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Full text of "Napoleon I. Eine Biographie. 2. umgearb. Aufl"

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Napoleon I. 




August Fournier 




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Napoleon I 



Eine Biographie 



von 



August Fournier. 



Dritter Band: 
Die Erhebung der Nationen und Napoleons Ende. 



Zweite, umgearbeitete Auflage. 




WIEN. LEIPZIG. 
F. TEMPSKY. m^B G. FREYTAU. 

1906. 



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Alle Rechte vorbehalten. 



Druck Ton Rudolf M. Rohrer in Brünn. 



Inhalt 



Erstes Kapitel: Im Zenith (1810—1812) 

Der Widerstand der Nationen. Pius VII. Bannfluch. 
Seine Überführung nach Savona. Die Einverleibung des 
Kirchenstaates. Das Konzil des Empire. Europa und das 
Papsttum. Der Volkskrieg auf der spanischen Halbinsel. Ein- 
verleibung des Landes bis zum Ebro in Frankreich. Napoleon 
und Joseph. Massenas Expedition nach Portugal. Warum 
Napoleon das Kommando nicht übernahm. Der Handels- 
krieg mit England. — Die Kontinentalsperre als Kampf- 
mittel der Revolution. Napoleon und die Schiffe der 
Neutralen. Das Edikt von Trianon. Vernichtung englischer 
Fabrikate. Die „Lizenzen". Napoleons Zollpolitik. Vermin- 
derte Aufnahmsfähigkeit des Auslandes. Die Handelskrisis 
von 1810 und 1811. Versuche einer Annäherung an England. 
Die Vermittlung Hollands scheitert. Holland wird französische 
Provinz. Andere Reunionen. Verhältnis zu Dänemark und 
Schweden. Neapel und Sizilien. Finanzlage Englands. Pläno 
zu dessen Vernichtung. Die Finanzen Frankreichs und der 
Schatz des Kaisers. Die Weltherrschaft. — Verwicklung mit 
Rußland. Die polnische Frage. Ein Expose Champagnys. 
Russische Rüstungen. Der türkische Konflikt. Rußland und 
die Neutralen. Die Oldenburger Frage. Oftensivpläne des 
Zaren. Französische Rüstungen. Diplomatische Weiterungen 
Die Urheberschaft des Krieges. Innere Politik Napoleons. 
Der Rheinbund. Frankreich und Preußen. Das französisch- 
preußische Bündnis. Metternichs Sonderpolitik und die austro- 
fränkische Allianz. Erfolglose Werbung um Schweden und 
die Türkei. Das russische Ultimatum. Die Fürstenversammlung 
zu Dresden. Goethe über Napoleon. Napoleons weltgeschicht- 
liche Bedeutung. 

Zweites Kapitel: Moskau (1812) 

Mahnungen und Warnungen. Napoleon bleibt zum 
Krieg entschlossen. Seine Sorge für das Heer. Der Kaiser 
im Felde. Die Gliederung der Großen Armee. Die Aufstellung 
der Russen. Feldzugspläne. Irrtümer beiderseits und deren 
Folgen. Des Kaisers ursprüngliche Absicht. Der Einmarsch 



n 

Ö*sUÄ 

in Littbauen und die Sendung de Pradts. In Wilna. Erste 
Unfälle. Barclay und Bagration. Nach Drißa. Opfer des Vor- 
marsches. Nach Witebsk. Napoleon versäumt die Schlacht. 
Rasttage. Nach Smolensk. Der Kampf um Smolensk. Er- 
wägungen. Napoleon beschließt weiter zu gehen. Der Chau- 
vinismus der Russen. Kutusow. Die Schlacht bei Borodino. 
Nach Moskau. — Der Einzug der Franzosen. Der Brand und 
seine Urheber. Napoleon erwartet Friedensanträge. Die 
Russen verstärken sich und der Zar bleibt fest. Gründe für 
dessen Haltung. Napoleons Entwürfe sind gescheitert. — 
Rückzugspläne. Der Auszug aus Moskau. Die Affäre bei 
Malo-.Taroslawetz. Die Entscheidung für die alto Straße. 
Die Rctraite. Gefecht bei Wjasma. Hunger und Kälte. In 
Smolensk ist ein Verweilen unmöglich. Gefechte bei Krasnoi. 
Die „Isolierten". Trostlose Situation des Heeres. An der 
Beresina. Der Brückenschlag bei Studjenka. Der Übergang 
am 27. November. Kämpfe am 28. November. Der Abmarsch 
der Nachhut. Grauenhafte Szenen. — Die Maletsche Ver- 
schwörung. Das 29. Bulletin. Napoleon verläßt die Armee. 
Wieder in Paris. 

Drittes Kapitel: Leipzig (1813) 138 

Politische Konjunkturen. Die Anfänge einer neuen 
Koalition gegen Napoleon. Sein Appell an die Staatsbeamten. 
Neue Rüstungen. Die Stimmung der Bevölkerung. Yorks 
Abfall. Dessen Tragweite. Napoleons Appell an die Nation. 
Das Konkordat von Fontainebleau. Finanzoperationen. 
Der Kaiser und die Volksvertretung. Die Thronrede vom 
14. Februar 1813. Das System bleibt ungeändert. — Napoleon 
ruft den Rheinbund auf und appelliert an die Verbündeten. 
Friedrich Wilhelm III. und die Konvention von Tauroggen. 
Drohende Werbung des Zaren. Dessen polnische Plline. Öster- 
reichs Friedenspolitik. Franzi, lehnt die Forderungen Napoleons 
ab und schließt mit Rußland einen Waffenstillstand. Friedrich 
Wilhelm verläßt Berlin. Preußen mobilisiert. Territoriale 
Politik und nationaler Enthusiasmus. Der russisch-preußische 
Allianzvertrag. Preußen erklärt den Krieg an Frankreich. 
Sachsen. England und Schweden. Metternichs erfolglose 
Friedens Werbung. Österreich als bewaffneter Vermittler. 
Der Kaiser bei der Armee. Mängel des neuen Heeres. Die 
Schlacht bei Lützen. Der König von Sachsen. Österreich 
und die Verbündeten. Napoleon droht in Wien. Er wünscht 
einen Separatfrieden mit Rulilaud. Die Sehlaebt bei Bautzen. 
Unzureichende Kriegsergebnisse. Der Waffenstillstand von 
Pläswitz. — Franz I. in Böhmen. Der Rcichenbacher Ver- 
trag. Metternich in Dresden. Die Verlängerung des Waffen- 
stillstandes. Napoleon nimmt Österreichs Vermittlung au. 



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III 



Seit« 

Der Prager Kongreß. Österreichs Schwenkung zum Kriege. 
Napoleon lehnt Metternichs Ultimatum ab. Franz I. erklärt 
ihm den Krieg. — Streitkräfte Frankreichs und der Ver- 
bündeten. Kriegspläne hüben und drüben. Napoleon gegen 
Blücher. Die böhmische Armee gegen Dresden. Die Kämpfe 
um Dresden. Rückzug der Verbündeten. »Annaberg" oder 
., Altenberg"? Französische Niederlagen bei Großbeeren und 
an der Katzbach. Napoleons Erwägungen der Kriegslage. 
Kulm. Ein neuer Operationsplan. Neys Niederlage bei 
Dennewitz. Das „System des Hin und Her". Notlage der 
Armee. Die Teplitzer Verträge. Blüchers Rechtsabmarsch und 
seine Folgen. Napoleon in Düben. Nach Leipzig! Die Schlach* 
bei Wachau und das Gefecht bei Möckern. Die Sendung 
Merveldts. Der 18. Oktober. Die Schlacht bei Leipzig geht 
für Napoleon verloren. Der Rückzug durch Leipzig. Verfall 
der französischen Armee. Das Gefecht bei Hanau. Napoleon 
in Mainz. 

Viertes Kapitel. Elba (1814) 237 

Völker und Fürsten. Die Franzosen. Unzulängliche Geld- 
mittel und unzulängliche Streitkräfte. Ferdinand von Spanien 
und Pius VII. Die Auflösung des Empire. Die Mission 
St. Aignans. Napoleon denkt nicht an Frieden. Das Mani- 
fest der Verbündeten. Volksstimmung in Frankreich. Laines 
Adressenentwurf. Schließung des Gesetzgebenden Körpers- 
Operati onspläne der Verbündeten. Durch die Schweiz und über 
den Rhein nach Frankreich. Die Miuisterkonferenz in 
Langres. Das Gefecht bei Brienne und die Schlacht bei 
La Rothiere. Napoleon in Troyes. Nachgiebige Instrukti- 
onen. Beginn und Abbruch der Verhandlungen in Chätillon. 
Das Anerbieten Oaulaincourts. Krisis im Lager der Ver- 
bündeten Napoleons Siege über Blücher. Er wendet sich gegen 
Schwarzenberg. Wiederaufnahme der Verhandlungen in Chätil- 
lon. Der Rechtsabmarsch Blüchers und die Dreiteilung der ver- 
bündeten Streitkräfte. Das Gefecht bei Bar sur Aube. 
Craonne und Laon. Napoleon in Reims. Der Vertrag von 
Ghaumont. Bemühungen Metternichs und Oaulaincourts 
um den Frieden. Napoleons Hartnäckigkeit. Ihre weltge- 
schichtliche Begründung. Ein neuer Operationsplan. Die 
Schlacht bei Arcis sur Aube. Aufgefangene Depeschen. 
Neues Manifest an die Franzosen. — Napoleon in S. Dizier. 
Er eilt nach Paris. Zu spät! Einzug der Verbündeten. Der 
Senat dekretiert die Absetzung des Kaisers. Die Haltung 
der Marschälle bestimmt ihn zur Abdankung zu Gunsten 
seines Sohnes. Marmrmt fällt ab. Waffenruhe. Bedingungslose 
Abdankung. Der Vertrag mit Europa. Die letzten Tage in 
Fontainebleau. Abschied und Abreise nach Elba. — Neue 



IV 



Tätigkeit auf Elb ff. Das Idyll von Marciana. Marie Luise 
bleibt fern. Napoleon und die Italiener. Mißstimmung in 
Frankreich. Ihre Ursachen. Die Armee bonapartistisch. 
Talleyrand und Mariotti. Zwiespalt der Mächte auf dem 
Wiener Kongreß. Napoleons Kalkül. Abfahrt vonPortoferrajo. 
Landung bei Cannes. Das Zusammentreffen bei Laffray. Die 
Armee erklärt sich für Napoleon, Grenoble, Lyon, Paris. 

Fünftes Kapitel. Waterloo (1815) 817 

„Friede und Freiheit." Das neue Ministerium. Na- 
poleon und Benjamin Constant. Krieg statt Frieden. Europa 
erklärt Napoleon in die Acht. Sein Versuch, sich den 
Mächten zu nähern, scheitert. Verstimmung im Volke. 
Widerstand bei den Behörden. Die Gesinnung der Armee. 
Die Nationalgarden. Keine Konstituante. Die „Zusatzakte" 
vom 22. April. Der Motiveubericht. Die Grundrechte und 
die Volksvertretung. Napoleons Einwendungen. Die öffent- 
liche Meinung gegen die Verfassung. Das „Maifeld". Die 
zweite Kammer und die neuen Pairs. Die Thronrede vom 
7. Juni 1815. — Rüstungen in Frankreich. Wellington und 
Blücher. Feldzugspläne. Der französische Aufmarsch. Napoleon 
ergreift die Offensive. Seine Disposition für den 16. Juni. 
Ligny und Quatre-Bras. Der entscheidende Beschluß des 
preußischen Hauptquartiers. Grouchy nach Osten. Napoleon 
wendet sich gegen Wellington. Grouchys Berichte. Die Auf- 
stellung bei Belle-Alliance. Der Schlachtbefehl am 18. Juni. 
Grouchy soll heran. Er kommt nicht. Die Schlacht bei 
Waterloo. Die Flucht. 

Sechstes Kapitel. Sankt Helena. (1815—1821) 357 

Paris während der Schlachttage. Napoleon im Elysee. 
Der Ministerrat. Der Staatsstreich der Kammern. Sie fordern 
die Thronentsagung des Kaisers. Dessen Abdankung am 
22. Juni. In Malmaison. Die provisorische Regierung gegen 
Napoleon II. Von Malmaison nach Rochefort. Auf der 
„Saale". Napoleon überliefert sich den Engländern. Die 
Spuren der Hundert Tage. Der Urteilsspruch Europas. — 
Auf Sankt Helena. Der Gefangene und sein Kerkermeister. 
Der Hof von Longwood. Napoleons Lebensweise. Seine 
Gespräche: die Religion, der Staat, die Frauen. Er lehnt 
Befreiungspläne ab. Das System des Gefangenen. Wahrheit 
und Dichtung. Die „Briefe vom Kap der Guten Hoffnung". 
Die Rechnung auf die britische Opposition täuscht. Napoleon 
ernstlich krank. Er stirbt. — Der geistige Nachlaß des 
Kaisers. „Der Feldzug von 1815." Die Tendenz der Diktate. 
Anweisungen Napoleons für seinen Sohn. Das Prinzip der 
Nationalität Die bonapartistische Legende. Napoleon und 
die Geschichtschreibung. Wissenschaft und Wahrheit. 



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V 



S*ite 

Anhang. 

I. Literarische Anmerkungen 392 

II. Beilagen. 

1. Briefe Napoleons an Maret, 1813 418 

2. Aus Briefen Metternichs an Hudelist, 1812 und 1813 420 

3. Kaiser Franz an den König von Preußen und den 
Kaiser von Rußland, 3. Juli 1813 480 

4. Metternich an Maret, 21. August 1813 432 

5. Schwarzenberg an Kaiser Franz, 28. August 1813 . . 483 

6. Graf Neipperg an Metternich, 1. Oktober 1821 .. . 434 
Berichtigungen und Zusätze zum zweiten Band .... 437 



Corrigenda: 

Seite 17, Zeile 18 von oben statt „Kolonialwaren und Manufakturen" 

lies: „Kolonial- und Manufakturwaren"; 
44, „ 3 von unten statt „intreten" lies: „eintreten"; 
„ 64, „ 10 „ n „ „6. August" lies: „16. August"; 
„ 180, „ 8 „ „ „Makranstädt"lies: „Markranstädt"; 

„ 202, „ 7 von oben statt „an kein Volk gebundene" lies: „an 

kein Volk innerlich gebundene"; 
„ 286, n 16 von unten statt „in diesem Jahre" lies: „in diesen 
Jahren"; 

„ 256, „ 15 von unten statt „eine" lies: „seine"; 
„ 295, „ 6 „ „ „ „Herren" lies: „Herrn"; 
„ 297, „ 10 „ ., n „Soor" lies: „Sorr"; 
„ 358, „ 20 „ „ „ „ihm" lies: „sich". 



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Erstes Kapitel. 

Im Zenith. 

Es bildet ein entscheidendes Moment im Herrscherleben 
Napoleons 1., daß ihm in dem Augenblicke, da er die Regie- 
rungen Europas niedergeworfen und seinen Plänen unschäd- 
lich gemacht zu haben glaubte, in den Regierten ein noch un- 
bezwungener Feind entgegentrat. Diese nachträgliche Oppo- 
sition der Völker hatte er ollenbar nicht vorausgesehen, als 
er den Staaten den Krieg erklärte, und damit denselben. 
Fehler begangen, dessen sich seine Vorgänger im revolutionären 
Regiment von Frankreich schuldig machten. Denn so wenig 
wie diese — Konvent und Direktorium — sich darum gesorgt 
hatten, ob die Nationen Europas auch wirklich durch sie von 
ihren Fürsten befreit und unter die Führung der Franken- 
republik versammelt sein wollten, so wenig fragte der Im- 
perator danach, ob sie auch wirklich seiner Oberleitung unter- 
geordnet und mit seinen Gesetzen beschenkt zu sein wünschten. 
Er meinte für seine ehrsüchtigen Zwecke genug getan zu 
haben, wenn er die einzelnen Länder in Verfassungen und 
unter Gouvernements brachte, die ihm taugten, weil sie von 
ihm abhingen; für nationale Instinkte hatte er nur sehr wenig 
Verständnis, so wenig, daß er sie auch bei den Franzosen 
übersah, die er für ewig mit Holländern, Deutschen, Italienern 
und Spaniern in ein Reich zusammenzukleben hoffte. Natürlich. 
Was er in seiner Jugend besessen und frühzeitig eingebüßt 
hatte, war ein bloßes Völkerschaftsbewußtsein gewesen, das 
Italiener gegen Italiener, Korsen gegen Genuesen, den Dialekt 
gegen den Dialekt bewaffnete. Den gewaltigen Patriotismus, 
der um alle Angehörige eine* mächtigen Stammes von gleicher 
Sitte und Sprache sein festes Band schlingt, den kannte er 
nicht. Dafür war er auch ein zu eifriger Jünger der kosmo- 
politischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts gewesen, die den 
Unterschied der Stämme ebensowenig wie den der Stände 
gelten ließ und in einem freien Weltbürgertum ohne Sonderart 

Fournier, Napoleon I 1 



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2 



Der Widerstand der Nationen. 



ihr Ideal erblickte. Ihr hatte er gehuldigt bis er nur noch 
den einen Traum träumte, die nivellierte Menschheit dereinst 
insgesamt unter sich zu sehen. Darum gab es für ihn auch 
nur Bevölkerungen, keine Nationen, und jene glaubte er be- 
zwungen zu haben, wenn er ihre Armeen geschlagen und ihre 
Regierungen gedemütigt hatte. Da geschah es aber, daß, als 
er sich an ein Volk wagte, bei dem die nationalen Instinkte 
in hohem Maße entwickelt waren — es war das spanische — 
dieses Volk, von Zorn entflammt, die seinen Herrschern ent- 
fallene Wehr aufgriff und, zum Äußersten entschlossen, den 
Kampf fortsetzte. Und derselbe volkstümliche Geist des Wider- 
standes wider den Grenzenlosen regte sich bald überall, und 
es kennzeichnet die genialsten unter den Gegnern des Fran- 
zosenkaisers, daß sie, diese Bewegung würdigend, in der 
Volksbewaffnung das wirksamste Mittel der Abwehr erkannten. 
So hatte Pitt in England schon Yor Jahren sein Freiwilligen- 
heer auf die Beine gestellt, so Stadion in Österreich auf die 
Errichtung einer Landwehr gedrungen, so forderte Scharnhorst 
in Preußen unablässig die allgemeine Wehrpflicht. Es barg 
einen tiefen Sinn, wenn der österreichische Minister dem 
russischen Bevollmächtigten vor dem letzten Kriege sagte: 
„Wir haben uns als Nation konstituiert."*) 

Und welche Energie war mit diesem volkstümlichen 
Element in den Kampf gekommen! In Spanien, das Napoleon 
mit einem Spaziergang seines Schwagers Murat nach Madrid 
gewonnen zu haben glaubte, gelangte der entfachte Brand 
nicht mehr zum Verlöschen, und Österreich, obgleich am Bande 
des Ruins, wußte 1809 Kräfte in den Streit zu führen, die 
dem großen General mehr zu schaffen machten als die Kabinetts- 
armeen des Wiener Hofes je zuvor. Dazu war der Aufstand 
in Tirol und Norddeutschland in vereinzelten Flammen auf- 
gelodert, und in Rußland hatte eine populäre Strömung das 
Schwert des Zaren gegen Österreichs Truppen in Ruhe ge- 
halten. Schien es nicht verhängnisvoll für Napoleon, daß just 
zu derselben Zeit, als in Europa der nationale Haß die Völker 
bewaffnete, sich auch unter den Franzosen eine patriotische 



*) Martens, Recueil des traites conclus par la Russie, HL 32. 



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Pius' VII. Bannfluch 



3 



Tendenz gegen den heimatlosen Ehrgeiz ihres Herrschers 
regte und der nationale Staat wider das internationale Empire 
in eine heimliche aber zielbewußte Opposition trat? Eben als 
im Frühling 1808 der spanische Aufstand ausbrach, kam in 
Paris die Polizei einer republikanischen Verschwörung auf 
die Spur, die Malet, ein entlassener General, mit Kameraden 
seiner Gesinnung angezettelt hatte und der auch einige Sena- 
toren — Garat neben anderen — nicht ganz fremd gewesen 
sein sollen.*) 

Diesem volkstümlichen Widerstande der Nationen gegen 
des Kaisers Politik hatte sich im Jahre 1809 auch der hl. 
Vater hinzugesellt. Nicht mit den Waffen seines Weltfürsten- 
tums trat er in den Kampf ein; die waren ihm von Napoleon 
zerbrochen worden; sein Land war okkupiert, die Verwaltung 
fremden Bevollmächtigten übertragen, und nur der formelle 
Akt fehlte noch, um das Erbe St. Peters als das zu bezeichnen, 
was es seit dem April 1808 tatsächlich war, eine Provinz des 
Empire. Nein, mit der Gewalt seiner geistlichen Autorität, 
die ja ebenfalls auf einer breiten, populären Grundlage be- 
ruhte, rüstete er sich gegen den Imperator. Kaum hatten die 
Spanier losgeschlagen, so protestierte er, mitten aus den fran- 
zösischen Besatzungstruppen heraus, wider seine Vergewal- 
tigung und verbot den Bischöfen in den dem Kirchenstaat 
entrissenen Legationen, dem neuen Herrn den Eid zu leisten. 
Als dann der Kaiser, nach den Siegen in Bayern, aus Wien 
mit zwei Dekreten vom 17. Mai 1809 antwortete, welche „die 
Schenkung Karls des Großen zurücknahmen", den Papst 
seiner weltlichen Herrschaft — mit der Berufung auf Christi 
Wort, sein Beich sei nicht von dieser Welt — völlig ent- 
kleideten und das Patrimonium des Apostelfürsten als Ge- 
bietsteil des französischen Reiches erklärten, da veröffentlichte 
Pius VII. seinerseits, unter dem Eindrucke des Tages von 
Aspera, eine seit Monaten vorbereitete Exkommunikations- 
bulle gegen seinen Bedränger. Damit war die ganze große 
mehrhundertjährige Frage des Konflikts zwischen Kaisertum 

*) Siebe Madelin, Fouche" II. 47. 50, wo auch noch ein zweites, 
von Servan, dem giiond istischen Kriegsminister des Jahres 1792, ange- 
stiftetes Komplott erwähnt wird. 

1* 



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4 Die Überführung des Papstes nach Savoua. 

und Papsttum aufs neue aufgerollt und Napoleon mußte eine 
Lösung suchen. Er wählte diejenige, die seinem offensiven 
Wesen und dem universalen Systeme der Revolution, das er 
vertrat, am meisten entsprach. Kaum hatte er in Schönbrunn 
vernommen, daU der hl. Vater die Bannbulle an den Kirchen- 
türen von Rom habe anschlagen lassen, so sandte er dem 
König von Neapel, der in seine Absichten eingeweiht war 
und das römische Unternehmen unter seine Oberleitung ge- 
nommen hatte, die heimliche Weisung, man müsse den Papst, 
wenn er Empörung predige, verhaften; derlei sei nicht un- 
erhört, Philipp der Schöne und Karl V. hätten ähnlich ge- 
handelt (19. Juni). Mnrat, der bald darauf vom Kaiser 
ein zweites Billett erhielt, in dem über Pius zu lesen 
war: „Keine Schonung mehr! Das ist ein wütender 
Narr, den man einsperren muß," Murat nahm den Wink 
für das, was er war, ein Befehl, und am 6. Juli, just 
als bei Wagram die Würfel zu Frankreichs Gunsten fielen, 
ward der Papst im Quirinal festgenommen und aus Rom fort- 
gebracht — zunächst nach Grenoble und von dort, auf eine 
besondere Ordre des Kaisers, nach Savona an der Riviera, 
immer im strengsten Gewahrsam.*) Etwas später, noch vor 
dem Abschluß des Wiener Friedens, befahl Napoleon die Über- 
siedlung der Kardinäle und Ordensgenerale, der päpstlichen 
Kanzlei und der Archive nach Paris, wohin er auch den hl. 
Vater zu berufen gedachte, um ihn, als Werkzeug seines un- 
eingeschränkten Willens, unmittelbar zur Hand zu haben. Nur 
auf Pouches Widerraten blieb Pius in Savona, von wo er 
erst im Juni 1S12 nach Fontainebleau überführt werden sollte. 
Und wenn nun Pius sich der geforderten Dienste weigerte? 
Auch für diesen Fall suchte man vorzukehren. Nach seiner 
Rückkehr aus dem Feldzug, und nachdem er sein Eheprojekt 

*) Siehe die Briefe an Murat in Corresp. XIX. 15.884 und 
bei Leccstre, I. n. 459. Hinterher hat der Kaiser die Verhaftung, die 
er doch selbst insgeheim angeordnet, in einem Brief an Pouche, der 
ihn nicht gerade geheim zu halten brauchte, für Narretei erklärt: den 
Staatssekretär Pacca nur hätte man festnehmen, den Papst aber ruhig 
in Rom lassen sollen; nun sei freilich an der Tatsache nichts mehr zu 
ändern (Corresp. XIX. 15.555). Auf St. Helena hat er dann seine 
Mitschuld eifrig abgeleugnet. 



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Die Einverleibung des Kirchenstaates. 5 

mit der österreichischen Prinzessin ins Reine gebracht und 
damit dem Papste den letzten Rückhalt an einer aufrechten 
katholischen Macht genommen hatte, ließ Napoleon durch ein 
Senatskonsult vom 17. Februar 1S10 offen die Einverleibung 
des Kirchenstaates in Frankreich, dessen Zerlegung in zwei 
Departements und die Erhebung Roms zur zweiten Stadt des 
Kaiserreichs als Staatsgesetz erklären. Dem hl. Vater wurde 
eine jährliche Rente von zwei Millionen Franken zugesprochen, 
während seine Nachfolger sich bei ihrer jeweiligen Stuhl- 
besteigung auf die vier Artikel der gallikanischen Kirche von 
1GS2 verpflichten sollten, in denen die Freiheit der Krone 
Frankreichs von einer auswärtigen geistlichen Macht, die 
Fehlbarkeit des Papstes in Glaubenssachen und dessen Ab- 
hängigkeit von den Beschlüssen der Konzilien, wie sie das 
von Konstanz ausgesprochen hatte, festgestellt worden waren. 
Die Absicht, die der Kaiser hierbei verfolgte, lag auf der 
Hand: die widerstrebende Kurie durch ein gefügiges Konzil 
zu meistern und sich untertänig zu machen. Hatte er doch 
schon im Juli 1807 an Eugen geschrieben, er werde sich 
nicht scheuen, die Kirchen von Gallien, Deutschland, Italien 
•und Polen in einem Konsistorium zu versammeln und sieh 
ohne Papst zu behelfen.*) 

Und der Papst widerstrebte wirklich. Er verweigerte nicht 
nur seine Bestätigung, als das erzbischöfliche Offizialat in 
Paris die Ehescheidung Napoleons von Josephinen aussprach, 
was zur Folge hatte, daß dreizehn italienische Kardinäle — 
man nannte sie die „schwarzen" — ihre Teilnahme an der 
darauffolgenden Vermählungsfeier versagten, er verweigerte 
auch den vom Kaiser ernannten Bischöfen die kirchliche 
Investitur, die ihm das Konkordat vorbehalten hatte. Es half 
nichts, daß man ihm seine Ratgeber entzog, um den milde 
angelegten Mann, der in kanonischen Fragen nicht eben die 
genauesten Kenntnisse besaß, leichter zu gewinnen, nichts, 
daß sich Österreich um die Beilegung des Streites bemühte, 
und nichts auch, daß Napoleon gegen Ende des Jahres 1810 
strengere Maßregeln gegen seinen Gefangenen vorschrieb, ihn 



*) Siehe Band II, S. 238. 



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6 



»Staat and Kirche, 



seines Sekretärs, seiner Papiere und jeder Möglichkeit eines 
brieflichen Verkehrs, ja sogar seines Schreibzeuges berauben 
ließ : Pius blieb fest. Wenn er auch hie und da zu Konzessionen 
geneigt geschienen hatte, als: Krönung Napoleons zum Kaiser 
des Abendlandes, spätere Verständigung über die weltliche 
Herrschaft, Aufnahme fremder Mitglieder in das hl. Kollegium 
bis zur Hälfte, so hatte doch Napoleons Strenge gegen die 
schwarzen Kardinäle, die, ihrer Einkünfte beraubt, in den 
Osten Frankreichs verbannt wurden, gegen diejenigen, die 
in Rom zurückgeblieben waren, gegen die italienischen Klöster, 
schließlich gegen ihn selbst, ihn immer wieder davon zurück- 
gebracht. „Der Kaiser ist ein Mann," hatte er zu dem öster- 
reichischen Unterhändler, v. Lebzeltern, gesagt, „der nie das 
will, was er vorgibt zu wollen; seine eigentlichen Absichten 
verrät er nie. Wo ist die Garantie, daß er nicht alles, was er 
heute vereinbart hat, morgen wieder umstößt?" Eher wollte 
Pius das Schisma als die Unterordnung der Statthalterschaft 
Christi unter einen weltlichen Herrn.*) 

Unter solchen Umständen — die kirchlichen Verhältnisse 
Frankreichs und Italiens gerieten in Unordnung — mußte 
Napoleon, wenn er erreichen wollte, was er zu erreichen 
wünschte, einen entscheidenden Schritt vorwärts tun. Das 
ursprünglich geplante allgemeine Konzil war ihm von seinem 
Kirchenrat widerraten worden, der sich eher für ein National- 
konzil aussprach. Doch schon in diesem Conseil ecclesiastique, 
der einmal, am 16. März 1811, unter seinem Vorsitz und in 
Gegenwart Cambaceres' und Talleyrands beriet, bekam er von 
dem gelehrten Abbe Emery den Einwand zu hören, daß ja doch 
auch der französische Katechismus den Papst als „das sicht- 
bare Oberhaupt der Kirche"' erkläre, „dem alle Christen Ge- 
horsam schuldig seien", daß die Kirche sich dieses Oberhauptes 

*) Nach Äußerungen der Pariser Prälaten hätte Pius' erste 
Weigerung, die von Napoleon ernannten Bischöfe zu bestätigen, ihren 
Grund darin gehabt, daß der Kaiser sein Versprechen, die „Organi- 
schen Artikel" des Jahres 1802, die vielfach über den Inhalt des Kon- 
kordats hinausgingen, zu beseitigen, nicht gehalten und, dem soge- 
nannten „italienischen Konkordat" von 1803 entgegen, in Italien 
Klöster aufgehoben, im Venezianischen Bischöfe ernannt hatte. Wel- 
schinger, Le Pape et l'Empereur, p. 215. 



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Das Konzil des Empire. 7 

nicht entäußern dürfe, ohne sich zu gefährden, und daß auch 
Bossuet, den Napoleon als Gegner des Ultramontanismus so 
gern im Munde führte, es ausgesprochen habe, der hl. Vater 
bedürfe zur Ausübung seiner kirchlichen Funktionen der 
völligen Unabhängigkeit von irgendwelcher weltlichen Macht 
— worauf dann der Kaiser allerdings glattweg erwiderte, das 
möge zu Bossuets Zeiten, im 17. Jahrhundert, zutreffend ge- 
wesen sein, als es in Europa eine ganze Anzahl anerkannter 
weltlicher Herren gab und keiner dem andern die staatliche 
Superiorität über den Papst gönnte, jetzt aber, wo Europa nur 
ihn als einzigen Gebieter anerkenne, falle diese Bücksicht 
weg.*) Nebenher ließ er sich gegen die Nachfolger Petri 
vernehmen, „die fortwährend die Christenheit für die Inter- 
essen des kleinen römischen Staates, nicht größer als ein 
Herzogtum, in Zwiespalt brachten". Als dann ein neuer Ver- 
such dem Kaiser ergebener Bischöfe in Savona zu keinem 
bindenden Zugeständnis des Papstes geführt hatte und im 
Juni 1811 die Prälaten Frankreichs und Italiens in der Notre- 
Damekirche zum Nationalkonzile sich versammelten, zeigte 
sich auch hier ein unerwarteter Widerstand. Gleich ihre erste 
Kundgebung war eine Treuebezeigung gegen Pius VII., dessen 
Zustimmung sie zuvor einholen wollten, ehe sie die vom 
Kaiser geforderten Bestimmungen betreffs der Investitur 
trafen, während Dieser doch, gerade umgekehrt, mit den Be- 
schlüssen der Versammlung auf den Papst einen Druck aus- 
zuüben gedachte. Erst nachdem die Beratungen suspendiert, 
drei widerstrebende Prälaten eingekerkert, andere bedroht 



*) Diese von der stolzesten Herrschsucht diktierten Worte 
blieben von Emery nicht unerwidert. Auch der gegenwärtige Zustand, 
sagte er, könne einmal ein Ende nehmen und die Voraussetzung 
Bossuets wieder eintreffen. Die Prälaten, entsetzt über die Kühnheit 
ihres Genossen, wollten ihn beim Kaiser entschuldigen, doch Dieser 
antwortete: „Sie irren, meine Herren, ich bin gar nicht aufgebracht, 
gegen ihn. Er hat gesprochen wie Einer, der seine Sache weiß und 
beherrscht. Und so will ich, daß man mit mir rede." Talleyrand meinte 
freilich beim Weggehen: „Das ist der einzige Mensch, der es fertig 
bringt, dem Kaiser die Wahrheit zu sagen, ohne ihm höchlich zu miß- 
fallen." Ebenda, p. 168 ff. nach Paccas Memoiren und der „Vie de 
M. Emery M von Gossel in. 



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8 Europa und das Papsttum. 

worden waren, ward das wiedereröffnete Konzil dahin gebracht, 
ein von Napoleon diktiertes Dekret zu dem seinigen zu machen : 
daß, wenn der Papst über sechs Monate mit der Institution 
eines vom Kaiser ernannten Bischofs säume, dieser vom Me- 
tropoliten des betreffenden Sprengeis instituiert werden könne 
(5. August 1811).*) Es wurde schließlich erreicht, daß Pius in 
Savona hierzu seine Zustimmung gab, aber nur soweit die 
Bischöfe Frankreichs und des Königreiches Italien in Be- 
tracht kamen; die des Kirchenstaates nahm er aus, um nicht 
indirekt der witli rrechtlichen Okkupation desselben zuzu- 
stimmen, und forderte seine Räte zurück. Damit war der Streit 
nicht beendet. Der Papst blieb des Kaisers Gefangener. 

Noch war es unbestimmt, ob Pius in diesem Kampfe 
unterliegen würde. Aber wer die allgemeine Lage überblickte, 
konnte derartiges wohl vermuten. Die üble Behandlung, die 
das Oberhaupt des Katholizismus erfuhr, und dessen Appell 
an die Gläubigen machten auf diese nicht den tiefen, zur Tat 
aufreizenden Eindruck, wie es etwa in früheren Jahrhunderten 
der Fall gewesen wäre. Die Welt war erstaunlich weltlich 
geworden. Sogar der Wiener Hof hatte sich über die Bannbulle 
des Papstes hinweggesetzt, als er die Erzherzogin nach Frank- 
reich ziehen ließ. „Nicht eine einzige schützende Stimme 
erscholl von den katholischen Thronen herab", schreibt Kar- 
dinal Paeca in seinen Memoiren. Und dazu kam, daß ein 
großer Teil der Gegner des Kaisers: Engländer, Russen, 
Preußen als Andersgläubige gar nicht in den Bereich der päpst- 
lichen Autorität gehörten, während hinwieder strengkatholische 
Völker, wie die Polen, gerade in der festesten Verbindung 
mit Napoleon ihre Rechnung zu finden hofften. Ja, sogar die 
eigenen Untertanen des hl. Vaters äußerten dem neuen Herrn 
gegenüber zwar einiges Widerstreben, ließen sich aber schließ- 
lich die militärisch-zweckmäßige Administration, die Reform 
des Justizwesens, die Hebung des Unterrichts, die Regulierung 
von Flüssen und Straßen, die Trockenlegung der Sümpfe und 



*) Die Institution durch die Erzbisehöfe war in Frankreich nichts 
unerhörtes; sie war zur Zeit Heinrichs IV. erfolgt, ehe dieser König 
seinen Frieden mit der Kirche machte. 



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Der Volkskrieg auf der Iberischen Halbinsel. 9 

.andere wertvolle Neuerungen des gottlosen Regimes grollend 
gefallen.*) 

Nur auf eine Nation — wenn man etwa von den Bauern 
Tirols absieht — übte das Schicksal Pius' VII. eine ihre 
politische Haltung mitbestimmende Wirkung: das waren die 
Spanier. Ihre Priester ermüdeten nicht, ihren Mut gegen den- 
jenigen zu stählen, der, wie sie sagten, die Altäre ebenso 
bedrohe wie die Throne.**) Noch in den letzten Tagen des 
Jahres 1808 hatte die revolutionäre Zentraljunta, die für den 
exilierten König Ferdinand die Regierung führte, die Nation 
zum Guerillakrieg aufgerufen, d. i. zur Bildung von Banden 
unter Führung eines Mönches oder eines gedienten Offiziers 
mit der Aufgabe, kleinere französische Detachements zu über- 
fallen, Kuriere abzufangen, Waffen- und Munitionstransporte 
wegzunehmen u. dgl. Und die Mahnung hatte augenblicks 
Folge gefunden. Die Guerillas waren überall und nirgends, 
sie ließen sich zwar vertreiben und verfolgen, aher nicht ver- 
nichten, und bildeten eine Kriegsplage ohnegleichen. Bald 
nach jenem Aufruf verkündete ein Manifest den Völkern 
Europas, daß es sich in Spanien um die Freiheit aller 
Nationen handle, und forderte zur Unterstützung auf. Und 
nicht vergeblich. Die Engländer, die bisher lediglich als 
Feinde Napoleons auf der Halbinsel erschienen waren, traten 
jetzt in ein offenes Freundschaftsbündnis mit den spanischen 
Insurgenten und verpflichteten sich zum äußersten Kraft- 
aufwand. Und wenn sie auch diese Zusage nicht voll ein- 
lösten — es standen kaum je mehr als 30.000 Briten an der 
Seite der Spanier — so war es doch ein genialer Mann, der 
die englischen Hilfstruppen befehligte: Wellesley, Lord 
Wellington, wie er seit der Schlacht von Talavera hieß. „Wenn 
der Krieg auf der spanischen Halbinsel andauert, ist Europa 



*) Hierüber jetzt M adelin, La doraination frangaise ä Rome, 
1809—1814 (Revne d. d. mondes, 1905, Bd. 28, S. 646 ff.). 

**) In einem der von spanischen Geistlichen zu Kriegszwecken 
verfaßten Katechismen wird Napoleon neben der menschlichen eine 
teuflische Natur beigelegt, die Ermordung eines Franzosen als ein ver- 
dienstliches Werk, die Unterlassung des Kampfes als todeswürdige 
Infamie bezeichnet. 



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10 Napoleon gebt nicht nach Spanien. 

gerettet", pflegte er zu sagen, und danach handelte er. Klug 
berechnend, mehr defensiv als in gewagten Unternehmungen 
seine schmalen Kräfte riskierend, hielt er den überlegenen 
Gegner hin und erreichte seinen Zweck: die Wunde am Leibe 
des Empire blieb offen. Trotz den 200.000 Mann, die ihnen 
Napoleon zurückgelassen hatte, waren seine Marschälle nicht 
imstande, das Land zu pazifizieren. Untereinander uneins, des 
auf reibenden Kampf es, der keinerlei Gewinn versprach, unlustig, 
und oft unsicher, ob sie den Befehlen aus Paris oder denen 
aus Madrid zu folgen hätten, brachten sie es nur zu unbe- 
deutenden Erfolgen, und als der Kaiser von Schönbrunn nach 
Paris zurückkehrte, lauteten die Berichte aus dem Süden 
nicht allzu günstig. 

Nun erwartete Jedermann, Napoleon werde selbst wieder 
nach Spanien gehen, die ungefügen Generale zur Ordnung 
bringen und mit der überlegenen Kraft seines Genies den 
entscheidenden letzten Sieg erzwingen. Er hatte daran gedacht 
und in Briefen an Clarke und Berthier wiederholt davon ge- 
sprochen, aber er ging doch nicht nach Spanien. Von den- 
jenigen, die ihn genauer kannten, sagten die Einen, er habe 
in dem von Fanatismus durchtobten Lande sein Leben nicht 
aufs Spiel setzen wollen, die Andern, er sei durch seine Ehe- 
scheidung und Wiedervermählung abgehalten worden, was 
wahrscheinlicher klingt. Nicht unmöglich auch, daß ihn jetzt 
dasselbe Motiv, das am Anfang des Jahres 1809 seine Rückkehr 
nach Frankreich beschleunigt hatte, hier zurückhielt: das 
Mißtrauen gegen Talleyrand und Fouche, die er, während 
seines Feldzuges in Österreich, in geheimen Beziehungen mit 
Murat, dann mit dem heimgeschickten Bernadotte bemerkt 
hatte. Jedenfalls äußerte er sich bald sehr geringschätzig über 
die spanische Affaire — wohl um sich selbst nicht zu wider- 
sprechen, da er doch schon vor Monaten behauptet hatte, sie 
sei durch ihn endgültig beseitigt worden — und begnügte sich, 
die Aktionen seiner Generale von Paris aus zu leiten. 

Und anfangs schien es auch wirklich, als sollte dies hin- 
reichen. Am 19. November 1809 hatten die Franzosen bei 
Ocana über die letzten regulären Truppen Spaniens gesiegt, 
deren geschlagene Reste nach Cadix geworfen, und damit die 



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Annexion des Landes bis zum Ebro. 



11 



Provinz Andalusien fast gänzlich in König Josephs Hände 
gebracht. Nun blieben nur die Guerillas und das englische 
Hilfskorps in Portugal übrig. Die Ersten achtete der Kaiser 
wenig. Von ihrer grauenvollen Bedeutung hatte er keine Vor- 
stellung und glaubte es wohl auch nicht, wenn er hörte, der 
Krieg mit ihnen sei noch weit entsetzlicher als seinerzeit der 
in der Vendee. Besser dachte er von den Engländern. „Nur 
die Engländer sind das einzige Gefährliche in Spanien", läßt 
er Ende Januar 1810 und später wiederholt durch Bcrthier 
an Joseph schreiben. Aber sollte. man der paar tausend Briten 
nicht Herr werden können auch ohne ihn, namentlich wenn er, 
wie er nun tat, die Streitkräfte auf der Halbinsel bedeutend 
erhöhte und Massena, den tüchtigsten seiner Marschälle, mit 
Schmeicheleien und Versprechungen für das Unternehmen 
gewann, Portugal Wellington abzujagen ? Ney und J unot sollten 
unter Massena kommandieren, Soult, der an der Spitze der 
Armee in Andalusien stand, ihm von dort nach Portugal zu 
Hilfe kommen. So sicher war Napoleon des Erfolges, daß er 
am 8. Februar 1810 ein Dekret erließ, das die nördlich vom 
Ebro gelegenen Provinzen Biscaya, Navarra, Arragon und Ka- 
talonien der spanischen Staatsverwaltung entzog, sie in vier 
französische Militärgouvernements verwandelte und vier Gene- 
rale: Suchet, Dufour (später Reille), Augereau und Thouvenot 
mit der höchsten bürgerlichen und militärischen Gewalt über 
dieselben ausstattete. Sie sollten für die ihnen unterstehenden 
Truppen aus den Einkünften dieser Provinzen sorgen, da die 
Regierung Josephs nicht imstande sei, die Hilfsquellen des 
Landes so energisch auszubeuten, daß sie die Armeekosten be- 
streiten könne; nur von Paris hätten sie fortan Befehle zu em- 
pfangen. An die Stelle der spanischen Farben trat in diesen 
Gebieten die Trikolore. Ein begleitender Brief an Berthier von 
demselben Tage sprach noch allgemeiner die Absicht des Kaisers 
aus, die Verwaltung alles von seinen Generalen eroberten 
spanischen Landes in deren Hände zu legen; auch die Steuer- 
erhebung wurde ihnen eingeräumt. Und wenn nun die Er- 
oberung weiter f ortschritt? Wenn Suchet von Katalonien 
immer tiefer nach Süden vordrang, und Massena wirklich 
Portugal den Engländern abgewann? Dann fiel wohl schließlich 



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12 Napoleon und Joseph. 

ganz Spanien unter französische Verwaltung. Und war das 
am Ende nicht besser als Hunderttausende französischer 
Soldaten und Hunderte von Millionen französischen Geldes 
bloß für die Selbstherrlichkeit eines ehrgeizigen Bruders zu 
opfern, der aus eigener Kraft seinen Thron doch nie ver- 
teidigen könnte? Man will aus gewissen Anzeichen vermuten, 
der Kaiser habe damals — im Frühjahre 1810 — vorüber- 
gehend wieder daran gedacht, den jungen Bourbon Ferdi- 
nand VII., nachdem er ihn mit seiner Nichte, der Tochter 
Lucians, vermählt und zur Abtretung der annektierten Landes- 
teile genötigt haben würde, nach Spanien zurückzusenden. Aber 
die Sache ist zu schlecht verbürgt, um sie unbedingt gelten 
zu lassen.*) Bestimmt wissen wir nur, daß Joseph, den die 
Abtrennung der vier Provinzen um das bißchen Kredit brachte, 
das er sich durch seine Mäßigung bei den Liberalen des Landes 
erworben hatte, seinen Minister Azanza nach Paris sandte, um 
dort die Zurücknahme des Februar-Ediktes zu erwirken, und 
Dieser nach langem Warten schließlich die Aufklärung erhielt, 
der Kaiser habe die Einverleibung ganz Spaniens in Frank- 
reich, „dessen natürliche Fortsetzung es bilde", beschlossen, sein 
König solle abdanken und damit nur so lange noch warten, bis 
die Engländer von der Halbinsel vertrieben seien.**) 



*) Masson, Napoleon et sa famille, VI. 118 stellt diese Hypo- 
these auf und Sorel, VII. 435 nimmt sie an. So lange sie aber nur auf 
schlecht überlieferten Angaben in Lucians Memoiren (HI. 155) beruht, 
wird ihr kaum eine ernstere Bedeutung einzuräumen sein. Die Anwesen- 
heit der fünfzehnjährigen Lolotte in Paris, vom Jänner bis in den Juni 
1810, könnte auch mit der stets von der „Familie" gewünschten Ver- 
söhnung der beiden Brüder allein in Verbindung gestanden haben. 
Hatte doch seinerzeit Mutter Lätitia zu diesem Zweck sogar die Ver- 
heiratung Napoleons mit ihr im Auge gehabt. 

**) Der bestürzte Diplomat bekam sogar die betreffenden Doku- 
mente — die Verzichturkunde Josephs und ein Manifest Napoleons an 
die Spanier — fix und fertig in die Hand gedrückt. In der Kundgebung 
hieß es: „Mein Bruder hat mir freiwillig die Krone zurückgegeben, die 
ich ihm abtrat, und mich angefleht, den Untergang seiner Untertanen 
nicht zuzulassen. Er kennt Eure Angelegenheiten, er rief meinen Schutz 
an und bestand darauf, daß ich Euch in mein Reich aufnehme. w Ein 
starkes Stück an Verdrehung der Tatsachen! Das Gegenteil war die Wahr- 
heit. Azanza hatte in Paris die Zwiste und Diebereien der französischen 



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Massenas portugiesische Expedition scheitert. 13 

Alles kam nun auf Massena an, und ob sein Zug gelang. 
Er sollte nicht gelingen. Die Festungen, die den Weg nach 
Portugal verlegten, kapitulierten erst nach langer und hart- 
näckiger Gegenwehr, was Wellington eine Frist gab, die er 
dazu nutzte, bei seinem methodischen Rückzug alle Hilfs- 
quellen zu vernichten und im Norden von Lissabon einen drei- 
fachen Fortsgürtel vom Meere bis zum Tajo zu ziehen. An 
dieser starken Stellung bei Torres vedras brach sich schließlich, 
trotz einem wichtigen Erfolge bei Busaco im September 1810, 
die Kraft des Franzosenheeres, dem die Entbehrungen des 
Vormarsches sehr hart zugesetzt hatten und das weder 
aus Frankreich noch von Soult her die nötige Unterstützung 
erhielt, so daß Massena im Frühling 1811 nach Spanien zurück- 
kehren mußte. Nach einer neuen Schlappe, die er Anfang Mai 
bei Fuentes de Onoro erlitt, verlor er das Oberkommando, das 
der erzürnte Kaiser Marmont übertrug. 

So war Portugal nicht erobert, England vom Festlande 
nicht vertrieben, vielmehr der Brite durch seinen Sieg über 
den trefflichsten Marschall des Kaiserreichs in seiner Gel- 
tung wesentlich erhöht. Dagegen litten die einzelnen fran- 
zösischen Heeresteile und ihre gezwungenen Alliierten un- 
säglich. Ungezählte Menschenleben verschlangen Krankheit, 
Hunger und die heimliche Tücke des Gegners. „Dies ist ein 
grausamer Krieg," schreibt ein Offizier der rheinbündischen 
Truppen über den unaufhörlichen Kampf mit den Guerillas, 



Generale und die Exzesse der Soldaten als die Hauptursache des allge- 
meinen Aufruhrs, die Mäßigung Josephs als das einzige Mittel, das Land 
zu beschwichtigen, bezeichnet und gebeten, den König nur noch ein Jahr 
lang wirksam zu unterstützen ohne die Integrität Spaniens zu verletzen. 
Jene Aktenstücke gelangten übrigens nicht nach Madrid. Sie fielen 
einer Guerilla in die Hände und standen bald darauf in spanischen 
Tnsurgentenblättern und im „Courrier de Londres" abgedruckt (Pertz, 
Die polit. Bedeutung des Jahres 1810, in den Abhandlungen der Ber- 
liner Akademie der Wissenschaften von 1861, S. 196 ff.). Joseph, der stets 
mit seiner Abdankung gedroht hatte, solange der Kaiser noch an dem 
Familiensystem festhielt, konnte jetzt, trotz solchen demütigenden 
Zumutungen, dazu den Entschluß nicht finden. Er blieb, wie er es 
nannte, „der Türhüter der Spitäler, Zeug- und Invalidenhäuscr von 
Madrid". 



14 Warum Napoleon das Kommando nicht übernahm. 

„hier gilt nichts als Sieg oder Tod und am Ende — doch der 
Tod."*) Das Kegiment der sächsischen Fürstentümer zum 
Beispiel, das im Frühjahr 1810 2300 Mann stark in Spanien 
angekommen war, hatte bereits im September 1000 Mann 
verloren und über 1200 in den Spitälern liegen. Im Oktober 
waren davon nur noch 27 Mann dienstfähig. Von den Truppen- 
körpern, die der Kaiser über die Grenze sandte, langte immer 
nur ein Bruchteil, und kein großer, am Bestimmungsorte an. 
Die Entmutigung der Krieger wuchs fortwährend, und nur 
die eine Hoffnung hielt sie bis ins Jahr 1812 aufrecht: der 
große Schlachtenkaiser werde sicher noch kommen, um die 
Kampfesnot ruhmreich zu endigen. 

Aber er kam auch jetzt nicht, wenn sich gleich die Lage 
immer schwieriger gestaltete. Und das hatte wieder seinen 
ganz bestimmten Grund. Er kam nicht, weil er in dem Krieg 
auf der Halbinsel nur eine nebensächliche Episode der ge- 
waltigen Fehde erblickte, die er an allen Ecken des Kontinents 
gegen Großbritannien führte, ein sekundäres Moment, das 
sofort jede Bedeutung verlieren mußte, sobald anderwärts der 
große Streit siegreich zu Ende geführt war! Und da dieser 
seine volle Tätigkeit in Anspruch nahm, so durfte er — dies 
war offenbar sein Erwägen — sich nicht persönlich in die 
untergeordnete Einzelheit des peninsularen Gefechtes ein- 
lassen, das ihn vom Zentrum seiner Politik und deren nächsten 
Zielen allzuweit entfernte. Kurz gesagt, der Handelskrieg war 
ihm die Hauptsache, er bildete den wesentlichsten Teil seines 
Systems. Als er ihn im Jahre 1S10, zur Zeit, da er Massena 
gegen Lissabon aussandte, mit erhöhtem Eifer wieder aufnahm, 
war es seine Überzeugung, England sei durch die Blockade 
bereits so sehr finanziell geschwächt, daß nur noch ein paar 
Jahre Ausdauer hinreichen würden, um seine Macht völlig 
zu erschöpfen. Und es fehlte in der Tat nicht an Symptomen, 
welche die Ansicht unterstützten. Der englische Staatsschatz 
hatte durch die ewigen Subsidien an die Kontinentalmächte 
und die kostspieligen Expeditionen nach Spanien und Holland 
stark gelitten; die Noten der englischen Bank hatten bereits 

*) liernays, Die Schicksale des Groliherzogtums Frankfurt und 
seiner Truppen. S. 120. 



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Der Handelskrieg mit England. . 15 

über zwanzig Prozent an Agio eingebüßt; auf dem Festlande 
nahm man das Pfund Sterling, das gemeiniglich mit 25 Fran- 
ken gewechselt worden war, nur noch zu 17 Franken 
an. Seit dem Jahre 1S07 war die Wollindustrie in York und 
Wiltshire ebenso notleidend geworden wie die Baumwollmanu- 
fakturen in Manchester und Glasgow und die Eisenwerke von 
Sheffield und Birmingham. Die indirekten Abgaben, mit denen 
der Staat seine Bedürfnisse zu decken suchte, lasteten schwer 
auf den Fabrikanten und — schwerer noch — auf den Arbei- 
tern.*) Eine Handelskrise war die selbstverständliche Folge, 
und die Bankbrüche häuften sich. Schon eiferte im Parlament 
eine respektable Opposition gegen die Fortführung des Krieges. 
Und die Kontinentalsperre war bisher noch nicht einmal in 
ihrem vollen Umfange durchgeführt worden. Geschah dies erst, 
so meinte Napoleon sicher zu sein, daß England sich beugte, 
um Frieden bat und auf seine Alleinherrschaft zur See ver- 
zichtete. Dann war natürlich auch der Kampf in Spanien zu 
Ende. War es unter solchen Umständen — so mochte er 
rechnen — nicht widersinnig, selbst über die Pyrenäen zu 
gehen, anstatt von Paris aus alles zur schärfsten Anwendung 
des Blockadesystems vorzukehren? Aus Spanien wäre dies, 
schon des schlechten Verkehrs wegen, unmöglich gewesen. 
Nein, nein, Wellington war nicht bloß auf der Iberischen 
Halbinsel zu besiegen. Denn nicht die physische Kraft des 
einen oder anderen britischen Expeditionskorps war der wesent- 
liche Gegner, sondern die materielle Kraft des britischen 
Reichtums, der diese Expeditionen ausrüstete, Koalitionen 

*) Die Kosten für die Lebenshaltung einer Londoner Familie des 
Mittelstandes hatte sich von 540 Lst. vor den Franzosenkriegen auf 900 
während derselben erhöht, um nach dem Friedensschluß in den zwanziger 
Jahren auf 750 Lst. zu fallen. Die Ausgaben einer Landarbeiterfamilie 
waren von 1792 bis 1813 von 27 Lst. auf 48 gestiegen und betrugen 
1823 wieder 32 Lst. (Siehe Rose's Auszug aus Lowe, The Present 
State of England in regard to Agriculture, Trades and Finance", 1823 bei 
Lumbroso, Napoleonc e l'Iughilterra, p. 430.) Natürlich stellten sich 
die Budgets der von der Konkurrenz der Maschine bedrängten gewerb- 
lichen Arbeiter noch sehr viel ungünstiger: die Weberlöhne waren in 
der Zeit von 1795 bis 1810 von 39 auf 15 Shilling per Stück gefallen. 
(Nach Gaskell, „Artisans and Machineiy", 1836, cit. von Rose, Na- 
poleonic studies, p. 195.) 



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16 Die Anfänge der Kontinentalsperre. 

warb und Aufstände zettelte. Dieser mußte vernichtet werden, 
und dieser vor jedem andern. 

So drängte alles nach der einen Frage hin: ob sich die 
Kontinentalsperre wirklich in der vollen, dem britischen 
Nationalvermögen so verderblichen Strenge durchführen ließ, 
wie Napoleon es für möglich hielt? In ihrer Beantwortung 
lag die Entscheidung über das Schicksal der Welt. 



Es ist in dieser Lebensgeschichte wiederholt angedeutet 
worden, daß der Gedanke, den seit hundert Jahren währenden 
Krieg mit England fortzuführen, indem man den britischen 
Industrieartikeln und Kolonialwaren den kontinentalen Markt 
entzog, nicht in Napoleons Kopf entsprungen, sondern früheren 
Datums war. Tatsächlich ist er im Schöße der revolutionären 
Regierung von Frankreich schon zu einer Zeit entstanden, als 
der junge General Bonaparte eben erst in Italien seine Lor- 
beeren zu pflücken begann.*) Die Machthaber der Republik 

*) In einem Briefe vom 22. Juli 1796 schrieb Malle t du Pan 
an Thugut: „Der Haß gegen England hat neue Kraft gewonnen; die 
Vorbereitungen zu einer Landung daselbst werden fortgesetzt, und es 
ist ein Plan gefaßt und zum Teile auch schon durchgeführt, England 
die Häfen des Kontinentes zu verschließen." Eine Woche später: „Man 
wird England, soweit man es vermag, den Markt des Kontinentes ver- 
sperren, damit seine Einkünfte, seine Fabriken, kurz, seine wichtigsten 
Hilfsquellen angreifen, hierdurch den "Widerspruch der britischen Nation 
hervorrufen, und auf solche Weise die Regierung zwingen, um Frieden 
zu bitten." (Correspondance inedite, II. 118. 120.) Ein Artikel des 
offiziellen „Redakteur" vom 29. Oktober desselben Jahres enthält den 
Satz: „Unsere Politik muß sich darauf beschränken, den Handel Eng- 
lands und damit seine Macht zu ruinieren, indem man es vom Kontinent 
ausschließt." Zwei Tage später verbot das Gesetz vom 10. Brumaire V. 
(31. Oktober 1796) die Einfuhr aller englischen Produkte und Handels- 
waren und überdies aller Artikel, die vorzugsweise in England erzeugt 
wurden, wie Baumwollensamte, Musseline, Wirkwaren, Shawls, Kristall- 
waren, Zuckerraffinade usw. ( Aus dem „Recueil des lois concernant les 
douanes", Par. 1876 abgedruckt bei Lumbroso, p, 49 ff.) Der Motiven- 
bericht dazu erklärte dies als eines der wirksamsten Mittel, die heimischen 
Mannfakturen wieder emporzubringen, „den Verkauf und den Konsum 
englischer Waren in der ganzen Ausdehnung der Republik zu verhindern." 
(Siehe Moniteur vom 29. Venddmiaire V). Die Einfuhr englischer 
Artikel nach Frankreich hatte übrigens auch schon der Konvent — in 
Dekreten vom 1. März und 9. Oktober 1793 — streng verboten. 



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Napoleon und die Schiffe der Neutralen. 17 

waren von der Richtigkeit der Idee durchdrungen, und der 
Kaiser ist ihr treu geblieben. Unablässig hat er im Verkehr 
mit den einzelnen Staaten darauf hingearbeitet, bis er, Sieger 
über Österreich und Preußen, im November 1806 von Berlin 
aus jenes Blockadedekret erließ, das alle Schiffe, die unmittel- 
bar aus England und dessen Kolonien kamen, von den Küsten 
des Kontinents fernhielt. Durch die Edikte der Engländer 
vom 11. und 25. November und die Dekrete Napoleons vom 
23. November und 17. Dezember 1807*) war dann auch der 
Seehandel der Angehörigen neutraler Mächte unendlich 
schwieriger geworden, so sehr, daß die Kegierung der Ver- 
einigten Staaten von Amerika ihren Bürgern geradezu den 
Verkehr mit Europa untersagte, ihnen ihre Baumwolle, anstatt 
sie nach Frankreich oder England auszuführen, selbst zu ver- 
arbeiten riet, dafür aber auch französischen und britischen 
Schiffen die Konfiskation in den amerikanischen Häfen an- 
drohte. Nur fand sie nicht viel Gehorsam für ihr Verbot. Im 
Gegenteil. Amerikanische Reeder nahmen englische Kolonial- 
waren und Manufakturen an Bord und handelten damit unter 
falschen Angaben über deren Herkunft nach Holland, den 
Hansestädten, den preußischen und russischen Häfen. Im 
Mittelmeer deckte die neutrale türkische Flagge auf Schiffen 
griechischer Kaufleute die britische Fracht, die nach Triest, 
Venedig, Genua etc. eingeführt wurde. Dieser ausgedehnte 
Zwischenhandel störte nun freilich den großen Plan Napoleons 
aufs empfindlichste, und er war darauf bedacht, ihn ebenso 
lahm zu legen wie den direkten Kommerz mit England. Er 
erließ im März 1810 ein Edikt, das sich geradezu gegen die 
Neutralen kehrte, indem es die griechischen Schiffe im Süden 
genauester Durchforschung nach der Provenienz ihrer Ladung 
unterwarf, die Amerikaner dagegen — und hier kam ihm jenes 
Verbot der Regierung von Washington trefflich zu statten — 
in allen französischen und Frankreichs Waffen erreichbaren, 
d. i. okkupierten Häfen mit Beschlagnahme bedrohte. Erst 
als die Vereinigten Staaten das Embargo gegen die franzö- 

*) Siehe Band n. S. 167. 235, wo es statt „1806" natürlich 
„1807" und statt „14. Oktober" für das britische Edikt „11. November" 
zu heißen hat. 

Fournier, Napoleon I. - 



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18 



Das Edikt von Trianon. 



sischen Kauffahrer aufhoben, erklärte sich Napoleon bereit, 
amerikanische Schiffe in den französischen Häfen zuzulassen, 
wenn auch nur solche, die ihre Ladung direkt über den Ozean 
nach Frankreich brachten. Solche, die vorher englische Häfen 
berührt hatten, und jene, die in der Ostsee Kommerz trieben, 
wurden nach wie vor feindlich behandelt.*) 

Der Handel der Neutralen war es jedoch nicht allein, 
der Napoleons Politik wider England beirrte. Ihm zur Seite 
hatte sich ein immenser Schleichhandel entwickelt, der, trotz 
allen Dekreten und Verordnungen, den Kontinent fortwährend 
mit den verfemten englischen Kolonialwaren und Webeartikeln 
versah; allerdings zu hohen Preisen, während in den Londoner 
Lagerhäusern die Entwertung der heimischen Produkte immer 
größere Fortschritte machte. Die Differenz, d. i. die Prämie 
für den Schmuggel, belief sich 1810 durchschnittlich auf 
ungefähr fünfzig Prozent. Um nun diesem Pascherwesen ein 
Ende zu machen und zugleich den durch den spanischen Krieg 
und die stetig sinkenden Zolleinnahmen verschlechterten 
Staatsfinanzen aufzuhelfen, erließ der Kaiser am 5. August 
des genannten Jahres zu Trianon ein Edikt, das von Baum- 
wolle, Zucker und anderen Kolonialwaren — „die ja sämtlich 
englischen Ursprungs seien" — einen Einfuhrzoll von fünfzig 
Prozent des Wertes und darüber forderte und Depots solcher 
Waren, die, unverzollt, innerhalb vier Meilen jenseits der fran- 
zösischen Grenze lagen, zu konfiszieren befahl. Damit wollte 
er den Schmugglern gleichsam das Geschäft abjagen und 
seiner Schatzkasse, der „außerordentlichen Domäne" („do- 
maine extraordinaire"), die ihm ein Senatskonsult vom 
30. Januar 1810, unabhängig vom Haushalt des Staates und 



*) Thiers, XII. 32 ff. Corresp. XX. 16.348. XXI. 16.743. 
17.206. Auch die Maßregel gegen die Xeutralen ist schon vom Direk- 
torium vorgedacht gewesen: Anfang Januar 1798 empfahl es den gesetz- 
gebenden Körperschaften, alle neutralen Schiffe, die englische Ware 
führten, wer immer dio Eigentümer wären, in Beschlag zu nehmen und 
jedem neutralen Fahrzeug, das in England angelegt habe, die fran- 
zösischen Häfen zu verschließen. (Sybel, Geschichte der Revolutions- 
zeit, V. 36.) Der Zweck war, wie man angab, die Freiheit der Meere 
BU schirmen (Mallet du Pan, II. .'{90). 



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Vernichtung englischer Fabrikate. 19 

seiner Kontrolle, eingeräumt hatte und in die, neben den 
reichen Erträgen der Kriegszüge und den Kenten von den 
fremden Staatsgütern, auch der Zoll floß, einen erheblichen Zu- 
schuß sichern.*) Ein späteres Dekret, vom 18. Oktober aus Fon- 
tainebleau datiert, bestimmte, daß englische Manufakturartikel 
in Frankreich sowohl wie in den verbündeten Ländern, wo 
immer man ihrer habhaft wurde, dem Feuer überliefert werden 
sollten. In der Tat sah man während der nächsten Wochen 
allenthalben französische Soldaten über die Grenze gehen, im 
Verein mit den Zöllnern Magazine erbrechen, den Fleiß briti- 
scher Arbeit zu Haufen tragen und in Asche verwandeln, Zucker 
und Kaffee aber auf Munitionswagen laden und nach Antwerpen, 
Mainz, Frankfurt, Mailand führen, wo sie öffentlich versteigert 
wurden. Dabei waren Prämien auf den Eifer gesetzt, während 
Pascher und Hehler den drakonischen Strafen eines im 
November 1810 eigens zu diesem Zweck eingesetzten Gerichts- 
hofes verfielen. Zu solcher Härte hatte sich das Kontinental- 
system ausgebildet. Sie wurde nur in Frankreich dadurch gemil- 
dert, daß hier einzelne Eeeder für gutes Geld — das gleich- 
falls in den kaiserlichen Tresor floß — die Erlaubnis erhielten, 
gewisse Gattungen englischer Produkte, namentlich unentbehr- 
liche Material- und Farbwaren, zu importieren und französische 



*) „Geben wir dem Staatsschatz den GewinD, dessen sich sonst 
der Schmuggel bemächtigen würde, gewähren wir Erleichterungen für 
die Einfuhr der Kolonialwaren und erhöhen wir die Abgaben dafür" 
hatte der Zolldirektor Collin an den Kaiser gesehrieben. (Darm- 
städter, Das Großherzogtum Frankfurt, S. 308, wo auch die ZitTern 
der Zolleinnahmen Frankreichs: 1807:60, 1^09: 1 1 Millionen verzeichnet 
eind.) Das Senatskonsult vom 30. Jänner 1810 schuf nichts neues, 
sondern regelte nur die Verwaltung des Kriegsschatzes, den Napoleon 
nach dem Feldzug von 1805 mit einem Teil der österreichischen Kriegs- 
beute gegründet und seither mit den klingenden Ergebnissen seiner 
siegreichen Waflfengänge reich dotiert hatte. Die „außerordentliche 
Domäne*' sollte, wenigstens teilweise, „die Auslagen für die Armee, für 
Belohnungen von Militär- und Zivilpersonen, für Errichtung von Monu- 
menten, Herstellung öffentlicher Bauten und Arbeiten, Ermunterung 
der Künste und Vermehrung des Glanzes des Kaiserreiches bestreiten". 
Bis Anfang 1810 sollen die Fonds des Domaine extraordinaire zwei 
Milliarden betragen haben. (Vgl. Rnpelle, Les Finances de la Guerre 
de 1796 ä 1815. Annales de l\5cole polit, 1892, p. 656.) 

2* 



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20 Die „ Lizenzen u . 

Weine und Kornfrüchte nach England auszuführen. Und damit 
die Industrie dabei nicht zu kurz komme, war diese Erlaubnis 
an die Verpflichtung gebunden, mit den Agrarprodukten 
zugleich auch Fabriksware zu exportieren, was dann zur Er- 
zeugung minderwertiger Massenartikel, namentlich in Seide, 
führte, an denen nicht allzu viel gelegen war, wenn sie 
von den Engländern, die nur Naturprodukte aufnahmen, 
zurückgewiesen und „ad usum delphinorum', wie man sagte, 
ins Meer versenkt wurden. Das Geschäft blieb dennoch ein sehr 
vorteilhaftes, und mancher Spekulant ließ sich die „Lizenz" 
ein gutes Stück Geld kosten. 

Es konnte nun freilich nicht geleugnet werden : das System 
der Lizenzen durchbrach den großen Plan, den der Kaiser mit 
der Kontinentalsperre verfolgte. Es bewahrte nicht nur die 
Engländer, die damals, 1810, nach Mißernten von Hunger 
und Not bedroht waren, vor einem bösen Schicksal, sondern 
gab auch außerhalb Frankreichs, wo Napoleon unnachsichtig' 
auf der Sperre bestand, Anlaß zu arger Mißstimmung.*) Was 
Napoleon zu einer solchen, seiner ganzen Politik widerspre- 
chenden Haltung bewogen haben mochte, erfährt nur, wer 
einen Blick auf die wirtschaftliche Lage seines Keiches in jener 
Zeit wirft. 

Das Blockadesystem hatte ohne Zweifel einzelnen Zweigen 
der französischen Industrie einen mächtigen Anstoß gegeben 
und die Ausdehnung des Empire durch die siegreichen Feld- 
züge deren Absatzgebiet vergrößert. Das war namentlich bei 
der Baumwoll- und Seidenindustrie, in der Woll- und Luxus- 
branche und bei den Eisengewerken der Fall. Andere — die 
Leinenmanufaktur z. B. — hatten zwar mit den Kolonien 
einen wichtigen Markt verloren, dann aber doch in dem ver- 
mehrten Export nach den kontinentalen Nachbarländern zu- 
reichenden Ersatz gefunden. So war, trotz dem Verfall des 
Seehandels, im ganzen während der ersten fünf Jahre des 
Kaiserreiches die Lage der gewerblichen Produktion Frank- 



*) Daß auch das Direktorium schon „Lizenzen" verkaufte, erfährt 
man aus einem Briefe Mallct du Pans vom 28. Jänner 1798. (Cor- 
respondance inedite, II. 398.) 



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Napoleons Zollpolitik. 21 
* 

reiche eine durchaus befriedigende.*) Sie schuf dem Landmann 
kaufkräftige Konsumenten, dem Staate willige Steuerträger, 
dem Kaiser eine treue und ergebene Anhängerschaft im Volke. 
Und das war stets Napoleons vornehmster Gesichtspunkt ge- 
wesen. Deshalb hatte er das Empire schon 180G gegen jeden 
fremden Import der wichtigsten Artikel (Webewaren, Seifen 
u. 8. w.) verschlossen,**) deshalb der Ausfuhr heimischer In- 
dustrieerzeugnisse mit den Waffen einen Weg über Frankreichs 
Grenzen weit hinaus in die seinem politischen Einfluß unter- 
worfenen Länder gebahnt. Denn das darf man nicht meinen, 
daß er je daran gedacht habe, aus dem gegen Großbritannien 
abgeschlossenen Kontinent ein einheitliches Wirtschaftsgebiet 
mit freiem Handelsverkehr zu machen. Nein, er war, wie 
Konvent und Direktorium vor ihm, Hochschutzzöllner und 
ein so entschiedener Gegner des Freihandels, daß er z. B. von 
Leon Says Lehrbuch der politischen Ökonomie, das 1803 
erschienen und für die Beseitigung der Zölle eingetreten war, 
keine neuen Auflagen zuließ. Und dabei sperrte er nicht nur 
Frankreich gegen jede Einfuhr — selbst die italienische und 
die deutsche von jenseits des Rheins — ab, sondern hinderte 
auch den Verkehr der anderen Lander untereinander, wo er 
konnte. So, wenn er z. B. durch ein Edikt aus dem 
Oktober 1S10 das Königreich Italien nur für die Ein- 
und Durchfuhr französischer Waren offenhielt, womit den 
Österreichischen Tuchen, den Schweizer Baumwollzeugen und 
denen vom Rhein ein wertvolles Absatzgebiet verloren ging; 
so, wenn er durch ein Dekret aus derselben Zeit die italienische 
Rohseide mittels hoher Ausfuhrzölle der Schweiz und dem 

*) Das Erstarken der französischen Industrie zur Zeit Napoleons 
drückt sich am deutlichsten darin aus, daß der Import an Rohstoffen 
und Halbfabrikaten in dem Zeitraum zwischen den Jahren vor der 
Revolution und denen nach dem Kaiserreich um ein Drittel zunahm, 
während der an Industrieprodukten auf die Hälfte sank. S. Rocke, 
Die Kontinentalsperre und ihre Einwirkungen auf die französische 
Industrie, S. 40 nach Moreau de Jonnes, Le commerce au 19. siecle. 
(Par. 1825.) S. 186. 

**) Vor kurzem hat Ch. Schmidt, Le Grand-Duche de Berg (Paris 
1905), p. 333 ff. auf die Bedeutung des Tarifs vom 80. April 1806 
treffend hingewiesen. 



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22 Schutzzölle uud Exportbegünstigung für Frankreich. 

bergischen Lande vorenthielt, damit sie ausschließlich den 
Lyoner Fabrikanten zugute käme, die dann mit ihrer mäch- 
tigen Konkurrenz das lombardische Gewerbe erdrückten.*) 
So hat er immer nur der französischen Industrie zu dienen 
gesucht, deren Interessen ein im Juni 1810 ins Leben gerufener 
„Fabriks- und Gewerberat" wahrzunehmen hatte, und er hat 
es getan, um sie seinem Regime gutgesinnt und opferwillig zu 
erhalten. Er spricht das in einem Briefe vom 23. August 1810 
an den Vizekönig Eugen, der gegen jene Verfügung Vor- 
stellungen erhob, deutlich aus: „Ich kann Ihre Bemerkungen 
nicht billigen. Mein Grundsatz ist: Frankreich vor Allem. Sie 
dürfen nicht außer acht lassen, daß, wenn der englische Handel 
das Meer beherrscht, dies deshalb der Fall ist, weil die Eng- 
länder zur See am mächtigsten sind; es ist daher nur in der 
Ordnung, daß der Handel Frankreichs, des mächtigsten 
Staates zu Lande, ebenso auf dem Kontinent triumphiere, 
sonst wäre alles verloren. Besser für Italien, es kommt in einem 
so wichtigen Falle, wie in diesem, Frankreich zu Hilfe, anstatt 
sich mit Zollämtern zu bedecken. Verlöre ich einmal eine große 
Schlacht, so würden aus dem alten Frankreich eine, zwei Mil- 
lionen Menschen unter meine Fahnen eilen und alle Börsen 
mir offen stehen, Italien dagegen würde sich beiseite 
drücken/'**) Solcher Opfermut, der ihm seine persönliche 
Machtstellung in Europa sicherstellte, wollte belohnt sein: 
darum die Schutzzölle für die französische Industrie auf Kosten 
der Produktion in den anderen Staaten, darum die Begünsti- 
gung ihres Exports in die abhängigen Länder, die sich den 
guten englischen Artikeln verschließen mußten, um minder 

*) S. die nächste Note. 

**) Corresp. XXI. 16.824. Am 26. August schreibt er an seinen 
Stiefsohn: „Die italienischen Zollstätten müssen genau auf demselben 
Fuß, wie die französischen, funktionieren; denn sonst, ich verberge es 
Ihnen nicht, werde ich Italien mit Frankreich vereinigen. Italien ist 
z. B. überschwemmt mit Schweizer Waren; alle bedruckten Zeuge 
und Cotonnaden kommen aus der Schweiz, während Frankreich von 
solchen Waren strotzt. Meine Absicht ist, daß die bedruckten Zeu2fe 
aus Deutschland und der Schweiz in Italien nicht mehr zugelassen 
werden und nur noch aus Frankreich dahin gelangen." Corresp. XXI. 
16.829. 



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Verminderte Aufnahmsfähigkeit des Auslande». 23 

gute und oft auch teurere französische Fabrikate aufzunehmen 
und obendrein — wie im Großherzogtum Berg — die eigene 
Produktion durch die fremde lahmgelegt zu sehen. Es war 
eine ökonomische Tyrannei, die der politischen zur Seite ging 
und ohne Zweifel zur Erregung der Nationen das Ihrige 
beigetragen hat. 

Aber alle Sorgfalt konnte die französische Industrie 
nicht davor bewahren, daß auch sie die Nachteile des politischen 
Systems, das ihr nützen wollte, zu fühlen bekam, und in den 
Jahren 1810 und 1811 eine Krisis erfuhr, die allen Kredit — 
und auch den des Kaisers — tief erschüttern sollte. Die Vor- 
teile, welche die Schutzzollkonjunktur bot, hatten immer 
neue Etablissements ins Leben gerufen, die bald über den 
inländischen Bedarf weit hinaus produzierten. Damit war die 
Sorge für den Export wichtigste Kegierungspflicht geworden, 
und Napoleon mochte, wie es ihm mit Deutschland und 
Italien gelungen war, so auch bei Spanien, als er das Land für 
sein Haus gewann, die Absicht verfolgt haben, es der franzö- 
sischen Industrie noch zugänglicher und der britischen Kon- 
kurrenz noch unzugänglicher zu machen als das bis dahin der 
Fall gewesen war.*) Da bewirkte aber der durch die Expe- 
dition des Jahres 1808 hervorgerufene Aufstand des spanischen 
Volkes das gerade Gegenteil: die mit nahezu siebzig Millionen 
bewertete Ausfuhr nach der pyrenäischen Halbinsel sank in 
dem einen Jahre auf die Hälfte und dann nur noch immer 
tiefer, da einerseits der andauernde Krieg die Konsumtions- 
fähigkeit der Bevölkerung verminderte, anderseits die eng- 
lische Hilfsaktion dem britischen Import den Zugang über 
Portugal offen hielt. Und dazu kam, daß auch Holland, durch 
den Verlust seines Handels her abgebracht, weniger aufnahms- 



*) „Während Spanien im einzelnen Fiankreich und seinen 
Handel (durch seine Zölle) bekämpfte, standen seine Häfen, und ins- 
besondere die im Biskayischen Golf, dem Handel Englands offen, und 
die in Spanien, wie in Frankreich, verbündeten Blockadegesetze halfen 
nur den Schmuggel der Engländer begünstigen, deren Waren sich von 
Spanien aus über Europa verbreiteten." So heißt es in dem von Napoleon 
selbst verfaßten Bericht seines Ministers des Äußern vom 24. April 
1808. Corresp. XVII. 13.776. 



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24 



Die Handelskrisis von 1810 und 1811. 



fähig geworden war, und ebenso die deutschen Länder, durch 
die Kriege in Armut geraten, die Hoffnungen der französi- 
schen Exporteure nicht mehr erfüllten. 

Da stellte sich die Notwendigkeit ein, der französischen 
Industrie wenigstens daheim zureichenden Absatz zu sichern, 
d. Ii. vor allem die landwirtschaftlichen Kreise kaufkräftig zu 
erhalten. Das sollte geschehen, indem man diesen den eng- 
lischen Markt zuganglich machte — denn Wein und Korn 
nahm man dort gerne auf. Daher die Lizenzen. Aber ihre 
Wirkung war verschwindend gering gegenüber dem Nachteil 
im großen, der dem gewerblichen Leben Frankreichs schließlich 
aus seiner auswärtigen Politik erwuchs und den Napoleons 
Zolledikt von Trianon, da es den Preis der Rohstoffe noch 
höher hob, nur noch verschärfte. Dieses Edikt hatte überdies 
auch den Nachteil, daß es den Handel mit Kolonialwaren zur 
wüsten Spekulation ausarten ließ, was den Geldmarkt aufs 
ungünstigste beeinflußte. Als nun die Industrie, die ihre zahl- 
reichen, auf die frühere günstige Konjunktur kalkulierten 
Neugründungen häufig mit erborgten Kapitalien vorgenommen 
hatte, der verminderten Ausfuhr wegen die Zinsen dafür nicht 
mehr voll aufbrachte, kam es zum Zusammenbruch großer 
Bankhäuser, der weite Kreise ins Mitleid zog. Nun wurden den 
Fabrikanten allenthalben die Kredite gekündigt, was wieder 
den Sturz vieler Industrieetablissements, in anderen die 
Einschränkung des Betriebes und die Brotlosigkeit Tausender 
von Arbeitern zur Folge hatte. Dadurch sah sich dann auch 
noch die Landwirtschaft in ihren Einkünften geschmälert, 
und so ward die Krisis schließlich allgemein. Es war ein Zirkel 
der verhängnisvollsten Art, wenn Napoleon durch die Un- 
summen, die er dem Auslande für die Erhaltung seiner Armeen 
und für seinen Kriegsschatz abnahm, den Markt, den er der 
heimischen Industrie zu erobern gedachte, selbst wieder ent- 
wertete. Was wollte es da sagen, wenn er jetzt 18 Millionen zur 
Unterstützung einzelner Unternehmer hergab, damit sie ihre 
Werke in Tätigkeit erhalten konnten, neue Nutzbauten auf- 
führen ließ, um die feiernden Arbeitskräfte zu beschäftigen, 
Erfinder, wie Jacquard, reich belohnte, Millionenpreise für die 
Entdeckung neuer Verfahren ausschrieb, den Anbau von Baum- 



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Versuche einer Annäherung an England. 25 

wolle in Südfrankreich und Italien förderte und die Seiden- 
industrie dadurch heben wollte, daß er seine Paläste mit Möbeln 
und Tapisserien aus Lyoner Stoffen ausstatten ließ? Das waren 
sehr schöne Zeugnisse für die Energie seiner Verwaltung, 
aber doch wieder nur Notbehelfe, die "das einmal erschütterte 
Vertrauen in den Segen seiner ruhmreichen Staatsführung 
nicht wieder völlig herzustellen vermochten.*) 

Das wäre nun doch wohl der Moment gewesen, den 
definitiven Frieden mit England ernster als bisher ins Auge 
zu fassen. Aber der Weg dahin war gerade jetzt, als die Krisis 
in ihrer vollen Schärfe auftrat, ungangbar geworden. Der 
Kaiser hatte es allerdings zu Beginn des Jahres 1810 versucht, 
seine letzten kriegerischen Erfolge auch in London zu ver- 
werten. Es war ja möglich, daß man dort, durch das Mißlingen 
der Expedition nach Antwerpen nachgiebig gemacht, einem 
Frieden zustimmte, wie er ihn wünschte. Um hierüber Sicher- 
heit zu gewinnen, hatte er Holland vorgeschoben. Dieser 
Staat war bereits daran, dem Kontinentalsystem zum Opfer 
zu fallen. Nur durch ihre Schiffahrt, ihre Kolonien, ihren 
Handel waren die Generalstaaten zu Geltung und Reichtum 
gelangt, darauf allein waren sie angewiesen, und wenn 
Napoleons Gesetze, die allen Kommerz zur See unmöglich 
machten, zu strenger Durchführung kamen, war ihr Ver- 
derben unausbleiblich. Das wußte der Kaiser sehr genau. 
„Holland wird seinem Ruin nicht entgehen können", hatte er 
schon im März 1808 an seinen Bruder Ludwig geschrieben, 
als er ihm die spanische Krone antrug, in der Absicht, das 
Niederland mit Frankreich zu vereinigen.**) Ebenso war ihm 
bekannt, daß die Holländer die Schiffe der Amerikaner und 
ihre britische Fracht mit offenen Armen bei sich aufnahmen 



*) Über die Intensität der Krisis im Zusammenhange mit der 
verminderten Aufnahmsfähigkeit des auswärtigen Marktes belehrt u. a. 
das Sinken des Exportes an Seidenwaren nach Deutschland von 
45 Millionen Franken auf 16 in der Zeit von 1810 auf 1811. S. Darm- 
stadters vortreffliche „Studien zur napoleonischen Wirtschaf tspolitik" 
in der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, n. 600. 

**) Siehe den in Band H. S. 253 zitierten Brief bei Rocquain, 
Napoleon et le Roi Louis, p. 165 und Corresp. XVI. p. 500. 



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26 Die Vermittlung Hollands. 

und die Waren weiter ins Innere des Erdteils verschickten, 
um so wenigstens einen Bruchteil ihres ehedem so großartigen 
Speditionshandels zu retten. Damals hatte Ludwig Spanien 
abgelehnt und auch Napoleon den Annexionsplan fürs erste 
beiseite gelegt. Nach dem österreichischen Kriege aber war 
er sofort darauf zurückgekommen. Er nahm jetzt zum 
Vorwand, daß die Holländer nicht imstande gewesen seien, 
der englischen Invasion im Jahre 1809 mit genügenden 
Kräften zu begegnen. Und tatsächlich waren ja die Briten 
auch mehr durch das Sumpffieber als durch die Truppen des 
Königs von Antwerpen fort und zur schleunigen Rück- 
kehr nach der Insel Walcheren genötigt worden, wo sich eine 
Abteilung allerdings noch ein paar Monate lang behauptete. 
Als dann Ludwig nach Paris eilte, um sich und sein Land 
gegen den Vorwurf des „Verrates an Frankreich" zu ver- 
teidigen, teilte ihm Napoleon offen seine Absicht mit, Holland 
dem Empire einzuverleiben, ihn selber aber mit einem 
deutschen Fürstentum auszustatten. Ja, am Tage darauf, 
3. Dezember 1809, vernahm es auch der Gesetzgebende Körper 
aus seinem Munde: „Holland, das zwischen Frankreich und 
England liegt, ist das Mündungsgebiet der wichtigsten Arterien 
meines Reiches. Es werden Veränderungen notwendig; die 
Sicherheit meiner Grenzen und das wohlverstandene Interesse 
beider Länder verlangen sie gebieterisch." Und zehn Tage 
später hieß es schon in einem offiziellen Bericht, Holland sei 
nur „ein Teil von Frankreich". Nur das eine Zugeständnis er- 
hielt der König, daß ein holländischer Vertrauensmann vorerst 
nach England gehen durfte, um dort insgeheim die Zurück- 
nahme der Dekrete von 1807 zu verlangen und dafür die Räu- 
mung Hollands und der Hansestädte durch die Franzosen, im 
Falle der Ablehnung aber deren Reunion mit Frankreich in 
Aussicht zu stellen. Diese Mission, bei der es Napoleon offenbar 
nur darum zu tun war, England durch eine Drohung zur 
Nachgiebigkeit zu bewegen oder, wenn dies fehlschlug, ihm 
die Schuld für die Annexion Hollands aufzuladen, scheiterte. 
Ludwig schickte zwar den Amsterdamer Bankier Labouchere, 
einen Schwiegersohn Barings in London, zu Wellesley, dem 
englischen Minister des Äußern, damit er ihm in bewegten 



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Sie scheitert. 



27 



Worten vorstelle, wie es um die Unabhängigkeit seines Vater- 
landes geschehen sei, wenn England jene Edikte nicht zurück- 
ziehe, der Bote erhielt aber nur zur Antwort, Holland habe jetzt 
für England lange nicht mehr die Bedeutung wie zuvor, viel 
größere habe Spanien, wo ja der Krieg fortdauere, jene Edikte 
seien nur Verteidigungsmittel gegen Napoleons Blockade - 
dekret, auf die man nicht verzichten könne, solange dieses auf- 
recht bleibe. Und keinen besseren Bescheid erhielt ein Agent 
Fouch£s, den der immer geschäftige Polizeiminister, um Napo- 
leons Intentionen zu dienen, ohne dessen Vorwissen, aber unter 
dem Scheine seiner Mitwissenschaft, nach London entsandt 
hatte: man könne, sagte man ihm, in des Kaisers Maß- 
nahmen — Napoleon hatte am 20. Januar 1810 die militärische 
Besetzung Hollands zwischen Maas und Scheide angeordnet — 
kein friedliches Symptom erblicken, sei übrigens bereit 
offene Vorschläge entgegenzunehmen. 

Als dieses Mittel in London seine Wirkung verfehlt hatte, 
variierte Napoleon sein Thema. Er nahm zwar Holland noch 
immer nicht ganz für Frankreich in Anspruch, denn für einen 
solchen Gewaltstreich war der Augenblick, wo alle Welt von 
seiner Vermählung mit der „Tochter der Cäsaren" Frieden 
und Ruhe erhoffte, allzu ungeeignet, aber er nötigte Ludwig 
einen Vertrag auf, der alles niederländische Gebiet auf dem 
linken Rheinufer, d. i. Seeland, Brabant und das linkswaalische 
Geldern an Frankreich überließ, die Bewachung der ganzen 
holländischen Küste einem französischen Okkupationskorps 
von 6000 Mann und französischen Zollwächtern anheimgab 
und überdies den König zur Ausrüstung von fünfzehn großen 
Kriegsschiffen verpflichtete, wogegen der Kaiser den seit 
Jahren gehemmten Handel Hollands mit Frankreich frei- 
zugeben versprach (16. März 1810).*) Und nun, nachdem die 
französische Aufsicht jeden Zugang sperrte, sollte der Unter- 
händler Hollands nochmals in England sein Glück versuchen; 
vielleicht vermochte die Tat sein Begehren zu unterstützen. 
Aber auch jetzt mußte Labouchere vernehmen, daß der König 
und die Mehrheit des Ministeriums gegen die Aufhebung der 



*) De Olercq, II. 328. 



28 König Ludwig legt die Krone nieder. 

Edikte seien, die der britischen Industrie manchen Vorteil ge- 
bracht hätten, und daß die Unabhängigkeit Hollands allein noch 
keine Gewähr für den Frieden böte, da das Haupthindernis in 
Spanien läge. Da gab Napoleon den Gedanken, England 
durch Holland zum Frieden zu bewegen, auf. Als er durch 
seinen Bruder von dem heimlichen Treiben Fouches ver- 
ständigt worden war, verlor Dieser sein Portefeuille, und der 
„Moniteur" mußte jede Nachricht von Verhandlungen mit 
Großbritannien als „unsinnige Verleumdung" dementieren, 
was wieder in London, wo man die Eröffnungen des Polizei- 
ministers als authentisch angesehen hatte, die Stimmung stark 
verbitterte.*) Von einer Annäherung der beiden Gegner war 
nun auf lange Zeit nicht mehr die Rede. Napoleon dachte 
nur noch daran, England durch den Schlag, den Massena 
in Portugal zu führen hatte, mürbe zu machen, und lehnte 
selbst eine ihm günstige Auswechslung der Kriegsgefangenen 
ab, um dem Feinde auf der Halbinsel keinerlei Sukkurs zu 
gewähren. Gegen Holland aber fiel jetzt jede Rücksicht weg. 
Die Vertragsbestimmungen blieben unerfüllt, die Zollschranken 
aufrecht; das französische Okkupationskorps ward auf das 
Vierfache der festgesetzten Truppenzahl vermehrt und übte 
im Verein mit den fremden Zöllnern unerträgliche Akte 
der Willkür; auf Beschwerden tönten aus Paris nur Beleidi- 
gungen zurück. Da hielt es Ludwig mit seiner königlichen 
Ehre nicht mehr vereinbar, die Krone auf dem Haupte zu 
behalten; er legte sie am 1. Juli 1810 zugunsten seines jüngeren 
Sohnes — der ältere war im März 1809 Großherzog von Berg 
geworden — nieder und begab sich heimlich nach Österreich. 
Napoleon war von diesem eigenmächtigen Schritt seines 
Bruders immerhin überrascht und sprach in herben Worten 
über dessen Undank.**) Und im Grunde war es ja auch eine 
Verlegenheit für ihn, so vor aller Welt im Zwiespalt mit seinen 

*) Es war dabei von einer Teilung der amerikanischen Kolonien 
zwischen Frankreich und England und der Ausstattung Ferdinands VH. 
mit Mexiko gesprochen worden. S. Co quelle, Napoleon et PAngleterre, 
p. 245 ff. 

**) Siehe Band I. S. 35 das Gespräch mit Berthier. Es ist 
interessant damit ein anderes zu vergleichen, worin der Kaiser kurz 



Holland in. Frankreich einverleibt. 29 

nächsten Anverwandten zu erscheinen. In der Sache freilich 
ward dadurch nichts geändert. Denn noch ehe die Kunde von 
Ludwigs Rücktritt in Paris anlangte, lag dort schon ein Dekret 
fertig, dessen erste Bestimmung lautete: „Holland ist mit dem 
Reiche vereinigt." Nun ward es kundgemacht (9. Juli 1810). 
Lebrun, der ehemalige Kollege Napoleons im Konsulate, ging 
als dessen Statthalter in die neue Provinz. 

Man beobachte die Methode, die in diesen Usurpationen 
liegt. In Holland wie in Spanien täuschen die Brüder die 
Hoffnungen des Kaisers, da weder Joseph noch Ludwig sich 
den starken nationalen Impulsen wider das Empire entziehen 
können. Anstatt nun diese Impulse zu würdigen und zu 
achten, hält Napoleon bloß seine Brüder für zu schwach, zu 
ehrgeizig, zu eigenwillig, um ihm zu dienen. Sein tiefes Miß- 
trauen erstreckt sich fortan auch auf sie, und er bricht mit 
dem Familiensystem, um, sozusagen, Europa in eigene Regie 
zu nehmen.*) In Holland wie in Spanien geht er in gleicher 
Weise vor. Dort annektiert er im März 1810 das Land bis 
zur Waal, hier im Februar das Land bis zum Ebro, und dabei 
waren, hier wie dort, die Urkunden bereits vorbereitet, welche 
die gänzliche Einverleibung beider Königreiche in das Kaiser- 
reich auszusprechen hatten. Nur daß in Spanien die nötige 
Voraussetzung, d. i. die Vertreibung der Engländer, noch 
fehlte. Aber es sollte bei diesen Annexionen nicht bleiben. 

„Die Beschlüsse des britischen Konseils von 1806 und 
1807 haben das öffentliche Recht Europas zerrissen. Eine neue 
Ordnung der Dinge lenkt das Universum." Mit diesen Worten 
empfahl Napoleon dem Senate, die Vereinigung Hollands mit 
Frankreich zum verfassungsmäßigen Gesetz zu erklären. Aber 



nachher dem schwedischen Gesandten mitteilte, er habe seinen Bruder, 
den er liebe nnd dessen Erziehung sein Werk gewesen sei, vom Throne 
gejagt (!), weil er machtlos den holländischen Schmuggel geduldet 
habe. (Lefebvre, V. 73.) 

*) Im September 1810 sagte er u. a. zu Metternich: „Da gibt es 
Verwandte, Vettern, Basen; all das taugt nichts. Ich hätte auch meinen 
Brüdern die Throne nicht überlassen dürfen. Aber man wird eben nur 
mit der Zeit klug. Ich hätte bloß Statthalter und Vizekönige ernennen 
aollen." (Metternich, Nachgelassene Papiere, n. 398.) 



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30 



Audere Reunionen. 



nicht davon allein war in dem Reskript die Rede, nicht bloß 
die Mündungen der Scheide, der Maas und des Rheins forderte 
er als „neue Bürgschaften" gegen England, auch die der Weser 
und der Elbe verlangte er, und die gehorsamen Senatoren er- 
klärten wirklich in einem Konsult vom 13. Dezember 1810 
außer Holland auch noch die gesamte deutsche Nordseeküste, 
d. h. die Gebiete von Oldenburg, Lauenburg, der drei Hanse- 
städte Bremen, Hamburg und Lübeck, die Fürstentümer Arem- 
berg und Salm, mit Teilen von Hannover, das erst im Januar 
1810 an J£röme gefallen war, von Westfalen und von Berg, 
das von Paris aus verwaltet wurde, kurz über 600 Geviert- 
meilen, als Bestandteile des Empire. Es geschah, „um, was ein 
Hauptzweck seiner Politik sei, den deutschen Geist noch mehr 
zu entwurzeln", wie Napoleon einmal an Ludwig geschrieben 
hatte.*) Die neuen Territorien sollten drei Departements mit 
den Hauptorten Osnabrück, Bremen und Hamburg bilden. Und 
dafür nicht der geringste Rechtstitel, keinerlei Rechtsgrund» 
auch nicht einmal zum Schein, sondern bloße Willkür! Und 
mit derselben Willkür hatte Napoleon im November 1810 die 
schweizerische Republik Wallis inkorporiert, „da man das 
Interesse Italiens und Frankreichs nicht dieser armseligen 
Bevölkerung opfern könne", und den Kanton Tessin mit der 
unverhohlenen Absicht, ihn dem Italienischen Königreich ein- 
zuverleiben, militärisch besetzen lassen. „Die Reunionen sind 
durch die Umstände geboten", sagte der Minister des Kaisers 
in seinem Bericht an den Senat. Aber was war dann nicht 
alles durch die Umstände geboten? Durch die Umstände war 
die Zahl der Departements des Empire Frangais bereits auf 
130 gestiegen, war Napoleon nicht nur Kaiser dieses Reichs, 
das sich im Osten bis an die Save erstreckte, sondern auch 
König von Italien, Mediator der Schweiz, Protektor des Rhein- 

*) Am 20. Mai 1810, bei Rocquain, Napoleon et le Roi Loui* T 
p. 273 (Lecestre, II. n. 615): „.Faurais considerä le tröne de Hollande 
comme un piedcstal sur lequel j'aurais ötendu Hambourg, Osnabrück 
et nne partie du nord de rAllemagne, puisque c/eüt ete un noyau de 
peuples qui eüt depayse" davantage l'csprit allemand, ce qui est le 
premier but de ma politique." Es ist derselbe Brief, der mit den grau- 
samen Worten schloß: „Man regiert die Staaten mit Vernunft und 
Politik, aber nicht mit oiner verseuchten Lymphe.'* 



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Verhältnis zu Dänemark und Sohwedeu. 



31 



blindes geworden, waren seine Brüder und sein Schwager auf 
Throne gelangt, die nur so lange aufrechtstanden, als es dem 
Herrn in Paris beliebte. Durch die Umstände konnte er 
ebensogut die Vereinigung von ganz Europa unter seinem 
Zepter rechtfertigen, wenn er die Macht dazu besaß. Und dahin 
gingen in der Tat seine Gedanken. 

Übrigens war auch hierin Napoleon nicht originell, denn 
mit dem Blockadesystem wider England war auch die Reunion 
der deutschen Nordseeküste bereits von den Direktoren ins 
Auge gefaßt worden, und schon vor zwölf Jahren hatte Sieyes 
diese Gebiete als den „für Frankreich wichtigsten Teil des 
Erdballs" bezeichnet: besitze man sie, dann könne man die 
Engländer von Gibraltar bis nach Holstein, ja bis zum Nordkap 
von allen Festlandshäfen ausschließen. *) Dieses Programm 
schien sich jetzt erfüllen zu sollen. Denn auch Dänemark, da3 
derzeit sein Staatsgebiet noch über Norwegen ausdehnte, hatte 
sich der Aufforderung Napoleons, die Waren der neutralen 
Schifte zu proskribieren, allsogleich gefügt. Der seit dem 
Bombardement Kopenhagens im Jahre 1807 ins Maßlose ge- 
steigerte Haß gegen die Engländer ließ Friedrich VI. den 
empfindlichen Nachteil übersehen, der daraus notwendig für 
sein Land entstand, und außerdem bewegte den Dänenkönig 
noch die Hoffnung, mit Hilfe Frankreichs vielleicht dereinst 
auf den schwedischen Thron zu gelangen, der bald zur Er- 
ledigung kommen mußte. Diese Erwartung freilich sollte sich 
nicht erfüllen. Denn in Schwedens politischer Haltung war 
gleichfalls eine Wendung eingetreten. Noch während des 
Krieges gegen die russisch-französische Allianz, der den 
Russen Finnland, den Franzosen Schwedisch-Pommern mit 
Stralsund und Rügen in die Hände lieferte, war dort Gustav IV., 
dessen unkluge Feindseligkeit gegen Napoleon und starres 
Festhalten an dem unzuverlässigen England den Staat in so 
üble Lage gebracht hatten, im März 1809 vom Throne entfernt 
und durch seinen Oheim Karl XIII. ersetzt worden. Dann 
hatten die Schweden mit Rußland und (im Januar 1810) mit 
Frankreich einen Frieden geschlossen, der ihnen zwar Pommern 



*) Siehe Bd. I. 8. 231. 



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32 Bernadotte wird Kronprinz von Schweden. 

wieder zurückgab, sie jedoch zur strengsten Beobachtung der 
Kontinentalsperre verpflichtete. Ja, sogar zur Kriegserklärung 
an England ließ sich Karl XIII. im November 1810 herbei, 
nachdem er kurz zuvor — er war alt und kinderlos — Berna- 
dotte, der sich durch seine Leutseligkeit in Schwedisch- 
Pommern Sympathien erworben, als Kronprinzen angenommen 
hatte, freilich kaum ahnend, daß er damit just keinen Freund 
des Franzosenkaisers an seine Seite berief. Napoleon, dessen 
Wohlmeinung schwedischerseits eingeholt worden war, hätte 
allerdings am liebsten Friedrich, den Dänenkönig, auf 
Schwedens Thron gesehen, da ihm eine starke skandinavische 
Macht als Gegengewicht gegen Rußlands Ausdehnung 
wünschenswert erschien, hatte aber, als die Schweden hierfür 
wenig Neigung zeigten, den Gedanken aufgegeben. Dann war 
er an seinen Stiefsohn Beauharnais herangetreten, der ablehnte, 
weil seine Gattin eine Nichte des verbannten Schwedenkönigs 
und überdies als strenge Katholikin nicht geneigt war, Pro- 
testantin zu werden. Und als dann auch noch Berthier sich 
weigerte, Frankreich für die Krone Schwedens zu verlassen, 
und eine kleine Partei in diesem Lande sich mit großem Ge- 
schick für Bernadotte einsetzte und um des Kaisers Zustimmung 
zu dessen Kandidatur bat, da sagte Napoleon nicht mehr nein, 
ließ sich aber von seinem Marschall das Wort geben, daß 
Schweden an England den Krieg erklären werde, was dann 
auch wirklich geschah. 

Und wie Napoleon den höchsten Norden des Weltteils 
seinem Hauptfeinde streitig zu machen suchte, so trachtete 
er auch im äußersten Süden Herr zu werden. Dort saßen die 
Briten fest auf Sizilien, wo sie die bourbonische Königsfamilie 
unter dem Druck steter Einmischung und Bevormundung 
hielten. Von hier aus hatten sie im Jahre 1809 eine Expedition 
gegen Neapel unternommen, allerdings mit demselben kläg- 
lichen Erfolge, wie die gegen Antwerpen im Norden. Darauf 
hatte dann Napoleon geantwortet, indem er seinen Schwager, 
den König Joachim von Neapel, ermächtigte, Sizilien den 
Engländern abzujagen oder doch ihre Truppen dort einge- 
schlossen zu halten, damit sie nicht Verstärkungen nach 
Spanien und Portugal senden konnten. Dieser Versuch Murats 



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Neapel und Sizilien. 33 

gegen Sizilien scheiterte im Jahre 1810. Im folgenden 
Sommer sollte er, unterstützt von der Touloner Flotte, wieder- 
holt werden. Da jedoch die Schiffe nicht auszulaufen ver- 
mochten, wurde das Unternehmen verschoben. Im Grunde 
bildete es, wie die Eroberung Spaniens und Portugals, gleich- 
falls nur ein sekundäres Moment, und Messina konnte, wie 
Lissabon, auf anderen Wegen gewonnen werden.*) 

*) Interessant ist, was man damals wissen wollte und worüber 
der englische Bevollmächtigte, Lord Bentinck, nach Hause berichtete, 
daß nämlich Königin Karoline, seitdem ihre Enkelin Marie Luise Na- 
poleon geheiratet hatte, eine Verständigung mit den Napoleoniden 
wider England suchte, dessen Druck sie nur mit dem größten Wider- 
willen ertrug. Der Plan soll gewesen sein, daß ihre Truppen 1811 
die Engländer auf der Insel angriffen, während Murat Messina forcierte. 
Dann Bollte Sizilien gegen eine entsprechende Entschädigung an Diesen 
oder an Napoleon gegeben werden, der Bourbonenprinz Leopold aber eine 
Nichte des Korsen zur Frau nehmen. (Browning, Caroline of Neapel 
in der English hist. review, 1887, p. 492 ff nach Bentincks Depeschen.) 
Ein vollgültiger Beweis für diese Dinge ist nicht erbracht. Jedenfalls 
ist Napoleon auf derlei Anmutungen, die Karoline übrigens stets in 
Abrede gestellt hat, nicht eingegangen. Er soll lediglich der Königin 
seine Heirat mit Marie Luise angezeigt und dabei — wie man wissen 
wollte — von außeritalienischen Entschädigungen für Neapel gesprochen 
haben. (Demelitsch, Metternich, I. 504.) Doch auch das ist schlecht 
verbürgt. Glaubhafter ist, was man sich in Wien erzählte, Karolinc 
habe, als sie von der Vermählung ihrer Enkelin hörte, ausgerufen : 
„Das fehlte noch zu all meinem Unglück, daß ich des Teufels Groß- 
mutter wurde." (Montet, Souvenirs, p. 111.) 1811 war auch viel von 
einer Einverleibung Neapels in das Empire und von der Ungnade 
Murats die Hede. In den Tagebüchern der Königin Katharine von 
Westfalen liest man darüber. Die Ungnade wäre verdient gewesen, denn 
Murat, der von der neuen Verwandtschaft Napoleons mit dem sizilischen 
Hofe Schlimmes für sich befürchtete, war gesonnen, sich möglichst 
unabhängig zu stellen, und hat vielleicht schon jetzt an eine nationale 
Herrschaft über ganz Italien gedacht. Im Sommer 1811 erließ er De- 
krete, durch die alle Franzosen, die in Neapel dienten, zur Naturalisation 
verhalten wurden, und schon vorher hatte er, um seine finanziellen 
Kräfte zu stärken, die Ausfuhr von Baumwollsamen und den Import 
französischer Tücher mit starken Zöllen belegt. Das mußte dann freilich 
alles widerrufen werden, wenn er sein Königreich behalten wollte. Und 
er behielt es. Napoleon hatte zwar Metternich bereits im September 1810 
gestanden, daß er es bereue, seinen Schwager auf den Thron Neapels 
gesetzt zu haben; aber er mochte den offenen Widerstand des furcht- 
losen Soldaten und damit eine neue Verlegenheit scheuen; auch war 
Schwester Karoline nicht ohne Einfluß in Paris. 

Fournier, Xupoleon I. 3 



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34 Finanzlage Englande. 

Eins ergibt sich mit Deutlichkeit, wenn man die un- 
endliche Geschäftigkeit Napoleons in dieser Zeit überblickt: 
daß sich alle diejenigen gar sehr getäuscht sehen mußten, die 
von seiner Verbindung mit einem alten Herrscherhause seine 
Versöhnung mit dem System der alten Staaten erhofft hatten. 
Und ebenso gingen Jene in die Irre, die ein Jahr später in 
der Geburt seines Sohnes ein Unterpfand des Friedens er- 
blickten. Denn gerade jetzt, im Frühling 1811, nahmen seine 
Pläne den höchsten Flug: Spanien und Portugal werden früher 
oder später, sei es durch Eroberung — noch stand Massena 
vor Lissabon — sei es durch den Gang der größeren Ereignisse, 
an Frankreich fallen; von der Südspitze des italienischen Fest- 
landes bis dort oben hinauf, wo der Kontinent ins Eismeer 
taucht, standen bereits die Regierungen, wie es schien 
willenlos, unter seinem Einfluß, und nur mit dem slawischen 
Koloß des Ostens mußte die Rechnung erst noch bereinigt 
werden. Wozu hätte man denn auch den halben Erdteil zur 
Heeresfolge verpflichtet, wenn nicht, um endlich Herr über 
den ganzen zu werden? 

Und was an neuen Nachrichten aus England kam, war 
nur angetan, den Kaiser auf dem eingeschlagenen Wege fest- 
zuhalten. Dort gestalteten sich die ökonomischen Verhältnisse 
infolge der Reunionen der Küstenstaaten mit Frankreich, 
und bevor sich der Handel neue Wege im Osten bahnen konnte, 
immer bedenklicher. Zwar hatte Britannien die meisten Kolo- 
nien Europas jenseits des Ozeans (darunter die französischen 
Bourbon, Isle de France und Cayenne) in seine Gewalt be- 
kommen, aber die Hoffnung auf einen gewinnreichen Export 
von Manufakturartikeln dahin war unerfüllt geblieben, da man 
Kolonialwaren dafür in Tausch nehmen mußte, denen Napoleon 
den europäischen Markt immer dichter verschloß. Überdies 
war es im geeinten Königreich selbst durch die Anwendung 
von Maschinen zu einer Überproduktion gekommen, die, fast 
nur noch auf den Schleichhandel angewiesen, nicht rentierte. 
Das britische Parlament mußte den bedrängten Fabrikanten 
einen Staatskredit eröffnen. Allerdings hatte auch die fran- 
zösische Industrie die Krise noch keineswegs überwunden, aber 
da war die Hilfe, wie der Kaiser meinte, nur eine Frage kurzer 



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Pläne zu dessen Vernichtung. 35 

Zeit. Als er, wenig Tage nach der Geburt seines Kindes, die 
Glückwünsche einer Deputation der Handels- und Gewerbe- 
kammern entgegennahm, sprach er mit der größten Zuversicht 
von seinem schließlichen Siege. Den Gedanken an Frieden 
wies er jetzt offen weit von sich. „Sie sehen", sagte er, „wie 
weit herunter England heute ist. Ludwig XIV. und 
Ludwig XV. waren seinerzeit genötigt, Frieden zu schließen, 
und auch ich hätte ihn längst suchen müssen, wenn ich, wie 
jene, das alte Frankreich regierte; aber ich bin nicht der Nach- 
folger der französischen Könige, sondern derjenige Karls des 
Großen, und mein Keich ist eine Fortsetzung des Kaiserreichs 
der Franken. In vier Jahren werd' ich eine Marine haben. 
Sind meine Geschwader erst drei oder vier Jahre zur See, 
dann können wir uns mit den Engländern messen. Ich weiß, 
daß ich drei oder vier Seeschlachten verlieren kann;*) gut, 
ich werde sie verlieren: aber wir sind mutig, stets gestiefelt 
und gespornt, und wir werden durchdringen. Ehe zehn Jahre 
vergehen, werd' ich England unterworfen haben. Kein Staat 
Europas wird mehr mit ihm verkehren. Meine Zollschranken 
sind es, die den Engländern das größte Übel zufügen. Hat 
es doch mit seiner Blockade sich selbst am meisten geschadet, 
indem es uns lehrte, wie wir seine Produkte, seinen Zucker, 
seinen Indigo entbehren können. Nur noch einige Jahre und 
wir werden daran gewöhnt sein. Bald werd* ich Rübenzucker 
genug haben, um ganz Europa damit zu versorgen. Für Ihre 
Fabrikate steht Ihnen in Frankreich, Italien, Neapel, Deutsch- 
land ein weites Feld offen." Dann kam der Kaiser auf den 
französischen Staatshaushalt zu sprechen und sagte u. a. : „Ich 
nehme jährlich 900 Millionen lediglich von meinem eigenen 
Land ein und habe 300 Millionen in den Tuilerien liegen; die 
Bank von Frankreich ist mit Silber gefüllt, während die eng- 
lische keinen blanken Sou besitzt. Seit 1806 hab* ich mehr 
als eine Milliarde an Kontributionen hereingebracht. Ich allein 
habe Geld. Österreich hat bereits Bankrott gemacht, En Bland 
wird ihn machen, und England nicht minder."**) 

*) „Drei oder vier Flotten", nach einer andern Lesart. 
**) Die Rede ist hier — als Bruchstück — in ihrer ursprüng- 
lichen Fassung mitgeteilt, wie sie aus zwei von einander unabhängigen 

3* 



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36 



Die Finanzen Frankreichs. 



Die letzteren, Frankreichs Finanzen betreffenden Bemer- 
kungen des Kaisers bedürfen ein Wort näherer Beleuchtung. 
Allerdings gewann auch Metternich, als er sich 1810 längere 
Zeit in Paris aufhielt — die Geschäftskrisis war damals freilich 
noch nicht in ihrer vollen Stärke aufgetreten — die Ansicht: 
„Frankreich ist unstreitig der reichste Staat des Kontinents 
und kann in finanzieller Hinsicht jedem anderen Trotz bieten." 
Aber er setzt doch einschränkend hinzu: „Die Kassen des 
Staates sind leer, die des Monarchen sind gefüllt." Und das 
kam der Wahrheit nahe, denn den 900 Millionen Einnahmen 
des Jahres 1810, von denen Napoleon sprach, standen 954 
Millionen Ausgaben gegenüber, und wenn man auch annehmen 
durfte, daß die Annexionen von Rom, Illyrien, Holland, der 
hanseatischen Departements und der neue Tarif von Trianon 
zur Erhöhung der Einkünfte beitragen würden, so waren doch 
daneben die Ziffern des Heeresetats rapid gewachsen. Nach 
dem Staatsvoranschlage für das nächste Jahr forderte das 
Kriegsministerium 506 Millionen (1810: 389), das Marine- 
ministerium 157 Millionen (1810: 120), bezifferten sich die 
Einnahmen mit 1056, die Ausgaben mit 1103 Millionen.*) 
Um dieser Lage gerecht zu werden, hat Napoleon in einem 
Elaborat vom Dezember 1810 anstatt jedes Anlehens, das er 
als „unmoralisch, weil künftige Geschlechter belastend" be- 
zeichnete, nur Erhöhung der indirekten Steuern (droits rSunis) 
in Aussicht gestellt, denen er als neue Auflage das Tabaksmono- 
pol hinzufügte. (Er rechnete für dieses auf ein Erträgnis von 
80 Millionen Franken.) Das Präliminare erwies sich als irrig. 
Die Krisis des Vorjahres hielt an und wurde noch durch 
eine schlechte Ernte verschärft. 1811 war zwar ein Weinjahr, 
aber kein günstiges für das Getreide. Die Dürre, welche die 
Reben zu denkwürdiger Süße ausreifen ließ, verbrannte die 



Quellen in der Revue oritique des Jahres 1880 veröffentlicht wurde. 
Die Version, die man bei Thiers (XHI. 22 — 27) findet, repräsentiert 
offenbar eine nachträglich redigierte Form, in der die Worte des Kaisers 
den Diplomaten, den deutschen Zeitungen u. dgl. zugingen. In Miots 
Memoiren (III. 189) erscheint eine dritte Lesart. 

*) Ich folge hier den von Mollicn, Memoires III. 110 mitge- 
teilten Ziffern des Voranschlages. 



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Der Schatz des Kaisers. 



37 



Ähren; die Mehlpreise stiegen auf nahezu das Doppelte; der 
Konsum schränkte sich dementsprechend ein, und mit ihm 
verminderte sich der Steuerertrag. Die Zölle, die am 1. Oktober 
1811 140 Millionen hätten ergeben sollen, lieferten nur 56, 
die indirekten Steuern statt 122 nur 60 Millionen Franken. *) 
So schloß das Jahr mit einem beträchtlichen Defizit. Freilich 
war es richtig, wenn Napoleon seinen Schatz mit 300 Millionen 
bezifferte — Mollien gibt sogar 100 Millionen mehr an — 
aber davon lagen nicht mehr als etwa die Hälfte bar vor; 
der Best bestand in Schuldforderungen an Staaten und 
Private auf lange Sicht. Man sieht, so glänzend, wie der 
Kaiser das Bild der Finanzen Frankreichs darstellte, war es 
nicht, namentlich wenn man die ungeheure Geldlast des 
spanischen Krieges im Auge behält, die abzuschütteln noch immer 
nicht gelungen war und die bereits eine tiefe Bresche in die 
„außerordentliche Domäne" gelegt hatte. Man ermißt daran, 
wie schwer es ihn traf, daß, wie wir noch hören werden, Ruß- 
land sein Gebiet dem französischen Export verschloß, gerade 
jetzt, wo die Annexion Hollands und Nordwestdeutschlands 
keineswegs die großen Hoffnungen, die der Schatzminister auf 
sie gesetzt hatte, rechtfertigten und der Kaiser danach streben 
mußte, die Einnahmsquellen und damit die Stcuerkraft der 
Franzosen zu vermehren, indem er ihren Produkten auch im 
Osten neue Märkte eroberte. So hat ihm wohl, wie 1809, auch 
drei Jahre später mit die Rücksicht auf die Finanzen den 
Krieg als geboten erscheinen lassen. **) 

Wer mit jener Anrede des Kaisers an die Industriellen 
seine Befehle an den Marineminister aus demselben Monat 

*) DarrastUdter, a. a. O. S. 583. 

**) Vgl. Band H. 285. Es wird bezeugt, daß der Minister Mollien 
dem Kaiser vom Kriege mit Rußland abriet, weil die Finanzen des 
Staates der Ruhe bedürfen, worauf er zur Antwort erhielt: „Im 
Gegenteile, sie geraten in Verwirrung und bedürfen deshalb des Krieges." 
(Sögur, Histoire et Me*moires, IV. 67.) Ahnlich hatte sich Napoleon 
schon früher einmal zu Mollien geäußert: „Die Finanzen sind schlecht; 
die Bank ist in Verlegenheit; hier kann ich diese Dinge nicht in Ordnung 
bringen." Das war in derselben Nacht gewesen, in der er, 1805, Paris 
▼erließ, um in den Krieg gegen Osterreich zu ziehen, aus dem er die 
ersten Fonds für den Kriegsschatz heimbrachte. (Mollien, I. 410.) 



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38 



Die Weltherrschaft. 



März 1811 zusammenhält, der findet da seinen ganzen großen 
Weltherrschaftsplan in den gewagtesten Entwürfen angedeutet. 
Nicht mehr das Reich Karls des Großen, nicht den Kontinent 
von Europa, nein, das ganze Erdenrund fordert er jetzt unter 
sein eisernes Zepter. Zwei gewaltige Flotten, eine ozeanische 
und eine für das Mittelmeer bestimmte, will er in den nächsten 
drei Jahren hergestellt wissen; für die eine faßt er Sizilien 
und Ägypten, für die andere zunächst Irland ins Auge. Und 
ließen sich die Dinge in Spanien und Portugal gut an, so 
sollten noch im Jahre 1812 Expeditionen ans Kap der Guten 
Hoffnung, nach Surinam, Martinique u. a. entsendet und 
60.000 bis 80.000 Mann, „die feindlichen Kreuzer vermeidend", 
über beide Hemisphären verteilt werden.*) Zur gleichen Zeit 
ist aber auch schon der letzte entscheidende Festlandskrieg 
wider Rußland in Vorbereitung, um den Zar, wenn er sich etwa 
nicht unbedingt in das Föderativsystem unter napoleonischer 
Hoheit einfügen wollte, zu bezwingen und auf den Weg nach 
Asien zu verweisen. 

Mit einem einzigen gierigen Blick umfaßte der Kaiser der 
Franzosen die ganze Welt, und so völlig beherrschte ihn der 
Gedanke seiner künftigen Allherrlichkeit, daß er ihn gar nicht 
mehr zu verheimlichen suchte. „Man will wissen, wohin wir 
gehen", sagte er. „Wir werden mit Europa ein Ende machen 
und uns sodann wie Räuber auf weniger kühne Räuber als wir 
sind werfen und uns Indiens, zu dessen Herren sie sich ge- 
macht haben, bemächtigen."**) Als der bayrische General 
Wrede, der sich im Frühsommer 1811 in Paris aufhielt, dort 
gelegentlich ein Wort zum Frieden sprach, erwiderte ihm der 
Imperator mit Härte in Ton und Mienen : „Noch drei Jahre und 
ich bin Herr des Universums." ***) 



*) Corresp. XXI. 17.434. 17.435. 
♦*) Gohier, Memoires II. 108. 

***) Heil mann, Wrede S. 187. Dieses Zeitausniaß war jedoch 
nur ein beiläufiges. Im November 1811 soll er zu De Pradt gesagt 
haben: „In fünf Jahren bin ich der Herr der Welt. Es gibt nur noch 
Rußland, und das werde ich zermalmen.'* (De Pradt, Histoire de 
l'ambassade dans le Grandduche* de Varsovie en 1812, p. 23.* 



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Verwicklung mit Rußland. 39 

Je fester Napoleon auf den schließlichcn Erfolg seiner 
Kontinentalpolitik wider England baute, um so mehr mußte 
ihm darum zu tun sein, den britischen Waren auch die letzte 
Zuflucht zu rauben: die russischen Häfen. Er hatte sich also 
vor allem mit Kußland auseinanderzusetzen, um es für den 
Anschluß an seine Maßregeln gegen die neutrale Flagge, an 
seinen Zolltarif zur Abwehr der Kolonialwaren und an sein 
Vernichtungsdekret wider die Depots englischer Manufakturen 
zu gewinnen. Das war nun entweder auf gütlichem Wege, wenn 
der Zar sich fügte, oder mit Gewalt denkbar, wenn er wider- 
strebte. Wie die Dinge lagen, war das Letztere das wahr- 
scheinliche. 

Wir kennen schon die ersten Anfänge einer ernsten Ver- 
stimmung unter den beiden Alliierten. Sie datiert vom Kriege 
des Jahres 1809 her, wo es Rußland an Eifer der Unterstützung 
gegen Österreich fehlen ließ, worauf dann Napoleon das 
Herzogtum Warschau durch galizisches Land vergrößerte. Die 
Vermählung des Kaisers mit einer österreichischen Erzherzogin 
konnte bereits als ein Schachzug gegen die Macht des Zaren 
dargestellt und erzählt werden, daß genau an demselben Tage, 
an dem Napoleon den Fürsten Schwarzenberg in Paris 
zur Unterzeichnung des Heiratskontraktes auffordern ließ — 
d. i. am 6. Februar 1810 — dem Gesandten in Petersburg 
geschrieben wurde, ein von ihm am 4. Januar unterzeichneter 
Vertrag könne die Ratifikation nicht erhalten. Dieser 
Vertrag betraf Polen. Alexander I., voll Sorge, das Herzogtum 
Warschau könnte sich einmal unter dem Protektorate des 
Franzosenkaisers über das ganze Gebiet des alten National- 
reiches erstrecken, hatte von Frankreich Garantien hierüber 
gewünscht, und Canlaincourt, dem noch immer seine In- 
struktion vor Augen lag, Rußland zu beruhigen, war darauf 
eingegangen und hatte in aller Form versprochen, daß das 
Königreich Polen niemals wiederhergestellt, ja der Name 
„Polen" in öffentlichen Dokumenten von Niemandem ge- 
braucht werden solle. Dies unterschreiben hieß für Napoleon 
eine der wertvollsten Waffen gegen Rußland aus der Hand 
legen, an der er in den Jahren 1806 und 1809 emsig ge- 
schmiedet hatte, und überdies mit seiner Kraft dafür einstehen, 



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40 Die polnische Frage. 

daß der Versuch zu einer Herstellung Polens auch von keiner 
anderen Seite mit Erfolg gewagt wurde. Und wenn jetzt noch 
eine Nötigung vorhanden gewesen wäre, dem Zaren dieses 
Zugeständnis zu machen. Aber eine solche lag, seitdem die 
österreichische Heirat den Kaiser Franz an Frankreichs Seite 
gebracht hatte, nicht mehr vor. Kurz, Napoleon ratifizierte 
nicht, und nur um den Alliierten nicht zu brüskieren, ließ er 
in Petersburg ein Gegenprojekt in Vorschlag bringen, mit 
dem er sich lediglich verpflichten wollte, keine Unternehmung, 
die auf die Restauration des alten Jagellonenreichs abzielte, 
zu unterstützen und seinerseits die Bezeichnung „Polen" zu 
vermeiden. Das sollte in einem geheimen Vertrage verbrieft 
werden. Damit war aber Alexander nicht zufrieden. Er 
wünschte einen offenkundigen Traktat, der den Fran- 
zosenkaiser vor aller Welt verpflichtete, d. h. ihm die Polen 
entfremdete; er blieb bei seinem ursprünglichen Verlangen 
und berief sich auf die Zusagen, die er kurz nach Abschluß des 
Schönbrunner Friedens erhalten hatte.*) „Der Kaiser," sagte 
er zum französischen Gesandten, „hat mir doch die positivste 
Sicherheit versprochen und damals auch geben wollen; warum 
nun nicht mehr?" Die Antwort hätte der Wahrheit gemäß 
lauten müssen: Weil der Kaiser der Franzosen, der sich jetzt 
schon für den „einzigen Herrn Europas" hält, den Bruch mit 
Rußland bereits fest ins Auge gefaßt hat und nur den Vorteil 
gewinnen will, ihn dann in Szene zu setzen, wann es ihm 
taugen wird. 

In einem Vortrag Champagnys vom 16. März 1810 wird 
es als unabwendbar angenommen, daß die wirtschaftliche Lage 
des Zarenreiches dieses, namentlich nach der Vernichtung 
des holländischen Zwischenhandels, früher oder später Groß- 
britannien zutreiben werde. An einen definitiven ehrenvollen 
Frieden Frankreichs mit dieser Macht sei nun aber nicht 
zu denken, da sie die Veränderungen in Spanien, Neapel, 
Holland und Westfalen (Hannover) nie gutheißen und die 
Kolonien nicht zurückgeben, alles andere aber nur einen 
kurzen Waffenstillstand bedeuten und die französischen Ge- 



*) Siehe Band U. S. 822, für das Frühere S. 327. 



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Ein Expos£ Charapagnys. 41 

schäftsleute zu falschen Hoffnungen verleiten würde. „Ohne 
deshalb die Mittel zu verschmähen, mit denen der Zweibund, 
dessen Grundlage nun zusammenbricht, noch forterhalten 
werden kann und ohne auch auf jede Aussicht zu verzichten, 
in einer Unterhandlung mit dem britischen Kabinett einige 
Sicherheit zu gewinnen, müssen wir doch von vornherein Kur- 
land als den natürlichen Verbündeten Englands betrachten 
und auf dem Kontinent die möglichen Eesultate der An- 
näherung dieser beiden Mächte bekämpfen, solange dies noch 
in unserer Macht steht . . . Indem Eure Majestät den Frieden 
zwischen Kußland einerseits und England und der Türkei 
anderseits hintanhält, sichert sie sich die Möglichkeit, die 
spanische Affaire zu beendigen, die Briten aus Portugal zu ver- 
jagen und ihre Herrschaft im Westen und im Süden zu be- 
festigen." Das wichtigste Mittel, sich für den Systemwechsel 
Rußlands zu rüsten, sei, sich der Polen völlig zu versichern, ent- 
weder indem man Preußen — das überhaupt aufzuteilen wäre - — 
Schlesien abnimmt und so die Verbindung Warschaus mit 
Sachsen herstellt, oder indem man alle ehedem polnischen 
Lande vereinigt und Österreich für Galizien durch Schlesien 
und Glatz entschädigt. „Der Nachteil, der darin läge, Österreichs 
Macht in Deutschland vermehrt zu haben, würde durch zahl- 
lose Vorteile dieses Planes aufgewogen, der unwiderruflich die 
Geschicke Europas in die Hände Eurer Majestät legte. E3 
wäre dann tatsächlich das Reich Karls des Großen wieder- 
hergestellt, vermehrt und gestärkt durch die Erfahrungen eines 
Jahrtausends, denn dann wäre Rußland von dem zivilisierten 
Europa, England vom Kontinent getrennt."*) Napoleon war 
durchdrungen von der Richtigkeit dieser Sätze. Er lehnte denn 
auch den von Alexander gewünschten offenen Vertrag wegen 

*) Das geheime Expose Champagnys steht bei Schilder, Ale- 
xander I., III. 471 ff. Es ist als Interzept aus dem Jahre 1812 be- 
zeichnet. Wahrscheinlich wurde es aber schon 1810 in Paris von 
Xesselrode erworben. S. dessen Briefe an Speranski in seinen „Lettres 
et papiers", Hl. p. 249 ff. Wir wissen, daß Napoleon an solchen 
Denkschriften mitunter selbst mitarbeitete. Ob das hier der Fall war, 
laßt sich nicht feststellen. Der Gedanke an eine Fälschung, wie wir 
einer solchen in einem späteren Memoire über Preußen begegnen, kann 
hier nicht Raum gewinnen, da jeder innere Anhaltspunkt dafür fehlt. 



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42 Alexander und Czartoryski. 

Polens endgültig ab, „da er sich nicht verpflichten könne unter 
Umständen die Waffen gegen ein Volk zu ergreifen, das ihm 
nur gute Dienste erwiesen habe; er müßte das wie eine Schande 
für Frankreich empfinden," und als ihm Fürst Kurakin, der 
Bruder des Gesandten, die etwas verspäteten Glückwünsche 
des Zaren zu seiner Heirat überbrachte, sprach er bereits von 
Krieg, den er zwar nicht wolle, den er aber in dem Augenblick 
erklären würde, wo Rußland sich England näherte.*) Alles, 
wozu er sich herbeiließ, war, daß er die Polen zur Buhe 
mahnte, um des Zaren Verdacht nicht zu wecken. 

Der russische Monarch wußte längst, woran er war. Schon 
im März und April 1810 hatte er in Unterredungen mit Czar- 
toryski den alten Gedanken einer nationalen Einigung Polens 
unter seinem Zepter zur Sprache gebracht und dem Jugend- 
freunde versichert, es sei dem Franzosenkaiser viel weniger 
um die Wohlfahrt Polens als darum zu tun, „sich dieses Landes 
wie eines Instruments in dem Zeitpunkte zu bedienen, wenn 
er einmal Rußland den Krieg machen will". Das war zu derselben 
Zeit, da er in Paris auf die Vertilgung des Namens „Polen * 
drang. Als Czartoryski, der hiervon unterrichtet war, auf den 
Widerspruch hinwies, log ihm der Zar vor, nicht er, sondern 
Champagny hätte die Streichung des Wortes verlangt. Ja, 
später, als Napoleon schon endgültig abgelehnt hatte, ließ er 
noch heimlich in Warschau verbreiten, in Paris sei der Ver- 
trag, der die Vernichtung der Nation aussprach, angenommen 
worden und der Kaiser habe sich damit ihrer Sympathie für 
allezeit unwürdig gemacht. So gewinnt die ganze von Alexander 
eingeleitete Verhandlung in der polnischen Frage den Cha- 
rakter einer großen Intrigue, um den französischen Einfluß in 
Warschau aus dem Felde zu schlagen. Sie repräsentiert eins 
der Mittel, mit denen auch der Zar sich auf den bevorstehenden 
Bruch rüstete. Aber während Napoleon ihm gegenüber noch 
bei Drohungen blieb, hat er bereits im Januar 1810 sich 



*) Vandal, II. 420. Im Dezember 1810 sagte Napoleon zu 
üeneral Foy, er habe 120.000 Mann ausgehoben, denn sobald Rußland 
sich England nähern würde, müßte er ihm den Krieg erklären. Nach 
Giraud de PAin, Le gene>al Foy, zitiert von Sorel, VII. 521. 



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Russische Rüstungen. 43 

militärisch in Stand zu setzen begonnen,*) so daß er zu Anfang 
des nächsten Jahres Czartoryski gegenüber bereits — aller- 
dings arg übertreibend — auf eine Wehrkraft von über 
300.000 Mann, die in den Donaufürstentümern nicht gerechnet, 
hinweisen und ihm den Gedanken nahe legen kann, die 
polnische Armee möge sich ihm anschließen, damit er, von 
Preußen unterstützt, mit 100.000 Mann seiner Truppen sofort 
bis an die Oder vorrücken könne.**) Und auch in Wien 
hatte Alexander um Unterstützung geworben, wo es trotz 
der Heirat noch immer eine starke franzosenfeindliche, 
dem leitenden Minister abgeneigte Partei gab, deren Ein- 
fluß Metternich aber, nachdem er aus Paris zurückgekehrt 
war, ohne große Mühe zu entkräften vermochte. Damals — im 
Oktober 1810 — hatte er dem Kaiser Franz I. seine dort ge- 
wonnene Überzeugung also vorgetragen: „Im Jahre 1811 
wird der materielle Friede auf dem europäischen Kontinent 
durch eine neue Schilderhebung Frankreichs nicht gestört 
werden. Im Verlaufe dieses Jahres wird Napoleon mit ver- 
stärkten eigenen Streitkräften seine Bundesgenossen zu einem 
gegen Rußland gerichteten Hauptschlage sammeln. Den Feld- 
zug wird Napoleon im Frühjahr 1812 beginnen." 

Blieb der Franzosenkaiser ununterrichtet von jener In- 
trigue seines Alliierten und dessen Rüstungen? Das kann man 
schwer annehmen, und wir wissen auch, daß er von Warschau 
her über militärische Bewegungen jenseits der russischen 
Grenze Andeutungen erhielt. Waren sie nur eine Folge seiner 
Drohungen? oder stand der Krieg doch näher als er sich ihn 
gedacht? und mußte er mit der Möglichkeit rechnen, daß er 
ausbrach, noch bevor es ihm gelungen war, „die spanische 
Affaire zu beendigen"? Darin hätte keine geringe Gefahr 
gelegen, denn seine besten Truppen standen jenseits der 
Pyrenäen, und was in deutschen Territorien stationiert war, 
war verhältnismäßig wenig. Er mußte nun ernstlich an die Ver- 
mehrung seiner Streitkräfte denken. Inzwischen mochte die 

*) Im Jänner 1810 wird Miloradowitsch zum Oberkommandanten 
einer neuen Armee von zunächst 45.000 Mann ernannt. (Russ. General- 
stabswerk über 1812, I. 23.) 

**) Czartoryski, Memoire*, IT, 228.271 ff. Vandal, II. 433. 



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44 



Der türkische Konflikt. 



Diplomatie ihre Schuldigkeit tun. Die Differenz in der 
polnischen Frage bildete übrigens nur ein einziges Glied in 
einer ganzen Kette von Zwistigkeiten, die sich im Laufe der 
beiden Jahre 1810 und 1811 zwischen den Alliierten von 
Tilsit ergaben. Ein nicht minder trennender Umstand lag dort, 
wo Napoleon Kußland heimlich stets aufs eifrigste bekämpft 
hatte: in der Türkei. Die Russen waren siegreich über die 
untere Donau gegangen und hatten so entschiedene Erfolge 
errungen, daß der Friede mit der Pforte in nahe Aussicht 
rückte. Napoleon war davon aufs unangenehmste berührt, denn 
er mußte die fortdauernde Beschäftigung russischer Streit- 
kräfte im Süden wünschen, wenn er einmal im Norden Zugriff. 
Um dies durchzusetzen, suchte er, da er nicht offen gegen 
den Alliierten auftreten wollte, Österreich vorzuschieben. Er 
riet Metternich, Serbien zu okkupieren, das Rußland für sich 
forderte, und versprach, ruhiger Zuschauer zu bleiben, wenn 
der Wiener Hof dem Zaren die Donaufürstentümer streitig 
machte. Kaiser Franz ging hierauf ebensowenig ein, als er 
den lockenden Versprechungen des Zaren nachgab. Jener hatte 
aber doch erreicht, daß die Türkei, von dem Interesse, das 
Frankreich und Österreich an ihrem Schicksal nahmen, unter- 
richtet, in ihrem Widerstande gegen die russischen Forderun- 
gen beharrte und der Krieg seinen Fortgang nahm. 

Das waren jedoch untergeordnete Dinge im Vergleich mit 
der Hauptangelegenheit, d. i. der Haltung Rußlands in Sachen 
der Kontinentalsperre. Sie war es, die der Entfremdung von 
Anfang an zugrunde lag und auch schließlich den offenen 
Bruch herbeiführen sollte. Wir sahen, wie richtig man in 
Paris dieses Moment einschätzte. Kein geeigneteres gab es, 
um die wahren Absichten der Petersburger Regierung kennen 
zu lernen. Ging hier der Zar auf die Zumutungen Frankreichs 
ein, dann stand der Krieg noch nicht in unmittelbarer Nähe 
und Napoleon konnte hoffen, mit den Spaniern fertig 
zu werden, ehe er seine ganze Kraft für den unvermeidlichen 
Kampf um den Kontinent verwendete, weigerte Alexander sich 
aber, dann konnte der weit ungünstigere Fall intreten, daß er 
nach zwei Seiten hin kämpfen mußte. Man wollte sehen. 

Mitte Oktober 1810 hatte Napoleon den Zar auffordern 



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Rußland und die Kontinentalsperre. 45 

lassen, die Schiffe neutraler Flagge, „die ja doch nur englische 
Waren führen*', an seiner Küste mit Beschlag zu belegen, wie 
es seit dem Mai in den französischen und den Frankreich 
zugewandten Hafen der Fall war. „Nimmt sie Bußland in 
Beschlag," heißt es in der betreffenden Depesche an den Ge- 
sandten, „so versetzt es England den Gnadenstoß und endet 
mit einem Male den Krieg." Und an Alexander selbst schrieb 
der Kaiser: „Es hängt nur von Ew. Majestät ab, den Krieg 
andauern zu lassen oder den allgemeinen Frieden herbei- 
zuführen." Zugleich ward der Zar ersucht, auf Schweden ein- 
zuwirken, daß es die Massen englischer Handelswaren in seinen 
Gothenburger Lagerhäusern vernichte. Um Alexander Zu- 
trauen einzuflößen, ging der Franzosenkaiser dem jungen 
Grafen Tschern ischeff, Alexanders vertrautem Adjutanten 
gegenüber weit aus sich heraus und gab sogar das Geheimnis 
preis, daß Metternich ihm zur Zurücknahme der Erfurter Zu- 
sagen geraten habe. Alles umsonst. Der Zar lehnte ab. Er 
konnte nicht anders. Seit dem Abbruch der direkten Handels- 
verbindung mit England im Jahre 1807, als sich der Export 
russischer Naturalien seines wichtigsten Debits begab, hatten 
sich die ökonomischen Verhältnisse des Landes in steigendem 
Maße verschlechtert. Schon drei Jahre später erhob sich das 
Defizit zur Höhe der Staatseinkünfte, und das Papiergeld 
sank auf ein Viertel seines Nennwertes. Wahrlich, wenn Napo- 
leon im März 1811 der Pariser Handelskammer mit so großer 
Zuversicht den Bankrott des nordischen Reiches in Aussicht 
stellte, so wußte er wohl schon lange vorher, worin die finan- 
zielle Bedrängnis des Alliierten ihren Ursprung hatte. Barg 
es nicht den Wunsch, sie noch zu vermehren und die Kata- 
strophe zu beschleunigen, wenn er in Petersburg auch noch auf 
eine Abweisung der Neutralen drang? Nein, der Zar durfte 
hierauf nicht eingehen. Wo sollte er denn, einem künftigen 
Angriff Napoleons gegenüber, noch wirksame Unterstützung 
in der Welt finden, wenn er selbst jetzt England ruinieren half? 
Er -erwiderte das Ansinnen Frankreichs mit der Erklärung^ er 
wolle gerne nach wie vor an dem antibritischen System des 
Tilsiter Vertrages festhalten und jedes Schiff, das nicht den 
untrüglichen Beweis seiner Herkunft liefern könne, wegnehmen, 



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46 



Alexander I. und die Neutralen. 



dürfe sich aber nicht entschließen, darüber hinauszugehen, da 
Bußland die Kolonialprodukte nicht entbehren könne und auf 
die Zufuhr der Neutralen angewiesen sei. Daß die Letzteren 
lediglich britische Waren führten, stehe nicht außer Zweifel. 
Dagegen erkläre er sich bereit, auf Schweden den von Napo- 
leon gewünschten Druck auszuüben, und lasse zu diesem. Zweck 
Tschernischeff seinen Kückweg nach Paris über Stockholm 
nehmen. Der Franzosenkaiser erfuhr es ja nicht, daß hier der 
Sendling des Zaren einen ganz anderen Auftrag auszurichten 
hatte. Er hatte Bernadotte zu versichern, daß sich Rußland 
niemals zu einer Zwangsmaßregel gegen Schweden bestimmen 
lassen werde, worauf der „Kronprinz" von Beteuerungen seiner 
Ergebenheit für den Zar und seiner Abneigung gegen Napoleon 
überfloß.*) Mit der Weigerung des Zaren war die Politik 
Napoleons an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen. Denn 
sobald Rußland die neutrale Flagge in seinen Häfen duldete, 
blieb der Kontinent dem britischen Export offen, und Eng- 
land konnte daraus neue Hoffnung und Kraft zum Wider- 
stande schöpfen. Wenn noch irgend etwas zur Überzeugung de3 
Imperators fehlte, daß er Rußland vorerst bekämpfen müsse, 
um England zu Grunde zu richten und der Welt Herr zu werden, 
so fand er es in einer Maßregel Alexanders, die einen geradezu 
feindseligen Charakter gegen Frankreich trug, obgleich auch 
sie durch das wirtschaftliche Interesse des russischen Staates 
entschuldigt werden konnte. Ende Dezember 1810 erschien 
ein Ukas, der einerseits neutralen Schiffen den Zugang zu den 
russischen Häfen erleichterte, so daß fortan Kolonial- und 
Industriewaren unter jedem Vorwand ausgeladen und südwärts 
über Brody und auf anderen Wegen nach den Binnenländern 
verhandelt werden konnten, anderseits aber die Einfuhr von 
gewissen Luxusartikeln, von Seidenwaren und Weinen, teils 
verbot, teils durch hohe Zölle bis zur Unmöglichkeit er- 
schwerte.**) Nun gehörten Seidenwaren, Weine und Luxus- 

*) Unter anderem vorsicherte er, er sei von Napoleon, aus 
Eifersucht, im Felde stets so postiert worden, daß er leicht hätte fallen 
können. (Revue hist. XXXVII. 74; Sbornik, XXI. 24) Man ver- 
gesse nicht, Bernadotte war ein Gaskogner. 

**) Der Ukas steht in französischer Übertragung im „Moniteur tt 
vom 81. Jänner 1811. 



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Die Oldenburger Frage. 47 

artikel unter die Haupterzeugnisse Frankreichs und bildeten 
die wesentlichsten Gegenstände seines Exports. Da mußte denn 
gerade jetzt, wo die französische Industrie unter einer Krisis 
litt und die Ausfuhr nach Rußland dringender als je benötigt 
hätte, das Edikt Alexanders doppelt schwer empfunden werden. 
Dazu kamen neue Nachrichten von russischen Rüstungen, von 
Festungsbauteii am Dnjepr und an der Dwina, und aus 
Spanien noch immer keine Siegesbotschaft, sondern das Ver- 
langen Massenas nach Verstärkungen, da er sich sonst der 
britischen Verteidigungswerke vor Lissabon nicht bemächtigen 
könne: es waren keine erfreulichen Aussichten, unter denen 
das Jahr 1811 begann. 

Aber war nicht Napoleon selbst mit einem Willkürakt 
vorangegangen, der Rußland empfindlich treffen mußte? 
Unter den norddeutschen Strandländern, deren Einverleibung 
in Frankreich im Dezember, kurz nach dem Eintreffen der 
russischen Absage, Gesetz wurde, befand sich, wie erwähnt, 
auch Oldenburg, dessen Fürst mit dem russischen Herrscher- 
hause nahe verwandt war.*) Napoleon hatte anfänglich dem 
Herzog die Wahl gelassen, ob er sein Land für eine Ent- 
schädigung durch Erfurt dahingehen oder französische 
Truppen und Zollwächter darin aufnehmen wolle. Aber als 
der bedrängte Regent erst nach einigem Säumen auf die 
letztere Zumutung einging, ward ihm — das alte Spiel — 
bedeutet, es sei nun zu spät und sein Land bereits einverleibt. 
Am 22. Januar — die Nachricht vom Ukas des Sylvestertages 
war eben in Paris eingelangt — unterzeichnete Napoleon 
das Dekret, das die Besitzergreifung Oldenburgs anordnete 
und die herzogliche Familie mit ihren Rechten an Erfurt wies, 
das, ehevor kurmainzisch, dann preußisch, seit 1806 zur Dis- 
position der französischen Verwaltung stand. Es war nicht 
unrichtig, wenn der Zar dem französischen Botschafter erklärte, 
die Tat sei ein Faustschlag, ihm vor ganz Europa ins Gesicht 
versetzt, und zugleich eine flagrante Verletzung des Tilsiter 
Friedensvertrages, mit dem Napoleon die Integrität Olden- 

*) Herzog Feter, der für seinen geisteskranken Vetter Wilhelm 
die Regierung führte, gehörte, wie der Zar, dem Hause Holstein- 
Gottorp an; sein jüngerer Sohn Georg war dessen Schwager. 



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48 Offensivpläne des Zaren. 

burgs feierlich garantiert hatte. Er wandte sich in einem 
Rundschreiben an die europäischen Mächte, worin er Ver- 
wahrung einlegte gegen die Kränkung der Rechte des Hauses 
Holstein-Gottorp auf das Herzogtum. „Welchen Wert" — hieß 
es darin — „können die Allianzen haben, wenn die Verträge, 
auf denen sie beruhen, den ihrigen nicht behalten?" Also war 
dies der Bruch? Xoch nicht. Der Schluß des Protestes lautete 
einlenkend und die Fortdauer der Allianz trotz alledem be- 
tonend. Aber das waren Worte. Die Handlungen der russischen 
Politik ließen eine Verständigung nur schwer zu. Der Zar wie« 
nicht nur das Ansinnen Napoleons, den Ukas vom 31. Dezember 
zu widerrufen, zurück, indem er erklärte, das sei eine durch 
die üble Finanzlage des Landes diktierte, rein interne An- 
gelegenheit, sondern schob auch zu gleicher Zeit seine Truppen 
an die Grenze vor, um, wie er es schon Czartoryski mitgeteilt 
hatte und nun auch dem preußischen Gesandten erklärte, in 
das Herzogtum Warschau einzurücken, die Polen an sich zu 
ziehen, an die Oder vorzudringen und so den Krieg zu einer 
Zeit zu beginnen, wo Napoleon in Spanien vollauf beschäf- 
tigt, in Deutschland noch nicht hinreichend widerstands- 
fähig war. Der Kalkül war nicht ganz richtig, denn ein- 
mal war es durchaus nicht sicher, ob die Polen sich 
nicht ernstlich widersetzten, und zweitens konnten auch die 
deutschen Mittelmächte, zum mindesten Österreich, den 
starken Machtzuwachs Rußlands nicht gleichgültig mitansehen, 
geschweige denn unterstützen. Und da die Rüstungen des 
Zaren nicht völlig verborgen blieben, so brachten sie — wenn 
es nicht zur Offensive kam — nur den Nachteil, Napoleon zu 
um so größeren Anstrengungen bewogen zu haben, der jetzt 
mit allen Mitteln danach trachten mußte, einem Zusammen- 
stoß in Deutschland gewachsen zu sein. Er hatte freilich 
schon im Oktober 1810 für diesen Zweck Anordnungen ge- 
troffen — die Streitkräfte sollten dort auf 180.000 Mann und 
400 Geschütze gebracht, in Polen neue Befestigungen ange- 
legt werden*); mit Eifer zu rüsten hatte er aber doch erst 

*) Corresp. XXI. 17.000: An den Kriegsminister Clarke vom 
6. Oktober 1810, mit der Bemerkung: „Nehmen Sie in Betracht, daß 
die Truppen in Spanien noch lange dort zu bleiben haben.** 



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Französische Rüstungen. 49 

nach dem Eintreffen der Nachricht von Alexanders Dezember- 
Ukas begonnen. Da erhielt Massena den Bescheid, er müsse 
sich ohne Nachschübe behelfen, und Davout, der mit einer 
Armee an der Elbe stand, die Nachricht, seine Streitkräfte 
würden auf 80.000 Mann gebracht werden, mit denen er — 
so hieß es in einem späteren Befehl aus dem März 1811 — 
„wenn es sich darum handeln sollte, gegen Rußland zu ope- 
rieren", im Fluge nach Danzig zu eilen und die 90.000 Mann, 
über die er dann dort verfügen würde, durch 50.000 Polen 
und Sachsen zu verstärken hätte.*) Es war eine wertvolle 
Unterstützung für Napoleon, daß die Polen sich, wie Czar- 
toryski seinem kaiserlichen Freunde nicht verschwieg, den 
Lockungen Alexanders versagten und damit dem russischen 
Offensivplan seine wesentlichste Voraussetzung raubten. Der 
Zar kam auch davon zurück und wollte nun nur noch einen 
Verteidigungskrieg innerhalb der Grenzen seines Reiches 
führen.**) Napoleon aber behielt Zeit und Gelegenheit genug, 
sich militärisch in Stand zu setzen. Beide Kaiserreiche sind 
fortan zum Kampf entschlossen, aber beide sorgsam auch 
darauf bedacht, es weder sich gegenseitig noch die Welt merken 
zu lassen. Eines Jeden Bemühung ging dahin, sich Bundes- 
genossen und Hilfskräfte zu schaffen und nebenher bis zum 
letzten Augenblick seine Friedensliebe und Bundestreue zu 


*) Corresp. XXI. 17.514. In einem zweiten Briefe von demselben 
Tage (24. März 1811) erklärte der Kaiser, daß er, woferne ihn die 
Russen nicht angreifen sollten, was er, solange sie mit den Türken 
handgemein sind, wohl annehme, seinerseits keine Angriffsbewegung 
während des Jahres 1811 machen, sondern nur rüsten wolle, bis er 
durch Unterhandlungen Zeit gewonnen haben werde, eine offensive 
Position zu erlangen. (Corresp. XXI. 17.516.) Im Dezember 1811 gab 
er dem preußischen Gesandten Krusemarek zu, daß er seit dem Er- 
seheinen des i-ussischen Ukas sich im Stillen für den Krieg bereitet 
habe. 

**) Alexander erklärte dies später, indem er darauf hinwies, wie 
während der früheren Kriege in der Ferne der Adel stets unmutig 
darüber geklagt habe, daß man ihm für entlegene Zwecke seine 
Bauern rekrutiere, und die Regierung beschuldigte, den Streit leicht- 
fertig hervorgerufen zu haben. Darum sollte es jetzt ein Verteidigungs- 
krieg im eigenen Lande, ein nationaler Krieg sein. (C. Schilder, 
Alexander I. III. 501.) 

Fournier, Napoleon 1. 4 



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50 



Maret und Caulaincourt. 



beteuern. Dabei war kein kleiner Aufwand an Künsten und 
Finessen der Politik nötig, für die Napoleon in Champagny 
nicht mehr den richtigen Mann sah; er enthob ihn im April 1811 
seines Amtes als Minister des Äußern und vertraute das 
Portefeuille Maret an, der sich weit rascher und ge- 
schmeidiger seinen Winken zu fügen verstand. Auch Cau- 
laincourt, der den schönen Worten, mit denen Alexander 
seine Absichten verbarg, zu viel Glauben geschenkt hatte, 
ward aus Petersburg abberufen und durch Lauriston, einen 
Mann ohne eigenes Urteil, ersetzt. Wir kennen heute 
den Inhalt des sieben Stunden währenden Gesprächs, das 
Napoleon mit dem heimkehrenden Botschafter führte^ 
der dabei mit großer Offenheit erklärte, man müsse Ruß- 
lands ökonomische Lage in Rechnung ziehen und ihm des- 
halb den Handel mit den Neutralen gewähren, habe doch 
der Kaiser selbst die Blockadegesetze mit seinen Lizenzen 
durchbrochen; worauf Napoleon nicht viel anderes zu erwidern 
wußte als er wolle keinen Frieden, der, wie jener von Amiens, 
seinen Handel ruiniere — was nicht richtig war — er wolle 
eine Allianz, die ihm nütze; diese sei dazu nicht mehr imstande, 
seitdem man die Neutralen zulasse, sie sei ihm überhaupt nie 
förderlich gewesen. Da ging dann Caulaincourt so weit, ihm 
es auf den Kopf zuzusagen, man wisse in Europa nur zu gut, 
daß er die Länder mehr für sich als für deren eigenes Interesse 
in Anspruch nehme.*) 

Das war am 5. Juni 1811 gewesen. Am 16. — einen Tag 
vor Eröffnung des Nationalkonzils — hielt der Kaiser vor dem 
Gesetzgebenden Körper eine Thronrede, die sein System all- 
seitiger Ausdehnung auf seiner vollen Höhe zeigen sollte. Er 
habe den Kirchenstaat mit dem Kaiserreich vereinigt und den 
Päpsten in Paris und Rom Paläste angewiesen. „Sie werden, 
wenn ihnen sonst die Interessen der Religion am Herzen liegen, 
oft ihren Aufenthalt im Mittelpunkt der Christenheit (d. i. 
in Paris) nehmen, so wie einst der hl. Petrus Rom dem Auf- 
enthalt im heiligen Lande vorgezogen hat." Er habe Holland 
dem Reiche einverleibt, das ohne dieses Gebiet nicht vollständig 



*) Vandal III. 175 ff. nach unedierten Dokumenten. 



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Diplomatische Weiterungen. 51 

wäre, habe die deutschen Küsten annektiert, um eine innere 
Verbindung mit der Ostsee zu gewinnen und seine maritimen 
Hilfskräfte zu vermehren; die Erwerbung von Wallis sei seit 
der Mediation vorgesehen gewesen und entspreche den Inter- 
essen der Schweiz und denen Frankreichs und Italiens; mit 
den deutschen Rheinbundfürsten sei er zufrieden. In Spanien 
habe England selbst sich als Kämpfer eingestellt. „Hat es 
dort erst seine Kräfte erschöpft, hat es erst all die Übel an 
sich selbst erfahren, die es seit zwanzig Jahren über den 
Kontinent ausgießt, ist erst die Hälfte seiner Familien in 
Trauer gehüllt, dann wird ein Donnerschlag den Krieg auf der 
Halbinsel beenden, Britanniens Armeen vollends vernichten 
und Europa und Asien mit diesem Abschluß des zweiten 
punischen Krieges rächen." *) 

„Und Asien 1" Man sieht, sein Blick wich nicht von Indien, 
diesem stolzen Ziele seines Ehrgeizes. Es zu erreichen, führte 
ein Weg über Ägypten, und wir wissen, wie er gerade jetzt 
wieder eine Expedition dahin in seine Entwürfe aufnahm, 
sich allerdings nicht verbergend, daß dazu eine Seemacht 
nötig sei, über die er noch lange nicht verfügte. Es gab aber 
noch einen andern Weg dahin, der über Rußland führte und 
durch Landsiege zu erkämpfen war: Wollte man solche Siege, 
dann bedurfte es, sie vorzubereiten, nur noch tüchtiger 
Rüstungen während einiger Monate. Diese Zeit zu gewinnen, 
war fortan Napoleons wesentlichstes Bestreben, um so mehr, 
als gerade jetzt der Rückzug seines besten Marschalls aus Por- 
tugal die Hoffnung auf das Freiwerden der auf der Halbinsel 
engagierten Armeen stark herabgestimmt hatte. Er spann des- 
halb die Oldenburger Angelegenheit in Verhandlungen mit 
Alexander weiter, indem er den Zar, nachdem Erfurt abgelehnt 
worden war, aufforderte, ein anderes Entschädigungsobjekt zu 
nennen. Als da aber, kaum angedeutet, der Wunsch nach einem 
Stück des Warschauer Gebietes zum Vorschein kam, erklärte 
Napoleon dem Botschafter Kurakin in offener Audienz am 
15. August 1811: man möge sich nicht einbilden, daß er dem 
Herzog von Oldenburg jemals, und selbst wenn die russische 

*) Corresp. XXH. 17.813. 

4* 



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52 Diplomatische Weiterungen. 

Armee auf dem Montmartre lagern sollte, auch nur einen 
Zoll breit warschauischen Landes abtreten würde, dessen 
Integrität er garantiert habe. Es sei zwar nicht gerade sein 
Geschmack, im Norden Krieg zu führen, er werde ihm aber, 
wenn man ihn dazu zwinge, nicht ausweichen und Ruß- 
land, das keinen Alliierten finden werde, seine polnischen 
Provinzen abnehmen.*) Das war dieselbe Sprache, der wir 
bereits 1803 vor dem Kriege gegen England begegnet sind; hier 
ist sie dazu bestimmt, die Polen für sich zu beeinflussen. Ale- 
xander leugnete natürlich jede Absicht auf polnisches Land 
ab, machte aber auch keinen anderen Ersatzanspruch gel- 
tend, sondern benutzte vielmehr das ihm mit Oldenburg 
angetane Unrecht als Handhabe für um so größere Nachgiebig- 
keit gegen den neutralen Handel. Und damit verschärfte sich 
der Gegensatz noch mehr; denn hier lag ja die Entscheidung. 
„Ich sage es Ihnen noch einmal," schrieb Maret im November 
1811 an Lauriston, „und Ihnen allein: die Affaire Oldenburg 
bedeutet für Rußland und für uns sehr wenig, das Kontinental- 
system ist alles. Nur dürfen Sie diese Frage nicht berühren 
und aus der Linie nicht heraustreten, die Ihnen vorgezeichnet 
ist." Das heißt, der Gesandte darf mit keinem Worte über 
den eigentlichsten Gegenstand der Entfremdung sprechen, um 
nicht am Ende den Bruch vor der Zeit herbeizuführen, die der 
Kaiser für den Beginn der Feindseligkeiten bereits bei sich 
festgesetzt hatte. Es war der Juni 1812.**) Bis zu diesem 
Termin, den er gewählt, weil er dann erst mit seinen Vorberei- 
tungen zu Rande zu sein und in Rußland gewisse für die Er- 
nährung und Beförderung seiner Armeen notwendige Bedin- 
gungen anzutreffen hoffte, bis dahin wird er immer aufs Neue 
in den Zar dringen, sieh über ein Verständigungsmittel zu 
äußern, und wenn Alexander darauf nicht einging, dessen 
Schweigen der Welt gegenüber als feindselige Streitlust denun- 

*) Vandal III. 212 ff. hat die Unterredung, die fast nur in 
einem Monolog Napoleons bestand, nach Berichten des Gesandten und 
anderer Zeugen rekonstruiert. 

**) Siehe das gemeinsam mit Maret am 16. August 1811 — am 
Tage nach der Ansprache an Kurakin — ausgearbeitete Memoire bei 
Vandal, HI. 224. 



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Die Urheberschaft des Krieges. 53 

zieren, ihn als den eigentlichen Urheber des Krieges hin- 
stellen. Und so ist es auch tatsächlich in weiteren Kreisen 
Überzeugung geworden. *) 

Noch vor Ende 1811 sagte Napoleon zu dem Gesandten 
Preußens, man meine in Rußland, er sei in Spanien zu sehr 
beschäftigt, um nach anderer Seite hin eine furchtbare Macht 
aufzustellen. Das sei ein Irrtum. Er könne ganz gut die Eng- 
länder auf der Halbinsel dulden, sie würden seine Armeen doch 
nicht vertreiben. Zunächst müsse er freilich nun den Krieg im 
Norden zu Ende führen, dann erst könne er sich wieder nach 
Süden wenden.**) Und das stimmte zu den Tatsachen. Denn als 
das Jahr, unter steten Beteuerungen seiner Friedensliebe, zu 
Ende gegangen war, hatte er nicht nur Davouts Armee bis auf 
100.000 Mann gebracht, aus Danzig und Magdeburg mit je 

*) Die Urheberschaft des Krieges von 1812 ist vielfach, nament- 
lich durch Vandal, Rußland zuerkannt worden. Und das ist insoferne 
richtig, als der Zar schon 1810 militärisch und diplomatisch gerüstet 
und im Jahre darauf eine Zeitlang sogar Lust zur Offensive gezeigt 
hat. Er würde aber nach dem Refus der Polen, und wenn man ihn 
wirtschaftlich nicht bedrängt hätte, den Krieg sicher gerne vermieden 
haben. Anders stand die Sache bei Napoleon. Auch er war schon früh 
im Jahre 1810 (siehe oben das Märzmemoire) von der Notwendigkeit 
des Bruches überzeugt, da er als sicher annahm, daß Rußland sich nicht 
freiwillig dem Kontinentalsystem einfügen werde nur daß er damals 
den Krieg noch nicht in solcher Nähe sah, in der ihm dann ihn die rus- 
sischen Rüstungen zeigten. Sie haben auch die seinigen beschleunigt und 
die längst gefaßte Absicht, Alexander unter Umständen mit Gewalt 
in seinen wirtschaftlichen Heerbann gegen England zu zwingen, früher 
zur Tat werden lassen als er ursprünglich geplant hatte. Auch er hätte am 
Ende auf den Waff engang in den nordischen Einöden nicht eben ungerne 
verzichtet, aber doch nur um den Preis völliger Unterwerfung deB 
Zaren unter seinen Willen, die er für ausgeschlossen halten mußte. So war 
auch dieser Krieg nur die Folge seiner herrischen Diktate, gegen die sich 
jetzt die letzte aufrechte Macht des Kontinents empörte, wie früher andere 
sich empört hatten, und insoferne wird man in ihm, und in ihm allein, 
den Urheber auch der russischen Fehde erkennen müssen. Damit stimmt, 
was Metternich schon im Oktober 1810 an Nachrichten aus Paris mit- 
brachte (siehe oben S. 43) und was er später, im Mai 1813, an Bubna 
schrieb: „Wir haben das Unmögliche getan, um zu beweisen, daß 
Rußland den Frieden störte." (Oncken, Österreich und Preußen im 
Befreiungskriege, II. 378.) 

**) Ranke, Hardenberg, III. 217. 



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54 



Frankreichs Streitkräfte. 



25.000 Maiin Waffenplätze ersten Ranges gemacht, den 
deutschen Rheinbund zur Aufstellung von 120.000 Streitern 
vermocht, sondern auch zwei neue französische Armeekorps, 
90.000 Mann, unter Oudinot und Ney am Nieder- und Mittel- 
rhein errichtet, und durch Eugen eine italienische Armee von 
80.000 Mann sammeln lassen, abgesehen von der Garde und 
den Reserven und ganz unabhängig von den in Spanien fech- 
tenden Streitkräften. Und alles das war fast unmerklich dis- 
poniert worden, so daß Rußland kaum eine genügende Vorstel- 
lung davon erhalten hätte, wenn es nicht Tscherniseheff, der in 
Paris geblieben war, gelungen wäre, sich durch Bestechung 
die wichtigsten Standesziffern zu verschaffen. Sie raubten dem 
Zaren vollends alle Lust, hinter dem Niemen hervorzutreten, 
aber sie nahmen ihm doch nicht, wie Napoleon gemeint haben 
mochte, den Mut, den unvermeidlichen Kampf zu bestehen. 
Wenn auch manche Stimme in seiner Umgebung — die seiner 
Mutter, seines Bruders Konstantin, seines Kanzlers Rum- 
jantzow — für den Frieden sprach, so gab es doch auch 
andere, die zur Ausdauer rieten, namentlich die der fran- 
zösischen und preußischen Emigranten. Der Sieg über die 
Türken an der Donau und die Aussicht, seine dort stationierte 
Armee bald an sich ziehen zu können, festigte die Zuversicht 
des Zaren. Darum, und wohl auch, weil er seine Streitkräfte 
weit überschätzen mochte, denn sie standen großenteils nur 
auf dem Papier, schwieg er fortan auf Napoleons weitere Er- 
öffnungen und Wünsche, sich über ein Verständigungsmittel 
zu äußern, die er richtig als dilatorische Behelfe erkannte, und 
ließ es ohne Gegenzug geschehen, daß der Franzosenkaiser 
immer neue Kriegerscharen auf die Beine brachte und nach 
Deutschland vorschob. 



Es war ein riesiges Heer, das der Imperator ins Feld zu 
stellen dachte. Viermalhunderttausend Mann versicherte er 
dem preußischen, eine halbe Million dem österreichischen 
Gesandten, und selbst diese Ziffer sollte schließlich noch hinter 
der Wahrheit zurückbleiben. Solche Massen hatte seinerzeit 
auch die Republik gegen ihre Feinde aufgeboten, doch mit dem 
Unterschiede, daß damals der Enthusiasmus der jungen Freiheit 



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Napoleons Despotismus im Innern. 55 

und die Not des Vaterlandes die Volkskraft Frankreichs be- 
wehrten, während jetzt nur der eiserne Wille des Herrschers 
die Widerstrebenden unter die Waffen rief. Immer schwerer 
lastete seit seinem letzten Kriegszuge sein Regiment auf den 
Franzosen. In den Städten wurde das geringste Zeichen der 
Unzufriedenheit, das sich hervorwagte, der Anlaß zu Miß- 
trauen, Verfolgung und Strafen, und seit 1811 stieg die Zahl 
der eingezogenen Staatsverbrecher auf dritthalbtausend. Sie 
sind auf den bloßen Befehl des Kaisers oder seines neuen 
Polizeiministers Savary hin arretiert worden und werden 
— eine Neuauflage der alten „Lettres de cachet" — 
ohne Prozeß gefangen gehalten, hier Einer, „weil er Napoleon 
haßt", dort Einer, „weil er seit 1811 in Briefen an seinen 
Bruder regierungsfeindliche Ansichten äußert", ein Dritter 
wegen „religiöser Anschauungen" etc. Geschworene, die nicht 
im Sinne der Regierung votiert haben, gelangen selbst vor die 
Gerichte. Seit dem Februar 1810 gibt es eine besondere Zensur- 
behörde in Paris mit einem Generaldirektor, mehreren Audi- 
toren und an fünfzehn bis zwanzig Zensoren, damit die Zensur, 
wie der Kaiser will, nicht der Polizei überantwortet bleibe. 
Buchdrucker und Buchhändler werden in Eid und Pflicht ge- 
nommen. Mit der größten Dienstwilligkeit wird nun verboten 
oder verändert, was nur den Schein der Unzufriedenheit des 
Gewaltigen erwecken konnte. Da muß z. B. aus einem Buch 
eine anerkennende Stelle über die englische Verfassung 
entfernt werden, ein anderes muß seinen Titel „Geschichte 
Bonapartes", weil dies zu wenig submiß klingt, in „Denk- 
würdigkeiten zur Geschichte der Feldzüge Napoleons des 
Großen" umwandeln. Und bis an die fernen Grenzen des 
Empire reicht die emsige Fürsorge der Zensur. Seitdem die 
Hansestädte französisch sind, dürfen Schillers „Räuber", 
„Maria Stuart", „Wilhelm Teil", Goethes „Faust" dort nicht 
mehr aufgeführt werden. Und vollends die Zeitungen! Von 
den ehedem unabhängigen Pariser Blättern sind zwei, der 
„Publiciste" und der „Mercure de France" ganz unterdrückt, 
die anderen verlieren ihre Fonds und werden völlig von der 
Regierung abhängig. Ende 1811 gibt es nur noch vier Zeitungen : 
den „Moniteur", das „Journal de PEmpire", die „Gazette de 



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56 Wissenschaft, Kunst, Unterricht. 

France" und das „Journal de Paris". Ein eigenes Amt (Bureau 
de l'Esprit public) versorgt sie mit Siegesberichten aus 
Spanien oder mit Artikeln über italienische und französische 
Musik, um — während Hunderttausende zum blutigen Kampfe 
sich rüsten — die Aufmerksamkeit der gelangweilten Haupt- 
stadt von der Politik abzulenken. Freilich sucht Napoleon 
diese Härte gegen die Presse auf der anderen Seite durch Aus- 
zeichnungen für Gelehrte und Künstler wettzumachen. Er 
schmückt sie mit dem Kreuze der Ehrenlegion, stattet sie mit 
Pensionen aus, macht die Gros, Gerard, Guerin zu Baronen, 
die Lagrange, Monge, Laplace zu Grafen und beklagt es, daß 
Corneille nicht mehr lebe, den er zum Fürsten hätte erheben 
wollen. Er kommt sogar, auf das Fürwort der Frau von Re- 
musat, seinem Gegner Chateaubriand zu Hilfe und äußert ge- 
legentlich sein Befremden, daß dessen „Genius des Christen- 
tums" vom Institut noch nicht mit einem der „Zehnjahres- 
preise" (Prix decennaux) bedacht wurde, die er 1804 zu dem 
Zweck gegründet hatte, um Frankreich seinen Vorrang in der 
litterarischen Welt behaupten zu helfen. Savary bemühte sich 
sogar darum, daß der gefeierte Dichter nach Ch6niers Tod 
1811 in die „Akademie", oder wie sie damals hieß, die zweite 
Klasse des Instituts, gewählt werde. Nur daß Napoleon vorher 
dessen Antrittsrede durchlas und wegstrich, was ihm nicht 
gefiel, worauf sie ganz unterblieb.*) Im übrigen trug er Sorge, 
daß die Universitätsschulen, namentlich die Lyceen, nicht 
durch die sehr stark gewordene Konkurrenz der geistlichen 
Schulen zurückgedrängt würden. Er erließ zu diesem Zweck 
im Jahre 1811 ein Dekret, das die letzteren auf eine in jedem 
Departement einschränkte, die nur in einer Stadt errichtet 
werden durfte, in der e3 bereits ein Staatslyceum gab, worüber 
die Präfektcn zu wachen hatten.**) 

Und wie in den Städten, so mußte bald auch auf dem 
flachen Lande die Regierung ihre Autorität mit harten Maß- 
regeln stützen. Der französische Bauer hatte sich bisher als 



*) S. Bärante, Souvenirs I. 341 ff. 

**) Siehe die unterrichtende Studie Charles Schmidts: „La rS- 
forme de l'Universite* imperiale en 1811 (Paris, 1905), p. 33 ff. 



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Schwierigkeit der Konskription. 57 

der zuverlässigste Anhänger des Kaisers erwiesen. Wohl zum 
Teil deshalb, weil er, schwerer beweglich als der Bürger, bei 
einer ergriffenen Partei länger beharrte und der Ordnung 
schaffende General nun einmal sein Mann gewesen war; dann 
aber wohl auch, weil im französischen Landvolk eine gewisse 
Neigung für den Militärdienst vorherrschte, der immerhin eine 
Anzahl Männer ernährte und — wenn der Tapfere nur not- 
dürftig sich zu bilden verstand — in ansehnliche Stellungen 
brachte. Napoleon konnte dreist sagen, wie er es tat: „Was 
kümmert mich die Ansicht der Salons und der Schwätzer! 
Ich höre nicht darauf. Ich kenne nur eine Meinung: die der 
Bauern. Das Übrige hat keine Bedeutung." Aber auch diese 
Zuneigung der Landlcute fand ihre Grenzen, als man auf 
den Dörfern immer häufiger von den zahllosen Opfern 
hörte, die der fürchterliche Krieg jenseits der Pyrenäen ver- 
schlang, und daß nun ein zweiter beginnen sollte, in fernen 
Landen, von deren Schrecknissen die Braven von 1807 genug 
zu erzählen gewußt hatten. Kein Wunder, daß der Konskription 
der Altersklasse von 1811, die dem Kaiser 120.000 Mann zu- 
führen sollte, keinerlei Begeisterung entgegenkam. Bis an 8000 
Franken zahlten die Bemittelten für einen Stellvertreter, und 
von den Armen entflohen viele Tausende. Für die Ausreißer — es 
waren teils solche, die sich der Stellung entzogen hatten, teils 
solche, die nachher desertiert waren — wurden dann die 
Familien, die Gemeinden, ja der ganze Kanton haftbar ge- 
macht und dieses neue „Geiselgcsetz" mit größter Strenge 
durch fliegende Kolonnen (Colonnes mobiles) durchgeführt. 
Sie brachten von den 60.000 Flüchtlingen nur 30.000 ein; 
der Rest versteckte sich in Wäldern und unzugänglichen 
Gebirgsgegenden. Dieser Erfahrung entsprechend ward die 
Aushebung von 120.000 Mann der Altersklasse von 1812 zu 
Beginn dieses Jahres mit der größten Strenge bewerkstelligt. 
All diese Rekruten wurden nach Deutschland dirigiert, während 
im Reich über 100.000 Mann Nationalgarden aus den Jahr- 
gängen von 1809 bis 1812 bis Lübeck hin die Garnisonen be- 
zogen. Die weite Entfernung von den Heimatsorten empfanden 
sie schwer, und nur die Not der letzten Mißernte machte vielen 
das Soldatenlos erträglicher. 



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58 Veränderungen im Rheinbund. 

Und nicht minder hart, ja noch viel härter als auf Frank- 
reich, drückte die Faust des „Protektors" auf die Lande des 
deutschen Rheinbundes, dessen Fürsten im April 1811 Ordre 
erhalten hatten, ihre Kontingente bereitzustellen. Westfalen, 
durch die Verschwendungssucht seines Königs Jeröme finanziell 
aufs Äußerste herabgekommen, so daß Steuererhöhungen und 
Zwangsanleihen den Bankrott nicht mehr aufhielten, mußte 
gleichwohl seine Armee auf 30.000 Mann erhöhen und über- 
dies 20.000 Franzosen mit ihren Pferden ernähren, wodurch 
die Vorteile der einheitlichen und zielsicheren Administration, 
die vorbildlich für manchen anderen Rheinbundstaat ge- 
worden war und ihre guten Früchte getragen hatte, fast gänz- 
lich aufgewogen wurden. Als Jeröme Vorstellungen machte, 
hieß es zurück, es stände ganz in seinem Belieben, von seinem 
Throne herunterzusteigen. Ähnlich war es in Bayern, das zwar 
nach dem Kriege von 1809 mit dem Gebiete des Dalbergischen 
Bistums Regensburg belohnt worden war, dafür aber Südtirol an 
Italien und Ulyrieü, Ulm und andere kleinere Territorien an 
Württemberg abtreten, hohe Schuldsummen für den Schatz 
des Kaisers auf sich nehmen und an 30.000 Mann für den 
Krieg stellen mußte. Das besser angeschriebene Württemberg 
tauschte 40.000 Seelen, die es an Baden abtrat, gegen 140.000, 
die es von Bayern erhielt. Baden mußte für seinen Zuschuß 
Hessen-Darmstadt vergrößern. Wie Spreu schüttelte der Korse 
die deutschen Regierungen und Untertanen durcheinander! Der 
Staat des Fürstprimas ward für den Entgang von Regensburg 
durch Fulda und Hanau vergrößert und zum „Großherzogtum 
Frankfurt" erhoben, freilich mit dem willkürlichen Vorbehalt, 
daß nach Dalbergs Tode der Vizekönig Eugen, der durch die 
Neuvermählung des Kaisers seine Aussichten auf den italie- 
nischen Thron einbüßte, diese Souveränität antreten solle, „da 
die weltliche Herrschaft von Priestern seinen Grundsätzen 
entgegen sei", wie Napoleon sagte. Dalberg mochte fürchten, 
der ungeduldige Machthaber jenseits des Rheins könnte diesen 
Grundsätzen am Ende noch vor dem festgesetzten Termin 
Rechnung tragen, und empfahl sich durch die servilste Ge- 
fügigkeit, indes sein Volk unter den drückendsten Auflagen 
seufzte und seine Truppen für den spanischen Krieg in weit 



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Die Haltung seiner Fürsten. 59 

größerem Maße herangezogen wurden als der Bundesvertrag 
heischte. Er arbeitete im Jahre 1811 einen wohl für Napoleon 
berechneten „Überblick über den Rheinbund und seine 
Organisation" aus, mit dem er dessen Erweiterung zu einem 
die ganze Nation umfassenden Deutschen Bunde unter 
Napoleon als Erbmonarchen befürwortete.*) „Der Wille des 
Kaisers", sagte sein Staatssekretär Eberstein, „ist bei uns 
oberstes Gesetz." Allen voran aber rüstete Sachsen wie im 
Fieber, namentlich im Herzogtum Warschau, wo Napoleon 
ungeheure Vorräte an Kriegsmaterial aufhäufte. Alle Streit- 
pflichtigen wurden einberufen, eine Nationalgarde ward er- 
richtet. So standen die Regierungen des Rheinbundes mit ihren 
Truppen dem Kaiser unbedingt zur Verfügung. Weh' ihnen, 
wenn sie sich lässig erwiesen. „Wenn die Bundesfürsten", 
schrieb Napoleon im April 1811 an Friedrich von Württem- 
berg, „über ihre Neigung zur gemeinsamen Abwehr auch nur 
den leisesten Zweifel in mir entstehen lassen, sind sie, ich 
gestehe es frei, verloren. Denn ich ziehe Feinde unsicheren 
Freunden vor. "**) 

Da waren denn nur noch die deutschen Mittelmächte, 
Preußen und Österreich, die Besiegten von Jena und Wagram, 
in Pflicht zu nehmen. Was Preußen betraf, so hatte es 
Napoleon nicht vergessen, daß er das Land schon einmal er- 
obert und nur aus Rücksicht für dasselbe Rußland aus den 
Händen gelassen hatte, gegen das er sich jetzt zum Streit 
erhob, und auch nicht vergessen, daß er schon einmal als 
Sieger am Niemen kampiert hatte. Diese Position wieder und 
damit die Möglichkeit für eine wirksame Offensive zu gewinnen, 
ehe es zum offenen Bruche kam, war jetzt sein ganzes Streben. 
Konnte das nicht etwa gelingen, indem er Preußen, wie 
Holland zuvor, unmittelbar in seine Gewalt brachte? Derlei 



*) Siehe die Mitteilung v. Heyls im Augustheft 1903 der Zeit- 
schrift „Vom Rhein." 

**) Corresp. XXI. 17.553. Daß dies keine leere Drohung war. 
geht aus einer Tagebuchnotiz der Königin von Westfalen hervor, die 
am 11. Jänner 1811 in ihr Journal schreibt: „Der Kaiser ist mit dem 
Großherzog von Baden sehr unzufrieden, er scheint unter den Fürsten 
zu sein, die versehwinden weiden." (Revue historiquo, XXXVITI. 95.) 



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60 



Frankreich und Preußen. 



scheint ihm wirklich einen Augenblick lang im Sinne gelegen 
zu haben. Jenes offizielle Memorandum aus dem April 1810 
hatte bereits die Selbständigkeit dieses Staates in Frage ge- 
stellt. Ein von Esmenard* ) gefälschter Kapport Champagnys 
vom November desselben Jahres, worin der Minister dem Kaiser 
die Aufteilung Preußens zugunsten von Sachsen und Westfalen 
anrät, soll auf guten Informationen des Fälschers beruhen. 
Anfang 1811 verzeichnet Königin Katharina von Westfalen 
gleichfalls die Notiz von der bevorstehenden Zerstückelung 
des Hohenzollernstaates in ihrem Tagebuch. Und um dieselbe 
Zeit geht ein Gerücht durch die spanischen Blätter, der Best 
von Preußen solle an Berthier gegeben werden.**) Der Gedanke 
ward aber bald wieder aufgegeben. Es war doch vielleicht 
möglich, daß die Vernichtung Preußens ebensowenig ohne 
Widerstand der Bevölkerung ablief, wie die Spaniens, so 
groß auch der Unterschied zwischen den heißblütigen Süd- 
ländern und den „vernünftigeu, kalten, toleranten und jedem 
Exzeß abholden" Norddeutschen — so charakterisierte sie 
Napoleon — sein mochte. Gerade das Beispiel der Spanier 
konnte verführerisch auf alle unzufriedenen Elemente in der 
„schlechten Nation, die er gar nicht liebte und in deren 
Geistern eine starke Widerstandskraft lebte", wirken. Und 
über das geheime Treiben des „Tugendbundes", wie man die 
Gesamtheit der deutschen Franzosenfeinde nun einmal zu be- 
zeichnen pflegte, trafen die übertriebensten Berichte in Paris 
ein. Nein, kein Gewaltstreich! Mußte denn nicht auch 
Preußen nach dem Siege über Rußland dem Beherrscher 
Europas als reife Frucht in den Schoß fallen? Viel klüger, 
die noch immer nicht ganz unansehnlichen Hilfskräfte 
Friedrich Wilhelms III. auf friedlichem Wege sich dienstbar 
zu machen und sich so die Stellung am Niemen zu sichern. 
Dies war schließlich der Plan Napoleons. Und er gelang. 
Gelang, einmal der unseligen Lage wegen, in der sich Preußen 
befand, dessen einzelne Landesteile einerseits von Davout, 



*) Siehe Band II. S. 126. 

**) Siehe meinen Aufsatz über „Stein und Gruner in Österreich" 
in der „Deutschen Rundschau", Jahrg. 1888, S. 187. 



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Scharnhorst in Petersburg. 61 

anderseits von Warschau her und endlich durch die rasch ver- 
mehrten französischen Besatzungen in Stettin, Küstrin, 
Glogau und Danzig fortwährend bedroht waren, und zweitens, 
weil auch jetzt wieder, wie 1805 und 1809, den Absichten des 
Eroberers in Friedrich Wilhelm mit seinem Mißtrauen gegen 
sein Volk und seiner felsenfesten Überzeugung von des Korsen 
Unüberwindlichkeit ein Helfer wider Willen zur Seite stand. 

Um dem Staate die bedrohte Existenz zu retten, hatte 
Hardenberg, der im Vorjahre als Staatskanzler ans Ruder 
getreten war, im Mai 1811 Bündnisanträge in Paris gestellt. 
Darauf war die Antwort ausgeblieben. Napoleon, der den Krieg 
mit Rußland damals noch nicht wünschte, wollte sein äußerlich 
friedliches Verhältnis zu dieser Macht nicht durch einen 
Schritt seiner Diplomatie vorschnell kompromittieren; auch 
wollte er vorerst in Deutschland hinreichend gerüstet sein, 
ehe er Preußens Vorschläge erwiderte. Sein Schweigen ver- 
mehrte aber in Berlin die Sorge derart, daß sich Hardenberg 
der von Scharnhorst geführten Patriotenpartei näherte und 
auch den König zu Rüstungen bestimmte, die im Sommer, so 
verdeckt wie möglich, zu einer Verstärkung der Machtmittel 
auf nahezu das Doppelte der mit Napoleon vereinbarten 42.000 
Mann führten. Der König wandte sich nun, obgleich der Zar 
auf frühere Briefe nicht befriedigend geantwortet hatte, noch- 
mals an Alexander und sandte Scharnhorst im tiefsten Ge- 
heimnis nach Petersburg, damit er dort eine Militärkonvention 
verabrede. Nach England wurde ein Begehren um Subsidien 
adressiert. Beides war nicht ganz ohne Erfolg. Der Zar 
hatte zwar seinen Offen siv plan aufgegeben und sich mit 
dem Gedanken einer hinhaltenden Verteidigung im eigenen 
Reiche vertraut gemacht; nun aber erklärte er sich 
doch — wenn auch nur „im allgemeinen" — bereit, 
seine Armee im Kriegsfall „so schnell als möglich" in 
Marsch zu setzen und, „wenn es sein kann", bis an die 
Weichsel, ja, nach besonders günstigen Zufällen, „auf die man 
jedoch nicht rechnen dürfe", noch darüber hinaus vorzu- 
schieben, während Preußen inzwischen das Vordringen des 
Feindes gegen diesen Fluß auf jede Art zu hindern hätte. So 
stand es in der Konvention, die Scharnhorst am 17. Oktober 



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62 Napoleons Forderungen. 

an der Newa abschloß.*) Und auch England gestand die ge- 
wünschten Subsidien zu und sandte Kriegsmaterial nach 
Kolberg. Aber ehe noch diese Ergebnisse in Berlin bekannt 
wurden, war Friedrich Wilhelm III., der nicht viel Hoffnung 
auf Kußland setzte, schon wieder anderen Sinnes geworden. 
Noch im August hatte er, durch Napoleons Rüstungen mit 
neuer Angst erfüllt, doch wieder in Paris anklopfen lassen. 
Sollte man denn, so mochte er fragen, die Existenz des 
Staates einem unsicheren Wagnis anvertrauen, ohne sich wenig- 
stens die Möglichkeit eines rettenden Vergleichs offen zu 
halten? Hardenberg widersprach nicht. Und nun blieb auch 
Napoleon nicht mehr stumm. Natürlich. Denn jetzt waren 
seine Verstärkungen in den Oderfestungen, in Westfalen und 
Polen soweit gediehen, daß er mit Preußen wieder in dem 
Tone reden konnte, den er dem Berliner Hofe gegenüber 
anzuschlagen gewohnt war. Er forderte vor jeder weiteren 
Unterhandlung die Unterbrechung der preußischen Rüstungen. 
Das ward zugestanden; die Rüstungen wurden eingestellt; 
ja, Blücher, der beim Franzosenkaiser tief in Mißgunst stand, 
verlor sein Kommando. Und nun begehrte Napoleon weiter 
kategorisch: entweder Eintritt Preußens in den Rheinbund, 
oder Schutz- und Trutzbündnis mit Frankreich unter Bei- 
stellung von 20.000 Mann und drei Kriegsfahrzeugen für den 
Fall des Konflikts mit Rußland und von Kaperschiffen wider 
England mit der Verpflichtung, die Küstensperre aufs 
strengste durchzuführen. Das waren harte Bedingungen, und 
es entstand die Frage: mußte man sie ohne jeden Widerstand 
hinnehmen? Man hatte ja jetzt, Ende Oktober, die Konvention 
mit Rußland und konnte auf englisches Geld rechnen. Noch 
einmal bäumte sich Hardenberg auf und riet dem König, 
Berlin zu verlassen und mit dem Zaren und England gemein- 
same Sache zu machen. Aber Friedrich Wilhelm, von den Geg- 
nern der „Patrioten", den Ancillon, Albrecht, Grawert u. A. 
beraten, widerstand. Er hatte 1809 die Erfahrung gemacht, daß 
diejenigen Unrecht behalten hatten, die damals den Zusammen- 
bruch des Staates weissagten, wenn man sich nicht Napoleon 



*) Martens, VII. 32 (§ 14). 



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Scharnhorst in Wien. 



6M 



entgegenstelle. War es jetzt anders? Er sah mit seinem nüch- 
ternen Blick die Schamhorstsche Konvention mißtrauisch an 
und gewahrte in den verschiedenen Klauseln, die sie enthielt, 
nur das Eine, „daß ein hoher Grad von Tätigkeit seitens der 
russischen Armeen kaum zu erwarten stehe, die sich offenbar 
bald dabei begnügen würden, auf ihren ersten Kriegsplan 
zurückzukommen, den man nur mit Widerstreben und nur 
darum verlassen habe, um sich unser zu versichern".*) So nach- 
teilig auch ihm die französischen Bedingungen erschienen, sie 
ließen doch den Staat am Leben, während gegen Frankreich 
zu fechten, so lange das Genie seines Kaisers überwiegende 
Kräfte in den Kampf führte, den „unabweislichen oder 
doch gewiß höchst wahrscheinlichen Untergang" bedeutete. 
Ein Verlassen Berlins würde, meinte er, „weit mehr Verderben 
als Nutzen bringen, und zwar in jeder Hinsicht". Nur eins gab 
er Hardenberg zu, bevor er die Petersburger Konvention ver- 
warf: daß man Österreich sondiere. Denn nur wenn auch dieses 
siel) mit Kußland und Preußen kräftig verbände, wäre Aus- 
sicht auf einigen Erfolg vorhanden, den er freilich vor Allem 
in der Erhaltung des Friedens sehen wollte. Im übrigen aber 
sollten die Verhandlungen mit Frankreich nicht unterbrochen 
werden. 

Nun ging Scharnhorst heimlich nach Wien. Aber was er 
dort erfuhr, war nicht danach angetan, das Abkommen mit 
dem Gewaltigen aufzuhalten, und so kam es, von Napoleon 
selbst bis zu dem Augenblick verzögert, wo er Preußen endlich 
ganz umzingelt hatte, am 24. Februar 1812 als Offensiv- und 
Defensivallianz zustande. Darin waren die Bedingungen Napo- 
leons keineswegs ermäßigt, eher noch verschärft. Vor Jahres- 
frist, als Hardenberg dem Kaiser ein Bündnis und preußische 
nilfe anbot, war es unter Vorbehalten geschehen, die 
nicht nur die Integrität des Landes verbürgen, sondern auch 
die Erhöhung der preußischen Kriegsmacht bewirken, die 
Festung Glogau zurückbringen und bestimmte Terrainerwer- 
bungen sicherstellen sollten. Jetzt war von alledem nicht mehr 
die Rede, und der Februarvertrag wurde für Preußen eine 

x ) Duncker, Aus der Zeit Friedrichs des Großen und Friedrich 
Wilhelms TTT., S. 415. 



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64 



Das französisch-preußische Bündnis. 



Demütigung ohnegleichen. Nur in Spanien, Italien und der 
Türkei — hieß es darin — hat Preußen Frankreich keine 
Heeresfolge zu leisten, sonst überall in Europa. Gegen Ruß- 
land stellt es 20.000 Mann und 60 Geschütze unter den Befehl 
Napoleons, etwa die Hälfte der ihm überhaupt zugestandenen 
Armee; die andere Hälfte hat in den schlesischen Festungen, 
in Potsdam, vorzüglich aber in Kolberg und Graudenz zu 
garnisonieren, wo die Kommandanten ihre Befehle vom fran- 
zösischen Generalstab erhalten. Die Franzosen marschieren 
ungehindert durch den ganzen preußischen Staat, einen Teil 
Schlesiens ausgenommen; ihre Generale requirieren, beschaffen 
die Lieferungen für die Armee und sorgen für Ordnung und 
Sicherheit in deren Interesse. Diese Armeelieferungen, die 
Preußen im größten Maßstabe zu leisten hat, werden von 
der alten Kriegsschuld in Abrechnung gebracht. Wider England 
verspricht Friedrich Wilhelm die schärfsten Absperrungs- 
maßregeln und die geforderten drei Kriegsschiffe.*) So hatte 
der patriotische Aufschwung des Jahres 1811, der vielleicht 
im Frühling, da Rußland den Angriffskrieg plante und 
Napoleon noch unzulänglich gerüstet war, zu Erfolgen hätte 
führen können, mit Untertänigkeit geendet, für die der König 
nichts gewann als vage Versprechungen von Entschädigung durch 
Gebietszuwachs im Falle des Sieges — Versprechungen von 
Napoleon, der seit 1807 immer bedauernd wiederholte: „Wie 
konnte ich diesem Manne nur so viel Land übriglassen!"**) 
Zu dem Entschluß des Preußenkönigs, sich in dem bevor- 
. stehenden Kriege Frankreich anzuschließen, mag das ihrige 

*) Vergl. den aus vier Instrumenten bestehenden Vertrag bei 
De Olercq, n. 354 ff. Es ist von hohem Interesse zu sehen, wie 
sicher Napoleon schon in jenem mit Maret gemeinsam ausgearbeiteten 
Memoire vom 6. August 1811 (siehe oben) den Termin für den Abschluß 
der Allianzen mit Preußen und Österreich — „nach sechs Monaten" — 
festsetzte. 

**) Damit soll die Haltung Friedrich Wilhelm III. keineswegs 
abfällig beurteilt werden. Auch die Erhebung zu jener Zeit wäre ein 
unsicheres Wagnis gewesen, wenn man erwägt, welche Massen von 
Streitkräften Napoleon, unbeschadet der Kriegsaktion in Spanien, gegen 
Bußland ins Feld führte, wie rasch er später, nach deren Untergang, 
ein neues Heer auf die Beine stellte und wie er selbst dann noch 
über die verbündeten Preußen und Russen zu siegen wußte. 



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Metternichs Souderpolitik. 65 

immerhin auch die Haltung Österreichs beigetragen haben. 
Scharnhorst hatte im Dezember 1811 in Wien nur erfahren, daß 
Kaiser Franz augenblicks nicht imstande sei, irgend Hille 
zu gewähren. Die Wahrheit war: Österreich stand auf franzö- 
sischer Seite. Aus den Schriftstücken, mit denen jenerzeit 
Metternich seinen Herrn beriet, geht hervor, daß die Wiener 
Politik entschieden wider den Zar Stellung nahm. Schon 
die Aktion Kußlands gegen die Türkei in den Donaufürsten- 
tümern trennte die beiden Mächte. Dann hatte Alexanders 
Plan, Polen wiederherzustellen und es als einiges Reich unter 
russischer Hoheit konstitutionell zu regieren, in Wien gleich- 
falls arg verstimmt, denn er beanspruchte von Österreich 
die Aufgebung Galiziens, wofür Rußland zwar Serbien und 
einen Teil der Donaufürstentümer bot, die man aber doch 
erst wieder hätte erobern müssen, woran in einem Kriege 
gegen Napoleon nicht zu denken war.*) Gewiß, auch wenn 
man sich an den Franzosenkaiser anschloß, konnte Galizien 
für den Donaustaat verloren gehen, da der Imperator, wie 
man annahm, sofort das einige Polen gegen Rußland aus- 
spielte, und es war auch schon im Sommer 1810 in Paris 
zwischen Napoleon und Metternich davon die Rede gewesen; 
aber einmal bot Jener dem seit dem letzten Kriege gänzlich 
verarmten Donaustaate das wichtige Illyrien mit der Seeküste 
als Äquivalent für das polnische Land und überdies noch, als 
Preis für Österreichs Mitwirkung am Kriege, weiteren Gewinn, 
den der Wiener Hof mit der Inngrenze gegen Bayern und dem 
preußischen Schlesien — „eine uns nicht nur bequem gelegene, 
sondern im Falle der Wiederherstellung des Königreiches Polen 
fast unumgänglich nötige Provinz'' — in Vorschlag brachte. 
Denn daß Preußens Auflösung — es mochte Partei nehmen, 
welche es wollte — unfehlbar erfolgen müsse, war für Metter- 
nich eine ebenso ausgemachte Sache wie der Sieg der französi- 



*) In einem Vortrag vom 28. November 1811 — kurz bevor 
Scharnhorst eintraf — zählte Metternich alle Sunden Rußlands auf, 
„welches bereits zweimal seine Alliierten ihrem eigenen traurigen 
Schicksal überließ", und das „unter der schwachen Regierung Alexan- 
ders I. wahrscheinlich wieder in die Steppen Asiens zurückgedrängt 
werden wird." (Nachgelassene Papiere, II. 429.) 

F o u r n i e r, Napoleon I. 5 



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66 



Österreichs Anlehnung an Frankreich 



sehen Waffen im Kriege mit Rußland.*) Dann war allerdings 
die völlige Abhängigkeit auch der Wiener Politik von der 
napoleonischen unvermeidlich. Aber selbst in dieser ab- 
hängigen Stellung wollte Metternich die Konjunkturen nutzen 
und wenigstens das untertänige Österreich stärken, wenn schon 
ein freies nicht mehr möglich war. Und Napoleon setzte sich 
den Wünschen seines Schwiegervaters nicht entgegen. „Die 
schlesische Frage ist beim kleinsten Fehler, den sich Preußen 
zuschulden kommen läßt, entschieden", erklärte er dem öster- 
reichischen Botschafter im Dezember 1811; ja selbst, wenn 
sich Preußen nicht von der vorgeschriebenen Linie entferne, 
könne er in einem glücklichen Kriege über Schlesien zu. 
Österreichs Gunsten verfügen, da es dann an Kompensations- 
objekten nicht fehlen werde und dem König Friedrich Wilhelm 
jede andere Provinz passen müsse, während Schlesien die 
einzige sei, die Österreich abzurunden vermöchte.**) 

So war man in Wien dazu gekommen, sich in eine enge 
tätige Allianz mit Frankreich zu begeben, die bestimmte Vor- 
teile in Aussicht stellte. Dieser Entschluß war bereits gefaßt 
und auch schon Schwarzenberg, der von Paris aus warm dafür 
eingetreten war, angekündigt, als Scharnhorst nach Wien kam. 
Man begreift nun leicht, daß seine Mission scheitern mußte, ja, 
man begreift sogar — wenn man es auch gewiß nicht entschul- 
digen wird — daß Metternich dem Sendboten des in seinen 
Augen verlorenen Staates zum Anschluß an Rußland riet, d. h. 
zu eben jenem „Fehler", der die schlesische Frage sofort zu- 

*) „Preußen ist nicht mehr in die Reihe der Mächte zu rechnen", 
versicherte er dem Kaiser Franz Anfang 1811, und in einem Vortrage 
vom 28. November desselben Jahres: „Preußen befindet sich in der 
hoffnungslosen Lage, in jeder zu ergreifenden Partei seine nur zu 
wahrscheinliche Auflösung besorgen zu müssen." In demselben Schi ift- 
stücko heißt es aber auch: „Nach vorhinein zu berechnenden, auf frühere 
Erfahrungen, besonders auf jene der letzten Zeit, gestützte Probabi litäten, 
spricht aller Anschein unleugbar für französische Siege." (Nachgelassene 
Papiore, II. 427. 435. 437.) Damals schätzte Metternich die französische 
Armee auf 200 bis 230.000 Mann. Wie mußte es ihn in seiner Politik 
bestärken, als er später von der doppelten Anzahl hörte! 

**) Metternichs Nachgelassene Papiere, 11.442. Maret brachte 
in Vorschlag, Preußen für Schlesien mit den baltischen Provinzen 
Kußlands zu entschädigen. 



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1756 und 1812. 



67 



gunsten Österreichs lösen mußte. *) Und als ob der bloße Name 
Schlesiens die Zeit der großen Kaiserin wieder in Erinnerung 
gebracht hätte, die um die entrissene Provinz drei Kriege 
gewagt hatte, so suchte man jetzt den französisch-österreichi- 
schen Allianzvertrag vom Jahre 1756 hervor, um das neue 
Schutz- und Trutzbündnis mit Frankreich nach seinen Be- 
stimmungen, ja teilweise nach seinem Wortlaut, abzufassen. **) 
Am 14. März 1812 unterzeichnete Schwarzenberg in Paris die 
Vertragsurkunde. Österreich, das sich aufs neue zur Konti- 
nentalsperre verpflichtet, stellt für den Krieg gegen Rußland 
30.000 Mann zu Frankreichs Unterstützung, die jedoch — un- 
gleich den preußischen Hilfstruppen — ungeteilt unter öster- 



*) Am 17. Dezember hatte Schwarzenberg in Paris die ent- 
scheidende Audienz. Den Bericht darüber wird Metternich nicht vor 
dem 25. erhalten haben. Bis dahin blieb Scharnhorst ohne definitiven 
Bescheid. Am 26. empfing er ihn mit der Erklärung, Österreich sei 
außer Stande zu helfen, und mit dem Winke, Preußen werde in jeder 
anderen Partei als der russischen noch unglücklicher sein. (Siehe 
Metternich, Nachgelassene Papiere, 11.442 und Lehmann, Scharnhorst 
II. 434.) Wenn bei Duncker, Aus der Zeit Friedrichs des Großen und 
Friedrich Wilhelms III. S. 422, Metternich dem Abgesandten gegenüber 
auch noch die Äußerung in den Mund gelegt wird, Österreich werde 
Frankreichs Partei nicht nehmen sondern neutral bleiben, so ist davon, 
wie ich Professor Lehmanns freundlicher Mitteilung verdanke, in 
Scharnhorsts Berichten nichts enthalten. 

*♦) „Die Grundsätze — schreibt Metternich am 8. Juni 1812 
an den Gouverneur von Galizien, Grafen Goeß — nach welchen der 
Kaiser allein in ein näheres Verhältnis mit Frankreich zu treten sich 
je bereit finden lassen würde, fanden sich in dem Allianztraktat mit 
Frankreich vom Jahre 1756. Auf dieselbe Basis, und insofern selbe 
noch auf die allgemeinen Verhältnisse Europas anwendbar waren, wurde 
der neue Traktat gegründet. Der Vergleich des einen Vertrages mit dem 
anderen beweist diese Wahrheit unleugbar, die Worte sogar sind fast 
dieselben, und dieser Umstand ist nicht einer der minder wesentlich 
herauszuhebenden". (W. St. A.) Gewiß, die Worte waren fast dieselben, 
und der Art. 3 von 1812 ist mit den Artikeln V und VI von 1756 
ganz gleichlautend. Aber die Machtverhältnisse waren himmelweit 
verschieden, so daß, was dazumal als freie politische Entschließung 
einer Großmacht galt, jetzt nur noch notgedrungene Fügsamkeit eines 
bankrotten Staates war, dessen Minister die letzte Weisheit in der 
Allianz mit einem Souverän erblickte, von dem er selbst zugeben mußte, 
daß „sein monströser Zweck die Alleinherrschaft war und ist". 

5* 



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<>8 



Die austro-fränkische Allianz. 



reichischer Führung stehen, von keinem französischen General 
Befehle annehmen und nur den Weisungen Napoleons gehor~ 
chen sollten. Bei der Wiederherstellung Polens wird Österreich 
Galizien behalten, und nur wenn es freiwillig einen Teil davon 
dazu hergeben wollte, dafür durch lllyrien entschädigt werden. 
Die Integrität der Türkei bleibt garantiert, d. h. Rußland wird 
nichts davon für sich gewinnen, die Erfurter Zusage ist zurück- 
genommen. Und zum Schluß heißt es: „Im Fall eines glück- 
lichen Ausgangs des Krieges verpflichtet sich der Kaiser der 
Franzosen, dem Kaiser von Österreich Kriegsentschädigungen 
und Gebietsvergrößerungen zuzuwenden, welche nicht allein 
die dargebrachten Kriegsopfer aufwiegen, sondern auch ein 
Denkmal bilden sollen der engen und dauerhaften Verbindung, 
die zwischen beiden Souveränen besteht/ 4 Da von lllyrien 
bereits die Rede war, bleibt hier nur noch an Schlesien zu 
denken übrig, denn es war ja „die einzige Provinz, die Öster- 
reich abrunden konnte".*) 

So hatte sich Napoleon auch der deutschen Mittelmächte 
versichert, und von der Südspitze Kalabriens bis zur Memel, 
vom Kap Finisterre bis in die Bukowina gehorchte der Kon- 
tinent seinem Winke. Freilich hätte er gerne auch Schweden 
und die Türkei, die alten Feinde Rußlands, in sein System 
aufgenommen — oder vielmehr: darin festgehalten — damit 
sie von Norden und Süden her den Gegner angriffen, wenn er 
ihm im Zentrum den entscheidenden Stoß versetzte. Doch 
hier zog er den Kürzeren. Als sich in Stockholm die Ab- 
gesandten Frankreichs und Rußlands den Rang abzulaufen 
suchten, hielt Bernadotte den Augenblick für günstig, sich dem 
Lande seines künftigen Regiments durch eine große Erwerbung 
zu empfehlen. Er bot seine Allianz demjenigen an, der ihm 
zur Gewinnung Norwegens verhelfen würde. Aller Beteuerun- 

*) Der Vertrag steht bei De Clercq, II. 369 ff. Ea ist anzu- 
nehmen, daß Napoleon Österreich Schlesien viel lieber zugewendet, 
ah auf lllyrien verzichtet hätte. Einem Manne, der ihm dazu riet, 
dieses sofort gegen Galizien zu vertauschen, antwortete er: „Ich sehe, 
daß Sie von der Wichtigkeit dieser Provinzen keine Idee haben. Sie 
sehen nicht, daß ich, sobald ich sie zum Stützpunkt wähle, einen 
Fuß in Rom. den andern in Konstanttnopel habe." Pasquier, Me^ 
moires, II. 76. 



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Erfolglose Werbung um Schweden. 69 

gen, mit denen er im Dezember 1810 Tschernißcheff überhäuft 
hatte, vergessend, klopfte er zunächst bei Napoleon an, weil in 
Schweden die öffentliche Meinung noch immer an ihm hing; 
die Kronprinzessin, die Desiree Napoleons vom Jahre 
1795, war in Paris für ein Bündnis tätig. Aber der Fran- 
zosenkaiser wollte von einer Annexion Norwegens nichts 
wissen, da Dänemark treu zu ihm hielt und ein Truppenkorps 
zur Deckung der Nord- und Ostseeküste zu stellen bereit war. 
Er seinerseits brachte die Wiedergewinnung Finnlands nach 
dem Sieg über Kußland in Vorschlag, wenn Schweden mit 
40.000 Mann gegen Alexander marschieren und zugleich den 
Krieg wider England energisch betreiben wollte. Aber gerade 
dieses doppelte Engagement gegen Rußland und das britische 
Reich erschien der schwedischen Regierung nach den früher 
gemachten Erfahrungen unmöglich. „Man verbarg sich nicht," 
— ■ heißt es in einem nachträglichen Berichte des schwedischen 
Ministeriums an Karl XIII. vom 7. J änner 1813 — „daß ein 
Krieg mit Rußland, der notwendig auch Feindseligkeiten mit 
England herbeiführen mußte, die Kräfte Schwedens überstieg, 
daß eine englische Flotte im Baltischen Meere während des 
Sommers alle Unternehmungen von Seiten Schwedens gegen 
Rußland hindern konnte, daß die Küsten Schwedens inzwischen 
der Rache Englands preisgegeben waren, daß der Handel 
ebenso wie die Küstenfahrt einstweilen ganz aufhören und 
daraus eine allgemeine Not entstehen mußte, daß vielmehr 
Schwedens großer Bedarf an Getreide eben mit diesen beiden 
Mächten, England und Rußland, ein fortgesetztes friedliches 
Verhältnis heischte u. s. w." Da traf es Bich, daß die in diesem 
Zeitpunkte höchst unkluge Besetzung Pommerns durch die 
Franzosen, angeblich um den Schleichhandel zu stören, Napo- 
leon die Sympathien der Schweden raubte, und nun konnte 
Bernadotte es wagen, gegen den Franzosenkaiser so vorzugehen, 
wie es der langjährigen persönlichen Spannung zwischen den 
beiden Männern entsprach. Schweden erklärte sich zunächst 
neutral, wodurch es aus dem Kriegszustand wider England 
heraustrat, dann lehnte es den französischen Antrag ab und 
näherte sich Rußland, dem es seine Mitwirkung für den Fall 
zusagte, daß Alexander der Eroberung Norwegens nicht nur 



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70 Beilegung des russisch-türkischen Konflikts. 

zustimme, sondern auch durch ein Hilfskorps dazu mitwirke, 
man wolle dann gemeinsam im Norden Deutschlands landen 
und Napoleons linke Flanke bedrohen. Dänemark würde man 
durch deutsches Gebiet entschädigen. Der Zar ging darauf ein, 
und am 5. April 1812 kam ein Abkommen zwischen Schweden 
und Rußland zustande, das später, bei einer Zusammenkunft 
Bernadettes mit Alexander im August zu Abo, eine neue Be- 
kräftigung erfahren sollte. 

In der Türkei, wo Sultan Mahmud gerne die ihm aller- 
dings erst in den ersten Monaten des Jahres 1812 dargebotene 
Hand Napoleons angenommen hätte, lagen die Verhältnisse 
doch so, daß selbst der Großherr seiner Absicht nicht folgen 
konnte. Noch im letzten Herbst hatten ja die Russen Erfolge 
errungen und darauf den Frieden unter relativ günstigen Be- 
dingungen angeboten, nur um den Krieg an der Donau zu 
enden, bevor das große Streiten gegen die Franzosen begann; 
sie forderten nicht mehr beide Fürstentümer für sich, sondern 
waren bereit, sie bis auf Bessarabien und die Sereth grenze 
zurückzugeben. Das geschah in einem Augenblicke, wo die 
türkische Staatskasse leer, der Zustand der Armee ein kläg- 
licher, der Wunsch der Bevölkerung nach Frieden und Erholung 
ein allgemeiner geworden war. Nur die zügellosen Janitscharen 
riefen noch nach Krieg. Was halfen da die Versprechungen 
Napoleons: die Krim, die Tatarei, alles Land, das die Pforte 
in den letzten vierzig Jahren verloren hatte, wenn man die 
100.000 Mann nicht aufbrachte, die er als Hilfsheer forderte? 
Auch dürfte der Kaiser der Franzosen aus seinen alten Ab- 
sichten auf Morea und Kandia doch etwas zu wenig Hehl ge- 
macht haben.*) Und dazu drohte England, es werde, wenn 

*) In dem Vortrag Champagnys vom März 1810 (siehe oben S. 41) 
lautet eine bemerkenswerte Stelle: „Der zweite Gegenstand — der 
erste war, für die Fortdauer des Krieges zwischen Türken und Russen 
zu sorgen — wäre, die Pforte unauffällig dahin zu bringen, daß sie 
Ew. Majestät Morea und Kandia abträte für die Unterstützung, die 
sie erhalten würde, um sich der kleinen Tatarei und der Krim zu 
bemächtigen, Länder, die ihr für die Versorgung Konstantinopels viel 
wichtiger sein müssen. Es ist hier nicht der Ort," sich über dieses alte 
Projekt auszulassen, das aber, im Falle eines Bruches mit dem russischen 
Hof, besonders diskutiert zu werden verdient.« (Schilder, Alexanderl. 
IH 475.) 



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Die Türkei versagt eich. 



71 



der Sultan das französische System annehme, die Dardanellen 
forcieren und Stambul verbrennen. Der Divan, den Mahmud 
befragte, erklärte sich für den Frieden mit dem Zaren, der 
dann auch Ende Mai 1812 unter der Bedingung, daß fortan 
der Prath die Grenze bilde, zustandekam. 

Das waren nun freilich sehr empfindliche diplomatische 
Niederlagen, die Napoleon in Stockholm und am Bosporus 
erlitt. Insbesondere, daß er sein Prestige in Konstantinopel 
eingebüßt hatte, war ihm peinlich, wo gerade die Türkei 
einen der wichtigsten Faktoren in seinen Zukunftsplänen dar- 
stellte. Aber der Sieg über Bußland schien ihm auch 
ohne die Diversion der Türken möglich, und dieser Sieg im 
Norden mußte ohne Zweifel auch den Süden der Macht des- 
jenigen erschließen, der Süd und Nord, wie Ost und West, 
seinem Willen zu beugen wünschte.*) Es war die Zeit, im 
März 1812, wo er seinem Generaladjutanten Narbonne gegen- 
über die Idee aussprach, über das niedergeworfene Zarenreich 
hinweg nach Indien zu ziehen und dort die Herrschaft 
der Briten zu zerstören.**) Jedenfalls gebot er über eine 

*) Eine Hofdame der Zarin, Gräfin Edling, will es später 
auf dem Wiener Kongreß, von Eugen Beauharnais, erfahren haben, 
daß es Napoleons Absicht gewesen sei, nach der Bezwingung Rußlands 
sich gegen Konstantinopel zu wenden. (Memoires p. 196.) Das stimmt 
durchaus damit überein, daß er vor dem Feldzug auch mit den aufstän- 
dischen Serben anknüpfte, um dort den russischen Einfluß aus dem 
Felde zu schlagen und sich zugleich einen Sukkurs gegen die Pforte, 
zu erwerben. „Nach Eurem Untergange", sagte der Großvezier zu dem 
russischen Unterhändler, „würden wir an die Reihe kommen". (Boppe, 
La France et les Principautös danubiennes, Annales de l'Ecole poli- 
tique, 1896. p. 346). Vgl. auch Bernadottes Äußerung zu dem russi- 
schen Gesandten Suchtelen: „Man (Desiree?) meldet mir, Napoleon 
wolle in zwei Monaten mit Rußland fertig sein, um dann nach Kon- 
stantinopel zu gehen" (Sbornik, XXI, 445). Die Meinung war auch 
in der Armee verbreitet. Ein Offizier schreibt, nachdem Moskau erobert 
war, er hätte Petersburg vorgezogen, man dürfe sich aber nicht so 
weit von den türkischen Provinzen entfernen, „denn nach einer guten 
Allianz mit Alexander, der, er wolle oder nicht, wie die Anderen in 
unserem Gefolge marschieren wird, müssen wir im nächsten Jahre nach 
Konstantinopel und von da nach Indien gehen." (Zitiert von Sorel, 
VII, 588.) 

**) Villemain, Souvenirs, p. 176. Siehe unten. 



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72 Daw russische Ultimatum und die Sendung Narbonnes. 

überwältigende Macht, als er den letzten Schritt zur Be- 
herrschung des Kontinents hin tat. So fest entschlossen er 
hierzu war, so entschieden verharrte auf der anderen Seite 
Kaiser Alexander I. bei seinem Widerstande gegen die 
napoleonische Diktatur, die gar so dreist in die materiellen 
Interessen Rußlands eingriff. Der Bruch war unvermeidlich. 
Alles Zögern beruhte nur noch auf militärischen Rücksichten. 
Am 30. April 1812 übergab endlich der russische Botschafter 
in Paris das vom 8. datierte Ultimatum des Zaren: er wolle 
nur dann über einen Vergleich mit Frankreich unterhandeln 
— wobei er allerdings auf den Verkehr mit den Neutralen 
nicht verzichten könnte — wenn die Franzosen vorher Preußen 
und Schwedisch-Pommern geräumt haben würden. Um noch 
etwas Zeit zu gewinnen, antwortete Napoleon nicht sogleich 
hierauf, sondern sandte vielmehr Narbonne zu Alexander mit 
einem Brief und einer Note, die man — obzwar am 3. Mai 
abgesendet — auf den 25. April zurückdatierte, als hätte man 
das russische Ultimatum noch nicht gekannt.*) Darin hieß es, 
der Kaiser habe noch einen letzten Versuch gemacht, um Eng- 
land zum Frieden zu bewegen und damit allen Zwist aus der 
Welt zu schaffen. Und daran war so viel richtig, daß in der Tat 
.Maret am 17. April an den britischen Minister des Äußeren, 
Lord Castlereagh, geschrieben hatte, man sei bereit, Portugal 
dem Hause Braganza zurückzugeben, wenn England Murat 
und Joseph anerkennen und die Pyrenäische Halbinsel sowie 
Sizilien räumen wollte. Dann wollte man auch die eigenen 
Truppen aus Spanien herausziehen.**) Es war das alte Spiel, 
das Talleyrand schon vor zwölf Jahren so treffend gekenn- 
zeichnet hatte. Denn daß England Joseph nicht anerkennen 
würde, lag auf der Hand und wurde auch alsbald in London 
erklärt. Geschah aber doch das Unwahrscheinliche, dann 
standen Napoleon für den Kontinentalkrieg noch weitere 
200.000 Mann erfahrener Truppen zur Verfügung, die in 
Spanien frei wurden und für den Kampf der Waffen wie für 
allfällige Unterhandlungen schwer ins Gewicht fielen. Die 



*) Ernouf, Maret, Duc de Bassano, S. 354. 

**) Corresp. XXIII. 18.652. Coquelle, p. 287. 



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Die Fürstenversaramlung in Dresden. 73 

Sendung Narbonnes hatte tatsächlich nur, wie es in dessen 
Instruktionen hieß, den einen Zweck, sich unter guten Vor- 
wänden möglichst viel Kenntnisse über die militärischen Dis- 
positionen des Gegners zu verschaffen. 

Während dieser Bote nach Wilna eilte und Maret den 
Fürsten Kurakin in Paris mit Redensarten hinhielt, verließ 
Napoleon am 9. Mai mit einem großen Teil seines Hofstaates 
die Stadt. Er fuhr nach Dresden, um dort gleichsam seine 
Macht drohend auszulegen, und wir glauben es, daß er sich 
davon nochmals eine einschüchternde Wirkung auf den Zar 
versprach. 

In Dresden versammelten sich huldigend die Fürsten des 
Rheinbundes, über die der Korse unbedingter gebot als seit 
langer Zeit ein römischer Kaiser deutscher Nation. Auch der 
letzte von diesen, Franz von Österreich, fand sich ein. Hatte 
Napoleon die Zusammenkunft mit seinem Schwiegervater ge- 
wünscht, um seine Verwandtschaft mit der ältesten Dynastie 
der Welt als Relief für seine unerhörte Geltung zu be- 
nützen? Er hat damals Franz I. aufgefordert, ihn auf seinem 
Kriegszuge zu begleiten.*) Dazu ist es allerdings nicht ge- 
kommen. Im übrigen aber trat der Kaiser von Österreich, 
trotz allem vertraulichen Verkehr mit dem Eidam, ebenso 
gehorsam wie der König von Preußen und die kleineren 
„Souveräne" in den Schatten des gewaltigen Parvenüs, der die 
Grenzen zwischen den romanischen und germanischen Ele- 
menten Europas verwischt und deren Kräfte zum Entschei- 
dungskampf über das Schicksal des Weltteils vereinigt hatte. 
Gewiß, es war die Triebfeder persönlichsten Ehrgeizes und 
unendlicher Herrschsucht, die diese Massen in Bewegung setzte, 
ein schier unerträglicher Zwang, der sie kittete, aber wen der 
Genius auf Höhen geführt, wo ihm über dem weiten Horizont 
des Ganzen das Einzelne sich entrückte, der konnte hier einen 
Bund europäischer Kulturpotenzen zu erblicken meinen, ge- 
rüstet, um unter der Führung des größten Feldherrn die Zivili- 
sation des Westens erobernd nach Osten zu verbreiten und den 



*) So schrieb M. Ludovica an ihre Mutter. S. Guglia, Die 
Kaiserin Maria Ludovica, S. 141. 



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74 



Goethe über Napoleon. 



Völkerhader zur Einheit auszugleichen, der konnte versucht 
sein, mit Goethe von Napoleon zu sagen: 

„Worüber trüb Jahrhunderte gesonnen, 
Er übersiehts in hellstem Geisteslicht, 
Das Kleinliche ist Alles weggeronnen, 
Nur Meer und Erde haben hier Gewicht. 
Ist jenem erst das Ufer abgewonnen, 
Daß sich daran die stolze Woge bricht, 
So tritt durch weisen Schluß, durch Machtgefechte 
Das feste Land in alle seine Rechte." 

Oder waren diese an Marie Luise gerichteten Worte nur 
huldigende Konvenienz, mit denen jetzt, wo der Kaiser die 
höchste Stufe seiner Macht erklommen hat, der große Huma- 
nist des Jahrhunderts ihm Beifall spendet? Nein, für Goethe 
stand Napoleons Große außer Zweifel. Er hat genau heraus- 
empfunden, was dessen historische Bedeutung ausmacht: sein 
gleichsam instinktives Handeln im Dienste des Idealen. „Na- 
poleon," sagte er, „der ganz in der Idee lebte, konnte sie doch 
im Bewußtsein nicht erfassen; er leugnet alles Ideelle durchaus 
und spricht ihm jede Wirklichkeit ab, indessen er eifrig es zu 
verwirklichen trachtet." Den Aufwand des Imperators an 
niedriger Hantierung und Gemeinheit eigennützigen Strebens 
übersah der Dichter souverän. Mochten Andere von den 
Greueln des Krieges und dem drückenden Zwange der Über- 
macht reden, er behielt nur das letzte Ziel im Auge : die Verei- 
nigung der Völker in höherer Gesittung. Und von diesem 
Standpunkt aus hatte Goethe recht, Napoleon den führenden 
Männern der Geschichte beizuzählen. Denn sie Alle waren es 
nur, weil sie im Banne großer Ideen gehandelt hatten, gleich- 
viel welches ihre eigensten Zwecke gewesen. Wohl drängte der 
mazedonische Alexander aus der Enge seines kleinen Staates 
hinaus nach der Beherrschung der Welt und grub seinen Namen 
durch Taten ohnegleichen in das Gedächtnis der Jahrtausende 
ein, aber was ihn auf den Weg dahin gebracht hatte, war doch 
nur die gewaltige Expansivkraft der hellenischen Kultur ge- 
wesen, in deren Dienst er den Zug nach Osten unternahm. 
Wohl begründete Karolus Magnus mit den Waffen ein Welt- 
reich, aber doch nur als ergebenes Werkzeug der Moralideen 



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Napoleons weltgeschichtliche Bedeutung. 75 

des Christentums, das sich die jungen Völker des Nordens er- 
oberte. Und wenn wir jetzt Napoleon auf der gleichen Bahn 
finden, Fenn wir auch ihn begierig sehen, seine Person zu 
höchst zu stellen und alle Welt unter seinem Willen zu ver- 
sammeln, so ist dieser Wille doch zum guten Teile sein eigener 
nicht, sondern das Organ jener Zivilisation der Humanität, 
an der die Geisteskräfte von Jahrhunderten sich gemüht, ehe 
sie Gemeingut des Erdkreises werden sollte. Unter Strömen von 
Blut, allerdings. Aber die Gesetzbücher der Menschheit sind 
nun einmal mit Blut geschrieben, ob es der Einzelne am Kreuze 
vergieße oder Millionen sterbend dafür zeugen. Überall, wo 
der Franzosenkaiser gesiegt hatte, erblicken wir den Anlauf 
zu einer höheren sozialen Ordnung: am Manzanares wie am 
Tiber, am Rhein und an der Elbe, in Neapel und in Polen, in 
Preußen und in Österreich, hier unmittelbar unter dem Druck 
der Eroberung, dort mittelbar, weil ein Widerstand gegen den 
Mächtigen forthin nur möglich schien, wenn man sich mit 
seinen eigenen Waffen bewehrte. Hat doch, um nur an Eines zu 
erinnern, der verlorene Schlachttag von Jena allein das ganze 
innere Wesen des preußischen Staates verändert.*) So war es 
ein Kulturprozeß von größter Bedeutung, der im Jahre 1812 
die letzten Grenzen europäischer Gesittung aufsuchte. Daß der 
Anwalt, der ihn mit seinem Degen führte, für sich als Entgelt 
die Herrschaft der Welt begehrte, erscheint geringfügig da- 
neben. 

Aber die Völker Europas standen nicht auf dieser Höhe 

*) Vgl. E. Meier, Die Reform der Verwaltungsorganisation untei 
Stein und Hardenberg, S. 133, und den Brief Gneisenaus vom Jahre 
1807 mit der Stelle: „Wollten die übrigen Staaten das Gleichgewicht 
wieder herstellen, dann müßten sie sich dieselben Hilfsquellen eröffnen 
und sie benutzen" bei Pertz, Gneisenau, I. S. 302, zitiert von Koser, 
Die preußische Reformgesetzgebung in ihrem Verhältnis zur fran- 
zösischen Revolution (Hist. Zeitschr. 73. 199). Koser liefert übrigens 
den Nachweis, daß die Neugestaltung des preußischen Staates zwar 
auf den Anstoß der Kriegsereignisse hin, aber nicht gerade nach fran- 
zösischen Mustern erfolgte. Über preußische Reformbestrebungen, die 
vor 1806 nicht zur Tat werden konnten, hat Hintze in dor „Histor. 
Zeitschrift," 76. Bd. gehandelt und Thimme in den „Forschungen 
zur brandenburgischen und preußischen Geschichte", 18. Bd., Friedrich 
Wilhelms persönlichen Anteil daran festzustellen gesucht. 



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76 Bange Zweifel. 

der Anschauung. Sie forschten in Napoleon nicht nach der 
idealen Mission, die er unbewußt vollführte, und konnten sich 
demnach auch nicht mit ihr darüber trösten, daß er jm offen- 
kundigen Drange seiner persönlichen Absichten ihre Un- 
abhängigkeit bedrohte, ihre Söhne auf die Schlachtfelder 
zwang, ihnen Handel und Erwerb beschränkte und die Auto- 
ritäten ihres Glaubens befehdete. Sie haßten ihn bitter. Am 
stärksten trat diese feindselige Gesinnung bei jenen beiden 
Völkern hervor, die der Kultur des revolutionären Humanis- 
mus am fernsten standen und in denen sich die ursprünglichen 
Instinkte des Nationalgefühls und der Religiosität am reinsten 
erhalten hatten: bei den Spaniern und den Russen. Die 
Ersten waren noch nicht bezwungen. Ob es wohl mit den 
Zweiten gelang? 



Zweites Kapitel. 

Moskau. 

Während Napoleon in Dresden den Staat seiner Herrlich- 
keit zur Schau stellte, marschierten seine Kolonnen an die 
Weichsel. Ks war ein Heer wie es bis dahin die Welt nicht 
gesehen hatte. Nahe an fünfthalbhunderttausend Streiter 
waren auf dem Wege nach Rußland, und was an Reserven nach- 
träglich nach Osten gezogen wurde, brachte die Armee des 
nordischen Feldzugs auf über 600.000 Mann. Lange und eifrig, 
den Gegner bis zum letzten Augenblick mit Unterhandlungen 
hinhaltend, hatte sich der Kaiser gewappnet und unerhörte An- 
strengungen den Völkern zugemutet, bis er endlich hoffte, mit 
sicherer Überlegenheit des Feindes Herr zu werden. Allerdings 
nicht ohne eigene Zweifel. Segur erzählt in seinen Aufzeich- 
nungen, daß er in Paris zur Zeit dieser gewaltigen Rüstungen 
zuweilen in größter Aufregung aus seinen Gedanken auffahrend 
ausgerufen habe, er sei für einen so entfernten Krieg noch 
nicht genug vorbereitet und bedürfe weiterer drei Jahre. 
Barante berichtet nach dem Zeugnis Mouniers, des neuen 
Kabinettsekretärs, er habe sogar körperlich unter seinen 
Skrupeln gelitten. „Er brachte einen großen Teil der Nächte 



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Mahnungen und Warnungen. 77 

schlaflos zu, konnte stundenlang auf einem Kanapee liegend, 
seinen Betrachtungen nachhängen, bis er in einen unruhigen 
Schlummer verfiel. Ohne gerade krank zu sein, war er doch 
nicht gesund. Geschäfte, die nicht nach Wunsch gingen, er- 
regten ihn jetzt nicht mehr wie ehedem, sondern langweilten 
ihn eher und schienen ihn sogar zu entmutigen." *) So las 
er die ewig trostlosen Berichte aus Spanien gar nicht mehr 
selbst, sondern ließ sich vom Chef seines "Militärkabinetts, 
Oberst d'Albe, über sie referieren. Dennoch aber war er War- 
nungen und Einwendungen, die Einzelne aus seiner Umgebung 
wagten, unzugänglich geblieben und hatte sie mit allem Eifer 
zu widerlegen gesucht. Unter den Mahnern hatte Caulaincourt 
obenan gestanden. Der kannte Kußland und kannte den 
Nationalstolz des russischen Volkes; dieses würde, meinte er, 
nicht an Frieden denken, solange noch ein Feind auf vater- 
ländischem Boden stünde; er wies auf die Unsicherheit der 
gezwungenen Alliierten hin, auf den Haß der deutschen Völker- 
schaften, der unter dem Beutesystem der Franzosen empor- 
gewachsen war, auf das unwirtliche Kriegstheater, dessen 
Schrecken aus dem Feldzuge von 1807 bekannt genug wären, 
und zitierte Alexanders eigene Worte, er wolle sich eher nach 
Kamtschatka zurückziehen, bevor er Provinzen abträte oder in 
seiner vom Feinde eroberten Hauptstadt einen Frieden unter- 
zeichnete, der doch nur ein Waffenstillstand wäre. „Wir werden 
unsere Kräfte nicht auf3 Spiel setzen," hätte der Zar gesagt, 
„wir haben Raum genug hinter uns, halten unsere Armee wohl- 
organisiert beisammen und lassen unser Klima und unsern 
Winter für uns Krieg führen. Die Franzosen sind tapfer, aber 
nicht so ausdauernd wie die Unsrigen, sie werden leichter mut- 
los. Wunder wirken sie nur, wo ihr Kaiser dabei ist; der kann 
aber nicht überall sein. Es ist wahrscheinlich, daß er uns 
schlagen wird, wenn wir die Schlacht annehmen. Doch das wird 
ihm noch immer nicht den Frieden verschaffen. Die Spanier 
sind oft geschlagen worden, aber darum noch lange nicht 
besiegt oder unterworfen."**) Dann kam Poniatowski aus 



*) Bar ante, Souvenirs, I. 331 f. 

**> Van dal, III. 183 (nach einem ungedruckten Bericht). 



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78 Napoleon bleibt zum Krieg entschlossen. 

Warschau nach Paris und schilderte das wüste, unwegsame 
Litthauen, schilderte dessen Adel, der bereits halb russisch ge- 
worden sei, das Volk kühl und wenig empfänglich, und ver- 
sicherte, man dürfe sich von dessen Befreiung keine allzu großen 
Erfolge versprechen. Darauf lenkte der ältere Segur die Blicke 
des Kaisers auf Frankreich zurück, das nach dem Feldzug auf- 
hören müßte Frankreich zu sein, sobald es zu Europa erweitert 
würde; das Ende wäre dann, daß an die Stelle der Monarchen 
des Weltteils die Generale des Empire als Statthalter träten, 
die, ehrgeiziger als die Offiziere Alexanders des Großen, viel- 
leicht nicht erst den Tod ihres Herrn abwarten würden, um 
selbst zu herrschen. Und ähnlieh sprach Duroc. Aber Alle 
hatten vergeblich geredet. Von seinen Alliierten, erwiderte 
Napoleon, besorge er nichts: Preußen sei an jeder Bewegung 
gehindert, mit den süddeutschen Höfen und mit Österreich 
verknüpfe ihn das Band der Verwandtschaft. Übrigens seien 
die Deutschen von langsamer methodischer Art, und er würde 
immer noch Zeit i'ür sie gewinnen. Die Ehrsucht seiner Generale 
sei ihm bekannt; sie werde aber eben durch den Krieg ab- 
gewendet. Habe dieser seine Gefahren, so der Friede nicht 
minder. Denn zöge er seine Armeen ins Innere des Landes, 
so würden hier in Muße und Kühe viel zu viel ehrgeizige Inter- 
essen und waghalsige Leidenschaften keimen, als daß er ihrer 
Herr zu werden vermöchte. Meint man da nicht die Wort- 
führer des Konvents und die Radikalen des Direktoriums zu 
hören? Und ist es nicht der alte Träumer von ehemals, 
der jetzt wieder das Schicksal als letztes Argument ausspielt? 
./Ich fühle mich", sagte er, „nach einem Ziele hingetrieben, das 
ich nicht kenne. Wenn ich es erreicht haben werde, wird ein 
Atom genügen, mich niederzuwerfen. Bis dahin vermögen alle 
Anstrengungen der Menschen nichts gegen mich." *) 

Hatte er so die Vorstellungen seiner Umgebung zum 
Schweigen gebracht, so wandte er sieh mit neuer Energie der 
tausendfältigen Sorge für das riesige Heer zu, dem es an nichts 
gebrechen sollte. Und fürwahr, bis ins kleinste Detail war die 
Ausrüstung vorgesehen. Außer den Munitionsparks der ein- 

*) Se-gur, Histoire et Memoires, IV. 87 ff. 



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Seine Sorge für das Heer. 79 

zelnen Korps waren in Modlin, in Thorn und Pillau, in Danzig 
und Magdeburg Reservelager mit vielen Millionen von Pa- 
tronen angelegt. Um ungefähr 1300 Geschütze nach Rußland 
zu schaffen, waren 18.000 Pferde bereitgestellt worden, und 
überdies wurden aus Danzig und Magdeburg Belagerungsparks 
gegen Dünaburg und Riga dirigiert. Für die wasserreiche 
Gegend führte man zwei Brückentrains mit; außerdem hatte 
jedes Armeekorps seine Pontons und Werkzeuge. Für Pferde- 
depots an der Weichsel und Oder hatte Preußen zu sorgen. 
Die wichtigste Aufgabe lag in der Verpflegung solcher Massen. 
Sie erforderte die größte Aufmerksamkeit, da, wie Napoleon 
nicht müde wurde, seinen Unterfeldherren zu versichern, eine 
so große Menschenmenge, enge beisammen, nicht vom Lande 
werde leben können. So wurden denn auf Tausenden von 
Wagen den französischen Truppen Mehl und Reis nach- 
geführt, zum Teil von Ochsen befördert, die man dann zu 
schlachten gedachte. Mitte Januar traf der Kaiser Anordnungen 
zur Aufhäufung von Lebensmitteln für 400.000 Mann auf 
50 Tage in Danzig und in den Oder- und Weichselstädten. 
Außerdem hatte Preußen mit Lieferungen für 20 Tage auf- 
zukommen. Zwei große Transporte sollten Mehl und Zwie- 
back von Elbing zu Wasser nach Wilna bringen. Danzig, 
Elbing, Warschau, Thorn, Marienburg, Bromberg, Modlin ent- 
hielten riesige Vorräte davon, Danzig allein 300.000 Zentner 
Mehl und zwei Millionen Zwiebackportionen. Wollte man nicht 
auch noch die Nahrung für anderthalb Hunderttausend Pferde 
der Armee mitführen, so mußte man für den Feldzug eine 
Jahreszeit abwarten, die auf Wiesen und Feldern grünes Futter 
bot. So spielte die Armeeadministration in die Politik hinüber; 
sie hat, wie wir wissen, die Eröffnung des Krieges bis zum Som- 
mer verzögert.*) Und auch das war nun erreicht, ohne daß die 
Russen — wie Napoleon gefürchtet haben mochte — inzwischen 

*) Segur (IV. 94) erzählt, Napoleon sei durch eine Lebensmittel- 
krisis, veranlaßt dureh den Mißwachs im Vorjahre, zwei Monate länger 
in Frankreich zurückgehalten worden. Das ist insofern nicht ganz 
richtig, als jenes mit Maret verfaßte, die ganze Politik gegen Rußland 
zusammenfassende Memoire vom 16. August 1811 bereits vom Juni 
des nächsten Jahres als Termin für den Beginn des Krieges sprach. 
{Siehe oben S. 52). 



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80 



Der Kaiser im Felde. 



die Offensive ergriffen und über die Grenze drangen. Der 
„letzte Akt", wie er beschwichtigend sein russisches Unter- 
nehmen nannte, konnte beginnen. 

Am frühen Morgen des 29. Mai verließ der Kaiser Dresden 
und fuhr zunächst nach Posen, wo er am 31. eintraf, um von 
hier über Thorn und Danzig nach Königsberg weiterzureisen. 
Er hatte auch für seinen Aufenthalt im Felde schon im 
Januar eingehende Anordnungen getroffen. Zur Fahrt nach 
dem Kriegsschauplatze diente ihm ein bequemer Reisewagen, 
in dem er arbeitete und nächtigte und dem seine reiche Suite 
teils zu Pferde teils ebenfalls zu Wagen folgte. Kam der Zug 
in einen Ort, wo das Hauptquartier aufgeschlagen wurde, dann 
waren im Xu in dem ansehnlichsten Hause ein paar Zimmer 
für ihn eingerichtet, deren bestes als Arbeitskabinett zu 
dienen hatte, mit kleinen Tischen in den Ecken für die Sekre- 
täre und einem größeren in der Mitte, wo Oberst d'Albe sofort 
die gewünschte Karte ausbreitete, die des Abends zehn Wachs- 
lichter beleuchteten. Denn auch ein ganzes transportables 
Kabinettsarchiv und eine sorgfältig ausgewählte Landkarten- 
sammlung begleiteten den Kaiser. Sie waren auf der Fahrt 
ebenso gut von einem Piquet Gardekavallerie bewacht wie der 
Wagen, in dem er saß. Im Biwak wurde ein Rechteck von 
hundert zu zweihundert Klaftern abgesteckt und mit Schild- 
wachen umgeben, das neben dem Zelte des Kaisers noch sieben 
andere enthielt: eins für die Großoffiziere (Duroc, Caulain- 
court), eins für die Adjutanten, eins für die Ordonanzoffiziere, 
eins für die Sekretäre usw. Das Napoleons war in zwei Salons, 
ein Arbeitskabinett und ein Schlafzimmer abgeteilt; einer der 
zwei Generaladjutanten vom Dienst schlief des Nachts im 
zweiten, die Hälfte der Ordonnanzoffiziere im ersten Salon. 
Der Adjutant hatte ein großes Portefeuille mit den eben be- 
nötigten Karten, einen Kompaß, färbige Stecknadeln und 
Schreibrequisiten stets zur Verfügung des Kaisers zu halten. 
Die Mappe war auf dem Marsche einem der beiden Chasseurs 
de portefeuille anvertraut, die in der Suite mitritten. War der 
Kaiser zu Pferde, so hielt auch schon ein Page das Fernrohr 
bereit und Schreibzeug, wenn es benötigt wurde, und Cau- 
laincourt, der wieder seinen Dienst als Oberststallmeister 



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Des Krieges Anfang. 



81 



versah, die eben in Gebrauch stehende Karte, so gefaltet, daß 
der Blick Napoleons sogleich auf die entscheidende Stelle 
fallen konnte. Drei Maitrcs d'hotel und ein Piqueur zu Pferde 
hatten Menagekörbe vor sich auf dem Sattel, zwei berittene 
Kammerdiener trugen Medikamente und chirurgische Instru- 
mente. Stieg der Kaiser vom Pferde, so saßen auch sofort vier 
Chasseurs der Eskorte ab und umgaben ihn in entsprechender 
Entfernung. Sie blieben um ihn, während er die Gegend reko- 
gnoszierte. So war das Einzelnste vorgesehen, und niemand 
vom „militärischen Hause" Napoleons würde sich auch nur die 
kleinste Unregelmäßigkeit gestattet haben. Überall herrschte 
präzise Ordnung, alles war auf den Wink des Kriegsherrn ein- 
gerichtet.*) 

Narbonne hatte aus Wilna als Antwort zurückgebracht, 
was bereits vor Jahresfrist von Caulaincourt gemeldet worden 
war: den Entschluß des Zaren, sich, wenn es sein müsse, 
bis in die entlegenen Tiefen seines weiten Reichs zurück- 
zuziehen und nicht eher an Frieden zu denken, als bis 
die Franzosen es wieder verlassen haben würden.**) Zugleich 
blieb Alexander bei seiner Forderung, Preußen zu räumen, 
und jetzt nahm Napoleon den Handschuh ohne weiteres auf. 

*) Siehe das Reglement bei Margtieron, III. 536 ff. und vgl. 
Odeleben, Napoleons Feldzug in Sachsen, S. 95 ff. 

**) „Alexander verkündete, daß er, wenn selbst der Kaiser nach 
Petersburg oder Moskau gehen würde, sich verteidigen, oder vielmehr 
Feinen Feind erschöpfen wolle, indem er ihn vorrücken und sich mit 
Märschen zugrunde richten lasse, da Napoleon die Okkupation des 
Landes soweit weg von allen seinen Hilfskräften nicht lange auszuhalten 
vermöge." Castellane, Journal, 26. Mai 1812,1.96. Vgl. Vandal, 
III. 430 nach unedierten Berichten: „Der Zar zeigte auf der Karte auf 
einen Punkt im östlichen Asien und sagte: „Ist Napoleon zum Krieg 
entschlossen und begünstigt das Glück die gerechte Sache nicht, dann 
wird er bis hierher gehen müssen um den Frieden zu finden." Dazu 
stimmt auch ein Brief Alexanders an Richelieu, den Gouverneur Süd- 
rußlands, vom 9. April 1812, worin Dieser den Auftrag erhält, „wenn, 
was Gott verhüten möge, irgendeine Katastrophe uns zwingen sollte, 
soweit zurückzugehen, daß Ihre Provinzen in Gefahr gerieten", die ihm 
anvertraute Gräfin Narischkin ins Innere zu begleiten. Der Brief be- 
zeichnet als Zufluchtsorte Pensa, südöstlich von Moskau, oder Saratow 
an der Wolga. (Rochecho uart, Memoire«, p. 167.) 

Pournier, Napoleon I. 6 



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82 



Die Gliederung der Großen Armee. 



Er hatte seine „Große Armee" in drei Gruppen zerlegt, 
von denen die eine unter seinen Oberbefehl, eine zweite unter 
Eugen, eine dritte unter J eröme gestellt war. Die Hauptarmee 
umfaßte die Elite des Heeres: die Garde, ein starkes Korps 
unter Davout, ein zweites unter Oudinot, ein drittes unter 
Ney, dem zwei württembergische Divisionen unterstanden, ein 
viertes (das X.) unter Macdonald, dem die Preußen unter 
Grawert zugeteilt waren, endlich die Kavalleriereserve (zwei 
Korps) unter Murat, zusammen 250.000 Mann.*) Zur zweiten 
Heeresgruppe unter dem Vizekönig von Italien gehörten das 
italienische und das bayrische Armeekorps und überdies ein 
französisches Reiterkorps, im ganzen 80.000 Mann. Die dritte 
Armee unter Jeröme faßte die Polen unter Poniatowski, die 
Sachsen unter Reynier, die Westfalen unter Vandamme, der 
den König beraten sollte, und ein aus Polen, Sachsen und West- 
falen gemischtes Kavaileriekorps in sich, gleichfalls an 80.000 
Streiter. Das Heer war nur zur kleineren Hälfte französisch, 
die größere stellten die abhängigen Völkerschaften. Im ganzen 
genommen war es — wenigstens was die Franzosen betraf — 
voll guten Geistes, stolz auf seinen Führer, der Kriegstaten 
so freigebig zu belohnen wußte und an dessen Genie man un- 
bedingter glaubte als je. Wenn auch einzelne Generale auf 
die allzu junge Mannschaft hinwiesen, die den Beschwerden 
nicht gewachsen sein werde, wenn sie auch, wie Rapp, offen 
eingestanden, daß sie lieber in Paris geblieben wären: es gab 
andere genug, die noch keine Lehen empfangen hatten und 
keinen Herzogstitel besaßen, und wer weiß, ob so bald wieder 

*) Die Angaben über die Stärke der einzelnen Armeekorps sind 
nicht ganz übereinstimmend. Die Tabelle in Fezensacs Souvenirs be- 
ziffert z. B. die Garde mit 35.800 Mann, während sie nach authen- 
tischen Quellen 47.000 zählte. Sie zerfiel in die Division der alten Garde 
(unter Lefebvre), zwei Divisionen der jungen Garde (unter Mortier) 
und die Gardekavallerie (unter ftessieres). Die Stärke des Davoutschen 
Korps betrug nach den amtlichen Quellen 69.553 Mann (Fabry. Cam- 
pagne de Russie, IV. Annexe p. 262). Thiers, der die kaiserlichen 
Tabellen benützt haben will, spricht von 97—99.000. Ungefähr die 
letztere Anzahl, 100.000 Mann, nennt auch Napoleon ini Gespräche mit 
Katharina von Westfalen. (Siehe deren Tagebuch von 1812, in der 
„Revue historique" von 1888.) Castellanes Journal, 19. Juni 1812, 
•pricht von 80.000. 



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Die Aufstellung der Küssen. 



83 



die Gelegenheit kam, beides zu erwerben?*) Ob auch gleich 
in Holland und Illyrien Aufruhr über die Konskription ent- 
standen war, Tausende französischer Militärflüchtlinge ge- 
fesselt herbeigeführt werden mußten und zwischen Preußen 
und Franzosen schon in den ersten Tagen ein blutiges Kencontre 
über einen Verpflegstrain entbrannte, so waren das doch nur 
Untergeordnete Momente. 

Ende Mai stand das Heer von Königsberg und Elbing 
die Weichsel aufwärts bis Nowo Alexandria hin, indes die 
Österreicher unter Schwarzenberg — Erzherzog Karl hatte den 
Befehl über das Hilfskorps abgelehnt — bei Lemberg sich 
sammelten. Diese weite Ausdehnung der alliierten Streitkräfte 
ließ die Bussen im Unklaren, ob der Vorstoß Napoleons im 
Norden, bei Kowno und Grodno, oder südlich, von Warschau 
her, erfolgen werde. Sie mußten hier wie dort bereitstehen, 
um nicht überrumpelt zu werden, und teilten zu diesem Zweck 
ihre verfügbaren Kräfte in zwei Armeen, von denen die eine 
nördlich um Wilna unter dem Oberbefehlshaber Barclay de 
Tolly, eine andere unter Bagration — beide Generale hatten 
sich im Feldzuge von 1807 ausgezeichnet — südlich vom Pripet 
ihre Aufstellung nahm. Eine dritte gegen Schwarzenberg be- 
stimmte Abteilung unter Tormassow war in Wolhynien erst 
in der Bildung begriffen. Die Armee Barclays zählte nur 
111.000 Mann,**) die Bagrations 66.000; diese mußte aber, als 
sie nordwärts rückte, um die Fühlung mit dem Hauptheer zu 
gewinnen, nahe bei 30.000 Mann an Tormassow überlassen, 
der dadurch über Gebühr verstärkt wurde, da österreichiseher- 
seits versichert worden war, man werde den Krieg als selb- 

*) Noch aus dem verbrannten Moskau heraus schreibt einer: 
„Man spricht davon, nach Indien zu gehen. Wir haben ein so großes 
Vertrauen, daß wir Uber die Möglichkeit des Erfolges eines solchen 
Unternehmens nicht weiter nachgrübeln, nur etwa über die Anzahl der 
Monate, die der Marsch benötigen und wie lange dann die Briefe aus 
Frankreich brauchen würden. Wir sind an die Unfehlbarkeit des Kaisers, 
an das Gelingen seiner Pläne gewöhnt." (Castcllane. Journal, 5. Ok- 
tober 1812, I. 165.) 

**) Buturlin (Campagne de Russie) hatte sie mit 127.000 an- 
gegeben, doch ist, diese Zahl nicht festzuhalten. Siehe u. A. Loewen- 
stern, Memoire9 (ed. Weil) I. Annexe III. 

6* 



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84 Feldzugspläne. 

ständige Macht, d. h. nicht allzu eifrig, führen und die Frank- 
reich zugesagte Streitkraft sicher nicht vermehren. Es lagen 
also den 400.000 Mann der ersten Aufstellung Napoleons etwa 
nur 150.000 Russen gegenüber, und diese getrennt, denn Ale- 
xander, der sich das Zurückweichen ins Innere schon mit Rück- 
sicht auf die öffentliche Meinung nicht ohne Kampf denken 
durfte, hatte einen von dem 1807 aus dem preußischen ins 
russische Heer übergetretenen General Phull ausgearbeiteten 
Kriegsplan angenommen, wonach eine starke Armee vor dem 
Feinde sich auf ein verschanztes und mit Reserven besetztes 
Lager bei Drissa zurückziehen sollte, um dort den Streit 
zu wagen, während ein zweiter Heerkörper ihn, wenn er dort- 
hin nachrückte, in Flanke und Rücken zu belästigen hätte. 
Drissa würde dann ungefähr dieselbe Rolle zufallen, die 
Wellington mit so viel Erfolg den Torres vedras anvertraut 
hatte. Allerdings stand noch eine russische Armee unter Ad- 
miral Tschitschagoff in der Walachei, eine zweite schwächere 
unter Steinheil in Finnland. Aber diese beiden hatte die Po- 
litik eben erst freigegeben; sie kamen für den Beginn der 
Feindseligkeiten noch nicht in Betracht. 

Daß er dem Feinde so weit überlegen war, vermutete 
Napoleon nicht. Er schätzte dessen Kräfte um vieles höher.*) 
Vielleicht war es dieser Irrtum, der ihm und seinem 
Heere vor jedem anderen verhängnisvoll wurde. Denn 
er ließ ihn einen Plan entwerfen, den er möglicherweise 
bei genauerer Kenntnis vom Feinde nicht gefaßt haben 
würde und in dessen eifriger Verfolgung er seine Truppen 
aller Unbill aussetzte, die ihnen bei einem methodischeren 
Feldzuge erspart geblieben wäre. Dieser Plan ging dahin, 
mit der ersten Armee, deren linker Flügel unter Macdonald 
bei Tilsit über den Niemen rücken und von da mit den 



*) In den Aufzeichnungen zweier Offiziere des großen Haupt- 
quartieres finden sich die Belege für solche Überschätzung. Segur nennt 
als Gesamtanzahl der Russen 300.000, Fezens ac 330.000. Der Letztero 
beziffert die beiden Armeen Barclays und Bagrations allein mit 230.000 
Mann. Die Abteilung des Letzteren wurde immer in ihrer ursprünglichen 
Stärke (66.000 M.) festgehalten. Napoleon selbst schätzte Barclay auf 
150.000, Bagration auf 100.000 Mann. 



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Irrtümer beiderseits und deren Folgen. 85 

Preußen nordwärts operieren sollte, über Kowno auf Wilna 
vorzudringen und zwischen Barclay und Bagration durch- 
zubrechen. Die zweite und dritte sollten der ersten zur Rechten 
staffeiförmig über Grodno folgen, um, gleichsam einen mäch- 
tigen Keil bildend, den Riß zwischen den feindlichen Heer- 
teilen zu erweitern, damit sie dann getrennt umfaßt und ge- 
schlagen werden konnten. Aber merkwürdiges Schicksal ! Gerade 
die ungeheuren Massen, über die Napoleon verfügte, sollten ihn 
in Nachteil setzen. Derselbe General, der im Jahre 1796 mit 
40.000 Mann unerhörte Triumphe errungen hatte, sollte nun, 
mit der zehnfachen Kraft bewehrt, eines weit geringeren 
Feindes nicht Herr zu werden vermögen. Und so paradox es 
klingt, es war im Grunde nur natürlich. Denn der Überzahl 
der Franzosen wagte Barclay allein nicht, wie er sonst gerne 
gewollt hätte, sich zum Kampfe zu stellen, auch nicht auf die 
befestigte Düna gestützt. Er suchte vielmehr retirierend weiter 
rückwärts den verlorenen Anschluß an Bagration, der sich in 
der gleichen Absicht zurückzog. Da nun aber die Entfernung 
Beider durch die zwischendrängenden Heeressäulen der Fran- 
zosen immer größer wurde, konnte ihre Vereinigung — wenn 
Bagration der ihm drohenden Umarmung entschlüpfte — 
erst nach weitem Rückmärsche bewerkstelligt werden. Und so 
kam es, daß sie, fortwährend ihre Verbindung suchend, vor den 
Franzosen wichen, die Schlacht nicht annahmen, die Napoleon 
mit fieberhafter Ungeduld herbeisehnte, den Feind durch 
wüstes Land und auf verheerten Wegen hinter sich herhetzten, 
bis ihn seine Vorräte nicht mehr erreichen konnten, seine 
Truppen vor Erschöpfung versagten und das stolze Heer so 
arg zusammenschmolz, daß es den Sieg, den es endlich mühe- 
voll errang, nicht mehr entscheidend auszunützen vermochte. 
Das war im wesentlichsten der Gang der nächsten Ereignisse, 
die eine Katastrophe vorbereiteten, wie sie die Geschichte ent- 
setzlicher nicht kennt. 

Man wird hierbei nicht übersehen dürfen, daß Napoleon 
zwar sehr lebhaft an Moskau als letztes Ziel seiner Unter- 
nehmung, aber doch wohl kaum daran dachte., dieses Ziel noch 
mit diesem spät begonnenen Feldzuge zu erreichen. In Paris 
hatte er seinen Vertrauten verkündet, er denke nur Alexander 



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86 Des Kaisers ursprüngliche Absicht. 

und die russische Macht, durch den Verlust Polens geschwächt, 
hinter den Dnjepr zurückzuwerfen. In Dresden sagte er zu 
Metternich, die Kampagne solle bei Minsk nnd Smolensk ihr 
Ende erreichen; dort wolle er Halt machen, die beiden Plätze 
befestigen, in Wilna sein Winterquartier nehmen, das eroberte 
Litthauen organisieren und seine Armee auf Kosten Rußlands 
ernähren. Sollte das dann nicht zum Frieden führen, so würde 
er im nächsten Jahre bis zum Zentrum des Landes vordringen 
und ebenso geduldig, wie im ersten Feldzuge, die Nachgiebig- 
keit des Zaren abwarten. Diese Absicht, mit der das ganze Ver- 
pflegswesen zusammenhing, bestand noch, als Napoleon sein 
Heer über die russische Grenze führte. In dem Manifest, das 
er da an seine Soldaten richtete, nannte er den Krieg, den er 
begann, den „zweiten polnischen Krieg", und in Wilna 
versicherte er dem General Sebastiani, er werde die Düna nicht 
überschreiten, denn über sie hinauszugehen wäre in diesem 
.Jahre unfehlbares Verderben. Polen, das er den Eus3en ent- 
reißen wollte, ward freilich in seiner größten Ausdehnung 
gedacht, die es im 17. Jahrhunderte gehabt hatte, als auch 
Smolensk noch daeu gehörte, und in dieser Stadt gedachte er 
zu bleiben, wie er zu Jomini sagte, der für den Nachschub der 
Verpflegsmittel sorgen sollte.*) Man sieht, er hatte ur- 
sprünglich durchaus nicht einen raschen Vorstoß ins Herz von 
Rußland geplant, wie einzelne Militärschriftsteller festhalten 
wollen, und es war gewiß gegen seine wohl und lange überlegte 
Absicht, so schnell nach Moskau zu kommen. Die verderbliche 
Hast der Bewegung ward ihm vom Feinde aufgedrungen. Doch 
nun zu den Ereignissen selbst. 

*) Siehe Metternich, Nachgelassene Papiere, I. 125; Sögur, 
Histoire et mernoires, IV. 281; Jomini, Prelis politique et militairc 
des campagnes de 1812 ä 1814, 1. 75. Hier wird auch von einem Tisch- 
gespräch in Wilna erzählt, wobei sich der Kaiser über seine Absichten 
genau so wie in Dresden zu Metternich äußerte: „Wenn Herr Barclay 
meint, ich würde ihm bis zur Wolga nachlaufen, irrt er gewaltig. Wir 
werden ihm bis nach Smolensk und an die Dwina folgen, wo eine 
gute Schlacht uns Kautonncments geben wird. Ich werde mit dem 
Hauptquartier nach Wilna zurückkehren, um hier den Winter zu ver- 
bringen, werde eine Truppe der Pariser Oper und des Theatre franc,ais 
kommen lassen. Jm nächsten Mai wird dann das Geschäft beendigt, 
wenn wir nicht noch während des Winters Frieden machen." 



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Der Einmarsch in Litthauen. 



87 



Am frühen Morgen des 23. Juni hat der Kaiser — in den 
Überrock eines polnischen Lanzenreiters gehüllt und mit einer 
schwarzen Mütze auf dem Kopfe, nur von Caulaincourt, Bcr- 
thier und Ney begleitet — südöstlich von Kowno den gün- 
stigsten Punkt für den Übergang über den Niemen erkundet. 
Nach Mitternacht beginnt derselbe auf drei Brücken und wahrt 
einige Tage. Kein Feind, einige Kosaken ausgenommen, ist zu 
sehen. Niemand macht den Franzosen das jenseitige Ufer 
streitig. Und Napoleon hatte auf Widerstand gerechnet. Nun, 
er hofft ihn vor Wilna, der großen Stadt Litthauens, zu finden. 
Dahin dirigiert er seine Armee. Dort weilt Alexander. Der Zar 
hatte den Polen wiederholt seine Sympathien entgegen- 
gebracht. Jetzt will er wenigstens dem Franzosenkaiser sein 
Spiel erschweren. Und das scheint ihm zu gelingen. Denn von 
dem Enthusiasmus der Litthauer für den „Befreier" Polens 
vernimmt das anrückende französische Heer nur wenig. Endlich 
muß der Zar Wilna räumen, wo am 28. Juni Napoleon mit 
den Seinigen einzieht. Von Widerstand war wieder kaum die 
Bede. Schwache russische Posten wurden mit spielender Leich- 
tigkeit vertrieben. Die erwartete Schlacht blieb aus. Und auch 
in der Stadt nicht die erhoffte Begeisterung, keinerlei Opfer- 
mut, nicht die vielen Tausende von Streitern, auf die man ge- 
rechnet hatte, nicht Geld oder sonstige Unterstützung. Der 
Kaiser war voll Unmut hierüber. Es störte seine Kreise. Denn 
seine Absicht war gewesen, im Herzogtum Warschau die natio- 
nale Begeisterung aufs neue anzufachen, damit sie von hier 
aus die russischen Polen erfasse und in ihnen dem Zaren neue 
Feinde schaffe, bereit, mit den Waffen die Idee ihrer alten 
Unabhängigkeit zu verfechten. Darum hatte er noch von Paris 
und später von Dresden aus als seine Absicht verbreiten lassen, 
das alte Königreich solle wieder erstehen, darum hatte er als 
seinen Vertreter einen außerordentlichen Gesandten, den Abbe 
de Pradt, Titularerzbischof von Mecheln, nach Warschau ge- 
schickt, damit er dort das Ministerium, dem der König von 
Sachsen souveräne Vollmachten zugestanden hatte, zu möglichst 
großen Opfern an Kriegskräften bewege und einem Reichstag, 
der einberufen wurde, des Kaisers Schutz ankündige. Es sollte 
eine „Konföderation", wie im alten Polen, gebildet werden,. 



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88 Die Sendung de Pradts. 

die ihre Agenten und Kundmachungen nach Russisch-Polen 
zu entsenden und der russischen Armee ähnliche Verlegen- 
heiten zu bereiten hätte, „wie sie die französische in Spanien 
erfährt." Die Nation sollte „in eine Art Rausch" versetzt und 
nur mit den österreichischen Provinzen eine Ausnahme ge- 
macht werden, „da man einen Alliierten nicht verstimmen 
dürfe".*) Alles das sollte de Pradt geschickt ausführen, aber 
ohne bis ans Ende zu gehen. Denn des Kaisers Absicht war es 
auch jetzt nicht, das alte Polen wirklich wiederherzustellen, 
sondern nur die Hoffnung darauf in der Nation so sehr zu be- 
leben, daß sie den Krieg gegen Rußland als Unabhängigkeits- 
kampf auffaßte und mit dem Aufgebot all ihrer Kräfte 
führen half. Die entscheidende Stelle in der Instruktion für 
de Pradt lautete dementsprechend, der Kaiser werde einer 
Abordnung der Konföderation, die er erwarte, erwidern, daß 
die Wiedergeburt ihres Vaterlandes nur von ihrem Eifer, ihren 
Anstrengungen, ihrem Patriotismus abhänge. Dieses Verhalten 
möge auch dem Gesandten zur Richtschnur dienen.**) Also: mög- 
lichste Ausnutzung der nationalen Wünsche in seinem In- 

*) Napoleon hatte für diese Mission zunächst Talleyrand ins 
Auge gefaßt, der sich 1807 in Warschau beliebt gemacht und jenerzeit 
die russisch-französische Allianz sehr ungern gesehen hatte. Aber 
während der Kaiser in den letzten Jahren von dem Bündnis allmählich 
abgewichen war, war Talleyrand Alexanders heimlicher Bundesgenosse 
und Vertrauensmann geworden, der sich gelegentlich nicht scheute, 
den Zar um eine größere Summe zur Begleichung dringender Auslagen 
zu bitten. (Siehe Schilder, Alexander. II. 397) Ahnte Napoleon diese 
Beziehungen? und versuchte er den gefährlichen Mann unschädlich zu 
machen, indem er ihn durch den Auftrag in Polen Alexander gegen- 
über kompromittierte? Jedenfalls schien es ihm gut, Talleyrand aus 
Paris fortzubringen, während er im Osten Krieg führte. Aber der Herzog 
von Benevent hatte wenig Lust, sich zu exponieren, und dürfte abge- 
lehnt haben. Daß er in seiner G-eldsucht die ihm unter Diskretion 
angebotene Vertrauensstellung rasch zu einer Spekulation an der Wiener 
Börse benützte, brachte ihn aufs neue in Ungnade und verschaffte de 
Pradt. auf Duroes Fürwort, die Sendung (Ernouf, Maret. p. 378). 
Möglich ist auch, daß Talleyrand, indem er die ihm aufgetragene Ver- 
schwiegenheit verletzte, geradezu die Absicht verfolgte, die unangenehme 
Mission loszuwerden. Die Sache ist noch nicht geklärt. 

*♦» Die Instruktion für de Pradt vom 28. Mai 1812 in Corresp. 
XXLII. 18.734. 



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In Wilna. 



89 



teresse, jetzt, wie 1807, und nichts weiter. Pradt versah sein Amt 
schlecht, und der Kaiser sah sich in seinen Erwartungen 
getäuscht. Schon daß die Warschauer die 70.000 Mann, die 
sie stellten, kaum zur Hälfte bezahlen konnten, woraus Frank- 
reich neue Unkosten entstanden, ließ ihn die Herstellung der 
alten polnischen Eepublik von einer ganz anderen Seite be- 
trachten, als sie die nationalen Patrioten ansahen. „Ich kann 
nicht begreifen," hatte er im letzten Dezember einmal an 
Davout geschrieben, „wie dieses Land beanspruchen kann, 
eine Nation zu werden." Jetzt sagte er zu Alexanders Abge- 
sandten Balascheff, dem Polizeiminister, der ihn — wohl mehr 
zur Kundschaft als zu diplomatischer Unterhandlung — in 
Wilna aufsuchte, um ihm zu versichern, daß der Zar zu ver- 
handeln bereit sei, wenn der Feind sein Reich wieder verlassen 
wolle, u. a.: „Glauben Sie etwa, daß mir etwas an diesen pol- 
nischen Jakobinern gelegen sei?" Es war, wie er sich zu 
Narbonne äußerte : „Die Polen dulde ich nur als disziplinierte 
Macht auf dem Schlachtfelde. Wir werden ein Stückchen 
Reichstag haben im Großherzogtura Warschau, weiter nichts." 
Als dann dieses Stück Warschauer Reichstag wirklich eine De- 
putation nach Wilna schickte und ihn bat, er möge doch nun 
nur das eine Wort sprechen, daß das Königreich Polen existiere, 
antwortete er ausweichend und mit dem Hinweis auf die Inte- 
grität Österreichs, die er gewährleistet habe. So hatte er es 
tatsächlich in Dresden mit Franz I. vereinbart.*) Unter diesen 

*) Daß dem so ist, geht aus einem Schreiben des Kaisers von 
Österreich an seinen Gouverneur in Galizien. den Grafen Goeß, vom 
7. Juni 1812 hervor, worin es heißt: „Die Herstellung eines Königreichs 
Polen wird wahrscheinlich eines der ersten Resultate des Ausbruches 
des Krieges zwischen Frankreich und Rußland sein. Der französische 
Kaiser wird an diesem Ereignisse nur einen indirekten Anteil nehmen 
und dem zusammenzuberufenden polnischen Reichstage und dem mit 
allen Regierungs vollmachten versehenen Warschauischen Ministerio die 
Bearbeitung der ehemaligen, das Königreich Polen konstituierenden 
Teile, welche nun unter russischer Botmäßigkeit sind, überlassen. Der 
Deputation des Reichstages, welche die Herstellung des Königreiches 
bei dem Kaiser anflehen dürfte, wird derselbe antworten, daß dieses 
die Sache der Polen gelbst sei, daß er ihnen aber ausdrücklich erklären 
müsse, daß unter Polen nie die im Besitze Österreichs befindliche 
galizische Provinz verstanden werden könne, da er selbe vermöge der 



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90 



Erste Unfälle. 



Umständen war es kein Wunder, wenn es den Litthauern an 
Opferwilligkeit fehlte. 

Dies hatte übrigens noch einen besonderen Grund. Die 
„Befreier" kamen nämlich wie die erbittertsten Feinde, die 
„Träger der Zivilisation" wie deren geschworene Gegner, über 
das Land hergefahren. Tausende von hungernden Marodeurs 
strömten durch die Dörfer, beraubten die Edelsitze und hausten 
in wildem Unfug. Ja selbst in Wilna wurde von der Avant- 
garde in den Vorstädten geplündert, was auch die enragier- 
testen Polen verstimmte und dem Kaiser jenen unerwartet 
kühlen Empfang bereitete. Und diese Lockerung der Disziplin, 
bei Franzosen und Verbündeten, hatte wieder ihre zwiefache 
Ursache. Einmal waren gleich hinter dem Niemen die Truppen, 
um den Feind möglichst bald zu erreichen, in Eilmärschen vor- 
gegangen, und zwar auf Wegen, die ein mehrtägiger Landregen 
gänzlich aufgeweicht hatte, so daß das Vorwärtskommen zur 
Qual wurde und Viele, namentlich die blutjungen Rekruten, 
dieser Anstrengung nicht gewachsen, zurückblieben. Und dann 
kamen auch die Lebensmitteltransporte nicht vorwärts. Die 
Wagen blieben stecken. Die Ochsen, soweit sie überhaupt schon 
heran waren, wurden, schlecht gewartet, größtenteils von der 
Seuche befallen und verendeten. Desgleichen die Pferde, deren 
schon in den ersten Tagen über zehntausend an dem nassen 
Grünfutter zugrunde gingen, so daß die Garde allein hundert 
Geschütze zurücklassen mußte. Der Transportdienst auf den 
Straßen war unterbrochen. Die großen Mehlladungen zu Schiff 
gelangten allerdings bis in die Wilia, fuhren aber in dem 
seichten Fluß auf den Grund, und als die Fracht endlich zu 
Wagen bis Wilna gebracht war, befand sich die Armee nicht 
mehr dort. Bitterer Mangel trat ein, denn der Feind zerstörte 

Traktate vom Monate März 1812 Österreich ausdrücklich und auf ewig 
garantiert habe." Ahnlich schrieb Metternich an Hudelist am 6. Juli: 
„Kaiser Napoleon hat uns ganz au fait seines Planes gesetzt. Er wird dem 
polnischen Reichstag erklären, daß er französisches Blut nicht für die 
Sache Polens aufopfern könne, daß er aber Polen, wenn es Kraft genug 
habe, sich als solches zu bilden und herzustellen, alle Unterstützung 
leisten werde, von Polen aber förmlich Galizien ausscheide als neue 
dem österreichischen Kaiser auf alle Zukunft garantierte Besitzung." 
(S. Anhang.) 



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Barclay und Bagration. 91 

auf seinem Bückmarsch alle Mühlen, Scheunen und Speicher. 
Es kam vor, daß selbst in der jungen Garde — wie deren 
Führer Mortier dem Kaiser berichtete — Soldaten Hungers 
starben; andere schössen sich in der Verzweiflung vor den 
Kopf. Napoleon mußte zu den Juden seine Zuflucht nehmen, 
die allein in solcher Lage Rat schafften. Aber mitunter waren 
auch diese Retter in der Not nicht da. „Es fehlt an allem," 
schreibt ein Augenzeuge, „selbst an Juden." Die falschen 
Rubelscheine, die der Kaiser in Paris zu Millionen hatte an- 
fertigen lassen, fanden wenig Abnehmer.*) So war schon auf 
der Strecke von Kowno bis Wilna eine Unordnung eingerissen, 
die sich nicht wieder beseitigen ließ. Das Ende lag schon im 
Anfang begründet. 

Aber auch beim Feinde herrschte genug Verwirrung. Man 
darf sich überhaupt die Haltung des russischen Hauptquartiers 
nicht sehr zielbewußt denken. Wenn auch Alexander schon im 
März heimlich nach Berlin berichten ließ, er werde eher nach 
Kasan zurückgehen als einen seiner Unabhängigkeit verderb- 
lichen Frieden schließen,**) so ist doch erst im Verlaufe der 
nächsten Wochen, gleichsam unabsichtlich, der richtige Weg 
zur Vernichtung des Gegners gefunden worden. Für jetzt kon- 
zentrierte Barclay die sechs Korps seiner Armee einige Tag- 
märsche hinter Wilna, ohne daß die Franzosen es hindern 
konnten, und zog darauf eilends nach Drissa, wo in der Tat 
ein festes Lager errichtet war. Hier wollte er Bagration er- 



*) Siehe Sorel, VII. o77. Pasquier, I. 523, will wissen, daß von 
den falschen Noten nur eine kleine Anzahl au Mann gebracht, auf dem 
Rückzüge dagegen ganze Ballen verbrannt worden seien. In der geheimen 
Druckerei, die in Montrouge etabliert war und unter polizeilicher 
Leitung stand, waren übrigens auch — wie schon 1809 — österreichische 
Banknoten verfertigt worden. 

**) Duncker, Aus der Zeit Friedrichs des Großen und Friedrich 
Wilhelms in, Seite 573. Knesebeck, der damals in Petersburg weilte, 
um, im Auftrage seines Herrn, zum Frieden zu mahnen, soll für 
den Fall, daß es doch zum Kriege kam, den fortwährenden Bückzug 
empfohlen und damit auf den Zar einigen Eindruck gemacht haben. 
(Siehe Thimme in den Forschungen zur brandenburgischen und 
preußischen Geschichte, 1904, Seite 206.) 



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92 



Nach Drissa. 



warten, der mit dem Kosakenschwarm Platows über Nowo- 
grudok und Wileika herankommen sollte. Bagration kam nicht. 
Er fand den Weg bereits von Davout verlegt, den Napoleon 
rasch mit einigen Divisionen bis Minsk vorgeschoben hatte, 
damit er dort die zweite russische Armee empfange, die Jerdmc 
ihm von Westen her entgegentrieb. Der Busse wagte es nicht, 
sich durchzuschlagen, in der Meinung, es stehe die Haupt- 
armee des Feindes wider ihn, und wandte sich nach Süden, um 
über Bobruisk und Mohilew zu Barclay zu gelangen. Jerdmc 
war nicht rasch genug vorgeeilt, um ihn festhalten zu können; 
Davout hinwieder, der auch den Gegner noch immer in der 
alten Stärke — bei 70.000 Mann — wähnte, wartete in Minsk 
auf den Angriff des Königs von Westfalen, ehe er vorstieß; und 
so entkam Bagration. Napoleon, außer sich über die Saum- 
seligkeit seines Bruders, gab das Oberkommando über die dritte 
Armee an Davout, und Je*röine kehrte gekränkt in sein Land 
zurück. 

Zu derselben Zeit, gegen die Mitte Juli — viel zu spät, da 
die Not der Verpflegung den Aufenthalt in Wilna verlängert 
hatte — ließ der Kaiser Murat, Oudinot und Ney der russischen 
Hauptarmee nach Drissa folgen. Dort sollten sie Barclay in 
der Front festhalten, indes er selbst mit den Garden, drei Divi- 
sionen von Davout und den Truppen des Vizekönigs Eugen 
ihn rechts umging und ihm so die Verbindung mit Moskau und 
Petersburg abschnitt. Aber auch diese Absicht scheiterte. Die 
Russen erhielten in Drissa Nachricht, daß Bagration nicht 
herankommen könne, und da sie den von allem Anfang 
schlecht gewählten und ebenso schlecht befestigten Platz 
ohne alle Besatzung gefunden hatten, gaben sie ihn nach 
unbedeutenden Gefechten mit der französischen Vorhut 
auf und zogen ostwärts.*) Nur das rechte Flügelkorps 

*) „Weil es der Monarch so haben wollte", schrieb Barclay am 
10. Juli an einen Freund (Siehe Baltische Monatschrift, 1888), was 
darin eine Art Bestätigung findet, daß, als sich im Heer kritische 
Stimmen gegen Barclays Rückzug erhoben, Alexander ihm den Ober- 
befehl, den er selbst bisher innegehabt hatte, uneingeschränkt überließ 
und ihm bei seiner Abreise nach Moskau vor Zeugen zurief: „Vergessen 
Sie nicht, daß ich nur diese Armee habe. Halten Sie sich das stets 
gegenwärtig!« Loewenstern, der dies in seinen Memoiren (I. 208) 



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Opfer des Vormarsches. 



98 



unter Wittgenstein blieb zur Deckung der Straße nach 
Petersburg zurück, von Oudinot und Saint-Cyr beobachtet. 
So war für Napoleon, der übrigens seinen Entschluß 
nicht rasch genug ins Werk gesetzt hatte, zum zweitenmal die 
Aussicht geschwunden, den Feind zum Stehen zu bringen. 
Er ging unerbittlich zurück. Und was hatten diese miß- 
glückten Manöver nicht schon gekostet! Je mehr man vor- 
wärts eilte, um so größer wurden die Opfer, namentlich auf den 
Straßen, die der Gegner vorher gezogen war. Die Maraudage 
nahm die größten Dimensionen an, um so mehr als in den 
Tagen des Vormarsches an die Dwina die Julisonne heiß her- 
niederbrannte und unendlicher Staub das Atmen erschwerte. 
General Saint-Cyr, der die Bayern kommandierte, erzählt, sein 
Korps habe im Durchschnitt täglich ein Bataillon (800 bis 
900 Mann) aus den Reihen verloren; und so war es überall. 
Und was in den Reihen blieb, hatte erst recht mit Not und 
Elend zu kämpfen. Von regelmäßiger Verpflegung war seit 
Wochen keine Rede mehr. Bei der bloßen Fleischnahrung — 
denn es fehlte vollständig an Brot und jeglicher Hülsenfrucht 
— wurden die Truppen so elend, daß sie während des Marsches 
zusammenbrachen. Schließlich kam die Ruhr hinzu und raffte 
Tausende weg. Am schlimmsten daran waren die Reiter, denen 
die Pferde, die sich nur noch vom alten Stroh der Hütten- 
dächer nährten, unter dem Leibe hinstarben und mit ihren 
Kadavern die Straßen verpesteten. Es waren fürchterliche 
Strapazen, unter denen auch Napoleon litt. Das war nicht mehr 
der Mann, der sich in der Winternot des ersten polnischen 
Krieges so wohl gefühlt hatte. Ein Unterleibsübel (Dysurie) 
hatte sich in den letzten Jahren geltend gemacht. Es be- 
schwerte ihn jetzt besonders, da ihm jeder Ritt lästig wurde. 
Und dazu kam, daß seine Nerven durch die täglichen Mel- 



berichtet — er diente im Generalstab Barclays — sucht auch (I. 204) 
Phulls Plan, dadurch zu retten, daß er geltend macht, die Verschanzungen 
bei Dri88a seien zur Aufnahme von 60.000 Mann Reserven bestimmt 
gewesen, die aber ausgeblieben waren. Doch muß auch er zugeben, 
daß die ganze Anlage nur dann einen Sinn hatte, wenn der feindliche 
Angriff in der Richtung auf Pskow, das ist nach Petersburg hin erfolgte, 
was doeh ganz unsicher war. 



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94 



Nach Witebsk. 



düngen vom Hinschwinden der Armee und bei der steten Jagd 
nach einer entscheidenden Aktion, die sich immer nicht darbot, 
bis zum äußersten angespannt wurden. Er schien die ruhige 
Herrschaft über sich und andere zu verlieren, die er sonst im 
Felde bewiesen. Wie sehnte er sich nach einer Schlacht, um 
der qualvollen Lage ein Ende zu machen ! „Seit wir den Niemeu 
überschritten," schreibt der Maler Albrecht Adam, der im 
Hauptquartier Eugens den Feldzug mitmachte und sich gut 
unterrichtet zeigt, „beschäftigte ein Gedanke, eine Hoff- 
nung, e i n Wunsch den Kaiser und seine ganze Armee : der Ge- 
danke an eine große Schlacht! Man sprach von einer Schlacht, 
wie von einem Teste, freute sich auf sie und ließ den Kopf 
hängen, so oft man sich in der Erwartung getäuscht sah." 

Da winkt die Hoffnung wieder. Barclay zieht auf dem 
rechten Ufer der Dwina nach Witebsk. Er hat Bagration die 
Ordre zugesandt, über Mohilew und Orscha gleichfalls dorthin 
zu kommen. Nun gab es für Napoleon zwei Möglichkeiten: 
entweder es gelingt ihm, auf dem linken Ufer marschierend, 
dem Feind einen Vorsprung abzugewinnen, hinreichend, um 
bei Bjeschenkowitschi über den Fluß zu gehen und einen Stoß 
in die Flanke der marschierenden Russen zu unternehmen, oder 
Barclay stellt sich bei Witebsk, wo er Bagration erwartet, zur 
Schlacht. Das Erste traf nicht zu; der Gegner war zu schnell 
vorgegangen; es blieb nur übrig, ihm zu folgen. Aber das Zweite 
schien zur Tat werden zu sollen. Am 25. Juli traf Murats Rei- 
terei zum erstenmal auf ernsten Widerstand. Tags darauf 
drückten die Franzosen die russische Nachhut bis Witebsk 
zurück, und da stand am 27. das ganze Barclaysche Heer 
kampfbereit. Augenzeugen schildern die Freude der Franzosen 
über diesen Anblick, die Befriedigung ihres Führers. Und der 
Russe war wirklich zum Streit entschlossen, obgleich er nur 
noch über 75.000 Mann verfügte, denn, da er Bagration aus 
Süden im Anmarsch wußte, konnte er ihn nicht ohne Unter- 
stützung Napoleon in die Hände fallen lassen. Es kam aber 
doch wieder anders. Davout war von Minsk östlich auf Mo- 
hilew gerückt und Bagration an diesem Orte zuvorgekommen. 
Dieser hatte dann am 23. Juli versucht, sich Bahn zu machen, 
war jedoch nach einem heftigen Kampfe zurückgewiesen 



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Napoleon versäumt die Schlacht. 95 

worden und ging nun aufs neue südwärts, um im Bogen nach 
Smolensk zu gelangen und erst dort mit der ersten Armee 
zusammenzutreffen. Die Nachricht hiervon erhielt Barclay in 
der Nacht vom 26. auf den 27. Juli, als er bereits in Gefechts- 
stellung den Franzosen gegenüberstand. Nun hatte die 
Schlacht, erwog er, allerdings keinen Sinn mehr, sondern 
konnte nur noch verderblich werden; die Kräfte der Fran- 
zosen waren den seinigen weit überlegen, und es war nicht 
uu möglich, daß, während bei Witebsk gekämpft wurde, Davout 
auf Smolensk losrückte und dort vor ihm eintraf. Freilich, 
wenn Napoleon angriff, mußte er Stand halten. Der Kaiser 
aber ließ es am 27. bei unbedeutenden Scharmützeln bewenden, 
einmal, um möglichst viel Truppen heranzubekommen und 
dem Feinde ein „Austerlitz", wie er sagte, zu liefern, dann, um 
seine vom Marsch ermatteten Soldaten nicht in der Mittags- 
glut des überheißen Tages in den Kampf zu schicken, vielleicht 
aber auch, wie man vermutet hat, weil er selbst, in seinen kör- 
perlichen und moralischen Kräften angegriffen, zu einem 
jähen Entschluß nicht imstande war. Sein Zaudern aber wurde 
ihm verhängnisvoll. Der Feind entkam. Die russische Nachhut 
unter Pahlen löste ihre Aufgabe, den Abmarsch zu decken, 
vollkommen, und am Morgen des 28. Juli war kein Russe mehr 
zu sehen. Ein starker Frühnebel, der erst spät am Tage sank, 
hatte auch Pahlens Rückzug so gründlich verschleiert, daß 
keine Spur übrigblieb, welche die Richtung seiner Bewegung 
bekundet hätte. 

Die Enttäuschung war ungeheuer. Fast ein Drittel der 
Großen Armee war bereits dahin, über 130.000 Mann mußten aus 
den Mannschaftsrollen gelöscht werden, und noch war nichts er- 
reicht! Die Kavallerie hatte am meisten Einbußen erlitten — 
bei der Hauptarmee samt den Davoutschen Korps 23.000 von 
62.000 Mann — und war so nahe der Erschöpfung, daß General 
Belliard dem Kaiser offen versicherte, noch sechs Tage Vor- 
marsch und es gebe überhaupt keine Reiterei mehr. Zudem hatte 
man sich von den Flügelkorps allzu weit entfernt: von Mac- 
donald, der die Preußen gegen Riga entsendet hatte und mit 
seinen Franzosen auf Jakobstadt marschierte, von Reynier, der 
zur Beobachtung Tormassows am Pripet zurückgelassen werden 



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96 Rasttage. 

mußte, endlich von Schwarzenberg, der schon im Anmarsch 
auf Minsk gewesen war, um sich der Hauptarmee anzuschließen, 
unterwegs aber auf einen Hilferuf Reyniers umkehrte. Denn 
Tormassow hatte an demselben 27. Juli, an welchem sich 
Napoleon zur Schlacht bei Witebsk rüstete, eine sächsische 
Abteilung von dritthalbtausend Mann gefangen genommen 
und heischte ernste Beachtung, die ihm der Kaiser bis dahin 
versagt hatte. Jetzt stellt er Reynier unter Schwarzenbergs 
Befehl, dem er aufträgt, den Küssen zu schlagen und „mit ihm 
fertig zu werden". Einen ähnlichen Befehl hatte Oudinot Witt- 
genstein gegenüber erhalten : er soll ihn von Drissa vertreiben 
und nordwärts Macdonald entgegenwerfen. Aber Wittgenstein 
ließ sich nicht werfen, auch nicht als Saint-Cyr zur Verstär- 
kung herankam. Mitte August steht er noch immer bei Drissa. 

So lagen die Dinge, als Napoleon sich entschloß, seiner 
Armee endlich die Ruhe zu gönnen, deren sie so dringend be- 
durfte, Munition heranzuziehen und etwas Ordnung in das 
völlig zerrüttete Verpflegswesen zu bringen. Zum Glück begann 
bei Witebsk — das übrigens regelrecht geplündert worden 
war*) — die Gegend fruchtbarer und bevölkerter zu werden, 
das Volk selbst reinlicher und wohlhabender als die vertierten 
polnischen Bauern Litthauens. Man schöpfte neuen Mut, ob- 
gleich gerade während dieser Rasttage der unerträglichen Hitze 
und des schlechten Wassers wegen die Ruhr die meisten Opfer 
forderte. Auch Davout ward herzu kommandiert. Es wird von 
Se'gur erzählt, der Kaiser habe, von der Suche nach den ent- 
wichenen Russen zurückkehrend, seinen Degen in Erregung auf 
den Tisch geworfen und ausgerufen, hier wolle er bleiben, sich 
sammeln und Polen organisieren, der Feldzug von 1812 sei zu 
Ende, was zu tun übrig bleibe, werde der nächste besorgen. 
Und ähnlich hätte er sich zu Murat, der vorwärts wollte, ge- 
äußert: das Jahr 1813 werde ihn in Moskau, 1814 in Peters- 
burg sehen, der russische Krieg drei Jahre in Anspruch nehmen. 
Und so ungefähr hatte es ja auch auf seinem ursprünglichen 
Programm gestanden. Nur e i n Punkt fehlte darin, allerdings 
der wichtigste: der Sieg oder, wie er zu Jomini gesagt hatte, 

*) Auch die Gardesoldaten hatten sich beteiligt, was der Kaiser 
sebtivf tadelte. Castellane, Journal, 2. August, I. 125. 



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Rasttage. 97 

„eine gute Schlacht". Zwar stand die französische Heeresmacht 
zwischen Dnjepr und Dwina, in jenem natürlichen Tore, das 
den Eingang zum Keiche der Moskowiter bildete, wie er es sich 
für den ersten Waffengang als Ziel gesetzt. Aber was er von 
Rußland inne hatte, war nur mit seinen eigenen Verlusten, 
nicht mit denen des Feindes erkauft, ein unsicherer und un- 
erfreulicher Besitz. Darüber kam er nicht hinweg. Er litt 
förmlich unter dem quälenden Gedanken an seine beeinträch- 
tigte Geltung. Und plötzlich rückte er damit heraus: er wolle 
auch Witebsk nach kurzer Rast verlassen und auf der Straße 
nach Moskau weitergehen. Bei Smolensk stehe der Feind; der 
werde diese erste eigentlich russische Stadt nicht ohne Kampf 
opfern wollen wie das öde polnische Gebiet, vollends wo seine 
beiden Armeen nun vereinigt seien; dort müsse es zur Schlacht 
kommen. Siege man bei Smolensk, so habe man den Schlüssel 
gewonnen, um beliebig nach Moskau oder Petersburg zu ziehen. 
Auch könne man dort eher, durch den Dnjepr gedeckt, eine 
feste Winterposition gewinnen. Aber vor allem die Schlacht. 
„Es ist noch kein Blut geflossen", sagte er zu den widerstre- 
benden Generalen seiner Umgebung, den Berthier, Duroc, Mou- 
ton, Caulaincourt, die Alle vom Weitermarsch abrieten, „und 
Rußland ist zu angesehen um ohne Kampf nachzugeben. Ale- 
xander kann nur nach einer großen Schlacht unterhandeln. 
Ich werde diese Schlacht, wenn es sein muß, bis vor der heiligen 
Stadt suchen und gewinnen." *) 

In der Tat, der Zar dachte nicht an Unterhandlung. Voll- 
ends jetzt nicht, nachdem er am 18. Juli mit England ein 
Abkommen getroffen hatte, das ihm für die Fortsetzung des 
Krieges Vorteile verhieß, und nachdem der Sultan den Frie- 
densvertrag ratifiziert hatte und die Moldauarmee nach Norden 
ziehen konnte. Auch hiervon erfuhr Napoleon, und die Kunde 
traf ihn hart. Aber ihre Wirkung war doch wieder die, daß sie 
ihn in seinem Streben nach einer raschen großen Entscheidung 
nur bestärkte. Nach zwei Wochen Aufenthalts brach er da3 
Kantonnement in Witebsk und Umgegend ab. Er wird jetzt die 

*) Segur, IV. 205 ff. Die Briefe, die der Kaiser in den letzten Tagen 
aus Witebsk an Berthier und Maret schrieb, erwähnen nichts von einem 
Abbruch des Vormarsches, sondern sprechen nur von einer kurzen Rast. 

Fonrni«r, Napoleon I ' 



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98 



Nach Smolensk. 



gesamte im Umkreis der Stadt lagernde Armee — mit den 
Truppen Davouts sind es 199.000 Mann — südlich davon zu- 
sammenfassen, sie über den Dnjepr werfen und auf dem rechten 
Ufer dieses Flusses und durch ihn gedeckt nach Osten rücken. 
Der Feind, erfährt er, habe nach der Vereinigung seiner Streit- 
kräfte die Offensive ergriffen und sei, von Smolensk her, auf 
der geraden Straße nach Witebsk im Anmarsch. Es ist also 
nicht unmöglich, daß man unbemerkt an Smolensk heran- 
kommt, den linken Flügel des Gegners umgeht und ihm den 
Weg nach Moskau verlegt. Diese Operation — ähnlich der 
gegen Mack im Jahre 1805 — wurde am 10. August mit der 
größten Präzision begonnen; die Truppen gingen bei Rasasna 
und Chomino über den Dnjepr und überschritten am 14. bei 
Kraßnoi die altrussische Grenze. Die Nachrichten von den Be- 
wegungen der Russen waren richtig gewesen. Die herrschende 
Stimmung in der Armee und im Volke, die auch den Zar in 
ihren Bann zwang, hatte die Verteidigung des altmoskowiti- 
schen Bodens gefordert und Barclay sich zum Angriff ent- 
schließen müssen. Um die Verbindung mit Wittgenstein nicht 
ganz zu verlieren und nicht von rechts her, wo er die Franzosen 
in großer Stärke glaubte, überflügelt zu werden, wählte er die 
nordwestliche Richtung für seinen Vorstoß, Bagration hält die 
Mitte, und nur für alle Fälle ist linker Hand, jenseits des 
Flusses, eine Division detachiert. Auf diese Division nun trifft 
die Avantgarde Napoleons am 14. August und wirft sie mit 
großen Verlusten gegen Smolensk zurück. Schon aber hat ein 
Bote Bagration verständigt, der, als er die Gefahr erkannte, in 
fliegender Eile ein Korps nach der Stadt marschieren ließ, um 
dort den ersten Anprall des Feindes abzuwehren. Er selbst und 
Barclay, den er rasch in Kenntnis gesetzt hat, folgen, so 
rasch sie können. 

Am Morgen des 16. August ist die französische Vorhut vor 
Smolensk angelangt und beginnt den Angriff auf dessen 
Mauern. Er wird abgeschlagen, und damit ist Napoleons Vor- 
haben bereits gescheitert. Denn während er das Eintreffen der 
Garden und der Polen abwartet und unterdes nur unzulängliche 
Kräfte ins Gefecht setzt, sind die zwei russischen Armeen 
herangekommen und wieder im Besitz des wichtigen Knoten- 



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Der Kampf um Smolensk. 



99 



punktes und der Straße nach Moskau. Kein Geringerer als 
Clausewitz hat den Kaiser getadelt, daß er auf das rechte 
Dnjeprufer ging, anstatt den anrückenden Feind in der Front 
anzugreifen, zu schlagen und so Smolensk zu gewinnen. Aber 
das wäre — soweit Napoleon über den Feind unterrichtet war 
— nur gewesen, was er eine „gewöhnliche Schlacht" zu 
nennen pflegte. Der besiegte Gegner hätte sich durch Smolensk 
auf seiner Operationslinie zurückgezogen. Das eben wollte er 
gerne hindern. Jetzt freilich blieb nichts anderes übrig, vor- 
ausgesetzt, daß der Russe sich überhaupt zum Schlagen be- 
quemte. Er tat es, aber wieder nur in der Form eines Rück- 
zugsgefechtes. Barclay, der das Gros seiner Truppen im Nord- 
osten, zu beiden Seiten der Straße, die nach Welisch führt, 
aufgestellt hatte, ließ sich nicht bewegen, aus der Stadt her- 
aus die Offensive zu ergreifen, sondern schickte vielmehr den 
kampflustigen Bagration auf die Moskauer Straße, um sie zu 
sichern, während er selbst Smolensk nur von ungefähr 30.000 
Mann verteidigen ließ.*) Als Napoleon sich überzeugte, daß es 
dem Feinde wieder nicht um den entscheidenden Kampf zu tun 
sei, wollte er dessen Stellung forcieren, um ihn so mit Ge- 
walt festzuhalten und zum Streite zu zwingen. Aber da zer- 
schellte Sturm auf Sturm an den Mauern, so daß den älteren 
Offizieren die syrische Festung Akka in Erinnerung kam, und 
auch ein Bombardement, das den größten Teil der Stadt ver- 
nichtete, ergab kein Resultat. Und noch einen Tag kämpfen 
die Franzosen, die nicht weniger als 10.000 Mann eingebüßt 
haben, vergeblich gegen die Nachhut des abziehenden Feindes, 
bis auch diese freiwillig den Platz räumt. Sie hat nicht ver- 
gessen, den nördlichen Stadtteil mit den Magazinen nieder- 
zubrennen. Rauchende Trümmer findet der Eroberer, aber 
auch hier keinen Sieg. Wenn er nur sofort die Moskauer 
Straße weitergezogen wäre ! Barclay hatte, um den französischen 
Batterien jenseits des Dnjepr auszuweichen, einen Bogen ge- 
macht, dessen Sehne Napoleon beherrschte, da Bagration ohne 
ausdrücklichen Befehl gegen Moskau fortmarschiert war. Er 

*) £8 war zuerst das Korps Rajewsky, das später durch Dochturoff 
und Eugen von "Württemberg in der angegebenen Stärke abgelöst wurde. 
YLöwenstern, Mcmoires, T. 220.) 

7* 



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1 00 Erwägungen. 

hätte Jenen leicht überholen und hier zur Schlacht zwingen 
können. Aber der Kaiser kannte diese Situation nicht; er 
sandte bloß Ney und Murat vorwärts, und als diese am 19. bei 
Walutina Gora an die Barclay sehen Truppen gerieten, hielt er 
es auch nur für ein Nachhutgefecht und legte der Sache kein 
größeres Gewicht bei. Er hatte zwar Junot mit seinem Korps 
(etwa 13.000 Mann) auf dem linken Dnjeprufer vormarschieren 
lassen, damit er weiter ostwärts den Fluß überschreite. Aber 
der hat es, obwohl von Murat verständigt, unterlassen, gegen 
die Flanke des Feindes zu operieren, und so konnte Barclay 
mit dem Gros seiner Truppen ungehindert fortziehen. 

Was nun? In Dresden hatte Napoleon zu Metternich ge- 
sagt, sein Unternehmen sei eines derjenigen, deren Erfolg von 
der nötigen Geduld abhänge; dem, der sie am meisten übe, 
werde der Sieg zufallen. Er hat arg gegen diese Überzeugung 
gesündigt. Ehe der Sturm auf Smolensk begann, hatte selbst 
Murat ihm zugeredet, er solle nun einhalten, wo es offenkundig 
eei, daß der Feind keine Schlacht annehmen, sondern ab- 
marschieren wolle. Vergebens. Später, nachdem er Herr der 
trümmerhaften Stadt geworden war, machte seine Umgebung 
aufs neue Vorstellungen. Kapp, der vom Niemen kam, 
schilderte das Elend auf der langen Straße, die zahllosen Opfer 
des Typhus und der Dysenterie, die Tausende von Marodeurs, 
die sich, halb tot vor Entkräftung, mühselig nach einem Busch 
hinschleppten, um ungesehen zu sterben, die Tausende von 
Deserteurs, die, in Banden organisiert, in Schlössern und 
Dörfern auf eigene Faust hausten, bis das verzweifelte Volk 
sie totschlug. Und was antwortete Napoleon? Er kenne das 
alles und gebe das Entsetzliche der Lage zu, aber gerade des- 
halb sei keine Zeit mehr zu versäumen. Nach der ersten ge- 
wonnenen Schlacht würde sich Alles wieder finden. Schwarzen- 
berg hatte bei Gorodetschna Über Tormassow einen Vorteil er- 
rungen, Saint-Cyr, der Nachfolger des verwundeten Oudinot 
im Kommando, endlich am 18. August Wittgenstein bei Polozk 
geschlagen und hinter die Drissa zurückgedrängt, was der 
Hauptarmee die Aktion nach vorwärts erleichterte. Konnte 
diese an Erfolgen zurückbleiben? So war und blieb sein nächstes 
Ziel der Sieg über die Hauptmacht des Feindes, und der war 



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Napoleon beschließt weiterzugehen, 101 

nur auf dem Wege nach Osten, auf der Straße nach Moskau 
zu gewinnen. Von einem Stehenbleiben in Smolensk, von dessen 
2300 Häusern nur noch etwa 400 bewohnbar waren, war keine 
Rede weiter. 

Es könnte auffallen, daß der Kaiser seiner Truppen noch 
so sicher war. Freilich nur derjenigen, die ihre robuste Natur 
und ihr disziplinierter Charakter bei der Fahne festgehalten 
hatte. Sie murrten zwar, wie sie 1807 gemurrt hatten, aber 
sie gingen weiter, trotz der entsetzlichen Hitze bei Tage, trotz 
der mangelnden Nachtruhe, denn die Nachtstationen mußten 
zu Rationierungen in den umliegenden Dörfern verwendet 
werden, trotz der düsteren Aussicht, die Last des kommenden 
Tages vielleicht nicht mehr zu ertragen. Es waren Elitetruppen, 
kräftig an Körper und Seele, die 161.000 Mann, mit denen er 
Smolensk verließ, besonders die Soldaten Davouts.*) Sie waren 
gerne dabei, wenn es vorwärts ging, denn hinter ihnen lag das 
Grauen der polnischen Öde, vor ihnen Kampf und Sieg und 
Ehre und Lohn, und endlich mußte man ja nach dem ge- 
priesenen Moskau kommen. 

Freilich, hätte Napoleon genauer zugesehen, er wäre viel- 
leicht doch am Dnjepr stehen geblieben oder nach Litthauen 
zurückgegangen. Aber sein Blick war in Rußland ebenso trübe 
wie er es in Spanien gewesen war. Auch jetzt gewahrte er nur 
eine Armee vor sich, die er zu schlagen hatte, und ein Kabinett, 
dem er den Frieden diktieren wollte, nichts weiter. Er sah 
nicht den neuen Feind, der sich ihm in dem Augenblick ent- 
gegenstellte, als er bei Krasnoi das polnische Gebiet verließ 
und die altrussische Grenze überschritt, den starken nationalen 
Instinkt der Russen, der sich mit ihrer Religiosität und ihrer 
Barbarei zu unerhörtem Widerstand verband. Schon machte 
er sich überall geltend : im Heere, dessen Kraft und Mut er mit 
Fanatismus stählte, am Hofe des Zaren, der sich seinem Ein- 
fluß nicht entziehen konnte, in der Bevölkerung, die sich zu 
vielen Tausenden bewaffnete und vor dem Kreml in Moskau 
ihrem Herrscher zurief : „Laß uns sterben oder siegen !" Na- 

*) In Witebsk, Orscha, Mohilew und Smolensk blieben Besatzungen, 
etwa 14.000 Mann, zurück. Ebensoviel waren in den letzten Kämpfen 
und auf dem Marsche von Witebsk her eingebüßt worden. 



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102 Der Chauvinismus der Rassen. Kutusow. 

poleon gewahrte nichts davon. Und doch fehlte es nicht an 
deutlich redenden Anzeichen. War es denn nicht merkwürdig 
genug, daß kaum mehr als ein einziges feindliches Korps zwei 
Tage lang einer großen Armee widerstand, ohne auch nur einen 
Gefangenen in ihre Hände fallen zu lassen? nicht merkwürdig, 
daß der Gegner die durch ihre Gnadenbilder geheiligte Stadt 
am Dnjepr eher in Flammen aufgehen ließ, bevor er sie dem 
Feinde überantwortete? 

Schon forderte der russische Chauvinismus im eigenen 
Lager sein Opfer. Es war der Oberbefehlshaber Barclay selbst. 
Als Livländer galt er der Armee als Fremdling; am Hofe hatte 
er unter den Führern der Altrussenpartei seine erbittertsten 
Gegner; mit Bagration war er überworfen, und die Aktionen 
litten unter der Zwietracht der Feldherren. Nur der Zar hatte 
ihn bisher gehalten; jetzt vermochte auch er es nicht mehr. 
Daß er die Stadt der heiligen Jungfrau nicht energischer ver- 
teidigt hatte, wurde ihm als unsühnbarer Frevel angerechnet, 
und man brachte Alexander dahin, zu glauben, die Schlacht bei 
Smolensk — energisch in Szene gesetzt — hätte wirklich zu 
seinen Gunsten enden müssen.*) Barclay, der am Ende zu 
Rußlands Heil nur getan hatte, was ihm in Polozk vom 
Zaren auf die Seele gebunden worden war, die Armee für 
späterhin geschont, ward des Oberbefehls enthoben und behielt 
nur ein Teilkommando, wie er es zuvor innegehabt. Kutusow 
wurde sein Nachfolger und zugleich Oberfeldherr auch über 
die von Wittgenstein und Tormassow befehligten Heeresteile. 
Er war ein Altrusse, beliebt bei den Soldaten, vom Zaren aber 
nur aus Not berufen, der ihn nicht mochte, weil er gegen den 
Krieg gewesen war und deshalb die Unterhandlungen mit der 
Türkei verzögert hatte, und auch seines im Grunde unverläß- 



*) So schrieb der Zar nachträglich an den Admiral Tschitscha- 
goff, der die Moldauarmee nach dem Norden führte. Der Brief ist in 
dessen Memoiren abgedruckt. Barclay rechtfertigte seine Handlungs- 
weise mit der Erhaltung des Heeres für eine entscheidende Tat zu ge- 
eigneter Zeit und mit dem Hinweis darauf, daß Napoleon nur unterhalb 
der Stadt über den Dnjepr zu gehen brauchte, um ihn aus Smolensk 
hinauszunötigen, seine Stellung darin also niemals haltbar gewesen 
wäre. Die Rechtfertigungsschrift liest man jetzt auch bei Fahry. 



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Die „beilige Haide 41 . 



103 



liehen Charakters wegen.*) Wir kennen ihn von 1805 her. 
Jetzt war er, obgleich erst 67 Jahre alt, ein gebrechlicher 
Mann, der nur mit großer Anstrengung zu Pferde stieg und 
sich deshalb außer jeder Gefahr halten mußte. Aber er besaß 
das Vertrauen der Truppen in hohem Grade, und dieses Pre- 
stige gestattete ihm, noch weiter zurückzugehen und erst in 
dem zerklüfteten Terrain bei Borodino, wo die Kolotscha in 
die Moskwa fließt, die Schlacht zu wagen. Die „heilige Haide" 
hieß es dort, und die Sage ging, daß nie ein Feind darüber 
hinausgedrungen sei. Da sollte der Kampf ausgefochten 
werden. Denn ohne Schwertstreich durfte Moskau nicht dem 
Gegner in die Hände fallen; erst kürzlich hatte Alexander den 
Bewohnern seinen militärischen Schutz aufs bestimmteste ver- 
heißen. 

Am 1. September war Napoleon nach Gshazk gelangt, wo 
er von ernstem Widerstand hörte, auf den seine Vorhut ge- 
stoßen sei. Bald schien kein Zweifel mehr möglich: der Feind 
wollte schlagen. Der Kaiser sammelte seine Armee, ungefähr 
135.000 Mann, während die Russen nur 127.000 ins Gefecht 
führen konnten, darunter 15.000 Rekruten, die man herbei- 
gebracht hatte, 7000 Kosaken, die kaum, und 10.000 Milizen, 
die gar nicht für den Kampf in Betracht kamen und nur im 
Sanitätsdienst Verwendung fanden.**) Dagegen hatte Kutusow 
eine ausgewählte Position inne. Er hatte sich rittlings der Mos- 
kauer Straße hinter der Kolotscha aufgestellt und einige Erd- 
werke aufgeworfen. Die westlichste dieser Redouten wurde von 
den Franzosen am 5. September nach erbittertem Kampfe, der 
dem Zaren fast 7000, dem Kaiser über 4000 Streiter kostete, 
weggenommen, wodurch der linke Flügel der Russen von der 
Kolotscha weg an die anderen Schanzen zurückgedrängt ward, 

*) „Das Volk wollte seine Ernennung," äußerte sich Alexander 
eu einem Vertrauten, „ich habe ihn ernannt, wasche aber, für meinen 
Teil, meine Hände. u Später soll er daran gedacht haben, Kutusow ab- 
zusetzen und Barclay wieder zu ernennen. Siehe Schiern ann, Nikolaus T. 
L 84 (nach Schilder, III.) 

**) Diese Verwendung sollte freilich ihren Vorteil haben, da sie 
die Kombattanten der mitunter gerne gesuchten Mühe überhob, ihre 
Verwundeten selbst nach den Verbandplätzen zu schaffen. (Siehe 
Löwenstern, I. 273.) 



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104 



Die Schlacht bei Borodino. 



so daß nun ihre Aufstellung beim Dorfe Borodino ein stumpfes 
Knie bildete. Tags darauf entwirft Napoleon seinen Plan. Er 
wird den Feind nicht, wie Davout gut rät, in dessen linker 
Flanke umgehen — die drohende Bewegung, fürchtete er, 
konnte ihn leicht wieder der Schlacht entfremden — sondern 
diesen Flügel und das Zentrum nacheinander mit starken 
Kräften frontal angreifen und noch weiter umbiegen, auf 
solche Weise die nach Westen gerichtete Linie der Bussen nach 
Süden umwenden, sie dann über die Straße zurückwerfen und 
der Moskwa zu jagen. Wenn Kutusow jetzt nur wirklich stand- 
hielt! Napoleon ist durch diesen Zweifel so erregt, daß er die 
Nacht vom 6. auf den 7. kaum schläft. Um 1 Uhr steigt er zu 
Pferde, um sich von dem Vorhandensein der Russen zu über- 
zeugen und nach ihren Lagerfeuern ihre Stellung zu erkunden. 
Zum Überfluß war des Abends die Nachricht eingetroffen, 
Wellington habe am 22. Juli bei Salamanca über Marmont ge- 
siegt. Das war nun jedenfalls zu reparieren. Auch seine Sol- 
daten schlafen wenig; müssen sie doch erst von weit her etwas 
Nahrung für sich und ihre Pferde holen. Aber sie kommen alle 
wieder und kleiden sich in ihre beste Montur, denn es geht 
ja nun zu dem lang ersehnten Feste. Man kann es nicht ohne 
tiefe Bewegung hören, wie sich auch die Kranken — Deutsche 
wie Franzosen — in die Reihen der Kämpfer drängten. 

Frühmorgens, um 5 Uhr, fiel auf dem rechten Flügel der 
erste Kanonenschuß, um 6 Uhr war die Schlacht bereits im 
Gange: auf dem linken Flügel, wo Eugen gegen die Armee 
Barclays vorrückend, das Dorf Borodino eroberte, und im 
Zentrum, wo Davout, von Ney zur Linken und Murat zur 
Rechten begleitet, gegen Bagrations befestigte Mitte vorging, 
dessen linken Flügel Junot beschäftigte und Poniatowski mit 
den (stark zusammengeschmolzenen) Polen zu umfassen trach- 
tete. Mit unendlicher Erbitterung wurde gestritten, und der 
Geschichtschreiber ist unsicher, ob er dem Angreifer oder dem 
Verteidiger das größere Maß von Heroismus zuerkennen soll. 
Jetzt erobert, waren die russischen Redouten bald wieder ver- 
loren, um dann wieder gewonnen und wieder verloren zu 
werden. Napoleons Fußvolk und Reiter, und die deutschen 
Kavallerieregimenter insbesondere, leisteten das Außerordent- 



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Die Schlacht bei Borodioo. 



105 



Uchste, und so ward man schließlich — nachdem die stark expo- 
nierte und anfänglich zu wenig unterstützte Armee Bagrations 
fast aufgerieben, ihr Feldherr zu Tode verwundet worden war 
— Herr der feindlichen Stellung. Aber auch nicht mehr. Die 
Bussen wichen allerdings daraus, doch nur, um ein paar tausend 
Schritte weiter zurück sich aufs neue zu sammeln und neuen 
Widerstand zu leisten. Zu neuem Angriff aber waren die fürch- 
terlich heimgesuchten Divisionen Neys und Murats nicht mehr 
imstande. Hier, und zwar in dem Augenblicke, da der Feind 
sich noch nicht wieder erholt hatte, mußte eine starke Re- 
serve eingreifen, um ihn völlig aufzureiben. Eine solche stand 
bereit; es waren 20.000 Mann der Garde; inständig begehrten 
Murat und Ney ihr Vorrücken: Napoleon versagte es. „Und 
wenn morgen eine zweite Schlacht stattfindet," antwortete er, 
„womit soll ich sie liefern?" Kaum daß er den Befehl gab, 
das zurückgegangene Zentrum des Gegners mit Kanonen zu 
beschießen. Man erkannte ihn nicht wieder und schob alles auf 
das Fieber einer Erkältung und die Schmerzen, an denen er 
tagsüber litt, insbesondere aber auf die abgespannten Nerven, 
die nach so viel aufreibender Erregung der neuen Aufgabe 
nicht mehr gewachsen waren.*) Er hatte tatsächlich nicht auf 
seiner vollen Höhe gestanden und deshalb am 7. Sep- 
tember 1812 bei Borodino nur ein Schlachtfeld, keine Schlacht 
gewonnen. Die Russen blieben trotz ihren ungeheuren Ver- 
lusten — 44.000 Mann an Toten und Verwundeten — die 
Nacht über in ihren letzten Positionen und zogen erst am näch- 
sten Tage die Moskauer Straße weiter. Sogar dem Zaren wußte 



*) Napoleon ist fast von allen militärischen Schriftstellern ver- 
urteilt worden, weil er seine Garde nicht hergab. Nur Jomini findet 
Worte zur Entschuldigung des Kaisers und gewahrt dessen Fehler 
vielmehr darin, daß er den linken Flügel der Russen nicht gleich 
von allem Anfang an, solange er noch schwach war, mit noch größerer 
Energie bedrängte. Die Vermutung, die Schlacht könnte tags darauf 
wieder beginnen, war nicht ganz unbegründet. Barclay, der zwar durch 
starke Abgaben an Bagration Eugen gegenüber an der Entfaltung 
seiner vollen Kraft gehindert gewesen war, aber doch auch am wenigsten 
Terrain eingebüßt hatte, hielt die Erneuerung des Kampfes für not- 
wendig, und selbst Kutusow hatte daran gedacht, bis er von den enormen 
Verlusten der Armee Kenntnis erhielt, die Napoleon unbekannt blieben. 



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106 



Kach Moskau. 



ihr Feldherr glauben zu machen, es sei keine Niederlage ge- 
wesen, was dann in Petersburg als ein Sieg der eigenen Waffen 
aufgefaßt und dafür ausgegeben wurde. 

Napoleon hatte sich während des Kampfes nicht von 
seinem entfernten Standorte fortbewegt, was ihn wohl auch die 
Zerrüttung beim Feinde im entscheidenden Momente nicht 
gewahr werden ließ. Es war das erstemal, daß er nicht per- 
sönlich eingriff — ganz gegen seine sonst geäußerte Über- 
zeugung. Er litt ohne Zweifel. Aber was war seine Unpäßlich- 
keit gegen den vieltausendfachen Jammer zu seinen Füßen! 
Nun war Eylau weit überboten an schreckensvollen Szenen. 
Über 70.000 Menschen hatte der eine Tag getötet oder ver- 
wundet, und eine Verwundung bedeutete hier nur allzu häufig 
den sicheren Tod .*) Napoleon bezeichnete die Schlacht als 
die blutigste, die er erlebt, und die, in der am tüchtigsten ge- 
kämpft worden sei. Allerdings war gewonnen, daß sich ihm 
Moskau erschloß. „Moskau, Moskau!" soll er am Tage darauf 
wiederholt in größter Aufregung 'herausgestoßen haben. Aber 
hinter Moskau wird eine Armee stehen, die er in ihrer Wider- 
standskraft kennen gelernt hat. Sie wird Verstärkungen an sich 
ziehen. Aus dem Süden wird eine andere Armee heranrücken, 
die gegen die Türken zu siegen gewußt hatte. Seine Flügel und 
mit ihnen seine Rückzugslinie werden von überlegenen feind- 
lichen Kräften bedroht werden. Das war kein Sieg gewesen, 
der den Gegner zur Nachgiebigkeit zwang. Es wird zu neuen 
Kämpfen kommen, und wird denen sein Heer noch gewachsen 
sein? Nur etwas über 100.000 Mann waren ihm nach dem Ge- 
metzel noch übrig geblieben. Drei Tage vor der Schlacht hatte 
ein Ersatzkorps unter dem Marschall Victor — 30.000 Mann — 
den Niemen überschritten; der Kaiser befiehlt es nach Smo- 
lensk zur Vereinigung mit den dortigen Reserven und zur Ver- 
stärkung der Hauptarmee nach Moskau. Das ist aber zunächst 
auch alles, was er aufbieten kann. Und doch leuchtet sein Auge, 
als er am 14. September von einer Anhöhe herab die Riesen- 
stadt der Moskowiter gewahrt. Sein Ziel ist erreicht. 



*) Die Franzosen hatten 28.000 Mann, nach anderen 30.000 
eingebüßt, darunter 49 Generale. 



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Der Einzug der Franzosen. 107 

Am Morgen des 14. September marschierte Kutusow in 
Moskau ein, um es am Nachmittag beim jenseitigen Tore 
wieder zu verlassen. Die Bestürzung der zurückgebliebenen Be- 
wohner — die Vornehmen und Reichen hatten sich bereits 
fortgemacht — war eine ungeheure. Auch sie hatten von einem 
Siege bei Borodino gehört, und nun retirierte der Triumphator 
und gab die Stadt den Fremden preis. Eine allgemeine Flucht 
begann, so daß die Armee kaum vorwärts konnte; aber was in 
• der Eile gerettet wurde, war doch nur wenig. Unmittelbar 
hinter den Küssen zogen die Franzosen ein, Napoleon erst am 
nächsten Tage. Er erwartete, wird erzählt, eine Abordnung der 
Behörden. Aber niemand ließ sich blicken. Das war eine erste 
Enttäuschung. Andere sollten folgen. In der Stadt war alles 
öde, kein Mensch auf den Straßen; wer geblieben war, verbarg 
sich scheu hinter den Fensterladen. „Es kam uns vor", erzählt 
Adam über den Einzug der Truppen, „als wenn gute Schau- 
spieler vor einem ganz leeren Hause spielen sollten." Der 
Kaiser ritt in den Kreml, um dort seine Residenz zu nehmen, 
und behielt die Garden in der Stadt; die anderen Korps mußten 
in der Umgebung unterkommen. Tröstlich war es, daß allem 
Anscheine nach kein Mangel herrschte, obgleich schon die 
russische Arrieregarde eifrig geplündert hatte und ihre Nach- 
folger ihr darin ebensowenig nachstanden wie die zurück- 
gebliebenen Leibeigenen der entflohenen Herrschaften; es gab 
reichlich Lebensmittel und Fourage, und man begann in den 
verlassenen Wohnungen sich einzurichten, um von den unsäg- 
lichen Leiden des Feldzuges endlich auszuruhen. 

Ruhe sollte jedoch in Moskau nicht zu finden sein. Schon 
vor dem Einmarsch hatte man aus der Ferne einzelne dicke 
Rauchsäulen emporsteigen sehen, aber das gewöhnliche Schau- 
spiel nicht weiter beachtet. In jeder Stadt waren beim Nahen 
des Feindes Vorräte verbrannt worden. Bald indes wurde man 
aufmerksam. Meldung auf Meldung lief im Kreml ein, es 
brenne an verschiedenen Punkten, und nun ließ der Augen- 
schein nicht mehr bezweifeln, daß man einen dem Untergänge 
geweihten Ort besetzt halte. Denn immer weiter verbreitete sich, 
vom Nordostpassat gepeitscht, das entfesselte Element; 
Löschungsversuche blieben meist fruchtlos, da es dazu am Not- 



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108 



Der Brand der Metropole. 



wendigsten fehlte. Am Mittag des 16. September stand die ganze 
Stadt im Feuer, das seine Funken schon bis in den Hof des 
Kreml spie. Endlich hieß es, auch dieser sei ergriffen, und Na- 
poleon, der sich kaum erst staunend in der Residenz der Zaren 
umgesehen, mußte eilends den Palast verlassen, um — mit 
seiner Eskorte mühselig durch den Wirrwarr der Straßen sich 
kämpfend — das Lustschloß Petrowskoje zu erreichen. Von 
dort sieht er die Metropole, deren Besitz seinem Ehrgeiz als 
der höchste Triumph erschienen war, in einem Meer von 
Flammen untergehen. Wenn noch etwas hinzukommen konnte, 
den Eindruck des grausen Schauspiels auf sein Gemüt zu ver- 
schärfen, so war es die Gewißheit, die sich alsbald ergab, daß 
nicht Zufall oder Leichtsinn die Brandstifter waren, 
sondern daß der Feind selbst die Stadt geopfert hatte, um ihre 
Vorräte und Reichtümer nicht in die Hände der Fremden 
fallen zu lassen und diesen den Aufenthalt unmöglich zu 
machen.*) Napoleon ließ eine Kommission nach der TJr- 

*) Daß der Gouverneur der Stadt, Graf Rostoptschin, die Brand- 
legung anordnete bevor er die Stadt verließ, wird auch von russischen 
Historikern als erwiesen angesehen. Jedenfalls hat er sie wirksam vor- 
bereitet. Schon in Briefen aus dem August hatte er davon gesprochen, 
daß, wenn Gott den Russen nicht günstig sein sollte, Moskau in 
Flammen aufgehen werde, und so konnte man es auch schon Ende 
September und Anfang Oktober im „Courrier de Londres" lesen. Als 
dann der Graf die Russen immer näher kommen und die Hoffnung auf 
Erhaltung der Stadt immer mehr schwinden sah, verdichtete sich jener 
Gedanke zum Entschluß. Bereits am 11. September ließ er alle Feuer- 
spritzen „als Staatsgut" aus der Stadt schaffen und versicherte zwei 
Tage später den Generalen der Armee, Moskau würde, sobald es von 
den Truppen dem Feinde schutzlos preisgegeben werde, durch Brand 
zerstört werden. Am Morgen des 14. läßt er die Gefangenen frei, gibt 
Befehl die Branntweinfässer der behördlichen Vorrate in den Straßen 
zu zerschlagen und verläßt die Stadt, die er von einer nahen Anhöhe 
seinem Sohne mit den Worten zeigt: „Grüße Moskau zum letzten Mal, 
in einer halben Stunde wird es in Flammen stehen." Er selbst legt 
dann Feuer an sein Schloß in der Umgebung. Wird durch all das 
seine Urheberschaft — die er selbst während der nächsten Jahre offen 
zugegeben, ein Jahrzehnt später aber allerdings abgeleugnet hat — 
mehr als wahrscheinlich, so wird sie nahezu zweifellos durch den Um- 
stand, daß die Franzosen, als sie den Urhebern dos für sie so ver- 
derblichen Brandes nachforschten, eine Anzahl Polizeileute unter den 
Schuldigen entdeckten, während man noch in einzelnen Häusern die 



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Die Urheberschaft. 



109 



sache forschen und eine Anzahl ertappter Brandleger er 
schießen; aber der Wut des Feuers war kein Einhalt mehr zu 
tun. Um die Soldaten nicht um all ihre Hoffnungen zu bringen, 
gab er die ursprünglich untersagte Plünderung zu. Die Ver- 
wüstung war ungeheuer, der Gewinn gering. Die Lebensmittel 
waren meist vernichtet. Dagegen hatten die Flammen die 
Keller verschont, und Wein und Branntwein wurden in Fülle 
an getroffen. Die Wirkung aber war nur, daß die Unordnung zu 
höchst stieg, so daß man die seltenen Bauern, die sich herbei- 
ließen, Nahrungsmittel nach der Stadt zu bringen, ausraubte, 
während man anderseits mit einigen tausend russischen Maro- 
deurs fraternisierte und sie laufen ließ, als ob der Krieg vor- 
über wäre. Das war freilich der sehnlichste Wunsch aller. Nicht 
zuletzt der des Kaisers. 

Am 18. September ließ endlich der Brand etwas nach. 
Gut drei Vierteile der Stadt lagen in Asche. Die Bewohner 
— noch an zehntausend Menschen — irrten obdachlos und 
verhungert durch die Straßen. Ein Bataillon Garde hatte den 
Kreml gerettet. Napoleon kehrte dahin zurück. Er kann es 

Treppen mit öl getränkt and mit einer nach der Straße mündenden 
Lunte verbunden fand. Daß nebenbei auch der Zerstörungstrieb und 
die Raublust des entfesselten Gesindels, die Rücksichtslosigkeit und 
Unvorsichtigkeit der plündernden Soldaten das ihrige beigetragen haben 
mögen, ist gewiß. Auch die Stimmung des Volkes kam dazu. Manche 
wollten ihre Häuser lieber verbrannt als den Franzosen überliefert 
wissen, und nicht wenige der Händler zündeten selbst ihre Vorräte 
an, damit sie nicht dem Feinde zugute kämen. (Boyen, Erinnerungen, IL 
231.) Das Feuer nahm auch vom Kaufmannsviertel (Kitai Gorod) seinen 
Ausgang. (Meneval, Memoires, HI. 65.) Am 6. Oktober schrieb die 
Zarin an ihre Mutter: „Unser Volk hat angefangen, Feuer an alle ihm 
teuren Gegenstände zu legen, um sie nur nicht in die Hände des 
Feindes fallen zu lassen." (Schilder, Alexander I. III. 507). Ein 
jüngst vonTzenoff, „Wer hat Moskau 1812 in Brand gesteckt? (Berlin 
1900) unternommener Versuch, den durch das Ausbleiben der Deputation 
geärgerten Napoleon (!) als den Urheber des Brandes hinzustellen, bedarf 
wohl kaum einer ernsten Widerlegung. Eine solche hat gleichwohl 
H. Schmidt, „Die Urheber des Brandes von Moskau, 1812" (Greifs- 
wald, 1904) unternommen und dabei die ganze Frage ihrer Lösung um 
vieles näher gebracht. Daß die Kirchen sämtlich vom Feuer verschont 
blieben, ist ein nicht zu übersehendes Moment. Die Franzosen würden 
sich nicht gescheut haben, sie in Brand zu stecken, wohl aber die Russen. 



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HO Napoleon erwartet Friedensanträge. 

nicht glauben, daß Alexander nicht alles tun werde, um wieder 
Herr seines Landes zu werden. Täglich erwartete er die Ein- 
ladung zur Friedensunterhandlung. Vergeblich. Dann sucht 
er sie zu beschleunigen, indem er noch am 20. an den Zar 
schrieb: Moskau sei verbrannt; der Gouverneur habe die 
Stadt anzünden lassen; vierhundert Brandleger seien auf 
frischer Tat ertappt und erschossen worden; das Unglück wäre 
zu vermeiden gewesen, wenn Alexander ihm vor oder nach Bo- 
rodino einen kurzen Brief geschickt hätte; er würde dann seinen 
Marsch nicht bis hierher fortgesetzt haben; er hoffe, sein 
Schreiben werde wohlwollend aufgenommen werden.*) Und 
nun wartete er aufs neue. Bald ist der September vergangen, 
und der Winter steht in drohender Nähe. Die Armee kann nur 
durch Streifungen, die immer weiter ausgedehnt werden 
müssen, ernährt werden, denn der Brand der Stadt hat es ver- 
hindert, dort eine geordnete Verpflegung einzurichten. Dabei 
ist viel Gefahr und oft wenig Erfolg. Ein einziges russisches 
Korps will binnen drei Wochen dreitausend Franzosen ge- 
fangen haben. Dazu kam der Landsturm der Bauern, die ihre 
Habe versteckten und ihre Dörfer verteidigten. „Ihr seid die 
Nation des russischen Glaubens", riefen ihnen ihre Führer zu; 
„sterbet für den Glauben und den Zar. Wozu seid ihr 
Rechtgläubige, wenn ihr nicht dem Zaren dienen wollt?" Es 
genügte, daß Rostoptschin Napoleon als ungetauft denunzierte, 
um dessen Aufruf an die Bewohner des Moskauer Gouverne- 
ments wirkungslos zu machen. In der Stadt Wereja ward die 
französische Garnison von Parteigängern überrumpelt und 
festgenommen. Schon ist die große Straße nach Smolensk un- 
sicher geworden, Zuzüge von Lebensmitteln werden abgefangen, 
der regelmäßige Kuriergang ist unterbrochen. Die Generale 
raten zum Rückzug nach Polen, aber Napoleon kann sich noch 
nicht dazu entschließen, seine Niederlage vor der Welt zu be- 
kennen, deren Herr er in Moskau hatte werden wollen. 
„Denken Sie sich Moskau genommen" — hatte er vor Be- 
ginn des Feldzuges zu Narbonne gesagt — ..den Zar versöhnt 



*) Corres p. XXIV. 19.213. Der Brief wurde durch einen in 
Gefangenschaft geratenen Gardeoffizier befördert. 



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Große Pläne von ehe vor. 



111 



oder durch eine abhängige Regierung ersetzt, und sagen Sie 
mir, ob eine Armee von Franzosen und Verbündeten nicht von 
Tiflis bis zum Ganges vordringen kann, um dort durch bloße 
Berührung allein schon das ganze Gebäude kaufmännischer 
Größe in Indien zu Fall zu bringen? Frankreich hätte mit 
einem Schlage die Unabhängigkeit des Abendlandes und die 
Freiheit der Meere erobert. Alexander der Große" — das Bild 
des Mazedoniers verließ ihn nicht — „hatte einen ebenso weiten 
Weg nach dem Ganges wie ich von Moskau." *) Als er später in 
Wilna sich von Maret trennte, warf er hin, er werde ihn 
bald nach Moskau rufen, damit er dort den Frieden ver- 
handle.**) So war Moskau, und immer wieder Moskau vor 
seinem Auge erschienen. Wie das Bild Jerusalems ehevor die 
Phantasie der Kreuzfahrer beherrscht hatte, so die seinige 
die heilige Stadt der Reußen. Klingt es wirklich unglaub- 
haft, was man im Kreise seiner nächsten Verwandten und 
Vertrauten erzählte und was Bernadotte im April 1812 dem 
russischen Gesandten anvertraute: er habe vorgehabt, die In- 
signien seiner Kaiserwürde, Mantel, Zepter und Krone mit 
auf den Weg nach Rußland zu nehmen, um sich im Kreml an 
der Moskwa, nachdem er den Frieden diktiert, vom Heere zum 
„Kaiser des Abendlandes, Oberhaupt des europäischen Bundes, 
Verteidiger der christlichen Religion" ausrufen zu lassen? Nach 
Anderen hätte er tatsächlich die Zeichen seiner Macht mit- 
geführt, die dann auf dem Rückzug den Kosaken in die Hände 
gefallen seien.***) Mit solchen hochfliegenden Plänen war es nun 

*i Villemain, Souvenirs, p. 127. 
**) Ernouf, Maret, p. 469. 

***) Siehe die Mitteilung des russischen Gesandten im Sbornik, 
XXI. und die Erinnerungen Sud res, der die Sache von Destutt de 
Tracy erfahren haben will, im „Spectateur militaire", 1887, 38. Band, 
478. ff. Tracy soll sie von einem Mitglied der kaiserlichen Familie 
anvertraut worden sein. Nach russischen Quellen, z. B. Langerons 
Denkwürdigkeiten (p. 98), wäre der kaiserliche Fourgon mit den Kost- 
barkeiten, Kaisermantel und Zepter, allen Orden und wichtigen Papieren 
auf dem \Vege von Wilna nach Kowno von Kosaken angezündet worden. 
Vgl. auch die Schilderungen im „Memorial" des Zahlmeisters Peyrusse 
(p. 136) und in den Heften Coignets u>. 342). Vandal (LH. 588) 
bestreitet nun, daß jene Erzählung auf zureichender Basis beruhe, da 
der Krönungsmatitel heute noch im Schatz von "Notre-Dame vorhanden 



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112 



Die Russen verstärken sich. 



vorbei. Dazu war der Friede nicht gesichert, dagegen die groß» 
Armee, die ihm den Weg zur höchsten Macht der Erde bahnen 
sollte, eingeschrumpft und in ihrer Existenz gefährdet. 

Denn Kutusow war allerdings vorerst südöstlich weiter- 
gegangen, hatte dann aber, unbemerkt von den Franzosen, 
deren herabgekommene Kavallerie die Fühlung mit dem Feinde 
verlor, nach Westen umgedreht, um bei Tarutino, südlich von 
Moskau, eine vortreffliche, die Rückzugslinie der Franzosen 
bedrohende Flankenstellung einzunehmen und sich fortwährend 
zu verstärken. Er brachte auch seine reguläre Truppe von 
60.000 auf über 80.000 Mann mit 600 Geschützen, wozu noch 
die Milizen und 20.000 Kosaken kamen — alle gut und vor- 
sorglich gekleidet und verpflegt. Nur büßte er zu gleicher 
Zeit einen Mann ein, dessen Tüchtigkeit unbestreitbar, der 
ihm aber durch eigene Meinung unbequem geworden war: Barc- 
lay verließ, durch Zurücksetzung gekränkt, die Armee. Wer 
weiß, wie sich das Schicksal der Franzosen gestaltet hätte, 
wenn seinerzeit das Oberkommando seinen Händen anvertraut 
geblieben wäre. Übrigens ließen sich auch bei den Flügcl- 
armeen die Verhältnisse durchaus zugunsten der Russen an. 
An der Dwina verstärkte sich Wittgenstein durch Truppen vom 
finnländischen Korps, Rekruten und Milizen bis auf 40.000 
Mann, gegen 27.000 Saint-Cyrs, der seinen Sieg bei Polozk 
nicht energisch ausgenützt hatte. Im Süden hatte sich die 
russische Moldauarmee unter Tschitschagoff am 20. Septem- 
ber mit der Armee Tormassows vereinigt, 64.000 Mann, die 
das von Schwarzenberg kommandierte Korps, Österreicher, 
Sachsen und Polen, im ganzen 41.000 Mann, weit über- 
boten. Und aus Petersburg noch immer keine Antwort — ■ 

und in den kaiserlichen Rechnungen keine Ausgabenpost für die An- 
fertigung neuer Insignien nachweisbar sei. Diese Einwendungen nehmen 
dem Gerücht noch nicht allen Grund, da es kaum die Insignien des 
Jahres 1804, sondern andere gewesen waren, die der Kaiser anzulegen 
beabsichtigte, wenn er sich einmal über den „Empereur des Francais" 
hinaus erhob. Und daß er hieran gedacht, sich darüber geiiußert, ja sogar 
deshalb gelegentlich verhandelt hat, ist nachweisbar. Ob er freilich 
jetzt, beim Zuge nach Osten, für den Fall weltbezwingender Siege eine 
derartige Zeremonie ins Auge gefaßt hatte, läßt sich durch kein 
bestimmteres Zeugnis sicherstellen. 



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Der Zar bleibt feit. 113 

weder auf einen Brief aus Wilna, noch auf den aus Moskau! 
Napoleon ist außer sich. Er denkt einen Augenblick daran, 
sich sie zu holen: aber im nächsten ist das unmögliche Projekt 
wieder aufgegeben. Er muß sich endlich dazu verstehen, selbst 
Unterhandlungen anzubieten, und schickt am 5. Oktober 
General Lauriston zu Kutusow. Der aber erklärt, er habe keine 
Vollmacht und könne im besten Falle nur ein Schreiben Napo- 
leons nach Petersburg befördern. Aber würde ein solches Ant- 

fi wort erhalten? Man gewann die Überzeugung, daß auch dieser 

3 Schritt nutzlos war. 

& An der Newa blieb man fest. Zwar sprach jetzt, wo die 

* P Einnahme Moskaus die tiefste Bestürzung hervorgerufen hatte, 

^ Rumjantzow, ebenso wie vorher, für den Frieden, desgleichen 

# 3 die Kaiserin-Mutter und Großfürst Konstantin, den Barclay 

♦ von der Armee weggeschickt hatte, sprachen der Kriegs- und 

der Polizeiminister : der Zar blieb dennoch fest, so schwer er 
auch die Enttäuschung ertrug, die ihm die Nachricht vom Ver- 
luste der Hauptstadt bereitete, nachdem ihm doch kurz zuvor 
Kutusow Erfolge bei Borodino gemeldet hatte. Er blieb 
fest, nicht weil sich sein sonst so lockerer Charakter plötzlich 
in der Not der feindlichen Invasion gekräftigt hätte, nein, 
aus anderen Gründen. Einmal, weil er jetzt, wo die Meinung 
maßgebender Petersburger Kreise ihn für den Untergang der 
reichen Metropole geradezu verantwortlich machte, nicht auch 
noch durch einen demütigenden Frieden dauernde Nachteile 
über das Land bringen wollte, um so weniger, als gerade infolge 
jenes Verlustes die kriegerische Stimmung mächtig anwuchs.*) 
Dann war Moskau aufgegeben worden, ohne daß eine zweite 
Schlacht stattgefunden hatte: die Armee, die an der Moskwa 
sich sogar den Sieg zuschrieb, mußte also doch noch in 
Achtung gebietender Stärke vorhanden sein, während die 
starken Einbußen der Franzosen zu offenkundig am Tage 
lagen, als daß sie nicht auch in Petersburg hätten bekannt 
sein sollen. Dazu kam, daß Alexander in den letzten August- 
tagen in der finnischen Stadt Abo mit Bernadotte /usammen- 

*) Siehe über die dem Kaiser abträgliebe Meinung in jenen 
Tagen die Memoiren der Gräfin Edling (p. 75>. Dazu Steins Selbst- 
biographie bei Pertz, Stein VI. 2., Seite 179. 

Fonrnier. Napoleon I. N 



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114 



Grunde für seine Haltung. 



getroffen war, der ihn zur Beharrlichkeit aufgefordert, ihm 
seine Zustimmung zu einer Landerwerbung auf Preußens 
Kosten erklärt und ihm das russische Korps, das vertrags- 
mäßig Norwegen erobern helfen sollte, zurückgegeben hatte. 
Es waren 20.000 Mann unter Steinheü, die Wittgenstein zu- 
eilten. Auch mag es in der Umgebung Alexanders nicht an 
energischen Naturen gefehlt haben — man denkt unwillkürlich 
an den Freiherrn vom Stein, den Jener im Mai zu sich berufen 
hatte — die sicher zum Ausharren im Streite geraten und dem 
schwankenden Willen des Kaisers eine feste Stütze geliehen 
haben werden. *) Endlich hören wir, und er selbst hat es be- 
stätigt, daß sich damals unter dem Eindrucke des Moskauer 
Unglückes in dem Schüler La Harpes ein innerer Umschwung 
zur Religiosität vollzog, der sich noch mehr vertiefen sollte, 
als der Krieg schließlich zu Rußlands Gunsten endete. Von 
dem ehedem leichtfertigen Fürsten Galitzyn auf die Tröstungen 
der Bibel hingewiesen, soll Alexander aus ihr Festigkeit und 
Ausdauer geschöpft haben.**) Als die Nachricht vom Brande 
Moskaus eintraf, und der Bericht nicht zu melden versäumte, 
der Feind habe die Stadt angezündet, rief er aus: „Kein Friede 
mehr mit Napoleon! Er oder ich, ich oder er. Nebeneinander 
können wir nicht herrschen." Und an Bernadotte schrieb er: 
„Nach dieser Wunde sind alle andern nur noch geringfügige 
Schrammen. Aber wenigstens gibt sie mir Gelegenheit, Europa 
den stärksten Beweis meiner Beharrlichkeit zu liefern, indem 
ich den Kampf gegen seinen Bedrücker fortführe."***)So blieb 
es beim Kriege. Und es blieb auch bei einem neuen Operations- 
plan, den man unter dem Eindruck von Kutusows Siegesbot- 

*) Die Briefe, die später im Dezember Stein an den Zar 
schrieb (Eist. Zeitschrift, 63. Bd. S. 273 ff.) kennzeichnen den Einfluß, 
den er auf ihn gewonnen hatte. 

**) Vgl. Edling, a. a. 0. und Alexanders Gespräch mit Bischof 
Eylert, 1813, in dessen „Charakterzügen aus dem Loben Friedrich 
Wilhelms III." : „Der Brand von Moskau hat meine Seele erleuchtet und 
das Gericht des Herrn auf den Eisfeldern hat mein Herz mit einer 
Glaubenswärrae erfüllt, die ich bis dahin nie so gefühlt.' 4 Zitiert von 
Schieinann, Nikolaus, I. 87. 

***) Miscellanea napoleonica, IV. 692, Vgl. auch Tatis- 
tscheff, Alexandre et Napoleon p. 611. 



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Napoleons Entwürfe sind gescheitert. 115 

echaft entworfen hatte: die Armee Wittgensteins wird, mit 
dem finnländischen Korps vereinigt, die entgegenstehenden 
Franzosen zurückdrängen und dann, während das durch 
die Rigaer Garnison verstärkte finnische Korps sie im 
Schach hält, nach Süden operieren, um sich mit der von dort 
her nach Norden strebenden Armee unter Tschitschagoff im 
Bücken Napoleons zu verbinden. Diesen hätte ihnen Kutusow 
zuzutreiben. Vorher sollte Schwarzenberg von den ver- 
einigten Kräften Tschitschagoffs und Tormassows gleich- 
falls nach Westen gedrückt und weiterhin von dem Letzteren 
allein beschäftigt und aufgehalten werden. Dieser Plan, der 
allerdings den Franzosenkaiser von ßorodino retirierend auf- 
gefaßt hatte, blieb jetzt unter der Voraussetzung in Kraft, dali 
er Moskau wieder werde verlassen und an den Rückweg denken 
müssen. Diese Voraussetzung wollte man durch die Verweige- 
rung jeglicher Unterhandlung schaffen helfen. 

In der Tat hatte Napoleon fünf Wochen kostbarster Zeit 
an die Hoffnung auf den Frieden hingeschwendet, bis es endlich 
mit unerbittlicher Klarheit vor ihm stand, er müsse fort von 
Moskau. Wer wollte zu zeichnen versuchen, was jetzt im Geiste 
dieses Mannes vorging, als er das stolze Gerüst, das er seinem 
Ruhme aufgerichtet, Balken um Balken zusammenbrechen sah, 
er mit seinem weitblickenden Auge, das nicht nur die 
furchtbare Gefahr der nächsten Nähe, den todbringenden 
Winter, wo schon der Sommer die Armeen auf die Hälfte ein- 
geschmolzen hatte, sondern auch alle fernen Folgen mit er- 
spähte: den Aufruhr der gezwungenen Verbündeten und eine 
endlose Reihe neuer Kämpfe, um im besten Falle wieder zu 
erstreiten, was man vor wenig Wochen noch besessen! Ver- 
gebens suchte er den Gedanken an den Verlust seiner Geltung 
zurückzudrängen, vergebens vermied er es mit ihm allein zu 
bleiben. Wir hören, daß er, was er sonst nie getan, die Mahl- 
zeiten ungewöhnlich hinausdehnte, sich von einer zurück- 
gebliebenen französischen Schauspielertruppe Stücke vorspielen 
ließ, sich eifrig mit einem neuen Statut des Pariser Theatre 
frangais befaßte u. a. m. Endlich aber mußte doch Entschei- 
dendes geschehen. Vor allem hatte der Kaiser wieder General 
zu werden. Das ganze Unglück kam ja daher, daß er bisher 

8* 



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116 



Rückeugspläne. 



zu viel Kaiser und zu wenig General gewesen war.*) Als solcher 
hatte er jetzt den Rückzug zu beschließen. Da, mitten in den 
Vorbereitungen dazu, bei einer der täglichen Revuen, traf ihn 
die Kunde, die Russen hätten am 18. Oktober die Offensive er- 
griffen, Murat, der zur Beobachtung Kutusows südwärts ge- 
schickt worden war, bei Minkowo überfallen und ihn mit 
starkem Verlust auf der Straße gegen Moskau zurück- 
geworfen. Damit war die letzte Friedenshoffnung zerstört, und 
unwiderruflich stand es fest: man mußte wieder kämpfen. 



Seit Anfang Oktober erwog Napoleon die Frage, auf 
welchem Wege er die unhaltbare Hauptstadt verlassen solle. Er 
faßte drei Routen ins Auge: die auf der Straße, welche man 
gekommen war, dann die über Kaluga nach Smolensk, und 
endlich die nordwestlich über Bjeloi nach Welikie-Luki, die 
eine Petersburg bedrohende Haltung zuließ. Er hatte an- 
fänglich nicht übel Lust, sich für das dritte Projekt zu ent- 
scheiden, weil es am wenigsten die Retraite verriet, kam aber 
bald davon zurück. Auch der Weg nach dem Süden hatte 
seinen vollen Beifall nicht. „Jede Operation auf Kaluga", heißt 
es in den Notizen, die er diktierte, „ist nur in dem Falle ver- 
nünftig, wenn sie den Zweck hätte, sich auf Smolensk zurück- 
zuziehen. Ist es aber, wenn man schon auf Smolensk zurück- 
geht, vernünftig, den Feind aufzusuchen und sich dem Ver- 
lust einiger tausend Mann auf einem Marsch auszusetzen, der 
doch nur den Anschein eines Rückzuges vor einer Armee hätte, 
die ihr Land gut kennt, viele geheime Agenten und eine zahl- 
reiche leichte Kavallerie hat?" Man könnte da, entwickelte er 
weiter, bei einer Affaire mit dem Gegner 3000 bis 4000 Ver- 
wundete bekommen, mit denen man dann eine rückgängige 
Bewegung von hundert Wegstunden ausführen müßte, was 
wie eine Niederlage aussähe und dem Feinde, wenn er auch 
geschlagen wäre, in der öffentlichen Meinung einen Vorteil 
sichern würde. Da wollte er noch lieber den Rückzug auf dem 

*) „Moskau ist keine militärische, sondern eine politische Position", 
hatte er zu Daru gesagt. „Man will in mir hier immer nur den Feld- 
herrn sehen, während ich doch als Kaiser da bin." Sögur, V. 85. 



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Der Auszug au* Moskau. 117 

Wege, den man gekommen war, wählen. „Man hätte hier den 
Feind nicht auf dem Halse, man kennt die Straße genau, sie 
ist auch um fünf Tagmärsche kürzer. Die Armee würde für 
vierzehn Tage Mehl tragen und, ohne Nachzügler zu verlieren, 
nach Smolensk gelangen; sie würde sich sogar in Wjasma auf- 
halten können und dort Lehensmittel und Futter finden, indem 
sie sich nach rechts und links ausbreitet."*) Diese Notizen 
stammen aus den ersten Oktobertagen. Bald darauf hat sich 
Napoleon dennoch für den Marsch auf der Straße von Kaluga 
entschieden, und vollends, als der Vorstoß der Russen Murat 
aufzunehmen zwang. Wir werden aber sehen, daß jene Erwä- 
gungen gleichwohl zur Geltung kamen. 

Am 19. Oktober verließ die Hauptarmee — jetzt mit 
dem in Moshaisk stationierten Korps Junots nur noch 
108.000 Mann stark — Moskau in südwestlicher Richtung: die 
Soldaten überladen mit Beutestücken, deren Last sie nur zu 
bald ermatten ließ, Tausende von Wagen in endlosen Reihen, 
befrachtet mit der geraubten Pracht der heiligen Stadt, mit 
wenig nützlicher und viel unnützer Ware, mit Kranken und 
Verwundeten, der Troß vermehrt durch eine Anzahl fremder 
Familien, die sich vor dem Haß der Russen flüchteten, das 
Ganze einem fahrenden Volksstamme nicht unähnlich. Der 
Kaiser hatte in Moskau, wo Mortier mit 8000 Mann 
zurückblieb, verbreiten lassen, er wolle nach der Besie- 
gung Kutusows zurückkehren, und wirklich erreicht, daß 
Dieser meinte, er käme, um ihn zu schlagen. In Wahrheit war 
dies nicht seine Absicht. Er dachte vielmehr, um die „Affaire" 
und die Tausende von Verwundeten zu vermeiden, dem linken 
Flügel des Feindes vorbeizugehen und auf der westlichen 
(neuen) Straße Kaluga vor ihm zu erreichen, oder doch Juch- 
now zu gewinnen und über Jelnia nach Smolensk zu ge- 
langen. Aber die Täuschung Kutusows, mit der Napoleon 
so sicher rechnete, daß er dem in Smolensk eingetroffenen 
Viktor seinen Marsch nach Kaluga anzeigte und ihn nach 
Jelnia dirigierte,**) dauerte nicht lange. Bald nachdem der 



*) Corresp. XXIV. 19.237. 

*♦) 24. Oktober. Corresp. XXIV. 19.305. 



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113 



Die AiTaire bei Malo-Jaroslawetz. 



Kaiser, durch zwei Korps verdeckt, mit dem Gros des Heeres 
westwärts auf Borowsk abgeschwenkt war, kam die Kunde 
davon ins russische Hauptquartier, und alsbald machte sich 
Kutusow auf den Weg nach Malo-Jaroslawetz an der Lüsche, 
um dort dem Feinde die Straße nach Kaluga zu verlegen. 
Vielleicht hätte Napoleon seinen Plan ungestört ausführen 
können, wenn sein Heer sich rascher vorwärtsbewegt haben 
würde. Aber die schwere Belastung der Fußgänger, die 
schlechten Pferde der Reiter, die unzulängliche Bespannung 
der 600 Geschütze, von denen der Kaiser keins, wie ihm gut 
geraten worden war, zurücklassen wollte, der ungeheure Troß, 
den er mittschleppte, anstatt ihn auf eine andere Straße zu diri- 
gieren, und obendrein starker Eegen, der den Boden weichte, 
ließen kaum ein schnelleres Tempo zu. So kam es, daß die Vor- 
hut unter Eugen am 24. Oktober nur kurz vor den Russen in 
Malo-Jaroslawetz eintraf, wo sich dann sofort ein erbitterter 
Kampf um die rasch vom Feinde besetzte Höhe jenseits des 
Flusses entwickelte. Sie ward von den Russen verloren, wieder- 
gewonnen, in wiederholt wechselndem Streite, bis sie endlich, 
nach einem furchtbaren Blutbade, von den Italienern des Vize- 
königs dauernd erobert wurde. Mehr aber war nicht erreicht. 
Denn Kutusow, der unterdes mit der ganzen Armee herbei- 
gerückt war, hielt weiter südlich die Straße besetzt, und es 
kam jetzt darauf an, ob Napoleon hier durchbrechen wollte 
oder nicht. 

Da war es nun doch zu der „Affaire" gekommen. Das Ge- 
fecht am 24. hatte den Franzosen mehr als 5000 Mann an 
Toten und Verwundeten gekostet. Erneuerte man es in größerer 
Ausdehnung am nächsten Tage, dann wurden die Verluste bei 
dem erprobten Widerstande der Russen gewiß sehr beträchtlich. 
In dem Kriegsrat, den Napoleon abhielt, war kaum eine 
Stimme, die Murats, dafür, die meisten entschieden dagegen. 
Auch der kühne Mouton, der im Mai 1809 die Situation in der 
Lobau gerettet hatte, riet zu möglichst schleunigem Rück- 
marsch bis an den Niemen, und zwar auf der großen Straße, die 
man gekommen war und die man genau kannte. Damit traf, 
wie wir sahen, des Kaisers eigene Überzeugung zusammen. 
Auch die Gefahr, in der er heute, am 25., bei einer Rekognos- 



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Entscheidung für die alte Straße. 111) 

ziening geschwebt, von einem dreisten Kosakenpulk gefangen 
zu werden, mochte Eindruck auf ihn gemacht haben. Nur die 
Sorge, beim Rückmarsch nach Norden den Feind, den man 
bisher immer vor sich gehabt, nunmehr „auf dem Halse zu 
haben", gab noch zu denken. Da löste Kutusow selbst die 
Frage, indem er am Tage darauf seine Zelte abbrach und 
weiter nach Süden ging, gegen die Meinung seines tüchtigen 
Beraters Toll und offenbar nur aus Scheu, sich mit Napoleon 
zu messen, ein Gefühl, das er seit Austerlitz nicht hatte los 
werden können. Dieser aber benützte die Freiheit, die ihm der 
Gegner ließ, um sogleich nach Norden umzudrehen und bei 
Moshaisk die große Straße zu gewinnen. Schon am 21. war 
Mortier aus Moskau abkommandiert worden. Er sollte vorher 
noch den Kreml in die Luft sprengen — eine Tat ohnmäch- 
tigen Zornes, die übrigens nur höchst unvollkommen gelang. 
Am 27. war er mit seinem Korps bei der Armee, die nun in 
Eilmärschen nach Westen zog. Sie hatte eine Woche kostbarer 
Zeit verloren und durfte sich wohl auch in Wjasma nicht auf- 
halten, wenn Kutusow sein Metier verstand.*) 

Was nun folgt, ist eine Eetraite, neben der der Marsch 
durch die Wüste nach dem vergeblichen Sturm auf Akka wie 

*) Die Berichte über die Haltung Napoleons in diesen Tagen 
sind nicht zureichend. Daß er den weichenden Hussen nicht folgte 
— die sich später doch wieder zur Schlacht stellen konnten — hat 
alles in allem genommen nichts erstaunliches. Nur daß er den allerdings 
kürzeren Weg von Malo-Jaroslawetz über Medvnj und Juchnow nach 
Wjasma nicht einschlug, muß überraschen. Doch hat er sich darüber 
iu einem Brief an Berthier für Junot vom 26. Oktober ausgesprochen: 
die Kälte und die Notwendigkeit, die Verwundeten — es waren wirklich 
3 bis 4000 — loszuwerden, hätten ihn bestimmt, nach Moshaisk zu 
gehen. (Corresp. XXIV. 19.807.) Aber die Kälte war noch nicht ein- 
getreten. Erst am 27. zeigte sich etwas Nachtfrost bei sonst schönem 
Wetter. Der Winter kam 1812 überhaupt später als gewöhnlich über 
Rußland. Also konnte nur das zweite Moment bestimmend gewesen sein, 
die Last der Verwundeten, denen Napoleon schon in seinen Entwürfen von 
AnfangOktobcr eine entscheidende Bedeutung eingeräumt hatte. Übrigens 
mochten auch die schlechten Karten, über die er verfügte, und seine 
Unkenntnis der Wegverhältnisse mit die Schuld tragen. Vielleicht 
meinte er wirklich Medynj nur über Kaluga erreichen zu können, das 
Kutusow mit seiner Überlegenheit an Artillerie und Reiterei sicher nicht 
ohne eine zweite „Aflaire* in seine Hände geliefert hätte. 



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120 



Die Retraite. 



ein Knabenspiel erscheint. Wird, was vor wenig Wochen in 
der Hast des Vorwärtsdrängens die Kräfte nicht verlor, sie 
jetzt in der flüchtigen Eile des Bückzuges nicht verlieren? 
wird, was dort die Hitze verschonte, nicht jetzt die Kälte hin- 
wegraffen? wird, was dort der Not und dem Hunger wider- 
stand, ihnen jetzt nicht um so sicherer erliegen, als man nun 
nicht mehr Verfolger war, sondern selbst verfolgt ward? Aller- 
dings, man hatte ein Ziel. Nur bis Smolensk, hieß es, müsse 
man tapfer marschieren. Dort stand das Korps Victors, dort 
fanden sich — • so war es wenigstens befohlen worden — reiche 
Vorräte, dort, zwischen Dwina und Dnjepr, ließ sich der Winter 
überdauern. Und so ging denn die stark demoralisierte Armee 
denselben Leidensweg, den sie vor zwei Monaten gegangen war, 
wieder zurück, vorbei an dem entsetzlichen Schlachtfelde von 
Borodino, wo die Toten noch immer unbeerdigt lagen, an den 
Hospitälern, Höhlen des Grauens, aus denen man, was noch 
lebte, fortzubringen trachtete, vorbei an den verbrannten 
Städten und Dörfern und all den Orten traurigster Ver- 
wüstung, ein paar tausend russischer Gefangener mit sich 
schleppend, von denen jene, die nicht mehr vorwärts konnten, 
einfach erschossen wurden, damit sie dem Feinde nicht ver- 
rieten, wie herabgekommen das Heer des noch immer gefürch- 
teten Soldatenkaisers war. Seit Anfang November begannen 
sich die Nachtfröste fühlbarer zu machen. Die Soldaten waren 
meist leicht gekleidet und litten nicht wenig. Auch vom 
Hunger. Denn was man aus Moskau an Lebensmitteln mit fort- 
genommen hatte, war bald völlig aufgebraucht, und sich seit- 
wärts der Straße zu verproviantieren, wie man es früher getan, 
unmöglich, da die bewaffneten Bauernscharen dies hinderten, 
alles, was ihnen in die Hände fiel, grausam mordeten, und nun 
auch der Feind sich wieder zeigte. 

Kutusow, von seiner leichten Reiterei trefflich bedient, 
hatte zeitig Kunde vom Abzug Napoleons erhalten, machte 
kehrt und marschierte mit der Hauptarmee über Medynj, 
wo er anfänglich einen neuen Durchbruch der Franzosen 
vorausgesetzt hatte, und Silenki gegen Wjasma, während 
das Kosakenkorps Platows hinter Davout, der die Arrieregarde 
befehligte, nachdrängte. Man müsse marschieren — befiehlt 



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Gefecht bei Wjasma. 



121 



nun Napoleon — wie man in Ägypten marschiert sei, das Ge- 
päck in der Mitte, so daß beim Frontmachen nach allen Seiten 
gefeuert werden könne. So ging es weiter in schnellem Tempo. 
„Der Feind flieht", meldete Platow, „wie noch nie eine Armee 
geflohen ist." Die Hast hatte ihren guten Grund. Dadurch, daß 
Kutusow den kürzeren, vom Kaiser verschmähten Weg gewählt 
hatte, kam es, daß seine Avantgarde unter Miloradowitsch 
schon hinter Wjasma, am 3. November, auf die große Straße ge- 
langte und die französische Nachhut abschnitt. Nur daß der 
Vizekönig Eugen zwei Divisionen aus Wjasma zurücksandte, 
rettete Davout. Napoleon war mit der Garde schon weit über 
diese Stadt hinaus. Hätte an dem Tage Kutusow mit seiner 
ganzen Armee eingegriffen, wie es seine Generale dringend ge- 
raten hatten, er hätte dem Feind einen entscheidenden Stoß 
versetzt. Er tat es nicht. Von ausdauernder Energie im Wider- 
stande, war er höchst zaghaft im Angriff und eher geneigt, dem 
Gegner „goldene Brücken zu bauen," da dieser, wie er meinte, 
im russischen Winter auch ohne sein Zutun zugrunde gehen 
müsse. 

Das Gefecht bei Wjasma hatte den Franzosen aufs neue 
4000 Mann an Toten und Verwundeten gekostet, 3000 waren 
gefangen worden, das Davoutsche Korps völlig in Auflösung, so 
daß Ney die Nachhut übernehmen mußte. Am 6. November» 
wuchs die Kälte auf acht Grad an, und ein eisiger Nordwind 
brachte dichten Schnee.*) Die Straße wurde glatt; massenweise 
stürzten die Pferde mit ihren nur stumpf beschlagenen Hufen, 
fortan die einzige Fleischnahrung der hungernden Soldaten; 
viele Geschütze blieben zurück; lange Reihen von Munitions- 
karren wurden in die Luft gesprengt; Reiterei, die ihre Rosse 

*) In einigen Aufzeichnungen (Bausset, Gurctzky r Cornitz, Berthe- 
zene) wird der Eintritt der st» engen Kälte und des Schnees auf den 
4. November, in fast allen üb' igen aber (F^zensac, Castellane, Gour- 
gand, Peyrusse, Coi^net, Napoleon im 29. Bulletin) auf den 6. angesetzt. 
Castellane (Journal, 1. 1*0) meldet am 3.: „Des Tags herrscht Sommer- 
wärme, die Nächte sind kalt"; Fözensac (Souvenirs, p. 288) zum 5.: 
„Das Wetter war schön und für die Jahreszeit ziemlich milde (assez 
doux) . . . Während des Marsches am nächsten Tage schlug das Wetter 
plötzlich um und wurde sehr kalt"; Castellane (a. a. O.) zum 6.: 
„Der Schnee stellt sich zum erstenmal dauernd ein (s' ötablit)." 



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122 Hunger und Kälte. 

verlor, mußte zu Fuß weitermarschieren. Die Disziplin geriet 
gänzlich aus den Fugen. Jeder dachte nur an sich selbst. Die 
Verwundeten des letzten Gefechtes wurden ihrem Schicksal 
überlassen und starben am Wege. Desgleichen Tausende, die vor 
Kälte und Ermüdung die Waffen weggeworfen und die Reihen 
verlassen hatten. Man duldete sie nicht bei den Beiwachtfeuern 
der Nachtrast. Sie gingen beiseite und erfroren haufen- 
weise. So sollen auf einem einzigen Biwakplatz in einer 
Nacht an 300 Mann gestorben sein. Gar mancher erwar- 
tete die Russen, um bei ihnen zu betteln und noch ein paar 
Tage des Lebens zu fristen, bis mit dem Feinde seine letzte 
Hoffnung schwand, wenn sich nicht vorher schon die Pike eines 
Kosaken des Todgeweihten erbarmte. Am größten war das 
Elend bei der Nachhut. Einer der Obersten Neys berichtet aus 
diesen Tagen: „Das Wenige, das wir an Lebensmitteln hatten, 
war aufgezehrt, die Pferde fielen vor Hunger und Anstrengung 
und waren von den Soldaten bald verschlungen. Wer sich von 
der Straße entfernte, um Nahrung zu suchen, geriet in Feindes- 
hand. Da stürzten sich nun unsere Leute auf jeden isoliert 
Marschierenden und nahmen ihm seinen Vorrat mit Gewalt; 
ein Glück, wenn sie ihm seine Kleider ließen. So waren wir, 
nachdem wir das Land verwüstet, darauf angewiesen, uns 
selbst gegenseitig zu vernichten." *) 

Endlich, wie ein Zeichen der Erlösung, winkten die Türme 
von Smolensk den erschöpften Kriegern. Von den mehr als 
hunderttausend Mann, die aus Moskau ausgezogen und zu 
denen 15.000 Mann Verstärkungen gestoßen waren, antwor- 
teten kaum noch fünfzigtausend beim Appell, darunter nur 
noch 5000 Reiter in einem elenden Zustande. Daran trug Murat 
nicht wenig Schuld, der noch in der Umgebung Moskaus und 
dann später auf dem Marsche die armen Leute ganz überflüssig 
auf die Kosaken gehetzt hatte, so daß sie ihre Pferde einbüßten 
und zu Fuß verdarben. Man nannte ihn darum auch den 
„Henker der Kavallerie", während von den anderen Führern 
der Vizekönig, namentlich aber der „unverzagte" Ney, im 
höchsten Ansehen standen. Und wer die Geschichte dieses 



*) Fezcnsac. Souvenirs p. 290. 



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In Smolensk. 



123 



Feldzuges aufmerksam verfolgt, muß hier der öffentlichen 
Meinung unbedingt zustimmen; namentlich Ney verrichtete 
auf diesem Zuge Wunder an Mut, Umsicht und Kaltblütigkeit 
unter den verzweifeltsten Verhältnissen. Napoleon dagegen 
ward seine Vorliebe für die Garde, die er schon im Sommer 
wiederholt an den Tag gelegt hatte, von den anderen Truppen 
sehr verargt. Auch jetzt in Smolensk, wo er am 9. November 
eintraf, und wo die Maßregeln zur Verpflegung der Armee 
tief unter seiner Erwartung blieben, versah er vor allem 
die Garden mit Proviant für vierzehn Tage, was die übrigen 
Korps, die nur eine achttägige Ration bekamen, zu Ausschrei- 
tungen veranlaßte.*) In der ausgebrannten Stadt gewährten 
nur wenig Häuser Unterkunft und Schutz wider die grimmige 
Kälte. Die meisten Truppen mußten wieder im Freien über- 
nachten, und in den Gassen häuften sich die Leichen. Und hier 
sollte man überwintern? 

Nein. Denn die Linie zwischen Dwina und Dnjepr war 
bereits unhaltbar geworden. Noch auf dem Marsche hatte 
Napoleon von Victor eine Nachricht erhalten, die ihn tief be- 
kümmerte. Der Marschall mit seinem frischen Korps hatte 
nicht in Smolensk bleiben und das Nötige zur Aufnahme der 
retirierenden Armee vorbereiten können, sondern war, von 
Saint-Cyr gerufen, Diesem mit ungefähr 18.000 Mann gegen 
Wittgenstein zu Hilfe geeilt; beide waren dann aber Ende 
Oktober bei Tschaschniki von überlegenen Kräften geschlagen 
worden. Damit war der Rückmarsch des Heeres von Norden 



*) I ber die Ankunft der Armee in Smolensk schreibt der Zahl- 
meister Peyrusse in sein Tagebuch zum 10. November: „Alsbald waren 
die Magazine erbrochen, eine geregelte Verteilung unmöglich, alles 
wurde geplündert. Gewalt und Autorität der Vorgesetzten hörten auf 
gegenüber einer Armee, die durch den Hunger und alle Art von Elend 
zur Verzweiflung gebracht war. Die Soldaten blieben Herren der 
Magazine. Wein, Branntwein, Reis, Zwieback, Gemüse, alles rann durch- 
einander und wurde unter die Füße getreten. Die ungehenren Vorräte, 
auf solche Art verschleudert, reichten kaum für zwei Divisionen." Wenn 
spater Napoleon seine Intendanten der Pflichtverletzung und Korruption 
zieh, so kann man leicht auf die Vermutung kommen, er habe dies nur 
getan, um nicht eingestehen zu müssen, daß er, der Gebieter der Welt, 
zuweilen nicht Herr seines Heeres gewesen war. 



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124 Verweilen unmöglich. 

her ernstlich bedroht und Napoleon in der größten Unruhe. 
Er befiehlt Victor — und er tut es mit beweglichen Worten — 
aufs neue vorzugehen und den Feind über die Dwina zurück- 
zuwerfen. Wenn es aber nicht gelang, den Befehl auszuführen? 
Und dazu traf auch noch die Botschaft ein, Tschitschagoff sei, 
nachdem er einen Teil seiner Armee gegen Schwarzenberg und 
Reynier (Sachsen) am Bug aufgestellt, mit dem anderen im 
Anmärsche gegen Minsk und bereits am 6. in Slonim einge- 
troffen. Wenn es nun Wittgenstein und dem Admiral gelang, 
sich die Hände zu reichen? Nein, in Smolensk war nicht zu 
bleiben. Der Kaiser verweilte auch nur so lange, bis Eugen, 
der auf einem martervollen Umweg über Duchowschtschina 
herankam, angelangt und die Armee notdürftig restauriert war; 
die Nachhut wartete er nicht ab. Schon am 14. verließ er wieder 
die Stadt, nachdem er angeordnet, die einzelnen Korps sollten 
auf Tagweite voneinander getrennt marschieren. Warum er 
dies verfügte, wo doch Kutusow während der vier Rasttage 
in Smolensk über Jelnia auf gleiche Höhe herangekommen war 
• und jeden Augenblick wieder auf die Marschlinie der Armee 
vorstoßen konnte, ist nicht aufgeklärt. Man muß vermuten, er 
habe entweder den Feind noch nicht so nahe gewähnt oder 
ihm vielleicht die Absicht zugeschrieben, den Franzosen nicht 
zur linken Hand zu folgen, sondern sich über Smolensk mit 
Wittgenstein zu vereinigen.*) Durch die größeren Distanzen 
zwischen den einzelnen Heeresteilen sollte in Orscha eine ge- 
regeltere Verpflegung als in Smolensk erzielt werden. Wie 
dem auch sei, in den Tagen vom 12. bis 17. November zog die 
Armee aus der Stadt. Von den 35.000 Nachzüglern, die mit 
ihr dort einmarschiert waren, schloß sich jetzt nur etwa der 
vierte Teil der Nachhut unter Ney an. Die übrigen waren 
teils vor Kälte und Hunger umgekommen, teils blieben sie, 
um zu plündern, zurück. Sie wurden von den heimkehrenden 
Einwohnern erschlagen, in die Flammen geworfen, ertränkt. 
Die Kranken und Verwundeten hatte man in den Hospitälern 
zurückgelassen. Viele von ihnen verloren das Leben, als auf 

*) In dem Schreiben an Victor vom 7. November heißt es: „In 
wenig Tagen kann Ihr Nachtrab von Kosaken überschwemmt sein". 
(Oorresp. XXIV. 19.326.) 



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(ief echte bei Krasnoi. 



125 



Xapoleons Befehl die Türme der Stadtmauer in die Luft 
flogen. Es waren Greuel ohnegleichen. 

Gleich in den ersten Tagen nach dem Ausmarsch forderte 
die bittere Kälte ihre Opfer, und die Armee begann sich aufs 
neue aufzulösen. Und da war auch der Feind wieder, und war, 
wo man ihn nicht vermutet hatte. Als Napoleon mit der Garde 
bis nahe an Krasnoi gelangt war, schob sich die russische Avant- 
garde hinter ihm an die Straße vor, und es bestand die Gefahr, 
daß nun die einzeln nachkommenden Korps von der 17.000 Mann 
starken Abteilung nacheinander geschlagen wurden, während 
Kutusow, seine Straße weiter ziehend, dem Kaiser bei Krasnoi 
in der Front entgegentrat. Dies hintanzuhalten, blieb Xapoleon, 
kühn und auf des Russen Zaghaftigkeit bauend, stehen, um 
den zunächst heranrückenden Eugen aufzunehmen. Er hatte 
nur 15.000 Mann bei sich — so weit waren auch die Garden 
schon herabgekommen — während Kutusow, der bloß noch 
einen Tagmarsch von Krasnoi entfernt war, gut über das 
Dreifache verfügte, obgleich auch er auf dem eiligen Zuge 
durch den tiefen Schnee der Nebenstraßen fast die Hälfte 
seiner Infanterie krank oder unfähig hatte zurücklassen 
müssen.*) Napoleon hatte richtig gerechnet. Der Kusse 
vermied es auch jetzt, wo er doch über die Zustände beim 
Feinde genauer unterrichtet sein mußte als bei Wjasma, mit 
seiner Hauptmacht, die er nur vorzuschieben brauchte, Napo- 
leon festzuhalten, ihn von dem Reste seiner Armee zu trennen 
und zu überwältigen. Er blieb bei seinem Zaudersystem, das 
er vergebens zu bemänteln suchte und das ihm im Grunde 
nur, wie man vernimmt, von der Furcht vor dem Genie des 
Kaisers diktiert war, der ihm selbst in solcher Bedrängnis 



*) Die regulären russischen Truppen bowicsen in diesem Kriege 
nicht die Widerstandskraft, die man bei ihnen voraussetzen sollte. Von 
100.000 Mann, mit denen Kutusow die parallele Verfolguu«? Napoleons 
begann, lagen Anfang Dezember 48.000 in den Spitälern, obgleich sie 
in Pelze gekleidet, gut genährt und nicht so rasch wie der Feind 
vorwärtsbewegt worden waren. Mitte Dezember waren von 200.000 Mann 
der russischen Armee nur noch 40.000 unter den Waffen. Am besten 
scheinen Polen und Deutsche die Kälto ertragen zu haben. (Bernhardt, 
Tolls Denkwürdigkeiten, II. 352, 469.) 



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126 



Die „Isolierten/ 



noch unüberwindlich schien. Dadurch noch kühner gemacht, 
und um auch Davout und Ney vor der russischen Vorhut zu 
schützen, ergreift Napoleon am nächsten Tage sogar die 
Offensive, indem er annimmt, Kutusow werde angesichts eines 
größeren Engagements seine Avantgarde an sich, d. i. von der 
Straße wegziehen und so den Weg freigeben. Das Wagnis ge- 
lingt — es war am Frühmorgen des 17. November, bei einer 
grimmigen Kälte — und auch Davout kann noch nach Krasnoi 
kommen. Nun aber droht dem Kaiser die Gefahr, überflügelt 
zu werden, und er marschiert nach Orscha weiter, Ney seinem 
Schicksale überlassend, der sich nach vergeblichen Kämpfen 
mit 3000 Mann in der Nacht über den zugefrorenen Dnjepr 
stiehlt, jenseits unter die Kosaken Platows gerät und nach un- 
säglicher Mühsal mit kaum 900 Mann hinter Orscha auf die 
große Straße zurückkehrt. 

Jetzt begann die Kälte nachzulassen, aber nun machten 
Tauwetter und mehrtägiger Regen die Straße grundlos und den 
Marsch für die Soldaten, die ihre Füße meist nur mit Lumpen 
bekleidet hatten, noch peinvoller. Von den kaum 25.000 Mann, 
die noch in geschlossenen Reihen übrig waren, während die 
„Isolierten" in viel größerer Zahl folgten, warfen aufs neuo 
Tausendc die Waffen weg, und sogar die Garde begann zu 
wanken. Da trat Napoleon, der an den kalten Tagen häufig zu 
Fuß, mit einem polnischen Pelz bekleidet, auf einen Birken- 
stock gestützt, vor den Truppen einhergegangen war, unter 
seine alten Grenadiere und sprach sie an: „Ihr seht die Des- 
organisation meiner Armee. Durch eine unglückliche Verblen- 
dung haben die meisten Soldaten die Gewehre von sich ge- 
worfen. Wenn auch Ihr diesem schädlichen Beispiele folgt, 
so bleibt uns keine Hoffnung mehr. Von Euch hängt das Heil 
des Heeres ab!" Es war die höchste Zeit, daß man in Orscha, 
wo die Hauptarmee, 18.000 Mann stark, fast ohne Kavallerie 
und Artillerie eintraf, durch die Vermittlung der Juden etwas 
Proviant erhielt und außerdem Waffen und einige Batterien 
vorfand, die man mit den Pferden zweier Pontonparks be- 
spannte. Die Kähne ließ man zurück. Man glaubte sie nicht zu 
benötigen. War doch die Brücke bei Borissow über die Beresina 
von Franzosen besetzt, und hatte man nur erst einmal diesen 



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Trostlose Situation. 



127 



Fluß hinter sich, dann, meinte man, gab es auf dem Wege über 
Minsk nach Wilna kein ernstes Hindernis mehr. 

Aber es waren der Prüfungen noch lange nicht genug. 
Am 22. November erhielt Napoleon die Nachricht, Admiral 
Tschitschagoff habe bereits über Minsk Borissow erreicht, die 
Franzosen von dort verjagt und sei nun Herr des Über- 
ganges. Und was diese Nachricht völlig trostlos machte, 
war, daß auch Victor und der wieder zur Armee zurück- 
gekehrte Oudinot gegen Wittgenstein nichts hatten aus- 
richten können und südwärts auf die große Straße losmar- 
schierten. Nun schien das Schicksal des Heeres besiegelt. Im 
Rücken Kutusow, im Süden und in der Front Tschitschagoff, 
rechter Hand Wittgenstein. Wenn die beiden Letzten an der 
Beresina den Franzosen entgegentraten, so war an ein Ent- 
rinnen nicht zu denken. Denn das Tauwetter und der Regen 
haben die feste Eisdecke geschmolzen, der Fluß ging 
hoch, seine Ufer waren versumpft, die Pontons in Orscha zu- 
rückgeblieben. 

Es war eine Situation, um den Stärksten im Geiste zu 
verwirren. Aber Napoleon, den wir auf dem Zuge nach Moskau 
vor der Ungewißheit seines Erfolges schwächlich und nervös 
gefunden haben, ist jetzt der Gewißheit des Mißerfolges gegen- 
über stark und besonnen. Seitdem er wieder General geworden 
war, war er es auch ganz. Auch seine körperlichen Übel 
schienen geschwunden zu sein. Er befand sich so wohl wie nur 
im Winterfeldzuge von 1S07. Dieses Moment darf hier nicht 
übersehen werden. Sein Intellekt und seine Energie zeigen in 
diesen Tagen höchsten Unglücks und äußerster Verlegenheit 
nahezu die alte Kraft. „Er war bleich" — meldet ein Begleiter 
— ..aber sein Antlitz war ruhig; nichts in seinen Zügen verriet 
seine moralischen Leiden." Sein Blick übersieht die ganze 
Größe der Gefahr und erkennt die Mittel zur Rettung, wenn 
es noch Rettung gibt. Vor allem müssen die Truppen heran, 
die bisher gegen Wittgenstein gekämpft und nicht entfernt 
wie die Hauptarmee gelitten haben. Oudinot soll dann mit 
seinen 8000 Mann die Abteilung, die Tschitschagoff über 
Borissow hinaus entsendet hat, zurückwerfen und sich wo- 
möglich des Überganges wieder versichern, während Victor 



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128 



Au der Beresina. 



mit 11.000 von Tschereja, wo er steht, süd westwärts nach der 
Beresina zu marschieren und Wittgenstein so lange als möglich 
von dort fernzuhalten hat. Nebenbei entledigt sich Napoleon 
eines großen Teils des Heertrosses, der noch immer mitgeht, 
und auch die Hälfte der Wagenburg wird in Bohr geopfert, um 
die Pferde für die geringe Artillerie zu erhalten, die noch vor- 
handen ist. Hier vernimmt er von Oudinot, daß zwar Borissow 
wiedergewonnen, die Brücke aber von den weichenden Russen 
verbrannt worden sei. Noch am Tage vorher hatte er ihm ge- 
schrieben: „Sollte der Feind sich des Brückenkopfes bemäch- 
tigt und die Brücke verbrannt haben, so daß man nicht über- 
gehen könnte, so wäre das ein großes Unglück." Nun war auch 
dies eine Tatsache, und Tatsache somit, daß man angesichts 
zweier überlegener feindlicher Armeen, auf der Flucht vor 
einer dritten, einen Fluß von hundertzwanzig Schritt Breite 
mit morastigen Ufern werde überschreiten müssen. 

Hätte der Kaiser mit Gegnern zu tun genaht, die ihm nur 
halbwegs ebenbürtig waren, weder er noch seine Armee wären 
entkommen. Er hätte nicht mit einem doch noch nach Tau- 
senden zählenden Rest von Offizieren und Unteroffizieren die 
Grenze erreichen, nicht neue Armeen in diese geretteten Cadres 
füllen und Europa mit neuen Kriegen überziehen können, wie 
er es tatsächlich getan hat. Aber Kutusow war nur darauf 
bedacht, „nicht mit abgemagerten Truppen an der Grenze zu 
erscheinen", und folgte überraschend langsam. Wittgenstein, 
den Victor nicht mehr behinderte, denn er war, gegen des 
Kaisers Befehl, schon bei Loschniza auf die große Straße herab- 
gerückt, Wittgenstein ist ungenügend über die trostlosen Ver- 
hältnisse des Feindes unterrichtet, folgert aus der Abmarsch- 
richtung Victors die Absicht des Kaisers, die Beresina i n 
ihrem Unterlaufe zu überschreiten, und nähert sich 
deshalb, und wohl auch aus Scheu vor dem Imperator, nur vor- 
sichtig Borissow, anstatt auf die obere Beresina loszueilen. 
Tschitschagoff endlich wird sich als total unfähig erweisen. 
Nein, sie waren nicht danach angetan, den größten General 
ihrer Zeit zu vernichten. Der Admiral, dessen Aufgabe es nun 
eigentlich gewesen wäre, den Kaiser nicht durchzulassen, ging 
plump in eine ihm von Oudinot gestellte Falle. Dieser war näm- 



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Brückenschlag bei Studjenka. 129 

lieh angewiesen worden, einen passenden Ort zum Brücken- 
schlag zu suchen und, nachdem er ihn nördlich von Borissow, 
südlich von Wjesselowo, bei Studjenka gefunden hatte, dem am 
anderen Ufer stehenden Feinde durch Scheinmanöver die Mei- 
nung beizubringen, als wolle man im Süden der Stadt über- 
gehen. Die Täuschung ward so glücklich durchgeführt und 
wurde überdies durch die erwähnte Vermutung Wittgensteins, 
die Dieser dem Admiral mitgeteilt hatte, so wirksam unter- 
stützt, daß Tschitschagoff eine bereits gegenüber von Studjenka 
bei Brili postierte starke Abteilung von über 3000 Mann zurück- 
nahm und mit seiner Hauptmacht einen Tagemarsch weit von 
Borissow gegen Süden zog, um das französische Heer zu emp- 
fangen, wenn es, wie er annahm, mit Schwarzenberg Verbindung 
suchend dort über den Fluß ging. Gegenüber von Borissow 
blieb nur ein schwaches Korps unter Langeron stehen. Und das 
war am 25. November, an demselben Tage, an dem Oudinot 
sein Korps von Borissow nordwärts nach Studjenka führte und 
dort mit dem Baue zweier Brücken begann, die — wie be- 
dauerte man jetzt den Abgang der Pontons! — allerdings erst 
am andern Nachmittag fertig wurden. *) Es war wieder 
plötzlich Frost eingetreten, das sumpfige Gelände wurde fest, 
und der Fluß trieb Eis, was die Arbeit der armen Pionniere, die 
bis zur Brust im Wasser standen, gewaltig hinderte. Und das 
jetzt, wo jeder Augenblick kostbar war. Endlich konnte der 
Übergang beginnen. Eine Anzahl Geschütze, die man auf der 
Höhe von Studjenka aufgefahren hatte, beherrschten das jen- 
seitige Ufer und hielten die kleine russische Abteilung, die 
noch dort stand, vom Strande fern. Beiterei, die hinüber- 
schwamm, vertrieb sie. Die Bahn war frei. Sie blieb es auch 
am folgenden Tage. Oudinots Truppen, 8000 Mann, die zu- 
erst übergingen, bemächtigten sich des Terrains und machten 



*) Die von Hart mann (Müitärwochenblatt, Beihefte von 1894, 
S. 267) aufgenommene Mitteilung des Genieobersten Paulin, es seien 
drei Brücken gebaut worden, widerspricht allen sonstigen Angaben. 
Das Mißverständnis liegt darin, daß Wjesselowo für Studjenka genommen 
wurde, da das Letztere nicht auf den französischen Karten verzeichnet 
war. Man hatte wohl drei Brücken zu bauen beabsichtigt, das Material 
reichte aber nicht zu. 

Fournier, Napoleon I 9 



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130 



Der Übergang am 27. November. 



sofort Front nach Süden. Urnen folgte in der Dunkelheit 
ein Korps von 4000 Reitern, das man neu gebildet und 
unter das Kommando des tapferen Ney gestellt hatte, nach- 
dem er das seinige bis auf den letzten Mann eingebüßt. Am 
nächsten Tage (27.) kontrollierte Napoleon den Marsch über 
den Fluß, ließ eine Anzahl „Isolierter" passieren und ging 
zu Mittag selbst mit den Garden — kaum 7000 Mann sind 
es jetzt — hinüber. Als am Nachmittag eine größere Menge 
Isolierter die für Artillerie und Fuhrwerk erbaute Brücke 
überschritt, brach sie — es geschah schon zum drittenmal — 
und bereitete so manchem ein feuchtes Grab. Als sie wieder 
hergestellt war, passierten sie die Korpsreste Eugens und 
Davouts, je 1200 Mann, so daß diesseits nur noch das 
Korps von Victor (11.000 Mann), dessen Arrieregarde in Bo- 
rissow angelangt war, zurückblieb, um den nachrückenden 
Wittgenstein aufzuhalten, den Abmarsch der Armee zu decken 
und zugleich die Kettung möglichst vieler von den Unbewaff- 
neten zu ermöglichen. Denn Napoleon, der jetzt, als er seine 
„Große Armee" zusammenbrechen sah, sich nur noch mit 
dem Gedanken beschäftigte, wie er eine neue schaffen könne, 
rechnete dabei auf diese Schar der Nachzügler, unter denen 
sich viele tüchtige Offiziere und Unteroffiziere befanden, die 
dann Verwendung finden würden. Darum schickte er noch in 
der Nacht zum 28. von jenseits eine Division zur Unterstützung 
Victors herüber, der die Brücken auch an diesem Tage noch 
zu halten hatte.' Die ganze Armee zählte jetzt 30.000 bis 
35.000 Mann unter den Waffen.*) Der Haufe der Isolierten, 
von denen der Haupttrupp in der Nacht vom 27. auf den 28. 
bei der Übergangsstelle ankam, wird nicht weniger stark ge- 

*) Die Angaben sind sehr verschieden und schwanken zwischen 
22.000 (Sdgur) und 50.000 (Fezensac). Die letztere Ziffer ist gewiß 
unrichtig. Übrigens haben selbst Napoleon keine Tabellen mehr vor- 
gelegen. Clause witz in einem Briefe aus Borissow vom 30. November 
an Stein spricht von „etwa 40.000", was mit den Angaben des Geheim - 
Sekretärs Fain (Manuscrit de 1812) ungefähr übereinstimmt. Das Rich- 
tigste dürfte bei Chambray stehen, der am Morgen des 26. den Be- 
stand auf 26.700 Mann Fußvolk und 4000 Reiter schätzt. Die Zusam- 
menstellung bei Bogdanowitsch III. 271 ist fehlerhaft. Vgl. den 
Exkurs bei Osten- Sack eii, Der Feldzug von 1812, S. 339. 



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Kämpfe am 28. November. 131 

wesen sein. Einen großen Teil dieser Armen hielten Hunger 
und Kälte bei dem jenseitigen Dorfe fest. Und auch viele vom 
Troß der Moskauer Flüchtlinge mit ihren Familien blieben 
dort, da sie sich, trotz aller Mahnung, nicht von ihren Wagen, 
die ihre Habe und ihr letztes bißchen Nahrung enthielten, 
trennen wollten. Es waren Bilder unsäglichen Jammers. 

Aber so ganz ohne jede Störung durch den Feind sollte 
Napoleon doch nicht entkommen. Noch am Abend des 27. 
war Wittgenstein mit Platow bei Stary-Borrissow auf die Nach- 
hut Victors, etwa 4000 Mann unter Partouneaux gestoßen, 
die er von der Haupttruppe abschnitt und zur Ergebung 
zwang. Dann rückte er ungehindert gegen Studjenka weiter 
und hielt hier den Marschall selbst mit dem größten Teil 
seiner Streitkräfte fest. Zur gleichen Zeit hatte auch Tschit- 
schagoff, über den wahren Stand der Dinge aufgeklärt, 
stärkere Abteilungen auf dem rechten Ufer nordwärts ge- 
schickt und war dann, recht sachte, selbst nachgegangen. Es 
mußte also der Abmarsch der Armee, von der erst nur Eugen, 
Davout und Junot über die von den Russen ehevor nicht 
zerstörten Brücken über die morastige Gaina nach Sem- 
bin weitergezogen waren, nun doch noch erkämpft werden. 
Die beiden russischen Führer hatten sich über Borissow zu 
gemeinsamem Vorgehen verständigt, und so kam es am 28. No- 
vember, während abermals eisige Kälte herrschte, auf beiden 
Ufern zum Schlagen: dort hatte sich Victor mit etwa 7000 
Mann mehr als doppelter Übermacht zu erwehren, hier mußte 
der Anprall von 26.000 Mann, von denen allerdings nur 
15.000 ins Gefecht kamen, mit höchstens 10.000 zurückgewiesen 
werden. Und auch diese Aufgabe ward von den viel- 
geprüften Truppen gelöst. Zwar wichen auf dem rechten 
Ufer anfänglich die vorgeschobenen Abteilungen vor dem An- 
sturm der russischen Jäger zurück, und selbst die junge Garde 
retirierte gegen den Fluß, aber Ney, der an Stelle des aufs neue 
verwundeten Oudinot das Kommando auch über dessen Mann- 
schaft übernahm, befeuerte seine Leute zu neuem Vorgehen, 
so daß sie den Feind warfen und bei einer ewig denkwürdigen 
Kavallerieattacke aus dem Walde heraus an tausend Gefangene 
machten. Dann wurde noch bis tief in die Nacht hinein ge- 

9* 



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132 



Der Abmarsch der Nachhut. 



kämpft, ohne daß die Hussen nennenswerte Vorteile errangen 
und ohne daß die alte Garde — es sind nur noch kaum 4000 
Mann — ■ ins Gefecht gekommen wäre.*) 

Unterdes hatte sich drüben auch Victor, unterstützt durch 
die Artillerie des anderen Ufers, gegen Wittgensteins lahme 
Angriffe bis zum Abend gehalten und konnte die Dunkelheit 
benützen, um mit den Resten seines Korps über den Fluß zu 
gehen, nachdem er noch vorher eine große Zahl Unbewaffneter 
hinüberbefördert hatte. Den Übergang all der Isolierten und 
Flüchtlinge vermochte er aber nicht mehr zu decken. Gleich 
am Morgen des Schlachttages, als die russischen Geschütze 
zu spielen begannen, waren Tausende, von Entsetzen erfaßt, 
auf die Brücken losgestürzt, wo ein gewaltiges, unentwirr- 
bares Durcheinander entstand von Wagen und Karren, die den 



*) Üb man, wie es geschah, Tschitschagoff, der bereits einen Steck- 
brief gegen Napoleon erlassen hatte, absichtlicher Fahrlässigkeit zeihen 
darf, steht doch noch dahin. Die russischen Feldherren waren nun einmal 
keine Helden, und die französische Armee mit all ihren Isolierten gewährte 
aus der Entfernung immerhin den Anblick eines Heeres von 60.000 
Mann. Tschitschagoff verfügte etwa über die Hälfte. Es ist also 
immerhin begreiflich, wenn auch nicht gerade rühmlich, daß er, auf 
den namentlich die Niederlage seines Vortrabes bei Borissow Eindruck 
gemacht hatte, als er Wittgenstein noch nicht in der Nähe, Kutusow aber 
in der Ferne wußte, nicht sofort auf den Übergangsplatz eilte, sondern 
sieh — wie Jomini erzählt — zuvor angesichts der genannten Stadt 
aufhielt, um erst noch über eine rasch gebaute Schiffbrücke Verstär- 
kungen heranzuziehen. Hat sich doch auch Wittgenstein aus Gründen 
derselben Vorsicht von dem Kanonendonner bei Studjenka am 26. nicht 
dahin locken lassen, sondern war erst auf dem Umweg über Borissow 
langsamer an die Beresina vorgerückt als für einen vollen Erfolg nötig 
gewesen wäre. Er hat später sein Verhalten mit der Unpassierbarkeit 
des direkten Weges nach Wjesselowo oder ßytschi zu rechtfertigen 
gesucht, dem aber die noch erhaltenen Meldungen seiner Untergenerale 
widersprechen (Siehe Krahmer im Beiheft zum Militärwochenblatt von 
1894, S. 241). Einer dieser Generale, Graf Berg, dem er einen aus- 
sichtsvollen Bajonettangriff am 23. untersagte, „da doch nichts mehr 
zu erreichen sei", erklärt seine Zaghaftigkeit durch die Anwesenheit 
Napoleons: „und diesen fürchtete man wie den Löwen, dem eich kein 
Tier zu nahen wagt.« (Historische Zeitschrift 62, 192.) Die Rolle, die 
Kutusow spielte, der seine Armee zwei Tagmärsche weit zurückhielt, 
spottet allerdings jeder Beurteilung. So scheiterte der Petersburger 
Operationsplan an denen, die ihn auszuführen hatten. 



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Grauenhafte Szenen. 133 

Weg versperrten, Pferden, die, scheu geworden, Kranke und 
Verwundete unter ihre Hufe traten, Menschen, die sich mit 
ihren letzten Kräften um ein Restchen Dasein balgten, das 
Ganze bestrichen von den Kugeln der Feinde. Viele wurden 
bei dem Handgemenge, das auf den Brücken entstand, seit- 
wärts ins Wasser gestoßen. Viele hatten sich in der Angst frei- 
willig den eisigen Wellen oder den rinnenden Schollen vertraut, 
andere waren von der nachdrängenden Menge in den Strom 
gezwungen worden: die meisten gingen zugrunde. Wenn diese 
Szenen an Grauen noch überboten werden konnten, so war es 
am nächsten Frühmorgen, als die letzten Bewaffneten sich 
mit dem Bajonett ihren Weg über die hölzernen Pfade gebahnt 
hatten und diese dann in Brand gesteckt wurden. Da stürmten 
die Zurückgebliebenen, Männer, Weiber und Kinder, die 
während der Nacht von ihren Feuerstellen nicht wegzubringen 
gewesen waren, unter wildem Gebrüll der Kolonne nach in 
die Flammen, bis die Balken brachen und ihre verzweifelte Last 
in die Fluten abwarfen. Doch wurden ihrer noch fünftausend 
die Gefangenen der Russen. Als Tschitschagoff nach dem Ab- 
märsche Napoleons an den Übergangsort kam, fand er — so 
erzählt er selbst — den Boden bedeckt mit Gemordeten und 
Erfrorenen in allen Stellungen, die Bauernhütten von Stud- 
jenka vollgepreßt mit Kadavern, im Flusse grausige Knäuel von 
ertrunkenen Soldaten, Frauen und Kindern, die über die Ober- 
fläche hervorragten, und zwischendurch Reiter, Statuen gleich, 
starr und tot auf ihren von Eis umschlossenen Rossen. An 
24.000 Leichen hat der Gouverneur von Minsk hier verbrennen 
lassen. Es waren nur die, die man auf dem Schlachtfeld 
und an den Ufern aufgelesen hatte. In der Beresina aber will 
man noch nach zehn Jahren Inselchen und Hügel wahr- 
genommen haben, gebildet von den Opfern jener Tage und mit 
Vergißmeinnicht bewachsen, wie zum mahnenden Gedächtnis 
an das gräßlichste Schauspiel des Jahrhundertst 



Nach dem verlustreichen, aber immerhin ruhmvollen 
Waffengange am 28. November, der die Pläne des Feindes 
zunichte machte — es war wie das letzte Aufflackern eines dem 



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134 Die Maletsche Verschwörung 1 . 

Tode verfallenen Organismus — brach Napoleons militärische 
Kraft allerdings zusammen. Er hatte nun keine Armee mehr, 
er hatte nur noch ein Gefolge, das unter dem Zwang einer 
fürchterlichen Kälte sich selbst entwaffnete und halb, mitunter 
wohl auch ganz wahnsinnig vor Hunger, mit erfrorenen 
Gliedmaßen und vom Typhus befallen, auf der Straße 
über Sembin und Molodetschno gegen Wilna strebte. Am 
3. Dezember, als das Thermometer auf 16 Grad unter 
Null zeigte, hatten nur etwa 9000 Mann noch ihre Ge- 
wehre; bald aber auch diese nicht mehr, als am 6. die 
Kälte auf 24, am 8. auf 27 Grad stieg. Jede neue Nacht 
forderte viele Hunderte von Opfern. Napoleon war sich schon 
am Tage nach der Schlacht an der Beresina klar geworden, 
daß mit diesen Truppen nichts mehr zu tun sei. „Bei solcher 
Lage der Dinge" — schrieb er an Maret nach Wilna — „ist es 
möglich, daß ich meine Anwesenheit in Paris für Frankreich, 
für das Reich, selbst für die Armee notwendig erachte." Damit 
war es bei ihm beschlossen. Und aus guten Gründen. Denn 
noch vor Smolensk hat er aus der Hauptstadt Frankreichs 
eine Nachricht erhalten, die ihm nicht wenig zu denken 
gab. Ein republikanisch gesinnter General, jener Malet, der 
schon 1808 in ein Komplott gegen das Regiment des Kaisers 
verwickelt gewesen und seitdem in einem Pariser Gefängnis, 
dann in einer Maison de sante unter Aufsicht gehalten worden 
war, hatte hier mit ein paar royalistischen Vertrauten den 
Plan gefaßt, Napoleon tot zu sagen, eine Ordre des Senats, 
die ihm das Kommando der Stadt übertrug, und ein Senats- 
konsult zu fälschen, das eine provisorische Regierung von ge- 
mäßigten Republikanern und Konstitutionellen, Moreau und 
Carnot an der Spitze, einsetzte. Hierauf gestützt, wollte man 
die Munizipalgarde und die in Paris garnisonierende National- 
garde gewinnen, sich der Behörden bemächtigen und so das 
Empire stürzen. Seit zwei Wochen war vom Kaiser keine 
Kunde eingetroffen. Die Bevölkerung hatte anfänglich den 
Zug nach Rußland als den letzten entscheidenden Sehritt zur 
Begründung eines dauernden Friedens gutgeheißen, war dann 
aber durch das immer weitere Vordringen stutzig gemacht, 
durch den Brand von Moskau schließlich aus allen Illusionen 



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Der Putsch scheitert. 



135 



gerissen worden und sah fortan nur neue endlose Kämpfe vor- 
aus. Auf all das rechnete Malet, als er am Frühmorgen des 
23. Oktober ans Werk ging. Ein Regiment Nationalgarden, 
die altgediente Munizipalgarde, zwei Generale, die er aus dem 
Gefängnis abholte und von denen einer ehemals Moreaus 
Generalsstabschef gewesen war, Alle hielten seine Vor- 
spiegelungen für wahr und gehorchten ihm. Sie halfen ihm, 
Savary, den Polizeiminister, und Pasquier, den Polizeipräfekten, 
festnehmen, und der Seinepräfekt Frochot war so überzeugt 
von der Sache, daß er bereits im Stadthause den Saal für 
die Sitzungen der provisorischen Regierung in Stand setzen 
ließ. Erst auf der Kommandantur wurde Malet durch die 
Geistesgegenwart zweier Offiziere mit seinem Begleiter ergriffen, 
gebunden, und den untenstehenden Truppen verkündet, daß 
der Kaiser lebe. „Vive l'Empereur!" scholl es zurück, und der 
Putsch war zu Ende. Malet und seine von ihm getäuschten 
Anhänger wurden kurz nachher kriegsrechtlich erschossen. 

Das war die Nachricht, die Napoleon am 6. November 
auf dem Marsche empfing. Was ihm an ihr auffiel und auch 
für die Geschichte merkwürdig bleibt, ist der Umstand, daß 
von all denen, die so leicht an den Tod des Kaisers glaubten, 
keiner sich der Dynastie erinnerte, sondern jeder eine 
Änderung im Staatsregiment als etwas nunmehr Selbst- 
verständliches hinnahm. „Wie?" rief er in seiner Enttäuschung 
aus, „an meine Frau, an meinen Sohn, an die Institutionen 
des Kaiserreichs, an das alles hat man also gar nicht gedacht!" 
Und damit nicht genug. Wenn derlei bis zu einem gewissen 
Grade gelingen konnte, so lange man die Armee nur in der 
Ferne wußte, was konnte nicht erst gewagt werden, wenn man 
erfuhr, daß sie gar nicht mehr existierte? Und ihr Schicksal 
ließ sich doch nicht verheimlichen. War es nicht auffallend, 
daß er seit Smolensk keinen Kurier mehr erhalten hatte? Nein, 
nein,, er mußte fort, mußte in Paris gleichzeitig mit der Nach- 
richt vom Scheitern der Expedition und vom Verderben der 
Hunderttausende, die er mit sich geführt, eintreffen, um dem 
Eindruck mit der dominierenden Gewalt seiner Persönlichkeit 
zu begegnen. Er hatte noch an der Beresina seine Schuldig- 
keit als General getan. Nun, wo die Armee sich auflöste, blieb 



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IM 



Das 29. Bulletin. 



für den Feldherrn nichts anderes mehr zu tun übrig als ihr 
Hilfe zu schaffen, was auch nur aus der Ferne möglich war. 
Die Besorgnis über die Haltung der Deutschen kam noch dazu. 
Und so wird er denn, sobald die Kolonne nur einmal bei Molo- 
detschno die Wilnaer Heerstraße erreicht hat, sie verlassen und 
nach Hause eilen. 

Am 5. Dezember — man war unter Arrieregefechten mit 
der nachrückenden leichten Reiterei des Feindes, der Tausende 
von wehrlosen Gefangenen in die Hände fielen, nach Smorgonj 
gelangt — versammelte er seine Marschälle um sich und teilte 
ihnen seinen Entschluß mit. Murat solle die Armee hinter den 
Niemen führen, Berthier ihm zur Seite bleiben. Vor Wilna 
werde man bayerische Truppen unter Wrede und eine frische 
Division finden. Für die Reste des Heeres, wie für Frankreich, 
sei seine Anwesenheit in Paris unerläßlich. Von dort aus allein 
könne er Österreicher und Preußen im Zaum halten. Sie würden 
sich's überlegen, ihm den Krieg zu erklären, sobald sie ihn an 
der Spitze der französischen Nation — er war in diesem Augen- 
blick ganz Franzose — und einer neuen Armee gewahrten. 
Vorher hatte er ihnen das letzte Bulletin, aus Molodetschno 
den 3. Dezember datiert, von Eugen vorlesen lassen; es war 
das 29. und enthielt, wenn auch nicht das unumwundene Ein- 
geständnis, so doch Andeutungen vom Untergange der großen 
Armee. Volle Wahrheit war darin nicht zu lesen, und dem 
Kenner all des Jammers muß es fast wie ein verabscheuungs- 
würdiger Scherz mit dem Unglück erscheinen, wenn es u. a. 
heißt : „Menschen, welche die Natur nicht hinreichend ge- . 
stählt hat, um über alle Wandlungen des Schicksals und des 
Glücks erhaben zu sein, verloren ihren Frohsinn und ihre gute 
Laune und träumten von nichts als von Unglück und Nieder- 
lagen; diejenigen jedoch, die sie allem überlegen schuf, be- 
wahrten Heiterkeit und Haltung und erblickten einen neuen 
Ruhm in den Schwierigkeiten, die sie zu überwinden hatten." 
Auch wie die Hunderttausende zugrunde gingen, stand nicht in 
dem Bulletin. Alles hatte die böse russische Kälte getan. Vor 
dem 6. November sei das Heer noch stolz und stattlich und 
siegreich gewesen, bis das fürchterliche Klima des Nordens 
es verdarb und verzehrte. Daß er selbst, und nur er selbst das 



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Napoleon verläßt die Armee. 



137 



Verderben herbeigeführt, verriet der kaiserliche Autor mit 
keinem Wort. Von seinem unausgesetzten Vorwärtsstürmen über 
Wilna, Witebsk und Smolensk hinaus in der heißen Zeit des 
russischen Sommers, der dem Heere viel mehr Leute gekostet 
hatte als der Winter, davon war nichts zu lesen. Und wenn es 
schon die Kälte gewesen sein mußte, daß e r sie mit seinem 
trotzigen Ausharren in der verbrannten Hauptstadt herauf- 
beschworen hatte, davon ward nichts mitgeteilt. Vor allem 
mußte die Welt Eines wissen: daß er lebte und sich wohl be- 
fand. „Die Gesundheit Seiner Majestät ist niemals eine bessere 
gewesen", schloß das Bulletin. Dann nahm er Abschied von 
den Generalen und fuhr des Nachts mit Caulaincourt, als 
dessen Sekretär Eayneval er gelten wollte, mit Duroc, Lefebvre 
und Mouton von dannen.*) Am 6. trifft er mit Maret vor Wilna, 
am 10. mit de Pradt in einer Vorstadt Warschaus, am 14. mit 
dem Könige von Sachsen in Dresden zusammen, wo er noch 
vor sieben Monaten im vollen Glänze seiner Macht die Huldi- 
gung der halben Welt entgegengenommen hatte; unerkannt 
erreicht er die französische Grenze und am 18. Dezember vor 
Mitternacht Paris, wo tags vorher sein Bulletin angelangt war. 

Die Fahrt war keine gefahrlose gewesen. Der kühne 
russische Parteigänger Sesslawin hatte mit seinen Kosaken 
bereits den französischen Haufen überholt, und es galt, an 



*) Hier — wie es geschehen ist — von Desertion zu sprechen, 
ist ebenso unrichtig und woit unrichtiger noch als dort, wo Bonaparte 
das ägyptische Expeditionsheer verließ. Er war Souverän und konnte 
seine Armee befehligen oder nicht, wie es ihm gutdünkte, und folglich 
auch das Kommando abgeben, wann er wollte. Und der herangekommenen 
Truppe Rettung zu verschaffen, vermochte er viel eher, wenn er ihr 
vorauseilte als wenn er blieb. Auch den eigentümlichen Schluß des 
29. Bulletins hat man oft als cynisch gerügt. Er war hervorgerufen 
durch einige Bemerkungen in Briefen seines vertrauten Korrespondenten, 
des Staatsrates Fievee, der gelegentlich des Maletschen Putsches an 
ilen Armeebulletins tadelte, daß darin niemals zu lesen sei, ob der 
Kaiser lebe, „was man doch vor allem darin suche". In einem vorher- 
gegangenen Briefe vom 23. Oktober hatte es geheißen: „Die Anwe- 
senheit des Kaisers in Paris würde, wenn er ohne Gefahr für die Armee 
abkommen könnte, sehr viel Gutes stiften." Napoleon pflegte diesem 
Ratgeber ein seltenes Zutrauen zu schenken. (Mot de Fie"v6e, Corres- 
pondance). 



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138 



Der Kaiser wieder in Paris 



seinen Feuern unbemerkt vorbeizukommen. Und das bei der 
enormen Kälte. Von den hundert polnischen Lanzenreitern, 
die zur Eskorte dienten, verlor die Hälfte in einer Nacht die 
Pferde und mit ihnen das Leben. Auch das des Kaisers soll 
zweimal von Attentaten bedroht gewesen sein: das erstemal 
noch auf russischem Boden in Oschmjany, wo ihm die kombi- 
nierte Division Loison begegnete und ein französischer Major 
einigen deutschen Hauptleuten den Gedanken nahelegte, 
ihm das Schicksal Wallensteins zu bereiten; das zweite- 
mal in Glogau. Die Angaben über die erstere Absicht sind 
sehr bestimmte und lassen nicht zweifeln, daß sie be- 
sprochen wurde. Doch ist sie keinesfalls zum ernsten Vor- 
satz gediehen, und Napoleon entkam. Sein Stern sollte noch 
nicht verschwinden. Aber schon neigte er sich zum Horizont. 
Blutrot, wie das Gestirn des Tages vor seinem Untergang, wird 
er noch einmal Europa in die Farben von Mord und Feuer 
tauchen ehe er im Ozean des Westens versinkt. 



Drittes Kapitel. 

Leipzig, 

Das war ein schmerzliches Erwachen aus dem Traume 
von einer unbegrenzten Herrschaft über Staaten und Völker, 
den Napoleon geträumt, als er nach Moskau ging! Seine hohe 
Geltung die er sich mit einer langen Eeihe genialer Kriegs- 
taten erkämpft hatte, war erschüttert. Denn wenn er auch im 
letzten Feldzug nicht besiegt worden war, so war er doch ge- 
flohen, sei es nun vor dem Mangel, vor der Kälte, vor dem 
sicheren Verderben, gleichviel, er war geflohen und der Eindruck 
nicht auszutilgenden dieses unerhörte Ereignis in derWelt hervor- 
rief. Die „Große Armee", deren tüchtigste Elemente bei 
Austerlitz und Friedland gesiegt hatten, existierte nur noch 
in kaum nennenswerten Resten. Und wir wissen, was ihm die 
Armee war. „Seine Nation" nannte sie einmal mit einem 
treffenden Worte Jaucourt, der Freund Talleyrands. Allerdings 
stand noch ein Heer seinem Willen zu Diensten, aber es war 



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Politische Konjunkturen. 1B9 

au Größe dem verlorenen nicht zu vergleichen und lag überdies 
gegen Engländer und Spanier zu Felde; allerdings hatte er 
noch Alliierte, aber sie waren Alliierte seines Glücks und seiner 
Stärke gewesen, und es war doch sehr fraglich, ob sie auch 
seiner Schwäche verbunden bleiben würden. 

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Beweggründe, 
die ihn zu seinem Zuge nach dem Osten veranlaßt hatten, so 
war es nicht nur die Ausdehnung seiner kontinentalen Macht 
über Rußland gewesen, die er erstrebte, sondern vor allem die 
völlige Absperrung Europas gegen England, das, dadurch in 
seinen wesentlichsten Interessen getroffen, einen Frieden nach- 
suchen, sein Heer aus Spanien ziehen und der Weltpolitik des 
Eroberers den Ozean eröffnen sollte. Vielleicht wäre dieses Ziel 
erreicht worden, wenn Napoleon nach seinem ursprünglichen 
Plane bei Smolensk Halt gemacht und Litthauen befreit hätte. 
Er hätte seine Armee gesammelt, durch Nachschübe ergänzt, 
ein geordnetes Verpflegswesen eingerichtet und in imponie- 
render Stärke gegen die beiden russischen Hauptstädte eine 
drohende Position eingenommen, die auch auf die großen 
Weltverhältnisse nicht ohne Rückwirkung geblieben wäre. 
Denn gerade als er den Niemen überschritt, fand er in seinem 
Kriege gegen England einen Helfer. Das waren die nordameri- 
kanischen Vereinsstaaten, die im Juni 1812 an Großbritannien 
den Krieg erklärten. Schon seit zwei Jahren hatte Napoleon 
hieran gearbeitet, indem er ihnen Ausnahmen von den De- 
kreten von Berlin und Mailand versprach, wenn sie nicht mehr 
mit England und dessen Kolonien verkehren oder in London 
die Aufhebung der Edikte von 1807 erreichen wollten. Er 
wußte gut, daß die Engländer sich hierzu nicht, oder doch nicht 
im wesentlichen, verstehen würden. Sie lehnten auch das An- 
sinnen ab und benahmen sich überdies durchaus feindselig, 
suchten auf allen amerikanischen Fahrzeugen nach britischen 
Matrosen, um sie für ihre Marine zu pressen, und erregten der 
Regierung von Washington auf dem nordamerikanischen Kon- 
tinent Feinde. So kam es dann 1812 zum offenen Kampfe, der 
in der ersten Zeit den Briten einige Verluste zur See eintrug. 
Diese neue Verwicklung, zusammen mit den stets sich ver- 
schlimmernden Finanzzuständen des Inselreichs und einer 



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uo Anfange einer neuen Koalition. 

drohenden Haltung Napoleons in Kurland, wäre vielleicht ge- 
eignet gewesen, den Gedanken eines allgemeinen Friedens in 
London zu unterstützen, namentlich da auch auf der Iberischen 
Halbinsel das Jahr nicht mit großen Erfolgen für England zu 
Ende ging. Denn trotz dem Siege, den Wellington bei Sala- 
manca davongetragen und der ihm den Oberbefehl über alle 
antifranzösischen Streitkräfte eingebracht hatte — Cadix wurde 
dadurch die feindliche Belagerung los — war er durch die 
Fehler und die Selbstsucht der Spanier schließlich doch wieder 
zum Rückzug an die portugiesische Grenze gezwungen worden. 
Aber als in London Kunde auf Kunde aus Rußland eintraf 
vom Zusammenschmelzen der Großen Armee, von dem ent- 
scheidungslosen Morden bei Borodino, vom Brande Moskaus, 
von der Retraite und ihren Schrecken : da war selbstverständlich 
von Vergleich und Frieden mit Napoleon nicht mehr die Rede. 
Vielmehr gewann jetzt die Kriegstendenz kaum bestritten die 
Oberhand. Schon während des Sommers war Großbritannien mit 
Rußland zu einem friedlichen Abkommen gelangt und hatte zu 
gleicher Zeit durch seinen Einfluß einen Vertrag Alexanders I. 
mit der spanischen Regentschaft zustande gebracht (18. und 
20. Juli 1812), so daß, als das Schicksal des Feldzuges noch 
nicht entschieden war, bereits die Grundlage zu einer neuen 
Koalition bestand, die sich nicht so sehr gegen Frankreich 
selbst, als gegen das ihm von Napoleon erkämpfte und in dessen 
ehrgeiziger Persönlichkeit repräsentierte Übergewicht richtete. 
Es ergab sich nun die für die fernere Entwicklung der 
Dinge entscheidende Frage: ob nicht auch die im Bannkreise 
der napoleonischen Macht stehenden Völker, angesichts der 
starken Einbuße, welche diese Macht erlitten, mit oder trotz 
dem Willen ihrer Regierungen sich der allgemeinen Bewegung 
anschließen werden? 

Die genaue Tragweite der Ereignisse in Rußland scheint 
Napoleon nicht sogleich erkannt zu haben. Nach seiner Abreise 
von der Armee hatte er noch gehofft, diese werde sich in 
Wilna nähren und ordnen, die entgegenkommende Division ihr 
den notwendigen Halt gewähren, Murat, unterstützt von Mac- 
donald mit den Preußen einerseits und von Schwarzenberg 
mit Reynier anderseits, hinter dem Niemen sich behaupten 



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Die Opfer des russischen Feldzugs. 



Hl 



können. Als er Warschau passierte, versicherte er der dortigen 
Regierung, er habe noch 120.000 Mann. An ein Aufgeben 
seiner vorherrschenden Stellung in Europa dachte er nicht. 
Er dachte selbst dann nicht daran, als er endlich vernehmen 
mußte, daß die Überbleibsel der Hauptarmee sich auch in 
«Wilna nicht hatten halten können, sondern, die anlangenden 
frischen Truppen in ihre Unordnung fortreißend, unter un- 
säglichem Jammer und stündlichen Verlusten über den Niemen 
zurück nach Königsberg gebracht werden mußten, wo die alte 
Garde nur noch 4 — 500 Bewaffnete, die Gardekavallerie 600 
Reiter, meist ohne Pferde, zählte, während der Rest aus einer 
chaotischen Masse von etwa 40.000 Mann, darunter einige 
tausend Offiziere und Unteroffiziere, bestand, von denen sich 
jedoch später kaum die Hälfte als dienstfähig erwies. 500.000 
Mann waren verloren, etwa 100.000 in feindliehe Gefangen- 
sehaft geraten, einige Tausend lagen in den Lazaretten, 
alles übrige war tot.*) Das war viel Unglück. Aber doch nicht 
so viel, um allen Mut zu verlieren. Napoleon hatte ja noch die 
beiden Flügelarmeen mit 66.000 Mann, dann Nachschübe, die 
noch nicht an die russische Grenze gelangt waren, etwa 20.000, 
ferner die Besatzungen der Festungen im Osten, 17.000, 

*) Im März erzählen die russischen Generale dem österreichischen 
Abgesandten Lebzeltern, man habe in den Gouvernements von Minsk, 
Smolensk und Moskau 142.000, in der Umgebung von Wilna 46.570 
französische Leichen verbrannt. (Lebzeiten« Bericht vom 10. März 
zitiert von Luckwaldt, Österreich und die Anfänge des Befreiungs- 
krieges, S. 146.) Und wie elend war, was lebte! Am 21. Dezember 
schreibt Lefebvre aus Insterburg an Beithier, von der alten Garde 
könnten nur noch fünfhundert, bei großer Kälte kein Einziger, schießen. 
„Der ganze Rest (etwa achthundert) ist durch Frost beschädigt, und 
die Glieder der Leute sind derartig brandig geworden, daß sie sämtlich 
umkommen werden, wenn nicht rasch Hilfe geschafft wird. Man hat 
heute 200 der am meisten kranken Leute auf Schlitten nach Danzig 
gebracht, damit bei ihnen so schnell als möglich eine Amputation an 
Fingern und Zehen erfolgen könne". (Rousset, La grande armee de 
1813, p. 60). In Clements „Campog.ie de 1813" (Par. 1904) p.20 wird 
erzählt, Murat habe am 12. Dezember bei Kowno, in Ubereinstimmung 
mit den Marschällen, die Unmöglichkeit erkannt, die Armee zu suin- 
moln. ,.Trotz der Energie Neys und Gerards hatten sich die Deutschen 
aufgelöst." Und die Franzosen etwa nicht? Auf welche Sorte Leser 
rechnet diese Sorte Geschichtschreibung? 



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142 Napoleons Appell an die Staatsbeamten. 

und außerdem besaß er in jenen Geretteten immerhin ein wert- 
volles Material für die Ausbildung einer neuen Armee. Und 
eine neue Armee will er ins Feld und im Frühling den Küssen 
gegenüberstellen. Sogleich nach seiner Ankunft in Paris werden 
umfassende Anstalten zu Rüstungen ins Werk gerichtet, die er 
sich auf der Rückfahrt reiflich überlegt haben mag, und schon 
wenig Wochen später wird er es einem der deutschen Diplo- 
maten recht unhöflich ins Gesicht sagen: der Löwe sei noch 
nicht so tot, daß man ihm einen Fußtritt geben könne. 

Das Wichtigste war freilich, daß sein Regiment in Frank- 
reich noch fest genug stand und das französische Volk ihm den 
Gefolgsdienst nicht weigerte. Allerdings, die Behörden und die 
Korporationen — die insgeheim Winke erhalten hatten — 
ließen es auch jetzt an devoten Huldigungen und Versiche- 
rungen unwandelbarer Treue nicht fehlen. In den Antworten, 
die der Kaiser darauf erteilte, hören wir ihn auf das Maletsche 
Unternehmen hinweisen und auf die Haltung der Regierungs- 
organe. „Furchtsame und feige Soldaten", sagte er der Depu- 
tation des Senats, „können einer Nation ihre Unabhängigkeit 
kosten, zaghafte Beamte aber vernichten die Herrschaft der 
Gesetze, die Rechte des Thrones und die gesellschaftliche Ord- 
nung. Der schönste Tod würde der des Soldaten auf dem 
Felde der Ehre sein, wenn der des Beamten, der fällt, indem er 
seinen Monarchen, den Thron und die Gesetze verteidigt, nicht 
noch ruhmreicher wäre." In der Erwiderung auf die Ansprache 
des Staatsrats erhob er sich zu einem Ausfall gegen die doktri- 
nären Naturrechtsmenschen, denen er auch jetzt wieder die 
Schuld an der Unsicherheit der öffentlichen Institutionen bei- 
maß. „In der Tat," sagte er, „wer hat das Prinzip der Em- 
pörung zur Pflicht erklärt? wer dem Volke geschmeichelt, 
indem er ihm eine Souveränität zuerkannte, die es auszuüben 
nicht fähig war? wer zerstörte die Achtung und Heiligkeit der 
Gesetze, indem er sie nicht von den geheiligten Grundsätzen 
der Gerechtigkeit, von der Natur der Dinge und des bürger- 
lichen Rechtes, sondern lediglich von dem Willen einer Ver- 
sammlung von Männern abhängig machte, denen es an allem 
Verständnis des Zivil- und Strafrechts, der Verwaltung, der 
militärischen und politischen Gesetze fehlte? Ist man berufen, 



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Die große Frage. 143 

einen Staat zu regenerieren, so gilt es geradezu entgegen- 
gesetzten Prinzipien zu folgen. Die Geschichte schildert das 
menschliche Herz, in ihr muß man nach den Vorzügen und 
Nachteilen der verschiedenen Gesetzgebungen forschen."*) 
Welche Absicht verfolgte wohl Napoleon mit diesen Aus- 
lassungen? Gewiß nur die, wieder einmal recht deutlich darauf 
hinzuweisen, wie er es gewesen war, der seinerzeit den Staat 
aus der Verwirrung errettete, in die ihn jener Geist der Em- 
pörung gestürzt hatte. Dieser habe sich nun neuestens wieder 
geäußert, und ohne Zweifel würde ihm der Staat anheimfallen, 
wenn man den Kaiser jetzt im Stiche ließe anstatt ihn mit 
allen Kräften zu unterstützen, ihn sowie den Erben seines 
Thrones und seiner Grundsätze. 

Es kam nun darauf an, ob sich das Volk von Frankreich 
mit der gleichen Überzeugung durchdringen ließ. Denn dies war 
nötig, wenn es Kapoleon gelingen sollte, mit einem neuen 
Heere seine alte Stellung wieder zu erkämpfen. 

Bei seiner Heimkehr stand ihm an Rekrutenmaterial nur 
die Aushebung von 1813 — die 120.000 Mann derjenigen von 
1812 war in Nachschüben während des Feldzugs zum größten 
Teil aufgebraucht worden — zu Gebote, etwa 140.000 Mann, 
von denen die Mehrzahl im Dezember bei den Depots einrückte 
und von den bereitstehenden Cadres aufgenommen wurde. 
Binnen einigen Monaten sollten sie hinreichend exerziert sein, 
um zur Verwendung zu gelangen. Von gedienten Soldaten 
kamen außer den Cadres und den zur Ausbildung der Rekruten 
unentbehrlichen Depotbeständen nur vier Regimenter Marine- 
artillerie, 3000 berittene Gendarmen, zwei Bataillone Pariser 
Munizipalgarde und einige Reservekompagnien in Betracht. 
Diese Streitkräfte konnten dem Kaiser in seiner Lage und mit 
seiner Absicht auf neuen Kampf und Sieg keineswegs genügen. 
Er bedurfte weiterer und weit größerer Machtmittel. Da waren 
allerdings die Kohorten der Nationalgarde, bei 80.000 Mann 
stark; aber sie waren nicht nach auswärts zu verwenden und 
hatten nur teils invalide, teils pensionierte oder verabschiedete 
Offiziere zu Führern. Hier mußte nachgeholfen werden. Zunächst 



*) Corresp. XXIV. 19.389. 19.390. 



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144 Neue Hüstungen. 

soll der Senat einen Beschluß fassen, daß die Kohorten, gleich 
der Linie, in auswärtigen Kriegen zu dienen hätten, und dann 
muß von der „Großen Armee" — wenn einmal das Chaos der 
„Isolierten" entwirrt war — an Generalen, Stabs-, Ober- und 
Unteroffizieren herbeigesandt werden, was nur irgend noch 
tauglich schien. Beides wurde erreicht. Man brachte es da- 
hin, dali aus der Nationalgarde selbst, auf Bestellung natürlich, 
vereinzelte Bitten um den Vorzug einliefen, gegen den Feind 
geführt zu werden, worauf dann am 11. Januar 1813 der ge- 
wünschte Senatsbeschluß erfolgte. Dieser eröffnete außerdem 
noch die Aussicht auf weitere 250.000 Mann, d. i. 100.000 aus 
den vier letzten Altersklassen, die von der Aushebung bisher 
nicht betroffen worden waren, und 150.000 Mann der Kon- 
skription von 1814, die der Kaiser übrigens erst im Frühling 
zu den Waffen rufen wollte. Damit war das Menschenmaterial 
für die neue Armee beschafft, und wenn man nun auch noch 
aus Spanien Cadres und einzelne größere Truppenkörper — 
im Ganzen 40.000 Mann — entnahm, so konnte immerhin 
ein achtunggebietendes Heer im Felde stehen. Napoleon 
wird sich aber auch damit noch nicht zufrieden geben, 
sondern im April vom Senate nochmals 180.000 Mann, National- 
garden und Rekruten, heischen, um dann — Desertion, Un- 
tauglichkeit, Krankheit berücksichtigt — eine Truppenmenge 
von ungefähr 600.000 Mann für den Feldzug von 1813 zur 
Verfügung zu haben. Dem empfindlichen Pferdemangel 
trachtete er durch Aufkäufe in Frankreich, Hannover und 
Braunschweig, in Holstein, ja selbst in Mecklenburg, abzu- 
helfen. Außerdem wurde Korporationen und reichen Privat- 
leuten der Gedanke nahgelegt, sie könnten sich durch frei- 
willige Stellung ausgerüsteter Keiter dem Kaiser besonders 
empfehlen, und den Präfekten aufgetragen, aus den vornehmen 
und reichen Familien junge Leute für diesen „freiwilligen" 
Dienst zu bezeichnen und auszuheben. Napoleon wollte auf 
solche Art die Vermögenden durch eine Steuer treffen und sie 
zugleich mit dem ihm anvertrauten Schicksal ihrer Söhne an 
sich fesseln. Diese „Ehrengarden" (Gardes d'honneur), 10.000 
Mann ungefähr, würden nach einem Dienstjahr Leutnantsrang 
erhalten und zu einer Art Leibgarde (Garde du corps) ver- 



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Die Stimmung der Bevölkerung. 145 

wendet werden, an die Kapoleon lange schon gedacht hatte, 
ohne daß er bisher — aus Rücksicht auf die Kaisergarde — 
gewagt hätte, die Idee auszuführen.*) 

Es war die alte rastlose Tätigkeit, die Napoleon im 
Januar 1813 entfaltete, die alte Kenntnis seiner Hilfsmittel 
bis ins Kleinste, von einem namenlosen Gedächtnis bereit- 
gehalten. Man hört nicht auf, zu staunen, wenn man diesen 
einzelnen Mann, dem jetzt nicht, wie sonst, die sorgfältig ge- 
arbeiteten Tabellen der Truppenbestände vorlagen, unter Ver- 
hältnissen, die jedem anderen die Übersicht getrübt und die 
Ruhe geraubt hätten, umgeben von Dienern, die nur im Unter- 
geordneten Helfer waren, mit unermüdlicher Emsigkeit an 
dem Neubau seiner Macht arbeiten sieht, und man bedauert 
tief, daß dieses große Genie der Administration, das ehedem 
dem Staate Ordnung und Stärke zu verleihen gewußt hatte, 
jetzt sich nur noch darin erschöpfte, ihm seine Kräfte zu ent- 
ziehen. 

Für diese neuen Opfer war es aber nicht genug, die Zu- 
stimmung des Senats erreicht zu haben. Man mußte auch den 
guten Willen der Bevölkerung gewinnen, oder doch ihren 
Widerwillen besiegen, und das war keine leichte Aufgabe. Es 
gab wieder Refraktäre und Deserteure in Fülle. Die Stimmung 
in der Hauptstadt und in den Departements war keine freund- 
liche. Bei einem Kitt in der Vorstadt Saint-Antoine bekam der 
Kaiser beleidigende Zurufe zu hören. Der Volkswitz spottete 
über den Tuileriengärtner, dessen Granatbäume (grenadiers) 
und Lorbeersträucher erfroren seien. Aus der Provence meldete 
man revolutionäre, aus den Departements des Westens roya- 
listische Umtriebe, aus Belgien offenen Widerstand gegen die 
Aushebungen. Dabei blieb es aber auch. Am Ende half hier' 
der Patriotismus der Franzosen. Nicht nur Napoleon, 



*) Siehe Pasquier, Memoires, IL 59 f. u. 89 und Mollion, Me- 
moires. ni. 246 ff. Dieser erzählt, daß der Gedanke des Kaisers durch 
die Präfekten nicht in seinem Sinne zur Ausführung gelangte und daß 
der Zwang der Maßregel ihm zahlreiche unerbittliche Feinde gemacht 
habe. Bei Pasquier heißt es: „Keine Maßnahme hat, wie diese, Napoleon 
unversöhnliche Feinde geschaffen und den brennenden Wunsch nach 
seinem fall erzeugt." 

Fournier, Napoleon I 10 



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146 



Yorcks Abfall. 



aucli Frankreich hatte durch das Unglück des letzten Jahres 
dem Auslande gegenüber seine imponierende Position, das 
entscheidende Übergewicht eingebüßt. Mochte man nun auch 
noch so sehr den ewigen Kriegszustand und seine Konsequenzen 
beklagen, ein schwaches Frankreich wollte man dennoch nicht. 
Und schon begannen die Folgen des Machtverlustes sich offen 
zu äußern. 

Zunächst in Preußen, das man nur durch eine bedrohliche 
Übermacht gezwungen hatte, sich an die Seite seines Bedrängers 
zu stellen. Dort erblickte das Volk in dem Verderben des 
großen Heeres, dem die eigenen Krieger entgangen waren, eine 
Art Gottesgericht und den Wink, das Joch der erniedrigenden 
Bundesgenossenschaft nunmehr abzuwerfen; 

„Mit Mann und Roß und Wagen, 
So hat sie Gott geschlagen", 

sang ihm ein Dichter vor. Die Bedrückung von Seiten der 
durchmarschierenden Truppen hatte den Zorn gegen die 
Fremden entflammt und einen unendlichen Haß erzeugt, der 
nach tätlichem Ausdruck rang. Danach ermesse man die 
Stimmung, die in dem preußischen Korps herrschte, das ge- 
zwungen war, dem Volksfeinde zu dienen. Es hatte sieh vor 
Riga allerdings gut gehalten. Als aber später der russische 
Kommandant der Festung, Paulucci, vom Zaren autorisiert, 
den General von Yorck, der statt des erkrankten Grawert den 
Befehl führte, zum Übertritt zu bewegen suchte und einen 
Brief vorwies, worin Alexander sich feierlich verpflichtete, die 
Waffen nicht eher niederzulegen, ehe Preußen wieder in seine 
Machtstellung vor 1806 eingesetzt sei; als sichere Kachrichten 
von der Auflösung der „Großen Armee" und der Verfolgung 
der Russen eintrafen; als dann im Dezember, auf dem 
Rückmarsch Macdonalds nach Süden, die Abteilung Yorcks 
eine russische Division vor sich fand, die sich zwischen sie und 
die voraus marschierenden Franzosen eingeschoben hatte und 
deren Kommandant Diebitsch in einer Unterredung das Ver- 
sprechen des Zaren bestätigte : da schloß der preußische General 
am 30. Dezember 1812 bei Tauroggen eine Konvention ab, 
derzufolge das Korps auf einem abgegrenzten preußischen 



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Seine Tragweite. 147 

Terrain am Kurischen Haff neutralisiert wurde und sich ver- 
pflichtete, selbst wenn der König den Vertrag verwerfen und 
den Zurückzug zur französischen Armee befehlen sollte, zwei 
Monate lang nicht gegen Kußland zu fechten.*) Das war eine 
entscheidende Tat, weil sie zeigte, daß selbst ein Mann von 
eiserner Pflichttreue und konservativster Gesinnung, der den 
Scharnhorst und Stein als Eeformatoren durchaus abgeneigt 
war, dem allgemeinen Zuge der Volksstimmung Herrschaft 
über sich einräumen mußte. „Mit oder ohne König" hatten die 
Blücher und Bülow 1809 zugunsten Österreichs agieren wollen; 
jetzt weigerten sich sogar die Yorck, gegen die Russen zu 
fechten, und es konnte scheinen, als sollte die nationale Ge- 
sinnung selbst über die monarchische den Sieg davontragen. 
Jedenfalls war die Tat von Tauroggen auf das ganze übrige 
Deutschland von unbeschreiblich ermutigender Wirkung. „Die, 
deren Erinnerung in jene Zeit zurückreicht," schreibt Ranke, 
„werden sich entsinnen, daß die Nachricht davon auch dem 
weit Entfernten wie ein Blitzstrahl erschien, der den Gesichts- 
kreis durchzuckte und veränderte. Noch unter dem fran- 
zösischen Drucke fühlte man allenthalben die ungewohnten 
Pulsschläge des nationalen Bewußtseins." **) 

Auch der Eindruck, den die Nachricht auf Napoleon 
machte, war tief und nachhaltig. Durch die Lehre über die 
Aktionskraft der Nationen, die er in Rußland erhalten hatte 
und stündlich noch in Spanien erhielt, war sein Blick endlich 
auch hiefür geschärft worden, so daß er sich über die moralische 
Tragweite des Ereignisses nicht täuschte, das daneben — und 
das war ihm in erster Linie fatal — auch noch eine strategische 
Bedeutung hatte. Denn nun, nach dem Abfall des alliierten 
Korps, war an ein Verweilen der inzwischen verstärkten Armec- 
roste in Königsberg nicht mehr zu denken, wohin die Russen 
vordrangen und wo sich die feindliche Stimmung im Volke 
offen kundgab.***) Murat hatte ebensowenig wie Napoleon 



*) Siebe die von Yorck und Diebitsch in der Poscherunschen Mühle 
unterzeichnete Konvention u. a. im Anhang zu Blumenthal, Die 
Konvention von Tauroggen, S. 55. 

**) Sämtliche Werke, 48. 256. 

***') Siehe die Erzählung vom Auflauf der preußischen Re- 

10* 



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148 Napoleons Appell an die Nation. 

selbst vermutet, daß die Hussen ihre Offensivbewegung über den 
Siemen hinaus fortsetzen würden; nun aber, als Wittgenstein 
und Tschitschagoff, und allen voran Platow mit seinen Ko- 
saken, westwärts vorrückten, als Macdonalds Truppen anfingen 
in Unordnung zu geraten und ein preußisches Reservekorps 
unter Bülow sich jeder Mitwirkung entzog, da entschied, sich 
der König von Neapel dafür, das ganze Korps Macdonalds, 
der nach Paris fuhr, nach Dan zig zu werfen und mit den Resten 
der Armee bis nach Posen zurückzugehen, wo er am 17. Januar 
eigenmächtig den Oberbefehl an den Vizekönig Eugen abgab 
und nach Hause reiste. Ehe noch Napoleon hiervon erfuhr, hatte 
er bereits die Nachricht von der Tauroggener Konvention in 
Paris zur Geltung gebracht. „Sogleich, nachdem ich den Ver- 
rat Yorcks erfahren hatte," schreibt er am 9. Januar an Ber- 
thier, ,,hab' ich mich entschlossen, der Nation eine Mitteilung 
zu machen, die morgen erfolgen wird, und außerordentliche 
Aushebungen zu veranstalten." Die Antwort war der erwähnte 
Senatsbcschluß vom 11., der nirgends auf nachhaltigen Wider- 
stand traf, so daß Maret immerhin die Gesandten im Auslande 
verständigen konnte, es sei die Absicht des französischen 
Volkes, „nicht bloß seinen Verlusten entsprechend zu rüsten, 
sondern auch sein Ansehen, seinen Ruhm und seine Ruhe 
gegen alle Vorkommnisse sicherzustellen." Dem preußischen 
Gesandten Krusemarck in Paris versicherte der Kaiser, die 
Franzosen würden ihm unbedingt folgen, und nötigenfalls 
werde er selbst die Frauen bewaffnen. 

Aber wenn das Opfer der neuen Blutsteuer ohne Wider- 
stand dargebracht werden sollte, dann mußten auch Ansehen 
und Ruhm des Heerführers ungeschmälert gelten. Darum 
wurde jetzt, wo es nur anzubringen war, versichert, daß der 
Kaiser überall die Russen geschlagen, daß eben nur die böse 
Kälte das Heer zerstört habe, welches eigentlich erst unter 
Murats Führung zugrunde gegangen sei. Es ist uns ein Ge- 
spräch zwischen Napoleon und einem seiner höheren Be- 

kruten, am 3. Januar, „die schon früher (d. i. noch vor der Kon- 
vention) ihre Meinung, daß es gegen die Franzosen gehe, laut geäußert 
hatten", bei Tyszka, Erinnerungen von 1812—15, zitiert von Max 
Schulze, Königsberg und Ostpreußen Anfang 1813. S. 39. 



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Was ihn unterstützt. 



140 



amten, dein Grafen Mole, aus dem Februar 1813 bekannt ge- 
worden, das deutlich zeigt, wie Jener sich beurteilt zu 
sehen wünschte. Bei dieser Gelegenheit sagte er: „Ich habe 
niemanden, den ich im Kriege an meine Stelle setzen kann, 
und ich wäre sehr glücklich, wenn ich meine Kriege durch 
meine Generale führen könnte. Aber sie sind nicht daran 
gewöhnt, und es ist auch keiner unter ihnen, der den anderen 
zu befehlen vermöchte. Der König von Neapel ist dazu unfähig; 
er hat mir meine Armee verloren, denn als ich sie verließ, hatte 
ich noch eine, und jetzt hab' ich keine mehr. Nach meiner 
Abreise verlor der König den Kopf, er wußte nicht zu impo- 
nieren, die Undisziplin stieg aufs höchste, in Wilna plünderten 
die Truppen Vorräte im Werte von zwölf Millionen, und der 
Soldat war zu nichts mehr zu gebrauchen." *) 

Ein anderes Mittel, die Abneigung des Volkes gegen seine 
neuen Rüstungen zu besiegen, gewahrte Napoleon in der Bei- 
legung seines Streites mit dem Papste. Damit gedachte er 
die Masse gläubiger Katholiken, die seine Gewaltmaßregeln 
wider Pius VII. ihm abwendig gemacht hatten, wieder- 
zugewinnen. Mußten nicht auch sie in dem Untergänge des 
Heeres einen Wink des Himmels erblicken, der dem mit dem 

*) Revue de Ia Revolution francaise, X. 131 (1887). Napoleon 
fuhr noch fort: „Auch ich bedurfte übrigens einer langen Übung in 
der Selbstbeherrschung, um von einem solchen Schauspiel nicht erschreckt 
zu werden: am Abend vorher war ich der Weltbesieger, kommandierte 
die schönste Armee moderner Zeiten, und am Tage darauf war nichts 
mehr davon vorhanden!" Mole bemerkt dazu: „Als er diese Worte 
sprach, sah ich auf dem Antlitz und in den Augen des Kaisers die 
einzige Spur einer Gemütsbewegung, die ich je an ihm bemerkt hatte." 
Wie stark aber dennoch seine Gewalt über sich auch jetzt noch war, 
erfahren wir namentlich aus den Erinnerungen des Schatzmeisters 
Mollien, den er am Morgen nach seiner Ankunft zu sich beschied. 
Dieser erzählt, der Kaiser sei jetzt, während er früher, als er von seinen 
Siegen heimkehrte, ernst und düster geschienen hatte, heiter und gelassen 
gewesen, wie selten, habe sich vorerst eingehend nach der erkrankten Frau 
des Ministers erkundigt und dann ruhig und höchst sachlich von Ge- 
schäften gesprochen. (Memoircs, HI. 169) Vgl. Bd. II. S. 224 f. 
Schwarzenberg fand im April zwar seine Haltung etwas weniger sicher, 
seine Sprache weniger schneidend als ehedem, ihn selbst nachdenklicher, 
■onst aber vollendet liebenswürdig. (Oncken, Österreich und Preußen 
im Befreiungskriege, II. 618 f.) 



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150 



Pius VII. in Fontainebleau. 



Banne belasteten Führer seine Gunst verweigerte? Onkel Fesch, 
der Kardinal, besaß den Mut, dies geradezu herauszusagen. Da 
mußte Rat werden. Der Papst hatte, wie wir wissen, 1811 in 
Savona das vom Nationalkonzil erlassene Dekret, betreffend 
die Einkleidung neuernannter Bischöfe, nur unter gewissen 
Vorbehalten angenommen; er hatte das Konzil nicht aner- 
kannt und den Metropoliten außerhalb des Kirchenstaates die 
Institution, wenn die päpstliche Bestätigung ausblieb, bloß in 
der Weise zugestanden, daß sie sie im Namen des Kirchen- 
oberhauptes erteilten, während der Kaiser wünschte, daß in 
solchen Fällen die Einkleidung im Namen des Imperators 
erfolgen sollte. Hierauf einzugehen, wehrte sich Pius, der bereits 
unter seiner Reue litt, worauf Napoleon, der von der Absicht 
der Engländer erfahren haben wollte, an der Riviera zu landen 
und sich des Papstes zu bemächtigen, befahl, ihn von Savona 
weg nach Fontainebleau zu bringen, wo nun im Winter nach 
dem russischen Feldzug unter dem Beistand ergebener 
Prälaten aufs neue Unterhandlungen begannen, die der Kaiser 
selbst zu Ende führte. Alle Register seiner diplomatischen 
Kunst und Künste zog er seinem Gefangenen gegenüber auf. 
Einmal stellte er Forderungen ohne Ernst und nur in der Ab- 
sicht, sie für anderes, das ihm wichtiger war, fallen zu lassen: 
z. B. daß zwei Drittel der Kardinäle von den katholischen 
Fürsten zu ernennen wären, daß jeder Papst, bevor er das 
Pontifikat anträte, geloben sollte, nichts zu verfügen, was den 
vier gallikanischen Artikeln entgegen wäre, und auch von der 
Krönung der Kaiserin und des Königs von Rom soll die Rede 
gewesen sein (s. unten). Ein andermal warf er dem hl. Vater 
seine Unkenntnis in kirchlichen Angelegenheiten vor, nahm 
ihn wohl auch im Eifer bei einem der Knöpfe seiner Soutane 
und schüttelte ihn, was dann zu dem müßigen Gerede Anlaß 
gab, er habe den Stellvertreter Christi mißhandelt. Wieder 
ein andermal in den fünf Tagen, die er mit dem Papste ver- 
brachte, entrollte er vor ihm ein glänzendes Zukunftsbild von 
der Ausdehnung und Machtstellung, zu der er der Kirche ver- 
helfen würde — die Rekatholisierung Deutschlands obenan — 
wenn Pius sich seinen Wünschen fügen, der weltlichen Herr- 
lichkeit entsagen, das Konzilsdekret schlichtweg annehmen 



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Das „Konkordat" vom 25. Januar 1813. 151 

und seine Residenz in Paris aufschlagen wollte. Aber zu dem 
Letzteren war der Papst nicht zu bewegen; er wählte 
Avignon, das allerdings in dem Übereinkommen, welches 
man schließlich niederschrieb, nicht besonders genannt 
wurde und wo es bloß hieß: „Seine Heiligkeit wird die 
päpstliche Gewalt in Frankreich und im Königreich Italien 
in derselben Art und Form wie seine Vorgänger aus- 
üben." Und wie Napoleon hier nachgab, so bestand er 
auch nicht auf der ausdrücklichen Artikulierung des Ver- 
zichtes auf das Erbe des hl. Petrus. Er ging freilich aus dem 
Inhalte des Vertrags von selbst hervor. Am 25. Januar 1813 
ward das neue „Konkordat", wie es Napoleon nannte, vom 
Papste und von ihm unterzeichnet. Tatsächlich war es nur eine 
vorläufige Vereinbarung, „die einem endgültigen Abkommen 
zur Grundlage dienen sollte" („comme devant servir de base 
a un arrangement definitif"). Das Konzilsdekret bezüglich der 
Institution der Bischöfe fand darin als Artikel IV Wort für 
Wort Aufnahme, doch wurde dem Papste das Ernennungs- 
recht für zehn französische oder italienische und auch für die 
sechs römischen Bischofssitze zugestanden. Für seine „ihm 
entfremdeten Ländereien" wird er mit zwei Millionen Franken 
jährlicher Rente schadlos gehalten. Der Kaiser begnadigt die 
widerstrebenden Prälaten.*) Damit hatte Napoleon freilich 
nicht alles erreicht, was er ehedem gewünscht: eine Stellung 
als kirchliches Oberhaupt, etwa wie sie der Zar in seinem Lande 
einnahm, nur noch größer, allgemeiner, wie es der Name der 
Kirche besagte, und unbegrenzt, wie ihre Mission war, hatte 
er nicht erlangt. Aber der Vorteil, den er zunächst angestrebt, 
war doch gewonnen. Er hatte seinen Frieden mit dem Papste 
gemacht, und das konnte die Welt nicht rasch genug erfahren. 
Zeitungsartikel und Kirchenglocken tönten es hinaus, und 
allerorten sang man Te deum laudamus. Wenn auch Pius, 
von Bedenken und Reue gefoltert und von seinen alten Räten, 
die wieder Zutritt zu ihm erhielten, über Napoleons politische 
Situation aufgeklärt, zwei Monate später seine Zusage wider- 



") Siehe den Text in der Corresp. XXIV, 19.511, bei Champcaux. 
Le droit civil ecclesiastique francais, p. 454 und a. a. 0. 



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152 Schlechte Finanzen. 

rief, so hatte doch mittlerweile die Kunde vom Versühnungs- 
werk zu Fontainebleau ihre Wirkung tun können, und die 
militärischen Rüstungen waren dann zum guten Teil beendet. 

Außer den Gläubigen hatte aber der Kaiser auch jene zu 
gewinnen, die den irdischen Gütern mehr Beachtung schenkten 
als den ewigen. Das war nun freilich sehr schwierig, denn 
wenn er, wie wir sahen, den russischen Feldzug mit der Er- 
wartung unternommen hatte, er werde, wie die Kriege von 
1805, 1807 und 1809, materiellen Gewinn und Ordnung in den 
Haushalt des Staates bringen, so war die Enttäuschung eine 
ungeheure.*) Zum Überfluß war auf dem Rückzug auch die 
Kriegskasse mit zehn Millionen in Gold den Feinden — es 
sollen übrigens auch Freunde darunter gewesen sein — in die 
Hände gefallen. Und die neuen Rüstungen erforderten neue 
außerordentliche Ausgaben. Man hatte für 1813 mit einem 
Defizit von beinahe 150 Millionen Franken zu rechnen, und 
die Abgänge der beiden vorhergehenden Jahre, über 80 Mil- 
lionen, waren auch noch nicht gedeckt.**) Mollien, der mit un- 
verhohlenem Bangen der Politik des Kaisers folgte, riet zur Er- 
höhung der direkten Steuern als dem kleineren Übel. Aber 
Napoleon wies jetzt mehr als je diesen Gedanken ab. Er 
scheute sich, das persönliche Eigentum des Einzelnen zu 
treffen und sich damit Unzufriedene zu schaffen. Ein Kriegs- 
zuschlag und die Herabsetzung der Beamtengehalte um ein 
Fünftel halfen wenig. Und da die Quelle des Kredits dem be- 
siegten Eroberer aus erklärlichen Gründen verschlossen blieb, 
und auch die Kirchengüter Italiens und des Rheinlandes zum 
großen Teil bereits verkauft waren, ersann &r etwas Anderes. 
Er wird sich — Maret soll ihn darauf gebracht haben — an 

*) Xoch aus Witebsk hatte er seinem Schatzminister, der im 
Rechnungsabschluß der ersten sechs Monate einen Abgang von 
40 Millionen Franken auswies, tröstend mitgeteilt, daß er für Kurland 
bereite zwei Millionen Rubel Kontributionen ausgeschrieben, in den 
Kassen eine Million konfisziert und Salzvorräte von fünfzehn bis zwanzig 
Millionen Wert erbeutet habe, die nach Kurland verkäuflich seien. 
(Corresp. XXIV. 19.082; Mollien, m. 154.) 

**) Nach Thiers, XV. 220 sind die Ziffern folgende: Abgang 
von 1811: 46, von 1812: 37, für 1813: 149, in Summe: 232 Millionen. 



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Wie ihnen Napoleon aufhilft. 153 

das Gemeingut halten. Einige Tausend Gemeinden besaßen 
Gründe und Güter, die nicht öffentlichen Zwecken dienten, 
sondern verpachtet waren, im Verkaufswerte von 370 Millionen 
Franken. Der Pachtschilling war gering, er betrug etwa neun 
Millionen. Neun Millionen Zinsen ergaben aber schon 135 Mil- 
lionen 5%iger Rente, die damals mit 75 gehandelt wurde. Ga- 
rantierte man den Gemeinden ihre neun Millionen jährlicher 
Revenuen durch eine Einschreibung von 140 Millionen in das 
große Buch der Staatsschuld, so hatte man, wenn man die 
Güter von Staats wegen verkaufte, die 230 Millionen für das 
Erfordernis, und der Ausfall war gedeckt. Für den Verkauf 
hatte die Amortisationskasse*) zu sorgen, die für die Zwischen- 
zeit amortisierbare 5% ige Anweisungen emittierte, mit denen 
der Minister die Staatsgläubiger, Lieferanten u. dgl. bezahlte, 
was bei der Sicherheit der Verzinsung leicht möglich war. 
Napoleon selbst kaufte 71 Millionen davon aus seinem 
Tuilerienschatz, um die Geltung des Papiers zu erhöhen. 
Mollien wehrte sich lange gegen diese Gewaltmaßregel, die 
den Gemeinden nicht bloß ihr Gut abnahm, sondern sie auch 
für alle Zukunft auf die genannte geringfügige Summe der 
Einkünfte fixierte, während naturgemäß ihre Ausgaben 
wuchsen und dann nur durch erhöhte Umlagen, die ja doch 
schließlich den Einzelnen trafen, zu bestreiten waren. Es 
konnte also nur für den Moment scheinen, als wäre der Ein- 
zelne mit seiner Habe durch die neuen Anstrengungen des 
Staates nicht ins Mitleid gezogen. Aber Napoleon galt lediglich 
der Moment. Der große Begründer der Staatsordnung und 
Volkswohlfahrt von ehedem ist kaum wiederzuerkennen in 
diesem Virtuosen des Augenblicks. Rücksichtslos strebt er 
auch jetzt nur — wie im verflossenen Sommer — nach dem 
entscheidenden Siege, der ihm Europa zu Füßen legen soll. 
Dann will auch er wieder Ordnung und Wohlfahrt stiften, aber 
allerdings erst dann. 

Als der neue Finanzplan durchberaten war, gelangte er, 
wie die Verfassung vorschrieb, vor den Gesetzgebenden Körper. 
Vor dem russischen Feldzug hatte man dieses Zugeständnis 



*) Siehe Band I. S. 280. 



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läi 



Der Kaiser und die Volksvertretung. 



nicht mehr gemacht; das Finanzgesetz für 1812 war gegeben 
worden, ohne die bestellten Legislatoren zu befragen. Ja, 
Napoleon schien die feste Absicht gehabt zu haben, nach 
seinen Siegen über Rußland den Gesetzgebenden Körper ganz 
aufzulösen, von dem er in Dresden zu Metternich 6agte, er 
habe ihn geknebelt und diskreditiert und brauche nun nur 
noch den Schlüssel des Beratungssaales zu sich zu stecken. 
Er hatte damals ein neues Programm im Sinne. „Frankreich", 
sagte er, „eignet sich weniger für die Form der Volksver- 
tretung als viele andere Länder. Im Tribunat trieb man nur 
Revolution; ich habe Ordnung geschafft, hab' es aufgelöst. . . 
Übrigens will ich gar nicht die absolute Gewalt, will mehr als 
bloße Formen. Ich will etwas, was ganz und gar nur der 
Ordnung und dem Gemeinwohl dient. Ich werde den Senat 
und den Staatsrat neu organisieren. Der Erstere soll das Ober- 
haus, der Zweite die Deputiertenkammer ersetzen. Ich werde 
fortfahren, alle Senatoren zu ernennen, ein Drittel des Staats- 
rates durch Wahl aus dreifachen Listen hervorgehen lassen, 
die anderen zwei Drittel wähle ich selbst. Da wird dann das 
Budget gemacht, werden die Gesetze durchberaten. So werd' 
ich eine wirkliche Volksvertretung haben, denn sie wird nur 
aus erfahrenen Geschäftsleuten bestehen; kein Geschwätz der 
Ideologen, kein falsches Rauschgold mehr. Dann wird Frank- 
reich auch unter einem untätigen Fürsten — denn es werden 
solche kommen — gut regiert werden, und die Art, wie man 
Fürsten zu erziehen pflegt, wird vollkommen ausreichen."*) 
Die Rede sollte der bestimmten Absicht dienen, Metternich 
und mit ihm der ganzen Welt klarzumachen, daß sein Werk, 
das Empire, nicht bloß auf zwei Augen stehe, wie er vor 
einigen Jahren in einem Augenblick der Offenheit einem 
Österreicher gesagt hatte.**) Er werde schon dafür sorgen, 
daß es beständig bleibe, auch unter denjenigen Kaisern seiner 
Dynastie, denen Geist und Tatkraft nicht in dem hohen Maße 

*) Metternich, Nachgelassene Papiere, I. 123. 

**) Es war 1809 in Schönbrunn gewesen, wo er zu Bubna sprach: 
„All das kann dauern so lang ich lebe. Frankreich kann jenseits des 
Rheins nicht Krieg führen. Bonaparte konnte es; mit mir ist das zu 
Ende." (Gentz, Tagebücher, I. 198.) 



Die Thronrede vom 14. Februar 1813. 155 

wie ihm innewohnten. Gut. Daß er aber dabei das Heil allein 
von den Bureaukraten erwartete, ließ auch seinen Geist nicht 
grenzenlos erscheinen, der es nicht zu fassen vermochte, daß 
nur aus einem Zusammenwirken von Theorie und Praxis, nur 
dort, wo der Gedanke die Tat zu lenken und umgekehrt das 
Werk die Idee zu berichtigen vermag, ein gesundes Staatsleben 
sich entfaltet, während er mit der beabsichtigten Alleingeltung 
der praktischen Machtfaktoren in ein ebenso unfruchtbares 
Extrem verfiel wie die linkischen Rechtstheoretiker, die ihm 
in Frankreichs Regierung voraufgegangen waren. War denn, 
was er als Grundlagen des modernen Staates erkannte und 
mit seinen Heeren, seinen Beamten und Gesetzbüchern in der 
Welt verbreitete, nicht auch einmal der Traum solcher 
Ideologen gewesen, die er so bitter haßte? Er mochte noch 
so geringschätzig über sie urteilen, ohne sie und die Frucht 
ihres Denkens wäre sein Name vielleicht gar nicht auf die 
Nachwelt gekommen. 

Aber diese Pläne des Imperators aus der Zeit seines 
höchsten Glanzes waren seitdem durch die Ereignisse unaus- 
führbar geworden. Er sperrte jetzt den Saal des Gesetz- t 
gebenden Körpers nicht ab, sondern eröffnete vielmehr selbst 
am 14. Februar 1813 dessen Sitzungen mit einer Rede, von 
der er wünschte, daß sie als eine Mitteilung an die Nation 
aufgefaßt und verbreitet würde. Dieser letzte Rest von Volks- 
repräsentanz war ihm jetzt ein ganz willkommenes Mittel der 
Verständigung. Er verwies auf den Minister des Innern, der 
den Beweis führen werde, daß zu keiner Zeit in Frankreich 
Handel und Gewerbe in solcher Blüte gestanden hätten wie 
zur Stunde, auf den Finanzminister, der Maßregeln empfehlen 
werde, die den großen Bedürfnissen Rechnung tragen sollen, 
ohne „seinen Völkern" neue Lasten aufzubürden. Er schilderte 
den Verlauf des russischen Krieges in der bekannten Weise, 
nur daß hier zum ersten Male der „vorzeitig eingetretenen 
Winterkälte" Erwähnung geschah, die sich dann jahrzehnte- 
lang als ein wesentlicher Bestandteil der Napoleonlegende in 
der Geschichte zu erhalten gewußt hat. Außerdem sprach er 
vom Frieden mit dem Papste, von den Engländern, die 
Spanien wieder hatten räumen müssen, wo die „französische 



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156 



Das System bleibt ungeändert. 



Dynastie" lierrsche und auch weiterhin herrschen werde. Von 
der Haltung seiner Verbündeten sei er befriedigt, er werde 
keinen aufgeben und die Integrität ihrer Staaten aufrecht 
erhalten. Damit war gesagt: er will Polen, den Rheinbund 
und Italien, kurz die ganze Machtsphäre des verflossenen 
Jahres ungeschmälert festhalten und sichern. „Ich werde 
niemals", hieß es wieder wie so oft schon, „einen anderen als 
einen ehrenvollen Frieden schließen, der den Interessen und 
der Größe meines Reiches entspricht: denn ein schlechter 
Friede würde uns alles verlieren heißen, auch die Hoffnung, 
und alles wäre in Frage gestellt, selbst die Wohlfahrt unserer 
Enkel."*) So war nichts in seinem System geändert, just als 
ob nicht eben erst ein unglücklicher Krieg seine Kräfte um 
eine erprobte Armee von über 400.000 Mann gemindert hätte. 
Aber die Welt hatte ihn ja daran gewöhnt, Außerordentliches 
zu wollen, und für ihn war es schon des Opfers genug, daß 
er seine Absichten auf die Beherrschung des Erdkreises ver- 
schieben mußte, da die Kontinentalsperre nun nicht mehr durch- 
zuführen war, England seinen Seehandel nach den Küsten des 
Baltischen Meeres, nach Cadix und der Levante ungehindert 
weiterbetrieb, und das indische Projekt in entlegenen Fernen 
verschwand. Er mußte erst wieder kämpfen und siegen, 



*) Corresp. XXIV. 19.581. Bald nachher, am 25. Februar, 
erstattete Ministor Montalivet in der Tat den versprochenen Rapport. 
Wir kennen diese Exposes von früher her als Mittel der imperialisti- 
schen Regierung, die öffentliche Meinung zu gewinnen. Als solche 
waren sie dann meist schön gefärbt. Vollends jetzt, wo sich der Kaiser 
in einer Zwangslage befand, wie nie zuvor, wo er flüchtig und ohne 
Armee heimgekehrt war, während er sonst immer als Sieger auftrat Wenn 
nun in dem Berichte u. a. gesagt wird, daß der mittlere Ertrag der, 
Bodenkultur unter dem Kaiserreich um ein Zehntel gewachsen sei und 
auf fünf Milliarden Franken geschätzt werde, daß die Wertsteigerung 
durch Verarbeitung der Rohprodukte 1300 Millionen betrage, daß die 
Handelsbilanz eine Aktivpost von 126 Millionen gegen 75 im Jahre 
1789 aufweise, daß die neue Rübenzuckerindustrie Ware für 90 Mil- 
lionen Franken erzeuge, so kann man diese Ziffern heute noch nicht 
genau genug prüfen. Sollte aber Montalivets Behauptung, das Empire 
verfüge bereits über eine Million Soldaten und 100.000 Matrosen, als 
Maßstab angenommen werden, so waren auch seine sonstigen Dar- 
legungen gar sehr übertrieben. 



Napoleon ruft den Rheinbund auf. 157 

unerhört siegen, um den Faden dort anzuknüpfen, wo er ab- 
gerissen war. 



Wenn nun Napoleon von den Franzosen nochmals die 
Ausrüstung zu einem neuen Waffengang erlangte, so entstand 
daneben die Frage: ob er wohl auch noch weiterhin über die 
Streitkräfte all seiner Verbündeten werde verfügen können 
wie im letzten Feldzug? 

Am 18. Januar 1813 hatte er an die Fürsten des Rhein- 
bundes geschrieben und sie zur Stellung neuer Kontingente 
aufgefordert. Um ihnen Mut zu machen, behauptete er, die 
Russen hätten sich schlecht geschlagen und nur die Kosaken 
sich in ihrer Art, den Krieg zu führen, tüchtig gezeigt. Die 
Große Armee in Deutschland, mit dem Korps von Schwarzen- 
berg, betrage noch immer 200.000 Mann (!), die er bis zum 
März durch die Nationalgarden, neue Aushebungen und 
Zuzüge aus Italien auf eine Höhe bringen werde, die ihn jede 
weitere Hilfe von Seiten „seiner Völker" entraten lassen 
könnte, wenn nicht — Yorck mit 20.000 Preußen abgefallen 
wäre. Dadurch sei die Armee genötigt worden (man merke 
wohl: eine Armee von 200.000 Mann), sich vor den Russen 
(die so schlecht fochten) hinter die Weichsel zurückzuziehen, 
und so sei der Krieg in die Nähe Deutschlands gerückt. Zwar 
wäre er mit allen Kräften bereit, die Grenzen des Rheinbundes * 
zu verteidigen, aber die Bundesstaaten müßten doch auch die 
Notwendigkeit empfinden, sich dabei entsprechend zu be- 
tätigen.*) 

Auf diesen Appell lautete die Antwort durchaus befrie- 
digend, wenn auch die Beteiligung an den Rüstungen, je nach 
der Entfernung von Frankreich, eine geringere wurde und die 
Stimmung in den Bevölkerungen allenthalben erbittert genug 
klang. Der Herzog von Mecklenburg-Schwerin war der einzige 
der Rheinbundfürsten, der offen von Napoleon abfiel. Alle 
anderen blieben treu. Am gefügigsten zeigte sich, weit ge- 



*) S. Corresp. XXIV. 19.462 und den etwas erweiterten Brief an 
den König von Württemberg bei Schloßberger, Politische und mili- 
tärische Korrespondenz König Friedrichs I. und Napoleons, S. 258 ff. 



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158 Haltung der Fürsten. 

fügiger als des Kaisers eigener Bruder Jeröme, der Großherzog 
von Frankfurt, der sofort eifrigst zwei Bataillone zu rüsten 
begann, um Napoleon „Gelegenheit zu neuem Ruhme zu 
geben". Eine drückende Akzise lieferte ihm die nötigen Geld- 
mittel. Üble Stimmung in Hanau, wo man sich, wie in Frank- 
furt, an Yorcks Tat erfreut hatte, wurde mit Entwaffnung 
der Bürger und Wegführung einiger derselben nach Mainz 
bestraft. Der König von Württemberg, dessen Armeekorps 
von 14.000 Mann auf 173 Offiziere und 143 Bewaffnete zu- 
sammengeschwunden war, bezeugte zwar dem französischen 
Gesandten seine Ungnade und meinte, die Rheinbundsakte ver- 
pflichtete die Mitglieder nur so lange, als Napoleon sich tat- 
sächlich als „Protektor" zu bewähren imstande sei. Aber als 
die Rüstungen in Frankreich diesem Argument den Boden 
entzogen, eilte er zu versichern, daß er sogleich, nachd em ihm 
das 29. Bulletin bekannt geworden sei, sich damit beschäftigt 
habe, sein Bundeskontingent wiederherzustellen. Jeröme von 
Westfalen klagte dem Bruder aufs neue seines Staates Geld- 
not — für sich selbst hatte er 19 Millionen in Frankreich 
angelegt — verstand sich jedoch auf Napoleons kategorische 
Zurechtweisung dazu, neben den 20.000 Mann seines Pflicht- 
teils noch Magdeburg mit Lebensmitteln für 15.000 zu ver- 
sehen. Da kein Geld vorhanden war, wurde schlechtweg 
- requiriert. Bayern, das nicht weniger als 28.000 Mann verloren 
hatte, mußte ein ganz neues Heer schaffen, was nur möglich 
wurde, wenn man im Jahre 1813 mehrmals konskribierte. 
Solche Opfer erschienen in München zu hoch, und man über- 
legte einen Augenblick, ob man sich nicht neutral halten 
sollte, ließ sich aber schließlich doch auch von den gewaltigen 
Rüstungen Napoleons einschüchtern und gab zunächst eine 
Division ab. Der Rest des Kontingents wurde in einem 
Lager bei München unter Wrcde gesammelt, der in der Erinne- 
rung an seinerzeit in Paris von Napoleon und jüngsthin von 
dessen Marschällen erfahrene üble Behandlung zur anti- 
französischen Partei des Kronprinzen Ludwig abgeschwenkt 
war. Noch mehr als der bayrische Hof geriet der sächsische ins 
Schwanken, da er Polen in die Hände der Russen geraten 
und bald auch sein Land von einer russischen Invasion bedroht 



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Napoleon appelliert an die Verbündeten. 159 

sah. Seine Politik wird ganz von der Haltung seiner beiden 
deutschen Nachbarn abhängen, von Österreich und Preußen. *) 

Und damit ist die Hauptfrage berührt: ob die beiden 
deutschen Großmächte die Allianz mit Frankreich aufrecht 
erhalten werden oder nicht? Von ihrer Beantwortung hing 
in der nächsten Zeit alles ab. 

Früher noch als an den Rheinbund hatte sich Napoleon 
an die Höfe von Wien und Berlin mit dem Ansinnen gewendet, 
ihre Kontingente zu verstärken. Darauf erfolgte der Abfall 
Yorcks. War das zugleich die Anwort Friedrich Wilhelms III. ? 
Napoleon, mißtrauisch wie immer, hatte dies vermutet, gab 
aber dann doch den Versicherungen des preußischen Gesandten 
und des Fürsten Hatzfeld, der, um zu beschwichtigen, nach 
Paris gesendet worden war, Raum, daß der König dem Schritte 
fernstehe. Diese Versicherungen entsprachen nicht völlig der 
Wahrheit. Zwar hatte man am preußischen Hofe während des 
Feldzuges nur französische Siege für möglich, ein Scheitern 
der Expedition für ausgeschlossen gehalten und sich darauf 
eingerichtet. War doch die Abneigung gegen das, was man die 
„russische Präponderanz" nannte, in Berlin fast ebenso groß 
wie die Lust, das französische Joch los zu werden. Denn das 
im Jahre 1807 verlorene Stück Polen nahm jetzt wahrscheinlich 
Rußland für sich in Anspruch. Und gerade an Polen hatte 
Hardenberg in der letzten Zeit eifrig gedacht, ja sogar gemeint, 
Napoleon könnte Friedrich Wilhelm dieses Königreich ver- 
leihen, was dann einen starken Wall gegen Osten abgäbe. Aber 



*) Über das Vertrauen der Rheinbundfürsten, insbesondere der 
süddeutschen, zu Österreich für den Fall, daß das Schicksal weiterbin 
sich für französische oder russische Erfolge entschied, vgl. Luckwaldt, 
Österreich und die Anfänge des Befreiungskrieges von 1813, S. 207 ff. 
Die Furcht vor der russischen Vorherrschaft in Europa war übrigens 
an den kleinen deutschen Höfen nicht geringer, eher größer, als der 
Widerwille gegen den französischen Druck. Saint-Aignan, der Vertreter 
Frankreichs an den sächsischen Herzogshöfen, schreibt gelegentlich 
über Karl August von Weimar: „Er liebt nicht die Russen", und 
von der Herzogin, im Jänner 1818, sie habe sich geäußert: „Ich wünsche 
wahrhaftig nicht, daß ganz Europa Napoleon zu Füßen liege und daß 
er Rußland niederwerfe; aber ich wünsche auch die Russen nicht als 
Beherrscher Deutschlands." Fischer, Goethe und Napoleon, S. 197. 



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160 Friedrich Wilhelm III. und die Konvention von Tauroggen. 

das alles setzte französische Siege und den Niederbruch Ruß- 
lands voraus. Wie wenn nun doch das Gegenteil eintrat? Es ist 
das historische Verdienst des Flügeladjutanten Ludwig von 
Wrangel, dem König die notwendige Vorsorge auch für diesen, 
aller Welt unmöglich scheinenden Fall nahegelegt und erwirkt 
zu haben, daß er im August heimlich, ohne Vorwi6sen Harden- 
bergs, mit dem mündlichen Auftrag zu dem preußischen 
Hilfskorps gesandt wurde: dessen Befehlshaber solle sich, 
wenn die Franzosen über die russische Grenze zurückgedrängt 
und von den Feinden verfolgt würden, von Jenen zu trennen 
suchen, nach Graudenz zurückgehen und den Eintritt in diese 
Festung beiden streitenden Teilen verwehren.*) Nun, wo das 
Unglaubliche Ereignis geworden war, hat Yorck zwar nicht 
sein Korps nach Graudenz zurückgeführt, was durch den 
Voranraarsch Macdonalds und die Wahrscheinlichkeit, wenn 
man weiter ging, die Artillerie und den Train einzubüßen, 
unmöglich gemacht war, er hat auch nicht, was dem König 
vorteilhafter geschienen hätte, da man dann aufs neue hätte 
rüsten dürfen, kapituliert, aber er hat doch jene Instruktion 
aus dem August in ihrem wesentlichsten Teile erfüllt, d. i. 
Preußens Korps für eine selbständigere Aktion wehrhaft 
erhalten. Freilich appellierte eine Neutralitätskonvention — 
und das war ja wohl auch die Absicht der Russen, als sie 
sie vorschlugen — an den politischen Entschluß des Königs, und 
der war jetzt, umgeben von Franzosen, nicht leicht zu fassen. 
Friedrich Wilhelm war am ehesten geneigt, sich mit Österreich, 
wo ebenfalls keine russenfreundliche Tendenz vorwaltete, über 



*) S. Thimme, König Friedrich Wilhelm III., sein Anteil an 
der Konvention von Tauroggen und an der Reform von 1807 — 1812 
(Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, XV Iii, 
1905) wo die entsprechende Stelle aus Wrangeis Tagebuch mitgeteilt 
und ihre Wahrhaftigkeit durch eine sorgsame Kritik erhärtet ist. 
Was die Angaben des Tagebuchs aufs wesentlichste unterstützt, ist 
eine spätere Eingabe Wrangeis an den Kronprinzen aus dem Jahre 
1838, mit der er, um sich zu empfehlen, auf jenen Dienst vor sechs- 
undzwanzig Jahren hinweist, dessen Tatsächlichkeit leicht durch den 
König, der noch lebte, zu konstatieren war. (Siehe Thimme im 
XIII. Band der Forschungen zur brandenburgischen und preußischen 
Geschichte, S. 251 f.) 



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Drohende Werbung Alexanders I. 



161 



eine Mittelstellung zu verständigen, und ein Vertrauter des 
Königs, Knesebeck, begab sich deshalb nach Wien. Da traf 
Mitte Januar auf weiten Wegen der Antrag des Zaren ein, 
man möge sich von Frankreich trennen und ihm anschließen, 
er wolle Preußen wieder in den Besitz seiner verlorenen Pro- 
vinzen in Deutschland bringen oder für anderweitigen Ersatz, 
etwa durch Sachsen, sorgen; würde jedoch der König bei 
seinem Bunde mit Napoleon beharren, so müßte er sich als 
berechtigt ansehen, zu einer künftigen Teilung des preußischen 
Landes mitzuwirken.*) 

Das war keine leere Drohung. In Alexanders Ab- 
machungen mit Bernadotte zu Abo war von der Annexion 
Ostpreußens bis zur Weichsel die Rede gewesen, die der Kron- 
prinz von Schweden gleichsam zum Dank für das versprochene 
Norwegen zugestand. Und jetzt noch hielt eine starke Partei 
in der Umgebung des Zaren daran fest, man solle auf die Be- 
dingung der Weichselgrenze hin Frieden mit Napoleon machen. 
Diese Partei — Kutusow, die meisten Generale und Rumjantzow 
gehörten zu ihr — drang aber nicht durch. Alexander gab 
vielmehr einer anderen Auffassung Baum, die ein junger 
Diplomat, Xesselrode, mit Glück vertrat. Rußland tue ein 
langer und sicherer Friede not, meinte der; ein solcher sei nur 
zu gewinnen, wenn durch entscheidende Siege über Frankreich 
dessen Übergewicht endgültig zerstört und das alte Gleich- 
gewicht der Mächte wiederhergestellt werde. Zu solchem 
Unternehmen sei Bußland allein nicht imstande und bedürfe 
der Unterstützung der Mittelmächte. Dann wäre es möglich, 
der Herrschaft Napoleons so viel Land als möglich zu ent- 
ziehen, Frankreich in seine natürlichen Grenzen zurückzu- 
drängen.**) Diese Ansicht begegnete sich mit der, die Stein in 
einer Denkschrift vom 17. November dem Zaren vorgetragen 
hatte: daß Rußland sich nicht weiter auf die Vertei- 
digung beschränken, sondern den Krieg noch im Winter, ver- 

*) ßoyen, mit dem Alexander im November in diesem Sinne 
gesprochen hatte, brachte seine Worte auf Umwegen an den König. 
Siehe Meinecke. Boyen I. 251 ff. Alexanders Beglaubigungsschreiben 
bei Bai Heu, Briefwechsel, S. 240. 

**) Sbornik, XXXI. 298 f 

Fournier, Napoleon I. 11 



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162 Die polnischen Pläne des Zaren. 

stärkt durch Österreich und Preußen, in Deutschland fort- 
setzen solle, damit Alexander der Wohltäter und Pazifikator 
Europas werde, wie er der Ketter seines Reichs geworden sei.*) 
Im Sinne dieser Erwägungen erfolgte dann noch im Dezember 
der Befehl an Kutusow, die Landesgrenze zu überschreiten, 
erfolgten Eröffnungen an Preußen und Österreich. In der an 
den Berliner Hof verzichtete zwar der Zar auf das ostpreußische 
Land, tat es aber nicht auf die Erwerbung des Herzogtums 
Warschau, in dessen Gebiet er eben einrückte. Der Grund war, 
daß er nun wieder, wie im Jahre 1811, eifrig das Projekt eines 
einigen Polens unter seiner Herrschaft, d. i. in Personalunion 
mit Rußland, erwog. Kur die Rücksicht auf die öffentliche 
Meinung daheim, die den Polen abträglich sei, und die andere 
auf Österreich und Preußen, die nichts davon erfahren dürften, 
weil sie sich sonst sofort Napoleon in die Arme würfen, hin- 
derten ihn, damit schon jetzt hervorzutreten, schreibt er am 
13. Januar 1813 an Czartoryski. Diese Politik mußte aber 
notwendig eine Verständigung mit Friedrich Wilhelm III. 
erschweren, und es kam nun ganz besonders darauf an, ob 
Knesebeck in Wien fand, was er suchte: die Bereitwilligkeit 
zu einer gemeinsamen bewaffneten Vermittlung, um einerseits 
die Schwächung Frankreichs auszunützen und anderseits einem 
drohenden Übergewicht Rußlands vorzubeugen. 

Nirgend war man mehr erstaunt über den Ausgang des 
russischen Feldzugs als am Hofe Franz I. Noch im Oktober 
hatte Metternich, der es nach Abschluß der französisch- 
preußischen Allianz passend gefunden hatte, Hardenberg 
näherzutreten, diesem vertraulich geschrieben, er halte nach 
der Art, wie die Russen den Krieg führten, die europäische 
Existenz ihres Staates für verloren, und da man auch in Eng- 
land die Notwendigkeit des Friedens fühle, beabsichtige er eine 
allgemeine Pazifikation in Anregung zu bringen. Das war in 
der Tat sein Vorhaben, womit er der Gefahr eines 
Separatfriedens zwischen Rußland und Frankreich begegnen 
wollte. Er trat aber doch erst dann ernstlich mit seiner Absicht 
hervor, als, nach dem Einlangen der Berichte vom Rückzug 



*) Pertz, Steins tteben III. 212 ff.; Lehmann, Stein, III. 198 f. 



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Österreich im Jahre 1812. 



163 



der Großen Armee, auch er Napoleons Zug für gescheitert 
halten mußte und sich für Österreich die Aussicht eröffnete, 
aus der bisherigen Untertänigkeit zu einer würdigeren unab- 
hängigen Stellung emporzukommen. Dazu sollte die Rolle 
des Friedensstifters dienen. Um sie nun aber mit Anstand 
spielen zu können, meinte der Minister die geringen Kräfte 
des verarmten Donaustaates möglichst schonen zu müssen, was 
übrigens schon während des ganzen Feldzugs sein Bestreben 
gewesen war. Denn schon im April 1812 hatte er dem 
russischen Botschafter Stackelberg in Wien den ostensiblen 
Teil des Allianzvertrags mit Frankreich unter der Versicherung 
mitgeteilt, Österreich werde sein Hilfskorps gewiß nicht über 
30.000 Mann erhöhen, sonst aber nur zu seiner Verteidigung 
rüsten, worauf Rußland, dem die Sicherheit von der öster- 
reichischen Grenze her ebenso willkommen war, wie den 
Österreichern die von der russischen, mit der Bereitwilligkeit 
geantwortet hatte, im Falle seines Sieges den Interessen des 
Wiener Hofes nicht entgegenhandeln zu wollen. So war es 
zu einer Art ungeschriebener Konvention zwischen den zwei 
erklärten Feinden gekommen, und die politischen Beziehungen 
unter ihnen wurden nur äußerlich abgebrochen. An ein 
Einverständnis, das seine Spitze gegen Napoleon kehrte, ist 
dabei nicht entfernt und um so weniger zu denken, als man 
in Wien doch noch lieber die Oberherrschaft Frankreichs 
ertrug, die man mit der Lebensdauer des genialen Kaisers 
für zeitlich begrenzt hielt, als daß man einer anhaltenden 
russischen Vorherrschaft in Europa die Bahn ebnete, die Gali- 
zien, das Napoleon ausdrücklich garantiert hatte, sicher auch 
in ihren politischen Kalkül zog. Immerhin gewann Österreich 
durch dieses Verhalten die Möglichkeit, sich zu stärken und im 
Osten ein Reservekorps von 30 — 40.000 Mann aufzustellen, 
ohne von russischer Seite gestört zu werden. Den Krieg 
gegen Rußland hat es darum keineswegs, wie gesagt worden ist, 
als bloßen Scheinkrieg geführt, sondern eben nur wie eine 
Macht, die ihr bißchen Streitkraft zu Rate hält, weil sie unbe- 
dingt muß. Wenn jetzt aber, nach dem Feldzuge, Napoleon von 
seinem Schwiegervater forcierte, er solle sein Hilfskorps, das 
mit den Sachsen und einer französischen Division unter Reynier 

11* 



164 



Metternichs Friedenspolitik. 



nach Warschau zurückgegangen war, verdoppeln, damit es die 
Hussen beschäftige, während er neue Armeen aushob, so war 
dies so gänzlich den Wiener Absichten entgegen, daß keine 
zustimmende Antwort erfolgen konnte. Nur durfte auch die 
Ablehnung nicht schroff und ohne weiteres ausgesprochen 
werden, um nicht Mißtrauen zu erwecken. Was war zu tun? 

Metternich, der bisher geheimen Sendboten Rußlands kein 
Gehör gewährt hatte und sicher war — und nicht er allein — 
Napoleon werde bald ein neues Heer befehligen, fand eine 
Auskunft darin, daß er jetzt seine Pazifikationsidee erst recht 
vornahm und durch einen besonderen Abgesandten, den General 
Bubna, in Paris versichern ließ, nur ein allgemeiner Friede 
auf breiter Basis könne die Wunden des letzten Feld- 
zuges heilen und die neue französische Dynastie befestigen. 
Zugleich ließ er in London zum Frieden raten. Der Franzosen- 
kaiser lehnte die unbewaffnete österreichische Intervention 
nicht ab, aber seine Eröffnungen an Bubna gewährten ihr wenig 
Aussicht auf Erfolg: Spanien werde im Besitze seiner Familie 
bleiben, nur seine Truppen sollten es räumen, und auch nur 
dann, wenn die Briten Sizilien verlassen wollten, Murat behalte 
Neapel, keines der durch Senatsbeschlüsse mit Frankreich 
vereinigten Länder (Piemont, Rom, Toskana, Holland, Wallis, 
das Hansegebiet, Oldenburg, Parma, Elba, Lauenburg) werde 
er aufgeben, vom Herzogtum Warschau nicht ein Dorf. 
Dagegen könnten allerdings in Illyrien mit Dalmatien, in 
Korfu, kurz in Ländern, die nicht verfassungsmäßig dem 
Empire einverleibt seien, Kompensationsobjekte gefunden 
werden. Nach Rußland hin mochte Österreich geltend machen, 
daß er bereit wäre, die Integrität von Russisch-Polen zu- 
zugestehen und die Verpflichtungen der Tilsiter Allianz — 
Abschließung gegen England — fallen zu lassen. Da er aber 
die österreichische Vermittlung, namentlich bei den Briten, 
für aussichtslos halte, so sei es doch vor allem wünschenswert, 
daß Franz I. sein nilfskorps verdoppele; er wolle für Subsidien 
sorgen. Er lebte eben ganz in der Erneuerung des Krieges. 
Für den wollte er der Mitwirkung der Donaumacht sicher 
sein. Da störte es ihn, daß ihm aus Wien berichtet wurde, 
es sei Metternich, als er vom Zusammenbruch der großen 



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Franz I. lehnt die Forderung Napoleons ab. 165 

Armee hörte, dem Gesandten Otto gegenüber das Wort ent- 
schlüpft, Österreich würde, wenn es nur sein System änderte, 
fünfzig Millionen Seelen — Deutschland und Italien — zum 
Gefolge haben. Dem mußte entgegengearbeitet werden. Etwa 
indem man die dynastische Verbindung zu höherer politischer 
Geltung brachte? Napoleon denkt daran und läßt Anfang 
Januar Denkschriften darüber ausarbeiten, ob nicht Marie 
Luise und ihr Sohn zu krönen wären und ob man nicht Jener 
unter Umständen die Regentschaft übertragen sollte. Maret 
schreibt es an Otto nach Wien, die Krönung der Kaiserin werde 
wahrscheinlich im Laufe des Februar vor sich gehen, Franz I. 
möge nur seiner Tochter die Aufrechthaltung der Allianz 
feierlich gewährleisten.*) Aber in Wien legte man auf diese 
Dinge wenig Wert. Kaum hatte man dort die Sicherheit, daß es 
Napoleon nur darum zu tun war, sich seine verlorene Geltung 
wieder zu erkämpfen, so richtete Metternich all sein Trachten 
bloß noch dahin, den Lärm der Waffen von Österreich fern- 
zuhalten und sich unterdes für alle Fälle zu rüsten: er lehnte 
die Forderung Napoleons auf Verdoppelung des Hilfskorps ab, 
ohne jedoch auf die Seite seiner Gegner zu treten. Er ver- 
schanzte sich zunächst hinter seine Rolle als Friedensprediger, 
vermied es aber sorgfältig, als Friedensvermittler mit be- 
stimmten Bedingungen, die er hätte verteidigen müssen, auf- 
zutreten, wozu man finanziell und militärisch noch lange nicht 
in der Lage war. Er ermutigte zwar Hardenberg zur offenen 
Parteinahme für Rußland, weil dadurch der Krieg bestimmt 
im Norden blieb und der Zar und Napoleon voraussichtlich zu 
größerer Mäßigung bewogen wurden, unterließ es aber, sich 
für den Heimfall des Herzogtums Warschau an Preußen bei 
Rußland zu exponieren. Daran scheiterte die Mission Knese- 
becks. Sie hatte nur den einen Erfolg, daß der Kaiser dem 
Abgesandten sein Wort gab, die in Mähren und Schlesien zu 
sammelnde Truppenmacht würde niemals gegen Preußen ge- 
braucht werden. Was jetzt und noch später ein weiteres 
Hervortreten Österreichs erschwerte, war auch hier, neben 
der Schwierigkeit, ein mit schönen Hoffnungen dekoriertes 



*) Sorel, VII. 45. 



166 



Ru ssisch-ös terreichischer Waff ensti llst an <1 . 



System plötzlich zu ändern, der Umstand, daß man 
der Politik des Zaren mit sehr wenig Vertrauen begegnete. 
Ein Schreiben Alexanders I. vom 29. Dezember 1812, das 
Franz I. aufforderte, die alten habsburgischen Provinzen, d. i. 
namentlich Tirol und Italien, zu besetzen, man wolle alle Kräfte 
aufbieten, Österreich wieder dazu zu verhelfen, wurde nicht 
zustimmend beantwortet, denn Metternich sah genau, daß 
es dem Nachbar dabei nur darum zu tun war, die öster- 
reichischen Truppen aus ihrer störenden Flankcnstellung in 
entferntere Gegenden zu verlegen und den Wiener Hof durch 
eine rasche Tat Napoleon gegenüber unwiderruflich zu kom- 
promittieren. Und bald wird man auch für Alexanders erneuerte 
Absicht auf Polen unwiderlegliche Beweise in Händen halten. 
Nur um jede Kollision zu vermeiden, ließ Franz das Hilfskorps 
nicht, wie es der Vizekönig Eugen verlangte, von Warschau 
nach Kaiisch gehen, wo es mit den nachrückenden Russen 
handgemein werden mußte, sondern Schwarzenberg einen 
Waffenstillstand auf unbestimmte Zeit mit vierzehntägiger 
Kündigung abschließen (30. Januar 1813) und die Truppen 
nach Krakau zurückziehen, „um sie für den kommenden 
Feldzug zu schonen", wie in Paris versichert wurde. Das 
war noch nicht der Abfall von Napoleon, wohl aber „der 
erste Schritt dazu"; so nannte es der Franzosenkaiser selbst. 
Der erkannte sofort alle Nachteile dieser Maßregel, die 
Eugen, seines Stützpunktes rechter Hand beraubt, zwingen 
mußte, von der Weichsel zur Oder zurückzuweichen. Die 
Russen gewannen freie Bahn vorwärtszugehen und schlugen 
am 13. Februar bei Kaiisch das nunmehr vereinzelte Korps 
Reynier, das sich, arg zugerichtet, nach Glogau flüchtete. 

Ihr Vorrücken drückte aber wieder auf ihre Verhandlungen 
mit Preußen und mußte sie zu einem Abschluß bringen. 
Friedrich Wilhelm III. war durch die exklusiv österreichische 
Politik, die Metternich verfolgte, empfindlich berührt. Er war 
noch immer derselbe, als den wir ihn in den Krisen von 
1809 und 1811 kennen lernten; auch jetzt noch lebte er der 
(nicht eben grundlosen) Überzeugung, daß Napoleon nur durch 
ein Zusammengehen von Rußland, Preußen und Österreich 
zu besiegen sei, und nicht ohne Widerstreben entschloß er sich 



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Friedrich Williolm verläßt Berlin. 



167 



deshalb zu Separatunterhandlungen mit Alexander. Aber er 
entschloß sich dazu. Er hatte wohl Yorck desavouiert, ihn in 
einer öffentlichen Kundgebung als seiner Stelle entsetzt und 
dem Kriegsgericht verfallen erklärt — dann aber doch nichts 
davon ausgeführt, sondern vielmehr insgeheim durch den- 
selben Boten, der dem General seine Absetzung ankündigen 
sollte, dem Zaren ein Bündnis in Aussicht stellen lassen, wenn 
er ihn durch rasches Vorrücken an die Weichsel gegen Napo- 
leon schützen und seine polnischen Pläne einschränken, d. h. 
ihm Danzig und den ehemals preußischen Teil des Herzogtums 
Warschau überlassen wolle. Als Alexander hierauf beruhigend 
antwortete — er hatte freilich kurz vorher jenen Brief an 
Czartoryski geschrieben ! — begab sich der König von Potsdam 
nach Breslau, um aus der Nähe der Franzosen, die Berlin be- 
setzt hielten, fortzukommen (22. Januar 1813). Dem Fran- 
zosenkaiser hatte man vorsichtig bereits durch Hatzfeld von 
der Absicht des Hofes, nach Schlesien zu gehen, Nachricht 
gegeben; natürlich sollte es nur geschehen, um den heran- 
rückenden Russen auszuweichen oder, wie Hardenberg in seinem 
Tagebuch die Ausrede stilisiert: „um nicht zwischen Russen 
und Franzosen kompromittiert zu sein". Auch hatte Hatz- 
feld darauf vorzubereiten, daß man in Verhandlungen mit 
Rußland die Neutralität jenes Teiles von Schlesien zu er- 
reichen hoffe, der im Bündnisvertrag mit Frankreich als für 
fremde Truppen unpassierbar erklärt worden war, „was ganz 
und gar den Willensmeinungen des Kaisers Napoleon ent- 
sprechen dürfte".*) Es entsprach ihnen natürlich ganz und 
gar nicht; aber ehe noch der mißbilligende Bescheid eingelangt 
war, hatte man, dem französischen Machtbereich entronnen, 
den diplomatischen Verkehr mit Rußland bereits eingeleitet. 
Dabei hielt man Napoleon immer noch den Weg offen, sich 
durch Bezahlung einer infolge der letzten großen Armeeliefe- 
rungen aufgelaufenen Schuld von 90 Millionen Franken oder 
durch feste Territorialversprechungen die Verbindung mit 
Preußen zu sichern. Napoleon tat aber weder dies noch jenes; 

*) Siehe den Brief des Königs an Hatzfeld vom 8. Jänner 1813 
bei Oncken, Die Sendung des Fürsten Hatzfeld nach Paris, Deutsche 
Revue, 1899. II. 49. 



168 



Preußen mobilisiert. 



er begnügte sich, dem preußischen Gesandten ganz obenhin 
von Teilen des Herzogtums Warschau und des Königreichs 
Westfalen zu sprechen, ohne sich im Geringsten zu binden, wies 
den Schuldanspruch an seinen Minister, der weiter kein Wort 
darüber verlor, und versicherte, Requisitionen in Preußen ver- 
boten zu haben, während er zu derselben Zeit Eugen und die 
Kommandanten der Oderfestungen dazu geradezu aufforderte. 
Natürlich erleichterte er Alexander damit seine Werbung. An 
dem Tage, da der betreffende Bericht des Gesandten aus Paris 
in Breslau eintraf, bewog Hardenberg, der bereits für Rußland 
gestimmt war, den König, eine Rüstungskommission ein- 
zusetzen, zu der Scharnhorst beigezogen wurde (28. Januar). 
Am 12. Februar wurden dann die Linientruppen In Schlesien 
und Pommern mobil gemacht, um gegen einen möglichen 
Überfall durch die Franzosen, etwa von Berlin her, wo eine 
Division unter Grenier stationierte, gesichert zu sein, und 
Knesebeck, den man von Wien abberufen hatte, ward zu 
Alexander gesandt, um über einen Bundesvertrag zu unter- 
handeln. Freilich war des Königs Absicht dabei zunächst nur, 
durch den Rückhalt an Rußland gesichert, Napoleon einen 
Waffenstillstand vorzuschlagen, der die französischen Truppen 
links von der Elbe, die russischen rechts von der Weichsel 
halten und die Einleitung zu einem Frieden, etwa auf der 
Basis von Lüneville oder Amiens, bilden sollte. Einen Ver- 
nichtungskrieg gegen Napoleon zu führen, war vorerst durchaus 
nicht sein Wille. 

Das war aber der Wille seines Volkes. Und wenn dieses 
auch im Jahre 1809 noch nicht stark genug gewesen war, den 
König mit sich fortzureißen, jetzt sollte es gelingen. In Denk- 
schriften, Petitionen und Adressen, in Zuschriften ergebener 
Generale ward es dem Monarchen nahe gelegt, daß jeder Preuße 
den Krieg gegen Frankreich, dessen Druck man so tief und 
schmerzlich empfunden habe, als einen heiligen ansehe. Und 
wie ernst es der Bevölkerung damit war, sah man, als die 
Rüstungskommission am 3. Februar die Wohlhabenden und 
Intelligenten aufforderte, als freiwillige Jäger ins Heer ein- 
zutreten, und einige Tage nachher für das Alter vom 17. bis 
zum 24. Jahre jede Ausnahme von der Dienstpflicht aufhob 



Territoriale Politik und nationaler Enthusiasmus. 



und damit für die Dauer des Krieges allgemeine Wehrpflicht 
verkündete. Da zogen sie in hellen Scharen herbei, von Be- 
geisterung und Kampfeslust durchglüht, und griffen gierig 
nach den Waffen, die man ihnen reichte, während Andre, die 
nicht mitfochten, fast ihre letzte Habe opferten, nur um die 
Franzosen zu bekämpfen — gewiß zu keinem anderen Zweck, 
der König mochte beschließen was er wollte. Es war ein revo- 
lutionärer Drang im preußischen Volke, wie damals, als vor 
vier Jahren Friedrich Wilhelm zauderte, nur noch stärker.*) 
Dazu kam, daß man sich nicht bloß als Preußen, sondern vor- 
aus als Deutsche fühlte und sich, wie die Österreicher im Jahre 
1809, als „Nation konstituierte", während der König und seine 
nächsten Vertrauten — Ancillon, Knesebeck u. A. — auf dem 
Boden des territorialen Partikularismus verharrten. Diese 
deutschnationale Bewegung im Volke kam aber dem Zaren in- 
sofern zu statten, als sie auf den Besitz polnischen Landes 
unendlich viel weniger Gewicht legte als die Berliner Re- 
gierungspolitik, und Alexander brauchte sie nur wirksam zu 
unterstützen, um für seine heimlichen Pläne auf Warschau 
Raum zu bekommen. Er hatte deshalb Stein mit Vollmacht 
nach Königsberg gesandt, damit er dort die Landstände ein- 
berufe und sie zu Geldgaben und Rüstungen vermöge, den- 
selben Stein, der als das Haupt der nationalen Partei galt, die 
über die Grenzen der deutschen Staaten hinweg nur ein einiges 
Deutschland erblickte. „Ich habe nur ein Vaterland," hatte er 
im Dezember 1812 geschrieben, „das heißt Deutschland; mir 
sind die Dynastien in diesem Augenblicke großer Entwicklung 



*) Siehe Band II. S. 282. Man vergleiche mit den dort zitierten 
Worten des preußischen Ministers die des englischen Agenten Omp- 
teda in einem Schreiben vom 20. Februar 1813: „Der König, der das 
Unglück hat, nicht an die Kräfte des patriotischen Eifers zu glauben, 
ist nicht mehr imstande, des Enthusiasmus Herr zu werden, der sich 
aller Geister bemächtigt und in wahrhaft ehrenwerter Weise zutage 
tritt. Weigert sich der König, die ihm von seinen Untertanen dar- 
gebotenen Mittel im Sinne der Nation zu gehrauchen, oder zaudert er 
auch nur, sich den Bemühungen Rußlands um die Wiederherstellung 
der preußischen Monarchie anzuschließen, so halte ich die Revolution 
für unausbleiblich und die Armee dürfte das Signal geben." (Ompteda, 
Nachlaß, III. 25.) 



170 Russisch-preußischer Allianzvertrag. 

vollkommen gleichgültig." In Königsberg erreichte er seinen 
Zweck vollauf. Der Landtag genehmigte mit Freuden Yorcks 
Forderungen in betreif der Komplettierung seines Korps und 
ein von Clausewitz entworfenes Landwehrgesetz, im ganzen die 
Stellung von ungefähr 40.000 Mann, und öffnete die ost- 
preußischen Seehäfen — alles ganz unabhängig vom Hofe und 
so, als ob der König dieses Landes bereits endgültig die rus- 
sische Partei ergriffen hätte. 

Das war aber doch noch lange nicht der Fall. Vielmehr 
gerieten die Unterhandlungen zwischen Knesebeck und 
Alexander in Kaiisch ins Stocken, weil der Preuße, hartnäckiger 
als seine Instruktion es vorschrieb, die Rückgabe der früheren 
Besitzungen Preußens in Polen vertrat, wovon der Zar nichts 
wissen wollte. Erst als Dieser, auf den Vorschlag Steins, über 
den unbequemen Unterhändler hinweg in Breslau selbst einen 
Vertrag vorlegen ließ, kam es dort unter dem Eindruck der 
immer wachsenden Bewegung in Volk und Armee am 
27. Februar zum Abschluß. Am nächsten Tage wurde das Ab- 
kommen auch in Kaiisch unterzeichnet. Man verbündete sich 
zu Schutz und Trutz zum Zweck der Befreiung Europas und 
zunächst der Restauration Preußens in seiner Macht vor 1806. 
Dazu wird der Zar 150.000, der König 80.000 Mann, wenn 
möglich auch mehr stellen. Rußland garantiert seinem Alliierten 
den Besitz Altpreußens, Friedrich Wilhelm gibt seine ehemalige 
polnische Provinz (Herzogtum Warschau) auf und begnügt sich 
mit einem Landstrich, der Ostpreußen mit Schlesien verbindet. 
Beide Mächte werden dahin trachten, Österreich für ihre Sache 
zu gewinnen, und Rußland wird Preußens Bemühungen um 
englische Subsidien unterstützen. Zur Herstellung der alten 
Macht des Hohenzollernstaates bestimmt ein geheimer Artikel 
Eroberungen in Norddeutschland — Hannover um Eng- 
lands willen ausgenommen — und zwar solche, die das Gebiet 
der preußischen Krone zugleich abrunden sollen. Im Artikel III 
verpflichtete sich der König, seine Streitkräfte durch das Auf- 
gebot einer Landwehr zu vermehren, und am 17. März 1813 er- 
schien das entsprechende Edikt, begleitet von einem markigen 
Aufruf „An mein Volk" zum Befreiungskrieg von dem so 
lange erduldeten Druck fremder Willkür. An demselben Tage 



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Preußen erklärt den Krieg an Frankreich. 171 

■ 

kündigte Hardenberg dem französischen Gesandten Saint- 
Marsan die Allianz, und am 27. überreichte Krusemarck in 
Paris dem Minister Maret Preußens Kriegserklärung. 

So hatte in Breslau die Nationalpartei über die Territorial- 
partei den Sieg davongetragen, und bald kam die nationale 
Tendenz der russisch-preußischen Verbindung in einem zweiten 
Übereinkommen vom 19. März 1813 zum Ausdruck. In einer 
Proklamation an alle Deutschen des Rheinbundes wollte man 
die Befreiung Deutschlands vom herrschenden Einfluß Frank- 
reichs als Zweck hinstellen, zu dem Alle mitzuwirken hätten; 
jeder Fürst, der nicht innerhalb einer bestimmten Frist dem 
Aufruf entsprochen haben würde, sollte mit dem Verluste seiner 
Staaten bedroht werden. Wenig Tage darauf ward der ver- 
einbarte Aufruf Kutusows, des Befehlshabers der alliierten 
Armeen, „An die Deutschen" veröffentlicht, worin im Namen 
der beiden Monarchen die Drohung gegen jene Fürsten noch 
deutlicher ausgedrückt war, „welche der deutschen Sache ab- 
trünnig sein und bleiben wollen"; sie seien „reif zur Ver- 
nichtung durch die Kraft der öffentlichen Meinung und durch 
die Macht gerechter Waffen". In einem dritten Abkommen vom 
4. April einigte man sich über eine Zentral verwaltungs- 
koramission von vier Bevollmächtigten Preußens und Ruß- 
lands. Stein war, von russischer Seite, dabei und bald die 
leitende Kraft der neuen Behörde, die in den besetzten Ge- 
bieten Norddeutschlands, mit Ausnahme der hannoverischen 
und ehedem preußischen Provinzen, die Administration aus- 
zuüben, zu requirieren, eine Landwehr auszuheben hatte.*) 
Dabei war es vor allem auf Sachsen abgesehen, wohin sich der 
Vizekönig von der Oder weg über Berlin begeben hatte, um 
es aber noch im März, auf besonderen Befehl Napoleons, vor 
den Russen zu räumen und eine feste Stellung bei Magdeburg 
zu beziehen. Alesander hatte sich, um von Warschau abzu- 
lenken, zu Knesebeck, wie schon früher zu Boyen, geäußert, 
zu Preußens Vergrößerung wäre eben Sachsen, anstatt des pol- 
nischen Gebietes, besonders geeignet, was auf Friedrich Wilhelm 



*) Siehe die Breslau-Kalischer Verträge bei Martens VII. 62 ff. 
und darüber Lehmann, Stein III. 264 ff. 



172 Sachsen will neutral bleiben. 

genug Eindruck machte, um auf die warschauische Provinz 
weniger Gewicht als bisher zu legen. König Friedrich August 
war vor den heranrückenden Kosaken mit zwei Reiterregi- 
mentern fort nach Plauen und dann nach Regensburg gezogen, 
und sein Minister Senfft meinte den Staat am besten aus der 
Affaire ziehen zu können, wenn er die sächsischen Truppen in 
Torgau sowohl den Franzosen als den Verbündeten vorenthielt 
und heimlich ein Bündnis mit Österreich verabredete, das die 
Integrität des „crbländischen" Besitzes und für Warschau, 
wenn es abgetreten werden mußte, eine Entschädigung zu- 
gestand, wogegen Sachsen mit 30.000 Mann die Friedenswer- 
bung des Kaisers Franz unterstützen wollte (20. April 1813). 
Die Alliierten mochten nun einen Aufstand des sächsischen 
Volkes, oder doch des Militärs, und dessen Vereinigung mit 
Preußen erhofft haben; doch eine solche Bewegung blieb aus, 
wenn man auch in Dresden, erbittert über die von dem reti- 
rierenden Davout angeordnete Sprengung der steinernen 
Brücke, den beiden Monarchen zujubelte, als sie am 23. April 
in die Stadt einzogen. 

Scheiterte hier noch der Appell an das Nationalgefühl, 
so kam es dafür an anderen Orten zu Erhebungen, die schon 
der Nähe der Franzosen wegen ohne nachhaltige Wirkung 
bleiben mußten: in Hamburg, wo Mitte März ein Kosaken- 
streifkorps erschien und mit Begeisterung empfangen wurde, 
in Oldenburg und an den Strandorten, wo übereilte Gewalttat 
gegen französische Zöllner und Gendarmen später zu argen 
Repressalien führte, als die Russen wieder umkehren mußten 
und eine französische Mobilkolonne an ihrer Stelle erschien. 
Hätte der Preußenkönig rascher als er es tat, etwa zwei Monate 
früher, da alle Welt unter dem frischen Eindruck der Kata- 
strophe des großen Heeres stand und Napoleon noch kein 
zweites zur Hand hatte, das System gewechselt und die natio- 
nale Partei ergriffen, er hätte damit unter den westdeutschen 
Völkerschaften reichen Anhang gewinnen und der Aufruf 
an die Nation allenthalben ein Echo finden können.*) So aber 

*) Am 29. Jänner noch sagte Fürst Hatzfeld in Paris zu Napoleon: 
„Alles ist vorbereitet nnd organisiert; Deutschland kommt mir vor 
wie ein zum Anzünden fertiges Feuerwerk, das ein einziger Funke in 



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England und Schweden. 173 

hatte man viel Zeit an die fruchtlose Verhandlung mit Öster- 
reich verloren und auch später noch gesäumt, his Napoleon 
eine neue Armee aus der Erde gestampft und seine Vasallen 
jenseits des Rheins aufs neue an sich gefesselt hatte. Da war 
dann jene Wirkung nicht mehr zu erzielen. Die Verbündeten 
waren, wenn sie siegen wollten, nur an sich selbst und allenfalls 
an die Geldhilfe auswärtiger Mächte gewiesen. 

Der Breslauer Vertrag vom 27. Februar sollte außer Öster- 
reich auch England und Schweden mitgeteilt werden. Diese 
beiden Staaten wurden nun durch Rußland, das seit einem 
Jahre mit ihnen verbündet war, in ein näheres Verhältnis zu- 
einander gebracht: England garantierte dem Kronprinzen 
Karl Johann die künftige Erwerbung Norwegens und versprach 
ihm sogar die Insel Guadeloupe und entsprechende Subsidien, 
wenn er mit 30.000 Mann in den Festlandskrieg gegen Frank- 
reich eintreten wollte. Napoleon, der dergleichen vorausgesehen 
haben mochte, hatte Ende Februar 1813 durch einen geheimen 
Boten noch einen Versuch gemacht, sich Bernadotte zu ver* 
söhnen. Da er aber wieder nicht Norwegen, sondern nur 
Pommern und unbestimmte Ländereien zwischen Elbe und Oder 
— die bekannte Teilung Preußens — anbot, scheiterte auch 
jetzt die Unterhandlung. Am 3. März wurde der schwedisch- 
britische Vertrag abgeschlossen, und am 23. schickte der Kron- 
prinz einen groben Absagebrief an seinen früheren Souverän. 
Diesem blieb Dänemark dafür treu. Notgedrungen. Fried- 
rich VI. hätte sich Rußland und England angeschlossen, wenn 
die Verhandlungen mit diesen Mächten etwas anderes für ihn 
ergeben hätten als die sichere Aussicht auf den Verlust Nor- 
wegens ohne jede Entschädigung. Natürlich trat nun auch 
Preußen, das bisher im Kriege mit England gestanden hatte, zu 
dieser letzteren Macht in ein Verhältnis, das für Friedrich 
Wilhelm III. späterhin, gegen dessen Verzicht auf Hannover, 
Hildesheim, Ostfriesland und ein Stück von Münster, Subsidien 
ergab. Um diesen Monarchen gewiß beim Kriege und damit 
Rußland bei der Offensive festzuhalten, verzichtete man in 

Brand stecken kann; wenn Preußen sich rührt, wenn es den Pfad der 
Volkserhebung beschreitet, so folgt ihm das Ganze nach." Der Kaiser 
fiel ihm bei. (Oncken, a. a. O. S. 347 ff.) 



174 Metternichs Friedens Werbung in London scheitert. 

London auf das Projekt, zwischen Scheide und Elbe ein wel- 
fißches „Königreich Austrasicn" zu gründen, wie man vorgehabt 
hatte. Der Plan Pitts wurde wieder lebendig : im Kampfe gegen 
die französische Übermacht das Gleichgewicht der Staaten her- 
zustellen und mit ihm dem britischen Export die alten abhan- 
gigen Märkte wiederzugewinnen. Man holte die alte Karte 
Europas wieder hervor, die er aufzurollen befohlen hatte, denn 
sie sollte aufs Neue zur Geltung kommen. 

Das war nun gewiß nicht mehr die Stimmung, die Met- 
ternich an der Themse voraussetzte, als er dort durch 
Wessenberg seine guten Dienste für einen allgemeinen Frieden 
anbieten ließ, worin England Napoleon durch überseeische 
Abtretungen dazu bringen sollte, sich auf dem Kontinent ein- 
zuschränken und Ruhe zu halten. Das Londoner Kabinett 
ging hierauf jetzt nicht mehr ein. Die Stelle in Napoleons 
Thronrede, daß nirgends der Besitzstand des Empire in Frage 
gestellt werden dürfe, verbürge allein schon die Aussichts- 
losigkeit des Schrittes, sagte man. Es war wie vor Jahresfrist, 
und die Mission des Wiener Diplomaten scheiterte. Sie 
scheiterte nicht zum wenigsten an der öffentlichen Stimmung 
des britischen Volkes, die es gewaltig übelnahm, daß in Wien 
ein Komplott zur Insurrektion Tirols und der anderen der 
Monarchie entfremdeten Alpenländer, an deren Spitze Erz- 
herzog Johann als „König von Ehätien" treten sollte, und für 
das der britische Agent King bereits einiges Geld ausgegeben 
hatte, unterdrückt wurde. So offen äußerte sich die Abneigung 
gegen Metternichs hinzögernde Politik, daß der Prinzregent 
dessen Abgesandten gar nicht öffentlich zu empfangen wagte. 
So wie sich aber England den Friedensmahnungen Österreichs 
versagte, so verschloß man sich in Wien dem Drängen Rußlands 
und ging über jenen Waffenstillstand aus dem Januar zunächst 
nicht hinaus. Und man glaubte für seine Zurückhaltung guten 
Grund zu haben. Staatsrat Anstett, der ihn mit Schwarzenberg 
verhandelt hatte, hatte damals versichert, sein Herr denke 
weder an einen Wechsel in der mit Österreich verwandten 
Dynastie Frankreichs, noch daran, Polen zu restaurieren. 
Und nun hatte man, just nachdem die Waffenruhe abgeschlossen 
war. Kenntnis von jenem Briefwechsel zwischen Alexander und 



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Eine „Nuance". 



Czartoryski erlangt, der den Plan des Zaren enthüllte, Polen 
bei günstiger Gelegenheit in seinen alten Grenzen wiederherzu- 
stellen und mit dem Russenreich unter seinem Zepter zu ver- 
einigen. Was Wunder, daß man, aus Sorge für Galizien, das 
dadurch gefährdet erschien, und jeden neuen Maehtzuwachs 
Rußlands fürchtend, sich scheute, einen solchen durch seine 
Kräfte zu fördern?*) Nun erfuhr man auch noch, daß Ende 
März Czartoryski in Kaiisch aufgetaucht und von da nach 
Warschau gereist war. Da beantwortete man denn die kriege- 
rischen Mahnungen Alexanders mit nichtssagenden Redens- 
arten und schloß sich ihm nicht an. 

Diese Momente wirkten dann wieder auf die Haltung 
Napoleon gegenüber zurück. Wenn Österreich seine Friedens- 
stifterrolle festhalten wollte — und das wollte es schon der 
eigenen Unabhängigkeit wegen und um von der französischen 
Allianz loszukommen — so mußte man jetzt, nachdem man in 
England kein Gehör gefunden hatte, dem Franzosenkaiser Ein- 
schränkungen nahelegen, ohne ihn zunächst dafür entschädigen 
zu können. Es war kaum anzunehmen, daß er darauf einging. 
Denn daß er nicht vor der bloßen kriegerischen Attitüde Ruß- 
lands und Preußens klein beigeben würde, wußte Metternich 
nur zu gut. Vielleicht aber erwies er sich Vorschlägen seines 
Verbündeten zugänglicher, wenn dieser selbst bestimmter auf- 
trat. Und das durfte man jetzt, wo die Gefahr, der man in Öster- 
reich bisher so sorgsam ausgewichen war, d. i. den Gefürchteten 
isoliert auf sich zu ziehen, in weitere Ferne rückte, während 
der nahe Kampf die Kräfte der Mächte band, deren Übergewicht 
— Rußlands und Frankreichs in Europa, Preußens in Nord- 
deutschland — man in gleichem Maße perhorreszierte. Kurz, 
man sah in Wien ein, daß man das System um eine „Nuance" 
ändern, die Haltung des unbewaffneten Intervenienten mit der 
des bewaffneten Vermittlers vertauschen müsse, wenn man 
weiterhin seinen Propositionen den gehörigen Nachdruck geben 

*) Seit dem Jahre 1818, schrieb später einmal Metternich an 
Hardenberg, sei es seine vernehmlichste Sorge gewesen, es könnte ihm 
nicht gelingen zu verhindern, daß eine ungeheure Machtvergrößerung 
Rußlands das notwendige Ergebnis der Zertrümmerung des französischen 
Kolosses würde. (Bailleu, Art. „Metternich" in der Allg. d. Biographie.) 



176 



Österreichs bewaffnete Mediation. 



wolle. Um darin stark zu sein, knüpfte Metternich jenes Band 
mit Sachsen, versuchte er, Murat, der, von Napoleons Ungnade 
bedroht, sich ihm näherte, Bayern, ja man sagte sogar — was 
unrichtig ist — Jerome für seine Partei der neutralen Media- 
tion zu gewinnen. Diese Wandlung vollzog sich, nachdem Na- 
poleon durch einen neuen Gesandten an Stelle Ottos, den 
Grafen Narbonne, in Wien aufs neue die Teilung Preußens 
und den Gewinn Schlesiens hatte anbieten lassen, wenn sein 
Schwiegervater mit 100.000 Mann an seiner Seite weiter 
kämpfen wollte. Metternich lehnte ab, indem er sich auf einen 
Satz in der von dem Botschafter überreichten Note stützte, 
der die Donaumacht aufforderte, eine schärfer ausgeprägte 
Haltung anzunehmen und, wenn es nicht zu den von ihr ge- 
forderten Unterhandlungen kommen sollte, als Hauptmacht 
(partie principale) in den Kampf einzutreten.*) Damit, meinte 
der Minister, räume Napoleon selbst Österreich eine andere 
Rolle als die einer bloßen Hilfsmacht ein, wie sie der Vertrag 
von 1812 ihm zugewiesen, und spreche einer bewaffneten 
Vermittlung das Wort, die er sich bisher verbeten hatte. Man 
gab sich, als wäre man durch ihn gleichsam zur Unabhängig- 
keit autorisiert, denn man könne doch nicht, meinte Franz I. 
in einem Brief an seinen Schwiegersohn, „in erster und zweiter 
Linie zugleich stehen".**) So erklärte man sich denn am 
11. April nach der einen und der anderen Seite als bewaffneter 
Vermittler und kam damit auch in etwas der Stimmung in den 
maßgebendsten Zirkeln der Hauptstadt entgegen, die sich an 
dem kriegerischen Entschluß Preußens erwärmt hatte und 
gegen den Minister drohend Front machte; sie ließ sich nicht 
mehr übersehen, selbst wenn man es gewollt hätte. Und als 
dann Narbonne verlangte, es solle wenigstens das Hilfskorps 
den im Januar mit Rußland geschlossenen Waffenstillstand 

_ — — — — * 

*) Die französische Verbalnote vom 7. April 1813 bei Luck- 
waldt, S. 377 ff. 

**) Natürlich war das nur eines der diplomatischen Auskunfts- 
mittel, die Metternich mit großem Geschick handhabte. Im Januar 
erst hatte er zu Humboldt, dem Vertreter Preußens, gesagt, ein Staat 
könne ganz gut neutral bleiben und dennoch einer der kriegführenden 
Mächte ein Hilfskorps stellen. (Gebhardt, W. v. Humboldt als Staats- 
mann, I. 412.) 



Napoleon soll „vernünftig" werden. 177 

kündigen, antwortete Metternich nur, die Russen selbst hätten 
ihn bereits gekündigt, verschwieg aber weislich, daß dies auf 
Österreichs Wunsch und nach Abschluß einer geheimen Kon- 
vention vom 29. März geschehen sei, wonach sich das Korps 
vor überlegenen Kräften völlig nach Galizien und von da nach 
Böhmen ziehen konnte, wo ein neues Heer zu Zwecken der 
Meditation des Kontincntalfriedens gerüstet wurde. Ob es in 
Aktion trat? Das hing davon ab, ob Napoleon „vernünftig" 
wurde, wie Franz I. es Narbonne gegenüber nannte, d. h. ob 
er auf sein drückendes Übergewicht in Europa verzichtete. 
Die Lage war, wie sie Talleyrand in Paris dem Fürsten Schwar- 
zenberg, der dorthin geschickt worden war, um Napoleon zu 
sondieren, mit den Worten zeichnete: ,,Der Augenblick ist da, 
wo der Kaiser Napoleon König von Frankreich werden muß." 
Der scharfsichtige Mann wußte genau, daß er damit einen 
unlösbaren Widerspruch ausdrückte. 



Es war ursprünglich Napoleons Absicht gewesen, erst im 
Mai die Offensive zu ergreifen. Noch Mitte März spricht er in 
Briefen an Eugen davon, und daß er nicht bloß mit der von 
Diesem befehligten Elb- Armee, sondern auch mit einer zweiten, 
in Mainz und Würzburg gesammelten Main-Armee im Norden 
Magdeburgs die Elbe überschreiten und in Gewaltmärschen 
über Stettin nach Danzig rücken wolle, wo Rapp mit etwa 
30.000 Mann, darunter die ehedem Macdonaldschen Truppen, 
des Entsatzes harrte. Er meinte für diese Bewegung bis zu 
jener Zeit 300.000 Mann zur Verfügung zu haben, um sich in 
den Besitz der unteren Weichsel zu setzen. Dann mußten die 
Russen zurück, Preußen fiel in seine Hände, und wir sahen 
bereits, wie er in seinen Anerbietungen den Staat der Hohen- 
zollern aufteilte. Es war eine große Konzeption, wenn auch 
noch lange kein Kriegsplan. Bald — nach ein paar Wochen 
schon — ward sie fallengelassen. Die Allianz der nordischen 
Mächte mit ihren insurrektionellen Tendenzen, der drohende 
Verlust Sachsens, namentlich aber Österreichs immer deut- 
licher zutage tretende Unverläßlichkeit änderten das Vorhaben. 
Napoleon kam zu der Überzeugung, daß er je eher je besser 

Fournier, Napoleon I . 12 



178 



Der Kaiser bei der Armee. 



das Gewebe der Diplomatie mit seines Schwertes Schärfe zer- 
schneiden müsse, um die Schwankenden durch das Machtwort 
des Siegers und das Gut des Besiegten wieder an seine Seite 
zu bringen. Darum entschloß er sich, den Krieg früher als 
er vorhatte zu beginnen. Am 15. April 1813 verließ er St. Cloud 
und war zwei Tage später in Mainz. 

Was er hier und bald darauf in Erfurt, wo er sein Haupt- 
quartier aufschlug, von den Zurüstungen zu sehen bekam 
und was er an Truppen Revue passieren ließ, konnte ihn nicht 
eben mit großer Zuversicht erfüllen. Zwölf Armeekorps sollte 
— außer der Garde — sein neues Heer umfassen. Davon 
waren aber vorerst nur sieben zu seiner Verfügung, und von 
diesen stand das erste unter Davout im Hannoverschen, um 
die untere Elbe zu dominieren, und kam für die Offensive 
nicht in Betracht. Zwei andere mit einem Kavalleriekorps, 
einer Gardeabteilung und zwei selbständigen Divisionen 
(60.000 Mann) hatte Eugen an der unteren Saale versammelt, 
von wo er 48.000 Mann Napoleon nach Merseburg entgegen- 
führen wird, der mit der Main-Armee (etwa 105.000 Mann) 
von Erfurt nach Weißenfels herankommt; ein italienisches 
Korps mit der württembergischen Division (27.000 Mann) ist 
unter Bertrand über Nürnberg und Koburg nach Jena und 
Kamberg im Anmarsch.*) Es waren demnach nur kaum 200.000 
statt der 300.000 Krieger, mit denen er noch vor einem Monat 
gerechnet hatte, und da der Feldzug früher als ursprünglich 
vorgesehen war begann, ließ auch deren Ausrüstung viel zu 
wünschen übrig. Vor allem fehlte es an Kavallerie. Die ganze 
Armee — das Korps Davouts abgerechnet — hatte nicht 



*) Eingehende Forschungen über die französische Armee des Jahres 
1813 hat Osten-Sacken in den „Jahrbüchern für die deutsche Armee 
und Marine", 1888, dann jüngst mit einzelnen Richtigstellungen nach 
neuen Quellen in seinem Werke „Militärisch-politische Geschichte des 
Befreiungskrieges von 1818", II (1904), p. 206, mitgeteilt. Dazu ver- 
gleiche man in Lanrezac, La manoeuvre de Lützen (1904), p. 116, 
den Stand am 25. April nach den Tabellen im Pariser Kriegsarchiv, 
die allerdings mitunter zu hohe Ziffern aufweisen. Auch die Angaben 
bei Thiers sind zu hoch, die Camille Roussets dagegen zu niedrig 
gegriffon. Die Ziffern in den älteren deutschen Quellenschriften von 
Clausewitz, Odelcben, Müffling u. a. sind sämtlich irrig. 



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Mängel des neuen Heeres. 179 

mehr als 10.000 Reiter, mit denen gespart werden mußte. 
Ein Teil der Infanterie hatte die Wallen zu spät bekommen 
und sich erst auf dem Marsche einüben können. Die besten Ge- 
schütze waren in Kußland verloren gegangen oder standen 
jenseits der Pyrenäen; man mußte die zurückgestellten älteren 
schwerbeweglichen Kanonen hervorholen. Überdies war die 
Bespannung unzureichend und die Korps hatten nur die Hälfte 
ihrer Artilleriercserve erhalten. Aber auch sonst fehlte es 
allerorten: voraus an Offizieren, und soviel man deren auch 
aus Spanien Ijeranzog, sie genügten nicht. Insbesondere 
schlecht bestellt war es um den Generalstab. Die Korps von 
Marmont und Oudinot hatten gar keinen. Dazu Mangel an 
Sanitätspersonal und eine elende Administration. So war es 
zum großen Teil ein ungenügend gerüstetes Rekrutenheer, das 
jetzt den Riesenkampf um die Weltherrschaft erneuern sollte. 
Welcher Unterschied gegen das Vorjahr! Napoleon fühlte 
wohl, daß er das volle Gewicht seiner genialen Persönlichkeit 
hinzulegen mußte, wenn er siegen wollte. „Ich werde", sagte er, 
„diesen Krieg als General Bonaparte und nicht als Kaiser 
führen."*) 

Einen Vorteil hatte er übrigens außerdem noch auf seiner 
Seite: er war den Gegnern an Zahl der Truppen doch weit 
überlegen. Der frühe Losbruch traf die Alliierten erst mitten 
in ihren Rüstungen. Erst Ende Mai, schrieb Scharnhorst am 
2. April, werde die preußische Armee etwas leisten können, 
vorher habe man viel vom Glück zu erwarten. Von den Russen 
war nach den Einbußen des letzten Feldzugs und nach der 
Einschließung der von Franzosen noch immer besetzten 

*) Lanrezac, p. 24 ff., verficht die These, es habe sich bei den 
Truppen des Jahres 1813 nicht nur um blutjunges, völlig- ungeübtes 
Volk, sondern der Mehrzahl nach um bereits ausgebildete Mannschaft 
gehandelt, da die 105.000 Mann, die man den früheren Jahrgängen 
entnahm, über zwanzig Jahre alt waren und „mindestens ein Jahr ge- 
dient hatten." Die letztere Behauptung wäre allerdings erst zu be- 
weisen. Richtig ist nur, daß die jungen Leute vom Jahrgang 18 LS 
bereits im Dezember 1812 eingerückt waren und bis April nicht ohne 
Exerzitien geblieben sein werden. Über den allzu jugendlichen Ein- 
druck, den die meisten Truppen auf Augenzeugen machten, gibt es 
viele, nicht gut anfechtbare Mitteilungen. 

12* 



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180 Napoleons Offensivplan vereitelt. 

Festungen an der Weichsel und an der Oder nur wenig für 
den offenen Kampf übriggeblieben, kaum über 50.000 Mann, 
die mit den Preußen noch nicht 100.000 (87.000 und 
9000 Kosaken) ausmachten und in drei Armeen unter Wittgen- 
stein, Blücher und Tormassow (statt des erkrankten Kutusow, 
der noch Ende April starb) eingeteilt waren. Nur Kavallerie 
hatten die Alliierten mehr als das Doppelte, ein Vorzug, der auf 
den Gang der Kriegsereignisse nicht ohne Einfluß sein sollte. 
Als jetzt Napoleon auf Leipzig vorrückte, vereinigten sich diese 
Heeresteile zwischen der Elster und Pleiße, und Wittgenstein, 
dem der Oberbefehl übertragen worden war, beschloß, am 
2. Mai von Pegau aus in die rechte Flanke des von Weißen- 
fels heranmarschierenden Gegners vorzustoßen. 

Einer solchen raschen Offensive versah sich der Fran- 
zosenkaiser keineswegs, wenn er auch am 1. Mai von der Kon- 
zentration der Feinde bei Zwenkau und Pegau Kunde erhalten 
hatte. Er hatte das Neysche Korps mit fünf Divisionen von 
Lützen südwärts gegen Kaja und Groß-Görschen hin zur 
Deckung aufgestellt und Marmont befohlen, sich mit dem 
sechsten Korps von Kippach aus geradewegs gegen Pegau zu 
wenden. So seiner Flanke versichert, dachte er noch Zeit 
genug übrig zu haben, um sich Leipzigs zu bemächtigen und 
von dorther auf des Gegners rechten Flügel zu fallen. Doch 
die Verbündeten kamen ihm zuvor. Er war eben am Morgen 
des 2. Mai von Lützen weg, wo seine Garden standen, gegen 
Leipzig geritten, wo eine feindliche Abteilung unter Kleist 
seinem Vortrab Widerstand leistete, als ihn plötzlich heftiger 
Kanonendonner im Rücken belehrte, daß Neys Divisionen von 
überlegenen Kräften attackiert wurden. Sofort entschloß er 
sich, die im Marsch begriffenen Truppen halten, Eugen mit 
zwei Korps von Makranstädt südwärts gegen des Feindes 
rechten Flügel, Marmont zur Rechten Neys operieren zu lassen 
und Diesen selbst durch die Garde als Reserve von Lützen 
her zu unterstützen. Mittlerweile konnte Bertrand rechts von 
Marmont des Feindes linken Flügel bedrohen, indes ein drittes 
Korps der Eugenschen Armee unter Lauriston sich mit einer 
Division Leipzigs bemächtigte und die anderen zur Unter- 
stützung bereit hielt. Das alles war im Flug erdacht und ange- 



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Die Schlacht bei Lützen. 



181 



ordnet worden. Es handelte sich nur darum, ob Neys Rekruten 
dem Angriff so lange Stand hielten, bis die anderen Truppen 
in die Schlachtlinie eintreten konnten. Und was man kaum zu 
hoffen gewagt, geschah. Die jungen, ungeübten, überdies 
schlecht verpflegten Mannschaften, die dem Rufe des Kaisers 
nur mißmutig und widerwillig gefolgt waren, schlugen sich 
jetzt mit der größten Hartnäckigkeit gegen die Bravour der 
Preußen und waren erst am Nachmittag, nach langen blutigen 
Kämpfen, aus den von ihnen besetzten Dörfern — Groß- und 
Klein-Görschen, Rahna und Kaja — vertrieben und in Unord- 
nung gebracht. Unterdessen hatte aber Marmont in das Ge- 
fecht eingreifen, Bertrand sich in seiner drohenden Haltung 
zeigen können, und als vollends Napoleon im Zentrum die 
Garde vorschickte, um Kaja und die anderen Ortschaften 
wieder zu erobern, und ein Korps des Vizekönigs unter Mac- 
donald die rechte Flanke des Feindes angriff und ihn zu über- 
flügeln Anstalt machte, da mußte Dieser der Übermacht weichen, 
und die Schlacht bei Lützen oder Groß-Görschen war von den 
Franzosen gewonnen. Napoleon hatte sich an diesem Tage 
mehr als je exponiert, um die neuen Truppen zu befeuern. 
Zum Lohn bekam er auch von den jüngsten seiner Soldaten, 
ja selbst von Verwundeten und Verstümmelten, das enthusia- 
stische Vive l'Empereur! seiner alten Krieger zu hören. 

Freilich, ein so vollkommener Sieg, wie er sich ihn mit 
der Umarmung des Feindes über Leipzig gedacht haben mochte, 
war nicht errungen, und es war auch nicht unbedingte Notwen- 
digkeit gewesen, daß die Verbündeten sofort des Nachts über 
die Elster und dann weiter bis an die Elbe zurückgingen. Sie 
hätten vielleicht trotz ihrer Minderzahl — sie hatten nur etwa 
70.000 Mann gegen etwa 120.000 Napoleons in der Schlacht 
gehabt — bei besserer Führung und wenn der Kampf, der um 
7 Uhr zu beginnen hatte, nicht erst um 11 Uhr eröffnet 
worden wäre, den großen Schlachtenkaiser besiegen können, 
namentlich, wenn der Zar, der gleich dem Preußenkönig beim 
Kampf anwesend war, nicht seine Garden geschont und 9000 
Mann des Korps Miloradowitsch aus reiner Etiketterücksicht 
unbeschäftigt gelassen hätte. Tatsache war, daß Napoleon 
größere Einbußen erlitten hatte als seine Gegner: 18.000 bis 



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182 Der König von Sachsen. 

20.000 Mann waren tot oder verwundet, und darunter sehr viel 
Offiziere, die er schwer entbehrte. Fast kein Gefangener, kein 
Geschütz war erbeutet worden. Der Mangel an Reiterei und 
die doch zu geringe Spannkraft der jungen Infanterie ließen 
eine wirksame Ausnutzung des Sieges nicht zu. Daß der ver- 
wundete Blücher noch in dunkler Nacht neun Schwadronen 
gegen die Franzosen in Rahna anreiten ließ, raubte diesen die 
Ruhe und machte sie am folgenden Morgen zur Verfolgung 
untüchtig. Die Vorhutgefechte der nächsten Tage waren ohne 
Belang. Gleichwohl war der Sieg bei Lützen nicht ganz ohne 
Einfluß auf die politischen Verhältnisse: er brachte Sachsen 
wieder an Napoleons Seite. Der Kaiser zog am 8. Mai in die 
Altstadt Dresden ein und ließ von hier aus den in Prag wei- 
lenden König auffordern, sich als Feind oder Freund zu er- 
klären, worauf Friedrich August, trotz seinem Abkommen 
mit Österreich, das Zweite wählte und Napoleon seine Garde- 
Kavallerie und die gesamte Garnison von Torgau zur Ver- 
fügung stellte. Ney brach mit seinem Korps nach dieser 
Festung auf, um die Sachsen aufzunehmen und zugleich, nach- 
dem er zwei andere Korps an sich gezogen, durch das Über- 
schreiten der Elbe die Verbündeten von dem jenseitigen 
Dresden fortzunötigen. Am 11. Mai ist denn auch die Neustadt 
von ihnen geräumt worden, und erst hinter der Spree wird das 
preußisch-russische Heer von neuem Posto fassen. 

Die wichtigste Frage aber hat der unvollkommene Sieg 
von Lützen nicht, wie Napoleon gehofft haben mochte, ent- 
schieden : Österreich kehrte nicht zu ihm zurück, wenn es auch 
auf der eingeschlagenen Bahn, die zu den Verbündeten führte, 
einen Augenblick innehielt und in ein nicht unbedenkliches 
Schwanken geriet. Ende April hatte man in Wien den Alli- 
ierten bereits ziemlich nahe gestanden. Man sandte ihnen dann 
— freilich über die Tragweite der Ereignisse vom 2. Mai noch 
nicht genügend unterrichtet, die anfänglich als Sieg der 
Preußen und Russen ausgegeben worden waren — am 7. Mai 
Stadion, den Minister des Kriegs jah res 1809, in ihr Haupt- 
quartier, um dort die Donaumacht nunmehr als „bewaffneten 
Vermittler" anzukündigen und Bedingungen mitzuteilen, für 
deren Durchführung der Wiener Hof sich mit allen Kräften 



Österreich und die Verbündeten. 



183 



einsetzen wollte. Das Minimum derselben war: Auflösung des 
Herzogtums Warschau, Verzicht Napoleons auf die 1810 annek- 
tierten überrheinischen Departements (Oldenburg, Hanse- 
städte), Verzicht auf das Protektorat über den Rheinbund, 
Wiederherstellung Preußens und Abtretung Illyriens und Dal- 
matiens an Österreich, das auch eine neue Grenze gegen 
Bayern erhalten sollte. Neue Erfolge des Feindes im Felde 
würden diese Bedingungen allerdings ermäßigen, die politische 
Haltung Österreichs jedoch nicht ändern, die Metternich in 
Depeschen vom 29. April den alliierten Monarchen dahin de- 
finiert hatte, daß längstens bis 24. Mai 125.000 Mann gerüstet 
sein würden, von denen 60.000 die Bestimmung hätten, sich in 
Böhmen dem Fortschreiten der Franzosen entgegenzustellen. 
Freilich, als in Wien genauere Kunde über den Tag bei Groß- 
Görschen eintraf und das französische Heer fast an die 
österreichische Grenze heranrückte, wollte Kaiser Franz von 
so weitgehenden Zumutungen an seinen Schwiegersohn nichts 
mehr wissen. Mit Mühe setzte es Schwarzenberg, der zum -Be- 
fehlshaber der Armee in Böhmen ernannt worden war, oder 
vielmehr dessen Generalstabschef Radetzky, durch, daß in den 
Rüstungen nicht innegehalten wurde. Dagegen erhielt Bubna, 
der, wie Stadion zu den Verbündeten, als Agent der vermit- 
telnden Macht zu Napoleon gesandt worden war, Instruktionen 
nachgeschickt, die weit hinter dem Minimum zurückblieben, 
für das man sich Rußland und Preußen gegenüber engagieren 
wollte. Nur die Auflösung des Herzogturas Warschau, die Ab- 
tretung Illyriens an Österreich und die Verzichtleistung auf 
die rechtsrheinischen Departements, wenigstens auf Hamburg 
und Lübeck, sollte Bubna zur Bedingung machen. Von einem 
Verzicht auf den Rheinbund sollt« er ebensowenig im Tone 
strikter Forderung reden wie von der österreichischen Grenze 
gegen Bayern. Aber Napoleon, der durch Narbonne von dem 
weitgehenden Entgegenkommen unterrichtet war, das man in 
Wien noch kurz vorher den Verbündeten bezeugt hatte, trat 
Bubna mit dem größten Mißtrauen entgegen, namentlich als 
Dieser ihm das Programm Österreichs folgendermaßen mund- 
gerecht zu machen suchte: ein allgemeiner Friede sei nur 
durch Abtretungen von seiten des Empire möglich, wofür 



184 



Napoleon droht in Wien. 



England Ersatz zu leisten hätte; da nun dieses sich zur Zeit 
weigere, so müsse der Imperator den Anfang machen; dann 
werde das durch den Kontinentalf rieden isolierte Inselreich 
auch seinerseits nachgiebig werden. Mußte diese letzte Be- 
merkung Napoleon nicht wie eine hohle Phrase in die Ohren 
klingen, ihm, der seit Jahren gerade diese Isolierung Eng- 
lands mit allen Mitteln vergeblich betrieben hatte? Er gewann 
die Überzeugung, daß Österreich seinen Gegnern doch bereits 
weit näher stand als ihm, und ergriff sofort seine Maßregeln. 
Dem Kaiser Franz schrieb er: er wünsche zwar den Frieden 
mehr als irgendeiner, sei bereit, einen Kongreß zu beschicken, 
auf dem selbst die Vertreter der spanischen Insurgenten 
Platz finden könnten, und auch dem von Bubna vorgebrachten 
Gedanken eines Waffenstillstandes während der Unterhand- 
lungen sei er geneigt, nur in Englands Augen lächerlich wolle 
er nicht werden, lieber an der Spitze aller hochherzigen Fran- 
zosen sterben. Zugleich wies er den Vizekönig, der nach Italien 
gereist war, an, bis längstens Ende Juni eine neue Armee zu 
sammeln, die G0.000 bis 80.000 Österreicher im Süden festhalten 
könnte, »wovon man die Kunde eifrig nach Wien verbreiten solle, 
um dort einzuschüchtern. Marie Luise, der er in seiner Ab- 
wesenheit die Regentschaft übertragen hatte, mußte dem Vater 
in ihren Briefen nahelegen, daß, wenn er sich abwenden sollte, 
ihr Gatte, der eine Million Streiter unter den Waffen habe, 
alle seine Kräfte gegen Österreich wenden würde. Als wirk- 
samsten Trumpf aber spielte er Bubna gegenüber die Drohung 
aus, er werde sich mit Alexander vergleichen und ihm War- 
schau überliefern. Und die Drohung war nicht ohne reelle 
Grundlage. Da er immer mehrere Sehnen auf seinem Bogen 
hatte, so machte er wirklich den Versuch, sich ohne Öster- 
reichs aufdringliche Vermittlung, die ihm Opfer zumutete, mit 
dem geschlagenen Zaren zu verständigen. Caulaincourt sollte 
mit dem Antrag auf Kongreß und Waffenstillstand zu den 
feindlichen Vorposten gehen, sich die Erlaubnis zu einer Be- 
sprechung mit Alexander I. verschaffen und ihm die Gelegen- 
heit eröffnen, „sich glänzend für die dumme Diversion Öster- 
reichs in Bußland zu rächen", wie es in der Instruktion heißt. 
Und was hatte der Herzog von Vicenza zu bieten? Zunächst 



£r wünscht einen Separatfrieden mit Rußland. 185 

Polen. Das Großherzogtum Warschau und die Republik Danzig 
sollten, zwar nicht an Rußland, wohl aber an Preußen kommen, 
einen Strich ausgenommen, der den Herzog von Oldenburg 
entschädigen würde. Friedrich Wilhelm hätte dafür sein Land 
westlich der Oder, d. i. die Mark Brandenburg mit Berlin und 
von Schlesien jenen Teil abzutreten, den eine von Glogau nach 
der böhmischen Grenze gezogene Linie markiert. Auf diese 
Weise fiele Preußen, das seine Hauptstadt fortan in Warschau, 
Königsberg oder Danzig hätte, unbedingt in die Machtsphäre 
Rußlands. (Brandenburg war für den König von Westfalen, 
das Krossener Land offenbar für Sachsen bestimmt.) Auf die 
Tilsiter Abmachung gegen England wolle Napoleon nicht 
wieder zurückkommen, da es sich um die Anbahnung eines 
allgemeinen Friedens handle und der Zar schon selbst ein 
System werde finden müssen, um seiner Flagge in der Zukunft 
Achtung zu verschaffen.*) Mit diesen Zugeständnissen hoffte 
Xapoleon die Koalition zu sprengen. Polen aufgegeben, die 
Kontinentalsperre fallen gelassen, mußte das nicht Rußland 
genügen? Waren dies nicht die wesentlichsten Punkte des 
Zwistes von 1812? Vor sechs Jahren hatte er, was er jetzt 
bezweckte, durch den glänzenden Sieg bei Friedland erreicht. 
Auch jetzt soll ihm ein zweites Friedland beim Zaren Gehör 
verschaffen. Sein Abgesandter harrte noch vergebens der er- 
betenen Audienz, als bereits wieder die eisernen Würfel rollten. 

Napoleon hatte Ney mit seinen Korps in der Richtung 
auf Berlin vorrücken lassen, um die um ihre Hauptstadt be- 
sorgten Preußen von den Russen zu trennen. Das war nicht 
gelungen, die Verbündeten blieben beisammen, und Wittgen- 
stein war sogar entschlossen, bei Bautzen eine zweite Schlacht 
zu wagen. Als Jener darüber Sicherheit gewonnen hatte, erteilt e 
er am 18. Mai — an demselben Tage, an welchem Caulain- 
court offiziell als Kommissar für die Unterhandlung über den 



*) Nur ein Teil dieser Instruktion hat in die Korrespondenz Na- 
poleons Aufnahme gefunden. Die eigentlichen Präliminar-Vorschläge 
sind von Lefebvre (Histoire des Cabinets de l'Europe, V., 331) mit- 
geteilt worden, während das Fallenlassen des Punktes der Kontinental- 
sperre nur hei .To mini (Pröcis politique et militaire des eampagnes de 
1812 ä 1814. I., 261) erwähnt wird, der gleichfalls wörtlich zitiert. 



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186 



Die Schlacht bei Bautzen am 20. Mai. 



Waffenstillstand abgefertigt wurde — Befehl an Ney, den er 
bei Luckau wußte, eilends mit der Direktion auf Drehsa, nord- 
östlich von Bautzen, heranzurücken und Wittgenstein in den 
Rücken zu fallen; dann eilte er selbst am folgenden Tage von 
Dresden über Hartha in die Nähe der genannten Stadt. Der 
Feind war durch neue Truppen, die Barclay und der preu- 
ßische General Kleist herbeiführten, verstärkt und in einem 
vorzüglichen Terrain, das im Siebenjährigen Kriege zu 
Ansehen gelangt war, verschanzt, um Napoleon, der gleich- 
falls Verstärkungen (eine Division Junge Garde, zwei Marsch- 
divisionen Kavallerie u. A.) erhalten hatte, zu empfangen, 
wenn er von Westen herankam. Als man nun aber im Haupt- 
quartier der Verbündeten vernahm, daß auch von Norden 
her feindliche Kräfte im Anmarsch seien, sandte Alexander, 
anstatt Napoleon sofort mit Übermacht anzugreifen, Barclay 
und Yorck Ney entgegen, wodurch es am 19. Mai bei Weißig 
und Königswartha zu Gefechten kam, die den Franzosen nicht 
mehr Schaden brachten als den Verbündeten und nur zur 
Folge hatten, daß nun der Franzosenkaiser am 20. Mai selbst 
losschlug, um die Alliierten von Ney abzulenken und Diesem 
den Vormarsch zu erleichtern. Mit vier Korps und der Garde 
griff er am Mittag von Westen her an, überschritt die Spree 
an mehreren Orten und warf des Feindes Vorhut aus Bautzen 
hinaus. Am Abend ist es ihm gelungen, jenseits festen Fuß 
zu fassen, und unterdes ist auch Ney bereits mit zwei Korps 
(etwa 25.000 Mann) bei Klix an den Fluß herangekommen, 
während zwei andere mit der Reservekavallerie noch bei Hoyers- 
werda und dahinter stehen. Die einbrechende Dunkelheit — 
so hatte Napoleon kalkuliert, als er den Kampf erst zu Mittag 
begann — ließ es nicht mehr zu dem von Wittgenstein 
geplanten Gegenangriff kommen und behielt dem folgenden 
Tage die Entscheidung vor, die voraussichtlich nicht zum 
Vorteile der Verbündeten fallen wird, weil sie nunmehr in der 
Minderzahl sind. 

Der Kaiser hat den Plan, Ney gegen Barclay, der die 
Rechte des Feindes bildet und an den sich Blücher im Zentrum 
anschließt, vorstoßen und die gegnerische Rückzugslinie ge- 
winnen zu lassen, während er selbst die Russen in der Front 



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Die Schlacht bei Bautzeu am 21. Mai. 



187 



durch seine persönliche Anwesenheit und aucli durch die Ent- 
wicklung starker Kräfte gegen deren linken Flügel über seine 
wahre Absicht täuschen wird. Er arbeitet bis zum frühen Mor- 
gen und läßt alsbald die Aktion rechts, wo Oudinot komman- 
diert, beginnen, um Ney das Zeichen zum Vorrücken zu geben ; 
erst dann legt er sich für ein paar Stunden auf dem Schlacht- 
felde zur Ruhe. Hätte Alexander seinen großen Widersacher so 
ruhig schlafen sehen, er hätte wohl kaum, die Einwendimg 
Wittgensteins nicht achtend, an diese r Stelle die Entscheidung 
gesucht, wie er es tat, indem er Ney gegenüber den schwachen 
Barclay ohne Verstärkung ließ. Dieser ist denn auch schon 
nach wenig Stunden weit hinter Gleina zurückgeworfen und 
dadurch Blüchers Flanke ernstlich gefährdet. Anstatt nun aber 
— wie ihm J omini geraten haben will — seinen Weg im Rücken 
Blüchers dreist fortzusetzen, handelte Ney zum erstenmal be- 
dächtig. Er konnte ja auch freilich nicht vermuten, daß der 
Feind seinen rechten Flügel so unverantwortlich schwach be- 
setzen werde, und wollte Reyniers Ankunft mit dem 7. Korps 
abwarten. Erst als dieser bei Klix erschien, rückte er aufs 
neue vor, nun aber nicht mehr — denn der günstige Moment 
ist verpaßt — geradeaus auf Hochkirch, sondern rechts auf 
Blücher los, den der endlich über die wahre Lage der Dinge 
aufgeklärte Zar mit seiner Garde unterstützt hat und der ibu 
bereits mit seinen Geschützen bedient. Er hätte immerhin noch 
eines seiner Korps zur Linken die umfassende Bewegung 
fortsetzen lassen können, aber auch das scheute er sich zu 
wagen und zog alle seine verfügbaren Kräfte an sich. Dadurch 
bleibt die Görlitzer Straße offen, und die Masse der Verbün- 
deten, die jetzt auch von Napoleon ernsthaft angegriffen 
werden, kann sich noch rechtzeitig aus der Schlinge ziehen. 
Sie haben die Schlacht, wie verdient, verloren, aber ihr Heer 
haben sie gerettet, das der Vernichtung preisgegeben war, 
wenn der kühnste Marschall des Kaiserreichs an diesem Tage 
seinem Rufe nicht untreu wurde. Umsonst, daß Napoleon dem 
Feinde nachdrängt. Es fehlt ihm hier, wie bei Lützen, an der 
nötigen Reiterei, und seine Kolonnen sind vom Kampf er- 
mattet. Als er Tags darauf, am 22. Mai, selbst zur Avantgarde 
vorreitet, um sie zu rascher Tat gegen die hartnäckig wider- 



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188 Unzureichende Kriegsergebnisse. 

strebende Nachhut der Russen anzufeuern, verliert er drei 
tüchtige Generale seiner Suite und darunter seinen vertrauten 
Duroc, den er aufrichtig betrauert. 

War das die Schlacht, mit der Napoleon dem Zaren seine 
Vorschläge aufzwingen wollte? Gewiß nicht. Von den etwa 
lQ'O.OOO Mann, über die er an den beiden Tagen verfügte, hatte 
er, da ihm die starke Frontstellung des Feindes nur an den 
beiden Flügeln zu operieren erlaubte, bloß 90.000 ins Gefecht 
gebracht. Seine Verluste, bei 25.000 Mann, waren weitaus 
größer als die der Verbündeten. Und wieder keine Beute, keine 
Gefangenen, keine Fahnen, kein Geschütz. Und der politische 
Erfolg entsprach dem militärischen. Caulaincourt erhielt von 
Alexander I. nicht die Erlaubnis zu einer Besprechung, son- 
dern nur den Bescheid, man habe die österreichische Vermitt- 
lung akzeptiert und werde nur durch diese Macht Anträge ent- 
gegennehmen. Bloß den Gedanken eines Waffenstillstandes 
hielten die Verbündeten fest und ließen durch Stadion an 
Berthier schreiben, daß sie geneigt seien, über diesen Gegen- 
stand bei den Vorposten unterhandeln zu lassen. Es kam nun 
darauf an, ob es Xapoleon damit Ernst war. 

Der war unterdes, immer fechtend, hinter dem Feinde 
hergezogen. Nur das Korps Oudinots hatte er in Bautzen zu- 
rückgelassen, um es dann über Hoyerswerda in der Richtung 
gegen Berlin zu entsenden, das Bülow mit einem Korps deckte. 
Die Verbündeten hatten sich schließlich von Liegnitz und 
Jauer rechts ab gegen Schweidnitz gewendet und Breslau 
preisgegeben. Sie waren nicht einig über die Fortsetzung des 
Krieges. Barclay, der Wittgenstein im Oberbefehl ablöste, war 
dafür, mit seinen in Unordnung geratenen Russen nach Polen 
zurückzugehen, um sie dort zu reorganisieren und mit Mu- 
nition zu versehen, die bereits zu fehlen begann; solle er in 
Schlesien bleiben, so bedürfe er sechs Wochen Ruhe. Dieses 
Moment — neben der Rücksicht auf Österreich, das den 
Waffenstillstand angeregt hatte und dessen Rüstungen noch 
nicht beendet waren, wofür man jetzt die Mitte Juni 
als Termin nannte — wurde im Lager der Alliierten entschei- 
dend, da Friedrich Wilhelm III. nur mit der größten Besorgnis 
einer Trennung der beiden Armeen entgegensah. Hätte Napo- 



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Erwägungen eines Stillstandes. 



189 



leon von dieser kritischen Situation seiner Gegner Kenntnis 
gehabt, er hätte kaum getan, was er später selbst, und Andere 
mit ihm, als den größten Fehler seines Lebens bezeichnet 
hat.*) Er wußte nichts davon, und so ließ er sich zum Waffen- 
stillstand herbei. Freilich hatte auch er seine besonderen 
Gründe dazu. In einem Brief an den Kriegsminister Clarke 
vom 2. Juni gab er zwei derselben an: den Mangel an Kaval- 
lerie, der ihn verhindere entscheidend zu schlagen, und die 
feindliche Haltung Österreichs. Das waren aber nicht alle. Auch 
in seiner Armee gab es der Unordnung nur zu viel. Die großen 
Verluste an Offizieren in den beiden Schlachten machten sich 
empfindlich geltend. Die junge Infanterie versagte auf dem 
anstrengenden Marsche; die meisten Korps hatten ein Drittel, 
das dritte unter Ney über die Hälfte des Bestandes in den 
Spitälern. Infolge der durch die schlechte Administration ver- 
ursachten Not desertierten Tausende oder zerstreuten eich in 
zügelloser Maraudage, um für sich selbst zu sorgen. So war das 
Heer trotz den Nachschüben bald auf 120.000 Mann einge- 
schrumpft.**) Dazu kam, daß feindliche Parteigängerkorps in 
dessen Rücken manchen Schaden taten, Zuzüge abschnitten, 
zwei Artillerieparks eroberten u. dgl. m. Es schien Napoleon 
allzu kühn, auf solche Verhältnisse die Hoffnung eines 
dritten Sieges zu bauen, den man doch wieder ebensowenig 
würde ausnützen können, wie die beiden ersten, und der mit 
seinen neuen Verlusten nur dem zaudernden Österreich ein 
neues Übergewicht verschaffen mußte. Und noch Eins. Die 
Nachrichten aus Paris häuften sich, die von dem sehnlichsten 
Verlangen der Bevölkerung nach Frieden sprachen. Sogar die 
Männer, deren erprobte Gefügigkeit den Kaiser nur selten 
unangenehme Wahrheit hören ließ, die Maret und Savary, 
wurden eindringlich mit ihren Bitten um Beschluß der Feind- 
seligkeiten, und er glaubte der öffentlichen Stimmung Frank- 
reichs für den Augenblick Rechnung tragen zu müssen.***) 

*) Jomini, Vie de Napoleon, IV., 814; Derselbe, Preeis L, 281. 

**) Lefebvre (V., 348), der sich aus den Akten des Pariser Kriegs- 
archivs zu unterrichten wußte, nennt diese Ziffer vor Abschluß des 
Waffenstillstandes. 

***) S. Ernouf. Maret, p. 534 und in der Corresp. XXV., 20.116, 



19U 



Der Waffenstillstand von Platvitz. 



So ward am 4. Juni — die Armee war unterdes nach Breslau 
vorgedrungen, Oudinot stand an der schwarzen Elster Bülow 
gegenüber, Davouts Truppen hatten Hamburg besetzt — zu 
Pläswitz bei Striegau*) der Waffenstillstandsvertrag unter- 
zeichnet. Die Franzosen ziehen sich hinter die Katzbach 
zurück, die Verbündeten hinter eine Linie, die von der 
böhmischen Grenze über Landeshut, Striegau, Canth östlich 
von Breslau an die Oder führt. Von der Mündung der Katz- 
bach nördlich rahmt die Oder, dann die sächsische Landes- 
grenze, endlich die Elbe bis zur Nordsee das französische Heer- 
gebiet ein. Der Krieg hat bis zum 20. Juli zu ruhen.**) 



Wenn es Napoleons Absicht gewesen war, mit raschem 
Losschlagen der Diplomatie ihr Spiel zu verderben und ins- 
besondere das Gespinst Metternichs zu zerreißen, so war ihm 
das durch den Frühjahrs-Feldzug nicht gelungen — weder ge- 
lungen die Allianz Kußlands mit Preußen zu trennen, noch 
Österreich an seine Seite, etwa wie Sachsen, zurückzubringen. 
Vielmehr hatte er durch die beabsichtigte Sonderunterhand- 
lung mit dem Zaren Diesem nur das Mittel zu einer Pression 
auf den Wiener Hof an die Hand gegeben, das alsbald in An- 
wendung gebracht wurde. In Wien war man nach dem Ein- 
treffen der Kunde von der zweiten verlorenen Schlacht, 
namentlich aber nach dem wiederholten Erscheinen Caulain- 
courts bei den Vorposten der Verbündeten, in- nicht geringe 
Angst geraten. Man fürchtete, Rußland könnte, wie 1805 und 
1807, die Partie aufgeben. Da mußte man wenigstens durch 
einen äußerlichen Akt den Alliierten entgegenkommen und sie 
bei der Sache festhalten. Darum begab sich Franz I. mit seinem 
Minister in den ersten Junitagen nach Schloß Gitschin in 
Böhmen, um ihnen näher zu sein. Dort traf, von Alexander 

den zurechtweisenden Brief an Savary: „Der Ton Ihrer Korrespondenz 
gefällt mir nicht. Sie langweilen mich mit Ihrem ewigen Friedens- 
bedürfnis.« 

*) Koischwitz, „Poischwitz oder Pläswitz", in den Forsch, zur 
brandenb. u. preuß. Gesch., XVII., 246 ff. S. auch Corresp.XXV. 20.084. 
**) De Clercq, H. 



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Frauz I. in Böhmen. 



H>1 



gesendet, Graf Nesselrode ein, mit der Aufgabe, den förm- 
lichen Beitritt der Donaumacht zu betreiben. Was er fand, war 
zunächst eine große Abneigung des Kaisers Franz, mit seinen 
noch ungerüsteten Kräften in den Krieg einzutreten, so lauge 
nicht die Unmöglichkeit erwiesen sei, durch Unterhandlungen 
zum Frieden zu gelangen. Aber er erreichte doch, daß Metter- 
nich sechs Bedingungen nannte, die er für den Frieden nötig 
erklärte und von denen man die ersten vier, wenn sie Napoleon 
ablehnte, mit den Waffen gegen ihn geltend machen wollte: 
1. die Auflösung des Herzogtums Warschau; 2. die daraus er- 
folgende Vergrößerung Preußens nebst der Eückgabe von 
Danzig an dasselbe, denn ein starkes Preußen erschien jetzt, 
unter den veränderten Verhältnissen, dem österreichischen 
Minister notwendig, um mit ihm im Vereine einem Über- 
greifen sowohl der französischen als der russischen Macht vor- 
zubeugen; 3. Rückfall der illyrischen Territorien an Öster- 
reich, das man aus denselben Gründen kräftigen mußte; 4. Un- 
abhängigkeit der Hansestädte; 5. Auflösung des Rheinbundes; 
6. Wiederherstellung Preußens „möglichst" wie vor 1806. Da 
war mit den ersten vier Bedingungen allerdings nicht das 
gesagt, was Österreich früher durch Stadion als sein „Minimum" 
in Vorschlag gebracht hatte, aber doch etwas mehr als Bubna 
Napoleon gegenüber hatte geltend machen sollen. Freilich 
hatten sich die Verbündeten am 16. Mai zu Wurschen über ein 
viel weiter gehendes Programm geeinigt, d. i. außer den oben 
erwähnten Punkten noch über die Trennung Hollands von 
Frankreich, die Wiederherstellung der Bourbons in Spanien, 
Österreichs auf dem Stande vor 1805, den Rückzug der Fran- 
zosen über den Rhein und die Befreiung Italiens: aber die nun- 
mehr erlangte Sicherheit der Mitwirkung Österreichs, die 
Metternich dem Kaiser Alexander auf dem böhmischen Schlosse 
Opoöno persönlich verbürgt haben will, ließ sie bereitfinden, 
ohne erst die Wurschener Artikel zur Kenntnis des Gegners 
zu bringen, der sie sicher nur in Frankreich als Agitations- 
mittel für neue Rüstungen in Wirksamkeit gesetzt hätte, schon 
auf die österreichischen Bedingungen hin über einen Frieden 
mit Frankreich zu unterhandeln. Denn daß Napoleon, der 
Sieger, selbst darauf nicht einsehen würde, schien so gut 



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192 



Der Reicheubacher Vertrag. 



wie ausgemacht. Dieser Friede sollte dann allerdings nur ein 
Präliininarfriede sein, dem später erst die Verhandlung über 
die definitive Pazifikation zu folgen hätte und die dann nicht 
ohne Englands Beiziehung und Zustimmung zustande kommen 
durfte. (Zu letzterem mußten sich Preußen und Rußland ver- 
pflichten, als sie Mitte Juni Subsidientraktate mit der Lon- 
doner Regierung abschlössen, die ihnen das zur Fortführung 
des Krieges nötige Geld lieferte.) So kam es denn am 27. Juni 
1813 zu Reichenbach, im Hauptquartier der Verbündeten, zur 
Unterzeichnung eines geheimen Vertrages zwischen Österreich, 
Preußen und Rußland, der schon in OpoÖno formuliert worden 
war und die vier unumgänglichen Artikel des Wiener Hofes 
neben dem feierlichen Versprechen des letzteren enthielt, 
sofort an Frankreich den Krieg zu erklären, wenn Napoleon sie 
bis zum 20. Juli nicht angenommen haben würde. Dann aller- 
dings sollte der Krieg von den drei Mächten nicht mehr um 
jenen bescheidenen Preis, sondern für das ganze umfassende 
Programm vom 16. Mai geführt, d. i. Frankreich in seine 
natürlichen Grenzen zurückgezwungen werden. Die beiden 
alliierten Mächte verpflichteten sich ihrerseits, keiner von 
Napoleon etwa beabsichtigten Sonderunterhandlung Raum zu 
gestatten.*) So hatte der Wiener Hof die Zustimmung der 
Mächte zu Friedensunterhandlungen unter Österreichs Ver- 
mittlung erlangt. Es galt nun noch die Napoleons zu gewinnen. 
Dieser, der durch die Reise Metternichs zu Alexander un- 

*) Der entscheidende Artikel I. lautet : „Xaehdem S. M. der Kaiser 
von Österreich die Höfe von Rußland und Preußen eingeladen hat, unter 
seiner Vermittlung in Verhandlungen mit Frankreich über einen vor- 
läufigen Frieden einzutreten, der einem allgemeinen als Grundlage dienen 
konnte, und nachdem er die Bedingungen festgestellt hat, die er (d. h. 
er allein) zur Wiederherstellung eines Zustande* des Gleichgewichtes 
und dauernder Ruhe iu Europa für notwendig hält, verpflichtet er sich, 
an Frankreich den Krieg zu erklären und seine Waffen mit denen 
Rußlands und Preußens zu vereinigen, wenn Frankreich diese Bedin- 
gungen bis zum 20. Juli dieses Jahres nicht angenommen hat." Unter 
die unerläßlichen, Osterreich zum Kriege verpflichtenden Forderungen 
wurde auch die Räumung der Weichsel- und Oderfestungen durch die 
Franzosen aufgenommen. Das von Napoleon freigegebene Herzogtum 
Warschau sollte zwischen den Alliierten aufgeteilt werden, Danzig 
jedenfalls Preußen zufallen (Martens. VI.) 



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Metternich in Dresden. 



198 



ruhig gemacht und durch Bubnas Eröffnungen nicht befriedigt 
worden war, lud den Minister Österreichs zu sich nach Dresden. 
Metternich folgte dem Kufe, nachdem er vorher mit Nesselrode 
ins Keine gekommen war, und stand am 26. im Palais Marcolini 
vor dem Imperator. In einer neunstündigen Unterredung, in 
der, nach Metternichs Bericht, „die abwechselndste Freundlich- 
keit mit den heftigsten Ausbrüchen sich mischte" — ging doch 
Napoleon so weit, seine zweite Heirat als Dummheit zu be- 
zeichnen und Metternich der Käuflichkeit zu beschuldigen — 
versuchte Jener, Österreich, wenn schon nicht zur Parteinahme 
für ihn zu bestimmen, so doch wenigstens auf den Stand der 
bewaffneten Neutralität zu fixieren, während dessen Minister 
beharrlich auf dem der bewaffneten Vermittlung stehenblieb. 
Diese Beharrlichkeit reizte den Kaiser so sehr, daß er im Zorn 
seinen Hut in eine Ecke warf, wie er das in solcher Erregung 
nicht allzu selten tat. Noch vor einem Jahr hätte sich Öster- 
reichs Minister beeilt, ihn aufzuheben; jetzt unterließ er es. Die 
Unterredung ist zu einer welthistorischen Berühmtheit gelangt, 
weil man in ihr die entscheidende Wendung für die Politik 
des Donaustaates und für das Schicksal Napoleons zu sehen 
glaubte. Dies ist nicht richtig. Der Wiener Hof folgte viel- 
mehr schon seit einiger Zeit seinem Wunsche nach Unabhängig- 
keit, und ein Einhalten in dieser Bewegung war kaum mehr 
denkbar, so daß der Franzosenkaiser mit einer Äußerung, die 
er in jener Zeit über Metternich tat: „Er glaubt alle Welt 
zu lenken, und alle Welt lenkt ihn", hier nicht das Richtige 
traf. Auch das Wort, das er dem Minister am Schlüsse jener 
Besprechung vertraulich sagte: „Ihr werdet mir ja doch nicht 
den Krieg machen", sollte nicht in Erfüllung gehen. 

Die Entrevue in Dresden endete damit, daß der Kaiser 
Österreich entgegenkam, indem er nicht nur den Allianzvertrag 
von 1812 für aufgehoben erklärte, sondern auch die bewaffnete 
Vermittlung Franz' I. annahm. Man könnte sich über diesen 
Entschluß Napoleons wundern, fände man nicht die Erklärung, 
dafür in einer am 30. Juni von Maret und dem österreichischen 
Minister unterzeichneten Konvention, des Inhalts, daß im 
Interesse der auf einem Kongreß zu Prag stattfindenden 
Friedensunterhandlungen der Waffenstillstand bis 10. August 

Pournier, Napoleon I. 18 



194 



Die Verlängerung des Waffenstillstandes. 



zu währen und Österreich die Verbündeten für diese Ver- 
längerung zu gewinnen habe. Schon in der ersten großen 
Unterredung vom 26. Juni hatte sie Metternich als Preis für 
die Annahme seiner Mediation angeboten, ein Beweis, daß es 
ihm damals noch mit dem Frieden recht Ernst war.*) Und 

*) Die Frage, ob Napoleon oder Metternich in Dresden die Ver- 
längerung vorgeschlagen habe, war von jeher kontrovers. Nach dein 
authentischen Bericht, den der Minister Franz' I. 1820 über die große 
Besprechung verfaßt hat (Hclfert, M. Luise, S. 363 ff., und vergleiche 
Metternich. Nachgelassene Papiere L, S. 150 ff.), erscheint das 
Zweite wahrscheinlicher. Denn darin verzeichnet Metternich folgende 
Antwort, die er Napoleon auf dessen Begehr nach Österreichs Neutra- 
lität gegeben haben will: ., Kaiser Franz hat den Mächten seine Ver- 
mittlung, nicht seine Neutralität angeboten. Rußland und Preußen haben 
sie angenommen; an Ihnen ist es heute, sich zu entscheiden. Entweder 
Sie nehmen an, dann wollen wir einen Zeitraum für die Dauer 
der Unterhandlungen feststellen; oder Sie lehnen ab, dann wird 
sich mein Herr unabhängig erachten in seinen Entschlüssen und in 
seinem Benehmen", d. h. wenn Napoleon die Vermittlung annimmt, 
propouiert Österreich — von einer vorausgehenden Forderung Napo- 
leons ist nicht die Rede — eine nicht an die Bestimmungen des Waffen- 
stillstand^ Vertrages gebundene Frist für deren Dauer. Neuerdings hat 
Luckwaldt, S. 325. die Frage untersucht, ohne sich zu entscheiden. 
Eine von ihm beigebrachte Stelle in einem Schreiben Bubnas vom 
2. Juli: „Ich tat mein Möglichstes, um die Gründe zu erhärten, die 
den Kaiser (Napoleon) bestimmt hatten, so sehr auf der Verlängerung 
des Waffenstillstandes zu bestehen", hält er mit Recht nicht für aus- 
schlaggebend. Vgl. auch neuesten»: Sorel. VIII., 148, der sogar meint, 
es sei nicht leicht gewesen, von Napoleon die Verlängerung zu er- 
reichen. Das geht doch wohl zu weit. Denn der von Sorel dabei zitierte 
Brief Metternichs an seinen Vater aus dem September 1813: „Ich habe 
durch einen verwegenen Streich, durch die Verlängerung des Waffen- 
stillstandes um 20 Tage, mein Ziel erreicht", beweist doch nur, daß 
der Minister, indem er die Verlängerung vorschlug, von der er wußte, 
daß sie Napoleon paßte, alles andre durchsetzte: Aullösung der Allianz, 
Annahme der Vermittlung. Die Verlängerung kam den österreichischen 
Rüstungen zugute, aber doch noch weit mehr den französischen. Wenn 
also Metternich ein solches Angebot dafür machte, daß Napoleon auf 
seine Vermittlung einging, so mußte es ihm doch recht sehr um sein 
Friedensgeschäft zu tun gewesen sein, das eine feindliche Invasion fern- 
hielt. Er selbst erklärte; in den ersten Julitageu dem Grafen Harden- 
berg, Kaiser Franz sei überzeugt, daß die ganze Last des Krieges auf 
Osterreich fallen, daß daraus für die Monarchie; die größte n Unglücks- 
fälle hervorgehen würden, und wolle, um das zu vermeiden, auf jede 



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Napoleon nimmt Österreichs Vermittlung an. 195 

auch Xapoleon war es keineswegs um Krieg auf alle Fälle zu 
tun. Auch er wäre vielleicht bereit gewesen, Frieden zu 
schließen, wenn auch am liebsten einen allgemeinen, der allen 
Feindseligkeiten mit einem Male ein Ende machte und das 
französische Volk beruhigte. Um einen bloßen Kontinental- 
frieden, der den Krieg mit England fortbestehen und die 
französischen Kolonien in britischen Händen ließ, war es ihm 
weit weniger und wohl nur unter zweierlei Umständen zu tun: 
entweder nach vernichtenden Schlägen im Felde, die das Über- 
gewicht des Empire für lange sicherten, oder in einer be- 
sonderen Abkunft mit Rußland, ähnlich jener zu Tilsit. Nun, 
um vernichtende Schläge zu führen, bedurfte er ausgedehnter 
Rüstungen und dazu eines entsprechenden Zeitraumes, den er 
in der Instruktion für Caulaincourt vom 26. Mai mit drei 
Monaten berechnet hatte. Davon war der Waffenstillstands- 
vertrag vom 4. Juni weit entfernt geblieben. Jetzt ließ sich 
ein wertvolles Plus gewinnen, und sofort griff der Kaiser zu. 
Zugleich aber hoffte er auf dem Kongreß Gelegenheit zu finden, 
sich mit dem Zarenreiche besonders zu verständigen. Er wird 
deshalb nicht nur den am österreichischen Hofe beglaubigten 
Narbonne, sondern auch Caulaincourt nach Prag entsenden. 



Gebietserwerbung verzichten. (Onoken, Österreich und Preußen im 
Befreiungskriege, II., 399.) Bald darauf schrieb er an Wessenberg: 
„Der Kaiser wird das Unmögliche versuchen, um einen Frieden herbei- 
zuführen." (Luckwaldt, S. 336.1 In der Tat war Franz I. sogar nötigen- 
falls bereit, die Forderungen wegen Illyriens und der Hansestädte aus 
dem Minimum zu streichen, und Metternich unterstützte ihn darin, ohne 
alle Rücksicht auf die Reichenbacher Abmachung. Jüngst, hat Wert- 
heimer, Der Herzog von Reichstadt, S. f>2, an der Hand einiger Briefe 
des Ministers an Stadion aufs neue die Auffassung geltend gemacht, 
Metternich sei stets für den Krieg und nur Kaiser Franz bis zuletzt 
aufrichtig für den Frieden gestimmt gewesen. Aber bloß nach Zu- 
schriften an Stadion, den beredten Wortführer der Kriegspartei, darf 
man Metternich nicht beurteilen; an Bubna, der ebenso offen seine 
Neigung für den Frieden kund tat, schrieb er anders, und an beide 
zu verschiedenen Zeiten, unter verschiedenen Umständen, verschieden. 
Selbst an Stadion rfber einmal: „Trachten Sie sie (Russen und Preußen) 
zur Raison und dahin zu bringen, daß sie mehr vom Frieden als vom 
Krieg erwarten, den sie nicht zu führen wissen.'* (Zit. v. Wertheimer 
a. a. O. Anm. 3.) Die Konvention vom 30. Juni in Neumann, II. 365- 

13* 



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196 



Pläne eines Zweibundes. 



Allerdings nicht sogleich. Er hält den Marschall zurück, bis 
am 26. Juli, nach großem Sträuben der verbündeten Monarchen 
und schweren aber gerechten Vorwürfen gegen Metternich, 
den Reichenbacher Vertrag nicht geachtet zu haben, zu Neu- 
markt die Verlängerung des Waffenstillstandes von den militäri- 
schen Unterhändlern unterzeichnet worden war. Wollte er viel- 
leicht in Prag nicht unter dem frischen Eindruck der Nachricht 
auftreten, daß Wellington am 21. Juni bei Vittoria, weit 
nördlich vom Ebro, die Franzosen total geschlagen und in die 
Flucht gejagt habe, daß nur wenig feste Plätze ihnen noch 
jenseits der Pyrenäen geblieben seien, nach deren Fall Frank- 
reich unmittelbar Gefahr drohe? Fürwahr, der Gedanke lag 
ihm nahe genug, im Osten die Hände mit Ehren frei zu be- 
kommen, und so erhielt denn Caulaincourt die Instruktion 
mit auf den Weg, „mit Kußland einen für diese Macht glänzen- 
den Frieden zu schließen".*) 

In der Hauptstadt Böhmens gelangte Caulaincourt bald 
zur Überzeugung, daß hier diesem Wunsche seines Herrn keine 
Erfüllung winke. Anstett, der Vertreter Rußlands, war ein 
entschiedener Napoleonhasser und außerdem mit Metternich 
übereingekommen, die Verhandlungen in der Art wie auf dem 
Teschner Kongreß von 1779 zu führen, d. h. sich nicht in 
Konferenzen zu besprechen, sondern nur schriftlich, jede 
Partei für sich, mit der vermittelnden Macht zu verkehren. 
Metternich hatte diese Form gewählt, um jede Möglichkeit 
einer Verständigung hinter seinem Rücken auszuschließen, und 



*) Ernouf. Maret, S. 574. Daß noch vor kurzem Napoleon einem 
allgemeinen Frieden nicht abgeneigt gewesen war, bestätigt Metternich 
in einem Briefe vom 28. Juni aus Dresden an Kaiser Franz, „überzeugt, 
daß die Frage des allgemeinen Friedens weit leichter durchzufechten wäre 
als jene eines bloß kontinentalen Friedens". (Oncken, II., 895.) Maret 
übergab ihm damals sogar einen darauf bezüglichen Entwurf. (Fain, II. 
145). Die Beteuerung Napoleons auf St. Helena, in Dresden den allge- 
meinen Frieden gewollt zu haben, ist durch Montholons „Erzählungen 
von St. Helena", S. 107 bekannt geworden. Wenig Wochen später aber 
war er schon nicht mehr dafür gestimmt und machte einer österreichi- 
schen Sendung nach London Schwierigkeiten. Er rechnete da nur noch 
mit einem Kontinentalfried en in seinem Sinne, d. h. mit Rußland 
allein auf Kosten Preußens und ohne Rücksicht auf Österreich. 



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Der Prager Kongreß. 



197 



die Verbündeten waren darauf eingegangen, damit sich Öster- 
reich um so sicherer Frankreich gegenüber kompromittiere, 
das diesen Verhandlungsmodus verwarf. Unter solchen Um- 
ständen fand Caulaincourt nichts zu tun, und Napoleon mußte 
die Idee eines Separatabkommens mit dem Zaren aufgeben; 
er lebte fortan nur noch in dem Gedanken, mit den Waffen 
zu erzwingen, was man ihm sonst nicht gewähren wollte, sei 
es, daß in diesem Kampfe Österreich neutral blieb, wie er 
noch immer hoffte, sei es, daß er seine Rüstungen derart betrieb, 
um allenfalls auch allen drei Gegnern überlegen zu werden. 
Die Nachricht, daß Alexander und Friedrich Wilhelm auf dem 
schlesischen Schlosse Trachenberg mit Bernadotte über einen 
Kriegsplan beraten hatten, schien ja ohnehin jeden weiteren 
Gedanken an Frieden auszuschließen. Er verließ Ende Juli 
heimlich Dresden, um in Mainz mit der Kaiserin-Regentin 
und den Ministern zusammenzutreffen, ihre Berichte entgegen- 
zunehmen, ihnen Weisungen für die Zeit des nächsten Felü- 
zuges zu erteilen und die Divisionen zweier neuer Korps zu 
inspizieren. Dann kehrte er am 5. August wieder nach Sachsen 
zurück. Nur noch fünf Tage hielten den Schluß des Kon- 
gresses auf, und noch war man in Prag über die Formalitäten 
nicht hinaus. Natürlich. Denn jetzt lag niemandem mehr 
etwas am Frieden. Die Verbündeten hatten ihn von der Ver- 
mittlung Österreichs nie erwartet, sondern waren auf sie nur 
eingegangen, um der Donaumacht eine „Brücke von jenseits 
nach diesseits" zu bauen, und Metternich selbst war schon ganz 
kriegerisch geworden, einmal unter dem Eindruck der Ereig- 
nisse in Spanien, dann aber namentlich, als Bernadotte, auf 
den man in Wien große Stücke hielt, sich in Trachenberg 
zur Führung einer aus seinen Schweden, aus Preußen und 
Russen zu bildenden Nordarmee bereit erklärt hatte und der 
mit ihm vereinbarte Kriegsplan in Reichenbach im Sinne eines 
von österreichischer Seite gemachten Vorschlags modifiziert 
worden war (s. unten).*) Er hatte jetzt nur noch den einen 

*) Am 19. Juli trägt Oberst Latour die österreichischen Propo- 
sitionen nach Reichenbach, wo sie gebilligt werden, und am 22. rät 
Metternich seinem Kaiser, „alle Zügel schießen zu lassen" und schickt 
eine scharfe Note über die Säumnisse auf dem Kongreß an Maret, die 



198 



Österreichs Schwenkung zum Krieire. 



Wunsch, seinen zaghaften Herrn von der Unmöglichkeit eines 
Ausgleichs mit Napoleon zu überzeugen, was ihm endlich auch 
gelang. Kaiser Franz, dem nun eine achtunggebietende Streit- 
kraft zur Verfügung stand, lehnte den Gedanken nicht mehr 
ab, sie zu gebrauchen. Sollte man die großen Opfer wirklich 
bloß für die Herstellung eines Zustandes aufgewendet haben, 
<3en man vor vier Jahren unerträglich gefunden hatte? eines 
Friedens, der ja doch keine Dauer versprach? Stadion, der 
seit Beginn seiner Mission bei den Verbündeten nicht müde 
geworden war, Österreichs Beziehung zu diesen enger zu 
knüpfen, und sich im Sinne seiner Instruktionen, ja, über sie 
hinaus, ohne Kücksicht auf die Schwankungen an seinem Hofe, 
auf eigene Faust betätigt hatte,*) schreibt jetzt bewegliche 
Briefe: sein Herr möge sich nicht bei den minimalen For- 
derungen begnügen, sondern den Moment benützen, wo man 
mit 400.000 Streitern in der Front und in den Flanken eines 
Feindes stehe, dem man gleich bei Beginn der Feindseligkeiten 
in den Kücken fallen könne. Jetzt sei es, wo man sich volle 
Unabhängigkeit und gesicherte Grenzen zu erkämpfen habe. 
Der Reichenbacher Vertrag verpflichte nicht, den Casus belli 
nur auf die vier Punkte des Minimums einzuschränken. Alles das 
verfehlte nicht, seinen Eindruck auf den Monarchen zu machen, 
dem bereits die „unvernünftige" Hinterhältigkeit Napoleons 
dem Kongreß gegenüber jede Hoffnung auf Frieden geraubt 
hatte. Pouche, der in jenen Tagen als neuernannter Gouver- 
neur von Illyrien durch Prag gekommen war, hatte hier 
viel von der prekären Lage des Franzosenkaisers und der 
schwierigen Stimmung seines Volkes erzählt. Die Bevölkerung 
Österreichs selbst — die Wiens ausgenommen, wo man neue 
Niederlagen und eine dritte Okkupation besorgte — war 
schließlich in eine Gärung geraten, mit der Minister und 
Monarch rechnen mußten. Broglie, der Sekretär Narbonnes, 



dann die Senfhing Caulaincourts beschleunigt hat. (Luckwaldt, 
S. 348, 859 f.) 

*) Am 17. Mai. als man in der Hofburg das Minimum herab- 
minderte, schrieb er aus Görlitz an seine Frau: „Allem Anschein nach 
spiele ich für meine Person in diesem Augonbliek ein gewagtes Spiel. 
Vielleicht erzähl' ich Dir das einmal." (Handschriftlich.) 



Metternichs Ultimatum. 



199 



berichtet in seinen Erinnerungen: „Wir konnten in Prag nicht 
mehr über die Straße gehen, ohne insultiert zu werden." 

Was aber das Wesentlichste war: Napoleon gewann end- 
lich die Überzeugung, daß er sich in Beziehung auf Österreichs 
künftige Haltung geirrt hatte, als er in Dresden zu Metternich 
vertrauensselige Worte sprach. Die Berichte Caulaincourts, 
namentlich aber die Tabellen über die sehr namhaften öster- 
reichischen Rüstungen, die sich die Franzosen in Prag zu ver- 
schaffen wußten, ließen ihn das Moment einer Kriegserklärung 
von dieser Seite ernster in Erwägung ziehen, als er bisher 
getan. Er sah sich plötzlich einer Koalition gegenüber, wie sie 
gewaltiger noch nie wider ihn gestanden hatte, und von Mäch- 
ten, die er bisher in ihren Interessen unvereinbar geglaubt. Er 
machte noch einen letzten Versuch, sie zu stören. Kaum nach 
Dresden zurückgekehrt, beauftragte er Caulaincourt, heimlich 
bei Metternich anzuklopfen: „wie Österreich den Frieden ver- 
stehe und ob es, wenn Napoleon seine Bedingungen annehme, 
mit ihm gemeinschaftliche Sache machen oder neutral bleiben 
wolle?" Doch dazu war es nun zu spät.*) Metternich übergab 
zur Antwort in einem Ultimatum nicht nur die vier uner- 
läßlichen Artikel, für die Österreich zu kämpfen sich ver- 
pflichtet hatte, sondern alle sechs Punkte, für die es diploma- 
tisch eintreten wollte, d. h. er verlangte auch die Auflösung 
des Rheinbundes und die Wiederherstellung des alten Preußens, 
ja, darüber hinaus, auch noch die wechselseitige Garantie des 
Besitzstandes aller Staaten — und alles das. damit Napoleon 
ja nicht nachgab; die Erklärung hierauf sollte, ja oder nein, 
längstens bis zur Mitternacht des 10. August in Prag eintreffen. 
Es mögen immerhin unangenehme Stunden gewesen sein, die 
er seit dem Abgang dieses Ultimatums am 8. verlebte. 
Wie, wenn Napoleon kurzweg und noch rechtzeitig er- 
klärte, daß er darauf einging? Welche Verlegenheit für 
Österreich! Denn dann mußte man sich mit einer Ausflucht 
helfen, die man sich für alle Fälle offen hielt. Nicht ver- 



*) Am 9. August schrieb Caulaincourt an Maret : „Da man nie 
s or Zeit nachgeben will, verdirbt und verliert man alles." (Zit. von 
Sorel, V1IT., 173.) 



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200 Napoleon lehnt ab. 

gebenß heißt es in der Einleitung zu dem Ultimatum, die 
der Minister Caulaincourt bekanntgab, Österreich seien „aus 
vorläufigen Erklärungen" die Bedingungen bekannt, unter 
denen die Verbündeten zu friedlichen Abmachungen ge- 
neigt schienen und die Franz I. als die einzigen an- 
sehe, die wirklich* einen allgemeinen Frieden herbeiführen 
könnten.*) Danach war mit dem Ultimatum zwar deutlich 
gesagt, daß Österreich, wenn Napoleon die Bedingungen nicht 
annahm, zu den Verbündeten abschwenken, aber nicht, daß 
es, wenn er zustimmte, Rußland und Preußen daraufhin zum 
Frieden zwingen würde. Doch Metternichs Rechnung war 
eicher und er konnte immerhin an Stadion schreiben: die Art 
der Fragestellung lasse keine Möglichkeit für ein Ja von 
seiten Napoleons zu. Der Sieger von Lützen und Bautzen 
konnte ein Programm nicht annehmen, das ihm das Ver- 
fügungsrecht über seine deutschen Truppen bestritt und ihn 
die Weichsel- und Oderfestungen räumen hieß. „Will man 
von mir," hatte er damals in Dresden zu dem Minister gesagt, 
„daß ich mich entehre? Niemals! Eure auf dem Throne ge- 
borenen Souveräne können sich zwanzigmal schlagen lassen 
und dennoch jedesmal in ihre Hauptstadt zurückkehren. Ich 
aber bin nur ein Sohn des Glücks; ich würde aufgehört haben 
zu regieren an dem Tage, wo ich aufgehört hätte, Achtung 
zu gebieten." Er ist jetzt empört über Österreichs Zumutungen, 
die er in seinen Briefen an Jerome und Cambaceres bis zur 
Bedrohung von Venedig übertreibt, und nur um auch seiner- 
seits einen Schritt zu tun, bietet er die Auflösung des Herzog- 
tums Warschau gegen eine Entschädigung des Königs von 
Sachsen, Danzig als Freistaat mit geschleiften Festungswerken, 
lllyrien und Dalmatien ohne Triest. Das bekam Bubna noch 
am Abend des 9. in Dresden zu hören und berichtete es sofort 
nach Prag. Die offizielle Antwort Napoleons aber, der sich die 
Stunde nicht hatte vorschreiben lassen wollen und darauf 
rechnete, daß man durch Bubna orientiert war, traf erst 
am 11. ein, als Narbonne bereits seine Pässe erhalten hatte 
und der Kongreß zu Ende war. Am 12. erklärte Franz I. 

*) Thiers, XVI. 217; Oncken, Österreich und Preußen. IT, 450; 
Luckwaldt, S. 368; Sorel, VIII., 171. 



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Wiederaufnahme der Feindseligkeiten. 201 

an Frankreich den Krieg. Ein neues entsetzliches Hingen 
begann.*) 



Es kann hier nicht daran gedacht werden, genauer die 
Kämpfe zu schildern, in denen sich die Völker und Staaten 
Europas, ihres wechselseitigen Zwistes vergessend, gemeinsam 
der drückenden Übermacht des imperialistischen Frankreichs 
erwehrten. Nur die wesentlichsten Momente, und diese nur 
in übersichtlicher Weise, dürfen zur Sprache kommen. 

Napoleon hatte die Zeit des Waffenstillstandes mit allen 
Kräften ausgenützt. Auf über 440.000 Mann wird die Heeres- 
macht angegeben, die er jetzt seinen Feinden entgegenstellte. 
An Reiterei, deren Mangel er vor Wochen so bitter beklagte, 
hatte er nun Überfluß, an Artillerie desgleichen. Und waren 
es auch nur die Jüngsten der kampffähigen Jugend Frank- 
reichs und der rheinbündischen Länder, die er herbeizog, so 
sahen wir doch bei Lützen und Bautzen diese Jünglinge trotz 
wetterfesten Männern fechten. Sie werden auch jetzt ihre 
Schuldigkeit tun, und würden es sogar mit Lust und Eifer, 
wenn nicht Ebbe in der Kriegskasse eingetreten und etwas 
mehr Ehrgefühl in die Seelen der Verwaltungsbeamten ein- 
gekehrt wäre. Aber die Gelder fehlten für den Sold, und die 
Korruption war beispiellos, so daß die jungen Krieger außer- 
ordentlich vom Hunger litten, der viele Tausende in die 
Spitäler schaffte. Er wird mit eine der Hauptursachen sein, 



*) Napoleon hat übrigens das diplomatische Spiel nicht so rasch 
verloren gegeben. Die Feindseligkeiten konnten erst nach einer Woche 
Aufkündigungsfrist beginnen. Er benützte diese, am auf Österreichs 
Ultimatum nahezu einzugehen, gewiß nur, um das Odium des An- 
greifers auf andere Schultern zu laden. Aber er erreichte damit nichts 
mehr. Am 16. August — Alexander war nach Prag gekommen und 
Metternich hatte ihm die Entscheidung anheim gestellt — erhielt sein 
Bevollmächtigter in das nahe Köuigsaal ablehnenden Bescheid. Im 
Jahre 1814 sagte der entthronte Kaiser zu dem österreichischen General 
Koller: „"Was den Prager Kongreß betrifft, so gestehe ich, daß ich mich 
in Euch getäuscht habe; ich habe Euch für das gehalten, als was ich 
Euch bei früheren Gelegenheiten kennen gelernt, und Ihr hattet Euch 
inzwischen zu Eurem Vorteil verändert." (Helfert, Napoleons Fahrt 
von Fontainebleau nach Elba, S. 18.) 



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202 



Die französischen Streitkräfte. 



wenn Napoleon in dem großen Hingen unterliegt.*) Woran 
es überdies der Armee noch immer mangelte, das war an Offi- 
zieren und Unteroffizieren; das Letztere wohl deshalb, weil der 
Kaiser die tüchtigsten Elemente in seine Garde zog, die jetzt 
bis auf 58.000 Mann angewachsen war und mit jener Sorgfalt 
berücksichtigt und bevorzugt wurde, die wir bereits kennen; 
es sah fast aus, als ob sich der an kein Volk gebundene Impe- 
rator mit diesem Heer im Heere eine persönliche Armee zu 
schaffen gedächte. Außerdem gab es jetzt noch vierzehn Armee- 
korps, von denen jedoch zwei — die Bayern am Inn unter 
Wrede und die Danziger Besatzung — nicht in Betracht kamen 
und in die 440.000 Mann auch nicht eingerechnet sind. Von 
der unter Davout an der Niederelbe stehenden Heeresabteilung 
war ein Korps unter Vandamme (das 3.) abgezweigt und nach 
Dresden dirigiert worden. Ein zweites (das 14.) wurde aus 
Franken herbeigezogen und unter Saint-Cyr gestellt. Ponia- 
towski hatte 8000 Polen durch Österreich, entwaffnet, herbei- 
geführt, von denen er ein Korps von 7500 Mann (das 8.) unter 
seinem Befehl hielt. Und neben all dem gah es noch fünf 
Reservekavalleriekorps unter Murat. der endlich seiner poli- 
tischen Schwankungen ledig geworden und wieder zum Kaiser 
zurückgekehrt war. Dieser gedachte ihn offenbar durch ein her- 
vorragendes Kommando an sich zu fesseln. Die Kriegsmacht war 
zum größten Teil zwischen Dresden als Hauptstützpunkt und 
Liegnitz postiert, und zwar standen vier Korps — das 3. (Ney), 
das 5. (Lauriston), das 6. (Marmont), das 11. (Macdonald) samt 
einem Kavalleriekorps — als „Bober-Armee", 130.000 Mann 
stark, unter Ney an der Katzbach und am Bober mit der 
Front nach Osten. Mit der Front gegen Süden standen bei 
Dresden Saint-Cyr und ein Kavalleriekorps, bei Bautzen Van- 

*) Die Listen weisen nicht weniger als 90.000 Kranke auf, die 
unter den 440.000 Mann, mit denen man die Armee in Deutschland 
bezifferte, nicht erscheinen. Sie gingen durch Mangel an Wartung und 
Nahrung zum größten Teile zugrunde. Die Korruption erstreckte sich 
in die nächste Umgebung des Monarchen. Ein Augenzeuge erzählt, 
wie der Zahlmeister Peyrusse von 4000 Franken, die der Kaiser für ein 
Denkmal Durocs bei Reichenbach ausgesetzt hatte, 1000 Franken in 
die Tasche steckte mit dem Bemerken, das sei so Brauch. (Odeleben, 
Napoleons Feldzug in Sachsen, S. 255.) 



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Die Streitkräfte der Verbündeten. 



203 



dämme mit einem solchen, bei Görlitz die Garden, das 2. Korps 
(Victor) und ein Kavalleriekorps, bei Zittau Poniatowski: es 
war die Hauptmacht, 180.000 Mann, unter des Kaisers eigenem 
Kommando. Außerdem waren drei Korps: das 12. (Oudinot), 
das 4. (Bertrand), das 7. (Reynier) und ein Kavalleriekorps, 
67.000 Mann, die „Arm£e de Berlin", nordwärts detachiert; 
sie standen unter Oudinot bei Luckau, Kalau und Kottbus, 
während Davouts Korps, das 13., mit 38.000 Mann in Ham- 
burg stationiert blieb und Girard in Magdeburg und Wittenberg 
ein Zwischenkorps von zwei Divisionen vereinigte. 

Auch die Verbündeten hatten während der letzten Mouate 
gewaltig gerüstet. Alexander I. hatte das Ergänzungssystem 
geordnet, so daß aus allen Teilen des russischen Reiches 
Truppen herankommen konnten, bis Mitte August die russische 
Feldarmee 180.000 Mann betrug, abgesehen von den großen 
Reserven in Polen. Von Seiten Preußens war, dank der Kampf- 
begeisterung des Volkes und der stahlharten Energie der 
Kriegsleitung, Unerhörtes geleistet worden: bis auf 160.000 
Mann hatte man die Feldarmee (auf 100.000 die Landwehr) 
gebracht. „Wir haben nun eine Armee", schrieb Gneisenau 
schon am 11. Juli an Stein, „wie Preußen nie, selbst in seiner 
glänzendsten Periode nicht hatte." Und auch Österreich hatte 
alle denkbaren Anstrengungen gemacht und in Böhmen, ohne 
die Garnisonen, 127.000 Mann auf die Beine gestellt. Überdies 
standen in Innerösterreich 37.000 Mann, um Eugen, im Donau- 
• tal 30.000, um die Bayern abzuwehren; in Tirol unterstützte 
man die Insurrektion. Die Geldmittel lieferte England, mit 
dem man sogleich nach der Auflösung des Kongresses — am 
18. August — eine Subsidienkonvention abgeschlossen hatte, 
die der Wiener Regierung zunächst eine halbe Million Livres 
eintrug.*) Über den Plan, wie man all die Kriegskräfte — 
mit den 23.000 Schweden Bernadottes, 9000 Mann englisch- 
deutscher Truppen und einem mecklenburgischen Kontingent 
waren es über 500.000 Mann — gegen den gefürchteten 
Cäsar verwenden wollte, war schon im Juni zu Gitschin, als 

*) In dorn Vertrag ist die Aufstellung von 5000 Mann an der 
Save, die Aushebung von 6 Bataillonen „Grenzer", und die Unterstützung 
der Tiroler Insurrektion vorgesehen. (Das Original im W. St. A.) 



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204 



Der „Trachenberge!- Kriegsplan**. 



Franz I. seine Mitwirkung nur erst in mögliche Aussicht 
stellte, eine vorläufige Übereinkunft entstanden, die dann in 
den Besprechungen zu Trachenberg mit dem Kronprinzen 
von Schweden erweitert und noch im Juli durch die Annahme 
österreichischer Zusatzvorschliige in Reichenbach zum Ab- 
schluß gebracht wurde (s. oben). Nach diesen allgemein als 
„Trachenberger Kriegsplan" bezeichneten Verabredungen 
sollten drei Armeen aufgestellt werden. Die Hauptarmee lag, 
aus Rücksicht auf das umworbene Österreich, das eine neue 
Tnvasion von Norden und eine Okkupation Wiens besorgte, 
in Böhmen; sie ward durch starken Zuzug verbündeter 
Truppen aus Schlesien auf die entsprechende Höhe gebracht 
und zählte am Ende des Waffenstillstandes -über 250.000 Mann; 
sie stand unter dem Kommando des Fürsten Schwarzenberg, 
der Radetzky als Generalstabschef zur Seite, aber auch die 
drei Monarchen mit ihren besonderen militärischen Beratern 
auf dem Halse hatte, was keine geringe diplomatische 
Kunst erforderte.*) Dann gab es eine Nordarmee unter 
Bernadotte, die aus zwei preußischen Korps (Bülow und 
Tauentzien), einem russischen (Winzingerode), den Schweden, 
im ganzen aus 127.000 Mann bestand; ein gegen Davout hin 
detachiertes Observationskorps kam für den sächsischen 
Kriegsschauplatz nicht in Betracht. Der Armee in Schlesien 
blieben nach dem Abmarsch von 125.000 Mann nach Böhmen 
noch etwas über 100.000 — ein preußisches Korps unter Yorck 
und drei russische — unter dem Kommando Blüchers, den . 
Gneisenau beriet. Der wesentlichste, von Radetzky herrührende 
Grundsatz der Kriegführung, den man vor allen befolgen 
wollte, war der, daß, wenn der Feind mit seiner Hauptmacht 
einer der Armeen entgegentrat, diese zurückweichen sollte, 
indes die beiden anderen vorwärtsgingen und losschlugen, 



*) Die Schwierigkeit der Leitung dieses Heerkörpers, der aus 127.000 
Österreichern, 82.000 Russen und 45.000 Preußen zusammengesetzt 
war, lag vornehmlich darin, daß Schwarzenberg für jede Verwendung 
nichtösterreichischer Truppen vorerst die Zustimmung des betreffenden 
Monarchen einholen mußte, wobei sich namentlich mit Kaiser Alexander 
manche Differenz ergab. (Vgl. Schwarzenberg an Kaiser Franz im 
Anhang.) 



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Napoleon» Operationsentwürfe. 205 

das heißt, man wollte den großen Schlachtenkaiser, der doch 
wohl die Hauptmacht befehligen würde, die Gelegenheit zu 
einem entscheidenden Schlage so lange nehmen, bis die drei 
verbündeten Armeen, verstärkt durch das Reserveheer, das 
Eußland in Polen sammeln ließ, mit Übermacht und in einer 
sonst den Erfolg verbürgenden Kooperation selbst einen solchen 
wagen konnten. 

Von diesem Plane hatte Napoleon keine Kenntnis er- 
halten. Erst spät erfuhr er von dem Marsche russischer und 
preußischer Truppen nach Böhmen. Die Absicht, die man 
ihm im feindlichen Lager zuschrieb, er wolle auf Wien los- 
gehen, hat er nie gefaßt. Er dachte sogar, wozu auch seine 
Generale rieten, daran, Dresden aufzugeben und hinter der 
Saale eine starke Stellung zu nehmen, um von da aus die 
einzeln vorrückenden Armeen der Verbündeten zu schlagen, 
gab aber auf ein hingeworfenes Wort Marets, Friedrich II. 
habe in ebenso vorgerückter Position den vereinigten Russen 
und Österreichern mit Erfolg widerstanden, die sehr richtige 
Absicht auf und blieb jenseits der Elbe. *) Er will jetzt 
Davout von Hamburg her und Oudinot, nordwärts zusammen- 
wirkend, gegen Berlin die Offensive ergreifen lassen, was er 
sich erfolgreich denkt, da er die feindliche Nordarmee weit 
unterschätzt und hier die Schwäche des feindlichen Auf- 
marsches vermutet. Zur Verbindung der beiden hatte eine 
der Divisionen unter Girard von Magdeburg ostwärts zu ziehen. 
Nach der Einnahme der preußischen Hauptstadt sollten sofort 
Küstrin und Stettin entsetzt und so der linke Flügel der 
ganzen Aufstellung nach Osten vorgerückt werden. Unterdes 
wollte der Kaiser diese Unternehmung durch eine wirksame 
Diversion gegen die beiden anderen Armeen sichern, den 
Feinden den Angriff überlassend. Woher nun derselbe kommen 
würde, war ihm nicht klar. Für alle Fälle nahm er bei Görlitz 
mit der Garde und einigen Korps eine abwartende Stellung 
ein, in der Vermutung, daß die vereinigten Russen und Öster- 
reicher aus Böhmen über Zittau vorbrechen könnten. Dresden 
hat er durch Erdwerke und Pallisadcn gegen einen Hand- 



*) Pasquit'r, Memoiros, IL, 82. 



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206 Blücher eröffnet die Feindseligkeiten. 

streich zu schützen gesucht und Saint-Cyr für diesen Fall die 
Verteidigung übertragen, in die er übrigens nach wenig Tagen 
selbst einzugreifen imstande war. 

Die Offensive des Feindes über Zittau erfolgte nicht. Da- 
gegen hat Blücher schon vor dem 16. August die Feindselig- 
keiten begonnen und die vier französischen Korps unter Ney, 
die ihm bei Liegnitz unmittelbar gegenüberstanden, hinter 
den Bober zurückgedrängt. Napoleon will dies wieder gut- 
machen und Blücher aufs Haupt schlagen. Aber dieser merkte 
alsbald — schon an der veränderten Haltung der franzö- 
sischen Truppen, wenn nicht an dem „Vive l'empereur", das 
herüberschallte — die Anwesenheit des feindlichen Kriegs- 
herrn und damit die Absicht eines entscheidenden Vorstoßes, 
und tat, wie verabredet war: er wich kämpfend hinter die 
Katzbach zurück. Daß dies willkürlich geschah, merkte der 
Kaiser anfänglich nicht und drängte eifrig nach, bis er es am 
22. inne wurde, „daß die Führer kein ernstes Engagement 
wollten". Darauf rückte er wieder in seine Stellung Görlitz- 
Zittau zurück, wo ihn unversehens die Bitte Saint-Cyrs um 
Beistand ereilte, denn Dresden sei durch den Anmarsch eines 
feindlichen Heeres vom Erzgebirge her aufs emstlichste 
gefährdet. 

So winkte die Entscheidung an ganz anderer Stelle als 
Napoleon vermutet, aber sie winkte dort, wo er sie vor allem 
gewünscht hatte. In einem Briefe an Maret aus diesen Tagen 
heißt es : „Da ohne Schlacht keine Entscheidung erfolgen kann, 
so kann uns nichts Glücklicheres begegnen, als daß der Feind 
nach Dresden marschiert, weil es dann zu einer Schlacht 
kommen muß."*) Er läßt Macdonald mit drei Korps Blüchern 
gegenüber stehen und nimmt Ney und das sechste Korps 
am 23. mit sich nach Westen, wohin er auch die Garden und 
die Korps von ^andamme und Victor dirigiert, die zum 
Empfang der Verbündeten nördlich von Zittau bereit gestanden 
hatten. Nach dreitägigen beispiellosen Eilmärschen gelangen 
die Truppen in die Nähe Dresdens, indes der Kaiser den 
kühnen Plan gefaßt hat, die Elbe unterhalb des Feindes, der 



*) Oorresp. XXVI, 20.437 (22. Aupu?t). 



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Die böhmische Armee rückt gegen Dresden vor. 207 

bereits nahe an die Stadt herangekommen schien — Wittgen- 
stein hatte am 22. das Lager bei Pirna genommen — zu über- 
schreiten, ihn zwischen sich und Saint-Cyr zu bringen, von 
seiner Rückzugslinie abzuschneiden und auf Prag loszugehen. 
Aber er muß den kühnen Gedanken alsbald wieder fallen 
lassen. Saint-Cyr ist zu schwach, um so lange Widerstand zu 
leisten, bis die große Umgehung ausgeführt war; man muß daher 
den sicheren Weg wählen und dem Gegner von Dresden aus 
entgegentreten. Nur Vandamme wird mit 40.000 Mann nach 
Pirna und Königstein geschickt, während Xapoleon selbst 
am Vormittage des 26. August mit den Garden, die in den drei 
Tagen, bei strömendem Hegen, querfeldein, da die Straße 
für die Artillerie und den Train reserviert blieb, über neun- 
zehn Kilometer von Löwen berg her zurückgelegt haben, in 
die Stadt einmarschiert. Die Korps von Marmont und Victor 
sind noch unterwegs. 

Die Verbündeten waren unterdes tatsächlich nahe an 
Dresden herangerückt. Sie hatten ehevor, in einem Kriegsrat 
zu Melnik, den Entschluß gefaßt, mit dem Gros der „böhmi- 
schen Armee" nach Leipzig hin, auf Napoleons Verbindungen, 
vorzugehen, sobald er gegen Bernadotte zog, dann aber, 
während des Vormarsches über das Erzgebirge, die gefährliche 
Absicht aufgegeben und sich mit dem ganzen Heer Dresden 
zugewendet, als sie vernahmen, daß der Kaiser in Schlesien 
gegen Blücher zu Felde lag. Die Lockung, sich der wich- 
tigen Stadt mit ihren reichen Depots und Reserven zu be- 
mächtigen, war groß genug, und so will man denn am 
25. August von den Höhen im Süden eine Rekognoszierung 
vornehmen, „ob ein coup de main etwa gelingen könnte". Es 
kommt aber nicht dazu, da im Hauptquartier die Meinung 
vorwaltet, es wäre vorteilhafter, noch weiterhin „zu manö- 
vrieren, bis des Gegners Pläne besser aufgeklärt seien". Dies 
war namentlich die Ansicht Kaiser Alexanders, der sich von 
seinen militärischen Ratgebern — Moreau, der alte Feind 
Napoleons, hatte sich zu solchen Diensten eingefunden — 
dazu bestimmen ließ, obgleich ein Handstreich an diesem 
Tage Erfolg gehabt hätte. Freilich entsprach es weit mehr den 
verabredeten strategischen Grundsätzen, ohne große Opfer 



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208 



Die Kämpfe um Dresden am 26. August. 



die Hauptmacht des Feindes von den kleineren Armeen 
w eg auf sich zu locken und diese dadurch zu siegreichem Vor- 
dringen ihrerseits zu befähigen, d. h. der Hauvtarmee und 
der schließlichen Entscheidung näher zu bringen. Darum 
betont auch Schwarzenberg in einem Befehl für den nächsten 
Tag, den „demonstrativen" Charakter der weiteren Vor- 
rückung, die den rechten Flügel — die Russen unter Wittgen- 
stein — allenfalls bis in die Pirnaer Vorstadt, das an ihn 
sich schließende preußische Korps unter Kleist in den Großen 
Garten, ein Korps Österreicher im Zentrum und linkshin 
„ohne nutzlosen Menschenverlust" in die Dörfer und Vororte 
im Süden und Westen der unterdes kräftig beschossenen Stadt 
führen soll. Die Beschießung und der Angriff des linken 
Flügels wird auf den Nachmittag des 36. festgesetzt. An diesem 
Tage aber — der Kampf gegen Saint-Cyr war bereits im 
Gange, da man nun doch die ernste Absicht hat, sich mit einem 
Teil der Armee Dresdens zu bemächtigen*) — vernimmt man 
vom Herannahen starker feindlicher Massen von Osten her 
und schließlich von der Anwesenheit Napoleons in der Stadt: 
eine völlig veränderte Lage, die, dem Kriegsplan gemäß, aus 
der Offensive in die Verteidigung, ja zum Rückzug überzugehen 
gebot. Es ward denn auch beschlossen, von weiteren Angriffen 
auf Dresden abzustehen und zunächst nur auf den Höhen 
eine feste Stellung zu nehmen, bis die Retraite eingeleitet war. 
Die Gründe sind noch nicht aufgeklärt, aus denen es dann 
doch nicht zur Unterbrechung des Kampfes, vielmehr, wie 
ursprünglich bestimmt worden war, zu dessen verstärkter Auf- 
nahme auf dem linken Flügel kam. Nach vier Uhr Nachmittag 
wurde rings um die Stadt gekämpft, indes ein Hagel von 
(icschossen auf sie niederprasselte. 

In der Zwischenzeit waren jedoch, jedes einzelne von 

*) Am 26. August schreibt Metternich aus Brüx au Hudelist in 
Wien : „Ich bin heute aus dem Hauptquartier zu Reichstätt bei Dippol- 
diswalde, vier Stunden von Dresden, eingelangt. Wie ich letzteren Ort 
verließ, brachen eben 30.000 Mann auf, um eine große Recounaissance 
zu machen. Heute im Tag sollte Dresden angegriffen und mit Sturm 
empört iert werden. 60.000 Mann, worunter 20.000 Österreicher, sind 
zu dem I'ntt'inelimen bestimmt, zu welchem alle Chancen vorhanden 
sind." S. Anhang. 



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I'iy Kämpfe bei Dresden am 27. August. 209 

Napoleon durch ermutigende Worte angefeuert, die Regimenter 
der Garden über die Elbe und in die bedrohten Positionen 
gerückt. Sie wehren die ohne einheitliche Leitung und nir- 
gends mit überlegenen Kräften unternommenen Stöße ab, 
so daß die Truppen der Verbündeten, da sie ohne Sturmmittel 
sind und ohne Sukkurs bleiben, keine Erfolge erringen können. 
Sie verbluten 6ich nutzlos an der l'mwallung der Vorstädte. 
Dann geht, nach 5 Uhr, Napoleon seinerseits zum Angriff 
über und drängt links die Russen hinter Striesen, rechts die 
Österreicher gegen Löbtau und Cotta, im Zentrum Preußen 
und Österreicher gegen Strehla und die Räckuitzer Höhen hin 
zurück. Der Tag hat günstig für die Franzosen geendet, ohne 
die Korps von Marmont und A'ictor, die erst während der 
Nacht anlangen und das Heer wesentlich verstärken. 

Am nächsten Morgen ergreift der Kaiser sofort die Offen- 
sive, als er die Streitkraft der A'erbündeten, nur in höhere 
Positionen gerückt, noch vorfand. Es war freilich von Schwar- 
zenberg der sofortige Rückmarsch empfohlen worden, da 
Dresden nun doch nicht mehr einfach wegzunehmen, der 
Zweck der „Demonstration" erfüllt sei, die Truppe, der es an 
Nahrungsmitteln fehle, bei dem unaufhörlichen Regenwetter 
6chwer zu leiden habe und der nach Pirna detachierte Prinz 
von Württemberg sich gegen Vandamme nicht werde halten 
können; aber die Monarchen, insbesondere Friedrich Wilhelm, 
waren für die Fortsetzung des Defensivkampfes in guten 
Stellungen, wenn der Kaiser die Schlacht erneuere. Er tat 
es. Napoleon beschäftigt des Gegners rechten Flügel und 
dessen Zentrum, indes Victor mit seinen Kolonnen gegen die 
Linke vordringt und sie zwischen Roßtal und Döltzschen durch- 
bricht, so daß Murat mit dem äußersten linken Flügel leichtes 
Spiel hat. Er bedroht ihn mit seinen Reiterkorps in der Front 
und läßt ihn gleichzeitig durch zwei Divisionen von Westen her 
umgehen. Eine österreichische Division (bei 9000 Mann) wird 
samt ihrem Kommandanten gefangen genommen, der Rest 
auf der Freiberger Straße weit zurückgeworfen. Der Fehler 
der Verbündeten, die ihre Kavallerie ungenützt im Zentrum 
stehen ließen und keinen Vorstoß wagten, neben dem Umstand, 
daß ein Korps Österreicher unter Klenau von Tharandt nicht 

Fournier. Nii]..,1eon I. H 



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210 



Rückzug der Verbündeten. 



mehr zu rechter Zeit herankommen konnte, förderte hier den 
Teilsieg der Franzosen. Im Kücken bedroht — denn Barcia v 
hatte den Befehl des Zaren, die Franzosen von der pirnaischen 
Stralic zu vertreiben, unausgeführt gelassen — auf der Linken 
empfindlich geschlagen, ziehen sich endlich die Alliierten in 
der Nacht zurück/') Sie haben in den zwei Tagen über 
10.000 Mann an Toten und Verwundeten und über 15.000 
an Gefangenen eingebüßt, während ihr Gegner in seiner 
geschützten Stellung weit geringere Verluste und einen Er- 
folg zu verzeichnen hat. Wenn er ihn mit Umsicht ausnützt, 
kann die Hauptmacht seiner Feinde eine Katastrophe er- 
eilen, die kein Sieg ihrer andern Armeen aufzuwiegen vermag. 
Er hat es nicht getan. Schon deshalb nicht, weil er am 
27. abends noch keineswegs gewiß war, ob die Gegner, deren 
Hauptkräftc, namentlich im Zentrum und auf dem rechten 
Flügel, nur wenig beschäftigt gewesen waren, die Schlacht nicht 
noch einmal, und nun mit voller Macht, wagen würden. 
Seine Befehle, die er des Abends erteilte, lassen keinen 
Zweifel übrig, daß er noch einen dritten Kampftag erwar- 
tete. Und in der Tat wurde auch im Hauptquartier der Ver- 
bündeten bis tief in die Nacht hinein der Plan diskutiert, 
sich auf die Höhen von Dippoldiswalde zurückzuziehen und 
dort mit der ganzen Armee das Gefecht zu erneuern, 
bis endlich Schwarzenberg die mangelhafte Ausrüstung 
der Österreicher, namentlich mit Artilleriemunition, gel- 
tend machte und den Bückzug anordnete. Als Napoleon 
am nächsten Morgen in die Kampflinie des vorhergehenden 
Tages vorritt, sah er die feindlichen Kolonnen auf den Wegen 
nach Maxen und Dippoldiswalde in den Bergtälern ver- 
schwinden. Da Vandamme mit seinen 40.000 Mann die große 
Pirnaer Straße, die über Peterswalde nach Teplitz führt, 

*) Namentlich in dem Verhalten Barclays erblickte man im 
Hauptquartier der Monarchen einen Hauptgrund für den Mißerfolg 
des Tages. Am 31. August schrieb Metternich hierüber an Hudelist : 
„Nach beispiellosen Fatiguen und einer in ihrem Entstehen vortrefflich 
geleiteten Operazion, welche aber durch die ebenso beispiellose Ineptie 
des Generals Barclay de Tolli scheiterte und äußerst kompromittierende 
Folgen für uns hätte haben können, hat die Gesamtarmee ihren Rückzug 
aus Sachsen am 27. Abends begonnen. 4 * S. Anhang. 



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„Aimaberg M oder „Altenberg 1 *? 



211 



bereits besetzt hielt, war es des Kaisers Überzeugung, daß die 
Verbündeten die letztere Stadt auf dem zwar weniger be- 
quemen, aber kürzeren Wege über Altenberg zu gewinnen 
trachten würden. Er läßt ihnen hier Saint-Cyr und Marmont, 
auf der Straße über Eabenau Victor folgen, während Murat 
über Freyberg nach Frauenstein marschieren und ihnen von 
dorther Flanke und Rücken bedrohen soll. An Vandamme, den 
Mortier bei Pirna abgelöst hat, schickt er am 28. ein Schreiben, 
daß der Gegner die Richtung auf Altenberg einzuschlagen 
scheine und er ihm auf seinen Verbindungen mit Teplitz zuvor- 
kommen und namentlich seinem Troß manchen Schaden tun 
könne.*) Er selbst hält den Feind, von dem er noch soeben 

*) Dieser Brief Berthiers an Vandamme den Pelet, Des prinei- 
pales Operations de la campagne de 1813 im „Spectateur militaire" von 
1823 mitteilt, wird von allen Geschichtschreibern, auch den militäri- 
schen, mit Ausnahme Aster s, mit dem ganz sinnlosen Sehreibfehler 
„Annaberg" für das einzig mögliche „Altenberg" wiedergegeben. Weder 
der "Wortlaut dieses Briefes noch Napoleons Schreiben an Murat vom 
folgenden Tage mit dem Satze: „toute l'armöe sc retire par Altenberg 
sur Toeplitz" lassen einen Zweifel übrig. Man hat allerdings in jüngster 
Zeit den Versuch gemacht, Napoleons schwer erklärliches Verhalten 
in diesen Tagen damit zu rechtfertigen, daß er am 28. August den 
Feind wirklich im Abmarsch in der Richtung „auf Annaberg" ver- 
mutet und deshalb Vandamme, den er nun nicht für gefährdet hielt, 
weiter nicht unterstützt habe, bis er erst am Nachmittag des 29. aus 
einem Berichte Marmonts „zu seiner Überraschung" den Abmarsch der 
Verbündeten „über Altenberg nach Teplitz" erfuhr. (Jahrbücher für 
die deutsche Armee und Marine, 1902, in Ausführung der von Osten- 
Sa cken gelegentlich ausgesprochenen Ausi cht : die einzig zur Erklä- 
rung mögliehe Annahme sei die, daß Napoleon den Feind im Rückzüge 
über Freiberg vermutet und nicht geahnt habe, welchen Ersatz er 
hätte gewinnen können, aber auch nicht, in welcher Gefahr sein General 
schwebte.) Aber die Argumente, die hiefür angeführt werden, reichen 
doch nicht aus, um auf eine Anzahl von Fragen präzise Antwort zu 
geben. Z. B.: Was sollte das verbündete Heer in der Gegend von 
Annaberg? Wollte es nicht wieder zurück nach Böhmen, wo die Ma- 
terialdepots und die Reserven lagen? Und die österreichische Artillerie 
hatte nur die halbe Chargierung auf den Weg mitgenommen. Und 
wenn das Ziel schon in jener Richtung lag, warum nennt Napoleon 
nicht das nähere Marienberg, von wo die Straße über Sebastiansberg 
nach Böhmen führte und das ihm geläufiger ist, da es sich wiederholt 
in seiner Korrespondenz findet? War es logisch, den Feind im Rück- 
züge nach Westen zu vermuten, wo doch gerade dessen linker Flügel 

14* 



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212 Verwirrung im retiricrenden Heere. 

die Erneuerung der Schlacht erwartet hatte, keineswegs für 
überwunden; es scheint ihm aber nach seinem Kriegsplan offen- 
bar schon ein großer Erfolg, den Anprall der Hauptarraee 
siegreich zurückgewiesen zu haben. Hätte er von der Nieder- 
geschlagenheit im andern Lager, von der schlechten Stimmung 
der Österreicher, von der üblen Ordnung auf dem Rückzüge, 
dem Ineinandermarschieren der Kolonnen, so daß 36.000 
Preußen unter Kleist, um überhaupt nur vorwärts zu kommen, 
von Fürstenwalde ostwärts über das Gebirge auf die Peters- 



am 27. umgangen und geschlagen worden war, während Zentrum und 
Rechte nahezu intakt blieben? Wie konnte übrigens der Kaiser bei 
dieser Vermutung am 28. an Vandamme schreiben lassen: „Ich denke, 
daß sie vor dem Feind auf der Verbindung von Tetschen (!), Aussig (!) 
und Teplitz ankommen und so seine Equipage, Bagage etc., schließlich 
alles, was hinter einer Armee marschiert, nehmen können?" 
Konnte Vandamme wirklich auf der Linie Tetscben-Aussig die ßagage 
hinter einer Armee wegnehmen, die von Dresden nach Annaberg zog? 
Wie konnte der Kaiser am 29. morgen-* an Murat sehreiben: „Vandamme 
meldet, daß der Schrecken in der ganzen russischen Armee herrsche", 
wenn die Russen auf Annaberg, Vandamme gegen Aussig marschierten? 
Und wenn er in demselben Befehl seinen Schwager anwies, von .Freiberg 
südöstlich auf Fiauenstein einzuschwenken, „um dem Feind in Flanken 
und Rücken zu kommen," ist es da nicht nur natürlich, daß er sich Murat 
im Vormarsch über Hermsdorf dachte, der ihn in der Tat in Flanke 
und Rücken der über Altenberg marschierenden Kolonnen führte? Und 
wenn wirklich Marmonts Meldung vom 29., „der Feind marschiert über 
Altenberg", Napoleon „überraschte", mußte sich diese Überraschung nicht 
sofort in neuen Ordres, wenigstens was Vandamme betraf, ausdrücken? 
Wir finden nichts dergleichen. Erst am 30. läßt er an Mortier schrei- 
ben, er solle Vandamme, „wenn er dessen bedarf," mit drei Divisionen 
Garde unterstützen. Nein, was Marmont am 29. meldet, ist nur die 
Bestätigung dessen, was Napoleon am 28. vermutet („il parait") hat: 
daß der Feind auf Altenberg zu marschiere. „Zwar habe gestern", 
heißt es in dem Postskript zum Brief an Murat vom 29., „nach Mar- 
monts Meldung eine Trainkolonne von Dippoldiswalde die Straße nach 
Frauenstein eingeschlagen, sie wird aber bei Hermsdorf die Altenberger 
Straße wiedergewonnen haben, "womit gleichsam die Ansicht vom Vortage 
bekräftigt wird. Aus diesen, aus Napoleons Briefen (Corresp, XXVI) 
geholten Gründen kann ich heute meine Meinung noch nicht aufgeben, 
daß es im Brief Berthiers an Vandamme vom 28. August nicht „Arns- 
berg", sondern „Altenberg'' zu heißen habe, ungefähr wie in der Note 
vom 30. (Corresp. XXVI. 20.492) „Rumburg" und nicht „Naumburg" 
zu lesen ist. 



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Franz. Niederlagen bei Groß-Beeren und an der Katzbach. 213 

walder Straße ausweichen mußten, auf die Gefahr, zwischen 
Vandamme und einem nachrückenden Franzosenkorps zer- 
malmt zu werden, hätte er von alledem auch nur eine Ahnung 
haben können, er hätte wohl kaum eine Sekunde geschwankt, 
seinen Sieg durch einen raschen Schlag zu vollenden.*) 

Dazu kam aber noch Anderes. Der Kaiser war in den 
letzten Tagen von einem Unfall, der die Armee Oudinots be- 
troffen, benachrichtigt worden, die von Bülow bei Groß-Beeren 
am 23. August geschlagen und zum Rückzug auf Wittenberg 
genötigt worden war. Und daran nicht genug, traf eben jetzt, 
als er die verfolgenden Korps aussandte, die Kunde von 
einem Siege Blüchers über Macdonald bei Wahlstatt an der 
Katzbach am 26. ein, der die Ostarmee der Franzosen mit einem 
Verluste von bei 20.000 Mann in die Lausitz zurückwarf. 
Durfte er unter diesen Umständen noch nach Böhmen ziehen ? 
Er überlegte die Frage und beantwortete sie in einer Reihe von 
Notizen, die gegen diese Absicht sprachen. Es war ja sein 
ursprünglicher Hauptplan, im Süden defensiv zu bleiben und 
nur im Norden offensiv vorzugehen. Darum hat er die Affaire 
bei Dresden lediglich als Sieg in der Defensive aufgefaßt**) 
und seinem Angriffsprojekt auf Berlin und die Oderfestungen, 
deren Besatzungen sich nach seiner Berechnung nur bis in den 



*) Ein Unwohlsein, welches Napoleon am 28. mittags befiel, als 
er auf der Straße nach Pirna gefrühstückt hatte, soll ihn in seinem 
Vormarsch gehindert und nach Dresden zurückgeführt haben. Nun, das 
Unwohlsein mag auf Wahrheit beruhen; aber es muß ein rasch vor- 
übergehendes gewesen sein, denn man sah ihn ,,sehr heiter und lustig" 
nach Dresden zurückfahren, wo ihn dann ein Bote, der von der Katzbach 
kam, „bei vollster Gesundheit" antraf. Er selbst hat zwei Tage später, 
als er von Vandammes Mißgeschick erfuhr, Daru gegenüber jenes Übel- 
sein als Grund seiner Rückkehr von Pirna angegeben, da er sich für 
vergiftet gehalten habe. (S. Pasquier, Memoires II. 86.) Auch im 
Jahre 1815 hat er einigen Generalen seine Haltung nach den Dresdener 
Kämpfen mit diesem geringfügigen Zufall erklärt. 

**) Das erhellt auch aus der Fassung, in der er Foucbe seinen 
Erfolg mitteilt: Meine Avantgarde verfolgt lebhaft den Nachtrab des 
Feindes, der an die böhmischen Berge gedrängt ist, während eines 
meiner Korps die feindliche Armee auf ihrer Rechten überflügelt, was 
noch größere Erfolge verspricht." (Brotonne, Lettres inödites, p. 498, 
30. August 1818.) 



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214 



Erwägungen der Kriegslage. 



Oktober halten konnten, sein Hauptaugenmerk zugewendet. 
Hier glaubt er persönlich mit stärkeren Kräften eingreifen 
zu müssen, während er Dresden bloß in besseren Verteidigungs- 
stand setzt. Und nun war es der Politiker in ihm, der sich 
zu dem Strategen gesellte und ihn beirrte: „Ich kann 
damit erreichen, daß sich die Küssen von den Österreichern 
trennen, denn ich kann Österreich gegenüber meine besondere 
Bücksicht geltend machen, den Krieg nicht nach Böhmen 
.getragen zu haben." Und in der Tat ging auch heimlich eine 
Botschaft an Metternich.*) Binnen der nächsten zwei Wochen 
will er — Macdonald werde sich gegen Blücher schon behaupten 
— Berlin genommen, Stettin verproviantiert, die Werke der 
Preußen zerstört und die Landwehr, die er weit unterschätzt, 
desorganisiert haben. Die Verfolgung nach Böhmen unterbleibt. 

Es muß den Kriegskundigen überlassen werden, die stra- 
tegische Seite dieses Planes zu prüfen. Sie haben ihn bisher 
zumeist verurteilt. Vielleicht mit Unrecht. Denn wenn Napo- 
leon, um die Entscheidung zu suchen, sich nur vor die Wahl ge- 
stellt sah, entweder in Böhmen gegen Prag vorzugehen oder 
das alte Projekt nach Norden zu verfolgen, war das letztere, 
aus Gründen, die er selbst entwickelt, entschieden vorzu- 
ziehen.**) Aber es sollte aus beiden nichts werden. Es war 



*) In einem Brief vom 29. August an Berthier, der den Adju- 
tanten Galbois zu Murat geschickt hatte, heißt es: „Ich sehe nicht 
ein, warum Sie dem König von Neapel meinen Verkehr (Communi- 
cations) mit den Österreichern zur Kenntnis bringen wollen. 1 * 
Lecestre, II. n. 1034. 

**) „Ich bin nicht mehr in der Lage, vor dem Feinde nach Prag 
zu gelangen,'* heißt es in jenen Notizen vom 80. August, „es ist eine 
befestigte Stadt; ich würde sie nicht einnehmen; Böhmen könnte sich 
erhoben, und ich wäre in einer schlimmen Lage bei Prag, während 
vielleicht die schlesische Armee meine Boberarmee angriffe; auch 
könnten sich dann die Armeen von Oudinot und Davout nur de- 
fensiv verhalten, und ich verlöre Mitte Oktober 9000 Mann in 
Stettin. Ich würde zwar die Elbelinie von Prag bis ans Meer besitzen, 
aber hie ist viel zu lang. Würde sie auf einem Punkte durchstoßen, ao 
stünde das Gebiet der 32. Division (an der untern Elbe) offen, was 
mich nach dem schwächsten Teil meiner Staaten zurückrufen müßte. 
Die Hussen, die die Anwesenheit meiner Armee von 60.000 Mann bei 
Stettin nicht unberücksichtigt lassen könnten, brauchton nichts für sich 



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Kulm. 



215 



Vandamme nicht gelungen, vor dem Feinde auf der Pirna- 
Teplitzer Straße, die er schon am 27. besetzt hatte, in Böhmen 
einzutreffen und, wie Napoleon hoffen mochte, die Kolonnen 
der Verbündeten bei ihrem Abstieg ins Tal einzeln zu über- 
fallen. Schon am 28. hatte der Herzog von Württemberg mit 
seinem Korps Russen sich und den Garden unter Ostermann den 
Durchmarsch auf diesem Wege erkämpft und ihn am nächsten 
Tage ungemein tapfer in blutigen Rückzugsgefechten gesichert, 
so daß Vandamme, als er am 29. die Höhe herabmarschierte, 
bei Priesten an diesen Truppen einen kräftigen Widerstand 
fand, der sich stündlich durch die von der Altenbeuer Straße 
herbeikommandierten Regimenter vermehrte. In der Hoffnung, 
bald durch Saint-Cyr und Marmont auch seinerseits unterstützt 
zu werden, blieb er bei Kulm stehen, wo sich am 30. das Gefecht 
zur Schlacht entfaltete. Marmont und Saint-Cyr kamen aber 
nicht; sie waren von der Peterswaldcr Straße weg gegen die 
Altenborger hindirigiert worden und standen weit entfernt. 
Dagegen war Kleist ?ein mutiger Zug gelungen, der ihn un- 
angefochten bei Nollendorf in den Rücken Vandammes brachte. 
Dessen Korps wird nun zersprengt, bei 10.000 Mann müssen sich 
ergeben, der Rest sucht sein Heil in der Flucht über die 
Berge. Der Führer selbst, der sich mit Bravour und Umsieht 
gegen die Übermacht gewehrt hat, gerät in Gefangen- 
schaft.*) 

und für Polen zu fürchten . . . Da ich mich am Ende meiner Linie In - 
fände, so würde ich mich nicht an die bedrohten Punkte hegeben 
können. Ich würde meine Plätze an der Oder verlieren und mich nicht 
auf dem Wege nach Danzig befinden. AVenn ich im Gegenteil auf 
Berlin marschiere, habe ich sofort einen großen Erfolg, bin In der 
Mitte, kann in fünf Tagen an den entferntesten Punkten meiner Linie 
6ein, entsetze Stettin und Küstrin, gewinne Aussicht, die Russen von 
den Österreichern zu trennen, habe keine Verpflegsschwierigkeiteu, denn 
die Kartoffeln, die Hilfsquellen Berlins, die Kanäle usw. werden mich 
ernähren." (Corres p. XXVI. 20.492.) 

*) Napoleon hatte kaum von dem Mißgeschick Vandammes ge- 
hört, so lud er auch schon Diesem die Schuld daran auf, damit sie 
nur ja nicht auf ihn falle. Er ging dabei so weit, zu lügen, der General 
sei gegen seinen Befehl nach Böhmen eingedrungen. „Ich habe ihm'* — 
schreibt er am 1. September an Saint-Cyr — „ausdrücklich befohlen, sich 
auf den flöhen zu verschanzen, sein Korps dort kampieren zu lassen 



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216 



Ein neuer Operationsplan. 



Am Frühmorgen des 31. erführt Napoleon die Unglücks- 
botsehaft. Des Tags vorher war ein trostloser Bericht von Mac- 
donald eingetroffen. Kein Zweifel, der Eindruck, den sein Er- 
folg bei Dresden hervorgebracht hatte, war durch die Miß- 
erfolge von Groß-ßeeren, an der Katzbach und bei Kulm ver- 
wischt. Die Hoffnung auf eine Trennung der Verbündeten 
mußte aufgegeben werden, denn ihr Sieg hielt sie sicher an- 
einander fest. Es war, um in trübe Stimmung zu geraten. 
„Sehen Sie," sagte er zu Maret, „so ist der Krieg. Am Morgen 
Sieger, am Abend besiegt. Vom Triumph zum Fall ist oft nur 
ein Schritt." Eins war ihm aber klar: er bedurfte dringend 
eines neuen Triumphes. Wir wissen, daß er ihn in einem Zug 
gegen Berlin suchte. Er hält den Gedanken fest, nachdem er 
sich überzeugt hat, daß die Verbündeten nicht sofort wieder 
nach Sachsen vorstoßen würden, und schickt Ney voraus, damit 
er von Oudinot den Befehl über dessen Truppen übernehme 
und die Offensive mit einem Marsch von Wittenberg nach Baruth 
einleite. Dann sichert er Dresden durch die Korps von Saint- 
Cyr, Victor und Mouton (der die Reste der Vandammeschen 
Regimenter gesammelt hat) und bildet aus den Garden, den 
Truppen Marmonts und einem Kavalleriekorps eine Reserve- 
armee, die er, wenn Macdonald sich bei Görlitz hält, nach 
Norden führen will. Aber Macdonald kann sich nicht halten. 
Er mußte bis nach Bautzen zurück und meldet nun von dort 
in beweglichen W T orten, daß die 60 bis 70.000 Mann, über 

und nach Böhmen nur vereinzelte Streifkorps zu entsenden, um den 
Feind zu beunruhigen und Nachrichten zu «ammeln." (Lecestre, II. 
n. 1058.) Und doch hat es in jenem Befehl an Vandamme vom 28. 
isiehe oben) gebeißen, der Kaiser erwarte, daß er noch vor dem 
Feind auf der Linie Tetschen- Aussig -Teplitz ankommen werde, 
und in jenem Schreiben an Murat vom 29.: „General Vandamme, der 
gestern in Nollendorf war, dürfte heute, von der Peterswalder Seite in 
Böhmen eingedrungen sein.« (Corresp. XXVI. 20491.) Am Tage 
darauf wurde dem König von Württemberg geschrieben: „Vandamme 
rückt auf Teplitz los und unterdes folgen vier Armeekorps dem Feinde, 
der gestern in Altenberg war." (Goriesp. XXVI. 20495) usw. Es ist. 
wie 1798 nach Abukir, wie 1805 nach Trafalgar: der eigene Fehler 
wird dem Opfer aufgehalst. Und sie fehlen alle, wenn er ihnen fehlt. 
So sucht er den Glauben an seine Unbezwingburkeit in der Öffentlich- 
keit aufrechtzuerhalten. 



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Neys Niederlage bei Dennewitz. 217 

die er noch verfüge, großenteils weder Waffen noch Munition 
hätten und sich bei einem neuen Mißerfolge unfehlbar auf- 
lösen würden. Darauf darf es der Kaiser nicht ankommen 
lassen. Er eilt mit den Reserven seinem bedrängten Mar- 
schall zu Hilfe. Er will sie als Verstärkung einsetzen, um den 
heftig vordringenden Blücher rasch zu schlagen, und dann 
sofort „in großer Eile" auf Berlin marschieren. Gut. Wie aber, 
wenn es gar nicht zur Schlacht kam? wenn Blücher, dessen 
urkräftiges Ungestüm durch die geistige Überlegenheit seines 
Generalstäblers Gneisenau gelenkt und gemäßigt ward, aufs 
Neue, wie schon im August einmal, Napoleons Anwesenheit er- 
fahrend, zurückwich und ihn hinter sich her in das ausgesogene 
Land lockte? Das geschah wirklich. Blücher ging von Hoch- 
kirch fechtend zurück nach Görlitz. Diesmal aber merkte 
Napoleon die Absicht sofort und ließ von der „Verfolgung" ab. 
Er muß nun ohne, wie er gehofft, die schlesische Armee geschla- 
gen zu haben, gegen Bernadotte ziehen. Hierzu sind auch schon 
die Ordres ausgegeben, als von Dresden her die Nachricht von 
einer neuen Offensive der böhmischen Armee an ihn gelangt. 
Er wäre übrigens für diesmal im Norden zu spät gekommen, 
wo Bernadotte, dank der ausdauernden Energie Bülows und 
dem rechtzeitigen Eingreifen der schwedischen und russischen 
Artillerie, am 6. September bei Dennewitz so entscheidend 
über Ney gesiegt hatte, daß Dieser, von Schweden und Russen 
eifrig verfolgt, bis Torgau und weit darüber hinaus flüchten 
mußte. „Ihre linke Flanke ist offen," schreibt der geschlagene 
Marschall am Tage darauf an den Kaiser, „nehmen Sie sich in 
Acht. Ich glaube es ist Zeit, die Elbe zu verlassen und an die 
Saale zurückzugehen/'*) 

Ehe ihn dieses Schreiben fand, am 6. September, war 
Napoleon in Dresden angelangt und gewahrte bei einer Re- 

*) Von den übrigen Heercsteilen, die gegen die Nordarmee der 
Verbündeten zu operieren hatten, war Girards Division, als sie von der 
Affaire bei Großbeeren hörte, umgekehrt und auf dem Rückzüge nach 
Magdeburg bei Hagelberg am 27. August zersprengt worden. Davout 
dagegen, dessen Korps über die Hälfte aus Holländern und Nieder- 
deutschen, also aus den unzuverlässigsten Elementen bestand, hatte 
nur einen schwachen Offensivversuch wagen können, der ebenfalls schon 
nach der Niederlage Oudinots aufgegeben wurde. 



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218 



Napoleon im Erzgebirge. 



kognoszierung die Höhen der Gebirgsstraßen nach. Böhmen 
in feindlichen Händen. Die Alliierten hatten nämlich, durch 
ihren Sieg bei Kulm und die Erfolge der beiden andern Armeen 
völlig aufgerichtet, auf die erste Kunde von dem neuen Vor- 
marsch des Kaisers gegen Blücher eine Diversion zu des 
Letzteren Gunsten begonnen. Eine Abteilung von 60.000 Öster- 
reichern sollte auf das rechte Ufer der Elbe hinübergehen und 
bei Rumburg in die Flanke des avancierenden Feindes fallen, 
während der Rest der Hauptarmee die bei Dresden zurück- 
gebliebenen Streitkräfte festhielt. Davon hatte wohl Napoleon 
kaum Kenntnis, als er zurückeilte, um die Feinde über das 
Erzgebirge zurückzuwerfen und unter Umständen einen Vor- 
stoß nach Böhmen zu wagen. Das Erste gelingt, das Zweite 
unterbleibt; es unterbleibt einmal, weil die Niederlage Neys 
den Durchbruch der Elbelinie befürchten ließ, für welchen 
Fall der Kaiser in der Nähe sein will, und dann des ungünstigen 
Terrains am Geiersberg wegen, von dessen Höhe die Artillerie 
nicht zu Tal geschafft werden kann. Überdies waren die nach 
Osten detachierten Truppen, sobald man von Napoleons An- 
wesenheit in Dresden Kenntnis erhalten hatte, bis auf eine 
Division sofort zurückbefohlen worden und standen nun bereit 
ihn zu empfangen. Napoleon hat sich selbst von diesen 
Schwierigkeiten überzeugt und gibt, da große Erfolge hier, 
mit den steilen Defileen im Rücken, nicht zu holen sind, das 
Unternehmen auf.*) Am 12. September ist er wieder in 
Dresden, von wo er jetzt alle Depots und die gesamte Kricgs- 
verwaltung weg nach Torgau dirigiert. Als militärischen 
Stützpunkt hält er, zu seinem Nachteil, die Stadt noch immer 



*) Am 11. September schreibt er an Murat: „Wäre es möglich 
gewesen. Geschütze das Gebirge hinunterzubringen, so hatte ich die 
feindliehe Armee in der Flanke angegriffen und wir hätten große Er- 
folge errungen, aber alle Anstrengungen waren vergeblich." Er setzt 
jedoch hinzu: „Die der Berliner Armee zugestoßenen Ereignisse ver- 
hindern mich, hiuüber zu gehen.** (Corresp. XXVI. 20540.) Man hat 
ihm mit Recht den Vorwurf gemacht, von Blücher zu früh abgelassen 
zu haben, um nach Dresden zurüekzukehren. Hätte er die schlesischc 
Armee weit zurückgestoßen, so würde er sich dann reehtshin auf die 
durch Böhmen heranraarschierenden Österreicher haben werfen können, 
und wer weiß, welchen Gang die Dinge nahmen. 



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Das „System des Hin und Her". 219 

fest. Als bald darauf die Verbündeten aufs Neue über das Ge- 
birge rücken, um einen Zug Schwarzenbergs, der nordwest- 
wärts in der Richtung auf Leipzig beabsichtigt ist, zu maskieren, 
hindert er diese Absicht, indem er wieder bis gegen Kulm 
vorbricht. Zu einem erfolgreichen Angriff erscheint ihm aber 
auch jetzt wieder die feindliche Stellung zu stark, da er selbst 
durch die Schwierigkeit der Verpflegung seines Heeres genötigt 
war, zwei Korps nordwärts zu entsenden, um die Zufuhr auf der 
Elbe zu decken. Er muß sich Schwarzenberg gegenüber mit 
dem „System des Hin und Her" begnügen, „um die Gelegenheit 
abzuwarten", wie er am IS. September an Saint-Cyr schreibt. 
Auch hier wünscht er sehnlich angegriffen zu werden, doch ver- 
gebens. Die Feinde weichen dem obersten Heerführer aus und 
schlagen seine Generale. 

Er darf jedoch nicht lange untätig bleiben, da sich der 
Kreis der gegnerischen Kräfte um ihn her immer mehr ver- 
engt und er die Masse seiner Truppen auf dem eingeschränkten 
Räume nur unter täglich wachsender Mühseligkeit ernähren 
kann. Nachrichten von Ney, der auf das linke Ufer der Elbe 
zurückgegangen war, melden, daß die Armee Bernadottes den 
Übergang über diesen Fluß plane und in der Nähe von Dessau . 
Anstalten dazu treffe, und daß vom Heere Blüchers eine Ab- 
teilung nordwestwärts heranziehe, was ihn fürchten lasse, von 
Torgau und Dresden abgeschnitten zu werden. Bei solcher 
Gefahr, überflügelt zu werden, befiehlt Napoleon nach einem 
rekognoszierenden Vorstoß gegen Osten — es ist der dritte — 
den Rückmarsch auf das linke Ufer der Elbe und gibt das 
rechte auf. 

Seitdem er den entscheidenden Moment nach der Dresdner 
Schlacht versäumt hatte, war sein Wille machtlos, er selbst 
nur ein Spielball seiner Gegner geworden, bald hierhin, bald 
dorthin geworfen, so daß ihn der Volkswitz, seiner wiederholten 
Fahrten nach Bautzen wegen, den „Bautzner Boten" nannte, 
bis schließlich seine vorgeschobene Position ganz unhaltbar 
wurde. Und dazu im Heere die unerquicklichsten Zustände! 
Mißmut und Verdrossenheit, wohin man horchte! Voraus bei 
den höheren Offizieren. Selbst Fernerstehende mußten auf- 
merksam werden. „Es scheint mir," schreibt der württem- 



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220 



Die Armee wird nicht mehr ernährt.*' 



bergische General Franquemont an seinen König am 10. Sep- 
tember, „die französischen Generale und Offiziere sind des 
Krieges überdrüssig und die Soldaten kann bloß die Gegenwart 
des Kaisers beleben." In der Tat, wo sein Auge nicht auf ihnen 
ruhte, warfen sie ihre Pflicht ab, wie eine drückende Last, ent- 
ledigten sich häufig ihrer Waffen und verließen die Kolonnen 
oder stahlen sich unter die Leichtverwundeten, indem sie sich 
selbst verstümmelten. Kaum ein Monat war seit dem Wieder- 
beginn des Feldzugs verflossen, und schon waren über 60.000 
Mann und fast 300 Geschütze in des Feindes Hände geraten, 
über 40.000 Kranke und Verwundete lagen in den Lazaretten 
von Dresden, Leipzig und Torgau, und Haufen von Hunderten, 
ja Tausenden Unbewaffneter zogen nach Westen. Was diese 
aus den Reihen trieb, war die entsetzliche Not, die einriß, als 
die gepeinigten schlesischen und sächsischen Landschaften ihre 
letzte Kartoffel hergegeben hatten und die Zufuhr auf der 
Elbe durch das Zurückweichen Neys fast unmöglich geworden 
war. „Herr Graf Daru," schreibt der Kaiser selbst am 23. Sep- 
tember an den Direktor der Armeeverwaltung, „die Armee 
wird nicht mehr ernährt. Es wär* eine Illusion, die Sache 
anders anzusehen." Aber er kann nicht helfen. Und doch 
gewahrt er bei weitem nicht den ganzen Jammer, den ihm 
pflichtvergessene Augendienerei ebenso sorgsam zu verbergen 
sucht, als sie ihn nur zu oft über die Wahrheit widerwärtiger 
Ereignisse zu täuschen weiß.*) Unter solchen Umständen war 
es kein Wunder, daß von den 400.000 Mann, die der Kaiser 
Mitte August in Sachsen zur Verfügung hatte, Ende Sep- 
tember kaum 250.000 beim Appell antworteten. Und diesen 
gebrach es an Ausrüstungsgegenständen, an Kleidung, an 
Schuhen und bald auch an Munition, da die Transporte aus 
dem Westen immer häufiger von feindlichen Parteigängern 
abgefangen wurden, deren Bekämpfung einen unverhältnis- 

*) Besonders Bertrand, ein devoter Günstling ohne viel Talent 
und Verdienst, bekannt durch seinen Ehrenwrortsbruch vom Jahre 1805 
im Kriege mit Österreich, suchte mit derlei Nachrichten sich angenehm 
zu machen. Seine Berichte nach der Schlacht bei Groß-Beeren mögen 
Napoleon veranlaßt haben, die Nordarmee nicht sofort zu verstärken, 
was dann den zweiten Sieg der Preußen erleichtert hat. 



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Die Teplitzer Verträge. 221 

mäßigen Aufwand an Kavallerie erforderte, woran die reguläre 
Armee dann Mangel litt. Während die Alliierten sich um ein 
Heer von über 50.000 Mann russisch-polnischer Reserven, das 
Bennigsen heranbrachte, verstärkten, kam nur Augereau mit 
13.000 von Würzburg auf Leipzig heran. Zwar wurde am 
27. September in Paris die Aushebung von 160.000 Konskri- 
bierten von 1815 und 120.000 der sieben letzten Altersklassen 
gefordert, aber wenn auch der Senat sofort sein Dekret aus- 
fertigte, so konnten die neuen Rekruten doch nicht mehr für 
die nächste, offenbar sehr kritische Zeit in Betracht kommen. 

In dieser ernsten Lage der letzten Septembertage, da sich 
„sein Schachspiel verwirrte", wie der Kaiser zu Marmont sagte, 
hat er es wieder mit der Politik versucht. Wir kennen einen 
Brief an Franz I., den er am 25. durch den Adjutanten 
Flahault als Parlamentär dem österreichischen General Bubna, 
der mit seiner Division zum Blücherschen Heere detachiert 
blieb, überbringen ließ. Darin ward die geplante Übergabe 
der polnischen Festung Zamosc zum Vorwand genommen, um 
von Frieden zu sprechen. Der Abgesandte hatte daneben die 
mündliche Instruktion, zu versichern, daß es seinem Herrn 
jetzt ganz besonders um dessen Abschluß zu tun und er bereit 
sei, für Österreich und Preußen große Opfer zu bringen, 
„wenn man ihn nur hören wolle". Aber Franz I. hatte, unter 
dem Eindruck der Nachricht vom Siege der Nordarmee, am 
9. September zu Teplitz seine bisherige Waffenbrüderschaft 
in ein festes Bündnis mit Rußland und Preußen umgewandelt 
und stand nun vertragsmäßig zu diesen.*) Am 3. Oktober wird 
er auch mit England einen Allianztraktat abschließen, und fünf 
Tage später werden Unterhandlungen, die er in Ried mit 
Bayern pflegen läßt, zu einem förmlichen Anschluß dieses 
Staates an die Koalition geführt haben .**) So versagt sich die 

•) Siehe den Teplitzer Vertrag zwischen Österreich nnd Rußland 
hei Martens, III. 17. 

**) Der Vertrag mit England brachte auch eine Erhöhung der 
am 18. August zugestandenen Subsidien um weitere 500.000 Pfund. 
Sonst sind die Bedingungen die der anderen Vertrage vom 9. Sep- 
tember. (Original mit den bei Neumann, Recueil des traites conclus 
par 1' Autriche, II. 379 nicht gedruckten Geheimartikeln im Wiener 



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222 



Napoleons Position hinter der Elb*». 



Politik dem Kaiser der Franzosen, und alles hängt nur noch 
von seiner Feldherrnkunst ab. Sie wird den Abgang an ver- 
bündeten Kräften, die mangelnde Begeisterung seiner 
Truppen, das Defizit an Mut und Selbstverleugnung in seinem 
Heere wettzumachen haben. Wird sie dieser Aufgabe ge- 
wachsen sein? 

Napoleon hat sich noch im September entschlossen, 
Blücher in sicherer Stellung hinter der Elbe zwischen König- 
stein und Meißen zu erwarten. „In dieser Position werd' ich", 
schreibt er am 23. an Murat, „den Feind mit den Augen ver- 
folgen und, wenn er sich auf irgendeine Angriffsoperation ein- 
läßt, mich auf ihn stürzen, so daß er eine Schlacht nicht ver- 
meiden kann." Aber er wartete vergebens. Mehr als eine 
Woche verging, und der Angriff Blüchers erfolgte nicht. Was 
war der Grund? Blücher war am 26. mit seinem Heere 

_____ * 

Staatsarchiv.) Sorel, V1LI. 162 scheint, gleich Üncken U. 462, den von 
Bianchi, Storia deüa diplomazia europea in Italia, I, 333 erwähnten 
Geheimtraktat zwischen England und Österreich vom 27. Juli 1813, der 
dem Wiener Hofe Rechte über Italien eingeräumt haben soll, nicht zu 
verwerfen. Er hat nicht existiert. Subsidienverhandlungen in Reichenbach 
zwischen dem österreichischen (nicht „englischen") General Xugent und 
Cathcart haben zu keiner Konvention geführt, da Metternich eine solche 
damals noch für „zu kompromittierend" hielt, wie er in einem Vortrag an 
den Kaiser vom 19. August sagt. Erst uaeh Schluß des Kongresses ist es 
dazu gekommen. (Siehe oben S. 20$.) Übrigens trägt die von Bianchi 
mitgeteilte Protestnote Metternich» an Castlereagh vom 26. Mai 1614, 
die sich auf den Geheimvertrag bezieht, alle Merkmale der Unechtheit 
an sich: Kaiser Franz erscheint schon am 27. Juli 1813 als Mitglied der 
Koalition, der Kaiser von Rußland wird als „König von Polen*' ange- 
führt; auch verrät sich die italienische Ma«he in Wendungen wie „au 
nome w (statt „nom"), „de la parte" (statt „part"), „partieiper ä V. Exc." 
(etatt: „faire part") u. dgl.; das bourbonische Haus wird für den Ent- 
gang von Parma und Toscana auf die „Aufteilung der deutschen 
Staaten" („partage des Etats d'Allemagne") verwiesen. Echte Briefe 
Metternichs vom 26. Mai 1814 an Castlereagh sind durchaus im Sinne 
der freundschaftlichsten Beziehung, die damals zwischen Österreich 
und England bestand, gehalten. (W. St. A.) Natürlich hat auch 
Welschinger Unrecht, wenn er in seinem Buche „Lc pape et l'cm- 
pereur", p. 409, sich auf dieses Dokument stützt, worin Kaiser Franz 
seine Rechte auf den Kirchenstaat als „König von Rom. erblicher 
Kaiser und Haiipt des Deutschen Reiches (Chef du Corps germaniquej" 
geltend macht. 



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Blüchers Rechtsabmarscli und seine Folgen. 223 

von Bautzen über Kamenz in der Kichtung auf Wartenburg 
abmarschiert, wo dann Yorck am 3. Oktober gegen Bertrand 
den Übergang über die Elbe erkämpfte, während Macdonald 
durch Anstalten bei Mühlberg die Meinung beigebracht ward, 
man wolle hier über den Fluß setzen. Unterdes war die 
russische Reservearmee unter Bennigsen durch Schlesien und 
Böhmen bis Teplitz gelangt, die Hauptarmee hatte, Bennigsen 
zurücklassend, die Offensive in der Kichtung auf Leipzig er- 
griffen, um — es war der Melniker Plan vom August — des 
Feindes Verbindungen zu bedrohen, Bernadotte ging am 
4. und 5. Oktober bei Dessau gleichfalls über die Elbe. 
Von alledem erfährt Napoleon erst recht spät. Noch am 

4. Oktober fragt er bei Macdonald an, wo die Blücherschen 
Korps stehen. Als er endlich die Wahrheit vernimmt, ist er 
höchlich überrascht; derlei große Unternehmung hatte er dem 
Feinde nicht zugetraut. Nun wo es offenbar war, daß die 
Gegner sich in seinem Rücken vereinigen wollen, ließ sich 
die Elbelinie nicht länger halten, und seines Bleibens 
konnte in Dresden nicht mehr sein. Er faßt den Plan, zwei 
Armeen zu bilden: die eine unter Murat, drei Korps (das 2., 

5. und 8.) und die entsprechende Kavallerie stark, wird er 
zwischen das Schwarzenbergsche Heer und Leipzig stellen mit 
der Aufgabe, sich durchaus defensiv zu verhalten und nur 
allmählich vor überlegenen Kräften des Feindes auf diese 
Stadt zurückzuweichen; die zweite will er selbst rasch über 
Meißen und Würzen zu Ney führen, sich mit Diesem vereinigt 
zwischen Leipzig und die schlesische Armee schieben, die 
letztere schlagen und werfen, und dann sieh mit Mural wider 
das gegnerische Hauptheer wenden. „Halten Sie die Öster- 
reicher so viel als möglich zurück," schreibt er am 7. Oktober 
an Murat, „damit ich Blücher und die Schweden vor ihrer 
Ankunft bei Schwarzenberg schlagen kann."*) Von diesem 
Plane kam er später nur in dem Punkte zurück, daß er Dresden 
von zwei Korps unter Saint-Cyr besetzt ließ. War es in der 
Absicht, von der Schwarzenbergschen Armee mehr in Böhmen 
festzuhalten? oder wollte der Protektor des Rheinbundes die 

*) Corresp., XXVI., 20.71$. 



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224 Blücher mit Bernadotte vereinigt. 

Besidenz des getreuen Bundesfürsten nicht in Feindeshand 
fallen lassen und damit sein Prestige schädigen? Gleichviel, 
er hatte später in der großen Entscheidungsschlacht den 
Abgang der 30.000 Mann bitter zu beklagen. 

Vom Herannahen Napoleons erhielten nun aber wieder 
Blücher und Bernadotte, die am 7. Oktober zusammen- 
gekommen waren und den gemeinsamen Marsch auf Leipzig 
beschlossen hatten, lange keine Nachricht. Sie vermuteten 
ihn an dem genannten Tage noch in Dresden. Da warf die plötz- 
liche Kunde von dem Anrücken des entfernt Geglaubten ihre 
Absicht um. Bernadotte, der bisher mit Bücksicht auf seine 
persönlichen Interessen in seinem neuen Vaterlande, die durch 
eine entscheidende Niederlage gefährdet waren, den Krieg sehr 
zurückhaltend geführt und sein schwedisches Korps mit ängst- 
licher Vorsicht vor Verlust bewahrt hatte, sprach sofort von 
Bückzug über die Elbe, den er auch Blüchern empfehlen wollte, 
erklärte sich aber schließlich doch bereit, diesseits zu bleiben 
und von Aken südwärts zu marschieren, als der preußische 
Feldherr sich anheischig machte, über die Mulde und, mit der 
Nordarmee verbunden, hinter die Saale zu gehen. Dieses Manö- 
ver hatte zur Folge, daß Napoleon, der ganz sicher auf eine 
Schlacht gerechnet hatte, sich doch wieder nur einem aus- 
weichenden Feinde gegenübersah. Er ist deshalb in der denk- 
bar schlechtesten Stimmung während der vier Tage, die er 
vom 11. bis 14. Oktober auf dem Schlosse zu Düben zubringt. 
Daß sich Blücher nicht fassen ließ, gibt ihm hier den Plan ein, 
gegen die rückwärtigen Verbindungen der schlesischen und 
der Nordarmee, das ist bei Wittenberg und Dessau zu ope- 
rieren, sie dadurch zurückzunötigen, zu schlagen und über die 
Elbe zu drängen, dann selbst auf dem rechten Ufer stromauf- 
wärts nach Dresden zu rücken, die dortige Besatzung mit sich 
zu nehmen und wider die Hauptarmee loszugehen, um schließ- 
lich doch noch „Berlin einen Besuch abzustatten". Von dem 
Marsche Blüchers zur Saale, wo Dieser von Halle aus Fühlung 
mit der Hauptarmee sucht, weiß er zunächst nichts. Er läßt 
wirklich an die Elbe vorstoßen, und da das Korps Tauenziens, 
das Bernadotte, ehe er nach Cönnern aufbrach, am Flusse 
zurückgelassen hatte, auf das rechte Ufer genötigt wird, wiegt 



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- 



Napoleon iu Düben. 225 

er sich in der falschen Vorstellung, Bernadette sei mit allen 
Truppen wieder hinüber. Über Blücher erfährt er erst am 
Morgen des 12. annähernd Richtiges; nur vermutet er ihn noch 
nicht bei Halle. Und da scheint es ihm allerdings, da Schwar- 
zenberg immer entschiedener sich Leipzig nähert, das Nötigste, 
Diesen im Südosten der Stadt, noch ehe er sich mit Blücher 
vereinigen kann, total zu schlagen. Aber ist es nicht schon 
zu spät? Hat er nicht zu lange in Düben verweilt und auf 
gute Kundschaft gehorcht, ehe er handelte? Wer, wie Ode- 
leben, ihn dort sah, „auf Nachrichten von der Elbe harrend, 
auf einem Sofa seines Zimmers, ganz geschäftslos vor einem 
großen Tisch sitzen, auf dem ein Bogen weißes Papier lag, 
das er mit großen Frakturzügen erfüllte", wer ihn so sah, 
den tätigsten Mann der Welt, der konnte leicht, wie Marmont, 
von ihm sagen: „Man erkennt Napoleon während dieses Feld- 
zugs nicht wieder!" Und doch war er nicht untätig in diesen 
Tagen; nur war es eine Tätigkeit ins Ungewisse, bis ihm klar 
ward, was er am Morgen des 13. an Ney schreibt: daß er nach 
Leipzig zurück muß, „wo unzweifelhaft eine große Schlacht 
stattfinden wird".*) Auf sie kam nun freilich alles an. Denn 
wie die Dinge lagen, konnte wohl kein Manöver mehr das Zu- 
sammenwirken der feindlichen Armeen aufhalten. Strategisch 
war Napoleon bereits besiegt, und nur als letztes Mittel blieb 
ihm die Entscheidungsschlacht, die er jetzt gegen eine ge- 
waltige Übermacht — kaum 200.000 Mann gegenüber 300.000 
— wagen mußte. „Wir nahen dem großen Tage des Welt- 
gerichts", hatte Metternich schon am 8. an einen Vertrauten 
gesehrieben.**) 

So schlimm freilich sah der Kaiser seine Lage nicht an, 
als er am 14. Düben verließ und nach Leipzig fuhr. Er hatte 
nun zwar bestimmte Kunde, daß Bernadotte nicht jenseits der 
Elbe stand, aber er glaubte fürs erste doch gegen Norden 
und Westen sicher zu sein und bei der Aktion, die er schon 
für den kommenden- Tag ins Auge faßte, nur mit 
Schwarzenberg zu tun zu haben. Und hätte er nicht so lange 

*) Corresp., XXVL, 20.789. 
**) An Hudelist. (W. St. A.) 

Fournier, Napoleon I. 15 



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226 Nach Leipzig. 

gesäumt, hätte er das nutzlose Manöver über die Elbe früher 
abgebrochen, so war' es auch wirklich so gekommen. Denn 
von dem feindlichen Hauptheer war noch keineswegs alles 
Murat gegenüber angelangt: Bennigsen mit seinen licserven 
und ein Korps, das Dresden beobachtet hatte und nun heran- 
komniaudiert worden war, standen am 15. noch zwei Tage- 
reisen weit entfernt. Bernadotte, der sich fortwährend im 
Rücken bedroht glaubte und mit seinen 60.000 Mann „zum 
Schutze Berlins" zurückmarschieren wollte, hatte nur durch 
das einstimmige Votum seines Krieg*rates und die Drohung, 
die englischen Subsidien einzubüßen, davon abgebracht werden 
können. Er war nicht in Verbindung mit Blücher vorgegangen 
und blieb aus übertriebener Furcht für seine linke Flanke 
am 15. einige Meilen vor Halle stehen. Deshalb hat auch 
Blücher nur vorsichtig zu avancieren uud an diesem Tage von 
Halle bloß nach Schkeuditz zu gelangen vermocht. Überdies 
hatte Schwarzenberg im Süden von Leipzig eine durch die 
Flüsse Elster und IMeiße und das Leipziger Ratsholz zerlegte 
Aufstellung genommen, und wenn Napoleons Heer nur um 
einen Tag früher ankam, «o stand es mit überlegenen Kräften 
— er hatte etwa 190.000 Mann zur Verfügung — gegen einen 
schlecht situierten Feind und konnte ihn werfen.*) Aber die 

*) Es war ursprünglich Schwarzenbergs Plan gewesen, mit seinem 
linken Flügel in der Defensive noch weiter nach Westen, etwa bis auf 
das Schlachtfeld vom 2. Mai, vorzugehen, um Napoleon den Rückweg 
völlig zu verlegen, in der Meinung, daß er dann diesen Rückweg sich werde 
erzwingen wollen,wobei es der kooperierenden Übermacht der Allicrtenge- 
lingen müßte, ihn bis zur Vernichtung zu schlagen. Dieser Defensivplan, 
der das ungünstige Terrain dem angreifenden Feinde zuschob, wurde auf 
Intervention des russischen Hauptquartiers am 14. durch einen andern 
ersetzt, der die weiten« Umfassung unterließ und schon jetzt vom Süden 
aus die Off ensive ins Auge faßte, wobei die Terrainschwierigkeiten zwischen 
Elster und Pleiße allerdings mehr die Verbündeten behinderten und 
überdies da« Tor im Westen — namentlich wenn, wie es geschehen wird, 
Blücher nicht von Halle direkt, sondern vom Norden her auf Leipzig 
rückte — offen blieb. Vgl. darüber die gründliche Untersuchung Kerch- 
nawes, „Kavallerieverwendung, Aufklärung und Armeeführung bei der 
Hauptarmee in der entscheidenden Attacke vor Leipzig* 4 (1904), die der 
ehedem so streng verurteilten Strategie Schwarzenbergs gerechter wird. 
Übrigens hat bereits in den letzten Jahren in der historischen Litteratur 
ein Umschwung in der Beurteilung des bescheidenen, selbstlosen, nicht 



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Napoleons Schlacht plan für den 16. Oktober. 227 

Garden und die Keiterdivisionen können eist ain 15. zu Murat 
stoßen, der tags zuvor in einem Gefecht mit der feindlichen 
Avantgarde unter Wittgenstein die Linie zwischen Pleiße und 
Liebertwolkwitz behauptet hat. Macdonald wird erst am 
nächsten Tage auf dem linken Flügel einrücken. Marmont 
muß nördlich der Parthe bleiben, denn Blücher war nun doch 
herangekommen. Ney ist noch mit drei Divisionen und einem 
Kavalleriekorps bei Düben zurück. Der Kaiser sieht sich daher 
genötigt, die Schlacht um einen Tag zu verschieben. Er steht 
allerdings an der wichtigsten Stelle, im Süden der Stadt, der 
ilauptarmee des Feindes mit starken Kräften gegenüber, aber 
die Situation im Norden ist kritischer als er meint und hätte 
es noch mehr werden können, wenn sich Bernadotte ent- 
schlossen hätte, seine Truppen gleichfalls heranzuführen. 

Für den IG. Oktober war nun Napoleons Plan der fol- 
gende. Er will mit den Truppen, die bisher unter Murats 
Kommando gestanden hatten, die Hauptmacht des Feindes 
auf der Linie Markkleeberg-Liebertwolkwitz angreifen uncl be- 
schäftigen, indes zwei Armeekorps unter Macdonald und Au- 
gerau und die nötige Kavallerie in dessen rechte Flanke 
fallen. Hier von einer Umgehung bedroht, Averden die Gegner 
ihr Zentrum schwächen müssen, das dann ein entscheidender 
Stoß durchbricht, für den nebst den Garden die Divisionen 
des Neyschen Armeeteils, inbesondere die des Marmontschen 
Korps, bestimmt sind, die Napoleon herzukommandiert. Dieser 
Entwurf wird dadurch unausführbar werden, daß Macdonald 
spät. Marmont gar nicht auf dem südlichen Schauplatz er- 
scheint, so daß der Kaiser gleich im Beginn der Schlacht den 
Vorteil des Angriffs einbüßt. Um neun Uhr vormittags be- 
ginnen die Verbündeten den Kampf um die Ortschaften Mark- 
klecberg, Wachau und Liebertwolkwitz, der sieh mit der größten 
Hartnäckigkeit zwei Stunden lang fortsetzt. Erst da zeigt sich 
die Tete Macdonalds, und nun überzeugt sich auch Napoleon, 

allzu kühnen, aber auch nicht mutlosen, nicht genialen aber auch 
keineswegs unfähigen Generals stattgefunden. Vgl. Delbrück in der 
zweiten Auflage seines „Gneisenau", Kaulfu 15. Die Strategie Schwarzen- 
bergs am 13. bis 15. Oktober 1813 (1902) und die Charakteristik bei 
Friederich. Der Hcrbstfeldzuir 1813, I., Hl. 

15* 



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228 üie Schlacht bei Wachau. 

daß er bisher in der Front, die er durch Augereau verstärkte, 
mit weit geringeren feindlichen Kräften zu tun gehabt hatte, 
als er vermutet, und beschließt jetzt, seinerseits die Offensive 
zu ergreifen. Und hätte er die Absicht sofort ausgeführt, nicht 
einen Erfolg Macdonalds abgewartet, der sich erst um Mittag 
der wichtigen Fosition auf dem Kolmberg bemächtigt, und 
kostbare Stunden mit dem vergeblichen Harren auf Marmont 
hingebracht, er würde kaum nachhaltigen Widerstand gefunden, 
vielleicht die Schlacht gewonnen haben. So aber geht er erst 
gegen zwei Uhr zum Angriff über. Er will das Zentrum des 
Gegners zwischen Wachau und Liebertwolkwitz durch 100 Ge- 
schütze erschüttern und durch eine mächtige Keiterattacke 
durchbrechen lassen, während Macdonald dessen linken Flügel 
über Seiffertshayn umgeht; dann wird das Gros des Feindes 
westwärts in die Flüsse geworfen und von seinen Nachschüben 
getrennt. So die Absicht. In der Tat beginnt nun eine fürch- 
terliche Kanonade, der eine Kavallcriecharge folgt, die im 
feindlichen Zentrum wirklich bis über Güldengossa hinaus- 
gelangt. Aber all das ist jetzt zu spät. Während der versäumten 
Zeit sind von Alexander die russisch-preußischen Garden und 
von Schwarzenberg die österreichischen Reserven von jenseits 
der Pleiße auf das Wachauer Schlachtfeld beordert worden; 
die Ersteren bringen den Ansturm der französischen Reiter- 
division zum Scheitern, und leisten den nachrückenden Ko- 
lonnen hartnäckig Widerstand, die Österreicher aber unter 
Bianchi werfen die Gegner aus Markklecbcrg hinaus und er- 
ringen dem rechten Flügel Napoleons gegenüber namhafte 
Vorteile. Unter diesen Umständen nützt es wenig, daß Victor, 
von Oudinot mit der jungen Garde verstärkt, bis Auenhayn 
vorgedrungen ist und Macdonald den rechten Flügel der Ver- 
bündeten bis Groß-Pößna umgebogen hat, auch nichts, daß 
ein schlechtüberlegter Angriff des österreichischen Korps 
Merveldt in der rechten Flanke auf Connewitz und Dölitz 
erfolglos bleibt. Gerade dieser Angriff, von Bianchis Fort- 
schritten unterstützt, hat einen letzten Ansturm der alten 
Garde auf das Zentrum hintangehalten, indem er sie auf sich 
zog. Dadurch ist zwar hier ein weiteres Vorgehen der Öster- 
reicher unmöglich gemacht, aber auch keinerlei Entscheidung 



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Das Gefecht bei Möckern. 229 

erreicht worden. Ein Sieg ist somit von Napoleon nicht er- 
rungen. Nur ein unbedeutendes Stück Schlachtfeld ist ge- 
wonnen, obgleich die Kräfte auf französischer Seite überwogen 
hatten, da von der an Zahl überlegenen verbündeten Armee 
ein großer Teil nicht in den Kampf gelangte. Aber gerade 
ein entscheidender Sieg mit Flucht und Auflösung des Feindes 
hätte müssen errungen werden, wenn seine Sache nicht 
gänzlich scheitern sollte. Denn Marmont war unterdes durch 
das Yorcksche Korps — während Blüchers Gros gegen eine 
von Osten her vermutete Offensive parat blieb — angegriffen 
und nach hartnäckigster Gegenwehr von Möckern und Wid- 
deritsch bis hinter Gohlis und Eutritzsch an die Farthe zurück- 
gedrängt worden. Und so ist trotz dem Terrainerfolg bei 
Wachau der Tag für Napoleon verloren, da der nächste schon 
des Gegners Kräfte wesentlich vermehren, Bernadottc und 
Bennigsen heranführen wird und er nicht mehr gegen eine 
der Armeen, sondern gegen alle drei wird fechten müssen. 

Obgleich ihn eine Eekognoszierung am Morgen des 17. 
Oktober seine üble Situation erkennen läßt, ist er doch noch 
nicht gewillt, den Kampfplatz zu räumen. Einmal war ein 
Korps (Reynier) noch immer zurück, und ebenso Maret mit 
den Kanzleien; deren Eintreffen mußte abgewartet werden. 
Dann: hieß es nicht eine Niederlage eingestehen, wenn man 
sofort zur Retrai te blies? Und wir wissen, wie ängstlich Napo- 
leon gerade über dem Schein wachte. Endlich waren die 
Truppen, die sich tags zuvor so trefflich geschlagen hatten, 
so sehr ermattet, daß sie den Abmarsch, der gewiß nicht ohne 
ernste Kämpfe abging, nicht sogleich antreten konnten. 
Wollte man zurück, dann brauchte man Zeit und mußte sie 
erst gewinnen. Der Kaiser ließ den bei der Affaire von Dölitz 
gefangenen Merveldt vor sich kommen, gab ihm gegen Parole 
seinen Degen zurück und sandte ihn am Nachmittag mit An- 
trägen, die zunächst einen Waffenstillstand bezweckten, an 
Kaiser Franz ins Hauptquartier der Verbündeten. „Warum/*' 
sagte er u. A. zu dem Österreicher, „nimmt man meinen Vor- 
schlag, zu unterhandeln, nicht an? Ihr seht doch, daß England 
den Frieden nicht will.*) Ich werde mich, wenn man will, hinter 

*) Dieser Vorwurf bezieht sich auf jenen Annäherungsversuch, den 



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230 Die Sendung Merveldts. 

die Saale zurückziehen, Bussen und Preußen gehen hinter die 
Elbe, Ihr nach Böhmen, und das arme Sachsen soll neutral 
bleiben." Er ließ auch durchblicken, was er von seiner euro- 
päischen Stellung aufzugeben bereit wäre: Hannover an Eng- 
land, die deutsche Nordseeküste, vom Rheinbund Alles was 
freiwillig von ihm abfiel, dann Polen, Spanien und Holland, 
doch das Letztcrc mir, wenn seine Unabhängigkeit gegen Groß- 
britannien gesichert werde. Italien aber sollte nicht mehr in 
seine alten Verhältnisse, das ist unter die Vorherrschaft 
Österreichs, zurückkehren; es würde nur unter einem einzigen 
Herrscher vereinigt dem System von Europa entsprechen.*) 
Mit dieser Klausel benahm er der Sendung Merveldts alle 
Aussicht auf Erfolg. Denn gerade um die Vorherrschaft in 
Italien hatte Österreich zehn Jahre lang gefochten, und ein 
Austerlitz hatte dazu gehört, ihm den Verzicht darauf abzu- 
ringen. Man einigte sich denn auch rasch im Hauptquartier, 
vorläufig den Antrag unbeantwortet zu lassen. Den Wieder- 
beginn des Kampfes verschob man, der erwarteten Verstär- 
kungen wegen, die man auf etwa 100.000 Mann bezifferte, auf 
den nächsten Vormittag. Ein Angriff von der Blücherschen 
Armee her, der die Franzosen hinter Gohlis und die Parthe 
drückte, ward bald wieder abgebrochen. 

Während Napoleon noch auf Merveldts Rückkehr wartete, 
die nicht erfolgen sollte, traf er frühmorgens am 18. die 
ersten Dispositionen für einen Rückzug nach Westen, in- 
dem er Bertrand, der am 16. Lindenau gegen ein österrei- 
chisches Korps gehalten hatte, anweisen ließ, auf der Lützener 
Straße bis Weißenfels vorzugehen und dort den Flußübergang 
zu sichern; zwei Divisionen der jungen Garde sollten ihn in 
Lindenau ersetzen. Das war aber zunächst auch alles, und dem 
Gesehichtschreiber fehlen die Behelfe, sich und anderen zu 

Napoleon am 25. September gemacht hatte, als er seinen Adjutanten 
Flahault als Parlamentär mit einem Brief an Kaiser Franz zu den 
österreichischen Vorposten schickte. Er erhielt zur Antwort, daß an 
einen Teilfrieden nicht mehr zu denken sei, daß man aber seine 
Eröffnungen nach England geschickt habe. (Oncken, Aus den letzten 
Monaten des Jahres 1813. Hist. Taschenbuch, 1883, S. 12.) S. Anhang. 

w ) oiene nurg hersh, Memoiren (deutsch), S. 200 flf., Slmrnik, 
XXXI. 336, Toll, III, 523 u. a. a. O. 



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Napoleon wagt noch eine Schlacht. 231 

erklären, warum der Kaiser nicht schon vorher bei Einbruch 
der Nacht, wo Keynier eingerückt, die Armee ausgeruht und 
der gute Jiuf des Feldherrn nicht mehr in Gefahr war, mit 
aller Energie den Kückzug durch Leipzig hatte antreten lassen. 
Hoffte er wirklich auf ein Ergebnis der Sendung Mer- 
veldts? Scheute er die Verwirrung des nächtlichen Marsches 
durch die Stadt und über die einzige Brücke? Denn andere 
hatte man zu bauen unterlassen. Oder dachte er nur für den 
schlimmsten Fall sich den Weg offen zu halten? „Der 17. ver- 
lief ruhig," erzählt Marmont in seinen Memoiren, „der Feind 
wartete seine Verstärkungen ab. Was uns betraf, so waren wir 
damit beschäftigt, die Ordnung unter unseren Truppen wieder- 
herzustellen. Doch hätten wir von dem Augenblick an unseren 
liückzug beginnen, oder doch die Mittel vorbereiten müssen, 
um ihn bei einbrechender Nacht zu bewerkstelligen. Aber eine 
gewisse Sorglosigkeit Napoleons, die man unmöglich erklären 
und nur schwer bezeichnen kann, machte das Maß unsrer Leiden 
voll." Wir Spätere haben mehr den Eindruck eines Mannes, der 
das Kriegsglück, das seine Genialität so oft zu meistern ver- 
standen hatte, noch einmal herausfordern will. Nach Mitter- 
nacht hatte der Kaiser das Heer etwas näher an Leipzig 
herangezogen, um seine Kräfte für die Defensivschlacht zu 
konzentrieren, die ihm entweder den Sieg bringen oder doch 
die Möglichkeit bieten soll, den allerdings sehr schwierigen 
Durchzug durch Leipzig zu erstreiten. Für den letzteren Fall 
will er die ganze Armee des Feindes im Osten beschäftigen, 
ihn bei jeder Dorfschaft aufhalten, um so einem seiner Korps 
nach dem andern den ungestörten Abmarsch im Westen zu 
sichern. So kann der Kampf am 18. Oktober immerhin auch 
als eine Art Rückzugsgefecht aufgefaßt werden, allerdings das 
großartigste, das die Geschichte kennt.*) Der Kaiser hat nach 
dem Eintreffen ßeyniers und dem Abgang Bertrands noch 

., Leipzig konnte in der Tat als ein Brückenkopf angesehen 
werden, den man leicht einen ganzen Tag hindurch verteidigen kann, 
wenn man die Vorstädte und die alte Mauer, ähnlich wie in Dresden, 
vorteilhaft zu benutzen verstand", heißt es bei .Tomini, Precis politi- 
que et militaire des campagnes de 1812 a 1814; II., 186. Doch weiß 
auch er sich die Säumnis Napoleons am Abend des 17. nur mit der 
Rücksicht auf die Rendung Merveldts zu erklären. 



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232 



Der 18. Oktober. 



gegen 160.000 Manu und 600 Geschütze; die Verbündeten ver- 
fügen über nahezu 300.000 Mann und über die doppelte An- 
zahl Kanonen, da auch Bernadotte endlich herangekommen 
ist und, nachdem ihm Blücher hochherzig 30.000 seiner Leute 
abgetreten hat, am Kampfe teilnehmen wird.*) Freilich wird 
weitaus nicht alles von dieser Übermacht in den Kampf rücken, 
schon weil der Kronprinz seine Schweden, der Zar seine Garden 
schonen will und der Preußenkönig die seinigen nicht minder. 
Hunderttausend Mann sollen müßig gestanden haben. 

Die französische Armee war am 18. in einer Linie auf- 
gestellt, die sich von Connewitz die Pleiße aufwärts bis Dölitz 
zog, von da über Probsthaida, Dösen nach Zuckelhausen und 
Holzhausen vorsprang, dann nordwärts bis Schönfeld und die 
Parthe entlang nach der Halleschen Vorstadt und bis Gohlis 
lief. Napoleon selbst nahm bei einer Tabaksmühle an der Col- 
ditzer Straße nächst Stötteritz seinen Standplatz. Die Verbün- 
deten begannen um 8 Uhr anzugreifen. Sie erreichten in 
harten und verlustreichen Kämpfen, daß die Österreicher links 
über Dölitz, Dösen und Lößnig hinausdrangen, die Russen im 
Zentrum Zuckclhausen und Holzhausen eroberten, die Preußen 
unter Bernadotte, der recht spät bei Taucha mit 50.000 Mann 
über die Parthe gegangen war und erst am Nachmittag von 
dorther in Fühlung mit Bennigsen avancierte, den Feind bis 

*) Über die Haltung Bernadettes, die schon seit einiger Zeit 
den Gegenstand verschiedenartiger Auffassung in der Gesehichtscbrei- 
bung bildet, orientiert ein von dem französischen Emigranten Roche- 
chouart aufgezeichnetes Gespräch. Rochechouart, der jetzt in russischen 
Diensten stand und im Auftrag des Zaren den Kronprinzen zu eiligem 
Vorschreiten zu bewegen hatte, bekam von Diesem n. a. folgende« zu 
hören: „Außer dem sehr natürlichen Widerstreben, französisches Blut 
zu vergießen, leitet mich auch die Rücksicht auf meinen Ruf. Mein 
Schicksal hängt an einer Schlacht; verlier' ich sie, so leiht mir Nie- 
mand in Europa einen roten Heller. Mit Napoleou allein wäre die 
Sache einfach; er ist ein Spitzbube, den man töten muß, denn so lang 
er lebt, bleibt er die Geißel der Welt. Man braucht keinen Kaiser 
mehr, der Titel ist nicht französisch, Frankreich braucht einen König, 
allerdings einen, der zugleich Soldat ist. Das Geschlecht der Bourbons 
ist verbraucht und wird nicht mehr an die Oberfläche emportauchen. 
Wer taugt da wohl den Franzosen besser als ich?" (Rochechouart, 
Souvenirs, p. 251.) 



Die Schlacht geht für Napoleon verloren. 233 

au die Dörfer Anger, Krottendorf, Volkmarsdorf zurückwarfen. 
Die Dunkelheit machte dem blutigen Wüten ein Ende. Ein 
überwältigender Sieg, wie er der Übermacht entsprochen haben 
würde, ist, wie man sieht, von den Alliierten nicht errungen 
worden. Denn die Stellungen bei Connewitz nnd im Zentrum 
bei Probstheida und Stötteritz sind im Besitze der Franzosen 
geblieben. Aber die Gefahr, die diesen vom linken Flügel her 
droht, wo eine sächsische Division und eine württembergische 
Kavalleriebrigade zum Feinde übergegangen waren und wo 
namentlich die Fortschritte der preußischen nnd russischen 
Kolonnen ihre Schlachtlinie zu durchbrechen drohten — bei 
etwas mehr Energie der Führung auch wohl durchbrochen 
hätten — zwingt Napoleon schließlich diese Positionen auf- 
zugeben und damit seine Niederlage einzugestehen. Schon zu 
Mittag hatte er den Rückmarsch des Trains, am Nachmittag 
den dreier Reiterkorps angeordnet; bei einbrechender Nacht 
fuhr der große Artilleriepark durch die Stadt, und da diktierte 
der Kaiser Berthier auch die Ordre für den allgemeinen Rück- 
zug. Kurz vorher war er vor Ermüdung eingeschlafen. „Man 
hatte ihm", erzählt Odeleben, „einen hölzernen Schemel ge- 
bracht, auf dem er, erschöpft von den Anstrengungen der 
letzten Tage, in Schlummer sank. Seine Hände ruheten, nach- 
lässig gefaltet, im Schoß; er glich in diesen Augenblicken jedem 
anderen, unter der Bürde des Mißgeschicks erliegenden 
Menschenkinde. Die Generale standen düster und verstummt 
um das Feuer, und die zurückziehenden Truppen marschierten 
in einiger Entfernung vorüber." Dann begab sich Napoleon 
nach Leipzig, wo er im Hötel de Prusse mit Berthier arbeitend 
die Nacht verbrachte. 

Erst spät nach Mitternacht zogen auch die tapferen Ver- 
teidiger von Probstheida und Stötteritz in die Vorstädte hin- 
ein. Nur eine Nachhut von drei Korps unter Macdonald sollte 
zurückbleiben und den Feind bis zum nächsten Mittag von der 
Stadt fernhalten. Erfolgte dann der allgemeine Sturm, so war 
es ihre Aufgabe, Leipzig womöglich noch bis Mitternacht zu 
verteidigen. Aber es sollte anders kommen. In der Nacht und 
am Morgen des 19. war die Verwirrung in der Stadt, in die 
alles bei drei Toren hereinströmte, was doch nur bei einem 



234 Der llückzug durch Leipzig. 

einzigen wieder hinaus konnte, ganz ungeheuer. Am Vormittag 
gelang es Napoleon selbst nur mit Mühe sich durch das Chaos 
durchzuringen und Lindenau zu erreichen, während um den 
Besitz der inneren Stadt bereits heftig gekämpft wurde. Da 
täuschte das unvermutete Vordringen einiger russischer Jäger- 
abteilungen vom Rosental her den an der hohen Elsterbrücke 
postierten Geniekorporal derart über die Lage, daß er die Brücke 
vorzeitig sprengte und dadurch die Korps der Arrieregarde 
völlig preisgab.*) Es blieb diesen Truppen nur übrig, sich zu 
ergeben. Ihre Führer suchten zu entkommen. Hier war es, wo 
sich Macdonald mit dem Pferde durch den Fluß schwimmend 
rettete, während Poniatowski, der edelste unter den Marschällen 
des Kaiserreichs und mit einer der tapfersten, in den Fluten 
versank; die anderen, Lauriston und Keynier, wurden gefangen; 
sie waren beide verwundet. Verwundet waren auch Xey, Mac- 
donald, Marmont, Latour-Maubourg, Sebastiani u. A. Fünf 
Divisionsgenerale lagen tot. Bei 60.000 Mann, darunter 25.000 
Gefangene hatten Napoleon die beiden Tage vom 18. und 
19. Oktober gekostet. Etwas viel für ein Arrieregefecht.**) 
Und nicht genug daran. Mit dem Eückzug nach dem Rhein, 
der jetzt unerläßlich geworden war, wurden auch die Besatzun- 
gen der Elbe-, Oder- und Weichselfestungen aufgegeben, d. i. 
nahezu anderthalb hunderttausend Mann. Und noch ein Opfer 
forderte der Krieg: die Majestät Friedrich Augusts von 
Sachsen, dem Napoleon vor seinem Abgange vorgegaukelt 
hatte, er verlasse die Stadt nur, um im offenen Felde zu 
manövrieren, und werde sie in zwei bis drei Tagen wieder ent- 
setzen.***) Der König ging als Gefangener nach Berlin, und 



*) »So wird die Sache von Macdonald (Souvenirs, p. 218) 
dargestellt, der überdies erzählt, ein Genieofßzicr habe seinem Vorge- 
setzten am 18. Vorschlüge gemacht, die Passage noch während der 
Schlacht vorzubereiten, jedoch zur Antwort erhalten, dazu sei Zeit, bis 
der Kaiser es anordne. Die Ordre sei ausgeblieben. Man war es eben 
gewohnt, daß der Kaiser an alles dachte. 

**) Die Verluste beider Teile bei Leipzig sehätzt Gneisenau auf 
„sicherlich 100.000 Tote und Verwundete". (Delbrück, Gneisenau, 
I., 410.) Es waren mehr. Die Verbündeten allein hatten seit dem 
14. Oktober über 50.000 Mann eingebüßt. (Friederich, III, 226.) 

***) König Friedrich August selbst hatte sich zu mehreren Per- 



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Verfall der französischen Armee. 



Stein ward, als Vorsitzender eines „provisorischen Zentral- 
Administrations-Departements", Chef der Verwaltung des 
Landes im Namen zwar der drei verbündeten Monarchen, 
aber zugleich unter der Aufsicht eines Diplomatenrates, dem 
Hardenberg präsidierte.*) 

Als Napoleon bei Weißenfels etwas Ordnung in das re- 
tirierende Heer zu bringen trachtete, hatte er noch etwa 
120.000 Mann um sich, die sich anfangs in leidlicher Ordnung 
und von der feindlichen Avantgarde unter Yorck und dem 
Österreicher Gyulai wenig belästigt, fortbewegten. Aber sobald 
man hinter die Saale und dem nachrückenden Feind aus den 
Augen gelangt war, bröckelten von dieser Masse mit jedem 
Tage Tausende ab. Ein Teil davon warf die Waffen fort und 
desertierte, Andere zogen als marodierende Banden von „Frico- 
teurs" hinterher, Andere blieben entkräftet zurück. In den 
Kolonnen begann der Hungertyphus zu wüten, fortan der treue 
Begleiter der Armee. Erst in Erfurt, wo die wenig eifrige Ver- 
folgung der Gegner dem Heer eine zweitägige Ruhe gönnte, 
konnte* es sich etwas restaurieren und sammeln. Doch schon 
jenseits des Thüringerwaldes, den der Kaiser bei Eisenach 
umging, um über Fulda und Hanau nach Frankfurt und Mainz 
zu gelangen, waren es wieder nur noch kaum mehr als 60.000 
Mann, die in Reih' und Glied marschierten. Sie waren bei 
Kösen mit den Österreichern in ein verlustreiches Gefecht 
geraten und mußten sich auch jetzt die Rückkehr an den Rhein 
erst noch erkämpfen, als ihnen am 30. Oktober Wredc bei 
Hanau mit einem bayrisch-österreichischen Korps von 30.000 
Mann, das er in Eile vom Inn herangeführt hatte, in den 
Weg trat. Bis nahe an Fulda war Blücher hinter Napoleon 
marschiert. Blieb er auf diesem Wege, so konnte das franzö- 
sische Heer, wenn nur Wrede aushielt, in die ärgste La<re ge- 



sonen (dem Russen Toll, dem Preußen Nateraer) über Napoleons Vor- 
spiegelung geäußert. (Aster, Die Gefechte und Schlachten bei Leipzig, 
IL, 307.) 

*) Daß diese Behörde sich wesentlich von der Administrations- 
kommission des Frühjahrs unterschied und namentlich von den verbün- 
deten Regierungen weit abhängiger war als jene, zeigt Lehmann, 
Stein, III., 322. 



2*6 



Das Gefecht bei Hanau. 



raten. Aber ini Hauptquartier der Monarchen hatte man die 
Ansicht gewonnen, der Feind werde nicht über Fulda und 
Hanau, sondern über Alsfeld und Gießen nach dem Rheine 
streben, hatte demgemäß Blücher auf diese Straße verwiesen 
und auch Wrede dementsprechend instruiert. Dieser glaubte 
daher am 30., es nicht mit der ganzen feindlichen Armee zu 
tun zu bekommen, und griff herzhaft an; seinen Irrtum erken- 
nend, hielt er gleichwohl aus politischen Gründen — »Wir 
sind zu neue Freunde, um nicht unsern guten Willen mit Ernst 
zu betätigen", sagte er — am Kampfe fest. An diesem Tage 
standen übrigens auch Napoleon nicht mehr als etwa 17.000 
Mann, darunter die Garden, unmittelbar zur Verfügung; der 
Rest der Bewaffneten folgte ziemlich weit zurück. Er wollte 
vorerst diese abwarten, ließ sich aber — widerwillig — von 
Macdonald bestimmen, dennoch anzugreifen. Mit Erfolg. Dem 
Artilleriegencral Drouot gelingt es, eine größere Anzahl Ge- 
schütze in des Feindes linke Flanke zu bringen, und Wrede 
verliert nach hartnäckigem Widerstande die Schlacht. Der Weg 
nach Mainz war frei. 

Am 2. November langte Napoleon dort an, um erst nach 
mehreren Tagen Aufenthalts nach Paris weiter zu reisen. Von 
der halben Million bewaffneter Männer, die in diesem Jahre, 
seinem Winke gehorchend, den Rhein überschritten hatten, 
kehrten kaum über 90.000 zurück, viele ohne Wehr und mit 
dem Gift einer tödlichen Krankheit im Blute, das in der 
Rheinstadt sofort in fürchterlicher Stärke wüten und dem 
„Typhus de Mayence" ein trauriges Andenken sichern sollte. 
„Die Menschenmasse," erzählt ein Augenzeuge, „die alle Häuser 
und Straßen anfüllte, war unbeschreiblich; hier sah man die 
Soldaten noch mit halbem Leben, von aller Hilfe verlassen, 
vom Hunger gepeinigt, unter dem freien Himmel, bei Kälte 
und Regen auf harten Steinen liegen und auf den Tod mit 
Sehnsucht harren. Zu Hunderten starben sie täglich und lagen 
oft mehrere Tage unbegraben auf den Straßen." *) Man sah es, 
und auch der Kaiser sah, wenn er aus den Fenstern seines 
Paläste? über den Schloßplatz hinblickte, wie die zweite seiner 



*) Bookonheimer, Mainz in den Jahren 1813 und 1814, S. 57. 



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In Mainz. 237 

großen Armeen verdarb. Was er wohl dabei empfinden mochte! 
Bevor der Feldzug begann, hatte er in Paris dem Grafen Mole 
versichert: „Glauben Sic nur nicht, daß ich nicht auch, wie die 
andern, ein fühlend Herz habe; ich bin sogar ein ganz guter 
Mensch. Aber seit meiner frühesten Kindheit hab' ich mich 
gewöhnt, diese Saite zum Schweigen zu bringen, und nun bleibt 
sie stumm." Anders äußerte er sich in der Unterredung mit 
Metternich zu Dresden. Dort hatte Dieser ihn gefragt: „Werden 
Sie, wenn die ohnehin vorweggenommene Generation Fran- 
zosen, die Sie unter die Fahnen gerufen haben, verschwunden 
sein wird, werden Sie dann noch an die nächste appellieren?" 
und Napoleon, durch die ungelegene Frage erregt, geantwortet : 
„Sie sind nicht Soldat und wissen nicht, was in einer Soldaten- 
' seele vorgeht. Ich bin im Feldlager groß geworden, und ein 
Mann wie ich schert sich den Teufel um das Leben einer 
Million Menschen." Beinahe soviel hatten ihm seine beiden 
letzten Feldzüge gekostet. Und wenn er jetzt in Mainz für 
Kranke und Verwundete Sorge trug, so geschah es auch 
nicht sowohl, um sie aus Menschlichkeit zu retten, sondern 
vielmehr um sie später wieder verwenden zu können. Denn 
all seine Tätigkeit beherrschte der eine Gedanke, den er kürz- 
lich in Erfurt aussprach: „Bis zum Mai werd* ich eine Armee 
von 250.000 Streitern am Rhein haben." 



Viertes Kapitel. 

Elba, 

So war nun ein zweites Kriegsjahr mit ungeheuren Ver- 
lusten für Napoleon zu Ende gegangen. Der nationale Wider- 
stand der Bussen hatte ihn auf einem Leidenswege ohne- 
gleichen aus dem Zarenlande hinausgenötigt, der nationale 
Aufschwung der Deutschen zwang ihn über den Rhein zurück. 
Die Politik der Fürsten und ihrer Kabinette verschwand völlig 
neben dem elementaren Drang des Völkerwillens nach Unab- 
hängigkeit von fremder Willkür. Vergeblich war das Zögern 
Friedrich Wilhelms III., das zaudernde Wägen und Messen 



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238 Völker und Fürsten. 

seiner Diplomaten gewesen: er mußte in den Krieg gegen 
den Alliierten des Vorjahres. Vergebens hatte Metternich für 
seinen Herrn eine besondere, durch Bündnisse gestärkte 
neutrale Stellung ausgesonnen: Franz I. mußte sie aufgeben 
und gegen den Eidam das Schwert ziehen. Umsonst, daß 
Friedrich August von Sachsen seine Treue gegen den Schöpfer 
seiner Königskrone betätigte: seine Regimenter entfremdeten 
sich ihm und überließen ihn seinem Schicksal. Und ebenso 
waren westfälische Truppen, württembergische Reiter, baden- 
sisehes Fußvolk lange schon zum Feinde übergegangen, ehe 
Jeröme in der letzten Oktoberwoche sein Land verließ, König 
Friedrich I. und Großherzog Karl sich den Verbündeten an- 
schlössen. Bald stand der ganze Rheinbund gegen seinen 
Protektor. Und wie bei den Deutschen, so gewannen auch bei 
den anderen heerpflichtigen Völkerschaften des Kaiserreichs 
die Nationalparteien die Oberhand. So bei den Italienern, auf 
die der „Misogallo" Alficris nicht ohne Wirkung geblieben 
war. Murat mit den Neapolitanern hatte sich noch vor der 
Hanauer Schlacht unter dem Vorwand, die Lage seines König- 
reichs erheische seine Rückkehr, von Napoleon getrennt. Seine 
Gedanken gingen, wie schon ein paar Jahre zuvor, nach 
anderen Dingen: er will sich die Krone Neapels retten, ja, 
wenn es ging, auch die des ganzen Italien hinzugewinnen — 
vorausgesetzt, daß sich hier nicht die Donaumacht in ihre alten 
Hechte setzte. Denn schon Ende Oktober 1S13 hatten die Öster- 
reicher unter Hiller die Truppen des Vizekönigs Eugen bis 
hinter die Etsch zurückgetrieben und Triest samt den dalma- 
tinischen Festungen in ihre Hände bekommen. Die Holländer 
empörten sich Mitte November in Amsterdam offen wider Na- 
poleon und erklärten sieh für das angestammte Haus Oranien. 
Und während all dies geschah, hatte auch der spanische Na- 
tionalkrieg unter Führung und Teilnahme der Engländer 
wieder neue Erfolge über die Franzosen ergeben. Im Septem- 
ber war die Seefestung San Sebastian, im Oktober Pampeluna 
in "Wellingtons Hände gefallen und dadurch der Weg nach 
Buyonne völlig frei geworden, den der Brite, nachdem er von 
Napoleons Mißerfolgen gehört hatte, alsbald einschlug und 
unter fortwährenden Kämpfen mit Soult fortsetzte. Zugleich 



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Wie werden sieb die Franzosen verhalten? 23i* 



wich Suchet, um nicht seine Verbindungen mit Frankreich zu 
verlieren, aus Katalonien über die Pyrenäen zurück. 

So erwehrten sich die Völker des schwer lastenden Über- 
gewichts, und die eigenste Schöpfung Napoleons, das inter- 
nationale Empire, brach unter dem tatkräftigen Widerwillen 
der Nationen zusammen. Nun kam für sein Schicksal nur noch 
in Frage, ob denn nicht jetzt endlich auch diejenige Nation, 
deren Land und Kraft er zum Stützpunkt seiner Weltherr- 
schaft gemacht hatte, seines Regiments überdrüssig wurde, das 
in ruhelosem Drange ohne Grenzen ihr Blut und Gut vergeu- 
dete? Jetzt konnte er nicht, wie vor Jahresfrist, die widrigen 
Elemente der Natur als seine Bezwinger und als die Vernichter 
der zweiten gewaltigen Armee anklagen, die ihm in der Hoff- 
nung auf Sieg und Frieden überantwortet worden war, und was 
er als die eigentliche Grundlage seiner Macht ansah, seine per- 
sönliche Geltung, war tief erschüttert. Wird er noch ein drittes 
Mal die Mittel zu einein neuen Feldzug erhalten? 

Allerdings hatte ihm der Senat, noch ehe auf der Leip- 
ziger Ebene der entscheidende Schlag fiel, mit gewohnter 
Devotion, wie erwähnt, 280.000 Mann zugestanden. Aber wie 
wenig war das, um gegen Europa zu kriegen. Gewiß, auch der 
Konvent hatte seinerzeit gegen den ganzen Erdteil den 
Kampf aufgenommen, aber damals mit frischen Kräften, die 
der Enthusiasmus neuerrungener Freiheit beseelte. Seitdem 
waren zwanzig Jahre fast ununterbrochenen Streitens ver- 
flossen, die Nation hatte ihre Freiheit wieder eingebüßt, und 
ihre Begeisterung für den Mann, der ihr Ordnung und Ruhm 
verschafft hatte, war geschwunden, seitdem seine Glorie sich 
verdüsterte und an die Stelle erträumter Ruhe und friedlichen 
Genießens nur immer neue Fehden mit immer größeren 
Opfern traten. Denn die Zeit war lange vorbei, wo der Kaiser 
als Sieger dem französischen Volke Provinz auf Provinz zu 
Füßen legen und versichern konnte, daß all diese Lorbeeren dem 
Lande so gut wie nichts kosteten. Im letzten Jahre hatte er 
die klaffenden Lücken des Staatsbudgets nur noch durch einen 
dreisten Griff in das Nationalvermögen stopfen können und 
den Verkauf der Gemeindegüter angeordnet. Nun stellte sich 
heraus, daß dieses Experiment einen sehr geringen Erfolg 



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210 



Unzulängliche Geldmittel. 



gehabt hatte und daß nur ein kleiner Bruchteil der Werte in 
Geld umgesetzt werden konnte. So fehlte es dem Staat eben 
jetzt, da er sich in der bedrängtesten Lage befand, an den 
nötigen materiellen Mitteln. Wo waren sie zu finden, wenn 
— die Folge der hohen Blutsteuer — die Äcker brach lagen, 
die Industrie feierte, der Handel stockte? Etwa in der Er- 
höhung der Zölle? Aber der Import war geringfügig. Oder 
in der Vermehrung der Grundsteuer (um 30%), der Türen- 
und Fenstersteuer, der Patentensteuer, der Salzsteuer und der 
indirekten Steuern? So beschloß der Senat am 11. November. 
Aber das Erträgnis wird nicht hinreichen. Man wird im 
Januar 1814 die Grundsteuer statt um 30% um die Hälfte er- 
höhen müssen, und ebenso die anderen im gleichen Maße, und 
gleichwohl vergeblich. Das Steuererträgnis wird in diesem 
Jahre einen Ausfall von 50% aufweisen. Die Rente ist bis 
auf 50 gefallen, die Aktien der französischen Bank, die ehedem 
1400 Franken und mehr gegolten hatten, werden nun mit 
wenig über 700 gehandelt. Niemand kauft, denn niemand 
hat Geld flüssig. Die Weinbauern behalten ihr Gewächs in 
den Kellern; die Magazine der Fabriken sind überfüllt. Napo- 
leon wird, wenn er rüsten will, fürs erste nur seinen Tuilerien- 
schatz zur Verfügung haben, von dessen Millionen die 
nächsten Wochen den größten Teil verschlingen werden.*) 
Und wie an Geld, so fehlte es nun auch schon an Leuten 
für den Krieg. Zwar die Konskription vom Oktober ging 
noch leidlich vonstatten. Der Feind stand ja an der Grenze, 
und der Patriotismus forderte sein Recht. Man hatte, um das 
Vaterland zu verteidigen, doch keinen andern General, dem 
man sich in gleichem Maße anvertrauen konnte, wie dem 

*) Die Angaben über den Schatz in dieser Zeit schwanken. Napo- 
leon selbst gibt ihn im Gespräch mit dem Frankfurter Banquier Simon 
Moritz Bethmann mit 80 Millionen in barem an (s. meinen „Kongreß 
von Chatillon", S. 2), seinem Schatzminister Mollien aber schreibt er am 
17. November: „Ich habe nur 30 Millionen im Kronschatz." Er wünscht 
jedoch, daß verbreitet werde, es seien mehr als 200 Millionen darin. Der 
Minister nimmt den vom Kaiser angegebenen Barvorrat als richtig an', 
rechnet übrigens noch eine Summe von ungefähr 150 Millionen in 
Weitpapieren dazu, die freilich in der kritischen Zeit schwer zu Geld 
zu machen waren. (Mollien, Me^noires, III., 345 ff.) 



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Unzulängliche Streitkräfte. 241 

genialen Kaiser. Darum blieb vorerst die Masse des franzö- 
sischen Volkes — die Polizeinoten beweisen es — gut imperia- 
listisch. Nur in den dem englisch-bourbonischen Einfluß aus- 
gesetzten Provinzen: Flandern, Artois, Normandie und Bretagne 
und den südlichen: Guyenne, Gascogne, Provence war die Be- 
völkerung gleichgültig gegen die Invasion oder doch dem 
Kaiserreich abgeneigt. „Die Bevölkerung", schreibt Barante, 
damals Präfekt in Nantes, „begann sich zu rühren und ihre 
Unzufriedenheit kam in dem Maße zum Ausdruck, in dem die 
kaiserliche Kegierung die mächtige Autorität ihrer Siege ein- 
büßte."*) In den übrigen Landesteilen lieferte der Bauer 
resigniert seinen letzten Sohn ab, und erst als ein zweites 
Senatsgesetz vom 15. November 1813 anordnete, aus den 
Altersklassen von 1803 bis 1814, die schon gedient hatten, 
aufs neue 300.000 Mann auszuheben, das ist auf die Familien- 
stützen und Ehemänner zu greifen, ergaben sich unüber- 
windliche Schwierigkeiten. Die Einberufenen stellten sich 
nicht oder entüohen in die Wälder, und zu Beginn des neuen 
Jahres war, allen Strafgesetzen zum Trotz, von den 300.000 
Mann nicht viel mehr als der fünfte Teil rekrutiert. Und 
ebenso schlimm stand es um die Errichtung einer neuen Natio- 
nalgarde, wie sie der Senat — was bewilligte dieser Senat nicht 
alles! — am 17. Dezember in 450 Kohorten anbefahl. Der 
Bauer wußte vom letzten Feldzug her, daß der Kaiser, wenn 
er Soldaten brauchte, zwischen Miliz und Linie keinen Unter- 
schied machte. Er war bereit, seinen Hof zu verteidigen, aber 
nicht, ihn mit Weib und Kind im Stiche zu lassen und zur 
Armee zu gehen. Keine 20.000 Mann brachte man in den 
Depots zusammen. Und selbst für diese geringen Ergebnisse 
der neuen Aushebung fehlte es noch an Armaturgegenständen, 
Uniformen und Waffen. 

Fürwahr, das waren üble Aussichten für die Fortsetzung 
des Krieges gegen das verbündete Europa, wenn auch die 
Stimmung des französischen Volkes den Kaiser noch nicht 
fallen ließ, die liberale Agitation gegen ihn in den tieferen 
Schichten noch keinen Boden fand und die Bourbons mit 



*) Souvenirs, II., 11. 
Fournier, Napoleon I. 



16 



242 Ferdinand von Spanien und Pius VII. 

ihrem Anhang hochmütiger Aristokraten der alten Abneigung 
noch immer sicher, vielen ganz unbekannt waren. Wenn 
man nur nicht nach zwei Seiten — gegen Süden und Osten — 
zugleich hätte Front machen müssen und die Truppen Soults 
und Suchets für den Krieg gegen die Alliierten hätte ver- 
wenden können. Daran dachte Napoleon wohl, und deshalb 
entschloß er sich, den gefangenen Ferdinand VII. von Spanien 
freizulassen, ihm sein Land zurückzugeben und mit ihm 
Frieden zu schließen. Am 8. Dezember kam in Valencay der 
Vertrag zustande. Anstatt nun aber den König sogleich heim- 
zuschicken, was nach Wellingtons Zeugnis das einzige Mittel 
gewesen wäre, den Engländern den Krieg unmöglich zu 
machen, ließ sich Napoleon durch eine Intrigue Talleyrands, 
der jetzt mit allen Geheimmitteln der Politik des Kaisers 
Stellung zu untergraben suchte, bestimmen, vorerst den Ver- 
trag der Regentschaft in Madrid vorzulegen. Diese verweigerte 
— Talleyrand war dessen sicher gewesen — die Annahme, 
da ein Beschluß der Cortes festgesetzt hatte, man wolle mit 
Frankreich keinerlei Vertrag schließen, solange dem König 
nicht seine volle Freiheit zurückgegeben sei, und die Unter- 
handlungen zogen sich bis in den Januar hin. Die Armeen 
des Südens konnten nicht frei werden. 

Und wie den König von Spanien, so wird der Kaiser auch 
daran denken müssen, seinen zweiten Gefangenen freizugeben: 
den Papst. Durch den Zusammenbruch des Empire ward ja 
auch seinen kirchenherrlichen Absichten der Boden entzogen. 
Wieviel hatte er sich nicht von seiner Gewalt über den heiligen 
Vater versprochen! „Von diesem Augenblick" — sagte er 
später — „würde ich den Papst wieder erhoben, ihn mit Pomp 
und Huldigungen umgeben, ein Idol aus ihm gemacht haben; 
nie hätte er seine weltlichen Besitztümer vermissen sollen. 
Ich hätte dann meine kirchlichen Sessionen gehalten wie 
meine legislativen. Meine Konzilien wären die Repräsentation 
der Christenheit, die Päpste deren Präsidenten gewesen; ich 
hatte sie erötlnet und geschlossen, ihre Dekrete gebilligt und 
verkündigt, wie Konstantin und Karl der Große getan. Wie 
fruchtbar an großen Ergebnissen wäre dies geworden! Der 
päpstliche Einfluß auf Spanien, Italien, den Rheinbund, Polen 



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Die Auflösung des Kmpire. 243 

hätte die Bundesverhältnisse des großen Reiches enger ge- 
schlossen, und der, den das Haupt der Christenheit auf die 
Gläubigen in England und Irland, Kußland und Preußen, 
Österreich, Böhmen und Ungarn ausübt, wäre das Erbteil von 
Frankreich geworden." Aber das große Reich war nun im 
Wanken und sein Einfluß auf die Nachbarländer zunichte. 
Es war auf seine nationalen Grenzen zurückgewiesen, und 
sein Monarch konnte nicht mehr daran denken, das inter- 
nationale Universalsystem des Papsttums weiterhin damit zu 
verknüpfen. Gleich zu Beginn des letzten Krieges hatte 
Pius VIT. das Konkordat von Fontainebleau widerrufen und 
später, als der Kongreß zu Prag tagte und Franz I. sich von 
Napoleon trennte, die apostolische Majestät Österreichs als 
Anwalt angerufen. Jetzt will ihn der Kaiser freigeben, doch 
auch nur gegen einen Vertrag. Der Papst aber weist jede 
Unterhandlung aufs entschiedenste zurück, denn nicht in 
Paris, nur in Rom könne eine solche geführt werden. Darauf 
hält ihn Napoleon fest, was seine politische Stellung nicht 
bessert, sondern eher mehr verwickeln muß. 

Es blieb ihm zu deren Festigung überhaupt nur noch 
zweierlei übrig: entweder mit seinen reduzierten Kräften den 
mehrfach überlegenen Feind zu schlagen, oder mit ihm, ehe er 
über den Rhein ging, Frieden zu schließen, den Frieden, den 
Frankreich seit so viel Jahren vergeblich und jetzt, nach all 
den Verlusten, mit doppelt heißen Wünschen ersehnte. Aber 
war denn der Friede zu erlangen? Wer.den die Mächte, die 
soeben siegreich bis an den Rhein vorgedrungen sind, dort 
Halt machen und von Vergleich hören wollen? Und wenn sie 
wollen, unter welchen Bedingungen? Die Antwort erfuhr 
Napoleon, als um die Mitte November 1813 ein französischer 
Diplomat, der Baron von Saint-Aignan, ein Schwager Cau- 
laincourts, aus Frankfurt, dem Hauptquartier der verbündeten 
Monarchen, in Paris anlangte. Saint-Aignan hatte bisher die 
französische Regierung an den Höfen zu Gotha und Weimar, 
nicht immer zur Zufriedenheit Napoleons, vertreten, war nach 
der Schlacht bei Leipzig in dieser Stadt gefangen und von 
den Verbündeten nach Frankfurt mitgenommen worden, wo 
man ihm eine ähnliche Rolle zudachte, wie sie Napoleon jüngst 

l6* 



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244 



Die Mission Saint-Aignans. 



Merveldt hatte spielen lassen. Metternich eröffnete ihm 
nämlich im Beisein und unter formeller Zustimmung Nessel- 
rodes, der auch für den abwesenden Hardenberg gutsagte, 
und des englischen Bevollmächtigten im österreichischen 
Hauptquartier, Lord Aberdeens, daß die Mächte geneigt seien, 
Frieden zu schließen, England, die meisten französischen 
Kolonien zurückzugeben, wenn Napoleon die natürlichen 
Grenzen Frankreichs, das ist den Rhein, die Alpen und die 
Pyrenäen als Friedensbasis annehmen und einen Kongreß zum 
Zweck einer allgemeinen Pazifikation beschicken wolle. Aller- 
dings war diesem Anerbieten die einschränkende Klausel bei- 
gefügt, daß der Fortgang des Krieges durch die diplomatische 
Verhandlung nicht unterbrochen werden sollte; aber es war 
doch der Friede, der da in Aussicht stand, und wer es ehrlich 
mit dem Kaiser meinte, mußte ihm raten, sofort anzunehmen. 
Denn es war so, wie es in Saint-Aignans Bericht hieß, „daß 
Kapoleon der Menschheit viel Übel, Frankreich viel Gefahren 
ersparen könne, wenn er die Unterhandlungen auch nicht 
um einen Tag hinausschiebe." Das Anerbieten selbst war 
die Antwort auf seinen Vorschlag vor der Entscheidung 
bei Leipzig und man wählte deshalb eine ähnliche Form 
der Mitteilung.*) Was die Verbündeten vcranlaßte, ein- 

*) Damals, nach der Unterredung Napoleons mit Merveldt, hatte 
Metternich an den leitenden Staatsrat Hudelist in Wien geschrieben: 
„Wir werden am Rhein antworten," (19. Oktober 1813, Kongreß von 
Chätillon, S. 8.) Der Bericht Saint-Aignans über seine Unterredungen 
mit Metternich und die Konferenz in Frankfurt ist später, verstümmelt, 
im „Moniteur" vom 20. Jänner 1814 und in Fain, Manuscrit de 1814, 
vollständiger von Bignon, Hist. de France, XIII., 24 ff. und Haus- 
Bonville, Souvenirs et melanges, p. 119 ff., mitgeteilt worden. Die 
von dem Diplomaten niedergeschriebene Note mit den Vorschlägen der 
Verbündeten wurde vielfach gedruckt: im Sbornik, XXXI., 341, in 
d'Angeberg, Congres de Vienne,L, 76, bei Fain u. a. m. Sorel, VIII., 
200 ff., vertritt die Anschauung, es sei Metternich mit dem Frankfurter 
Anerbieten der natürlichen Grenzen nicht Ernst, sondern nur darum zu 
tun gewesen, sich der französischen Volksstimmung gegen Napoleon 
zu versichern, um dann mehr zu verlangen und entweder den gedemü- 
tigten Schwiegersohn unter den Einfluß Österreichs zu bringeu oder 
diesen Einfluß, wenn Napoleon sich etwa zur Abdankung gezwungen 
sah, auf Marie Luise und ihren Sohn auszuüben. Auch wenn Napoleon 

sofort angenommen hätte, meint Sorel, wäre es doch nicht zum Frieden 
« 



Metternichs Besorgnisse. 245 

zuhalten und diesen Frieden anzubieten, ist einmal 
darin zn suchen, daß das Kriegsziel der Teplitzer Traktate 
mit der Ankunft am Rhein erreicht war, und dann in dem 
Grundsatz der österreichischen Politik, Frankreich nicht all- 
zusehr einzuschränken, um in ihm immer noch ein gewisses 
Gegengewicht gegen Rußlands drohende Übermacht in Geltung 
zu erhalten. Diese Ubermacht hatte sich ohnehin bereits Iteim 
Abschluß jener Allianzverträge vom 9. September fühlbar ge- 
macht, wo der das Herzogtum Warschau betreffende Artikel 
des Reichenbacher Vertrages — die drei Mächte werden das 
polnische Land unter sich aufteilen — wesentlich abgeändert 
worden war, so daß er nun hieß: sie werden sich über dessen 
künftiges Schicksal gütlich vergleichen, was den gänzlichen 
Anfall an Rußland nicht ausschloß, wenn für Preußen und 
Österreich anderweitige Entschädigung gefunden wurde. Wir 
wissen, wie sehr Metternich diesen erheblichen Machtzuwachs 
des nordischen Nachbars fürchtete, und es war gewiß, daß Er- 
oberungen jenseits des Rheins derlei Entschädigungsobjekte 
herbeischafften. Darum sollte jetzt Friede werden, und zwar 
unter Bedingungen, die dem französischen Volke ehrenvoll 

auf der Basis der natürlichen Grenzen gekommen. Dagegen wäre ein- 
zuwenden, 1. daß damals Metternich und Abcrdeen, ja sogar Stadion in 
einer Denkschrift, die Zurückdrängung Frankreichs hinter den Rhein 
und die Alpen als eine große Sache angesehen haben, bei der man sich 
begnügen könne; 2. daß Metternich noch am 28. November, also nach 
dem Eintreffen einer unzureichenden Antwort Napoleons (am 24.) die 
„natürlichen Grenzen" in den Entwurf eines Manifestes an die Fran- 
zosen aufgenommen hat, und überdies die Versicherung, die Verbündeten 
würden selbst nach Siegen auf französischem Boden nicht mehr als diese 
verlangen — Dinge, die dann allerdings weggeblieben sind. (Aberdcens 
Bericht vom 28.November bei Oncken, Hist. Taschenbuch, 6. F., IL, 38); 
8. daß Kaiser Alexander, der, ehe Stein ankam, unter Metternichs Einfluß 
stand, noch am 6. Dezember, nachdem das Manifest bereits veröffent- 
licht war, einem Sendboten nach England die Instruktion mitgab, der 
Friede sei auf der Basis der „natürlichen Grenzen" mit Frankreich zu 
schließen. (Martens, XI., 198.) Es kam dann freilich anders, aber 
nicht auf die Anregung Metternichs hin, und es steht auch keineswegs 
fest, daß, bei der Kriegsunlust der Monarchen im November, Napoleons 
sofortiges Zugreifen nicht zu abschließenden Verhandlungen im Sinne 
der Frankfurter Anträge geführt hätte. Gingen doch die Heere erst zu 
Ende des Jahres über den ßhein. 



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216 Haltung Napoleon». 

genug erschienen, so daß sie Xapoleon nicht kurzerhand ab- 
weisen konnte. Unterstützte man vollends den Antrag durch 
den Einmarsch in Frankreich, so zeigte man damit den Fran- 
zosen den vollen Ernst der Situation und gewann ihre Unter- 
stützung in einer Pression auf den Imperator, dessen kriege- 
rische Zurüstungen man zu gleicher Zeit hemmte und ein- 
schränkte. Dafür gelang es nun Metternich, schon auf dem 
Marsche nach dem Rhein, sowohl Lord Aberdeen als auch den 
Zar zu gewinnen, der damals noch von einer Fortsetzung des 
Krieges in Feindes Land nicht sehr erbaut war, weil er damit 
den Verlust seines eben erst erworbenen dominierenden An- 
sehens befürchten mochte.*) So kam es zur Mission Saint- 
Aignans. Metternich selbst äußerte freilich als seine Meinung, 
der Schritt werde ohne Erfolg bleiben, und er schrieb es auch 
in einem Privatbriefe an Caulaincourt, den er dem Unter- 
händler mitgab. War das ein indirekter Wink für Xapoleon, 
rasch zuzugreifen? Alles hing davon ab, ob er es tat. 

Er kannte seine Lage ganz genau. Das große Projekt 
der Kontinentalsperre war in Rußland gescheitert, der Rhein- 
bund war jetzt in Deutschland seinem „Protektorat" entrissen 
worden. „Ja," hatte er sich in Frankfurt während einer kurzen 
Rast im Hause Simon Moritz Bethmanns, des Banquicrs, ver- 
nehmen lassen, „mit dem Rheinbund ist's vorbei, ich will 
auch nichts mehr davon wissen; im Grunde war es doch nur 
ein schlechter politischer Kalkül, ihn ins Leben zu rufen. Auch 
das Kontinentalsystem war eine Chimäre; ich werde nicht 
mehr darauf zurückkommen."**) So trennte er sich, mit er- 
zwungenem Gleichmut, von den Ideen, die mehrere Jahre hin- 
durch sein ganzes Sinnen beschäftigt und Hunderttausenden 
das Leben gekostet hatten. Kurz nachher sagte er zu seinem 
Bruder Joseph: „Meine Situation erlaubt mir nicht mehr, an 

*) Alexander äußerte sich in Frankfurt wiederholt zu Labou- 
ehere: „Man muß mich nieht für so verrückt halten, daß ich den Krieg 
auf das andere Rheinufer tragen werde. Ich werde nieht in den Fehler 
verfallen, der meinem Feinde so schlecht bekommen ist, und in Paris 
das Schicksal suchen, das er in Moskau erfuhr." (Pasquier, Memoi- 
res, II., 111.) Auch die russischen Generale waren gegen einen Vor- 
inarseh. 

**) Kongreß von Chätillon, S. 2. 



Seine Antwort. 



247 



irgendeine fremde Herrschaft zu denken, und ich werde mich 
glücklich schätzen, wenn ich das Territorium des alten Frank- 
reichs durch den Frieden erhalten kann. Alles um mich herum 
droht den Einsturz. Meine Armeen sind vernichtet und die 
Verluste, die sie erlitten, lassen sich nur mit äußerster 
Schwierigkeit wieder gutmachen. Holland geht uns unwieder- 
bringlich verloren; Italien ist schwankend; das Benehmen des 
Königs von Neapel beunruhigt mich. Die Nachschübe für 
den Vizekönig, deren Dieser dringend bedarf, langen nicht an, 
die Österreicher bedrängen ihn, und die Italiener, die er be- 
fehligt, zaudern. Belgien und die Rheinprovinzen geben 
Zeichen von Unzufriedenheit. Die spanische Grenze ist in der 
Gewalt des Feindes. Wie sollte man in einer solchen Krisis 
an auswärtige Throne denken? wie Frankreich, das sich kaum 
verteidigen kann, Opfer für eine andere Sache als die seiner 
Erhaltung zumuten, wo man doch im höchsten Falle nur 
auf solche rechnen kann, die zum Schutz des eigenen Ge- 
bietes unerläßlich sind?"*) Und dennoch hat Napoleon den 
Friedensantrag der Feinde nicht schlechtweg angenommen, in 
einem Schreiben vom 16. November die angebotene Friedens- 
basis gar nicht erwähnt und nur Mannheim als Kongreßort 
vorgeschlagen. Galt es ihm, etwas mehr Zeit für seine 
Rüstungen zu gewinnen, damit er bei den Unterhandlungen 
nicht wehrlos dem Diktat der Feinde gehorchen mußte? Oder 
wollte er den Frieden jetzt gar nicht, und war es ihm, wenn 
er sich überhaupt auf Verhandlungen einließ, nur um den 
Schein zu tun, damit die öffentliche Meinung, die so sehn- 
süchtig nach dem Ende des endlosen Streites rief, sich be- 
ruhige? In der ersten Ministerratssitzung, der er nach seiner 
Rückkunft präsidierte, sagte er zu seinen Räten, die auf das 
Ruhebedürfnis des Landes und dessen schlechte materielle 
Verhältnisse hinwiesen: „Sie sprechen zu viel von Frieden. 



*) Miot von Mclito, Memoire.?, HL, 309. Man darf freilich 
nicht außer acht lassen, daß diese Worte des Kaisers nur das Prälu- 
dium bildeten zu der Forderung, Joseph solle auf das spanische König- 
tum verzichten, und deshalb vielleicht düsterer lauteten als Napoleon 
selbst seine Lage erschien. Immerhin aber entsprachen sie ganz den 
tatsächlichen Verhaltnissen. 



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248 



Er denkt nicht an Frieden. 



Wollen Sie denn von der Höhe herabsteigen, auf die ich 
Frankreich emporgebracht habe? Wollen Sie wieder eine 
simple Monarchie werden, anstatt ein stolzes Reich zu sein? 
Und das wird eintreten, wenn Sie Holland verlieren. Sie 
brauchen die Strommündungen und die Barriere gegen 
Norden. Bevor ich sie herausgebe, steche ich die Dämme 
durch." Und als er ihnen darlegte, wie nur der Abfall seiner 
Verbündeten, namentlich Bayerns, seine Niederlagen herbei- 
geführt habe, flammte plötzlich sein Auge auf und er rief: 
„München muß brennen ! Und es wird brennen !" Das klang 
nicht gerade friedlich.*) Freilich, er für seine Person mußte 
den Frieden unter den gegebenen Umständen als ein schweres 
Mißgeschick empfinden. „Seiner Geltung des stets siegreichen 
Eroberers entkleidet," erzählt der Polizeipräfekt Pasquier, 
„umgeben von seinen Kapitänen, die er nicht mehr mit Reich- 
tümern der unterworfenen Völker beschenken konnte, einer 
Nation gegenüber, die alles für ihn getan hatte und nun ge- 
rechterweise von ihm Rechenschaft fordorte für das in wahn- 
sinnigen Unternehmungen vergeudete Gut und Blut, war ihm 
der Gedanke an Frieden zur Pein, ihm, dessen Stolz nicht die 
kleinste Verminderung seines Besitzes zu ertragen ver- 
mochte."**) Und noch Eins mochte er überlegen. Saint- 
Aignan hatte mit seinen Fricdensgrundlagen, die ihm in 
Frankfurt mit auf den Weg gegeben worden waren, zugleich 
auch die Ankündigung mitgebracht, die Verbündeten würden 
keinen Waffenstillstand schließen und die Feindseligkeiten 
nicht unterbrechen. So hatte auch er in den Zeiten seiner 
Siege wiederholt gehandelt und dann, je nach seinen Erfolgen 
— man denke nur z. B. an die Verhandlungen in Lüneville 
oder nach Jena — die Friedensbedingungen gesteigert. Seine 
Feinde brauchten ihm das nur abgeguckt zu haben, um wäh- 
rend ihres Vordringens in Frankreich ihren Tarif zu erhöhen. 
Was nützte es ihm da, sich von vornherein zu binden? Er 
wollte sich nicht täuschen lassen. 

*) Nach (h'ii Anmerkungen zweier Anwesenden: Moles in der 
Revue de la Revolution, 1888, und Pasquiers im II. Bande seiner Me- 
moiren, S. 99. Siehe obon Band II, S. 59. 

**) Memoires, II., 110. 



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Das Manifest der Verbündeten. 



219 



Metternich benützte die aufschiebende Antwort des 
Kaisers und den Umstand, daß sie mit der Nachricht von 
der Bewilligung der 300.000 Konskribierten durch den Senat 
zusammenfiel, um sie in einem Manifest der Monarchen an 
das französische Volk zu verwerten. „Die verbündeten Mächte", 
hieß es darin, „sind im Kriege nicht gegen Frankreich, 
sondern gegen jenes laut verkündete Übergewicht, das der 
Kaiser Napoleon außerhalb der Grenzen seines Reiches zum 
Unglück Europas und Frankreichs zu lange ausgeübt hat. Der 
Sieg hat die alliierten Heere an den Rhein geführt. Der erste 
Gebrauch, den Ihre kaiserlichen und königlichen Majestäten 
davon gemacht haben, hat darin bestanden, daß sie Seiner 
Majestät dem Kaiser der Franzosen den Frieden angeboten 
haben." Über dessen Bedingungen hieß es aber nun allerdings 
nicht mehr : Rhein, Pyrenäen und Alpen, wie ein erster Metter- 
nichscher Entwurf noch enthalten hatte. Kurz zuvor, Mitte 
November, war der Abfall der Holländer erfolgt, und da die 
Engländer längst mit sich im Reinen waren, ihnen die weg- 
genommenen Kolonien nicht mehr zurückzugeben, suchten sie 
nach einer Entschädigung auf dem Kontinent und fanden sie 
in Belgien. So kam es, daß das britische Kabinett Lord Aber- 
deen desavouierte und schon jetzt von den „alten" Grenzen 
Frankreichs als Friedensbedingimg sprach. So weit wollten 
freilich weder Metternich noch Alexander gehen, schon um 
in Frankreich nicht die friedfertige Stimmung zu ver- 
scheuchen, aber noch weniger wollte man es sich mit England 
verderben, und so hieß es jetzt nur ganz allgemein: „Die ver- 
bündeten Souveräne wünschen, daß Frankreich groß, stark 
und glücklich sei", und: „Die Mächte verbürgen dem fran- 
zösischen Reiche eine Ausdehnung seines Gebietes, wie sie 
Frankreich unter seinen Königen nie gekannt hat." So appel- 
lierten die Kabinette des alten legitimen Europa — und dies 
ist ein neues Zeugnis dafür, wie sehr sie in diesem Augenblicke 
von einer volkstümlichen Strömung getragen waren — vom 
Monarchen an den Souverän, vom Kaiser an das Volk, vom 
Herrscher eines internationalen Empire an die französische 
Nation. In dieser Unterscheidung zwischen Fürst und Volk, 
dieser Berufung an die höhere Instanz des Letzteren, lag das 



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2o0 Volksstimmung in Frankreich. 

Gewicht des sonst recht schwächlich klingenden Aufrufs, und 
die Wirkung konnte nicht ausbleiben. Napoleon wurde sie aus 
den Berichten der Präfekten gewahr, die ihn veranlaßten, 
Senatoren und Staatsräte in die Provinz zu schicken, um die 
Stimmung zu beleben und der kaiserlichen Regierung freund- 
licher zu gestalten. Diese Sendboten erhielten außerordent- 
liche Vollmachten. Sie konnten, wenn es ihnen nötig schien, 
das Standrecht erklären, den Widerwillen bestrafen und die 
Massen gegen den eindringenden Feind bewaffnen. Denn Na- 
poleon durfte in seiner Lage selbst den Appell an die alte revo- 
lutionäre Kampfesfreude nicht verschmähen, und so ward jetzt 
auch die lange verpönte Marseillaise wieder von den Dreh- 
orgeln durch die Straßen geleiert. Es half wenig. Am deutlich- 
sten zeigte sich dem Kaiser, wie schließlich die Franzosen 
selbst zwischen ihm und sich zu unterscheiden begannen, als 
am 19. Dezember 1S13 der Gesetzgebende Körper zusam- 
mentrat. 

Bis zu diesem Tage hatte Napoleon dessen Eröffnung 
hinausgeschoben, um den Mitgliedern nicht ganz ohne Beweis 
für seine Friedensliebe gegenüberzutreten. Erst nachdem er 
der öffentlichen Meinung, die in Maret einen Gegner des 
Friedens erblickte, diesen Minister geopfert, d. h. ihm die 
Leitung der auswärtigen Angelegenheiten abgenommen und 
sie Caulaincourt übertragen hatte, den man als Repräsen- 
tanten der Pazifikationsidee ansah, nachdem er dann durch 
Diesen am 2. Dezember an Metternich hatte schreiben lassen, 
wie er nun auch die angebotenen Friedensgrundlagen annehme, 
worauf der österreichische Minister erwiderte, daß der Er- 
öffnung des Kongresses nichts im Wege stehe und England 
sofort benachrichtigt werde, damit es einen Vertreter sende: 
erst da glaubte Napoleon Material genug zu besitzen, um sich, 
wie er es in früheren Jahren so oft getan, als friedfertigen 
Mann hinzustellen. Diese Korrespondenz — nur diese, nicht 
aber die Eröffnungen Saint-Aignans und die aufschiebende 
erste Antwort darauf — wurde den Deputierten vorgelegt, 
obwohl der Kaiser in seiner Thronrede, mit der er die Mit- 
glieder des Gesetzgebenden Körpers zugleich mit denen des 
Senats und des Staatsrates ansprach, versicherte, es würden 



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Laines Adressenentwurf. 



251 



alle Originalakten, die sich im Portefeuille des Auswärtigen 
Ministeriums vorfinden, mitgeteilt werden. Der Schluß seiner 
Botschaft, die an die Nationalehre appellierte, enthielt die 
übliche Forderung neuer Opfer: 160.000 Mann National- 
garden, denn „die Nationen unterhandeln nur dann mit 
Sicherheit, wenn sie all ihre .Kräfte entfalten". Der Senat, 
der erst kürzlich durch ein Dutzend sicherer Männer vermehrt 
worden war, beantwortete die Thronrede mit einer submissen 
Adresse: der Kaiser möge mit einem letzten Kraftaufwand 
einen seiner und der Nation würdigen Frieden erkämpfen. 
Die Deputierten aber, von denen man insbesondere die Zu- 
stimmung zu den erhöhten Steuern begehrte, verstanden die 
Sache anders. Es waren durchaus besonnene, zum großen 
Teil wenig bedeutende Männer, jeder über vierzig Jahre alt, 
an ihre Rolle, nur als parlamentarische Dekoration zu dienen, 
seit Jahren gewöhnt, und es mußte viel Unzufriedenheit im 
Volke geben, wenn auch sie nicht mehr Ordre parierten. Und 
das war der Fall. Ein von dem Bordelaisen Laine vorgetragener 
Kommissionsbericht sprach es mit mutiger Deutlichkeit aus: 
„Alle Mittel des Widerstandes würden nur dann wirksam sein, 
wenn die Franzosen überzeugt wären, daß es der Regierung 
wirklich nur um den Ruhm des Friedens zu tun sei und daß 
ihr Blut nur für die Verteidigung des Vaterlandes und 
schützender Gesetze vergossen werden solle." Die letzte An- 
deutung wollte sagen, daß die Franzosen nicht mehr für eine 
Regierung der Willkür zu kämpfen gesonnen wären. Darum 
sollte der Kaiser gebeten werden, „für die volle und anhal- 
tende Ausführung der Gesetze zu sorgen, die den Franzosen 
die Rechte der Freiheit und der Sicherheit des Eigentums, der 
Nation die ungeschmälerte Ausübung ihrer politischen Rechte 
gewährleisten." Der Bericht wurde mit einem Sturm von Bei- 
fall im Plenum begrüßt und mit großer Majorität — 223 gegen 
31 Stimmen — angenommen. Mit Mühe suchten die Regie- 
rungsvertreter den wenig gefügigen Wortlaut abzuändern. Es 
blieb noch so viel davon übrig, daß der Kaiser im Zorne den 
Druck verbot, den Gesetzgebenden Körper unter einem Vor- 
wand schloß und den Mitgliedern am 1. Januar 1814 in öffent- 
licher Audienz mit großer Heftigkeit den Vorwurf machte, sie 



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252 Schließung des Gesetzgebenden Körpers. 

hatten ihn entehren wollen, ihm mehr Schaden zugefügt als 
zehn verlorene Schlachten, denn man wasche seine Wäsche 
nicht vor fremden Leuten; damit hätten sie nur den Feind 
herbeigerufen, für dessen Vertreibung sie vorzukehren hatten, 
kurz, sie seien ,,faktiös" und er würde sie überwachen lassen. 
Die Mitglieder der Adreßkommission, darunter der Dichter 
Eenouard, wurden dann durch die Polizei aus Paris abge- 
schafft; die Einhebung der neuen Steuern ward durch eine Ver- 
ordnung verfügt.*) 

Die Schließung des Gesetzgebenden Körpers machte na- 
mentlich in den Provinzstädten viel böses Blut, und es will 
scheinen, als habe nur der jetzt ins Land dringende Krieg 
mit seinen Heimsuchungen und Gewaltsamkeiten Napoleon 
und seinem Regiment die Rettung aus einer inneren Krise 
gebracht, die sich eben vorbereitete. Für das französische Volk 
war er nun, in der Zeit der Not, nicht sowohl Herr mehr 
als Feldherr, allerdings der tüchtigste von allen und gewiß 
der eifrigste, denn er kämpfte um seinen Thron. Es wird uns 
nicht überraschen, noch einmal allen Wundern seiner 
Genialität zu begegnen. 



Die Verbündeten wollten — wie Metternich es Saint- 
Aignan mit auf den Weg gegeben hatte — den Krieg nicht 
unterbrechen. Und in der ersten Novemberwoche waren sie auch 
über dessen unmittelbare Fortsetzung einig geworden, trotz 
dem Einspruch der russischen Generale und einzelner alt- 
modischer Militärs vom Schlage Dukas, der eine verschanzte 
Aufstellung auf dem rechten Ufer des Rheins und erst im 
Frühjahr die Eröffnung der Feindseligkeiten wünschte und 
Kaiser Franz einmal dahin brachte, Radetzky, der sofort an- 
greifen wollte, mit standrechtlicher Behandlung zu drohen. 
Nur über den Operationsplan blieben die Meinungen noch eine 
Zeitlang geteilt. Gneisenau hatte für die schlesische Armee 
die Offensive durch Belgien vorgeschlagen, während die 
Hauptarmee den Rhein zwischen Straßburg und Mainz zu 

*) Pasquier, Memoires, IL, 129, Madame de Chastenay, 
Memoire», IL, 250. 



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Operationspläne der Verbündeten. 



253 



überschreiten hätte. Schwarzenberg dagegen vertrat die An- 
sicht, die Hauptarmee solle durch die Schweiz, die zur Sache 
der Verbündeten zu bekehren und keinesfalls in der Flanke 
zu lassen sei, nach Frankreich einmarschieren und das von 
der alten Strategie geschätzte Plateau von Langres zu ge- 
winnen suchen; dadurch würde man, war seine Meinung, den 
durch Oberitalien vordringenden Österreichern die Hand 
reichen und auch Wellington näher sein; die Blüchersche 
Armee hätte bei Bonn und Köln über den Rhein zu gehen, 
um der Armee Bernadottes die Eroberung Hollands zu er- 
leichtern; die süddeutschen Truppen Wredes sollten am 
Mittelrhein Stellung nehmen und ein Korps unter Bülow 
ihre Verbindung mit der schlesischen Armee vermitteln. Man 
einigte sich dann auf folgende Grundsätze: die des Trachen- 
berg-Reichenbacher Abkommens haben sich bewährt und 
sollen auch weiterhin gelten; die Hauptarmee marschiert 
links ab und trachtet ins Innere. Frankreichs einzudringen; 
Blücher geht zu ihrer Rechten über den Rhein und beschäftigt 
den Feind so lange, bis die Hauptarmee dessen Verbindungen 
erreicht hat; die Eroberung Hollands fällt der Nordarmee zu. 
Es war ein methodischer Plan, der viel Zeit beanspruchte und 
mehr auf den Gewinn einer Stellung als auf den taktischen 
Sieg über den Feind hinzielte. Doch war der eine Satz von un- 
bestreitbarer Richtigkeit, mit dem Radetzky ihn verfocht: 
„Das ganze mittägliche Frankreich, in welchem sich jetzt kein 
Soldat befindet, wird durch diesen Schritt in seinen Organisa- 
tionen gehemmt, und der Kaiser Napoleon verliert einen be- 
deutenden Teil seiner Mittel." Alexander stimmte zögernd 
zu. Friedrich Wilhelm aber, der später nach Frankfurt kam, 
war gar nicht für die Invasion, und alles, was ihr entgegen 
war, schloß sich ihm an. Franz I. schwankte unschlüssig 
zwischen den "Vorträgen Dukas und Schwarzenbergs. Da man 
aber nach dem Manifest an die Franzosen verpflichtet war, die 
militärischen Maßregeln bis zum Abschluß des Friedens nicht 
einzustellen, so sah man sich endlich doch genötigt, vorwärts 
zu gehen. 

In den ersten Dezembertagen wurden in aller Heimlichkeit 
die Befehle an die einzelnen Korps der Hauptarmee erteilt, 



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254 



Durch die Schweiz und über den Rhein. 



am 13. des Monats bei Basel über den Rhein zu rücken. Aber 
noch sollte es dazu nicht kommen. Der Zar, von seinem ehe- 
maligen Lehrer, Laharpe, einem Waadtländer, beeinflußt, hatte 
einer Schweizer Abordnung die Neutralität ihres Landes ver- 
bürgt und daraufhin plötzlich erklärt, er würde den Marsch 
durch die Schweiz als einen Kriegsfall mit Rußland ansehen. 
Die beiden anderen Monarchen gaben ihm nach, und auch 
Metternich versprach den Schweizern, ihr Gebiet zu schonen. 
Als dann jedoch bekannt wurde, daß aus der „neutralen" 
Schweiz Hunderte von Rekruten nach Frankreich zogen und 
aus der Gefangenschaft entflohene Offiziere der verbündeten 
Armee dort festgenommen und an Napoleon ausgeliefert 
wurden, da bestanden Schwarzenberg und Radetzky so fest auf 
der Besetzung des Landes, daß auch Metternich ihnen beifiel 
und durch heimliche Mittel dahin trachtete, die Okkupation ohne 
Blutvergießen, d. i. ohne Widerstand der schweizer Truppen 
in Vollzug zu setzen. Sie erfolgte am 21. Dezember, und schon 
am 28. war die Hauptarmec — 200.000 Mann — im Besitze 
der wichtigsten Juraübergänge nach Frankreich.*) Drei Tage 
später, in der Neujahrsnacht, ging auch Blücher mit 60.000 
Mann bei Caub über den Rhein. Von der Nordarmee hatte 
Bülow mit 30.000 Mann schon am 23. November die hollän- 
dische Grenze überschritten. Wrede belagerte Hüningen. 

Als die Verbündeten dieserart vorrückten, war es, wie 
erwähnt, ihre vorzüglichste Absicht, durch den Einbruch in 
Frankreich des Kaisers Rüstungen zu hintertreiben und ihn, 
also unfähig zu nachhaltigem Widerstande, dem Frieden ge- 
neigter zu machen.**) Ihn vernichten, beseitigen, das wollte man 
noch keineswegs. Und in der Tat, es ward erreicht, daß, indem 
die beiden Armeen in der ersten Januarhälfte in Frankreich 

*) Kongreß von Chätillon, S. 41. 

**) »Die militärischen Operationen" — schreibt Gentz am 19. De- 
zember aus Freiburg an den Fürsten der Walachei, nachdem er von 
den Unterhandlungen gesprochen — „werden nichtsdestoweniger mit 
größerem Nachdruck fortgesetzt werden, weil man auf diese Weise die 
Reorganisation der Armee im Innern Frankreichs zu verhindern und 
dadurch die friedliche Stimmung Napoleons um so mehr zu befestigen 
hoftt." Metternich-Klinkowström, Österreichs Teilnahme an den 
Befreiungskriegen. S. 140. 



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Fortschritte der Alliierten in Frankreich. 



255 



vordrangen, mehr als der dritte Teil dieses Landes den 
Rüstungen entzogen wurde, während das neue Heer Napoleons 
noch in den ersten Stadien der Heranbildung sich befand. 
Was von dem alten unter Macdonald, Marmont und Victor 
am Rheine zurückgeblieben war, und was Ney und Mortier 
bei Nancy und Langres sammelten, betrug nicht viel über 
50.000 Mann, denn mindestens ebensoviel waren im Monat 
Dezember am Typhus gestorben.*) Diese Streitkräfte, die sich 
während des Januars 1814, der Übermacht weichend, in der 
Direktion auf Vitry an der Marne zurückzogen, konnten nur 
unzulänglich durch die Garden und einige Tausend Reserven 
vermehrt werden. Die Aushebungen ergaben, wie wir sahen, 
wenig neue Mannschaft, und der Versuch einer Levee en masse 
scheiterte vollständig; das betreffende Dekret vom 3. Januar 
blieb ohne Wirkung. 

Napoleon war, ehe er an den Rhein gelangte, der Meinung 
gewesen, die Feinde würden erst im nächsten Frühling den 
Krieg fortsetzen. Als er dann gewahr wurde, daß er sich darin 
geirrt hatte, vermutete er, sie würden mit ihrer Hauptmacht 
über den Niederrhein vorbrechen, und hatte auch schon 
seine Garden nach Belgien dirigiert, bis er Ende Dezember 
zu seiner Überraschung von ihrem Durchmarsch durch die 
Schweiz erfuhr, auf deren Neutralität er mit Sicherheit ge- 
rechnet hatte. Nun kommandierte er die Garden eilends zurück 
und faßte den Plan, die Alliierten bis in die Nähe der Haupt- 
stadt herankommen zu lassen, wo er seine neue Armee unterdes 
aufgestellt und ausgebildet haben würde. Hier wollte er dann 
alle Streitkräfte versammeln und die Entscheidung in einer 
Schlacht suchen. Diesen Plan mußte er aber, um den Gegnern 
nicht allzu viel französisches Terrain mit seinen Hilfsquellen zu 
überantworten, aufgeben und beschloß nun, schon zwischen 
Seine und Marne, wenn auch anfänglich nur mit den Resten 
der alten Armee, zu kämpfen. Seine Absicht hierbei war, den 
getrennt anmarschierenden Feind noch vor seiner Vereinigung 
zu schlagen und sich — aus politischen wie aus strategischen 



*) Für die Stärke der Korps gibt Houssaye, „1814", S. 59, dio 
amtlichen Ziffern. Vgl. auoh Weil, La eampagne de 1814, p. 11. 



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256 Politische Spannung. 

Gründen — zunächst gegen Blücher zu wenden, der auf St. 
Dizier losging, während die Hauptarmee über Montbeliard 
und Langres langsam heranzog. Diese Langsamkeit hatte ver- 
schiedene Gründe. Einmal war es immerhin etwas Neues, solche 
Massen zu bewegen, sie zu verpflegen u. s. w. Dann aber lagen 
in der Politik hemmende Momente. 

Die Besetzung der Schweiz durch die Österreicher war 
nicht nur gegen den Willen, sondern auch ohne Vorwissen des 
Kaisers von Rußland erfolgt, der sich nun den Schweizern 
gegenüber kompromittiert sah und nur schwer beruhigt werden 
konnte. Die Folge war, daß er sich dem Einfluß Metternichs, 
dem er sich seit den Leipziger Tagen tatsächlich hingegeben 
hatte, entzog und sein Vertrauen Stein zuwandte, der jetzt im 
Hauptquartier anlangte. Dieser und Pozzo di Borgo wußten 
ihn von dem Standpunkte, den er, von Metternich beredet, 
in Frankfurt eingenommen hatte, zu entfernen und davon 
zu überzeugen, daß der Krieg mit möglichster Energie bis 
Paris zu führen und als dessen Hauptziel der Sturz Napoleons, 
des Protektors der Polen, anzustreben sei. Damit gelangte Ale- 
xander wieder zu der Anschauung, die er im Sommer 1812 mit 
den Worten „Er oder ich" ausgedrückt hatte. Damals hatte 
er auch schon einen Ersatzmann für den Imperator ins 
Auge gefaßt : Bernadotte sollte es sein, dem er in Abo für 
eine Teilnahme am Kriege nicht nur auf Norwegen für 
Schweden, sondern, unter Umständen, auch auf die Krone 
Frankreichs Aussichten eröffnet hatte. Man darf es wohl im 
Zusammenhang mit dieser Hoffnung denken, daß jetzt der 
Kronprinz die Invasion nicht mitmachte, sondern sich mit 
einem Teil der Nordarmee gegen Dänemark wandte und es 
im Kieler Frieden vom 14. Januar 1814 zur Abtretung Nor- 
wegens zwang, um sich damit auch das Nest in Schweden 
warm zu halten. Dadurch hatte er sich freilich den Ver- 
bündeten Rußlands nicht gerade empfohlen; insbesondere 
die Österreicher waren schlecht auf ihn zu sprechen. Und als 
nun gar, Mitte Januar, Metternich davon erfuhr, daß er Ruß- 
lands Kandidat für den französischen Thron sei, weil Ale- 
xander auf diese Weise einen gefährlichen Nachbar im Norden 
loszuwerden und in Frankreich einen dankbaren Freund zu 



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Metternich isoliert den Zar. 



257 



gewinnen hoffte, da erschien ihm und seinem Herrn das Vor- 
wärtsdrängen des Zaren nach Paris in einem so eigentümlichen 
Lichte, daß sie den Entschluß faßten, solche Pläne nicht auch 
noch, am wenigsten durch das Blut österreichischer Soldaten, 
zu fördern. Schwarzenberg, dem schon am 8. Januar die Wei- 
sung erteilt worden war, „klug" vorwärts zu gehen, erhielt 
jetzt — er hatte sich eben, am 18., des Plateaus von Langres 
bemächtigt — den Auftrag, ganz stille zu stehen. Es war auch 
gerade der englische Minister Castlereagh im Hauptquartier 
eingetroffen und Caulaincourt nach Lüneville herangekommen, 
und es stand, außer Alexanders Ehrgeiz, nach Paris zu ge- 
langen, nichts weiter der Eröffnung von Friedensunterhand- 
lungen im Wege. 

Denn* Metternich gelang es, sich mit den beiden andern 
verbündeten Mächten zu verständigen. Bei England genügte 
es, beiläufig das Wort fallen zu lassen, nach der Vergrößerung 
Rußlands könnte Österreich auch daran denken, Belgien zu- 
rückzuverlangen, worauf Castlereagh nichts dagegen hatte, daß 
Napoleon auf dem Throne blieb, solange das französische Volk 
seine Herrschaft ertragen mochte. Diese innere Frage zu ent- 
scheiden, entziehe sich, meinte er, dem Einfluß der Mächte, die 
sich gegen Rückfälle des Kaisers in sein Eroberertum durch 
eine Schutzkonvention untereinander sichern könnten. Nur 
wünschte der Engländer aus den bekannten Gründen die Be- 
schränkung Frankreichs auf seine Grenzen vom Jahre 1792. 
Metternich, der den Rückhalt an Großbritannien gegenüber 
Rußland benötigte, gab dies zu und damit sein Frankfurter 
Programm (der natürlichen Grenzen) definitiv auf. Nur den 
Schein suchte er noch zu retten, indem er eine wechselseitige 
Ausgleichung diesseits und jenseits der alten Grenzen zu 
Frankreichs Gunsten in die Friedensbasis aufnehmen ließ. Auch 
Hardenberg war bald durch Metternichs Zugeständnis ge- 
wonnen worden, Österreich werde nicht widerstreben, wenn 
Preußen Sachsen annektiere; nur müßte es den polnischen 
Plänen des Zaren Widerstand leisten. So war Alexander iso- 
liert, und als Österreich auch noch mit seinem Austritt aus der 
Koalition drohte, gab er zu, daß mit Napoleon über den 
Frieden verhandelt werde. Freilich wollte er dabei noch über 

Foumier, Napoleon I. 17 



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258 Die Miuisterkonferenz in Langres. 

die „alten" Grenzen hinausgehen und Frankreich das Elsaß 
abnehmen, um Österreich damit für Galizien zu entschädigen, 
wenn er sich ganz Polens bemächtigte, was Metternich natürlich 
ablehnte, da ein solcher Tausch zwar für den Rivalen einen 
sicheren Machtzuwachs, für Österreich aber nur eine Quelle 
politischer Verlegenheiten bedeutet hätte. Bloß das eine gestand 
er, von Alexander gedrängt, zu, daß der Krieg während der 
Verhandlungen weiter gehen solle. 

Nach diesen Pourparlers einigte man sich auf einer 
Ministerkonferenz zu Langres, Ende Januar, dahin, daß Be- 
vollmächtigte der vier verbündeten Mächte mit Gaulaincourt 
in Chätillon zusammentreten und den Frieden mit Napoleon 
auf der Grundlage der alten Grenzen verabreden sollten. In 
ihrer gemeinsamen Instruktion war jetzt freilich nicht mehr, 
wie im Frankfurter Manifest, vom „Empire francais", sondern 
nur noch schlechtweg von Frankreich die Rede, und die Be- 
zeichnung „Chef du gouvernemcnt" ließ sogar auf alle Fälle 
die Frage der regierenden D} T nastie offen. Für die Einschrän- 
kung des ursprünglichen Anerbietens auf die Grenzen von 
1792 machte man den Abfall Hollands, das weite, vom Gegner 
ungehinderte Vordringen in Frankreich und endlich den Bei- 
tritt Murats zur Koalition geltend, der am 11. Januar 1814 
in der Form eines Vertrags mit Österreich erfolgt war. Dieses 
hatte darin, gegen des Königs Verpflichtung, die Koalition in 
Italien mit oü.000 Mann zu unterstützen, ihm seine Herrschaft 
über Neapel garantiert und überdies für eine Gebietsver- 
größerung von 400.000 Seelen auf Kosten des Kirchenstaates 
Sorge zu tragen versprochen.*) Metternich hätte allzugern 
gleich jetzt, in Langres, auch die noch offenen Fragen über das 
künftige Verhältnis der europäischen Mächte zueinander — 
vor allem die polnische — geordnet gesehen, was, nachdem 
er die Minister Preußens imd Englands für sich gewonnen 
hatte, Alexanders Plänen entgegen möglich gewesen wäre, aber 
der Zar wich jeder Erörterung dieser Dinge aus und reiste 
schließlich aus Langres ab. Zuerst, meinte er, müsse der Krieg 
beendet sein. Und der nahm jetzt eben erst seinen Anfang. 



*) \e umarm, Recueil, IL, 403. 



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Das Gefecht bei Brienne. 



259 



Am 25. Januar fuhr Napoleon von Paris weg und traf 
am 26. morgens in Chälons ein. Blücher war an diesem Tage 
von St. Dizier nach Brienne unterwegs, in der eigenmächtig 
gefaßten Absicht, der Hauptarmee näherzukommen, vor ihr 
her gegen Paris zu marschieren und sie dadurch zu einer 
offensiven Aktion zu bestimmen. So war es durch Steins Ver- 
mittlung zwischen Alexander und dem Hauptquartier der 
schlesischen Armee heimlich vereinbart worden. Blücher ver- 
fügte, nachdem er das Korps Yorcks gegen die Mosel entsendet 
und dasjenige Langerons bis auf eine Division zur Beobachtimg 
von Mainz zurückgelassen hatte, über nicht mehr als 27.000 
Mann. Napoleon schätzte ihn auf noch weniger und beschloß, 
ihm entgegenzugehen, obwohl auch er nicht mehr als 40.000 
Mann besaß und nur 30.000 in den- Kampf schicken konnte. 
Er vermutete Blücher noch in St. Dizier, wo er jedoch am 
27. nur dessen Nachhut fand, und eilte nun, Marmont zurück- 
lassend, hinter ihm her nach Brienne. Hier kam es dann am 
29. zum Gefecht, welches Blücher, der bereits im Begriffe 
stand, westwärts weiterzugehen, nötigte, südlich nach Trannes 
zu weichen. Der Kaiser folgte bis in die Nähe dieses Ortes, 
immer in der Hoffnung, Blücher noch, bevor Schwarzen- 
berg herankam, aufs Haupt zu schlagen. Diese Hoffnung 
wurde aber getäuscht, denn gerade auf diese Vereinigung war 
die Bewegung Blüchers nach links berechnet gewesen, wo 
Schwarzenberg von Langres bis gegen Bar s. Aube vorgerückt, 
hier jedoch, dem Drängen des Zaren entgegen, stehen geblieben 
war, da er Napoleon zur rechten Hand, bei Chälons und Vitry, 
wußte. Als er von Blüchers Heranmarsch und dessen Schicksal 
bei Brienne erfuhr, entschloß er sich nach manchem Weh und 
Ach über diejenigen, die nicht eilig genug nach Paris gelangen 
konnten, und mit Vorwürfen gegen Metternich, der den Frie- 
den noch immer nicht zustandegebraeht hatte, Blücher zu 
unterstützen, und schickte ihm zwei Korps zu, die dessen 
Kräfte auf 60.000 Mann, durchgängig Russen und Österreicher, 
hoben, während Napoleon nur über 40.000 verfügte. Und auch 
das Korps Wredes eilte von Joinville herbei, so daß man dem 
gefürchteten Franzosenkaiser mit mehr als der doppelten Über- 
zahl gegenübertreten konnte. So war, was Dieser zu hindern 

17* 



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2G0 



Die Schlacht bei La Rothiere. 



gemeint hatte, geschehen, und schon die Hartnäckigkeit, mit 
der Blücher bei Trannes Stand hielt, ließ ihn über die Nähe 
der feindlichen Hauptarmee nicht mehr im Zweifel. Ihr waren 
seine Kräfte nicht gewachsen. Konnte es doch auch sein, daß 
Schwarzenberg, während ihn Blücher hier festhielt, im Süden 
gegen Troyes vorging, um auf seine Verbindungen zu fallen. 
Darum verzichtete er nicht nur auf jeden Angriff, sondern hatte 
auch am 1. Februar bereits den Befehl zum Ab h nach 
Westen gegeben, als Blücher bei Rothiere die Offensive 
ergriff. Den ganzen Nachmittag erwehrten sich die franzö- 
sischen Truppen der Übermacht, bis gegen Abend ihre Linie 
auf dem linken Flügel bei Chaumesnil durch das Eingreifen 
Wredes durchbrochen ward und die von Napoleon selbst ins 
Feuer geführten Reserven den Schaden nicht mehr gut 
machen konnten. La Rothiere ging verloren, und mit dem 
Dorfe die Schlacht. 

Der Sieg der Verbündeten war ein glänzender, und er 
wäre vielleicht endgültig gewesen, wenn ihn eine energische 
Verfolgung ausgebeutet hätte. Aber diese unterblieb. Die 
Alliierten hielten Napoleon eines Widerstandes nicht mehr 
fähig. Blücher, der den Oberbefehl in der Schlacht geführt 
hatte, schrieb noch am Abend, es sei durch sie „gleichsam 
Alles entschieden worden", man werde in acht Tagen in Paris 
sein, und unterließ es, rasch hinter dem Besiegten herzueilen 
und ihm nicht zu gestatten, daß er Ordnung in seine völlig 
verwirrten Truppen brachte. Schließlich verlor man alle 
Fühlung mit dem Feinde. Trotzdem empfand Napoleon das 
ganze Gewicht des Schlages, den er erfahren hatte. Wenn 
er auch ungefährdet bis Troyes gelangen konnte, wo er mit 
einer in solcher Lage beispiellosen Energie sofort am Zusam- 
menraffen all seiner Kräfte arbeitete, um dem Feinde den 
Zugang nach Paris zu wehren, so schien es ihm doch sehr 
rätlich, jetzt in den Verhandlungen einen Ausweg zu suchen. 
Nur war es zweifelhaft — so schreibt er am 4. Februar au 
seinen Minister des Äußern — ob die Verbündeten überhaupt 
noch verhandeln wollten.*) Maret, der sich in diesen unglück- 



*) Vielleicht um sie dazu williger zu machen, hieß es in der Zu- 



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Napoleon in Troyes. 261 

liehen Tagen bei ihm in Troyes einfand und das Staatssekre- 
tariat übernahm, erzählt in seinen Memoiren, er habe sich 
dort zur äußersten Nachgiebigkeit entschlossen und Caulain- 
court, der unter den gänzlich veränderten Verhältnissen einen 
bestimmten Auftrag für den am 5. Februar beginnenden Kon- 
greß begehrte, völlig freie Hand gelassen. „Der Herzog von 
Bassano" — heißt es in den Aufzeichnungen — „reichte den 
Brief (Caulaincourts) Napoleon und beschwor ihn, nachzu- 
geben. Der Kaiser schien zunächst kaum auf ihn zu hören, 
dann wies er auf eine Stelle in dem Buche Montesquieus, das 
er zerstreut durchblätterte. „Lesen Sie," sagte er, „lesen Sie 
laut." Da stand: „Ich wüßte nichts Hochherzigeres als den 
Entschluß eines Monarchen unserer Tage, sich eher unter den 
Trümmern seines Thrones zu begraben, als Vorschläge anzu- 
nehmen, die ein König nicht hören darf." „Ich aber", rief 
Maret, „weiß etwas Hochherzigeres: wenn Sie Ihren Ruhm 
zum Opfer brächten und damit den Abgrund ausfüllten, der 
sonst Frankreich mit Ihnen verschlingen wird." „Gut deun, 
Ihr Herren, macht Frieden; Caulaincourt soll ihn abschließen, 
soll alles unterzeichnen, was ihn herbeiführen kann; ich will 
die Schande ertragen. Aber verlangt nur nicht von mir, daß 
ich meine Erniedrigung selbst diktiere." Da schrieb dann 
Maret an den Minister, der Kaiser gebe ihm Carte blanche, 
um die Verhandlungen zu einem glücklichen Ende zu führen, 
die Hauptstadt zu retten und eine Schlacht zu vermeiden, in 
der die letzten Hoffnungen der Nation ins Spiel kommen 
würden.*) Als Caulaincourt, erschreckt von der Zumutung 
einer so großen Verantwortung, am 6. Februar um bestimmtere 
Weisung bat, wie weit er gehen könne, brachte Maret den 
Kaiser, der am 7. nach Xogent zurückgegangen war, endlich 
dahin, daß er noch in der Nacht wirklich „seine Erniedrigung 
diktierte". „Es wurde nun festgesetzt" — wird weiter erzählt — 



schrift, es sei gar keine Schlacht gewesen, der Feind habe mit seiner 
ganzen Macht nur mit 15.000 Franzosen zu tun gehabt, die den Tag über 
das Schlachtfeld behaupteten, nur einige Kanonen verloren usw. Das 
sollte Caulaincourt betonen. Corresp. XXVII., 21.178. 

*) Über die Reihenfolge der Briefe an Caulaincourt gegen 
Houssaye's Annahme, „1814 w , S. 93 s. Kongreß v. Chätillon, S. 85. 



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262 Nachgiebige Instruktionen. 

„daß man selbst Belgien und das linke Rheinufer für den 
Frieden dahingehen müsse, und zwar wurden die Instruktionen 
in dem Sinne abgefaßt, daß der Bevollmächtigte zuerst 
Belgien, dann, wenn unerläßlich, das linke Bheinufer anbieten 
solle. Italien, Piemont, Genna, ja selbst die Kolonien sollten 
vor allem geopfert werden." Am nächsten Morgen wollte 
Napoleon die neue Ordre unterzeichnen. Da waren aber noch 
vor Tagesanbruch Meldungen eingetroffen, die alles wieder 
umwarfen, und als Maret mit dem Schriftstück im Kabinett 
erschien, fand er seinen Herrn in vollem Eifer über seine 
Karten gebeugt. „Es handelt sich jetzt um ganz andre Dinge", 
ward ihm zugerufen. „Ich bin soeben daran, Blücher zu 
schlagen." Und damit war von der Unterschrift nicht weiter 
die Bede. Talleyrand hatte Recht: er konnte nicht König 
von Frankreich werden, der Kaiser Napoleon.*) 

Man machte es ihm aber auch nicht gerade leicht. Denn 
der Sieg bei La Rothiere hatte bei den Verbündeten — auch 
bei Metternich — den zweifelnden Gedanken wachgerufen, 
ob denn wohl nach diesem neuen Mißerfolg Napoleon über- 
haupt noch im eigenen Volke politischen Rückhalt genug be- 
sitze, um als Garant für den Frieden aufgefaßt zu werden. 
Wenn man erwog, daß die Einwohnerschaft die fremden 
Truppen nicht unfreundlich empfangen hatte, daß die Ver- 
bündeten überall nur den Ruf nach Frieden hörten, so daß 
Metternich am 9. Februar nach Wien schreiben konnte: „Die 
allgemeine Stimme ist: Napoleon weg!" so war ein solches 
Raisonnement immerhin gestattet. Der Zar hatte, seiner in 



*) Wenn auch die Mitteilung Maret«; (bei Ernouf, p. 621) richtig 
ist, so ist doch nicht zu übersehen, daß Napoleon Blüchers Bewegungen 
schon seit mehreren Tafren verfolgte und am 7. Februar abends, nach- 
dem er Marmont mit 20.000 Mann nach Sezanne entsendet hatte, an 
Joseph schrieb: „Ich habt- noch keine Nachricht vom Herzog von Ragusa 
aber ich werde mich mit aller Gewalt auf die Verbindungslinie des Feindes 
Meaux-Chälons werfen. In Paris soll man mit den vierzigstündigen Gebeten 
und dem ewigen Misereresingen endlich aufhören : alle diese Affenpossen 
(singeries) könnten uns schließlich Furcht vor dem Tode beibringen. Sagt 
man doch schon lange, daß Ärzte und Priester das Sterben verbittern. 
In solcher Lage der Dinge muß man Zuversicht zeigen und kühne 
Maßregeln ergreifen." Corresp. XXVIT.. 21.205. 



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Beginn und Abbruch der Verhandlungen in Chatillon. 263 

Langres gegebenen Zusage uneingedenk, seinen Bevollmäch- 
tigten in Chatillon von vornherein angewiesen, die Verhand- 
lungen auf jede Art hinauszudehnen. Aber auch die Friedens- 
freunde im Hauptquartier meinten, vorerst den Eindruck der 
letzten Ereignisse auf die Franzosen abwarten zu sollen, bevor 
man sich Caulaincourt gegenüber binde. Als Dieser dann in 
einer der ersten, mit lauter Förmlichkeiten ausgefüllten 
Sitzungen die offene Frage tat, ob denn die Mächte, wenn er 
ihre Vorschläge alle annähme, den Frieden auch wirklich 
unterzeichnen würden und der Krieg damit beendet wäre, 
erhielt er nur die verlegene Antwort, man könne ihm darauf 
jetzt nicht Bescheid sagen, wolle aber die Sache in Erwägung 
ziehen. So waren die Verhandlungen ins Stocken geraten, 
bis sie der Zar am 9. Februar durch eine Ordre an seinen Ge- 
sandten, den Konferenzen fernzubleiben bis er neue Instruk- 
tionen erhalte, völlig zum Stillstand brachte. An dem Tag 
schrieb Hardenberg in sein Tagebuch: „Der Kaiser Alexander 
will die Verhandlungen hinausziehen, unterdessen nach Paris 
gehen und dort den Frieden machen." Nur, daß der Weg nach 
Paris doch noch viel weiter war, als man ihn sich in jenen 
Tagen dachte. 

Namentlich die Meinung, die man nach dem Siege bei 
La Rothi&re im großen Hauptquartier hegte, man werde nun 
dort ohne weitere Kämpfe — Napoleon dachte man sich im 
Rückzug nach der Loire — einziehen, sollte sich recht bald 
als irrig erweisen.*) Bereits am S. Februar erhielt Schwarzen- 
berg sichere Kunde, daß der Franzosen kaiser seine zwar ge- 
schlagenen, aber nicht zersprengten Korps bei Nogent sammle, 
Verstärkungen aus Spanien heranziehe und zu einer neuen 
Schlacht keineswegs außerstande sei. In der Tat waren in 
jener Zeit 15.000 Mann von der Südarmec beim französischen 
Heere eingerückt. Und nun sah man sich vor die Wahr- 
scheinlichkeit neuer Blutopfer gestellt, was bei den Monarchen 

*) Nur Knesebeck hatte diese Meinung nicht geteilt, Alexander 
jedoch bereits Blücher angewiesen, nicht vor ihm in der Hauptstadt 
einzurücken; selbst Schwarzenberg schrieb am 5. Februar nach Hause. 
Blücher werde in wenig Tagen vor Paris stehen. (Kongreß von Chatil- 
lon, S. 87 und 108.) 



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264 



Das Anerbieten Caulaincourts. 



in Troyes die Frage aufs Neue zur Erörterung brachte, ob 
man nicht doch die Konferenzen in Chätillon wieder auf- 
nehmen und den Frieden mit Napoleon rasch abschließen 
solle. Dies um so mehr, als sich Caulaincourt in einem Briefe 
an Metternich vom 9. gegen Gewährung eines Waffen- 
stillstandes zu Verhandlungen auf der Basis der alten Grenzen 
bereit erklärt hatte. Auch war, wider Erwarten, die französische 
Nation nicht gegen den Kaiser aufgetreten, vielmehr erfuhr 
man, daß die große Masse des Volkes die Ausschreitungen der 
fremden Truppen mit feindseliger Gesinnung zu erwidern 
begann. Dazu kam, daß diese Truppen durch Krankheit 
bereits schwere Einbußen erlitten hatten.*) Wie sollte das 
werden, wenn am Ende in jener Entscheidungsschlacht der 
geniale Imperator die Übermacht zum Weichen brachte? So 
hatte sich sorglose Zuversicht rasch in kleinmütige Bedenk- 
lichkeit gewandelt, für die man die unterschiedlichsten 
Gründe aufrief. Es ließe sich, meinte Hardenberg, mit Napo- 
leon ganz gut Frieden und vorher auch ein Waffenstillstand 
schließen, wenn man durch die Einräumung fester Plätze hin- 
reichende Bürgschaft erhielte. Sollte man, fragte Metternich, 
bloß um zu erfahren, ob der Kaiser vom französischen Volke 
mehr oder weniger Unterstützung zu gewärtigen habe, das 
Schicksal eines neuen erbitterten Kampfes versuchen? Die 
Verbündeten, sagte Oastlereagh, seien in Frankreich nur ein- 
gerückt, um den Frieden zu erobern, den sie am Rhein nicht 
schließen zu können glaubten, nicht aber, um einen Thron- 
wechsel zu vollziehen. Sie hätten sich deshalb auch an das 
gegenwärtige Haupt des Staates gewendet und es zu Unter- 
handlungen eingeladen. Jetzt sei man darin engagiert, und 
da sich seither keine nationale Bewegung gegen dieses Staats- 
oberhaupt kundgegeben habe, dürfe man nicht einen sach- 
lichen Konflikt zu einem persönlichen gestalten, was auch gar 
nicht in den Wirkungskreis der Alliierten falle. Nur Ale- 
xander I. widersetzte sich auch jetzt wieder, und sein Minister 
Nesselrode mußte — gegen seine eigenste Überzeugung — 
fordern, daß der Waffenstillstand abgelehnt und der Vor- 

*) In der Hauptannee allein will man Mitte Februar 50.000 
Kranke gezählt haben. 



Krisis im Lager der Verbündeten. 265 

marsch nach Paris, selbst auf die Gefahr neuer Kämpfe, fort- 
gesetzt werde. Dort solle man einer aus Mitgliedern der 
offiziellen Körperschaften gewählten Versammlung die 
Thronfrage unterbreiten. Spreche sie sich für Napoleon aus, 
dann könne man immer noch mit Diesem Frieden machen. 
Selbst das eifrige Zureden seines Freundes Friedrich Wilhelm 
vermochte diese Anschauung des Zaren nicht zu erschüttern, 
der jetzt zwar nicht mehr mit Bernadotte, wohl aber, auf das 
Zureden Steins und Pozzos, mit den Bourbons rechnete, in 
denen er, wenn er sie auf den Thron brachte, ergebene 
Freunde, in dem jungen Herzog von Berry vielleicht einen 
Gemahl für seine Schwester Anna zu gewinnen gedachte. 
Damit war eine neue Krisis unter den Verbündeten aus- 
gebrochen, die nur durch die Ereignisse im Felde beigelegt 
wurde. Denn erst als Alexander erfuhr, Napoleon habe die 
Offensive ergriffen und gegen Blücher nennenswerte Erfolge 
errungen, kühlte sich sein Kriegseifer, der gerade auf Blücher 
die größten Hoffnungen setzte, merklich ab, und er gab zu, 
daii man mit Caulaincourt über einen Präliminarfrieden auf 
der Basis der alten Grenzen weiter verhandle. Komme es unter- 
des in Paris zu einer spontanen Bewegung gegen den Kaiser, 
so würde man Ludwig XVIII. begünstigen. Als die Verbün- 
deten sich Mitte Februar hierüber einigten, war ihnen das letzte 
Ergebnis des Waffenganges zwischen Napoleon und Blücher 
noch gar nicht bekannt; es stellte sich bald als unerwartet 
nachteilig für die Koalition heraus, ganz danach angetan, das 
politische Bild wesentlich zu verschieben. 

Kurz nach La Rothiere hatten sich die beiden Armeen 
der Koalition, schon der Verpflegung wegen, wieder getrennt, 
um in parallelen Märschen die Richtung auf Paris zu nehmen: 
Schwarzenberg hielt die Straße nach Troyes und Fontaine- 
bleau, und Blücher zog mit den Korps Sacken und Olssuwiew 
— etwa 40.000 Mann — zunächst nordwärts, um dann über 
Fere Champenoise nach Westen zu gehen. Er sollte Yorck, 
der von Chälons her hinter Macdonald über Epernay die 
Marne entlang marschierte, und Verstärkungen, die unter 
Kleist und Kapzewitsch aus Deutschland nachrückten, an sich 
ziehen. Das setzte langsame Bewegung voraus, wie denn auch 



266 Napoleon redivivus. 

Schwarzenberg nur bedächtig vorwärtsging. Da faßte aber 
ganz plötzlich Blücher den Plan, mit seinen zwei russischen 
Korps nordwestwärts über Montmirail voreilend, Macdonald 
an der Marne den Weg zu verlegen, ihn von Paris ab- 
zuschneiden und zwischen sich und Yorck zu erdrücken. Er 
wartete jetzt jene Verstärkungen nicht erst ab, und hatte so 
seine Armee in drei weitgetrennte Kolonnen verteilt. Napoleon, 
der Macdonald in Gefahr sah, entschied sich, noch an jenem 
8. Februar, mit etwa 30.000 Mann (Ney, Marmont und der 
Garde) eine Diversion zu dessen Gunsten zu unternehmen, und 
eilte von Nogent, nachdem er dort Oudinot und Victor etwa 
ebenso stark zur Beobachtung Schwarzenbergs zurückgelassen 
hatte, über Sezanne nach Norden auf Champaubert los, um 
„die tüchtigste Armee der Verbündeten", wie er Blüchers 
Streitmacht nannte, anzugreifen. In Champaubert befand sich 
am 10. Februar das Korps Olssuwiews im Marsche, während 
Sacken bereits nach Montmirail vorausgegangen war; der Kat 
Gneisenaus, die Korps beizeiten zurückzunehmen, war von 
Blücher abgelehnt worden. So wird an diesem Tage Olssuwiew 
nahezu vernichtet, und Napoleon stürmt, Marmont zurück- 
lassend, Sacken nach, der ihn bei Montmirail — Front gegen 
Osten — empfängt. Hier läßt am Vormittag des 11. der Kaiser 
hinter der Schutz wand seiner trefflich bedienten Artillerie, die 
dem Gegner den Durchbruch verwehrt, seine Truppen heran- 
kommen, schwächt absichtlich den eigenen linken Flügel, um 
Sackens Angriff dorthin zu leiten, während er dessen Linke mit 
überlegenen Kräften bedrängt. Dadurch hat er die Vereinigung 
mit Yorck, der von Chäteau-Thierry heranrückt, unmöglich 
gemacht; Yorck wird zurückgedrückt und Sacken inzwischen 
total geschlagen. Beide ziehen hierauf nach großen Verlusten, 
während die der Franzosen gering sind, nach Chäteau-Thierry, 
wohin sie der Kaiser am 12. verfolgt und wo ihnen, zu seinem 
Bedauern, Macdonald nicht den Weg verlegt. Diesen schickt 
er dann mit Verstärkungen nach Montereau an die Seine. Er 
selbst wendet sich aber noch nicht sogleich gegen Schwarzen- 
berg, denn er hat vernommen, daß Blücher mit den Korps von 
Kleist und Kapzewitsch selbst nun auf Montmirail vorrückt, 
wohin Marmont vor ihm zurückweicht. Er hält deshalb in 



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Siege über Blücher. 267 

seiner Verfolgung der in den letzten Tagen geschlagenen 
Gegner inne und wendet sich rasch von Chäteau-Thierry 
südwärts, um auch der dritten Kolonne das Schicksal der beiden 
ersten zu bereiten. Bei Vauchamps treffe Mittag des 

14. Februar die Franzosen auf die feindliche Vorhut und 
werfen sie, worauf Blücher sofort den Rückzug beschließt. 
Dieser geht aber nur unter fortwährenden verlustreichen 
Kämpfen vor sich, namentlich als Napoleon ein Kavallerie- 
korps unter Grouchy im weiten Bogen dem weichenden Feinde 
bei Etoges zuvorkommen läßt. Hier gelingt zwar der Durch- 
bruch den tapferen, in bester Ordnung retiriercnden Truppen, 
jedoch nur unter den größten Opfern. Bis Chälons ziehen sie 
sich dann zurück, wo sich auch Yorck und Sacken mit den 
Besten ihrer Streitkräfte wieder einfinden werden. 16.000 
Mann waren verloren. 

Man hat diese rasch aufeinanderfolgenden Aktionen bei 
Champaubert, Montmirail und Vauchamps mit schlecht ver- 
pflegten Truppen auf grundlosem Terrain mit den ersten 
Siegen des jungen Feldherrn verglichen, und in der Tat, es 
ist dasselbe Feuer, dieselbe kühne Energie, dieselbe (jetzt durch 
eine reiche Erfahrung geläuterte) Kraft des Geistes. Aber wird 
das alles zureichen, um einen so ungleichen Kampf zu einem 
erträglichen Ende zu führen? Und wenn der General das 
Seinige tat, wird auch der Kaiser ihm nicht wieder, wie so oft 
in den letzten zwei Jahren, das Werk stören? Napoleon durfte 
nach dem dritten Siege, den er binnen fünf Tagen errungen, 
nicht mehr daran denken, der schlesischen Armee weiter zu 
folgen. Es war höchste Zeit, sich gegen Schwarzenberg zu 
wenden, der in der Absicht nach Westen weitergegangen war, 
den Kaiser auf sich und von Blücher abzulenken.*) So blieb 

*) Man wird heute nicht mehr, wie es ehedem geschehen ist, die 
selbstverschuldeten Niederlagen Blüchers dem Oberfeldherrn zur Last 
legen, weil dieser ihm nicht rechtzeitig zu Hilfe gekommen sei. Abge- 
sehen davon, daß Blüchers Meldungen den ganzen Umfang seiner Un- 
fälle nicht entfernt erkennen ließen, glaubte man im Hauptquartier, 
wo man nicht gerade auf große Schlachten erpicht war, Jener werde 
sich — etwa wie seinerzeit in Schlesien — vor Napoleon rechtzeitig 
zurückziehen können und überdies durch Schwarzenbergs Vorwärts- 
bewegung am sichersten von ihm befreit werden. Diese Bewegung ist 



2t>8 Der Kaiser wendet sich gegen Schwarzenberg. 

nur Marmont Blücher gegenüber stehen, um sich bei dessen 
nächster Offensive über Montmirail langsam zurückzuziehen 
und die Verbindung mit Napoleon wieder zu gewinnen. 
Dieser vermutete die feindliche Hauptarmee schon weit jen- 
seits der Seine über Montereau hinaus und begab sich mit 
den Truppen Neys, Gerards und den Garden in unglaublicher 
Eile nach Guignes am Yeres, wo er auch Macdonald, Oudinot 
und Victor vorfand und, bis auf Marmont, seine ganze Armee 
am 16. Februar versammelte. Vielleicht — seine Hoffnungen 
sind durch die letzten Erfolge ins Maßlose gestiegen — gelingt 
mit dem zweiten, weitaus mächtigeren Gegner, was mit dem 
ersten so trefflich gelungen war; vielleicht lassen sich auch 
die Kolonnen Schwarzenbergs nacheinander schlagen. Und 
fast will es den Anschein gewinnen. Am 17. von Guignes 
gegen Nangis vordringend trifft Napoleon bei Mormant auf 
die Avantgarde des feindlichen rechten Flügels unter Witt- 
genstein, der etwas eigenmächtig von Nogent über Provins 
nach Paris strebte, und vernichtet sie; und hätte noch am 
selben Tage, wie ihm befohlen war, Victor bei Montereau 
über die Seine vorstoßen können, immer möglich, daß dann 
das österreichische Korps Bianchis, das am 15. bis Fontaine- 
bleau vorgerückt war und nun eilends zurückbefohlen ward, 
abgeschnitten wurde wie Sacken bei Montmirail. Dieser Vor- 
stoß konnte aber erst am 18. von Napoleon selbst unter- 
in diesen Tagen auch niemals zum Stillstand gekommen, und wenn 
man von einem Befehl des Kaisers Franz vom 13. hat wissen wollen, 
der den Generalissimus anwies, nicht über die Seine zu gehen, so ist 
ein solcher Befehl allerdings erlassen worden, aber erst am 16., als man 
in Troyes bereits wußte, daß Blücher wieder in Sicherheit und Napo- 
leon gegen die Hauptarmee im Anmarsch war. (Siehe hierüber meinen 
„Kongreß von Chätillon", S. 145.) Über die Auffassung der Sache in 
der Umgebung Friedrich "Wilhelms III. vergleiche man die Notiz im 
Tagebuche seines Sohnes, des späteren Kaisers, zum 20. Februar: 
„Gneisenau schob alles auf die zu große Bravour der Truppen . . . 
Die Hauptarmee ging in verschiedenen Kolonnen und Wegen ruhig 
vorwärts, an keine Konzentration denkend, da man Napoleon hinläng- 
lich mit Blücher beschäftigt glaubte, dem man durch den ununter- 
brochenen Marsch der Schwarzenbergischen Armee Luft zu machen 
hoffte." (Dechend, Das Treffen bei Bar sur Aube, Beihefte zum Mil.- 
Wochenblatt 1897, S. 127.) 



Schwarzenberg begehrt einen Waffenstillstand. 



269 



nommen werden, nachdem Schwarzenberg Zeit gefunden hatte, 
all seine Kräfte hinter die Seine und Yonne zurückzuziehen. 

Der Oberfeldherr der Alliierten, schon durch das Schicksal 
Blüchers tief verstimmt, geriet, als er Napoleons so über- 
aus raschen Heranmarsch gegen die Seine erfuhr, während er 
ihn, durch die schlechten Wege aufgehalten, noch weit entfernt 
vermutete, in helle Verzweiflung. „Um nicht im Einzelnen 
geschlagen zu werden," schreibt er aus Bray an Metternich, 
der mit seinem Kaiser in Troyes zurückgeblieben war, „werde 
ich mich darauf beschränken, die Brücken von Bray und 
Nogent hartnäckig (serieusement) zu verteidigen, und meine 
Streitkräfte hinter der Seine und Yonne vereinigen." Er ist 
außer sich, daß Alexander damals den von Caulaincourt be- 
gehrten Waffenstillstand verworfen hatte, den er selbst nun 
dringend zu benötigen glaubte, um es nicht zu einer Schlacht 
kommen zu lassen. Er will das Versäumnis wieder gutmachen 
und läßt sich in Bray vom Zaren und von König Friedrich 
Wilhelm autorisieren, noch am 17. in ihrem Beisein einen Brief 
an Berthier zu schreiben, in dem er selbst die Waffenruhe an- 
regt, da die Bevollmächtigten in Chätillon Auftrag erhalten 
hätten, die Präliminarien nach dem Antrage Caulaincourts 
abzuschließen und dies am 16. hätten tun sollen. Das Letztere 
war jedoch nur eine Finte und wurde von Napoleon sofort 
als solche erkannt. Er gewahrte des Gegners schlecht ver- 
deckte Verlegenheit und richtete sich hoch auf. „Nach den 
letzten Nachrichten" — schreibt er am 18. an Joseph — „ist 
bei den Verbündeten alles anders geworden. Der Kaiser von 
Rußland, der noch vor wenig Tagen die Verhandlungen ab- 
gebrochen hatte, weil er Frankreich noch schlechtere Be- 
dingungen als die „alten Grenzen" stellen wollte,*) wünscht 
sie wieder anzuknüpfen, und ich hoffe, daß ich doch noch 
einen Frieden auf der Basis von Frankfurt erlangen werde, 
das Minimum, worauf ich mit Ehren paktieren kann. Hätte 

*) Dies war richtig. Alexander hatte sein Projekt, Osterreich für 
Galizien mit dem Elsaß zu entschädigen (siehe oben), in Troyes noch 
nicht völlig aufgegeben. Erst gegen Ende Februar erklärte er, daß er 
nur Westgalizien beanspruche, das nicht mehr zu Österreich gehöre. 
(Kongreß von Chätillon, S. 303.» 



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270 Wiederaufnahme dor Verhandlungen in Chätillon. 

ich (vor den letzten Operationen) einen Frieden mit den alten 
Grenzen unterzeichnet, so würde ich zwei Jahre später wieder 
zu den Waffen gegriffen und der Nation gesagt haben, das 
sei kein Friede gewesen, sondern eine Kapitulation. Nach 
dem neuen Stande der Dinge könnte ich dies nicht mehr 
sagen, da das Glück zu mir zurückgekehrt ist und ich wieder 
Herr meiner Bedingungen geworden bin."*) Ähnlich hatte er 
schon nach dem Siege von Montmirail durch Bassano an 
Caulaincourt schreiben lassen: „Es gibt keinen vernünftigen 
Frieden außer dem auf der Basis von Frankfurt, jeder andere 
wäre nur ein Waffenstillstand."**) Danach ward am 17. Cau- 
laincourts unbedingte Vollmacht beschränkt, und so kam es, 
daß, während vor zehn Tagen die Verbündeten in Chätillon 
die Verhandlungen hinausgezogen und Caulaincourt zur Ver- 
zweiflung gebracht hatten, jetzt Dieser temporisierte, indem 
er den gegnerischen Friedensentwurf eingehend prüfen zu 
wollen erklärte und ihn an Napoleon sandte. Eugen erhielt 
Ordre, sich in Italien zu behaupten. 

Napoleon hatte Recht, es war „alles anders geworden". 
Unter dem Druck seiner Siege über Blüoher hatte sich Ale- 
xander den Forderungen der drei anderen Mächte gefügt, die 
Verhandlungen in Chätillon waren wieder aufgenommen 
worden, und Schwarzenberg, der auf seinen Waffenstillstands- 
antrag keine Antwort erhalten, dagegen am 18. bei Montereau, 
wo ein württembergisches Korps besiegt worden war, eine 
Schlappe erlitten hatte, weicht bis Troycs zurück. Der Ober- 
feldherr glaubt damit weniger dem Sieger als dem Frieden 
das Feld geräumt zu haben, und wenn er Blücher, der sich 
rasch wieder erholt hatte, von Chälons herbeiruft, so ist es 
nur für den äußersten Fall. Eine Schlacht will er, trotzdem 
daß die Verbündeten sicher über 150.000, der kühn nach 
Troyes heranrückende Napoleon aber nur über 70.000 Mann 
verfügen, nicht wagen, auch schon deshalb nicht, weil erst vor 
Kurzem von dem nach Süden detachierten General Bubna die 
Nachricht gekommen war, Augereau habe bei Lyon 30.000 
Mann zusammengebracht, mit denen er auf Basel operiere, 

*) Correspondanee, XXVII., 21.293. 
**) Houssaye, „1814", p. 103. 



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Der .Reehtsabmarsch Blüchers. 



271 



was die Entsendung von 15.000 Mann zu Bubnas Verstärkung 
notwendig machte. Diese Sorge von Süden her laßt von da 
ab Schwarzenberg nicht mehr los. Er geht auch am 23. Fe- 
bruar nach Bar sur Aube zurück und denkt sogar bis auf das 
gepriesene Plateau von Langres zu weichen, wenn der ge- 
fürchtete Feind ihm noch weiter folgen sollte.*) Aber die 
Friedenshoffnungen des Oberfeldherrn sollten sich nicht er- 
füllen. Als am 17. in Chätillon die Mächte als Bedingungen 
des Präliminarfriedens die Grenzen von 1792 und als Garantie 
nicht nur die Räumung aller außerhalb Frankreichs besetzten 
Festungen, sondern auch die der französischen: Beifort, 
Besan£on und Hüningen, verlangten und Caulaincourt davon 
Meldung machte, erhielt er von Napoleon zur Antwort: „Ich 
bin so erregt über dieses Projekt, daß ich mich schon durch 
die Proposition entehrt glaube." Er selbst werde sein Ulti- 
matum stellen. Es blieb aus. Der Feldzug absorbierte ihn 
völlig. Denn soeben war wieder eine entscheidende Wendung 
eingetreten. Blücher, der zwar bis Mery herangekommen war, 
den ruhmlosen Rückzug aber nicht mitmaclien wollte, hatte 
sich — auf den Rat Oberst Grolmans, des Generalstabschefs 
von Kleist — von den Monarchen die Erlaubnis erbeten, 
nochmals rechts abzumarschieren, sich mit Bülow und Win- 
zingerode, die aus Belgien kamen, zu vereinigen und so ver- 
stärkt auf Paris loszugehen. Ein Kriegsrat, der am 25. in Bar 
abgehalten wurde, nahm, nachdem er den vom Zaren und 
Friedrich Wilhelm befürworteten Gedanken, eine Schlacht zu 
wagen, abgelehnt hatte, den Blücherschen Antrag an.**) 

Das war ein folgenreicher Entschluß. Denn wer weiß, 
was geschehen wäre, wenn auch Blücher sich der Rückwärts- 
bewegung angeschlossen hätte. Die Stimmung im Lande war 
unter dem schweren Druck der Invasion immer erbitterter 
geworden, so daß, namentlich seitdem Napoleon durch seine 
letzten Siege wieder hoch in Geltung gekommen war, überall 
das Landvolk sich der fremden Bedränger zu erwehren 

*) Napoleon hat dio Situation ganz richtig erkannt, als er am 
23. an Joseph schrieb: .,Sie scheinen eine Hauptschlacht und ihre Folgen 
zu fürchten." (Correep., XXVIL, 21.356.) 

**) Kongreß von Chätillon, S. 166 f. 



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272 Dreiteilung der verbündeten Streitkräfte. 

Buchte.*) Der Enthusiasmus für den Besieger der feindlichen 
Eindringlinge wuchs mit jedem Tage, und wenn es dem Kaiser 
im Januar nicht gelungen war, den Landsturm aufzuregen, 
so konnte es ihm, wenigstens in der östlichen Hälfte Frank- 
reichs, im März nicht ganz unmöglich sein.**) Nun, Blüchers 
Abmarsch nach vorwärts ließ derlei nicht zu und zog Napoleon, 
dem um die Hauptstadt bangte, von Schwarzenberg ab. Denn 
die schlesische Armee war sozusagen zur Hauptarmee geworden, 
während diese ungefähr die Rolle übernahm, die jener im 
Herbstfeldzug zugefallen war. So schrieb es Friedrich Wil- 
helm an Blücher. Und da es jetzt auch noch eine eigene 
Südarmee gab, so bildeten sich durch diese Dreiteilung der 
verbündeten Kräfte ähnliche Verhältnisse heraus, wie sie im 
letzten Oktober zum Zusammenbruch des französischen Heeres 
geführt hatten. Für Österreich lag darin, daß Preußen und 
Russen den offensiven Kampf allein auf sich nahmen, der 
Vorteil, seine durch Krankheiten und Abgaben geschwächten 
Truppen mehr geschont zu sehen. 

Schwarzenberg war denn auch nur zu sehr geneigt, mit 
ihnen noch weiter nach Osten zurückzugehen, in der Meinung, 
daß er Napoleon selbst hinter sich habe, über dessen Stärke ihm 
übertriebene Berichte zugegangen waren und dessen per- 
sönliche Gegenwart als ein Heer für sich gelten konnte, das 
die Gegner oft von kühner Offensive abhielt.***) Er ist auch 
tatsächlich mit der Avantgarde bereits über La Kothiere 



*) Man darf, seitdem durch Houssaye, „1814", authentische Daten 
hierüber gesammelt sind, Napoleon in seinen Briefen nicht mehr der 
Übertreibung zeihen. Schreibt doch selbst der Generalquartiermeister 
der Blücherscheu Armee an Gneisenau: „Die Offiziere wagten es kaum 
mehr deu Soldaten etwas zu sagen", und Schwarzenberg meinte: „Um 
mit diesen Völkern auf einer so großen Linie die Exzesse zu verhin- 
dern, müßte man eine Armee im Rücken der Operierenden aufstellen." 
Übrigens waren auch die Franzosen keineswegs schuldlos. 

**) Siehe das Dekret vom 5. März 1814 im „Moniteur", das jeden 
Maire mit dem Tode bedroht, der „anstatt den patriotischen Aufschwung 
des Volkes anzuregen, ihn unterdrückt oder den Bürgern von einer 
legitimen Verteidigung abrät." 

***) „Ich habe 50.000 Mann", sagte der Kaiser einmal zu dem 
General Poltaratzky, „und ich, macht 150.000." 



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Das Gefecht bei Bar-sur-Aube. 



273 



hinausgelangt, als er inne ward, daß ihm nur zwei Armeekorps 
unter Oudinot und Macdonald folgten; da gibt er den Rückzug 
auf, schlägt die Franzosen am 27. Februar bei Bar-sur-Aube 
und drängt sie bis an die Seine zurück. Damit war allerdings 
Napoleons Plan gestört, der gehofft hatte, es werde den 
Marmont und Mortier, die er gegen Blücher zurückgelassen 
hatte, gelungen sein, Diesen in der Front aufzuhalten, indes er 
hinter ihm nachdrängt und ihn so zwischen zwei Feuer bringt 
— und all das, ehe Schwarzenberg seine Abwesenheit merkt. 

Nun spielten sich die Ereignisse ganz und gar nicht mehr 
nach seinen Wünschen ab. Zwar haben sich am 28. Marmont 
und Mortier östlich von Meaux auf dem rechten Ufer der 
Marne mit Erfolg Blüchern in den Weg gelegt und dessenVorhut 
geworfen, aber Napoleon ist durch späten Aufbruch und 
grundlose Wege abgehalten worden, sich schon an diesem 
Tage am Kampfe zu beteiligen; die schlesische Armee kann 
nordwärts nach Soissons ausweichen, wo eben jetzt die beiden 
Korps von Bülow und Winzingerode angelangt sind und den 
wichtigen Platz zur Übergabe gezwungen haben. So ist 
Blücher nicht nur dem ihm von Napoleon zugedachten 
Schicksal entgangen, er hat auch noch — Bülow und Win- 
zingerode werden seinem Befehl unterstellt — seine Stärke 
auf 100.000 Mann gebracht. Und da nun auch die Hauptarmee 
wieder avanciert war, so gestaltete sich plötzlich des Kaisers 
Lage überaus schwierig. Wendete er sich von der Marne 
zurück zu Schwarzenberg — und er dachte daran — so warf 
Blücher Marmont und Mortier über den Haufen und besetzte 
Paris. Diese schwere Sorge will er los sein, und so hält er 
sich zunächst an diesen Feind. Er hofft ihn, dessen Kräfte er 
unterschätzt, mit den 55.000 Mann, über die er verfügt, weit 
nach Norden zurückzuschlagen, um dann, während Macdonald 
Schwarzenberg an der Seine festhält, über Reims, Chälons, 
Saint-Dizier und Joinville in die Flanke und den Rücken der 
Hauptarmee zu operieren. Augereau hätte von Süden her 
diese Bewegung durch einen Vorstoß über Besangon zu unter- 
stützen, die kaum blockierten Festungen in den Ardennen 
und an der Mosel könnten mit ihren Besatzungen das kaiser- 
liche Heer verstarken, und flammt dann zugleich auch der 

Fournior, Napoleon I. 18 



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274 



Bei Craonne und Laon. 



.Volkskrieg auf, so war es möglich, die Feinde zum Rückzug 
an den Rhein zu nötigen.*) Ein überkühner Plan, der den 
Kaiser nicht mehr loslassen wird, obgleich er gleich in seiner 
ersten Voraussetzung an der hartnäckigen Tapferkeit der 
Blücherschen Armee scheitern sollte. 

Napoleon ist nordostwärts nach Berry vorgegangen, um 
sich der Straße von Rheims zu versichern. Von da rückt er 
gegen Blücher vor, der sich, einem Rate Bülows folgend, 
defensiv verhält. Bei Craonne wird am 7. März ein vorge- 
schobenes russisches Korps mit großen Opfern zurückgedrängt, 
und zwei Tage später kommt es bei Laon, wo Blücher in starker 
Position bereit steht, zur Schlacht. Napoleon hat die Straße 
von Soissons gewonnen, während er Marmont von Berry auf 
der Rheimser Straße vorschickt, so daß die Armee in zwei 
Teilen auf Laon vorrückt, die sich jedoch vor dieser Stadt nur 
schwer verstandigen können, da dort sumpfiges Gelände die 
beiden Wege scheidet und überdies starke Kosakenpatrouillen 
den Kourierdienst erschweren. So kann am 9. Napoleon, der 
sich der nächstliegenden Dörfer Semilly und Ardon bemäch- 
tigt und wieder bemächtigt, den Tag über nicht erfahren, 
daß Marmont, statt am Morgen, erst nach Mittag vor 
Laon erschienen ist und erst am Abend das Dorf Athies 
erobern konnte, aus dem ihn dann, als er nach Einbruch 
der Dunkelheit die blutige Arbeit beendet glaubte, die 
Preußen wieder vertrieben, so daß seine Truppen in wilder 
Flucht auf der Straße, die sie gekommen waren, bis 
Corbeny zurückeilen. Glücklicherweise beeinträchtigte das 
Eingreifen von ein paar Tausend Mann, die unter Fabvier 
ausgesandt worden waren, um die Verbindung mit Napoleon 
zu suchen, und nun umkehrten, eine nachhaltige Verfolgung. 
Von all dem hat der Kaiser erst um Mitternacht erfahren, 
da auch sein rechter Flügel aus Ardon wieder verdrängt und 
die Kommunikation mit Marmont dadurch noch schwieriger 
geworden war. Er war außer sich über das Vorgehen des 
Letzteren, der sich „wie ein Leutnant" benommen habe. 
Freilich konnte er nicht ahnen, daß der Herzog von Ragusa 

*) Corrcsp., XXVIL, 21.426, 21.448, u. a. a.0. 



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Napoleon in Keims. 275 

seit dem Falle von Soissons und der Verstärkung Blüchers 
die Sache seines Herrn verloren gab und eben nur noch das 
Nötigste tat, und auch dies nicht immer. Napoleon merkte 
davon nichts, er sah nur, daß er einen in Unordnung ge- 
brachten wichtigen Teil seiner Armee vor einer vernichtenden 
Verfolgung zu bewahren hatte. Deshalb bleibt er kühn der 
mehr als doppelten Übermacht gegenüber noch am 10. in 
Schlachtordnung stehen und erreicht es, da Blücher den 
Kampf nicht erneuert, wirklich, daß Marmont sich gesammelt 
zurückziehen kann. Dann erst wendet auch er sich nach 
Soissons, doch nur, um schon am zweitnächsten Tage von 
hier, gleichsam unter den Augen des siegreichen Gegners, 
nach Keims hinüberzueilen und ein detachiertes Russenkorps, 
das die Stadt mittlerweile besetzt hatte, daraus zu vertreiben, 
was am Abend des 14. März gelingt. Dann gönnt er sich und 
seinen abgehetzten Truppen ein paar Kuhetage. 

Im Hauptquartier der Verbündeten war man unterdessen, 
zwar nicht militärisch, wohl aber politisch zu einem neuen 
Entschluß gelangt. Daß Caulaincourt die Anerbietungen vom 
17. Februar nicht angenommen und Napoleon selbst in einem 
Briefe an Kaiser Franz vom 21. das Frankfurter Programm 
als sein und Frankreichs Ultimatum bezeichnet hatte, machte 
einen solchen nötig. Castlereagh, der schließlich wissen wollte, 
wofür England sein Geld ausgab, tat sein möglichstes hierzu. 
Am 28. Februar, in der vierten Sitzung des Kongresses zu 
Chätillon, wurde dem Abgesandten Napoleons bedeutet, er 
habe bis längstens 10. März Gegenvorschläge zu machen, die 
jedoch keinesfalls von seinen Propositionen vom 9. Februar we- 
sentlich abweichen dürften. Waffenstillstandsunterhandlungen, 
zu denen es endlich doch gekommen war, wurden jetzt, nach- 
dem seit dem 27. die Verhältnisse sich gebessert hatten, von 
den Verbündeten abgebrochen. Und da man nun auch sicher 
war, daß der Krieg fortging, durch den allein Napoleon zum 
Frieden gezwungen werden konnte — denn das von Caulain- 
court begehrte Gegenprojekt blieb aus — schlössen die vier 
Großmächte England, Österreich, Preußen und Rußland am 
9. März zu Chaumont einen Vertrag ab, der das britische 
Reich verpflichtete, das Jahr hindurch fünf Millionen Pfund 

18* 



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276 Der Vertrag von Chauniont 

an die drei Kontinentalmächte zu zahlen, die ihren in Chä- 
tillon vorgelegten Entwurf, d. i. Rückkehr Frankreichs in 
seine Grenzen von 1792 und volle Unabhängigkeit Hollands, 
Italiens, Spaniens, der Schweiz und Deutschlands, mit den 
Waffen durchzusetzen sich verbindlich machten, auch wenn 
die Anstrengungen hierzu zwanzig Jahre währen sollten. Jede 
dieser Mächte wollte sich mit 150.000 Mann beteiligen, wozu 
sich übrigens auch England bereit erklärte. Der „defensive 
Allianzvertrag", wie man ihn nannte, wurde auf den 1. März 
zurückdatiert. Er erhielt erst durch den Sieg bei Laon volle 
Geltung. Denn Schwarzenberg war zwar nach seinem Erfolge 
bei Bar-sur-Aube bis nach Troyes vorgegangen, dort aber seit 
dem 4. März unbeweglich stehengeblieben, obgleich der Zar 
in ihn drang, nach rechts hin Blücher zu unterstützen. Man 
würde, erklärte der Fürst dem Monarchen, jedenfalls zu spät 
kommen und dann allein eine Hauptschlacht riskieren. Unter- 
des hätte man die Verbindung mit der Südarmee eingebüßt 
und müßte, auch wenn man die Schlacht gewänne, doch wieder 
an die Seine zurück, um die Operationen gegen Paris fortzu- 
setzen. Schwarzenberg glaubte dabei ganz im Sinne der 
ursprünglich angenommenen Kriegsgrundsätze zu handeln, 
ähnlich wie er im Februar getan und wie es zur gleichen 
Zeit (5. März) Boyen Gneisenau mit den Worten empfohlen 
hatte: „Unsere eigentliche Aufgabe ist, durch gleichzeitige 
Bewegungen und gut gewählte Stellungen den Feind einzu- 
engen; selbst der augenblickliche Schimmer einer kühnen 
Waffentat muß dieser größeren Ansicht untergeordnet 
werden."*) Alexander aber ließ die Argumente des Oberfeld- 
herrn nicht gelten, und als Dieser Operationsentwürfe 
vorlegte, mit denen er vorerst den Ausgang des Kampfes 
zwischen Napoleon und dem an Kräften überlegenen 
Blücher abwarten wollte, kam es in Chaumont zu einer 
erregten Szene, wobei der Zar Metternich geradezu fragte, ob 
Kaiser Franz etwa seinem General befohlen habe, sich nicht zu 
schlagen und an den Rhein zurückzugehen, und Friedrich 
Wilhelm sich sogar zum Vorwurf des Verrats verstieg, da 



*) Meinecke, Boyen, I.. 367. 



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Bemühungen Metternichs u. Caulaincourts um den Frieden. 277 

man Blücher opfern wolle.*) Erst als Schwarzenberg sich 
gegen jene Vorwürfe verwahrt hatte und endlich Nachrichten 
von der Schlacht am 9. März und ihrem günstigen Ausgange 
eingetroffen waren, glich sich der häusliche Zwist aus, und 
schon in den nächsten Tagen wird auch die Hauptarmee kräf- 
tiger in die Aktion treten. 

Freilich, auf dem Kongreß in Chätillon gestalteten sich 
nunmehr die Dinge immer hoffnungsloser. Zwar hatte Met- 
ternich Brief auf Brief an Caulaincourt geschrieben, auf 
daß er seinen Herrn zu größerer Nachgiebigkeit bestimme, 
denn das russische Projekt, den Herzog von Berry auf den 
französischen Thron zu bringen, machte ihm auch jetzt noch 
den Frieden mit Napoleon wünschenswert; zwar hatte der de- 
legierte Minister des Kaisers in seiner unerquicklichen Doppel- 
stellung als Bevollmächtigter Frankreichs und Napoleons 
Diesem gegenüber mit Vorstellungen nicht gespart, die ihn 
überzeugen sollten, daß, wenn man nicht ein Gegenprojekt 
vorlege, das von den Frankfurter Grundlagen abweiche, alles 
verloren sei; zwar mahnte Joseph, der als Generalstatthalter 
der Kaiserin zur Seite geblieben war, man müsse, angesichts 
der Stimmung in Paris, den Frieden haben, er sei gut oder 
schlecht, und wenn er auch schlecht wäre, so würde den 

*) Diese Anschauung ist dann auch in die Geschichtschreibung 
übergegangen, scheinbar unterstützt von einer Denkschrift Radetzkys 
aus dem November 1813(!), worin Dieser der Preußen erwähnte, „denen 
beim einstigen Frieden, so wie sie sich jetzt zeigen, die wenigsten 
Truppen zu wünschen sind." Diese Stelle reicht aber doch nicht aus, um 
dem Oberfeldherrn vier Monate später die absichtliche Preisgebung einer 
ganzen Armee zur Last zu legen, und in neueren Werken findet sich 
auch jene Auffassung nicht mehr vor. Schwarzenbergs stete Furcht vor 
dem Verhungern, seine Angst vor der Levee en masse, die er schon in 
nächster Nähe organisiert sieht, seine Besorgnis, die österreichischen 
Korps im Süden nicht unterstützen zu können, reichen, im Zusammen- 
hang mit den aus dem Feldzug von 1813 her übergenommenen Grund- 
sätzen, znr Erklärung seiner Haltung vollkommen aus. Nimmt man 
endlich noch hinzu, daß er von Metternich darin bestärkt wurde, »das 
Heil nicht in der Schlacht, sondern in der militärischen Attitüde zu 
sehen", so bedarf es gewiß keines weiter reichenden Verdachtes. Siehe 
Metternich. Klinkowström, Österreichs Teilnahme etc., S. 814 ff. 
und den ostensiblen Brief Metternichs an Stadion vom 13. März in 
„ Kongreß von Chätillon«, S. 344. 



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278 Napoleons Hartnäckigkeit. 

Kaiser nicht die Schuld treffen, da ihn alle Volkskreise 
wünschen: aber alles fand an Napoleons heroischem Eigen- 
sinn einen unüberwindlichen Widerstand. Höchstens zur 
Abtretung von Wesel, Kehl und Castel wollte er sich 
verstehen, im übrigen sollte sein Unterhändler die Ver- 
handlungen weiter spinnen. Als dann der Verfallstermin 
des 10. März herankam, war Caulaincourt genötigt, aus den 
unterschiedlichen Weisungen, die er erhalten hatte, selbst 
einen Vertragsentwurf auszuarbeiten und vorzulegen, der weit 
von den Forderungen der Mächte abwich.*) Da darnach 
nicht nur die „uatürlichen Grenzen" festgehalten waren, son- 
dern auch auf das Königreich Italien bloß zugunsten des Vize- 
königs Eugen verzichtet wurde, während Elba und Lucca in 
französischen Händen blieben, konnte auch Metternich den 
Kongreß nicht mehr retten. Er löste sich am 19. März auf. 

Und wenn der österreichische Minister selbst dann noch 
gehofft hatte, zu einem befriedigenden Ende zu gelangen, so 
ward er jetzt binnen wenig Tagen anderer Meinung. Einmal, 
weil auch Preußen und England Napoleon definitiv aufgegeben 
und den Emissären der Bourbons, wenn auch nicht ihre 
Initiative zugesagt, so doch ihr Entgegenkommen in Aussicht 
gestellt hatten, dann weil Hardenberg, wenn Metternich Napo- 
leon fallen ließe, sich zu Bemühungen bei Alexander in der pol- 
nischen Frage anheischig machte, und endlich weil am 20. März 
ein Brief Marets an Caulaincourt vom Vortage aufgefangen 
wurde, worin der Minister die Weisung erhielt, wenn er auch 
noch Mainz, Antwerpen und Alessandria abtreten müßte, 
dies nur in vagen Ausdrücken zu tun, da Napoleon selbst 
nach der [Ratifikation des Vertrages sich bloß von militärischen 
Rücksichten leiten lassen, d. h. je nach Umständen das 
Abkommen brechen werde.**) Da es auf solche Art klar ge- 
worden war, daß der Franzosenkaiser durchaus nicht „ver- 

*) Gedruckt bei Fain, p. 388, bei D'Angeberg, Congres de 
Vienne, L, 130 ff. u. a. a. 0. Ein Auszug findet sich in meinem „Kon- 
greß von Chätillon«, S. 218. 

**) Siehe meine Abhandlung „Der Brief Marets an Caulaincourt 
vom 19. März 1814" in der Histor. Vierteljahrschrift, 1900, wo ich 
die von Houssaye und den älteren französischen Historikern bezwei- 
felte Echtheit feststellen konnte. 



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Ihre weltgeschichtliche Begründung. 279 

nünftig" werden wollte, war auch der Minister Österreichs 
— schon um nicht isoliert zu bleihen — bereit, ihn aufzugeben, 
und es handelte sich nun nur noch darum, ihn möglichst rasch 
im Felde zu besiegen. 

Napoleons unnachgiebige Haltung könnte unbegreiflich er- 
scheinen, wenn es sich hier nur um seine persönliche Herrschaft 
über Frankreich und nicht um ein großes Prinzip handelte, das 
er vertrat und dem im Lager der Verbündeten ein anderes 
sich entgegenstellte. Es war für den Repräsentanten der aller- 
wärts ausgreifenden, die Grenzen zwischen Staaten und Ständen 
nicht achtenden, weltbürgerlichen Revolution schlechthin un- 
möglich, sich in das Gleichgewichtssystem der vorrevolutionären 
Zeit einzufügen, und nur durchaus logisch, daß er einen 
Frieden auf der Basis des alten bourbonischen Territorial- 
staates als eine bloße Kapitulation ansah. Da nun aber die Idee 
der Revolution und ihre unumgängliche Konsequenz der 
Schrankenlosigkeit längst nur noch in diesem einzigen Men- 
schenwillen ihre Verkörperung fand, während das französische 
Volk bereits notgedrungen in die nationale Bahn eingelenkt 
hatte, war ein Konflikt entstanden, der jetzt endlich zur 
Lösung kommen mußte. Als man in der Hauptstadt, wo nach 
den Februarsiegen die alte Zuversicht eingekehrt war, im März 
bloß von einem Rückzüge Macdonalds und von der Nieder- 
lage Soults hörte, den Wellington bei Orthez am 27. Februar 
geschlagen hatte, und gar nichts von Napoleon, fiel die Rente 
auf 51, und man schied sich innerlich wieder von dem, der den 
ersehnten Frieden weder sich noch anderen abzuringen ver- 
mochte. 

Napoleon aber sann in Reims nur darauf, dem Kriege 
noch eine günstige Chance abzugewinnen. Er überlegte, ob er 
sich nicht mit Macdonald vereinigt der Hauptarmee bei Meaux 
in den Weg legen sollte, um ihr dort den Zugang zur Haupt- 
stadt streitig zu machen, kam dann aber auf jenen weitaus 
kühneren Plan zurück, dessen Grundzüge er schon vor der 
Schlacht bei Laon entworfen hatte, und will ihn nun jenem 
ersten Mißerfolg zum Trotz ausführen. Zunächst aber wird er 
eine „Diversion" unternehmen, von der er sich „unberechen- 
bare Erfolge" verspricht. Er wird Macdonald in der Front 



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280 Ein neuer Operationsplan Napoleons. 

Schwarzenbergs stehen lassen, den er fast mit der ganzen 
Armee jenseits der Seine über Nogent hinaus vermutet, und 
selbst mit etwa 22.000 Mann in dessen Bücken auf Mery oder 
Troyes operieren. Mortier und Marmont bleiben unterdes in 
und bei Reims gegen Blücher zurück, um ihm den Weg nach 
Paris zu wehren. Noch am 17. bricht er nach Süden auf und 
ist am 19. bei Plancy, während eine Abteilung auf Arcis 
a. d. Aube marschiert, wohin Schwarzenberg vorgegangen war, 
um zur Unterstützung Blüchers, wenn dieser nochmals an- 
gegriffen werden sollte, einzugreifen. Als hier die Nachricht 
eintrifft, Napoleon habe sich gegen Süden gewendet, ist Kaiser 
Alexander, den die Wegnahme von Reims mutlos gemacht 
hat, für einen möglichst weiten Rückzug, Schwarzenberg da- 
gegen begnügt sich, nach Trannes zurückzugehen, wo er seine 
auseinanderliegenden Streitkräfte von West und Ost her kon- 
zentrieren will, um dann aufs neue die Offensive zu ergreifen. 
Die Konzentrierung war noch nicht vollendet, drei von Westen 
herzukommandierte Korps unter dem Kronprinzen von 
Württemberg waren erst bis Troyes gelangt, als man im Haupt- 
quartier der Verbündeten vernahm, Napoleon sei bereits bei 
Plancy über den Fluß gegangen. Nun ließ Schwarzenberg 
jene drei Korps von Troyes nach Norden abschwenken und 
rückte selbst mit dem Korps Wredes und den russischen und 
preußischen Garden gegen Arcis wieder vor, um den Gegner, 
ehe er noch mit allen Streitkräften die Aube passiert hat, 
zurück und, wenn Blücher ihm nachgerückt war, diesem ent- 
gegenzuwerfen. Damit war die Absicht Napoleons, die Linie 
der Hauparmee zu durchbrechen und ihre westliche Gruppe 
zwischen sich und Macdonald zu zerdrücken, vereitelt. Er selbst 
aber hielt jene Konzentrationsbewegung des Gegners für dessen 
Rückzug nach Osten und sieht sich, als ihm am 20. die Zurück- 
nahme der feindlichen Vortruppen von Arcis gemeldet wird, 
in der Meinung bestärkt, daß er einen weichenden Feind vor 
sich habe, den er verfolgen und möglicherweise überflügeln 
müsse, schon um dessen Vereinigung mit Blücher zu stören. 
Der Entschluß, den er dabei faßt, entspricht durchaus seinem 
großen Plane: er wird nach Vitry marschieren, diese Stadt, 
die vom Feinde besetzt ist, erobern, dorthin Marmont und 



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Die Schlacht bei Arcis-sur-Aube 



281 



Mortier und die Besatzungen von Metz und Nancy heranziehen, 
Macdonald über Arcis nachrücken lassen und so mit einer 
kompakten Heeresmacht von etwa 90.000 Mann auf die rück- 
wärtigen Verbindungen des Gegners fallen. Er selbst verläßt 
am Mittag des 20. März Plancy und nimmt den Weg über 
Arcis, um Schwarzenberg um so sicherer in der Defensive zu 
halten. Hier aber soll er eine bittere Enttäuschung erleben. 

Schon am Vormittag hatten Bauern den über Arcis ost- 
wärts avancierenden Franzosen das Nahen feindlicher Heeres- 
massen von Süden her gemeldet. Napoleon glaubt nicht daran. 
Er sendet einen Ordonnanzoffizier aus, der nicht weit genug 
vorreitet, um die feindlichen Kolonnen zu gewahren, und den 
Kaiser in seinem Irrtum bestärkt. Kurz darauf wird die Armee 
im Marsch von überlegenen Kräften angegriffen und ein Teil 
in wüstem Gemenge fliehend nach Arcis zurückgetrieben. Dort 
an der Brücke über die Aube stellt sich den Flüchtigen 
ein Offizier mit gezogenem Degen an der Spitze eines 
kleinen Infanteriekarrees in den Weg und ruft: „Wer will 
eher hinüber als ich?" Sie erkennen Napoleon und lassen 
sich von neuem gegen den Feind führen. Zu gleicher Zeit 
wird die Avantgarde unter Ney im Osten der Stadt von Wrede 
bei Torcy angegriffen. Ney hält den Ort gegen die andringende 
Übermacht, und auch um Arcis wird mit Todesverachtung 
gekämpft, so daß der Gegner keinen nennenswerten Erfolg zu 
erringen vermag, um so weniger, als nur Schwarzenbergs 
rechter Flügel am Kampfe teilgenommen hat, während das 
Gros noch von Troyes her im Anmarsch war. Die Be- 
obachtung, daß bloß ein Teil der feindlichen Stärke mit- 
gestritten hatte, verführt Napoleon, das Ganze für ein Nach- 
hutgefecht zu halten und befestigt ihn nur noch mehr in 
der Meinung, das Gros des Feindes sei auf dem Rückzüge. 
Er bleibt daher dabei, in der einmal gewählten Richtimg 
weiter zu gehen, und avanciert in gutem Glauben am Vor- 
mittage des 21. gegen die vermeinte Arrieregarde des Feindes, 
bis rechter Hand die Korps des Kronprinzen von Württem- 
berg in Aktion treten und er es mit einem Male mit der 
ganzen großen Hauptarmee zu tun hat. Nun kommandiert 
er freilich den Rückzug über die Aube, und nur der Langsam- 



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282 Aufgefangene Depeschen. 

keit Schwarzenbergs — oder vielleicht dem jetzt jeder Offen- 
sive widerstrebenden Zaren — hat er es zu danken, daß er 
unter den Augen des Feindes den größten Teil seiner Truppen 
fast unbehelligt auf das andere Ufer bringt. Der Best kann 
sich, als endlich der Angriff der 100.000 Mann gegen die 
30.000 erfolgt, nur noch durch heroisches Streiten den Rück- 
weg sichern. Die Schlacht bei Arcis war verloren. 

Über vierthalbtausend Mann hat dem Kaiser sein Irrtum 
Uber des Gegners Absicht gekostet. Aber seinen Plan hat er 
trotzdem nicht aufgegeben. Nur muß er jetzt seinen Marsch 
auf Vitry jenseits der Aube fortsetzen, und er tut dies so 
rasch, daß man im Hauptquartier der Verbündeten bald nicht 
mehr weiß, wohin er sich eigentlich gewendet hat. Macdonald, 
der an der Schlacht nicht mehr hatte teilnehmen können, 
marschiert ebenfalls jenseits des Flusses nach Nordosten und 
kommt mit geringen Schäden seiner Nachhut davon. Bei 
dieser Gelegenheit, am 23. März, wird von den Österreichern 
ein Kourier aufgefangen, der dem Marschall einen Brief 
Berthiers zu überbringen hatte, des Inhalts, der Kaiser stehe 
zwischen Vitry und Saint-Dizier im Kücken der großen Armee 
und habe seine Kavallerie bereits bis Joinville vorgeschoben. 
Und zur selben Zeit läuft den Kosaken ein zweiter Bote ins 
Garn, mit einem Schreiben Napoleons an die Kaiserin nach 
Paris, das sie in seinen Plan einweiht, sich der Marne und 
den festen Plätzen im Osten zu nähern, „um die Feinde 
von der Hauptstadt abzuhalten". Diese Briefe und einige 
andere aus der Residenz, welche die Unfähigkeit, sie zu vertei- 
digen, und die dort herrschende trostlose Stimmung schildern, 
dazu die Kunde, daß am 12. März die Engländer Bordeaux 
besetzt und die Einwohner sich für die Bourbons erklärt 
haben, endlich der Heranmarsch Blüchers über Reims auf 
Chalons: all das bringt die alliierten Monarchen dazu, von 
der Verfolgung Napoleons, die sie anfänglich geplant hatten, 
abzusehen und den gemeinsamen Zug beider Armeen auf 
Paris zu beschließen. Ein Manifest an die Franzosen, vom 
25. März datiert, legt noch einmal all die Schuld des blutigen 
Unfriedens dem Kaiser und seinem unersättlichen Ehrgeiz 
zur Last und klagt zugleich das Prinzip an, das er vertritt. 



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Neues Manifest an die Franzosen. 283 



„Frankreich hat nur seine eigene Regierung verantwortlich 
zu machen", heißt es darin, „für all die Übel, die es erduldet. 
Der Friede allein kann die Wunden schließen, die ein Geist 
allseitiger Eroberung, wie ihn die Annalen der Welt nicht 
kennen, geschlagen hat. Dieser Friede wird der Friede 
Europas sein, jeder andere ist unzulässig. Es ist endlich an 
der Zeit, daß die Fürsten, ohne Störung und Einfluß von außen 
her, über das Wohl ihrer Völker wachen können, daß die 
Nationen ihre wechselseitige Unabhängigkeit respektieren und 
daß die sozialen Einrichtungen gegen tägliche Umsturzversuche 
geschützt, das Eigentum gesichert, der Verkehr frei seien."*) 
Ging das französische Volk hierauf ein, so kehrte es dem 
politischen Programme der Revolution endgültig den Rücken, 
und der Mann, der es bisher mit der ganzen Kraft seiner Ge- 
nialität und seines ehrsüchtigen Willens verfochten hatte, 
war vernichtet. 



Es ist Napoleon zum Vorwurf gemacht worden, daß er 
nach dem zweiten Schlachttage von Arcis, als er von der 
Offensivtendenz des Feindes überzeugt sein mußte, doch nach 
Osten weiterzog, anstatt westwärts mit all seinen verfügbaren 
Truppen der Hauptstadt zuzueilen, wo er einen tüchtigen 

*) D'Angeberg, Congres de Vienne, I., 143. Es hieß nun darin 
freilich von Frankreich nicht mehr, seine Grenzen sollten weiter ge- 
steckt sein „als je unter den Königen"; man dachte es nur noch in 
jenem Umfange, „den ihm Jahrhunderte des Ruhmes und der Wohl- 
fahrt unter seinen Königen gesichert hatten." Die Mächte hätten sich 
zwar bereit erklärt, „Abänderungen über die Grenzen vor den Re- 
volutionskriegen hinaus" zu erörtern, darauf sei aber erst am 15. März 
ein Gegenprojekt mit unannehmbaren Bedingungen vorgelegt worden. 
Staatsrat Ancillon, der Erzieher der preußischen Prinzen und einer der 
vertrauten Berater Friedrich Wilhelms III., hatte auch einen Entwurf 
verfaßt, der es nicht verschweigen wollte, daß man seinerzeit in Frank- 
furt, wenn auch nur ganz allgemein und unbestimmt, günstigere Be- 
dingungen gestellt, sie aber, als Englands Minister die Rückgabe der 
französischen Kolonien an die Bedingung der alten Grenzen knüpfte, 
einzuschränken sich verpflichtet gefühlt habe. Natürlich wurde dieser 
Entwurf als höchst undiplomatisch abgelehnt. Es fehlte auch nur noch, 
daß Ancillon den Franzosen erzählt hätte, man habe Englands Wünschen 
deshalb Rechnung getragen, weil man sein Geld brauchte. (Siehe 
..Kongreß von Chatillon«, S. 237, Anmerkung.) 



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284 Napoleon in 8t. Disier. 

Vorsprang vor dem Gegner und Zeit gehabt hätte, Maßregeln 
zur Verteidigung zu treffen. Aber wer möchte es leugnen, 
daß nicht auch der Plan des Kaisers seine großen Vorteile 
haben konnte, wenn nicht der Zufall ihn verdarb? Napoleon 
war von Vitry weiter über Saint-Dizier und dann südwärts 
biß nach Doulevent gelangt, wo er den 25. März verweilte und 
nach dem Feinde aushorchte, von dessen Direktion er nichts 
wußte. Von dort schrieb Caulaincourt, der ihn begleitete, 
Briefe an Metternich, die aufs neue den Frieden anboten, und 
dem Schreiber schien es jetzt, als ob es seinem Herrn damit 
Ernst wäre.*) Er wußte aber zu gleicher Zeit auch, daß es 
bereits zu spät war. In der Tat ging an demselben 25. März 
aus dem österreichischen Hauptquartier Graf Bombelles zum 
Grafen Artois nach Vesoul, um mit ihm über die Rückkehr 
der Bourbons auf den Thron von Frankreich zu verhandeln. 
Dem Kaiser blieb danach nur noch sein Degen übrig. Noch 
legte er ihn nicht aus der Hand. 

Napoleon erfuhr in Doulevent bloß eins bestimmt: daß 
ein starkes Korps in der Nähe von Saint-Dizier sich gezeigt 
habe. Hatte sich der Feind geteilt und zerstreut? Dann war 
er vielleicht, wie ehedem bei Champaubcrt und Montmirail, 
zu besiegen. Er rückte sofort gegen dieses Korps und schlug 
es am 26. in die Flucht. Es waren 10.000 Mann unter Win- 
zingerode, welche die Verbündeten gegen den Kaiser zurück- 
gelassen hatten. Diesem fiel es auf, daß es nicht Soldaten 
Schwarzenbergs, sondern Blüchers waren, die man gefangen 
einbrachte, und er wurde nun ganz unsicher. Er will nach 
Vitry zurück, um dort Gewißheit zu erlangen. Schon in Saint- 
Dizier fand er sie: alle Nachrichten, die hier bei ihm eintrafen, 
stimmten überein, daß die Feinde allesamt auf Paris mar- 
schierten. Seine Rechnung auf ihren Rückzug nach Osten 
war also falsch gewesen. Was sollte er nun tun? Ihnen vor 
der Hauptstadt zuvorzukommen war nicht mehr möglich; sie 
hatten drei Tagmärsche voraus. Sich weiter ostwärts wenden, 
die Garnisonen an sich ziehen, den Landsturm aufrufen ? Viel- 
leicht wäre dies von Erfolg gewesen, denn im ganzen Osten 

*) An Hauterive schreibt er am 28.: „Reine Majestät scheint 
entschlossen, die nötigen Opfer zubringen.* (Houssayo, „1814", p. 397.) 



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Gesprach mit Wessenberg. 285 

waren die Bauern bereit zum Widerstande, in Banden durch- 
zogen sie das Land und brachten Gefangene ins Haupt- 
quartier. Macdonald war deshalb der Meinung, den Krieg im 
Elsaß und in Lothringen zu führen, und man hat gewiß nicht 
mit Unrecht vermutet, daß auch dem Kaiser dieser Gedanke 
mehr einleuchtete, als der andere, den ihm seine Umgebung, 
Caulaincourt, Maret, namentlich aber Bertbier und Ney, nahe- 
legten, alles zur Rettung der Hauptstadt zu versuchen. Es 
waren Stunden äußerster Nervenanspannung, die er in seinem 
Arbeitszimmer zu Saint-Dizier eingeschlossen zubrachte, um 
sich für dies oder jenes zu entscheiden. Endlich entschloß 
er sich doch, über Bar, Troyes, Fontainebleau nach Faris zu 
gehen, um dort die letzte große Schlacht zu schlagen. So 
erklärte er sich gegen den österreichischen Diplomaten Wessen- 
berg, der am 28. März hier kriegsgefangen vor ihn gebracht 
worden war und den er in ein politisches Gespräch ver- 
wickelte, das seine Friedensabsicht dokumentieren sollte. 
„Ich habe verlangt," sagte er, „daß man Frankreich in den 
Grenzen belasse, in denen ich es bei meiner Thronbesteigung 
fand.*) Aber ich behaupte nicht, daß ich nicht auch, ge- 
zwungen, auf ungünstigere Bedingungen hin Frieden schließen 
würde." Nur auf dem Besitz von Antwerpen müsse er be- 
stehen, da ohne diesen Platz Frankreich es noch lange nicht 
zu einer Marine bringen könnte. Österreich sollte von den an- 
deren Mächten beauftragt werden, den Frieden zu verhandeln, 
und er wäre sicher rasch abgeschlossen. Dann fuhr er fort: 
„Die Kaiserin wird von den Franzosen geliebt. Ihrer Regent- 
schaft und der des Senats werden sie vor einer Regierung der 
Bourbons den Vorzug geben. Sie hat während meiner Ab- 
wesenheit in der öffentlichen Meinung sehr viel gewonnen, 
und ich bin der Mann dazu, das Regiment in ihre Hände zu 
legen." Wessenberg bezweifelte diesen Entschluß. „Nein, 
nein," erwiderte der Kaiser, „auch der Ehrgeiz nützt sich ab. 
Sie sehen, was das Genie vermag: noch vor zwei Jahren ge- 
horchte mir die Welt, heute ist sie wider mich." Damit und 



*) Die ersten Worte des Kaisereides lauteten nach der Verfas- 
sung von 1804: „Ich schwöre die Integrität des Reiches eu behaupten.« 



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286 Napoleon eilt nach Paria. 

mit der Versicherung, große Opfer bringen zu wollen, entließ 
er den Diplomaten zu seinem Monarchen.*) 

Als Napoleon so resigniert sprach, wenn auch freilich nur, 
um an den Vater seiner Gattin um Unterstützung zu appel- 
lieren, mußte sich ihm seine militärische Lage als recht 
verzweifelt verraten haben. In der Tat wußte er bereits, daß 
Marmont am 25. bei Fere-Champenoise geschlagen worden war 
und daß die Verbündeten ihn und Morticr vor sich hertrieben. 
Am Abend des 28. — die Truppen waren an diesem Tage 
aufgebrochen — wurde ihm in Doulevent ein Brief des 
Generalpostmeisters Lavalette gebracht: seine Anwesenheit 
in der Hauptstadt sei unbedingt nötig und, wenn er sie nicht 
verlieren wolle, kein Augenblick zu versäumen. Bald darauf 
muß er hören, daß die Feinde schon bei Meaux angekommen 
sind. Seine Ungeduld steigert sich zum Fieber. In Troyes 
angelangt, schläft er kaum. Er übergibt Berthier das Kom- 
mando und reitet, nur von den Schwadronen seiner Leibgarde 
begleitet, vorwärts, bis er in Villeneuve-sur-Vannes auch diese 
Eskorte verläßt, sich mit Caulaincourt in einen Wagen wirft 
und in unerhörter Eile dahinrast. 

Unterdessen waren die A r erbündeten in die unmittelbare 
Nähe der Hauptstadt gelangt, und am 29. floh Marie Luise 
mit dem König von Rom nach Blois. Die Räte der Regent- 
schaft hatten mit Recht dagegen gesprochen, aber eine aus- 
drückliche Ordre Napoleons, seinen Sohn keinesfalls dem 
Schicksale des Astyanax auszusetzen, forderte dessen Ent- 
fernung.**) Das machte tiefen Eindruck in Paris, wo die Be- 

*} Arneth, Wasenberg, L, 188 ff. 

**) Am 16. März 1814 an Josepn: „Sollten die Feinde in großer 
Stärke gegen die Hauptstadt heranziehen und jeder Widerstand un- 
möglich sein, dann lassen Sie die Regentin, meinen Sohn, die Groß- 
würdenträger und Minister, die Vorstände des Senates, die Präsidenten 
des Staatsrat«, die Großoffiziere der Krone und den Baron Bouillerie 
(Schatzmeister der außerordentlichen Domäne) mit dem Tuilerienschatz 
in der Richtung auf die Loire abgehen. Verlassen Sie meinen Sohn 
nicht und erinnern Sie sich, daß ich ihn lieher in der Seine als in den 
Händen der Feinde Frankreichs sähe. Das Schicksal des von den Grie- 
chen gefangenen Astyanax ist mir immer als das unglücklichste in der 
Geschichte erschienen.« (Oorresp., XXVII., 21.497.) Schon am 8. Fe- 



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Zu spät! 287 

völkerung durch die zahlreich anlangenden Verwundeten, die 
vom Lande hereinflüchtenden Bauern und durch die schreck- 
lichen Prophezeiungen des offiziösen Preßbureaus über das 
der Stadt bevorstehende Schicksal, wenn man sich nicht wehre, 
in unerhörter Angst erhalten wurde. Die Eente fiel bis auf 45. 
Joseph, der zurückblieb, verstand es nicht, das Vertrauen zu 
heben. Seine Proklamation an die Pariser, sie sollten dem 
Feinde widerstehen, da ihm der Kaiser auf dem Fuße folge, 
erzeugte keine Begeisterung. Und wenn selbst, so hätte es an 
Widerstandsmitteln gefehlt und an Waffen für die Bereit- 
willigen. Die Befestigungen, die man angelegt, waren un- 
vollendet. Es gab kaum über 30.000 Nationalgarden in Paris. 
Diese allerdings haben sich im Verein mit den Truppen Mac- 
donalds und Mortiers am 30. März in einer Schlacht vor der 
Stadt heldenmütig geschlagen. Erst spät am Nachmittag, als 
die Übermacht der Preußen den Montmartre erobert und dort 
eine Anzahl Kanonen aufgepflanzt hatte, trat Waffenruhe ein. 
Von Joseph, der schon um Mittag geflohen war, ermächtigt, 
schloß dann Marmont am Abend eine Kapitulation ab, die den 
Verbündeten die Stadt überlieferte. 

Zu derselben Stunde ordnete Mortier einen seiner Gene- 
rale in südlicher Richtung ab, um für die von Paris sich zurück- 
ziehenden Kolonnen Kantonnements einzurichten. Bei der 
Eaststation Cour de France traf der Böte in der Dunkelheit 
der Nacht auf Reisende, die den Pferdewechsel abwarteten, 
und ward von einem derselben angerufen. Es war der Kaiser, 
der jetzt den Verlust seiner Hauptstadt erfuhr. Er geriet 
außer sich über Joseph und den Kriegsminister Clarke, denen 
er diesen Verlust ungerechterweise zur Last legte, wollte 
sofort nach Paris weiter und ließ sich erst überzeugen, daß 
es zu spät sei, als sich die Feuer von Mortiers Vortrab zeigten 
und General Flahault, den er an Marmont geschickt hatte, 
mit einem Briefe des Marschalls wiederkam, der die Stimmung 
der Pariser als durchaus unlustig zu weiterem Widerstande kenn- 
zeichnete. Darauf begab er sich nach Fontainebleau zurück. 

bruar Latte er dem Bruder geschrieben: „Ich würde es vorziehen, daß 
man meinen Sohn erwürge, als daß ich ihn als österreichischen Prinzen 
in Wien aufwachsen sähe.« (Corresp., XXVIL, 21.210.) 



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288 



Einzug der Verbündeten. 



Am nächsten Morgen, es war der 31. März, hielten der 
Zar und Friedrich Wilhelm III. ihren Einzug in die eroberte 
Stadt. Kaiser Franz von Österreich war nach der Schlacht 
von Arcis von Schwarzenberg geraten worden, sich nach Dijon 
unter den Schutz der Südarmee zu begeben. Dort war er 
mit Metternich zurückgeblieben — wohl mit Absicht, um 
nicht als Triumphator über seinen Verwandten im Vorder- 
grunde zu erscheinen. Die Monarchen werden in Paris von 
einer kleinen, aber unendlich rührigen Partei von Royalisten 
mit Hochrufen auf Ludwig XVIII. empfangen und dadurch 
vollkommen über die Stimmung der Bevölkerung getäuscht. 
Dieser waren die Bourbons durchaus gleichgültig geworden. 
Man dachte kaum an sie, und am wenigsten daran, sie zurück- 
zurufen. Auf Ergebenheit und Sympathien konnten sie nur 
im Umkreise des Faubourg Saint Germain rechnen, wo die 
Trauer über die eingebüßten Vorrechte und die bornierte Ab- 
neigung gegen alle anderen Menschenklassen mit dem alten 
Hofe die alte Zeit zurückzuerlangen wähnte. Vergebens hatte 
Napoleon die Altadeligen Frankreichs für sich zu gewinnen 
gesucht. Nur wenige unter ihnen, die mit klarem Blick den 
Wandel der öffentlichen Dinge durchschauten, anerkannten 
und respektierten sein Reformwerk. Alle übrigen sannen 
längst auf seinen Fall. Gar mancher ließ sich gerne von 
heimlichen Feinden des Kaisers gebrauchen, die seit Jahren 
schon den Sturz des nimmersatten Eroberers ins Auge gefaßt 
hatten. Jetzt wissen sie den fremden Souveränen ihre Stim- 
mung als die des Volkes vorzuspiegeln, und da Talleyrand, 
der ursprünglich mit der Regentschaft Marie Luisens koket- 
tiert, sie dann aber fallen gelassen hatte, ihre Sache führt, ist 
sie bald gewonnen. Der Zar hat in seinem Hause Quartier 
genommen. Nur noch schüchtern und zweifelnd spricht Ale- 
xander da den Namen Bernadottes aus, der in Paris zu 
intriguieren fortfuhr,*) um sofort von seinem Wirte zu 
erfahren, daß Frankreich keinen Soldaten mehr wünsche. 
„Wollten wir einen, so würden wir den behalten, den 

*) „Der Kronprinz hat Skioldebrand zu Alexander geschickt; er 
rät ihm zum Frieden. Seine Intriguen in Paris," schreibt Hardenberg 
am 31. März in sein Tagebuch. (Berl. St. A.) 



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Der Senat dekretiert die Absetzung Napoleons. 289 

wir haben, er ist der erste der Welt. Nach ihm würde ein 
anderer gewiß nicht zehn Mann hinter sich herziehen." Es 
gebe nur Napoleon oder Ludwig XVIII., nichts drittes. Und 
der Zar stimmte zu. In einer Erklärung, welche die Verbün- 
deten — d. h. Alexander, ohne erst die Zustimmung des Kaisers 
Franz einzuholen, die er, wie er sagte, voraussetzte — am 
31. März durch den Fürsten von Benevent an den Senat ge- 
langen ließen, und die alsbald in tausend Exemplaren die 
Straßenwände deckte, hieß es : „ daß sie nicht mehr verhandeln 
werden mit Napoleon Bonaparte noch mit irgendeinem Mit- 
gliede seiner Familie, daß sie aber die Konstitution anerkennen 
wollen, die das französische Volk sich geben würde." Und der 
Senat — derselbe Senat, der noch vor wenig Wochen seinem 
Herrn und Schöpfer so sklavisch zu Diensten gestanden — 
sprach, nachdem er am 1. April seine eigene Unentbehrlichkeit 
dekretiert hatte, am Tage darauf die Absetzung des Kaisers 
aus und entband Nation und Armee ihres Treueides gegen 
ihn. Die Nation hatte nichts dagegen einzuwenden : der Gesetz- 
gebende Körper bestätigte das Votum des Senats, und die 
hohen kaiserlichen Ämter, der Rechnungshof, der Kassations- 
hof u. A. gingen ins andere Lager über. Es kam wie ein Ge- 
fühl der Scham über sie, daß fremdes Kriegsvolk — seit vier 
Jahrhunderten war es dazu nicht gekommen — in Paris 
herrschte, und sie grollten dem, der dieses Schicksal herauf- 
beschworen hatte. Wird sich aber auch die Armee, dieses treue 
Werkzeug, dem Künstler des Krieges und der Schlachten aus 
den Händen winden lassen? 

Noch in Cour de France hatte Napoleon Caulaincourt zu 
Alexander gesandt und ihn mit aller Vollmacht zum Frieden, 
wie ihn die Verbündeten in Chätillon gewünscht, ausgestattet. 
Jetzt kehrte Jener nach Fontainebleau zurück, und was er 
als des Feindes Antwort mitbrachte, waren im Grunde nur 
Napoleons eigene Worte: der Friede mit ihm wäre nur ein 
Waffenstillstand, und selbst für die Anerkennung des Sohnes 
sei der Vater ein Hindernis. Doch benahm Alexander, wa3 die 
Regentschaft betraf, dem Boten nicht alle Hoffnung; nur 
müsse der Kaiser vorerst abdanken. Dieser dachte nicht daran. 
Man hatte ihn besiegt, aber keineswegs überwunden. Er hatte 

Fournier, Napoleon I. 19 



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290 Die Haltung der Marschälle. 

noch Truppen. Da standen Marmonts 12.000 Mann bei Corbeil 
und Essonnes, dahinter Mortier mit 8000; am 1. April war 
die Tete der bei Arcis geschlagenen Armee angelangt, am 2. 
die Garden, während der Rest noch von Troyes her auf dem 
Marsche war. In Kürze konnte er hier nahe an 60.000 Mann 
zusammenbringen und brauchte nur die 100.000 Mann, die seine 
Persönlichkeit nach seinem eigenen Ausspruch und den Er- 
fahrungen dieses Feldzuges dem Feinde galt, hinzuzurechnen, 
um zu dem Schlüsse zu kommen, daß man die Flinte noch 
keineswegs ins Korn zu werfen brauche. Und außerdem stand 
Maison mit einer Abteilung im Norden, Augereau, der aller- 
dings Lyon in verdächtiger Eile aufgegeben hatte, im Süden, 
Soult und Suchet gegen Engländer und Spanier. Und von den 
Soldaten und Offizieren, wenn auch mancherlei Unzufrieden- 
heit unter ihnen herrschen mochte, waren doch noch die aller- 
meisten für ihn gestimmt. Bei einer Revue am 3. April hatten 
die Garden seine Anrede mit dem stürmischen Rufe „Nach 
Paris!" beantwortet. Anders freilich die Führer. Zwar gab es 
auch unter ihnen feurige Partisane des Kaisers für alle Fälle, 
wie Mortier, Drouot u. A. Aber die meisten von denen, die an 
zweithöchster Stelle kommandierten, die Marschälle, Herzoge, 
Fürsten und Grafen, reich verdient und reichdotiert, hatten 
schon im Jahre zuvor den Krieg nur verdrossen weitergeführt, 
kein Ende absehend und sich doch so sehr nach ruhigem Ge- 
nießen der Früchte ihrer tapferen Arbeit sehnend. Jetzt noch 
weiterzukämpfen, erschien ihnen völlig aussichtslos. Und wenn 
man siegte, mit welchen Opfern! Und gab es dann Frieden? 
Wie leicht war, was folgte, nur der Bürgerkrieg. Zwar die 
Rückkehr der Bourbons war ihnen verhaßt, aber es gab noch 
einen andern Weg. Daß Caulaincourt die Idee einer Ab- 
dankung des Kaisers zugunsten seines Sohnes aus Paris zurück- 
gebracht und Napoleon mit seiner Umgebung darüber gespro- 
chen hatte, erfuhren die Marschälle, wie sie von dem Absetzungs- 
dekret des Senats und der Erklärung der Verbündeten erfahren 
hatten, und sahen hierin das einzige Mittel, das herrschende 
S3'stem und mit ihm ihre Stellen und ihre Geltung zu retten, 
ohne sich neuen Mühen und Unruhen auszusetzen. Am 
4. April, nach der Parade, faßten sie sich ein Herz. Ney, 



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Abdankung Napoleons zu Gunsten seines Sohnes. 291 

Lefebvre, Oudinot und Macdonald traten als Abgesandte der 
übrigen vor den Kaiser, bei dem sich auch Berthier neben 
Caulaincourt und Maret befand, und trugen ihm vor, daß jetzt, 
wo der Senat wider ihn entschieden habe und der Friede ver- 
säumt worden sei, nur seine Abdankung übrig bleibe. Die 
wollten sie zugunsten seines Sohnes und der Kaiserin als Re- 
gentin; die Bourbons wollton sie nicht. Darauf soll Napoleon 
dem Senat das Recht bestritten haben, ihm die Herrschaft 
zu nehmen, soll ihnen die schlechte Aufstellung der Feinde 
gezeigt, seine Streitkräfte aufgezählt, seinen Angriffsplan ent- 
wickelt haben: alles umsonst, er mußte nachgeben und unter- 
schrieb das verlangte Dokument. Es lautete : „Nachdem die ver- 
bündeten Mächte den Kaiser Napoleon als das einzige Hinder- 
nis der Herstellung des Friedens in Europa bezeichnet haben, 
erklärt Kaiser Napoleon, treu seinem Eide, daß er bereit 
sei, vom Throne herabzusteigen, aus Frankreich zu ziehen 
und selbst das Leben zu lassen für des Vaterlandes Wohl, das 
untrennbar ist von den Rechten seines Sohnes, der Regent- 
schaft der Kaiserin und den Gesetzen des Kaiserreichs."*) 

Als Napoleon sich hierzu entschloß, lag ihm wohl der 
Gedanke nicht fern, die Verbündeten könnten diese bedingte 
Abdankung ablehnen. Er wünschte es geradezu, denn dann 
konnte er diejenigen, die ihn dazu gedrängt, überzeugen, daß 
ihnen nur noch Ludwig XVIII. in Aussicht stehe, und da 
würden sie ihm ihre "Unterstützung nicht mehr versagen. Es 

*) Es ist nicht ohne Interesse, auch den ersten Entwurf dieser 
Abdankungsurkunde zu kennen, den der Kaiser selbst unterschrieb und 
aus dem er dann gewisse Stellen strich. Er hatte folgenden Wortlaut: 
„Nachdem die verbündeten Mächte den Kaiser Napoleon als das einzige 
Hindernis der Herstellung des Friedens in Europa bezeichnet haben, 
und der Kaiser gewiß nicht, ohne seinen Eid zu brechen, 
irgendeines der Departements dahingehen kann, die bei 
seiner Thronbesteigung mit Frankreich vereinigt waren, er- 
klärt Kaiser Napoleon, daß er bereit sei, vom Throne herabzusteigen, aus 
Frankreich zu ziehen und selbst das Leben zu lassen für das Wohl des 
Vaterlandes und um die Rechte seines Sohnes, des Königs, der Regent- 
schaft der Kaiserin und der Gesetze und Institutionen aufrecht zu er- 
halten, die bis zum definitiven Friedensschluß und solange 
die fremden Heere auf unserem Gebiete stehen, keine Ver- 
änderung erfahren sollen.« (Corresp., XXVII., 21.555.) S. S. 285- 

19* 



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292 



Marniont fällt ab. 



war nur eine Folge dieses Ideenganges, wenn er nicht Caulain- 
court allein mit seiner Erklärung nach Paris sandte, sondern 
ihm auch Ney und Macdonald zur Seite gab, damit sie selbst 
als Sendboten der Armee für ihre Sache einständen. Als solche 
empfing sie Alexander am Abend des 4. April. Er schien 
fast wankend werden zu wollen, namentlich als Macdonald 
ihm versicherte, die Armee könne nur mit Abscheu der Wieder- 
kehr des Königtums entgegensehen, da es ihren Taten fern 
und ihrem Ruhme fremd geblieben sei. Lehne man dieses Opfer 
des Mannes ab, dem sie so lange treu angehangen habe, so 
würde sie möglicherweise wieder zu ihm zurückkehren. Sie sei 
keineswegs so sehr erschüttert, wie man annehme. Aber diese 
Worte sollten noch in derselben Nacht eine eklatante Wider- 
legung erfahren. Marmont hatte sich schon zur Zeit, als er 
von der Verteidigung der Hauptstadt abstehen mußte, von 
Talleyrand gewinnen lassen. „Armee und Volk" — schrieb 
er am 3. April an Schwarzenberg — „sind durch das Senats- 
dekret von ihren Treueiden gegen Napoleon entbunden. Ich 
bin bereit, eine Annäherung von Volk und Armee herbeiführen 
zu helfen, welche die Möglichkeit eines Bürgerkriegs und neues 
Blutvergießen hintanhalten soll." Darauf ward zwischen ihm 
und einem Abgesandten der provisorischen Regierung, die sich 
in Paris gebildet hatte, vereinbart, daß sein Korps in der 
Nacht vom 4. auf den 5. sich von Essonnes weg nach Versailles, 
d. h. in den Bereich der feindlichen Linien begeben werde. 
Als dann die Abgesandten Napoleons sein Lager passierten 
und ihm von ihrer Mission erzählten, mochte ihn sein eigen- 
mächtiger Schritt gereuen und er begab sich mit ihnen nach 
Paris, seinem Untergeneral Souham, den er eingeweiht hatte, 
auftragend, nichts weiteres vor seiner Rückkehr zu unter- 
nehmen. Souham aber, der Verrat fürchtete oder vielleicht auch 
Marmonts wahre Intentionen genauer kannte, marschierte 
dennoch im Dunkel der Nacht mit 12.000 Mann, denen man 
vorgespiegelt hatte, es gehe gegen den Feind, mitten 
zwischen die österreichischen Divisionen hinein. Als der Morgen 
anbrach, sahen die Tapferen zähneknirschend das Werk ihrer 
Führer. Alsbald war dem Zaren davon Mitteilung gemacht 
worden, der jetzt das Hauptargument der Sendlinge leichter 



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Waffenruhe. 



293 



Hand zu widerlegen imstande war und den Gedanken an die 
Kegentschaft, den auch Österreich nicht hege, von sich wies. 
Man erwarte Napoleons bedingungslose Abdankung. Nun gaben 
auch Ney und Macdonald die Sache des Kaiserreichs verloren. 
Auf dem Rückwege schlössen sie mit Schwarzenberg eine 
Waffenruhe ohne Vorwissen Napoleons.*) 

Dieser hatte inzwischen vom Abfall Marmonts gehört und, 
da nun seine Stellung nördlich von der Loire ganz unhaltbar 
geworden war, noch am 5. April den Befehl zum Marsch auf 
Pithiviers und Orleans erteilt. Zugleich soll er auch davon 
gesprochen haben, sich nach Italien zu werfen, mit Eugen zu 
vereinigen, die nationale Idee durch ein Heer und seinen 
Genius zu unterstützen, um an Stelle Frankreichs, das ihn 
fallen ließ, eine neue Basis für seine heimatlose Politik zu ge- 

*) Sorel, VIII., 830, hält auch noch für diese Zeit seine Meinung 
fest, Österreich sei es nur um die Kegentschaft zu tun gewesen. (Siehe 
oben S. 244). Das ist um so erstaunlicher, als er dafür einen von mir, „Kon- 
greß von Chatillon«, S. 856, mitgeteilten Brief Metternichs an Hudelist 
vom 9. Februar (!) 1814 anführt, worin es heißt: „Die Frage der 
Bourbons, welche mit jedem Tage an Kraft wächst, ist noch sehr pro- 
blematisch. Die allgemeine Stimme Frankreichs ist: Napoleon weg! 
Das leichtsinnige Volk hat aber noch nicht gedacht, wen man an 
Napoleons Stelle setzen könne. Eine Regentschaft ist in der jetzigen 
gräulichen Spannung kaum mehr denkbar." Sie war es natürlich in den 
ersten Apriltagen noch weniger. In meinem Aufsatz „Marie Luise und 
der Sturz Napoleons" (D. Rundschau, September 1902), der auch fran- 
zösisch in der r Revue historique", 1903, erschien, habe ich (S. 396) eine 
Anzahl authentischer Briefstellen zitiert, die jeden Zweifel ausschließen. 
So schreibt Metternich am 7. April 1814 an den Staatsrat Hudelist 
nach Wien: «Der Kaiser von Österreich wird derjenige sein, der die 
Bourbons einsetzt", am 13. April an seinen Kaiser: „Das Publikum 
läßt sichs nicht nehmen, daß E. M. mit der Regierungsveränderung 
keineswegs einverstanden 6ind, und Kaiser Napoleon hat unter der 
Hand verbreiten lassen, daß Österreich sicher keine Gelegenheit ver- 
säumen werde, die napoleonische Dynastie wieder auf den Thron zu 
bringen", und am 21. April an Hudelist: „Da wir die Kaiserin und 
den Prinzen wegführen, so bleibt die Partei der Regentschaft ohne 
eigentlichen Anhaltspunkt." Bedarf es danach noch einer Bestätigung, 
so liefert sie Macdonald, der in seinen Souvenirs, p. 272, von einer 
Begegnung der Marschälle am 4. April mit Schwarzenberg erzählt und 
wie der Fürst zu ihrer großen Überraschung sich dem Gedanken der 
Regentschaft ernstlich widersetzt habe. 



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291 



Bedingungslose Abdankung. 



winnen. Aber die französischen Soldaten hatten noch eine 
Heimat, und daran mußten solche Pläne scheitern. Darum ist 
auch nur sein Befehl, über die Loire zu gehen, verbürgt. Die 
zurückgekehrten Marschälle weigern sich nun ganz offen, ihm 
Folge zu leisten und erklären am 6. April, daß man bloß no**h 
über schwache Trümmer der Armee verfüge, daß diese zerniert 
seien und daß, wenn man auch hinter die Loire entkäme, nur der 
Bürgerkrieg daraus entstehen würde. Sie raten dem Kaiser, 
nunmehr bedingungslos abzudanken. Napoleon zögerte wieder, 
schrieb aber dann doch, von seinen Kapitänen im Stich gelassen, 
eine neue Abdankungsurkunde nieder, in der er „für sich und 
seine Erben auf die Throne von Frankreich und Italien" ver- 
zichtete.*) 

Mit dieser neuen Erklärung begaben sich die Unterhändler 
— Caulaincourt und die beiden Marschälle — nochmals nach 
Paris, um dort auf solcher Grundlage mit den Verbündeten 
einen Vertrag abzuschließen, der Napoleon den Kaisertitel, 
die souveräne Herrschaft über Elba, eine Revenue von zwei 
Millionen Franken und vierhundert Mann seiner Garden als 
Schutzwache, der Kaiserin Marie Luise das italienische Herzog- 
tum Parma, der Mutter und den Brüdern Pensionen zu- 
sicherte.**) Elba war von Alexander gegen den mahnenden 
Einspruch Talleyrands und Metternichs zugestanden worden. 
Selbst Kaiser Franz fand die Nähe des entthronten Cäsars 
etwas beunruhigend, und Hardenberg machte dem Zaren 
Vorwürfe.***) Und so ging es nicht ohne Widerrede ab, 
ehe dem einstigen Diktator des Weltteils dieser geringe 
Brocken hingeworfen ward, mehr ein Hohn auf den Begriff der 

*) S. auch Houssaye, „1814", p. 635. Houssaye ist übrigens für die 
Vorgänge dieser Tage — und er erklärt es selbst — nicht genügend unter- 
richtet. Seither sind in Pasquiers und Macdonalds Memoiren, von 
denen der Erste der provisorischen Regierung, der Zweite der militäri- 
schen Mission angehörte, neue Quellen veröffentlicht worden, die, ein- 
ander ergänzend und teilweise berichtigend, mehr Licht verbreiten, 

**) De Giere q, H., 402. 

***) „Ich erlaubte mir dem Kaiser Alexander Vorwürfe wegen 
der Konvention mit Napoleon zu machen. Er berief sich auf das Christen- 
tum, das*, den Feinden zu vergeben gebiete. u (Tagebuch zum 11. April, 
Berl. St. A.) 



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Napoleons Vertrag mit Europa. 295 

Souveränität, als ein Beweis, wie eng man ihn zu fassen ver- 
mochte. Am 11. April ward die Urkunde des Vertrags 
von Fontainebleau in Paris von Ney, Caulaincourt, Mac- 
donald und den vier Ministern der verbündeten Mächte 
unterzeichnet. Bald darauf, am 12., setzte auch Napo- 
leon seinen Namen darunter und machte damit seinen Ver- 
zicht perfekt. Mit welchen Empfindungen! War es Resignation 
ohne Hoffnung, was ihn erfüllte? Oder fand sein energischer 
Geist noch einen Vorbehalt, den er seinem Schicksal ent- 
gegensetzte? Fühlte er sich überwunden oder nur geschlagen 
— hier im Leben, wie dort im Felde? Einige Tage vor dem 
Abschluß des Traktats hatte er Caulaincourt beauftragt, die 
Abdankung zu widerrufen und die Verhandlungen abzu- 
brechen, weil ein treuer General, Allix, von einem österreichi- 
schen Kurier vernommen haben wollte, Kaiser Franz werde 
seine Tochter nicht vom Throne stoßen lassen. Die Sache 
hatte sich sofort als irrig herausgestellt und die Konferenz 
ihren Fortgang genommen. Und noch ein zweites Mal, als 
die Urkunde bereits unterzeichnet war, erging ein ähnlicher 
Befehl an den Unterhändler; da war es aber zu spät. Nun 
stand er vor der vollendeten Tatsache. Seine Herrschaft hatte 
unwiderruflich ein Ende. Die Rechnung auf Österreich hatte 
sich als falsch erwiesen. Als er vor einigen Tagen an Marie 
Luise, die sich in Blois befand, einen Boten mit einem Briefe 
sandte, des Inhalts, seine Stunde habe geschlagen, er wolle 
sie nicht in sein Unglück verflechten, sie solle sich ganz in die 
Arme ihres Vaters werfen, da nahm die charakterschwache 
Frau den Wink wörtlich, wollte nur noch Rat von Kaiser Franz 
annehmen und weigerte sich schließlich, nach Fontainebleau 
zu gehen, wohin sie des Zaren Generaladjutant, Graf Schuwa- 
low, geleiten sollte.*) Einzelne aus Napoleons Umgebung, 
die sich von seiner Autorität zu urteilsloser Hingebung 
hatten bestimmen lassen, mochten sich ihren Herren nicht 
denken, wie er jetzt noch weiterlebte. Maret hielt ihn zum 

*) Siehe hierüber „Maria Luise und der Sturz Napoleons", a. a. 0. 
und Wertheimer, „Der Herzog von Reichstädt", S. 104, nach den- 
selben Quellen, gegen Massons gegenteilige Ansicht in dessen „Marie 
Louise", p. 578 f. S. auch „Neue freie Presse«, Nr. 14497 u. 14588 von 1905. 



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296 



Selbstmordversuch? 



Selbstmord entschlossen und räumte seine Pistolen beiseite. 
Männer freilich, die nicht unmittelbar im Banne seiner 
Persönlichkeit standen und ihn nicht über alle Kritik erhaben 
glaubten, wie Metternich, Fouche u. A., muteten ihm einen 
derartigen Schritt nicht zu. Und so bestimmt die Nachricht 
auch auftritt, der Kaiser habe in der Nacht vom 12. zum 
13. April Gift genommen, der unbefangene Geschichtschreiber 
wird sich doch nur sehr schwer entschließen können, darauf 
einzugehen. So gar unendlich wenig stimmt sie zu dem ganzen 
Wesen dieses Mannes, der noch auf St. Helena seine Rolle in der 
Welt nicht als beendet ansehen wird, daß man viel eher als 
an Gift geneigt ist an einen jener Krankheitszufälle zu denken, 
mit denen sich schon jetzt sein kommendes tödliches Leiden 
ankündigte, wie damals nach der Dresdner Schlacht in Pirna, 
oder anzunehmen, daß er die ungeheure Aufregung der Nerven 
durch ein Narkotikum zu dämpfen suchte, das ihm übel bekam. 
Jedenfalls war Napoleons Unwohlsein am folgenden Tage 
behoben und er in der nächsten Zeit voll neuen Mutes, voll 
Zuversicht, voll Hoffnung, und nur um Eins besorgt: um sein 
Leben.*) 

*) Fain, der Sekretär Napoleons, hat nach dem Tode des Kaisers 
in seinem „Mannscrit de 1814" zuerst von dem Selbstmordversuch ge- 
sprochen; ihm folgend erzählt Pasquier den Vorfall in seinen Memoiren 
IL, 525; ausführlicher ist in Segura Histoire et Memoires (VIL, 
196 ff.) davon gebandelt. Segur will sogar von dem Leibchirurgen Iwan 
direkt Mitteilung gehabt haben, der, „nachdem er das Leben seines 
Herrn außer Gefahr gesetzt hatte, nicht mehr dafür verantwortlich sein 
wollte, 4 * eine Verdächtigung befürchtend „den Kopf verlor 14 und davon- 
lief. Aber in Segurs Darstellung fehlt es nicht an Widersprüchen. Auch 
weicht hiervon Fains Mitteilung das vermutete Gift betreffend ab. Einen 
Tag zuvor noch hatte Napoleon Bausset, der einen Brief Marie Luisens 
überbrachte, erzählt, wie ihn der Tod auf dem Schlachtfelde von Arcis 
an der Aube gemieden habe und Linzugefügt: „Ein Tod, den ich nur 
durch einen Akt der Verzweiflung finden könnte, wäre eine Feigheit. 
Der Selbstmord entspricht weder meinen Grundsätzen noch dem Range, 
den ich in der Welt einnahm." Demselben Boten erschien er „erfüllt 
von einer Sorglosigkeit, die sich hinter dem Namen Philosophie ver- 
barg, und von einem eigentümlichen Vertrauen in das Schicksal, das 
alles regelt und dem sich niemand entziehen kann. 44 (Hörisson, Ca- 
binet noir, p. 299.) Macdonald, der den unterzeichneten Vertrag aus 
Paris brachte, spricht (Souvenirs, p. 29) nur von einem Unwohlsein, 



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Die letzten Tage in Fontainebleau. 297 

Schon vor der Abdankung hatte der Palast von Fontaine- 
bleau viele seiner militärischen Gäste verloren; bald wurde es 
öde um den gestürzten Kaiser. Auch Berthier nahm Urlaub, 
um nicht wiederzukehren. Nur wenige Getreue blieben, bis Na- 
poleon am 20. April in Begleitung von Kommissaren der ver- 
bündeten Mächte — halb Wache und halb Bedeckung — die 
Stätte verließ, von der er so oft Europa seinen Willen ver- 
kündet hatte. Bevor er in den Wagen stieg, nahm er von der 



das den Kaiser, den er „ruhig und heiter u fand, später hinderte am 
Diner teilzunehmen. Am nächsten Morgen habe er sein Antlitz allerding» 
wesentlich verändert, ihn selbst wie aus Träumen erwachend gefunden. 
Von einem Selbstmordversuch erwähnt er nichts. Napoleon selbst sagte 
später zu dem österreichischen General Koller, der ihn nach Elba zu 
begleiten hatte, noch vor seiner Abreise: „Man will mich tadeln, daß 
ich meinen Fall überleben konnte. Mit Unrecht. Ich sehe nichts Großes 
darin sein Leben zu enden, wie einer, der sein Geld im Spiel verlor. 44 
(Helfert, Napoleon I. Fahrt von Foutainebleau nach Elba, S. 81.) So 
spricht doch kaum, wer eine Woche zuvor sich töten wollte. M6ue- 
val in seinen Erinnerungen (III., 297) will nach mündlichen Mittei- 
lungen Caulaincourts und des Obersten Montesquiou wissen, Iwan 
habe tags vorher einen Teil jenes Opiumpräparats, das Napoleon seit 
dem manschen Feldzuge — nach Segur seit dem spanischen — bei sich 
trug, weggeschüttet; mit dem Reste habe sich der Kaiser vergiften 
wollen. Aber nach dieser Darstellung hätte Napoleon selbst dabei zu- 
gesehen, wie sein Chirurgus die Dosis des Pulvers — doch wohl bis 
zur Unschädlichkeit — verminderte, und konnte daher auf eine sichere 
Wirkung nicht mehr rechnen. Die Dosis mochte aber noch immer stark 
genug sein, um ernste Beschwerden hervorzurufen, woraus sich Iwans 
Verzweiflung leichter erklären ließe als sonst. Thiers sucht das 
Vorkommnis in der Nacht vom 11. auf den 12., was sicher unrichtig 
ist. Marets (Ernouf, p. 641) eigene Notizen berichten nur, daß der 
Kaiser mit ihm an jenem Tage über den Selbstmord viel gesprochen, 
ihn aber verurteilt habe. Die lebendigste Schilderung der Vorgänge 
in jener Nacht entwirft Charlotte v. Soor (Napoleon et le Duc de Vicence, 
IL, 213), doch 6ind diese Denkwürdigkeiten durchaus nicht über allen 
Zweifel erhaben. Ebensowenig Napoleons Erzählung davon auf 
St. Helena in Gourgauds Journal. Nur authentische Aufzeichnungen 
Caulaincourts könnten die Sache entscheiden. Uber Napoleons Besorgnis 
für sein Leben in der nächsten Zeit finden sich bestimmte Zeugnisse 
bei Helfert a. a. 0. S. 82 und Campbell, Napoleon at Foutaine- 
bleau, S. 199. Doch läßt es sich immerhin denken, daß er vor dem 
Gedanken zurückschreckte, unter den Händen empörter Untertanen 
enden zu sollen. Nichts war entschuldbarer als solche Furcht. 



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298 



Abschied und Abreise nach Elba. 



alten Garde Abschied. Er dankte ihr für den edlen Eifer, 
den sie stets bewiesen. Obgleich ein Teil der Armee ihn ver- 
raten und verlassen habe, hätte er mit der übrigen den Krieg 
doch noch zwei bis drei Jahre hinter der Loire oder anf seine 
Festungen gestützt weiterführen können. Aber der Bürger- 
krieg würde den Boden Frankreichs durchwühlt haben, und 
seitdem ihm dies klar geworden sei, habe er alle seine persön- 
lichen Rechte und Interessen dem Glück und dem Ruhme 
des Vaterlandes geopfert. Sie sollten — - ermahnte 
er — auf dem Wege der Pflicht und der Ehre fortschreiten 
und treu dem Souverän dienen, den sich die Nation erwählt 
habe. Er hätte seine Existenz enden können, aber er wolle weiter- 
leben, um zu schreiben und der Nachwelt die Großtaten seiner 
Krieger zu verkünden.*) Dann küßte er den General Petit, 
der die Garden kommandierte, küßte ihre Fahne, rief seinen 
„alten Brummbären" noch einen letzten Gruß zu und fuhr 
von dannen. „Man hörte nur seufzen in allen Reihen", schreibt 
Coignet in sein Heft, „und ich kann sagen, daß auch ich Tränen 
vergoß, .als ich meinen teuren Kaiser abreisen sah." 



Am 4. Mai 1814 warf der „Undaunted" im Hafen von 
Portoferrajo Anker, und der entthronte Imperator stieg ans 
Land. Er hatte kaum einer Deputation der Einwohner seines 
Miniaturreiches erklärt, daß er ihnen die Fürsorge eines Vaters 
widmen wolle, als er auch schon zu Pferde stieg, um die Be- 
festigungen der Insel zu besichtigen. Er schien damit nicht 
eben unzufrieden, hielt aber doch manche Verbesserung für 
notwendig und gab auch in der Tat schon in der nächsten Zeit 
Ordre, das Eiland Pianosa im Süden mit zwei Batterien aus- 
zurüsten. „Es ist ein Gefängnis, was man mir da zuerkennt", 
hatte er im April zu Caulaincourt gesagt, „aber ich habe 

*) Der Text der Anrede ist in offizieller Redaktion von Fain, 
Manuscrit de 1814, mitgeteilt worden und so in die Correspond ance, 
XXVII., 21.561, übergegangen. Die oben zitierten tatsachlich ge- 
sprochenen Worte sind von den Kommissaren Koller (Österreich), Trucb- 
seß-Waldburg (Preußen), Campbell (England) ihren Berichten beige- 
legt und später gedruckt worden. Helfe rt, (Napoleons I. Fahrt von 
Fontainebleau nach Elba. S. 67.) S. unten S. 312. 



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Auf Elba. 299 

* 

dessen Schlüssel in Händen. Man soll mich dort nicht kriegen. 
Ich kann mich sechs Monate lang verteidigen und schließlich 
in die Luft sprengen".*) Er fühlte sich nicht sicher 
genug. Seine Fahrt durch den Süden Frankreichs hatte 
ihm einen tiefen Eindruck gemacht, der ihn noch lange 
nicht zu völliger Ruhe kommen ließ. Das war auch, trotz 
der Begleitung der fremdländischen Kommissare, eine Reise 
voll Gefahr gewesen, so ingrimmig hatte sich das Volk 
der Provence gegen ihn erklärt. Nur daß er seinen Platz 
im Wagen tauschte, eine österreichische Uniform anzog 
und die weiße Kokarde der Bourbons aufsteckte, vermochte 
die Wut seiner bisherigen Untertanen von ihm abzulenken. 
Mehr als einmal an diesen Tagen gewahrte seine Umgebung 
Tränen des Kleinmuts in seinen Augen und alle Zeichen der 
Furcht in seinen Worten und Mienen. Royalistische Agenten 
hätten das Volk wider ihn erregt, hatte man ihm gemeldet; 
und daß die provisorische Regierung dabei die Hand im Spiele 
hatte, ließ er sich nicht nehmen. Erst auf der englischen Kor- 
vette, die ihn von Frejus — demselben Frejus, wo er, von Ägyp- 
ten kommend, einst gelandet war — an Korsika vorüber nach 
Elba trug, hatte er ein Gefühl der Sicherheit, und mit ihm auch 
sofort den hohen Ton des Regenten wiedergefunden, der ihm 
in diesen angstvollen Tagen abhanden gekommen war. Es war 
ihm dann ganz recht, daß der britische Bevollmächtigte 
Campbell, mehr Bürge als Wächter, in Portoferrajo blieb, wo 
nach drei Wochen auch die 400 Grenadiere der alten Garde 
anlangten, die er sich im Vertrage von Fontainebleau ausbe- 
dungen hatte. Diese, mit einer Anzahl polnischer Lanzen- 
reiter, die sich den Garden angeschlossen, einem Teil der fran- 
zösischen Garnison, der in seinen Dienst trat, und der ein- 
heimischen Wehrkraft bildeten zusammen immerhin eine 
kleine Armee von über tausend Mann, für die der Kaiser — 
wir wissen, er hatte diesen Titel zu Recht behalten — nun 
mit demselben umsichtigen Eifer sorgte, den er ehedem an 
die riesigen Völkerheere seiner Weltkriege gewendet hatte. 
Doch absorbierte dies und die Bemühung um seine kleine 

*) „Kongreß von Chätillon", 8. 238. 



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300 Neue Tätigkeit. 

Flotille — er erwarb zu einer ihm zugestandenen Korvette noch 
zwei weitere Fahrzeuge — nicht seine ganze Tätigkeit. Der 
ruhelose Mann, der jeden Augenblick beschäftigt sein mußte, 
vertiefte sich in das kleinste Detail seiner kleinen Regierung. 
Er hatte auch hier seinen Staatsrat, in den er neben den Ge- 
neralen Drouot und Bertrand ein Dutzend Einwohner berief. 
Die Beschlüsse desselben galten zunächst der Erhöhung des Er- 
trages der Eisengruben von Bio und der Salinen; beides wurde 
erreicht. Dann wurden neue Straßen gebaut, Maulbeerbäume 
daran gepflanzt, sanitätspolizeiliche Anordnungen getroffen 
u. a. m. Aber auch sein eigenes Haus verwaltete Napoleon bis 
ins Einzelne, so daß er z. B. viel besser als sein Hofmarschall 
wußte, wie viel Matratzen, Laken, Bettstellen u. dgl. er besaß. 
In Geldsachen war er von der peinlichsten Genauigkeit. Nicht 
ohne Grund. Die vier Millionen Franken, die er vom Tuilerien- 
schatze für sich gerettet, werden nicht lange vorhalten, und 
Ludwig XA r III. bezahlte die vertragsmäßig bedungenen zwei 
Millionen Rente nicht. Wer will es ihm da verargen, daß er die 
Steuern seines Ländchens ohne Nachsicht eintrieb? Mußte er 
doch sogar seinen geliebten Grenadieren ihr Stückchen Brot 
beschneiden. Das Wort, das er im Jahre 1812 auf der Rück- 
fahrt aus Rußland in Warschau zu de Pradt geäußert hatte: 
vom Erhabenen zum Lächerlichen sei nur ein Schritt, war 
damals nicht zutreffend; jetzt hätte es viel eher gepaßt. Auch 
der Souverän von Elba hatte seinen Hof halt mit derselben 
Etikette, wie sie in Paris Gesetz gewesen war. Aber welcher 
Kontrast! Zwar gab es auch in Portoferrajo, in einem Gebäude 
von wenig Ansehnlichkeit, das erst durch Ausbau in Stand 
gesetzt wurde, allsonntäglich Empfang und Ccrcle — aber wo 
waren die stolzen Namen, die ehedem nach einem Blick aus 
den Augen des Mächtigen gegeizt hatten? Er mußte sich mit 
den Bürgern der kleinen Stadt und deren Ehehälften begnügen, 
unter denen Campbell eine Frau gewahrte, die ihm kurz zuvor 
seine Uniform ausgebessert hatte. Zwar gab es auch hier einen 
Obersthofmarschall, General Bertrand, der mit Frau und 
Kindern mitgegangen war — aber wie klein und kleinlich 
umgrenzt war sein Ressort! Von der großen Schar der 
Kämmerer von ehemals war kein einziger da; die vier Herren, 



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Das Idyll von Marciana. 

301 

die man jetzt so nannte, waren Einheimische. Ein Arzt außer- 
dem, ein Apotheker, Peyrusse als Schatzmeister, zwei Adju- 
tanten, von denen der eine die Dienste eines Palastpräfekten, 
der andere die eines Stallmeisters versah, und der Sekretär 
Ifathery bildeten den ganzen Hofstaat. Auch hier war das 
Arbeitskabinett eingerichtet wie in Paris, und Rathery saß 
an seinem Schreibtisch, wie dort Meneval und Fain gesessen 
hatten; auch hier diktierte Napoleon mit gewohnter Hast 
seine Dekrete und Billets in reicher Anzahl — aber wie sehr 
war, was sie enthielten, von dem verschieden, was dort die 
welthistorische Bedeutung seiner Briefe ausgemacht hatte! 
„Schelten Sie den Gärtner dafür aus," beginnt ein langes 
Schreiben an Bertrand, „daß er drei Gehilfen aufgenommen 
hat für einen Garten so groß wie eine Hand." „Sie verlangen", 
heißt es ein andermal, „fünfzehnhundert Franken mehr für 
Kleidung der Hofleute; das kann ich Ihnen nicht bewilligen . . . 
Nehmen Sie dem Portier die Epauletten, sie stehen ihm nicht 
gut." All das hätte er dem Adressaten natürlich sehr leicht 
kurzer Hand mündlich mitteilen können; aber das hätte jeder 
reiche Eigentümer getan, während er doch Souverän war und 
den Apparat des Regierens nicht missen konnte, noch wollte.*) 
Als die Sommerhitze den Aufenthalt in Portoferrajo un- 
angenehm machte, zog sich Napoleon auf die Höhe von Mar- 
ciana zurück, wo er mit seiner Begleitung in Zelten wohnte. 
Das war ein herrlicher von alten Kastanienbäumen beschatteter 
Punkt, von dem aus der Blick weit über das Meer schweifen 
konnte, nach dem korsischen Bastia hinüber und nach dem tos- 
kanischen Livorno, ein Lugaus ganz nach seinem Herzen. Hier 
empfing er den Besuch der Gräfin Walewska, derselben, die er 
im Jahre 1807 in Polen kennen gelernt, mit der er seitdem 
intime Beziehungen unterhalten und die er in Fontaincbleau 
nach Elba eingeladen hatte. Sie kam mit einem Knaben, 
seinem Sohne.**) Das tiefe Geheimnis, mit dem der Besuch 

*) Pelissier, Le Registre de l'ile d'Elbe, hat aus einer in Car- 
cassonne erhaltenen authentischen Abschrift nach den Kopien Rathe'- 
rys an 200 Briefe Napoleons herausgegeben, die zum größten Teile 
über derartige untergeordnete Dinge in der hergebrachten Form handeln. 

**) Graf Alex. Florian Wnlewski, unter Napoleon HI. Minister 



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■M)2 



Marie Luise bleibt fern. 



umgeben wurde, ließ die öffentliche Meinung in ihr die 
Kaiserin vermuten. Diese freilich kam nicht. Ihr Vafer hatte 
sie bewogen, nach Österreich zurückzukehren, und sie ließ sichs 
gleichmütig gefallen. Im Sommer gebrauchte sie eine Badekur 
in Aix in Savoyen, zu der ihr Napoleon selbst geraten hatte, 
der sie erst im Herbst, erholt und gekräftigt nach den aus- 
gestandenen Mühsalen, wiederzusehen gedachte. Doch auch 
dann kam sie nicht, was ihn zu harten Vorwürfen veranlaßte, 
die wenig Eindruck machten. Die Politik hinderte den Verkehr 
der beiden Gatten, und Marie Luisens Neigung wird, nicht 
lange nachher, ganz andere Wege wandeln. Sieben Jahre später, 
nach dem Tode Napoleons, schrieb sie einmal an eine Freundin : 
sie habe für ihn niemals eine lebhaftere Empfindung gehegt, 
doch hatte sie ihm, der ihr stets Aufmerksamkeit erwiesen, 
gerne noch manches glückliche Jahr gegönnt, „vorausgesetzt, 
daß er recht weit von mir wegblieb"*). Napoleon hat sich auf 
Elba zu trösten gesucht, obgleich er oft genug des kleinen 
Königs von Rom gedachte und Briefe seiner Gemahlin, wenn 
auch vielleicht nur aus politischen Gründen, schmerzlich ver- 
mißte. Nach dem kurzen Aufenthalte der Walewska kam 
Pauline Borghese, die — man will in ihren eigenen vertrauten 
Briefen den Beweis dafür gefunden haben — dem entthronten 
Cäsar hier gleichfalls mehr als eine Schwester gewesen sein 
soll.**) Von don andern Geschwistern kam niemand. Nur 

des AulWn. war am 4. Mai 1810 geboren worden. Er war nicht der 
einzige uneheliche Sohn des Kaisers. Von anderen kennen wir nach- 
weislich: einen Grafen Leon, geb. 1806, dessen Mutter, Frau Revel, 
dem Hofstaate der Prinzessin Karoline zugeteilt war, ferner einen sichern 
Devienne, geh. 1802 zu Lyon, endlich den Sohn der Beschließerin auf 
St. Helena, die später einen Mr. Gordon heiratete. Gordon-Bonaparte 
starb 1886 in San Francisco als Uhrmacher. (Siehe hierüber die Zeit- 
schrift „Iis Curieux" Nr. 8 von 1884 und Nr. 40 von 1887.) 
*) „Correspondance de M. Louise", p. 226. 
**) Siehe den Pelletschen Aufsatz in der „Revolution francaise" 
von 1904 an der Hand Beugnotseher Papiere, und oben Bd. II, S. 5. 
die Note. Man entschließt sich schwer, so krassen Dingen rückhaltlosen 
Glauben entgegen zu bringen. Ein geheimer Agent der Bourbons meldet 
übrigens im Januar 1815, daß eine schöne Griechin, Madame Thöologo, 
deren Mann einen Posten als Dolmetsch erhalteu hatte, die intime 
Neigung Napoleon« genoß. (Firm in-Didot, Royaute" ou Empire, p. 197.^ 



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Napoleon und die Italiener. 303 

Mutter Lätitia wollte nicht fernbleiben und übersiedelte 
nach Elba. 

Nicht daß der Kaiser ohne alle Verbindung mit seinen 
Verwandten gewesen wäre. Wenigstens wollte die Geheim- 
polizei von Livorno, besonders der französische Konsul Ma- 
riotti daselbst und dessen Agenten auf der Insel, von einem 
sehr regen Verkehr, namentlich mit Murat, erfahren haben, 
der unsicher, ob die verbündeten Mächte Europas ihm auch 
den Preis seines Abfalls von Napoleon, seine Herrschaft über 
Neapel, nicht streitig machen würden, aufs neue zu dem 
Schwager in heimliche Beziehung trat. Was unter ihnen ver- 
handelt wurde, wenn überhaupt verhandelt wurde, läßt sich 
im Einzelnen um so schwerer feststellen, als die Mitteilungen 
wohl nur durch vertraute Boten mündlich besorgt worden sein 
dürften. War es die Absicht, einen Plan zur Insurgierung 
Italiens, wie er Napoleon im Juni 1814 von einer Anzahl Ver- 
schwörer zugeschickt wurde, zu unterstützen? Oder war es die 
anilere, in Frankreich wieder emporzukommen? Allzu offen 
dürfte sich Napoleon dem abtrünnigen Murat nicht gegeben 
haben, für den übrigens, außerhalb Neapels, die Stimmung 
in Italien keineswegs sehr günstig war. Dagegen empfing der 
Kaiser im Herbste viele Italicner in Portoferrajo, die ihm aus 
ihrem Mißvergnügen mit der wiedergekehrten österreichischen 
Herrschaft und aus den Hoffnungen, die sie auf ihn setzten, 
kein Hehl machten. Immer möglich, daß er sich ihnen nicht 
ganz versagte. Sollte etwa die Erinnerung an seine Erlebnisse 
in der Provence seine Rechnung auf einen neuen Umschwung 
in Frankreich etwas beirrt und seine Blicke nach anderer 
Dichtung gewendet haben?*) Aber gewiß trat dieses Moment, 

*) Dies« Ansicht vertritt Li vi in Beinern „Napuleonc all' isola 
d'Elba". Oh er freilich gut tut, eine von dem anonymen Verfasser der 
Broschüre „La verite sur les Cent-Jours u S. 218 mitgeteilte Rede Na- 
poleons für völlig authentisch zu halten, ist zu bezweifeln. Denn wonn 
darin der Kaiser von einem einigen italienischen Nationalreich mit Horn 
als Hauptstadt spricht, so mußte er völlig vergessen haben, was er im 
Dezember des Vorjahres zu La Besnardiere über Murat gesagt hatte, der 
denselben Plan verfolgte: „Sieht denn dieser Unsinnige nicht ein, daß 
nur meine außerordentliche Ubermacht in Europa die Anwesenheit des 
Papstes in Rom verhindern konnte? E« ist das Interesse und der "NVunseh 



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304 Mißstimmung in Frankreich. 

wenn es je mehr ab ein flüchtiger Gedanke war, sogleich wieder 
völlig in den Hintergrund, als ihm geheime Nachrichten und 
die Blätter keinen Zweifel mehr ließen, daß sich im fran- 
zösischen Volk ein Wechsel der Gesinnung vollzog, der ihm nur 
förderlich sein konnte. 

In der Tat, das Regiment Ludwigs XVIII. erfreute sich 
bald einer immer mehr zunehmenden Abneigung. Am 30. Mai 
hatte der König seinen Frieden mit den Mächten — darunter 
mit England, welches die meisten der eroberten Kolonien her- 
ausgab — gemacht, und wenig Tage später auch mit der Re- 
volution eine Art Vergleich geschlossen, indem er Frankreich 
eine Verfassung, die Charte, verlieh. Diese Konstitution war, 
trotz unterschiedlichen Fehlern und Mängeln, immerhin ein 
wertvolles Zugeständnis und ließ der Teilnahme des Volkes an 
der Gesetzgebung jedenfalls mehr Raum, als Xapolcon ihr je ge- 
stattet hatte. Auch war der König ein besonnener Mann, der 
den neuen Verhältnissen viel guten Willen entgegenbrachte, 
nur alt, sehr schwerfällig und kränklich und nicht imstande, 
all die reaktionären Elemente im Zaume zu halten, die seinen 
Pakt mit demAufruhr höchlich mißbilligten. Das war vor allem 
sein eigener Bruder, der Graf von Artois, jetzt das Haupt einer 
ultraroyalistischen Partei von Emigranten, die nach den alten 
Zuständen zurückstrebte, die Regierung kompromittierte und 
ihr die Masse der Bevölkerung völlig abgeneigt machte. Denn 
von großen Sympathien für die Bourbons, von denen Wel- 
lington richtig sagte, sie seien dem Lande so fremd geworden, 
als ob sie es nie regiert hätten, kann man überhaupt nicht 
sprechen. Schon daß sie unter dem Schutze der Fremden den 
Thron bestiegen, diskreditierte sie. Eine Karrikatur hatte Lud- 
wig XVIII. gezeigt, wie er hinter einem Kosaken zu Pferde 
sitzend über die Leichen französischer Krieger hinweggalop- 
piert. Es war unklug von dem Monarchen, seinem Freunde, 
dem Prinzregenten Georg von England, immer und immer 

Europas, daß er dahin zurückkehre." 1 iPallain-Bailleu. Talleyrands 
Briefwechsel mit König Ludwig XVII T. S. 163.) Überdies zerstörte 
?in Plan auf ganz Italien für immer jede halbwegs mögliche Bezie- 
hung zu Österreich, welche Beziehung doch bei einer Wiederkehr nach 
Frankreich geltend gemacht werden sollte. S. oben S. 293. 



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Ihre Ursachen. 



305 



wieder seine Dankbarkeit für die bewiesene Protektion zu be- 
zeigen, sowie es anderseits nicht klug war, sich durch ein ver- 
altetes Zeremoniell von den eigenen Untertanen völlig abzu- 
schließen. Und dazu kam vieles andere. Schon daß die neue 
Verfassung sich als ein königliches Geschenk darstellte, ver- 
letzte den Grundsatz der Volkssouveränität, der bei der eitlen 
Nation tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Nun war darin ver- 
bürgt, daß den neuen Besitzern von Nationalgütern ihr Eigen 
unangetastet bleiben solle, und dennoch sprach einer der 
Minister in der zweiten Kammer die Hoffnung auf Rückerstat- 
tung an die „rechtmäßigen 4 *' Eigentümer, d. i. an die heimge- 
kehrten Emigranten aus. Diese machten jetzt die Opfer ihrer 
Treue geltend und ließen sich — da sie zur Beamtentätigkeit 
meist nicht zu brauchen waren — durch Pairssitze, Sinecuren 
und Pensionen belohnen, genug, um die gesamte arbeitende 
Staatsdienerschaft das frühere Regime zurückwünschen zu 
lassen. Das Geld zu diesen reichen Dotationen verschaffte sich 
der Hof, indem er die „außerordentliche Domäne" Napoleons 
willkürlich zur Zivilliste schlug und das feierliche Versprechen, 
die indirekten Steuern abzuschaffen, widerrief, was selbst in 
der Vendee und der Provence zu Aufläufen Anlaß gab. Und 
trotz solchen Benefizien blieb das Streben der Heimgekehrten 
doch immer auf die Wiedererlangung ihrer alten Güter ge- 
richtet, worin sie von dem sinnesverwandten Klerus wesentlich 
unterstützt wurden. Dieser mißbrauchte sogar nicht selten die 
Beichte, um Sterbende durch Skrupel an der Rechtmäßigkeit 
ihres Besitzes zur Restitution zu bewegen. Begünstigt durch 
eine frömmelnde Hofpartei brachte er es außerdem noch zu 
ganz anderen Erfolgen. Das unter Napoleon schließlich ein- 
gegangene Amt eines Großalmoseniers wurde mit seinem ehe- 
maligen Wirkungskreis wieder hergestellt und beirrte den des 
Kultusministers; eine polizeiliche Verordnung gebot Sonn- 
und Feieriagsheiligung bei Strafe, trotz der in der Charte ver- 
bürgten Kultusfreiheit und trotzdem daß das französische Volk 
längst nur noch die durch das Konkordat von 1801 angeord- 
neten Festtage einhielt; die Straßenprozessionen wurden wieder 
eingeführt; ja, es ereignete sich, daß einer beliebten Schau- 
spielerin des Pariser Theätre frangais das kirchliche Begräbnis 

l'ournier, Napoleon I. 20 



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306 Di.,- Armee bleibt bonapartie tisch. 

verweigert wurde, was dann freilich einen öffentlichen Tumult 
hervorrief. 

Machte man schon mit solchen Übergriffen die bürgerliche 
Bevölkerung unzufrieden; so verschärfte es diese Stimmung 
noch, als die Regierung — aus Dankbarkeit — freie Getreide- 
ausfuhr nach England dekretierte, was in den Städten die 
Lebensmittelpreise hob und überdies die arme Küstenbevölke- 
rung, die ihren Verdienst am Schmuggel schwinden sah, in 
Verzweiflung brachte. Daneben beging man der Armee gegen- 
über Akte einer geradezu beispiellosen Unvernunft. Nicht nur 
daß der alte Adel, die Prinzen obenan, über die neue Nobilität 
der Marschälle und Generale spöttelte, man verfeindete sich das 
ganze Heer. Dieses war nach der Heimkehr der kriegsgefan- 
genen Besatzungen aus dem Osten und der spanischen und 
italienischen Armee nicht unbeträchtlich an Zahl und zu groß 
für friedliehe Zeiten. Man ließ starke Reduktionen eintreten, 
verkürzte die Löhnung der alten Garde und setzte Tausende 
von Offizieren auf Halbsold. Dagegen wäre nun nicht allzuviel 
einzuwenden gewesen, wenn nicht dafür ebensoviele Royalisten 
zu Offizieren ernannt, aus Emigranten und Adeligen eine neue 
königliche Garde — 6000 Mann mit Offiziersrang — errichtet 
und reich dotiert und eine adelige Militärschule gegründet 
worden wären, was nicht nur große Kosten verursachte, son- 
dern auch die Wiederkehr der alten Ungleichheit in der 
Offizierskarriere befürchten ließ. Als man vollends die Er- 
ziehungshäuscr für die Waisen der Ehrenlegionäre aufhob, 
erzeugte dies eine ungeheure Entrüstung, selbst in unbe- 
teiligten Kreisen. Was Wunder, daß unter solchen Um- 
ständen das Heer völlig bonapartistisch gesinnt war und 
daß sich, namentlich unter einigen jüngeren Generalen 
eine A r erschwörung bildete, die, wenn sie gleich ohne Folgen 
blieb, doch bekannt genug wurde, um den Verbannten 
von Elba über die Stimmung im Lande zu orientieren? Was 
Wunder auch, daß dessen Kredit von Tag zu Tag aufnahm? 
„Die Franzosen," sagt ein Zeitgenosse, Fleury de Chaboulon, 
„von Natur geneigt, Meinung und Empfindungen zu wechseln, 
gingen von ihrer früheren Voreingenommenheit gegen Napo- 
leon zu Ausbrüchen der Begeisterung über: sie vorglichen den 



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Talleyraud und Mariotü. 307 

Zustand der Unordnung und Erniedrigung, in den Frankreich 
unter dem Könige verfallen war, mit dem Aufschwung, der 
Kraft, der Verwaltungseinheit unter Napoleon, und Napoleon, 
den sie vorher als den Urheber aller Übel angeklagt hatten, 
erschien ihnen nur noch als großer Mann, als Held im Un- 
glück." Gewiß, niemand hatte Lust, ihn herbeizurufen; aber 
man begann ihn zu entschuldigen und haßte seine Nachfolger. 

Es fehlte nicht an Einsichtigen, welche die Gefahr erkann- 
ten, die dieser Umschwung der Gesinnung in sich barg. Einer 
der klügsten, Tallevrand, war jenerzeit nicht in Paris, sondern 
weilte als Bevollmächtigter Ludwigs XV III. beim großen Kon- 
greß in Wien, wo entschieden werden sollte, was an politischen 
Fragen der Völkerkrieg noch ungelöst gelassen hatte. Sein 
scharfes Auge sah auf Elba den Funken glimmen, der den in 
Frankreich sich aufhäufenden Zündstoff zu neuem völkerver- 
heerenden Brande entflammen konnte, und er gedachte, ihn 
auszutreten. Sein nächster Gedanke war, Napoleon heimlich 
entführen zu lassen. Mariotti, sein Vertrauter in Livorno, er- 
klärte dies für sehr schwierig und nur, wenn man einen der 
Kapitäne von des Kaisers Schiffen gewänne, für möglich. 
Man soll dies versucht, aber Napoleons Wachsamkeit die Ab- 
sicht getäuscht haben.*) Auch der Chouan Bruslart, der ein- 
mal in früheren Jahren dem Kaiser den Tod geschworen hatte, 
war offenbar nur in der Absicht zum Präfekten von Korsika 
ernannt worden, um von dort aus eine Entführung, wenn nicht 
noch mehr, zu unternehmen, was gleichfalls mißglückte.**) 
Talleyrand wandte sich in der Sache an die Kongreßmächte 
und schlug ihnen — im Oktober 1814 — vor, den Verbannten 
nach den Azoren, „fünfhundert Lieues vom Festlande", zu ver- 
setzen, eine Idee, die Ludwig XVIII. „exzellent" fand.***) Aber 

*) Siehe Jung, Memoire» do Luden Bonaparte, ITL, 222 und 
Pellet, Napoleon ä l'ile d'Elbe, S. 62. Wenn aber Jung von Entlas- 
sung des Kapitäns Taillade spricht, so steht dem die mehrfach ver- 
bürgte Meldung entgegen, wonach Taillade im Dienste blieb und später 
auf der Fahrt nach Frankreich die Brigg des Kaisers führte. 

**) Siehe die Belege bei Houssaye „1815", I., 172. 
***) Noch am 4. Dezember schreibt der Minister an den König, 
man müsse eilen, sich des Mannes von Elba und Murats zu entledigen 
es sei auch schon Castlereagh dafür gewonnen, nur Metternich noch 



308 Zwiespalt der Mächte auf dem Wiener Kongreß. 

die Mächte haben vorläufig wichtigeres zu tun: Rußland sorgt 
sich nur darum, wie es seine polnische Beute ungeteilt in 
Sicherheit bringen könne, Preußen will Sachsen ebenso voll- 
ständig für sich gewinnen, und mit solcher Bestimmtheit ver- 
fechten beide ihre Absichten, daß darüber ein allgemeiner 
Konflikt droht. Frankreich, das die europäische Koalition 
. sprengen, sein Ansehen wiedergewinnen und zugleich das ver- 
wandte Sachsen — Ludwigs XVIII. Mutter war eine sächsische 
Prinzessin gewesen — vor Schaden bewahren will, England, das 
einem Übergewicht Rußlands entgegenarbeitet, und Österreich, 
dem die Machtvergrößerung seiner beiden Nachbarn ein Dorn 
im Auge ist, verbünden sich am 3. Januar 1815 für alle Fälle. 
Ist dieses Abkommen auch zunächst geheim geblieben, so war 
die Spannung der Mächte doch zu offenkundig, als daß Na- 
poleon auf Elba von ihr nicht ebenso unterrichtet worden wäre 
wie von der heimlichen Absicht, ihn aus Europa zu entfernen. 
Diese war ihm schon Anfang Dezember bekannt geworden, und 
er hatte sich bereits auf eine Belagerung eingerichtet, die 
Schutzwerke ausbessern und seine Kanoniere übungsweise Bom- 
ben werfen lassen. Am liebsten hätte er wohl sogleich Elba ver- 
lassen. Aber damals wäre das eine grundlose Vermessenheit 
gewesen. Später lieferte, neben den Verwicklungen auf dem 
Kongreß, die Wandlung in Frankreich dem Gedanken eine 
Basis. Nur die passende Gelegenheit mußte sich noch finden. 
In der Unterredung mit Fleury de Chaboulon, der als geheimer 
Bote Marets in der zweiten Februarwoche nach Portoferrajo 
kam, bezeichnete er den 1. April als wahrscheinlichen Termin 
für seine Abreise nach dem Fcstlande. Bis dahin, meinte er, 
würden die Fürsten den Kongreß, wahrscheinlich im Unmut, 
vorlassen haben und, einmal daheim angelangt, keine Lust 

dagegen. (Pall ain-Bai Heu, 8. 151.) Dieser Eifer Talleyrands kühlte 
sich aber zuweilen merklieh ab, wenn Murata Chancen auf dem Kon- 
greß stiegen, denn dieser hatte dem geldgierigen Diplomaten Aussicht 
auf den günstigen Verkauf seines Fürstentums Benevent eröffnet. In 
solchen Momenten konnte er sogar, wenn z. B. Pozzo di Borgo ihn auf- 
forderte, dem Kongreß die Verhaftung Napoleons nahezulegen, ant- 
worten: „Sprechen Sie doch davon nicht, das ist ein toter Mann." (M. 
Lehmann, Tagebuch des Freiherrn vom Stein, Histor. Zeitschrift, 
N. F.. XXIV.. 446.) 



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Napoleons Kalkül. 309 

mehr verspüren, sich aufs neue in den Krieg zu stürzen. Nur 
solange sie noch beisammen seien, wäre zu besorgen, diiß sie 
aus dem Widerstande gegen ihn eine Art Ehrensache machten. 
Soviel empfand er doch, daß man, was er nun vorhatte: 
Friedensbruch, Treubruch und Verleitung zu diesem, nicht 
mit Gewissensruhe mitansehen werde. 

Und doch hat er sich schon kurz darauf, noch im Februar, 
entschlossen, seinen Plan ins Werk zu richten. Was ihn so bald 
dazu vermochte, ist nicht aufgeklärt. Hatte er von dem vor- 
läufigen Vergleich der Mächte in der sächsischen und polnischen 
Frage am 8. Februar gehört, von der Abreise Castlereaghs 
und von den Zurüstungen der Souveräne, den Kongreß zu ver- 
lassen, und hielt er nun den richtigen Zeitpunkt für ge- 
kommen? Oder hatte er von dem Ausgleich keine Kenntnis 
und wünschte die herrschende Uneinigkeit noch rasch für sich 
zu benützen? Oder brachten ihn die Schilderungen Fleurys 
von dem hohen Grade der allgemeinen Unzufriedenheit in 
Frankreich auf den Gedanken, der bourbonischen Regierung 
keine Zeit zu beruhigenden Maßregeln zu lassen? Machte es 
ihn unruhig, daß immer mehr von seinen alten Grenadieren, 
der wenig befriedigenden Existenz auf der Insel überdrüssig, 
um ihren Abschied baten? War der erste April im Gespräch mit 
Fleury, den er nicht nach Frankreich zurückkehren ließ, 
sondern nach Neapel schickte, nur in der Absicht als Termin 
bezeichnet, um auch diesem Sendboten seinen Entschluß nicht 
zu verraten und das Geheimnis zu wahren? In Paris hat er 
später erklärt: „Ich wählte den Augenblick, wo der Kongreß 
beendet sein durfte und die Nächte noch lang genug waren, um 
meine Flucht zu verbergen."*) Mag sein. Jedenfalls wissen wir, 
daß er seine alten Krieger wiederholt mit den Worten zu be- 
schwichtigen trachtete: „Ein wenig Geduld, meine Freunde, wir 
werden zusammen fortgehen", daß er schon am 16. Februar 
Drouot beauftragte, die Schiffe für den 25. in Stand zu setzen, 
bis er am 24. — der britische Bevollmächtigte, Campbell, der 
England zugleich auch am toskanischen Hofe vertrat, hatte 
sich eben nach dem Festlande begeben — seinen Truppen 

*) Thiers, XIX. 199. Einen andern Beweggrund S. u. S. 321. 



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310 Abfahrt von Portoferrajo. 

Befehl erteilte, sich zur Abfahrt bereit zu machen, indes 
er die Insel mit der Küstensperre belegte, so daß keine Nach- 
richt hinausdringen konnte.*) Auf Elba freilich blieb diese 
Absicht nicht verborgen. Am 24. abend3 noch empfing 
er Deputationen der Behörden, die ihm ihr Bedauern über 
sein Scheiden ausdrückten. Am 26., einem Sonntage, 
schütten sich 1100 Mann mit einigen Kanonen auf sieben 
Fahrzeugen ein, und bei eingetretener Dunkelheit ging Napo- 
leon selbst auf dem „Inconstant" an Bord, nachdem er von 
Mutter und Schwester Abschied genommen hatte. Beide hatten 
sein Vorhaben gebilligt, einzelne seiner Höflinge, wie Bertrand, 
es mit Enthusiasmus begrüßt, desgleichen die Truppen; nur 
der ehrliche Drouot machte aus seinen Bedenken kein Hehl. 
Aber wer hätte den tollkühnen Spieler, der jetzt, gedrängt 
und gelockt, seinen letzten verzweifelten Wurf wagte, zurück- 
zuhalten vermocht? 

Auf der Fahrt begegnete man einem französischen Kreu- 
zer, der nach Livorno steuerte, um sich dort dem Konsul 
Mariotti zur Verfügung zu stellen. Seine Bestimmung war, 
Elba im Auge zu behalten. Er kam zu spät. Wenn hinterher 
Mariotti diese Säumnis beklagte und meinte, er würde mit dem 
Schiffe Napoleons Entweichen gehindert haben, so ist dies 
doch eine arge Übertreibung. Viel richtiger antwortete Castle- 
reagh im britischen Parlament auf den Vorwurf, er habe den 
Kaiser entwischen lassen, indem er daran erinnerte, daß Dieser 
sich nicht als Gefangener auf Elba befand und daß jeder 
Zwang den mit ihm geschlossenen Vertrag verletzt hätte — 
abgesehen davon, daß eine Überwachung gar nicht tunlich 
gewesen wäre, da die ganze englische Marine nicht hinreichen 
würde, das Entkommen eines Menschen von der Insel unmög- 
lich zu machen.**) 

*) Firmin-Didot, p. 261. Vgl. auch Houssayc, „1815-, L, 177. 
**) Hansard, Parliamentary debatea, XXX., 426. Po 11 et, Na- 
poleon ä l'ile d'Elbe, S. 84, scheint von dem geheimen Einverständnis 
Campbclls, ja Englands, völlig überzeugt zu sein, und das war ja auch 
damals eine vielverbreitete Meinung. Einige Tage vor der Abfahrt Napoleons 
hatte der geheime Agent Mariottis an Dieson berichtet: „Die von 
den Engländern begünstigte Abreise Seiner Majestät wird nächstens 



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Landung bei Cannes. 311 

Am 1. März warf die Flotille im Golf von Jouan zwischen 
Cannes und Antibes Anker, und General Cambronne schiffte 
die Garden aus. Bald stand Napoleon wieder auf französischem 
Boden. Noch an Bord hatte er sich über die Expedition zu 
seiner Umgebung geäußert: er rechne auf die Überraschung 
der Bevölkerung, auf die öffentliche Meinung, den Widerwillen 
gegen die Alliierten, die Liebe seiner Soldaten, kurz auf alle 
napoleonischen Elemente Frankreichs — vor allem aber auf 
die Verblüffung, welche eine so große Neuheit (une grande 
nouveaute) hervorbringen müsse, und auf die Ratlosigkeit der 
Geister unter dem Eindruck einer so unerwarteten und ver- 
wegenen Tat. Aber er mußte doch auch noch mit Anderem 
rechnen. Er weiß, daß nicht überall in Frankreich die öffentliche 
Meinung sich von der neuen Regierung abgekehrt hat und daß, 
wenn er sich z. B. jetzt von Cannes auf der großen Straße 
fortbewegte, die über Abc und Avignon nach Norden führt, 
sein waghalsiges Unternehmen an dem überlegenen Wider- 
stände der unerschütterlich royalistischen Bevölkerung der 
Provence scheitern würde. Er wird deshalb die Mühsal nicht 
scheuen dürfen, die einen Marsch über die noch verschneiten 
Pfade der Seealpen begleitet, die Kanonen, die er mitgeführt, 
zurücklassen müssen und über Grasse und Sisteron das üau- 
phine zu erreichen streben, wo das Landvolk, den Priestern 
und Emigranten durchaus abgeneigt, seinen größtenteils aus 
Nationalgütern erstandenen Grundbesitz ungestört zu behalten 
wünscht. Und in der Tat erwies sich die Einwohnerschaft der 

stattfinden. u Aber wer möchte; daraufhin die Richtigkeit der Meldung 
annehmen? Man vergleicho damit, was Napoleon zu dem Sendling 
Maret-8 sagte: „Sie werden doch nicht glauben, daß die Polizei alles 
weiß? Die Polizei erfindet viel mehr als sie entdeckt. Die meinige war 
gewiß ebensoviel wert wie die dieser Leute, und doch wußte sie gar 
oft nur, was sie nach ein oder zwei Wochen durch Zufall, Unklugheit 
oder Verrat erfuhr." Tatsache ist, daß er sein Unternehmen als von 
Großbritannien begünstigt hinstellte, so wie er sich auf gute Bezie- 
hungen zu Österreich berief — beides in der Absicht, irre zu führen. 
Für die wirkliche Haltung Englands bleibt die intime Beziehung des 
Hofes zu Ludwig XVIII. und die Politik Oastlereaghs maßgebend, die 
in dem Bourbon die sicherste Garantie dafür erblickte, daß die gegen- 
überliegenden Niederlande, die der Kongreß durch Belgien vergrößert 
hatte, nicht wieder in Frankreichs Hände fielen. 



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312 Das Zusammentreffen bei Laffray. 

Bergtäler auf dem Wege nach Gap und darüber hinaus durch- 
aus freundlich und unterstützte die abgehetzten Soldaten nach 
Möglichkeit. Aber die Hauptfrage für Napoleon war doch die, 
ob die Truppen, die man auf dem Wege antreffen wird, zu ihm 
übergehen, wie er hoffte, oder ihrem Fahneneide, den sie 
Ludwig XVIII. geleistet, treu bleiben werden, wozu er selbst 
sie bei seinem Scheiden im vorigen Jahre ermahnt hatte.*) 
Wenn das letztere geschah, war er verloren. 

Von Sisteron weg marschierte man in drei Abteilungen : 
ein kleiner Vortrab von hundert Mann unter Cambronne 
voraus, dann das Gros unter dem Kaiser und der Nachtrab 
mit der Kasse. Bei La Mure traf man auf die Quartiermacher 
eines entgegenkommenden Bataillons, das sich schwierig 
zeigte, und Cambronne blieb stehen, um Napoleons Befehle 
abzuwarten. Dieser entschloß sich, selbst an die Truppe heran- 
zutreten, die bei Laffray in guter Position stand. Er ließ das 
Bataillon durch Parlamentäre von seiner Anwesenheit unter- 
richten und ging ihm dann an der Spitze seiner Avantgarde 
entgegen. Der kritische Augenblick war gekommen, da die 
Offiziere bereit schienen, ihrer Pflicht mehr Gehör zu geben 
als ihren Sympathien. Die Entscheidung fiel, indem die Trup- 
pen den Befehl, auf die Ankömmlinge zu feuern, nicht be- 
folgten. Und als nun Napoleon auf Pistolenschußweite an sie 
heranschritt, seinen grauen Überrock lüftete und, seine Brust 
darbietend, hinüberrief: „Wer von Euch wird auf seinen 
Kaiser schießen wollen?" da nahmen die Soldaten ihre Mützen 
ab, steckten sie auf ihre Bajonette, hielten die Gewehre hoch 
und riefen „Vive l'Empereur!" Dann mischten sie sich unter 
das Gefolge von Elba und marschierten begeistert hinter dem 
verehrten Manne drein. Die Offiziere mußten dem revolutio- 
nären Zug ihrer Truppen folgen, und sie taten es gerne. 

In Grenoble, der Hauptstadt des DauphinS, die eine starke 
Garnison beherbergte, hat unterdes Napoleon auf heimlichen 
Wegen ein Manifest an die französische Armee verbreiten 

*) Siehe oben S. 298. Der Satz lautete: „Dienet treu dem Sou- 
verän, den die Nation erwählt hat." Die später redigierte offizielle 
Fassung seiner Ansprache im Schloßhofe zu Fontainebleau änderte dies 
in: „Fahret fort Frankreich zu dienen." 



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Die Armee erklärt sich für Napoleon. 313 

lassen, das er noch auf Elba kurz vor der Abfahrt verfaßt 
hatte. „Soldaten, wir sind nicht besiegt worden", begann es. 
„Zwei Männer aus unseren Reihen (Marmont und Augereau) 
haben unsere Lorbeeren, ihr Vaterland, ihren Fürsten, ihren 
Wohltäter verraten. Und nun sollten jene, die wir fünfund- 
zwanzig Jahre hindurch Europa durchreisen sahen, um uns 
Feinde zn erregen, die ihr Leben damit hingebracht haben, in 
fremden Armeen gegen uns zu fechten und unser schönes 
Frankreich zu verwünschen, nun sollten sie beanspruchen 
dürfen, den Befehl zu führen und unsere Adler anzuketten, 
deren Blicke sie nie ertragen konnten? . . . Euer Rang, Euer 
Besitz, Euer Ruhm, Besitz, Rang und Ruhm Eurer Kinder haben 
keine ärgeren Feinde als diese Fürsten, welche die Fremden uns 
aufgenötigt. . . . Ihre Ehrenzeichen, ihre Belohnungen, ihre 
Gunst gehören nur denjenigen, die ihnen gegen das Vaterland 
und gegen uns gedient haben. Soldaten! kommt und reihet 
Euch unter die Fahnen Eures Führers. Sein Dasein besteht 
ja nur in dem Euren, seine Rechte sind nur die des Volkes 
und die Eurigen, sein Interesse, seine Ehre, sein Ruhm sind 
Euer Interesse, Eure Ehre, Euer Ruhm. Kommt! Dann wird 
der Sieg im Sturmschritt einherziehen und der Adler mit den 
nationalen Farben von Kirchturm zu Kirchturm fliegen bis 
hin zu Notre-Dame."*) Dies und noch manches mehr sagte er 
den Soldaten Frankreichs, und sie lauschten mit Begeisterung. 
Das war dieselbe Sprache, die ihnen so oft für ihre Siege ge- 
dankt und neuen Triumph verheißen hatte, die Sprache 
des Mannes, der seine Krieger voll zu schätzen wußte, und 
wenn auch nur als ein Werkzeug seiner Größe, so doch zu 
schätzen wußte, während der Schützling des Engländers sie 
bloß als eine Last ansah, und nicht einmal ansah. Und die 
Garnison von Grenoble, das Regiment des Obersten Labedoyere 
voran, ging über, wie das Bataillon bei Laffray. Die eisen- 
harten Männer erlagen der Verführung dieses Einen, wie die 
Kinder von Hameln der Pfeife des Rattenfängers. Er war 
seines ganzen Erfolges nunmehr sicher. Daß seine Marschälle, 
die Macdonald. Oudinot und andere, die ihre Karriere hinter 



*> Corresp. XX VITT., 21.682. 



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314 Napoleon in Urenoblc. 

sich und ihre lang und tapfer erkämpfte Ruhe lieb hatten, 
nicht zu ihm übertraten, war ihm begreiflich. Andere aber, 
wie Masscna in Marseille uni Ney, der sich sogar vermessen 
hatte, den Ankömmling gefesselt vor den König zu bringen, 
wurden angesichts der allgemeinen Stimmung unter den Trup- 
pen wieder kaiserlich. 

So ward das Heer sein. Vollends nachdem er ihm ver- 
sichert hatte, daß er gewiß keinen Krieg machen werde. Denn 
Krieg wollte die Armee nicht mehr. „Wir müssen vergessen, 
daß wir die Herren der Völker gewesen sind", hatte er ihr 
in jenem Aufruf gesagt. Und dasselbe, nur noch viel eindring- 
licher, erklärte er jetzt auch bei jeder Gelegenheit den Bürgern 
der Städte, die — namentlich die Besitzenden — trotz mancher 
Sympathie für ihn und aller Abneigung gegen den Hochmut 
der Aristokraten, bei seinem Erscheinen doch mit Grund den 
Frieden gefährdet sahen. „Die Franzosen", hatte ihm Labe- 
doyere mit der größten Offenheit erklärt, „werden alles für 
Ew. Majestät tun, aber Ew. Majestät müssen auch für sie alles 
tun: kein Ehrgeiz mehr, kein Despotismus, wir wollen frei 
und glücklich sein. Darum muß man auch, Sire, das System 
der Eroberung und der Gewalt abschwören, das Frankreich 
und Ihnen zum Unglück gereichte." Napoleon hatte es sich 
gesagt sein lassen. Als er kurz darauf die Vertreter der Be- 
hörden 0 renobles empfing, scheute er sich nicht, ihnen zu ge- 
stehen: „Ja, ich habe den Krieg zu sehr geliebt; ich werde 
fortan meine Nachbarn in Ruhe lassen; wir müssen vergessen, 
daß wir die Herren der Welt waren." Er habe die zehn 
Monate seines Exils benützt, die Vergangenheit zu über- 
denken; die Kränkungen, die er erfahren, hätten ihn, weit ent- 
fernt, ihn zu verbittern, nur belehrt; er sehe, was Frankreich 
nottue : Friede und Freiheit sei die gebieterische For- 
derung der Zeit, er werde sie fortan zur Richtschnur seines 
Benehmens machen. Wohl habe er die Größe geliebt und zu 
sehr der hinreißenden Gewalt der Eroberung nachgegeben, 
nur sei er dabei nicht der einzige Schuldige gewesen, denn 
die Mächte Europas mit ihrer Unterwürfigkeit, die Behörden 
mit ihrer Eilfertigkeit, ihm Blut und Geld der Franzosen 
darzubieten, das Land selbst mit seinem Beifall hätten zu 



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In Lyon. Die Bekenntnisse des Eroberers. 315 

dein Kriegseifer, der ein allgemeiner war, beigetragen. 
Darum sei die Versuchung, Frankreich zur Herrin der 
Nationen zu machen, entschuldbar gewesen; man dürfe sie 
sich vergeben, aber nicht wieder darauf zurückkommen.*) Und 
ähnlich lauteten seine Ansprachen in Lyon, wo er am 10. März 
mit T000 Mann eintraf, vom Jubel des Volkes empfangen. Ihm 
gelte es jetzt, versicherte er, die Interessen und Grundsätze 
der Revolution vor den Emigranten zu schützen, Frankreich 
seinen Ruhin zurückzugeben, ohne es deshalb dem Kriege zu 
überliefern, den er zu vermeiden hoffe, denn er nehme die mit 
den europäischen Mächten vereinbarten Verträge an und werde 
in Frieden mit ihnen leben, es wäre denn, daß sie sich in die 
französischen Dinge mischten. War ihm eine ausgedehnte 
Macht damals nötig, als er weitreichende Eroberungspläne 
hegte, so reiche jetzt eine weise begrenzte Gewalt hin, um einen 
friedlichen und glücklichen Staat zu regieren. ' Man müsse 
sich begnügen, die angesehenste Nation zu sein, ohne den An- 
spruch, die anderen zu beherrschen. Nicht was er in früheren 
Jahren so oft zur Rechtfertigung seiner aggressiven Politik 
vorgebracht hatte: daß er immer wieder nur durch die übrigen 
Mächte aus seiner friedlichen Haltung zu Kampf und Erobe- 
rung gedrängt worden sei, machte er jetzt geltend. Das hätte 
ihm in Frankreich niemand mehr geglaubt. Er mußte seinen 
kriegerischen Hang nach Ruhm und Größe eingestehen, wenn 
er Eindruck machen wollte. Es klang wie eine Beichte des 
großen Eroberers. 

In Lyon war er schon wieder ganz Monareh.**) Er loste die 
Kammern auf und berief eine aus den früheren Wahlkollegien 
zu entsendende Reichsversammlung nach Paris, der er den 
karolingischen Namen „Maifeld'*' gab, um die Verfassung zu 
ändern und zu bessern und an der Krönung der Kaiserin und 
seines Sohnes teilzunehmen. Damit sollte angedeutet sein, 
daß seinem Unternehmen zum mindesten von Österreich keine 
Gefahr drohe, ja, daß vielmehr ein Einvernehmen zu hoffen sei 

*) Fleury de Chsiboulon, Memoire* de 1815, I. 17 l J ff.; Thiers, 
XTX. 91f.; Berriat-S. Prix, Napoleon ä Grenoble, im Anhang. 

**) „Von Cannes bis Grenoble war ich ein Abenteurer; in dieser 
Stadt wurde ich wieder ein Souverän." Gourgaud, Journal ineait, I. 378. 



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816 Ludwig XVIII. flieht aus Pari*. 

— eine grobe Täuschung, wie er selbst später einigen Ver- 
trauten gegenüber eingestand. Ein anderes Dekret wies alle 
erst 1814 zurückgekehrten Emigranten aus und konfiszierte 
ihre Güter. Außerdem hob Napoleon den alten Adel auf, 
ächtete Talleyrand, Marmont, Augereau, den Herzog von Dal- 
berg u. A. als Verräter Frankreichs an die Fremden, entsetzte 
alle durch Ludwig XVIII. zu Offizieren ernannten Aristokraten 
ihrer Posten und löste die Königsgarde, das sogenannte „mili- 
tärische Haus" des Königs, auf. 

An dem bedrohten Hofe zu Paris war man anfänglich 
geneigt, das Unternehmen des „Mannes von Elba" als einen 
dreisten Putsch anzusehen, der notwendig scheitern müsse; 
man war der sicheren Meinung, er wolle sich über das Gebirge 
einen Weg nach Italien suchen, um dort das Volk aufzurufen, 
und verbreitete noch lange falsche Nachrichten im „Moniteur" 
über seinen' bevorstehenden Untergang, als Jener schon über 
das Herz des Heeres gesiegt hatte. In den Kammern fand der 
König zwar die Unterstützung der Liberalen, der Frondeurs 
von 1800 unter Benjamin Constant und der von 1813 unter 
Laine, aber es geschah nichts, als daß man sich in großen 
Worten erschöpfte. Denn alle Beschlüsse, wie z. B. der, daß 
der Besitz von Nationalgütern unwiderruflich sei und jeder 
Angriff darauf mit Gefängnis bestraft werde, kamen zu spät 
und erweckten, weil durch die Not des Augenblicks diktiert, 
kein Vertrauen. Noch am 18. März, als Napoleon schon bis 
Fontainebleau gelangt war, schrieb Ludwig eigenhändig ein 
Manifest an die Armee auf, in dem er auf sein für ihre Treue 
verpfändetes Wort, auf den Bürgerkrieg im Lande, auf den 
Kampf mit den Fremden, der neuerdings drohe, hinwies — 
vergebens; ein Reserveheer im Süden der Hauptstadt ging 
gleichfalls zu Napoleon über. Der König mußte schließlich 
an seine Sicherheit denken und verließ die Hauptstadt am 

nächsten Tage. 

Am Abend des 20. März schritt Napoleon, auf den Arm 
eines seiner Getreuesten gestützt, die Stufen zu den Tuilerien 
empor. In den Straßen der Hauptstadt hatten meist militä- 
rische Elemente Besitz von dem Terrain ergriffen, das sie nun 
ausschließlich für 'sich beanspruchten. Vor dem Schloß jauchzte 



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Kapoleon iu den Tuilerien. , 317 

ihm die begeisterte Schar seiner Anhänger zu. In der übrigen 
Bevölkerung aber war mehr Resignation als Interesse wahrzu- 
nehmen. Sie hielt sich abseits. Von dem Enthusiasmus, mit 
dem sie ihn 1799 oder 1806 empfangen hatte, keine Spur. 
„Alles war düster," erzählt Broglie, „ruhig, indifferent, ohne 
zu klagen, ohne zu hoffen, doch nicht ohne Besorgnis." 
Und der Kaiser selbst, der heute mit verzehnfachter Aufmerk- 
samkeit auf die Stimme der Nation horchte, empfing den 
gleichen Eindruck. „Sie haben mich kommen lassen", sagte er 
zu Mollien, „wie sie die anderen gehen ließen." 



Fünftes Kapitel/ 

Waterloo. 

„Friede und Freiheit", so lautete jetzt die Devise Napo- 
leons, mit der er sich den Franzosen zu empfehlen und das 
Mißtrauen zu besiegen suchte, das ihm in bürgerlichen Kreisen 
doch allenthalben entgegentrat. „Friede !" Wie oft hatte er ihn 
bisher versprochen, wie oft gebrochen! Und „Freiheit!" wie 
vielfältig hatte er sie unterdrückt! Wenn er jetzt sie zu geben 
und zu schützen versprach, wird man ihm glauben? Noch am 
Tage seiner Ankunft in Paris versicherte er es auch seinen 
Getreuen, den Maret, Cambaceres, Davout und Andern, die sich 
in den Tuilerien eingefunden hatten, es handle sich nun nicht 
darum, mit der Vergangenheit wieder anzufangen, man müsse 
von den Fehlern der Gegner, und von den eigenen, Vorteil 
ziehen; er wisse jetzt, was man zu vermeiden und was man 
zu wollen habe; die Gewalt habe er nur geliebt, solange er die 
Gründung eines riesigen Reiches plante, dazu war sie ihm un- 
umgänglich nötig; heute sei davon nicht mehr die Rede. Und 
sie vertrauten seinen Worten. Maret übernahm wieder das 
Staatssekretariat, Davout ließ sich zum Kriegsministerium 
bereden, Cambaceres erklärte sich bereit, provisorisch die 
Geschäfte des Justizministers zu führen, Gaudin und Mollien 
erhielten die Portefeuilles der Finanzen und des Schatzes 
wieder, Caulaineourt das des Äußern und Decres das der 



318 



Das neue Ministerium. 



Marine. Aber das war nicht all/u schwierig gewesen, diejenigen 
zu gewinnen, die immer zu ihm gehalten hatten und mehr 
oder weniger ohnehin auf ihn angewiesen waren. Das Wich- 
tigste bestand darin, der Bevölkerung Garantien zu bieten, daß 
er als ein völlig anderer wiederkehrte. Und da war mit Worten 
nichts getan, wenn er auch in Paris beim Empfang der obersten 
Behörden noch so feierlich versicherte, was er bereits in 
Grenoble und Lyon verkündet hatte: er wolle vergossen, daß 
Frankreich je der Herr der Welt gewesen, habe auf die Idee 
des Weltreichs (Grand Empire), zu dem er in fünfzehn Jahren 
allerdings erst den Grund gelegt habe, verzichtet, denke nur 
noch an das Glück und die Festigung des französischen Kaiser- 
reichs (Empire fran^ais), strebe keine Willkür mehr an, son- 
dern nur die Achtung der Person, den Schutz des Eigentums, 
den freien Kreislauf der Gedanken; denn die Fürsten seien 
bloß die ersten Bürger der Staaten. All das genügte nicht. 
Taten wollte man sehen. Napoleon lieferte auch diese. Vor 
allem ließ er sieh — nicht ohne Widerstreben und Mißtrauen 
— Fouclie als Polizeiminister aufnötigen, in dessen Vergangen- 
heit die radikalen und liberalen Kreise eine gewisse Bürgschaft 
erblickten und den jetzt selbst die Maret und Caulaincourt als 
unentbehrliches Werkzeug empfahlen, da er Fühlung nach allen 
Seiten und namentlich auch mit der fremdländischen Diplo- 
matie habe. Dann hob er die Zensur auf, die früher ihm, dann 
den Bourbon3 arg verübelt worden war, und ließ namentlich 
den Zeitungen ein größeres Maß von Freiheit. Ihm kostete dies 
jetzt keine sonderliche Überwindung mehr, denn er meinte 
richtig, nach dem, was die Presse seit einem Jahre wider ihn 
geschrieben habe, bleibe ihr von ihm nichts mehr, doch 
manches über seine Feinde noch zu sagen. Aber viel wirksamer 
noch als diese Maßnahmen war die Gewinnung Carnots, des 
alten, ehrbaren, genialen Verteidigers der Republik, für das 
Ministerium des Innern, und Benjamin Constants, des Führers 
der Partei der konstitutionellen Monarchie, die ihm zur Zeit 
des Konsulats vergeblich widerstrebt hatte, für den wieder ein- 
gerichteten Staatsrat. 

Noch kurz vor dem Eintreffen des Kaisers hatte ihn Con- 
stant im „Journal des Debats*"', das bereits damals eines der 



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Napoleon und Benjamin Constnnt. 319 

führenden Tagesblätter war, aufs heftigste angegriffen, ihn 
mit Attila und Tschengis Chan verglichen, und im Namen der 
Freiheitsfreunde die Versicherung abgegeben, er werde sich 
nie mit ihm verbinden. Jetzt ließ ihn Napoleon — wie es heißt, 
auf den Rat seines Bruders Joseph, der mit der Stael, der 
intimen Freundin Constants, in Verbindung stand — zu Hofe 
bitten und sprach so offen und vertrauensvoll zu ihm, daß der 
feindlich gesinnte Tribun gewonnen ward und es sogar über 
sich nahm, dem Kaiserreich zu dienen. Die Nation, sagte er 
ihm, habe nunmehr zwölf Jahre lang ausgeruht von inneren 
politischen Stürmen, seit einem Jahre ruhe sie vom Kriege 
aus: diese Ruhe habe ein Bedürfnis nach Betätigung in ihr 
erweckt. Sie wünsche jetzt wieder eine Tribüne und Ver- 
sammlungen. Das habe sie nicht immer gewollt. „Sic hat sich 
mir zu Füßen geworfen, als ich zur Macht kam; Sie müssen 
sich dessen entsinnen, da Sie damals Opposition versuchten. 
Wo war Ihr Rückhalt, wo Ihre Kraft? Nirgends. Ich habe 
mir weniger Gewalt genommen als mir gegeben ward. Heute 
ist alles anders. Der Geschmack an Verfassungen, Debatten 
und Reden scheint zurückgekehrt, nachdem eine schwache, den 
Nationalinteressen feindliche Regierung zur Kritik der Auto- 
rität herausgefordert hat. Aber es ist doch nur die Minderheit, 
die solches will, täuschen Sie sich darüber nicht. Das Volk, 
oder, wenn Sie lieber wollen, die Masse will nur mich. Sie 
haben sie nicht gesehen, wie sie sich um mich drängten, wie 
sie von der Höhe der Berge herabstürmten, um mich zu rufen, 
zu suchen, zu grüßen. Ich bin nicht, wie man gesagt hat, ein 
Soldatenkaiser, ich bin der Kaiser der Bauern und der Plebejer 
Frankreichs. Deshalb sehen Sie, wie das Volk zu mir kommt, 
trotz allem was geschah. Es besteht eine Gefühlsgemeinschaft 
zwischen uns. Ich bin aus den Reihen des Volkes hervor- 
gegangen, es hört auf meine Stimme. Ich habe Montmorencys, 
Ronans, Noailles, Beauvaus, Mortemarts um mich gehabt, aber 
keinerlei Sympathie hat zwischen uns geherrscht. Sehen Sie 
diese Konskribierten, diese Bauernsöhne; ich habe ihnen nicht 
geschmeichelt, habe sie rauh behandelt, und doch scharten sie 
sich um mich und riefen: Es lebe der Kaiser! Sie betrachten 
mich als ihren Halt, ihren Retter «egen die Edelleute. Em 



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320 Constant Mitglied des Staatsrates. 

Wink von mir und die Adeligen werden in allen Provinzen ge- 
mordet. Ich will aber nicht der König eines Bauernkrieges sein. 
Darum, wenn es möglich ist, mit einer Verfassung zu regieren, 
gut, so sei es. Weil ich ein Weltreich gewollt, hatte ich, um es 
zu begründen, eine unumschränkte Macht nötig gehabt. Und 
wen an meiner Stelle hätte nicht nach der Weltherrschaft ge- 
lüstet? Killen nicht Souveräne und Untertanen um die Wette 
unter mein Zepter? In Frankreich hab' ich bei einigen unbe- 
kannten und waffenlosen Franzosen mehr Widerstand ge- 
funden als bei all den Königen, die heute so stolz sind, daß 
keiner aus dem Volke ihnen gleicht. Nun bin ich kein Er- 
oberer mehr, kann es nicht sein, denn ich weiß, was möglich 
ist und was nicht; das Werk von fünfzehn Jahren ist zerstört; 
es läßt sich nicht wieder beginnen, man müßte denn weitere 
zwanzig Jahre und zwei Millionen Menschen opfern. Und um 
nur Frankreich zu regieren, ist eine Verfassung vielleicht 
besser. Sehen Sie nun zu, was Ihnen ausführbar scheint und 
legen Sie mir Ihre Pläne vor: öffentliche Verhandlungen, unab- 
hängige Wahlen, verantwortliche Minister, freie Presse, das 
alles ist mir recht. Daneben will ich den Frieden. loh werd' 
ihn durch Siege erstreiten. Ich mag in Ihnen keine falschen 
Hoffnungen erwecken. Wenn ich auch aussprengen lasse, daß 
Verhandlungen mit den Mächten im Zuge seien: es gibt keine 
Verhandlungen. Ich sehe vielmehr einem schweren und lang- 
wierigen Kriege entgegen. Um ihn zu bestehen, muß die Nation 
mich unterstützen. Dafür wird sie die Freiheit fordern. Sie soll 
sie haben." So sprach der Kaiser zu Constant, der selbst uns 
die Worte überliefert hat, die ihn gefangennahmen. Die Un- 
umwundenheit, mit der Napoleon seine Lage zeichnete, machte 
Eindruck auf ihn. Er erklärte sich bereit, einen Verfassungs- 
entwurf herzustellen. 

Also nicht „Frieden und Freiheit!" wie es von allen 
Mauerecken Frankreichs widerhallte, sondern im besten Falle 
„Krieg und Freiheit!" Und so war es wirklich. Niemand 
weniger als der Mann von Elba konnte von den europäischen 
Mächten erwarten, daß sie ruhig zusehen würden, Avie er, seine 
eingegangenen Verträge brechend, wieder Besitz ergriff von 
der Herrschaft über eine der unruhigsten Nationen der Welt, 



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Krieg statt Frieden. 



321 



die Europa mit einem zwanzigjährigen Kampfe beschäftigt 
hatte. Sollte denn der ganze riesige Aufwand an Gut und Blut, 
mit dem man endlich das alte „legitime" System des Gleich- 
gewichts der Staaten hergestellt, umsonst gewesen sein, bloß 
weil es einem Einzigen nicht gefiel, sich mit der Souveränität 
von Elba zu begnügen? Niemand hatte ihn gerufen, keine 
nennenswerte Konspiration, auch im französischen Heere 
nicht, seine Wiederkehr begehrt, denn ein Komplott in den 
nördlichen Garnisonen hatte sich von Fouche nur für den 
Gedanken einer Kegentschaft für seinen Sohn gewinnen 
lassen.*) Unversehens war er erschienen, um durch „Verblüf- 
fung" zu siegen, und zur Itevolte hatte es erst seiner "Ver- 
führung bedurft. Und in welchen revolutionären Formen war 
sie zutage getreten ! In welchen revolutionären Akzenten waren 
seine Aufrufe von Lyon erklungen!**) Nein, die europäischen 
Mächte konnten diesen dreisten Eingriff in das verbriefte 
Becht ihrer Politik nicht dulden, sie, die es in ihrer Erklärung 
vom letzten März J814 feierlich ausgesprochen hatten, nie 
und nimmer mit Donaparte Frieden zu schließen und denen 
gegenüber er in Fontainebleau gelobt hatte, für immer auf die 
Herrschaft über Frankreich zu verzichten. Daß sie seinem 
Unterfangen widerstehen würden, das wußte er — er hat es 
ja Constant offen cinbekannt — sehr gut. Er wußte daher auch, 
daß er, indem er noch einmal nach der Krone Frankreichs 
griff, diesem Lande aufs neue überlegene Feinde schuf und 
einen neuen entsetzlichen Krieg heraufbeschwor. Und darin 
lag sein im sühnbarer Frevel. 

*) Dal» man unter den Gegnern der Bourhona an eine Regent- 
schaft gedacht hatte und nicht ausschließlich an ihn, regte ihn, al* 
er durch Fleury davon hörte, gewaltig auf und war wohl mit einer 
der Beweggründe, die ihn so früh von Elba fortscheuchten. (Vergl. 
Fleury de Chaboulon, I. 126). 

**) An» 20. Juli 1815, als alles vorüber war, schrieb Metternich an 
Hudelist u. a.: „Zwischen Frankreich im Jahre 1815 und im Jahre 1814 
ist der Unterschied nicht geringer als zwischen demselben Frankreich 
in den Jahren 1814 und 1793. Das einzige Verdienst, welches Bona- 
parte um Frankreich und um Europa hatte, war die Zügelung des 
Jakobinisnins; aber auch dieses Verdienst sollte ihu nicht überleben, 
und er hat den Jakobinismas zum Abschiede an die Welt wieder frei- 
gegeben. '* i\\ r . St. A.) 

Fournier, Napoleon I. 21 



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322 Kuropa erklart Napoleon in die Acht. 

Am Morgen des 6. März war die Kunde von der Abfahrt 
Napoleons und seiner Truppen von Portoferrajo nach Wien 
celangt, wo der Kongreß keineswegs, wie Jener gehofft, sich 
schon aufgelöst hatte, sondern Fürsten und Diplomaten noch 
fast vollzählig anwesend waren. Unter dem gewaltigen Ein- 
drucke der Botschaft fanden sich zunächst die Monarchen 
Rußlands und der deutschen Großmächte in dem Entschluß, 
dem „Abenteurer*, wie ihn Kaiser Franz nannte, mit ein- 
mütiger Kraft zu begegnen, und da mau anfänglich über das 
Ziel seiner Fahrt im Unklaren war und Talleyrand Italien als 
solches für wahrscheinlich hielt, wurde dem kommandierenden 
österreichischen Feldmarschall Bellegarde der Befehl erteilt, 
ihn „sofort anzugreifen und aufzureiben". Castlereagh war 
zwar abgereist, aber Wellington, sein Vertreter, autorisiert, im 
gleichen Sinne sich zu verpflichten. Die beiden trennenden 
Hauptfragen, die polnische und die sächsische, hatten bereits 
durch Alexanders I. notgedrungene Mäßigung ihre Lösung 
gefunden. Dieser hatte, um sein Prestige als Weltbefreier 
und Fricdensbringer besorgt, schließlich von Polen so 
viel Land an Preußen überlassen, daß es sich mit der Hälfte 
von Sachsen (neben der Rheinprovinz) begnügen konnte, womit 
sich auch England und Österreich, und schließlich Friedrich 
August selbst, einverstanden erklärten. Und so erwies sich 
die Rechnung Napoleons auf die Zwietracht der Kabinette, 
wenn er je darauf gerechnet hatte, als eine falsche. Sie hatten 
jetzt vielmehr alle ein sie verbindendes Interesse, sich ein- 
trächtig wider ihn zu wenden: England, das für das neue 
Königreich der Niederlande, Preußen, das für seine Provinz 
am Rhein besorgt war, Rußland, dessen Zar den Vorwurf, den 
Korsen nach Elba gebracht zu haben, durch energische Feind- 
seligkeit gegen ihn parieren wollte, und Österreich, dessen 
Monarch nicht scheinen mochte, als verbände ihn noch irgend 
etwas mit dem Sohne der Revolution, als der sich Napoleon 
in seinen Lyoner Dekreten aufs neue gezeigt hatte. Am 
13. März hatte der Kongreß eine Achtserklärung wider ihn 
erlassen, in der man ihn „als Feind und Zerstörer der Ruhe 
der Welt" der öffentlichen Ahndung preisgab, und am 25. er- 
neuerten die vier Großmächte ihren Vertrag von Chaumont, 



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Seine Versuche, sich den Mächten zu nähern. 32 o 

indem sie sich verpflichteten, je 150.000 Mann — England 
das Äquivalent an Geld für die Truppen, mit denen es 
hinter dieser Zahl zurückbleiben würde — beizustellen und „die 
Waffen nicht eher niederzulegen, bevor Bonaparte nicht völlig 
außerstande gebracht ist, je wieder Unruhe zu stiften und seine 
Versuche, die höchste Gewalt in Frankreich an sich zu reißen, 
zu erneuern." Die andern Staaten schlössen sich an. 

So war Napoleon von dem Kontinent verfehmt, den er 
einst zu seinen Füßen gesehen hatte. Er tat jetzt alles mögliche, 
um den ungünstigen Eindruck, den dieses Welturteil auf das 
französische Volk machen mußte, abzuschwächen, oder viel- 
leicht in Wien selbst eine Milderung zu erreichen. Aber er 
hatte gut die Deklaration vom 13. März als ein Machwerk der 
Agenten Ludwigs XVIII. hinzustellen: die Wahrheit wurde 
doch bald olfenkundig, als die fremden Diplomaten ihre Pässe 
begehrten und abreisten. Er hatte gut aller Welt zu versichern 
— und es war ihm gewiß Ernst damit — daß er den Pariser 
Frieden vom 30. Mai 1814 respektieren werde, und (am 
1. April) an alle Souveräne zu schreiben, daß es sein liebster 
Gedanke sei, den Kaiserthron Frankreichs für die Befestigung 
der Ruhe Europas nutzbar zu machen.*) Wenn er nur einen 
Rechtstitel auf diesen Thron hätte geltend machen können 
und die Zustimmung der Nation in einer gültigeren Form als 
sie im Zuruf revoltierender Truppen oder revolutionärer 
Bauernscharen zum Ausdruck kam. Aber das konnte er nicht, 
und so war die Antwort nur, daß die Mächte ihre Heere, die 
sie noch nicht völlig auf Friedensfuß gesetzt hatten, nach 
Westen dirigierten. Es half ihm nichts, daß er schon am 
21. März durch Fouche einem englischen Agenten nahelegen 
ließ — und jetzt war es ihm auch damit Emst — er sei bereit, 
jeden Vorschlag Britanniens entgegenzunehmen, der einen für 
beide Teile ehrenvollen Frieden verbürge: es kam keine Ant- 
wort. Es half ihm auch nichts, daß er durch heimliche Boten 
Brief auf Brief an Marie Luise schickte, die sie nach Frank- 
reich riefen, und den Kaiser Franz um die Rücksendung seiner 
Gemahlin und seines Kindes bat, da er deren Krönung den 

* } Corres p. XX VIII. 21.769. 

21* 



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324 



Sie scheitern. 



Franzosen in Aussicht gestellt habe: Kind und Gattin blieben 
fort. Die Letztere ließ es schon am 12. März durch Metter- 
nich die vornehmsten Geschäftsträger des Kongresses wissen, 
daß sie den Entwürfen Napoleons durchaus fernstehe und sich 
unter die Obhut der Verbündeten stelle, und versicherte bald 
darauf ihrem Vater in einem ebenso ostensiblen Schriftstücke, 
wie sie nur seinem Schutz und seiner Leitung anheimgegeben 
fcein wolle.*) Der Prinz aber wurde, seitdem ein (übrigens halt- 
loses) Gerücht dem Grafen Anatole von Montcsquiou die Ab- 
sicht zugeschrieben hatte, ihn nach Paris zu entführen, streng 
behütet. Und es half Napoleon auch nichts, daß er, um neue 
Zwietracht zwischen den Höfen zu säen, den geheimen Trutz- 
vertrag vom 3. Januar Alexander bekannt werden ließ, nichts, 
daß er mit Talleyrand in Verbindung treten wollte, der soeben 
davon erfahren hatte, er sei mit Marmont, Bourrienne und 
zehn andern geächtet worden, und natürlich sich nicht finden 
ließ. Zwar erwogen die Fürsten und ihre Rate in Wien, ob 
etwa dadurch, daß das französische Volk die Herrschaft Napo- 
leons duldete, ein andres Benehmen einzuhalten wäre als das 
verabredete. Aber sie entschieden in einem von allen Bevoll- 
mächtigten am 12. Mai gezeichneten Protokoll, daß dies in 
ihren Entschlüssen keinen Wechsel hervorbringen könne: „Die 
Mächte seien zwar nicht befugt, Frankreich eine Regierung 
zu geben, aber sie würden niemals auf das Recht verzichten, zu 
verhindern, daß sich unter dem ^Titel „Regierung" dortselbst 
ein Herd von Unordnungen und Umwälzungen für die andern 
Staaten ergebe." Das Anerbieten des Kaisers, den Frieden von 
Paris zu respektieren, wiesen sie zurück, denn sie hätten diesen 
Frieden mit einer Regierung geschlossen, die für die Ruhe 
des Weltteils genügende Bürgschaft bot, würden ihn aber nie- 
mals mit Bonaparte eingegangen sein, ohne weit stärkere 
Garantien zu verlangen.**) An Foueh6, der angesichts des euro- 
päischen Widerstandes gegen Napoleon alsbald auch schon 
wider ihn zu intriguieren begann und in Wien heimlich an- 

*) 8. Meneval, Memoire« TTI. 418; meine Abhandlung „Marie 
Luise und der Sturz Napoleons", S. 411. 

**) D ; Angeberg, Congres de Vienne, I. 1184 f. Auch Talleyrand, 
Dalberg und Noailles unterzeichneten die Urkunde für Frankreich. 



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Verstimmung im französischen Volke. 325 

klopfte, schrieb Metternich: „Die Mächte wollen nichts von 
ihm wissen. Sie werden ihn aufs äußerste bekriegen, wollen 
aber Frankreich nicht bekämpfen."*) Da war es nun wieder die 
Alles beherrschende Frage, ob sich die beiden auseinanderhalten 
ließen? 

Bald war es allen Franzosen bekannt, daß des Kaisers 
"Vorgeben von Verhandlungen mit Österreich und andern 
Staaten nichtige Täuschting gewesen sei und daß man vor 
einem neuen Kriege stehe, der nur auf seine Rechnung komme, 
da er nur durch sein Erscheinen hervorgerufen ward. Der Ein- 
druck, den diese Erkenntnis auf die Bevölkerung machte, war 
ein tief verstimmender und hat — man kann es nicht anders 
ansehen — über das Schicksal Napoleons endgültig entschieden. 
Die Rente, die auf seine Vorspiegelungen hin etwas gestiegen 
war, fiel von nahezu 80, wo sie Anfang März gestanden hatte, 
auf 57 im April, was die Besitzenden und insbesondere die 
Masse der kleinen Rentiers von ihm trennte. Und nicht die 
Börsen der Franzosen allein verfeindete er sich, auch ihre 
Herzen. Jahrzehntelang hatten sie sehnsüchtig nach dem Frie- 
den ausgeschaut und ihn erst erreicht, als das Kaiserreich zu- 
sammenbrach. Nun ward es wieder aufgerichtet, und schon 
drohte die blutige Not aufs neue allen Familien, deren Sorge 
sich an ein vom Kriege gefährdetes Leben heftete. „Ich kann 
es nicht verschweigen," rapportierte der Staatsrat Miot von 
Melito, den Napoleon als Kommissar in die Norddepartements 
geschickt hatte, „daß Sie überall in den Frauen erklärte 
Feinde haben, und in Frankreich ist dieser Gegner nicht zu 
verachten."**) Der Kaiser mußte zugeben, daß er von anderen 
Sendboten das Gleiche hörte. „Aller Welt hat sich Niederge- 
schlagenheit bemächtigt," schrieb ein Engländer aus Paris an 
Castlereagh.***) 

Bei diesem neuerlichen Wechsel in der öffentlichen Mei- 
nung fiel es nur gering ins Gewicht, daß es Napoleon gelang, 
bourbonische Bewegungen im Süden, wo der Herzog und die 
Herzogin von AngoulSme Getreue um sich sammelten, mit Ge- 

*) Metternich, Nachgelassene Papiere, II. 516. 
**) Memoires, III. 394. S. unten S. 376. 
***) Historische Zeitschrift, 1866. 



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326 



Widerstand der Behörden. 



walt niederzuschlagen und Jenen zu einer Kapitulation, Diese 
zur Flucht zu nötigen. Frankreich war damit noch lange nicht 
überall den Bourbons entfremdet. Für die Bonaparte aber war 
es noch keineswegs ganz gewonnen. Die Vendee regte sich 
aufs neue, und es bedurfte immerhin eines Teils der Wehr- 
kraft, sie im Zaum zu halten. Das hatte Carnot schon vor 
Wochen vorausgesehen, als er Napoleon fragte, ob er wirklich 
Zusicherungen von Österreich habe, und auf dessen verneinende 
Antwort hinzufügte: „Dann haben Sie noch mehr zu tun als 
Sie getan haben/' Daß der Minister, um auf die Volksstim- 
mung einzuwirken, von siebenundachtzig Präfekten einund- 
sechzig entließ, half wenig, da die Nachfolger erst nach 
Wochen zu etwas Einfluß gelangen konnten. Und dieser fand 
an den Maires, die meist aus altadeligen Familien entnommen 
worden waren, einen zähen, passiven Widerstand. Man ent- 
fernte sie zwar, aber ohne Erfolg, weil die liberale Strömung für 
die Gemeinden das I?echt, ihre Vorsteher zu wählen, begehrte, 
und der Kaiser, der nun einmal in dieses Fahrwasser geraten 
war, auch hier nachgab und den Städten mit mehr als 5000 
Einwohnern jenes Recht zuerkannte: die Maires sollten von 
den Aktivbürgern gewählt werden. (Dekret vom 30. April 
1815.) Da nun aber die niederen Volksmassen, Arbeiter und 
Tagwerker, d. i. der begeisterte Anhang des Kaisers, dabei 
des Stimmrechts entbehrten, so wurden meist die früheren 
Bürgermeister wiedergewählt und waren nun nicht mehr zu 
beseitigen.*) Das Heer freilich hielt unbedingt treu zu 
seinem berühmten Führer, aber doch auch nur, soweit es 
unter den Waffen stand. Wohl war jetzt im Lande ein reiches 
Menschenmaterial vorhanden: alle die feldgeübten Krieger, 
die aus der Gefangenschaft, von der spanischen und italie- 
nischen Armee heimgekehrt und dann von Ludwig XVIII. 
größtenteils verabschiedet oder beurlaubt worden waren oder 
sich ohne Erlaubnis ihrer Dienstpflicht entzogen hatten. Man 
berechnete sie auf 120.000 Mann, die das Heer, das an- 
fangs kaum 200.000 zählte, für den Kriegsfall verstärken 



*) Hierüber hat Houssaye, „1815", I. 503 ft\ eingehend gehandelt. 
Dazu vcrgl. Mad. Cltnstcnay, Memoires, TT. 533. 



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Die Armee. 



327 



könnten. Werden sie nicht alle mit Begeisterung herbeieilen, 
wenn der Held von Austcrlitz und Friedland seine Adler auf- 
pflanzt? Sie taten's nicht, oder doch beiweitem nicht alle, ob- 
wohl ihnen in dem Einberufungsdekret versichert worden war, 
daß sie sogleich, nachdem der Friede gesichert wäre, entlassen 
würden. Nicht mehr als 52.000 waren Anfang Juni in die 
Reihen getreten, und Napoleon hatte mindestens auf das 
Doppelte gerechnet.*) Natürlich. Auch der härteste Kriegs- 
mann sehnte sich endlich nach Ruhe, und nun war er eben 
erst ihrer Freuden froh geworden, als ihn des Kaisers Mah- 
nung aufscheuchte. „Wir lieben den Pere Violette (d. i. Napo- 
leon)", läßt Castlereaghs Pariser Agent einzelne Soldaten zu 
ihren Quartiergebern sagen, „viel mehr als den Gros Papa, 
den wir nicht kennen (Ludwig XVIII); aber wir sind des 
Krieges satt, und wenn wir uns mit ganz Europa schlagen 
sollen, nehmen wir lieber den Gros Papa wieder." So konnte 
der Kaiser bald gewahren, daß er zwar einen Reichtum an 
Offizieren nnd Cadrcs, aber Mangel an Mannschaften habe, die 
letzteren zu füllen. Eines Tages fragte er seinen Schatzmeister 
Peyrusse im Vertrauen, ob man denn in Paris auch überzeugt 
sei, daß er eine große Armee versammeln werde. „Ew. Maje- 
stät werden nicht allcinstehen", antwortete Jener. „Ich fürchte 
fast", gab Napoleon zurück. 

Der Mangel an Kriegsmannschaft rührte übrigens na- 
mentlich daher, daß Napoleon sich — immer aus Rücksicht 
auf die öffentliche Meinung — scheute, die verhaßte und von 
Ludwig XVIII. abgeschaffte Konskription wieder einzu- 
führen. Andere Auskunitsmittel, sich Streitkräfte zu ver- 
schaffen, versagten. Da wurden z. B. fünf Fremdenregimenter 
errichtet, aber nur das polnische brachte es auf 800 Mann, die 
anderen blieben weit hinter dieser Ziffer zurück. Aus den Ma- 
trosen hoiTte man fünfzig bis sechzig Bataillone zu formieren, 
aber es wurden höchstens fünfzehn daraus, und diese kamen 
notdürftig erst im Juni zustande. Freiwillige, denen der Kaiser, 
die mageren Staatsfinanzen schonend, kein Handgeld zahlte, 
fanden sich nur 15.000 bis 30.000 ein. Gewiß, es war noch das 



*\ S. Houasaye, ,,1815", IT. 5 in teilweisem Widerspruch mit I. 628. 



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328 Die Xationalgardeu. 

große Reservoir der Nationalgardcn vorhanden, von denen 
Napoleon etwa 200.000 Mann im Alter zwischen zwanzig und 
vierzig Jahren nach einem alten revolutionären Gesetz vom 
Jahre 1792 mobil machen konnte. Aber er sah nur zu gut, 
daß die Nationalgarden in den meisten Städten jetzt durch- 
aus demokratisch gesinnt waren und nur dann zu ihm stehen 
würden, wenn er ihren radikalen Wünschen entgegenkäme. 
Es kann daher nicht überraschen, daß er zögernd an ihre Be- 
waffnung schritt und sie für den offenen Krieg nicht in Rech- 
nung brachte. Er dirigierte sie in die festen Plätze, wo sie die 
Linientruppen ablösten, und gestand ihnen überdies das Recht 
zu, Stellvertreter für sich eintreten zu lassen. Er war, wie 
Mole dem Lord Holland versicherte, sehr besorgt, daß die re- 
publikanische Partei die Oberhand erhalten werde, und be- 
klagte die Unmöglichkeit, Frankreich zum Kampfe gegen die 
Verbündeten anders zu bewegen, als indem er zu Mitteln 
griff, die er immer verworfen hatte; ja, er soll seiner Umge- 
bung gestanden haben, daß er nie Elba verlassen haben würde, 
wenn er die Notwendigkeit geahnt hätte, in solchem Maße 
willfährig gegen die Demokratie zu sein.*) All das ver- 
düsterte ihn. „Er war sorgenvoll," schildert ihn einer seiner 
Räte; „das Selbstvertrauen, welches früher aus seinen Reden 
sprach, der Ton der Autorität, der hohe Flug des Gedankens 
waren verschwunden; er schien bereits die Hand des Unglücks 
zu spüren, die sich bald schwer auf ihn legen sollte, und rech- 
nete nicht mehr auf seinen Stern." Andre fanden ihn leidend, 
erschöpft, durch die häufigen heißen Bäder, wie die einen 
meinten, durch ein geheimes Übel, wie die andren wußten, 
des Schlafes weit mehr bedürftig als sonst; er erschien allen 
verändert**) Carnot sah ihn einmal, wie er vor dem Bilde 
seines Sohnes Tränen vergoß, der Mann, der doch sonst sich 
selbst so gut 7A\ beherrschen wußte wie andre und seelischen 



*) Reminiszenzen von H. R. Lord Holl and, S. 166 der deutschen 
Ausgabe. 

*♦) Miot v. Melito, Hl. 395. Über seine Krankheit a. Ho us 8 aye, 
„1815«, I. 614. Vergl übrigens die Mitteilung des österreichischen Ge- 
nerals Koller bei Helfert, Napoleons Fahrt von Fontainebleau nach 
Elba, 8. 39. 



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Keine Konstituante. 



329 



und körperlichen Schmerz ohne Mienen Wechsel zu ertragen 
verstand. Und doch hat er die Anregung aus seiner nächsten 
Umgebung, zugunsten seines Sohnes abzudanken, womit nach 
den heimlichen Informationen Fouches durch Metternich der 
Krieg zu vermeiden war, weit von sieb gewiesen. „Ich bin nicht 
so dumm", sagte er zu Lucia n, mit dem er sich — auch ein 
der Öffentlichkeit dargebotenes Unterpfand seines Liberalis- 
mus — versöhnt hatte und der sich schon als Regent fühlen 
mochte. Und in der Tat gewährte, was der österreichische 
Minister einem geheimen Agenten, der in Basel mit einem 
Boten Fouches zusammentreffen sollte, mitgab, nicht Sicher- 
heit genug, um daraufhin das Opfer der Persönlichkeit zu 
bringen.*) Als Napoleon hinter diese Heimlichkeiten kam, 
war er nahe daran, seinen Polizeiminister verhaften zu lassen, 
unterließ es aber doch, um später oft, und bis in seine letzten 
Tage, seine Nachsicht dem Manne gegenüber zu bereuen, der 
nur noch darauf sann, sich und seine Stellung in da3 folgende 
Regime — sei es die Kegentschaft, der Herzog Louis Philipp 
von Orleans oder wieder die Bourbons — hinüber zu retten. 

Blieb nun aber Napoleon an der Spitze des Staates und 
wurde der Kampf unvermeidlich, dann galt es ihm vor allem 
auf eins zu achten: daß von dem geringen Ergebnis seines 
Appells an die erprobte Wehrkraft Frankreichs ja nichts ins 
Ausland dringe, ebensowenig wie davon, daß das Volk dem 
Kriegsgedanken unfreundlich gegenüberstand. Deshalb konnte 
sich Napoleon nicht entschließen, einer repräsentativen Ver- 
sammlung die Sorge um das Zustandekommen der neuen Ver- 
fassung anzuvertrauen, die seine freiheitlichen Versprechungen 
wahrmachen sollte. Welche Debatten! und am Ende noch die 
Gefahr, daß die Volksvertretung ihm in den Arm fiel und ihm 
das einzige Mittel entwand, von dem er noch sein Heil erwar- 
tete: den Sieg über den auswärtigen Feind. Nein, keine Kon- 
stituante. Lieber eine Diktatur, meinte Maret. Aber so gerne 
der Kaiser danach gegriffen hätte, er lehnte sie dennoch 
ab. Er war in seinen Zusagen, öffentlichen Reden und 
Manifesten schon viel zu weit gegangen, um zurück zu können. 



*) Metternich. Nachgelassene Papiere, II. 514 ff. 



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^30 Die n Zusatzakte u vom 22. April. 

Er mußte ein andres Auskunftsmittel suchen und glaubte es 
darin gefunden zu haben, daß er, was er gewähren will und bald 
gewähren muß, in der Forin einer Novelle zu den früher unter 
seinem Kegiment erteilten Verfassungen von seinen Bäten 
ausarbeiten und vom „souveränen" Volk einfach genehmigen 
ließ. Dazu eben sollte ihm Constant dienen, der sich sofort 
an die Arbeit begab. 

Am 22. April war das Werk vollendet und trat, nachdem 
es einer Kommission des Staatsrates und schließlich dem 
Plenum desselben vorgelegen hatte, unter dem Titel „Zusatz- 
akte zu den Verfassungen des Kaiserreichs" in die Öffent- 
lichkeit. Constants eigene Meinung soll gewesen sein, eine 
völlig neue Konstitution zu geben, die gleichsam alle früheren 
Gesetzakte des Empires desavouiert hätte, doch dazu hatte sich 
der Kaiser nicht bewegen lassen. Dieser wollte vielmehr sein 
autokratisches Gebaren von ehedem erklärend rechtfertigen, 
und wie er es tat, ist schon deshalb historisch interessant, 
weil er jetzt, was er dort im dunklen Drange seiner Herrsch- 
sucht unternommen hatte, als ein Vorbedachtes hinzustellen und 
dabei seinen Weltherrschaftsplan in das Gewand einer Staaten- 
konföderation zu hüllen suchte. „Wir hatten damals den Zweck", 
heißt es in der Einleitung zu den neuen Gesetzesartikeln, 
„ein großes europäisches Föderativsystem zu begründen, das 
wir gewählt hatten als dem Zeitgeist entsprechend und den 
Fortschritt der Kultur begünstigend. In der Absicht, es voll- 
ständig zu machen und ihm die möglichste Ausdehnung und 
Festigkeit zu geben, haben wir unterdes die Gründung meh- 
rerer innerer Einrichtungen vertagt, die dazu bestimmt waren, 
die Freiheit der Staatsbürger zu verbürgen. Fortan jedoch 
ist unser Ziel nur das eine: die Wohlfahrt Frankreichs durch 
die Sicherung der öffentlichen Freiheit zu erhöhen. Daraus 
entsteht die Notwendigkeit wichtiger Änderungen in den Kon- 
stitutionen, Senatskonsuiten und anderen Urkunden, durch 
welche dieses Reich regiert wird." Allerdings, es war eine 
Staatenföderation, was er gewollt hntte, aber unter der abso- 
luten Gewalt eines Einzigen, der nach seinem Belieben einzelne 
Glieder dieses Bundes verschwinden ließ, wenn es ihm so 
taugte: so Piemont, die italienischen Kleinstaaten, den 



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Der Motivenbericht. 



331 



Kirchenstaat, Holland, die Hansestädte, Oldenburg, Hannover, 
die spanischen Norddepartements, das Walliser Land, und wer 
weili, woran er sonst noch dachte.*) Allerdings, es war eine 
Föderation nnd er selbst weit entfernt, ganz Europa etwa 
in Frankreich aufgehen zu lassen; aber daß es in Napoleon I. 
aufging, das war sein wahrer Zweck. Hatte er nicht schon im 
Jahre 1804 den Widerstand Österreichs gegen seinen Willen 
als „Rebellion" erklärt?**) Vielleicht entsann man sich noch 
seiner im „Moniteur" des Jahres 1S07 veröffentlichten Mah- 
nung an seinen Neffen, den jungen Kronprinzen von Holland, 
er habe als die erste seiner künftigen Regentenpflichten stets 
die gegen den Kaiser anzusehen. Und hatte er nicht, als er 
Lucian zur Übernahme eines Thrones bestimmen wollte, Diesem 
zur Richtschnur an die Hand gegeben, „daß Soldaten, Gesetze, 
Steuern, kurz alles in dem von ihm regierten Lande nur für 
die Zwecke der kaiserlichen Krone da sei?"***) Hatte er nicht 
vor fünf Jahren an den Vizekönig von Italien geschrieben, 
er würde dieses Land sofort in Frankreich einverleiben, wenn 
es sich nicht völlig seiner Zollpolitik fügte?****) Gewiß hatte 
das ehrgeizige Tun dieses Mannes mit den himmelweiten Zielen 
und der beispiellosen Energie bei all dem Unheil, das es schuf, 
viel Wertvolles für die Entwicklung der europäischen Welt, 
viel dem „Zeitgeist Entsprechendes" und „den Fortschritt der 
Kultur Begünstigendes" mit sich gebracht, und es wäre sicher- 
lich ein arges Unrecht, das zu verkennen. Aber daß dies, wie 
er nun wollte, ihm stets als idealer Zweck vorgeschwebt habe, 
hl nichts weiter als hinterdrein ersonnene Schönfärberei. 

Nach dieser Einleitung, die nebenbei den Zweck hatte, 
dem Ausland in der feierlichsten Form darzutun, daß das 
Kaisertum seine Erobererrolle endgültig ausgespielt haben 
wolle, folgten in siebenundsechzig Artikeln die neuen Ver- 
fassungshestimmungen. Das Moment der „Freiheit" trat in 



*) Vergl. oben S. 59 die Tagebuchnotiz der Königin Karoline 
Baden betreffend, und S. 41 das Memorandum Champagnys über Preußen. 

**) S. Band H. S. 14. 

***) Lucian, Memoire» (ed. Jung) HL 111 und 326. 
*♦**) S. oben S. 22. 



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832 Die (Grundrechte und die Volksvertretung. 

den letzten, Art. 59 bis 6G, hervor: Niemand darf seinem ge- 
setzlichen Richter entzogen werden, niemand verfolgt, einge- 
kerkert oder verbannt werden, ehe das Gesetz gesprochen 
hat; Kultusfreiheit und Preßfreiheit sind zugestanden, die 
Letztere unter Verantwortlichkeit vor Geschworenengerichten; 
aller gesetzlich erworbene Grundbesitz ist unantastbar, das 
Petitionsrecht jedermann eingeräumt; der Belagerungszustand 
kann von der Regierung bloß im Falle einer feindlichen In- 
vasion, sonst nur durch ein Gesetz erklärt werden. Im übrigen 
ward die Umwandlung des früheren Gesetzgebenden Körpers in 
eine Repräsentantenkammer von 629 Mitgliedern verfügt, die 
von den Wahlkollegien der Departements und der Bezirke ge- 
wählt werden, wobei die Anzahl der Wahlmänner sich von etwa 
15.000 auf 100.000 hob und das passive Wahlrecht jedem fran- 
zösischen Staatsbürger zukam — und die des Senates in eine 
Pairskammer, deren Mitglieder der Kaiser ernennt, wenn 
sie nicht als Prinzen des regierenden Hauses ohnehin Sitz und 
Stimme haben; die Pairswürde ist erblich; die großen Vor- 
rechte, die der Senat ehedem besessen hatte, gehen auf die 
Pairskammer nicht über. Beide Kammern beraten öffentlich, 
können aber selbst die Öffentlichkeit ausschließen. Beide haben 
das Recht, Gesetzesvorlagen zu verlangen, zu den von der Re- 
gierung vorgelegten Entwürfen Zusatzanträge zu stellen und das 
Budget zu bewilligen. Im Abgeordnetenhause hat die Industrie 
ihre besonderen Vertreter. Die Minister sind verantwortlich, 
können von der Repräsentantenkammer angeklagt werden und 
haben dann in den Pairs ihre Richter. Das Recht der Gesetzes- 
auslegung, das früher der Staatsrat besessen hatte, fällt den 
Abgeordneten zu. Ein letzter Artikel schloß die Bourbons für 
alle Zeiten von der Regierung Frankreichs aus. 

Ehe Constant seinen Entwurf dem Staatsrat überlieferte, 
hatte er mit Napoleon lange Diskussionen über zwei Punkte 
gehabt. Einmal mußte die Erblichkeit der Pairie in den libe- 
ralen und demokratischen Kreisen, denen man ja doch ent- 
gegenkommen wollte, unangenehm auffallen. Aber da meinte 
der Kaiser, der auf ein aristokratisches Gegengewicht jetzt 
so wenig wie früher verzichten wollte, nach zwei oder drei 
gewonnenen Schlachten würde der altfranzösische Adel ihn 



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Napoleons Einwendungen. 333 

wieder aufsuchen, und dann sei der Betätigung desselben im 
öffentlichen Leben in der ersten Kammer ein geeigneterer 
Boden bereitet, als seinerzeit im Senate. Ein Zweites war, daß 
nach Constants Vorschlag ein besonderer Artikel dem Staats- 
oberhaupte das Konfiskationsrecht absprechen sollte, wie er 
in die Charte Ludwigs XVIII. Aufnahme gefunden hatte. Doch 
da widersetzte sich Napoleon wieder, indem er sagte, er wolle 
sich nicht wehrlos den Fraktionen überliefern, und es sei nötig, 
daß man die alte Kraft des Kaisers bemerke. „Man drängt 
mich da", rief er mit flammenden Augen aus, „in eine Bahn, 
die nicht die meinige ist. Man schwächt mich, man kettet mich 
an. Frankreich sucht mich und findet mich nicht mehr. Es 
fragt, was wohl aus dem starken Arm des Kaisers geworden 
sei, aus dem Arm, dessen es zur Bezwingung Europas bedarf. 
Man rede mir nicht von Güte, abstrakter Gerechtigkeit, von 
Gesetzen der Natur. Das erste Gesetz ist die Notwendigkeit; 
die Gerechtigkeit hegt vor allem im öffentlichen Wohl. Ist 
der Friede einmal geschlossen, dann- wollen wir sehen. Jeder 
Tag hat seine Arbeit, jedem Umstand gebührt sein besonderes 
Gesetz, jeder Einzelne hat seine Natur. Ich habe nicht die eines 
Engels und wiederhole : es ist notwendig, daß man den Arm des 
alten Kaisers wieder gewahre'*'.*) Man siebt, mit dem Herzen 
folgte er der Strömung des Tages nicht, der er sich 
nur nicht entziehen konnte, weil sie ihm seine Herrschaft zu 
verbürgen schien. Wenn aber jedem Umstand sein besonderes 
Gesetz gebührte (ä chaque circonstance sa loi), konnten sich 
nicht, etwa infolge seiner Siege, Umstände ergeben, die ganz 
neue Verfassungsgesetze erforderten? Zu Cambaceres, der ihn 
auf die starke liberale Strömung im Volke hinwies, sagte er 
einmal, noch vor dem Kriege in Belgien: „Noch ehe sechs 
Wochen vergehen, werde ich dieses hohle Geschwätz zum 
Schweigen gebracht haben/' Und auf St. Helena versicherte er 
wiederholt, er habe für den Fall, daß er im Felde Sieger blieb, 
die Kammern beseitigen wollen.**) So bäumte sich hier 
der alte Autokrat in ihm auf, den er 6onst so geschickt zum 
Schweigen gebracht hatte. Um den Rest der neuen Konsti- 

*) Constant, Cent jonrs, p. 48 ff. 

**) Chastenay ( Memoire8,n.497: Gourgaud,JournalI.98,U.323. 



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<W1 Die öffentliche Meinung über die Verfassung. 

tution in Sicherheit zu bringen, gaben seine Räte in dem 
strittigen Punkte nach. Der Artikel blieb fort. 

Das und Andres wurde aber nach der Publikation der 
Verfassung, die drm Volke Frankreichs ähnlich zur Annahme 
empfohlen ward, wie ehedem die Senatsgesetze von 1802 und 
1804, sehr bemerkt. Vor allem machte der Titel „Zusatzakte" 
einen höchst üblen Eindruck in der Meinung der verschiedenen 
Parteien. Also wieder nur das alte Willkiirregiment — hieß 
es — das Verfassungen von Beamten ausarbeiten läßt, wie ein 
Verwaltungsdekret, und sie dann einem Plebiszit unterwirft, 
damit unter aller erdenkbaren Pression nur mit Ja oder Nein 
abgestimmt werde, ohne die Möglichkeit einer Debatte oder 
eines nötigen Amendements? Das ganze politische Frankreich 
geriet in Entrüstung hierüber. Die Demokraten insbesondere 
bemängelten auch noch das Begnadigungsrecht, das sich der 
Kaiser vorbehalten hatte, sein Hecht die Kammerpräsidenten 
zu bestätigen u. a. ni. „Man beachtete gar nicht, was an der 
neuen Konstitution weise und liberal war," erzählt Broglie, „ge- 
nug, es war eine aufgenötigte Charte, eine neue, durchgesehene 
und verbesserte Ausgabe der Verfassungen des Kaiserreichs; 
was brauchte es mehr, um das Geschrei eines Publikums zu ent- 
fesseln, das sich wenig um den Kern der Dinge kümmert?" 

So hatte die neue liberale Verfassung bei allen ihren Vor- 
zügen, als sie in die Öffentlichkeit trat, nicht den Erfolg, den 
sich der Kaiser und seine Mitarbeiter daran von ihr versprochen 
hatten. Die „Freiheit'*' wog in der Auffassung der verschiedenen 
Parteien den „Krieg" nicht auf, das Mißtrauen war zu groß. 
Auch als Napoleon sich docli noch herbeiließ, das Einberu- 
fungsdekret für die Wahlkollegien zur Wahl der Deputierten 
zu veröffentlichen, die sogleich nach der Verkündigung des 
Plebiszits zusammentreten sollten, vermochte er den üblen 
Eindruck nicht abzuschwächen. Das zeigte sich insbesondere 
bei der Abstimmung. Von den vierthalb Millionen, die im Jahre 
1S03 für das Konsulat auf Lebenszeit, 1804 für das Kaiser- 
reich votiert hatten, fand Napoleon jetzt, die 214.000 Stim- 
men der Armee mit eingerechnet, nur 1,500.000 wieder. Von 
den stimmberechtigten Aktivbürgern — etwa fünf Millionen — 
hatten sieh demnach, da die Verneinenden kaum 5000 betrugen, 



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Das „Maifeld-. 335 

über zwei Drittel abseits gehalten. Und auch die Wahlen fielen 
wenig günstig aus. Von den 629 Abgeordueten waren nur etwa 
80 ausgesprochene Bonapartisten, die sich ihren Kaiser nicht 
als konstitutionellen Honarchen, sondern als uneingeschränkten 
Diktator wünschten. Über fünfhundert waren Liberale ver- 
schiedener Farbe, die zu dem Imperator, auch wenn er sich, 
wie er tat, zu ihnen bekannte, kein Zutrauen hatten und nur 
nach der möglichsten Beschränkung seiner Gewalt sein Regi- 
ment erträglich zu finden bereit waren. Das waren Niederlagen, 
die sich nicht verbergen ließen, man mochte das „Maifeld", das 
der Kaiser erst am 1. Juni in Paris abhielt und wo das Eesultat 
der Abstimmung über die Verfassung verkündet wurde, mit 
nocli so viel theatralischem Pomp in Szene setzen. 

Eine vielhundertköpfige Menge drängte sich an diesem Tage 
um den Champ de Mars, wo der Hof, die Minister, die obersten 
Begierungsbehörden, die hohe Geistlichkeit aus verschiedenen 
Stadien, Tausende von Wahlmännem aus den Departements, 
zahlreiche Deputierte, Nationalgarden, Linientruppen, im ganzen 
an45.000 Menschen versammelt waren und den Kaiser 'erwarteten, 
der in einem achtspännigen Galawagen, zu Pferde begleitet von 
vier Marschällen und einer enormen Suite, herbeikam. Es war 
die letzte pomphafte Manifestation des Empire. Nach einer 
feierlichen Messe richtete der Sprecher der erschienenen Ver- 
treter der Wahlkollegicn das Wort au Napoleon: er möge von 
ihnen alles erwarten, was ein Held und Begründer der Ordnung 
nur immer von einer treuen, tatkräftigen, in ihrem Wunsche 
nach Freiheit und Unabhängigkeit unerschütterlichen Nation er- 
warten könne. Das klang sehr loyal, doch stand dem gegenüber 
ein Vorbehalt. „Ihren Versprechungen vertrauend", wurde ge- 
sagt, „werden unsere Abgeordneten mit reifer Überlegung und 
Weisheit unsere Gesetze durchgehen und sie mit dem konsti- 
tutionellen Systeme in Einklang setzen", d. h. man halte das 
Werk der Verfassungsgebung keineswegs für beendet und das 
Volk werde an der Artikulierung seiner Hechte den ilim ge- 
bührenden Anteil schon noch nehmen. Zum Glücke hatte man 
den Redner vorher noch dazu bestimmen können, folgenden 
Satz zu unterdrücken: „Wir scharen uns um Sie, weil wir 
hoffen, daß Sie uns aus Ihrem Exil die Reue eines großen 



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336 Ansprache und Erwiderung. 

Mannes mitbringen." Dagegen ward das Verhältnis zum 
Auslande mit Patriotismus berührt und gefragt: „Was 
wollen diese Monarchen, die sich mit einem so mächtigen 
Kriegsapparat auf uns zu bewegen? Wodurch haben wir ihren 
Angriff hervorgerufen? Haben wir seit dem Frieden die Ver- 
träge verletzt? Jeder Franzose ist Soldat; der Sieg wird aufs 
neue Ihre Adler begleiten, und unsere Feinde, die auf unsere 
Spaltungen rechneten, werden bald beklagen, uns herausgefor- 
dert zu haben.** „Wir wollen nicht/' hieß es dann, auf das von 
Fouche eifrig unter der Hand verbreitete Gerücht von der 
Abdankung des Kaisers anspielend, „wen sie uns zum Oberhaupte 
geben wollen, und wollen, den sie als solches nicht wünschen." 
Auf dies und auf anderes antwortete Napoleon, nachdem das 
Resultat der Volksabstimmung bekannt gegeben war und er die 
Zusatzakte unterzeichnet und beschworen hatte, in sicherer 
Hede. Was die Fremden wollten? Die Niederlande möchten sie 
vergrößern, ihnen alle festen Plätze des französischen Nordens 
als Grenze zuweisen, sich untereinander in Elsaß und Loth- 
ringen teilen. Das müsse zurückgewiesen werden. „Dann, wenn 
dies geschehen, wird ein feierliches Gesetz die verschiedenen 
zerstreuten Bestimmungen unserer Verfassungen im Sinne der 
Zusatzakte vereinigen/' Indem er so selbst die Letztere als 
etwas Vorübergehendes bezeichnete, meinte Napoleon den all- 
gemeinen Widerwillen noch besiegen zu können. Und auch den 
andern heiklen Punkt berührte er. Er würde den fremden 
Königen sein Dasein gerne opfern, gegen das sie sich so erbost 
zeigen, wenn er nicht sähe, daß sie es auf das Vaterland abge- 
sehen haben, was soviel heißen sollte, als man irre sich, ihn 
allein für den Stein des Anstoßes zu halten, Zu einem Ver- 
trauten sagte er richtiger: „Sie bekämpfen in mir die Revo- 
lution." 

Aber all das beruhigte die Gemüter doch nicht. Andres ver- 
droß geradezu. Daß er, um seine unabhängige Autorität zu 
zeigen, nicht im Soldatenrock der Nationalgarde, sondern in 
einem blendenden Phantasiekostüm der Majestät erschienen 
war, machte einen ebenso ungünstigen Eindruck wie die Aus- 
drücke „Mein Volk", „Meine Hauptstadt" in seiner Rede. Man 
hatte derlei von dem Sprößling der Revolution nie gerne ge- 



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Die zweite Kammer und die neuen Pairs. 337 



hört. Und vollends jetzt. Als dann, nach einem Te Deum, Na- 
poleon vom Throne herabschritt und auf einem inmitten des 
Platzes gelegenen hohen Piedestal die Verteilung der Adler vor- 
nahm, bemerkten es selbst die eifrigsten Bonapartisten, daß 
auf seine den Nationalgarden zugerufene Frage, ob sie wohl ihre 
Adler mit ihrem Blute zu verteidigen bereit wären, das Echo 
der Begeisterung entbehrte.*) Nur die Kaisergarden schworen 
mit Leidenschaft. „Als sie vor dem Kaiser defilierten," erzählt 
ein Augenzeuge, „leuchtete es in ihren Blicken wie von einem 
dunklen Feuer; man glaubte auf ihren Lippen das ,Morituri te 
ealutant* zu lesen." So hatte das im ganzen recht ermüdende 
Fest der neuen Regierung nicht nur nichts genützt, sondern die 
Opposition eher noch mehr verschärft. Nur auf einen der Zu- 
schauer machte es den vollen und nachhaltigen Eindruck gran- 
dioser Macht und Herrlichkeit. Das war ein siebenjähriger 
Knabe. Die Geschichte verzeichnet ihn als Napoleon III. 

Am deutlichsten kam die Spannung zwischen Volk und 
Herrscher zutage, als am 3. Juni die Repräsentantenkammer 
zusammentrat. Napoleon hatte darauf gerechnet, daß es möglich 
sein werde, die Versammlung zu führen und zu beeinflussen; aber 
dieses Mittel versagte gleich am ersten Tage. Denn die Depu- 
tierten, die sich beeilten, ihren Wählern ihre Unabhängigkeit 
nach oben zu beweisen, wählten Lanjuinais, einen der wenigen 
Opponenten im früheren Senat, der seinerzeit gegen das Empire 
gestimmt hatte, zum Präsidenten. Von einer Leitung der 
zweiten Kammer war somit keine Rede, und es blieb, als ein 
Gegengewicht dazu, nur noch die Pairskammer übrig, deren 
Mitglieder Napoleon jetzt ernannte. Das waren, außer seinen 
drei in Paris weilenden Brüdern Joseph, Lucian, Jeröme, dem 
Onkel Fesch und Eugen Beauharnais, seine Minister, die treu- 
gebliebenen Marschälle (Davout, Massena, Suchet, Ney, Brune, 
Moncey, Soult, Lefebvre, Grouchy, Jourdan, Mortier), eine 
größere Anzahl (38) Generale, Bertrand und Drouot voran, vier 
Admiräle, vier Erzbischöfe und Bischöfe, mehrere ehemalige 
Senatoren, von den Gelehrten jedoch nur Monge, Chaptal und 

*) „Die Eide* — erzählt Coignet — „ertönten ohne Energie, der 
Enthusiasmus war schwach. Das waren nicht die Rufe von Austorlitz 
und Wagram. Der Kaiser bemerkte es wohl". 

Fournicr, Napoleon I. 22 



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Dir Thronrede vom 7. Juni. 



Lacepede, einige Vertreter des alten Adels, darunter eein Ze- 
remonienmeister Segur, Staatsräte, Financiers u. a. Auch 
Sieycs und Koger-Ducos, die Helfer vom Brumaire, fehlten 
nicht. Am 7. Juni eröffnete der Kaiser die Sessionen beider 
Häuser mit einer Thronrede, aus der alle Äußerungen fort- 
fielen, die am 1. Juni unangenehm aufgefallen waren, und die 
deshalb auch einen besseren Eindruck machte. Nahestehende 
freilich, wie Lafayette, wollten ihm die Überwindung ange- 
merkt haben, die ihm der formelle Verzicht auf die Autokratie 
kostete, als er die Worte sprach: „Ich habe die konstitutionelle 
Monarchie begonnen. Die Einzelnen sind unvermögend, das 
Schicksal der Nationen zu bestimmen; nur die Institutionen 
können sie gewahrleisten." Dem fremden Ansturm gegenüber 
würden er und das Heer ihre Schuldigkeit tun. Und doch 
mußte er sehen, daß er für dieses Opfer an persönlicher Ge- 
walt wenig Vertrauen und Anerkennung fand. Denn wenn ihm 
auch die Kammer der Abgeordneten am 11. in einer Adresse 
die Kräfte des Landes zu dessen Verteidigung zur Verfügung 
stellte, so hieß es doch darin, daß „selbst der Wille des sieg- 
reichen Fürsten nicht imstande sein würde, die Nation ans 
den Grenzen ihrer Verteidigung hinauszuziehen", daß die Zu- 
satzakte „fehlerhafte und unvollkommene Bestimmungen" 
enthalie, die revidiert werden müßten. Und so groß blieb das 
Mißtrauen in den Eroberer von ehemals, daß selbst die ge- 
treue Mehrheit der Pairskanuner auf die neuen Institutionen 
Frankreichs verwies, „die Europa Bürgschaft bieten dafür, daß 
die französische "Regierung niemals durch die Verführung des 
Sieges fortgerissen werden könne". 

Doch diese Sorge war eitel. Der große General, der am 
12. Juni 1815, bekümmerten Sinnes, wie seine Umgebung be- 
merkte, zur Armee abreiste, wird schon nach neun Tagen 
wiederkehren, besiegt wie nie und vernichtet für immer. 

Die ungünstigen äußeren und inneren Verhältnisse, unter 
denen Napoleon sein neues Regiment antrat, brachten es mit 
sich, daß ihm Anfang Juni nicht die Streitmittel zu Gebote 
standen, auf die er ursprünglich gerechnet haben mochte. Um 
j;i nicht vor Europa und Frankreich als der alte Angreifer zu 



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Rüstungen in Frankreich. 

erscheinen, hatte er, selbst als der Krieg bereits drohte, noch 
wochenlange mit den Rüstungen gezögert, und sie auch dann 
noch als rein defensive gekennzeichnet, indem er z. B. Paris 
und Lyon befestigen ließ. Wir wissen, daß er aus Rücksicht 
auf die öffentliche Meinung, und um nicht sogleich wieder 
die Opfer zu fordern, die ihn ehedem verhaßt gemacht hatten, 
die Konskription von 1815 nicht verfügt hatte. Erst nach 
den Wahlen wagte es der Staatsrat, die Pflichtigen des Jahres 
1815, die bereits im Vorjahre zum Teil mitgekämpft hatten, 
als beurlaubt einzuberufen. Die Stimmung hatte sich aller- 
dings jetzt insoferne gebessert, als die Sorge vor einer neuen 
Invasion der Fremden den Patriotismus belebte. Die Einbe- 
rufung fand in zahlreichen Departements, namentlich im Zen- 
trum und im Osten des Landes, weit weniger Widerstand als 
vor Jahresfrist, und um die Mitte des Juni standen an 50.000 
Konskribierte bereit. Nun konnte man es auch unternehmen, 
gegen die Säumigen mit Zwangsmaßregeln vorzugehen, den 
Gemeinden die finanzielle Sorge für die Ausrüstung und Er- 
haltung der Nationalgarden aufzuerlegen, ja, von diesen 45.000 
Mann als Reservedivisionen der aktiven Armee zuzuteilen, die, 
Garnisonen, Depots usw. abgerechnet, 180.000 Mann zählte. 
Die übrigen Nationalgarden, Freikorps, Matrosen usw. bildeten 
eine Hilfstruppe von etwa gleichfalls 180.000 Bewaffneten, 
die aber für den offenen Kampf nicht in Betracht kamen. 
Das war wenig, um gegen ganz Europa zu fechten. Und 
welchen Aufwand an Geschick und eifriger Sorge hatte es 
nicht schon gekostet, diese Kräfte parat zu stellen ! Die Ricsen- 
kämpfe der letzten Jahre hatten alles Kriegsmaterial er- 
schöpft und das friedliche Regime Ludwigs XVIII. so gut 
wie nichts darauf verwendet; mit fieberhafter Eile mußten 
diese Dinge neu beschafft werden, sowie die Tausende von 
Pferden für die Kavallerie und die Artillerie auf Kriegsfuß. 
Zum Glück hatte man in den Staatskassen 50 Millionen 
Franken vorgefunden, von Bankiers für mehr als 3U> Milli- 
onen Renten ein Kapital von vierzig Millionen er- 
halten, und da auch die Steuern nicht verweigert wurden, 
so konnte man immerhin die allernötigsten Auslagen be- 
streiten. Der Kaiser hätte nun noch zögern, Zeit gewinnen 

22* 



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340 



Wellington und Blücher. 



und sich nicht unwesentlich — um 80.000 Mann binnen 
einem Monat, berechnete man — verstärken können, aber er 
tat es nicht, sondern ergriff, nachdem alle Mittel der Ver- 
ständigung erschöpft waren, die Offensive. Und dies aus guten 
Gründen.*) 

Die Verbündeten des 25. März hatten den Krieg gegen 
Napoleon nicht so eilig in Szene gesetzt, als er beschlossen 
worden war. Nur Preußen hatte rasch mobilisiert, ein am 
Niederrhein stehendes Korps auf den Wunsch Wellingtons 
nach Belgien geschoben, drei andre folgen lassen und in der 
zweiten Hälfte April ein Heer dort stehen gehabt, das 
sich Anfang Juni auf 120.000 Mann bezifferte und dessen 
Kommando wieder Blücher mit seinem treuen Gncisenau über- 
nahm. Zu derselben Zeit hat auch Wellington eine aus 
Deutschen (Braunschweigern, Hannoveranern, Nassauern), 
Engländern und Niederländern zusammengesetzte Armee von 
105.000 Mann, namentlich zum Schutze Brüssels und Gents, 
gesammelt,**) von denen übrigens 12.000 in den Festungen 
lagen und zu den .Feldoperationen nicht herangezogen werden 
sollten. Beide Feldherren wünschten die Offensive, um Napo- 
leon nicht Zeit zu Rüstungen zu lassen. Aber sie drangen in 
Wien nicht durch. Hier hatte man sich für einen Kriegsplan 
entschieden, der auf große Truppenmassen basiert war, ein 
möglichst sicheres, siegreiches Vorgehen bezweckte und des- 
halb viel Zeit erforderte, da die Küssen sehr langsam nach 
Westen rückten, Alexander, ohne seine Streitkräfte allzu sehr 
zu engagieren, wieder nach der leitenden Rolle des Vorjahres 
geizte, und die Österreicher, die diese Absicht des Zaren zu 
stören hofften, und auch neuerlicher Vorgänge in Italien wegen, 
mit der Zögerung ganz einverstanden waren. In Italien hatte 
nämlich Murat im Sinne seines Schwagers schon Ende Marz 
losgeschlagen und die Italicner in einer Proklamation zum 

*) Für die militärischen Rüstungen Napoleons in diesen Wochen 
findet man jetzt das Nötige in Honssaye. ..I81v k , IT (Waterloo). S. 1 ff. 
verzeichnet. 

**) Die Feldarmee Wellingtons zählte (nach Lettow-Vorbeck, 
Untergang Napoleons, I. 480) rund 36.000 Deutsche. 32.000 Engländer, 
25.000 Holländer. 



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Feldzugspläne. 841 

Kampf um ihre Unabhängigkeit aufgerufen. Dann war er 
rasch bis zum Po heraufgedrungen, mußte aber, da er die 
nationale Unterstützung nicht fand, die er gesucht, vor den 
Österreichern zurückweichen, die ihn am 2. und 3. Mai bei 
Tolentino besiegten, so daß ihm nur die Flucht nach Neapel 
und von dort nach Frankreich übrig blieb. Durch all diese 
Umstände veranlaßt, hatten die Mächte schließlich den Be- 
ginn der großen Kooperation gegen Frankreich, die man mit 
700 — 900.000 Mann durchzuführen gedachte, auf den 27. Juni 
verschoben. Wellington erklärte sich — wohl auch aus poli- 
tischen Gründen, um eine dominierende Stellung Rußlands mit 
geschonten Kräften hintanzuhalten — einverstanden, und 
wünschte überdies, daß die Aktion vom Oberrhein her be- 
ginne, ehe er und Blücher gemeinsam vorrückten, wie sie es 
in einer Zusammenkunft zu Tirlemont am 3. Mai verabredet 
hatten. Danach sollte die Offensive nach Frankreich erst am 
1. Juli beginnen. 

Durfte nun Napoleon den Angriff der Feinde abwarten? 
warten, bis ihre Heere auf gleicher Höhe, d. i. in gleicher 
Entfernung von Paris angekommen waren und konzentrisch, 
die Engländer und Preußen von Nordosten, die Russen und 
Österreicher von Osten und Südosten her, in Frankreich vor- 
drangen? Seine prekäre Stellung, die Kriegsunlust der 
Franzosen und die Notwendigkeit eines raschen Sieges für 
seine persönliche Geltung erlaubten es nicht, dem Lande die 
Mühsal einer Invasion aufzuladen, ohne einen Schritt getan 
zu habon. der sie fernhielt und die ermutigende Wirkung 
eines Einmarsches der Gönner der Bourbons auf die royali- 
stische Vcndöe und den legitimistischen Süden störte. Da 
nun die Mobilisierung der Gegner nicht überall mit der gleichen 
Raschheit erfolgt war, die englische und die preußische Armee 
bereitstanden, während die russische und österreichische sich 
erst bildeten, ergab sich die Möglichkeit, jene in einem kräf- k 
tigen Ansturm zu besiegen, ehe diese völlig heran waren. Und 
welche politische Folgen konnte ein solcher Sieg nicht haben! 
Sollten die Mächte die Erinnerung an ihren letzten Zwist und 
das Bewußtsein der Verschiedenheit ihrer Interessen, die kürz- 
lich fast bis zur offenen Feindseligkeit unter ihnen geführt 



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Der französische Aufmarsch. 



hatte, so rasch und völlig wieder eingebüßt haben? Napoleon 
wußte es gewiß genau, daß auch in Wien die Chancen der 
Bourbons gesunken und die Verbündeten über die Zukunft 
des französischen Thrones keiner einigen Ansicht waren. Unter 
solchen Umständen entschloß er sich — gegen die Abmahnung 
Carnots, wie es heißt — seine erste Absicht, in einem ver- 
schanzten Lager vor Paris mit seiner gesamten aktiven Armee 
den Feind zu erwarten, aufzugeben, nordwärts die Offensive 
zu ergreifen und zunächst in Belgien zu schlagen. Freilich 
hatte er nicht seine ganze Feldarmee lüefür zur Verfügung: 
10.000 Mann waren in der Vendee notwendig, um den Auf- 
stand zu dämpfen, den royalistische Agenten dort, auf dem 
alten Felde ihrer Wühlereien, entzündet hatten, und außer- 
dem mußten drei Korps unter Suchet, Kapp und Lccourbe 
den Osten des Landes vom Rhöne bis zur Mosel, drei andre 
kleinere Abteilungen unter Brune, Decacn und Clausel den 
Süden zu decken suchen, so daß ihm nur 124.000 Mann für 
seinen Angriff über die belgische Grenze übrig blieben. Aber 
sie schienen ihm nicht ungenügend.*) Es waren auch im ganzen 
tüchtige Kriegsleute, nur im Vollgefühl davon, daß sie allein 
dem Kaiser aufs neue zur Regierung von Frankreich ver- 
holfen hatten, von maßloser Überhebung und in ihrem Miß- 
trauen in die politische Gesinnung ihrer Oberoffiziere zu Un- 
disziplin und Ausschreitung nur zu sehr geneigt. In aller Heim- 
lichkeit — auch seinen Generalstabschcf Soult nicht genügend 
von allen seinen Absichten im Einzelnen unterrichtend — 
hat sie Napoleon südlich von der Sambre, zwischen Beaumont 
und Philippeville, aufgestellt: 21.000 Garden, fünf Armee- 
korps unter Drouet d'Erlon, Reille, Vandamme, Gerard und 
Mouton und vier Reiterkorps einer unter Grouchy stehenden 
Kavalleriereserve. Am 14. ist er selbst in Beaumont, faßt mit 
dem nur ihm eigenen Geschick all diese Truppen hart an der 



*) Mau hat ihm in jüngster Zeit nicht ohne Grund wieder, wie 
schon früher Charras tat, vorgeworfen, daß er so viel von seiner 
aktiven Armee nach anderer Seite detachiert und nicht lieber Kapp 
mit seinen 20.000 Mann nach Norden gezogen habe. (Grouard, La 
critique de la campagne de 1815, p. 6 und 267). 



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Napoleou ergreift die Offensive. 343 

Grenze Charlcroi gegenüber zusammen, und beginnt am Früh- 
morgen des 15. die Operationen. 

Wellington und Blücher, denen die schmalen Kräfte des 
Feindes nicht unbekannt geblieben waren, hatten sich schon des- 
halb, und weil bisher noch alle Gerüchte von dessen An- 
marsch gelogen hatten, einer so raschen Offensive nicht ver- 
sehen. Beide Heere haben ihre Korps weit zerstreut: die Eng- 
länder, weil ihr Führer „alles decken", Brüssel und Gent 
schützen wollte, standen in einem Baume von Binche an der 
französischen Grenze westwärts bis Oudenarde, mit der Rück- 
zugslinie über Brüssel, wo das Hauptquartier und eine Re- 
servearmee lag, ans Meer, die Preußen mit Rücksicht auf ihre 
Verpflegung auf einer Strecke von 15 Meilen, von Einehe und 
Charleroi ostwärts bis über Lüttich hinaus, mit Namur als 
Hauptquartier und der Rückzugslinie an den Rhein. Binche 
bildete demnach den Berührungspunkt für die beiden Auf- 
stellungen, und rechts davon, bei Charleroi, wo die Straßen 
von Brüssel und Lüttich zusammenliefen, wollte Napoleon 
durchbrechen. So wie er bei seinem ersten Feldzug in Italien 
von Savona über das Gebirge zwischen Piemontesen und Öster- 
reichern durchgedrungen war, will er auch jetzt die beiden 
Heere trennen und Wellington und Blücher einzeln schlagen, 
wie er dort Colli und Beaulieu geschlagen und auf ihre 
divergierenden Rückzugsstraßen zurückgeworfen hatte. Hat er 
dann die zwei nächsten und wichtigsten seiner Gegner besiegt, 
so wird er, aus den Depots verstärkt und mit Rapp vereinigt, 
"oi;cn Russen und Österreicher ziehen. Das ist sein Plan. Am 
15. Juni besetzt er Charleroi mit leichter Mühe, da die Preußen 
unterlassen hatten, die Sambrelinie zu befestigen, und teilt nun 
seine Armee in zwei Flügel und eine Reserve. Er schickt Ney, 
dem er die Korps von Reillc und d'Erlon zuweist, links auf der 
Brüsseler Straße gegen Gosselies, Grouchy, dem er Vandamim* 
und Gerard unterstellt, rechts gegen Fleurus vor, während er 
selbst sich die Garden und das Korps Moutons vorbehält, mit 
donen er nach seinem Ermessen entweder hier oder dort ein- 
greifen will. Nachdem die preußischen Vortruppen bei 
Gosselies haben weichen müssen und Neys Reiter — vorüber- 
gehend — bis nach Quatre-Bras an die Straße Nivelles-Namur 



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344 Unvollständige Überraschung der Gegner. 

gestreift haben, während Grouchy, dem er selbst sich an- 
schließt, über Gilly bis nach Fleurus vorgedrungen ist, hält er 
die Überraschung der Gegner für gelungen, den Durchbruch für 
vollführt. Doch das war eine Täuschung. Er hätte mit allen 
verfügbaren Kräften rasch auch noch über Fleurus hinaus auf 
die genannte Straße vorstoßen müssen, um die Konzentrie- 
rung der durch Überläufer in letzter Stunde gewarnten 
Preußen zu stören und sie, isoliert und noch unvorbereitet, zu 
schlagen. Denn Wellington, der seinen Bundesgenossen nicht 
für ernstlich bedroht hielt, weil er den Hauptangriff des 
Feindes auf sich gerichtet glaubte und in dessen Stoß gegen 
die Preußen nur ein Scheinmanöver sah, unterließ es am 15., 
seine Truppen linker Hand zu konzentrieren, und gab erst 
am Abend, durch Boten Blüchers spät genug aufgeklärt, seiner 
Reservearmee Befehl, am nächsten Frühmorgen nach Süden 
vorzugehen. So hätte Napoleon an diesem Tage leicht die Preu- 
ßen vereinzelt und unvorbereitet treffen und überwältigen 
können. Das hat er — Verzögerungen im Anmarsch und Ermü- 
dung der Truppen mochten daran schuld sein — unterlassen. 
Aber er vermag es auch noch am folgenden Tage, wenn er sich 
nur beeilt. Denn so weit war doch Blücher überrascht worden, 
daß ein entfernt stehendes Korps unter Bülow am 16. noch 
nicht wird mitfechten können. Auf die Zusage Wellingtons hin, 
er werde — immer vorausgesetzt, daß der Feind nicht auch 
seine Front angreife — am nächsten Tage mit seiner ganzen 
Armee den Verbündeten zu Hilfe kommen, bleibt der Preuße 
dabei, sich Napoleon bei Sombreffe zu stellen.*) 

*) Die bedingte Zusage Wellingtons liest man in einem Briefe 
des zu ihm als Bevollmächtigten entsendeten Miiffling: „Wenn der 
Feind nicht bei Nivelles zugleich (d. i. zugleich mit seinem Angriff 
gegen Blücher) angreift , so wird der Herzog morgen mit seiner ganzen 
Macht in der Gegend von Nivelles sein, um Ew. Durchlaucht zu unter- 
stützen, oder im Fall der Feind Höchstdieselben bereits angegriffen 
hätte, nach einer zu nehmenden Abrede gerade in seine Flanke oder 
in seinen Rücken zu gehen." Pflugk-Harttung, Vorgeschichte der 
Schlacht bei Belle-Alliance, S. 55 u. a. a. 0. Ein Brief Gneisenaus vom 
17. Mittag (Lettow-Vorbeck, 1. 526) erwähnt die von Wellington 
gemachte Voraussetzung nicht, sondern nur dessen „schriftliche Zu- 
sicherung, daß, wenn der Feind uns angreifen sollte, er in dessen 



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Napoleons Dispositionen für den 16. Juni. 



345 



Wellington sollte nicht kommen. Er hatte doch zu viel 
versprochen. Ob mit Absicht, um den Preußen ihren Entschluß 
zum Kampfe nicht zu verleiden, der seine Stellung entlasten 
soll und an dem er sich gewiß nach Kräften beteiligen will, 
steht dahin.*) Zum Glück kommt aber auch Napoleon erst am 
Nachmittag. War es seine Überzeugung, die beiden Gegner be- 
reits voneinander getrennt zu haben, oder eine physische Depres- 
sion — er war gestern bei Charleroi plötzlich vom Schlaf über- 
mannt worden — was den Kaiser hinderte, wie in den früheren 
Feldzügen, so auch jetzt, wo doch seine ganze Existenz an 
seinen ersten Erfolgen im Felde hing, den Tag bald nach Mit- 
ternacht zu beginnen? Oder war es beides? Kurz, Napoleon 
erteilt erst spät am Morgen des 16. Juni seinen beiden 
TJnterfeldherren seine Befehle. Ney soll bis Quatre-Bras vor- 
gehen und sich zum Vormarsch nach Brüssel bereit halten, 
während ein Armeeteil gegen Wavre hin aufklärt; Grouchy hat 
den Feind in Sombreffe oder in Gembloux anzugreifen und von 
dort zurückzutreiben, was der Kaiser selbst über Fleurus mit 
der Garde unterstützen will, um sich dann sofort mit Ney ver- 
eint gegen Brüssel und die Engländer zu wenden. Napoleon i?t 
so sicher, der Preußen, deren Gros er im Rückmärsche ver- 
mutet, rasch Herr zu werden, daß er das Korps Moutons einst- 
weilen bei Charleroi stehen läßt, um es später vielleicht von 
dort sogleich auf die Brüsseler Straße zu dirigieren. Als er 
dann bei Fleurus — es war Mittag geworden — nur das Korps 
Zietens vor sich sieht, das am Vortage die Sambrelinie geräumt 
und bei Gilly gekämpft hatte, will er es völlig unschädlich 
machen und beauftragt Ney, er solle, was er vom Feinde vor 

Rücken ihn hinwiederum angreifen würde". Nun haben die Franzosen 
zwar ihren Vorstoß nicht gegen Nivelles, wohl aber rechts davon gegen 
Quatre-Bras gerichtet, das, nach dem Gefecht bei Gosselies und dem 
Zurückweichen der dort kämpfenden Preußen nach Osten, in die Front 
der Engländer fiel. So ist es auch von den niederländischen Offizieren 
des Oranienschen Korps, Constant und Perponcher, richtig erkannt 
und deshalb noch am 15. besetzt und gehalten worden. 

*) Wenn Lettow-Vorbeck, Untergang, I. 302, von einer durch 
politische Motive diktierten Absiebt Wellingtons, Blücher zu täuschen, 
spricht, so vermag ich eine solche aus den Quellen ebensowenig heraus- 
zulesen wie des Engländers „unbedingte" Zusage. 



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346 Ligny und Quatre-Bras. 

sich habe, nach Norden zurückdrängen und dann ostwärts den 
Preußen in den Bücken marschieren. Und so glaubt er noch um 
2 Uhr, daß er es nur mit der preußischen Nachhut zu tun habe, 
während Blücher unterdes Zeit gehabt hat, noch zwei seiner 
Korps heranzuziehen und eins bei Sombreffe, das andre bei 
Ligny zu Zietens Unterstützung aufzustellen. Endlich gewahrt 
Napoleon Blüchers Absicht, mit starken Kräften einen Gang 
zu wagen. Er ist davon nicht gerade unangenehm überrascht. 
Denn wenn jetzt Ney die englische Arrieregarde — auch hier 
derselbe Irrtum — zurückgeworfen hat und mit seinen Trup- 
pen von Quatre-Bras heranrückt, so ist sicher ein entschei- 
dender Sieg errungen, der über den Fortgang des ganzen 
Feldzuges zu entscheiden vermag. Mit beweglichen Worten 
— „das Schicksal Frankreichs liegt in Ihren Händen!" — 
bestürmt der Kaiser den Helden von der Moskwa, sich nun 
weiter mit den Engländern nicht mehr zu befassen und mit 
seinem Gros unverzüglich nach rechts zu eilen. Ja, es genügt 
am Ende dem Kaiser, wenn nur ein einziges Korps von dort- 
her dem Feinde in die Flanke fällt, und er befiehlt deshalb 
den General Drouet d'Erlon, dessen Truppen noch nicht 
ins Feuer gekommen waren, herzu. Wie mochte er jetzt 
bedauern, den Tag nicht früher begonnen, Mouton, der 
erst nach 4 Uhr die Ordre empfängt, nach Fleurus vorzugehen, 
nicht früher schon herangezogen zu haben! Denn Ney selbst 
kann nun nicht mehr an der Schlacht teilnehmen. Er hat bei 
<^uatre-Bras ernsten Widerstand gefunden, der durch immer 
neue Truppen, die ihm Wellington in den Weg wirft, stündlich 
wächst, so daß er sich am Nachmittag in die Defensive ge- 
drängt und in ein schweres Gefecht verwickelt sieht. Vom 
Rechtsabmarsch e ist da nicht die Rede. Aber auch von seinen 
Truppen glaubt er nichts entbehren zu können und ruft, gegen 
den Befehl des Kaisers, d'Erlon zurück, der, von einem Adju- 
tanten Napoleons avisiert, mit seinen 18.000 Mann bereits nahe 
an die Preußen herangekommen war. Der macht nun kehrt und 
marschiert wieder nach Quatre-Bras, wo er zu spät kommt, um 
Neys Mißerfolg aufhalten zu können, während sein Eingreifen 
bei Ligny von vernichtender Wirkung hätte sein können. Wenn 
nun Blücher hier trotzdem die Schlacht verlor, so geschah es 



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Entscheidender Beschluß des preuß. Hauptquartiers. 347 

nicht ohne sein eigenes Verschulden. Denn, war schon, mit Rück- 
sicht auf die erhoffte Unterstützung, die Aufstellung der Preu- 
ßen keine günstige — von St. Amand über Ligny nach Som- 
breffe und von da nach Tongrinne — so mußte der Kampf 
durchaus defensiv geführt werden, bis der Alliierte in den- 
selben eintrat, und mußte defensiv bleiben, wenn er nicht er- 
schien.*) Aber das entsprach nicht Blüchers Temperament und 
nicht seiner auf Wellington gegründeten Hoffnung. Nachdem 
mehrere Stunden um St. Amand und, besonders hartnäckig, 
um Ligny gestritten worden war, wobei die Preußen viel mehr 
"Verluste erlitten als die geübten alten Kämpfer Napoleons, un- 
ternahm der greise Feldmarschall mit den Reserven der Mitte 
einen Vorstoß auf dem rechten Flügel. Die Franzosen parierten 
ihn. Da hat aber auch schon ihr Kaiser die Schwächung des 
gegnerischen Zentrums wahrgenommen. Er durchbricht es, 
indem er alle seine Garden einsetzt, und wirft den Feind, dessen 
Reiterei versagt, in Flucht von Ligny auf Brye zurück. Blücher 
ist in dem Getümmel gegen den Schluß der Schlacht mit 
seinem verwundeten Pferde gestürzt; man hält ihn für ver- 
loren, und Gneisenau muß die Richtung des Rückzugs angeben. 
Er nennt dem 1. und 2. Korps, die bei Ligny gefochten hatten, 
Tilly, jenseits der großen Straße, als Sammelpunkt. Hier 
wollte er die Abteilungen ordnen und die beiden andern Korps 
heranziehen: das 3. unter Thielmann, das, bei Sombreffe von 
überlegenen feindlichen Kräften im Schach gehalten, wenig 
tätig gewesen und schließlich nach Gembloux retiriert war, 
und das 4. unter Bülow, das man nach ArdcncUe dirigiert 
hatte. Doch die Flüchtigen ließen sich in Tilly nicht aufhalten. 
Sie strömten in der Richtung gegen Wavre weiter, so daß man, 
nach einer Beratung im Hauptquartier, diesen Ort zur Ralli- 
ierung bestimmte. Daß man dabei an der Kooperation mit den 
Engländern festhielt, sollte den Feldzug entscheiden. 

Napoleon sah jetzt ein, wie sehr er sich getäuscht, als er 
die Preußen in ihrer Konzentration überrascht und auf ihrer 

*) Die Preußen hatten 83.000, die Franzosen 79.000 Mann in der 
Sehlacht. Zehntausend der Letzteren (Mouton) blieben zurück und 
nahmen am Gefecht nicht teil, während von den Preußen hinwieder 
20.000 Mann auf ihrem linken Flügel wenig engagiert waren. 



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348 Entsendung Grouchy s nach Osten. 

Operationslinie zurückweichend gewähnt hatte. Durch die 
Schlacht des 16. war er belehrt. Nun, er hatte sie gewonnen 
und hatte den Feind fliehen sehen; alles war wieder gut und 
gewiß auch kein Zweifel mehr, daß Blücher jetzt auf seiner 
Rückzugslinie abmarschierte, um sich, etwa bei Naniur, zu 
sammeln. Man meldet aus Gembloux ein starkes feindliches 
Korps — es war das Thielmannsche — und der auf der Straße 
nach Namur mit zwei Reiterdivisionen zur Verfolgung aus- 
geschickte General Pajol trifft auf zahlreiche Flüchtlinge, die 
ostwärts eilen — 5000 Versprengte zählte man — was den 
Kaiser in seiner Meinung vollends befestigt, er habe sich die 
Preußen gründlich vom Halse geschafft und könne, ohne von 
ihnen im geringsten belästigt zu werden oder sich sonderlich 
beeilen zu müssen, gegen Wellington vorrücken.*) Er gönnt 
seinen braven, duTch den Kampf herabgebrachten Truppen 
am Vormittag des 17. Buhe und gibt erst um Mittag Grouchy 
Befehl, mit 33.000 Mann, d. i. den Kavalleriekorps von Pajol 
und Exelmans, den Infanteriekorps Vandamme und Gerard 
und einer Division Moutons, Blücher aufzusuchen und zu er- 
gründen, wo er sich sammle, ob er Namur bereits geräumt 
habe und was er überhaupt beabsichtige. „Marschieren Sie", 
hieß es in der Instruktion, „mit allen Ihnen überwiesenen 
Leuten nach Gembloux. Klären Sie den Marsch des Feindes 
auf und melden Sie mir seine Bewegungen, damit ich durch- 
schauen kann, was er tun will. Es ist wichtig, zu erfahren, 
was Blücher und Wellington zu unternehmen gedenken, ob 
sie beabsichtigen, ihre Armee zur Deckung von Brüssel und ( !) 
Lüttich zu vereinigen und eine Schlacht zu wagen." Grouchy 
solle, sobald die Preußen Naniur geräumt hätten, es besetzen 
lassen, im übrigen aber in steter A 7 erbindung mit dem Haupt- 
quartier bleiben, das nach Quatre-Bras verlegt wird. Daraus 
geht hervor, daß Napoleon sicher meinte, Blücher sei mit 
allen seinen Truppen bis Namur zurückgegangen, könne aber 
immerhin — er kannte den Alten — bald wieder im Begriffe 
*ein, etwa auf der großen Straße, die nach Löwen führt, gegen 

*) Am Morgen des andern Tages schreibt Soult an Ney u. a.: 
^Die preußische Armee ist in die Flucht geschlagen (en deVoute); 
General Pajol verfolgt sie auf den Straßen nach Namur und Lüttich." 



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Napoleon wendet sich gegen Wellington. 349 

die Engländer hin zu marschieren. In diesemFallo mußte Grouchy 
über Gembloux hinaus auf ihn trelfen und konnte ihn beschäf- 
tigen, während Wellington besiegt wurde. All das nahm gewiß 
längere Zeit in Anspruch, denn daß die auseinandergerissenen 
preußischen Truppen an einem einzigen Tage auf dem Marsche 
wieder in Ordnung gebracht und versammelt werden könnten, 
wie es tatsächlich der Fall gewesen ist, das glaubte Napoleon 
nimmermehr. Und so kam in ihm auch gar kein andrer 
Gedanke zur Geltung, selbst nicht der nächstliegende, daß 
die von Ligny nach Brye zurückgeworfenen Preußen, dem 
wuchtigen Stoße nachgebend, in d i e s e r Richtung weiter nord- 
wärts retiriert seien, und am wenigsten der, daß sie, die einen 
Verlust von mehr als 20.000 Mann an Toten, Verwundeten und 
Vermißten zu beklagen hatten, mit dem Aufgebot ihrer letzten 
Kräfte gleich vom Schlachtfelde weg zu dem Verbündeten hin- 
gestrebt hätten, um ihn in dem ihm bevorstehenden schweren 
Kampfe nicht untergehen zu lassen, sondern ihm siegen zu 
helfen. 

Als Grouchy nach Osten aufbrach, waren die andern fran- 
zösischen Truppen, spät genug, auf dem Marsche nach Quatre- 
Bras, um sich mit Ney zu vereinigen und Wellington zu folgen, 
der auf die Nachricht vom Unfall der Preußen über Genappe 
bis nach Mont Saint Jean nordwärts zurückging und sein 
Hauptquartier in Waterloo nahm. Dort fanden sie ihn am 
17. Juni in kampfbereiter Stellung. Daß er aber hier in Stel- 
lung war und es auch blieb und die Besorgnis Napoleons, er 
könnte ihm am Ende nicht Stand halten, keineswegs recht- 
fertigte, das hatte seinen Grund darin, daß ihm Blücher aus 
Wavre, wo dessen Armee vor Mitternacht bereits wieder 
leidlich geordnet stand, die Versicherung zukommen ließ, 
er werde ihn, wenn es am folgenden Tage zur Schlacht kommen 
sollte, zunächst mit zwei Korps — Wellington hatte nicht mehr 
verlangt — dann aber auch mit seinen anderen Kräften 
unterstützen. Von dieser Lage der Dinge hatte der Franzosen- 
kaiser natürlich keine Ahnung, sonst hätte er — immer 
besorgt, Wellington könnte doch wiederum aufbrechen — 
ßeine Armee nicht in Marschkolonnen biwakieren lassen. Und 
auch am nächsten Morgen kannte er die Sachlage noch nicht, 



ItüO Die Berichte Grouchys. 

als er den Beschluß faßte, die Engländer anzugreifen und aus« 
einanderzuwerfen, wie ehegestern die Preußen. Zwar war in 
Berichten Grouchys, die einliefen, die Rede, daß nur eine preu- 
ßische Kolonne gegen Osten nach Perwez abmarschiert, eine 
andre aber nach Wavre zu gerückt sei; aber das war nur 
eine einzelne Kolonne, welcher der Marschall folgte, der er 
sicher gewachsen war und die er beschäftigte, während man 
Wellington zermalmte, jedenfalls, wie er am Abend des 17. 
an den Kaiser schrieb, von den Engländern fernhielt. Und wenn 
Grouehy auch am nächsten Vormittag berichten muß, daß drei 
preußische Korps „in der Richtung auf Brüssel" marschierten 
und ein viertes, „welches von Lüttich kam" (Bülow ist 
gemeint) sich mit ihnen vereinigt habe, die Sache mit dem 
Rückzug nach Osten demnach unrichtig war, so weiß er doch 
„positiv" zu melden, daß diese Masse östlich von Wavre, 
an der Löwener Straße lagere und er am Abend 
zwischen ihr und Wellington massiert stehen werde. 
So wenig Bedrohliches gewahrte daraufhin Xapoleon, daß er 
am 18, Juni nicht am Frühmorgen, wie er sonst pflegte, 
die Schlacht begann, sondern das Einrücken der Truppen — 
es sind 73.000 Mann — in ihre Stellungen erst für neun Uhr 
anbefahl, was sich dann, des durch Regen aufgeweichten 
Bodens wegen, bis über Mittag verzögerte. Hätte er vermuten 
können, daß zur gleichen Zeit sich da3 Korps Bülows durch 
denselben Lehmboden und auf ungebahnten Wegen heran- 
quälte, und hinter ihm die Geschlagenen von Ligny, um ihm 
eine Katastrophe zu bereiten, wie sie wohl selten rascher über 
einen Gewaltigen dieser Erde hereingebrochen ist, wie hätte 
er sich beeilt, zu fechten und zu siegen! 

Um 11 Uhr Vormittag reitet Xapoleon von Caillou, wo 
or genächtigt hatte, an Plancenoit vorüber auf der Brüsseler 
Straße vorwärts bis zu dem Grundstück La Belle Alliance, wo 
die Chaussee sich mählich in eine Mulde hinabsenkt, um etwa 
2000 Schritte weiter, hinter dem Gehöfte La Haye Sainte, den 
Hügel hinanzusteigen, der hier querüber zieht und an dessen 
nördlicher sanfter Abdachung das Dorf Mont St. Jean liegt. 
Diesen Hügel hatte sich Wellington für seine Defensivstellung 
ausgesucht. Und nur in der Defensive gedenkt er zu schlagen; 



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Die Aufstellung bei Belle-Alliance. 351 

schon seiner geringeren Kräfte wegen, denn er hat nur 69.000 
Mann und weiß auch nicht, daß ein Drittel der Macht seines 
Gegners in der Ferne weilt. Aus übergroßer Vorsicht hatte 
er 19.000 Mann nach Hai detachiert, um von Westen her nicht 
umgangen zu werden. In Wirklichkeit war Kapoleon bloß 
um 4000 Mann Kavallerie und Artillerie stärker. Allerdings 
sind es die besten Truppen, ,die er seit langem befehligte. Sie 
werden — denn es ist ja so ganz vornehmlich ihre Sache, die 
sie hier verfechten — mit Hingebung kämpfen und sich den 
Sieg nur in der Verzweiflung entreißen lassen. Der Kaiser 
hat sie zu gleichen Teilen rechts und links von der Straße 
in drei Treffen aufgestellt: am Südrande der erwähnten Mulde, 
bei Belle-Alliance, zwei Korps, und zwar links bis an die 
Straße Nivelles — Mont Saint Jean dasjenige Reilles, rechts 
bis in die Nähe des Schlosses Frichermont das d'Erlons — es 
sind die Truppen, die unter Neys Kommando stehen; dahinter, 
in zweiter Linie, zwei Kavalleriekorps (Kellermanns und Mil- 
hauds) an den Flügeln, und in der Mitte als erste Reserve an 
der Chaussee zwei Infanterie- und zwei Reiterdivisionen des 
Moutonschen Korps; endlich im dritten Treffen die Garde 
als zweite Reserve in der Mitte und mit ihrer Kavallerie 
zur rechten und linken Hand hinter den Reiterkorps der 
zweiten Linie. Von dem Gehöft von Belle-Alliance aus re- 
kognosziert Napoleon seinen Gegner. Er kann dessen Auf- 
stellung nicht völlig überblicken, sondern nur was er auf der 
Terrainwelle, die er besetzt halt, ins vorderste Glied gerückt 
hat; die andern Linien verbirgt die Anhöhe seinem Auge 
ebenso sicher, wie sie Wellington gestatten wird, seine ein- 
zelnen Reserveabteilungen gedeckt und unbemerkt während 
der Aktion zu verschieben und dort einzusetzen, wo der Stoß 
des Feindes augenblicks starken Widerstand erfordert. Darauf 
reitet der Kaiser die Fronten ab, um die Truppen durch Blick und 
Wort zu begeistern und dem Engländer, der das ganze fran- 
zösische Heer überschauen kann, zu zeigen, was ihm droht. 
Er mochte wissen, daß ein Teil der Wellingtonschen Truppen 
aus unzuverlässigen Leuten bestand, wenn auch das Urteil 
ihres Führers übertrieben war, der sie noch vor wonig Wochen 
„die schlechteste (infamous) Armee, die je auf die Beine 



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Der Schlachthefehl für den 18. Juni. 



gestellt worden", nannte. Dann erst, nach Mittag, läßt er den 
Kampf beginnen. Wie sehr kam dieser Zeitgewinn den Ver- 
bündeten zustatten ! Napoleon will — so läßt es sein um 11 Uhr 
erteilter SchlachtbefchP) durchblicken — das Zentrum des 
Feindes forcieren, der seine Hauptstärke westlich von der 
Straße postiert hat, will auf dieser Straße bis Mont Saint Jean 
vordringen, dadurch die gegnerischen Streitkräfte auseinander- 
werfen, Brüssel gewinnen und Wellington zugleich von dieser 
Stadt und von den Preußen nach Westen hin wegdrängen. 
(Die Proklamation an die Brüsseler hat er schon, aus Lacken ( !) 
datiert, gedruckt bereit.) Um dies zu erreichen, läßt er zu- 
nächst, noch bevor die Aufstellung ganz vollendet ist, seinen 
linken Flügel das vom Feinde besetzte Schloß Hougoumont 
mit Entschiedenheit angreifen, damit sich hierher die Auf- 
merksamkeit Wellingtons und von der Mitte ablenke; dann 
erst, um halb zwei Uhr, soll der „Hauptangriff" erfolgen. Aber 
schon diese erste Berechnung des Kaisers wird nicht zu- 
treffen. Die Gegner haben jenes Schloß zur Zitadelle umge- 
wandelt und verteidigen es mit unerhörter Kaltblütigkeit gegen 
immer neue Angriffe, bis schließlich zwei Divisionen des fran- 
zösischen Vordertreffens sich daran verbluten werden, ohne 
etwas zu erreichen. Und da Hougoumont sich hält, ohne daß 
Wellington es nötig hätte, seinen rechten Flügel auf Kosten 
des linken und der Mitte zu verstärken, müssen die Franzosen 
ihren llauptangriff hier gegen ungeschwächte Kolonnen unter- 
nehmen. Doch nicht genug daran; gerade, wo sie sich dazu 
anschicken, erfährt der Kaiser aus einem aufgefangenen 
Briefe, daß er auch mit den Preußen zu tun bekommen, daß 
ihm Bülow in die rechte Flanke fallen werde, und da, wie um 
jeden Zweifel auszuschließen, erscheinen auch bereits rechts bei 
dem eine Meile entfernten Chapelle St. Lambert Truppen- 
massen, die ein ausgeschickter Adjutant als Preußen erkennt. 
Da stand eine Gefahr, mit der er so ganz und gar nicht ge- 
rechnet hatte, plötzlich in drohender Nähe; schon in ein paar 
Stunden kann Bülow in die Schlacht eingreifen. Um ihm die 
Flanke nicht darzubieten, muß der größte Teil der ersten Re- 



*) Corrcsp. XXVItl. 22.060. 



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Grouchy soll heran. Er kommt nicht. 



353 



serve unter Mouton nordöstlich von Plancenoit gegen ihn auf- 
gestellt werden. Diese Kräfte — bei 10.000 Mann — fehlen 
natürlich für den nachdrücklichen Stoß, der Wellington über 
den Haufen werfen soll. Und wenn es nur bei Bülow allein 
blieb; wenn nur Grouchy die andern Preußenkorps festhielt! 
Wie viel lieber, wenn er zur Stelle wäre und Bülow bezwingen 
könnte. „Versäumen Sie keinen Augenblick, sich uns wieder 
zu nähern und sich mit uns zu vereinigen, um Bülow zu ver- 
nichten, den Sie auf frischer Tat ertappen werden", läßt jetzt 
Napoleon an ihn schreiben.*) Aber wird ihn die Nachricht noch 
erreichen? Sicher nicht vor drei oder vier Stunden. Und wenn, 
wird ihn der Feind loslassen, den er doch beschäftigen 
soll? Vergebliche Hoffnung. Grouchy stand jetzt wirklich bei 
Wavre, wohin er viel zu spät aufgebrochen war, mit einem 
Preußenkorps (Thielmann) im Kampfe, während zwei andre 
hinter Bülow zu Wellington unterwegs waren und langsam 
zwar, doch unerbittlich vorrückten. Er kam nicht los. Später 
half er sich mit einer schlechten Ausrede. 

So genau aber erkannte Napoleon noch nicht, was ihm 
drohte, als er beschloß, nun aufs rascheste mit dem Gegner vor 
ihm fertig zu werden, ehe von rechts her der erste Kanonen- 
schuß fiel. Da gingen denn die vier Divisionen des Korps d'Erlon 
in geschlossenen Kolonnen staffelweise, die zunächst an der 
Straße vorauf gegen dns linke Zentrum des Feindes bei La. 
Haye Sainte, die andern gegen Papelotte und La Haye vor. 

*) Später, auf St. Helena, hat der Kaiser in seinen Diktaten über 
den Feldzug behauptet, er habe schon am Spätabend vorher, um 10 Uhr, 
an Grouchy einen Befehl nach Wavre erteilt, wo er ihn vermutete: 
er solle vor Tagesanbruch von doithcr eine Division nach St. Lambert 
dirigieren und damit seine Vereinigung mit der Armee herstellen. 
(Corresp. XXXI. p. 179). Das ist nachträglich erfunden, da der Kaiser 
damals noch gar nicht wußte, daß sich Grouchy nach Wavre wenden 
wolle, und ihm erst um 10 Uhr vormittags am 18. schreiben läßt: 
„Der Kaiser wünscht, daß Sic ihre Bewegungen gegen Wavre hin 
richten." (Zit. von Lettow-Vorbeck, I. 415). Das war die Antwort 
auf einen nach Mitternacht eingelangten Bericht des Marschalls, worin 
ein Vorgehen nach Wavre nur unter der Bedingung in Aussicht ge- 
stellt war, „wenn sich nach der Meldung der (von Gembloux nach 
Sart-a-Walhain ausgesandten) Reiterei die Hauptmasse der Preußen 
auf Wavre zurückzieht«. (Houssaye, „1815" II. 249). 

Fournier, Napoleon I. 23 



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:i54 



Die Schlacht bei Waterloo. 



Das erstere, an der Chaussee liegende Gehöft ward erstürmt. 
Da es aber nicht gehalten werden konnte, und auch der darauf- 
folgende Angriff auf die Höhe abgeschlagen wurde, mußten die 
Divisionen, von den englischen Kürassieren angefallen, rcti- 
rieren. Darauf versuchte Napoleon, der sich bei Belle-Alliance 
aufhielt, die rechte feindliche Mitte durch eine Kavallerie- 
attacke im größten Maßstabe zu durchbrechen. Das Kürassier- 
korps Milhauds stürzt sich auf die Position der Engländer, 
aber es hat wenig Erfolg; seinen Ansturm lähmt der aufge- 
weichte Boden der Niederung; und wenn es auch auf der Höhe 
die feindliche Artillerie zum Schweigen bringt, so erwarten 
dahinter zwanzig Karrees die französischen Reiter und halten 
Stand. Denn Wellington hatte die Gefahr kommen sehen und 
das Zentrum verstärkt, was er um so leichter tun konnte, als 
der linke Flügel sich des Angriffs bereits erwehrt hatte und 
rechts Hougouinont noch immer Widerstand leistete. Noch 
ehe Ney, der den überstürzten Angriff kommandierte, zur 
Unterstützung Infanterie nachrücken lassen konnte, mußten 
die tapferen Kürassiere weichen. Eine neue, verstärkte Attacke 
von sechsunddreißig Schwadronen erfolgt. Ein wahres Meer 
von Reitern ergießt sich in wiederholten Anstürmen über den 
Plan und spült in fürchterlichen Wogen um die feindlichen Ba- 
taillone. Gar manche werden überschwemmt, manche bröckeln 
ab, im rechten Zentrum sind die Brigaden der Hannoveraner 
und der Deutschen Legion so gut wie außer Gefecht gesetzt, 
und eine weite Lücke klafft in der Aufstellung der Briten; und 
schon — um 6 Uhr — ist auch La Haye Sainte von den Fran- 
zosen erstürmt, desgleichen Papelotte und La Haye, und immer 
weiter nach oben dringen die französischen Infanteriekolonnen 
vor. Wenn jetzt der Kaiser das unverbrauchte Fußvolk in jene 
Lücke schob, so konnte der Erfolg des Tages leicht auf seiner 
Seite sein. Napoleon hatte seine Reserven bereits verausgabt, 
bis auf die alte Garde. Die wollte er noch nicht daran 
setzen. Und er wollte dies nicht, weil um fünf Uhr Bülows 
Batterien zu spielen begonnen und Mouton nach Plancenoit 
zurückgenötigt hatten. Dieser Platz mußte um jeden Preis ge- 
halten werden, sonst geriet der Feind auf die Rückzugslinie 
und eine Katastrophe war die Folge. Deshalb hielt Napoleon 



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Die Schlacht bei Waterloo. 



355 



die alte Garde in dem einzigen Moment zurück, der die Ent- 
scheidung noch zu seinen Gunsten hätte wenden können. In- 
zwischen gelang es Wellington mit einigen Brigaden seines 
linken Flügels das Zentrum wieder zu sichern, was freilich 
nur möglich geworden war, weil bereits das preußische Korps 
Zietens auf die Linke zumarschiert kam. „Die Bataille 
ist verloren," rief General Mülfling den anrückenden Ver- 
bündeten zu, denen er entgegengeeilt war, „wenn das Korps 
nicht im Marsch bleibt und die englische Armee sofort unter- 
stützt." Es blieb im Marsch. 

Unterdessen hatten sich die junge und ein paar Bataillone 
der alten Garde damit beschäftigt, Blücher, der mit den Bülow- 
schen Truppen l'lancenoit endlich erobert hatte, wieder daraus 
hinauszuwerfen. Das gelang um 7 Uhr abends. Nach diesem 
Erfolg läßt Napoleon noch einmal die ganze Linie gegen 
Wellington avancieren. Und jetzt nimmt er auch von den 5000 
Garden, die er noch übrig hat, alles bis auf ein paar Bataillone 
zu einem letzten Stoß ins britische Zentrum zusammen. Es war 
die Tat eines Verzweifelten, denn im Grunde hatte er schon 
nach den mißlungenen Kavallerieattacken die Schlacht ver- 
loren und mußte sich zurückziehen, solange die Schlinge bei 
Plancenoit noch offen stand. Freilich war er dann besiegt, 
und was galt er noch, wenn er besiegt war? Darum wagte er 
alles, was noch den Schein von Kettling blicken ließ. Mit 
„Vive TEmpereur!" rückten die Triarier des Heeres, von ihm 
selbst bis La Haye Sainte geführt, vor. Als jetzt die Kanonen 
Zietens ihr Feuer gegen die von den Franzosen eroberten Stütz- 
punkte bei Smohain und Papelotte richten, wird den Kämpfern, 
um ihren Mut unerschüttert zu erhalten, mitgeteilt, das sei 
Grouchy, der ihren Angriff unterstütze. Im Sturm dringen 
die Garden in der Mitle bis an des Feindes letzte Linie. 
Doch hier, von einem sicheren Feuer dezimiert, verlieren auch 
sie Kraft und Haltung und gehen zurück. Und soeben ist auch 
das Fußvolk des Zietenschen Korps in den Kampf eingetreten, 
hat die längst ermatteten Franzosen aus den eroberten Ort- 
schaften wieder vertrieben, unter denen die rasch gewonnene 
Überzeugung, daß man es hier mit neuen Feinden zu tun habe, 
eine Panik ohnegleichen erzeugt. Sie erfaßt alsbald alle Reihen. 

23* 



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Wilde Flacht, 



und alles retiriert ohne Ordnung. Jetzt kann die arg zusammen- 
geschmolzene Wellingtonsche Armee sogar daran denken, die 
Offensive zu ergreifen, zu der ihr Führer vor ihrer Front das 
Zeichen gibt. Es ist acht Uhr geworden. Nur drei Karrees der 
Garde halten noch vor La Haye Sainte zusammen, wo der 
Kaiser in ihrer Mitte im Feuer der englischen Geschütze den 
Erfolg des letzten Stoßes abgewartet hatte; auch sie müssen 
nun, von Feinden umringt, die sie heroisch abwehren, zurück 
bis auf die Höhe von Belle-Älliance.*) 

Von hier ans versucht Xapoleon durch seine Adjutanten 
die Fliehenden zum Stehen zu bringen; umsonst. Während der 
Sturm auf die englische Stellung mißglückte, war rechts auch 
noch das dritte Preußen korps eingetroffen; und nun geht den 
Franzosen Plancenoit aufs neue verloren. Es war etwa halb 
neun. Bald ist die Straße unpassierbar, da die preußischen 
Kugeln sie bereits bestreichen, und so flutet westlich davon das 
geschlagene Heer in wilder Hast zurück. Napoleon selbst muß 
auf seine Sicherheit bedacht sein und reitet, da sein Wagen 
in Caillou nicht mehr zu erreichen ist, mit Soult, Drouot und 
einer kleinen Suite nach Genappe, nur noch von einer Ab- 
teilung der Garde gedeckt. Aber auch hier ist, bei der heftigen 
Verfolgung durch die Preußen, kein Anhalten möglich, und 
der Kaiser, dem sonst jeder kurze Ritt schon Schmerzen ver- 
ursachte, muß bis fünf Uhr morgens im Sattel bleiben, bis 
er endlich in Charleroi ein Gefährt findet, das ihn nach Phi- 
lippeville bringt. Erst dort kann er sich einige Stunden Ruhe 
gönnen. Dann erläßt er Befehle an die nicht am Feldzug be- 
teiligt gewesenen Korps, verfaßt die Bulletins über Ligny und 
Mont Saint Jean, wie er die Schlacht bei Waterloo nennt, und 
diktiert an Joseph nach Paris einen Brief, der beweist, daß 

*) Eines der beiden Karrees löste sich dann auf. Das zweite ent- 
kam, doch wurde der General, der es kommandierte, Cambronne, ver- 
wundet und zur Ergebung: gezwungen. Daß dieser die ihm in den 
Mund gelegten Worte: „Die Garde stirbt, doch sie ergibt sich nicht" 
(„La garde meurt et ne so rend pas"), nicht gesprochen hat, ist längst 
erwiesen. Bertrand will, wie er auf St. Helena erzählte, dieselben 
Worte von General Michel vernommen haben. Zuverlässigere Zeugen 
als er legen Michel, andere den Soldaten, einen viel kürzeren und drasti- 
scheren Ausdruck in den Mund. 



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Paris während der Schlachttage. 357 

dieser Mann die Hoffnung erst mit seinem letzten Lebenshauche 
aufgeben wird. Noch sei nicht alles verloren, versichert er. 
Gelinge es ihm nur, sämtliche disponible Kräfte zu vereinigen, 
so habe er noch immer 150.000 Mann, ja, mit den National- 
garden und den Depotbataillons sogar 300.000 Mann. Wenn 
Grouchy nicht gefangen ist, denn er habe noch nichts von ihm 
gehört, sei es ihm möglich, schon hier 50.000 Mann zu sammeln 
und den Feind aufzuhalten, bis Paris und Frankreich ihre 
Schuldigkeit getan haben. Der Bruder möge dafür sorgen, daß 
die Kammern ihm in würdiger Weise beistehen. Er schloß 
das Schreiben, indem er eigenhändig hinzufügte: „Mut, 
Festigkeit!"*) 



Sechstes Kapitel. 

Sankt Helena. 

In Paris hatte man nach der Abreise des Kaisers zur 
Armee ängstlich auf Nachrichten gewartet. Und was das 
Drückende der Lage bezeichnete : man befürchtete einen Erfolg 
des Kriegsfürsten fast ebenso sehr wie eine Schlappe des 
Heeres, das er befehligte. Nicht bloß, weil er, siegreich, wieder 
der alte unumschränkte Herrscher werden und sich der 
Fesseln, die er sich jetzt auferlegt, entledigen konnte, sondern 
weil der Krieg damit erst recht begann und wer weiß wann 
endete. Schon längst hatte man ja das schreiende Mißver- 
hältnis zwischen dem Ruhme der heimischen Waffen und der 
Notlage der Nation erkannt. Und war nicht in den letzten 
Jahren der napoleonischen Regierung auch diese Glorie recht 
auffallend verblaßt? Doch da ertönten am 18. Juni — just 
als bei Mont Saint Jean der Donner rollte — die Kanonen 
vor dem Invalidenhotel und verkündeten einen neuen ersten 
Sieg: es war der bei Ligny. Also waltete doch noch immer 
die alte Gunst des Kriegsgottes. Wer sich darüber freuen 
konnte, freute sich. Das waren die Revolutionäre und die auf- 

*) Fleury de Chaboulon, II. 195 zitiert den Wortlaut des 
Briefes, der ihm vom Kaiser diktiert worden war. Ich sehe keinen Grund, 
seinem Zeugnis zu mißtrauen. Vgl. Houssaye. „1815", II. 434. 



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358 Napoleon im Elysee. 

geregten Arbeitennassen von Paris, weil die Anwälte der Legi- 
timität und der Bourbons gedemütigt waren, die Bonapartisten, 
da ihr Abgott triumphierte, und wohl auch die urteilslose 
Menge derjenigen, die sieh bei dem stolzen Gefühl eines fran- 
zösischen Sieges begnügten. Die rechnenden Köpfe freilich 
ließen die Staatsrente um volle vier Franken fallen. 
Aber schon am zweitnächsten Abend war das Bild gänzlich 
verändert. Dumpfe Gerüchte von einer grausigen Niederlage 
liefen umher, und jetzt blieben die Invaliden stumm. Am 
21. schien kein Zweifel mehr möglich: das Heer war zer- 
trümmert, der Kaiser auf der Flucht. Ja, es hieß sogar, er 
sei schon wieder in Paris. Wie? er hatte also die Armee ver- 
lassen, anstatt sie zu sammeln und mit ihr dem Feinde den 
Marsch auf die Hauptstadt zu erschweren? Man geriet hier- 
über außer sich — doch der Kentenkurs notierte um zwei Fran- 
ken höher. 

In der Tat. Napoleon befand sich seit dem Morgen des 
21. Juni im Elysee, wo er schon vorher gewohnt hatte. Er 
hatte in Laon mit den Offizieren seiner Umgebung die nächsten 
Maßregeln erwogen und sich für die Fahrt nach Paris ent- 
schieden. Grouchy vermutete er in Kriegsgefangenschaft und 
übersah erst jetzt die ganze Wirkung der unseligen Sonntags- 
schlacht. Sie hatte den Franzosen über 30.000 Mann ge- 
kostet.*) Die Übrigen waren zerstoben, und nur mit Mühe 
ließen sich einige Tausend sammeln. Und wie leicht hätte er 
dies vermeiden, zum zweiten Male siegen können, wenn er 
ohne Zaudern nach der Affaire von Ligny die Preußen nicht 
aus den Augen verloren, sie ohne Bast verfolgt und sich erst 
dann auf die Engländer geworfen hätte, wie er im Jahre 1796 
in Italien getan. Der gefährlichste Gegner war ja schon ge- 
schlagen, und der andere, welcher der neuen Kriegskunst un- 
gelenk gegenüberstand und seine Kräfte schlecht zusammen- 
hielt, völlig isoliert verloren, wenn er sich überhaupt zum 
Kampfe stellte und nicht nach Antwerpen zurückwich. Und 
dann? War es dann nicht möglich, daß die Politik den Spuren 



*) Die Armee Wellingtons halte 8000, die Blüchers 7000 Mann 
<die meisten vom Bülowschen Korps) verloren. 



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Der Ministerrat. 359 

der Waffen folgte und den Mächtebund trennte, ehe er noch 
zu siegen verstand? „Es gibt in der Geschichte keine ent- 
scheidendere Schlacht als die von Belle-Alliance" — schrieb 
Gneisenau am 22. Juni an Hardenberg — „entscheidend eben- 
sowohl durch die Wirkung auf dem Schlachtfelde selbst, als 
durch ihre moralische Wirkung. W'äre sie verloren, was würde 
aus der Koalition werden mit allen ihren Kongreßerinnerun- 
gen?"*) Aber nicht auf die Feinde allein, auch auf die Fran- 
zosen mußte der Ausgang des Kampfes am 18. Juni mächtig 
einwirken. So rasch hatten sie sich das Ende nicht gedacht. 
Nur der schlaue und intriguante FouchS, den Napoleon durch- 
blickte und doch nicht zu beseitigen wagte, hatte ihm seine 
Frist bis auf den Tag bestimmt, als er am 20. März zu seinem 
Freunde Gaillard sagte, er werde in drei Monaten mächtiger 
sein als dieser „furiose Narr", und richtig prophezeit, als er 
sich zu Pasquier im Mai äußerte: „Der Kaiser wird eine oder 
zwei Schlachten gewinnen, die dritte verlieren, und dann ist 
unsere Zeit gekommen/***) Napoleon sah einem Sturm im 
Innern entgegen, der ihn nur zu leicht hinwegfegen konnte, 
wenn er ihn nicht noch im letzten Augenblicke zu beschwören 
verstand. Darum war er nach Paris geeilt, und darum sitzt er 
jetzt mit seinen Brüdern und Ministern zusammen, um — 
selbst aufs äußerste erschöpft und verstört — das Mittel hierzu 
zu erwägen. 

Er schien es gefunden zu haben. Nachdem er die Lage 
der Verteidigungskräfte als eine nicht ganz hoffnungslose zu 
schildern versucht, kam er zu dem Schlüsse: er bedürfe, um 
das Vaterland zu retten, einer zeitweiligen Diktatur; er könnte 
sich ihrer bemächtigen, doch wäre es nützlicher und der Nation 
würdiger (plus nationale), wenn sie ihm von der Kammer 
übertragen würde. Aber kaum hatte er dies vorgebracht, so 
mußte er von einem seiner ergebensten Anhänger, Regnauld 
de Saint-Jean d'Ang&y, hören, daß die Kammer ihn nicht mehr 
für berufen halten dürfte, das Vaterland zu retten, und daß 
sie das Opfer seiner Abdankung verlangen werde. Und so war 
allerdings die Lage. In der Deputiertenkammer, deren Mitglieder 

*) Delbrück, Gneisenau, II. 225. 

**) Madelin, Fouche", II. 344; Pasquier, Memoires, III. 195. 



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360 



Der Staatsstreich der Kammern. 



seit dem Morgen versammelt waren, hatte die von Fouche 
heimlich vermittelte Kunde, daß man im Elysee über ihre Auf- 
lösung diskutiere, eine Aufregung sondergleichen hervor- 
gebracht, die Kcgnauld nicht hatte beschwichtigen können". 
Nun riet Davout, den Gesetzgebenden Körper in eine andere 
Stadt zu verlegen; Lucian sprach eifrig vom Ergreifen der 
Gewalt, von xVuflösung des Parlaments und Belagerungs- 
zustand, und auch Napoleon begann sich bereits diesem Ge- 
danken zuzuneigen: da traf die Botschaft ein, die Kammer 
habe sich in Permanenz erklärt, halte jeden Versuch, sie auf- 
zulösen, für Hochverrat und werde den, der ihn wage, vor 
Gericht stellen; die Minister des Äußern, des Innern, des 
Kriegs und der Polizei hätten allsogleich vor den Deputierten 
zu erscheinen. Das war ein Staatsstreich von unten, der den 
befürchteten von oben parieren sollte. Die Abgeordneten des 
Volkes — Lafayette an ihrer Spitze — empörten sich gegen 
Napoleons Gesetz und Willen, dem nach der neuesten Ver- 
fassung das Hecht zustand, die Kammern aufzulösen. 
Und so mächtig war diese Strömung des Widerstandes, daß 
sie auch die Pairs erfaßte, die den Beschluß der Repräsentanten 
zu dem ihrigen machten. Was war da zu tun? Noch saß Na- 
poleon mit seinen Ministern beisammen, denen er verbot, dem 
Kufe der aufrührerischen Abgeordneten zu folgen, als man ver- 
nahm, diese seien drum und dran, den Antrag auf Absetzung des 
Kaisers zu stellen, wenn die Geladenen nicht sofort erschienen. 
Nun fügte sich Napoleon. Freilich erst, nachdem Davout 
unter dem Eindruck des Kammerbeschlusses erklärt hatte, er 
könne die bewaffnete Macht für Maßregeln gegen die Volks- 
vertretung nicht zur Verfügung stellen. Er selbst sandte — 
um den Schein zu retten, daß er nicht gezwungen handle — 
die Minister und Lucian als seine Bevollmächtigten zu den 
Abgeordneten mit einer Botschaft, in der er mitteilte, er habe 
aus Caulaincourt, Carnot und Fouche eine Kommission ge- 
bildet, um mit den Feinden Unterhandlungen anzuknüpfen 
und den Krieg zu beenden, sofern es mit der Ehre und der 
Unabhängigkeit des Landes vereinbar sei; er rechne auf den 
Patriotismus des Parlaments. Doch damit gab sich die Kam- 
mer nicht zufrieden. Die Mächte hätten ihn geächtet und 



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Sie fordern Napoleons Thronentsagung. 361 

wollten mit ihm nicht unterhandeln; seine .Kommission sei 
demnach unnütz; das Parlament selbst müsse als Unterhändler 
auftreten. „An Napoleon allein", rief der Abgeordnete La- 
coste aus, „hat Europa den Krieg erklärt. Ich sehe nur einen 
einzigen Mann zwischen uns und dem Frieden. Er gehe fort 
(nach anderen Berichten: „er spreche ein Wort") und die Ruhe 
ist gesichert." Andre drohten mit Entthronung, wenn er nicht 
abdanke. Für heute aber begnügten sich die Deputierten, aus 
ihrer Mitte fünf Kommissare zu wählen, die mit fünf Pairs 
und den Ministern gemeinsam die Mittel zur Kettung des 
Staates zu erwägen hatten. 

So verging der 21. Juni. Am nächsten Tage verschärfte 
sich die Lage derart, daß nun selbst die Brüder zur Abdankung 
rieten. Die Abgeordneten hatten den Beschluß ihrer Kom- 
mission, eine Abordnung der Kammer mit den Verbündeten 
in Verhandlung treten zu lassen, und eine Erklärung des 
Kaisers vernommen, er wolle, wenn dann wirklich seine Person 
das einzige Hindernis des Friedens wäre, jedes Opfer bringen. 
Aber das war nicht, was man wünschte. Wieder rief man nach 
der formellen Abdankung Napoleons; wieder forderten Ein- 
zelne, daß man ihn einfach absetze, wie im verflossenen Jahr. 
Endlich nahm man den Antrag des Deputierten Duchesne an, 
den Kaiser im Namen des Staatswohles um seinen Rücktritt 
zu ersuchen. Nur eine Stunde Frist bewilligte man noch, damit 
er spontan seinen Entschluß fassen könne. Da ging dann ein 
republikanisch gesinnter General, Solignac, der schon unter 
dem Directoire Volksvertreter gewesen und unter dem Kon- 
sulat in Ungnade gefallen war, mit einigen Kollegen ins Elysec, 
um dem Kaiser gleichsam im Vertrauen die Bitte vorzutragen, 
er möge durch rasche Niederlegung seiner Würde der Auf- 
forderung dazu zuvorkommen, und Napoleon versprach es. Als 
aber die Deputierten sich entfernt hatten, tobte er und er- 
eiferte sich mit verzerrten Mienen und bebender Stimme gegen 
das „Gemisch von Jakobinern, Wirrköpfen und Ehrsüchtigen"', 
die ihm da Gewalt antun wollten. Nun gerade will er nicht tun, 
was sie wünschen. Es war als wollte er der Zeit noch die 
letzten Augenblicke seiner Herrschaft abtrotzen. Da sah man 
ihn im Park und darauf in seinem Arbeitskabinett mit sich 



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im 



Die Abdankung. 



allein redend auf- und abgehen in unerhörter Bewegung. Seine 
Einsicht rang offenbar mit seinem Ehrgeiz einen fürchter- 
lichen Kampf. In der letzten Nacht noch — Lafayette gab 
es später zu — hätte er die einflußreichsten Mitglieder der 
Kammer verhaften lassen, diese auflösen und die Diktatur 
ergreifen können. Das war nun versäumt; es hatte ihm dazu 
die Entschlußkraft gefehlt. Aber war denn damit schon jeder 
Schritt in dieser Richtung unmöglich geworden? Die Pariser 
Garnison war nicht unbedeutend, etwa zehntausend Mann von 
den Depots der Garde und der Linie. Dazu kamen die revo- 
lutionären Bataillone aus den Vorstädten; „Föderierte" nannte 
man sie, wie ehedem. Er hatte zwar bisher nur 3000 von ihnen 
mit Waffen versehen, aber er konnte allenfalls auf die fünf- 
fache Anzahl rechnen. Sie würden ihm wohl, wie die Truppen, 
folgen, wenn es gegen das Parlament der Besitzenden ging. 
Freilich würde das nicht sein, wie im Brumaire, und sicher 
nicht ohne Kampf mit den 20.000 Nationalgarden abgehen, 
die, aus dem Mittelstande rekrutiert, bereit standen, die Kam- 
mern zu verteidigen. Und wäre das nicht der Beginn eines 
Bürgerkrieges, aus dem er im besten Falle als Parteimonarch 
hervorginge, unterstützt und damit abhängig von Elementen, 
für die er sich längst das Wort „Canaille" zurechtgelegt 
hatte.*) Über seinen tiefen Widerwillen dagegen kam er nicht 
hinweg — von allen andern Erwägungen, die sich ihm auf- 
drängten, ganz abgesehen.**) Und so entschied er sich denn 
für den Verzicht. Am Nachmittag des 22. Juni diktierte er 
seine Abdankung „zugunsten seines Sohnes Napoleon II.". 

Ob die Repräsentanten von dieser Klausel Notiz nehmen 
werden? Vorläufig lassen sie zwar dem Kaiser durch eine 

*) „Mit der Canaille hätte ich mich in Paris halten können", 
sagte er auf St. Helena. Gourgaud, Journal, II. 199. 

**) Vor Beginn des Feldzuges hatte er einmal zum Polizeipräfekten 
Real gesagt: „Ich sehe sehr gut, was man hatte tun sollen, um die 
Massen in Bewegung zu bringen: ich hätte die rote Mütze aufsetzen 
und die Leidenschaften entflammen müssen. Aber die rote Mütze würde 
mir nicht gut stehen; ich wäre nicht mehr, was ich gewesen war, und 
dann: ich bin zu derlei schon zu alt." (Chastenay, Me'moires, II. 497.) 
Hinterher gestand er auf St. Helena: „Man muß es am Ende sagen: 
ich hatte dazu den Mut nicht.« (Gourgaud, II. 283.) 



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In Malmaison. 



Deputation ihren Dank aussprechen für das großmütige 
Opfer, das er gebracht, ernennen aber sofort Carnot, Fouche 
und General Grenier, die Pairs Caulaincourt und Quinette zu 
Mitgliedern einer provisorischen Regierung. Es war wie ein 
Abbild jenes fünfgliedrigen Direktoriums, das er damals be- 
seitigt hatte, als er sich zu der Herrschaft aufschwang, die er 
jetzt endgültig verlor. Und auch das gleichgültige Publikum 
fehlte nicht, das diesen Dingen jetzt wie jenerzeit von ferne 
zusah, ohne just tief erregt zu werden. Ein Augenzeuge meldet : 
„Vollständige Ruhe herrschte in der Stadt und wurde nicht 
einen Augenblick gestört. Von Regierung zu Regierung hin- 
und hergeworfen, hatte das Volk weder Neigung für den, den 
es verlor, noch für den, den es bekommen sollte. Es schlief, 
in der Erwartung, daß man ihm bei seinem Erwachen sagen 
werde, ob es Napoleon II. oder Ludwig XVIII. zu gehorchen 
habe." Keinesfalls aber Napoleon I. Sein Regiment der 
„Hundert Tage" war zu Ende. 

Nur aus jenen untersten Schichten der Bevölkerung, ins- 
besondere aus den Vorstädten, zeigten sich in den nächsten 
Tagen Trupps vor dem Palais, riefen nach der Diktatur des 
Kaisers und ließen ihn hoch leben. Waren es diese Kundgebun- 
gen oder war es im allgemeinen die Verlegenheit, die der nun ab- 
getane Imperator durch seine bloße Gegenwart der provi- 
sorischen Regierung immerhin bereitete, nachdem bekannt ge- 
worden war, daß Grouchy seine Korps gerettet, Soult bei Laon 
die Trümmer von Waterloo gesammelt hatte und daß etwa 
50.000 Mann nach Paris auf dem Wege waren, die — wenn 
man von einem Teile der Offiziere absah — alle nach ihrem 
Führer verlangten ? man suchte ihn zu bestimmen, daß er sich 
aus der Hauptstadt entfernte. Dies gelang schließlich Davout, 
der, vom Kaiser mit Vorwürfen gegen die abtrünnigen Minister 
empfangen, sich kühl und förmlich seines Auftrages entledigte. 
Napoleon weigerte sich nicht Am 25. Juni vertauschte er den 
Pariser Palast mit dem Lustschloß von Malraaison, wo ihn die 
Exkönigin Hortense, die es von ihrer Mutter geerbt hatte, 
empfing. Hier verbrachte er die folgenden Tage, scheinbar in 
Erinnerungen versunken an die Zeit, wo er in denselben 
Räumen als Konsul die Pläne zu seiner Weltherrschaft entwarf, 



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3»>4 Die provisorische Regierung gegen Napoleon II. 

und das Projekt seiner Niederlassung in Nordamerika er- 
wägend, da ihn Frankreich von sich stieß. Und nicht nur ihn 
allein, sondern auch den, zu dessen Gunsten er sich der Macht 
entäußert hatte. Denn war nicht schon die Einsetzung einer 
provisorischen Regierung am 22., anstatt der Wahl einer Re- 
gentschaft, ein widerstrebender Zug der Volksvertretung ge- 
wesen? Und wenn es am Ende den ßonapartisten der zweiten 
Kammer auch noch am Tage darauf gelungen war, diese dazu 
zu bringen, daß sie Napoleon II. als Kaiser von Frankreich 
anzuerkennen beschloß, so beschloß sie doch in einem Atem, 
daß die provisorische Regierung als „eine Bürgschaft 
der Freiheit und der Ruhe der Nation" nebenher bestehen 
blieb.*) Und wenn dann gleich eine aus den Kammern ge- 
wählte Deputation ins Hauptquartier der Verbündeten ent- 
sendet wurde, um ihnen den Frieden auf der Grundlage der 
Integrität Frankreichs und der Herrschaft des jungen Bona- 
parte nahezulegen, so wußte Fouche, der hinterhältige Präsident 
der Fünfmänner, der längst mit einem Vertrauten Lud- 
wigs XVI] I. angeknüpft hatte, nur zu gut, daß der Sohn des 
gestürzten Kaisers bei keiner der Mächte, auch bei Österreich 
nicht, auf Anerkennung zählen durfte.**) Und jene Sendboten 
wußten es auch. Als sie auf den Karamerbeschluß aufmerksam 
gemacht wurden, antworteten sie, man möge ihn als eine Farce 
betrachten, sie hätten die Hände frei und könnten tun, was 
sie wollton.***) Darum läßt Fouche auch die Regierungsdekrete 
nicht im Namen Napoleons IL, sondern nur in dem des fran- 
zösischen Volkes promulgieren. 

Inzwischen war aber der Feind, Blüchers Preußen den 



*) „Moniteur'* vom 24. Juni 1815. 

**) Daß Österreich nicht daran dachte, ergibt sich aus der Weisung 
Metternichs an den Agenten Ottenfels aus dem April: „Österreich ist, 
vor allen andern, weit davon entfernt, eie (die Regentschaft) zu wünschei» u 
(Nachgelassene Papiere II. 515), aus dessen Weisung an Merveldt in 
London: „Der Kaiser werde sie nie als eins der Ziele der Anstrengungen 
der Mächte zulassen" (Wertheimer, Reichstadt, S. 184), aus Marie 
Luisens jeden Gedanken daran mit tiefer Abneigung fortweisenden 
liriefen in jener Zeit (Marie Luise und der Sturz Napoleons, S. 415). 

***) Metternich an Hudelist, 26. Juni 1815 (W. St. A.). Marie 
Luhe u. d. Sturz Napoleons, S. 415 Anm. 



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Von Malmaison nach Rochefort. 



365 



Engländern weit voran, immer näher gekommen, und Mal- 
maison wird bald bedroht sein. Da besehließt Napoleon im 
letzten Augenblick, am 29. Juni — soeben war ein franzö- 
sisches Regiment mit „Vive PEmpereur!" vorübergezogen — 
sich der provisorischen Regierung als einfacher General zur 
Verfügung zu stellen, nur um die Hauptstadt zu retten und 
die getrennten Gegner zu schlagen, wie er sagen ließ. Fouchö 
aber gab dem Überbringer der fast naiv klingenden Botschaft 
zur Antwort, Napoleon sei durchaus irriger Ansicht, wenn er 
die Mitglieder des Gouvernements für so verrückt halte, auf 
seinen Vorschlag einzugehen. Man könne ihm nur raten, 
schleunigst abzureisen, da man für seine Sicherheit nicht mehr 
einstehe. Und das war nicht unwahr. Wissen wir doch, daß 
ein preußisches Detachement geradezu Befehl erhalten hatte, 
sich seiner Person zu versichern und ihn zu erschießen. Kaum 
war der Bote nach Malmaison zurückgekehrt, so befahl der 
Kaiser die Abreise. Er war schon in Paris dazu bereit gewesen. 
Damals hatte sie Fouche durch allerlei Weiterungen hinter- 
trieben, vielleicht um mit der Auslieferung Napoleons den 
ersehnten Waffenstillstand zu erkaufen. Wellinerton wenig- 
stens wußte von solchen Anerbietungen nach Hause zu be- 
richten. Als aber dann die Verbündeten die Waffenruhe unter 
jeder Bedingung ablehnten, während die heimkehrenden Trup- 
pen den Kaiser zu einem neuen Abenteuer verleiten konnten, 
da mahnte Fouche" selbst mit allem Eifer zur Abfahrt. Napoleon 
zog seinen Soldatenrock aus und fuhr in bürgerlicher Kleidung 
mit Bertrand, Savary und dem General Becker, der von 
Regierungs wegen zu seinem Begleiter bestellt war, von dannen. 

Die Reise ging über Tours nach der Hafenstadt Roche- 
fort, wo zwei französische Fregatten bereit lagen, um ihn 
nach Amerika zu bringen, vorausgesetzt, daß es möglich war, 
den Engländern zu entkommen, denn die begehrten Geleit- 
scheine hatten diese, wie begreiflich, abgelehnt. In Niort 
wurde der Kaiser von den Offizieren eines Husarenregiments 
erkannt, das ihn bestürmte, an seiner Spitze nach Paris zurück- 
zukehren und das Kommando über die Armee zu übernehmen. 
Ob damals wirklich, wie ein Getreuer des Kaisers berichtet, 
Briefe mit den Generalen Clauzel und Lamarque gewechselt 



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366 An Bord der „Saale". 

wurden, die in Bordeaux und in der Veniee kommandierten, 
um einen Militäraufstand gegen die Pariser Regierung ins 
Werk zu richten, läßt sich nicht weiter nachweisen. Jeden- 
falls wurde die unmögliche Idee sogleich wieder aufgegeben.*) 
Am Tage darauf — am 3. Juli — gelangte man nach Roche- 
lort. Hier entstand aus der Schwierigkeit, an dem blockieren- 
den englischen Kreuzer, dem „Bellerophon", vorbeizukommen, 
ohne daß die Fregatten Schaden litten, eine neue Verzögerung. 
Bis zum 8. überlegt Kapoleon täglich und umständlich im 
Verein mit seiner Umgebung, in der sich auch General Gour- 
gaud, der Kämmerer Graf Las Cases, der junge General- 
adjutant Graf Montholon, General Lallemand u. a. befinden, 
die Mittel, wie die Briten zu täuschen wären. Es werden aus- 
führbare Vorschläge gemacht. Man will ihn auf kleinen 
Schiffen heimlich über den Ozean bringen. Aber er lehnt 
diec ab. Gegen den Vorschlag eines der Kapitäne der beiden 
Fregatten, den „Bellerophon" zu beschäftigen und damit dem 
zweiten Segler den Weg zu öffnen, mußte sich Becker wenden, 
der den Kaiser nicht ohne Mühe dahin bringt, daß er sich 
am 9. nach der nahen Isle d'Aix hinüberfahren läßt und auf 
der Fregatte „Saale" Quartier nimmt. Hier sucht ihn Bruder 
Joseph auf, der sich in Bordeaux auf einem Amerikaner seine 
heimliche Fahrt gesichert hat. Er will ihm diese Gele- 
genheit angeboten haben, um hier seine Rolle weiterzuspielen. 
Aber die Sache ist nicht verbürgt. Jedenfalls ging Napoleon 
auch darauf nicht ein. Inzwischen war eine Nachricht aus der 
Hauptstadt eingetroffen, die aller Säumnis ein jähes Ende be- 
reitete. Am 8. Juli, einen Tag nach dem Einzüge der Preußen, 
war Ludwig XVIII. unter Englands Protektion und der Zu- 
stimmung der andern Monarchen nach Paris zurückgekehrt, 
und zwei Tage später sind auch diese dort eingetroffen. Jetzt 
muß jedes weitere Zaudern Napoleon verderblich werden. Er 



*) Montholon, Captivitc de St. Helene, p. 33, spricht sehr be- 
stimmt davon. (rourgaud (Journal, II. 559) erwähnt nur einer Art 
Kriegsrat am Abend des zweiten Juli: „Man ist der Meinung, nach 
Orleans zurückzukehren, wo sich die Armee befindet/' Er erzählt aber 
auch, daß ihm Napoleon schon um 9 Uhr seine Instruktionen für Roche- 
foit diktierte. 



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Napoleon überliefert sich den Engländern. 367 

will sich nun geradezu mit dem Kommandanten des englischen 
Schiffes, Kapitän Maitland, in Verkehr setzen und von seinen 
Feinden ein Asyl ansprechen. Mit diesem Gedanken hatte er 
sieh bereits in Paris getragen: jetzt sollte er zur Tat werden. 
Als Maitland ihm sagen ließ, man werde ihn nach seinem 
Wunsche nach England bringen, und als die meisten Personen 
seiner Umgebung, Gourgaud voran, zurieten, entschloß er sich, 
das Beispiel jenes Atheners nachzuahmen, der, von seineu 
Landsleuten verbannt und verurteilt, bei den Persern, die er 
blutig bekämpft hatte, eine Zuflucht suchte und fand. Er habe 
seine politische Laufbahn vollendet, schrieb er an den Prinz- 
regenten nach London, er komme gleich Themistokles, um 
am Herde des britischen Volkes niederzusitzen, und stelle 
sich unter den Schutz seiner Gesetze. Und damit ging er am 
15. Juli an Bord des feindlichen Fahrzeuges. 

Hatte Napoleon vergessen, daß der Vertreter Groß- 
britanniens nicht dahinter geblieben war, als man auf dem 
Wiener Kongreß die Acht über ihn aussprach? Der Admiral, 
zu dessen Kommando der „Bellerophon" gehörte, hatte lange 
den strikten Befehl, sich seiner zu bemächtigen und ihn nach 
Plymouth zu bringen. Worauf rechnete er also? Denn daß 
er rechnete, ist wohl gewiß. Nun, seine Unterhändler hatten 
aus ihrer zweiten Unterredung mit Maitland dessen Äußerung 
mitgebracht, der Kaiser werde in England aufmerksam be- 
handelt werden, denn dies sei ein Land, wo der Monarch und 
seine Minister keine willkürliche Gewalt üben und wo die Hoch- 
herzigkeit des Volkes und dessen freisinnige Meinung noch 
über der Souveränität stehen. Darauf rechnete er, wenn er 
6ich freiwillig auslieferte. Aber sein Kalkül war falsch. Als 
er den französischen Boden verließ, war er nicht der Gast, 
sondern der Gefangene der Macht, die er stets aufs eifrigste 
bekriegt hatte.*) 

*) Ea ist heute durch die Forschungen Houssaycs („1815" III. 
398) erwiesen, daß Napoleon, wenn er nun einmal nicht sein Heil in 
heimlicher Flucht suchen wollte, sich noch immer für das kleinere 
Übel entschieden hatte, als er sich freiwillig England auslieferte. Denn 
bereits waren Boten der königlichen Regierung nach Roehefort unter- 
wegs mit dem Auftrage an den Kommandanten der „Saale", ihn dem 
Engländer gefangen zu übergeben. Nur als Kuriosum sei hier er- 



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368 Die Spuren der „Hundert Tage*. 

Und wie lieJi er das Land zurück, in das ihn seine un- 
überwindliche Herrschsucht noch einmal geführt! Im Felde 
besiegt, von Feinden überschwemmt, von Parteien, die sein 
Erscheinen vollends widereinander entfesselt hatte, zerrissen: 
das war Frankreich nach dem Tage von Waterloo. Kaum war 
die Kunde von der verlorenen Schlacht nach der Provence 
gelangt, so brach dort die royalistische Furie los und begann 
unter den Bonapartisten, Republikanern und Protestanten von 
Marseille, Ntmes, Avignon, Toulouse und Toulon eine Schläch- 
terei, die den Schandtaten des jakobinischen Schreckens nichts 
nachgab. Und wie der Pöbel unten, so wütete die Kamarilla 
oben gegen alle, die der Verführung des Korsen erlegen waren. 
Eine Proskriptionsliste sammelte die Namen seiner Getreuen, 
und wer nicht zu fliehen vermochte, ward hingerichtet. So 
Labedoyere, der ihm vor Grenoble sein Regiment zugeführt, 
so Ney, den bei Waterloo der Tod verschmäht hatte, selbst 
als er ihn in Verzweiflung suchte. Und die Familie, deren 
Mitglieder die Throne Europas bevölkert hatten, solange das 
allgebietende Zepter desjenigen die Welt verschüchterte, der 
jetzt auf der Reede von Plymouth zum Schauspiel für eng- 
lische Gaffer diente, sie war bald in alle Winde zerstoben, 
heimatlos wie damals, als sie vor zweiunä zwanzig Jahren aus 
Ajaccio flüchten mußte. 

In der Nacht vom 25. zum 26. Juli war der „Bellero- 
phon" in See gestochen und am nächsten Morgen an die Küste 
Englands gelangt, wo das Schiff unter strenger Bewachung 
blieb, bis aus London die Entscheidung über das Schicksal 
des Gefangenen eintraf. Dort hätte man es am liebsten ge- 
sehen, er wäre Ludwig XVIII. in die Hände gefallen und als 
Rebell hingerichtet worden, wie der britische Premier Liverpool 
noch am 21. Juli an Castlereagh schrien.*) Dem aber war 
Napoleon entronnen, und man mußte sich wohl oder übel mit 
seinem künftigen Lose beschäftigen. Am 30. ward es ihm ver- 
kündet. Da es sich mit den Pflichten gegen England selbst 
und die Verbündeten seines Königs schlecht vertragen würde, 

wähnt, daß er einmal auf St. Helena meinte, er hätte besser getan, 
sich nach Österreich als nach England zubegeben. (Gourgaud, I. 579.) 
*) Wellington. Suppliamentary dispatehes, XI. 47. 



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Der Urtcilsprucü Europas. 369 

hieß es, wenn „General Buonaparte" Mittel und Gelegenheit 
behielte, nochmals den Frieden von Europa zu stören, so sei 
es notwendig, ihn in seiner persönlichen Freiheit zu be- 
schränken. Man habe daher zu seinem künftigen Aufenthalt 
die Insel St. Helena bestimmt, deren Klima gesund sei und 
deren isolierte Lage es erlaube, ihn mit mehr Nachsicht zu 
behandeln als dies anderwärts die notwendigsten Vorkehrungen 
zulassen würden. Man gestatte ihm drei Ofliziere, einen Arzt 
und zwölf Diener dahin mitzunehmen, die jedoch die Insel 
ohne Erlaubnis der britischen Regierung nicht wieder ver- 
lassen dürften.*) So das Urteil. Allzusehr mag es Napoleon 
nicht überrascht haben, denn der Name St. Helena war schon 
zur Zeit der Kongreßverhandlungen, wenn auch nicht offiziell, 
so doch in Gesprächen genannt worden, und er mußte auf die 
Entfernung von Europa um so mehr gefaßt sein, da sie ihm 
doch schon auf Elba gedroht hatte. AVenn er also jetzt 
protestierte gegen die Gewalt, die man ihm antat, wenn er 
sich darauf berief, daß er ohne Zwang auf ein englisches 
Schiff gekommen und daher Englands Gastfreund, nicht Eng- 
lands Gefangener sei, so konnte er damit nur Eins beabsich- 
tigen: die öffentliche Meinung dieses Landes für sich zu 
stimmen und auf sie eine Wirkung auszuüben, die, wenn auch 
nicht sogleich, 60 doch vielleicht in nicht zu ferner Zeit sich 
geltend machte und seine Fesseln löste. Wir werden ihn 
forthin durchaus im Banne dieser Idee leben und handeln 
sehen. Freilich vergebens. Denn so einfach lagen die Dinge 
nicht, und nicht von England allein ward sein Geschick be- ' 
stimmt. Zur selben Zeit, am 2. August 1815, wurde in Paris 
von Vertretern der Alliierten ein Vertrag unterzeichnet, der 
Napoleon als Gefangenen all der vier Mächte erklärte, die das 
Abkommen vom 25. März wider ihn getroffen hatten. Seine 
Bewachung nur und die Wahl des Ortes seiner Internierung 
ward England zugestanden; die übrigen Staaten behielten sich 
das Recht vor, Kommissare an seinen Bestimmungsort zu 
senden, um sich von seiner Gegenwart zu überzeugen.**) 

Am 7. August bestieg Napoleon das Linienschiff „North- 

*) Montholon, Captivittf, p. 60. 
**) D'Angeberg, II. 1478. 
Fournier, Napoleon I. 24 



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370 



Nach St. Helena. 



umöerland", das ihn nach St. Helena bringen sollte. Er hatte 
sich Bertrand, Montholon und Las Cases zu Begleitern er- 
wählt, doch setzte es auch noch General Gourgaud durch, mit- 
reisen zu dürfen. Die beiden Ersten nahmen ihre Familien mit. 
Außerdem begleitete der Schiffsarzt O'Meara vom „Bellero- 
phon" den Kaiser. Der Abschied von Savary, dessen Begleitung 
die britische Regierung ausdrücklich verweigert hatte, und den 
andern Personen der Suite wird als ein tiefbewegter geschil- 
dert. ,.Sie sehen, Mylord," sagte Las Cases zu dem komman- 
dierenden Adniiral, „hier weinen die Zurückbleibenden''. 
Drei Tage später, am 10. August, hatte der „Northumberland" 
mit zwei Fregatten, welche die Bedeckung trugen, den Kanal 
La Manche verlassen, und die Küste Europas verschwand vor 
den Blicken des Verstoßenen. 



Am 15. Oktober kam die düstere Felseninsel mit ihren 
nahezu senkrecht gegen das Meer abfallenden Wänden in 
Sicht. In dem einzigen Hafen, Jamestown, legte sich der „North- 
umberland" vor Anker. Das für Napoleon bestimmte Land- 
haus zu Longwood, auf einer Hochebene mit etwas kühlerer 
Temperatur, war noch nicht in Stand gesetzt, und er bezog 
unterdes eine Wohnung in der nahen „Briars" benannten 
A^illa des Kaufmanns Balcombe, wo er mit den Hausleuten 
aufs freundlichste verkehrte, mit den Kindern spielte und 
sich manchen Scherz gefallen ließ. Erst im Dezember über- 
siedelte er nach Longwooi. Dort ward in einiger Entfernung ein 
Kordon gezogen, innerhalb dessen er völlig frei sich bewegen 
konnte; verließ er ihn, so hatte ihn ein englischer Offizier zu 
begleiten.*) Doch war ihm dies nicht gestattet, wenn Schiffe 
in Sicht kamen; dann durfte auch weder er noch irgendjemand 
seines Gefolges mit den Einwohnern verkehren. Alle Briefe, 
die nach Longwood adressiert waren oder dort geschrieben 
wurden, unterlagen der Durchsicht durch den Gouverneur. 
Ein solcher war 1815 noch nicht ernannt, und der in diesen 
Gewässern stationierte Admiral Cockburn vertrat einstweilen 

*) Tn Seaton, „Napoleons captivity in relation to S. Hudson 
Lowe" ist dieses Gebiet auf einer Karte von St. Helena verzeichnet; 
umschrieb 13 enjrl. Meilen. 



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Der Gefangene und sein Kerkermeister. 371 

dessen Stelle. Als Diesem Napoleon im Xovember einen Protest 
gegen die erwähnten Vorsichtsmaßregeln durch den „Oberst- 
hofmarschall" Bertrand überreichen ließ und ihn zurückerhielt, 
weil darin von einem „Kaiser" Napoleon die Rede sei und 
der Admiral nur einen „General" Buonaparte kenne, begann 
zwischen der Gefangenenkolonie und der Behörde ein kleiner 
Krieg, der nur noch erbitterter geführt wurde, nachdem der 
neue Gouverneur Hudson Lowe angekommen war und sein 
Amt mit mehr Pedanterie, als nötig, zu versehen begann. 
Auch er ließ den Kaisertitel nicht gelten, da, wie er meinte, 
England Napoleons Imperatorwürde niemals während seiner 
Regierung und nur vorübergehend auf Elba anerkannt hätte, 
nach dem Bruche des betreffenden Vertrages aber keineswegs 
mehr dazu verpflichtet wäre.*) Lowe hatte einmal Capri — 
nicht sehr glücklich — gegen die Franzosen verteidigt und war 
in den Befreiungskriegen dem Hauptquartier Blüchers zuge- 
teilt gewesen. Dort mag er allerdings wenig schmeichelhafte 
Urteile über den vernommen haben, der jetzt seiner Obhut 
anvertraut war. Übrigens tat er als Gouverneur seine Pflicht, 
wenn auch verdrossen und verschlossen, wortkarg und seltsam, 
immer voll Mißtrauen und um seine Autorität besorgt, aber 
ohne die Gehässigkeit, die man ihm in Longwood zuschrieb.**) 

*) Dies war nicht ganz richtig, da das Protokoll der Chätilloner 
Konferenz vom 17. Februar 1814, das dem Kaiser seinen Titel gibt und 
dessen „Erben und Nachfolger" gelten läßt, auch von den englischen 
Bevollmächtigten unterzeichnet worden war. (S. D'Angeberg, Congres 
de Vienne, I. 110, und Rochechouart, Souvenirs, p. 309.) Die Titel- 
frage kam auch einmal, Ende 1816, zwischen Napoleon und Admiral 
Malcolm, der Cockburn ersetzte, zur Sprache. Als Dieser ihm vorstellte, 
daß man ihn doch nicht mehr als Souverän behandeln könne, ant- 
wortete er: „Und warum nicht? Man soll mir diese Ehren zu meinem 
Vergnügen in solcher Lage lassen. Was kann das auf dieser Klippe 
schaden?" Auf die Frage aber: ob man ihn demnach als Kaiser be- 
zeichnen solle? mußte er mit Nein antworten, da er abgedankt habe; 
doch General sei er schon seit Ägypten nicht mehr. Er schlug schlecht- 
weg „Napoleon" vor, und dazu verstand sich schließlich auch der 
Gouverneur. Schiitter, Die Berichte Stürmers (d. österr. Kommissars) 
aus St. Helena, S. 61 u. 108. 

**) Ich vermag heute dieses vor sechzehn Jahren niedergeschriebene 
Urteil nicht zu ändern. Lord Roseberrys in seinem Buche „The last 
phase« unternommener Versuch, im Sinne der alten Parteitradition 

24* 



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o / a Der Hof von Longwood. 

Hier hatte man den Kaiser in dem größten ebenerdigen 
Hause, einem ehemaligen Meierhofe, schlecht und recht unter- 
gebracht. Darin fand sich für ihn neben einem wenig freund- 
lichen Schlafzimmer mit einem Baderaum, ein Salon mit einem 
Billard, worauf er gerne spielte, ein Speisezimmer und ein 
Gemach, das man, wie in vergangenen Zeiten, das „topo- 
graphische Kabinett" nannte. In anstoßenden Nebengebäuden 
wohnten noch die beiden Las Cases, Vater und Sohn, das Ehe- 
paar Montholon und General Gourgaud; Bertrand mit seiner 
Familie hatte ein etwas entfernteres Haus bezogen.*) So weit 
die Kräfte reichten, wurde der Schein des Hoflebens aufrecht 
erhalten. Bertrand behielt seinen Titel eines Obersthofmar- 
schalls, Gourgaud bekam — wenn auch wohl nur scherzweise 
— den eines Oberststallmeisters und mit ihm die Fürsorge 
für die vier Wagen- und acht Keitpferde des Marstalls und 
eine Kutsche, in der Napoleon gegen Abend mit den beiden 
Frauen ausfuhr, d. h. wenn er sich überhaupt draußen sehen 
ließ, was oft monatelang nicht der Fall war. Graf Montholon 
überwachte das innere Hauswesen als eine Art Obersthof- 
meister. "Uni auch dieser kleine Hof hatte seine Etikette. 
Niemand trat beim Kaiser ohne Befehl ein und ohne eine 
Audienz nachgesucht zu haben. Niemand durfte in seiner 
Gegenwart sitzen, den er nicht dazu aufforderte, und oft stand 
Bertrand stundenlang bis zur Erschöpfung. Zur Dinerstunde 
erschienen die Damen in Toilette, die Herren in voller L'ni- 
form, der Kaiser selbst trug das Großkreuz der Ehrenlegion. 

Anfangs hatte Dieser den Vormittag im Bette zugebracht, 
dann allein gefrühstückt und um 7 Uhr gespeist. Das hatte 
zur Folge, daß er oft des Nachts das Bett verließ, um zu lesen, 
oder auch um ein Bad zu nehmen, dessen Zeitdauer er jetzt, 

zugunsten des Gefangenen gegen die Maßnahmen der torystischen Regie- 
rung und Lowes aufzutreten, hat vor der unbefangenen wissenschaft- 
lichen Kritik (durch Rose, in „Napoleon" II. 539 ff., und in „Napoleonic 
studies", p. 305 ff., und durch Seaton in „Napoleons captivity in 
relation to Sir Hudson Lowe" (1903) nicht standzuhalten vermocht. 

*) Zu des Kaisers persönlicher Bedienung waren Marchand, der 
erste Kammerdiener, der „Mameluck" St. Denis, zwei Reitknechte und 
einige Lakaien mitgenommen worden. Für den Haushalt sorgten ei» 
Maitre d'hötel, ein Kellermeister, ein Koch und ein Tafeidecker. 



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Napoleons Lebensweife. 373 

immer in der Annahme, daß es ihm besonders zuträglich aei, 
maßlos ausdehnte. Erst später gewöhnte er sich an etwas 
mehr Kegelmäßigkeit, stand — von den Ärzten zu mehr Be- 
wegung ermahnt — früh am Morgen auf und arbeitete mit 
Hilfe seiner Diener und einer Anzahl gemieteter Chinesen in 
seinem Garten. Ziegen und anderes Getier, das eindrang, 
schoß er nieder. Da trug er gewöhnlich einen bequemen 
Pflanzeranzug, den er Nachmittags mit seiner ehedem ge- 
wohnten Uniform oder einem grünen Jagdanzug vertauschte. 
Diese Kleider wiesen mit der Zeit Spuren ihrer Dienstleistung 
auf, er legte sie aber doch nicht ab, um nicht englische Stofe 
tragen zu müssen. Seine übrige Zeit teilte er zwischen Arbeiten 
an seinen Memoiren, die er meist Las Cases, Gourgaud oder 
Montholon, oft viele Stunden lang ohne zu ermüden, diktierte, 
Billard- oder Schachspiel, der Lektüre der englischen Zeitun- 
gen, die er jetzt erst lesen lernte, und der neuer Bücher, die ihm 
zugeschickt wurden. Des Abends, nach dem Speisen, las er 
wohl auch selbst aus Voltaire oder Corneille, aus der Odyssee 
oder der Bibel vor und war dann nicht eben erbaut, wenn 
eine oder die andre der zuhörenden Frauen ganz respekts- 
widrig einschlief. 

Weitaus fesselnder allerdings mag es für seine Um- 
gebung gewesen sein, wenn er über unterschiedliche ernste 
Lebensfragen, über Menschen und Dinge, seine Meinung 
äußerte. Diese Meinung war nicht immer die gleiche, sie 
wechselte oft je nach seiner Stimmung, aber sie war doch 
stets interessant. So zum Beispiel wenn er sich in Hypothesen 
über die ewigen Dinge erging und die Frage nach der Herkunft 
der Seele und ihrem Schicksal nach dem Tode aufwarf. Er 
war dabei durchaus Materialist. „Wo ist die Seele bei eiaem 
Säugling? Wo bei einem Verrückten?" fragte er. „Ein 
Nagel in Euren Kopf getrieben, macht Euch wahnsinnig. Wo 
ist da Eure Seele ? Sie begleitet den Körper, sie wächst mit 
dem Kinde und geht mit dem Greise abwärts . . . Ich kann 
mich nicht erinnern, was ich vor meiner Geburt war. Und was 
wird aus meiner Seele nach dem Tode? Was den Körper be- 
trifft, nun, der wird zur Steckrübe oder zur Karotte . . . Wer 
einmal tot ist. ist gründlich tot. . . Was ist Elektrizität, Galvanis- 



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37-1 Gespräche über Gott und die Welt. 

mus, Magnetismus? Da liegt das große Geheimnis der Natur. 
Der Galvanisrnus arbeitet in der Stille. Ich, für mein Teil, 
glaube, daß der Mensch das Produkt dieser Fluide und der 
Atmosphäre sei, daß das Gehirn diese Fluide aufsauge, was das 
Leben schafft, daß die Seele sich aus diesen Fluiden zusammen- 
setze, die nach dem Tode in den Äther zurückkehren, von wo 
sie dann durch andre Gehirne aufgesogen werden . . . Aller- 
dings ist der Gedanke an einen Gott das nächstliegende: Wer 
hat das alles gemacht? Da ist der Schleier, den zu lüften 
unsere Seele und unser Verständnis nicht ausreichen. Die 
einfachste Idee wäre die, die Sonne anzubeten, die alles be- 
fruchtet. Ich wiederhole, ich glaube, daß der Mensch das 
Produkt der von der Sonne erwärmten Atmosphäre ist und 
daß nach einiger Zeit diese Wirkung aufhörte . . . Hätte ich 
eine Religion zu wählen, so würde ich die Sonne verehren, 
die alles belebt; sie ist der wahre Gott der Erde ... Ich würde 
am Ende auch an eine Religion glauben, aber nur an eine, die 
vom Anfang der Welt an bestünde; doch da ist Sokrates, Plato, 
Moses, Mahomet, und da glaube ich nicht mehr. All das wurde 
von Menschen erfunden. Ich weiß, um religiös zu sein, zu viel 
von der Geschichte und habe selbst genugsam mit Religionen 
operiert ... Ich liebe diejenige Mahomets besonders, denn sie 
ist weniger lächerlich als die unsrige; die Türken nennen uns 
nicht umsonst Götzendiener. Auch hat sie in zwanzig (ein 
andermal: in zehn) Jahren die halbe Welt erobert, was dem 
Christentum erst nach drei Jahrhunderten gelang... Ich bin 
nicht überzeugt, daß Jesus je gelebt habe, und würde an 
lie christliche Religion nur glauben, wenn sie von jeher 
existiert hätte." Übrigens sei der Katholizismus dem Anglika- 
nismus vorzuziehen usw. Als der gläubige Gourgaud meinte, 
der Kaiser werde auch noch einmal in Frömmigkeit enden, 
antwortet Dieser, man werde erst fromm, wenn der Körper 
schwach werde und man seinen Kopf nicht mehr in der Gewalt 
habe . . . Religion sei allerdings nötig, aber nur um die Men- 
schen gesellschaftlich zu festigen.*) Und dann erging er sich 



*) S. Gourgaud, Journal I. 409, 435, 440, 451, 354; II. 22, 270, 
275, 437 u. a. a. 0. 



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Über deu Staat und seine Verfassung. 375 

in zahllosen Gesprächen über Kirche und Staat und über des 
Letzteren beste Einrichtung, wobei er sich von der konstitu- 
tionellen Wendung, die er zuletzt in Frankreich genommen 
hatte, mitunter recht weit entfernte. „Ich hatte vielleicht 
Unrecht, Kammern zu bilden; ich glaubte, es werde mir 
nützen und mir Mittel verschaffen, über die ich, wenn ich 
Diktator blieb, nicht verfügen konnte. Ich hatte Unrecht, 
eine kostbare Zeit mit einer Konstitution zu verlieren, um so 
mehr, als es von vornherein meine Absicht war, die Kammern 
fortzuschicken, sobald ich mich als Sieger und außerhalb jeder 
Verlegenheit (hors d'affaire) sah . . . Ich folgte auch nur der 
Mode, als ich mich mit einer Verfassung beschäftigte. Denn 
eine beratende Versammlung ist eine schauderhafte Sache. 
Die englische Verfassung taugt eben nur für England . . . 
Beratschlagende Körperschaften muH man nicht einführen; 
die Menschen darin, auf die man rechnet, wechseln zu rasch 
ihre Meinung. 0, Waterloo ! Waterloo ! . . Alles hing von 
Waterloo ab . . . Ich bin der Meinung, daß für Frankreich gar 
keine Verfassung taugt; das ist ein rein monarchischer Staat; 
das will sagen: keine beratende Versammlung!, keine gesetz- 
gebende Körperschaft! Will man in einem Lande eine Revo- 
lution anzetteln, dann braucht man nur eine repräsentierende 
Körperschaft einzuberufen, und sofort bilden sich zwei Parteien 
und es entstehen Haß und Leidenschaften."*) Und wie auf- 
merksam hörte man ihm zu, wenn er von seiner Jugend und 
seinem Emporkommen erzählte. Freilich nicht immer ganz 
richtig, so zum Beispiel wenn er seinem „üiscours" über die 
Lyoner Preisfrage**) nachrühmte, er sei tatsächlich mit einem 
Preise im Werte von fünfzig Louis gekrönt worden. Seine 
großen Erfolge in Frankreich hat er übrigens nicht bloß seiner 
Persönlichkeit zugeschrieben. Als er einmal Voltaires „Maho- 
met" vorlas und auf den Propheten zu sprechen kam, sagte 
er, Dieser habe die Bedingungen für seine welthistorische 
Stellung vorgefunden, und fuhr fort: „Das ist so wie bei mir. 
Auch ich fand alle Elemente für ein Kaiserreich vor. Man 



*) Ebenda, I. 93, 99, 103, 135, 325. 
**) S. Band I, S. 37. 



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376 



Über die Fraue.i. 



hatte die Anarchie satt und wollte sie los sein. Wäre ich nicht 
gekommen, so hätte wahrscheinlich ein Andrer das Gleiche 
getan; Frankreich hätte immer die Welt erobert Ich wieder- 
hole: ein Mensch iat nur ein Mensch. Seine Mittel sind nichts, 
wenn ihn nicht Umstände und Stimmung (opinion) be- 
günstigen. Die Stimmung beherrscht alles."*) Und so 
sprach er, der so gerne im Heden sich gehen ließ, auch über 
die Personen, die ihm gedient hatten und über die er nicht 
immer sich vorteilhaft äußerte, und über tausend unterschied- 
liche Dinge. Unter anderem auch über die Frauen im Allge- 
meinen und die seinigen insbesondere, über die Anmut, 
Schwatzhaftigkeit, Verschwendungssucht und Verlogenheit Jose- 
phinens und über die Naivität, Verschwiegenheit und Wahrheits- 
liebe Marie Laisens., von der er gelegentlich andeutete, daß sie ihm 
in Amsterdam das Leben gerettet habe.**) Und dann er- 
zählte er nicht ohne Rehagen von seinen kleinen Abenteuern 
daneben, zuletzt noch in Lyon. Aber er ist den Frauen für 
ihre Gunst nicht sonderlich dankbar, denn er erklärt, daß er 
eine etwac tiefere Neigung violleicht nur einer einzigen, 
Josephinen, in seinen jungen Jahren entgegengebracht habe; 
er behauptet auch, daß man ihnen in Frankreich viel zu viel 
Wichtigkeit (consideration) beilege; sie dürften nie als den 
Männern gleichwertig angesehen werden iral seien in Wahr- 
heit auch nur Maschinen zur Kindererzeugung. Er fand es 
lächerlich, daß man einem Manne nur eine legitime Frau ge- 
statte. Ein andermal urteilt er besser über sie. Eo sei gut, 
sie zu Rate zu ziehen, sagte er, und wenn er noch einmal wieder 
auf den Thron kommen sollte, würde er zwei Stunden im Tage 
dem Gespräch mit klugen Frauen widmen. Und daß er wieder 
auf den Thron kommen werde, das schien ihm durchaus nicht 



*) Gourgaud, 11. 78. 

**) Gourgaud, II. 196, 278: „Österreich hat mich gestürzt, je- 
doch die Kaiserin hat mir in Amsterdam das Leben gerettet . . . Ich 
war ohne Hilfe; sie schickte mir ihren Arzt, ihre Pagen." In den Me- 
moiren der begleitenden Personen und in M. Luisens Briefen findet 
man über diesen Krankheitszufall nichts. Auch die Kleinkunst Massons 
lM. Louise, p. 346 ff.) scheint hier versagt zu haben; er nimmt von der 
Aumerknrg Oourgauds keine Notiz. 



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Befreiungspläne werden von Napoleon abgelehnt. 377 

unmöglich. Er dachte noch „etwa dreißig Jahre" zu leben und 
hielt „seine Karriere noch nicht für abgeschlossen".*) 

Nicht wenig nahm die Fehde mit Lowe den Kaiser in 
Anspruch. Diesem gegenüber geriet er mitunter in höchst 
ungerechten Zorn. Einmal drohte er ihm, dem Ersten, der 
ohne seine Zustimmung über seine Schwelle treten würde, eine 
Kugel vor den Kopf zu schießen, ein andermal nannte er ihn 
seinen Henker, so daß der Gouverneur gar nicht mehr erschien, 
sondern sich nur täglich durch den diensttuenden Offizier, der 
übrigens seinen Schutzbefohlenen auch nur selten sah, über 
die Anwesenheit Napoleons rapportieren ließ.**) Napoleon 
verfolgte dabei ein ganz bestimmtes System, dem die Hoffnung 
auf seine Erlösung zugrunde lag. Er wollte nicht fliehen und 
auch nicht gewaltsam befreit werden. Die Gelegenheit hierzu 
ward ihm wiederholt in Aussicht gestellt; namentlich glaubten 
einige nach Amerika entkommene Getreue, von dorther einen 
Überfall auf St. Helena wagen zu können. So wollte im August 
1816 ein Marineoffizier namens Fournier mit vier Schoonern 
herüber segeln, um den Gefangenen zu entführen. Das lag aber 
keineswegs im Sinne Napoleons. Es erschien ihm seiner nicht 
würdig, und dann war er auch zu 6ehr um seine persönliche 
Sicherheit besorgt. „Nicht sechs Monate", sagte er zu Montholon, 
„könnte ich in Amerika sein, ohne von den Mördern überfallen 
zu werden, welche die im Gefolge des Grafen von Artois nach 
Frankreich zurückgekehrten royalistischen Komitees gegen 
mich gedungen haben. In Amerika sehe ich nichts als Mord 
und Vergessenheit, ich bleibe also lieber auf St. Helena." 
„Mord und Vergessenheit"; er fürchtete das Eine wie das 
Andre. Aber damit war keinerlei Resignation ausgesprochen, 
nein, er erwartete vielmehr zuversichtlich seine Befreiung von 
einem Siege der britischen Opposition oder der Vertreibung der 
Bourbons aus Frankreich. Als Lowe bald nach seiner Ankunft 
sich anheischig machte, ein neues bequemeres Haus für ihn 

*) Gourgaud, passim. Die Äußerungen über die Frauen, I. 390; 
II. 8, 81. Vergl. damit oben S. 325. 

**) S. Briefe eines solchen Offiziers bei Rose, Napoleonic studies, 
p. 395 fl". 



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Das System de» Gefangenen. 

erbauen und binnen zwei Jahren herstellen zu lassen, erwiderte 
er: „Ach, in zwei Jahren gibt es einen Ministerwechsel in 
England oder eine neue Regierung in Frankreich, und ich bin 
nicht mehr hier."*) Dieser Überzeugung entsprach völlig seine 
zwiefache Absicht: einerseits für sich Stimmung unter den 
Engländern zu machen, und anderseits das verlorene Zutrauen 
der Franzosen wiederzugewinnen. 

Das Erstere meinte er zu erreichen, wenn es ihm gelang, 
den Beamten des Toryministeriunis zu diskreditieren und sich 
als das Opfer unerhörter Willkür hinzustellen. Darum wurde 
jede der behördlichen Verordnungen in ihrer Tendenz verdäch- 
tigt und in ihrer Wirkung übertrieben. Die Anordnung, daß 
dem Gefangenen weitere Spazierritte nur in Begleitung eines 
englischen Offiziers gestattet waren, ward mit dem Entschluß 
erwidert, völlig darauf zu verzichten und die für seine Gesund- 
heit nachteiligen Folgen davon auf das Kerbholz des Gouver- 
neurs zu setzen, der ihn der freien Bewegung beraube, und 
der Regierung, die ihn in einem so verderblichen Klima zu- 
grunde gehen lasse. Als Lowe einmal die Verpflegungsfrage 
— vielleicht nicht allzu delikat — berührte, ließ Napoleon 
einen Teil seines Silbergeschirres zerschlagen, um durch dessen 
Verkauf, wie man erklärte, in den Besitz von eigenen Geld- 
mitteln zu gelangen ; d. h. um zu zeigen, zu welchen Opfern 
der Geiz dieses Regimes ihn treibe. „Es blieb uns nichts 
übrig," schrieb Las Cases schon am 30. November 1815 in iein 
Tagebuch, „als moralische Waffen. Um von ihnen den wirksam- 
sten Gebrauch zu machen, war es notwendig, unser Verhalten, 
unsere Empfindungen, selbst unsere Entbehrungen, in ein 
System zu bringen: das war unerläßlich, damit ein großer Teil 
der Bevölkerung Europas uns eine lebhafte Teilnahme widmete 
und die Opposition in England nicht verfehlte, das Ministerium 

*) Lowe gab dem französischen Kommissar Montchenu sein 
Ehrenwort, daß Napoleon, der später diese Worte ableugnete, sie ge- 
sprochen habe. Der Neubau wurde dann doch begonnen und 1820 
fertiggestellt, von Napoleon aber nicht bezogen. Bei Gourgaud (II. 
129) findet sich eine Stelle, wo er, 1817, dem König Ludwig XVIII. 
nur noch drei Jahre Lebens prophezeit, worauf eine Krisis erfolgen 
werde. In England hatte er viel Hoffnung, wie er sagte, auf die Prin- 
zessin Charlotte gesetzt, die zu rasch dahinstarb. (Ebenda, I. 82.) 



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Wahrheit und Dichtung. 379 

wegen seines Benehmens gegen uns anzugreifen/ 4 *) Von „Ent- 
beh rungen" war natürlich nicht entfernt die Rede. Napoleon 
hatte, nach Montholons Zeugnis, 400.000 Franken in Gold, 
fast ebensoviel in Diamanten und Millionen in Kreditbriefen 
mitgenommen. Man hatte auch von dem Silberservice ein 
Dutzend Schüsseln und Teller für Napoleon zurückbehalten, 
-dem ein auf Steingut serviertes Diner Unbehagen verursachte. 
Im übrigen lebte man, wie der Kaiser selbst im vertrauten 
Kreise eingestand, recht gut**) Aber das durfte nicht nach 
außen dringen; für die Außenwelt lebte man in einem mörderi- 
schen Klima, nährte sich kärglich, war bedrängt und bedrückt 
von einem hartherzigen Diener der englischen Politik, der den 
Kerkermeister nur zu wahr spielte. All das mußte dann rasch 
und weithin bekannt werden. Das geschah in der Weise, daß 
Napoleon ., Briefe vom Kap der Guten Hoffnung" entweder 
selbst diktierte oder durch Las Cases abfassen ließ, die 
. all die Sünden Lowes und die Leiden seiner Schutzbefohlenen 
in einem langen Register darstellten. Diese Briefe gelangten 
dann heimlich nach London und erschienen dort im Jahre 
1817 in Übersetzung als das vorgebliche Produkt eines Eng- 
länders.***) Da wurde die Temperatur als heiß und kalt in 

*) Forsytb, Captivity I. 5. Las Cases hat die Stolle, die Lowe 
im Original des Manuskriptes kannte, später unterdrückt. 

**) „Wir sind hier ganz gut daran, u sagte er, „haben eine gute 
Tafel, und wenn wir uns beklagen, so ist es, weil man sich immer 
beklagen muß" (Gourgaud, 1. 342). In einem Vierteljahre, vom 
Januar bis März 1817, vertilgte die kleine Kolonie ein paar tausend 
Flaschen Wein, wobei jeder Lakai taglich eine Flasche Kapwein er- 
hielt Der Verbrauch für den Tag weist achtzig Pfund Fleisch, eine 
entsprechende Anzahl Hühner u. s. w. auf. 

***) Die „Letters from the Cap of Good Hope in reply to M. 
Warden, Lettres written from Saint-Helena" (London, Picadilly, 1817 ^ 
sind in Rückübersetzung als „Lettres du Cap de Bonne Esperance" in 
die Sammlung der Werke Napoleons aufgenommen worden, die den 
Abschluß seiner offiziell edierten Korrespondenz bildet (Band XXXI). 
Sie wenden sich an eine Lady C. und knüpfen an ein 1817 erschienenes 
Buch der Sehiftsarztes Warden vom „Xorthumberland" an. Mit Ladv C. 
ist wohl jene Lady Clavering, eine Französin, gemeint, au die Las 
Oases einen auf der Insel aufgelesenen Diener heimlich absenden wollte, 
der aber die Sache verriet und Las t.Ves' Arretierung und Trennung 
von Napoleon herbeiführte. (Schiitter, Stürmers Berichte, S. 49.) 



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380 Die „ Briefe vom Kap der guten Hoffnung". 

jähem Wechsel geschildert, obgleich Napoleon selbst einmal 
zu seiner Umgebung im Vertrauen geäußert hatte, wenn man 
schon im Exil leben müsse, sei St. Helena am Ende noch der 
beste Ort, die Witterung zwar einförmig und nicht gesund, 
aber die Temperatur doch mild und angenehm.*) Und was den 
Aufenthalt — hieß es in den Kapbriefen — noch verderblicher 
in seinen Wirkungen mache, das sei die Beschränkung der 
freien Bewegung und des Verkehrs, die der neue Gouverneur 
dem Gefangenen auferlege, der keineswegs ein Gefangener sei, 
da er sich freiwillig unter Englands Schutz begeben habe, wo 
es doch in seiner Macht gestanden hätte, sich an die Spitze 
der Armee zu stellen und den Krieg weiterzuführen. „Es waren 
irrige Vorstellungen, die Napoleon sich von dem Einfluß eines 
freien, großen und hochherzigen Volkes auf dessen eigene 
Regierung gemacht hatte, die ihn dazu verleiteten, den Schutz 
der englischen Gesetze dem eines Schwiegervaters oder eines 
alten Freundes (Alexander I.) vorzuziehen." Das war an die- 
selbe Adresse gerichtet, an die sich auch die Schlußphrase 
wendete, in der man den Stil Bonapartes kaum verkennen 
wird: „Das Schauspiel der Verfolgung und der Ungerechtig- 
keit hat mich stets empört. Urteilen Sie, was ich empfand, als 
ich in so feiger Weise einen Mann quälen sah, der in sechzig 
Schlachten Sieger und einst der Gebieter so vieler Nationen 
und Könige gewesen war. Da sagte ich bei mir selbst: „Ich 
achte dich noch höher mit deiner Dornenkrone, die fremde 
Gewalt auf deine Stirn gedrückt, als mit den vielen Diademen, 
die sie ehedem geschmückt haben." 

Aber dieser Appell wird vergeblich sein. Denn schon im 
März 1817, als Lord Holland von der Opposition die Klagen 
Napoleons, wie sie durch Montholon in einer Beschwerde- 
schrift zusammengefaßt worden waren, vor das Oberhaus 
brachte, ergriff dieses die Partei des Ministeriums, und selbst 
hervorragende Parteigenossen Hollands stimmten gegen dessen 
Antrag, dem Parlamente die Korrespondenz mit Lowe zur Be- 
urteilung vorzulegen. Damit war die Sache Napoleons in Eng- 
land fürs erste abgetan, und die ..Briefe vom Kap" blieben 



*) T,a< Cases. Memorial, l. Februar 1*16. 



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- 



Vergebliche Hoffnung auf die britische Opposition. 381 

wirkungslos. Denn wenn auch die Whigs für ihn geltend 
machten, daß nur er an der Spitze Frankreichs imstande wäre, 
Kußland, dem aufstrebenden iiivalen Britanniens, auf dem 
Kontinente die Wage zu halten, so war man jetzt jeder Feind- 
seligkeit so sehr überdrüssig, daß man diesen Grund für eine 
Befreiung des Gefangenen nicht zureichend fand.*) Vielmehr 
verband sich das Kabinett Liverpool-Castlereagh mit den Fest- 
landstaaten auf dem Kongreß von Aachen zu einer Überein- 
kunft „in betreff der in England entstandenen und in einigen 
andern Teilen Europas wiederholten Gerüchte von der Behand- 
lung, die man jenem Manne angedeihen ließ, dessen düstere 
Berühmtheit noch nicht aufgehört hat, die Welt aufzuregen". 
Die Vertreter llußlands, Österreichs, Preußens und Eng- 
lands erklärten in einem Protokoll vom 31. November 1818: 
„daß die (verschärften) Instruktionen der britischen Eegierung 
für Hudson Lowe die einmütige Zustimmung der Signatar- 
mächte gefunden haben", und „daß aller Briefwechsel mit dem 
Gefangenen, jede Geldsendung oder sonstige Mitteilung, die 
nicht der Aufsicht des Gouverneurs unterworfen werde, als 
ein Angriff auf die öffentliche Sicherheit angesehen und be- 
straft werden müßte". 

So machte der Kontinent Hand in Hand mit England. 
Rußland an der Seite der Briten, Napoleons Hoffnung auf 
eine W r endung der Dinge zu seinen Gunsten zunichte. Er selbst 
hatte bisher von seiner Taktik nur Nachteile gehabt. Denn 
durch den heimlichen Verkehr der Kolonie von Longwood 
mit Europa und Amerika, der Lowe nicht verborgen blieb, war 
dieser zur Verdoppelung seiner Vorsichtsmaßregeln veranlaßt 
worden, und wie er sich genötigt sah, schon im November 1816 
Las Cases zu verhaften und von der Insel abzuschaffen, so 

*) S. Schütter, K. Franz I. und die Xapoleoniden, S. 82. Es 
liegt eine auffallende Übereinstimmung darin, daß auch Napoleon in 
seinen Gesprächen mit Engländern, die ihn auf St. Helena mit Pässen 
des Gouverneurs besuchten und die er sämtlich in der gewinnendsten 
Weise empfing, dieses Moment zur Sprache brachte. „Rußland", sagte 
er z. B. im Sommer 1817 zu Lord Ainherst, „ist die Macht, die jetzt 
am meisten zu fürchten ist. Frankreich und England sind die einzigen 
Staaten, in deren Interesse es liegt, sich ihren Plänen zu widersetzen." 
{W. Scott, Napoleon, 9. Bd. Anhang IX.) 



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382 



Napnleuu iTti-tlich kiank. 



war er anderthalb Jahre später O'Meara gegenüber zu dem 
gleichen Verfahren bemüßigt. Vielleicht hatten es beide auf 
ihre Entfernung angelegt, um als Apostel für die Sache des 
Verbannten zu wirken.*) Unter den Beschränkungen, die sich 
Napoleon in seinem kleinen Kriege mit dem Gouverneur auf- 
erlegt hatte, gab es welche, die ihm geradezu schädlich wurden. 
So namentlich der Mangel an Bewegung. Er wurde ernstlieh 
krank. Die Symptome seines vom Vater ererbten Leidens, des 
Magenkrebses, äußerten sich in immer häufigeren stichartigen 
Schmerzen und Übelkeiten. Er selbst war sich darüber nicht 
unklar, vollends als er später hörte, daß auch seine älteste 
Schwester an derselben Krankheit verschieden sei. Da er nun 
die ihm von Lowe zugewiesenen Ärzte verschmähte, ward 
durch Fesch ein Italiener, namens Antommarchi, ein junger 
Chirurg von korsischer Herkunft, nach St. Helena gesandt, 
der dort im September 1819 anlangte. Er war es namentlich, der 
Napoleon zu einer Änderung seiner Lebensweise bewog und ihn 
bestimmte, im Garten zu arbeiten, Ausflüge zu Pferde zu machen 
und eine Art Waffenruhe mit dem Gouverneur zu schließen, 
der auch seinerseits entgegenkam, indem er das seinem Ge- 
fangenen zugewiesene und ohne Wache zugängliche Gebiet er- 
weiterte. Was hätte nun auch noch die Fehde genützt? Die 
öffentliche Meinung Englands ließ sich ja doch nicht ge- 
winnen, Napoleons Zustand aber war inzwischen unheilbar 
geworden und verschlechterte sich trotz dem veränderten 
Körperregime von Tag zu Tage. 

In der Sylvesternacht des Jahres 1820 erzählte er zum 
letzten Male in vertraulicher Weise aus vergangenen Zeiten. 
Dann nahm seine Krankheit einen raschen Verlauf. Der stets 
unruhige, stets arbeitsame Mann wurde matt und müde, lag 
auf seiner Bergere und fand keinen Geschmack mehr an irgend- 
welcher Beschäftigung, zu der er sich gleichwohl noch zwang, 
indem er ab und zu diktierte und seine Papiere ordnete. Nur 
mit Mühe Heß er sich bewegen, ins Freie zu gehen. Er 
magerte zusehends ab, da er keine Nahrung mehr vertragen 
konnte. Sein Puls, der gewöhnlich nie mehr als ßO bis 65 

*) Auch Gourgaud verließ ihn, angeblich wegen eines Zwistes 
mit Montholon. (Schütter, Stürmers Berichte, S. 122, 127.) 



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Er stirbt. 383 

Schläge gezählt hatte, wurde nun fieberhaft. Antommarchi 
beurteilte das Leiden unrichtig, und Napoleon erbat sich einen 
älteren und erfahrenen Arzt der Pariser Klinik. Bevor aber 
sein Wunsch den Kontinent erreichen konnte, sollte er zu 
leben aufgehört haben. Am 15. April, nachdem endlich ein 
englischer Feldscher wenigstens die Gefährlichkeit des Zu- 
standes erkannt hatte, diktierte er Montholon sein Testament, 
worin er die sechs Millionen Tranken, die vor seiner Abreise 
von Malmaison bei dem Pariser Bankier Lafitte hinterlegt 
worden waren, und andere Reliquien unter seine getreuesten 
Anhänger verteilte. Kurz darauf wurden die Brechanfälle so 
häufig, daß man bei dem jähen Schwinden der Kräfte den 
Tod in drohendster Nähe vermuten mußte. Am 3. Mai ver- 
wirrte sich sein bis dahin klares Bewußtsein; in der zweit- 
nächsteu Nacht begann der Todeskampf; am Abend darauf, 
am 5. Mai 1821, zehn Minuten vor sechs Uhr, starb er. Nach 
der von ihm befohlenen Sektion ward der Leichnam einbal- 
samiert und mit der Uniform bekleidet, die der Kaiser ehedem 
zu tragen pflegte; in der Nähe von Longwood wurde er be- 
stattet. Die Kanonen von St. Helena grüßten den toten Feind, 
und Britanniens Offiziere standen in bewegter Ehrfurcht um 
sein frisches Grab. 



Der Geschichtschreiber .Napoleons I. darf hier, nachdem 
die geistdurchglühten Augen des außerordentlichen Mannes 
Bich für immer geschlossen haben, die Feder noch nicht fort- 
legen. Er hat noch mit einem reichen Nachlaß abzurechnen, 
der sich seiner Beurteilung um so weniger entzieht, als er 
geradezu eine Berufung an das Gedächtnis kommender Ge- 
schlechter bildet. Denn nur der Kampf mit dem Tode hat in 
dem Verstorbenen den um seine Geltung abgelöst, und viel- 
leicht nirgend hat er diesen mit mehr Eifer und Unermüd- 
lichkeit geführt, als auf dem Felseneiland im Atlantischen 
Ozean. Wir wissen bereits, wie emsig er sorgte, einen Um- 
schwung in England zu seinen Gunsten hervorrufen zu helfen; 
die „Briefe vom Kap" sind in diesem Sinne abgefaßt, und 
jedes Gespräch mit englischen Besuchern war darauf angelegt. 
Aber wir wissen auch, daß er noch ein zweites Ziel verfolgte: 



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Der geistige Nachlaß <)«>s Kaisers. 

in Frankreich, und hier vor allem, sollte man den Glauben an 
ihn wiedergefunden haben, wenn wieder einmal das französische 
Volk das Joch der ßourbons abwarf. Und in dieser Absicht 
ist er rastlos tätig, seitdem er den Fuß auf den „Northumber- 
land" gesetzt hat. Immer wieder finden wir in seinen Ge- 
sprächen die Sorge ausgedrückt, die Geschichte könnte, wegen 
seiner letzten Niederlage, nicht genug Notiz von ihm nehmen, 
und er meint wohl auch, es wäre für seinen Nachruhm 
besser gewesen, nn der Moskwa, vor Dresden oder bei Waterloo 
zu fallen. Da konnte er dann auch zuweilen ganz offenherzig 
von den Fehlern seiner Politik sprechen, unter denen er 
insbesondere die Expedition nach San Domingo und die nach 
Spanien anführte, und wie er besser getan hätte, den Waffen- 
stillstand von 1813 nicht zu schließen oder auf dem Prager Kon- 
greß nachzugeben und die Bedingungen von Chätillon anzu- 
nehmen.*) Aber in seinen Schriften durfte davon nichts 
stehen, die er schon auf dem Schifte und später in Briars und 
Longwood oft in eiligster Hast, als gab' es etwas zu ver- 
säumen, diktierte. Darin mußte vor allein sein Ansehen als 
Kriegsmann untadelhaft wieder zu Ehren kommen. Deshalb 
wurde an dem Flecken von Waterloo geschabt und gescheuert, 
bis in der Tat nicht mehr Napoleon es war, der die Schlacht 
verloren hatte, sondern Grouchy, der, obwohl auf die Straße 
gegen Wavre (!) den Preußen nachgeschickt, durch schlechte 
Operationen den ganzen Erfolg von Ligny illusorisch machte. 
Und daß dieser Erfolg nicht noch entscheidender gewesen war, 
daß Blücher zwei Tage später wieder fechten konnte, das hatte 
auch keineswegs Napoleon, das hatte einzig Ney verschuldet, 
der am 16. trotz aller Weisung nicht eilig genug herankam. 
Was Wunder, wenn unter solchen Umständen die genialen 
Entwürfe des Kaisers scheiterten ?**) So diktierte Napoleon, 

*) Gourgaud, I. 199, 402; IL 71, 265, 346, 506. 

**) Mau vergleich«' z. B. mit den heute erwiesenen Tatsachen, wie 
sie im vorigen Kapitel in Kürze dargelegt wurden, folgende Stelle in 
Napoleons „Campagno de 1815": „Der Marschall Grouchy ging mit 
der Kavallerie von Exelmans und Pajol, dem dritten und vierten 
Infanteriekorps und der Division T<«t(< vom sechsten ab. Es war ihm 
empfohlen, drr preußischen Armee auf den Fersen zu bleiben und sie 
am Sammeln zu verhindern, und er erhielt den bestimmten Auftrag, 



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„Der Feldzug von 1815". 



385 



und so schrieben es seine Offiziere nieder. Das war der Lohn 
Grouchys, der sich in Amerika den Kopf zerbrach, wie er 
seinen Herrn aus der Gefangenschaft befreien könne, und 
Neys, der, kaum daß seinen Leichnam die Erde deckte, auch 
von demjenigen verurteilt ward, für den er den Tod erlitten.*) 
Das Manuskript des „Feldzugs von 1815" gelangte ebenso 
heimlich wie die „Briefe vom Kap" nach Europa und er- 
schien dort im Jahre 1818 im Druck. Als Autor war Gourgaud 
genannt, doch verriet jede Zeile den wahren Verfasser. Nun, 
das Werk erfüllte seinen Zweck, und so vollständig, daß noch 
mehrere Jahrzehnte später Historiker von Ansehen den Vor- 
spiegelungen des Gefangenen von St. Helena sich blindlings 
überließen. Aber auch seine andern Mißerfolge im Felde muß- 
ten vertuscht werden. In Rußland, gegen das der Krieg „aus 
einem Mißverständnis" entsprang, erzählte er O'Meara, sei eben 
nur die zu frühe Kälte schuld an dem Unglück der Armee 
gewesen. Er hatte eine Berechnung des Wetters auf fünfzig 
Jahre nach rückwärts gemacht und gefunden, daß die strengste 
Kälte nie vor dem 20. Dezember, also zwanzig Tage später 
begonnen habe als 1812. Bei 18 Grad Re"aumur seien in einer 
Nacht 30.000 Pferde umgekommen. Man habe die Artillerie, 
den Schießbedarf und die Lebensmittel nicht mehr befördern, 
den Feind nicht rekognoszieren können, worauf die Truppen in 



sich immer nur zwischen der Chaussee Charleroi-Brüssel und dem 
Marschall Blücher zu halten, um fortwährend in Fühlung mit der 
Armee und in der Lage zu sein, sich mit ihr zu vereinigen. Es war 
wahrscheinlich, daß sich der Marschall Blücher auf Wavre zurück- 
ziehen werde; er mußte zur selben Zeit dort sein." S. oben S. 353. 

*) Aus Anlaß der Exekutionen Neys und Labddoyeres sagte 
Napoleon von ihnen: „Man darf sein Wort niemals brechen; ich ver- 
achte die Verräter" — als ob er nicht selbst sie dazu verleitet hätte. 
Ein andermal: „Ney hat sich entehrt. Er hätte nach Paris zurück- 
kehren sollen, was viel nobler gewesen wäre." Und über Labedoyere: 
„Er handelte aus Fanatismus und beging Verrat, da er dem König 
Treue geschworen hatte." Also war es richtig, was er selbst von sich 
sagte: „Ich liebe nur diejenigen, die mir nützlich sind, und nur so- 
lange, als sie es sind!" Dann war es wohl auch nicht unrichtig, wenn 
Bertrand zu Gourgaud bemerkte: „Dieser Charakter ist die Ursache, 
warum er keine Freunde und so viele Feinde hat und warum wir hier 
auf St Helena sitzen." (Gourgaud. I. 77, 186, 223. 491 f.; II. 444.) 

Fournier. N'sipoleou I 2o 



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386 



Die Tendenz der Diktate. 



Unordnung geraten seien. Die Schlacht an der Moskwa habe 
er mit 90.000 Mann gegen 250.000 Russen gewonnen, in der 
brennenden Metropole sich mitten in die Flammen gewagt, 
sich Haar und Brauen und die Kleider versengt usw. All 
das ward gläubig angehört und aufgeschrieben, um bald nach- 
her als historische Wahrheit in die Welt zu gehen. 

Nebenher diktierte Napoleon noch unterschiedliches An- 
dere: die Erzählung von den Anfängen seiner militärischen 
Karriere, seinen Anteil an der Belagerung Toulons, an den 
italienischen Kriegen, sein Unternehmen in Ägypten, den Feld- 
zug von 1800, kurz all seine Leistungen im Dienste der Revo- 
lution. Aber auch nur diese. Warum? Warum nicht auch seine 
Großtaten bei Austerlitz und Jena, bei Friedland und in 
Bayern? Schnitt etwa der Tod den Faden der Erzählung durch? 
Nein, denn wir erfahren, daß er im letzten Jahre kriegsgeschicht- 
liche Werke zur Beurteilung der Taten Casars, Turennes, 
Friedrichs des Großen verfaßt hat, die uns gleichfalls über- 
liefert sind. Was konnte ihn wohl abgehalten haben, nicht 
noch mehr und Größeres von sich zu berichten? Ein einfaches 
Raisonnement, das ihn schon bei seinem Entweichen von 
Elba geleitet hat: die Bourbons mußten durch die Revolution 
gestürzt werden; nun, er war der Mann der Revolution ge- 
wesen, seht, wie er für sie gestritten hat, man kann keinen 
besseren finden. Darum aber auch kein Wort von der Zeit, in 
der er als Selbstherrscher Frankreich regierte, und auch nichts 
von den Eroberungskriegen, die seine Universalherrschaft be- 
gründen sollten und Europa gegen ihn aufbrachten: alles nur 
Freiheit und Weltfriede! das war die Tendenz. Allerdings 
konnte es passieren, daß sich in die Berichte Montholons ein 
Gespräch Napoleons mit einem englischen Offizier einschlich, 
wo er meinte, je weniger Freiheit die Monarchen zu geben 
wünschten, um so mehr müßten sie davon sprechen, denn 
die eiserne Rute, mit der man die Menschen regiere, 
müsse vergoldet sein. Aber derlei war selten. Im 
Ganzen geht durch all diese Gespräche das eine Thema hin- 
durch: die Bourbons wird man verjagen, denn sie repräsen- 
tieren nur ein Königtum des Adels und der Priester, nicht des- 
Volkes; dieses selbst lürfe die Herrschaft nicht an sich 



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Napoleons Lehren für seinen Sohn. 387 

reißen, davor bewahre Frankreich die Erinnerung an die 
Schreckenszeit des Konvents und an die Jämmerlichkeit des 
Direktoriums; den einzigen Ausweg biete also nur die volks- 
tümliche Monarchie. Daß er sich diese freilich möglichst un- 
eingeschränkt dachte, wissen wir bereits aus seinen vertrau- 
lichen Äußerungen zu Gourgaud, dem er sogar einmal auf die 
Bemerkung, daß in China der Herrscher wie ein Gott verehrt 
werde, antwortete, so sollte es auch sein. „Bei einer monar- 
chischen Verfassung", sagte er zu seiner Umgebung im 
Sommer 1816, „kann nur in der Herrschaft meiner 
Dynastie eine Bürgschaft für die wahren Interessen des Volkes 
liegen, weil sie die Schöpfung des Volkes ist." 

Als er so sprach, war er noch voll Hoffnung für sich 
selbst. Fünf Jahre später, zwei Wochen vor seinem Tode, 
äußerte er sich ähnlich, doch jetzt nur noch im Interesse 
seines Kindes. „Die Bourbons," meinte er da zu Montholon, 
der die Worte seinem Sohne weitergeben sollte, „die Bour- 
bons werden sich nicht halten. Wenn ich tot bin, wird 
überall, selbst in England, eine Reaktion zu meinen 
Gunsten stattfinden. Mein Sohn wird nach bürgerlichen Un- 
ruhen auf den Thron gelangen. Man verrichtet nur Großes 
in Frankreich, wenn man sich auf die Massen stützt. Mein 
Sohn muß ein Mann der neuen Ideen und der Sache sein, die 
ich überall habe obsiegen machen; er muß überall die neuen 
Ideen ausführen, welche die Spuren des Feudalwesens vertilgen, 
die Würde des Menschen sichern und die Keime der Glück- 
seligkeit entwickeln, die seit Jahrhunderten schlummern; er 
muß der Allgemeinheit zuteil werden lassen, was bis jetzt das 
privilegierte Besitztum von Wenigen gewesen ist; er muß 
Europa in unauflösbare Föderativbande vereinigen und in allen 
bis jetzt noch unzivilisierten Teilen der Welt die Wohltaten 
des Christentums und der Zivilisation verbreiten. Das muß 
das Ziel aller Gedanken meines Sohnes sein, das ist die Sache, 
für die ich als Märtyrer sterbe. An dem Hasse, mit dem mich 
die Oligarchien verfolgen, möge er die Heiligkeit meiner Sache 
ermessen." Gut. Aber was war das mit den „unauflösbaren 
Föderativ banden"? War es wieder die weltbürgcrliche Födera- 
tion, wie er sie erstrebt hatte? Das konnte seine Meinung 

25* 



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388 Das Prinzip der Nationalität. 

nicht mehr sein, und sie war es auch nicht. Die nationalen 
Kräfte eines ganzen Erdteils hatten Frankreich aus der Politik 
des „Grand Empire"' in seine von seinem Volkstum umschrie- 
benen Grenzen zurückgedrückt. Diese Kräfte heischten Aner- 
kennung. Und darum sagte er jetzt auch: „Es gibt nationale 
Wünsche, die früher oder später befriedigt werden müssen; 
auf dieses Ziel muß man losgehen." Und wie er sich das 
dachte, hatte er bereits einmal Las Cases anvertraut: „Man 
zahlt in Europa, obwohl zerstreut, dreißig Millionen Fran- 
zosen, fünfzehn Millionen Spanier, fünfzehn Millionen Ita- 
liener, dreißig Millionen Deutsche. Ich hätte aus jeiem dieser 
Völker einen einigen nationalen Körper (un seul et m6me 
corps de nation) machen wollen." So empfahl er — gewitzigt 
und belehrt durch den Sieg eines mächtigen Prinzips — dem 
künftigen Beherrscher Frankreichs ein nationales System im 
Innern und nach Außen.*) 

Und wie seine Werke und Diktate sein Bild aus der rauhen 
Wirklichkeit der Tatsachen in eine ideale Sphäre erheben 
sollten, so suchte er dies auch mit seinem letzten Willen zu 
erreichen, immer im Hinblick auf die Zukunft seiner Dynastie 
in Frankreich und mit der gleichen Geringschätzung der Wahr- 
heit. „Ich wünsche," heißt es da, „daß meine Asche an den 
Ufern der Seine ruhe, in der Mitte des französischen Volkes, 
das ich so sehr geliebt." Dann: „Ich empfehle meinem Sohne, 
nie zu vergessen, daß er ein geborener französischer Prinz ist, 
und sich niemals zum Werkzeug in den Händen der drei Herr- 
scher gebrauchen zu lassen, welche die Völker Europas be- 
drücken. Er darf Frankreich niemals bekämpfen, ihm auf 
keine Weise schaden, er muß meinen Wahlspruch annehmen: 
„Alles für das französische Volk." Ja, um in Frankreich gar 
keines der der breiten Masse des Volkes heiligen Gefühle zu 
verletzen — und wohl auch aus einem schließlich erwachten 
Bedürfnis — hat er, der ehedem Ungläubige, Priester nach 
St. Helena kommen, an seinem Sarge beten lassen und in sein 
Testament geschrieben: „Ich sterbe in der apostolischen und 



*) Montholnn, S. 26f> ft". der deutschen Ausgabe; Las Cases, 
Memorial, VII. 169— 17fi. 



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Die bonapartistische Legende. 389 

römischen Religion, in deren Schoß ich vor länger als fünfzig 
Jahren geboren wurde."*) Sollte es aber Franzosen geben, die 
mit den Grundsätzen eines religiösen Gemütes die Hinrichtung 
des Herzogs von Enghien nicht vereinbar hielten, so sollten sie 
jetzt gleichfalls aus dem Testamente von St. Helena erfahren, 
„daß sie notwendig war für die Sicherheit, das Interesse und 
die Ehre des französischen Volkes zu einer Zeit, als der Graf 
von Artois nach seinem eigenen Geständnis sechzig Meuchel- 
mörder in Paris besoldete", derselbe Graf von Artois, der 
nächstens als Karl X. König von Frankreich werden wird. 

Dies war die geistige Hinterlassenschaft des Kaisers, dessen 
Ehrgeiz selbst am Rande des Grabes darauf bedacht war, sich 
zu genügen, und zu diesem Zwecke mitunter selbst zu un- 
erlaubten Mitteln griff. Und mit reichem Erfolg. Als das 
Regiment Ludwigs XVIII. zu Ende ging und das seines 
Bruders begann, dessen sich jeder tüchtige Franzose schämte, 
und als dann eine neue Revolution nur zu erreichen wußte, 

*) Schon einige Jahre früher hatten sich in seine Gespräche über 
das Wesen der Religionen einzelne Aussprüche eingeschlichen, die 
Bertrand auf die Meinung brachten, daß er im Grunde religiös sei, 
was freilich damals noch nicht zutraf. So sagte er einmal, in den ersten 
Monaten des Jahres 1817: „Die Vergebung der Sünden ist ein schöner 
Gedanke, er macht die Religion schön und unvergänglich. Niemand 
kann sagen, er glaube nicht oder werde nicht eines Tages glauben. 4 ' 
Ein andermal meinte er: nur ein Narr könne behaupten, daß er ohne 
Beichtvater sterben werde; gäbe es doch so viele Dinge, die man nicht 
wissen und sich nicht erklären könne. Später äußerte er sich zu An- 
tommarchi: „Nicht jeder ist Atheist, der es sein will." Im Jahre 1820 
finden wir zwar noch den Ausspruch : „Obgleich ich fühle, wie ich jeden 
Tag schwächer werde, so bin ich doch noch nicht so weit heiunter, um 
den Trost der Religion zu bedürfen." Doch er fügte hinzu: „Aber wer 
weiß? Selbst Voltaire verlangte vor seinem Tode die Tröstungen der 
Religion, und vielleicht könnte auch ich viel Trost und Erquickung 
in der Gesellschaft eines Priesters finden, der fähig wäre, mir Ge- 
schmack an religiösen Gesprächen einzuflößen und mich fromm zu 
machen." (Gourgaud, I. 474; II. 43 u. a. a. 0.) In der Tat konnte 
einer der Geistlichen, die Fesch ihm nach St. Helena geschickt hatte, 
Abbe Vignali, nach seinem Tode Marie Luise nach Parma melden: 
„ihr Gatte sei gestorben, nachdem er sieben Tage vor seinem Ende 
mit den Sterbesakramenten versehen worden war, und mit den reli- 
giösesten Gefühlen im Herzen." (Neipperg an Metternich, 1. Oktober 
1821. S. Anhang.) 



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--WO Napoleon und die Geschichtschreibung-. 

daß eine Politik selbstsüchtigen Krämergeistes die der Un- 
vernunft ablöste: da sproßte die Saat von St. Helena auf dem 
von Haß und Unzufriedenheit durchpflügten Boden Frank- 
reichs jäh empor. Die besten Dichter der Nation brachten 
die junge Legende in Verse, und so mächtig waren die Gemüter 
von der Erinnerung an die ruhmvolle Zeit eines größeren Herr- 
schers erfüllt, daß auch der ernste Beruf des Historikers der 
Strömung unterlag. War es nicht, als ob man sich nach Napo- 
leons eigener Vorschrift gehalten hätte, um seine Geschichte 
zu schreiben? „Ein französischer Historiker, der das Empire 
schildern will," hatte er im Jahre 1816 einmal gesagt, und 
seine Worte zogen durch die Welt, „wird, wenn er sonst Mut 
besitzt, mir mein gut Teil Geltung zugestehen müssen. Ich 
habe den Krater der Anarchie geschlossen und das Chaos 
entwirrt. Ich habe die Revolution von ihrem Schmutze gereinigt, 
die Völker veredelt, die Könige befestigt. Ich habe einen all- 
gemeinen Wetteifer angeregt, jedes Verdienst belohnt, die 
Grenzen des Ruhmes weit hinaus erstreckt. Das ist wohl etwas. 
Und weswegen könnte man mich angreifen, wo ein Geschicht- 
schreiber mich nicht zu verteidigen vermöchte? Etwa wegen 
meiner Absichten? Da weiß er genug, um mich loszusprechen. 
Oder wegen meines Despotismus? Da wird er zeigen, daß die 
Diktatur notwendig war. Wird man sagen, ich hätte die Frei- 
heit verhindert, so wird er beweisen, daß Zügellosigkeit, 
Anarchie und Unordnung noch vor der Tür standen. Wird man 
mich anklagen, ich hätte zu sehr den Krieg geliebt, so wird 
er darlegen, daß nur immer ich der Angegriffene war. Wird 
man mich beschuldigen, daß ich die Weltherrschaft für mich 
gewollt, so wird er sie als das Werk der Umstände dartun und 
wie es meine Feinde selbst waren, die mich Schritt für Schritt 
dahin gebracht. Oder endlich, soll mein Ehrgeiz der Schuldige 
ßein? Nun, er wird davon ohne Zweifel viel in mir finden, 
aber vom höchsten und erhabensten der je gewesen, vom Ehr- 
geize zu begründen und zu heiligen, kurz die Herrschaft der 
Vernunft und die freie Ausübung aller menschlichen Fähig- 
keit. Und da wird der Historiker nur bedauern müssen, daß 
ein solcher Ehrgeiz unerfüllt geblieben ist."*) 

* Las f'iiscs. Memorial. 1. Mai 1816. 



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Wissenschaft und Wahrheit. 



391 



Das war die Parole für die Geschichtschreiber, und so 
bestimmt klang das Kommando des unsterblichen Generals, 
daß man ihm noch dezennienlange nach seinem Tode gehorchte. 
Es kam die Zeit, es war im Jahre 1840, wo seine Leiche 
im Triumph nach Paris gebracht und im Dome der Invaliden 
beigesetzt wurde, und wo ein Minister Louis Philipps in der 
Kammer mit den Worten an ihn erinnerte: „Er war Kaiser 
und König, der legitime Souverän unseres Landes; als solcher 
könnte er in Saint-Dcnis ruhen. Aber ihm gebührt mehr als 
die gewöhnliche Grabstätte der Könige." Ja, es kam der Augen- 
blick, wo die Legende von St. Helena selbst den Thron von 
Frankreich bestieg, und erst als die Herrschaft Napoleons III. 
nicht zu halten vermochte, was die sorgsam gehegte bonapar- 
tistische Tradition so freigebig versprochen hatte, da gelangte 
endlich auch die Wissenschaft zu ihrem Recht, die auf dem 
Bilde des Imperators die Schatten nicht tilgen darf, wenn sie 
gleich in ihm der Grüßten einen, die je gelebt, nie verkennen 
wird. 

Unter den Vorschriften des Gefangenen von Longwood 
für denjenigen, dem er den Weg zu bereiten meinte und dessen 
baldiges Ende er nicht ahnte, findet sieh auch die folgende: 
„Möge mein Sohn oft die Geschichte studieren und darüber 
nachdenken, denn sie ist die einzig wahre Philosophie." 

Aber gewiß nur dann, wenn sie selbst wahr ist. 



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Anhang 



i 

Litterarische Anmerkungen. 

Zum ersten Kapitel. Über die Verhandlungen mit dem Papste 
und das Konzil von 1811, an Darstellungen: Haussonville, L'cglise 
romnine et le premicr Empire, vol. III. und IV. (grundlegend) und 
ergänzend (nach Akten des Pariser Nationalarchivs); Welsch inger, 
Lc Pape et 1'Enipereur. 1804—1815, Par. 1905; ferner: Artand, Pie 
VII. II.; Majol de Lupe, Un pape prisonnier, im „Correspondant" 
von 18s7; H. Chotard, Le Pape Pie VII. ä Savone, 1887 (nach der 
Korrespondenz de> Generals Berthier mit Borghese und den Memoiren 
Lcbzelterns); De l'radt. Les quatre coneordats (unzuverlässig; vergl. 
Napoleons Bemerkungen dazu in Corresp. XXX); die Memoiren 
Talleyrands. II.; Pacea», II.: Ranee-Bourray, Memoire in£dit 
de Consalvi sur le eoneile de 1811 (Universite cathol. XIV); Ricard, 
Le eoneile nationale ile 1811 : Derselbe, Correspondance diplomatique et 
memoircs iuedits du eurd. Maury, II; Gosselin, Vie de M. Emery; 
Grandmaison, Napoleon et les cardinaux noirs; Aulard, Napoleon et 
le elerge* hollandais (La Kevol. fr., 1902); Dudon, Napoleon et les con- 
gregations (Etudes de Ja Comp. Jesus. 1901); Madelin. La domination 
traneaise ä Rome, 1809 u 1813 (Rev. d. d. m. 1905); Derselbe, LaRomo 
de Napoleon, Par. 190G: Metternich, Nachgelassene Papiere IL; 
Beer, Zur Sendung Metternichs nach Paris, 1810 (Mittb. d. Inst. f. 
öst. Gesch. XVI); Demelitsch. Metternich I (nach Lebzeltems Nach- 
laß». Über die Beziehungen zu Spanien außer deu Briefen Napoleons: 
Memoiren Josephs, Miots v. Melito, Massenas, VII., Jourdans, 
Suchet*. Thiehaults, IV, Reiset«, II, Delagraves (Par. 1902), 
Gonnevilles, Lejeunes. IL Marbots (Vorsicht!), Fririon, Jour- 
nal historique de la eampagne de Portugal; Foy, Histoire de la guerre 
de la Peninsule (dazu Girod de l'Aiu. Lc General Foy); Azanzas 
Rechtfeitigungssehrift (Franz. Par. 1815); die Depeschen Welling- 
tons (ed. Gurwood). An Darstellungen: Baumgarten, Geschichte 
Spaniens I.: Thiers, Consulat et Empire, XII; Sorel, VII; Masson, 
Napoleon et sa famille, VI; Maxwell, Wellington; Portz, die poli- 
tische Bedeutung des Jahres 1810 (Abhandlung der Berliner Akademie 
der Wissensehaften, 1861, wo die Verhandlungen mit Azanza aus 
Steiirschen Papieren mitgeteilt werden); Latino-Coelko, Hist. polit. 
e militar de Portugal; Atkinson, The compositum and Organisation 



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Litterarische Anmerkungen. 



393 



of the British forces in the Peninsula (Engl. hist. Review, 1902): 
Andrews, Massenas Lines of March in Portugal etc. (English 
hist. Rev. 1901); Butler, Wellingtons Operations in the Peninsula 
(1808—1814) Lond. 1904, 2 Bde.; Costa de Serda, Operations des 
troupes allemandes en Espagne de 1808 ä 1813, Par. 1874. Über das 
Kontinental system und Napoleons Industriepolitik: Duvergier, Col- 
lection des lois, vol. XVI; die „Correspondance" XXI; Kiesselbach, 
Die Kontinentalsperre in ihrer ökon.-polit. Bedeutung, 1850; Art. „Kon- 
tinentalsperre" von Lexis in Conrads Handwörterbuoh der Staats- 
wissenschaften; Clement, Histoire du Systeme protecteur en France, 
Par. 1854 (nicht ohne Fehler); Lumbroso, Napoleone e l'Inghilterra 
(mit einer Bibliographie); Rocke, Die Kontinentalsperre und ihre Ein- 
wirkungen auf die französische Industrie (Dies. 1894); P. Darmstädter, 
Studien zur napolconischen Wirtschaftspolitik (Vierteljahrschrift für 
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 1904, 1905), namentlich für die Ge- 
schichte der Krisis von 1810 wertvolle Untersuchung; Ch. Schmidt, 
L'lndustrie dans le Grand-Ducbe de Berg en 1810 (Revue d'hist. mod. 
1904, nach Aufzeichnungen Beugnots noch vor der Krisis); Derselbe, 
Le Grand-Duchö de Berg (1905); Hitzigrat, Hamburg und die Kon- 
tinentalsperre (Hamb. 1900); Fisher, Studios; Servieres, L'annexion 
et l'organisation des departementa hansäatiques, 1810 (La Grande 
Revue, 1902); Mollien, Memoires, III (für die Finanzgeschichte Haupt- 
quelle); D'Ivernois, Napoleon administrateur et financier, London 
1812 (Streitschrift mit statistischen Daten); Ru pelle, Les finances 
de la guerre, 1796 ä 1815 (Annales de l'Ecole politique, 1892); die 
Memoiren Pasquiers, Miots, Chaptals; Rose, Napoleon and 
British commerce (in Napoleonic studies, 1904). Über das Verhältnis 
zu Holland: Jo rissen, Napoleon I. et le roi de Hollande, 1868; 
F. Rocquain, Napoleon et le roi Louis, 1875; (Louis Bonaparte), 
Documents historiques et r^flexions sur le gouvernement de la Hollande 
1820, vol. III (deren Authentizität Napoleon in seinem Testament 
leugnete, die aber gleichwohl durch die Forschung völlig sichergestellt 
wurde); Du Casse, Les rois fieres de Napoleon I. (Appendice): 
Wichers, De Regeering van Koning Lodewijk Napoleon, 1806 — 1810. 
Utrecht 1892. Bezüglich der geheimen Verhandlungen mit England 
außerdem auch noch: Coquelle, Napoleon et l'Angleterre, Madelin, 
Pouche II, und die Memoiren Ouvrards (Par. 1827). Über die deut- 
schen Nordseestaaten: H äußer, Deutsche Geschichte, III., die „Corre- 
spondance" XXII. Bd.; Havemann, Das Kurfürstentum Hannover 
unter zehnjähriger Fremdherrschaft 1803 — 1813; Mönckeberg, Harn- * 
bürg unter dem Drucke der Franzosen 1806—1814; Wohlwill, Die 
Verbindung zwischen Elbe und Rhein durch Kanäle und Landstraßen 
nach den Projekten Napoleon I. (Mitteilungen des Vereins für Ham- 
burger Geschichte 1884, 4. Heft); (Meyer) Erinneiuugen an Hannover 
und Hamburg ans den Jahren 1803 — 1813. Über die Beziehungen zu 
Dänemark und Schweden: Garden, Histoire generale des Traites, 



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Litterarische Anmerkungen. 



vol. IX; Lefebvre, Histoire des Cabinets de rEurope V; Thiers 
XIT; Vandal II; Sbornik XXI; Swederus, Schwedens Politik 
und Kriege, 1808-1814 (deutsch von Frisch, 1866); A. W. Schlegel. 
Über das Kontinentalf ystem und den Einfluß desselben auf Schweden, 
1813 (Die von Lumbroso zitierte Schrift der Stadl, Le Systeme Con- 
tinental et ses rapports avec la Suede, die in demselben Jahre 1818 
erschien, ist mir nicht bekannt. Sie dürfte wohl mit der Schlegel'schen 
identisch sein); Wett erste dt s Erinnerungen (herausgegeben von For- 
sell in den Schriften der Stockholmer Akademie 1886); Schinkel, 
Minnen ur Sveriges nyare historia, Upsala 1880 (enthaltend Briefe des 
schwedischen Gesandten aus Paris im Jahre 1810, leider in schwedischer 
Übersetzung): Suremain, Memoires Par. 1902; Ahnfeit, La diplo- 
matie russe a Stockholm eu 1810 (Revue historique, 1888, XXXVII); 
Pingaud, Bernadotte, Napoleon et les Bourbons; Hochschild, De- 
siree, reine de Suede. Betreffs Neapels: Helfert, Königin Karoline 
von Neapel und Sizilien. 1878 (wo auch die frühere Litteratur ange- 
führt ist); Derselbe, M. Karolina von Österreich; Anklagen und Ver- 
teidigung, 1884; O. Browning, Caroline of Neapel in der English 
historical review 1887 Nr. 6 (auf Grund der Depeschen Bentincks); 
St rongoli, Memorie intorno alla storia del regno di Napoli, 1805 — 1813; 
Devernois, Memoires; Masson, Napoleon et sa famille, VI; Cha- 
vanon et Saiut-Yves, Joach. Murat, Par. 1905; Bonnefons, Marie 
Caroline, Reine des Deux-Siciles, Par. 1905 (unzulänglich). 

Über die Verwicklung mit Rußland: Die ,,Correspondance" 
Bd. XXI. bis XXELI. und die anderen Briefsammlungcn ; die Depeschen 
Kurakins und Tschernischeffs im Sbornik. XXI. (dazu Harnack, 
Zur Geschichte und Vorgeschichte des Krieges von 1812 in der Hi- 
storisehen Zeitschrift 1889); Martens, Recueil des traites conclus 
j>ar la Russie, Bd. III und VII; Nesselrode, Lettre» et papiers, III, 
(Par. 1904, Briefe an Speranski u. A.); die Memoiren Segurs IV, 
Villemains I. Czartoryskis II, Oginskis III, Kozmiaus (pol- 
nisch), der Gräfin Edling, der Gräfin Choiseul-Gouffier; Bi- 
gnons Souvenirs d'un diplomate; M etterniehs Nachgelassene Papiere; 
Bernhardi. Tolls Denkwürdigkeiten; Brays Denkwürdigkeiten (1901); 
Mordwinows Archiv (Petersb. 1901, russisch). An Darstellungen: 
Vandal, Iii (grundlegend); Sorel, VII; Ernouf, Maret; Tatis- 
tcheff, Alexandre et Napoleon; Schilder, Alexander I.. III.; Schie- 
rn ann, Nikolaus 1., I: Wassiltschikow, Les Razoumowsky (Französi- 
sche Ausgabe), 4. Bd.; Bernhardi, Geschichte Rußlands, II; Tegnär, 
Gust. Manritz Armfeit, 3. Bd.; Pingaud, Un agent secret (D'Antraigues); 
Rüther. Napoleon und Polen, 2. Teil; Skarbek, Geschichte des 
Herzogtums Warschau, Pos. 1876 (2. A. polnisch); Kinkel, Das Groß- 
herzogtum Warschau (in Przewodnik naukowy, 1896); Ghika, La France 
et les prineipautes danubiennes, 1789—1815. (Annales de l'ecole poli- 
tique, 1896i. Über die russischen Rüstungen 1810 und 1811 handelt 
die vom russischen Generalstab herausgegebene Geschichte des Feld- 



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Litterarische Aumerkungen. 



895 



zuges von 1812 (Französische Ausgabe) in den ersten Bänden; über 
die französischen: Margueron, Campagne de Russie, I — III. Vergl. 
auch Bogdanowitsch, Geschichte des Feldzuges im Jahre 1812: 
Jahns, Das französische Heer von der Revolution bis zur Gegenwart : 
Liebert, Die Rüstungen Napoleons für den Feldzug 1812 (Beiheft 
zum Militär-Wochenblatt, 1888); Lettow-Vorbeck, Die französische 
Konskription unter Napoleon I. (ebenda, 1892); Leymarie, La con- 
scription impöriale. (La Nouvelle Revue, 1901); Schmeisser, Die Re- 
fraktärregimenter unter Napoleon I. (Beiheft zum Militär- Wochenblatt, 
1890); Derselbe, Die kroatischen, illyrischen und dalmatinischen Kon- 
tingente in der Armee des österreichischen Kaiserreiches (Programm 
1888); Boppe, La Croatie militaire (1809—1813), Par. 1900. Über die 
Verhältnisse im Innern: Die „Correspondance" und namentlich die 
Sammlung Lecestres, IL; dann: Thiers, XIII; Forner on, Histoirc 
generale des emigres; Madelin, Pouche; Taine, Le regime moderne, 
I; Grouchy, Complots contre Tompereur, 1810, 1811 (Nouvelle revue 
rötrosp. 1898); Morvan, Le soldat imperial, LT; Barrai, Histoire des 
Sciences sous Napoleon Bonaparte, Par. 1889 (unvollkommene Lösung 
einer schönen Aufgabe); Welschinger, La censure sous le premier 
Empire; Derselbe, La direction generale de l'imprimerie et de la 
librairie (in der Zeitschrift „Le Livre" 1887 und 1890); Ch. Schmidt, 
La Röforme de l'L'niversitö impöriale en 1811 (Par. 1905); Veron, 
Memoires d'un bourgeois de Paris, I.; Fievee, Correspondance et 
relations avec Bonaparte, III. (1809 bis März 1813); die Memoiren von 
Barante, I, Bourgoing, Pasquier, I, Mollien, III und Savary. 
Über das Verl iltnis zu den Rheinbundstaaten: Perthes, Politische 
Zustände und Personen in Deutschland zur Zeit der französischen Herr- 
schaft, Bd. II; Winkopp, Der Rheinische Bund, Jahrg. 1810—1812: 
Memoires et correspondance du Roi Jeröme; Du Casse, Les rois 
freres de Napoleon; Goeeke, Das Königreich Westfalen; (Lehsteu- 
Dingelstädt), Erinnerungen eines westfälischen Pagen, Berlin 1905; 
Charles Schmidt, Le Grand- Uuche de Berg; Goceke, Das Großherzog- 
tum Berg; Bcaulieu-Marconnay, Karl v. Dalberg und seine Zeit; 
Darmstaedter, Das Großherzogtum Frankfurt, (Frankf. 1901); (übei 
die im Texte berührte Denkschrift Dalbergs von 1811 vgl. das August- 
heft 1903 der Zeitschrift „Vom Rhein"); Bernays, Schicksale des Groß- 
herzogt umsFrankfurt, 1882; Schloßberger, Politische und militärische 
Korrespondenz Friedrichs von Württemberg mit Kaiser Napoleon I. (1805 
bis 1813.) 1889; Derselbe, Briefwechsel der Königin Katharina von 
Westfalen. 1887; Montgelas, Denkwürdigkeiten; „La Baviere en 
1812 et 1813" (Revue contemporaine, 1869); Wohlwill, Weltbürger- 
tum und Vaterlandsliebe der Schwaben, 1875. Über die Allianzen mit 
Preußen und Österreich: Häusser, III; Ranke, Hardenberg (SS. 
WW. 48); Duncker, Preußen während der französischen Okkupation 
(Aus der Zeit Friedrichs des Großen und Friedrich Wilhelms III.), 
vielfach berichtigt durch Lehmann, Scharnhorst TI, Delbrück. 



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:'>96 



Li 1 1 erarische Anmerkungen. 



Gnei»ciiau I, A.Stern, Abhandlungen und Aktenstücke zur Geschichte 
der preußischen Reformzeit (1807—1818): Bai Heu, Briefwechsel 
zwischen Friedrich Wilhelm III. und Alexander I.; Dazu: Thimme, 
Zur Geschichte Friedrich Wilhelms HI. und der Krisis von 1811; 
Boye ns Erinnerungen (her. v. Nippold, II); Ernst, Denkwürdig- 
keiten von Amalie und Heinrieh von Beguelin; Ompteda, Politischer 
Nachlaß; Meinecke, Boyen, I; Gebhardt, Wilh. von Humboldt als 
Staatsmann, I; Goldschmidt, Kunth; Fournier. Stein u. Gruner, 
Zur Vorgeschichte der Befreiungskriege (D. Kundschau, 1887); Ca- 
vaignac, La formation de la Prusse contemporaine II; Wächter, Be- 
richte des Grafen Beugnot über die Stimmung in Preußen (Forschungen 
zur brandenburgischen und preußischen Geschichte IX.). Dazu: Mar- 
tens, Recueil des traitäs conclus par la Russie III., VII; Bignon,. 
Histoire de France X; Metternich, Nachgelassene Papiere II; (Bin- 
der von Krieglstein), Precis des transactions du Cabinet de Viemie 
de 1809 a 1816 (Steiermark. Geschichtsblätter, 1884); Ernouf. Maret; 
Oncken, Österreich und Preußen im Befreiungskriegen; Derne litsch r 
Metternich, I; Beer, Die orientalische Politik Österreichs. Über den 
Aufenthalt in Dresden: Vandal, III; das Journal Cast ellanes; die 
Memoiren Baussets, II, des Grafen Senfft-Pilsach, Menevals, II, 
der Mm. Durand; das Hofjournal in der Nouv. revue rötrospective 
1900; das Tagebuch der Königin Karoline (Rev. hist. 86. Bd.); Guglia, 
Kaiserin Maria Ludovica; Welck, Napoleons Aufenthalt in Dresden 
1812 (Neues Archiv für sächsische Geschichte, XX.). 

Zum zweiten Kapitel. Die Litteratur über den russischen Feldzug 
ist unübersehbar. Hier nur das Wesentlichste. Außer dem 24. Bande 
der Correspondanee de Napoleon kommen die Memoiren seiner 
Generale, die Aufzeichnungen der feindlichen Heerführer, Mitteilungen 
deutscher und französischer Offiziere, dann die amtlichen russischen 
Quellen in Betracht, die neueren kriegsgeschichtlichen Werken zu- 
grunde gelegen haben. Von dem amtlichen französischen Material mag 
viel auf dem Rückzüge verloren gegangen sein. 

I. Denkwürdigkeiten und Dokumente: a) französischerseits vom 
Generalstab herausgegeben: Margueron, Campagne de Russie, P re 
partie. Par. 1899 ff. Sammlung aller dienstlichen, auf die Vorbereitung 
des Feldzugs bezüglichen Schriftstücke. Von dem auf sieben Bände 
berechneten Werke sind bisher drei — bis zum 31. Januar 1812 
reichend — erschienen; Fabry, Campagne de Russie, H*me partie; 
Operations militaires. Fortsetzung der früher genannten Sammlung für 
die Zeit nach dem 24. Juni 1812. Bisher vier Bände und ein Supple- 
raentband, bis Ende August 1812 reichend. Murats Berichte nach 
des Kaisers Abreise im Dezember sind in „Souvenirs et memoires", 
1901, veröffentlicht. Eine Nachlese der kaiserlichen „Correspondanee* 
durch Grouchy, Lettre*, ordrus et döcrets, 1812 ä 1814, non inseres 
dans la Correspondanee, Par. 1897, bietet für 1812 nichts wesentliches. 
Ferner: Du Casse, Memoire» du Prince Eugene, die Memoiren von 



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Litterarische Anmerkungen. 397 

Rapp, S. Cyr. Dumas, Segur (im 4. und 5. Bande der Histoire 
et Memoire«), Bausset, Constant; Gourgaud, Napoleon et la 
Grande Armee en Russie ou examen critique de l'ouvrage de Segur; 
Fain, Manuscrit de 1812; Villemain, Souvenirs contemporains I (nach 
Erinnerungen des Grafen Narbonne); Davout, Correspondance (ed. 
Mazade) III; Blocqueville, Le marechal Davout, III. (Briefe des- 
selben an seine Frau); die Erinnerungen Oudinots, Macdonalds, 
Vandammes, des Chirurgen Bourgeois (1814); Peyrusse, Memorial 
et Archives; Derselbe, Lettres inödites (Rev. pol. et lit. 1894); Ca- 
stellane, Journal, I (bis 6. Dezember Tag für Tag aufgezeichnet); 
Fezensac, Souvenirs militälres; Dutheillet de Lamothe, Mömoires, 
Pur. 1899; Roy, Les Francis en Russie. Souvenirs, Tours, 1891: 
Seruzier, Memoires (erste Ausgabe 1823); Marbot, Memoire», III; 
Lejeune, Souvenirs d'un officier de l'Empire; Pion des Loches, 
Mes campagnes; Girod, Dix ans de mes souvenirs militaires. 1805 
ä 1815; Berthezene, Souvenirs; Roguet, Memoire» (alte Garde); 
Faure, Souvenirs du Nord (Arzt beim Korps Davouts); Lemoine, 
Souvenirs anecdotiques ; Sau vage, Relations de la camp, de Russie; 
Duverger, Mes aventures dans la camp, de Russie; Mailly-Nesle, 
Mon journal pendant la camp, de Russie. Vergl. Bert in, La cam- 
pagne de 1812 d'apres des temoins oculaires, Par. 1895 (worin 
Mailly-Nesle, Duverger u. A. enthalten sind). Andere in Beanchamp, 
Memoires secrets et inedits II. Bd.; Denniee, Itineraire de l'Empereur 
Napoleon pendant la campagne de 1812; Coignet (der in diesem 
Feldzug schon Offizier ist), Cahiers; Leher, Lettre d'un capitaine 
de cuirassiers sur la campagne de Russie. Par. 1885; Sergeant Bour- 
•gogne, Memoires 1812, 1813, Par. 1898 (auch deutsch); Vionnet, 
Campagnes de Russie et de Saxe. Souvenirs, Par. 1899; Grenadier 
Pils, Journal de marche 1804—1814 (ed Cisternes); Mejan, Lettres 
sur la camp, de Russie (Mise, napol. LT. nahezu wertlos); Jolly, Sou- 
venirs sur la camp, de Moscou (Revue hebdom. 1903); D. de Gelder, 
Memoires, Par. 1900; G amiers, De Paris ä Vilna, 1812, d'apres la 
«rorresp. d'un aide-major fRev. d. quest. hist. 1895): (Vaudoneourt), 
Memoires pour servir a l'histoire de la guerre entre la France et la 
Russie en 1812, Lond. 1815; Labaume, Relation circonstantiee de la 
campagne de Russie en 1812 (auch deutsch); Larrey, Memoires de 
Chirurgie militaire; Colombe, Memoires re6d. Par. 1896; Puibusque, 
Lettres sur la guerre de Russie; Serang, Les prisonniers francais en 
Russie (6d. Puibusque, 1836). b) Von verbündeter Seite: v. Loßberg, 
Briefe in die Heimat geschrieben, während des Feldzuges 1812 in 
Rußland, Cassel 1844; Wolzogen, Memoiren des Generals von Wol- 
zogen, Leipzig 1851. (Pönitz) Militärische Briefe eines Verstorbenen; 
Roos, Ein Jahr aus meinem Leben; Linsingen, Auszug aus seinem 
Tagebuch, 1812 (Beihefte zum Mil.- Wochenblatt, 1894); v. Meer- 
heimb, Erlebnisse eines Veteranen der großen Armee während des 
Feldzuges in Rußland im Jahre 1812; Martens, Vor 50 Jahren, 



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L i 1 1 v ra risch e A 1 1 1 nerk u ngen . 



Stuttg. 1862; Goethe, Aus dein Leben eines sächsischen Husaren; 
Tiedemann, Tagebuch und Briefwechsel, 1812 (Jahrbücher für die 
deutsche Armee und Marine. 24. Bd.); Funck, Erinnerungen aus dem 
Feldzug des sächsischen Korps 1812; Legier, Denkwürdigkeiten aus 
dem russischen Feldzuge; Leisnig, Erinnerungen eines sachsischen 
Dragoneroffiziers; Rotenhan, Denkwürdigkeiten eines württembergi- 
schen Offiziers, 1812. 3. A. Münch. 1900 (reicht nur bis Moskau); 
Thum-Taxis, Tagebuch eines Offiziers im Generalstab der bayrischen 
Armee, 1812 (Mitth. d. k. u. k. Kriegsarchivs, 1893); 0. Redlich, Tage- 
buch des Leutnants Vossen, vornehmlich über den Krieg in Kußland 
1812, Marb. 1892; Haars, Ein Braunschweiger im russischen Feldzug. 
Erinnerungen neu herausg. von Hänselmann, 1897; Markgraf Wilhelm 
von Baden, Denkwürdigkeiten, Karlsr. 1864; Graf F. W. v. Bis- 
marck, Aufzeichnungen, 2. Aufl., Karlsr. 1850 (in württembergischen 
Diensten); Tagebuch Jos. Stcinmüllers (herausg. von K. Wild), 1904; 
Röder von Borasdorf, Mitteilungen aus dem russischen Feldzuge; 
Soltyk, Napoleon en Russie, 1812; Albrecht Adam, Aus dem Leben 
eines Schlachtenmalers (im Hauptquartier Eugens bis Moskau); Faber 
du Faure, Blätter aus meinem Portefeuille im Laufe des Feldzuges 
von 1812 in Rußland an Ort und Stelle gezeichnet. (Erste Ausg., 
Stuttg. 1831., franz., Par. 1896). c) Aus dem russischen Lager: 
Liprandi hat in einem „Versnch eines litterarischen Katalogs über den 
Vaterlandskrieg" in den Schriften der russ.-histor. Gesellschaft von 1874 
und 1875 über 400 russische Publikationen namhaft gemacht. Ergän- 
zungen dazu lieferte Dubrawin in den Denkschriften der russischen 
Akademie von 1883. Auch der russische Generalstab gibt die amtlichen 
Kriegsakten heraus. Davon sind bisher zwei Bände in französischer 
Übersetzimg (bis Ende 1810 reichend) erschienen. Vergl. insbesondere: 
Herzog Eugen von Württemberg, Memoiren. 1862; (Helldorf), 
Aus dem Leben des Prinzen Eugen von Württemberg; Bernhard i. 
Denkwürdigkeiten des Generals Toll, 1. und 2. Bd.; Tschitschagof fr 
Memoires inßdits, Berlin 1855; ausführlicher Par. 1862; dann in Russkaja 
Starina 1886; (Dazu: Harnack, Zur Vorgeschichte und Geschichte des 
Krieges von 1812, in der Historischen Zeitschrift 61. und 62. Bd.); 
Mitarewsky, Erinnerungen von 1812, Mosk. 1871 (russ.); Langeron, 
Memoires 1812—1814, publ. p. L. G. Fabry, Par. 1902; Loewenstern, 
Memoires ed. Weil, Par. 1903. (Eine ältere deutsche Redaktion, 
in kürzerer Fassung, wurde von Smitt unter dem Titel „Denkwürdig- 
keiten eines Livländers", Leipzig und Heidelberg, 1858, in zwei Bänden 
herausgegeben). Vergl. Bilbassow, Memoiren von Zeitgenossen über 
1812 (Histor. Monographien, Bd. II, russisch); Boris Galitzyn, Sou- 
venirs d'im officier russe, 1812, 1813, 1814, Petersb. 1849; Comtesse 
Edling, Memoires, Mosk. 1888. Das „Russische Archiv" der Jahr- 
gänge 1863—1892 enthält, ebenso wie die „Russkaja Starina" von 
1870—1890, zahlreiche Mitteilungen von Augenzeugen, Briefe Rost op- 
schins, Memoiren von Zeitgenossen u. dgl. Die zahlreichen ungedruck- 



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Litterarische Anmerkungen. 



399 



ten Journale russischer Generale sind von Bogdanowitsch (s. unten) 
benutzt worden. Vergl. auch Charkiewitsch, Das Jahr 1812 in den 
Tagebüchern, Aufzeichnungen und Memoiren der Zeitgenossen. Wilna 
1900 (russ.). Eine gute bibliographische Ubersicht findet man in La- 
visse und Rambaud, Histoire generale, IX, 1809—1812; Wilson, 
Narrative of events during the invasion of Russia, Lond. 1860 (deutsch 
von Seybt 1861) ist unverläßlich. 

II. Geschichtliche Darstellungen des Feldzuges: Chambray, Hi- 
stoire de l'expedition de Russie. 3 vols. (besonders in den späteren 
Auflagen grundlegend), dann die russischen Geschichtswerke von Bu- 
turlin, Michailowsky-Danilewski, Smitt, sämtlich überholt durch 
die umfassende Darstellung von Bogdanowitsch, Geschichte des 
Feldzuges im Jahre 1812, 3 Bde., 1861 — 1863 (deutsch von Baum- 
garten) nach den authentischen Quellen im russischen Archiv für Militär- 
topographie, jedoch ohne Benutzung der Korrespondenz Napoleons, 
durch welche die Darstellung bei Osten-Sacken, Der Feldzug 
von 1812, Berlin 1901, in manchen Puiktca weitergeführt erscheint. 
Dazu Charkiewitsch, Der Krieg von H12 (Vom Niemen bis Smo- 
lensk), Bukarest 1901 (russ.); Skugarowski, Das Jahr 1812, 
1898. Außerdem Thiers XIII und XIV; Schilder, Alexander I., 
III. Bd.; Jomini, Preeis politique et militaire des campagne« de 1812 
ä 1814; Clausewitz' hinterlassene Werke, VII; Yorck, Napoleon 
als Feldherr, II; Labeaudoriere, La campagne de Russie de 1812, 
Par. 1902 (eine allzu kurze und ganz unzulängliche Darstellung); bosser 
George, Napoleons Invasion of Russia, Lond. 1899; Leo Tolstoi, 
Napoleon et la campagne de Russie (französisch von Delines, Paris 
1888) ist ein ebenso geistvoller als mißlungener Versuch, dichterische 
Vorstellungen in die Geschichte einzuführen. Für die Verhältnisse in 
der französischen Armee: Morvan, Le soldat imp6rial, II; Mar- 
tinien, Tableau par corps et par batailles des officieis tues et blesses 
pendant les guerres de l'Empire, Par. 1899. Speziell a) über die Vor- 
bereitungen und den Beginn des Feldzuges : De Pradt, Histoire de 
l'ambassade dans le Grand-Duche de Varsovie en 1*12; Biprnon, Sou- 
venirs d'un diplomate; Lensky. Notice historique sur les ariuemcnts 
qui eurent lieu en Lithuanie pendant l'occupation francaise en 1S12; 
Ernouf, Maret, due de Bassano; Comtesse Potocka, Memoire»; Zu- 
sammenstellung der diplomatischen und militärischen Maßnahmen 
Napoleons I. zur Einleitung de» Feldzuges von 1812 ("Jahrb. für die 
deutsche Armee und Marine, 1878); Liebert. Die Rüstungen Napo- 
leons für den Feldzug 1812 (Beihefte zum Militär-Wochenblatt, 1888, 
9. Heft); Die Verpflegung der großen Armee 1812 in Rußland (Neue 
inilit. Blätter, 89. Bd.): die Aufzeichnungen des Militärarztes Blanc 
(bis Wilna) in d. Revue d. quest. hist. 1897; Ullmann, Studie über 
die Ausrüstung und das Verpflegs- und Nachschubwesen im Feldzuge 
Napoleons gegen Rußland, Wien 1891; Marenzi, Kritische Beiträge 
zum Studium des Feldzugs 1812, Wien 1896: Skugarewski, Praktische 



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400 



Litterarische Anmerkungen. 



Winke für das Studium der Kriegsgeschichte von 1812 (bis Smolensk, 
Streffleurs Zeitschrift 1899 I). 6) über die Schlacht bei Borodino: 
Pelet, La Bataille de la Moskwa (Spectateur militaire 1831); Ga- 
lizyu, Die Sehlacht bei Borodino, Petersb. 1840; Hof mann, Die 
Schlacht bei Borodino, Coblenz 1846; Ditfurth, Die Schlacht bei 
Borodino, Marburg 1887; Roth von Schreckenstein, Die Kaval- 
lerie in der Schlacht an der Moskwa; Uber die Mitwirkung der 
sächsischen Kürassierbrigade in der Schlacht an der Moskwa (Osten:. 
Militär-Zeitschrift, 1824). c) Über den Brand von Moskau: Histoire 
de la destruction de Moscou en 1812; Rostoptchine, La verite sur 
l'incendie de Moscou, Paris 1823; Alex. Segur, Vie du C te Ro- 
btoptchine, Par. 1872; R ostoptschins Briefe an Woronzow u. A. im 
Woronzow-Archiv, 1870, 1878; seine „ Oeuvres inedites" herausg. von 
seiner Tochter Lydia mit einer wichtigen Einleitung; seine Briefe 
an Alexander I. in „Le Carnet*, 1903. Dazu das Manuscrit de 1812 
Fains, Castellanes Journal, die Memoiren Baussets, II, des Ser- 
geanten Bourgogue, Dumas', III, Fezensacs, Boyens, Wol- 
zogens, (Lecointe de Laveau), Moscou avant et apres l'incendie, 
Par. 1814; Idauof (russ. Kaufmann), Mouvement de la presence des 
Francais, Petersb. 1813; Yzarn (franz. Emigrant). Relation du sejour 
des Francis ü Moscou, (ed. Gadarnel, Brüssel 1871); M |1,e Fusil 
tfranz. Schauspielerin), L'incendie de M. Par. 1817; Aufzeichnungen 
des deutschen Nichtmilitärs Klee („Pilgerschaft durchs Leben"). An- 
dere, namentlich russische, Litteratur verzeichnet: H. Schmidt, Die 
Urheber des Brandes von Moskau 1812 (Greifsw. 1904, gründliche 
Untersuchung). Vergl. auch Pierre de S6gur, Rostoptchine en 1812 
(Revue de Paris, 1902; und Tzenoff, Wer hat Moskau 1812 in Brand 
gesteckt? (Berl. 1900, mit unhaltbaren Ergebnissen), d) Uber die Vor- 
giinge an der Beresina vergl. die erwähnten Memoirenwerke, insbeson- 
dere Castcllauc, Bourgogne, Langeron, Fezensac, Linsingen, 
Löwenstern, Tschitschagoff u. A.; dazu Rochechouart, Sou- 
venirs sur la Revolution, l'Einpire etc.; Solignac, La Berezina, Sou- 
venirs d'un soldat de la Grande armee, Limogcs 1890. Von allgemeinen 
üeschichtswerken: Bogdanowit sch und Chambray. Von Einzel- 
studien: Charkiewitsch, 1812, Beresina, Petersb. 1898 (russisches 
Hauptwerk), danach Krahmer, Die Operationen der russischen und 
französischen Armee im Kriege 1812 von der Schlacht bei Krasnoi 
bis zur Beresina (Beihefte zum Militär- Wochenblatt 1894). Vergl. 
ebenda: Hartmann, „Der Übergang über die Beresina", nach den 
im „Avenir militaire" veröffentlichten Berichten des französischen 
Obersten Chapelle und des Genieobersten Paulin; Lenoir, Re- 
cherches sur le passage de la Bdrezina (Rev. du genie mil. 1894); 
(Segur et Bianca rd), Note relative au passage de la Berezina 
it'arnet bist. 1898). Außerdem: Mosbach, Der Übergang über die 
Beresina aus ungedruckten Denkwürdigkeiten des polnischen Obersten 
Bialkowski (Strefl'leurs Österr. militär. Zeitschrift 1875); Olausewitz 



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Litterarische Anmerkungen. 401 

{der sich bei Wittgenstein befand), Über die Schlacht an der Beresina 
{Brief an Stein, mitgeteilt in der Histor. Zeitschrift, Jahrg. 1888); 
Pfuel, Der Rückzug der Franzosen aus Rußland (herausg. von Förster, 
Berlin 1867): Lindenau, Der Beresina-Übergang, Berlin 1896. e) Uber 
die Rückfahrt Napoleons: Ernouf. Maret; Bernhardi, Denkwürdig- 
keiten Tolls; Bernays, Die Schicksale des Großherzogtums Frankfurt 
und seiner Truppen; Bourgoing, Itinäraire de Napoleon de Smor- 
goni ä Paris; Senfft, Memoire*. Ein gedruckter Bericht von Dunin- 
Wansowicz, dem Kommandanten der Eskorte, dessen Bourgoing 
i\>. 20) und Ernouf (p. 467) Erwähnung tun, ist mir unbekannt ge- 
blieben. /) Uber den Anteil der Verbündeten: Weiden, Der Feldzug 
der Österreicher gegen Rußland im .lahre 1812, Wien 1870; Angeli, 
Die Teilnahme des österr. Auxiliarkorps im Feldzug Napoleon I. gegen 
Rußland ("Mitteilungen des k. u. k. Kriegsarchivs 1884); Dittrich, 
Schwarzenbergs Marsch auf Wolkowysk, 1812 (Jahrbb. für die d. Armee 
und Marine, 90. Bd.); Droyscn, Leben des Feldraarscballs Yorck; 
G uretzky-Cornitz, Geschichte des 1. Brandenburg. Uhlanenregiments; 
Soydlitz, Tagebuch des Yoiekschen Korps, 2 Bde., 1823 (auch fran- 
zösisch»; Die Teilnahme des preußischen Hilfskorps am Feldzug von 
1812 (Kriegsgcsck. Einzelschriften. 24. Heft, 1898); Pfister, Aus dem 
Lager des Rheinbundes. 1812, 1813; Exner, Der Anteil der sächsi- 
schen Armee, 1812, Leipz. 1896; Röder, Der Kriegszug Napoleons 
gegen Rußland, Leipz. 1848 (mit Benutzung des Tagebuches des Prin- 
zen von Hessen); (Cerrini), Die Feldzüge der Sachsen 1812 und 1813; 
Zezschwitz, Die Feldzüge der Sachsen 1812 und 1213; Burkers- 
roda, Die Sachsen in Rußland; Holtzendor ff, Geschichte der köuigl. 
sächsischen leichten Infanterie; Liebenstein, Die Kriege Napoleons 
gegen Rußland 1812 und 1818; Minkwitz, Die Brigade Thielmann 
im Feldzuge von 1812: Krauß, Geschichte der bayrischen Heeies- 
abteilung im Feldzuge gegen Rußland; Heilmann, Feldmarschall 
Fürst Wrede; Derselbe. Die bayrische Kavalleriedivision Preysing 
dm Jahre 1812 (Jahrbb. für die deutsche Armee und Marine, 7. Bd.); 
Miller, Darstellung des Feldzuges der französischen verbündeten 
Armee gegen die Russen im Jahre 1812 mit besonderer Rücksicht 
auf die Teilnahme der königl. württembergischen Truppen; Bernays, 
Die Schicksale des Großherzogtums Frankfurt und seiner Truppen; 
Büdinger, Die Schweizer im Feldzug von 1812 (Histor. Zeitschrift 
XIX.): Maag, Die Schicksale der Schweizer Regimenter in Rußland 
1812, 3. Aufl., Biel 1900. g) Über die Stimmung am Petersburger Hofe: 
('■'sso Edling. Memoires; O sse Choiseul-Gouff ier, Mein, sur Ale- 
xandre, 1829; J. de Maistrc, Corrcspondance; Pertz, Stein, III. und 
VI. 2; Lehmann, Stein, J1I; E. M. Arndt, Meine Wanderungen und 
Wandlungen mit dem Freiherrn v. Stein; Derselbe, Erinnerungen aus 
dem äußeren Leben (herausg. von Geerds); Boyen, Erinnerungen II; 
F om ni er, Stein und Gruner in Osterreich (D. Rundschau, 1887). 

III. Uber das Malet sehe Unternehmen: Lafoii, Histoire de la 

F our ii ier, Xapnlr-on I. 26 



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402 



Litterarisebe Anmerkungen. 



conjuration du general Malet, Pari» 1814 (unzuverlässig); Saulnier, 
Eclaircissements historiques sur la conspiration du gen. M., 1834; Hi- 
stoire des societes geerbtes de l'armee et des conspirations militaires 
qui ont eu pour objet la destruetion du gouvernement de Bonaparte, 
Paris 1815; Desmarest, Quinze ans de haute police; Savary, Me- 
moires, VI; Fiövee, Correspondance et relations avec Bonaparte, III; 
Fain, Manuscrit de 1813; Pasquier, Memoires, II; Grousset, La 
conjuration etc., 1809; Hantel, Histoire des deux conspirations du 
general Malet, Paris 1875; Passy, Frochot prefet de la Seine. 
Evreux 186 ? ; A. Duruy, La conspiration du general Malet (in der 
Revue d. d. mondes, 1879); Guillon, Les complots militaires sous le 
Consulat et l'Empire, Paris 1891. Die Berichte Pelets de la Lozere 
und Pasquiers an Savary in der „Nouv. revne rötrospect.", 1901. Altere 
Littei atur verzeichnet auch Monod, Fragment des Souvenirs du Comte 
d'Argout (Rev. napol. 1£02). Dazu George. Public opinion at Paris, 
1812 (Engl. hist. rev. 1901 \ 

Zum dritten Kapitel. I. Vor dem Frühjahrsfeldzuge, a) Uber die 
Rüstungen Napoleons und seine darauf zielende innere Politik: außer 
der Correspondenz des Kaisers die bereits erwähnte des Staatsrates 
Fievee III, die Memoiren Molliens, Pasquiers, Savarys; Fains 
Manuscrit de 1813, Thiers, XV und Lauf rey-Kalckstein, VI; 
Welschinger, Le pape et l'empereur; Lumbroso, Miscell. nap. VI; 
dann Rousset, La Grande Armee de 1813; Pelet, Tableau de la 
Grunde Armee en 1813, am eingehendsten jedoch: (Osten-Sacken), 
Die französische Armee im Jahre 1813, Berlin 1889. b) Uber die 
Schwenkung Preußens: Bailleu, Briefwechsel Friedrich Wilhelms III.: 
Droysen, Yorck, I; Eckart, Yorck und Paulucci; Natzmer, Aus 
dem Leben 0. v. Natzmers; Henckel-Donnersmarck, Erinnerungen 
aus meinem Leben; Aus den Papieren Schöns, VI. Bd. (dessen Selbst- 
biographie, zu deren Kritik eine ganze von Maurenbrecher in der allg. 
deutschen Biographie verzeichnete Litteratur, namentlich Lehmann, 
Knesebeck und Schön); Clansewitz, Hinterlassene Werke, VII; 
Seydlitz, Tagebuch des Yorckschcn Korps; Mitteilungen aus dem 
Leben des Feldmarschalls Grafen Fr. Dohna; Aufzeichnungen über 
die Vergangenheit der Familie Dohna, Bd. IV; Denkschriften des 
Ministers Canitz; Rühle, Briefwechsel Th. v. Schöns mit Pertz und 
Droysen, Leipzig 1896; Boyen, Erinnerungen II, III (werden neuesten* 
in ihrer Zuverlässigkeit angezweifelt); An eil Ions Denkschrift vom 
4. Februar 1813 (mitg. v. Lehmann, Hist. Zeitschr., 68. Bd.); (Pritt- 
witz), Beiträge zur Geschichte des Jahres 1813; Ompteda, Nachlaß 
IL Dann: Ranke, Hardenberg (SS. WW. Bd. 48); Duncker, Preußen 
während der französischen Okkupation (Aus der Zeit Friedrichs des 
Großen und Friedrich Wilhelms III.); Lehmann, Scharnhorst II; 
Derselbe, Stein III; Oncken. Österreich und Preußen im Befreiungs- 
kriege, 2 Bde.; (Gedrängte Darstellung in desselben: „Das Zeitalter 
der Revolution, des Kaiserreiches und der Befreiungskriege" II); Ca- 



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Litterarische Anmerkungen. 403 

vaignae, La formation de la Prusse contemporaine, II; Stern, Ab- 
handlungen und Aktenstücke zur Geschichte der preußischen Reform- 
zeit (die Berichte des französischen Gesandten in Berlin enthaltend); 
Aegidi, Knesebecks Sendung in das russische Hauptquartier (Histo- 
rische Zeitschrift XVI); Pertz, Das Leben Steins, III; Meinecke, 
Boyen I; Martens, Recueil des traites conclus par la Russie, VII und 
III; Ernouf, Maret. c) Ü her die Konvention von Tauroggen stehen sich 
heute zwei Auffassungen gegenüber: die der selbständigen Handlungs- 
weise Yorcks ohne Vorwissen und gegen die wahrscheinliche Willens- 
meinung des Königs, vertreten durch Droyseu (Yorck), Lehmann 
(Scharnhorst), Derselbe. Ein Vorspiel der Konvention von Tauroggen 
(Hist. Zeitschr. 64. Bd.), Delbrück, Gneisenau, I, Grobbel, Die 
Konvention von Tauroggen (Diss.), Marb. 1892, Kricgsgeschichtliche 
Einzelschriften des preußischen Generalstabs, Heft 24 (Teilnahme des 
preußischen Hilfskorps am Feldzug gegen Rußland) Beil. 1898, Schie- 
rn ann, Zur Würdigung der Konvention von Tauroggen (Hist. Zeitschr., 
84. Bd.), und die zweite, daß Yorck nicht ohne alle Instruktion des 
Königs und deshalb auch nicht gegen dessen innerste Überzeugung 
gehandelt habe, vertreten durch Max Schultze, Zur Geschichte der 
Konvention von Tauroggen, 1898, Onekcn, Die Sendung des Fürsten 
Hatzfeld nach Paris. (Deutsche Revue, 1899), Blumenthal, Die Kon- 
vention von Tauroggen, Berl. 1901, namentlich aber Thimme, Zur 
Vorgeschichte der Konvention von Tauroggen (in den Forschungen 
zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, 13. Bd., 1900) und 
Derselbe, König Friedrich Wilhelm III, sein Anteil an der Kon- 
vention von Tanroggen und an der Reform von 1807 — 1812 (Ebenda 
18. Bd. 1905) mit sehr guten, aus dem unedierten Tagebuch Ludwigs 
von Wrangel geholten Gründen, d) Über die deutschen Aufstände und 
Rüstungen: Gilde meist er, Finks und Bergers Ermordung, Bremen 
1814; Ri st s Lebenserinnerungen; Wohlwill, Die Befreiung Hamburgs 
am 18. März 1813; Derselbe, Zur Geschichte Hamburgs im Jahre 1813 
(Mitteilungen des Vereines für Hamburger Geschichte, 1888): (Holz- 
hausen), Davout in Hamburg; Varnhagens Denkwürdigkeiten III; 
Lefebvrc. V. e) Über die preußischen Rüstungen insbesondere : die be- 
treffende Partie in Häußers deutscher Geschichte IV; Ompteda, 
Nachlaß, III. ; Steffens, Was ich erlebte. VII; Lehmann, Borstell 
und der Ausbruch des Krieges von 1813 (Hist. Zeitschr. XXXVII); 
außerdem die Biographien Gneisenaus von Pertz-Delbrück, Jahns 
von Eulcr, Scharnhorsts von Lehmann, Blüchers von Wigger, 
Xiebuhrs von Eyßenhardt, Bülows von Vamhagen, Grolmans von 
Conrady. Tettenborns von demselben, etc; Ziehlberg, Ferdinande 
von Schmettau: Koberstein, Lützows wilde verwegene Jagd in 
„Preuß. Bilderb. - , 1887; K. v. L. Adolf Lützows Freikorps, 1884. 
f) Über die Verhältnisse in den Rheinbundstaaten: Schloßberger, 
Korrespondenz König Friedrichs von Württemberg; P fister, Aus dem 
Lager des Rheinbundes. 1812, 1813; Darmstaed ter, Frankfurt: 

26* 



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404 



Litterarische Anmerkungen. 



Goecke, Westfalen; Charles Schmidt. Le Graud-Duchö de Berg; 
Heilmann, Wrede; Montgelas' Memoiren; Senfft, Memoiren; 
Fiat he, Geschichte Sachsens, III; Bonne fons, Un alH6 de Napoleon. 
g) Iber Österreichs Politik: Metternichs Papiere, dann: Oncken, 
Österreich und Preußen im Befreiungskriege, mehrfach berichtigt durch 
Luckwaldt, Österreich und die Anfänge des Befreiungskrieges von 
1813; dazu: Gebhardt, Willi, v. Humboldt als Staatsmann I; Oiste, 
Der Beitritt Österreichs im Jahre 1813 (Mitth. des k. u. k. Kriegsarchivs 
1894); Wertheimer, Die Revolutionierung Tirols 1813 (Deutsche 
Rundschau 1904): IM mann, Eine Denkschrift von Genta aus dem 
Juni 1813 (Neue Jahrb. für das klassische Altertum, Geschichte etc. 
1904); Thiers, XV, XVI; Lefcbvre, V; Sorel, VIII. ä) Über die 
Beziehungen zu den andern Staaten und die Anfänge der neuen 
Koalition: Castlereaghs Korrespondenz; Hormayr, Lebensbilder 
aus dem Befreiungskriege; Bernhard i, Geschichte Rußlands II: 
Apercu des transactions politiques du cabinet de Russie (im Sboruik 
der russ. bist. Gesellschaft XXXI.); Bignon, XII; Jackson, Dianes 
in Bath Archives II; Nessel rodes Autobiographie; Ernouf, Maret; 
») rber die Episode Murat:Weil, Le P*-"«-* Eugene et Mu rat, I; Chavanon 
et Saint-Yves, Murat. k) Uber Bemadotte: Pingaud, Bernadotte, 
Napoleon et les Bourbons; Suremain, Memoires; Woynar, Österreichs 
Beziehungen zu Schweden und Dänemark, 1813, 1814 (Archiv für öster- 
reichische Geschichte, 77. Bd.); Nielsen, Bidrag til Sveriges politiske 
historie 1818, 1*14; v. Schmidt, Schweden unter Karl XIV. Johann; 
Touehard-Laf osse, Hist. de Charles XIV, und das im ersten Kapitel 
erwähnte Werk von Swedemis. 

II. Der Frühjahrsfeldzug von 1813: Von Memoiren sind nur 
wenige zu verwerten: die Marmonts, Macdonalds und S. Cyrs 
bieten nicht viel; Segur, Thiebault und Fezensac befinden sich- 
nicht auf dem deutschen Kriegsschauplätze; das Memorial Peyrusses 
ist hier unbedeutend; nur die Memoiren Eugens (von du Casse), die 
Papiere Davouts (ed. Mazade und Blocqueville), die beiden Werke 
Jominis, „Pr6cis politique et militaire de 1812 ä 1814" und „Vie 
politique et militaire de Napoleon", und die Erinnerungen des säch- 
sischen Offiziers v. Odeleben, „Napoleons Feldzug in Sachsen", sind 
französischerseits von größerer Bedeutung. Wichtig als Quellen werke 
sind: Fains Manuscrit de 1813, Norvins' Portefeuille de 1813 und 
allem voran dieCorrespondance de Napoleon I. XXV mit den Nach- 
trägen bei Lecestre, II. Ferner: Foucart, Bautzen, Par. 1897; Fabry, 
Journal des Operations des 3^ me et 5*> me corps d'armee, Par. 1902. Von 
uichtfranzösischer Seite: Bernhardi, Denkwürdigkeiten des Generals 
von Toll; Müffling, Aus meinem Leben (2. Ausgabe 1855); Eugen 
v. Württembergs Memoiren III; Wolzogen, Memoiren; Hell- 
dorff, Aus dem Leben des Prinzen Eugen von Württemberg; (Pritt- 
witz). Beiträge zur Geschichte des Jahres 1813; Wilson, Private 
diary of 1812, 1813, 1814 (unverläßlich); die Memoiren von Boyen, 



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Litterarische Anmerkungen. 



105 



III., von Lüwenstern (ed. Weil), von Langeron (ed. Fabry). Von 
historischen Darstellungen des Feldzuges: Schütz und Schulz, Ge- 
schichte des Feldzuges von 1813, 2 Teile; Müffling, Zur Kriegs- 
geschichte der Jahre 1813 und 1814; Friccius, Geschichte des Krieges 
in dem Jahre 1813 und 1814; Michailowski-Danilewski, Denk- 
würdigkeiten aus dem Kriege von 1813 (deutsch 1837); Plotho, Der 
Krieg in Deutschland und Frankreich 1813 und 1814; Beitzke, Ge- 
schichte der Freiheitskriege (2. Ausgabe von Goldschmidt); Charras, 
Histoire de la guerre de 1813 en Allemagne (Fragment); Bogdano- 
witsch, Geschichte des Krieges von 1813 (deutsch von A. 8.), sind 
sämtlich älteren Datums. Von neueren Werken sind zu erwähnen: 
Treuenfeld, Das Jahr 1813 bis zur Schlacht bei Groß-Görschen 
(Leipz. 1901); Osten-Sacken, Militär.-polit. Geschichte des Befreiungs- 
krieges im Jahre 1813, Bd. IIa: Der Frühjahrsfeldzug (bis zum Elbe- 
übergang der französischen Aunee, Berl. 1904); Holleben, Geschichte 
des Frühjahrsfeldzugs 1813, 2 Bde (Beil. 1904 f); Lanrezac, La ma- 
noeuvre de Lützen, 1813 (Par. 1904; umfaßt in enger präziser Darstellung 
den ganzen Frühjahrsfeldzug); Clement, Campagne de lbl3 (ohne be- 
sonderen Wert, da auf alten Darstellungen beruhend). Vergl. auch 
Ulmann, Die neueste militärische Literatur über den Befreiungskrieg 
während des Frühjahrs 1813 (Beilage zur „Allg. Zeitung", 21. Februar 
1905). Speziell über die Schlacht bei Bautzen neben Foucard: Meer- 
heimb, Die Schlachten bei Bautzen am 20. und 21. Mai 1813 (1873). 
Nach Bautzen: Foucard, De Bautzen ä Plöswitz (Revue de Cavalerie, 
1898 ff. selbst. Par. 1901); dazu „Neue milit, Blätter", XXXI. Über ein- 
zelne kleinere Gefechte: Militär-Wochenblatt von 1843 und 1847. 

III. Dio Zeit des Waffenstillstandes und des Prager Kongresses: 
Corre8pondance de Napoleon, XXV, XXVI; Lccestre, II; Fain, 
Manuscrit de 1813, II; Bignon, Histoire de France, XII; Thiers, 
XVI (nach Metternichschen Mitteilungen), dagegen Ernouf, Maret 
(mit Aufzeichnungen dieses Ministers); Metternich, Nachgelassene 
Papiere I und IL Der 1820 niedergeschriebene Bericht über die 
Dresdener Unterredung vom 26. Juni b<_i Helfert, Marie Louise (im 
Anhang); Broglie, Souvenirs I; Sbornik, XXXI; Radetzky, Denk- 
schriften railit.-polit. Inhaltes, 1858 (dazu W ebner, Über zwei Denk- 
schriften Radetzkys aus dem Frühjahr 1813); Radetzkys Selbstbio- 
graphie (in Mitteilungen des k. u. k. Kriegsarchivs, 1887); Hormayr, 
Lebensbilder aus dem Befreiungskriege, III; Gentz, Depeches inedites 
aux Hospodars de la Valachie (ed. Prokesch) I; Desselben, Briefe au 
Pilat ; De Clercq, Recueil des traites de la France, II; Martens, Recueil 
des traitös conclus par la Russie III. Von historischen Darstellungen: 
Oncken, Osterreich und Preußen im Befreiungskriege, II; Ranke, 
Hardenberg (SS. Werke, 48 ff.); Lefebvre, V; Luckwaldt, Österreich 
und die Anfänge des Befreiungskrieges; Bai Heu, Caulaincourt nego- 
ciateur de l'armistice en 1813 (in den Schriften des Haager Historiker- 
kongresses 1899); Mecrheimb, Der Waffenstillstand vom 4. Juni bis 



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406 



Litterarische Anmerkungen. 



17. August (Z. f. preuß. Gesch., X); Gobhardt, Humboldt, I; Sorei, 
VIII. Uber das Leben am Hoflager Napoleons in Dresden: Ode leben, 
N.s Feldzug in Sachsen; vgl. auch Sc h impf f, Napoleon in Sachsen 
(Dresden 1894). 

IV. Der Herbstfeldzug 1818. Zu den vorhin genannten Werken 
treten hier französischerseits die Memoiren Marmonts, F6zen- 
sacs, Segurs, Saint-Cyrs, Macdonalds, Xorvins' und Berthe- 
zenes wieder hinzu; daneben Bertin, La campagne de 1813 d'apre* 
des temoins oculaires (Par. 1896); Roguiat, Considerations sur l'art 
militaire, Par. 1816; Du Casse, Vandamme. Von seiten der Verbün- 
deten: Reiches Memoiren (herausg. von Weltzien); Colomb, Aus 
dem Tagebuche des Rittmeisters v. Colomb 1813 und 1814 (1854, dazu 
Beiheft zum Militär-Wochenblatt, 1855); Blasendorff, Fünfzig Briefe 
Blüchers (Hist. Zeitschr. LIV); Radetzky, Erinnerungen (in den 
Mitteilungen des k. u. k. Kriegsarchivs, 1887); desselben Denk- 
schriften; Barclay s Briefe (in der Baltischen Monatsschrift von 1888); 
Radetzky im Feldzug 1813 (Jahrbb. für die deutsche Armee und Marine 
1896, 1897); Wolzogen, Memoiren; Kayserlingk, Erinnerungen a. 
■der Kriegszeit; Nostitz, Tagebuch (Kriegsgeaeh. Einzelschriften, V); 
Briefe eines Neumärkers über seine Erlebnisse 1813 — 1815 (herausg. 
von Bardey, 1903); Grauier, Schlesische Kriegstagebücher aus der 
Franzosenzeit (insbesondere des Landwehrmajors Doercks) Berl. 1904; 
Prokesch-Osten, Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Fürsten 
v. Schwarzenberg (Neue Ausgabe 1861); Rochechouart, Souvenirs; 
die Memoiren von Langeron und Löwenstein; Thielen, Erinne- 
rungen aus dem Kriegerleben eines 82jährigen Veteranen der öster- 
reichischen Armee, 1863; Bernhardi, Toll, III; Heilmann, Fürst 
Wrede; Mcttcrnich-Klinkowström, Österreichs Teilnahme an den 
Befreiungskriegen, 1887 (mit Briefen von Gentz, Metternich und Schwar- 
zenberg). Von historischen Darstellungen im Besonderen: das neueste 
zusammenfassende Hauptwerk von Friederich, Der Herbstfeldzug 1813, 
3 Bde. (1903—1905); (Grouard), Strategie napoleonienne. La camp, 
d'automne 1813. Par. 1897. Von älteren Schriften: Pelet, Des princi- 
pales Operations de la campagne de 1813 (Spect. milit. 1826, 1828); 
Londonderry, Narrative of the war of 1813 and 1814 (deutsch 1836); 
Burghersh, Die Operationen der verbündeten Heere unter Schwarzen- 
berg und Blücher (deutsch 1844); Hof mann, Zur Geschichte des Feld- 
zuges von 1813 (1843); Aster, Schilderung der Kriegsereignisse in und 
um Dresden; Wagner, Die Tage von Dresden und Kulm; Lüdtke, 
Die strategische Bedeutung der Schlacht bei Dresden (Diss. 1904), 
(dazu: Dresdener Geschichtsblätter, 1905); Zahn, Das Verhalten Na- 
poleons I. nach der Schlacht von Dresden (Jahrbücher für die deutsche 
Armee und Maiine, 1902); Begue de Germiny, La bataille de Dresde 
(Revue des quest. hist. 1901, mit dem Tagebuch Gersdorffs u. A.); 
Jomini, Replique a Lord Londonderry sur les 6v£nements de la camp, 
■de Dresde; Aster. Schilderung der Kriegsereignisse zwischen Peters- 



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Litterarische Anmerkungen. 



407 



walde, Pirna. Königstein und Priesten und die Schlacht bei Kulm: 
Helfert, Die Schlacht bei Kulm; Kleist, Von Dresden nach Nollen- 
dorf (Beiheft zum Militär- Wochenblatt, 1889, 3); Helldorf, Zur Ge- 
schichte der Schlacht bei Kulm; Pierron, Napoleon de Dresde ä 
Leipzig; Fabry, Journal des Operations du III. et V. corps en 1813. 
Par. 1902; Weil, La cavalerie des armees alliees, 1813, Par. 1886; 
Pajol, Pajol en 1812—1814, Par. 1874; Conrady, Grolman; 0. Hai- 
nack, Die Ursachen der Niederlage Napoleons 1. 1813 (Hist. Zeitschr. 39. 
Bd. 1902); Waas, Napoleon und die Feldzugspläne der Verbündeten 
1813 (Hist. Vicrteljahrechrift 1900). Über die Nordarmee der Ver- 
bündeten: Geschichte der Nordarmee im Jahre 1813 (Berl. 1854), ins- 
besondere: Qui Storp, Geschichte der Nordarmee, 1813, 3 Bde., 1894; 
Wiehr, Napoleon und Bernadotte im Herbstfeldzug 1813; (Berna- 
dotte), Recueil des ordres de mouvement etc. de S. A. K. Charles 
Jean, Prince royal de Suede, Stockholm 1838. Zu der Frage der Be- 
urteilung Bernadottes vgl. man auch Pingaud, Bernadotte, Napoleon 
et les Bourbons; Mein ecke, Zur Beurteilung Bernadottes im Herbst- 
feldzug 1813 (Forsch, zur brandenburgischen und preußischen Ge- 
schichte 1894); Pflugk-Harttung, Bernadotte im Herbstfeldzug 1813 
(D. Rev. 1905); Pallmann, Die Schlacht bei Großbeeren (Progr. Berlin 
1872); Quistorp, Zum Herbstfeldzug 1813 (Jahrbücher für die deutsche 
Armee und Marine 1904), Mein ecke, Boyeu, I. Über die schlesische 
Armee vgl. Müffling, Zur Kriegsgeschichte von 1813 und 1814, und 
die Aufsätze im Militär- Wochenblatt 1844 und 1845; dazu Freytag- 
Loringhoven, Aufklärung und Armee.Jirung bei der schlesischen 
Armee 1813, Berl. 1900; Wedelstädt, Die Schlacht an der Katzbach 
(Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine 1893); Droysen. 
Yorck; Delbrück, Gneisenau, I; Widdern, Die Streif korps im deut- 
scheu Befreiungskriege, II; Petersdorf, Thielmann; Mirus, Das Tieften 
bei Wartenburg; Schels, Die Operationen des Korps Bubna (Österr. 
mil. Zeitschrift. III. Jahrg.). Vor der Schlacht bei Leipzig: Kerch- 
nawe, Kavalleiievei Wendung, Aufklärung und Arineeführung bei der 
Hauptarmee in den entscheidenden Tagen vor Leipzig, Wien 1904; 
Bremen, Die entscheidenden Tage vor Leipzig (Beiheft zum Militär- 
Wochenblatt 1889); Kaulfuss, Die Strategie Schwarzenbergs am 13., 
14., 15. Oktober 1813 (Diss. 1902). Uber die Schlacht bei Leipzig: vor 
allem Aster, Die Schlachten bei Leipzig 2 Bde. (2. Ausgabe 1856); 
außerdem die Werke von Hof mann (1835), Naumann und Wuttke 
(1863). Eine zusammenfassende Darstellung nach neuesten Ergebnissen 
steht noch aus. Nach Leipzig: Kerchnawe, Von Leipzig bis Erfurt 
(Mitteilungen des k. u. k. Kriegsarchivs. 3. Folge, 4. Bd., 1906) konnte 
leider nicht mehr benützt werden; Dörr, Die Schlacht bei Hanau; 
Bockenheimer, Geschichte der Stadt Mainz 1813 und 1814. 

Zum vierten Kapitel. I. Vor Erneuerung des Krieges, a) Über die 
ersten Unterhandlungen des Friedens wegen: Castlereaghs Korre- 
spondenz; Lord Burghersh, Memoirs (Deutsche Ausgabe, 1844); 



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408 



Literarische Anmerkungen. 



Martens, Recneil ITT., XI.; Metternichs Nachgelassene Papiere I, 
II (dazu Bailleu, „Metternichs Memoiren* 4 in der Histor. Zeitschrift 
XLIV.): Metternich-Klinkowström, Österreichs Teilnahme etc.; 
Fain, Manuscrit de 1K14; Ernonf, Maret; Bignon, Hist. de France, 
XIV; Angeberg, Le Congres de Vienne, I; Oncken, Aus den letzten 
Monaten des Jahres 1813 (Histor. Taschenbuch 1833); Derselbe, Das 
Zeitalter der Revolution, des Kaiserreiches und der Befreiungskriege 
2. Bd.; Fournier, Zur Geschichte der polnischen Frage (Mitteilungen 
des Instituts für östen. Geschichtsforschung, XX. Bd.); Derselbe, 
Der Kongreß von Chätillon, Wien, 1900; Roloff, Politik und Krieg- 
führung während des Feldzuges von 1814, 1891. 6) (Iber die inneren Ver- 
hältnisse Frankreichs: Correspondance de Napoleon, • XX VT und 
XXVII; Lecestre, II; Brotonne, beide Sammlungen; Buchez et 
Roux, Histoire parlementaire de la levolution fr. XXXIX; Bulletin 
des lois; die Memoiren von Mollien, Miot, Bausset, Savary 
(neue Ausgabe, 1900), Meneval, Pasquier II, Barante, Broglie, 
der Frau v. Coigny (ed. Lamy), der Chastenay (2. Bd.), Mol es (in 
der Revue de la Revolution, 1888). Dazu: Beranger, Ma biographie; 
Rodriguez, Relation de ce qui s'est pass6 ä Paris a l'epoque de la de- 
cheance de Buonaparte (1814); Journal d'un prisonnier anglais (in d. 
Revue brittanique V, VI); Journal d'un officier anglais pendant les 
quatre premieis mois de 1814 (ebenda IV); Montaignac, Journal 
d'un francais depuis le 9 mar« jusqu'au 15 avril 1814; W eh le, Vertraute 
Briefe über Frankreich, 1814; Veron, Memoires d'un bourgeois de 
Paris, I; Engerand, Paris et les alli&s en 1814 (Nouv. Revue, 1896); 
Thiers, XVII; Vaulabellc, Hist. des deux restaurations; Lubis, 
Hist. de la restauration; Houssaye, „1814" (grundlegend für die innere 
Geschichte, worin auch die Litt erat ur für die Departement algescbichte 
des Jahres verzeichnet ist); dazu Chuquet, L'Alsaceen 1814; Pingaud, 
Bernadotte, Napoleon et les Bourbons; Welschiuger, Le pape et 
l'empereur. 

II. Der Krieg in Frankreich, a) Über den Feldzug vgl. man neben 
d. Correspondance, XXVII: M6moires du roi Joseph, die Memoiren 
von Marmont, Macdonald, Belliard, Lavalette; Fabviers 
Journal des Operations du 6«m« corps; Bertin, La campagne de 1814 
d' apres des temoins oculaires (Par. 1897); Percy, Journal. An Dar- 
stellungen: Girard, La campagne de Paris en 1814; Beauchamps, 
Histoire des cnmpagnes de 1814 et 1815; Vaudoncourt, Histoire des 
campagnes de 1814 et 1815; insbesondere: Koch, Memoires pour servir ä 
l'histoire de la campagne de 1814, 3 vols.; Du Casse, Le gen. Arrighi; 
Pajol, Pajol gen. eu chef; Nollet, Oudinot; Masson. Flahaut; Haupt- 
werk: Weil, La campagne de 1*14, 4 Bde. Von nichtfranzösischer Seite zu 
den im früheren Kapitel aufgeführten Quellenwerkeu von Bernhard i, 
Plotho u. A.: (Damitz), Geschichte des Feldzuges von 1814, 4 Bde.; 
Sch eis, Die Opeiationen der verbündeten Heere gegen Paris (Österr. 
milit. Zeitschrift 1M5); Thielen, Der Feldzug der verbündeten Heere; 



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Litterarische Anmerkungen. 409 

Derselbe, Erinnerungen; die Memoiren Eugens v. Württemberg; 
Boyens Erinnerungen; Müffling, Aus meinem Leben; Reiches 
Memoiren; Schulz, Geschichte des Feldzuges von 1814, 2 Bde.; 
Nostiz, Tagebuch (Kriegsgeschichtl. Einzelschriften Heft 5 und 6); 
Delbrück, Gneisenau; Meinecke, Boyen; Conrady, Grolman; Heil- 
mann, Wrede; Varnhagen, Bülow; Droysen, Yorck; Ollech, 
Reyher; Kleist, Kleist; Neues über Leop. v. Ger lach (D. Revue, 1900); 
Golomb, Blücher in Briefen; Boie, Die Stunde der Entscheidung 
vor Beginn der unglücklichen Kämpfe im Februar 1814 (Jahrbb. für die 
deutsche Armee und Marine, 1878); Danilewsky, Der Feldzug in 
Frankreich; Bogdan owit sc h, Geschichte des Feldzuges von 1814 
(Deutsche Ausgabe 1866); Janson, Der Feldzug 1814 in Frankreich, 
2 Bde., 1903 und 1905. (Vergl. dazu Wojnovich, Die Geschichte der 
Befreiungskriege in Streffleurs Z. 1905); Hiller, Geschichte des Feld- 
zuges in Frankreich mit besonderer Berücksichtigung der württember- 
gischen Truppen; Oncken, Gneisenau, Radetzky und der Marsch durch 
die Schweiz (D. Z. f. Geschichtswissenschaft, X); Rolof f, Entstehung des 
Operationsplanes zum Winterfeldzug 1813/1814 (Militär-Zcitschr. 1894); 
Waas, Napoleon I. und die Feldzugspläne der Verbündeten von 1813 
(Hist. Vicrteljahrschrift, 1900); Sauer, Blüchers Rheinübergang bei 
Gaub, 1892; Oechsli, Die Verbündeten und die Schweiz; Rouvier, 
Les premiers combats de 1814 (Par. 1895); Petzel, Die Operationen 
Napoleons von La Rothiere bis Bar-sur-Aube (Beih. zum Mil.-Wochen- 
blatt 1900); Sothen, Das Gefecht, von Etoges (Beih. zum Militär- 
Wochenblatt 1894); Dechend, Das Treffen bei Bar-sur-Aube (Beih. 
zum Militär-Wochenblatt 1*97); Der Fall von Soissons; Das Nacht- 
gefecht bei Laon (Kriegsgeschichtl. Einzelschriften, Bd. II), b) über die 
diplomatischen Unterhandlungen während des Krieges neben den oben 
angeführten Quellen: Fains Manuscrit de 1814; Sbornik XXXI; 
Gentz, Lettrcs aux hospodars de la Valachie I; Ernouf, Maret; 
Metternichs Memoiren (unzuverlässig; vgl. Bai Heu in der „Histor. 
Zeitschrift", 1888); Nesselro de, Selbstbiographie (deutsch, 1866); Ar- 
ne th, Wessenberg, II; Oncken, Lord Castlereagh und die Minister- 
konferenz zu Langres (Hist. Taschenbuch 1855); Derselbe, Die Krisis 
der letzten Friedensverhandlungen mit Napoleon I. (ebenda, 1886); 
Houssaye, „1814 a , mit unrichtiger Auffassung der Politik der Ver- 
bündeten; Sorel, VIII; dazu: Fournier, Der Kongreß von Chatillon; 
(Die Schrift von Pons de THcrault, Le congres de Chatillon, ist eine 
auf Fains Manuscrit basierte Anklageschrift gegen Caulaincourt ohne 
historischen Wert); Trapp, Kriegführung und Diplomatie der Ver- 
bündeten 1814; Weil, Le Pco Eugene et Murat; Chavanon et 
Saint-Yves, Murat; Lehmann, Stein, III; Pertz, Stein, VI; Geb- 
hardt, Humboldt, II; Lady Burghersh, Lettres from Germany (auch 
deutsch), c) Uber den Sturz Napoleons außer den genannten allgemeineren 
Werken: Die Memoiren von Bourrienne, dazu A. B., Bourrienne et 
ses erreurs, II. Bd.; Talleyrands Memoiren, II; Desselben Lettres 



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•110 



Litterarische Anmerkungen. 



inedites ä la Princesse du Courlande (Revue d'histoire diplomatique 
II); Vitrolles, Memoires et relations politiques, I (über seine Sendung 
teilweise unwahr); die Memoiren von Rochechouart, Semallö, 
Hyde de Neuville, Moriolles, Segur, Plancy (6d. Masson 1904); 
De Pradt, Recit des ev^nements qui ont amene la restauration de la 
royaute; Rapetti, La defection d'Essonnes; Chateaubriand, M6- 
moires d'outre-tombe und dessen Pamphlet „Bonaparte et les Bourbons" ; 
die Memoiren von Joseph, Pasquier, Macdonald, Savary, Me- 
neval, Bausset, Fains Manuscrit, Ernouf, Maret, Gourgaud, 
Journal inedit. Die „Souvenirs du Duc de Vicence* par M™* Sorr sind 
nicht authentisch; es sind Artikel, die ursprünglich unter dem Titel 
„Napoleon et le Duc de Vicence" in der „Nouvelle Minerve" von 1838 
erschienen waren. Caulaincourt schrieb zwar an Memoiren, war jedoch 
über den Anfang nicht weit hinausgekommen, als ihn 1827 der Tod 
überraschte. (Sorr, Napoleon en Belgique et Hollandc, p. 5). Von Zei- 
tungen: Moniteur, Journal de l'Empire, Gazette de France, 
Journal des Debats. Die Pamphlete wider Napoleon sind überaus 
zahlreich. Eine Sammlung derselben verzeichnet mit Auszügen daraus: 
Germond de Lavigne, Les pamphlets de la fin de l'Empire, des 
Cent-Jourset de la Restauration (Par. 1879). (Die Berliner Bibliothek 
enthält an 130 Flugschriften dieser Zeit). Von Darstellungen, außer 
den genannten Geschichtswerken über die Restauration: Thiers, XVII, 
Sorel, VIII, Masson, Marie Louise, und derselbe, Napoleon et sonfils; 
dagegen Fournier, Marie Luise und der Sturz Napoleons (D. Rund- 
schau, Sept. 1902, französisch: Revue historique, 1903); Dazu: Wert- 
heimer, Der Herzog von Reichstadt; Hclfert, Marie Luise; Wehle, 
Vertraute Briefe über Frankreich und dessen Hauptstadt in der ersten 
Hälfte des Jahres 1814. 

III. Napoleon auf Elba, a) Über die Fahrt dahin: Helfert, Na- 
poleons Fallit von Fontainebleau nach Elba, 1874 (nach den Berichten 
des österreichischen Kommissars Koller); Waldburg-Truchseß (Be- 
vollmächtigter Preußens), Napoleon Bonapartes Reise von Fontaine- 
bleau nach Frejus, Berl. 1815 (im 6. Band von Schoell, Recueil des 
pieces officielles) ; Campbell (Bevollmächtigter Englands), Napoleon 
at Fontainebleau and Elba, 1869; Ussher (Kapitän des „Undauntcd"), 
A narrative of events etc. (Neu aufgelegt in „Napoleons Last Voyages", 
1895, deutsch: „Von Fr6jus nach Elba" von O. Simon, 1894); J.Fabre, 
De Fontainebleau u l'ile d'Elbe, 1887 (wertlos); Laborde, Napoleon 
et sa garde, ou relation du voyage de Fontainebleau ä Pile d'Elbe, 
Par, 1840. b) Über den Aufenthalt auf der Insel: Correspondance, 
XXVII. (Die Ergänzungswerke von Lecestre und Brotonne enthalten 
nichts für diese Zeit); Pelissier, Le registre de l'ilc d'Elbe, Par. 1897 
(mit, 184 Briefen); Peyrusse (des Schatzmeisters) Memorial; am aus- 
führlichsten: Pons de l'Herault (Direktor der Bergwerke), Souvenirs 
et aneedotes de l'ile d'Elbe (ed. Pelissier, Par. 1897); dazu: Memoire 
de Pons de l'Herault aux puissances (6d. Pelissier, Par. 1899, ein 



Litterarische Anmerkungen. 



411 



apologetisches Pamphlet, wie es der Herausgeber richtig bezeichnet). 
Die Erinnerungen von Labadie, Larabit und Sellier Vincent hat 
Pelissier in der Nouvelle Revue rßtrosp. 1894, 1895 veröffentlicht. 
G. Firmin-Djdot, Royaute ou Empire (Par. 1897, enthält u. A. die 
Berichte der geheimen Agenten der Pariser Regierung); Fleury de 
Oh ab ou Ion, Memoires de la vie privee, du retour et du regne de Na- 
poleon en 1815 (Lond. 1820; schildert seine Sendung im Auftrage 
Marets). Über Unterredungen Napoleons mit reisenden Engländern: 
Ebriugton, Memorandum of two conversations, 1824 (französisch bei 
Capefigue, Histoire des Cent-Jours; auch deutsch); Vernon, Sketch 
of a conversation with Napoleon (in Miscellanies of the Philobiblion 
Society, 1863); anderes bei Holzhausen, Bonaparte, Byron und die 
Briten (Frankf. 1904). Von Darstellungen: Lancelotti, Napoleon auf 
Elba, Dresd. 1815; Pichot, Napoleon ä l'ilc d'Elbe (nach Peyrusse, 
Campbell u. A.); Foresi, Napoleone all' isola d'Elba, 1884; Livi, Na- 
poleone all' isola d'Elba, 1888; Pellet, Napoleon ä l'ile d'Elbe, Par. 
1888 (die beiden letzteren mit zu viel Vertrauen auf geheime Polizei- 
noten); Houssaye, „1815", I; Larrey, Madame Mere; Brunschwig, 
Cambronne; Madelin, Fouche, II; jüngst: P. Gruyer, Napoleon, 
Roi(!) de l'ile d'Elbe (Par. 1906, mit vielen Illustrationen). Napoleon 
selbst diktierte die Geschichte seines Aufenthaltes u. d.T.: „L'ile d'Elbe 
et les Cent-Jours" (in Bd. XXXI der Correspondance; wie fast alle 
seine Diktate tendenziös und unzuverlässig), c) Über Marie Luise: Four- 
nier, Marie Luise und der Sturz Napoleons (D. Rundschau, 1902; 
französisch in der Revue hist. von 1903); Wert heim er, Der Herzog 
von Reichstadt; Helfert, Napoleon und Marie Luise im Sommer 1814 
(.„Dioskuren", Jahrg. 1874). Die irrigen Angaben bei Masson, Marie 
Louise, und Houssaye, „1815" beruhen zum großen Teile auf einem 
Pamphlet: „Marie Luise und der Herzog von Reichstadt" (1843). d) Die 
Litteratur über den Wiener Kongreß gehört nicht hierher. Doch für 
die Haltung Talleyrands in der Elba-Frage: Pallain, Correspondance 
de T. avec Louis XVIII (deutsch von Dailleu, 1881) und M. Leh- 
mann, Tagebuch des Freiherrn vom Stein während des Wiener Kon- 
gresses (Hist. Zeitschr. 1888); Blcnnerhasset, Talleyrand; Fournier, 
Talleyrand (in der deutschen Rundschau, 1888); Pasquicr,Mömoires III. 
e) Über Murat: Helfert, J. Murat, seine letzten Kämpfe und sein 
Ende (1878); Dufourcq, Murat et la question italienne enl815; andere 
Litteratur bei Chavanon et Saint-Yves, Murat. 

IV. Napoleons Rückkehr und Zug nach Paris. Hierfür die Corre- 
spondance, XXVIII; die Darstellung bei Monier, Une annee de la 
vie de l'Empereur Napoleon (1815; panegyrisch und unvollständig); 
Peyrusse, Mömorial; Laborde, Napoleon et sa garde; namentlich 
aber Fleury do Chaboulon, Memoires. Dazu vgl. man: Napoleons 
Schilderung in Gourgaud, Journal in6dit I 379 ff.; Berriat Saint- 
Prix, Napoleon ä Grenoble; am eingehendsten: Houssaye, „1815" I; 
Thiers, XIX. Über die Stimmung in Frankreich: die Memoiren von 



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412 



Litterarische Anmerkungen. 



Broglie, I; Pasquier, III; Barante, II; Vitrolles, II; V6ron, 
I; B. Gonstant, Memoires aar les Cent-Jours (die ersten Briefe); 
Hobhouse, Letters written from Paris, Lond. 1816 f. (Fraiizös. Aus- 
gabe 1817, 1819). 

Zum fünften Kapitel. I. Die Herrschaft der hundert Tage: Corre- 
spondance XXVIII und XXXI; dazu: Portefeuille de Buonaparte" 
(deutsch: „Napoleons Brieftasche" (1815) enthält bei Waterloo erbeutete 
Briefe von und an Napoleon). Zu den im früheren Abschnitt genannten 
Memoiren werken: Mo lös Memoirenfragment in der Revue de la Re- 
volution, 1888; Carnot, Expose de ma conduite politique; die Me- 
moire« sur Carnot par son fils, II; Garnot, Correspondance avec 
Napoleon; Desselben Expose" de la Situation de l'Empire im „Moniteur K , 
15. Juni 1815; (dazu vergl. man die Studie von Welver t in der 
Rev. historique, 1905); die Erinnerungen Lavalettes, Savarys VII, 
Fouches (mit der bereite angemerkten Einschränkung); Molliens, 
III; Villemains, VI; Vitrolles', II; Barras', IV; Lucians, III; 
Lafayettes, V; derStael, III; dazu: Alexandre I et M™ deStael 1814 
— 1817 (Revue de Paris, 1897); Laborde, Quarante-huit heures de 
garde aux Tuileries; Barry, Gahier d'un rhötoricien en 1815; Helene 
Williams, Relation des eve^iements etc.; Sismondi, Notes sur l'Empire 
et les Cent-Jours (Revue historique IX); Desselben Briefe an seine 
Mutter (Revue historique VI, unverläßlich); Desselben Examen de la 
Constitution (1815); Hobhouse, Letters (dazu Napoleons Bemerkungen 
in der Correspondance XXXI); Davout, Correspondance IV (ed. Ma- 
zade); Blocqueville, Le marechal Davout, IV; Vigier, Davout (Par. 
189ö); Be"ranger, Ma biographie; Lord Holland, Reminiszenzen; 
Picaud, Carnot (188"»); F. v. Weech, Französische Zustände während 
der hundert Tage und der Okkupation (Hist. Zeitschr. XVI, 1866, nach 
Wellingtons Supplementary dispatches X). Dazu die Geschichtswerke 
von Houssaye, I; Thiers, XIX; Vaulabelle, H; Lubis, III; 
Thibaudeau, Hist. du Göns, et de l'Empire, X; Bignon, XIV; 
Baudouin, Anecdotes historiques du temps de la restauration; He"lie, 
Les Constitutions de la France; Pölitz, Europäische Verfassungen III; 
Bulletin des Lois, 1815; die Dispatches Wellingtons XII und 
Castlereaghs X; die Archives parlementaires, 2fcme seYie; Ger- 
mond de Lavigne, Les pamphlets de la fin de l'Empire etc. Zu den 
im vorigen Kapitel genannten Zeitungen treten hinzu: „L'Aristarque", 
„L'Independant", „Le Patriote de 89 a und „Le Nain Jaune 4 * 
als Witzblatt. Die Broch ürenlitteratur verzeichnet Houssaye, I, 538 
bis 535, 546 ff. Für die Vjrhältnisse zum Ausland: Die bereits erwähnte 
Korrespondenz Talleyrands mit Ludwig XVIII; Pozzo di Borgo, 
Correspondance; Romberg et Malet, Louis XVTII et les Cent- 
Jours ä Gand (Par. 1898, 1902); Metternich, Nachgelassene Papiere, 
II; d'Angeberg, Congres de Vienne, I; Hansard, Parliamcntary 
debates, XXX, XXXI; Sorel, VIII; Madelin, Fouche*, II. Die 
Litteratur über Mutat siehe zum vorigen Kapitel. 



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Litterarische Anmerkungen. 



II. Der Feldzug von 1815. Hiefür kommt die Correspondanoe de 
Napoteon I. nur wenig in Betracht. Über die Rüstungen: Gouderc 
de Saint-Chamant, Napoleon, ses dernieres armees, Par. 1902; 
Mauduit, Les derniers jours de la Grande Armee. Des Kaisers Dar- 
stellung des Krieges, wie er sie auf St. Helena Gourgaud in die Feder 
diktierte, unter dessen Namen dann „La campagne de 1815" im Jahre 
1818 erschien, ist die Grundlage für viele historische Darstellungen, 
u. A. Thiers' geworden, obgleich alsbald berichtigende Gegenschriften 
erschienen; unter diesen insbesondere: Grouchy, Observation snr la 
relation de la camp, de 1815 publice par Gourgaud, Paris 1819. Vgl. 
auch Heymes, Relation de la campagne de 1815 pour servir a l'histoire 
du marechal Ney (in d'Elchingen, Documents in^dits sur la cam- 
pagne de 1815); Janin, Campagne de Waterloo (1828); Jomini, Precis 
politique etmilitaire de lacamp. de 1815 (Bruxelles 1846). Dazu: Lefol, 
Souvenirs; Re"pecaud, Napoleon ä Ligny; Salle, Souvenirs (Nouvelle 
Revue, 1895); Gerard, Quelques documents sur la bataille de Water- 
loo und desselben „Dernieres observations" gegen Grouchy, worauf: 
Grouchy, Fragment« historiques, 1829 und später „Relation succinete 
de la camp, de 1815", 1843. Grouchys Memoiren 6ind dann von seinem 
Enkel (Paris 1873) mit vielen Dokumenten in Bd. IV publiziert worden. 
Doch stimmen die Texte der letzteren nicLt immer mit den Originalen 
überein, wie denn auch alle Mitteilungen des Marschalls (und seines 
Nachkommen) ebenso sorgfältig geprüft werden müssen wie die Na- 
poleons. Vgl. dazu die Memoiren von Berthezene, Lamarque, Fleury 
de Chaboulon, Bertons Precis historique, Tagebuchartige Auf- 
zeichnungen des Generals Foy in Girod de TA in, Vie militaire du 
gen. Foy (Par. 1900), Berichte Flahauts beiMasson, Le gen. Flahaut, 
die Pajols in Pajol, P., dazu: Bau du 8, Stüdes sur Napoleon, Par. 
1840; die Memoiren Jerömes; Erinnerungen einzelner Offiziere, wie 
Petiet, Pontöcoulant, Lemonnier, Larrey (Chefarzt), eines Un- 
genannten über die Schlacht bei Waterloo (Nouvelle Revue retrosp. 
1896). Amtliche Berichte über die Schlacht bei Waterloo von fran- 
zösischer Seite sind nicht veröffentlicht. Was die englischen Quellen 
betrifft, so stehen Wellingtons Dispatches XII und Supplementary 
Dispatcbes X obenan. (In den letzteren sind die Berichte der Unter- 
generale über die Entscheidungsschlacht mitgeteilt.) Dazu Stanhope, 
Notes of conversations with the duc of Wellington. Ohne alle Welling- 
tonschen Papiere zu kennen, hat Siborne seine streng englisch ge- 
färbte „History of the war in France and Belgium 1815" (deutsch, 
Berlin 1846, 1847) verfaßt. Später, 1891, hat sein Sohn „Waterloo 
Letters" herausgegeben, die als Erinnerungen von Teilnehmern an der 
Schlacht immerhin einen illustrierenden Wert besitzen. Dazu Kennedy, 
Notes on the battle of Waterloo, Lond. 1865; Woodberry, Journal; 
Mercer, Journal of the Waterloo Campaign; Tomkinson, The 
Diary of a cavalry officer; Cotton, A voice of Waterloo; Beamish, 
History of the Kings German legion, Lond. 1832, 1837. Von nieder- 



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114 



Litterarische Anmerkungen. 



Kindischen Quellen ist heute das Buch von LÖben-Sels, Precis de la 
camp, de 1815 (1846) überholt durch de Bas, Prins Frederik der 
Niederlanden, 3 Bde., 1896 ff. mit vielen Dokumenten. Von preußischer 
Seite bot, nach den zeitgenössischen Mitteilungen von Müffling, Ge- 
schichte des Feldzuges usw. (1817), desselben, Aus meinem Leben, 
Clausewitz, Der Feldzug von 1815 (Hinterlassene Werke VTIi), 
Plotho, Der Krieg der Verbündeten gegen Frankreich, 1815 (1818), 
Wagner, Pläne der Schlachten und Treffen, Hof mann, Zur Ge- 
schichte des Feldzuges von 1815 (2. Auflage 1849), Schulz, Geschichte 
der Kriege, XIV, XV, Damitz, Geschichte des Feldzuges von 1815 
(1837), zuerst König er, Der Krieg vom Jahre 1815 und die Verträge 
von Wien und Paris (Leipz. 1865), und dann Ollech in seiner Ge- 
schichte des Feldzuges von 1815, Berl. 1876) eine zusammenfassende 
Darstellung nach archivalischen Quellen, deren Publikation sich aber 
nicht immer als einwandfrei herausgestellt hat. Beide Werke sind heute 
überholt durch Lettow- Vorbeck, Napoleons Untergang 1815, I (ein- 
schließlich der Schlacht bei Waterloo, Berl. 1904), und Pflugk- 
Harttung, Vorgeschichte der Schlacht bei Belle- All iance (Berl. 
1903); dazu desselben, Verhandlungen Wellingtons und Blüchers 
auf der Windmühle bei Brye (Hist. Jahrb. 1902). Vgl. auch: „Zur 
Geschichte des Feldzuges von 1815 in „Neue milit. Blätter", 1903. 
Hierbei kommen an privaten Quellen in Betracht: Golomb, Blücher 
in Briefen aus den Feldzügen von 1814 und 1815; v. d. Marwitz, 
Nachlaß; Henckel v. Donnersmarck, Erinnerungen; Nostiz, Tage- 
buch (Kriegsgeschichtl. Einzelschriften VI), Memoiren des Generals 
Reiche (herausg. von Weltzien) u. A. Außerdem die Berichte an den 
König von Württemberg in Pf ister, Aus dem Lager der Verbündeten. 
Dazu vgl. man: Delbrück, Gneisenau, II; Conrady, Grolman; 
Starklof, Bernhard von Sachsen- Weimar; Treuenfeld, Die Tage von 
Ligny und Bclle-Alliance (1880, überholt); M. Lehmann, Zur Ge- 
schichte des Feldzuges von 1815 (Hist. Zeitschrift 1877); Bernhardi, 
Geschichte Kußlands I. Was insbesondere die Schlacht bei Waterloo 
betrifft, so wurde die auf Napoleons Aufzeichnungen basierte Legende 
von der ausschließlichen Schuld Grouchys und Neys durch Charras, Hist. 
de la camp, de 1815 (1857) vernichtet, der jedoch in der Verurteilung 
Napoleons zu weit ging. Dazu: Qu inet, Hist. de lacamp.de 1815 (Par. 1862, 
neue Ausgabe 1877 ; auch deutseh). Nach der anderen Seite hatHoussaye 
„1815", Bd. II (Par. 1902) in einer sehr eingehenden, auf zahlreiche 
noch ungedruckte Quellen begründeten Darstellung sich um die Ent- 
lastung des Kaisers bemüht, jedoch in jüngster Zeit an Grouard, 
La critique de la camp, de 1815 (Par. 1904) einen scharfsinnigen 
Gegner gefunden, der sich wieder — nicht immer mit Hecht — dem 
Standpunkt Charras 1 nähert. Vgl. auch Navez, Pourquoi Napoleon 
a-t-il perdu la bataille de Waterloo? (Brüx. 1899); Derselbe, Les Beiges 
ä Waterloo (Brüx. 1900). Von englischen Darstellungen ist die un- 
parteiischeste: Chesney, Waterloo-Lectures (deutsch 1869). Vgl. außer- 



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Litterarisclie Anmerkungen. 



415 



dem: O'Connor-Morris, The campaign of 1815 (Lond. 1900); Wood, 
The cavalry in the Waterloo-Campaign; Boulger, The Belgians at 
Waterloo (1901); Oman, The french losses in the Waterloo Campaign 
(Bnglish hist. rev. 1904); Wolseley, The decline and fall of Napoleon, 
1894 (ziemlich wertlos); Ropes (Amerikaner), The campaign of Water- 
loo (Lond. 1893); Bustelli, L'enigma di Ligny e di Waterloo, 3 vols, 
Viterbo 1897. Über den Beginn der Franzosenflucht: Büdinger, 
Wellington (im Anhang). Über Cambronne und die Katastrophe der 
Garde: Knesebeck, Leben des Freiherrn Hugh v. flalkett; Poten, 
Artikel „Halkett« in der Allg. d. Biographie; Fransecky im Militär- 
Wochenblatt von 1876, Nr. 47. 

Zum sechsten Kapitel. I. Uber die letzten Tage in Frankreich: 
Fleury de Chaboulon, II; Sismondi; Benjamin Constant, 
Lettresä M«n« Recamier; desselben „Memoires sur les Cent-Jours" II; 
Josephs Memoiren X; Lucians III; desselben, „Verit6 sur les 
Cent-Jours"; Pasquiers III; „Esquisse sur les Cent-Jours a (nach 
Aufzeichnungen Lafayettes); Savary, VIII; Hobhouse, Letters II; 
Carnot, Memoires sur Carnot, II; die Memoiren von Villemain, II, 
Fouche, II, Meneval, III, ThiSbault, V, Lafayette, V, Ba- 
rante, II, Broglie, 1, Doulcet Pontöcoulant, III, Vitrolles, 
III, Gourgaud, Journal H (Pieces annexes). Dazu: Becker, Relation de 
ma mission aupres de Napoleon; Metternich, Nachgelassene Papiere, 
II; Wellington, Supplem. dispatches X; La Brettoniere, Souvenirs 
du vieux Quartier latin ; Peyrusse, Memorial; „Les deux Chambres 
de Buonaparte" ; Regnaut-Warin, Cinq mois de l'histoire de France; 
Lamarque, Souvenirs; Maitland, Narrative of the surrender of Buona- 
parte (auch deutsch); Jourdan de la Pasaardiere (Kommandant 
der Brigg „Epervier"), Relation (in Nouvelle Revue rötrospective, 1897), 
Montholon, Re*cits de la captivite de St« Helene (auch deutsch), 
Comtesse Montholon, Souvenirs de S te Helene (1815, 1816, publ. 
par Fleury); General Lallemands Aufzeichnungen und Briefe über 
die Einschiffung in Rochefort u. d. T. „Embarquement de l'Empereur 
a Rochefort" (in Nouvelle Revue r^trosp. 1899). Die ausführlichste 
historische Darstellung findet man im 3. Band von Houssayes „1815 M 
(La seconde abdication — La terreur blanche, Par. 1905), wozu dem Ver- 
fasser, neben den Documenten der Pariser Archive, auch wichtige hand- 
schriftliche Aufzeichnungen privater Natur, insbesondere der Königin Hor- 
tense (von H. als „Memoires de Madame X." bezeichnet), Davouts, Gaillards, 
Rous8elins und des Kammerdieners Marchand zur Verfügung standen. 
Man vgl. jedoch auch: Thibaudeau, X; Thiers, XX; Madelin, Fouchö, 
II; Silvestre, Malmaison, Rochefort, S*« Halene (nach Aufzeichnungen 
in Rochefort). Die Kammerverhandlungen liest man im „Moniteur". 

LT. Über den Aufenthalt auf S. Helena. In erster Linie kommen 
hier die Aufzeichnungen der Begleiter Kapoleons in Betracht, u. zw. 
Las Cases' Memorial de S* Helene, Par. 1823; Montholons Recits 
de la captivite* de Napoleon ä, S*« Halene, Par. 1847, und Gourgauds 



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416 



Litterarische Anmerkungen. 



Journal inödit de 1815 a 1818, Par. 1899, wovon das letztere das 
meiste Vertrauen verdient. Dann die „Souvenirs" der Gräfin Mon- 
tholon für 1815 und 1816 (Par. 1901) und für die letzte Lebens- 
zeit des Kaisers: Antommarchi, Derniers moments de Napoleon, 
Bruxelles, 1825, 2 vols. Auch die Berichte der Kommissare sind ver- 
öffentlicht: die des Österreichers Stürmer in Schiitter, Die Berichte 
des k. k. Kommissars Frh. von Stürmer aus St. Helena 1816—1818 
(Wien 1886), des Franzosen Montchenu von Firmin Didot in „La 
captivite de S to Helene d'apres les rapports in6dits du Marquis de 
Montchenu", Par. 1894, und des Russen Baimain in „Le Prisonnier de 
St« Halene" (Revue bleue von 1897). Von Zeugnissen anderer auf der 
Insel anwesender Personen sind bekannt geworden: Mrs Abell (ehe- 
dem Betsy Balcombe), Recollections of the emperor Napoleon during 
the first three years of his captivity (Lond. 1844, 3. Ausgabe 1873); 
Leutnant Jackson, Recollections of S. Helena (in „United Service 
Magazine, 1843); Militärarzt Henry, Events of a military life, Lond. 
1843; Glovers (Sekretär Cockburns) Tagebuch in „Napoleons last 
voyages", Lond. 1895; Jackson, „Notes and reminiscenses of a staff 
officer" (ed. Seaton, Lond. 1903); Dr. Stokoes (Schiffsarztes auf 
dem Admi raischiff „Conqueror~), aus zweiter Hand gesammelte, wenig 
verläßliche Notizen in Fremeaux, „Napoleon prisonnier" (Par. 1896, 
auch englisch); Lady Malcolms Tagebuch von 1816, 1817 (Lond. 
1899). Die von Napoleon diktierten „Lettres du Cap de Bonne Espe- 
rance" (in Correspondance, Bd. XXXI), welche 1818 erschienen, be- 
gründeten die Märtyrerlegende, die namentlich Nahrung erhielt durch 
O'Meara, „Napoleon in exile or a voice from St. Helena", Lond. 1822 
(in fast alle europäischen Sprachen übersetzt), nachdem schon vorher, 
1816, Warden (Arzt des „Northumberland") mit seineu „Letters 
written on board his majestys ship the „Northumberland" and at 
S. Helena" (Lond. 1816) dieselbe Richtung eingeschlagen hatte und in 
der Quarterly Review n. XXXI und XXXII (1817) als unverläßlich 
widerlegt wurde. Die übrigen Diktate Napoleons zurGeschichte seinerzeit 
erschienen zuerst als „Memoires pour servir ä l'histoire de France sous 
Napoleon, ecrits a S to Helene par les genäraux qui ont partage sa 
captivite et publies sur les manuscrits corriges de la maiu de Napoleon", 
Paris 1823, 8 Bde., später als Anhang zu der Correspondance, 
Bd. 29—32. In Band 32 am Schluß sind die letztwilligen Anordnungen 
Napoleons mitgeteilt. Das unter dem Namen Lowes 1830 in Paris er- 
schienene „Memorial relatif ä la captivite de Napoleon ä S l « Helene" ist 
apokryph. Von Darstellungen ist das grundlegende Werk: Forsyth, Hi- 
story of the captivity of Napoleon at S. Helena, 3 Bde., 1853 (nach 
den Akten der englischen Regierung). Wertvolle Ergänzungen dazu 
bietet Seaton, Napoleon and Sir Hudson Lowe, Lond. 1898, und Der- 
selbe, Napoleons captivity in relation to Sit- Hudson Lowe, Lond. 
1908; außerdem: Rose, Life of Napoleon im 2. Band und Derselbe 
in „Napoleonic studies" (mit Briefen des englischen Majors Gorrequer 



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Litterariscbe .Anmerkungen. 417 

von S. Helena). Beide wenden sich gegen die schlecht begründete Auf- 
fassung Lord Roseberrys in dessen „Napoleon, the Last Phase", Lond. 
1900. Wertvolle Beitrage findet man auch in Walter Scotts „Life 
of Napoleon", IX, in Lord Hollands „Foreign Reminiscences", in 
Yonge, The life of L. Liverpool II, in Schütter, Kaiser Franz und 
die Napoleoniden vom Sturz Napoleons bis zu dessen Tode (Wien 
1888). Vgl. auch Ad viel le, La bibliotheque de Napoleon ä 8* H6- 
]§ne (Par. 1896); Häreau, Napoleon h 8** Helene, opinion d'un m6- 
decin (Par. 1829, über die Krankheit Napoleons); Holzhausen, Na- 
poleons Tod im Spiegel der zeitgenössischen Presse; Capeletti, La 
leggenda napoleonica, Turin 1903; Sorel, L'epopee Napoleonienne. 
(Revue bleue, 1904). 



Fonrnier, Nnpoleon I 27 



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II. 

Beilagen. 

1. Briefe Napoleons an Marek 1 ) 

1 

Paris, le 29 janvier 1813. 
M. le Duc de Bassano, je vous envoyo un article traduit des 
journaux anglais qui parait ministeriel et qui est tres remarquable. 2 ) 

Napoleon. 

2. 

Goerlitz, le 21 mai 1813. 
M. le Duc de Bassano, ecrivez au Baron de Serra s ) pour qu'il 
voye le ministre saxon, aön de complöter d'abord le contingent du 
Roi, mais avant tout, pour organiser le plus promptement possible 
l'artillerie du corps saxon. II faut a ce corps 36 bouches a feu, et 
dans ce moment il n'y en a que 12. II faut un approvisionnement 
et demi attele, et il n'y a qu'un demi approvisionnement. Dans les 
bouches ä feu il faut une batterie de 6 pieces de 12. C'est un objet 
tres important et cela peut se faire tres promptement. On doit veiller 
ä ce que dans peu de jours toute cette artillerie, personnel et ma- 
teriel, parte de Torgau pour joindre le corps du genöral Reynier. 
Vous ferez aisöment comprendre que ce manque d'artillerie expose 
les hommes a une plus forte perte. II faut egalement compläter la 
cavalerie. Outre ce qui en est revenu de Boheme, il y a plusieurs 
centaines de cheyaux qu'on peut employer a l'armöe. 

Napoleon. 

3. 

Neumarkt, le 4 juin 1813. 
M. le Duc de Bassano, je vous renvoye les depeches qui arrivent 
de M. Alquier. 4 ) Napoleon. 



») Die auf dem "Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrte Sammlung von 
Briefen Napoleons an seine Minister des Auswärtigen, ans der in den beiden ersten 
Bänden eine Anzahl unedierter Stücke veröffentlicht werden konnte, enthält nur 
noch aus dem Jahre 1813 mehrere Schreiben des Kaisers an Maret, sämtlich in 
Abschriften. Die Inedita aus dieser Reihe werden hier mitgeteilt. 

>) Die Beilage fehlt. 

*) Französischer Gesandter in Dresden. 

*) Gesandter in Dänemark. Vgl. Corres p. XXV. 20, 0S8. 



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Briefe Napoleons an Maret. 419 
4. 

Neumarkt, le 4 juin 1813, 
ä 4 heures du soir. 

M. le Duo de Bassano, vous trouverez ci-joint la copie de l'armi- 
stice qui vient d'etre signö. II n'y a pas d'inconvenient ä le faire 
raettre dans le journal de Dresde et dans celui de Leipsick. Envoyez- 
le ä Alquier par un courrier qui, en passant, le remettra au P«> d'Eck- 
mühl. Envoyez-le en Italie par un courrier qui, en passant, le remettra 
a Munich. Je ne crois pas qu'il faille, ä cette occasion, envoyer un 
courrier extraordinaire ä Vienne. Je serai demain, le 5, ä Liegnitz, 
et je vais, de ma personne, avec ma vieille garde m'approcbcr de 
Dresde. Tonte l'armee restera a Liegnitz et sur la ligne. Faites 
öcrire par les ministres du Roi de Saxe a Luckau et ä Torgau. 
Je suppose que l'etat-major aura dejä envoye" l'armistice au general 
Durosnel; si ce general nc l'avait pas encore recu, remettez-lui en une 
copie pour qu'il l'envoye ä Leipsick, ä Dessau et partout. Ü le signi- 
fiera aux avant-postes et aux quartiers russes. Napoleon. 

5. 

Dresde, ce 6 juillet 1813. 

M. le Duc de Bassano, faites connaitre, par mon ministre a 
Würtzbourg, que je desire que le Grand-Duc envoye ä l'armee un 
nouveau bataillon de 1000 bommes. On pourra y incorporer les de- 
tachements composes de vieux soldats qui avaient 6t£> laiss^s pour la 
garde des fort« sur le Mein. Napoleon. 

6. 

Magdebourg, le 12 juillet 1813." 

M. le Duc de Bassano, mon intention est que, sur l'extra- 
ordinaire de votre budget, un million soit mis a votre disposition pour 
donner des secours aux refugies espagnols. II faudra nommer une 
commission pour la repartition de ces secours. Je dösire qu'elle soit 
presidee par le Comte Otto, 1 ) qui verra, avec l'ambassadeur d'Espagne. 
comment cette commission doit etre composee et quels sont les röfugi^s 
anxquels il est le plus urgent de donner des secours. Napoleon 

7. 

Dresde, le 18 juillet 1813. 

M. le Duc de Bassano, ecrivez au Baron Reinhard 8 ) afin de 
connaitre ce qui retarde le depart des l*«"«« et 2<*es compagnies du 
lO&mc. bataillon des äquipages militaires qui s'organisent ä Cassel. 

Napoleon. 

J ) Otto wurde nach seiner Abberufung von "Wien Staateminister. 
*) Französischer Gesandter in Kassel. 

27* 



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420 



Aus Briefen Metternichs an Hudelist. 



8. 

Dresde, le 3 septembre 1813. 
M. le Duc de Bassano, faites connaitre ä mon minist re ä Cassel 
qne j'ai autorisl le Duc de Valmy a fournir 500 h. de cavalerie 16göre 
du dlpöt de Francfort pour le regiment de Jlröme Napoleon. 

Napoleon. 

9. 

Dresde, le 30 septembre 1813. 
M. le Duc de Bassano, faites connaitre au Bon de S'Aignan 1 ) 
qu'il sonne mal ä propos l'alarme sur tous mea derriöres. La lettre 
du bailli elle-meme montre qne ce n'est qu'un parti peu important qui 
rode de ce cot6. Sa nouvelle de Thielemann est controuvee. 

Napoleon. 

Comment depuis le temps que ce ministre est lä a-t-il 
si peu 2 ) et si peu de moyens d'Stre instruit. 3 ) 



2. Aus Briefen Metternichs an Hudelist 4 ) 

l. 

Zur Geschichte der Dresdener Begegnung, 1812. 

Dresden, den 23. May 1812. 
. . . Wir haben in der größten Ausdehnung Ursache, mit unserem 
Aufentbalte zufrieden zu sein. Kaiser Napoleon ist voll Coquetterie gegen 
den Unsrigen. Sie gefallen sich wechselseitig, und das gute Resultat 
der Zusammenkunft wird sein, daß Beide sich in Zukunft so beur- 
theilen werden, wie sie sind. Kaiser N. sagte mir gestern: „Vous aviez 
raison, votre empereur est ä cent pour cent au dessus de ce que je croyais. 
II me re'duit ä tous moments au silence avec ses 20 ans d'experience." 
Eine allerliebste Anekdote ist die folgende: Vorgestern war unser 
Kaiser bei seiner Tochter. Kaiser N. kam dazu. „Auf einmal hörte 
Kaiser N." — erzählte mir unser Kaiser — „eine Thüre in einer hinteren 



*) Französischer Gesandter an den sächsischen Herzogshöfe u. 
*) Lücke im Manuskript. 

*) Das Postskript von Napoleons Hand. Notiz des Kopisten: „On a souligne ces 
dernieres ügnes parce qu'elles etaient ajoutees de la main de Napoleon." 

*) W. St. A. Aus der umfangreichen Korrespondens des österreichischen 
Ministers mit dem in seiner Abwesenheit die Geschäfte in Wien leitenden Staatsrat 
sind hier nur wenige Stücke und aus ihnen auch nur dasjenige veröffentlicht, was den 
Zwecken dieser Biographie unmittelbar dienen mag. Für die Zeit nach der Schlacht 
bei Leipzig und wahrend dos Winterfeldzuges findet man Mitteilungen aus diesem 
Briefwechsel in meinem „Kongreß von Chfitillon", S. 241—266. Die Briefe sind eigen- 
händig geschriebene Originale. Sie haben die Tendenz, die Führung der politischen 
Geschäfte und die des Krieges in Wien in einem möglichst günstigen Lichte er- 
scheinen ru lassen. Dieses Moment in Rechnung gebracht, gewähren sie immerhin 
manchen neuen Aufschluß. 



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Aus Briefen Metternichs an Hudelist. 



421 



Ecke des Zimmers krachen; er erschrack sehr und sah so bedenklich 
um sich, daß ich ihn gleich fragte: „Si vous voulez, j'irai voir ce que 
c'est." Wie stark ist der alte Kaiser gegen den neuen! 1 ) 

Gegen England wird ein neuer Schritt gemacht. Man raccro- 
chirt sich an ein Wort, welches einige Zweideutigkeit darbietet. Im 
ersten § der Antwort nemlich heißt es, man müsse vorläufig wissen, 
„si la France entendait par dynastie actuelle le roi legitime Fer- 
dinand VII et les Cortes constituäs sous son autoritä, ou bien le frere 
du rögulateur de la France". Dies scheint peremptorisch. In dem fol- 
genden § steht: „le gouvernement agissant au nom de Ferdinand" als 
contrahirender Theil vorangestellt. Vorgestern ließ der französische 
Kaiser mich rufen und bat mich, die Antwort des L. Castlereagh zu 
lesen. Er machte mir die Distinction und frug mich, ob ich nicht sein 
Gefühl theile, daß wohl dieses „gouvernement agissant au nom de 
Ferdinand" mit Fleiß genannt sei, um die Antwort zu provoziren, ob 
nemlich Frankreich mit diesem gouvernement unterhandeln wolle oder 
bloß mit dem K. Joseph. Nun, sagt Napoleon, wolle er eben mit den 
Cortes und der Rögence in Cadiz unterhandeln; er antwortet demnach 
nach England, daß von Ferdinand und seiner Dynastie keine Rede sein 
könne, er aber die Cortes von Cadiz zu jeder Negoziation mit England 
beiziehen wolle und keinen Anstand nehmen würde, selbe als die wahren 
Nationalrepräsentanten zu betrachten. Heute geht die Antwort ab. . .*) 

Unser Aufenthalt wird sich wahrscheinlich noch 5 — 6 Tage er- 
strecken. Man hat vorläufige Nachrichten von Narbonne aus Tilsit. N. 
erwartet ihn gegen den 24- — 25. d. Im Allgemeinen steht N. in seinem 
politischen Calcül gegen Rußland wie wir, d. h. er versteht nicht ein 
einziges Wort ihrer Politik! Er glaubt nicht an Negoziationen, sondern 
an die bataille sans guerre. Er behauptet zu wissen, daß die Russen 
sich auf eine Bataille bereiten und sie anzunehmen gesonnen sind. Im 
letzteren Falle fällt er mit 400.000 Mann auf einen Punkt — „et qu'ils 
devinent ce point s'ils le peuvent", sagte er mir gestern nach seinem 
Lever. „J'ai gagne" ma bataille la nuit derniere", fügte er hinzu. 



Dresden, den 24. Mai 1812. 

Heute ist großes Konzert. Der König von Preußen kommt morgen 
früb spätestens. Ich kann mich schmeicheln, allein Schuld an dieser 
Herreise zu sein, da Napoleon den König entweder in Berlin, aber 
wahrscheinlicher in Glogau sehen wollte. Ich machte ihm Vorstellungen 
über die unangenehmo Lage, in welcher sich der König finden müßte, 
wenn er entweder gar nicht mit dem Monarchen zusammenkäme, dessen 
Armeen alle seine Staaten besetzt halten, oder wenn er diesen Monarchen 



») Den Vorfall hat dann Bernstorff aus Wien etwas verändert nach Haus« be- 
richtet. 6. Demelitsch, Metternich, I. 537. 

*)S. oben S. 72. Nach Coquelle, Napoleon et l'Angleterre, p. 289, wäre die 
Antwort nicht a^jreganpen. 



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422 



Aus Briefen Metternichs an Hudelist. 



in seiner Hauptstadt uuter einem Spalier fremder Truppen, oder endlich 
nur en passant in einer ebenfalls besetzten Festung sehen würde. N. 
entschloß sich alsbald, den König hierher einladen zu lassen. Mit 
dieser Einladung kreuzte sich eine des Königs an unsern Kaiser and 
Kaiserin, sich nach Berlin zu verfügen. Wie wenig möglich dieses 
letztere war, leuchtet von selbst ein. Belieben Sie diese Umstände dem 
B. Humboldt zu eröffnen und ihm beizufügen, daß die Dispositionen 
des Kaisers N. gegen den König und B. Hardenberg die besten sind. 
Ich habe diese Frage auf zu vielen Seiten berührt, um hie von nicht 
die volle Überzeugung zu haben. 



Dresden, den 25. Mai 1812. 
Die Abreise der beiden Kaiser ist auf den künftigen Mittwoch 
den 27. oder den 28. d. festgesetzt. Der französische Kaiser geht gerade 
nach Posen und Warschau. Narbonne ist noch nicht zurück. Napoleon 
geht ihm also entgegen. Graf Romanzoff wird einen großen Meister- 
streich machen, wenn er nun noch den Frieden zu erhalten im 
Stande ist . . . 

Heute ist große Jagd in Moritzburg, welcher sämtliche hohe 
Häupter beiwohnen. Gestern war großes Konzert in dem Opern-Saale. 
Im Sitzen behauptete der Kaiser abermals die Rechte. Die österreichische 
Kaiserin saß links von der französischen und neben ihr Napoleon, 
welcher sich, wie ich es vorsah, in eine außerordentliche Coquetterie 
gegen unsere Monarch in setzte. Die beiden Kaiser sind vollkommen 
zufrieden voneinander, und unser Aufenthalt wird die gedeihlichsten 
Folgen haben . . . 

Dresden, den 26. Mai 1812. 
. . . Aus Rußland nichts neues. Dieses Land liegt bereits außer 
Europa, denn in Europa ertönt seine Stimme nicht mehr. Wir haben 
hier auch nicht eine einzige Eröffnung. Welchen Augenblick Romanzoff 
abwartet, weiß ich nicht. Ich fürchte, sein benäfice du teraps wird 
außer aller Zeit fallen. 



Prag, den 3. Juni 1812. 
. . . Ich habe in Dresden alle Gegenstände, welche ich mir vor- 
gesetzt hatte, beendet. Die Aufklärungen über die Militär -Verpflegung 
unseres mobilen Auxiliar-Korps sind ganz zu unseren Gunsten ausge- 
fallen. Wir haben das Versprechen, daß der Sold des Korps sogar von 
der französischen Zcmtral-Kasse wenigstens verhältnismäßig gezahlt 
werde; nur die Anweisung selbst ist unseres Wissens noch nicht an 
den payeur general de l'armee ergangen, weil der französische Kaiser 
sich nicht mit der allgemeinen, mir vom Hofkriegsrate zugeschickten 
Übersicht begnügen wollte, sondern einige Details zu wissen wünschte, 
über welche keiner der Generäle und Offiziere, welche unsern Kaiser 
begleiteten, Auskunft geben konnte. S. M. haben daher befohlen, daß 



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Aua Briefen Metternichs an Hudelist. 



423 



man das Corps mit einem einmonatlichen Sold in Conventionsgeld ver- 
sehe, welcher von der österreichische Intendanz aus der allgemeinen 
Kasse zu ersetzen kömmt, worüber Graf Wallis 1 ) jämmerlich schreien 
wird . . . 

Graf Romanzoff ist, wie Sie es bereits directe durch Graf Stackel- 
berg wissen werden, vom Schlage gerührt worden. Der Kaiser Ale* 
xander hat Narbonne (welcher am Vorabende der Abreise Napoleons 
von Dresden aus Wilna eintraf) eröffnet, daß er Kotschubey das 
Portefeuille übergeben werde. Er hat ihn (Narbonne) gebeten, sich zu 
Romanzoff zu verfügen und sich zu überzeugen, daß Letzterer dienst- 
unfähig sei, daß er aus seinem eigenen Munde höre, daß er nicht mehr 
„Gesundheitshalber" dienen wolle noch könne, damit ja Napoleon nicht 
glauben könne, daß eine Veränderung des politischen Systems jene des 
Ministeriums zur Folge hatte. Nun wird sicher Rußland so thätig als 
möglich um Frieden mit der Pforte arbeiten, dies um so mehr, als 
Narbonne zugleich die Nachricht überbrachte, daß Tschitscbagoff mit 
den ausgedehntesten Vollmachten nach Bucurest abgeschickt worden 
sei; daß er dort wirklich eintraf, sehen wir aus directon Berichten... 



Prag, s. d. 2 ) 

Die Lage der Dinge im Allgemeinen ist dieselbe; N. scheint 
seiner Sache ganz gewiß zu sein und sagte unter Anderm der Kaiserin: 
„J'esperais vous revoir dans quinze jours, je ne vous reverrai maintc- 
nant que dans 3 mois." Beides dürfte wohl an ein Weib gesagt sein, 
aber in dem Datum des 22. liegt wieder ein Beweis der Richtigkeit 
seines Calcüls. Am letzten Tage in Dresden sagte ich ihm: „D est 
essentiel que je sache vos projets, et si vous ne me les dites pas, vous 
repondrez au moins ä mes calculs: je vous laisBe le temps de com- 
mencer les hostilites jusqu'au 25 de juin. w Er lächelte und sagte: 
„Vous me laissez au moins 3 jours de trop!" Er schreibt auch der 
Kaiserin: „Je vais faire une visite au Pc* de Schwarzenberg pres de 
Lublin." Floret, welcher in Königsberg sitzt, glaubte, man würde 
gegen Grodno durchbrechen. Hat er Recht oder nicht? Dieses werden 
die ersten Tage beweinen . . . 



Persebeug, d. 21. July 1812. 
(Hudelist solle dem Grafen Stackelberg 3 ) im Vertrauen den Inhalt 
des von Freiherrn v. Baum 4 ) aus Warschau eingesandten Bericht mit- 
theilen, daß der Enthusiasmus der Polen sich auf eine kleine Anzahl 
unruhiger Köpfe beschränke und die Stimmung in Litthauen eine voll- 
ständig andere sei als diese vorgäben, daß der Kriegsplan der Russen 

') Österreichischer Finanzminister. 

*) Ans dem Juni, und noch vor dem 30. 

*> Rußlands Gesandter in Wien. 

*) Buum war Österreichischer Kreishauptmann in Bochnia (Galizien) und tou 
seiner Regierung nnch Warschau entsendet wc-rdon. 



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424 



Aus Briefen Metternichs au Iludelist. 



sich als zu fein gesponnen erwiesen habe, daß man einen Flußübergang 
bei Kowno nicht vorgesehen hatte, K. Alexander in Wilna überrascht 
worden sei, wo Napoleon Anstalten zu einem längeren Aufenthalte 
treffe und der litthauische Landtag zusammengerufen wurde.) 

Diese Nachrichten können Sie ohne Weiteres dem Grafen Stackel- 
berg mittheilen. Für sich aber die Bemerkung behalten, welche mir 
Napoleon in Dresden über seinen künftigen Plan machte: „Iis sont 
bien sots s'ils croyent que j'en veux ä Moskou. S'ils m'en faisaient 
cadeau, je n'en voudrais pas. J'irai ä Wilna et j'y finis la premiere 
campagne; j'en ferai un second Vienne. Qu'ils essayent de m'en chasser. 
J^i la paix toute faite. Tout ce qui est en decä de la Düna m'ap- 
partient et Dieu me garde de vouloir quelque chose au delä. Je ferai 
toute cette acquisition sans coup förir. S'ils ne sont pas content« de 
cette cession, nous songerons ä la seconde campagne, et j'ignore 
cncore oü celle-la me menera a . • . 



Carlsbad, 8. Juli 1812. 
. . , Vermög der französischen Kaiserin in der Nacht von gestern 
zugekommenen Nachrichten ist der K. Napoleon am 24. auf das rechte 
Niemen-Ufer hinüber, ohne "Widerstand und mehr als einige plänkelnde 
Cosaken, welche sich überall zurückzogen, gefunden zu haben. Er 
schreibt, es würden aber nur wenige Tage ohne sehr bedeu- 
tende Ereignisse vergehen, und war des besten Muthes, wie alle 
seine nahen Umgebungen. 

2. 

Zur Geschichte des Herbstfeldzuges 1813. 

Prag, 16. August 1813. 
Wir haben den letzten Termin unserer Ruhe erreicht. Morgen 
fangen die Hostilitäten an. Caulaincourt ist demungeachtet immer noch 
in unserer Nähe. Er befindet sich seit gestern zu Königsaal, ein kaiseri. 
Schloß, welches wir ihm angewiesen haben, weil er hier nicht bleiben 
konnte und nicht weggehen wollte. Morgen wird sich wahrscheinlich 
seine Abreise bestimmen. Seine Anträge der letzten Zeit trugen für 
den Nichthellschenden das Gepräge großer Nachgiebigkeit; für den Hell- 
sehenden hingegen hauptsächlich dasjenige des bestimmten Wunsches, 
alles drunter und drüber zu werfen. So z. B. genüge Dinen die Be- 
merkung, daß wir am 10. den Congreß aufgehoben haben, weil wir 
uns nicht über die Form vereinigen konnten und weil Napoleon nicht 
durch das Organ Österreichs negoziiren wollte; nun negoziiren wir 
nicht, weil Napoleon, seitdem wir aufgehört haben, Mediateurs zu sein, 
nur durch uns negoziiren will. Die Kanonen werden diese Anstände 
lösen. In Dresden herrscht seit unserer Kriegs-Erklärung eine dumpfe 
Verzweiflung. Napoleon hat Bubna im Sinne einer mission de dupe, 
wie anno 1809, hergeschickt . . . 



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Aus Briefen Metternichs an Hudelist. 425 

Um 11 Nachts. Soeben ist der letzte Versuch gescheitert und 
Caulaincourt verläßt uns heute Nacht. Er ist über den Gang der Dinge 
untröstlich und hat sich vom Anfang bis zum Ende der Negoziationen 
als ein wahrer Biedermann betragen. 



Prag, den 18. August 1813. 
Vorgestern ist der General Moreau hier angekommen. Der K. 
Alexander stellt ihn als General-Adjutanten an und sein Einfluß kann 
in militärischer Hinsicht nur gut sein. Eine andere merkwürdige Er- 
scheinung ist jene des Generals Jominy, Chefs des Generalstabs des 
Marschalls Ney, welcher mit allen Plänen durchgegangen und hier ein- 
getroffen ist. Er ist ebenfalls in russischen Diensten. Er ist seit 
mehreren Monaten bereits in Verhandlung mit der russischen Regierung 
gewesen. 

Unsere Operationen beginnen nun. Da Napoleon aufzupassen 
scheint, so werden wir wahrscheinlich die Offensive ergreifen. Heute 
und morgen ist das österreichische Hauptquartier in Schlan, am 20. 
in Laim, am 21. in Priesen bey Comotau. Nach allen Nachrichten 
herrscht bey den Franzosen die schrecklichste Consternation über un- 
sere Kriegserklärung. Napoleon hat vor 8 Tagen noch a l'ordro du jour 
gegeben, daß es sicher zum Frieden kommen oder daß sich Oester- 
reich für ihn erklären werde . . . 



Postelbcrg, den 22. August 1813. 
. . . Eine neue politische Scene bietet der Antrag des K. Napo- 
leon dar, unverzüglich — während des Kriegs — einen Congreß zur 
Herstellung des allgemeinen Friedens zu versammeln. Er hat mir 
diesen Antrag durch eine offizielle Note des Herzogs von Bassano 
machen lassen. 1 ) Ich habe demselben geantwortet, daß die Mächte, 
stets mit den lebhaftesten Gesinnungen zu Gunsten des Friedens be- 
seelt, sogleich Rücksprache mit ihren übrigen Alliirten über die mög- 
liche Einleitung des großen Werkes treffen und die getroffenen Maß- 
regeln sodann dem französischen Cabinette durch uns bekannt machen 
würden. . . 2 ) 



Postelberg, den 23. August 1813,. 
Abends 8 Uhr. 

Folgendes ist die Stellung der Armeen, welche ich Sie bitte dem 
Hofkriegsraths-Präsidenten mitzutheilen. Es scheint, nun ausgemacht, 
daß K. Napoleon, ganz irregeführt über die wahre Operation dor alliir- 
ten Armeen, mit seiner ganzen Haupt-Macht gegen Schlesien zu stund. 
Am 19. engagierte sich ein lebhaftes Gefecht mit dem Blücherschen 

») 8. die Note Marets vom 18. August bei Fain, Manuscrit de 1813, p. 817, 
deutBCh bei Hormayr, Lebensbilder, III, 481. 

*) Siehe unten das Schreiben Metternichs an Maret vom 21. August 1813- 



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426 



Au« Briefen Metternichs an Hudelist. 



Corps in der Gegend von Löwenberg', wo Blücher bis auf den Bober 
vordrang und die Franzosen alle Ubergange zerstörten. Am 20. geschah 
ein Augriff der Franzosen auf das Blüchersche Corps, bei welchem IL 
Napoleon selbst gegenwärtig war und bey welchem man die Stärke 
des Feindes auf beiläufig 140.000 M. schätzte. Blücher zog sich zurück, 
um sich keiner Vernichtung auszusetzen und die Offensive wieder er- 
greifen zu können, sobald der Feind sich von ihm abwenden würde. 

Indessen ist Fürst Schwarzenberg mit dem ganzen linken Flügel, 
dem Klenauschen Corps und dem Centrum nach Sachsen eingedrungen, 
ohne feindliche Corps zu treffen. Er dehnt seinen linken Flügel bis 
gegen Freiberg und Dippoldiswalde aus und marschiert in der letzteren 
Direktion. Gestern früh um 9 Uhr hat Wittgenstein das Lager bey 
Pirna angegriffen und um 10 Uhr Abends mit stürmender Hand em- 
portiert. Sein Verlust ist beiläufig nur 500 Mann. Gouvion St. Cyr, 
welcher sich seit Polotzk immer gegenüber Wittgenstein befindet, hat 
sich nach Dresden zurückgezogen. Diese Nachricht haben wir soeben 
erhalten; sie wird den Fürsten Schwarzenberg wahrscheinlich zu einem 
schnellen Vorrücken zum Soutien Wittgensteins bewegen . . . 



Brüx, den 26. August 1813. 

Ich bin heute aus dem Hauptquartier zu Reich statt bei Dip- 
poldiswalde, 4 Stunden von Dresden, eingelangt. Wie ich letzteren Ort 
verließ, brachen eben 30,000 Mann auf, um eine große Reconnaissance 
zu machen. Heute im Tage sollte Dresden angegriffen und mit Sturm 
emportiert werden. 60,000 Mann, worunter 20,000 Österreicher, sind 
zu dem Unternehmen bestimmt, zu welchem alle Chancen vorhanden 
sind. Ich bitte Sie, das letztere Projekt jedoch bis zum Eintreffen 
der Nachricht des Gelingens stille zu halten; mißlingt es, so muß man 
demselben eine andere Wendung geben. Den FM. Bellegarde l ) können 
Sie jedoch in jedem Falle benachrichtigen. 

Die Lage der Dinge ist die besonderste. Napoleon ist nun be- 
stimmt ganz in der Irre gestanden und sie kann ihm theuer zu stehen 
kommen. Er war am 24. noch in der Laußnitz. Unser Einmarsch 
nach Sachsen blieb so geheim, daß N. am 19. dem König schrieb, „er 
solle in Dresden bleiben, bis er eine Schlacht verloren habe, und da 
er dem Feinde 200,000 Mann entgegenstelle, so seye für Dresden auch 
nicht die mindeste Gefahr". Indeß stund er in Schlesien. Ein Brief 
aus Dresden vom 20. sagt: „Convenez qu'il est assez extraordinaire 
d'etre si pres du theatre de la guerre et aussi loin de tout danger que 
nous le sommes." 

Der Kronprinz von Schweden ist in voller Operation gegen die 
Elbe. Zwei komplette westphälische Husaren-Regimenter sind zu uns 
übergegangen. S. M. haben sich entschlossen, eine deutsche Legion 
zu bilden. Die westphälischen Überläufer haben versichert, ihre ganze 
Armee werde nachfolgen. 

») Präsident des Hofkriegiratee in Wien. 



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Aus Briefen Metternichs an Hudelist. 427 

Die Bayern haben einige sehr bestimmto Schritte gegen uns ge- 
than, welche kaum einen Zweifel gestatten, daß, wenn Napoleon ein 
echec erleidet, sie mit uns cause commune machen dürften. Indessen 
wollen sie neutral sein . . 



Töplitz, den 27. August 1813. 
Gestern um 4 Uhr Nachmittags ist ein Angriff auf Dresden ge- 
schehen, in welchem man sich aller Avenuen und mehrerer Batterien 
bemeisterte. Um sechs Uhr machte die Garnison einen sehr heftigen 
Ausfall auf den Plauenschen Grund. Die daselbst aufgestellten 2 Di- 
visionen mußten weichen. Der commandierende Feld-Marschall ließ 
alsbald Cavallerie vorrücken, welche die Ausfallenden in der Flanke 
packte und schrecklich zurichtete; sie wurden in die Stadt zurück- 
geworfen. Man beschoß diese mit Wurfgeschützen, und sie brannte an 
mehreren Orten. Heute sollte die Attaque erneuert werden. Man 
scheint die Stadt coute qui coute nehmen zu wollen. Diese Nachrichten 
sind offiziell aber mündlich durch einen Adjutanten überbracht. Unser 
Verlust ist nicht bedeutend . . . Die französische Artillerie soll äußerst 
schlecht bedient gewesen sein. Während dem Angriffe sah man Caval- 
lerie aus Dresden abziehen, welches vermuthen läßt, daß man die Stadt 
nicht bis aufs Äußerste zu vertheidigen denkt. Kaiser Napoleon ist 
gestern in Dresden angekommen. Blücher hat, da er den Rückzug der 
feindlichen Armee merkte, eine vigoureuse Offensive ergriffen. Sobald 
wir etwas Schriftliches haben, werde ich es nach Wien schicken. Ich 
habe es noch nicht dahin bringen können, daß in dem Hauptquartier 
ordentliche Bulletins geschrieben werden, aus welchen Materialien zu 
Bekanntmachungen geschöpft werden. Theilen Sie diese Nachricht dem 
Hofkriegsraths-Präsidenten und dem B. Hager 1 ) mit. 



Culm, den 81. August 1813, 
1 Uhr Frühe. 

. . . Nach beispiellosen Fatiguen und einor in ihrem Entstehen 
vortrefflich geleiteten Operation, welche aber durch die ebenso beispiel- 
lose Ineptie des Generalen Barclay de Tolli scheiterte und äußerst 
compromittierende Folgen für Uns hätte haben können, hat die ge- 
samte Armee ihren Rückzug aus Sachsen am 27. Abends begonnen. 
Es ist genug, die Defileen des Erzgebirges zu kennen, um sich einen 
Begriff der mit einem solchen Unternehmen verknüpften Schwierig- 
keiten zu machen. Der Rückzug hätte jedoch ohne eine abermalige 
Abgeschmacktheit des russischen Generals keine anderweitigen An- 
stände erlitten; Barclay, welcher den Befehl hatte, die Teplitzer Straße 
mit beyläufig 80,000 M. zu decken und zu verfolgen, warf sich mit 
anderen Armeecorps in die Defileen und überließ diese so wichtige 
Straße dem einzigen kleinen Corps des Generals Ostermann, aus russi- 

') Baron Ilager war Präsident der Polizeihofetelle, d. i. PolizeiminUter. 



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428 



Aus Briefen Metternichs an Hudelist. 



sehen Garden bestehend. Napoleon benutzte den Fehler auf der Stelle, 
und zugleich mit unserer Armee hätte das Vandammesche Corps von 
beiläufig 40.000 M. in die Ebene debouchiert, es hätte Prag vor uns 
gewinnen können und würde die schrecklichste Confusion in die Armee 
geworfen haben, hätte nicht den ganzen 29. das kleine Ostermannsche 
Corps Wunder der Tapferkeit gewirkt. Es hielt den so überlegenen 
Feind nicht nur vollkommen auf, sondern es warf ihn noch vor ein- 
brechender Nacht in die Defileen bei Culin zurück. Das heutige Re- 
sultat 1 ) liefert das (beiliegende) Extrablatt ... 

Ich begreife, daß Sie einige harte Tage ausgestanden haben 
müssen. Für uns hier waren es allein der gestrige und der heutige (30.) 
in der Furcht des Gelingens des französischen Unternehmens. Nun 
stehen die Sachen wieder sehr gut, da Napoleon zwischen drey Siegen 
in der Mitte liegt, deren Resultate sich noch nicht berechnen lassen. 
So viel ist sicher, daß seine Armee sich en masse sehr gut und en 
detail elend schlägt. Sie besteht fast aus lauter Kindern. Unter den 
Gefangenen ist mehr als die Hälfte nicht über 17 Jahre alt. Zu den 
besonderen Geschicken gehört die Verwundung Moreaus. Er hat die 
beydeu Beine auf 10 Schritte von dem Kaiser Alexander emportiert 
gekriegt. Er lebt und scheint sogar davon kommen zu sollen. 2 ) Ich 
habe ihn erst heute Abend eine ganze Stunde gesprochen . . . 

Von meiner Klage über Barclay de Tolly sagen Sie nichts, da 
ich sie nicht verbreiten will, obgleich die ganze österreichische Armee 
gegen ihn aufgebracht ist. Ohne ihn wären wir in Sachsen . . . 



Teplitz, den 3. September 1813. 
... Die Lage, in der sich der große Feldherr befindet, muß ihm 
neu sefu. Seine Armee schlügt sich sehr gut in Massen. Wie sie ge- 
trennt sind oder es an einen Rückzug geht, wirft alles die Flinten 
weg. Auf drei Seiten stehen Armeen, welche ihm in jeder Rücksicht 
überlegen sind. Wie er sich auf die eine oder die andere Seite wendet, 
operieren die Armeen in seinem Rücken, und er muß entweder um- 
kehren oder sich schlagen lassen. Wie lange er dieses Spiel in einem 
Lande treiben wird, wo er bereits von Pferdefleisch lebt, ist schwer 
zu bestimmen. So viel ist in jedem Falle sicher, daß er große Gefahr 
läuft, ganz aufgerieben zu werden, und unser Krieg, welcher auf die 
Vermeidung sehr großer Feldschlaehten gerichtet ist, ist ganz hierzu 
geeignet . . . 



Teplitz, den 9. September 1813. 
K. Napoleon hat sich, wie ich Ihnen bereits geschrieben zu haben 
glaube, von Blücher wieder abgewendet, nachdem er erfahren, daß dieser 
General alle Brücken auf der Neiße zerstört hatte. Er schien gegen 

') Der Sieg bei Kulm am 30. August. 

*> Morcnu starb in I.nun am 2. September. 



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Aus Briefen Metternichs an Hudelist. 



429 



den Kronprinzen ziehen zu wollen,' ist aber au dernier resultat in 
Dresden geblieben, wo er heute noch war. Seine Armee stirbt Hun- 
gers und verliert durch die Märsche und Gontra-Märsche das Unglaub- 
liche. Er scheint jetzt Miene zu machen, als wolle er die Elbe ver- 
lassen, welches das Vernünftigere wäre, obgleich es ihm sehr theuer 
zu stehen kommen wird, da alle Dispositionen so getroffen sind, daß 
alle drei alliirten Armeen ihm auf dem Fuße folgen. Seine Armee ist 
in dem übelsten Stande nach dem Zustande der Leipziger Straße zu 
berechnen, auf welcher mehr als 30 Tausend Marodeurs und Flüchtlinge 
sind. Wir haben nun mehrere Tausend Cosacken in dieser Direktion 
abgeschickt . . . 



Teplitz, den 28. September 1813. 

. . . Gott hat mir Kaltblütigkeit genug gegeben, das Ding poli- 
tisch so weit zu führen, und nun führe ich die Sache auch noch mili- 
tärisch aus. Die Lage der Armee ist die vortrefflichste. Die größte 
Einigkeit herrscht zwischen den Oberen. K. Alexander, welcher auch 
im Anfange etwas schnell zu Werke gehen wollte und glaubte, Napo- 
leon müsse in 8 Tagen gefressen sein, ist nun ganz und gar mit 
mir und Schwarzenberg einig. Sobald die Stunde der Schlacht ge- 
kommen sein wird, werde ich der Erste sein, welcher dazu rathen 
wird; ich wollte aber N. ohne Gefahr für uns die Hälfte seiner Armee 
verlieren sehen, Bennigsen heranziehen, damit Böhmen und unsre Haupt- 
communication auf der Elbe gesichert ist, und nun können wir auf 
den Rhein, wenn das Glück uns nur halb gut will. 

Kein größerer Beweiß, wie schlecht N. seine eigene Lage bereits 
ansieht, kann mehr gegeben werden, als seine Schritte gegen uns. Fla- 
hault ist erst vorgestern wieder als Parlamentair mit einem Schreiben 
N.'s an unsern Kaiser bey Graf Bubna gewesen, in welchem derselbe ganz 
natürlich um Frieden bittet, „parceque la continuation de la guerre 
ferait le malheur de la France et de l'Allemagne". Unsere Antwort ist 
ganz einfach: An einen Separatfrieden ist nicht mehr zu denken und 
für den allgemeinen sind die ersten Einleitungen bereits getroffen. Wir 
erwarten nur die Antwort von England. 1 ). Nach allen Nachrichten ist die 
französische Armee so gut wie aufgelößt . . . 



Altenburg, den 15. Oktober 1813. 
. . . Die Depeschen, welche uns in die Hände gefallen sind, be- 
weisen die äußerste Demoralisation der Armee. N. soll wie ein Eber 
schäumen. Der Armee hat man gestern durch einen Tagbefehl kund 
gethan, daß Blücher und der Kronprinz wieder auf das rechte Elbe- 
ufer zurückgekehrt seien und die Armee nur mit einer Armee zu thun 
haben werde. Er hat zugleich versprochen, sie nach Prag zu führen. 
Das Ereigniß mit Bayern suchte man auf alle Art und Weise zu ver- 
bergen . , . _ 

') 8. oben S. 230 Anm. 



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430 Kaiser Franz an den König von Preußen usw. 

Rötha fe. Leipzig, den 19. Oktober 1813, 
früh 10 Uhr. 

. . . Nun werden die Schreyer doch endlich einsehen, daß unser 
Operationen sehr berechnet und gut berechnet waren. Wenn man be- 
denkt, welchen Schwierigkeiten das Zusammentreffen 4 aus allen Welt- 
gegenden herbeiziehender Armeen auf einem und demselben Schlacht- 
feld unterliegt, und wie viel dazu gehörte, die Sachen so zu stellen, daß 
keine dieser Armeen en detail geschlagen und ein Feldherr wie Napoleon 
zwischen Alle gedrängt wurde, so unterliegt das Verdienst des FM. 
Fürsten v. Schwarzenberg wohl keinem Zweifel. 

Gen. (iraf Merfeld (!), welcher am 16. durch einen Zufall ganz 
allein gefangen wurde, ist gestern, auf Parole entlassen, zurück ein- 
getroffen. Napoleon hat mit ihm Stunden lang gesprochen und ihm 
aufgetragen, uns zum Frieden einzuladen. Er war in der Stellung des 
geschlagenen Feldherrn und zeigte sich bereit über sehr viel — wo 
nicht über alles nachzugeben. Wir werden am Rhein antworten, wohin 
uns die Wredesche Armee voraneilt. Wrede trifft am 24. Oktober in 
Würzburg ein. Also nach Mainz kömmt N. nicht mehr, und was er 
über Wesel nach Hause bringen wird, ist sehr problematisch. 



Ordruf im Thüringer Walde, 
den 28. Oktober 1813. 
. . . Die französische Armee löst sich ganz auf. Heute sahen die 
Straßen aus wie jene zwischen Moskau und der Beresina ausgesehen 
haben mögen. Hunderte sterbender Menschen lagen auf denselben. Die 
Desertion, welche die französische Armee erleidet, ist ungeheuer. Es 
wird N. schwer werden, einen anderen Übergang-Punkt über den Rhein 
zu erreichen als Wesel. Wie er aber diesen erreichen wird, ist nicht zu 
bestimmen, da ein Schwärm von Kosaken ihm alle Straßen und Brücken 
im Rücken zerstört und er auf eine einzige schmale Straße eingeengt 
ist, auf welcher er täglich Gefechte liefern muß . . . 



3. Kaiser Franz an den König von Preußen und den 

Kaiser von Rußland. 1 ) 

Gitschin, le 3 juillet 1813. 
Monsieur mon frere! Je charge le Comte de Stadion e sou- 
mettre ft V. M. les motifs puissans, qui m'ont engage ä proposer ä 
V. M. J > un article additionel ä la Convention du 27 juin, qui proro- 

•j \V. St. A., Prager Kongreßakten. Konzept. Die beiden Schreiben sind, bis 
auf einzelne Varianten im Eingang und Ausgang, ganz gleichlautend. Hier ist der 
Wortlaut mitgeteilt, wie er an Friedrich Wilhelm adressiert wurde. Vgl. Luck- 
vraldt, Oesterreich und die Anfange des Befreiungskrieges, 8.332. 

») Russische Variante: „Le Comte de Metternich que j'enrois conferer ayec le 
Comte de Neeselrode developpera a celui-ci les motifs puissans qui m'ont porte h 
proposer a V. M. J. . . 



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Kaiser Franz an den König von Preußen usw. 431 

gerait au 10 aoüt prochain l'epoque du 20 juillet, fixee comme terme 
de la negociation qui va s'ouvrir ä Prague entre les plenipotentiaires 
des puissances belligeVantes sous ma m&liation. Je me flatte que V. 
M. voudra bien partager avec moi la conviction que la faible perte 
de tems qui, d'un cote, resulte pour les Operations actives des armees 
alltees de cette Prolongation, se trouve d'un autre cote tres com- 
pense par l'eloignement de tout danger imminent pour ma capi- 
tale — . circonstance du plus baut interet — ä l'ouverture de la cam- 
pagne. et par un plus grand developpement que je pourrai donner 
aux forces que je m'empresse d'activer sur plusieurs points exposes 
de ma monarchie, sans affaiblir l'armee principale destinee ä agir 
de concert avec celles de V. M., au cas oü mes efforts pour amener 
la paix seraient infructueux et n'auraient pu etre couronne de succes 
dans le terme indique\ Je prie V. M. d'etre bien assuree, qu'il m'a 
fallu des considerations telles qu'Elle les trouvera exprimees dans un 
memoire militaire que je Charge le Comte de Stadion de Lui sou- 
mettre, et la certitude que les mesures militaires frangaises se trou- 
veront aussi pretes le 20 juillet qu'elles le seront le 10 aoüt et 
n'obtiendront aucune augmentation dans ce court laps de tems, pour 
avoir pu me determiner ä cette legere extension de l'article premier 
stipule dans la Convention de Beichenbach. 

La sagesse qui caracterise V. M. ne me laisse pas licu de douter 
qu'Elle appröciera la valeur de ces raisons, et peut-etre trouvera-t-Elle 
egalement des avantages ä ce delai en ce qu'il facilitera l'organisation 
ult^rieure de ses propres mesures et le rassemblement des corps de- 
taches de la grandc armee aux lieux oü Elle les aura destines, surtout 
des qu'il n'am61iore pas la forte attitude de l'Empereur des FranQais. 

Si V. M. devait juger utile de se faire accompagner par le 
Comte de Stadion dans la course qu'Elle va faire a Trachenberg, je 
m'estimerais heureux, si la commission dont je charge ce ministre 
pres du Prince Royal de Suede pouvait influer favorablement sur les 
resolutions de ce Prince. Je regarde une forte Operation dirigee par 
lui dans un accoid parfait avec Nos Armees comme du plus haut 
interet, et je crois que le faible cloignement du renouvellement des 
hostilitcs ne sera pas inutilc au concert militaire et politique sur 
lequel il s'agira de s'entendre au plutöt avec lui. 

II est superflu sans doute que je renouvelle ä V. M. plus que 
je ne l'ai fait l'assurance des voeux que je forme pour le prompt 
rätablissement d'une paix teile que nous la desirons et que l'exige 
le bonheur de Nos Etats et de ma dötermination la moius sujette ä 
varier, de defendre la justice de Notrc cause par la somme de moyens 
les plus imposants possibles. 1 ) 

Unis par principes et par un commun interet, mais plus encore 
par les sentimens d'amiti6 inaltdrable que je voue ä V. M., j'aime ä 
croire qu'Elle apprdciera la confiance entiere 2 ) avec laqueUe je m'adressc 

') Eussische Variante: „ . . la justice de la cause ponr laquelle V.M. deplo^e 
de si beaux et de si genereux efforts par la somme de . 

*> Russische Variante: „la oonfianc*» entiere et la franchise" 



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432 



Metternich an Maret. 



ä Elle et qu' Elle agrecra les assurances du plus sincere attachement 
comme de la consideration tres distinguee avec laquelle je suis etc. 1 ) 



4. Metternich an Maret. 

Prague, le 21 Aoüt 1618. 2 ) 
Je m'empresse d'adresser ä V. E. un office qui lui prouvera que 
les Cours de Kussie et de Prusse ont accueillie ayec le meme senti- 
ment que l'Empereur mon Maitre la proposition de S. M. l'Empereur 
des Fran^ais. Le courrier porteur de la proposition a l'Angleterre par- 
tira encore aujourdhui. Comme c'est ä cette puissance principalement 
ä se declarer sur le grand objet en question, nous partirons dans nos 
ouvertures de tout ce qu'il peut y avoir de points de vue conciliatoires. 
Quel est l'endroit que V. E. jugerait le plus propre ä la räunion des 
negociateurs? Je desire beaucoup connaitre les idees du cabinet fran- 
cais sur cet objet pour tächer de les combiner le plus possible avec 
les notres. Je prie V. E. de bien vouloir faire passer l'incluse ä M. 
de Floret & Paris. Je la Lui envoye sub volanti pour qu'Elle puisse 
prendre connaissance de son objet. M. de Lablanche et les autres 
individus attaches ä l'ambassade de France ä Vienne ont ä l'heure 
qu'il est pris la route de la Baviere. Nous dirigerons sur la meme 
route M. d'Aubernon. Je me flatte que M. le Duc de Vicence aura 
prevenu TEmpereur Napoleon que l'Empereur mon Maitre adressera 
toujours au quartier general de S. M. I. ses lettres pour son auguste 
fille et qu'Elle desire recevoir de ses nouvelles par la meme voye 
Recovez . . . 3 ) 

>) Russische Variante : „ . . les assurances du plus sincere et cordial attache- 
ment comme de la haute consideration avec . 

») W. St. A. Prager Kongreßakten Eigenhändiges Konzept Metternichs mit der 
Anmerkung: „Lettre particuliere au Duc de Bassano. Expedite le 3 Septembre, pa«see 
aux avant-postes le 3 septembre." Das Schreiben war bestimmt, die Note vom gleichen 
Tage (gedruckt bei Fain, Manusorit de 1813, p. 221) zu begleiten und diejenige 
Marets vom 18. August (Fain, ebenda, p. 217) zu beantworten, mit der Dieser Ver- 
handlungen wahrend der Feindseligkeiten vorgeschlagen hatte. S. oben den Brief 
Metternichs an Hudelist vom 22. August. 

*) Auf dieses Schreiben erfolgte noch den 3. September die nachstehende, im 
Original erhaltene, eigenhändig geschriebene Antwort: 

Dresde, le 3 septembre 1813. 

Monsieur lo Comte. 

Je recois en ce moment la lettre que vous m'avez fait l'honnenr de m'eorire 
le21aout et l'ofüce qui y etait joint. Je ne pouvais apprendre, M. le Comte, qu'avec 
beaucoup de satisfaotion l'aooueil fait a la proposition oontenue dans ma note du 
18 du mois dernier. Quant a l'endroit le plus propra a la reunion des negociateurs, 
le choiz en lui-memo me parait indifferent; que oe choix tombe sur un lieu queleon- 
que situe sur les limites reciproques, ou cntre Prague et Dresde, ou entre Prague 
et Würxbourg, il nous oonviendra egalement. 8. M. a ecrit a l'Empereur d'Autriche 
apres la bataille de Dresde. Les Rußses ont arrOte le parlementaire porteur de cette 
lettre. S. M. l'Emporeur Alexandre a fait expriraer des regrets de cet inoident. Nous 
avone et6 obligus d'envoyer la lettre de l'Empereur k Zittau, d'oü nous pcnsons 
qu'elle sera parvenuc sans obstacle. A la date de nos derniercs nouvelles de France. 



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Schwarzenberg an Kaiser Franz. 



438 



5. Schwarzenberg an K. Franz. 

Hauptquartier Altenberg, 
am 28. August 1813. ') 

Eure kais. kön. Majestät geruhen aus der beiliegenden Beschreibung 
unserer zeitherigen Bewegungen das Detail hierüber des mehreren zu 
erfahren. 2 ) Der gegenwärtige allerunterthänigste Vortrag hat den Zweck, 
Allerhöchstdieselben über unsre Lage im allgemeinen und über die 
meinige insbesondere aufzuklären. 

Es ist nicht zu verhehlen, daß die Affairen bei Dresden, nooh 
weit mehr aber unser gegenwärtiger Bückzug uns einen sehr bedeutenden 
Verlust bereits zugezogen haben, und ich kann leider noch nicht be- 
rechnen, wie weit derselbe gehen dürfte. Erst hinter der Eger ist diese 
höchst nöthige Uebersicht möglich. Ich werde mich hinter diesen Fluß 
bei Budin 3 ) aufstellen und alles anwenden, um die von Hunger, Nässe, 
und Anstrengungen jeder Art zerrüttete Armee zu sammeln und da- 
durch fürs Erste Böhmen 4 ) zu decken. Wir bedürfen jedoch unumgänglich 
notwendig Menschen, Pferde und Kanonen. Die beiden erstem, weil 
wir davon bedeutend verloren, letztere mehr noch, weil wir davon über- 
haupt von Anbeginn des Krieges an — im Verhältniß zu den Fran- 
zosen — viel zu wenig hatten. Ich bitte und beschwöre E. M. daher, 
die nöthigen Befehle dahin zu geben, daß, mit Beseitigung aller und 
jeder Schwierigkeiten, die großen Kräfte aufgeboten werden, welche 
Allerhöchstdieselben in der Kraft und dem guten Willen ihrer Unter- 
thanen besitzen. 

Der Kaiser Napoleon führt den Krieg fast mehr mit Kanonen 
als mit Menschen, er setzt unserer Artillerie stets fast das Doppelte 
entgegen. Es ist daher unumgänglich nothwendig, daß E. M. die 
strengsten Befehle ungesäumt erlassen, daß aus den nächsten Depots 
8 12pfündige, 8 6pfündige Positions- und 8 Cavallerie-Batterien aus- 
gemustert und zur Armee gesendet werden. Fast ebenso wichtig ist die 
Ernennung eines Artillerie-Commandanten, der, mit dem Verdienste 
früherer Erfahrungen, Kraft, Thätigkeit und guten Willen verbindet. 

8. M. l'Imperatrice etait a Cherbourg oü Elle jouissait d'une bonue sante et d'un 
spectaole qui l'intlressait beauooup. 8. M. l'Imperatrioe n'a point enoore enroje 
delettres pour son augaste per«; aussltöt qu'U en parviendra, alles seront adressees 
an quartier general du Pe* de Schwarzenberg. Celles qui arriTeront pour 8. M. 
l'Imperatrice au quartier gen. de l'Empereur seront expediecs Sur le ohamp. J'ai 
l'honnenr de vous renvoyer la lettre que tous m'arez adressee pour M. de Floret. 
Je prie V. E. de pennettre que je place sous ce pli ma reponse a une lettre tree 
oLligeante qu'il m'a äcrite au moment de son depart de Paris. Veuillez agre'er, M. 
le Comte, tous mc8 remercimena des soins que tous avez bien roulu donner au 
retour des personnes attachees ä l'ambassade de Franoe a Vienne et a eelui de M. 
Aubernon. J'ai l'honneur ... Le Duo de Bassano. 

») W. St. A., Kriegsakten. Konzept, von der Hand Schwarzenbergs korrigiert. 
Der Sieg Ton Kulm dürfte die Schwierigkeiten behoben und den Feldmarschall be- 
ruhigt haben. 

») Die Beilage fehlt. Ein Bruchstück findet sich im Wiener Kriegsnrchiv. 

») Ms.: Bidin. 

«) Soll wohl heißen: Prag. 

Fournier, Napoleon I. 28 



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131 



Graf Neipperg au Metternich 



Ich schlage dazu nochmals in der Ueberzeugung der unbedingtesten 
Notwendigkeit den Erzherzog Maximilian und unter ihm den FML. 
Reisner vor, denen wenigstens noch 10 Artillerieoffiziere zugegeben 
werden müßten. Unsere Feinde haben 3 bis 4mal mehr Artillerie- 
offiziere als wir, und alles, was wir an Artillerie auf unserem Rückzug 
verlieren dürften, liegt zum größten Theil an dem Mangel der mög- 
lichen Aufsicht der Offiziere. 

Mein eigenes Verhältnis betreffend, bin ich E. M., dem Staate 
und meiner Ehre folgende Bemerkungen schuldig. S. M. der Kaiser 
von Rußland, für seine eigene Person mit dem besten Willen und der 
besten Einsicht begabt, verlaßt mich weder im Hauptquartier noch selbst 
in den Augenblicken des Gefechtes; er erlaubt mit der höchsten Nach- 
giebigkeit fast jedem General in den dringendsten Augenblicken jeden 
Rath und jede Bemerkung, theilt sie mir dann mit und setzt mich 
dadurch häufig in einen Zustand von Verwirrung und von einander 
widersprechenden Ansichten, der an sich schon und ganz besonders da- 
durch den Geschäften nachtheilig wird, daß ich öfters, aus unumstöß- 
lichen Gründen veranlaßt, zu einer Nachgiebigkeit, selbst in Hauptan- 
sichten, genöthigt bin, deren Nachtheil wir jetzt leider schon zu deutlich 
sehen. Der General Barclay hat durchaus weder Sinn für Gehorsam, 
noch für Geschäfte und ist dabey im hohen Grade eifersüchtig. Eg 
entsteht daraus das große Unglück, daß nicht allein auf ihn und 
seine Truppen durchaus nie mit Bestimmtheit zu rechnen ist, sondern 
auch daß die Generäle Wittgenstein und Kleist meine Befehle ein- 
für allemal zu spät und häufig so ganz widersprechend erhalten, daß 
daraus bereits jetzt die allerunglücklichsten Folgen entstanden. Alles 
dieses, verbunden mit 1000 dabey unvermeidlichen Unannehmlichkeiten, 
macht es mir rein unmöglich, für die so hochwichtigen Folgen einer 
Unternehmung zu stehen, wo von dem Wohle und der Existenz der 
Monarchie die Rede ist. Ich finde mich daher in der unbedingten 
Notwendigkeit, E. k. k. M. allerunterthänigst zu bitten, entweder den 
Kaiser von Rußland zu vermögen, daß er die Armee verläßt, den 
General Barclay entfernt und die Corps von Kleist, Wittgenstein und 
Miloradowitsch, jeden für sich, an meine unmittelbaren Befehle ver- 
weißt, oder einem andern das Commando der Armee anzuvertrauen, 
der mit den Talenten eines Generals die übermenschlichen physischen 
und moralischen Kräfte verbindet, die zur möglichen Ausführung wich- 
tiger Operationen unter so ganz widrigen Umständen gehören. 



6. Graf Neipperg an Metternich. 1 ) 

Florence, le 1« Octobre 1821. 
L'abbe Vignali, comme j'ai eu l'honneur d'en faire mention dans 
mon rapport, n'a pas voulu acoepter les secours en argent que S. M. 

') W. St. A., Parmesanische Akten. Schütter, Die Stellung der fieterr. Re- 
gierang zum Testamente Napoleons I. (Archiv f. öst. Gesch., Bd. 8U), 8. 27, zitiert 
ans diesem Brief eine das Testament betreffende Stelle. 



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Graf Neipperg an Metternich. 



Mino l'Archiduchesse m'avait ordonne de lui faire passer pour la 
continuation de son voyage ä Rome. 1 ) Cette auguste princesse, vou- 
lant pourtant faire quelque chose pour celui qni avait assiste son 
deffunt epoux sur son lit de mort, m'ordonna de lui remettre une 
bague sans chiffre ä peu pres de la valeur de mille francs, en lui 
faisant promettre de n'en faire mention vis-ä-vis de personne, ce qu'il 
fit sans difficultö. Voyant que ce prßtre 6tait tr£s touche des bontes 
de S. M., je lui fis encore diverses questions auxquelles il me repondit 
avec beaucoup de franchise. 

Je lui dis derechef que S. M. savait parfaitement qn'il existait 
quelque part un testament de feu son epoux mais qu'Elle ignorait oü il 
£tait et son contenu, que ce qui l'etonnait qu'Elle avait 6t6 instruito que 
plusieurs membres de la famille Bonaparte en connaissaient les detaüs 
et ne s'en cachaient point. Sur oette assertion je vis que l'abbö 
Vignali se troublait assez visiblement, et il me repliqua ä diverses 
reprises que c'etait impossible, que ce ne ponrrait pas €tre, vu que 
personne, excepte les executeurs testamentaires, le general Bertrand et 
le Comte de Montholon, ne ponvait en etre instruite, qu'ils avaient 
besoin encore de quelque temps pour mettre ordre ä une affaire aussi 
iraportante, que S. M. ait seulement l'extreme bonte de prendre patience, 
qu'Elle serait instruite exactement des deraieres volontes du ddffunt. 
II y ajouta encore que, tant que MM de Bertrand et de Montholon 
seraient en Angleterre, il leur serait impossible de mettre la main 
ä l'ouvrage, qu'a son depart de Londres le Comte de Montholon avait 
dejä eu la permission de rentrer en France, et que le Mar6chal Suchet 
avait fait part au Comte de Bertrand que le Roi etait tres bien dis- 
pose pour lui, et qu'infailliblement l'arret prononce contre lui serait 
lev6 sous peu. L'abbe Vignali me röpliqua ä diverses reprises qu'il ne 
fallait pas s'attendre a des richesses parceque l'Empereur n'en possedait 
pas, qu'ä St* Helene il recevait ses fonds de la Compagnie. (II m'assura 
qu'ä commencer du gen. Bertrand toute la suite etait payee sur le 
meine pied que jadis en France, et exactement jusqu'au dernier instant). 

Je le questionnai en suite sur les fragments de memoires que le 
deffunt ponvait avoir laisse. 11 me repondit positivement qu'il y avait 
plus que des fragments, et meme des memoires §crits avec suite. Je 
ne pus jamais obtenir de lui qu'il me dit oü ils se trouvaient et par 
quels moyens ils avaient et6 soustraits ä la surveillance du gouverneur 
de S t0 Helene et envoyes en Europe. A la demande que je lui fis, pourquoi 
le docteur Andromacchi(!) n'avait pas voulu signer avec les m&lecins 
anglais le rapport fait lors de l'ouverture du corps du d6flfunt, il me 
repondit que ce medecin, quoique ce fut lui qui etait charge de l'ope- 
ration, n'avait point ete invite par les chirurgiens anglais a signer 
l'acte, que d'ailleurs le docteur n'etait point du meme avis qu'eux, 
qui attribuaient la cause de la mort ä une lesion de l'estomac, tandis que 
lui croyait quil 6tait mort d'une maladie au foie, que d'ailleurs le 

•) Über den Uericht vom 29. S*pt«mber, auf den sich Neipperg hier beruft 
Tgl. Schiitter, a. a. O. S. 26. 

28* 



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136 



Graf Neipperg an Metternich 



docteur Andromacchi publierait an memoire circonstantie rar la maladie 
et la mort du däffunt. 

L'abbe Vignali me chargca de dire ä S. M. que son epoux avaii 
recu les sacrements sept jours avant sa mort et avait montre les sen- 
timens les plus religieux. 

L'abbe Vignali retourne ä Borne oü il m'a dit qu'il comptait re- 
prendre ses anciennes fonctions dans une 6cole oü il avait 6t6 employe 
avant son depart pour S* 6 Helene. Peut-etre que, si le Comte Apponyi 1 ) 
cherchait ä faire sa connaissance, il pourrait en avoir des details su r 
lesquels je n'ai pas cru devoir trop appuyer dans ce moment. II a ete 
ici chez Louis Bonaparte a sa campagne a 4 mille de Florence, et 
aussi chez Mad. de Poss6, fille de Lucien, qui se trouve ici avec son 
mari. 2 ) Aucun de ces personnages n'a demande ä se presenter ä S. M. 
qui en tout caa les leur aurait refuse. 

Je suis persuade, mon Prince, que le ministere anglais aurait pu 
se procurer plus de lumieres dans toute cette affaire de la succession 
de Napoleon, pour peu qu'il eüt donne plus de suite ä ses recherches, 
et que le testament, ä l'heure qu'il est, se trouve dans les mains de 
quelque individu de la famille Bonaparte, peut-etre meme en Amerique 
pres de Joseph. Le mystere qu'on a repandu sur cet objet tient sana 
contredit ä des vues politiques, et encore plus ä des vues particulierea 
d'interet de quelque membre de la famille du deffunt qu'il sera difficile 
de penetrer. 

Daignez agr6er, mon Prince, Phommage de mon tres-profond 
respect. 

Le Lieutenant General 
Comte de Neipperg, 
Chevalier d'honneur de S. M. 



») Österreichs Gesandter in Born. 

*) Christine, die iweite Tochter Luoians, hatte 1818 den schwedischen Grafen 
Arrid Posse geheiratet. 



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Berichtigungen und Zusätze zum II. Band. 

Seite IV Zeile 20 von unten lies „Titularherzoge" statt „Titulars- 

herzoge" ; 

„ VI „ 11 „ ; , „Fontana Fredda" statt „Fonta 

Fredda"; 

63 „ 2 ., ,. Einen Brief Fultons an Napoleon vom 

6. September 1801 veröffentlichte D ub o c 
in der Rev. des Rcv., September 1896. 
„ 86 6 ., n lies „wollte" statt „wolle"; 

89 4 .. oben „ „Generalintendanten" statt „Gene- 

rals"; 

95 ,. 1 unten: Frau v. Chastenay sagt in ihren Me- 
moiren, II, 244: „Ich kann nicht glauben, 
daß er epileptisch war, wenigstens hat 
er öffentlich nie einen Anfall gehabt". 
., 124 „ 12 „ ., lies „allerdings" statt „allerding"; 
„137 1 oben „ „zu Cleve und Neufchatel" statt 

„zu Neufchatel"; 

„ 211 ,. 1 .. unten: Später wurden Herzoge: Juno t, Herzog 

von Abrantes, Suchet, Herzog von Albu- 
fera, Arrighi, Herzog von Padua, Rey- 
nier, Herzog von Massa, Kellermann, 
Herzog von Valmy, Dalberg und Decres. 
235 „ 11 „ „ lies „11. November" statt „14. Oktober"; 
... 235 3 ., „ „ „1807" statt „1806"; 

,. 260 „ 20 ; . „ „ „zu nötigen" statt „nötigen"; 
„ 303 f. wäre darauf hinzuweisen, daß, nach den Erinnerungen de* 
Grafen Eugen Czernin (teilweise mitgeteilt von Helfert 
in der „Heimat", Jahrg. 1877), Napoleon nach der Schlacht 
bei Aspern zu Friedensverhandlungen mit Österreich ge- 
neigt gewesen wäre, wenn von diesem ein erster Schritt 
geschah. Namentlich habe eich Savary um den Grafen 
Czernin als Mittelsperson bemüht. Es kam nicht dazu. 
„ 325 Anm. wäre für die Frage der Initiative in der Angelegenheit 
einer dynastischen Verbindung Österreichs und des 
napoleonischen Frankreich auf die von Helfert, 
„Heimat", Jahrg. 1877, S. 862 mitgeteilten Stellen aus 
dorn Czerninschen Tagebuch zu verweisen, wonach kurz 
vor dem Abschluß des Friedens die Sache von fran- 
zösischer Seite berührt worden wäre. Graf Laborde 
hätte dem Fürsten Liechtenstein vertrauliche Eröffnun- 
gen gemacht, und „es wurde klar, daß bei dieser vor- 



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438 Berichtigungen und Zusätze zum II. Band. 

geschlagenen Heirat Napoleon selbst der Bräutigam 
sein wollte". Graf Czernin erklärte sich Liechtenstein 
gegenüber bereit, den französischen Antrag nach Totis 
zu überbringen. Der Fürst blieb aber dabei, von der 
Sache vorläufig keinen Gebrauch zu machen, „da die 
Heiratsproposition die ohnehin so aufgeregte Kaiserin 
Luise Beatrix und ihren leidenschaftlichen Ratgeber 
Baldacci aufs äußerste erzürnen und daher der Friede 
umso weniger zustande kommen würde". Damit erklärt 
sich auch die Stelle in dem Briefe Liechtensteins an 
den Kaiser: „Binnen kurzer Zeit dürfte Napoleon um 
Ew. W. Freundschaft bitten." (Criste, Liechtenstein, 
S. 147.) 

Seite 380 Zeile 7 von oben aufzunehmen: Miß Berry, Journals and 

correspondance, (London 
1865, ein Auszug im Corre- 
spondant, 1904, das Jahr 
1802 betreffend). 

.. 331 .. 18 .. .. ?1 Driault, Napoleon Ier et 

Tltalie (Revue bist. 1905); 

., 333 : , 18 ., unten - ? De la Faye, La Pesse 

Charlotte de Rohan et le 
Duc d'Enghien, Par. 1904. 
333 „ 20 „ oben Picard, Bonaparte et Mo- 

reau (Par. 1905; bis zum 
Bruch). 

„ 333 ., 24 „ unten „ Eni. Daudet, La police 

et les Ghouans sous le 
Consulat et l'Empire. 

., 334 .. 16 „ ;) Plancy, Memoires (Par. 

1904). 

,, 336 „ 20 „ oben Criste, Johann Fürst zu 

Liechtenstein, Wien 1905. 

„ 337 22 „ „ „ Auriol, La France, TAn- 

gleterre et Naples de 1803 
ä 1806. Par. 1904. 2 vols. 

., 339 „ 23 ,, , ; „ Doerrio8,Friedr.v.Gent7!' 

„Journal de ce qui m'est 
arrive au quartier de S. M. 
le roi de Prusse« als Quelle 
preußischer Geschichte 
(Greifswald 1906, Disser- 
tation). 

„ 339 „ 15 „ unten: Die Relationen von Ebra und Eber- 

stein über die Schlacht von Auerstedt 
veröffentlichte Treuenfeld, Das Jahr 
1813, Beilage 16. 



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Berichtigungen nnd Zusätze zum II. Band. 439 

Seite 339 Zeile 22 von unten lies „1881" statt „1882"; 

„ 340 „ 16 „ oben aufzunehmen: Die Memoiren von Saint- 

Chamans (Par. 1896) und 
Paul in (Par. 1895). 
,. 340 „ 18 „ unten ., Sommerfeldt, Die preu- 

ßisch-österreichische Poli- 
tik d. J. 1807 (Forsch, z. 
brandenb. u. preuß. Gesch. 
XVIII). 

., 340 „ 10 ., lies „Lumbroso" statt „Lombroso"; 

„ 341 24 „ aufzunehmen: Froidevaux, La politi- 

que coloniale de Napoleon 
(Revue des quest. hist. 
1U01). 

Charles Schmidt, La re*- 
forme de l'Universite en 
1811 (Par. 1905), wo die 
einschlägige Literatur ver- 
zeichnet ist. 

Coquelle, Sebastiani ä 
Constantinople, 1806 äl808 
(Revue d'hist. dipl. 1904). 
Lumbroso, Correspon- 
dance de Joachim Murat 
(1791—1808) Turin, 1899; 
Chavanon et Saint 
Yves, J. Murat, Par. 1905; 
Seze, Baylen et la poli- 
tique de Napolöon (Par. 
1904, bestätigt Titeux' Ur- 
teil zu Gunsten Duponts). 
„ 344 „ 12 „ oben ist „Lucas, Erfurt etc." zu streichen. 
,, 344 „ 3 „ unten aufzunehmen: Robinson, Wellingtons 

campaigns. Moores cam- 
paign of Corona, 1808 — 
1810 (Lond. 1904). 
„ 346 „ 11 „ „ „ He lfert, „Das Kriegsjahr 

1809" in der „Heimat", 
Jahrg. 1877. 

„ 346 „ 23 „ „ „ Bonnal, La manoeuvre 

de Landshut. Etüde sur la 
Strategie de Napoleon (Par. 
1905); Chelard, Lea ar- 
mees francaises jugees par 
les habitants d'Autricbe 
(Par. 1893). 



„ 342 „ 14 „ ., 



„ 343 „ 10 „ oben 
„ 343 „ 21 ,. unten 



„ 343 „ 1 ., 



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440 Berichtigungen und Zusätze zum II. Band. 

Seite 847 Zeile 8 von oben aufzunehmen: Criste, Liechtenstein; 

Ho en, Aspern, Wien, 1906 
349 11 „ unten „ Imbert de St Amand, 

Les beaux jours de Marie 
Louise; 

.. 398 „ 1 „ lies „Vertrag" statt „Vortrag". 

Von jüngst veröffentlichten Werken, die sich mit dem Leben. 
Napoleons I. im ganzen beschäftigen, ist ein kleines, reich illustriertes 
Buch des Berliner Universitätsprofessors Dr. Max Lenz zu nennen, 
das in der Sammlung „Monographien zur Weltgeschichte" als 24. Band 
(Bielefeld und Leipzig, 1905) erschien. Es ist in seinem ersten Teil — 
Jugendgeschichte — eingehend gearbeitet und weist da den einen und 
andern hübschen Gedanken auf. In seinem weiteren Verlaufe freilich 
verliert es durch die apologetische, auf jede Kritik verzichtende Auf- 
fassung des Helden und durch zahlreiche Flüchtigkeitsfehler fast allen 
Wert. Im letzten Teile vollends, insbesondere vom russischen Feld- 
zug ab, erweist sich der Verfasser, nicht nur was den dargestellten 
Stoff betrifft, sondern nicht selten auch im Wortlaut, so sehr abhängig 
von meinem Buch in dessen erster, 1889 erschienener Ausgabe, daß 
ich, weniger zur Wahrung meines geistigen Eigentums, als vielmehr, 
um nicht am Ende in den Verdacht zu geraten, ich hätte mich mit 
einer fremden Feder geschmückt, einige auffällige Stellen hierher- 
setzen muß. Man vergleiche: 

Fournier. Lenz. 

III, 85: S. 169: 

Seit Anfang November begannen Seit Anfang November gab es 

sich die Nachtfröste immer fühl- stärkere Nachtfröste; um so schlim- 

barer zu machen. Die Soldaten mer in den leichten Kleidern der 

waren meist zu leicht gekleidet und Hunger zu ertragen. Denn die Le- 

litten nicht wenig. Auch vom Hun- bensmittel, die von Moskau mit- 

ger, denn was man aus Moskau von genommen,waren bald aufgebraucht. 
Lebensmitteln mit fortgenommin, 
war bald völlig aufgebraucht. . . 

III, 216: S. 181: 

Bald wurde es öde um den ge- Nun ward es öde um den Kaiser . . 

stürzten Kaiser . . . (Napoleon zu (Napoleon zu den Garden:) Daß er 

den Garden:) Er hätte seine Exi- seine Existenz hätte enden können, 

stenz enden können, aber er wolle aber er wolle weiterleben, um zu 

weiterleben, um zu schreiben und schreiben und der Nachwelt die 

der Nachwelt die Großtaten seiner Taten seiner Krieger zu verkünden. 

Krieger zu verkünden. Dann küßte Er küßte den Generaf, küßte die 

er den General Petit, der die Gar- Fahnen, rief seinen Braven noch 

denkommandiorte,küßteihrcFahne, einen letzten Gruß zu und fuhr 

rief seinen „alten Brummbären" davon, 
noch einen letzten Gruß zu und 
fuhr von dannen. 



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Berichtigungen und Zusätze zum II. Band. 441 

III, 229: S. 186: 

Er näherte sich auf Schußweite, . . . und seinen grauen Überrock 

lüftete seinen grauen Überrock und lüftend, die Brust den Grenadieren 

rief, seine Brust darbietend, hin- darbietend, ihnen zuruft: „Wer von 

über: »Wer von Euch wird auf Euch wird auf seinen Kaiser schießen 

seinen Kaiser schießen wollen?" wollen?" Ein brausendes „Vive 

Da nahmen die Soldaten ihre Mützen l'Empereur" ist die Antwort, 
ab, steckten sie auf ihre Bajonette 
und riefen „Vive l'Empereur!" . . . 

HI, 270: S. 190: 

. . . sich der provisorischen Re- ... als einfacher General wolle 

gierung als einfacher General zur er kommen, nur um die Hauptstadt 

Verfügung zu stellen, nur um die zu retten und die noch getrennten 

Hauptstadt zu retten und die ge- Feinde zu schlagen, 
trennten Gegner zu schlagen, wie 
er sagen Heß. . . 

in, 271: S. 191: 
Er habe seine politische Lauf- Er habe, so schrieb er dem 
bahn vollendet, schrieb er an den Prinzregenten, seine politische Lauf- 
Prinzregenten nach London, er bahn vollendet; er komme gleich 
komme gleich Themistokles, um Themistokles, am Herde des*briti- 
am Herde des britischen Volkes sehen Volkes niederzusitzen und 
niederzusitzen, und stelle sich unter stelle sich unter den Schutz seiner 
den Schutz seiner Gesetze. Gesetze. 

Und das sind keineswegs alle Stellen, auf die das bekannte Ver- 
fahren der vergleichenden Quellenforschung mit Erfolg angewendet 
werden kann, und man sucht vergeblich nach einer Erklärung für 
solchen, in der deutschen Gelehrtenwelt glücklicherweise vereinzelten 
Vorgang. Man könnte allenfalls meinen, daß Herrn Professor Lenz 
der große Stoff über den Kopf gewachsen und er — nicht mehr fähig 
ihn zu meistern — schließlich genötigt gewesen sei, nach dem ersten 
besten Behelfe zu greifen. Aber auch diese Erklärung trifft nicht zu, da 
schon in den frühesten Abschnitten von Lenzens Buch sehr starke An- 
klänge an das meinige unterlaufen. So z. B. wenn ich (I, 41, 2. A.) 
über die bekannte Episode auf Korsika im Jahre 1792 schreibe: „Es 
war sein erster Staatsstreich" und Lenz (S. 21) dafür setzt: „Sein 
erster Staatsstreich, könnte man sagen." (Unbezahlbar dieses „könnte 
man sagen"!) Oder wenn aus meinem (I, 77): „Au destin" hieß jetzt 
sein Wahlspruch, den er der Lebensgefährtin, die er sich erkor, in 
den Brautring schrieb", bei Lenz (S. 46) der Satz wird: „Au destin", 
so lautete der Denkspruch, den Napoleon in Josephinens Brautring 
hatte eingraben lassen." Oder wenn eine Stelle zum Jahre 1800 bei 
mir (II, 1) lautet: „Zahllose Fremde pilgerten nach Paris, um die 
zu unsterblicher Bedeutung gelangten Stätten der Revolution zu 



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442 



Berichtigungen und Zusätze zum II. Band. 



besuchen und den großen Mann zu sehen, der den empörten Wogen 
Bube geboten hatte«, und dann bei Lenz (8. 97): „Aus ganz 
Buropa strömten die Fremden nach Paris, um den Mann zu sehen, 
der den empörten Wogen Ruhe geboten hatte." Doch ich will nicht 
weiter danach forschen, wie ein Mann in angesehener wissenschaft- 
licher Stellung dahin gelangt sein mochte, so ganz sans phrase Teile 
eines fremden Buches in das Beinige hinüberzunebmen; ich über- 
lasse das den Psychologen und halte auch mit meinem Urteil über 
solches Vorgehen zurück. Aus Dankbarkeit. Denn die an sich ernste 
Sache verschaffte mir nebenbei einen sehr heiteren Eindruck. Herr 
Dr. G. Roloff, Privatdozent an der Berliner Universität, derselbe, 
an den ich, was ich heute bedauere, am Schlüsse meines zweiten Bandes 
mehr als vier Seiten sachlicher Erörterungen gewendet habe, Herr 
Dr. Roloff hat im letzten Januarheft der „Preußischen Jahrbücher" 
diesen Band meines Werkes und unter einem den „Napoleon" von 
Lenz besprochen. Dabei kommt nun mein Buch natürlich sehr schlecht 
weg. „Insbesondere ist der vorliegende Band," heißt es da, „zum 
Führer für den Laien so wenig geeignet wie der erste. Denn in den 
Einzelheiten geht Fournier infolge falscher Forschungsmethode häufig 
in die Irre und die Gesamtanschauung ist verfehlt, nicht einmal ohne 
innere Widersprüche." Nun, ich war, wie meine Leser wissen, auf 
dieses Verdikt gefaßt und trage es mannhaft. Ich bin auch gar nicht 
überrascht, es mit keiner einzigen Zeile begründet zu sehen« Denn Herr 
Dr. Roloff hatte in dem Aufsatze viel Wichtigeres zu tun: er hatte 
für das Buch des Herrn Professors Lenz kraftig in die Posaune zu 
stoßen und tat es virtuos. „Grundverschieden nach Inhalt und Form 
ist das Buch von Lenz... daher ist denn der Napoleon Lenzens ein ganz 
anderer als der Fourniers", was dann zum höchsten Lobe des Ersten 
und zum bittersten Tadel des Zweiten weiter ausgeführt wird. We» 
nun weiß — und sollte Herr Dr. Roloff es nicht wissen? — daß da» 
Lenz'sche Buch lange Strecken weit nichts als ein oberflächlicher Aus- 
zug des meinigen, in einzelnen Fällen noch etwas Schlimmeres ist, 
auf den kann die Wirkung all der lobenden Tiraden und die eifrige 
Feststellung der „Grundverschiedenheit nach Inhalt und Form" nur 
eine belustigende sein. Außerdem aber hat die hieraus erwachsene 
Erfahrung für mich persönlich das Nützliche, daß ich mich fortbin 
gegenüber solchen Elementen der wissenschaftliehen Kritik jedes po- 
lemischen Wortes überhoben fühle, ein Entschluß, dem sicher kein 
Mann von Geschmack seine Billigung versagen wird. Herr Dr. Roloff 
wird in Zukunft über mich und mein Werk schreiben können wie, wo 
und was er will : ich werde nicht darauf reagieren. Nur heute noch und 
nur in einem Punkte will ich ihm erwidern. Dort, wo er meine Aus- 
führungen im zweiten Bande zu entkräften sucht, bemängelt er auch 
die Gründe für meine Weigerung, seinen „Napoleon I." in meine „Litte- 
rarischen Notizen" aufzunehmen, indem er mir vorrückt, ieh hätte ein- 
mal in der „Deutschen Litteraturzeitung" (Jahrg. 1900) nicht allzu 
übel darüber geurteilt. Richtig. Ich summierte damals mein Urteil 



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Berichtigungen und Zusätze zum II. Band. 443 

über den kleinen 215 Seiten starken Band dahin, daß ich ihn trotz der 
nach meiner Meinung ganz falschen Gesamtauffassung und seinen unter- 
schiedlichen Fehlern im Einzelnen, doch noch einen „zureichenden 
Wegweiser für alle" nannte, „die das Wissenswürdigste über den außer- 
ordentlichen Mann unter Verzicht auf eingehendere Schilderungen und 
Erläuterungen und unter Verzicht auch auf jeden Nachweis der be- 
nützten Quellen kennen lernen wollen«. Und das unterschreibe ich 
heute noch. Aber das konnte mich doch nicht veranlassen, das Buch in 
meinem bibliographischen Apparat zu verzeichnen, der, wie es im Vor- 
wort heißt, „nur in der Absicht dargeboten ist, jene Leser, die mein 
Buch zu erweiterter Lektüre und tiefer gehender Beschäftigung mit 
dem Gegenstande anzuregen vermag, auf Werke zu verweisen, welche 
ihnen dabei am zuverlässigsten dienen werden". Zu Werken solcher 
Art habe ich allerdings das Opusculum des Herrn Dr. Roloff nie ge- 
rechnet. Und damit basta. 

Wien, im Februar 1906. 



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