch die weise 
und gütige Hand der Regierung zu verbes- 
sern anfangen, immer und nicht selten mit 
bedeutendem Erfolg vorwärts schreitet in 
Wissenschaft, Literatur und Kunst, und sich 
so allmählig vorbereitet, unter den Völkern 
slawischer Zunge jene Stelle einzunehmen, 
die ihr vom Schicksal bestimmt ist. 

St. Petersburg. 

Unter den russischen Zeitschriften sind 
die besten: der Moskowite (MocRBnmHUHirb), 
von Prof. Pogodin in Moskwa herausgege- 
ben; beschäftigt sich vorzüglich mit russi- 
scher Literatur und Geschichte, auch das 
Slaweathum ist ihm nicht fremd. Dann die 
vaterländischen Memoiren (OmcqecmseHHbUi 
3anucKn ) , welche das ganze Gebiet des 
menschlichen Wissens: Literatur (russische 
und ausländische in Uebersetzungen), Wis- 
senschaften, Künste, Hauswirthschaft , In- 
dustrie, Handel, umfassen, und sich durch 
eine stets scharfe Kritik auszeichnen. Ueber- 
diess findet man regelmässig eine vollstän- 
dige Bibliographie. Die Monatshefte sind 
von beispiellosem Umfang, man nennt sie 
hier die „dicken Journale." Die Memoiren 
haben eine scharf antislawische Tendenz. Das 
Journal des Minist, d. Aufklär, hat seine Wich- 
tigkeit wegen der mannichfaltigen Nachrich- 
ten aus dem betreffenden Departement. Alle 
übrigen Journale sind weniger gut und er- 
scheinen ganz unregelmässig. — Einen furcht- 
baren Skandal hat Gogols neuester Roman: 
„die todten Seelen" — gemacht. Seit Jahr- 
zehenden hat kein Buch eine solche Sensa- 
tion erregt; ein merkwürdiges Gemälde des 
russischen Lebens! — Von Markiewicz er- 
schien eine Geschichte Kleinrusslands in sechs 
Bänden. Ein gutes Buch, gestützt auf Do- 
kumente. — Der unermüdliche Polewoj gibt 
eine Geschichte Suworows heraus, da sein 
„Peter der Grosse" (in Heften mit Stahl- 
stichen) aus dem Leim ging. — Einige hier 
wohnende Polen haben sich zur Heraasgabe 
polnischer Geschichts-Dokumente vereinigt. 
Ein Prognostikon lässt sich nicht stellen. — 
Wostokow hat einen Katalog der kirchlich 
slawischen Handschriften des Rumjancow*- 
schen Museums, ein Buch von 800 Seiten 
in 4. erscheinen lassen, 'das des Interessan- 
ten ausserordentlich viel enthält. — Von 
Kotljarewski's travestirter Aeneide (in klein- 
russischem Dialekt) ist eine neue Auflage 
mit einem Wörterbuche verseilen in Charkow 
erschienen. — Der Prof. Preis, den man 
bereits von den Magyaren erschlagen wissen 
wollte, ist endlich unversehrt hier angekom- 
men. — Ustrjalow ist Reiohshistoriograph 
geworden und hat den Auftrag bekommen, 
die Geschichte „Peter des Grossen" zu 
sohreiben, wozu bekanntlich schon Puschkin 
sehr schätzbare und zahlreiche Materialien 
gesammelt hatte. Alle Archive sind ihm zu 
diesem Zwecke zur freiesten Benutzung ge- 
öffnet und man sieht, mit welcher Liberali« 

Digitized by Google 



158 



tat die Regierung die historische Forschung 
unterstützt. Man vergleiche damit die Be- 
handlung, welche der Berliner Akademie zu 
Theil wurde, als es sich um die Heraus- 
gabe der Werke Friedrich des Grossen han- 
delte. X. 

Paris. 

Der 29. November wurde von uns wie 
alljährlich mit grosser Feierlichkeit began- 
gen. Auch über den Panslawismus kam man 
zu sprechen. Der Fürst Adam Czartoryski 
sagte in seiner Rede unter andern Folgen- 
des: „Auf dem weiten Flächenraume des 
Slawenthums erwacht ein neuer Geist und 
fordert eine eigene Wissenschaft, ein eige- 
nes Leben, ein Geist des Glaubens an sich 
und an seine Bestimmung. Lasst uns ihn 
willkommen heissen mit Freude und mit 
Mitgefühl, wie es Brüdern geziemt, welche 
auch uns von ganzen Herzen wohlwollen. 
Ganz anders waren ihre Verhältnisse früher, 
ganz anders sind sie jetzt. Sie haben sich 
erkannt auf dem falschen und gefährlichen 
Schutze von Moskwa und ziehen demselben 
jetzt sogar ihre gegenwärtige Lage vor; 
denn in dieser sehen sie eine grössere Ga- 
rantie für ihre Hoffnungen. Vielleicht wird 
es die erbarmungsvolle Vorsehung für gut 
finden, durch unerforschliche Mittel den 
Osten dem Westen zu nahem; schon berei- 
tet sie ein Bündniss derselben in einer für 



beide Theile beglückenden geistigen Einheit. 
Was immer auch geschehe, Polen hat in 
dieser neuen erwachenden Welt von beson- 
deren individuellen Nationalitäten bei ge- 
meinsamer Verbrüderung seine bedeutsame 
Stelle, welche ihm nicht genommen wird. 
Nur mag es selbst sich nicht zurückziehen 
in diesem Wettstreit und nicht ermatten in 
seinen Bestrebungen; es arbeite nur immer 
nach dem einen grossen Ziele hin — auf 
Gott steht unsre Hoffnung." — Diese Worte 
erregten bedeutendes Aufsehen in der Ver- 
sammlung und mehrere Redner erhoben sich 
gegen dieselben; denn selbst unter uns gibt 
es noch gar viele, welche nicht begreifen 
können, dass es ein Bestreben aller slawi- 
schen Völkerschaften nach wissenschaftlicher 
Einheit ohne politische Tentenzen vorzüg- 
lich für Russland geben könne. Kin czechi- 
scher Emigrant, ein allgemein geachteter und 
wegen seiner hohen Kenntnisse und seiner 
festen Gesinnung in grossem Ansehen stehen- 
der Mann , sprach sich zuletzt mit kräfti- 
gen Worten für die Idee ans. Allein selbst 
da noch riefen Viele ihm entgegen: „Wir 
sind keine Slawen, sondern Polen und wol- 
len das auch bleiben." So sind es denn 
immer noch sehr wenige unter den Emigran- 
ten, welche begreifen können, dass man für 
sein Vaterland von ganzer Seele begeistert 
«ein kann, ohne deshalb das Band zu ver- 
achten, das uns mit andern Nationen zu ei- 
ner Verbrüderung umschliesst 



Aufforderung. 

Die angemeinen Hindernisse, welche einer regelmässigen Verbindung mit den 
verschiedenen slawischen Ländern entgegen stehen, und welche nur durch ein be- 
harrliches Streben aUmälig von uns werden besiegt werden können, zwingen uns, 
hiermit alle Herren Schriftsteller und Verleger, welche ihre neuen 
Werke in den. Jahrbüchern bald besprochen wünschen, dringend aufzufordern und 
zu bitten, ihre Exemplare so schnell als möglich an die Redaktion einzusenden, 
da wir uns sonst nicht selten werden gezwungen sehen, statt unseres eigenen die 
Urlheile anderer Blätter mitzutheilen, für deren Gründlichkeit und Unparteilich- 
keit wir natürlich nicht bürgen können. 

Die Redaktion. 



DrurL tob J. B. Hirachfcld In Leipzig 



Digitized by Google 



€ $ ff $ $ if 4 ff 

für 

slawische 

Literatur, Kunst und Wissenschaft. 

„Verständigung ! Versöhnung ! Vereinigung ! u 

I. Jahrg. D §m a 3. Heft. 



I. 

Kassian d's 

Stellung* znr europäischen Civilisation. 

H' wasser spricht sich in seiner Abhandlung „Ueber den Allianztractat zwi- 
schen Schweden und Russland im Jahre 1812" (abgedruckt in „Finnlands Gegen- 
wart und Zukunft") über das Verhältniss Russlands zur europäischen Civilisation 
vennillelst Finnlands S. 71 ff. so aus: „Wie oben schon gesagt ist, ist die- 
ses (das finnische) Volk der einzige Repräsentant wirklicher europäischer Civi- 
lisation unter den finnischen und slawischen Völkerschaften; und wir haben eben- 
falls die Ueberzeugung geäussert, dass die Ausbreitung dieser Civil isalion unter 
diese Nationen ein wichtiges Moment des weltgeschichtlichen Entwickelungsactes 
bilde, welches die Erfüllung der theuersten und lieblichsten Hoffnungen der Mensch- 
heit Tollenden wird. Wiewohl gering, so hat also dieses Volk eine eigen gear- 
tete und grosse Bedeutung, welche, wie es mir bei der historischen und politi- 
schen Betrachtung der gegenwärtigen Stellung der Welt scheint, sich noch nicht 
der Aufmerksamkeit Jemandes erfreut hat, welche es wirklich verdient Es giebt 
wohl Yermulhlich keinen Ort, an welchem der Saame der europäischen Civilisation 
in fremdem Boden so viele und tiefe Wurzeln als bei diesem Volke geschlagen 
hätte; und hier hat man also hauptsächlich den Ausgangspunkt des für die Zu- 
kunft in dem höchsten und edelsten Sinne des Wortes bedeulungsreichen Verwand- 
lungsactes, welcher die innere Veredlungskraft der europäischen Kultur über Asiens 
Völkerschaften ausbreiten soll. Wenn heut zu Tage nicht das Aeussere, die Macht, 
die materiellen Mittel, die grossen industriellen Unternehmungen u. s. w. die Blicke 
der meisten politischen Forscher so geblendet hätten, dass sie weder etwas von 
dem Inneren vernehmen, oder sich einige Mühe machen wollten, seine Aeusserun- 
gen aufzusuchen, so würde dieser lebendige Vercinigungspunkt zwischen dem freien 
europäischen Staatenbunde und der concentrirlen Macht Russlands schwerlich dem 
entgangen sein, für das gehalten zu werden, was er wirklich ist, nämlich für ei- 
nen der wichtigsten Gegenstände der auf die Gegenwart gerichteten politischen 

suw. ja,*, i. 22 

Digitized by GoOQle 




160 



Betrachtung. Hier ist es gerade, wo man einer Seils, wie so eben gesagt ist, 
das Vermögen der europäischen Kultur gewahren kann, auf die Bildung und Ge- 
sinnung der Völker zu wirken, die jetzt von der russischen Macht zusammenge- 
halten werden, und anderer Seits, wie sich die Verwaltung dieser Macht zu der 
europäischen Civilisalion verhalte: ob sie wirklich derselben so feindlich sei, wie 
die von den Hingebungen des Vorurtheils gewöhnlich hcrfli essenden, intoleranten 
Urtheile so oft vorschützen, oder ob sie, wie es von Einigen, welche davon 
nähere Kunde haben, behauptet wird, wirklich von einer tiefen Einsicht in die 
Bedeutung der europäischen Civilisation geleitet werde und mit pflegender Liebe 
ihre friedliche Entwicklung umfasse. Es dürfte Vielen schwer fallen, die russi- 
sche Macht und ihr Verhältniss zur Oesellschaft und Zukunft ohne Befangenheit 
und Vorurtheil zu betrachten; man sollte aber doch begreifen, dass ein richtiges 
Auffassen eines so grossen Factuins, als diese Macht in der Thal selbst ist, un- 
möglich stattfinden könne, ohne eine solche nnbefangene nnd zugleich vollständige 
Betrachtung ihrer selbst. Dass die russische Macht, sowohl hinsichtlich der Grösse, 
der Volksmasse nnd des Umfanges der Länder, welche ihrem Scepter unterworfen 
sind, als auch ihres eigenen Charakters eine der grösslen, vollständigsten und con- 
sequenleslen von der Geschichte aufzuzeigenden Entwicklungsformen der Macht 
oder des Gesellschaftsprincips darstellt, welches hier das negative genannt wor- 
den, ist eine allgemein bekannte Thatsache. Sie scheint also bei der ersten Be- 
trachtung von einer Entartung des gesellschaftlichen Lebens, einem krankhaften, 
darin bestehendem Zustande abzuhängen, dass das negative Princip positive Be- 
deutung erhalten hat. Allein so verhält es sich nicht. Die jetzige despotische 
Form der russischen Regierung beruht nicht auf einer Entartung des gesellschaft- 
lichen Lebens, auf einem Rückfall von einem schon entwickelten höheren und ed- 
leren Civilisationsgrad ; sondern sie bildet eine der Uebergangsfonnen des Gemein- 
wesens, welche für die Ausbildung der wahren Civilisation nolhwendig sind. 
Wenn der, welcher diese Macht verwaltet, ihre Bedeutung verkennt und sie für 
den Endpunkt der Civilisalion hält, anstatt sie nur für einen, ihre Entwicklung 
vermittelnden Zwischeograd zu halten, oder wenn er sich von Leidenschaften ver- 
leiten lässt zu ihrem Missbrauchc, so wird freilich der Civilisationsprocess, den 
zu schützen er bestimmt ist, gehemmt und zum Rückgange gezwungen, und es 
wird ein Grund zur Verwilderung, Verderbniss und zu Drangsalen mannigfaltiger 
Art gelegt. Wenn aber dagegen die Macht recht verwallet wird, wenn der Herr- 
scher ihre wahre Bedeutung kennt und die tiefe Wahrheit der europäischen Civi- 
lisalion ehrerbietig umfasst, „dass das Scepter nur der Strahl des Glanzes des 
unsichtbaren Herrschers sei," und wenn er also dem ewigen, heiligen Prin- 
cip der Gerechtigkeit unverbrüchlich treu bleibt, so bewahrt er bei den grossen 
Volksmassen, welche er beherrscht, das innere Leben der Menschheit und beför- 
dert seine Entwicklung, dem zufolge eine wahre Civilisation einmal von der ge- 
sellschaftlichen Gestaltung ausgehen wird, die jetzt der oberflächlichen Betrach- 
tung sich nur einzig und allein als Zwangszustand zeigt. — Wenn wir ferner 
die russische Macht von einem weltgeschichtlichen Gesichtspunkte betrachten 
und unparteiisch ihre grossartigen Verhältnisse sowohl zu Asien als Europa unter- 
suchen, so finden wir, dass sie in der That selbst das am kräftigsten entwickelte 
Organ der negativen Seite des Civilisationsactes sei, welcher, entspringend aus 
dem innersten heiligen Principe der neuen Zeit, nun die ganze Welt durchdringt, 
und dass sie mithin einen keineswegs feindlichen, sondern im Gegentheil notwen- 
digen Gegensatz zu dem europäischen Staatenbunde bilde, welcher dagegen die 
positive Kraft dieses Civilisationsactes entwickelt. Die Civilisation soll also mit- 
telbar durch die russische Macht zu Asiens wilden und verwilderten Völkerschaf- 
ten vordringen; und die Verpflichtung, nach dieser Richtung die äusseren Hinder- 
nisse der Civilisation zu bekämpfen und zu überwinden, macht also, so viel man 
jetzt einsehen kann, die grosse weltgeschichtliche Bedeutung der russischen Macht 
Einer Seits erstreckt sich die Macht zu den allerniedrigsten Formen der 



Digitized by Google 



Gesellschaft, und dadurch, dass es diese in Abhängigkeit von sich erhält, wacht 
es sie auch der neuen Civilisation für die Zukunft, wie wir hoffen, dem unser 
ganzes Geschlecht umfassenden und durchdringenden Einflüsse zugänglich; und an- 
derer Seits tritt es auf mit einer drohenden Ucbermacht gegen die alten asiati- 
schen Völkerschaften, die von einer falschen Weltansicht geleitet nicht nur auf 
dem niedrigeren Entwicklungspunkt der Civilisation stehen geblieben, sondern auch 
ganz entartet und nur zu fürchterlichen Ausgangspunkten der Unterdrückung, Ver- 
derbniss und Zerstörung verwandelt sind; und diess gerade in den Ländern, welche 
sich des Segens der Entwicklung und Blüthe der allen Kultur erfreuten. — In 
Rucksicht auf Europa und seine Civilisation hält man gewöhnlich Russland für 
eine Macht von einer zweideutigen Bedeutung. Man betrachtet sie, wenn nicht 
immer mit feindlichen, doch oft mit misstrauischen Augen. Nach ihrer Idee und 
ihrer Bestimmung kämpft sie jedoch gegen die wilde Kraft der Masse und nicht 
für dieselbe. Sie kann also nicht gegen die Civilisation auftreten und Eroberun- 
gen auf ihrem Gebiete machen, ohne Inconsequenz gegen sich selbst, und ohne 
dadurch zu erkennen zu geben, dass sie aufgehört habe, ihrer Idee getreu und 
ihrer Bestimmung gewachsen und vor der Kraft und dem Willen der Masse zu- 
rückgewichen, und also ihr Werkzeug, anstatt ihr Herr, geworden zu sein. 
Dieser Bewegungskraft, welche in späteren Zeilen das europäische gesellschaftliche 
Gebäude erschüttert hat, und deren Aeussernngen wir mit einem gemeinschaftlichen 
Namen „die Revolution" bezeichnen, ist die russische Macht offen mit Wort und 
That als Feind entgegen getreten. Allein dadurch ist sie weder gegen ihre Be- 
stimmung inconsequent, noch, wie die Männer und Verfechter der Revolution so 
unaufhörlich vorgeben, gegen die europäische Civilisation selbst feindlich gewesen. 
Denn wenn ihre Bestimmung ist, die wilde Kraft der Masse zu bekämpfen, so 
kann es hinsichtlich dieser ihrer Pflicht gleichgültig sein, ob. die zerstörende Kraft 
in der ursprünglichen Wildheit oder Verwilderung ihre Entstehung habe. Da nun 
die Revolution nicht nach der Ansicht der Liberalisten als ein unmittelbarer Aus- 
druck der inneren Kraft der europäischen Civilisation anerkannt, sondern im Ge- 
gentheil wie ein derselben mit Untergang drohender Zerstörungsact betrachtet wird, 
so kann die Reaction der russischen Macht dagegen nicht Vernichtung der Civili- 
sation, sondern im Gegenlheil ihre Aufrechterhallung und Stütze zur Absicht ge« 
habt haben. Ungeachtet wir also behaupten, dass die russische Macht zu Folge 
ihrer Bestimmung eine Reaclionskraft gegen die Revolution, wie auch, dass diese 
ein wirklicher Zerstörungsact sei, so können wir doch nicht umhin zu läugnen, 
dass die russische oder eine jede andere beliebige äussere Macht, auch wenn es 
ihr gelänge, sich im vollen Maasse gellend zu machen, die Revolution wirklich 
hemmen und ihren Grund aufheben können sollte. Sie würde im Gegentheil, wenn 
sie in einer solchen Absicht in das Gebiet der europäischen Civilisation eindränge, 
nur das Böse, das sie durch dieselbe bekämpfen wollte, sich ärger und fester ein- 
nistein lassen. Es ist nämlich nicht das Aeussere in der Revolution, so scheuss- 
lich und widrig es auch in vieler Hinsicht war und ist, was das eigentliche Fürch- 
terliche in ihr ausmacht. Dieses Fürchterliche besteht in der inneren geistigen 
Wurzel der Revolution, der Weltansicht nämlich, welche in späterer Zeit, wie- 
wohl nicht immer mit entschleiertem Antlitz, sondern oft mehr oder weniger ver- 
kappt, in gerader Feindseligkeit gegen das innerste heilige Lebensprincip der 
neueren Civilisation aufgetreten ist. Diese Weltansicht ist der bloss unterdrücken- 
den Macht unzugänglich und lässt sich nur von dem Entwicklungsact des jetzt ge- 
hemmten heiligen Inneren besiegen, welchem wiederum von dem unberufenen Ein- 
griff der Macht entgegengewirkt, anstatt geholfen werden würde. — Indessen 
die russische Macht hat auch ein inniges Verhällniss zu der europäischen Civi- 
lisation. Diese ist nämlich an einem einzelnen Punkte in das Gebiet jener getre- 
ten und ein Gegenstand ihrer Pflege geworden. Dieser Funkt ist nun, wie be- 
kannt, Finnland. Hier übt der gewallige Herrscher über Russland und Nordasien 
den Pflegerberuf eines europäischen Fürsten aus, verwaltet das theure Geschäft 



Digitized by Google 



der Macht nach europäischer Regierungsform und pflegt einen vor Jahrhunderten 
gepflanzten und, wiewohl er nicht mit üppiger Krone prunkt und seine Zweige 
noch nicht weit ausgebreitet hat, doch edlen, starken und tief festgewurzelten 
Stamm achter europäischer Civiiisation , dessen Früchte in der Zukunft, wie wir 
hoffen, dem ganzen grossen Reiche wohlthuend sein werden. 



EL 

Wissenschaften. 

1. Her Sprachenkampf in Ungarn. 

Aus einem grösseren Artikel eines lllyriers. 

In unserm constilalioncllen Vaterlande, im weiteren Sinne genommen Ungarn 
mit eingerechnet, existiren mehrere Nationen und Nationalitäten; jede trachtet sich 
zu entwickeln und fortzuschreiten... Ist das aber auch vereinbar? . . In einem 
Staate, wo sich mehrere Nationen zu einem ruhigen, durch Jahrhunderle dauern- 
den wechselseitigen Leben vereinigten, mussten sie natürlicherweise gewisse Be- 
dingungen feststellen, welche die Garantie des friedlichen Zusammenlebens enthal- 
ten. Diese Hauptbedingniss in Hinsicht der Nationalitäten war in Ungarn die 
lateinische Sprache. Sie war das allgemeine Band der Nationen; nebenbei 
blieb eine jede Nation im ungestörten Besitze ihres moralischen Vaterlandes mit 
allen angeborenen Rechten, cum juribus connatis, als: der Ausbildung der Spra- 
che, der Nationalsitten, Gebräuche, dem Privatleben u. s. w. Diese Garantie muss 
heilig und unangetastet bleiben, sonst verlieren die einzelnen Theile der Gesell- 
schaft die Sicherstellung ihrer Rechte, die als wesentliche Eigenschaften der 
Menschheit zu betrachten sind. Hieraus folgt aber nicht, dass die Nationalität 
das grösste Glück und der alleinige Zweck des Staates sei. Nationalität und Pa- 
triotismus können sich nur unter dem Schutze der Gesetze und Sicherstellung der 
Gerechtsamen entwickeln; sie müssen daher eine Grundlage haben, und gerade in 
dieser besteht der Hauptzweck der menschlichen Consociation. Es ist also die 
Sicherung der menschlichen Rechte und die daraus entspringende 
Glückseligkeit der Menschheit der Hauptzweck des Staates. Inder 
Liebe und Bereitwilligkeit, mit der wir die Gesetze befolgen und die Staatszwecke 
zu erfüllen hoffen, besteht die reine Vaterlandsliebe. Alles übrige, was sich im 
Menschen regt, alle Gefühle, alle Handlungen, alle Triebfedern, alle Ursachen 
und Zwecke sind untergeordnete Elemente, sind Mittel zum hohen Ziele des Staa- 
tes. Die Auffrischung der Nationalität ist bei Nationen, die wachend träumen und 
in geistiger Schwäche darnieder liegeu, der erste und zweckmassigste Schritt zur 
Regeneration, weil man sie auf scientifische Grundlagen bauen muss und so durch 
zweckgemässe, vorsichtig eingeleitete Aufklärung die Nation zur Selbsterkenntniss 
bringt. Hieraus erblüht Kraft, Stolz und Liebe; wir haben ein Vaterland, wir 
haben Poesie, wir haben Ideale, wir haben eine Sprache, die diese Schätze birgt, 
und wir lieben diese höheren Interessen, die uns an die Heimat knüpfen. Nicht 
der Boden ist's, der den Reiz des Vaterlandes erzeugt; tiefer, inniger, geistiger 
muss das Band sein! 

Die Magyaren haben die lateinische Sprache beseitiget, statt ihrer die Ma- 
gyarische zur Geschäftssprache erhoben und nebenbei sich zum System gemacht, 
alle unter der ungarischen Krone lebenden Völker zu entnationa- 
lisiren und zu Magyaren zu machen. Das ist erstens ungerecht, zwei- 
tens unklug. 



Digitized by Google 



Dieses Verfahren ist höchst ungerecht, weil die Magyaren, indem sie dies 
thnn, die freie Ausübung der angebornen Rechte ihrer nichtmagyarischen Mitbür- 
ger hindern. Die Magyaren haben durch Energie und geistige Pr&potenz am un- 
garischen Reichstage ein Gesetz verfasst, welches die magyarische Sprache zur 
Geschäftssprache erhoben hat. Dagegen kann ein gescheidter Mann jetzt nichts 
mehr einwenden; der Reichstag war ja aus allen Elementen, die in Ungarn vor- 
kommen, zusammengesetzt; warum schwieg der Slawismus? Warum lag er vor 
dem Magyarismus im Staube? Nun muss das Gesetz heilig sein; so lange es be- 
steht, darf Niemand gegen dasselbe auftreten. Entwickelt sich aber ein dem Ma- 
gyarismus entgegengesetzter, vielleicht noch kräftigerer Geist, so kann das, was 
im Wege der Gesetzgebung drückend gewesen ist, im Wege derselben Gesetzge- 
bung leichter gemacht werden. Die grösste Ungerechtigkeit besteht in der unge- 
setzlichen Ausdehnung des Gesetzes. Indem das Gesetz* die magyarische Sprache 
zur Geschäftssprache erhob, wollte es nicht, dass die magyarische Sprache in das 
Privat -Nationaleigenlhum der übrigen, nicht magyarischen Völker eindringe. Der 
Magyare kann nunmehr verlangen, dass wenn er den Volksrepräsentanten im Kreise 
der Legislation oder Staatsadministration gegenüber steht, dieselben magyarisch 
sprechen und schreiben. Kaum dass die Volksreprasentanten ihre Toga ablegen 
und in das Sanctuarium ihrer heimischen, angeborenen, in die Staatsadminislra- 
tion nicht eingreifenden Nationalität zurückkehren , so höret jede Verpflichtung ge- 
gen den Magyarismus auf. Die Ausbildung der Sprache, der Genuss, den die 
heimische Literatur gewahrt, die Sitten, Gebräuche, die Tracht u. s. w. sind hei- 
lige Pflichten, Sachen und Gegenstände der Verehrung, der Anbetung, der Unver- 
äusserlichkeit ! Wie denn? Wäre es möglich, dass man in einem consütutionel- 
len Staate ein Regulamentum vorschreiben wollte: in welcher Sprache jeder zu 
reden, zu schreiben, zu dichten habe? Welche Kleidung zu tragen, welche Ge- 
bräuche zu befolgen? Sind das die Früchte des Liberalismus, der gesunden Frei- 
heit? Das sind Dämonen, die der Tyrannismus erzeugte! Der höchste Zweck des 
QDgarschen Staates kann nun und nimmer der Magyarismus sein, denn er trägt 
nicht die Glückseligkeit aller ungarischen Staatsbürger in sich, folglich kann man 
die Bürger auch nicht dazu zwingen, um so mehr, da die übrigen Völker ihren 
Rechten gar nicht entsagen können, weil sie sich ihrer Menschlichkeil und der 
ihr angeborenen Rechte nicht entäussern dürfen. Zu den Grundzeichen ihrer Ei- 
gentümlichkeit gehöret die Nationalcharakteristik, ohne welche sie aufhören das 
zu sein, was sie sind; der Sieger, der einer Nation solche Rechte raubet, soll 
nie ruhig auf seinen Lorbeern schlafen; jede Gelegenheit darf der Gefallene er- 
greifen, um sich zu erheben und seine Rechte zu reclamiren. Hier gilt keine 
Verjährung! So wie kein Magyare einzelne Menschen morden darf, so darf 
auch die ganze Magyarennation kein anderes Volk seiner Lebenselemente berau- 
ben; einer Nation aber Sprache, Sitten, Gebräuche, und dadurch den Weg zur 
Aufklärung und Freiheit nehmen, heisst sie todtschlagen. Vieles haben wir 
gelesen und gehört, dass die Magyaren nichts weniger als die Absicht haben, die 
anderen Völker zu entnationalisiren ; die tägliche Praxis hat dennoch das Gegen- 
theil bewiesen. Was bedeutet der überall gegen die Slawen an den Tag gelegte 
Hass? Was die magyarischen Predigten, die man in slawischen Kirchen ertönen 
lasst? Was bedeutet der übermässige Eifer, mit welchem man slawische Kinder 
zur Erlernung der magyarischen Sprache in den Schulen zwinget? Was bedeutet 
die Bereitwilligkeit, mit welcher die Magyaren und ihre noch eifrigeren Mithelfer, 
die slawischen Renegaten, dieser schändlichste Auswurf der Menschheit, 
an der Ausrottung der slawischen Nationalität, an der Verdächtigung der Slawen 
arbeiten? Was bedeutet denn dieses schöne Bestreben, durch welches unsere 
braven, unter der Larve des Magyarismus steckenden Vetero -Kroaten magyari- 
sche Diener, magyarische Aminen, magyarische Herrschaftssiegel u. s.w. ins Land 
der Kroaten einführen? In unser freies, von Ungarn in Hinsicht seiner inneren 
Consistenz unabhängiges Kroatenland? Wenn man bei uns solche Veränderungen 



Digitized by Google 



164 



hervorbringen will, wie viel mehr hat man das in Ungarn zn befürchten, wo sich 
keine so selbstständige, freie Opposition erheben kann.... Die Opposition der 
Slawen und hauptsächlich der Kroaten gegen den Magyarismus besieht ja nicht 
darin, dass man der Entwickelung des Magyarismus Schranken setzen wolle; 
nein , er bleibe nur in der Sphäre des Gesetzes , und wir werden ruhig und fried- 
lich leben; aber was ungesetzlich ist und nie zum Gesetze im Sinne der reinen 
Vernunft werden kann, das ist und bleibt ewig ungerecht; Ungerechtes muss 
man aber nicht dulden! 

Die Magyaren handeln aber auch höchst unklug, denn sie bauen ihr neues 
Staatsgebäude auf vulkanischen Boden, der in seinem Schoosse eine Feuermasse 
beleidigter und unzufriedener Nationalitäten birgt. Wird die rächende Nemesis 
nicht aufstehen und das niederwerfen, was gottlose Hände aufbauten? Die 
Hauplidee der besten dankenden Talente ist die Nationalfehde geworden, alles 
übrige bleibe dieser Frage untergeordnet. Das wahre Glück des Staats wird be- 
seitiget und nur in der magyarischen Sprache liegt alle Kraft, alle Grösse Un- 
garns. So ruft man, so schlägt man sich an allen Seiten um eine Nebensache, 
um einen Gegenstand, der nur ein Mittel zur Erlangung des höchsten Staats- 
zweckes, nicht aber der Slaatszweck selbst ist. Der Magyarismus kämpft auf 
einmal mit der Aristokratie, der Hierarchie und dem Patriotismus seiner Mitbür- 
ger; wenn das klug ist, so giebt es nichts Unkluges unter der Sonne! 

Die Magyaren bilden sich ein, Vorzug vor den übrigen Völkern Ungarns zu 
haben. Woher diese Einbildung, auf was beruht diese Arroganz ? Ungarns Völ- 
ker haben gleiche Rechte. Ihr Blut floss in Strömen für die Constitution, und 
was gelhan und bezweckt wurde, wurde durch gemeinsames Wirken erzeugt. 
Wenn in Ungarn einem Volke der Vorzug gebührt, diesen könnte man entweder 
aus der numerischen Anzahl oder aus geistiger Uebermacht herleilen. 
In der ersten Hinsicht können die Magyaren kein Uebergewicht ansprechen, denn 
dass die Slawen zahlreicher sind, das ist klar. Im zweiten Tunkte kann eben- 
falls auf die Seite der Magyaren das Gewicht nicht fallen, denn die ersten Ele- 
mente einer besseren Institution lernten die Magyaren von den Slawen, die neuere 
Cultur aber haben sie einzig und allein den Deutschen zu verdanken. 

Die Hauplursache (Veranlassung) aller in Ungarn vorkommenden Wirren und 
Unordnungen ist einzig und allein der Fall der lateinischen Sprache. Es 
mögen sich hierüber alle Magyaren, Ultramagyaren, Pseudomagyaren und schlech- 
ten Kroaten wundern, ärgern oder schreien wie sie wollen, es bleibt doch wahr, 
dass die Magyaren gefehlt und das sehr gefehlt haben. Wie konnten die Magya- 
ren aus ihrer lateinischen Vergangenheit plötzlich heraustreten und sich auf die 
politische Weltbühne im Ornate des Magyarismus stellen, ohne irgendwo Blössen 
zu zeigen? Was ist es, was der Magyarismus zu bieten hat? Keine Literatur, 
keine ausgebreitete Verzweigung, keine Sympathie, keine Biegsamkeit u. s. w. 
per Magyarismus, als vorherrschendes Element in Ungarn angenommen, ist eine 
chinesische Mauer, die alle Communicationsadern mit der übrigen Welt abschnei- 
det und die Magyaren in ihrem eigenen unpraktischen Magyarismus ersticken wird. 
Die Magyaren hätten den Latinismus, den Vater der ungarischen Constitution, 
nicht so leichtsinnig zu Grabe tragen sollen, um an dessen Stelle den Magyaris- 
mus, dieses unzeitige Kind ihrer schlecht bedachten Caprice, zu stellen. Diese 
That betrachten die magyarischen Ultras als einen gelungenen politischen Genie- 
streich, der die neue Magyaria auf den Gipfel der höchsten Grösse führen muss. 
Keine Sprache ist zweckmässiger, für die Umstände Ungarns passender als die 
lateinische, weil: 

I. Sie seit dem Beginn des ungarischen Staates im Gebrauche war; in sie 
ist der Geist der ungarischen Constitution eingepflanzt, — die lateinische Sprache 
ist das Original unserer Freiheilen, welches ohne Gefahr, ohne Verlust nicht co- 
pirt werden kann. 



Digitized by VjOOQIc 



165 

II. Die lateinische Sprache ist als eine todte Sprache, die ihre Laufbahn 
vollendet hat, keiner Nation gefahrlich; ihr Leben ist nur in der politischen Well 
bemerkbar, und dort ist es auch nur durch das nationelle Leben der einzelnen 
Völker bedingt. 

III. Als solche greift sie nie in das Privatleben anderer Völker ein; sie 
bleibt abgemarkt, eingeklemmt in die Grenzen, die ihr vor so vielen Jahrhunder- 
ten das fallende Rom setzte, wo im Gegentheil jede lebende Sprache von ihren 
Söhnen herumgetragen auf Verbreitung Ansprüche macht. — 

Der beste Beweis für die Zweckmässigkeit der lateinischen Sprache ist die 
Erfahrung. Die Vergangenheit lehrt uns, dass Ungarn mächtig und gross war, 
doch niemals durch den Magyarismus oder Slawismus; es war stark durch einen 
gewissen constitutionellen Patriolismus, der nicht frug, bist du Magyare, bist du 
Slawe, Deutscher oder Wallache? Ich kämpfe für's Vaterland, in dem ich meine 
Freiheiten habe, gleichviel ob meine WafTe sablja, Schwert, oder kard heisse; ich 
schwinge sie, denn Freiheit im Tode ist mir lieber, als Knechtschaft im Leben! 

Die üblen Folgen des Magyarismus werden uns allen täglich fühlbarer; es ist 
kaum zu glauben, dass die Unruhen zur Zeit des Bethienischen oder Rakoczyschen 
Aufstandes arger waren, als die Feindseligkeilen, denen wir heut zu Tage im so- 
genannten Frieden ausgesetzt sind. Der Magyarismus ist und bleibt in Europa 
eine fremdartige Pflanze. Ungarn ist ein Land, welches in Europa politisch todt 
ist, es wird nur durch Oesterreich repräsentirt; in nationeller Hinsicht findet 
es nirgends Sympathie durch den Magyarismus, denn dieser findet ausserhalb den 
Grenzen der magyarischen Comitate nirgends eine verwandte Seele. Ungarn kann 
also nach Aussen durch den Magyarismus keine Fortschritte machen; nach Innen 
ebenfalls nicht, denn in Folge der magyarischen Aclion erheben sich vielfaltige 
Rcactionen, die uns saltsam zeigen, in welche Zerrüttungen das Land durch den 
Magyarismus gerathen ist. Durch ein gewisses Zerstörungsprincip , welches mit 
dem Magyarismus gleichmässig vorschreitet, haben sich in alle Administrations- 
zweige Illegalitäten eingeschlichen, die alle die Magyarisirung der übrigen in 
Ungarn wohnenden Völker und die Begründung aller liberalen Ideen (wenn auch 
nicht jetzt für Ungarn passenden) bezwecken. Magyarismus und Freiheit ist sy- 
nonym; ja die grösste Sklaverei, wenn sie nur vom Magyarismus herkömmt, ist 
Freiheit! Das Objectum judiciarium, literarium, commerciale schlaft, und wäh- 
rend man an dem unpraktischen urbarium flickt, durch die gemischten Ehen 
alles noch besser vermischt, betreibt man die Lieblingsidee der Magyarisirung 
mit dem grössten Enthusiasmus, will die Grenze auflösen und dem nordischen Ko~ 
loss Schranken setzen! Jedes Comitat ist für sich ein kleiner Staat, der regie- 
ren will, jeder hat seine Grundsätze. Die einen wollen dem Clerus alles nehmen, 
die andern die Aristokratie stürzen, die dritten den Überhandnehmenden Libera- 
lismus unterdrücken, einige beabsichtigen, den Protestantismus zur Herrschaft zu 
bringen, viele den Status quo zu erhallen; alles, alles, was aufgereizte Leiden- 
schaften hervorbringen können, alles ist da zu finden! 

Nichts ist höher als der Magyarismus! Sehr häufig lesen wir in Zeitungen, 
dass ungarische Comitate lateinische Gorrespondeocen nach Kroatien und Slawo- 
nien uneröffnet zurücksenden. Was liegt daran, ob so mancher arme Privatmann 
darob zu Grunde geht. Das allgemeine Wohl ist ja dem privaten vorzuzie- 
hen! — Wenn aber Turopoljas edler Landgraf, der gepriesene Repräsentant der 
magyarischen Idee in Kroatien, den grössten Unsinn auf die unloyalste Weise den 
ungarischen Gomitaten magyarisch mittheilt, da stimmen Alle von Wahnwitz 
hingerissen in seine magyarische Zuschrift ein, und er wird zum Assessor Regni 
Hungariae ernannt. 0 wie lächerlich, wie kindisch! Gewiss bald wird die Zeit 
kommen, wo die Magyaren sehen werden, was der berühmte Landgraf zu leisten 
vermag. . . . Derlei und solche Handlungen, welche für Jurisdictionen sehr com- 
promillirend sind, bringt der Magyarismus hervor. Was ist nun in den Congre- 
galionen zu sprechen? Magyarisch kann ja ein jeder Magyare, vom Zeitgeiste 

Digitized by Google 



weiss ein jeder das Schlechte, das für Ungarn Unpassende, das, was zum liberte 
und egalite gehöret; mehr braucht er nicht, mehr lernt er nicht, mehr will er 
nicht lernen; gewisse Redeformen, Freiheitsphanlasien und Constilutionsfloskeln 
findet man im Pesti hirlap, und das genfigl! So schreit, so spricht, so über- 
wiegt die Jugend in den Congregalionen , die leere, die unwissende Jagend, die 
ihre goldene, zu Stadien bestimmte Zeit mit politischen Raisonnements versplittert, 
die das Jahrhundert und die Zustände Ungarns nicht zu begreifen im Stande ist; 
die pars sanior aber schweigt und sieht mit Leidwesen zu, wie Ungarn geradezu . 
in sein Verderben rennt. 

Setzen wir den Fall, dass die Magyaren durchgreifen und mit Gewalt die nicht- 
magyarischen Bürger Ungarns zu Magyaren umschaffen, was haben sie selbst aus 
diesem Werke zu hofTen, was für eine Zukunft erwartet eine so zusammengepfropfle 
Bevölkerung? Wie lange kann ein solch unnatürlicher, gezwungener Zustand bei 
den jetzigen Grundsätzen der Nationen und Regierungen dauern? Alle Machina- 
tionen der Magyaren müssen früher oder später an der Kraft des immer fort- 
schreitenden Slawismus abprallen; liegt nicht Mähren, Gallizien, Serbien, Slawo- 
nien, Kroatien, Sleyern an den Grenzen Ungarns? Wird sich der Magyarismus 
auch dahin erstrecken? Ich glaube wohl schwerlich. Eben aus diesen Nachbar- 
ländern wird der Slawismus immer neues Leben schöpfen und den unterdrückten 
Slawen Ungarns neue Nahrung, neuen Stoff und einen mächtigen Impuls geben. 
Nimmer wird sich der neu erweckte Geist der slawischen Nationalität dem Joche 
beugen, er wird seinen unermüdlichen Kampf immer und immer wieder erneuern, 
und die Magyaren werden fallen als Opfer ihres unnatürlichen Enlnationalisirungs- 
Verbrechens. 

Noch ganz anders gestallen sich die Sachen in den Königreichen Kroatien 
und Slawonien. Diese zwei Länder haben eine rein slawische Population, haben 
ihre besondern Municipalrechte und sind mit Ungarn blos im Bunde; ihre Rechte 
sind durch das Gesetz gesichert, «o zwar, dass der ungarische Reichstag ohne 
ihre Einwilligung gar nichts daran abzuändern im Stande ist. Welche Argumen- 
tation kann uns beweisen, dass irgend Jemand sein Recht, welches er rechtmässig 
besitzet, lassen muss, wenn er nicht will? Muss man es darum lassen, weil man 
praetensive der kleinere Theil ist? Wenn dieser Grundsalz steht, so ist ein jedes 
Recht, das ein einzelner Staatsbürger besitzt, ein leerer Wahn, denn es würde 
nur so lange Geltung haben, bis es der grössere Theil nicht abrogirt wünschte. 
Die Königreiche Kroatien und Slawonien haben nie mit einer Magyaria, wohl 
aber mit einer Hungaria, die bis jetzt verschiedene Nationen zu einem constilulio- 
nellen Leben vereinigen musste, einen Bund geschlossen; jetzt, da die Magyaren 
aus den freundschaftlichen, durch Jahrhunderte erprobten und geheiligten Banden 
Ketten schmieden wollen, sind die besseren Kroaten und Slawonier aufgestanden, 
um das heiligste Kleinod, ihre Nationalität zu retten! Nicht als Sklaven, nicht 
als verkappte Verräther ihrer Ahnen, wollen sie den Magyaren dienen; sie wollen 
freie Brüder und Genossen Ungarns sein! — 

Die Geringschätzung, die Verachtung, mit der uns die Magyaren behandeln, 
ist nicht zu erdulden. Das regnum pygmeum wird als ein kleines, unbedeutendes 
Anhängsel betrachtet, und daraus, dass man magyarische Professoren herabsendet, 
der Schaljugend die unschuldige Nationalkleidung mittelst einer Statlhalterei *) - 
Verordnung verbietet, keine Originaldokumente in der kroatischen oder slawoni- 
schen Sprache in Processangclegenheiten annimmt, uns pars subjecta nennet, einen 
Magyaren, der nicht einmal illyrisch spricht, als Censor in Agram anstellt u. s.w., 
müssen wir uns eine Gnade machen! Man will uns aber nicht magyarisiren (wie 
oben gesagt), wir sollen nur statt der lateinischen Sprache die magyarische an- 
nehmen, übrigens können wir ja gute Patrioten bleiben, unsere Sprache lieben, 



*) Ueberhaapt schleudert dieses hochlöbliche Dicasterium Ukase und Firmane auf uns, 
ie man leicht lieh einem Vezir von Travnik zuzuschreiben geneigt sein könnte. 



Digitized by Google 



und ihr durch literarische Produkte Aufschwung geben. Sehr wohl, die Falle ist 
hübsch! Die Zeil, die wir auf die Erlernung der lateinischen Sprache verwende- 
ten, verwenden wir nun auf die magyarische, damit ist's abgethan; wir bleiben 
nebstbei Slawen, wie wir es bisher in der lateinischen Sprache verblieben. Wahr 
ist's, wir sprachen und sprechen Latein, aber wir haben keine Lateiner; sprechen 
wir aber magyarisch, so wird's an Magyaren nicht fehlen. Wohl aufgemerkt! — 
Unsere Magyaromanen sagen, es sei durchaus nicht zu befürchten, dass der Ma- 
gyarismus unserer Nationalität schaden könne, indem er als ein exotisches Ele- 
ment nie in das Leben der europäischen Volker übergehen könne. Man glaube 
das nicht; der Magyarismus wird ein Brotstudium werden, der Magyarismus wird 
sich eben darum, weil er auf schwachen Füssen steht, mit aller Kraft zu befesti- 
gen suchen, und die schwachen, selbstsüchtigen, nach Aemtern und Würden stre- 
benden Menschen werden ihn, als den einzigen Weg ihres Emporkommens , mit 
der grössten Bereitwilligkeit ergreifen. Die Erlernung der magyarischen Sprache 
fordert natürlich, dass man viel lerne, lese, nnd fast die ganze magyarische Li- 
teratur kenne; denn sie verwandelt sich alle Tage so zu sagen unter den Händen, 
und weder Lexikon noch Grammatik ist mehr brauchbar, wenn es ein Jahr alt 
geworden; dazu aber verbraucht man viel Zeit, eine grosse Zeit, die rein 
dem Magyarismus geopfert ist. Nebenbei wird sich bei der Mehrzahl der Die- 
nenden eine Vorliebe für die magyarische Literatur entwickeln und mit ihr sich 
das magyarische Leben taglich mehr einschleichen, die Nationalsprache aber und 
ihre Literatur wird untergehen, denn sie wird aller Protection bei den höheren 
Standen und ersten Würdenträgern des Landes beraubt. „Die magyarische 
Sprache nährt mich", wird jeder sagen, „was brauch' ich euer illyri- 
sches Kauderwälsch!" Freilich ist der Magyarismus zu schwach, um den 
Slawismus zu unterdrücken; eine Opposition wird immer im Lande bleiben und 
früher oder später muss der Slawismus seinen Triumph feiern; aber werden wir 
das vor der Geschichte verantworten können, dass wir die heilige Flamme, die 
nun am Heerde des Vaterlandes brennt, so leicht auslöschen Hessen? Gerade 
jetzt, wo wir so schöne Fortschritte machten? Können wir uns morden lassen; 
dürfen wir denn zusehen, und uns nicht vertheidigen ? Haben wir nicht das Recht 
gehabt, uns zu retten? Wenn wir es nicht hatten, so beugen wir uns; halten 
wir es, so haben wir es jetzt auch, und wir müssen es bis in den Tod behaupten! 
Kein Eisen bezwingt die Blitze des hellen Geistes. 

Oesterreich soll nicht den Blick von seinen zahlreichen, treuen slawischen 
Völkern abwenden, es soll sie vielmehr unterstützen. Sowohl die nördlichen Sla- 
wen Oesterreichs, als auch insbesondere die südlichen mit ihren an sie angren- 
zenden nichtösterreichischen Slawen , bilden, und können noch mehr durch eine 
zweckmässige Behandlung eine Vormauer gegen die allgemein gefürchtele Macht 
bilden. Die südlichen Slawen sind ein an die Freiheit gewöhntes Volk; Kroatien, 
Slawonien und grossen Theils auch Dalmaticn haben eine Constitution; die Cerna- 
gorcen und Hcrzegovinen sind kühne Helden, Männer, die keine Ketten tragen 
wollen; die Serbier warfen ihr Joch ab, und die Bosnier wollen dasselbe; sie ha- 
ben Mulh und den kräftigen Willen dazu, aber an Miltein fehlt es. Die einzigen 
Steyerer, Krainer und Gorulancer, so wie die übrigen, in den südlichen Erbländern 
Oeslerreichs wohnenden Slawen haben keinen oder dürfen keinen Geschmack an 
conslitnlioneller Freiheit finden. Aber auch dieses macht sie die väterliche Re- 
gierung so ziemlich vergessen. Diese Völker finden genug Stolz in sich selbst 
und in ihrer historischen Vergangenheit, als dass sie sich in einen nordischen 
Slawismus auflösen lassen wollten. — Freilich wird der Magyarismus durch der- 
lei Combinalionen deprimirt, aber dem wird nicht abzuhelfen sein. Der Magya- 
rismus wird nie eine grössere Rolle spielen, als er jetzt spielt; gerade wie er 
sich unmässig aufbläht, so wird er, wenn er nicht platzt, sich zurückziehen müs- 
sen. Er kann blühen, er kann Früchte tragen, aber immer als ein secundäres, 

Slaw. Jahrb. I. £3 

Digitized by Google 



subordinirtes Clement; nur die Feigheit und Schwachheit der Slawen kann ihn 
znr Priorität verhelfen. 

Neben der Verpflichtung gegen Krone und Constitution sind wir hauptsächlich 
schuldig, unsere Nationalsprache zu lieben. Jene süssen Laute, die wir mit 
der Muttermilch einsogen, jene Laute, in denen wir zu reden anfingen, in die wir 
unser kindliches Gefahl am ersten einzukleiden wagten, jene Laute, welche die 
Bilder unserer Jugend -Phantasien auffassten, jene Laute kann kein Mensch las- 
sen, ohne sein besseres Selbst zu verkaufen, zu verspielen, zu verprassen und 
zum elenden Schatten nachgeahmter Truggestalten zu werden! So wie die ewige 
Seele mit ihren Glanzpunkten der Vernunft den Menschen zum Menschen 
stempelt, eben so markirt der Nalionalcharakter den Menschen in dem, was für 
ein Mensch er sei. 

Mit dem Wesen des Menschen hangt die Religion, in der er aufgewach- 
sen ist, innig zusammen; sie knüpft uns an die unsichtbare Welt, sie führt uns 
durch die Stürme des Lebens auf den reinen Weg der Tugend. Jeder halte an 
seinem Glaubensbekenntnisse fest, keines leitet den Menschen zum Bösen. 

Die Nationalsitten und Gebräuche sind jene Bande, die uns an die 
Eigentümlichkeit unserer Vorällern knüpfen; sie geben uns einen besondern, uns 
vor allen übrigen auszeichnenden Typus. In den Sitten und Gebräuchen einer 
Nation liegt der Keim so mancher Nationaltugend, Stärke und Originalität. 

Zur Befestigung, zum höheren Aufschwünge der Nationalität trägt die Na- 
tionalkleidung unstreitig viel bei. Freilich haben sie gegenwärtig fast nur 
noch die untersten Stände beibehalten; allein gewiss zum grössten Schaden der 
Nation selbst. Denn der gebildete Theil derselben soll und darf sich nie, wenn 
er wahrhaft patriotisch ist, vom niedern Theile entfernen; eine Annäherung in die- 
ser Hinsicht ist auch ein Band, welches die Aristokratie mit den unteren Klassen 
verbindet. 

Die Nationalfreiheilen und Gerechtsame sind Hauplbedingnisse des 
politischen Lebens; sie sind ein Schild, unter dessen Schutze jedes Volk zu sei- 
nem Ziele schreitet. Der Sinn, die Vorliebe, mit welcher ein Volk seine Frei- 
heiten und Rechte behauptet, sind das sicherste Zeichen seiner Kraft. Jede Na- 
tion, die Freiheiten einbüsst und Rechte verliert, ist im Sinken begriffen. 

Die Magyaren sind wahrlich eine Nation, die ihre Lage nicht kennt, die 
nicht versteht, was der Zeilgeist von ihr verlangt. Etwa das, dass sie ihre 
Sprache verbreiten sollen? Ist der Staatszweck dadurch gelöst, ist das das allei- 
nige beglückende Princip? Besteht in der Einheit der Sprache das Glück einer 
Nation? Muss man diese Einheit mit solchen Mitteln erzielen, die Abneigung 
und Hass und Zwietracht und alle Furien der Hölle dagegen anfachen ? Das sind 
lauter Fragen, die man mit Nein beantworten inuss. Ich glaube vielmehr, dieses 
Glück besteht in der Einheit der Gesinnungen, der Interessen, die die Staatsbür- 
ger an die Verfassung knüpfen. Man kann eins denken, gut denken, und das- 
selbe für einen und denselben Zweck thun, den ein anderer hat, wenn er es auch 
nicht in derselben Sprache gedacht hat. Will Ungarn, wie es auch muss, vor- 
wärts schreiten, so hat es fürs erste nichts zu thun, als Mittel zu wählen, die zur 
Cultur des Volkes führen; es muss sich ein Volk schaffen, und das nicht dadurch, 
dass es seine Zungen zustutzt, sondern dass es ihm einen reinen Sinn verschafft. 
Wir sehen ja in praxi, was für einen Effekt das Magyarisirungssystem hat; es 
macht einen Krieg im Lande, der wahrlich nicht zur Cultur, wohl aber zum Un- 
tergange des Staates und dein damit verbundenen Falle der Magyaren führt . . . 
Immerhin, den Slawen droht keine Gefahr, und wenn eine droht, so wird sie sie 
lehren, sich näher an einander zu schmiegen, und da giebt es viele Millionen, 
nicht ein Paar, wie bei den Magyaren! 



Digitized by Google 



2« Aktenstücke, 
die Anwendung» der magyarischen Sprache betreffend. 

a. Die Deutsche Pressborger Zeitung vom 12. Mai 1840 enthält eine Re- 
präsentation der Landstände an Se. Majestät den Kaiser in Hinsicht der magya- 
rischen Sprache, deren Eingang so lautet: „Die engere Verbindung der Staatsbür- 
ger eines Landes, das Nationalleben, die gesetzliche Freiheit und Unabhängigkeit 
und die hieraus entstehende Wohlfahrt des gesammteri geselligen Lebens werden 
überall für ein Hauptergebniss des sich ausbreitenden und aufblühenden Zustaudes 
der Nalionalsprache anerkannt, da ohne diese die Nation nicht lebt, sondern nur 
kümmerlich sich erhält, bis sie endlich untergeht. Jahrhunderte hindurch hielt 
die todte lateinische Sprache die Wohlfahrt, den Kunst - und wissenschaftlichen 
Aufschwung der Nationen gefesselt, bis endlich Europa und alle cullivirten Natio- 
nen diese Fesseln abschüttelten. Ihr Fortschreilen beweiset, dass die warme An- 
hänglichkeit an die Nalionalsprache die belebende Wurzel des Nationalglückes ist, 
dass diese allein in der Gesetzgebung und bei der Staatsverwaltung angewendet 
werden muss." — Dagegen hätten wir nur das einzuwenden, dass die magyari- 
sche Parlhei vor den Augen der Humanität sich hier selbst der sträflichsten Un- 
moralität und der gewissenlosesten Tyrannei anklagt; denn indem sie anerkennt, 
dass es nur durch Cultur der Nationalsprache möglich wird, die Wohlfahrt einer 
Nation zu erzielen, schämt sie sich nicht, vor den Augen der Welt die Foderung 
aufzustellen, in Ungarn solle die Sprache der 4 Mill. Magyaren eine ausschliess- 
liche Pflege finden, der Sprache der andern 7 Millionen aber alle Sorgfalt ent- 
zogen (ja sie sogar ausgerottet), und dadurch die Völkerschaften, welche in ihr 
ihr einziges Bildungsmitlei haben, gewaltsam in Rohheit und Niedrigkeit herab- 
gedrückt werden. — In der Folge heisst es in jenem schönen Dokumente des 
magyarischen Liberalismus weiter: „Die ungarische Nation verehrt alle jene Ver- 
fügungen (welche die Regierung zu Gunsten der magyarischen Sprache erlassen): 
allein mit dem bisher Geschehenen sind die Wünsche der Nation nicht befriedigt, 
und Manches ist noch nicht erreicht, was eine freie und gelreue Nation von ih- 
rem Landesfürsten zu erbitten sich berechtigt sieht. Ueberzeugt, dass wir in Be- 
tracht unser selbst, des Vaterlandes und der einst unsere Thalen richtenden Nach- 
kommenschaft streng verpflichtet sind, das theuerste Nationalkleinod, die ungari- 
sche Sprache, mit unermüdetem Eifer zu culliviren und zu verbreiten (wo steht 
das geschrieben?), können wir von der Wiederholung unserer diessfalls vorgeleg- 
ten, gerechten Billgesuche niemals abweichen." — Dem zu Folge werden nun 
folgende Anträge gemacht: 1) Es sollen auch die Erzherzoginnen des Kaiserhau- 
ses in der ungarischen Sprache vollkommenen Unterricht erhalten (die Erzherzöge 
sind bereits dazu verpflichtet); 2) das Regale, alle königlichen Resolutionen und 
Rescripte, wie auch die Gesetze (welche bisher sämmllich in der lateinischen 
Sprache als Originalien galten) sollen künftighin bloss in ungarischer Sprache 
ahgefasst werden; übrigens wäre es ja nicht thunlich, dass die ungarischen Ge- 
setze (einmal in magyarischer Sprache ahgefasst) noch in eine andere, namentlich 
die lateinische Sprache, tibersetzt würden. (Auf diese Weise soll es bloss den 
Magyaren möglich sein, das Gesetz vollständig kennen zu lernen und darnach zu 
leben, und der Staat, weit entfernt, es selber und aus Staatsmitteln zu veranlas- 
sen, dass 7 /u der Staatseinwohner das Gesetz kennen, wird sogar aufgefodert, die- 
ses den Deutschen und Slawen unmöglich zu machen. Und dennoch soll der 
Slawe und der Deutsche nach diesem Gesetze gerichtet und nota bene! bestraft 
[wobei der magyarische Beamte gewiss die ganze Strenge des Gesetzes in An- 
wendung bringen wird] werden). 3) Selbst die königl. Hofkanzlei soll in ungari- 
scher Sprache amtshandeln; bei allen geistlichen, Civil- und Gerichtsbehörden 
sollen die Rechtsstreiligkeiten von da an ausschliesslich in derselben Sprache ver- 
handelt werden. (Und diess fodert dieselbe Parlhei, welche Oeffentlichkeit und 
Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens, welche eine Jury verlangt?— Welch eine zahl v 



Digitized by VjO 



MO 



lose Reihe Ton Unordnungen, Missgriffen, Ungerechtigkeiten, Schandthaten nnd 
Freveln wird diess zur Folge haben? Wie wird der Slawe und der Deutsche 
sich nur zu verthcidigen im Stande sein, besonders wenn alle Beamte Magyaren 
werden sollen, denen Hass und Verfolgung gegen die „Fremden" [im eigenen 
Vaterlande?] Richtschnur und Massgabe im Handeln ist). Das Militair endlich 
soll nun diese zur Amts - und Exerciersprache erhalten, alle Officiere daselbst 
geborne Ungarn (ist das auch Magyaren? Und sind denn die Slawen und Deut- 
schen nicht epauletsfahig in ihrem Vaterlande?) sein. — Damit ferner die Na- 
tionalsprache im ganzen Lande verbreitet werde, soll sich dieselbe Jedermann 
(auch der Bauer?) eigen machen; dem zu Folge soll 4) die ungarische Sprache 
bei allen Schulen im ganzen Lande als Unterrichtssprache eingeführt werden, wie 
diess auch mit Beseitigung der lateinischen Sprache thunlich ist (? So? Wurde 
denn bisher in jeder Schule lateinisch gesprochen und gelehrt? Die Herren schei- 
nen immer nur die erhabenen Höhen vor den Augen zu haben, aber das Dorf, 
der Bauer, gilt dem Hochadeligen freilich nichts.) — Die Nutzanwendung der 
lateinischen Sprache wird nicht in Abrede gestellt, jedoch wird selbige bloss als 
gelehrte Sprache betrachtet und soll folglich Niemand zu derselben verpflichtet 
werden. Es ist vielfältig nachtheilig, dass die Jugend die Zeit, welche sie zum 
Erlernen nützlicher Kenntnisse in der Muttersprache (meint man nicht vielmehr 
zum Erlernen der magyarischen Sprache, wie unten zu sehen?) verwenden könnte, 
viele Jahre der lateinischen Sprache bloss darum widmen muss, um selbige 
zu vergessen. Denn während der Erziehung und in den Jahren des Unterrichts 
erlernt die Jugend die Nationalsprache ain leichtesten und wird diese auch ausser 
dem Gelehrten - und Amtskreise, als Künstler, Kaufmann, Handwerker und Land- 
wirth einst im ganzen Lande wesentlich brauchen können. Wir erneuen daher 
unsere allerunlerlhänigste Bitte dahin, dass die ungarische Sprache bei allen Ci- 
vil - und Militair- Instituten, wie auch bei den Volksschulen (!) allgemein ange- 
ordnet werden möge. — 5) Sollen zu diesem Endzwecke demnächst ungarische 
Präparandenanstallen errichtet werden. 6) Es sei „die Pflicht" jedes Menschen, 
der die Wohlthaten de3 gemeinschaftlichen Vaterlandes geniesst, dass er auch der 
Nationalsprache kundig sei. (Wir läugnen diese „Pflicht", .da es unmöglich 
ist, sie zu erfüllen. Am allerwenigsten, dünkt uns, könnte die Rede davon in 
Ungarn sein, wo es gar nicht einmal eine Nationalsprache (xa-f *€qxw)> sondern 
nur eine Geschäftssprache, die magyarische, und mehrere Nationalsprachen, die 
magyarische, slowakisch -böhmische, serbische, illyrische, deutsche, wallachische, 
ja selbst die polnische und russinische giebt. Wir meinen vielmehr, es sei „Pflicht" 
und das eine heilige Pflicht der Regierung und Verwaltung, dafür zu sorgen, dass 
„jeder Mensch", welcher zu den Lasten des Staates seinen Anlheil eben so gut 
beiträgt, wie jeder andere, in seiner eigenen Nalionalsprache , d. i. also [in der 
magyarischen, slowakisch - böhmischen, serbischen, illyrischen, deutschen, wallachi- 
schen, und etwa polnischen und russinischen, den hinlänglichen Unterricht und die 
seinem Stande angemessene Bildung und Erziehung empfange. Das fordert die 
Gerechtigkeit, die Vernunft, die Humanität, das wahre Wohl des Gcsammtvater- 
landes, das jene Leute freilich nicht in Cultur und geistiger Entwickelung, son- 
dern nur in der Magyarisation linden.) Es soll demnach der $. 4. des Art. 8. 
der Verfügung von 1836, von der Zeit des jetzt zu creirenden Gesetzes an, in 
10 Jahren auch auf die Nebenländer der ungarischen Krone verpflichtend ausge- 
dehnt werden. (Der voranstehende Artikel enthält die Antwort auf dieses Petitum 
von Seiten Illyriens.) Hinsichtlich der königlichen Freistädte möge die Verfügung 
bestehen, dass nach 10 Jahren kein Inländer ohne Kenntniss der ungarischen Spra- 
che das Bürgerrecht erhallen dürfe. (Also lieber Ausländer, Abentheurer und zu- 
sammengelaufenes Gesindel; als die eigenen Staatsangehörigen?) 7) Unter den 
Mitteln zur Belebung und Ausbreitung der Nationalität wird beantragt: „dass alle 
fremdartigen Zunamen in's Ungarische übersetzt und die hierbei einzureichenden 
Bittschriften Allerhöchsten Ortes taxenfrei erledigt werden." (Also bis in das 



Digitized by Google 



m 



innerste Mark der andern Nationen soll der Magyarismus eingeimpft werden? 
Nicht einmal den ehrlichen, oft mühsam erworbenen, stets geliebten Familiennamen 
soll man mehr behalten? Wie die Exilirten, wie Galeerensklaven? und das im 
eigenen Vaterlande? im XIX. Jahrhunderte? — in einem freien Lande?) „Jenen 
aber, die keine Kennlniss der ungarischen Sprache haben, sollen keine Adels- 
oder königlichen Schenkungsbriefe verliehen werden." Weiter kann man in der 
Thal nicht gehen! — Wir brauchen nichts mehr hinzuzusetzen. Das Machwerk 
spricht deutlich genug für sich. 

h. Die Pressburger Landtagscommission, welche zur Untersuchung der ge- 
genwärtigen Presszuslände und der Mittel, wie eine Erweiterung der Pressfreiheit 
nützlich und möglich gemacht werden könnte, niedergesetzt wurde, endigt ihr 
Gutachten mit diesen, die ganze Sache dnreh einen Schlag zu der illiberalsten, 
tyrannischesten, ja barbarischen stempelnden Worten: „Endlich hat die Commis- 
% sion auch die Nationalität nicht ausser Acht gelassen, und die Interessen der un- 
garischen (magyarischen) Sprache als Hauptstatzpunkt derselben berücksichtigt, für 
deren möglichste Verbreitung zu arbeiten es heiligste Pflicht für jeden (?) Staats- 
bürger ist. Ueberzeugl, dass mit dem Erweitern der Pressfreiheit das Interesse 
der Lektüre und das Verlangen nach Kenntniss der ungarischen Sprache bedeu- 
tend erhöht würde, und die zwischen unserm Vaterland und den k. k. Erblanden 
obwaltenden Verhältnisse erwägend (d. h. mit deutlicheren Worten: befürchtend, 
die Regierung könnte desshalb die Petition um Presserleichterung abweisen, weil 
sie voraussähe, dass dann alle deutschen und slawischen Bücher freierer Tendenz 
in Ungarn gedruckt würden) , wünscht die Commission die vorerwähnten Begünsti- 
gungen nur für ungarische (d. h. in magyarischer Sprache ge- 
schriebene) Sc /triften vindicirl zu wissen." — Kann man einen deutlichem 
Beweis fordern dafür, dass die magyarische Parlhei jede Art von liberalem Sinn, 
jedes Bestreben nach freierer Entwicklung, mit einem Worte jede Aeusserung des 
Trachtens nach Freiheit nur zum Vor wände ihrer entnationalisirenden Tenden- 
zen anwendet und so das Heiligste, das Erhabenste, was der menschliche Geist 
zu erfinden vermag, bei ihrer niedrigen Gesinnungsweise auf die schmachvollste 
Art öffentlich zu missbrauchen sich nicht entblödet, und so die edelsten Menschen- 
freunde irre zu leiten sich bestrebt? 

c. Das Soinogyer Comilat will die Aviticilät nur unter der Bedingung 
abgeschafft wissen, dass bloss derjenige befähigt sein soll, adeligen Grundbesitz 
zu acquiriren, der der ungarischen Sprache kundig ist. 

d. Das Bekeser Comilat hat angezeigt, dass es bei seinem Herrenstuhle 
in der Folge nur ungarische Dokumente annehmen will. Und gerade des gemei- 
nen Mannes, des Bauers Zufluchtsstätte ist der Herrenstuhl; wie soll da Gerech- 
tigkeit möglieh werden? Das passt recht gut zu den Befehlen anderer Obrigkei- 
ten, welche ihrer slowakischen Gemeinde ungarische Notare aufgedrängt haben. 

e. Die Congrcgalion des Ungwarer Comilats hat in Hinsicht des Stimmrechts 
der Freistädle den Beschtuss gefassl: „die königlichen Freistädte sollten nur unter 
den zwei Bedingungen das land tägliche Stimmrecht erhallen, dass 1) ihre Abhän- 
gigkeil von der Hofkaminer aufgehoben wird, (d. i. mit andern Worten, wenn die 
fast ausschliesslich deutschen Slädle unter die segensreiche Fuchtel der (magya- 
rischen) Verwaltungsbehörden unmittelbar gestellt werden); dass 2) in der Ver- 
waltung ihrer öffentlichen und ökonomischen Angelegenheiten die ungarische Spra- 
che ausschliesslich angewendet würde." — Und das Alles heisst innerhalb des 
Gesetzes die magyarische Sprache ausbreiten? Sie an die Stelle der lateinischen 
setzen? — Die deutschen Slädle verhandelten ihre inneren Angelegenheiten 
von jeher deutsch. — Uud in der Thal, in Peslh war es nahe daran, dass 
diese Foderuug des Comilats ohne jene Slimmberechtigung erfüllt worden wäre. 



Digitized by Google 



17* 



Es war bestimmt, dass seit Anfange dieses Jahres (1843) in allen Protokollen, 
so wie in den Richtersprilchen bei dem mündlichen summarischen Process, der in 
Ungarn üblich ist, durchweg and ausschliesslich die magyarische Sprache einge- 
führt werden sollte. Das Jahr 1842 ging zu Ende; da ermannte sich die Ge- 
nanntschaft und schloss ihre Sitzungen für das verflossene mit der Dekretirung 
einer Replik, welche alle Erwartungen der überglücklichen Magyarowüthigen auf 
einmal vernichtete. Sie machten geltend, heisst es in einem dessfalsigen Berichte, 
der uns vorliegt, wie das Aufdringen der ungarischen Sprache auch da, wo sie 
die lateinische nicht im Gebrauche vorfinde, die Ausdehnung des Sprachzwanges (!) 
auch auf das innere, gemeindliche und Municipalleben nicht im Sinne der Gesetz- 
gebung liege, noch liegen könne. Die beabsichtigte Neuerung sei überdem nicht 
nur unnöthig, sondern auch in hohem Grade unnatürlich und zweckwidrig, 
und würde die ganze Procedur, bei der es eben auf die einfachste und schnellste 
Rechlserledigung abgesehen ist, ohne Grund erschweren und verwickeln. Eine der 
schönsten Rechlsinstitutionen, das mündliche summarische Verfahren, in deren Ge- • 
nuss sich die k. Freistädte befinden, würde auf diese Weise um einen grossen 
Theil ihres Werthes gebracht — der Rechtsspruch ihres ersten, natürlichen Rich- 
ters würde den Partheien entzogen, und erst durch Vermitlelung eines dritten (des 
Dolmetschers) zuganglich gemacht. Willfahre man in dem einen Stücke (und die- 
sen Passus bitten wir wohl zu bemerken!), so werde das nur der Anfang vom 
Ende sein für den Gebrauch der deutschen Sprache, so weit dieser in der inne- 
ren, stadtischen Verwaltung bisher Statt gefunden; bald würde man auch verlan- 
gen Ein's um das Andere, dass auch die Waisen-, Kämmerei - und Steueramts- 
rechnungen, die Wirthschafts - und Commissionsprotokolle, die Genanntschaftspro- 
tokolle und die Verhandlungen der Genanntschaft selbst in ungarischer Sprache 
geführt werden. — Und darnach geht allerdings das Streben der Magyaromanen. 
So heisst es ja in dem Congregationselaborate über die neue Verfassung der 
Städte mit klaren Worten: „Sämmtliche Bürger wählen aus ihrer Mitte eine Ver- 
tretungskörperschaft. Diese soll alle 5 Jahre den Magistrat restauriren. . . . Die 
D elib er ationsspr ac/ie soll die u?ig arisc he sein." — Kann man es 
deutlicher sagen? Uud doch hat die Pesther Congregalion vom 21. März v. J. 
das gedachte Elaborat angenommen, nicht minder als die Motion, welche die 
Stande beantragten: dass, „da die ungarische Sprache trotz der vielen Fort- 
schritte, die sie seit einiger Zeit dadurch gemacht, dass sie vom Landtag 1840 
in mehrere ihrer alten Rechte wieder eingesetzt wurde, noch immer nicht den ihr 
gebührenden Rang einnimmt, die Gesetzgebung festsetzen möge, dass in der Folge 
in der ganzen Administration des Landes, in der Abfassung der Gesetze, in allen 
officiellen Correspondenzen und im öffentlichen Unterrichte ausschliesslich die 
ungarische Sprache angewendet werden soll." 

3. nie verschiedenen Stände Ungarns. 

Aus einer demnächst erscheinenden Gegenschrift gegen die Viertel- 
jahrsschrift aus und für Ungarn. Von einem ungarischen Slawen. 

Die Vernachlässigung der Fortentwickelung unserer Verfassung war es nicht 
allein, welche zu den gegenwärtigen Zuständen führte, obwohl sie eine nicht ge- 
ringe Schuld daran trägt; genug, Ungarn bei stets sinkender Volkserziehung, 
durch die grossartigen Ereignisse unserer Zeit kaum berührt, vegetirte dahin, 
alltäglichen Interessen hingegeben, ohne Sinn für bessere und höhere Zustände, 
in althergebrachten Vorurtheilen schmählich gefesselt, von der Bildung der Schule 
wie von der bildenden Kraft des inhaltsvolleren Lebens gleich weit entfernt Aus 
diesem Zustande der Lethargie vorzüglich durch Grafen Sze*chenyi's Auftreten ge- 
weckt, wurde besonders unter der gebildeten Klasse des Adels das Interesse für 

die vaterländischen Zustände lebhaft erregt. Der Bürger, namentlich der deut- 

-f 

Digitized by Google 



173 



sehe, der die nationalen Vorurtheile nicht in dem Masse, wie die privilegirten 
Stände (heilte, und dem die Bestrebungen Kaiser Josephs, da sie auf das Wohl 
des ganzen Landes berechnet waren, nie in so gehässigem Lichte erschienen, wie 
der privilegirten Adelskaste, und in dessen Augen die Kritik der ungarischen Ver- 
fassung, wie sie die Josephinische Periode lieferte, noch immer in mehr als einer 
Beziehung auch noch heute ihre Gültigkeit hat, begrüsste das Erwachen der Na- 
tion mit Freuden, ohne jedoch ausschweifende Hoffnungen auf eine baldige gün- 
stige Zukunft zu hegen. Wesentlich hat zu dieser grösseren Ruhe des deutschen 
Bürgers auch beigetragen, dass er, der magyarischen Sprache selten in hinläng- 
lichem Grade kundig, Ton den patriotisch- exaltirlcn Declamaüonen keine Notiz 
nehmen konnte, was ihn zwang, sein Augenmerk auf Thatsachen vorzugsweise 
zu richten , die nun freilich mit den ersteren nicht gleichen Schritt hielten. Hiezn 
kommt noch, dass der Bürgerstand, bestimmten Berufsarten nachgehend, nicht in 
der Lage ist, von früh bis spat mit politischen Discussionen sich zu beschäftigen, 
sondern lieber seine Theilnahine und seine Thatigkeit den ihn zunächst angehen- 
den Communal -Angelegenheiten widmet, und diess um so mehr, als sein Einfluss 
auf die allgemeinen vaterländischen Angelegenheiten gesetzlich so gut wie Null ist. 

Dass er dabei gänzlich die allgemeinen vaterländischen Angelegenheiten aus 
dem Auge verliere, ist nicht zu besorgen; denn zu vielfältig ist sein persönliches 
und sein Standesinteresse von der Verfassung abhängig; hat er doch das Meiste 
erst von der Zukunft für sein einstmaliges Gedeihen zu erwarten und ohne Hoffnung 
mag doch Niemand leben. Geradezu widersprechen müssen wir aber Hrn. Hanspl- 
mann, wenn er die städtische Municipalverfassung unbedingt gegen die 
der Comilale herabsetzt (S. 14 ff.) ; denn unläugbar ist in den Städten die innere Ad- 
ministration bei weitem geordneter, die Waisenämter, Grundbücher, die polizeiliche 
Branche unvergleichlich besser. Auch liegt in der unter den Einfluss des Magistrats 
gestellten Selbstcrgänzung der Wahlbürger kein so grosser Mangel der städtischen 
Verfassung, als man gewöhnlich annimmt, weil diese so gewählten Reprä- 
sentanten nicht aufhören der Bürgerschaft anzugehören; vielmehr 
nach wie vor die Identität der Interessen sie verbindet, nnd sie 
weit entfernt sind, eine besondre Kaste zu bilden. Hiermit wollen wir kei- 
neswegs sagen, dass es nicht zweckmassig wäre, dass die Wahlbürgerschaft von 
der ganzen Bürgerschaft gewählt werde; nur können wir nicht zu der Ueberzen- 
gung kommen, dass hierdurch ein wesentlich anderes und vorzüglicheres Resultat 
positiv erzielt würde. Grösser ist der Uebelstand, dass die Wahlbürgerschaft mit 
dem Magistrate eine moralische Körperschaft ausmacht. Die städtischen Ma- 
gistrate sollen, sammt der Wahlbürgerschaft (oder dem äussern Ralhe) die Ver- 
treter der Rechte der Bürgerschaft sein. Diese Aufgabe wird für sie um so 
schwieriger, je mehr die Regierung sie als executive Staatsbeamte allein zu be- 
trachten gewöhnt ist, und je strenger sie von derselben in bureaukralischer Ab- 
hängigkeit gehalten werden. Bei dem Umstände, dass ihre Aemter lebenslänglich 
sind, stehen auch der Wahlbürgerschaft keine Mittel zu Gebote, sie zu eifriger 
Vertretung ihrer Rechte zu nöthigen, die nur allzuoft bureaukratischen Tendenzen 
weichen müssen und schon in erster Instanz umgangen und eludirt werden. Es 
haben daher von vielen Seiten die Städte für periodische Wahl und auf eine be- 
stimmte Anzahl von Jahren beschränkte Amtsdauer der Magistrate sich ausgespro- 
chen. Soll aber nicht, indem man ein Gebrechen zu heben wünscht, ein neues 
an die Stelle des alten treten, so ist auch hier die Frage reiflicher zu prüfen, 
als man gewöhnlich hört und liest. Sollen die städtischen Communen gedeihen, 
so ist das Princip der Ordnung eben so zu beachten, als das der Freiheit; nur 
diese in glücklichem Verein können das Aufblühen der Städte sichern. Erhält durch 
die Wahl der Magistrate auf eine bestimmte Frist die Freiheit eine Garantie mehr, 
so lässt sich nicht verkennen, dass das Princip der Ordnung dadurch wenigstens 
nichts gewinne, vielmehr in Gefahr ist, zu verlieren. Es dürfte desshalb schon 
der eigentliche Richterstand bei den Magistraten von dem periodischen Wechsel 



Digitized by Google 



IM 

auszunehmen sein, damit wenigstens ein Thcil des Magistrats das Princip der 
Ordnung und Stabilität zu vertreten da sei, und weil — was man als ein Axiom 
der neueren Staatslehre betrachten kann — der Richterstand seiner Bestimmung 
nach unabsetzbar und unabhängig sein soll. 

Dass übrigens von dem allgemeinen Verfall, dem allgemeinen Misere, der 
Bürgerstand nicht ausgeschlossen blieb, soll nicht geläugnet werden. Bei den 
beengenden Schranken, in die er sich allenthalben durch die Bevorrechtungen des 
Adels eingerammt sieht, bei dem tiefen Verfall der elementaren Volksbildung und 
dem gänzlichen Mangel an Schulen für bürgerliche Berufsausbildung musste auch 
der Bürgerstand allmählig herabkoinmen , und nur das Wandern und die Einwan- 
deruug konnte ihn noch vor tieferem Verfalle bewahren. Und doch, es ist un- 
glaublich, will man, während es an allen wesentlichen Mitteln der bürgerlichen 
Bildung fehlt, und das Geschrei von Handel, Industrie, Fabriken unisono von al- 
len Seiten uns entgegen tönt, das Bürgerrecht in den Städten von der Kenntniss 
der ungarischen Sprache abhängig machen! 

Zu dem Bürgerstande rechnen wir durchweg alle Honoratioren, insofern 
sie nicht adelig sind; sie gehören ihm durch Geburt, Beruf und Erwerb, durch 
Lebensgewohnheit und Interesse an, und es ist von der liberalen Adelspartei, will 
sie aufrichtig sein, eine radicale Verblendung, wenn sie annimmt, durch Hinzu- 
ziehung der Honoratioren zu den Comilatswahlen einen Schritt vorwärts auf der 
Bahn einer vernünftigen Reform zu machen. Ein Hauptübel unsrer Zustände liegt 
ja eben in dem nicht nur Alles überwiegenden, sondern vielmehr ausschliessenden 
Gewicht der Aristokratie, ein Excess, der so enorm ist, dass er lödtlich nicht 
nur auf den niedern Ständen lastet, sondern indirect die Aristokratie selbst In 
hohem Grade bcnachtheiligt, weil bei dem gestörten natürlichen Gleichgewichte 
eines Organismus zuletzt alle Theile leiden, die geschwächten nicht minder als die- 
jenigen, welche auf Kosten der andern die Störung des Gleichgewichts hervorriefen. 

Weit mehr noch als der Bürgerstand hält sich der erste privilegirte Stand 
des Landes, der katholische Klerus, von den politischen Bewegungen fern. 
Durch Neigung, Denkungsart, durch das vorzugsweise bei diesem Stande vorherr- 
schende Standesinteresse stationär, abhold jeder Veränderung, auf die Defen- 
sive seiner Parlicularinteressen vor Allem bedacht, zwischen der Regierung und 
den Nationalwünschen sich hindurchwindend, in einigen Punkten, wie etwa der 
Magyaromanie mit der liberalen Partei koketirend, ist er ein um so entschiedne- 
rer, wenn auch versteckter Feind der politischen Bewegung, je mehr Vorschläge 
diese in Gang bringt, die seinen Besitz entweder zu beeinträchtigen oder ihn gänz- 
lich daraus zu verdrängen beabsichtigen. Uebrigens meidet er es, den krankhaf- 
ten Zuständen aufs Lebendige zu gehn, und seine Maxime ist: 

Nur keinen Lärmen angefangen, 
Ist in der Kirch* was ausgegangen. 

(Tristan and Isolde.) 

Der Stand der Bauern, das sogenannte gemeine Volk (misera conlribuens 
plebs), verdient die grösste Anerkennung; nicht nur, weil er bisher alle Lasten 
mit dem Bürgerstande gelragen, und den kriegerischen Ruf der Nation bisher 
stets unversehrt erhallen hat, sondern auch, weil er einen unverdorbenen Kern 
und die breiteste, wie sicherste Grundlage einer einstigen nationalen Entwickelung 
bildet. Die magyarischen, slawischen und deutschen Bauern sind durchaus mit 
nationaler Verschiedenheit tüchtig, und würden, wenn man die gehörige Sorgfalt 
auf sie wenden wollte, sicherer die Macht und Grösse des Landes gründen, als 
die utopischen Phantasien, von denen manche Ungarns Wiedergeburt erwarten. 
Vorzüglich der Stamm der Magyaren sollte auf seine Bauern mehr achten, denn 
auf diesem beruht wesentlich sein Bestand, seine Zukunft. Eine nationale Volks- 
bildung zu wecken und zu befördern auf diesem durch Jahrhunderle brach gele- 
genen Boden, dürfte zu dankenswertheren Resultaten führen als die unfruchtbaren 



Digitized by Google 



175 



und gellässigen Bemühungen, die Slawen zu magyarisiren. Dass übrigens der 
Bauer in seiner gegenwärtigen Lage keinen Antheil an der politischen Aufregung 
des Landes nimmt und eben so wenig, wie der Bürger, als Dränger eine dro- 
hende Stellung behauptet, ist gewiss. 

Der niedere Adel (die sogenannten Bocskoros) steht inlellecluell mit dem 
Bauer auf gleicher Stufe. Ja die Adelsprivilegien, welche diese Buudschuharislo- 
kratie geniesst, machte sie für die Gesittung eben so schwer zugänglich, als sie 
andrerseits dieselbe sittlich verderblichen Einflüssen bei den Restaurationen aus- 
setzen. So wie sie dermalen sind, können wir in den Bocskoros nur ein blindes 
Werkzeug erblicken, welches von den Parteien nacb Belieben gebraucht und ge- 
missbraucht wird. Innerhalb der Adelsklasse constiluiren sie gleichsam das de- 
mokratische Princip auf seiner niedersten Stufe der Ausbildung, 
wo es als Ochlokratie auftritt. Dieser zahlreiche, ungebildete und sehr arme 
Theil des Adels ist noch ganz in seine alten Yorurlheile und Gewohnheilen ein- 
gelebt, stolz auf seine Privilegien, zu unwissend und zu arm, als dass er irgend 
einen selbstständigen Antheil nehmen könnte an den politischen Vorgängen; wohl 
aber könnte er durch seine Anzahl unter gewissen Umständen ein gefährliches In- 
strument in den Händen der Parteien werden. In dem Masse, in dem er früher 
eine Stütze der Aristokratie war, in dem Masse ist er nun ein Hinderniss der 
Reform der Constitution. Welches Loos ihm in den . politischen Umgestaltungen 
des Vaterlandes vorbehalten sei, dürfte schwer sein, schon jetzt zu bestimmen; 
wir wollen der Geschichte mit unsenn Urlheil nicht vorgreifen: nur das sagen wir, 
dass die nöthig gewordnen Reformen in unserm Vaterlande von der fortschreiten- 
den Bildung der Bocskoros abhängig machen, wie es Dr. Hanszlmann thul, uns 
so viel heisst, dieselben auf Jahrhunderte hinaus, wenn nicht gar ad calendas 
Graecas vertagen. 

Der hohe Adel, mächtig durch Reichlhum und politischen Einfluss, gestal- 
tet sich in mancher Beziehung ganz zur Oligarchie. Der jüngere Theil des- 
selben nimmt lebhaften Antheil an den politischen Discussionen und vaterländischen 
Interessen, nur ist dieser Antheil bei den Meisten nicht ernster zu nehmen als 
eine noble Passion, eine Modesache; denn. zu wenig gründlich unterrichtet (wo 
das Schulwesen in einem Lande daniederliegt, macht sich die Wirkung davon bei 
der Erziehung der höhern wie der niedern Stände fühlbar), zu sehr dem Lebens- 
gen uss hingegeben, sind sie einer ernsten, anhallenden, mit Arbeil und Mühe ver- 
bundenen Thätigkeit kaum fähig. Verhältnissmässig besitzt der hohe Adel gewiss 
die grösste Anzahl von Männern mit wahrhaft liberaler Gesinnung, fühlt sich aber 
durch das willkührliche Zutappen des mittleren Adels, den die ullra- liberale 
Partei dominirt, in seinen wesentlichsten Interessen bedroht und ist daher entwe- 
der rein conservativ oder für einen besonnenen, gemässigten Fortschritt ge- 
stimmt. Die liberale Opposition in der Magnalentafel musste in dem Masse, als 
sich diese in den Comitaten und in der Ständetafel bestimmter heranbildete, schwä- 
cher und unbedeutender werden. Sowohl der hohe Adel als der Klerus sind schon 
guten Theils auf die Defensive gegen die Bestrebungen des mittleren oder soge- 
nannten Comitatsadels gewiesen, und beide dürften, wenn zu schwach, dem An- 
drang dieses rührigsten Theils des Adels zu widerstehen, gezwungen werden, 
Schutz und Zuflucht bei der Regierung zu suchen. Die Besitzenden dürften bald 
die Erfahrung machen, dass es besser ist, von einer kräftigen Regierung als von 
den Vielen, die Neid, Chikane und andre niedrige Gelüste zu feindseligen Bestre- 
bungen treiben, abzuhängen. 

Den mittleren oder sogenannten Comitatsadel haben wir den politisch 
rührigsten Theil des Adels genannt. Der Grund seiner Rührigkeit ist kein ab- 
strakt liberaler, wenn er auch die Fahne des Liberalismus schwenkt und sein 
Vorkämpfer zu sein vorgiebt. Im Besitz der ausübenden Gewalt durch die Be- 
setzung der Comitatsäinter hat er das Interesse, seinen amtlichen Einfluss zu ver- 
grössern und die grossen Grundbesitzer des hohen Adels und des Klerus von sich 

S)»w. Jahrb. I. 24 



Digitized by Google 



mehr und mehr abhängig zu inachen. Er verfährt dabei nicht nnr aus Ehrgeiz, 
sondern strebt auch nach einer materiellen Verbesserung seiner Lage, die ihm 
um so Wünschenswerther ist, als diese letzlere in keinem Verhällniss zu den An- 
forderungen des immer weiter um sich greifenden Luxus mehr steht, und er bei 
einer Veränderung der Verfassung vor der Hand nur gewinnen könnte. 

Denn bei uns ist auch das eigentümlich , dass, während der mittlere Adel 
in Bedürfnissen des Luxus mit den auf der Bahn der Civilisation Torgeschrittenen 
Völkern möglichst gleichen Schritt hält, die alten Erwerbsquellen anzureichend 
sind, die gesteigerten Bedürfnisse zu decken und keine neuen eröffnet wurden. 
Durch seinen Einfluss auf den niedern Adel, die Besetzung der Comitalsämter aus 
seinen Reihen, durch das Gewicht seiner Vertreter in der Depulirlenkammer — 
welches die stadlischen Deputirten und die des Klerus so gut wie paralysirt hat — 
besitzt diese Fraction des Adels Elemente der Macht, so wie es sich darum han- 
delt, gegen die hohe Aristokratie und den Klerus in die Schranken zu treten, wie 
sie überhaupt liberal bis zum Extrem ist, so oft nicht ihre eigenen Interessen ins 
Spiel kommen. Diese für sie günstige Stellung wird ihr streitig gemacht durch 
den Einfluss des hohen Adels und des Klerus, den diese beiden auf den niedern 
Adel (die Bocskoros) mit ihr theilen; sie wird in ihren Bestrebungen nach Refor- 
men durch die Zähigkeit gehemmt, mit der die Bocskoros an den althergebrach- 
ten Vorurthcilen hängen, und ist, so wie ein Schritt von der Negation zur Posi- 
tion gemacht werden soll, von unzähligen Schwierigkeiten und Collisionen umrun- 
gen, unvermögend, bei scheinbar noch so günstigen Winden das Staatsschiff vom 
allen Flecke fortzubewegen und ihm eine bestimmte Richtung nach einem Ziele 
zu geben. 

Dieser Theil des Adels gefallt sich darin, sich gleichsam als den drillen 
Stand, den tiers etat hinzustellen; — eine grandiose Täuschung, da dieser Stand 
Gewerbe, Industrie, Handel, Kunst und Wissenschaft nmfasst und als solcher zu 
der grossen Wichtigkeit in den modernen Staaten gelangte, und ihren politischen 
Institutionen seinen Stempel aufdrückte. Ohne diese materielle und ganz positive 
Stellung im Staate vermögen bloss politische Tendenzen nimmer dessen Platz 
einzunehmen. 

Die liberale Partei, welche in dem mittleren Adel, diesem seltsamen tiers 
etat, ihr Hauptlager hat, und in dem Pesti hirlap ihre tribune militaire, ohne 
Disciplin, ohne Heerführer, von einem Schwann von Marodeurs umschwärmt, 
gleicht einem unorganisirten Freicorps, das höchstens zu einem Streif zug, einer 
Uebcrruinpclung des feindlichen Lagers dienlich ist. Eine Hauptschlacht weder 
zu bielen, noch anzunehmen tauglich, ohne Kriegsplan und Terrainkenntniss, im 
Angriff eben so blind und unüberlegt, als leicht verwirrt und in die Flucht ge- 
schlagen; in unzählige Fahnlein getheilt, zersplitlert sie ihre Kräfte, die sich 
nach Willkühr oder ganz zufällig auf diesen oder jenen Punkt werfen, den sie, 
genommen oder nicht, wieder verlassen, um einen neuen Slreifzug zu unterneh- 
men, — ein wahrer Heuschreckenschwann, der, Alles verwüstend, nirgends festen 
Fuss fasst. 

Dieses nur allzotreue Bild der liberalen Partei wollen wir zu Nutz und 
Frommen nicht -militairischer Käuze in einem medicinischen Beispiel für unsre 
hypochondrischen Leser wieder zu geben suchen. Die liberale Partei gleicht ei- 
nem Heere von Aerzten, die an der Verfassung und den Landesinstitutionen — 
jeder nach seiner Weise — herumdoctern. Von einer vollständigen Erforschung 
der Krankheitserscheinungen, von einer Prüfung der Ursachen, Beziehung der 
Symptome auf das erkrankte System oder Organ, auf die mannigfaltigen Compli- 
cationen und Gombinationen der Krankheit und die vielen andern Momente, die 
ein heilkundiger Arzt zu berücksichtigen hat, ist nirgends die Rede; sondern, wie 
ächte Quacksalber, tappen sie blind zu, und scheuen sich nicht, heroische Mittel 
auf gut Glück anzuwenden oder die widersprechendsten Medicamente ohne Kennte 
niss ihrer Wirkungsart dreist auszubieten. 



Digitized by Google 



17V 



Die liberale Partei hal nicht nur eine zn grosse Masse Ton Vorschlagen in 
die Welt gesetzt, sie hat sie auch nicht nach ihrer relativen Wichtigkeil und 
Dringlichkeil gesondert, nicht unterschieden, was vor der Hand wenigstens noch 
unausführbar und was man schon jetzt hoffen durfte, durchzusetzen; sie hal es 
nicht vermieden, die tollkühnsten Projecte, als handelte sich's um eine Kleinig- 
keit, aufs Tapet zu bringen, und sich dadurch bei den Einen eben so verhasst, 
als bei den Andern lächerlich gemacht, bei beiden aber sich in Misskredit gesetzt. 
Wir nennen hier nur den Vorschlag, die Güter des Klerus einzuziehn und das 
absolute Veto des Königs aufzuheben. In der Thal ist eine so hübsche Zahl ähn- 
licher, unmöglicher D...ten in Kurs gesetzt worden, dass man von einer gewis- 
sen Seite zur Entschuldigung bereits anführte, die Regierung selbst veranlasse 
diese Ueberstiegenheit, um sie für ihre Zwecke auszubeuten, — eine Hypothese, 
wo möglich noch lächerlicher, als die Erscheinungen, die sie erklären und ent- 
schuldigen soll; auch wird ihr gewiss kein Verständiger irgend einen Glauben 
schenken. 

Die exclusivc magyarische Stammesnalionalität, die sie auf den Thron der 
legitimen, seil acht Jahrhunderten herrschenden politischen Nationalität Selzen will, 
ist das Schoosskind dieser Partei, von ihr ausgetragen, unter gewaltigem Kreis- 
sen zur Welt gebracht, aufgefüttert und gehätschelt, ihr enfanl gate. Der unge- 
zogene Junge dürfte aber bald der zärtlichen Muller selbst unbequem werden. 
Die neue Prärogative, welche der Stamm der Magyaren durch Usurpation für 
seine Sprache und seine Nationalität in Anspruch nimmt, hat nämlich unter den 
andern Stämmen Leidenschaften und Reactionen, Verstimmungen und Antipathien, 
Coalilionen und Alliancen hervorgerufen, welche die Plane und Bestrebungen der 
bezeichneten Partei bei mehr als einer Gelegenheil durchkreuzen dürften. Nur 
ihre Schuld wird es sein, wenn die politischen Parteien sich wirklich nach Spra- 
che und Stammesnationalität in verschiedene Lager sondern sollten, was bisher in 
der Geschichte unsres Vaterlandes nicht vorgekommen, wenn auch, ohne die ge- 
ringsten Belege dafür aufzuweisen, Dr. H. fabelt: „zur Unabhängigkeit und Frei- 
heit des Landes hätten die andern Völker des Reichs gar nichts beigetragen, viel- 
mehr von jeher sichtlich hemmend und verderbend eingewirkt." 

Ferner hat diese ihre Lieblingsidee, die Alleinherrschaft der magyarischen 
Nationalität, der liberalen Partei selbst den klaren Blick, die ruhige Einsicht in 
das, was dem Gesammtvatcrlande Noth thut, getrübt und sie an consequenler 
Durchführung ihrer liberalen Grundsätze gehindert, sobald nämlich eine liberale 
Maassregel, für die sie im Princip hätte stimmen müssen, wie z. B. die Abschaf- 
fung der Aviticität, die Erweiterung der politischen Rechte der nntern Stände u.s.w. 
mit der Nationalitätsfrage in Conflict gerieth und der Ausbreitung des magyari- 
schen Elementes nicht günstig schien. Dann haben auch die Ultras bei ihrem 
Bestreben, die Nationalität zu heben, nur zu sehr durchblicken lassen, dass es 
ihnen hauptsächlich um Kräftigung und Einheit im Lande im rein oppositionellen 
Sinne gegen die Regierung zu thun ist. 

Der hauptsächlichste Missgriff, den diese Partei jedoch gemacht, isl, dass 
sie das Verhältniss Ungarns zur Gesammtmonarchic und zum europäischen Slaatcn- 
systein nicht nach der wahren Sachlage auffassl. Je höher diese Beziehungen 
liegen, je folgenreicher und wichtiger sind die Wirkungen, die von Irrthümern 
in dieser Hinsicht ausgehen. Ungarn hat seine Selbstständigkeit und Unabhängig- 
keit nach aussen durch den Verband mit der Gesammtmonarchie gesichert; als 
bedeutsames Glied derselben kann es in partielle Kriege nicht verwickelt werden. 
Für den abnormen Zustand des Krieges ist somit gesorgt; für den normalen des 
Friedens zum Theil durch die Verfassung, insofern diese eine sclbstständige Ad- 
ministration garantirt; aber was gänzlich fehlt, ist eine solche Regelung und Ue- 
bereinkunft mit den andern Theilen der Gesammtmonarchie, der wechselseitigen 
industriellen und commerciellen Verhältnisse und Interessen, wie sie das Wohl des 
Landes dringend erheischt. Das Colonialsystem, von dem Kaiser Joseph Ungarn 



Digitized by Google 



1*8 

befreien wollte, kann auf die Länge ohne Nachtbeil für das Land und die ein- 
zelnen Klassen, welcher Ordnung sie immer angehören mögen, nicht fortdauern. 
Dass diese lebensbedingenden Vorlheile nicht mit der Verfassung wesentlichen Rech- 
ten erkauft werden dürfen, wird als eine conditio sine qua non vorausgesetzt. 
Diese Vorlheile nicht in dem Verband mit der Gesammlmonarchie durch ein wech- 
selseitiges Handels - und Zollsystem zu suchen , sondern auch hier mit übelver- 
standenem Ehrgeiz durch Verknüpfungen mit fremden Staaten zunächst und un- 
mittelbar dieser dringenden Forderung des Landeswohles abhelfen zu wollen, ver- 
riethe offenbar, dass man weder das unabänderliche Verhältniss Ungarns zur Mo- 
narchie, noch die daraus für das Land hervorgehenden, unschätzbaren Vortheile, 
mit Ausnahme des handgreiflichen Falles eines Krieges, begreife oder begreifen 
wolle. Der Nachtlieil solcher falscher Bestrebungen wäre nicht nur zunächst, dass 
das wirklich erreichbare Gute darüber verabsäumt würde, sondern auch, dass die 
Regierung, so lange sie währen, sich genöthigt sehen wird, die ihr durch die 
Wahrung der Gesammlinieressen gebolne Stellung diesen durchaus verderblichen 
Anmassungen gegenüber zu behaupten. 

Aus dem bisher Gesagten geht klar hervor, dass die politische Bewegung 
sich beinahe ausschliesslich auf die privilegirten Stände beschränkt, dass diese 
Bewegung mit dem Interesse des hohen Adels und des Klerus nicht Hand in Hand 
geht, dass der niedere Adel als Werkzeug von den Parteien gebraucht wird, und 
wo und wiefern er aus sich selbstständig handelnd auftritt, unverrttckt für die 
hergebrachten Zustände kämpft; dass es ferner nur der mittlere Adel ist, der 
durch ein lebendiges Interesse — Gewinn an Macht, Ansehn und Einfluss, Ver- 
besserung seiner Vermögensumstände — getrieben wird. Ohne Rückhalt jedoch 
im untern Adel, ohne Druck von aussen durch den Bauern - und Bürgerstand, 
rüttelt er ohnmächtig an dem Bestehenden. Dass es übrigens so und nicht anders 
ist, darf niemanden wundern. Ein so langes Stillstehen auf der Bahn der 4 Volks- 
entwickelung erklärt es hinlänglich, wenn jetzt, wo wir mit plötzlicher Hast dem 
weit entrückten Ziele zueilen, unser Schritt noch unsicher ist, und wir ein über 
das andremal auf ungewohnter Bahn straucheln. 



V. 

Literatur und Kritik. 

Kritiken. 

1. a) Slawen, Bussen, Oermanen, Ihre gegenseitigen Ver- 
hältnisse in der Gegenwart nnd Zukunft, Leipzig, Engelinann. 

Die politische Gestallung Europas lag bis in das vorige Jahrhundert fast 
allein in dem Willen und der Macht der Völker romanischer und germanischer 
Abkunft. Mit der Gründung Petersburgs und seit der Schlacht von Poltawa ge- 
wannen die Slawen, eine Nation, in materieller Kraft keiner andern europäischen 
nachstehend, wenigstens zum Theil eine Stimme in dem europäischen Völkerrathe. 
Politische Klugheit und siegreiche Tapferkeit haben die Bedeutung dieser Stimme 
in der neuern Zeit und zumal in der Gegenwart nicht nur sicher gestellt, sondern 
sogar erstaunlich gesteigert Allein nur die eine grössere Hälfte der slawischen 
Nation, die Nordostslawen, erfreuen sich politischen Ansehens, die westliche Min- 
derzahl errang nur noch wenig oder keinerlei Bedeutung. Auch unter diesen Sla- 
wen ist unverkenntlich ein warmes Gefühl für Nationalität und ein reger Eifer, 
derselben Anerkennung zu verschaffen, in jüngster Zeit erwacht. Es ist aber die 
Forderung von 20 Millionen auf Anerkennung der nalionellen Rechte nicht ohne 



Digitized by Google 



Bedeutung, Ter dient vielmehr die aufmerksamste Erwägung. Diese ist ihr In dem 
ton uns zu besprechenden Buche geworden. 

Deutschland hat im allgemeinen der Entwicklung des slawischen Europa nur 
geringe Aufmerksamkeit gewidmet, theils einer ungehörigen Missachtung des Sla- 
wenthums sich hingebend, theils in Ermangelung genauerer Kennlniss des Ostens 
die lächerlichsten Urlheile der Ueberschätzung sich erlaubend. Ein getreues Bild 
des Wesens und der Bedeutung des Slawenthums hat noch kein Deutscher gezeich- 
net. Warf man einen flüchtigen Blick über die weiten Ebenen und Steppen des 
Slawenlandes, und wie der Dnjepr, die Wolga, die Dwina und hundert andere 
Ströme überall in ihrer ganzen Lange slawisches Land durchziehen und gleicher- 
maßen am Fusse der Alpen, Karpathen, wie des Urals Slawen siedeln, und dass 
man überall den slawischen Namen zu lieben beginne und überall achter Slawe 
zu sein begehre; nahm man an, wie Argwohn empfahl, dass dieses neu sich bil- 
dende machtige Volksthum eine feindliche Richtung gegen Westeuropa und nament- 
lich gegen alles Germanenthum einschlage: so hatte man das Phantom des politi- 
schen Panslawismus, wie er in den deutschen Zeitungen herumspuckt und zum 
Schreckbilde, zu allerhand Diatriben gebraucht wird. Sähe man im Gegentheile 
in dieser ungeheuren Ausdehnung nur in sich selbst entzweite, durch das Band 
der Abstammung nur sehr schwach zusammengehaltene, in Sitte, Glauben, Mund- 
art, Staatsverfassung überaus verschiedene, particuläre Nationalitäten, so kam man 
leicht, zumal man als Westeuropäer dies zu glauben sehr bequem fand, zu der 
Ueberzeugung, dass eine Vereinigung derselben nicht zu fürchten sei, dass nie- 
mals Ein Wille diese Massen zu einer That bewegen könne. Es ist kaum nöthig 
zu bemerken, dass beide Auffassungsweisen eben so falsch sind wie ihre Resultate. 

Deutschland, vorzüglich seit dem Anfange dieses Jahrzehends, verspricht das 
Land der Brochüren zu werden. Das ächtdeutsche Volkslbum, eben erst erwacht 
und doch schon einer mächtigen Opposition Stand zu halten genöthigt, fördert 
die kleinen niedlichen Heftchen zu Dutzenden zu Tage. Die ungarischen Magya- 
ren verwüsten manchen Bogen deutschen Papiers vergebens, um ihr freches Be- 
ginnen gegen alle nichtfinnische Nationalität in Ungarn vor dein deutschen Rich- 
terstuhle zu beschönigen. Endlich ist auch ein Slawe erschienen, um den Deut- 
schen den Stand und das Leben des Slawentums offen zu enthüllen. 

Dieser Slawe, als solchen kündigt er sich selbst in der Vorrede an, will 
„vom slawischen Standpunkte aus, aber möglichst frei von Vorurlheil und mit 
aufrichtigem Bestreben nach Wahrheit, den Zustand der slawischen Nation in der 
Gegenwart und ihre Hoffnungen und Aussichten für die nächste Zukunft schildern/' 
Indess begnügt er sich damit noch nicht, vielmehr will er zugleich bestrebt sein, 
die Bedeutsamkeit des Slawenthums für Deutschland zu zeigen und eine Annähe- 
rung und ein Verständniss zwischen dem westlichen Slawenthum und dem Germa- 
nenthume zu ermitteln: „Deutschland soll von uns erfahren, was unser Ziel ist, 
und so jenes Verständniss herbeigeführt werden , was eben so wflnschenswerlh und 
nothn endig ist beiden Nationen, welche nun einmal bestimmt sind, neben einan- 
der zu wohnen." Dieses zu bewerkstelligen, betrachtet er die slawischen Völker- 
schaften 1) in ihrer nationalen Eigen thümlichkeit, sodann 2) in ihrem Verhältnisse 
als Glieder der vier osteuropäischen Mächte. 

Es erhellt zur Gnügc aus diesem Programm der ganzen Schrift, dass wir 
hier keineswegs einen Forlsetzer des Pentarchisten oder einen Geistesgenossen 
Gurowskis vor uns haben, wie jüngst in der Allgem. Augsburger Zeitung, man 
weiss nicht ob mehr aus Unwissenheit oder Böswilligkeit, versichert worden ist 0 ). 
Die vorliegende Schrift hat im Gegentheile betreff ihrer Tentenz mit der Pentar- 
chie und Gurowski's Brochürc nicht nur nichts Gemeinsames, sondern sie ist ge- 
radezu als eine westslawische Entgegnung auf jene ostslawischen Demonstrationen 
anzusehen. Styl und Darstellung in den beiderseitigen Schriften sind nicht weni- 



•) Die A. Z. hat diese Versicherung in einer folgenden Nummer widerrufen. A. d. Red. 



Digitized by Google 



ger himmelweit verschieden: beim Pentarchisten feiner, diplomatischer Styl, das 
Wahre oft machiavellistisch verzerrt ; bei unserem Slawen eine lebensvolle warme 
Schreibart, nirgends Perfidie, wohl manchmal zu viel Ehrlichkeit zum Nacht heil 
seiner dienten, in Angaben Zuverlässigkeit 

Die Aufgabe, welche das vorliegende Buch zu lösen versprach, war keine 
unbedeutende: die nalionelle Bedeutung aller Slawenstämme abzuschätzen, ihre 
Stellung unter einander festzusetzen, das Verhällniss zu ihren Regierungen anzu- 
deuten und die Beziehungen zu Deutschland klar zu machen; wahrhaftig, es gehört 
eine sehr genaue Kenntniss der östlichen Hälfte Europas dazu, hier etwas Gnflg- 
liches zu leisten. Trotz des etwas unpassenden Titels darf im Allgemeinen ver- 
sichert werden, dass diese Schrift ihre Aufgabe nicht übel gelöst habe, dass sie, 
in Rücksicht auf das vor ihr zur Förderung der Kunde slawischer Verhältnisse 
und Zustände in Deutschland Geschehene, die bedeutendste Schrift ist, welche bis- 
her erschienen. Es ist dieses Werk eben die Frucht langer, aufmerksamer Betrach- 
tung des literarischen wie des politischen Slawentums und verdient als solche 
unbedenklich die rege Aufmerksamkeit Deutschlands; welches vom europäischen 
Norden und Osten eine gründlichere Ansicht aus diesem Buche gewinnen wird, 
als aus den bisher erschienenen Schriften, welche mehr oder weniger gedungenen 
Interessen huldigten. 

Wir schliessen uns bei der Betrachtung der in dieser Schrift ausgesproche- 
nen Ansichten an die Ordnung, welche im Buche selbst beobachtet werden sollte, 
an, obgleich dieselbe wenig beachtet und vielmehr das Nationale mit dem Politi- 
schen und umgekehrt vielfach vermischt worden ist. 

Der Verfasser hält sich an die bekannte Scheidung der Slawen in West- 
und Ostslawen, jenen die Lausitzer, Böhmen, Slowaken und Polen, diesen die 
Russen, Illyrer, Serben und Bulgaren zuzählend, und betrachtet in der ersten Ab- 
theilung seines Buches, welche er „die slawischen Völkerschaften in ihrer Eigen- 
tümlichkeit (< überschrieben hat, diese Völkerschaften in der gedachten Reihenfolge. 

Die ethnographischen Angaben geben wir nicht wieder, da sie fast ohne 
Ausnahme aus Schafariks slawischer Ethnographie, man möchte fast sagen, mit 
allzugrosser Freiheil entnommen sind, diese Angaben aber im ersten Hefte der 
Jahrbücher mehrentheils mitgetheilt worden sind. 

Die lausitzer Slawen eröffnen die Discussion, nicht zum Vortheile des Buches. 
Der Verfasser bemerkt, von den neuerwachten Bestrebungen der lausitzer Serben 
zur Wiedererweckung und Erhaltung ihrer Nationalität sprechend: „uns Slawen 
selbst dünken die Bestrebungen einiger jungen Männer in der Lausitz mehr als 
Spiel oder Scherz, wenn sie sich bemühen, eine Nationalität aufzupflanzen, wo 
keine mehr ist und keine mehr sein kann." Woher weiss der Verfasser, dass in 
den Lausitzen keine Nationalität mehr existirt? Es ist ihm kaum zu glauben, 
dass er je das lausitzer Serbenlhum in der Nähe, auf einer Reise, wie er S. 5 
behauptet, kennen gelernt habe. Das lausitzer Serbenthum befindet sich in der- 
selben Lage, wie das Deutschlhum in Siebenbürgen oder in der Zips; den Deut- 
schen muss daran gelegen sein, dass jene germanischen Colonien die Stürme des 
Magyarenthums überleben, gleichwie sie ihnen bereits fünf Jahrhunderte siegreich 
widerstanden haben. Das Recht, seine Nationalität aufrecht zu erhalten, kann Nie- 
mandem abgesprochen werden: es kommt also blos auf den Willen der Nationalen 
selbst an, ob sie ihre Nationalität aufgeben wollen oder nicht, da ein Zwang 
hierin gegen alles Völkerrecht verstösst und nur in Staaten vorkommen kann, wo 
man das Grundgeselz alles Völkerrechts: „Jede Nation hat als solche das Recht 
zu existiren und steht gleichberechtigt neben jeder andern da", wie in Ungarn, 
mit Füssen zu treten sich nicht entblödet. Im constitutionellen Sachsen ist indes- 
sen von einer solchen Verhöhnung der Nalionalrechte in der Gegenwart keine 
Rede mehr und es leidet sogar keinen Zweifel, dass die Serben, falls sie es 
selbst nur mit Nachdruck zu fordern wissen, vollkommene Freiheit ihres Volks- 
tums zu erlangen vermögen. Wir versichern dem Verfasser des uns vorliegenden 



Digitized by Google 



Buches, dass die lausitzer Slawen nicht daran denken, freiwillig ihr alles Volks- 
tum und ihre Sprache aufzugeben. Yor drei Jahrhunderten prophezeihte bereits 
ein alter serbischer Priester: in fünfzig Jahren werde die serbische Sprache ver- 
stummt sein ! Und doch lebt sie noch jetzt im Munde von 200,000 Serben, trotz 
des unerhörten Feudaldruckes und oft wiederholter feindseliger Anordnungen von 
Oben bis in die Gegenwart herab. 

Auch die hierauf folgende Besprechung des Czechenthums dankt uns nicht 
die glücklichste Partie des Buches zu sein, soweit dieselbe sich auf die hier zu- 
sammengestellten Czechen und Mährcr bezieht. Der Verfasser ist, aus vielen 
Merkmalen darf man den Schluss ziehen, jedenfalls selbst ein Czeche, deshalb 
mögen ihn Rücksichten zu der vorsichtigeren Darstellung manchen Gegenstandes 
vermocht haben. Es ist hier alles so skizzenhaft und so notizenförmig, dass, 
wer nicht früher schon den Faden besitzt, aus dieser Darstellung nicht wohl ei- 
nen richtigen Einblick in das Czechenthuin gewinnen wird. Nach kurzer Skizze 
der Schicksale, welche bisher das czechische und mährische Geistesleben betroffen 
haben, sowie der Angabe der numerischen Anzahl des ezeebisch - mährischen Stam- 
mes und der Bestimmung ihres Gebiets geht der Verfasser auf die Schilderung 
der czechischen Gegenwart «her. Er zeigt, wie das seit 1620 fast zertrümmerte 
Czechenlhum gerade zu der Zeil, wo Joseph II. durch seine den Eindrang des 
Deutschthums in Böhmen fördernden Anordnungen „die Macht der Hussiten" ge- 
brochen glaubte, wieder erwacht sei, neuerdings frische Wurzeln geschlagen habe, 
und wenn auch nur allmählig, so doch desto nachhaltiger erstarkt sei. Eine wie 
uns dünkt passendere, in die andere Abiheilung gehörige Verlheidigung des Cze- 
chenthums, führt namentlich den sehr richtigen Gedanken durch, das nalionelle 
Streben der Czechen sei, weil öffentlich, nicht zu fürchten. 

Der erbärmliche Zustand des böhmischen Schulwesens und der Aufschwung 
der neuböhmischen Nationalmusik sind nur ungenügend besprochen. Auch des 
nationeilen Theaterwesens wird gedacht. Seit dem Ende des vorigen Jahres ist 
hierin ein sehr erfreulicher Fortschritt durch die Eröffnung eines wahren Nalional- 
theaters geschehen, welche zugleich das Aufblühen einer dramatischen Literatur 
zur Folge haben wird. 

Ein kurzes, geschichtliches und geographisches Apercu leitet den Abschnitt 
über die Slowaken in Ungarn ein, welcher ohne Zweifel zu den besten des gan- 
zen Buches gehört. Der Zustand des Ackerbaus, der Gewerbe und Industrie, die 
Sprachenverwirrung in den ungarischen Schulen, die rege Theilnahme der Slowa- 
ken am czechischen Geistesleben schon seit Jahrhunderten, die gegenwärtigen 
Lileraturbestrebungen, namentlich mit Rücksicht auf den wegen äusserer Bedrük- 
kung schwer darniederliegenden Journalismus, der Widerstand gegen das Eindrin- 
gen des magyarischen Finnenthums werden ganz vortrefflich geschildert. Die 
Wahrheil der betreffenden Angaben stellt sich aus den neuesten Nachrichten aus 
Ungarn heraus. Ungarn ist in der Gegenwart unzweifelhaft das interessanteste 
Land des östlichen Europa. Hier finden wir den hartnäckigsten Conservatismus 
im Kampfe mit den gräulichsten Radicalismus^ Protestantismus, Katholicismus und 
sogar Graecismus fanatisch einander gegenübertretend; Nationalität gegen Nationa- 
litat Kampf auf Leben und Tod beginnend ; denn an dem Kampfe der Slawen ge- 
gen die Magyaren fangen nach und nach sogar die in Ungarn wenigstens über 
alle Maassen saumseligen Deutschen Antheil zu nehmen an, ja sogar die Walachen 
rütteln an ihren Ketten und gedenken ihrer römischen Abkunft und des grossen 
Decebalus, ihres mächtigen Königs! Nirgends weist die Geschichte ein zweites 
Land nach, in welchem zu gleicher Zeit so wichtige und so hartnäckige Kämpfe, 
wo es Sieg oder Vernichtung gilt, ausgefochten wurden. Man darf es den Ma- 
gyaren Dank wissen, dass sie gleich den Slawen, den geisligen Kampf vor dem 
neutralen Deutschland auszufechten beschlossen haben, wie die eben bei Wigand 
in Leipzig erscheinende Vierteljahrsschrift aus und für Ungarn bezeuget Man 
wird ihnen hier mit gleichen Waffen entgegentreten können, wie dies bis jetzt in 



Digitized by Google 



Ungarn noch nicht möglich gewesen ist, wo eine wahrhaft tyrannische Unter- 
drückung der slawischen Presse alle Freiheilsphrasen der Magyaren von Press- 
freiheit Lügen straft, und wo es auch sobald nicht anders werden kann, da der 
neueste ungarische Pressgesetzentwurf blos der magyarischen Presse Freiheit vin- 
diciren will, die slawische und die deutsche Presse aber in bisheriger Unfreiheit 
belassen werden soll. Deutschland hat bis jetzt diesen nationalen Kämpfen noch 
wenig Aufmerksamkeit geschenkt, und doch handelt sich's hierbei auch darum, ob 
mehr denn eine Million Germanen dem magyarischen Finnenlhuine verfallen soll 
oder nicht! In ganz Russland befinden sich nicht mehr denn 450,000 Deutsche, 
und welches Geschrei hat man in Deutschland über die Russificirung der Ostsee- 
provinzen erhoben. Fast scheint es, als ob man sich durch die magyarischen 
Freiheilsphrasen bestechen liesse. 

Ein kurzer Ueberblick der bekannten Ursachen des Falles Polens, wobei nur 
der Mangel eines kräftigen Städtelebens und der vergiftende Einfluss der Juden- 
wirlhschaft nicht genugsam hervorgehoben sind, sodann die Bestimmung des von 
Polen bewohnten Landes leiten den Artikel über Polen ein. Die politische Zer- 
rissenheil des polnischen Yolksthumes in der Gegenwart findet sich kurz und kräf- 
tig geschildert. Der Stand der Literatur in den verschiedenen polnischen Landes- 
theilen, die Seichtheit und der Mangel alles Gediegenen und Gründlichen, welche 
in Warschau herrscht, die nicht minder überall ersichtliche Oberflächlichkeit, da- 
bei aber erstaunliche Fruchtbarkeit im lithauischen Geislesleben, die völlige Apa- 
thie Galiciens, die Todtenstille Krakaus, das freiere und ergebnissreichere Stre- 
ben in Posen, werden in kurzen Strichen gezeichnet. Die anerkennungswerlhen 
Beslrebungen der posencr Polen, welche sich in einem lebhaften Journalismus und 
in Vereinen für die Bildung der unteren polnischen Volksklassen vorzugsweise 
kund geben, finden hierauf ihre verdiente Würdigung. Die Poscner haben end- 
lich erkannt, dass nur durch die Beförderung ächt heimischer Cullur dem fernem 
Eindringen fremder Elemente gewehrt werden könne. Das Band der nationalen 
Cultur wird die verschiedenen polnischen Stände inniger verbinden, als dies ehe- 
dem die straff gezogenen Bande der nun gebrochenen Leibeigenschaft vermochten. 
Die Schilderung der hoffnungsvollen posener Beslrebungen und ihrer bisherigen 
Ergebnisse contrastirt sehr scharf mit der Versumpfung des polnischen Elements 
und Lebens in Galizien und der geflissentlichen Unterdrückung desselben im Kö- 
nigreiche Polen. Die Pest der Judenwirthschaft — der man gegenwärtig in Po- 
sen von Oben herab ein Ende zu machen ernstlich Anstalt zu treffen scheint — 
wüthet dort ungescheut fort und untergräbt die geistige und die physische Wohl- 
fahrt aller Klassen der christlichen Bevölkerung. Gesetze helfen nichts, da sie 
nicht gehandhabt werden. 

Episodenartig ist nach dem Artikel über Polen ein Resümee der Thätigkeit 
der sogenannten „polnischen Emigration" eingeflochten. Das einzig Erfreuliche 
daran ist die erstaunliche Thätigkeit der ausgewanderten Polen für die nationale 
Literatur. Fast scheint es, als ob die Werke, welche der Muse dieser unfrei- 
willigen Auswanderung ihre Entstehung verdanken, die einzige Frucht und wohl 
auch das einzige Denkmal derselben für spätere Zeiten verbleiben wollten (?). Im 
Uebrigen gleicht das politische Leben der Polen in der Emigralion noch immer 
dem alten wilden Reichstagstreiben: Parlheiung über Parthciung. — Der ganze 
Artikel ist ein Auszug aus dem demokratischen Almanach der Emigration. 

Die Besprechung der Oslslawen beginnt mit den Illyrer- Serben, dem Völker- 
complexe, welcher die weiten Länder von Kyseg, im Eiscnburger Comilat, bis an 
die Mündung der Bojana ins adriatische Meer in Albanien, und von Temeswar in 
Ungarn und Negolin in Serbien bis nach Resciulta im Görzer Kreise bewohnt Unter 
vielen Stämmen treten namentlich die Slowenzen in Krain, Kärnthen und Sleyer- 
mark , die Chorwaten in Chorwatien und die Serben durch ihre Bedeutung hervor. 

Der Verfasser des vorliegenden Buches ist ein Gegner des Illyrismus. Ver- 
nehmen wir seine Worte und beleuchten wir sodann die Ideen. Nachdem der Ver- 



Digitized by Google 



fasser diesen traarigen Zustand des Geisteslebens in den Landern, welche das 
neue Illyrien bilden sollen, nämlich Chroaüen, Slawonien, Istrieo, Dalmatien, 
Serbien, Bosnien u. s. w., geschildert und bemerkt hat, dass früher gegen zwan- 
zig Mundarten mit eben so viel verschiedenen nnslawischen , den deutschen, italie- 
nischen, magyarischen Orthographien entnommenen Schreibweisen jeden kräftigen 
und allgemeinen Aufschwung von allem Anfang an niederhalten mussten, geht er 
auf die Entstehung und das rasche Aufblähen des Uiyrismus über. Er schildert 
beredt und feurig, wie ein Mann (Gaj) durch sein Genie die ganze Scene ver- 
wandelt, indem er, allen Provincialismus und Particularismns zur Seite schiebend, 
auf Grand der alten glorreichen ragosanischen Glanzperiode ein neues Volkstham 
schafft. Er widerspricht dem nicht, dass Gaj mit richtiger Einsicht und prakti- 
schem Tact denjenigen südslawischen Dialect heransgewählt habe, welcher allein 
die Bedingungen zum Aufbaue eines grossen südslawischen Yolkslhumes in sich 
(ragt, weil derselbe die Sprache der Mehrzahl jener Völker und zugleich die 
Centraimundart in geographischer Hinsicht ist, und — woran es den übrigen 
Mundarten so gut wie ganz fehlt — einen grossen Reichthum an Nalionalwerken, 
vorzüglich in der Poesie besitzt, welche der neueren Literatur zur historisch- 
positiven Grandlage dienen und selbst aus dem Leben entsprossen, wieder befruch- 
tend auf das Leben einwirken könnten — Vortheile, welche bei dem Mangel ei- 
ner zur literarischen Dictatur berufenen Hauptstadt entscheidend sind, und welche 
weder die serbische, noch die chorwatische , noch die windische Provinciallitera- 
tur bei ihrer stets beschränkten, einseitig geistlichen Richtung in gleichem Maasse 
nicht gewähren. Er findet es sehr lobenswerth, dass Gaj alle jene barbarischen 
Alphabete verwarf und ihnen eine ächt slawische Schreibweise substitairte, deren 
Leichtigkeit und Einfachheit ihres Gleichen in Europa nirgend hat. Er berichtet, 
wie glänzende Ergebnisse der Uiyrismus schon erzielt, wie feurigen Anklang er 
überall gefunden und noch findet — und gleichwohl wirft er sich zum Beschützer 
einer alten Particularität, des Serbenthums, auf, in einer Weise, wie dies kaum 
noch ein wirklicher Serbier je gelhan. Er schreibt es „nur der bewundernden 
Verehrung, welche man den an der Spitze der illyrischen Bewegung stehenden 
Männern und ihrer ungemein kräftigen, eben so edlen und uneigennützigen als 
gefährlichen (?) Thätigkeit mit Recht zollen muss", zu, warum gerade die edel- 
sten, gelehrtesten und scharfsinnigsten Männer den ungeheuren Mangel übersahen 
oder unbeachtet gelassen haben, welcher in dem Hlyrismns seiner Natur nach liegt 
„Wenn eine alte Nation Jahrhunderte lang ein Volk gebildet, in ihren beständigen 
Wohnsitzen unter den mannigfaltigsten Verhältnissen zn einem immer höhern Grade 
der Kultur, des Volksglückes und der Macht sich emporgearbeitet, wenn sie eine 
Heimath, ein Vaterland sich errungen und dieses gegen jeden andringenden Feind 
mit ihrer ganzen Kraft bis auf den letzten Blutstropfen vertheidigt hat; so ist sie 
allmählig zur Kennlniss ihrer selbst gekommen, es hat sich das Erhebende eige- 
nen Werthes, das stolze Bewusstsein ihrer Grösse und ihres Ruhmes herausgebil- 
det, welches eine Nation sobald nicht wieder sinken lässt Ein solches Bewusst- 
sein seiner selbst hat nun jedes nicht ganz untergeordnete Volk Europas, und auf 
je niedrigerer Stufe der Caltur dasselbe steht (nachdem es einmal den Zustand ro- 
ber Barbarei überwunden), desto stolzer und herausfordernder (?) pflegt es mit 
seiner Nationalität aufzutreten. Am wenigsten wird man ein solches Bewusstsein 
den Völkerschaften absprechen können, welche das „grosse Illyrien" bewohnen. 
Aber aller Stolz eines Volkes, alle seine erhebende Begeisterung knüpft sich an 
den angebornen, angestammten Nationalnamen; mit diesem ist die Nationalität und 
die Nation selbst verwachsen, sein Glanz giebt ihr Glanz, sein Fall stürzt sie 
unrettbar in das Verderben. Der Nationalname ist das grösste Gut, die 
kostbare Perle, das einzige grosse Erbe, welches ein Volk aus jedem 
Sturme der Weltereignisse retten kann, ja retten muss, soll es nicht moralisch 
und physisch vernichtet sein. Und das haben die „Illyrer" übersehen, oder we- 
nigstens viel zu gering angeschlagen, und damit einen Fehler begangen, der ihnen 

Sl.w. Jabrb. I. 25 



Digitized by Google 



184 

bereits jetzt Hindernisse auf Hindernisse in den Weg thürmt und ihnen in Ewig- 
keit die gehoflte Frucht ihrer so edlen, so wahrhaft bewunderungswürdigen An- 
strengungen verbittern, wenn nicht ganzlich zu nichte machen wird. Wie kann 
man einer Nation anmuthen, dass sie das Höchste, das Grösste, das Erhabenste, 
ihre Nationalität, ihren alten, ehrwürdigen Namen, an den sich alle grossen Er- 
innerungen, alle Kraft, aller Stolz des Volkes knüpfte, Ton sich werfen und mit 
einem anderen vertauschen soll? Und was ist das für ein Name: „Illyrier"? 
Von einem fremden Zwingherren (?) gegeben dem Lande, das er unterjocht, ein 
Denkmal der Schmach und Erniedrigung der Völker, welche der Römer und spä- 
ter der ebenso herzlose Franzose knechtete, eiu drohendes Gespenst aus alten, 
traurigen, schrecklichen Zeilen, eine Spuckgestalt, welche die Gemülher auf- 
scheucht durch die Erinnerungen der blutigen Tage, wo die Südslawen von frem- 
den Tyrannen niedergebeugt in den Staub uod mit höhnendem Fusse in den Koth 
getreten wurden (!): solch ein Name, wie kann er irgend eine höhere, stolze 
Begeisterung erwecken für den schlummernden Geist einer Nation , welche mit ihm 
die Idee alles Fürchterlichen, Schaudernden, Vernichtenden unzertrennlich ver- 
knüpft (wahrer Unsinn!)? Und gegen diesen sollte der Chrowate, der Serbier 
seinen alten glanzvollen Namen vertauschen , gekrönt durch tausendfachen Ruhm, 
verherrlicht durch die edelsten Thaten des Mulhs und des Hochsinns, theuer ge- 
worden durch tausendjährige Kämpfe gegen fremdes Joch und asiatische Barbarei?" 

In der That die schwächste Stelle des ganzen Buches, wimmelnd von Un- 
wahrheiten und leeren Tiraden, dem sonst ersichtlichen politischen Geiste des Ver- 
fassers ein starkes Dementi gebend! Stellen wir die ganze Sache kürzlich ohne 
Declamalion in ungeschmückter Wahrheit dar! 

Die oben berührten Erbärmlichkeiten der Zustände in allen südslawischen 
Ländern, zumal die Zerrissenheit der nur gering verschiedenen Mundarten, inuss- 
ten in dem Herzen manches patriotischen Südslawen die Idee erwecken, die jede 
materielle, geistige und politische Entwickelung hemmenden Schranken wegzuräu- 
men, auf den Trümmern des alten Particularismus ein grosses und mächtiges, jede 
Entwickelung versprechendes Volksthum zu errichten. Die ungeheuren Hemmnisse 
und Schwierigkeiten zu überwinden, war in der That eine herkulische Arbeit! 
Gaj unterzog sich derselben und — will man frei und unparteiisch und nicht von 
altchroalischem oder einseitig razischem Standpunkte ein Unheil fällen — hat die- 
selbe wohl vollbracht. Eine gemeinsame einfache Orthographie sollte die alten 
wahrhaft scheusslichen Schreibweisen verdrängen, die von der Mehrzahl des süd- 
slawischen Volkes gesprochene Mundart, da sie zugleich geographische Centrai- 
sprache ist, durch Grammatik und reiche Literatur aber einen seltenen Grad von 
Feinheit und Ausbildung erreicht hat, nach den Bedürfnissen der Gegenwart mo- 
dificirt, die Schriftsprache des gesammten Völkerbundes werden, und Illyrier 
sollte der Name des Volkes sein. Der Name lllyrien ist auf jeden Fall kein frem- 
der, sondern ein urslawischer; er ist aber zugleich die geographische Bezeichnung 
für die Mehrzahl der südslawischen Länder. Es ist wahrhaft lächerlich, zu be- 
haupten, der Name Illyrer sei „ein Denkmal der Schmach und Erniedrigung der 
Völker, welche der Römer und später der eben so herzlose Franzose knechtete, 
ein drohendes Gespenst aus alten traurigen, schrecklichen Zeiten, eine Spuckge- 
stall, welche die Gemüther aufscheucht durch die Erinnerungen der blutigen Tage, 
wo die Südslawen von fremden Tyrannen niedergebeugt in den Staub und mit höh- 
nendem Fusse in den Koth getreten wurden u. s. w." Referent, mit der Geschichte 
des slawischen Südens zur Genüge bekannt, weiss nicht, wann die Südslawen un- 
ter dem Namen Illyrier so schrecklichem Geschicke erlegen sind und wann sie 
solch gräuliches Joch wieder abgeworfen haben; auch ist ihm nichts davon be- 
kannt, dass alte Sagen oder Lieder das Volk an schreckliche Tage eines ehe- 
maligen Illyrenthums gemahnen: dass weiss er aber ganz gewiss, dass der Name 
Serbier jeden Serben an die schreckliche Sklaverei unter den Osmanen auch nach 
Jahrtausenden noch erinnern kann, und dass der Name Chorwaten die fränkischen 



Digitized by Google 



— - 185 

Gräuellhalen und die deutsche Zwingherrschaft im Gedächtniss zu erneuern ver- 
mag. Es ist lächerlich, den Namen Illyricr darum verhasst zu finden, weil Na- 
poleon ihn erneuert hat Wahrhaftig, als wäre der Verfasser ein Deutschlhümler 
aus der Zeil der schwarzen Sammctbarelte, wo alles Französische als anrüchig 
galt. Die Slawen verdanken Napoleon mehr als sie bis jetzt zuzugestehen für 
gut gefunden haben; ich erwähne nur in Russland den Sieg des russisch -slawi- 
schen Elementes tiber das mit Macht hereingedrungene Ausländerthum. Die Süd- 
slawen sind von Napoleon keineswegs „in den Staub gebeugt, noch mit höhnen- 
dem (!) Fusse in den Kolli getreten worden"; dies ist eine historische Unwahr- 
heit. Im Gegenlheil, mehrere der südslawischen Länder sind erst durch Napoleon 
von der gräulichen Despotie der Venetianer befreit und unter das milde Scepter 
Oeslerreichs gebracht worden. Nur ein vergleichender Blick auf die Jämmerlich- 
keit der Bildungszustände jener Länder unter der venetianischen Tyrannei und ihr 
Aufblühen unter Oesterreich in der Gegenwart zeigt, wie sehr diese Südslawen 
Napoleon für diesen Herrschaftswechsel dankbar sein sollten. 

In der jüngsten Gegenwart haben sich die Verhältnisse wesentlich verändert. 
Man hat von Oben den Namen Ulyrien verboten; Gaj's Illyrische Nationalzeit nng 
erscheint nur noch als Nationalzeilung. Es scheint, als ob das Magyarenthum, 
in dem Illyrenthume einen kräftig erstehenden Gegner gewahrend, und ihn um so 
giftiger hassend und niederzuschmettern trachtend, eine Art Sieg erfochten habe. 
Das illyrische Volksthum hat aber dadurch noch nicht an Kraft verloren, dies 
zeigt die Stiftung der Malica vor einigen Monaten. Ob diese Unterdrückung des 
Namens lllyrier von Seiten Oesterreichs im Hinblick auf den Auflösungsprocess der 
europäischen Türkei politisch zu nennen sei, bleibe hier unerörtert; ein grosser 
Irrthom aber ist es, wenn die Magyaren sich grossen Sympathien in einigen tür- 
kischen Provinzen versichert halten und solche als ehedem zu Ungarn gehörig re- 
clainiren. Die Slawen in der Türkei wissen die Vortheile genugsam zu würdigen, 
welche ihnen durch eine Vereinigung mit dem Lande, wo die Magyaren hausen, 
zu Theil würden. 

Auch Serbien ist in eine neue Phase seiner politischen Entwicklung und Ge- 
stallung eingetreten. Serbien, durch seine Lage ohne Zweifel das wichtigste Land 
der Süddonauländer, hatte eine nähere Betrachtung vor Allem verdient. Der Ver- 
fasser unserer Broschüre, obwohl dem Serben wohlgesinnt, hat nichts wesentlich 
Neues beigebracht. Eine kurze Literalurnoliz und Zahlangabe ist alles. Es war 
vor einem oder zwei Jahren die Wichtigkeit Serbiens noch keineswegs in Europa 
so klar erkannt, wie dies nach der neuesten serbischen Umwälzung der Fall ist 
Die Unbekann tschaft ist gleichwohl noch augenfällig, da sogar gegenwärtig noch 
französische wie deutsche Journale die Urheberschaft des letzten Aufslandes dem 
mittelbaren Einflüsse Russlands zuzuschreiben unwissend genug sind. 

Den Bulgaren ist die nächste Abtheilung gewidmet. Ein geschichtlicher und 
geographischer Ucberblick leitet den Artikel ein, dem eine Uebersicht der alt- 
bulgarischen Literatur episodenartig und wie uns scheint, den Zweck des vorlie- 
genden Buches nicht eben fördernd eingewebt ist. Ueber die Bulgarei und die 
sogar in dieser terra incognita des slawischen Ländergebietes sich entwickelnden 
Keime einer bessern Zukunft ist bei dem Mangel an Nachrichten nur wenig bei- 
gebracht worden. Blanqui, Ami Boue und Robert (zwei längere, viel Neues bie- 
lende Artikel in der Revue des deux mondes) sind noch nicht benutzt worden. 
Die Franzosen haben bei der Würdigung der Bedeutung Bulgariens vor allen an- 
dern europäischen Nationen politischen Blick gezeigt, wie das Etablissement ei- 
nes französischen Consuls in Bulgarien zeigt. 

Die Russen beschliessen die erste Hauptabtheilung, welche die slawischen 
Völkerschaften in ihrer nationalen Eigentümlichkeit zu zeichnen sich vorgesetzt 
hatte. — Die Russen werden nach ihrer Zusammensetzung iu Kleinrussen, Weiss- 
russen und Grossrussen mit der Unterabtheilung der Nowgoroder besprochen. Die 
Kleinrussen, 13 Millionen zählend, haben weder in politischer noch literarischer 



Digitized by Google 



Beziehung einiges Gewicht. Biireaukratie und literarisches Uebergewicht der Gross- 
russen lassen eine nationale Literatur in kleinrussischer Sprache trotz mancher 
lobenswerthen Bestrebungen in der Gegenwart nimmermehr zn Stande kommen. 
Die Einheit des Glaubens vermittelt die Verschmelzung beider Stämme immer mehr. 
Bei der gegenwartigen russischen Politik in Bezug auf die innere Enlwickelung 
des Staates kann die Kräftigung einer kleinrussischen Nationalität keineswegs 
beabsichtigt werden, ist auch kaum aus allgemein slawischem Standpunkte zu wün- 
schen. Die russische Gesammtliteralur würde dadurch nicht nur einen grossen 
Wirkungskreis verlieren, sondern auch alsbald einen Zufluss sehr guter, frischer 
Kräfte vermissen. Eine Menge grossrussischer Schriftsteller gehört durch Geburt 
zum kleinrussischen Stamme. Der kleinrussische Stamm scheint vielmehr, wie der 
Verfasser der Broschüre S. 114 darlhut, zum Vermittler zwischen Grossrussen und 
den übrigen Völkern des südlichen Russland bestimmt zu sein, welchem letzteren 
er durch die Lebendigkeit seines Charakters und sein halbnomadisches Steppe- 
leben um ein Bedeutendes näher steht. Die Abneigung zwischen Moskowitern und 
Kleinrussen dürfte, je mehr und je entschiedener Kussland gegen westliche Kultur 
und Kirche Front macht, desto eher verschwinden. Deutsche Politiker haben auf 
diese Abneigung ganz besonderen Werth gelegt und aus einem zukünftigen Kampfe 
beider Stämme die Schwächung, wo nicht gar den Fall Russlands prophezeihet; 
ein Blick auf die wahre Lage der Dinge lässt diese Ansicht als eine vollkommen 
irrige erscheinen. Die alte freie Kosakenzeit lebt nur noch in Liedern. 

Von den Weissrussen bemerkt der Verf. S. 122 sehr richtig: „Die Provin- 
cialität soll, muss und wird hier wie überall der Gesammtheit sich unterordnen." 

Ein kurzer Ueberblick der russischen Literaturentwickelung ist vorläufig in 
dieser Abtheilung gegeben, die detaillirle Darstellung der nationalen Social Ver- 
hältnisse der Russen in die zweite Abiheilung verschoben. 

Der Seitenblick auf die Nowgoroder gehört unter die Episoden dieses Buches, 
welche füglich blos in einer Anmerkung erwähnt werden konnten, denn die Now- 
goroder haben gegenwärtig weder in politischer, noch literarischer Beziehung ir- 
gend einige Bedeutung mehr. Ihr ursprünglich grossrussischer Dialect enthält 
einige Abweichungen; dies ihre ganze Verschiedenheit von den Grossrussen. 

Ein Rückblick auf die gewonnenen Ergebnisse dient zugleich als Uebergang 
zu der folgenden Hauptabtheilung, in welcher die Slawen in ihren staatlichen Ver- 
hältnissen geschildert werden sollen. 

Russland eröffnet die Discussion. Religiöse Einheit, monarchische Selbst- 
ständigkeit und nationale Entwickelung sollen die drei Ideen sein, welche die in- 
nere Politik Russlands in der Gegenwart bestimmen. Dieses vom Pentarchisten 
bereits ausgesprochene Programm der russischen Politik scheint durch die jüng- 
sten Gestaltungsmomente des russischen Volksthums nicht Lügen gestraft zu wer- 
den. Die Politik Peters des Grossen ist verbraucht, seit Nikolaus ist eine natio- 
nale an ihre Stelle getreten. Dies ist ganz klar und nichts Neues. 

Diesen kurzen politischen Bemerkungen folgt eine Betrachtung der socialen 
Verhältnisse in Russland. Die Bauern waren bis auf Peter d. Gr. frei (?) und 
durften, wenn sie sich bei der Behörde gemeldet, beliebig weiter ziehen. Erst in 
den letzten Jahren seiner Regierung wurden sie an die Scholle unbedingt gebunden. 
In Kleinrussland erhob sich Widerspruch, so dass erst Katharina diese Massregel 
auszuführen im Stande war. Es giebt 21 Millionen Leibeigene in Russland. Das 
Loos der russischen Leibeigenschaft ist indess kein allzulrauriges. Eine Menge 
von wohlthäligen Gesetzen hindert Barbarei. Vor Allem erfreuen sich die kaiser- 
lichen Leibeigenen einer besseren Lage. Eine eigenthümliche Bauernklasse bilden 
die Odnodworci. Der in sechs Klassen zerfallende freie Bürgersland geniesst ei- 
ner Art Municipalverfassung; doch ist die Zahl der Bürger noch allzugering, um 
einigen Einfluss auf die Entwicklung des Staates zu üben. Die Darstellung des 
noch allmächtigen Adels zeigt zugleich, dass bei der dermaligen Einrichtung nie- 
mals ein starker intelligenter Mittelstand geschaffen werden kann, da der Adel 



Digitized by Google 



stets die besten Kräfte des Bürgerstandes absorbirt, gegentheilig aber auch der 
rassische Adel niemals so welk und hinfallig und ausser seiner Zeit stehend, wie 
in den übrigen europäischen Ländern, werden kann. Der russische Adel ist al- 
lerdings noch kein ächt russischer; seine Bildung ist noch immer französisch und 
wird es bei dem jetzigen Zustande der russischen Literatur und volksthflmlichen 
Enlwickelung auch noch lange Zeit bleiben, obwohl der energische, alles Natio- 
nale fördernde (Jwarow auch den Adel möglichst zu nationalisiren sucht. So lange 
die russische Literatur nicht eine allgemeine europäische Bildung zu gewähren 
vermag, so lange wird das Ausländerthum trotz aller Grenzlinien noch immer eine 
grosse Rolle in Russland spielen. Es ist daher äusserst politisch von Uwavow, 
dass er die innere Entwickelung der russischen Literatur mit allen ihm zu Ge- 
bote stehenden Mitteln zu heben bestrebt ist Dies ist sein grösstes Verdienst; 
bierin hat er sich einen unvergänglichen Namen erworben. Die Politik Russlands 
zu den nicht russischen Nationalitäten seines Reiches ist seit Vernichtung der 
Mongolen eine wesentlich negative. Eine Macht, Eine Religion, Eine Nation ist 
der Wahlspruch jedes patriotischen Russen. Dass dieser Spruch die Richtung der 
inneren Politik Russlands bestimmt, bedarf keines Beweises. Gerade diese Rich- 
tung der russischen Politik ist es, welche einen politischen Anschluss der Übrigen 
slawischen Nationen an Russland rein unmöglich macht. 

Das Verhaltniss Russlands zu Polen (S. 155) wird nur wenig berührt, die 
letzte polnische Revolution für einen politisch dummen Streich erklärt, und neben- 
bei die polnische Emigration in Paris unpolitisch, schädlich und zwecklos genannt. 
Die Darstellung der russischen socialen Verhältnisse hat interessante Einzelnheiten, 
zeigt jedoch, dass der Verfasser in dieser Gegend des Slawenthums weniger be- 
wandert ist als im Südwesten. Die jüngste Politik Russlands gegen Polen, denn 
allerdings scheint seit dem Jahre 1841 eine solche vorgegangen zu sein, so wie 
die Bedeutung der Kirchenwirren sind mit keinem Worte erwähnt. 

Auch in der Türkei dürfte der Kampf der christlichen Völkerelemente mit 
dem immer schneller seinem Untergange entgegeneilenden Turkismus sehr bald ein 
allgemeiner werden. Drei Nationalitäten sind es, welche dermaleinst auf den 
Trümmern des osmanischen Reichs in Europa ihre Herrschaft aufzuschlagen ge- 
denken: die Neuhellenen, die Slawen (in zwei Hauptstämme : die halbfreien Ser-' 
bier mit den noch gefesselten Bosniern und die Bulgaren zerfallend), und endlich 
die Romanen (Walachen). Es lässt sich nach deutlichen Symptomen nicht verken- 
nen, dass diese drei Völkerstämme lebhaft zu erwachen beginnen: das Hellenen- 
thum durch die griechische Propaganda von Athen, die Bulgaren von ihren Stam- 
mesbrüdern aus Odessa, die Romanen durch die sich bildende patriotische Parlhei 
in Bukarest und Jassy aufgereizt. Die Hellenen träumen von einem verjüngten 
byzantinischen Reiche, die Slawen gedenken an ihre grossen Care Boris und Du- 
schan, welche beide einst Byzanz bedrohten und ein slawisches Kaiserthum auf 
der thrakischen Halbinsel zu errichten beabsichtigten; die Romanen endlich recla- 
miren, wie es scheint der Geschichte wenig kundig, den grossen Decebalus, und 
hoffen, dass aus ihrem Stamme ihm ein Nachfolger erstehen werde, der, die acht 
Millionen Walachen Ungarns, Siebenbürgens, Bessarabiens , der Moldau und Wa- 
lachei vereinigend, ein neuromanisches Reich begründen werde*). Es gehört kein 
prophetisches Auge dazu, um in diesen Gegenden die Vorbereitungen zu den hef- 
tigsten Nalionalkampfen , die in gar nicht langer Zeit ausbrechen dürften, zu er- 
kennen. Zwei Nationalitäten zumal werden um die Hegemonie kämpfen: Helle- 
nen und Slawen. Referent kannte sludirende Griechen und Bulgaren in gleichem 
Hasse gegen einander entbrannt, wie Christ gegen Mosliin. Von diesen überaus 
wichtigen, bei der gegenwärtigen Lage der Dinge nothwendig eintretenden inneren 



°) Referent gedenkt in einem der nächsten Hefte einen Artikel iilier die nationalen 
Bestrebungen der Walachen, welche ohne Zweifel die grösste Aufmerksamkeit verdienen, 
mitzutheilen. 



Digitized by VJDOQle 



Wirren zwischen den verschiedenen Nationalitäten des osmanischen Reiches ist in 
der vorliegenden Schrift noch keine Rede; es sind in ihr vielmehr blos die serbi- 
schen Verhaltnisse und ihre Zukunft Gegenstand der Erörterung. Seit der vorjah- 
rigen Umwälzung hat sich manches verändert: Serbien ist ein Spiel auslandischer 
Politik geworden und hierdurch um ein Viert eljahrhundert in seiner Entwickeln ng 
zurückgekommen. Im Allgemeinen kann man nicht umhin, die wie es scheint aus 
guter Quelle gezogeneuen Nachrichten Aber Serbiens Entwickelung, sowie die An- 
sichten des Verfassers über die Bedeutung Serbiens, zumal für die Zukunft, als 
richtig anzuerkennen. 

Der lange Abschnitt über Oesterreich ist ohne Zweifel der inhaltreichste des 
ganzen Buches. Der Verfasser kommt hier endlich zu der Entwickelung der Idee, 
»eiche ihm dieses Buch diclirl hat: Oeslerreich soll sich an die Spitze der West- 
slawen stellen und die westslawische Nationalität stärkend und kräftigend sich 
selbst ein machtiges Bollwerk gegen den übermächtigen Osten schaffen. Welcher 
Westslawe wird diese Idee nicht ganz vortrefflich finden, welcher Westslawe wird 
aber zulrauungsvoll der Hoffnung sich hingeben, dass diese schon von mehrern 
Seilen Oesterreich empfohlene Politik wirklich von diesem angenommen werden 
dürfte. Wer da weiss, dass gegenwartig noch ganz andere als nalionelle Prin- 
eipien die Welt regieren, wird niemals einem solchen Glauben huldigen. In der 
serbischen Frage z. B. wird man dem Legitimitätsprincipe huldigen und Oester- 
reich wird den letzten Schatten seines Einflusses auf die unteren Donanprovinzen 
dahin schwinden sehen. 

Die Vorschlage des Verfassers, welche die Kräftigung und Erhebung des 
Westslawenlhums bezwecken, sind mehrentheils gemässigt und von den dringend- 
sten Bedürfnissen geboten. - 

Die Betrachtung des Slawenthums in Preussen schliesst diese zweite Haupt- 
abtheilung. Preussische Slawen, etwa 3 Millionen an der Zahl, wohnen in Po- 
sen, Schlesien und Preussen. Man darf nicht bergen, dass kein Staat mit sol- 
cher Energie an der Enlnationalisirung der Slawen gearbeitet hat als der preussi- 
sahe bis auf die Regierungszeil des jetzigen Königs herab. Die Instructionen für 
die Volkslehrer drangen auf schnelle Einführung des Deutschen; die Schullehrer 
selbst setzten diese Anordnungen mit Harle und Barbarei ins Werk. Gleichwohl 
hat man das Slawenthum nicht auszurotten vermocht. Die posener Polen gingen 
sogar sieggekrönt aus dem Kampfe für ihr gutes Recht hervor. Nur den Schle- 
sien» und den Masuren verweigert man immer noch ihr natürliches Recht In 
Oberschlesien, wie unter den Masuren sind bereits mulhige Vertheidiger der pol- 
nischen Nationalität aufgetreten, so dass man hoffen darf, ihnen werde gleich den 
Posenern mit der Zeit trotz alles Geschreis einzelner polnischer Renegalen, wel- 
che in Deutschland ihr Wesen treiben und die Nationalität ihrer Ahnen verlästern, 
ihr unveräusserliches Recht gegeben werden. Der Verfasser unseres Buches bringt 
interessante Data über die Plänkeleien, welche in Oberschlesien und im Masuren- 
lande bereits bemerkt werden und die einen baldigen offenen Kampf vorauszu- 
setzen scheinen. 

Ein Aufsalz: „der Panslawismus", schliesst das Werkchen; er fasst die sla- 
wischen Völkerschaften als einen einzigen Volksstamm auf, losgelöst von allen 
Beziehungen, in welche ihn die Geschichte zerrissen, frei von allen Einzelinteres- 
sen. Panslawismus ist demnach eine geistige Verbindung unter allen slawischen 
Völkerschaften, vermöge deren sie sich als Glieder einer einzigen grossen Fami- 
lie fühlen; bestimmt, einander in jedem Emporringen nach Vollkommenheit und 
innerer Selbstenlwickelung zu unterstützen, dabei aber die gemeinsame Nationa- 
lität, den gleichen Endzweck, den gleichen Beruf in der Well nie aus den Augen 
zu verlieren. Dies ist allerdings Kollars Idee, welche auch von den Czecho- 
Slowenen und Illyriern adoptirt worden ist und allein dein slawischen Volke in 
seiner geistigen Entwickelung von Vortheil sein kann. Diese Idee Kollars ist eine 
der grössten Ideen, welche je die Welt erdacht. Leider ist dieselbe von mehrern 



- Digitized by Google 



189 



Seilen missverslanden worden. Die Ausländer, zumal die Den Ischen, sahen hierin 
einen allgemeinen Aufstand des Slawenthums unter der Acgide Russlands gegen 
alles Gerraanenthum. Die politische Einfalt, welche in irgend einem unwissenden 
Kopfe eine solche Idee gebahr, verdiente keine Belehrung, obwohl der Verfasser 
des vorliegenden Buches solche zum Ueberflusse gegeben hat. Die Polen dagegen, 
vorzüglich die der Emigration, sprechen immer häufiger und lauter von Pansla- 
wismus und dass Polen berufen sei zur Hegemonie unter den slawischen Völkern. 
Schon dieser Gedanke an Hegemonie, der Übrigens im Munde eines Polen etwas 
komisch klingt, zeigt zur Gnüge, dass diese Polen auch nicht die leiseste Idee 
von dem haben, was eigentlich Panslawismus ist und sein will. Auf der andern 
Seite giebt es wieder einige allzusanguinische Ostslawen, welche alles westslawi- 
sche Land als ihre natürliche Provinz betrachten; fand es doch schon Puschkin 
natürlich, dass die slawischen Bächlein in dem russischen Strome mündeten und 
nicht umgekehrt. 

Diese Ansicht vom Panslawismus scheint dem Verfasser gefahrlich. Er meint, 
das Westslawenthum sei allzuschwach gegenüber dem Ostslawenthum ; die numeri- 
sche Uebermachl des Ostens zum Westen verhielte sich wie 4:1, eine feurige 
Umarmung des Westslawenlhums würde die Vernichtung des gesammten Westsla- 
wenthums herbeiführen und nicht blos dieses, sondern auch Deutschlands. Darum 
sei eine Allianz , ein Schutz - und Trutzbündniss des Westslawenthums mit dem 
Germanenthum zu beider Heile dringend zu wünschen. 

Der Schluss fordert in hochpoelischer Sprache die Deutschen auf, mit den 
Westslawen gemeinschaftliche Sache gegen die Ostslawen zu machen. Die Idee 
wird am Ende nicht so verwerflich, allein wie kann sie irgend praktischen Erfolg 
hoffen. Wer sind die Deutschen, welche sich an die Westslawen anschliessen 
sollen? Der deutsche Bund? Jeder, der dessen Thätigkeit kennt, bezweifelt dies. 
Die einzelnen deutschen Machte, etwa Preussen? Dessen Politik ist bekannt. Die 
kleinen deutschen Mächte? Deren Macht kann nicht aufwiegen. Oder die freie 
deutsche Presse? Wer in Deutschland lebt, kennt die gegenwärtige Natur und 
Macht derselben. So ist es allein Oesterreich, dem diese Ermahnung gelten kann. 
Oesterreich allein ist mächtig genug, um eine eigene, durchgreifende Politik zu 
verfolgen. Oesterreichs Existenz zunächst ist bei der Lösung der in diesem Buche 
besprochenen Fragen belheiligeL 

Die Zeit allein wird diese hochwichtigen Fragen lösen! 

Unser Gesammturlheil über das vorliegende Buch ist dieses: Es zeigt das- 
selbe eine genaue Kenntniss der westslawischen Zustände, ist mit mehr Gemüth 
als Berechnung geschrieben, hat für Deutschland eine neue Seite des Slawenthums 
aufgedeckt und verdient unter vielen andern politischen Schriften der Gegenwart 
eine ganz besondere Aufmerksamkeit 

6) Slawen, Russen, Oermanen. Ihre gegenseitigen Verhält- 
nisse in der Gegenwart und Zukunft. Leipzig, Wilh. Engelmann. 1843. 

Seit einiger Zeit begann die deutsche Presse sich viel mit der slawischen 
Sache zu beschäftigen, ja man kann sagen, dass der literarische Process der sla- 
wischen Existenz beinahe ausschliesslich in Deutschland durchgeführt wird. — Und 
ziemlich passend ist der Ort zu einer solchen Verhandlung gewählt, denn die Sla- 
wen, welche erst seit nicht gar langer Zeit sich zu heben begannen, genicssen 
anter keiner der Regierungen, denen sie unterliegen, so viel Freiheit, dass sie 
das sie Angehende frei besprechen dürften. 

Die Petersburger Literatur ist zwar sehr ergiebig, da sie aber unter dem 
Einflüsse der Cabinetspolitik steht, deren Tendenz von der Einheit eines slawi- 
schen Reiches allzubekannt ist (?), so kommt sie verdächtig vor; — in Polen steht 
die Literatur unter dem Joche der grausamsten Censur, und ein Theil der polni- 
schen Nation, welcher in Frankreich der vollsten Pressfreiheit geniesst, hat andere 



Digitized by Google 



nnmitlelbar zum Zwecke führende Gegenstände zu besprechen, und beschäftiget 
sich mit anderen' slawischen Stämmen nur in so weit, als es in seinen nächsten 
Zweck der Unabhängigkeit Polens einschlägt. — Die anderen der österreichi- 
schen und türkischen Regierung untergeordneten Stämme fingen erst seit unlanger 
Zeit an, ihre Nationalität, welche beinahe von Deutschen, Magyaren und Türken 
verschlungen wäre, herauszugraben, und obgleich sie verhällnissmässig (besonders 
die Czechen) sehr viel leisten, so können sie doch für ein allgemeines Organ 
nicht angesehen werden. Die Slawen sind in mehr als 10 Nationen untergelheilt, 
es werden so viele Dialekte gesprochen und in eben so vielen wird geschrieben; 
da aber die meisten Dialekte unter der österreichischen Regierung sich befin- 
den, wo die deutsche Sprache die herrschende ist, so musste auch die deutsche 
Sprache als für die Mehrheit verständlich, und Deutschland als der Ort, wo man 
sich frei aussprechen darf, gewählt werden. 

Aus allem, was da geschrieben wird, ist zu ersehen, dass man die Slawen, 
obgleich für einen uralten Stamm, jedoch in der Harmonie der europäischen Völ- 
ker noch als jung ansieht, da alle Schritte, mit denen sie sich den Platz in der 
Völkerpolitik zu erwerben trachten, sehr wankelmüthig erscheinen. 

So stellt sich auch das vorliegende Werk vor. Der Verfasser scheint, wie 
schon der Titel selbst anzeigt, und wie er es auch in der Vorrede ausdrücklich 
ausgesprochen, den Zweck gehabt zu haben, die Verhältnisse verschiedener Sla- 
wenstämme zu einander, wie auch zu Deutschland in Gegenwart und Zukunft auf- 
zuklären; hieraus konnte man hoffen, dass er einem jeden slawischen Stamme sei- 
nen eigenthümlichen Standpunkt anweiset, nach welchem erstreben und seine wei- 
teren Verhältnisse einrichten sollte; aber hiervon ist keine Rede. — - Berührend 
jeden einzelnen Stamm, sieht er in ihm volle jugendliche Kraft, voll der schön- 
sten Hoffnungen, und am Ende lässt er ihn in seinem alten Gleise fortleben, und 
es ist das Höchste, wenn er seinen Wunsch äussert, dass die österreichische, 
preussische oder russische Regierung seine Nationalität schonen möchte, — ja zu- 
letzt macht er einen Aufruf an Oesterreich, es möge die unter seinem Scepter 
Ichenden Slawenstämme in seinen Schutz nehmen und ihnen eine verständige Frei- 
heit, ihre Nationalität zu entwickeln, angedeihen lassen. 

Dieser Schluss bringt den Leser in Erstaunen. Was konnte denn der Verfas- 
ser mit Oesterreich gemein haben? weiss er denn nicht, dass Oesterreich als Staat 
nur in so lange bestehet, als es von seiner uralten passiven Politik nicht auf ein 
Haar breit abweichet; ja wir glauben, dass die Slawen nicht zufrieden sein wer- 
den, wenn man sie mit den lieben Wienern auf einer Weide ruhig schlummern lässt. 

Es ist wirklich schwer zu begreifen, was für eine Idee sich der Verfasser 
von den Slawen gebildet habe; wohl mochte er den besten Wunsch für sie gehabt 
haben, und von demselben gespornt, sammelte er eine Menge Materialien, aus 
welchem er sein Werk zusammenklebte, aber diese Materialieu konnte er nicht 
kritisch beurtheilen, trachtete nicht zu erörtern, wer, was und in welchem Zwecke 
er geschrieben, und desswegen ist es leicht, in diesem Werke wiedersprechende 
Ansichten über einen und denselben Gegenstand zu finden, je nachdem er ein Ma- 
terial bei der Hand gehabt hat. 

So z. E. von den Böhmen sprechend meint der Verfasser: „Der Böhme ist 
wohl geneigt, sich von einer grossartigen Idee einzunehmen, zu begeistern, ja bis 
zum Fanatismus sich hinreissen zu lassen, das beweisen die Hussitenkriege und so 
manches andere politische Ergebniss"; weiter unten aber sagt er: „der Czeche 
wird sie (die österreichische Regierung) mit seiner eigenen Brust beschützen und 
den letzten Blutstropfen für sie vergiessen, denn er liebt das Haus Oesterreich." 
Man wäre wohl geneigt, an dieser Liebe der Czechen für Oesterreich zu zwei- 
feln, denn der Verfasser hält sich fern, solche zu beweisen; ja viel mehr, man 
könnte das Gegcnlheil schliessen, da er früher gesagt: „Die Schlacht am weissen 
Berge, herbeigeführt durch die niedrigen Machinationen der Gesellschaft Jesu, 
welche kein Mittel zu schlecht hielt, die Protestanten aus Böhmen zu vertreiben, 



Digitized by Google 



and das Land, wo Huss zuerst die Fackel der geistigen Freiheit geschwungen, 
ihrer alleinseligmachenden Kirche zurückzubringen, endete die Selbstständigkeit 
des böhmischen Staates, des böhmischen Yolkes, vernichtete die geistige Kultur 
des Landes, vertilgte jede Spur der früher so schön entfalteten Literatur." Und 
in wessen Sinne anders handelte denn die Gesellschaft Jesu, als in dem der deutsch- 
römischen Kaiser und Erzherzöge von Oesterreich? und werden denn nicht jetzt 
schon unter mancherlei Vorwänden die Jesuiten in Prag eingeführt? — Wie 
wenig geschieht denn eigentlich für Böhmen ausschliesslich? Wie wenig bemüht 
man sich, seine Nationalität zu heben? Gesteht ja der Verfasser selbst, dass 
die böhmische Sprache nicht nur in Aemtern, der Universität, sondern auch in 
Gymnasien, Gewerbe-, Normal - und sogar Trivialschulen der deutschen hat wei- 
chen müssen, und die wenigen noch übrig gebliebenen böhmischen Dorfschulen im 
elendesten Zustande sich befinden. — Der Förderung der Literatur in einem en- 
geren Kreise der Gelehrten kann man ruhig zusehen; man kann auch böhmi- 
sche Bälle, böhmische Reunionen, böhmische Concerle, böhmische Soireen, böhmi- 
sche Kaffeehäuser, welche dem Verfasser so viel Vergnügen machen, dulden, ja 
zu solchen aneifern, um aus Prag ein anderes liebes Wien zu bilden; aber die 
Nationalität, die Kultur in der Masse des Volkes zu heben, davon war bis in die 
neueste Zeit keine Spur, ja es worden vielmehr den Freunden des Gzechenthums 
tausenderlei Hindernisse in den Weg gelegt. 

Zu Polen Ubergehend hegt er die wärmsten Wünsche für diese Nation, und 
den Regierungen, welche Polen unterworfen haben, ihre Handlungsweise vor- 
werfend, fragt er: „Ist es denn klug, jede Aeusserung der Nationalität mit 
der grösslen Aengstlichkeit zurückzuweisen, bei einem Volke, das eine Zu* 
kunft sich erringen wird und erringen muss?" und fortfahrend in dieser Gewiss- 
heit der Unabhängigkeit Polens ruft er: „Woher die Begeisterung, mit welcher 
die Völker der Erde den erstandenen Polen zujauchzten? Die Sache Polens ist 
die Sache der Freiheit, der Menschheit geworden!" — 

Von der polnischen Emigration sprechend führt er an, dass von den Werken, 
die in Paris alljährlich erscheinen, trotz der strengsten Vorsichtsmassregeln von 
Seiten der russischen und auch österreichischen Behörden, eine sehr grosse An- 
zahl an die Ufer der Weichsel, selbst bis an den Niemen und Dniepr hin ver- 
sendet wird, wie dass auch anderseits in diesem Gebiete „eine jüngere Generation 
von Schriftstellern sich gebildet habe, welche, in die letzten Ereignisse des Vater- 
landes weniger verflochten, in Polen zurückgeblieben sei, um polnischen Geist und 
polnische Nationalität in ihrem Volke zu erhalten, und vorschreitend auf der vor- 
gezeichneten Bahn dem stolzen Sieger zu zeigen, dass selbst in seinem tiefen 
Elende „Polen noch nicht verloren" sei, dass aus den Trümmern seiner Freiheit 
doch der Geist der Nation sich emporgeschwungen, ja dass er immer noch, ob- 
gleich geknechtet und darniedergehalten, seinem Gegner ebenbürtig ist" 

In solchem Sinne spricht der Verfasser von Polen, und hierzu dienten ihm 
als Wegweiser der „demokratische Almanach für das Jahr 1842" und ein Arti- 
kel des „Auslandes": „die polnische Literatur im J. 1841"; er wäre auch weiter 
so fortgefahren, und hätte vielleicht noch andere Resultate hieraus gezogen, wenn 
er nicht von Russland sprechen musste, und wenn er nicht unglücklicher Weise 
die „Europäische Pentarchie" und „L'Europe et la Civilisation " vor den Augen 
gehabt hätte. Er hätte sich aber erinnern sollen, dass Deutschlands Blätter zur 
Gnflge von diesen Werken sprachen und handgreiflich bewiesen, dass ersteres auf 
Befehl des Petersburger Kabinets und das andere von einem polnischen Renegaten 
geschrieben wurde. 

Von diesen Werken belehrt, zieht der Verfasser den Schluss, dass Polen 
keine Hoffnung mehr habe, seine Unabhängigkeit zu erreichen, dass die Emigra- 
tion dem Vaterlande nicht nur den geringsten Nutzen , wohl aber vielseitigen Scha- 
den und Nachtheil gebracht habe. „Die Emigration war es, welche ihre Emissäre 
nach dem Vaterlande sandle, um dort Blutvergiessen und Hochverrath anzuzetteln. 

BUw. Jahrb. I. 26 



Digitized by Goögle 



193 



Die Emigralion endlich war es, welche in ihrer blinden, fanalischen WaUi den 
Kaiser für die Ursache aller Leiden der polnischen Nation nahm und in wahr- 
haft unbegreiflichem Wahnsinne sich vermass, die verbrecherische Hand an den 
zu legen, in dessen Macht allein es lag, das polnische Volk zu schlitzen und seine 
Nationalitat ihm zu wahren;" ferner „war die November- Revolution als wahr- 
haft £ rossartige National -Anstrengung achtungswerth, aber sie bleibt dessen un- 
geachtet ein politisch dummer Streich." Dieses Unheil, wenn es eines recht- 
schaffenen Mannes ist, kann nur lacherlich genannt werden; denn eine Unterneh- 
mung verdient nur dann ein dummer Streich genannt zu werden, wenn keine 
Wahrscheinlichkeil der Realisirung vorliegt; hier aber hat man sich schon Ober- 
zeugen können, dass Russland bei der Anstrengung seiner letzten kolossalen Kräfte 
nicht ausgereicht hätte, wenn ihm nicht der Verrath von Krukowiecki und früher 
die Indolenz der Regierungshäupler, welche den Enthusiasmus der Nation parali- 
sirten, zu Hülfe gekommen wäre. Es war vielmehr die polnische Revolution, 
welche die Schwache Russlands 'den Augen der Welt blossgestellt hat, und seit- 
her ist Russland für Europa nicht mehr furchtbar. 

Aber worin sieht denn der Verfasser die Macht Russlands? „Das Reich", 
sagt er, „zählt an hundert einzelne Völkerschaften, welche in 12 grosse Stämme 
zerfallen, und mehr als achtzig verschiedene von einander gesonderte Sprachen 
und Dialekte sprechen. Der gross! e Hauptstamm sind die Russen; sie zählen eine 
Masse von mehr als 18,000,000 Köpfen; sie sind die herrschende Nation, sie 
müssen, sie werden alle anderen Nationen allmählig verschlingen." Eine falsche 
Voraussetzung muss nothwendiger Weise zu einem falschen Resultate führen, was 
man folgendennassen beweisen wird. — 

Schafarik in seinem „Slowansky Norodopis" gibt zwar die Russen in Russ- 
land auf 48,590,000 Köpfe an, von denen 35,314,000 Grossrussen, 10,377,000 
Kleinrussen und 2,726,000 Weissrussen sein sollten. Obgleich man von der Be- 
völkerung Russlands nie eine genaue Kenntniss haben kann, so wollen wir doch 
hierin dem hochgelehrten Manne eine andere Rechnung entgegenstellen und beru- 
fen uns auf ein Werk (La Russie, la Pologne et la Finlande, tableau statistique 
geographique et historique de loutes les parties de la Monarchie Russe prises iso- 
lement Par M. J. H. Schnitzler. Paris 1835.), welches im Sinne der russi- 
schen Regierung mehr oder weniger nach zuverlässigen Daten verfasst ist und ge- 
wiss in Nichts die Grösse Russlands beeinträchtiget hat. Nach selbigem beläuft sich 
die Zahl der Grossrussen im Gouvernement Moskwa auf . . . 1,337,000 

— — Wladimir . . . 1,334,000 

— — Niinij Nowgorod . 1,000,000 

— — Kostroma .... 1,422,700 

— — Jaroslaw .... 1,100,000 

— — Kaluga 845,373 

— — Twer 1,233,358 

— — Nowgorod . . . 800,000 

— — Pskow 640,000 

— — Raesan 1,300,000 

— — Tula 1,100,000 

— — Orel 1,200,000 

— — Kursk 1,600,000 

— — Tambow . . . . 1,400,000 
also im Ganzen auf 16,713,700 

Die Bevölkerung der südlichen und wesllichen Gouvernements besteht in der 
grösseren Zahl aus Kleinrussen, nach ihnen folgen die Polen, Weissrussen und 
Lithauer, ein fremder Stamm, welcher aber schon mehr für Polen angesehen wer- 
den sollte. Die Bevölkerung dieser Gouvernements ist folgende: 



Digitized by Google 



Gouv. Kiew 1,350,000 

Czernigow . . . 1,300,000 

Poltawa . . . . 2,085,000 
Ukraine U.Charkow 1,350,000 

- . Woroneg . . . 1,300,000 

Don 600,000 

Podolien . . . 1,400,000 

Wolynien . . . 1,300,000 

Jekaterinoslaw 537,000 

11,222,000 

som t belauft sich die Bevölkerung der südlichen und westlichen 

Gouvernements auf 17,972,000 

dass also die Bevölkerung dieser jene Obersteigt. Zwar sind in diesen hin und 
her auch die Grossrussen zerstreuet, aber auch in jenen giebt es sehr viele Klein- 
russen, und besonders die Gouvernements Orel und Kursk sind in der grösseren 
Hälfte von den Kleinrussen bewohnt. 

Abgesehen, dass die südlichen und westlichen Gouvernements von einer be- 
trächtlichen Anzahl Polen bevölkert sind, wird es noch bewiesen werden, dass 
auch die Klein - und Weissrussen (Rassinen) allzusehr von den Grossrussen ab- 
weichen, als dass sie mit diesen in einen Stamm verschmelzen und noch hierbei 
zur Entnationalisirung der anderen hilfreiche Hand bieten sollten; ja bei dieser 
Gelegenheit wollen wir auch einen andern Gegenstand berühren, welchen mehrere 
slawische Gelehrte beinahe als entschieden ansehen. 

Als in letzter Zeit die czechischen und illyrischen Gelehrten von der Idee, 
ein einziges Slawenreich zu bilden (welche sich als unpraktisch erwiesen), abge- 
kommen sind, theilten sie das ganze Slawenland nach 4 Dialekten, von welchen 
wahrscheinlich ein jeder für sich meistens einen besonderen Staat zu bilden be- 
stimmt ist; in dieser Einlheilung fiel auf Klein- und Weissrussland das Loos, dass 
es einen Bestandteil des grossrussischen Reiches bilden solle. Wie unvorsich- 
tig und mit wenig Kennlniss der Sache man hierbei verfahren, soll nachstehend 
bewiesen werden. 

Nach dem Tode Jaroslaws des Grossen (1054) wurde sein Reich, welches 
sich vom baltischen bis zum schwarzen Meere erstreckte, unter seine Söhne ge- 
theilt, mit dem Vorbehalt, dass der Fürst von Kiew die Oberherrschaft über ganz 
Kussien •) behalten sollte; aber durch diese Theilung wurde das ganze Reich auf 
immer zersplittert. Die Fürsten von Kiew, Luck, Wladimir, Halicz, Przemysl, 
Zwinogrod, Raesan, Nowgorod, Pskow und Moskwa führten mit einander fort- 
wahrende Kriege, einer cnlriss dem andern sein Land, und obgleich es Daniel, 
Fürsten von Halicz, gelungen war, auf einige Zeit die südlichen Provinzen zu 
vereinigen, und ihm die königl. Krone von ganz Russien durch einen römischen 
Legalen aufgesetzt war, so war es doch von keiner langen Dauer. — Russien, 
wohin das Ghristenthum aus Constantinopel verpflanzt wurde, erhielt von dorther 
seine Civilisalion, und die Politik des oströmischen Reiches, obgleich dieses sei- 
nem Unfälle nahe, hatte in sich den Keim der Zersetzung, welcher auch Russien 
mitgelheilt wurde. 

Polen, welches in dieser Zeit allein von allen Slawenstammen die Idee einer 
Organisation und der Centralisation besessen, hatte sich einen grossen Einfluss in 
Russien erworben. Schon war es Boleslaw dem Grossen (1015) und Bolcslaw 



°) Den Namen Rassien werden wir hier als den eigentümlichen gebrauchen ? denn in 
der ursprünglich slawischen Sprache hiess das Land Rus, die Einwohner Rossini (Rus- 
sinen), nnd nur in der neu russischen (grossrussischen) Sprache heisst es Rossija (Russ- 
land), die Rinwohner Russijani (Russen), welche Benennung nur für die Grossnissen 
eigentümlich sein soll. 



Gouv. Bialyslok . . 250,000 

- Grodno . . . 800,000 

- Wilno . . 1,300,000 

- Minsk . . 1,100,000 

- Mohilew . 1,100,000 

- Witepsk . 700,000 

- Smolensk . 1,200,000 
Cherson . 400,000 

6,750,000 
11,222,000 



Digitized by Go 



dem Kühnen (1070 — 1077) gelungen, al3 Vermittler bis nach Kiew zu kommen 
nnd längere Zeit hindurch dort zu verweilen; der letztere vereinigte wieder mit 
den Polen Przemysl und besetzte die Festen Wolyn, Luck und Wladimir mit sei- 
nen Heeren, welche die westeuropäische Civilisation zum ersten Male hinbrachten, 
und denen kein Widerstand um so weniger entgegengesetzt wurde, da zu dieser Zeit 
noch kein offener Zwiespalt in der Religion zwischen dem römischen und griechi- 
schen Ritus ausgebrochen war. Boleslaw hatte schon zu dieser Zeit eine Art von 
Oberherrschaft über Russien erhallen, da er ausser den durch seine Heere be- 
setzten Provinzen auch noch andere den russischen Fürsten als Lehen ertheilte. 
Im Norden erblüheten die republikanischen Städte Nowgorod - Wielki, Pskow, 
Smolensk, Polock, von denen die zwei ersten mit der Hanse in Verbindung traten. 
Oestlich bildete sich nach und nach die despotische Gewalt der Fürsten von Mos- 
kwa, welche die angrenzenden Fürslenthümer in sich verschlang. 

Aber im 14ten Jahrhunderte, als der schreckliche Tamerlan mit barbarischen 
Horden, welche ganz Europa zittern machten, Moskwa unter seine Oberherrschaft 
zwang, ergoss sich ein anderer barbarischer Stamm, die Lilhauer, in die nörd- 
lichen und südlichen Provinzen Russiens, und brachte sie ebenfalls unter seine 
Herrschaft. Hier in den südlichen und westlichen Provinzen herrschte ein immer- 
währender Streit, wo abwechselnd Polen, Lilhauer, und eineslheils auch Magya- 
ren Herren waren, und wo öfters auch Tarlaren, aber nur der Beute wegen, 
sich zeigten. Das ganze Slawenthum zwischen dem baltischen und schwarzen 
Meere, welches einstens von Waregern beherrscht war, wurde jetzt in drei neben 
einander sich ziehenden Streifen \on drei Elementen, das ist von dem polnischen, 
lilhauischen und tartarisch-moskowilischen beherrscht. Polen hatte die Mission 
der politischen Freiheil, welche sich immer mehr entwickelte und in das Volk 
hineindrang; die Fürsten von Moskwa unter tartarischer Obhut wurden immer 
mehr despotischer, und brachten auch die republikanischen Städte unter ihr eiser- 
nes Scepter. Die Herrschaft der Lithauer schwankte zwischen diesen, bis sie mit 
der Annahme des Christentums sich sammt allen Besitzungen mit Polen vereinigten. 
Von dieser Zeit an war die Benennung Russien beinahe verschwunden, da es be- 
stimmt war, mit Polen zusammen einen Staat zu bilden; es erhielt so wie Polen 
die Eintheilung in Wojewodschaften; die Beschlüsse von Horodlo (1413) versicher- 
ten den Einwohnern aller Provinzen Polens gleiche Rechte, sie bestanden gleiche 
Schicksale und dienten der europäischen Civilisation als Vormauer gegen die bar- 
barischen Horden Asiens und den Despotismus der moskowi tischen Fürsten; die 
Verfassung, durch die sie regiert wurden, entwickelte in ihnen den polnischen 
Sinn, und nur der Fanatismus der Jesuiten, welcher vom 17ten Jahrhunderte die 
griechische Religion in Russien zu vertilgen anfing, rief den Zwiespalt hervor. 

Wenn zur Bezeichnung einer Nationalität der Sprachdialekt dienen soll, so 
muss die Geschichte einer Nation auch die Geschichte seiner Sprache sein. Die 
Sprache in Russien unterlag mehreren Modifikationen. Es war nur der sogenannte 
weissrussische Dialekt zur Schriftsprache in Polen auf einige Zeit erhoben. Die 
polnische Sprache, in welcher die Gesetze geschrieben waren und welche nicht 
nur der Adel aller Provinzen, sondern alles, was nur irgend ein Recht auf die 
Bildung sich anmaassen wollte, ausschliesslich sprach, dann mehrere Golonien, 
welche aus Polen in Lithauen, Wolynien, Podolien und der Ukraine angesiedelt 
waren, gaben der russinischen Sprache einen eigenthttmlichen Anstrich, welcher 
sie der polnischen am meisten nähert. Zur Zeit Peters des Grossen wurde in 
seinem Reiche mit drei Dialekten gesprochen; in den südlichen Provinzen war 
der kleinrussische Dialekt, in den westlichen der weissrussische, dann in den nörd- 
lichen (finisch - inoskowitischen) Provinzen der grossrussische Dialekt; die beiden 
ersten hatten sich, wie schon gesagt, an dem polnischen gebildet, nnd der letzte 
wurde erst durch einen Ukas Peters des Grossen (welcher für ihn ein eigenes 
Alphabel schuf) zur Amtssprache erhoben; im J. 1705 wurde die russische Zei- 
tung zum ersten Male in dieser Sprache gedruckt. So nahmen diese Dialekte 



Digitized by Google 



1Ö5 



eine entgegengesetzte Richtung, und die grossrussische Sprache ist von der russi- 
nischen (klein- und Yf eissrussischen ) so weit verschieden, dass ein Gross - und 
Kleinrusse sich gegenseitig kaum verstehen können. 

Aus der Richtung, welche Grossrussland in Entwicklung des Despotismus 
im Gegensatze der liberalen Institutionen Süd - und Weslrusslands , welche erst 
nach der Theilung Polens mit Gewalt unterdrückt werdeu musslen, dann aus der 
Richtung der Sprache, welche zwei entgegengesetzte Tendenzen angenommen hat, 
ergibt es sich, dass diese zwei Stamme nie bestimmt werden können, einen ein- 
zigen Staat zu bilden. Dem Verfasser selbst ist solches nicht unbekaunt, und er 
führt im vorliegenden Werke an: „Wenn nun in dem von uns so eben umgränzlen 
Gebiete beinahe die gesammle Bevölkerung das Polnische als seine Mullersprache 
spricht (die einzelnen Städte in den westlichen Gegenden ausgenommen), so jst 
dieselbe doch auch noch ausserhalb dieser Granzen verbreitet und zwar nicht bloss 
über ganz Lithauen, Weiss - und Kleinrussland, sondern auch selbst weit in die 
russischen Westprovinzen, in den Gouvernements Wilno, Grodno, Bialyslok, Minsk, 
Wolynien, Podolien, Kiew, Mohilew und Wilebsk; an den Granzen der Gouverne- 
ments von Pskow, Smolensk, ja an dem Dnjepr bis in das Gouvernement von Cher- 
son hin, so wie im Süden über das ganze jetzige Königreich Gallizien. In allen 
diesen Gegenden ist nicht nur der säinmtliche Adel und der grösste Tfaeil der 
Stadtbewohner von polnischer Abkunft und spricht das Polnische als seine Mut- 
tersprache, sondern dieselbe hat sich auch in unzahligen Colonien, welche in den 
früheren Zeilen aus Grosspolen hier angesiedelt wurden, in ihrer ganzen Reinheit 
erhallen, so dass man mit vollem Rechte behaupten kann, in dem ganzen Gebiete, 
das einst zu der Republik Polen gehörte, sei die polnische Sprache bis auf die- 
sen Augenblick noch die herrschende in den höheren Classen. Und wie könnte 
es wohl anders sein ? Der Adel in diesem weiten Reiche war grenzenlos stolz auf 
seine maasslosen Vorrechte, und während er unter sich keinen Unterschied kannte 
und sich nie anders als: „Herr Bruder" anredete, verachlele er jeden andern als 
weit unter ihm stehend, besonders den russischen, den er nicht nur durch politi- 
sche Stellung, sondern auch durch Bildung und weltlichen Glanz weit hinler sich 
Hess; wie mochte er also seine Nationalität aufgeben, um ein Knecht des Garen 
zu werden? Ein Pole war er gewesen, ein Pole blieb er auch in den Tagen der 
Trübsal noch. — Aber dieser Stolz war auch auf den polnischen Bauer überge- 
gangen, und wohin er als Soldat oder als Colonist unter ein fremdes Yolk (seien 
es Russinen oder Lilhauer oder Deutsche) kam , da stand er über der Bevölkerung 
des Landes und das Gesetz sicherte ihm allerlei Vorzüge vor jenem. So blieb 
auch er Pole und anstatt sich unter dem Volke zu verlieren, erzog er vielmehr 
durch Familien- und Unterthansbande neue Glieder für seine Nationalität." (S. 33.) 
„Die freiheitsdurstigen Söhne der Steppe aber kannten das Unheil, das ihnen von 
dem Careuthum drohte, und hätte die wahnsinnige Politik Polens, der oligarchi- 
sche Aristokratismus Hand in Hand mit dem fanalischen Jesuitismus sie nicht mit 
den Füssen getreten , niemals hätten die Kosaken sich freiwillig an die Moskowi- 
ter angeschlossen, denen sie bis auf diese Stunde noch alles Böse auf den Hals 
wünschen und zuschreiben, so dass „Moskal" in ganz Südrussland noch jetzt ei- 
nes der grösslen Schimpfwörter ist. Anderseils hat aber auch Polen, das jetzt 
sein „weil umhergestreutes Gebein" zu sammeln anfängt, nachdem es dasselbe 
durch die Nichtswürdigkeit seiner Führer verloren, die Wichtigkeit der Kosaken 
anerkannt und bereits begonnen, den allen Sinn für die „Rzecz pospolita" (Re- 
publik) den vernichteten Geist der Freiheit unter ihnen wieder wach zu rufen. 
Eine Reihe von Schriften sind in der Neuzeit erschienen, in welchen nicht nur die 
alten Verhältnisse und Bündnisse der „Krone" gegen die Kosaken mit den glän- 
zendsten Farben ausstaffirt werden, sondern auch jede noch erhaltene Erinnerung 
an die ehemalige Grösse, den Glanz und die Macht der Schlachlicen in der Ukraine 
aufgefrischt und Polen überall als das Mutterland (malka Polska) der Ukraine, 
Podoliens und Wolyniens, an welches jedes Aufblühen und Glück dieser Länder 



Digitized by Cookie 
j 



gebunden sei, dargestellt, ja nicht selten die Ansicht frei und offen ausgesprochen 
wird, die Kosaken inüsslen sich an die Polen anschliessen , um, wie ehedem, dem 
gemeinsamen Gegner mit Kraft Widerstand zu leisten. So schrieben Kraszewski, 
Grabowski und Przezdziecki Reisebilder, voll der wärmsten Schilderungen der Zu- 
stände und Sitten des Volkes in den ehemaligen Sfldoslprovinzen Polens, und stell- 
ten den liefgesunkenen Stand der Schlachta, die Verarmung des Bauern, und alle 
Schattenseilen, welche sie nur ohne offenbare Herausforderung berühren durften, 
mit den dunkelsten Farben dar." (S. 115.) „Wenn es Leute giebt, welche den 
grossen Einfluss dieser Schriften leugnen, so dürfte ihnen wohl nicht unbedingt 
beizustimmen sein; im Gegentheil scheint uns Adel und Volk bis auf diese Stunde 
noch ganz in dem geeignetsten Zustande, seiner Unzufriedenheit mit der gegen- 
wärtigen Sachlage den Zügel schiessen zu lassen." (S. 117.) „Man sieht, der 
alte Geist der Kosaken ist noch nicht gänzlich ausgestorben, und dürfte bei guter 
Gelegenheil leicht wieder zum Leben zu wecken sein. Noch hallen die allen Ko- 
sakenlieder tou Freiheit und Unabhängigkeit (bezpanstwo, Zustand, wo man ohne 
Herren, Grund h erren ist), von Hass der Carcn und Moskowiter von einem Ende 
Südrusslands zum andern, und je schwerer die Beamten uud Vögle die Knute 
schwingen, mit desto lieferein Wehgefühl erschallen die herzzerreissenden Klagen 
ihrer Dumen. — Solch eine Stimmung ist in den ehemals polnischen Provinzen 
Russlands durchaus verbreitet, wie das bei jeder Gelegenheit sich zeigt. (Wir 
erinnern hier nur an die allgemein günstige Aufnahme, welche hier jedem poloi- 
schen Emissär aus Frankreich zu Theil wird, und an die endlose Verzweigung 
der Verschwörung, welche ein Konarski zu erregen im Begriffe stand.)" (S. 118). 
Um diesen grossen Unterschied zwischen den Gross - und Kleinrussen noch mehr 
anschaulicher zu machen, wollen wir uns noch auf das cilirle Werk von Schnitz- 
ler berufen, welcher sein Urtheil folgendermassen fällt: „Moins purs de race que 
ceux-ci (les Pelites Russes) les Grands Russes leur, sont inferieurs ä plusieurs 
egards, sur tout par rapport au physique. Des instilutions difTerentes ont aussi 
etabli entre eux une dlmarcalion morale, qui est egalcinent tout ä l'avantagc des 
Petites Russes, plus independens de caracteres et plus penllrls de la dignile in- 
dividuelle de chacun. Chez ceux-ci l'elcment slavon predominc, tandis que chez 
les autres il est contrebalance par l'elcment finois, subordonne, il est vrai, au 
premier, qui l'absorbe de plus en plus, mais rappellant sa prlsence par des traits, 
qui malgre la fusion ne sont point effaces." (S. 33. 34.) — Wie sollte es denn 
bei einem solchen Stande der Sache möglich sein, aus diesen Stämmen einen Staat 
zu bilden? Wohl kann hierzu die Richtung der jetzigen grossrussischen Literatur 
den Anlass gegeben haben, aber man betrachte nur näher, wo die Civilisation in 
Russland liege; man findet sie nur in Petersburg, zum Theil in Moskwa, und in 
der Armee; die Regierung, welche aus meistens fremdartigen Elementen besteht, 
hat nie eine Richtung, einen Staat zu bilden — es bleibt nur immer eine Regie- 
rung, welcher alles blind unterliegen soll. — 

Wohl verzeihlich wäre eine solche Unkenntniss der Sache für Deutsche und 
Franzosen, denen die slawischen Dialekte unbekannt sind, und welche, von der 
Benennung „Russland" getäuscht, schon im IX. Jahrhunderte der Politik Gross- 
russlands die Tendenz, Konstantinopel zu besitzen, zuschreiben (Les Cabinets et 
les penples depuis 1815. jusqu'ä la fin de 1822. par M. Bignon. Paris 1823.); 
aber die Slawen sollten mehr beflissen sein, den Grund der Sache zu erörtern, 
über welche sie ihr Urtheil fällen. 

Zuletzt wollen wir noch den Leser aufmerksam machen, wie der Verfasser 
den IHyrisinus ansieht; er spricht von der Bemühung der südwestlich slawischen 
Provinzen, eine Literatur einzuführen und mehrere Stämme mit einem allgemeinen 
Namen „Illyrier" zu bezeichnen; er führt das Urtheil Schafariks hierüber an, wel- 
ches er selbst mit folgenden Worten beschliesst: „Die im Anfange des Jahres 
1838 ausgesprochenen Ansichten Schafariks sind nun bereits recht schön in Er- 
füllung gegangen. Eine Reihe von Schriftstellern steht Herrn Gaj bei seinem 



Digitized by Google 



grossen Werke bei, und es ist hier eine Literatur im Entstehen, die bei der ju- 
gendlichen Begeisterung ihrer Vertreter und Pfleger die schönsten Kräfte entfaltet 
Auf diese Weise entwickelt sich auch im Süden des österreichischen Kaiserstaates 
eine slawische Nationalität mit jugendlicher Kraft und der festen Hoffnung auf 
sicheren Erfolg ihrer Bemühungen, analog der czechischen Nationalitat im Norden 
des Landes. Beide stehen mit einander in dem innigsten gegenseitigen Verhält- 
nisse, da die südliche Völkercoalition nicht allein ein Corollar oder vielmehr so- 
gar zum Theil eine Tochter der nördlichen ist, sondern Ton dieser auch in jder 
wissenschaftlichen Well, so wie in dem Leben bevorwortet und mit allen Mitteln, 
welche letzterer zu Gebole stehen, unterstützt und gekrafliget wird/' — So 
spricht er hier mit der grössten Bewunderung und Achtung für die patriotischen 
Bemühungen; aber er roussle auch die Gegenseite berühren, uud wirft vor, dass 
sie den Namen Illyrier schlecht gewählt haben , schliesst hieraus , dass sie bleiben 
sollten, was sie waren, Kärnlhner, Krainer, Dalmatiner, Ragusaner, Montenegriner, 
Serben, Kroaten, Slowaken etc.; — er hebt die ihnen entgegenwirkende Parlhei 
und schliesst mit den Worten: „Schon stehen diejenigen nicht mehr allein, welche 
sich weigern, das IUyrenlhum anzunehmen; es hat sich bereits eine Parthei ge- 
bildet, welche dasselbe mit Kraft zurückweiset und seine Macht in der Idee, wo 
es längere Zeit herrschend war, zu brechen sucht. Und diese Parthei ist mitten 
in dem „grossen Illyrien", bestehet aus Slawen, welche auch zu den idealen 
„Illyriern" gehören: es sind das die Serben in Ungarn, welche den Fehdehand- 
schuh hingeworfen haben und nun in ehrlichem und offenem Kampfe der frohen 
Aussicht eines gewissen Sieges sich hingeben; denn auf ihrer Seile steht Gott und 
das Recht — das Volk und die Nationalität." Ein Hn**ine. 

Anmerkung, üeber das vorliegende Buch sind ans die widersprechendsten Ansichten 
zugekommen. Die Einen lobten dasselbe über alle Maassen und hoben besonders die 
darin ausgesprochene Tendenz hervor; die Andern traten es mit Fussen, nannten es 
ein „Pasquill", ein „erbärmliches, nichtswürdiges Machwerk," — „voll jesuitischer 
Tacke", im Interesse Russlands geschrieben (!f!), und dergleichen mehr. Wir wa- 
ren nicht im Stande, die Meinungen Aller hier geltend zu inachen und nahmen nur 
jene beiden Artikel auf, welche uns am durchgreifendsten die Sache darzustellen 
schienen. D. Red. 



2. Vorlesnngen über slawische Literatur nnd Zu- 
stände. Gehalten im College de Frame in den Jahren Ton 1840 — 1842 
von Adam Mickiewicz. Deutsche, mit einer Vorrede des Verfassers versehene 
Ausgabe. Leipzig u. Paris 1843, Brockhaus u. Avenarius. I. Theiles 1. Abthl. 

Wir haben bereits im 1. Hefte der Jahrbücher S. 68 Aber dieses interessante 
Werk berichtet, damals aber nur den in polnischer Sprache erschienenen zweiten 
Theil besprochen; nun liegt uns von dem ersten Theil die erste Hälfte zwar nicht 
im Original, doch aber immer in einer guten Ueberselznng vor, welche nach dem 
polnischen (aus dem Französischen verfertigten) Texte gemacht worden ist Der 
Inhalt der Vorlesungen ist in Kurzem folgender: 

Nachdem der Verfasser über seine Befähigung zu der slawischen Lehrkanzel 
am College de France sich ausgesprochen, stellt er die Behauptung auf, die Sla- 
wen trügen es sehr schwer, dass Europa Zweifel hege darüber, ob die Slawen 
„zur Vergrosserung der geistigen Reichthümer und sittlichen Güter des Christen- 
thums etwas beigetragen" haben; vergeblich hätten sie daher versucht, in der 
eigenen Sprache der westlichen Völker zu reden; nun aber hätten sie begriffen: 
„dass, um die Aufmerksamkeit der westlichen Völker, durch so viele Erschütte- 
rungen zerstreuet, und mit so vielen wichtigen Dingen beschäftigt, zu gewinnen, 
es nicht genug sei, ihnen einige glanzende Punkte auf dem Horizonte des Slawen- 
thums zu zeigen, dass es nöthig sei, seinen ganzen Schild zu enthüllen, dass man 
näher bringen und hinstellen müsse dem Anschauen des Westens die ganze Masse 



Digitized by Google 



seiner Literaturen." Dieses sei der Wunsch der slawischen Nation, und diesen 
habe die französische Regierung zuerst erfflllt. Die geographische Ausdehnung 
und die Zahlenmenge der Slawen machen die Ausführung sehr schwierig. „ Sieb- 
zig Millionen Menschen sprechen in den Mundarten dieser Sprache, in Ländern, 
welche die Hälfte ?on Europa und den dritten Theil von Asien einnehmen. " Die 
Sprache der Slawen „zeigt sich in verschiedenen Formen und Stufen ihrer Ver- 
edelung. Wir sehen sie als eine abgestorbene, religiöse im Altslawischen; als 
die Sprache der Gesetzgebung und der Befehle für jetzt im Russischen; als die 
Sprache der Literatur und des Umganges im Polnischen; als die der Wissenschaft 
im Czechischen; geblieben im Urzustände als Sprache der Dichtung und Musik 
bei den Illyriern, Montenegrinern und Bosniaken." — ».Wir sehen daher verschie- 
dene Funktionen, verschiedene Bestimmungen, erfüllt durch alte und neue Spra- 
chen, z. B. durch die sanskritische, arabisch -türkische, persische, hier verteilt 
zwischen die Mundarten einer Sprache." Die früheren Tbaten der Slawen, der 
EiDÜuss, den sie auf Europa ausgeübt haben und noch ausüben werden, das Be- 
wusstsein, dass sie zu etwas Grossen bestimmt seien, macht Westeuropa die Kunde 
des Slawenthums nothwendig und nutzbringend. — (2) Auch für den Pnblicisten 
ist die Kenntniss des Slawenthums wichtig. „Mehrere Ideen, heisst es S. 14, welche 
bei ihnen erst als verstandesmässige (theoretische) Auffassungen sich noch nicht 
bis zu den allerletzten logischen Folgerungen entwickelt haben, geben durch ihre 
Ausführung bei den Slawen die Ansicht von ihrer praktischen Wirklichkeit Würde 
eine aufmerksame Beobachtung die von den Slawen so eifrig aufgegriffenen Theo- 
rien des Westens, und das praktische, dem Westen so gänzlich unbekannte Leben 
der slawischen Völker vereinigen, so wOrde dieses der Menschheit viele vergeb- 
liche und schmerzliche Reformversuche vielleicht ersparen." Zwei heterogene Mo- 
mente hinderten lange Zeit die Enlwickelung der Slawen: das Mongolenthum, dein 
Russland unterlag, und der Islam, welchem Polen widerstand. Der Widersland 
gegen diese beiden drückte der slawischen „Literatur einen eigentümlichen Stem- 
pel auf (S. 22). In diesem langen und erbitlerlen Kampfe haben die slawischen 
Völker ihre Volkstümlichkeit ausgebildet, ihren Genius entwickelt; durch ihn tra- 
ten sie in die Reihe der europäischen Völker." Die anfängliche russinische Lite- 
ratur ist „religiös, mehr jedoch monarchisch." Die Poesie „eilt zum Epos." 
Zur Zeit Katharina's wurde die Literatur „autokralisch." Der Islam rief in Po- 
len, auf dem er so schwer lastete, eine entgegengesetzte Thäligkeit hervor: „der 
Patriotismus, die Vaterlandsliebe ist das zeugende Dogma der ganzen Bildung des 
Geistes und des Gemülhes der Polen; ihre ganze Literatur erwuchs, entfaltete 
sich und erblühte aus diesem einzigen Worte Ojczyzna (Yalerland); sie ist die 
verschiedene Deutung und Anwendung dieser Idee." Damit war die republikani- 
sche Verfassung zugleich gegeben. „Aus allem diesen lässt sich leicht begreifen, 
dass die polnische Poesie ihrem Wesen nach keine Elemente des Epos darbietet, 
sich aber dem Drama und noch mehr der lyrischen Gefühlsweise zuneigt." In 
Südrussland, der Ukraine, „dieser grossen Ader, welche Europa mit der Fläche 
von Mittelasien verbindet", entwickelte sich die ukrainische Poesie. (3) In 
den Süddonaulandern entfaltete sich zuerst eine slawische geistige Cultur; allein 
die asiatischen Horden, die Religionskämpfe und die politischen Umwälzungen ver- 
nichteten bald die Frucht derselben. Der Rest von allen dem ist die serbische 
Volkspoesie. Böhmens Hauptbestimmung ist, die Wissenschaft der Slawen zu ver- 
treten. „Die bergigen Länder der Dlyrier und Serben entsprechen in vieler Hin- 
sicht dem spanischen Catalonien und Astarien. — Polens Schicksal war lange Zeit 
ähnlich dem Frankreichs. — Endlich spielen die Czechen und Russen Deutschland 
etwas in's Handwerk; man könnte sie die slawischen Deutschen nennen. — Der 
Czeche stellt unter allen Slawen am meisten den deutschen Geist vor. — Ander- 
seits scheint Russland an England, dieses modificirte Germanien, zn erinnern (bei- 
den ward ja der Geist der Normanen eingeimpft)." (S. 40.41.) — (5) Nach die- 
sen Vorbereitungen theilt Mickiewicz den Gang seiner Vortrage so ein: 1. „All- 



Digitized by Google 



gemeine Charakterzfige der Slawen, Kennzeichen ihres Stammes und Beschaffen- 
heit ihres Bodens, zamal durch diese Tiele literarische und historische Aufgaben 
gelöst werden. 2. Die älteste und allen Slawen gemeinschaftliche Literatur der 
Denkmäler. 3. Die Denkmaler, welche den JJebergang vom Heidenthum zum Chri- 
stenthum bilden. 4. Das Zeitalter des Heldengedichtes, die serbische Poesie, der 
Sagenkreis, welche die Herrschaft des Hauses Nemanicz umfasst. 5. Polen tritt 
im XV. Jahrhunderte an die Spitze, sammelt in sich alle geistigen und sittlichen 
Kräfte der slawischen Länder, entwickelt seine Literatur und erhebt sie zur Kunst 
6. Endlich von dem Zeitpunkt der Hemmung seines Fortschrittes im XVII. Jahrh. 
fängt die allgemeine Umbildung der slawischen Literatur an; Russland und Böh- 
men kommen wieder auf den historischen und literarischen Felde zum Vorschein. 
Dieser letzte Zeitabschnitt jedoch wird zum Gegenstande der Vorlesungen des 
künftigen Jahres dienen." (S. 43.) In der 5. 6. u. 7. Vorlesung löst nun Mickie- 
wiez die unter 1. gestellte Aufgabe. Er schildert den Charakter der Slawen, das 
Land und ihre geistigen Zustände, die er mit den Worten beschliesst: „So musste 
das slawische Volk ohne Priester, Geburtsadel und ohne Könige sein." (3, 50.) 
Ganz gewiss unwahrscheinlich, wenn er nicht auf die Urzeit zurück geht, in wel- 
cher freilich jedes Volk, also auch die Slawen, in solch einem Znstande waren. 
(6) Der Mangel jeder Offenbarung brachte diesen Stillsland hervor, der in reli- 
giöser wie in politischer Hinsicht niederdrückend wirkte. Die politische Verfas- 
sung war eine höchst eigen thümli che, mit keiner andern vergleichbar. „Die sla- 
wische Organisation, wenngleich cigenthflmlich und schön, war doch zur Ver- 
nichtung bestimmt, da sie keinen Keim der weiteren Entwickelung in sich trug. 
Sogar in dem tiefsten Dickicht ihrer morastigen Wälder hätten sie mit der Zeit 
ihr Geschlecht nicht schätzen können, wenn sie nicht vorher in den Schoos ihrer 
Bevölkerung kriegerische Stämme aufgenommen hätten, die ihnen den Keim künf- 
tiger Staaten gebracht haben, und wenn nicht der christliche Glaube sie später 
aus dem Zustande der Civilisalions - Unbeweglichkeil, einer Folge der längst ab- 
gestorbenen Religion, herausgezogen hätte. Mithin längt die Geschichte der wei- 
ten Länder zwischen dem schwarzen und baltischen Meere erst mit der christli- 
chen Epoche an." (7) Aus der Bemerkung, dass die alten Denkmäler uns nur 
von den Gränzen des Slawenthums, aus Kiew, Nowgorod, Retra, Arcona, über 
Gölterverehrung berichten, wird S. 63 gefolgert, dass solches nur aus Nachah- 
mungssucht der benachbarten Völker geschehen sei. Zur Annahme dieser Hypo- 
these scheinen uns doch noch zu wenig Gründe vorznliegen, da wir ja eben nur 
aus dem Gränzgebiete des Slawenthums Nachrichten haben, keineswegs aber im 
Stande, noch berechtigt sind, über das abzusprechen, was im Innern dieser Gränz- 
linie vorhanden gewesen oder geschehen ist. Eher könnten wir ein Solches von 
dem Königthum sagen, so dass es demnach nur zur Hälfte wahr wäre, wenn es 
S. 64 heisst: „Die Religion und das Königthum kreisten lange rings um die Sitze 
der Slawen herum und konnten sich den Eingang in das Innere nicht Öffnen." 
Die Lebensweise war sehr einfach und wird sehr heiter und geroülhlich S. 64 
und 65 geschildert; allein sie ging nicht ans dem Familienkreise hinaus. „Aus 
der ganzen Arbeit durch Jahrhunderte können die Slawen nur ein einziges Er- 
zeugniss aufweisen — ihre Sprache. Alle ihre Kräfte, alle ihre Fähigkeiten wur- 
den zur Ausbildung derselben verwendet." (S. 66.) Aus dieser Zeit stammt die 
gemeinsame Tradition, die sich in den ältesten Volksliedern und Fabeln erhalten 
hat. Mickiewicz stützt dieselben auf „allgemeine Rückerinnerungen aus den Zei- 
ten vor der Sündfluth her." — „In ihnen giebt es wirklich sichtbare Spuren 
der anfänglichen Geschichte des Volkes, ja sogar mythische Erwähnungen seiner 
zukünftigen Schicksale." — „Diese Erzählungen nehmen sichtbar ihren Anfang 
im Osten und sind älter, als Tausend und eine Nacht. Ihr Alterthum übertrifft 
Alles, was die geschriebene Literatur aufbewahrt hat" (S. 70.) — (8) Diese 
Volkssagen haben das thierische Epos und die Apologie hervorgerufen. Die Thei- 
lung der Sprache in ihre Dialekte datirt sich aus den ältesten Zeiten, weil in 

Slaw. Jahrb. I. 27 



Digitized by Google 



«00 



ihrem Wesen selhsl begründet. Die beiden Hauptzwcige repräsenliren zwei Haupt- 
ideen: die Russische und die Polnische; „daher zwei Religionen, zwei Mondänen, 
zwei Alphabete und zwei nebenbuhlerische Regierungsreformen." (S. 76.) Diese 
Dualität zu erklären, geht der Verfasser auf die alte Geschichte zurück. „Ihr 
(der beiden slawische Reiche) Boden ist das alte Slawenlhum, die organische 
Kraft aber, das Band der Masse ist das neue aus Skandinavien (Normannen) ond 
vom Kaukasus (Lechito - Czechen) her eingewanderte Element." (9) Das Christen- 
thum kam in diese Länder frühzeitig; im VIII. u. IX. Jahrhundert befestigte es 
sich. Der Verfasser bemüht sich, die Bekehrung als ganz römisch-katholisch 
darzustellen; vertheidigt gelegentlich die lateinische als Kirchensprache und weist 
den Vorwurf zurück, dass das Christenlhum den Slawen ihre Vergangenheil ent- 
rissen und ihre Denkmäler zerstört habe; der Verlust der heidnischen Geschichte 
werde ungerecht beklagt; die Einheit des Slawenthums habe nie bestanden; diese 
Idee stamme aus der neuesten Zeit und werde nicht im Stande sein, die slawi- 
schen Völkerschaften, „verschiedene Volkstümlichkeiten zusammenzufügen." — 
(10) Zwischen den slawischen Reichen bildete sich ohne Zusammenhang mit ih- 
nen, aber durch seinen grossen und für ihre Volkstümlichkeit häufig verderb- 
lichen Einfluss wichtig, das Königreich Ungarn. Die ungarische Behörde bestand 
nach des Verf. Meinung „aus nördlichen Finnen, geführt durch türkische Reile- 
rei, welche wiederum ihre Führer aus dem Stamme der Asen vom kaukasischen 
Lande besass. Der Gesammlname ist Magyaren." (S. 94.) 

Nach dem J. 1000 waren die slawischen Staaten gebildet, die Dialekte ge- 
trennt und damit der Anfang der individualen Enlwickelung gegeben. Unter den 
Dialekten ist kein Vorrang; der czechisch -polnische besitzt die ältesten Litera- 
turdenkmäler, und nach dem Alter dieser reihet der Verf. seine Darstellungen 
aneinander. Er bespricht zuerst das Gedicht „Libuscha's Gericht." Es hat eine 
„vollkommen ausgebildete Sprache, einen reinen Styl, genau (?) befolgtes Vers- 
maas und Gleichförmigkeit grammatischer Regeln." Der Text des Bruchstücks 
wird nach Hanka's deutscher Uebersetzung mitgetheilt; warum die neuere und ge- 
nauere, von Swoboda nicht genommen wurde, ist uns unbekannt. (11) Nun folgt 
die Besprechung der „Königinnhofer Handschrift", aus welcher das Gedicht „Za- 
boj, Slawoj, Ludiek" nach Swoboda vollständig mitgetheilt wird. Da der Grund- 
gedanke desselben den Kampf des Slawenthums gegen das Christenlhum darstell t, 
so vertheidigt der Verfasser letzteres gegen die gemachten Vorwürfe. (12) Von 
den anderen Dichtungen giebt M. nur von „Jaroslaw" den Inhalt an, die Uebri- 
gen „verdienen keine besondere Aufmerksamkeit." — In Polen und Russland gab 
es aus dieser Zeit ebenfalls Literaturdenkmäler; sie rühren von Geistlichen her. 
Nestor, der Mönch aus Kiew, war der erste; Gallus, ein Pole, folgte ihm bei- 
nahe gleichzeitig. Jener schreibt eine trockene Chronik, dieser eine fast memoi- 
renartige Darstellung seiner Erlebnisse, an der Seile des polnischen Königs Boles- 
law; jener schreibt russisch, dieser lateinisch. (13) Das Christenthum blieb lange 
Zeit von verhältnissmässig geringem Erfolge; in Russland nahm es die Staatsge- 
walt auf sich, in Polen drückle es die Aristokratie nieder; weder hier noch dort 
gab es Verbreiter des Chrislenthums; sie musslen aus der Fremde kommen. „Ein 
solcher Ankömmling (sagt M. höchst charakteristisch) war der heilige Woytiech" 
(Adalbert), welcher kanonisirt einer der polnischen Schutzheiligen ist, und in der 
Geschichte Epoche macht. „Wir müssen daher ausführlicher über ihn sprechen." 
Besonders gelobt wird die von ihm herrührende Kriegshymne „0 Mutter Gottes." 
Dieser Zustand des Chrislenthums begründet den grossen Unterschied zwischen 
den nissischen und polnischen Chronikenschreibern. Um denselben genauer zu be- 
zeichnen, führt er einzelne Stellen aus Nestor und Gallus an und stellt sie neben 
Kosmas von Prag und Ditlmar von Merseburg hin. „Diese vier Chronikenschrei- 
ber sind die Muster, die sich später in der deutschen, czechischen, polnischen und 
russischen Schriflstellerci immerfort wiederholen." (S. 139.) Die Mundarten in 
diesen alten Schriften sind bereits festgesetzt; die slawische Sprache „von alte- 

Digitized by Google 



201 



sler Zeit her in eine Mundartengruppe getheilt", jede hat ihren selbständigen 
und abgeschlossenen Charakter. „Man kann sagen, dass die ganze slawische 
Sprache sich jetzt nicht in Mundarten theilt, sondern in Sprachen. Sie ist wahr- 
scheinlich die einzige Sprache, welche mehrere in sich fasst." (S. 141.) Der 
allslawische Dialekt, unrichtigerweise erzslawisch benannt, das heisst die kirch- 
liche Mundart, konnte nicht die Zeit der ersten Ueberselzung der heiligen Schrift 
und einiger liturgischen Bücher überleben, weil es dem fernem Fortschritte des 
Christenthums nicht folgte, weil er unfähig, die werdenden Bedürfnisse inmitten 
der slawischen Völker auszudrücken, durchaus nur Ton der Vergangenheit spre- 
chen musste, und aus der lebenden Gesellschaft der Slawen Verstössen wurde. 

Unter den drei grossen Sprachen, die heule die slawische umfassen, hat die 
russische nur die byzantinische Literatur beerbt, und wäre schon langst verdorrt, 
halle sie sich nicht im spatern Verlaufe an die neuere Civilisalion festgeklammert, 
hätte sie nicht zuerst das Polnische nachgeahmt und dann aus dem Lateinischen 
einen neuen Quell geschöpft. 

Die czechische Literatur hat sich durch den Einfluss der deutschen ersticken 
lassen; sie verstand es nicht, wie schon gesagt, sich das fremde Element anzu- 
eignen, und sie entfremdete sich selbst ihrem Volkslhum. 

Die polnische Literatur, wenn gleich weniger urthümlich als andere, wie z. B. 
die serbische, erwuchs dennoch am mächtigsten und weitesten. Da sie der latei- 
nischen Ueberschwemmung nicht erlag, dann sich die französische Literatur an- 
eignete, öfters die deutsche nachahmte, verlor sie nicht im mindesten ihren we- 
sentlichen Charakter. — (14) Obgleich keine literarischen Denkmaler in eigener 
Sprache hinterlassend, so doch wichtig durch die Menge der schriftlichen Nach- 
richten, welche theils von ihnen selbst, mehr noch von den angrenzenden Deut- 
schen in lateinischer Sprache uns hinterblieben, sind die von Schafarik so benann- 
ten Elbeslawen, zwischen der öder, dem Riesen - und sachsischen Gebirge, der 
Saale, Elbe und der Ostsee, deren Vernichtung der Verf. einen längeren Vortrag 
widmete. Nach dieser Zeit, im XI. Jahrhunderle, findet sich die Sage vom Hee- 
reszuge Igor's, ein Gedicht, welches den slawischen Alterthumsforschern bereits 
zn mannigfaltiger Arbeit gedient hat. M. giebt den vollen Inhalt des Gedichtes 
und schliesst nun allgemeine Betrachtungen der slawischen Poesie an. Die Voll- 
kommenheit der äusseren Form, der Plastik, sei ihr höchster Vorzug; ihr fehle 
das Wunderbare, an dessen Stelle stehe im Volksglauben nur das Geisterhafte; 
die Vampyre, eine rein slawische Schöpfung, seien nur zu den Griechen, Römern 
und Germanen übergegangen. Ein volles Verständniss der altslawischen Dichtung 
sei erst durch Kenntniss ihrer Geschichte möglich. — Einen besondern Zweig der 
slawischen Volkspoesie bildet die serbische. Der Verf. leitet seine Darstellung 
mit einer Geschichte der Donauslawen ein, wie sie die byzantinischen und andern 
Chroniken schildern. „Das Volk aber, sagt er S. 181, und die Dichter begrei- 
fen anders die Vergangenheit und die Zukunft ihres Landes." Die Geschichte fiel 
hier ganz dem schaffenden Geiste der Poesie anheim; die historisch -heroische 
Dichtung bildete den wichtigsten Theil der serbischen Poesie; ihr folgte die ro- 
mantische. Als Muster von jener führt der Verf. aus dem Buche der Madame 
Talvi die Vermahlung des Königs Lasar an, dann giebt er das Gedicht: „Die 
Heiligen im Zorn", und andere au. Die serbische Dichtung hat eine reiche Frucht- 
barkeit und ähnelt durch ihren cyklischen Charakter sehr den Homeriden. Das 
Mythologische, welches dem Slawismus mangelt, vertritt hier eine eigentümliche, 
durch das Verschmelzen der geistlichen mit den heidnischen Begriffen entstandene 
religiöse Lebensansicht. Selbst die Sanger, welche solche Lieder vortragen, glei- 
chen ungemein dem griechischen Rhapsoden. In der romantischen Dichtung ist 
Marko, der. Königssohn, der Glanzpunkt aller Grösse und Herrlichkeit, ähnlich 
Artur dem Bredonen -König; nach dieser Periode folgte eine dritte, in welcher 
das Familienleben unter den häuslichen Beziehungen herrschend erscheint. Diese 
beiden Perioden traten erst nach dem Falle Serbiens ein. Den Grund dieses, so 



Digitized by Google 



so* 



wie überhaupt die wahrhafte Ursache der Unterjochung findet M. in ihrer Zukunft 
verborgen liegend; die Slawen waren, meint er, ihrer Nation nach nicht fähig, 
Bürger des byzantinischen Reiches zu werden, sondern konnten nur seine Sklaven 
sein; daher die Niederlage Serbiens und der plötzliche Sturz des byzantinischen 
Reiches, welcher letztere nur dadurch erklärlich wird, dass man bedenkt, dass 
der grösste Theil der Einwohner des morgenländischen Kaiserreichs slawisch war. 
So hält der Verf. die Lakooen und die alten Felasger für Slawen, nur von den 
Spartanern, den Helenen, Achairen und Dören überwältigt. Sie waren physische 
Ursache des Zerfallens von Byzanz. Bekanntlich verwandten die Türken ihre sla- 
wische junge Mannschaft zu Land-, die griechische zu Seetruppen und in der 
Typlomaci. Die Türken selbst sind Ursache, dass sich dieses Verhällniss in der 
Neuzeit geändert hat und die Urbevölkerung dieses Landes sich Auge in Auge 
gegenübersteht. „Das Schicksal und die Lage der die Griechen hassenden, die 
Lateiner fürchtenden und durch die Türken unterjochten Slawen sind in der ser- 
bischen Poesie unter der fabelhaften Person des Königssohnes Marko dargestellt. 
Diese Idee führt der Verf. aus einigen Gedichten und anderen Andeutungen weiter 
durch. In der dritten Periode ist das schönste Gedicht das von der Vermählung 
des Maxim Cernojewicz. „Ohne Zweifel besitzt keine einzige Literatur etwas 
ähnliches, was in jedem Betracht so vollständig, so gut durchgeführt und zugleich 
in den Einzelnheiten so vollendet wäre", sagt M. S. 338. Maxims Vater, Iwan, 
herrschte in Cernagora (Montenegro), ein Land, dessen gegenwärtige Verfassung, 
dessen ganzer Zustand uns recht lebhaft das Bild des ehemaligen Lebens der Sla- 
wen darstellt. Der Verf. schildert dasselbe mit einer gewissen Vorliebe und geht 
dann zur Erzählung jenes Vermählungsgedichtes über. Damit schliesst die erste 
Abtheilung des ersten Theiles. 

3. Die schön - wissenschaftliche Literatur der 
Rassen. Auserwähltes aus den Werken der vorzüglichsten russischen Poeten 
und Prosaisten älterer und neuerer Zeit. Ins Deutsche übertragen und mit (einer) 
historisch -kritischen Uebersicht, biographischen Notizen und Anmerkungen beglei- 
tet von C. Wilhelm Wolf söhn. Leipzig 1843. I. Bd. Gedichte. 1. Abtheilung. 
XXTV und 376 Seiten. 

Von diesem Buche haben wir bereits einmal Erwähnung gethan und es als 
ein mit grossem Fleisse ausgearbeitetes bezeichnet, das Deutschland's Ansichten 
über die russische Belletristik bedeutend verändern werde. Wir können nämlich 
der Meinung Schewirjew's , dessen Ansichten über die gegenwärtige russische Li- 
teratur wir im 1. Heft der Jahrb. mittheiltcn, als sei die russische Literatur be- 
reits in dem Grade emporgestiegen, dass sie in der Belletristik, besonders iji 
Roman, welcher dort angezogen wird, sich mit den westlichen Literaluren messen 
könnte, keineswegs beipflichten. Die nissische Literatur dünkt uns zu jung dazu; 
auch sind die politischen socialen Verhältnisse viel zu wenig günstig, als dass 
im Verlaufe noch nicht eines vollen Jahrhunderts ein solcher Aufschwung hätte 
erfolgen können. Hr. W. hat es nun übernommen, Deutschland durch eigene An- 
schauung erkennen zu lassen, bis zu welchem Grade sich die russische Belletri- 
stik in der Gegenwart entwickelt hat; seine Pflicht ist es, uns das Beste zu bie- 
ten, was die Russen besitzen, und von diesem Standpunkte aus dünkt uns der Ent- 
schuldigungsgrund , der Verf. habe die Materialien zu seinem Buche nur unvoll- 
ständig und mit Mühe herbeischaffen können, weniger triftig, als dass wir dem- 
selben im Geringsten von jener Verpflichtung freisprechen könnten. Die Ebre der 
russischen Nation, an welcher er mit solcher Liebe zu hängen behauptet, fordert 
hier alle mögliche Sorgfalt und Umsicht. Der erste Band enthält die historisch- 
kritische Uebersicht und Gedichte. Ueber die erstere haben wir uns öffentlich 
weilläuflig ausgesprochen und wiederholen hier nur in Kurzem, dass wir eine 
Uebersicht des bisherigen Entwickelungsganges der russischen Literatur allerdings 



Digitized by Google 



für sehr wünschenswert hallen, dass wir aber mit der vorliegenden keineswegs 
zufrieden sein können. Sie ist in einzelnen Partien zn weitschweifig, so z. B. 
wenn der Verf. seine ästhetischen Ansichten auseinandersetzt, welche wir ja ans 
seiner Auffassungsweise selbst hätten kennen lernen, insoweit uns dieselbe beim 
Lesen seines Buches inleressirt. Nicht weniger hindern die weitläufigen biogra- 
phischen Notizen, welche hier beigebracht werden und welche wir später sicher- 
lich wiederzufinden hoffen, die Uebersichtlichkeit dieser Uebersicht. Vor Allem 
aber vermissen wir in dieser Einleitung eine höhere Auffassung der russi- 
schen Literatur; es fehlt der verbindende Geist, welcher in diesen einzelnen Er- 
scheinungen den inneren Zusammenhang aufzufinden weiss; ja es scheint fast, als 
habe der Verf. diese Einheit in der geistigen Entwickelung der russischen Nation 
völlig übersehn. Und doch ist sie gerade das wichtigste Interesse zu erwecken 
im Stande, welches einzig und allein nur die Bürgschaft zu geben vermag, dass 
auch das östliche Slawenlhum eiw»r immer vollkommnern Entwickelung entgegen- 
gehen muss. 

Die Gedichte, deren Uebersetzungen in dieser Abtheilung mitgetheilt werden, 
beginnen mit dem „Liede vom Heerzuge Igor's"; jenem ältesten russischen Denk- 
male, welches seit seinem ersten Auffinden die tüchtigsten Köpfe unter den slawi- 
schen und auch nicht - slawischen Alterthumsforschern beschäftigt hat. Der Yerf. 
bat demselben mehr Raum eingeräumt, als ihm verhältnissmässig zukommt; die 
Wichtigkeit des Gedichtes mochte ihm dazu verleiten; auch scheint ihm bei dem- 
selben ein philologischer Geist ergriffen zu haben, den wir später nirgends wie- 
der finden. Hierauf folgen (S. 227) Volkslieder, welche mit einer ästhetisch- 
historischen Einleitung versehen sind. Hier erklärt der Verf. seine Ansicht über 
Volkspoesie, welche theils Naturpoesie, theils Poesie der Natur sei; letzlere sei 
bei den Russen die überwiegende und, weil die Periode der Rückkehr der Kunst- 
poesie zur Naturpoesie noch im Beginnen sei, im Volke die herrschende. Unter 
den Eigentümlichkeiten der russischen Volkslieder giebt der Verf. als besonders 
hervorstechend an: die Anwendung der (metaphorischen) „Allegorie" in einer un- 
eigenllichen Bedeutung des Wortes, die Anlhropomorphisation der Natur, der Ge- 
brauch von stereotypen Epitheton und immer und immer wiederkehrenden Rede- 
weisen, endlich Verifikationen, in welchen man sich erfolglos nach einem kunst- 
gerechten Versbau umsehe. Den Reim bezeichnet er als „zufällig und aus sprach- 
lichem Zusammenklange entstanden"; übrigens zeugten die Volkslieder am deut- 
lichsten dafür, „dass unter allen todten und lebenden Sprachen an Ausdrücken 
der Liebe keine so reich ist, wie die russische." Nach einer kurzen Uebersicht 
der Volksliedersammlungen polemesirt der Verf. gegen Herrn von Götze's Ueber- 
setzungen in den „Stimmen des russischen Volkes in Liedern." Hr. W. übersetzt 
18 vermischte, 4 Hochzeits-, 3 Weihnachls-, 5 Armesünder - und 2 Wiegenlie- 
der. — - Eine Umarbeitung der Volkslieder bilden die von Kirscha Danilow ge- 
sammelten altrussischen Dichtungen. Der Verfasser thcilt 5 solche Lieder mit. 
Nach den Volksliedern folgen 4 Gedichte von Lomonassow, mit einer einleitenden 
biographischen Schilderung; auf diese 6 Gedichte von Derzawin, darunter eine 
neue Uebersetzung der „Ode an Gott." Die biographischen Notizen, welche den 
Gedichten vorangehen, sind gedrängt und zweckmässig. Im Ganzen müssen wir 
mit der Arbeit Hrn. W.s sehr zufrieden sein. Die Uebersetzungen sind und blei- 
ben das Beste im Buche, und das mit Recht, da sie ja doch die eigentliche Haupt- 
sache desselben bilden. Die literar- historischen und allgemein ästhetischen An- 
deutungen hätten vielmehr zusammengedrängt werden können; allein auch in die- 
ser Gestalt sind sie nützlich und werden die billigen Wünsche Deutschlands be- 
friedigen. Wir wüuschen dem Verf. eine rechte Ausdauer bei seiner weitläufigen, 
und nicht seilen mühevollen Unternehmung. 



Digitized by Gc 



4. Slawische Balalaika. Von W. t. Waldbrühl. Leipzig 
1843, Hirschfeld. 

Der durch seine trefflichen Ucberselzungen aus dem Slawischen bekannte 
Verf. veröffentlicht hier eine neue Sammlung von Früchten seiner poetischen Muse, 
welche uns desto angenehmer ist, je weniger glücklich bisher das Feld bebauet 
wurde, auf welchem er seine reizvollen Früchte sammelt. Sein Buch enthält näm- 
lich eine reiche Sammlung der schönsten und besten grossrussischen, russinischen 
und polnischen Volkslieder (au 300 Lieder), und wenn ihm auch nur die Samm- 
lungen von Kaseljnin Maksimowicz, W. Z. Oleska und Wojcicki zu Gebole stan- 
den, so hat er dennoch des Schönen und Trefflichen so viel ausgelegt, dass man 
füglicher Weise selbst bei grössern Mitteln nicht viel Besseres beanspruchen konnte. 
Ueber den Werth des Volksliedes im Allgemeinen ist man gegenwärtig so ziem- 
lich einig; die Wichtigkeit der slawischen Nationalpoesie jedoch ist um so grös- 
ser, jemehr sie der vollständige und bis jetzt genaueste Ausdruck des slawischen 
Nationalgeistes ist. Sie stellt sich immer mehr heraus und wird von Tage zu 
Tage in gleichem Maasse grösser, als die Lieder bekannter und die Sammlung 
derselben vollständiger wird. In der neuesten Zeit ist in diesem Felde von Sei- 
ten der slawischen Schriftsteller und Gelehrten ungemein viel gelhan worden. Wir 
übergehen die Aufzahlung des Einzelnen und verweisen auf den Artikel Schafa- 
rik's über diesen Gegenstand, den wir später beibringen. Das Volkslied hat bei 
den Slawen deshalb eine so ausserordentliche Vorliebe und so vielfache Bearbei- 
tung gefunden, weil es einzig und allein das gesummte geistige Leben des Vol- 
kes ausmacht. In jeder Angelegenheit des Lebens, bei Freud' und Leid, bei Fest 
und Trauer, bei volkstümlichen Gebräuchen, wie bei den innigsten und zartesten 
Regungen des Gefühls erbebt eine tiefe Saite im Herzen des Slawen, und seine 
geheimsten Empfindungen ergiessen sich in einem Liede, deren er zu Hunderten 
auswendig weiss und singt, deren es Tausende giebl, um die feinsten Schallirun- 
gen des Gemülhszustandes entsprechend zu bezeichnen. Nehmen wir nur z. B. die 
Tanzlieder. Wie unzählige besitzt ein jeder der slawischen Dialekte. Bei man- 
chen Völkerschaften kann fast jedes Lied zu einem Tanzliede verwendet werden, 
wie z. B. bei den Russen ; bei andern sind deren Tausende vorhanden und werden 
jeden Tanz- und Festtagsabcnd um Hunderle vermehrt, wie z. B. bei den Polen. 
Mit Recht sagt daher der Verf. in der Vorrede S. VIII.: „In der ukrainischen, 
wie in der polnischen Abiheilung finden sich Unterabtheilungen, die „Tanzlieder" 
überschrieben sind ; in der russischen fehlt diese Ueberschrift, nicht weil die Rus- 
sen nie das Lied zur Tanzbegleitung gebrauchten, sondern weil ihr Tanz in sei- 
ner gemässigten geistvollen Bewegung fast jede Weise im graden Takte benutzen 
mag, und so beinahe auch jedes Lied getanzt werden kann, wie denn der Gesang 
gewiss vor allen andern Tonzeugen bei allen Völkern zuerst dem Spiele der Glie- 
der beim Wechsel des Ebenmaasses als Mutter vorgeschwebt hat. Die Kosaken 
luiben aber schon eigene Gesänge und Weisen zu ihren bewegtern Tänzen, welche 
sie Schäuiner, Brauselieder, Tanzbrauser (Schunkki) nennen, und die in Wort und 
Weise sich wenig von den polnisch -krakauischen Tanzliedern unterscheiden." 

Die Polen sind an Liedern dieser Art, wie an Tänzen, wohl die reichsten; 
indem sie drei verschiedene Tanzweisen und Tänze besitzen, die sich als solche 
recht wohl von einander unterscheiden lassen. Zuerst der polnische Adeltanz (die 
sogenannte Polonaise), im ehrbar prächtigen Dreivierteltakte, der in den Worten 
ein Sagenlied oder eine Liebesklage behandelt; dann der Masnrentanz (die Mar- 
surka), im raschen Dreivierteltakte (oder drei Achtel), der durch die deutsche 
verzwickt klingende Betonung des zweiten Viertels (oder wenn man will Achtels) 
schon in den graden Takt hinüberspielt und uns ganz den ungestümen feurigen 
Polen versinnlicht, wie auch die Worte recht passend irgend ein übermüthig scher- 
zendes Liebeslied hinwerfen. Dieser ist der Lieblingstanz aller Gaue und Stände. 
Zuletzt der krakauer Tanz, der gemeinste, im hüpfenden Zweivierteltakte. Zu 



Digitized by Google 



diesem finden sichjlic meisten Weisen, die meisten Worte vor, welche letztere 
oft nur zweizeilig, selten über vierzeilig vorkommen, und von den Landleuten in 
ihrer Tanzbegeisterung Dutzendweise an einem Abend gedichtet, gesungen und 
wieder vergessen werden. Sie sind nicht seilen Musler des treffendsten Volks- 
wilzes, der oft ganze Abende sie aufnimmt, abspinnt und fortspielt, und bergen 
anch noch da, wo sie hingeworfen und unzusammenhängend erscheinen, eine liefe 
Nal u ranschau ii ng. 

Neben der übergrossen Anzahl der slawischen Volkslieder ist aber anch die 
ausserordentlich poetische Wahrheit bemerkcnswerlh, welche in denselben herrscht ; 
wie schön isl in dieser Hinsicht sogleich das erste Lied, mit welchem der Verf. 
seine Sammlung eröffnet. 

Die Nachtigallstimme. 

Ach so hörest Du, 
Mein Herz inn'gcr Freund? 
So verstehest Du, 
Leben, Seele mein? 
In dem Garten dort 
Singt die Nachtigall; 
Ja sie singet, singt, 
Pfeifet dort gar fein; 
Liebcssprüchelcin 
Sie süssplaudernd sprach — 
Sie gab Stimme mild 
Durch den dunkeln Wald; 
Durch den dunkelnden 
Feuchten Fichtenhain, 
Auf dem Söllerlein °) 
Jener holden Maid. 

Dabei sind sie der treueste Abdruck des slawischen Volksgeisles. Wie charakte- 
ristisch isl in dieser Hinsicht folgendes Lied: 

Die Thranen. 

0 ihr Berge, Berge worobiowskischen ! 
Sie erzeugten Steine, brennbar gar und weiss**). 
Unter diesen Steinen floss ein munl'rer Bach; 
Dicht an diesem Bache stand ein Linsenbusch; 
Auf dem Busche ruht ein Schilleradler aus, 
Hielt in seinen Krallen eine Krähe schwarz; 
Quälte sie mit nichten, fragte sie nur aus: 
„Sage, sage, junge schwarze Krähe, Du! 
„Wohin Du geflogen, wo geschwärmt Du hast?" 
Ich flog in den Steppen dort um Sarotow; 
Sah dort in den Steppen Wunder wunderbar: 
Lieget dort auf dem Felde ein weisser Leib. 
Dorten liegt der Leichnam eines Wackeren. 
Zu dem Leichnam flogen kleiner Vögel drei; 



•) Eigentlich Terem, ein eigner Aufsatz auf dem Dache des Hauses, einem kleinen 
Hause ahnlich , in welchem die alten Russen ihre Weiber bewahrten. 

••) Wahrscheinlich auf Kalkgruben hindeutend. Die Worobiowberge (Sperlingsberge) 
liegen dicht vor den Thoren Moskwa's, mögen sich aber nicht viel über hundert Fuss 
über den Moskwaspiegel erheben. 



Digitized by Google 



*06 



Ist die eigne Möller erstes Vögelein, 

Ist die thcure Schwester zweites Vögelein, 

Ist die junge Gattin drittes Vögelein. 

Wenn die Malter weinet, fliesset es wie ein Strom; 

Wenn die Schwester weinet, fliesst es wie ein Bach; 

Wenn die Gattin weinet, trauft es wie der Thau, 

Sonne roth wird scheinen und der Thau verfliegt! 

Ein gleicher Gedanke spricht sich in dem Liede: „Der Mordwald" S. 48 ans. 
Welche feine Beobachtung zeigt das Lied: „Stadthailerspruch", in welchem ein 
Madchen vom Stadlhaller von Astrachan Gerechtigkeit fordert, nach dem Gesetze, 
gegen einen Burschen, der sie verführte und dann verlachte. Der Stadlhaller er- 
wiedert auf ihre Klage: „Bist Du seiher nicht, junges Mägdelein, — Bist Dn 
selbst nicht schuldig? — Nicht vor seiner Zeit, vor der Stunde nie — Scheint 
das liebe Sönnchen: — Ohne Lockung stellt auch ein wackerer Bursch — Nim- 
mer nach dem Madchen. " — Selbst der Geist der Freiheit, der Widerstand 
gegen Bedrückung von Oben spricht sich im Volksliede aus; so z. B. im folgenden: 

Bnrlackenrache*). 

Tiefer ab dem Strome, denn die Stadt von Sarotow, 
Höher auch am Ufer, als die Sladt von Zarizin: 
Kam Kami sehn ika, die Mutter, her in engem Fluss, 
Führte mit sich beiderseitig Uferrander steil, 
Steile Ufer, holde Ufer, Wiesenmatlen grün, 
Nieder in die Muller Wolga mündet sich die FluÜi. 
Auf Kamischnika, der Mutter auf dem Strome her 
Schwimmen platter Schiffe, welche des Estaulen 00 ) Gut 
Und Burlackenruder sitzen in den Schiffen viel: 
Alle Tapfere der Wolga, und Burlacken all'; 
Alle tapfer, wohlgekleidct, wie es sich gebührt, 
Trugen kleine Zobelmülzen, reich verbrämt mit Sammt, 
Festliche Kaftane, schöne, aus Damast genaht, 
Kittel auch von feinem Linnen, voll von Schnurbesatz, 
Seidenhemden, die mit Tressen rings herum benäht; 
Alle Burschen hatten Stiefeln an von Safian. 
Wie sie ruderten, so sangen sie aus voller Brust 
Bei dem Werder in der Wolga hielten stille sie: 
Dein S lad Ih alter zu begegnen, harrten sie allda; 
Den Stadlhaller sie erharrten, den von Astrachan. 
Und die tapfern Burlacken hoben also an: 
Dorlen auf den Wassern tauchet Weisses ferne auf: 
Des Stadthalters Flagge ist es, die uns dort erscheint, 
Die wir lang* erwarten, bringet dort ihr bös Geschick. 
Der Stadlhaller schöpfte Argwohn, der von Astrachan: 
0 Ihr tapfern Burlacken, freie Leute Ihr! 
Nehmet hin der goldenen Schatze so viel Euch beliebt, 
Nehmt die buntigen Gewände, mein Stadthalterkleid. 
Nehmt die Wunderdinge, alle über Meer gebracht, 
Nehmt diesen hellen Reichthum hin von Astrachan. 
Und die tapfern, freien Leute ihm antworten drauf: 
Deine goldene Schätze gelten bei uns nicht viel 
Nicht viel gellen die Gewände, dein Stadthalterkleid, 



•) Die Matrosen der Wolga. 

ünterhäoptling der Kosaken. Ataman, der Oberbau ptling. 



Digitized by Googl 



SO? 



Nicht viel gelten uns die Wunder über Meer gebracht, 
Nicht viel gilt dein heller Reichthum uns von Astrachan. 
Für uns ist nur von hohem Werth dein freches Haupt. 
Und sie schnitten dem Stadthaller ab das freche Haupt; 
Und es spotteten die Wackern ihres Feindes drauf: 
Strenge wärest du Stadthalter, strenge stets mit uns. 
Hast geschlagen und verbannet und verdorben uns, 
Hast erschossen auf dein Thore unser Weib und Kind. 

Die Poesie in allen diesen Gesängen ist schlicht und einfach, wie im cchlen 
Volksliede; die Bilder und Gleichnisse aus der zunächst gelegenen Natur genom- 
men und darum desto wahrer und treffender; der Reim ist nicht streng durchge- 
führt, besonders in den alleren. Der Verf. bemerkt über denselben S. VI.: „Die 
ältesten russischen Lieder sind reimlos, klingen aber desto öfter auf denselben 
Selbstlauter an, und kommen in dieser Art den spanischen Liedern nahe. Reim- 
spuren finden sich beinahe nur wie zufällig in den spätem Liedern, bis erst in 
der neuesten Zeit die Russen von den Polen reimen gelernt, welcher Reim dann 
auch in den neuesten Liedern durchgängig die Schlussworte jeder Zeile zieret. 
Die kleinrussischen (ukrainischen oder Kosaken-) Lieder sind eben so wie die 
polnischen, wenigstens ältere und neuere, gereimt, und haben wohl zu Zeiten An- 
klänge der Selbstlauter oder völlig reimlose Stellen, wie wir dieses auch in unsern 
deutschen Volksliedern finden. Nur die allerälteslen entbehren ebenfalls des Reimes, 
so dass man auf die Vcrmulhung kommen könnte, die slawischen Völker hätten sich 
diesen Wortzusammenklang im Umgange der germanischen Stämme angeeignet. " 

Die letzte Behauptung ist geradezu lächerlich; wir unserer Seits sind wenig- 
stens nicht im Stande, zu begreifen, auf welche Weise der echte Moskowite (wir 
meinen den im Gouvernement Moskwa) oder gar der weiter nach Osten wohnende 
russische Bauer, und dieser ist der Verfasser des grössten Theiles der Volkslie- 
der, den Reim „im Umgange der germanischen Stämme" sich angeeignet haben 
könnte. Dem Deutschen mochte es wohl ein Bedürfniss sein, den Reim aus der 
Fremde zu holen; der Geist der slawischen Sprache aber, und vor allem der 
russischen, in welcher ganze Reihen von Wörtern einerlei Ausgänge haben, in 
welcher man einen männlichen Reim in Hunderten von Wörtern findet und in wel- 
cher ein dreisylbiger Reim (in Amphibrachien und Anapästen) keine Seltenheit ist, 
leitet das für Wohlklang und Harmonie empfängliche Ohr unwillkührlich zu die- 
sem Vorzöge in der poetischen Form, den sich andere Sprachen nur allmählig 
und mit grosser Mühe erringen konnten. Gerade der Reim mit allen seinen Ver- 
zweigungen, wie der Assonanz, der Alliteration und dem Worteinklange ist es 
ja, welcher neben den andern Eigenthümlichkeilen es so schwer, ja fast unmög- 
lich macht, so manches echt slawische Gedicht in einer andern Sprache ganz und 
vollkommen, in Materie und Form, wieder zu geben. — Die Melodien bilden 
mit dem Volksliede ein unzertrennliches Ganze; ohne diese hat dasselbe die volle 
Hälfte seiner Schönheit verloren. Desto dankbarer müssen wir daher dem Verf. 
sein, dass er seine Uebersetzungen so „zusammengepasst" hat, dass sie „gleich 
nach der Urweise gesungen zu werden" geschickt sind. Nur hätten wir dann 
freilich gewünscht, dass der Verf. diese Urweisen uns mitgelheilt hätte, so weit 
dies nämlich nach den ihm vorliegenden Materialien möglich war. Ueber den 
Charakter dieser Melodien spricht sich der Verf. S. VII so aus: „Was die Wei- 
sen dieser Lieder anbelangt, so spricht sich in dem russischen das Gefühl einer 
tiefen Schwennuth, einer ergreifenden Klage aus, die nur im einzelnen durch den 
strengsten Takt in einen eben so rauschhaften als berauschenden Taumel über- 
geht. Dabei entfernen sich die Weisen in ihren Uebergängen weit von den uns 
befreundeten Arten, und verlieren sich oft in wilden, schneidenden und doch wie- 
der geistreichen Ausweichungen. " 

„Die kosakischen Weisen lieben den Wechsel der verwandten harten und 
weichen Tonarten, welche sich seltener der tiefen russischen Schwennuth, dem 

Slaw. Jthrb. I. 28 

Digitized by Google 



»08 



trostlosen Schmachten, eher dem innigen deutschen Sagentone, am ineisten der 
polnischen Heiterkeit nahern. Die polnischen zuletzt sind das in dem slawischen 
Kranze, was die österreichischen im deutschen sind: Lieder der Heilerkeit und 
der Lebenslust, die wohl dann und wann in Eintönigkeit und Flachheit ausarten." 

Was die Uebersetzung anbelangt, so hat der Yerf. nach seinen eignen Wor- 
ten „mit der grössten Sorgfall alle Maasse getreu nachgebildet, jede Reimslel- 
lung nachgeahmt und jede Tonweise bei der Feststellung des Maasses mit den 
Worten verglichen." Zum Vergleiche geben wir noch ein Lied, das sich auch 
bei Wolfsohn vorfindet: 



Waldbrühl. 

Brause nicht, o Mutter Eichenwaldung, 
grüne du! 

Störe nicht in den Gedanken deinen 

wackern Sohn: 
Denn es gehl der wackre Junge morgen 

vor Gericht, 
Vor den strengen Richter geht er, vor 

den Zaren selbst 
Und wenn nun der allgewall'ge Zar 

mich fragt: 
„ Sage an mir, sprich Du Bursche, sprich 

Du Bauernsohn: 
„Sag' mit wem hast Du gestohlen? sag' 
mit wem geraubt? 
Und wie viel der Spiessgesellen hast 
Du wohl gehabt?" 
Dann sag' ich dir, unsre Hoffnung, dir 

rechtgläub'ger Zar! 
Ich bekenne dir die Wahrheit, reine 

Wirklichkeit. 
Engverbund'ner Spiessgesellen waren uns- 
rer vier: 

Ja mein erster Spiessgeselle war die 

finst're Nacht, 
Und der zweite Spiessgeselle hier mein 

scharfer Dolch, 
Dann der dritte Spiessgeselle war mein 

gutes Ross, 
D rauf der vierte Spiessgeselle hier mein 

Bogen stark. 
Meine flinken Laufer aber Pfeile, stahl- 
bewahrt. — 
Also spricht dann unsre Hoffnung, der 

rechlgluub'ge Zar: 
„ Wohl gesprochen so, Du Bursche, wohl 

Du Bauernsohn! 
„ Wusslest Beides, gut zu stehlen, zu ant- 
worten auch. 
„Will mein wackrer Knabe, deshalb 

auch belohnen Dich; 
„Für Dich steht in freiem Felde gar 
ein hohes Haus, 
Von zwei Pfählen aufgebaut, ein Quer- 
balken drauf." 



W olfsohn. 

Rausche nicht Väterchen, du grüner 
Eichenwald ! 

Störe mich wackern Jüngling nicht in 
den Gedanken mein; 

Morgen muss ich wackrer Jüngling zu 

dem Verhöre gehn, 

Vor den gestrengen Richter, vor den 
Zaren selbst. 

Wird der Herr und Zar wohl also be- 
fragen mich: 

Du sage mir, Kindchen, sage Du Bauern- 
sohn : 

Mit wem doch hast Du gestohlen, mit 
wem geraubt? 

Waren noch viel der Gefährten mit 
Dir? 

Ich will dir sagen, du Hoffnung, recht- 
glaubiger Zar, 

Alles bekenn 1 ich getreu dir, die Wahr- 
heit ganz: 

Wohl der Gefährten halt' ich noch viere 
bei mir. 

Mein erster Gefährte, das war die finstre 
Nacht, 

Und mein zweiter Gefährte — das Mes- 
ser von Stahl, 

Und mein dritter Gefahrte — mein wack- 
res Ross, 

Und mein vierler Gefährle — der Bo- 
gen straff, 

Meine Bolen das waren die Pfeile 
hart. 

Alsdann spricht die Hoffnung mein, der 
rechtgläubige Zar: 

Brav gemacht, Kindchen, brav Du Bauern- 
sohn! 

Wusstesl stehlen zu gehn, wusstest Rede 
zu steh'n; 

Dafür will ich Dich, Kindchen, beschen- 
ken auch, 

Millen im Felde mit hohem Holzge- 
bau — 

Mit zwei Pfählen und einem Querbaiken 
dran. 



Digitized by Google 



209 



5. Denkschrift des Obcrpräsidenten Herrn Flottwell. 

Ueber die Verwaltung des Grossherzogthum Posen, Tom December 
1830 bis zum Beginn des Jahres J841 , nebst dem demselben Seitens mehrerer 
Einwohner des Grossherzoglhum Posen erthcilten Antwortschreiben. Sirassburg. 

Ueber diese merkwürdige Schrift machten sich die verschiedenartigsten An- 
sichten kund, sobald e3 einmal in einem freilich nur engen Kreise und immer nur 
fragmentarisch bekannt geworden war. Die Bewohner des Grossherzoglhums, wel- 
che dabei zunächst betheiligt waren, so wie die ganze polnische Bevölkerung 
Preussens, welche in demselben eine Darstellung der Grundsätze finden zu können 
glaubte, nach welchen ihre Nationalsache von der Regierung oder doch wenig- 
stens von einem wichtigen Theile derselben behandelt wurde, waren höchst begie- 
rig auf das Aktenstrick. Der polnischen Nationalpartei lag es besonders am Herzen, 
die Denkschrift in ihrem Urtexte zu bekommen. Auf welchem Wege diess geschchn, 
ist uns unbekannt; doch können die Schwierigkeiten nicht allzugross gewesen sein, 
denn das dem Hrn. Flollwell in Folge dessen erlheilte Antwortschreiben ist vom 
19. Juni 1841 datirt, während die Denkschrift selbst am 15. März 1841 unter* 
zeichnet ist. Wir überheben uns jedes Unheils über dieses Buch und nehmen nur 
der Reihe nach die wichtigsten Satze aus demselben heraus. I. Herr Flottwcll 
versieht die der Verwaltung der Provinz gestellte Aufgabe dahin: „Ihre innige 
Verbindung mit dem preussischen Staat dadurch zu fördern und zu befestigen, 
dass die ihren polnischen Einwohnern eigentümlichen Richtungen, Gewohnheiten, 
Neigungen, die einer solchen Verbindung widerstreben, allmählig beseitigt, dass 
dagegen die Elemente des deutschen Lebens in seinen materiellen und geistigen 
Beziehungen immer mehr in ihr verbreitet, damit endlich die gänzliche Vereini- 
gung beider Nationalitäten als der Schluss dieser Aufgabe durch das entschiedene 
Hervortreten deutscher Kultur erlangt werden möge. Das Gesammlwohl des Staa- 
tes macht die Verfolgung dieses Zieles zur Notwendigkeit, und wenn dabei Er- 
innerungen und Gefühle eines Theils der polnischen Einwohner verletzt werden: 
so liegt die Beruhigung (?) hierüber in der Ueberzeugung, dass die Provinz da- 
bei in allgemein menschlicher Hinsicht gewinnt (?) und dass die Geschichte all- 
mählig alle ( ! ) Völker aus den Schranken früherer und noch bestehender Tren- 
nungen solchen Umwandlungen und neuen Gestaltungen entgegenführt." 

„Die schonendste Berücksichtigung aller — Eigen thümlichkeiten des polnischen 
Volksstammes — gebietet schon die Klugheit. — Am kräftigsten und zugleich 
willkommensten fördert die Zwecke des Staats die Sorge für die materiellen oder 
wenigstens von der Mehrzahl als materiell aufgefassten Interessen der Provinz (in 
der Thal sehr materiell gedacht). — Die Vermehrungen der Unterrichts - und 
Bildungsanstalten erschienen auch dem dunkeln Gefühl des Landmannes als eine 
wohlwollende Fürsorge der Regierung (wären die Anstalten zweckmässig genug, 
so hälle dieses dunkele Gefühl im Verlaufe eines Vierteljahrhunderls schon klar 
werden können!); mit der Zunahme seines materiellen Wohlgefühls und der Erwei- 
terung seiner freien Thätigkeit begreift er immer mehr die Unenlbehrlichkeit je- 
ner Anstallen und so öffnen sich der deutschen Bildung wie von selbst (so? hat 
nicht der Staat in dem polnischen Lande die Schulen deutsch eingerichtet?) im- 
mer mehr Zugänge zu dem Ideen - und Empfindungskreise der Einwohner. — 
So wie bei der allmähligen Beschränkung der wiederstrebenden Elemente jeder 
Schritt über die nächste Notwendigkeit und Möglichkeit hinaus bedenklich 
erscheint, so ist jedes Schwanken in den Verwaltnngsgrundsätzen verderblich. 
Denn bei den polnischen Einwohnern erregt es den Argwohn der Absicht, durch 
wirkliche oder scheinbare, freiwillige oder abgedrungene Nachgiebigkeit ihre Zu- 
neigungen gewinnen, gleichsam erkaufen zu wollen. Was durch Bevorzugung der 
polnischen Einwohner erreicht wird, haben die Erscheinungen in dieser Provinz 
während der Revolution im Königreiche Polen gezeigt; diese selbst (!) hat ge- 
lehrt, dass den unzufriedenen Thcil der Einwohner keine Zugeständnisse oder Be- 



Digitized by Co 



210 



günsligungcn befriedigen, weil eine vollkommene, unbeschränkte , nationale und 
politische Selbstständigkeit verlangt wird. (Welches iniigen wohl die Zugestünd- 
nisse und Vergünstigungen der Polen gewesen sein?) Des Gouvernements würdig 
(wir glauben ganz unwürdig, weil Täuschung) und desshalb angemessen (d. i. 
politisch klug) erscheint es mir dagegen, offen den Grundsalz auszusprechen 
und zu befolgen, dass die Provinz dem deutschen Elemente keineswegs verschlos- 
sen, dass sie vielmehr ihm, als dem Lebenseleinente des Staats und schon eines 
guten DriUheils der Provinz selbst, geöffnet, und dass seine Ausgleichung mit dem 
Polnischen ohne Eingriffe ungerechter Willkühr dem Entwickelungsprocess der Ge- 
schichte überlassen werden soll. — Allerdings wird eine solche Offenheit der 
Landesregierung nicht die Neigung der jetzt ihr widerstrebenden Einwohner ge- 
winnen, — dagegen werden diejenigen Maassregeln nur zum Ziele führen, welche 
allen Einwohnern derselben Achtung abnöthigen, und diese wird nicht gewonnen, 
wenn die Vermuthung entstehen kann, die Regierung verfolge Zwecke, welche 
offen auszusprechen ihr der Muth fehle. 

Entschieden feindselig steht dem Gouvernemeut der grössere Theil des katho- 
lischen Clerus und des polnischen Adels entgegen. — Im Allgemeinen fehlt den 
katholischen Geistlichen sowohl alle feinere gesellschaftliche, als eine gründliche 
gelehrte Bildung. — In der That gemessen die Geistlichen in den untern Volks- 
klassen nur ein sehr bedingtes Ansehn. Innerlich zu trage und von aussen, zu- 
mal in ihrer nächsten Umgebung, zu wenig angeregt, überdiess in der Mehrzahl 
geneigt zu sinnlichen Genüssen, welche dem Volke nicht verborgen bleiben, be- 
mühen sie sich selten, durch wahrhaft treue Erfüllung aller ihrer Pflichten als 
Seelensorger und Aufseher der Schulen, die Achtung ihrer Gemeinden zu gewin- 
nen. Dagegen richten sie, enlblösst von jedem höheren Interesse, ihre Neigung 
zu Intriguen und ihren Hass gegen das Gouvernement, von welchem die Bildung 
des Volkes ausgeht, und von welchem ihre eigene Bildung gefordert wird. Um 
aber für diesen Widerwillen gegen die wellliche Behörde und gegen alle geistlichen 
Forlschrille einen breitern Stützpunkt zu gewinnen , kleiden sie ihn in die Farbe 
der polnischen Nationalität, und verlheidigen hartnäckig und mit allen Künsten und 
Waffen scheinbar die Seele des Volks, während sie nun sich und ihrem Stande die 
Prägorative einer allen Zeit wieder gewinnen möchten. Ich habe daher — durch 
eine angemessene wissenschaftliche Ausbildung der jungen Theologen dieser Rich- 
tung und Gesinnung (!) entgegen zu wirken getrachtet." — Auf seine Vorschläge 
ist durch die Ordre vom 31. März die Sekularisation der sämmtlichen Klöster der 
Provinz und die Verwendung der hieraus zu gewinnenden Einkünfte und einer 
jährlichen Unterstützung von 21,000 Thlrn. aus der Staatskasse „zur Verbesse- 
rung des Schulwesens und der Bildungsanstalten für die katholische Geistlichkeit" 
anbefohlen worden (also nicht weil es die Bedürfnisse des Volkes und der gei- 
stige Zustand des Clerus erheischte, sondern um seinen antigermanischen Einfluss 
zu hemmen und so wieder ein Hemmniss der Entnalionalisirung aus dem Wege zu 
räumen). Es sind zwei neue Gymnasium, ein katholisches Schullehrerseminar und 
zwei Alumnale für katholische Theologen gegründet und die katholischen Anstal- 
ten in Posen und Chowen gänzlich umgestaltet worden. — „Der grössere Theil 
der vorher bezeichneten Anstalten hat seinen wissenschaftlichen Zwecken bisher 
entsprochen; wie weit sie dazu beilragen werden, eine festere Anschliessung der 
Provinz an den preussischen Staat zu begründen und zu befördern, inuss man er- 
warten." (Der damalige Herr Oberpräsident versteht unter dieser Anschliessung 
natürlich die Germanisirung und sieht es als eine Pflicht der Dankbarkeit der 
katholischen Geistlichkeit au, dass sie ihre Nation verralhe). Die nächste Ein- 
wirkung des Clerus hat sich auf die polnischen adeligen Frauen und auf die Er- 
ziehung der adeligen Jugend erstreckt, deren letzterer „verderbliche Richtung ' zu 
Tage liege. Unter den polnischen Guisbesitzern und Edelleulen unterscheidet Herr 
Floltwell 1) die Bejahrten und Reichbegüterten, welche der Regierung geneigt 
sind, aber zu wenig Muth haben, dies zu zeigen; 2) diejenigen, weiche „an der 



Digitized by Google 



«11 



polnischen Revolution einen unmittelbaren Antifeil genommen haben und sich Iheils 
durch einen irregeleiteten Patriotismus und theils durch Eitelkeit (also keiner aus 
Grundsatz ?) zu Koryphäen der polnischen Nationalität berufen halten." 3) „Die 
noch nicht angesessenen — Söhne der Gutsbesitzer, die Pächter oder Besitzer 
kleiner Güter, so wie die dem Banquerott nahen oder darein verfallenen Gutsbe- 
sitzer." Der Verf. nennt diese „sehr zahlreich", „vagabondirend", „in Kassinos 
sich herumtreibend", „ revolutionäre Schriften aus Frankreich lesend", „rein de- 
mokratisch affeklirend", durch beispiellose Libertinität imponirend." — „Es leidet 
gar keinen Zweifel (Herr Flottwell ist der Oeffenllichkeit schuldig, die Beweise 
dafür zu liefern, sonst hat er eine ganze, ihrem Könige treu ergebene Nation vor 
demselben ungerecht angeklagt), dass unter ihnen eine Verbrüderung besteht, welche 
von einzelnen Häuptern geleitet wird und das Benehmen der besser (d. i. deutsch) 
gesinnten Polen förmlich überwacht, so dass jede Annäherung der letztern an die 
deutschen oder die höhern Beamten gleich bekannt und auf das schärfste gerügt 
wird. Von diesen Leitern gehen daher, jedoch unter einem andern Namen, die 
Beschwerden über die Regierung wegen angeblicher Beeinträchtigung ihrer Natio- 
nalität und alle gehässigen Oppositionen gegen dieselbe aus. — Es liegt ihnen 
am meisten daran, eine Unzufriedenheit und Opposition gegen die Regierung zu 
beleben und zu unterhalten. — Nur Krieg gegen die bestehende Ordnung und 
Umsturz aller Einrichtungen und Anstalten, wodurch diese Ordnung und ein ge- 
setzlicher Zustand gesichert werden soll, ist ihre Loosuug." — „Es ist einleuch- 
tend, dass einem aus solchen Mitgliedern bestehenden Adel das innige Vertrauen 
nicht gewährt werden kann, auf welches er sonst Ansprüche zu inachen hätte." 
Um ihm seinen Einfluss zu benehmen, wurden auf Betrieb des Oberpräsidenten 1836 
Distrikts -Commissarien für die polizeiliche Verwaltung angestellt. „Diese Ein- 
richtung hat zwar ihre unverkennbaren Schaltenseilen, indem die damit verbun- 
dene Vermehrung des besoldeten Beamten -Personals die Selbstständigkeit und 
Selbstthätigkeil der Gemeinden und Ortsbehörden zu lähmen und statt eines leben- 
digen und kräftigen Gemeindelebens den Beamten -Despotismus zu befördern droht. 
Doch hat sich dieselbe bisher noch als zweckmässig bewährt (freilich! der Beam- 
ten -Despotismus vernichtet ja das polnische Gemeindeleben und bringt doch die 
deutschen Beamten zur Macht.) — Die Wahl der Landräthe steht jetzt den Re- 
gierungen zu; diese Maassregel soll noch fortdauern, denn die Kreisstände wür- 
den nur die früher unter Nr. 3 rubricirten Individuen wählen. — Höchst wich- 
tig ist folgende Stelle: „Um die Zahl der intelligenten und zugleich in ihrer 
politischen Gesinnung zuverlässigen Rittergutsbesitzer in dieser Provinz zu ver- 
mehren, haben des Höchstseeligen Königs Majestät durch die Allerhöchste Cabi- 
nelsordre vom 13. Marz zu befehlen geruht, dass von den zur Subhaslalion ge- 
langenden grösseren Besitzungen die zur Wiederveräusserung sich vorzugsweise 
eignenden für Rechnung des Staats angekauft und — an wohlhabende intelligente 
und wohlgesinnte Erwerber deutscher Abkunft wieder veräussert werden sollen. 
Diese, in jeder Beziehung zweckmässige (aber weder gerechte noch humane) Maass- 
regel ist auch bisher in Ausübung gebracht; es sind dadurch der Provinz etwa 30 Rit- 
tergutsbesitzer deutscher Abkunft gewonnen worden" und zwei Herrschaften stehen 
noch zur Veräusserung offen. Der Forlsetzung dieser Operation steht von keiner 
Seite ein Hindcrniss entgegen. Hierauf werden die Bemühungen zur Gründung eines 
tüchtigen (natürlich: deutschen) Bürgerstandes und zur Wiedererweckung derTuch- 
manufaktur dargestellt. „In den meisten Landschulen wird die polnische als Haupt- 
unterrichtssprache, die deutsche aber nur als Gegenstand benutzt und getrieben, so 
dass von einer Unterdrückung oder auch nur Beeinträchtigung (?) des polnischen 
Idioms (.'also keine Sprache?) nirgends und am wenigsten in denjenigen Gegenden, 
wo dasselbe unlerdem Volke vorherrscht, die Rede ist." Ueber das Kirchenwesen 
lasst sich Hr. Flollwell dahin vernehmen, dass die evangelische Kirche immer noch 
sehr geringe Fortschrille macht. Als Hauplgegenstand seiner amtlichen Thätigkeit 
bezeichnet der ehemalige Obcrpräsidenl die Vermehrung und die Erleichterung des 



Digitized by Go* ^ 



Verkehrs; die malerieüen Bedürfnisse des Landes scheint er Oberhaupt am besten 
aafgefasst zu haben, während ihm die geistigen rein unverständlich blieben. Bei 
allen diesen Grundsätzen hofft Hr. Flottwell zum Scblnss, seinem Nachfolger werde 
es gelingen, die Polen zu überzeugen, dass sie in ihrem neuen Vaterlande „ein Asyl 
gefunden haben, welches jeder adelgeistigen Regung, so wie jedem vernünftigen 
Streben nach der Verbesserung ihrer äussern Zustände eine freie Entwickeln ng 
sichert, uud zugleich ihrer, mit dem gemeinsamen Wohl des Staats nur irgend 
vereinbaren natiooellen Eigentümlichkeit Schulz und Pflege gewährt" 

II. Das dem Oberpräsidenlen vom Volke der Denkschrift ert heilte Antwort- 
schreiben behauptet im Eingange, „der Herr Oberpräsident habe die Schrift ab- 
sichtlich einigen Leuten mitgelheilt, damit die Polen seine Gesinnung gegen sie 
kennen lernten." — Dann heisst es weiterhin: „Ueber die, allen schlagen- 
den Thalsachen zum Trotz, so lange und so oft abgeläugnete Gennanisirungs- 
tendenz kann fortbin kein Zweifel, kein Streit mehr obwalten, nachdem Sie 
erklärt haben, dass Sie die den polnischen Einwohnern eigentümlichen Rich- 
tungen, Gewohnheiten (u. s. w. — wie oben im Eingange bis — Kultur) ver- 
nichten wollten, auf die Gefahr hin, Erinnerungen und Gefühle der polnischen 
Einwohner — wie Sie meinen, nur eines Theils derselben, zu verletzen; ja auf 
die Gefahr in Widerspruch zu geralhen mit der eigenen Lehre, „dass die Aus- 
gleichung des deutschen Elements mit dem polnischen ohne Eingriffe ungerechter 
Willkühr dem Entwickelungsprocesse der Geschichte zu überlassen isL" Was an- 
ders ist der langen Rede kurzer Sinn, als dass das Polnische im Deutschen unter- 
gehen soll? Dass das Gesammtwohl des preussischen Staates die Verfolgung die- 
ses Zieles zur Nolhwendigkeit mache, behaupten Sie zwar, um Ihr Wirken mit der 
Aegide des Salus publica suprema lex esto zu decken , den Beweis dafür sind Sie 
aber schuldig geblieben, dürfen es uns also nicht verargen, dass wir uns erlauben, 
Ihre Ansicht nicht zu teilen. -— Möchten Sie es läugnen wollen, dass Sie sich 
auch über die Möglichkeit hinaus verstiegen, nachdem Ihr ganzer Bericht nur ein 
ununterbrochenes Gesländniss ist von der Vergeblichkeit Ihres Bemühens, die be- 
absichtigte Vereinigung zu Stande zu bringen, dass Ihnen kein anderer Trost 
bleibt, als die Ausführung und das Gelingen Ihrer Pläne Ihren Nachfolgern im 
Amte zu tiberlassen, nachdem eben Sie es denselben unendlich erschwert, wo 
nicht unmöglich gemacht haben? — Ihre Anklagen gegen uns tragen es an der 
Stirn, dass Sie damit nur Ihr Verfahren entschuldigen wollen; denn Jedermann 
weiss, was er aus dem Bedürfnisse solcher Entschuldigungen zu folgern hat So 
wird also Ihre Anklage gegen uns in Ihrem Munde zur Selbstanklage." — Der 
Widerwille der ganzen Nation gegen den Oberpräsidenten ist: „der Ausdruck der 
entschiedensten öffentlichen Meinung." — „Wie? wer im Laufe so vieler Jahre 
(48 J.) im Besitze der Macht war, sollte nicht auch die Mittel gehabt haben, 
uns seine wohlwollenden Absichten durch die Thal zu beweisen? Hat er es nicht 
gethan, so hat er es nicht gewollt — Unmöglich verharrt in unserem Zeitalter 
eine ganze Bevölkerung ein Vierlei, ja ein halbes Jahrhundert lang in eigensinni- 
ger Verblendung gegen wesentliche Vortheile, überwiegende Güter. — Wenn Sie 
dieselbe Hand, mit welcher Sie uns Ihre Wohllhaten darreichten, unzart an die 
Heiligthümer des Volkes legten, an seine nationalen Gefühle, an seine Erinnerun- 
gen, an seine Sprache; wenn Sie unter ruhmrediger Erhebung Ihres Schulwesens, 
durch dessen innere Einrichtung, namentlich durch Einführung eines fremden Idioms 
als Unterrichtssprache, der Jugend ihre Ausbildung erschweren und verleiden, um 
sie dann zu tadeln ; wenn Sie sogar das religiöse Element nicht verschonten, in jeder 
Beziehung die Nation in den Individuen und im Ganzen in ihren Eigentümlichkeiten 
und ihren Sitten geringschätzig und zurücksetzend behandelten; wenn diesem Bei- 
spiele auch die übrigen, höheren und niedern Beamten gefolgt sind , die aus andern 
Gegenden des Staates herangezogen , statt eine wohltätige Vermittelung zwischen 
dem Lande und der Regierung zu bilden , was nur Stammgenossen können werden, 
dasselbe im feindlichen Sinne behandelten, und dazu beitrugen, durch die unleidlich- 



Digitized by Google 



213 



ste politische Intoleranz die Regierung bei dem Volke unbeliebt zu inachen; wen, 
sagen Sie, trifft unter diesen Umstanden die Schuld des Missyergnügens, die Regier- 
ten oder die Regierenden, uns oder Sie?" — Das beweiset das Zunehmen jenes 
Missvergnügens. „Ja es war 1806 nicht so gross, als es sich seit 1815 zeigte; es 
halle bis 1830 merklich zugenommen, und um wie viel tiefer gewurzelt haben 
Sie es verlassen, als Sie es vor zehn Jahren fanden. So haben also Sie die 
Aufgabe, unsere innige Verbindung mit dem preussischen Staate zu fördern, durch 
die von Ihnen angewandten Mittel gelöst, dass Sie am Ende Ihrer Laufbahn von 
Ihrem Ziele weiter entfernt sind als am Anfange. — Dass wir bei dem uns 
zugedachtem Untergange in allgemein menschlicher Hinsicht gewinnen sollen, 
ist vor Gott und Menschen eben so gewiss unwahr, als es ein schlagender 
Beweis Ihrer Verblendung ist. — Also Sie halten sich und Ihren Volksstamm 
in menschlicher Hinsicht für etwas Vorzüglicheres. — Sehen Sie, diese Ver- 
blendung ist die Quelle aller Ihrer politischen und moralischen Sünden gegen 
uns. — Die deutschen Einwohner der Provinz sollen deutsche Bildung und ein 
Leben in deutscher Weise als ihr gutes Recht in Anspruch nehmen; aber die 
zwei Drillheile, oder richtiger die drei Vieriheile Polen, haben sie kein Rechl auf 
nationale Bildung und ein Leben in ihrer Weise? — Und die den frühem Einwan- 
derern gefolgt sind, Sie selbst nicht ausgenommen , hat sie unser oder ihr eigener 
Nutzen hergeführt? Sind Sie, Herr Oberpräsident, aus Liebe zu uns oder zu 
Ihrem Amte in diese „Verbannung" gegangen? — Sie haben mithin die gesetz- 
liche Verpflichtung, die Nationalität der Polen unangetastet zu lassen. — Wenn 
daher in Polen Deutsche sich polonisirten , so geschah es freilich ohne Eingriffe 
ungerechter Willkflhr. Wenn Sie aber in dem mit Polen bevölkerten Lande durch 
Schulen, Behörden und Beamte, um jeden Preis die deutsche Sprache verbreiten; 
wenn Sie mit Staatsfonds polnische Gutsbesitzer auskaufen und Polen von der 
Acquisilion solcher Güter ausschliessen , ja Polen und Katholiken nicht einmal 
zu partiellen Bauerngütern zulassen, so sind das Eingriffe dieser Art. — • 
Haben Sie uns im eigenen Lande auch nur das gewährt, was in Ihrer Heimath 
fremde Flüchtlinge des siebzehnten Jahrhunderts noch bis auf den heutigen Tag 
haben?" — Das Gesammlwohl des preussischen Staates soll dies fordern. — 
„Würden wir, wenn wir die heimalhlichen Erinnerungen und Traditionen in Ehren 
gehalten sähen und in unserer Lage uns heimisch fühlten, das Provinzialinleresse 
mit dem Interesse der Monarchie, in deren mächtigem Schutze wir uns behaglich 
entwickeln durften, nicht sicherer identificiren, als in dem gegenwärtigen Heloten- 
stande und bei der systematischen Nivellirung aller, auch der unschädlichsten 
Ueberreste der Vergangenheit. Ist es also recht, ist es weise, dass solcherge- 
stalt unser materielles und geistiges Wohlsein, dass der wahre Gewinn der Mo- 
narchie dem einzigen Wohle der Versorgung einiger höheren deutschen Beamten und 
ihrer Bequemlichkeit, sich von der Mühe der Erlernung der polnischen Sprache 
dispensiren zu lassen, geopfert wird? — Der Zuruf von 1815 hat den Posenern 
etwas ganz anderes verheissen; sie können ihn nicht anders verstehen, als sie es 
gegenwärtig thun. Hin. FlotlweU's Aufgabe ist es gewesen, wie er es frei aus- 
zusprechen wagt, Garantien des Occnpations -Patentes „eigenmächtig zu beseitigen 
und zu vernichten " — „Sie denunciren eine Verbrüderung der Missvergnügten un- 
ter einzelnen Häuptern. Thun Sie das im guten Glauben, so beweist das in vol- 
lein Maassc, wie wenig Sie durch ein Decennium den Geist der Einwohner ken- 
nen gelernt haben; aber viel wahrscheinlicher ist auch das nur eine absicht- 
liche Entstellung dessen, was Sie um keinen Preis eingestehn mögen." — — 
In den Seminarien ist die Gerinanisirung der Hauplzweck; ihre Einrichtung macht 
sie jedem polnischen Jünglinge zuwider. „Ist es redlich, uns dem Könige gegen- 
über als Demokralen verdächtig zu machen, nachdem sie uns bei der öffent- 
lichen Meinung in Deutschland durch anonyme Zeitungsartikel als Aristokraten 
haben in Misskredil bringen wollen?" — „Sie stellen Kultur, Bildung, Intelli- 
genz der polnischen Bevölkerung überall in Nachtheil gegen die deutsche. Dass 



Digitized by Google 



»14 



im Stande der Galsbesitzer auf dein jüngsten Landlage die Intelligenz nicht auf 
Seite der Deutschen war, haben Sie schmerzlich an den unbegreiflichen Unge- 
schicklichkeiten Ihrer Anhänger erfahren." — Und nun wolle der Herr Ober- 
präsident seinen Einfluss auch noch fortwirkend erhalten, indem er die ihm vor- 
schwebende Idee seinem Nachfolger ii hermache. So nun schliesst das Antwort- 
schreiben mit folgenden Worten: „Sie wollen, dass wir uns für das alles (die 
höchsten geistigen Güter) durch materielle Vortheile der alltäglichsten Art, durch 
gesteigerten Erlrag der Landgüter, durch Zucht - und Arbeitshäuser, durch Ge- 
werbfreiheit, Kanäle und Chauseen und was dergleichen mehr ist, entschädigt fin- 
den, und sollen um diesen Preis uns selbst und unsere Volkstümlichkeit liefern? 
Wenn wir dieses gemeinen Eigennutzes fähig wären, würden Sie uns nicht in 
eben dem Grade verachten, in welchem Sie uns heule anfeinden? Handeln Sie 
also redlich, Gesinnungen, die Sie ehren müssen, unterdrücken, solche, die Sie 
verachten, hervorrufen zu wollen? Aber Sie thun das nicht als Mensch, sondern 
als Staatsmann. Dürfen Sie den Staatsmann vom Menschen trennen? Darf jener 
thun, was diesem schadet? So gewiss Sie das nicht behaupten werden, so ge- 
wiss wäre es Ihre höchste Pflicht gewesen, das Edlere an uns, was uns erhebt 
und Kraft zu allem Guten und Löblichen giebt, für Preussen zu gewinnen. Sie 
konnten das. Sie haben es verschmäht und vorgezogen, uns zu gemeiner Diensl- 
barkeit erniedrigen zu wollen. Das ist Ihnen nicht gelungen, und hat Ihnen nicht 
gelingen können. Sie haben in Ihrer Denkschrift das peinlichste Bekenntniss ab- 
gelegt, und keine andere Hoffnung, als ein erfolgloses Mühen andern Händen zu 
überlassen. Sie haben hier gearbeitet unter den Qualen ungestillten Verlangens; 
Sie sind von hier geschieden mit dem bitteren Bewusstsein, vergeblich gearbeitet 
zu haben, und von keiner Seite Dank zu erndten." 

Bemerkung. Aus Gründen, die nicht in unserer Macht liegen, konnten wir die an- 
deren, noch prägnanteren Stellen des Buches nicht aufnehmen. Die Red. 

6. Reisebesclireiblillgr ilDer e i» e R e * se nacn Oberitalien und von 
da über Tyrol und Baiern, mit besonderer Berücksichtigung auf slawische Lebens- 
elemente; beendet im Jahre 1841 und beschrieben von Jan Kollar. Mit Beilagen 
und Kupferstichen, so wie einem Lexikon slawischer Maler und Kupferslecher 
aller Stämme seit den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, mit kurzen Biogra- 
phien und Angaben ihrer vorzüglichsten Kunstwerke. Pesth 1843. 

Eins von jenen Büchern, das in mannichfacher Hinsicht interessant und wich- 
tig ist. Der bekannte Verfasser der berühmten „Slawy Dcera", nebst Mickie- 
wiez der grösste unler den lebenden slawischen Dichtern, unternahm die Reise 
theils aus dein innigen Triebe nach historischem Wissen, theils um durch neue er- 
freuliche Bilder slawischen Lebens und slawischer Geislesentwickclung seine Seele 
zu stärken, welche angeekelt durch die täglichen Kämpfe gegen den übermüthigen, 
nicht selten jedem edlen Gefühle hohnsprechenden Magyarismus, einer frischen Be- 
lebung, eines erquickenden Trostes bedurfte, um nicht an sich und an der Mensch- 
heit zu verzweifeln. Ueber seinen geistigen Zustand spricht sich am besten die 
Unterredung aus, welche er den Tag vor seiner Abreise mit dem Inspektor der 
evangelischen Schulen in Ungarn, dem bekannten Grafen Zay, halte und die er 
in der Vorrede initlheilL Der Graf bemerkte, er wünsche besonders jetzt unmit- 
telbar vor dem Kirchenconvenle, dass Kollar (der bekanntlich evangelisch - slowa- 
kischer Prediger in Pesth ist) nicht abreise, damit die Leute nicht sagten, er 
fürchte sich vor dem Convenle, und weil er ihn überhaupt gern dabei zugegen 
sehe. Kollar erwiderte, ihm seien Convenle in ihrer jetzigen wilden Verfassung 
aus ganzer Seele zuwider. „Es gab allerdings Zeilen, fährt er fort, wo ich den- 
selben gern beiwohnte, nun aber habt ihr uns allen Einfluss abgeschnitten und 
alle wirksame Theilnahme an demselben genommen, dadurch dass ihr die magya- 
rische Sprache in dieselben einführtet. Ich habe meine ganze Jugend , mein müh- 



Digitized by Google 



sam erworbenes Hab' and Gut den Schulen, der Akademie, der Theologie, mil ei- 
nein Worte der Religion und der Kirche geopfert: und jetzt, in meinem höhereu 
Alter, wo ich nach dem von Gott mir zugetheilten Talente der Kirche und der 
Religion nützlich sein könnte, wird mir alle Gelegenheit und Möglichkeit dazu 
entrissen. Ihr habt aus uns Slowaken, die wir nicht magyarisch können, blosse 
Figuranten und stumme Zuhörer gemacht. Wer am besten magyarisch kann, der 
ist jetzt der grösste Patriot, und gieht sein Urtheil Uber Religions - und Kir- 
chensachen ab, wenn er auch gar keine Religion hätte. Gott der Allmächtige 
wird über diese Unbill richten; sie ist eine der schmerzlichsten meines Lebens. 
Ich und viele andere mit mir haben das nicht verdient, denn wir haben in unse- 
rer Jugend weder Bedürfniss noch Gelegenheit gehabt, das Magyarische zu er- 
lernen, und jetzt im Aller haben wir dazu weder Zeil noch Lust, noch Befähi- 
gung." Auf die Frage des Grafen, ob er gegen die Union sei, erwidert Kollar: 
„Gegen die Union bin ich nicht, sondern nur gegen den Zeilpunkt und die Art 
und Weise. Zu einer religiösen Vereinigung ist gegenwärtig in unserm Valer- 
lande der Zeitpunkt ganz ungünstig; denn die Nationalfrage beschäftigt und rüt- 
telt gegenwärtig Aller Gedanken auf, und hat zwischen den Partheien Misstrauen 
erzeugt. Die Slowaken sind der Meinung, dass die evangelischen Magyaren im 
Gefühle ihrer geringen Anzahl und Schwäche mit den Calvinisten, die fast alle 
reine Magyaren sind, nur deshalb sich uniren wollen, damit sie so mit verein- 
ten Kräften desto stürmischer sich auf die Slowaken stürzen und mit desto siche- 
rerm Erfolge sie magyarisiren könnten. Die Art und Weise aber, wie man die 
Union zur Sprache gebracht, war darin fehlerhaft, dass der Graf selbst auf ei- 
gene Hand ohne Berathung mit der Kirche und den Senioraten die Sache in An- 
regung gebracht hat, und das noch an dem allerunglücklichslcn Orte, nämlich in 
den politischen Zeitschriften; d. h. miscere sacra profanis und die Perlen in den 
Kotb werfen; geschweige davon, dass der Herr Graf selbst unser slowakisches 
Volk schwer verletzt haben, theils in Ihrer Rede bei Ihrer Wahl und Installation, 
theils in magyarischen Zeitungen, theils durch Verfolgung slowakischer Institute 
und Lehrer an evangelischen Schulen, besonders aber durch Ihre unrühmlichen 
Intriguen gegen den Pressburger Lehrstuhl." Und weiter unten heisst es: „Die 
Kirche ist uns fast gänzlich aus den Händen gerissen und den Advokaten hinge- 
geben; in schlimmere Hände aber hätte sie wohl niemals kommen können. Das 
l'apstthum war drückend, viel drückender aber ist diese Metzelei in der Kirche." 
Der Verf. behauptet dann, „dass auf dem Wege der Convente für die Kirche und 
Nationalität schon alles verloren sei und dass hier weder für die eine, noch für 
die andere Hülfe und Rettung blüht." — Der Verf. bereiste zuerst Südungarn 
jenseits der Donau und Illyrien, von da ging er in die Lombardei und nach Mai- 
land, begab sich dann nach Tyrol und Baiern und kehrte über Wien nach Hause 
zurück. Unter den mannichfaltigen Schilderungen, welche der Verf. anbringt, ist 
des Interessanten und Lehrreichen so viel, dass wir keineswegs im Slande sind, 
selbst nur das Wichtigste davon anzugeben. Einzelne Partieen des Buches geben 
wir in diesem und dem folgenden Helte der Jahrbücher unter den Misccllen. 
Höchst interessant sind besonders die antiquarischen Untersuchungen und Berichte, 
welche einen Haupttheil des Buches ausmachen. Ueber die Verwandtschaft des 
Italienischen mit dem Slawischen hat sich der Verf. weitläufig ausgesprochen und 
dabei Ansichten vorgebracht und zum Theil tiefer begründet, welche die ganze 
bisherige Auffassung der alten vorchristlichen Zustände Oberitaliens umstürzen 
müssen. Das Resultat seiner Untersuchungen ist grossentheils in folgenden Wor- 
ten zusammengezogen (S. 204): „Mit einem Worte, Geschichte und Geographie, 
Sprache und Sitten und tausend andere Veranlassungen und Umstände Hefern den 
unumstösslichen Beweis, dass schon in der Urzeit, vor den Römern und Kellen 
nicht nur in ganz Oberitalien, in der Lombardei und im Venetianischen , sondern 
auch in der Schweiz, in Tyrol und einen Theil Baierns, in Rhactien und Nori- 
kum Wendoslawen wohnten, und dass der Baum des italienischen Lebens seine 

Slaw. Jahrb. I. 29 



Digitized by Co 



Wurzel in slawischem Boden hat." Ausser der Beschreibung seiner Reise gibt 
Kollar noch zwei Beilagen, von denen die erste zwei Urkunden (Iber die Abtei 
Salawar (dem Ursitzc des mährischen Chrislenthuuis, wo Pribina die erste Kirche 
anlegte, deren Trümmer Kollar auffand und beschreibt), die zweite eine etymo- 
logisch-historische Abhandlung über das Wort Holub, Golemb, Columba, Taube, 
mit besonderer Beziehung auf die slawischen Wencten in Italien enthalt. In die- 
ser wird die Bedeutung der Taube in religiöser und überhaupt moralischer Hin- 
sicht naher nachgewiesen, nicht nur in Rücksicht auf die Slawen, sondern auch 
auf die Römer und Romanen, die Germanen, die Griechen und die Hebräer und 
Inder. Das „Wörterbuch der slawischen Künstler aller Stämme" enthält A) die 
slawisch -heidnischen Künstler und ihre Kunstwerke, B) die slawisch -christlichen 
Künstler, wobei auf eine allgemeine Uebersicht die besondere alphabetische Auf- 
zählung der slawischen Maler und Zeichner, der Kupferstecher, der Bildhauer 
und Staluengiesser, und der Architekten folgt, denen noch eine Uebersicht der 
Künstler, welche in der neuesten Zeit in Petersburg Beschäftigung fanden, sowie 
eine Aufzählung derjenigen Künstler, welche berühmte slawische Gegenstände zu 
ihrem Vorwurf genominen haben, und endlich ein Yerzeichniss derjenigen Schrift- 
steller und Kunstfreunde, welche für die slawische Kunst und ihre Geschichte ge- 
wirkt haben, beigegeben ist. — Das ganze Buch entspricht allerdings den Er- 
wartungen , welche wir bei der Ankündigung desselben gehabt haben. Es ist des 
Neuen, des Interessanten und Gelehrten so viel darin enthalten, dass es wohl das 
beste Material zusammengetragen hat, welches bei den gegenwärtigen Verhält- 
nissen den Slawen als Waffe gegen ihre verschiedenen Gegner und Verkleinerer 
dienen kann. 



!♦ Der König* der Bnrg. Erzählung von Severin Gosz 
czynski. Posen 1842. 8. 122 Seiten. 

Eine der besten Erzählungen, welche Goszczynski je geschrieben. Ihr 
üruuritext ist durchaus politisch. Unter dem Bilde eines Irrsinnigen, der in einer 
alten Ruine wohnt und von den benachbarten adeligen Familien bald wahrhaft 
verehrt, weit mehr aber noch verspottet und verlacht, von allen aber gern ge- 
sehn und zu jedem Familienfeste herbeigezogen wird, stellt der Verf. den Cha- 
rakter eines echten Polen dar, wie er unter den gegenwärtigen Verhältnissen be- 
schaffen sein solle. Für einen Irrsinnigen muss sich der wahre Freund seiner 
Nation ausgeben; wie ein Narr muss er sich gebärden, will er anders in seinem 
Vaterlande, das einer wüsten Ruine gleicht, vor welcher jeder Lebende flieht, 
bleiben. In der tiefsten Seele muss er den Ingrimm über das traurige Loos sei- 
nes Vaterlandes vergraben, nur im bittersten Hohne darf er die heiligsten Gefühle 
seiner Brost aussprechen, will er anders wirken auf die abgestumpften und in 
schmachvolle Apathie versunkenen Zeitgenossen. Nur Wenige sind im Stande, 
seine Stimme, den Ruf des Vaterlandes zu vernehmen und den verborgenen Ge- 
danken zu errathen, der in seiner Seele glüht — Das Bild ist vortrefflich 
und die Scene im wärmsten, frischesten Golorit gezeichnet Der glatte Styl des 
Verfassers stellt auch die Vollkommenheit der Form dar. Durch die ganze Dich- 
tung wehet ein tiefsinniges, nicht seilen beinahe krampfhaftes Gefühl, das sich 
von Stufe zu Stufe steigert und den Leser fast an die Gränze des Ueberreizes 
führt Eigentümlich ist das vorherrschende religiöse Gefühl; es kann das als 
Vorbote gelten für die grosse Umwandlung, welche in des Verfassers Grundan- 
sichten in der letzten Zeit vorgegangen ist. 

Druck und Papier und die ganze Ausstattung sind dem Werthe des Buches 
angemessen. 



Digitized by Google 



— — — £1* 

8* Wendische Oescllicllten von L. Gics eh recht. IIIrBand. 
398 Seilen. 

Schon im zweiten Hefte der Jahrbücher V, 3. S. 132 sprachen wir über 
dieses in seiner Art vortreffliche Such. Der vorliegende 3te Band bespricht nun 
die Ereignisse im Wendenlande zur Zeil König Konrads des Hohenstaufen, den Kreuz- 
zug der Deutschen gegen die heidnischen Elbeslawen, S. 1 — 56; dann die An- 
strengungen der Wenden gegen den Sachsenherzog Heinrich und ihre seeräuberi- 
schen Züge gegen Dänemark, S. 57 — 106; dann das Bündniss dieses Herzogs 
mit dem Dänenkönige Waldemar, S. 107 — 156. Hierauf schildert der Verf. den 
Zustand der nördlichen Slawenküsten, seit Waldemar sich dieselben unterworfen 
halte, S. 157 — 206, und beschliesst die Reihe der Begebenheiten mit dem Tode 
Waldemars und Heinrichs des Löwen. — Der Verfasser beendet sein Buch mit 
einem Abschnitte, den er „die wendischen Geschichten" überschrieben hat. Der- 
selbe sollte freilich eigentlich als Vorrede des ganzen Werkes, oder wenigstens 
als Einleitung gedient haben; denn er enthält die Uebersicht aller derer Quellen, 
welche für die Geschichte der Elbeslawen uns hinterblieben sind, und bespricht 
dieselben zugleich mit einer historisch -kritischen Schärfe, wie wir sie nur von 
dem gelehrten Verfasser erwarten konnten. Die Betrachtung der Quellen ist nach 
ihrer Zeilfolge selbst geordnet, und dadurch einerseits der Gegenstand, den die 
einzelnen Schriften enthalten, zerrissen, anderseits aber doch wieder in die Ge- 
schichte des Elbeslawenthums selbst, wie sie sich in den vorhandenen Denkmälern 
aus dem Alterthum ausspricht, eine Ordnung gebracht, aus welcher man ersieht, 
wie sich die historische Kenntniss des Wendenlandes allmählig herausgebildet, und 
wie es bei der blossen Erforschung dieser Quellen nicht anders sein konnte, als 
dass der Verf. eine, wie wir sie schon bei dem Berichte über die beiden ersten 
Bande nannten, äussere Geschichte der Wenden schrieb. Um eine innere Geschichte 
dieses Volkes zu schreiben, hätte der Verf. allerdings eine vollständige und all- 
seitige Kenntniss des slawischen Alterlhums haben müssen; denn bei dem Mangel 
aller wirklich einheimischen Quellen und Nachrichten können wir die inneren Zu- 
stande der slawischen Elbevölker nur aus dem Vergleiche mit den übrigen Sla- 
wen kennen lernen, oder um genauer zu sagen, errathen. Wenn der Verf. be- 
hauptet: „Die Wenden haben es zu keinerlei geschichtlicher Ueberlieferung ge- 
bracht, nicht einmal zu historischen Gedichten"; so scheint uns das eine doch 
allzu kühne Behauptung; denn wir wissen ja doch sicherlich nicht, ob die allen 
Elbeslawen historische Gedichte gehabt haben; ja wir müssen sogar nach allen 
den Nachrichten, welche sich über die Lebensweise dieser Völker, besonders aber 
über ihre Art Krieg zu führen, erhalten haben, sowie nach der übergrossen Ge- 
sangeslust, welche jedem slawischen Stamme angeboren ist, es für höchst wahr- 
scheinlich annehmen, dass auch die Elbcslawen ihre Nationalsänger gehabt haben, 
welche den regellosen Haufen durch die Aufzählnng und den Ruhm der Thaten 
ihrer Vorfahren zur Entschlossenheit und zum Kampfe auf Leben und Tod begei- 
sterlen. Ebenso wenig sicher dünkt uns die kurz darauf folgende Behauptung 
(S. 278): „Ein gemischtes Geschlecht, schwankend in ihrem Glauben, Recht und 
Sitte nicht selten in schneidendem Widerspruch , waren die Wenden bereits eine 
zerfallene Nation, da sie mit den Franken in Berührung kamen. So konnte aus 
ihrer Mitte manches Tüchtige hervorgehen, was Einzelnen, was Familien, was 
Genossenschaften ausführbar ist, nichts, was nationale Einheit voraussetzt. Ver- 
mochten aber die Wenden selbst nicht eine Geschichte der Wenden in irgend wel- 
cher Form zu verwirklichen, so vermag es gerade darum der spätere Forscher 
eben so wenig; er muss sich an wendischen Geschichten genügen lassen." Die 
Slawen, wie sie aus der Urheiraath an den Karpathen nach der Oder, Elbe und 
Saale einwanderten, waren freilich nicht geordnete Heerhaufen, noch hallen sie 
eine geregelte Staatsverfassung; dennoch kann der Historiker unmöglich bewei- 
sen, dass sie schon eine zerfallene Nation waren. Wären sie dieses geweseu, sie 



y' 

Digitized by Google 



£13 

hauen dein wülhenden Andränge der habgierigen und eroberongsüchtigen Nach- 
barn nimmermehr so lange widerstehen können. Wenn der Verf. nur auswärtige 
Zeugen kennt, welche über das elbeslawische Alterthum berichten, so ist es nicht 
die Schuld der slawischen Geschichte, dass er dabei die nichtgeschriebenen 
Denkmäler des Westslawenthums zwischen der Ostsee und dem Erz - und Riesen- 
gebirge gänzlich übersah; sie scheinen uns ein inlegrircnder Theil der Quellen 
für die Geschichte jenes Landes. 

9. Geschichte der polnischen Republik bis zum XV. 

Jahrhundert. Von Andr. Moraczewski. Posen 1843, Kamienski. VI, 266 S. 

Der Verfasser ist einer von den fünf Männern, welche in Posen öffentliche 
Vorlesungen über wissenschaftliche Gegenstände halten, und darum ist es uns de- 
sto interessanter zu erfahren, von welchen Principien der Verf. geleilet wird. In 
dieser Hinsicht scheint uns seine Vorrede manchen Fingerzeig zu geben; zuvör- 
derst meint der Verf., es sei nicht nothwendig, die historischen Quellen so aus- 
zubeuten, dass man sie überall nenne, wo man ihre Worte oder wenigstens ihre 
Gedanken unmittelbar anführe. Der Historiker vom Fache kenne die Quellen; für 
den Geschichtsfreund seien sie an sich gleichgültig; in der Geschichte sei über- 
haupt daran am meisten gelegen, dass man zu der Wahrhaftigkeit des Verfassers 
Vertrauen habe. Die Schriftsteller, welche über einen historischen Gegenstand 
geschrieben, sei er nicht gesonnen zu widerlegen, wenn sie geirrt hätten; denn 
er streite ungern mit Lebenden, warum solle er die Todten aufrütteln. Die Kri- 
tik hält er zwar für eine für den Historiker sehr wichtige, aber für eine reine 
Privatsache, welche man nicht vor dem Publikum ausschreien müsse; es reiche 
hin, wenn man die Früchte derselben nach ihrer völligen Reife herbeibringe. 
Kromer und Naruszewicz hat der Verf. absichtlich ausser Acht gelassen; denn 
jeder Schriftsteller, der kein Quellenwerk geschrieben, müsse einen zu Irrthum 
verleilen. Die Geschichte der Vergangenheit hat der Verf. als eine Sache für 
sich betrachtet, nicht auf die Gegenwart und ihre Verhältnisse bezogen; das ist 
mit andern Worten: er hat nach deutscher und nicht nach französischer Weise 
geschrieben, üebrigens stelle er nicht ein vollendetes Gemälde der Vergangenheit 
mit einem freien und kühnen Pinsel und in schönen Farben vor die Wissenschaft* 
liehe Welt, sondern ein blasses, ein duukles Bild, wie die allen Jahrhunderte sel- 
ber; nicht ein Gemälde, sondern eine Mosaik aus kleinen, längst schon zugehaue- 
nen Sleinchen zusammengestellt; ein Bild endlich, auf welchem an gar vielen Stel- 
len schon gar nichts mehr zu sehen ist. Er wolle lieber der stumpfen Auffassung, 
des ungelenken Slyles, als eines Missverständnisses oder des Mangels an Glaub- 
würdigkeit beschuldigt werden. Dies die hervorstechendsten Ansichten des Verf, 
Sein Buch ist demnach mehr ein Lehrbuch, für den Unterricht bestimmt, beinahe, 
wie es scheint, ein Ergebniss der historischen Vorträge, welche der Verf. gehal- - 
len. Die Kenntniss des slawischen Allerthums gehl ihm nicht ab, und wenn auch 
Manches seit den Untersuchungen Schafariks sich anders gestaltet hat, als der 
Verf. glaubt, so ist er doch in vielen Punkten mil demselben bekannt und einver- 
standen, Die Auffassung des polnischen Alterthums ist im Ganzen genommen wohl- 
gelungen, die Ideen überall deutlich dargestellt und überhaupt der Abfassung eine 
Form gegeben , an welcher man wenig auszusetzen hat. Die Benutzung der Quel- 
len ist allerdings ziemlich eigenthümlich und wenn der Verf. die allen Sagen so 
darstellt, wie sie in den ersten Denkmälern Polens sich erhalten haben, so müs- 
sen wir fast glauben, dass er dieselben für wahr hält, so ungern wir dies thun. 
Das ganze Werk wird gewiss die verdiente Anerkennung finden, und bei dem er- 
weiterten Leserkreise, für den es bestimmt ist, Liebe zu den alten Schicksalen 
der Nation und Anhänglichkeit an die Volkstümlichkeit zu erwecken im Stande 
sein. Die Gegenwart ist durch viellache Interessen so zerrissen, und die Ver- 
hältnisse Polens machen es höchst wüuschenswerth, dass der Pole sein Vaterland 



Digitized by Google 



und sein Volk mit allen Gefühlen der Liebe nnd Verehrung unifasse; und dazu 
kann eine Darstellung der ruhmvollen Zeiten der Vergangenheit nur förderlich sein. 

10. Handbuch der Geschichte des Herzogthums 
Kärnten bis zur Vereinigung mit den österreichischen Ffirslenlhüinern. Yon 
Gottl. Freih. v. Ankershofen. Klagenfort 1642. XVI u. 63 S. 

11. Handbuch d. Geschichte d. Herzogen. Kärnten 

in Vereinigung mit d. österr. FUrstenlh. Von Hein r. Hermann. Klagenf. 1843. 95 S. 

Diese beiden Schriften, welche auch den gemeinschaftlichen Titel: „Hand- 
buch der Geschichte des Herzogtums Kärnten" führen, machen den Anfang zu 
einem recht interessanten Werke, das eine bisher weniger beleuchtete Partie der 
deutsch- slawischen Geschichte aufzuklären bestimmt zu sein scheint. Was den 
Verf. des ersten Theiles anbelangt, so bezeichnet er seine Arbeit als einen Ver- 
such, und das ist sie allerdings. Wir erkennen in dem Verf. den Historiker Tom 
Fach, aber nicht den vollständigen Historiker; denn um eine Geschichte des Her- 
zogthums Kärnten in der Altzeit zu schreiben, ist es unbedingt nolhwendig, dass 
man von Schafarik nicht bloss die „Abkunft der Slawen", sondern vielmehr noch 
seine „slawischen Alterthümer" kenne. .Dieses ausserordentliche Werk ist für den 
Zeitpunkt, welchen der Verf. hier bespricht, wahrhaft klassisch und die Resultate 
der Forschungen, welche nirgends anders auch nur in der entferntesten Aehnlich- 
keit zu finden sind, bleiben für die Geschichte aller Länder von der Elbe und 
Saale, dem Böhmerwalde und den Alpen nach Osten hin so wichtig, dass wir 
uns berechtigt glauben, Zweifel zu hegen gegen jeden Historiker dieses Raumes, 
welcher mit jenem Werke gänzlich unbekannt ist. Ausser diesem Mangel scheint 
dem Verf. auch noch eine genaue Kenntniss der slawischen Sprache zu mangeln, 
und doch dünkt auch sie uns eine nothwendige Bedingung zu einer gediegenen Erfor- 
schung der alten Geschichte Kärntens. Hätte der Verf. diese beiden Bedingungen 
erfüllt, so wäre er gewiss nicht in Zweifel darüber gewesen, zu welcher von den 
beiden über die alte Bevölkerung des Südens vom jetzigen Deutschland sich strei- 
tenden Parteien er sich bekennen solle. Dem Verf. fehlt es nicht an der redlichen 
Absicht, die Wahrheit zu sagen, noch an der genügenden Thäligkeit, sie aufzu- 
finden; aber das Slawische will ihm nicht schmecken, wie leider so vielen Hi- 
storikern der Gegenwart. Alle vorhandenen Denkmäler und Schriften, welche aus 
Deutschland und dem Westen überhaupt über seinen Gegenstand ihm zugänglich 
waren, hat er getreulich benutzt, und dadurch gezeigt, dass er wohl umsichtig 
zu Werke ging. Die beigefügten Anmerkungen , welche nicht bloss Erläuterungen, 
sondern auch Quellenstellen in ihrem Urtexte angeben , beweisen diess deutlich ge- 
nug, denn sie nehmen 63, während der eigentliche Text nur 35 Seiten einnimmt. 

Anders ist die zweite Abtheilung geschrieben. Eine Frische und Lebendig- 
keit weht in dem Buche, welche den Leser wohl anmuthet, aber dem Forscher 
den Zweifel aufdringt, ob das wohl alles so gut und schön sei, wie es darge- 
stellt ist, ob nicht die Phantasie das ihrige dazu beigetragen, die Farben zu er- 
höben, die Schatten zu vertiefen, ja, ob nicht sogar die Lebhaftigkeit selbst der 
ruhigen Forschung geschadet hat. Bücher, wie das vorliegende, haben ihren ei- 
gentümlichen Werth, und der Verf. hat ihn dadurch angedeutet, dass er sein 
Buch „dem Vaterlande" widmete; aber sie sind nicht geeignet, mit Schriften, wie 
die vorhergehende, ein Ganzes zu bilden. Als charakteristisch für das ganze Buch 
führen wir die Worte aus seiner Vorrede an: „So sei es gewagt, ihn heraufzu- 
beschwören jenen Geist der Vergangenheit und zu erzählen, was Kärnten unter 
Oesterreichs Fürsten, als ein Theil des bald grössern, bald kleinern Länderver- 
bandes, geworden, wie es mit ihnen litt, für sie kämpfte, und dafür in den Ta- 
gen des Friedens von Regenten- Weisheit und treuem Zusammenwirken erntete." 



Digitized by Google 



290 



12. Bibliothek Altpolnischer Schriftsteller. Heraus- 
gegeben von K. Wl. Wojcicki. lr Bd. Warschaa 1843. Orgelbrand. 360 S. 

Der bekannte Alterthumsforscher Wojcicki beginnt hier ein Unternehmen, 
welchem ein rascher Fortgang am so mehr za wünschen ist, jemehr die gegen- 
wärtige Richtung der polnischen Literatur das Bedürfniss hat, sich auf die altere 
zu stützen. Es giebt eine Masse von einzelnen Broschürchen und Büchelchen, 
welche zu verschiedenen Zeiten hie und da gedruckt, bereits gänzlich der Ver- 
gessenheit anheim gefallen sind. Unter ihnen diejenigen auszuwählen, welche 
durch ihren Inhalt, die Reinheit ihrer Sprache, den Werth des Allerthums oder 
den Namen ihres Verfassers es verdienen, sie zu sammeln und als historisches 
Material zu veröffentlichen, ist der Zweck der Bibliothek. Sie soll in einzelnen 
Bänden erscheinen, von denen ein jeder der Mannichfaltigkeil wegen in 4 Theile 
zerfallen soll. Der erste Theit „die Literatur" soll neue Abdrücke älterer Werke 
und Broschüren, der zweite „die Geschichte" Auszüge aus alten theils gänzlich 
unbekannten, theils seltenen Handschriften, der 3tc „Sprachdenkmäler", der 4le 
„Bibliographien" enthalten. Das Gesammtmalerial ist auf 24 Bände berechnet, 
von denen je 6 eine Abtheilung machen. — Der vorliegende Band enthält man- 
ches Interessante, so ein Gedicht zu Ehren Sobieski's vom Jahre 1622; eine Ue- 
bersetzung der Rechtsstatuten der Armenier in Lemberg, ein interessantes Denk- 
mal der Gesetzgebung nach einer im Jahre 1601 verfertigten Handschrift und an- 
dere historische Denkmaler; die Tragödie Zawickis: „Jephtes" vom Jahre 1587 
hat manches Interessante. In der Bibliographie ist eine Apokalypse vom Jahre 
1565 genauer beschrieben. 

13. Polen nnter rassischer Herrschaft. Reisen und Sit- 
lenschilderungen aus der neuesten Zeit von C. Goehring. Leipzig 1843. lr Bd. 
X u. 241 S. 2r Bd. 270 S. 3r Bd. 278 S. 

Ein anziehender Titel, welcher viel mehr verspricht, als das Buch bietet. 
Der Einfluss der russischen Herrschaft auf Polen, dessen Darstellung aus dem 
Titel hervorleuchtet, ist nur in höchst unvollkommener Weise geschildert. Nir- 
gends unterscheidet man das, was ursprünglich polnisch ist, von dem, was durch 
die Russen hereingekommen, mit Ausnahme dessen etwa, was von den Kosaken 
und den russischen Beamten hie und da erwähnt wird. Als Schilderung Polens 
in seinem gegenwärtigen Zustünde dagegen dünkt uns das Buch recht interessant 
und trifft manche Seite des polnischen Lebens recht richtig; nur muss man bei 
allen Schilderungen, die vorkommen, die grössere Hälfte von den Farben, welche 
der Verf. aufträgt, subtrahiren, um der Wahrheit einigermaassen nahe zu kommen, 
denn übertreiben ist des Yerf.s Sache. Schmutz und Schmutz und wieder Schmutz 
ist der Lieblingsgegenstand seiner Darstellung. Dabei genirt er sich nicht im 
Geringsten, Ausdrücke zu brauchen und Dinge zu beschreiben, welche wohl weni- 
ger einer so deutlichen Darstellung bedürften. Allein der Verf. scheint geglaubt 
zu haben, dass dies unbedingt nothwendig sei, um sein Buch pikant zu machen, 
lind das hat er allerdings erreicht bei jener Classe von Lesern, denen so Pikan- 
tes schmecken kann. Anders hat freilich Kohl seine Reise in Polen geschrieben; 
noch sie ist pikant , indess man bleibt bei Appetit dabei. Dafür hat Kohl freilich 
doch immer noch liefer in das polnische Leben hineingeblickt, obwohl auch er 
nur sehr oberflächlich ist Ausstattung und Druck sind schön. 

14. Voyag'e en Bulgarie pendant l'annee 1841. Par M. Blan- 
qui, membre de l'institut de france. Paris 1843. Reise in Bulgarien während des 
Jahres 1841. Von M. Blanqui. 

Ein dem vorigen sehr ähnliches Schriftchen. Auf Veranlassung Guizols ging 
der Verf. nach dem türkischen Reiche, um, wie er sich ausdrückt, „den wahren 



Digitized by Google 



WM 



Zustand der Dinge an Ort und Stelle kennen zu lernen." Nach Acht französischer 
Weise beschreibt er seine Abreise von Paris, den Abschied von dem geliebten 
Frankreich und den Seinigen, und die Vorkommnisse, die ihn auf dein Wege bis 
Wien trafen. Dies geht bis S. 23. Viel Raum wird dann der Schilderung ge- 
stattet, wo er unter andern den Fürsten Milosch, seinen Bruder Jephrem und die 
Fürstin Anka besuchte, ohne über letztere drei Personen irgend etwas Charakte- 
ristisches oder Wichtiges vorzubringen. Damit ist er bis zu S. 45 gediehen. Die 
nun folgenden 18 Seiten sind einer Darstellung der Donau und ihres Einflusses in 
Gegenwart und Zukunft gewidmet; eines der besten Kapitel des Buchs, obwohl an 
sich von geringem Werth. Seiner Anwesenheit in Serbien werden 40 Seiten ge- 
widmet, dabei um die Sache interessant zu machen der ganze Freiheitskampf Ser- 
biens unter Cerni Juri mit reizenden, freilich nicht immer wahren Farben geschil- 
dert. Damit nun ist er denn endlich nach Bulgarien gekommen. Einzelne der 
nun folgenden Schilderungen sind in der Thal interessant. Das Leben in diesem 
von albanesischen Banden durchstreiften Lande hat dem geübten Auge des Franzo- 
sen manchen Stoff zu interessanten und geistreichen Bemerkungen gegeben, die 
nachzulesen wir billig den Begierigen überlassen. Auf S. 360 ist er bereits wie- 
der im Archipel und steuert auf Malta los, um wieder in sein geliebtes Frank- 
reich zu kommen; denn Frankreich ist nun einmal das schönste Land auf Gottes 
Erdboden. — Der Anhang, ein Bericht über die Gefangnisse in der Türkei, ist 
das Interessanteste und Wichtigste des ganzen Buches. 

15. Finland nnd die Finläiider. Von E. Derschau. Aus 
dem Russischen. Leipzig 1843. 132 S. 

Der Uebersetzer bemerkt in der Vorrede, diese Schilderung Finlands habe 
in Russland eine sehr günstige Aufnahme gefunden; er erwartet eine solche auch 
für Deutschland. Die Schilderungen haben das Interesse der Neuheit, weil Fin- 
land bei uns noch allzuwenig bekannt ist; sie haben das Interesse der Wahrheit, 
weil der Verf. trotz der Liebe zu seiner eigenen Nation doch auch die fremde zu 
achten weiss, und scheinen uns darum um so wichtiger, weil sie uns darthun, mit 
welchen Augen die Russen diese ihre Provinz anzusehen gewohnt sind. Derschau 
ist freilich nicht der Mann, wie etwa H'Wasser, von welchem wir den leitenden 
Artikel in diesem Hefte gaben. Dennoch aber hat er die Nation in ihrer Eigen- 
tümlichkeit gut aufgefassl und die Zustande des Landes getreu geschildert. Die 
Wärme des Gefühls, welche durch das ganze Buch weht, ist recht wohlthuend; 
der Verf. schreibt sie dem Lande selber zu, das er bei seinem Ausfluge lieben 
gelernt habe. „Finland ist ein Land, in welchem der Mensch reines Glück fin- 
den kann; und wem dies theuer ist, der wird, wenn er einmal Finland kennen 
gelernt, es nicht so bald wieder verlassen. " So schliesst der Verf. sein Buch. 

16* Der PanslAwisinns. Eine Improvisation als Sendschreiben 
an den Grafen Adam Gurowski von An ton Mauritius. Leipz. 1843. Binder. 47 S. 

Der Verf. versteht unter dem Panslawismus : „weder Einherrschaft, noch wirk- 
liche Paralysirung der natürlichen, im Widerspruch zu einander hefanglichen Ele- 
mente, keine Wegatzung der individuellen Aeusserungen der verschiedenen Slaaten- 
körper, sondern eine Gerneinsamkeit der politischen Hauptlendenzen, wobei jedes 
Individuum die eigenthümliche Form für sich retten kann, die Aufrechthaltung der 
Verwand tschaftspflichten, worin jedes Geschwister ruhig seinen Lebensweg wandelt, 
jedoch bereit ist, die Schicksale der Familie zu theilen, und die Ideen des Stamm- 
vaters auszuprägen. Wer erkennt heule die Hauptidee des Slawenthums? wer 
zahlt die Momente, in welche sie sich zersplittert hat? Sie ist nur in den Thei- 
len vorhanden, in der Ganzheit muss sie gesucht werden , und diese Aufgabe schei- 
nen die Stamme zu lösen, wenn sie nach der Kenntniss Uires Wesens ringen, wenn 



Digitized by Google 



222 



sie mit dem Bache der Geschichte in der Hand die Natur ihres Ich's erforschen 
und sich zum staatlichen Selbstbewusstsein emporraffen , dessen Verklärung der 
Zukunft anheim fallt." Diese Aufgabe zu lösen sei nur durch eine That möglich; 
doch sei diese keine physische, noch könne sie überhaupt von einer Seite aus- 
gehen; deshalb glaubt er, werde „Russland's Einfluss bei der slawischen Einheit 
unwesentlich, und die Hoffnung darauf ein Irrthum (Iber den Beruf des Staates 
sein." Der Verf. widerlegt dann die Ansicht Gurowski's, dass Russland zur sla- 
wischen Hegemonie bestimmt sei. Seine Darstellung des numerischen Verhältnis- 
ses zwischen Russen und Polen ist nicht überall richtig und der Wahrheit gemäss. 
Es ist etwas anders, einem Volke wegen nationeller Verwandtschaft anzugehören 
und einem Volke aus politischen Gründen anzuhangen. Die Darstellung der Ten- 
denzen Russlands, die Widerlegung des sogenannten Testaments Peters des Grossen 
sind Partieen im Buche, welche allerdings gelesen zu werden verdienen. Wichti- 
ger jedoch scheint uns noch das zu sein, was der Verf. über Polen beibringt; er 
hat die Wichtigkeit Polens für die slawische Idee erkannt, dieselbe aber nicht 
so hoch hinaufgeschraubt, als man es in Paris zu thun gewohnt ist. Er erkennt 
an, dass die Demokratie auch für Polen „das Fundament künftiger Schöpfungen 
werden muss." Es sei die wohlverstandene „Sendung der Emigralion, die Theo- 
rien vorzubereiten, sie der Geschichte, dem Volksgeiste anzupassen und die Be- 
dingungen einer künftigen Ordnung der Dinge zu entwerfen. Durch Beten und 
Händefalten wird die aristokratische Partei nicht in ihren Himmel einsteigen, Bet- 
schnüre und Crucifixe sind nicht die Waffen für die Befreiung des Geistes, daher 
ist es Sache der Demokratie, die Epoche der geistigen Emancipation herbeizufüh- 
ren, und ibr Wille, dieser Aufgabe zu genügen, ist zwar manchmal etwas zu 
extrem , aber im Ganzen ein freudiger, kräftiger, vcrtrauungsvoller. Wer da glau- 
bet, wird Berge versetzen können. Es muss auch das Slawenlhum erst an sich 
glauben, es musste die alte Cavalierepoche , welche durch ihre Galanterie das 
Selbstbewusstsein verlor, durch den Ernst der Erfahrung ersetzt werden, und auf 
diesem Durchbruch ist das Slawenthum begriffen." Dazu bedürfe es einer Vermit- 
telung, ein Centrum müsse gefunden werden, und dieses scheine ihm Böhmen sein 
zu können. Seine freiere Stellung unter den Auspicien eines deutschen Staates, 
der uns das Recht zu hoffen giebt, dass er sich befleissige, noch deutscher zu 
werden, die Höhe der böhmischen Literatur, die geschichtlichen Erinnerungen an 
die ehemalige Blüthe und Hegemonie des Landes berechtigen dieses, sich zum 
Vereinigunngspunkt der slawischen Schwestern zu machen und den Weg zur all- 
gemeinen Einheit zu zeichnen. Die Bedingungen sind gegeben, es muss nur zu 
ihrer Benutzung geschritten werden." Zu diesem Entzwecke fordert der Verf. 
slawische Lehrstühle und eine slawische Akademie in Prag. Das Slawenthum 
müsse einen Haltpunkt in der Idee gewinnen, geistig müsse es sich in der Nation 
manifestiren. „Der russische Geldeinfluss wird aufhören, das Slawenthum wiitf 
der ihm angethanen Schmach noch mehr inne werden, es wird sich als Indivi- 
duum fühlen und nach langem bescheidenen Schweigen das Haupt erheben, um 
ein ernstes Wort zu reden. In der Geschichte ist das Arsenal des Volks, worin 
die Waffen seiner Emancipation liegen, und hat ein Theil des Slawenthums dem 
andern sein yvol&t aavrov nicht ohne Erfolg zugerufen, dann wird die slawische 
Welt, die Geschichte Europa's ergänzend, als drittes europäisches Integralclement 
zwischen die romanische und germanische Welt hintrelen, um die Thal des Gei- 
stes zur Reife zu bringen." So schliesst das Buch. 

17. Serbien, Rnssland und die Türkei. Berlin 1843. 138 S. 

Eine Darstellung des gegenwärtigen Zustandes in der Türkei, mit besonderer 
Hervorhebung der letzten Ereignisse in Serbien. Der Verf. kennt dieselben ziem- 
lich genau, doch scheinen seine beiden Hauptquellen Ranke's Geschichte der ser- 
bischen Revolution und die Augsburger Allgemeine Zeitung zu sein. Jenes Buch 



- 



Digitized by Google 



hatte das Verdienst, dass es das erste Aber den vorliegenden Gegenstand war. 
Diese hat sich bei der serbischen Frage ganzlich der Partei hingegeben, welche 
die Wiedereinsetzung des Fürsten Milosch oder wenigstens die Zurttckberafnng 
seiner Familie zu bewirken trachtete. Es ist dies um so erklärlicher, da sie ihre 
Berichte direct aus Wien bezog, wo der Fürst Milosch eine freundschaftliche Auf- 
nahme gefunden hatte. Eins nur bleibt uns dabei auffallend, warum nämlich die 
Redaktion Artikel zurückgewiesen, welche auf feste Thatsachen gestützt, die Ver- 
hältnisse Serbiens Ton einem andern Gesichtspunkte aus darstellten. Wir wissen 
aus sicherer Quelle, dass ihr Artikel dieser Art zugekommen, wissen auch, dass 
sie des Abdruckes wohl werth waren. Ausser diesen beiden Quellen muss der 
Verf. wohl auch noch andere Nachrichten gehabt haben, denn das Buch enthält 
der wichtigen und neuen Data so viele, dass selbst der mit dem Gegenstände 
ziemlich Verlraute es nicht umsonst lesen wird. Freilich ist auch dieses Buch zu 
Gunsten des Fürsten Milosch ausgefallen. Fürst Milosch wird darin als der wahre 
Freund der serbischen Nation dargestellt, welcher dieselbe von den Fesseln zu 
befreien bestrebt war, in welche sie die durch die früheren Kriegsereignisse zu 
Macht und Ansehn gelangten Knjesen (Fürsten) geschlagen hatten. Die gegen- 
wärtigen Führer des Volkes sind die Häuptlinge dieser aristokratischen Partei; 
sie wirken nur im Interesse der Selbstsucht und gegen die wahre Freiheit des 
Volkes. Ihre Schlauheit hat nach vielfachen vergeblichen Versuchen endlich bei 
den Türken eine unterstützende Macht gefunden. Das sind die Ansichten des Ver- 
fassers. Wie der gegenwärtige Kampf enden soll, sieht er nicht voraus, fordert 
aber Russland auf, im Interesse der Humanität sein Recht als Schutzmacht des 
Staates geltend zu machen. 

18. Gedichte von Vincenz Furch. 1. Bändchen. Ollmütz 1843. 
IX u. 94 S. 

Eine hübsche Sammlung leichter und lieblicher Dichtungen, wie sie Böhmen 
in der Gegenwart recht reichlich producirl. Als Produkt aus Mähren haben sie 
eine besondere Bedeutung, da sie am besten darlhun, dass auch unter diesem ent- 
fernteren Theile der böhmischen Nation sich ein geistiges Leben im Sinne des 
Gemeinsamen zu regen beginnt. Solche Erscheinungen werden endlich auch in 
Mahren durchdringen und eine Vereinigung der verschiedenen Kräfte vorbereiten, 
welche diesem durch zwei Hauptstädte zerrissenen Lande so sehr zu wünschen 
wäre. Ollmütz oder Brünn? 



Eäiteratur. 
1. Die slowenische Literatur. 

Das Oesterreichische Morgenblalt bringt folgende „Mittheilungen eines 
Slowenen": Seit dem Jahre 1830 findet vorzüglich die Dichtkunst viele An- 
hänger unter den jungen Slowenen, da es bis zu jener Zeit mit Ausnahme Vod- 
nik's (st 1819), des Pfarrers Jarnik, des Domherrn Starnik und des Profes- 
sors Zupan kaum einen gegeben hat, der das Lied und die Poesie Überhaupt 
unter seine Obsorge genommen und etwas Gelungenes geliefert hätte. Mit Vod- 
nik schien auch die Poesie zu Grabe gegangen zu sein, bis endlich der Dr. Pre- 
serin mit seinen genialen Geistesschöpfungen nicht nur die Poesie in Krain zum 
neuen Leben erweckte, sondern auch derselben einen ganz neuen Weg bahnte, auf 
dem ihm mehrere nachfolgten. Denn die Lieder Jarnik's und Starnik's konnten 
sich ungeachtet ihrer Gemttthlichkeit nicht zu jener Volkstümlichkeit aufschwin- 

SlttW. J.l.rb. I. 30 



Digitized by Googl 



2*4 



gen, welche in den Liedern Vodnik's weht, und die Poesie des Prof. Zopan ge- 
hörte, mit Ausnahme weniger, in jene niedere Sphäre der Phantasie und ihres 
Aufschwunges, in welcher die Poesie alle Würde und allen Ernst anlegen und 
verläugnen muss. Daher war Dr. Preslrin eine nothwendige Erscheinung für den 
slowenischen Gesang, um den Anforderungen unseres Zeitgeistes zu entsprechen. 
Allein selbst PreseVin hätte dem verwöhnten Geschmacke der Slowenen nicht seine 
gegenwärtige Richtung verschaffen können, wenn sich nicht durch den Bibliothekar 
M. Cop der slowenischen Poesie eine erfreuliche Aussicht eröffnet hätte. Cop rief 
im Jahre 1830 einen Verein von jungen Männern in's Lehen, die durch Heraus- 
gabe einer slowenischen Zeitschrift „Krajnska cbelica" (bcelica) die Liebe zur 
Poesie erwecken und den Geschmack für den vaterländischen Gesang läutern soll- 
ten. Hier fand man seit 50 Jahren wieder die Gesänge mehrerer slowenischer 
Dichter dem Publikum in einer grössern Anzahl und Auswahl öffentlich dargebo- 
ten. Der Schöpfer des echt nationalen Liedes, Vodnik, der gemülhliche 
Jarnik, der sich der modernen Muse anschliessende Dr. Pre serin, der elegi- 
sche Kästelte mit mehrern Andern traten in dieser Zeitschrift als Sänger auf, 
und ihre Töne beseelten die Brust des singenden Slowenen nicht minder mit herz- 
ergreifenden Weisen, als sie dem Auslande die irrige Meinung benahmen, dass 
die slowenische Sprache nicht mehr rein und unverfälscht unter dem Volke fort- 
lebe. Vier Bändchen waren die Frucht dieses patriotischen Vereines. Leider nur 
vier Bändchen, und der Stern, der so hoffnungstrahlend an dem Horizonte der 
slowenischen Poesie aufging, schien mit dem Jahre 1834 erblassen und mit dem 
Ableben Cop's (1836)°) sich ganz seinem Untergänge zuneigen zu wollen! 

Die „Bellica" hörte auf, den Honig der Poesie auf dem blumigen Fluren 
des Vaterlandes zu sammeln, und mit ihrem Aufhören (1834) trat ein Stillstand 
ein, den im Jahre 1836 Dr. Preserin mit seinem kleinen Epos „Kerst pre 
Savici" unterbrach. 

Die Leistungen dieses reichbegabten Dichters würdigle Czelakowsky im „*a- 
sopis teskeho museum", im letzten Hefte des Jahrganges 1832 bei der Beurtei- 
lung der „Krajnska bcelica" auf eine ehrenvolle und anerkennende Art; nur 
Schade, dass er seit geraumer Zeit gänzlich verstummt zu sein scheint und seine 
gesammelten Gedichte dem slawischen Publikum nicht veröffentlicht. 

Dies war die letzte Erscheinung im Gebiete der Poesie, und mit Ausnahme 
der schönen geistlichen Lieder von den Herren Dolinar und Potocnik gab es nichts 
Neues, das der Oeffentlichkeit übergebeu worden wäre. 

Bei diesem Anscheine der Saumseligkeit, und der Zurückgezogenheit der slo- 
wenischen Literatoren dürfte bald Jemand unserer Literatur ein Grablied singen, 
und meinen, dass die slowenische Sprache in jenen Misskredit beim Auslande zu- 
rückfallen müsse, aus dem sie sich kaum hervorgearbeitet hat. Allerdings giebt 
es Hindemisse, theils in den Schriftstellern selbst, iheils in anderweitigen Um- 
ständen, deren Auseinandersetzung ich mir für eine spätere Mitlheilung vorbehalte. 
Jene scheinbare Saumseligkeit glaube ich in der Bescheidenheit unserer Schrift- 
steller finden zu können, welche ihre Geistesprodukte einer strengen Selbstbeur- 
theilung unterwerfen, und nur einen geeigneten Zeilpunkt erwarten, um vor das 
slawische Publikum zu treten. 

Ich könnte Ihnen mehrere von diesen Herren namentlich aufführen, wenn ich 
nicht befürchten müssle, ihrer Bescheidenheil zu nahe zu treten. So z. B. sam- 
melt der Herr Kastel ic Beiträge für eine neue Folge der „Krajnska bcelica"; 
der noch nicht viel bekannte Herr Pfarrer Z 6ml ja soll die Herausgabe seiner 
Gedichte beabsichtigen; ein gewisser Herr Kosecky in Triest übersetzte die mei- 



°) Dieser gründliche Gelehrte fand im Augast 1836 beim Baden in der Save durch 
den Schlag seinen Tod. Krain verlor in ihm seine Zierde und Oesterreich vielleicht einen 
seiner ersten Gelehrten und Philologen, dessen Kenntnisse leider noch nicht bekannt wer- 
den konnten. 



Digitized by Google 

l 



sten Schiller'schen Balladen eben so meisterhaft, als seine öriginalgedicble schön 
und kraftig sind; Herr Pfarrer Krempelj besorgt die Herausgabe einer* Ge- 
schichte der Slowenen in der Steiermark in mehreren Bänden; Herr Dr. und Prof. 
Klancnik in Laibach übersetzt meisterhaft die Bibel in einein Auszuge für das 
Volk , und einer brieflichen Millheilung zu Folge soll er in der jüngsten Zeit die 
Bearbeitung eines grossen Lexikons nach der Art des Adelung* sehen über- 
kommen haben, u. s. w. Und alles dieses wird in der neuen verbesserten Ortho- 
graphie unter die Slawen treten , welche seit einem Zeiträume in mehrern Büchern 
zu sehen ist und sich eines allgemeinen Beifalles zu erfreuen hat; wie z. B. in 
Vodnik's gesammelten Gedichten. (Laibach 1840, bei Blaznik.) 

Sie sehen also, dass es mit dem Fortschritt in der Nationalsprache unter uns 
nicht etwa so schlecht steht, als es beim ersten Anblicke scheinen dürfte, und 
dass ein Zeitpunkt erscheinen muss, wo sich ein klarer Horizont über die Slowe- 
nen ausbreiten wird. Ausserdem haben wir die schöne Hoffnung, in Kürze eine 
Zeitschrift zu besitzen, die ein Vereinigungspunkl junger slowenischer Talente 
sein soll. 

Zum Schlüsse meiner gegenwärtigen Millheilung muss ich Sie auch auf die 
Pflanzschule der künftigen Slowenen - Literatoren aufmerksam machen. Ich ver- 
stehe darunter die angehenden Geistlichen in den bischöflichen Seminarien zu Lai- 
bach, Grätz, Klagenfurt und Görz, welche mit glühendem Enthusiasmus die Er- 
lernung und Bearbeitung der slawischen Sprache sich zur Aufgabe machen. Be- 
sonders bemerkt man unter den jungen Theologen in Laibach seil etlichen Jahren 
unter der Leitung des Professors Metelko einen grossen Eifer für das Slawische. 
Im verflossenen Schuljahre bildete sich ein Verein von Theologen, welche sich 
mehrere slawische Zeitschriften hielten und jedem Mitgliede neben der vollkom- 
menen Erlernung des Slowenischen auch das Studium einer andern slawischen 
Sprache zur Aufgabe machten, was ihnen keine grosse Schwierigkeit verursachte, 
da sowohl die Seminar-Bibliothek, als auch die Bibliothek am k. k. Lyceum 
eine Auswahl von slawischen Werken in jeder Mundart besitzt und auch Herr 
Kastelic seine herrliche Bibliothek aus dem Nachlasse Cop's von nahe an 3000 
Banden in allen europäischen Sprachen grossmüthig zum Gebrauche darbietet 

Der Himmel möge die Bemühungen Aller mit seinem Segen krönen und in 
ihnen wahre Lehrer dem Volke geben! Milko. 

2. Die Czechen und ihr Verhältniss zu den übrigen Slawen in 

literarischer Hinsicht. 

(Ans Mickiewicz* Vorlesungen.) 

Es ist dieses (Böhmen) ein Thal oder vielmehr ein Kessel zwischen conver- 
girenden Bergen, die rechts und links ihre Gewässer nach der am tiefsten gele- 
genen Mitte hinsenden , wo sie von der Elbe aufgenommen und weiter spedirt wer- 
den, etwa ein Tausend Qimdratmeilen gross, und mit etwas über vier Millionen 
Einwohner. Der schwierige Zutritt zu diesem Lande schirmte es sogar schon 
während der Völkerwanderungen; die Barbaren, welche sich tief nach Europa hin- 
ein versenkten, umkreisten es in die Runde. In einer so glücklichen Lage gele- 
gen, vermochten die Czechen schon zeilig eine gewisse Ordnung in ihre Politik 
und Literatur zu bringen. Im elften Jahrhunderte gründeten sie schon die Erb- 
lichkeit des Thrones und sicherten gesetzlich die Untheilbarkeit des Königreichs; 
zwei ungeheure Schritte im politischen Leben. Dieses Reich war auch das erste 
im Slawenthum, welches die christliche Religion für die Grundlage der neuen Ge- 
sellschaft annahm. Desgleichen war ihre Sprache schon langst angebaut und be- 
sitzt Denkmäler aus dem X. Jahrhunderl, im XL, XII. und XIII. aber zählte sie 
schon viele geschriebene Werke. Nach dem Auslöschen der volkstümlichen Dy- 



Digitized by Google 



226 



naslie uoterstfilzte das regierende Hans Luxemburg die Wissenschaften und Künste, 
spater bemühte sich das österreichische, nach Möglichkeit den Saamen der örtli- 
chen Kultur zu entwickeln. Ungeachtet aller dieser Vorlheile jedoch blieb ihre 
Literatur einigermaassen wie kalt und todt. Es scheint, als hatte die todld ro- 
hende Krankheit im Schoosse dieser politischen Gesellschaft geruht, welche zur 
Erkennlniss ihrer selbst nicht kommen , und seine Bestimmung zwischen den christ- 
lichen Völkern nicht errathen konnte. Vielleicht war die glückliche Lage, die un- 
getrübte Ruhe selbst die Ursache des Unglücks der Czechen? Wahrend die rus- 
sinischen Lander unter dem starken Drucke der mongolischen Atmosphäre alle Ur- 
stoffe ihrer Kräfte entwickelten, während Polen durch die von der Türkei heran- 
eilenden Stürme in einem fort erschüttert wurde, waren die Czechen gedeckt durch 
Polen und Ungarn in fortwährender Berührung vermöge Oesterreichs mit dem 
knlüvirten Theile Europas. Diese Cirilisation wollten sie bei sieb häuslich ma- 
chen, entnahmen dieselbe von Aussen, halten aber im Innern nichts, sie zu nähren. 

Alle slawischen Völker zusammengenommen haben nicht so viel geschrieben 
als sie; dessen ungeachtet hat ihre Literatur keine selbstständige Kraft, schuf 
kein eigenes Erzeogniss, war immer nachahmend. Daher fing man allmählig an, 
die Muster der Nachahmung vorzuziehen, und die deutsche Sprache nahm den 
Vorrang vor derjenigen der Väter. Nach einiger Zeit erhoben sie sich zwar zur 
Vertheidigung ihrer Volkstümlichkeit, aber auch dieser Kampf fiel unglücklich 
aus, weil sie die Volkstümlichkeit blos von ihrer am meisten materiellen, ober- 
flächlichen Seite begriffen, und bloss auf den Stamm und die eigene Sprache die- 
selbe stützten. Die Zunge war ihnen nicht eigentlich Sprache, sie betrachteten 
sie blos als Werkzeug, als Mittel zur Mitteilung des Gedankens, nicht aber für 
den Schooss, der denselben schafft. Sie begriffen es nicht, dass die Sprache nur 
durch ihre innere Macht fortleben kann, dass ihre Anziehungskraft im geraden 
Verhältniss stehe zum Gesainmten der Wahrheit, die sie enthüllt, ihre Wirkungs- 
kraft nach Aussen im Verhältniss der Masse des Lichtes und der Wärme, die sie 
ansgiebt. Anstatt also die siegende Kraft ihrer Sprache in der Wahrheit zu su- 
chen, wollten sie den Triumph derselben in der materiellen Kraft finden. Ohne 
sich zu bemühen, gründlicher und erhabener als die Deutschen zu schreiben, ver- 
meinten sie, mit geschriebenen Urknnden das Deutschtum von der Universität 
Prag zn vertreiben; ihre Volkstümlichkeit und Sprache trachteten sie mit Gesetz- 
artikeln und dem Schwerde zu schirmen. — Ein so beengter nationaler Geist 
hatte nicht wenig Einfluss auf ihre Religionsansichten; diesen Geist, als den Ver- 
gegenwärtiger der volkstümlichen Kirche, unterstützte über Alles die Kirche selbst, 
welche die czechische Sprache adoptirte und rein czechische Dogmen hatte. — 
Nachdem sie sich kopfüber mit dem Feuer eines jugendlichen, fast barbarischen 
Volkes in den Religionskampf geworfen hatten, gebrauchten sie die theologischen 
Artikel, wie die Wilden die Waffen oder den Branntwein, ihnen von der neuern 
sogenannten Civilisation dargereicht, gebrauchen, — nämlich zur eigenen Vernich- 
tung, zur eigenen Vertilgung. Oesterreich, damals der Vertreter des allen Eu- 
ropa, vermochte allmählig dieses Feuer zu dämpfen, die Kraflanslrengung für seine 
Zwecke zu lenken, die Ermüdelen zu unterjochen, und einmal Herr des erschöpf- 
ten Volkes, rottete es mit Erbitterung seine Literatur als durchdrungen von ge- 
fährlichen Dogmen, als das Zeughaus der Rebellion aus. Zwei Jahrhunderle hin- 
durch wurden mit der grössten Emsigkeit alle Denkmäler Böhmens zerstört, bis 
endlich, als die Feindschaft schon besänftigt, fast in Vergessenheit geraten war, 
als die Böhmen schon vielemal Beweise der Anhänglichkeit an das österreichische 
Haus gegeben hatten, diese Regierung in unsern Tagen anfing, sie zu unterstützen, 
und sogar ihre nationalen literarischen Unternehmungen zu ermuntern. Merkwür- 
dig und auffallend ist jedoch die Erscheinung, dass jener czechische Geist, wel- 
cher so lange umsonst nach seiner Bahn zur Zukunft gestrebt hatte, grade jetzt 
beim Aufwachen nach einem langen Schlafe auf einmal die ihm gehörige Stellung 
findet. Fast scheint es, die Czechen hätten erkannt, was ihr Beruf sei, wenig- 



Digitized by Google 



slens haben sie die ihnen von Niemandem streitig gemachte Stellung inmitten der 
slawischen Völker eingenommen. Zurückgeführt zur Tiefe ihres Wesens, haben 
sie sich auf die Vergangenheit gestützt, treten aus ihr heraus, und aus derselben 
wollen sie das gemeinschaftliche Band für alle Slawen hervorholen. Die czechi- 
schen Gelehrten ähneln nicht im mindesten den Alterlhumssainmlern anderer Lan- 
der; von einem heiligen Feuer werden sie geleilet zur rastlosen Arbeil, wie etwa 
die Mönche des Mittelalters, welche den Glauben, diese aber Volkslhum predigen 
und mit geduldigem, zugleich poetischem Geiste nachforschende Unternehmungen 
ausführen, wobei sie häufig Armuth und Elend ertragen müssen. — Sie schreiben 
in allen Sprachen, benutzen alle möglichen Mittel zur Erreichung ihres Zieles. 
Aus der Leuchte der ganzen Civilisation Vorlheil ziehend, bemühen sie sich, das 
Slawenlhum vor dem ganzen civilisirlen Europa zu enthüllen; wiederum die Sla- 
wen gegen einanderstellend , wollen sie dieselben unter einander bekannt machen 
und Friede stiften; im Zwiste der feindlichen Literatur stehen sie da als im par- 
theische Richter, zuvorkommende Vermittler. Die russischen Literaten haben im- 
mer die polnischen, diese wiederum die russischen im Verdacht; mit gleichem 
Vertrauen jedoch nähert sich der Russe wie der Pole dem fleissigen , gewissenhaf- 
ten Czechen; was besonders diese Gelehrten auszeichnet, das ist ihre hohe Unpar- 
teilichkeit. — Sie haben diesen dauernden Grundsatz, die Wissenschaft über 
zeilliche Fragen zu erheben, die Geschichte unter der Oberfläche der politischen 
Umstände zu erforschen. Die verbrüderten Völker an die ursprüngliche Gemein- 
schaft des Stammes und der Sprache, der Apostel und der Kirche eriunernd, ru- 
fen sie dieselben fortwährend zur Einheit auf, ja sie möchten in einem Glänze des 
Ruhmes die Rflckerinnerungen ihrer gegenseitigen Kämpfe ersticken. Und wenn 
es ihnen nicht gelingt, das erwünschte Ziel zu erreichen, so rührt dieses viel- 
leicht daher, dass sie noch nicht gänzlich von den ererbten Vorurtheilen der Vä- 
ter sich frei gemacht, dass sie gar zu viel auf eine oberflächliche, stammliche 
Volkstümlichkeit gaben, den Geist aber, welcher die Civilisation der verschiede- 
nen Völker belebt und entwickelt, zu wenig schätzen; dies sei jedoch, wie es 
wolle, immer werden die Czechen als die Palriarchen der slawischen Wissenschaf- 
ten gellen. Sie liefern nicht nur volkstümliche Dichter und Rechtsgelehrle, son- 
dern man kann sagen, es ist dieses ein ganzes Volk von Forschern und Philologen. 



3. Die russische Literatur im Jahre 1842. 

Russlands sociales Leben concentrirt sich bis diesen Augenblik noch in sei- 
ner Literatur; die Journalistik hat daher eine Macht in den Händen, deren Ge- 
wicht allgemein anerkannt wird. Die Kritik ist eines der wichtigsten Momente 
bei einer so rasch sich entwickelnden Literatur. Und dennoch ist gerade sie noch 
in einem sehr unvollkommenen Zustande; denn je bedeutender sie ist, desto mehr 
ist sie nud wird sie missbraucht. Die Kritik dient hier nicht als Erforschung der 
Wahrheit, Leitung auf den rechten Weg, Verbesserung u. s. w.; sie ist eine Waffe, 
mit der man den Gegner niederzumachen sucht. Und in dieser Hinsicht hat Russ- 
land bereits einen grossen Sprung über Deutschland hinweg gemacht, es ist Frank- 
reich näher getreten. Ob zum Vortheile der Wahrheit, wollen wir eben nicht be- 
haupten; zu seinem eigenen Nutzen indess jedenfalls. Höchst wichtig sind in der 
Kritik die jährlichen Uebersichten ; sie geben gleichsam Rechenschaft von dem, 
was die Nation in dem verflossenen Zeiträume geleistet hat, und lassen leicht fin- 
den, was sie zu ihrer ferneren Entwickelung bedarf. In Russland sind nun diese 
Uebersichten von grösslem Interesse; denn „y nach qmo ro*, To u anoxa": jedes Jahr 
gibt eine Epoche (in der Literatur wie in jeder Entwickelung überhaupt). Hier 
begann sie vor Allen Marlinski -Bestuzew, dessen „Uebersicht der russischen Li- 
teratur" durch die Schärfe der Auffassung und Lebendigkeit der Darstellung eben 
so sehr als durch die Neuheil ein ungemeines Aufsehen erregle. Nach Marlinski 



Digitized by Google 



»28 



übernahm ein Herr Orest Somow das Amt eines Reviewers; seine jahrlichen 
Uebersichten waren so ohne allen ästhetischen Scharfblick und die Darstellung 
des Erschienenen so langweilig und geistlos, dass man sich am Ende allgemein 
lächerlich Aber dieselben machte. Nach ihm schrieb Kirjejewski seine Uebersicht 
der Literatur des Jahres 1829 in dem „Morgensterne" von Maksimowicz. Die 
ausserordentlichen Lobeserhebungen, welche er einzelnen Erscheinungen zollte, das 
Paradoxe in vielen seiner Behauptungen erregte einen allgemeinen Aufstand in der 
literarischen Well, und alle Journale fielen damals über den Artikel her. Der 
grösste Mangel aller dieser Uebersichten bestand darin, dass man jedes einzelne 
Gedicht, jede an sich gute, aber weniger mächtige Erscheinung für ein wichtiges 
Moment in der Entwickelung der Literatur nahm, dass man alles und jedes gei- 
stige Produkt in der Uebersicht besprach, das nur einigermaassen Aufsehen er- 
regt hatte. Es war diess die Zeit, wo der Romanlismus sich anfing Bahn zu bre- 
chen. Da galt Alles für wichtig und wurde mit Begeisterung aufgenommen, was 
dieser Richtung nur einigermaassen Vorschub leistete. Der „ Telegraph von Mos- 
kwa" stand damals in seiner ganzen Blttlhe. Der Romantismus warf sich mit 
Marlinski auf die Prosa (1829) und daran ging er zu Grunde. Die Jahre 1835 
und 36 waren Epochen in der russischen Literatur; Gogol trat auf; der Anschluss 
der Dichtung an das wirkliche Leben, ihre männliche Reife trat ein; Benediktow 
schrieb die letzten Gedichte; die ideale Poesie verschwand und die reale (wir 
möchten sagen das Prosaische darstellende) Poesie trat an ihre Stelle. Das Ideal 
erhielt jetzt erst seine volle luftige Bedeutung, aber ward aus der Literatur so 
ziemlich verbannt Der Charakter der gegenwärtigen russischen Literatur ist real, 
ohne materiell zu sein. Und von diesem Gesichtspunkt aus ist das Jahr 1842 
eines der wichtigsten in der russischen Literatur. 

Die „Todten Seelen" haben in der russischen Literatur ein ungemeines Auf- 
sehen erregt; die Einen haben es mit den Füssen getreten, die Andern es Shake- 
speare und Homer an die Seite gesetzt. Die Wirkung dieses Romans ist unge- 
mein; sie war um so grösser, je plötzlicher, je überraschender sie kam. „Eine 
ganz neue Sphäre der Dichtung, ein eigenthümlicher Charakter der Künste, wel- 
chem gegenüber die idealen und gefühlvollen Schöpfungen unserer Dichter sich 
als harmloses Geschwätz von Knaben, als unschuldige Träumereien von Kindern 
darstellen": so bezeichnen russische Kritiker die Erscheinung der „Todten Seelen", 
und ein neues Stadium der russischen Literatur ist somit angetreten. Eigentüm- 
lich ist bei dem Streite, der in Folge des Werkes Gogols sich in den Journalen 
entspann , dass man dem Yerf. grammatikalische Fehler vorhielt Karamzin wurde 
bereits dieser Vorwurf gemacht, Puschkin musste ihn ebenfalls erdulden. Damals 
kamen Fehler vor, weil die Sprache selbst noch nicht gänzlich sich ausgebildet 
hatte; es war kein vollkommenes Gesetz vorhanden, die fremden Elemente noch 
nicht vollständig von dem russisch - slawischen Grundstoffe der Sprache überwältigt. 
Dass man Gogol denselben Vorwurf macht, scheint zu beweisen, dass die orga- 
nische Durchbildung des russischen Dialektes auch jetzt noch nicht vollendet ist. 

An Oed i eilten ist die Literatur des Jahres 1842 nicht allzu reich. Eine 
vollständige Sammlung der Gedichte t*ermontow*M erschien zu Ende dieses 
Jahres, und obgleich dieselbe viel Neues bot, so war dieses doch weniger her- 
vorragend, weniger trefflich als das schon Bekannte; die Pietät für den zu früh 
Verstorbenen hat den meisten An l heil an der sonst wenig wünschenswerlben, selbst 
für den Dichter nicht erwünschten Vollständigkeit, in der man seine Geistespro- 
dukte herausgiebt. Weniger werthvoll, wenn auch für sich eine schöne Gabe des 
vergangenen Jahres, sind die Gedichte von Majkow, über die wir im vorigen 
Hefte berichteten. Durch den in ihnen herrschenden fremden Geist sind sie nicht 
im Stande, der Literatur, deren Haupttendenz gegenwartig das rein Nationale ist, 
einen Fortschritt zu geben. Dasselbe gilt von dem Bandchen der Gedichte ha- 
ratymkt s, welche „Dämmerung" betitelt sind und die der Verf. selbst als 



Digitized by Google 



!M9 



seinen Schwanengesang bezeichnet. Baralynski gehörte einst zu den besten Dich- 
tern Russlands; sein Name wurde neben dein Puschkins genannt, ja in einzelnen 
Liedern übertraf er denselben sogar; aber seine Dichtung gehört der Puschkin- 
schen, und mithin einer gewesenen, einer abgeschlossenen Periode an. Vermittelnd 
zwischen den beiden Perioden mitten inne steht Poletaj ew , ein guter Dichter, 
dessen letztes Werk, „die Stunden der Genesung", indess weniger Anklang fand, 
als seine früheren Gedichte. Rein lyrisch und somit dem Charakter der Zeit fremd, 
steht Henediktow da, ein talentvoller junger Mann, dessen Gedichte bei ih- 
rer ersten Erscheinung 1835 viel Aufsehen erregten und im vorigen Jahre eine 
neue, vermehrte Auflage erlebten. Neben diesen Schriften sind wohl noch manche 
Gedichte erschienen, allein theils sind sie von geringem Belang und ohne Einfluss 
auf den Gang der Literatur, theils liegen sie in den Journalen zerstreut, welche 
allerdings eine bedeutende Masse von Gedichten consumiren. Im Ganzen aber be- 
merkt man einen gewissen Stillstand in der Poesie; der grösste Theil der besse- 
ren und der besten Talente wirft sich auf die Prosa. Die „Vaterländischen Me- 
moiren" meinen, die Dichter „aus der Stadt", d. i. in Petersburg oder Moskwa 
seien jetzt desshalb zurückhaltender, weil sich die Einen so ziemlich ausgeschrie- 
ben, die Andern wieder erkannt haben, dass Verse jetzt gut, sehr gut sein inüss- 
ten, damit sie nicht bloss gelobt, sondern auch gelesen werden. Dagegen wür- 
den die Dichter aus der Provinz von Jahr zu Jahr unermüdlicher, wenn auch das 
Publikum von ihrem begeisterten und feurigen Eifer, Schreib -Papier zu verwü- 
sten, nichts erführe, sondern nur die Redacleure, welche ihre Zuschriften zu le- 
sen oft bemüssigt seien." 

Die Dichtung 1 in Prosa ist und bleibt das Hauptelement der russi- 
schen Literatur. Es waren Zeiten in Russland, wo es grössere Dichter als Pro- 
saisten gab, wo man bessere und mehr Gedichte als Romane und Erzählungen 
schrieb; allein die Zeit ist vorbei, die Gegenwart will auch durch die Form zei- 
gen, dass sie sich ausschliesslich auf das Reale geworfen hat. 

Unter den Romanen ragt neben den „Todten Seelen" Zagotkin * 
„Kuzma Petrowicz Miroschew" hervor. Wie alle grösseren Schriften Zagoskin's 
zeichnet sich auch dieser Roman einerseits „durch äebt russische Biederkeit und 
Leutseligkeit, durch Vortrefflichkeil der von ihm geschaffenen Charaktere, durch 
treue Anhänglichkeit an das russische Alterthum und feurige Begeisterung für das- 
selbe, durch heilere, aber glanzvolle Schilderungen und entzückende Situationen, 
vor allem aber durch einen glatten, fliessenden Styl aus", während anderseits 
Armuth der Gedanken und Wiederholung des schon hundertmal Besprochenen seine 
hervorstechendsten Mängel sind. — Ueber den Roman „Alf und Aldona" von 
Kukolnik haben wir bereits berichtet. Von demselben Verfasser ist aber noch 
ein zweiter Roman erschienen: „Aypoqica JlyMa Närrin Luise", der in der Lese- 
bibliothek abgedruckt ist. Zu den andern Mängeln der Darstellung Kukolniks ist 
hier noch eine widerliche Sentimentalität gekommen, welche, verbunden mit der 
langweiligen Erzählungsweise des Verfassers, den gesunden Theil des Lesepubli- 
kums von demselben förmlich gewaltsam abstösst. Neben diesen erschienen noch 
eine Reihe andere Romane, die aber in keinerlei Hinsicht eine grössere Beach- 
tung verdienen. — Fruchtbarer war das Jahr 1842 an Erzählungen und Novellen. 
Von Gogol erschien im Moskwitjanin eine Erzählung: „Rom", die, obgleich 
noch unbeendigt, alle Vorzüge der Weise dieses Schriftstellers ahnen lässt. Vom 
Grafen Sollohub, dem Verfasser der „Apothekerin", vielleicht der besten rus- 
sischen Erzählung der Neuzeit, erhielten wir eine Erzählung: „der Bär", welche 
sich durch zarte ästhetische Reinheit und Vollkommenheit, so wie durch den na- 
tionalen Geist, der sie beseelt, besonders auszeichnet. Der grösste Vorzug der 
Schreibeweise des Grafen ist die poetische Wahrheit; seine Charaktere, 
scharf ausgeprägt und bestimmt, handeln wie die Menschen vor unsern Augen; 



Digitized by Goqalp 



930 



man sieht, sie sind aus dem Leiten gegriffen. Die russische Literatur ist näm- 
lich bis auf diesen Augenblick immer noch eine Literatur der höheren Stande. 
Das Leben der privilegirlen Klassen dient fast ausschliesslich zum Vorwurf aller 
Darstellungen und Schilderungen der russischen Schriftsteller, und dennoch ist die 
sogenannte „grosse Welt" nur wenigen unter denselben ganz and genau bekannt. 
Graf Sollohub ist einer von diesen Wenigen, und darum seine Bilder so wahr, 
seine Bemerkungen so trefflich. Realität und Einfachheit sind die vorzüglichsten 
Eigenschaften der Erzählungen des Grafen Sollohub, und darin ist er nach Gogol 
der erste russische Schriftsteller. Aber ihm fehlt es an Suhjectivitäl ; man sieht 
den Dichter selbst nicht, man fühlt nicht die warme Begeisterung für die darge- 
stellten Charaktere, welche in der Darstellung durchschimmern muss, wenn sie 
anders den Leser unserer Tage entzücken soll. — Mehr Suhjectivitäl, aber auch 
weniger Wahrheit, weniger Reife und Sicherheit des Talentes findet man in den 
Erzählungen Hanajew's. Eine auffallende Unsicherheit, ein Schwanken in der 
ideeilen Auffassung seines Gegenstandes wie in der Ausführung desselben, giebt 
diesem jungen Dichter eine weniger feste Haltung in der Literatur; allein die 
continuirliche Vervollkommnung, die sich an seinen Produkten zeigt, der succes- 
sive, wenn auch langsame Fortschritt, den man bei jeder Bewegung zu begleiten 
im Stande ist, sind uns die beste Bürgschaft, dass man in der Zukunft Tüchti- 
ges Ton dem Manne erwarten kann. Und in dieser Rücksicht ist es nur zu loben, 
dass Panajew weniger fruchtbar ist, als viele weniger begable Schriftsteller, ja 
selbst als man es von seinem entschiedenen Talente erwarten sollte. Seine neue- 
ste Erzählung: „Akteon", ist gewiss die beste von allen, die er bisher geschrie- 
ben und verdient eine allgemeine Anerkennung. — Einer aufflackernden Flamme 
gleich, die noch einmal blitzt, ehe sie verlischt, war die Erscheinung der zu früh 
verstorbenen Madame Hahn y bekannt unter dem Pseudonym Zeneide R-wa.. 
Ihr ,,^K>6oHbRn (Liebchen?)" wurde mit Entzücken aufgenommen; ihre gesammel- 
ten Schriften werden zum Drucke vorbereitet. — Kukolnik hat ausser seinen Ro- 
manen auch noch mehrere Erzählungen geschrieben, und diese sind allerdings bes- 
ser, weit besser als jene. Sobald dieser an sich gewiss talentvolle, aber durch 
zu viel Schreiben sich selbst vernichtende Schriftsteller in die Vergangenheit zu- 
rückkehrt, werden seine Bilder allemal wahr, lebendig und interessant. Die Zeil 
Peters des Grossen , diese so hochwichtige Zeit für Russland , hat vielleicht Nie- 
mand besser aufgefasst, wenigstens Niemand glücklicher geschildert und nachge- 
bildet, als Kukolnik. Neben diesen Geistesprodukten nimmt IV eltman s mit 
den lebendigsten Farben gezeichnete Erzählung: „die Carriere", einen sehr ehren- 
werlhen Platz ein. Einige allzuhelle Farben abgerechnet, lässt diese höchst in- 
teressante Novelle wenig zu wünschen übrig; Wellman hat viel Talent, aber er 
muss seine Phantasie noch zügeln und regeln lernen. Dass er sich auf rein hei- 
mischen Boden bewegt, zeigt, dass Wellman den Geist der gegenwärtigen Litera- 
turrichtung erkannt hat. Noch deutlicher prägt sich derselbe in den humoristi- 
schen Skizzen aus, aus welchen das Buch „Haum, die Unsern, Wir" zusammen- 
gesetzt ist. Da /'s, des Luganer Kosaken „Doppelgänger (Dwojnik?)" verdient 
ebenfalls genauer bezeichnet zu werden. — Mehr solcher Erscheinungen findet 
man in den Almanachen und ähnlichen Sammlungen von poetischen und prosaischen 
Geistesprodukten. Unter ihnen zeichnet sich „die Morgenröthe" von Wladi*- 
lawlew vortheilhaft aus. Ueberhaupt scheint sich gegenwärtig die literarische 
Industrie (sehr oft blosse Spekulation) za solchen Unternehmungen vorzüglich 
wenden zu wollen. Die glänzende Aufnahme, welche die „Naschi" gefunden, hat 
sogleich ein ähnliches Unternehmen hervorgerufen, die „Bilder russischer Sitten", 
eine höchst miltelmässige Erscheinung, fast ohne Werth für den Gang der Lite- 
ratur. Geschichten von Napoleon, Suwarow, Peter den Grossen und andern ge- 
hören ebenfalls in diese Kategorie. — Unter den Uebersetzungen aus fremden 
Sprachen stehen die der Werke Shakespeare » von Ketcxer oben an. Das 
Unternehmen schreitet zwar langsam, aber in aller Würde vorwärts* Eine von 



Digitized by Google 



einer Anzahl junger Männer unternommene Uebersetzung der Werke Göthet hat 
mit der zweiten Lieferung ihr Ende erreicht. Es wird in Russland wenig be- 
dauert, weil die Ausführung der Idee des grossen Deutschen wahrhaft unwür- 
dig war. 

Ueber die wissenschaftlichen Erscheinungen werden wir bei einer an- 
dern Gelegenheit zu sprechen kommen; sie hängen noch mit der Nationalliteratur 
wenig oder gar nicht zusammen, und haben nicht bloss einen fast durchgängig 
fremden Charakter, sondern ruhen auch fast ausschliesslich auf fremder Grundlage. 

Die «Journalistik bildet, wie wir schon mehrmals wiederholten, ei- 
nen Haupttheil der russischen Literatur. Die Politik, in andern Ländern ein 
wahrhaftes tägliches Brod für den Gebildeten, ist in Russland in Folge der Cen- 
surverhältnissc und aus Mangel an Zuneigung fast gänzlich Ternachlässigt; dage- 
gen sind die wissenschaftlich -belletristischen Journale der Centraipunkt und die 
einzige Quelle der Befriedigung solcher Bedürfnisse. Die russische Journalistik 
hat aber ihre Hauptmacht nicht in Tagesblätlern , wie in Westeuropa; die gerin- 
gen Mittel des Verkehrs, die Schwierigkeilen der Ausbreitung Ton Schriften jeder 
Art, der fast ganz darniederliegende Buchhandel, Alles hat dazu beigetragen, in 
Russland die „dicken", die „dickleibigen" Journale zu einem Bedürfnisse zu ma- 
chen. Ein wahres Muster sind in dieser Hinsicht die „vaterländischen Memoiren, 
Oteczestwcnnyja Zapiski"; eine Monatsschrift, die 12 Hefte, jedes zu 25 — 30 
Bogen des grösslen Formates mit engein Druck, also des Jahres etwa so viel als 
einige 800 Octavbogen mittelen Druckes gibt. Kommt so ein Heft in die Provin- 
zialstadt oder gar auf ein Landgut, so fallen alsobald die Menschen darüber her; 
jeder liest, was ihm behagt: die Damen die Novellen und die Modeberichte, die 
Herren die Gedichte, die kritischen Skandalosa, der Oekonom die landwirtschaft- 
lichen Berichte, der Kaufmann die Handelsartikel, die jungen Leute die Miscellen 
und Anekdoten, Niemand aber die wissenschaftlichen Aufsätze, und so geht das 
Buch von Hand zu Hand, bis es jeder gesehen, gelesen oder wenigstens durchge- 
blättert hat. Dazu bedarf man wenigstens 3 Wochen, und nahen nun die letzten 
Tage des Monates, so eilt man wieder auf die Post oder zu dem Boten und kann 
es nicht erwarten, bis frische Nachrichten aus Petersburg ankommen. Das ist 
der Mechanismus, der in der russischen Journallekture herrscht. Gegen ihn vermag 
sich keine Anstrebung zu halten; jede büsst es mit eigenem Schaden. — Unter 
den neuerstandenen Journalen bricht sich der „Moskwitjanin", von Pogodin in 
Moskwa redigirt, mit raschem Glücke Bahn. Die tüchtigsten Kräfte Russlands, 
selbst Gogol sind für denselben thätig und geben der Zeitschrift eine Bedeutung, 
welche immer zunehmen muss, je bekannter dieselbe wird. Geschichte und Kritik 
sind die beiden Angelpunkte dieses Blattes. Sammlungen von historischen Mate- 
rialien und kritische Sichtung der in der belletristischen, wie in der wissenschaft- 
lichen, besonders der historischen Literatur auftauchenden Erscheinungen werden 
nur selten von Erzählungen oder Gedichten, auch ethnographischen Schilderungen 
und dergleichen unterbrochen. (Vergl. die Corresp. aus Petersburg.) Uebrigens 
ist diess Journal in Russland das einzige, welches (neben der polnisch - russi- 
schen Dennica) den Panslawismus, aber nicht etwa den vermeintlichen russischen, 
vertritt. 



SI QW . Jihrii. i. 



31 

Digitized by Google 



VI. 

Spccielle literarisclie Uebersicht. 



Bibliographie. 

Bemerkung: Die mit 0 bezeichneten Schriften werden später weitläufiger besprochen. 



I. Russische Schriften. 

b) Bcllelrislik. 

32. Couuiienin n IlepcBo^i .1 : Dramatische 
Schriften und Uehersetzungen *on Polewoj. 
III. Thl. 560 S. 1«. Petersh. 1S43. Grecz. 
Knthält: Hamlet n. Ugolino. 

33. Dasselbe IV. Thl. 1843. 629 S. Ent- 
hält 3 Dramen: „Tod oder Khre!", Elena 
Glinskaja, und die Spanierin- Mutter (Mariti.- 
QcnaHKa). 

34. UleKcniip-h: Shakespeare, aus d. Eng- 
lischen von Ki'tczcr. XI. u. XII. Lieferung. 
Moskwa 1842. Stepanow. Die Komödie : 
„ Irrungen" und „Makbeth*' enthaltend. 
Die üebersetzung behält ihren frühem, reel- 
len Werth; der folgende Hand ist bereits un- 
ter der Presse. 

35. K.inmna: Fluch bei dem Grabe der 
Mutter, oder der Rächer des Mordes. Drama 
in 5 Akten. Bearbeitet nach dem Romane: 
Die Urne im einsamen Thale. Von A. Go- 
loschczanow. Moskwa 1842. Lazarew. 103 S. 8. 
Deila Rosa ond der Verlag von '"Fürst in 
Nordhausen anf russischem Boden! — 

36. 'Coquiieuin/lepatauuita: Derzawins Wer- 
ke. 4 Tide. 8. I. 28% II. 300, III. 175. IV. 
325 S. Vorrede XI S. Die dritte Auflage 
ton Derzawins Schriften, die vollständigste 
von allen bisher erschienenen, obgleich auch 
hier noch seine prosaischen Schriften , seine 
Briefe, seine Abhandlungen über lyrische 
Poesie u. s. w. fehlen. Eine wichtige Zu- 
gabe ist „das Leben Derzawins" von Sa- 
weljew , obgleich dasselbe fast ein Panegyri- 
kon ist und den grossen Dichter nicht so 
sehr als Dichter, sondern mehr als Men- 
schen zu schildern sich bemüht. 

37. CmuxomBopenin: Gedichte von 2V. Afo/- 
czanow. I. Bd. Petersb. 1842. 270 S. 8. Es 
sollen Muster von schlechten Gedichten, Pro- 
dukte „der Genialität der Talenllosigkeit '» 
sein. 

38. BosKccnmemian Kompa'« : Die göttliche 
Komödie von Dante Alghieri. Ans dein Italie- 
nischen von Van-Dieni. Mit den Originaltext, 
einer einleitenden Biographie Dante"» von 
Strukow. Mit Federzeichnungen von Flachs- 
mann. Petersb. 1842. Fischer. I. Hft. XX, 
61 ii. 6 S. 8. Die höchst gelungene Üeber- 
setzung ist in Prosa und wortgetreu ; der 
Text gegenüberstehend. 

39. TepMain* u ,d,opoinea: Herrmann und 
Dorothea, ein Gedicht in IX Gesängen von 
„dem grossen germanischen .Schriftsteller 
Goethe. Uebers. von TA. AreQcw. Moskwa 
IH42. Peliwanowski. 12. 155 S. Der merk- 



würdige Zusatz auf dem Titel lässt ahnen, 
dass der Uebersetzer selbst nicht viel Ver- 
trauen zu diesem Werke Goethes gehabt hat. 
Seine Üebersetzung entspricht dieser An- 
nahme; denn sie ist so schwach, dass das 
Buch wohl kein Mensch in Russland bis zu 
Ende lesen dürfte. 

40. Co'tiiHPHia : Die Werke von N. Qoqol. 
Vier Theile. Petersb. 1842. Borodin. I. 186 
u. 259 S. II. 490, III. 465. IV. 590 S. Seit 
langem die wichtigste Erscheinung in der 
russischen belletristischen Literatur. Wir ge- 
ben im folgenden Hefte eine vollständige 
Uebersicht derselben. 

41. .low ja oder die Belagerung von Gre- 
nada von ttnlwer. Aus dem Englischen. Mos- 
kwa 1842. Krnst. 16. I. 272, II. 239 S. Die 
Russen berichten, der Roman habe eine so 
gute Üebersetzung nicht verdient; er hätte 
uniibersetzt bleiben sollen. 

42. IIoB-bcmu u PacKä3i>i : Erzählungen nnd 
Novellen von Nestor Kukolnik. Petersb. 1843. 
Boczarow. 293 S. 8. Eine Sammlung der 
besten Erzählungen dieses talentvollen, lei- 
der allzuviel schreibenden Schriftstellers; sie 
besprechen durchgehends die Zeit Peters des 
Grossen und waren früher in verschiedenen 
Journalen zerstreut. 

43. Ii i.i.iii ii HeGbiaHHi'i : Geschehenes nnd 
Ungeschehenes. Fragment aus einem grösse- 
ren Buche: „Die Welt und die Leute." 
Philosophisch - philantropisch- humoristisch - 
satyrisch- malerische Skizzen. Entworfen un- 
ter der Redaktion des Iwan ßalakirew. Er- 
stes Bdchn. „Das Geld." Petersb. 1843. 12. 
116 S. Die Bilder sind ausgezeichnet, der 
Text ist von Polewoj, eine Umarbeitung sei- 
nes früher im „Telegraphen", dann 1832 
als besonderes Buch in 6 Heften herausge- 
gebenen „Neuen Malers der Gesellschaft und 
der Literatur." 

44. Cum: Träume. Erzählnngen von Ä. M. 
Zwei Hefte: 1. Der Pantoffelheld. 2. Die 
Tochter des Gouvernementssekretairs. Pe- 
tersb. 1843. 27 u. 35 S. 8. Nicht ohne Witz 
und Interesse, aber für die niedere Sphäre 
3. „Die Blosse (Noth) ist erlinderisch." 2 Tide. 
22 u. 23 S. 8. Lebendige Darstellung, aber 
ohne Charakter. 

45. CunsKa sa CKa3Kon : Erzählung an Er- 
zählung. II. Bd. Petersb. 1842. 8. 379 S. 
Knkolnik's ausgezeichnete Erzählung: „Der 
Sergeant Iwan Iwanowicz, oder Alle für ei- 
nes" hatte diesem Unternehmen den Hingang 
beim Publikum verschafft. Um diesen zu si- 
chern, wurden die einzelnen Hefte, aus de- 
nen das Unternehmen bestand, zu einem 



Digitized by Google 



«33 



Bande, dem I. vereint; nun folgt ein zwei- 
ter, der gleich jenein Erzählungen von ver- 
schiedenen Verfassern, gute und schlechte 
Artikel, enthält, unter denen aber, wie dort, 
die von Kukoinik, betitelt: „Die Borten 
(IIosYMeHuibi) " die beste ist. Höchst inte- 
ressant ist auch Dal's: „Sawelij Grab oder 
der Doppelgänger.'*— Der III. Bd. 1842. 
355 S. enthält wieder drei Erzählungen von 
Kukoinik, denen insgesammt die Eilfertigkeit 
an der Stirne zu lesen ist, die aber dennoch 
gefallen. Besser und charakteristischer ist 
«las „Soldatenportrait" von Osnowianenko, 
früher in kleinrussischer Sprache erschienen, 
dann 1837 iui „Zeitgenossen" von Dal über- 
setzt; entschieden das beste Geistesprodukt 
jenes Schriftstellers. 

40. IlepoBo^nnitT»: Der Uebersetzer, oder 
hundert und eine Erzählung und vierzigmal 
vierzig Anekdoten. Petersb. 1843. Boczarow. 
Ein guter Gedanke, aber schlecht ausgeführt. 
Die vorliegenden 4 Bände enthalten auf 960 
Seiten sehr Vieles, aber fast gar nichts Gutes. 

47. llcmopia CyBopoBa: Geschichte Suwa- 
row's. Text von N. Polewoj. Mit 130 in den 
Text eingedruckten Kupferstichen nach den 
besten Künstlern. 1. Liefrg. Petersb. 1843. 
gr. 8. 112 S. Der Text ist eine förmlich 
flüchtige Compilation aus den verschieden- 
sten Quellen, die unter der Hand eines sol- 
chen Schriftstellers ein recht lebhaftes Bild 
zu geben im Stande sind. In den drei Lie- 
ferungen sollen 21 Bogen Text gegeben wer- 
den. Speculation! — 

48. <pn3io,ioria JKeHamaro 'le.ioirfeKa : Phy- 
siologie eines Ehemannes, von Paul tte-Kok. 
Aus dem Französ. Petersb. 1843. Zernakow. 
139 S. 18. Uebersetzung gut; die beigege- 
benen Bilder von Merkel nicht selten ausser- 
ordentlich witzig und geistreich. 

49. MocKna u MocKMiun: Moskwa und die 
Moskawer. Memoiren von Bohdan llicz Bjel- 
ski, herausgegeben von Zai/oskin. Ein Heft. 
Moskwa IS42. Stepanow. XX S. 12. Interes- 
sante Darstellung, voll Leben und Kraft. 

50. O'iepKu: Skizzen des Moskawer Le- 
bens. Von P. WUtenhof. Moskwa 1842. Se- 
liwanowski. 210 S.S. Eine satyrisch- humo- 
ristische, aber sehr einseitige Schilderung, 
die überall nur das Schwarze sieht. 

51. OqepKii pyccKHVb HpanoB-b: Skizzen 
russischer Sitten oder die Vorder - u. Rück- 
seite des menschlichen Geschlechtes. Von Th. 
Bulgarin. Herausgeg. (verlegt) von Olchin. 
Petersb. 1843. 40 S. 4. Sie enthalten: 1. Die 
Gegensätze: eine russische Dame von l*>43 
und eine von 1843. 2. U3boiu,iik-Ho<ihuk'i>. 
3. Eine russische Restauration. Die Bilder 
nicht ohne Werth, der Text mit dem unge- 
niessbaren Humor Bulgarins gewürzt. 

52. Hauin, Wir, nach der Natur gezeich- 
net 14. Liefrg.: Der malische Kosak, von 
N. Dal. Eine der besten Piecen dieses an 
guten Sachen nicht armen Unternehmens ; 
eine Skizze aus dem Leben, frisch, glänzend, 
wahr and ergreifend. 



II. Böhmische Schriften. 

a) Wissenschafleu. 

18. Mala Encyklopedie Nauk: Klei- 
ne Encyklopädie der Wissenschaften 2r Tbl. 
IF. W. III. Tuntels* 8 Geschichte Böhmens. 
Mit 3 Karten. Prag 1843. Kronberger. 339 S. 8. 

19. Maly Zemepisny* Atlas: Kleiner 
geographischer Atlas nach den neuesten Be- 
richten und Hilfsquellen zusammengestellt, 
und mit dem nothigen Texte herausgeg. von 
F. Mcrkhts. Prag 1843. 

20. Atlas Stare ho Sweta: Atlas der 
alten Welt. Geordnet v. F. Merklas. 1 Karte: 
Der Umkreis der , den Alten bekannten Welt. 

21. Uplny nemecko-eesky* Slovnik. 
Ausführliches deutsch - böhmisches Wörter- 
buch. Von ./. Frauta Schumavsky. Prag 1843. 
Spurny. 1. Heft. 

22. Slownik: Oekpnomisch -technisches 
Wörterbuch für Beamte, Förster, Baumeister 
und Landwirthe. Böhmisch und deutsch zu- 
sammengestellt von F. R. Schpnlny. Mit ei- 
ner einleitenden Vorrede von Dr. J. Lumbe. 
Prag 1843. Spinka. e 

23. C e I e d n i W u d c e : Der Familienfüh- 
rer. Von Ii. Ad. Weleslawin. III. Aull. Prag 
1843. Spinka. 

b) Belletristik. 

17. Rukopis Kralodvorski: Koni- 
ginhofer Handschrift und andere vortreff- 
liche Lieder. Wortgetreu in der ursprüng- 
lichen alten Sprache mit Beigabe einer pol- 
nischen, südrussischen, illyrischen und eng- 
lischen Uebersetzung. IV. Aufl. von IFen- 
zeslav Hanka. Prag 1843. 

18. Pisne Nurodni : Volkslieder in Böh- 
men. Gesammelt von K. J. Erben. 2s Heft. 
Prag 1843. Pospischil. 

19. Zäbawne Spisy: Unterhaltende 
Schriften von Jan Z. Httezdy. Is Hft. Balla- 
den und Romanzen. Prag 1843. Pospischil. 

20. Warito a Lyra: Gedichte und Lie- 
der von Kail irinaricki. Prag 1943. Haase. 
Prachtausgabe, mit schönen Stichen. 

21. B a s n e : Gedichte von Vittcenz Furch. 
Ollmütz 1843. 

22. Letopisowe*Trojan§ti: Troja- 
nische Annalen, das ist: Die Beschreibung 
des zehnjährigen Kampfes der Griechen mit 
dem Könige Priamus ; sowie der Belagerung 
und der verräterischen Einnahme und Zer- 
störung der weltberühmten Stadt Troja am 
der Königstochter Helena willen. Ote Aufl. 
Prag 1843. 

23. Pomnenky: Erinnerungen an das 
Jahr 1843. Prag, Pospischil. Mit Stichen 
von Merklas. 44 S. 

24. P a 1 e c e k : Der Däumling, der Freund 
des Scherzes und der Wahrheit. In die Welt 
gesandt von Fr. Rubcsch. 6s u. 7s Heft. 
Prag, Spurny. 



Digitized by Ggpgle ' 



«34 



25. Oliver Twist: oder die Jagend 
eines Waisenknaben. Aus dem Kngl. von 
M. Finlka. 1. Lift. Prag 1843. Pospischil. 

26. "Obrazy: Bilder, Erzählungen und 
Anekdoten aus dem volkstümlichen und ge- 
sellschaftlichen Leben in Osteuropa. Aus 
Originalquelicn übersetzt von K. ll'l. Znp. 
Prag 1843. Calve. VIII, 171 S. 

27. Preklady: Uebersetzungen der Klas- 



siker aller Volker und Zeiten. II. Thom- 
sons Jahreszeiten. In böhmische Verse ge- 
bracht von Fr. Daucha. Prag 1842. Spurny. 
XL, 198 S. 

28. Von denselben Uebersetzungen : Othel- 
lo, der Mohr von Venedig. Von Shake- 
speare. Aus dem Engl, von J. Mnbj. Prag 
1843. Spinka. 158 S. 



B) Zeitschr 

Augsburger Allgein. Zeitung. 

Nr. 67 wird in einem Berichte über die pol- 
nisch -preussische Grenze der Zudrang der 
russischen Ueberläufer als eine immer mehr 
fühlbare Last dargestellt, da sie die Bevöl- 
kerung des Landes über das Maass vermeh- 
ren, „überdies« grösstenteils so gränzenlos 
roh und dem Branntweingenuss in so über- 
mässigem Grade ergeben sind, dass ihr Zu- 
fiuss schon aus diesem einen Grunde unse- 
rer für Volksbildung unablässig bemühten 
Regierung störend in den Weg treten mnss. 
Es wird daher in allen diesseitigen Grenz- 
kreisen unzweifelhaft der Wunsch allgemein 
getheilt, dass es unserer Regierung gelingen 
möge, ohne Verletzung der Humanität dem 
Uebelstande zu begegnen." So schön dies 
klingt, so ist doch der geheime Grund die- 
ser Besorgnisse schlecht verborgen. Man 
besorgt einen zu starken Andrang und da- 
durch das Uebergewicht der polnischen über 
die deutsche Bevölkerung im Grossherzog- 
thum Posen noch höher zu steigern. Augen- 
zeugen, welche uns erst vor wenigen Tagen 
von dort berichteten, versichern, dass die 
Ueberläufer nicht selten mit Gewehr und voll- 
ständiger Walle herüberkommen, fast durch- 
gängig junge, rüstige, für jede Arbeit ge- 
wachsene Männer sind, gegen deren morali- 
sche Aufführung man nur äusserst selten et- 
was einzuwenden habe. — Nr. 69. Beilage. 
„Die deutschen Ansiedler in der Krim." 
Eino interessante Darstellung derselben mit 
statistischen Nachrichten. Es sind 9 Dörfer 
mit etwa 4000 Einwohnern. — Nr. 74. Beil. 
Ein wie es scheint officieller Bericht über 
die Reise des serbischen Fürsten Alexander, 
aus welcher man am zuverlässigsten die Zu- 
stande des Landes ermessen kann. — Nr. 79. 
In einem Berichte über die Differenzen zwi- 
schen den Posenern Ständen und der Regie- 
rung in Folge der Addresse jener wird es 
„bemerkenswert gefunden, dass der Land- 
tagsmarschall Graf v. Potworowski einer pro- 
testantischen Adelsfamilie angehört, gleich- 
wohl aber was die angeblich (ei ! ei !) natio- 
nalen Forderungen seiner durchgehends ka- 
tholischen Standesgenossen betrifft, mit die- 
sen völlig übereinstimmte.'* Kann der „All- 
gemeine" nicht begreifen, dass man guter 
Protestant und guter Pole zu gleicher Zeit 
sein kann? — Nr. 81. Beil. Enthält interes- 
sante Details über die von der Petersburger 



iftenrevue. 

Gesellschaft für Schafzucht im südlichen Russ- 
land in Tschota (Czota) in der Krim ange- 
legten Etablissements für Mennoschafzucht. — 
Nr. 62. Beil. „ Deutsche Zeit - und Flug- 
schriften über Ungarn" vom Grafen Mailäth, 
eine recht ehrenwerthe Abfertigung der 
„Vierteljahrsschrift aus und für Ungarn." 
Der Graf wirft ihr vor, sie sei eine (radi- 
cale) Parteischrift, sie gebe unwahre That- 
sachen, sei mithin Lügnerin, und zeichne 
sich besonders durch die ungünstige Rich- 
tung gegen die nicht ungarisch (magyarisch) 
redenden Bewohner von Ungarn aus. Viel 
schlimmer noch als mit den Deutschen geht 
Hr. Henszlrnann, der als Redacteur bekannt 
ist, mit den Slawen um. Ohne selbst die- 
sem Stamme anzugehören, spricht sich der 
Graf über diesen Gegenstand so aus: „Die 
Beschuldigungen (gegen die Slawen) sind 
stark; es heisst S. 24: „Fragt es sich, wem 
das Land seine nicht genug zu schätzende 
Unabhängigkeit und Freiheit zu verdanken 
habe, so muss die Antwort hierauf lauten, 
dem Ungarn und seiner Nationalität, indem 
hiezu die andern Völker des Reichs gar nichts 
beigetragen, vielmehr von jeher sichtlich hem- 
mend und verderbend eingewirkt haben." 
Ich finde das rechte Wort nicht oder viel- 
mehr ich will das rechte Wort nicht brau- 
chen, welches diese Stelle verdient. Weiss 
denn Herr Henszlrnann nicht, dass in den 
zweihundertjährigen Kämpfen mit den Tür- 
ken, um die Unabhängigkeit und Freiheit 
Ungarns, wenigstens ebenso viel deutsches 
und slawisches Blut geflossen ist als magya- 
risches? War Johann Hunyadi kein Walache, 
war Niklas Zrinyi kein Croat? Man sollte 
sich schämen, Behauptungen in die Welt zu 
schicken, die jeder Schulknabe widerlegen 
kann. Herr Henszlrnann behauptet ferner, 
dass die slawischen, croatischen und slawo- 
ntschen Comitate sich jedem Fortschritt ent- 
gegenstellen. Diess mag freilich in den Au- 
gen eines Schriftstellers Sünde sein, der zur 
sogenannten gallopirenden Partei gehört, aber 
in den Augen derer, die Fortschritt ohne Um- 
sturz der Verfassung wollen, ist diess ein 
grosses Verdienst. Uehrigens beweist diese 
Behauptung, dass Hr. Henszlrnann die Ge- 
schichte des Landtags von I825^ycht kennt. 
In einer Beschuldigung der Stawen treffen 
die Herren Henszlrnann und Pulszky zusam- 
men , und diese Beschuldigung ist iiiehts Ge- 



Digitized by Google 



£35 



ringeres, als dass die Slawen in Ungarn ihr 
Heil vom Norden und Süden erwarten. Diess 
heisst nichts weniger als einen ganzen Volks- 
stamm des Hochverratiis beschuldigen. Hiner 
selchen Beschuldigung kann man nicht offen, 
fest und ernst genug entgegentretes. Wer 
sein Heil von etwas anderm erwartet als von 
Ungarns gesetzgebendem Körper, von seinem 
gekrönten König, ist ein Hocliverräther. Wir 
aber sagen mit stolzem Selbstbewusstseyn : 
in Ungarn gibt es keinen Hocliverräther.'* 
S. 91 spricht Hr. Pulszky die Hoffnung ans, 
dass man über die Beschwerden der Slawen 
bald etwas Genaueres erfahren werde. Diese 
Hoffnung theile ich auch, aber nicht darum, 
weil der Generalconvent der Evangelischen, 
wie Herr Pulszky sagt, ein Untersuchnngs- 
comite ernannt hat, denn die Klagen der 
Slawen sind ja eben meistens gegen den 
Generalconvent gerichtet, sondern die Sache 
wird ins Klare kommen, weil die evangeli- 
schen Superintendenten ihre Klagen an den 
Stufen des Throns bereits niedergelegt ha- 
ben." Das einzige Gute in der Vierteljahrs- 
schrift 6ei die Besprechung "zweier Flug- 
schriften über Ungarn von Lukacs, einem 
gemässigten Oppositionellen. — Nr. 92 u. 93. 
Ueber den Fürsten Dolgoruki und Golowin, 
welche Schriften über Russland, jener: No- 
tice sur les principales familles de Knssie 
par le Comte d'Almagro (bereits herausge- 
geben), und: Histoire de Russie depuis 
l'avenement de la dynastie de Romanow 
(zum Drucke vorbereitet) , dieser ein poli- 
tisch öconomisches Werk, worin die Frage 
der Leibeigenschaft mit vieler Freiheit ver- 
handelt wird, verfasst haben, wird deutlicher 
Bericht erstattet und ihre Rückkehr als da- 
von abhängig bezeichnet. Ueber die halb- 
constitutionelle Verfassung von Russland vor 
den Romanow's ist man in Russland aller- 
dings unterrichtet, obgleich die Sache weder 
mit dem Namen bezeichnet, noch in öffent- 
lichen Blättern genauer detaillirt werden darf. 
Dem Historiker wie dem Staatsmann ist sie 
bekannt genug. — Nr. 97. Der ungarische 
Adel und die ungarischen Finanzen-, als eine 
Antwort gegen die Beschuldigungen der ma- 
gyarischen Ultra -Partei, als habe Hr. Dr. J. 
Wildner, Edler von xVIaithstein , in seinem 
Buche /über diesen Gegenstand falsche An- 
sichten verbreitet. — Nr. 98. Eine „Erklä- 
rung über die Vierteljahrsschrift ans und für 
Ungarn", gegen den früher erwähnten Be- 
richt vom Grafen Mailäth über diese Schrift 
von ihrem Redakteur Henszlmann. Es heisst 
darin : man wundere sich , dass Graf Mailäth 
beweisen wolle, dass die Vierteljahrsschrift 
und Pulszky „die Slowaken in Ungarn des 
Hochverratiis beschuldige", wovon er sich 
früher nichts habe träumen lassen. Also An- 
hänglichkeit eines österreichischen Untertha- 
nen an den russischen Kaiser ist kein Hoch- 
verrath? Weiter heisst es: Was brauchte 
Graf M :läth Zrinyi als Croaten, Hunyady 
als Walu 'ien anzuführen? Kann ihm doch 
jeder Schulknabe darauf antworten, dass 
beide durch und durch Ungarn waren, und 



dass er als Chronist wohl hätte wissen sol- 
len, dass eine ungarische Correspondenz 
von Nikolaus Zrinyi noch heutzutage existirt. 
Freilich hätte der Graf nicht zu erinnern 
brauchen, dass die beiden Männer, vielleicht 
die grÖssten Helden der ungarischen Ge- 
schichte, einer gegenwärtig in Ungarn „frem- 
den" Nation angehörten. Sie waren durch 
und durch Ungarn, aber nicht ein Funke von 
Magyaren. Darin liegt der ganze Zorn des 
Herrn Henszlmann. — Nr. 100. Der Abfall 
des Grafen Mirski von der polnischen Sache 
wird berichtet. Sein Brief an den in War- 
schau zurückgebliebenen Sohn wird mttge- 
theiit, sowie die demselben hierauf ertheilte 
Erklärung von Seiten der Polen in Paris, 
worin sie als ihre Pflicht bezeichnen, „zu- 
sammenzutreten, um im Namen Gottes in 
unserer Seele und in unserem Gewissen ein 
Urtheil auszusprechen über diese Handlung 
Mirski's. " Sie haben dieselbe daher „ver- 
dammt: als einen Hochverrath gegen die 
polnische Nation, welche frommen Herzens 
treu geblieben ist dem göttlichen Gedanken, 
den sie repräsentirt und dessen Symbol sie 
ihrem Glauben und in ihren Hoffnungen be- 
wahrt; als einen Act der Veuleumdung ge- 
gen die polnische Emigration , welche ihrer 
nationalen Sendung treu bleiben wird; als 
eine Beleidigung gegen den ganzen slawi- 
schen Stamm , der aus Instinkt jede Art von 
Verrätherei verabscheut; als einen Act der 
Undankbarkeit gegen Frankreich, unser 
Schwestervaterland , welches Mirski unter 
dem Rechtstitel eines Verlheidigers der pol- 
nischen Nationalität an seinen Heerd aufge- 
nommen, und dessen Brod er gegessen an 
demselben Tage, da er auf seinen Frevel 
gegen die polnische Nationalität bedacht war. 
Wir Unterzeichneten haben beschlossen, die- 
ses Urtheil, den Ausdruck unserer gemein- 
samen Gesinnung, zur Kcnntniss Polens, 
Frankreichs und der slawischen Völker zu 
bringen, die Originalurkunde aber aufzube- 
wahren, um sie eines Tages der Regierung 
zuzustellen, welche die Vorsehung beauftragt 
haben wird , factisch auf Erden die Gerech- 
tigkeit zu üben, welche wir nach unserer 
innigsten Ueberzeugung heute moralisch aus- 
geübt haben vor Gott." — In der Beilage 
wird in einem Artikel aus Ungarn dem öster- 
reichischen Kaieerstaate der Titel eines deut- 
schen abgesprochen ; später scharf getadelt, 
dass „endlich gar diejenigen Gegenden Un- 
garns , die zum Theil nur untermischt von 
sonst keine besonderen politischen Rechte 
geniessenden Slawen bewohnt werden, ein 
Slawengebiet genannt werden ;" zuletzt noch 
behauptet, „es klinge beinahe gar zu ko- 
misch, dass man das natürliche, folglich ohne- 
hin nicht bestreitbare Recht der Deutschen 
wie der Slawen beweisen wolle, auch in Un- 
garn ihre Muttersprache reden zu dürfen." 
(Also blos reden, also nicht schreiben? — 
Und warum verbietet man dann slawische 
Predigten in rein slawischen Gemeinden?) — 
Nr. 112. Zwei tüchtige Artikel aus Ungarn 
über die Eisenbahn nach Fiume und den un- 



Digitized by Google 



236 



garisclien Handel; dann ein persönlicher 
Ausfall Kossutlis gegen Maititstein, welcher 
uns einen Begriff gibt, was für eine Sprache 
dieser berühmte magyarische Held, der Ver- 
räther seiner angeborenen Nationalität, 211 
führen gewohnt isl. — Nr. 113. Noch ein 
Artikel über die Eisenbahn nach Finme. — 
Nr. 114. Nachrichten über Excesse bei den 
Comitatswahlen in Ungarn, welche die Co- 
mitatsverfassung dieses stürmischen Landes 
von ihrer traurigsten Seite darstellen. Bei- 
lage : Bericht über „Palacky's Geschichte von 
Böhmen." 3 Bände. Der Ref. deutet auf 
die deutsche Geschichtsforschung und ihre 
Früchte hin und fährt dann fort: „Auch die 
slawischen Länder geben Zeugnis» von die- 
sen Einflüssen deutschen Strebens, und so 
gern sich der moderne Slawismus als abge- 
schlossene Nationalität dem Germanenthum 
gegenüberstellt, so wenig ist es seiner Wis- 
senschaft, zunächst seiner Geschichtsschrei- 
bung gelungen, sich von den germanischen 
Einflüssen völlig zu emancipiren. Insofern 
war uns Palacky's böhmische Geschichte eine 
sehr interessante Erscheinung; der Verf. ist 
böhmisch, sehr gut böhmisch gesinnt; die 
deutsche Geschichtsforschung muss manche 
bittere Pille verschlucken, weil sie beim 
Conflikt beider Interessen bisweilen lebhaf- 
ter sich fürs Deutsche erklärte als fürs Sla- 
wische, oder weil sie einen Fürsten in ger- 
manischem Sinne schlecht nannte, den der 
Slawe unbeschadet für gut halten kann. Der 
individuelle Charakter stellt sich auch in Un- 
bedeutendem sehr schrofl* und oft feindselig 
dem deutschen entgegen; allein dessen un- 
geachtet ist der Verf. in Inhalt und Form 
ein Kind der deutschen Bildung, und so im- 
ponirend uns der böhmische Patriotismus die 
Spitze bietet, wir finden allenthalben nur die 
Frucht deutscher Studien , ein Krzeugniss 
deutscher historischer Kunst. Weit entfernt, 
dieses Zwiespältige einer slawischen Natio- 
nalität und einer fremden Sprache und Bil- 
dung tadeln zu wollen, wünschen wir allen 
deutschen Historikern eine so kräftige und 
bestimmte Liebe zu dem Ihrigen, wie Pa- 
lacky für das Seinige sie besitzt und den 
Deutschen sie zuzutrauen scheint; der Ge- 
sammteindruck eines historischen Werkes 
würde ein ganz anderer sein, als er bei der 
allumfassenden kosmopolitisch verschwim- 
menden überzeugungslosen Mehrzahl unse- 
rer Geschichtsschreiber zu sein pflegt." 
Die Darstellung der alten Zustände in Böh- 
men wird sehr gelobt; die Kämpfe mit den 
Karolingern und ihren Vorgängern schildert 
uns der Verf. mit überlegener Kenntniss 
deutscher und böhmischer Quellen. Interes- 
sante „Aufschlüsse" gibt seine Schilderung 
des böhmischen Volkslebens im Heidenthnme. 
Charakteristisch sei die „rein apologetische 
Stellung" Palacky's den deutschen Geschichts- 
schreibern gegenüber, die immer entschiede- 
ner hervorträte, je weiter deutsche und böh- 
mische Interessen anfingen, sich feindlich zu 
werden. Ganz anders erscheine bei dem 
böhmischen Historikern Rudolph von Uabs- 



bnrg und Ottokar der II. von Böhmen. Pa- 
Iacky rücke den deutschen Historikern ihre 
Sünden an Ottokar vor und halte dem „Heere 
althergebrachter Lügen" seine richtigere 
Zeichnung entgegen. Der Glanzpunkt des 
Werkes sei die Darstellung Carls des IV., 
welche die wohlthätigen Leistungen dieses 
Monarchen in den hellsten Farben der Wahr- 
heit schildert So habe Palacky „ein Recht 
darauf stolz zu sein, die inneren Zustände 
seines Vaterlandes ganz anders aufgehellt zu 
haben, als es der oberflächlichen Kenntniss 
ausländischer Historiker möglich gewesen.*' 
Im Ganzen aber wird ihm Ueberschätzung sei- 
ner slawischen Nationalität vorgeworfen, und 
er, bei seiner vorwaltenden nationalen Ten- 
denz vielfacher Uebergriffe gegen das Deutsch- 
thum beschuldigt. Der Beriebt schliesst dann: 
„Von diesem Gesichtspunkte aus war uns 
Palacky's Werk, wissenschaftlich eine der be- 
deutendsten Erscheinungen des modernen Sla- 
wismus, vielfach interessant; nicht die ge- 
diegene Forschung, die gewandte und an- 
ziehende Darstellung wollten wir dem deut- 
schen Publikum empfehlen, wir wollten haupt- 
sächlich auch zeigen, welche Anmuthungen 
uns eine Nation thun kann, die es noch nicht 
einmal so weit gebracht hat, für ihre wissen- 
schaftliche Thätigkeit ihre eigene National - 
spräche allgemein gebrauchen zu können (?). 
Man borgt unsere Bildung, unsere Sprache 
sogar, und dann hofmeistert man auf gut 
kosmopolitisch die Aeusserungen der deut- 
schen vaterländischen Gesinnung. Palacky 
ist Böhme, denkt und schreibt als Böhme; 
gut. Warum sollen wir nicht Deutsche sein, 
als Deutsche denken, schreiben — und han- 
deln dürfen?" — Nr. 119. 120 u. 121 ist 
Paget's Reise von Pesth nach Fiume mitge- 
theilt. Nr. 124 wird „auf die kaum besieg- 
baren Hindernisse", in Posen eine Univer- 
sitätsstadt zu gründen, folgendermaassen hin- 
gewiesen: „Abgesehen davon, dass der prens- 
sischen Regierung besonders daran gelegen 
sein muss, dass die jungen Polen dieser 
Provinz eine deutsche (aber um Gotteswillen 
keine nationale) Bildung ei halten, damit sie 
für den Staatsdienst verwendbar werden 
(was nach des Correspondenten Ansicht na- 
türlich erst möglich wird, wenn sie eine blos 
deutsche, dem Polonismus ganz fremde, ja 
wo möglich feindselige Bildung und Gesin- 
nung erhalten) , würde der Staat enorme 
Summen bewilligen müssen, ohne welche 
hier eine Universität nicht ins Leben geru- 
fen werden könnte (wie aber, wenn der pol- 
nische Patriotismus diese Summen herbei- 
schaffte?). Gesetzt aber, die Regierung wäre 
geneigt, in das Project einzugehen, so könnte 
diese Universität doch nur für die jungen 
Polen dieser Provinz berechnet sein, denn 
aus dem Königreich Polen und aus Galizien 
wäre schwerlich ein Zufluss za erwarten 
(wer kann das behaupten? wie leicht könnte 
Russland plötzlich den Besuch dieser Uni- 
versität gestatten ; und Oesterreich lässt seine 
slawischen Jünglinge aus Ungarn auch die 
deutschen Universitäten besuchen;. Wie gross 



Digitized by Google 



ist nnn aber diese Zahl der jungen Polen, 
die alljährlich die Universität beziehen? Viel- 
leicht 60 bis 70. (Leitler wahr, aber worin 
liegt der Grund? Wold nur eben in dem 
Mangel einer^nolnischen Universität, um des- 
sentwillen so viele junge Polen sich den hö- 
heren Studien theils nicht widmen wollen 
aus nationelltr Abneigung, theils nicht kön- 
nen, weil sie voraus sehen, dass sie einen 
entsprechenden Nutzen von dem Besuch ei- 
ner deutschen Universität nicht haben). Wo- 
her sodann die Professoren nehmen? Wenn 
von einer Universität im deutschen Sinne 
des Wortes die Rede sein soll, wo sind die 
nöthigen Lehrer zu linden ? Aus Polen wird 
man sie doch wohl nicht kommen lassen, 
und ebenso wenig aus russisch Litthauen, 
wo vielleicht noch einige tüchtige Literaten 
aufzutreiben wären (ganz conseqtient; denn 
in Berlin concentrirt man die besten Kräfte 
der deutschen Wissenschaft aus Nord und 
Süd, aus Ost und West; aber mit den Polen 
ist es doch eine ganz andere Sache). Noch 
viel weniger aber aus Paris und Belgien, 
wo die Koryphäen der polnischen Literatur 
zur Zeit in der Verbannung leben (denn 
man muss diesen Freiheitsmännern ihre wohl- 
verdiente Strafe von 1631 gehörig abbüssen 
lassen). Auch aus Krakau könnte die neue 
Hochschule sich nicht rekrutiren, indem die 
dortigen Lehrer für wenig Arbeit sehr gut 
bezahlt sind und daher schwerlich geneigt 
sein würden, ihre Quasi -Sinecuren aufzuge- 
ben. Also wäre man auf die Gelehrten im 
hiesigen Grossherzogthum beschränkt. Deren 
Zahl aber ist nicht gross, und von den vor- 
handenen eignet sich wohl auch nur der 
kleinste Theil für einen akademischen Lehr- 
stuhl. Das hiesige katholische Priestersemi- 
nar, das man zu einer solchen Fakultät zu 
erweitern beabsichtigt, hat bisher keine Leh- 
rer von polnischer Zunge finden können, und 
ist daher ganz mit deutschen Lehrern besetzt. 
(Das „Können" erleidet wohl hier eine theil- 
weise Interpretation durch „Wollen und Dür- 
fen"). Noch schlimmer würde es mit einer 
evangelisch -theologischen Facultät aussehen. 
Unter den hiesigen Juristen, welche entwe- 
der Polen sind oder doch fertig polnisch 
sprechen, sind viele unbezweifelt tüchtige 
Männer, aber sie sind insgesammt prakti- 
sche Juristen und qualificiren sich darum 
wohl schwerlich für den Katheder. Nur für 
die philosophische Fakultät würden vielleicht 
einige brauchbare Männer zu gewinnen sein; 
so für die Philosophie im engern Sinn Tren- 
towski, für die Mathematik Libelt, für clas- 
sische Philologie Trojanski und Wannowski, 
und für slawische Literatur Cybulski. Dazu 
wären noch einige vielversprechende junge 
Männer zu rechnen , die mit der Zeit etwas 
Tüchtiges leisten können. — Nr. 125 u. lf. 
„Kussland und der Panslawismus ", ein Be- 
richt über einen Artikel des polnischen Gra- 
fen Jablonowski, worin er bei der Bespre- 
chung des Adelsbuches vom Fürsten Dolgo- 
ruki Folgendes äussert: „Das Misslingen 
der letzten Revolution, Enropa's Gleichgül- 



tigkeit für das Loos Polens, die Grösse ei- 
ner Idee, welche die Familie Romanow so 
geschickt war, unter den Auspicien des Li- 
beralismus und der Poesie zu verbreiten — 
mit einem Worte die Grosse der slawischen 
Frage — dies Alles dämpft in Polen den 
Aufschwung eines Patriotismus, der im Fall 
ist, sich modiheiren zu müssen, denn eine 
edlere und umfassendere Idee hat ihn be- 
wältigt." Allerdings ist der Panslawismus 
eine umfassendere Idee, aber keine edlere; 
denn er schliesst den Patriotismus der ein- 
zelnen Nationalitäten keineswegs aus , son- 
dern macht ihn vielmehr zur Hauptbedin- 
gung, und darum ist es falsch, dass das 
Haus Romanow der ächte Repräsentant des 
Slawenthums sei, denn es erkennt die ande- 
ren Nationalitäten nicht als selbständig an ; 
darum ist es falsch, dass die Polen in Frank- 
reich „gleichsam nur den Kern eines ent- 
arteten, unslawisch gewordenen Polens" bil- 
den; sie haben es nur noch nicht erkannt, 
dass die slawische Idee über der polnischen 
steht, und trotzdem die polnische nicht ab- 
sorbirt, sondern vielmehr vollkommen ent- 
faltet und in Geltung gebracht wissen will. 
Anders werde über die Stellung des russi- 
schen und polnischen Adels in der Schrift: 
„Slawen, Russen und Germanen" geu i theilt, 
welche „trotz aller Anerkennung, die sie 
Russtand zollt, die Idee einer Anschliessung 
der Westslawen an das nordische Kaiser- 
reich weit von sich weist, und für diese wie 
für die Südslawen nur Heil sieht, wenn 
Oesterreich bis nach Bulgarien hin über sie 
den Schutz oder die Macht übe, die ihm 
über sie in natürlicher Weise zukomme. " 
Nun werden mehrere und zwar „die präg- 
nantesten" Stellen aus dem Buche mitge- 
theilt, und vielfach näher gewürdigt. — 
Nr. 129. Ueber die Resultate der Comitats- 
wahlen in Ungarn und die dabei vorgefalle- 
nen Excesse. Dann aus Bosnien eine Dar- 
stellung der fürchterlichen Lage der Christen 
daselbst. Die Gräuel und Grausamkeiten der 
einzelnen Beys und des Wessirs von Mostar 
übersteigen alle Vorstellungen. — Nr. 130 
wird die Correspondenz zwischen dem rus- 
sischen und türkischen Hofe über die serbi- 
sche Frage mitgetheilt — Nr. 132. Eine 
wichtige Verhandlung des englischen Ober- 
hauses über dieselbe Frage. — Nr. 133. 
Fortgesetzte Berichte über die Comitats- 
wahlen in Ungarn. — Nr. 136 werden die 
vorzüglichsten Reformmaassregeln und Ge- 
setzesvorschläge der Comitate in Ungarn 
folgendermaassen zusammengestellt: Aufhe- 
bung der Avicität und Majorate, Verleihung 
des Besitzrechtes und der Befähigung für 
alle Staatsämter auch an Nichtadlige, die 
gezwungene Ablösburkeit der Urbariallasten 
(versteht sich nach dem Schätzungswerth, 
während bis jetzt zur Ablösung die Einwilli- 
gung des Grundherrn erforderlich ist und 
der Betrag der Ablösungssumme durch ge- 
genseitiges Uebereinkommen bestimmt wird), 
Organisation und Verbesserung des Volks- 
unterrichts, Reform der Städteverfassung 



Digitized by Google 



23$ 



durch Ausdehnung des Wahlrechts auf die 
ganze Burgerschaft und eine breitere Basis 
der Qualihcation für Ausübung der Burger- 
rechte, Vermehrung der Städtevota auf dem 
Reichstage (hierin variiren die Comitate zwi- 
schen 8 bis 10 Voten) , Ausdehnung der po- 
litischen Rechte des Adels auf die sogenann- 
ten Honoratioren oder Capacitäten, Errich- 
tung einer Bank, Maassregeln zur Beförde- 
rung des Handels, Schutzzölle für einige im 
Lande aufblühende Gewerbszweige, Bau. ei- 
nes sturmsichern Hafens in, und einer Ei- 
senbahn nach Fiume, die Vereinigung von 
Siebenbürgen mit Ungarn in einen Staats- 
körper, Abhülfe der Beschwerden der Pro- 
testanten und vollkommene Religionsgleich- 
heit, Pressfreiheit , Einführung der ungari- 
schen Sprache in alle Zweige der Staats- 
verwaltung, Bezahlung der bisher von den 
Einwohnern Pressburgs umsonst gegebenen 
Reichsquartiere u. s. w. TJeber das erwei- 
terte Stimmrecht der Städte auf dem unga- 
rischen Landtage wird eine genaue histori- 
sche und staatsrechtliche Darstellung gege- 
ben. — Nr. 139. Ueber den Sprachenkampf 
in Ungarn schreibt ein Ungar in durchge- 
hends magyarischem Sinne. — Nr. 140. Neue 
Zusätze zu den Comitatsverhandlungen. Dar- 
stellung der katholischen Religionsverhältnisse 
in Russland aus den Blättern von Görres. — 
Nr. 145. Die Eröffnung des ungarischen 
Reichstags und die acht königlichen Propo- 
sitionen, unter denen die Sache der könig- 
lichen Freistädte, aber kein Wort von dem 
Schutze für die nichtmagyarischen Nationa- 
litäten vorkommt. — Nr. 147. Der serbische 
Courier über die türkische Entscheidung der 
serbischen Sache. — Nr. 149. Eröffnungs- 
rede des Kaisers am ungarischen Landtage. 
Dann ein Bericht über dieselbe und die kö- 
niglichen Propositionen. Darin heisst es un- 
ter andern: „Durch diese Propositionen ist 
die Regierung in eine ganz neue Phase in 
Bezug auf das ungarische Staatsleben getre- 
ten, und das Erstemal seit einem halben Jahr- 
hundert sehen wir sie wieder ihre Aufgabe 
vollständig erfassend. Längst musste es je- 
dem mit dem Zustande Ungarns bekannten 
Zeugen klar geworden sein, dass es sich in 
Ungarn noch vielmehr um das Construi- 
ren als um das Conserviren handle, und 
das Letzte nur durch das Erste möglich sei, 
eine Verpflichtung, welche die Regierung zu 
lange von sich abgewiesen hatte, anderen 
Händen sie überlassend. Je fester dieselbe 
sich auf den Boden der Principien stellt, 
desto unangreifbarer wird sie, und es ist von 
Seiten der Staatsverwaltung eben so merk- 
würdig als wohlgethan, dass sie sich aller je- 
ner Gegenstände aus freiem Willen bemächti- 
ge, welchen die öffentliche Meinung Geltung 
verschafft hat. Die Regierung ist nie stärker 
gewesen, als in diesem Augenblicke, denn 



anter diesen Umständen kann ihr die Hülfe 
des Landtages nicht ausbleiben." — Nr. 1dl. 
Eine Erwiderung auf den Artikel von Nr. 136 
über die Stimmen der Städte auf dem ungari- 
schen Reichstage, mit Thatsacheji unterstützt. 

Dxiennilt Doinowy (Haustage- 
blatt;, seit 1842 bei Kamienski in Posen er- 
scheinend.) Nr. 1 — 8. Die Zeitschrift er- 
weitert ihren Bereich ; sie will nicht blos Un- 
terhaltungsblatt für Frauen sein, sondern 
dieselben auch belehren. Die Redaktion 
driickt sich darüber folgendermaassen aus: 
„Unsere Zeitschrift ist den Frauen gewid- 
met. Nur aus alter Anhänglichkeit an die 
Mode legen wir Modekupfer bei, nicht um 
auf die Mode Gewicht zu legen. Unsere Be- 
strebung besteht hauptsächlich darin, um 
der andern Hälfte des Menschengeschlechtes 
etwas Entsprechendes und dem allgemeinen 
Besten Dienliches darzubieten. — Von die- 
sem Grundsatze ausgehend kündigen wir den 
um die Erziehung ihrer Kinder besorgten 
Müttern an, dass sich eine Zeit des ver- 
schiedenartigen Auffassens der religiösen Be- 
griffe nahet. Wir bedanern, dass nicht alles 
mehr in seinem alten Kreise fortgeht, aber 
es gibt kein Mittel dagegen, denn es sind 
bereits die besten polnischen Schriftsteller 
auf diesen Ocean hinausgeschwommen, eben 
so gut wie die andern europäischen Völker 
auf demselben herumschwimmen. Wir em- 
pfehlen daher Allen nur eine gottesfürchtige 
Erziehung nach den Grundsätzen ihrer Kirche 
an, und die Vermeidung aller Bestrebungen 
nach Vorwärts. Dieser Taumel wird in ei- 
nigen Jahren wieder vorüber gehen, aber 
eine Frau , die einmal als Theolog verlacht 
worden ist, gewinnt ihre Achtung nie wie- 
der.** In diesem Sinne ist denn nun sofort 
in jeder Nummer ein Artikel über Theolo- 
gie gegeben. Neben denselben bilden wis- 
senschaftliche Artikel über die Stellung der 
Frauen, so z. B. in Nr. 1 u. 2: „Ueber die 
politische Bedeutung der Frauen**, so wie 
rein wissenschaftliche Abhandtungen, wenn 
auch in gefälliger Form, mit steter Berück- 
sichtigung auf das für das weibliche Ge- 
schlecht Wissenswürdige, z. B. eine Abhand- 
lung über Osteologie, eine ernste Lektüre. 
Der meiste Raum indess ist der Erzählung 
gewidmet, und in diesem Fache steht der 
Dziennik über den meisten polnischen Jour- 
nalen. Die „Ode", eine höchst gelungene 
Erzählung aus den Zeiten Boleslaw Chro- 
bry's Ton Severin Goszczynski, eröffnet die- 
sen Jahrgang. An sie schliesst sich sehr 
ehrenvoll eine zweite Erzählung von B. F. 
„Der Vater Cyrill als Ordensbruder'* (Nr. 6). 
Interessant sind auch die Miscellen, welche 
ihre kurzen Artikel aus der ganzen europäi- 
schen Literatur zusammensuchen. Die Mo- 
denberichte sind kurz und die Erklärungen 
der Modekupfer nur als nothwendige Beigabe. 



Digitized by Google 



vn. 

Misoellen. 



Die Kusinen in Galizien regen sich 
in literarischer Beziehung. L e w i c k i arbei- 
tet an einer zweiten Ausgabe seiner deut- 
schen Grammatik der ruthenischen oder klein- 
rassischen Sprache; Skomorowski bear- 
beitet ein Wörterbuch; einige junge Leute 
sammeln Idiotismen der russischen Spra- 
che und andere beschäftigen sich mit litera- 
rischen Gegenstanden, um die Sprache aus- 
zubilden und den Sinn für Nationalliteratur 
zu beleben. (Ost u. West.) 

Die , ? Kw£ty'* berichten aus Wien: 
„Gewiss interessant durfte die Nachricht 
von einer Privatunterhaltung sein, welche 
Ihre Erlaucht die Gräfin Anna von Har- 
rach, geborne Gräfin von Lobkowic, zur 
Namensfeier ihres Gemahls am 2. April ge- 
geben hat. Es wurde zu diesem Zwecke 
Klicpera's zweiaklige Posse: „Rohowjn 
Ctwerrohy** (Rohowjn Viereck) gewählt, 
welche gewiss noch nie in der Residenz von 
solchen Schauspielern und vor solchem Pu- 
blikum aufgeführt wurde , wenn sie nicht gar 
die erste böhmische Vorstellung ist, die 
in Wien gegeben wurde. Nebst dem Herrn 
Johann Alfred, Grafen von Harrach, spielte 
Herr Graf Rudolf Kinsky und die Fürsten 
Moritz und Georg Lobkowic, Adolf von 
Schwarzenberg, so wie auch Alexander von 
Schönburg. Das Publikum bestand nebst der 
erlauchten Familie des Hausherrn grössten- 
teils aus Verwandten und Mitwirkenden, 
und aus anderm sich in Wien aufhaltenden 
böhmischen Adel. Die Theilnahme aller An- 
wesenden war ungemein ^lebhaft. Nament- 
lich war es erfreulich anzusehen, welchen 
Gefallen die hohen Frauen dieser Gesell- 
schaft an den süssen Tönen unserer Mutter- 
sprache zeigten. Die Vorstellung selbst war 
so gelungen, dass wir gerne ausfuhrlicher 
darüber sprechen würden, wäre diese Feier 
nicht mit dem Schilde der Häuslichkeit be- 
deckt." (Ost u. West.) 

Bei Stefanski in Posen erschien das 
erste Bändchen des Werkes: Dwa Giosy, 

2 Stimmen, oder: der beendigte Process; 
in polnischer und französischer Sprache. 
Nach dem Tode Martin Dunins von Jan 
Olszewski, ehemaligem Gymnasialprofessor 
zu Longers 4n Frankreich, Lehrer der polni- 
schen, französischen und englischen Sprache. 

In der neuen Buchhandlung (Lukaszewicz) 
wird angekündigt: „Die polnische Frau in 

3 Jahrhunderten* 4 von D. M. Es soll eine 
gute Schrift sein. 

Unter den Schulbüchern, welche in Folge 
der Einführung der polnischen Sprache auf den 
Gymnasien gegenwärtig erscheinen, nimmt die 
griechische Grammatik von Dr. Cegielski 
die erste Stelle ein. Gut ist auch die „Geo- 
graphie für Schulen" nach Selten. 

(Dz. dorn.) 

Slaw. Jahrb. I. 



Aus Petersburg. 
Sprachenkunde in Russland. Von 
Sjögren erscheint nächstens eine ossetische 
Grammatik in russischer und deutscher Spra- 
che ; die Osseten bilden nach seinen Forschun- 
gen ein Mittelglied zwischen den Persern und 
Germanen. Ferner wird gedruckt eine aleu- 
tische Grammatik; auch haben die Linguisti- 
ker eine tscherkessische Sprachlehre unter Mit- 
wirkung Sjögrens zu erwarten. Das Tscher- 
kessische hat auch nicht die geringste Aehn- 
lichkeit mit irgend einer andern der bekann- 
ten Sprachen. Von Kowalewski, dem Mon- 
golisten in Kasan, erscheint nächstens eine 
Geschichte der Mongolen; in Kasan wird ein 
Lehrstuhl für das Tibetanische errichtet, und 
ist deshalb ein junger Russe, Wassiliew, nach 
Peking geschickt worden. Auch in Finnland 
geschieht viel für die einheimische Sprachen- 
kunde; die linnischen Syrjanen werden bald 
mit einem Wörterbuche versehen sein. Selbst 
eine afghanische Chrestomatie und ein dscha- 
gatei - türkisches Glossarium liegt zum Drucke 
bereit. 

Geschichte Kleinrusslands. Mei- 
ne frühere Ansicht über die Geschichte Klein- 
russlands von Markiewicz muss ich einiger- 
maassen modificiren; ich wusste nicht, wor- 
aus er das Gute, das er hat, abgeschrieben 
habe, nämlich aus der handschriftlichen Ge-* 
schichte Kleinrusslands vom Bischof Georg 
Konijskij. Diese wird jetzt mit kritischen 
Bemerkungen von Ustrjalow gedruckt. Die 
historische Gesellschaft in Moskau veranstal- 
tet eine Herausgabe der kleinrussischen Chro- 
niken unter Bodjanski's Mitwirkung. Auch für 
eine vollständige Sammlung der litthauisch- 
russischen Chronisten geschehen Schritte. 
Die vollständige Sammlung der in kirchen- 
slawischer und grossrussischer Sprache ge- 
schriebenen Chroniken schreitet unter der 
archäographischen Commission rüstig vor- 
wärts. Ausser dem 1841 erschienenen drei 
Nowgoroder Chroniken ist in diesem Augen- 
blicke die sogenannte Ipatiewsche Chronik 
von ihr oder der 2te Band der Sammlung 
erschienen; sie ist sehr wichtig für die Ge- 
schichte des südlichen und westlichen Russ- 
lands seit dem 12ten Jahrhunderte. Dann 
wird fleissig an der nach beinahe 60 Hand- 
schriften verglichenen Chronik Nestors ge- 
druckt, welche den ersten Band der vollstän- 
digen Sammlung ausmacht. Dann soll folgen 
die Wolynische Chronik nach 3 Handschrif- 
ten, als der 4te Band dieser Sammlung. Die 
ganze vollständige Sammlung wird sich auf 
etwa 20 Bände belaufen. Ferner hat die 
archäographische Commission wieder 1 Band 
von histor. Akten in ausländischen Sprachen, 
und abermals 2 Bände histor. Akten in rus- 
sischer Sprache herausgegeben. Von nun an 
wird sie sich ausser mit dem Druck der 
Nestor'schen und Wolynischen Chroniken mit 

32 



Digitized by Goögle 



240 



•lern Druck mehrerer Bande Akten in lit— 
thauisch-russischer, polnischer u. lateinischer 
Sprache beschäftigen; sie beziehen sich auf 
die Geschichte des westlichen Russlands. In 
diesem Augenblicke ist in Wilna auf Veran- 
staltung der Regierung erschienen: CoGpame 
4peBUbixi> rpa^iMom-b n attmoBi> ropo^uai»: 
Sammlung alter Schriften und Akten der 
Städte Wilno, Kowno, Troki, der orthodo- 
xen Klöster .und Kirchen über verschiedene 
Gegenstände. 2 Thle. Wilna 1842. Sie sind 
meistens in litthauisch -russischer Mundart 
geschrieben und geben merkwürdige Auf- 
schlüsse über das lange Bestehen der russi- 
schen Sprache und Kirche im reinen Lit- 
thauen selbst unter der polnischen Herrschaft. 

Pogodin hat ein bis jetzt unbekanntes 
Kirchenreglement Wsewolod's aus dem J2ten 
Jahrhunderte aufgefunden und lässt es so- 
gleich drucken. Ks ist sehr wichtig für die 
gesammte russische Rcchtsgeschichte. Der 
hier lebende polnische Jurist Hube hat so 
eben seine Geschichte des russischen Straf- 
rechtes beendigt, die besonders bei dem 
practischen Blicke des Herausgebers für 
Russland sehr förderlich sein kann. In Ab- 
schriften cursirt eine russische Rechtsge- 
schiclite des verstorbenen Ministers Spe- 
ranskij; sie war für den Thronfolger be- 
stimmt und enthält ganz originelle Ansichten. 
Doch kann sie vor der Emancipation der 
Bauern, die wohl nicht mehr lange ausblei- 
ben wird, nicht gedruckt werden. 

Der Moskwitjanin hat neulich eine 
in Russland unerhörte Erklärung von sich 
gegeben: „dass er sich wenig darum küm- 
mere, wenn die Petersburger Journalisten 
ihn darum aussegelten, dass er seinem Pu- 
blikum so wenig leichte und aninuthige Lek- 
türe biete; es sei ihm darum zu thun, Alles 
das vor sein Forum zu ziehen, was den 
Ruhm und die Zierde Russlands in der Ver- 
gangenheit und Gegenwart ausmache , Alles 
Schofle und Windige zu züchtigen, auf die- 
jenigen Punkte und Verhältnisse aufmerksam 
zu machen, die dem russischen Sinne bis 
jetzt entgingen oder nur dunkel vorschweb- 
ten,— mit einem Worte: er wolle eine ernst- 
haftere Richtung der russischen Journalistik 
im Gegensatze zu dem Petersburger windi- 
gen Wüste; gern überlasse er daher Novel- 
len, Anekdoten, ja ganze Romane seinen 
Petersburger Verächtern.'* — Ohne behaup- 
ten zu wollen, dass der Moskwitjanin unend- 
lich hoch über den Petersburger Journalen 
stehe, muss man doch zugeben, dass seine 
Richtung gediegener ist und namentlich eine 
gewisse Liebe zum Lande und zu Allem, was 
dasselbe angeht, hervorruft. Allerdings hat 
er weit weniger Subscribenten als die zwei 
gelesensten Petersburger Journale; er küm- 
mert sich aber nicht darum. Das gelesenste 
der Petersburger Journale ist die Lesebiblio- 
thek, welche jetzt der Buchhändler Olchin 
verlegt ; er zahlt Senkowski für die Redak- 
tion allein 30,000 Rubel Ass. Das ganze 
Journal ist recht für die literarische Canaille 



geschaffen und hat darum mit seinen Witze- 
leien und Haschen nach Effect gegen 3000 
Subscribenten, von denen jeder jährlich über 
50 Rubel Ass. zahlt. Die Oteczestwennyja 
Zapiski, vaterländischen Memoiren unter Kra- 
jewskij, feinden den Moskwitjanin wegen sei- 
nes Slawismus an , d. Ii. weil der Moskwitja- 
nin hin und wieder einige trockene Notizen 
über die übrige slawische Literatur mittheilt. 
Sonst blickt die Hegei'sche Philosophie in 
der Oteczest. Zap. durch. Das Journal hat 
auch gegen 2500 Abonnenten und verfolgt 
natürlich eine viel bessere Richtung als die 
Lesebibliothek. 

Schellings Lehre fasst Wurzel in Peters- 
burg wie in Moskau und erregt immer mehr 
Interesse durch die aus Berlin heimkehren- 
den jungen Russen ; ich glaube, sie wird sich 
eher in dem geistig -frischen Moskau Balm 
brechen, wo Schellings Name von früher her 
einen guten Klang hat, als in dem windbeu- 
telsüchtigen Petersburg, wo schwerlich je 
eine wahre philosophische Begeisterung — 
und diese müsste erst vor dem altgemein- 
werdenden philosophischen Studien erschei- 
nen — aufkommen wird. 

Die Akademie der Wissenschaften hat die 
kleineren Schriften ihres Präsidenten TJwarow 
gesammelt herausgegeben unter dem Titel: 
,, Etudes de philologie et de critique. 1843. 
Petersburg. '* Sie sind theils in französischer, 
theils in deutscher Sprache geschrieben und 
machen dem Scharfsinn und der hohen Bil- 
dung des Verfassers um so mehr Ehre, als 
er dieselben in Russland vor mehr als 20 
Jahren geschrieben hat. 

Kruse's Arbeit über die Alterthümer in 
Liefland hat einen halben Demidow'schen 
Preis von der Akademie bekommen ; zugleich 
aber eine sehr strenge Beurtheilung und Be- 
richtigung erhalten. 

Pogodin hat sich als Secretair der histo- 
rischen Gesellschaft in Moskau mit dem Phi- 
lologen Hase in Paris in Verbindung gesetzt, 
um mehrere ungedruckte, für die alte Ge- 
schichte Russlands wichtige Byzantiner zu 
veröffentlichen. 

Von Sacharows grossen CK&3aHin pyccuaro 
napo^a „Sagen des russischen Volkes'* er- 
scheint in diesem Augenblicke der 2teBand; 
er enthält unter andern gegen 20 Reisebe- 
richte von Russen, die vor Peter d. Grossen 
in fremde Länder gereist sind. Sie sind we- 
gen der darin vorwaltenden Abgeschlossen- 
heit der nationalen Gesinnung interessant. 

Von Polewoj ist eine neue Kompilation, 
eine Geschichte Peters d. Grossen in 4 Bänd- 
chen erschienen ; nichts Neues, nichts Genia- 
les. Speculation. 

Von Danilewskij erscheint eine Geschichte 
der Türkenkriege unter Alexander nach offi- 
ciellen Papieren. 

Koppen hat seit Jahren an einer speciel- 
len ethnographischen Karte Russlands gear- 
beitet, die natürlich bei den Mitteln, die ihm 
zu Gebote stehen, besseres enthält als der 
erste, an sich lobenswerthe Versuch von 
Schafarik. Wenn sie fertig werden sollte, 



Digitized by Google 



241 



ao wird sie ein wahrt s Prachtstück sein und 
das Interesse von ganz Europa erregen. 

Binnen Kurzem reist der junge Magyar 
Regnly von hier zu den Wogulen ab, welche 
er für die nächsten Verwandten seines Vol- 
kes ausgiebt. Keguly ist ein vom magyari- 
schen Tollsinn freier, liebenswürdiger, talent- 
voller junger Mann, von dessen Reise sich 
viel für Ethnographie und höhere verglei- 
chende Sprachenkunde erwarten lässt Er 
hat bereits Lappland, Finnland, Esthland be- 
reist und sich hier in den verschiedenen linni- 
schen Dialekten weiter ausgebildet. Durch ihn 
werden wir hoffentlich erfahren, ob die von 
Schafarik in seinen Altert hümern aufgestell- 
ten Behauptungen, dass die im Orenburgi- 
schen lebenden Meschczercn die slawische 
Form für Magyaren sind, wahr ist oder nicht. 
Auch Sjögren gedenkt noch einmal, vielleicht 
im Winter, zu diesen finnischen Stämmen zu 
reisen, um seinen sprachvergleichenden und 
historischen Forschungen über den finnischen 
Volksstamm ein noch grösseres Material zu 
verschaffen. 

Uwarow reist künftigen Monat nach 
Warschau, dann nach Prag, Wien und Ita- 
lien. Er will sich das böhmische Museum 
ansehen, und kümmert sich weniger um das 
Geschwätz der Oesterreicher, da seine durch 
den Tod seiner Lieblingstochter sehr ange- 
griffene Gesundheit Zerstreuung fordert. 

Das Ostromirsche Evangelium erscheint 
nächstens mit Commentar von Wostokow. 
Es ist ein Prachtwerk, wovon bereits nahe 
an 80 Bogen gedruckt sind. 

Die archäographische Commission zieht 
auch bereits die polnische Geschichte in ih- 
ren Bereich; der grosse Codex diplomaticus 
von Dogiel wird umgedruckt und von ihr 
fortgesetzt. 

In Odessa werden nächstens bulgarische 
Volkslieder erscheinen; auch hat Aprilow 
von den dort lebenden Balgaren bulgarische 
Münzen gesammelt, und die neubulgarische 
Grammatik von Wenelin, welche er ausge- 
arbeitet hinterlassen, wird von dem Bulga- 
ren herausgegeben werden. 

Posen, im Juni. 

Geehrter College! 
Unlängst las ich einen Brief aus und über 
Posen, welcher das Berwinskische Motto trog: 
„1d aoaenu ariatokratUch-hyateriach^monarehiacbea 
St. aimoniach • radical - pietiaiiach • patriarchalischen 
Posen gieht'a viele Dluge ....** 

Ich übersetzte mir diese Verse, und dann lau- 
teten sie ganz treu: wem es um einen Witz 
zu thun ist, findet dazu überall Stoff, auch 
im Posenschen. Ich möchte unsere Zustände 
nicht apotheosiren, ärgere mich aber über die 
ewige Phrasenmacherei dieser liberal sein 
wollenden Europalenker, welche nirgends 
ihre Befriedigung finden. Die Unzufrieden- 
heit ist daher ein Privilegium der Ultramänner. 
Gehaben sie* sich wohl damit. Ich glaube, 
der Verfasser des obigen Räthsels schwur 
noch nicht lange zur Fahne der Illegalen, — 



woher denn solcher Eifer gegen unsere Pro- 
vinz? Es ist gewiss, dass wir Magnaten mit 
den Grillen des vorigen Jahrhunderts, dass 
wir Feudalisten, dass wir Orthodoxe und 
Schwärmer unter uns zählen, dass wir die- 
sen Allen aber auch eine Reihe von Männern 
des Fortschritts gegenüberstellen können, und 
unter allen mit einander im Kampf liegenden 
Elementen doch die Helle das Dunkel über- 
wiegt. Wer nicht zufrieden ist, sehe am 
sich, und er wird eilen, andern Sinnes zu 
werden. Es bleiben noch viele Wünsche un- 
erfüllt, von denen manche zu den sogenann- 
ten „frommen" gehören, aber viele haben 
ihre Erledigung gefunden, und die Gegen- 
wart ist nicht von der Art, dass sie alle bes- 
sern Hoffnungen abschnitte. 

Wer den Eifer der Regierung, mit Rück- • 
sieht auf das Allgemeine der Parteien, ihre 
Rechte aufrecht zu halten , noch länger ver- 
kennen will, muss wenig nachgedacht haben 
über das Wesen eines Gouvernements und 
über die Tendenz des unsrigen. Wieder- 
holte Verordnungen haben der polnischen 
Sprache das freie Feld ihrer Entwickelung 
geöffnet, wiewohl der Sinn der Verordnun- 
gen im Leben seinem ganzen Umfange nach 
noch lange nicht zur Ausführung gekommen 
ist. Man wurde irren, wenn man glaubte, 
es gäbe eine polnische Gerichtssprache, oder 
die Rechtsangelegenheiten einer polnischen 
Partei würden völlig in ihrer Sprache in- 
struirt; dem ist noch nicht so, weil es na- 
mentlich im höhern Beamtentenstande sehr 
wenige giebt, welche der polnischen Sprache 
mächtig sind, oder Lust haben, dieselbe zu 
erlernen. Schuld daran ist, dass von den 
Eingebornen der Provinz sich nur sehr We- 
nige den Wissenschaften gewidmet haben °), 
und die Beamtenwelt hier eine gänzlich deut- 
sche ist. Im so mehr muss das Streben der 
Regierung anerkannt werden, sich mit Be- 
amten, welche mit den beiden hierorts not- 
wendigen Sprachen ausgerüstet sind, zu ver- 
sehen, und wenn sie zu diesem Behuf be- 
deutende Mittel verwendet, so darf man für 
sie hieraus sicher keinen Vorwurf herleiten. 
Das Heiligste der Polen, ihre Sprache 0 *), 
wird geachtet, das hat die Regierung un- 
zweideutig zu erkennen gegeben, und wenn 
etwas zu wünschen ist, so wäre es, darauf 
zu halten, dass das Gesetz, welches dieses 
Interesses halber besteht, in der Wirklichkeit 
zu regulairer Anwendung komme. Mit dem 
Gesetzgeber ist dieserhalb nicht mehr zu rech- 
ten. Es sind für Erfüllung dieses Wunsches 
auch schon Worte geredet worden, und der 
wackere Graf Raczyriski, welcher sich den 
Fragen unserer Provinz mit seltener Energie 
hingiebt. ist auch in dieser Beziehung das 
Organ des Publikums geworden, und wir 



°) Daraa int Dach öffentlichen Urkunden der bis- 
herige Zaatai.d dea t'uterriehtaweaena alleiu Scheid. 

Aom. d. Red. 

••) Die Nationalitat iat wohl »och heiliger, well 
die Sprache nur ein Moment derselben iat. D. Red. 



Digitized by Google 



haben Ursache zu glauben, dass die erleuch- 
tete Staats- Regierung, wenn einerseits das 
Publikum eine würdige und tadelfreie Hal- 
tung beibehält, auch andererseits die Gren- 
zen ihrer Humanität noch erweitern und aus 
aller Macht dazu beitragen wird, jeden Ge- 
gensatz zu verwischen. 

Wir haben eine lobenswerthe Censur, die, 
soweit sie an Persönlichkeiten geknüpft ist, 
dem Fortschritt die schönsten Garantien ver- 
heissf, und wenn mitunter eine etwas rigoro- 
sere Nachcensur der Polizei erfolgt, welche 
freilich etwas zu eifrig in Ausübung ihres 
Amtes ist (z. B. jedesmal eine Biographie 
und Nachweis des Aufenthalts des betretten- 
den Schriftstellers , welches Beides zu geben 
manchmal unmöglich ist), so gehört diese 
Art der Beschränkung zu den Ausnahmen. 

Man spricht seit dem Landtage wieder 
mehr als sonst von Krrichtüng einer polni- 
schen Universität in Posen. Bs wäre neben 
der ohnmächtigen Krakauerin die einzige. 
Preussen würde durch diesen Schritt den 
Dank des ganzen Slawenthums verdienen. 
Der Umfang;, welchen man dieser Universität 
zu geben gedenkt, würde ganz ihrem Zwecke 
entsprechen. Sie soll nur aus zwei Facultä- 
ten, einer philosophischen und einer theolo- 
gischen bestehen. Es muss uns vor allen 
Dingen um eine gute katholische Geistlich- 
keit zu thun sein, und hier scheint das Mit- 
tel für diesen Zweck gefunden. Die Semi- 
narien geben eine einseitige, orthodoxe Bil- 
dung, und die Gymnasien sind immer mehr 
auf dem Wege, sich in Klosteranstalten zu 
verwandeln. Sie werden dadurch die Orte 
der Hypocrysie und Gottlosigkeit. Der brod- 
lose Studirende, den der Clerus in seine 
Suppenanstalt aufnimmt, heuchelt so lange, 
wie er durch seinen Magen dazu genöthigt 
wird, — nachher geräth er in Kampf mit sei- 
nem Gewissen und wird unglücklich. Eine 
gesunde, freie, klassische Bildung tlmt vor 
allen Dingen Noth. 

Eine wahre Religiosität ist die Grund- 
lage und der Zweck aller Bildung, aber jene 
muss zum Leben, nicht aus demselben her- 
aus führen, sie muss nicht krank, sondern 
gesund raachen, nicht schwachköpfig, sondern 
muss das Talent mehren. Eine Universität, 
ein Trentowski, ein Libelt auf den Kathe- 
dern würden unsere Provinz bald dem Be- 
rufe nähern, den sie in geistiger Beziehung 
rücksichtlich Polens haben soll. 

Ebenso unumgänglich nothwendig, wie 
die Abstreifong des Pietismus, ist anderer- 
seits die Abwendung der Gefahren des Un- 
glaubens, der eine grosse Schaar in sein be- 
quemes Netz gezogen hat. Es müssten die- 
sem tiers etat der Intelligenz die Wahrheiten 
des Christenthums, die er sich nicht entrath- 
seln kann, und darum negirt, aufgedeckt 
werden, und er würde nicht glauben, son- 
dern begreifen. Heute giebt's nur zwei Din- 
ge, starren Glauben und frivole Gleichgül- 
tigkeit. Die Versöhnung dieser 'beiden Ge- 
gensätze muss vom Clerus ausgehen; um sie 



aber zu Stande zu bringen, muss er erst in's 
Bad der Wissenschaft steigen. 

Als Qrgan für den modernen Unglauben 
hat sich am deutlichsten der „Posener Ty- 
godnik" documentirt, dessen Redaction Be- 
hufs Verbreitung dieses „freisinnigen Chri- 
stenthums " noch ein besonderes Journal un- 
ter dem Titel „Lech" in's Leben rufen wollte. 
Sie scheint indess auf Hindernisse gestossen 
zu sein, und wenn ich nicht irre, so hat die 
Tendenz der ersteren Zeitschrift die Gewäh- 
rung der Concession zur zweiten vereitelt. 

Eine Zeitschrift, deren Hauptstützen an- 
gehende Studenten sein sollten , konnte dem 
Christenthum wohl auch so wesentliche Dien- 
ste nicht leisten. Ueberhaupt wird die Re- 
ligion in Zeitschriften neben der Belletristik 
und Tagesmosaik wohl immer nur einen pre- 
caren Platz einnehmen. Deshalb hat unser 
„Oredownik" sehr recht gethan, dass er aus- 
drücklich an den Tag gelegt, wie er der 
theologischen und politischen Polemik nie- 
mals seine Spalten öffnen werde. Das Chri- 
stenthum lässt sich nicht wie eine Novelle 
recensiren, das möge dem demokratischen 
Schriftstellerthum einleuchten, worunter es 
meines Wissens keinen Abbe de la Mensis 
giebt, der im Stande ist, sich einen demo- 
kratischen Katholicismus zu construiren. 

Geeigneter für die Aufnahme theologi- 
scher Ansichten scheint der seit diesem Ja- 
nuar in zwanglosen Lieferungen erscheinende 
„rok 1843" zu sein, weil sich in dieser Zeit- 
schrift nur Männer von anerkannter Tüchtig- 
keit hören lassen. Die Herrn MoraczewSki. 
Libelt, Wezyk, Cybulski, Cieszkowski und 
Trentowski sind neben Andern bisher darin 
aufgetreten; die theologische Debatte soll 
jedoch ebenfalls vermieden werden. Man ist 
der Ueberzeugung, dass der Positivismus in 
Polen gegenwärtig den Sieg behalten müsste, 
und scheut gewissermaassen die Polemik, 
welche nur zu leicht ihren Gegenstand ver- 
gisst und ihn nicht immer fördert. Man ist 
sehr gespannt auf Trentowski's neue Logik, 
welche in polnischer Sprache (erscheint und 
jedenfalls die idealistisch -realistischen An- 
sichten seiner '„Chowanna" in Consequenz 
und Genauigkeit darlegen wird. 

Um schliesslich noch ein Wort von un- 
serm Theater zu sagen , füge ich hinzu, dass 
wir in der Folge wohl allsömmerlich eine 
polnische Truppe neben der deutschen selten 
werden. Die materiellen Rücksichten werden 
in diesem Jahre darüber entscheiden. Es 
wäre w ünschens werth , dass sich die Gesell- 
schaft hielte. An Empfänglichkeit scheint es 
nicht zu fehlen, da für die Gesellschaft be- 
deutende Geldopfer gebracht worden sind, 
die ihr leider! nicht alle zu gute kommen. 
Die Gesellschaft ist behufs einer Kassenspe- 
culation von der deutschen Direction gedun- 
gen. Indessen trägt auch diese dramatische 
Miniaturkunst dazu bei , unsere Stadt immer 
mehr zum Centrum der Provinz zu machen 
und die Tendenzen jeder Art zu beleben. 



Druck vou J. Ii. lliracbfcld iu Leipzig. 



Digitized by Google 



für 

slawische 

Literatur, Kunst und Wissenschaft. 

„Verständigung! Versöhnung! Vereinigung!" 

I. Jahrg. 0 m®, 4. Heft. 



I. 

Die Gexmanisirung der Kastfmben. 

Von einem Katchuben. 

Die Kaschuben, ein Zweig des grossen slavischen Volksslammes, bewohnten 
in den ältesten Zeiten °) die ganze Ebene längs der Ostsee zwischen der Oder 
und Weichsel bis an die Netze und Warthe. 0# ) Schon mit der Einführung des 
Christenthums kamen die ersten Anfänge fremder Sprache und fremder Sitte in 
das Land. Die Verkündiger des neuen Wortes Gottes waren aus dem Westen; 
ihre Kenntniss der Sprache des Volkes in der Regel eine nur spärliche, jedenfalls 
aber der Gebrauch derselben eben so schwierig als lastig. Wen könnte es wun- 
dern, dass ein Jeder Ton ihnen entweder die Sprache der Kirche, oder seine 
Muttersprache zu verbreiten suchte. Bei fielen geschah dies gewiss aus Noth, 
und ohne politische Absicht, wenn gleich letztere auch schon in den ältesten Zeiten 
hie und da hervorleuchtet. Nach Ranzow fragten die Bürger von Stettin den hei- 
ligen Otto: warum sie doch so einen neuen Glauben annehmen sollten? Ob sie 
es darum thun sollten, dass sie den andern Christen gleich würden? Das wollten 
sie gerne thun, wenn sie mit ihnen gleiche Freiheit geuiessen möchten; aber dass 
sie frömmer daraus werden sollten, das glaubten sie nicht, weil sie sähen, dass 
unter den Christen grössere Laster wären, denn unter ihnen, nämlich Raub, Mord, 
Dieberei, Lügen und Trügen, ja auch so grosser Uebermuth, Hoffarlh und Ehrsucht, 
dass sie oft ihren Glauben selbst darum verachteten und schmäheten; solchen 
Glanben begehrten sie nicht. Ihnen bedünkte, dass man ihr Christenthum nur 
darum so ängstlich suchte, dass man sie desto besser unter Dienst und Schätzung 
haben möchte. — Und an einer andern Stelle sagt derselbe Geschichtsschreiber: 




•) Geschichte des Herzogthums Pommern, von Seil. Berlin 1819. und Geschichte von 
Pommern, von Kanngiesser. Greifswalde 1824. 

••) Geschichte Polens, von Cromer (B. I. 1.) ; von Bandtkie (I. 62.) 

Slaw. Jahrb. I. 33 



Digitized by Google 



«44 



„Herzog Schwantcpolck stiftet das Abtkloster Buckow und besetzt es mit deut- 
schen Mönchen. Dasselbige hat den Hinterpommern, als sie noch wendisch waren 
und keine Deutschen zu sich einstatten wollten, sehr verdrossen und sind auf- 
rührisch geworden und haben die Mönche Terjagt und das Kloster niedergebrochen. 
Denn sie sahen, dass die Sachsen, so in Vorpommern gekommen, so übermüthig 
und unbillig gegen ihre Landsleule, die Wenden, handelten, dass sie dieselben 
nicht allein von allen Ae intern und Würden stiessen, sondern auch gar aus den 
Städten und Dörfern verdrängten." Neben der Geistlichkeit trug auch die welt- 
liche Macht nicht wenig zur Germanisirung der Weslkaschuben bei. „Kaiser 
Heinrich (IV.) hat die pommerschen Fürsten zu sich ins Lager von Lübeck im 
J. 1181 verschrieben und sie zu Herzögen des heiligen römischen Reichs gemacht 
und unter das Reichs-Pannyr belehnet und sie darauf herrlich beschenkt und sich 
mit guten Worten und vielen Vertröstungen sehr gnadig erzeiget. Also sind die 
Fürsten von Pommern voller Vertröstung und mit prächtigen Namen und Titeln 
wieder weggezogen und sind von dieser Zeit Herzöge gewesen. Aber es ist eine 
sehr geringe Ehr gegen die Freiheit, die sie dagegen übergeben haben. Zuvor 
sind sie Niemandem unterthan gewesen und haben geherrscht und gewaltet nach 
ihrem eignen Willen/' Hierauf sah sich Kasimir, der nach dem Tode seines Bru- 
ders Boguslaw allein Herzog von Vorpommern blieb, genöthigt, seine beiden Söhne 
Boguslaw und Kasimir dem Bischof zu Mekelnburg, Berno, zu übergeben, „damit 
er sie in Gottesfurcht erziehen und die deutsche Sprache lehren möchte, damit sie 
desto besser möchten zum Regiment dienen, und von den Deutschen mehr geachtet 
werden, denn zuvor." Kaum hatte man so durch glanzende Vorspiegelungen die 
Fürsten verleitet, den alten Sitten ihrer Vorfahren untreu zu werden, ihre Mutter- 
sprache zu verlassen, so trieb man die Sache weiter. Durch falsche Versprechun- 
gen wurden sie zum Kriege verlockt und tückisch im Stiche gelassen. Kaiser 
Friedrich Barbarossa fordert den Herzog Boguslaw zu einem Kriegszuge nach 
Dännemark gegen den König Kanut auf, verlasst ihn aber dann, und der Herzog 
verliert nicht nur seine fünfhundert Schiffe mit der gesammten Mannschaft, sondern 
muss auch noch der gänzlichen Ausplünderung und Verwüstung seines Landes zu- 
sehen, grosse Schätzung geben und endlich zusagen, niemals gegen die Krone von 
Dännemark, die Fürsten von Rügen und ihre gewonnenen Städte zu handeln. „Es 
ist aber, sagt Kanzow, sein wendisch Volk so sehr in diesen Kriegen erschlagen 
und ausgerottet, dass das Land gar wüste und öde ward, und er wiederum zur 
Besetzung des Landes hat müssen Sachsen und Fremdlinge hereinfordern und ihnen 
die Städte und Dörfer eingeben. Daraus sieht man, was Böses der Krieg tragt, 
dadurch das Volk nicht allein arm und elend, sondern auch oft in Grund vertilgt 
und ausgerottet wird und einem andern seine Stelle gönnen muss, dem es sie nie 
gegönnt hat und das sie fortan noch bas unterdrückt und vertilgt; wie denn auch 
unsern armen Wenden von den Sachsen widerfahren. — Diese haben die Städte 
in eine bessere Gestalt und Höfflichkeit gebracht und haben die Wenden so gar 
verachtet, dass sie sie neben sich nicht haben leiden wollen und in keine Gylde 
und Werke gestalten. Darum sind sie aus den Städten bald ausgerottet und nur 
in den Dörfern geblieben, da man sie eine Zeitlang zur Bauung des Landes ge- 
litten, aber die Länge auch in Vorpommern ganz und gar ausgerottet hat. — So 
sind dieser viele zu den Hinterpommern geflogen und haben ihnen ihr Leid ge- 
klagt, die es ein Mitleiden gehabt und derselben wegen den Vorpommern sehr 
feind geworden sind und hernachinals wenig Gunst und Freundschaft haben halten 
wollen, und haben von dieser Zeit an die Pommern nur Teutsche und Sachsen 
geheissen und haben sie für ihre Landsleute nicht mehr halten wollen; daraus 
auch hernachs gekommen, da ihre rechte Herrschaft loss starb, dass sie viel lie- 
ber einen Polen annahmen, als ihre Erbherrschaft, die Herzoge in Pommern." 

Dies war die Art und Weise des Mittelalters, die westlichen Kaschubcn zu 
germanisiren. Nicht sehr verschieden hievon ist die Germanisirung der Oslkaschu- 

'V 

Digitized by Google 



«45 



ben in der neuesten Zeit. Da sich die meisten Ostlichen Kaschnben znr katho- 
lischen Kirche bekennen, so müssen wir als ihr geistiges Oberhaupt den Bischof 
Ton Kulm Dr. Anastasius Sedlag ansehen, dessen ganze Ansicht vom Slaven- 
thum in den wenigen Worten, die er in einer seiner Vorlesungen über Geschäfts- 
styl vor den Klerikern aussprach, sich kund giebt: „Wenn Sie, sagte er, an das 
Generalvikarialsamt oder an mich schreiben, so thun Sie es ja deutsch oder aus- 
nahmsweise lateinisch, aber niemals polnisch, denn so spricht ja jeder Bauer." 
Desshalb nimmt er am Liebsten seine deutschen Landsleute ins Klerikal -Semina- 
rium nach Pelplin, obgleich ihm die Professoren der kalb, theologischen Fakultät 
der Breslauer Universität schon öfters die Vorstellung machten, dass gerade die- 
jenigen Studenten sich zu ihm begeben, welche in der stockdeutschen Heimalh 
keine gute Aussicht haben, welche so ziemlich einen Auswurf bilden. Solche 
Stockdeutsche schickt der Herr Bischof einem schrecklichen Plane gemäss sogleich 
nach ihrer Ordination auf ganz slavische Vikarial- und Pfarrstellen, ohne die ge- 
ringste Rücksicht auf die Bitten noch weniger auf die Bedürfnisse der Gemeinden 
zu nehmen. So sind Weber in dem kaschubischen Sprengel Lauenburg und Hunt 
in dem polnischen Thoren Dekane. 

Bei weitem besser handeln im Ganzen die evangelischen Geistlichen gegen 
ihre Gemeinden; allein die Anzahl derselben ist zu klein, die Kräfte zu schwach, 
um alle ihren Handlungen im Wege stehenden Hindernisse überwältigen zu können. 
Rühmlich ist die Aufopferung eines Mrongovius für seine Gemeinde in Danzig, 
löblich die Liebe eines Tomasius in Saulin (Kasch. Solno) zu seiner Kirche. Die 
Früchte ihrer Bemühungen sind noch immer sehr klein, weil der sonst so gerechte 
König, in dessen Adern slavisches Blut flicsst, zu wenig Aufmerksamkeit seinen 
slavischen Unterthanen zumal in Pommern und Weslpreussen schenkt, und die deut- 
schen Beamten aus allen Kräften darnach streben, die allen Einwohner in der 
Kultur immer mehr sinken zu lassen, um dann das geistig und materiell verarmte 
Volk leichter germanisiren zn können. Desshalb verfahren auch die weltlichen 
Behörden nicht weniger hart gegen die slavischen Seelsorger als das geistliche 
Oberhaupt. In einem Schreiben der königl. preussischen Regierung von Danzig 
an die kalhol. Geistlichkeit wegen Revisionen der Kirchenrechnungen heisst es 
sub Nr. 4 hinsichtlich der in polnischer Sprache geführten Vermerke über Ein- 
nahme und Ausgabe: „Auch dieses ist aus mehreren Gründen ganz unzulässig. 
Die Rechnungen, Rechnungsnotate, Belege (!) u. s. w. müssen deutsch geschrieben 
sein, und wird dieses den Herrn Pfarrern, die nach §. 627 Tit. II. pars 2 des 
A. L. R. zur Führung der Rechnungen in subsidium verpflichtet sind, leicht aus- 
zuführen, solche aber, die der deutschen Sprache nicht genug mächtig sind, zur 
Uebung (nicht schlecht!) sehr nützlich sein, um so mehr, da diese Sprache die 
vorherrschende und bei den Staatsbehörden die allein gebräuchliche ist, mithin 
von jedem Beamten mit Recht erfordert werden kann, dass er derselben ganz 
mächtig ist, sowie jeder Mann, der nur einigen Anspruch auf Bildung (?) machen 
will, in diesem Lande die deutsche Sprache zu schreiben und zu sprechen ver- 
stehen muss." 

Die unmittelbare Folge davon ist, dass die kalhol. Seelsorger deutscher Zunge 
nicht nur bei der geistlichen, sondern auch der weltlichen Behörde allein Gunst und 
überall den Vorzug haben. In konsequenter Verfolgung dieses Planes werden den 
Slawen solche Stellen angewiesen, wo eine kleine Einnahme ist, und selbst da 
quält man sie mit deutschen Correspondenzen. Es giebt sogar einzelne Geistliche, 
die in der Jugend keine Gelegenheit hatten, deutschen Unterricht zu bekommen, 
und nun natürlich nicht im Stande sind, den verschiedenen Anforderungen Genüge 
zu thun; diese müssen sich nur um des Deutschen willen einen deutschen Gehülfen 
halten, der des Vorzugs sich bewussl, den er bei den Behörden bekommt, seinen 
Vorgesetzten durch die stete Besorgniss, er könnte ihn bei der deutschen Behörde 
in ungünstiges Licht setzen, von sich abhängig macht Nicht minder schlecht ist 



Digitized by Google 



£46 



das Schulwesen in der Kaschubet bestellt Im Kösliner Regierungs-Deparlemcnl, 
wo in den Kreisen Lauenburg, Biilow, Stolpe, Rummelsburg und Neu -Stettin 
wenigstens 40,000 Kaschuben wohnen, sowie im Danziger Regierungs-Departement, 
wo die Deutschen höchstens den vierten Theil der Bevölkerung ausmachen, giebt 
es in den Schulseminarien eben so wenig einen Lehrer für die slawische Sprache, 
wie an dem Klerikalseminarium in Pelplin oder an den betreffenden Gymnasien. 
Um aber auch noch den Fruchtkeim einer etwa aufkommenden Selbstausbildung in 
diesem Gebiete im Vorhinein zu vernichten, vergisst man nicht, den angehenden 
Schullehrer noch vor der Leistung des Eides mit dem Plane der Behörde aufs 
Genaueste bekannt zu machen; denn man weiss ja, dass gewiss nur selten Einer 
seine ganze Existenz, seinen ganzen Lebensplan hinopfern wird, wohl wissend, 
dass zwanzig deutsche Jünglinge darauf harren, an seine Stelle zu treten, die 
dann der Sache nur desto grösseren Schaden bringen; man weiss ja, dass 
selbst der eifrigste Ereund seiner Nation immer noch, selbst unter dein schweren 
Drange noch hofft, wenigstens etwas für sein Volk thun zu können, da er ja den 
ganzen Umfang dieses Dranges nicht zu übersehen vermag. Wenn daher auch einer 
oder der andere unter diesen jungen Mannern von Geburt ein Slave ist, so wird 
er schon durch diese Maassregeln so sehr eingeschüchtert, seiner Mutlersprache 
so sehr entfremdet, bekommt einen so falschen Begriff von seinem eigentlichen 
Berufe, dass er erst spat oder wohl gar nicht zu der Einsicht gelangt, dass seine 
Bestimmung vernunflgemäss keine andere sein kann, sein darf, als die: die Kinder 
seiner Schule zu lehren, zu bilden, zu erleuchten. Denn diesen Weg zeigt 
ihm weder die unterm 25. Juni 1834 erlassene „Instruction zum Unterricht in der 
deutschen Sprache bei Schulsozietäten fremder oder gemischter Zungen", noch das 
hiezu im August 1837 erschienene Supplement, welche beide, man mag sagen was 
man will, die Schule zur Verbreiterin der deutschen Sprache missbrauchen. Bei 
so bewandlen Umstanden ist natürlich an einen Fortschritt in der Bildung des 
Volkes gar nicht zu denken. Die Früchte eines solchen unglückseligen Dorf- 
schulunterrichts sind leider gewöhnlich die, dass nicht nur die besten Jahre der 
Jugend verloren gehen, sondern dass dieselbe oft noch auf den schrecklichen 
Gedanken geführt wird, dass alles, was ihre Eltern thun, Unsinn sei, dass 
ihre Sprache die grössle Verachtung verdiene, dass man ihre Frömmigkeit und 
die Art ihrer Gottesverehrung verlassen müsse. Nur zu klar, nur zu deutlich 
prägen sich diese Gedanken in den Handlungen der heranwachsenden Generation 
zum grössten Schmerze der Eltern und Verwandten, zum wahren Unglücke der 
Mitmenschen und der Nachwell aus. Die Gotteshäuser werden leerer, die Gebet- 
bücher sellener, das Singen andächtiger Lieder nimmt ab; dafür aber wächst das 
Lärmen in den Brandweinlt^usern, und alle Laster breilen sich mit reissender 
Schnelligkeit aus; denn die edelsten Gefühle sind dahin, und nichts hat man an 
ihre Stelle gesetzt, als ein Paar armselige Wörter aus einer fremden Sprache, 
deren Geist man nie aufzufassen vermag, deren Bildung und beseligende Kraft 
man nie an sich zu erproben im Stande ist 

Während nun so in der Jugend jeder Keim des Besseren ungepflegt abstirbt, 
während sogar jedes von selbst erwachte edlere Gefühl erstickt wird, lässt man 
auch das gesetztere Alter nicht unberührt von dem zersetzenden Einflüsse. Männer 
und Greise müssen sich es gefallen lassen, dass ihnen die Aussprüche der Gerichts- 
behörden ganz unverständlich bleiben, und sie nicht selten Strafen bezahlen müs- 
sen, deren Ursache ihnen unerklärlich ist Der Grund davon liegt an den Dol- 
metschern. Im Kösliner Regierungs-Departement hat man nämlich bei den Gerich- 
ten gar keinen solchen, und im Danziger Regierungsbezirk sind sie hin und wieder 
so schlecht, dass sie selbst nicht verstehen, was sie übersetzen. So übersetzte 
einmal ein solcher in Neustadt (W. Pr.): „Die Kosten sind niedergeschlagen" ins 
Kaschnbische : Koeszsa sa, na zemia rzurone d. h. die Kosten sind auf die Erde 
geworfen. Und ungeachtet der Bauer mehre Mal sein „Co panie?", — was mein 



Digitized by Google 



— 

Herr? — wiederholte, so bekam er doch nichts weiter zu hören. — Wie könnte 
man hier wohl noch von einer schriftlichen, verständlichen, in der Volkssprache 
angefertigten Uebersetzung der Gerichtsschriften und dgl, sprechen wollen. Aber 
man sorgt von der Regierung aus für die Verbreitung derKenntniss des Gesetzes; 
man schickt deutsche Amtsblätter, Kreisblalter u. s.w. dem Schulzen und Krüger 
zu und lässt die Kosten dafür die Gemeinde tragen. Nun, ich frage jeden Men- 
schen in der Welt, was nützen Gerichte, was nützen dem Volke gedruckte An- 
zeigen von Verordnungen, Gesetzen u. s. w., wenn die Sprache, in der sie ge- 
schrieben, denselben unverständlich ist? 

So also geht man noch heuligen Tages mit allen Waffen darauf los, die 
Ucberreste der alten Bewohner der Kaschubei auszurotten, indem man sie, wenn 
auch nicht mehr körperlich, so doch wenigstens geistig lödtet. Und eine solche 
Erscheinung im XIX. Jahrhundert! Man erwiedere mir nicht, der Zweck des 
Staates gebiete es mit Notwendigkeit! Welcher Zweck ist erhaben genug, um 
die Barbarei eines Nalionalmordes zu rechtfertigen? Welcher Zweck gross genug, 
um ein solches Mittel zu heiligen? Aber man glaubt ja sogar schon, das Werk 
vollbracht zu haben; mit Wonnegefühl rufen uns deutsche Zeitschriflen und Bro- 
schüren entgegen: „Sie sind germanisirt !" — Was soll man dazu sagen? — Ist 
das der wahre Patriotismus Deutschlands? Das die Wirkung der deutschen Na- 
tionalbeslrehungen ? — Wir glauben es nicht! — Es sind das die Stimmen ein- 
zelner Schreier! Die deutsche Nation in ihrem edleren Kerne weiset sie von sich, 
und das ist unsere Zuversicht! — Jenen Schreiern aber rufen wir nichts als 
Körners wohlzubedenkende Worte zu: 

Unsere Sprache ward geschändet, 

Unsere Tempel stürzten ein. 

C. F. 



II. 

Wissenschaften. 

1 • Kopernik gehört nicht in die Walhalla* 

Vor Kurzem erschien in Warschau und darauf im Tyg. Lit. eine Abhandlung 
Aber Kopernik von Adrian Krzyzanowski , in welcher Kopernik dem slavischen 
Stamme mit Recht vindicirt wird. Wir theilen dieselbe hier im Auszuge mit. 

König Boleslaw V. von Polen hatte der Stadl Krakau das Magdeburger 
Hecht gegeben; seit 1300 war ein Böhme König in Polen; Wladyslaw Jagiello 
berief zur Zeit der böhmischen Reformation böhmische Geistliche, unter ihnen 
auch Hieronymus von Prag, nach Krakau. Diese Ereignisse zogen eine Menge 
von Czechen ins Land. Unter diesen waren auch die Vorfahren Kopernik's. In 
dem handschriftlichen Rathsbuche von Krakau: Acta consularia Cracoviensia, die 
YC-in Jahre 1392 anfangen, ist in der Reihe der neuangenommenen Bürger bei 
dem Jahre 1396 der Grossvater unseres Astronomen (mit den Worten Nicolaus 
Koppirnig) als aus Böhmen kommend angeführt mit dem Zusätze, dass derCzeche 
Donibrawa seit langem schon in Krakau ansässig für seine Abkunft sich verbürgt 
habe. Das böhmische Wort Koprnik, sprich Kopernik,* welches in den Krakauer 
Sladturkunden bald Koppirnig bald Kopirnik, bald wieder Kopernik geschrieben 
ist, bedeutet im Böhmischen eine Pflanze, polnisch Koprownik, deutsch Bärwnrz, 
bei Linne Seseli. Das Wort kommt von dem Stamme Koprnjeti, erdulden-, datier 
Koprny, geduldig, demüthig, und Koprnik der Demüthige. Eine bessere Benennung 



Digitized by Qaogle 



243 

konnte dem Gründer der gegenwärtigen astronomischen Schale wohl nicht werden; 
Demuth und Herzenscinfalt Hessen ihn die Gesetze finden, nach denen der Schöpfer 
das AU geordnet. 

Zu gleicher Zeit mit der Familie der Koperniks war auch die böhmische 
Sprache nach Polen gekommen. Unter den Jagellonen wurden böhmische Bücher 
in Krakau gedruckt; so unter andern die Privilegien der Stadt Oswiecim, in 
böhmischer Sprache geschrieben. Sigmunds I. Tochter, Isabella, die Königin von 
Ungarn, schrieb an den Kardinal Hosius, böhmisch. Lucas Gornicki, ein Edelmann 
Sigmund Augusts, erzählt in seinen Schriften, dass Böhmisch mit Polnisch zu 
mischen damals in Polen zum guten Ton gehörte. „Kein Wunder," bemerkt der 
Verfasser; „die böhmische Sprache ist ein Dialekt der polnischen, das böhmische 
Volk ein Zweig unseres Volkes (!?)" 

In dem Ralhsbuche von Thorn: Liber judiciorum veleris civitatis Thoruoensis 
geschieht zufällig unter dem Jahre 1400 Erwähnung eines Köpern ik (ohne Tauf- 
namen) und seiner Frau Augusline. Vielleicht ist es derselbe Grossvater des 
Astronomen, der 1396 in Krakau angeführt wird. — In demselben Thorner Ralhs- 
buche wird unter dem Jahre 1422 ein Peter Kopernik aus Frankenstein umf seine 
Frau Margaretha aus Thorn erwähnt; auch dieser stammt aus Böhmen ab. Denn 
das schlesische Städtchen Frankenstein gehörte bereits seit 1312 zum böhmischen 
Reiche. In diesem Jahre halle Johann von Böhmen von Boleslaw von Mfinster- 
berg das Schloss Glalz und von dessen Sohne Nicolaus später das Schloss Fran- 
kenstein gekauft. Diese klar am Tage liegenden Verhältnisse der Koperniks mit 
Krakau und Thorn waren Ursache, dass der Sohn des im Jahre 1390 in Krakau 
angesiedelten Kopernik, der Vater des Astronomen, zwar in Krakau geboren, 1420, 
und daselbst erzogen wurde, später aber, 1462, nach Thorn übersiedelte. Hier 
nahm er 1464 Barbara, die Schwester des Bischofs von Ermeland, Weisseirod, 
zur Galtin, und kaufte für sie das noch jetzt stehende Haus in der Annastrasse, 
in welchem der Astronom geboren wurde. Hier war er 1465 Ralhsherr geworden 
und starb 1483. In den Acten und Zerneckis Chronik von Thorn heisst er immer 
„Krakauer Bürger." 

Lukas Weisseirod, der Bürger von Thorn, dessen Familie im Wappenbuche 
Nicsieckis unter dem polnischen Adel aufgezählt wird und dessen Name ein wen- 
disch-slawischer ist, und seine Gattin Katharina Modlibög waren Aeltern von drei 
Kindern, wie Gottfried Centner in seinem Buche: „Geehrte und gelehrte Thorner" 
vom Jahre 1763 berichtet Von diesen wurde Lukas Bischof von Ermeland, und 
Barbara heirathele in Thorn den Nicolaus Kopernik, den Bürger von Krakau, von 
welchem sie vier Söhne halte, nämlich: Nicolaus, den Astronomen, geb. in Thorn 
den 19. Febr. 1473 ; Georg, der später Vater von acht Töchtern und einem Sohne 
war; Nicolaus, den Wundarzt und Andreas, den Kanonikus von Ermeland. Weil 
nun überdies Centner noch beweist, dass die Familie der M odlibogs eine polnische 
und das noch eine adelige ist, so fliesst dann in den Adern unsres Astronomen 
kein Tropfen deutschen Hintes, weder dem Schwerte noch der 
Spindel nach. Im Jahre seiner Geburt herrschten die Jagelionen in Pohlen und in 
Böhmen; dort Kasimir IV., hier sein Sohn Wladyslaw. 

Die Stadt Thorn, welche bereits 1545 die erste von allen unier das Joch 
der deutschen Kreuzritter gebeugten Städten sich wieder unter die alle Herr- 
schaft der polnischen Könige begab und 19 Jahre darauf durch die Geburt des 
grösslen Astronomen verherrlicht wurde, liegt an der Weichsel, in jener altpol- 
nischen Provinz, welche Masowien hiess, in jenem alten Wojewodenthum, das seit 
1466 den Namen des Kulmner führte, in jener Diöcese, welche anfänglich von 
Plock, später von Kulm benannt wurde. Die Bischöfe dieser Diöcese wohnten in 
Lubawa (Löbau); ihre Kathedralkirche aber war in Chelmza (Kulmsee). Und da 
das sogenannte Kulmer Land nicht zuPreussen gehörte, sondern seit Jahrhunderten 
ein Theil von Masowien (Masuren) war, wie das Johannes Leon von Ermeland 



■ 



Digitized by Google 



in seiner „Hisloria Borussiac 1726" zum Ueberfluss beweiset, so hallen die alten 
italienischen Schriftsteller Recht, wenn sie Thorn die Gebnrtsstadl Koperniks, 
Tita di Masowia nannten. Ausserdem giebt es Handschriflen von den Zöglingen der 
allen ungarischen Bursa (Convicl) an der Krakauer Akademie, worin diese den 
Kopernik einen Masuren, keineswegs aber einen Preussen nennen. 

So wie der Geist der Stadt Thorn trotz der deutschen Sprache, welche seit 
dem dreizehnten Jahrhundert in Krakau und Thorn mit der polnischen in gleichein 
Maasse gesprochen, und geschrieben wurde, („denn die Polen haben stets für die 
Deutschen mehr Achtung, als diese Gerechtigkeit für sie gehabt," sagt der Ver- 
fasser) — so wie also der Geist von Thorn keineswegs ein deutscher war, so ist 
auch der Name dieser Stadt nicht im Geringsten deutsch. 

Aus den bisher angeführten Faden ersieht man, wie sehr das in anderer 
Hinsicht so schälzenswcrlhe „ Conversalionslcxikon " sich selbst geschändet hat, 
wenn es den slawischen Kopernik zu einem Sohne von weslphalischen Bauern 
macht, um ihn per fas et nefas zu einem Deutschen zu stempeln. Es hat in die- 
sem Falle eben so sehr Recht, als es seine alten Landsleute hatten, wenn sie 
Kopernik zu einem Schüler des Johann Müller Regionion tanus, und diesen letz- 
tern zu einem Preussen machten, oder als es der poloische Priester Ignaz Chody- 
niecki hat, der in seinem Wörlerbuche der gelehrten Polen, Lemberg 1833, den 
Kopernik in die Schule nach Königsberg schickte. Der Astronom Müller starb 
1476 in Rom, wahrend Kopernik 1473 in Thorn geboren kaum drei Jahre alt 
war. Und als Kopernik 1543 auf dem Lorbeer seines europaischen Ruhmes starb, 
da gründete Albrecht der Kurfürst von Preussen das Gymnasium in Königsberg. 
Das gelehrte Werk : „Erlautertcs Preussen," Königsberg 1724 — 28, lehrt (Tbl. IV. 
S. 167), dass Königsberg bis 1541 kaum eine Pfarrschule besass, und dass die 
Gründung des Gymnasiums erst auf jenes Jahr fallt, welches von Sigmund von 
Polen, als dem Lehnsherrn des preussischen Fürsten als Akademie ad profligan- 
dain iinpielatem ac barbariem, wie es in der Vorrede zu dem Grundgeselz dieser 
•Schule heissl, bestätigt wurde. Nach dem: „Entwurf der preussischen Literatur- 
geschichte von Pisanski, Königsberg 1791" entstand die höhere Schule in Elbing 
1300, in Thorn um 1350, in Kulm 1405, in Danzig 1416, und in Königsberg 
1541, also zwei Jahre vor dem Tode Koperniks. Unser Astronom konnte also 
nicht die Königsberger Schule besucht haben, sondern er bildete sich in der 
Thorner aus und ging dann in die Hauptakademie nach Krakau. 

Die Matrikel der Krakauer Akademie lehrt, dass 1) schon seit dem Jahre 
1400 die Thoroer und Danziger ihre Jugend an diese Akademie sandten; 2) dass 
der Familienname der polnischen Jünglinge nicht in dieses Buch eingetragen 
wurde, sondern nur der Taufname; 3) dass nur bei fremden Jünglingen Tauf- 
und Familienname eingetragen wurden; 4) dass die Akademie schon in ihrem 
ersten Jahrhunderte neben den Studenten aus Polen und Litthauen auch solche 
aus Ungarn, Mahren, Böhmen, Baiern, Sachsen, Brandenburg, Schlesien, aus dem 
Königsberger Preussen und aus der Schweiz hatte. In diesem Buche nun ist 
unterm Jahre 1491 im zweiten Semester unter dem Rectorate des Maciej von 
Kobylin unser Nicolaus Kopernik, der Sohn des Nicolaus, mit den Worten einge- 
tragen: „Nicolaus Nicolai de Thoruuia." — Aus dem Promotionsbuche, das von 
1406 anfangt und bis ins 17. Jahrhundert geht, zeigt es sich nicht, dass Koper- 
nik in Krakau einen akademischen Grad erlangt hatte. Die Entfernung des Pro- 
fessors der Astronomie Wojciech Brudzcwski aus Krakau nach Wilna 1494, wo 
dieser würdige Lehrer Koperniks 1495 starb, so wie die unler dem Einflüsse 
eines solchen Lehrers von dem Schüler eingesogenen Ideen über den Bau der 
Welt, welchen der damalige Fanatismus ein strenges Stillschweigen auflegte, 
hielten den jungen Kopernik ab, in Krakau um einen akademischen Grad sich zu 
bewerben. 

Der Verfasser sah eine in Krakau 1493 geschriebene und 1495 in Mai- 



Digitized by Goö'gle 



250 



land gedruckte Darlegung der Astronomie, welche Kopernik aas dem Mande 
Wojciechs von Brudzewo in Krakau hörte. Das geschriebene Werk (mit Zeich- 
nungen) hat den Titel: „Commentariolum supra theoricas novas Georgii Purbach 
in studio generali Cracoviensi per Magistmm Alberlum de Brudzewo diligenter 
corrogatum"; das gedruckte (in 8. ohngefähr 160 S.): Comnienlaria ulilissima in 
theoricis Planelarum. Auf der Rückseite des Titels in dem gedruckten Buche 
befindet sich ein Wort des Herausgebers Johannes Otto Germanus de Talle vra- 
cense an Ambrosius Rosato, fürstlichen Arzt und Rath, worin er dieses Werk 
seines Lehrers den Schillern Italiens anempfiehlt und ihm dadurch den Vorzug 
über alle gleichzeitigen italienischen Werke dieser Art zugesteht. Am Ende des 
Textes ist derselbe Titel, der auf der Handschrift von 1493 steht, mit dem Zu- 
sätze: pro introduetione juniorum" wiederholt. Dieses Werk, das umfänglicher 
ist, als das handschriftliche, erschien in demselben Monate und Jahre (April 1495) 
in Mailand, wo Wojciech in Wilno starb. Achlundvierzig Jahre später kam das 
unsterbliche Werk seines Schülers Koperniks in Nürnberg wieder in demselben 
Jahre in den Druck, in welchem der Gründer der gegenwärtigen Astronomie in 
Frauenburg an der Ostsee starb. 

Diese für jene Zeit vortreffliche mündliche und schriftliche Darstellung der 
Astronomie von Brudziewski, welche die tüchtigsten Jünger der Wissenschaft aus 
der Ferne herbeizog, erweckte in Kopernik den Gedanken, welchen der Kardinal 
Cusa sich vergeblich bemühte mündlich in dein Wiener Astronomen Purbach und 
schriftlich in dessen Schüler Johannes Müller zu erregen, den Gedanken, dass die 
Erde eben so um die Sonne sich dreht, wie die andern Planeten um diese. Mit 
diesem Gedanken, den er in Krakau auf die oben angegebene Weise sich eigen 
gemacht, begab sich Kopernik im Jahre 1495 auf die italienischen Universitäten. 
Diese waren an Lehrstühlen für griechische Sprache, Geschichte und Medicin 
reichhaltiger als die Krakauer, aber keineswegs an solchen für Astronomie. Pur- 
bach starb in Wien, als er nach Rom ging, die griechische Sprache zu lernen; 
sein Schüler Müller, starb in Rom, wohin er in derselben Absicht gekommen. 
Diese beiden Astronomen wollten das Griechische erlernen, Kopernik gedachte 
nur, sich unter dem Himmel Italiens darin zu vervollkommnen; jene wünschten 
die Astronomie der Griechen an der Quelle kennen zu lernen, dieser schöpfte 
Stützen für seinen grossen Gedanken aus derselben. Das seit 1406 zu Venedig 
gehörige Padua hatte zu der Zeit, wo sich Kopernik, als zur polnischen Nation 
gehörend unter ihre Zöglinge einschreiben Hess, keinen Professor der Astronomie, 
der Brudziewski gleich gekommen wäre; Kopernik hatte sich zur medicinischen 
Facultät einschreiben lassen. In der Geschichte dieser Universität: Historia gym- 
nasii Patavini, Venetiis 1726, in folio. Band II. S. 195 spricht sich der Ver- 
fasser, Nicolaus Commenus Papadopoli über den Astronomen so aus: „Dass Nico- 
laus Kopernikus in Padua sich auf Philosophie (die peripathetische) und Medicin 
verlegte, erhellet aus der Matrikel der Polen (palet ex Polonorum albis), wornach 
er ein Schüler von Nicolaus Passero und Nicolaus Verni Teatyn war. Letzterer 
setzte nach den Aden der medicinischen Facultät vom Jahre 1499 den Doclor- 
kranz dieser beiden Wissenschaften auf sein Haupt." — Aus Padua machte Ko- 
pernik wissenschaftliche Ausflüge nach Bologna, wohin ihn der Ruhm des dor- 
tigen Astronomen Dominik Maria Novarra, geb. 1464 in Ferrara, gest. 1514 in 
Bologna, zog. Dieser verdankt seinen Ruhm der falschen von Montuclo im er- 
sten Bande S. 549 seiner „Histoire des Mathematiqucs" ohne allen Grund aufge- 
stellten Meinung: „d'avoir 6l6 le maitre de Copernic et l'avoir engage par son 
exemple et ses conseils ä se livrer ä raslronomie." Dieses Verdienst gehört, wie 
wir sahen, ausschliesslich Wojciech von Brudzewo, aus dessen Buche auch die 
italienische Jugend Astronomie lernte. Es fehlte nur noch, dass Kopernik selbst 
dieser Jugend die gedachte Wissenschaft vortrug. Das bewerkstelligte der wür- 
dige Freund Koperniks Dominik Maria Novarra, der ihn nach Vollendung seines 



Digitized by Google 



Kurses in Padua zum Professor der Astronomie an der Universität in Rom em- 
pfahl. 

Nach der Geschichte dieser UniTersität von Caraffa: „Historia Gymnasii Ro- 
mani" gehört der Ruhm seiner Fesselung den Pahsten Eugen IV., Nicolaus V. und 
Alexander VI. Letzterer sass von 1492 bis 1503 auf dem apostolischen Stuhle. 
Unter seiner Regierung also, am Ende des Jahres 1499, erhielt Kopernik jene 
Lehrkanzel. So schreibt Joachim Retyk, ein Schüler Koperniks und Herausgeber 
seiner Schriften, so Tiraboschi in seiner „Storia della lelleratura ilaliana." Aber 
die traurigen Ereignisse unter Alexander VI. zwangen den frommen und golles- 
fflrchtigen Astronomen, Rom zu verlassen und unter den vaterlichen Sceptcr der 
Jagelionen zurückzukehren. 

Dies geschah im Jahre 1502, wo auch Kopernik in Krakau in den geist- 
lichen Stand trat. Hier schrieb er zwischen 1502 und 1509 das unsterb- 
liche Werk „De revolutionibus orbium coeleslium. Hier traf er auch noch den 
Freund seiner verstorbenen Aeltern, Jakob Zaremba von Bydgoszcz, welcher sie 
und ihre Nachkommenschaft seit 1469 als Provinzial des Dominicanerordens in 
die wohlthälige Anstalt desselben für Polen (Prorinciae polonae, wie es in der Per- 
gamentoriginalurkunde heissl) aufnahm und so die Familie den polnischen Domi- 
nicanern zu Dank verpflichtete. Ausserdem fand er noch andere Freunde seiner 
Familie hier; dieses, so wie die alten Erinnerungen brachten ihn zu dem Ent- 
schlüsse sich hier als Lehrer niederzulassen an einer Schule, an der er vor drei- 
zehn Jahren selbst Schüler gewesen. Allein sein Oheim Lucas Weisseirod, der 
Bischof von Ermeland, berief ihn 1510 nach Frauenburg auf die für ihn bestimmte 
Kanonie. 1523 ward er hier nach dem Tode des Bischofs Luzyanis von dem 
Kapitel zum Administrator der Diöcese erwählt. Im Verlaufe dieser seiner Aem- 
ter gab er hinlänglich zu verstehen, dass der Orden der deutschen Kreuzritter 
keineswegs seine Achtung geniesse. Später legte Kopernik sein Amt in die Hände 
des Bischofs Ferber nieder. „Nach dem Tode dieses Bischofs (schreibt Janocki 
nach einer Urkunde des Kapitels von Ermeland in seinem Werke: Von raren pol- 
nischen Büchern Thl. III. S. 83) gab Sigmund I., König von Polen dem Kapitel 
vier Prälaten, um einen von ihnen auf den Bischofsstuhl zu erheben. Es waren 
Dantyszek, Gize und Kopernik. Dantyszek, damals Bischof von Kulm und vom 
König zumeist empfohlen, erhielt das Bisthum Ermeland, Gize das von ihm ver- 
lassene Kulm; jeder von den zwei Bischöfen aber liebte und achtete, wie früher 
so auch jelzt, den Kopernik, wie seinen Bruder, und erholte sich in jeder Ange- 
legenheil seinen Rath. — Aber vor Allem liebte und schätzte Gize den Kopernik. 
Er hatte als Kanonikus von Ermeland Freundschaft mit ihm geschlossen und be- 
wahrte sie ihm unerschütlert als Bischof von Kulm. Auf des Koperniks Anrath cn 
gab er seine religiösen Schriften heraus; auf sein Anralhen wieder willigte Ko- 
pernik ein, sein bereits über dreissig Jahre fertig liegendes unsterbliches Werk 
De revolutionibus etc. drucken zu lassen. 

In diesem Jahre sind es nun dreihundert Jahre, seit dieses Werk in Nürnberg 
unter Leitung des Joachim Retyk gedruckt wurde, und seit Kopernik das Zeitliche 
segnete. Er hatte durch Voranstellung zweier Namen, des Kardinals Schömberg 
und des Pabstes Paul III. sich gegen die Anfechtungen der Finsterniss und des 
Fanatismus zu schützen gesucht, welche trotz dem nicht ausblieben. Ja die Gegen- 
wart sogar muss noch die Reihe dieser Verfolgungen fortsetzen. 

Wir haben gesehen, dass in dem Namen Koperniks auch nicht ein einziger 
deutscher Laut sich findet, dass in den Adern dieses grossen Mannes auch nicht 
ein einziger Tropfen deutschen Blutes floss, dass sein Fuss sich nie auf deutschem 
Boden festgesetzt, dass er aufgewachsen ist und sich gebildet hat unter rein pol- 
nischen Lehrern, in polnischen Schulen, dass er sich in Padua in das Album der 
polnischen Nation eintragen licss, dass er nach seiner Rückkehr aus Rom nach 
Polen in Krakau leben und sterben wollte, in demselben Krakau, unter dessen 

Sl.w. Jahrb. i. 34 



Digitized by Google 



%M 

Himmel die Asche seines Grossvaters ruhte, wo sein Vater das Leben empfangen, 
wo er selber das grosse Geheinmiss der Sonnenwclt errathen und beschrieben 
hatte, wo er ein Vater Ton Galiläi und Kepler, ein Ahn Ton Newton, mit einem 
Worte; wo er der Patriarch der Sternkunde geworden war. 

Vergebens sprach Ludwig Wachler im Namen der deutschen Nation in sei- 
nem werlhvollen „Handbuch der Geschichte der Literatur", Leipzig 1824, 
Bd. IV. S. 207 folgende Worte: „Von den andern Nationen ist die polnische mit 
Tollem Rechte stolz auf ihren Nicolaus Copernikus aus Thon», Schüler des Albert 
Brudzewski in Crakau;" umsonst wiederholte er dieselben Worte in der spätem 
Auflage seines Werkes ; umsonst sprach der als grosser Astronom in ganz Europa 
bekannte Dominique Franc, ois Arago in seiner Lobrede auf seinen Landsmann 
Laplace (im Journal L'Institut vom 26. Mai 1842) sich über Kopernik so aus: 
„Je s'etcignit en tenant dans ses mains defaillantes le premier exemplaire de 
l'ouvrage qui devait repandre sur la Pologne une gloire si eclalanle et si pure." 
Den Baiern gefiel es, den polnischen Kopernik den Deutschen zuzueignen, indem 
man ihm „einen Ehrenplatz" unter „ fr alhallas Genossen" gab, und diese des 
neunzehnten Jahrhunderts unwürdige That durch einen Artikel aus München vom 
15. Juli 1842, der dann die Runde durch die deutschen Zeitungen machte, öffent- 
lich ausposaunte. Wäre es möglich, dass Walhalla darum, weil es als Wort in 
die Mythologie gehört und als Bauwerk an der Donau unterhalb Regensburg sich 
erhebend und der deutschen Erinnerung geweiht, in das Gebiet des Poetischen 
einschlagt, dass Walhalla darum ein Grab der Wahrheit sein sollte. Unmöglich! 
Europa ist ja nicht Asien, wo die Geschichte von der Mythologie, die Prosa von 
der Poesie, die Wahrheit von der Lüge vertreten wird. Im Namen der Geschichte, 
der Prosa und der Wahrheit verlheidigen wir mit dieser unserer Schrift gerade 
so, wie es unser ehrenwerthe College und Landsmann Ignaci Loyola Richter ün- 
liingst that, dieses unser theures und einzig dastehendes Eigenthum, und hoffen, 
dass alle Zeitschriften in der Heimath und in der Fremde diese unsre Verlheidi- 
gung wiederholen. 

Warschau, den 15. Februar 1843. 

Adrian Krzyzanowski, 
emeritirler Professor der ehemal. Königl. 
Warschauer Universität. 



2. Her Einfluss des Slawischen auf das Italienische. 

Aus Kollar's Reise in Italien. 

Pag. 108. Zwischen der slawischen und italienischen Sprache giebt es viele Beziehun- 
gen und Wechselverhältnisse, sowohl in Bezug auf den Stoff, als auch in Bezug auf die 
Form; doch so dass das Slawische grösstentheils alter und originell, das Italienische jün- 
ger und von nns entlehnt zu sein scheint. Weil sich nun dessen, so viel wir wissen, bisher 
noch Niemand angenommen hat, so theilen wir das, was uns auf unserer Reise besonders 
in die Augen fiel, hier mit. 

I. In Bezug auf den Stoff der Sprache. 

1. Die Gleichheit der Laute: 

S (wohl c)- ce, ci: cena Abendessen (lies 2ena, czena), eibo Speise, ciaskuno jeder.— 
di- ggi: oggi (1. odii), oggeto, vgl. das sl. diban, dzber, hädze, Hodza etc. — 1, Ij- glj : 
liglio, (iiljo); orgoglio, foglio, tagliari. — Ä-gn: agnello, (anelo), degno; ogni; signore. — 
J-sce, sei: lasciare (laSare, laschare); scemare; seimia. — 2- ge, gi, ju: genio (ienio); 
giardino, giusto, justo. 

2. Gleichheit der Wurzeln: 

baj, bajkär, bajka Fabel, bajeti reden; it (bajazzo), sbagio, sbajaffare, sbajafTone. — 
Wl, Wiy weiss; bölohlawa, bele dwory d. i, krasn^ schön, it. bello, bellone, bellezza. — 



Digitized by Google 



£53 



berla Stange, barla, brle; it pirla, pirolo, piroli. — berh'n (bfewno Vogels tange) ; iL ber- 
lina, berlesca. — Bes Dämon, bfesny, besnost; it. besso dumm, bessa, besseria. — bläto 
Koth; it. beletta. — Boll, Bub, Bili, Bobota, bohotny, boziö, bozica (Prophetin), bozsko- 
wati (frömmeln), näboimcek, poboinustka ; it. baccbettone Scheinheiliger, (vgL bahnte, 
sehr), franz. bigot, bigoterie, (vgl. das Kleinrnss. Big-Bog). — bohatstwo, zbozl; it. boga, 
bogaggio; franz. bagage, bagatelle. — brjti f britky (scharf, schneidend), britwa, bfititt; 
brus, brausiti ; broj, brojiri, zbroj ; braü, braniti, zbran ; bir ? zbir, birda, biric (Bewaffneter); 
it Sbirro Häscher, sbirera. — brloh, Wildlager, brloiiti ; it. berlengo, berleggiare. — bruk, 
Käfer, brk, brkati; it. brucco. — buda Bude, Hütte, budka; it. bottega. — cac, cacka, cata, 
fcac, £a£, cafca, fcafcka, cacany, cek, cecb, cet, ceta, cetka ? cetina, cetnle (cedule), itu, (et, 
poöet, fcislo, (vgl. numerus und num us); it. zecca, zecchino. — Dodola Name einer Göttin; 
it Dondola Familienname. — drapati, kratzen; it. strappare, tarpare. — hod (festliche) 
Zeit, hodowati; it. godere; goduta. — brba Haufe, hromada; it. groppa, dtsch. Gruppe. — 
choditi gehen, serb. oditi; it andare. — kal, kaly (gut, tüchtig), kaliti (slowäk. zählen), 
kalota; it und franz. gala, galante, galanteria. — kok, kuk, kokoS (Hahn), kohaut, koka, 
knka (Hühnerei), kukang, kokane (Hühnernest); it. coco (Ki), cucagna. — krpec Bund- 
schuh, skorne; it. scarpa (Schuh). — kum, kumstwo, kmotr Gevatter, it. coma, comane. — 
kut, kutina; it. cantfna. — malzenka; it moglie. — niwa Neuland; it. novale Brachfeld.— 
nowce Geld ; it num i. — ocankati ; it. incantare. — paCiti se ; it piacere. — päs Gurt ; 
pojas, päska, pasmo, pasmice, pasroowati, pasmowänie, von pjati, pnu; it passamano, 
(Borte). — peljati, odpelati, wegthun; it pigliare. — - pera, plur. pery (slowak. Lippen), 
davon prawiti, sprechen; it. parlare. — pinta (ein Mass); it. pinta. — plod, Frucht, alt- 
slaw. polod; it. biada (Feldfruchte), barb. lat bladum. — pohan, Heide, pogan, pahanSny; 
it. pagano. — prace Arbeit; it. prace Gartenrabatte, vgl. robota. — praziti, praz, rösten, 
paraz, prazma; it. bragiare, bragie. — prawo Recht; it bravo. — prawiti, it. parlare; vgl. 
pera. — pnrno gerade, prjamo; it prima di me (vor mir). — puk, pukance, puknuti, 
rozpuknuti (bersten); it. bugance (das Aufspringen eines Gliedes vor Kälte). — put, plt, 
plet' Fleisch, puteny, putenä geil, putenost; it putana unzüchtiges Weib. — raka, rakew 
Sarg; it. arca, archa. — robota Arbeit; it. roba. — ruöaj Bergbach; it ruscello. — run, 
runa, bei den Slowaken row, Forche im Weinberge, runiti graben; it. ronare, das Feld 
bauen. — sad, posaditi, posada; it. posada, posata, — sauiar, saumar, Esel; it. samaro. — 
srp, serp Sichel; it. franz. serpe Gartenmesser. — sreta, stret, ustrety; it. sorte. — stan 
Stand, stänek, stanice, stanowiätg, zustawam ; it. stanza, stanzia, stanziare. — stanu, ustanu, 
ostawam, ermüden, ustaly; it. stanco, stancare. — stena Stamm, Wand, stinka; it stinca. — 
straniti, odstraniti, beseitigen; it. straniare, entfernen. — strawa, strowa, strawice, Zehrnng, 
strawuju; it. stravizzo, Schmauserei , stravizzare (dieses Wort strawa hatten schon die 
Hunnen von den Slawen). — stfela Geschoss; it strale Pfeil. — striga, strigaun, Hexe; 
it. striga, strega, stregone. — stupy Stampfmühle; it. stamp, stampare. — skeriti sc, 
Skwrna; it. schernire, spotten, scherna. — Step Reis; S£ep, ostip, tep, cep; it. zeppa, Keil. 
— tarCa, ter£, tri, trceti, trkati; it. targa, targhetta; dtsch. Tartsclie. — tep, tepati schla- 
gen ; it toppo Klotz. — trapiti martern , trampota ; it strapazzare , strapazzo. — tnbiti, 
reinigen), trebny; it. strebbiare glätten. — trt, trtaö, trtati; it. tartire. — twaroh, twaru- 
iek, twaroiina, Käse; it formäggio (vgl. tworim und formo.) — tyrati; it. tirare. — Tur 
(Kriegsgott, dawor, tabor), Turice, turne (bei Dalemil), turnaj, turina, turizna, verkürzt 
trizna, Spiel und kriegerische Feierlichkeit zu Ehren Turs; it torneo, franz. tournoi, dtsch. 
Turnei, Turnier. — wdowa; it. vedova. — wrece, wor, worek, zawor v. wru, zawru; it 
borsa Sack, borzetta; boracchia, bursa. — zak, it zago. — zupan, Span, im mittelalterl. 
Latein, acabinus; it schiavino. Vielleicht auch das slawische opewadlo; lat. opus; it. opera. 
Hierher gehört auch moji, mein; it. moi, twoj, twuj, dein; it tuo, tuoi; ja ich; it io. 

II. In Bezug auf die Formen der Sprache. 

I. Gleichheit der Endungen: 
ina: Sestina, sedmina, desetina; it sestina, settina, diecina. 

Städtenamen auf ina: Lipina, Zilina, Bukowina, Slawina; lt. Fusina, Mutina, Polesina. 

ska, sko: Lipsko, Chlumsko, Slezko, Horwatsko, Rosko, Polsko, Polska; it. Berga- 
mosco, Comasko, Cremasko, Pomponesco, Tedesco (vgl. NemCisko, so ein Deutscher), 
Gerardeska, Somosca. 

ow, owa: Krakow, LubStowa, Dubowa, Kralowä; it. Padova, Mantova, Genova. 

2: Pari2; it Parigi. 

Stamm- u. Volksnamen: 

an, in, on: Slawian, Morawan, Rusin, Serbin, Slawon, Cakon; it Italian-o, Ver.e- 
ziano, Dalmatino, Florentino, Sassone, Grigione. 

I: Spaniel, Goral, Moskal; it Spagnolo. 

anda: kocanda, palanda, wojanda; it locanda, Zimmer zu vermiethen, polanda, solanda. 
ata, eta, ita, ota: lopata, odplata, komnata, podstata; it. bajata, balata, cagliata, 
carrata. — slaw.: oswSta, klewlta, sketa, teta; it. bacclietta, calcetta, bajetta, licetta. — 



Digitized by Gfrögle 



254 



»law. nesita, tolita; it. bombobita, carpita. — slaw. dobrota, jednota, sirota; it. pinzotta, 
ballotta. 

ola: stodola, mrtwola, tobola, smola; it. bietola, bambola, cagnola, fragola. 

2. Der Theilungsgenitiv (genitivus partitivus): 

(Daj) Dej mi: chleba, del pane; wody, delT aqua; wi'na, del Tino; masa, della carne; 
ryby, delle pesce. 

3. Vergrösserungswörter: 

telo: telisko, doktor: doktorisko; it. corpo: corpaccio, dottore: dottoraccio. 

4. Verkleinerungswörter: 

chyZa, chyZina, chyüca, chyzka, chyzeüka, chyznlka; it. casa, casina, casuzza, ca- 
succia, casetta, casucciola. — chudy, cliudi£ky*, chudina, chud'as; it. povero, poverello, 
poverino, poTeretto. 

5. Zwei Verneinungswörter machen keine Bejahung: 
Ja nedclam nie; it. io non fo niente, ich thue Nichts. 

6. Die I. und II. Pers. plur. Indic. praes. und II. Pers. plur. perf. 

j8mo, smo, siamo ; jste, sete, siete ; milnjemo, amiamo ; milajete, amate ; milowali ste, 
amaste; da, da; däme, diaino; date, date; daliste, daste, etc. 

7. DasPassivum: 

Di-se, Dice-si; weTf-se, crede-si; slysi'-se, sente-si; bodowalo-se, godeva-si; 
prodäwä-se, si vende. 

Wie bei den Slaven cuti, £nje se nicht nur fühlen, sondern anch hören bedeutet, 
so bei den Italienern sentire. Vgl. anch die Namen: Kocel n. Consalvi; KoSut, Kosmaty 
u. CossuthiSj Cosmati; oder unsere Namen: Pan, Stopän, Sedmipän, Zemepan u. Frange- 
pan, Caccopan, Marzipan etc. Vgl. die italienischen stark an slawisches Klement mahnen- 
den Familiennamen : Dalco, Doino, Draghi, Costoli, Codagora, Crastona, CreBti, Cnbrian, 
Malco, Kados, Zarbaran etc. Wie es in der lateinisch- italienischen Sprache viele Perso- 
nennamen auf o giebt, z. B. Cato, Cicero, Angelo, Tasso, Ariosto, Paolo, Rinaldo, so 
auch bei den Serbien» und Slowaken, z. B. Milo, Rädo, Teso; Jano, Juro, Ondro, Samo, 
Balo, Stano, Blaho, Blazko, Palo, Wanko, Slawko etc. (Audi in der Niederlausitz: Wafko). 

Hiermit können auch die slawisch -lateinischen Wörter verglichen werden, von denen 
viele gewiss von den Slaven zu den Kömern übergegangen sind, z. B. holub, poljub, co- 
lumba, palumba; dorn, dum, domus; pastyf, pastor; hospod, hospodäF, hospes; Stit, scu- 
tum; pora, tepory, teprw, tempus, temporis; paut, pa,t% pons, pontis; s-wizi, swezi, vege- 
tus; wojatiti, vagire; sljbiti, snubiti, nubere; orati, arare; role, rus, ruris; rub, srub, 
obruba, rubez (russ. Gränze), von srubiti, rübati , zimmern, lat. urbs, urbts (urbs verhält 
sich zu rub, srub so, wie arca zu raka, räme); ko-ster, kostet, ko-strug, o-strog (russ. 
u. altslaw. Schloss, Burg) von strn, stroj, strojiti (bereiten), lat. strues, ca-strum ca- 
stellum; ow, owa, owo, ille (olle), illa, illud; it. die passiva Ijublju-s* amor oder amos, 
amo-se etc. Die zebnsylbigen Tercinen in der italien. Dichtkunst, vorzügl. bei Dante, 
sind mit Ausnahme des Reimes unsern ältesten Versgattungen gleich, z. B. in „Libuscba's 
Gericht", in der Königinhofer Handschrift, in serbischen Volksliedern. (Ausserdem heisst 
es hierüber S. 106 so:) Nirgends schlugen uns so viel slawische Laute und Wörter an 
das Ohr, als im Arsenale und der Schiffswerfte hier (in Venedig) ; was ein neuer Beweis 
dafür ist, dass der europäische und zwar vorzüglich der Seehandel seinen slawischen 
Ursprung in den Wenetern hat. > Hieher gehören z. B. 

1. Städtenamen: 

Adria , sl. Jadra, vgl. illyr. jadro, das Segel, jadriti, segeln; (ernagor. montenegr.) 
jaderni, celer, czech. jadati scrutari; die dalmat. Stadt Jadera, Jädra; auch das altsl. njedro, 
jadro d. i. sinus (sinus maris). 

Cantina, Keller-, vgl. knt (Winkel), kuta, kutina, Ka.tina, Kontina. 

Dogana, sl. Dohana, Dohon, Puhon; vgl. priplaw (Herzuschiflen) , doplaw, priwoz, 
priboj lodf. In der Hirtensprache heisst das Austreiben der Heerde des Morgens auf die 
Weide wyhon, das Kintreiben des Abends dohon. 

Darsena vgl. drzenf, drzenie, kde se lode driejf, Schifflshalter. Im Dalm. darzi'm, 
darzeti; im Franz. darse, darsine = die Haltkette, Haltseil, bohm. drzak, dr2ec, drzadlo. 

Göra, gorazr.o, aWeus, Graben ; vgl. gorod, garad, grad, Festung. 

Molo (ein Damm zum Anlegen der Schiffe), vgl. mel, mela, mclclna, mula, namel, 
podmola, wymola, wymolek, zmol, zmola; Bedeutung: das Spulen des Sandes in's Wasser. 

Stäppa, Stapula, deutsch: Stapel, Stapelplatz; sl. staw, stawalo, stawadlo, Standort. 

Strada, Contrada = th'da, sth'da, freda, Gasse. 

Tana vgl. tanauti, tonauti, töne. 



Digitized by Google 



£55 



2. Namen von Werkzeugen: 

Ancora, lat anchora. uncus, gr. ayxvQtt, deutsch Anker, russ. jakor; vgl. hak (gebo- 
gener Nagel), hänka, wuhel, wengiel, (angulus, Winkel), von h-nu, h-nul, hybarn, shybam: 
wie von sek sekyra (Beil), so von häk^ hanka, hakyra, liankora, nnd mit Aaslassang des 
b ankora; von hn, hyb ist auch das gleichbedeutende ham, hama, hamus gekommen. 

Balla, Ballen, abballare, imballamento, vgl. bal, Pack, balik, obal, obwal, obaliti, obwaliti. 

Bärca, Barchetta, vgl. barka, barann, baräk; von bar, war, d. i. Wohnung, Haus, 
Schloss (auf dem festen Lande oder am Wasser) ; vgl. auch wor = pH', Flosa. 

Barcaruolo, Barcarol, vgl. barka?, Schiffer. 

Batello, franz. bateau, deutsch: Boot, Tgl. buda (Hütte) baudka, budowa, budar, bu- 
duji; davon auch batär, Wagenhäuschen auf Rädern. 

Bord, Bordo, vgl. d. illyr. Brod Schiff, von bredu, broditi, waten. 

Caravella, garavella, franz. corvette, vgl. korba, korab, korabl; korban, korman, 
Steuerruder, kormantk, Steuermann. 

Flotta, dtsch. Flotte, Plätte, vgl. ptt', Floss, poln. plot v. plüti, plytwati, fli essen, 
schwimmen. 

Finanz, vgl. penfze, Geld, poln. peniadze. 

Gondola, Condola, Häuschen zum Schiffen ; vgl. sl. kntja, kutica, kutina, kontina (Win- 
kel, Gesindestube), wovon auch Konta, Konda, Ore-Konda d.i. Arkona. Zu dieser Wurzel 
gehört auch kot, kotec, koterec; koC, Kutsche, ko£i, kofar; kocabka (Schiffchen), kocanda 
(grosses Haus). Bei den Russen bezeichnet kod, koßa noch jetzt Schiff. In Betreff der 
Endungen kont-ola, Kont-ula vgl. stodola, mrtw-ola, kram-ola, korbula, rohula, serbu- 
Ija etc. Bei den Slawo-Dalmaten finden sich auch Personennamen von diesem Worte: 
Gondola, GunduliS etc. Diese kontola, gondola ist ein wirkliches domek, Häuschen, hat 
Dach, Thür, Stube, Fenster mit Laden und inwendig Sitze, Bilder, Krucifix, Weihwasser- 
gefass u. s. w. 

Pavillon, deutsch: Flagge; vgl. pawlak, powlaka, russ. powolok, pawlan (Zeltdach), 
wlak (Schleife), wlakno; wlaji. 

Piloto, pilot, jpilotin , Schiffs fu hrer , von plt', plot, mit zwischen p-1 eingeschobenem i 
pilot, d. i. plt-mk, plt-äk, Flüsser. So kommt auch das engl, lodis-man, lodes-man, 
das dan. loods, das deutsche Lothse, Lothsmann vom slaw. lod', Schiff, lodnik, Schiffer, 
her; desgl. Lothsgeld gleichfalls dan od lodi, Schiffsgeld. 

Tona, deutsch: Tonne, Stanze, vgl. tona tunka, dunice, oddunauti, dutina. 

3. Name n von Winde n: 
Sirocco, Airocco, sl. zarko, glühend heiss. 
Bora, sl. bura, burja, Sturm; vgl. russ. boran. 
Moretta, boretta, kleiner Sturm, baurecka. 

Hieher gehört noch nothwendigerweise das europäische Hanza, Ansa, Anseaticum foe- 
dus, welches vom slaw. uza, auza, uzel, polabisch: wnnzal, uzda, waza, swaza, swazek, 
wazba gekommen ist; woher auch das russ. so-juz, moto-wauz, hauzwa, obäslo, obwiaslo, 
powiaz, powesno, prowaz, prewiaslo, powfislo, wezen u. s. w., von der Wurzel uzky\ eng, 
anziti, wäzati, binden. Uza, Auza oder mit dem Rhinesmus Anza, Hanza ist Einheit 
oder Bund von Handelsstädten. Uza, uzy russ. u. kirchensl. : Fesseln. Das H in dem 
Worte Hanza, hauiew ist bloss Aspiration, wie in okno (Fenster), hokno, wokno, ohefi, 
wollen, u. dgl. Hieher gehört auch das ital. Compagno, Compagnia, sl. Kompan, Kum- 
pan, von der Wurzel kopa, kupa, mit dem Rhinesmus kepa, kompa, kumpa d. i. Gesell- 
schaft, Versammlung, davon kompan Einer aus der kompa, aus der Gesellschaft, Ka- 
merad (wie von kraj krajan, zeme zeman); illyr. kupiti versammeln, skup, skapnost, sku- 
pStina Versammlung, Gesellschaft; vgl. das lat. copia. — Hieher gehört auch Cechin. Es 
gehört das germ. Lodisman, Lotsman, Lotse, slaw. lod', lodnik ; das deutsche War, Waare, 
sl. towar; das deutsche Kram, Krämer, vgl. chräm, chrana. Schiavino Rathsherr; Boemio 
czechische Bettdecke u. s. w. Dass der grösste Theil dieser Wörter von den Slawen, 
welche hier auf dem Jaderischan (adriatischen), dort auf dem Baltischen Meere Handel u. 
Schifffahrt trieben, schon in uralter Zeit zu einigen benachbarten, vorzüglich italischen 
u. germanischen, von Krieg u. Fang sich nährenden Völkern übergegangen ist, ist daraus 
zu ersehen, dass das Wort Hanza den Gothen schon im IV. Jahrhunderte bekannt war; 
denn Ulfitas braucht es im J. 360 in der Uebersetzung des Evangeliums des Markus, in- 
dem er sagt: „Hanza mikila manageins" d. i. eine grosse Menge Volkes. Dieses Wort 
Hanza erborgten die Gothen von den Slawen, so wie auch andere gleichfalls von Ullilas 
gebrauchte Ausdrucke, z. B. dulgs, dluh Schuld, plats, plat Bezahlung, sinopeis, zupan 
Herr, skosl, kuzlo, lange Kleidung, poderis. smakka, smokwa, theirko, dirka Loch, marzjan, 
mrzeti verdriessen, ptinsjan, plesati klatschen (hupfen) u. s. w. 

III. Gcofrxaphisehe Kamen. 

Zu diesen grammatikalisch -lexikalischen Beweisen kommen auch noch die geographi- 
schen hinzu; denn der grösste Theil der Städte-, Dörfer-, Burg-, Fluss-, Bergnamen ist 
slawischen Ursprungs, Wir geben hier Folgendes. 



Digitized by Google 



056 



B. Bebe, Bebion (Baba), Bobio, Belano, Belluno, Biella, Benak (Penak), Breme, 
Brenta, Brescia, Brianza Briganza (Bregunica), Buran. 

C. K. Carpi, Colico, Como, Chum, Corenno, Creuia, Cremona s(vgl. Kreml, kramen =• 
Feuerstein), Krk, Kerka. 

C. Cecina (Öettna), Cesana (Cesana). 

D. Dol, Dolo. 

F. W. Fusina (was, wus. Bart). 

G. Garda, Garza (gorica), Grado. 

J. Jader, Jadria, Jakon, Jakin (Ancona), Janova (Genua). 

L. Laveno (See), Lecco, Legnano, Livenza (Fluss), Lugano (See, lug, feuchter Ort, 
Laiice), Lugams. 

M. Malghera, Malamoka, Mantova (vgl. Man, Maneta, Manata), Medak, Mediolan, 
Mela, Mira, Mutina (jetzt Modena, Tgl. d. Böhm. Mutina). 
N. Nalega, Nitra (See). 

O. Olona (Fluss, vgl. entw. leji liana, oder Olen, Hirsch). 

P. Padova, Papia (vgl. pop.), Parenzo (PoriCie), Plawa (Fluss), Polesina, Povera. 
R. Ravena, Rubano. 

S. Z. Savoj (vgl. Zaboj, Zäwoj), Sita, Sirmio (Srem), Sota (Jsonzo), Spina, Zerbio. 

T. Tetlina (Dolina), Ter«, TreC (Festung im Mailand, von den Czechen zerstört), 
Ticin, Tessin, TrebiS (Treviso), Tarviso. 

U. V. W. Uderzo, Varena, Venda (Berg), Venetia, Vicenza, Widin, (Utine). 

Es giebt eine doppelte Ansicht über die Abstammung der adriatischen Weneter; die 
Einen, z. B. Cato, Livius, Plinius, Ovidius, Justinus, Trogus, Silius, Marcianus u. A. lei- 
ten sie ab von den Paphlagonischen Henetern oder Venetern, die sich nach dem Trojani- . 
sehen Kriege unter Antenors Anführung hieher übersiedelten, etwa 1000 Jahre vor Christus; 
Andere, z. B. Strabo, von den Belgischen Wenetern ab. Uns scfTeint allerdings die erste 
Ansicht die gegründetere zu sein, denn die Charakteristik der Heneter bei Homer passt 
ganz auf die Slawen und ist der gleich, welche spater Scymnus Chius von den Jaderischen 
Ulyriern giebt. Vgl. Homers Iliade von Wlczkowsky, S. 107 (wo l Evtxal mit „Slowany, 
Slawy" übersetzt ist). Und Scymnus Chius bei Lucius, S. 17: 

Illyros piissimos femnt justosque, 
hospttibus bonos, civilem amare societatem, 
studere vitae et moribos culti&simis. 

Und die bei Strabo geogTaph. L. 12. erhaltenen Paphlagonischen Namen und Worte sind, 
wenn wir die griech. Endung entfernen, ganz slawisch, z. B. Bagas (vgl. Bog, Bohus), 
Uiasas (vgl. Bi;s), Lokes (vgl. LokeS), Ratotes (vgl. Rat od. Rad, Radota), Zar (vgl. Be- 
lizar), Manes (vgl. Man), Gasys, Ologasys (vgl. gost, gast) etc. Es sei wie es wolle, Po- 
lybius sagt ausdrücklich, dass sich „diese Weneter durch die Sprache von den Galliern 
unterscheiden;" wenn sie aber weder zur griechischen noch zur lateinischen Sprache ge- 
hörten, wenn sie soviel slawischer Ueberreste in uralten Städte-, Berge-, Flüsse- und 
Seenamen, ja wenn sie soviel Einttuss auf die benachbarten Sprachen, die alte römische 
und die neue italienische, zurückgelassen haben: dann ist es unmöglich, an ihrer Slawi- 
cität zu zweifeln. Die slawischen Worte paljub, poljub oder palumba linden wir schon bei 
den ältesten latein. Dichtern gebraucht, z. B. bei Plautus, etwa 200 Jahre vor Christo, 
woraus wir ersehen, wie lange schon die Weneto- Slawen in Italien wohnen und der La- 
teiner Nachbarn sein mussten, und wie gegründet also Schafarik's Ansichten in den ,»AI- 
terthümern" über den vorchristlichen Aufenthalt der Slawen in Europa sind. Unsere älte- 
ten Geschichtschreiber, Nestor, Bognchwal, Dalemil u. A. bestätigen das ausdrücklich, 
und überdiess so, dass Letzterer die Sitze der Slawen nicht nur nach Ober-, sondern auch 
nach Mittelitalien, bis nach Rom, ausdehnt, wenn er im 1. Cap. so spricht: 

Mezi jinymi srbowe" Unter den andern die Serben (i. e. Slawen) 

Odtud kdei bydle" R'ekowe* Von da, wo wohnten die Griechen, 

Podle moFe sie nsadichu (bis) an das Meer sich festsetzten, 

A2 do R'i'ina se rozptodichu. bis nach Rom sich auszersameten. 

Mit einem Worte, Geschichte und Geographie, Sprache und Gewohnheiten und tausend 
andere Gründe und Umstände bestätigen es als unumstösslich, dass schon in uralter Zeit, 
vor den Römern und Celten nicht nur in ganz Oberitalien, im Venezianischen und Lom- 
bardischen, sondern auch im Helvetischen, in Tyrol, in einem Theile von Baiern, in Rhä- 
tien und in Norikum Wendo- Slawen wohnten, und dass der Baum des italienischen Le- 
bens seine Wurzel in slawischem Boden hat. 

Luian. 



Digitized by Google 



£59 



3. Wine kurze Geschichte der Matice caeska.*) 

Ist nur der Keim ein wesenhafter und aus der Natur der Dinge erzeugter, 
mag er Anfangs noch so unscheinbar sein, er gedeiht in dem ihm angemessenen 
Boden, selbst unter ungünstigen, noch mehr bei begünstigenden Umstanden zu 
einem mächtigen Gewächse. Ein Beispiel davon giebt uns die allmählige, sicher 
fortschreitende Entwickelung der „matice £eska". Im Jahre 1821 lustwandelten 
drei vaterländische Literaten in einer der herrlichen Umgebungen Prag's. Mit 
beklommenem Herzen .blickten sie auf die ihnen halb entfremdete Königsstadt. In 
freundschaftlichen Unterhaltungen wendete sich ihre Rede, wie immer, auf die 
Kultur der vaterländischen Sprache, auf den Zustand ihrer Literatur. Verzweifelnd 
sprach der Aelteste von ihnen sein Urtheil über die Unfähigkeit der Sprache zur 
Behandlung abstracter Gegenstände, zur Kultur der Wissenschaft aus; nur in den 
konkreten Kreisen des gemeinen Lebens milsstc sie sich künftig hin bewegen, froh, 
wenn sie einen Dichter fände, der sie zum Organ gemüthlicher Ergiessungen wählte. 
. Anderer Meinung waren die beiden Jüngeren. Der Eine hatte schon versucht sie 
auf mehrere Zweige der Naturwissenschaft anzuwenden, doch nur in dem beschränk- 
ten Räume der Sludierslube unter noch zweifelndem Beifall seiner Freunde; der 
Andere fand sie geeignet sogar die höchsten Geistesoperationen mit prägnanter 
Kraft auszudrücken. Noch trauriger und verzweifelter aber, als die Fähigkeit der 
Sprache schien den Dreien die Aussicht auf die Möglichkeit einer literarischen 
Bewegung. Es waren wohl Schriftsteller da, aber sie waren Stimmen in der 
Wüste; es fehlte am Publicum. Während sie nun in dieser ängstlichen Stimmung 
sich ihrer Trauer hingaben, warf der Aeltere den Vorschlag hin, es möchten sich 
doch die Schriftsteller selbst und ihre näheren Freunde zur wechselseiligen Ab- 
nahme der herauszugebenden Schriften verbinden, um so, wenn auch im kleinsten 
Kreise der literarischen Bewegung einen Spielraum zu gewinnen. Dies war ein 
erstes zeugendes Wort künftiger Entwicklungen. Ein Jahr darauf erliess der 
eine jener Spaziergänger einen Autruf zur Bildung eines Vereins zur CuKur der 
vaterländischen Sprache. Es fanden sich nicht eben zahlreiche Freunde, die ihre 
Unterschriften, obgleich zagend, nicht versagten. Die Schrift gelangle an den 
Chef des Landes, und wurde der Direction des vaterländischen Museums über- 
geben. Ein Jahr darauf kam die Sache zur Debatte. Es fanden sich Freunde 
aber auch mächtige Widersacher, die solch Beginnen als fremdartiges Element, 
als unzeitiges Hinaufbeschwören längst verstorbener Zustände betrachteten. Die 
Sache wurde vertagt. Allein der Same war da, er hatte seine Keimkraft bewie- 
sen. Verwandle Keime regten sich indess. Ueber Europa ging die Sonne des 
Friedens auf, und wie sie in allen menschlichen Kräften ein neues Leben erweckte, 
so wirkte sie auch erwärmend und treibend allenthalben auf die nationalen Er- 
scheinungsformen des Geistes. So kam denn endlich nach 10 Jahren die Zeit 
heran, dass jene Idee einer böhmischen Gesellschaft zur Pflege der vaterlandischen 
Sprache unter günstigem Umständen abermals sich meldete, nun endlich zeit- 
gemäss war und ins Leben zu treten begann, wie sie folgende kurze Geschichte 
der matice ßeskä beweisen wird. ••) 



•) So nennt man in Böhmen den, mit einem durch freie Beitrage erwachsenen Kapital 
verbundenen Specialverein für Kultur der böhmischen Sprache und Literatur, welcher sich 
innerhalb der Gesellschaft des böhmischen Nationalmuseums gebildet hat. 

••) Es bedarf hier nur der Einsicht einiger öffentlich in der Zeitschrift des böhmischen 
Museums mitgetheilter Docnmente, um vollkommen ins Klare zu kommen. Wir t heilen diese 
in treuer Uebersetzung aus dem Böhmischen mit. 



Digitized by Google 



/. Aufruf an alle Freunde der böhmischen Nationalliteratur von 
Seiten de* Ausschusses des böhmischen Museums, 

(Czasopis masejoi roCnjk: 1831. pag. 117.) 

Der Ausschuss des böhmischen National -Museums erkannte es als ein drin- 
gendes Bedürfniss, dass, um in unserer Literatur einen erfolgreichern Fortschritt 
zu bewirken und ihr eine erspriesslichere Richtung zu geben, aus freiwilligen 
Geldbeitragen eine Art Grundkasse (pokladnice Schatzkammer) angelegt würde 
zur Herausgabe guter böhmischer Bücher. Zu diesem Zwecke konsti- 
tuirte sich den 11. Januar 1830 aus den Mitgliedern der Museumsgesellschaft 
eine eigene Sektion fflr wissenschaftliche Kultur der böhmischen Sprache und 
Literatur, und am 1. Januar 1831 wurde im Namen dieser neu errichteten Gesell- 
schaft folgender Aufruf veröffentlicht: 

„Obgleich unsere Nationalliteratur, die erst unter der glorreichen Regierung 
Sr. M. Franz I. von Neuem zu erwachen beginnt, schon mancher gelungenen Er- 
folge sich bertthmen kann, so darf doch nicht geläugnet werden, dass sie noch 
immer im Ganzen unreif und arm ist 

Die meisten Bücher, die gegenwärtig im Drucke erschienen, haben ihren 
Ursprung dem vaterländischen Eifer einiger Schriftsteller zu verdanken, die nicht 
nur Zeit und Mühe, sondern auch ihr Vermögen dem Vaterlande zum Opfer brin- 
gen, ohne eines Lohnes oder einer Berühmtheil gewärtig zu sein. Dennoch ge- 
schieht es leider nicht selten, dass, indem einerseits viele unreife, unnütze, ja der 
Literatur mehr zum Schaden als zum Vortheil gereichende Schriften ausgegeben 
werden, andererseits die Kraft unserer bessern Schriftsteller, aus Mangel an 
Mitteln, feiern muss. 

Um diesem Uebel Einhalt zu thun, und um unserer Literatur überhaupt einen 
erfolgreichern Forlschritt, eine erspriesslichere Richtung zu verschaffen, wurde 
schon zu wiederholten Malen von patriotisch gesinnten Männern, sowohl privatim 
als öffentlich der Vorschlag gemacht, dass aus freiwilligen Beiträgen aus allen 
Theilen des Landes eine Art Grundkasse errichtet würde, zumBehufe der Heraus- 
gabe guter böhmischer Bücher. 

Als endlich der hochlöbl. Ausschuss der Gesellschaft des böhmischen Mu- 
seums, nach den von S. M. gnädigst sanktionirten Statuten am 11. Januar 1830 
aus seiner Milte eine eigene Sektion zur wissenschaftlichen Cullur der böhmischen 
Sprache und Literatur errichtet hatte, hielten es die Mitglieder dieser Sektion 
für ihre erste Pflicht, eine so wichtige Sache einer besondern Erwägung zu unter- 
werfen. Und so wurden denn, mit Berathung und Billigung der übrigen Glieder * 
des Ausschusses der Museumsgesellschaft folgende Artikel aufgestellt, welche hier 
verlrauungsvoll dem edlen Patriotismus aller echten Czechen vorgelegt werden. 

§. 1. Aus Geldbeiträgen, welche von den Freunden der vaterländischen Li- 
teratur nur Ein für alle Mal erhoben werden sollen, wird eine besondere Grund- 
kasse unter dem Namen „böhmische Mutlerkasse" (matice teskä) errichtet. 

§. 2. Diese Grundkasse (pokladnice) wird zu dem Zwecke errichtet, dass 
sie die Herausgabe guter böhmischer Bücher, wissenschaftlichen oder ästhetischen 
oder sonst nützlichen Inhalts, unterstütze und erleichtere. 

§. 3. Die Sektion für böhmische Sprache und Literatur hat die Befugniss, 
unter der Aufsicht eines eigenen Mitgliedes der allgemeinen Museumsgesellschaft 
diese Grundkasse zu obigen Zwecken zu verwenden und wird ihre Rechnungen 
jährlich dem Museumsausschuss öffentlich mittheilen. 

f. 4. Jedes der Gesellschaft gebrachte Geschenk wird sogleich in die all- 
gemeine böhmische Sparkasse niedergelegt, und so oft auf solche Art ein Haupt- 
kapital sich sammelt, dasselbe auf sichere Interessen ausgeliehen, diese Interessen 
aber zu den §. 2. angeführten Zwecken verweudet werden. 



Digitized by Google 



§. 5. Jede Gabe, Ton welcher Art sie sei, im patriotischen Sinne diesen 
Zwecken gewidmet, wird dankbarlich angenommen; wer jedoch nicht weniger als 
50 Fl. C. M. entweder mit einem Male oder in beliebigen Fristen, beiträgt, soll 
unter die Stifter der böhmischen Mullerkasse gezählt werden. 

$. 6. Die Stifter der böhmischen Malterkasse erhallen ein Freiexemplar von 
jedem Buche, welches künftighin von derselben aufgelegt, oder dessen Herausgabe 
Ton der Mutterkasse unterstützt werden wird. 

§. 7. Die Namen aller Stifter und Unterstülzer der böhmischen Mullerkasse, 
so wie die Summen ihrer Beitrage werden jährlich Öffentlich bekannt gemacht. 

§. 8. Dem Geldvorräte der Kasse entsprechend wird die Gesellschaft be- 
stimmen, welche und wie viel Bücher jährlich herausgegeben werden sollen; ins- 
besondere wird sie aber darauf Rücksicht nehmen, dass mit der Zeit ein voll- 
ständiges kritisches Wörterbuch der böhmischen Sprache, so wie eine Realency- 
clopädie herausgegeben werde. 

§. 9. Die Einlagen und Beiträge werden angenommen in Prag bei den 
unterzeichneten Mitgliedern der Gesellschaft, oder beim Bibliothekar des National- 
museums H. Wenzeslaw Hanka; ausser Frag bei den sammelnden Mitgliedern des 
Museums, und der Beitrag wird dem, der es verlangt, durch einen Empfangsschein 
bescheinigt 

Prag, den 1. Januar 1831. 

Jos. Jungmann. Jon. Presl. Franz Palacky. 

Rudolph Fürst Kinski/ , als Mitglied des Museumsausschusses. 



In Folge dieses Aufrufes und nach dem Beispiele des im unvergänglichen 
Andenken lebenden Fürsten Rudolph Kinsky, welcher sogleich 1000 Fl. C. M. 
der Mutlerkasse darbrachte, unterliessen die patriotischen Freunde ihrer Nation 
und ihrer Sprache in Böhmen, Mähren, Ungarn und Schlesien, keinen Augenblick, 
ohne Unterschied des Standes und des Beruies, jeder nach Kräflen, die von ihnen 
zu einem solchen erhabenen und gottgefälligen Zwecke erforderten Geldopfer zu 
bringen. In der Zeitschrift des böhmischen Museums wurden vierteljährlich über 
die eingegangenen Beiträge Miltheilungen gemacht, jährlich in derselben Zeit- 
schrift die Rechnung abgelegt, und damit Beweise der stets warmen Liebe, des 
rührenden Eifers edler Seelen unserer Nation zu einer Sache gegeben, die in 
ihren Anlangen unscheinbar, in ihren Erfolgen äusserst wichtig und unendlich 
fruchtbar sein wird. Dieser Liebe und diesem Eifer haben wir es zu danken, 
dass das Vermögen der Mullerkasse am Ende des ersten Lusters (1835) 14954 Fl. 
C. M., nach dem ersten Decennium 1840 auf 20416 Fl. C. M. gestiegen ist. 
Der Stifter zählte man im Jahre 1831: 15, 1835: 102, 1840: 371 (nicht gezählt 
jene, die ihre Beiträge bis zu dem genannten Jahre noch nicht erfüllt hatten), 
so dass die Zahl bis jetzt (1841) auf 465 gestiegen ist. Im Jahre 1840 wurde 
der böhmischen Malice das Glück zu Theil, dass S. kais. Hoheit der durchlauch- 
tigste Erzherzog Franz Karl sie mit einem Geschenk von 100 Fl. C. M. beehrte. 

Auf solche Weise mit Geldmitteln versehen und ermächtigt, unterliess die 
Gesellschaft nicht, ihren Pflichten in Hinsicht des ihr gesetzten Zieles der Her- 
ausgabe guter böhmischer Bücher und somit der Förderung der höheren Bedürf- 
nisse und Richtungen unserer neuaufblühenden jugendlichen Literatur nachzukom- 
men. Die Schriften, welche nach dem Beschlüsse und unter Aufsicht des Mu- 
seumsausschusses im Verlage oder mit Unterstützung der böhmischen Multerkasse 
im Laufe dieses Deceuniums erschienen, sind folgende: 

1. Zeitschrift des böhmischen Museums v. J. 1832-1841. 10 Jahrgänge. 
Die ersten 5 Jahrgänge (1827 — 1831) sind auf Kosten des böhm. Museums her- 
ausgegeben. 

SUw. Jahrb. I. 35 



Digitized by Google 



260 



2. Sänge der Patrioten znm 1. März 1832, als dem Gedäehlnisslage der 
vierzigjährigen Regierung S. M. Kaisers Franz I. Prag 1832. 4o. Diese Sänge 
sind auf Kosten des sei. Fürsten Kinsky prachtvoll gedruckt und der Matica eeska 
geschenkt worden. 

3. Synchronistische Uebersicht der höchsten Landes- und Hof- Würden und 
Aemter im Königreich Böhmen von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Von 
Franz Palacky. Prag 1832. Fol. 

4. Des Dr. Heiur. Paulitzky Hausarzt, oder das Buch von der Wahrung der 
Gesundheit, insbesondere für das Landvolk, verböhmischt von Ant Jungmann. 
Prag 1833. 8. 

5. Sange der Patrioten bei dem freudigen Empfang Ihrer kais. königl. Ma- 
jestäten Ferdinand des I. und Maria Anna. Prag 1835. 

6. Böhmisch- deutsches Wörterbuch von Jos. Jungmann. Prag 1835 — 39. 
4. V. Bände. 

7. Slavische Alterthilmer. Verfasst von Paul Jos. Schafarik (.Warik). Prag 
1837. 8. Beide diese Werke, das Wörterbuch und die Alterthümer, sind mit 
Beihülfe der böhmischen Mutterkasse herausgegeben, dergestalt, dass die Stifter 
dieselben um die Hälfte des Ladenpreises erhallen, indem der Fond der Malice 
nur die Hälfte der Auslagen übernommen hat. 

8. Der altböhmischen, auf Kosten der Matice üeska herausgegebenen Biblio- 
thek Iste Nummer: Des Viktorin Cornelius von Wschehrd neun Bücher von den 
Rechten und Gerichten und den Landtafeln Böhmens. (Redigirt von Wenzeslaw 
Hanka). Prag 1841. 8. Es ist dieses die erste Nummer einer grösseren Samm- 
lung nützlicher Bücher der alt- und neuböhmischen, einheimischen und ausländi- 
schen Literatur, welche die Gesellschaft der böhmischen Matice in vier Abthei- 
lungen herauszugeben beschlossen hat und zwar: a) Altböhmische Bibliothek, 
b) Neuböhmische Bibliothek, c) Bibliothek fremder Klassiker, d) Hausbibliothek. 
Obiges Buch wurde aus freiwilligen Beiträgen zum Ehrendenkmal des Verfassers 
des grossen böhmischen Wörterbuchs, Jos. Jungmann, gedruckt, und der böhmi- 
schen Matice als Geschenk dargebracht. 

9. Der Neu -böhmischen Bibliothek Iste Nummer: Jos. Jungmanns gesam- 
melte Schriften in Versen und Prosa. Prag 1841. 8. 

10. Derselben Bibliothek Nr. II. Lehrbuch der Physik von Jos. Franz 
Smetana. Prag 1842. 8. 

Alle diese angeführten Bücher wurden den Stiftern von der böhmischen Ma- 
tice nach $. 6. der konstitutionellen Artikel umsonst verabreicht, bis auf die Nr. 
6. und 7., die unter erwähnten Bedingungen zur Hälfte des Preises abgelassen 
wurden. 

Im Laufe dieser 11 Jahre haben sich im Schosse der Matice mehrere Veränderun- 
gen ergeben. Im Jahre 1836 den 27. Januar verlor die Matice durch den Tod des 
Fürsten Rudolf Kinsky ihren ersten Gründer, die Gesellschaft des Museums ihren 
Kurator, dessen Gedächlniss nie verlöschen wird. Nach ihm übernahm das Kura- 
torium der Malice der hochgeborne Herr Johann Graf Krakowsky aus Kolowrat 
und führte es durch 5 Jahre zu nicht geringem Vortheil des Instituts. Nach sei- 
nem Austritte wurde am 2. Juni 1841 vom Ausschuss des böhmischen Museums 
als Kurator der matice feskä Herr Ritter Johann Norbert von Neuberg gewählt 
Nach dem Uebertritl des Mitglieds der Gesellschaft Franz Palacky zum Ausschuss 
des vaterländischen Museums als Geschäftsführer desselben, wurden von der Ge- 
sellschaft Wenzeslaw Hanka und P. J. Schafarik zu Mitgliedern erwählt Die 
Geschäftsführung wechselte durch alle diese Jahre zwischen den Mitgliedern und 
«herging für das Jahr 1842 auf P. J. Schafarik. Das Amt des Kassirers wurde 
in demselben Jahre dem j. u. Dr. Jos. Fricz übergeben, der auf den Wunsch der 
Gesellschaft der Führung aller Geldgeschäfte der Malice mit grössler Bereitwil- 
ligkeil sich unierzog. 



Digitized by Google 



£61 



Zur Ergänzung der Grundarlikel wurde von der Gesellschaft im J. 1831 be- 
stimmt, dass wer von den Stiftern an den Vortheilen der Matice Theil nehmen 
will, zum längsten nach 5 Jahren und zwar jahrlich zu 10 Fl. C. M. seine Ein- 
lage entrichten müsse. Ferner wurde mit Rücksicht auf den Nutzen des Instituts 
bestimmt, dass Lesebibliotheken und Gesellschaften, welche in die Zahl der Stif- 
ter eintreten wollen, als unsterbliche Personen, eine zweifache Summe, d. i. 
100 Fl. C. M. einlegen und jahrlich 20 Fl. C. M. abtragen müssen. 

Im Jahre 1836 wurde, auf Ansuchen der Gesellschaft, vom Ausschuss des 
Museums die Bestimmung gegeben, dass in Hinkunft jedesmal nur die eine Hälfte 
der Beilrage und Einnahmen zu Ausgaben verwendet, die andere Hälfte zum Ka- 
pital geschlagen werden. 

Aus diesem kurzen Bericht vom Ursprung, Wachsthum und gegenwärtigen 
Stand der Matice eeskä, aus der Zahl und dem Werthe der mit ihrer Beihülfe 
und durch sie herausgegebenen Schriften lässt sich leicht erkennen, was in dem 
ersten Eilfjahr ihrer Wirksamkeit erreicht worden, und was noch künftig zu er- 
reichen steht. Die Gesellschaft wendete unausgesetzt ihr Streben dahin, dass nach 
Maasse der einkommenden Geldmittel Allem, was in den konstitutionellen Artikeln 
als Ziel gesetzt war, vollkommen Genüge geschehe, dass unsere Literatur durch 
Herausgabe guter Bücher bereichert, und die stiftenden Mitglieder aller ihnen 
versprochenen Vortheile theilhafüg würden. Durch die Herausgabe eines voll- 
ständigen und gründlichen böhmischen Wörterbuchs wurde zu allgemeiner Zufrie- 
denheit eine grosse Lücke in unserer Literatur ausgefüllt und zugleich dem Ver- 
sprechen des §. 8. der konstitutionellen Artikel Genüge gethan. Bei der Heraus- 
gahe der übrigen Bücher und Schriften wurde hauptsächlich dahin gesehen, dass 
wo möglich auf eine allseitige Entwicklung unserer Literatur hingewirkt würde. 
Wenn bisher die Zahl der herausgegebenen Schriften nur gering erscheint, so lag 
dies gewiss nicht im Mangel des guten Willens und Eifers der Gesellschaft, son- 
dern lediglich in der Unzulänglichkeit der Geldmittel. Soll zur Herausgabe einer 
böhmischen Realencyclopädie, wozu die Vorbereitungen schon gemacht sind, ge- 
schritten werden, soll die Herausgabe der böhmischen alten und neuen Bibliothek 
mit beschleunigtem Gange vor sich gehn, soll die Zeitschrift des Museums dem 
erweiterten Bedürfniss und dem allgemeinen Wunsche gemäss bedeutend erweitert 
werden, mit einem Worte, soll die Gesellschaft ihre Wirksamkeit erhöhen und 
alle Hindernisse beseitigen und nicht abermal, wie dies im J. 1839 geschah, 
durch die Kräfte der Matice übersteigende Unternehmungen in Verlegenheil ge- 
rathen, woraus sie nur durch die gross müthige Munificenz eines Mecänas geris- 
sen wurde: so ist es unumgänglich nöthig, dass das Capital der böhmischen Mut- 
terkasse und somit auch die disponiblen Gelder bedeutend vermehret werden. 

Der Ausschuss des Museums legt somit diese Angelegenheit allen edlen Pa- 
trioten in Böhmen, Mähren, Ungarn und Schlesien recht nahe an's Herz und hegt 
die feste Hoffnung, dass sie, mit Hinblick auf die gegenwärtigen grossen Bedürf- 
nisse unserer jugendlichen Literatur, entzündet durch das Beispiel aller unserer 
Nachbarvölker, welche für die Erhebung ihrer angebornen Sprache und Nationa- 
lität rühmlich wetteifern, in der Liebe und wohllhätigcn Gesinnung gegen die 
Malice nicht nachlassen, sondern durch Darbringung reichlicher und wiederholter 
Opfergaben, ein Jeder nach Kräften, zur Erreichung der edlen Zwecke beilragen 
werden. Für die treuliche Verwendung ihrer freiwilligen Beiträge wird die Ge- 
sellschaft des böhmischen Museums gewiss auch noch ferner die grösslc Sorge 
tragen. Unser Publikum wird hoffentlich der reichlichen und gereiften Früchte 
der Literatur immer mehr sich erfreuen, und die Nachkommen werden das Ge- 
dächlniss ihrer Väter segnen, die durch Darbringung eines Theils ihrer zeitlichen 
Güter ihnen das jeder gebildeten Nation theuerste irdische Erbgut erhalten haben, 



Digitized by Google 



das ist, die angeborne Sprache in ihrer Reinheit ood Gediegenheit, und eine durch 
treffliche Schriften bereicherte Literatur. 
Prag, den 15. Decemb. 1841. 
Von der Gesellschaft für böhmische Sprache und Literatur. 

Joh. lütter v. Neuberg, Ausschussmitglied 

der Ges. des böhm. Museunis. 
Joh, Swatopluk Pretl y Geschäftsführer. 

//. 

Im Jahre 1642 wurden ausser dem oben erwähnten ausführlichen Lehrbuche 
der Physik von J. F. Smelana noch die Herausgabe der kleinen Hausencyklopädie 
begonnen, davon die zwei ersten Bändchen: Allgemeine Weltgeschichte und Ge- 
schichte von Böhmen von W. Tomck bereits ausgegeben sind, indess ein Lehrbuch der 
Naturgeschichte Ton W. Stanjek im Drucke sich befindet. Ausserdem wird noch 
im Verlaufe dieses Jahres eine ausführliche physicalische Geographie von J. S. 
Presl erscheinen, so wie eine neue, bedeutend vermehrte Ausgabe des grossen 
Lehrbuchs der böhmischen Literatur von Jos. Jungmann vorbereitet wird. Auch 
dem Unternehmen unseres vaterländischen Künstlers Merklas, welcher eine Her- 
ausgabe eines grössern geographischen Atlasses in böhmischer Sprache begonnen, 
und das schon nach der 5. Karle ins Stocken kam, wird die Matice ihre Unter- 
stützung angedeihen lassen. Die nächsten zwei Karten werden das österreichische 
Kaiserlhum*) und das Königreich Böhmen enthalten. 

Dass obiger Aufruf nicht ohne Erfolg war, zeigt die für ein Jahr sehr be- 
deutende Zunahme der beitragenden Mitglieder, indem ihre Zahl von 371 auf 
700 gestiegen ist, wodurch die Gesellschaft in den Stand gesetzt worden, den 
bisherigen Schranken ihrer Wirksamkeit in ein grösseres Gebiet zu erweitern, 
wie aus folgender Ankündigung zu ersehen ist: 

///. Nachricht an das böhmische literarische Publicum von Seiten 
der Museums ^Gesellschaft für Kultur der böhmischen Sprache 

und Literatur. 

Indem die Gesellschaft des böhmischen Museums im Jahre 1831 die böh- 
mische Matice gründete, hatte sie durchaus nicht irgend einen Gewinn und Vor- 
theil ihres Instituts im Sinne, sondern ihre Sorge war ausschliesslich auf die 
Kultur der böhmischen Sprache und Literatur gerichtet; namentlich hatte sie sich 
den Zweck vorgesetzt, der bis zu jener Zeit durch ungünstige Umstände gedrück- 
ten böhmischen Literatur einen gedeihlichen Aufschwung und erspriessliche Rich- 
tung zu geben. In Hinsicht auf diesen Zweck wird die Matice teska auch in 
Zukunft fortfahren, vor Allem andern die Herausgabc guter böhmischer Bücher 
der verschiedensten Form und Inhalts zu unterstützen und zu erleichtern , so weit 
es der zu diesem Behufe beim böhmischen Nationalmuseum gestifteten Gesellschaft 
angemessen erscheinen wird. 

So lange 'die Matice noch jung und mit den nöthigen Kräften nur ge- 
rade nolhdürftig ausgestattet war, war an andere Mittel, als die Heraasgabe und 
Unterstützung einiger weniger wichtigeren Schriften, zur Verherrlichung unserer 
Literatur gar nicht zu denken. Diese, an sich wohlthätige Wirksamkeit, musste 
ihrer Natur nach in beschränkten Gränzen bleiben. Nunmehr aber, wo das Ka- 
pital der böhmischen Matice bedeutend angewachsen ist und stets noch höher zu 
wachsen die Aussicht gewährt, scheint die Zeit gekommen zu sein, die Sorge 
dahin zu wenden , dass ihre Wirksamkeil in dem Maasse der sich mehrenden 



°) Ist bereits erschienen. 



Digitized by Google 



Mittel auch sich erweitere, and somit aas ihrer Mitte auch auf andern angemes- 
senen Wegen, ausser der Heraasgabe und dem Verkaufe Ton Büchern, ani die 
Fruchtbarkeit, die Gediegenheit und den Reichthum unserer böhmischen Literatur 
ein belebender Einfluss ausgeübt, zur Aufnahme guter Schriftstellerei in unsenn 
Volke überhaupt beigetragen würde. Wenn die Gesellschaft der böhmischen Ma- 
lice bei ihrer bisherigen Richtung beharren würde, könnte sie bei urlheilsunfähi- 
gen Menschen in den Verdacht gerathen, als wenn sie im Sinne h&tte, sich eine 
Art Monopols der böhmischen Literatur anzueignen, was nie ihre Absicht war 
und nie sein wird. 

Einem solchen Verdacht aus dem Wege gehend, Tor Allem aber zur Erwei- 
terung der Wirksamkeit der Malice im Geiste ihrer Institutionen, ist dem Verein 
des Museums der Vorschlag gemacht worden, dass ausser der eigenen Heraus- 
gabe guter böhmischer Bücher auch besondere Prämien oder Ehrenpreise für 
Herausgabe solcher auch von anderen patriotisch gesinnten Literaten be- 
stimmt würden. Nach Möglichkeit Dieses berücksichtigend hat der Verein diese 
Angelegenheit nur in sofern in sein Interesse gezogen, als dadurch die bisheri- 
ge Ausgabe und' Vertheilung Ton Büchern keinen Eintrag erleiden, und der Nu- 
tzen aus den versicherten Haupteinlagen den Stiftern der Matice c eskä keinesweges 
entgehen soll. Es wurden daher folgende Artikel festgestellt, welche der Gesell- 
schaft des böhmischen Museums Torgelegt und von ihr in aller Rechtsform be- 
kräftigt worden sind. 

1. Jährlich werden an böhmische Schriftsteller für die besten von ihnen 
herausgegebenen Schriften besondere Ehrenpreise von der böhmischen Matice 
ausgegeben. 

2. Der Verein des Museums für böhmische Sprache und Literatur wird 
selbst jährlich entscheiden, welchen Schriften der Preis erlheilt werden solle, und 
er wird von solchen Preiserlheilungen dem Ausschuss des böhmischen Museums 
Mitlheilung machen. 

3. Jede in reiner böhmisch - slawischer Sprache originell und korrekt ver- 
fasste Schrift kann eines Preises theilbaftig werden, ohne Unterschied, ob sie in 
Böhmen, Mähren, der Slowakei oder sonst wo herausgekommen ist; und zwar 
werden nur jene Schriften den Preis erhalten, welche in den kais. königl. öster- 
reichischen Staaten erlaubt sind und von denen ein Exemplar an die Bibliothek 
des Museums im Laufe des Jahrs abgeliefert worden ist. 

4. Der Ehrenpreise werden zwei Klassen sein: 

a) Die Preise erster Klasse werden nur solchen Büchern zu Thcil, durch die 
nicht nur unsere nationale Sprache und Literatur, sondern auch entweder die 
Wissenschaft an sich oder die Literatur unserer Zeit Überhaupt gewinnt, und 
welche also einen höheren, bei allen Nationen gültigen Werth an sich tragen. 

b) Der Preis der zweiten Klasse kömmt solchen Büchern zu, durch welche 
einem besonderen Mangel in unserer Nalionallileratur abgeholfen wird, oder 
welche auch ohne Rücksicht auf besonderes wissenschaftliches oder Literalurge- 
biet durch die Vollendetheit ihrer Form sich auszeichnen werden. 

5. Die Summen für die Preise jeder Classe werden jährlich von dem Mu- 
seumsverein nach dem Geld vor rath der Matice bestimmt werden, und zwar für die 
erste Klasse nicht geringer als ÖO Ducaten in Golde, für die zweite nicht ge- 
ringer als 25 Ducaten. 

6. Wenn in einem Jahre der Preis der ersten Klasse Niemandem erlheill 
wird, so kann, nach dem Ermessen der Tensoren des Vereins, noch ein Accessit 
ausgelheilt werden , welches dann der Hälfte des Preises gleich ist. 

7. Wenn in einem Jahre mehrere treffliche und des Preises würdige Schrif- 
ten für dieselbe Preisklasse zu Tage kommen sollten, kann in solchem Falle der 
Verein einen ausserordentlichen Preis bestimmen und auslheilen. 

8. Nach gemeinschaftlicher Berathung kann der Verein diese Preise iu 



Digitized by Google 



Preisaufgaben verwandeln in der Art, dass zwei oder drei Jahre im Voraus an- 
gekündigt wird, wann und aus welchem wissenschaftlichen oder Literaturzweig 
die Schriften entweder ausschliesslich oder vor allen andern mit Preisen betheilt 
werden sollen. 

9. Indem die Mitglieder des Museum Vereins selbst Richter in dieser Sache 
sind, können sie selbst nie einen Preis der Matice erlangen , wenn ihre Schriften 
noch so vortrefflich waren. Auch können Schriften, welche auf Kosten der böh- 
mischen Matice herauskommen, um die Preise nicht konkurriren, indem ihre Ver- 
fasser ohnedem besonders honorirt werden. 

10. Der Verein wird am Anfange jedes Jahres die Preise für das nächst- 
vergangene Jahr bestimmen, und jedesmal in der Zeitschrift des böhmischen Mu- 
seums eine kurze mit Gründen belegte Nachricht über ihre Preisertheilungen 
veröffentlichen. 

Prag, den 1. Octob. 1842. 

Vom Verein des Museums für böhmische Sprache und Literatur. 

Joh. Ritter v. Neuterg, Ausschussnrilgl. des böhm. Mus. Kurator 
des Vereins. 

Jos. Jungmann. Joh. Sw. Pre$sl. Wenzesfaw Hanka. 
Paul Schafarik. Leo Graf Thun. 



Jeder, der mit dem Gange menschlicher Dinge bekannt ist, wird von selbst 
einsehen, dass die hier eben dargelegte Geschichte der Malice iseska keine iso- 
lirte Erscheinung sein wird. Die bedingenden Momente zu ihrer Realisirung 
hatten sich längst vorbereitet. Decennien vorher waren die Materialien zur Zu- 
sammenstellung des böhmischen Wörterbuchs aufgehäuft. Die Gelehrsamkeit der 
slawischen Alterlhümer konnte nicht die Frucht weniger Jahre gewesen sein. Die 
klassische Sprachbildung der das eigentliche Gremium der Gesellschaft konslitui- 
renden Mitglieder, welche mit so viel Sorgfall und Aufopferung die Sprachreinheit 
der von ihnen redigirten Schriften zu erhallen bestrebt ist, brauchte ein lebens- 
langes Bemühen zu ihrer Reife. Von der andern Seite mussten bei ungünstigen 
äussern Verhältnissen, welche alle egoistischen Interessen des Lebens der herr- 
schenden Sprache des Staales zuwendeten, welche von den ersten Jugendjahren 
an alle geistige Bewegung, alle Bildung, allen wissenschaftlichen Unterricht, jede 
Regung des Talents einer fremden Sprache zuwendeten, wahrhaft wunderähnliche 
Wirkungsmomente des eigenen Nationalgeistes thätig sein, eine unbesiegbare Ge- 
walt der Muttersprache sich geltend machen, um eine neue Literatur zu gründen, 
^in zusehends mächtiger werdendes Publikum erstehen zu machen. Doch sind wir 
geneigt zu glauben, dass es in der Macht des Staates gestanden hätte, auch 
diese neuen geistigen Keime, wenn nicht auf immer (was wir nimmermehr zu- 
geben können), doch auf lange Zeit, zu unterdrücken, wenn es nicht den weisen 
Leitern desselben ersprieslicher geschienen hätte, die Idee der Nationalität, welche 
von Tage zu Tage immer mehr als eine der wichtigsten Mächte im Staatsorga- 
nismus sich erweist, lieber gewähren zu lassen und sie für sich zu gewinnen, 
als vielleicht sie gegen sich zu wenden. In dieser Hinsicht hat Oesterreich , das 
scheinbar gegen manchen andern Staat zurücksteht, einen wesentlichen Fortschritt 
gelhan, wenn man auch davon absehen wollte, dass solches Verhalten den Grund- 
sätzen der Humanität, des wahren Christenlhums angemessen ist, von denen auch 
der höchste Staatsmann sich nicht entbunden glauben darf. 

Möchten doch unsere mühsam erworbenen Erfahrungen, die nicht aufs Ge- 
rathewohl hingestellten Formen unseres Instituts, in Etwas wenigstens als wecken- 
der und bildender Keim dienen, um Aehnliches und noch Besseres bei unsern 



■ 



Digitized by Googl 



Sprach- und Geistesverwandten, die vielleicht in weit günstigeren Verhaltnissen 
sind, als wir waren, znm Gedeihen des geistigen Nationallebens hervorzurufen.*) 
Ferne sei es von uns, uns hier als Muster aufstellen zu wollen; wir alle sind 
gleiche Diener der hohen, göttlichen Gedanken, welche die Menschheit durch die 
Zeiten bewegen. Unser grösster Lohn wird sein, wenn wir durch unser Beispiel 
die Einsicht gefordert haben, dass die Zeit vorüber sei, nach abstrakten Begrif- 
fen des Humanismus, des Staatsmechanismus die Völker modeln zu wollen, dass 
die alte Encyclopädistenschule auch hier, wenn auch spat, ihre Endschaft erreicht 
hat, und dass der schöne Enthusiasmus für das Wohl der Menschheit aus seiner 
vagen Allgemeinheit herabsteigen und sich in den Enthusiasmus für die geistige 
Bildung des Volkes, für das wir geboren sind, umwandeln soll; denn dies ist die 
klare Aufgabe unseres Zeitalters. 

y. p. 



V. 

Literatur und Kritik. 

1. Kurse Skizze der Geschichte der russischen Mäteratur. 

(Nach den Otecz. Zapiski 1643.) 

Die russische Literatur ist zwar ein Gewächs von dieser Erde, aber ein 
überpflanztes. Dieser Umstand giebt ihrer Geschichte und ihr selber einen eigen- 
tümlichen Charakter; denselben nicht zu verstehen oder auf ihn nicht die ganze 
Aufmerksamkeit zu verwenden, hiesse die russische Literatur nicht verstehen, 
noch ihre Geschichte. Einige Gewächse bewahren, wenn sie in ein anderes Kli- 
ma und in einen neuen Boden verpflanzt werden, ihre frühere Form und ihre 
früheren Eigenschaften; andere verandern sich in Massgabe des Einflusses des 
neuen Klimas und der frischen Erde in dem Einen und in dem Andern. Die rus- 
sische Literatur kann vielleicht mit den Gewächsen der zweiten Art verglichen 
werden. Die Geschichte derselben, besonders bis zu den Zeilen Puschkins (und 
zum Theil auch noch bis auf die Gegenwart), besteht in einer fortwährenden 
heftigen Kraflanstrengung, sich von den Wirkungen der künstlichen Ueberpflan- 
zung loszumachen, Wurzel zu fassen in dem neuen Boden und sich zu kräftigen 
durch ihre ernährenden Säfte. Die Idee der Poesie wurde für Russland auf der 
Post aus Europa verschrieben und erschien daselbst wie ein überseeischer Ein- 
fuhrartikel. Man fassle sie als die Kunst auf, zu verschiedenen feierlichen Ge- 
legenheiten Verse zu komponiren. Tredjakowski war der privilegirte Hofpoet und 
„besang" bereits die Bälle und Maskeraden am Hofe wie Staatsereignisse. Lo- 
monosow, der erste russische Dichter, fasste die Poesie ebenfalls als das „Be- 
singen" feierlicher Ereignisse auf, und seine erste Ode (welche zugleich auch 
das erste russische Gedicht in regelmässigem Metrum war) war ein Lied auf die 
Einnahme Chotiins durch die russischen Krieger. Dies war im Jahre 1739, also 
vor 104 Jahren. Uebrigens wurde diese Ansicht der Poesie nicht vor den russi- 
schen Dichtern zuerst gegründet; mit diesen Augen sah man damals die Poesie 
in dem ganzen gebildeten Europa an. Allgemeine Berühmtheit genossen damals 



•) Sie haben es gethan bei der Matica serbska in Pesth nnd bei der illyrischen Ge- 
sellschaft in Agram. 

Digitized by Google 



nnr die alten Literaturen, von denen die griechische, nur vom Hörensagen bekannt, 
ganz verkehrt aufgefasst wurde, die lateinische aber mehr zuganglich und beliebt 
für das Ideal jeder schönen Literatur galt. Unter den nenen Literaluren erfreute 
sich eines allgemeinen Bekanntseins nur noch die französische und italienische, beson- 
ders erstere, denn sie stand am meisten unter dem Einflösse der lateinischen, 
wenigstens in der äusseren Form. Eine deutsche belletristische Literatur gab^es 
damals noch gar nicht; die spanische und englische waren über die Grenzen ihrer 
Heimath hinaus nicht bekannt 

Der Einfluss der beiden klassischen Literaturen auf die französische und 
mittelst ihrer auf alle des damaligen Europa bestand in der sklavischen Nach- 
ahmung ihrer äusseren Form und in der passenden und unpassenden Anwendung 
ihrer heidnisch -mythologischen Begriffe. Ein lyrisches Gedicht durfte nicht ohne 
„Lyra" und ohne „Besingen" sein. Jedes Drama musste nach griechischem oder 
lateinischem Muster zugeschnitten werden; jede Epopöe musste mit „Singe, o 
Muse" oder „Ich singe" anfangen; Dantes göttliche Komödie galt für kein Epos. 
Dadurch ward die Poesie rhetorisch; ihre Grundlage war: Entfernung vom Le- 
ben, von der Wirklichkeil; ihr Charakter: Lüge und Gemeinplätze. — Eine solche 
Poesie wurde nach Russland hinübergepflanzt. 

Loinonosow war der erste Gründer der russischen Poesie und der erste Dich- 
ter Russlands. Fflr uns ist jetzt eine solche Dichtung unbegreiflich; sie belebt 
nicht unsere Einbildungskraft, sie regt nicht unser Herz an, sondern bewirkt nur 
Langeweile und Gähnen. Wenn man aber Lomonosow mit Sumarokow und Che- 
raskow vergleicht, zwei Dichtern, welche nach ihm erst auftreten, so kann man 
nicht anders, als Lomonosow ein bedeutendes Talent zuerkennen, welches auch 
in den erlogenen Formen der rhetorischen Poesie jener Zeit hie und da hindurch- 
schlägt. Nur Derzawin allein war unvergleichlich mehr Dichter als Lomonosow; 
bis auf Derzawin's Zeiten halte Lomonosow keinen Nebenbuhler, und wenn auch 
Sumarokow und Gheraskow von ihren Zeitgenossen nicht unter ihn gestellt wur- 
den, so standen sie doch unter ihm „so wie zu jenem Stern am Himmel fern." 
Im Vergleich mit ihnen ist seine Sprache rein und edel, sein Styl glatt und 
kräftig, sein Vers voll Glanz und Schwung. Wenn nun nicht Jeder befähigt war, 
so zu schreiben, wie Lomonosow, so heisst das soviel, als dass hiezu Talent 
erforderlich war. Die Poesie eines Corneille und Racine ist für uns eine lügne- 
rische (nicht wahre, der Wirklichkeit nicht entsprechende), eine rhetorische Poesie, 
und wir schlafen bei ihr so süss, wie von einem Gedichte Sumarokows. Aber 
um so zu schreiben , wie Corneille nnd Racine zu ihrer Zeit schrieben , dazu ge- 
hört auch für jetzt ein grosses Talent; indess zu schreiben, wie Sumarokow 
schrieb, dazu bedurfte man gar kein Talent auch zu seiner Zeit, sondern nnr 
Lust zu schreiben. In den Oden Lomonosow's, „an Job", in seinen Morgen - und 
Abendgedanken über die Grösse Gottes, sieht man neben der bewundernswürdigen 
Kunst des Versbaues auch noch das warme Leben, das beseelte Gefühl, welches 
man in keinem einzigen Gedichte Suinarokow's oder Cheraskow's wahrnimmt. Die 
Poesie Lomonosow's ist vor Allem panegyrisch und feierlich. Sumarokow schrieb 
neben Tragödien und Oden auch noch wenigstens Komödien, Eklogco und Sa- 
tyren; Lomonosow schrieb nur Oden und neben ihnen noch zwei Tragödien und 
ein unvollendetes Heldengedicht „die Petriade." So war der Geist jener Zeit; 
so begriff man damals in Europa das Wesen der Dichtung, und der Unterschied 
zwischen der Petriade Lomonosow's und der Henriade Vollaire's ist wahrhaftig 
nicht gross. Lomonosow versetzt den Pallast Neptuns auf den Boden des weissen 
Meeres; der Dichter dachte nicht daran, dass er dem Bewohner des Mitlelmeeres 
und des griechischen Archipels eine etwas gar zu kalte Wohnung gab. Peter 
der Grosse und Neptun, der Meeresgott der alten Griechen, welch' eine Zusam- 
menstellung! Man begreift, warum Lomonosow sein wildes, hochtrabendes Poem 
nicht vollendete; er halle von der Natur so viel gesunden Sinn und Versland, 



Digitized by Googl 



dass er ein ähnliches tour de force der sich bäumenden Phantasie nicht zo Ende 
führen mochte. Die Tragödien Lomonosow's ähneln seinem Epos. Sumarokow 
erscheint in allen Formen, nm mit Monsieur Voltaire auf gleichem Fusse zu ste- 
hen, und zeigt sich in allen Formen gleich talentlos. Aber man dachte damals 
über die Poesie anders als jetzt, und bei der unwiderstehlichen Schreibsucht und 
der zerfleischenden Eigenliebe wurde es schwer, nicht ein grosses Genie aus sich 
zu machen. Die Zeitgenossen waren wie Ton Sinnen für Sumarokow. So 
sagt einer der hervorragendsten nnd verständigsten Männer aus der Zeit Katha- 
rinas, Nowikow, in seinem „Versuch eines historischen Lexicons der russischen 
Schriftsteller" Folgendes : „Durch poetische und prosaische Werke der verschie- 
densten Art hat er (Sumarokow) sich einen grossen und unsterblichen Ruhm er- 
worben, nicht nur von Seiten der Russen, sondern auch von fremden Akademien 
und von den berühmtesten europäischen Schriftstellern. Und obgleich er der 
erste unter den Russen, anfing, Tragödien nach allen Regeln der dramatischen 
Kunst zu schreiben, so hat er hierin doch so viel geleistet, dass er den Kamen 
des russischen Racine verdiente. Seine Eklogen werden von Kennern den virgi- 
lischen gleichgestellt und blieben bis diesen Augenblick noch unerreicht; seine 
Allegorien aber gellen für einen Schatz des russischen Parnasses; in dieser 
Dichtungart lässt er Phädrus und de la Fontaine, die berühmtesten Männer in 
dieser Hinsicht, weit hinter sich. Uebrigens werden alle seine Werke von den 
Liebhabern der russischen Dichtung sehr hoch geachtet. S. 207 — 208." Solche 
Lobeserhebungen Sumarokow's sind gegenwärtig in der Thal lächerlich; aber sie 
haben ihre Bedeutung und ihren Grund; denn sie thun dar, wie wichtig, nützlich 
nnd werthvoll für den Fortschritt der Literatur jene kühnen und unermüdlichen 
Handarbeiter sind, welche in der Einfalt ihres Herzens ihre Leidenschaft, Papier 
zu verwüsten, für ein grosses Talent halten. Bei aller seiner Talentlosigkeit hat 
Sumarokow doch sehr viel beigetragen, die Lust zum Lesen und besonders die 
Liebe für das Theater in Russland zu verbreiten. Die Zeilgenossen sind stolz 
auf solche Männer, indem sie sie in ihrer Herzenseinfalt als Genies bewundern. 
Hören wir noch, was derselbe Nowikow von Tredjakowski sagt: „Dieser Mann 
besass einen grossen Verstand, viele Gelehrsamkeil, ein ausgebreitetes Wissen 
und einen beispiellosen Fleiss; er war sehr bewandert in der lateinischen, grie- 
chischen, französischen, italienischen und in seiner Muttersprache; auch in der 
Philosophie, in der Gottesgelehrtheit, der W T ohlredenheit und den übrigen Wis- 
senschaften. Durch seine nützlichen Werke erwarb er sich unsterblichen Ruhm; 
er setzte, der erste in Russland, die Gesetze der neuen russischen Verskunst auf, 
verfasste viele Bücher und übersetzte deren noch mehrere, ja so viele, dass es 
fast unmöglich erscheint, dass die Kräfte eines einzelnen Menschen dazu hinreich- 
ten; denn die einzige alle Geschichte von Rollin übersetzte er zweimal . . . 
Ueberdies muss man zu seiner Ehre noch sagen, dass er, der erste in Russland, 
den Weg zur Sprachwissenschaft und hierauf zur Versbaukunst entdeckte; dabei 
war er der erste Professor, der erste Dichter und der erste Uebersetzer so zahl- 
reicher und nützlicher Bücher. S. 118 — 119." 

Nicht ohne Absicht citiren wir diese Stellen; das Zeugniss der Zeitgenossen, 
als ein jedesmal partheiisches , kann keineswegs als Beweis der Wahrheit noch 
als letzte Antwort auf die Frage gellen; aber man muss es jedesmal berücksich- 
tigen, wenn man über einen Schriftsteller urtheilen will; denn dasselbe enthält 
allemal einen besonderen Theil von Wahrheit, welcher der Nachkommenschaft 
häufig unzugänglich ist. 

Einen grossen Ruhm genossen bei den Kennern und Freunden der Literatur 
jener Zeit vier Schriftsteller aus der Schule Lomonosow's: Popowski, Cheraskow, 
Pelrow und Kostrow. Popowski verdankt sein grosses Bekanntseiu zu jener Zeit 
dem freundlichen Worte Lomonosow's über den von ihm in Versen übersetzten: 
„Versuch über den Menschen" Popes. Nowikow sagt über denselben: „Den Ver- 

Slaw. Jol.rb. I. 30 



Digitized by Goo^I 



268 



such über den Menschen des in der gelehrten Welt bekannten Pope übersetzte 
er, ohne selbst die englische Sprache zu kennen, aus dem Französischen in das 
Kussische mit solcher Kunst, dass er nach der Meinung von Kennern dem Origi- 
nale sich viel mehr näherte, was nicht nur seine Gelehrsamkeit, sondern auch 
sein tiefes Eindringen in die Gedanken des Autors beweiset. Der Inhalt dieses 
Buches ist so wichtig, dass es sogar schwierig ist, dasselbe seihst in Prosa 
gut zu übersetzen; er aber übersetzte aus dem Französischen, übersetzte es in 
Versen, übersetzte mit vollendeter Kunst, wie ein Philosoph und Dichter; ge- 
druckt ist das Buch in Moskwa 1757. Er übersetzte aus der lateinischen Sprache 
in lateinischen Versen (d. i. Hexametern) den Brief des Horaz über die Dicht- 
kunst und einige seiner Oden; auch übersetzte er Lokes Buch über die Erzie- 
hung der Kinder in Prosa, Diese Uebersetzung übertrifft nach der Meinung ?on 
Kennern beinahe das Original. Er verfasste auch einige Reden , welche in öf- 
fentlichen Versammlungen gelesen wurden, und schrieb selbst feierliche Oden. 
Ueberhaupt ist seine Dichtung rein und Messend, seine Darstellungen einfach, 
klar, angenehm und vortrefflich (S. 168—100)." Popowski starb, dreissig Jahre 
alt, und verbrannte seine Uebersetzung des Titus Livius, wovon er mehr als die 
Hälfte fertig halte, und die Uebersetzung vieler Oden Anakreon's, weil er selbst 
mit seiner Uebersetzung nicht zufrieden war und befürchtete, sie möchten nach 
seinem Tode nicht gedruckt werden. Popowski's Verse sind mit Rücksicht aof 
die Zeit wirklich gut und seine Unzufriedenheit mit den Mängeln seiner Arbeiten 
bezeichnet ihn noch mehr als einen Menschen mit Talent. Bemerken inuss man 
noch, dass viele Stellen in seinem Versuche die damalige Censur nicht passirten, 
Cheraskow hat ganze zwölf Bände vollgeschrieben. Er war Epiker, Lyriker 
und Tragiker, ja schrieb sogar Rührstücke (thränende Dramen) und Komödien, 
und zeigte in dem allen die grösste Zuneignng zur Literatur, die grösste Gut- 
herzigkeit, die grösste Arbeitsliebe und die grösste — Talenllosigkeit. Aber die 
Zeitgenossen dachten anders über ihn und betrachteten ihn mit einer Art von 
knechtischer Ehrfurcht, wie sie weder Lomonosow, noch Derzawin zu erregen 
im Stande waren. Der Grund davon war der, dass Cheraskow Russland mit 
zwei episch- heroischen Dichtungen beschenkte, mit der „Rossiade" und mit 
„Wladimir." Die epische Poesie galt damals für die höchste Gattung der Dicht- 
kunst, und kein Epos zu besitzen, galt damals für ein Volk so viel als gar 
keine Poesie zu haben. Wie gross musste der Stolz unserer Väter sein, welche 
wussten, dass die Italiener nur ein einziges Epos „das befreite Jerusalem," die 
Engländer eben so viel, „das verlorene Paradies," die Franzosen auch nur ein 
einziges, die vor Kurzem erst geschriebene „Henriade," die Deutschen ebenfalls 
eine einzige, „die Messiade," welche zu gleicher Zeit mit denen Cheraskow's 
geschrieben war, ja die Römer selbst sogar nur ein einziges halten, während 
„wir Russen," so wie die Griechen ganze zwei besassen! Nach dem Werth die- 
ser beiden fragte man nicht, um so mehr, da Niemand der Gedanke an die 
Möglichkeit einfiel, an dem hohen Werthc derselben zu zweifeln. Selbst Derza- 
win blickte auf Cheraskow mit Ehrfurcht, und schrieb einmal, ohne es zu ahnen, 
ein böses Epigramm auf denselben, indess er meinte ein Madrigal zu schreiben; 
er endigt nämlich das Gedicht „Kljucz" mit folgenden Versen: 
den Schöpfer der unsterblichen Rossiade, 
o heil ger Grcbenewer Quell, 
tränktest Du mit der Dichtung Wasser! 
Auch Dmilriew drückte seine Bewunderung für Cheraskow aus, indem er 
unter sein Portrait die Worte setzte: 

Lass auch vor Neid der Zoilasler Herzen schwellen, 

Kein Nachtheil wird Cheraskow draus entstehn; 

Ihn deckt Wladimir und Joan als Schild, 

Die in den Tempel der Unsterblichkeit ihn leiten. 



■ 



Digitized by Google 



£69 



Wir werden noch sehen, wie lange diese mystische Achtung für Cheraskow 
dauerte , welche trotz der kraftigen Erhebung einiger kühnen Geister erst bei 
der Erscheinung Puschkin's völlig sich auflöste. Die Ursache derselben ist die 
rhetorische Richtung, welche die russische Literatur so lief erfasst halle. Neben 
diesen schrieb Cheraskow noch drei Dichtungen in Prosa: „Kadm und Hanno- 
nia," „Polidor, der Sohn des Kadm und der Harmonia" und „Numa Pompilius, oder 
das aufblühende Rom." Die Schicksale des Telemach von Fenelon, Gonzalve de 
Cordoue und Numa Pompilius von Florian waren die Muster zn diesen. Merk- 
würdig ist die Vorrede des Verfassers zu dem ersten: „Man ricth mir, diese 
Dichtung in Versen zu übersetzen, damit sie die Form eines Epos erhalle. Ich 
hoffe, die Leser können mir es glauben, dass ich im Stande war, dieses Werk 
in Versen herauszugeben, aber ich habe kein Gedicht geschrieben, sondern 
wollte nur eine einfache Erzählung abfassen, welche einer metrischen Behandlung 
nicht fähig ist. Wem die dichterischen Regeln bekannt sind, der wird beim Le- 
sen dieses Buches fühlen, warum es nicht in Versen geschrieben." Weiter er- 
hebt sich Cheraskow gegen die Meinung Tredjakowski's, welcher behauptete, dass 
epische Dichtungen ohne Reim geschrieben werden müsstcn, und dass der Tele- 
maqne gerade deshalb nicht unler der Iliade, der Odyssee und Aeneide und über 
allen andern Dichtungen steht, weil er ohne Reim geschrieben ist. Die kindische 
Einfalt dieser Meinungen und Streitigkeiten beurkundet am besten, wie sehr man 
damals dem wahren Begriffe von Poesie entfernt stand, und wie man nur die 
Rhetorik aHein in ihr sah. Im Polydor ist besonders die plötzliche Wendung 
Cheraskow's an die russischen Leser bemerkenswert!!. Die Namen derselben sind 
nur mit den Anfangsbuchstaben bezeichnet, — ein charakteristischer Zug jener 
Zeit, welche in Drucksachen ausserordentlich skrupulös war. 

Eigenthümlich bleibt es dabei, dass Nowikow sich in sehr gemässigten Aus- 
drücken über Cheraskow ausspricht: „Im Allgemeinen werden seine Dichtungen 
sehr viel gelobt, und besonders haben ihn seine Tragödie Boleslaw, die Oden, 
Lieder, die beiden Heldengedichte, alle seine salyrischen Schriften und Numa 
Pompilius grosse Ehre und viel Lob gebracht. Seine Poesie ist rein und freund- 
lich, sein Styl fliessend und kernig, seine Darstellungen kräftig und frei; seine 
Oden sind voll dichterischen Feuers, seine salyrischen Schriften voll Wilz und 
angenehmer Einfälle, sein Numa Pompilius voll philosophischer Urlheile. Auch 
er wird mit Recht in die Zahl unsrer besten Dichter gesetzt und verdient gros- 
ses Lob." S. 237. 

Petrow galt für einen grossen Lyriker und einen witzigen Salyriker. Allein 
man kann sich kaum etwas Wilderes, etwas Gröberes und Ueberlriebeneres den- 
ken, als diese plumpe Lyra des Seminarsangers. In seiner Ode auf den Sieg 
der russischen Flotte findet man eine Masse jener übertriebenen Schwülstigkeit, 
welche damals für lyrische Begeisterung und poetische Stimmung galt, und darum 
hat diese Ode die Zeilgenossen vorzüglich entzückt. Und in der That ist sie 
besser, als alles Uebrige, was Pelrow geschrieben, weil alles Andere gerade zu 
schlecht. Der Mangel eines feinen Geschmacks und die Gemeinheit des Ausdrucks 
bilden den Charakter selbst seiner zarten Gedichte, in denen er seine lebende 
Frau und seinen gestorbenen Sohn besang. Aber die Macht der Tradition ist 
gross: Kaczcnowski lobte noch im Jahre 1813, als Petrow längst schon nicht 
mehr war, denselben in seinem „Europäischen Bolen." Merkwürdig bleibt auch 
bei Petrow, dass Nowikow sich nur kall und fast spöttelnd und demzufolge, so 
wie er es verdiente, sich aussprach: „Im Ganzen kann man von seinen Schrif- 
ten sagen, dass er sich anspannt, für einen russischen Lyriker zu gellen; und 
obgleich ihn Einige schon den zweiten Lomonosow nennen, so muss man doch 
zu diesem Vergleiche noch auf ein gewichtiges Werk warlen und nach diesem 
erst den Schluässatz aussprechen, ob er ein zweiler Lomonosow wird oder nur 
Pelrow bleibt und die Ehre behalt, Loinonosow's Nachahmer zuheissen." (S. 103.) 



Digitized by Google 



Dieser Aussprach brachte Pelrow in Wuth und er antwortete mit einer Salyre 
auf den „Slowar" (das Wörterbuch der russischen Schriftsteller Nowikows.) 

Kostrow machte sich durch Ueberselzung von sechs Gesängen der Iliade in 
sechsfüssigen Jamben berfihmt. Die Ueberselzung ist hart und hölzern; von Ho- 
mer ist darin keine Spur ; aber sie entsprach den damaligen Begriffen über Poesie 
und über Homer so vortrefflich, dass die Zeitgenossen in Kostrow nichts Anderes, 
als ein ungeheures Talent erkennen konnten. 

Aus der alten Deriawin vorangehenden Schule genoss auch noch ein Nach- 
ahmer Sumarokows, Majkow, grosse Berühmtheit. Er schrieb zwei Tragödien, 
verfasste Oden, Sendschreiben, Gedichte; besonders berühmt wurde er aber durch 
zwei sogenannte komische Poems: „Elisej oder der erzürnte Bachus" und „das 
L'Hombrespiel." Herr Grecz, welcher ein Yerzeichniss der russischen Schrift- 
steller hinsichts ihrer Staatsdienste und ihrer Schriften zusammenstellte, findet in 
den Gedichten Majkow's eine „ungewöhnliche poetische Gabe;" wir aber konnten 
nichts darin finden, als einige ungewöhnliche Schönheiten und eine Heiterkeil 
von schlechtem Tone. 

(Fortsetzung folgt.) 



2. Mückwirfrungen des Magyarismus in Croatien. ° 

Wahrgenommen von einem Fremden. 

Der herrschende Zeilgeist hat unter den seine Macht empfindenden Nationen 
die Croaten nicht unberührt gelassen. So wie viele andere Nationen, waren auch 
die Croaten durch das Einfügen in den österreichischen Staatenverein einer selb- 
ständigen Bewegung überhoben, und Hessen sich von der sicheren Welle des 
Zeilstroms — frei von politischer Sorge — arglos vorwärts tragen. Aber nicht 
immer sollte es so bleiben, und anders mussle es werden. — Anderwärts erzeugte 
der Zeitgeist ungebundenen Freiheilsschwindel. — Die davon Ergriffenen begingen 
Revolutionen. — Milder waren die vom Zeitgeiste im österreichischen Staatsver- 
bandc angefachten Regungen, welche sich — in der jüngsten Zeit — durch ein 
Streben zur Geltendmachung der Nationalitäten kund gaben. — Unter den ver- 
schiedenen Nationalitäten des österreichischen Kaiserlhums war es vorzüglich die 
Hungarische, die sich auf jede Weise und selbst auf fremde Kosten geltend za 
machen bestrebte. Denn ihr Streben beschränkte sich nicht auf die Gränzen des 
eigenthümlichen Hungarns, sondern sie wollte auch über diese hinaus — in das 
Gebiet slawischer und insbesondere der croatischen Nationalität übergreifen, welche 
übrigens mit Hungarn ganz so, wie Hungarn mit dem übrigen Staatenbunde des 
österreichischen Kaiserthums zusammenhängt. Jeder Uebergriff an und für sich — 
ist ein Unrecht, und selten wird das Unrecht auf eine demjenigen angenehme 
Weise geübt, dem es angcthan wird. So geschah es auch von Seile der unga- 
rischen Nationalität gegen die croalische. — Und wie sollte es nicht, da es Croa- 
ten waren, die den magyarischen Uebergriffen den Weg in ihr slawisches Vater- 
land bahnten!!! Diese Croaten bilden in ihrer Heimalh eine eigene Sekte und 
werden nach der Manie Alles um sich herum zu magyarisiren — Magyaromanen 
genannt. — In Beziehung auf Hungarn bilden sie ein Filiale der dort bestehenden 
ultraliberalen Propaganda zur Magyrasirung der mit Hungarn verbundenen 



•) Der Dringlichkeit wegen geben wir diesen uns eben zukommenden Artikel an die- 
ser weniger passenden Stelle, damit er nur noch im vierten Hefte erscheint. 

D. Red. 



Digitized by Googl 



Nebcnländer. Der offen aasgesprochene Hauptzweck, den die hangarischen Ultra- 
liberalen erreichen wollen, ist die Constituirung Hungarns zuin selbsts tandigen 
Staate, mit einer eigenen Regierang und verantwortlichem Ministerium. — Die 
ostensiblen Wege, auf welchen die hungarischen Demagogen (?) ihren Hauptzweck 
erreichen wollen, sind: 

a) bestandige Verunglimpfung der jetzt bestehenden Regierung mit dem Vor- 
geben, sie hege für die Entfaltung des Wohlslandes und des constitutionellen 
Lebens von Hangarn keine aufrichtige Absichten; 

b) scheinbare Erleichterung des Bauers, um seine Anhänglichkeit an die Re- 
gierung zu erschüttern und an den Glauben zu gewöhnen, dass sie nichts für ihn 
thun wolle und könne, und dass er also sein Heil nur vom Landtage, und mit- 
telbar von seinem Grundherrn erlangen könne (diese Idee wurde nach dem letzten 
Landtage von den Magyaromanen mit allem Feuereifer gellend gemacht); 

c) Comitatisirung Groatiens und Annihilirung desselben als Königreich; — 
denn dies sollte der Vorlaufer des Magyarisirens sein, welches dann gelingen 
müsste, sobald Croalien nicht mehr als Königreich Croatien repräsenlirt, sondern 
Mos in drei Gomitaten Hungarn einverleibt würde. — Es versteht sich von selbst, 
dass sich Groatien sodann dem Gesetze wegen Ausbreitung der magyarischen 
Sprache fügen müsste, weil es nur noch als hungarische Gomilate, somit als ein 
integrirender Theil des Ganzen betrachtet und sein Gewicht in der Repräsentation 
eben so, wie Slawonien verlieren würde; 

d) Consolidirung Hungarns durch Einverleibung Groatiens, Slawoniens und 
Siebenbürgens, um seiner Zeit als ein kompactes grosses Königreich Hungarn 
aufzutreten. Die Consolidirung erscheint den Propagandisten deshalb unerlässlich, 
weil sie das unmittelbare Angränzen an fremde Staaten und das adriatische Meer 
— somit auf diese Art möglich macht, einen selbständigen und von Oesterreichs 
Einfluss unabhängigen Handel mit dem Auslande zu begründen. 

Die croalischen Magyaromanen datiren ihren Ursprung aus der Opposition 
am letzten Landlage. Von diesem heimgekehrt, verbreiteten sie hier die dort er- 
haltene Lehre und machten es hier modern, der Opposition anzugehören. Sofort 
erkannten sie für nothwendig, einen Zentralheerd zu etabliren, wozu ihnen ein 
Gasino am geeignetsten erschienen ist. — Einige Stifter desselben wollten gleich 
anfangs mit dem Zweck desselben hervortreten und in den Statuten offen erklä- 
ren, dasselbe solle ein Institut zur Verbreitung der magyarischen Sprache und 
ihrer Tendenzen bilden. Sie fanden jedoch mit dieser politischen Färbung keinen 
Anklang, mussten daher — um eine genügende Zahl von Mitgliedern zu gewin- 
nen — diese Färbung aufgeben und sich begnügen, das Institut nach der Haupt- 
stadt zu benennen, um so jeden Einwand zu beseitigen. Die Führer wusslen an- 
fangs ihren Missionseifer au sich zu halten, bis so viel Mitglieder beitraten, 
als nöthig waren, die Existenz des Instilutes zu sichern. Als dies gesche- 
hen war, traten sie allmählig mit ihrem' Streben deutlicher hervor. Der Anfang 
wurde damit gemacht, dass nach langen Vorberathungen die Gomititasirung 
zuerst in Warasdin unter der Aegide des dortigen Obergespanns -Administrators 
in einer General - Gongregation versucht wurde. Der Versuch scheiterte zwar 
gänzlich. Das Vorhaben ist aber deshalb noch immer nicht aufgegeben. — In- 
dessen hatte dieser Versuch eine sehr wichtige Folge. Er zerriss nämlich gänz- 
lich den leichten Schleier, der bis dahin das Streben der Propaganda deckte, 
und Hess die der Magyarisirung abholden Groaten nun deutlich den Feind erken- 
nen, der zur Vernichtung ihrer Existenz als Königreich und der in dieser staats- 
rechtlichen Eigentümlichkeit enthaltenen Munizipalrechte und Nationalität allmäh- 
lich heranrücke. Dieser Versuch brachte ferner in dem politischen Leben der 
Groaten eine starke Reaktionsbewegung hervor, — die um so mehr wuchs, je weni- 
ger die Magyaromanen in der Entwicklung der feindseligen Elemente gegen die 
Nationalität und Munizipalität der Groaten ihren offenen Uebermuth zu bändigen, 



Digitized by Googl 



für notwendig hielten — denn die Besorgniss nm die politische Existenz Croa- 
tiens als Königreich ergriff die Gciniilher aller gutgesinnten Patrioten, die sich 
daher zu einem entschiedenen Widerstände gegen alle obenbezeichneten Machina- 
tionen entschlossen haben. — So entstand seitdem auch die Partei der Patrio- 
ten, welche sowohl für die Munizipalrechte Croatiens, als auch die Nationalität 
desselben unendlichen Eifer zeigte, und schon früher die Ausbildung der Mutter- 
sprache als die Hauptstütze der Nationalität zu befördern, dadurch aber dem 
gewaltsamen Ausbreiten der magyarischen Sprache einen Damm zu setzen bemüht 
war. Diese Partei nannte man die Illyrische, und zwar darum, weil die unter 
ihrem Schutze aufblühende Literatur seit mehreren Jahren unter diesem Namen 
bekannt war. — Wir wollen sie also auch hier einstweilen Illyrier nennen. Die 
Magyaromanen sind nach ihren Grundsätzen und ihrem Wirken Ultraprogressislen 
(vom Grafen Mailath Separatisten, Renner und Manner des Galopps genannt), die 
Illyrier aber strenge Conservative. — 

Es ist ein natürliches Streben aller politischen Parteien, die Behörden durch 
Individuen ihres politischen Glaubens zu konstituiren, weil man sich darin gefällt, 
diesen Glauben als den herrschenden betrachtet zu sehen, und hiedurch die Su- 
periorität über seinen Gegner erlangt zu haben. Das beiderseitige Streben des 
Illyrisinns und Magyarismus zur Konstitnirung der Behörde nach der eigenen Fär- 
bung begegnete sich bei Gelegenheii der Restauration des Agramer Komitatsma- 
gistrats am 31. Mai v. J. Jede Partei führte dazu ihre Kandidaten toi*. Unter 
den Koryphäen der Magyaromanen hatte fast ein Jeder seinen eigenen Magistrat 
in Petto. Die Einigung Aller über gewisse Individuen war nur scheinbar. Diese 
Partei stützte sich insbesondere auf den Komes von Turopolya mit seinem An- 
hange des Bauernadels aus seinem Bezirke, und auf einen geringen Theil des 
gleichartigen Adels aus dem Bezirke von St. Iwan. Um sich den Sieg zu sichern, 
heselzten die Magyaromanen voreilig den Wahlplatz, von dem sie jedoch durch 
die später und in gesetzlicher Zeit erschienenen Illyrier verdrangt wurden. Ihre 
Niederlage entfesselte in den Magyaromanen alle schlechten Leidenschaften. Da 
von Agram, als der Hauptstadt, der Impuls zu politischen Regungen ausgeht: 
so erkannten sie nur zu bald, dass durch die im Sinne ihrer Gegner ausgefallene 
Restauration ihr Streben gelähmt, und ihr Fortschreiten zu dem schon bezeich- 
neten Ziele gehemmt war. Um aber ihre Niederlage, auf die sie ohne Erröthen 
nie zurückdenken können, zu beschönigen, ersannen sie das Mittel eines Angrif- 
fes Vieler gegen Einen, nämlich — gegen den Obergespan — den sie eines ge- 
setzwidrigen Vorganges bei der Restauration beschuldigen, und so diese der Welt 
als ungültig glauben machen. — Diesen Glauben unterstützten sie durch eine bei 
der höchsten Behörde darüber vorgebrachte Beschwerde, in deren Folge ein kö- 
niglicher Kommissair in der Person des Hofralhes und Obergespanns von Siskovich 
zu Erhebung der beklagten Gesetzwidrigkeit hieher gesendet wurde. 

Eine Gesetzwidrigkeit ist immer ein Unrecht, möge sie von wem immer ver- 
übt worden sein, und die Beschwerde darüber muss sich der Urheber derselben, 
wenn er auch noch so hochgestellt ist, gefallen lassen, vorausgesetzt, dass die 
Klage nur gegen den Akt des Unrechts gerichtet wird und nicht auch Beschuldi- 
gungen enthält, die mit der gesetzwidrigen Handlung des Amtes in keinem Zu- 
sammenhange stehen. In ihrer Leidenschaftlichkeit haben sich aber die Magya- 
romanen nicht darauf beschränkt, die Ungesetzlichkeit des vom Obergespan vor- 
genommenen Reslaurationsakles darzustellen, sondern sie haben dessen Privat- 
character mit argen Begehungen verunglimpft, wofür sie keinen Beweis aufzubringen 
im Stande sind, weshalb die gewagten Behauptungen als sträfliche Verläumdung 
auf ihr Haupt zurückfallen dürften. Der Kommissair kam und erforschte erst die 
Grundhalligkeit der Klage dadurch, dass er alle die Zeugen abhörte, welche von 
den Magyaromanen berufen waren, die Wahrheit ihrer Behauptung zu erhärten. 
Die Zeugen wurden aus all' der Menge der Zuschauer bei der Restauration ge- 



Digitized by Googl 



nominell, welche mit den Magyaromanen wegen Gleichartigkeit der politischen An- 
sichten sympalifirten, mit ihnen verwandt und befreundet sind, und in ihrem Solde 
oder sonstiger Abhängigkeit Ton ihnen stehen. So bunt die Zuschauermenge war, 
eben so bunt waren die Individualitaten der Zeugen: Braute, Mailressen, galante 
Frauen, renegate Dienstboten. Alles wurde zur Zeugenschaft aafgeboten. Was 
ein jeder Zeuge angeben müsse, das wurde früher von einem eigenen Komitee 
bestimmt. Darauf wurden Zeugen von einem zweiten Komilee berufen, das sein 
Bureau zuerst in der Wohnung des Kornes von Turopolya und später in jenem eines 
anderen Parteiführers aufgeschlagen hatte. In diesen Bureaus wurde den Zeu- 
gen, was sie dem königlichen Kommissair auf Befragen erzählen sollten, einge- 
prägt, und die Geheimhaltung ihrer Angaben zugesichert. — So gehörig einge- 
schult, wurden die Zeugen dem Herrn lnquirenten zugeführt, vor dem sie dann 
nach Beschaffenheit der Umstände ihre Lektion entweder, wie sie es wirklich 
gesehen — oder wie es ihnen beigebracht worden ist — hergesagt haben. Diese 
Art, Zeugen abzurichten, wurde von Vielen aus ihnen öffentlich erzählt, aber diese 
Profanalion des Schulgeheimnisses auch ganz natürlich von ihren illyrischen 
Gegnern benutzt, um darzuthun, welchen Glauben derlei Zeugenschaften verdien- 
ten. Nachdem die Klage in dieser Weise erhoben war, wurde sie den Beklag- 
ten, insofern sie den Einen oder den Anderen aus ihnen betraf, sammt den ein- 
schlägigen Zeugenaussagen zur Beantwortung, respektive Yertheidigung mitgetheilt. 
Nun sah ein Jeder der Beklagten, was gegen ihn vorgebracht, und wer als Zeuge 
gegen ihn ausgesagt oder auch nur ein schriftliches Zeugniss gegeben halte! — 
Mancher der Beklagten staunte sehr, einen vermeintlichen Freund unter den Geg- 
nern als Kläger oder Zeugen zu sehen, und wenn schon die politische Ansicht 
so viele gute Bekannte, ja die nächsten Verwandten entzweite, so riss die mit- 
gelheille Klage eine noch breitere Kluft zwischen Beiden. Jene, die sich früher 
Mos gleichgültig mieden, hassten sich jetzt, und dieser Hass wurde leider im 
Schoosse der Familien genährt. Dass die Illyrier (gegenwärtig aber wegen Ver- 
pönung des Namens blos Patrioten genannt) in ihrer Beantwortung der Klage alle 
Schwächen der Gegner und ihrer Zeugen aufgedeckt und benutzt haben, um die 
Glaubwürdigkeit des Iinputals zu entkräften, ist eine ausgemachte Sache, und 
liegt in der Natur der prozessualischen Vertheidigung. In wiefern die Wider- 
legung der Klage gelungen ist, wird die Folge zeigen. Gegenwärtig kann man 
den Untersuch ungsapparat für die reichhaltigste Chronique Scandaleuse des Agra- 
mer Komitals ansehen. 

Es haben sich aber die Patrioten nicht immer im Gleise der Mässigung 
fortbewegt, und Hessen sich öfters Ueberwallungen des Palriolismus zu Schulden 
kommen, die deshalb, weil sie zur Unzeit und am unrechten Orte, wie z. B. bei 
der Installation des Baues vorgekommen sind, mit vollem Rechte eine herbe Rüge 
verdienten. Diese wurde auch von Sr. Majestät in jenem Handbillele geäussert, 
mit welchem die Benennung „Illyrien" beseitigt worden ist. So viel väterliches 
Wohlwollen dieses Handbillct übrigens enthielt, so erreichte es leider seinen 
Zweck, die Aussöhnung oder doch die Annäherung der Parteien, durchaus 
nicht. Im Gegenlheile fühlten sich die Patrioten dadurch in ihrem Wesen er- 
schüttert und gekränkt, wogegen die Partei der Magyaromanen ihren vermeint- 
lichen Sieg dazu missbrauchte, ihre Schadenfreude in Pasquillen zu ergiessen, 
und die Gegner zu höhnen, statt ihnen brüderlich die Hand zu bieten. Sic musste 
aber dafür beissende Repliken erfahren!! — Ausser dem dumpfen Schmerze äus- 
sert sich aber auch ein billerer Unmuth in den Patrioten darüber, dass die hun- 
garischen Blätter in Verunglimpfung der kroatischen Patrioten fortfahren dürfen, 
während dess die Censur seihst die einfache Zurückweisung der Angriffe, oder 
auch nur eine Schilderung der politischen Ereignisse Kroatiens, welche besonders 
die dortigen öffentlichen Versammlungen liefern, in den kroatischen Zeitungsblät- 
tern nicht zulässt. Dieser Sachverhalt erzeugt die ungünstige Meinung, dass die 



Digitized by Google 



Magyaromanen , den Kroaten gegenüber, von Oben begünstigt werden. Diese 
leidige Meinung gewinnt selbst bei den Unbefangensten auch noch dadurch an Be- 
stand, dass die von den Magyaromanen in Frage gestellte Restanration bisher 
von Oben weder bestätigt, ja nicht einmal ein Provisorium verfügt worden ist, 
nm den Stillstand der Rechtspflege aufhören zu machen, den die Magyaromanen 
durch ihre Proteslation gegen die Gültigkeit der Restauration hervorgebracht ha- 
ben. Dieser Zustand ist von eigenlhümlicher Wirkung. Niemand weiss, was er 
thun oder lassen soll. Man fragt sich: sind die Beschlüsse des de facto beste- 
henden Komitatsmagistrats gültig, oder nicht? und welche Folgen werden sie ha- 
ben, im Falle die Restauration wirklich als illegal erklart werden sollte ? Welche 
Rechtsgültigkeit haben die von diesem illegalen Magistrate mit andern, z. B. 
mit Militär - Behörden gepflogenen Verhandlungen? Nachdem die Magyaromanen 
die gegenwärtige Komitatsbehörde nicht anerkennen und ihre Protestation gegen 
dieselbe bis zur Beendigung der Untersuchung von Oben aufrecht gehalten wird, 
so fragt sich weiter: Bei welcher Behörde soll man gegen Insulte und über- 
haupt gegen Rechtsverletzungen der Magyaromanen Schutz suchen und finden, in- 
dem kein Provisorium bestellt und die Protestanten nicht einmal für einstweilen 
zum Gehorsam gegen die de facto bestehende Behörde angewiesen sind? Die 
somit ungescheut thun können, was sie wollen, um so mehr, als deren Versetzung 
in Anklagestand wegen Ungehorsam von Oben keine Folge gegeben wird. 

Alle diese Umstände könnten die Patrioten, und selbst gänzlich unbefangene 
Mitbewohner des Agramer Komitats in dem Vertrauen zu der Regierung wankend 
machen, wenn ihre Anhänglichkeit an dieselbe nicht so unerschütterlich wäre. 
Inmitten dieses Unmuthes lenkten beide Parteien, Patrioten und Magyaromanen, 
ihre Hoffnungen zunächst auf die Landeskongregation, sofort aber auf den bevor- 
stehenden Landtag hin. Die Patrioten hegten die Zuversicht, die Landeskongre- 
gation werde im Vertrauen auf die in dem Handbillelte ausgesprochene Zusage 
solche Beschlüsse beantragen, die dem Uebergreifen des Magyarismus für immer 
eine unübersleigliche, gesetzliche Schranke legen sollten. Sie konnten und durf- 
ten sich der Zuversicht hingeben, weil Seine Majestät in dem Handbillette aus- 
drücklich erklärte, die croatische Nationalität, Sprache und Literatur schützen 
zu wollen. Mit stiller Resignation harrten sie demnach der Dinge, die da kom- 
men sollten. Die Hoffnungen der Magyaromanen waren ganz anderer Art; denn 
diese sannen nur darauf, wie sie die bei der Komitatsrestauration erlittene Schlappe 
gut machen und die Oberhand gewinnen könnten. Die Oberhand konnten sie aber 
nur mit Uberwiegender Intelligenz oder roher Kraft erringen. Sonderbar genug 
nahmen sie zum Letztern die Zuflucht, und setzten sich dadurch dem Verdachte 
aus, dass ihre Intelligenz jener der Gegner das Gleichgewicht nicht halten könne. 
Kaum war die Gewissheit des Landtages ausgesprochen, so eilten auch schon 
Sendlinge der Magyaromanen nach allen Seiten des Agramer Komitats hin, um 
den Bauern -Adel zum Erscheinen bei der Landeskongregalion, als dem gesetzli- 
chen Vorläufer des hungarischen Landtags anzuwerben. Um ihrer Mission Ein- 
gang zu verschaffen, gaben sie sich fälschlich für Komitats -Beamte aus, und 
beriefen sich auf Aufträge des Banes, die sie nie von ihm, sondern von ihrem 
Komitee -Direktor erhielten, oder selbst fabrizirten, um damit die arglosen 
Landjunker desto leichter zu täuschen! Man traut es kaum, zu glauben, und 
doch ist es wahr, dass sich selbst Religionsdiener, Pfarrer D-c und Z--k dazu 
hergaben, die Apostel der Magyaromanie in ihrer Mission zu unterstützen und 
die ihrer Leitung anvertrauten Schäfchen auf Abwege zu führen. Bei den auf so 
unwürdige Weise zu Stande gebrachten Versammlungen wurde der bezechten 
Menge das alte Mährchen aufgetischt, es handle sich darum, Kroatien mit Krain 
zu vereinigen, Kreisämter zu errichten, die Rechte des Bauernadels aufzuheben, 
deutsche Steuern einzuführen etc. etc.! Mit solchen priesterlich gekräfligten Be- 
weggründen gehetzt, willigte die getäuschte Menge gern ein, zur gehörigen Zeit 



Digitized by Googl 



auf dem Kampfplatze zu erscheinen, um das Yermeinllich so sehr bedrohte, alte 
gute Recht zu vertheidigen. Die Landeskongregalion wurde endlich auf den 
22slen und die folgenden Tage des Monats April 1. J. bestimmt. Es strömten 
daher schon am 21sten Schaaren der von den Magyaromanen geworbenen Bauern- 
K de Heule herbei. Sie waren insgesammt mit Säbeln, Aexten, Wurfhacken und 
ausserdem mit derben Knitteln bewaffnet, die mit eisernen Spitzen und Bleiknö- 
pfen versehen waren. Dies sind heut zu Tage in Hungarn die modernsten Mittel, 
um der Divination zur Gesetzgebung Eingang und Geltung zu verschaffen. Aber 
Hungarn soll sich nicht ausschliesslich der Bureaukratie rühmen, Kroatia blieb in 
diesem Forlschritte hinter ihrer mächtigeren Schwester — wie hier zu sehen ist 
— keinerdings zurück. In Agram wurden die beknittelten Vater des Vaterlandes 
von ihren Werbern in mehrere Hofräume eingepfercht, und zum Entgelt für die 
Reisebeschwerniss — bis zur Unfähigkeit, einen Exzess zu begehn — gelabt. 
Nur einige der halb nüchtern verbliebenen ünteranführer erhielten die Erlaubniss, 
sich in der Stadt umzusehen. Diesen kühlte aber der Anblick der von allen 
Seiten blitzenden Bajonette vollends den traubensaftigen Mulh zu raufboldigen 
Explosionen ab. Sie kehrten daher in bescheidener Enthaltsamkeit von Angriffen 
zu ihren von einem süssen Taumel benebelten Brüdern zurück. Die Zahl der 
zur Theilnahme an der Gesetzgebung vom Pfluge abberufenen Schaar belief sich 
auf 719 Mann. Es wurden zwar von den Behörden alle Maassregeln genommen, 
um Unordnungen vorzubeugen; allein der Haufe war gross genug, um — nach den 
Vorbildern im Zalader, Szatmarer, Marmoroscher und Beregher Komitate — wo 
immer durchzubrechen, und ähnliches Unheil, wie dort geschah, auch hier zu 
stiften. Die Nacht vom 21slen auf den 22sten April d. J. verstrich daher nicht 
ohne Besorgniss der agramer Einwohnerschaft für ihre Habe, nach der Viele der 
magyaromanischen Gäste lüstern schienen. Die Führer des beknittelten Corps 
wollten aus zarter Schonung des eigenen Ich, und weil sie überhaupt nach dem 
Prädikate der Eisenfresser nie geizten, keinen Straus anbinden, zumal sie wuss- 
ten, dass sie von wachsamen Augen aufs Korn genommen wurden. — Andererseits 
hielt wieder die Horde ohne Führer, die sich in der Regel im Augenblicke der Ge- 
fahr, wie sie es bei Gelegenheit der agramer Komitatsrestauration bewiesen ha- 
ben, lieber verstecken, als vortreten, für nicht gerathen, sich gegen die mit 
Nachdruck aufgetretenen Behörden aufzulehnen. Am 22sten Morgens wurde das 
ganze Heer der Knitller vor dem Komilatshause , in dem die Landeskongregation 
abgehallen werden sollte, versammelt Das sichtbare Oberhaupt desselben, der 
kroatische Pausanias, Kornes von Turopolja, machte Miene, sie in den Kongre- 
gationssaal zu berufen, um sie dort an den Berathungen Theil nehmen zu lassen. 
Allein die höchste Landesbehörde und das zur Beralhung gesetzlich berufene 
Kollegium der Notabilitälen erkannten, dass sie die Knittelweisheit gänzlich ent- 
behren könnten. Um jeder Zudringlichkeit und gewaltsamen Störung zu begeg- 
nen, auf die es von dem Kornes von Turopolja abgesehen war, wurde die Bera- 
thung für den 22sten April aufgehoben. Den Magyaromanen geschah dadurch 
freilich ein grosser Strich durch ihre Rechnung. Für das Allgemeine war die 
Vertagung der Beralhung von höchst wichtiger und wohlthätiger Folge. Es 
wurde dadurch das vorausgesehene Blulvergiessen verhütet. Viele der Knitller 
sahen bei solcher Gestalt der Dinge sogleich selbst ein, dass man sie zu ganz 
andern Zwecken brauchen wolle, als ihnen bei der Einberufung vorgespiegelt 
wurde. Andere aus ihnen wurden eines Bessern belehrt; und wieder Andere hat- 
ten ihre Vorräthe ohne Hoffnung einer Nachfassung aufgezehrt. Alle diese Kate- 
gorien fanden für gut, Agram sogleich zu verlassen, wo ihnen ohnehin der ver- 
sprochene Theil nicht erblühte. Die noch Zurückgebliebenen wurden dann am 
23slen nach ihrer Heimath gewiesen, und die Berathungen am 24slen eröffnet 

Vom 21slen bis 26s teu glich Agram einer belagerten Stadt Patrouillen 
durchzogen Tag und Nacht alle Gassen und Strassen. Auf deu gelegensten Punkten 

SUw. Jahrb. i. 37 



Digitized by Googl 



der Stadt waren Reserven aufgestellt, um, wo es immer nölhig werden sollte, 
Ruhestörungen zu bindern. Bei Eröffnung der Sitzung am 24. April proteslirte 
der Kornes von Turopolja gegen alle Berathungen, insofern seine Knittler daran 
nicht Theil nehmen würden. Diese Frotestation wurde, wie sich von selbst ver- 
steht, nicht beachtet. Sie konnte und durfte auch nicht gewürdigt werden, und 
zwar zunächst aus Rücksichten der öffentlichen Sicherheit, sodann aber aus dem 
Grunde, um den gesummten übrigen Adel der beiden Königreiche Kroatien und 
Slavonien nicht zu beeinträchtigen; denn der abwesende Adel liess sich durch je 
zwei Deputirte per Komitat vertreten. Dies gibt für 3 kroatische und 3 slavo- 
nische Komitate 12 Stimmen. Wären nun die Knittler, die sonst durch ihren 
Kornes repräsenürt werden, zugelassen und zum Stimmrechte befugt worden, 
so hätte ihre Stimmenmehrheit bei jeder Abstimmung überwogen. Hiedurch wäre 
aber die alte Beschwerde des gleichberechtigten und nur durch Deputirte vertre- 
tenen übrigen Adels vollkommen gerechtfertigt worden, „dass die Angelegenheiten 
der Königreiche Kroatien und Slawonien blos von Turopoljer und St Iwaner 
Bunkokraten geleitet werden." Um sich also von den Knittlern nicht despolisiren 
zu lassen, hätte der gesammte Adel der beiden Königreiche zn der Landeskon- 
gregation in Agram erscheinen müssen, und da dies nicht geschehen war und 
nicht geschehen konnte, so durften folgerecht auch nur die Repräsentanten der 
. Gesammlheit , als gesetzliche Theilnehmer, an den Berathungen zugelassen und 
gehört werden. Die Beschlüsse der Landeskongregation und die Wahl der De- 
putaten wurde von allen Jenen, die es mit dem Lande ehrlich meinten, mit 
Freuden begrüsst Das Häuflein der Magyaroman en setzte dagegen alle Hebel 
der Inlrigue in Bewegung, um die Bunkokraten zum Protest gegen die Gültigkeit 
der Beschlüsse der Landeskongregation und der Wahl der Ablegaten zu vermö- 
gen. Emissaire eilten neuerdings umher, um Unterschriften zu dem Proteste zu 
sammeln. Die hiebei angewendeten Mittel sind ihres Zweckes würdig: Alle 
Leidenschaften des Bauernadels wurden hiezu reichlich ausgebeutet. Missbrauch 
des behördlichen Ansehens, Lüge, Yerläumdung, Betrug, Bestechlichkeit, Betäu- 
bung durch verfälschte Getränke sind die Beweisgründe, womit den Arglosen die 
Ungültigkeit der Landesbeschlüsse einlenchtend gemacht wird. 

Möchten doch die Magyaromanen bedenken, welches gefährliche Spiel sie 
mit ihren armen Landesgenosseu treiben, und wie sehr sie dieselben entsittli- 
chen ! ! ! Möchten sie doch einsehen , dass sie vom grössten Theile ihrer Lands- 
leule wegen der verursachten Aufregung im Lande gehasst und wegen der Apo- 
stasie an ihrem Volksstamme verachtet werden ! Dass ihnen beim nahen Ver- 
siegen ihrer Bcstechungsquellen auch der Rest ihres theuer bezahlten Anhanges 
den Rücken kehren wird, und dass sie dann als Renegaten selbst von biederen 
und hochherzigen Hungarn als treulose Ueberläufer Verstössen werden. Mögen 
sie sich doch endlich über ihr Vorhaben enttäuschen und erkennen, dass sie im 
Volke keine Sympathien für ihre Zwecke hervorgerufen haben, und dass sie auf 
den eingeschlagenen Wegen und mit den bisher angewendeten Mitteln ihr Ziel 
nie erreichen werden. — Ihr Treiben ist dem Volksgefühle im höchsten Grade 
widrig!!! 

3. Kritiken* 

Rnkopig Kralodvorsky: Königinhofer Handschrift, berausgeg. 
v. Hanka. 4. Aufl. Prag 1843. 12. u. 316 S. Ausser einer Einleitung giebt 
der geehrte Herr Herausgeber: 1) den ursprünglichen böhmischen Text, wie er 
sich auf den Handschriften vorfindet. 2) Eine demselben gegenüberstehende Um- 
schrift mit genauer Beibehaltung des alten Textes, nur nach neuböhmischer 
Schreibeweise. 3) Eine polnische. 4) Südrussische. 5) Illyrische. 6) Krainische. 



Digitized by Googl 



7) Lausitzisch -Serbische. 8) Deutsche und 9) Englische Uebersetzung. Somit 
ist denn die neue Herausgabe eine Art von Polyglotte, bestimmt, fiberall hin die 
Schönheiten und Vortrefflichkeiten dieser ausgezeichneten allböhmischen Dichtun- 
gen zu Terbreiten. Man muss dem unermüdlich thätigen Herrn Herausgeber ge- 
wiss zu dem höchsten Danke verpflichtet sein, dass er bei der Masse seiner 
amtlichen und anderweitigen literarischen Arbeiten noch Zeit fand, alle diese 
Einzelheiten über den Liebling seines Herzens zu sammeln und der literarischen 
Welt darzureichen. 

Pallas Atliene. Ein etymologisches Taschenbuch von A. Fähnrich. 
4ter Jahrg. Gilschin 1843. Auch unter dem Titel: Kritisch - etymologisches 
Wörterbuch oder vergleichende Anatomie der deutschen Sprache, nebst Materia- 
lien für slawische und lateinische Sprachforschung. Erstes Heft IX u. 327 S. 
jgmo. j) er Verf. bemerkt, die im vorigen Jahrgange mitgctheilte knrzgefasste 
Vergleichung der beiden Landessprachen und die daraus gefolgerte Idee der Die- 
selbigkeit beider habe „einiges Interesse, aber auch mitunter einigen Widerspruch, 
oder doch Zweifel erregt." Zur Bekräftigung derselben soll nun das nachfolgende 
Lexikon, in welchem die Wörter aus A, B, C, D, E und F durchgegangen wer- 
den, dienen. Als Einleitung hat der Verf. eiue Abhandlung über den Ursprung 
der Sprachen und über ihren logischen und materiellen Bildungs- und Entwicke- 
lungsgang vorangeschickt, welche den Leser auf den rechten Standpunkt setzen, 
wenigstens ihn geneigter machen soll, den Vergleichungen des Verf. williges 
Gehör zu schenken. Wichtig ist die Idee jedenfalls, und wenn der Verf. sich 
bemühte, die deutsche Sprachforschung zu einer Quelle hinzuführen, aus welcher 
sie das, in der deutschen Sprache bisher Ungewisse, Zweifelhafte und Unerklär- 
liche ergründen und so in ihre dunklen Seilen Licht verbreiten kann, so hat er 
jedenfalls eine ebenso verdienstliche, als in ihren Folgen lohnende Arbeit unter- 
nommen. Die Resultate, welche er dabei gewonnen, sind bereits jetzt ansehnlich; 
sie würden grösser, vor Allem aber wahrer und entschieden zuverlässiger sein, 
wenn der geehrte Verf. auf Folgendes Rücksicht genommen hätte. Wenn zwei 
Sprachen, wie die deutsche und die slawische, in so innigem Zusammenhange 
stehen, so kann man zwei Zeilpunkte unterscheiden, in welchen sie auf einander 
Einfluss gehabt haben: Erstens den Augenblick, wo sie sich von einander 
trennten uud in ihrer weiteren Entwickelung eine abgesonderte Bahn einschlugen. 
In dieser Zeit ist jede der beiden Sprachen gewiss noch wenig entwickelt; die 
Grundsätze, nach denen sie sich ausbildet, bieten sicherlich die mannichfalligsten 
Berührungspunkte. Und dies ist zwischen der germanischen und der slawischen 
Sprache in hohem Grade der Fall. Dann aber können zwei Sprachen auf ein- 
ander einwirken, wenn sie, bereits höher entwickelt, neben einander zu leben 
kommen; und das findet vorzüglich zwischen der deutschen und der böhmischen 
Sprache (als Dialekte jener beiden) statt. Werden diese Zeiträume gehörig ge- 
schieden, dann verbreitet sich über die ganze Forschung ein klares Licht. 

Zrcadlo: Bilder, Erzählungen und Anekdoten aus dem volksthümlichen 
und gesellschaftlichen Leben, auch unter dem Titel: Bilder des Lebens in Ost- 
europa, aus den Originalquellen ins Böhmische übers, von K. Wl. Zap, lsBdchn. 
Prag. Calve, 1843. VIII, 171 S. 

Die böhmische Literatur hat in der Neuzeit ausserordentliche Fortschritte ge- 
macht, das wird allgemein anerkannt; aber bei allem dem kann es dem aufmerk- 
samen Beobachter nicht entgehen, dass sie lange Zeit und in mancher Hinsicht 
auch jetzt noch auf falschem Wege ist Bereits im vorigen Hefte der Jahrb. 
theilten wir die Ansicht Mickiewicz's über die Stellung mit, welche die Czechen 
den anderen Slawen gegenüber einnehmen. In der Wissenschaft sollen sie 
ihren Brüdern Führer sein. Um aber diesem Berufe vollkommen zu entsprechen, 



Digitized by Googl 



müssen sie streng an ihrer slawischen Nationalität festhalten. Und gerade dieses 
ist es, worin sie durch den innigen Verkehr mit dem Westen, besonders mit 
Deatschland in Gefahr gesetzt sind. Die böhmischen Gelehrten geniessen gröss- 
tenteils deutschen Schulunterricht; ein ihrer Nation fremder Geist bleibt nicht 
ohne nachhaltigen Einfluss wirksam in ihnen, und wenn man in Deutschland be- 
hauptet, die böhmische Gelehrsamkeit sei eine deutsche, so ist das wohl im 
Grunde falsch, hat aber doch einiges fflr sich. Viel ärger noch ist es in der 
eigentlichen, der belletristischen Literatur. Die klassischen Studien liegen be- 
kanntlich im Lande sehr darnieder, an deutschen Meistern bildet sich der junge 
Czeche empor, deutsche Gefühle, deusche Denkungsweise saugt er ein, deutsche Ro- 
mane und Erzählungen, deutsche Dramen verpflanzt die literarische Industrie hau- 
fenweise auf den böhmischen Boden. Mit aller Kraft also müssen sich die edel- 
denkenden Männer des Volkes an das nationale Element anklammern, mit der 
entschiedensten Entschlossenheit demselben Uebergewicht gegen das Fremde zu 
verschaffen trachten. Und in dieser Hinsicht ist das vorliegende Buch ein wich- 
tiges Ereigniss. Der geehrte Verf. theilt hier eine Reihe von Bildern und Anek- 
doten aus dem slawischen Volksleben mit, welche er aus polnischen Quellen über- 
setzt hat. Sie geben in vieler Hinsicht interessante Bilder aus dem Osten Europas 
und entsprechen dem oben angeführten Endzwecke. Die Erzählung: Tundza, aus 
dem Odessaer Almanach, schildert ein Ereigniss aus der Wallachei, in dessen 
munteren Bildern das slawische Element wie unter Nebelschleier verhüllt, bald 
klarer, bald dunkler hervorblitzt. Das Unternehmen des Hrn. Zap verdient daher 
auch in ästhetischer Hinsicht ein allseiliges Lob. Auf ein zweites Heft, welches 
der Verf. verspricht, sind wir desto mehr gespannt, .als derselbe zusagt, darin 
eigene Artikel über das sociale Leben im Osten zu geben, in welchen wir nicht 
Mos einen leitenden Faden, um in die dargebotenen Bilder Leben und Einheit zn 
bringen, finden werden, sondern auch sicherlich auf Ansichten zu stossen hoffen, 
welche die Auffassung des Lebens in jenen Gegenden, wie man sie nach den 
fremden Reisebeschreibungen aus Deutschland, Frankreich oder England sich bil- 
den kann, in ein ganz anderes Licht setzen werden. Dafür bürgt uns des Ver- 
fassers Scharfblick und die mannichfallige eigene Anschauung, welche ihm zu 
Gebote stand. 

Venec. Der Kranz. Sammlung von böhmischen Liedern. Redigirtvom 
Kapellmstr. Fr. Skroup. Mit einer literarischen Beilage. Prag, bei Hoffmann. 

Es ist das eine Fortsetzung des früher in anderer Gestalt von Chmelenski 
herausgegebenen Kranzes, eine Art von musikalischer Zeitschrift, welche, nach 
dem Probeheft zu urlheilen, des Interessanten und Mannichfaltigen viel bieten 
dürfte. Die besten Komponisten haben ihre Theilnahme zugesichert. Für die 
Beilage sind die besten Schriftsteller thälig. Das erste Heft enthält mehrere 
Lieder, unter denen ein Quartelt von Skroup sich besonders auszeichnet. Die 
Beilage bringt neben sechs Liedern noch eine nette „Erinnerung aus meiner Kind- 
heit" von Cejka, eine wissenschaftliche Betrachtung über den slawischen Gesang 
von dem bekannten Ludw. von Rittersberg; einen werthvollen Artikel über die 
böhmische Musik und zum Schlüsse ein Feuilleton musikalischen und vermischten 
Inhalts. 

Sjemsko - Serski Stownik: Deutsch- Wendisches Wörterbuch 
mit einer Darstellung der allgemeinen wendischen Rechtschreibung von J. E. 
Schmaler. Bautzen 1843. Schlüssel, XXXIX, 150 S. kl. 8. 

Ein seit längerer Zeit erwartetes und in vieler Hinsicht recht brauchbares 
Büchelchen. Zwar ist durch solche Werkchen in wissenschsftlicher Hinsicht nicht 
viel zu erreichen; denn einen solchen Werth beanspruchen sie nicht einmal; 
auch dürfte es Manchem als unverantwortlich erscheinen, dass wir unsre Kräfte 



Digitized by Googl 



auf solche kleine Schriften verwenden, besonders da dieselben doch immer un- 
vollständig bleiben müssen, so lange nicht ein vollständiges wendisch - deutsches 
Wörterbuch zu Stande gekommen ist. Allein die Brauchbarkeit und vor Allem 
der Bedarf eines solchen Bnches rechtfertigt gegen jeden Vorwurf. Freilich hatte 
das Buch auch in dieser Hinsicht noch besser dem Bedflrfniss entsprochen, wenn 
es wenigstens das Doppelte seines Inhaltes geliefert hätte, was leicht auf dem- 
selben Räume möglich gewesen wäre, da mit demselben in der That unverantwortlich 
splendid umgegangen ist Die kurze Darstellung der Orthographie hat ihren be- 
sonderen Werth, doch hätte auch hier dasselbe auf der Hälfte des Raumes gesagt 
sein können; wir sind nicht für die halben Massregeln, — entweder man gebe 
uns etwas Vollständiges Uber die slawisch - wendische Orthographie, oder man 
überlasse es der Erlernung durch den Gebrauch. Wichtig ist in dieser Hinsicht 
die Erklärung Schmalere: er bedauere, dass dieses Wörterbuch eher unter die 
Presse kam, als die ganze Angelegenheit (die Vereinigung der protestantischen 
und katholischen Schreibeweise, indem sich der Verf. selbst für die in der von 
mir herausgegebenen wendisch -slawischen Zeitschrift angewendete erklärt) ihre 
Erledigung gefunden; es solle aber weiter unten am gehörigen Orte genügende 
Rücksicht darauf genommen werden. Wir wünschen dem Biichelchen die grösst- 
mögliche Verbreitung, weil es dieselbe in der That verdient 

Rok 1843. II. (Vgl. Heft 2. S. 138). Diese interessante Unter- 
nehmung macht kräftige Fortschritte. Der vorliegende Band enthalt 6 Artikel. 
1) Einige Worte über den eigenlhümlichen Standpunkt unserer Literatur, von J. 
Moraczewski ; eine tüchtige Darstellung der eigenlhümlichen Verhältnisse, unter 
denen sich die polnische Literatur gegenwärtig entwickelt. Wir werden dieselbe 
in ihrer Gänze im nächsten Hefte der Jahrbücher millheilen. 2) lieber den ci- 
vilen Muth, von Dr. Liebelt Eine kräftige Arbeit dieses tüchtigen Denkers. 
Zwei Stände giebl es in der Gesellschaft, sagt der Verf., den Bürger- und den 
Militairstand. „Letzlerer, seiner Natur nach kriegerisch, ist in der Zeit des 
Friedens gänzlich unnormal Der Friede ist für ihn die Zeit des Winters, in 
welchem die Thiere des Nordens im Todesschlafe liegen. Nur mit dem Unter- 
schiede, dass dieser Todesschlaf nur ein moralischer ist und auf Kosten der Ge- 
sellschaft erhallen wird." Durch Missbrauch sei bisher nur von militairischem 
Muth die Rede gewesen ; der bürgerliche Muth sei lange Zeit unbegriffen geblieben. 
Erst die Societe de la morale chrelienne Guizot's habe Abhandlungen über den- 
selben hervorgerufen, unter denen die von Hiacynlhe Corne den Preis davon ge- 
tragen. In dieser Abhandlung selbst sei Vieles sehr wahr, Manches indess nicht 
gehörig distinguirt Auch der Krieger sei Staatsbürger. „Die Kraft also, welche 
in uns die Aufopferung für die nationale Sache hervorruft, nennen wir den Bür- 
germuth, welcher bürgerlich oder militairisch sein wird." — „Die Liebe (Pa- 
triotismus), die Ueberzeugung und die Aufopferung sind die drei notwendigen 
Elemente des bürgerlichen Mulhes." Das St Simonistische „Hilf deinem Näch- 
sten wie dir selbst" sei nichts anderes, als das christliche „Liebe deinen Näch- 
sten, wie dich selbst" Ueber die Aufopferung spricht der Verf. weilläufiger; 
sie hat sich in Polen besonders gezeigt Mit Recht heisst es daher S. 18: 
„Ehre euch, Ehre durch alle Geschlechter, ihr heiligen Opfer des Menschenge- 
schlechtes, die ihr euch selbst verleugnen, durch erhabene Tugend die Würde des 
Menschen zur Würde der Gottheit erheben, die ihr euch für euer Volk, für die 
Menschheit, für das Licht, das Recht und die Freiheit aufopfern, die ihr euch 
sogar zu Foltern und zu schmachvollem Tode hergeben konntet Ehre auch dir, 
schönes Geschlecht, euch Mütter und Bürgerinnen, die ihr den Männern ein Bei- 
spiel gegeben, wie man das Vaterland lieben, wie man für dasselbe sterben 
rouss. Ehre euch, ihr Bürger, die ihr bei dem Feuerschein brennender Dörfer 
und Städte, unter den Foltern des Todes unerschrocken über die Rettung des 



Digitized by Googl 



230 



Vaterlandes beratschlagtet und euch, über deren Häuptern das Schwerd des 
Dainokles hanget, ohne euer Herz erschüttert, ohne euren Muth gebeugt zu ha- 
ben. Ihr alle Helden und Märtyrer der öffentlichen Sache, deren ungebeugter 
Charakter das Recht selbst, deren unerschrockenes Herz die Liebe selbst, deren 
jede Thal die Aufopferung selbst war: ihr seid die Ideale des bürgerlichen Mu- 
thes. Die Muster, die ihr uns hinterlassen, sind unerreicht. Erhaben über die 
gewöhnlichen Massen glänzet ihr durch euer Andenken und euren Ruhm vor 
ihnen, wie leitende Sterne auf der Bahn des öffentlichen Lebens. Euch ehren 
und euren Namen preisen könuen wir, aber euch gleichzukommen sind wir nicht 
im Stande." Der Verf. stellt dann den historischen Hergang der Entwicklung 
dar, welche die bürgerlichen Tugenden bisher erreicht haben; und nachdem er 
so den Charakter des bürgerlichen Muthes genau entfaltet, bespricht er die 
Bedingungen desselben, seine Grundlage und die Ausbildung desselben. „So lange 
wir uuter dem Namen Bürger nur den Ackersinann und den Bürger verstehen, der 
ausser seiner Kunst nichts gelernt hat, und von allen übrigen eine solche Vor- 
stellung hat, wie etwa vom chinesischen Reiche: so lange bleibt das Streben 
nach Communal- und politischer Freiheit eine Ironie", heisst es S. 25. Und 
weiter unten: „Es handelt sich nicht darum, dass wir die Vorlheile von uns 
weisen sollen, welche uns die Landeseinrichtung gewährt; sondern daraus folgt 
die unabweisliche Nothwendigkeit, alle unsere Kräfte auszubilden, damit wir nicht 
nur mit der Regierung gleich hoch stehen, und ihre Vorschläge beurtheilen kön- 
nen, sondern dass wir durch Verstand, durch Wissenschaft und Sachkenntnis 
sogar höher stehen, als die Beamten, und dass wir so in der That eine Con- 
trole, eine höhere Instanz für dieselben seien. Diese wissenschaftliche und tat- 
sächliche Ueberlegenheit wird eine moralische Macht werden, wenn sie durch 
bürgerlichen Muth unterstützt wird. Solche Männer werden erst die wahren 
Grundpfeiler des Landes, an denen alle unrechten Angriffe und Machinationen 
zerschellen müssen, woher sie auch immer kämen." — „Im Bürgerlichen ist der 
Muth ohne Wissenschaft, wie ein Schuss ohne Kugel." Im alten Polen halten 
die grössten Männer des Staates die Gewohnheit, eine grosse Zahl junger Män- 
ner der ersten Stände um sich zu versammeln und sie praktisch und durch ihr 
eigenes Beispiel zum bürgerlichen Muthe zu erziehen; jetzt kann es nur durch 
eine kräftige geistige Bildung geschehen. Die dritte Bedingung zum bürgerlichen 
Muthe ist Unabhängigkeit, die innere des Herzens, die äussere der Ehrsucht 
und die der Stellung im Leben. Ausser der Furcht hat besonders die Ehrsucht 
einen wichtigen Einfluss. Der Verf. theilt die Ansichten Corne's mit; setzt dann 
hinzu, dass in dieser Hinsicht die Polen während ihrer nationalen Unabhängigkeit 
selbst die ihnen geistesverwandten Franzosen überlroffen haben: „Die Monarchie 
mit einer Adelsrepublik vereinigt, vereinigte den Stolz des Geschlechtes, des 
Amtes und des Titels mit der Ehrsucht des Rcgierens, der Anführung, welche 
das Recht der gänzlichen Gleichheit noch mehr nährte; und so wurde das Leben 
der Polen, wie das der griechischen und römischen Bürger ausschliesslich öffent- 
lich." Die Schilderung Corne's wird mitgelheilt. — Nicht weniger schädlich wirkte 
auf Polen die politische Höflichkeit. Ein humoristischer Schriftsteller beweist, 
dass die Höflichkeit Polen gestürzt habe: „0 glaubet mir", sagt er, „dass 
ihr alles Unglück, alle Niederlagen, alle Schmach, allen Verralh und alle Ohn- 
macht, welche die lange Reihe unserer Geschichte bezeichnet, alles aus dem 
einen Standpunkte der Höflichkeit am Besten übersehen und würdigen könnet; 
und es wäre vielleicht eben so glücklich als nützlich, die geehrten Schüler eines 
Gall und Spurhcim's zu bitten, dass sie uns den Knoten der Höflichkeit auf dem 
menschlichen Schädel recht genau angeben, damit wir in der Zukunft Jedem, der 
uns zum Führer dienen will, zuvor jenen verfluchten Knoten heraushauen." Dann 
geht der Verf. zu den Hilfsmitteln des bürgerlichen Muthes über; sie sind das 
öffentliche Handeln, Pressfreiheit und Geschworengerichte., Ueber diese drei 

V 

Digitized by Google 



Punkte drückt sich der Verf. mit eben so grosser Begeisterung, als entschiedener 
Kraft und Sicherheit aus. Der ganze Artikel zeigt, mit welchen schnellen Schrit- 
ten man in Polen mit dem Geiste der Zeit fortschreitet und wie die hervorragen- 
den Männer der Nation ganz auf der Höhe der Gegenwart stehen. — Gleiches 
Lob der Vortrefflichkeit müssen wir dem folgenden Artikel „Uebersicht der sla- 
wischen Literatur vom Jahre 1842, von W. Cybulski" geben. Der Verf. erklärt 
sich sogleich im Anfange gegen seine dem Panslawisinus abgeneigte Nation ge- 
nau über- denselben. Auch er fordert, wie alle seine Landsleute, für jeden sla- 
wischen Stamm eine abgesonderte Thatigkeit zu seinem Zwecke. Auch wir sind 
weit entfernt, diese Berechtigung negiren zu wollen; auch wir haben wiederholt 
erklärt, dass nur durch höhere Ausbildung eines jeden Stammes einzeln für sich 
es möglich wird, die Idee des allgemeinen Slawenthums nicht so sehr in ihrer 
Natur zu erkennen und zu definiren, als vielmehr sie in die Wirklichkeit, in das 
praktische Leben zu bringen. Aber wir fordern bei allen dem viel mehr, als der 
geehrte Verf. Wir fordern bei dieser Selbslentwickelung des einzelnen Stammes eine 
stete Berücksichtigung der nationalen Gesammtheit, ein ununterbrochenes Wahrnehmen, 
eine vorzügliche Vervollkommnung dessen, was der ganzen Nation gemeinsam, 
was ihrem Berufe als Einheit entsprechend ist. Und das ist es, was die Polen 
bis diesen Augenblick nur seilen noch als Recht, als Pflicht anerkennen. — Nach- 
dem der Yerf. hierauf den Charhkter der slawischen Literatur in der Gegenwart 
im Allgemeinen als archäologisch und philologisch bezeichnet hat, geht er auf 
die Darstellung der czechischen Literatur über, welche unter den Übrigen eine 
vorzügliche Beachtung verdiene. Der archäologische und überhaupt wissenschaft- 
liche Literaturzweig werde hier am tüchtigsten kultivirt; die Belletristik stehe 
niedriger, einen Nationaldichter, wie Puschkin, oder Mickiewicz hätten die Cze- 
chen nicht; in Jablonsky könne ein solcher entstehen; die Thatigkeit des böhmi- 
schen Museums wird nach Gebühren gewürdigt; auch die Leistungen der Slowa- 
ken, als zur böhmischen Literatur gehörig, besprochen. — Die illyrisch-serbische 
Literatur, ihre Stellung und die würdigen Bemühungen Gaj's sind mit besonderer 
Vorliebe dargestellt, und die Ansicht ausgesprochen, dass die Illyrer die grössle 
Aehnlichkeit mit den Polen haben: „Eine höhere Poesie, auf das Volklied sich 
stützend, aus dem Geiste der Nation, aus der Wirklichkeit des Lebens fliessend, 
eine Poesie, durch ihre Gluth, durch ihre Aufopferung erwärmend, eine Poesie 
der Begeisterung, die mit prophetischem Auge in die Zukunft blicke, eine solche 
Poesie ist gegenwärtig nur bei den Polen und den Illyrern zu suchen. Von allen 
Slawen kann der Pole und Illyre, scheint mir, heutzutage am ehesten vom Herzen, 
von der Idee begriffen und aufgefasst werden. Im Norden glüht unser Herz für 
das Volk, wie bei ihnen im Süden. Dieselbe Bereitwilligkeit zur Aufopferung, 
wie bei uns, derselbe Durst nach Unabhängigkeit und Freiheit, wie bei ihnen, 
dasselbe Feuer der Begeisterung, dieselbe Melancholie in der Erwartung. Der 
Morgenstern und der Mond — das Wappen ihres Volkes — die schönsten Sterne 
auf dein Himmel für die Einbildungskraft, ehe sie die Tagessonne des Lebens 
entflammt — die ideale Devise der Vereinigung der einzelnen Stämme der illy- 
rischen Sloga. Der Reiler und der Adler — unsre poetischen Zeichen der Devise 
eines Brunderbundes zweier durch Geist, Phantasie und Herz lebendigen ritter- 
lichen Völker. Das Eine wie das Andere, ein schönes, einfaches und bedeutungs- 
volles Gebilde des tiefen ahnenden Sinnes des Volkes, poetische Symbole der 
Liebe, der Freundschaft, der Verbrüderung, der Aufopferung — mit dem Cha- 
rakter des allgemein Menschlichen. Nur unter diesen Zeichen kann sich ein 
neues Leben im Slawenthum entfalten." — Der Abschnitt über die russische Li- 
teratur ist polemisch, wie jeder Artikel, in welchem ein Pole über russische Zu- 
stände spricht; doch bleibt er vorurtheilsfreier , als man dies von einem Polen 
gewohnt ist. Der Druck der Regierung, der auf der Literatur lastet, sagt der 
Verf., giebl ihr durchaus den Charakter des politischen Slrebens derselben. 



Digitized by Google 



Manches Vortreffliche und sehr Wahre enthalt dieser Artikel and dürfte es ver- 
dienen, Ton den Russen zu Herzen genommen zu werden. — Am Schlüsse widmet 
der Verf. noch ein paar Worte dem kleinen slawischen Stamme in der Lausitz. — 
Der vierte Artikel: „Die ersten Eindrücke eines Reisenden" schildert Posen von 
seiner schönsten Seite als Haupt der lebensfrischen Enlwickelung des polnischen 
Volkes. 5) Die Rede Lamarline's in der Deputirtenkammer vom 27. Januar 1843 
über sein neues System, und endlich eine Erklärung von Seiten der Herausgeber 
über den Werth einer unter dem Drucke befindlichen nationalen Logik von Br. 
Trentowsky. — Unsere Erwartungen bei dem Beginn dieser Zeitschrift haben sich 
mehr als erfüllt; wir müssen das vorliegende Heft unbedingt dem ersten vorziehen. 

ÜToworocznik: Demokratischer Almanach. Zweiter Jahrgang, 1843. 
304 S. Mit dem Bildnisse Kilinski's. Dieses im vorigen Jahre begonnene Un- 
ternehmen hat zum Zweck, die Bestrebungen der demokratischen Gesellschaft 
unter den Polen in Frankreich, welche im Verlaufe des Jahres in einzelnen zer- 
streuten Schriften zur öffentlichen Kunde gebracht werden, alljährlich zusammen 
and dann als Resultat der Arbeit eines Jahres dem lesenden Publikum vorzulegen. 
Im ersten Jahrgange theilte man einen Kalender mit, in welchem die Tage der 
grössten Noth und des glänzendsten Glückes der polnischen Nation durch Andeu- 
tung einzelner Fakten bezeichnet wurden; dann enthielt der erste Jahrgang noch 
eine Reihe von Notizen und Aktenstücken, welche die Geschichte der polnischen 
Emigralion betrafen; ein Verzeichniss aller polnischen Werke, Brochüren, Mani- 
feste, Urkunden und journalistischen Unternehmungen, welche von den Emigrirten 
herrühren; ausserdem noch einige Erzählungen und Gedichte mit entschieden de- 
mokratischer Tendenz, so wie eine kurze Skizze der letzten Lebenszeit Simon 
Konarski's. — Der gegenwärtige Jahrgang ist in vieler Hinsicht noch werthvoller. 
Vor Allem zeichnet die darin aufgenommenen Artikel eine viel grössere Ruhe 
aus; man sieht, die demokratischen Ansichten sind in Fleisch und Blut überge- 
gangen und haben eine Sicherheit in ihren Beförderern geweckt, in Folge wel- 
cher sie der Zukunft mit kaller Ruhe und der entschiedenen Erwartung des 
Gelingens entgegen sehen, ohne jene Besorgniss, welche sich früher eben durch 
die bis ins Aeusserste gestiegene excentrische Gluth darlhat. „Von der Thälig- 
keit der polnischen Aristokratie in der Emigration" ist ein Artikel, welcher ge- 
stützt auf die darauf folgenden dreizehn Aktenstücke (darunter auch die Ueber- 
einkunft des Fürsten Adam Czartoryski mit Wasowicz) der aristokratischen Partei 
und dem genannten Fürsten jeden Einfluss auf die polnischen Emigranten abzu- 
schneiden bestimmt ist. Alle Thätigkeiten derselben werden auf den einzigen 
Grundzweck zurückgeführt, man habe eine monarchische, durch eine hohe Ari- 
stokratie unterstützte Regierungsform in Polen einzuführen getrachtet; zu diesem 
Zwecke habe man auch noch das Königreich Warschau in den vom Wiener Kon- 
gress ihm gesteckten Grenzen gross genug gefunden: zwei Grundsätze, gegen 
welche die ganze Thätigkeit der demokratischen Gesellschaft gerichtet ist. — 
Hierauf folgt eine Nachricht über die verschiedenen Comites, welche in Frank- 
reich, England und den andern Ländern zur Unterstützung der polnischen Sache be- 
standen haben. — Wichtiger, als dieses, ist das Verzeichniss der Schriftwerke 
and der wichtigeren Brochüren, welche von 1831 bis 1S42 in der Emigration 
in fremden Sprachen veröffentlicht wurden; ihre Anzahl ist bedeutend: über die 
Geschichte der Emigation 87, die Geschichte des letzten Aufstandes 54, Geschichte 
Polens 31, Politik 69, Literatur 48, Numismatik 14, Kriegskunst 4, Naturwis- 
senschaften 20, Medicin 14, Pädagogik 8, periodische Schriften 11, zusammen 
360; ausserdem 4 Landkarten und 8 Medaillen. — Nach einem Verzeichniss der 
verstorbenen Emigranten (753 an der Zahl, wobei natürlich noch mehrere feh- 
len) wird die Geschichte der polnischen Emigration im Jahre 1842 gegeben. 
Mit Recht wird im Eingange behauptet, die Ueberlegenheit der demokratischen 



Digitized by Googl 



Partei über die aristokratische unterliege beinern Zweifel. Dann folgen Dar- 
stellungen der Thatigkeit der einzelnen Pariheien und Vereine, mit Angabe ihres 
finanziellen Zustandes. Zum Schloss nimmt ein Artikel: „die Sekte Towianski's" 
unsere Aufmerksamkeit besonders in Anspruch. Das selbst diesen bittersten Fein« 
den des neuen Propheten in manchen Ponkten noch räthselhafte Auftreten dieses 
Mannes wird so ziemlich unparteiisch gewürdigt, er selbst als Mystiker darge- 
stellt, welcher die an sich zur Mystik geneigten Polen, z. B. einen Mickiewicz, 
Goszczynski u. dergl., an sich zog und täuschte und von ihnen wieder getäuscht 
wurde. — Ein Verzeichniss der Schriftwerke und der vorzüglicheren Brochfiren, 
welche in der Emigration während des Jahres 1842 erschienen, beschliesst den 
historisch wichtigen Theil des Almanachs. Es folgt nun : „die Historie des Schu- 
sters Jan Kilinski, Stadlrathes von Warschau, Obristen der erlauchtesten polni- 
schen Republik, Kommandanten des 20. Infanterieregiments unter Kosciuszko" in 
einer Art von Ityitlelversen, welche eine eigenthümliehe Wirkung auf den Leser 
nicht verfehlen. Nach einem: „Gedichte Simon Konarski's, kurz vor seinem Tode 
geschrieben" folgt ein „Auszug aus den Memoiren des Bürgers Michael Kolacz, 
gestorben als Scheunenslarost in der Lubraniecer Gemeinde der Wojewodschaft Thorn 
im Jahre 1932 der christlichen Aera", herausgegeben von L. Mieroslawski. 
Zweite Abtheilung. Aufstand des Kongresskönigreichs. Umsturz der diplomati- 
schen und konstitutionellen Regierung. Befreiung Polens aus dem moskowitischen 
and deutschen Joche. Die Jahre 1630, 31 und 32. — Eine durch und durch 
satyrische Darstellung der letzten polnischen Revolution, in welcher die Hand- 
lungsweise der Häupter derselben auf das Unbarmherzigste gegeisselt wird. Nicht 
schlecht ist eine Stelle über das Slawenthum, S. 270, wo es heissl: „um diese 
Zeit entdeckte man auch die Existenz des Slawenthums, des sechsten Thciles der 
Welt. Bis dahin hat man gemeint, dass alles in Europa, was zwischen dem 
Rhein und der Oka liegt, dass alles das Deutsch sei. Am innigsten davon über- 
zeugt waren die offenbar slawischen Theile des österreichischen Staates. Plötz- 
lich fällt ein gar gelehrter böhmischer Philolog auf den Gedanken, dass zwischen 
der deutschen und böhmischen Sprache ein Unterschied sei. Vom Faden zum 
Knäuel! Allmählig zeigte sichs, dass die beiden Sprachen einander ähnlich wa- 
ren, wie Tag und Nacht; in der Folge, dass Libuscha und Maria Theresia, 
welche man bis dahin für ein und dieselbe Königin hielt, zu verschiedenen Zei- 
ten gelebt haben; und dass die eine über die Czechen herrschte, als noch das 
deutsche Kaiserthum nicht war; die andere aber in dem deutschen Kaiserthum 
regierte, als bereits Niemand mehr an Libuscha dachte. Bei dieser Erscheinung 
flogen die böhmischen Gelehrten in ganzen Schaaren in die weite Welt hinaus, 
wie Kartätschen aus einer Kanone." Die Ansichten über die Lage Europas in 
jener Zeit sind höchst interessant und in der Gegenwart gewiss nicht ohne Be- 
deutung. — Den Schluss bilden drei Gedichte von Cienglewicz in russinischer 
Mundart für das russinische Volk. 

Beiträge znr Geschichte des russischen Reichs. 

Von Dr. Ernst Hermann. Leipzig, 1843. Hinrichs. XXVI und 244 S. 8. 

Diese Beiträge enthalten eine höchst wichtige und interessante Abhandlung 
über die Verbindung Nowgorods mit Wisby und der Deutschen mit den Russen. 
Der Verfasser nennt denselben: „Andeutungen über den Einfluss der Deutschen 
auf die Russen im Mittelalter und die Stellung der Ostseeprovinzen zum russi- 
schen Reich"; er bemfiht sich, darzuthun, dass der Flor der nordrussischen 
Städte in jener Zeit ausschliesslich den Deutschen und der Hansa zu verdanken 
sei, und führt dazu mancherlei Daten an, welche die Wirkung des Westens auf 
Russland darlegten. Indess lässt es sich nicht leugnen, dass diesen Daten selbst 
ein zu weiter Spielraum eingeräumt wird, dass mau zu viel aus denselben er- 
schliesst. Die Verbindung Nowgorod's, der Republik, mit der Hansa ist sicher; ob 

Slow. Jahrb. I. 38 



Digitized by Google 



sie aber in der Weise bestand, wie sie der Verf. darstellt, darüber kann erst 
dann entschieden werden, wenn noch sicherere Anhaltspunkte, noch deutlichere 
Beweise dafür zu Tage gefördert werden, dass der Einfluss nicht ein rein wech- 
selseiliger war und dass die Deutschen eine gewisse Oberherrschaft dabei fahr- 
ten. Als ein mit dem Erwähnten in Beziehung stehender Gegenstand ist der zweite 
Artikel anzusehen: „Des Freiherrn Schoulz Ton Ascheraden Geschichte der Gtt- 
terreduetion in Liefland." Ein interessanter Beitrag, in welchem besonders die 
Darstellung der damaligen Zustande Liefland's interessiren. Eine eigenthfimliche 
Wichtigkeit hat der dritte Artikel: „Das Tagebuch des russisch -kaiserlichen 
General -Feldmarschalls, des P. Ch. Grafen Ton MOnnich, über den ersten Feld- 
zug des in den Jahren 1735 — 1739 geführten russisch -türkischen Krieges." 
Der Verf. fand dieses Tagebuch in der Bibliothek des königl. sächs. Hanpl Staats- 
archivs, wo es als Manuscript unter dein Titel: „Russisch -türkischer Krieg 
unter Münnnich 1735 fT." aufbewahrt wurde. Mit Recht sagt der Verf., es sei 
tiberall das Bild des Selbsterlebten und des Selbstgcthanen, was in demselben 
anspreche. Die besondere Einleitung, welche der Verf. zu dem Tagebuche schrieb, 
soll, nach seiner eigenen Erklärung, nur eine vorläufige Uebersicht des Haupt- 
inhaltes gewähren und die ohne Zweifel dem Grafen Münnich selbst zuzuschrei- 
bende Verfasserschaft ermitteln. Je mehr Gewicht Rnssland gegenwärtig im eu- 
ropäischen Staatensyslem einnimmt, desto wichtiger wird es, nicht blos den ge- 
genwärtigen Zustand des Landes, sondern vielmehr noch den Torangegangenen 
gründlich kennen zu lernen; nur die vergangenen Verhältnisse sehen wir klar; 
die Gegenwart ist zu vielbewegt, als dass wir sie unv erblendet und ungetrübt 
betrachten könnten. 

Blicke in die vaterländische Vorzeit. Von Karl Preus- 
kef. Dritter Band: Meissnische und benachbarte Gegenden. Erstes Hft. Leip- 
zig 1843. Hinrichs. 120 S. Mit 2 Tafeln. 

Bereits im zweiten Hefte der Jahrbücher S. 135 sprachen wir von dem ver- 
dienstlichen Unternehmen Preuskers. Auch von diesem Hefte gilt dasselbe, was 
wir von dem ersten und zweiten sagten; nur bemerkt man an dem fortschreiten- 
den Werke eine immer grössere Uebcrsiehtlichkeit und zweckmässigere Trennung 
des Hauptgegenstandes von den zu dessen Grundlage dienenden Notizen und An- 
merkungen. Die Masse der einzelnen Daten, welche der Verf. aufführt, ist auch 
hier ausserordentlich; ihre Zusammenstellung gewährt den Anblick eines Welt- 
marktes, auf welchem Produkte aus allen Weltgegenden zusammengetragen werden. 
Am besten sagten uns §. 35: „Mittelalterliche Trachten" und §. 39: „die Dia- 
lectproben aus dem 13ten bis 15ten Jahrhundert" zu. Die beiliegenden Stein- 
drucklafeln, in vieler Hinsicht besser, als in dem vorhergehenden Hefte, zeigen 
uns die reizenden Ansichten mehrerer Burgen, z. B. des Scharfenbergs bei Meissen, 
der Bergvesle von Slolpen und vor Allem der umfassenden und weitausgebreiteten 
Burg Dohna. Dem zweiten Hefte dürfen wir in Kurzem entgegensehen. 

Oestreich nnil Ungarn. Leipzig. Weidmann, 1843. 65 S. 
Die beste Brochüre aus deutscher Feder, welche uns bisher über Ungarn zu Ge- 
sichte gekommen. Es scheint, als habe Deutschland endlich die eigentümliche 
Stellung der Nationen in Ungarn erkannt, als habe es endlich die Ueberzeugnng 
erlangt, dass es den nächstanliegenden slawischen Osten nicht im Stande sei, zu 
germanisiren , dass es nur durch einen innigen Anschluss desselben bei Anerken- 
nung seiner Nationalität eine Sicherheit an seinen östlichen Grenzen erringen 
könne, welche die Bedingung eines ungestörten Friedens für die Zukunft und einer 
raschen Entwicklung in der Gegenwart ausmacht. „Die Stellung der Magyaren 
zu ihren Landesgenossen und gegen Russlaud" ist ein Abschnitt, den wir als 
höchst gelungen bezeichnen müssen. Wenn die Magyaren die übrigen Nationen 



Digitized by Googl 



285 



in Ungarn nicht anerkennen, meint der Verl*., so werden sie „die Möglichkeit 
ihres Unterganges unfehlbar zur Wirklichkeit inachen"; gegen Russland hätten 
sie nicht Kraft genug, wirksamen Widerstand zu leisten; auch sei die Furcht 
Tor demselben und vor einer Unterstützung von Seilen der ungarischen Slawen 
ungegründet, weil es im Vortheile der Letzteren unbedingt liege, eher an Oest- 
reich, als an Russland sich anzulehnen; erst durch einen fortgesetzten Vernich- 
tungskampf gegen sie würden die Magyaren sie zu jenem Bündniss zwingen. — 
Unter der Ueberschrift „Ungarns Verhältniss zu Oesreich" untersucht der Verf. 
vier Fragen: a) Was verdankt Ungarn Oestreich? Seine Existenz, alle seine 
Bildung, seine Rettung aus türkischer Botmässigkeit Dies beweisst der Verf. aus 
der Geschichte, die er von seinem einseitig deutschen Standpunkte aus darstellt, 
zwar grösstenteils ohne Verletzung der Wahrheit, aber (ob absichtlicher oder 
zufalliger?) Verschweigung alles dessen, was die Slawen z. B. vor Wien gethan. 

b) Was ist Ungarn für Oestreich? Allerdings wichlig, aber zugleich, „dies 
sprechen wir mit eben so inniger Ueberzeugung als Betrübniss aus, für das 
deutsche Oestreich ein Unglück, eine Last, ein Hinderniss des Forlschrittes." 
Der Beweis, den der Verf. gibt, ist genügend, selbst für den, dem es kein 
solches Unglück dünkt, dass Oestreich nicht ganz deutsch ist, wie dem Verf. 

c) Was bleibt Oestreich ohne Ungarn? Eine europäische Grossmachl. „Es würde 
durch den Verlust Ungarns, Polens und Italiens die Basis seiner Macht nicht 
verlieren; im Gegenlheil, die natürliche und ewig feste Grundlage seiner Kraft 
dadurch erst wieder gewinnen"; der Verf. meint, durch eine kräftigere Entwick- 
lung und durch Germanisirung aller nicht deutschen Ingredienzien, d) Was würde 
aus dem von Oestreich getrennten Ungarn? Früher wäre es eine türkische Pro- 
vinz geworden, jetzt würde es ein „Schützling und Mündel zweier oder aller 
Mächte" werden, um seine Selbstständigkeit wäre es völlig geschehen, es stäude 
„wie ein Kind zwischen zwei Riesen, wie ein frisch gepflanztes Bäumchen zwi- 
schen zwei gewalligen Bäumen." — Allen dem nach sei Ungarns und der ösl- 
reichisehen Regierung Pflicht und Bedürfniss „mit kurzen, klaren Worten: Un- 
garn werde im Innern gerecht und vereinige sich fest und innig mit Oestreich; 
Oestreich werde im Innern entschieden und in jeder Richtung liberal und vereinige 
sich organisch mit Deutschland." Letzteres scheint dem Yerf. zumeist am Her- 
zen zu liegen. 

Die Besch werden und Klagen der Slawen in Un- 
garn über die gesetzwidrigen UebergrifTe der ülagya- 
reil. Vorgetragen von einem ungarischen Slawen. Leipzig 1843. Binder. 89 S. 

Den Slawen in Ungarn war bisher nicht blos in Journalen und Streitschrif- 
ten, sondern vorzüglich auch im mündlichen Verkehr der Vorwurf gemacht worden, 
dass die Klagen, welche sie gegen das überwuchernde Magyarenlhum führten, 
entweder völlig ungegründet oder aber wenigstens ausserordentlich übertrieben 
wären. Letzteres glaubte man besonders in Deutschland, wo die allgemeine Ab- 
neigung gegen das Slawenthum, hinter welchem man stets und überall den so 
beliehlen nordischen „Koloss" erblickte, so gern in dem das Slawenthum bekäm- 
pfenden Magyarenlhum einen Freund und Bundesgenossen sah; auch war es wohl 
nicht anders möglich, da deutsche Journale und Streitschriften von der magyari- 
schen Parthei ausgegangen nicht nur jene natürliche Zuneigung zu ihrem Zwecke 
geschickt benutzten, sondern sich auch geradezu als Retler und Bollwerk Deutsch- 
lands und des Westens gegen den allein in ihrem Hirne exislirenden Andrang der 
Russen ebenso laut als lächerlich proklamirten. Das vorliegende Buch ist nun 
die Antwort auf jene beiden Vorwürfe. Zwar ist auch diese Schrift nicht in dem 
Geiste geschrieben, welchen der ruhige Beobachter der Verhältnisse allen Jenen 
anempfehlen möchte, welche uns über die Kämpfe in Ungarn berichten; aber 
dennoch hat das Buch vor den meisten seiner Genossen den Vorzug, dass es eine 



Digitized by Googte 



Reihe Ton Fakten angibt, ans denen es klar und unumstösslieh hervorleuchtet, 
dass erstens die Helden der magyarischen Partei nichts Geringeres beabsichü- 
gen, als alle nicht magyarischen Völkerschaften in Ungarn in der kürzesten 
Zeit zu magyasiren, aass sie dazu zweitens jede* Mittel für rechtlich halten 
und ungescheut es in Anwendung bringen, wenn sie auch dabei alle Gesetze der 
Humanität, die durch die Konstitution gesicherten Rechte der übrigen Volks- 
stämme, das Aufblühen und die Wohlfahrt des Vaterlandes, jeden geistigen Fort- 
schrill, jedes Vorwärlsdringen nach dem Besseren und Höheren mit den Füssen 
treten und jeden Keim einer geistigen Kraft vernichten sollten. Wir erwähnen 
nur eines einzigen solchen Faktums; auf S. 12 heisst es: „In Nr. £0. des Hyr- 
nök 1841 wird folgender Plan zur Magyarisirung der Slawen vorgetragen. Die 
Magyaren mögen Se. Majestät um die Erlaubniss bitten, 60,000 magyarische Sol- 
daten in solche Gegenden zu versetzen, wo das gemeine Volk nicht magyarisch 
spricht; durch sie wären in drei Jahren 60,000 Häuser mit 300,000 Seelen ma- 
gyarisirt. Nach drei Jahren sollten jene 60,000 in andere 60,<XH) Häuser ver- 
setzt werden. Binnen 12 Jahren wären 1,200,000 Seelen magyarisirt. Für die 
Magyarisiruug einer jeden Familie bekommt ein solcher Soldat 15 FL G. M., 
deren Betrag vou 3,600,000 Fl. im Namen des Vaterlandes bezahlt würde. Um 
diese Summe herbeizuschaffen, möge 16 Jahre lang kein Landtag gehalten wer- 
den u. 8. w." Man glaube nicht, diese Albernheit sei Scherz; ähnliche Dinge, 
wenn auch noch so unglaublich, werden zur Wirklichkeit Auf S. 23 werden 
vier Männer namentlich aufgezählt, welche auf Befehl ihrer Komitatsregiernng mit 
64, 50, 40 und 24 Stockstreichen bestraft wurden, weil sie sich bei derselben 
beschwert hatten, dass in ihrer slawischen Gemeinde Lajos- Komaron ein magya- 
rischer Prediger angestellt sei, den die Gemeinde nicht verstehe. Solche und 
ähnliche Ereignisse erzählt der Verf. mehrere. Als Aktenstück über denselben 
Gegenstand wird dann der Recurs der Slawen in Ungarn an S. K. K. apostoL 
Majestät mit einigen Beilagen mitgetheilt, unter denen das Circulair des Grafen 
Zay an die vier protestantischen Superintendenten, eine der wichtigen Schriften, 
in denen die Magyaren ihre Pläne selbst darlegen, und ein Bericht über die 
Generalversammlung der protestantischen Superintendenten von 1841. Den Schluss bil- 
det ein Artikel: „Ungarische Missstsände", worin der letztere Gegenstand noch einmal 
gehörig hervorgehoben wird. Die „Zuschrift an den Herrn Grafen Szechenyi" (wie es 
anstatt Majlalh heissen soll) zeigt, dass es unter den Magyaren auch Männer gibt, welche 
den Kampf der Nationalitäten von einer billigeren und ruhigeren Seite ansehen. 

Die Stcllnng- der Slowaken in Ungarn, beleuchtet von 
Leo Grafen von Thun. Prag 1843. Calve. 63 S. Eine kleine, aber inhalts- 
schwere Brochüre. Graf Thun, der bereits im vorigen Jahre seine Stimme für 
ein in seinen geistigen Interessen falsch gewürdigtes Volk erhob, sucht auch die 
Bedürfnisse und die rechtlichen Ansprüche eines seiner Nation zunächst verwand- 
ten Stammes mit der ihm gewohnten Klarheit und Entschiedenheit darzustellen 
und zur öffentlichen Kunde zu bringen. In vorliegenden Blattern theilt er I.) den 
in Folge jener Brochüre entstandeneu Briefwechsel zwischen ihm und einem der 
Stimmlührer der Magyaren mit und benutzt dann II.) in einem „Ueberblick" 
diese Corrcspondenz, „um die Stellung der Slawen in Ungarn der ihnen feind- 
lichen Partei gegenüber anschaulich zu machen." Pulszky ist durch jene Cor- 
respondenz gezwungen worden, über manche Dinge sich genauer auszudrücken, 
gegen seine und seiner Genossen Gewohnheit: „Hoch in den Lüften sich zu 
hallen, mit allgemeinen Phrasen zu discutiren, die einen Anstrich von historischem 
Scharfblick und politischer Weisheit haben. So kann man das Publikum doch 
eine gute Weile unterhalten, ohne die Schwäche seiner Sache zu verrathen 
und allenfalls sogar, ohne sie selbst zu bemerken. — Wo man nicht mit 
schlagenden Beweisen gerüstet ist, da ist es immer eine missliche Sache, ins 

Digitized by Googl 



Einzelne einzugehen; darum war es für Herrn von Pulszky gewagt, die schreck- 
lichen Folgen, mit denen Ungarn von dem Slawismus bedroht ist, so bestimmt 
auszusprechen." (S. 39). So hat er auf die Frage, oh es den Slawen in Un- 
garn gestattet sein solle, „dass sie sich als Slawen fühlen, und dass dieses Ge- 
fühl ihre sittliche und geistige Entwicklung durchdringe", freilich mit einigen 
Windungen und Verzerrungen eine Antwort geben müssen, deren kurzer Sinn: 
„Nein" ist. Ausserdem lehrt seine Antwort, dass die Magyaren von den Slawen 
und natürlich auch von den Wallachen und Deutschen nicht weniger verlangen, 
als dass sie jede geistige Entwicklung in ihrer Sprache aufgeben, so wie sie be- 
reit sind, nach Kräften sie hierzu zu zwingen. Als Yertheidigungsargnment die- 
ser Handlungsweise habe Pulszky, und mit ihm seine ganze Parlhei, trotz der 
direkten Forderung weiter nichts anzuführen gewusst, als „das abgedroschene 
Gerede, dass der Slawismus die Südslawen dem russischen Koloss in den Rachen 
jage"; und dennoch ist es des Grafen innigste Ueberzeugung , „dass nichts mehr 
geeignet ist, der Möglichkeit russischer Uebergriffe entgegenzuwirken, als ein 
nationaler Aufschwung der nicht unter russischem Scepter stehenden Slawen- 
stamme." Die Berufung auf das Beispiel anderer Länder, auf England mit Wa- 
les, ist unstatthaft, weil dort das Verhältniss ein ganz anderes, die celtische Be- 
völkerung kaum noch in einzelnen Oasen zu 1000 Köpfen vorhanden, und überdies 
die Engländer so human sind, die Sprache selbst dieser geringen Ueberreste zur 
Bildung der gänzlich, verarmten Bevölkerung anzuwenden, wie aus dem Beispiele 
des Bischofs von St. Davids, E. Thirlwall, dargethan wird. Analoger ist die 
Stellung der Elsasser in Frankreich. Eine Berufung auf diese „ dürfte aber, zu- 
mal vor einem deutschen Publikum, heutzutage ein höchst unglücklicher Recht- 
fertigungsversuch sein." Uebrigens herrscht in Frankreich das Prinzip der Cen- 
tralisation und Gleichförmigkeit, in Ungarn das der Selbstregierung und unbe- 
schränkten Freiheit der Gemeindeverfassung. Die Berufung auf das Gesetz, dass 
die magyarische Sprache an die Stelle der lateinischen treten solle, wird eben- 
falls zurückgewiesen, weil es jedenfalls unmoralisch und mithin dem Sinne des 
Rechtes zuwider ist, jenes Gesetz so weit auszudehnen, dass in Folge dessen auch 
in den reinslawischen Schulen das Magyarische als Unterrichtssprache angewen- 
det werden solle. Die Ursache dieser Bestrebungen liegt also „nicht in Ver- 
nunftgründen, sondern — wie aus dem Tone der Reden, aus der 
Art des Vorganges zu entnehmen ist — in einein krankhaft über- 
spannten Nationalgefühl, in blinder Leidenschaft." Wohl eher noch 
könnte als der tiefliegende und theils geahnte, theils wirklich erkannte Gedanke 
die Magyaren zu solcher Wulh gegen alle anderssprechenden Ungarn veranlassen, 
die Magyaren könnten bei ihrer geringen Zahl, bei ihrer schwachen und isolirten 
Stellung in Europa, einer nationalen Auflösung nicht länger widerstehen, wenn 
die sie umgebenden zahlreichen Slawenstämme einmal zu geisteslhäligem Leben 
erwacht wären; und diese Besorgniss macht sie taub gegen die Stimme der Ver- 
nunft und der Gerechtigkeit. Der Verf. fordert dann die Slowaken, als die gei- 
stig am weitesten Vorgeschrittenen, zu einem kräftigen Widerstande auf, den sie 
am meisten dadurch leisten würden, wenn sie durch „Schrift oder Rede den Sinn 
des Volkes wecken und seinem Geiste gesunde Nahrung bieten." Zum Schlüsse 
erkennt der Verfasser in dem Sprachkampfe in Ungarn nicht eine blos ungarische 
Angelegenheil; aus der Haltung, welche die Regierung hierbei behaupten werde, 
würden auch die übrigen Provinzen des öslrcichischen Staates entnehmen können, 
welches Prinzip dieselbe in Hinsicht der sprachlichen Verschiedenheilen befolge. 

t p n r o h o M c m P u q c c k a n c i> e m k a : Trigonometrischer Abriss 

der Gubernicn: Petersburg, Pskow, Wilebsk und eines Theils vonNowgorod. Auf aller- 
höchsten Befehl vollzogen vom Generallieulenanl Schubert von 1820 — 1832. 
Petersburg, Kraj 1842, drei Bände. Der erste Band enthält die Ausmessung der 



Digitized by Google 



Grandlinien und der geodesischen Winkel. Aaf den beiliegenden drei Tafeln sind 
die Werkzeuge abgebildet, mittelst welcher die Grundlinien au sgem essen wurden, 
so wie die pyramidalischen Signalstangen, von denen die Winkel bestimmt wur- 
den. Der II. Theil enthalt die astronomischen Beobachtungen, nämlich die Be- 
stimmung der geographischen Breite und der Azimuthe in St. Petersburg, auf 
der Insel Hochland, in Pskow und Nowgorod, in Tarasow, auf dem Poklonaberge 
bei Weliki-Luky, in Teljatnikow und Zwony. Der III. Band endlich enthalt die 
Aufzahlung der Dreiecke aller drei Ordnungen, die der Coordinaten, der Breiten 
und Längen und ein alphabetisches Register der trigonometrischen Punkte in den 
Gubernien Petersburg, Pskow, Witebsk, Nowgorod, Wyborg, Eslhland, Liefland, 
Smolensk, Mogiljew, Minsk, Kurland und Wilno. Am Ende ist ein Plan des 
Netzes aller Dreiecke der ersten Ordnung beigegeben. Das Werk ist entschieden 
eines der wichtigsten in Russland. Von den Grundlinien (Basen) sind bisher Tier 
ausgememessen. Die erste auf der Moskauer Strasse, an dem Dorfe Czetyri- 
Ruki, wurde im Jahre 1820 Tom 26. Mai bis 22. Juli von Walchowski, Dügamel, 
Korf und Riesenkampf gemessen ; die Länge derselben beträgt 4841,384s Saien oder 
mehr als 9 1 /* Werst. Die zweite Basis ist im Nowgoroder Gubernium an dem Gute Us- 
polonja nach der Richtung des Thurmes, gemessen vom 22. Mai bis 2. Juli 1824, 
Lange 4137,587 Saien oder über 8 Werste. Die dritte Basis ist wieder auf der 
Moskauer Strasse; sie wurde von Dügamel und Worobjew in 28 Tagen mit Rei- 
chenbachschen Instrumenten gemessen und hat die Länge von 4911,398 S. oder 
mehr als 9 Werste. Die vierte Basis ist im Gouv. Witebsk, in der Nähe des 
Stiddiens Oswea; gemessen vom 15. Juni bis 22. Juli 1831 von Worobjew I. 
und IL; die Länge 5227,o»4 S. oder mehr als 10 Werste. Seit 1826 gebrauchte 
man auch Instrumente you Erlel in München. 



VI. 

Specielle literarische Uebersicht. 

A* Bibliographie. 



I. Polnische Literatur. 

a) Wissenschaften. 

34. Kurs publiczny Sztuki woj* 
skowej: Oeffentticher Lelirkurs <ler Kriegs- 
kunst von J. WysockL Paris 1842. I. Thl. 
277 S. mit 5 Tafeln. 

35. Kompas Polski: Polnischer Kora- 
pass, oder Instrument, das die Stelle eines 
gewöhnlichen Kompasses, eines Gnomono- 
graph's, eines tragbaren Observatoriums und 
eines Instruments zum Zeichnen von Kegel- 
schnitten vertritt. Konstituirt u. beschr. von 
Wojt. JastrzqOowski. Dieses von dem Ver- 
fasser bereits 1827 erfundene und durch öf- 
teren Gebrauch ab zweckmässig bestätigte 
Instrument scheint von Interesse für die Wis- 
senschaft. 

36. 0 Uregulownniu stosunköw wto- 
6cianskich: die Kegulirung der bäuerlichen 
Verhältnisse im Grossherzogtbum Posen. 
Nach Bedürfniss eingerichtet von 
Leipzig, librairie ctrangere. 



37. Mysli O wychowaniu Kobiet; 
Gedanken über die Erziehung der Frauen, 
von E. Ziemi^cka. Warschau 1843. 347 S. 

38. Pisma historycznet Iiistorische 
Schriften von Mich. Bnhnski. Warschaw 1843. 
4 Thle. I. 318, II. 302, III. 209, IV. 138 S. 
Die beiden ersten Bände enthalten Memoiren 
üb. die Königin Barbara, Gemahlin Sigmund 
Augusts, mit Zusätzen; III. J. Woljan, sein 
gelehrtes u. Öffentliches Wirken; J. Potocki 
als Reisender, Schriftsteller und Historiker; 
IV. Gründung des Klosters der P. Kapuziner 
in Warschaw; Erinnerung an einen lag auf 
Reisen in der Heimath; die Privilegien der 
Stadt Janowiec; Krewo, ein altes Schloss in 
Lithauen. % 

39. Najdawniejsze pomniki: Die 
ältesten Denkmäler des polnischen Volkes. 
Von Wolantki. 1. Hft. Posen 1843. 

40. Piasty: Die Piasten, histor. Skizze 
von K. 8. Pari« 1842. 243 S. 18. 

41. Historyczny Obraz: Historisches 



Digitized by Googl 



289 



Bild der Stadt Labiin. Von 8. Z. 8iernin»h. 
II. vermehrte Aull. Mit einer Stadtchronik 
u. 3 Ansichten. Warsch. 1843. 244 S. 8. 

42. Stosunek Ksisjza^cego domu: 
Verbindung des fürstlichen Hauses Radziwill 
mit den fürstlichen Häusern Deutschlands. 
Von Eichhorn ; in's Polnische von Rzyszczew- 
ski. Warsch. 1843. 156 S. 

h) Belletristik. 

26. Przed&wit: Dämmerung vor dem 
Tagen. Gedichte von K. Gaszynski. XXI 
und 54 S. 8. Paris. 

27. Klosek: Eine Aehre. Gedichte von 
A. Gorecki. Paris 1843. 

28. P o e z y e : Poesien von J. J. Krnszew- 
ski. 11. vermehrte Aufl. Warsch. 1843. IT. 
Tht. 291, 256 S. 8. Gedichte aus den Jah- 
ren 1834—38 enthaltend. 

29. Pie&ni ostatniego Minstrela: 
Die Lieder des letzten Minstrel. In's Poln. 
irbers. von A. E. Odyniec. 4 Bde. Wilno 
1842. Eine tüchtige TJebersetzung. 

30. Wernyhora: Der Seher im Grenz- 
lande von Czajkoweki. 2. Aufl. Paris 1842. 

31. Zborowscy: Die Zborowsker; Bild 
aas dem häuslichen Leben der Polen in der 
2. Hälfte des XVI. Jahrh. Vom Verf. des 
Starost Rabtzlynski. Warsch. 1843. II Thl. 
286, 334 S. 

32. JanPienia.2ek: (Jan Pfenniglieb?), 
Volkserzählung nach einer historischen Sage 
aus dem XV. Jahrh. von J. A. Miniszewski. 
Warsch. 1843. 3 Thle. 312, 366, 348 S. 

33. Fregata Nadzieja: Die Fregatte 
„Hoffnung** von Marlinski, in's Poln. übers, 
von M. Siarzputowski. Warsch. 1843. 2 Th. 
162, 192 S. - Spekulation? 

d) Vermischte Schriften. 

12. Podröze,Przejazdki i PzechadZ- 
ki : Reisen und Streifzüge durch Europa von 
Dr. L. Piotrusinski. Warsch. 1843. 11 Thle. 
424 u. 575 S. 

13. Wieczory Pielgrzyma: Abende 
des Pilgers; moralisches, literarisches und 
politisches Mancherlei vonSf. Witwicki. Pa- 
ris 1842. II. Bd. 

14. O Ary stokraeyi: Von der Aristo- 
kratie, der Demokratie und dem Liberalis- 
mus in Polen. Einige Worte von Wollow- 
9ki. Posen 1843. 

15. Wiadomofici do kosciofa Ka- 
tol: Nachrichten über die kathol. Kirche in 
Kussland. 2 Thle. 1843. Posen. Stefa n ski. 

II. Russische Literatur. 

a) Wissenschaften. 

49. Cboai>: Zusammenstellung der Ver- 
ordnungen üb. männliche u. weibliche Haus- 
lehrer und Erzieher. Moskwa 1843. 61 S. 

50. 06t> ycoBepuiencmsoBanun ,4}iiih: 
Von der Vervollkommnung der Seele oder 
der moralischen Erziehung. Aus dem Poln. 



Pefcrsb. 1843. 8. 104 8. Die Rassen sind 

pfiffiger als die Polen; sie fangen an, die 
guten Schriften ihrer Nachbarn sich anzu- 
eignen» 

51. Cmeiuflnun Vjcb: Der gläserne Bie- 
nenkorb, oder Darstellung der interessante- 
sten Erscheinungen aus der Naturgeschichte 
der Bienen. Von N. Witwicki. Petersburg 
1843. 175 S. Der Verf. hat die Beobach- 
tung der Bienen zu seinem Lebenszweck ge- 
macht und 40 Jahre seines Lebens darauf 
verwendet; dass ein solches Buch höchst 
werthvoll sein muss, ist klar. 

52. rnpnoe ncKycniBo: Bergwerkskunst. 
Handbuch für die Zöglinge der Bergwerks- 
schule der Grälin Stroganow. Petersburg, 
Fischer. 1842. 8. 60 S. Dieses Institut 
hat bereits eine Probir- und eine Markschei- 
derkunst für seine Zöglinge herausgegeben. 
Es sind das seit Langem die ersten wissen- 
schaftlichen Schriften von etwas grösserem 
Werth für dieses Fach. 

53. Mnmepin.«.i : Materialien zur Zusam- 
menstellung von Lehr- u. Handbüchern für 
die Militairschule. Allgemeine und russische 
Geschichte. I. Buch: Geschichte der alten 
asiatischen und afrikanischen Reiche. Von 
J. Schulyin. Ptrsbg. 1843. 144 S. Den et- 
was geschraubten Styl abgerechnet ist das 
Buch seinem Zwecke recht entsprechend. 

54. yqeÖuaH KHitra: Lehrbuch der allge- 
meinen Geschichte. Von Kajdanow. Ge- 
schichte des Mittelalters. Dritte verb. Aull. 
Ptrsbg. 1843. Zernakow. 

55. lipo BbMoe: Ueber das Gewesene im 
rechtgläubigen Russien. Ein Buch für le- 
sende Leute. Von Ijubimow. Ptrsbg. 1843. 
92 S. Ein Volksbuch über die Geschichte 
Russlands, das am besten beweist, wohin 
die gegenwärtige Literatur ihre Richtung zu 
nehmen strebt. 

56. 3amicBH : Memoiren des seligen Kolecz- 
kin. 1843. Abo. Giel. 236 S. 

57. lloan'h rposubiu : Johann der Schreck- 
liche und Stephan Batory von A. A. Zweite 
Aull. Moskwa 1843. 4 Bände. 

5S. reorpaOniecKifi Anuacb: Geographi- 
scher Atlas der alten Welt. Zum Gebrauche 
des Geschichtsstudiums für Gymnasien. Von 
8. Bnranowski. Petersburg 1842. Kraj. 18 
S. Text und 8 Tabellen. Diese historischen 
Karten sind von ungemeiner Wichtigkeit, 
weil sie für jeden Zeitraum der Geschichte 
ein synchronistisches Bild geben, das sich 
dem Gedächtnisse am leichtesten einprägt. 
In Russland ist ein solcher Atlas um so 
noth wendiger, weil die frühern Unterneh- 
mungen theils unzugänglich, theils veraltet 
sind. 

59. Vie6ubie PyKOBo^cmBa: Lehr -Hand- 
bücher für die Militairschulen. Geographie. 
Von N. J. Sokolowski. Zwei Thle. Dritte 
Aufl. Ptrsbg. 1843. 177 und 365 S. So 
ziemlich das beste Lehrbuch in Russland. 

60. reorpoftia Porom: Geographie von 
Russland für Kinder. Mit 4 Karten. Von 
IXStudicki. Ptrsbg. 1843. Borodin. 120 



« 



Digitized by Google 



S. Die Methode des Verf., den Kindern die 
Geographie von ihrem Wohnorte ausgehend 
beizubringen, ist gewiss zweckmässig und 
das Buch, dieser Methode angemessen, 
brauchbar. 

61. Cinamocmn na : Statistik des polnischen 
Carthums (doch wohl des Königreichs?). 
Auf allerhöchsten Befehl zusammengestellt 
vom Kollegienrath Zawdjejski. Ptrsbg. 1*42. 
Eine detaillirte Darstellung mit 28 üeber- 
8ichtstabellen. 

62. CoKpara,enHa»r PyccKan TpaMMamuKa: 
Kurze russische Grammatik von AI. Wostokow. 
Aus der vierten Auflage zum zweiten Male 
abgedruckt. Moskwa 1843. 163 S. 

63. rpaMMamuMecKiH Dcch^w: Grammati- 
sche Unterhaltungen, herausgegeben von E. 
Ohlehop. Russische Sprache. Ptrsbg. 1943. 
XV u. 12S S. Eine Grammatik für Deutsche, 
welche jedenfalls unter den bestehenden die 
beste sein soll. 

64. Kypcb: Lehrkursus der praktischen 
russischen Landwirtschaft. Von Schelechow. 
2. Lieferung. Vom Ackerbau. I. Buch. Pe- 
tersbg. 1843. 07 S. Eines der bessern Bü- 
cher unter den vielen, welche gegenwärtig 
in Russland über diesen Gegenstand ge- 
schrieben werden. 

65. Anwarb : Atlas der freien kaiserlichen 
ökonomischen Gesellschaft 1842. Band IL 
Lieferung 2. Mit 5 Zeichnungen. 

66. 3nu^tK.ione^ia : Kncyklopädie einer 
erfahrenen russischen Hausfrau in der Stadt 
und auf dem Lande. Von B. Woliin. Pe- 
tersburg 1842. 2 starke Theile. 

67. Kypcb: Lehrkursus der Forstwirt- 
schaft. Yon Dlatoufki. Ptrsbrg. 1643. X 
u. 440 S. Auf Kosten des Apanagen -Mini- 
steriums. 

b) Belletristik. 

32. CmxomBopcuia : Dichtungen von M. 
Lermonfow. Ptrsbg. Glasunow. 1642. 3 
Thle. 12. I. 209, II. 229, III. 1S8 S. Eine 
vollständige Sammlung der Geistesprodukte 
dieses hervorragendsten unter den russischen 
Lyrikern der Gegenwart, in die Alles auf- 
genommen wurde, was von demselben auf- 
zufinden war, selbst das, was er bei der 
Gesammtauggabe seiner Gedichte (1840) un- 
terdrückte. 

33. yBpaarb: Ouvrage, Gedichte von 
K. Skosyrjew. In 2 Abtb. Moskwa 1842. 
Smirnow. Schlechte Gedichte! Mit franzö- 
sischem Titel! — O weh! 

34. ro.u> Xumpa: Noth bricht Eisen. Er- 
zählung von P. M. In zwei Theilen. Pe- 
tersbg. 1843. 35 S. Besser, als des Verf. 
frühere: „Der Mann unter der Decke" und 
„Die Tochter des Gouvernementsecretairs." 
Leider zu schnell nach jenem! Doch aber 
lebendig und voll Interesse. 

35. flau-h IaroiKtiHcKio : Herr Jagoiinski 
der Renegat und Rächer. Historischer Ro- 
man nach alten polnischen Sagen von A. P. 
Zweite Aufl. Moskwa 1643. Smirnow. 3 



Theile. Es scheint, als gäbe man in Russ- 
land die zweite Auflage vor der ersten heraus. 

d) Vermischte Schriften. 

1. IIoaHbiu ooaop-b: Vollständige Ueber- 
sicht der Werke Friedrich Schillers. Von 
J. A. 8. Moskwa 1843. Semen. 109 S. 
Der Herausgeber der „Aurora" (im Jahre 
1605) gibt unter diesem Titel drei Artikel: 
Das Leben Schillers, Uebersicht seiner Werke, 
Voltaire und Rousseau. Wie die beiden 
Letztern zu Schiller kommen, weiss man 
natürlich nicht. Das Buch bietet manche 
Kuriositäten. 

2. Coßpanic: Sammlung von Gedichten 
aus den besten vaterländischen Schriftstel- 
lern. Für Kinder. Ptrsbg. 1843. 162 S. 

3. Beunas Pyccaaii Xpecmoaiamia : Voll- 
ständige russische Chrestomathie. Von A. 
Gaiachow. I. Th. Wohlredenheit. XXI u. 
375 S. II. Poesie. V u. 434 S. Moskwa 
1843. Semen. Kine der tüchtigsten Samm- 
lungen, in welcher das Beste aus der rus- 
sischenschönen Literatur zusammengestellt ist* 

4. AneKAonibi: Anekdoten des russischen 
Kaisers Peter des Grossen und der berühm- 
ten Männer aus seiner Regierung. Moskwa 
1643. Lasarew. 111 S. 

5. CmpamereMbi: Strategemata von Po- 
liaen. Aus dem Griechischen von Dim, 
Pappadobolo. Ptrsbg. 1842. 575 S. Wozu? 

III. 

Serbisch -illyris che Literatur. 

a) Wissenschaften. 

1. Bogoljubnost: Andacht an dem 
Feste der heil. Jungfr. Maria. Agram 1842. 
Gaj. 83 S. 10 Kr. C. M. 

2. Ka3biBatrB ernapw WpeGbmaua: (Er- 
zählung der alten Ereignisse ?) und des Ar- 
chivs des Serdar Malischa und des Kapetan 
Boiek Bucic-Nikitic. Belgrad 1843. Staate- 
druckerei. 

3. CnoMeHH Hapo^a Cpöcitor : Erwähnun- 
gen des serbischen Volkes bei den byzanti- 
nischen Schriftstellern. Ges. u. heran sg. von 
J$. Nikolic. (Mit einer Ethnographie und 
Karte). Ofen 1843. Üniversit-Druckerei. 

4. H^LÜpn h CepCiti: Illyrer und Serben, 
oder: Erforschung der Nationalität des alt- 
bewohnten Illyrikum. Mit Namen, Schrillen 
und Schreibeweisen der heutigen Serben. 
Von Etut. Michajlovie. Neusatz 1843. Jan- 
kovic. 

5. ,4oKa3biBaHHb : Beweis, dass die sla- 
wischen Nationen noch vor Kyrill u. Method 
das Christenthum angenommen haben. Aas 
d. Rnss. des Wenelin von Dim. P. Tirol, 
Belgrad 1841. Staatsdr uckerei. 

6. Zemljopis pokrajinach Ilir- 
skih: Erdbeschreibung der illyrischen Län- 
der oder Uebersicht des Landes, in welchem 
das illyrisch -slawische Volk wohnt u. s. w. 
Mit einer kurzen bist Skizze u. einer Mappe. 



Digitized by Googl 



201 



Von Dmg. F. Seijan. Thl. I. Die östreich.- 
illyrischen Lander. Agram 1843. Gaj. 

7. Pogled u Bosnn: Ein Blick nach 
Bosnien, Reise in dieses Land im J. 1841. 
Von einem Einheimischen (Illyrier). Agram. 
Gaj. 1843. 20 Kr. C. M. 

8. Hapn,yie cp6cKe npnnoBe,\nc: Serbische 
volkstümliche Sprichwörter. Ges. u. her- 
ansgeg. von Mh. NikoUe. 1. Heft Belgrad 
1842. Staatsdruckerei. 

9. CpöcKa rpasramRa: Serbisclie Gram- 
matik von J. Popovic. Neusatz 1842. Jakovie. 

lO.NemaCko-ilirskiSlowar: deutsch- 
illyrisches Wörterbuch, zusammengestellt von 
J. Mazuranii und Dr. J. Uzarevic. Agram. 
Gaj 1843. 486 S. fein. Vel. P. 5 Fl. C. M. 

b) Belletristik. 

1. RazliCite dela: Vermischte Schrif- 
ten von Jo. Kukuljevic Satkinski. II. Theil. 

1842. Agram. Noch sollen 3 Bände folgen. 
Der Band kostet 40 Kr. C. M. 

2. Dramaticki prevvoddi: Dramati- 
sche Uebersetzungen für d;,s nationale Thea- 
ter von Ilia Rukavina Ljubatki. 2 Bände. 
Triest 1843. Marenid. 

3. Cp6cna 3npa: Serbische Morgenröte. 
Episches Gedicht von Mil. Radojcic. Ofen 

1843. Universit.-Drnck. 

4. BacKpcb Vcmaßa Cepöia: Entstellung 
des serbischen Üstav (Grundgesetz) u. des 
nationalen Rechtes. Episch. Gedicht in drei 
Abtheil, von Sim. Milutinovic Sarajlia. Bel- 
grad 1843. 

5- AMaHenTb Ha Äe.mrpMy : Das Pfand 
in Deligrad (V). Episch. Gedicht von Atlt. 
NikoUe. Belgrad 1630. 

6. (UvcoH-hmi. : Widerrathung an Georg 
Grozdanovic. Von Sim. M. (Milutinovic) 
Sarajlia. Belgrad 1843. 

7. Oaivbot» na npeBpam-b CepGia: Erwide- 
rungslied auf den Umsturz Serbiens (?). Von 
Sim. M. Sarajlia. Belgrad 1843. 

8. Bociwb: Basilikum. Poetische Schrif- 
ten von Dr. J. Subotic. Ofen 1843. Univers.- 
])ruck(*rc*i« 

9. Pesni: Lieder v. 1w. Ternski. Agram 
1642. Gaj. , /0x 

10. Pesmarica: Liederbuch (<)• 
Samml. Heimathliche Lieder, herausg. von 
D. R. u. L. V. 2. Aufl. Agram. Suppan. 

1642. Preis 20 Kr. C. M. 

Enthält 73 Lieder von 29 Liederdichtern. 

11. Domorodne povesti: Heimische 
Erzählgn. Yon Dragojla Jarnevitem. Agram 

1643. Gaj. 

12. HacoBH o^Mopa: Musestunden zum 
Nutzen und zur Erheiterung der serb. Ju- 
gend dargeboten aus verschiedenen deutschen 
Autoren von Thom. %ivanovic. Belgrad 1843. 
1. Heft. , . . 

13. Codoredna Zabawa: Unterhal- 
tungen ans dem Auslande. Aus dem Deut- 
schen übers. Herausgegeben von Tladovit. 
Agram 1843. 20 Kr. C. M. Dem noch: 

Slaw. Jahrb. I. 



„fudnovate Diple" o. „Mladiö u smcsicah" 
folgen soll. 

14. Paasaanne: Die Ruinen der Feste 
Drudenstein. Aus dem Deutschen Ubersetzt 
von J. Michajtoviv. Segedin 1842. 

d) Periodische Schriften. 

1. Kolo: Kreis. Artikel über Literatur, 
Kunst und Nationalleben. Herausgeg. von 
D. Rakouac, Lj. Vukatiuovic und St. Vraz. 
Buch I. n. II. Agram 1643. Gaj. 

2. BnuKa Bh.m: (Nymphe von Bali). 
Zweites Heft. Herausgegeben von Dr. Pet. 
Jovanoviu. Neusatz 1842. Jankovie. 

3. .lioGwncih npncB-lmiTeiiiji : Freund 
der Aufklärung. Serbisch-dalmatinisches Ma- 
gazin. Herausgegeb. von Georg Nikolajevid. 
Zara 1642. Gebrüd. Batar. 

IV. BTichtslawlsche Schriften. 

a) Wissenschaften. 

65. Russische Gesetze, Ausländer 
betreifend. Aus d. russ. Codex entnommen. 
Von J. Philippi. Berlin 1843. Ascher. (108 S.) 

66. Abhandlungen der königl. böhmi- 
schen Gesellschaft der Wissenschaf- 
ten. 5. Folge. 2. Bd. Von 1641 — 1842. 
gT. 4. (VIII, 96, 54 u. 700 S. u. 9 lith. Taf.) 
Prag, Calve, 1843. 

67. Urkunden zur Geschichte des 
Fürstenthums Rügen unter den eingebor- 
nen Fürsten, herausg. u. mit erläuternden 
Abhandlungen über die Kntwickelung der 
rügenschen Zustände in den einzelnen Zeit- 
abschnitten begleitet von E. G. Fabricius t 
Bürgermeister zu Stralsund. 2 Bde. (1. Heft 
der Urkunden von 1193 bis 1260). Mit 2 
lith. Abbild, von Siegeln und Münzen. Stral- 
sund, Löfflersche Buchhdlg. 

68. Antiquites de Fotogne, de 
Lithuanie et de Slavonle par Lcletvel. Paris 
1642. 4 U . 

69. Poland historical, literary and 
pitoresque. In Heften v. Sobolnvski. New- 
York. 4. 

70. Mitteilungen aus dem Gebiete der 
Geschichte liiv-, Kstli- und Kur- 
lands, herausgeg. von der Gesellschaft für 
Geschichte und Altertumskunde der russi- 
schen Ostseeprovinzen. 2. Bd. 3.Hft. (Schluss 
des Bds.) 8. (8. Pag. u. S. 365 — 569.) 
Riga 1742, Kimmel. 

71. Necrolivonica, oder Altcrtliiimer 
I*tv-, Esth- und Curlands bis zur 
Einführung der christlichen Religion in den 
kais. russischen Ostsee-Gouvernements, zu- 
sammengestellt und historisch erläutert in 
einem untertänigsten Generalberichte über 
seine auf Allerhöchsten Befehl im J. 1839 
ausgeführte archäologische Untersuchungs- 
reise, nebst mehrern wissenschaftlichen Ex- 
cursen u. vielen Lithographien von Alter- 
tümern, Plänen und Karten. Fol. Von 
Dr. Fr. Kruse. (93'/i Bogen und 47 Stein- 
drncktaf.) Dorpat 1842. 

39 



Digitized by Google 



292 



72. Die russischen Ostseeprovinzen Kar- 
land, liivland u. Ksthlnnd nach ihren 
geographischen, statistischen n. 

übrigen Verhältnissen dargestellt von Prof. 
Dr. P. A. Possart. 1. Th.: Statistik and 
Geograghie des Gouvernements Kurland, 
gr. 6. X u. 355 S. Stuttgart, J. J. Steiu- 
kopf. 1843. 

73. Das Kaiserreich KusNland. Sta- 
tistisch - geschichtliche Darstellung 
seiner Kulturverhältnisse, namentlich in land- 
wirtschaftlicher, gewerblicher und kommer- 
zieller Beziehung, von Kreil). Friedr. Willi, 
v. Reden, gr. 8. (XII u. 614 S.) Berlin, 
Mittler. 1843. 

74. Dainos, od. UthnuiNChe Volks- 
lieder. Gesammelt, übersetzt und mit 
gegenüberstehendem Urtext herausgeg. von 
/« J. Rhesn. Nebst einer Abhandlung über 
die litthauischen Volksgedichte, u. musikal. 
Beilagen. Neue Aull. Durchgesehen, be- 
richtigt u. verbessert von Friedr. Kurschat 
u. s. w. Berlin, Enslin. 

75. Finland und die Finlander. Aus 
dem Russischen von F. Derschau. 8. (VI 
u. 132 S.) Leipzig, Hinrichs'sche Buchhand- 
lung. 1843. 

76. Kreis-Karten der preussit*chen 
Monarchie. 9 Liefergn. Berlin 1843, Hey- 
mann. 

77. Cours de Ia literature slave 

d'^Jnm Mickiewicz. 3. an nee (1642—1843). 
Paris. 4. authogr. 

78. Vollständiges Deutech - Böhmi- 
sches Wörterbuch, von J. Franta 
Schumnwshif. Hft. 1. (A — Aufr). gr. 8. 
(192 S.) Prag 1843. Kronberger. 

79. Hülfsbuch bei der Conversation 
in uneariNfher, deutscher und französi- 
scher Sprache; oder Anleitung, sich im 
gesellschaftlichen Umgänge über alle im Le- 
ben vorkommenden Gegenstände in diesen 
drei Sprachen richtig und elegant auszu- 
drücken. Mit einem Anhange, eigentüm- 
liche Redensarten, Sprichwörter und Titnla- 
luren enthaltend. Aus den neuesten u. besten 
Hülfsmitte-In der Deutschen und Franzosen 
zusammengestellt u. mit ungarischem Texte 
versehen von Emmerich Mntics. gr. br. 12. 
(XII u. 239 S.) Pressburg, C. F. Wigand. 
1643. 

b) Übersetzungen. 

5. Vorlesungen über slawische Li- 
teratur und Zustande. Gehalten im 
College de France in den Jahren von 1840 
— 1642, von Adam Mickiewicz. Deutsche, 
mit einer Vorrede des Verf. versehenen Ausg. 
(in 2 Th. oder 4 Abth.) 2. Th. 1. Abth. 
gr. 12. (S. 1 — 240). Leipzig, Brockhaus 
ii. Avenarius. 1843. 

6. Oeuvres de Mickiewicz. Trad. 
nonv. par C. Ostroteski. Paris 1842. I. Bd. 

7. KaNloWj Puschkin, Lermon- 
tow. Eine Sammlung aus ihren Gedichten. 
Aus d. Russ. v. Fr. Bodenstedt. Leipzig, 
Kollmann. (162 S.) 



c) Vermischte Schriften. 

38. Thaddäus Koscluszko. Hi- 
storischer Roman von Heribert Rau. 3 Thle. 
8. (VIII u. 380, VIII u. 508, VI u. 393 S.) 
Leipzig , Kollmann 1843. 

39. Panslawismus* Eine Improvi- 
sation als Sendschreiben an den Grafen 
Adam Gurowski, von A. Mauritius, gr. 8. 
(47 S.) Leipzig, Binder. 

40. Verlolgung und Leiden der kathol. 
Mir che in KuSMland. Mit noch unge- 
druckten Dokumenten. Von einem ehemali- 
gen russ. Staatsrate. Aus dem Franz. von 
M. Zürcher. Schafihausen 1843. Hurter. 

41. La France* la Pologne, le sla- 
vianisme et la dynastie polonaise par V. 
Jablomaski. Paris 1842. 279 S. 

42. Oesterreich und dessen Zukunft. 
3. Aull. 8. (VI u. 208 S.) Hamburg, Hoff- 
mann u. Campe. 1643. 

43. Deutsche Worte eines Oester- 
reichers. 8. (VI u. 212 S.) Hamburg, 
Hoffmann <& Campe. 1843. 

44. Oesterreichs Schul - u. Stu- 
dienwesen, mit besond. Rücksicht auf 
die Schul- und Studienanstalten im Erzher- 
zogtum Oesterreich unter der Enns. Von 
Graf von Harth - Uarthenheim \ in 2 Abtheil. 
Wien, Braunmüller. 1843. 

45. HühiueitN Provinzialzustiin- 
de auf dem Schaltbrett; der Oeffentlichkeit. 
Vom Verf. der Schrift: Oestreich und seine 
Staatsmänner. Leipzig 1843. Phil. Reklam. 

46. Die Graten Kaspar und Franz 
Sternberg und ihr Wirken für Wissen- 
schaft und Kunst in Böhmen. Ein Vortrag 
von Fr. Palaiky. Prag 1843. Kronberger. 

47. Die Stellung der Slowaken in 
Ungarn von Leo Graf von Thun. gr. 8. (63 
S.) Prag, Calvesche ßuehh. 1843. 

46. Verteidigung der Deutschen u. 
Slawen in Ungarn. Die Kehrseite 
der Vierteljahrsschrift aus und für Ungarn, 
von C. Heda. gr. 8. (IV u. 117 S.) Leip- 
zig, Binder. 1843. 

49. Die IBcNchwerden und Klagen 
der Slawen in Ungarn üb. die gesetz- 
widrigen Uebergriffe der Magyaren. Vorge- 
tragen von einem ungarischen Slawen, gr. 6. 
(IV u. 89 S.) Leipzig, Binder. 1843. 

50. Die ungarischen Publiclstem 
über die Brochüre: „Ein Haupthindernis» 
des Fortschrittes in Ungarn." Von Dr. 
Wildner v. Maithstein. Wien 1843. Gerold. 
8. (87 u. 47 S.) 

51. Stimmen aus Ungarn» angeregt 
durch den bevorstehenden Landtag. Mit be- 
sonderer Rücksicht auf die jüngst erschie- 
nene Schrift: „Oestreich und dessen Zu- 
kunft." 8. (90 S.) Erlangen, Palm'sche 
Verlagsbuchh- 

52. Entwurf eines Strafgesetzbuches 
für das Königreich Ungarn und die damit 
verbundenen Tlieile. Durch eine Reichsde- 
putation in den Jahren 1841 — 1843 ausge- 
arbeitet. Aus dem ungarischen Originaltexte 



Bigitized by Google 



£93 



ubertragen. 2 Tille, gr. 8. (VIII u. 183, 
IV u. 136 S.) Leipzig, Frolilierger. 1843. 

53. Vierteljahrsschrift aus und für Un- 
garn. 1843. 3. Bd. 1, Hälfte, gr. 8. (IV 
u. 208 S.) Leipzig, G. Wigand in Comm. 
Reine Partlieischrift. 
53. Die louilmrdiflche Geineinde- 



verfASSnng nach ihrer Entstehung und 
Ausbildung, ihrem Verfalle und ihrer Wie« 
derherstellung von Carl Czoenwj , Direktor 
des statistischen Bureaus. Beiiageheft zur 
krit. Zeitschrift für Hechts- u. Gesetzgebung 
d. Auslandes. (XV. Bd.) gr. 8. (135 S.) 
Heidelberg, Mohr. 1843. 



S) Zeitschriftenrevue. 



Leipziger Allgcm. Zeitung, Marz 
bis Mai. Nr. ßö. Aus Moskau verwundert sich 
Jemand , „ dass man in dem intelligenten 
Deutschland, zu Stuttgart, erst jetzt das 
mündliche Verfahren bei einer Art Handels- 
process versuchte (wohlgeinerkt, versuchte), 
während doch sogar bei unserm hiesigen 
Handelsgericht schon seit 10 Jahren das 
mündliche Verfahren in üebung ist. 4 * Wir 
setzen hinzu , dass dies Verfahren im alt- 
slawischen Rechte schon begründet und in 
Russland, sowie in anderen slawischen Län- 
dern niemals ganz ausser Gebrauch ge- 
kommen ist. — Nr. 68. Die Nationalcon- 
flicte in Oesterreich eng zusammengedrängt. 
Nr. 69. Eröli'nung des Landtages von Posen 
und Angabe der 8 königlichen Propositionen. 
Nr. 73. Beilage. Verteidigung des polnischen 
Adels gegen Aristokratismus und Herrsch- 
sucht. — Nr. 74. Böhmen vom deutschen 
Standpunkte aus. Eine durchaus falsche 
Darstellung der Verhältnisse dieses Landes 
und des Czeclienthums überhaupt. Um nur 
eines anzuführen, so heisst es darin: „Es 
leben in Böhmen nahe an l'/i Millionen wirk- 
liche Stamrndeutsche, — zu diesen kommen 
nun gewiss noch einige hunderttausend durch- 
aus germanisirte Slawen, so dass, wenn man 
die Köpfe zählt, Deutsche und Slawen un- 
gefähr gleich stark sein werden." Dies ist 
meiir als lächerliche Unwissenheit; die Sla- 
wen bilden mehr als zwei Drittel, nahe an 
drei Viertel der Bevölkerung Böhmens. Noch 
schlechter aber ist das Folgende: „Nimmt 
man aber, wie man doch wahrlich muss, 
auf die Bildung dieser Köpfe Rücksicht: so 
ist Böhmen ein ganz deutsches Land. Es 
herrscht nur Eine Bildung in Böhmen, und 
das ist die deutsche." Also die ganze böh- 
mische Literatur ist nichts'? Sie hat keinen 
Funken von Selbstständigkeit V Sie wirkt 
nicht das Geringste für die Bildung der Na- 
tion? Ach wie muss es da bei den mehr 
als 2 Millionen Czechen aussehen, die auch 
nicht ein einziges deutsches Wort verstehen. 
Und wie können es die umwohnenden Deut- 
schen mit ihrer Bildung vor Gott und der 
Menschheit verantwort« n, dass sie Millionen 
von Menschen von aller Bildung fern gelas- 
sen haben? Ach, ihr armen Czechen, ach 
ihr armen deutschen Böhmen! — Nr. 76. 
Die Addresse der Posener Stände und die 



Antwort des Königs auf dieselbe. — Nr. 78 
heisst es : Oesterreich könne nie zugeben, 
dass Russland durch die factische Beherr- 
schung der türkischen Donauländer und durch 
Einverleibung Bulgariens und der Nachbar- 
länder in sein kolossales Reich ein solches 
Uebergewicht im europäischen Staatensysteme 
erlange, welchem in Zukunft schwer zu wi- 
derstehen sein dürfte. Denn eine solche Er- 
weiterung des russischen Reiches würde uns 
dieser Macht auf drei Seiten, im Norden, 
Osten und Süden preis geben. Unsere aus- 
serdeutschen Provinzen würden dann von 
Russland fast umringt sein. Denn eine Aus- 
dehnung desselben bis ans adriatische Meer 
würde dann nicht zu vermeiden sein, wo- 
durch es l»ald die Herrschaft auf allen euro- 
päischen Binnenmeeren, der Ostsee, dem 
schwarzen und dem Mittelmeer erlangte.'* — 
Nr. 79. Ein Auszug aus der ofüciellen „Sy- 
stematischen Uebersicht des Gesammtver- 
waltungswesend des Königreichs Polen.'* — 
Nr. 82 wird die Behauptung aufgestellt, die 
Türkei suche einen anderen Protektor und 
holfe den in Oesterreich zu linden. Oester- 
reich könne das Protektorat wohl überneh- 
men und die grössere Mehrheit der deut- 
schen Nation ihm dabei zur Seite stehen. — 
Nr. 86 heisst es über den Anschluss Ungarns 
und Oesterreichs an den deutschen Zollver- 
band: „Der Magyare scheut das deutsche 
Element, welches sich in den königlichen 
Freistädten unter ungünstigen Verhältnissen 
bereits so mächtig entwickelt hat, und ich 
besorge, die Bedingungen zu einem Ge- 
sammtanschlusse der Monarchie an die deut- 
schen Vereinsstaaten, die hauptsächlich in 
einer Grundbesteuerung des Adels liegen, 
werden grade in dieser Scheu vor dem 
Städtewesen oder, was dasselbe ist, vor dem 
deutschen Elemente irn Königreich ein 
eben so mächtiges politisches Hinderniss 
linden, wie es hier die Geldcontributionen 
schon an sich zu sein pflegen. Der Glaube 
herrscht, das bei einer directen, commer- 
ciellen Vereinigung mit Deutschland neben 
den deutschen Capitalien auch deutsche Be- 
wohnerschaft hieher ziehen wird und der 
Magyarismus, der ohnehin mit einem guten 
Drittheile der slawischen Landesbevölkerung, 
die aber ungebildet und träge ist, zu käm- 
pfen hat, damit sich in seiner Herrschaft 



Digitized by Google 



von einer mächtigem Intelligenz und Ener- 
gie bedroht sehen würde." Und weiter un- 
ten heisst es von den Deutschen: „Bei uns 
selbst, der reichsten und mächtigsten deut- 
schen Gemeinde, herrscht ein Einschüchte- 
rungssystem, so dass kein Krämer einen La- 
den ohne ungarische Aufschrift zu eröffnen 
wagt, die unter hundert Kinwohnern kaum 
einer zu lesen weiss." Und zum Schlüsse 
wird als Grund, dass keine deutsche politi- 
sche Zeitung existire, „welche im Interesse 
einer so grossen und intelligenten Volkszahl 
die Rechte der Freistädte und der Deutschen 
dem Magyarismus gegenüber wahren könn- 
te," der angegeben , dass in Pesth kein Re- 
dakteur „ohne Gefährdung seiner persönli- 
chen Sicherheit" jenem Fanatismus in die- 
sem Sinne entgegen zu treten wagen darf. — 
Nr. 68 werden die „magyarischen Juden" 
sehr belobt, weil „in allen jüdischen Schu- 
len die magyarische Sprache ein Gegenstand 
des Elementarunterrichts geworden ist, auf 
vielen jüdischen Kanzeln die magyarischen 
Laute ertönen, und ein Jnde, Moritz Bloch, 
der Erste, welcher die Bibel ungarisch über- 
setzte und commentirte, und jetzt auch der 
Erste ist, welcher ein magyarisch -deutsches 
Wörterbuch herausgiebt, ist sogar Mitglied 
der ungarischen Akademie." Und doch war 
noch vor zehn Jahren die Sprache der Ma- 
gyaren dem hierländischen Juden eine frem- 
de, die er weder sprechen noch schreiben 
konnte, ja noch viel fremder als z. B. die 
englische, wenn sie ihm nicht gar verächt- 
lich war. 

Casopis Seskeho Museum. 1843. 
Istes Hit. I. Das letzte von Schafarik re- 
digirto Heft, in welchem dieser ehrwürdige 
Veteran mit einem „Worte über die böhmi- 
sche Rechtschreibung" von der Redaktion 
abtritt. Der orthographische Streit in Böh- 
men ist ein alter; kaum sind die Differenzen 
über i und y beseitigt (keineswegs entschie- 
den), da fängt man über J i, i und j, über 
au und ou zu disputiren an ; j wird nun fast 
allgemein zur Bezeichnung des Jotlautes an- 
genommen, und das mit Recht; ou statt au 
weist Schafarik zurück, weil dies den übri- 
gen slawischen Dialekten näher und auch 
analogischer ist. V statt w einzuführen räth 
er aber ein für allemal ab; es ist dies die 
neueste, aber wahrhaftig schon eine über- 
triebene, eine überflüssige, und vor Allem 
eine antipanslawische Neuerung. II. Ueber 
das galizische und ungarische Russinenland 
von J. F. H. Eine geographische und hi- 
storische Uebersicht von vielfachem Interesse. 
Die ethnographischen und statistischen Nach- 
richten bilden eine interessante Partie dieses 
Artikels. Galizien hat 2,216,233 Russinen 
zur Bevölkerung. Sie bewohnen die 12 öst- 
lichen Kreise des Landes. In Ungarn be- 
wohnen die Russinen die nordöstlichen Ge- 
spannschaflen ; davon sind kompakt 4U,. r >00, 
ausserdem zerstreut in der Gömörer, By ba- 
rer und den westlichen Gespannschaften etwa 



00. 000 Russinen. Diese Angaben sind aus 
den Konsistoriaiberichten entnommen und 
haben daher die grÖsste Wahrscheinlichkeit 
für sich. III. Ueber Gefühl uud Verstand 
von Klacel. Eine tüchtige und gründliche 
Abhandlung, welche dem regsamen Forscher, 
der bei aller Kenntniss der deutschen Philo- 
sophie seine Selbstständigkeit bewahrt hat, 
alle Ehre macht. IV. Homer u. seine Werke, 
ven Winaricky. Eine einleitende Abhand- 
lung über Homers Schriften und Proben aus 
dem ersten Gesänge der Dias in quantitati- 
ven Hexametern mit gegenüberstehender pro- 
saischer Uebersetzung. Eine nach der Ueber- 
setzung von Wlczkowsky überflüssige Arbeit, 
wenn sie nicht aus der Feder des alten 
Meisters käme. V. Nachträge zu der ethno- 
graphischen Karte des Königreichs Böhmen 
von Smetana. Der Verf. wünscht eine ge- 
naue Gränze der böhmischen und deutschen 
Bevölkerung in Böhmen, die genaue Angabe 
der alten und acht böhmischen Namen von 
Städten, Dürfern, Bergen, Flüssen u. dergl. 
und überhaupt eine genaue ethnographische 
Karte von Böhmen hergestellt zu sehen. 
Dazu fordert er seine Landsleute zur Mit- 
wirkung auf. Ueber den Bunzlauer Kreis 
hat Herr Ptaczek, über den Budweiser Herr 
Palacky entsprechende Abhandlungen gelie- 
fert. Smetana giebt eine solche vom Pilse- 
ner und Ktatauer Kreise, denen er noch 
„Böhmische Denkmäler in germanisirten 
Städten", eine sehr interessante Abhandlung, 
beigiebt. VI. Fragmente aus der russisch- 
mongolischen Geschichte nach Hammer von 
Purgstall von Schemhera , eine Fortsetzung 
aus den früheren Jahrgängen. — Unter den 
literarischen Nachrichten berichtet Bek über 
eine alte Handschrift, eine Auslegung der 
festtäglichen Evangelien enthaltend, die er 
in dem Städtchen Wodnjan gefunden; wich- 
tig in philologischer Hinsicht. — 2tes Heft 

1. Ein Mandat der Gräfin von Berka aus 
dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts, ein 
interessantes Dokument, ebenso wichtig für 
das althöhmische Recht, als durch den ker- 
nigen, bündigen und prägnanten Kanzleistyl, 
den man darin findet. 11. Die Fragmente 
aus der russisch -mongolischen Geschichte 
beendet. III. Nachrichten über einige Per- 
sonen aus der Brudejrunität von den Jahren 
1542 bis 1551 , von Celakowsky mitgetheilt, 
dem dieselben handschriftlich zugeschickt 
wurden, und der sie dem Martin Klatowsky 
zuschreibt. IV. Ein Beitrag zur Geschichte 
der böhmischen Reformation, d. i. jener von 
Ferdinand angeordneten Wiederbekehrung 
des protestantisch gewordenen böhmischen 
Volkes zum Katholicismus im Jahre 1627; 
nach einer gleichzeitigen Handschrift: „Er- 
innerungen der zum katholischen Glauben 
bekehrten Menschen", welche in der Biblio- 
thek des Grafen Kolowrat in Brezno auf- 
bewahrt wird. V. Rede, gehalten in der 
ehrwürdigen Versammlung der verbrüderten 
Kirchen in Boston von William Canning. A. d. 
Engl. VI. Untersuchung über das Adjektiv 



Digitized by Google 



»95 



von Joseph Chmela. Kine Fortsetzung die- 
ser höchst interessanten Abhandlung. VII. 
Reschluss der „Reise Michael Kotlers (eines 
Böhmen) im europäischen Kussland und in 
Sibirien, von ihm selbst beschrieben/ 4 VIII. 
Ueber das Aufbewahren böhm'och-s'awischer 
Atterthiimer; eine, in der Gegenwart sehr 
zeitgemässe Erinnerung, dass man nicht 
vergesse , die sich etwa vorfindenden Alter- 
thümer zu erhalten. IX. Literatische Nach- 
richten, enthaltend sehr anerkennende Benr- 
theilungen von Daucha's Jahrszeiten von 
Thomson, und Maly's Othello von Shake- 
speare, des zweiten und dritten Heftes der 
Uebersetzungen aller Klassiker, dann einen 
ebenso lobenden Bericht über die „Lebens- 
bilder aus Osteuropa von Zap." Dann ei- 
nen Bericht über die schriftstellerischen Ar- 
beiten der russischen Professoren im Jahre 
1842. Nachrichten über polnische Literatur 
und über deutsche Schriften von slawischem 
Interesse. Endlich Korrespondenzen Sre- 
znewski's, Dubrowski's und eines Czechen 
aus Paris, von denen der Letzte auf das 
königlich franz. Archiv aufmerksam macht, 
worin noch vieles Interessante für die Sla- 
wen vorhanden sein soll. 

^cuiinua-lutrzenka. 1843. Januar, 
Februar, März. Der zweite Jahrgang die- 
ser in ihrer Tendenz mit unseren Jahrbü- 
chern zusammenfallende Zeitschrift beginnt 
mit zwei Sonnetten von Kollar, deren Grund- 
text: WSeslawia ist; hierauf folgen zwei Er- 
zählungen: Sudowschtschik der Schiller von 
Krakow, aus dem Polnischen, und der An- 
fang von Lermontow's Koman „der Held 
unsers Jahrhunderts", aus dem Kussischen 
ins Polnische. Hierauf wird ein oberlausi- 
tzisch-serbisches Volkslied : „Die vernichtete 
Stadt" mitgetheilt. Wir hätten gewünscht, 
dass ein mehr nationales, ein eigentümli- 
cheres unserer Volkslieder gewählt worden 
wäre; denn dieses trägt unbedingt den Stem- 
pel der Neuzeit an sich und ist überdies 
eine Legende, welche den Geist des Volkes 
niemals in der Weise wiedergiebt, wie er 
sich in den durchaus volkstümlichen Lie- 
dern darstellt. „Das nationale und literari- 
sche Leben der Slowaken" von Hurban, aus 
dem illyrischen Kolo übersetzt, ist ein guter 
Artikel, welcher die grössere Verbreitung 
jedenfalls verdient Unter der Bibliographie 
werden 22 böhmische, 4 serbisch - illyrische 
und 16 russische Schriften, endlich auch 12 
polnische, dann die slawischen Journale bi- 
bliographisch angegeben. Von den in frem- 
den Sprachen erscheinenden, slawische In- 
teressen besprechenden Zeitschriften werden 
die Jahrbücher, dann die Croatia, so wio 



die Revne des deux mondes besprochen. — 
Heft II. Eine theilweise Uehersetzung des 
Gedichtes: Kirkiz, von G. Z.; die Fort- 
setzung des „Schiffers"; dann die Ueber- 
setzung der Erzählung Pawlows: „Die Auk- 
tion", aus dem Kussischen ins Polnische. 
Werthvoller ist die Schilderung der Sichel- 
burger Uskoken von Sreznjewski, eine in 
vieler Hinsicht sehr interessante Abhandlung. 
Dasselbe verdient der folgende Artikel über 
böhmische Musik, aus dem böhmischen Kwety 
übersetzt. Schön ist der Gedanke in dem 
krainischen Volkslieder „Zwei Gräber." Eine 
Fortsetzung der russischen und polnischen 
Bibliographie, so wie der slawischen Journa- 
le enthält manches Interessante. Auch „Duelle 
und Familienrache bei den Czern^gorcen 
(Montenegrinern)", aus Kowaljewski, ein 
ziemlich bekannter Gegenstand. — Helt III. 
Sakcinski's Gedicht „slawische Heimath" 
im Originale aus russischer und polnischer 
Uebersetzung. KyuaiLio, aus dem Almanach 
Kusalka, 1842, aus dem Polnischen über- 
setzt; so wie die „Imjeniny": der Namens- 
tag von Pawlow, aus dem Russischen ins 
Polnische, bilden, mit Einschluss des Ge- 
dichtes: „die slawischen Lieder" von Du- 
nin -Borkowski, den belletristischen Theil. 
„Das Schicksal der galizisch-rnssischen Spra- 
che", von einem Galizier, ist der wissen- 
schaftliche Artikel. Aus der Sammlung 
Sreznj« wski's ist noch das bosnische Lied 
„die Bitte" mitgetheilt. Unter der Abthei- 
lung „Kritik" werden die kleinrussischen 
Lieder des liadura besprochen; in der Bi- 
bliographie die Anzeige russischer und pol- 
nischer Schriften, so wie der slawischen 
Journale fortgesetzt. — Nach Uebersicht die- 
ser Leistungen muss man gewiss die Rüh- 
rigkeit und die Umsicht des Herausgebers 
dieser Blätter, Herrn Dubrowski's, bewun- 
dern. Seine Stellung ist schwieriger, als 
kaum eine andere; die Vermittelung der li- 
terarischen Interessen zweier durch histori- 
schen Widerwillen, und besonders durch 
Ereignisse in der Neuzeit, einander so ganz 
entfremdeten und widerstrebenden Völker- 
schaften , ist an sich eine höchst schwierige, 
wenn nicht überhaupt missliche Sache. Der 
Berichterstatter mag so unparteiisch sein, 
als er will, jedesmal wird er der Zuneignug 
zu dem Gegner beschuldigt werden. Wie 
wenig Männer sind es bisher, welche in li- 
terarischer Hinsicht wenigstens sich über die 
nationale Abneigung zu erheben vermocht 
haben. Und dennoch ist das Bestreben des 
„Morgensterns" ein höchst wichtiges und, 
wenn es ihm gelingt durchzudringen, in sei- 
nen Folgen unendliches. 



Digitized by Google 



»96 

m 

Hiscelle n. 



Die Ukraine* Inmitten der Reiche der 
Mongolen und Türken, des Russinenlandes o. 
Polens, Hegt ein Landstrich mit schwankenden 
Gränzen , sehr anziehend Cur die Geschichte 
and Literatur. Von der untern Donau, bei- 
nah« von Belgrad ah, erstrecken sich einer- 
seits rund um den Fuss der Karpathen her- 
um, andererseits am schwarzen Meere hinter 
dem Dniepr und Don bis nach dem Kauka- 
sus hin breite Steppen. Dieser »nermess- 
liche Raum ist schwer mit' einem Namen zu 
bezeichnen. Verschiedenen Theilen dieses 
Landes geben die Alten den Namen Klein- 
scythien, die Russinen das kleine Russinen- 
land, die Polen suchen bis dorthin die 
Grenzen von Kleinpolen. Kin grosser Theil 
dieses Landes tragt den Narnen Ukraina, d. 
h. das Land , das da angrenzt, Eine men- 
schenleere Wüste, zuweilen besetzt und 
dann wieder von Einwohnern entblösst, aber 
immer fruchtbar und mit üppigem Unkraut 
bedeckt, diente sie seit Jahrhunderten den 
durchziehenden Harbaren zur Pferdeweide. Ks 
ist dieses die grosse Ader, welche Kuropa 
mit der Fläche Mittelasiens verbindet ; hier- 
durch ergoss sich das asiatische Leben nach 
Kuropa, hier berührten sich die beiden 
Welttheile. Zugvögel, wandernde Insekten, 
die Pest und die Kaubhorden ziehen durch 
diesen Krdgürtel. Die Völker, welche eine 
Schranke gegen die Einbrüche stellen, oder 
die sich mit einander messen wollten, be- 
gegneten sich auf diesem neutralen Boden, 
auf dieser allgemeinen Wahlstätte. Hier 
bekämpften sich die Kriegsheere des Ostens 
und Westens in den Armeen des Cyrus und 
Darius , des Russinenlandes und Polens. 
Hier entspross das kriegerische Volk der 
Kosaken, zusammengeschmolzen ans Slawen, 
Tartaren und Türken. Die Kosaken reden 
die kleinrussinische Sprache, eine Mittel- 
spraclie zwischen der polnischen und der 
russischen ; sie gingen abwechselnd unter die 
Oberherrschaft der Polen und Russinen über, 
zuweilen ergaben sie sich den Türken ; ihre 
Literatur wechselte Sinn und Gestalt, je 
nachdem der polnische oder ruthenische Kin- 
lluss überwog. Diese Literatur besingt die 
Vorzüge der Heerführer, den Ruhm der 
Ritter und am Knde ihre Liebschaften; ih- 
ren Hauptcharakter macht die Lyrik aus. Die 
Flachen der Ukraine sind der Sitz der lyri- 
schen Poesie. — Von hieraus haben Lieder 
unbekannter Dichter häulig das ganze Sla- 
wenthuin durchzogen. Der Kosak, neben 
der Krd- oder Rohrhütte sitzend, lauscht 
in Schweigen seinem unfern grasenden Pferde, 
er lässt seinen Blick in der grünen Steppe 
herumschweifen, und sinnet, träumend über 
die Kämpfe, die hier stattfanden, die Siege 



und Niederlagen, die hier noch einst vor- 
kommen werden. Das Lied, das seiner Brust 
entquillt, wird zum Ausdruck des National- 
gefühles; allenthalben mit Feuer anfgefasst, 
geht es von Geschlecht zu Geschlecht. Die 
Donau , dieser heilige Strom der Slawen, 
übernimmt fast immer eine Rolle in diesen 
Liedern. Sie durchzieht diese geheimniss- 
vollen Ebenen, dies sehnsuchtsvolle Land 
der unerrathenen Verhängnisse; und zuwei- 
len ist sie, wie Hesiod's Ocean, die allerletzte 
Grenze der bekannten Welt, zuweilen mit 
Blut gefärbt, wie der Homerische Skaman- 
der, wälzt sie die Rüstungen, die Leiber 
der Kämpfer und die Schätze der Könige. 
Was aber auch dieses Land in der Dichtung 
besass, ist Alles sehr gering im Vergleich 
der Begeisterung, die es unlängst erweckt hat. 

Diese wunderbare und leere Wahlstätte, 
wo die Ueberlieferung keinen Stein findet, 
auf dem sie ausruhen könnte, ja nicht ein- 
mal einen Baum zum Anlehnen, wo wie 

Zaleski sagt, die Poesie 

ausgebreitet — Auf dem blumigen Feldtep- 
piche — Gefangen traurig summet — Wie 
Begeisterung im jungen Herzen — und nur 
zuweilen der Wind ein Theilchen losreisst 
— und hinträgt im leichten Gewölk — . . . 
. . . . über Limane •) — Ueber Inseln und 
üppige Grasebenen — Wo meiner Ahnen 
Geister irren. — Hier nach den Worten 
eines alten Sehers, auf dieser von Pferde- 
hufen durchwühlten, von Leibern der Gefal- 
lenen gedüngten, mit ihren Gebeinen besäe- 
ten und feinem Regen warmen Blutes benetz- 
ten Kbene, ist üppig emporgeschossen das 
Trauergcfiihl. Sehnsucht und Trauer ath- 
men hauptsächlich die Dichtungen jener Ge- 
genden, welche die neuen russischen und 
besonders die polnischen Dichter mit einer 
Menge Denkmäler bevölkert haben. 

(Mkkicivicz's Vöries.) 

Die Gesellschaft der wissenschaftlichen 
Hülfe (heisst es im Dziennik domowy S. 59 
aus Posen) hat einen Rechenschaftsbericht 
über ihre Thütigkeit bis zum Schluss des 
Jahres 1642 geliefert. Die Gesellschaft hat 
Alumnate gegründet, worin sie 24 Zöglinge 
in Posen, ö in dem Dorfe Krajewicy im Kro- 
bcr(V) Kreise unterhält; in dem Dorfe Rus- 
ka bei Bork, bei dem dortigen Schultehrer, 
bereiten sich 3 andere Jünglinge zum Lehr- 
fache vor. Andere junge Männer, welche 
auf die Kasse der Gesellschaft Anspruch haben, 



*) Liman eiu schöner See, und daher die pol. 
tiische Beneouuug der Secu mit dem Worte Limaoy 
iiu Polnischen. 



Digitized by Google 



29* 



empfangen Unterstützungen an Geld, an 
Kleidung und Büchern. Anf Universitäten 
werden 19 Studenten unterstützt, ein Land- 
schullehrer reist auf Kosten der Gesellschaft; 
in Gymnasien bekommen 66, in Schollehrer- 
seminarien 44, in Präparandenschnlen 37 
junge Männer Zuschuss; ausserdem erhalten 
sie 8, welche sich den Künsten, und 7, welche 
sich den Handwerken widmen; im Ganzen 
hat die Gesellschaft gegenwärtig 184 Stipen- 
diaten ; Unterstützung überhaupt erhielten 
bis diesen Augenblick 219. Zu diesem Be- 
lm fe kam in den Kassen der Gesellschaft 
eine Summe von 11,818 Thlrn. 17 Sgr. 6 Pf. 
ein. — Diese Zahlen sprechen stärker zum 
Ruhme der Gesellschaft, als die glänzend- 
sten Lobeserhebungen. Die Gesellschaft ruft 
aus unserem Geschlechte eine neue Kraft 
hervor, und das nicht nach Rücksicht der 
Atteste, sondern nach ihren Talenten. Da- 
bei findet sie unter allen Klassen des Volkes 
reichliche Unterstützung, denn sie wusste 
die nationale Tendenz mit der Entwicklung 
der Humanität, mit dem Fortschritte zu ver- 
einen. — Wenn doch auch die andern Pro- 
vinzen der alten Republik nach Maassgabe 
der Möglichkeit etwa» Aehnliches hervorru- 
fen wollten. 

Das polnische Theater (so heisst 
es im Dziennik domowy S. 39 aus Posen) 
ist nun eröffnet; wir sahen ein Stück, worin 
14 Personen spielten. Ks hat nichts Ueber- 
raschendes, aber entspricht seinem Stand- 
punkte und der Grösse der Stadt. Eine Be- 
sorgniss jedoch können wir nicht verhehlen, 
es ist die um das Repertoir. Die polnischen 
Schauspiele bisher wurden unter dem Ein- 
flüsse fremder Literaturen und unter Ueber- 
wachung überaus strenger Censuren geschrie- 
ben. Auf der andern Seite hat erst seit 
wenigen Jahren polnisches Leben in der Li- 
teratur gehörig durchzudringen angefangen. 
Was ausnahmsweise Fredro für das Theater 
gethan, ist allzubekannt und ein Gemeingut. 
Die Arbeiten Dmuszewski's athmen nur Na- 
tionalität und können heuzutagc nicht unter- 
halten; so bleiben noch kaum die Sachen 
von Skarbek und einigen andern wenig be- 
kannten Schriftstellern. Und auch die sind 
noch nicht besonders. Im Ganzen genommen 
treffen es unsere Künstler noch nicht, dem 
Geiste der Zeit zu entsprechen, denn die 
Autoren haben ihnen den Weg verlegt. Es 
sollten erst dramatische Schriftsteller aufer- 
stehen. Es ist wahr, dass „das Mittags- 
essen mit Magdusa" besser ist als „der 
Geizhals" Molieres, ein Stück aus den Zei- 
ten Ludwigs des XIV. Das sogenannte Cha- 
rakterlustspiel ist schon ganz darnieder. Es 
konnte einige Bedeutung haben, so lange 
man Walter Scott und die vielen ausgezeich- 
neten Romanschriftsteller nicht kannte , wel- 
che die Charaktere gänzlich erschöpft haben. 

Switezianka, eine dramatische Phan- 
tasie von Lucian Siemienski, hat vor 



Kurzem die Presse verlassen. Wir können 
dreist behaupten, dass dies eine der schön- 
sten poetischen Schöpfungen ist. Der Faden 
des Stückes gründet sich darauf, dass ein 
junger Fürst sich von einer Switezianka 
(Nymphe) in Liebe umstricken lässt, und 
ihr treu zu sein schwöret. Er geht auf Rei- 
sen : da zeigt sie sich ihm überall und im- 
mer in neuer Gestalt. Der Fürst kehrt nach 
Litthauen zurück; sein Vater und die Nach- 
barn heissen ihn durch Veranstaltung eines 
Maskenballes willkommen. Der junge Fürst, 
verdorben durch das Leben in der grossen 
Welt, fiihft frühzeitig lange Weile und begibt 
sich weg. Im Verlaufe des Balles scbliesst 
sich eine Italienerin an ihn, mit der er Lie- 
beshändel gehabt, dann eine Spanierin, eine 
pariser Grisette und endlich die Königin von 
Palmyra; und diess ist Niemand anders, als 
das Mädchen in allen den Gestalten, welche 
sie während seiner Reise angenommen. Der 
junge Fürst verspricht jeder Einzelnen, sie 
zu heirathen. Der Fürst segelt auf einem 
Schilfe nach Palmyra. Mitten auf dem Meere 
steht plötzlich Switezianka in der Gestalt der 
Königin von Palmyra vor ihm und reisst ih- 
ren Verlobten in den Abgrund hinab. Das 
Stück könnte selbst auf dein Theater aufge- 
führt werden. Der Charakter eines polni- 
schen Don Juan, wie er sich in dem Aus- 
lande nicht selten ausbildet, ist ausgezeich- 
net wiedergegeben. Hie und da schlägt noch 
eine Spur der Vaterlandsliebe aus seinen er- 
sten Jugendjahren durch, aus welcher sich 
später nichts als schmachvoller Egoismus mit 
allen Prätensionen des Standes gebildet hat. 
Die Handlung ist im Ganzen kurz, aber in 
ausserordentlich schlagender, charakteristi- 
scher, wahrhaft polnischer Darstellung. An 
jeder Stelle herrscht der feinste Zartsinn, 
wie man ihn nur in der höchsten Sphäre der 
Gesellschaft findet. Dz, Dom. 

Unter dem Titel: „Starozytna Pol- 
ska; das alte Polen in historischer, geogra- 
phischer und statistischer Hinsicht, beschrie- 
ben von Michael Balinski und Tim. Lipin- 
ski", erscheint bei Orgelbrand in Warschau 
ein Werk, welches den Bedürfnissen der 
Gegenwart weit besser zu entsprechen ver- 
spricht, als die skizzenhafte und den For- 
schungen der Gegenwart fremde, obgleich 
zu ihrer Zeit sehr verdienstvolle „Beschrei- 
bung des alten Polens von Swiecki." Die 
Verf. haben mancherlei Reisen im Lande 
selbst unternommen, und die vorhandenen 
Quellen und Forschungen sorgfältig benutzt. 
Das lste Heft sollte zum 1. Mai erscheinen. 
Der Preis 6 Rbl. S. für 80 Oktavbogen er- 
scheint nicht übergross, wenn das Werk 
die versprochene Vollständigkeit u. Wis- 
senschaftlichkeit hat. 

Von Schafarik's Altcrthtünern 

ist nun auch der zweite Band der deut- 
schen Uebersctzung fertig. Eine höchst wich- 
tige Zugabe zn demselben wird ein, mit 
der grössten Sorgfalt ausgearbeitetes Mate- 



Digitized by Google 



298 



rienverzeichniss sein, das ein desto grosse- 
res Betliirfniss ist, je umfangreicher das Werk 
«nd je verschiedenartiger die darin verhan- 
delten Gegenstände sind. Ks durfte selbst 
für den Besitzer der höhmischen Ansgalie 
wegen seiner Vollständigkeit nützlich werden. 

(Polen.) Nach einer auf Befehl der 
russischen Regierung erschienenen Statistik 
von Zaweljejski hatte Polen im Jahre 1840 
4,448,009 Kinwohner (2,214,849 männlichen, 
2|273J60 weihl. Geschl.); davon römisch- 
katholisch 3,543,694, rechtgläuhig (d. i. rns- 
sich) 1874, unirt 235,966, Philipopen (?) 
3874, augsburgisch 240,758, reformirt 3886, 
Menoniten 1059, mälinsche Brüder 971, 
Hebräer'* 474,598, Muhamedaner und an- 
dere Sekten 331. An Adel zählte man 363,232, 
Bürgerliche jeden Glanbens und Bauern 
3,943,232 mit Ausschluss Warschaus, wo 
100,W«0 Christen, adeligen und anderen Stan- 
des sind. Im Jahre 1838 betrug die Anzahl der 
Geborenen 194,511, der Gestorbenen 129,694. 

Magyarische Konsequenz. Wäh- 
rend der Revolution von 1831 baten die Ma- 
gyaren die österreichische Regierung um 
Erlaubnis», den Polen mit einer Armee zu 
Hülfe zu ziehen; jetzt fordern sie den An- 
schluss Galiziens an Ungarn , um dann die- 
sen integrirenden Theil Polens zu magya- 
risiren. 

Die »cutseben, die sich in Polen 
ansiedeln, verlieren schnell ihre Mutterspra- 
che, dies ist eine ziemlich bekannte Sache. 
Göhring, dessen „Polen unter russ. Herr- 
schaft" eine mehr als unglückliche Karika- 
tur einer Reisebeschreibung und Sittenschil- 
derung ist, kam unter andern in eine Schenke, 
deren Wirthsleute geborne Deutsche waren. 
Da sagt er nnter Anderm: „Sonderbar war, 
dass sich die Aeltern kaum mit ihren Kin- 
dern verständigen konnten. Sie verstanden 
nicht oder wenigstens nur sehr wenig Pol- 
nisch (?), und die Kinder sprachen ungemein 
wenig deutsch." Das Polniichwerden der letz- 
teren sei auf keine Weise zu verhindern, er- 
zählfe der Schenkwirt!); die Kinder nehmen 
von ihren Kameraden die polnische Sprache 
viel schneller und lieber an, als von den 
Aeltern die Deutsche. Der Knabe habe in 
seinem dritten und vierten Jahre, ehe er un- - 
ter die Kinder des Dorfes gekommen sei, 
schon hübsch deutsch gesprochen, dann aber 
habe er bald das Deutsche gegen das Pol- 
nische umgetauscht; zum Theil habe er es 
vergessen, zum Theil sei es ihm so schwer 
und zuwider geworden, dass er oftmals, 
wenn man ihn zum Deutschsprechen nöthi- 
gen wolle, zu weinen anfange." Sollte da- 
von nicht auch in der Sprache ein Grund mit 
liegen V 

Die Matica ilirska nahm im J. 1842 
die reine Summe von 4,687 Fl. 55 Kr. C. M. 



ein. Davon sind 1000 Fl. nach den Statuten 
auf den Druck guter Werke zu verwenden. 
In Folge dessen sollen noch dieses Jahr die 
sämmtlichen Werke Jo. Gundulie's herausge- 
geben werden ; seine berühmte Osmaniade 
ist bereits fertig. Die klassischen Schriften 
dieses altillyrischen (ragusanischen) Dichters 
werden mit der grössten Sorgfalt gesichtet 
nnd nach vielfachen Vergleichungen mannieb- 
faltiger Handschriften ein möglichst reiner 
Text hergestellt. 



Aus Agram. 

Unsere „kroatisch-slavonische ökonomi- 
sche Gesellschaft" hat bereits 9 Filialge- 
sellschatten hervorgerufen, nämlich in der 
Militairgrenze 3, in Glina, Peternica und 
Otoczac, in Kroatien und Slavonien 6, näm- 
lich in Agram, Deakowar, Kreuz, Karlstadt, 
Ludbreg und Warasdin, und viele andere 
sind eben im Entstehen- Sie alle haben 
ihre Büchersamralungen , halten die Journale 
und dienen dem Lande in vieler Hinsicht 
zur Hebung und Beförderung. In diesem 
Frühjahr feierte die Agramer ihre vierte 
Hauptversammlung; nach den gewöhnlichen 
Eingangsreden, unter denen sich die des 
ehrwürdigen Bischofs Havlik besonders aus- 
zeichnete, nnd nach der Vorlage der Rech- 
nungen des Kassirers erhob sich der Sekre- 
tair der Gesellschaft, der Kapitain Klingräff, 
und las einen Vorschlag des leitenden Aus- 
schusses vor, zur Gründung einer Muster- 
wirtschaft, welche von vielen Mitgliedern 
gewünscht worden war. Als sich aber zeigte, 
dass es nicht möglich wäre, eine solche 
Musterwirtschaft zu gründen, so beschloss 
man, wenigstens dahin zu wirken, dass über 
die ganzen Königreiche Kroatien und Sla- 
wonien hin eine Reihe von einzelnen Mu- 
sterhöfen hergestellt werden, der Art, dass 
die Mitglieder der Gesellschaft auf ihren 
Besitzungen eine rationellere Bcwirthschaf- 
tungsmethode einführten, und so den in ih- 
rer Umgebung lebenden Bauern als Muster 
dienten. Darauf wurden mehrere Korrespon- 
denzen von andern ökonomischen Gesell- 
schaften vorgetragen und ein inniges Ver- 
hältniss mit denselben als Behr erwünscht 
bezeichnet. Hierauf wurden an 150 neue 
Mitglieder angenommen, so dass die Gesell- 
schaft jetzt deren an 780 zählt. Auf diese 
Weise geschieht auch in der Oekonomie, 
gegenwärtig dem Hauptnahrungszweige un- 
serer Länder, ein kräftiger Fortschritt. Alles 
dies haben wir mehr oder weniger dem nen- 
erwachten Geiste zu danken, welcher, ge- 
stützt auf den Boden der Heimath und der 
Nationalität, unserem Volke die Fortschritte 
der europäischen Kultur zu Nutzeu zu brin- 
gen und es mil den übrigen Nationen auf 
gleiche Höhe zu erheben bestrebt ist. 



Druck von J. B. nirschfeld iu Leipzig. 

Digitized by Google 



für 

slawische 

Literatur, Kunst und Wissenschaft« 

„Verständigung! Versöhnung! Vereinigung!" 
— i 

I. Jahrg. D 843. 5. Heft, 

Der eigentümliche Standpunkt der 
polnischen Literatur. 

Von J. Moracxewski. 
(Rok 1843, 2.) 

Gar Mancher setzt sich hin und fangt an, unsere Geistesprodukle mit jenen 
zu vergleichen, w eiche im Westen Europas zu Tage gefördert werden. Er fragt 
nicht nach der Vergangenheit, noch fallt ihm der ungeheure Unterschied zwischen 
Polen und den andern Nationen in die Augen, deren Organismus sich in seiner 
Ganzheit entwickelt, welche ohne alles Hinderniss sich selbst Ziel und End- 
zweck sein können. 

Unser Volk befindet sich in einer ganz abgesonderten Lage, ist in ganz ei- 
genlhüinlichen Verhaltnissen, nicht nur im Leben überhaupt, sondern auch in der 
Literatur. Seit der Vereinigung in ein Ganzes haben unter allen westslawischen 
Völkern die Polen allein in Europa sich als Grenzmarke zwischen den beiden 
alten Civilisalionen, der griechischen und der römischen, deren Erbe sich die 
beiden Kirchen, die östliche und westliche aneigneten, hingestellt. Frühzeitig 
schloss sich Polen an die römische Kirche an, nachdem es aber sein Reich gegen 
Osten nach den der östlichen Kirche zugelhanen Ländern ausgebreitet halte, er- 
kannte es auch die Herrschaft dieser an und wusste lange Zeit ihre Rechte zu 
ehren. Der neue Gesichtspunkt, von welchem aus man die Religionsangelegenheit 
seit der Reformation betrachtete, brach die Grundlage der Verbrüderung, welche 
trotz der Verschiedenheit des Glaubensbekenntnisses in dem Volke lag. Polen 
gewöhnte sich schon im Anfange seiner Literaturentwicklung , das römische Prin- 
zip so durchzuführen, dass es das griechische gar nicht berührte. Selbst der 
unglückliche Gedanke der erzwungenen Union, welche unter fremdem Ein- 
flüsse in das Regicrungssyslem hineingeworfen wurde, drang, wenn er auch einige 
Verfolgungen, indess nur von Seiten der Könige, der Ausländer und einer gerin- 
gen Anzahl einheimischer Fanatiker hervorrief, dennoch keineswegs in den echten 

Slaw. Jahrb. I. 40 




Digitized by Go< .m 



Polenherzen durch, noch vermochte er in ihnen Hass zo erzeugen gegen jene 
Brüder, welche sich darauf beriefen, sie hallen keinen Grund, in der Religion 
Neuerungen zu suchen, noch mit ihrem Gewissen zu hadern. 

Gleich von ihrem ersten Entstehen an halte die polnische Literatur mehrere 
Gesichtspunkte, als irgend eine andere im Weslen. Zu der religiösen Zwiefach- 
heit, welche eine angeborene Eigenschaft der polnischen Republik war, traten 
noch andere sehr wichtige Rücksichten hinzu. Lillhauen und Russland halten 
lange Zeit das Russische (ist wohl zu verstehen: das Kirchenslawische), Preussen, 
Kurland und Liefland das Deutsche zur Schriftsprache. Die Deutschen eilten 
ihrerseits mit grosser Sorgfalt den, den Reigen führenden Italienern und spater 
den Franzosen in der Aufklarung nach. Darum also mussten die Polen bei ihrer 
Literaturenlwicklung Rücksicht nehmen auf das Russische und das Deutsche. 

Man hat so oft vorgeworfen und wirft auch heule noch den Polen das Nach- 
ahmen in der Literatur und in allem Andern vor, ja man gibt dies sogar für 
eine dem slawischen Stamme angeborene Eigenschaft aus. Eine solche Auffas- 
sung der Welt, der Nationen, ihres Lebens, ihrer Sitlen, ihrer Rechlsinslilulio- 
nen und ihrer Literatur ist keine allzuliefe. Wir Polen schreiten auf dem römi- 
schen Grund und Boden fort und lagern am Ausgangspnnkle jenes Lichtstrahls der 
Civilisalion, der von Rom ausging. Die Grundlage brachten uns Karl der Grosse, 
die Oltonen, die deutschen Geistlichen und Kolonisten, im dreizehnten Jahrhundert 
die italienischen Akademiker und endlich die französischen Erzieher, Rechlslehrer 
und Soldaten. Dabei ist es ganz einfach und natürlich, dass wer am entfernte- 
sten steht, die Neuigkeiten zuletzt erfährt 

Nimmt man den Fortschritt als etwas allgemein Europäisches, als etwas 
Notwendiges und in der Vernunft Bedingtes, als das Resultat der dunkeln Ver- 
gangenheit, so haben wir den Beweis, dass wir Polen immer thun, was aus un- 
serer Lage sich ergibt. Oder sollen wir vom Neuen anfangen, die Ideen, die 
Entdeckungen und Erfindungen zu bearbeiten, welche bereits Andere vollendet 
haben? Sollen wir absichtlich die fremde, uns vorangehende Erfahrung unbe- 
nutzt lassen? Solleu wir wieder die natürliche Folgereihe, das Glied in der 
Kette der Ideen, der Entdeckungen und Erfindungen überspringen? Für uns wird 
es schwer, mit neuen Dingen hervorzutreten, denn wir haben immer noch die al- 
ten Deposita zu bearbeiten, welche so nolhwendig sind in einer Civilisalion, wie 
die, welcher wir angehören. 

Es gab ausgezeichnete Männer in unserer Nation, welche die vaterländische 
Literatur aus dem fremden Einflüsse herausreissen wollten; allein sie fanden in 
der Nation selbst kein Mittel, denn diese bildet in ihrem Geiste wie in ihrer 
Lage und Vergangenheit einen inlegrirenden Theil Europas. 

Ohne in eine weite Untersuchung einzugehen, lässt es sich gar wohl behaup- 
ten, dass die Nachahmung keineswegs weder im slawischen, noch im polnischen 
Blute liege, sondern nur eine Wirkung des Standpunktes, der Lage ist, welche 
denselben historischen Grund hat; denn es liegt vielmehr in dem Landstriche, den 
wir einnehmen, und in der Zeit, die wir durchlaufen haben, der gemeinsame und 
einzige Grund, dass wir uns nicht anders entwickeln konnten. 

Niemand zweifelt daran, dass die polnische Literatur nicht in einer Epoche 
mehr Eigentümliches gehabt habe, als in der andern; und wenn man fragt, wann 
diese Epochen eingetreten, so antworten wir natürlich: In jener Zeit, wo sie 
frei und ununterworfen war und sich auf ihrem hohen Standpunkte fühlte, trug 
sie überall den schlagendsten Stempel der Nationalität. Wenn jedoch das Schick- 
sal mit der gänzlichen Vernichtung drohte, da erhob sich ebenfalls der nationale 
Geist und strahlte in glanzvollen Erzeugnissen. Am schlimmsten war augen- 
scheinlich das Schwärmen in einem erträumten Zustande; nur in einem solchen 
knickte der fremde Einfluss das nationale Element nieder und schmuggelte die 
Nachahmung ein. Mit einem Worte, es mochten die Zeilen glücklich, sie mochten 



Digitized by Googl 



unglücklich sein, so kräftigten sie den polnischen Naüonalgeisl, wenn sie nur 
nicht flach und mittel massig waren. 

Wenn wir unsere ganze Lage und alle ihre Ncbenumslände überblicken, so 
müssen wir gestehen, dass der gegenwärtige Zcilraum nicht ganz unglücklich ist 
für unsere Entwicklung und demzufolge für die Enlfallung unserer Literatur. 
Man kann auch nicht sagen, dass ein einzelner Ort besonders privilcgirl zu sein 
scheine, diese zu leiten. Es hat Tielmehr das Ansehen, dass man überall für 
das grosse Ziel arbeiten könne, wenn man es nur verstehe. Es bedarf nur einer 
einzigen gemeinsamen Idee, welche einfach sei, dass Jeder, dessen Begeisterung 
erwache, auch dieselbe errathe. Es bedarf nur der tiefen Ueberzcugung, dass 
man nur mit vereinten Kräften Grosses vermöge, dass die Menschen, wenn sie 
einander an den Händen nehmen und die Erdkugel umfassen, sie in einen andern 
Raum zu schleudern vermöchten. Die Schriftsteller und die Gelehrten überhaupt 
bedürfen keiner geheimen Verständigungen, keiner Berathungen noch Bündnisse; 
sie mögen nur die örtlichen Gesetze berücksichtigen und vor den Augen der gan- 
zen Welt handeln. Sie mögen nicht vergessen, dass die Erde gross ist, und die 
Arbeit des Einen am Dniepr von einem Zweiten an der Warthe oder gar an der 
Seine und Themse vollendet werden könne. 

Die Wahrheit (prawda: Wahrheit und Recht zugleich) allein ist der ewige 
Gegenstand der Literatur. Sie selbst aber ist wieder so sehr verzweigt, so viel- 
seitig, dass es keine Kraft in der Welt gibt, welche sie gänzlich zu vernichten 
vermöchte, ja dass es keinen Willen gibt, der ihre gänzliche Vernichtung wünschte. 
Wo immer die Wahrheit und das Recht von der einen Seile gedrosselt wird, 
da lässt man ihr jedesmal von der andern Seite freien Alhem. 

In seinen gegenwärtigen Verhältnissen bat Polen oder kann wenigstens Schrift- 
steller haben in Posen, Breslau, Kraukau, Lemberg, Wien, Warschau, Kiow, 
Charkow, Wilno, Dorpal, Petersburg, Berlin, Brüssel, London und Paris *). In 
allen diesen Städten kann man leicht polnisch schreiben und drucken; ja es fin- 
den sich daselbst so viel Polen, dass sie oft ein, zwei, ja selbst drei periodische 
Schriften aufrecht zu halten vermögen. ^Und sie hallen sie in der That aufrecht, 
nicht nach Massgabe ihrer Erträgnisse, sondern nach Massgabe ihrer Aufopfe- 
rung. Die reichen Herren in Wien wollen erst dann sich zu etwas entschliessen, 
wenn im Westen in Städtchen, deren Namen uns kaum bekannt sind, die Leute 
bei Wasser und Brod je zwei Zeitschriften herausgegeben und sie aufrecht er- 
hallen haben. Kein Wunder, denn jenen liegen fremde Titel, diesen aber das 
Erbe ihrer Väter am Herzen. Oben erwähnten wir, dass Polen bei seiner litera- 
rischen Entwicklung immer fremde Religionen, fremde Literaturen berücksichtigte; 
dieselben Rücksichten bestehen auch heut zu Tage noch, aber der Gewandte wird 
sie leicht zu umgehen wissen. So mögen die Polen arbeiten, wo immer sie sind, 
und mögen arbeiten mit Rücksicht auf ihre Heimalh ; es möge Jeder sich für ein 
kleines Rad in der Einen grossen Maschine ansehen, oder wenn man ein lebendi- 
ges Bild will, er möge sich für einen kleinen Nerv in dem Organismas eines 
Körpers ansehen und erkennen, dass aus diesen räumlich zerstreuten Theilen eine 
einzige grosse Maschine oder ein einziger Organismus uns sich bildet, allseilig 
und fern von schiefer Parteilichkeit. 

Wir müssen uns reiflich umsehen, was einem Jeden wohl anstehe, was mit 
den Lokalverhällnissen übereinstimme. Darauf beruht allein die Hauswirlhschaft, 
der Handel und Alles, was ins praktische Leben einschlägt ; darauf beruht dem- 
zufolge die Literatur, beruhen alle Lebensinteressen der menschlichen Gesellschaft 
und der Nationen. Es gibt Länder, in denen eine freiere Bearbeitung der polni- 
schen Geschichte nur bis zu den Jagcllonen reichen darf, in denen man die Iii- 



°) Auch in Leipzig. 



Digitized by Go.Ogle 



302 



thauische nicht einmal anfangen darf, will man ein reines Gewissen bewahren. 
Warum sollen wir nicht sagen, dass dort die Manen unserer Vorfahren entstellt, 
dass sie gewürgt und gottloser Weise gemordet werden? Wer seine Feder dazu 
hergibt, verletzt ja nur den eigenen* Bruder am andern Ende Europas, ruft ein 
lautes Geschrei gegen sich warb und tragt die Vernichtung als Lohn davon. Aber 
für die Literatur ist das gar nicht schlecht; denn auf diese Weise halten wir 
gegenseitig Wache über einander. Es ist das* in der That ein solcher Gewinn 
für uns, wie ein Balken für den Gescheiterten; nur in unserer Lage hat es eine 
grosse Bedeutung. 

Es gibt für uns Gegenden, wo der Freund der Geschichtschreibung seinen 
Gedanken nur den entfernten Jahrhunderten zuwenden darf, ja sogar solche, wo 
man nur Diplome, Dokumente und alle Chroniken von ihrem Staube säubern, auf- 
klären, verbreiten und den in anderem Räume oder anderer Zeil lebenden Histo- 
rikern vorbereiten und darreichen muss. Es gibt Gegenden, wo dem Polen bei 
Todesstrafe oder wenigstens bei Vernichtung seines Namens auf der Liste der 
Nation verboten ist, über das Slawenthum zu schreiben, und wieder gibt es Orte, 
wo man mit den neueren und neuesten Dingen sich beschäftigen muss, um seine 
Zeit entsprechend anzuwenden. Einer unserer sehr wortreichen aber gedanken- 
armen Kritiker zeigt, so oft er ein Werk zu wiederholten Malen unter die Feder 
nimmt, auf das Vollkommenste, welchen Standpunkt der Verfasser einnimmt, d. h. 
ob er Jemandem helfen, Jemanden prolegiren oder ihn in Gefahr setzen könne; 
niemals aber wird er sagen, was das Werk werlh ist. Vielleicht lebt er dort, 
wo es nicht anders geht; aber dann ist's besser, nichts zu thun, als in den vater- 
landischen Fluren herumzulaufen, um sie mit Unkraut zu besäen. 

Wenn Jemandem bei Bebauung der einen Wissenschaft Hindernisse in den 
Weg gelegt werden, die er nicht überwinden kann, da probiere er's in einer an- 
dern, welcher jeder Himmelsstrich günstig ist. Lebensvoll, reizend und herrlich 
ist das Feld der Naturwissenschaften. Wer in irgend einen Gegenstand sich 
hineinarbeitet und mit seinem Gedanken in seine Tiefe hineindringt, wird allemal 
ein Wohlgefallen daran finden, dem Allgemeinen einen Dienst erweisen und sich 
selbst genügen. 

In Hinsicht des Slawenthums müssen die Polen entfalten, was in ihnen Ur- 
slawisches, Ursprüngliches ist, die Geschlechter näher aufklären, welche gegen- 
wärtig auf der ersten Stufe der Auffassung des slawischen Standpunktes stehen. 
Man muss ihnen zeigen, es sei nicht genug, sich an eine Kraft anzuklammern, 
sondern man müsse auch verstehen, wohin diese Kraft zielt; zeigen, dass die 
Slawen keiner Rache bedürfen an den germanischen und romanischen Geschlech- 
tern, sondern sich selbstständig entwickeln müssen, um als Nation in der allge- 
meinen Sache der Menschheit zu wirken. Lemberg und Wien scheinen in dieser 
Hinsicht ausserordentlich vorteilhaft gelegen, nur muss man seine Ausdrücke zu 
beherrschen wissen. Dort wird Niemand mit Gewalt noch durch geschickte Ein- 
wirkung verleitet, die Wahrheit auf den Schraubstock zu legen; auch findet man 
leicht Gelegenheit und Mittel, jenen Zweck auszuführen; denn mühelos kann man 
dort mit dem Slowaken, mit dem Donauserben oder aber mit dem Czechen, dem 
Mährer und dergl. von der allen, der gemeinsamen Sache ein Wort reden. Dort 
darf man laut aussprechen, was das Talarenthum sei, und dass wer den Einen 
wegen seines Lebens todlschlagen will, sich gewiss für die Andern nicht auf- 
opfern werde. 

Im Allgemeinen können die Polen beinahe jede Wissenschaft und jeden wis- 
senschaftlichen Gegenstand in einem jedem Lande bearbeiten, nur müssen sie wohl 
bemerken, von welchem Standpunkte sie ihn auffassen, welche Seite desselben 
sie sich auswählen und welche sie anderen Gegenden überlassen wollen. Aus 
Lelewcl s Artikel über Raczyriski's Numismatik haben wir erst erfahren, dass die 
Rad zi willischen Sammlungen von numismatischen Schriften in Charkow sich be- 



Digitized by Google 



finden; wer hälte erwarten können, dass sich dieser Zweig der polnischen Lite- 
ratur in Charkow am besten bearbeiten lasse. Wir wissen, dass in Petersburg 
eine Menge Werke aus den polnischen Bibliotheken liegen, dort findet sich na- 
türlich auch eine unermessliche Anzahl von Handschriften für unsere Geschichte; 
aus ihnen sollte man gar manches Alle, Hochwichtige heraussuchen. 

In Berlin und in verschiedenen preussischen Städten kann man die Verhält- 
nisse des (allen) Königreichs Preusscn, der preussischen Städte, die Kriege der 
Kreuzritter und, wie z. B. in Königsberg, sogar die Geschichte Litthauens mit 
grossem Vortheil und mit vieler Gründlichkeil, weil mit seltenen Dokumenten in 
der Hand, historisch bearbeiten. In Paris gibt es ungeheure Materialien für die 
polnische Geschichte vom siebzehnten Jahrhundert an , und zwar eben .so gut im 
Archiv der auswärtigen Angelegenheiten, wie in Bibliotheken. Mit einem Worte, 
tiberall finden wir wenigstens etwas Fertiges für die Geschichte Polens. Und 
wie vielmehr müssten sich erst die mit unserer Vergangenheit weniger zusammen- 
hängenden Gegenstände mit entschiedenem Erfolge für den Fortschritt und die 
Entwickelung der Nation bearbeiten lassen. 



D. 

Wissenschaften. 

1. Die slowenischen Volksschulen in ITntersteiermark. 

Dem Beobachter der unlersteierischen slowenischen und windischen Volks- 
schulen stösst unwillkührlich der Grundsatz des ehrenwerthen Herrn preussischen 
Oberpräsidenlen Flotlwcll auf, der im warmen Eifer für die „Beförderung und 
Befestigung" der engsten Verbindung der polnischen Provinzen mit dem preussi- 
schen Staate meint: „Das Gesammtwohl des Staates macht die Verfolgung dieses 
Zieles (nämlich der völligen Germanisirung der preussischen Polen) zur Notwen- 
digkeit; und wenn dabei Erinnerungen und Gefühle eines Theils der polnischen 
Einwohner verletzt werden, so liegt die Beruhigung hierüber in der Ueberzeu- 
gung, dass die Geschichte allmählig alle Völker aus den Schranken früherer und 
noch bestehender Trennungen solchen Anwandlungen und neuen Gestaltungen ent- 
gegenführt." 

Ich habe so oft schon über die Thorheit der Ungarn reden und schellen 
hören, welche die lateinische Sprache in der nämlichen Sprache vortragen. Allein 
wenn ich dann an unsere eigenen Zustände denke, so fällt mir augenblicklich der 
Vergleich des Evangeliums von dem Splitter im fremden Auge ein. In Ungarn 
wurde erst von dem 2. Jahrgange des Gymnasiums an Alles lateinisch vorgetra- 
gen; die Volksschulen dagegen halten vor der halsbrecherischen Umwälzungs- 
sucht des Magyarismus überall den Unterricht je nach der Nationalität in der 
eignen Sprache des betreffenden Volkes. Wenn dann der Geist wenigstens eini- 
germassen entwickelt war, so kam der Schüler in einem Alter von durchschnitt- 
lich 14 Jahren in die Epoche, wo er ganz lateinische Brocken zu verdauen be- 
kam. Wie aber geschieht es in Steiermark (und nicht viel besser im slawischen 



Digitized by Google 



Theile Kärnthens und in Krain)? Der beliebte Gemeinplatz sagt zwar, die la- 
teinische Sprache sei eine todte, die deutsche hingegen eine lebende. Allein was 
liegt denn daran, ob die unverstandene Sprache eine alt- oder neugriechische ist; 
unverstanden ist sie jedenfalls, und der Geist hungert fort nach einer entsprechen- 
den Nahrung. Das erste Büchlein, das das siebenjährige Kind bei uns in die Hände 
bekommt, ist auf einer Seite windisch, auf der andern deutsch; da werden dann 
die deutschen oder besser die golhischen Buchslaben zuerst gelehrt, und fleissig 
das Lesen der deutschen Seile geübt. Wenn dann das Kind endlich das ihm 
rein Unverständliche ziemlich fertig aus dem Kopfe herableiern kann, dann erst 
beginnt der Unterricht im Kennenlernen der lateinischen oder windischen Buch- 
staben. Dies tritt beiläufig nach Verlauf eines halben Jahres ein. Nun sollte 
man meinen, wird der Muttersprache wenigstens eben so viel Zeit gegönnt. Al- 
lein mit nichten! Man geht da wieder von dem freilich wenig pädagogischen 
Grundsatze aus, „dies könne (? — !) das Kind selbst auch thun." In der Folge 
bekommt es einen eben so eingerichteten Katechismus, und der Katechet, der die 
Kinder die Religionslehren in deutscher Sprache am besten herabschnatlern lässt 
(denn vom Verstehen und Fühlen kann bei solchen Umständen doch wohl keine 
Rede sein), erhält vom Herrn Dechante die tüchtigste Belobung. Das Rechnen 
wird durchgehends deutsch vorgenommen; nur die kleinsten Kinder lernen win- 
disch „zählen", was für eine grosse Begünstigung gilt. Ich wage nicht zu viel, 
wenn ich behaupte, dass es im ganzen Cillier und Marburger Kreise nicht drei 
Schulen gibt, in denen die Kinder auch nur das Wort „multiplic iren" in 
ihrer Muttersprache auszudrücken im Stande sind. Noch schlechter steht es mit 
der Sprachlehre. Wie habe ich geseufzt, wenn ich in windischen Schulen das 
nämliche Schulbuch sah, welches in den Schulen zu Gratz gebraucht wird. Welche 
unsägliche, und trotz dem durch und durch nutzlose Mühe für das arme ge- 
plagte Kind, wenn es die Regeln der deutschen Sprache, die noch dazu für 
Deutsche abgefasst sind, in der nämlichen Sprache lernen soll. Will man uns 
Deutsch lehren, gut, wir wollen noch dankbar dafür sein •); aber man greife es 
nur mit etwas mehr Verstand an, und das Bemühen soll auch bessere Früchte 
tragen. Die Sprachlehre soll, wie die Pädagogen lehren, die Logik des Volkes 
sein: wo löst sie hier ihre Aufgabe? Ich überlasse es der Denkkraft des Le- 
sers, die Folgen dieser Handlungsweise weiter fortzuführen, und bemerke nur 
noch, dass der Geist eines solchen Kindes verkrüppeln miiSS. Was endlich 
die Rechtschreibung betrifft, so sieht es um keinen Heller besser aus. Ich habe 
einer bedeutenden Anzahl von Schulprüfungen beigewohnt, aber nicht ein einziges 
Mal, sage nicht ein einziges itlnl auch nur einen einzigen Satz in slowe- 
nischer Sprache dikliren hören. Wenn nun solche Kinder nach diesem widersin- 
nigen, vier- bis fünfjährigen Unterrichte aus der Schule treten, so sind sie nach 
dem Ausdrucke eines slowenischen Bauers, den ich über den Nutzen der Schulen 
für seine Kinder befragte, „dümmer, als sie vor dem Eiutritte in die Schule 
waren." Wie oft hörte ich die Klage wiederholen, dass die entlassenen Schüler 
nicht einmal die Arbeiter sich verzeichnen können. Das ist ganz natürlich; denn 
um das Deutsche vollständig zu erlernen, dazu wäre für's erste eine mensch- 
lichere Methode nothwendig, wo dann eine Stunde formell und materiell mehr 
Früchte tragen würde, als gegenwärtig drei. So aber sind die an sich wenigen 
Stunden ungeregelten Hineindiängens von unverstandenen, fremden Materien (denn 
der Geist, die Form und das tiefere innere Wesen des Unterrichts geht für solche 



•) Jedenfalls aber doch erst dann, wenn die Kinder in den übrigen zum Leben un- 
umgänglich nothwendigen Kenntnissen genugsam fortgeschritten sind ; denn in slawischen 
Dorrschulen können wir das Deutsche niemals anders, als nur als Lehrgegenstand gut 
heissen. Die Red. 



Digitized by Google 



305 



SchOler a priori verloren) wohl nicht hinreichend zur Erlernung einer beinahe 
regellosen Sprache, wie die deutsche ist, zumal die angewandte Sprachlehre dem 
Geiste der Lernenden nicht angepasst ist, und überdies das Kind gar keine Ge- 
legenheit hat, sich in derselben zu üben. Andererseits kann aber der aus einer 
solchen Schule Entlassene auch kein windisch geschriebenes Buch lesen, wenn er 
sich nicht durch Privatfleiss dazu befähigt hat. Und ist das nicht traurig, wenn 
das Schulkind besser wissen soll, was ihm frommt, als der Staat? 

Auf diese Weise muss die slowenische Nation mit jedem Tage zurückschrei- 
ten. Die Bildung muss volkstümlich von Innen hervorgehen, wenn sie gedeihen 
soll; die von Aussen eingepfropfte fremdartige kann nur zusammengeschrumpfte, 
elende Früchte tragen. — Oder glaubt man denn wirklich, die deutsche Sprache 
sei die alleinseligmachende, wie der gewesene Herr Oberpräsident? 

Ich habe sehr häufig sagen hören: die Nation solle sich selbst helfen, allein 
sie sei zu faul, zu geistlos. Auf solche Vorwürfe soll man eigentlich gar keine 
Antwort geben. Wo ist das Volk, das seine Schulen ohne Mitwirkung oder gar 
gegen den Willen der Regierung in die Höhe brachte? Selbst tüchtige Schul- 
bücher fehlen uns; aber warum will der Staat nicht auch hier, wie für die 
deutschen Schulen, Prämien auf die besten und gelungensten ausschreiben ? — trägt 
der steirische Slowene weniger Steuern, als der deutsche? — Aber es gibt doch 
auch bei uns wenigstens einige, vernünftiger eingerichtete Bücher; so die 1838 
gedruckte, mit dem Schulbuchstempel versehene deutsche Sprachlehre (in slowe- 
nischer Sprache); eben so die werlhvollc Grammatik von Vodnik, deren Gegen- 
stand die slowenische Sprache ist. Aber sie sind nicht als Schulbücher eingeführt. 

Hiermit ist aber auch schon der Grund dieser schlechten Lage unserer 
Volksschulen angedeutet. Der Staat thut wohl etwas, aber so, dass wie oben 
gezeigt wurde, wenig Früchte daraus blühen können; eben so wenig oder eigent- 
lich viel weniger noch thun die Stände, die ganz deutsch, mithin für unser Wohl 
sorglos sind. Wie elend steht es hei uns mit der Besetzung der Lehrerstellen! 
Man fordert von dem zum Lehrer zu Wählenden nur die Kenntniss der deutschen 
Sprache, das Windische berücksichtigt man nicht weiter, als dass ein solcher im 
windi&chen Gebiete geboren sein muss; so geschieht es denn nur zu häufig, dass 
Leute den ersten Unterricht erlheilcn sollen, die zwar vielleicht ihre ersten sie- 
ben bis neun Lebensjahre im Windischen zubrachten, dann aber zehn oder raeh- 
Tere im Deutschen verlebten und deutschen Unterricht genossen, ohne sich um 
die windische Sprache zu kümmern. Wie können sie eine solche Sprachkenntniss 
besitzen, als erforderlich ist? Lehrstühle der windischen Sprache gibt es im 
ganzen Lande keine, ausser in Grälz, für deren Errichtung wir den Ständen 
Übrigens den heissesten Dank sagen. Aber von den angehenden Lehrern fordert 
man keinen Beweis, dass sie diesen Kursus durchgemacht, noch überhaupt, dass 
sie des Windischen genug mächtig sind. Die juridischen Professoren in Gratz 
müssen sich mit einem Zeugniss über die Kenntniss der italienischen Sprache aus- 
weisen; allein bei den Slowenen wird nicht gefordert, dass sie ihre Sprache ver- 
stehen, obgleich sie rund um das Schulhaus ertönt! Der Elementarunterricht ist 
gewiss fur's Volk wichtiger und folgenreicher, als die juridischen Studien. Was 
Wunder, dass uns ein sehr schätzenswerther Professor eines hiesigen Gymnasiums 
klagte, er bemerke unter den Slowenen tüchtige Talente, aber sie seien lau, für 
jedes edlere Wissen träge. Der verkehrte Elementarunterricht trägt die Schuld 
davon. — Freilich würde auch mit der Forderung eines solchen Zeugnisses nicht 
viel gewonnen sein; denn der gegenwärtige „Professor der windischen Sprache" 
hat bei dem Ertheilen der Zeugnisse den Grundsatz, dass jeder im Windischen 
Geborne schon Windisch könne, daher es nicht nolhwendig habe, den Kurs zu 
besuchen, und trotz dem ein Zeugniss bekommen dürfe. Auch ist seine Lehr- 
weise, sein verzweifeltes Phlegma keineswegs geeignet, Jemandem Liebe zu einer 
Sprache einzuflössen, die so oft dem Spotte und dem Leumunde der nächsten 



Digitized by Google 



Umgebung ausgesetzt ist. Ist es unter solchen Umständen ein Wunder, dass es 
bei uns Lehrer gibt, die nicht im Stande sind, ein Substantiv der Sprache zu 
dekliniren, welche der Gesammtheit seiner Schüler Muttersprache ist! Ich mei- 
neslheils kenne den grössten Thcil der Lehrer in unserem Lande; aber mir ist 
nur ein Einziger bekannt, welcher die windische Sprache studierte, und auch 
bemüht war, in seiner Schule eine vernünftigere Methode einzuführen. Allein 
gegenwärtig hat sich selbst dieser wegen der vielen Verdriesslichkeiten, die man 
ihm anthat, zurückgezogen. — Wie steht es bei solchen Umstanden mit der 
Geistlichkeit? Wir sagen kühn: bedeutend besser! Die jungen Theologen sind 
nämlich verpflichtet, den windischen Lehrkurs durchzumachen, und wenn sie schon 
dadurch zu besserer Kennlniss und grösserer Geläufigkeit im windischen Ausdruck 
geführt werden, so wirkt auch noch ihr Beruf und mancherlei andere Umstände 
wohlthätig auf ihre volksthümliche ThäligkeiL Es gibt in der Beziehung mehrere 
recht achtungswerthe Männer, die sich die Sache der Nation recht ange- 
legen sein lassen; besonders war es eine gewisse Epoche, in der fast lauter be- 
geisterte Slowenen aus dem Priesterhause traten, die bis jetzt freudenvoll ihrer 
Muttersprache pflegen. Freilich sind diese Herren grössten Iheils noch ziemlich 
jung, und nehmen daher nur untergeordnete Stellen ein. Und bei allem dem sind 
sie immer noch nicht allzu zahlreich. Und wie kann es anders sein? Bei weitem 
die meisten Theologen werden durch den Unterricht ihrer Nation entfremdet. 
Denn wenn sie auch die ersten zehn Lebensjahre im Windischen verleben, so 
bringen sie doch die hierauf folgenden zwölf wichtigsten unter Deutschen, bei 
rein deutschem Unterrichte zu, wo nicht selten selbst Öffentlich mit Verachtung 
auf ihre Herkunft hingewiesen wird, so dass sie nicht seilen anfangen, sich ihrer 
eigenen Nation zu schämen. Das Unglück wird noch grösser, wenn der Seel- 
sorger einer rein windischen Gemeinde auch von Geburt deutsch ist. So kennen 
wir einen solchen, der gezwungen ist, jede Predigt mit Hülfe des Wörterbuchs 
und der Grammatik zusammenzustöppeln. Wie leicht entschuldigen sich dann 
solche Geistlichen mit dem Grundsalz: „Die Kinder sollen deutsch unterrichtet 
werden, denn die windische Sprache ist zu nichts." — Wir sehen wahr- 
haftig nicht ein, warum man einen solchen Unglücklichen mit einer solchen Gemeiude, 
und eine solche Gemeinde mit einem solchen Seelsorger martert. Denn allgemein 
macht man ja die Bemerkung, dass sich besonders aus den sieirischen Winden 
alljährlich eine Menge Jünglinge zn dem geistlichen Stande wenden, weshalb ein 
Mangel an windischen Seelsorgern gewiss nicht stattfindet; auch sind sogar an 
vielen deutschen Stellen Slowenen angestellt. 

Diese Yorliebe für den geistlichen Stand, so wichtig und fruchtbringend 
für die Nation sie ist, bringt doch auch ein Uebel hervor: den Mangel an win- 
dischen Beamten und Männern in den anderen Ständen. 

Ziehen wir nun die Resultate aus dem Ganzen, so werden wir finden, dass 
unsere Landschulen um nichts besser sind, als jene im preussischen Polen; dass 
man bei uns zwar kein solches Geschrei mit der Germanisirung macht, wie dort, 
dass man aber desto mehr im Stillen wirkt und wirken lässt. Und man muss 
gestehen, diese Methode ist mit viel weniger Hemmnissen verbunden, als die in 
den preussischen Ländern angewandte. Trotz dem aber hat doch die ganze Zeit, 
in welcher dieselbe nun schon angewendet wird, das Volk höchstens einige Klei- 
nigkeiten des Deutschthums angenommen, einige verstümmelte Wörter und Redens- 
arten und hie und da die deutsch-französische Hose. Auf diese Weise hat man 
also bisher nichts gewonnen, als dass die Nation Nichts gelernt hat, und noch 
jetzt auf derselben Stufe steht, auf welcher sie vor jener Zeit stand — wahr- 
haftig ein trauriges Ergebniss so mannichfalliger Mühen und so bedeutender Opfer. 

Jozi'ptd. 



Digitized by Googl 



fc. JDie läiedersänger in Polen und im Mussinenlande. 

Historisches Gemälde von K. WL Wojcicki. 

„ Dahin «lud jene polnischen Barden und Guslaspieler, 
dlo mit den benachbarten Druiden wetteiferten, wer am 
beaten die Seinen zur Schlacht anfeuern oder aie am besten 
beim Mahle ergötzen konnte. Ihre Lieder sind ver» cb wun- 
de u aus dem Gedächtnis» der Bokel und ihre verstummte 
Harfe verwittert in Vergessenheit." 

Alexander Chodzko. 

I. 

Die erste Benennung der Guslaspieler verschwand in unserem Volke zugleich 
mit dem Andenken an sie selbst. Die alten Lieder, diese Denkmaler entschwun- 
dener Jahre, geriethen immer mehr und mehr in Vergessenheit, und nur im Munde 
der Landleule erhielt sich ein schwacher Wiederhall nicht geschichtlicher Erin - 
nerungen, sondern nur des eigentlich slawischen Charakters, Geistes und Sinnes. 

Nur selten sieht man jetzt die Kobsa, nur selten begegnet man einem zum 
Erwerb umherziehenden Dudelsackpfeifer (Dudarz), und dennoch gab es deren 
unter Stephan Balory eine solche Menge, dass der Reichstag vom Jahre 1578 
die Verordnung erliess, von jedem Dudelsackpfeifer eine jährliche Abgabe von 
24 damaligen Groschen zu erheben. Der Dudelsack und die Leier widerhallten 
auf den Burgen der Fane (des hohen Adels) und den Höfen der Schlachta (des nic- 
dern Adels); selbst der Kitter, wenn er mit bestaubter Rüstung aus der Fehde 
heim kam, schämte sich nicht, auf der Kobsa, oder der Leier, oder der Ban- 
dura zu spielen. Als der berühmte Held Fürst Samuel Korecki (welchen Twar- 
dowski aus Skripna wohl mit Recht den türkischen Donnergott nannte, siehe 
WJadislaw IV. Kröl Polski i Szwedzki w Lesznie 1649) nach einer unglücklich 
ausgefallenen Schlacht in türkische Gefangenschaft gerieth, spielte er auf der 
Kobsa und ergötzte dadurch seine unglücklichen Gefährten (siehe Obraz wieku 
Zygmunta III. Franciszka Siarczynskiego T. I.). — Die Kobsa, auch Koza und 
Du da genannt, war in den Gegenden der oberen Weichsel, die Leier und Ban- 
dura dagegen bei denRussinen am gebräuchlichsten 4 ). Der Dudelsackspieler gab 
es eine ausserordentliche Menge; manche waren in Städten und Dörfern ansässig, 
viele wanderten auch umher und durchzogen mit der Kobsa und ihren Liedern 
Dörfer, Gehöfte und Schlösser. 

Allein im Russinenlande gibt es einen besondern Stand, die „Sänger"; 
Spiewacy. Es sind dies Blinde, die jedoch nicht von Natur blind, sondern sich 
entweder selbst geblendet haben oder von ihren Aellern geblendet wurden. In 
Pokucien am Fruth kannte ich einen Allen, der zwei seiner Enkel geblendet 
halte. Ein solcher blinder Greis spielt entweder selbst auf der Leier, oder wird 
von einem jungen Sohne begleitet, der ihm auf der Leier aecompagnirt. 

Rührend ist der noch bis zur Stunde nicht seilen sich darbietende Anblick 
eines solchen blinden Greises, wenn er den Quersack über der Schulter, auf sei- 
nen jugendlichen Sohn gestützt, durch Dörfer und Gehöfte dahin wandert. Der 
Greis setzt sich nieder: an der Stelle seiner Augen rollen graue, glanzlose Flä- 
chen umher; der Sohn an seiner Seite dreht die Wirbel, gewandt schlägt er die 



*) Im Lande Pokucien, zwischen dem Dniester und Prath, im Dorfe Czortowic, 
war ein russischer Bauer bekannt, der ausgezeichnet den Dudelsack suielte, und mit sei- 
nen Liedern und Tänzen die Iidelteute ergötzte. Dort (tat sich auch das Andenken an 
ihn noch erhalten. 

Slaw. Jahrb. I. 41 



Digitized by Googl 



Tasten der Leier und entlockt ihr harmonische Laote zar Begleitung bald eines 
andächtigen Liedes, bald einer trauervollen Durae (Volkslied). Allein der ächte 
Sänger beginnt weder eine alte Dume noch eine lästige Kolomejka, bevor er 
nicht das Lied vom heiligen Nikolaus gesungen: 

„Keinen grössern Beschützer gibt es auf Erden, (so singt der Leierspieler), 
als den heiligen Nikolaus; auf ihm ruht all unsre Hülfe, all unser Verstand; er 
errettet den Gefangenen, die Waise, die Witlwe. Hast du gesündigt und betest 
zu ihm, so führt er dich auf den Weg der Wahrheit, verjagt von dir die reis- 
senden Wölfe und verscheucht des Teufels Hinterlist. — Hort der Waisen, Pfle- 
ger der Armen! — Um vfas du ihn auch bittest, in Allem hilft er dir; und 
wenn der Tag des schrecklichen Gerichts naht, so ist er der Schulz und Schirm 
der Sünder." 

Wenn der Leiermann diesen andächtigen Gesang geendet, erinnert ihn der 
Greis an irgend eine Dume, und nun spielt und singt der junge Spielmann desto 
lustiger die weltlichen Lieder, vergisst aber nicht, sie mit einer lustigen Kolo- 
mejka zu schlie3sen. 

So ziehen sie von Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof ; der Blinde füllt seinen 
Quersack mit Lebensmitteln, sammelt Geld in seinen Säckel und kehrt dann fröh- 
lich in seine Hütte zurück, um in sorgloser Genügsamkeit das Erworbene zn 
verzehren. Gewöhnlich gehört dieser Panjenko (Herrchen), wie man ihn im Rus- 
sinenlande nennt, zu den reichsten Leuten der Umgegend; gewiss gibt es im 
ganzen Dorfe keine reichere Stube, als die seinige, kein Mädchen kleidet sich 
so gut, wie die Tochter des Panjenko, und gross ist das Ansehen und die Hoch- 
achtung, welche er von den Seinigen geniessL Was Wunder, dass der in solcher 
Sorglosigkeit lebende Vater seine eigenen Enkel blendet, damit sich in seinem 
Stamme das ehrwürdige Geschlecht des Did (des alten Grossvaters) erhalte; denn 
der Panjenko ist stolz darauf, von sich sagen zu können: Mein Grossvater hat's 
von seinem Grossvaler, meines Grossvalers Vater vom Urgrossvater. — Im Dorfe 
Matyjewka, am Prut, nicht weit von der Stadt Kolomia (im östreichischen Galli- 
zien), traf ich ein achtes Musler dieser Panjenko 's. Auch weiss ich ganz be- 
stimmt, dass es in der Gegend von Grubeschow, in den russischen Niederlassun- 
gen, vor einigen zehn Jahren ähnliche Blinde gab. Ohne Zweifel exisliren sie 
auch jetzt noch daselbst. — Auch in Polen gab es vor einigen Jahrhunderten blinde 
Bettler, was ein alter Dialog bestätigt, der 1553 in Krakau bei der Wittwe 
Fiorianowa in klein Oktav gedruckt wurde, worin eine Hexe, ihre Vergehen ein- 
gestehend, unter andern sagt: 

Was anderes führte ich einstmals noch aus: 
Einem Vetter, gar alt, stach die Augen ich aus; 
Doch ein Unglück für ihn war das nimmermehr; 
Jedweder gab, wenn er so zog einher, 
In seiner Blindheit und Dürftigkeit 
Ein Hellerlein gern ihm und schnell bereit. 

Die Panjenko's spielen auch selbst auf der Leier. Im Jahre 1832 traf ich 
auf den Bergen, nicht weit von dem berühmten Wasserfall des Prut, einen jun- 
gen blinden Menschen. Zufällig kam zu selber Zeit ein sehender Leierspicler 
herzu und fing an zu spielen. Bei den ersten Klängen erbebte der Blinde und 
bat inständigst, man möchte ihm die Leier geben; seine Finger zitierten und mit 
voller Gier streckte er die Hände aus wie nach einem Schatze. Aber der eigen- 
sinnige Leierspieler wollte ihm seine Leier nicht geben und kaum vermochte ihn 
ein Geschenk, den heissen Wunsch des Blinden zu erfüllen. Da ergriff der 
Blinde die Leier, freier athmetc seine Brost, er neigte den Kopf, legte das Ohr 
an das Instrument und begann den Wirbel zu drehen, um zu stimmen, während 

Digitized by Google' 



seine kundigen Finger über die Tasten liefen. Eine leichte Röthe trat auf sein 
blasses Angesicht, er war ganz durchdrungen yom tiefsten Gefühl. Ich gestehe, 
noch nie sah ich die Leier in den Händen eines so geschickten Meislers. Aber 
als der Blinde sein Spiel geendet, Hess er die ermatteten Hände kraftlos sinken, 
lehnte den Kopf an den Felsen, unter dem er sass und der Schwciss floss strom- 
weise über sein heissglühendes Antlitz herab. 

Die Leierspieler besuchen auch häufig die Gegenden an der obern Weichsel 
und die Masuren lieben diese singenden Spieler nicht weniger, als ihre berühm- 
ten masowischen Dudelsackspieler. *) Ich selbst erinnere mich noch eines greisen 
Leierspielers, der sich in Warschau zeigte. Hochgewachsen, etwas gebeugt un- 
ter der Last der Jahre, mit eisgrauem Haar und ehrwürdigem, klarem Antlitz 
trug er stets einen weiten hellblauen Mantel mit kurzem Kragen. Unter dem 
Mantel hatte er die Leier. Er ging von Haus zu Haus, sang alte Lieder und 
Dumen, und zeigte sich auch nicht selten selbst auf Spaziergängen, wo er melancho- 
lische Gesänge anstimmte. Ich erinnere mich seiner noch ganz genau; noch sehe 
ich dieses ehrwürdige, edle Antlitz mit Runzeln bedeckt, diese jugendliche Röthe 
auf den Wangen, diese langen, grauen Haare, mit denen der Wind spielte; sein 
langer Mantel — eine ganz ungewöhnliche Tracht unter der geputzten Menge der 
Bewohner Warschaus, die majestätische Gestalt des Greises, seine zitternde 
Stimme, welche so trefflich den bebenden Klängen der Leier entsprach: — Alles 
dies wirkte tief auf meine jugendlichen Sinne. Es war dies der letzte Sänger 
und Leierspieler, den man hier sah; inmitten der französirlen und germanisirten 
Stadt sang er mit dumpfer Grabesstimme seinen alten Gesang, den selbst ein 
schwaches Echo nicht wiederhallte. Niemand erachtete ihn damals seiner Auf- 
merksamkeit würdig. Ja ich entsinne mich sogar, wie er einst, aus einem Gast- 
hause kommend, wo er sich nichts hatte erspielen können, weil ihn eine leicht- 
fertige Frauensperson mit ihrem Kreischen überboten, wie in böser Ahnung zu 
mir sagte: „Schlimm genug, dass Ihr dem Allen nicht zuhören wollt, der Euch 
die alte Zeit und ihre Thaten ins Gedächtniss ruft/' — Zwei Jahre später, als 
ich ihn kennen gelernt hatte (in den Jahren 1816 und 1818), im Winter, starb 
er. Vergebens suchte ich ihn an den Orten, wohin er zu kommen pflegte, und 
wo ich so oft seinem Spiele und seinen Liedern zugehört hatte; ich sah den 
Blaumantel, wie man ihn nannte, niemals wieder. Seinen blauen Mantel hatte 
man ihm umgethan und ihn darin begraben; die Leier aber, auf der nun Nie- 
mand mehr spielen konnte, in den Kamin geworfen, um die Stube der armen 
Familie zu wärmen, bei welcher der Greis gewohnt halte. 



II. 

Viele Ursachen trugen dazu bei, dass diese Sänger und diese Musik mit der 
Gusla, dem Dudclsacke und der Bandura bei uns zu Grunde gingen. Die Haupt- 
ursachc lag jedenfalls in der Vorliebe zum Ausländischen, der Ausbreitung der 
italienischen Musik, dem Ueberhandnehmen der zahllosen Menge überseeischer 
Musiker und dem allgemeiner werdenden Gebrauche ausländischer Instrumente. 
Johan Gawinski ahnte den ganzen Verfall seines Instrumentes, als er im Jahre 
1688 in seinen Idillen die Grabschrift auf seine Kobsa schrieb, die auch bereils 
bei dem Adel in Vergessenheit kam. 



Ä ) Iwan Protasowicz nennt in seinem Werke: Inventores rerum (Wilno 1609. 4.) die 
masowischen Dudelsackspieler berühmt. 



Digitized by Googl 



310 



Ja ona stawna kobza, z deren iu zrobiona, 

z cnoty nad cytry swemu panu ulubiona, 

Dia lutni w ka^t rzucona, dzis* brzeczc z swierczami ! 

Ach cudze w cenie, swemi gardzimy cnolami! 

Das ist: Ich, jene berühmte Kobsa, gemacht aus Kornelkirschholz , — we- 
gen meiner Tugendeu von meinem Herrn mehr geliebt als die Cithcr, — um der 
Laute willen in den Winkel geworfen, schwirre heute mit den Heimchen. — Ach ! 
Fremdes ist in Ehren! unsre eignen Tugenden verachten wir. 

Indessen war die Kobsa nach dem Zeugnisse Rej's im XV. und XVI. Jahr- 
hundert das Lieblingsinslrument der Schlachta, Wenn ein Edelmann einige 
Freunde zu einem Gelage zusammenberufen wollte, so setzte er sich bis zur An- 
kunft der Gäste, um sich die Zeit zu vertreiben, hinter den Ofen ,** stemmte die 
Fflsse an die Wand und spielte sich etwas auf der Kobsa vor (s. Rej's „Leben 
eines Ehrenmanns.") Und in seinem „Schabernack (figliki)" schildert er auf 
ausgezeichnete Weise einen Edelmann, welcher an den Dudelsack so gewohnt 
war, dass er nach einem andern Instrumente nicht einmal tanzen konnte. 

Ziemianin sie oienil, nasz prostak u dwora, 
Nie umial tancowad bez dudy potwora: 
Panne, mu wywiedziono, pie^c piszezköw zagrato, 
Chlopisko jako wryte, posVöd izby stato. 

„By mi jechac do domu, ja nie pojde, tego, 
A co ja wiem, jako z nich mam stadial ktörego." 
AI mn polein gdzies' chtopa z dudarai nabyli, 
ledwo pana naszego w tanek wyprawili." — 

Der Landjunker heirathele, unser Simpel, nach einem Hofe (zn einem grös- 
seren Edelmann), — und konnte nicht tanzen ohne Dudelsack, der Tölpel. — 
Man führt ihm das Fräulein vor, fünf Pfeifer spielen auf: — das Bauerlein aber 

steht wie eingewurzelt mitten in der Stube. „Und sollt' ich auch so nach 

Hause ziehn, den tanz' ich nicht, — denn was weiss ich, auf welchen von ihnen 
ich hören soll." — Erst wie sie dann irgendwo einen Bauer mit dem Dudelsack 
herbeiführten, — da erst brachten sie unser Herrlein mit Noth zu dem Tänzchen." 

Der Adel, der zu jener Zeit mit treuer Liebe am Vaterländischen hing, 
hasste die ausländische Musik. Die Edelleute verstanden selbst auf der Kobsa 
zu spielen und hielten noch ausserdem eigene Dudelsackpfeifer und Banduraspie- 
lcr. Wenn ein Adliger sich zu einem Gastmahle begab, so ging immer ein zu 
seinem Hofe gehöriger Musikant voraus und spielte auf der Kobsa. Als diese 
Musikanten später durch Trompeter ersetzt wurden, gab man diesen des grösse- 
ren Glanzes wegen noch häufig Dudelsackpfeifer bei (Sebastian Klenowicz sagt 
in seiner Schrift Worek Judaszow: Er geht hinter dem Trompeter, geht hinter 
der Trompete einher.) Im Russinenlande wurden fast bis auf die Gegenwart her- 
ab anf den Edelhöfen Banduraspieler gehalten. — Auch in der Krakauer Pflege 
ist der Dudelsack unter der Benennung Koza oder Kobza unter den Gebirgsbe- 
wohnern im Gebrauche; in Grosspolen wird noch heutigen Tages keine National- 
musik ohne Dudelsack aufgeführt. Unsere wohlgebildeten Gebirgsbewohner gehen 
bei dem Ton der Kobsa ihre Freude eben so gut durch lebhaftes Schaukeln zu 
erkennen, als die slowakischen Bergbewohner unter den schneeigen Tatern, wenn 
sie ihre Gaida (Guda, huda?) hören. In Südrussland ist die Kobsa noch bis 
diesen Augenblick gebräuchlich. •) 



') Die Dudelsackspielcr hängen gewöhnlich sehr an ihren Instrumenten. Im Jahre 
1837 erhielt ich ein solches von einem Russinen aus Wolynien. Kr wollte mir es lange 



i 



Digitized by Google 



an 



Der grosspolnische Dudelsack unterscheidet sich von der Krakauer, der Ge- 
birgs- und der russischen Kohsa vorzüglich dadurch, dass der Spielende 
ihn nicht seihst aufbläst, sondern sich hierzu eines Blasebalgs bedient, der an der 
rechten Seite des Dudclsacks befestigt ist; auf diese Weise kann er auch spielen. 

Diesen Dudelsack-, Kobsa-, Bandura- und Leierspielern verdanken wir die 
Ueberlieferung der ältesten und schönsten Lieder, während das Andenken an die 
slawischen Guslaspieler gänzlich verschwunden ist Sie waren die wirklichen 
Repräsentanten der Kunst, denn sie gingen von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadl, 
und unterrichteten Andere im Liedersange und in der Musik. Von Jedem dersel- 
ben lässt sich sagen, was das kleinrussische Lied vom allen Widort sagt: 



„die alten Schlösser kennen ihn, 
die alten Thalen lehrt er Euch, 
in seinen Liedern lebten auf 
die todten Jahre, die todle Zeit 



Cmapn saMKii cro 3naiomb, 
Buht. Buxb ,v»BHM.\-b yui.i„n> bbct,; 
Bt> cro micHH.vb onimuiiaiouib 
3wicpawH .Imiia, 3Mep.ibiö «iaei>. w 



Wenn ein Leier- oder Dudelsackspieler sich zeigte, so lief das Volk so- 
gleich in Haufen zusammen, und ward dann von ihm gewöhnlich mit folgenden 
Worten angeredel: „Habt ihr guten Leutchen schon die Geschichte (HOBhiuomty) 
gehört?" Und war dann der Dudelsackspieler willens, ein historisches Lied zu 
singen, oder eine vaterländische Sage, so fing er so an: •) cm«ua ch HOM-b noBi>ma: 
geschehen ist uns eine Neuigkeit (d. i. Geschichte). — Kam er aber in ein herr- 
schaftliches Schloss oder in den Hof eines Edelmanns, so bat er gewöhnlich mit 
den Worten um Gehör: „Hört, ihr Edelfräulein und ihr ehrsamen Edelfrauen!" 
Und wenn er dann sein Lied endigte, so fügte er nicht selten, wenn er von einer 
entführten Jungfrau sang, die Lehre an: „Hört ihr Edelfräulein und ihr ehrsa- 
men Edelfrau'n, wie gut es ist, mit Abenlheurern herum zu wandern." oder: 
„Hört ihr jungen und mannbaren Edelfräulein, wie gar schlimm es ist, von Va- 
ter und Mutter zu wandern. " 

Dieselben Einleitungen, mit welchen wir hier die Leier-, Kobsa- und Du- 
delsackspieler den Gesang ihrer alten Lieder beginnen sehen, finden sich auch bei 
den grossen Sängern, die einige Jahrhunderte vor diesen lebten, und von denen 
sich einzelne Denkmale noch erhalten haben. Dies beweist die königinhofer Hand- 
schrift. Auch dort beginnt das Lied von dem Turnier am Hofe des F Arsten >n 
der Elbe mit den Worten: 



Znaraenajte starsi mladi 
0 polkach i o sjedani. 

Eben so das Lied von Jaroslaw: 

Zwjestuju warn powiest weleslawnu 
o welikich potkach, lulych bojech; 
naslojte i wes swoj um zbirajte! 
nastojte i nadiwno warn sluchu. 



Merkt ihr Alten auf und Jungen! 
Hört von Kämpfen, von Turneien. 



Ich verkünd' euch hochberühmte Sage, 
Von gewalt'gen Kämpfen, wilden Schlachten. 
Habet Acht und sammelt eu'r Gemülhe! 
Habet Acht und horcht den Wunderdingen! 



In der Sammlung slowakischer Lieder von Kollar (Narodnie Zpiewanki 
T. II. Ofen 1835) befindet sich ein Lied, das gerade so anfängt, wie dieses: 
„Nesem warn nowinu smulnau d. i. ich bring 1 Euch eine traurige Neuigkeit, d. i. 
Geschichte. 



nicht herausgeben, als aber ein Gefahrte ihn dazu beredete, so gab er es mir zwar, doch 
nicht ohne es unter heissen Thränen zu küssen, mehrere Male hin und her zu wenden 
und endlich zum Abschiede noch ein Lieblingslied darauf zu spielen. 

•) Siehe Wojcic's Piesni ludu Biatochrobatdw, Mazuröw w Rnsi i nad Bugu. T. I. II. 

Digitized by Google 



312 

Einen ahnlichen Anfang sehen wir auch in dem „Wort vom Heerznge Igor's", 
in diesem Denkmale slawischer Poesie aus dem Ende des zwölften Jahrhunderts. 
Darin fangt der alte Sänger so an: „Ware es nicht schön, ihr Brüder, nach 
altem Wort zu beginnen die mühsamen Nachrichten vom Heereszuge Igor's u. s. w." 

Ausser den polnischen Dudelsackspielern kamen auch serbische Sänger in die 
Gegenden der untern Weichsel, welche auf der Geige und Kobsa alte Weisen 
spielten und dazu Lieder sangen, wie die Polen und die mannhaften Chorwaten 
vor Zeilen die Türken geschlagen. Wir haben eine Schilderung aus dem XVI. 
Jahrhunderte, worin die serbischen Sänger und die polnischen Dudelsackpfeifer 
folgenderinassen erwähnt werden; 0 ) „Die Soldaten, die ihr ganzes Leben im 
Kriege zubrachten, wo sie des Trompeten- und Trommelschalles schon überdrüs- 
sig geworden waren, horchten mit Vergnügen den Tönen der Kobsa. Die durch- 
dringenden Zinkenbläser spielen den Kosaken kriegerische Lieder, und diese 
hören denselben zu, bis ihnen vor Trunkenheit die Augen zufallen/' 



III. 

Unter Diejenigen, welche nicht historische oder weltliche, sondern geistliche 
Lieder singen , gehören die sogenannten „Grossväter und Schüler" (dziady i zak). 
An einer andern Stelle werde ich mich weitläufiger von den Grossvätern aus- 
sprechen; jetzt will ich nur Einiges über die erstem bemerken. 

Schon Simon Starowolski beklagte sich 1625 über die Menge dieser Bettler, 
die er recht passend „Renner (bieguny)" nannte (Votum o naprawie R. P. 1625). 
Keine kirchliche Feier, kein Sonn- oder Festtag, selbst keine Hochzeit ging 
vorUber, ohne dass sich dabei nicht ein Schwärm solcher Bettler sammelte. Sehr 
treffend sagt das Sprichwort von ihnen: Keine Hochzeit ohne Freiwerber und 
kein Begräbniss ohne „Grossvater." Diese Bettler stellten sich in langen, dichten 
Reihen an der Kirche auf und fingen oft um die vortheilhaftesten Stellen Schläge- 
reien an, wobei sie sich ihrer Krücken und Stöcke als Waffen bedienten. Neben 
wirklichen Krüppeln, Armen und zur Arbeit untüchtigen Greisen gab es eine be- 
sondere Art Bettler, die sich von Geschlecht zu Geschlecht vermehrte, und ihre 
gesunden Kinder zu weiter nichts, als zur Bettelei erzog und tüchtig machte. 
Jeder Bettler hatte, als Erbe \om Vater und Grossvaler her, seinen eigenen Be- 
zirk, den er mehrere Mal des Jahres durchwanderte und so sein sicheres Brod 
hatte. Das fromme Volk, das in jedem Hilfsbedürftigen einen Lazarus des Evan- 
geliums sah, unterstützte auf diese Art selbst diese Lebensweise. Diese Alten 
durchzogen Dörfer und Städte, in schmutzigen Lumpen angethan, mit dem Du- 
delsacke in der Hand, eine Schapka oder einen Hut auf dem Kopfe, Quersack 
und Tasche auf dem Rücken, in der einen Hand eine Schüssel, in der andern 
den Rosenkrauz, bewaffnet mit einer knotenreichen Krücke, zuweilen auch mit 
einer Peitsche zum Abwehren der Hunde, ihrer erbittertsten Feinde (daher auch 
das Sprichwort: sie lieben ihn, wie die Hunde den allen Bettler), gestützt auf 
Krücken und Stelzfüsse, um sich das Ansehen von Krüppeln zu geben, mit einem 
Home, langein Barte und flehender, demüthiger Geberde. Der Bettler, der das 
Mitleid durch seine Lumpen erwecken wollte, musste nicht nur ein gutes Ge- 
dächtniss haben, viele Gebete auswendig wissen und fromme Lieder geschickt 
vortragen können, sondern auch ein Schlaukopf sein, welcher die geheimen Sor- 
gen und Bedürfnisse der Leute seines ganzen Sprengeis errielh und allenfalls nach 



°) Swiatowa rozkosz, 1630, in 4°. Im XVI. Jahrhnndert fing man schon an, sich 
gegen den Dudelsack zu erklären. Rej liebte ihn nicht und machte sich oft lustig über 
ihn. — Rysinski verspottet in seinen Gesprächen gleichfalls die Kobsa. 



Digitized by Google 



Kräften benutzte. Nach einigen Gebeten und geistlichen Gesftngen, welchen die 
Landleute andächtig zuhörten, erlaubte man ihm, sich zu erholen und nach Wohl- 
gefallen sich einzurichten. Alsdann halle er ein bequemes Leben, und mit den 
Fragen: „Woher kommst du, Alter? Was gibt's Neues?" eröffnete man ein 
langes Geschwätz über die Chronik des ganzen Bezirks. Ieh schweige davon, 
was die Bettler thaten, wenn ihrer mehrere daheim zusammen kamen, wo sie sich 
vor Niemand scheuten, und bei einem Glase Schnaps ihre ganze Sittenverderb- 
niss biossteinen, ja oft die schmachvollsten Dinge trieben. Hier rühmten sie 
sich, wie sehr sie hätten schluchzen müssen, um den Leuten ein Almosen zu ent- 
locken, und wie sie sich verkrüppelt gestellt, um Mitleid zu erwecken; bei sol- 
chen Zusammenkünften vertranken und verjubelten sie ihre letzte Kopeke. Mit 
greinender, weinerlicher Stimme bat der Bettler um eine Gabe, wurde sie ihm 
jedoch abgeschlagen, dann schickte er dem Verweigernden leise Flüche und Ver- 
wünschungen nach. 

Zur Zeit von Kirchenfesten sangen sie, eine fromme Miene annehmend, all- 
überall religiöse Lieder, nicht nur an den Thttren der Bauernhäuser, sondern 
auch an den Thüren der Edelhöfe. Bei einer solchen Gelegenheit sangen sie 
ohne alle Musikbegleitung; in Russinenland hingegen verbanden sie mit dem Ge- 
sänge auch das Spiel auf der Leier. 

Von solchen Liedern entsinne ich mich noch eines kleinen Bruchstücks, das 
von dem jüngsten Gericht und dem Antichrist handelte und die Zuhörer mit 
Grauen erfüllte. 

Donner werden ringsum krachen, 
werden Mensch und Thier erschlagen. 
Ach! wohin soll'n wir uns flüchten, 
wenn wir diese Jahr' erleben. 
Antichrist wird üb'rall reiten, 
Ofen von Eisen an der Seiten: 
Wird, wer nicht an ihn will gläuben, 
Jeden in den Ofen treiben. 

* 

Am öftersten aber sangen sie das Lied vom Lazarus, welches der Zuhörer 
Mitleiden am besten erweckte und das etwa folgenden Inhaltes war: „Was ist ge- 
schehen vor Jahren? — Es war ein reicher Mensch, der halte Gewand von Sil- 
ber und Gold. Er ass, trank und tanzte nur, und bankellirte Tag und Nacht 
und nährfe Stolz in seiner Brust. Und obwohl er nun so in Ueppigkeit lebte, 
so starb doch Lazarus vor Hunger auf dem Dünger. Als ihn der Reiche sah, 
wandte er sich ab von ihm, und als Lazarus ihn als christlichen Glaubensbruder 
um Hülfe ansprach, so schmähte ihn der Reiche und spie ihn sogar mit Verach- 
tung an. Lazarus starb in Armuth, aber den Reichen ereilte seine Strafe. Die 
Teufel stürzten auf sein Schloss los: 

W lern smierl go dusiö skoczy, 
Na wierzch wylazly oczy, 
az z gardla piana toczy. 

A wtem okrutni czarci, 
Jako na zwierza charci, 
Srogim jadem za2arci, 

Porwali go cze*m predzej 
od skarböw, od pienie^dzy, 
do piekta wiecznej n^dzy. 

Tarn gore od dnia do dnia 
Ten nieszczesliwy zbrodnia, 
j^zyk jako pochodnia. 

Digitized by Googl 



da springt der Tod, ihn zu würgen, 
auf den Scheitel kriechen die Augen, 
ja aus der Kehle rinnt der Schauin. 

Da reissen grausame Teufel 
wie mit grimmen Gift genähret 
Windspiele auf das Jagdthier, 

ihn weg so schnell als möglich 
von seinen Schätzen und Geldern, 
in der Hölle ew'ge Glulhnoth. 

Dort brennt von Tag zu Tag 
der unglückselige Missethäter, 
seine Zunge ist wie eine Fackel. 



In diesen Bettlern sehen wir den Ueberrest unserer alten Wallfahrter oder 
Pilgrimme, welche neben andächtigen Liedern auch morgenlandische Mährchen 
und italienische Geschichten unter dem Volke ausstreuten, wie man sie noch heu- 
tigen Tages auf den Dörfern überall erzählt. •) 

IV. 

Wenden wir uns wieder zu unsern Liedersängern. Bei ihnen wurde die 
ukrainische Kobsa eben so sehr gelobt, als der russische Dndelsack verachtet und 
verworfen. So heisst es in der Genealogie desNicydes, Krakau 1635: „Es kommt 
der Mittag, was hast du zu essen, armer Bursche? — Musst vor Hunger brül- 
len, wie ein russischer Dudelsak." 

Im XVI. Jahrhundert war besonders der masowische Dudelsack beliebt, mit 
welchem die Wallfahrter umherzogen, die in jener Zeil Kursoren genannt wurden. 
Sie sangen zu ihrem Instrument fromme Lieder und priesen die Wunder de3 hei- 
ligen Jerusalem. Unter den Dudelsackbläsern gab es selbst berühmte Musiker. 
Simonowicz lobt besonders den Kobsaspieler Daniel. Wie beliebt der Dudelsack 
in der Zeit Sigismund III. war, ersehen wir aus den Worten Kasper Mjaskow- 
ski's (im J. 1622): 

Ale niemasz nad nasze z krzywym rogiem dudy, 
bo te moie mieC* zawzdy i pachofek chudy. 

D. i.: Es gibt nichts über unseren Dudelsack mit dem krummen Home; — 
denn ihn kann jeder Zeit auch der ärmste Bursche haben. 

Auf Maskeraden befand sich der Dudelsack und die serbische Geige unter 
der Musik: „Die serbischen Geigen und die Dudelsäcke betäuben alles Uebrige 
— wenn die Masken von der Thür her nach dem Saale dringen. — Die Dudel- 
sackspieler duldeten auch keine andere Musik neben sich; vielleicht ahnden sie 
ganz richtig, dass die ausländischen Sitten sie von ihrem heimischen Boden ver- 
treiben würden. — Diese Verfolgungen begannen schon im XVI. Jahrhunderte. 
Man erklärte sich öffentlich gegen den Dudelsack und Salamon Rysinski führt 
ein spöttisches Sprichwort Uber ihn an : „Wen die Kobsa erheitert, ist ein gros- 
ser Glücksvogel." Und ein anderes, in welchem sich der Vorzug der ausländi- 
schen Laute ausspricht, lautet wieder: „Der Lautenspieler fängt nicht eher an, 
als bis der Dudelsackpfeifer schweigt" Gar bald schickte man, wie Gornicki 
erzählt, Männer nach Italien, das Lautenspiel zu lernen, und wenn man einen 
zu Grunde gegangenen Verschwender fragte, was er nun machen wolle, antwor- 
tete er: „Ich werde auf der Laute spielen und mich davon nähren." 

Ganz anders war es in den alten Zeiten, als Polen noch viele grössere und 
kleinere Burgen hatte, die von dem hohen und niederen Adel bewohnt wurden; 
da gab es für die wandernden Dudelsackspieler ein behagliches Leben, wie dies 
ein ungenannter Dichter vom Jahre 1633 (in der Szkolna mizeryja w dialog ze- 
brana) recht vortrefflich schildert: „Auf jedem, kleinen und grossen Schlosse 
(heisst es da), besonders wenn man neben einem zahlreichen Dienertross auch 



•) Wir wissen nicht, wie Wojcicki auf den Gedanken gekommen ist, den Ursprung 
unserer nationalen Mährchen und Erzählungen in das Morgenland und nach Italien zu 
versetzen, auch wären wir begierig, seine Gründe für den hier involvirten Gedanken zu 
hören. Bis dahin müssen wir offen gestehen, dass wir unsere volkstümlichen Mährchen 
und Erzählungen für reine Ausgeburt der Phantasie unserer Nation zu halten uns durch 
ihren Charakter und die acht nationale Form, in der sie auftreten, gezwungen sehen, 
worin wir allein schon den unumstößlichsten Beweis ihrer slawischen Ursprünglichkeit er- 
blicken. Jede andere Ansicht dünkt uns ein gänzliches Missverstehn des slawischen Alter- 
thums. Die Red. 



Digitized by Googl 



noch Musik treibt, gibt man bei den Banketten hinlänglich zu essen und zu 
trinken. 4 ' 

Die Dudclsackspieler hingen ihr Instrumente, durch die sie berühmt gewor- 
den waren, in den Kirchen vor den Heiligenbildern auf, wie dies im Jahre 1622 
Kaspar Mjaskowski seinem Schwager erzählt: „Das mach' du auch mit deinem 
Dudelsack, mein Schwager, — nagle ihn irgend wo neben der heiligen Gerlrude 
an; aber mit ihm zugleich auch die Geigen und die Tanze, — und deine Verfol- 
gungen des weissen (schönen) Geschlechts und die Seitcnscharwänze. " 

Im XVII. Jahrhunderle begann man schon allmählich, die Kobza anfzugeben. 
Die Musik bestand damals aus serbischen Geigen und Zimbals: „Ein Paar Ser- 
ben und ein Zimbal, vorwärts nun! zum Kreistanz; und mach' schnell vor deiner 
Dame einen tiefen Diener!" — (In Malhias's Rückkehr aus Podolien 1684.) 

Sowohl polnische als russische Edelherren hielten sich ihre Bandurenspieler. 
Als der königliche Prinz Jan Kasimir aus wichtigen Gründen in Frankreich ge- 
fangen gehalten wurde, so tröstete ihn ein Banduraspieler in seinem Missgeschick. 
(Carcer Gallicus Wassenberg.) Chrislophor Zborowski verwendete seinen Bandu- 
risten Wojtaschek zu wichtigen Aufträgen; derselbe gab dann in der Folge seine 
Briefe heraus und deckte seines Herrn Unterhandlungen mit den Feinden des Va- 
terlandes auf. Auch kennt wohl Jederman das Lied, das die Bandurenspieler 
von der Frohsinn erweckenden Bandura sangen: 

Moja bandura z samoho ziota, I Meine Bandura ist von ächten) Gold, 
kto na nij zahraje, bere ochota. | wer sie spielt, den reisst die Freude fort. 

Die Banduristen überlebten Dudelsackpfeifer und Kobzaspieler, welche bereits 
kein Haus mehr besuchten und nur in Gasthöfen und auf Bauerhochzeiten auf- 
spielten, während die Banduristen in den spätem Jahren der Regierung Stani- 
laro Augustus einen Platz in den Edelhöfen fanden. Der treffliche Maler Or- 
lowski malle ein ausgezeichnetes Bild, das zwei polnische Edellcule, von einem 
Gelage heimkehrend, darstellte: sie gehen lustig und guter Dinge mit gerötheten 
Gesichtern einher und hauen mit den Säbeln auf die Warschauer Brückenstrasse 
los; hinter ihnen her taumeln trunkene Diener, dem ganzen Zuge aber hüpft ein 
fröhlicher Bandurist voraus, welcher singt und auf der Bandura spielt. 

(Nach der Jutrxenka 1842.) 



3. Aktengem ässer Bericht 

über den Verein zur Unterstützung der unbemittelten lernenden 
Jugend de* GrossAerxogtAums Posen. 

Von allen, sei es geselliges Vergnügen, sei es wissenschaftliche Bildung zum 
Zweck habenden Vereinen des Grossherzoglhums, erfreut sich keiner einer 
so erspriesslichen und ausgedehnten Wirksamkeit, als der Verein zur Unterstützung 
der unbemittelten lernenden Jugend des Grossherzogthums Posen (towarzystwo 
naukowej pomoey.) Das erste Projekt zur Bildung dieses Vereins wurde mit dem 
Anfange des Jahres 1841 zur Oeffentlichkeit gebracht. Es wurde darin die 

Slaw. Jahrb. I. 42 



Digitized by Googl 



Ueberzeugnng ausgesprochen, dass „in der Masse des Volks Schätze moralischer 
Kräfte verborgen seien, die von feindlichen Umstanden bekämpft und vernichtet, 
dem Lande entweder nutzlos bleiben, oder gar eine demselben nachtheilige Rieh- 
tung nehmen, die aber unter sorgfältiger Pflege dem Gemeinwohl Früchte jeder 
Art bringen könnten. Es sei dem solcher Einsicht entspringenden Streben des 
Einzelnen nicht möglich, günstige Erfolge zu erzielen, sondern es müsslen für 
diesen hochwichtigen Zweck vereinte Kräfte thätig sein." Dieses Projekt, das 
unter einigen Modifikationen nach ertheiller Genehmigung der betreifenden Staats- 
behörde, als Statut der Gesellschaft angenommen wurde, werden wir seinem we- 
sentlichen Inhalte nach mittheilen. 

Die in ihrem Entstehen begriffene Gesellschaft liess vor der erfolgten Aner- 
kennung von Seiten der Staatsitehörde die Geldbeiträge von denen zeichnen, 
welche sich bei dem Interesse belheiligen wollten; mittlerweile führte sie aber 
auch ihre Korrespondenz mit dem Oberpräsidium der Provinz fort, und erhielt im 
März 1841 folgendes Schreiben des Herrn Oberpräsidenlen Flottwell: 

„Ich finde die Theilnahme für die Bildung der Jugend aus der ärm- 
lichen Volksklasse für die verschiedenen Berufsarten des bürgerlichen 
Lebens, welche Ew. gefallige Zuschrift und der ihr beigelegte dieslal- 
lige Entwurf ausspricht, so achtungswerth , und erkenne zugleich so leb- 
haft, wie wohlthätig ein Verein, durch Sie hervorgerufen, für die Provinz 
werden kann, dass ich mich freuen werde, wenn derselbe recht bald ins 
Leben tritt. Gegen die vorgelegten Grundsätze lässt sich nichts erin- 
nern etc." 

Es wurde in Folge dieses Bescheides, als die Zeichnungen der Geldbeiträge 
die statulenmässige Höhe erreicht hatten, das Statut dein Oberpräsidium aufs 
Neue behufs Ertheilung der Genehmigung vorgelegt. Folgendes war sein Haupt- 
inhalt: 

§. 1. Zweck des zusammentretenden Veseins ist, die bildungsfähige Jugend 
aus der Volksmasse hervorzuziehen, deren entdeckten Anlagen eine dem 
Nutzen des Landes förderliche Entwicklung und Richtung zu geben, und 
zu diesem Behufe ihr eine angemessene Unterstützung zu gewähren. 

§. 2. Die Fonds des Vereins bestehen aus freiwilligen Beiträgen und Ga- 
ben, welche von Jedermann und in jeder beliebigen Höhe angenommen 
werden. Der Verein wird für begrüudet erachtet, sobald die jährlichen 
Beiträge die Höhe von 2000 Thlr. werden erreicht haben. 

§. 3. Jeder Einwohner des Grossherzogthums Posen, welcher sich zu einem 
bestimmten Beitrage auf mindestens ö Jahre verpflichtet, ist Mitglied 
des Vereins. 

§. 4. Mitglieder, welche jährlich mindestens 20 Thlr. an Beiträgen ent- 
richten, haben das Recht, bei der Wahl der Direktion mitzuslimmen. 

§. 13. Ausser dem Sekretair soll kein Beamter des Vereins besoldet werden. 

§. 14. Die Direktion veröffentlicht alljährlich durch den Abdruck in Zeit- 
schriften einen Verwallungsbericht nebst Uebcrsicht der Einnahmen und 
Ausgaben des Vereins. 

§. IS. Den Kreis -Komitees liegt es ob, sich um Vermehrung der Zahl der 
Vereinsmitglieder zu bemühen, von ihnen die Beiträge zu erheben und 
diese an den Kassirer einzusenden und den Stadt- und Landschulen ihre 
sorgfältigste Theilnahme zu widmen. 



Digitized by Googl 



§. 20. Jedes Mitglied ist verpflichtet, für das Gedeihen des Vereins und 
die Erreichung seiner Zwecke zu wirken, und den Aufträgen der Direk- 
tion oder der Komitees zu genügen, den öffentlichen Prüfungen in Land- 
und Stadtschulen beizuwohnen, sich gutachtlich über die Aufführung der 
Schüler zu äussern, darauf zu ballen, dass die Kinder der von ihnen 
abhängigen Personen die Schulen fleissig besuchen, und solche, die sich 
durch Fleiss und Fähigkeit auszeichnen, herauszufinden und dein betref- 
fenden Komitee zu empfehlen. 

Besondere Bestimmungen. 

$. 21. Unterstützungen können nur Eingeborne des Grossherzoglhums Posen 
erhalten u. s. w. 

§. 22. Der empfohlene Knabe muss mindestens 10 Jahr all, beider Spra- 
chen mächtig sein u. s. w. 

§. 23. Die Unterstützungen der Direktion werden theils iu baarem Gelde t 
theils in Effekten, namentlich Kleidern, Büchern und anderen nölhigeh 
Unterrichtsmilleln für alle gemeinnützige Fächer gewährt; sie sind jedoch 
jederzeit widerruflich. Aus diesem Grunde hat die Direktion die durch 
den Verein unterstützte Jugend einer unausgesetzten Beaufsichtigung zu 
unterwerfen, und zu dem Ende mit deren Lehrern und Vorgesetzten fleis- 
sige Verbindung zu unterhalten. 

§. 24. Nach beendigter Ausbildung der einzelnen Stipendiaten wird die 
Direktion sich bemühen, denselben angemessene Anstellungen zu ver- 
schaffen. 

Die so entworfenen Statuten gingen an's Oberpräsidium und kamen in die 
Hände des Herrn Grafen Arnim. Derselbe gab seine Theilnahme für das Institut 
in folgendem Erlass zu erkennen; 

„Aus der noch an meinen Herrn Amtsvorgänger gerichteten und mir 
bei meinem Amtsantritte übergebenen Vorstellung habe ich sehr gern er- 
sehen, dass es Absicht ist, in der Stadt Posen einen Verein zu bilden, 
welcher den Zweck hat, die fähige Jugend aus der untern Volksklasse 
zu unterstützen und ihr die Mittel zu gewähren, sich für einen nütz- 
lichen Beruf auszubilden. — In Beziehung auf den Inhalt des entworfe- 
nen Statuts bemerke ich, dass, wie Ew. . . . Selbst anerkennen werden, 
der Zweck so allgemein und umfassend angedeutet ist, dass erst die 
spätere Entwicklung der Thätigkeit des Vereins ein bestimmtes Urlheil 
über seine Richtung gestalten wird. Bis dahin wird derselbe als eine 
erlaubte Privatgesellschaft, deren wohlthätiger Zweck im Allgemeinen 
alle Untertützung verdient, zu betrachten sein. Im Einzelnen finde ich 
bei dem Inhalt des Statuts nur zu bemerken, dass den Vorstehern resp. 
Mitgliedern des Vereins eine Einwirkung auf den öffentlichen Schulunter- 
richt und die Schulzucht, oder eine Beaufsichtigung der Schulvorstände 
oder Lehrer nicht eingeräumt werden kann, und der Besuch der Schulen 
seitens derselben auf die öffentlichen Prüfungen beschrankt bleiben muss. 
Dass die Mitglieder des Vereins auf den regelmässigen Schulbesuch der 
von denselben unterstützten Kinder durch Ermahnung der Aeltcrn hinwir- 
ken, kann nur wohlthälig sein und keinem Bedenken unterliegen u. s. w." 

Auf ein späteres Vorstellen bevorwortete Graf Arnim die Porlofrciheit der 
Korrespondenzen des Vereins, welche für den Umfang des Grossherzoglhums auch 
erlheilt wurde. So begann denn am 21. September 1841 die Wirksamkeit der 
Statuten und der, namentlich auch durch den verstorbenen Herrn Erzbischof von 



Digitized by Google 



Dunin unter der Geistlichkeit seiner Diöcese angeregten Thäligkeit gelang es, 
den Beirag der Zeichnungen weit über die statutenmassige Höhe zu bringen. 
Einzelne verpflichteten sich zu einem jahrlichen Beitrage bis zu 500 Thlr., und 
4,420 Thlr. waren gezeichnet selbst mit Ausschluss der Geistlichen, ron denen sich 
17 Dekanate, ein jedes etwa mit 10 Geistlichen, beiheiligten, die zusammen 
1,400 Thlr. einschrieben. 

Als der Verein auf diese Weise seine Existenz gesichert sah, begann er 
seine innere Organisation und gab sich bestimmtere Grenzen, jedoch streng nach 
Maassgabc seiner Statuten. — So erliess im Marz 1842 die Direktion folgende 
Instruktion an ihre Kreiskomitees. 

„Es gibt in unserem Grossherzoglhum bedauerlich viele Elementar- 
schulen, die theils Mangel an Lehrern leiden, theils aber mit solchen 
Lehrern besetzt sind, die entweder gar nicht, oder doch nur sehr un- 
vollständig sich der polnischen Sprache bedienen können. Die Ursache 
des Mangels ist wohl die Armulh der polnischen Bevölkerung, die ihre 
Kinder nur mit Muhe bis zu deren 14. Jahre in der Schule ballen und 
dem Lehrer seinen Fleiss nur gering lohnen kann. Es wolle daher der 
Komitee in den Land - und Stadtschulen die fähige und Lernbegierde 
zeigende Jugend, deren Armulh nachgewiesen ist, heraussuchen, und er- 
suchen wir, hierbei mit besonderer Sorgfalt zu Werke zu gehen; wir 
werden unsererseits den Wohllöhlichen Komilee, sobald er uns seine Anträge 
macht, mit den nölhigen Mitteln unterstützen, um das gewünschte Ziel 
zu erreichen. Auch denjenigen Lehrern, welche sich verpflichten, Schü- 
ler besonders zu bilden und für ein Seminar vorzubereiten, sollen Gra- 
tifikationen gegeben werden. Beim Examiniren solcher Kinder, die sich 
dein Lehrerberufe widmen wollen, ist besondere Vorsicht zu empfehlen; 
um sich über dieselben ein bestimmteres Urlheil zu verschaffen, würde 
man als ihr geringstes Aller das 14jährige zur Qualifikation annehmen." 
In der Instruktion vom Mai 1842 werden die Kreiskomite'es unter Anderem 
aufgefordert: 

„sie wollen sich in ihren Kreisen nach moralischen Lehrern umsehen, 
die auch zugleich geeignet seien, in den Anfangsgründen der lateinischen 
Sprache zu unterrichten, um die Jugend für die zweile Gymnasialklasse 
vorzubereiten. Diese Lehrer müsslen die betreffenden Schüler in ihren 
Häusern aufnehmen u. s. w." — „Diejenigen, welche sich weder für den 
Lehrerstand, noch für das Gymnasium eignen, werden als Handwerker 
unterzubringen sein, woran es uns so sehr fehlt u. s. w." 
Nach diesen Einrichtungen erschien ebenfalls im Mai desselben Jahres der 
erste vorläufige Bericht, der das Publikum von den Erfolgen der Vcrcinslbälig- 
keit unterrichten und dem Institut die öffentliche Theilnahme noch mehr gewinnen 
sollte: 

„Als vornehmlicher Gegensland der Bemühungen der Direktion stellte 
sich derselben zuvörderst die Nothwendigkeil der Bildung von Kreiskomi- 
te'es heraus. Es wurde darauf aller Eifer verwandt; indessen hat der 
bisherige Erfolg den Erwartungen nicht vollständig entsprochen. In vier 
Kreisen entbehrt nämlich die Direktion dieser zu ihrem Wirken so unbe- 
dingt notwendigen Organe; dafür aber muss dieselbe mit Freuden be- 
kennen, dass in 20 Kreisen die errichteten Komitees ihr Dasein offen- 
bart haben, in einigen sogar mit dem günstigsten Erfolge, und es zn 
erwarten steht, dass auch die übrigen Kreise bei einer so nützlichen 
Vereinigung der Kräfte zum allgemeinen Besten nicht lange ohne Re- 
präsentation des Vereins verbleiben werden. 

Aus Rücksicht, dass in der Stadt Posen die grösste Anzahl von Leit- 
instituten vorhanden ist, wurden die Komitees nach dem Umfange der 



Digitized by Googl 



Parochien errichtet Die Direktion hat seit der Generalver- 
sammlung (23. Oktober d. J.) neunundzwanzig Sitzungen abgehalten, und 
seil dem Monat Februar d. J., vonwo ab ein Journal eingeführt worden, 
sind über 400 Gesuche und Berichte befunden worden. Special- und 
Personalakten sind überhaupt 48 Bande angelegt worden. Bei Verleihung 
von Stipendien hat die Direktion die Statuten streng beobachtet und nur 
einem aus dein Kulmer Kreise gebürtigen Jünglinge eine Unterstützung 
aus der Rücksicht ertheilt, dass dieser sich verpflichtet hat, für die 
Zukunft seinen Wohnsitz im Grossherzoglhum zu wählen, sich in dem- 
selben für das allgemeine Wohl zu belhätigen, und weil aus jenem Kreise 
Beitrage zur Yereinskassc geflossnn sind. Den auf der Universität be- 
findlichen Studenten werden die Stipendien, wenn von ihnen gute Zeug- 
nisse, von Einigen auch Ausarbeitungen überreicht worden waren, halb- 
jährig, der auf Schulen befindlichen Jugend aber nur monatlich unter 
der Bedingung gezahlt, dass, wenn die Zeugnisse den Statuten des Ver- 
eins nicht entsprechen sollten, die fernere Unterstützung ihnen abgespro- 
chen werden würde; die Aufsicht wurde in dieser Beziehung auf das 
Gewissenhafteste geführt Dieselbe wurde insgesammt den Ko- 
mitees und den Lehrern der Jünglinge übertragen 

Nach Ausweis der Kassenbücher betrug die Gcsammleinnahme 5213 
Thlr.; von dieser Einnahme ist ausgegeben worden: 

an Stipendien auf das Beilragsjahr von Johanni 1841 bis 1842 
die Summe von 2891 Thlr. 
Es waren 114 Stipendiaten, wovon sich 17 auf Universitäten befan- 
den und 7 sich der Industrie widmeten." 
Noch in diesem Jahre erfolgte der zweite vollständigere Bericht. In dem- 
selben werden die günstigsten Erfolge und die freudigsten Hoffnungen ausgespro- 
chen, die Verdienste einzelner Mitglieder erwähnt, und eine Uebcrsicht von der 
umfangreichen Thätigkeit der Direktion gegeben. Hiezu gehört die Errichtung 
besonderer Alumnate in den Kreisen unter Leitung der Komitees, ferner die be- 
besondern Vorkehrungen zur Hebung der Industrie und der Handwerke. Nach 
diesem Bericht hatte der Verein 1330 Beitragende und gezeichnet waren jährlich 
13,709 Thlr., mit Einschluss der ausserordentlichen Einnahmen. Die ganze Ein- 
nahme sollte sich auf 27,646 Thlr. belaufen; 16,598 Thlr. waren schon an die 
Kasse abgeführt, 7,726 dagegen an Stipendiaten verausgabt. 

Hierauf ging den Kreiskomitees aufs Neue eine vollständige Instruktion mit 
dem Hauptinhalt der einzelnen Titel zu: 

a) Die Komitees bestehen aus 5 Personen, worunter ein Vorsitzender, ein 
Sekrelair und ein Rendaut. 

b) Die Komitees haben die Pflicht, die Zahl der Vereinsmitglieder zu meh- 
ren und die unterslülzungswürdige Jugend herauszufinden, resp. der Di- 
rektion vorzustellen; 

c) sie sammeln die Beiträge aus ihrem Kreise; 

d) sie erlheilcn der Direktion Bericht, gleichwie auch ihren Kommittenten. 
Höchst interessant ist der Bericht eines Komitee vom linken Wartheufer, den 

ich deshalb millheilen will: 

„Die literarische Abtheilung des Gostyner Kasino hat im März v. J. 
durch den „Volksfreund" ein Projekt zur Anlegung von Lesebiblio- 
theken bei den Dorfschulen veröffentlicht. Bisher gelang es die- 
ser Abtheilung, 15 solcher Lesebibliolheken anzulegen, an denen mit 
dem ungehofflesten Eifer nicht nur die Zöglinge der Schulen, sondern 
auch die älteren Landleute theilnehmend sich in die Bibliotheken drän- 
gen. Fast jedes Dorf (so schreibt ein Geistlicher) in meiner Parochie 
hat ein Paar Personen, die lesen können; diese tragen in arbeitsfreien 



Digitized by Goggl 



♦ 

Stunden im Kreise ihrer Freunde aus den entliehenen Büchern vor — auf 
den Gesichtern derer, die nicht lesen können, malt sich dann Traurig- 
keit, dagegen die, welche des Lesens fähig sind, sich mit stolzer Freude 
erfüllen. Die Lust zum Lesen ist so gross, dass sie die „Sonntags- 
schale" (eine in Lissa wöchentlich erscheinende Schrift religiösen Inhalts, 
woran aufgeklarte Geistliche arbeiten) gar nicht mehr aus den Händen 
geben möchten. Hiermit stimmen die Berichte vieler Dorfschullehrer voll- 
ständig überein. — Indem wir die schönen Früchte bemerken, die ans 
dieser erfreulichen Richtung gedeihen, so wenden wir die Aufmerksam- 
keit der Direktion darauf hin, und geben ihr anheim, die Kreiskomitees 
zur Beförderung dieser Bestrebungen mit den nöthigen Geldmitteln za 
versehen. Folgende Werke dürften sich vorzüglich zu einer wohlfeilen 
Büchersammlung eignen: 1) der Pilger in Dobromil; 2) Unterricht für 
Hausleute; 3) Schatzkästlein für Stadt und Land; 4) die Sonntagsschule; 
5) Centraischrift für Massigkeit; 6) Beispiel -Sammlung; 7) das goldne 
Thal; 8) der Volksfreund; 9) der gute Franz und der böse Kostus; 
10) Eustachius; 11) der christkatholische Religionsunterricht; 12) Büch- 
lein für Stadt- und Landschulen." 

Im Sinne dieses Antrags wurde sogleich eine Kurrende an die Kreiskomitees 
erlassen, damit so bald als möglich mit Hülfe der Gutsherren, Geistlichen und 
Lehrer solche Leseanstallen ins Leben gerufen würden. — Für so treffliche Lei- 
stungen erhielt der Verein auch in Kurzem nicht nur aus den Kreisen und von 
Privatleuten die Zeichen der deutlichsten Anerkennung, sondern auch die Behör- 
den sprachen dieselbe aus. Im August d. J. ging der Direktion ein Schreiben 
des Provinzial- Schulkollegiums vom Regierungs-Vicepräsidcnten Herrn Grafen 
Itzenplitz unterzeichnet, zu, worin es heisst: 

„In unserm Vcrvvallungsberichte über das höhere Schulwesen des 
Grossherzogthums Posen haben wir nicht unterlassen können, der erfolg- 
reichen Thätigkeit und der — so viel uns bekannt — wohlthätigen 
Folgen des Vereins zur Unterstützung der lernenden Jugend zu geden- 
ken. Der Herr Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal- 
Angelegenheiten hat davon gern Kenntniss genommen und uns beauftragt, 
der geehrten Direktion des Vereins seine ehrende Anerkennung auszu- 
sprechen. " 

Unter so freundlichen Auspicien ist dem Verein, bei dem sich fast der ganze 
Adel und die ganze Geistlichkeit des Grossherzogthums betheiligt hat, dessen Di- 
rektion Männer von äusserem Einfluss und den besten Gelehrten als Vorsitzende in 
Händen haben, wohl ein dauerhaftes, segensreiches Gedeihen vorherzusagen. Da- 
bei möge aber Niemand übersehen, welche ausserordentlichen Aufopferungen nölhig 
waren, um den in unserer Provinz so üppig wuchernden Pauperismus in den 
niederen Ständen zu bewältigen, und mögen sich besonders jene von Polen be- 
wohnten Provinzen ein Beispiel daran nehmen, denen grössere Vorarbeiten zu 
Gebote stehen. 

M. 



4. Bibliographische Uebersicht der Sammlungen 

slawischer Volkslieder 

Von P» J. Schaf arik. 

Die Zahl der Sammlungen slawischer Volkslieder war vor zwanzig Jahren 
noch höchst unbedeutend, im laufenden Decennium jedoch vermehrte sie sich am 

Digitized by Google 



3M 



mehr als das Doppelte; allein die Vollständigkeit in der Herausgabe derselben 
erreichte noch keine höhere Stufe. Es gibt wenig slawische Slämine, bei denen 
die Aufsammlung der Volkslieder völlig erschöpft wäre. Bei den südlichen, — 
wie allgemein bekannt ist, — an diesem geistigen Erbe überaus reichen Slawen 
liegen noch viele Schatze an verschiedenen Orlen verborgen; entweder sind sie 
nicht gesammelt, wie z. B. in Bulgarien, oder nicht herausgegeben, wie z. B 
in Ober- und Unter-Illyrien. Bei den nordöstlichen Slawen, nämlich den Gross- 
Klein- und Weiss-Russen , die den vorigen in dieser Beziehung an Reichlhum 
keineswegs nachstehen, beginnen eben jetzt Sammlungen zu erscheinen, die mehr 
in Ordnung herausgegeben sind und einen gewissen Grad von Vollkommenheit er- 
reichen; dessenungeachtet gibt es aber immer noch keine ganz vollständigen und 
gehörig geordneten Sammlungen. Auch bei den westlichen Stämmen, hei den Po- 
len, Czechen, Mähren und Slowaken, obwohl die Ernte schon vorüber ist, würde 
dennoch eine Aehrenlehre nicht vergeblich sein. Meine entfernten Freunde, so 
wie einige Reisende und Liebhaber der slawischen Literatur äusserten mehrere 
Male den Wunsch, ich möchte meine Uebersicht der slawischen Volkslieder, 
— welche Uebersicht ich auch jetzt, das Verlangen gewisser Freunde zu befrie- 
digen, den Lesern vorlege — ergänzen und in Ordnung bringen. Vielleicht wer- 
den Viele anders über die Arbeit des Verfassers urlheilen, indem sie seine 
„Uebersicht", die er selbst nicht für vollständig und unfehlbar ausgibt, für ge- 
ringfügig halten; besonders Diejenigen, welchen es angenehmer wäre, statt dieser 
trockenen Aufzählung langer Bücherlitel irgend einige scharfsinnige Bemerkungen 
über den Werth und die Wichtigkeit unserer Volkspoesie im Allgemeinen zu 
finden. Allein vielleicht ist ein solches langes bibliographisches Verzeichniss 
wenigstens einigen wenigen eifrigen Verehrern unserer Volkspoesie von Nutzen — 
Verehrern, welche bei dem jetzigen Zustande unserer Literatur, besonders des 
Buchhandels und der Journalistik, wissen wollen, zu welcher Zeit etwas heraus- 
gegeben wurde, um so mehr, als es überaus mühsam ist, alle diese Notizen zu 
sammeln. Und wenn übrigens ein Blick auf dieses täglich mehr und mehr auf- 
blühende Feld der Nationallileralur meinen Landsleuten, obschon auch nur auf 
kurze Zeit, einiges Vergnügen gewährt, dann wird diese Arbeit nicht vergeblich 
sein. Um völlig und allseitig den Geist zu verstehen, der sich in der slawi- 
schen Volkspoesie kund gibt — in dieser eigentümlichen Erscheinung, die in 
der neuern europäischen Literatur ihres Gleichen nicht findet • — ist es vorerst, 
nach unserer Ansicht, nöthig, sich sehr weilläuflige Materialien zu verschaffen 
und sich Zwecken zu widmen, die weit wichtiger sind, als jene, an welche uns 
die unüberwindliche Gewalt der gewöhnlichen Ordnung der Dinge band. Auch 
ist es nöthig, durch gar manche Sammlung, durch gar manche Vorarbeit, die 
uns jetzt noch fehlt, und die wir ohne Zweifel auch sobald nicht haben werden, 
die Bahn zu brechen. 9 ) Ich halte es für meine Schuldigkeit, hier zu erklären, 
dass ich nur eben mit gehöriger Aufmerksamkeit einige in dieser Uebersicht mit 
aufgeführte Sammlungen durchgelesen; den grösslen Theil derselben hatte ich je- 
doch nicht bei der Hand , und die Kcnntniss solcher verdanke ich Privatpersonen. 

Bis dahin, wo unsere Kräfte im Stande sein werden, etwas Vollkommneres 
zu leisten, wird dieses Verzeichniss wenigstens für Diejenigen von Nutzen sein, 
die eine vollständige Kenntniss der Sammlungen slawischer Volkslieder wünschen. 



•) Ueberdies ist bekannt, dass viele Forscher den Charakter und Geist der slawischen 
Nationallieder weitläuftig behandelt haben, theils in den Vorreden zu ihren Sammlungen, 
wie z.B. Waclaw z Oleska (Piesni Polskie i Rus. Lwrfw 1833. , S. III — LIV), theils in 
Journalen, z. B. K. Brodzinski, theils in eigenen Abhandlungen, z. B. J. Wenelin. (Ueber 
den Charakter der Volkslieder der jenseits der Donau wohnenden Slawen , Moskau 1635) ; 
aber umfänglicher als Alle schrieb darüber G. Bodjanski. (Ueber die Volkspoesie der 
slawischen Stämme. Moskaw 1837. 



Digitized by Google 



Haben sie das Hauptsächlichste sich aas ihnen gewählt, so können sie ihre Phan- 
tasie, ja jeden ihrer Gedanken durch die natürlichen Schönheiten dieser slawi- 
schen Blumenbeete entflammen, sofern ihr Sinn nur frisch, empfanglich für Be- 
geisterung und noch nicht vom Geschmacke für fremde Verkehrtheiten angesteckt ist; 
sie können auch ihre Phantasie zu höherem, himmelanstrebendem Fluge ermuntern, 
und im Fall sie übersättigt wäre vom Mode-Rom an lisuius , können sie sie heilen 
durch diese belebenden Quellen und ihr den früheren Geschmach wiedergeben. 
Je nachdem es möglich ist, werden mit der Zeil auch andere ähnliche Verzeich- 
nische slawischer Volkslieder folgen. In diesen wird nach und nach die ganze 
eigentlich slawische Volksliteratur aufgeführt werden und wird dies dann eine 
Sammlung von Sprichwörtern, Sagen und Traditionen, eine Beschreibung von 
Sitten, Gebräuchen, Eigentümlichkeiten u. s. w. sein. 

I, Russische. 

A. Groasrussische. 
a) Druckschriften. 

1) Neue und vollständige Sammlung russischer Lieder, enthallend Liebes-, 
Hirten-, Scherz-, Volks-, Chor-, Hochzeits- und Kirchenlieder, nebst einem An- 
hange von Liedern aus verschiedenen russischen Opern und Schauspielen. Moskau, 
in der Univ.-Buchdr. bei N. Nowikow. 1750. 8. I. 198 S., II. 206 S., III. 
202 S., IV. 184 S., V. 174 S., VI. (1781) 200 S. Vergl. Smirdin's Katalog 
Nr. 8048. Sie enthält ungefähr 2000 Lieder; darunter nur 300 nationale. Un- 
ter allen alten Sammlungen hält Kirejewski diese für die beste. In andern ähn- 
lichen Sammlungen jedoch, die unter dem Titel „Sammlung russischer Volks- 
lieder" oder „Liederbuch" erschienen sind, befinden sich gleichfalls nationale 
Lieder. Die Aufzählung sowohl dieser, als auch anderer siehe bei Sopikow, IV. 
S. 258 — 260, Nr. 9288 — 9308. und 460 S. Nr. 10,978, 10,983. Eine neuere 
Sammlung von Gurianow siehe weiter unter Nr. 10. Die übrigen sind hier aus- 
gelassen. 

2) Jüngling und Jungfrau mit Liederbüchern lustwandelnd, oder neue Samm- 
lung der gebräuchlichsten Volks-, Städte-, Dorf-, zarte, Tanz-, Fest-, Hochzeits-, 
Kriegs- und kleinrussische Lieder. Ptsbg. 1790. 8. 245 S. Vergl. Smirdin's 
Katalog Nr. 8049. und Sopikow s Vers, einer russ. Bibliogr. III. Nr. 6292. Dies 
ist eine umfängliche Sammlung grossrussischer Lieder; kleinrussische enthält sie 
jedoch nur 26. (Bei Smirdin und Sopikow ist der Titel etwas anders). 

3) Umständliche und wahre Geschichte des russischen Spitzbuben, berüchtig- 
ten Diebes, Sirassen raub ers und gewesenen moskauischen Gerichtsdieners Wanka 
Kain; nebst allen seinen Verhören, seinem peinlichen Gerichte, seiner närrischen 
Hochzeit und verschiedenen Liedern von ihm und seinen Genossen. 4. Aufl. 
Ptbg. 1793. 8. 237 S. Die Vorrede ist unterschrieben: Matthäus Komarow, 
Einwohner der Stadt Moskau. Von Seile 176 — 237 stehen die Lieder, 54 an 
der Zahl. Smirdin Nr. 2197, in 2ter Ausgabe. 

4) Sammlung russischer Volkslieder, mit Noten. — Theil I. Gedruckt in 
3ter Aullage in Petersburg, 1796, 4 t0 -, 24 Seiten. Die Vorrede ist W. G. un- 
terschrieben. Diese Sammlung enthält 20 Lieder. Das Buch ist übrigens selten 
und in Sopikow's und Smirdin's Katalog nicht aufgeführt. 

5) Sammlung russischer Volkslieder mit ihren Melodien, in Musik gesetzt 
von Iwan Pracz , neu herausgegeben mit einem angehängten zweiten Theile. I. 
St. Ptbg. in d. Med. Buchdr. 1815. 8. 79 S. II. 77 S. Im ersten Theile 
sind 74, im zweiten 75 Lieder enthalten. In der Vorrede wird gesagt, dass dies 
bereits die zweite verbesserte Auflage sei. Ueber die erste Auflage siehe Smir- 
din's Katal. Nr. 5418. 



Digitized by Google 



323 



6) Alte rassische Gedichte, gesammelt und zum zweiten Male herausgegeben 
von Kirscha Danilow, mit einem Anhange von 35 bisher unbekannten Liedern 
und Sagen, und Gesangsnoten. ( Heran sg. v. K. Kalaidowicz). Moskau 1818. 
4. XXXIV, 423 S. *) Viele Volkslieder, grösstenteils in epischer Form; eine 
neue Ausgabe derselben besorgt Kirejewski; — von 16 Liedern hat er Varianten. 
Einige dieser Gesänge sind von Busse ins Deutsche übersetzt; Fürst Wladimir und 
dessen Tafelrunde. Altrussische Volkslieder. Leipzig 1819. 8. 160 S. Böh- 
misch übers, von Czelakowsky unter seinen lilthauischen Liedern, siehe unten Nr. 
87., und von Langer in der Zeilschrift des böhm. Museums, 1834. II. 238. 
IV. 378. 

7) Slawische Volkslieder, ges. von Fr. Lad. Czelakowsky. Prag 1922—27. 
8. 3 Th. Hier finden sich grossrussische Lieder mit böhmischer Uebcrselzoug 
im I. Th. v. S. 94—153, im II. Th. S. 80—111. im III. Th. S. 96—137. 

8) Sammlung russischer Volkslieder. Moskau. Lazar. 1831. 24°. S. Smir- 
din's Katalog Nr. 11,795. II. S. 202. 

9) Russische Volkslieder, gesammelt und herausgeg. für Gesang und Forte- 
piano von Daniel Kaschin. I. Langsame Gesänge. Moskau 1833. 4. 143 S. 
II. Halblangsame Gesänge. 1834. 4. 144 S. III. Tanz- und schnelle Lieder. 
143 S. — Nur lyrische Lieder. Diese Ausgabe ist ungemein wichtig, weil in 
ihr auch die Melodien enthalten sind. In allem 108 Lieder. 

10) Vollständiges neuestes Liederbuch in dreissig Theilen, enthaltend alle 
bessern Lieder unserer bekannten Autoren u. s. w., gesammelt von Gurianow. 
Moskau 1835. 16. Die meisten Theile enthalten Lieder von den neuesten Dich- 
tern; überdies findet man viele gross- und kleinrussische Nalionallieder. 

11) Erzählungen der russischen Nation von dem Familienleben ihrer Vor- 
ältern, gesammelt von Sacharow. I. St. Plbg. 1836. 8. 201 S. II. 1837. 
274 S. Hier finden sich viele Volkslieder. Die ganze Ausgabe wird aus acht 
Theilen bestehen.**) 

12) Die russischen Volksfeste und abergläubischen Gebräuche (von Snjegirew). 
I. Lieferung. Moskau 1827. 8. 246 S. II. Lieferung 1838. 142 S. III. 
Lieferung 214 S. Der Autor führt eine ziemliche Menge nationaler Lieder auf, 
und zwar grösstenteils lyrische. 

13) Denkwürdigkeiten und Beobachtungen über Sibirien. Moskau 1837. 8. 
156 S. Seite 95 — 142 befinden sich 50 in Sibirien gesammelte und sehr beach- 
tungswerlhe Volkslieder. 

14) Lieder der russischen Nation, herausgegeben von J. Sacharow. I. St. 
Plbg. 1838. 16. OL VIII, 168 S. II. LIV, 473 S. III., 528 S. IV. XII, 
494 S. V. VIII, 484 S. Eine sehr schöne Ausgabe, die dem Herausgeber Ehre 
macht und unstreitig unter allen Sammlungen den ersten Platz einnimmt. 

b) Handschriften. 

15) Sammlung russischer Volkslieder von P. W. Kirjejewski. Theil I. 
Moskau 1836. 

B. Klein maische. 
a) Druckschriften. 

In den grossrussischen Sammlongen, in den sogenannten Liederbüchern, be- 
finden sich gleichfalls einige kleinrussische Lieder, z. B. in dem Buche „Jüngling 
und Mädchen", 1790. 8. in der Sammlung Gurianow's und And. 



°) In Petersburg erschienen im Jahre 1S40: „Alte russische Gedichte zur Vervoll- 
ständigung des Kirscha Danilow, herausg. von M. Suchanow. 

Eine neue vervollständigte Ausgabe, die dritte, erschien Ptbg. 1641 unter demsel- 
ben Titel. I. Bd. 1. 2. 3. 4. in 8. 

Slaw. Jahrb. I. 43 



Digitized by Google 



3*4 



i 



16) Versuch einer Sammlung aller kleinrussischer Lieder (herausg. Tom Fürst 
Certelew. St. Plbg. 1819. 8. 64 S. Grösstenteils erzählend. 

17) Slawische Volkslieder, ges. v. Fr. Lad. Czelakowsky. Kleinrassische 
Lieder sind enthalten im I. Th. S. 154 — 160, II. 112-121, III. 138 — 149. 

18) Kleinrussische Lieder, herausgegeben yon M. Maksimowicz. Moskau 
1827. 16. XXXVI, 234 S. Nur lyrische Lieder. Die Sammlung ist sehr wichtig. 

19) Von Lukas Gol^biowski Trachten in Polen. Warschau 1830. 8. 308 S. 
Das polnische Volk, seine Sitten und sein Aberglauben. 325 S. Spiele und Un- 
terhaltungen 1831. 132 S. Häuser und Höfe. 296 S. In diesem Werke sind 
einige klein- und weissrussische Lieder enthalten, und zwar im II. und III. Th. 

20) Graminalira Slavo Ruthena, seu veteroslavicae et actu in montibus Car- 
pathicis parvo - russicae seu dialectus vigentis linguae, edita per Michaelem Lucs- 
kay. Budae 1830. 8. 176 S. Am Ende dieser Grammatik, unter Beispielen 
der kleinrussischen Mundart, befinden sich auch Canlilenae populäres, yon Seite 
166 — 174, gesammelt unter den ungarischen Kleinrussen. 

21) Das Alterthum von Zaporog (dem Lande jenseits und um die Mündung 
des Dniepr). Ausgabe Ton Ism. Sreznewski. Charkow 1833 — 34. 12. La 
132 S. 1». 140 S. c. 168 S. IL a. 82 S. b. (1835) 184 S. c. (1838) 162 S. 
Der Verf. dieser sehr bemerkenswerlhen Sammlung hat viele kleinrussische, gröss- 
tentheils erzählende Lieder hineingeflochten. 

22) Polnische u. russ. Lieder des gallizischen Volkes, mit Instrumentalmusik 
von Carl Lipinski, ges. u. heransgeg. Ton Waclaw z Oleska. Lemberg 1833. 
8. LIV, 516 S. Die Noten 183 S. Der Herausgeber hat in seine reiche Samm- 
lung polnische und russische Lieder mit aufgenommen ; die letztem sind die zahl- 
reichsten. S: Zeitschrift des böhm. Museums 1833. IV. 445 S. 

23) Ukrainische Volkslieder, herausg. yon M. Maksimowicz. I. a. Ukrai- 
nische Dumen (Trauergesänge), b. erzählende Kosakenlieder, c. Schildernde. Mosk. 
1834. 8. 180 S. Zu dieser Ausgabe gehören: „Melodien ukrainischer Lieder, 
herausg. v. M. Maksimowicz." I. Heft. Moskau 1834. 8. 18. 28 S. Dies 
ist eine sehr gute Sammlung kleinrussischer Lieder. 

24) Russ. Hochzeit, beschr. yon J. Lozinski. Peremyszl 1835. 8. 153 S. 
Hier findet man viel Hochzeitslieder. 

25) Kleinrussischc und czerwenorussische Nationallieder und Trauergesänge. 
St. Ptbg. 1836. 8. 170 S. Diese Sammlung besteht aus zwei Abiheilungen. 
In der ersten befinden sich 20 historische Gedichte oder Trauergesänge, 27 ly- 
rische und 20 Ceremonienlieder , gesammelt unter den Kleinrusscn, die dies- und 
jenseits des Dniepr wohnen. Die zweite Abiheilung, unter dein Titel: czer- 
wenorussische Lieder, enthält 105 Trauergesänge nnd Lieder, entlehnt aus der 
Sammlung des oben erwähnten Waclaw z Oleska. 

26) Lieder des Volkes der Bialochrobalen, Masnren und der Russinen am 
Bug, ges. yon K. W. Wojcicki. Warschau 1836. 8. II. Th. Enthält gleich- 
falls einige kleinrussische Lieder. 

27) Zauber. Von K. Topolja. Moskau 1837. 8. 102 S. In diesem Werke 
befinden sich grösstentheils ukrainische Nalionallieder. 

28) Die Rusalka (Nymphe) vom Dnjester. Ofen 1837. 8. 133 S. Natio- 
nallieder, gesammelt von D. J. Wahilewicz in Galizien. 

29) Bojan. I. Th., herausg. von AI. Pienkiewicz. Wilna 1838. 8. 250 S. 
Hierin sind einige kleinrussische, aus den Sammlungen Maksiinowicz's ur A. 
genommene und ins Polnische übersetzte Lieder enthalten. Es sind auch einige 
in kleinrussischer Mundart dabei, zwar nicht nationale, aber verfasst von Tho- 
mas Padura. 

30) Dumen (Lieder) von den Räubern auf der Grenze Polens und Ungarns, 
im: Stowianin yon Jaszowski. II. Lemberg 1839. 5. 100 — 106. Drei klein- 
russische Lieder, verfasst von K. J. Turowski. 



Digitized by Google 



325 



31) Zegola Pauli's Lieder des rassischen Volkes in Galizicn. Lemberg I. 
1839. 177 S. II. 1840. 205 S. Ueber diese Sammlung siehe die Bemerkungen 
Maciejowski's in seiner Geschichte der slawischen Gesetzgebung. III. 503 S. 

b) Handschriften. 

32) Sammlung kleinrussischer Lieder von S. D. Chodakowski. Die Reste 
dieser Sammlung kamen in die Hände Bodjanski's. 

, 33) Sammlung klcinrassischcr Lieder von 0. M. Bodjanski. Diese Samm- 
lung ist überaus reichhaltig, zum Theil allen Sammlungen entnommen. 

34) Kleinrussische Lieder, ges. in Galizien von Wahilewicz. Der fleissige 
Verfasser fahrt noch fort, seine Sammlung zu bereichern. Wenn sie herauskom- 
men, so werden sie einen werlhvollen Gewinn in diesem Lilcralurzwcige bilden. 
(Leider hat ihn der Tod in diesem Jahre allzufrüh dahingerafft.) 

35) Sammlung kleinrussischer Volkslieder von J. P. Kaubek. Siehe die 
Bemerkungen über diese Sammlung in Zeitschrift des bohm. Mus. 1838. III. 397. 

C. W e issrussische. 

a) Druckschriften. 

36) t. Gol^biowski's polnisches Volk. Abth. Spiele and Unterhaltungen. 
1831. 8. Hier finden sich nur wenige weissruss. Lieder. 

37) Dorfliedchen Tom Niemen her. Wilna 1837. 8. HO. Diese wurden 
von Czeczot herausgegeben und aus dem Weissrussischen ins Polnische übersetzt 
Der Ueberselzer verspricht in der Vorrede eine umfänglichere Sammlung mit dem 
Originaltexte herauszugeben. 

b) Handschriften. 

38) Die weissruss. Lieder in Chodakowski's Sammlung, jetzt bei Bodjanski. 

39) Die bei Kirjejewski. 

II. Bulgarische. 

(Druckschriften.) 

40) Zusatz zu den Petersburgern vergleichenden Liederbüchern, in Hinsicht 
der Sprache und der Melodien, mit besonderer Rücksicht auf die bulgarische 
Sprache; verf. von Wuk. Stcphanowicz Karadzicz. Wien 1822. 8. 54. Auf 
S. 37 — 47 sind 27 bulgarische Lieder, welche dem Herausgeber von Kaufleulen 
aus Razlog an der Mesta milgetheilt wurden. 

41) Slawische Volkslieder, ges. v. Czelakowsky. Enthalt aus Wuk's Samm- 
lung einzelne im II. S. 180 — 185. III. 212 — 13. 

(Schluss folgt.) 

S. 'Der Gesetzen twurf der ungarischen Mßeputirtenkam* 
mer über den Gebrauch der magyarischen Sprache. 

„Den Gipfelpunkt aller ständischen Missgriffe bildet der Sprachbeschluss 
vom 20. Juni. Hier stellt sich die fanalische und eben deshalb ungerechte Ein- 
seiligkeil der ultramagyarischen Partei im konceutrirteslen Ausdrucke dar" heisst 
es in der deutschen Allg. Z. vom 3. Nov. d. J., und das mit vollem Recht. Wohl 



Digitized by Google 



326 



nie hat es noch eine konstitutionelle Landesversammlung gegeben, welche so un- 
gescheul, mit solcher fanatischen Wuth vor den Augen der Oeffenllichkeit die 
Rechte der Nationen mit Füssen getreten hatte, die bis diesen Augenblick für 
unveräusserlich und heilig geltend, nur von roher Waffengewalt ungeachtet blie- 
ben. — Hören wir indess vor Allein den ständischen Entwurf (nach der Augsb. 
Allgem. Zeil. v. 26. Okt., Beil.): 

§. 1. Bein durch die Gesetzartikel 5 von 1550 und 33 von 1569 aus- 
gesprochenen allgemeinen Nationalwunsch zufolge sind die Thronerben ver- 
pflichtet, sich die ungarische Sprache eigen zu machen. Ausserdem wird auch 
das gnädige königl. Versprechen Sr. Majestät, dass der Unterricht in der 
ungarischen Sprache auch auf die anderen Erzherzoge und Erzherzoginnen 
des regierenden Hauses ausgedehnt werde, in das Gesetzbuch eingetragen. 

§. 2. In Ungarn und den dazu gehörigen Theilen wird alleinige und 
ausschliessliche, sowohl Regierung«- als Amtssprache die ungarische sein. 
Alle in einer anderen Sprache verfassten amtlichen Schriften und Doku- 
mente sind ungültig, und es soll nur in jenen Fällen erlaubt sein, sich ei- 
ner anderen Sprache zu bedienen, in Beireif welcher die $. 5. 6. 7. dieses 
Gesetzes eine Ausnahme machen oder besondere Verfügungen treffen. 

§. 3. Die Sprache des öffentlichen Unterrichtes ist auch die ungarische; 
in Bezug auf die Elementarschulen wird hierüber ein besonderer Geselz- 
artikel verfügen. 

§. 4. Alle ungarischen Münzen sollen mit ungarischen Zeichen und Um- 
schriften geprägt werden; bei allen Civil-, Militär- und Kamerai - Insti- 
tuten, in den ungarischen Häfen, auf den ungarischen Handels- und anderen 
Schiffen sollen nur die Farben und Wappen des Landes gebraucht werden; 
alle Amtssiegel sollen ungarische Umschriften haben. 

§. 5. Alle Behörden, Gerichte und Beamten Kroatiens sollen mit den 
ungarischen Regierungs-, Gerichts- und Munizipalbehörden und deren Be- 
amten in ungarischer Sprache korrespondiren. 

§. 6. Die ungarische Sprache soll in den öffentlichen Schulen Kroa- 
tiens gelehrt werden. 

§. 7. Nach zehn Jahren, von der Publikation gegenwärtigen Gesetzes 
an gerechnet, soll in Kroatien Niemand ein von königlicher Ernennung ab- 
hängiges, noch auch ein kirchliches Amt erhalten können, der nicht der 
ungarischen Sprache kundig ist. 
Wir sind nicht gemeint, die vorstehenden Paragraphen nach ihrer Rechtlich- 
lichkeit vom staatsrechtlichen Standpunkte aus zu untersuchen. Nur eines bemer- 
ken wir hier, dass, wenn dieselben auch von den beiden nationalen, gesetzgeben- 
den Gewalten genehmigt sind, sie keineswegs noch als Gesetz gelten, da wir 
zu der Weisheil und Umsicht der Regierung, des sanktionirenden Theiles, das un- 
bedingte Vertrauen haben, sie werde ein Gesetz nicht bestätigen, dessen nächste 
Wirkung eine durch wenigstens ein bis zwei Jahrhunderle ununterbrochen fort- 
währende Reihe von Gewalttätigkeiten, Hintergehungen und — wir sagen es ge- 
rade zu heraus — inneren Unruhen sein müsste. Auch können wir zweitens kei- 
neswegs zugeben, dass jener Gesetzentwurf der Ausfluss des Willens der un- 
g arischen Nationen ist. Jedermann weiss, wie ausserordentlich gering die 
Anzahl der Depulirten ist, welche das slawische, wie viel geringer noch die 
derer, welche das deutsche Interesse vertreten. Man erwidere mir nicht, daün 
seien die Deutschen und die Slawen selbst Schuld daran, dass sie unterliegen. 
Denn der Grund dieser Niederlage liegt ja eben in der Zusammensetzung des 
Reichstages. Die von Slawen bewohnten Komilate sind nicht selten von magya- 
risch gesinnten Depulirten vertreten; woher diese Erscheinung? Weil das ma- 
gyarische Gold und der anderweitige nicht selten auf einem wenig rühmlichen 
Grunde beruhende Einfluss den Bauernadel zur Wahl solcher Depulirten ge- 



v 



Digitized by Google 



wallsam hinreisst. Die Deutschen bewohnen vornehmlich die Städte; alle könig- 
lichen Städte aber haben nur eine Stimme auf dem Landtage und die übrigen 
werden im Komitale mit Terlrelen *). So sind denn die beiden zahlreichsten 
Volksstämme nur schwach vertreten. Wie leicht wird es unter diesen Umständen 
den magyarischen Depulirten, mit Hülfe ihrer brüllenden Juratenschaar, die nicht 
blos die Gallerten, sondern auch den Sitzungssaal gesetzlich anfüllt, die gegen- 
seitigen Depulirten zum Schweigen zu bringen. Welche Scenen fielen bei der 
berühmten Turopoljer Sache vor! Die Haare stehen einem zu Berge, wenn man 
die „Väter des Valerlandes" in solchem Zustande sieht! So oft einer der Agra- 
mer Deputirten seine Stimme erhob, erbebte der Sitzungssaal von einem Gebrülle, 
das man eher einer Heerde von hundert Bullen zugeschrieben hätte, als den As- 
sistenten der Landesvertreter. Und wenn der königliche Personal nach den fürch- 
terlichsten Anstrengungen die wilde Rotte zum Schweigen gebracht halte, und 
etwa ein Klauzäl das Wort ergriff und im stolzen Bewusstsein seiner Allgewalt 
über diese Meute mit Hohn und Verachtung dem Verlheidiger seines Volkes das 
Wort enlriss, welch donnernder Beifallruf erschütterte das Haus! Wo gibt es 
irgend eine Volksversammlung, bei der ähnliche Auftritte nur denkbar wären? — 
Und dies sind die Stände des Reiches, welche das Wohl des Valerlandes bera- 
then sollen, die berufen sind, Gesetze zu geben, gültig für Jedermann, der Ge- 
samintheit nützend, frei von Parleisucht und Eigennutz? — Wie müssen wir doch 
im innersten Herzen jene würdigen und ehrcnwerlhen Männer bedauern, welche, 
wahre Patrioten, unerschütterlich an ihrer eigenen Nationalität anhangend, nichts- 
destoweniger aber die anderen ebenfalls achtend, welche, treue Diener des Staa- 
tes und wahre Väter des Valerlandes, ihrer Stellung wegen verpflichtet sind, 
solchen Versammlungen beizuwohnen! 

Nun zu dem vorstehenden Gesetzentwurf wieder zurückkehrend, wollen wir 
zunächst eine Bemerkung (Iber einzelne Punkte machen, die uns vor Allem bei 
Lesung derselben aufstiessen. 

PralUauckt und schale Eitelkeit ist bekanntlich einer der hervorragend- 
sten Charakterzüge des geineinen magyarischen Edelmanns. Wie wenig die Slimm- 
führer der magyarischen Partei bei dein Reichstage diese Eigentümlichkeit ver- 
läugnen, zeigt der $. 1. Mit Prahlsuchl und Eitelkeit beginnt der Gesetzent- 
wurf. Nicht allein der Thronfolger, der präsumtive Erbe des Königthrons soll 
magyarisch lernen; nein, auch den Erzherzogen und Erzherzoginnen des Hauses 
soll die Pflicht der Kennlniss des Magyarischen auferlegt werden. Aus eigenem 
Antriebe lernen sie es ja nicht, weil sie es nicht brauchen können und Besseres 
zu lernen haben; darum muss das Gesetzbuch den König daran mahnen, er habe 
es einst versprochen. Wie wird sich der Edelmann freuen, wenn er bei dem 
Pfluge oder gar bei der Pferde- und Schweine -Heerde, die er hütet, von sei- 
nem Nachbar hört (lesen wird er das Gesetz nicht, weil er lesen nicht kann), 



°) Dahin ist also der Bericht eines Ungars über den ungarischen Landtag in der 
Angsb. AUg. Ztg. zu berichtigen, in welchem es S. 2342 heisst; „Die Stände fassten in 
der Cirkularsitzung am 6. Juni einstimmig den Beschluss (also auch mit Einschluss der 
slawischen Komitate, der deutschen und slawischen Städte), dass die ungarische (will sa- 
gen magyarische) Sprache allgemeines Organ der Gesetzgebung, der Administration und 
des öffentlichen Unterrichts (in Ungarn) werde." Die in Parenthese eingeschlossene Fol- 
gerung, auf welche sich der Korrespondent so viel zu Gute thut, ist völlig ungegründet. 
Denn die Cirkularsitzungen sind ja nur vorberathend ; ihre Beschlüsse keineswegs bin- 
dend, noch als Beschlüsse* der Kammer anzusehen, weil Niemand verpflichtet ist, bei den 
Cirkularsitzungen zu erscheinen. Die Vertreter der Deutschen und Slawen sind daher bei 
jener Sitzung wahrscheinlich nicht zugegen gewesen, sonst hätten sie gewiss gegen die 
aus einem solchen Gesetze abzuleitenden Folgerungen protestirt. — Schon dies wenige 
charakterisirt den ungarischen Korrespondenten als einen umsichtigen, aber desto gefähr- 
licheren Feind der Deutschen und Slawen in Ungarn. Und doch konnte ihn die Augs- 
burgerin zum Berichterstatter auffordern? — die deutsche AugsburgerinV — 



Digitized by Göogle 



die kaiserlichen Prinzen and Prinzessinnen mflssten jetzt dieselbe Sprache lernen, 
die er schon so vortrefflich kann. Mit welchen Glorienschein wird seine Phan- 
tasie die Männer umgeben, die ein solches Gesetz gegeben! 

§. 2. Das Magyarische hat im Verlauf des letzten Decenniums eine solche 
Masse neuer Ausdrücke „fabrizirt" erhalten, dass man die früher erschiene- 
nen Lexica, Grammatiken und ahnliche Sprachlehrbücher gar nicht mehr brau- 
chen kann. Der grösste Theil dieser neugemachten Ausdrücke ist durch Zusam- 
mensetzung und Ableitung aus solchen magyarischen Wurzelwörtern entstanden, 
die der gebildete Magyare nicht kennt, weil sie und ihre nächsten Derivate von 
fremden Ausdrücken, besonders slawischen, gänzlich verdrängt und ausser Ge- 
brauch gebracht worden sind. Die neueren Wortfabrikanten waren aber leider 
auch Puristen, und verwarfen jedes Stammwort, das nicht aus der Mongolei 
mitgekommen war. Während nun die gewöhnliche magyarische Umgangssprache 
von slawischen uud anderen Wörtern und Redensarten strotzt, ist die neueste 
Schriftsprache reiner und eigenlhümlicher (nur die slawischen Wurzeln konnte 
man nicht gänzlich ausmerzen), leider aber für den Leser, selbst den gebildeten 
unverständlich; so dass er bei seiner natürlichen Liebe zu seiner Sprache, 
seine Zeitschriften u. dgl. selbst mit einem Lexikon zu lesen gern bereit wäre, 
wenn ein solches nur vorhanden wäre, das er brauchen könnte. Ein vorzüglicher 
Fehler der neueren Ausdrücke ist ihre Unbestimmtheit; so z. B. heisst Tinle 
„Färbe -Schwarz." Wer wird nun denken, dass dies immer nur Tinte ist. Eine 
solche Sprache soll nun plötzlich als „ Amtssprache " eingeführt werden; alle 
Dokumente müssen in ihr geschrieben sein , also auch die kaufmännischen Hand- 
bücher, die vor Gerichten als solche gelten müssen; selbst Schneider- und 
Schuhmacher -Rechnungen, denn sonst sind sie ungültig, und der Belheiligte 
bezahlt nichts. Welch eine Sprache wird das werden! Wie werden die armen 
Gerichlspersonen sich abmartern müssen, um Dinge zu bezeichnen, für die das 
Magyarische nun ein Mal noch keinen Ausdruck hat. Das Schellersche: „fistula 
ignifera, nomen gerens flinle" wird gegen die nun sich ergebenden sinnreichen 
Erfindungen noch ein klassischer Ausdruck sein. Von den Künsten, der Industrie 
und den Gewerben, mit denen sich die Magyaren bekanntlich gar nicht beschäf- 
tigen, schweigen wir. 

§. 3. Die erste Pflicht des Gesetzgebers ist, keine Gesetze zu geben, deren 
Ausführung unmöglich ist. Ungarn hat nicht viel Lehranstalten; trotz dem 
würde sich aber wohl kaum für eine oder ein Paar solche die nölhige Anzahl 
Lehrer finden, welche der magyarischen Sprache so mächtig und gewandt wären, 
dass sie mit Nutzen und eindringender Kraft in derselben lehren köunten. Und 
wie wird's in den noch zu errichtenden Gewerbe- und polytechnischen Schulen? 
Wie in den Handelsschulen? 

Die beiden §. 2. und 3. sind abermals ein Beweis der Eitelkeit der Her- 
ren Gesetzgeber, welche die Mangelhaftigkeit ihrer Sprache gar nicht ahnen, 
obgleich sie ihnen ihre eigenen Landsleule wiederholt entgegen halten, welche 
den Fonds der wissenschaftlichen Bildung, die in ihrer Nation vorhanden ist und 
sich im Ganzen vielleicht auf ein Tausend Köpfe verlheilt, dermassen überschä- 
tzen, dass ihnen selbst das Unmögliche eine Kleinigkeit dünkt. Wie sehr man 
überdies besonders in diesen beiden Paragraphen von der beliebten Behauptung, 
die todle lateinische Sprache mit der magyarischen vertauschen zu wollen, ab- 
weicht, werden wir später darthun. 

Den Glanzpnnkl erlangt die Eitelkeit im §. 4. „Ueberall die ungarischen 
Wappen und Farben!" „Ungarische Handelsschiffe " sind wahrscheinlich diejeni- 
gen, zu denen noch das Bauholz im Walde steht. „Ungarische Häfen" viel- 
leicht am Plattensee? Denn Fiumc und Triest sind unseres Wissens auf dem Lit- 
torale und ton Ungarn durch das slawische Kroatien gelrennt, das wieder ein 
Königreich für sich bildet, nur im Verbände mit Ungarn. Das Bezeichnen der 



Digitized by Googl 



Münzen mit ungarischen, d. i. wahrscheinlich magyarischen Zeichen würde uns 
allerdings noch am besten einleuchten. Es würde dadurch das schöne ungarische 
Gold, das jetzt alljährlich in Massen nach dem Ausland wandert, um französische 
und englische Luxusartikel und Industrieerzeugnisse einwandern zumachen, hübsch 
im Lande bleiben, weil man die Aufschriften ausserhalb des Gränzbezirkes nicht 
würde lesen können. 

§. 5. 6. lassen Kroatien allerdings nicht als verbundenes, gleich selbststän- 
diges, sondern vielmehr als ein unterjochtes, abhängiges Königreich er- 
scheinen ; denn nur ein solches gibt seine Sprache auf und nimmt die des Siegers 
an. Von f. 7. gilt dasselbe, nur dass in dem „Kirchlichen Amte" auch noch 
die Absicht angedeutet ist, das religiöse Prinzip (mittelst Turopolja?), das Kroa- 
tien jetzt eine so grosse Einheit gibt, später mit Hülfe des Magyarismus zu un- 
tergraben, und so das Land in den ganzen Strudel der „ungarischen Wirren" 
hineinzureissen. 

Dies unsere einfachen Bemerkungen über die einzelnen Paragraphen. Nach 
dem oben angezogenen Berichte in der Augsb. Allg. Z. wurden zu den letzten 
vier die sich lediglich auf Kroatien, Slawonien und das Littorale beziehen, 
noch einige Zusätze gemacht; die ersten drei Paragraphen hielt man eines Zu- 
satzes weiter nicht für bedürftig. Die Stände bewilligten a) den Komitaten 
„Poszega, Szerem und Veröcze" (wir anderen nennen dies das Königreich Slawonien) 
so wie dem ungarischen Küslendistrikt in Bezug auf Einführung der magyarischen 
Sprache in der iiinern. Administration eine Frist von sechs Jahren, eine aus- 
serordentliche Gnade, deren die magyarischen Beselignngsfreunde gern auch Kroa- 
tien theilhaflig gemacht hätten, wenn sich die kroatischen Deputirten nicht mit 
aller Macht durch die Verwerfung der Komilatisirung des Landes und somit der 
völligen Unterwerfung desselben dagegen gestemmt hätten. Es war dies natürlich 
das einzige Mittel, sich vor der gesetzlichen Magyarisirung zu sichern, b) Aus- 
serdem wurde noch beigeseselzt, es sei in Hinsicht auf alle öiTentlichen und Pri- 
vatangelegenheiten, die im Innern Kroatiens und von kroatischen Behörden ver- 
handelt werden, desgleichen auch in den Berathungen der kroatischen Gerichts- 
barkeitten und Gerichlsstühle der Gebrauch der lateinischen Sprache „gestattet", 
in der That sehr gnädig von den Herren Magyaren, dass sie den Kroaten erlau- 
ben, in ihrem eigenen Hause zu thun, was ihnen beliebt; wäre ich ein Kroate, 
ich votirle ihnen eine Bürgerkrone für diese segensreiche Schenkung. Weiter 
mochte wohl einigen Stimmführern der Zweifel aufgestossen sein, ob sich die 
Kroaten zu einer solchen Unterlhänigkeit verständigen würden, wie man forderte. 
Sie senkten daher ihre Nase ein wenig, und forderte nur das Begleilungsschrei- 
ben in magyarischer Sprache, die Beilagen könnten dann in lateinischer bleiben. 
Endlich wurde auch noch „verordnet", dass das Magyarische in Kroatien nicht 
zum Organ des Unterrichts gemacht wird. Diese Zusätze wurden grösslenlheils 
in Folge der Einwendungen der Magnatentafel angenommen; andere Modifikatio- 
nen dagegen wies man mit Entschiedenheil ab; so z. B. forderte die Obere Ta- 
fel 1) man solle Kroatien die Versicherung geben, die „Gesetzgebung habe 
nicht die Absicht, sich in die inneren Sprachverhältnisse Kroatiens unter- 
drückend einzumischen." Hält man diese Weigerung mit dem Text der sub b. 
gegebenen Bewilligung zusammen, so zeigt sich klar, dass, da man sich scheut, 
die Absicht, in Kroatiens innere sprachliche Zustände sich mischen zu wollen, 
zu leugnen, man diese Absicht doch habe und dass man jenes Zugeständniss mit- 
bin nur ad inlerim abgegeben habe. Noch klarer erhellt dies aus dem von den 
Ständen selbst abgegebenen Grunde: „weil nämlich, noch bevor die Magnaten 
sie darauf aufmerksam gemacht, die Stände bereits in dem Sr. Maj. im Namen 
des ganzen Reichstages zu unterbreitenden Repräsentaliousentwurf über diesen 
Gegenstand bei der Heiligkeit eines Nationalversprcchens feierlich auszusprechen 
vorgeschlagen, und zwar nicht nur in Bezug auf Kroatien, sondern auch auf alle 



Digitized by Google 



anders sprechenden Bewohner des Reichs, dass gleichwie sie bisher auf die 
Sprachverbältnisse des Privalverkehrs nicht unterdrückend eingewirkt, sie dies 
auch für die Zukunft nicht in Absicht hatten." — Aus dieser Erklärung der die 
Deputirtentafel beherrschenden Partei leuchtet nun klar hervor, «) dass sie die 
nicht magyarischen Sprachen in Ungarn und den verbundenen Ländern in den 
engen Kreis des mündlichen Gebrauches zurückweisen wollen, ß) dass 
diese anfangs nur in Ungarn und den mit Ungarn innigst verbundenen Provinzen 
zu geschehen habe, später aber jedenfalls auch nach Kroatien übertragen werden 
solle. 2) Die Magnatentafel machte den Vorschlag, man solle im Gesetze aus- 
drücklich bemerken, die kroatischen Deputirlen hätten sich auf dem Landtage der 
magyarischen Sprache zu bedienen; allein die Stände erwiderten, es fliesse das 
aus §. 2. von selbst, und „würde eine besondere Erwähnung dieses Punktes die 
allgemeine Gellung jenes Paragraphs nur schwächen." Die Stände besorgten mit 
Recht, der König würde einen solchen Passus nicht gut heissen und Hessen es 
daher lieber allgemein hingestellt. Ein dritter Vorschlag der Magnaten lafel, es 
sollten die einzelnen Beamten Kroatiens nicht verpflichtet sein, mit den Beamten 
Ungarns in amtlichen Geschäften magyarisch zu korrespondiren, fiel ebenfalls 
durch; denn man sagte, es sei billiger, dass die kroatischen Beamten sich nach 
der Amtssprache der ungarischen richten, als umgekehrt (eigensinnige Eitel- 
keit, weil die ungarischen Beamten ja doch lateinisch verstehen müssen, wäh- 
rend es den kroatischen in Ewigkeit schwer wird, magyarisch Klagen zu führen, 
und sie sonst bei den Aemtern mit einem einfachen Translator ausreichten), auch 
würden dann die kroatischen Behörden die Korrespondenz an einzelne Beamte 
abgeben und die Magyaren immer wieder keine magyarischen Zuschrillen erhalten. 
Und das ist ja, was sie eigentlich wollen. Nicht daran liegt ihnen, was die 
Kroaten schreiben; nein, nur magyarisch sollen sie schreiben. Denn diese 
Sprache schreibt ja doch Niemand, als wer sie muss. 0 Eitelkeit, o 
Eitelkeit! 

Das ist also das neue Sprachgesetz für Ungarn, das den gordischen Knoten 
der inneren Zerwürfnisse lösen soll. — 

Was will dieses Gesetz nun? Welche Wirkungen muss es äussern, wenn 
es zum wirklichen Gesetz erhoben wird? 1) Es will alle übrigen Nationen mit 
Hülfe des Gesetzes vernichten; 2) es wird Ungarns Glück und Aufblühen in 
wenigstens drei Generationen aufhallen oder aber 3) das Land selbst in die 
furchtbarste Anarchie stürzen. Den Beweis des erstem, die nähere Auseinander- 
setzung des letztem wollen wir in einem zweiten Artikel versuchen. 

- 

6. Die griechisch ^slawische Welt* 

Nach Cyprian Robert in der Revue des deux mondes. 

I* 

Montenegro, in der Landessprache Cernagora, ein seit nahe an 100 Jahren 
unabhängiger Staat, verdankt seine fast entschiedene Unbesiegbarkeit, trotz aller 
anscheinenden Schwäche, der Sympathie mehrerer Millionen serbischer Rajas, 
denen sein Gebiet zu einer immer offenen Zufluchtsstätte dient. Hier finden sich 
alle griechisch -slawischen Rebellen zusammen. Für den Occident, und nament- 
lich für Frankreich könnte Cernagora ansehnliche Dienste leisten; der prächtige 
Meerbusen von Katlaro bietet unsern Schiffen und unsern Diplomaten durch Cer- 
nagora eine vermittelte Verbindung mit Serbien, während Belgrad das Centrum 
für den russischen Einfluss bildet. Napoleon erkannte die Wichtigkeit der Sym- 
pathie der dortigen Krieger. Zum Beweise dient die Reise des Obrist Viaila de 
Sommieres, Gouverneurs der Provinz Kaltaro von 1807 bis 1813. Leider sind 

Digitized by Google 



aai 



seine Beobachtungen, obwohl bisher das Vollständigste Uber die Montenegriner, 
so flüchtig, und die Kühnheit, mit der er die wichtigsten Facta erzählt, mnss 
den Leser nur irre führen, wenn er z. B. liest, dass Cernagora, yon dem er 
nur einige Theile besuchte, 418 DM. und eine Bevölkerung von 53,168 Seelen 
enthalt, während die Eingehornen selbst nichts anderes zu antworten wissen, als 
dass man das Land in 3 Tagen so ziemlich nach allen Seiten hin durchziehen 
könne; ihre Anzahl aber berechnen diese Bergbewohner, denen die Weiber und 
die Waflenunfahigen sehr gleichgültig sind, nach der Zahl der Flinten, die sie 
gegen den Feind spielen lassen können. — Im 17. Jahrhundert bestand das Völk- 
chen, nach venetianischen Nachrichten, aus höchstens 20 bis 30,000 Seelen; als 
es den Kampf wider die Franzosen, als Herren von Dalmatien, begann, zählte 
es etwa 50,000 Köpfe. Im Jahr 1835 gab die Grlica, der officielle Kalender 
vonCetinje bereits 100,000, so dass man nach der neuerlichen Gebietserweiterung 
als Minimum die Summe von 120,000 annehmen kann. — Die Zahl der Krieger 
ist genauer bekannt. Das Kontingent der 4 Nahias (Distrikte, in welche das 
Land zerfallt) ist auf 9000 Flinten oder Streiter gestellt. Davon kommen 3500 
auf die» Katunska, 2000 auf Rjeczka, 1000 auf Ljeschanska und 2500 auf Cerm- 
nischka Nahia. Dazu rechne man das Kontingent der Berde, d. h. der 7 Berge 
rings um das Land, die zwar nicht zu Cernagora gehören, deren Bewohner jedoch 
mit der Republik konföderirt sind. Ihre Zahl mag der der 4 Nahien zusammen 
gleichkommen, denn obgleich die Grlica 1835 nur 15,000 Streiter zählte, so gibt 
ihnen die dalmatinische Zeitung von Zara doch die Masse von 19,500 Kämpfern 
(der Atlas von Pavletiö, Agram 1843, gibt 24,700 Mann an). 

Cernagora ist kein regelmässiger Staat, vielmehr ein Lager von Insurgenten, 
deren Leben der Krieg, deren Freude die Rache ist. Fern von allen bürgerlichen 
Einrichtungen gestehen sie, zum grossen Aerger der anderen Serben, Leuten aller 
Religionen das Bürgerrecht zu; lateinische Katholiken gibt es in Menge, die 
Türken bilden sogar einen eigenen Stamm und kämpfen brüderlich in einer Reihe 
mit den Christen. Die westlichen Nachbarn der Cernogorcen legen ihnen groben 
Aberglauben bei; sie sagen, der Montenegriner halte sich für berechtigt zu Al- 
lem j wenn er nur den Zehnten an die Mönche und die Hälfte von der Beute 
seiner Czeta's an das Kloster abgibt. Die religiösen Uebungen vernachlässigt der 
Cemogorce, fortwährend mit Kampf und Blutvergiessen beschäftigt, im hohen 
Grade, und während in Serbien Jeder für einen Türken gilt, der nicht des Jah- 
res wenigstens ein Mal das Abendmahl geniesst, enthält sich die Mehrzahl der 
Krieger oft ihr ganzes Leben desselben und vergisst nicht selten Alles bis aufs 
Vaterunser, das Kreuzschlagen und Fasten. Ja der Mörder ist von der Kirche 
gehalten, zur Busse zwanzig Jahr das Abendmahl nicht zu gemessen, und in des- 
sen Herzen Hass oder Rache wohnt, darf nicht zum Tische des Herrn. — 
Trotz dem hat jeder Stamm eine oder mehrere Kirchen und 4 bis 5 Klöster, 
unter denen die von Ostrog und Moracza die vorzüglichsten sind. 

Die Mönche, im Ganzen 15 bis 20 (Popen gibt es ungefähr 200), leben 
sehr streng und unterscheiden sich von den griechischen blos dorch den rothen 
Fess, den ein seidenes Tuch in Gestalt eines Turbans umschlingt. Der Vladika 
selbst, in der Türkei nur der schwarze Mönch genannt, kleidet sich wie die 
anderen Mönche. 

In keinem Winkel der Erde besteht eine so vollkommene Gleichheit, wie in 
Cernagora; aber wie es die Slawen auffassen und ausüben, bedroht das Frincip 
der Gleichheit nicht die Rechte noch die Existenz der Familie. Jeder Serbe 
widmet sich bei dem vollen Genosse seiner Unabhängigkeit doch mit allem Eifer 
dem Wohle der Gesammtheit und trennt sich fast nie von seiner Verwandtschaft, 
so dass dadurch die Familien sehr zahlreich werden und nicht selten eine einzige 
ein ganzes Dorf von mehreren 100 Häusern bildet, deren Bewohner sich blos 
durch den Taufnamen von einander unterscheiden und einem selbstgewählten Ober- 

SUw. Jahrb. f. 44 

.Digitized by Goefgle 



33* 



haupte gehorchen. Dieses patriarchalische Leben stiftet die engste Vertraulich- 
keit unter ihnen and Keiner kann beleidigt werden, ohne dass alle Anderen als- 
bald seine Verteidigung übernehmen. Daher die Blutrache und die Familien- 
kriege. Der Cernogorce betrachtet jeden Zank mit seinen Landsleuten als ein 
grosses Unglück und man hört ihn im heftigsten Zorne sagen; „Im Namen Got- 
tes und des heil. Johannes, schlagen wir uns nicht!" Ein Gesetz des verstorbenen 
Vladika besagt: Wer einen seiner Mitbürger mit dem Fasse oder Tschibok 
schlagt, kann von dem Beleidigten (wie der Dieb auf frischer That) getödlet 
werden. Wenn der Beleidigte seinen Zorn massig t, so muss der Beleidiger 50 
Dukaten an ihn und eben so viel an die Starschinen (Aeltesten) des Tribunals 
zahlen. Es gibt in Gernagora keine Bettler; die Armen gehen nötigenfalls frei 
zu den Reichen und erbitten sich entweder gegen Versprechen oder Einsatz ihrer 
schönen Waffen Vorschuss an Geld, Brod u. dergl. 

Der Krieg gegen die Muselmanner ist so ziemlich die tägliche Beschäftigung 
der Bergbewohner. Er wird so mörderisch geführt, dass gemeiniglich die Mehr- 
zahl der Theilnehmer mit dem Leben büsst. Den Tod ausser den Schlachten 
sehen sie überhaupt für das grössle Unglück des Mannes an. „Er ist von Gott, 
dem allen Mörder, getödtet!" sagen die Verwandten von Einem, der eines na- 
türlichen Todes starb. Der grösste Schimpf, den man einen Cernogorcen anlhul, 
ist, zu sagen: „Ich kenne die Deinen; alle deine Vorfahren starben im Bett/* 

Auch die Mönche tragen WaiTen, kämpfen und vertheidigen ihre Klöster bei 
türkischen Anfallen. Die Popen, noch weltlicher gesinnt und gestellt, als die 
Mönche, tragen weder den langen Bart noch die schwarzen Popengewänder, son- 
dern rasiren nach Kriegermanier das Kinn und die Hälfte des Schädels und un- 
terscheiden sich äusserlich durch nichts von den andern. Sie nehmen an allen 
Kämpfen, selbst an den Familienfehden Anlheil, enthalten sich aber dabei als 
Diener der Kirche des Todtschlags, indem sie nur die Kämpfer anführen oder 
zu Muth entflammen. Im Kriege führt Jeder seinen Mund- und Schiessbedarf 
bei sich, denn die Pulvermagazine, die der Vladika in Reserve hält , werden nur 
im dringendsten Nothfall geöffnet. Den Armen treibt Liebe zur Plünderung, den 
Reichen Liebe zum Ruhme und Vaterlande in den Krieg. — 

Die Sitten der Frauen richten sich ganz nach dem Gesellschaftszustande, in 
welchem sie leben. Sie nehmen Theil an dem Krieg, um ihre Angehörigen zu 
rächen und verschlimmern dadurch ihre Lage noch um so mehr, weil ihnen von 
den Männern trotz dem die schwersten Arbeiten auferlegt werden, die sie auch 
unverdrossen ausfuhren. Grosse Lasten auf dem Rücken, die Flinte in der Hand, 
sieht man sie die Felsen auf- und niedersteigen und mit Leichtigkeit dem etwa 
entgegenkommenden Glavar (Familienhaupte) oder einer vornehmen Frau die ge- 
bührende Achtung durch Handkuss und tiefe Verbeugung erweisen. Trotz dieser 
Stellung sind sie keineswegs ein Spielzeug in der Hand des Mannes, wie so oft 
in civilisirten Staaten, vielmehr stehen sie in jeder Hinsicht unverletzlich da, und 
der geringste Angriff auf ihre Ehre würde dem Verwegenen das Leben kosten. 
Nach den alten Volksliedern rechneten sich's die Krieger zur Ehre, türkische 
Frauen zu bekehren und zu heirathen; heut zu Tage jedoch halten sie eine Tür- 
kin für zu niedrig und unter ihrer Würde, sie zur Lebensgefährtin zu erwählen. 
Trotz dem kann jede Türkin, selbst bei dem blutigsten Kampfe der Männer, ge- 
fahrlos den Boden von Cernagora betreten. 

Nach den Frauen sind die Fremden für den Cernogorcen das heiligste We- 
sen. Jeder Reisende wird auf die herzlichste Art aufgenommen, mit dem Besten, 
was das Haus besitzt, bewirthet und sollte es auch der Hausherr entbehren 
müssen. Er gibt selbst sein Polster her und setzt sich auf einen Stein; mit 
eigener Hand überreicht er dem Fremden den Kaffee, harte Eier, die Castra- 
dina (geräuchertes Ziegen- und Hammelfleisch), Wein u. dergl. Gibt er Euch 
nach dem ersten Zdravica (Gesundheit!) die Hand, so ist dies ein Zeichen, dass 



Digitized by Google 



er schwört, er stehe von jetzt an mit seinem Leben für Eore Sicherheit. Und 
für alles dies verlangt er nichts als einen Abschiedsschuss, das kriegerische Zei- 
chen, dass der Gast mit seinem Wirthe zufrieden war. — Die barbarische Ge- 
wohnheit, die feindlichen Köpfe auf Spiesse zn pfählen, besteht bei den Cerno- 
gorcen bis zur Stande und die Wojewoden belohnen ihren Junaken (Helden) jeden 
Türkenkopf mit einer Auszeichnung. Alte Volksgesänge erwähnen öfters die 
Czelenken, silbernerne Federn auf der Matze des Kriegers, deren Zahl die 
Zahl der von ihm erschlagenen Feinde anzeigt. Noch vor 4 Jahren, während des 
Krieges gegen Oestreich, pflanzten die Cernogorcen die Köpfe der Deutschen in 
Cetinje auf Pfählen auf. 

Der Slawe von Montenegro ist ein eben so geschickter Diplomat als uner- 
schrockener Krieger. Man muss ihn sehen, wenn er in einer albanesischen oder 
bosnjakischen Hane (HQtte?) am Abend nach einer Gzeta, seine Brüder -Kajas 
von der Nothwendigkeit eines Bündnisses mit seinem heiligen Yladika (Bischof) 
unterhält. Honigsflss in seinen Worten, verführerisch wie ein Weib, würdevoll 
und sich selbst verleugnend wie ein Märtyrer, spricht er wie ein Prophet. Im 
Grunde ist der Cernogorce äusserst gutmQthig, sein Humor, mit dem er alle pi- 
kanten Bemerkungen seiner Nachbarn erträgt, ist bewundernswürdig; ohne sich 
zu ärgern, setzt er den beissenden Spöttereien ein resignirtes Stillschweigen oder 
gewandten Witz entgegen. Man rühmt seine Geschicklichkeit bei industriellen 
Verhandlungen. Im Besitze der Mündung von Cataro würde sein Handel ohne 
Zweifel blühend werden, statt dass sie jetzt nur auf den Krieg beschränkt sind. 
Unter den Streitern gibt es bereits eine Menge Ackersleute. Mitten in diesen 
steinreichen, mit Menschenknochen besäeten Wüsten gibt es mehr als eine lachende 
Oase. Entdeckt der Cernogorce auf einem Felsen guten Boden, so bauet und' 
pflegt er diesen. Es ist wahr, dieses Volk treibt keine mechanische Profession; 
wenn es sich seine Küchengeräthe, hölzerne Pfeifen, Tabaksdosen und Anderes 
von der zierlichsten Arbeit fertigt, so geschieht dies blos des Vergnügens, nicht 
des Gewinnes wegen. Die Cernogorcen lieben die Jagd, den Fischfang und hän- 
gen leidenschaftlich an ihrem vaterländischen Boden, den sie mit seinen dürren 
Felsen für den schönsten Strich auf Erden halten. 

Ihre Sitten gleichen mehrfach den Sitten der Ritterzeit. Als der veneliani- 
sche Kommissar Bolizza diese Krieger besuchte (1614) , bedienten sie sich noch 
der Schilde und Lanzen: ihre Lieblingsübungen waren das Lanzenstechen (gleich 
unsern Turniren), sowie das Dscheridwerfen, wo man sich zu Pferde mit 
dem Wurfspiess angreift. Noch jetzt ähneln ihre Flinten, Pistolen nnd Dolche 
denen der alten Ritler in unsern Arsenalen. Die Aehnlichkeit ihrer Lage mit 
der der kastilianischen Bergbewohner im Kriege gegen die Mauren, musste ihnen 
mehrere Züge des spanischen Charakters aneignen. Sie erstreckte sich sogar 
bis auf die Kleidung; eine weite Struka (ein Tuchmantel über der Schuller), 
eine Opanka (elastische und leichte Sandalen), eine Blouse von weisser Wolle, 
die Hals und Brust nackt lässt und die kurze orientalische Hose bedeckt; ein 
rother Fess mit einem dicken Tuch umwunden', das den Turban vertritt und eine 
stets kräftige, oft wirklich schöne Physiognomie umhüllt, als Kopfputz — dies 
ist das Kostüm des Cernogorcen, des griechisch -slawischen Ritters. 

Wie leicht könnte Cernagora, wenn es erst einen Meerbusen erwirbt und 
die Albanesen der serbischen Nation gewinnt, einer der wichtigsten politischen 
Punkte der grossen Halbinsel werden! Zwei sehr verschiedene Wege führen den 
Wanderer nach Montenegro, der eine westlich von Kataro her, der andere öst- 
lich von Novi-Pazar. Jener zeigt uns eine Wüste von Abgründen durchschnitten, 
der andere führt uns durch reizende Landschaften, durch Thäler von Bächen 
durchflössen und Wälder. Furchtlos kann man in dem Lande hin- und herreisen, 
nur muss man einen Eingebornen oder wenigstens eine Frau zur Seite haben. 
So halle vor einigen Jahren der Herr Stieglitz, der Verfasser einer deutschen 



Digitized by Google 



334 

„Reise nach Montenegro" (Slullgart 1841) eine junge Kousine des Vladika zq 
seiner Führerin. 

Das Land Ton Cernagora ist, wie überhaupt im Orient, mit seinen Bewoh- 
nern so identificirt, dass es keinen anderen Namen tragt, als den der pleme oder 
der Stamme, die auf den verschiedenen Ebenen herrschen. Ohne diese Släimne 
würde man die leeren Orte nicht zu bezeichnen wissen und sie blieben eine na- 
menlose Einöde, wie damals, als sie von den Uskoken, d. i. proskribirten serbi- 
schen Auswanderern bevölkert wurden. Ehemals begriffen unter dem Herzogthum 
und der Provinz Zenla, liegt die jetzige Cernagora zwischen Albanien, Bosnien, 
der Hercogewina und dem östreichischen Dalmatien. Die Moracza und Paskola, 
welche in den See von Skadar fallen, bilden ihre östliche Grenze; im Westen 
würde es die Küste des ad riatischen Meeres von Antivari bis Hagusa sein, 
wenn der Wiener Kongress die Cernogorcen nicht vom Meere abgeschnitten hätte, 
das sie von ihren Bergen beinahe mit einein Steinwurf erreichen können. 

Natürliche Walle sind im Westen der Rücken der Sella-Gora, 5 bis 6000 Fuss 
hoch, im Osten und Norden die Kette des Ostrog, im Süden der Sutorman. Yon 
diesen Gipfeln verbreiten sich Kettenglieder in tausend Richtungen durch das in- 
nere Land. Die Nationalgesänge erzählen: Der Gott des Himmels Hess, als er 
die Berge s&ete, auf seiner Wanderung durch die Erde aus Versehen oberhalb 
Cernagora den Sack fallen, worin sein Yorrath war; die im Sack befindlichen 
Granitblöcke rollten nach allen Seiten hin und bedeckten das Land. Die einzige 
Ebene, die von Cetinje einen halben Lieue breit und 4 Lieues lang, erfüllt so- 
gar noch das Bett eines See's. Der einzige grosse Fluss des Landes ist der 
Cernojewitj, der, auf den Bergen Maratowitj entspringend , durch Cetinje in den 
See von Skadar füllt. Jede Woche wird an dem Punkte, wo die Schiffe nicht 
weiter stromaufwärts gehen können, auf einem engen Bazar Markt, auch von 
östreichischen und türkischen Serben besucht, abgehalten. An seinen Ufern er- 
heben sich die Ruinen der ehemals starken Citadelle Rieka, vor welcher eine 
otlomanische Armee vernichtet wurde. Besser erhielten sich die Ruinen von 
Obod, die auf einem Berge nahe an der Mündung dieses Flusses liegen. Am 
Fusse des zerstörten Schlossthurmes eröffnet sich in dem Felsen eine mächtige 
und geheimnissvolle Höhle. Hier ruht, der Tradition zufolge, der Held Ivo, der 
Stammvater der Cernogorcen, im Schoss der Wilen (Nymphen), die ihn be- 
wachen und eines Tags wieder erwecken werden, wenn Gott beschliessen wird, 
seinen lieben Montenegrinern Kataro und das „blaue Meer" wiederzugeben. 
Alsdann wird der unsterbliche Held wieder an der Spitze seines Volkes eioher- 
ziehn und die „Schwaben" (Deutschen) von den usurpirten slawischen Küsten 
vertreiben. 

Ein anderer Fluss ist die Cernica, fahrbar bis zum Dorfe Vihra, wo ein 
sehr alter Marktplatz ist. Hier brach die erste Empörung der Rajas wider die 
Türken aus, die den Zehnten vom Mais zu holen kamen und behaupteten, das 
Scheffelmaass sei zu klein. „So werden die Cernogorcen von nun an ihren 
Zehnten vermessen" riefen die empörten Rajas und warfen die Maasse den Tür- 
ken an die Köpfe. Die Temperatur dieser Thäler ist so mild, dass man die 
ganze Gegend 2upa, d. h. Land ohne Schnee, oder Land der Sonne nannte (2a- 
pa ist Distrikt, Departement). Der Mangel an Wasserquellen ist sehr fühlbar. 
Oben auf den Bergen schmilzt der Schäfer Schnee, um seine Heerde zu tränken, 
und unter ihm wächst die Olive, die Feige und der Granatapfel. 

Man trifft hier keine Stadt und keine Festung, selbst das Dorf ist nichts 
anderes, als die Vereinigung mehrerer Haushaltungen (bralstvo). Man bauet die 
Häuser dicht an einander, grösstenteils aus Stein und auf den Felsen umher, 
und versieht sie mit Schiesscharten. In den Kula, Thflrmen mit einem Stockwerk, 
dient das Erdgeschoss zur Unterbringung des Viehes. Ziegen und Schafe sind 
die gewöhnlichen Hausthiere, Ochsen und Pferde selten. Der Wein, der in einigen 



Digitized by Google 



Thiüern wachst, bekommt, weil man ihn in Schlauche füllt, einen herben Ge- 
schmack. In ausgehöhlten Baumstämmen sammeln die zahllosen Bienenschwärme 
Tortrefflichen Honig. Die Nahrung des Volkes besieht in Vegetabilien, Milch, 
Mais- und Gerstenmehl, Erdäpfeln, deren Kultur der vorige Vladika einführte. 
Strassen gibt es im Lande nicht, und als sich Napoleon durch den Marschall 
Marmont anbot, auf seine Kosten eine Strasse von Kataro bis Nikschitja zu 
hauen, wurde sein Vorschlag mit grosser Klugheit standhaft zurückgewiesen. 

Die eigentliche Cernagora wird in 4 Nahien eingeteilt: die Cernica oder 
Cermnica, Lieschanska, Rjeczka und Kalunska - Nahia. Die letztere, vom Berge 
Lowczen bei Kataro bis Nikschitja, umfasst beinahe die Hälfte des Landes. 
Früher unbewohnt erhielt sie ihren Namen vom albanischen Worte: Katnn (Som- 
merzelt des Hirien, Sennenhütte). Jetzt enthält sie 9 pleme oder Stämme, auf 
eben so viel Distrikte vertheilt. Jeder steht ein Knjez oder Fürst vor, der nicht 
selten erblich, den Gemeindeversammlungen prasidirt. Diese Nahia ist die ärmste 
und unfruchtbarste des Landes und bringt daher die meisten Räuber und Plünde- 
rer hervor. Hier ist die Festung Celinje, welche diesem Hirten - Soldatenvolke 
als Forum dient; der Nationalreichstag wird auf einer Wiese abgehalten, der 
Senat sitzt aber' auf dem Gebirge bei dem heiligen Wladika. Nicht weit von 
dieser Festung ist Nieguschi (Gnegosl), der einzige Ort des Landes, welcher 
das Ansehen einer europäischen Stadt hat. Hier wohnen die berühmtesten Fami- 
lien der Republik, die Petrowitjs, die Brüder, Oheime und Vettern des Wladika, 
die Bogdanowilj's, die Jakschitj's, die Prorokowilj's, deren jetziges Oberhaupt, 
der wilde Lazo, (Neffe eines gleichnamigen Popen, der 1809 von den Franzosen 
erschossen wurde) , sich den Türken gefürchtet macht. Nieguschi ist ein zweites 
Moskwa in Miniatur; denn die niedere Wohnung der Vorfahren der herrschenden 
Dynastie wird mit derselben Ehrfurcht betrachtet, wie das Haus des ersten Ro-, 
manow an der Moskwa. Das Haus der Pelrowilsch's hat nur ein Stockwerk und 
gleicht den übrigen in allen Dingen, nur ist es ein wenig grösser. Ein anderer 
„Konak" hatte ein eben so grosses Haus gebaut, das noch vor einigen Jahren 
von der Familie des Civilgouverneurs bewohnt war, der mehr als ein Jahrhundert 
dem Wladika die irdische Herrschaft streitig machte. Nun ist aber die Familie 
ganz herabgekommen. Das kleine Becken des Staniewitj ist der einzige frucht- 
bare Strich dieser Nahia; in ihm liegt auch das Kloster des heiligen Michael, 
die frühere Residenz des Wladika. 

Die nächstanliegende Cernica -Nahia längs des Sees von Skadar bis ge- 
gen Budva und Antivari hinunter ist dagegen der reichste Landstrich. Terras- 
senförmige Garten auf den Bergen wechseln mit Oliven-, Feigen- und Granat- 
Pflanzungen. Dieselben werden insgesammt von Menschen gepflanzt, die zeit- 
lebens bis an die Zähne in den Waffen stecken. Man zählt hier sieben Stämme. 

Die Nahia Glubotina oder Rjeczka -Nahia, der Cenlralstrich des Landes, 
zählt 5 Stämme, deren einziger Reichthum in dem fischreichen Fluss Cernojewitj 
liegt. Aus ihm werden Massen von Forellen und andere Fische, getrocknet und 
geräuchert nach Dalmatien und Italien ausgeführt Unter anderen liefert hier eine 
Art Seebarben, serbisch ukliewa, italienisch scoranxa genannt, alljährlich reiche 
Ausbeute. Mit Eintritt des Winters kommen nämlich dieselben in solchen Schaa- 
ren gegen den See von Skadar heran, dass das Wasser, dessen Oberflache sie 
dicht bedecken, eine eigenthümliche Farbe annimmt. Sie haben die Grösse von 
Sardellen uud halten sich auch schaarenweise in den Oko's (kreisförmigen Stru- 
deln von warmen Quellen, die aus der Tiefe heraufquellen) in dem Skadarer See 
auf. Sie sind hier in solchen Massen beisammen, dass die Anwohner des Sees, 
welche ausschliesslich solche Oko's besitzen, sie in Hürden einschliessen, so dass 
sie sich kaum bewegen können. Dadurch werden sie fett und ihr Same wird so 
gross, dass er einen Caviar liefert, der nicht viel schlechter als der von 
Prevesa ist. 



Digitized by Goögl 



Die Nahia von Ljesko pojje erstreckt sich längs der Moracza Angesichts 
Podgorica's, und hat drei Stamme, welche die Summe der 24 Pleme's Tollmachen. 
Zn der Republik gehört aber auch noch eine grosse Anzahl konfoderirter Di- 
strikte. Allmähliger Zuwachs ▼ermehrt Ton Jahr zu Jahr ihre Alliirten. Das 
lange Thal you Kuczi kam 1831 dazu, das umfangreiche Gebiet von Grabovo 
ist seit 1840 fast ganz von der Türkei gelrennt, und über kurz oder lang wird 
auch die Herzogewina, so wie vielleicht das ganze Faschalik Yon Skadar 
Gernagora einverleibt sein. 

(Wird fortgesetzt.) 

1. Sausteine zur slawischen Mythologie. 

Aus lateinischen und griechischen Quellen von Wilhelm Bernhard*. 

Einleitung. 

Unter allen Zweigen der slawischen Alterthumswissenschaften dürfte wohl 
keine so gänzlich vernachlässigt sein, als die Mythologie dieser zahlreichen Völ- 
kersläuune. Die Gründe dieser Erscheinung sind mannichfacher Art. Zuerst sind 
wohl nirgends sonst die Materialien zu einem solchen Werke so zerstreut, so 
versteckt und so wenig bekannt gemacht, als auf diesem Felde der Wissenschaft, 
zu dessen Bearbeitung erst die Hülfsmillel mühsam aus einer Masse der ver- 
schiedenartigsten Schriften zusammengelesen werden müssen, und die, sollte man 
sie auch wirklich alle besitzen, doch immer nur ein unvollständiges Bild geben 
werden , bis die noch nicht bekannt gewordenen alteren Quellen slawischer Völker 
der OefTenllichkeit übergeben sein werden. Daher bleiben denn auch die Bestre- 
bungen, eine vollständige übersichtliche Mythologie des grossen slawischen 
Völkerstammes aufzustellen, eine zwar immer sehr ehrenwerthe, aber, so scheint 
es, doch vergebliche und zu frühzeitige Arbeit, da leicht jede neue Entdeckung 
auf diesem Gebiete ein ganzes, sorgsam und mühevoll aufgeführtes Gebäude mit 
einem Hauche gleichsam umzustürzen im Stande ist. Dazu kommt nun noch die 
Beschaffenheit der Schriften selbst, welche bisher diesen Gegenstand behandelten, 
deren es zwar eine Menge gibt, die aber alle, wenige einzelne ausgenommen, 
nicht zuverlässig, erschöpfend und umfassend genannt werden dürften. Denn die 
deutschen Gelehrten, welche dieses Gebiet bearbeiten, nehmen grösstenteils we- 
nig oder gar keine Rücksicht auf die bekannt gewordenen slawischen Quellen, 
während die slawischen Forscher ihrerseits auch nur selten die Schriftsteller des 
germanischen Nordens und Westens in den Bereich ihrer Arbeiten zogen, welche, 
obgleich nur beiläufig, zerstreut, einseitig, unvollkommen, und oft sehr irrthüm- 
lich von Sitten, Wissen, Glauben, Staats- und Rechtsverhältnissen, religiösen 
Einrichtungen, geographischen Eintheilungen und politischen Verbindungen der- 
jenigen Slawenstämme sprechen, mit welchen Deutschland im Laufe der Jahr- 
hunderte in mannichfache freundschaftliche oder feindselige Verbindungen kam. 
In dieser Beziehung sind indessen auch vielleicht die deutschen Gelehrten etwas 
entschuldbarer, als die unserer slawischen Nachbarn, denn bis herab zu unseren 
Tagen unterliegt der buchhändlerische Verkehr mit dem Norden und Osten Euro- 
pas so vielen Schwierigkeiten, Hemmungen und Hindernissen, dass es sehr schwer 
wird, sich auch nur Kenntniss vom Dasein der erschienenen Hülfsmiltel zur For- 
schung, geschweige denn diese selbst zu verschaffen, während diejenigen Quellen, 
welche die germanischen Völker zu bieten vermögen, alle grösstenteils bereits 
so lange bekannt gemacht, so allgemein verbreitet, so leicht erreichbar sind, 
dass sie gewiss auch in slawischen Ländern allen Denjenigen leicht zuganglich 
werden können, welche sich mit diesem Gegenstande der Forschung zu beschäfli- 



Digitized by Googl 



33* 

gen gewillt sind. Allein auch, angenommen, man befände sich in der Lage, alles 
Dasjenige zusammen zu haben, was in Bezug auf slawische Mythologie veröffent- 
licht worden ist, so würde man doch nur wenig gefördert sein; denn sobald man 
sich mit den meisten dieser Schriften, gleichviel ob von Slawen oder Deutschen 
herausgegeben, beschäftigt, wird man bald ihren gemeinsamen Fehler gewahr, 
die Kritiklosigkeit, mit welcher sie grösstenteils verfasst sind. Man steht 
in der Milte eines grossen Materials, hat um sich eine Anzahl von Berichten, 
Beschreibungen, Liedern, Sagen, SprQchwörtern , Gewohnheiten, Sitten, Sprach- 
bemerkungen aller Art, die sämmtlich als Beweise für einen behaupteten Satz 
aufgestellt werden, ohne dass nur im Mindesten Rücksicht darauf genommen 
wäre, von wem die Nachricht kommt, zu welcher Zeit, unter welchen Umstanden, 
an welchem Orte, wie ausführlich oder gedrängt, mit welcher allgemeinen Kennt- 
niss und Bildung, wie treu und wahrhaft, von welchem geistigen Standpunkte und 
zu welchem Zwecke sie niedergeschrieben wurde. Das neueste, oft unbegründe- 
teste Zeugniss wird sorglos als gleich beweiskräftig neben, ja oft über das älte- 
ste gesetzt, Worlableitungen , und wären sie die allerwillkührlichsten , werden oft 
für thatsächliche Beweise genommen, Sitten, Gewohnheilen und Sprüche werden, 
ohne ihren Ursprung und Zusammenhang gründlich zu erforschen, aus allen Welt- 
gegenden und von allen Yölkern zur Unterstützung einer Ansicht in bunter Reihe 
herbeigezogen, und wo sich überhaupt nur irgend eine nähere oder entferntere 
Aehnlichkeit mit slawischen Sitten, Gebräuchen, Göltergestallen und Einrichtun- 
gen antreffen lässt, wird sie ohne weiteres für gleichberechtigt und vollgültig 
mitzuzählen in der Beweisführung angesehen. Daraus entsteht natürlich eine so 
grosse Verwirrung, ein so vollständiges Verschwimmen der einzelnen Formen, 
eine solche AU-Einsmacherei, dass die Seele des Lesers beängstet und muthlos 
wird, sich in einen wüsten, bodenlosen, traumartigen Zustand versetzt fühlt, und 
sich endlich, ermattet und gleichsam von wilden Gespenstern todtgehelzl, mit 
Ueberdruss, Eckel und Aerger von einem Gegenstände abwendet, der das Gemülh 
in fieberhafte, ruhelose Aufregung bringt, ohne einen Kern, einen Mittelpunkt zu 
bieten, von dem aus man in den Stand gesetzt wäre, irgendwie eine sichere, in- 
dividuelle Gestalt zu erkennen. Man sieht leicht, dass dieser Vorwurf besonders 
die deutschen Bearbeitungen der slawischen Mythologie trifft, während die meisten 
Schriften der Slawen auf diesem Felde mehr unkritische Kompilationen des Ma- 
terials genannt werden müssen. Unter uns nämlich ist seit dem Erscheinen von 
Kreuzer's Symbolik und dem Emporkommen der sprachvergleichenden Grammatik 
besonders durch Hinzutritt der sogenannten spekulativen tieferen Auffassung wis- 
senschaftlicher Gegenstände, bei dem Missbrauch, welcher mit diesen Ansichten 
und Richtungen in unerhörter Weise getrieben wird, eine Behandlungsart [und 
Darstellung wissenschaftlicher Dinge ins Leben getreten, die, innerlich selbst 
verwirrt, nur wieder verwirrend und die festen Gestallen der Individuen auflösend 
einwirken kann. Da werden Brama, Buddha, Jupiter, Wuotan, Zeus, Perun, 
Frono, alle ägyptischen, chinesischen, indischen, persischen, kurz die Gottheiten 
aller Völker des Erdbodens, als gleich und Eins aufgezeigt, jede Individualität 
verschwindet, und statt der kräftigen und lebensvollen Gestalten, mit denen der 
Glaube den Himmel, die Erde und das Reich des Todes bevölkerte, übergiesst 
sich Alles mit einem grauen , gestaltlosen Nebel , der sich nur in andere wunder- 
liche Bildungen formt, je nachdem der Wind aus Norden, Süden, Westen oder 
Osten bläst. Die tiefsten, ureigensten Gedanken aller Nationen erblassen zu dem 
Schalten einer einzigen Uroffenbarung, mit welcher die verschiedenen Völker- 
stämme nur ein dieselbe entstellendes Spiel gelrieben und sie mit willkührlichen, 
unschönen, oder mindestens das wahre Wesen verdeckenden Schnörkeln und Zier- 
rathen herausgeputzt haben, während das Grosse, Schöne und Poetische in dem 
Glauben der einzelnen Völker nur eben als Weisheitstrümmer einer altersgrauen 
Vergangenheit erscheint, deren Anblick das Herz mit Schmerz und Wehmuth 



Digitized by Google 



erfüllt, weil man sieht, dass die reine Offenbarung der Urzeit zo schmählich 
entarten konnte. Und wie hier die Uroffenbarung als das Nachtgespenst erscheint, 
welches alle BlQthen der schönen Eigentümlichkeit und Völkerindividualität scho- 
nungslos mordet, so ist es in anderer Richtong das Urvolk and die Ursprache. 
Diese Dreinigkeit zerstört alles Leben so vollständig, nivellirt alle Eigenthüm- 
lichkeit so gründlich und löst Alles so sicher in ein farbloses, trübseliges Gran 
auf, dass die spekulative Anschauung leichtes Spiel hat, auf diese tabula rasa 
. mit Hülfe der Sprachähnlichkeit die bunten Bilder ihrer philosophischen Abstrak- 
tionen möglichst phantasiereich hinzumalen und sie zum Ergötzen des Lesers als 
chinesische Schattenspiele Torüberfliegen zu lassen, obwohl es damit geht, wie 
Ton den Hexenmahlzeiten auf dem Blocksberge die Sage erzählt, dass die Ge- 
niessenden nicht satt werden, und ein Körnchen Salz alle die schönen Speisen 
verschwinden macht Diesem eben so wohlfeilen als verderblichen Unwesen ge- 
genüberzulreten, ist wohl die Pflicht eines Jeden, dem wahrhafter Fortschritt In 
der Wissenschaft etwas gilt, und kann nur dadurch geschehen, dass Jeder nach 
seinen Kräften und Mitteln den einzigen Weg wandelt, auf welchem es möglich 
ist, zu etwas Wahrhaftem, zu klaren Resultaten zu gelangen, nämlich, dass man 
aus den Quellen selbst, ohne die späteren Ausdeutungen, Erklärungen und Um- 
schreibungen vor der Hand zu berücksichtigen, zusammenstellt, was uns von den 
religiösen Zuständen, vorerst der in Deutschland wohnenden Slawen, überliefert 
ist, dass man sodann das Gewonnene mit den jedem Einzelnen zuganglichen Ma- 
terial, welches von slawischen Schriftstellern gegeben wird, vergleicht, und end- 
lich was sich an diese Resultate aus den Sitten, Gebräuchen, Sagen, Liedern 
und Sprüchwörtern der noch blähenden slawischen Volksstamme anreihen lässl, 
hinzufügt. Wenn man hierauf für die in germanischen Ländern sesshaften Stamm- 
völker noch den unabweisbaren Einfluss griechischer, römischer, germanischer 
Mythen und die Einwirkung der christlichen Weltanschauung auf ihre religiöse 
Bildung durch Yergleichung festzustellen bemüht ist, so wird es späterhin nicht 
ganz so schwer fallen, das eigenthümlich slawische Element auszusondern und 
dasselbe möglichst in seiner Reinheit darzustellen, wenn auch nicht geläugnet 
werden kann, dass besonders in diesem Bezüge es noch auf lange Zeit hin sehr 
schwierig sein wird, etwas Ganzes und Abgeschlossenes zu erreichen. Der un- 
bedeutende Anfang eines solchen Unternehmens soll hier in diesen Blättern ge- 
macht werden, und wenn ich auch gar wohl weiss, wie wenig ich zu geben im 
Stande sein werde, so habe ich doch vorgezogen, diese Bruchstücke mit allen 
Mängeln, welche sie haben, der Oeffentlichkeit zu übergeben, weil ich mir be- 
wusst bin, was mir zur Hand war, fleissig gesammelt zu haben und hoffen darf, 
anderen, besser unterrichteten und vorteilhafter gestellten Freunden solcher Un- 
tersuchungen einen, wenn auch immerhin geringen Anhaltpunkt geben zu können, 
von dem aus sie Besseres, Würdigeres und Vollständigeres über diesen wichtigen 
Zweig der slawischen Alterthumskunde bringen werden. 

Was nun die Quellen anlangt, die bei diesem Versuche benutzt worden sind, 
so reihen sie sich naturgemäss und leicht in drei Abiheilungen. Die erste und 
vornehmste bilden diejenigen Schriftsteller, welche ihre Nachrichten aufzeichneten, 
als das Heidenthum in den deutschen Ländern slawischer Zunge noch herrschte 
oder wenigstens mit der christlichen Kirche, die siegreich vordrang, im kräftig- 
sten Kampfe um Wesen und Sein war. Es sind deren nicht viele und die Nach- 
richten, welche sie bringen, sind zwar unvollständig und einseitig, aber treu, 
wahr und einfach, meist aus eigner Erfahrung und Anschauung der Dinge und 
Verhältnisse geschöpft. Dahin gehören als die wichtigsten: Adamus Bremensis, 
Saxo grammalicus, Helmoldus Presbyter, Vita Otlonis Poineranorum apostoli 
auetore Sefried, desselben Mannes Lehen beschrieben von Ebbo, zur Verglei- 
chung die aus beiden gezogene Lebensbeschreibung Otlo's von Andreas Presbyter 
und Thielinari chronicon. Zu diesen gesellen sich in zweiter Reihe diejenigen 

V 

Digitized by Google 



Schriftsteller, welche entweder todi Schauplatze der Dinge entfernt lebten oder 
in spaterer Zeit, wo das slawische Heidenlhum längst dem christlichen Angriffe 
unterlegen war, also die Autoren Tom 14. bis Ende des 16. Jahrhunderls, welche 
noch die letzten Trümmer des Heidenthoms gelegentlich erwähnen. Die dritte 
Klasse endlich besteht aus den neueren Schriftstellern, vom 17. Jahrhundert ab, 
die nichts mehr vor sich hatten, als einzelne Lieder, Sagen, Gebräuche, Sitten 
und sonstige Ueberbleibsel des thatsächlich längst untergegangenen Heidenthums, 
welche sie sammelten und bekannt machten. Zu ihnen gehören denn auch die 
Erklärer der vorhandenen Quellen, die Sprachforscher und die bisherigen Bear- 
beiter der slawischen Mythologie. Hieraus ergibt sich auch von selbst die Folge, 
in welcher diese Quellen aufzuführen, und die Art, wie sie zu benutzen sind. Die 
Grundlage werden, soweit sie reichen, natürlich die Schriftsteller der ersten 
Klasse machen, wobei durch die der zweiten und dritten möglicherweise Erwei- 
terung oder Nachweis des Forlbeslandes eines Gebrauches oder einer Erinnerung 
erforscht wird. Was in den letzteren beiden Reihen an neuen Nachrichten auf- 
tauchen möchte, bleibt einer weiteren Abhandlung vorbehalten und es werden 
jetzt nur diejenigen Funkte der slawischen Mythologie der Erörterung unterworfen 
werden, die sich aus den Schriften gleichzeitiger Autoren herausstellen. Diese 
sollen dann, soweit die zugänglichen Hilfsmittel reichen, bis zu ihren letzten 
Ueberbleibseln in Gebräuchen, Sitten, Aberglauben, Sprichwörtern, Redensarten 
und Ortsnamen, die noch leben, verfolgt werden. Bevor ich jedoch die Unter- 
suchung selbst beginne, will ich noch wenige Worte über das Verhällniss der 
Hauptquellen unter sich und zu den späteren sagen, um sogleich den Standpunkt 
festzustellen, der bei ihrer Benutzung und Anführung eingenommen werden muss. 
Adam von Bremen steht als Urquelle, auch besonders in der slawischen Ge- 
schichte da und, was er bringt, verdankt er eigenen Nachforschungen bei kundigen 
Leuten, wenigstens grösstenteils ; doch ihn selbst haben die Späteren fleissig be- 
nutzt und ausgeschrieben, so der annalista Saxo, und vorzüglich Helmold und 
Albert von Stade, sowie der spätere Alberl Kranz in seiner Metropolis, Saxonia 
und Vandalia. Eben so selbständig erscheint Saxo grammaticus, von dem min- 
destens nicht wahrscheinlich ist, dass er den Adam als Quelle gebraucht habe, 
und gewiss, dass Dasjenige, was er über slawische Götter und deren Dienst hat, 
aus unmittelbarer Kenntniss geflossen ist. Auch Thietmar hat wenig andere Quel- 
len benutzt, als mündliche Erzählungen und Selbslerlebtes, wenigstens was die 
hierher gehörigen Stellen seines Geschichtswerkes betrifft, und auch er gehört zu 
den Schriftstellern, deren hoher Werth die nachfolgenden vermochte, ihn als er- 
giebige Quelle zu betrachten. So schrieben ihm nach der annalista und chrono- 
grapbus Saxo, Adalberlus in vita Henrici IL, das chronicon magdeburgense, das 
chronicon halberstadense, Gobelinus Persona, die vita Meinwerci, das chronicon 
merseburgense und Paulus Lange in seiner zeitzer und naumburger Chronik. Was 
Helmold endlich anlangt, so lässt sich auch bei ihm keine andere Quelle als ge- 
nau und wörtlich benutzt nachweisen, als Adam, und bei den für den vorliegen- 
den Zweck wichtigen Stellen spricht er, soweit nicht eben der bremer Geschichl- 
schreiber als Leitfaden diente, aus Erfahrung und selbstgemachten Nachforschungen. 
Auch diese Quelle wurde mannigfach benutzt So entnahm besonders Albert von 
Stade einen grossen Thcil seiner Nachrichten aus ihm, ferner der Chronist Det- 
mar, in hohem Grade Hermann Corner, dann Hermann von Lerbecke in seinem 
chronicon comitum schowenburgensium , der prcsbyler bremensis, das chronicon 
slavicum bei Lindenbrog, welches cpt. 1 — 32 ein lediglicher Auszug aus dem 
Helmold ist, ferner Albert Crummendyk in dem chronicon episcoporum lubecen- 
sium, Schipower im chronicon oldenburgensium archicomilum, Henricus Wolter 
im chronicon bremense, in hohem Grade Albert Kranz in seinen Schriften und 
endlich Paul Lange in der zeitzer Chronik. Auch poetisch wurde Helmold bear- 
beitet oder vielmehr übersetzt von Hermann voj> Kirchberg bis zu cpt. 110 seiner 

SUw. Jahrb. f. 45 



Digitized by Go^ 



340 



Chronik. Es bleibt nur noch übrig, der Tita Sancli Oltonis Pomeranornm apostoli zu 
gedenken. Davon gibt es drei Recensionen, nämlich die von einem Mönche, ans 
des gleichzeitigen Sefrid, der den Bischof auf seinen Reisen begleitet hatte, grös- 
serem Werke, das ursprünglich in dialogischer Form geschrieben war, gemachte 
Umschmelzung; die Bearbeitung des Lebens von Ebbo, welche dieser nach den 
Berichten des Priesters Ulrich, gleichfalls eines Reisegefährten Olto's, nieder- 
schrieb, und die vita, welche Andreas, Abt des Klosters St. Michael, aus diesen beiden 
Vorgangern und anderen Nachrichten gegen das Ende des 15. Jahrhunderts zusam- 
menstellte. Auf gleiche Weise ist rücksichtlich der religiösen so wie der übri- 
gen slawischen Alterthümer die im Beginn des 17. Jahrhunderts geschriebene 
' Historia episcopatus camimensis, vornehmlich auf Sefried, Ebbo, Andreas und 
Albert Kranz gestützt, obschon ihr Verfasser Wuja (Peter von Winther) eigen- 
tümliche, aber sehr zu prüfende Angaben einstreut. Solche Prüfung der einzel- 
nen spateren Berichte wird am besten bei den einzelnen hier zu besprechenden 
Punkten selbst gegeben werden können, wo dann diese und die übrigen hier nicht 
besonders genannten Quellen zweiten und dritten Ranges aufgeführt werden müs- 
sen. Für jetzt schliesse ich daher diese vorläufigen Bemerkungen und füge nur 
noch hinzu, dass die grösste Masse der geschichtlichen Quellen für das Mittel- 
alter bis jetzt leider in einer Gestalt vor uns liegt, die fast jeder Kritik ent- 
behrt, und dass es daher sehr häufig unmöglich wird, sogar in den wichtigsten 
Beziehungen, einen ganz sicheren Anhaltpunkt zu gewinnen. 



Procopius de bell. golh. cpL 40 (Stritter monumenta IL, 28. Slavica. SecL 
IL, §. 17.) gibt uns eine merkwürdige Darstellung des slawischen Glaubens. 
Er sagt nämlich : unum enim deum fulguris effectorem dominum huius universitatis 
solum agnoscunt, cique boves et cujusque generis hoslias immolant. Fatum mi- 
nime norunt, nedum illi in mortales aliquamvim atlribuunt; at cum sibi vel inorbo 
correptis vel praelium ineuntibus iam mortem admotam vident; deo vovent, si 
evaserint, continuo victimam pro salvo capito mactaluros: elapsi periculo , quod 
promisere, sacrificant, eaque hoslia vilam sibi redemptam credunt. Praeterea fln- 
vios colunt, nymphas, et alia quaedam numina, quibus omnibus operantur, et 
inter sacrificia conjecturas faciunt divinationum. Hierzu muss, der Wichtigkeit 
wegen, sogleich eine Stelle aus Helmold chronicon Slavor. Lib. I. cpl. 24. (Leib- 
nizt serptt. rer. Brunswic. IL, 606.) beigebracht werden; sie lautet: Inier mulli- 
formia vero deorum numina, quibus arva, Silvas, tristitias et voluptates attribuunt, 
non diffitentur unum deum in coelis caeteris imperitantem. Illum praepotentem 
coelestia tautum curare. Hos vero, distributis offieiis obsequentes, de sanguine 
eius processisse, unumquemque praestantiorem, quo proximiorem illi deo deorum. 

Betrachtet man nun die Stelle des Procop näher, so zerfallt sie ganz natür- 
lich in drei Abschnitte, deren erster von unum enim — immolant geht, deren 
zweiter die Worte Fatum — redemptam credunt umfasst, und deren dritter von 
Praeterea — faciunt divinationum reicht. Es ist olfenbar, dass die Ausdrücke, 
deren sich Procop im ersten Theile seiner Nachricht bedient, im Ganzen gerade 
dasselbe sagen, was Helmold mit den Worten: non diffitentur unum deum in coe- 
lis caeteris imperitantem berichtet, und man darf sich wohl nicht durch das „ful- 
guris effectorem" und die Opfer, deren Erwähnung geschieht, irren lassen. Hier 
ist dein Griechen begegnet, was so häufig vorkommt, wenn man Berichte liefert 
von Dingen und Menschen, denen man fern steht, die man nur aus Schilderungen 



I. 



Gott. 




Digitized by Google 1 



341 



fulguris cffeclor zukommt, auf den deus deorum fibertragen, er hat diesen und 
Perun zu einer Person gemacht. Besonders spricht noch für diese Ansicht der 
Umstand, dass anderwärts gar keine Andeutung über Opfer vorkommt, welche 
dem deo deorum dargebracht worden seien, und dass gerade die erwähnten Opfer 
mit denjenigen übereinstimmen, von welchen wir sonst wissen, dass sie dem Pe- 
run dargebracht wurden. Deshalb ist denn auch dieser Nachricht in ihren Ein- 
zelheiten nicht zu viel Gewicht beizulegen, zumal Helmold, ein zwar viel späterer 
Schriftsteller, der aber lange Zeit seines Lebens mit Slawen verkehrte und sie 
genau kannte, genauer darüber berichtet. Wie sehr aber beide Schriftsteiler im 
Wesentlichen ihres Berichts übereinstimmen , davon zeugt der dritte Abschnitt der 
Stelle Procop's; denn die alia numina, welche nach diesem von den Slawen ver- 
ehrt werden, quibus omnibus operantur, et inter sacrificia conjecturas faciunt 
divinationum , sind offenbar keine anderen als die, von denen Helmold sagt: hos 
vero distributis officiis obsequentes de sanguine eins processisse unumquemque 
praestantiorem , quo proxiiniorem illi deo deorum, und bei derem Dienste als ein 
Hauptmoment gerade Opfer und Weissagung in den einstimmigen Berichten der 
späteren Schriftsteller des Mittelalters erscheint. Der mittlere Theil endlich des 
von Procop gegebenen Berichtes dürfte sich gleichfalls als schwankend und un- 
genau bei näherer Betrachtung herausstellen. Gewiss stehen hier wohl fatum und 
deo einander gegenüber. Der Schriftsteller will offenbar, wie es scheint, mit 
Hinblick auf die ihm wohlbekannte griechische mythologische Ansicht, sagen: 
ein Fatum, ein blindes, unabwendbares Geschick, dessen eiserner Nothwendigkeit 
auf keine Weise zu entrinnen ist, wie die Griechen und Römer lehrten, kennt der 
Slawe nicht, nach ihm beruht alles lediglich in dein Willen, oder besser der 
Willkühr der Gottheit; kann man sich diese geneigt machen, wenn sie das Leben 
in irgend einer Weise bedroht, so entgeht der Mensch der ihm bevorstehenden 
Gefahr, sie nimmt das Leben des Thieres, das geopfert wird, für das des Men- 
schen gleichsam als Entschädigung hin, und dieser ist von der Gefahr frei. Da- 
rum müssen es aber auch blutige Opfer sein, denn es gilt Leben für Leben. Es 
darf nun wohl gefragt werden, ob Procop bei den Worten : at cum sibi vel morbo 

correptis iam mortem admotam vident, deo vovent, si evaserint, conti nuo 

viclimam pro salvo capile mactaluros so bestimmt an den deum dominum huius 
universitatis solum gedacht habe, oder ihm nicht vielmehr die alia quaedam nu- 
mina, denen geopfert wurde, vorgeschwebt haben und er nur durch die Vermischung 
des höchsten Gottes mit dem Perun verführt wurde, diese Nachricht in die Milte 
zu stellen. So viel ist aus dem Procop selbst klar, der Obergott wurde nicht 
von den Menschen um die Zukunft ausdrücklich befragt, wie die alia numina, 
von welchen berichtet wird, dass man inter sacrificia conjecturas divinationum 
mache, und aus späteren Nachrichten weiss man, dass vorzüglich bei Krieg und 
Schlachten die Gottheit über die Zukunft befragt wurde. Mit Gewissheit geht 
daraus also mindestens hervor, dass die Erzählung des Griechen nur in ihrer 
Allgemeinheit richtig, in ihren Einzelheiten jedoch verwirrt und durcheinander 
geworfen ist, so dass es wohl erlaubt ist, sie nach späteren, genaueren Schrift- 
stellern zu modeln, und nothwendig, ihr nicht zu grosses Gewicht auf Kosten der 
letzteren einzuräumen, oder gar dieselbe in allen ihren Einzelheiten zum Grunde 
einer Darlegung der Anschauung vom höchsten Gölte bei den Slawen machen zu 
wollen. Aus dem Allen stellt sich heraus, dass für uns diese Stelle nur in so- 
fern von grosser Bedeutsamkeit ist, als sie zeigt, wie wahrhaft die Nachrichten 
Helinold's sind, wie gleichmässig die religiösen Anschauungen in allen slawischen 
Ländern, im Süden wie im Norden waren, wie tief sie Wurzel geschlagen hat- 
ten, da ein Zeilraum von Jahrhunderlen sie uns unverändert zeigt, und wie sicher 
wir daher den Schluss von späteren Erscheinungen auf ihr viel früheres Vorhan- 
densein machen dürfen. 

Wie die Slawen nun diesen Obergolt genannt haben, darüber gibt uns keine 



Digitized by Google 



34* 



alte Quelle Nachricht. Die neueren Schriftsteller nehmen meistentheils Bog, Bob 
an, weil dieser Ausdruck unter allen slawischen Stämmen, wenig nach, der Mund- 
art verändert, das höchste Wesen bezeichnet Und in der Thal, es gibt wenig 
Ausdrücke der Sprache, welche so zahlreiche Sprossen haben, als eben Bon oder 
Bog. Unter diesen Sprossen gibt es auch viele, welche bedeutsam auf die frü- 
here Wichtigkeit dieses Wortes schliessen lassen. So gehört in diese Wörter- 
familie der Ausdruck: Zbozie für Getraide und alle verkäuflichen Waareo; Boü 
dar: Gottes Gabe für Brod; Bohatyr, Bogatyr: starker Mann, Held; Bohastwo: 
Reichlhum; Bohafc oder Bohaty: der Reiche, welche letzteren Ausdrücke sehr 
wohl zu Helmold's Worten: „illum praepotenlein" passen, da Reichthum und Macht 
sehr nahe verwandt sind, gerade wie Macht und Heldenmulh, worauf das Wort 
Bohatyr, Bogalyr hinweist. Nicht minder bedeutsam ist, dass so viele Krank- 
heiten mit Bog zusammengesetzt erscheinen, als: Boza ruka, wörtlich Gottes Hand, 
der Nervenschlag; Boza rana, eigentlich Gottes Wunde, oder Schlag, die Seuche; 
Boii bie, d. h. Gottes Geissei, oder Boza moc (Gottes Macht) die Fallsucht, 
Bogine die Blattern. Eben so gibt es sehr viele Pflanzennamen, die mit bog zo- 
sammengesetzt sind und die daher unstreitig eine Bedeutsamkeit gehabt haben. 
Ferner sind Ausdrücke wie Ubohi, Ubozatko, wörtlich die bei Gott Seienden, 
Kranke, Schwache bezeichnend, gewiss früher von tieferem Sinne gewesen, in- 
dem sie die überall wiederkehrende Ansicht der Völker aussprechen, dass die 
körperlich Vernachlässigten besonders von den höheren Mächten begünstigt sind. 
Dasselbe bezeichnet Neboilicki, Uz je boii, was man von Todten , Schlafenden 
und überhaupt Bewustlosen braucht, und welches ursprünglich heisst: er gehört 
schon Gott an. Zu merken ist endlich noch Bog als Flussname. Bei dem allen 
aber ist es immerhin auffallend, dass so wenige der wahrhaft beglaubigten Got- 
ternamen selbst mit Bog zusammengesetzt sind. Diese haben nämlich entweder 
eigentümliche Namen, oder sie sind mit bog oder wit zusammengesetzt. Mit 
bog weiss ich nur von den beglaubigten, das heisst von solchen, die bei gleich- 
zeitigen, oder mindestens noch mit lebendigen, selhslbewussten Resten des Hei- 
denthums zusammenlebenden Schriftstellern genannten, folgende Namen: £ernobog, 
Daschbog, Stribog, Poswist, und ein einziges Mal in einer germanischen Quelle 
Suantobuc für das gewöhnliche Suantowit Ausser dem Cernobog, den Helroold 
nennt, werden die anderen nur von russischen Quellen namhaft gemacht Mit wit 
dagegen sind mehrere zusammengesetzt, und zwar: Berowit, Porewit, Rugiacwit, 
Swatowit, Witelubbe, und, wieder auffallend, sämmtlich den germanischen Quellen 
entnommen. Bei dieser Aufzählung sind übrigens absichtlich vorerst lettische, 
preussische, samogitische Namen gänzlich übergangen. In eigentümlicher Form 
endlich finden sich folgende Namen: Siwa (£ywie), Porenut, Pizamar, Triglawa, 
Zuarasici, Saturnus, Radigast, Gudracco, Podaga, Prono, aus germanischen und 
Perun, Wolos, Wichor, Lado, Lei, Polel, Lada, Uslad (Oslad), Chorscha (Chars). 
Simargl und Makosch (Mokesch) aus russischen Qellen. Man sieht, die wenig- 
sten Zusammensetzungen gibt bog, die meisten Götternamen sind eigenthümlich 
gebildet und zwischen beiden stehen die mit wit geformten. Ueber die Bedeutung 
dieser Sylbe ist viel gestritten und die Erklärung schwankt noch. Einige leiten 
dieselbe von Ba«y, ich sehe, ab, allein gewiss nicht richtig, während Andere sie 
mit vfilez, Sieger, zusammenstellen und dann alle anderen Worttheile adjektivisch 
erklären, z. B. Swato-wit, heiliger Sieger u. s. w. Allein auch diese Erklärung 
genügt nicht, und deshalb gilt der Versuch einer dritten, welche mindestens eine 
Stelle des Helmold für sich anführen darf. Dieser sagt nämlich am Schlüsse 
seines Berichts über den deus deorum von den übrigen Göttern: hosvero, distribuüs 
offieiis obsequentes, de sanguine eius processisse et unumquemque eo praestantio- 
rem, quo proximiorem illi deo deorum. Es muss also doch dem deo deorum 
naher und entfernter stehende gegeben haben, und wohl auch ein Erkennungszei- 
chen solcher dagewesen sein. Wie nun, wenn dieses die Sylbe wit wäre? Be- 



Digitized by Google 



kanntlich zeigt in allen slawischen Mundarten die Sylbe wit mvb das Herslaui- 
mungsverhältniss an, z. B. u,ayh König, Uapenwib Königssohn, und so könnte 
vielleicht dies wit in den Götternamen anzeigen, dass diejenigen, bei welchen 
es sich findet, eben solchen Gottheiten angehören mögen, die propinqoiores deo 
deorum und also auch die praestantiores unter denen waren, welche zugetheilte 
Pflichten ausübten und aus dem Blute des Obergotles entsprossen waren. Ent- 
sprungen , hervorgegangen sind sie ja alle nach Helmold aus dem Blute des deus 
deorum, nur der Abstand war verschieden, und dieser würde dann durch wit 
bezeichnet werden. Man sage nicht, dass bei den Wörtern, welche in witsch 
endigen , stets der Vatersname oder Stand wiederholt werden müsse; wir finden 
dies nicht immer, z. B. in der polnischen Heldensage ist Ziemowit der Sohn 
Piasts und sein Name endet doch so, wobei nicht zu übersehen sein dürfte, dass 
gerade auf diesem Zienio-wit die polnische Sage die bedeutendsten Lichter sam- 
melt. Er ist es, der das Volk vom Verderben rettet, und von dem eine ganze 
Reihe völkerbeglückender Fürsten abstammt, die, wiederum merkwürdig genug, 
nicht von ihm, sondern von seinen Vätern Piasten genannt werden. Es wäre 
nicht unmöglich, dass in Ziemowit eine polnische Heldensage und Reste einer Gölter- 
geslalt zusammengeflossen wären, deren letzter Schimmer sich in der Namens- 
endung zeigte. Es wird sich später eine Gelegenheit darbieten, diese merkwür- 
dige Figur der polnischen Sage weitläufiger zu behandeln und auf die Quellen 
zurückzugehen, welchen sie zu entnehmen ist, jetzt hat sie nur ein Interesse durch 
die Endung ihres Namens. Eine gleiche Andeutung des Abslammens mag wohl 
auch durch die Namenszusammensetzung mit bog vorgestellt werden, obschon nicht 
zu y erkennen scheint, dass die Wirkungskreise dieser Gölter bei Weitem nicht 
so gross und weitgreifend erscheinen, als deren, welche mit wit gebildet sind, 
denn ausser ßernoboh, von welchem später besonders die Rede sein wird, sind 
alle die Gottheilen, in deren Namen das Wort bog vorkommt, entweder sehr ab- 
strakter Natur, wie Daiboh, oder sehr beschränkter, wie Striboh, so dass der 
Begriff boh in ihnen weit abgeschwächter, verallgemeinerter nnd verschwommener 
erscheint, als in jenen, die eine bei Weitem feslere, schärfer gezeichnete und 
individuellere Gestaltung an den Tag legen. Doch das liegt vielleicht an dem 
Mangel von Quellen, die mir zu Gebote stehen, und die Täuschung verschwindet, 
sobald man nicht mehr, wie jetzt, fast ganz allein auf etymologische Namens- 
erklärungen beschränkt sein wird. In serbischen Volksliedern kommt bog merk- 
würdig vor, obwohl diese Quelle für die slawische Mythologie sehr vorsichtig 
gebraucht werden muss, da es manchmal unmöglich, gewöhnlieh aber sehr schwie- 
rig wird, das Alte und Acchte von den späteren Zuthaten zu sondern, oder aus den 
Umbildungen, welche die Lieder im Laufe der Jahrhunderte und durch Einwir- 
kung des christlichen Elements namentlich erlitten, auszusondern. Manches in- 
dessen ist so ins Auge springend, dass man es unbedenklich als zu dem passend, 
was uns gleichzeitige Quellen überliefern, rechnen und deshalb benutzen kann. 
Dies ist unter andern der Fall mit einem Liede (Vuk Steph. I., 134.), worin 
vorkommt, Bog habe als Kind die Sonne, deren Bruder der Mond und deren 
Schwester der Abendstern sei. Letzterer wird deshalb Schwester genannt, weil 
zveida (Stern) iocmininuin ist. Unstreitig ist hier dies Gedenken der Verwandt- 
schaft uralt und aus dem Heidenthume herüber genommen, und daraus lässt sich 
auf die Verehrung der Gestirne in alter Zeit als Gollheilen gewiss nicht mit Un- 
recht zurückschliessen. Weit weniger brauchbar scheinen die Stellen serbischer 
Volkslieder zu sein, in welchen der höchste Gott als Donner- oder Weller- 
gott angerufen wird, in Talvj's Volksliedern der Serben, Halle 1835. 2. Aufl. 
I, 46, II, 127, 131, 139. Der Begriff „höchster Gott" erinnert zwar allerdings 
an den deus deorum, allein da er seiner Natur nach viel leichter abstrakt und 
deshalb dem Einflüsse christlicher Gedanken weit zugänglicher ist, als die An- 
schauung, Bog sei Vater der Sonne, so möchte ich nicht so unbedingt hierin deu 



d by Gdbgl 



844 



Ueherrest allheidniseher Gedanken and Lehren erblicken und mich etwa darauf 
hin für die Richtigkeit der Nachrichten Procop's, hinsichtlich der Identit&t Pernn's 
und des deus deorum im Helmold erklären. Eine Reihe anderer Stellen und 
Redensarten , in denen das Wort Bog noch jetzt gebrauchlich ist, übergehe ich 
hier Torläufig, weil sich späterhin Gelegenheit finden wird, sie ausführlich zn 
betrachten und bemerke nur noch, dass bei den Slowaken sich der Ausdruck 
Fraboh (Urgott) findet, der freilich bedeutsam klingt, der aber auch so abstrakt 
ist, dass man nichts daraus zu schliessen berechtigt sein dürfte. 

(Wird fortgesetzt.) 



IV. 

Literatur und Kritik. 

1. Murale Skizze der Geschichte der russischen Ertteratur, 

(Nach den Otecz. Zapiski 1843.) 
Fortsetz nng. 

Mit Derzawin beginnt eine neue Periode der russischen Poesie, und wie 
Lomonosow ihr erster Name war, so ist Derzawin ihr zweiter. In Derzawin 
machte die russische Poesie einen grossen Schritt nach vorwärts. Wir hatten 
gesagt, dass in einigen Dichtungen Lomonosow's neben der in jener Zeit bemer- 
kenswerthen Vollkommenheit in der Yersifikalion auch noch Leben und beseeltes 
Gefühl zu linden ist; wir müssen indess an dieser Stelle hinzusetzen, dass der 
Charakter dieses Beseellseins in Lomonosow mehr den Redner als den Dichter 
sehen lässt, und dass in gar keinem seiner Gedichte künstlerische Elemente ge- 
funden werden. Derzawin dagegen ist eine reine Künstlernatur, ein Dichter von 
Beruf; seine Produkte sind voll poetischer Kunstelemente, und wenn trotz dem 
der allgemeine und herrschende Charakter seiner Dichtungen ein rhetorischer ist, 
so ist daran nicht er schuld, sondern seine Zeit. In Lomonosow kämpfte zwei- 
facher Beruf, der des Dichters und des Gelehrten; der letztere war stärker, als 
der erste; Derzawin war nur Dichter und weiter nichts. In seinen Gedichten 
muss man bereits das Beseeltsein und das Gefühl bewundern; aber das ist nicht 
ihr erster noch ihr grössler Vorzog; sie tragen bereits den höheren Stempel der 
Kunst, den Glanz künstlerischer Schöpfung an sich. Die Muse Derzawin's war 
seelen- und gefühlsverwandt der griechischen Muse, der Königin aller Musen; 
in seinen anakreontischen Oden blitzten die plastischen und graziösen Bilder der 
alteu anthologischen Poesie; und dennoch waren Derzawin die alten Sprachen 
nicht nur gänzlich unbekannt, sondern es fehlte ihm auch überhaupt alle Bildung. 
Demzufolge begegnet man in seinen Dichtungen nicht seilen Bildern und Gemäl- 
den der rein russischen Sprache, gezeichnet mit der ganzen Originalität des rus- 
sischen Geistes und der russischen Sprache. Und wenn alles das nur aufzuckt 
und aufblitzt in abgesonderten Elementen und Einzelnheiten und nicht als ein 
Ganzes nnd Vollendetes erscheint, wie ein abgerundetes und durchgeführtes Ge- 
bäude, so dass man den Derzawin ganz lesen muss, um aus den in den vier 
Bänden seiner Werke zerstreuten Stellen den Begriff des Charakters seiner Poesie 
zusammenstellen, da man nicht auf ein einziges Gedicht als auf ein künstlerisches 
Poem hinweisen kann: so liegt die Ursache davon, wir wiederholen es, nisht in 
dem Mangel oder der Schwäche des Talentes bei diesem Helden unserer Poesie, son- 



Digitized by Googl 



345 



dem in dem historischen Zustande der Literatur und der Gesellschaft jener Zeit. 
Die Ton Katharina II. ausgeslreute Saat wuchs erst nach ihrem Tode auf; zu 
ihren Lebzeiten koncenlrirte sich das ganze Leben der russischen Gesellschaft 
noch in den höchsten Ständen, während alle übrigen noch in der Finslerniss, der 
Unwissenheit und der Rohheit begraben lagen. Demzufolge konnte das sociale 
Leben, als die Gesammtheit der bekannten Gesetze und Verhältnisse, welche die 
Seele einer jeden menschlichen Gesellschaft ausmachen, dem schöpferischen Geiste 
Derzawin's keinen Nahrungsstoff geben. Wenn er gleich alles benutzte, was ihm 
dasselbe geben konnte, so reichte das nur dazu hin, dass seine Poesie in Hin- 
sicht ihres Inhaltes tiefer und mannichfalliger war, als die Poesie Lomonosow's, 
des Dichters aus der Zeit Elisabeths; aber keineswegs reichte es dazu hin, dass 
er sich höher hätte schwingen können, als zum Dichter seiner Zeit allein. Ueber- 
dies erfolgt jede Enlwickelung stufenweise und das Nachfolgende erfährt immer 
den unabweislichen Einfluss des Vorangegangenen an sich; darum konnte Derza- 
win trotz seiner poetischen Natur auf die Poesie nicht anders hinsehen, als von 
dem Standpunkte Lomonosow's, und musste notwendiger Weise nicht allein die- 
sen Lehrer der russischen Literatur und Poesie vor und über sich sehen, sondern 
auch einen Cheraskow und Pelrow. Mit einem Worte: die Poesie Derzawin's 
war der erste Schritt zu dem Uebergange der russischen Poesie überhaupt von 
ein Felde der Rhetorik auf das wirkliche Leben; aber nichts mehr. 

Einen wichtigen Platz muss in der Geschichte der russischen Literatur noch 
ein zweiter Schriftsteller des Zeitalters Katharina's einnehmen. Wir meinen Von- 
Wisin. Neben dem Umstände, dass die russische Literatur ihrem Ursprünge nach 
eine hinübergepflanzte, ein eingeführtes Produkt war, war ihr Anfang noch durch 
einen zweiten Umstand bezeichnet, welcher desto wichtiger ist, weil er eine Folge 
der historischen Lage der russischeu Gesellschaft war und einen kräftigen und 
wohlthäligen Einfluss auf die ganze weitere Entwickelung der russischen Literatur 
bis auf die Gegenwart ausübte, und selbst jetzt noch den originellsten und be- 
zeichnendsten Zug derselben bildet; wir meinen ihre satyrische Richtung. 
Der erste russische Dichter der Zeit nach, der noch in einer barbarischen Spra- 
che und in sylbenzählendeu Versen schrieb, Kantemir, war Satyriker. Stellt 
man sich den chaotischen Zustand vor, in welchem sich die russische Gesellschaft 
zu jener Zeit befand, diesen Kampf des absterbenden Alterlhums mit dem sich 
erhebenden Neuthum, so muss man schlechterdings in der Dichtung Kantemir's 
eine lebensvolle und organische Erscheinung erkennen; nichts ist natürlicher, als 
die Erscheinung eines Satyrikers in einer solchen Gesellschaft. Aus der leichten 
Hand Kantemir's schlug die Satyre in die geistige Beschaffenheit der russischen 
Literatur tiefe Wurzel und hatte einen wohlthätigen Einfluss auf die Sitten der 
russischen Gesellschaft. Sumarokow führte einen heftigen Krieg gegen das 
„Brennnesselgewächs der Wucherer"; von Wisin geisselte in seinen Lustspielen 
die rohe Unwissenheit des alten Geschlechts und die grobe Politur der oberfläch- 
lichen und äusserlichen europäischen Halbbildung der jüngeren Generation. Ein 
Sohn des achtzehnten Jahrhunderts, von Verstand und tiefer Bildung, konnte Von- 
Wisia heiter und giftig zugleich lächeln; seine „Sendung an Schumilow" wird 
alle die dicken Gedichte jener Zeit überleben. Seine „Briefe an den grossen 
Herrn aus der Fremde" waren in Hinsicht ihres Inhaltes ohne Vergleich wirk- 
samer und wichtiger, als die „Briefe des russischen Reisenden." Wenn man sie 
liest, so fühlt man bereits den Anfang der französischen Revolution in diesem 
fürchterlichen Gemälde der französischen Gesellschaft, das der russische Reisende 
so meisterhaft entwarf, obgleich er während des Zeichnens selbst eben so weit 
davon entfernt war, wie die Franzosen selbst, die Möglichkeit, noch viel weni- 
ger die Nähe des schrecklichen Umsturzes zu ahnen. Sein „ Bekenntniss " und 
die humoristischen Artikel, seine „Fragen an Katharina"; alles das hat für uns 
das grösste Interesse, wie ein lebendiges Memoire des Vergangenen. Seine Sprache 



Digitized by Google 



nähert sich bereits der Karamzin's, obgleich sie noch deren Frische nicht er- 
reicht. Am wichtigsten indess sind für uns die beiden Lustspiele Von-Wisin's: 
„der Unmündige" (Njedorosl) und „der Brigadier." Keines von den beiden 
Lustspielen kann man eigentlich Komödie in der ästhetischen Bedeutung dieses 
Wortes nennen, sie sind vielmehr eine Art von Anstrengung der Satyre, sich zum 
Lustspiel emporzuheben; und gerade dadurch werden sie wichtig. Wir sehen in 
ihnen de*n lebendigen Augenblick der Entwicklung der einmal nach Russland 
verpflanzten Idee der Poesie; wir sehen Schritt vor Schritt ihr Yorwärlsstreben, 
das Leben, die Wirklichkeit auszudrücken. In dieser Beziehung sind uns selbst 
die Mangel der beiden Lustspiele werth, als Fakten des damaligen socialen Zu- 
standes. In ihren Raisonneurs und ihren Tugendhelden hören wir die Stimmen 
der Weisen und der Guten jener Zeil, ihre Begriffe und Gedanken, geschaffen 
und geleitet von der Höhe des Thrones herab. 

Cbemnicer, Bogdanowicz und Kapnist gehören bereits zur zweiten Periode 
der russischen Literatur; ihre Sprache ist reiner und der rhetorische Pedantismus 
weniger bemerklich , als bei den Schriftstellern aus Lomonosow's Schule. Chem- 
nicer ist in der Literargeschichte wichtiger, als die anderen beiden; er war der 
erste russische Fabeldichter (denn die Allegorien Sumarokow's verdienen kaum 
eine Erwähnung), und unter seinen Fabeln gibt es einige, die wahrhaft schön 
sind in Hinsicht der Sprache des Ycrf. und ihres naiven Witzes. Bogdanowicz 
machte Furore durch seine „Dnschenka" (Seelchen). Seine Zeitgenossen waren 
ausser sich über dieselbe. 

Die entzückte Bewunderung Bogdanowicz's dauerte lange; selbst Puschkin 
redete ihn zu wiederholten Malen mit Liebe und hinreissender Zuneigung in sei- 
nen Gedichten an. Und trotz dem hat dieses Gedicht für uns in der Gegenwart 
fast gar keinen poetischen Reiz mehr. Die Verse, ausserordentlich glatt und 
leicht für jene Zeit, sind jetzt schleppend und ohne Wohlklang; die Naivität der 
Erzählung und die Zartheit des Gefühls erscheinen uns gezwungen, der Inhalt 
kindisch und nichtig. In diesem Gedichte finden wir in seinem Inhalte wie in 
der Form auch nicht einen Schatten von poetischem Mythos und von plastischer, 
hellenischer Schönheit. Was war wohl die Ursache der Entzückung zu jener 
Zeit? Nichts anderes, als die für jene Zeit ausserordentliche Leichtigkeit des 
Verses und die Abwechslung des Metrums, das Wegwerfen des gedehnten und 
hochtrabend feierlichen Tones, der bereits anfing, die Leser anzuekeln und dabei 
noch die bezaubernde Ueppigkeit der Gemälde, welche der scherzhaften Dich- 
tungsweise gesetzlich erlaubt war und die Phantasie und das Gefühl der Leser 
überlistete. 

Kapnist schrieb Oden, unter denen sich einige durch ihren elegischen Ton 
auszeichneten ; sein Vers hatte eine damals ungewöhnliche Leichtigkeit und Glätte. 
In seinen elegischen Oden hört man Seele und Herz. Aber damit enden auch 
alle Vorzüge seiner Gedichte. Oft missbrauchte er seinen Kummer und seine 
Thränen, denn er grämte sich und weinte in einer und derselben Ode oft einige 
Seiten lang. Kapnist ist auch noch merkwürdig als Verfasser des Lustspiels 
Jawel. Dieses in poetischer Hinsicht bedeutungslose Geistesprodukt gehört zu 
den historisch wichtigen Erscheinungen in der Literatur; denn es ist ein kühner 
und entschiedener Ausfall der Satyre gegen die Advokalenränke, gegen Zungea- 
drescherei und Wucher, welche die menschliche Gesellschaft in jener Zeit so 
furchtbar marterten. 

Wir nähern uns nun einer der interessantesten Epochen der russischen Lite- 
ratur. Die Saat Katharina's II. begann zu keimen und Früchte zu tragen. 
Je fester die Civilisation und die Aufklärung in Russland Wurzel fassten, desto 
mehr begann auch die literarische Bildung sich auszubreiten. In Folge dessen 
wurde auch die Erscheinung von klassischen Talenten, welche auf den Gang und 
die Richtung der Literatur einwirkten, immer häufiger und gewöhnlicher, als 



Digitized by Google 



34V 

früher, und die neuen Kräfte begannen schneller in der Literatur zu wirken. Zu 
derselben Zeit, als Derzawin noch auf dem Glanzpunkte seiner poetischen Höhe 
stand, indem er weder vorwärts noch rückwärts sich bewegte; als Cheraskow, 
Petrow, Kostrow, Bogdanowicz, Knjainin und Von-Wisin am Leben waren; 
als Krylow noch ein Jüngling von 21 Jahren, als Zukowski kaum 6 Jahre alt 
war und Baljuschkow kaum zwei Jahre zählte; während Puschkin noch gar nicht 
auf der Welt war: da begab sich ein junger Mann von 24 Jahren ins Ausland. 
Es war das im Jahre 1789, und der junge Mann war Karamzin. Nach seiner 
Rückkehr gab er in den Jahren 1792 und 1793 das „Moskower Journal" her- 
aas, in welchem Derzawin und Cheraskow ihre Arbeiten veröffentlichten. Im 
Jahre 1794 gab er den Almanach „Aglaja" in zwei Theilen und einen anderen: 
„Meine Musestunden" ebenfalls in zwei Theilen heraus; in den Jahren 1797 — 
1799 Hess er drei Bände Gedichte „Aoniden" drucken, 1802 und 1803 gab er 
das von ihm gegründete Journal „der Bote Europas" heraus, welches 1808 
Zukowski hatte. Im Jahre 1804 wurde in Petersburg zum ersten Male Oze- 
row's Tragödie „Oedipus in Athen", 1805, 1807 und 1809 sein Fingal, sein 
Dimitri Donskij und seine Polyxena aufgeführt. Von 1793 — 1807 kamen die 
Lustspiele und andere dramatische Versuche Krylow's heraus; um das Jahr 1810 
erschienen seine ersten Fabeln. Von 1805 an zeigten sich auch £okowski's und 
Baljuschkow's Gedichte in den Journalen. 

Karamzin halte ungeheuren Einfluss auf die russische Literatur. Er gestal- 
tete die russische Sprache um, indem er sie von den Gängelbändern der latei- 
nischen Konstruktion und der schwerfälligen Kirchensprache befreite und sieder 
lebendigen, natürlichen Umgangssprache näherte. Durch sein Journal, durch 
seine Artikel über verschiedene Gegenstände, durch seine Erzählungen verbreitete 
er Kenntnisse, Bildung, Geschmack und Leselust in der russischen Gesellschaft. 
Durch ihn und in Folge seines Einflusses trat an die Stelle des Pedantismns und 
der Schulfuchserei die Sentimentalität und Leichtigkeit, welche beide manches 
Sonderbare hervorbrachten, jedenfalls aber für die Literatur, wie für die Ge- 
sellschaft ein wichtiger Schritt nach vorwärts waren. Seine Erzählungen entbeh- 
ren der poetischen Wahrheit, aber sie sind wichtig, weil sie den Geschmack des 
Publikums dem Romane zuwendeten, als der Darstellung der Gefühle, der Lei- 
denschaften und Ereignisse des inneren Privatlebens der Menschen. Karamzin 
schrieb auch Verse. Poesie ist in denselben nicht. Sie waren nur Gedanken und 
Gefühle eines vernünftigen Menschen, in dichterischer Form ausgedrückt; aber 
sie waren durch die Einfachheit ihres Inhaltes, durch die schlichte Natürlichkeit 
und Regelrechlheit ihrer Sprache, durch die für jene Zeil überraschende Leich- 
tigkeit der Vcrsifikalion, durch neue, weit freiere Formen der Diktion ebenfalls 
ein Fortschritt für die russische Dichtung. 

Viel mehr noch leistete für diese sein Freund und Gehülfe: Dmilriew, der 
nur fünf Jahre älter war, als Karamzin. Dmitriew war kein Dichter im Sinne 
der Lyrik; aber seine Fabeln und Sagen waren vortreffliche und wahrhaft poe- 
tische Erzeugnisse für jene Zeit Die Lieder Dmitriew's sind zart bis zur Wi- 
drigkeit, aber der allgemeine Geschmack war damals so. Die Oden Dmitriew's 
glänzen mächtig von Rhetorik; aber trotz dem waren sie ein grosser Erfolg von 
Seilen der russischen Poesie. Es war eine unumgänglich nothwendige Bedingung 
der Ode, mit donnernden Worten einherzuschreiten und hoch in der Lufl erhaben 
zu schweben. Bei Dmilriew geschah beides in gemässigterer Form; dazu war 
sein Ausdruck einfach, seine Sprache, seine Diktion vollkommener. Die Form 
der Oden Dmitriew's ist originell, wie z. B. in Jermak, wo der Dichter zwei 
sibirische Schamanen einführt, von denen der ältere dem jüngeren bei dem Brau- 
sen der Wellen des Irtysch von dem Untergange seines Vaterlandes erzählt. Die 
Verse dieses Gedichtes sind für unsere Zeit grob, holprig und unpoetisch; aber 
damals waren sie vortrefflich und athmeten den Geist der Neuheit. Die Manier 

ßlaw. Jabrb. I. 40 



Digitized by Google 



und Hakan £ desselben war ganz neu od<1 Dmitriew erhielt nar deshalb nicht den 
Namen eines Romantikers, weil damals das Wort noch nicht existirte. Durch ihn 
näherte sich also die rassische Dichtung der Einfachheit und Natürlichkeit, dem 
Leben and der Wirklichkeit; denn in der zerscheachenden Sentimentalität ist im- 
mer noch mehr Leben und Natur, als in dem Pendantismos der Schule. Die 
Reden, welche der Dichter den beiden Schamanen in den Mond legt, strotzen 
Ton Deklamatorik and sacken darch hohe Diktion za glänzen; aber der Gedanke 
in den Klagen der Schamanen am Irtysch gegen die Bestrebungen Jermak's ist 
nicht rhetorisch mehr, sondern wahrhaft poetisch. Und in solchen Dingen zeigt 
sich das Streben Dmilriew's nach Neuem, der Wunsch, der russischen Literatur 
neue Bahnen Torzuzeichnen. 

In dieser Zeit bemerkte man in der russischen Literatur auch das Erwachen 
des kritischen Geistes. Einige alte Autoritäten begannen zu schwanken. Im 
Jahre 1802 schrieb Karamzin einen Artikel: Pantheon der rassischen Autoren. 
Er sagte darin kein Wort ton den lebenden Schriftstellern, von Derzawin und 
Cheraskow; denn das hielt man damals für ungehörig; auch sagte er nichts von 
Petrow, obgleich er schon drei Jahre todt war; man kann errathen, dass Ka- 
rauizio die fielen Verehrer dieses Dichters nicht gegen sich aufbringen 
and weil er zugleich ihn doch auch nicht gegen seine Meinung loben wollte. 
Diese literarische Nachgiebigkeit findet sich wirklich im Charakter Karamzin's. 
Im Pantheon ward zuerst ein gerechtes Urlheil über Tredjakowski ausgesprochen, 
indem es da heisst: „Die Gelehrsamkeit bildet, aber sie erzeugt keinen Autor. u 
Ueber Sumarokow spricht Karamzin zurückhaltender und mit weniger Bestimmt- 
heit; aber auch dieses war ein gefährlicher Feind für den Rahm desselben. Sei- 
nen Tragödien wirft er vor, dass er sich mehr bemüht habe, „die Gefühle za 
beschreiben, als die Charaktere in ihrer ästhetischen and moralischen Wahr- 
heit darzustellen." Es scheint fast, als habe Karamzin besorgt, man möchte ihm 
nicht Glauben schenken, wenn er die Wahrheit ganz und ungeschminkt heraussage. 

Aber so sehr auch Dmitriew und Karamzin gegen den Geist der alten Schale 
eifern, so entschlüpft doch auch ihnen nicht selten ein Gedanke, eine Wendung 
aas derselben, und das „Besingen" und die „Leyer" findet man bei beiden nicht 
selten. So brachten denn die Beiden in Hinsicht der Richtung und der Form 
einen neuen Geist in die Literatur; aber sie vermochten nicht, dieselbe gänzlich 
von dem rhetorischen Einflüsse za befreien. Phöbas, die Lyra und ähnliche 
Dinge sanken zur Nebensache herab, aber sie verschwanden nicht; die alte Ge- 
wohnheit hing an ihnen und bewahrte sie sogar bis in die Zeiten Puschkins. 
Wenn nun die rassische Poesie und die ganze Belletristik überhaupt den rhetori- 
schen Charakter beibehielt, so nahm sie doch in Folge der Richtung, welche ihr 
Karamzin und Dmitriew gaben, ein neues Element in sich auf: die Sentimen- 
talität. Diese war nun freilich keine Erfindung weder Karamzin's noch Dmi- 
triew's, sondern sie herrschte in der Literatur und in den Sitten von ganz Europa 
in dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderte, welches sich in ihrem Charak- 
ter vollständig ausgebildet und innerlich entwickelt hatte. Russland war dieselbe 
bisher fremd geblieben; erst als dasselbe in den Jahren seiner Grösse, 1812 — 
1814, in die innigste Berührung mit dem Westen kam, erfasste sie dieselbe mit 
frischem Gefühl; erst von da beginnt der Kampf des Romanüsmus mit dem Klas- 
sicismus; bis zur Erscheinung Puschkin's beugten sich die rassischen Dichter und 
Schriftsteller vor den alten Autoritäten. Merzljakow kritisirte nach der Weise 
eines Laharpe und übersetzte die Idyllen der Madame de Souliere; Ozerow 
ahmte Racine nach; In Krylow erblickte man einen Nachfolger Lafontaines, Ba- 
tjuschkow verehrte einen gewissen Parnie (?), den er an Talent weit fibertraf; 
Zukowski schritt zur Hälfte seinen eigenen Weg, zur Hälfte erlag er dem Ein- 
flüsse der Schule Karamzin's. Und so wurde die russische Literatur mit der eo- 
ropäischen Sentimentalität beinahe in demselben Augenblicke erst bekannt, als 



Digitized by Google 



Europa auf ewig von ihr Abschied nahm. Dieses Zusammentreffen war notwen- 
dig und nützlich für die russische Literatur und für die Sitten der russischen 
Gesellschaft In Europa verwandelte die Sentimentalität die feudale Rohheit der 
Sitten; in Russland musste sie die Ueberreste derselben Rohheit von Peters des 
Grossen Zeiten her verwandeln. Dies wird begreiflich in einem Lande, in wel- 
chem nicht blos die Aufklärung und Literatur, sondern auch der Gemeinsinn und 
die Liebe neu waren. Die Sentimentalität druckte als Reizkraft der groben 
Nerven, welche durch Bildung weicher und feiner werden, an sich schon den 
Moment der ersten Empfindung in der russischen Literatur aus, welche bis 
auf diesen Augenblick den Charakter der BOchergelehrsamkeit an sich trug. Uns 
sind jetzt die romantischen Namen lacherlich, aber damals hatten sie eine tiefe 
Bedeutung; in ihnen drückte sich die menschliche Neigung zum romantischen 
Träumen, zu dem Leben in und mit dem Herzen aus. In der Person Karamzin's 
erfreute sich die russische Gesellschaft zum ersten Male der Erkenntniss, dass 
sie selbst Seele und Herz besitzt, die zarterer Gefahle fähig sind. Man nannte 
das damals: sich am Gefahle ergötzen, gefühlvoll sein. Wer bei dem Liede 
Dmitriew's: „dnoHtnn. chmh r<uy6oqiiirb« vom Herzen weinen konnte, der halle 
die Poesie besser begriffen, als jener, der sie nur in den feierlichen Oden fand. 
Die Poesie der vorangegangenen Schule setzte die Frauen in Furcht; aber die 
Verse eines Dmilriew, Karamzin und Nelcdinski -Melecki wussten die Frauen 
auswendig und ganze Geschlechter wurden mit ihnen erzogen. Karamzin hat 
jeder Mensch gelesen, der Anspruch auf Bildung macht; die meisten vermochte 
nur Karamzin zum Lesen zu bewegen und diese Beschäftigung als eine angenehme 
and nützliche liebzugewinnen. 

In demselben Jahre wie Karamzin, 1765, wurde Makarow geboren, ein 
Mann, dem es bestimmt war, in der russischen Literatur die Rolle eines Mitge- 
stirns Karamzin's zu spielen, obgleich sie einander sogar unbekannt waren. Im 
Jahre 1803 gab Makarow ein Journal: „MocROBcwä Mepnypa, der Moskwaer Mer- 
kur" heraus, dessen Artikel dieselbe Sprache und dieselbe Richtung einschlugen, wie 
die Karamzin's. Makarow hatte Geschmack, hatte Talent, war in Europa her- 
umgereist und gehörte zu den gebildetsten und verständigsten Menschen seiner 
Zeit. Man vergleiche Makarow's Kritik Aber Dmitriew mit der Karamzin's Aber 
Bogdanowicz's „AyweHKa": beide scheinen von einen und demselben Menschen 
verfasst zu sein , Makarow vertheidigte Karamzin gegen den in jener Zeit be- 
rühmten fanatischen Purismus. Makarow trat zuerst 1796 mit einer herrlichen 
Uebersetzung des an sich mittelmassigen Romans: „Der Graf von St Merane 
oder neue Yerirrungen des Verstandes und Herzens" auf. Er übersetzte auch die 
beiden ersten Theile von Anthenor's Reisen in Griechenland und Asien von Blan- 
die, welche 1802 erschienen. Leider starb dieser wichtige Mann bereits 1804. 

Kapnist gehört wegen des Einflusses Karamzin's auf ihn zu den Schriftstel- 
lern der Karamzin'schen Schule, in welcher auch Podschiwalow und Be- 
nicki, zwei gute Prosaiker, sich auszeichnen; dann Neledinski-Melecki, 
bekannt durch seine zarten Lieder, reich an wahrem Gefühl; ferner Dolgoruki, 
der seine Gedichte unter dem sentimentalen Titel; „Zustande meines Herzens" 
herausgab, voll Gefühl, aber satyrisch, nicht seilen ausgezeichnet durch echt 
russischen Humor; weiter Milonow, ein ausgezeichneter Satyker; Wojejkow, 
ein Dichter, der Virgil's Eklogen, Delille's beschreibende Gedichte übersetzte, unsterb- 
lich geworden durch sein bisher handschriftlich verbliebenes Gedicht, später als Jour- 
nalist ausgezeichnet und berühmt durch scharfe Polemik; Kokoschkin und 
Chmjelnicki, Uebersetzer und Nachahmer Moliere's; endlich Wasili Pusch- 
kin, der Dichter Wladimir Ismajlow, der Prosaiker. 

Ozerow und Krylow erscheinen als selbstständige Schriftsteller in der 
Kazamzin'schcn Literalurperiode; obgleich auch sie gewissermassen zur Schule 
des Reformators der russischen Sprache gehören. Nach Sumarokow erhob sich 



Digitized by Google 



350 



im dramatischen Felde Knjainin mit rühmlichem Erfolge. Ohne selbstsländiges 
Talent, aber ausgerüstet mit vielseitiger Bildung, der Kenntniss der fremden 
Sprachen und der Gewandheit im russischen Ausdruck beutete er die reichen Er- 
zeugnisse der französischen dramatischen Literatur mit der grössten Geschicklich- 
keit zu seinem Ruhme aus, indem er aus nicht selten wörtlich übersetzten Bruch- 
stücken aus französischen Dramen eigene Tragödien und Komödien zusammen- 
klebte. Die Leistungen des arbeitsamen Schriftstellers bilden einen bedeutenden 
Forlschritt in der russischen dramatischen Literatur; in Hinsicht des Geschmacks 
und der Sprache Hess er seinen Vorgänger Sumarokow weit hinter sich. Aber 
er selbst wurde noch viel weiter überflügelt von Ozerow. Sein entschiedenes 
Talent machte Epoche in der russischen Literatur, der er ein zweiter Racine 
wurde. Ohne Kraft, Leidenschaften und Charaktere zu zeichnen, riss er durch die 
. lebendige Darstellung seiner Gefühle hin. Seine Tragödie war eine Kopie der 
französischen und ist darum jetzt auf dem Theater wie in der Lesewelt verges- 
sen; aber in der russischen Literatur bleibt sie ewig unvergesslich. Die russi- 
sche Sprache machte durch sie einen grossen Schritt vorwärts. 

Zu gleicher Zeit mit Ozerow trat Krjukowski auf, dessen Tragödie 
„Poiarski" einen ausserordentlichen Erfolg hatte, aber fast nur wegen ihrer patrio- 
tischen Ergiessungen, welehe zur Zeil des Kampfes mit Napoleon nicht anders, 
als mit dem grössten Beifall aufgenommen werden konnten. 

Auch Krylow schrieb Komödien, geistreich und witzig, aber bei ihm ver- 
dunkelte der Ruhm des Fabeldichters den des Dramatikers. Chemnicer und Dmi- 
trijew weit hinter sich lassend, erreichte er in der Fabel die grösstmögliche 
Vollkommenheit Die Fabeln Krylow's sind eine Schatzkammer des russischen 
praktischen Sinnes, des russischen Witzes und Humors und des russischen Dia- 
lugs; Einfachheit und nationale Färbung zeichnen sie besonders aus. 
Krylow ist ein vollkommen nationaler Schriftsteller, und jetzt bereits der Erzieher 
von nicht weniger als dreissig Geschlechtern (?). Die Fabel hat als Dichtung 
sehr wenig Wahrheit (?) ; ihre Erscheinung ist nur bei einem Volke möglich, das 
noch im jugendlichen Alter steht und darum ist der Osten ihre Heimath. Bei 
den Griechen erschien sie zu rechter Zeit, nämlich mit Aesop. Die Franzosen, 
welche in der Literatur in Allem die Alten nachahmten, meinten, auch sie müss- 
ten eine Fabel haben, weil sie bei den Griechen gewesen ; und die Russen, welche 
wieder die Franzosen in Allem nachahmten, glaubten, sie müssten eine Fabel, 
weil sie bei den Franzosen da ist. Uebrigcns trat bei den Russen die Fabel mit 
Chemnicer besser und gelegener auf, als bei den Franzosen mit Lafontaine. 
Diese unnatürliche Gattung der Dichtung setzte sich in der französischen Literatur 
ausserordentlich fest und erhielt daselbst eine eigenthümliche nationale Form. 
Auch in Russland machte die Fabel Glück; wie sie in Frankreich ihren Lafon- 
taine hatte, so hat sie in Russland ihren Krylow, und dafür kann man ihr ihre 
Unwahrheit als Poesiegattung gern verzeihen. Die Kenner sagen, die Architektur 
im Rococogeschmack sei unwahr; wir bejahen das; aber Rastrelli ist trotz dem 
nicht weniger ein grosser Künstler. Was immer die Fabel sei, Lafontaine und 
Krylow sind in der That und mit Recht der Ruhm und Stolz ihrer einheimischen 
Literaturen. 

Im Jahre 1805 erschienen auch die ersten Dichtungen fcukowki's und Ba- 
tjuschkow's in den Journalen. Allein jeder von ihnen bildete eine besondere 
Schule in der russischen Literatur und trug neue Lebenselemenle in dieselbe hin- 
ein. Auch war der Einfluss derselben zur Zeit der Periode Karamzin's noch 
weniger fühlbar, weil ihre eigentliche Wirksamkeit erst nach dem Jahre 1814 
thälig zu sein anfing: sie gehören daher in die folgende Periode. 

(Zweiter Artikel folgt.) 



Digitized by Google 



351 



». Kritiken. 

IJsty z zagrranicy przez Stefans W. Briefe aus dem Aas- 
lande von Stephan W(itwicki). Leipzig, Librairie etrangere. 

Die Gabe, in einer Sprache schön und fliessend za schreiben, ist eine sehr 
beneidenswerte, allein dieselbe kann nicht schlimmer missbraucht und entwürdigt 
werden, als wenn man das Mittel zum Zweck macht. Die Sprache, das Wort 
bleibt immer nur das Kleid, die Schale, in der wir einen Kern, einen Gedanken 
suchen. Der Verf. beschreibt oder Tielmehr bespricht eine Reise in Deutschland, 
auf welcher er Baden-Baden, Mainz, Frankfurt am Main, Köln, Karlsruhe be- 
suchte und lässt dann eine breite Beschreibung von Paris folgen. Der Grundton 
des ganzen Bflchleins ist, wenn wir ihn mit einigen Worten angeben wollen, fol- 
gender: „Ohne viele, grosse, prachtvolle Gotteshäuser und sehr, sehr starke 
Frömmigkeit ist die Erde ein schreckliches Jammerlhal, und wer wahrhaft glück- 
lich hier und selig dort sein will, muss sich Ton aller Philosophie fern halten; 
ja sogar Gewerbe, Handel und Industrie sollen sehr schädlich und daher zu ver- 
werfen sein." Eine traurige, gar traurige Thatsache, dass viele der Edelsten 
des polnischen Volkes, nachdem sie es aufgegeben, durch irdische Gewalt ihr 
Vaterland zu retten, sich einem düsleren, trüben Brüten über die Unerforschlich- 
keit der Handlungen des Himmels überlassen und zu der Ueberzeugung gekom- 
men zu sein scheinen, menschliche Gewalt und alles menschliche Thun sei zu 
verachten, nur das Uebermenschliche könne helfen; und darum müsse man fromm, 
sehr fromm sein, fleissig in die Kirche gehen, selbst Prophezeiungen nicht so 
schlechtweg verachten. — Unglückliche politische und sociale Verhaltnisse haben 
es verhindert, dass weder wahre wissenschaftliche Bildung noch viel weniger 
philosophisches Denken und Forschen, die Basis alles Wissens, sich in Polen so 
recht heimisch machten. Aber dass die Wortführer nichts Besseres zu machen 
wissen, als heilige Seufzer ausstossen, und, wie wir es auch in diesem Buche 
sehen, alles freie Denken und Forschen verdammen, ja sogar Gewerbe, Handel 
Industrie, nächst der nationalen Bildung die ersten Wohlfahrlsquellen eines jeden 
Landes, verächtlich zu machen suchen, das muss einen jeden Menschenfreund 
schmerzen und jeden Freund des edeln, hochherzigen polnischen Volkes mit tie- 
fem Kummer erfüllen. — Eine Reise in Deutschland von einem so vortheilhaft 
bekannten Schriftsteller müsse, so dachten wir, als wir mit grosser Begierde das 
Buch in die Hand nahmen, interessante Betrachtungen des Geschehenen, eigene 
Beobachtungen, lesenswerthe Raisonnements enthalten; der Name des Verf. bürgte 
uns im Voraus dafür, dass wir nicht Reisebeschreibungen ä la Hahn-Hahn bekommen 
würden. Desto' schmerzlicher wurden wir bei'm Durchlesen des Buches enttäuscht. Uns 
scheint, dass wenn ein bedeutender Schriftsteller sich veranlasst findet, ein Buch 
zu schreiben, das Publikum das Recht hat, nicht beschriebene Blätter mit hüb- 
schen Redensarten, Neckereien, kleine Anreden an den Adressaten und werthlose 
Einzelnheiten zu erwarten, sondern eine lehrreiche, treue Beschreibung von Ge- 
genständen, die der Verf. für wichtig genug halten kann, die Leser von denssl- 
ben zu unterrichten. Die slawischen Literaluren haben, mit anderen europäischen 
verglichen, ein weit kleineres Lesepublikum und eine weit schwierigere Stellung; 
desto kerniger und inhaltsreicher müssen die Produkte sein, um jenes zu ver- 
grössern, diese zu verbessern. Das polnische Yolk hat, trotz den schweren 
Drangsalen, die es im Laufe der Zeit durcbgelitlen, ungeachtet der blutigen, 
zerschmetternden Schläge, die es empfangen, dennoch seine Literatur tapfer ge- 
rettet, und achten, hochachten muss man ein Volk, das, obgleich körperlich 
zerfleischt, doch ein moralisches Leben noch zu behaupten weiss. Polen hat sich 
das Theuersle erhalten, seine Sprache, seine Literatur, in ihr soll das politisch 



Digitized by Google 



352 



todle Volk sein geistiges Leben unverzagt fortleben; daher nross alle Hohlheit, 
alle Halbbildung, alles Vorortheil, aller Jesuitismus ans derselben verbannt sein, 
die Literatur sei jedem guten Kinde des polnischen Vaterlandes eine liebevolle 
Mutier, aus deren Munde es Worte der Menschenliebe, aber nicht des Hasses, 
Belehrung, aber nicht Vorurtheile vernehme, an deren Busen es erstarke, um 
den schweren Kampf des Lebens ehrenvoll durchfechten zu können. Das sind 
Anforderungen, die wir an jeden der hervorragenden polnischen Schriftsteller zu 
machen berechtigt sind. Wir wollen daher einige Stellen ans den Briefen vor- 
führen, in denen sich die Denkungsart des Verf. am treuesten abspiegelt, nm den 
Leser in den Stand zu setzen, zu entscheiden, ob der Verf. seinen gerechten 
Anforderungen entspricht oder nicht. 

Im zweiten Briefe erzählt der Verf. von einer Reise, die er von Strassburg 
nach Baden-Baden mit Diligence [gemacht hat. Die Reisegesellschaft bestand 
ausser ihm noch aus drei Personen: einem Geistlichen, einem Kaufmann und ei- 
nem Apotkeker, der durch seine zu grosse Freundlichkeit und Zuvorkommenheit 
nnserm Verf., jedenfalls unverschuldeter Weise, Veranlassung gab, eine Tirade 
gegen den gesammten Gewerbsstand loszulassen. Der gutherzige Apotheker wusste 
wahrscheinlich nicht, dass in gewissen Landern gewisse Leute, bevor sie sich 
anreden oder anreden lassen, erst zu wissen verlangen, wie es sich denn eigent- 
lich mit den Ahnei des Sprechenden verhalte; denn einer mit 5 darf einen mit 
6 gewiss nicht anreden, ohne mit einem sehr verächtlichen Blicke bestraft zu 
werden. Der Apotheker in seiner Beschranktheit wusste dies allerdings nicht 
und konnte es wohl auch nicht gut wissen, da in seinem Vaterlande, in Frank- 
reich, ein Schuhflicker eben so geachtet wird, wie der ahoenreichste Marquis, 
und ein Marquis oft viel weniger gilt, als ein Schuhmacher; denn dort stehen 
die Vorurtheile in einem umgekehrten Verhältnisse zu den unsrigen. Der Apo- 
theker sprach also unsern Reisenden unaufgefordert an, unterhielt ihn von der 
Einrichtung seiner Apotheke, ja bot ihm selbst seine Gastfreundschaft an und 
wagte zuletzt das Schrecklichste, ihm seine Adresse zuzustecken. „Kein Kauf- 
mann in Frankreich", erzählt der Verf., „kein Spekulant, kein Betrüger, rühre 
sich also au seiner Stube, ohne seine Adresskarte bei sich zu führen» eine 
Karte, auf der sein Name, seine Wohnung, wie auch eine Beschreibung seines 
Geschäfts, seiner Unternehmungen, kurz Alles steht, womit er sich dem Publikum 
empfehlen will. Um grössere Aufmerksamkeit zu erregen, werden auf diese Kar- 
ten auch verschiedene Zeichnungen, Portraits, Pläne von Städten abgedruckt; 
denn es liegt ja Alles daran, seinen Namen am weitesten zu verbreiten, zu zer- 
streuen, zu verkünden, mit einem Worte: zu zerschmieren und zu Geld zu ma- 
chen." „Ihr", ruft der Verf. in einem sehr salbungsvollen Tone aus, „ihr ehrli- 
chen Heimathländer habt von solchen Dingen noch keinen Begriff; sie werden aber auch 
zu euch gelangen, wenn ihr erst besser glauben werdet, dass die Civilisalion, 
das Glück und die Würde der Nationen in Strumpf-, Licht-, Zucker- und Pu- 
derfabriken, in Dampfmaschinen, Eisenbahnen, kurz in dem Handel, der 
Industrie, in den Städten liege." Ist dies eine Parodie auf das Treiben unserer 
Zeil? Es ist wahr, zu viel Handel und Industrie machen die Menschen moralisch 
nicht besser, zu viele Städte körperlich gewiss nicht rüstiger. Auch gestehen 
wir jedem Deutschen, jedem Franzosen und Engländer das Recht zu, dies zn sa- 
gen. Nie und nimmermehr aber können wir es bei einem polnischen Schriftsteller 
loben. Wer das Vaterland des Verf. kennt, weiss, dass es nicht Ueberfluss 
an Handel, Industrie und Städten leidet; wer es kennt, weiss, dass wenn es einst 
mehr Handel, Industrie und wohlhabende Städte gehabt hätte, es nicht das ge- 
worden wäre, was es jetzt ist, das Grab einer edlen, mit einem der schönsten 
Charaktere begabten Nation. Ein wohlhabender, zahlreicher, gebildeter Bürger- 
sland würde den Uebermuth des Liberum - veto - Adels bedeutend gezähmt, ja ihn 
gar nicht haben zu diesem Ungeheuer werden lassen, das sich selbst über den 



Digitized by Googl 



Kopf wuchs und zuletzt sieb selbst rasend zerfleischte. Was aber gibt einem 
Lande solch einen kräftigen Bürgerstand, als Indostrie, Handel ond Städte? 
Man blicke anf Deutschland, Frankreich, Belgien und England; wie sind sie doch 
mit vollem Recht so stolz auf ihren Bürgerstand. Wie anders hätte sich der 
letztere Staat zu solcher Macht, zu solchem Ansehen emporschwingen können, 
wenn ihn nicht seine selbstständige, betriebsame, energische Bürgerschaft so hoch 
erhoben hätte? Nicht mehr als 13 Millionen Menschen zählt Altengland und 
doch beherrscht es mehr denn 100 Millionen Unterthanen. Aber dafür beugt sich 
in England der edelste Lord vor der hohen Einsicht und geistigen Macht des 
Sohnes eines Baumwollenfabrikanten. 

Aber unser Verfasser kam nicht nach Westeuropa, um sich nach solchen 
Lappereien umzusehen, er suchte schöne Thürme, verfallene Schlösser, den Köl- 
ner Dom, alte Kirchen. Wie er daher in Frankfurt a. M. das alterthümliche 
Rathhaus besuchen will und es ringsum von einem Gedränge betriebsamer Men- 
schen umschwärmt, seine Vorhöfe aber mit Waarenballen vollgepfropft findet, da 
muss Frankfurt in einem scharfen Briefe die Sünden seiner Söhne schrecklich 
büssen. 

In keinem Lande ist der Gewerb- und Kaufmannsstand so wenig geachtet, 
als in Polen; Handwerker sein ist keine grosse Ehre, Kaufmann fast eine Schande; 
nur der Gutsbesitzer oder Beamte geniesst Ansehen. Ein Gutsbesitzer kann sich 
auch leichter für adelig ausgeben und dafür gehalten werden, als ein Kaufmann, 
Fabrikant oder Gelehrter, und Edelmann sein und dazu ein Gutsbesitzer — da 
brauchte so Mancher nichts mehr, als noch Einiges aus der guten, alten Zeit, 
um alle seine Wünsche hienieden befriedigt zu sehen. Solches Treiben, solche 
Denkungsarl, die man bei einer grossen Zahl der polnischen Vornehmen zur 
Stunde noch vorfindet, solchen Unverstand, solche Unbildung muss jeder denkende 
Schriftsteller bekämpfen, das Unvernünftige darin beweisen, anstatt, wie der 
Verf., durch allseilige Billigung und die grösste Belobung dieselbe als Muster 
aufzustellen. Damit hat er seinen Landsleuten den allerschlimmsten Dienst er- 
wiesen. 

Mit Freude erkennen wir dagegen in der schönen und poetischen Beschrei- 
bung der Rheingegend, in der Schilderung des Badelebens in Baden-Baden, des 
Treibens der dortigen meistentheils ganz gesunden Gäste den gewandten Verfasser 
des „Eduard" wieder. Wie treffend, wie natürlich getreu ist z. B. folgender 
Moment an der Spielbank dargestellt: „Ungeheuer grosse Tische, bedeckt von 
Haufen Goldes und Silbers, von Slössen verschiedenartiger Banknoten sind 
vou einer Menge von Männern nnd Frauen umgeben; Alles drängt sich heran, 
Jeder möchte die vordem Plätze einnehmen; aus den Taschen der Röcke und 
Leibröcke, aus eleganten Damenbörsen, aus den zierlichsten Brieftaschen stürzen 
die verschiedensten Summen auf den Tisch. Die Gesichter entflammen, die Stir- 
nen runzeln sich; vor dem wachsenden Zorn, der zunehmenden Scham, oder dem 
Bedauern der Spieler erlischt immer mehr und mehr das Lächeln der Menschen 
von guter Gesellschaft, die hierher gekommen sind, um sich an einer sogenann- 
ten unschuldigen Unterhaltung zu ergötzen. Keiner sieht den andern an; aller 
Augen starren unverwandt nach der verhängnissvollen Karte oder Kngel hin. Da 
blitzt auf einmal eine unwillkührliche Thräne in dem schönen Auge einer senti- 
mentalen Lady, dort erschallt unter dem Stutzbarte eines alten Kriegers, ja 
selbst aus dem sonst überall und immer vorsichtigen Munde eines Diplomaten ein 
Wort des gröbsten Fluches. Nur die Gesichter des Bankiers und seiner ehren- 
werlhen Beamten bleiben ruhig, immer unbeweglich, immer gleichgültig. Und 
geschieht es auch, dass einer von ihnen die Miene verzieht, oder gar schwer 
aufathmet, so ist's um der erstickenden Hitze willen, mit welcher sie die ge- 
drängte Schaar der Umstehenden anhaucht, oder es ist um der Müdigkeit des 
Auges willen, das unverwandt nach dem grünen Tische hinstiert, oder es ist we- 



Digitized by Google 



354 



gen der Erschlaffung des Armes, der mit gekrümmter Hand ununterbrochen rechts 
nnd links die Summen einstreicht" Je vollendeter aber diese Schilderung ist, 
um so mehr muss uns die einseitige und willkührlich entstellte Beschreibung von 
Paris empören, welcher der Verf. einen sehr langweiligen Brief widmet Fern 
sei es von uns, die Verkehrtheiten, die Hohlheiten, die Aufschneiderei, die 
schrankenlose Genus3sucht eines grossen Theils der bärtigen und die Sinnlosig- 
keit, den Aufwand und die Schamlosigkeit einer grossen Zahl der unbarligen 
einancipirten Kinder von Paris in Schutz zu nehmen. Allein wenn Grösse ohne 
Moralilät gar nicht gedacht werden kann, folgt ja daraus noch nicht, dass weil 
in Paris nicht Alles moralisch ist, Alles klein und elendiglich sein müsse. Und 
darum ist die Beschreibung des Verf. unnatürlich, überspannt, ungerecht, excen- 
trisch, das Meiste bis auf die äusserste Spitze gelrieben. In allen freieren 
Staatsverfassungen und den daraus folgenden Institutionen sieht der Verf. nur 
Ausgeburten der menschlichen Unbündigkeil; jede Oeffentlichkeit ist ihm ein 
Gräuel. Zwar sagt der Verf. am Ende seines Buches in einer Zuschrift aus- 
drücklich, er habe seine guten Gründe gehabt, warum er Paris von dieser 
einzigen und seiner schwärzesten Seile aufgefasst habe. Allein abgesehen davon, 
dass der Wahrheit die Ehre gebühre, gibt er die Gründe nicht an und überlässt 
es somit dem Leser, sie zu suchen. Und da sind wir nicht im Stande, sie wn 
anders zu finden, als in der geistigen Beschaffenheit des Verfassers selbst. Uns 
dünkt sein ganzes Buch eingegeben von einem poetischen, frommen und schwär- 
merischen Gemüthe, welches das Treiben der gewöhnlichen Menschenkinder an- 
ekelt und das sich aus diesem Dunste nach frischer Luft sehnt, nach einer rau- 
schenden Quelle, nach einem blumigen Plätzchen, um sich süssen Träumereien 
hinzugeben und Schäferliedlein von Ruhe und Glück im kühligen Waldschatten zn 
dichten; oder gar nach einer stillen, einsamen Zelle, um, ungestört durch irdi- 
sches Treiben, die Hoheit der Natur zu bewundern, die Allmacht Gottes anzu- 
beten und mit gehöriger Zerknirschung über die Sünden der Sterblichen bittere 
Klag- und Trauerlieder anzustimmen. Angenehm ist ein solcher Zustand und 
reizend die Produkte einer solchen Seele, wenn sie sich in schmachtenden Lie- 
dern ergiesst Allein, nimmer vermag sie den Pflichten eines vollendeten Reise- 
beschreiben zu genügen, nimmer die Forderungen zu erfüllen, welche die Nation 
an ihre leitenden Schriftsteller thut; es muss die ungebeugte Kraft sie beherr- 
schen und das Bewusstsein, dass der Kampf gelinge, den der Geist gegen die 
Materie kämpft. Nur was die Begeisterung mit der Kraft vereint und beider 
scharf erkanntem Ziel und Endzweck unverrückt uns entgegen führt, dem folgen wir. 

Ä ff. 

Bibliotheka: Bibliothek des wissenschaftlichen Ossolinskischen Insti- 
tutes in Lemberg. Als Forlsetzung der wissenschaftlichen Zeitschrift desselben. 
Jahrgang 1842. 4 Bände. 232, 166, 221 und 174 S. Nebst 48 S. Beschrei- 
bungen alter Dokumente. Das ossolinskische Institut gab behanntlich in den Jah- 
ren 1828 — 1834 eine wissenschaftliche Zeitschrift heraus, welche sich einer all- 
seitigen Theilnahme erfreute, aber in der letzten Zeit der Erwartung, die man 
sich von derselben gemacht, wenig entsprach. Am Schlüsse dieser Periode war 
das Institut selbst durch mannichfalliges Missgeschick in seiner Thätigkeit für 
die Wissenschaft gelähmt worden, Unordnung hatte sich in alle Verwaltung des- 
selben eingeschlichen, sein Bibliothekar war sogar wegen politischer Verbindun- 
gen entfernt worden. In diesem Zustande erhielt es vor ungefähr zehn Jahren der 
jetzige stellvertretende Kurator desselben, der Herr Ritler von Pawlikowski. Die einge- 
rissene Unordnung wieder herzustellen, war die erste Bedingung zu jeder -weiteren 
Thätigkeit. Unter den verworrensten Arbeiten und bei dem Mangel** an Eonds, 
indem auf dem Institute eine Schuldenlast von einigen 20,000 Fl. C. M. lastete, 



Digitized by Googl 



wurde die Herausgabe einer Zeitschrift einstweilen unterbrochen. Im Jahre 1841 
lieferte man endlich die beiden letzten Hefte des Jahrganges 1834 der „wissen- 
schaftlichen Zeitschrift" nach und begann dann im folgenden Jahre die Fort- 
setzung derselben unter dem neuen Titel. Im Jahre 1842 erschienen demnach 
vier B&nde. Der erste enthält vor Allem eine Einleitung in Hinsicht der Aus- 
gabe der neuen Zeitschrift, Auf der festen Ueberzeugung fussend, heisst es da, 
dass nur auf vaterländischem Boden und auf dem Grunde der Nationalität, welche 
sich in der Geschichte am deutlichsten zeige, ein gelungenes Gebäude nationaler 
Wissenschaft und Kultur aufgebaut werden könne, habe Graf Ossolinski sein In- 
stitut gegründet und der jeweiligen Direktion den strengen Befehl gegeben, das 
historische Fach in der von ihr herauszugebenden Zeitschrift vor allein an- 
deren zu berücksichtigen. Noch im Jahre 1823 berief er sich ausdrücklich auf 
diesen seinen Willen, als er den Kanonikus Siarczynski um Beitrage für dieselbe 
bat. Siarczynski übernahm die Herausgabe selbst, und als nach den ersten vier 
Vierteljahrsheften ein Mangel in der Kasse sich zeigte, gab Siarczynski die wis- 
senschaftliche Zeitschrift, wie er sie nannte, auf eigene Kosten heraus. Die fol- 
gende Redaktion nahm zu der Reihe der historischen Artikel, welche man bisher 
ausschliesslich in der Zeitschrift zugelassen, noch andere Gegenstande auf. Die 
historischen und antiquarischen Schriften Ossolinski's und Siarczynski's wurden 
vorzüglich berücksichtigt, aber neben ihnen auch noch Abhandlungen über 
Nationalökonomie, die Natur- und anderen Wissenschaften, auswärtige Urlheile 
über einheimische Werke, kritische, nicht seilen umfangreiche Analysen solcher, 
ja selbst Gedichte und Uebersetzungen aus fremden Sprachen veröffentlicht Auf 
diese Weise entsprach auch diese Zeitschrift dem Grundgedanken des erhabenen 
Gründers des Instituts nicht Eine der Hauplabsichten Ossolinski's, welche beide 
Redaktionen übersahen, bestand nämlich darin, dass man vermittelst der Zeit- 
schrift die ausserordentlichen Schätze, welche in den Sammlungen und der Bi- 
bliothek des Instituts lagen, bekannt machen und so das Institut selbst für den 
Gelehrten und den Freund der Nation zugänglich und nützlich machen sollte. 
Ueberhaupt ist ein vorzüglicher Grund, warum die historische Forschung in Po- 
len noch so darniederliegt, der, dass man die historischen Materialien allzuwenig 
veröffentlicht. In Berücksichtigung dessen und Folge leistend der Anordnung des 
mnvergesslichen Grafen Ossolinski hat die neue Direktion des Instituts folgenden 
Plan für die neue Zeitschrift festgesetzt Diese soll enthalten 1) historische Ma- 
terialien aus den Handschriften in der Bibliothek, theils durch vollständigen Ab- 
druck derselben, theils durch Auszüge. 2) Gelehrte Werke von nicht mehr leben- 
den Schriftstellern, die bisher entweder ganz oder doch grösstentheils unbekannt 
sind. 3) Nachrichten über das Institut, seine wissenschaftlichen Sammlungen, 
Handschriften, seltenen Drucke, Münz- und Bildersammlungen u. dgL, einen jähr- 
lichen Geschäftsbericht und Aufzählung der eingegangenen Beiträge. 4) Endlich 
wissenschaftliche Abhandlungen in polnischer Sprache, vorzüglich historischen In- 
halts, auch die Alterthümer, die Literatur Polens, die polnische Sprache und 
Nachrichten über das polnische Volk und Land betreffend. Ueberdies noch als 
Zugabe allerhand kleine Notizen, die es verdienen, vor der Vergessenheit ge- 
rettet zu werden. Nach dieser Einleitung folgt auf S. 13 ein historischer Arti- 
kel: Poloneulichia, oder das Glück des polnischen Königreichs, aus einer alten 
Handschrift von A. Lubieniecki. Kapitel XIL von Sigmundt I., ein interessanter 
Abschnitt äus der Geschichte jener Zeit. Gottfried Lengnich, eine kurze Biogra- 
phie und Angabe der vielfachen Schriften (47) dieses alten polnischen Historikers 
vom Grafen Ossolinski selbst Nachrichten Über die Armenier in Polen, eine 
Darstellung der allmähligen Verbreitung dieses Handelsvolkes in Polen, das durch 
seine Verdienste um die Könige gar bald eigenthümliche Privilegien sich erwarb. 
— Urgeschichte Polens von A. Bielowski, eine Darstellung der ältesten Ereig- 
nisse in Polen bis auf Siemomysl (962), welche von der Darstellung Moraczewski s 

6l«w. Jahrb. I. 47 



Digitized by Googl 



in seiner Geschichte der polnischen Republik, die wir bereits einmal besprochen, 
bedeutend abweicht Wie ausserordentlich wünschenswerth wäre es, dass Män- 
ner, wie Bielowski , denen ein so ausserordentlich leichter und gefalliger Styl zu 
Gebote steht, sich recht oft zu dem Studium der polnischen Geschichte und Ober- 
haupt zur Bearbeitung des polnischen Alterthums wendeten. Wie viel verdienst- 
licher sind doch solche Arbeilen, als die leichten Erzählungen, mit welchen die 
polnische Literatur gegenwärtig überschwemmt wird, und die nach einer kurzen 
und flüchtigen Durchlesung vergessen, dem Vaterlande und dem Volke keinen an- 
deren Genuss geben, als etwa eine mehrstündige heitere Erholung, deren Wir- 
kungen mit dem Umschlagen des letzten Blattes zu Ende sind. Abhandlungen 
Aber die polnische Sprache und ihre Grammatiken, von J. Deszkiewicz, eine io- 
teressante Arbeit, die wir, da sie als ganzes Buch erscheinen, an einem anderes 
Orte besprechen werden. Geschäftsbericht des Institutes vom 12. November 1840, 
von Ad. Klodzinski. Eine Lobrede auf den Kaiser Franz, welche Graf Osso- 
linski anordnete und Nachricht über die Kassenbestände und die Besitztümer des 
Instituts. Unter den „Miscellen" ist ein Bericht über die mineralogischen Samm- 
lungen des Instituts werthvoil. — Der zweite Band enthalt eine Nachriebt über 
die Handschriften des Institutes, Ton AI. Batowski, aus welcher man sich den 
deutlichsten Begriff über die Wichtigkeit und den ausserordentlichen Reichthum 
derselben an alten Handschriften (nicht selten Antographen) machen kann. Viele 
derselben sind nach der Ansicht des geehrten Herrn Verf. vollständiger, als die 
bisher bekannten, oder auch abgedruckten; viele nur noch die einzigen Exem- 
plare. Ferner findet man das XIII. Kapitel der Poloneutichia, den Schluss der 
Abhandlung über die Armenier und den Schluss der ersten Abhandlung über die 
polnische Sprache. Unter den kleinen Berichten befindet sich eine werthvolle 
Biographie des Piaristen Kajetan Kamieriski und Angabe seiner Schriften. — Der 
dritte Band enthält ausser dem XTV. Kapitel der Poloneutichia und der zweiten 
Abhandlung über die polnische Sprache eine kurze Skizze der Geschichte und 
der Schicksale der Lisowsker (Lisowczvk) vom Grafen M. Dzieduszycki; eine 
treffende Monographie, mit der grösslen Umsicht abgefasst Unter den Miscellen 
ist die Biographie des Grafen Joh. Fei. Tarnowski (27 S.) höchst wichtig. — 
Der vierte Band bringt endlich neben den Fortsetzungen der Poloneutichia, der 
Geschichte der Lisowcer und der Untersuchungen über die Sprache die statuten- 
ge in äs se, von dem stellvertretenden Kurator, Herrn Ritter Gwalbert von Pawli- 
kowski, gehaltene Lobrede auf den seligen Kaiser Franz, welche durch ihren 
lebendigen Styl und ihre erhabene Gedankenfülle sich besonders auszeichnet Bei- 
gelegt sind diesem und dem vorigen Bande noch 48 Oktav-S., welche einen Abdruck 
von Binianowski's Annalen (von 1666 bis 1688) im Auszüge, besorgt von AL 
Batowski, enthalten. Die Handschrift ist höchst wichtig für jenen Zeitraum. 

■ 

Polens Iiiteratnr- und Knltur - Epoche seit dem 
Jahre 1831« In Kürze dargestellt von Anton Mauritius. Posen 1843. ScherL 
210 S. Wir sprachen bereits über den „Panslawismus" desselben Verfassen. 
Das vorliegende Buch gleicht so ziemlich dem vorangegangenen in Geist und 
Manier, indess scheint es, dass die Masse der Gegenstände, welche dem Verf. 
hier entgegentraten, zu gross und mannichfaltig war, als dass er sie hätte gänz- 
lich überwinden können; es fehlt daher dem Buche jene geistige Einheit, welche 
Alles nach einem Hauptgedanken leitet, und dem Leser entgeht das wohlthätige 
Gefühl, eine umfangreiche Idee in ihren weiten Verzweigungen verfolgt und dem 
Verfasser nachgedacht zu haben. Das Buch gewinnt dadurch das Ansehen einer 
Kompilation, einer Sammlung von Materialien, zu deren übersichtlicher Anordnung 
eine neue Schrift gehört Und das, dünkt uns, ist der Hauptmangel des Buches. 
Dagegen hat dasselbe der Vorzüge mehrere. Der Verf. kennt seinen Gegenstand 
vollständig und hat die neuesten Schriften über denselben zu seiner eigenen be- 



Digitized by Google 



nutzt Die Data» welche er gibt, sind höchst interessant, ond die Urtheile, die 
er fallt, in der Regel richtig. Nor mass man sie aus der eigentümlichen Sprach- 
weise des Verf. herauslesen, die, weit entfernt, den jedesmaligen Gedanken mit 
dem einfachen und geraden Worte zu bezeichnen, ihn im Gegentheil in Bilder 
und Redensarten hüllt, deren Masse bisweilen so anschwillt, besonders wenn es 
sich um allgemeine oder streng wissenschaftliche Gegenstande handelt, dass den 
inliegenden Gedanken zn finden sogar schwer wird. Der Verf. gibt Yorerst in 
der Einleitung eine kurze Schilderung der polnischen Literatur vor dem Jahre 
1830, in welcher er L. Lukaszewicz's Abriss der polnischen Literatur sehr benutzt 
zu haben scheint, und knüpft an dieselbe die Darstellung der „Eindrücke des 
Jahres 1831 und seiner Folgen." Unter der Ueberschrift „Literatur" bespricht 
dann der Verf. die Poesie, den Roman und das Drama der Neuzeit Abgesehen 
von der falschen Eintheilung, indem Drama und Roman auch Poesie sind, und 
nicht blos sie und die Lyrik zur Literatur gehören, da man auch die Wissen- 
schaften in dieselbe hinein ziehen muss, scheint uns die Schilderung der lyrischen 
Poesie am besten gelungen. Als romantischen Dichter nennt der Verf. Mickie- 
wiez, erwähnt auch Siemienski und Bielowski. Der Volkspoesie gibt er den ge- 
bührenden Werth; die Mythologie der Slawen aber versteht er nicht, denn er 
behauptet, die heidnischen Slawen hatten sie „von den Römern und Germanen, 
namentlich den Sachsen entlehnt." Die nachfolgenden mythologischen Andeutun- 
gen sind die gewöhnlichen, ohne Zusammenhang, ohne innere Wahrheit und 
Wahrscheinlichkeit. Unter den volkslhümlichen Dichtern stellt erBrodzinski oben 
an; neben ihm steht Woronicz, Zaleski, Goszczynski und „die trübe Figur Mal- 
czeskis." Unter . den Wissenschaften erhält die Geschichte als die zumeist bear- 
beitete den ersten Platz. „Naruszewicz's Fragment" hat grossen Werth sowohl 
wegen seiner Genauigkeit in Benutzung der Quellen (?) als der Schärfe des Ur- 
theils (??), das die Arbeit weit (?) über den Werth einer Kompilation erhebt 
Lelewel, Maciejowski, Kraschewski, Graf Ed. Raczynski, Bandtkie, Grabowski 
und vor Allen der wackere Moraczewski werden rühmlich erwähnt Als Literar- 
historiker erhallen Wischniewski, Poplinski, Jocher, Lukaszewicz und Grabowski 
Lob. In der Philosophie lehnt sich Polen an Schelling an, („denn Hegels Dok- 
trin, welche nur eine Konsequenz des Lutheranismus ist, konnte in Polen nicht 
Wurzel fassen. Das Volk ist noch zu natürlich, um die Natur zu negiren, noch 
zu orthodox, um an einen unpersönlichen Gott zu glauben, und zu schwach an 
Geist, um der Lehre des Absolutismus anzuhängen"). Trentowski, Bochwic und 
Cieszkowski, so wie Bukaty werden weitläufiger besprochen; Libelt's entschiede- 
nes Verdienst ebenfalls erwähnt. Am trübsten sieht es in der Theologie aus, in 
welcher der streng orthodoxe („römische") Katholicismus herrscht und nur To- 
wianski's Lehre einiges Ansehen gewinnt. In der Kritik wird nur Grabowski, 
Kraszewski und Bejla-Rzewuski genannt. Das Theater und die Künste sind noch 
weit zurück; in den Zeitschriften zeigt sich ein thätiges Leben. Gesellschaften 
für literarische Zwecke gibt es nur noch in Frankreich und in Preussen, in Po- 
sen, in Breslau, in Samter und Gostyn; das Schulwesen hat nur im Posenschen 
einen Forlschritt gemacht Ueber den Rechtsznstand breitet sich der Verf. weiter 
aus, er gibt eine ziemlich erschöpfende Darstellung desselben von der ersten Zeit 
der polnischen Republik an bis auf die Gegenwart Zum Schluss gibt der Verf. 
noch einen Ueberblick der geistigen Regsamkeit in den einzelnen Theilen Polens, 
in der Emigration, im preussischen Polen, im Königreiche, in Litthauen, Woly- 
nien, Krakau und Gallizien, welchem letzteren er indess gewiss Unrecht anthut 
Im Allgemeinen sind die Ansichten des Verf. über Polen als Theil des Slawen- 
thums dieselben, die er früher geäussert. „Die Entwickelung des ganzen Sla- 
wenthums ist ein Reflex aller einzelnen Stämme, vorzüglich Polens. Die Hege- 
monie (?) in der Intelligenz der grossen Völkermasse, in ihren mannich falligen Ver- 
zweigungen und Nüancen bildet die ehrenvolle Stellung Polens und seine politische 



Digitized by Googl 



Bedeutung." — „Auch die Verluste an Russland werden sich verschmerzen las- 
sen, sobald das Gefühl der Neuheit verschwunden und das historische Faktum 
sich in seinen Folgen wird gerechtfertigt haben. " Wie vereint der Verf. damit 
seine Schilderung des russischen Einflusses auf Polen, wie seine Behauptung: 
„ein Wunder wäre es, wenn dort (im Königreiche) etwas gediehe, wo man 
Preise auf die Köpfe derer setzt, die den Geschmack getroffen haben"? (S. 64). 
Der Verf. fordert eine „Emancipation von sich selbst, eine politische Reife, die 
vielleicht unter der, wenn auch drückenden, doch zugleich deckenden Hand der 
russischen Autokraten gedeiht, — und ferner Vertrauen zu Deutschland." Wie 
reimt sich damit sein Wort auf S. 5: „Deutschlands Gelehrte ziehen nicht nach 
Polen, der poetischen Ukraine und der Sagenreichen Crimm, sondern nach Asien, 
Aegypten und zu den Eskimos"? Diese wenigen Andeutungen mögen genügen, 
dass der Verf. sich noch nicht durchgearbeitet hat. 

Zrcadlo: Bilder und Erzählungen u. s. w. von Zap. Zweites Heft. 
176 S. Auch dieses Heft von dem bereits früher Seite 277 besprochenen Un- 
ternehmen verdient von allen Seiten anerkannt zu werden. Den Anfang dieses 
Bandchens bildet Nadeid ins Reise in Bessarabien, von welcher bereits im „Aus- 
lände" einzelne Bruchstücke mitgetheilt wurden. Werthvoll durch die frische Auf- 
fassung und interessant, weil man jene Gegenden leider noch allzuwenig kennt, 
verdient dieser Artikel jedenfalls in einem solchen Buche seine Stelle. — Cha- 
rakteristisch ist „des Rabbiners Rückkehr," ein Ereigniss aus dein Leben der 
Juden in Polen, von dem witzigen und scharfsinnigen anonymen John of Dycalp. 
Kürzer, aber nicht weniger interessant ist die Schilderung eines „Faktors" aus 
Kraszewski's Lebensbildern und Reisen; es ist das ein echtes Bild eines „Alles- 
inallem." Auch die so vielfaches Aufsehen erregenden Mieszaniny von Bejla 
wurden benutzt; sie lieferten das Bild eines polnischen Schlachticen (Edelmanns). 
— Einen werthvoilen Beilrag zur Charakteristik der Polen findet man in einem 
Artikel Dunin -Borkowski's, worin er die Eigenschaft, über Alles sprechen zu 
wollen und zu können, gehörig durchnimmt Die beiden Artikel von Kra- 
szewski: „Der Dubnoer Jahrmarkt" und „der Namenstag" bilden den. Schluss 
dieses Bändchens. Zu der Reisebeschreibung von Nadezdin ist eine kleine Skizze 
von Bessarabien beigelegt. Im Ganzen müssen wir von diesem Bandchen dasselbe 
wiederholen, was wir bereits vom ersten gesagt. Die Sprache in der Bearbei- 
tung ist rein und fliessend, frei von fremden Wendungen und Redensarten, nicht 
selten mit grossem Glück auch durch ihren Klang der slawischen Eigentümlich- 
keit naher gestellt, als in den meisten belletristischen Schriften, welche gegen- 
wartig in Böhmen unter dem Einflüsse der deutschen Literatur zu Stande kom- 
men. Mit grossen Erwartungen sehen wir der Erscheinung des dritten Heftes 
entgegen, das nach sicheren Nachrichten auch Originalarbeiten von dem geehrten 
Herausgeber enthalten soll. Wohl Niemand dürfte geeigneter sein, über das sla- 
wische Leben im Osten uns schärfere und vollkommener ausgearbeitete Ansichten 
zu enthüllen, als Herr Zap, dessen Aufenthalt in Gallizien ihm die eigene An- 
sicht erleichtert. 

ITIIuwnice Ceska: Böhmische Grammatik zum Besten der Schul- 
jugend verfasst von J. B. Ziegler, Doktor, Konsistorialrath und Dechant. Chru- 
dim 1842. 175 S. Eine auf allerhöchste Verordnung verfassle und als Schulbuch 
seit 1833 eingeführte Sprachlehre, welche durch die Zweckmässigkeit ihrer in- 
neren Einrichtung, so wie durch Benutzung der neuesten Forschungen im Gebiete 
der böhmischen Sprachwissenschaft vor den übrigen östreichischen Scholbüchero 
sich vorteilhaft auszeichnet Der Verf. hat vorzüglich die Dorfschullehrer vor 
Augen, weshalb er bei jedem Gegenstande die notwendigen Definitionen und nä- 
hern Erklärungen beifügt. Interessant ist uns besonders der zweite Abschnitt: 



Digitized by Google 



über die Rechtschreibung , bei welcher Gelegenheit der Verf. eine Reihe gewöhn- 
lich falsch ausgesprochener Worte anführt, welche einen deutlichen Anblick auf 
den Volksdialekt und auf seine Abweichung yon der Schriftsprache gewähren. Wie 
wichtig wäre es, wenn wir auch über die übrigen slawischen Dialekte und Mund- 
arten ähnliche, wo möglich weilläufligere Angaben besässen, besonders in diesem 
Augenblicke, wo es sich darum handelt, die Aehnlichkeit und das Kongruente in 
den slawischen Dialekten herauszusuchen und die Frage, ob sich nicht ein einziger 
slawischer Dialekt aus den jetzt gangbaren Sprachweisen konstroirte, endlich 
wissennchaftlich und wo möglich praktisch zu entscheiden. Die Nomenklatur des 
Verf. weicht in einigen Funkten von der gewöhnlichen ab, doch kann man ihr 
die Zweckmässigkeit nicht absprechen. In der ersten Deklination {uchylka) hat 
der geehrte Herr Verf. die Beispiele had nnd mlat. In der zweiten mui 
und met) in der dritten kott^ in der vierten ietia, in der fünften di&e und 
tftirf, in der sechsten dcwle, in der siebenten mete, in der achten mIowo, in 
der neunten p*anj. Auf diese Weise unterscheidet sich der Verf. in nichts von 
Dobrowsky. Dasselbe gilt von den übrigen Redelheilen. Nur im Zeitwort ist 
der geehrte Herr Verf. weniger glücklich; zwar ist das System Dobrowsky 's voll- 
ständig angenommen, allein dennoch so wenig ausgeführt, im Ganzen so kurz 
behandelt, dass der in der Sprachwissenschaft weniger bewanderte Schullehrer 
mancherlei Schwierigkeiten dabei haben dürfte. Freilich ist das slawische Ver- 
bum bis diesen Augenblick noch der schwächste Theil der grammatischen Bear- 
beitung. Dobrowsky hat in seiner genialen Weise den Grundcharakler wohl ge- 
troffen, aber ihn vollständig auszuführen, ihn vorzüglich durch Vergleichung mit 
anderen Dialekten, ohne Rücksicht auf das, was gebräuchlich und was veraltet 
ist, in ein organisches Ganze auszubilden, ist weder ihm, noch seinen Schülern 
bisher gelungen. In diesem einzigen Punkte hätten wir eine grössere Ausbreitung 
gewünscht. Höchst zweckmässig erscheinen uns dagegen die vielen Beispiele, 
welche der Verf. gibt, so wie die Bearbeitung der Syntax. So ist denn das 
Buch jedenfalls der Auszeichnung der Schulbehörde würdig. 

Apologie des nngrisclien Slawismtis, Von S. h***\ 
Lpzg. 1843. Volkmar. 133 S. Eine ruhig gehaltene aber desto schlagendere 
Darstellung des Strebens und der Thäligkeit der ultramagyarischen Partei, 
welche sich würdig an die bereits früher besprochene „Stellung der Slowaken 
vom Grafen Thun" anreiht. Thun hatte es mit Pulszky zu thun, dem kenntniss- 
reichen aber wahrhaft brutalen Hauptarbeiter an der Vierteljahrsschrift aus Un- 
garn; der Verf. der Apologie tritt einem anderen Chorführer der Mugyaromanen 
entgegen, dem wüthenden, im Feuereifer über alles Mass hinausgehenden radikal 
gesinnten Redakteur des Pesti Hirlap, Kossulh, entgegen. Diese beiden Männer, 
in der That die grösslen Koryphäen in der magyarischen ültrapartei, haben 
merkwürdiger Weise das Gemeinsame, dass sie beide von „fremdem" Stamme 
sind; Kossulh ist ein geborener Slowake und sein nächster Anverwandter einer 
der Hauplunterstützer der slawischen Partei; Pulszky dagegen ist aus polnischem 
Geblüt und erst sein Vater oder Grossvater hat sich nach Ungarn übersiedelt. 
Auffallend hat es uns daher geschienen, dass sowohl Thun, als unser Apologet 
diesen Umstand gänzlich mit Stillschweigen übergangen haben; wir sehen keinen 
anderen Grund, als den, dass sie es vermeiden wollten, durch Darlegung ihrer 
ganzen Verachtung gegen Leute, die ihrem Stamme abfielen, Persönlichkeilen in 
Verhandlungen zu mischen, deren Kraft auf Begriffen und Rechtsgefühl beruht. 
Der Verf. der Apologie thut das zwar indirekt, indem er die Erbärmlichkeit und 
Schlechtigkeit eines Renegaten überhaupt darstellt; allein er wendet sich nicht 
an die Männer geradezu. — An Kossulh richtet der Verf. seine sechs Briefe des- 
halb, weil er die Leitung einer Zeilschrift vom grösslen Einflüsse habe. Andere 
Gründe finden sich auf S. 6, wo es heisst: „Da traten Sie mit ihrem „Pesti 



Digitized by Google 



Uirlap" auf, und allgemein war das Zutrauen des lesenden Publikums unler üds 
zu Ihrem Blatte, denn Sie erklärten sich Ober die schon erwähnte Angelegenheit 
gemässigt, wie nicht anders von einem Manne zu erwarten war, der, Ton Vor- 
u rt heilen nicht befangen, alle Verhältnisse in ihrem wahren Lichte sah. Allein 
nur zu bald, bei einer an sich unbedeutenden Veranlassung, änderten Sie und Ihre 
Mitarbeiter den Ton; gleich dem „Jelenkor," traten Sie mit Verdächtigungen der 
Slawen auf, fanden neue grosse Anklagen gegen dieselben und setzten ihnen mit 
den schärfsten Waffen zu, indem Sie jede Leidenschaft gegen sie aufregten. 
Und es ist Ihnen leider gelungen, ein Feuer anzufachen, welches lodert, um sich 
greift und unauslöschlich, wie es scheint, in den Eingeweiden des Vaterlandes 
zehrt. Der Bruder steht kampfgerüstet gegen den Bruder, der Sohn geges 
den Vater, die Einen hassen und verdächtigen die Anderen, ans dem einzigen 
Grunde, weil der Eine ein „Magyare" zu heissen, der Andere ein „Ungar" zu 
bleiben vorzieht, obwohl beide sich gut bewusst sind, dass sie das Wohl des 
theuern Landes ihrer Väter am Herzen tragen." Und S. 9 heisst es: „Indem 
ich aber an Sie diese Zeilen richte, so mache ich Sie zugleich für alles das 
verantwortlich, was Ihre Mitarbeiter, besonders in den leitenden Artikeln, ausge- 
sagt haben. Dazu kommt auch, dass Sie es ja sind, der ein so verderbliches, 
die Gemüther verzehrendes, die Besten in zwei Lager theilendes Feuer des Has- 
ses und der Zwietracht angeschürt hat; geben Sie nun davon sich selbst und An- 
deren Rechenschaft; und finden Sie sich schuldig, so trachten Sie, das Feuer zu 
dampfen, wo möglich zu löschen. Oder sollten Sie gleich jenem Knaben des 
Erlkönigs sein, der die verheerenden Geister wohl loszulassen, aber nicht zum 
Gehorsam zurückzuführen verstand?" — Im zweiten Briefe gibt der Verf. als 
Hauptursache des Zwiespaltes der Meinungen die „unendliche Verwirrung der Be- 
griffe" an; besonders sind es die Schlagwörter: Volk, Volkslhüinlichkeit, Sprache, 
Nation, Nationalität, Vaterland, welche man missversteht. Der Verf. definirt die- 
selben und rechnet zu Volk und Volksthümlichkeit, was einerlei Sprache vereint, 
zu Nation und Nationalität dagegen die Gefühle für das Wohl und Wehe des 
Einen Vaterlandes, in welchem mehrere Völker und mehrere Sprachen, aber nnr 
eine Nation sein könne. Uns dünkt eine solche Abtheilong nicht zweckmässig, 
weil sie nnr ein Palliativmittel gegen die Zustände Ungarns ist, welches über- 
dies gar leicht die Begriffe von dem wahren Bedürfnisse und von dem Rechte der 
nicht magyarischen Nationen' einer endlichen reineren Auffassung noch lange entziehen 
dürfte. Im dritten Briefe bespricht der Verf. einen Hauptartikel des „Pesti Hir- 
lap Nr. 163, 164 und 168" und thut gegen denselben dar, dass auch die an- 
deren Völker Ungarns ein Vaterland, eine gemeinschaftliche Verfassung, gemein- 
schaftliche Vaterlandsliebe, gemeinschaftliche Interessen, ja, was jener Gegner 
streng verneint, auch das „gemeinschaftliche Bedürfniss des Fortschrittes und 
der Entwickelung" und „ gemeinschaftliche Erinnerungen einer zusammen verleb- 
ten grossen Vergangenheil" haben. Die hisorische Deduktion, in welcher der 
Verf. die Verdienste der Slawen um Ungarn darstellt, ist schlagend und enthält 
manche bittere Wahrheit. Dann geht der Verf. zur Untersuchung der Fragen 
über: Was wollen wir? Was wollet ihr? Durch welche Mittel gedenken wir 
den heilsamen Zweck zu erreichen? Wodurch wollet ihr eure erstreben? War- 
um wollen wir das ? Welche höheren Zwecke berechtigen euch zur Verfolgung 
eurer Zwecke und zum Gehrauche der durch euch empfohlenen Mittel? Die Sla- 
wen wollen die magyarisehe Sprache zur diplomatischen erhoben wissen, „mehr 
aber befehlen ist "Tyrannei." Die Magyaren wollen „alle Sprachen und 
damit auch alle Volkstümlichkeiten im Lande vernichten und so nach und nach 
alle Völker Ungarns in Ein Volk, das magyarische, verwandeln." Die Zuge- 
ständnisse, welche der Verf. den Magyaren in der Folge macht, indem er das 
Magyarische nur aus der Schule und Kirche verbannt wissen will, sind grösser, 
als man fordern kann, ja als es für das Wohl Ungarns zweckdienlich ist Die 



Digitized by CjOOgle 



Entschnldignngsgrflnde der Magyaren werden dann zurückgewiesen , und die Vor- 
würfe gegen die Slawen beantwortet; der Panslawismus , wie er sich in Ungarn 
darstellt, naher gewürdigt und zuletzt das wahre Resultat hingestellt: „Die Ver- 
schiedenheit der Sprachen in Ungarn kann nie die Einheit in der Nationalität 
(Liebe zum Vaterlande) gefährden, so lange sie Ein Vaterland, dieselbe 
Freiheit, dieselbe Möglichkeit, die eigentümlichen Geisteskräfte zu entwickeln, 
verbindet Der sechste Brief vertheidigt die Absendung der bekannten Deputation 
der evangelischen Superintendenten nach Wien. — Das Buch überhaupt dünkt 
uns der erste Schritt der slawischen Partei in Ungarn von der Defensive, auf 
welche sie sich bisher beschränkten, abzugehen und durch Aufstellung der Be- 
griffe von Recht, Gerechtigkeit, Völker- und Staatswohl auch dem Gesammt- 
vaterlande und allen den verschiedenen Nationen nützlich zu werden: Mögen sie 
recht kräftig auf dieser Bahn fortschreiten und theils durch einzelne Schriften, 
vor Allem aber durch das öffentliche Organ ihrer slowakischen Zeitung, zu wel- 
cher sie seit Kufzem die Erlaubniss erhielten, darthun, dass sie sich nicht blos 
zu vertheidigen, sondern entsprechend dem Bildungsgrade, den sie erreicht, auch 
die anderen Nationen anzuführen im Stande sind, bei dem Bestreben des Vater- 
landes innere Ruhe und Wohlfahrt zu begründen. 

Heber die ungarische Akademie» vom Gr. St. von Sze- 
chenyi. 1842. Uebersetzt von Sincerus. Lpzg. 1843, Köhler. VI und 71 S. 
Die vorliegende Rede machte sogleich bei ihrem Vortrage ein ausserordentliches 
Aufsehen, und zwar nicht so sehr dadurch, was sie über die ungarische Akade- 
mie enthält, als vielmehr durch das kräftige Auftreten gegen die ultramagyarische 
Partei. Zwei Grundgedanken sind es, welche der Redner festzuhalten strebte: 
Die ungarische Akademie ist eine rein philologische Gesellschaft, welche die 
Sprache, ihre Ausbildung und Vervollkommnung einzig und allein zum Ziele ha- 
ben soll; zweitens, dadurch werde sie der Nationalsache am meisten nützen, 
welche nicht von der Magyarisirung (besonders der gewaltsamen) Gewinn sich 
versprechen solle; denn nur dadurch, dass die Magyaren sich an die Spitze der 
geistigen Bewegung in der Wissenschaft stellen, durch geistige Ueberlegenheit 
könne ihre Nationalität herrschend werden in Ungarn. In Folge dieser Grund- 
sätze sagt der Redner voraus, es werden Zeiten kommen, wo die magyarische 
Gesellschaft einen Theil ihrer Mitglieder ausstossen, dafür aber andere Männer 
in sich aufnehmen werde , welche gegenwärtig noch ungekannt in ihrer verborge- 
nen Studirstube an dem Wohle des Vaterlandes arbeiten. Nicht die rohe Gewalt 
sei es, noch das Gesetz, durch deren Anwendung oder dessen Interpretation das 
magyarische Element geltend gemacht werden könne. Beides widerspreche dem 
Geiste des neunzehnten Jahrhunderts, und darum könne er jene Partei nicht an- 
ders als verachten, welche jede andere Nationalität in Ungarn mit den Füssen 
tritt, welche in öffentlichen Versammlungen und in Journalen die anderen Völker- 
schaften mit Kolh bewirft und dieselben Gefühle für nationale Sprache und Sitte, 
welche sie an sich als das Erhabenste und Heiligste anpreist, bei jenen verhöhnt 
und als sündhaft, als Vaterlandsmord und Verrätherei ausschreit Auch uns dün- 
ken diese Grundsätze ehrenwerth und achtbar, auch uns hat der Muth, mit wel- 
chem der Graf gegen die in der öffentlichen Meinung und ihren Organen über- 
mächtige Partei auftritt, eine Achtung für den Redner eingeflösst, welche jene 
weit übertrifft, die wir bis dahin hatten. Trotz dem können wir uns nicht ver- 
hehlen, dass wenn die Ansichten des Redners sich allgemeiner geltend machen, 
wenn sie von dem edlen Eifer, den der Graf im Herzen trägt, abweichend jener 
Partei in die Hände fallen, welche seit Langem fremd jedem Gefühle für Ge- 
rechtigkeit und Billigkeit ist, durch den leicht entstehenden Missbrauch den an- 
deren Nationalitäten in der That gefahrlich werden können, intensiver und nach- 
haltender gefährlich, als alle die gewaltsamen Massregeln, welche nicht anders 



Digitized by Google 



als die entschiedenste Reaktion hervorrufen müssen. Denn wir (heilen keines- 
wegs die Ansicht des Redners: es „könne nichts Gerechteres, nichts Besseres 
geben, als dass an die Stelle der todten lateinischen Sprache die lebende ma- 
gyarische trete und dass die Administrationssprache die Sprache jenes Geschlech- 
tes werde, welches nicht nnr dem Lande die Benennung gibt (?), sondern wel- 
ches aoeh den Stamm der konstitutionellen Existenz ausmacht." Uns dünkt das 
Gesetz, die Einführung der magyarischen Sprache an die Stelle der lateinischen 
betreffend, kein konstitutionelles, denn die Völkerschaften, welche dabei am mei- 
sten inleressirt waren, wurden bei Entwerfung desselben zu schwach oder gar 
nicht Tertreten (man sehe unseren Artikel über den neuen Sprachgesetzenlwurf). 
Uebrigens ist ja die Grenze der Wirksamkeit dieses Gesetzes so wenig bestimmt, 
dass es ja eben durch die Ausdehnung, die man ihm gibt, eben so leicht das 
grösste Recht werden kann, wie das grössle Unrecht, welches es praktisch leider 
schon geworden ist. Ob Ungarn seinen Namen yon den Magyaren bekommen, 
wissen wir nicht, denn es hat in verschiedenen Sprachen verschiedene Namen; 
dass aber durch diesen historischen Zufall die Magyaren ein Recht auf Vorrang 
erworben hatten, können wir nicht begreifen. Dass an den magyarischen Stamm 
die Konstitution geknüpft ist, dünkt uns geradezu eine Ungerechtigkeit, die wei- 
ter darzustellen wir uns in einem folgenden Artikel über den neuen Sprachgesetz- 
entwurf Torbehalten. Unwichtiger sind andere Punkte, in welchen wir von dem 
Redner abweichen. Derselbe hat Recht, wenn er leugnet, dass wenn Jemand 
magyarisch könne und spreche, er bereits nothwendiger Weise in einen Magyaren 
umgewandelt sei-, aber trotz dem können wir nicht übersehen, dass die glänzen- 
den Vortheile, welche sich ihm darbieten, gewiss sehr viele der magyarischen 
Nation zuführen werden, wenn sie sich erst mit der Sprache vertraut gemacht. 
Der Redner fürchtet, die übermässigen Zwangsmassregeln der Ultramagyaren 
würden den „Wolkenbruch der Reaktion" herbeiführen, welche den magyarischen 
Stamm sammt den Wurzeln herausreissen dürfte. Eine bezeichnende Stelle! 
Selbst die bestgesinnten Magyaren fürchten eine Reaktion, welche .nach allen 
Lehren der Geschichte doch der einzig mögliche Weg zur Wahrheit ist. 
Der Redner gesteht auch selbst die Ungerechtigkeit des alten Sprachgeselzes 
ein, wenn er behauptet, es „könne nur mit der Zeit und nur durch Liebenswür- 
digkeit seine Herbigkeit verlieren." Wir glauben das nicht; sobald das Gesell 
den Slawen verbietet oder unmöglich macht, ihre Sprache daheim in Kirche und 
Schule, so wie bei der Administration, den niederen Gerichtsslellen u. s. w. frei und 
ungehindert zu gebrauchen und ihrer durch Bebauung der Wissenschaften and 
Künste zu pflegen, werden sie nie aufhören können, ein solches Gesetz zu miss- 
billigen und ungerecht zu finden, so lange ein einziger Slawe in Ungarn Gefühl 
hat für seine Nationalität. Ganz einverstanden sind wir dagegen mit folgenden 
Behauptungen des Redners: „In unserem heutigen hochgespannten Znstande wird 
auch das langsamer reifende Obst nicht sehr geliebt" (S. 11). „Ohne Selbst- 
täuschung möge man es auffassen, wie sehr unser Blut sich schon zur Fäulnis* 
hinneigt" (S. 18). — „Auch der geistvollere Ungar (will heissen Magyar) hebt 
die äussere Farbe nicht selten höher als das Wesen der Dinge, wenn ihre Form 
nicht magyarisch ist" (S. 21). — „Ich wenigstens kenne mit äusserst wenig 
Ausnahmen kaum einen wirklich eifrigen Ungar, welcher, wenn auch noch so 
viel graues Haar sein Haupt bedeckt, wenn übrigens auch noch so viel Erfah- 
rung und Lebensweisheit sein Gehirn gefaltet halte, gleich einem Geistesverwirr- 
ten, wenn eine fixe Idee angeregt wird, nicht mehr oder weniger verletzen würde 
die Regeln der gegenseitigen Billigkeit, ja einigermassen (?) sogar der Wahr- 
heit, wenn die Angelegenheit unserer Sprache und Nationalität aufs Tapet ge- 
bracht wird (ein wahrhaft trauriges Bekenntniss, das dem patriotischen Redner 
gewiss schwer geworden ist, w thun). Bei solcher Gelegenheit wird der Kalt- 
blütigste hingerissen, der Scharfsinnigste ist mit Blindheit geschlagen, und selbst 



Digitized by Google 



363 

der übrigens Allerbilligste und Gerechteste ist geneigt zu vergessen, ja manch- 
mal vergisst er wirklich ganzlich sogar das erste Gebot der ewigen, unwandel- 
baren Gerechtigkeit" (S. 30). — „Mich schreckte nie unsere kleine Zahl; doch 
fürchtete ich mich desto mehr aus dieser Ursache — und dies muss endlich ge- 
sagt werden — weil die sowohl materielle, als geistige Existenz unseres Ge- 
schlechtes so sehr leicht ist, weil unser Gewicht so sehr klein ist" (S. 34). — 
„Es gibt auf dieser Well auch unveräusserliche Eigenheiten, welche feil zu bie- 
ten verboten sind" (S. 37). Ja wohl! Möchten das doch jene Renegaten aus 
slawischem und deutschem GeblQte nicht vergessen, welche durch ihren Ueberlrilt 
und die Veranlassung dazu sich die Verachtung ihres Stammvolkes so wie der 
Magyaren mit Recht zuziehen" (S. 37). — „Unser Blut ist wirklich jung, zwei- 
felsohne sehr jung; denn es mangelt ihm ja an keinem einzigen Fehler der Ju- 
gend, und dies ist sein einziges aber auch durch Nichts zu ersetzendes Kleinod, 
seine Entwickelbarkeit." Und — nicht zu vergessen — unser Trost. 



Ungarns Verfassung. Beurtheilt von Dr. J. Wildner von Maith- 
stein. Lpzg. 1843, Otto Wigand. VI und 130 S. Ein zur Kennt niss der un- 
garischen Verhaltnisse sehr zweckmassig eingerichtetes Buch. Der erste Ab- 
schnitt: „Die ungarische Verwaltung, so weit sie eine Basis der ungarischen 
Verfassung ist," und der zweite Abschnitt: „Die Verfassung (d. i. der gesetz- 
gebende Körper) des Königreichs Ungarns" setzen Denjenigen, welcher fern von 
Ungarn die Staatsmaschine nicht in der Nahe zu betrachten Gelegenheit hatte, in 
40 §§. in den Stand, sich einen deutlichen Begriff von derselben, wenigstens in 
ihren hervorstechendsten Zügen, zu machen. Es ist dies um so werthvoller und 
verdienstlicher, weil gegenwärtig sehr viele Menschen über die immer wichtiger 
werdenden Zustände in Ungarn berichten, ohne von dem Regierungssysteme des 
Landes erschöpfende Kenntniss zu haben. Uns hat besonders der dritte Abschnitt 
von Interesse geschienen , in welchem der Verf. seine Ansichten über die Zweck- 
massigkeit der ungarischen Verfassung ausführlich darlegt. Seine Kenntniss der 
Slaatsurkunden des Landes setzt ihn nicht selten in den Stand, von vielen in der 
neuesten Zeit fast gesetzlich gewordenen Gewohnheiten zu beweisen, dass sie den 
früheren, durch keinen Reichstagsbeschluss abrogirten Staatsgrundgeselzen gerade- 
zu widersprechen und mithin eine Gewalttätigkeit gegen die Betheiligten sind. 
Zu solchen Gewohnheiten gehört z. B. das Bestreben der Depulirtenlafel, den 
Abgesandten der Kapitel und der Magnaten, den Jazygen- und Kumanenbezirken und 
den Stadien nicht Einzelnvota, sondern nur einem jedem Stande eine Kollektiv- 
stimme zuzugestehen; dann die Bemühung, den Personal (den Präsidenten der 
Deputirtentafel) zu zwingen, die Stimmen zu zählen und seinen Ausspruch nicht nach 
den Ansichten der sanior pars zu bestimmen u. A. m. Der Verf. vergleicht (eine 
Lieblingsgewohnheit Aller aus Ungarn Schreibenden) Ungarns Verfassung mit der 
Englands. Die Aehnlichkeit ist ausserordentlich und dennoch der Unterschied in 
den Wirkungen so ungeheuer. Woher das? fragt der Verf. An der Regierung 
liegt es nicht, sondern in den „Accessorien dieser Verfassung" muss man den 
Grund hiervon suchen. Der Fehler ist „das innigste Verwebtsein der Verwaltung 
mit der Verfassung" (gesetzgebenden Gewalt), wodurch die Befolgung der Gesetze 
in Zweifel gesetzt, die Bestrafung aber oft unmöglich gemacht wird. Wei- 
ter werde der Adel unbedingt, ohne Rücksicht auf Besitz, zur Wahl der Abgeord- 
neten zugelassen; der niedere Bildungsgrad, die Leidenschaftlichkeit dieser Unge- 
heuern Masse habe die schädlichsten Folgen; die „Cortez" werden mit Geld, mit 
Gastereien und Getränken beherrscht und folgen jedem Führer. Die Wahlfähigkeit 
habe zu weite Grenzen; die Nachkommen der Magnaten dürfen ohne Weiteres 
auf dem Reichstage erscheinen und bringen mit ihrer jugendlichen Phantasie und 
kecken Ungeduld die grössten Unordnungen und Unzweckmässigkeiten zu Stande. 

SUw. Jahrb. i. 48 



Digitized by Google 



Das bei dem Landtage versammelte Publikum stört jeden Augenblick durch lär- 
menden Beifall oder durch heilloses Geschrei des Missfalls die Würde und des 
Fortgang der Verhandlungen. Die von der Regierung gemachten Vorschläge 
werden durch kein eigens dazu berufenes und in die Tendenzen der Regierung 
eingeweihtes Gremium geltend gemacht. Die häufigen Reichstagsdeputationen ar- 
beiten vergeblich eine Menge von Gesetzen aus, welche die daran unbetheiligtc 
Regierung später nicht sanktioniren kann. Durch das Gesetz, dass kein Landtag 
die Steuerfreiheit des Adels und des Grundbesitzes angreifen dürfe, ist für alle 
Zukunft ein zweckmässiges Besteuerungssystem erschwert. Durch ,das plötzliche 
Einführen der magyarischen Sprache sind ganze Reihen von Mitgliedern des ge- 
setzgebenden Körpers ihres Rechtes beraubt, auf die Gesetzgebung einzuwirken. 
Am schädlichsten aber ist die Einrichtung, dass die Depulirten alle Befehle von 
ihren Kommittenten sich einholen, dass sie keinen Schritt thnn dürfen ohne Ein- 
willigung derselben, die ja von allen den Verhandlungen nichts wissen, noch ihr 
Provinzialinterresse dem Wohle des ganzen Staates hintanzusetzen im Stande sind. 
Dadurch wird jeder Forlschritt gehemmt, das Durchsetzen eines neuen Gesetzes 
fast unmöglich gemacht. Der Verf. schlägt zwei wichtige Mittel vor, diesem 
Uebelstande abzuhelfen: die Depulirten sollen für mehrere Reichstage auf Ein Mal 
gewählt werden, und nicht abberufen werden dürfen. Die Cirkularsitzungen tadelt 
der Verf. mit Recht und rügt die stürmische Leidenschaftlichkeit auf denselben. 
Nur wenn diese verbannt würde, könne das Land einer besseren Zukunft entge- 
gen gehen. 

Co6p«Hie ARmom,: Sammlung von Aktenstücken über die der 
ostindischen Kompagnie und der Londoner Bank von der englischen Regierung 
gegebenen Privilegien. Moskwa 1843. Seliwanowski. 211 S. 4. 

Ein Buch von europäischem Werlhe. Herr Golubkow betrachtet den russi- 
schen Handel von einem viel höheren Standpunkte, als die gewöhnlichen Gewerbs- 
leute. Ihn beschäftigt die Frage: Auf welcher Grundlage befestigte sich die 
brittische Herrschaft in Indien, was darf man von den Eroberungen der Englän- 
der in China erwarten, und warum überflügelt Russland, welches China und In- 
dien so nahe steht, nicht die Engländer? Ein russischer Kritiker nennt diese 
Frage ausserordentlich wichtig, besonders wenn man sich erinnere, dass bis zu 
dem Traktate von Nanking Russland das ausschliessliche Recht hatte, in der 
Hauptstadt Chinas eine Gesandtschaft zu halten, der Art, dass es in Peking kei- 
nen anderen Europäer gab, und dass überdies noch Peter der Grosse, der einen 
geraden Handelsweg nach Indien eröffnen wollte, die Absicht hatte, unmittelbare 
Handelsverbindungen mit diesem Lande anzuknüpfen. Seit dieser Zeit ist vieles 
anders geworden: seit der Hälfte des vorigen Jahrhunderts beginnen die Eng- 
länder mit reissender Schnelligkeit ihre Herrschaft in Indien zu verbreiten und 
gelangen bei ihrer eisenfesten Polilik und bei umsichtigen, nicht selten sogar 
grausamen Massregeln endlich dahin, dass sie jetzt auf der ostindischen Halbinsel 
eine unmittelbare Besitzung von 24,200 geogr. Meilen mit 87,600,000 Einwohn, 
haben; ja nach der neulichen Unterwerfung des letzten Landstriches, der bisher 
den Emiren von Sind gehörte, nun anf ganz Indien ihren Einfluss ausüben. Die 
gewonnenen Resultate in China müssen diesen Einfluss nur noch kräftigen. Weil 
nun aber England alle seine Erwerbungen in Indien der Verwaltung der ostindi- 
schen Kompagnie überlassen hat, so ist es unmöglich, über den Gang der Er- 
eignisse in Ostindien und über die Verfassung der dortigen Verwaltung sich einen 
Begriff zu machen, wenn man nicht die Rechte, die Privilegien und Verbindlich- 
keilen der oslindischen Kompagnie kennt. Der Herausgeber hat die früher be- 
rührte Frage nicht erörtert, warum Russland in dieser Hinsicht so weit zurück- 
geblieben ist. Allein die Materialien dazu hat er geliefert und dadurch den 
Russen die Möglichkeit gegeben, die Bedürfnisse ihres Landes und ihren Vortheil 



Digitized by Google 



auch von dieser Seite kennen zu lernen. Eigentümlich ist die Erscheinung eines 
solchen Buches in Russland, wo die Literatur auf eine wahrhaft erschreckende 
Weise von Allem sich enthält, was im Entferntesten mit Staatspolitik zusammen- 
hangt. Es schien bisher, als fürchtete man dnreh Besprechung solcher Gegen- 
stände der Regierung zu nahe zu treten. Das vorliegende Buch beweist, das» 
man es ungescheut wagen dürfe, ja die Berichte der Journale über dasselbe bf« 
zeugen, dass man noch weiter gehen dürfe. In dieser Hinsicht ist uns der Schrill 
Golubkows ein grosser Fortschritt der russischen Literatur überhaupt. 



HcmopiH rocyAapcmea PocciSc*aro: Gcgcltlcllte des rassischen 

Reiches von N. M. Karamzin. Fünfte Aufl. in drei Bänden. Mit den voll- 
ständigen Anmerkungen und dem Porträt des Verfassers. Ptbg. Einerling, 1842 
und 1843. (Mit dem „Schlüssel" von Strojew und anderen Beil., z.B. über das 
alte und neue Russland). Obgleich nur bis zur Thronbesteigung der Romanows 
durchgeführt, hat die „Geschichte des russischen Reiches" doch eine ausseror- 
dentliche Wichtigkeit auch für die Gegenwart noch. Das grösste Verdienst Ka- 
ramzin's als Historiker besteht nicht darin, als habe er eine tüchtige Geschichte 
Russlands geschrieben, sondern nur darin, dass er die Möglichkeit einer 
solchen für die Zukunft geschaffen hat Auch vor ihm gab es Geschichten 
Russlands, aber für das russische Volk blieb die Geschichte seines Vaterlandes 
ein Geheimniss, weil nur den Gelehrten und Schriftstellern zugänglich. Karam- 
zin erst machte dem russischen Volke die Entdeckung, dass es ein Vaterland, 
dass dieses eine Geschichte habe, dass diese es interessiren müsse, dass die 
Kenntniss derselben für die Nation nicht blos nützlich, sondern nolhwendig sei. 
Ein solches Werk vollbrachte Karamzin nicht so sehr durch sein historisches, als 
vielmehr sein belletristisches Talent. Seine belletristische Darstellung der Ge- 
schichte Russlands wurde und wird im ganzen Reiche gelesen, aus ihr schöpfte 
das Volk seine ersten Begriffe über sein Vaterland. Von diesem Augenblicke 
erst wurde es möglich, die russische Geschichte zu lernen und die Materialien 
zu ihr gelehrt zu bearbeiten; denn erst von diesem Augenblicke an wurde sie 
der Gegenstand eines allgemeinen und lebendigen Interesses. Karamzin leistete 
dies durch seine Sprache; denn er besass die zu seiner Zeit seltene Befähigung, 
mit seinem Volke die Sprache des Volkes, nicht die Büchersprache zu sprechen. 
Die früheren historischen Werke, schlecht und unvollständig, wurden von Niemand 
getadelt, denn es kümmerte sich Niemand um sie; aber schon bei dem ersten 
Bande Karamzin's erhoben die Kritiker und Historiker ein grosses Geschrei und 
klagten über Entstellung der Fakten und falsche Angaben des Historischen. Mit 
je grösserem Rechte dies geschah, desto nothwendiger ist es, die Umstände nicht 
zu übersehen, unter welchen Karamzin schrieb. Denn er war nicht blos der 
Baumeister seines Werkes , sondern auch der Zimmermann und der Maurer, ja 
selbst der Steinbrecher und Ziegelmacher. Darum darf man sich weniger an das 
Irrthümliche in den Fakten stossen, als vielmehr die Ansicht aufsuchen, welche 
Karamzin von der Geschichte überhaupt, vorzüglich aber von der Geschichte 
seines Volkes hatte. Und in dieser Hinsicht stand Karamzin gänzlich unter dem 
Einflüsse seiner Zeit. Er sah in der Geschichtsschreibung nicht das Aufsuchen 
der wahren Verhältnisse der Vergangenheit, sondern betrachtete sie als eine Art 
von Dichtung, nur in Prosa geschrieben. Unter dem Einflüsse der westlichen 
Schriftsteller des XVIII. Jahrhunderts, besonders der französischen, stehend, war 
er fremd jeder kritischen Sichtung, jedem streng scheidenden Scharfblick in die 
Vergangenheit, und darum übertrug er die Zustände der späleren Jahrhunderte 
unversehrt in die früheren. Allein Alles dies, ja selbst das Mangelhafte, mnssle 
dazu beitragen, dem Buche Karamzin's Eingang bei seinem Volke und Ausbrei- 
tung im ganzen Valerlande zu verschaffen, welches auch diese neue gedrängte 

Digitized by Google 



Ausgabe des grossen Werkes in Massen ankaufen würde, wenn es nur zn etwas 
niedrigerem Preise gegeben würde. 



Utthan ische Volkslieder und Sagen. Bearb.Ton Wilh. Jordan. 
I. Berlin 1844, Springer. VI n. 104 S. Wir halten bereits einige Male Gelegen- 
heit, zn bemerken, dass sich bei keiner Nation das Volkslied in der besonderen 
Weise nnd bis zn solcher Vollkommenheit entwickelt habe, wie bei den Slawen 
nnd den mit ihnen zunächst verwandten Litthauern. Wir finden diese Behauptoog 
dnrch vorliegende Sammlung nur noch mehr bestätigt. Selbst unter der Hülle 
der deutschen Bearbeitung, welche doch durch den deutschen Sprachcharakter yon 
dem Urtypus des Originals so vieles verwischen muss, wird jeder Slawe in den 
vorliegenden Liedern eher die seiner eigenen Nation, ab die einer fremden finden. 
Wer erinnert sich nicht einiger slowakischen, vorzüglich aber mehrerer Kosaken- 
lieder, wenn er folgendes Lied zu lesen bekommt: 

Dreifache Trauer. 



Als über jene Brücke 
Der schöne Heinrich ritt, 
Hat sich das Ross gebäumet, 
Dass er herunter gütt. 

Ein allzukühles Betüein 
Des Stromes Tiefe war; 
Er ist sogleich darinnen 
Entschlafen für immerdar. 

Vom Teich des Königs flogen 
Drei Schwane durch die Luft 
Und Hessen sich hernieder 
Auf des schönen Heinrichs Gruft. 

Der eine Schwan zu Füssen, 
Zu Haupten der and're liegt, 
Und an des Grabes Seite 
Sich still der dritte schmiegt. 



Es ruht die Braut zu Füssen, 
Zu Haupten die Schwester liegt, 
Und an des Hügels Seite 
Sich still die Mutter schmiegt. 



Da sind aus ihren Augen 
Viel Thränen vorgethaut; 
Es hat die Braut drei Monde 
Geschrien, gejammert laut 

Die Schwester hat gesprochen 
Von ihrem Herzeleid, 
Bis dass die Erde anzog 
Das dritte Frühlingskleid. 

Die alte, graue Mutter 
Hat still um ihn geweint, 
Bis dass sie mit dem Sohne 
Im Grabe lag vereint 



Ganz derselbe Ideengang, dieselben Gedanken finden sich in einem QedicMe 
aus Bielowski's Dumken, wo der Jüngling fallt, die Geliebte vor Herzeleid schreit 
und klagt, die Schwester drei Jahre Trauer tragt, die Mutter aber täglich still 
zur heiligen Messe geht, bis sie stirbt Mehr im Charakter der russischen 
der scheint uns das folgende: 

Das Mädchen an den Ahorn. 



Da grünst du, schattiger Ahorn, 
Vor meines Vaters Thür! 
Wirst nicht mehr lange grünen, 
Das prophezei' ich dir! 

Zween junge Brüder hab' ich, 
Die werden dich zerhau'n. 
„Was woll'n sie aus mir machen?" 
Sich einen Schlitten bau'n. 



Und einen leichten Nachen, 
Zn fahren auf der Flulh; 
Dann kommen sie Sommer und Winter 
Nach meines Mannes Gut 

Mein Kindlein werden sie linden 
Gewiegt in süssen Traum, 
In einer blanken Wiege 
Von deinem Holz, mein Baum. 



Auch dieses Lied hat einen vollkommen slawischen Charakter, und Nie 
wird die nächste Verwandtschaft zwischen ihm und den slawischen übersehen kö 



v 



Digitized by Googh 



Eigenthümlich, aber höchst charakteristisch ist die Sage, welche der geehrte 
Verf. unter der Ueberschrift „Ragaina" mittheilt. Sie ist von bedentendem Um- 
fange (38 Seiten) nnd nicht nur vortrefflich darch wahrhaft poetischen Werth, 
sondern auch interessant durch den Gegenstand, den sie bespricht. Ein grosses 
Riesengeschlecht bewohnte ehemals die Länder Litthauens; allein dnreh Schick- 
sals Mund ist sein Untergang vorher verkündet, sobald dem König eine Tochter 
geboren wird, welche nicht mehr Riesin ist. Ragaina ist dieses Madchen. Ihr 
Vater sinkt in den ewigen Todesschlaf und sie allein steht da auf der Riesen- 
burg, verlassen von Allen und einsam. Aber einen Zauber hat ihr Vater gelegt 
in den Schlüssel, welcher das Thor in die Burg öffnet. Eine wilde Schaar 
kommt heran geschwommen auf dem Njemen, findet den Schlüssel auf dem Steine 
vor dem Thore liegen und jubelt in der Hoffnung, die Burg zu besteigen. Allein 
Keiner vermag den Schlüssel zu heben, denn Keiner vermag den Namen zu 
nennen der Jungfrau, der Herrscherin des Schlosses, welche an der Zinne steht 
und auf die Flache hinabblickt : 

Hell wie Licht erglänzte ihr Kleid, 
War geschmückt mit goldenen Sternen; 
Und es wallten ihr dunkle Locken 
Um das wunderbar schöne Antlitz; 
Aber wie ein Strahl von der Sonne 
Durch des Waldes Dunkel, so schlang sich 
Durch ihr Haar ein goldener Reif, 
Tragend die silbernen Mondeshörner. 

Da kommt der junge Held Litwo auf weissem Ross herangesprengt, erblickt 
die Jungfrau und erkennt sogleich das Bild, das er im Traume gesehen. 

Sinken Hess er die Zügel 

Und hob die Arme entgegen 

Der schönen Maid auf der Zinne 

Und rief, dass es wiederhallte 

Von Nemona's (des Niemens) bergigen Ufern 

Und von den Mauern der Burg: 

Ich kenne dich, Tochter der Riesen, 

Du bist für Litwo bestimmt. 

Bald küss' ich, herrliche Jungfrau, 

Auf deinen blendenden Schultern 

Die Zeichen der himmlischen Abkunft, 

Das doppelte Horn des Mondes, 

Das Abbild des Morgensterns! 

Mein ist die Bnrg deiner Väter, 

Denn du, Ragaina, bist mein! 

Und mit Leichtigkeit erhebt er den Schlüssel und die Fluren ertönen von 
lautem Jubelgeschrei. — Ein eigentümlicher Mythus, dessen tiefere Bedeutung, 
die Einnahme des Landes durch die Litlhauer, in jedem Zuge herrlich hervor- 
leuchtet 

Die Bearbeitung lässt in der That nichts zu wünschen übrig und nur zweier- 
lei müssen wir bedauern, dass der Verf. nicht Mehreres uns liefert, weil nach 
seinem eigenen Wort, es in der Brust des Lilthauers „blüht und glüht von Lie- 
deswonnen," und dann, dass die slawischen Volkslieder bisher noch keinen so 
tüchtigen Bearbeiter gefunden haben, weil sie bei ihrer zahllosen Menge und 
ihrer Schönheit sonst auch in Deutschland in ganz anderem Ansehen stehen müss- 
ten, als jetzt. 



Digitized by Google 



VI. 

Specielle literarische Uebersicht. 



jä. Bibliographie. 



I. Btihmische Bücher. 

a) Wissenschaften. 

24. Prawopis cesky: Böhmische 
Rechtschreibung. Von W. Hanka. 6. 
Aufl. Prag 1844, bei m Verf. Eine der ver- 
breitetsten belehrenden Schriften in Böhmen, 
die es ihrer Zweckmässigkeit wegen freilich 
verdient. 

25. Castky «eskoslo wans keho Ga- 
zyka: Sammlung von Mustern der böh- 
mischen Sprache, für niedere und höhere 
Schulen. Von Cyrill Knmpclik. Prag 1843. 
Pospischil. 20 S. 4. 

26. Wzajemnost: Wechselseitig- 
keit anter den Czechen, Mährern, Slowa- 
ken, Schlesiern und den Lausitzern. Von 
J. Kadnur}. Pesth 1843. 

27. Archiw Sesky: Böhm. Archiv. 
II. Bd. 10. Uft Prag 1843. 

28. Pfirodopis pros tonanodni: 
Volkstümliche Naturgeschichte von Dr. 
W. Slänjek. Mit Bildern, als Hl. Tbl. der 
kl. Encykl. d. Wiss. Prag 1843. Museum. 
XIV u. 496 S. 2 Fl. 

29. Lesni aufadnik: Der gesetzlich 
ausgebildete Forstbeamte; od. der För- 
ster u. Revierjäger im Forst- n. Jagdwesen, 
oder Hülfsbuch zur Leitung des Forst- und 
Jagdwesens in Böhmen, Mähren, Schlesien, 
Ober- n. Nieder -Oestreich. Von J. Dom. 
Kaschpar, ehemaligen Oberamtmann in Böh- 
men, jetzt Kommissar bei der Katastralun- 
tersuchung über den Grundertrag. Brünn 
1843. Gastl. 326 S. 1 FI. 

30. Pastwa duchowni: Geistige 
Weide für die Schafe aus dem rechten 
Schafstalle Christi. Von Fr. Rokoi. 1 ThL 
Prag 1843. Spurny. 

31. Nedelnj Käzanj: Sonntägliche 
Predigten von Fr. Rawranek. I. Tbl. 
Prag 1843. Spinka. VIII und 223 S. 

32. Rukowet*: Anleitung zur kirch- 
lichen Andacht. Von J. R. Macak. 2te 
Aull. Prag 1843. Spinka. 24 Kr. 

b) Belletristik. 

29. Ludmila: Ludmila, Drama in 
3 Akten von W. Wqifäek. Prag 1843. 
Pospischil. Man lobt den acht nationalen 
Geist in der Behandlung des nationalen Stof- 
fes, was doppelt überrascht, da Herr Wo- 
jätek bisher in der böhmischen Literatur 
gänzlich unbekannt war. 

30. Bil6 klobauky: Die weissen H ü t e, 



Schauspiel in 1 Akt von J. P. Pfibik. Prag 
1843. Spinka. 6 Kr. 

31. Jed en j a ko d ruh y : Der Eine wie 
der Andere. Nach Kotzebue's „beide Klings- 
berge*' bearb. von KI. Püncr. Prag 1844. 
Spinka. 107 S. 16 Kr. 

32. Kord: Degen, dramat. Scherz in 
2 Akten nach Raupach, von J. Stjepnnek. 
Prag 184;?. Spinka. 34 S. 10 Kr. 

33. Beiisar: Beiisar, tragische Oper 
von Donizetti f Text nach Vamerano v. Stje- 
pnnek. Prag 1843. Spinka. 32 S. 10 Kr. 

34. Puritani: Die Puritaner, ro- 
mantische Erz. von Ff. Scott , ubers. von 
TT. Spinka. Prag 1844. Spinka. 374 S. 

35. Opanowani Mexika: Erobe- 
rung Mexiko' s. Historisch -romantische 
Bilder von Van der Felde, übersetzt. Prag. 
Spinka. 

36. Slawik: Die Nachtigall. Die 
rothen und weissen Kosen. Zwei Erz. für 
Aeltern und Kinder nach Schmidt, von J. 
Dewicki. Prag 1843. Neureuter. 8 Kr. 

37. Adelaida cisafowna: Adelaide 
die Kaisers tochter. Eine wahre Bege- 
benheit Bearb. von J. Jindra in Hradischt. 
Prag 1643. Neureuter. 15 Kr. 

38. Karbanik Latour: Der Gerber 
Latour: Erzähl., bes. für die Jugend, nach 
dem Deutschen v. Libansky. Czaslaw 1843. 
Wascha. 24 Kr. C. M. 

c. Periodische Schriften. 

3. Biblioteka zabawneho: Biblio- 
thek der Unterhaltungslektüre. 17s 
und 18s Blichen. Die Verlobten, von Mon- 
zoni, übers, v. Pr. Ondrak. (Prag, Spinka). 

d) Vermischte Schriften. 

8. Witek: Veitchen; der Zeidler und 
Bienenwarte r. Angenehme Belehrung 
über Bienenkultur von J. Oettl, böhmisch 
von J. A. Dunder. Prag 1843. Oekon. Ge- 
sellsch.; mit 2 Tafeln. 128 S. 30 Kr. 

0. Popsani trojich cest: Beschrei- 
bung dreier Reisen in Europa, Asien und 
Afrika von 1818—1833. Von J. Iweidnl, 
Reisender, Goldarbeitermeister und Prager 
Burger. Prag 1843. Spinka. 16 Kr. 

10. Slowa: Worte der Schüler der 
zweiten Humanitatsklasse des akadem. Gym- 
nasiums in Prag bei ihrem letzten Ausein- 
andergehen. Eine merkwürdige Kr- 
scheinung. 



Digitized by GooqI 



IT. Polnische Literatur. 

a) Wissenschaften. 

43. Obraz wieku Panowania Zyg- 
mnnta III.: Schilderang des Jnhrhunderts 
der Regierung Sigmunds III., Königs v. 
Polen und Schweden, oder Schilderung des 
Zustandes des Volkes und des Landes. Von 
Fr. Siarczynski. I. Bd. Posen 1843. Neue 
Bchhdlg. 

44. O Tarnowie M azo wiec fciin : 
Vom masowischen Tarnow oder Thorn. 
Von Dom. Schulz, Korresp. der Krak. Akad. 
Warschau 1843. Der Verf. bemüht sich, die 
polnische Abstammung Kopernlk's dar- 
zntbun. 

45. Rzut oka: Blick auf die Quellen 
der einheimischen Archäologie in den 
westlichen Gouvernements Russt. von Graf 
E. T . . . . Wilna 1842. 56 S. 4. mit 8 
Lithographien: Denkmäler der ältesten Völ- 
kerschaften, bes. der Jadzwinger, Letten u. 
ihrer Anwohner. 

46. Staroiytna polska: Das alte 
Polen, u. s. w. von Balwski u. Upinski. 
Warschau 1843. Orgelbrandt. 1. Hft. 96 
S. 8. Städtebeschreibimgen. 

47. Reszty Rekopismu: Ueberreste 
der Handschrift J. Chr. Pasek's. Nach 
einer Handschrift auf d. kais. Bibl. herausg. 
von Liachowicz. Wilno 1843. 411 S. Ist 
dies Nachdruck der Raczynskischen Ausga- 
be? Wozu ^ überhaupt ein neuer Abdruck? 
Varianten hatten genügt. 

48. Stowiaiski Narodopis: Slawi- 
sche Ethnographie von J. P. Schafarik, 
übers, von P. Dnhnan. Breslau 1843. 234 

5. ohne Karte. 

49. Korresponden eya literacka: 
Jjiterarigcne Korrespondenz M. Gra- 
bau skVs. Wilno 1843. 2 Thl. 238-212 S. 
Bringt interessante Briefe von Golowimh, 
Groza, Kraszewski t Bielowski, Rzewuskiu. A. 

50. Malczewski, jego iywot: Mal- 
czewski, sein Leben und seine Schriften 
mit s. Portrait. Herausgeg. von Bielowski. 
12. Lemberg. Millikowski. 

51. Klementarz do Czytania: Lese- 
elementarbuch für Stadt- und Dorfschulen 
von J. Qrnchel. Oppeln. Weilshäuser. 

52. Ksia,2ka modlitewna: Gebet- 
nnd Gesangbüchlein für das katholische Volk. 

6. Aufl. Oppeln , Weilshäuser. 

b) Belletristik. 

34. Niewias ta p ols k a: Die polni- 
sche Frau in drei Jahrhunderten. Von 
D. M. Posen 1843. Neue Bchhdlg. 

35. Anafielas: Lieder aus Lithaui- 
8 eben Sagen. Von J. J. Kraszewski. 2s 
Lied. Mindows. Wilno 1843. 332 S. 8. 
Das erste Lied, Witolrauda, erschien 1841 
und machte Aufsehen. Dies soll noch vor- 
trefflicher sein. 

36. Gawinskiego z Wielomowic 
Poezye: Gedichte von Gawinski. Nach 



einer Handschrift herausgegeben von tegola 
Pauli. Lemberg. Millikowski. 

c) Periodische Schriften. 

5. Noworocznik Literacki: Lite- 
rarischer Almanach für 1843. Heraus- 
gegeben vom Geistl. Ad. St Krasinski. 
Wilno. 196 S. 12. Mehrere gute philoso- 
phische Artikel enthaltend. 

6. Listy z Krakowa: Briefe aus Kra- 
kau. Von Jos. Kramer. Krakau 1843. 1 Bd. 
412 S. 8. Eine vollständige Theorie der 
Kunst. 

d) Vermischte Schriften. 

16. Mieszaniny obyczajowe: Ver- 
mischte Sitten Schilderungen Yon J. 
Bejla. (Rzewuski.) 2. Thl. Wilno 1843. 219 S. 

17. Rozmaito&ci: Mannichfaltiges für 
das Landvolk. Gesamm. v. Julius G 9 • 
1. Thl. (4 Hefte sollen 2 Thlr. kosten). 
Lemberg. Millikowski. 

18. Wdowi grosz: Der Wittwen- 
Groschen. Früblingsgabe. 6 Bog. 15 
Ngr. Lemberg. Millikowski. 

19. Listy Galicyiskie: Galizische 
Briefe od. kritische Betrachtung des Edikts, 
das in Ostgalizien das galizische standische 
Creditinstitnt einfuhrt. Mit Bezugnahme auf 
das kais. Patent vom 3. Novbr. 1841. Po- 
sen 1843. Nene Bchhdlg. 

III. Russische Literatur. 

a) Wissenschaften. 

68. Tpy^M: Arbeiten der Gesellschaft 
russischer Aerzte. Dritter TheiL Ptbg. 
1843. 342 S. mit 15 Lithographien. 

69. MeAiiqnHcKiu 3uu,niuone^uqecHiH .leu- 
cHKom»: Medizinisches enzyklopädisches 
Lexikon. II. Heft. Bearbeitet von Lee. 
Ptbg. 1843. Von S. 151 — 310 Ancylosis — 
Anchiorrhagia testlculi. 

70. 06maa xnpyprin: Allgemeine Chi- 
rurgie. Von T. Kuärjawcew t Prof. d. Chi- 
rurgie. Moskwa 1843. Seliwanowski. III 
und 334 S. 

71. 0 GpafimoBoS (Scrbaon: Von B rights 
Krankheit. Vom Dr. Iwanowski. Ptbg. 1843. 
42 S. 

72. DojHoe pyKOBOAcmno: Vollständiges 
Handbuch zur vergleichenden Erkenntniss 
der Krankheiten der Gehörorgane. Vom 
Dr. Racihortki in Paris. TJebersetzt von Ja- 
rockt. Warschau, Glucksberg 1843. XVII 
und 216 S. 

73. PyROBOAcmBo : Praktische Anleitung 
zur Erkenntniss der venerischen Krank- 
heiten. Aus dem Französischen des Riccord. 
V ebersetzt von KUmenkow. Moskwa 1843. 
643 S. 

74. Vqeme: Belehrung über das Ge- 
schlechtsleben des Weibes in pathologi- 
scher, therapeutischer und chirurgischer 
Hinsicht. Von G. Korabljew, Prof. an d. 
Mosk. med. chir. Akademie. Zweite Abthlg. 



Digitized by Goggle 



Cbirorgische Operations - Entbindnngsknnst. 
Moskwa 1843. Kirüow. 404 8. mit 250 
Kupferstichen. 

75. 0 A-fetfcniBia: Von der Wirksamkeit 
und dein Gebrauche der Salzquellen in 
Altrussland v. Dr. Wet*. Ptbg. 1843. Graj. 
102 8. 

76. VieöHaji Haara: Lehrb. d. Rechts- 

ff lege der Gubernien u. Kreise. Für die 
ais. Rechtsschole bearbeitet von P. Degaj. 
2. Aufl. Ein höchst verdienstliches Werk. 

77. 0 nocmencHHOBTb paaBiimift: Von der 
allmäligen Entwicklung der Idee der Ehe 
in der alten Welt. Vom Rechtskandidaten 
L. Sokolou-ski. Ptbg. 1843. Wingeber. 148 S. 

78. O^meaapo^Ban TeoMempifl : Populäre 
Geometrie von lAttrow. Aus d. Deutsch, 
von Fedorow. Ptrbg. 1843. Oljchin. 228 S. 

79. PyKOBOAcniBo : Anleitung zur Grenz- 
messung. Von P. Snkibalow. Kasan 1843. 
76 S. mit Zeichnungen. 

80. PyKOBOAcmBo: Anleitung zur Her- 
stellung wohlfeiler un verbrennbarer L eh In- 
da eher. Erfunden v. Dom. Moskwa 1843. 
Kirilow. 45 8. 

81. ra«iBaHorpa<DiH : Gal vonographie 
u. s. w. Von Fr. Röbbel. Ptrbg. 1843. Jo- 
hannsohn. 54 S. 

82. llpanmniecaoe pyKOBo^cmao: Prak- 
tische Anleitung zur Lohgerberei in al- 
len Zweigen. Von WH. Buntntetc. Ptrbg. 
1843. Zernakow. IV u. 100 8. 

83. Pyinaff Ranra: Handbuch zur ökono- 
mischen Behandlung der Wälder. Von 
Bode in Mitau. Aus d. Deutsch, v. Orachow. 
Ptbg. 1843. Jungmeister. VIII und 295 8. 
Sehr brauchbar. 

84. ^ocmonaMÄmHocraH : Denkwürdigkei- 
ten Moskwas. Herausgegeben mit Unter- 
stützung der Fürstin Golicyn. Der Maler 
K. DromorHn hat die wichtigsten Merkwür- 
digkeiten und alten Denkmäler der alten 
Residenzstadt aufgenommen und gibt sie nun 
in Heften von 12 lithogr. Tafeln heraus, zn 
welchen nur die nötüigsten Anmerkungen 
gegeben werden. 

85. ^ocmonaMAmnocnra : Denkwürdigkei- 
ten des Moskauer Kreml. Zusammenge- 
stellt von A. Weltmann. Auf höchsten Be- 
fehl herausgegeben. Moskwa 1843. Stepa- 
now. Ein Fahrer durch Moskau, mit einer 
Geschi clite der Stadt als Einleitung. 

86. HcmopaqeeKie onacaiiie: Historische 
Beschrbg. des Sim onklosters in Moskwa. 
Moskwa 1843. Seliwanowski. 234 8. Eine 
der letzten Arbeiten Passek », des für die 
russische Alterthumskunde leider zu froh 
Verstorbenen. 

87. Hoaocnaccaiä MOHacmbipb: Das No- 
wospaskische Klos ter. Von J.Sn, Moskwa 
1843. Seliwanowski. 136 S. Eine gelun- 
gene Schilderung dieses alten Klosters. 

88. KpamaaH Hcmopia : Kurze Geschichte 
der Grusinischen Kirche. Vom Kandidat 
P. Joudeian. Ptbg. 1843. Syczew. 142 S. 
Für die alte Kirchengeschichte höchst wichtig. 

89. noB-lvcniBOBaBie : Erzählungen 



über Rusaland. III. Bd. 5tes u. 6tes Buch. 
Moskwa 1843. 446 S. Der Band enthält 
die chronologische Uebersicht der Ereignisse 
vom Regierungsantritte Feodor Joannowicz's 
bis auf Peter den Grossen. Die geistreiche 
Auffassung Arcybaschew"* ist bekannt. 

90. Hcmopifl: Gescliichte des russi- 
schen Reichs. Von JV. Knrttmzin. Fünfte 
Aufl. in 3 Bdn. Mit allen Znsätzen und An- 
merkungen u. dem Portrait des Verf. Ptbg. 
1843. Einerling, Somit das ganze Werk 
vollendet. 

91. Onncame: Beschreibung des Chan- 
thums Buchara. Von Chartykow. Ptrbg. 
1843. Akademie. 279 8. Der Verf. sam- 
melte unter den man nie!» faltigsten Schwie- 
rigkeiten an Ort und Stelle alle ihm zu- 
gänglichen Materialien zu seiner Beschrei- 
bung, welche des Interessanten sehr viel 
enthält. Das Portrait des jetzigen Chanes 
und Plane von den Städten Buchara and 
Samarkand sind beigelegt 

92. BceoGmaa CKomoBpaueöflaa Kuura: 
Allgemeines Thierheilungsbuch. Von 
J. N. Kolives. Ans der deutschen 14. Aufl. 
Moskwa 1843. Semen. 231 u. 198 S. 

93. Coirfenrb ,\a upastm-b: Rath u. Gruss 
den guten Leuten aus dem weisssteinigen 
Moskwa. Von J. Saburow. Moskwa 1843. 
Semen. 35 S. Ein Volksbuch für die Land- - 
wirthe. 

94. PacroBopi»: Gespräch des Alexej Ni- 
kiforowiez mit Jegor Prochorowicz über die 
Sparkasse. Zweite Aufl. Moskwa 1843. 
Rjeschetnikow. 23 S. Ein sehr nützliches 
und belehrendes Büchelchen für das Volk. 

95. PyccBan rpa.Mamuua : Russ. Gram- 
matik für Russen v. V. Polowcow. 6. Aufl. 
Ptbg. 1843. VII u. 152 S. Schulbuch. 

96. Hmeuifl o CioBecuocmn : Vorlesungen 
über Literatur. Vierter Kurs , über das 
Drama, nach Schleget 2. Aufl. Moskwa 
1843. Univ. Vom Prof. J. J. Dauydow. 

b) Belletristik. 

36. CniavomBopenifl: Gedichte von 
Miljkjijew. Moskwa 1843. Univers.-Buchdr. 
222 S. Ein Naturdichter, auf dessen Ge- 
dichte man sehr gespannt war; doch schei- 
nen sie die Erwartungen nicht befriedigt zu 
haben. 

37. Oneiamaa: Druckfehler. Moskwa, 
Semen. 262 S. Gedichte, nicht ohne Phan- 
tasie. 

38. Hacbi Aocyra: Mus sestu n d e n. 
Gedichte von Zmnk'in. Kasan 1843. 70 S. 

39. Cmam-bflKH: Artikelchen in Versen. 
Ohne Bilder. II. Bd. Ptbg. 1843. Zerna- 
kow. 40 S. Satyrischer Natur. 

40. JKn3iih cep^qa: Das Leben des Her- 
zens. Moskwa 1843. Lazar. Zweite Aufl. 
3 Thle. 116 > 182 u. 114 8. Im Charakter 
der Romane „der Tscherkesse** und „die 
verfluchte Stadt" von Woskrueu&i, viel- 
leicht von ihm. 



Digitized by Google 



41. B-feAbMa: Die Hexe od. die schreck- 
licben Nachte jenseits des Dnjepr. Russ. 
Roman nach einer Volkssage. Von A. 6'**- 
rowtid. Zweite anveränderte Aufl. Moskwa 
1843. 3 Thle. 150, 142 und 134 S. 

42. Kbh3i> Kypocaia: Fürst Kurbski, 
histor. Roman aus d. XVI. Jahrhund. Von 
Boris Fedorow. 4 Thle. Ptbg. 1843. Univ. 
135, 172, 213 u. 315 S. Soll nicht viel 
taugen. 

43. Ha Com» rpaAyiu,in : Momente aus 
dem täglichen Leben. Vom Grafen h. 
Soilohub. II. Bd. 407 S. Ptbg. 1843. Prace. 
Der erste Theil von den gesammelten Er- 
zählungen Sollohub's erschien 1841. 

44. novfccmn : Erzählungen von Iwan 
Gudoschnik (Bierfiedler). Gesammelt v. N, 
l'olnvnj. Zwei Thle. Ptbg. 1843. Schutkin. 
285 und 195 S. Vor mehr als einem De« 
cennium geschriebene Erzählungen, im Volks- 
ton gehalten, welche immer noch ihren Le- 
serkreis finden werden. Herr Polewoj ver- 
legt sich seit einiger Zeit besonders auf das 
Sammeln seiner Schriften. So gab er 1840 
seine Kritiken unter dem Titel: „Skizzen 
der russ. Lit." Seit etwa einem Jahre 
erscheint eine vollständige Sammlung seiner 
dramatischen „Schriften u. Uebersetzungen" ; 
nun folgen endlich die Erzählungen zum 
Schluss. 

45. Cpe^emBo: Mittel, seine Töchter zu 
verhei rathen. Erz. v. P. M. (Verfass. des 
Mui pod Baschmakom). Ptbg. 1843. 26 u. 
33 S. 

46. PanuMm» : Der Retter im Auslande, 
oder Erzählungen, wie die russischen Sol- 
daten in den J. 1813 und 1814 in Deutsch- 
land aufgenommen wurden. Von TA. Kuz~ 
miezew. Moskau 1843, Smirnow. 214 S. 
Die Erzählungen sollen schlecht sein, da- 
gegen die Idee nicht zu ubersehen. 

47. Peu,ennrb : Besserungsrecept, 
Vaudeville in 2 Akten von Korowkin. A. d. 
Französischen. Moskwa 1843. Lazarew. 

d) Vermischte Schriften. 

6. Kanmiorb: Katalog der Bücher, 
Handschriften uud Karten in chinesischer, 
manezurischer, mongolischer, tibetanischer 
und Sanscritsprache , welche in der Biblio- 
thek des asiatischen Departements liegen. 
Ptbg. 1843. Prace. 102 S. 

7. CHcmeMumimecKifi itamajiorb: Syste- 
matischer Katalog der Bibliothek des ge- 
lehrten Komites bei'm Ministerium der kai- 
serlichen Besitzungen. Ptbg. 1843. 106 S. 
Neben der Beschreibung des Rumjancow- 
achen Museums von Wostokow einer der be- 
sten Kataloge. 

8. Pfeqn: Reden, gehalten bei der 
feierlichen Versammlung des Richelieuschen 
Lyceums. Odessa 1843. 56 S. Die Bei- 
lage enthält den Geschäftsbericht des ver- 
gangenen Schuljahres und eine kurze Ueber- 
sicht des 25jährigen Bestehens der Anstalt. 
Sie hat 451 Zöglinge und erhielt in den 

SUw. Jtlirb. I. 



letzten Jahren eine Veränderung, so dass 
sie ziemlich einer Universität gleich kommt. 

9. Pfcqn: Reden bei den feierlichen 
Varsammlungen der k. Moskwaer Universi- 
tät am 9. Jnni 1843. Moskwa. 85 u. 89 S. 
in 4". Nur wichtig wegen des beigefügten 
kurzen Berichtes üb. den Zustand der Uni- 
versität von 1842—1843. 

10. ,4 Ba cHaneenrawe cMompa: Zwei be- 
rühmte militärische Revuen in Frankreich. 
Vom General Chatow. Mit 2 Plänen. Ptbg. 
1843. Die eine Revue war 1804 vor Bou- 
logne mit 80,000 M. ; die zweite war noch 
glänzender und grossartiger, es war die von 
1615, welche der Kaiser Alexander über 
150,000 M. Russen bei Vertieu (?) nach dem 
Friedensschlüsse hielt. 

11. OöoaptHie: Uebersicht des Handels 
auf dem Markte von Nizny Nowgorod, vom 
Jahre 1521 — 1843. Mit einem Plane der 
Stadt Moskwa 1843. Lazarew. 120 S. 
Höchst wichtige Resultate. 

12. KoHcmauniBiionoAb : Konstantino- 

Sel und die Türkei. 2 Thle. Ptbg. 1841. 
21 S. 1843, 161 S. Borodin. 

13. UymeBo^nmeub : Führer durch St. 
Petersburg und seine Umgebungen« Von 
J. Pnschkarew. Ptbg. 1643. XVI und 468 
und 34 S. Der Verf. beschrieb bereits von 
1839—1841 Petersburg und die Kreisstädte 
des Petersburger Gouvernements. 

14. CmpaHCBOBam&Ab : Der Reisende 
zu Wasser und zu Lande. Ptbg. 1843. 
Boczarow. 216 S. Eine geistreiche und 
höchst interessante Beschreibung einer Reise 
nach Dagestan, Chiwa und Buchara. 

15. ttcmopui: Geschichte der Mässig- 
keitsvereine in den nordamerikanischen 
Staaten. Von R, Bert. Ptbg. 1843. Iwer- 
sen. 365 S. Eine Uebersetzung. 

16. Mbicaji: Gedanken von Pascal. 
Aus d. Fianz. von J. Butowski. Ptbg. 1843. 
Boczarow. 299 S. 



IV. JVlchtslawische Schriften. 

a) Wissenschaften. 

80. Die Morgengabe d. rigischen Rechts. 
Von Napierski. Dorpat. Severin. 71 S. 8. 
«/• Thlr. 

81. Handbuch der in den nichtungar. 
Prov. bei dem östr. Militair geltenden Ja- 
rlsdiktiousnormeit. Vom Dr. Stuben- 
mach, Wien, Beck. XVI u. 499 S. 2«/» Tbl. 

82. Organisation des Juden wesens 
im Grossherz. Posen (amtliche Verordnun- 
gen enth.). W. M. G. Wethe, Bürgermstr. 
Berlin Heymann. IV u. 360 S. 8. 1 Thlr. 

83. Der Flachsbau Russlands in 
seinen mehrfachen staatswirtlischaftlichen Be- 
ziehungen. Vom russischen Kollegienrath v. 
Braunschweig» Riga , Deubner. 111 S. 

84. Unsere Holz frage. Aus Staats- 
wirtschaftlichem Standpunkte betrachtet 
Von dems. Eb. 76 S. 

85. Russlands Weinbau. Ein staats- 

49 



Digitized by G6c 



wirtschaftlicher Versuch. Von dem«. Eb. 
1842. 68 S. 

86. Die russisch. Ostseeprovinzen Knr- t 
Ksth- o. Livland nach statist., geogr. 
u. a. Verhältnissen v. Dr. Prof. Posgart. I. 
Kurland. Stuttgart, Steinkopf. X u. 355 S. 

87. Urkunden und Aktenstücke zur 
Gesch. d. Verhältnisses zwischen Oestreich, 
Ungarn u. d. Pforte im XVI. u. XVII. Jahrh. 
Von Ant. v. Gevay, Archivar. Wien, Schaum- 
burg. 148 S. 1'/, Thlr. 

88. Ueber die I r bewohn er Rliätiens 
und ihren Zusammenhang mit den Etrus- 
kern. Von C. 8teub. München, artist. Anst. 
VI und 185 S. 8. 7 /a Thlr. 

89. Beiträge zur Gesch. der kön. Stadt 
Ksjer nnd des egerschen Gebiets. Aus 
Urkunden. Von J. S. Grüner. Prag, Calve. 
102 S. 

90. Geschichte der Qegenreformn- 
tion in Böhmen von M. Chr. A. Peschek. 
Dresden, Arnold. 1 Thlr. 

91. Geschichtliche Nachrichten üb. 
die Dissidenten, in der Stadt Posen and 
die Reformation in Gross-Polen im 16. und 
17. Jahrh. von Jos. Ijukasthewicz. Deutsch 
von W. v. Balitzki. Dannstadt, Leske. 94 
S. 8. V» Thlr. 

92. Der Untergang des polnischen 
Nationalstaates. Pragmatisch ent- 
wickelt vom Dr. Binder. 1 Bd. IV u. 328 S. 
Stuttgart Hallberger. 1«A Thlr. 

93. Beitrag zur Gesch. der Osten'schen 
Güter in Vorpommern. Von Freihrn. 
Maltzan. Mit 3 Stammtafeln. Rostock. Leo- 
pold. 19 S. 8. V» Thlr. 

94. Ueber die Halloren, als eine 
wahrscheinl. keltische Kolonie u. s. w. von 
Keferstein. Heynemann, Halle 1843. 

95. Die Gesch. Russlands v. Ustrjalow. 
Aus d. Russ. von £. W(iedenmann). 2. Bd. 
3 Abtheil. Stuttgart, Cotta. 369 — 468. 8. 
V» Thlr. 

96. Polens Literatur- und Knltor- 
epoche seit dem Jahre 1831. Von A. Mau- 
ritius. Posen 1843. Scherk. 210 S. 8. 
IV« Thlr. 

97. Slownik polsko-francuski : poln.- 
franz. Wörterbuch, l.u.2. Hft. (A 
Imaginacya). Berlin. Behr. 649 S. 12. 
2 2 /, Thlr. 

98. Dictionnaire Francais-Russe : franz.- 
russ. Lexikon von B. Otrtel. Peters- 
burg. 2 Bde. 8. 6 Thlr. 



99. Vollständiges russ. - deutsches und 
deotsch-russ. Wörterbuch, v. M. Schmidt, 
öffentl. Lehrer der russ. n. neugriecb. Spr. 
in Leipzig. K. Tauchnitz. 

100. Versuch, die ethnischen Verba 
in Conjog. zu ordnen. Von Dr. FHhlmmn. 
Doruat. Sewerin. 30 S. •/» Thlr. 

101. Die magyarische Sprache 
u. die etymologische Sprachtonsetzung. Von 
J.E.Khmm. Pesth. Geibel. 82 S. 8. »/.Tbl. 

b) Übersetzungen. 

8. Slawische Melodien. Von v 

Kapper. Lpzg. 1844, Kinhorn. X u. 156 S. 

9. Litthauisehe Volkslieder u. 

Sagen. Von W. Jordan. Berlin 1844, Sprin- 
ger. VIII u. 104 S. 

10. Siebenzehn Polenlieder. Von 
O. v. Wenckstent. Lpzg., O. Wigand. 47 S. 

11. Meine Gefangenschaft zu Pe- 
tersburg in den J. 1794, 1795 u. 1796. Von 
J. Ursin Niemcewicz. Deutsch von Dr. 
Stehler. Lpzg., Thomas. 191 S. 

c) Vermischte Schriften. 

54. Jerraak und seine Genossen. Von 
W. Müller. Sagengemälde. Berlin. Patt- 
kammer. 2 Thle. 271 u. 231 S. 2»/» Thlr. 

55. Der Fortschritt und das conservative 
Prinzip in Oestreich. In Benug auf die 
Schrift „Oestreichs Zukunft" Von Dr. S. 
Lpzg. 1844. Reclam. 166 S. 

56. Oestreich und seine Staatsmän- 
ner. Ansichten eines östreichischen Staats- 
bürgers über Oestreichs Fortschritt seit dem 
Jahre 1840. Zwei Bde. Eb. VIII u. 263 S. 

57. Revue östreichiseher Zustände. 
2. Bd. 213 S. Lpzg., Pb. Reclam. 1 Thlr. 

56. Oestreich. Städte, Länder, Per- 
sonen und Zustände. Hamburg, Hoffmann 
& Kampe. 240 S. l'/> Tlhr. 

59. Einige Bemerkungen über die Bro- 
chüre: Oestreich und dessen Zukunft. 
Von L. 8chick. Lpzg., Weygand. 34 S. 8. 

60. Oestreich und Ungarn. Leipzig. 
Weidmann. 65 S. 12. V* Thlr. 

61. Apologie des ungarischen Sla- 
wismus. Von S. H. Leipzig, Volkmar. 
133 S. »/♦ Thlr. 

62. Ungarns Industrie und Kultur von 
J. t». Craplowics. Lpzg., O.Wigand. »/»Thlr. 



j3) Z e it sehr 

Augs», allgem. Zeitung. Juni, 
Juli, August 1843. Nr. 152. Aus Ostpreus- 
sen sucht Jemand die Beeinträchtigung der 
deutschen Bevölkerung in den russischen 
Ostseeprovinzen in Sprache, Nationalität und 
Religion als ungerecht nnd unzweckmässig 



iftenrevue. 

darzustellen. Eine Zuschrift aus Presbnrg 
schildert die Bemühungen der Regierung:, 
das wahre Wohl Ungarns zu befördern und 
theilt die Rede mit , welche der Hofkanxler 
bei der Uebergabe der königlichen Propo- 
sitionen den Ständen hielt. In einem zweiten 



Digitized by Google 



373 



Schreiben wird der Streit erhoben, ob die 
kroatischen Deputirten auch in lateinischer 
Sprache sprechen durften. Nr. 153 wird 
die Steuerfrage Ungarns naher besprochen; 
anter anderem auch die lateinische Sprache 
im Gebrauche auf dem Reichstage und in 
Komitaten deshalb anempfohlen, weil sie es 
verhindert habe, dass nicht jeder Halb- oder 
Ungebildete sich des lebendigen Wortes be- 
mächtige, wie jetzt. Nr. 154. wird die Rede 
des königlichen Personals über den gegen- 
wärtigen Zustand Ungarns in ihrer Ganzheit 
mitgetheilt Nr. 155. bringt Hr. Lukacs eine 
Schilderung der Parteien und ihrer Anfüh- 
rer an dem ungarischen Landtage. Ein an- 
derer Artikel bespricht die jetzige slawische 
Bevölkerung in Europa nach einer russi- 
schen Quelle f gibt sich aber dabei die 
Blosse, nicht zu wissen, dass alle die An- 
gabe nicht ans Petersburg, sondern aus Prag 
stammen, da sie nämlich von dem Peters- 
burger sein sollenden Korrespondenten aus 
Schafarik's Ethnographie entnommen sind. 
Freilich liegt Petersborg der Beachtung der 
allgemeinen Zeitung näher, als die böhmi- 
sche Literatur. Nr. 157. werben die Be- 
strebungen der russischen Regierung, die 
Pferdezucht zu vervollkommnen , besonders 
hervorgehoben. Nr. 158. wird Klauzal ge- 
lobt, weil er den ungarischen Reichstag be- 
wog, die königl. Propositionen eher zur 
Berathung vorzunehmen, als die Gravamina 
oder Beschwerden der Stände. 162., Beil. 
Vertheidigung des ungar. Adels gegen Ari- 
stokratismus. Das deutsche Interesse in 
Ungarn besprochen. 163. u. 164. Beil. un- 
tersucht mit vieler Sachkenntniss die euro- 
päische Seite der serbischen Frage. 166. 
und 167. eine kräftige Antwort des Slowa- 
ken Stur, gegen die heuchlerischen u. ver- 
laumderischen Anklagen, Verunglimpfungen 
und Verdächtigungen des Magyaren Lukacs. 
169. Ueber die Repräsentation der ungari- 
schen Städte. 170 und 171. Berichte über 
Ungarns Landtag, das Instruktionswesen, den 
Sprachstreit u. dergl. 172 und 173. Akten- 
massige Darstellung der Ereignisse in Dor- 
pat und die Absetzung dreier Universitäts- 

Srofessoren daselbst. 174. wird ein Ukas 
er russischen Regierung mitgetheilt, kraft 
dessen der Adel vom Neuen beanftragt 
wird, bei den Adelsversammlungen in den 
Distriktslandtagen persönlich zu erscheinen. 
Aus Ungarn werden die Beschlüsse des 
Reichstages mitgetheilt: 1) dass die bei 
Schliessung gemischter Ehen von den Ka- 
tholiken abverlangten Reserve über die Er- 
ziehung der Kinder in Zukunft unterbleiben 
müssen und die bisher ausgestellten ungül- 
tig werden (also rückwirkend V); 2) dass die 
Verpflichtung, sich längere Zeit von den 
katholischen Geistlichen unterrichten zu las- 
sen, ehe man zu einer anderen Konfession 
übertreten dürfe, aufgehoben sei; 3) dass 
von geschiedenen Eheleuten der nicht ka- 
tholische Theil wieder heirathen dürfe; 4) 
dass also in Ungarn, so wie in Kroatien in 



Religionssachen vollkommene Freiheit zu 
bestehen habe. 174 und 175. Ein sehr be- 
achtenswerther Artikel aus dem Zollvereins- 
blatte über die Handels-, Industrie- und 
Ackerbauverliältnisse zwischen Deutschland 
und Ungarn. 177 und 178. Ein Gesammt- 
bericht über die Beschäftigungen des unga- 
rischen Reichstags, mit Schilderungen seiner 
Koriphäen, unter anderen auch die Tnro- 
potyer Angelegenheit besonders besprochen; 
ausserdem noch ein Bericht des russischen 
Ministeriums der Volksaufklärung. 179. Ein 
Bericht über Schmeller's „Blick auf die 
nachbarliche Slawensprache in Böhmen" in 
den Münchner gelehrten Anzeigen. Schmel- 
ler ist ein achtungs werther Gelehrter, wel- 
cher die slawischen Verhältnisse besser kennt, 
als die meisten seiner Landsleute. Nr. 184. 
Eine Schilderung des serbischen National- 
lagers bei Topscbider, die von einem Au- 
genzeugen zu sein scheint. Nr. 184. u. 185. 
Eine Entgegnung auf Stur's „Sprachen kämpf 
in Ungarn in den Nummern 166 und 167, 
voll Entstellung der Thatsachen und Be- 
schuldigungen, denen jeder Grund mangelt. 
Wir können uns nicht genng wundern, dass 
auch der sonst etwas besonnenere Lukacs 
Bich zu solchen Dingen hergibt. Nr. 187. 
Eine neue Klage über die Uebergriffe der 
Magyaren vom deutschen Standpunkte, von 
einem Siebenbürger. Nr. 188. Die Stände- 
tafel verpflichtet die Prinzen uud Prinzes- 
sinnen der regierenden Familie, die magya- 
rische Sprache zu erlernen; auch beschliesst 
sie, fortan lateinische Vorträge nicht mehr 
zu dulden , so dass die kroatischen Depu- ' 
tirten gezwungen sind, um neue Instruktio- 
nen einzukommen- weil ihnen anbefohlen 
war, nur lateinisch zu sprechen. Nr. 190. 
Das neue Gesetz über die Geldregulation in 
Russland , vollkommen abgedruckt. — Eben 
so der Repräsentationsentwurf znr Unter- 
breitung der Gravamina und Postnlate des 
Landes und in Betreff der königlichen Pro- 
positionen. Nr. 192. Der Triester Korn- 
markt und Ungarn, von Sporer, klagt über 
den Mangel an Verbindungswegen in Un- 
garn. Nr. 193. „Graf Thun über die Stel- 
lung der Slawen in Ungarn.* 4 Der Korrespon- 
dent bemerkt: „Wir sehen zwei hochge- 
stellte Repräsentanten zweier der bedeutend- 
sten Völkerstämme des Kaiserreichs tief- 
greifende Fragen der Politik mit einem 
Freimuth, einem Selbstbewusstsein , einem 
Vertrauen auf die Zukunft, an welche beide 
appelliren, vertheidigen , und zwar mit ih- 
res Namens Unterschrift, unter Östreiclüscher 
Censur, dass wir gestehen müssen, Deutsch- 
land hat in diesen Sphären diesem Beispiel 
nicht eben viel an die Seite zu 'setzen. Der 
bis zum Uebermuth gesteigerte 
Stolz spricht aus dem Ungar, die 
wahre Liebe zu seinem Volke aus 
dem Slawen. Er verhehlt den Magyaren 
nicht, wie sie den gegen den Slawen und 
Deutschen geübten schmerzlichen Druck noch 
durch den Hohn der Verachtung vergiften, 



Digitized by 




3T# 



wie sie dadurch ihren Staat, dessen Eini- 
gung nnd Stärkung sie erstreben, in Zwie- 
tracht und Schwäche stürzen. Nr. 197. Das 
königliche Rescript über die gemischten 
Ehen in Ungarn, im lateinischen Original 
mit deutscher Uebersetzung. Die Magnaten- 
tafel bleibt konservativ. Die kroatischen 
Deputirten bleiben , nach ihren neuen In- 
struktionen, bei der lateinischen Sprache; 
aber der Ban und der Bischof von Agram 
sprechen wiederholt magyarisch. Nr. 196. 
Eine Vertheidigung des Lord Dudley Stuart 
und der Gesellschaft der Polenfreunde ge- 
gen die früher erwähnten Artikel. Nr. 200. 
Eine magyarische Bibliographie vom Jahre 
1803 besprochen. Nr. 201. Ein Auszug ans 
dem Jahresbericht des russischen Ministe- 
riums der Volksaofklärung, in welchem die 
Fortschritte der geistigen Bildung durch die 
schlagendsten Beweise, nämlich durch Zah- 
len und Fakten, dargestellt werden. Nr. 207. 
werden die Hauptanführer der Parteien am 
ungarischen Landtage kurz skizzirt, dann 
aber die Stellung und die ausserordentlichen 
Leistungen des Grafen Stephan Szccbenyi 
dargestellt, dessen Charakter immer reiner 
und vortrefflicher sich darstellt, je weiter 
er in der Bekämpfung der radikalen Sturm- 
schrittpartei fortschreitet. Nr. 209., Beil., 
wird die katholische Geistlichkeit im Gross- 
herzogthum Posen gegen die Verdächtigung 
vertheidigt, als wolle sie den ganzen Unter- 
richt des Volkes an sich reissen. Nr. 212., 
213. u. 214. In der Beilage berichtet Herr 
M. Wagner über seine Heise auf den Ararat 
und den daselbst 1840 stattgefundenen Aus- 
bruch eines vulkanischen Elementes. Nr. 
219. Ueber den Kampf der Kroaten gegen 
das ihnen aufgedrungene Magyarenthum. 
Der Korrespondent beweist mit der grossten 
Evidenz , dass weder im allgemeinen noch 
in dem besonderen ungarischen Staatsrechte 
eine Begründung liege, aus welcher man 
nur im Entferntesten die Verpflichtung her- 
leiten könne , dass die kroatischen Deputir- 
ten sich einer anderen Sprache bedienen 
sollten, als der, welche man seit Jahrhun- 
derten an dem ungarischen Reichstage ge- 
sprochen habe. Auch gibt er deutlich ge- 
nug die Gründe an, warum sich die Depu- 
tirten gegen das Magyarische stemmten. Aus 
dem „Antrieb der Selbsterhaltung," weil 
„die kränkende Absicht der ungarischen 
Stände klar am Tage liege, ihre alten Rechte 
zu schmälern." Auch sieht der Verf. (und 
wir mit ihm) kein anderes Mittel, die be- 
leidigenden Ausfälle der beiden Parteien u. 
den Kampf, welcher störend und unheil- 
bringend in allen Verhandlungen wirke, zu 
beendigen, als durch Einschreiten der Re- 
gierung. Aber „um so dringender erscheine 
die Notwendigkeit einer Abhülfe für die in 
so traurige Lage versetzten Nebenländer, 
da sonst die in Fragen der Monicipalität, 
Nationalität und Integrität gefassten Be- 
schlüsse als ungültig betrachtet werden müs- 
sen." Und nachdem die am Landtage ver- 



sammelten Stände Ungarns, statt die Rechte 
einer durch viele Jahrhunderte verbundenen 
Schwesternation zu beschützen, sie vielmehr 
selbst mit Füssen zu treten beschlossen ha- 
ben, so bleibt der kroatisch -slawonischen 
Nation sonst nichts übrig, als bei dem kö- 
niglichen Throne Sr. Majestät, von welchem 
allein sie mit kindlichem Vertrauen eine 
baldige Linderung den tiefgefühlten Schmer- 
zes und wirkliche Abhülfe des gegenwärtigen 
Uehels zu erlangen hofft. Nr. 229 und 230. 
Eine Antwort von Stur gegen die oben 
erwähnte Replik v. Lokacs, worin Stur 
darthut, dass ihm Lukacs indirekter Weise 
wenigstens zugesteht, dass die Slawen ge- 
klagt haben, und setzt hinzu 1) dass sie 
ihre Klagen mit Thatsachen begründet; 2) 
gebe Lnkacs zu, dass die Slawen einige 
Klagepunkte den Magyaren mitgetheilL Den 
Einwurf seines Gegners, die Slawen Ungarns 
hätten keine politische Fähigkeit, führt Stur 
dahin zurück, dass sie die galoppirende 
Wuth der magyarischen Reform allerdings 
nicht theilen, aber wie ja die Instruktionen 
der kroatischen Komi täte hinlänglich dar- 
thaten, für einen gemässigten Fortschritt, der 
freilich der Politik des Pesti Hirlap stagni- 
render Konservatismus scheinen mag, sich 
entschieden erklärt hätten, da jene Instruk- 
tionen theils für die Uebernahmen einer re- 
gelmässigen Steuer von Seiten des Adels 
oder wenigstens freiwilliger Beiträge laute- 
ten. Ferner beschuldigt Stur seinen Geg- 
ner der Dreistigkeit, wenn er behaupte, die 
Slawen seien der angreifende Theil; es sei 
das an sich so evident und jede der in Leip- 
zig erschienenen Brochüren zeige auf den 
ersten Blick, dass sie eine reine Vertheidi- 
gung enthalte. Dagegen seien die Schriften 
der Gegner, welche das Unrecht entschul- 
digten, beschönigten, Angriflsschriften , zu 
welchen auch der Aufsatz des Herrn v. Ln- 
kacs mit vollem Rechte zu rechnen sei. Die 
Anzahl dieser Broschüren sei nicht gross 
(nicht 30, wie Lukacs meint, sondern etwa 
12), aber jede enthalte eine reiche Anzahl 
von Fakten zur Unterdrückungsgeschichte der 
slawischen Sprache in Ungarn, „ja die ma- 
gyarischen Ultras selbst arbeiten fleissig an 
dem Sündenregister der Magyarisirung." 
Denn mit welchem Jubel wird es in den an- 
garischen Zeitungen angegeben: wo und wie 
in einer rein slawischen Gemeinde der ma- 
gyarische Gottesdienst eingeführt, wie im 
diesen oder jenen rein slowakischen Dorf- 
schulen magyarisch unterrichtet werde, wel- 
che Hoffnungen man hege, das Dorf in kur- 
zer Zeit magyarisch zu sehen, welche Mass- 
regeln man bereits dazu getroffen habe, wie 
man es bedaure, das Wort Gottes noch in 
so vielen Gemeinden in dieser fremden 
Sprache predigen zu hören, wie diese Spra- 
che in der Kirche lange noch nöthig sein 
werde u. s. w. Nicht nur einzelne Gemeine 
den, sondern ganze Bezirke, als: Gömmör, 
Kis-Honth, Neograd, Pesth, Hegyallya, Bec- 
kes, Bacs und jenseits der Donau die be>— 



Digitized by Google 



reits schon fast unterdrückten slowakischen 
und wendischen Gemeinden) dann in Zemp- 
lin, Ahaajvar die 21 reformirten slowaki- 
schen Gemeinden liefern Belege nnd That- 
sachen, welche Ton Vielen nur darum be- 
zweifelt werden, weil sie zu ärgerlich and 
in der Hungaria polyglotta einzig unnatür- 
lich sind. Uebrigens was hat die eifrige 
Anschaffung von magyarischen Schulbuchern 
und Verbreitung derselben unter den slawi- 
schen Bauerkindern, so wie auch die Ueber- 
wachung der Dorfschulprüfungen in manchen 
Gegenden von Seiten des Komitats oder 
von den der Magyari&irung wegen gebilde- 
ten Gesellschaften zu bedeuten? Weiter 
begegnet der Verf. dem Einwurfe, warum 
denn der slawische Adel in den Komitaten 
die Sache der slawischen Nation nicht bes- 
ser vertrete, dadurch, dass er zeigt, die 
Slawen wurden durch ihre eigenen, aber von 
ihrem Volke abgefallenen, sich der Mode 
anschmiegenden, von vorgefassten Meinungen 
geleiteten Stammgenossen übervortheilt und 
zurückgesetzt. Wenn Herr Lukacs aufrich- 
tig sein wollte, so hätte er Herrn Stur 
diese Verhältnisse selber am deutlichsten 
darstellen können; denn nur darum verwei- 
gerte die magyarische Partei den Slowaken 
so lange Zeit die Krlaubniss zu einer eige- 
nen in slowakischer Sprache herauszugeben- 
den Zeitschrift, weil sie voraussieht, dass 
sobald man vermittelst dieser im Stande sein 
wird, dem slowakischen Adel die Sache ih- 
rer Nation und die wirklichen Bedurfnisse 
der Heimath in ihrem wahren Lichte zn 
zeigen, sich die Reihen der magyarischen 
Renegaten sehr bald lichten werden, weil 
sie dann gar bald zu der Einsicht gelangen 
werden, dass sie von der Deklamatorik des 
Pesti Hirlap und der frechen Anmassung 
seiner Konsorten schmählich betrogen wor- 
den sind. Als rein slawische Komitate gibt 
Stur das Sohler, Liptauer. Thurotzer, Ur- 
vaer, Trencziner und mit geringer Aus- 



nahme auch das Neutraer und Saroser Ko- 
mitat an. Ueber die Anzahl der Magyaren 
und Slawen will Stur nicht länger mit Lu- 
kacs rechten ; nur könne er nicht für gut 
erkernen, dass man 'mit Lukacs alle dieje- 
nigen zn Magyaren rechne, 1) die sich 
selbst als solche anerkennen, 2) die magya- 
rische Sprache rein und fehlerfrei sprechen 
und 3) sich ihrer im häuslichen und ande- 
rem Verkehr bedienen. Auf die Frage sei- 
nes Gegners, in welchen Komitaten sich der 
niedere Adel für den Gebrauch seiner Mut- 
tersprache in öffentlichen Verhandlungen 
kräftig ausgesprochen hätte, antwortet Stur: 
im Neutraer, Liptauer, Thurotzer u. Tren- 
cziner. Bei der Städteangelegenheit sieht 
Stur mit Recht den Hauptgrund, warum 
man den Städten nur eine geringe Anzahl 
Stimmen geben wolle, darin, weil man ihre 
deutschen und slawischen Elemente furchte« 
Ueber die in einer früheren Nummer gege- 
benen Darstellung der magyarischen Litera- 
tur spricht sich der Verf. dahin aus, es 
seien dort die unbedeutendsten Schriftchen 
derselben mit aufgezählt; übrigens hätten 
die meisten von den dort angeführten „äus- 
serst wenig zum Kapital der Intelligenz bei'm 
Magyarenvolk beigesteuert, und Niemand 
vermöge zn leugnen, dass erst von da von 
einer magyarischen Literatur die Rede sein 
könne, seitdem die magyarische Sprache zur 
gesetzlichen erhoben worden." Seine An- 
klage gegen Pesth als Sitz der evangelischen 
Kirchenkonvente begründet Stur dadurch, 
weil daselbst eine Menge von Advokaten und 
Juraten sich aufhalten, welche alle, selbst 
die zufälliger Weise hinkommenden soge- 
nannten Honoratioren Sitz und Stimme da- 
bei haben und durch ihr wildes Gebrüll 
jedes Durchdringen der slawischen Superin- 
tendenten unmöglich machen* Nr. 233. Sta- 
tistische üebersicht über Finnlands nationeile 
Industrie und Kulturverhältnisse. 



VII. 

Misoellen. 



Graf Szechenyi in seiner Rede über 
die ungarische Akademie schildert die Thä- 
tigkeit des Ultramagyaren mit folgenden Zü- 
gen: „Und nun frage ich, und frage es von 
den Haupthitzigen unseres Vaterlandes: blie- 
ben sie denn bei dem, was das Gesetz be- 
fiehlt, nämlich, dass an die Stelle der la- 
teinischen Sprache die ungarische trete ; und 
irrten sie denn nicht manchmal über diese 
Gränzen hinaus? In die Mitte älterer An- 
stalten und Vereine, wo die Sprache nicht 
die ungarische war, weil auch ihre Stifter 
nickt Sprachkundige waren, drang sich denn 
nicht das Ungarthum hie und da von heute 



bis morgen mit Gewalt ein? Wurde nicht 
in mancher Versammlung, in mancher Un- 
terhaltung — ach Gott, ist das nicht Unter- 
haltung der Kinder? — wurde nicht der un- 
garischen zu lieb — zwar nur zum Versuch 
— jede andere Sprache als Epidemie ver- 
bannt? Wie viele Reden sind denn nicht, 
theils aus Grundsatz, theils auf Befehl, an 
solche Zuhörer gerichtet worden, deren 
zehnter Theil das nicht als Seelennahrung 
zu sich nehmen honnte? Hatte sich denn 
die ungarische Sprache nicht auch in das 
Kleinste, welches sie wegen Mangel an Zeit 
nicht von heute bis morgen ungarisch um- 



Digitized by Google 



gestalten konnte, hat sich die ungarische 
Sprache nicht auch hier über Hals and Kopf 
eingebohrt? und wenn sie dazu zu schwach 
war, Hess denn nicht manches Organ der 
Oeifentlichkeit als ein hoher Goliath seinen 
nationrächenden Zorn erschallen? Und zu 
wie vielem Herabsehen ond Misshandlnngen 
gab es Veranlassung, wenn sich Jemand 
durch die Fluth dieser Geistesverirrung nicht 
wie ein seelenloser Klotz ganz wegstreichen 
liess , in diesem Vaterlande, wo gerade von 
jener Seite so manches hochtönende Wort 
gehört wird, von dem Ausharren, von der 
menschlichen Würde, von der ungerächt nicht 
verunglimpfbaren Freiheit u. s. w. , die die 
Hohenpriester solcher Tyrannei und Inpro- 
visationen sind. — Und wuchs denn dieser 
Alles überschwemmenwollende ungarische Ei- 
fer nicht so sehr, dass Derjenige, der muthig 
genug ist, sein Wort zu erheben mit noch 
so grosser Bescheidenheit, als wenn uns 
vielleicht eine kleine Schonung, ein wenig 
Geduld weiter führen könnte und das vater- 
ländische Gewächs besser reifen würde, als 
das jetzt 'moderne unaufhörliche Peitschen, 
welches Viele nicht weniger schlecht erach- 
ten, als die Knute; ist dieser übertriebene 
Eifer nicht so sehr angewachsen, frage ich, 
dass der, welcher die Sache in solcher Ge- 
stalt sieht und auch muthig sein Wort er- 
hebt, nicht ausgesetzt sei, mit dem wider- 
lichsten Schmutz des schlechten und feigen 
Patriotismus, ja sogar des Vaterlandsverra- 
tbes in allen Variationen befleckt zu werden 
von denen, deren — wie sie sagen — jeder 
Tropfen Blut für die gegenseitige Würdigung 
und das Prinzip der ganz freien Ideenrei- 
bung erglüht, und die ernste Feinde der 
Verläumdung sind? 

Huinm oder schlecht? *) Herr 

Sincerus bemerkt in seiner Uehersetzung 
von Szechenyi's Rede über die ungarische 
Akademie, S. 21, man dürfe den Wunsch 
des Grafen, die magyarische Sprache möchte 
allgemein werden , natürlich nur auf Ungarn 
beziehen, und setzt hinzu: „Einen solchen 
Wunsch kann und darf man keinem guten 
Vaterlandssohne zur Last legen.** Zwei 
Seiten darauf fordert er, man müsse den 
Ungar, d. i. Magyaren loben, dass er „die 
Sache seiner Nationalität bis auf's Aeusserste 
verfleht und sich hierin durch Nichts auf der 
Welt zu einem Vergleiche bewegen lässt" 
und setzt hinzu : „diese Zuversicht muss ein 
jeder Edeldenkende gegen alle civilisirten 
Nationen Europas hegen (nur gegen die Ma- 



•) Unter dieser Uebersebrift wollen wir von 
□ na an äbulielie zufällig um auf*to«*ende Kxpecto- 
rationell de« magyarischen Koeclitui>K«Kberalis- 
■ii mit karten Worten andeuten, Wir hoffen, 
unsere magjarweheo Freunde werden uns uoeb bin« 
ländlichen Stoff dazu geben; aelbat wenn wir gar 
nickt daraaf auageben , ihn su sammeln ; denu das 
kalten wir unter unserer Wurde, haben auch die 
Zeit nicht dazu. 



gyaren nicht, denn sie sind weder edelden- 
kend noch civilisirt). Und es wäre äusserst 
traurig, wenn man sich hierin doch täuschen 
müsste (bei den Magyaren täuscht man sich 
nicht, denn die tägliche Erfahrung und ihr 
Reichstag beweist es nur allzudeutlich); ja 
es wäre zu verzweifeln über das Loos der 
Völker auf Erden, wenn sie auf der Stufe 
der Aufklärung und der moralischen Bildung 
dahin gelangt wären oder doch baldigst ge- 
langen würden, dass sie die Rechte eines 
Nationalindividuums nicht so anerkennen, 
heilig halten und beschützen könnten oder 
wollten, wie sie es thun hinsichtlich eines 
einzelnen Menschen. Wenn dies denkbar 
wäre, wenn die Nationen, nachdem sie schon 
ein Nationindividuum, die Polen, erdolchen 
Hessen, auch noch eine zweite (wenn es die 
Slowaken wären , schadete es nichts , denkt 
der Verfasser) oder sogar dritte Nation um 
ihre Existenz oder nach nur um ihre Rechte 
bringen lassen und diesem Völkermorde ru- 
hig zusehen könnten, da wäre Europa wirk- 
lich würdig, dass es durch Russland tüchtig 
durchgepeitscht werde, ja dass über dasselbe 
eine neue Sündfluth komme, damit sie das 
Blut wegwasebe, welches zum Himmel um 
Gerechtigkeit schreit,** 

Wenigstens lächerlich! DerPesti 
Hirlap (bekanntlich eine ultramagyarische 
Zeitschrift) berichtete vor einiger Zeit: Se. 
k. k. Apost. Maj. hätten allergnadigst ge- 
ruht, dem Vesprimer Salzkontroleur Robert 
Schmidt zu ertauben, dass er seinen Namen 
„in den magyarischen Kovaci verwandele.* 4 
(Kovacs-kovacz ist reinslawisch, wie die 
Magyaren überhaupt überaus viel slawische 
Wörter haben). 

„Wahrlich, die Welt muss an dem Her- 
zen und dem Verstände der Magyaren irre 
werden, so gefühllos, so widersinnig und in- 
konsequent ist ihr Benehmen. Ihre Redner 
und Schriftsteller preisen bei jeder Gelegen- 
heit das feurigstolze magyarische National- 
gefülil-, sie nennen es ihr edelstes Gut, die 
sicherste Bürgschaft ihres Ruhmes; und da- 
bei entblöden sie sich nicht, dasselbe Ge- 
fühl der Slawen, und wohl auch der Deut- 
schen, einen verwünschten Nationalteufel zu 
nennen , den sie mit Gewalt austreiben wol- 
len. Sie fuhren beständig die schönsten Re- 
densarten von Freiheit und Gleichheit im 
Munde, und beweisen sich dabei als rück- 
sichtslose Despoten gegen Millionen; sie 
hassen und verdammen die Gewaltthaten 
Russlands in Polen und ahmen doch, das 
russische Verfahren genau nach, ja verlan- 
gen sogar, dass Galizien ihrem Reiche ein- 
verleibt und magyarisirt werden solle. "Wah- 
rend der letzten polnischen Revolution baten 
sie die Regierung um die Erlaubniss ? den 
Polen mit einer Armee zu Hülfe su ziehen, 
und jetzt wollen sie einen wesentlichen Theil 
Polens magyarisiren.** 

(Oestreich und Ungarn.) 



Digitized by Google 



an 



Ein Berichterstatter der Deutschen Allg. 
Ztg. schildert den magyarischen Hitzkopf 
KoBSuth mit folgenden Worten: „Kos- 
suth ist ein geborener (?) Repräsentant des Ma- 
gyarismus mit all seinen Fehlern and Vor- 
zügen, unduldsam und despotisch in Betreff 
aller anderen Nationalitäten , huldigt er der 
magyarischen mit brennendem Eifer. In dem 
Maass, als letztere sich über das weite Kö- 
nigreich vet breiten würde, sei abschliessend 
' grösseres Heil und schönere Blüthe in allen 
öffentlichen Dingen zu hoffen« Sein Libe- 
ralismus ist grossentheils eine rein theoreti- 
sche Abstraktion; er träumt z. B. von der 
Gründung einer Eisenbahn von Pesth nacli 
Fiume. Du lieber Himmel ! In einem Lande, 
wo der Wohlhabende um keinen Preis zah- 
len mag, das Geld sehr selten ist und man- 
ches kleine Institut, z. B. das sogenannte 
magyarische Nationaltheater in Pesth, nur 
durch Opfer und Anstrengungen künstlich 
erhalten werden kann! Er, ein geborener 
Protestant und liberaler Reformer Ton Pro- 
fession, freut sich gewiss des letzthin mit 
der römischkatholischen Hierarchie reichs- 
täglich gelieferten Kampfes. Wir wollen 
auch die Folgen desselben nicht verkennen, 
allein sonderlich praktisch können und wer- 
den sie nicht in einem Lande sein, wo täg- 
lich mindestens zehn Millionen Hände sich 
falten, und eben so viele Kniee sich bett- 
en, um zu irgend einem Heiligenbild an- 
ächtiglichst zu beten. Kossuth möchte sein 
Land binnen der Lebensfrist einer Generation 
gern zu dem, was Frankreich und England 
sind, gemacht sehen. Das ist ein sehr küh- 
ner Wunsch, dessen Erfüllung äusserst un- 
wahrscheinlich ist Allein er möchte gern 
noch mehr; er wünscht, die magyarische Na- 
tionalität zur geistig und politisch hervorra- 
genden zu erheben, und dieses Streben mag 
man wohl unbedingt ein chimärisches heissen. 
So ist Kossuth der Ausdruck der Generation, 
welcher er angehört, ungeduldig, voll ein- 
gesogener liberaler Allgemeinheiten, hart 
gegen die nicht magyarischen Nationen, von 
der fixen Idee der Magyarisation beinahe 
krankhaft aufgeregt; dabei im Detail doch 
voll guten Willens, kein sonderlich kombi- 
natorischer Kopf, aber ein hinreissender 
Redner und trefflicher Stylist." (Bekanntlich 
ist er ein geborener Slawe). 

Der Schematismus (Adresskalender) des 
griechisch-katholischen Clerus der Przemysler 
Diöcese in Galixien vom Jahre 1843 gibt 
folgende statistische Nachrichten über die- 
selbe. Die Diöcese umfasst zehn Kreise, hat 
vierzig Dekanate, 550 Pfarreien, 142 Kapla- 
neien und 60 Kooperaturen ; 1288 Kirchen, 
7 Basilianerklöster mit 41 Mönchen. Die 
Seelenzahl der Griechisch- Katholischen in 
der ganzen Diöcese beträgt 846,794. Davon 
sind im Dekanate Przeniysl 20,994, Pruchnic 
9124, Jaroslaw 33,070, Jawor 39,227, Sado- 
wa wiszn. 19,830, Niiankowic 16,143, Mo- 
scic 24,957. Also leben im Przemysler 



Kreise 175,343 griechische Katholiken. Im 
Rzesower Kreise hat das einzige gr.-kath. 
Dekanat Kanczug mit 9 Pfarreien 10,673 S. 
Im Zolkiewer Kreise hat das Dekanat Zol- 
kiew 25,'>65, Beiz 16,396, Sokal 9111. Tar- 
takow 8039, Waren* 7346, Uhnow 18,087, 
Potelicz 32,851, Lubaczow 30,188, Oleszyce 
12,732, Kulikow 13,965, mithin der ganze 
Zolkiewer Kreis 174,300 gr. Kath. Im Sam- 
borer Kreis das Dekanat Sambor 21,897, 
Komazno 23,214, Horozana 13,903, Mokria- 
ny 32,100, Drohobycz 49,290, Wysoczan 
(Wysokie) 29,551, Zukotyn 18,404, Stary 
Sambor 34,880, Starasol 22,034, also im 
ganzen Samborer Kreise 245,273. Im Sano- 
ker Kreise hat das Dekanat Jasliska 24,837, 
Baligrod 11,450, Zatwarnice (Zwiniacz) 
20,820, Olchowce 8961, Sanok 18,818, Bircza 
20,048, Lisko 18,355, Dobromil 21,885, 
Ustrzyki 14,945, mithin im Sanoker Kreise 
160,119. Im Jasloer Kreise hat das Dekanat 
Dnklo (Mszanna) 18,603, Krosno 6610, Biec 
(Krywa und üscie Ruskie) 23,245, mithin 
der ganze Kreis von Jaslo 48,468. Im San- 
decer Kreis hat das Dekanat Muszyn (La- 
bowa und Tylicz) 32,626. 

Bei Scutari, an der asiatischen Küste, 
soll eine polnische Kolo nie unter der 
Leitung der französischen Lazaristen ange- 
legt werden. Ihre dortige weitläufige Be- 
sitzung soll polnischen Kolonisten zur Be- 
bauung übergeben werden. Das Pariser und 
Londoner Polenkomitd soll zugleich dem 
Orden ansehnliche Unterstützung an Geld 
zugesagt haben. Aufnahme finden sollen 
hier alle Polen, welche der russischen Kau- 
kasusarmee entflohen, so wie alle, welche 
von den Tscherkessen gefangen genommen, 
später nach der Türkei und den anliegenden 
Ländern als Sklawen verkauft, nach und 
nach durch die weitreichenden Verbindungen 
des Lazaristenordens wieder ihre Freiheit 
erlangt haben. 

Die russische Regierung hat einen von 
dem sibirischen Koinitd gemachten Vorschlag, 
dass jedem Bewohner Ostsibiriens, welcher 
eine Tochter einem Verwiesenen zur Ehe 
gibt und diesen alsdann als Mitglied in sein 
Haus aufnimmt, eine gewisse, für jene Ge- 
gend nicht unansehnliche Summe Geldes als 
Belohnung gegeben würde, begutachtet. 

Cernagora (Montenegro) enthält nach 
dem Journ. d. Östr. Lloyd 60 □Meilen, 
auf denen in 39 Gemeinden 11,700 Familien, 
bestehend aus 107,000 Köpfen, wohnen, so 
dass also auf die □ Meile 1780 Einwohner 
zu rechnen sind, eine sehr auffallende Er* 
soheinung, da der Boden sehr wenig frucht- 
bar und fast durchweg Alpenland ist. Ver- 
gleicht man damit die schönen und frucht- 
baren Ebenen der Türkei, wo durchschnitt- 
lich nur 1100 Einwohner auf die □ Meile 
zu stehen kommen, so gibt uns das den 
schönsten Beweis für den ausserordentlich- 
sten wohlthätigen Einfluss, den eine freie 



5 



Digitized by Google 



und nationeile Staatsverfassung auf die Po- 

Culation ausübt. Noch grösser wird der 
nterschied, wenn man einzelne Gegenden 
gelbst betrachtet 60 haben die fruchtbaren 
Landstriche, z. B. die Kattuns ka Nahia, 
nicht weniger als 4t>40 Seelen auf der Qua- 
dratmeile, während in der Türkei (natur- 
lich mit Ausnahme der .Städte) nirgends ein 
solches Verhältniss zu finden ist. 

Dr. Johann Schafarik, Bruderssohn 
des Geschichtsforschers, Professor der Phy- 
sik an dem Ljceum in Belgrad, hat auch 
angefangen, Vorlesungen über die Geschichte 
und Literatur der Slawen zu halten. Diese 
sind für Jedermann zugänglich und finden 
alle Sonn- und Feiertage statt. Die Theil- 
nahme, welche man denselben zollt, ist aus- 
serordentlich. Alt und Jung drangt sich her- 
bei, zu hören, welche Schicksale nicht blos 
den eigenen Stamm, sondern auch die ver- 
brüderten Völkerschaften des weiten Slawen- 
thums betroffen haben. So hat denn die 
nationale Erhebung wieder einige neue gute 
Früchte getragen. 

Die k. k. Land wirthschaftgesell- 
schaft in Laibach gibt seit dem ersten 
Juli d.J. eine landwirtbschaftlich-industrielle 
Zeitschrift in krainischer Sprache heraus, 
welche .wir bereits im 2. Hefte S. 155 der 
Jahrb. ankündigten. Dieselbe erfreut sich einer 
allseitigen und besonders der Theilnuhme 
ihrer Landsleute. Der Zweck derselben 
ist vor Allem Belehrung des Landvolks und 
der Gewerbsleute über die ihre Beschäfti- 
gung zunächst berührenden Gegenstände. 
Zur Abwechselung und grösseren Anspor- 
nung der Leselust werden aber auch man- 
cherlei andere Aufsätze allgemein belehren- 
den oder unterhaltenden Inhalts mitgetheilt. 
Die Hauptrubriken, in welche der Gegen- 
stand der „Kmetijske in rokodelske novize" 
zerfällt, sind folgende: 1) Landwirthschaft- 
liches: alle Zweige der Oekonomie umfas- 
send, auch populäre Aulsätze aus der Na- 
turgeschichte, Botanik, Physik, Thierheil- 
kunde u. dgl. enthaltend. 2) Industrielles: 
ausführliche oder kurze Mittheilungen über 
die Fortschritte der Industrie, neue gemein- 
nützige Erfindungen im Gebiete derselben, 
sobald sie dort praktisch anwendbar. 3) 
Oeffentliche Verordnungen , Verlautbarungen 
und Belehrungen aus dem Gebiete der Land- 
wirtschaft und Industrie. 4) Vaterländische 
Ereignisse im Gebiete der Oekonomie und 
Industrie. 5) Auswärtige, auf Krain Bezug 
habende Nachrichten desselben Inhalts. 6) 
Gemeinnützige Miscellen , Topographien, 
Biographien und andere Kleinigkeiten heite- 
ren, belehrenden, anregenden Inhalts. 7) 
Eine fortlaufende Marktpreistabelle aus Lam- 
bach und Krainburg. 8) Anzeigen neuer sla- 
wischer Bücher, neuer Werkzeuge u. dgl. 
Die Novize erscheinen in krainischer Sprache ; 
doch werden auch Artikel von sprachkundi- 



gen Männern in den andern Mundarten des 
südslawischen Dialektes aufgenommen; auch 
hie und da Aufsätze in der illyrischen Or- 
thographie abgedruckt, da Se. kais. Ho- 
heit, der durchlauchtigste Herr Erzherzog 
Johann, sich hierüber selbst wohlgefällig 
ausgesprochen haben; doch wird das Blatt 
selbst niemals zum Tummelplatze sprachlicher 
Federkriege hergegeben. Von der Zeitschrift 
erscheint jeden Mittwoch eine Nummer zu 
einem halben Bogen gross Quart und kostet 
ganzjährig 2 Kl. C. M. Den buchhändleri- 
schen Vertrieb hat der Buchdrucker Herr 
Blasnik in Laibach. Die Redaktion führt 
der Ausschnss der k. k. Landwirthschaftge- 
sellschaft in Krain und ist dieselbe dem 
eben so verdienten als gewandten und geist- 
reichen Herrn Prof. Dr. Bleiweis anvertraut 
Ks lässt sich von diesem Unternehmen ge- 
wiss der schönste Erfolg erwarten und wir 
können bei dieser Gelegenheit nicht umhin, 
unsere Freude über diese Erscheinung mit 
vollem Herzen Öffentlich auszusprechen, un- 
seren stammverwandten Gesellschaften in 
den übrigen slawischen Ländern aber von 
Neuem die Pflicht an das Herz zu legen, 
für die Bildung des Volkes, der grossen 
Massen zu sorgen ; denn nur diese beweist 
den Höhepunkt nicht blos der Literatur, 
sondern der moralischen Vortrefflichkeit einer 
jeden Nation. 

Herr Joh. Kotlar (Verf. d. Slawy dcera) 
küngigt als mit Anfang des künftigen Jah- 
res erscheinend, bereits über die Hälfte ab- 
gedruckt, den zweiten Theil seiner: „Kazne 
a Reci (Predigten und Reden)" sonntäg- 
liche, festtägliche und Gelegenheitsreden zur 
„Erhebung der frommen Volkstümlichkeit" 
an. Dieser Theil, unabhängig vom ersten, 
aber ein Ganzes mit ihm bildend, etwa 
50 Bogen stark, mit den alten schwabacher 
Lettern (der Uebereinstimmung mit dem er- 
sten Theile von 1631 wegen) gedruckt, wird 
sich in seinem Inhalte von dem ersten nur 
dadurch unterscheiden, dass er nicht allein 
die Gegenstände des lokalen, slowakischen 
Vereins, sondern die allgemein christlichen 



Interessen 



int 



t besonderem Hinblick auf 



den Geist der Zeit und die Bedurfnisse der 
Nation" behandeln wird. Mit Recht klagt 
der geehrte Verf. in seiner Ankündigung, 
die Slowaken hätten, da sie weder eine Ma- 
tice noch Buchbandlungen oder Verleger, 
keine Akademie noch gelehrte Gesellschaft, 
keine reichen Mäcenen noch Beförderer der 
Literatur haben dürften, kein anderes Mittel, 
Bildung nnd Aufklärung unter das Volk zu 
verbreiten, als das, dass sie solche Bücher 
unter demselben verbreiten. Wir unserer- 
seits wünschen dem Buche nicht blas Aus- 
breitung in der Heimath, sondern anch un- 
ter den übrigen slawischen Völkern, deren 
einzelne, die Serben und Polen, den Werth 
dieser Reden durch üebersetzungen bereits 



Druck tos J. B. Dirscbfeld in Lei p* ig. 



Digitized by GooqI 




für 

slawische 

m 

> 

Literatur, Konst und Wissenschaft, 

„Verständigung! Versöhnung! Vereinigung!" 



I. Jahrg. 0 043, «. Heft. 

I. 

Wie könnte in den Gymnasien Böhmens, Mährens nnd Schlesiens dem 
allerhöchsten Willen Sr. Majestät hinsichts des Unterrichts der böh- 
mischen Sprache einigermassen Genüge geleistet werden? 

Der allerhöchste Befehl Sr. kais. Majestät vom Jahre 1816, wieder erneut 
im Jahre 1835, ordnet allergnädigst an, dass die Schüler nicht allein auf den 
böhmischen, sondern auch auf den rein deutschen Gymnasien von fähigen Lehrern 
in der böhmischen Sprache, im Ueberselzen ins Böhmische und im Abfassen 
böhmischer Aufsätze unterrichtet werden. 

Damit nun diesem allergnädigsten und väterlichen Willen und dem unabweis- 
lichen Bedürfnisse unseres geliebten Vaterlandes Genüge gethan werden könnte, 
so schlagt in dem Herzen eines jeden wahren Vaterlandsfreundes der heisse Wunsch: 
es möchte doch auch in dieser Anordnung des Unterrichts eine gewisse Ordnung 
festgestellt und dem Lehrerpersonale auch die Mittel an die Hand gegeben wer- 
den,'- womit der allerhöchste und allergnädigste Wille erfüllt und das für die 
Beglückung unseres Volkes nothwendige Ziel erreicht werden könnte. Denn weil 
«lieser Unterricht einem jeden Schüler wie Lehrer bis diesen Augenblick freige- 
stellt ist, und da der Mensch nach seiner angeborenen Langsamkeit selten etwas 
Aber die ihm auferlegte Verpflichtung hinaus leistet, ja auch die edelsten und 
eifrigsten Seelen ohne höhere Unterstützung und wiederholte Aufmunterung mit 
der Zeit ermüden und ermatten, so ist es kein Wunder, dass der allerhöchste 
Wille in dieser Hinsicht bis zur Stunde weder gänzlich ausgeführt, noch dem 
lauten Bedürfnisse der Nation abgeholfen werden konnte. 

Nicht im Stande, das allgemeine Bedürfniss und den sehnlichsten Wunsch 
aller guten und umsichtigen Landesbewohner zu veröffentlichen, bin ich meiner- 
seits der Ansicht, dass so lange wir noch keine besonderen und ausschliesslich 

1Slaw. Jabrb. I. * 50 



Digitized by Google 



zu diesem Zwecke bestellten böhmischen Lehrer 0 ) an den Gymnasien haben, es 
unterdess wenigstens hinreichen würde, wenn bis zur vollständigen Erfüllung des 
allerhöchsten Willens in den Gymnasien Böhmens, Mahrens und Schlesiens wenig- 
stens zwei, in den deutschen aber wenigstens Tier Stunden wöchentlich in einer 
jeden Klasse auf den ausserordentlichen Unterricht in der böhmischen Sprache 
verwendet würden, so dass man in den ersten zwei Klassen Böhmisch lesen und 
schreiben, mit Rücksicht auf die allgemeine Regel, lernte, die Bedeutung der 
Worte sich einprägte, ihre Wurzeln nach Möglichkeit untersuchte, und was in 
den regelmässigen Lehrstunden aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt wor- 
den, hier auch zugleich in das Böhmische übertrage; dass dann in der dritten 
und vierten Klasse die böhmische Grammatik mit der Orthographie vorgetragen, 
dass fleissig mündliche und schriftliche Uebersetzungen aus dem Lateinischen und 
sorgfällige Rücksicht dabei auf Grammatik und Orthographie, so wie besondere 
auf den Geist der Sprache genommen würde; dass endlich in der fünften und 
sechsten Klasse neben den Uebersetzungen ans dem Lateinischen, Griechischen und 
Deutschen die Schüler auch über die Syntax der böhmischen Sprache und die 
analogische Ableitung der Wörter unterrichtet und in der Abfassung schriftlicher 
Aufsätze nach den in der Klasse vorgetragenen Regeln geübt würden. 

An den Gymnasien, wo es weniger Schüler gibt, könnten je zwei Klassen 
zusammenkommen, so dass das, was der niedrigen Abtheilung als neu vorgetra- 
gen würde, der höheren zur Wiederholung diente, besonders in der dritten und 
vierten Klasse, wo man alljährlich mit der Grammatik und Orthographie anfangen 
und auch zu Ende kommen könnte; dadurch würde Zeit und Mühe erspart 

Haben wir nun leider bekannter Weise selbst in Böhmen (geschweige denn 
in Mähren und Schlesien) in der böhmischen Sprache gründlich ausgebildete 
Lehrer an den Gymnasien keineswegs zum Ueberfluss, so ist es gleichwohl wahr, 
dass sich beinahe auf jedem Gymnasium ein oder der andere und selbst mehrere 
Männer finden würden, welche aus reiner Liebe und Anhänglichkeit für die gute 
Sache zwei und auch mehr Stunden wöchentlich zu diesem Zwecke verwenden 
würden, so dass auf jedem Gymnasium zwei oder drei Männer zu diesem Unter- 
richt ausreichen würden. Auf diese Weise könnte mit der Zeil in allen lateini- 
schen Schulen der Unterricht in der böhmischen Sprache in gleicher Maasse 
ertheilt werden und es stände leichtlich zu erwarten, dass wir bald dahin kämen, 
alljährlich öffentliche Rechenschaft abzulegen darüber, wie sehr sich jeder Schaler 
im vergangenen Jahre der böhmischen Sprache befleissigt hat; es könnten dann, 
wie dies auf den italienisch - östreichischen Gymnasien mit dem Deutschen ge- 
schieht, am Ende eines jeden Jahres ebenfalls sogenannte Klassen (Censuren) 
aus der böhmischen Sprache gegeben und wie in den übrigen Gegenständen mit 
gleicher Gültigkeit durch den Druck veröffentlicht werden. Dann würde sicher- 
lich jeder von uns seine Schüler leicht zum Erlernen des Böhmischen anhalten 
und dem allerhöchsten und allergnädigsten Willen genugthun können. 

Damit aber die Schüler auch ausserdem in ihrer Mutlersprache und ihrem 
Geiste gehörig vorwärts kommen und einigermassen gleichen Schritt mit dem 
Deutschen machen und die eine wie die andere Sprache gleicher Weise erlernen 
und vollständig sich aneignen könnten, bedarf es guter und dem jugendlichen 
Alter angemessener böhmischer Bücher, welche man den Schülern alsbald in der 
ersten Klasse zum Lesen- geben und nach Bedürfniss und Wunsch weiter erklären 
könnte. Durch solch ein eifriges Lesen würde die Jugend nicht nur in Gram- 



*) Was noch nicht ist, kann werden; las st uns nnr hoffen and den allerhöchsten 
Willen befolgen. Der Nutzen, wenn ein jedes Gymnasium seinen besonderen Lehrer der 
böhmischen Sprache hätte, wäre ausserordentlich, nicht blos für die Aemter, sondern auch 
für das Volk selbst, da dann die Schuler nicht blos fremde, sondern auch ihre Heimatha- 
an Gelegenheiten kennen lernen wurden. Anm. d. Red. d. Zeitschr. d. Mos. 

V 

Digitized by GooqI 



mi 

matik und Orthographie fest, sondern was das Wichtigste ist, mit dein Geiste 
der böhmischen Sprache bekannt und allmählig zur fleissigen Lektüre auch an- 
derer guter Bücher angeleilet, ihr Verstand geschärft, ihr Herz gebildet, ihre 
Sitten veredelt werden. 

Dass ein solcher Vorrath von Büchern in den Gymnasien auf dem flachen 
Lande sehr zweckdienlich und Tor Allem nothwendig ist, wird gewiss Niemand 
leugnen, weil man daselbst ausser den schädlichen deutschen Romanen sehr selten 
ein anderes Buch zu sehen bekommt, und die lesebegierige Jugend bei dem 
ganzlichen Mangel einer anderen, ihrem Alter angemessenen Lektüre aus Unver- 
stand mit Gier sich auf jene wirft, die Zeit nutzlos verschwendet, ihren Geist 
tödtet und alle Lust zu wirklicher Arbeit und zum nützlichen Lernen verliert. 

Zu diesem Zwecke muss man solche Schriften aussuchen, welche durch ihren 
moralischen Inhalt für die Jugend überhaupt, so wie durch leichten Styl für 
Anfanger lauglich sind; sobald dann die Schüler in der böhmischen Sprache 
einige Forlschritte gemacht haben, dann wird man auch Schriften höheren Inhalts 
und Slyls ihnen in die Hand geben. Diese Bücher könnten wöchentlich ein Mal 
zur bestimmten Stunde ausgegeben und zurückgenommen werden; jeder Leser 
könnte am Ende des von ihm durchgegangenen Buches die Worte, die er nicht 
verstanden, nach einander auf ein reines und zu diesem Zwecke dem Buche be- 
sonders beigebundenes Blatt Papier aufschreiben, der Lehrer dann ein jedes 
dunkele Wort öffentlich erklaren und zu jedem die echte Bedeutung hinzuschreiben, 
so dass dann der folgende Leser sogleich die Erklärung der weniger bekannten 
Worte daselbst vorfände und die wahre Bedeutung derselben erlernen könnte. 
Diese Bücher müssten aus Mangel an anderer Hülfe allerdings von den Schülern 
auf eigene Kosten herbeigeschafft werden. Aber auch das könnte ohne bedeutende 
Schwierigkeit zu Stande kommen, sobald ein jeder Schüler für die sechs Jahre 
seiner Aufenthalts am Gymnasium zur Herbeiscbaffung und Erhaltung der böhmi- 
schen Bücher 1 — 2 Fl. C. M. darbrächte, und das vorzüglich dann, wenn er 
durch das hohe Landesgubernium von der Zahlung des Schulgeldes befreit würde. 
Auf diese Weise würde ein, bestimmter Fond zum Ankaufe solcher Bücher herge- 
stellt und iür alle Zeiten festgesetzt werden. Denn das muss man unseren Lands- 
leuten zur Ehre nachsagen, dass zu guten Dingen der gute Wille bei ihnen nicht 
fehlt, und dass jeder, auch der ärmste Vater, wenn er einer solchen Wohllhat 
theilhaftig wird, gewiss herzlich gern jenes Sümmchen zu einer so vieljährigen, 
nützlichen Uebung seines Söhnleins darbringen würde. Auf diese Weise könnten 
nicht allein alljährlich neue Bücher angeschafft, sondern dieselben auch fest und 
dauerhaft gebunden und in gutem Zustande erhalten werden, so dass endlich nicht 
allein das, was die neueste böhmische Literatur bietet, sondern auch, was unsere 
Vorfahren in reiner und kerniger Sprache schrieben, ohne Jemandes Beeinträchti- 
gung verschafft und unentgeltlich ausgeliehen werden kann. Dann würde es gesche- 
hen, dass unsere jungen Söhnchen gerade in dein Aller, wo sie zur Erlernung von 
Sprachen am fähigsten sind und zugleich die meiste Zeit haben, ohne besondere 
Anstrengung die heimische Sprache erlernen und nicht, wie das bisher gewöhn- 
lich geschah und geschieht, bei einer oberflächlichen, ja selbst ohne alle Kennt- 
niss der Grammatik verbleiben, sondern mit dem Geiste der böhmischen Sprache 
und des böhmischen Volkes immer mehr und mehr bekannt und mit dieser gründlichen 
Kenntniss auch zur heilsamen und dem Volke erspriesslichen Verwaltung aller 
geistlichen und weltlichen Aemter geschickt und vorbereitet würden. Dann erst 
würden sie, wenn sie im reiferen Alter mit dem Volke böhmisch sprechen und 
verhandeln müssten, im Stande sein, eine demselben verständliche Sprache zu 
sprechen, das Wort Gottes im Geiste der volkstümlichen d. i. reinen und durch 
Fremdenlhum nicht getrübten Sprache zu verkünden, die höchsten Gesetze, Ver- 
ordnungen und Rechte einfach und klar darzulegen und die Gesetze des Landes nach 
dem heiligen Willen unseres gnädigen Monarchen recht und gerecht walten zu lassen. 



Digitized by Go 



Dass an der einfachen und klaren Darlegung des Gegenstandes bei dem 
Volke Alles ankommt, davon inuss sich jeder Erfahrene überzeugen» wenn er 
sieht, wie jede, auch die beste und nützlichste Verordnung Ton oben herab, bei 
dem Volke nur wegen der Furcht, es könnte ihm dadurch irgend ein Schaden 
oder Abbruch erstehen, vielfachen Widerstand findet, welchen der Beamte jeder- 
zeit nur dadurch im Stande ist zu beseitigen, dass er den Gegenstand von allen 
Seiten untersucht, erklärt und den Interessenten darstellt. Zu allen dem aber 
bedarf er eine vollkommene und gründliche Kenntniss der Sprache, will er 
nicht anders durch die Mangelhaftigkeit und Ungeschicklichkeit seines Sprechens 
das erwünschte Ziel sich unerreichbar machen. Eine solche Gründlichkeit aber 
lässt sich keineswegs, wie man hie und da ineint, durch einen einzigen Jahrgang 
des Unterrichts an der Universität erwerben, wo überdies unsere studirende Ju- 
gend durch andere, wichtige Lehrgegenstände ganz in Anspruch genommen, auf 
das Böhmische gewöhnlich nur die allergeringste Mühe verwendet und darum 
mehr deshalb die böhmischen Vorträge besucht, um das nolhwendige Attestat 
darüber zu bekommen, als um die Sprache gründlich zu erlernen. Dadurch nur 
geschieht es, dass gar Mancher, wenn er auch dieses Zeugniss in der Hand hat 
und in den anderen nützlichen Kenntnissen hinlänglich ausgebildet ist, doch hin- 
sichtlich der böhmischen Sprache ein unreifes Kind bleibt, welches bei seinem 
gelehrten Berufe nicht gelernt hat, böhmisch zu denken und zu sprechen und nur 
die Sprache zum Entsetzen radebrecht und inisshandelt , und fremde, unböhmische 
Wörter und ganze Sätze in seine Rede hineinmischt, welche weder das Volk noch 
selbst der Gelehrte zu verstehen im Stande ist. 

Dass durch diese unkluge, unvernünftige und leider alltäglich zunehmende 
Handlungsweise der Beamte bei dem Volke selbst das nöthige Zutrauen und 
Ansehen weder für seine Person noch für die höheren Befehle zu verschaffen, und 
darum, wie es doch leicht bei einer besseren Unterrichtsweise möglich wäre, seine 
eigene W ürde und die der Behörden gellend zu machen keineswegs im Stande ist, 
ist an sich klar. 

Dagegen wäre der Vortheil, der aus der oben angegebenen Lehrweise flösse, 
etwa folgender. Unsere Schüler würden bei ihrem Austritt aus den lateinischen 
Schulen nicht allein einen hinlänglichen Vorralh von Wörtern und die vollständige 
Kenntniss der böhmischen Grammatik und Orthographie, sondern auch des böh- 
mischen Volksgeistes in den Wirkungskreis ihres künftigen Berufs mit hinüber- 
nehmen. Die Uebrigen aber, welche die Universität besuchen, würden bei ihrer 
bedeutenden Kenntniss der vaterländischen Sprache dann mit desto grösserem Er- 
folge sich im Lesen, Schreiben und Sprechen derselben üben, sich kräftigen nnd 
für die Zukunft vorbereiten können, so dass der Universitätsprofessor der böhmi- 
schen Sprache, nicht genöthigl, durch eine trockene Darstellung der sprachlichen 
Regeln die theure Zeit zu verschwenden, einen viel höheren Beruf, eine viel er- 
habenere Bestimmung finden würde: seinen Zuhörern die grossen Veränderungen, 
welche in der böhmischen Sprache im Verlaufe der Zeit stattgefunden, gründlich 
darzulegen und zu erklären. Ausserdem erscheint es ebenfalls nützlich und un- 
umgänglich nothwendig, dass den Stodireuden der Theologie und des Rechtes, 
welche mit dem Volke am meisten zu verkehren haben, auch solche Gegenstände 
zur mündlichen und schriftlichen Bearbeitung vorgelegt würden, welche zugleich 
auf ihren Beruf in der Zukunft hinzielten; dass sie z. B. ganze Anreden an das 
Volk bei verschiedenen Anlässen, Erklärungen gewisser Landesgesetze u. s. w. in 
dem Tone und ganz in der Weise zu hallen angeleitet würden, wie sie sie dem 
Volke vorzutragen später gezwungen sein werden; denn gerade diese reine Ein- 
fachheit der böhmischen Sprache (eleganlia simplicissima), welche man so aus- 
serordentlich selten bei unseren Beamten und Juristen findet, müssle auf der 
Universität ein Hauptgegensland des Unterrichts sein, an welchem Jeder, der 
zu seiner Zeit auf ein Amt Anspruch machen wollte, desto mehr sich betheiligen 

Digitized by Google 



mtisste, je weniger der in Böhmen, Mähren und Schlesien eingeführte deutsche 
Amtsslyl diese dem Volke versländliche Einfachheit an sich zeigt, sondern viel- 
mehr durch technisch -juristische und vorzüglich lateinische Ausdrücke so über- 
füllt ist, dass wenn er auch wörtlich in das Böhmische übersetzt wird, er den- 
noch dem Volke, das sich wegen seiner Unkenntniss der juristischen Formeln 
diese Ausdrücke und ihren Sinn keineswegs zu erklären im Stande ist, immer 
noch unverständlich bleiben muss , wenn der Beamte es nicht vermag, alles das 
durch Ifnfache und reine Erklärung in dem Geiste des Volkes d. i. in der Weise, 
wie das Volk selbst unter einander spricht, deutlich zu machen. Wer 
aber etwas im erhabenen oder gelehrten Style Abgefasstes dem Volke darstellen 
will, muss in der Volkssprache gründlich bewandert sein. Dazu aber werden 
Jahre erfordert, besonders die der Jugend, wo dass Gedächtniss noch 
empfänglich und die Zeit noch zureichend ist. Und darum ist es nothwendig, 
dass die Jugend Böhmeos, Mährens und Schlesiens bereits auf den Gymnasien 
und zwar von der untersten Klasse an, anfange die vaterländische Sprache zu 
lernen, damit dann auf der Universität ein jeder Hörer gewissermassen nur zeige, 
was er könne und ein ordentliches Zeuguiss darüber erwerbe. Dann erst würde 
der Lehrstuhl der böhmischen Sprache und Literatur der Lehrer einer reinen und 
klaren Diktion und dadurch Erzieher tauglicher junger Beamten werden, dann 
erst würde er wohllhätig auf das gesellschaftliche Leben wirken, dann erst das 
Zutrauen nicht blos der allerhöchsten Behörde, sondern auch der Beamtenwelt 
sich erwerben, dann erst würde er seinen wohlthätigen Einfluss auf Vermehrung 
wahrer Moralität und Frömmigkeit bewähren. In Anerkennung dieses Bedürfnisses 
und einer solchen Wichtigkeit der Sache hat unser allergnädigster Herr und gü- 
tigster Landesvater, stets und überaus besorgt, nicht nur um die Bewahrung und 
Verbreitung wahrer Frömmigkeit und Tugend, sondern auch um die Beglückung 
seiner Völker, dieses wahrhaft väterliche Gesetz zu erlassen und wieder zu er- 
neuen geruht, damit unsere böhmische Jugend alsbald von ihrer Kindheil an die 
so notwendige vaterländische Sprache lerne, ihre ganze Unterrichtszeit sich in 
derselben tlbe und glückliche Fortschritte mache. 

Und diese unermessliche und endlose Vorsorge unseres allergnädigsten Lan- 
desvaters sei uns nun der grössle Ansporn, dem allerhöchsten Willen Genüge zu 
thun und das laute Bedürfniss unseres Volkes zu befriedigen, in der festen Ueber- 
zengung, es sei eines jeden Staatsbürgers heilige Pflicht, die hochweisen Ver- 
ordnungen der allerhöchsten Regierung nicht nur treu zu befolgen, sondern auch 
zu ihrer Erfüllung, wo und wie und wodurch es uns möglich, nach Kräften 
beizutragen. 

(Aus d. Zeitschr. d. böhm. Mus. 1843. IV.) Iotef Chmela, Prof. 



II. 

Wissenschaften. 

1» Bausteine zur slawischen Mythologie. 

Aus lateinischen und griechischen Quellen von Wilhelm Bernhardt. 

II. 

Gottesdienst. Gebet. Opfer. 

Es ist Bedürfniss der menschlichen Natur, die Wesen, welche sie als höhere, 
schützende oder feindliche erkennt, auf alle mögliche Weise zu verehren. Dies 
aber kann der Mensch nur auf zweierlei Weise, indem er nämlich per- 



Digitized by Google 



334 



sönlich sich vor ihnen demüthigt, oder indem er ihnen Gaben darbringt, welche 
ihm die werthvollsten , der Götter am würdigsten erscheinen. Die Gotlesver- 
ehrnng wird also wesentlich Gebet und Opfer sein. Das Gebet vorerst selbst 
kann wieder in doppelter Weise vollzogen werden , durch Worte nämlich oder 
durch Gebehrde, Stellung und also symbolisch. Natürlich aber fallt in der Aus- 
übung Wort und Handlung, Gebehrde und Opfer in eins, und nur für den ent- 
fernter Stehenden hat es Interesse, die Gottesverehrung in ihren einzelnen Be- 
standteilen zu betrachten. In der Königinhofer Handschrift findet, ^ch als 
Ausdruck für beten klanieti bohu, sich vor Gott neigen, ihn anbeten, und im 
Russischen heisst noiuoBeme die Anbetung, so dass also ein Bengen des Körpers 
zu den Ceremonien des Gebets gehörte. Dasselbe Lied aber braucht später den 
Ausdruck se biti w Öelo predi bohy, sich an die Stirn schlagen vor Gott. Im 
Russischen finde ich nun zwar keinen Ausdruck, der etwas ähnliches sagte, allein 
merkwürdig genug heisst ^Mofaim» eine Bittschrift, von Iwo, Stirn, und fo», 
schlagen, wohl vom Sichniederwerfen bei Ueberreichung derselben, was an das 
griechische IlQoaxvvtTv erinnert, so dass allerdings darin ebenfalls eine entfernte 
Hindeulung auf eine solche Ceremonie ausgesprochen wird. Die lateinischen gleich- 
zeitigen Quellen bieten mehrere Ausdrücke, welche die Sache erläutern. So sagt 
Cosmas von Prag: sicut hactenus villani velut pagani hic latices sen ignes 
colit, iste lucos et arbores sen lapides adorat, ille montibus sive collibus litat Thiet- 
mar VII, 44 (Perz V, 835, 40.), wenn er über das Heidenthum zu Nimpsch 
unweit des Zobtenberges spricht, sagt: et hic ob qualitatem suam et quantitatem 
cum execranda gentüitas ibi veneraretur, ab incolis Omnibus nimis honorabatur. 
Die hier gebrauchten Worte halten sich blos im Allgemeinen, obwohl der Un- 
terschied, welchen Cosmas zwischen colere ignes, adorare lucos und litare mon- 
tibus nicht lediglich in der Absicht, mit Redeweisen zu wechseln, seinen Grund 
zn haben scheint. Für den Unterschied zwischen dem böhmischen klanieti bohu 
und se biti w felo predi bohy darf man wohl einige Stellen aus der vita Ottonis 
anführen, die zweimal bearbeitet uns vorliegt. Jeder der vorhandenen Berichte 
rührt von einem Zeitgenossen des bamberger Bischoffes her, und zwar der eine 
vom Mönche Sefried, welcher Augenzeuge der Begebenheiten war, und der an- 
dere von einem Mönche Ebbo, der niederschrieb, was ihm der Presbyter Ulrich, 
gleichfalls einer der Begleiter Olto's, erzählte. Ebbo nun berichtet in seiner 
Tita (Acta Sanct. Anlw. Jul. I, 441 sq.) Lib. III, 78, als er von den Kunst- 
griffen spricht, deren sich die heidnischen Priester bedienten, um das Eindringen 
der christlichen Lehre zu verhüten, dass ein Priester des Perowit einem Bauern, 
der nach Wolgast gehen wollte, früh Morgens im Walde als Gott verkleidet er- 
schienen sei und ihn ermahnt habe, in der Stadt zu verkündigen, derselben stehe 
der Untergang durch die erzürnte Gottheit bevor, falls sie die christlichen Prie- 
ster auch nur aufnehmen wollte; man solle sie tödten, sobald sie sich daselbst 
blicken Hessen. Der Bauer, fährt Ehbo fort, videns illum vestibus idoli amictum, 
suspicalus deum suum sibi apparuisse, in faciem corruit. Sefried (Vita Ot- 
tonis III, 129. Acta Sanct. Antw. Jul. I, 408 sqq.), welcher dieselbe Geschichte 
erwähnt, bedient sich des Ausdrucks: Rusticus vero quasi de oraculo slupidus, 
corruens pronus, adoravit in terram. Gewiss hat der Bauer dabei weder 
gesprochen noch gebetet, sondern sich nur niedergeworfen, weil er aus Ehrfurcht 
nicht gewagt, die Gottheit mit leiblichen, sterblichen Blicken gleichsam zu ent- 
weihen, gerade wie, nach Saxo, der Priester zu Arkona bei Reinigung des Tem- 
pels in demselben nicht zu athmen wagte, sondern stets, so oft er dessen be- 
dürftig war, in die Thüre des Heiligthums trat, ne videlicet dei praesentia mor- 
talis spirilus contagio pollueretur. (Saxo gramm. bist. dan. L. XIV, Ed. Sleph., 
pag. 320). Das nun scheint mir der Unterschied zwischen dem böhmischen kla- 
nieti bohu und se biti w Selo predi bohy zu sein, dass ersleres das Sich-neigen, Nie- 
derknieen und Beten bedeutet, während letzteres jenes in faciem corruere oder 

Digitized by Google 



corrnens pronus adorare in terram, das griechische ngooxvvitv bezeichnet. Znr 
Erläuterung übrigens dieses sich Neigens dient noch ein rassisches Volksmär- 
chen, von der Ente mit dem goldenen Ei (Dietrich, russische Volksmährchen, 
pag. 125), in welchem Ambrosim, ein armer Greis, für seine Frau und seinen 
Sohn Brodschnitle in Stücke zerschneiden will zum Abendbrode, „da," heisst es, 
„sprang Krutschina aus dem Ofen hervor, riss ihm die Brodstücke aus den Hän- 
den und lief wieder hinter den Ofen. Da fing der Greis an, sich vor Krutschina 
zu neigen und sie zu bitten, dass sie ihm dieselben wiedergebe, weil er mit 
seiner Frau nichts zu essen habe. Die alte Krutschina antwortete darauf: ich 
werde dir die Brodschnilte nicht wieder geben, aber ich will dir eine Ente dafür 
schenken, welche jeden Tag ein goldenes Ei legt. Gut, sagte Ambrosim, ich 
werde heute auf jeden Fall nicht zu Abend essen; nur betrüge mich nicht und 
sage mir, wo ich die Ente finde. Morgen früh, sobald du aufgestanden bist, 
antwortete ihm Krutschina, gehe in die Stadt, dort wirst du in einem Teiche 
die Ente sehen, fange sie und trage sie nach Hause." Alles dies geschieht und 
der Mann wird reich. Seine treulose Gattin aber schlachtet die Ente für ihren 
Geliebten, weil sie gesehen hat, dass unter den Flügeln derselben steht: wer 
mich isst, der wird Car. Statt des Geliebten aber isst Iwan, Ambrosim's Sohn, 
die gebratene Ente, und wird Car. Krutschina heisst der Kummer, die Sorge 
und hängt mit Kpyiny, zerbrechen, plagen, quälen zusammen. Der Ofen ist der 
Platz der Hausgötter und Krutschina erscheint im Verlaufe der ganzen Sage als 
Göllin, die Brodschnitle als Opfer, und das wunderbare Geschenk als segens- 
reiche Gabe für die Frömmigkeit und das Opfer. Daher neigt sich denn auch 
Ambrosim vor Krutschina und bittet sie. Natürlich aber ist das Gebet und 
ngoaxwuv verbunden, denn es bezeichnet die demüthigste Stellung des die Gottheit An- 
flehenden. So berichtet denn Boxhorn (Boxhorn de rep. Moscov. P. II, pag. 45) 
auch, wo er vom Dienste der Zlota Baba spricht: si quae gravior calamitas gen- 
tem premit — — idolum suum stalim consulunt, quod hoc modo faciunt: co- 
ram simulacro prostrati, preces fundunt etc. 

Es ist begreiflich, dass jede Gottheit vorzüglich um die Gaben angerufen 
wurde, welche sie nach den Volksbegriffen vor allen anderen zu spenden be- 
rufen war. So erzählt Procosius (Chron. slavo-sarmat. ed Bandlke. Varsow. 1624. 
pag. 113) dtvinilati Zyvie fanum exstruclum erat in monte, ab eius nomine Zy- 
viec diclus, ubi primis diebus mensis Maii innumerus populus conveniens prae- 
cabatur ab ea, quae vilae auetor habebalur, longam et prosperam vale- 
tudinem. Indessen erfahren wir hier nichts weiter über die ganze Art des 
feierlichen Gottesdienstes, als ganz im Allgemeinen, dass die versammelte Menge 
von der Gottheit langes, glückliches Leben erfleht habe. Weit ausführlicher 
und genauer aber unterrichtet uns Saxo grammaticus über die Form und den 
ganzen Verlauf eines feierlichen Gottesdienstes bei den Slawen in der Stelle, wo 
er von Swatowit redet, aus welcher ersichtlich wird, wie genau gegliedert und 
bis ins Einzelne hinein bestimmt diese religiösen Einrichtungen waren. Die Stelle 
ist auch in anderweitiger Beziehung von grosser Wichtigkeit und wird daher 
später vollständig angeführt werden müssen. Für jetzt entnehme ich aus dersel- 
ben nur Dasjenige, was unmittelbar hierher gehört. Nachdem nämlich Saxo er- 
zählt hat, wie das Volk sich versammelt habe, der Tempel gereiniget und aus 
dem Hörne des Gottes geweissagt worden sei, fährt er fort (Saxo gramm. hist. 
dan. L. XIV. Ed. Steph. pag. 320, 33) : Veteri deinde mero ad pedes simulacri 
libamenli nomine defuso, vacuefactum poculum recenti imbuit, simulatoque pro- 
pinandi officio statuam veneratur, tum sibi tum patriae bona civibusque opum ac 
victoriarum incrementa solemnium verborum nuneupatione poscebat. Qua finita 
admotum ori poculum nimia bibendi celeritate continuo haustu siceavit, repletum- 
que mero simulacri dexlrae reslituit. Placenta quoque mulso confecta, rotundae 
formae, granditudinis vero tantae ut paene hominis slaturam aequaret, sacrificio 



Digitized by Google 



admovebatur. Qaam sacerdos sibi ac populo mediam intcrponens , an a Rngianis 
ceroerelur, perconlari- solebat Quibus illum a se Tiden respondentibus, ne post 
aaoum ab iisdem cerni possei, oplabat. Quo praecationis more non suum aot 
populi fatuin, sed fntura messis incremenla poscebat Consequenter sub simulacri 
nomine praesentem lurbain consalotabat , eamque diuüas ad huius nominis veuera- 
tionem sedulo sacrificii ritu peragendam hortatus, certissimum cullus praemiom 
terra inarique vicloriam promiltebat. Hier überblickt man die ganze gottesdienst- 
liche Feier auf einmal mit Klarheit. Sie begann mit einer Weissagung an das 
Volk über das Wohl oder Weh des kommenden Jahres, dann wurde dem Gotte 
ein Trankopier dargebracht, und hierauf das Horn mit neuem Getränke gefüllt. 
Unter ehrfurchtsvollen Ceremonien wurde nun dem Götterbilde durch den Priester 
scheinbar davon zum Trinken gereicht, wobei dieser mit feierlichem Gebete — 
solennium verboruin nuncupatione — für sich und das Vaterland alles Gute, für 
die Bewohner desselben Wachsthum der Reichthümer und der Macht erflehte, 
dann das Horn mit einem Zuge schnell austrank, es gleichsam dem Gotte zu- 
brachte, und es endlich ?on neuem gefüllt dem Bilde wieder in die Hand gab. 
Mit Darbringung eines fast mannshohen, runden, mit Honig bereiteten Kuchens, 
als Opfer, schloss sodann der Theil der goltesdienstlichen Handlung, welche an 
den Gott unmittelbar gerichtet war. 

Ich habe die Worte: simulatoque propinandi officio statuam veneratus wört- 
lich gefasst, der Priester verehre den Gott dadurch, dass er ihm scheinbar be- 
hülflich sei zu trinken, allein es ist auch wohl möglich, ja sogar wahrscheinlich, 
dass er sich blos gegen das Bild hingewendet, die Haud mit dem Home nach diesem 
zu ausgestreckt, ihm den Trank symbolisch dargebracht, und sodann selbst das 
Horn schnell geleert habe. Daraus möchte denn die Sitte, zur Ehre der Gottheit 
zu trinken, die sich lange erhalten hat, zu erklären sein, welcher in einem ser- 
bischen Liede bei Wuk 1 , 94 , gedacht wird , wo za slawe bozhie Wein getrun- 
ken wird. Von demselben Gebrauche spricht Helmold, wenn er sagt (Helmold 
Chron. Lib. I, 52, Leibniz scriptt. rer. Brunsvicens. II, 582): Est autera Slavis 
mirabilis error, nam in conviviis et compotationibus suis pateram circumferunt, 
in quam conferunt, non dicam consecrationis sed exsecrationis verba, sub nomine 
deorum boni scilicet alque mali. Denn die consecratio ist eben nichts anderes, 
als die Weihung des Trankes zur Ehre der Gottheit. Man sieht, der spätere 
Gebrauch war ursprünglich gottesdienstliche Handlung, was ganz klar wird, wenn 
man Helmold's weitere Erklärung hinzunimmt: omnem prosperam forlunam a bono 
deo, adversam a malo dirigi profitentes. Zum vollständigen Beweise aber ge- 
hört eine Stelle aus dem Sefried hieher, welche lautet (Sefried vila Ott II, 4> 
205, 106. Acta Sanctt. Ant. Juli I, 403): Eranl autem in civitate Stetinensi 

continae quatuor sed — — una ex his principalis erat. — ■ 

In hanc aedem ex prisca patrum consuetudine crateres etiam aureos vel argen teos, 
in quibus augurari, epulari et polare nobiles solebant ac potentes in diebus so- 
lennitatum quasi de sancluario, proferendos ibi collocarunt, cornua etiam grandia 

taurorum agreslium deaurata et gemmis intexla potibus apta ibi conser- 

vabant. — — Tres vero aliae continae minus venerationis habebant, mi- 
nusque ornatae fuerant. Sedilia tantum intus in cireuitu exstrueta erant et men- 
sae; quia ibi conciliabula et conventus suos habere solili erant. Nam sive potare, 
sive seria sua tractare vellent, in easdem aedes certis diebus veniebant et horis. 
Aus diesen Worten ist ersichtlich, dass die Becher zum Weissagen, Schmausen 
und Trinken im Haupltempel aufbewahrt und an Festlagen hervorgeholt wurden, 
dass es also selbst heilige Geräthschaften waren, deren man sich bediente, und 
dass die drei anderen, minder heiligen Tempel dazu benutzt wurden, an gewis- 
sen Tagen und zu bestimmten Stunden daselbst zu schmausen, zu trinken oder 
Rath zu halten. Jedenfalls also fanden die convivia und compotationes , deren 
Helmold oben erwähnt, an geheiligten Orten statt, so wie sie zu gewissen Tagen 



Digitized by Google 



begangen wurden. Bei diesen Gelegenheiten mm thaten Privatpersonen, was bei 
den grossen Nationalfesten der Priester that, sie reichten der Gottheit den Becher, 
brachten ihr denselben dar, sprachen betend ihre Wünsche aus und leerten ihn 
dann zur Ehre des Gottes, welchem sie denselben consecrirt hatten. Dies nannte 
man sicherlich Z a slawe boihie trinken, und nur spater ward der Ausdruck ver- 
weltlicht. Auch für die südlicheren Slawen, abgesehn von den Stellen serbischer 
Volkslieder, lässt sich die Sitte nachweisen. So für Böhmen durch eine Stelle 
aus dem Leben des heiligen Wenceslaus, welches der fast gleichzeitige Chrislia- 
nus a Scala schrieb. Hier heisst es (Christianus a Scala vita S. Ludmilae et S. 
Wenceslai L. I, cp. 10. Balbinus epit rer. bohem. pag. 56): den Heiligen habe 
ein Freund vor den Mord anschlagen seines Bruders gewarnt, bei dem er zu 
Gaste ist Eben hat Wenceslaus den Schmaus, eben den Tisch verlassen, der 
Freund räth zur schleunigen Flucht, allein statt dessen: rursum locum convivii 
petens, calice accepto poculum coram omnibus portans, alta profatur voce: in 
nomine beati archangeli Michaelis bihamus hunc calicem, oranles 
praecanles, quo animas nostras introducere dignetur in pacem ex- 
ultationis perpetuae. Hier konnte man sogar die Formel solcher conse- 
cralio, wie sie ins christliche Leben herüber genommen ward, wieder erkennen 
wollen. Bei den Bulgaren fand der gleiche Gebrauch statt. Dies beweist die 
Stelle eines alten Schriftstellers, den Mabillon (Mabillon annal. Benedict saecul. 
VI. praefat) anführt: Quondam in terra Bulgarorum quid am nobilis potens- 
que paganus bibere me suppliciter petivit, ut in illius dei amore, qui 
de vino sanguinem suum facit. Auch in Griechenland war die Sitte gangbar, 
wie Ducas (Niebuhr corp. Scriptt. Byzant: Ducas cp. 36, 29, pg. 254) bezeugt: 
6 %vdaiog ovv xai ayogatog Xdog i&Xdovxtg ix xr,g avXijg xov (.lovagriQtov iv xa- 
n^Xn'ug xgaxiovxtg iv yjg<u xäg (fiuXug nXrjQtig axgaxov, avt&tjnuTi%ov xovg ivto- 
xtxovg, nivovxtg tlg ngtoßtiav xrjg tixSvog xrjg & to (.i^x ogog x. x, X. 
Ja, bis nach Kleinasien, nach Paphlagonien hin finden wir diesen Gebrauch, wie 
das Leben des heiligen Georg bestätigt (Acta Sanct. Antw. April III, 140. Mi- 
racula d. Georg, niartyr. cpt. III.), wo die wunderbare Befreiung eines paphlago- 
nischen Christenjünglings ans bulgarischer Gefangenschaft durch die Wunderkraft 
des Heiligen erzählt wird. Betrübt sitzen Vater, Mutter und Verwandte des 
Jünglings am Festtage des heiligen Georg bei'ra Mahle, welches an dem Tage 
ihres Schutzpatrons gebräuchlich war, und begehen die Feier, als wunderbar 
plötzlich der geliebte Sohn vor ihnen steht Cum igitur bibissent in saneti 
Thaumalurgi honorem ad satietatem omnes exvasculo mirabiüler inexhausto, 
überlassen sich die nun Beglückten ganz der ungetrübten Freude des Tages und 
dem Danke gegen den milden Heiligen. 

Wie sich der eine Theil des Gottesdienstes unmittelbar mit dem Gotle be- 
schäftigte, so betraf der andere unmittelbar das Volk. Der Opferkuchen ward 
zwischen das Volk und den Priester gestellt, dieser fragte, ob man ihn sehen 
könnte, und wünschte, ward dies bejaht, dass es im künftigen Jahre nicht der 
Fall sein, d. h. dass die Erndle so reichlich ausfallen möchte., dass ein Kuchen, 
der ihn gänzlich verdecke , dargebracht werden könne. Nach diesem Wunsche 
bot der Priester dem Volke im Namen des Gottes Heil, ermahnte es dann, die- 
sen fernerhin durch eifrige Feier des Opfers zu verehren, und versprach als un- 
ausbleiblichen Lohn solches Dienstes Sieg zu Land und zur See. Es ist nun 
gewiss merkwürdig, wie bestimmt und genau beide Theile des Ritus einander 
entsprachen. Der Theil desselben, welcher sich unmittelbar mit dem Gotte be- 
schäftigt, beginnt mit der Weissagung, darauf folgt nach dem Tranke zur Ehre 
des Gottes das feierliche Gebet, und den Beschluss macht das dargebrachte 
Fruchlopfer. Der andere Theil, in welchem das versammelte Volk in den Vor- 
grund tritt, fängt mit dem Wunsche an, der hier mit der Weissagung parallel 
ist, diesem folgt die feierliche Ermahnung, welche dem Gebete gegenüber tritt, 

SUw. Jahrb. i. 51 



Digitized by Google 



und zulelzl wird ein Versprechen erlheilt, das sich dem dargebrachten Opfer 
gleichstellt Also für die Weissagung der Wunsch, für das Gebet die Ermah- 
nung und für das Opfer das Versprechen. Etwas Aehnliches, wie das hier An- 
geführte, findet sich bei den allen Preussen. Allein bevor ich es anführe, bin 
ich genölhigt, Einiges vorauszuschicken. Obschon nämlich ganz unstreitig ist, 
was Schafarik (Schafarik slawisch. Allerthüm., deutsch yoo Mosig v. Aehrenfeld 
und W r utke. Leipz. Engelmann 1843. I, 33) sagt: „Die allgemein bekannte 
Verwandtschaft des litthauischen und slawischen Stammes ist so augenscheinlich, 
dass manche Forscher in ihnen nur ein Volk erkennen. Wir halten sie für Aus- 
läufer derselben Wurzel und lassen ihnen nur der besseren Unterscheidung willen 
ihre eigen! hüinlichen Namen;" so ist nicht minder richtig, wenn er bei aller An- 
erkennung der näheren Verwandtschaft zwischen Slawen und Litthauern (zu denen 
er die alten Preussen rechnet) in Sprache, Charakter und Sitten, als zwischen 
Slawen und den übrigen indo - europäischen Völkern, doch ausspricht (Schafarik 
slaw. Alterthüm., deutsch v. Aehrenfeld u. Wutke, I, 447, 448): „wir halten die 
litthauischen und slawischen Völker für Abtheilungen eines in Torhistorischer Zeit 
einigen Stammes, der in historischer Zeit in Folge innerer Umstände bereits der- 
tnassen zerfallen ist, dass man ihn in zwei verschiedene, wie wohl immer noch 
unter den indo -europäischen Völkern am nächsten verwandte Stämme scheiden 
inuss." Da nun Schafarik überdies zeigt, dass der lillhauische Stamm frühzeitig 
in seiner reinen, eigenthümlichen Entwickelung gehemmt worden ist, so liegt auf 
der Hand, wie man das Uebereinslimmende in beiden Völkerstämmen allein zur 
Erklärung der bei dem einen oder dem anderen vorkommenden Nalionaleinrich- 
tungen benutzen kann. Man wird vorkommenden Falls Slawisches natürlicher 
Weise immer zuerst am liebsten mit gleichartigem Litthauischen und Allpreussi- 
schen zusammenstellen, allein wird nie vergessen dürfen, dass bereits in vor- 
historischer Zeit eine starke, gewiss sehr seilen nachweisbare Vermischung der 
Litlhauer mit Gothen und Tschuden stattgefunden hatte, und dass dieser Umstand 
unstreitig bei dem Volke auf die gesammte Anschauung aller Dinge einen ge- 
wichtigen Einfluss geübt hat. Es wird also auch in Bezug auf Mythologie nicht 
wohl angehen, Allpreussisches und Slawisches als vollkommen eins zu setzen 
und etwa aus überkommenen Nachrichten speciellerer Art im preussischen Kuhns 
Dunkelheiten oder Unbestimmtheiten in denen über slawischen Götterkultus erklä- 
ren zu wollen, oder zu behaupten, slawischer und preussisch-lilthauischer My- 
thus sei ganz ein und derselbe, sei deshalb nicht trennbar, sondern müsse so 
zusammen behandelt werden, dass man aus dem einen das im anderen Fehlende 
oder nicht Klare zu übertragen habe, wie das bisher meistenteils geschehen, und 
wodurch unsagbare Verwirrung hervorgebracht worden ist. Dazu kommt noch 
die Beschaffenheit der Quellen, aus denen wir für litthauisch-preussische Mytho- 
logie schöpfen könnten. Die älteren, wie Petrus de Dusburg, bieten, wenn auch 
Zuverlässiges, doch Weniges und sehr allgemeiner Natur; die späteren aber, 
welche uns die grössten Einzelheiten bringen, sind meistenteils, wie Grunow in 
seiner Chronik und der auch sonst bekannte literarische Betrüger Erasmus Stella, 
äusserst verdächtig und harren noch der schärfsten Kritik. Erregt doch selbst 
eine der ältesten Quellen durch ihre Fassung nicht ganz ungegründetes Miss- 
trauen, das bekannte, in der Ausgabe des Dusburg von Harlknoch abgedruckte 
Privilegium Pruthenis a legato pontificio anno 1249 d. VII. Id. Febr. concessam, 
wie viel mehr die Ueberlieferungen Grunow's und Stella's. Es ist zwar wahr, 
die Ueberreste des altprcussischen Heidenthums lebten bis ins 17. Jahrhundert 
herab noch kräftig im Volke, und wenn ein guter Beobachter treu, wahr und 
einfach das seihst Erlebte niederschrieb und uns aufbewahrte , so ist das gar 
wohl zu beachten ; allein ebenso sehr muss man im Auge behalten, welche Herab- 
drückung, welche Umwandlung durch namentlich christliche Einflüsse dieser Glaube 
erlitten hat. Solch ein schlichter Beobachter war Joannes Meletius. Er gab 

Digitized by GooqI 



389 



1551 einen Brief an Georg Sabinus heraus, in dem er diesem erzahlt, was er 
von der altprenssischen Götterlehre in Erfahrung gebracht hatte und schliesst den- 
selben mit den Worten: haec quae de superstiliosis ritibus et cacreinoniis illarum 
gentium narravi, partim ipse vidi partim ab hominibus fide dignis au- 
divi. Dies Schriftchen ist später sehr oft wieder abgedruckt worden, und aus 
demselben entnehme ich die Schilderung des preussischen Erndleopfers, der Bocks- 
heiligung. Meletius (Meieiii epislola ad G. Sabinmu de religione et sacrificiis 
vetcrum Borussorum, in: de Russorum, Moscovilorum et Tartarorum religione, 
sacrificiis, nuptiarum, funerum rilu e diversis scriplorib. Spirae, Dalbinus, 1542. 
Quart, pag. 258, 259) erzählt: Facta autem messe solenne sacrificium pro gra- 
tiarum actione conficiunt, quod rulenica lingua 0 Zinek, id est consummatio 
niessis dicitur. In hoc sacrificio Sudini, Borussiae populi, capro litant, sicul in 
elegia tua ad Bembum scribis. Litandi vero ritus est talis: congregato populi 
coelu in horreo adducitur caper, quem Vursichaytes illorum sacrificulus maclatu- 
rus, imponit viclimae ulramque manurn invocalque ordine daemoncs, quos ipsi 
deos esse credunt, Tidelicet: Occopirnum deuin coeli et terrae, Anlrimpum deum 
maris, Gardoetem deum nautarum — Potrympum deum fluvium ac foul in in, Pilui- 

tum deum divitiarum Pergubriura, deum veris, Pargnum, deum lonitruuni 

ac tempestalum, Pocclum deum inferni et tenebrarum, Pocollum deum aeriorum 
spirituum, Pulscaelum deum qui sacros lucos tuelur, Auscailum deum iucolumila- 
tis et aegritudinis, Marcopollum deuin magnatuin et nobilium, Barsluccas, quos 
Gennani „Erdmännlein" hoc est subterraneos vocant. His dacmonihus iuvocatis, 
quolquol adsunt in horreo omnes simul extollunt caprum, suhlimemque tenent, 
donec cantatur hymnus, quo finito rursus dimittunt ac sistunt caprum in terram. 
Tum sacrificulus admonet populum, ut solenne hoc sacrificium a maioribus pie 
institutum summa cum veneralione faciant, eiusque memoriam religiöse ad poste- 
ros conservent Uac conciuncula ad popolum habila ipse mactat viclimam san- 
guinemque patina exceptum dispergit. Carnem vero tradit mulierihus eodem in 
horreo coquendam. Hae inlerea dum caro coquitur parant e farina siligiuea pla- 
centas, quas non imponunt in furnum, sed viri focum circumstanles hinc illinc 
per ignem iaciunl absque cessatione, tarn diu quoad illae durescant et coquantur. 
His peractis epulantur atque helluantur tota die ac nocle usque ad Tonikum. 
Ebrii dcinde summo mane extra villam progrediunlur, ubi reliquias epularum 
quae remanserunt certo in loco terra operiunt, ne vel a volatilibus vel a feris 
diripiantur. Postea dimisso coelu suam quisque domum repelit. Auch hier findet 
man eine Anrufung der Götter, YVeihung und Darbringung des Opfers (denn das 
bedeutet das Emporheben des Bocks); feierliches Gebet, die Absingung eines 
Lobliedes; Ermahnung an das Volk zur Götlerverehrung, Opfer und Schmaus, 
wenn gleich andererseits die wesentliche Verschiedenheit des Kultus so ins Auge 
springt, dass es keiner besonderen Hindeulung darauf bedarf. Dass übrigens 
solche Anreden an das Volk bei den Preussen auch sonst während ihrer gottes- 
dienstlichen Handlungen Sitte waren, bezeugt das schon erwähnte Privilegium 
(Privil. prim. velerib. Pruss. dat. 1249 in Harlknochii edit. Pel. de Dusb. pg. 470) 
in den Worten: et promiserunt omnes praedieli (Ncophyti) quod dictas ecclesias 
aedificabunt adeo houorabiles et decoras, quod plus v idebunt iir delcctari 
in orationibus factis in ecclesiis, quam in silvis. Für die Slawen 
ist mir ausser der angeführten Stelle im Saxo nichts Aehnliches vorgekommen. 
Ein zweiter wesentlicher Beslandtheil heidnischen Gottesdienstes waren die Opfer 
und daher fehlt es uns denn auch nicht an Nachrichten über die der slawischen 
Volksslämme. Die Ausdrücke, deren sich die Schriftsteller des Mittelalters bei 
Beschreibung der Opfer bedienen, sind verschieden. Sie brauchen: hoslia, liba- 
mentum, victiina, sacrificium, munus, donum, ferner sacrificare, mactare, immo- 
lare, lilare. Sacrificium und sacrificare wird unter diesen Wörtern sowohl von 
blutigen als von nichtblutigen Opfern, so wie überhaupt ganz allgemein gebraucht. 



Digitized by Google 



390 



Die Wörter hostia und victima beziehen sich blos auf blutige Opfer, wahrend 
libamentum auch von Flüssigkeiten anderer Art, als vom Blute, gesagt wird, mu- 
nus aber und donum werden blos bei unblutigen Opfern angewendet und zwar 
insbesondere noch in Bezug auf die gebotenen und imgcbotenen Gaben, die dem 
Tempel unter dem Namen des Gottes zu bestimmten oder unbestimmten Zeitea 
dargebracht wurden, und von denen spater die Rede sein wird. Hier wird nar 
von dem Opfer im strengeren Wortsinne geredet. Die Opfer waren entweder 
solche, die Privatpersonen brachten, oder öffentliche, welche der Priester im 
Namen der Gesammlheit vollzog. Im Russischen heisst solch ein Priester Äpem», 
ein Opfer Htepmiia und der Altar JKepmBeBBHio,. Alle diese Wörter hängen mit 
2Kpy, fressen, zusammen und deuten auf den mit dem Opfer verbundenen Schmaus 
hin. Nun heisst aber das Loos 3Kpc€in oder JKepefiüi, ein Wort, welches offenbar 
mit JKpeu und JKepniBa nah verwandt ist. Dies kommt wohl daher, dass die 
Opfer durch das Loos gewählt wurden. Man wollte durch den Aussprach des 
Gottes, selbst erforschen, welches der Opfer ihm das angenehmste sei. Dies 
wird durch die Nachrichten lateinischer Quellen bestätigt Ueberall findet sich 
bei Erzählung von Opfern, vorzüglich von Menschenopfern, der Ausdruck wieder: 
quem sors acceptaverat, so dass gesagt wird, wie die Gottheit selbst gleichsam 
das oder jenes gefordert habe. Damit stimmt eine zweite Reihe russischer Aus- 
drücke zusammen, welche sämmtlich mit dem Worte mpeöaio, fordern, zu einer 
Familie gehören. Ein Opfer heisst nämlich auch mpeöa, ein Opferaltar mpeßiiairb, 
ein Götzentempel Tpe6um,e, welches letzlere gleichfalls für Opferallar gebraucht 
wird. Die Götter forderten also die Opfer und es war religiöse Pflicht, diesel- 
ben um ihren Willen zu befragen. Daher sagt auch Thietmar (Thietmar Chron. 
VI, 17. Perz V, 812, 7) ganz richtig: et quae placabilis hostia ofTerre diis a 
ministris debeat, per sortes et per equum dilig enter inquirunt, und 
damit stimmt wiederum vollkommen, dass im Russischen der Hengst JKepe6ei* ge- 
nannt wird, ein Ausdruck, der an /KepuiBa und *Kpe6in, Loos, erinnert. Ueber die 
verschiedenen Gegenstände, welche zum Opfer dargebracht wurden, haben wir in 
gleichzeitigen Quellen nur wenige Nachricht, indessen ist auch dies Wenige von 
Bedeutung. Von blutigen Opfern war das vornehmste, edelste der Mensch, und 
ein solches Opfer fiel nicht sehr häufig und nur bei den grossen Nationalfeierlich- 
keiten den Hauptgöttern. Thietmar (Thietmar Chron. VI, 17. Perz V, 812, 7) 
spricht ganz allgemein: Hominum ac sanguine pecudum ineifabilis horum (deo- 
rum) furor mitigalur. Helmold spricht wiederholt von Menschenopfern; so sagt 
er (Helmold Ghron. I, 52. Leibniz II, 556): diis dicati erant flamioes et sacrifi- 
ciorum 'libamenta multiplexque religionis cultus: porro solennilalis dies dicatas 
sacerdos iuxta sortium nutum dennnciat, conveniunlque viri et mulieres cum par- 
vulis mactantque diis suis de bobus et ovibus; plerique etiam de hominibus 
christianis a quorum sanguine deos suos oblectari institant. Ferner eben dort 
von Swatowit: unde etiam in peculium honoris aunuatim hominem christico- 
lam, quem sors acceptaverit, eidein litare consueverunt; und weiter (Helmold 
Chron. II, 12. Leibniz II, 627): Inter varia autem libamenta sacerdos nonnun- 
quam hominem chrislianum litare solebat. Man hat aus diesen Stellen fol- 
gern wollen, dass Menschenopfer nicht ursprünglich im slawischen Götlerdienste 
gelegen hätten, sondern erst durch den Kampf, in welchen das Heidenthum mit 
der christlichen Lehre gerieth, eingeführt worden wären; allein mich dünkt, mit 
Unrecht. Denn abgesehen davon, dass Thietmar in der oben angeführten Stelle 
das Wort homines ohne allen Beisatz gebraucht, und dass ein späteres Chronikon, 
welches freilich den Helmold fast wörtlich abschreibt erzählt (Anonym, chron. 
slav. c. 18. Lindenbrag Script, pag. 211): Hi duo (Priebizlaus et Niclotus) erant 
bestiae trunculentae christianis; idoloruinque cultura reinvaluit ita, ut boves, oves 
alque homines daemonibus immolarentur, wo auch homines ganz allgemein hin- 
gestellt ist, so fuhrt der noch theilweise lebendige Volksaberglauben und die uns 



Digitized by Google 



391 



erhaltene slawische Sage mit Bestimmtheit darauf hin, dass die Opferung von 
Menschen im Slawenthum aller ist, als sein Kampf mit christlichen Begriffen. 
Die Wenden an der Neisse und Spree glauben noch (Pannasch Reliquien der 
Feld-, Wasser- und Hausgötter der Wenden in Laus. Monalschr. 1797, Dec. 
pag. 740, 752), dass diese Flüsse jahrlich ein Menschenleben in ihren Flulhen 
beendigt wissen wollen, und zwar wird öfter ausgesprochen am Johannislage, den 
24. Juni; sie glauben ferner, dass der Wald gleichfalls ein Menschenopfer ver- 
lange, so dass noch das Sprichwort besteht: „holer dyrbi kojide Ijelo jeneho 
czloweka mjecz," es muss jährlich ein Mensch im Walde sein Leben einbüssen. 
(Ibid. Lausitz. Monalschr. 1797, Dec. pag. 748). Die Sage endlich, welche 
Vuk (Yuk II, 3) mittheilt, zeugt dafür bei den Südslawen. Er erzählt 
nämlich: Als Scntari erbaut werden sollte, baueten 300 Meister 3 Jahre hin- 
durch vergeblich, den Grund zu legen, denn was sie bei Tage vollendet hatten, 
das riss die Vila des Nachts wieder ein. Endlich verkündigte sie den Königen, 
der Bau werde nur dann zu Stande kommen, wenn zwei gleichnamige Geschwister 
in den Grund versenkt würden. Diese aber konnte man nirgend finden. Da for- 
derte die Vila, dass von den drei Frauen der Könige die, welche am nächsten Tage 
den Meistern das Essen hinaustragen werde, in den Grund gemauert werden solle. 
Als nun die Gattin des jüngsten Königs , ohne von diesem Rathschlusse etwas zu 
ahnen, das Essen bringt, werfen die dreihundert Meister Steine um sie her und 
fangen an, sie einzumauern. Auch Popow und Le Clerc erzählen Aehnliches 
(Popow Myth. slav. pag. 25. Le Clerc de la Russie ancienne I, 205): Nachdem 
Slavensk, die von den Slawen früher erbaute Stadt, zerstört worden war, be- 
schlossen sie, eine neue Hauptstadt zu gründen. Die Volksoberhäupter versam- 
melten sich zur Berathung über die Art ihrer Grundlage und den Namen, welchen 
sie führen sollte. Einer der Aellesten schlug der Versammlung vor, man solle 
mit Anbruch des Tages Boten nach verschiedenen Seiten aussenden und ihnen be- 
fehlen, genau auf das erste lebende Wesen Acht zu haben, welches sie fänden. 
Die Versammlung billigte diesen Beschluss, man opferte den Göttern und ent- 
sandte die Boten. Sie erfüllten ihren Auftrag bald, sie kamen mit einem Knaben 
zurück, und es ward beschlossen, dass dieser als Grundstein der neuen Stadt dienen 
sollte, welche Detinez genannt wurde. Hält nun die Volkssage mehr die alljähr- 
liche Wiederkehr des Opfers fest, so bewahrt das Volkslied mehr die besondere 
feierliche Ursache solches Opfers auf. Allein die Geschichtsschreiber sprechen 
noch öfter von dem Opfer eines Menschen, und aus ihren Erzählungen lernen wir, 
dass auch bei diesen Opfern das Haupt als der edelste Theil betrachtet und den 
Göttern besonders geweiht wurde, und dass auch Menschen auf dem Opferaltare 
geschlachtet wurden. Von beiden Einzelnheiten spricht eine Urkunde, welche zu- 
erst Martene und Durand (Marlene et Durand collect io amplissima I, 625 und 
Schöttgen und Kreissig diplom. Nachlese IV, 554) und dann aus diesen Schöttgen 
und Kreissig enthalten. Sie ist zwar, wie Lenz (Sam. Lenz Hist. v. Magdeburg 
pag. 95 — 96) wahrscheinlich gemacht hat, falsch, allein da alle übrigen Dinge, 
welche ihren Inhalt ausmachen, der Wahrheit gemäss sind, und von der Unächt- 
heit der Fassung noch nicht unmittelbar abhängt, dass auch Alles, was in einein 
nachgemachten Aktenstücke erzählt wird, gleichfalls verworfen werden müsse, so 
stehe ich nicht an, diese Stelle hier beizubringen. Die Urkunde sagt: in nostrani 
regionem saepissime efferuntur nullique parcentes rapiunt, caedunt, fundunt ex- 
quisitis tormentis affligunt, quosdam decollant, et capita daemoniis suis 

immolant Phanatici autem eorum, quotiens commessationibus vacare 

libet, feriis indictis capita, inquiunt, vult noster Pripegala, Huius fieri oportet 
sacrificia. — Tunc decollatis ante prophanationis suae aras Christianis, et 
horrendis voeibus ululantes, agamus inquiunt dies laetitiae, victus est Christus, 
vicit Pripegala Tictoriosissimus. Ueber den hier gemeinten Gott wird später zu 
sprechen sein, jetzt kann es nur darauf ankommen, die Art und Weise der 



Digitized by Google 



Opferung zu ersehen. Adam von Bremen (Adam. Bremens. IV, c. 12. Tel c. 16?. 
Aus ihm Helmold Chron. I, 23. Leihniz II, 558), wo er den Tod des Bischofs 
Johannes berichtet, sagt: Johannes episcopus senex cum caeteris Christianis in 
civitale Magnopoli servabatur ad triamphom. Ille igitar pro coufessione Christi 
fustibus caesns, deinde per singulas Slavorum civitales ad ludibriam ductus com 
& Christi nomine flecti non possit, truncatis manibus ac pedibus in platea corpus 
eius proiectnm est, caput vero desectum quod pagaoi conto praefigen- 
tes in titulum victoriae deo suo Radegast iinmolaverunU Haec in 
metropoli Slavorum gesta sunt IV. Id. Novemb. An einem anderen Orte berichtet 

Helmold (Helmold chron. I, 22. Leibniz II, 557) : Deinde rix quinque tran- 

sierunt anni statim Slavi rebellare reparantes primum omoiam Godescalcum inter- 
fecerunt. Et quidem vir omni aevo memorabilis propter fidem deo et principibos 

exhibitam, a barbaris occisus est, quos ipse nilebalur ad fidem convertere 

— Passus est autem alter ille Machabaeus in urbe Leontio, quae alio nomine 
Lenzin dicitur, VII idus Janii cum presbytero Eppone, qui super altare im- 
molatus est, et aliis multis tum laicis quam clericis, qui diversa pro Christo 
pertulerunt supplicia. Derselbe Chronist meldet ferner (Helmold Chron. II, 12. 
Leibniz II, 627): Inter varia autem libamenta sacerdos nonnumquam hominem 
christianum litare solebat: huiusce inodi cruore deos omnino delectari iactitans. 
Accidit ante paucos annos maximam inslitorum multiludinem eo convenisse piscatio- 
nis gratia. In Novembri enim flante Tehementius vento mullum illic halec capilor 
et patet mercatoribus Uber accessus , si tarnen ante deo terrae legitima sua per- 
solverint. Affuit tunc forte Godcscalcus quidam, sacerdos domini de Bar de wich 
invitalus ut in tanta populorum frequentia ageret quae dei sunt. Nec hoc latuit 
diu sacerdolem illum barbarum et accersilis rege et populo, nuntiat irata Tehe- 
mentius numina, nec placari posse nisi cruore sacerdolis, qui peregrinam inter 
eos sacrificium ofTere praesumpsisset. Tunc barbara gens allonila convocat in- 
stitorum cohortem, rogatque sibi dari sacerdolem, ut offeret deo suo placabilem 
hostiam. Renitenlibus Christiaois centum marcas offerunt in munere. Sed cum 
nil proficerent, coeperunt intenlare Tim, et craslina bellum indicere. Tunc insti- 
tores ouustis iam de captura navibus nocte illa iler agressi sunt, et secundis ven- 
tis yela cedentes, tarn se quam sacerdotem atrocibus ademere periculis. Die 
letzte Stelle ist in vielfacher Hinsicht lehrreich. Einmal bestätigt sie die oben 
gegebene Ansicht, dass die Gottheit die ihr gefalligen Opfer fordere, und dann 
zeigt sie, wie die Priesterschaft der Heiden die Gelegenheit benutzte, das Volk 
gegen die Christen aufzuregen. Die weiter oben beigebrachten Stellen sind in 
anderem Bezüge beachtenswerth. In der ersten sagen die Priester (phanatici), 
die Goltheil fordere Häupter (capita) und es wird gesagt, man habe die Gefan- 
genen vor dem Altare enthauptet; im Helmold wird erzahlt, das Haupt des Bi- 
schoffs Johann sei auf einen Speer gesteckt und so dein Radegast geopfert wor- 
den, und von dem Presbyter Eppo wird gemeldet, er sei super altare iminolatos. 
Alle aber zeigen, dass die Berichterstatter ihrerseits der Meinung allerdings wa- 
ren , dass man von Seiten der Heiden mit besonderer Vorliebe den Göttern Christen 
geopfert habe. Dusburg, der preussische Menschenopfer beschreibt, deren Voll- 
ziehung ganz von der slawischen Opferweise abwich, berichtet darüber viel un- 
befangener (Dusburg Chron. P. III, c. 86. Ed. Hartknoch. 193): Natangi volentes 
victimam diis offerre miserunt sortem inter Teutonicos ibi captos; ohne dabei zu 
erwähnen, dass die Sache aus besonderem Chrislenhasse entstanden sei. Und das 
war sie auch nicht ihrem Ursprünge nach, denn es ist bekannt genug, dass bei 
allen heidnischen Völkern der Vorzeit Gefangene und in deren Ermangelung Ver- 
brecher und sehr selten nur, im Verhältnisse, ganz, so zu sagen, Unschuldige 
geopfert wurden. So war es auch hier. Man stand mit den christlichen Deut- 
schen sich feindlich gegenüber, und wie von aller Beule, so wurden auch Ge- 
fangene dem Gotle dargebracht Dass später die Priesterschaft, welche ihr ganzes 



Digitized by Google 



303 



Dasein bedroht sah in dem Kampfe mit den Christen die Opferung 1 christlicher 
Gefangenen als etwas den Göttern ganz besonders Angenehmes darstellte, liegt 
auf der Hand, nur soll man damit nicht sagen wollen, als habe die Priesterschaft 
erst seit diesem Zeitpunkte Menschenopfer in den slawischen Götterdienst einge- 
führt. Sie waren ihm eben so ursprünglich, als jedem anderen heidnischen Koi- 
tus. Für das durchgängige Vorhandensein von Menschenopfern übrigens bei allen 
Slawenstämmen ist wohl die Stelle im Nestor, nach Scherer's Uebersetzung, denn 
leider war mir kein Original zur Hand, Seite 97 schlagend, welche ich hier an- 
führen und dabei bemerken will, dass aus der ganzen Erzählung Nestor's hervor- 
geht, wie das Chrislenlhom in Russland sich unter weit geringeren Kämpfen ein- 
geführt habe, als in Westen, und dass also ein besonderer Hass gegen die Chri- 
sten nicht weiter hervortritt Es ist daher darauf hin wohl kein grosses Gewicht 
auf den Umstand zu legen, dass in der nachfolgenden Erzählung der Waraeger, 
den sie betrifft, ein Christ ist, und dies hat nur Bedeutung insoweit, als diese 
Gesinnung auf seine Handlungsweise Einfluss hat. Nestor sagt nun Folgendes: 
Und Wolodimir fing an, allein zu regieren und richtete Götzenbilder anf dem 
Hügel ausserhalb des Thurmschlosses auf und man opferte ihnen, in- 
dem man sie Götter nannte, und die Einwohner brachten ihre Söhne und Töchter 
und verehrten den Teufel und verunreinigten durch ihre Schlachtopfer die Erde, 

und der Hügel und Russland wurden mit Blut befleckt. Im Jahre 6491 

(983) ging Wolodimir wider die Jätwägen und bezwang die Jätwägen, eroberte 
ihr Land und kam nach Kiew zurück, und die Aeltesten nnd die Bojaren sagten : 
Wir wollen unter den Knaben und Mädchen losen, und auf wen das 
Loos fällt, der soll den Göttern zum Schlachtopfer dienen und er- 
stochen werden. Ein Waraeger, ein Christ, hat einen schönen Sohn. Auf 
diesen fiel das Loos aus Neide des Teufels und die, welche zu ihm geschickt 
waren, kamen und sagten zu ihm: Das Loos ist auf deinen Sohn gefal- 
len, denn die Götter wollen ihn zu ihrem Opfer haben, wir wollen 
ihn also aufopfern. Dessen weigerte sich der Waraeger und wird deshalb 
vom zornigen Volke erschlagen. Aber aus der ganzen Erzählung leuchtet hervor, 
dass kein besonderer Hass der Priester das Loos etwa auf den Christen lenkte, 
dass also der Zufall wirklich waltete und wenn das Loos einen Anderen getroffen 
hätte, man auch diesen, einen Heiden, geopfert haben würde, dass also eine ganz 
gewöhnliche Sitte erzählt wird. 

Bei weitem weniger sind wir über Thieropfer unterrichtet, denn wir wis- 
sen nur von sehr wenigen Thieren, welche den Göttern geschlachtet wurden. 
Gewöhnlich melden die Quellen uns ganz allgemein litare pecudum hostias. Pro- 
copius (Procop. de bello goth. Slritler II, 28. Slavica Sect. II, $. 17) sagt: 
deo deorum boves et cuiusque generis hostias immolant und Helmold (Hclmold 
Chron. I, 52. Leibniz II, 556) erwähnt: mactant diis suis de bobus et ovibus, 
so dass man mit Gewissheil Rinder und Schafe als Opferlhiere kennt, sonst aber 
nichts; dass auch Pferde und Kühe geopfert wurden, erlaubt uns der Aberglaube, 
welcher sich bei den Wenden erhalten hat, zu schüessen. Prätorius (Praetorius 
Wellbeschreibung II, 162, 163) nämlich erzählt von diesen: Die undeutschen 
Leute pflegten zur Abwehrung und Tilgung der Viehseuchen um ihre Ställe herum 
Häupter von todten Pferden undKühen auf Zaunstecken zu stecken 
(Adams: Caput vero desectum, quod pagani conto praefigcnles — deo suo — 
immolavcrunt), auch ihren Pferden, welche Nachts vom Mohr oder Lee ton 
malt und müde geritten würden, einen Pferdekopf unter das Futter in die 
Krippe zu legen, das hemme die Macht des Geistes über das Thier. Eines sehr merkwür- 
digen Thieropfers gedenkt noch Cosmas pragensis ed. Pelzel et Dobrowsky I, 27. 
bei einer Gelegenheit, von welcher später ausführlich gesprochen werden wird, 
der Opferung nämlich eines Esels. Den in den Kampf ziehenden Böhmen wird 
auf ihre Anfrage, ob sie siegen würden, von der Wahrsagerin geantwortet: Si 



Digitized by Google 



rultis triumphnm Tictoriae conseqai, oportet tos prius iussa deornm exeqni. 
Ergo litate diis uestris asinum ul sint et ipsi Tobis in asylum. Hoc Totom fieri 
suminus Jupiter et ipse Mars , sororque eius Bellona atque gener Cereris iubet 
Quaeritur interim miser asellos et occidilur et ut iussum fuerat in mille millies 
frusta conciditur atque ab universo exercitu citius diclo consumitur. Dies Opfer 
soll den Göttern gebracht werden: ut sint et ipsi vobis, den Böhmen, in asylum. 
Das Heer wird auch durch den Genuss dieses Opferfleisches so ennuthigt, dass, 
wie Cosmas sagt: res similis prodigio, cerneres laetas phalanges et ti- 
ros mori proniptos ut sylvalicos porcos: et sicut- post aquosam nubem fit sol ck- 
rior et visu iucundior, ita post nimiain inertiam exercilus ille fuit alacrior et ad 
pugnam audacior. Auch hier übrigens fordern die Götter das Opfer, auch hier 
wird das Opferfleisch Terzehrt und man darf wohl annehmen, dass auch hier das 
Haupt besonders der Gottheit dargebracht wurde. Von Fruchtopfern ist uns 
durch die lateinischen Schriftsteller nichts bei öffentlichen Nationalfeierlichkeiteo 
aufbehalten worden, als die Nachricht im Saxo (Saxo Gram. Lib.XIV. Ed. Steph, 
320), dass dem Swjatowit, bei der jahrlichen Feier ihm zu Ehren, ein fast manns- 
hoher, runder, mit Honig bereiteter Kuchen sei dargebracht worden. 

Ueber Privalopfer sind wir natürlicherweise noch sparsamer mit Nachrichten 
Tersehen. Es ist wahrscheinlich, dass sie auch im Hause Tom Hausvater ver- 
richtet wurden. Dafür sprechen die Ueberbleibsei dieser Sitte im Volksaberglau- 
ben. Aus den Quellen selbst erfahren wir nur, dass auch PriTalopfer in Tem- 
peln oder Heiligthümern der Gottheit dargebracht wurden. So Adam t. Bremen 
(Adam Brem. II, c. 11, Tel c. 65. Lindenbr. 23): Civitas ipsa novem portas 
habet, undique lacu profundo inclusa, pons ligneus transitum praebet, per quem 
tantum sacrificantibus aut responsa petentibus via concedilar, and 
Helmold (Helmold Chron. I, 83. Leibniz II, 595) Tom Heiligthum Pronos: In- 
gressus atrii omnibus inhibitus nisi sacerdoti et sacrificare Tolentibus. Von 
Darbringung blutiger Opfer durch Privatpersonen gibt uns Constantinus Porphyro- 
geneta (Constant Porphyr, de administrat. Imp. c. 9. Slritter II, 984) ein Beispiel, als er 
von der Fahrt der Russen auf dem Dniester spricht: Hoc autem transmisso loco 
ad Sancti Gregorii insulam appellunt, ubi ptopler ingentem quercum sacrificia 
obeuut, vivenlesque aves iininolant. Circum autem sagiüas defigunt, alii vero 
panes et carnes aut alia prout cuique suppetit, id enim in more haben l. Sortes 
item mittunt de avibus; num edere an occidere an vivas illas dimittere debeunL 
Die Stelle ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Es werden Vögel, vermuthlich 
doch zahmes Geflügel, Pfeile, Brod, Fleisch und anderes, was ein Jeder gerade 
bei der Hand hat, geopfert, und alles, die Vögel ausgenommen, an die Eiche 
gehängt. Ueber das Geflügel aber wird erst geloost, ob man sie zur Ehre der 
Gottheit tödten, verspeisen oder fliegen lassen soll. Auch hier findet man Thier- 
opfer und unblutige Gaben zusammen verbunden, allein es wird ganz in das Ver- 
langen der Gottheit gestellt, ob ersleres Statt haben soll, oder nicht, und ob, 
wenn die Tödtung des Thieres auch geschieht, der religiöse Schmaus begangen 
werden, oder das Thier ganz dem Gölte überlassen bleiben soll. Die übrigen 
Opfer, deren die Quellen erwähnen, sind entweder Weihgeschenke, oder Geld, 
das alljährlich gegeben wurde, oder ein gewisser Antheil der Beute, welcher dem 
Gotte dargebracht wurde, und über diese Diuge wird füglicher gesprochen wer- 
den, wenn von den Tempeln geredet wird; oder es waren Gelöbnisse und sonstige 
Geschenke der mannigfachsten Art, die uns nicht weiter von den Schriftstel- 
lern besonders genannt werden. Eine Stelle müssen wir hier jedoch noch anfüh- 
ren, weil sie einen besonderen Gebrauch erörtert. Sie steht in der vita Ottonis, 
von Ebbo. (Vit Oltonis auct. Ebbone II, 2, 55. Acta Sanct. Anlw. Jul. I, 437). 
Der Verfasser erzählt zuerst, nachdem Bischoff Otto erfahren habe, dass 
ein Bild des Triglaw in der Umgegend Julins versteckt sei, wäre vom Bi- 
schoffe ein der Landessprache kundiger Mann hingeschickt worden, das Bild, wo 



Digitized by Google 



möglich, fort zu nehmen. Dieser habe sieb denn auch zu der Frau begeben, Tn 
deren Verwahrung das Götzenbild sich befand, und habe unter dem Vorwande, 
dass ihn der Gott sende, um demselben für glückliche Rettung aus Meeresgefahr 
das angelobte Opfer zu bringen, den Einlass in das Heiligthnm begehrt. At illa, 
fährt Ebbo fort, si abeo, inquit, missus, ecce aedes in qua deus noster, robore 
cayato inclusus, delinelur. Ipsum quidem videre et tangere non poteris, 
sed ante truneum procidens, eminus foramen ubi munus inferas attende. Quod 
dum imposueris, reverenler clauso oslio egredere. — Qui alacer aedem illam in- 
gressus dragmam argenti in foramen iactitavit ut sonitu metalli sacrificasse puta- 
retur. Es muss also Sitte gewesen sein, bei dem Darbringen der Opfergabe den 
Gott zu sehen und das Bild zu berühren, weil die Frau es entschuldigt, dass 
dies nicht geschehen könnte. 



III. 

Tempel. 

Die Russen nennen einen Götzentempel x lmn.\nme (slawisch), Kanmrje und Tpe6nra,e, 
Bezeichnungen, Ton denen die erstere einen der Verehrung geweihten Ort bezeich- 
net, denn 'Inmm&rb heisst ein Verehrer, und mit *Iecmb zusammenhängt, die 
zweite aus dem lateinischen capella herübergenommen scheint, die letzlere aber 
mit Tpe6a, Opfer, verwandt ist und einen Ort bezeichnet, wo geopfert wurde. 
Für Kirche aber gebrauchen sie Xpam, und Können, , beides bedeutsame Ausdrücke. 
Xpaan, hat zwar nur, so gut wieXopoan», Haus, den Begriff des Verschlossenen, 
denn man muss beides von Xopomo, ich verstecke, ableiten, allein es zeugt dies 
Wort doch mindestens dafür, dass der Gedanke eines abgecshlossenen , abgeson- 
derten, so zu sagen verborgenen Ortes im Volke auch in Bezug auf den Götter- 
dienst vorhanden war. Dass dieser Begriff aber nicht ein lediglich erst durch 
das Eindringen des Christenthums entstandener sei, dafür sprechen die einstimmi- 
gen Berichte aller Schriftsteller hinsichtlich der Schwierigkeit, die Tempel zu 
betreten. So sagt Adamus Bremensis hist. eccles. II, II, vel 65, Lindenbrog pg. 
23, vom Heiliglhum zu Rhetra: pons ligneus transitum praebet, per quem tan- 
tum s acrif icantibus aut responsa petentibus via conceditur, und 
Thietmar Chron. VI, 17. Perz V, 812, 7 erzählt von Riedgost: duae eiusdem 
portae cunclis introeuntibus patent, tertia, quae orientem respicit et 
minima est, tramilem ad mare iuxta positum et visu nimis horribile monstrat. Hier 
spricht der Gegensatz zwischen den beiden, allen zugänglichen Pforten, und der 
dritten zwar schon deutlich genug, allein der Cod. Bruss. des Thietmar fügt nach 
quae überdies noch die Worte ein: nulli facile patet, die, wie Giesebrecht wen- 
dische Gesch. I, 69, not 2 richtig bemerkt, obwohl sie im Dresdener Cod. nicht 
stehen und von Lappenberg deshalb nicht in den Text aufgenommen sind, doch 
zum Verständniss nolhwendig sind. Auch Helmold Chron. I, 83, Leibniz II, pag. 
606 erzählt vom Heiligthum des Prono: Ingressus atrii omnibus inhibitus, 
nisi sacerdoti et sacrificare volentibus vel quos mortis urgebat pe- 
riculum. Saxo grammaticus XIV cd. Steph. 320 endlich erwähnt bei Beschrei- 
bung des Tempels zu Arkona: priedie, quam rem divinam facere debuisset, sa- 
cellum, quod ei soli intrandi fas est, adhibilo scoparum usu, diligen- 
tissime purgare solebat. Diesen Zeugnissen schliesst sich endlich das des üeber- 
setzers Helmold's an, denn Kirchberg Chron. meclenburg. c. 83, Weslphal monu- 
inenl. inedit. IV, 706 sagt: 

als der walt virezünet was, darin machen kort noch lang 

so war in hart virbodin daz, ane yr phaffe alleyne 
daz nyinand solde synen gang und anders wer dareyne 

SUw. Jahrb. I. 52 



Digitized by Google 



yren gode zu holde in den heilgin walde; 

sacrificiren wulde der junge oder der aide 

oder wen da twang des todes not, ward ingelan dahere. 
den yngang man den nicht virbod 

Wir dürfen also wohl, in Betracht der Unzugänglichkeit der heiligen Stät- 
ten, den Ausdruck Xpam> als schon im Heidenthum von heiligen Gebäuden ge- 
bräuchlich annehmen und glauben, dass er später auf christliche Kirchen über- 
tragen wurde. Noch einleuchtender ist dies Ton dem Worte Kocmtn», denn dies 
weist unmittelbar auf das Ueidenthum zurück, indem es durch seine Verwandt- 
schaft mit Kocmejn», Scheiterhaufen, und Kocnn», Knochen, geradezu auf die bei 
den Slawen übliche Todtenverbrennung hindeutet Aber auch unter den Ausdrü- 
cken, deren sich die lateinischen Schriftsteller des Mittelalters bedienen, ist einer, 
der uns die slawische Benennung eines Tempels aufbewahrt. Denn neben den ans 
den klassischen Schriftstellern entnommenen Bezeichnungen durch fanum, delubrum, 
templum, die freilich ohne Beweiskraft sein würden, bedienen sich die Lebens- 
beschreiber des heiligen Otto mehrfach des Wortes contina oder concina, das für 
uns von Wichtigkeit ist. Man hat den Ausdruck mehrfach erklärt Bereits Se~ 
fried Tita Otton. II, 4, 10, Acta Sanct Antwerp. Jul. I, 403 versucht dies auf 
seine Weise, indem er sagt: ne forte vero minus patent legentibus, quid signifi- 
cent, vel unde dicantur continae, sciendum, quod slavica lingua in plerisquc 
dictionibus latinitatem altingit, et ideo puto ab eo quod est continere continas esse 
vocatas. Ist diese Erklärung auch unrichtig, so hat sie doch in so fern etwas 
Merkwürdiges, als schon in dieser Stelle die Verwandtschaft des slawischen 
Sprachstammes mit dem lateinischen erkannt und ausgesprochen ist Eine andere 
Ableitung des W T ortes findet sich in den Wiener Jahrbüchern der Literatur B. 
XXVII, 90. Hier heisst es: „Die Tempel zu Stelin hiessen weder gontynae 
noch kontynae, sondern conczina, von konec (Ende), da sie (vier an der Zahl) 
an den Enden der Stadt standen." Aber es ist nicht richtig, dass diese 
stettiner Tempel an den Enden der Stadt gestanden haben, namentlich der, worin 
sich das Bild des Triglaw befand, sondern vielmehr gewiss, dass sie den Mittel- 
punkt der Stadt ausmachten, wie es auch naturgemäss und in sonstiger geschicht- 
licher Erfahrung begründet ist, dass die Kirchen gewöhnlich die Kerne von städ- 
tischen Ansiedelungen wurden. Rackowiecka Prawda Ruski I, 113, 114, stellt den 
Namen Konczina mit Zakon, Gesetz, das Bestimmte, zur Entscheidung, zn Ende 
Geführte zusammen und erklärt kontyna als den Ort, in welchem Gesetze aufbe- 
wahrt oder gegeben wurden. Was sich dagegen sagen lässt, wird spater vorge- 
bracht werden, wenn von den Gerich tsstätlen die Rede sein nnd ihr Zusammenhang 
mit den religiösen Einrichtungen der Slawen erläutert werden wird. Endlich hat 
man die Ableitung von Tomn-b, Dachschindel, und romnmia, (GoncianabeiMrongovins), 
kleine Dachschindel, versucht. Diese fertigt Uanusch Wissenschaft des slaw. Mythos, 
Lemberg 1843, pag. 401, sehr vornehm als „oberflächlich" ab, obwohl sie sich am Ende 
doch wohl sehr gut vertheidigen lassen dürfte. So gut wie die Germanen ihre 
Tempel hof, halla u. s. w. genannt haben mögen, Namen, die gleichfalls blos 
von der äusseren Gestalt des Baues, ohne näheren Bezug auf die besondere Be- 
stimmung des Gebäudes, hergenommen sind, eben so wohl durften auch die Sla- 
wen ihre Tempel nach dem Material benennen, aus welchem sie errichtet worden. 
Es ist nicht nothwendig, dass dergleichen Bezeichnungen alle Mal eine 
geistige, tiefere Bedeutung haben müssen und dass eine Etymologie darum ver- 
werflich ist, weil aus ihr keine geistreiche Folgerung oder tiefere Anschauung 
der Dinge für das Volk gezogen werden kann. Man darf auch nur Abbildungen 
von christlichen Kirchen in inner-russischen Dörfern sehen, um zu bemerken, dass 
sie hölzern und von der Spitze bis zur Erde mit kleinen Schindeln überkleidet 
sind. Die Lage dieser Tempel war verschieden. So befanden sich einige auf 



Digitized by Google 



397 



Bergen, wie Procosii Chron. 113 bezeugt: divinilnli Zywie fanuin exstruclutn 
erat in monle ab eius dei nomine Zywiec diclo; andere waren in bewohnten 
Städten an Seen, Adam Bremens. II, c. 11, vel 65. Lindenbrog 23 von Rhe- 
tra: Templum ibi conslructum est daemonibus magnum — civitas ipsa novem 
portas habet, undique lacn profundo circumfusa. Thietmar VI, 17. 
PerzV, 812, 7, von Riedgost: duae portae — patent, terlia quae orientem respi- 
cit et minima est, tramitem ad mare iuxta positum — monstrat. In eadem est 
nil nisi fanum. Helmold I, 84, Leibniz II, 606, vom Podaga zu Ploen: hi enim 
simulacrorum imaginarias formas praetendunt de templis veluti Plunense idolum 
cui nomen Podaga. Oder sie waren in Slädten auf Anhöhen: zu Stettin der 
Tempel des Triglaw: Ebbonis vita Otlon. II, 1, 64, Acta Sanct. Anlw. Jul. I, 
439. Stetin vero amplissima civitas et maior Julin tres monles ambitu suo 
conclusos habebat, quorum medius, qui et altior paganorum deo Trigclav dica- 
tus. Yon anderen Tempeln weiss man nur, dass sie sich in Städten befanden, 
so in Karenz auf Rügen: Saxo gram. XIV. Ed. Steph. 327: insignis hic vicus 
trium pruepollentium fanorum aedificiis; in Arkona eben dort: Saxo gram. XIV, 
ed. Steph. 319: medium urbis planities habebat in qua delubrum — vise- 
batur; in Rostock Saxo gram. XIV, ed. Steph. 295: urbem quoque Ro- 
stock oppirianorum ignavia destitutum nullo negotio perussit. Statu am eliam, 
quam gentis profana credulitas perinde ac coeleste numen divinis 
honoribus prosequabatur, incendio mandavit; in Gutzkow in Pommern: 
Sefried vita Oltonis II, 2, 136, Acta Sanct. Anlw. Jul. I, 410: deinde — ad 
Gozgangiam iter diverlit. In hac siquidem civilatc mirae magniludinis ac pul- 
criludinis templum fuit; bei den Luticern: Ebbo vit. Oltonis III, 1, 173, 
Acta Sanct. Anlw. Jul. I, 441: Igitur veniens ad urbem Timminam magnum illic 
belli apparatum hostilemque Lulicensium incursionem reperit. Nam Luticenses, 
quorum civitas cum fano suo a gloriosissimo rege Lothario zelo iusliüae 
nuper igni erat tradita, urbem Timinam vastare civesque eius caplivare nitebantur; 
in Colberg, Thietmar chron. VII, 52. Perz V, 839: Hic (Wolodomir) habens 
tres filios uni eorum Boleslavi ducis — filiain in matrimonium duxit, cum qua 
missus est Reinbernus praesul salsae Colbergensis — Quantum autcm in cura sibi 
commissa laboraverit idem non meae sufficit scientiae nec eliam facundiae. Fana 
idolorum destruens incendit; in Wolgast: Ebbo vita Ollonis III, 1, 80, 
Acta Sanct. Anlw. Jul. I, 447: Sed nec ipsa die adventus episcopi tentatio per 
invidiam diaboli servis dei immissa defuit Advesperascente namque die quidem 
ex comitibus episcopi fanum eiusdein urbis considerare volentes, minus caute 
pergebant; bei den Tolenzern: Helmold Chron. I, 21, Leibniz II, 556: Ria- 
dari Tolenzi propter antiquissimam urbem et celeberriinum illud fa- 
num in quo simulacrum Radigast osteuditur, regnare volebanl; in Stettin: Sefried 
vita Otlon. II, 4, 104, Acta Sanct. Antw. Jul. I, 403: Erant aulem in civitatc 
Stetinensi concinae quatuor; in Wollin; Ebbo vit. Oltonis II, 1, 37, Acta 
Sanct. Antw. Jul. I, 433: — Interim vero scrvus dei Bernardus, amore martyrii 

flagrans, correpta secure, columnam mirae magniludinis excidere 

aggressus est; dazu: Andreas vit. Oltonis II, 15, Ludwig script. rer. genn. I, 
480: apostolus itaque Pomeranorum duas illic ecclesias conslituit; unam in ci- 
vitate Julin sub honore Sti. Adalberti et Wenceslai — in loco ubi profani 
daemonum rilus agi solebant; in Brandenburg. Chron. Pulca;vae ad an. 
1156, Dobner monument. Boem III, 167: hic (Przebislaus) cum adhuc gens esset 
permixta slavonica et saxonica, deserviens rilibus paganorum, et in urbe Bran- 
denburgensi ydolum tribus capitibus inhonestum ab incolis colerelur, 
und Gerken Stiflshist. v. Brandenb. Cod. dip. Doc. V, ad ann. 1114, pag. 342: 
Ego Herberlus episcopus Brandenburgensis — una cum familiariüus ineis — 
prout poluimus multa atque innumerab ilia destruximus idola. Andere 
Tempel standen wieder vor, oder in der Nahe von Sladlen. Ein Beispiel solcher 



Digitized by Google 



Art gibt Ebbo Tita Otton. III, 2, 97, Acta Sand. Antw. Jul. I, 446, Ton Stettin: 
Erat aulem fanum qaoddam lnngius rcmolum, ad quod deiiciendum familia- 
rissimum sibi direxerat Udalricum, und von Malchow Chronogr. Saxo ad ann. 
1148, Leibniz accession. I, 300: Hi (Christiani crucigert) equidem omnes cum 
maxiiuo apparata et commeata et mirabili devotione in diversis partibus terram 
paganorum ingressi sunt et tola terra a facie eorum contreuinit et fere per tres 
menses peragrando omnia vastaverunt, cmtates et oppida igne succenderunt, fanam 
etiam cum idolis, quod erat ante civiatein Malehon cum ipsa civitate 
concremaverunt. Endlich verbürgt Helmold, ohne alle nähere Bezeichnung, das 
Dasein eines Tempels im Lande der Circipaner, Chron. I, 71, Leibniz II, 596: 
Niclolus quoque contraxit exercitum de Obotritis, et abierunt pariler in terram 
Cycinorum et Circipanorum et pervagati sunt terram hostilem omnia vastanles igne 
et gladio. Fanum quoque celeberrimum cum idolis et omni supersti- 
tione demoliti sunt. Zeugt nun schon diese Zusammenstellung davon, wie zahl- 
reich die Tempel in den Wohnsitzen der Slawen waren, so ist doch gewiss, dass 
es deren noch bei weitem mehr gab, denn es berichtet Helmold Chron. I, 84, 
Leibniz 606: praeter penates et idola, quibus singula oppida redundabant, 
locus ille sanctimonium fuit universae terrae, und Saxo bemerkt ausdrücklich in 
seinem Berichte über den Swjatowit lib. XIV, ed. Steph. 320: alia quoque fana 
compluribus in locis hoc numen habebat, quae per supparis dignitalis ac 
minoris potentiae flamines regebantur. Dies bestätigen auch mehrere Urkunden, 
wenn gleich nur in allgemeinen Ausdrücken; so die schon angeführte, obwohl in 
Fassung und Form etwas verdächtige des Bischof Heribert von Brandenburg vom 
Jahre 1114 bei Gerken, welche sich der Worte bedient: multa atque innumera- 
bilia destruximus idola, ferner die vom Bischof Wilmar von Brandenburg vom 
Jahre 1161, bei Gerken Sliftshist. Cod. dipl. doc. VIII, pag. 348, welche min- 
destens von der Dauer des Heidenthnms in Brandenburg Zeugniss ablegt, wenn 
sie sagt: urbs enim praenominata fere usque ad nostra tempora a paganis pos- 
sessa et idolorum ml Iura incesta fuit. Ein noch späteres Zeugniss für das 
Vorhandensein und die Verehrung heidnischer Gottheiten bietet endlich eine Ur- 
kunde des magdeburgischen Erzbischofs Wichraann vom Jahre 1174, in Eckhardi 
scriplor. rer. Julreboc. Lips. 1734, P. II, pag. 15, not. o): et similiter, lauten 
die Worte, cives de Jutrebuk in locis praenomiuatis telonium non persolvanL 
Verum cum ad hoc divina gratia cooperante, et ex nostro labore deventum sit, 
nt in provincia Jutrebuk ubi ritus paganorum gerebatur et unde Christia- 
nis frequens persecutio incubuit, nunc Christiana vigeat religio, etc. Bei den süd- 
licher und westlicher wohnenden Slawen habe ich keine Nachrichten von Tempeln 
gefunden, sondern nur von Hainen und Bäumen, von denen später die Rede sein wird. 

Das Material, aus dem die sämmtlichen heidnischen Tempel, eben so wie 
die ersten an deren Stelle gesetzten christlichen Kirchen, erbaut wurden, war Holz, 
das bezeugen alle Schriftsteller des Mittelalters, daher konnten sie auch so leicht 
und schnell zerstört werden. Die äussere Form dieser Tempel war überall, so 
weit wir die Beschreibungen haben, dieselbe, und zeigt unabweisbar eine 
ziemliche Kulturstufe des Volkes an, welches sie zu errichten im Stande war. 
Eine der ausführlichsten Beschreibungen solches Tempels hat uns Saxo grammat. 
lib. XTV. Ed. Steph. 319 hinterlassen, und ich stelle sie mit den übrigen 
auf die äussere Gestalt der Tempel bezüglichen Aeusseriingen der anderen Quel- 
lenschriflsteller des Mittelalters zusammen, um sodann ohne weiteres Folgerangen 
aus dem gesammten Material ziehen zu können. Saxo also berichtet vom Tempel 
des Swjatowit zu Arkona auf Rügen: Medium urbis planities habebat, in qua de- 
lubrum, materia ligneum > opere eleganlissimum visebatur, non solum munificentia 
cultus, sed etiam simulacri in eo collocati nomine reverendum. Exterior aedis 
ambitus accurato celamine renitebat rudi ac impolito picturae arlificio varias rerum 
formas amplectens. Unicum in eum ostium inlroeuntibus patebat. Ipsum yero 



Digitized by CjOOgle 



fannm duplex septorum ordo claudebat, e qnibus exterior parietibus conlextus puni- 
ceo cülmine tegebalur, inlerior vero quatuor subnixas postibus parielum loco 
pcnsilibus aulaeis nifebat nec quidquam cum exleriorc, praeter teclum et pauca 
laquearia cominunicabat. Weiter hin beschreibt Saxo XIV, ed. Stepb. 325 die 
Zerstörung des Götzenbildes: Postero die Esbernus ac Suno, iubento rege, si- 
mulacrum eversuri, quod sine ferri ministerio convelli nequibat, aulaeis qnibus 
sacellum tegebatur abstractis famulis succidendi officium arripere iussos, attentius 
monere coeperunt, ut adversum tantae molis ru inain cautius se gererent, ne eius 
pondere oppressi infesto numini poenas luere putarentur. — Iamque statua extrema 
tibiaruin parte praecisa propinquo parieti supina incedit. Cuius extrahendae gratia 
Suno inini?tros ad eiusdem parielis deiectionem hortatus cauere iussit, ne succi- 
dendi aviditate pericula sua parum despicerent, neu se labenli statuae per incu- 
riam proterendos obiicerent. Ruinain simulacri non sine fragore bumus exccpit. 
Fraelerea frequens aedem purpura circumpendebat nilore quidem praedita sed 
situ tarn putris ut tactum ferre non posset. Nec sylvestrium bestiarum inusitata 
cornna defuere, non minus suapte natura, quam cultu miranda. — Posthac noslri 
pariler et fanum cremendum et basilicam lignis macbiamenlorum exaedificandam 
curabant. Endlich sagt er bei Erzählung, wie die Tempel zu Karenz zerstört 
worden, XIV, ed. Steph. 627: Insignis hic vicus trium praepollentium fanorum 
aedificiis erat, ingenuae artis nitore risendis — Maius fanum vestibuli sui medio 
continebatur, sed ambo parietum loco purpura claudebanlur, tecli fastigio solis 
duntaxat columnis imposito. Itaque ministri direpto veslibuli cultu tandem manus 
ad inleriora fani velamina porrexerunt. Quibus amotis, factum quercu simula- 
crum, quod Rugiac vilhum vocabant — spectandum patebat. Ueber den Tempel 
Radegasts zuRelhra sagt Adam Bremens, hist. eccles. II, c. 11, Tel 65. Lindenbr. 
pag. 23: Templum ibi conslructum est daemonibus magnum. — Civitas ipsa no- 
vem portas habet undique lacu profundo inclusa, pons ligneus transitum praebet, 
per quem tanlum sacrificantibus aut responsa petenlibus via conceditur. Haec ea 
signifikante causa, quod perditas corum animas, qui idolis serviunt, novics Slyx 
inlerfusa coercet. Hiermit ist zu vergleichen, was Thietmar vom Tempel des 
Zuarasici erzahlt, Chron. VI, 17, Perz V, 812, 7: Urbs quaedam in pago Rie- 
derun, Riedgost nomine, tricornis, ac tres in se continens portas, quam undique 
sylva, ab incolis intacta et venerabilis circumdat magna. Duae eiusdem portae 
cunclis introeunlibus patent, tertia, quae*) orientem respicit et minima est, tra- 
mitein ad mare iuxta positum et visu nimis horribile monstrat. In eadem est 
nil nisi fanum de ligno artificiose compositum, quod pro basibus, diversarum 
sustentalur cornibus bestiarum. Huius parieles variae deorum dearumque imagines 
inirifice insculptae, ut cernentibus videtur exterius ornant. Aehnliches berichtet 
vom Tempel des Triglaw Sefried vita Oltonis II, 4, 105, Acta Sanctor Anlw. 
Jul. 403: Erant aulem in civitate stetinensi concinae quatuor, sed una, quae 
ex bis principalis esset, mirabili cultu et arlificio construcla fuit, interius et ex- 
terius sculpturas habens de parietibus prominentes, imagines hominum et volucrum 
et bestiarum tarn proprio suis habitudinibus expressas ut spirare putarentur ac 
vivere, quodque ramm dixerim colores imaginum extrinsecus nulla lempestate ni- 
vium vcl imbrium fuscari vel dilui polerant, id agente industria pictorum. 

Man sieht, Saxo allein spricht sich über die Form des Gebäudes aus, alle 
librigen Berichterstatter schweigen davon, und es ist daher nöthig, die einzelnen 
Stellen dieses Geschichtschreibers einer näheren Beleuchtung zu unterziehen. Die 
Hauptstelle ist die, in welcher der Tempel zu Arkona geschildert wird, und 



•) Cod. Brus. tertia, quae nulli facile patet, orientem respicit. Die gesperrten 
Worte, welche bei Perz fehlen, weil die Dresdener Handschrift sie nicht hat, sind, wie 
schon oben bemerkt worden, des Zusammenhanges wegen nothwendig. 



Digitized by Google 



welche die ersle der oben mitgetheilten ist. Hier steht exterior aedis ambilos 
und ipsum Tero fanum sich so offenbar gegenüber, dass es nicht zu begreifen 
ist, wie man mit Giesebrecht wend. Gesch. 6^, not. 5 eine Undeullichkeit spüren 
kann. Die Sache scheint ganz einfach. Aedes ist der ganze Coniplex des heili- 
gen Gebäudes, zu welchem die Wohnung des Priesters, die Stallung für das 
heilige Pferd und andere Baulichkeiten gerechnet werden müssen, die sämmtlick 
zum heiligen Orte gehören, während fanum das Gotteshaus insbesondere bedeutet. 
Der exterior ambilus aedis ist also bestimmt yon dem fanum zu unterscheiden 
und bestand wohl in einer Planke, die in angemessener Ferne das fanum umzog, 
so dass zwischen derselben und dem fanum ein freier Raum war. Innerhalb die- 
ses ambitus stand nun der Tempel selbst, von dem es heist: ipsum Tero fanum, 
duplex septorum ordo claudebant. Diese duplex septorum ordo selbst war wie- 
derum eine innerhalb der anderen; die exterior bestand aus einer Wand, über 
welcher sich ein dunkelrolhes Dach erhob und umschloss die interior, welche 
Saxo auch sacellum nennt, worin sich das Bild des Gottes befand, und die sich 
durch Decken bildete, welche zwischen vier Pfählen aufgehängt waren und ge- 
wöhnlich das Allerheiligste verhüllten. Nach dieser Ansicht würde also der Tem- 
pel zu Arkona aus den Theilen ambitus, fanum, sacellum bestanden, und im 
Grundrisse so ausgesehen haben: 

a. ambitus exterior aedis. 

b. fani exterior septorum ordo parietibus 
conlextus, puniceo culmine teclus. ; 

c. fani interior septorum ordo quatuor 
subnixus postibus parielum loco pen- 
silibus aulaeis nitens — seu sa- 
cellum. 

d. simularum dei. 

Auf diese Weise konnte Saxo anch sagen, dass die innerste Abtheilung des 
Tempels mit der äusseren nur durch das Dach und wenige Stricke zusammenge- 
hangen habe. Das Dach nämlich bedeckte beides b und c, ruhte aber blos auf 
den Wänden von b, während der ambitus ohne Dach eine blosse, mit genau ge- 
arbeitetem Schnitzwerke gezierte Bretterwand war. Diese Ansicht scheint durch 
die Beschreibung des Tempels Rugiaewil's bestätigt zu werden. Die hier ge- 
meinte Stelle des Saxo ist aber verderbt, und da keine Handschriften der historu 
danica vorhanden sind, völlig unverständlich, ohne Anwendung einer Conieclur. 
Sie lautet: Maius fanum veslibuli sui medio continebalur, sed ambo parielam 
loco purpura claudebatur, tecti fasligio solis duntaxat columnis imposito. Ich 
möchte dagegen lesen: maius fanum vestibuli sui moeni non continebalur, sed 
ambitus parietum loco purpura claudebatur. Hier fällt dann das im obigen 
Grundrisse mit a Bezeichnete ganz weg, b besieht statt aus Wand aus vier Pfäh- 
len, gerade wie das sacellum c, auf denen das Dach ruht, und zwischen welchen 
Purpurdecken hängen, wie eben auch bei dem sacellum der Fall ist. Nur so 
kann der Unterschied zwischen dem Tempel des Rugiaewit und dem des Swatowit 
hervortreten, an den Saxo offenbar gedacht hat, wenn er Lib. XIV, ed. Sleph. 
327 schreibt: Insignis hic vicus trium praepollentium fanorum aedificiis erat, in- 
genuae arlis nitore visendis. Iis tantum paene venerationis privatorum deorum 
digoilas conciliaverat, quantum apud Arconenses publici numinis auctoritas possi- 
debat. Nach diesem scheint es nun, als unterschieden sich die Tempel zweiten 
Ranges von denen des ersten im Aeusserlichen dadurch, dass sie keinen ambitus, 
kein caelamen uod keine parietes hatten, wie diese, sondern blos ein Dach. Dass 
es auch Tempel des Swatowit dieser Art gab, sagt Saxo gleichfalls, und man 
darf sich wohl die meisten der Stadttempel so eingerichtet denken. Der 

Digitized by Google 




401 

Raum, welcher sich zwischen dem sacellum und den Wänden des Tempels be- 
fand, möchte wohl nicht sehr breit gewesen sein, weil Saxo erzählt, dass die 
Bildsäule des Swatowit, als sie umgehauen worden, gegen die Wände gefallen 
sei. Wenn nun auch Saxo von der Grösse des Rugiaewit lib. XIV, ed. Steph. 
327 sagt: Spissitudo illi supra humani corporis habitum erat, longiludo vero 
tanta, ut Absalon supra priinam pedum partem consistens aegre mentum securi- 
cula, quam manu gestare consueverat, aequaret und vom Swatowit versichert: 
Ingens — simulacrum omnem humani corporis habitum granditate transcendens, so 
ist doch nicht wohl zu glauben, dass die Statue über 10 — 11 Fuss hoch ge- 
wesen sei und man kann wohl annehmen, dass der Raum von b zu c im obigen 
Grundrisse nicht grösser als 5 — 6 Fuss gewesen sein mag. Die inneren Seilen 
der Wände von b waren wahrscheinlich mit kostbaren Decken behangen, denn 
Saxo sagt: Praeterea frequens aedem purpura circumpendebat, und es ist nicht 
gut anzunehmen, dass dies im Allerheiligsten gewesen sei, da hier der Raum 
dazu mangelte, während es ganz passend scheint, die Wände des Tempels damit 
zu schmücken und zu verhangen. Dagegen ist es wahrscheinlich, dass an den 
Pfeilern, welche das sacellum von dem übrigen Tempel schieden, die der Gott- 
heit geheiligten uud ihr zugehörigen Sachen hingen, als: Sattel, Zaum und 
Schwerdt, wie im Tempel zu Arkoua, oder der prächtige Schild, wie im Tempel 
zu Wolgast, denn Saxo berichtet vom Swatowit lib. XIV, ed. Steph. 319: Haud 
procul (vom Gölterbilde nämlich) frenum ac sella simulacri compluraque divini- 
tatis insignia visebantur. So war der innere Raum in den rügischen Tempeln 
ausgeschmückt, während der äussere (ambilus aedis exterior) mit Schnitzwerk 
bedeckt war. Von diesem sagt Saxo: exterior aedis ambitus accurato celamine 
renitebat, rudi ac impolito picturae arlincio, varias rerum formas amplectens. 
Das caelamen, halb erhobene Schnitzarbeit, nennt er accuratum, während er von 
der Malerei sagt, sie sei roh und grob gewesen. Die Figuren also waren mit 
Farben bemalt, und dies scheint bei allen Hau p Item p ein der Fall gewesen zu 
sein, denn Thietmar und Sefried bezeugen dasselbe von den Tempeln des Zua- 
rasici und Triglaw, obwohl Ersterer der Malerei nicht besonders gedenkt, wäh- 
rend Letzterer die Lebendigkeit und Treue der abgebildeten Gngenstände, so wie 
die Dauerhaftigkeit der Farben ausserordentlich rühmt. Man hat nun einen Un- 
terschied darin hervorheben wollen, dass Thietmar sagt: mirifice insculplae und 
von iroaginibus deorum dearuinque spricht, welche an den Aussenwänden des 
Tempels zu Riedgost befindlich gewesen seien, während Saxo nur ganz allgemein 
von Schnitzwerk redet, und Sefried ausdrücklich Menschen, Vögel und Thiere 
als die abgebildeten Gegenstände erwähnt. Mir gilt hier wenigstens das Zeug- 
niss Thietmar's nicht so viel, als Saxo's und Sefried's, denn die beiden Letzte- 
ren sprechen als Augenzeugen, während Thietmar nur Gehörtes berichtet. Da 
sich nun Saxo nur ganz allgemein über die Gegenstände der Bildwerke aus- 
spricht, so scheint es wohl erlaubt, anzunehmen, dass die Beschreibung drs Se- 
fried die richtige, allgemein gültige sei, und dass die variae deorum dearumque 
imagines des Thietmar nur aus einem Irrthume Desjenigen entstanden sind, der 
ihm über den Tempel des Zuarasici Bericht erstaltete. Da ferner Saxo und Se- 
fried darin übereinstimmen, dass das Schnitzwerk in halb erhobener Arbeit be- 
standen habe, so bin ich nicht geneigt, mit Giesebrecht wend. Gesch. I, pag. 69 
so viel auf Thietmar's Wort insculptae zu geben und eingeschnittene Abbildungen 
im Gegensatze mit dem hervortretenden Schnilzwerke zu Stettin undArkon daraus 
zu machen, sondern glaube, dass die Arbeit überall in basreliefartigem Bilder- 
werke bestanden habe. Ist es aber nun auch wahrscheinlich, dass die äussere 
Ansicht der rügischen und festländischen Tempel eine gleiche oder wenigstens 
sehr ähnliche gewesen sei , so möchte in der Ausstattung des inneren Raumes ein 
desto v? es entlicherer Unterschied stattgefunden haben. Erstlich ist nämlich bei keinem 
Geschichtschreiber, der von den Tempeln des Festlandes spricht, von einem besonders 



Digitized by Google 



40£ 



verhüllten sacellum die Rede, durch welches die Geilheit, noch im Tempel selbst 
dem Anblicke des Eintretenden sei entzogen worden, und zweitens ist in dem 
grösslen Theile der Nachrichten, die uns von Tempeln des Festlandes aufbewahrt 
sind, der Umstand merkwürdig, dass vom Vorhandensein mehrerer Götterbilder 
in einem Tempel gesprochen wird. Ich werde später, wenn ich von den Göttern 
und deren Bildern handeln werde, auf diese wichtigen, bedeutungsvollen Punkte 
zurückkommen, während ich sie hier nur erwähne, um nachzuweisen, dass die 
innere Tempeleinrichtung aus diesem Grunde von der durch Saxo beschriebenen 
etwas abweichen mussle. Am ausführlichsten beschreibt Thietmar die innerliche 
Beschaffenheit solch eines Tempels Chron. VI, 17, Perz V, 812, 7, wo er vom 
Tempel des Zuarasici spricht: Interius autem dii stant manu facti singulis no- 
minibus insculplis, galeis atque loricis terribililer vestiti, quorum primus Zua- 
rasici dicilur et prae caeteris a cunclis gentilibus honoratur et colilur. Wahr- 
scheinlich standen also die einzelnen Götterbilder an den Wänden rings umher, 
und die Hauptgottheit in deren Mitte, mit ihren Attributen besonders ausge- 
zeichnet. Diese Vermuthung wird durch die Stelle des Adam v. Bremen über 
den Tempel des Radegast bestätigt, hist eccles. II, c. 11, vel 65, Lindenbrog 
11, pag. 23, woselbst von Rethra gesagt wird: templum ibi construclum est dae- 
roonibus magnum, quorum prineeps Redigast. Simulacrum eius auro, lectus ostro 
paratus. Auch hier ist von einem Tempel die Rede, in welchem mehrere Gott- 
heiten vereinigt sind, deren eine genannt und als Hauptgoltheit hervorgehoben 
wird. Von dieser wird gesagt, ihr Bett oder Kissen sei aus purpurfarbigem 
Stoffe gemacht gewesen. Diese besondere Auszeichnung scheint mir darzulhun, 
dass die übrigen im Tempel aufgestellten Götterbilder ohne Attribute, an weniger 
auffälliger Stelle und auf beschränkterem Platze standen, aber auch, dass kein 
sacellum in der Art, wie zu Arkona und Karenz, vorhanden war. In einem 
Punkte endlich stimmen alle Beschreibungen von Tempeln überein, dass nämlich 
zu allen nur ein einziger Zugang führte, und Adam von Bremen nnd 
Thietinar fügen hinzu, dass dieser Eingang nicht leicht und nur Opfernden oder 
Orakelbegehrenden geöffnet wurde. Dieser Eingang endlich war mit hölzernen 
Thuren verwahrt, wie mehrere Stellen gleichzeitiger Schriftsteller darthon. So 
Sefridi vita Otlonis II, 4, 105, Acta St. Anlw. Jul. I, 403, woselbst die Rede 
Otlo's an die Stelliner mitgelheill wird, in welcher der Bischof sie aufmuntert, 
ihm bei Zerstörung der Götzentempel behülflich zn sein. Hier heisst es: Sed 
pace vestra sit, ut ego ipse cum fralribus meis sacerdotibus et clericis conünas 
aggrediar: si nos crucis sanetae signaculo praemunitos illaesos permanere videri- 
tis, eodem crucis munite trophaeo vos omnes nobiscum in securi et ascia, excisis 
ianuis et parietibus deiieite illas et incendite. Ferner Ebbonis vita Ottonis III, 
1, 80, Acta St. Antw. Jul. I, 447, wo der Rettung des Priesters Theodorich ge- 
dacht wird: clericus autem Ditricus nomine, qui iam praecedens eos, portas de- 
lubri ipsius appropinquarat, nesciens quo diverteret, fanum ipsum irrupit. Hier 
ist das irrumpere gewiss nicht ohne Beziehung gesetzt, er erbrach die Thüren. 
Auch Saxo hist. dan. lib. XIV, ed. Steph. 320, meldet Aehnliches vom Tempel 
zu Arkona, als er die Weise beschreibt, wie der Priester den Tempel reinigt: 
quo quoties capessendo vel emittendo (halitu) opus habebat, tolies ad ianuam 
procurrebat. 

Man benutzte die Tempel in sehr verschiedener, allein stets mit ihrer Hei- 
ligkeit in Bezug stehender Weise. Einmal galt der Tempel für ein Asyl und 
wer sich in seinem Umkreise befand, konnte auch seinen Feinden gegenüber 
sicher sein, wie Hclinold Chron. I, 52 bezeugt: mira autem reverentia circa fani 
diligentiam affecti sunt, nam neque iuramentum facile indulgent, neque ambilum 
fani vel in hoslibus teinerari paliuntur, und nächstdem dass dort gebetet, geopfert 
und geweissagt wurde, waren sie auch die Aufbewahrungsorte der heiligen Ge- 
räthschaiten, der Fahnen und des Tempelschatzes, so wie der gemachten Beste. 

Digitized by Google 



403 



Die Opfer, welche innerhalb des Tempels gebracht wurden, waren, so scheint 
es, nur unblutige, und wurden auch von Einzelnen selbst, nicht allein durch den 
Priester dort niedergelegt; die Beweisstellen hierzu, so wie in Betreff des Tcm- 
pelschalzes werden spater gegeben werden, hier nur diejenigen, welche von den 
heiligen Gerätschaften, den Fahnen, Waffen der Feinde und der Beute sprechen, die 
hier aufbewahrt wurden. So sagt Saxo graimnal. hist. Dan. lib. XIY, ed. Steph. 
325, vom Tempel zu Arkona: Nec sylvestriura bestiarum inusitata cornua de- 
fuere non minus suapte natura, quam cultu miranda. Weitläufiger erzählt Se- 
fried Tita Ottonis II, 4, 105, Acta St. Anlw. Jul. I, 405, vom Tempel des 
Triglaw in Stellin: In hanc aedem ex prisca patrum consueludine captas opes 
et arma hoslium et quidquid ex praeda navali vel lerrestri pugna quaesitum erat 
suh lege deeimationis congerebant, cratcres etiain aureos in quibus augurari, epu- 
lari et polare nobiles solebanl ac potentes, in diebus solennitalum , quasi de san- 
ctuario proferendos ibi collocaverunt, cornua etiain grandia taurorum agrestium 
deaurata et gemmis intexta, polibus apta, mucroncs et cullros, multamque supel- 
lectilem preciosam raram et visu pulchram in ornatum et honorem deorum ibi 
conservabant. Man sieht hieraus, worin ein Theil des Tempelschatzes bestand 
und wie die heiligen Gcräihschaften angewendet wurden. Von Aufbewahrung der 
Fahnen endlich redet Thielmar Chron. VI, 17, Perz V, 812, 7 bei Beschreibung 
des Tempels zu Riedgost: Vexilla quoque eorum, nisi ad expeditiones necessaria, 
et tunc per pedites, nullatenus inoventur. Der Tempelschatz selbst, von welchem 
eben die Rede war, bildete sich auf mehrfache Weise, und wurde von den Prie- 
slern verwaltet und verwendet. Zum Theil bestand er aus einem Beuleanlheile, 
wie dies schon die oben angeführte Stelle Sefried's beweist, welche davon spricht, 
es wäre im Tempel des Triglaw, nach altväterlicher Sitte, die zu Land und 
zur See gemachte Beute: sub lege deeimacionis , im Tempel aufbewahrt worden. 
Nach ihm also hatte die Geistlichkeit einen Zehnten. Anders berichtet Saxo hist. 
Dan. lib. XIV, ed. Steph. 320 von Arkona: Eidem (deo) quoque spoliorura ac 
praedarum pars terlia deputabalur, perinde alque cius praesidio parla oblentaque 
fuissent. Hier ist vom dritten Theile der Beule, welcher dem Tempel zufällt, die 
Rede, und es ist dies gewiss nicht willkührlich oder zufällig, sondern beruht 
wohl, wie weiter unten zu zeigen versucht werden wird, auf hierarchischen Grün- 
den. Uebrigcns erwähnt auch Helmold des Tempelschatzes und der Sitte, die 
Beute dorthin abzuliefern, zwar nur im Allgemeinen, aber doch mehrmals. So 
Chron. I, 36, Leibniz II, 568: victores aulem aurum et argenlum in aerarium dei 
sui conferunt; ferner I, 38, Leibniz II, 571: aurum et argenlum quod forte per 
rapinas et captionis hominum et vel undecunque adepli sunt, aut uxorum suarum 
cultibus impendunt, aut in aerarium dei sui conferunt, und endlich, wo er die 
Zerstörung Arkonas berichtet, Chron. II, 12, Leibniz II, 627: et destruxit (Wal- 
demar) fanuin cum omni religione sua et aerarium locuples diripuit. Ausser dem 
erwähnten Zehnten gab es aber noch andere feststehende Abgaben , welche an 
den Tempel entrichtet werden mussten. So gab am Jahresfeste des Swalowil 
jeder Einzelne, Mann oder Weib, ein Geldstück: Saxo gram. hist. Dan. XIV, 
ed. Steph. 320: nummus ab unoquoque mare vel femina annualim in huius simu- 
lacri cultum doni nomine pendebalur. Schon das annualim zeigt, dass es eine 
feststehende Abgabe war und keine willkührliche Darbringung einer unbestimmten 
Summe, wenn auch Helmold Chron. I, 52, Leibniz II, 582 nicht noch ausserdem 
versicherte: Quin et de omnibus Slavorum provineiis statutas sacrificiorum im- 
pensiones illo transmitlebant, und Chron. II, 12, Leibniz II, 627: Unde nostra 
etiam aetate non solum Wagirensis terra sed et omnes Slavorum provinciae illuc 
tribula annualim transmitlebant, welches Saxo gleichfalls am angeführten 
Orte bekräftigt, der sagt: hanc statuam tolius Slaviae pensionibus cultam esse. 
Eine andere feste Abgabe an den Tempel hatten die Kaufleute zu entrichten, wie 
denn Helmold Chron. I, 6, Leibniz II, 543 vom Swatowit meldet: Sed nec 

Slaw. Jahrb. I. 53 



Digitized by Google 



404 



mercaloribns qui forte sedes illas appulerint patet ulla facultas vendendi Tel 
einendi, nisi prius de mercibus suis deo ipsorum preciosa qoaeqae libaverint 
Auch die Zeit des Häringsfanges gab dein Tempel ein bestimmtes Einkommen, 
denn die Fischer mnssten eine Art Zoll fflr die Erlaubniss, daselbst zu kaufen, 
bezahlen. Uelmold Ghron. II, 12, Leibniz 627: In Novembri flaute vehementios 
Tento multum illic halec capilur et patet mercaloribus liber accessus, si tarnen 
ante deo terrae legilima persolverint. Auch die Lösegelder für Gefangene, 
oder der Preis für Terkaufle Menschen floss in den Tempelschalz. Dies geht 
deutlich aus der kurz vorher schon angeführten Stelle Helinold's, Chron. I, 38, 
Leibniz II, 571, hervor: aurum et argen tum quod forte per rapinas et captiones 
hominum — adepli sunt — in aerarium dei sui conferunt, und bildete auf diese 
Weise gleichfalls ein zwar ungewisses, doch aber sicher reiches Einkommen. 
Endlich aber floss ein alljährlicher Zuschuss zu dem Tempelschatze aus den 
Steuern tributpflichtiger Völker, Helmold I, 36, Leibniz II, 568: Sunt autem 
Rani — populi crudeles, habitantes in corde maris, idololatriae supra modum 
dedili, primatum praeferentes in omni Slavorum nalione, habentes regem et fa- 
num celeberrimum. Unde etiam propter specialem fani illius cullum, primum ve- 
nerationis cultum obtinent, et cum multis iugum imponant, ipsi nullius iuguni 
patiuntur, eo quod inaccessibiles sunt, propter difficultatem locorum. Gentes 
quos armis subegerint fano suo censuales faciunt. Es ist klar, dass 
die eben aufgeführten Abgaben, je nach den verschiedenen Götterfesten, zu ver- 
schiedenen Zeiten dem Tempelschatze zuflössen, so ein Theil derselben im hohen 
Sommer, am Feste des Swatowit, ein anderer im November, während des Hä- 
ringsfanges, und wieder ein Theil im Februar, welches letzlere aus einer Stelle 
im Thietmar hervorgeht, Lib. VIII, init. Leibniz I, 420, welche lautet: hinc 
abominabilis praesumtio fit mense februario, qui a gentilibus lustraüone et mu- 
neris debiti exhibilione venerandus ab infernali domino Plulone, qui fe- 
braus dicilur, hoc nomen accepit. Neben diesen geselzmässigen Einkünften flös- 
sen ihnen noch andere freiwillige zu, von Opfernden oder Rathfragenden, und 
dies waren entweder publica, d. h. solche, die von Staalswegen, von ganzen Na- 
tionen gegeben wurden, oder privata, die Einzelne bei ihren besonderen Angele- 
genheiten in Geschenken darbrachten. So unterscheidet auch Saxo schon bist. 
Dan. XIV, ed. Steph. 320: Illic quoque publicorum munerum ac priva- 
torum ingens copia visebatur, studiosis beneficia poscentium votis collata. Für 
die munera publica kann man eine Stelle des Thietmar anführen, welche sich auf 
den Tempel zu Riedgost bezieht, Chron. VI, 15, 11, Perz V, 812, 7: Hanc ad 
bellum properantes salutant, illam prospere redeuntes muneribus debitis honorant, 
und ein Beispiel eines muueris privati gibt Saxo am angeführten Orte: Hanc 
itaque staluam totius Slaviae pensionibus cultam, finitiini quoque reges, non abs- 
que sacrilegii respectu donis prosequebantur. Quam inter caeteros etiam rex 
Danorum Sueno propiliandi gratia exquisiti cultus poculo veneratus est Meisten- 
teils hiessen diese freiwilligen Gaben bei den lateinischen Schriftstellern des 
Mittelalters munus, wie die gesetzmässige Abgabe donum, und es scheint, als 
wenn diese munera im Allgemeinen nicht gerade nur vor der Gottheit selbst nie- 
dergelegt worden wären. Wenigstens ist eine Stelle in Sefried vita Oltonis U, 
2, 56, Acta St. Antw. Jul. I, 437 bemerkenswerth, wo vom Triglaw gesprochen 
wird: Ipsum quidem videre et tangere non poteris, sed ante truncum procidens 
eminus foramen, ubi munus inferas attende. Quod cum imposueris re- 
verenter clauso ostio egredere. Diese Worte könnten indessen, als blos für den 
besonderen Fall gesagt, gedacht werden, wenn nicht merkwürdiger Weise ein bei 
weitem späterer Chronist, der Uebersetzer des Helmold, Kirchberg, eine ganz 
ahnliche, aber weit bestimmtere Darstellung der Sache hätte. Er erzahlt nämlich 
auch vom Swatowit, ohne dass ich die Quelle nachweisen könnte, aus welcher 
er geschöpft hat, Folgendes Chron. Meclenb. c. 53, Weslphal monumenLlY, 661, 662: 



Digitized by Google 



405 

Ouch hallin al dy lant der Wende 
Opphere süle gar behende 
Was ym darin geopphert was 
Der Schatz gesammet wart vil hart 
Und wart ym alle jareglich 
Gesant czu eren lobelich. 

Dies stimmt mit dem foramen sehr wohl, wohinein das munus geworfen 
wurde, nicht gelegt, denn Sefried sagt gleich darauf: qui alacer aedem illam 
ingressus draginam angenti in foramen iactitavit, ut sonitu metalli sacrifi- 
casse putaretur. Es gab also wohl sogenannte Opferstöcke, wohinein Jeder eine 
beliebige Gabe warf, die dann zu gewissen Zeiten an die Tempel abgeliefert 
wurde, nachdem sie aus diesen Opferslöcken herausgenommen. Die Oeffnung 
übrigens, durch welche man diese Gaben hineinwarf, muss sehr weit gewesen 
sein, denn sonst hatte unmöglich Sefried berichten können, der vom Bischöfe 
Olto ausgesandte Mann, welcher den Triglaw habe wegnehmen sollen, nachdem 
er zum Schein geopfert: concitus quod ieccrat retraxit. Abgesehen aber von 
diesen Geldeinnahmen besassen die Tempel Grundstücke, wie dies unwiderleglich 
aus Saxo gram. lib. XIV, ed. Sleph. 325 hervorgeht: Rex oppidanos in fidem 
hac lege recepit, ut simulacro cum omni sacra pccunia tradilb, caplivos chrislia- 
nos ergaslulo liberatos absque redemptionem dimitterent, omniaque verae religio- 
nis momenta danico ritu celebrarent. Quin etiam ut agros ac latifundia 
deorum in sacerdotum usus converterent. Das Meiste von dem hier Angeführten 
wird freilich nnr vom Tempel des Swalowit mit Gewissheit gesagt werden kön- 
nen, allein da sich bei anderen Tempeln Spuren ähnlicher Verhallnisse, wenn 
auch öfters nur enlfernt, nachweisen lassen , so möchte wohl anzunehmen sein^ 
dass tiberall eine gleiche Ausstattung der heiligen Gebäude, wenigstens der Haupt- 
tempel, üblich gewesen sei. Von den freiwilligen Gaben und Weihgeschenken 
liegt es auf der Hand, wäre auch nicht das ausdrückliche Zeugniss des Thietmar 
für Zuarasici, des Adam v. Bremen für Radegast und des Sefried fUr Triglaw 
vorhanden. Des jährlichen Opferaufwandes zu Retbra gedenkt Helmold gleichfalls 
Chron. I, 21, Leibniz II, 556: Si qui dem Riaduri sive Tolenzi propter anti- 
quissimam urbem et celeberrimum illud fanum , in quo simulacrum Radigast 
ostenditur, regnare volebant, adscribentes sibi singularem nobilitalis honorem, eo, 
quod ab oinnibus populis Slavorum frequentarentur propter responsa et annuas 
sacrificiorum iinpensiones, und es ist wohl zu vermuthen, dass darunter 
auch das von Saxo bemerkte donum eines Geldstücks vom Kopfe zu verstehen 
sei, da sich Helmold an der Stelle, wo er von Swatowit redet, desselben Aus- 
druckes bedient, Chron. I, 52, Leibniz II, 543: statutas sacrificiorum iinpensio- 
nes, und wir aus Saxo wissen, dass zu dem festgesetzten Opferaufwande sowohl 
die Opfer selbst, als auch die Geldsteuer gerechnet wurde. Dass der Beute- 
antheil auch anderen Tempeln, als dem des Swalowit zufiel, wissen wir aus dem 
Sefried, für den Triglaw, welcher ja den Zehnten von aller Beute erhielt, ge- 
wiss und können es aus den Worten Thietmars Chron. VI, 15, 11, Perz V, 812, 
7: hanc (urbem) ad bellum properantes salutant, illam prospere redeuntes mune- 
ribus debitis honorant für Zuarasici schliessen, denn diese debita munera dürf- 
ten wohl nur in einem bestimmten Antheil an der Beute bestanden haben. Dunk- 
ler ist es, ob die anderen Tempel, gleich dem des Swalowit auf Rügen, agros 
und latifundia besessen haben, und wir können darüber keine entscheidende Stelle 
beibringen, allein ich vermuthe es, und zwar aus einigen Worten Ebbo's. An 
der einen Stelle, vita Otlonis II, 1, 64, Acta St Anw. Jul. I, 439, spricht er 
vom Bau der Kirchen zu Slellin und sagl: Hac itaque potenüssiina civilale ad 
veri dei agnilionem per bealum praesulem addueta, delubra idoloruin flammis 
erant absumpta, duaeque ecclesiae una in monte Trigelai sub honore saneli 



406 

Adalbert!, alia extra civitatis moenia in veneratione saneti Petri erant locatae, 
et ex hoc sacrificia qnae copioso apparatu et divitiis sacerdolibus et fanis idolo- 
rum exhibebantur ecclesiae Christi sibi vindicabant. Sefried beschreibt vita Ot- 
tonis III, 3, 154, Acta St. Antw. Jul. I, 414, die Lage dieser zweiten Kirche 
folgeirdcrmassen : Fuit autem basilica aale introilum civitatis in area spaciosa, 
quam ipse in priori profeclione dedicaveral. Die andere hierher gehörige Stelle 
des Ebbo steht in der vita Otlonis II, 2, 58, Acta St. Antw. Jul. I, 437, und 
behandelt die Gründung der Kirchen zu Jiilin. Hier sagt Ebbo: apostolus ilaqoe 
Pomeranorum duas illic ecclesias constiluit, unam in civitate Julin, sub honore 
sanetorum Adelberti et Wenceslai marlyrum, in loco ubi profani daemoniorum 
rilus agi solebant, ut ubi spurca pridein commercia, Christi deineeps frequenta- 
renlur mysteria. Alleram extra civilalem in campo mirae lutitudinis et amoenila- 
tis, in veneratione beatissimi apostoloruin prineipis aedifieavit , illicque sedem 
episcopalera slaluit. Es ist gewiss auffallend, dass Otto in beiden Städten, Stet- 
tin und Julin, so gleichmassig verfährt, dass er in jeder zwei Kirchen erbauen 
lässt, stets die eine innerhalb und die zweite ausserhalb der Stadt, und dass von 
den zwei letzteren übereinstimmend gesagt wird, sie hatten in area spaciosa und 
in campo mirae laliludinis et amoenitatis gelegen. Wenn man bedenkt, dass die 
beiden Stadlkirchcn auf den allheidnischen Tempclplatzen erbaut wurden, so sollte 
man wohl zu der Vermulhung berechtigt werden, das grosse, schöne Feld, auf 
dem die anderen beiden Kirchen standen, für agros und latifundia zu halten, die 
ursprünglich den Tempeln zu Stettin und Julin zugehört hatten. Dann gewinnt 
auch das ex hoc in der ersten Stelle des Ebbo seinen eigentümlichen Sinn, in- 
dem sodann damit gesagt wird, dass die christlichen Kirchen aus dieser Ursache, 
rücksichtlich ihrer Lage nämlich, sich die Opfer, welche den heidnischen Prie- 
stern und Tempeln gebracht wurden, angeeignet hätten, da es sonst auch wohl 
heissen könnte: seit dieser Zeit, seitdem. Blickt man nun von diesen Resultaten 
auf die religiösen Einrichtungen der Preussen, und vergleicht, was sich als kri- 
tisch nicht zu bezweifeln herausstellt, mit den slawischen Gebrauchen, so tritt 
eine merkwürdige Uebcrcinslimmung neben völliger Verschiedenheit hervor. Auch 
hier gaben die Sieger den dritten Theil der Beule der helfenden Gottheit, allein 
der Priester verbranule alles und nichts wurde aufbewahrt, so meldet Dusborg 
Chron. P. III, c. 5, ed. Uartknoch 60: Post vicloriam diis suis vicliinam oflferunt, 
et omnium eorum quae ralionc vicloriae consecuti sunt terliain 
parlem diclo Criwe pracsentarunl, qui combussit talia. Nicht minder findet sich 
die Nachricht, dass auch ihre Gölter ihre geheiligten Felder, Gewässer und Wal- 
dungen halten, Dusburg Chron. P. III, c. 5, ed. Hartknoch 79: Uabuerunt etiam 
lucos, campos et aquas sacras sie quod secare, aut agros colerc, vel piscari au- 
si non fuerant in eisdem, allein die Felder durften nicht bebaut, die Teiche nicht 
gefischt werden. Es ist nun wohl eine nicht uninteressante Frage, ob etwa auch 
die slawischen Tempel, so wie sie ihre Felder und Grundslücke hallen, auch ihre 
Seen, gleich den preussischen Göttern, besassen? Nachrichten darüber habe ich 
nicht finden können, allein nachfolgende Umstände dürften denn doch wohl Schlüsse 
machen lassen, aus denen die Frage zu hejahen sein möchte, wobei denn natür- 
lich vorerst immer nur von den Hauptempeln die Rede sein kann. Es scheint 
bemerkenswerth, dass alle Tempelslällcn, deren Beschreibung übrig, oder 
deren Lage mit Wahrscheinlichkeit zu ermitteln ist, ja die meisten derer, von 
welchen nur Traditionen sprechen, ein solche ist, dass ein See angränzt oder 
sich in der Nahe befindet. Für Arkona beweist es eiue Stelle Saxo's, hist. dan. 
XIV, ed. Steph. 248, 45: Primum itaque solenni rilu prolui iussi slagnum lna- 
iore pellendae sitis, quum iniliandae religionis ardore pelenlcs sub specie sacromm 
fessa obsidione corpora refecerunt; von Relhra sagt Adam. Bremens, hist. eccles. 
II, 11, vel 65, die Stadt sei undique lacu profundo inclusa; bei dein Tempel 
des Zuarasici befand sich nach Thielmar 41, 17, mare iuxta posilum; die bc- 



Digitized by Google 



4OT 



kannte Lage des Tempels zu Plön war unweit des Plöner -See's, und die mit 
grösslcr Wahrscheinlichkeit iin Burgwall bei Garz gefundene Stelle Ton Karenz, 
so wie die muthmassliche Stelle des Pizamar- Tempels auf Jasmund in der Slub- 
niz, die sogenannte Herlhaburg, zeigen beide Seen. Von Colberg, wo gleichfalls 
Tempel standen, meldet Thielmar Chron. VII, 52, Perz V, 859: Fana idolorum 
destruens (Reinbernus) incendit, et mare daemonibus cullum, immissis qua- 
tuor lapidibus sacro chrismale perunctis, et aqua purgaus benedicta, novain do- 
mino omnipotcnti propaginem in infructuosa arbore, id est in populo nimis in- 
salso — plantationem eduxit. Ratzeburg, wo der Sage nach die Siwa verehrt 
wurde, liegt an einem See, und eben so soll, wie die Tradition will, anderer 
dergleichen Oerter zu geschweigen, nach Lienhart Versuch einer Geschichte von 
Krain II, 288, auf der Insel des Feldersee's in Krain der Tempel des Radegast, 
zu dem eine hölzerne Brücke geführt haben soll, gestanden haben. Als nun das 
Chrislcnthum siegreich durchgedrungen war, fiel alles Tempcleigenlhum, und also 
auch die Seen, theils an die Fürsten, welche ihrerseits wieder die neuerrichlelen 
Tempel ausstatteten, wie denn dies Saxo von Arkona bezeugt, lib. XIV, ed. Sleph. 
324: Rex oppidanos in iidem hac lege recepit — nt simulacro cum sacra pe- 
cunia tradilo — quin etiam ut agros ac latifundia deorum in sacerdotum usus 
converterent , oder die Bekehrer nahmen, wie die oben angeführte Stelle aus dem 
Ebbo darthut, gleich selbst diese Hinkünfte für die gestifteten christlichen Kir- 
chen in Anspruch, oder aber sie wurden, wie zum Beispiel der See bei Garz 
nach Wackenroder alles und neues Rügen Th. II, B. II, c. 3 , pag. 240, Ge- 
meindeeigenlhum. Der Begriff der Heiligkeit solcher Seen ging denn natürlich 
mit dem Glauben an die alten Gottheiten unter, doch aber hat er sich manchmal 
in den Volkssagen auf merkwürdige Weise erhalten, und es ist Orlen, an denen 
sich dergleichen vorfinden, wohl eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. So 
gibt es, um ein Beispiel anzuführen, von dem schwarzen See in der Stubniz auf 
Rügen, eben demjenigen, an welchem der wahrscheinlichsten Vermuthung nach, 
der Tempel des slawischen Pizamar lag, folgende interessante Sage, die ich bei 
Wackenroder altes und neues Rügen, Th. I, B. I, c. 5, pag. 5 und Schwarz 
kurze Einleit. z. Geograph, des Norder- Teuschlands slaw. Nation II. Ablh., pag. 
160, not. f. aus Chytraeus lib. I, Saxon. angeführt finde. Sie lautet: Es habe 
einmal ein Bauer auf diesem See iischen wollen, und wie er gegen Abend sein 
Boot darauf gebracht, sich am anderen Tage desselben zu bedienen, habe er 
dasselbe des anderen Morgens nichl auf dem Platze gefunden, wohin er es ge- 
stellt habe. Er habe sich dann danach umgesehen, und es endlich auf dem höch- 
sten Gipfel einer unweit stehenden hohen Buche gefunden. Voll Verwunderung 
darüber habe er ausgerufen : We het dy da henupschlengl ? worauf eine schreck- 
liche Stimme geantwortet habe: dat hef ick un min Broder Nickel dahn! Bei 
diesen Worten habe der Bauer noch ein höhnisches Gelächter gehört. Wacken- 
roder nennt den Bruder Michel und setzt hinzu, dass noch zu seiner Zeit (1732) 
der See wegen der Gespenster übel berüchtigt sei. Man durchsieht die mythi- 
sche Bedeutsamkeit der Sage leicht. Die allheidnischen Göller mussten sich es 
fiberall gefallen lassen, von den siegenden Christenpriestern als Unholde und Dä- 
monen dargestellt zu werden, und das Volk behielt sie lieber in dieser Gestalt 
hei, als dass es ihnen ganz entsagt hatte. Ein göttliches Wesen also versetzte 
den Kahn auf die Buche, welches den Frevel nicht dulden wollte, sein geheilig- 
tes Eigenthum durch den Menschen berührt zu sehen. Der See war heilig, und 
man durfte im Alterlhume darauf nichl fischen; das deutet die Sage durch die 
erzählten Fakten an. Es war eben so bei den Slawen verboten, wie bei den 
Preussen, und bei beiden Stummen hatten die Tempel geheiligte Fehler und Seen. 
Das sind die Vermuthungen, die man aus allen Umstanden wohl als hohe Wahr- 
scheinlichkeiten hinzustellen berechtigt ist. Dies bekräftigt auch die ähnlich lautende 
polnische Sage von einem See in der krakauischen Diöces, welche Dlugoss aufbewahrt 



Digitized by Goagle 



hat. Obwohl in Einzelheiten zu ihrem Vortheile Ton der rtigenschen verschieden, lehrt 
sie doch in der Hauptsache dasselbe, die Heiligkeit und Unverletzbarkeit des 
Gewässers. Sie steht Dlugossus bist. Polon. VII, ad ann. 1278, ed. Lips. 1711, 
814 C, und lautet folgendennassen: apud cracoviensem dioecesim lacus quidam, 
et in longnm et in lalum nolabili spatio porreclus, et infeslatione daemo- 
uum, a piscatura et usu illius homines variis terroribas et impedimentis 
arcentium, infamis habebatur. Com itaqne eo anno hyems solito asperior pro- 
Tenisset, piscalaram lacus tentatnri viciniores qninque crucibus et sanctorum re- 
liquiis atque vexillis assumptis lacnm accedont. Et laxatis rctibos in capluram, 
prima quidem vice magna adnitentia et labore sagenam, velut gravidam, trahen- 
tesj tres tantummodo piscicolos percipiunt. Altera laxalione sagena in orbem 
conlorla, conlractaque, casso labore sndarunt. In tertia vero, quae et ipsa maxi- 
mam ingerebat trahentibus fatigam , captam et extracluin monslrum terribile ap- 
paruit, cuius oculi rabri, ignei et flamigeri cervix in caprarum capul desine- 
bat. Quo visu universi, qui ccnvenerant, ingenli pavore attoniti sunt, ut crucibos 
et vexillis reliclis pallati et tremebundi , quo quemque sors ferret, diffugerint 
Quorum nonnulli morbidis uleeribus fitere attacti. Monstrum aulem terrore homi- 
nibus ingesto in aquam subtus glaciem desiliens, et per lacus ampliludioem, quasi 
pennigero volatu discurrens strepitum eliam et sonitum horribilem edebat. Es ist 
sehr bedaueroswerlh , dass Dlugoss den See nicht genannt und so gleich bestimmt 
auf den unstreitig mythisch wichtigen Ort hingewiesen hat. Ich habe bis jetzt 
vergebens nach dem See gesucht, und kann auch die Erzählung nicht weiter, als 
im Dlugoss und Cromer, welcher sie offenbar aus diesem entlehnte, verfolgen. 
Die Sage selbst ist gewiss von mythologischem YVerthe, denn offenbar ist das 
ziegenköpfige Ungeheuer eine verunstaltete Göllerfigur und die bösartige Krank- 
heit, welche die Menschen überfällt, erscheint vollkommen als Strafe für das 
Wagniss, ein der Gottheit geheiligtes Gewässer zu entweihen. 

(Wird fortgeaetzt.) 



2. JBilfliographische Uebersicht der Sammlungen 

slawischer Volkslieder. 

Von P. J. Schaf arik. 
(Schlug» des Artikel« von Seite 320.) 

III. (Südslawische Lieder. 

A. Serbisc/be. 
a) Gedruckte. 

42) Ruhmesrede (razgowor ugodni) des slawischen Volkes von Andreas Kaczil 
Mioszic. Venedig 1750. 8. 396 S. Diese Ausgabe wurde einige Mal neu auf- 
gelegt; die neueste von ihnen ist: Ruhmesredc des slowenischen Volkes von An- 
dreas Kaczic\ herausgegeben von V. J. Dunder. Wien 1836. 8. I. 416, II. 382. 

Kaczic* schrieb im Geiste der Volkslieder. Einige Lieder in seiner Samm- 
lung sind rein volksthfimlich, und zwar: Von der Hochzeit des Sibinjanin Janko, 
S. 119 (Ausg. von 1801). Von Sckula und Mustajpasza und Dragoman S. 120. 
Von Jurisch Senjanin, S. 239; andere, wie z. B. das Lied von Radosiaw, einiger- 
massen verändert. Auszüge aus Kacziö sind: Liederbuch von Kowaczewil, Ofen 
1818. 8. (mit cyrillischer Schrift); das Leben des Djordje Kaslriota Skenderbeg, 
von Popowitf. Ofen 1828. 8. S. 75 — 127. Lateinische Uebersetzung: Descr. 



Digitized by Google* 



409 



reg. banor. et her. Illyricor. Budae 1764. 8. von Pavi<5; deutsche Uebersetznng 
einiger Lieder in W. Gerhard's Wila. Lpzg. 1828. 8. 

43) Fortis Viaggio: Reise in Dalmatien. Von 1744, in 4. I. II. Hier 
befindet sich eine italienische Uebersetzung des Liedes von Agan-Aganica, wo- 
nach dann Göthe seine Uebersetzung bearbeitete. 

44) M. P. Kalancziö Fructus auctumnales : Herbslfrüchte, gesammelt auf 
den Höhen des pannonischen Farnassus. Agram 1784, in 12. 78. Hier finden 
sich 2 oder 3 Volkslieder, z. B. S. 65 Koschntica, S. 70 Powodna u. a. 

45) Georgii Ferrich Ragusini epistola: George Ferrich's von Ragnsa 
Brief an Johann Müller, mit Beigabe von 37 illyrischen Gedichten nebst lateini- 
scher Uebersetzung. Ragusa 1798. 8. 64. 

Mit Ausnahme von 2 der Heldengedichte sind die Franenlieder nach dem 
Lateinischen in verschiedenem Masse übersetzt. Unter den Volksliedern sind 
einige Verse von dubrownischen (ragusischen) Poeten, und zwar das 5. auf Seite 
25, von Wlad. Minczetiö. S. 59 — 61 befindet sich ein bemerkenswerther Brief 
Johann Müllers an den Uebersetzer. S. 62 — 64 sind die Anfangsverse dieser 
Lieder im serbisch -illyrischen Dialekte angegeben. 

46) F. M. Appendini Notizie: Historisch -kritische Notizen über Alter, 
Geschiente und Literatur von Ragusa. Rag. 1802 — 1803. 4. I. II. 

Im 2. Theile, S. 259 — 262, ist ein Heldengedicht auf Serbisch -Illyrisch 
mit italienischer Uebersetzung von Marco Bruere abgedruckt, welcher noch meh- 
rere ähnliche Lieder gesammelt und übersetzt haben soll. 

47) Islorija Sindipy: Geschichte des Philosophen Sindipa, Ofen 1809. 8. 
96. Unter anderen Poesien findet man hier ein gereimtes, aber verdorbenes 
Volkslied. 

48) Kleines slawisch -serbisches Volksliederbuch, herausgegeben v. Wuk 
Stefanowic*. Wien 1814. 8. I. 120. 2. Theil unter dem Titel: Serbisches 
Volksliederbuch. 1815. 8. 262. 

49) Serbische Volkslieder, gesammelt und herausgegeben von Wuk Stef. 
Karadzic. 1. Th. Lpzg. 1824. 8. LXII — 316, enthält verschiedene Frauenlieder. 
2. Th. 1823. 305, enthalt die ältesten Heldenlieder. 3. Th. 1823. 309, gibt 
neuere Heldenlieder. 4. Th. Wien 1838. 368, gibt verschiedene Heldenlieder. 

Eine erschöpfende Kritik über diese Sammlung mit deutscher Uebersetzung 
von Kopitar in den Jahrbüchern der Literatur, 1825. Th. 3. S. 159—277. 
Andere Uebersetzungen über die neueste Auffassung langer Heldendichter aus dem 
Munde des Volkes in Serbien, zur Vergleichung mit Homer und Ossian, nebst 
einer Uebersichl des merkwürdigsten und längsten jener Lieder. Von J. S. Vater. 
Abgedruckt in Wuk Slefanowicz Karadzic* serbisch. Gramm., verdeutscht und 
mit einer Vorr. von J. Grimm. Lpzg. 1824. 8. S. 55 — 77. Volkslieder der 
Serben, metrisch übersetzt nnd historisch eingeleitet von Talvj (Th. A. L. v. 
Jacob, jetzt Robinson). Bd. I. Halle 1825. 8. 293. Bd. II. 1835. 330. 
Serbische Hochzeitlieder, herausgegeben von Wuk Karadiic, metrisch übersetzt u. 
von einer Einleitung begleitet von Eug. Wesely. Pesth 1826. 8. 196. Wila. 
Serbische Volkslieder und Heldenmährchen von W. Gerhard, Abth. I. Lpzg. 1828. 
8. 426. Abth. II. 317; u. andere. Servian populär poetry translated by John 
Bowring. London 1827. 8. XLVIII. 235. (La Guzla, Paris bei Levrault, 
1827, enthält nicht Volkslieder, sondern nur Erzeugnisse des Dichters Mervincet, 
der nie in Illyrien gewesen). Viele serbische Volkslieder hat Gzelakowsky in 
seiner Sammlung 1822 — 27, und in der Zeitschrift des böhm. Museums 1829. 
I. 25. 1830. II. 143. 1832. II. 138; Hanka Jungmann's Literatur, S. 57—65; 
russisch von Kastorski, Lpzg. 1838 u. s. w. Es giebt auch eine magyarische 
Uebersetzung von Sekae. Eine neue Ausgabe serbischer Volkslieder erschien 
unter dem Titel: 



Digitized by 



50) Serbische Volkslieder, gesammelt und herausgeg. v. Wnk Stef.£KaradziS. 

1. Th., verschiedene Franenliedcr. Wien 1841. 8. 640. 

Im 1. Th. dieser merklich vermehrten Ausgabe befinden sich 793 Volkslieder. 

2. Th. soll noch diesen Winter folgen. 

51) Slawische Volkslieder, gesammelt von Fr. Lad. Czelakowsky. Prag 
1822 — 27. 8. I. II. III. 

Serbische Volkslieder befinden sich Th. I. S. 164 — 190. II. 122 — 
III. 150 — 211, entnommen aus der Sammlung von Wuk Slefanowicz. 

52) Sammlung von Wahrem und Wissenswürdigem, von J. Steicz. Belgrad 
1832. 8. 224. 

Am Ende, im Snpplemente, S. 177 — 224, finden sich 6 Heldengedichte. 

53) Cernogorische und herzegowinische Gesänge, gesammelt von Cznber 
Czojkowicz Cernogorac (Sim. Milulinowicz), herausgeg. v. Jos. Milowuk. Th. I. 
Ofen 1833. 8. 160. 

Mehr ist nicht erschienen. Besonders Heldenlieder gibt die folgende (Nr. 
55), vermehrte und verbesserte Sammlung. 

54) Geschichte Cernogora's, vom Anfange bis in die neueste Zeit, von Sim. 
Milulinowicz Sarajlja. Belgrad 1835. 4. 120. 

Es belinden sich hier 7 Volksheldenlieder, S. 14-20. 35 — 44. 50 — 54. 
71—75. 85—90. 96-100. 

55) Cernogorische und herzegowinische Gesänge, gesammelt von Czuber 
Czojkowicz Cernogorac (Sim. Milulinowicz). Lpzg. 1837. 8. 358. 

157 Heldenlieder, von denen W. Gerhard hundert verdeutscht u. zum Drucke 
fertig gemacht hat. (In dem Theile „Zorica" von Sim. Milulinowicz Sarajlja, 
Ofen 1817. 8. 81, sind die Lieder über Mark Kralewicz u. A. blos Nachahmun- 
gen, aber im Ganzen nicht national). 

56) Lijek jarosti Turske. Cetinje 1834. 8. 23. 

3 Volks- nebst Lobliedern auf die Cernogorcen (von BischofT Njegusch Pe- 
trovic?). 

57) Illyrischer Morgenstern. Agram 1835 — 1836. 4. . 

Er gibt einige Volkslieder, zum Theil aus der Sammlung von Wuk Slefa- 
nowicz, zum Theil aus dem Volksmunde, und zwar: i. J. 1835. Nr. 45. 46. 50. 
1836. Nr. 24. 25. 32. 38. 40—48. 

b) Handschriftlich. 

58) Sammlung vom charkower Professor Sreznjewski. 



B. Chromatische. 



59) Sammlungen von chrowatischen Volksliedern hatleo handschriftlich: Tho- 
Miklouschiö, N. MarakowiC", u. A. 

Bei Kerczelic: Nolitiae praeliminariae, S. 133, findet sich eine lateinische 
Uebersetzung eines chrowatischen Volksliedes; desgleichen in der Vorrede zum 
chrowatischen Evangelium, Gralz 1651, Anfangsverse von 4 chrow. Volksliedern. 

C. Kärnthnerische. 
a) Gedruckte. 

60) Das Turncj zwischen den beiden Rittern Lamberg undPegam, ein k rai- 
nerisches Volkslied mit einer deutschen Uebersetzung. Laibach 1607. 8. l*/2 Bo$r. 

Uebersetzt von J. A. 2upanczicz, herausgeg. von W. Wodnik. Diese Ballade 
steht auch in Czelakowskys Sammlung II. 186 — 195. 

61) Slawische Volkslieder, gesammelt von Fr. Lad. Czelakowsky. Prag 
1822 — 27. 8. I. II. III. 



Digitized by Googl 



i 



411 



Slowenische oder kärnlhnerische im 1. Th., S. 192-194 (kärnlhnerisch*), 
II. 186-195. III. 214-217 (krainisch). 

62) Krainisehe Biene, herausgegeben von M. Kaslclic\ Laibach 1830-33. 
8. I. II. III. IV. 

Es finden sich hier einige wenige Volkslieder im 3. Th. 85-110; 4. Th. 
84-94. 

63) Illyrische Volkslieder, die im Steierischen, Krainischen, Kärnthnerischen 
und in Westungarn gesungen werden: gesammelt Hnd herausgegeben von Stanko 
Vraz. Th. I. Agram 1839. 12. XXVI- 204 

Eine schöne Sammlung von 114 Liedern, wovon eine neue vervollslandigte 
Ausgabe vorbereitet wird. (S. noch Navuk o peldah, Gratz 1836. 8. VHI-XII. 

64) Slawische Lieder des krainischen Volkes, I. II. III. Laibach 1839. 12. 
Gedruckt mit allkrainischcr Ortographie des 16. Jahrh. Nach der Vorrede zum 
2. Th. sind sie der Sammlung von Korytko entnommen. Alle sind national, mit 
einer Ausnahme, S. 60 (Lavdon). Der grösste Theil ist sehr schlecht abge- 
druckt Vgl. die Vorrede von Vraz zu seiner Sammlung, S. XIII. 

b) Handschriftliche. 

65) Krainisehe Volkslieder, gesammelt von Andr. Smola, um 1830. Wo 
sie geblieben sind, ist unbekannt. 



IV« Czechische, mährische, slowakische. 

(Gedruckte.) 

A. C %e c h i s c he. 

66) Slawische Volkslieder, gesammelt von Fr. Lad. Czelakowsky. 1. Th. 
Prag 1821. 8. 232. 2. Th. 1825. 222. 3. Th. 1827. 231. 

Dies ist eine schöne Sammlung von czeehischen Volksliedern , die ersle und 
einzige, in der sich Lieder von allen slawischen Stammen mit czechischcr Ucbcr- 
setzung befiuden. Der erste Theil gibt czechische, mährische, ungarisch- sla- 
wische, russische, kleinrussische, serbische, kärntnische; der zweite: czechische, 
mahrische, slowakische, polnische, russische, kleinrussische, serbische, bulgarische, 
karnlhische, polabische und lilthauische; der dritte: czechische, mahrische, slo- 
wakische, polnische, russische, kleinrussische, serbische, bulgarische und kärn- 
tnische. Deutsche Uebersetzung daraus entlehnter Lieder: Slawische Volkslieder 
von Joh. Wenzig. Halle 1830. 8. 244. 

67) Czechische Volkslieder. Prag 1825. Fol. 

Es befinden sich hier 300 czech. (Musik mit Text), 50 deutsche Lieder und 
50 Nalionallanze. Die böhmischen wurden auch besonders herausgegeben. Von 
J. Ritter v. Ritlersberg. (S. Jungmann's Gesch. der böhm. Literatur, S. 528, 
Nr. 281). 

68) Czechische Volkssillen und -lieder, von J. Langer; in der Zeilschrift 
des böhm. Mus. 1834. I. 58. II. 268. 

Hier werden einige Volkslieder gegeben, die bei Freudenfesten und anderen 
Gelegenheiten gesungen werden. 

69) Volkslieder in Böhmen, gesammelt von Karl Jaromjr Erben (mit Melo- 
dien). Prag 1842. 12. 208. II. Thl, 1843. (Melodien von Volksliedern in Böh- 
men, gcsamm.von K. Jaromjr Erben. Mit Fortepianobegleilung von J. P. Mar- 
tinowsky. 1. Bd.I. Th. Prag). 

Die Freunde der slawischen Volksliteratur warlen mit Ungeduld auf die 
Beendigung dieser schönen Sammlung. 

Slaw. Jalirb. f. 54 



Digitized by Goo^Jf 



/?. Mähr i »che. 



70) Slawische Volkslieder, gesammelt Ton Fr. Lad. Czelakowsky. Prag 
1822-27. 8. I. II. III. 

Mahrische Lieder finden sich Th. I. S. 73-76. II. 46-59. III. 58-73. 

C. Slowakische. 

71) Slawische Volkslieder, gesammelt von Fr. Lad. Czelakowsky. Prag 
1822-27. 8. I. II. III. 

1. Th. S. 73-76. 2. Th. 46-59. 3. Th. 58-73. 

72) Weltliche Lieder des slowakischen Volkes in Ungarn (herausgegeben tob 
Johann Kollar). 1. Bd. Pest 1823. 12. XXXIV, 149. 2. Bd. 1827. XXX, 
168, Vervollständigt. 

73) Zpjewanki: Weltliche Volkslieder der Slowaken in Ungarn, wie des 
gemeinen Volkes sowohl, als auch aller Stande, gesammelt von Vielen, geordnet, 
erklärt und herausgegeben von Johann Kollar. Reichlich vermehrte Ausgabe, die 
die 2 ersten gedruckten Bande mit umfasst. 1. Th. Ofen 1834. 8. 454. 2. Th. 
1835. 566. 

Diese Sammlung ist reich, gut ausgestattet, korrekt gedruckt und mit hin- 
reichenden Anmerkungen versehen. Nicht jeder slawische Volksstamm kann sich 
einer ahnlichen Sammlung rtlhmen, in Bezug auf die genannten Vorzüge. Sowohl 
der Titel, als auch die Ausgabe zeigt sichtbar, dass der Herausgeber nicht nmr 
Volkslieder in seine Sammlung gesetzt hat, sondern auch solche, welche, durch 
Gelehrte ausgestattet, bei'm Volke beliebt worden sind. 



V. Polnische. 

(Gedruckte.) 

74) Slawische Volkslieder, gesammelt von Fr. Lad. Czelakowsky. Prag 
1822-27. 8. I. II. III. 

Polnische Volkslieder stehen im 2. Bd. S. 73-79; im 3. Bd. S. 86-95. 

75) Trachten in Polen, von Lukas Golehiowski (Warsch. 1830. 8. 308). 
Das polnische Volk, seine Gebrauche und abergläubischen Gewohnheiten (325). 
Spiele und Belustigungen (1831. 332). Häuser und Hofe (296). 

Hier findet sich eine ziemlich beträchtliche Anzahl von polnischen Volkslie- 
dern und Ansziigen aus denselben, und zwar im 2. und 3. Th. 

76) Polnische und russische Lieder des galizischen Volkes, mit Instrumental- 
musik von Karl Lipiriski. Gesammelt und herausgegeben von W T aclaw z Oleska. 
Lemberg 1833. 8. LIV, 516 S.; Musik: 183 S. 

Hier befindet sich nur die Hälfte polnischer Volkslieder; andere wieder, 
welche der Herausgeber gibt, rühren von neueren Dichtern her. 

77) Krakowjaki: polnische Volkslieder mit czechischer Uebcrselzung , von 
W. Hanka. Prag 1834. 16. 114. 

Diese Lieder sind aus der Sammlung von W. z Oleska entlehnt. 

78) Volkslieder der Weisschrowaten , Mazuren und Russen am Bug, nebst 
den entsprechenden russischen, serbischen, czechischen, slowakischen: gesammelt 
von Wojcicki, mit Stahlstichen und Musik verziert. 1. Th. Warschau 1836. 8. 
343. 2. Th. 383, 106. 

Eine tiefere Abhandlung über diese wichtige Sammlung s. Zeitschrift des 
böhm. Mus. 1837. III. 366. 

79) Lieder des polnischen Volkes in Galizien, gesammelt von Zegota Pauli 
Lemberg 1838. 8. 234. 



Digitized by Google 



413 



Diese Sammlung gehört zu den besten. Vgl. die Zeitschr. des bokin. Mus. 
1838. Hfl. II. 259 und Hft. III. 428-429. 

80) Lieder des krakowischen Volkes, gesammelt von J. K(onopka), mit 
Stahlstichen und Musik. Krakaw 1840. 12. V, 166. 

Sie sind von Jos. Czech herausgegeben. Hier befinden sich Krakowiaki's 
Hochzeits-, Ceremonien- und Lieder verschiedenen Inhalts. Rühmlich gedenkt 
ihrer P. Wiszniewski in seiner Geschichte der poln. Literatur, 1. Th. S. 190. 
Diese Sammlung kann die von Wojcicki, Zaleski und Zegota Pauli ergänzen. 

, 81) Lieder des grosspolnischen Yolkes, gesammelt und herausgegeben von 
J. J. Lipinski. 1. Th. Posen 1842. 12. 216 (mit Musik). 

Die Meinung Uber diese Sammlung s. in der Iutrzenka, Nr. 18. vom Jahre 
1842; desgleichen in der warschauer Bibliothek, für den September v. 1842. 

In der warschauer Bibliothek von 1842 (Monat Mai) steht von Lipinski ein 
Artikel: Ordnung der Hochzeitsceremonien im Grossherzogthum Posen. Beige- 
geben sind Hochzeitslieder. 

Anm. Die Dorflieder vom Niemen, Wilno 1837, sind aus dem Weissrussischen 
übersetzt. 

VI. IjaiisHzische. 

A. Oberlausitzische. 
(Gedruckte.) 

82) Slawische Volkslieder, gesammelt von Fr. Lad. Czelakowsky. Prag 
1822-27. 8. I. II. III. Oberlausitzischc Volkslieder stehen im 1. Bd. , S. 
194-200. 

Die görlitzcr Gesellschaft (der Wissenschaften) setzte i. J. 1836 einen Preis 
aus für die Sammlung der lausitzer Volkslieder. In Folge dessen fanden sich 5 
Sammler, die vorzüglichsten: Haupt, Smoler und Jordan (240 ober- und nieder- 
lausitzer Lieder). Die Herausgabe wurde am 23. Septemb. 1838 dem Sekretair 
der Gesellschaft, Haupt, übertragen. Der Schluss dieses Werkes: 

83) Pjcsnieki hornych a delnych Luziskich Scrbow 

erscheint in den ersten Monaten dieses Jahres. Grimma (1841 — 1844). 

B. Niederlau sitxisc he. 
a) Gedruckte. 

84) Volkslieder der Slawen in der Niederlausitz. Von Fr. Lad. Czelakowsky. 
Zeitschr. des böhm. Mus. 1830. IV. 379-406. 

Hier finden sich 11 niederlaus. Lieder, entnommen der Sammlung von Ku* 
charski, mit czcchischcr Ucbersetzung und Anmerkungen. 

b) Handschriftliche. 

85) Sammlung niedcrlausitzischer Volkslieder, von Kucharski. Warschau. 
Mit der vollständigen Herausgabe der niedcrlausitzer Volkslieder sind Haupt und 
Smoler beschäftigt. Vgl. 83. 

86) VII. Potabisches Volkslied, aus Ekkard entnommen, in der Sammlung 
von Czelakowsky. III. 196-199. 

VII. Mtthamsche. 

87) Prukna oder preussische Volkslieder, von L. Rhesa. Königsb. 1809. 12. 

88) Drei Volkslieder (dajna), nach der Rccension von Ruhig; Vorrede zu 
seinem Wörterbuche. Vgl. die Sammlung von Czelakowsky, II. 200-206. 



Digitizefc by Go€>gle 



89) Daiuos oder litlhauische Volkslieder, gesammelt, übersetzt und mit ge- 
genüberstehendem Urtexte herausgegeben von L. J. Rhesa. Nebst einer Abhdlg. 
über die litth. Volksgedichtc. Königsberg 1825. 8. 362. 

80) Litlhauische Volkslieder, aus der Ursprache nach der Sammlung von 
L. J. Rehsa, übersetzt von Fr. Lad. Czelakowsky. Prag 1827. 18. 132. 

91) Simon Slaniewicz Daynas Zemavczin. Wilno 1829. 
Sammlung dieses bekannten lit. Dichters, aus Zmudz (Samogitien). 

92) Lettische Volkslieder, verdeutscht von Karl Christian Ulmann, in den 
dorpater Jahrbüchern der Literatur. 1834. Hft. IV., S. 393-407. 

Hier sind die Volkslieder nur als Beispiele bei Besprechung der lettischen 
Nationalpoesie angeführt. Der Verfasser wird mit der Zeit eine weit grössere 
Sammlung liefern. 

93) Geschichte des alllilihauischen Volkes, von Th. Narbult. Th. 1. Lit- 
thauische Mythologie. Wilno 1835. 8. 

Einige litlhauische Volkslieder werden hier als Supplement beigegeben; zum 
Theil sind sie aus Rhesa's Sammlung entnommen, zum Theil vom Autor selbst 
aufgezeichnet. 

94) L. A. Jucewicz, einer der bekanntesten litthanischen Dichter, hat, wie 
wir erfahren haben, eine vermehrte Auflage litthauischer Volkslieder herausge- 
geben. Wilno 1838. 

Vgl. Tygodnik Pzn. 1838. Nr. 21-22. — H. Jucewicz hat auch herausge- 
geben : Auszüge aus modernen polnischen Dichtern, ins Lilhauische übersetzt. Wilno 
1837. 12. S. 73. Mit einer philologischen Abhandlung über die litthauische 
Sprache und Literatur. 

Ueberselzungen befinden sich auch in dem letzten Jahrgange der literarischen 
Beiblätter zu Wiedenmanns „Ausland." Auch 95 lilhauische Volkslieder und Volks- 
sagen von Wilh. Jordan (s. Jahrb. Heft V. S. 336). 

(Zeitschrift des böhm. Mus. und Dubrowski's Inlrzenka). 



V. 

Literatur und Kritik. 

1. Rückblick auf die polnische Ztiteratur im Gross- 
herzogthum Posen. 

(Nach dein Or^downik 1943, Nr. 3. und 5.) 

Romains! oo vom 011 trage en voos fUtt&nt, c'e»t 
eu tous diaaut la v£rit6, que je vom tetnoigae mos 
respect. — Thomas. ■ — 

Indem wir den Lesern unserer Zeitschrift einen Bericht über den Zustand der 
polnischen Literatur im Grossherzoglhum Posen Tom Jahre 1842 geben, müssen 
wir in yoraus bemerken, dass wir eine rücksichtslose, obgleich bittere Wahrheit 
auszusprechen gezwungen sind; denn wozu sollten wir uns schmeicheln und un- 
sere Nachkommen hintergehen, die, wenn sie zufällig die glänzenden Geschäfts- 
berichte unserer gelehrten Gesellschaften in Goslyn, Gnesen, Szamotuly (Samler) 
und Raszkow lesen sollten, leicht in dem Verluste der Gegenwart ein Jahrhundert 
der Periklese oder Mediceer beklagen könnten (?) Wir sagen daher ohne Um- 
schweife im Grossherzogthume Posen gibt es nicht nur nicht die ge- 
ringste wissenschaftliche Bewegung (denn dass wir zeitweilig Wissen- 
schaft und Literatur spielen, wie Kinder ihre blinde Kuh, können wir doch un- 



Digitized by Google 



415 



möglich eine wissenschaftliche Bewegung nennen)» sondern was noch viel schlim- 
mer, dass selbst dieses erste wissenschaftliche Leben sogleich in seinem ersten 
Keime geknickt worden ist. Wir leiden an einer innern, einer seit Jahrhunderten 
bestehenden, einer nationalen Krankheit, die uns in Kurzem lödlet, wenn wir 
nicht bald ein Miitel gegen dieselbe finden. Die hauptsächlichste, ja beinahe 
einzige Ursache dieser Krankheit ist der MiiB§iggang (prözniaclwo), mit welchem 
die Natur wegen gewisser Sünden alle slawischen Völkerslämme gestraft hat, von 
dem sie aber den Polen einen ungleich grösseren Anlheil gegeben hat, als den 
übrigen Brudervölkern. Die s en vernichtenden und verdricsslichen Fehler auszurot- 
ten, gab es in unserem Valerlande keinerlei aufmunternde Gelegenheit; denn 
100,000 privilegirlen Menschen zu gefallen , welche die Blttlhe der Nation bilde- 
ten, arbeiteten einige 10 Millionen Sklaven in saurem, aber trägem Schweiss. 
Die Zeiten haben sich freilich geändert; aber die Gewohnheit ist zur zweiten 
Natur geworden und hat sich gleich einer epidemischen Krankheit allen Klassen 
der Gesellschaft mitgetheilt. Der Abscheu gegen jede, besonders eine geislige 
Arbeit, die eine dauernde Anstrengung und immerwährende Beschäftigung fordert, 
beherrscht noch bis zur Stunde, wie früher, alle Stände. Aus der aufgeklärten 
Klasse nimmt Keiner die Feder in die Hand; denn es fällt ihm eben so schwer, 
wie unserem faulen Bauer der Dreschflegel; ein Büchlein nimmt seilen Einer zur 
Hand; denn man muss bei ihm sitzen bleiben, und der bewegliche Pole bedarf 
einer unaufhörlichen Aufregung und ist heute in der Stadt, morgen bei seinem 
Nachbar, in einer Woche in Paris, in Rom, an einem Badeorte u. s. w. Immer 
aber beschäftigt ihn eine „Affairc", immer strotzt sein Kopf von grossen, aber 
stets neuen Projekten. Der windbeulliche Müssigang, der ihn keine Stelle warm- 
silzen lässl, führt ihn zu Zerstreuungen, zum Luxus, zur Verschwendung seiner 
Zeit und seines Vermögens. Auf diese Weise geht das Land, das einzige mate- 
rielle Gut, das uns von unseren Vorfahren verblieben, alltäglich mehr in die 
Hände Fremder über; auf diese Weise entnalionalisiren wir uns selbst; und dass 
dabei auch unsere Nationalsache leidet, bedarf keiner weiteren Erörterung. Aus 
demselben Müssiggange entspringt die aller Ausdauer bare Veränderlichkeit und 
der Leichtsinn, der den Polen auch von der heiligsten Sache lossreisst. Unfähig, 
bei irgend einem Unternehmen bis zu Ende auszuharren, verlässl er das Eine, und 
hascht ohne den geringsten Aufenthalt nach einem Anderen, wie ein kleines Kind, 
das um einen neuen Ball das alle Pferd in den Winkel wirft; so amusiren ihn 
heute die Vorlesungen, morgen das Theater, übermorgen wissenschaftliche Si- 
tzungen, dann nationale Resourcen, Eisenbahnen, ja er sammelt zum Besten der 
Armen selbst Knochen* auf der Strasse; aber das Alles nur kurze Zeit, und dabei ist 
er stets durch Kleinlichkeilen zersplittert, aber sorgfältig darauf bedacht, womit er 
in der nächsten Woche sich unterhalten könne; er schreibt dem geringfügigsten, gleich- 
gülligsten Dinge eine ausserordentliche Wichtigkeit in der Hauptsache, dem Na- 
tionalinteresse, zu, hält dabei aber die Sprache, diese in unserer Angelegen- 
heit entschiedene Grundstütze, und die Geschichte des Landes und die Wis- 
senschaften für das fünfte Rad am Wagen, als seien sie schon allgemein zur 
Gellung gebracht, obgleich ihm gerade hierin der Fortschritt seiner Gegner die 
Augen öffnen sollte, die immer mit der Ausrottung der ihnen fremden Sprache 
und Literatur beginnen, wohl wissend, dass sie damit das Herz der Nationalität 
treffen. 

Aus demselben windbeullichen Müssiggange entspringen: der in Alles sich 
stürzende, alles verwirrende Ungestüm, der Stolz, der unter dem Vorwande, den 
socialen Fortschritt zu fördern, Parteien schafft und in der Gesellschaft den Ton 
angeben will, wie er einst unter dem Vorwande des öffentlichen Wohles und des 
Schutzes der goldenen Freiheit die Familien- oder Korporalionsintcrcssen , oder 
gar den schmutzigen Egoismus beförderte, als könnt' es irgend einen Forlschritt 
geben ohne Wissenschaft, und irgend eine Wissenschaft ohne Arbeit. 



Digitized by Google 



416 



Aus wind heut Hohem Milssi^gangc endlich entspringt das Nachäffen fremder, 
oft der wildesten Moden und Sitten in materieller, moralischer und literarischer 
Hinsicht. Thörichter Weise unsere eigene Lage vergessend, wenden wir eilfertig 
unsere Augen nach Paris, wie der fromme Muhamedaner nach Mekka, und zei- 
gen nach dem, uns Ton ferne gezeigten Spielzeuge so lange, bis an seine Stelle 
uns ein neues in die Augen fallt. Von daher kommen die dutzendweiseo Artikel 
Ober den Fortschritt, über das Auffassen des Zeitgeistes, die pomphaften Dekla- 
mationen Tom Wohle der Menschheit, als kämen sie von den Lippen eines Kelters 
des Menschengeschlechts, und welche, genauer erwogen, nur die Gedankeleere 
und die geistige Armuth verdecken u. s. w. Denn der halbgekochte Gelbschnabel 
findet es leichter, nach Durchlesung einiger Träumereien in einem deutschen Jour- 
nale einige Blätter auf dem „schlüpfrigen Grunde der empörten Fluthen" vollzu- 
schmieren, als die nothwendige Zeit abzusitzen in der Absicht, die erforderlichen 
Vorkenntnisse sich anzusammeln , um in der Zukunft in irgend einer Wissenschaft 
ein guter Schriftsteller oder wenigstens ein nützliches Glied der Gesellschaft zu 
werden und der böswillige Schriftsteller, der vielleicht keine Vorstellung von der 
Mühe und Anstrengung hat, mit welcher jede ausgedehntere Arbeit unzertrennlich 
ist, vermag beiweitem leichter in einem Geschreibsel von einem oder einem halben 
Bogen das Verdienst unserer ausgezeichnetsten Schriftsteller, der Siarczyriski's, 
Wiszniewski's, Kamieriski's und Anderer herabzusetzen, als sich selber an die 
Arbeit zu inachen und ein nützliches Werk zu schreiben, leichler, die beispiellosen 
Aufopferungen der edelsten Männer für Menschlichkeit und Nation zu schmähen, 
als selbst das geringste Opfer zu bringen. Dies ist mit geringen Ausnahmen der 
Zustand unserer Gesellschaft. Wie der Baum, so die Früchte! Man sehe daher 
die ungeheure Reihe von Werken, die im Verlaufe des Jahres 1842 im Gross- 
herzoglhuine Posen bei einer polnischen Bevölkerung von 2 Millionen durch den 
Druck veröffentlicht worden : 

a) Periodische Schriften, 

1) Tygodnik litracki. Er kam zuerst bei Stefaüski in Posen, dann bei Gün- 
ther in Lissa heraus. Schon in den früheren Jahren sagten wir, eine Zeitschrift 
müsse, um gut zu sein, eine wissenschaftliche, umsichtige Redaktion haben, und 
meinten, die Redaktion des tygodnik zeige zu wenig Kenntniss und Übersichtlich- 
keit (rozs^dek). Jetzt aber haben wir uns überzeugt, dass wir in grobem Irr- 
thume waren. Man nehme die letzten Nummern des tygodnik zur Hand und über- 
zeuge sich , dass die Redaktion sich im letzten Stadium des Delirium s befinde. 
(Wir können eine solche Polemik keineswegs gut heissen, und wenn wir auch 
einerseits eingestehen, dass der tygodnik in seinen letzten 2 Jahrgängen schwa- 
cher ist, als je in den früheren, und manche Hoffnung, die wir zu ihm gehabt, nicht 
befriedigt hat, so können wir doch andererseits nicht das einzelne Gute über- 
sehen, was er besitzt; am allerwenigsten glauben wir, dass die Idee, welche er 
vertritt, mit den Waffen abgethan werden kann, mit welchen man ihr bisher ent- 
gegengetreten ist). 

2) Dziennik domowy. Eine nützliche Zeitschrift, die in früherer Form wei- 
ter erschien, und viele gute Artikel, besonders treffliche Novellen brachte. 

3) Or^downik naukowy. Von den früheren Mitredakteuren des tygodnik. li- 
teracki herausgegeben, zeichnet sich unter den Posener Journalen durch reinere 
Sprache vortheilhaft aus. Seine politische Haltung ist zu unbestimmt, als dass 
man über dieselbe ein Urtheil fällen könnte; doch gewinnt er immer mehr an 
Verbreitung und Ansehen, und wird wahrscheinlich den Tygodnik allmählig» aus 
dessen Lesekreise verdrängen. 

4) Die Sonntagsschule, eine Zeitschrift für das Volk, erscheint in Lissa bei 
Günther, und entspricht ihrer Bestimmung vollständig. Nur Schade, dass unser 
Landvolk nicht (?) so viel wissenschaftliche Vorbildung hat, um sie zu lesen. 



Digitized by Google 



419 



5) Der Volksfreund, bei demselben erscheinend, ist die älteste periodische 
Zeitschrift des Grossherzoglhums. (Es ist eine Art von Pfennigmagazin, für einen 
höheren Leserkreis berechnet, aber dem altpolnischen Schlendrian noch bedeutend 
zngethan. Schade, dass es die Verbreitung, die es hat, nicht besser benutzt). 

6) Der Indostrie- und Ackerbauführer (przewodnik) , erscheint in Lissa und 
gehört zu den besten Schriften dieser Art. Doch schleichen sich hie und da in 
ihm Dinge ein, die nicht das Geringste mit Industrie und Ackerbau zu thun ha- 
ben, wie z. B. die viel versprechenden Berichte der wissenschaftlichen Gesell- 
schaften Ober ungedruc.kte evangelische Gesangbücher, Volkslieder u. s. w. (? — !). 

7) Die Posener Zeitung, politischen Inhalts, mit verschiedenen wissenschaft- 
lichen Excerpten aus den lemberger rozmailoäci (Zeitschrift), und dem Peters- 
burger lygodnik, ist in Folge lokaler Verhältnisse am meisten liberal, bringt die 
meisten Nachrichten aus polnischen Zeitungen, steht aber hinsichtlich der Sprache 
am tiefsten und ist im Allgemeinen bei weitem nicht das, was sie sein könnte, 
ja was sie vor 1831 unter der Redaktion Raabski's war, welcher diese Zeitschrift, 
die seit dem Ende des vorigen Jahrhunderls erscheint, in Hinsicht der Sprache 
und des Inhalts ausserordentlich verbesserte uod sie heutzutage zweifelsohne an 
die Spitze aller polnischen politischen Zeitschriften gestellt hatte, hatte ihm das 
Jahr 1831 nicht die Feder aus der Hand gerissen. Jetzt ist sie an lokalen 
Nachrichten die ärmste und bringt fast gar nichts, als was ihr hie und da Je- 
mand freiwillig Gutes oder Schlechtes einschickt; denn die Redaktion selbst schreibt 
keine Artikel. Die literarischen Nachrichten aus Posen z. B. druckt sie erst 
aus den lemberger rozinaitos'ci ab. Doch muss man gestehen, dass sie seit eini- 
ger Zeil anfangt, sich zu bessern; der Herausgeber halte nämlich gehört, man 
gehe damit um, in Posen eine andere polnische Zeitung herauszugeben, und sähe 
sich dadurch bewogen, an die Verbesserung seiner eigenen zu denken. (Zu diesen 
Zeitschriften ist noch eine zweile, unter dem Titel: Das Jahr 1843, erschienen). 

An Werkchen und dünnen Broch (Iren erschienen im Ganzen 37 Stück, 
sage: siebenunddreissig, nämlich 13 historische, 7 belletristische, 7 philo- 
sophische u. dergl. und 10 theologische. Nimmt man von dieser Anzahl das, 
was von auswärts zum Druck hierher geschickt wurde, wie die Schriften Gosz- 
czynski's, Siemienski's, Bcgdan und Lenowicz Zaleski's, die Volkslieder Lipiriski's, 
die Schriften Ja. Ka. Ra.'s, so wie die alten Schriftsteller, z. B. Kuczboraki, 
Wigand, die vom Grafen Rarzyriski herausgegeben wurden, und die Chowanna 
von Trenlowski, nimmt man endlich davon weg, was Fremde, z. B. Marron, ge- 
schrieben: was bleibt dann für das Grossherzoglhum Posen? — Wahrhaftig 
traurig ist es für den Denkenden und ein wenig tiefer in die fernere Zukunft 
Blickenden, von der einen Seite die vollständige wissenschaftliche und nationale 
Erstarrung, diese träge Nichtigkeit, von der anderen Seite wieder die Prahlerei 
und das Rühmen unserer Wissenschaft, unserer Aufklärung, unseres socialen 
Fortschrittes u. s. w. zu sehen. Ein wahrer babylonischer Thurm. Der Kine 
sieht unsere einzige Retlung in einem gewissen Fortschritte, der Andere in Ei- 
senbahnen, der Dritte in wissenschaftlichen Sessionen, der Vierte in Vorlesungen, 
der Fünfte in Ansammlung nationaler Alterlhümer u. s. w. Aber Niemand arbei- 
tel: Alle lassen die Hände sinken und das Schilf unserer Nationalität sinkt immer 
tiefer und tiefer unter. Wir haben im Grossherzogthum Posen mehr als 3000 
adelige Familien, einige Hunderte Geistliche, eben so viel Lehrer an höheren 
und niederen Schulen; aber hal wohl im Verlaufe des Jahres 1842 ein Einziger 
von ihnen Allen ein Werk in seinem Fach geschrieben? Wir haben gelehrte 
Gesellschaften, die gleich der Sorbonne gcwichtvoll Berichte abstatten über die 
oder jene Arbeit, über das eine oder das andere wissenschaftliche Unternehmen; 
aber wo sind denn nur die geringsten Früchte dieser Arbeiten, dieser wissen- 
schaftlichen Unternehmungen? Wo sind die seit mehreren Jahren schon verspro- 
chenen Swie^tojanki (ist 1843 erschienen), die Volkslieder, die Gesangbücher u. s. w. 



Digitized by Gcy^le 



Wozu sich selbst and die Oeffentlichkeit und unsere Stammesbrüder narren? wo- 
zu unseren Gegnern die Augen öffnen und ihre Blicke auf das hiuleüen, was 
weder ist noch war, was nur ein Mal wie ein Blitz durch den Kopf fuhr? - 
To by or not to by , sein oder nicht sein — eine andere Alternative ist ans nicht 
geblieben. Wollen wir unsere Nationalität aufrecht erhallen und bessere Zeilen 
abwarten, daon müssen wir uns ganzlich verandern, müssen eine kräftige, gei- 
stige Macht gegenüberstellen der gleichen Macht unseres Gegners, müssen 
arbeiten; wahre Arbeit wird uns abführen von unseren Uebertreibuogeo, tob 
unseren Träumereien, von unserer Zersplitterung und Fügsamkeit in jedem Dinge, 
von unserer Nachäffuug franzosischer Mängel und Unsitten (denn die Tugenden 
und Vorzüge dieses Volkes ahmen wir nicht nach) ; sie allein wird manches Dorf 
der Hand des Ankömmlings entwinden, sie allein durch Lesen und Abfassen von 
Schriften unserer vaterländischen Literatur aufhelfen und den rettenden Einluss 
auf die Auf rech tballung und Kräftigung unserer Nationalität unter den nieder« 
Klassen ausüben. Der Edelmann bleibe auf seinem Dorfe und deuke Tag und 
Nacht darüber nach, wie er den Boden, «ine Muller für den Fleissigen, eine 
Stiefmutter für den Faulen, zur Hergabe hundertfältiger Frucht zwinge, er hebe 
in jeder Hinsicht selbst in dem engsten Wirkungskreise die Nationalkullur empor. • 
er ziehe Nutzen aus den Erfahrungen und Beobachtungen auswärtiger Ockonomeii 
und theile seine eigenen Beobachtungen durch den Druck seinen Landsleulen roü, 
er lehre den Bauer und muntere seine Kinder zum Lernen auf. Der Geistliche 
liege seinem Buche ob, schaue sorgfällig in seine Dorfschule und schreibe seine 
Predigten sorgsam nieder. Der Lehrer zersplittere, wenn er zu irgend einem 
Gegenstande die Fähigkeit in sich fühlt , seine Kräfte nicht durch mannichfallige, j 



oft kindische Beschäftigung; denn ars longa, vita brevis. Der Jüngling aof der 
Universität oder in der Schule, anstatt von Reformen -der menschlichen Gesell* ; 
schaft, von schwärmerischen Fortschritten, vom Geiste der Zeit zu träumen, he- ' 
fähige sich zuvor durch fleissige Sammlung gründlicher Kenntnisse zu dem künf- ( 
tigen Reformator dieser Gesellschaft. Dann — wir verbürgen es — dann werden 
in kurzer Zeit auch bei uns Männer, wie Blöke, Thär, Chrysostomus, Bourdalau, 
Schiller, Tacitus, Newton u. s. w., auferstehen und unser Land und unsere Sa- 
tionalilät mächtig kräftigen. Denn dem Polen fehlt es nicht an Fähigkeiten. 
Aber was nützen sie, wenn der vernichtende Müssiggang Alles unterdrückt? 
Nur auf diese Weise werden wir im Stande sein, alle Stürme auszuhallen 
und einst, vielleicht nach Verlauf von Jahrhunderlen, auferstehen von den Todten. 
wie die Griechen, die ihre Unterdrücker, die Macedonier und die Römer, über- 
lebt haben. 

So handeln die Deutschen, die Franzosen und die Engländer, und aus dieser 
Ursache sind die Völker mächtig, reich, aufgeklärt und ihre Literatur steht auf 
dem höchsten Gipfel des Glanzes und der Berühmtheit. Wir sind weit entfernt 
zu behaupten, der Franzose, der Deutsche oder der Engländer sei ciu Engel: 
auch sie haben ihre Fehler und vielleicht grössere, als der Pole. Der England" 
verspielt in Karten, vertrinkt und verschmausst in einer Woche mehr, als der 
leichsinnigste und verschwenderischste Pole in einem Jahre. Der Franzose i v 
sinnlicher, leichtsinniger, genusssüchliger als der Pole, und der Deutsche 
Allein die Stellung dieser Völker ist eine ganz verschiedene: sie haben ein poli 
tisches Dasein, und was John verspielt, in Malaga und Champagner versenkt 
oder auf andere Weise verschwendet, das gewinnt James. Bei uns ist's anders 
Was Gawet im Whist und Pharao verschleudert, was er an Champagner nw* 
Austern durch die Gurgel jagt, das kommt nichl in die Hände der Pawel, son- 
dern wird eine Beute des ordnungsliebenden Golllieb oder des durchtriebene' 
Moses; und heutzutage gibt es keine Starosleien, keine Voigteien, noch andere 
Brod bene merilorum mehr, welches den Mangel ersetzt, ja wir haben fcaw 
etwas mehr zu verkaufen. Ueberdies ist in dem Leben des Engländers, dt 



Digitized by Google 



Franzosen, der Deutschen der Bauch, die Gorgel, das Vergnügen, die Sinnlichkeil 
nur ein Intermezzo, nicht das ganze Drama; bei dem Polen aber bildet der Müssig- 
gang mit der ganzen von ihm unzertrennlichen Genossenschaft das hauptsächlichste, 
das einzige Ziel des Lebens. Der Engländer, der Franzose nnd der Deutsche ist 
reich und bringt durch seine Verschwendung noch dem Lande Nutzen. Er kauft 
schöne Kunstwerke und Denkinähler aller Völker auf und schleppt aus Italien 
Gemälde, aus Griechenland Statuen, aus Indien, Afrika und Amerika seltene Na- 
turerzeugnisse in sein London zusammen und verwendet sein Geld auf den Druck 
nützlicher oder prachtvoller Schriftwerke. Hat denn aber bei nns irgend Jemand 
ein heimisches Museum, eine Bildergallerie, eine bedeutendere Bibliothek angelegt? 
oder (mit Ausnahme der einzigen Grafen E. Raczynski und Titus Dzialynski, denen 
darum mit Recht der unsterbliche Dank der Nation gebührt) verwandte irgend 
Jemand auch uur einen Thaler auf den Druck eines Elementarbuches? 

Nur jener Weg kann uns zu dem gewünschten Ziele führen. Liegt uns aber 
nichts an der Nationalität; dann lassen wir die Dinge doch wie sie sind. Amu- 
siren wir uns an wissenschaftlichen Sitzungen und Vorlesungen, spielen wir Whist 
und Pharao, schlürfen wir Austern und Champagner (und mit ihnen auch unsere 
Dörfer und Güter), spannen wir 4 und 5 Pferde vor, halten wir Reichstage, Bälle 
und Gesellschaften, ballottiren wir etc. etc.; aber schweigen wir von Patriotismus, 
von Nationalität, von Wissenschaft: denn leere Worte ohne That bedeuten Nichts; 
und in 50 Jahren wird ein neuer Diogenes am lichten Tage mit der Laterne in 
der Hand vergebens den letzten Polen im Grossherzogthum Posen suchen. 



Kritiken. 



1, Der WTettkampf der Teutschen und Slawen seit dem 
sechsten Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung. 

Herr Professor und ProrectorHeffter in Brandenburg hat es für noth wendig ge- 
halten, bei den gegenseitigen Annäherungen zwischen der deutschen und der slawi- 
schen Nation auch seine Stimme erschallen zu lassen. 3 Abhandlungen hat er 
unter dem obigen Titel in Bülau's Jahrbüchern der Geschichte und Politik, Jahr- 
gang 1843, Heft 2. 6. u. 11., veröffentlicht und darin die historischen Berührungen 
der beiden Völker bis zum Jahre 919 besprochen. Es liegt uns hier nicht ob, 
die einzelnen falschen Auffassungen des Verfassers zu corrigiren, noch die entstellten 
Zustände in ihr wahres Licht zu setzen; nur den Geist wollen wir etwas genauer 
ins Auge fassen, in welchem jene Abhandlungen geschrieben sind, und in einzelnen 
Zügen darthun, wie wenig würdig es sich den nationalen Bestrebungen der Gegen- 
wart gegenüber darstelle, wie wenig es sich gezieme, durch solche Benutzung 
der Geschichte die alte Zwietracht zwischen den beiden Nachbarvölkern von 
Neuem anzufachen und durch Belobung der ungerechten Thaten, durch Entschul- 
digung und Ableugnung der Fehler das eigene Volk stolz zu machen, als sei es 
im guten Rechte auch in der Vergangenheit * und dabei auf das fremde, schuld- 
loserweise Herabgedrückte mit Hohn und Verachtung den Stein zu werfen und 
den kaum eingeschlummerten Zorn von Neuem rege zu machen. Ist die Geschichte 
die Lehrerin der Wahrheit, der nackten, unparteiischen Wahrheit, wer darf es 
wagen sie zu missbrauchen zur Dienerin der Politik und zur Predigerin einer 
alleinseligmachenden Nationalität? 

Slaw. Jahrb. I. 55 



Digitized by Google 



Der Verfasser bedauert im Anfange seines Artikels, dass es in Eoropa „noch 
immer 56 Millionen Slawen" gebe. Die Ereignisse, welche er im Begriffe ist 
zu schildern, haben also noch nicht genug Slawen ihrer Nationalität beraubt, es ist 
noch nicht genug, dass diese „7 — 8000 □ Meilen an die Deutschen verloren" 
haben. Um non den Leser gegen diese immer noch vorhandenen Völker gleich 
iiu Voraus einzunehmen, gebraucht der Verfasser das leider schon bis zom Ekel 
abgenutzte Mittel, in den ersten Zeilen sogleich auf den beliebten „nordischen 
Coloss" hinzuweisen, der „gegenwärtig seine langen (!) mächtigen Anne bereits 
auch Aber einen grossen Theil Asiens bis zur westlichen Küste Amerikas hin 
ausstreckt und in Europa in seinen Ostseeprovinzen wiederum viele Teulsche zu 
seinen Unterthanen zahlt." Auch will er es den Deutschen recht ans Herz legen, 
dass die Slawen in „unserem Vaterlande" immer noch nicht aussterben wollen, 
ja dass sich „innerhalb seiner Grenzen, ja zum Theil mitten in seinem Schosse 
sehr ansehnliche Reste" derselben vorfinden. Wir wissen nicht, wie weit das 
deutsche Vaterland reicht und glauben [beinahe, auch der Herr Professor Heffler 
wisse es nicht. Uns will bedfinken, das Vaterland eines Volkes gehe so weit, als 
seine Sprache von dem grösseren Theile der Bevölkerung, besonders den 
Bewohnern des flachen Landes gesprochen werde (denn in grössern Stadien spricht 
man gewöhnlich viele Sprachen). Nach diesem Begriffe geht das tentsehe Vater- 
land nach den Grunzen, welche Schafarik auf seiner ethnographischen Karte 
(Prag 1842) und ein Jahr nach ihm Bernhardi auf der seinigen verzeichnet, und zwar 
in manniclifaltigen Windungen, dnreh Pommern, das Grossherzogthum Posen, Schle- 
sien, Böhmen, Mahren, Ungarn, Steiermark, Krain und KUrnthen bis an das adria- 
tische Meer und hat daher innerhalb seiner Grunzen nur den Stamm der Laosilzcr 
und der Lüneburger Slawen. Was der Verfasser dann mit dem Ausdrucke „mit- 
ten in seinem Schosse" wolle, ist uns rein unverständlich, wenn wir nicht annehmen, 
entweder der Verfasser halte Alles für „teutsches Vaterland," was unter preussi- 
schem und öslreichischem Scepler steht, oder zum deutschen Bunde gehört, oder 
aber, wo irgendwie deutsch gesprochen werde. Im ersten Falle würden ihm die 
Posener und galizischeo Polen, die Südslawen in Ungarn, Steiermark, lllyrien 
und dem Litorale und die Magyaren zu antworten haben, ob sie ihr Land für 
deutsches Vaterland halten. Im zweiten Falle würden die schlesischen Polen, die 
Czechcn (Böhmen und Mährer), die Slowencen oder Winden, die Krainer and 
Kärnthner ihr Vaterland abtreten müssen. Im drillen Falle würde die Küste des 
schwarzen Meeres, die Halbinsel Krim, die deutschen Colonien um Saratow an der 
W'olga und alle die Gegenden, deren deutsche Bevölkerung uns die Augsburger 
Allgemeine Zeitung so rührend schildert, auch noch zum deutschen Vaterlande 
gehören. Welchen von diesen Begriffen der Verfasser belieben wird, wagen wir 
nicht im Voraus zu bestimmen, fügen aber bei dieser Gelegenheit noch die Frage 
bei, was er denn eigentlich unter „teutseben Slawen" (S. 101.) verstehe. Preus- 
sischc Slawen und östreichische sind uns bekannt, aber teulsche Slawen scheinen 
uns ein eisernes Holz. Es geht Nichts über die Genauigkeit der Begriffe. 

Die Stellung der Slawen unter den Teulschen schildert der Verfasser folgen- 
dermaassen. „Sie sind zumeist die Ueberwundenen , die ursprünglich Besiegten, 
welche sich als solche von jeher gedrückt, gebeugt, beschränkt und gepresst ge- 
fühlt und darum seit langen Jahren einen wahrhait angeborenen Hass, einen fast 
eingefleischten Widerwillen gegen ihre — wahren oder vermeintlichen (wirklich 
bloss vermeintlichen ? ) — Dränger genährt und gehegt haben. Ihr Missgeschick 
zu mehren sind sie in diesem Hasse so weit gegangen , dass sie sich nach Mög- 
lichkeit isolirt, Alles Teulsche namentlich von sich fern gehalten (das war freilich 
ihr grösster Fehler: Wenn sie doch nur teutsch geworden wären, dann wäre die 
Sache eine andere!). Mit Fleiss lernten und übten sie die Sprache ihrer Herren 
nur in soweit, als sie solche nothwendig brauchten; sie kümmerten sich nicht tun 
die teulsche Literatur; sie nahmen nicht Theil an den riescnhaflen Fortschritten 



Digitized by Google 



der Civilisation. Barum hat man sich ihrer Abgeschlossenheit, ihrer dumpfen, 
gehässigen (sehr liebenswürdig!) Versunkenheit in sich selbst tiberlassen, sich 
wenig um sie gekümmert (nun das war doch wohl nicht schön von einer väter- 
lichen Regierang und ist auch nicht ganz wahr; denn die Steuern haben sie wohl 
immer tragen müssen!)." 

Dies ist nun nach der Ansicht des Verfassers der Grund der traurigen Ver- 
hallnisse der Slawen. Seit wenigen Jahrzehnten ist daher, „namentlich unter den 
teutschen Slawen, ein lebendigeres Streben erwacht, jene Missverhällnisse zu beseiti- 
gen, wenn möglich, glücklichere Zeiten für ihre Stammgenossen, wo nicht fttr den 
Augenblick, doch wenigstens für die Zukunft, heraufzubeschwören, noch zu retten, 
was zu retten ist, nicht noch Alles zu verlieren, vielleicht sogar manches Verlo- 
rene wieder zu gewinnen; — und der Teulsche? was hat er hierzu gesagt? ge- 
than? (Der Verfasser wundert sich, dass man es nicht gehindert). Er hat solche 
Bestrebungen mit der Theilnahme, die sie verdienen, aufgenommen (wann? wo?), 
sie freudig bewillkomnet (so? wann?), er, der jedem Biedermann mit Freundlich- 
keit die biedere Rechte darreicht; er, der so gern Alles Fremde, ist 6s nur gut, 
anerkennt und sich zu eigen macht, er, der so willig jedem edlen Streben Vor- 
schub leistet (wo ist der Vorschub für das slawische Nationalstreben?); der zu 
seinen grossarligen linguistischen und historischen Studien gern solche Beihülfe sieht 
und sucht." Nachdem der Verfasser so einzelnes Wahre mit vielen offenbar fal- 
schen Behauptungen vermischt und zum Ruhme seines Volkes hingestellt hat, geht 
er siegreich auf Verdächtigungen über, um der Slawen „schwarzen Undank" desto 
greller hervorleuchten zu lassen; denn er sagt: „und der Teulsche wird gewiss 
auch fernerhin diesen Studien und Bestrebungen mit Billigung zusehen, bleiben 
sie anders in den Schranken des Gesetzes, arten sie nicht in gefährliche Umtriebe 
aus ( hört ! ) , was freilich bereits nicht unterblieben ist (wir bitten den Verfasser, 
bei so kilzlichen Punkten etwas deutlicher zu sein!) und bei jenen gespannten 
Verhältnissen zwischen beiden Völkerschaften auch wohl ferner nicht unterbleiben 
wird, weshalb denn die betreffenden Regierungen immer ein wachsames Auge 
werden haben müssen (sehr wohl, Herr Historiker; wir fordern Sie auf, die An- 
stifter jener Umtriebe öffentlich zu nennen, sonst müssen wir Sie für einen Lügner 
halten!). — Die Slawen werden ihr hartes Schicksal nur dann mildern, wenn sie 
sich uns immer mehr nähern; wenn sie endlich den langgenährten Hass völlig 
ablegen und mit uns, unbeschadet ihrer Nationalität, ein aufrichtig freundschaft- 
liches Verhältniss anknüpfen." Der „langgenährle Hass" der Slawen ist uns unbe- 
kannt und mag wohl nur im Kopfe unseres Herrn Verfassers spuken; dass aber 
die Slawen, welche unter nichtslawischen Regierungen stehen, ihr Nationalin- 
teresse ängstlich bewachen und jede Gelegenheit es zu fördern und geltend zu 
machen ergreifen, wird ihnen wohl Niemand verargen. 

Eine solche Versöhnung zwischen den Slawen herbeizuführen, meint der Ver- 
fasser, dazu eigne sich am besten die Geschichte des tausendjährigen Kampfes 
der beiden Völker. Auch wir glauben das und sind fest überzeugt, dass, wenn 
die teutsche Forschung jenen Kampf mit unparteiischem Auge ansehen und die 
Geschichte als wahres Wellgericht auch in diesem Punkte gelten lassen wird, 
dass dann eine Versöhnung der beiden Völker in der That möglich ist. Nur wird 
bei einer solchen unparteiischen Forschung es sich keineswegs herausstellen, wie 
der Verfasser behauptet, „dass die jetzige Slawenwelt meist nur die Fehler und 
Sünden der früheren büsst, dass von Seilen des siegreichen teutschen Volkes nicht 
eben Raub und Eroberungssucht, nicht Ehrgeiz, nicht Ruhingier dabei im Spiele 
gewesen sind, sondern dass vielmehr der Besiegten frecher Uebermulh, ihr gegen- 
seitiger Zwist und Hader, ihre ewige Unruhe, ihr ungebührliches Missachten der 
Natur- und Völkerrechte, ihre steten Neckereien, Ueberfälle und Raubzüge, end- 
lich ihr häufiger Ungehorsam uud Hang zu Empörungen den Kampf hervorgerulen, 
immer wieder erneuert und dann endlich zu den Resultaten geführt haben, die 



Digitized by Goq|^e 



freilich drückend and lästig sind." (S. 104.) Wir können nicht embio, bei dieser 
Stelle zu bemerken, dass dem Herrn Prorector bei dieser Gelegenheit dasselbe 
Unglück passirt ist, wie so Vielen, dass er nämlich die Verhältnisse gerade Ter- 
kehrt hat. Die Carolinger und die teotschen Kaiser fingen den Krieg gegen die 
slawischen Völker allerdings zum grossen Theil aus Eroberung«- nnd Haubsucht an und 
setzten ihn spater, als sie durch die Kaiserkrone sich die Herrschaft der Welt erkauft 
zu haben glaubten, unter dem Vorwaode der christlichen Religion fort. Auch war 
Ehrgeiz und Ruhmgier einzelner Slawenfeinde gewiss der entschiedenste Sporn. 
Dass der gegenseitige Zwist und Hader der slawischen Völker sie geschwächt 
hat, wissen wir leider nur zu deutlich; neu ist es uns aber, den Slawen, den 
Ackerbauern und Gewerbtreibenden „ewige Unruhe" Torgeworfen zu sehen. Aller- 
dings zeigen sich die Slawen in den Berichten der Chronisten häufig unruhig* 
aber gewiss allemal nur dann, wenn ihnen Unrecht geschah. Wer konnte es den 
Freiheitsliebenden verargen, dass sie sich erhoben und die alte Unabhängigkeit 
wieder zu erringen trachteten? Wir erinnern nnr an den Markgrafen Gero. Oder 
ist das vielleicht der freche- Uebermulh der Besiegten? Sollten sie ruhig und 
zufrieden, gleich Sklaven, das Joch tragen, das ihnen die eiserne Faust ihrer 
Nachbarn auflegte? War es also ein ungebührliches Missachten der Natur- 
und Völkerrechte, wenn sie das gewaltsam aufgedrängte Bündniss lösten und un- 
abhängig in dem Lande stehen wollten, das sie angebaut und fruchtbar gemacht 
hatten. — Die unparteiische Geschichte, anf die der Verfasser sich beruft, lehrt 
ganz andere Dinge, als diejenigen, welche derselbe ihr aufbürden möchte. Wie 
ganz anders sehen dann die Fragen des Verfassers ans: „Wie kann da der Slawe 
noch ferner dem Teutschen grollen? wie sollte er nicht vielmehr dem Genius des 
eigenen Geschlechtes zürnen, der solches Unheil Uber dasselbe gebracht?^ Wohl 
hätte der Slawe Ursache, dem Deutschen zu grollen, aber nnr weil der Teetsche 
den Krieg begonnen, dessen Schicksal sich gegen den Slawen entschied. Aber 
die Slawen müssen erkennen, dass ihre eigene Uneinigkeit Schuld war an diesem 
Schicksale, weil sie sonst dem deutschen Reiche leicht wiederstaaden halten; sie 
dürfen nie vergessen, dass die Deutschen, deren Nachbarn oder Landsleote sie 
gegenwartig sind, seit jenen Zeiten ein geistig anderes Volk geworden sind und 
manche Unbill, welche die rächende Macht der Slawen ihnen im Verlaufe der 
Jahrhunderte zugefügt, zu vergessen im Begriffe stehen; sie müssen stets vor 
Augen behalten, dass nur Friede und Eintracht zwischen den beiden Völkern jenes 
feste Band zu knüpfen vermag, das die gesitteten Völker unseres Erdtheila zu 
einem Ganzen vereinen soll. Wenn wir daher die Worte des Verfassen: „nur 
das Licht der Vergangenheit lässt uns die Verhältnisse der Gegenwart richtig 
auffassen, und nur ein richtiges Auffassen der Gegenwart macht zugleich ein rich- 
tiges Wirken auf die Zukunft möglich" ganz unterschreiben, so könnet wir es 
doch andererseits nicht gut heissen, dass er die Deutschen, auffordert, „weil sie 
im Rechte (soll wohl heissen: in der Macht) seien, ruhig zuzusehen und zu verlaufen, 
dass der Slawe ihm freundlich entgegenkomme, Falls er wünscht, dass. -von dem 
starren Rechte in etwas nachgelassen werde zu seinen Gunsten." Das starre 
Recht gilt in der Geschichte, in der Politik aber findet nur das fügsame Hecht 
seine Anwendung. .■.,.< 

Einen neuen Missbrauch (wir können es nicht anders nennen) macht der Ver- 
fasser iu der Folge von der Verbindung des Christenthums mit dem Germanen- 
thume. Es ist wahr, das deutsche Reich nahm frühzeitig das ChriBteothuna an 
und empfing mit diesem zugleich „ein streng geregeltes Kirchenthum und eine 
höhere geistige Kultur, die jüdisch -christliche, im Vereine mit der griechische 
römisch-klassischen." Es ist wahr, dass Jener Kampf in Folge dessen zugleich 
auch ein Kampf des Christenthums und des Heidenthums" war, weniger, dass es 
ein Kampf „der Kultur and der Unkultur" war; denn des Verfassers beliebt* Ver- 
stellung von der slawischen Rohheit steht doch auf etwas abzuschwächen Füssen 



Digitized by GooqI 



(rgl. unsere Artikel: Bausteine zur slawischen Mythol.). Was war Schuld daran, 
dass die Elbeslawen das Chrwtenihu« nicht annahmen? Nichts Anderes als die 
Hab- und Uerrsehsacht der deutschen Fürsten, welche neben den christlichen 
Kirchen und Kidstern sofort ihre stolzen Zwingburgen aufbauten, um die betriebsamen 
und wohlhabenden Slawen zu brandschatzen und durch starke Besatzungen den 
Besitz der fetten Ländereien sich zu sichern. Die Deutschen waren also Schuld, 
dass das Christenthum nflr so weit vordrang, als ihre Heere siegreich waren. 

Nach solchen Vorarbeiten lässt es sich erwarten, in welchem Geist der ganze 
Artikel abgefasst ist. Zwar wagt es der Yerf asser im Verfolge seiner Darstel- 
lung nicht so leicht, offenbare Thatsachen zu läugnen; aber die Motive der Hand- 
lungen fallen stets zum Vortheil seiner Nation aus und das Recht vindizirt er 
immer nur ihr; nicht ein einziges Mal erwähnt er, die Deutschen hätten sich die 
oder jene Grausamkeit oder Ungerechtigkeit zu Schulden kommen lassen; solche 
Dinge verschweigt er lieber oder geht mit einer leichten Andeutung darüber hin- 
weg/ Ueberhaupt mnss man den teutschen Historikern zugestehen, dass sie auf 
dem rein -historischen Gebiete in der Regel wahr und gerecht sind; sobald sie 
aber in das politische Gebiet hinüber treten, werden sie ausschliessend und un- 
duldsam, besonders gegen andere Nationalitäten. Es ist dies ganz natürlich, denn 
die historischen Irrthttmer können ihnen leicht nachgewiesen werden; das Falsche 
und Unhaltbare in allgemeinen Kaisonnements darzustellen ist aber in der Regel 
schwieriger. 

Dieser Eigentümlichkeit müssen wir es auch zuschreiben, dass der Verfasser 
sein eigenes Volk nur mit wenigen Zügen (in 6 Zeilen) schildert, um in diesen 
allen Glanz und alle Vorzüge zu vereinigen, während er den Charakter der Slawen 
mit ausserordentlicher Weitschweifigkeit auf 4 langen Seiten bespricht. Von den 
ersteren sagt er (S. 108): „noch waren die Teutschen das alle kräftige, starke, 
ungeschwächte, tapfere, biedere, freie, ungebeugte Volk, wie sie uns ein Tacilus 
im ersten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung geschildert, ausgezeichnet 
dnreh Muth, durch Rechtsgeftthl, durch Treue, durch Liehe zum Heimischen, 
durch Nationalsinn, durch Ernst, durch Beharrlichkeit, durch Fleiss, durch Tugend 
und Redlichkeit." Die Slawen dagegen schildert er folgendermaassen : „Der 
Slawe ist im Ganzen yon mittlerer, massiger Grösse, aber gedrungenen, untersetz- 
ten Körperbaues. Seine Gliedmassen sind nämlich derb, stark, rund, kräftig und 
dabei gelenkig. Gegen Hitze und Kälte, gegen Durst und Hunger zeigt er sich 
im Verhällniss zu andern Nationen weniger empfindlich. Sehr zusammengesetzt 
ist sein Charakter: ein merkwürdiges Gemisch von Tugenden und Fehlern, von 
Vorzügen und Mängeln. Von Natur phlegmatisch, liebt er die Ruhe und den 
Frieden* begnügt sich mit Wenigem und thut daher auch nur meistens so viel, 
als er nothdürflig für sich und die Seinigen braucht, denkt nicht viel an die Zu- 
kunft, an Voitath 7 ) anr Aufspeicherung, an Ersparnisse, an Verbesserung seines 
Zustandes, in Verschönerung des Lebens. Er kann im Schmuze, im Elende, sich 
und die Seinigen ruhig verkommen sehen. Aus demselben Grunde ist er indolent, 
lasst Vielei über sich ergehen, was ein reges, edleres Gemfi Ih schwerlich so 
duldsam hinnähme. Er ist gutmüthig, leutselig, gemüthlich, fromm, gastfrei, mit- 
leidig, wohllhätig, züchtig, keusch, fröhlich und heiter, liebt in letzterer Beziehung 
ganz besonders die Musik, den Gesang, die Poesie, für welche Künste er darum 
auch ein vorzügliches Talent hat. Aber er ist auch wieder durch augenblickliche 
Bindrücke leicht erregbar und schnell zu erhitzen, ist leichtsinnig und unbesonnen, 
ist cholerisch, aufbrausend, stürmisch, heftig, rechthaberisch, streitsüchtig, zänkisch 
und kampflustig, selbst gegen seine Stammverwandten, und in solcher Aufregung 
jeder Anstrengung, jeder Aufopferung, jeder Rachsucht, jeder Grausamkeit, jeder 
Schandthat fähig. Er kann und wird sich dienstfertig und gefällig gegen Jeder- 
mann zeigen, von dem er dafür nichts zu erwarten hat, oder gegen Landsleute; 
aber frech und unverschämt in seinen Ansprüchen *nd Forderungen, wenn er 



Digitized by Google 



4** 

glaubt es Jamaodem bieten zu können. Denn bei aller Genügsamkeit, bei sufried- 
ncm Sinne selbst in Dürftigkeit und Mangel, ist er dock lüstern nach fremdem 
Gute, nicht seiner Landsleule und Stammgenossen , sondern Ausheimischer, insbe- 
sondere wenn es seine Blicke und seine Neugierde reizt. Dann ist er sogar die- 
bisch, räuberisch, beutesOchtig, achtet weder des Gesetzes noch der drohenden 
Strafe \ dann kann er sein natürliches Phlegma verläugnen und gewandten Geistes, 
klug, verschmilzt, listig, verschlagen erscheinen. Stolz auf seine Kationalitat, 
verschmähet er das Ausheimische und isolirl sich gern von allem Fremden und 
halt am Seinen fest. Er liebt sein Volk und seine Stammgenossen und hasst die- 
jenigen herzlich, die es besiegen, beherrschen und hekneckten; er liebt seine 
Sprache und mag nichts von der wissen, die seine Dranger reden; er liebt sehe 
Sitten, seine vaterlandischen Gebräuche, 3eine angestammte Religion nnd verachtet 
die Andrer, nicht selten bis zum Uebermaassc, bis zur Bigotterie, bis zur Intole- 
ranz, bis zum eignen Nachlheile, bis zum Lächerlichen. Selbst die eignen Stamm- 
genossen kann er so mit dein bittersten Hasse verfolgen, mit der grössten Ver- 
ächtlichkeit behandeln, sind sie einer anderen Kirche, einem andern Staate, einer 
andern Völkerschaft angehörig oder zugelhan: er kann sie unaufhörlich bekämpfen, 
bekriegen, vernichten wollen. Darum ist der Zwist der Slawen unter sich ein 
alter, ein eingerosteter, den selbst die Cullur der neuesten Zeit noch nicht hat 
schlichten können: ein Jammer, der den Bessern unter ihnen nicht entgeht Wehe 
dem, von welchem er fürchtet in seiner Nationalität beschränkt zu werden; dem 
ist er ein geschworner Feind; dem tritt er mit aller Macht entgegen, wenn er 
nicht offen kann, heimlich und versteckt. Er ist patriotisch, er kann Gut nnd 
Blut hinopfern, ist tapfer, unternehmend, kühn, wenn es die Freiheit, das Vater- 
land, den heimatlichen Heerd gilt. Aber selbst bei diesen edlen Bestrebungen 
kommt ihm seine Liebe zur Bequemlichkeit und zum Unlhäligsein in den Weg: 
er hält nicht aus, hat nicht dauernde Festigkeit des Willens; sein Enthusiasmus 
ist gleich dem Strohfeuer. Und thut sich ihm dabei gar die Aussicht auf Ge- 
winn, auf Privatvorlheil auf: dann wird er treulos, dann lässt er sich leicht 
bestechen; dann kann er selbst das Thetierste verralhcn: den heimathlichen Heerd, 
das Vaterland, sein Volk; dann schämt er sich nicht den Freund zu stürzen und 
preis zu geben, vielleicht selbst mit innerem höhnischen Lächeln. Und jener 
Stolz, der sich im Nationalen äussert, wie wir oben gesehen, artet bei dem Sla- 
wen, bei dem Vornehmen, nicht selten in drückenden Aristokralismus aus, so dass 
er gegen seine eigenen ihm untergebnen Stammgenossen herrisch, tyrannisch, des- 
potisch, grausam wird, während er gegen Mächtigere und Höhere, als er selbst 
ist, kommt insonderheit Privatnulzen ins Spiel, demülhig- freundlich, kriechend, 
selbst hinterlistig und falsch sein kann. Ebenso wenig aber achtet der Niedere 
es für eine Schande, seinen Obern, sind sie nur von seinem Volke, von seinem 
Stamme, sklavisch -demülhig zu gehorchen, Alles, selbst das Verächtlichste zu 
thun, was sie ihm befehlen, sich von ihnen mil Füssen treten, auf das Schimpf- 
lichste mallrätiren zu lassen. Von Natur mit mancherlei körperlichen und geisti- 
gen Fertigkeiten und Talenten ausgerüstet, fasst er leicht eine Sache auf, weiss 
er schnell das Fremde sich anzueignen, ahmt er mit Geschick das Neue, Kanu- 
gesehene nach , ist er anstellig, gewandt im Selbsterfinden. Aber auch hier 4rill 
ihm nur zu oft seine Liebe zur Trägheil in den Weg und hemmt jeden Aufschwung, 
jeden Fortschritt, im Materiellen wie im Höhern, Geistigen. Er braucht sein 
Talent nicht, entwickelt es nicht aus sich selbst heraus, sondern bedarf dabei 
überall erst einer äussern Anregung durch Beispiel, Nolh u. s. w. Dazu.. gesellt 
sich noch bei Vielen die Liebe zur Trunkenheit, die Sucht nach geistigen be- 
tränken der niedrigsten Art und lähmt die geistigen wie die körperlichen Kralle, 
hindert den Fleiss, das Vorwärtskommen, den Wohlsland, die Kultur, zerrüttet das 
Gebäude des häuslichen und geselligen Lebens." . . • - ,t»ir»e i*>t< 

Aus dieser langen Liste von Eigenschaften den eigentlichen Grundcharaktei 



Digitized by Google 



«5 — 

der Slawen zusammenzusetzen, dürfte ausserordentlich schwer sein; das leuchtet 
indess auf den ersten Blick ein, dass jede Eigenschaft durch eine ihr entgegen- 
stehende aufgehoben wird, und dass somit Nichts, weniglens nichts Gutes für die 
Slawen mehr übrig bleibt. Wir wollen nicht die Widersprüche alle aufdecken 
und begnügen uns damit, eine Antwort ans der böhmischen Zeitschrift Kwety 
(1843. Beilage XIV.) hier zu übersetzen. Der böhmische Kritiker sagt, er wolle die 
Aufforderung des Verfassers zu einer strengen Kritik jener Ereignisse auch auf 
ihn übertragen und fahrt dann so 'fort: „Wie lief unter seinen Landsleuten stellt 
Heffler das ganze slawische Volk. Er konnte also an seinen Vorfahren, den 
Deutschen, keine, auch nicht die geringste Makel auffinden, sondern sammelte 
alles grösste Lob, was er vielleicht irgendwo verzeichnet fand, und schliesst 
seinen zwar kurzen, aber kräftigen Lobgesang auf dieselben mit der Erlheilung 
aller Tugenden überhaupt. Trotz dem bezeigt er bei der Erzählung der Geschichte 
selbst offenbar, dass die Franken (der wichtigste und berühmteste deutsche Volks- 
stamm, da er nach des Verfassers Bestätigung den wirklichen Grund legte zu dein 
Ruhme und der Ehre des deutschen Reiches, weil er seine Macht und Aufklarung 
auf die übrigen Sillium e Übertrug), dass dieselben Franken zur Zeil der Regierung 
des Königs Chlodwig „durch Intrigucn und allerlei Schandlhalen" zuerst deu eben- 
falls deutschen Stamm der Baiern unterjochten u.s.w. Das erzählt der Professor 
von den Deutschen, ihren Stammesbrüdern gegenüber, und Irolz dem fand er keinen 
Fehler in ihrer Handlungsweise gegen die Fremden, sondern behauptet, sie hallen 
stets nur gezwungen und zur Selbstverteidigung nach den Waffen gegriffen, 
niemals aber selber Krieg angefangen! Hinsichtlich der Römer wollen wir das 
zugeben; allein Heffter spricht von den Slawen, und da erfahren wir in der That 
etwas Neues in jener Behauptung, obgleich wir denken, der Herr Professor werde 
bei uns wenig Schulkinder finden, die ihm diess glaubten oder ihn nicht vielmehr 
des Irrthnms oder der Unbill ziehen. Wir halten dafür, dass „die T baten" am 
besten den menschlichen Charakter beweisen. — Dem Slawen dagegen schreibt er 
allgemein (also allen) als Regel zu: Trunkenheit, Gemächlichkeit, Falsch, Un- 
beständigkeit und Verschlagenheil, Nichtachtung des Rechtes Anderer und Grau- 
samkeit, Treulosigkeit, vorzüglich aber Uneinigkeil, Geiz und Bequemlichkeit, welche 
ihm überall schadet, um derelwillcn er „Vieles über sich ergehen lasst, was ein 
reges, edleres Gemttth schwerlich so hinnehme." Wie vertragt sich aber das mit 
der fernem Beschuldigung, dass nur die Slawen überall Ursache zum Kampf ge- 
geben und ihre Nachbarn zur Vertheidigung gezwungen und auf diese Weise 
das Schicksal ihrer gegenwartigen Unterwerfung verdient hallen? — In Hinsicht 
der Trunkenheit haben die Slawen bisher noch nirgends eiuen so berühmten Namen 
sich erworben, als die Deutschen. Schon Tacitus kannte diese ihre Schwache 
oder Stärke. Ebenso fanden ihre Ritter bekanntlich keine grössere Freude als 
im Weine sich gleichsam zu baden , in welchem sie herzlich gern ihren Versland 
-versenkten; ihre Sanger sangen bei Wein, ja sie besangen sogar nicht selten die 
grössten Saufer als ausgezeichnete, berühmte Helden, und die grössle und liebste 
Ehrenbezeugung war ihnen das Zutrinken von Wein. Darum findet man auch 
nirgends so viele Trinkgeschirre und namentlich so ungeheure Kelche, auf welche 
die Sammlungen deutscher Allerlhüincr so slolz sind; neben ihren, wahrhaft er- 
slaonenswerthen Hninpen verschwinden unsere bescheidenen Kelche, wie der Finger- 
Iifil neben einer Bütte, oder besser wie ein Tropfen neben dem Eimer. Noch 
heutzutage ist die „norddeutsche Bodcnlosigkeil" ein in Deutschland selbst gebrauchtes 
Sprichwort! Weiss vielleicht der Herr Professor, wo die Gasthäuser solche Be- 
dürfnisse am besten befriedigen? die Deutschen selbst gaben in dieser Hinsicht 
unlängst in den norddentschen Landern, besonders in Hamburg Maasse an, vor 
denen wir armen Slawen früher zusammenschauderten und sie Irolz der Anführung in 
statistischen Schriften nicht glauben wollten, durch welche wir aber nun, so sehr 
wir auch gegen starke Getränke sind, zur vollständigen Zufriedenheil mit unsern 



Digitized by Go 



Landsleuten gebracht worden sind. Und beweist denn nicht die Zunahme der 

MässigkeitsYereine in Deutschland die Unmässigkcit im Trinken? 

Falschheit wirft uns der Herr Professor vor? Es ist eine eigentümliche 
Erscheinung, dass diese Untugend bei keinem einzigen slawischen Volksstamme 
einen eigentlichen Namen hat, dass im Gegentheil im Böhmischen ebenso gut als 
im Serbischen, Kussischen und Polnischen dieses YVörtchen erst von den Deutschen 
entlehnt werden mnsste. Lässl es sich denken, dass ein so grosses Volk eioen 
Begriff too einer Sache hatte, die es nicht einmal zu nennen wusste? Welch 
Wunder! oder hatten sich die Slawen diese Untugend durch die ihnen Ton dem 
Herrn Professor öffentlich zugestandene überaus grosse Fertigkeit, alles Fremde 
leicht zu erlernen, sich angeeignet? Dass aber auch in unserer Zeit durch solche 
Andichtung von Falschheit und Heimtücke den Slawen ein schweres Unrecht ge- 
schieht, wird Jeder einsehen, der begabt genug vorurteilsfrei und sorgfältig mit 
eignen Augen unsere Landsleute beobachtet und dabei sein Augenmerk auf alle 
Umstände nach Billigkeit und Recht wendet. Gewiss wird jeder Menschenfreund 
das bei allen Slawen als Regel finden, was Anton in seinem „Versuche über die 
alten Slawen" (S. 35.) nnd Gebhardi in seiner Geschichte der Wenden, §. 2. 
S. 300, von den Serben in der Lausitz bezeugt: dass hier in der That ein ver- 
dienter Mangel an Vertrauen ist. Ein gleiches Zeugniss giebt Surowiecki in 
seiner „Erforschung der Abkunft der slawischen Völker" (S. 151.) 

Gegen die Trägheit der Slawen giebt uns die tagliche Erfahrung die beste 
Verteidigung, besonders bei denen, die für sich und ihre Familie sorgen und 
arbeiten. Dass aber selbst die benachbarten Deutschen bis diesen Augenblick 
slawische Lohnarbeiter, z. B. böhmische, sehr gerne annehmen, kann nur ein ent- 
fernter Fremder, wie Heffter, nicht wissen; diese Erfahrung spricht zweifelsohne 
deutlicher als alle Urtheile der Schriftsteller, welche gewöhnlich weder onsere 
Verhallnisse, noch reinslawische Lander und Ortschaften kennen. Und dass gerade 
unsere Vorväter, besonders so lange sie selbstsländige Staaten bildeten, den Schmuck 
eifriger Thätigkeit besassen, hat lange schon die Welt erfahren, hat die frühzeitige, 
den andern benachbarten Völkern vorauseilende Entwicklung ihres geistigen und 
öffentlichen Lebens dargelhun, so dass auch gerechte Auslander dieses anerkannten 
und anerkennen, wie, um nur ein Beispiel zu nennen, W. Menzel, der in seiner 
Geschichte der Deutschen, 1834, S. 343, 421, 424 etc. namentlich von den Czechen 
mit der grössten Hochachtung spricht und ihre Bildung als gross, herrlich und 
die deutsche weil übertreffend schildert. Ebenso Pulkawa uid Herder. Dass 
aber jetzt viele slawische Völkerschaften geistig zurückgeblieben sind, kann nur 
der Nichtkenner unserer slawischen Thätigkeit zur Schuld anrechnen, weil er nicht 
nur den Zustand der Slawen nicht erforscht, sondern auch die gründlicherer 
Schriften über dieselben, wie die Pelzel's, Schafarik's, Palacky's, ja nicht einmal 
Menzels gelesen, noch gehörig erwägt hat. Werfen wir nur einen Blick rings um 
uns her, wo wir auch slawische Stämme in grösserer Anzahl wirklich in Noth 
und geistiger Vernachlässigung finden, sind dort die unter ihnen und unter gleiches 
Verhältnissen lebenden Deutschen wohl besser, gebildeter? Was nutzt es, für die 
Bildung der Slawen auf solche Weise zu sorgen, wie z. B. in der Lausitz, is 
Schlesien etc.? Freilich werden dort sehr viele Scholen gegründet und m den 
Schulen selbst sehr viel gearbeitet; aber leider alles vergebens, wie ein anderer 
deutscher Publicist in der allgemeinen Zeitung sich beklagte; denn die Serben 
und Slawen lernen in den deutschen Sehnten so wenig, wie die Deutschen etwa 
in slawischen, französischen oder andern fremdsprachlichen Schulen lernen würde^ 
Das Volk lernt ja nun einmal nicht ausschliesslich mit den Augen; die Sprache, 
die angeborne Sprache muss man vor Allem beachten, und das vorzüglich dor^ 
wo der grössere Theil der Kinder, besonders in den niederen oder Volksschal« 
immer nur kaum so lange den Unterricht besucht und besuchen kann, als noth 

Digitized by GoOQf 



wendig- ist, um von der fremden Sprache nur so viel za erlernen, als der gewöhnliche 
Mensch zu seiner Deullichuiachung bedarf. Was kann aber dann daraus folgen, 
wenn das Volk von solchen unnatürlichen Schulen offenbar nur von da an Nutzen 
ziehen kann, wenn es erst anfängt zu verstehen, wovon man spricht. Darum rauss 
in solchen Schulen wenigstens viel Zeit und Mühe verschwendet werden, und dafür 
soll das Volk dankbar sciu? 

Die wahre Aufklärung fängt bei allen europäischen Völkern erst in unseren 
Tagen an, ihre wohllhätige Herrschaft auch in die unteren Menschenklassen zu ver- 
breiten. Darum haben auch wir noch keineswegs unsere Arbeit vollendet, noch 
vom aufrichtigen Streben nachgelassen; dass wir aber, durch unglückliche und un- 
günstige Umstände ohne unsere Schuld aufgehalten, uns ein wenig verspätet haben, 
ist wahr, aber auch das wird sich zu unserem Besten wenden, sobald unsere ge- 
rechte Hoffnung, unser heissester Wunsch erfüllt wird, sobald wir nämlich Schulen 
erhalten, die zweckmässig eingerichtet, dem Geiste der Gegenwart und unseren 
Bedürfnissen angemessen sind, wahre Volksschulen, niedere und höhere, welche wie 
anderwärls die Möglichkeit verschaffen , dass unser ganzes Volk von wahrer Auf- 
klärung im Geiste der Nation mittelst unserer nationalen Sprache durchdrungen 
würde. Dann wird auch unsere allseitige Bildung schneller sein und frischere 
Kraft gewinnen, selbst im Handel und in den Gewerben wird ein neues Leben sich 
erheben. Die gegenwärtige Befähigung und den festen Willen unserer Handels- 
leute beweist über allen Zweifel hinaus das Drängen von Menschen jeder Klasse 
zu den czechischcn Realschulen, welche hie und da in unserem Yaterlande (na- 
mentlich in Zbraslaw, Blalno, Pilsen, Klalau, Kriwoklack u. a. a. 0.) wie helle 
Morgensterne aus der Morgendämmerung sich erheben, es beweist es die Ausdauer 
und die Forlschritte der Schüler, welche, obgleich von allen Seiten zusammen- 
geschlagen, doch zum lieblichen Schrecken der Freunde der Aufklärung herbeieilen, 
um die willkommene Gelegenheit gewissenhaft zur Nachholung dessen zu benutzen, 
was sie in ihrer Jugend ungern vermissten und welche ihre Unterhaltung, ja selbst 
die festtägige Ruhe, die sie nach schwerer Arbeit so sehr bedürfen, ihrer weitern 
Ausbildung gern zum Opfer bringen. 

Was dagegen die Welt in dieser Hinsicht in alten Zeilen von den Deutschen 
gedacht hat, kann der Herr Professor von Tacitus erfahren, der Etwas von einer 
Bärenhaut erzählt, auf der gewisse nordische Barbaren (aber keineswegs die Slawen) 
so lange zu faullenzen gewohnt waren, bis die Nolh sie trieb, einen Bären mit 
einem andern Felle zu suchen (Es ist überhaupt merkwürdig, dass man sich so 
oft auf Tacitus beruft, als lobe er die Deutschen; uns scheint das eher ein Tadel 
als ein Lob, wenn ein Fremder seine Landsleule tadelt und mit Eifer auf ihre 
Besserung dringt, und ihnen dabei bisweilen, um sie deslomehr zu beschämen, mit 
stolzer Verachtung auch hie und da auf die Nachbarn hindeutet, dass sie sogar 
von diesen in dem Einen oder dem Andern übertroffen würden, obgleich sie wahre 
Barbaren seien, oder dass ihnen jene ähnlich seien, die in ihrer rohen Wildheit 
z. B. selbst ihre Kinder, ihre Frauen, und endlich auch sich selbst im Spiel ein- 
setzten und verspielten). Wir kennen zwar noch bis zur Stunde deutsche Gegenden, 
von deren Bewohnern man mit allem Rechte behaupten könnte, was Heffler von der 
Betriebsamkeit der Slawen schrieb; aber diese hindern uns nicht, etwas weiter zu 
blicken und neben ihnen andere Länder zu finden, in denen grössere Arbeitsam- 
keit und Kultur herrscht; darum hat auch Keiner von uns noch über das ganze 
deutsche Volk abgeurlheilt, wie es so mancher aus demselben und besonders Heffler 
über uns thnt. 

Von der Reinlichkeit der Slawen könnten wir manches gute Beispiel an- 
führen; allein wir unterlassen es, weil Heffler seine Behauptung, als könne „der 
Slawe sich und die Seinigen ruhig im Schmutze, im Elende umkommen sehen," 
im Augenblicke darauf wieder vernichtet. 

Der Treulosigkeit und der Habsucht beschuldigen uns die Deutschen ausscr- 

SUw. Jahrb. I. 56 

Digitized by Google 



ordentlich gern, und doch haben gerade sie die geringste Ursache dazu. Die 
Ozechen haben leider allzusehr ihren eigenen Vortheil vernachlässigt. Wie Tiel 
Blut wohl wurde vergossen, wie viel Güter geopfert, wie viel Arbeit unternommen, 
z. B. in Italien, in Deutschland, in Ungarn, ja selbst in Polen und in den Dooau- 
landern, in den Kämpfen gegen Brudervölker aus Freundschaft und zum Vortheil 
der Deutsehen! Wie viel Missgeschick, wie viel Unglück walzten unsere Vater 
dadurch auf sich ! Und was für eine Belohnung forderten, welche erhielten sie für 
alles Das?" 

Auf diese Weise widerlegt der Verfasser mit weitläufigen Gründen und Ci taten 
aus deutschen Historikern nicht blos jene Charakteristik der Slawen, sondern wirft 
auch die Behauptung desselben, als seien die Deutschen im Recht gewesen in 
ihrer Behandlung gegen die Slawen, mit der wahren Entrttstuug des historischen 
Bewusstseins zurück. Ohne weiter in das Detail der Untersuchung einzugehen, 
erinnern wir zum Schluss nur noch, dass Heffter bei seiner historischen Unter- 
suchung des Weltkampfes sich eine Menge von Unrichtigkeiten zu Schulden kommen 
lassen und den besseren Theil seines Artikels, bisweilen ganze Seilen, aus F&- 
lacky's Geschichte von Böhmen abgeschrieben hat, ohne diesen zu nennen. So 
z. B. auf S. 536 u. a. a. ().; am glänzendsten hat er diesen literarischen Dieb- 
stahl auf Seite 405 durchgeführt. Der Vergleichung wegen lassen wir beide 
Stellen folgen. 



Heffter. Palacky. 

Da er selbst krank war, übertrug Da er selbst krank war, vertraute 

er den Oberbefehl seinem Freunde und er den Oberbefehl darüber seinem 

Lieblinge, dem Herzoge Ernst, dem mach- Freunde und Liebling, dem Herzoge Ernst, 

tigslen Manne im Reiche. Schon näm- dem mächtigsten Manne in seinem Reiche. 
lieh begann wieder bei der Schwache 
der letzten Hegenten aus dem ka- 
rolingischen Geschlechte die Macht 
der hohen Vasallen zu wachten, 
und die von Karl dem Grossen 
errungene Souverainetät wieder 
allmälig zu untergraben, und da- 
mit die innere Kraft des deutschen 

Volkes. Mit dem Heere vereinig- Auch Thakulf , Markgraf gegen die 
ten insonderheit Thakulf, der Mark- Sorben , und viele Grafen und Aebte 
graf an der sorbischen Grenze, und aus allen Gegenden Deutschlands 
ausserdem viele Grafen und Aebte ihre schlössen mit ihren Schaaren sich dem 
Schaaren. So drang man in Böhmen Zuge an. Das Heer drang in Böh- 
mer. Beim Angriffe auf einen festen men ein. Bei dem Angriffe auf eine 
Platz, den die Czechen besetzt, Verschanzung, in welche sich die 
wurde Thalkulf schwer verwundet: so Bö hmen eingeschlossen, wurde Mark' 
tapfer wehrten sich die Feinde, graf Thakulf schwer verwundet. Der 
Doch war ihr Verlust selbst ?iicht Angriff wurde zwar abgewehrt, 
unbedeutend; darum kam von ihnen aber mit grossem Verluste. Daher 
eine Gesandtschaft ins Lager der Teut- sandten die Böhmen eine Bothschaft 
sehen, um über den Frieden zu unter- ins deutsche Lager, um den Frieden 
handeln. Sie wandte sich vorzugsweise zu unterhandeln. Diese wandten sieh an 
an Thakulf, weil sie ihm vor Allen Thakulf, als denjenigen, der der 
trauten, indem er die Hechte und slawischen Sprache und Sitten am 
Gewohnheiten der slawischen Na- meisten kundig war; und er empfing 
tion als Markgraf an der sorbi- ö 
sehen Grenze am besten kannte. 



Digitized by Google 



Trotz seiner Wunde und seiner kör- 
perlichen Schwäche empfing er zu Pferde 
die feindlichen Abgeordneten , um 
sie oicht seinen Zustand merken zu 
lassen. Allein während der Unterhand- 
longen erneuern einige deutsche Grafen, 
wahrscheinlich weil sie meinten, 
die Feinde suchten aus allzugrosser 
Schwäche den Frieden, plötzlich den 
Streit , greifen die Böhmen an und 
das ganze Heer folgte ihrem Beispiele. 
Entrüstet Uber solche Treulosigkeit, 
ermannen sich die Czechen, schlagen 
den Angriff zur ück, ergreif en darauf 
die Offensive, richten unter den 
Teutschen eine furchtbare Nieder- 
lage an, terfolgen die Flüchtigen bis 
«/«Lager und umringen dasselbe. Nun 
war die Reihe an den Teutschen, um 
Pardon zu bitten und um Vergün- 
s t igung eines freien Ab» uges. D ie 
Böhmen gewährten ihnen solchen 
unter harten Bedingungen: die Teut- 
schen mussten Geiseln stellen, und der 
Weg, den sie zu nehmen hätten, ward 
ihnen vorgeschrieben. Alles Gepäck und 
Geräth fwblieb in den Händen der 
Sieger; selbst die Waffen mussten aus- 
geliefert werden. 

So zogen die 



sie, trotz seiner Schwäche, zu Pferde, 
um sie nicht seine Wunden gewahren 
zu lassen. Doch während der Unter- 
handlung selbst erneuerten einige deutsche 
Grafen plötzlich die Feindseligkeiten, 
und überfielen die ruhig sich halten- 
den Böhmen; ihnen folgte das ganze 
deutsche Heer zum Angriffe* Ueber 



eine solche Treulosigkeit empört, 
erhoben die Böhmen sich zu furcht- 
barer Bache. Sie schlugen den An- 
griff ab, brachten eine grosse Nieder- 
lage über die Feinde, verfolgten die 
Fliehenden bis in ihr Lager und um- 
ringten dasselbe. Nun war es an den 
Deutschen, um Frieden zu bitten und 
Geiseln zu stellen, womit sie den Rück- 
weg in ihr Land erkauften. Der 



Weg des Rückzugs ward ihnen Tor- 
geschrieben, alles Gepäck und Geräth 
blieb in den Händen der Sieger, und 
selbst die Waffen mussten ausgeliefert 
werden. 
Teutschen ab/' 



JRoh. 1843. Band IV, 156 Seit., vergleiche «.138 u. £79. 

Der vorliegende Band enthält 6 verschiedene Artikel von bedeutendem Werthe 
bei dem gegenwärtigen Zustande der poln. Literatur. 1) einige Gedanken über Ek- 
lektismus von D. Ein entschieden wissenschaftlicher Artikel, welcher den Eklek- 
tismus in 3 Kategorien theilt, in den aus Unwissenheit (ohne Selbstbewusslsein) 
den aus Schwäche oder aber aus Absicht Jede von diesen Kategorien zeigt sich 
auf dreifache Weise, 

1) an sich, in abstracto, 2) in der Literatur und 3) in der Politik. Den 
Eklektismus in der Literatur zeigt der Verfasser in seinem Einfluss 

a) auf die Philosophie, b) auf die Literatur im engern Sinne (dieProduction) 
und c) auf die socialen Begriffe. Unter diesen 3 Kategorien ist nach des Ver- 
fassers Ansicht der Eklektismus aus Mangel an Selbstbewusstsein und aus Schwäche 
sehr gefährlich und könne ein Volk gänzlich vernichten; am thätigsten indess 
zeige sich gegenwärtig der politische Eklektismus, in welchem der eigentliche 
Kern desselben liege, den man von allen Seiten auffassen und geistig durchzu- 
dringen verbunden sei. An dem Beispiel der Giroode zeigt der Verfasser die 
ausserordentliche Schädlichkeit des politischen Eklektismus. Bei der gegenwärtigen 
Hichtung der slawischen Literaturen, welche sich immer mehr und mehr dem 
Eklektismus zuneigt, und von denen eine, die russische, ausschliesslich diesem 



Digitized by Goc 



Principe huldigt, hat die Entwickelang der Schädlichkeit, der Unhrauchbarkeit des 
eklektischen Systems ausserordentliche Wichtigkeit, und verdient, dass die Gedanken 
des Verfassers in ihrer ganzen Schärfe aufgefasst und von jenen Männern naher 
gewürdigt werden, welche an der Spitze der geistigen Bewegungen der slawischen 
Völkerschaften stehen. — 2) Einige Worte über die französische Universität von 
W. M. haben ihre Wichtigkeit vorzüglich für Posen, wo man eben damit umgeht, 
die Gründung einer Universität möglich zu machen und solche historische Bei- 
spiele zu seiner Belehrung recht sehr bedarf. — 4) Allgemeines Interesse bean- 
sprucht 3) der allgemeine Abriss der Lehre Towianski's, worin eine kurze Ge- 
schichte der Schicksale und Bestrebungen dieses Propheten vorangeschickt und 
dann dieBiesiada desselben mittheilt, in welcher er sein System in gedrängter Kürze dem 
General Skrzynecki vorlegte. Allein da wir hoffen, dass das Geschrei über dieses 
Prophetenthum in Kurzem aufhören wird, weil es sich als zu oberflächlich und 
wenig durchgreifend darthut, so finden wir uns nicht veranlasst, in deu Inhalt der- 
selben tiefer einzugehen. — Der Glanzpunkt dieses Heftes ist Art. 4. der Begriff 
der Nationalität, ein vortrefflich geschriebener Artikel, der es verdiente, in alle 
slawischen Dialekte, soweit dies die Umstände erlauben, tibersetzt zu werden. 
„Ob und wie Jemand den Begriff der Nationalität auffasst, ob die Nation selbst 
auf dem Punkte der Selhstkenntniss angelangt ist, dass sie von ihrer Nationalität 
den gehörigen, einen erschöpfenden Begriff hat, — das ist für das Dasein der 
Nationalität und ihre naturgemässe Entwicklung ebenso gleichgültig wie für die 
Pflanze, die in den amerikanischen Wäldern frei emporspriesst, ob sie ein Hum- 
bold entdeckt, sie kennen lernt und mit dem gehörigen Namen begabt, ob sie ihre 
Landsleute mit ihrem natürlichen Sinn nnd Verstand erkennen und in ihr eigenes 
Leben einführen, oder ob sie ganz unbekannt von den Leuten zur Ehre des Schö- 
pfers in der Reihenfolge ihrer Geschleehler in Ewigkeit fortwächst. — Wenn aber 
ein tödllicher Westhauch auf die Pflanze fällt, von welcher unser Leben abhängt, 
auf die Pflanze, welche wir im Schweisse unsers Angesichtes und mit blutiger 
Mühe durch Jahrhunderte gepflegt, welche wir darum mit unserm ganzen geistigen 
Wesen mehr liebgewonnen haben als das Lehen: dann wird es für uns nicht gleich- 
güllig sein, ob wir ihr Leben gehörig verstehen oder nicht, ob wir die geheimen 
Triebfedern und die eigenlhümlichen Mittel der Erhaltung ihres Lebens vollkommen 
kennen oder nicht." 

„Das Leben der Nation, fährt der Verfasser weiter fort, hat drei Ausgangs- 
punkte, von welchen es ausgeht und welche zugleich die Grenze seiner Wirkung 
bilden: Das Hcimathsland, die vaterländische Geschichte und die 
Sendung der Nation. Diese drei Richtungen zusammengenommen münden sich 
alle in die eine Heimath, das Vaterland. Das Heimathland hat als irdisches 
Vaterland drei vorzügliche Anhaltspunkte, in welchen sich sein Leben zeigt, der 
nationale Ackerbau, die Industrie und der Handel, welche die Grundlage, den Boden 
bilden, auf welchem sich das Nationalleben entwickeln soll; wenn aber das ir- 
dische Vaterland mit Recht das Paradies ist, so kann das Vaterland des Geistes 
mit desto grösserem Rechte der Heimalhshimmel genannt werden. „Denn hier 
finden sich alle Helligthümer und Götter der Heimath, hier die vergötterten Geisler 
unserer grossen Vorfahren, die berühmt im Rathe, im Kampfe und der That des 
Gedankens, hier in der ewigen Glorie wohnen, hier lebt mit einem Worte der 
ganze Geist der Nation in seiner ewigen Gestalt, hier wächst er und vervollkommnet 
sich in der Heimath der Gewohnheiten, der Sitten und Gebräuche nnd 
des Glanbens, in der Heimath des vaterländischen S taates, der vaterländischen 
Geschichte und Literatur. — Das wirkliche Vaterland umschliesst auch die 
Person der Nation, den Charakter und das Ich der Nation. — Wenn nun aUe 
diese Momente den Boden des Nationallebens ausmachen, so ist „dieses selbst ein 
herrlicher, in drei grossen Gestalten aufgebauter Dom: der nationale Tanfstein 
lo s irdischen und geistigen Vaterlandes, dieHeiligencapeile der Persönlichkeit der Nation, 



Digitized by Google 



uud endlich das Presbylerium, worin die Prieslerschafl die gcheimnissvolle Sendung 
des göttlichen Wortes feiert." Dann ist die Nationalität nichts anders als das 
Vaterland in seiner Ganzheit (und das dasselbe erfüllende Leben). Die Nationalität 
selbst wieder bestimmt die Bedürfnisse der Nation, die Sendung derselben und 
endlich die Vaterlandsliebe. — 5) Ueberblick der politischen Ereignisse in dem 
ersten Halbjahr 1643, von W. A. W. Der Verfasser klagt mit Recht über den 
Mangel an Interesse für politische Zeitungen und findet den Grund nicht so sehr 
darin, weil sie wenig Wichtiges bieten, als vielmehr in der Art, wie sie re- 
digirt werden, das Zerbröckeln der Darstellungen, das immerwährende Wieder- 
rufen von gegebenen Nachrichten u. dgl. Daher nahmen die Herausgeber des„Rok" einen 
Grund, allhalbjährlich einen Ueberblick über die politischen Ereignisse zu geben, 
welcher nicht so sehr die einzelnen Fakta berichte, als vielmehr die Zustände dar- 
stelle, in welchen sich die verschiedenen Länder befänden, und dabei den einzelnen 
Fakten jene Stelle anweist, in welche sie ihr Wirkungskreis und ihre Wirksamkeit 
dränge. Frankreich, Spanien, England und Serbien werden besonders aufmerksam 
durchgegangen. — Den Schluss dieses Heftes bildet 6) ein Artikel über die so- 
cialen Reformen in Frankreich von W., welcher zunächst den Saint -Simonismus 
und den Fourierismus darstellt. Die beiden letzten Hefte, von dem das fünfte 
bereits erschienen und das sechste demnächst erwartet wird, werden in den fol- 
genden Heften besprechen. 



vi. 

4 • % 

Specielle literarische Uebersicht. 

Da wir im nächsten Jahrgange <lie Bibliographie ganz anders einzurichten gedenken, so ver- 
schieben wir das Verzeichniss der eingegangenen Schriften bis dahin. 



Deutsche allgemeine Zeitung. April. Mai. •Juni. 

Nro. 1. Das Verhältniss Polens gegen Preussen einigermassen modificirt. 
— Nro. 6. Der Text der Proclaination des Fürsten Alexander von Serbien in 
Hinsicht der Amnestie. — Nro. 12. Ein Artikel aus der Belgrader Zeitung wegen 
eines Mordversuchs gegen den Fürsten von Serbien. — Nro. 13. Anzeigen des 
nahenden ungarischen Reichlags. Debreczin will erweitertes Stimmrecht der Städte, 
aber Steuerfreiheit — Nro. 14. Die Adresse des posener Landtags und seine 
Stellung besprochen. Zugleich einiges über Chausseebauten angedeutet. — Beil. 
Die Stellung der Parteien Ungarns, worin unter ändernder ungarische Adel so gezeichnet 
wird: „Man kann, ohne ungerecht zu sein, nicht verkennen, dass die ungarische 
Aristokratie bei allen Mängeln, welche ihr vermöge des starren Geistes der Institution 
selbst ankleben, doch im tiefern Grunde ihres Wesens eine wohlwollende ist. Sie 
ist nicht inhuman, das hat sie durch zahlreiche, dem Wohle des Vaterlandes dar- 
gebrachte Opfer bestätigt. Sie hat die Tendenz , ihren drückenden Vorrechten 
allmälig und im organischen Uebergangswege zu entsagen, allzu entschieden ge- 
äussert, als dass hierüber ein Zweifel obwalten könnte. Man dürfte sich solcher- 
gestalt der freudigen Hoffnung hingeben, dass, wenn so fortgefahren wird, wie 
bisher geschah, eine friedliche Umgestaltung der gegenwärtigen Constitution Ungarns 
in eine der brittischen analoge mit all ihren den Geist erhebenden und zugleich 
Festigkeit verbürgenden Vortheilen, dereinst zu erwarten sein möchte." Und weiter 
unten heisst es; „Es kann sich hier nicht darum handeln, die Grösse dieses na- 
tionellcn Conflicts zu constatiren, er ist in seiner traurigen Folgenschwere allge- 
mein selbst von den Magyaromanen anerkannt. Diese haben es sich nun einmal 



in den Kopf gesetzt, alle anderen Sprachen im Lande aus dem Buche des Lebens 
zu loschen, und wenn sie in neuster Zeit über die Fruchtlosigkeit ihres raschen 
Beginnens stutzig werden, so haben sie nunmehr beschlossen, minder gewaltsam, 
aber desto systematischer zu Werke zu gehen. Ja, der offen ausgesprochene Zweck 
ist die Nullification des deutschen, slawischen, wallachischen Idioms, und am ihn 
zu erreichen geht man gegenwartig mit dem Plane um, den öffentlichen Unterricht 
allenthalben auf die Basis magyarischer Vortrage zu stellen." Und endlich: „Die 
Reaction ist vorhanden, mögen die Ultramagyaren wohl bedenken, dass die sla- 
wischen Interessen, welche sich bisher mit der blossen Nothwehr beholfen, den 
Schlüssel zur Aeolushöhle furchtbarer demokratischer Stürme in ihrem Busen 
verbergen." — Nro. 15. Der englische Spectator lässt sich Uber den posener Land- 
tag folgendermassen aus: „Die Politik der polnischen Majorität scheint etwas 
Aehnlichkeit mit der französischen Majorität in Niedercanada vor dem Aufstande 
zu haben. Die Nationalität, an welche sie sich klammert, ist ein Traum. Polen 
und Lilhauen sind unwiderruflich Russland einverleibt, und es ist ein eitles Be- 
mühen, in dem kleinen Rest in Posen die Nationalität behaupten zu wollen. Ihre 
einzig mögliche Wahl ist: entweder dadurch, dass sie russisch werden, ihren sla- 
wischen Dialekt als Gerichtssprache beizubehalten, oder aber Bürger eines Staats 
zu bleiben, welcher bei allen seinen Mangeln dem russischen Reiche weit voraus 
ist und ihnen für die Zukunft eine weit sichere Aussicht auf materielle Wohlfahrt 
und geistige und sittliche Bildung eröffnet. Polen gehört der Vergangenheit an. 
Es ist etwas Erlaubtes, und es ist an den Polen in Posen rühmlich anzuerkennen, 
wenn sie das ritterliche Andenken ihrer Vorväter hegen und pflegen, wenn sie, 
da sie nicht anders wollen, ihre Sprache im Familienleben beibehalten. Das ver- 
trägt sich ganz gut damit, dass sie in bürgerlicher Beziehung ganz und gar 
Deutsche werden, so wie unsere schottischen Hochländer mit all. ihrer Liebe zur 
Glansverfassung, ihrer Anhänglichkeit an die Häuptlinge uud die gillische Sprache 
vortreffliche englische Bürger sind." Solche Politik steht den Engländern ganz 
gut an, aber ein deutscher Staat, dem geistiges Wohl seiner Unlerthanen am Herzen 
liegt, wie Preussen, wird sie gewiss nicht adopliren, weil er überzeugt ist, dass 
es keine erbärmlichere Nationalität geben kann, als die durch eine Mischung er- 
zeugte. — Nro. 16. Klagen über die schlechten Handelsverhältnisse mit Russland. 
— Nro. 17 wird der russischen Regierung vorgeworfen, sie habe in der serbischen 
Angelegenheit nichts weiter gewollt, als den übrigen Mächten entgegen zu arbeilen; 
eine so sonderbare Zumulbung, über welche man sich des Lächelns gewiss nicht 
enthalten kann. — Nro. 21. Die öffentliche Meinung in Ungarn spricht sich amt- 
lich mit der grösslen Energie gegen Russland aus und fordert die östreichische 
Regierung bittend auf, das Wohl ihrer östlichen Provinzen in dieser Hinsicht sorg- 
fältig im Auge zu behalten. Da solche Erklärungen besonders von den mit Serben 
bewohnten Comilalen ausgegangen, so sieht der Referent darin den klarsten Be- 
weis, wie der so gefürchlele Panslawismus ein Phantom sei. — Nro. 27. 
Die Posener Landstände verschieben einen Antrag über die bürgerliche Gleich- 
stellung der Juden, wegen Mangel an Zeit Nachricht über ungarische Cemitals- 
scandale. — Nro. 28 wird die Liberalität des ungarischen Adels als übertrieben, 
die magyarischen Spracharroganzen als höchst verderblich für das Land bezeichnet 
Nro. 31 sucht Jemand die Parteien unter den emigrirten Polen in Frankreich zu 
charaklerisiren , wobei er etwas unglücklich ausfällt — Nro. 33. Aus Posen be- 
spricht Jemand die Errichtung einer polnischen Universität daselbst, gegen welche 
er mannigfaltige Gründe anzuführen bestrebt ist. — Aus Constanlinopel den 
Mächten über ihre Nachgiebigkeit bei der serbischen Frage ein schlechtes Coinpli- 
ment gemacht. — Nro. 34 und 36. Beilage. Auszüge aus Cnslines: Russland im 
Jahr 1639. — Nro. 35 werden die wilden Bewegungen in Ungarn und die Re- 
form der dortigen Städte mit ziemlicher Parteilosigkeit besprochen. Ein Hof- 
canzleirescript verfügt nach Sluhlweissenburg: „Die Bürger sollen nach Massgabc 



Digitized by Google 



493 



der Bevölkerung in mehrere Sectionen eingetheilt werden, von diesen eine Anzahl 
Ausschussmänner, welche der Hälfte der Wahlbürgerschaft gleich kommt, ernannt 
werden. Der Magistrat habe das Recht, mehrere Rechtskundige nnd sonst mit 
den nöthigen Eigenschaften versehene Manner zu Candidalen zu ernennen ; die Wahl 
soll durch den Magistrat, die jetzige Wahlbürgerschaft (eine sich selbst ergänzende 
patricieratige Corporation) nnd durch die nen ernannten Ausschussmänner erfolgen; 
den Depolirten sollen ihre Instructionen in gemischter Sitzung erlheilt werden." 
Es ist das jedenfalls der am meisten praktische Ausweg, auf welchem nicht blos 
die Städte organisirf, sondern auch die billigen Forderungen jeder Partei befrie- 
digt werden. — Nro. 36. Hoffnungen fllr den ungarischen Landtag, dem der Corre- 
spondent keine systematische Opposition prophezeit. Eine königl. Commission un- 
tersucht die Amtsverwaltung des Peslher Magistrats; drei Rälhe und ein Notar 
werden ihres Amtes entsetzt, wahrscheinlich wegen Geldunterschlage. So viel also 
nutzen die Declamationen und der Schwall von reformirender Rhetorik des Pesti 
Hirlap und Consorten? — Nro. 37. Die serbischen Zustande werden mit tüchtiger 
Sachkennlniss nicht so sehr als von einer gewissen Regierung beabsicht, sondern 
als zufallig hervorgegangen dargestellt. — Nro. 39 wird die Stellung Russlands 
bei der serbischen Frage von Neuem zur Rede gebracht und bei der Darstellung 
seiner Macht die leider bis zur Lächerlichkeit abgedroschene Meinung wiederholt, 
der slawische Koloss trage die schlimmen Keime des Zerfalles im Innern und sei 
dazu rings von Feinden umgeben, er stehe seit Peter dem Grossen auf einer er- 
künstelten Höhe, welcher die natürliche Stütze und Grundlage fehle und sei eben 
durch diese falsche, erzwungene Stellung, wie durch ein verderbendes Verhangniss 

fßtrieben, fortwährend nach aussen hin um sich zu greifen, er sei durch alle seine 
roberungen nur scheinbar, eigentlich nur auf der Landkarte grösser und mäch- 
tiger, in der Wirklichkeit aber immer schwacher geworden, und werde auf dem 
bisher verfolgten Wege unfehlbar dereinst aus einander gehen." Wir wissen alle 
diese Dinge nicht, die der Verfasser weiss, das aber wissen wir, dass Russland 
seit Katharina's Zeiten, also jedenfalls eher, als der Verfasser, die hier ange- 
deutete erzwungene Stellung erkannt, dass es seit jener Zeit schon die Vorbe- 
reitungen im grössten Massstab begonnen, eine andere Stellung zu erfassen, dass 
es unter Alexander bereits eine ganz veränderte Stellung eingenommen, dass es 
seit der Thronbesteigung de3 jetzigen Kaisers in derselben mit Riesenschritten 
vorwärts gedrungen ist und auf dem Punkte steht, jene ganze wahre und natür- 
liche Stellung einzunehmen, welche ihm seine Lage zwischen Europa und Asien 
abverlangt. Wir sind keine Lobredner Russlands, das aber wissen wir, wQrde 
Deutschland die Richtung von Russlands neuester Literaturbestrebung und seiner 
inneren Politik besser kennen und vorurteilsfreier sie zu würdigen im Stande 
sein, es würde mit solchen Expectorationen , wie die vorliegende, sich fürderhin 
nicht mehr lächerlich machen. — Die Comitatscongregalionen in Ungarn geben 
sehr verschiedene Resultate. Das Agramer bringt in seinen Instructionen eine Art 
politischer Trennung von dem Königreiche Ungarn in Anregung. Es wünscht die 
Errichtung einer besonderen obersten politischen Landesbehörde, einer kroatisch- 
slawonischen Statthaltern durchzusetzen. Die königliche Freistadt Fiumc soll in 
Civilprocessen nicht mehr an die königl. Hofcanzlei in Wien, sondern an die 
agramer Banaltafel apelliren. Slawonien, als mit Kroatien eng zusammenhangende 
Landschaft soll auf gleichen Contributionsfuss mit diesem gesetzt werden. Der 
Nalionalpresse möge eine freiere und leichtere Bewegung gestattet werden. Der 
wichtigste Wunsch indess ist, dass in Agram eine Universität errichtet werde; 
ihre, so wie die Professoren der gegenwärtig bestehenden königl. Akademie sollen 
nicht gehalten sein, die magyarische Sprache zu verstehen. — In der Beitage 
werden Auszüge aus den drei zwischen Russland und der Pforte bestehenden Ver- 
trägen hinsichts Serbiens zur grösseren Orientirung recht zweckmassig mi Igel heil t. 
— Nro. 40. Die Aufregung bei den ungarischen Congregationen wächst furchtbar: 

Digitized by Google 



434 

„Im Szathmarer Comitate begegneten sich zwei Parteien, die liberale wie die 
ultraconservative auf der offenen Heerstrasse. Sie stellten sich förmlich in Schlacht- 
ordnung, lieferten ein hitziges Gefecht, wobei viel Blut vergossen wurde. Die 
liberale Partei uuterlag; hJ* .Ulf zogen die Conservativen unter hallendem Triumpf- 
geschrei in die Congregationsstadt ein und demolirten das Haus eines allgemein 
geschätzten und bekannten Sluhlrichters , welcher sich besonders für Abschaffung 
der adeligen Steuerfreiheit verwendet hatte." Nicht viel besser ging es in anderen 
Comitaten. — Nro. 43. Beil. Der Briefwechsel zwischen dem Kaiser von Russland 
und dem Sultan über Serbien mitgetheilL — Nro. 48. Aas Posen werden die 
Wirkungen der russischen Grenzsperre angegeben und hinzugesetzt: „Eine prin- 
cipielle Antipathie gegen Russland, wie sie sich im Westen (Deutschlands) kund 
gibt, herrscht im Allgemeinen nicht, weil man hier mit eigenen Augen sieht und 
überzeugt ist, dass eine freiere Verfassung für russische Zustände ?or der Hand 
noch nicht passt, .dass aber Kaiser Nicolaus auf dem Wege einer organischen 
Entwicklung rüstig vorschreitet und der Nation so viel gewährt, als fflr ihren der- 
maligen Bildungsstand nur irgend zulässig ist ; das hat sich aufs Neue durch die 
Aufhebung des Prügelsystems (wornach nur in Folge gerichtlichen Urlheils ge- 
schlagen werden darf), durch die Beschränkung der Canlonpflicht und der bessern 
Verpflegung der Armee bewährt, lauter Reformen, die von unglaublichem Einfluss 
in einem Lande sind, das in Rücksicht der Civilisation erst anfängt, sich auf das 
europäische Niveau zu erheben." — Beil. Auszüge und Besprechung der Schrift 
„Oestreich und dessen Zukunft," welche Nro. 53 fortgesetzt wird. — Nro. 53. 
Oestreirhs Politik in der serbischen Angelegenheil gerechtfertigt. — Nro. 55. 
Ungarische Comitatsscandale, das beregher zeichnet sich vorzüglich aus. — Nro. 56. 
Die Stimmführer der ungarischen liberalen Bewegung haben sich furchtbar ge- 
täuscht über ihre Wirksamkeit und „Herr von Kossulh muss selbst . eingestehen, 
dass er sich in dem Zutrauen, welches er der nationalen (d. i. hier jedenfalls der 
magyarischen) Intelligenz schenkte, getäuscht und in der Einhaltung des rechten 
Masses verrechnet habe." Er lasse jetzt selber einige seiner Hauptideen fallen. 
Ganz anders hätte man wirken können, wenn man so viele Jahre hindurch auf 
die Erziehung des Volkes hingearbeitet hätte. — Nro. 58. Der Reichstag in Ungarn 
eröffnet und die königl. Propositionen, deren Hauptinhalt aufgezählt wird, in la- 
teinischer Sprache verlesen. — Nro. 59. Der Text der königl. Proposilionen in 
Ungarn. — Nro. 61. Nachträgliches über die königl. Proposilion und die Stimmung 
desselben Landtags. — Nro. 63. Derselbe verhandelt in einer Circularsitzung die 
Rechte der Kumanier, einer besondern Körperschaft und Nationalität, mit den Ma- 
gyaren zunächst verwandt. Auch will man eine Landtagszeitung herausgeben. — 
Nro. 66. Forlgesetzte Nachrichten über den Pressburgcr Landtag, an welchem den 
kroatischen Deputirten verwehrt wird, lateinisch zu sprechen. — Ein allgemeiner 
Artikel fordert von der öslreichischen Regierung, sie solle die ungarischen Ver- 
hältnisse nach den Wünschen Deutschlands entscheiden.' — Nro. 70. Die Besorg- 
nisse der Türken vor Russlands Uebergewicht und dessen Einfluss auf die Pforte als 
ausserordentlich gross dargestellt. — Nro. 73. wird das Verfahren der öst- 
reichischen Politik in der serbischen Angelegenheit sehr gelobt. Vom ungarischen 
Landlag eine Antwort an den König beantragt, den Kroäten abermals das Latein 
verboten; auch Einzelnes über die Städte, die Presse und die freien Distrikte 
beigebracht. — Nro. 74 und 76 und 78. Beil. Manches Interessante über die 
Universität Kasan und ihre Stellung gegen den Osten. — Nro. 76. In der Moldau 
verfällt man auf den. lächerlichen Gedanken, die französische Sprache als Unter- 
richtsgegenstand einzuführen. Auch ein Russenfreund ist dort thätig. — Nro. 77. Der 
ungarische Reichstag ernennt einen Ausschuss, die Frage des Unterrichts auszu- 
arbeiten; dann wird der Sprachslreit wieder aufgenommen und gegen die De- 
pulirtenwahlen in Agram von Seiten der Turopolyer Proleslalion eingelegt — 
Nro. 78. Zustände und Hoffnungen auf den Prcsburger Landtag ausgesprochen. — 



Digitized by Googl 



Nro. 79. Ein höchst unglücklicher Artikel über die Slawen, ihre Nationalität und 
Einheit — Nro. 80. Der Sprachstreit und die kroatische Ang elegenheit von Neuem 
zur Sprache gebracht. — Nro. 84. Verhandlungen über die Kirchensachen. — 
Nro. 85. Die Bestrebungen der Ungarn kurz zusammengefasst, auch Einzelnes 
über serbische Culturzustände berichtet. Nro. 89. Die weiteren Verhandlungen des 
ungarischen Reichstags Uber die Religionsangelegenheiten und Nro. 91 vorzüglich 
Aber die gemischten Ehen. — Nro. 94. Einzelheiten über den Pressburger Land- 
tag; ein Illyrier soll zum Magyarischsprechen gezwungen werden. Nro. 96. Aus 
Posen wird gegen einen Artikel des Journ. de Francfort, der die Existenz einer 
russischen panslawischen Propaganda leugnet, erwidert: „Das Journ. de franc. 
hat vollkommen Recht, wenn es von dem gegenwärtigen Augenblicke spricht, da- 
gegen wird es schwerlich ableugnen können, dass noch vor wenigen Jahren die 
Idee des Panslayvismus von Petersburg aus sehr begünstigt wurde, und die Emis- 
saire desselben in allen slawischen Ländern anzutreffen waren. Aber die Russen 
haben sich in den Slawen noch mehr verrechnet als in den Deutschen; denn mit 
Ausschluss derjenigen slawischen Stämme, welche in den nördlichen Land estheilen 
der Türkei wohnen, haben sie nirgends auch nur die geringste Sympathie ge- 
funden, vielmehr überall deutlich manifestirte Antipathie. Sie haben somit gegen 
ihr eigenes Fleisch gewüthel und einen Dämon heraufbeschworen , der ihnen noch 
viel zu schaffen machen kann. Der Panslawismus ist kein Mährchen, aber seine 
Tendenz ist nicht die Erweiterung der russischen Macht, sondern im Gegentheil 
die Begränzung derselben. — Alle Slawen sind von der Idee begeistert, dass 
der Slawismus im Aufblühen hegriffen sei und über lang oder kurz zur Herr- 
schaft gelangen werde. Zur Förderung dieser Idee bedienen sie sich des Katho- 
licismus, theils als Gegengewicht gegen den von Russland jetzt so auffallend be- 
günstigten Gräcismus, theils aber auch, weil ein politisches Bindemittel gefährlich 
werden könnte. Auffallenderweise haben die Slawen gegenwärtig ihr Augenmerk aufOest- 
reich gerichtet, von dem sie glauben, dass es ihren Strebungen geneigt sei, und zwar 
schon deshalb, um mittelst der zahlreichen Slawen in Ungarn und dessen Neben- 
ländern den mächtig aufsprudelnden Magyarismus niederzuhalten. Auch ist ihnen 
wohl bekannt, wie gross dermalen die Antipathie der Bewohner der östreichischen 
Donauländer gegen die Russen ist, die 'sich bereits eine völlige Suverainität Über 
die türkischen Donaufürsten thümer angeeignet haben. Alle diese Agitationen sind 
dem russischen Gouvernement auch keineswegs verborgen, darum hat es den Pan- 
slawismus fallen lassen und bedient sich als Gegenwaffe des Gräcismus, dessen 
Anhänger freilich dem russischen Thron mehr zugethan sind. In den türkischen 
Donauländern sollen auch slawische Emmissaire mit Erfolg thätig sein. Eine 
grosse Krisis steht über kurz oder lang im östlichen Europa jedenfalls bevor/' — 
Nro. 100. Interessante Data Über den ungarischen Landtag; eine in lateinischer 
Sprache abgefasste Beschwerde der illyrischen Reichstagsmitglieder über das 
Verbot, im Reichstage lateinisch zu sprechen, darf nicht vorgelesen werden. — 
Nro. 105. Neues über den ungarischen Landtag. — Nro. 107. Der Erzherzog Pa- 
latin erklärt in einer stürmischen Sitzung: „Nach meiner Ansicht bestand das 
Glück unseres Vaterlandes vorzüglich darin, dass verschiedene Nationen bisher 
in Frieden darin zusammen lebten. Ich halte dafür, dass die Glieder einer jeden 
in Ungarn lebenden Nation, welchem Hauptstamme sie auch sonst angehören mögen, 
eben weil sie den gleichen Schulz gemessen, sämmtlich Ungarn sind. Wer 
sich von diesem Gedanken entfernt, der begibt sich eines jeden gesetzlichen 
Schutzes. Der Quelle und den Bewegungen des Illyrisinus nachzuspüren hat dem 
Lande bisher nichts genützt nnd wird ihm auch weiter nichts nützen." Ge- 
gen die Avlticität ist die Regierung wie die beiden Tafeln; und so wird wahr- 
scheinlich diese wichtige Frage noch an diesem Landtage entschieden. Das von 
der Regierung veröffentliche Dekret über die gemischten Ehen entspricht nicht 
den Erwartungen. — Nro. 108. Eine Besprechung der ungarischen Stammzwiste, 

Slaw. Jabrb. f. 57 

Digitized by Coogle 



Wo unter anderm die alle Humanität verläugu enden excentrischen Ausfalle utrd hy* 
perpatriotischen Erklärungen der Magyaren belobt (!) -werden. Der deutsche 
Correspondent scheut sich eben so wenig, als die Ultra-Magyaren, den Slawen 
in Ungarn vorzuwerfen: „Zeigt, was ihr seid, beweist, was ihr könnt; dann werdet 
ihr erreichen, was ihr wollt, Wehn nicht ein Mehrberechtigter da ist, der seine 
Ansprache auf Naturtitel (?) stutzt, die toh derselben Quelle ausgehen, aber gül- 
tiger (?) sind, als diejenigen, worauf ihr euch beruft!" Wir berufen uns auf 
das Recht eines jeden grossen für besondere Zwecke in der Weltgeschichte be- 
stimmten Volkes, sich in seiner Eigentümlichkeit zu entwickeln. Die 1 Slowaken 
berufen sich auf das Recht eines constitutioneHen Staates, dessen Glieder gleiche 
Vortheile für ihre Zwecke beanspruchen, wenn sie gleiche Lasten tragen. Ob es 
gülligere Rechte geben kann, wissen wir nicht; es müsste denn der Berichter- 
statter die Gewalt des Stärkeren für ein solches ausgeben. Rein unverständlich 
aber ist uns die vorangehende Stelle: „Am allerschwächsten aber sind die heuch- 
lerischen Gründe, mit denen man z. B. den Slawen durch Verläugnung ihrer Na- 
tur zu dienen sucht und sie in irgend ein phantastisches Demokratenthum hinein- 
zuziehen bemüht ist. In ähnliche Kunstgriffe verliert sich auch der Graf Thun, 
ein Vorkampfer des Slawismus." Welches sind die heuchlerischen Gründe? Wo 
verleugnet man die Natur der Slawen? Welches ist das phantastische Demokraten- 
thum? Wusste der Schreiber jener Zeilen, was er sprach? Oder sprach er über 
Dinge, die er kannte? In Graf Thuns Schriftchen ist von einem Demokratenthum 
auch nicht im entferntesten eine Rede. In welchen Phantasien erging sich der 
ehrenhafte (!) Berichterstatter? — Nro. 112. Eine Klage über die Verkennung des 
Oestreichers , als wäre er nicht deutsch gesinnt, wo unter andern selbst der Re- 
gierung nachgesagt wird, dass eine „innigere naturgemasse Verbindung Oestreichs 
und Deutschlands sogar in ihrer Wirklichkeit von der östreichischen Regierung 
durch Wort und That vorbereitet und begonnen werde." Dann ein Bericht über 
die Resolution über die gemischten Ehen aus Ungarn, wo sogar in dieser Hin- 
sicht mit Blutvergiessen gedroht und die Regierung von Klauzal iu der öffent- 
lichen Ständesitzung „für jesuitisch erklärt" wird. Das ist allerdings stark, und 
gewiss mehr als ungerecht. Eine andere Fassung jener Resolution war fast nicht 
möglich; wir wissen nicht, was die Magyaren weiter fordern können. Der Artikel 
schliesst: „Höchst merkwürdig ist das Factum, dass die katholische Kirche seit 
der Regierung Kaiser Josephs zum ersten Mal mit der östreichischen Regierung 
in Opposition trat. Andererseits ist die Stimmung des Reichstags, welchem das 
Entgegenkommen der Regierung viel zu geringförmig und zögernd erschien, eben 
so bemerkenswerlh. Eine tiefgreifende Gährung der Ideen scheint unvermeidlich 
in den Gemüthern bevorzustehen." — Nro. 113. Ein Oeslreicher verlangt die 
„Erweckung und Nährung eines recht lebendigen Staatsinteresses" als eine Grund- 
bedingung der Einigkeit Oestreichs. „Eine liberale Reform unseres Gemeinde- 
wesens in Bezug auf Vermögensverwaltung und alle eigentlichen Gemeindeange- 
legenheiten wäre vor der Hand die nolhwendigste Reform in ganz Oestreich, 
wäre die grösste Wohllhat für das Volk und für die Regierung. — Nro. 117. 
Eine Schilderuog von Kossuth und Graf Szecbenyi und ihrem öffentlichen Auf- 
treten. — Nro. 123. Beilage. Die Kulturverhältnisse Russlands nach dem statisti- 
schen Werke von Redens in Kürze dargestellt — Nro. 124. Ein kräftiger Artikel 
gegen die Magyaromanen, aus dem Buche „Oestreich und Ungarn" (Leipz. Weid- 
mann) wahrscheinlich vom Verfasser eingesandt, weil die Quelle nicht angegeben. 
— Nro. 125. Der (sogen, russ.) politische Panslawismus , seine Thätigkeit be- 
sonders in den Donauprovinzen als überall sichtbar dargestellt. — Nro. 130. Das 
Prohibitivsystem Oestreichs als höchst schädlich der materiellen Entwicklung den 
Landes dargestellt und die Veranlassung, warum die beabsichtigte Reform nicht 
ausgeführt worden, in den Reclamationen der böhmischen und mährischen Fabri- 
kanten gesucht. — Nro. 132. üeber russische Rekrutenaushebung. — Nro. 133. 



Digitized by 



439 — 

Die vortheilhaften Verhältnisse der russischen Kaufleute gegen die englischen in 
der Türkei. Nro. 134. Amtlicher Text über die Grenzverhältnisse zwischen 
Preussen und Russland. Nro. 135. Der Sprachkainpf der Kroaten gegen die 
Magyaren. Nro. 139. Kämpfe an der Magnalentafel. Nro. 141. Die beun- 
ruhigenden Zustände der türkisch -slawischen Provinzen geschildert. In der Bei- 
lage Russlands und Oestreichs Stellung zu den Donaumündungen bezeichnet — 
Nro. 142 und 143. Pressburger Reichstagsangclegenheiten besprochen. Nro. 143. 
Tengoborski's Werk über die östreichischen Finanzen besprochen. Nro. 146. 
Die religiösen Veränderungen im Posensehen, die Veranlassung zum grösseren 
Anschluss an die Geistlichkeit in der Nationalfragc liegend. Nro. 147. Kampf 
der ungarischen Deputirten gegen die Geistlichkeit. 148. Der öslreichische Zoll- 
tarif. 149. Nachrichten vom Pressburger Landtag. 150 und 153. Die ungari- 
schen Magnaten Uber den Sprachstreit. 153. Erklärungen der Siebenbürger gegen 
die Jpsuitpu 

■ 

■ 

I 

■ 



Digitized by jtf OOgle 



l .1- Ii« • 



« . • 

4 



■n. ' •*:• 



* • . *** 
• «« • 



i • • ■ 

• I- 



■-»I Ml... 

• • .:*•» ,'- ' 



Inhalts- Verzeichnis* vom Jahr- 
gang 1843. 



Grössere Artikel. 

Schreibweise d. slaw. Wörter a. Namen 4—6. 
Schafariks tl. Alterthümer 6—15. 95—102. 
Gaj und d. Illyrismus 15—20. 
Der poln. Hist. Lukaschewicz 20—21. 
Das russ. Weihnachtsfest 21—29. 110—120. 
Russ. Theater in Petersburg 29—33. 
Die böhm. Bühne in Prag 34—36. 
Das neue Theater in Lemberg 36 — 37. 
Kunst in Russland 37 — 39. 
Gewerbliche Liter, in Böhmen 40—43. 
Agronomicche Wissensch, in Russl. 43 — 45 t 
Puschkin v. Mickiewicz 45 — 51. 
Gegenwärtige Richtung der russ. Literatur 
52—61. 

Populäre Lit. im Posenschen 61—64. 
Der Panslawismus 91—95. 
Kosakenaufstand von 1648. 102—110. 
Der russ. u. franz. Soldat 120 — 121. 
Ungarns Anschluss an d. deutsch. Zollverein 
121—124. 

Broschüren-Liter, über Ungarn 124 — 130. 

Das Elementarschulw. in Oberschles.130 — 132. 

Russl. Stellung zur euro p. CWilisat. 159 — 1H2. 

Der Sprachenkampf in Ungarn 162—168. 

Aktenstucke die Anwendung d. magyarischen 
Sprache betreffend 169—172. 

Die verschiedenen Stände Ungarns 172 — 178. 

Die slowenische Literatur 223 — 225. 

Die Czechen u. ihr Verhältniss zu den übrigen 
Slawen in liter. Hinsicht 225—227. 

Die russ. Literat, im Jahr 1843. 227—231. 

Die Germanisirung der Kaschnben 243—247. 

Kopernik gehört nicht in d. Walhalla 247— 252. 

Der Kinäuss des Slawischen auf das Italie- 
nische 252—256. 

Kurze Gesch. d. Matice Czeska 257—265. 

Skizze der Gesch. d. russ. Liter. 265—270. 



Rückwirkung des Magyarismus in Croatien 
270—276. 

Der eigentl. Standpunkt der poln. Literatur 
299-303. 

Die slowenischen Volksschulen in Ustersteier- 

mark 303—306. 
Die Liedersänger in Polen und im Rossinenl. 

306—315. 

Aktengemässer Bericht Ober den Verein zur 
Unterstützung der unbemittelten lernen- 
den Jugend des Grossherzogth. Posen 
315—320. 

Bibliographische Uebersicht der Sammlungen 
st. Volkslieder 320—325. 408—414. 

DerGesetzentwurfderungar.Deputirtenkamm. 
über den Gebrauch der magyar. Sprache 
325—330. 

Die griech. sl. Welt, Cernagora 330 — 335. 

Bausteine zur sl. Mythol. 336—344. 383— 40?. 

Wie könnte in d. Gymnasien Böhmens, Mäh- 
rens und Schlesiens dem allerhöchsten 
Willen Sr. Majestät Hinsichts de» Unter- 
richts d. böhm. Sprache einigermaßen 
Genüge geleistet werden 379—383. " 

Rückblick auf die poln. Literat. im Gross- 
herzogth. Posen 414—419. 

w~ ...» .i/UntU 

Kritiken. . «i. 




Aktenstücke üb. d. ostind.CompagnieS 
Ankershofen Gesch. v. Kärnthen 219. 
Beschwerden und Klagen der Slaw. 

285—286. 

Blanqui voyage en Bulgarie 220 — 221.. . 
Derschau, Finnland u. die Finnländer 221. 
Diplom. Gesch. d. poln. Kmigration 134— 135. 
Fähnrich Pallas Athene 277. 
FlottweU Denkschrift üb. d. V€ 

209—214. 
Furch Gedichte 223. 



Digitized by Googl 



430 



Giesebrecht wendische Geschichten I. IL Bd. 

132—134. III. Bd. 217—218. 
Göhring, Polen unter russ. Herrsch. 220. 
Goszczynski, Krol Zamczyska 210. 
H. * Apologie dt s ungar. Slawisin. 359 — 361. 
Hanka Königinhofer Handschr. 276 — 277. 
Hanusch sl. Mythus 64—68. 
Heifter, der Welt kämpf der Deutschen und 

Slawen 419-429. 
Hermann Gesch. d. russ. Reiches 283 — 284. 
Hermann Gesch. v. Kärnthen 219. 
Jordan, litthauische Volkslieder 366—367. 
Karamzin Gesch. d. russ. ReichefT365. 
Kastorski sl. Mythologie 64—68. 
Kollar Reise nach Oberitalien 214—216. 
Konecny, czechische Gram. 136 — 137. 
Maquritius, Panslawismus 221 — 222. 

Posens Liter, seit 1831. 

Mickiewicz sl. Literat. 68—71. 197—202. 
Moraczewski Gesch. d. poln. RepubL bis 

zum XV. Jahrh. 218—219. 
Murko südslaw. Grammatik 136 — 137. 

_ 



Ossolinskische Bibliothek 354— 856. 
Picek Gedichte 137—138. 
Preusker vaterl. Vorz. 135—136. III. Bd. 284. 
Rok 1843. I. Bd. 138—141. IL Bd. 279-282. 
III. Bd. 4. 

Schafarik sl. finnland. Ethnographie 71—76. 
Schmaler deutsch-wend. Wörterb. 278—279. 
Schuberts Bemessung Russl. 287 — 288. 
Serbien, Russl. u. d. Türkei 222—223. 
Skroup der Kranz 278. 
Slawen, Russen, Germanen 178—179. 
Szechenyi, üng. Akademie 361—363. 
Thun, Stellung d. Slowaken in Ung.286— 287. 
Waldbrühl, sl. Balalaika 104—108. 
Welp, Petersburger Skizzen 76—77. 
Wildner, Ungarns Verfass. 363—364. 
Witwicki Briefe 351—354. 
Wojcicki Biblioth. altpoln. Schriftsteller 220. 
Woltson schönwissenschaftL, Lit. der Russen 
202—204. 

Zap Lebensbilder aus Osteuropa 277—278. 

II. Bd. 358. 
Ziegler böhm. Grammatik »58^35*. 



Adresskai. Mosk. Nistrein 83. 

Petersbrgr. 83. 

Agramer Comitatsunruhen 270 — 276. 

ökon. Gesellsch. 298. 

Agrarische Zeitung, poln. 63. 

russ. 43. 

Agronomie in Russl. 43. 
Academie russ. Nachrichten 150. 

russ. Bull, scientif. 150. 

Almanach, demokr. 146. 

poln. Alleluja 146. 

Alterthümer in Deutschland, Wagner 149. 
Ammerling, obrazy 148. 

Sonntagsschule 40. 

Andrjejew, Liederbuch 81.. 
Andrysowicz, Polen 144. 
Ankershofen, Gesch. Kärnthen 149. 
Aprylow, bulgar. Schriften 241. 
Arcybaschew , russ. Gesch. 370. 
Aretjew, Hermann und Dor. 232. 
Archäographie, russ. 61. 
Arzneibuch, russ. 77. 
Atlas, geogr. Böhm. 233. 

d. alt. Welt 233. 

— — Sohrs 150. 

Augsbrgr. allg. Z. Revue, 153. 372—375. 
B. F. Erzähl., poln. 238. 
Balinski, bist. Schriften 288. 

poln. Alterth. 297, 369. 

Volkssagen 146. 

Batitzki, Dissidenten 372. 
Baranowski, geogr. Atlas 289. 
Baratynski's Gedichte 228. 
Barthenheim, östr. Schulwes. 292. 
Barthold, Gesch. von Pommern 149. 
Bäsch ucki Nascha 141. 
Bauern Verhältnisse, russ. 88. 
Becki's ukrain. Sammter 153. 
Beda, Deutsche und Slawen 
Beidtel, östr. Gesch. 149. 
Bejla, Sittenschilderongen 369. 



»•Ii 



Benediktow, Gedichte 228. 
Berg, Ungarns potrt Zukunft 161. 

Bergwerksschule, techn. Russl. 87. 
Bernhard, poln. Leinwand 145. 
Bert, Mässigkeitsverein 371. 
Berthensohn, Marannen 142« 
Besedy, bohm. 147. 
Beschel, Karte von Posen 150. 
Bestuiew's liter. Uebers. 227. 
Biasoletto, Istrien, DalinaL Montenegro 151. 
Biblioth. neubohm. 84. 
Biczurin, russ. Sinolog. 86. 
Bjelowski über Malczewski 369. 
Bjelski Moskwa 233. 
Binder, poln. Staat 372. 
Bobrowski, lat. poln. Lex. 145. 
Bode, V älder 370. 

Bodenstädt, russ. Gedichte übers. 292. 
Bogdanowicz 346. 
Bösche, vergL Gram. 150. 
Boriczewski, slaw. Sagen 142. 
Borodino, Denkmal 38. 
Borowikowski, Maler 38. 
Boz, Oliver Twist 234. 
Böhmische Dramen, aufgef. 239. 

Industriekarte 150. 

Matica, Gesch. 257—265. 

Provinzialzust. 85. 

Sprachlehre, Ziak 150» 

Stalcy 154. 

Brambeus 55. 

Braunschweiger Russl. Flachsbau 371. 

Holzfrage 371. 

Weinbau 371. 

Bredow, Skrofeln 77. 
Bruni, russ^Maler 38. 
Brylow, russ. Maler 39. 
Buchara beschrieben 870.» 
Bucharest, iuss. Denkmal 49. 
Buchhandel, russ. 88. 
Bukowina, Karte 150. 



Digittfed by Google 



440 



Bulgarin 58. • 

russische Sitten 233. 

Wyiigin, böhm. 147. 

MücLen 144. 

Bulgarische Lit. 241. 
Hulwer Granada 232. 

Bange, Liv- Esth- Kurlands Rechtsq. 148. 

Burnaschew Lex. lndust. 87* 

Burnatew, Lohgerberei 370. 

Busek, beschr. 145. 

Butowski Pascal übers. 370. 

ßj ebner, kwiaty wschodnie nowara stowal46. 

Byron, Kain, Manfred, poln. 146. 

Cbroniken, ruas. 239. 

Cegielski, grieeb. Gram., poln. 230. 

Cernagora, Robert 330 — 336. 

Cibulski, slaw. Liter, üebers. 291 — 262. 

Ciemiecka, Erziehung 288. 

Cop, Slowene 224. 

Czaikowski, Romane übers. 151. 

Wernyhora 289. 

Csaplowics, England und Ungarn 151. 

Ungarns lndustr. 372. 

Czechen, ihr lit. Verh. z. d. Slaw. 225—227. 

und Deutsche in Böhmen 293. 

Czernjawski, Roman 144. 
Czerwenak, Kircheng. böhm. 147. 
Czoernig, Lombardei 293. 
Czorikow, russ. Maler 37. 
Czurowski Hern Roman 371. 
D. M. poln. Frau 369. 
Daguerrotyp Bulgarin 83. 
Dahlmann Litliogr. 369. 
Dahl, Erzählung 233. 

Erzähl. 233, 230. 

Luganski 60. 

Danilewski, Gesch. t. Türkenkriege 240. 
Dante, göttl. Kom. 232. 
Daucha, Thomsons Jabresz. 234. 
Dawydow 58. 

Vorlesungen 370. 

Degaj russ. Recht. 370. 
Denkmäler, ross. 38, 39. 
Derschau, Finnland 292. 
Derzawins Werke 232. 

9±1 

WXt» 

Deutsche in Polen 298. 
Dewicky, ErzähL 368. 
Dlatowski, Forstwirthsch. 290. 
Dmitriew 347. 

Dolgoruki, russ. Familien 235. 
Dorn Lehmdächer 370. 
Dorst, schles. Wappenbucb 149. 
Dromonin Moskwa 370. 
Drzewiecki, Contracte, Drama 145. 
Dubrowski, Jutrzenka 153. 
Dunder, böhm. Hirtenbuch 147. 

Bienenkultur 368. 

Dzalynski, Litth. Statut. 84. 
Dziennik domowy, 238. 154. 
Dziubinska, Bazar, Lust, 145. 
Eichhorn, Gesch. Radziwill 289 % 
Encyclop. böhm. 84. 
Erben, böhm. Volksbl. 233. 
Erdmann, Archiv. Russl. 85. ,. 
Fabel in d. russ. Lit. 350. 
Fäblmann EtUn. Verba 372. 



Fedorow Geometrie 370. 

Kurbski, Roman 37L 

Fialka, Oliver Twist 234. 

Filipek, Goldsmiths Vikar, bohm. 147. 

Finnlands Gegenw. und Zuk. 15L 

Flora rossica, Ledebur 148. 

Flottwells Denkschr. 209 — 214, 

Franz. russ. Wörterb. 372. 

Frankenstein , Oestr. Fabriksbilderatlas 150. 

Frauen, russ. Schrittst. 59. 

Furch, Gedichte 233. 

Gedichte 223. 

Fürst, Dr. Beitrag Gesch. 102. 
Gaj 15 — 20. 

Galachow, rnss. Chrestom. 290. 
Galizien, statistisch 377. 
Galizische Briefe 360. 

Karte 150. 

Gapsal, Bad beschr. 80. 
Garnysch, mysli 147. 
Gaszynski, Dämmerung 289. 
Gawinski, Gedichte 369. 
Gerle, Bilder Böhmens 151. 
Germanisirung d. Kaschuben 243—247. 
Gesellsch. philolog. Böhm. 85. 

poln. Posen. 62. 

russ. (Smirdin) 81. 

Geschichte Südrussl. Beitr. 102. 

Gevay Urk. Östr. Gesch. 372. , 

Gewerbliche Literatur, Böhmen 40. 

Bildung in Teinitz 41. Nedwedic 42. 

Bote, böhm. 41. 

Giesebrecht, wendische Gesch. 132. 149. 
Glatzer Chroniken 149. ( 
Gogol 59. u ^ 

Werke 87. 232. 

todte Seelen 143. 228. 

Erzählungen 229. 

Goloschczanow, Drama 232. 
Golowin, ross. Gesch. 235. 
Gorecki, Aehre 289. 

Gosterding, pommersche Genealogien 149. 
Goszczynski, Erzähl. 238. 
Gobel, Ostseegouvernements 149. 
Götlie, Hermann u. Dor. 232. 
Grabowski, Lit. Corresp. 369. 
Grachow, Wälder 370. 
Gradcew, Musenbluthen 81. 
Gr atz, Gründungsurk. 85. 
Grecz 85. 

Grigorjew, Vaudeville 81. 

Grot, Almanach, Helsingfors 51. 

Grocbel, Elementarbuch 360. 

Grüner, Eger 372. 

Grusin. Kirchengesch. 370. 

Gundulas Werke 296. 

Gurjew, Arithmetik 78. 

H. Apologie, ung. Slawismus 359 

Hahn, russ. Nov. 87. 230. 

Halm, Adept, poln. 145. 

Hanka, Königin. Handschr. 233. 276 U.2TJ. 

böhm. Orthogr. 368. 

Hanusch, Mythologie 64. 

Hasse, Gesch. Lombardei 80. 

Hawranek Predigten 368. 

Heimbrod, Schulwesen Oberschles. IM. 

Hermes, poln. RevoL 149. . 



Digitized by GooqI 



441 



ITefTter, Weltkampf 419. 
Hnjewkowsky's Faust 154. 
Holowinski, pielgrzymka 146. 
HoMei, Shakespeare, poln. 245. 
Hora, 6 Predigten, böhm. 147. 
Hurban, Reise 143. 

böhm. Nitra 148. 

liter. Slowaken 295 



Hwezdy, Z. Unterhalwngsschr. 233. 
Champ gny, Cäsaren 80. 
Chamykow Buchara 370. 
Chatow, Feldzug 1815. 80. 

2 Revuen 371. 

Chemnicer 346. 
Cheraskow 2H8. 269. 
Chladek's böhm. Singschule 145. 
Chmela, Adjectiv 294. 

böhm. Gymn. 379—383. 

Illyrisch 154. 
lllyrismus 15 — 20. 

Matica 298. 

Illyrien , Steiermark, Litorale, Karte 150. 

Industrie-Lexicon 87. 

Inokenti, Frediger 60. 

Ischimowa 50, Schriften 142. 

Italienische und slawische Spr. 252 — 256. 

Iwanow, russ. Gram. 87. 

Jablonowski, France, Pologne 292. 

Jachowicz, Fabeln 145. 

Jarnewicewa, Krzähl. 291. 

Jarnik, Slowene 888, 

Jastizebowski, Kompass 288. 

Jegorow, Maler 38. 

Jindra, Frzählung 368. 

Jirsik, 20 Briefe, böhm. 147. 

John of Dycalp, Ahnung, Lustsp. 45. 

Augenblick, Rrz. 146. 

Vampyr in Bjelhrad 146. 

Jordan, Litth. Volkslieder 366. 372. 

Josselian, Grus. Kirchengesch. 370. 

Joannowic, Wila 291. 

Juden Russl. 87. 

Jugendschriften, russ. 142. 

Julcewicz Samogitien 84. 

Kajdanow. Weltgesch. 80. Knrze Weltgesch. 

80. Alte Weltgesch. 80. 
Raiina, Wjestnik 148. 

Kamenski Bantysch, Gesch. Kleinrussl. t 79. 

Kaminski, Dramen 87. 

Kampelik, böhm. Muster 368. 

Kanzow, pommersche Chron. 149. 

Kapnist 346. 

Kapper, sl. Melod. 372. 

Karamzins Einfiuss 52, 347. 

Gesch. Russl. 365. 370. 

Karatygin, russ. Schauspieler 33. 
Kärnthens Gesch. 149. 
Kasan, Lehrbez. Verordn. 82. 
Kaschpar, Forstbeamter 363. 
Kaschuben, Germanisirung 243 — 217. 
Kastelic, Slowene 224. 
Kastorski, Mythol. 67. 
Kaulfuss, Slawen 149. 
Keferstein Halloren 372. 
Kempis, Thom. a. Böhm. 148. 
Ketczers Shakespeare übers. 230. 232. 
Klacel, Verstand 294. 



Klancnik, Slowene 225. 
Klassiker, böhm. 154. 
Klemm, magyar. Sprache 372. 
Kletke, Juden im Posen'schen 371. 



- 



Klimenkow Krankheiten 369. 
Klingen, russ. Zustände 152. 
Klykwin, russ. Lithogr. 38. 
Knjaznin 350. 

Kobbel Galvanographie 370. 
Koch, Reise Russl. 151. 
Kohl, Reise in Oestreich 151. 

Ungarn 83. 

Steiermark 85. 

Koisiewicz Koültaj 84. 
Kolbukowski, Adent Trag. 145. 
Kollar, Reise hesciir. 

Reden 378. 

Kolo, Zeitschr. 

Komensky, Cato böhm. 147. 

Konecny, böhm. Gram. 136. 150. 

Königs Shakespeare, russ. 144. 

Kopernik, Slawe 247 — 252. 

Koppen, ethnogr. Karte Russl. 240. 

Korabljew, Weib 369. 

Korowkin Drama 371. 

Kotler, Reise 295. 

Kosaken 88. 

Kosakenaufstand 1648. 102. 

Kosecki, Slowene 224. 

Kosegarten, Nachricht über Kanzow 149. 

Kossuth, Ungarn an Zollverein 151. 

geschildert 377. 

geg. Wildner 236. 

Kostrow 270. 

Korzeniowski, Lebenden , Drama 145. 
Kozmian, Piotrw. Kxc. 84. 
Krainische Zeitschr. 155. 
Krakau v. Anna. Gedichte 145. 
Kramer, Krak. Briefe 369. 
Krasinski, Almanach, poln 369. 
Kraszewski, Reisebilder 146. 

Wilno 84. 

liter. Studien 144. 

Gedichte 2*9. 

Anafielas 369. 

Krempelj, Slowene 225. 
Kratter Mineralwiisse r 147. 
Krim, deutsche Ansiedler 234, 

Marinosehafe 284. 

Krok böhm. Zeitschr. 40. 
Krolikowski potska Chryst. 146. 
Kruse Alterth. in Liefiand 240. 291. 

gegen Kohl 151. 

Krylow Fabeln übers. 151. 

349. 850. 

Kudrjawcew, Chirurgie 369. 
Kukolnik Dramen 8% 

Romane 229. 

Alph. Roman. 143. 

Kveline 143. 

Krzähl. 230. 232. 

russ. Malerschule 38. 

Kuminski, Arithmethik 78. 
Knnicka, Krzähl. 145. 
Kupfermünze Russl. 88. 
Kuzmiczew Krzähl. 371. 
Kwiety Revüe 152. 



i(l 
»... 



Digitized by (>Ögle 



L. W. Pauline Erzähl. 146. 

Lachowicz Gesch. Pol 360. 
Lampin, Gesch.. ©est I. 78. 
Landwirthsch. GeseUtdi. Laibach 878. 
Lange, Alman. efeon. 146. 
Laskowski, Gedichte 146. 
Lazecznikow 154. 

57. 

Lech 154. 

Lee, medic BncycL 360. 
Ledebur, flora rossica 148. 
Leibrecht, lat. Giam. 14L 
Leipz. allg. Zeitg. Revüe 157. 
Lelewel, Antiquite Pologne 291. 
Lermontow 57. 

Gedichte 228. 290. 

Novize übers. 151. 

Levicki, kleinruss. Gram. 239. 
Lexicon, bölim. deutsch 88. 
Ljachowicz über Posen 3ti9. 
Libansky, Erzähl. 368. 
Liebelt, Civiler Muth 279—284. 
Liedersänger, poln. 307 — 315. 
Lipinski, poln. Volkslieder 145* 

altes Polen 369. 

Lisch, Maltzahn Urkunden 149. 
Literatur, altböhm. 85. 
— - russ. Schewirjew 52. 

poln. 414. 

Literaturgeschichte, russ. 00. 
Lithographie z. rnss. Gesch. 37. 
Litthanische VolksL 366. 
Littrow, Geom. rusa. 370. 
Livland. Adressbuch 152. 

Jahrbch. 151. 

Monnm. Paucker 85. 

Ljubacka, Dramen 291. 
Ljubimow, Volksgesch. 289. 
Lomonosow 266. 
Lompe 151. 
Lubienska, Busek 145. 
Lukaszewicz, Jos. bist. 20. 21. 

helvet. Kirchengesch. 84. 

poln. Dissidenten 372. 

Lukesch. 20 Betrachtungen 148. 
Macak, kircht. Andacht 368. 
Maciejowaki, Polen 145. 
Madai, Liv. Esthl. Kurl. Reclitsq. 148. 
Magyarismus in Kroatien 270—272. 

Sprache betr. Aktenstücke 169 — 172. 

Sprachforscher Keguly 241. 

Mährische Volksl. 154. 

Zeitschr. 156. 

Maikow, Gedichte 81. 140. 228. 270. 
Mailath, Oestr. Gesch. 149. 

Vierteljabraschrift 234. 

Makarow 349. 
Malczewski, Leben 369. 
Materschule, russ. 38. 
Maltzan, Gesch. Vorpommern 372. 
Maly, Othello, bölim. 234. 
Manzoni, Verlobten, böhm. 368. 
Marianna Chmelnicki 84. 
Markiewicz, Gesch. Kleinrussl. 239. 
Marlinski 55. 

Fregatte, poln. 289. 

Mathematik, russ. 78. 



Matice czeska, Gesch. 257 — 265. 
Matics, ungar. Spr. 292. 
Matter, livl. Jahrb. 151. 
Maximow, russ. Gesch. 79. 
Maxim owitsch 60. 
Mauritius Panslawismns 292. 

Pol. Lit. 356. 

Mazuraniö, illyr. Lex. 291. 
Medera, pomm. Chroo. 149. 
Medic. Abhandl. russ. 148. ■ 

Ency. rasa. 369. 

Meissn. Urk. Merker 149. 
Merker, Meissn. Urkunden 149. 
Merklas, Atlasse 233. 
Metelko, Slowene 225. 
Michajlowtf, Illyrer und Serben 290. 

Erzähl. 291. 

Mickiewicz, schild. Puschkin 45. 

der Czechen lit Vorh. 225—227. 

slaw. Lit. 292. 

Literaturgesch. 68. 

Vorlea. 197—202. 

Werke, franz. 292. 

Miljnkow, ausgew. Dicht. 81. 
Milkjejew Gedichte 370. 
Milutinowiö, Gedicht 291. 

serb. Ustaw 291. 

Mineralquellen, Galliz. 148. 
Mieroslawski, Chron. 283. 
Mirski u. d. Polen 235. 
Mniszewski, hist Sage 289. 
Molczanow, Gediclite 232. 
Mongolen, Schembera 84. 
Montenegro, Reise 151. 
Moraczewski, Standp. pota. Lit 279. 

poln. Alterth. 144. 

Morgenröthe, Almanach v. Wladistawlew 82. 
Moskwas Denkwürdigkeit 370. 

Kreml 370. 

Moskwitjanin 240. 

Muczkowski, mieszkania 147. 

Müller Jermak 372. 

Murawiew 60. 

Murko, illyr. Gram. 136. 

Musik, böhm. 88. 

Mythologie, sl. ßernhardi 336. 

Napierski, Rigisches Recht 371. 

Narbutt, Gesch. Litth. 84. 

Hauiu HcaKOB-b 142. 238. 

Nekwaska, Warachauer-Gesellach. U6. 

Niedzwiedzki polska 147. 

Niemcewicz Gefang. 372. 

Nikolajewiö, serb. Magaz. 291. 

serb. Sprüchw. 291. 

Nikolic, serb. Volk 290. Gedicht 291. 
Nistrem, Adresskai. 83. 
Nitra, Alman. höhm. 148. 
Nomenclatur, wissenschaftl. 44. 
Nowgorod, Scluld. 89. 
Nowosielski, Erzähl. 145. 
O. Josephine, Sophia, Rom. 146. 
Obodowski, Dramen 31. 
Ochotin, russ. Gram. 141. 
Odojcwski 59. 

Odyniec, Uebersetzungen 289. 
Oekonomische Blatter, böhm. 41. 
Oekonomie Polen 88. 



Digitized by Google 



Oekonomen, russ. 45. 

Encyclop. 141. 

Oertel, russ. Wörterb. 372. 
Oettel, Bienenkultur 366. 
Oldekop, Geogr. Russl. 150. 

Gram. Unterhalt. 290. 

Olszewski 239. 

Ondrak, Manzoni, bohm. 368. 

Ossolinskische Bibliothek. 354—356. 

Ost and West 152. 

Ostind. Comp. Golubkow 364. 

O estreich deutsch 235. 

Ozerow 349. 

P. M. Erzähl. 290. 

Erzähl. 371. 

Palacky, Formelbücher 149. 

Mongolen 149. 

Gesch. v. Böhmen 149. 236. 

Archiv 84. 368. 

— - Grafen Sternberg 292. 

Panajew, Erzähl. 230. 

Panslawismus, Wesen und Inbegriff 91. 

Russl. und Polen 237. 

Paris, Strojew 83. 
Partes, Ludw., Gedichte 145. 
Pascal, Gedanken, russ. 371. 
Passek 60. 

— - Simonkloster 370. 

Skizzen Kussl. 79. 

Paszkowski, Dichtungen Byron 146. 
Paucker, monum. Livon. 85. 
Paul de Kock, Physiologie 233. 
Pawlow 59. 

Asiaten in Russl. 79. 

Peschek, Reformat. Böhm. 872. 
Pesocki, Theater Repert. 82. 
Petrow 269. 

Philippi, russ. Gesetze 291. 
Philosophie, russ. 60. 
Philologie, russ. 60. 
Physik, russ. 78. 
Picek, Gedichte 85. 137. 
Piotrusinski Reisen 269. 
Pohofely Kancional 147. 
Polen, russ. schreibend 58. 

Statist. 296. 

Schulen-Anzahl 88. 

Emigr. Gesch. 150. 234. 

Feier d. 29. Nov. 158. 

— — Nationalsagen v. Sanmarte 150. 

Volkslieder 153. 

Revol. Hermes 149. 

Wortforschung 150. 

franz. Wörterb. 372. 

Liter., Mauritius 414. 

üeberläufer 234. 

Colonie 377. 

Potewoj, Dramen 31 n. 32. 232. 

Gesch. Suwarow 233. 

Skizzen 232. 

Erzähl. 370. 

Polezajew, Gedichte 228. 
Poliaen, Strateg. 290. 
Polotow, Feld messen 78* 
Polowcow, russ. Gram. 71. 870. 
Polyglotte v. Vameyn 150. 
Pommersche Chroniken 149. 

ßlaw. Jahrb. I. 



Pommersche Genealogien 149. 

Urverfassung 149. 

Popowiö, serb. Gram. 291. 
Popowski 267 and 268. 
Populäre Liter., posensohe 61. 
Posen, Universität 236. 

Karte 150. 

Stände 234. 

Zustände 241 und 242. 

Unterst. Verein 317—320. 

Pospischil, 2 Marien, Brzähl. 147. 

Zschokkes Brautgeschenk 148. 

Possart, Lieft. Statist. 292. 

Pott, Borussio-Iitthuanica lingua 150. 

Preserin Slowene 223. 

Preusker, Vorzeit 135. 

Pribik, Drama 368. 

Przylecki, Koniec polski 145. 

Gesch. Urkraine 145. 

Puschkarew Petersburg 871. 
Puschkin 57. geschildert 45. 
Pusztay, Ungarn Nationalwesen 151. 

Wechselrecht 149. 

Pyner, Drama 368. 
Raciborski Gehörorgane 368. 
Raczynski, Chron. Wig. 84. 

Grosspolen, Erinn. 145. 

Radio, Branntwein 148. 

Radojttc, serb. MorgenrÖthe 291. 

Raum, Kosciusko 292. 

Realschulen in Russl. 87. 

Bechtsquellen, Liv. Ksth. Kurlands 146. 

Rechtsgesch., russ., 60. 

v. Reden, Russl. Statist. 292. 

Rhesa, Litth. Volksl. 292. 

Riedel, Codex dipl. Brandeb. 85. 

Robert, Cernagora 330—336. 

Rok 1643, 138, 279, 299, 429. 

Kokosch, geisl Weide 368. 

Rolwes Thierheilk. 370. 

Rubesch, Däumling 233. 

Ruhliere, Panarchie de Pologne 150. 

Rupp, Numi hungarici 150. 

Rusanow Schiedsmann 84. 

Russland, kath. Relig. 238. 

und Panslawismus 237. 

- — - und europ. Civilis. 159 — 162. 
— Wasserkarte 150. 

Lit von 1842. 227 — 231. 

Lit. Gesch. 265—270. 344. 350. 

Zeitschriften 157. 231. 

Russin. Lit. 239. 

Sprache, Untersuchungen 150. 

Patriot. Lieder 81. 

Aerzte Arbeiten 369. 

S. M. Träume, Erzähl. 232. 
S— w, Heilung mit Milch 77. 
Saburow, Volksbuch 870. 
Sacharow 60. 

russ. Sagen 240. 

russ. Weih nach tsf. 21—29. 

Sachsen, Ortsverzeichnisse 150. 
Sakcinski, Schriften 291. 
Sakibalow, Gränzmessung 370. 
Sanmarte, Grosspolens Sagen 150. 
Samogitien Julcewicz 84. 
Saweljew, Derzawins Leben 232. 

«8 

Digitized by Go 



Script. Ruth. Starczewskl 85. 
Sederbolm, Gesch. d. »iL PJnL 77. 
Seijan, Geographie 290. 
Senkowski 55. 

Sentimentalität in d. russ. Lit. 848. 
Serbien, Noten russ. tiirk. 237. 

Entscheidung der Tarken 239. 

Shakespaere, Othello, böhrn. 234. 
Schadow, Erzählungen in. Versen 87. 
Schafariks Alterth. 6 — 16. 297. 

Narodopis 71. 

Kthnographie, poln. 369« 

böbm. Orthogr. 294. 

sl. Volksl. 320-325. 

Joh., Vöries. 378. 

Schebujew, Maler 38. 38. 
Schelechow, Landwirtlisch. 290. 
Schelling in Russl. 240. 
Schelz, Ureinwohner der Lausitz 149. 
Schembera, Mongolen 64. 294. 
Schestow, Bettler, Drama 81. 
Schewczenko, Haidainaken, Ged. 87. 
Schick, üb. Oestr. 372. 
Schichkow, Rübensaft 141. 
Schkoda, 6 Predigten, bohoi. 147. 
Schladebach, Gartz Urkunde 140. 
Schlesien Polenland 145. 

Wappenbuch 149. 

östr. Stat. geogr. 145. 

Ober-, Scholen 130. 

Schmidt, russ. Sprach!. 151. 

russ. Wörterb. 370. 

Diction. russe-francais 151. 

. Timoth. u. Philemon, böhm. 147. 

Schpatny, böhm. ökon. Lex. 233. 
Schtewen, Sonnenstrahl, Roman 144. 
Schulgin, alte Gesch. 280. 
Schulz, über Kopernik 369. 
Schumawsky, böhm. Lex. 68. 233. 292. 
Schwihlik, Albina, Erzähl. 247. 

Slawibor, Erzähl. 147. 

Siarczynski, Sigmund 369. 
Sibyrien zu bevölkern 377» 
Sierninski, Lublin, Gesch. 288; 
Siemienski, Switezianka 297. 
Sjögren, über Magnusen 152. 
Sinaiski, griech. Metrik 141. 
Skobelew 60. 

Skomorowski, Russin. Wörterb. 239. 
Skosyrjew, Gedichte 290. 
Slawen, Russen, Germ. 151. 178—107. 237. 

Sprache, Einfl. a. d. Italien. 252 — 156. 

Slowanka-Brunnen in Nedwetic 42. 
Slowenische Lit. 223 — 225. 

Volksschulen 303. 

Smetana, Physik 40. 84. 

böhm. Karte 294. 

Smolensk, Denkmal 38. 
Sn. Mosk. Kloster 370. 
SWijegirew 60. 

Sobolewski, Poland historical 291, 
Sokolow, russ. Maler 38. 

Drama 81. 

Geographie 78. 

Sokolowski, Geographie 239. 

Ehe 370. 

Soldat, russ. franz. 120. 



445 

Sollohnb 50. 

Erzähl. 229. 

Erzähl. 371. 

Sonntag, Lustsp. Kind 142. 
Sonntagsschule, poln. 63. 
Soplica, Memoiren 145. 
Spinka, Puritaner Scotts 368. 
Sprachkunde in Russl. i39 
Stanjek, Naturgesch. 368. 
Starczewski, Script. Ruth. 85. 
Starnik, Slowene 223. 
Starzynski, Slawianin 146. 
Statistik, russ. Mater. SO. 

Galliz. Cernagora 377. 

Statut. Litth. 84. 
Steiermark» Generalkarte 150. 
Steub, Urbew. Rhät.372. 
Stiepanek 34 und 35. 

3 Stunden v. d. Hochzeit 148. 

„das war ich! 4 * LnsUp. 148. 

Töpfers „Einfalt, 4 * Lustsp. 148. 

Degen. Drama 369. 

Beiisar, Oper. 368. 

Stransky, Thom. a. Kempis 148. 
Strassen-Ueber«. russ. 83. 
Stroganowsche Schulb., Polirkanst. 7S. 2S9. 
Strojew Paiis 83. 

Strugowschczikow Zeitschr. Kunst 82. 
Stubenrauch, östr. Milit. Gesetz 871. 
Studicki, Geographie 289. 
Subotiö, Gedichte 291. 
Sumarokow 226 und 227. 
Swietojanka Lange 146. 
Swoboda maly cech 147. 
Szczeniowski, bist. Prop. 148. 
Szechenyi, Ung. Akad. 361, 
Szrzeniawa, poln. Wortforschung 150. 
T. Alterthümer, weissruss. 369. 
Tausend und eine Nacht, poln. 146. 
Tegner, Axel, poln. 297. 
Ternski, Lieder 291. 

Theater, böhm Prag. 34. neues Haus 35. 

poln. Lemberg Skarbeks 36 und 37. 

poln. 297. 

Theateralbum 83. 

russ. Ptrg. 29 — 33. 

Repert. Pesocki 82. 

Thomson, Jahresz. 234. 
Thun, Graf, böhm. Lit. 85. 

Slowaken 292. 

Timofejew, Elys. Kalma», übers. 151. 
Tomek, Weltgesch. 84. 

Gesch. Böhm. 233. 

Tredjakowski 265, 267. 
Trentowski, Ghowanna 144. 
Trojanski, Deutschpoln. Wörterb. 151. 
Turgenjew, bist, monum. 79. 
Türken und Constantinopel 83. 
Tyl, böhm. Thalia 148. 

Dramen 35. 

Tyschynski, Morena, Erz. 140. 
Ukrainischer Sammler, Becki 153. 
Ungarn, Broschüren -Lit. 124. 

Paget Reise 236. 

Zeitschriften 234. 

Vierteljahrsschr. 235. 

National wesen 151. 



Digitized by Google 



446 



Ungarn, Slawismus, Apologie 359. 

polit. Stellang 151. 

Charakteristik der Gegenw. 151. 

und England 151. 

Wünsche 125. 

■ ■ Akademie 361. 

Wirren 127. Wirren 151. 

Hitzköpfe 375. 

Lächerlichkeiten 376. 

dumm oder schlecht? 376. 

im Jahr 1841, 151. 

versch. Stände 172 — 178. 

Adel und Finanzen 235. 

Wechselrecht 148. 

und deutsch. Zollverein 121. 

Eisenbahn nach Fiume 235 u.236. 

Spraclikampf" 162—168. 238. 

Sprachgesetz, Entw. 325 — 330. 

städt. Stimmrecht 238. 

Reichstagsprop. 238. 

Verfass. Wildner 363. 

Comitatsreform 237. 

Comitatsexcesse 236, 237. 

Unterrichtswesen, poln. 296. 

Ustrjalow, Gesch. RussL, deutsch 372. 

Uwarows Schriften 240. 

Uzarewiö, illyr. Lex. 291. 

Van der Velde, Erob. Mex,, böhm., 368. 

Vandim, göttl. Kom. 232. 

Roman 144. 

Vieharzneikunde, russ. 77. 
Voigt. Codex dipl. Pruss. 85. 
Volksschriften, poln. 63. 

lieder, sl. Bibliogr. 320—325. 

schulen, Unter-Steier'mark 303. 

Von-Wisin 348. 
W. (Witwicki) Briefe 351—354. 
Waga, Vogeljagd 145. 
Wagner, Alterth. in Deutscht 149. 
Wallachische Schriften 152. 
Waldbrühl, sl. Balalaika 204—208. 
Wanienko verm. Schrift. 142. 
Wappenbuch, schles. Dorst 149. 
Weinberg kobieta 147. 
Weleslawin, Familienführer 233. 
Welp, Ptrbgr. Skizzen 76. 152. 
Wels, Salzquellen, RussL 370. 
Weltman 60. 

Erzähl. 230. 

Kreml 370. 

Wenckstern Polenlieder 372. 
Wenelin, Kyrill 290. 

Denkmal 39. 

Wenicianow. russ. Mal. 38. 
Weselsky, Reinolds Schicksale 148. 
Weselowski, russ. Oekon. 141. 
Wiernikowski, Axel, poln. 146. 



/ - 



Wigandi, Chron. 84. 
Wildner über Ungarn 235. 

ungar. Publicisten 292. 

ungar. Verfassung 363. 

Winaricky, Gedichte 233. 

Homer 294. 

Perlen Pyrker» 85. 

Wistenhof, Moskwa Skizz. 233. 
Wiszniewski, poln. Lit 144. 
Wittenheim, RussL Wasserstrassen 150. 
Witwicki, Pilgerabende 

Bienenkorb 289. 

Wjazemski 56. . 
Wladislawlews Almau. 
Wladowit, Uebersetzungen 
Wodnik, Slowene 223. 
Wojaczek Ludmila, Drama 
Wojcicki, Heimathskizzen 145. 

Liedereänger 307 — 315. 

Wolanski, Denkmäler 288. 
WoICin Hauswirthsch. 290. 
Wolfsohn, belletr. Lit., russ. 202—3 
Wolkow, Rokoko 143. 
Wolbowski, Aristokratie 289. 
Wolny, Mähren 150. 
Worobiew, Maler 38. 38. 
Worobiewski, Hydrosudopatbie 77. 

Apotherbuch 77. 

Wörterbücher, poln. russ. 372. 
Wostokow, russ. Gram. 141. 290. 

Ostromirs Evang. 241. 

Wysocki, Kriegskunst 288. 
Zagoskin 57. 224. 

Kuzma Miroschew 143. 

Moskwa 233. 

Zap, Bilder Osteuropa^ 234. 358. 
Zaweljejski, Statistik Polens 290. 
Zeitschriften, russ. 240. 

russ. f. Kind. 142. 

Zeitung für Kunst 62. 

lit. russ. 87. 

Augsb. 234 — 238. 

Zemlja, Slowene 224. 

Ziegler, böhm. Gram. 147. 356. 

böhm. Orthogr. 147. 

Zielinski, kl. Gedichte 146. 

Zjablowski, Statistik Russl. 80. 

Ziak, böhm. Sprach). 150. 

Zochowski, Phys. 144. 

Zrzawy, Gründer einer Volkabiblioth. 42. 

Zupan, Slowene 223. 

Zürcher, kathol. Russland 292. 

Zell, Gedieht«, böhm. 147. 

Zmakin, Gedichte 370. 

Znvanowiö, Mutestunden 291. 

Zukowski 56. 

Zweidal, Reisen 368. 



Digitized by<€oogle 



I 



Leipzig, Dreck von Hirschfeld. 



501; 5 | 



.Digitized by Google 



Digitized by Google 



I 




s 

* 



} 




Digitized by Go^le