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Full text of "Aufsätze zur englischen geschichte"

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Aufsätze zur 
englischen 

geschichte 




Reinhold Pauli 



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AUFSÄTZE 

« 

ZUR 

ENGLISCHEN GESCHICHTE 

* 

VON 

REINHOLD PAUU 

NEUE FOLGE. 
HERAUSGEGEBEN VON OTTO HARTWIG. 

9 

LEIPZIG 

VERLAG VON S. HIRZEL. 
1883. 



Dm Rad* der 



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X 



INHALT. 



Seite 

Zur Erinnerung an Rcinhold Pauli vom Herausgeber Y — xxiv 

t , Dnrh.im I 

2. Entstehung des Einheitsstaats in Grossbritannien IS 

3. Heinrich V, (Lancaster) 00 

4. Die Anfange Heinrichs Vin. (Fragment) 126 

g. Thomas Cromwell der Hammer der Mönche 293 

6. Die Aussichten des Haoses Hannover auf den englischen Thron im 

Jahre 17 II 342 

7. Confessionelle Bedenken bei der Thronbesteigung des Hauses Hannover 

in England 379 

8. Sir Robert Peel 392 

Q. C. K. T» von Bunsen 420 



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ZUR ERINNERUNG AN REINHOLD PAUU 

Indem kfa mlcii anschidLe im Namen imd Auftrage der Fhiu 
Frofessor Elisabeth Pauli diese ausgewählte Sammlong von Aul^ 
Sätzen ihres verstorbenen Gemahls der OeffentUchkeit su über- 
geben, mnss ich es als einen berechtigten Wimsch von gar nuuH 
ehern Lesor dersdben, etwas Näheres übet den Lebensgang ihres 
Autors ni- erfahren, imd sagleich als eine fhenera Fflidit gegen 
den mstorbienen Freund anerkennen, ihm hier ein wenn auch 
noch so bescheidenes literaiisches Denkmal nd>en seben eigenen 
Aibeiten su enrichten. Denn wenn audi schon von Stadien- 
genossen und Fteamäm des Verstorbenen sein Andenken gefeiei^t 
und seine wissenschaftlicfien Verdienste gewürdigt worden sind, 
so sind diese Xun^ebongan des SdmierseB Aber den grossen 
Verlust, welchen die dentsdie historische Wissenschaft durch den 
allzu frühen Tod Plaulfs erlitten hat, doch wohl nur einem Theile 
der zahlreichen Leser, welche wir diesem Buche wünschen und 
erhoffen, zu Gesicht gekommen. Sie verfolgten ja auch in erster 
Linie den Zweck, den wissenschaftlichen Ertrag des Lebens des 
Todten in Kürze zur Darstellung zu bringen, während hier, wo 
eine Auswahl der Arbeiten des Gelehrten geboten wird, die von 
Haus aus für ein grösseres Publikum bestimmt waren, vor allem 
eine Charakteristik des ganzen Mannes versucht werden soll. Die- 
selbe wird aber nur eine interimistisch gültige sein und darf sich 
desshalb auch wohl innerhalb bescheidener Grenzen halten. Denn 
von berufener Seite wird auf Grund eigener Aufzeichnungen Pauli's 
und eines ausgiebigen in mehrfacher Beziehung höchst interessanten 
Briefwechsels eine selbständige Darstellung des Lebens und Wirkens 
von Pauli vorbereitet. * 

Mir ist Reinhold Pauli erst im Frühjahre 1867 als ein schon 
durchaus fertiger Mann im Vollgefühle seiner ganzen Kraft zu 
Marburg entgegen getreten. £r hatte damals die Katastrophe, 



VI Zmr Bri$mtnmg- mm. JUinhold F^uli, 



welche ihn in Tübingen aus seiner akademischen Thätigkeit heraus- 
geworfen hatte, glücklich überstanden und an einem Orte Fuss 
gefasst. der ihm nach seinen Wanderjahren schon elf Jahre früher 
zur Ilcimath zu werden allerdings nur vorübergehend versprochen 
halte. Denn als 1856 Heinrich von Sybel von Marburg nach 
München berufen worden war, hatte der akademische Senat Pauli 
allein zum Nachfolger des berühmten Historikers vorgeschlagen. 
Der Kurfürst von Hessen, dem schon das Berufungspatent zur 
Unterschrift vorgelegt war, soll nur durch die unvorsichtige Aeusse- 
rung des Ministerialreferenten, er hoffe dass Marburg in Pauli eine 
sehr tüchtige Kraft gewinne, Professor von Sybel habe ihn sehr 
gerfihmt, bestimmt worden sein, die Unterschrift xudMim vollziehen 
Uld die Berufung überhaupt abzulehnen. Jetzt, wo der Kurfont 
von ÜMsen Nichts mehr über die Geschicke dar Universität Mar- 
burg EB M^y*^ hatte, war Pauli, der in seiner Weise auch in 
Tübiofon depossedirt worden war, dieser Hochschule definitiv 
gewonnen und eben im Begriffe sich in seinem neuen Wirkungs- 
kreise voll SchafÜBDSlost einiabürgem. £r befand sich sehr wohl 
dabei. Nur vecadsste or schmerzlich seiae Familie, die im Sommer 
1867 in Bremen wdlte. Bei der Umgestaltung, welche seit dem 
Jalira 1866 für das »»Universitilsdorf** Marbuig begomon hatte, war 
so rasch keine passende Wohiimg für sie sn fiadsa gewesen. Der 
UHBStand , dass Pauli den Sommer über getrennt von seiner Frau 
* und KifffV»Tf lebte, wurde für ihn die Veranlassung, sich mehr, 
als es sonst wohl der Fall gmmen wäre, mit den lokalen Ver- 
hiltnisseii Marbui^s und Hessens überhaupt bekannt so marhuii 
Dia ungemeine Lebhaftigkeit^ mit der er auf Alles eiagiaigy das 
nsclie VersliiidBiai iur gaaa fimde Zustände und Penani^- 
keite», das ifatt von Haas aus e%eii «ar und duxdi SKUMn AnfiMt- 
lialt in den venchiedensten Gegenden Deutschlands «BdSa^lands 
Sick mnr noch gestsigart hatte, die Vielseitigkeit seiaar lafaiiaiisfln, 
iMlche die Sdmnken des akademischan I<ebens «ait dbendiritlBO 
tmd die nicfat siimial ia dem» «aa das Lebsn seiner Katkm damals 
tieftr bewegte, ihre Gneasea fanden, sondern ihn die Geschic|te der 
Stammfssvsttem jenseits des Canales fiut eben so lebhaft veilbigen 
Uassan* als der Hirfmsf h maditen Pauli Am»^« an 
insseart anriahenden und gewinnenden FeiaöttUchkeit; Man kam 
flun dessfaalb auch in Marburg von allen Seiten äwnas fianndlicb 
ciirtygta, und er ge&el äcfa wohl nntsr den „langen Hessen". 
„ . £s war aber nicht nur ein momentaner vorübergehender Reis, 
dttn Paaii auanilben verstand» Stwas EigantiitailichM, das mm 



Zur Erinnerung an Reinhold J^amlL 



vn 



bei keinem der namantlinh früher hier rasch wechaelndeii ftofessoren 
so bostimmt auflgefurfigt geftmden hatte, glaubte man an ihm zu 
banerken. Und das nicht mit Unrecht: hatte er doch acht der 
Jahre scänes Lebm, in denen der Mensch anssnreifen pfl^. In 
Schottland and TCngUmd in wechaelndea Stellongen verbracht, und 
dieses Leben in fremden Landen deutliche Sporen bei ihm anrfick- 
gelassen. Gewisa war der Grundstock seines Wesens dnrch den Auf- 
enthalt in dar Fremde nicht verändert worden. Selbst leichte und 
Jokak Färbnngen, die von seinem Geburtsort und vorübeigehenden 
IDiensten herrührten, waren nicht verwischt worden. Wer die Vor- 
liebe Fanli's üör aUes Militärische zu bemerken Gelegenheit gehabt 
bat, — und wer von seinen Freunden hätte das nicht? — konnte ' 
in ihm da« echte Berliner Kind nicht verkennen. Aber durch den 
langen Aufenthalt Panli's in England hatte sein äusseres Auftreten 
und seine geistige Signatur doch ein spedfisch anderes Gepräge 
angenommen, als es der Mehraahl der Angehörigen unseres Ge- ' 
lehrteoBtandee eigen -zu sein pflegt Den raschen, sicheren Be- 
iwegangen des nnteisetsten, kaum mittelgrossen Mannes mochte 
man es wohl ansehen, dass ein selbständiger unabhängiger Geist 
in ihm wohne. GelegentUcb wies er wohl, um die nichts weniger 
als eqglisch gemessene, vielmehr sprudelnde Lebhaftigkeit seines 
üb^atorelb zu erklären, darauf hin, dass von seiner Mutter her 
^ogenottenbhit in seinen Adern fliesse. Daneben trat aber doch 
der £influ88 seines Aufenthalts unter Engländern und seines Lebens 
nnter den Eindrücken des grossartigen öffentlichen Lebens des 
Inselreiches als sein ganzes Wesen und seine tie&ten Interessen 
mitbestimmend deutlich genug hervor. 

Heutigen Tages wird wohl jeder Histcnriker geneigt sein, einen 
lebhaften wteoii auch nicht thätigen Antheil an den politischen Tages- 
fragen zu nehmen. In Zeiten, in denen Geschichte im grossen 
Style gemacht worden ist, verlohnt es sich auch wohl wissenschaft- 
lich für ihn, diese auf sich wirken zu lassen. Panh war aber nun 
noch durch sein Leben in England, während dessen er einige Jahre 
lang einem bedeutenden Staatsmanne wenn* aiich in dienender 
Stellung ganz nahe gestanden hatte, wie nur wenige seiner Fach- 
genossen für das öffentliche Leben der Gegenwart aufgeschlossen. 
Er sah in der Vergangenheit vor allem die in ihr sich vorbereitende 
Gegenwart. Auf diese anders als durch literarische Mittel einzu- 
wirken, hielt er aber nicht für seinen Beruf. Er nahm keinen 
Antheil an parlamentarischen Versammlungen. Die paar Sitzungen 
des preussischen Herrenhauses, welchen er als Vertreter der Uni> 



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Zur Erinnern^!:; an Rcfuh Id Pau'i. 



versität Marburg beigewohnt hat, werden hiergegen nicht als be> 
weisend angeführt werden können. Da die hessischen Peers sich 
in Berlin selten oder gar nicht einsustellen beliebten, wurde Ftali 
einmal snm Reibrenten des Herrenliauses über eine hessische Jagd» 
gesetcnovelle ernannt J>>e8e seine Arbeit Uber die „hessbchea 
Hasen" war, wenn ich mich recht entsimie, seine grösste paria* 
mentarische That PauH wollte akademischer Lehrer mid nidit 
VoUuvertreter sebi. Niditsdestoweniger war er durch und dmch 
ein politisdier Parteimann, wie er grosse englische Gelehrte als 
politische ParteimSnner kennen gelernt hatte. Und wie dort jeder 
, suerst Engl&nder md dann erst Ftoteimann ist, so fühlte sich 
FanU auch zuerst stets als Deutscher, als Preosse. Sem Sorgen 
nnd Bangen mn die Geschicke des Vaterlandes haben ihn bei der 
Wahl seines ersten grösseren historischen Werkes im Jahre 1848 
mit bestimmt, die schwere Krisis des Jahres 1866 hat in sein 
äusseres Leben ebigegriffen und im Jahre 1870 war er besonders 
ihätig die Ovation fBr Th. Carlyle, der sich f& Deutschbad gegen 
Frankreich ausgesprochen hatte, in's Werk su setsen. Und so hat 
die Entwicklung der vaterländischen Dinge ihm bis su sehiem 
Lebensabende warm am Hersen gelegen, und er hat sie aufinetksam 
und in den letsten Jahren schmerzlich von ihr ergriffen verfolgt 
Dabei stand er kehieswegs in dem Banne einer politischen Fäfftei 
oder gar ehier politischen Coteiie. Denn er war nicht gewillt sein 
eigenes politisches Urtiieü weder einer noch so hoch verdienten 
EinselpersönHchkeit noch gar den wechselnden populären Strö- 
mungen zum Opfer zu bringen. 

Mit dieser Mannhaftigkeit in seinen politischen Ueberzeugungen 
war eine eben so grosse Selbständigkeit und ein eben so unbe- 
stechlicher Wahrheitsshm m allen wissenschaftlichen Fragen ver- 
bunden. Beides war aus einem Grunde erwachsen. Wo er glaubte, 
dass um einer Tendenz uHllen, mochte dieselbe auf einem geschicht- 
lichen Vorurtheile beruhen, oder in ehier politischen Vorein- 
genommenheit ihren Grund haben, der geschiditUchen Wahrheit 
zu nahe getreten i^den, da wurde er selbst f&r seme besten 
F^reunde ein höchst unbequemer Kritiker und er war im Stande 
dann mit echt englisdier Rücksichtslosigkeit vorzugehen. Nichts 
war ihm daher vearfaasster als wissenschaftliches Cliquenwesen. So 
sdir er ssch seinem hochverdurten Lehrer v. Ranke zu Dank ver- 
pflichtet fohlte, die von diesem vor allen gelehrte Methode histo- 
rischer Forschung für die allem richtige hielt und das wohl auch 
gelegentlich sduuf ausgesprochen hat, so wenig war er doch 



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Zur Ermntrun^ an Keinhold PaulL 



IX 



daut rnd geneigt, der deutschen Historiographie überall den unbe- 
dingten Vorzug vor der aller übrigen Nationen zu vüidiciren, 
geschweige denn sich in den Bann von Schulmeinungen oder gar 
in die Heeresfblge eines anderen Berufsgenossen zu stellen. Der 
historische Sinn für Gewordenes, den das Studium der englischen 
Geschichte ausjBubilden pflegt, hatte auch ihn aller Gleichmacherei 
abhold und gegen alle absoluten Maassstäbe misstrauisch gemacht. 
Und das im Leben nicht anders als in der Wissenschaft. Auf die 
welche Pauli kannten machte es daher fast einen kcnnlschen Ein- 
druck, als sich später von Göttingen ans die Märe verbreitete, 
ihr Freund sei unter die Weifen gegangen. Da Pauli es in der 
Ordnung £uid, dass der Georgia Augusta einige Eigenthümlich- 
keiten vor den übrigen preussischen Universitäten gewahrt blieben, 
die mit ihrer grossen Vergangenheit in lebend^» Verbindung so 
stehen sdiienen, war er bei dieser Ueberzeugung mit einzelnen 
CoUegMl and der preussischen Unterrichtsverwaltung hier und da 
in Dissens gerathen. Da er stets mit Freimuth und ohne ängst- 
lich jedes Wort, das er sprach oder schrieb, vorher wa überlegen, 
ffir seine Ueberzengaag lebhaft einzutreten gewohnt war, forderte er 
wohl auch eine derartige Nachrede heraus, wie ihm ja auch andere 
Conflicte in sdaem Leben nicht enpart geblieben sind. Aber ec 
hat sie dann stets ehrenvoll aossufediten oder anssugleichen ge- 
misst • Waren sie dann aber einmal beseitigt, dann war von einer 
persdnlichen Ventimmvng oder einem Nachtragen bei ihm nicht 
die Rede. 

Wenn nicht efaie andere ErklArongsweise weit näher läge 
nnd natürlicher wäre, so könnte man andi wohl glauben, dass 
auch die Stellung Psnlf s aar Kirche von seinen englischen Lebens- 
eindrücken beeinflnsst worden sei Wie aber in seinem Dasein 
gar manches an sich schehibar Disparate an ehier glücklichen 
Gestaltong des Gänsen sk:h snsammeafBgte, so wohl auch hier. 
Einer alten refonniiten Pastoren- und Getehrtenfiwnflie entsprossen, 
war er von einem charaktervollen, wissenschaiUkh gnt gebilideten 
Vater In den Formen mid dem Geirte echt protestantischer 
mmmigkeit erzogen worden. Diese pflegte auch er in seinem 
Hause, hieihi wie In allen häusMchen Angelegenheltsn von seiner 
Leben^gefthrtbi treulichst unterstützt Ohne dass nach Aussen 
viel Worte davon gemadit worden wären, empfingen die Kinder 
eine UrchBche Enieifaung und Bildung, welche bei den ältesten 
Ihren Abschluss in Schotthmd erhielt Bigotterie oder gar mucker- 
hsftes WesMi haben aber nie m diesem Ifouse Zutritt geAmden. 



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Zur Erinrurung an Reinkold Pauli, 



Heiterkeit, gebildete Geselligkeil herrschten in ihm. Wie der Haus- 
herr selbst voll von Anekdoten und lustiii^en Geschichten steckte, 
die ef mit lebhallem Geberdenspiele zu erzählen pflegte, so liebte 
er es anch, dass es munter um ihn her zuging, nachdem er seinen 
j^dien und Vorlesungen auf das Gewissenhafteste obgelegen hatte. 

Aber noch einer Seite im Wesen Pauli's muss ich als Freund 
rdhmend gedenken. £r war im höchsten Grade gefällig und 
pfinfctUch in seinen Venprednogen« Von den verschiedensten 
Seiten wnrde seine Gelehrsamkeit, namentlich sein reicbes Wissen 
in allen England betreflfonden histodscban Wissenszweigen In A»> 
sprach genonmien. Mit nie versagender GeßUljgkeit hat er Sdiu- . 
lern und Mitforschem stets gedient und Arbeiten fimr sie aber- 
nommen» Gar manche ihm befreondete Redaction von Zeitschrifteii 
weiss es zu rfihmen, wie er ihr hilfreich bejgespmngen ist in Zeiten 
d«: Verlegenheit Jeder seiner Fiennde konnte sich anf seine txeae 
Gesinnung und tfaätige Hilfibereitsdiaft veriassen. 

So steht mir R. Pauli, seitdem ich ihn kennen lernte, vor der 
Seele. Auf welchem Lebenswege er so und nicht anders geworden, 
durch welche wissenschaftliche Leistungen er seinen Namen unter 
uns verewigt hat, mag nun noch in aller Kürze erzählt werden. — 

Reinhold Pauli ist am 25. Mai 1823 zu Berlin geboren. Sein 
Vater vertauschte wegen Differenzen mit dem Kirchenregimente 
drei Jahre nach der Geburt seines ältesten Sc^hnes sein Pfarramt 
in Berlin mit dem an der Lieben Frauenkin he in Bremen. Hier 
in der Hansestadt, wo ein ehrenhafter Kaufmannsstand die tüch- 
tigsten Seiten des deutschen Bürgerthums bis auf diesen Tag in 
alten Ehren aufrecht erhält» wo der lebhafteste Handels- und Se^ 
veikehr die Anschauungen und Gedanken der Menschen schon 
von früher Jugend auf beeinflusst, von SfMessbürgerlicher Enge 
abkehrt und in'a Weite richtet, wuchs der muntere Knabe auf und 
erhielt seinen ersten wissenschaftlichen Untern^ht Nor die beiden 
l^asten Jahre seiner Gymnawaatensett verbrachte er in Bedin, wo 
er das Friedrieb« Wilhehnsgymnaahun besuchte. Seine Neigo^g 
an geschiciitllchen Studien docomentirte sich acfaon währeiid dieser 
Zeit dadurch, dass er in den Vorlesnngpn L. von Banke'a ver- 
stohlen hospitirtf). Nicht minder seine Neigung an englischer 
Sprache und literatnr, die er in Verbindeng »it Nicokuis Delins 
nnd Theodor Gildemeister von Jugend anf cultliskt hatte. Da im 
Anfsuig der vierziger Jahre unseres Jahrhqadnrt» das Studium der 
Geschichte oder der neueren Sprachen ntu* von ganz Vereinzelten 
als Berufstudium ergriffen wurde, so liess sich Pauli nach bestan- 



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Zutr Erinutrung an Reinhold Pauli. 



XI 



denem Matiiritätsexamen 1842 in Berlin als Studiosus der classi- 
schen Philologie und Geschichte immatricuHren und besuchte hier 
die Vorlesungen Boeckhs und Lachmanns, in Bonn die von Rilschl 
und Welcker. Doch sein eigentlicher Lehrer und Meister war und 
blieb in Berlin L. von Ranke, und in Bonn, wo er ein Jahr verleben 
durfte , Dahlmann. Der Einfiuss dieses gefeiertsten Lehrers der 
rheinischen Hochschule war wohl auf die politische Richtung Pauli's 
nachhaltiger als auf seine wissenschaftliche. Der „zündenden 
Wirkung", die Dahlmanns Vorlesung über die englische Revolution 
damals auf ihn ausübte, hat er stets dankbar gedacht. Am Schliiss 
des Sommersemesters 1846 promovirte er in Berlin auf Grund einor 
j& lateinischer Sprache abgefassten Dissertation über einen viel* 
mstrittenen Gegenstand aus der griechischen Geschichte, den so- 
genannCeii Frieden des Antalkidas. Dk Thesen, über die er mit 
einem namhaften Graecisten disputirte, sind theil weise wenigstens 
phik>logi9chen Inhalts. Gegen £nde desselben Jahres wurde dann 
das sogenannte Oberlehrerexamen bestanden. 

Unter den Professoren, die PauU hierbei zu prüfen hatten, 
befand sich der Philosoph A« Trendeienburg. Dieser hatte durch 
emne Frau, der Freundin von Mary Somerville, Beziehttagen zu 
womehmen schottischen Familien. Auf eine Empfehlung von ihm 
hin, kam der jonge Candidat als Erzieher in die Familie des . 
Rechtsanwalts Bannat3rne nach Glasgow. Damit trat die Wendung 
in das Leben Pauli'« ein, welche Ton Jugend auf irorbereitet durch 
^Ubses äussere Sreigniss nun rasch auch smn äusseren Dmchbmch 
gjeJangoi eoUte, BUeb nucfa nur ein Jabr in Glasgow» so 
HAX das Laad seteer fitadieii ihn doch noch sieben andece Sset 
Ja gerade «n dieses iMd nnd seine Geschichte recht grändKch 
«tadir» m Icdnnea, hatte er seine Pr i v atst e llnng sobald wieder 
•n^s^eben» Nicht mit GlMagfitem gesegnet, mtisste er seiner 
JeM klar ev&ssten Lebensaufgabe, die Geschichte Englands aus 
den entan Quellen su erforschen, grosse Opfer an Bequemlichkeit 
nnd WohlUen bringen. Boch waren auch diese sieben mageren 
Jitee von Episodflii dos iasseten Wohlbefindens« ja des Glanaes 
docdisetst« -Denn i^om Beginae des Jahns 1850 an, war Faoli 
swes Jahre lHag^ FrivaAsecfetax des preassischen Gesjindten Fteihenn 
von BiuMisii in X^Midofi. Darob die Biogriqpihieen Bansens und 
sehMr edlen Frau ist das Leben,, das sidi damals ia dem gast- 
Uchen von der geistcgen Slito der Welt aa%esachlen Hanse enl- 
wichelte und welches aameatiidi ha Winter 1850 aaf 51 ^ 
Bnnseoscfae FkmiUe» besonders üSr die jüngeren Glieder eiaevZeit 



XII 



Zur Erinnerung an /leinhoiä Fatfiü 



grossen Genusses war", bekannt genug. Pauli, der den Haus- 
herrn bei dessen wissenschaftlichen Arbeiten sowohl als in seiner 
amtlichen Thätigkeit in imtentfitzen hatte, wurde als ein Zuge- 
höriger der Familie angesehen. Stets erinnert» er sich daher auch 
mit Freude und Dank der vielseitigen Anregung , welche ihm die 
nahe Veiirindang mit einem so reichen und UebenswOrdigen Geiste, 
einem so hochstehendta Staatsmanne wie Bmssii» Ar sein ganses 
Leben eingetragen hatte. Von dieser Dankbarkeit mid seteem 
Frehnuthe sugleich hat Pauli in dem schönen Lebensbilde des 
berfiOmiten Mannes, das wir uaten anm Abdrodce bringen, ein 
Zengniss abgel^ und Bunsen und sich selbst ein ehrendes Denk- 
mal gesetzt Auch die Familie Bansen befaidt den gedreocn 
Secretftr in gutem Andenken. Im Jahre 1856 schrieb TOn 
Bmtsen von Bonn aus mit freudiger Theihiahme an dem Wohl- 
befinden Pauli's nach Heidelberg an ihren Mann. Die guten Be- 
ziehungen der Familie zu Pauli haben bis zu seinem Tode fort- 
bestanden. 

Bildete der Aulenlhalt im Bunsenschen Hause für Pauli den 
Höhepunkt seines Lebens in England, so war der Rest Arbeit, 
viel Arbeit und Entbehrung. Doch zog er Beides einem längeren 
Verbleiben in seiner angenehmen Stelle vor , weil er auch in ihr 
nicht die nöthige Müsse für die Arbeiten finden konnte, in denen 
er nun einmal seine Lebensaufgabe gefunden hatte. 

Seine Studien zur Geschichte des britischen Inselreiches hatte 
Pauli mit der Epoche begonnen, in der der Contact Englands 
mit der germanischen Welt entsteht, der angelsächsischen« Nicht 
chae Einiluss auf die Wahl des ersten Gegenstandes, den er aus 
ihr ausgiebiger zu erforschen mid darzustellen begann, waren die 
Ereignisse der Jahre 1848—50. Zu schÜdem, wie Kfinig Alfred 
der Grosse sem Volk ans venram&eii imiereii Zostftnden md den 
Bedrängnissen der dünischen IhTaaioii heraus gerettet, sn einer 
staatlichen Einheit snsammengefiust md Cnlto* und BÜdtmg ihm 
gesichert hatte, dies erschien Pauli in jmen Jahren grosser natio- 
naler Aspirationen und schwerer poütisdier Enttäasclmngeii fSr seine 
Heimath als eine lockende Avdig^h^ deren Ldstmg auch auf seine 
patriotische Stimmung eihebend ond stärkeiftd ehiwirken wMe. 
Ans dem gedruckten mid ungedmckten Qnellramaleilale, das er 
sich gani su eigen gemacht hatte, aiheüsle er nach den Gnmd» 
Sätzen der deutschen historischen Schule die von Sagen umflossene 
Gestalt des herrlichen Mannes in ihrer Reinheit und Grösse in 
sicheren und i^ünstlerischen Umrissen heraus. Die Darstellung 



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hat desshalb auch allg^neinen Beifall gefunden. Das Buch ist 
äl's Englische übersetzt worden. In Deutschland sprach kein Ge* 
ringecer als M. Lappenberg, der bis dahin als der grfindüchste 
Kenner der englischen Geschichte hier gegolten hatte, sebie voUe 
Anerkennung desselben aus und kflndjgte gkschzeitig an, dass er 
in Pauli den gee^eten Fortsetzer seines eigenen Geschichtswerkes 
gefimden in haben glanbe» da ihm ein schweres Augenleiden seine 
Gesddcbte Englands an vollenden nicht gestatte. So ist die 
Geschichte Englands von Lappeoberg und Pauli entstanden, welche 
einen der wertfavollsten Bestandtiieile der grossen CoUectioli von 
Gescbichtswerken bildet, die unter dem Namen der Heeren-Uckert- 
Giesebiechtscfaen Sanmihmg aOgemein bekannt Ist Hatte Lappen- 
berg seine DaisteUung nur bis aar Ifitte des iz, Jafafhunderts, bis 
aar Thronbesteigung des eisten KdmgB ans dem Hause Planta- 
genet in iwei misilgen Binden hecahfihcen können, so vollendete 
Pauli die Geschldite des eogliscfaen Mittelalters bis smn Tode 
Heinriche VIL (f 1509) in drei umfangreidien Binden, welche bis 
aom April 1S58 fitfUg gedruckt vorlagen. Sie enthalten ein töch- 
tiges Stock deutMrhen Gelehrtenlleisses. * Denn war auch, ala Panli 
sich an diese Arbeit wagte, schon Vieles von englischen Forschem 
geleistet, viele QuellenschriftsteUer und aahfaekhe Urkunden ver» 
ölfentUcht, so ibhite doch noch gar Viebs, das &r ehie die unge- 
mein wechselnde Geschichte des englischen Mittelalters gleteh- 
miasig beliandelnde Darstellung aus Archiven uad-BMotheken noch 
an durchfonchen war. Und wie reldilich ffieseen doch gerade tät 
die englische Geschiehle des MittelaHecs die Quellen I Als Pauli 
sich an die Aibeit machte, war, um nur ein Beispiel anauiSbren, 
diePüblication des grossen SaounelweriBes fifar die mittolaHeclich'en 
C hiOM i HB n Englands noch nicht begonnen; die Urkunden waren 
noch nldit ao vollständig verseiclmet und centraUsirt als heutigen 
Tages. Es bedarf auch far den Laien in historischen Studien 
keiner weiteren Ausführung, dass es damals also viel schwieriger 
war, eine zusammenfassende Geschichtserzählung zu liefern, als jetst 
Umsomehr muss man die Energie und Arbeitskraft Pauli's bewun- 
dern, mit der er in wenigen Jahren das zerstreute, fast unerschöpf- 
liche und spröde Material bewältigte und in eine feste Form um- 
goss. Natürlich hat er dann aber auch von dieser angestrengten 
Arbeit Früchte geerntet, wie sie dem Historiker nicht zu erwachsen 
pflegen, der auf schon geebneten Wegen eiuherschreiten kann. 
Seine Geschichte Englands ist durch ihre Quellennachweisungen 
zu einer Geschichte der englischen Historiographie des I^IiUelaiters 



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XIV Zur Mrinntrung an ReiMhold Pauli. 



geworden ; sein Arbeiten nach Urkunden und Handschriften hat 
ihn zu einem ausgezeichneten Kenner der Diplomadk und Paläo- 
graphie gemacht. 

Und das was Pauli so erforscht und zusammengearbeitet hat^ 
ist in seiner Darstcihmg nicht Rohmaterial geblieben. F'ühlt man 
es seiner Erzählung an , dass sie überall auf die ersten Quellen, 
suröck geht, hat sie sich den Duft originaler Forschung bewahrt^ 
so ist sie doch nichts weniger als formlos. Nach den Grundsätzen, 
die für das grosse Sammelwerk, von welcher sie feinen Theil bildet, 
einmal die massgebenden waren, ist die Erzählung eine, man 
möchte fast sagen, annalistische. Dadurch aber ist eine Gnqypofe» 
bildung nach sachlichen Gesichtspimkten nicht anflfgetchlossen tmd 
die strenge chronologische Erzählung der änderen geschichtUcfaen 
Thatsachen, welche in schiachten aber zutreffenden Worten 
geben wird, scbliesst eine lueammenfassende Darstellung der inneren 
Entwicklung, des Verfassi]ii|p8lebens , des Handels und Wandels, 
der religiös-kirchlichen Fragen in eben so Imappen Umrinen ab. 

Neben den Vorstudien zu diesem Werke, welches die wissen- 
schaftlich bedeutendste Leistang, die Pauli zum Abschhiss gebracht 
hat, bleiben sottte, treten andere Arbeiten, die er in England 
nntemabm, gans soräck. Die Ausgabe des Werloes eines der 
irfihesten englischen Dichter, der Conlfessio vsofäSbk des John Gower 
in drei Bänden ist fireilich eine treffliche kritische Leirtnng. Aber 
immerhin hat er sie wie die Anfertigung von Absdnülcii emer 
Ansahl von Urkunde bot mittelalterlicben engüsch-deatscfaen Ge- 
schichte, welche er im Anftrage d«r Berliner Akademie besoigte, 
und andere kleine Arbeiten, nor untsroammen, nm sich die Snb« 
sbtensmlttel fa seinen Aidbntiialt in England su ergänsen. 

Die Rflcksfcht auf eine gesicherte ftosseie Stellnng, die sich 
ihm in England nidit an bieten schien, war es denn anch, die üin 
nach Deutschland smrflcktricib. Dazu kam dass sr sidfa, so viel 
treue Freunde er dort gefimden hatte, doch wimensdiafifich isolirt 
fiahlte. So beschlois er sich denn hn Sommer 1655 in Bonn, als 
Privatdocent fBr Gssdiidilb so haUKtireD und sein Glflck in einer 
der in Deutschland *flblidien Laufbahnen sn veisncfaen. Er AomI 
sich hierin auch nicht getiasdit Nachdem er nur swet Semester 
in Bonn gelesen hatte — denn den Winter 1B56— 57 verbradite 
er auf eine Einhidung König Maximilians n. von Bayern hin in 
äusserst anregender Umgebung in Manchen — wurde er Ostern 
1857 als ordentlicher Fkofiassor der Geschichte nadi Rostock 
berufen« 



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Zur Erinnerung an Reinhold Pauli. 



XV 



Die erste feste Anstelhing, die Pauli hier gefimdflii Jiatte^ 
ermögfichte es ihm anch an die Grundong eines eigenen Haas- 
Standes zu denken. Zu seinem grossen Schmerze musste er es 
aber erleben , dass ihm seine jonge Fran, Anna geb. Ulrichs ans 
Bremen, mit der er sich kurz nach seiner Bernfong nach Rostock 
verlobt und im Sommer 1857 verheirathet hatte, bald wieder durch 
den Tod entrissen wurde. Dieser schwere Verlust Hess Paoli in 
Rostock nicht recht heimisch werden. Haben die wenjgm Ange« 
hdrigen dieser Universität, welche jetst noch ans seiner Zeit dort 
vorhanden sind, ihm ein freondttcfaes Andenken bewahrt, so wissen 
sie doch aicfat viel Ton Ann in berichten. Der Heimgang seiner 
jungen Fnm trieb ihn ganz in seine Studien sorddL Trots des 
Maageli oa geiefarten Hilftmittdn, der in Rostod^ sdiwerer aof 
äm als irgend sonst wo lastete, vollendete er hier rasch den 3. Band 
seiner engtischen Geschichte nnd folgte 1859 gern einem Rnfe, 
der ihn als Nachfolger M. Dankers ans Täbingen angekommen 
war. Hier hat er dann mm sweiten Male sich einen Hausstand 
gegründet, indem er sich im Frflhjahre 1660 mit der jfingeren 
Sdiwester seiner versto i bmacn Fian, Elisabeth Ulrichs, veilieiratfaete. 
Bsei Tdditer wurden ilm dann hier geboren, denen ehw vierte 
in Maiboig nadigefolgt ist Sie haben simmtlich ihren Vater* 
fiberlebt 

Der Anienthalt Fftnlfs in Tfibingen ist in mancher Besiefanng 
fSr flm wieder an einer Reihe von Lehrjahren geworden, £r hatte 
sich bis dahin doch wesentlich nnr mit englischer Gesddchte und 
Literatmr beschäftigt Griff nun sehie Lectflxe auch weit dber 
diese famans, so hatte er sich doch grosser GdMste der Geschichte» 
fiber ifie er Vorfesungen an halten hatte, noch nicht selbständig 
bemächtigt Seins Stelking als Mitglied der staatswissenschaft- 
lichen FacttHät, welche er erst später mit der eines Angehörigen 
der philosopfaiscben Facultät vertauschte, ndthigte ihn nun sidt 
anf bisher nichtbetietetten Wegen an veMchen. Als Nachfolger 
M. Dnnkers, der in seinen Vorlesangen an Tfibingen ans der Fälle 
seines nniversaUiislorisdien Wissens gnsdidpft hatte, üKkte Panli 
anfimgs aneh.in>TiSbingen einen sdiweren Stand. Dana iamiy dsüss 
damals die schwiUsdie Hodnchule fest nur von BÖddmtschen 
Stndentan beanelit war, denen Panli's stark norddeutsches' Wesen 
und esin entschieden festgehaltenes und laut ausgesprochenes po- 
litisches Glaubensbekenntniss im Allgemeinen wenig behagte. Doch 
versammelte er nach und nach eine immer stärker anwachsende 
Zahl von Zuhörern um sich, deren Grundstock die Mitglieder des 



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XVI 



Zur Erinnerung an Reinhold Pauli. 



histonscheii Seminars bildeten. In den Uebtmgen mü diesen, bei 
denen sich sein halfbereites, fteondliches EAtgegenkorameii rechl 
setgen kannte, entfiütete er sein leiches, stets pcftBentes WJflsen 
am deutlichsten, wie seine Gewaaddiait im Vortnfs am glftiimid- 
sten in den Vortrigen hervortrat, die er vor dasm gemischten 
PabJicmn hielt Die Klaih^ nnd Bestfoomtfasit des Ausdrucks, 
die spielende Leichtigkeit im Ueberwinden der nnsstt e n Scbwierig- 
keiten des anscheinend gans freien Voitaigs, die Lebendigkeit, 
man mddite sagen, sicfaere Heitofkefl dor glasen Rede, teitetstea 
jeden Hörer in eine angeregte Stimmung, in der er sidi gans dem 
geistigen Genuss des Vortrags überlassen konnte. Derartige Vor- 
träge Anderer mögen tiefer gehend, künstlerischer angeordnet, 
reicher mit Pointen und glänzenden Stellen ausgestattet gewesen 
sein, es haben auf mich und viele Andere keine so den Eindruck 
der Unmittelbarkeit gemacht als die Paulis. Seine ganze Persön- 
lichkeit spiegelte sich in ihnen ab ; er sprach vollkommen wie er 
war. Und darum haben sie auch niemals des Beifalls entbehrt. In 
Tübingen, in Marburg und Göttingen gehörten die öffentlichen 
Vorträge Pauli's entschieden zu den beliebtesten. Man hat ihn 
daher auch schon von anderer, auch hierin sehr competenter Seite 
„einen Meister" in diesen Vorträgen genannt und von „dem Ent- 
zücken" gesprochen, mit dem sie seine Hörer erfüllt hatten. 

Da Pauli sich seinen Berufspflichten in Tübingen mit dem 
grössten Eifer untersog, auch als Mitglied des Senals an der Ver- 
waltung der Universität lebhaften, wenn auch nicht äusserltch hervor- 
tretenden Antfaeü nahm, ferner sich an dem geselligen Leben der 
Collegen, das er durch Emrichtnng von GeseUscfaafisabenden, an 
denen Vorträge gehalten wurden, geistig sn beleben bemäht war, 
gern bethemgte, so unterbrach er die Fortsetsung der eagüschen 
Geschichte. Das ungeheuere Material aar Geschichte Heinridis Vin. 
m sammeln und su bewältigen, das sduen ihm sebat in Tikbingen, 
wo efaie trefflkhe Bibliothek ihn nnterstatal hätts^ aicfat gut mög- 
lich. Ein später gehobenes Missverstandniss mit seinem Verleger, 
die Abneigung sich der annalistischen Behandlung der neueren 
Geschichte Englands anzubequemen, kamen noch dazu, um die 
Vollendung des Werkes in weite Ferne zu rücken. Dafür war Pauli 
in Tübingen um so fleissiger kleinere Monographieen zur engli- 
schen Geschichte für wissenschaftliche Zeitschriften zu schreiben 
und eine Sammlung von älteren und neueren Arbeiten zusammen- 
zustellen, die für ein grösseres Publicum bestimmt war. ,,Die 
Bilder aus Altengiaad*', welche 1860 zuerst erschienen, 1S61 ia's 



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Zur Erinnerung an Reinhold J^auli* 



xvn 



Englische übersetzt sind und 1876 eine zweite umgearbeitete Auf- 
lage erlebt haben, waren die reifste Frucht dieser Thätigkeit, 
während die wissenschaftlich bedeutendste die Monographie über 
Simon von Montfort, den Schöpfer des Hauses der Gemeinen, 
bildete, die er seinem Lehrer L. von Ranke X867 ZU dessea fünf- 
zigjährigem Doctorjubilaum darbrachte. 

Doch auch eine mehr darstellende Erzählung einer wichtigen 
Epoche der englischen Geischichte sollte in Tübingen noch zum 
guten Theile vollendet werden. Für die „Staatengeschichte der 
neuesten Zeit", welche S. Hirzel in Leipzig verlegte, hatte Pauli die 
englische Geschichte übernommen. £r vecfaeblte sich die Schwierig- 
keiten nicht, die mit jeder Darstellung einer Geschichtsepoche ver- 
bunden sind, die wir noch die unsrige nennen können. ,Je mehr 
die Darstellung zur Geschichte der eigenen Zeit wird", sagte & 
selbst einmal, „desto weniger lässt sich der Stoff, auch wenn er 
endlich einigermassen zur Verfügung steht, packen und nach 6eSL 
Regeln witaenschafil icher Methode und historischer Kunst ver- 
wenden. Man hat das Gefühl, als ob man mit heisser Lava nnd 
kaum mit Material zu thon habe, das angegriffen und behauen 
werden kann." Nichtsdestoweniger machte sich Pauli mit gewohnter 
Energie an das Werk. Innerhalb elf Jahren hat er die englische 
Geschichte von 1 815 bis 1852, von dem Schlüsse der französischtfi 
Revoltttionskriege l^ mm Beginne des Krimkrieges in drei statt- 
lichen BiBdcn eniUt* Dietei Werk hat wohl Pauli's Namen m 
weiteien Kreisen am bekanntesten gemacht Und das mit Recht. 
Denn m ihm Ist auf Grund der genauesten Keptitnlas von Land und 
Lentan mtd mit Zuhilfenahme von vorzüglichem, bis dahin noch 
nicht benntstnn Materiale eine Geschichte des Inselreichs, setner 
nngehenren Macfatent&ltttng nach Aussen und seiner unaufhaltsam 
alch voUaiehenden inneren Umgestaltung gegeben, wie wir nur 
von ein bb awei ausserdeutscfaen Lindem ähnliche beaitsen. In 
gewissen Kreisen, in denen man bis vor Kuriem wie auf gegebenes 
Cofnmando hüi mit Russland coquettirte, und nicht genug von dem 
nnansbleibUchen Rückgänge Englands und dessen heillosem parla- 
mentarischem Regime in weissagen wusste, hat das Werk natür- 
lieb nicht viel Beifall gefunden, obwohl oder vielleicbt gerade weil 
es den Untergang der ariatokratischen Grundlagen der parlamen- 
tarischen Regierungsform und des bestimmenden Eiuflttsses der 
Krone in England beklagte. 

Die Vonede des zweiten Bandes dieser englischen Geschichte 
Ist im April 1867 noch von Tübmgen aus datirt Ihr Autor hebt 
PMU, Asiutra. v.r. b 



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xvm 



m 

hier in dah letiten Satte hervor, dan es ihm nur möglidi ga- 
.wesen sei*, den voriiegeaden Band in Folge „eSom ihm in jeder 
Besidrang erwünschten Mnsse" so nbmMhBesgen, wie er seL 

Das Ereigniss, das Pauli diese Masse gewilirte, mag hier 
mit den schlichten Worten einer sdnes Irenen sfiddentschen Freunde 
ersählt wsfden. 

„Der Amchlnss an Rreussen galt bei Pauli ftr Jeden National- 
gesinnten als selbstveistliidUch. Zu dieser Ueberzeugimg hefcaimtft 
er sich auch nir Zeit des Krieges von 1866 mit rficksiditBloeer 

Freimfithigkeit. Wenn sich auf dem Bahnhofe in Tübingen während 
der entscheidenden Tage eine Gnippe sammelte, um die neuesten 
Zeitungen in Empfang zu nehmen, gehörte er zu dem kleinen 
Kreise derer, welche unverhohlen ihre Freude über die preussischen 
Siege aussprachen; das zog ihm manche Anfechtung zu. Der 
Aerger über die falsche Stellung der würtembergischen Regierung 
gab ihm nun den Anstoss zu einem Artikel für die „Preussischen 
Jahrbücher**, der im Augustheft derselben abgedruckt wurde. 
Dieser Aufsatz machte grosses Aufsehen und verletzte nament- 
lich in höheren Kreisen auf s Tiefste , fand aber auch unter sol- 
chen, die im Allgemeinen auf Pauli s Standpunkte standen, Miss- 
billigung. Es war dieses wohl begreiflich, da der Artikel in 
gereizter Stimmung geschrieben auch nicht ganz gerechtfertigte 
Voraussetzungen und Beschuldigungen enthielt. Bei der raschen 
und entschiedenen Weise, mit welcher Pauli denselben hingeworfen 
hatte, war ihm vorsichtiges Abwägen der Ausdrücke nicht in den 
Sinn gekommen. Es wurde natürlich vielfach nach dem anonymen 
Verfasser geforscht. Der Verdacht richtete sich vorwiegend auf 
Pauli. Der mit Leidenschaft auf antipreussischer Seite stehende 
Cultusminister Golther beauftragte desshall) den ebenfalls im Auf- 
satze angegriffenen Kanzler Gessler, Pauli zu fragen, ob er der 
Verfasser sei. Obgleich dieser wohl hätte eine ausweichemle .\nt- 
wort geben können, so war es ihm doch bei seiner gewohnten Auf- 
richtigkeit nicht anders möglich, als sich einfach zur Autorschaft zu 
bekennen. Golther suchte nun ein Gutachten des akademischen 
Senats zu erwirken, das ihm die .Absetzung Paulis ernidgiichen 
sollte. Dieser Versuch aber scheiterte an dem ablehnenden Votum 
der Majorität des Senats. Golther griff nun zu dem Mittel , das 
ihm verfassungsmässig zu Gebote stand, der Versetzung mit Bei- 
behaltung des Ranges und Gehaltes. Pauli wurde zum Professor 
an dem niederen theologischen Seminare zu Schönthal, in einer 
abgelegenen Gegend des Landes, ernannt. Diese Versetzung that 



Zur ßrimurung an RsmMd FauU, XIX 



sofort die beabsichtigte Wirkung: Pauli nahm seine Entlassung, 
blieb aber noch den Winter in Tübingen. Im Frühjahr folgte er 
einem Rufe nach Marburg, wo er dasselbe Gebalt erhielt, wie in 
Tübing^ Bald nach seiner Entlassung hatte er auch einen Ruf 
nach Dorpat erhalten, den er aber abldhnte.*' 

Pass Pauli nicht lange Jahre in Marburg verbleiben werde, 
war lei^ vomnssnsehen. Von allen deutschen Hochschulcni schien 
Göttingen mit seinen hannoverisch - englischen Beziehungen die 
gedigiielste m sein, ihn dauernd fest su halten. Schon vor Jahren 
hatte Pauli in TAbingen gegen efaien seiner Zuhörer diese Uni* 
veraitftt als die fBr ihn lockendste beaeichnet. Alt im Herbste 1869 
der Ifistoiiker Havemann dort starb, galt es daher von vornherein 
so ziemlich als ausgemacht, dass Pauli dorthin berufen werden 
würde. Da die philosophische Facultät Göttingens unter der Führung 
von G. Waitz sich auch für die Berufung von Pauli erklärte, er- 
folgte dieselbe schon für das Frühjahr 1870. Pauli ist dann auch 
dieser Universität bis an seinen Tod treu geblieben. Hier fühlte 
er sich ganz auf heimischem Boden, hier waren die Verhältnisse 
wie für ihn geschaffen. 

Die Georgia Augusta, von dem zweiten englischen Könige aus 
dem Weifenhause gestiftet, hatte sich die Pflege deutsch-englischer 
Beziehungen von jeher vor den übrigen deutschen Hochschulen 
angelegen sein lassen. Die Bibliothek der Universität war wie 
kaum eine andere deutsche mit Werken zum Studium Englands 
und seiner Geschichte versehen. £s herrschte an ihr eine gewisse 
Opulenz und ein Gefühl von Selbständigkeit» das wohl an eng- 
lische Einriditnngen erinnern konnte. Das« kam besonders ffir 
Pauli das. nahe YerhftltnisB» in dem er an seinem SpecialcoUegen 
G. Waits stand. Schon von früher her mit diesem. grossen Ge- 
lehrten befreundet» geetaltete sich jetit ihr.pectönUcher Verieehr 
auch bald auf das Wfinschenswertheste. „Pauli war alleseit der 
liebenswürdigste College, und «nsor Verfaältniss ist auch nie durch 
die kleinste Wolke getrübt worden, obschon unsere Auflfossong der 
pOlttiBcben Verfa&ltnisse, namentijcfa die ersten Göttmger Jahre, 
nicht gana die gleiche war^, schreibt der überlebende der beiden 
Freunde an mich. Nidit wenig, um Pauli gans in Göttingen eb- 
wurzeln zu lassen, trug dazu bei, dass seine Frau rasch ent- 
schlossen, während er noch zauderte, eine schöne mit alten, schat- 
tigen Bäumen eingerahmte Besitzung vor dem Geismarthore an- 
kaufte. Nachdem er dort eingezogen war, durfte er sich wohl mit 
manchem seiner englischen Freunde vergleichen, deren Cottage 

b* 



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I 



XX Zwr Erinntrung an Keinhold PomU* 



gleich seinem Hause ein Sitz heiterer Geselligkeit und emster 
Stadien war. Und Pauli begann wieder in Göttingen sich mit 
groeten Entwärte n tragen. Als ich ihm schon einmal in Mar* 
buig smedete, er möge doch eine Forteetwing seiner englischen 
Geschichte in Angriff nehmen, da sprach er es als ein Lebenesiel 
ans» die Gesdiicfate des engtischeo Retomattoniieitaltets hi mög- 
lichst breiter tmd fiurbemeidiir AnsfSbrong rar Dmtflllmg m 
bringen. Wer sehie kritlwh-llterarischeB Pabificationeii aofiaer^ 
samer verfolgte, konnte auch leicht be umhen, wie er allen nenen 
Ersdielnungen anf diesem Gebiete s oi gsam ntdiging. In Göttfa^gen 
trat er, man mOdite £wt sagen, tastend der ArnftthniBg des Phnia 
nfiber. Das Fragment zur Geschichte HslarlGhs VHI., das mit 
hier veröffentlichen, wie ein sweüer ausgefährter, schon gedruckter 
Aufsatz zu derselben Periode, sind neben anderen mehr kritischen 
Arbeiten in Zeitschriften die Zeugen seiner Arbeit auf diesem Felde. 
Dass er dasselbe wieder bald mehr verliess , wenn er sich auch 
nie ganz von ihm getrennt liat, hatte zunächst eine äussere Ver- 
anlassung. 

Für das grosse nationale Sammelwerk deutscher mittelalter- 
licher Geschichtsquellen, für die Monumenta Germaniae, sollten 
die betreflfenden Abschnitte der mittelalterlichen englischen Chro- 
nisten ausgewählt und in neuen kritischen Ausgaben zum Ab- 
drucke gebracht werden. Wer hätte hier sicherer und rascher 
helfen können als Pauli? Obwohl ihm die Edition von Geschichts- 
quellen nicht das Vergnägen bereitete, wie die Verarbeitung und 
Verwerthung derselben, so war er doch bald zur Hilfi» bersit und 
kehrte somit an Studien zurfick, welche er längst hinter skh ge- 
lassen hatte. Etaiiges von dem von ihm so beaibeiteten.Materiale 
ist schon veröfibntlicht worden. Aber der grösste Theil der Ar- 
beiten erwartet noch seine Pnblication, mh der Dr. Liebermann 
betraut ist 

Für einen Professor der Geschichte in Güttingen mnsste es 

nahe liegen, d^ Geschichte d» Erwerbung des englischen Thrones 
durch das Kurhaus Hannover näher nachzugehen. Arcfairalisdie 
Pubücationen, die erfolgten, während Pauli in Gdt Ün gen wirkte, 
machten in ihm den Wunsch do'ppelt lebendig, hier zu einer erschö- 
pfenden Kenntniss der Vorgänge zu gelangen, welche die Interessen 
Englands und Deutschlands so nahe berührten. Kr machte sich 
um so rascher an das Werk, als er in den Besitz einer Reihe Archi- 
valien ersten Ranges gelangt war, welche seit Spittler Niemand 
ausgenutzt hatte. £r steckte noch mitten in den Arbeiten zu 



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Zur Erinnerung an Reinnuid l'auii. 



diesen denkwürdigen Vorgängen, als der Tod auch hier wohl 
Begonnenes und schon weit und glücklich Gefördertes für immer 
zerriss. Noch die letzten Arbeiten Pauli's, wie die beiden hier 
abgedruckten Aufsätze 6 und 7, welche erst nach seinem Tode 
veröffentlicht worden sijad, bezogen sich auf diese hannoverisch* 
englischen Dinge. 

Nicht minder als für diese mehr dynastisch wichtigen Wechsel- 
beziehungen swischen England und Deutschland interessirte sich 
Pauli für eine ganz andere Reihe von Ereignissen, in denen das 
bdrgerhchtt Eloiiont Deutschlands zu seiner reichsten Entfaltung 
gekcmimen war und die gleichfalls m naher Verbindnng mit der 
Geschichte Englands standen. Hatte eine der frühesten Arbeiten 
PanlTs die ScUldenuig der grossen Handeteniederlassong der dent« 
sehen Hansa in London, des Stahlhofes, zu ihrem Vorwurfe, hatte 
er selbst Absdiriftsn von saldreichen Urknnden in den Archiven 
Englands, welche sich auf die HandelsbesiehuiigeQ Dentsclilands 
sn England im MitliBlidter bezogen, während seines frühesten 
Anfenthaltes anf der Insel genommen, wie hätte er die Grfindong 
eines Vereines nicht mit Freuden begrössen sollen, der sich die 
Erforschung mid Darstellimg der €reschichte des grossen deutschen 
Städtebundes der Hansa zum Ziele gesteckt hat? In der That 
ist Pauli eins der eifrigsten Mitglieder des hansischen Geschichts- 
vereins und dessen Vorstandes gewesen. Auf keiner Jahresversamm- 
lung der Gesellschaft fehlte er, hielt dann Vorträge und war mit 
Rath und That dabei. Noch am Tage vor seinem Tode war er 
auf einem derartigen Vereinstage in Hannover thätig. Diese 
Rührigkeit, welche Pauli in dieser Vereinslhätigkeit entfaltete, 
entwickelte er aber auch in allen den praktischen Geschäften, 
welche mit der Stellung eines Professors verbunden zu sein pflegen. 
Mit der grössten PünktUchkeit, Accuratesse und Sicherheit wurden 
die Geschäfte erledigt, welche akademische und halbakademische 
Aemt^ und Würden mit sich bringen. Als Kector der Universität 
als Vorstand des literaiisohen Museums u. s. w. war er der gewissen- 
hafteste ezacteste Beamte, der auch durchsngreifen verstand« wo 
ihm dieess nötfaig* sn sein sdiien. 

Bd der grossen, vielsektgen und frnchtbaren Thäl^luit, die 
Pauli entwickelte, konnte ihm auch die Anerkemmng nicht fehlen, 
die solchem l^^ken in der gelehrten Welt zu Theü wh-d. Nach- 
dem er schon 1857 coirsspondirendes Mitglied der Mflnchener 
Akademie gewoide n war, nnd die Göttinger Sodetät der Wissen- 
schaften 3m an ihrem ordentlichen Mitglied ernannt hatte, wurde 



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xxn • 



Zur Bfimurung an Rnmkoid FamU» 



er 1874 fast gleichzeitig zum L. L. D. von den Universitäten Oxford 
und Edinburg ernannt. Die London historical Society wählte ihn 
zu ihrem Mitgliede und nicht lange vor seinem Tode nahm ihn 
auch die Berliner Akademie unter die Zahl ihrer correspondirenden 
Mitglieder auf. So schien Pauli, dem man bei seiner Rüstigkeit 
und Lebhaftigkeit kaum ansah, dass er dem Schlüsse des sechsten 
Decenniums seines Lebens nahestehe , ein Alter in reichen Ehren 
und gesegneter Wirksamkeit als akademischer Lehrer und als fruciit- 
barer Forscher und Schriftsteller gesichert zu sein, als Allen uner- 
wartet ein jäher Tod ihn dahinraffte. Sein Gesundheitszustand 
war zwar die beiden letzten Jahre kein ganz befriedigender ge- 
wesen. Er hatte, wie er es ausdrückte, über gichtische Anfalle 
zu klagen. Sein Arzt hatte ihn im Herbste 1881 nach Karlsbad 
geschickt. Die Kur hatte aber nicht den erwünschten Erfolg ge- 
bracht. Er musste im Winter 1881 auf 82 wiederholt mediciniren. 
Aber Niemand in Göttingen, der ihn in der Woclie nach Pfingsten 
zur Versammlung des hansischen Geschichtsvereins nach Hannover 
hatte abreisen sehen , keiner seiner vielen Freunde , die ihn in 
Hannover begrüssten, hätte geahnt, dass seinem Leben so bald ein 
Ziel gesteckt sein werde. Von Hannover war Pauli am 2. Juni 
zu einem Familienfeste nach Bremen gereist. Obwohl er sich nii ht 
ganz wohl fühlte , nahm er doch an demselben noch ungestört 
Theil. In der Nacht vom 2. auf den 3. Juni hat ein Schlag^iinfall 
seinem Leben dann plötzlich ein schmerzloses Ende gemacht. 
Eine Untersuchung ergab, dass der rasche Tod ihn vor ftchweren, 
unheilbaren Leiden bewahrt hatte. 

Sieht man von dem schweren ^'erluste ab, der Pauli durch 
den Tod seiner ersten Gattin bereitet wurde , so ist sein Leben 
ein überaus glückliches gewesen. Es hat sich in auäteigender 
Linie bewegt und hatte das äussere Ziel erreicht, das sein Träger 
sich selbst gesteckt hatte. Wenn wissenschaftliche Anigahen, die 
noch zu lösen waren, nicht vollendet werden konntmi« so hahen 
wir selbst uns hierüber mehr n beklagen, als den verstofbeneäi 
Fkeundi dem es beschieden war, an der Schwelle des Alters an- 
gekommen, ohne dessen Kümmemisse zu kottumt in die ewige . 
Ruhe einzugehen und der Welt seinen Kamen in gesegnetem An- 
denken xu hinterlassen. 



Pauli hatte schon längere Zeit vor seinem Tode den £nt- 
schlnss gefasst eine neue Folge seiner »»Ausätze zur Englischen 
Geschichte" in den Druck zu geben und das auch gegen den ihm 



Zur Erimtirm^g Reinhold Pauli. XXIII 



befreundeten Verleger dflr vorliegenden Sammlung ausgesprochen. 
Aber seine Augen schlössen sich früher, ehe nur die erste Hand 
an die Ausführung des Plans gelegt war. Dass die Wittwe des 
Verewigten die Absicht ihres so früh verstorbenen Gemahls trotz- 
dem verwirklicht zu sehen wünschte, wird Jedermann begreiflicfa 
finden. Doch war es nicht ganz leicht hierbei das Rechte zu 
treffen und ganz im Sinne Pauli's zu ver&hren. Denn einmal 
machte die Auswahl der sn veröffentlichenden Aufsatze Schwierig- 
keiten. Und dann konnte man sich äbeneogt halten, dass der 
Autor derselben, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, sie selbst 
zu sammeln und neu herauszugeben, an ihnen manche Verände- 
nmgen angebracht haben würde. Sind doch manche Aufiätze der 
ersten Saminlang, mit ihrer ersten PnbUcation verglichen; ganz 
nmgearbeitet. Das konnte nmi für unsere Veröffentlichung in 
keiner Weise geschehen. Die Aofiätze mussten so gedruckt werden, 
wie sie von Pauli veröffentlicht oder im Manuscript hinterlassen 
waren. Dabei gereichte es uns gewissermaassen zum Tröste, dass 
der ungedmckte Theil unserer Sammlung, der ungefähr zwei 
Fünftel des Ganzen bildet, namentlich das grosse Fragment über 
die Anfänge Heinricfas Vm., von F^uU selbst ffir druckfertig ge- 
halten wordien ist. Denn einen Theil derselben hatte er mit ganz 
unbedeutenden, von uns benutzten Veränderungen in der „Deut- 
schen Rundschau** veröffentlicht 

F6r die Auswahl des Aufzunehmenden wurde der Gesichts- 
punkt maassgebend, dass Nichts gedruckt werden sollte, was Pauli 
vor 1869, dem Jahre des Erscheinens der ersten Sammlung, ge- 
schrieben hatte» Würde er Aufsätze oder Vorträge, welche er vor 
diesen^ Zeitpunkte abgefosst hatte, noch einmal haben veröffisot- 
Uchen wollen, so sagte ich mir, so würde er diesen wohl schon 
in der ersten Sammlung eine Stelle eingeräumt haben. Vielleicht 
ist diese Erwägung eine irrige gewesen, und bei dem Wunsche, 
namentlich einige ehizeln erschienene Reden und Abhandlungen 
vor unverdienter Vergessenheit zu schützen, habe ich mir wieder- 
holt die Frage vorgelegt, ob dieselbe ausschlaggebend sein dürfe. 
Schliesslich bin ich aber doch bei ihr stehen geblieben. Denn 
sie war der Grundstimmung, welcher diese Sammlung Überhaupt 
ihre Entstehung verdankt, der Pietät gegen den Verstorbenen, 
entsprungen. 

Aber auch aus den Aufsätzen, welche Pauli nach 1869 ge- 
schrieben und veröffentlicht hatte, war noch eine Auswahl zu 
trelTcn. Ob ich hierbei richtig verfahren bin, vermag ich nicht 



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XXIV Zur Erinnerung an Reiuhold BamM. 



zu sagen. Für den \'ortrag über Heinrich V. war ich persoalich 
sehr eingenommen, da ich ihn selbst gehört hatte. 

Wie die erste Sammlung mit der Charakteristik eines zum 
guten Englander gewordenen edlen Deutschen abschliesst, so ist 
auch der letzte Aufsatz dieser einem Manne gewidmet, der ein 
geborener Deutscher durch Familien Verbindung und Lebensstelhms- 
zu einem treuen Vermittler zwischen Deutschland und Englantl 
geworden war. Es schien mir passend diesen Abschluss einer 
Sammlung von Aufsätzen zur englischen Geschichte zu geben, 
welche von einem Manne herrährte, der wie Wenige seiner Zeit- 
gtti o asen auf dem Gebiete englischer Geschichte heimisch ge* 
worden war, ohne doch aufzuhören vor allem ein guter Deutscher 
SD seiiL Das und die persönlichen Besiehongen Pauli's zum Frei* 
herm von Bansen liessen mich davon absehen, dass diese Charak« 
teriatik m einem so allgemein zugänglich» Werke, wie die „All- 
gemeine deutsche Biographie" ist, veröfTentiicht war. Die kurze 
Darlegung der „Confessionellen Bedenken u. s. w." (S. 379 n* f.) 
hat darum hier eine Stelle gefunden, weil sie in einem, nament* 
lieh für englische Leser nicht leicht zugängUchen Fachblatte, der 
„Zeitschrift für Kirdienrechr' Band XVHI abgedmckt war. I>ie 
än%en hier gesanunelten Anlkätse sind, so w«it sie idion ge- 
druckt waren, den Zeitschriften „Im neuen Reiche** (No. i u. 8), 
den „Preussischen Jahrbüchern" (No. 2) und der ,J)cml>chen Rund- 
schau** (No. 5 u. 6) entnommen. För die Gestattnng des Wieder- 
abdrucks sage ich den betreffenden Herm Verlegern den betten 
Dank. Hemi Dr. F. Liebennann, der bei der Ccnector midi 
treulichst unterstOUt hat,' verfehle idi auch hier nicht henUdi sa 
d f ink fiP i 

Halle im September 1883. . Dr. O. Hartwig. 



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DURHAM. 



In allen Tagen der Geschichte hat dasjenige Gebiet des 
northumbrischen Englands, das, von einigen Aesten des pen- 
ninischen Centrairückens und vielfach gewundenen Wasser- 
adern durchzogen, mit lange ungeahnten Mineralschatzen in 
seinen Eingeweiden die felsige Stirnsote nach der Ncoxlsee 
hinausstreckt, auf die engeren und weiteren Greschicke be- 
stimmend eingewirkt. Hier stützte seine rechte Flanke auf 
günstige Bodenverhältnisse jener Pictenwall, den das Kaiser- 
thum Hadrians zum Schutz der römischen Colonie in Bri- 
tannien wider den Sturmlauf unbezwungener Stämme des 
Nordens quer über die Insel warf. Seine behauenen und 
beschriebenen Steine, die in Mengo ausgegraben werden 
oder in altem Gremauer stecken, deuten auf eine Epoche 
früher, lange dauernder Gresittung zurück. Hier gewannen 
dann wieder mit der niederdeutschen Besitzergreifung die 
Angein den kräftigsten Halt gegen die in Rasse und' Glau- 
ben ihnen in alle Wege widerstrebenden Kelten. Wie fast 
überall an hart bestrittenen Marken zeitigte das Germanen- 
thum auch hier besonders reife P'rüchte. 

Unmittelbar aus der Begründung einer jungen streiten- 
den Kirche durch König Oswald und den Schotten Aidan 
von St. Columbans Insel entsprangf in Northumbrien an einer 
Reihe heiUger Stätten jene berühmte Pflanzschule für die 
übrige germanische Welt, deren Sendboten weder vor der 
Wildheit des Meeres noch dem Trotz der Menschenseele 
zurückbebten, um zugleich mit der Rechtgläubigkeit eine 
schulmassige Saat der Bildung auszustreuen. Nicht von un- 
gefähr weisen die dürftigen Anfange festlandischer Jahr- 
bücher seit dem siebenten Jahrhundert auf das kleine Eiland 

PmU, AsMiM. H. F. 1 



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2 



Jhtrkaim. 



Lindisfarne zurück, das Stift des Ii ei litten Cuthbert und seiner 
Mitstreiter, die, wie Aidan, Finan, Colman, sogar noch un- 
deutsche, keltische Namen tragen. Nicht von ungefähr lebte 
und wirkte dann der Begründer umfiissender Forschung» der 
grosse Lehrmeister der Germanen und Romanen , der ehr- 
würdige Baeda, in zwei kleinen monastischen Hausem am 
Wear, dessen Wasser die steile Hohe des Crossfi^ mit dem 
stOrmischen Meer in V^bindung setzen. Hier gedieh, von 
allen Störungen der Natur und der Volker unbeeinflusst» 
durch kdne Lockungen der fernen Aussenwelt abgezogen» 
jenes Studium, das im Dienste Gottes und der Kirche feste 
chronologische Regeln entwarf und Mustser zu den ver- 
schiedenen Gattimgen der Geschichtschreibuiig auistelltew 
Gleich dem grossen Weltweisen von Konit^sberg hat ßaeda, 
der noch Vergangenheit und Cxegenwart zu umfassen strebte, 
die eng^e Heimath an der äussersten Grenze seines Stammes 
niemals verlassen. Mochten die Könige der Sachsen und 
die Bischöfe Roms ihn noch so oft einladen . da . wo er 
gelernt und gelehrt, wollte er auch sterben. Mit dem letzten 
Federzuge, der den Schluss des JohannesevAngeliums in. 
sein geliebtes Anglisch übertrug, hauchte er, wie eine artige 
- Erzählung berichtet, das Leben ans. Um so heller und 
wärmer leuchtete jene stille Werkstatt der Cultur noch im 
Zmtalter Karis des Grosseo, bis bald bemach die zerstö- 
rende Wutlt der Sca ndinav cn mit ausgesuchter Grausamkeit 
gerade auf diese kirdienreidie, anbetungsvolle und Studien- 
frohe nordenglische Landscbaft fieL Die Stiftung St CuÜi- 
berts und die Kloster am Wear sdnenen in dem Unter- 
gänge des nationalen Kdnigtfiunis begraboi. Nur in 
unendWchen Fihmissen wurden die G^>eine des Heiligen 
n^ wenigen kostbaren Geräthen und Büchern vor der 
Beutegier der Vikinge über Land und Meer zu den Iren 
und den Westsachsen gerettet, bis sie nach vielen Irrfahrten, 
als auch die Dänen, von Aelfred dem Grossen besiegt, den 
Anfang mit der Taufe machten . wieder auftauchten. Im 
Jahre 883 \%*urde der Bischofsstuhl von Lindisfarne zu Cune- 
gaceaster. heute Chester le Street, einem kleinen Ort am 
Wear auf römischem Untergrund, wieder aufgerichtet, wo 
er in den wirrsten Zeiten Nortbumbriens ein kununerlidies 



Durham. 



3 



Dasein fristete, bis ihn 995 Bischof Ealdhim mit voraus* 
schauendem Blick etwas weiter stromauf dem Gelurgsland 
zu auf einen von der Natur lur Sicherung und zur Herr» 
Schaft vorgezeichneten Fleck verlegte. 

Da, wo der Strom schroflF nach Süden ausbiegt, erhebt 
sich lang und schmal ein hoher Felsrücken, gleich einem 
Vorgebirge auf drei Seiten von Wasser umflossen , Dunel- 
mimi, Durham, bis dahin noch unbewohnt und von dichtem 
Wald bewachsen, wie denn auch heute noch dem Wear 
ein schöner Baumschlag verblieben ist. Steil steigt das 
Gelände vom Ufer enqpor, so dass eine oben begründete 
Niederlassui^ leicht zn vertheidigen war, und endlich die 
aus besseren Tagen herübergeretteten kostbaren ReUquien 
St. Cuthberts sidi vor doi vm die Obergewalt im Lande 
ringenden Dänen und Schotten bergen konnten; Es dauerte 
nicht lange, so entstand quer über die Breite der natür- 
lichen Halbinsel ein stattliches Münster und nach Norden, 
zu beiden Seiten an den Fluss sich lehnend und mit den 
nöthigsten Befestignangen versehen, die Stadt. Als sich im 
elften Jahrhundert die Schottenkönige Malcolm und üuncan 
nach einander an ihr versuchen wollten, wurde ihr Anlauf 
von den Bärgem heldenmüthig abgewehrt, die Köpfe der 
erschlagenen Feinde, wie es der Rassenhass erforderte, in 
grauenhafter Reihe auf dem Markte aufgepflanzt Der 
Bisdiof aber in engster Verbindung mit dem Capitel und 
der jungen stftdtiscfaen Ordnung refxräsentirte hier «of einem 
vorgeschobenen Posten christildie und germanisclie Herr- 
schaft. Die Kanoniker seines Stifts Hessen sich angelegen 
sein, die verehrungswürdigen Gebeine der zahlreichen Be- 
kenner und Lehrer aus der vorscandinavischen Blüthezeit 
der northumbrischen Kirche, darunter auch Baedas, aufzu- 
spüren» um sie in ihrem hoch und sicher gelegenen Gottes- 
hause beizusetzen. Nur noch einmal, als Wilhelm der 
Eroberer auch den Nord^ überzog, um unter den anglo- 
dänischen Gewalthabern mit Furcht und Schrecken aufim- 
rSumen, glaubte Bischof Aethelwine den Stiftsheiligen an 
der ursprünglichen Stätte, auf dem von den Meereswogen 
imisptOten „heiligen Eiland" bergen zu müssen. 

Indess eine vollständige Umwandlung, die B^fründung 



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4 



Durham. 



fester politischer Zustände in diesen hochwichtigen Grenz- 
strichen war doch im Anzüge. Die Synode von A\'in- 
chester zu Ostern 1070 griflf wie über die ganze englische 
Kirche auch hier hinaus. Als jener Bischof, sein Münster 
feige im Stich lassend, gar über das Meer nach Köln ent- 
weichen wollte, gerieth er dem gewaltigen Herrscher In die 
Hände y der ihm dann in kurzem der neuen Kircheiqiolitik 
gemäss in dem Lothringer Walcher einen Nachfolger be- 
stellte und diesen durch den norllnmibrischen Grafen in 
sdn Stift emfuhren liess. Als dami bald bemach im 
Sommer 1072 'Willidm selber ober den Fordi nach Novden 
gezogen war und Malcolm, den Schottenkonig, zu seinem 
Vasallen gemacht hatte, sorgte er, durch Nordrambrien 
heimkehrend, für Befestigung seiner Macht, wie er es 
gewohnt war. Da wurde an dem zwischen tief einge- 
schnittenen Felswänden breit seiner Mündung zuströmenden 
Tyne auf dem Untergrunde von Pens Aelii das „neue 
Schloss", Newcastle, gegründet. Da legte der Eroberer 
auf jenem Felsrücken am Wear den Grundstein zu der Burg 
von Durham, nicht für sich selber oder seinen Grafen, 
sondern für den fremden Bischof, damit er mit seinen Kle- 
rikern vor den höchst imruhigen Zustanden der Landschaft 
eine bessere Zuflucht habe als ehedem. So entstand der 
An£eing zu einem grossartigen und wahrhaft monumentalen 
Bau, in welchem sich die bevorzugte Herrscherstellung 
gmde dieses Bischofesitzes voll ausdrucken sollte. Denn 
wie jShen Schrecken audi der verwüstende Zug des Königs 
in Nordengland hervorrief, wie consequent er auch dies 
Gebiet in sein hartes Steuerwesen einzuzwängen trachtete, 
er war doch wieder weise und erleuchtet genug, alle locakn 
Rechte zu schonen und selbst zu fordern, weil er in einer 
festen Vobindung mit dem Kirchenmann, dem Vorkämpfer 
christlicher Gesittung-, die einzige Macht erkannte, um auf 
die Dauer anglodänische Turbulenz und schottische Raub- 
züge abzuwehren. Er hat sogar die gräflichen Rechte auf 
Bischof Walcher übertragen, welcher seinerseits, obwohl 
selber Weltpriester, den Monasticismus , die Trabanten der 
streitenden Kirche, eifrig zu fordern begann. Und trotzdem 
ist Walcher 1080 in einem schrecklichen Gemetzel zu Grunde 



Dur h am. 



5 



gegangen, worauf dann der König einen Normannen 
Wilhelm, bisher Prior des Klosters St. Carilef in Maine, 
berief. 

Dieser ihatkräftige , einsichtige imd geschmackvolle 
Mann sollte nun aber Werke schaffen, die in der Baukunst 

wenigstens seinen Namen unsterblich machen. Zunächst 
beseitigte er die regulären Kanoniker aus dem Capitel seiner 
Domkirche und setzte BenedictinermÖnche an deren Stelle. 
Er holte sie herbei aus den jüngst als Klöster wieder er- 
standenen Arbeitsstätten Baedas, aus Jarrow und Wear- 
mouth» die fortan zu Zellen der grossen Priorei von Durham 
herabsanken. Der Ghrundbesitz der Mönche wurde nunmehr 
in bestimmter Sonderung von dem des Bisthums verwaltet 
Allmählich aber wurden von beiden Seiten die lifittel flfissig 
gemadit, um an Stelle des alten, einst von Bischof Ealdhun 
errichteteten Münsters , von dem sich die Nachwelt nur 
eine unbestimmte Vorstellung machen kann, ein neues, weit 
herrlicheres , in Angriff zu nehmen. Der Bau, dessen Ge- 
schichte besser überliefert ist, als bei vielen späteren Kathe- 
dralen und Klöstern, begann erst nach dem Tode des Er- 
oberers im Sommer 1093, indem zum festgesetzten Tage die 
Mönche zum neuen Kloster, der Bischof zur neuen Kirche 
d^ Grund legten, und wurde von Wilhelm von St. Carilef 
in drittehalb Jahren, da er schon zu Neujahr 1096 starb, 
so weit gefördert, dass der Chor im Osten, das gewaltige 
Gewölbe, auf wdchem sich der viereckige Mittelthurm 
erheben sollte, die ostlichen Bogen des QuerscfaifEi und 
wenigstens die Anfang« zu den riesigen Strebepfeilem des 
Lamgschiffes fertig- da standen; genug, um den Grundplan im 
Ganzen und die grossartigen Vorzeichnungen im Einzelnen 
erkennen zu lassen. 

Wir wissen nicht, ob Bischof Wilhelm selbst der Bau- 
meister gewesen, ob ein namenlos gebliebener Genius unter 
seinen Mönchen oder ein Fremder den unvergleichlichen 
Plan entworfen hät, nur das ist gewiss, dass aus ihm, aller 
glachzeitigen Architektur voraus, unabhängig und eigen- 
thOmlich kühn dem von Natur romantischen Orte angepasst, 
das Meisterwerk des speciell [normannisdi-rcnnanischen 
Baustils hervorgegangen ist Der Kunstfreund, der vor- 



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Durham. 



läufig" von dem äusseren I^indruck des Gebäudes absieht, 
wird beim Eintritt von der Einheit und Reinheit der Kund- 
bogen überrascht, die hier durchgeführt sind, zugleich aber 
¥fm ihrer natioiial und local durchaus eigenartigen An- 
iraadniig, die sowohl von den italienischen Vorbildern des 
Stils wie von der eigentfaümlich reichen Entfaltung dess^- 
ben im deutschen Rheinlande charakteristisch abweiclit 
Einer der geschichtskundigsten und kunstsinnigsten Kenner 
der europäischen Baugeschichte vergleicht den Dom zu 
Durham mit seinem Zeitgenossen, dem zu Pisa, dem er als 
ebenbürtiger Rival an die Seite treten könne, doch wohl 
bemerkt, der eine als vollendete Blüthe des romanischen 
Stils im Norden, der andere im Süden, denn was am Wear 
sich eignet, hat keinen Platz am Arno und umgekehrt.*) 
Was aber das h<^ Schiff von Durham mit seinen S^ten- 
und Quersduffen so einzig in seiner Art macht, das liegt 
in der unvergleichlichen Proportion, die sich in den Ge- 
wölben ausspricht und in welcher ihre Stutzen beharren, 
gewaltige, mit Rundpfeilem abwechselnde Pfeilerbündel, 
die weder gedrückt noch zu luftig lang erscheinen und 
durch die bald gezackten , bald gewundenen , bald netz- 
artigen Sculpturen an den Rundbogen und Fenstern so gut 
wie ringsum den Rundpteilern ein strenges, aber gerade 
hinreichendes Mass der Verzierung gewähren, wie es in dem 
northumbrischen Zweige dieses majestätisch ernsten Stil^« 
bis in das östliche Schottland über Dunfermline nach Elgrin 
hinaus behebt wurde. Alles wirkt zusammen, um die 
Kreuzung weder zu schwer noch zu leicht erschauen und 
über ihr noch hinreidiend Raum für ein feierlich gegliedertes 
Triforium im entsprechenden Stil mit freistehenden Säulchen 
in der Mitte zu lassen, über und unter welchem die engen, 
rundbogigen Fenster des IMittelschiffs und der zweistöckigen 
Seitenschiffe eine genügende Fülle Licht einstrahlen. 



*) Ed-iVarJ A. Freentan, Historical and architectural Sketches, chiefh 
Italian 1876 p. 108, eine Sammlung meist in der „Saturday Review" er- 
schienener Aufsätze mit des Verfassers eigenen Federzeichnungen ausgestattet. 
Auch Trier» Aachen, Gelnhausen werden besprochen, so gut wie Verona, 
Ravemia, Pisa, Rom u. s. w. Zn vergleiclMA ist Frumant History of the 
Norman Conquest V, 629 ff. 



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Durham, 



7 



Nach Wilhelms Tode blieb der Bischofsstahl drei Jalure 
unbesetzt, doch liessen es sich die Mönche nicht nehmen, 
obwohl der Gesammtbau in strenger Arbeitstheihmg' auf- 
geführt werden sollte, das Quersdiif^ allerdings nicht mehr 
im vollen stolzen Geiste des Begründers zu vollenden, dem 
es in seiner schlichten EinfKhheit dergestalt nachsteht, dass, 
wenn nidit feste historische Angaben vorlägen, man ver- 
sucht sein könnte, dies Stück als den Anfang des Ganzen 
zu betrachten. Endlich, zu Pfingsten 1099, bestellte König 
Wilhelm II. einen Nachfolger in der Person des übel be- 
leumdeten Normannen Ranulf Flambard, den die kirchliche 
Geschichtsschreibung als den bösen Helfershelfer der ruch- 
losen fiscalischen Grewaltherrschaft dieses Fürsten brand- 
markt, dessen unleugbare Verdienste um Aufrichtung einer 
wirklichen Staatsverwaltung darfiber aber mcAA vergessen 
werden dürfen. Er hat nach den stürmischen Anfingen 
seines £|nsoopats unter Heinrich I. mit Kraft und Vesständ- 
niss das Werk wieder aufgenommen, dem Schiff die Wände 
hinzugefügft und dasselbe bis zu seinem westlichen Abschluss 
hin ausgeführt. Dabei hielt er sich nicht nur durchweg an 
die grossartigen Verhältnisse der Ostseite, sondern Hess den 
Zierr^ith, jedoch in demselben Charakter, um ein Weniges 
anwachsen, zum Zeichen, dass er von den Nachkommen als 
Miterbauer betrachtet sein wollte. Erst in der fünQährigen 
Vacanz nach seinem Tode, um 112g, stand, abermals mit 
Hülfe der Mönche, das noch ganz romanische Münster bis 
auf das Gewölbe des Langschiffis fertig da, das im ausge- 
sprochenen Uebergange zum Spitzbogen nicht vor IZ40 
vollendet wurde. Die beiden Westthürme obeihalb des 
Daches sind im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts und der 
grosse Mittelthurm über der Laterne gar erst unter Bischof 
Walter Skirlaw (1388 — 1406) erbaut worden. 

Wie fast überall haben Baulust und veränderter Ge- 
schmack der Nachkommen auch hier nicht geruht. Ohne 
den ursprünglichen Charakter zu beseitigen , haben sie 
hinzugethan und hie und da selbst emphndlich eingegrifiEen. 
Das erstere ist der Fall mit dem Anbau an die vom jen- 
seitigen Ufer aus an sich stattlich erscheinende Westseite. 
So weit jedoch das schmale £rdreiGh, der schroffe Abfall 



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8 



£h$rham. 



zum Fluss nur Platz Hess, füllte ihn Bischof Hugo von 
Puiset (Pudsey), der von 1154 — 1195 regierte, ein Neffe 
König Stephans, mit dem sogenannten Galiläum aus, dem 
ehujgen Ort, an welchem die Weiber zimi Gottesdienst in 
dieser monastischen Kathedrale Zutritt haben sollten. 
Niedrig, einstoddg, von iwücn spstefhin vemnstalte^ 
fesselt -die funfichifBge Capelle dnonen dnrdi vier Reihen 
schlanker Viersaulen und den safaoeniscli zieriich bunten 
Rundbogen. Es ist als ob die normannisch-sicilischen Be- 
ziehungen und die Eindrücke der Kreu//üge, zu denen 
dieser Bischof wie wenig andere anfeuerte, bis über den 
Humber hinaus sich in Stein verkörpert hätten. Unter 
diesem lebensvollen Säulendach steht heute hart am Ein- 
gange in das grosse Schiff der Kirche einsam ein altes 
schlicht viereckiges Denkmal, dem nur die Worte ein- 
gemeisselt sind: Hoc sunt in fassaBedae venirMlis assa. 
Der kostbare Schrein aus Grold und Silber, den einst der- 
selbe Bischof den Heiligen und Bekennem der Vomit 
gestiftet hatte, ist längst verschwunden. Femer konunen 
die grossartig imposanten Thürme in Betracht» deren Archi- 
tekten sich unverkennbar und im Einzelnen, z. B. an den 
offenen .Vrcaden der Westthürme nicht ganz erfolglose 
Mühe gaben, ihre spätere Gothik den so viel wuchtigeren 
romanischen Anfängen anzunähern. Viel störender wirken 
auf der Nordseite der Kathedrale das grosse gothische 
Fenster, in welches das QuerschifF endet, die von da weiter 
nach Osten Angesetzten spitzbogigen Fenster und das 
zweite dem Chor angebaute durchaus gothisch gehaltene 
Querschiff mit den vier Eckthürmchen. An die Stelle, wo 
dem Qiore englischer Kathedralen in der Regel in buntester 
Gothik die sogenannte Lady Chapel anhangt, wurde hier 
gregen den östlichen Abfall des Hügels die Capelle der 
neun Altäre mit doppelter Fensterreihe und einem mäch- 
tigen Radfenster an der Ostfront vorgelegt, drinnen im 
reich entwickelten schlanken Stil des ausgehenden drei- 
zehnten Jalirhunderts, jedoch mit dem sichtlichen Bestreben, 
die Bogenverzierungen dem nahe anstossenden strengen 
Muster Wilhelms von St. Carilef anzupassen. Die Südseite 
mit Ausnahme der erst viel später spitzbogig umgewandel- 



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Durham, 



9 



ten Kreuzg'äng'e ist Alles in Allem weit reiner erhalten 
geblieben. Zwei Thüren mit dem herrlichsten romaniscbea 
Zierrath fuhren von dort aus in die Kirche. 

Eigenartig- wie die langg-estreckten , auf den beiden 
iussersten Enden stumpf Abschneidenden englischen Kathe- 
dralen im Vergleich zu denen des Festlandes sind, trifft 
auch bei der von Durham die Beobachtung zu, dass ihr ^e 
grossartige PortalausfQhnmg im Westen und der apsen-, 
nischen- und chorreiche Abschluss ün Osten fehlt, durch 
welchen gerade die Meisterwerke romanischen und gothi- 
schen Stils In Deutschland wie in Frankreich hervorragen. 
Freilich würde solche Entwickelung" auf dem schmalen Pro- 
montorium von Durham nicht angebracht gewesen sein, 
denn auf beiden Seiten in Ost und West müsste der Be- 
schauer seinen Standpunct weit jenseits des gewundenen 
Flusses in beträchtlicher Entfernung suchen. Dacj-egen 
kommt ausser der imponirenden und doch harmonischen 
Grewalt des Innern wie bei den meisten anderen Domkirchen 
der Insel die unvergleichlich freie Lage in Betracht, auf 
die von Anfang an ganz anders als bei festländischen, meist 
eng" umhauten Kathedralen geachtet wurde. Schon Ranulf 
Flambard Hess den weiten Platz im Norden zwischen der 
Kirche und der Burg von Hausem und Unrath säubern, 
so dass er durch die Jahrhunderte frei geblieben ist und 
die grossartigen Bauwerke vor Feuersgefahr gesichert 
wurden, führte vom Chor bis zum Burgverliess gegen Osten 
eine starke Mauer auf und spannte im Westen die noch 
vorhandene Brücke über den Fluss. Im Süden der Kirche, 
auf den drei übrigen vSeiten von Wasser umflossen, verblieb 
das Kloster auf seinem uranfänglichen Fleck und hatte 
Raum genug, wie heute noch ein weiter Platz mit den 
Curien und der Residenz früher des Priors, jetzt des De- 
chanten darthut, um alle Bedürfnisse einer der grandiosesten 
monastischen Stiftungen der Insel und die bis zu ihrer Auf- 
lösung durch Heinrich VIII. nie rastende Baulust der Mönche 
zu befriedigen. Sind auch Capitelhaus und Refectorium, die 
noch romanisch waren, verschwunden, so ist doch ein 
schöner, spat gothischer Saal über dem südlichen Umgang 
nach wie vor Bibliothek geblieben, in der, obgleich nicht 



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lO 



Durham, 



unverletzt, die von Bischof Wilhelm dem Erbauer und eini- 
gen seiner namhaftesten Nachfolger gesammelten und ge- 
schenkten Bücherschätze aufgestellt wurden. Kein Zeitalter 
hat, wie die ursprünglichen, höchst merkwürdigen Kataloge 
zeigen, an dieser Stelle die mächtigen Nachwirkungen 
Baedas und seiner Zeitgenossen je ganz verleugnet. vScrip- 
torium und Armarium zu Durham waren vielmehr, bis man 
gedruckte Bücher kaufen konnte, weit und breit berühmt. 
Wie manche schöne Handschrift von theologischer, kano- 
nistischer, historischer und linguistischer Bedeutuiig', Klassi- 
ker so gut wie die anglische Grlosse des zehnten Jahr- 
hunderts zu dem berühmten Evangelium von Undi^urne 
oder Jordan Fantosmes franzosiche Rdmchronik ans dem 
zwölften Jahrhundert, sind entweder dort noch vorhanden 
oder als dort entstanden nachzuweisen. 

Endlich wird aber die urq^nrungliche Bestimmimg der 
ganzen Lage, ein Herrschersitz, wächer die Pflanzungen 
von Kirche und Staat gegen die Nachbarschaft einer anderen 
Rasse, eine höhere Cultur gegen die Barbarei schirmen soll, 
bis auf diesen Tag erhalten durch die weitläufigen, in ein- 
zelnen Partien höchst grossartigen Baulichkeiten der Burg. 
vSie geht, wie schon gesagt, auf den grossen Burggründer 
Wilhelm den Eroberer zurück, dessen Befestigungskunst so 
manche Spur in dem von ihm wieder aufgerichteten Reiche, 
zumal in eroberten Städten hinterlassen hat. Auf mächtigen 
Stutzen aus Steinquadern, die an der Westseite bis zum 
Fluss hinabreichen, erhebt sie sich langgestreckt mit Thür^ 
men, Bastionen imd Erkern, die Mauern zur Vertlieidi^jung 
crenelirt, die l^enster in buntem Wirrwarr rund- und q»ttz- 
bogig auf die verschiedenen Zeiten der Entstehung deutend. 
Zu den ältesten Theilen gehört das Verliess, die Citadelle, 
ein ungeheures regelmässiges Achteck auf einem kOnst- 
liehen Hügel, noch immer aufrecht, obwohl drinnen öde 
und unbenutzt, und ein Stück des Hauptbaues mit der auf 
Wilhelm von St. Carilef zurückreichenden, auf vier schlanken 
Pfeilern ruhenden Capelle und dem herrlichen Bogengänge 
im oberen Stock, dessen Arcaden durch ihr schönes Eben- 
mass sofort in die Augen springen. Die grosse Halle stammt 
aus dem iinde des vierzehnten Jahrhunderts. Andere haben 



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Durhanu 



IX 



die langte "wie weltliche Fürsten tesidirendea Bischöfe in 
der Folgezeit und selbst bis nahe an die Gregenwart hin» 
ziigethan. 

Ueberiiaupt ist diese ganz vereinzelte Erscheinung im 
englischen Episcopat nur aus der palatin (wir würden sagen 
markgräflich) souveränen Gewalt zu erklaren, die ihnen aus- 
nahmsweise zuwuchs. Die Tradition freilich fuhrt die \ er- 

leihung so bedeutender Regalien an die northumbrische 
Kirche, das Patrimonium St. Cuthberts, bis auf den grossen 
Aelfred zurück, was mit den Ursprüngen jener Kirche aus 
den Einsiedlerzellen der beiden Heiligen Aidan und Cuth- 
bert allerdings schlecht stimmt. UrkundUche Zeugnisse 
fehlen denn auch durchaus vor der Epoche der normanni- 
schen Eroberung, obwohl die weltlichen Zwecke bei der 
Verpflanzung des Bisthums durch Ealdhun auf das hohe 
Vorgebirge am Wear zur Genüge durchschimmenL Ranulf 
Flambard indess liess sich schon 1109 von Heinrich I. be- 
sondere Privilegien beurkunden, die in ähnlicher Immunität 
und Exemption von der königlichen Gewalt bestanden, ■w'ie 
sie damals der Bischof von Ely in seinen Marschlanden 
besass, in denen sich noch allerlei dem geordneten Staate 
entgegenstrebende Elemente regten. Aber in der Natur 
der Dinge, zumal in der durch lange Jahrhunderte erforder- 
lichen Grenzhut gegen Schottland steckte eine imerlässHche 
Gewalt» zu der höchstens der Graf von ehester an der 
Waliser Mark» wie ihn Wilhelm L dort einsetzte und be- 
vorzugte, eme Parallele bot Es entsprang unter Zuthun 
der Krone ein weltliches Palatinat, wdlches fortan an dem 
geistlichen Nachfolger des h. Cuthbert haltete. Es zeigt 
daher, obschon nach kleinerem Alassstabe, in seiner Organi- 
S£ition von Gericht, Krieg und Finanzen ganz ähnliche selb- 
ständige Befugnisse, wie sie der Mark Brandenburg unter 
ihreji askanischen Schöpfern zu Grunde liegen. Auf der . 
anderen Seite aber giebt der Bischof von Durham, was der 
geschlossen monarchische und späterhin der Verfassungs- 
staat Englands einzig und allein nur in seinem Falle dulden 
konnte^ den Fürstbischofen des h. romischen Reiches kaum 
etwas nach. Cranz wie die geistlichen Souveräne von Sitten; 
Lausanne oder Chur thront er' auf ^er durch Natur und 



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1 2 Dur kam. 



Kunst schwer zugänglichen Höhein einer tingeheueren Burg, 
wie sie nur wenigen Königen zu Gebote steht, die Kirche 
wohl beschirmt und eine ansehnliche Stadt daneben. Ifu 
tasSbt diese Sonderrechte gedeihen unter dem enecgtscfaeD 
Hugo Pndsey, der nicht nur das GralSfinm schuf, sonden 
ebenso «frig an Stadt und Schloss baute, der, häutig auf 
gespanntem Fusse mit der obersten Gewalt, sich doch wieder 
deren Interessen entsprechend in seiner Eigenmacht zu be- 
haupten wusste. Heinrich II. entsandte seine Reiserichter 
nach dem Xorden, wie es bi-zeichnend in dem Erlasse heisst: 
„mit Genehmigung des Bischofs von Diu*ham". Derselbe 
geistliche Fürst hat in dem noch vorhandenen Boldon Book 
sein Paiatmat nach dem Muster des Domesday katastriren 
lassen, zwei Jahrhunderte früher als auf Bef^ Kaiser 
Karls* IV. das Landbuch der Mark Brandenburg ange- 
nommen wurde. Wie machtig erschemen dann unter 
Eduard 1. und II. als Bischof-Pfalzgraf der grosse Anüiony 
Bek und sein Nachfolger Richard von Kellawe. Wegen 
der geistlichen Rechte in bestand it^-er Spannung mit dem 
Metropolitan, dem Erzbischof von York, überragen sie den- 
selben weit mit ihren politischen Vorrechten. Bischof 
Richards Copialbücher sind \'orhanden und belehren den 
Forscher, wie er einerseits als Prälat und daneben als welt- 
licher Fürst verfugte. Seine offenen imd geschlossenen 
Bri^ sind latein und französisch ganz nach dem Muster 
der königlichen Kanzlm ausgefertigt £r hegt das Gericht 
übar Vassailen imd Hmtersassen, beruft sdne Stande, um 
Steuern zu erheben, und lasst Lehnsmannen und Landwehren 
unter die Waffen treten, um sich dem königlichen Heere 
anzuschliessen , das durch Robert Bruce bei Bannockbum 
zu Schanden werden sollte. Ueberhaupt wurden ausgezeich- 
nete Leute für einen solchen Posten erfordert. Wer hat 
nicht einmal von Bischof Richard de Bury gehört, der einst 
Eduard III. erzogen, dem Sammler einer prachtigen Biblio- 
thek, Verfasser des Philobiblion und Freund Petrarcas? 
Walter Skirlaw lebt in der Bai^eschichte der Kathedrale^ 
-die mebten Bischöfe des vierzehnten und fon&ehnten Jahr- 
hunderts in der Creschichte der englisch-schottischen Greni- 
fehden fort. Gar manche blutige Wahlstatt rings um den 



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I 



Dur harn. Ij 

niemals bezwungenen Burghüg-el von Durham ist unver- 
gessen. Nevils Croas liegt beinah vor den Thoren der Stadt, 
die Hügel von Halidon und flodden noch auf northum- 
brischem Gebiet Nur besonders ausersehene Männer wie 
unter Heinrich VIIL Thomas Ruäiall, Thomas Wolsey und 
Ctithbert Tunstall werden mit einer durch ihre Macht- 
befugniss einzigen, durch ihre Einkünfte fast ebenso be- 
gehr enswerthen Stellung betraut, wie es das Erzstift Canter- 
bury war. Erst späterhin suchte einmal Elisabeth der ihrem 
staatskirchlichen Princip, vielleicht auch ihrer schottischen 
Politik nicht gan« 'unbedenklichen Sonderverwaltung von 
Durham zu L^be zu gehen. Als Cromwell das Bisüuun 
aufhob, reservirte er die Regalien ausdrucklich der Staats- 
gewa^ Mit der Restauration unter Karl IL indess erhielt 
sie der Bischof-Pfalzgraf noch einmal zurück, nur dass er 
nicht xsAt sein eigenes Parlament berief, indem seit 1673 
Ritter und Bürger aus der Grafschaft Durham wie aus dem 
übrigen Reiche nach Westminster geladen wurden. Der 
Rest der ganz ungewöhnlichen und seit dem sechzehnten 
Jahrhundert überlebten palatinen Sondergewalt ist ein 
Menschenalter nach dem Reichsdeputationshauptschluss erst 
in Folge der Reformbill durch eine Acte Wilhelms IV. vom 
Jahre 1836 unterdrückt worden. 

Die Bischöfe, denen langst die Residenz auf der ge- 
waltigen Burg unbehaglich geworden, wohnen noch weiter 
stromauf in dem benachbarten Bishop Auckland, wo einst 
schon zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts Anthony Bek * 
ein stattliches Schloss erbaute. So konnte denn neuerdings 
ein bedeutender Theil de unzerstörbaren Burg von Durham 
für eine Hochschule verwendet werden, wie sie einmal vor- 
übergehend schon Oliver Cromwell ins Leben rief, die aiber 
wiedererstanden dadurch, dass sie kaiun mehr als eine theo- 
logische Facultät umfasst, noch immer in bedeutsamer Weise 
an die keltisch-angHsche Vorzeit erinnert, indem sie als 
vorgeschobener anglikanischer Posten gegen das presby- 
terianische Schottland Wadie halt. Die Stadt endlich hat 
durch das Ende einer fürstlichen Hofhaltung kaum gelitten, 
da mit ihm der Aufschwung des Bergbaues zusammenfiel, 
•der hier Berg und Thal nach dem schwarzen Diamanten 



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14 



Dur kam. 



der Art unterwühlt, dass man sogar für die Grundfesten 
der colossalen Steinmonumente hat zittern wollen, die sich 
die fürstbischöfliche Vergangenheit auf dem beherrschenden 
Burg- und Domhügel gesetzt hat. Wer mit geschichtlichem 
Snm auf ihm umherwandelt, von der alten Brücke im Westen 
zu dem stattlichen Marktplatz empor- und wieder zu der 
Brücke im Osten hinabstedgt, um jenseits in die neue Beiig* 
werksstadt vorzudringen, wer draussen und drinnen den 
Spuren der Vei^fangenheit nachzugeben wmss, dem spi^^t 
AUes an diesem merkwürdigen Fleck dne jahrtansendalte 
Entwickelung wieder, deren letzte Bestinunung noch keines» 
wegs erfüllt ist. 



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ENTSTEHUNG DES EINHEITSSTAATS 
IN GROSSBRITANNIEN. 

Wie oft haben wir Deutsche im Kampf um luisere Selb- 
ständigkeit und Einheit das republikanische Vorbild in der 
Sdiweiz, imd zumal in den Vereinigten Staaten Nordameri- 
kas angerufen. Wie lange hat es gedauert und welche Opfer 
an (rut und Blut hat es gekostet, bis wir zu der Krkennt- 
niss gelangt sind, dass die bundesstaatliche Einigung auf 
eine (iruppe von Monarchien nur vermittelst einer erblichen 
Vormacht zu übertragen ist, indem sich gewissermassen das 
föderative Prinzip dem unionistischen unterordnet £s scheint 
fast, dass gleichzeitig mit den gewaltigen, Epoche machen- 
den Resultaten^ der letzten Jahre insbesondere ein anderes, 
sicherlich, was die nationale Seite betrifft, noch nfiher üeg^- 
des Beispiel allzu s^ aus den Augen entschwunden war. 
Möglich, dass wie durch die tiefere Einsicht in das Maass 
der Anwendbarkeit des englischen Musters in constitntio- 
neller Beziehung die noch vor einigen zwanzig Jahren herr- 
schende ideale Vergötterung desselben unendlich abgekühlt, 
so auch die Aufmerksamkeit auf das Werden des britischen 
Einheitsstaats, das so überraschende Parallelen bietet, über 
die Gebühr zurückgedrängt worden ist. 

Der Prozess der Einheitsbestrebungen des Inselreichs 
ist kaum minder langwierig als in Deutschland, sein end- 
licher Abschluss liegt noch gar nicht so weit hint^ uns 
und whrd von einar Seite, von L-land nämlich, &st unmittel- 
bar wieder mit Auf losung bedroht, wie nach einander durch 
den repeal (VConnells und durch die Femer, so vielleicht 
noch emstlicher durch das sogenannte honte rule 7novemcnt 
neuesten Datums. Dagegen hatte sich um die Vormacht 



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l6 BnUUhmtg d§t Simhtässimmtt im GrotsMktMiün, 

England, die hier im Süden wurzelt, frühzeitig eine Anzahl 
kleiner Dependenzstaaten gesammelt, von denen einige, ob- 
wohl in allen wesentlichen Stücken der Centraigewalt und 
für gewisse Fälle auch der Gesetzgebung des herrschenden 
Staats unterthan , verfassungsrechtlich doch sogar bis auf 
diesen Tag die Spuren einer entschieden föderativen Ver- 
bindung nicht verloren haben. Denn während das Fürsten- 
thum Wales seit Heinrich VIII. vollends auch m die parla- 
mentarische Union mit England aufging, während gleich- 
zeitig die letzten Reste eigener Stände in den ehemaligen 
Pfsd^fra&chaften von ehester imd Durham ihre particulare 
Bedeutung verloren, wird Westminster weder von den Nor- 
mannen-Inseln beschidct, dem einzigen Ueberbleibsel des 
continentalen Herzogthums, welches mit den alten couHtmes 
auch die eigene Vertretung bewahrt, noch von der Insel Man, 
die erst im vorigen Jahrhundert durch Vertrag mit ihrem 
letzten Unterkönige, dem Herzoge von AthoU, mit der Krone 
vereinigt worden ist, deren höchst eigenthümliche, bis auf 
die Vikinge hinaufreichende Verfassung aber bis heute un- 
geschwächt in der Volksversanimlung auf dem Tinwald, im 
Housc of keys^ fortbesteht. Viel lehrreicher jedoch als Alles 
dies ist das Zusammenwachsen der Hauptinsel selber, dem 
Jahrhunderte lang jener Antagonismus zwischen Nord und 
Süd, der in so merkwürdiger Weise auf Grrund ethnogra- 
phischer Unterschiede mehr oder weniger in der Greschichte 
aller grossen Culturstaaten begegnet, im Wege stand. Erst 
nach erbitterten Kriegen, die nicht nur internationalen, son- 
dern eben so sehr nationalen Charakter tragen, trotz tradi- 
tioneller Abndgung der Bevölkerung musste aus dem Sper- 
ren beider Theile doch schliesslich eine alle wesentlichen 
Zwecke erfüllende feste Einigung hervorgehen. Die Gre- 
schichte des Uebergangs von der Personal- zu der paria- 
mentarischen Union Englands mit Schottland, das Gelingen 
dieses Unternehmens, welches einst als ein staatsmännischer 
Akt ohne Vorgang betrachtet woirde, die Gefahren, von 
denen es in der Folge noch bedroht werden sollte, Alles 
dieses bietet uns Deutschen in der Gegenwart eine solche 
Fülle verwandter Fragen und Lösungen, dass es beinahe 
auffällt, weshalb in den letzten Jahren die Greschichte jener 



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JtLnUUhun^ d*s EinheiUstaaU in GrossbritannUu, 



«7 



Hergänge bei uns kaum oder nur sehr vorübergehend be- 
rührt worden ist. 

Ich will im Folgenden versuchen, sie in den Hauptmo- 
menten kurz zusammenzufassen , und namentlich den von 
Schottland als dem Träger der partikuUuristischen Opposi- 
tion erhobenen Widerstand zu schildern^ wobei ich mich in 
der Hauptsache an das tüchtigste dort neuerdings über den 
Gegenstand erschienene Werk*) halte, aber doch auch hier 
und da auf die keinesw^ selir ausgiebigen Akten selber 
zurückgreife. 

Zunächst sei daran erinnert, wie durch die Jahrhunderte 
hinauf, soweit das forschende Auge dringt, dne dauernde 
Einigung der ganzen Insel zwar mehrfoch angestrej^t, aber 
stets gescheitert war, als ob über den sich von einander ab- 
losenden Völkern und Stämmen noch eine hemmende, spal- 
tende Kraft im Boden selber haftete. In jenen nordischen 
Strichen sah sich die Römemiacht fast zu allererst g-enöthigt, 
ihre Grenzwälle Schritt für Schritt zurückzuverlegen. Der 
Einheitsstaat der Angelsachsen hat zur Zeit seiner kurzen 
Blüthe um die Mitte des zehnten Jahrhunderts den Fuss der 
grampischen Berge schwerlich erreicht. Die Normannen 
haben sich mit einer weit südlicheren Grenzlinie und höch- 
stens mit partieller Verbreitung ihres feudalen Systems über 
dieselbe hinaus begnügen müssen. Die keltische Bevöl^ 
kerung dagegen, die steh in Caledoniea zah behauptete, 
hatte sehr bedeutenden Antheil an der Abwelu: der ver« 
«cJiiedenen unitarischen An]äii|e, wie sie denn sdbst von 
den Schwärmen der skandinavischen Seezüge nur an den 
Rändern oder auf der Inselwelt in Nord und West berGhrt 
worden ist Auf ihr aber beruhte eine sagenhafte (reschichte 
des „alten Königreichs", eine mythische Regentenlinie, die 
sich über Jahrtausende zurückerstreckte, deren fürchterlich 
blickende Zeugen noch heute in langen Reihen von den 
Wänden der düsteren Gemächer Hulyroods herabschauen. 
Aus ihr hinwiederum entsprossen unleugbar jene histori* 

*) John um Sur ton, Bistery •/ Scotland from tkt rtvohOton to ike 
MfÜneHm oflkg kutJatoHte i$uurrocHom (1689— 1748). 3 VoIs.Loiid(» 1853. 
FmU, AmUta». V. F. . 2 



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fg MnUUhung dts EmktttuiaaU in GroakrUammiem. 



sehen Könige der Schotten, d!^• über ihre keltischen Stamm- 
genossen wie über die anglibch-niederdeutsche Bevölkerung 
NorthimilMrieiift herrschten und seit dem zwölften Jahrhun- 
dort, yon nociiiaiiiuscbeo Lehnsleuten und römischen Kle- 
rikern magfSboOt sidi dem gennamBch-romaniadien Kindien- 
weten anbequemten. ICer xeigte toA eine edtene Hart- 
n&ckigkeit im Gegensatz der Racen mid selbst in dem 
neuen Product ans ihrer KreonuHT: »e bat den kle in eren 
Theil, hier den Norden, nicht wenig befähigt, sich dem Auf- 
gehen in den mächtigen Süden erfolgreich zu widersetzen. 

im Gegensatz zu jenen keltischen Phantasiegebilden 
floss nun aber wirklich geschichtliches Licht längst aus den 
von Germanen besiedelten schottischen Niederlanden, wo 
nur die Sprache dialektisch, wo Leben und Sitte, privates 
und dffratliches Recht nur sdur geringfügig abwichen von 
dem angelsächsischen Grundstock der Bev^erung in Eng- 
land. In jenen Niederlanden aber ist erst eme distincte 
schottische Nationalität gediehen seit dem vierzehnten Jahr- 
hunderte, als sie in langem Befreiungskampfe das Joch ab- 
wälzte, welches der grosse Eduard I. mit seinen Reisigen und 
seinen Juristen ihr eine Weile wirklich auferlegt zu haben 
schien. Nur im glühenden Hass gegen den mächtigen Nach- 
barn, im engsten Anschluss an den r,rbfeind der Engländer, 
den Franzosen, hat sie sich beinah noch ein halbes Jahr- 
tausend unabhängig zu erhalten vermocht. Sehr bezeich- 
nend, wie durch die unverbrüchliche Allianoe mit Frank- 
reich, die b« festerer Einigung der beiden streitenden Theile 
dem Landesverrafh gldch gekommen wäre, die germanisdie 
Bevölkerung jenseits des Tweed sich der im Süden durch- 
weg entfremdete, indem sie statt der normännischen, die sie 
abgewehrt, französische Institutionen sammt ihren Bezeich- 
nung<'n adoptirte. Der schottische Jurist mied hinfort das 
genu ine Recht als ein feindliches und erw^arb sich in Paris 
oder Bourges die Kenntniss des Corpus juris und der Pan- 
dekten. Der oberste Gerichtshof des Reichs nahm seitdem 
die I' ormen des Pariser Parlaments an ; nicht Barristers und 
Attome>'s, sondern Advocaten und Procuratoren prakticirten 
an demselben. Die Stände tagten gemeinsam, aber in Cu* 
rien, wie in Frankreich noch zu allerletzt 1789, und nicht 



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Entstthung des Minhfiisstaatt in Grassörttanmem, 



19 



in zwei Häusern wie zu Westminster. Den Stadträthen 
Sassen nicht Mayor und Aldermen, sondern Provost und 
Bailies vor. Während in England alle Privatjustiz vor der 
Krone gänzlich gewichen war, behauptete sich die Patrimo- 
nialgerichtsbarkeit der schottischen Feudalherren in grosser 
Ueppigkeit und erinnerte vidfiich an die Zustände des Fest- 
lands. Wie ähnlich ihren stolzen französischen Amtsbrüdem 
traten doch auch in Schottland zur katholischen Zeit die 
hohen geistlichen Würdenträger auf, wie gemahnt der Stil 
ihrer Bauten in Kirche und Schloss an das Prototyp 
zwischen Seine und Loire. Ja, sogar der erste Sturm der 
reformatorischen Erhebung, in welchem Edelleute und Kle- 
riker das treibende Moment waren, trägt viel vom Charakter 
der Hugenotfcmkri^ge an sich. Allein gerade in diesem 
Zeitalter gab sich der fremde Einfluss doch als ein sehr 
oberflächlicher kund, der zwar die Aristokratie und ihre 
Staatsordnungen ergriffen hatte, aber keineswegs bis zum 
Herzen des Volks durchgedrungen war. Dasselbe wurde 
viel weniger verwälscht, als sich erwarten Hess. Die furcht- 
bare Zerstörimg, welche an dem römisch-kirchlichen Institut 
vollzogen wurde, die demokratisch-presbyterianische Pflan- 
zung, welche John Knox, indem er die Eulen mitsammt den 
Nestern ausheben hiess, an die Stelle setzte, sie erzielten 
hier nicht nur eine viel vollständigere religiöse Umwälzung 
als in England, sondern sie waren eben so sehr g^gen die 
franzosisdie, katholisch bleibende Hnwirkung gerichtet 
Frölich die Formen des Staatswesens blieben nichtsdesto-' 
weniger dieselben, obschon es mitunter so aussah, als sei 
Alles zur Republik reif wie in Flandern und Holland. Dem 
Charakter nach wenigstens despotischer als die englischen, 
haben jene Formen in der Folge einigermassen dazu bei- 
getragen, die Dynastie der Stuarts, die niemals durch die 
Generationen hin dem Sturm und Drang des eigenen Cxe- 
schicks entwuchs, zu einem verzweifelten Attentat der Will- 
kür nach dem anderen anzuspornen; — dieselbe Dynastie, 
der endlich kraft ihres Erbrechts die reiche, machtvolle 
Krone Englands zufiel, die, als Jacob I. frohlockend in das 
Land Grosen hinüberzog, hinibrt nur über ein einziges, poli- 
tisch und kirchlich ungetrenntes Grossbritannien herrschen 

2» 



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20 



BnUUhung des Einheitsstaats in GrossbrüannüM, 



wollte, über zwei Völker, die doch in Allem, in Glauben 
und (xesetz, in Kirche und Staat, in Neigungen und Unter- 
nehmungen einstweilen noch der Art verschieden w^aren, 
dass selbst die lockere Personalunion sich als ein Trugbild 
erwies. Wenn ehedem die schottische Volksfreiheit aus der 
Schwäche der Krone entsprang, weil deren Pärogative eben 
so "wesag definirt war wie die Privilegien der Unterthanen, 
so Schwaig sich in Folge jenes Erbfalls der dynastische 
Absolutismus auf dem Untergrund der englischen Staats- 
gewalt um so rücksichtsloser empor. Man weiss, wie Karl L 
nach dem Wortlaut smer Kanzlei: „Kraft Unserer souve- 
ränen Autorität, königlichen Prärogative und absoluta 
Crewalt, nach der alle Unsm Unterthanen sich ohne Wider- 
rede zu richten haben", das Land seiner Geburt zwangs- 
weise mittelst der aufgedrungenen anglikanischen Episoopal- 
kirche zu reuniren trachtete, und welche Antwort ihm von 
jenen an langer Tafel unter dem Kreuzgewölbe der Glas- 
gower Kathedrale tagenden, finster blickenden Männern zu 
Theil wurde, welche als die erste, wahrhaft auf die eigenen 
Füsse tretende Nationalversammlung gelten können. Schott- 
land, nicht England, erhob zuerst das Banner gegen uner- 
träglich gewordenen Druck, seiner heiligen Ligue und Co- 
venant musste als allein heilbringend in den ersten Stadien 
des die ganze Insel ergreifenden Bürgerkriegs sich der ent- 
zweite Süden anschliessend seine Moderatoren leiteten jene 
Synode zu Westminster, auf der das presbyterianische 
System bereits den gestürzten Anglikanismus zu ersetzen 
versprach. Da erfolgte der Bruch mit der Militargewalt: 
in altkdniglichen Landern glaubte alch die Rqpublik ver- 
sudien zu können — aber aus ind^iendentischer Sphäre, 
allein befähigt, eine eiserne Zucht als letztes Rettungsmitt^ 
der GreseUschaft aufrecht zu erhalten, stieg Oliver Cromwell 
empor. Er hat in der That die drei Königreiche mit Blut 
und Eisen geeinigt, indem er ihnen, leider nur für seine 
Tage, gemeinsame Institutionen auferlegte. Denn mit seinem 
Ausgange, mit der Rückkehr der Stuarts wurde das Meiste, 
ja, was die Revolution überhaupt Werthvolles geschaffen, 
wieder ausser Kraft gesetzt. Während sich aber England 
durch parlamentarisches Con^romiss gegen die Willkür des 



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Si^sMkung dts SmhHit9taais in Gr^sbrUannieH, 2I 

Stuairt-Kdiiigtiniiiis zu sichern trachtete, bis dieses, imyer-^ 
besserlich, zum zwmten Mal und auf inuner beseitigt wurde, 

ist Schottland unter Karl II. und Jacob II. doch eben deshalb, 
weil seine Constitution eilen Rechte auch fernerhin unendlich 
schwankend blieben , und der Streit der Kirchen niemals 
I2fesetzlich gelöst worden war, kaum jemals aus dem Bürger- 
und Glaubenskriege herausgekonmien. Wilhelm III., der 
Retter der nationalen wie der Gewissensfreiheit, so leiden- 
schaftslos inmitten der gewaltigsten Krisen, von welchen 
die Völker, die sich ihm anvartraut, ergrüBfen worden, so 
feurig nur, wenn er unmittelbar als Vorkämpfer des grossen 
Bundes wider Ludwig XIV.' auftrat, hat an der wilden 
Factionswuth der Schotten schier verzweifeln müssen. Weder 
gelang es ihm, mit den dortigen Standen einen Modus vi- 
vendi zu schaffen, in welchem wie im englischen Parlament 
die Interessen der verschiedenen Klassen zur Geltung und 
doch auch die Monarchie zu ihrem Recht gekommen waren, 
noch erzielte seine Toleranz wirklichen Frieden unter den 
bitter hadernden Denominationen. Ueberall starrte ihm aus 
dem schottischen Distel wappen das Nemo me impune la- 
cessit entgegen. Das Schlimmste blieb immerdar die reli- 
giöse Tobsucht, deren Unkraut hier so lange schon den 
unentwickelten Staat überwuchert hatte. Man wird die Pärtei- 
verhSltnisse, welche der von Wilhelm ins Auge gefassten 
engen politischen Union in den Weg traten, nicht begreifen 
ohne ein näheres Eingehen auf den damaligen Stand dieser 
stachlichten Dinge. 

Nach dem ^Sturze Jacobs II. hatte auch in Schottland 
die nur durch Gewalt in ihrer Herrschaft behauptete Epis- 
copalkirche abermals verspielt, um so mehr, als ihr der letzte 
Herrscher geradezu die katholische Messe hatte aufstülpen 
wollen, allein das gemässigte Presbyterianerthum, mit dem 
sich Wilhelm nunmehr zu vertragen suchte, besass imbe- 
• schützt vielleickt eben so wenig die Majcnrität Denn im 
Norden des Landes blieb man vorwiegend bischöflich, wenn 
nicht gar katholisch, vor Allem aber jacobitisch, und im 
Südwesten walteten die streitbaren Cameronianer, die, wie i 
sie den Blutgerichten der Stuarts getrotzt, nimmermehr eine j 

weltliche Autorität über die Kirche dulden wollten. Hatte ' 

i 



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22 EntsUhung des Einh4iUstaats in Gr&tihrÜannün, 

nicht der Covenant, der Bund des Herrn mit dem auser- 
wählten Volke, die sündige Staatsgewalt einst vollends zu 
Boden gestreckt? Beide Extreme waren selbstverständlich 
auf dem Conventionsparlament von 1689, welches die neue 
Ordnung schaffen sollte, kaum oder jedenfalls nicht in be- 
deutender Stärke vertreten. Doch blieben noch gefährliche 
Elemente genug zurück, Kirchenmänner, die bei öffentlichen 
Grebeten in unbestimmtem Halbdunkel Hessen, ob sie den 
Segen des Himmels für Wilhelm oder für Jacob erflehten und 
deshalb weit gefährlicher waren als die ehrlichen Eidverwet* 
gerer oder solche Calvinisten, die selbst an der sdiwer gefun- 
denen Formel Anstoss nahmen: „dass Ihre Majestäten ndt Em- 
fuhnmg der Presbyterialverfassung betraut werden sollten in 
einer Weise» wie sie den Neigungen des Volks und dem Worte 
Gottes am Meisten entsprechend sei." Es war schon unend- 
lich viel, wenn man bei Au&tellung seines strengen Glau- 
bensbekenntnisses den von einem Flügel der Coreligionisten 
vergötterten Covenant nicht ausdrücklich in das Kirchen- 
gesetz aufnahm. Im October 1690 tagte zum ersten Mal 
wieder unangefochten die General Assembly, die Repräsen- 
tation der dominirenden Kirche, mit der Befugniss, sich all- 
jährlich wieder zu versammeln. Höchstens war sie Willens, 
sich dem Staate zu coordiniren; als eine Macht über sich 
erkannte auch sie denselben nicht an. Der königliche 
Commissar, denn dieses Aufsichtsrecht des Staats hatte 
Wilhelm um keinen Preis fahren lassen, vertagt fortan im 
Namen des Königs die Versammlung auf denselben Tag 
des nächstfolgenden Jahres, wie es der frei gewählte Vor- 
sitzende, der Moderator, thut im Namen des Herrn Jesu 
ChristL Indess b^grifiPen doch auch echte Zeloten allmählich, 
dass sie mit etwas Massigung weiter kamen als mit ub^- 
triebenem EilSsr. Muss es doch rühmend hervofgehoben 
werden, dass die Glaubenseide, die den Professoren der 
Universitäten abverlangt wurden, nur wenige Austreibimgen • 
zur Folge hatten. Wenn dagegen der König die Reception 
solcher Episcopalisten in die etablirte Kirche wünschte, die 
ihr im Wesen längst nahe standen und am Allerwenigsten 
zu den Nonjurors gehörten, so widersprach man ihm in der 
Regel mit altgewohnter Hartnäckigkeit Kein Wunder also. 



uiyui-n-ü Ly GoOglc 



EntsUhung des Einheitsstaats in Grossbritannien. 23 

wenn zunächst die Einführung- von Synoden und Presby- 
terten in den nördlichen Counties auf dem Papier, dn 
Skelett ohne Muskel blieb. Trotz der gesetzlichen und 
namhaften Bedieiligung der Laienschaft in dieser Kirchen- 
ver&ssung überwog doch auch fenediin das unnachgiebige, 
klerikale Element, das in dauerndem Argwohn gegen die 
Monarchie, welcher die angUkanische Kirche nicht entrathen 
• konnte, als Grundform der ganzen das nordische Reich über- 
spannenden Ordnung das republikanische Vorbild festzu- 
halten verstand. Derselbe Geist der oppositionellen Herrsch- 
sucht, welcher keine Gleichberechtigung der Katholiken 
oder irgend welcher Nonconformisten überhaupt neben sich 
duldete, beseelte einen hervorragenden Theil der Nation, 
der zwar mit dem gemeinschaftlichen Konige seinen Frieden • 
machen wollte, aber in dem schroffen G^pensatze der Con- 
hßsaaoea recht eigentlich dne Sicherung seiner Sonder- 
esistenz erblickte. 

Geht man den leitenden Motiven der Wortführer auf 
den Grund, so ist leicht wahrzunehmen, wie sehr doch alles 
kirchliche und patriotische Bekenntniss mit Eigennutz und 
Heuchelei durchwachsen war. Die reinste, edelste Partei 
vielleicht hatte sich um zwei Edelleute gebildet, die ähnlich 
wie einst in England Milton und Algemon Sidney das Heil 
vom nationalen Freistaate verhofiften, der dann audi mit dem 
Konigthume kaum noch etwas zu schaffen haben- konnte, 
um Andrew Fletcher von Saltoim, dessen hochfliegender, 
aber unlmiksamer und eifesüchtiger Patriotismus an antike 
Vorbilder mahnt, tmd um seinen opfermuthigen Freund, 
Lord Belhaven. Wie sehr sie einer politischen Union ab- 
geneigt waren, erhellt aus einem merkwürdigen, diesen 
Tagen angehörenden Pamphlet Fletchers*), das im Stil 
bereits etwas an den Spectator Addisons erinnert. Auf 
einem fingirten Spaziergange in London längs der Themse 
unterhalten sich zwei schottische und zwei englische nam- 
hafte Männer, deren einer der Ver&sser selber ist, über 
das, was sie da erblicken, ein in rastloser Thatigkeit reich 



♦) An account of a conversation cujuerning a rigkt regulation of 
government for the common good of mankind. 



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2^ Entstehung des Etnheitistaats in Grossbritannien, 

werdendes, in einer grossen, dicht bevölkerten Stadt ge- 
sittet lebendes Volk, das seit Jahrhunderten in Parlament 
und Justiz der Willkür siegreich widerstanden hat. Aber 
ein Wurm, der des Hochmuths und der Ueppigkeit, nagt 
an der Wurzel seines Ruhms. Diese Menschen sind zu 
reich und zu verwohnt, um die echten Tugenden zu be- 
wahren, welche allein bei den abgehärteten Söhnen der 
nordischen Berge zu finden sind, deren Saaten spärlich • 
reifen, die aber im harten Zwange ihres Daseins zu entsagen 
gelernt haben und selbstlos geblieben sind. Was, soll jener 
gefahrliche Riesenleib das kleine, arme, aber wackere Schott- 
land mit seinem ungeheueren Gewicht zermalmen? Was, 
soll diese geliebte Heimath, der die besten Sohne ihr Herz- 
blut zu opfern willig bereit sind, in die hosen Aussichten 
des Nachbarn aufgehn? Der Verfasser misskennt zwar das 
Wünschen swerthe und selbst die Nothwendigkeit einer Eini- 
gung nicht, aber die darf doch höchstens nur eine födera- 
tive sein, ein Vertrag zwischen Gleichen, in welchem Schott- 
land seine volle Nationalität bewahrt und allenfalls dem 
ungesund angeschwollenen Körper des Bundesgenossen neue 
Säfte zuführt. Allein hier regten sich doch weit mehr die Em- 
pfindungen des Gefühls als der Verstand, und dieser Mangel 
ist dann wohl auch die Ursache gewesen, weshalb der Anhangs 
jener Staatsmänner, das sogenannte fliegende Geschwader, 
sobald die Stunde der Entscheidung schlug, für die unmittel- 
bare Union redit ogentBch den Ausschlag' gegeben hat 
Und nodi mehr, jene stcnschen Verachter des englischen 
Retchthums, jene herben Patrioten, waren dennodli nicht 
find von Neid und sannen gleich Tausenden ihrer erwecbs- 
lustigen Landaleute b« Tag* und Nadit darauf^ wie sie sich 
dieselben Güter, dieselbe Quelle der Macht verschaffen 
könnten, durch welche der südliche Nachbar so gross ge- 
w^orden. War ihr Land nicht seit der unseligen Regierung 
Karls II. gleich jedem anderen fremden Reiche wieder eifer- 
süchtig von aller Betheiligung am englischen Welthandel 
ausgeschlossen worden? Einst hatte das blosse Wort des 
grossen Protectors, die Verfügung vom 12. April 1654 genügt, 
allen ^Monopolisten des Südens zum Trotz aus diesen Staaten 
ein einziges Handelsgebiet zu schaffen — ähnlich wie spät^- 



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EtUsUhung dts £infuitssta€tls in Grostbritamden. 



hin durch Preussens Vortritt allein die Binnenzolle ver» 
schwinden und der deutsche Zollverein in's Leben gferufen 
werden konnte. Und nun war durdi die Schiffiüirtsacte 
▼OH 1660 Schottland, das eben begonnen, die ersten Bro- 
samen, die ihm vom Tische des reichen Mannes zufiele, zu 
kosten, in die alte Amutli wid Unterwflifigkeit zurGck- 
gesdileiidert worden. Alle Anträge zu einer vollständigen 
commerciellen Redprodtät wurden von den Engländern 
damit abgewiesen, dass ihre Colonien nur auf ihre Kosten 
begründet worden seien und nun und nimmer von Anderen 
ausgebeutet werden sollten. Die Schotten hätten die Frei- 
heit, ein Gleiches zu versuchen — sie, die durch die neueste 
Revolution noch enger in die Geschicke Englands ver- 
flochten, gerade jetzt auch die letzten Reste ihres I landels- 
verkehrs mit dem alten AUiirten Frankreich, dem erbitterten 
Feinde des dominirenden Staats, einbüssen mussten. 

Aber das Zeitalter war ja bereits angebrochen, in wel- 
chem nicht nur ein neuer Unternehmungsgeist die see£üiren- 
den Nationen allen übrigen voraus ergriff, sondern recht 
eigient^cfa auch die Weltkriege vorwiegend um den bevor- 
tagbexL^ möglidist unbelünderten AntheU am W^thand^ 
geführt wurden. Merkwürdig, wie sehr das Crenie des ge- 
radeaus stürmenden Schottenvolks eben dahin strebte. Es 
lebte, und wahrlich nicht mit Unrecht, der instinctiven 
Uebenseugung, dass es in kaufinännischer Anlage sich mit 
den ersten Meistern des Alterthums und der Gegfenwart, 
mit Phönikern und Hellenen, mit Holländern und Armeniern 
messen könnte. Unvergessen aber bis auf diesen Tag sind 
die bitteren Erfahrungen, die ihm die Versuchung, der es nicht 
widerstehen konnte, eintrug, es mit den Engländern aufzu- 
nehmen. Ein Blick auf dieselben findet auch hier eine Stelle, 
weil durch das Scheitern eines mit nationalem Starrsinn ge- 
fassten Vorsatzes thatsächlich die Erkenntniss des unab- 
wendbaren, allein erspriesslichen Schritts zu vollem An- 
schluss an den Süden ganz wesentlich gefordert worden ist 

Seit dem Jahre 1695 nämlich plante Fletcher, William 
Pftterson und solche Landsleute, die gleich ihnen von Ver- 
dniss über die Zurücksetzung der Hehnath verzdut worden, 
dn Colottialuntemehmen in grossem StiL Dass Paterson, 



26 



EntsUkun^ das Einheitsstaats in Grossbritannien, 



ein Meister der Finanzkuiibt, der Bey^ründer der Bank von 
England gewesen, wie es Lord Macaulay noch versichert, 
und dass er fast unmittelbar hernach auch die schottische 
in's Leben gerufen habe, lasst sich durchaus nicht mit voller 
Gewissheit nachweisen. Er war allerdings einer der vielen 
brütenden, calculirenden Köpfe, die, aus dem rechnenden 
Schottland hervorgehend, sich weit in der Welt Umtrieben 
und an allen möglichen Projecten betheiligten. Man will 
dagegen mit Recht den eigentlichen Abdruck seines Wesens 
in den wohl erhaltenen, mit kaufinannisdier Musterg^tigkeit 
gefOhrten Rechnungsbüchem der unglückseligen Darien- 
CompagTiie wiederfinden. Nachdem zwischen ihm und jenen 
Politikern die ersten Anstalten im, tiefeten Greheimniss ge- 
troffen worden, passirte im schottischen Parlament die Acte 
vom 26. Juni 1695, welche eine ,, Handelsgesellschaft für 
Afrika und Indien" in's Leben rief. Sie zielte hauptsächlich 
nach den Schätzen des letzteren Landes und wollte in der 
That mit Privilegien der Ansiedelung, des Handels, der 
Kriegführung für Asien, Afrika und Amerika, die über das 
englische Schilffalutsgesetz hinaushoben , das Capital des 
armen Schottlands flüssig machen, um direct mit dem grossten 
Monopol der Zeit zu concurriren. Besonders schmeichelte 
man sich, mit Leichtigkeit den schmalen Wespenleib des 
amerikanischen Continents durchbrechen und sich vor- 
zugsweise des directen Wegs versichern zu können, den 
einst ahnungsvoll zuerst Christoph 0>lumbus gesteuert war. 
Man schm^chelte sich nicht minder, das englische Capital 
anlocken zu können imd hatte zu diesem Zweck bei den 
indmen Vorverhandlungen in London bereits *auch Vertraute 
dieser Nation in die Direction gezogen. Und wirklich, kaum 
erschien die Einladung zu zeichnen, so belegten diejenigen 
grossen Londoner Häuser, denen, weil sie von dem eigenen 
ostindischen Monopol ausgeschlossen waren, eine Bekäm- 
pfung- desselben höchst willkommen erschien, die ihnen offen 
gehaltene Hälfte der Stammactien zu 100 Pfund. Bis dahin 
schien das Unternehmen, im Geheimen klug vorbereitet, 
auch zu geeigneter Stunde an die Oeffentlichkeit zu treten. 
Nun aber wandte sich das Blatt. Die Holländer, noch ältere 
Nebenbuhler im Orient, durch den Orani^ zwar in dem^ 



Entstehung" des Einheitsstaats in Grossbritannien. 



27 



selben politischen Fahrwasser mit England, machten eben 
jetzt bessere Geschäfte als alle übrige Welt Auf das Gre- 
schrei der privilegirten Handelsgesellschaften Englands 
schritt im December bereits das Haus der Gemeinen ein 
mit der festen Absicht, die neue Rivalität vollends im Keim 
zu ersticken. Als ob in dem Nordreiche gar keine unab- 
hängige Vertretung, keine selbständige Regierung mehr 
existire, wurde in einer Conferenz mit den Lords eine dahin 
zielende Eingabe an die Krone aufgesetzt, auf welche 
Wilhelm HL gleichsam zwischen zwei Stühlen, so weit man 
erfährt, erwiderte: man habe ihm in Schottland übel mit- 
gespielt, doch würden sich hoffentlich noch Mittel finden 
lassen, um den Nachtheilen dieser Acte vorzubeugen. Das 
Unterhaus ruhte nicht, bis die Bücher der neuen Compagnie 
in Clements Lane mit Beschlag belegt und sogar ein straf- 
rechl^ches V e rfahr e n gegen Lord Belhaven und andere am 
Orte befindliche Schotten eingeleitet wurde. 

Auf der anderen Seite entfachten nun aber so belei- 
digende Schritte natürlich den patriotischen Opfermuth nur 
um so heller. Gleich am ersten Tage waren in Edinburgh 
50,000 Pfimd unterschrieben. Nach einem Monat blieb der 
Andrang noch so gewaltig, dass das ursprunglich veran- 
schlagte Actiencapital noch um 100,000 Pfund erhöht wurde. 
In dem noch überaus geldarmen Lande reprasentirten zwei 
Peers, der Herzog von Hamilton und Lord Belhaven, und 
ein Commoner, Stuart von Grantully, den höchsten Reich- 
thum mit Beisteuern von je 3000 Pfund. Die stadtischen 
Corporationen betheiligten sich mit besonderem Eifer und 
bis herab zu winzigen ßruchtheilen der 100 Pfund- Actien 
drängten sich alle Stände und ßerufsklassen , unter denen 
in den niederen Schichten die Wagelust der Seefahrenden 
unverkennbar hervorleuchtete. Als Anfang August die 
Bücher mit 400,000 Pfund geschlossen wurden, übersah man 
im hochgereizten nationalen Ehrgefühl, dass diese Summe 
von den im Lande vorhandenen Fonds gar nicht zu decken 
war, so dass die Compagnie selber für den Ausfall gut sagen 
musste. Eingezahlt sind in der Folge nur Pfd. St 219,094. 
8. 7Vs> eine Summe, die dann in wenigen Jahren als barer 
Geldverlust verrechnet werden sollte. 



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28 



Mntsttkung d€s üinheitsstaat* in GrossbritannitH, 



Emstweilen stürmte der patriotische Eigensinn imbe- 
kammert weiter. Im Schatten des nationalen Monopols 
tauchte räe Menge mercantiler imd nationaler Speculatiotien 
auf, um die sanguinischsten Erwaitungen su beseelen; seiiie 
Banknoten hatten eine Weile vollen Cours. Erst als zur 
Unterstfltz u ng der fremde Geldmarkt hwbeigezogen weiden 
sollte, stiess man empfindtlch auf die grossere Krafit des 
südlichen Nachbarn. Beim Rathe von Hamburg unter an- 
deren legten der englische Resident und der Bevollmäch- 
tigte von Bniunschweig- Lüneburg Protest ein gegen die 
Unterbringung von Actien eines Unternehmens, das von der 
eigenen Regierung nicht concessionirt worden, während 
allerdings Bürgerschaft und Börse muthig Einsprache er- 
hoben darüb^, dass eine fremde Staatsgewalt sich heraus- 
ttdbme, fiber ihre Entschlüsse zu verfügen. Die schlauen 
Schotten hatten sogar fem im Osten so geriebene Handels- 
leute wie die Armenier zu gewinnen gesucht, imi durch ^ 
directe Verbindung mit Indien anzuknüpfen. Alles dies aber 
musste scheitern, weil in dem grossen europäischen Bunde 
gegen Ludwig- XIV. England in Wahrheit als die leitende 
Macht auftrat. Was half es, wcnu Fletcher und seine 
Freunde, um einer besonderen schottischen Handelspolitik 
das Wort zu reden, auch Beglaubigung besonderer schotti- 
scher Gresandten an den fremden Höfen forderten. Der 
König, der mit tiefster Bekummemiss auf allen Seiten nur 
]^ersucht einreissen sah, während er unablässig bemüht 
war, die Eintracht zu ^em gemdnsamen Zwedc zu pflegen, 
beharrte nach dem Frieden von Ryswick in diesem Stücke 
erst recht unthätig und stumm. Es waren die Tage, in 
denen das Vertragsverhältniss zwischen ihm und den mii- 
regierenden parlamentarischen Factionen in Westminster 
vollends aus den Fugen zu brechen drohte, indess er die 
Waffenruhe draussen zu verwerthen suchte, um entweder 
Frankreich und den Kaiser beim Aussterben der Habsburger 
in Spanien zu anem Theilungsact zu vermögen, oder even- 
tuell dn neues Kriegsbimdniss in Beieitsdiaft zu setzen. 
Kein Wunder, wenn er auf die dringende Eingabe der* 
schottischen Staatssecretare lange Z^t keine und schliess- 
lich nur eine dunkle Antwort ertlieilte. 



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Entstehung des Einheitsstaats in G rossbritanni^H* 



29 



Mittlerweile aber hatte 'Paterson seine, in ihrer Kühn- 
heit doch unklugen, weil die entgegenstehenden realen Kräfte 
missachtenden Entwürfe bis zur Ausführung getrieben. Durch 
die Landenge von Darien-Panamä hinweg zielten sie nach 
einer Entfaltung über die Ostfront des ungeheueren asiati- 
schen Continents vielleicht schon bis nach Australien und 
Neuseeland hinaus. Verachtung gegen das Vorrecht des 
erschlafften Spaniens beflügelte die luftigsten Gedanken, das 
winzige Schottenvolk glaubte sich der unentwurzelten See- 
macht Castiliens gewachsen. Um dessen grausam geübtes 
Monopol zu brechen, wurde sogar frühreif die Idee des Frei- 
handels ausgesprochen, der alle Welt zu verdntem Angriff 
herbeilocken müsse. Jedoch als am 26. Juli 1698 die drei 
Schiffe der ersten Expedition aus dem Hafen von Leith aus- 
liefen und ihre Mannschaft im November unbehindert auf 
eine öde Landzunge im Golf von Darien Neu - Caledonien 
begründete, gediehen bereits die Keime des Misslingens. 
Wenn die Engländer, die nunmelu* erst die ganze Tragweite 
des Beginnens durchschauten, bei der Anlage ihrer Colonien 
vielfach täppisch verfahren hatten, so fehlte es den specu- 
lativen Schotten schlechterdings an aller praktischen £r- 
fahnmg. In der Tie&eeEscherei, der Küstenfahrt und dem 
aus solchen Unterlagen entspringenden internationalen Han- 
del mochten sie es langst mit den tüchtigsten Seevölkem 
au&ehmen, die grosse oceanische Schifffahrt dag^fen wollte 
erst erlernt sein. Und an welcher fremden Küste konnte 
man denn überhaupt noch unbestritten die eigene Flagge 
aufhissen? Endlich, die ganze Pflanzung stand von vorn- 
herein schon deshalb in der Luft, weil sie sich ausserhalb 
des ofBciellen Zusammenhangs mit der heimathlichen Re- 
gierung bewegte und keinen königlichen Freibrief aufzu- 
weisen hatte. Auch erschien sie wie ein Zerrbild des von 
politischen und religiösen Factionen zerrissenen Schottlands 
selber, weil, so lange es dauerte, höchstens einige mit der 
Verbrecherwelt des Seelebens vertraute Flibustier sich über 
die streitenden Elemente erhoben. 

Nun war der Fleck in CentnUamerika zwar von Spanien 
beansprucht, aber doch keineswegs occupirt, theils weil dort 
eine den Europäern verderbliche Fieberluft herrschte, theils 



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Entstehung des Einheitsstaats in G rossbritannien. 



weil der Verkehr der tief gesunkenen Eingeborenen mit 
den Freibeutern meist britischer Abkunft schlechterdings 
nicht behindert werden konnte. Allein hochmüthig gingen 
die Spanier von ihren nächsten Niederlassungen aus jedem 
Entgegenkommen der Schotten aus dem W^gB, denn das 
Auftreten derselben erinnerte sie nur allzusehr an die mit 
Galgen und Scheiterhaufen verfolgten Buccaneers. Als eines 
der schottischen Schifife eines Tags Angesichts Cartagena 
auf ein FelsenrifiF gerieth, wurde die Besatzung sofort von 
den Herren aller dieser Küsten in Ketten g^egt imd erhob 
dann im Mai i6^ der spanische Gesandte in London heftige 
Beschwerde, die sich bis gegen die vornehmen Häupter des 
Beginnens, den Herzog von Hamilton, den Marquis von 
Tweeddale, Lord Belha\ en u. A., erstreckte. Während die 
Colonisten, weil ihre Flagge beschimpft worden, der Krone 
vSpanien in lächerlicher Weise den Krieg erklärten , gaben 
die englischen Monopolisten so wie die englischen Pflan- 
zungen in Amerika jenen durchaus Recht und wurden die 
schottischen Unterthanen nun vollends auch vom Könige 
desavouirt, der eben jeden Nerv anspannte, um einen unge« 
heueren Weltconflict zu bannen, welcher Spaniens wegen 
bevorstand. Da brachen ausser der Gre£ahr, als Seeräuber 
vogelfrei erklärt zu werden, ausser bitterem Hader und Streit 
unter den Abenteurern selber, die weder Nahrungsmittel 
vorfonden, noch hinreichend mitgebracht hatten, Hungers- 
noth imd Seuche aus. Auch nachdrai sie sich auf drei 
Schiffe vertheilt, wich das Sterben nicht — ist doch Paterson 
selber der unglückliche Berichterstatter — und wurden gar 
beim Landen in Jamaica und New -York die überlebenden 
Jammergestalten von den englischen Autoritäten unbarm- 
herzig zurückgestossen. Sie konnten von Glück sagen, wenn 
es noch einige Menschenfreunde unter den Privaten gab. 
Noch aber war der Becher voll bitterer Hefe nicht ausge- 
kostet , noch war die böse Kunde von jenem Ausgange in 
Europa nicht eingelaufen, als im August und September 
eine zweite Expedition nach demselben Ziel in See ging. 
Aus Entrüstung über die näheren Mittheilungen werden ihr 
sofort Verstärkungen nachgesandt mit gemessenen Befehlen, 
die vermeintlich in Danen eingebrochenen Spanier hinaus- 



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Entitehung des Einheitsstaats in Grossbritannien. 



31 



zuwerfen und vor Allem die nationale Flag-g-e niemals unge- 
straft von den Engländern verhöhnen zu lassen. Das wSchick- 
sal dieses zweiten Geschwaders aber war noch drastischer 
als das des ersten. Die Leute zankten nicht minder, schon 
weil sich ein Paar geistliche Fanatiker vom reinsten Wasser 
unter ihnen befanden; dann sind sie im Februar 1700 über 
die Cordilleren gestiegen nnd haben im Anblick des stillen 
Oceans ein kleines spanisdies Corps vor sich her getrieben. 
Bei ihrer Rückkehr jedoch fimden sie die dürftig wieder 
aufgerichtete Colonie von fünf feindlichen Kriegsschiffen 
biockirt Was nicht durchschlüpfte, musste sich einer de- 
müthigenden Capitulation unterwerfen, womit dann das Pro- 
ject sein jähes Ende geftmden zu haben schien. 

Um so emster jedoch war die Rückwirkung auf Schott- 
land. Die ganze schnöde Behandlung, welche ein so 
specifisch nationales Werk von England erfuhr, war recht 
geeignet, die alte Antipathie neu zu entfachen und spornte 
in der That das Parlament zu scharfen Massrog-eln vorwärts. 
Nachdem die ersten heftigen Beschwerden in London gar 
nicht, eine von allen Seiten unteraceichnete Adresse höchst 
kühl bei Hofe angenommen worden und der königliche 
Commissar in Edinburgh vor bitteren Ausfällen wegen Neu- 
Caledonien nicht ein noch aus wusste, so dass er das Parla- 
ment von einem Termin zum anderen vertagte, erging sich 
die heissblütige Bevölkerung der schottischen Hauptstadt 
ber^ts in Excessen, durch welche alte Leute an die Explo- 
^on des Jahrs 1637 erinnert werden mochten. Naturlich 
schürten die Jacobiten; und hinter der Selbstenthaltung von 
englischen Consumartikeln , einer in der Folgfe so oft von 
revoltirenden Unterthanen ausgegebenen Parole, spukte 
bereits der Vorsatz, den Thron des Oraniers für verwirkt 
zu erklären. Da war es im Herbst 1700, dass die ersten 
Zeichen melancholischer Sympathie von Wilhelm einliefen, 
die in ihrer officiellen, das unglückliche Darien verurtheilen- 
den Fassung freilich wenig geeignet waren, den ingrimmi- 
gen Unmuth zu dämpfen. Allein über das leidenschaftliche 
Toben Lord Belhavens und seiner Freunde hinaus klang 
auch zum ersten Mal wieder der Grundton einer Politik 
durch, wie ihn Wilhelm IIL bereits im April 1689 ange- 



uiyu.^Lü üy LaOOale 



3^ 



EnUtehung dts Einheitsstaats in Grossbritannien, 



schlagen hatte: legislative Union beider Königreiche als das 
einzig versöhnende Rettungsmittel. Wie hätte aber die 
gegenseitige Erbitterung zu beiden Seiten des Tweed ge- 
stattet, dasselbe sofort mit staatsmännischer Ruhe in AngriiF 
zu nehmen. Das Haus der Lords zwar zog den Vorschlags 
des Königs in Berathung, aber das Haus der Gemeinen 
wies ihn ohne Bedenken zurück. Und dennoch ruhte Wilhehn 
nicht. In seiner letzten königlichen Sendung an das Unter- 
haus vom 28. Februar 1702 heisst es: »J^ichts kann gegen- 
wärtig und in Zukunft Frieden, Sicherheit und Crlück von 
England und Schottland aafirichtiger veibiirgen, als eine feste 
und voUstandigeUnion beider. Se. Majestät würde sich glück- 
lich schätzen, wenn wahrend ihrer R^rjeru^g ein Segen 
verheissender Weg dahin gefunden wfirde." Aber schon 
am 8. März wurde diese Regierung durch den Tod des 
grossen Königs beschlossen. 

Nun freilich Hess Königin Anna bereits am dritten Tage 
nach ihrer Thronbesteigung zu Westminster eine Bill ein- 
bringen, durch welche Commissare zu Verhandlungen mit 
Schottland designirt wurden. Schon die Xothwendigkeit, 
in Aussicht auf ihren Todesfall gemeinsam die Succession 
der Krone festzustellen, drängte auf eine Annäherung der 
sich spröde sperrenden Legislativen. Nachdem auch die 
Schotten gewählt hatten, sind die Bevollmächtigten b^der 
Länder zum ersten Mal noch im November in London zu- 
sammengetreten. Aber der gut gemeinte Versuch zerschlug 
sich an der bestimmten ForderoQg der Schotten, völlig freien 
Verkehr zwischen den bdden Lindem mit denselbeQ Privi- 
legien namentlich «och in Bezug auf den auswärtigen und 
den Cdomalhandel, und ohne Berudcsiditigung der bestehen- 
den Hand^sgesellschaften, zur Grundlage der Union zu 
machen. Die Engländer würden sich, wie sie nicht verhehl- 
ten, in die Exemption des Nordens von der englischen 
Schuldenlast oder selbst in ein Aequivalent für die ent- 
sprechende Antheilnahme gefügt haben: aber die ausdrück- 
liche Gewährleistuno der Darien - Compagnie neben ihrer 
ostindischen erschien ihnen wie Selbstmord und Unsinn. 
Da sie nicht einmal von einer nachträglichen Entschädigui^ 
der an Mittelamerika veniAglückten Speculanten wissen 



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wollten, wurden die Conferenzen schon am 3. Februar 1703 
in's Unbestimmte vertagt. Fast gleichzeitig löste die Ri^fie* 
ning das seit 1689 bestdiende schottische Conveations- 
parlament auf, um demnächst zu denkwürdigem Zweck ein 
neues zu berufen« Nachdem yor zwölf Jahren bereits der 
alte ständische Ausschuss, jene oligarchiscfae Mitregierung 
der Lords 0/ ArttcleSy unterdrückt worden war, sollte es in 
der That das letzte sein, welches sich in seinem alten Pracht- 
bau versammelte. Noch einmal in den ursprünglichen, mit 
dem Parlamentsritt aus der Halle auf die imposante Hoch- 
strasse hinausgreifenden Formen wurde es erölfnet. Und 
von der englischen Weise nicht minder abweichend, ver-< 
harrte es wie in der äusseren Erscheinung imd im Geschäfts- 
gänge bis zuletzt auch in seiner vollen Competenz. War 
doch gar nicht einmal ausgemadit» ob für die Ausführung 
sdner Beschlüsse die königliche Sanction ub6rhaiq»t so un- 
erlasslich sei, ob sie nicht vidmehr audi Creltung hatten 
ohne die übliche S3rmbolische Berührung mit dem Scepter, 
welche hier dem englisch - normannischen le Roy le veult 
entsprach. Dieses Mal ging die Stimmung um so hoher, als 
aus einer Botschaft der Königfin, welche Toleranz für die bei 
Seite geschobenen Episcopidisten ^inompfahl, wieder unmittel- 
bar auf Gefahr für die endlich staatlich bevorzugte indivi- 
duelle KircHenform geschlossen wurde, „die einzige Kirche 
Christi in diesem Reiche", wie sie sich stolz bezeichnete. 
Da ging deiin die Opposition so weit, dass sie 2u der Sicher* 
lieitsacte vom Jahre 1689 einen Zusatzartikel befürwortete, 
nach welchem der Souverän an Bekenner der pre8b3rteria^ 
nischen Confession sein müsse. Andererseits wollte man.' 
sich in nationaler Erbitterung sogar dem unter Marlborough 
bereite so viel versprechenden grossen Kriege entziehen und 
höchst herausfordernd sogar mit Frankreich die Handels- 
beziehung(ni wieder aufnehmen. Im leidenschaftlichsten Un- 
abhängigkeitsgefühl sind die Privilegien für Darien noch 
einmal erneuert worden. Die Hauptsache aber war, dass 
das schottische Parlament sich in Bezug auf die Thronfolge 
direkt von dem englischen zu entfernen wagte, indem es 
auf Fletchers feurigen Betrieb nicht ohne Weiteres die Kur* 
furstin Sophia vcm Hannover bezeichnete, sondern nach 

Fmvli, AiiftltM. N. r. 3 



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34 



heftigen, monatelangen Debatten den Beschluss fasste: „Die 
Stände ernennen den Nachfolger aus der protestantischen 
Descendenz der kc'miLrlichen Linie von Schottland, wenn man 
über solche Regierun i^sirrundsätze sich verständigt haben 
wird, nach denen die lihre und die Souveränität dieses 
Reichs, die Freiheit, Häufigkeit und Macht der Parlamente, 
die Religion, Freiheit und der Handel der Naäon sicher 
g«stdh sein weiden gegen den englischen wie g^gen jeden 
anderen fremden Einflnss.** Selbst durch die Vertagmig 
wurde das nadonal-fMurdcularistische Wider s trebe n nic^t ge- 
dampft. Um diese Stunde schien eins Vetstlndigung- ferner 
denn je gerücict 

Ueberdies gab es ein böses Zerwürfhiss im Schosse der 
könitrlichen Behörden selber. Damals zuerst wurde vom 
Wiedererscheinen des Stuart-Königs gemunkelt: bei einer 
grossen Jagd im Hochlande, so hiess es, werde er unter die 
G^euen hintretea. Einer der zahlreichen Eingeweihten, der 
auch moralisch compromittirte wagehalsige Simon Fräser, 
Lord Lovat, wusste den Herzog von Queensberry und den 
Marquis von Atholl, beide Mitglieder der Rpgierungscoai- 
mission, der Art unter einander zu verhetzen» dass sie sidi 
gegenseitig der verrStherischen Correspondenz mit dem ver- 
jagten Hofe für schuldig hielten. Hieniber hat Queensberry 
zurücktreten müssen, so dass sich die Regierung des nor- 
dischen Königreichs bald in heller Auflösung befand, wäh- 
rend das englische Haus der T.ords sich die Untersuchung 
des von Jacobiten angezettelten Complotts anmasste und 
sein Urtheil dahin fällte, dass alle feindseligen Anschläge 
zu Hause und draussen lediglich aus der in Edinburgh 
ausgesprochenen Verwerfung der unmittelbaren Nachfolge 
der Prinzessin Sophia entsprangen. Kdn Wunder, wenn 
sich das Oberhaus durch ein solches Verfehren daa Zorn 
nidit nur der nördlichen Nachbaren, sondern selbst des 
überaus reisbaren Hauses der Gremeinen mzog, was denn 
nur zu weiterer Verschleppung der so ernsten Angelegen- 
heit beitrug. 

Abermals wurde im Jahre 1704 vom schottischen Par- 
lament die Sicherheitsacte ausdrücklich mit jener Clausel 
erneuert, und wirklich die königliche Bestätigung in dieser 



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Mnisiehung des Einheitsstaats in Grossbritanmitn» 



35 



Form ertrotzt, indem man die Mittel für die schottischea 
Truppen zu verweigern drohte, die ohnehin wegen der ja» 
cobitischen Wühlereien das Land nicht verlassen durften» 
Das schottische Reich wollte sich also immer noch der Be» 
theiligung an dem mit Frankreich w^gen der spanischen 
Erbschaft geführten Kriege entdehen. Aber indem Lord 
Godolphin, neben Marlborougfa die Sede des englischen Ca» 
binets, zur Sanction feines Beschlusses rieth, welcher die 
Kronen Englands und vSchottlands thatsächlich trennte, rech- 
nete er bereits mit Zuversicht darauf, sie auf Umwegen um 
so sicherer zu vereinen. 

Die unbefugten Rüstungen, die zu dieser Zeit im Nor- 
den geschahen , gaben in der That dem • englischen Parla- 
ment gerechten Anlass, Klage zu fuhren. Doch geschah 
dies von ministerieller Seite klug geleitet im Ganzen mit 
Mass und Würde. So erklarte Lord Haversham: „Alle Un* 
ruhen haben zwei Ursachen, viel Unzufriedenheit und grosse 
Armuth. Hn Blick auf Schottland genügt, um B^des in 
jenem Königreiche anzutreffen. Adel und Ritterschaft sind 
dort sicherlich eben so gebildet und tapfer, wie sich irgend 
ein anderes Volk Europas rühmen kann; und gerade sie 
sind unzufrieden. Das gemeine Volk ist zwar zahlreich und 
sehr kräftig,, aber auch sehr arm. Und wer kann einstehen 
für eine solche Menge, so bewaffnet, so disciplinirt , unter 
solchen Führern, besonders wenn die Menschen lediglich 
von der Gelegenheit abhangen." Offenbar musste sich der 
Süden gfegen jede Eventualität wa{>pnen — man 'hat damals 
Truppen nach Norden abgefertigt und die ver&Oene Be* 
festigung mehrerer namhaften Platze in Stand gesetzt — , 
allein er war doch wieder weise genug, mn nicht, wie die 
Lords einen Augenblick versucht hatten, über jenes Konig- 
reich, das trotzig seinen eigenen Weg gehen wollte, zu Ge- 
richt zu sitzen. Gerade in jener vornehmen Corporation 
äusserten sich jetzt die klüq-sten Staatsleute Wilhehns III., 
die Lords Somers, Wharton, Halifax, dahin, man müsse die 
Schotten ruhig gewähren lassen, und sie würden in Bälde 
erkamen, wie sie selber bei solchem Verfahren am meisten 
verloren. Im Vertrauen, dass sie auch wegen der gemein- 
samen Th^folgeordnung zur Besinnung kommen würden» 



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36 



£nUUhung äa JUinJuitssiaaU in üroisbritannUn, 



wurden in Westminster bereits X'olimachten zu weiteren 
Unionsverhandlung'en ausgfefertigft. 

Und war es nicht die höchste Zeit, den übenreiztea Ge- 
fühlen zum Trotz und im Angeskhto emes ungeheueren 
Wdticn^ges, die Sache endüdi warn AuaMge jnt fanngfw? 
Schon condenmirten die AdmualüStsgerichte beider T^atidfig 
das eine und das andere Schiff des Gegentheila, weil es be- 
sdiuldigt wurde, das ostindische oder das Monopol von Da- 
nen durchbrochen zu haben. Die Tribunale in Edinburgh 
zumal standen so sehr unter dem Druck der erhitzten Be- 
vcilkerung-, dass ein eng-lischer Seecapitän nebst zwei seiner 
Leute durch offenbar von Nationalhass eingegebenen Justiz- 
mord an den Galgen geschleppt wurde, obschon der Schotte, 
d^ sie um's Leben gebracht haben sollten, unangefochten 
mit seinem Schiffe auf fernem Meere schwamm. Recht zur 
Unzeit hinwiederum verdffantlichte gerade jetst ein Alter« 
thümler das £rgebnias seiner Forschungen in den Staats- 
loUen des Towers, nach denen von Alters her die sdiotii* 
sdie Krone bei der von England zu Lehen gehe. Der ge- 
lehrte James Anderson, der ihn mit ÜEusin^lirten Bocomenten 
des Gegentheils widerlegte, erhielt nicht nur den feierlichen 
Dank seiner heimathlichen Stände, sondern 4800 Pfd. schot- 
tischer Währung zur Belohnung. Ein Glück, dass es Go- 
dolphin gelang, zugleich den Herzog von Queensberry zu 
reactiviren und mit Hülfe anderer Collegen, unter denen Sir 
John Dalrymple, Lord Stair, ohne alle Frage der bedeutend- 
ste war, die königliche Regierung zu stützen, welche die 
bestimmte Au^g[abe erhidt» die von Bioland angetragene 
Einigung mit dem schottischen Parlament in Berathung zu 
ziehen. 

Ueberl^ken wir in diesem Moment die Partien, denen 

man dort entgegen trat, so war es wahrlich kein geringes 
Unternehmen, das weit eher Scheitern als (jel Ingen, w^it eher 
Sturm als heiteres Wetter anzeigte. Es Hess sich erwarten, 
dass die grosse Mehrzahl der schottischen Stände abermals 
auf Freihandel und völlige Gemeinschaft aller Handelspriva- 
legien dringen würde : das gehörte nun eiiunal zu den Glau- 
bensartikeln der sichtlich erstarkten Nationalpartei, obgleich 
einige ihrer Mitglieder jetzt entschlossen waren, ^ nicht dn- 



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■ 

SntStthung' des Einheitsstaats in Grassöritannien, 9j 



mal auf jene Vortheile hin ein solches Opfer zu bring-en. 
Die Jacobiten, meist Cavaliere mit streng religiösen und po- 
litischen Grundsätzen, wollten selbstverständlich von keiner 
Union hören, die nicht dem Stuart, sondern dem Weif galt. 
Sie liefen am wenigsten Gefahr, sich selber untreu zu wer- 
den, aber zu heucheln verstanden sie doch nichtsdestoweni- 
ger. Einer ihrer geschworenen Anhänger, George Lockhart 
von Camwath, befand sich sonderbarer Weise unter den 
schottischen Commissaren und hat jene in grellster Partei* 
fiurbe gehaltenen Memoiren über die sdiottischen Alßiirea 
hinterlassen, ^e zwar den denkwürdigen Hergang am aus« 
führlichsten schüdem, aber auch auf das et^fene Verhalten, 
durch welches er immerdar nur das Werk zu untergraben 
suchte, einen schwarzen Schatten werfen. J&uflich stand 
nunmehr jene kleine geschlossene Ghruppe bei Seite, die 
spottisch Squadrone Volante hiess, dch selber aber die neue 
Partei nannte. Sie w^ar zusammengesetzt aus vornehmen 
Herren, die unlängst noch der Regierung angehört hatten, 
und aus Patrioten, die sich nicht wie Fletcher und Belhaven 
an die Befürchtung stiessen, die Union könnte dennoch den 
Einheitsstaat statt des Bundesstaats in's Treben rufen. Der 
Marquis von Tweeddale, die (frafen Rothes und Roxburgh, 
der zurückgetretene Lord-Kanzler Marchmont, von dem eben- 
falls Aufzeichnungen erhalten sind, Baillie von Jerviswood» 
der ehemalige Staatssecretär, hatten sich hier zusammen» 
gefunden, um unbekümmert wegen der Verleumdungen 
ihrer früheren particularistischen und fast republikanischen 
Crenossen oder der royaüstisch-orthodoxen Jacobitea Wind 
und Wetter zu beobachten, damit das Schiff endlich sicher 
in den Hafen steuere. Das waren die Elemente, mit welchen 
die Regierung der Königin Anna zu rechnen hatte, als sie 
im August 1705, nachdem in Westminster bereits die Ge* 
nehmigung erthellt worden, abermals auch das Bsurlament in 
Edinburgh zur Ernennung von Commissaren mnladen liess» 
Als endlich am 25. August 1705 der Entwurf eines 
Nationalvertrags im Parlämentshause zu Edinburgh einge- 
bracht wurde, meinte man dort noch immer, diesen Schritt 
der Regierung hemmen , wenn nicht vereiteln zu können. 
Der unermüdliche Vorkämpfer des schottischen Particula- 



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3» 



£ntsUkuH£^ dtt ßinhgiUUaats in Crrossöriiannün, 



rismus, Fletcher von Saltoun, beantragte drei Tage später: 
,,Die vom englischen Parlament angenommene Acte, welche 
eine Union der beiden Königreiche vorschlägt, ist für die 
£hre und die Interessen dieser Nation in so beleidigenden 
Ausdrücken abgefasst, dass wir» die wir dieses Rfiich im 
Parlament vertreten, in keiner Weise darauf eingehen 
können.*' Allein die Bill kam dennoch zur Berathung, frei- 
lich unter der Voraussetzung, dass jene englische Prohibitiv- 
verordnung, die nicht allein in den Handelskreisen des 
Nordens so viel böses Blut meugt hatte» widermfen wurde. 
Zum Glück jedoch sollte dies nicht in das betreffende Gresetz 
selbto angenommen, sondern in einer eigenen Adresse an 
die Königin kund gethaa werden. Auch sonst fehhe es 
nicht an Anzeichen, dass der Wind umzuschlagen beginne. 
In heftigen Debatten über die Frage, ob die schottischen 
Commissare wie in England von den Ständen, oder ob sie 
von der Krone zu ernennen seien, wurde durch das soge- 
nannte fliegende Geschwader und sogar durch den Herzog 
von Hamilton, obschon er neuerdings für das Haupt der 
Jacobiten galt, zu Gunsten der Königin entschieden, die in 
Schottland freilich als abhängig von der Parlamentswillkür 
zu Westminster gescholten wurde. Die Krone ist dann ihrer- 
seits bei der Wahl der einunddreissig Schotten sehr klug 
und vorsichtig verfahren. Während das englische Parla- 
ment nach altem Herkommen Peers, die beiden £rzbischöfe 
und hervorragende Fachmänner, nut seiner Vertretung be- 
auftragte, überging sie geflissentlich die Herzöge von Ha* 
milton und Aigyle, die machtigen Repräsentanten der Tories 
und der Whigs im Norden, und zog zumal aus dem kleinen 
Adel wie aus den stadtischen Magistraten die Manner aller 
Farben heran. Mit Absicht wurden sogar Gegner wie George 
Lockhart ernannt, obgleich Kiemand ahnen konnte, bis zu 
welchem Grade derselbe seine Instructionen aus St. G^rmain 
empfing, wie sehr er — seine Denkwürdigkeiten belehren 
uns darüber von Schritt zu Schritt — als Feind jedweder 
neuen Staatsordnung und als jacobitischer Spion handelte. 
Die schottische Kirche entzog sich selbstverständlich einer 
unmittelbaren Betheiligung an dergleichen Transactionen, 
sie war sich indess vollkommen bewusst, dass schliesslich 



Entstehung des Einheitsstaats in Grossbritannien. 



39 



Annahme oder Verwerfung des ganzen Werks von ihr ab- 
hängen werde und hatte deshalb bei Zeiten die gesetzHche 
Bestimmung erwirkt: „dass die Commissare sich in keiner 
Weise mit einer Abänderung des Gottesdienstes, der Zucht 
und des Regiments der Kirche dieses Reichs zu befassen 
hätten^ wie sie nunmehr rechtmässig stabilirt worden." Ueber» 
haupt wurde den schottischen Mitgliedern der Commission 
von Seiten ihrer Landesvertretung streng eingeschärft, auf 
die Berathung des Vertrags nicht ^ler einzugehen, bevor 
nidit in i^« gH«^ alle beleidigradeii Qausdn au%fthobftn 
wif«iL Und wirkHdit auf den erleuchteten Rath des Lord 
Somers wurden sie dort, damit eine uberrei^bare Empfind* 
lichkeit nicht von vomheirein Alles störe, unverzüglich hin* 
weggeräumt. 

Es waren also £e AusscMsse zweier parlamentarischer 

Staaten, die zusammentreten sollten, sich aber vorsichtig 
zu hüten hatten, damit sie über Lebensfragen nicht sofort 
uneins ^vürden, da ihre sämmtlichen Beschlüsse überdies ja 
doch an die Stände beider Reiche zurückgehen mussten. 
Wie unendlich leicht konnte da das in ähnlicher Weise noch 
nie versuchte Unternehmen an einem der vielen Stadien 
scheitern, die es zu durchlaufen hatte. Ohne völlige Gleich- 
berechtigung waren beide Theile trotz unausrottbaren Unter- 
schieden, denn wie im Kirchenwesen hatte jeder seine höchst 
individuelle Rechtsentwicklung genommen, ninmiermehr zu 
vereinen. Der schwächere bestand recht eigentlich darauf, 
dass ihm das Ueb c rgewicht des Machtigeren selbst da nicht 
au%en5Üiigt werden könne, wo er gegen dessen Leistungen 
gar nichts Entsprechendes zu bieten vermochte. Schott- 
lands Hauptverlangen blieb immerdar die Gleichberech- 
tigung in Handel imd Schxffiahrt, eine Zoll- und Handels- 
einigung bei wei t em mehr als dne parlamentarische und 
administrative. 

Als nun die beiderseitigen Commissare am i6. April 
1706 in der Rathskammer des Cockpit zu Westminster zu- 
sammentraten, hatten sie, als gälte es einen Zweikampf, 
um überhaupt nur den Verkehr zu ermöglichen, zuerst einen 
modus tractancii in Form (nner entsprechenden Geschäfts- 
ordnung aufzufinden. Nachdem dies gelungen, war ihr zu- 



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40 



Entstehung des EinheUistmmt* •» Grostbritanttitn, 



folge jede Seite befugt, selbständig schriftliche Anträge zu 
stellen, welche dann die andere durch einen Ausschuss vor- 
berathen Hess , um sie entweder anzunehmen oder zu ver- 
werfen. Kein Artikel aber sollte als definitiv gelten, bis 
nicht der ganze Vertrag durch die eine wie die andere 
Landesvertretung approbirt worden sei. Auch wurde bis 
dahin das tiefste Geheimniss auferlegt. Nachdem nun die 
Engländer ihren Fundamentalanttag eingereicht hatten, in , 
welchem als Endzweck des ganzen Vorhabens die Errich« 
tung eines gemeinsamen Königreichs unter einem neuen 
Namen mit einem einzigen Parlament und derselben Thron- 
folge vorgesdüagen wurde, erwiderten die Schotten ein 
Paar Tage sfNUer mit Amendements, welciie nidit nur aus* 
weichend lauteten, sondern zwischen den beiden Nationen 
noch immer das rem föderative Verhaltniss zu behaupten 
trachteten. Nur gegen Gewährung eines unbedingt frdien 
Handels wollten sie auf die Thronfolgeacte der Engländer 
eingehen. Zum Glück blieben diese, viel weiser geführt, 
bei ihrem die volle Incorporation einschliessenden Haupt- 
sätze und nöthigten dadurch den anderen Theil, bereits am 
nächsten Tage das Princip der (xegenseitigkeit in allen 
bürgerlichen und commerciellen Rechtsverhältnissen zu ac- 
ceptiren, worauf nun erst die Ik^rathung der Einzelfragen 
in Fluss kam. Diese betrafen in erster Linie den Ausgleich 
der Abgaben und Lasten, um mittelst eines goldenen Aequi* 
valents, das anzunehmen Schottland kein Bedenken trug; 
die gemeinsame Finanzwirthschaft und zwar auch mit den- 
selben Ein- und Ausgangszollen zu begründen. Jenes Aequi« 
valent bestand zunächst in der Exemption von einer Reihe 
von Steuern, von denen in der Folge zwar einige auch in 
England au%ehoben worden sind, während die Befrdung 
von der Grundsteuer, 4 Schilling vom Pfund Rente, in dem 
weit ärmeren Lande allerdings als em sehr vorthdlhaftee 
Geschäft betrachtet werdoi musste. Wenn England damals 
durch diese Steuer allein 2 Millionen aufbrachte, so sollte 
Schottland nur für 48,000 Pfund Sterling gut sagen. Am 
meisten Schwierigkeit bereitete alsdann ein Ausgleich im 
Staatsschuldenwesen, schon weil die Verbindlichkeiten beider 
Länder in ganz verschiedener Weise berechnet wurden. 



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BtUHtkumg dst Emheitsstaats in Grossbritamtitm, 



Allein grossartig wie im Schuldeiimachen zu eignem, und 
seines Nächsten Besten erwies sich England auch in der 
Fr^gebigkeit, mit der es Schottlands nominelle Anthdlnahme 
an der gemeinsamen Schuldenlast durch klingende Ent- 
schädigung aufwog. 

Von diesen wirth schaftlichen Fragen gelangte man erst 
am 7. Juni weiter zu den staatsrechtlichen, als die Engländer 
unerwartet den Schotten, die allzu sanguinisch mit ihrer 
ganzen bisherigen Repräsentation hinübertreten zu können 
meinten, nur 38 Plätze in dem einheitlichen Unterhause ein- 
räumen weiten. Jene beabsichtigten dort auch fernerhin 
national geschlossen zu bleiben, die Englander hingegen 
erkannten im Voraus, dass in der Gesammtvertretung, fidls 
dieselbe nicht ein Trugspiel werden sollte, nur Parteigegen- 
sätze, aber nimmermehr nationale fortbestehen difarften. Sie 
haben sich dann schliesslidi bis zu 45 Sitzen herbeigelassen; 
und die Folge hat ihnen Recht gegeben, denn die Union 
schwebte jedesmal in unmittelbarer Gefahr, sobald sich eine 
particularistisch-schottische Faction geltend machen wollte. 
Numerisch mochte allerdings ein Zwölftel der englischen 
Vertretung der Bevölkerungsziffer Schottlands nicht einmal 
annähernd gerecht werden, allein solche Ungleichheiten 
wurden doch durch die sehr schwer wiegenden finanziellen 
Vorthelle wieder erheblich ausgeglichen. Obwohl von den 
zahlreichen schottischen Peers, deren Gresammtzahl damals 
1 54 betrug, nmr sechszehn durch Wahl fOr eine Parlaments- 
dauer in das Haus der Lords eintraten, so erhielt doch 
fortan der ganze mit Glücksgütem nur sehr ungleich ge- 
segnete Stand die in England üblichen Vorrechte, während 
sie ihm von den schottischen Gerichten bisher nur während 
der kurzen Dauer ihrer eigenen Parlamentssessionen zu- 
erkannt gewesen waren. 

In Bezug auf Mihize , Mass und Grewicht hat sich der 
kleinere Theil, wenn nicht völlig, so doch sehr bald zum 
eigenen Grewinn in die einen unendlich grossartigeren Markt 
beherrschenden Normen des anderen gefugt Dagegen war 
es dn Leichtes, in Flagge und Wappen die nationale Eitel- 
keit zu befriedigen. Hinfort erscheinen denn mit heraldi- 
scher Genauigkeit das St. Georgs- und St. Andreaskreuz 



• 

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4^ 



MnUt4hu$i£^ ä4s Einhntistaats in GrassbritannUm, 



SO wie die englischen Leoparden und der schottische Hon 
tatnpant in ihren Vierteln des Banners oder des Schildes, 
jedoch erhalten die schottischen Reichsattribute jedesmal 
die ehrenvollere Seite, sobald die Anwendung emem spedell 
nationalen Zwecke gilt. Sehr erfreulich aber war, dass, als 
endlich am 15. Juli auch die domenvoUe Angelegenheit von 
Danen zur Sprache gebracht wurden auf beiden Seiten eine 
versöhnliche Stimmung durchschlug. Das englische Parlar 
ment hatte jene verunglückte Speculation nachträglich erst 
recht nicht anerkannt, aber ohne viel Widerstreben ver- 
pflichtete es sich grossmuthig, die Actien aufkaufai zu 
wollen. Und so wurde denn ftr diesen Zwe^ wie zur Ab- 
tragfung der öffentlichen Schuld Schottlands, zugleich aber 
auch um die Jiinbusse bei Unterdrückung der besonderen 
Währung des Nordens zu decken, die Summe von 398,085.10 
Pfd. Sterl. ausgeworfen, die ihm als Aequivalent in Gold 
gezahlt werden musste. 

Wie die beiden Ausschüsse nicht befugt waren, die 
kirchlichen Dinge zu berühren, so verfuhren sie auch höchst 
vorsichtig in Allem, was das bürgerliche Recht und seine 
Praxis in beiden Landern betraf. Oeffentliches Recht und 
Staatsverwaltung sollten dem vereinigten Königreiche frei- 
lich in gemeinsamen Institutionen angepasst, dagegen im 
Privatredit, ausser auf dem Wege der Giesetigebung, keiner- 
lei Abänderung getroffen werden. Schottland wie England 
haben demzufolge ihre besonderen Rechtssysteme, ihre 
eigenen Tribunale und getrenntes Frocessver&hren bewahrt 
Man hütete sich sogar, in der Unionsacte den Grundherrea 
des Nordens ihre Patrimonialgerichtsbaikdt, obwohl sie aus 
halb keltischem Feudalismus stammte, kurzweg zu entziehen. 
Sie ist ihnen einstweilen als privates Attribut verblieben, 
bis sich die üble Wirkung einer so gefährlichen Befugniss 
bei den wiederholten Complotten, welche die Rückführung 
der Stuarts bezweckten, so grell herausstellte, dass die 
Staatsmänner beider linder endlich zu der Unterdrückung 
dieses Ausnahmerechts schreiten mussten. Am 23. Juli nach 
neunwöchentlicher Arbeit ist der lintwurt Ihrer Majestät der 
Königin überreicht worden. Von je 3 1 Comnüssaren haben 
ihn 27 Englander und 26 Schotten unterschrieben. Unter 



Entstthmmg dtt Einktitsttaatt in GrassörUaunim, 



den fehlenden machte sich der Sachwalter der ansgetrie» 
ben^ D3mastie, der Jacobit Lockhart, bemerklich. 

NiUHndir hatte die parlamentarische Diaoussion zu er- 
fcAgen. Klag Hess man wiederum Schottland den Vortritt, 
damit es möglich unbeeinfiusst und selbstSndigr seine Ent- 
schlüsse fasse. In dem koniglichea Anschreiben, welches 
die Bevollmächtigten, der reactivirte Herzog von Queens- 
berry und der junge Graf von Mar, den am 3. October in 
Edinburgh noch einmal versammelten Ständen überreichten, 
hiess es : ,,Die Massregel wird Euch Glauben, Freiheit und 
Eigenthum sichern, die Zwistigkeiten unter Euch selber, 
Neid und Streit zwischen Unsem beiden Königreichen ent- 
fenten. Indem sie bei Euch Kraft, Wohlstand und Handel 
hebt, wird durch diese Union die ganze Insel in Zuneigung 
verbunden, von jeder Befürchtung, ihre Interessen könnten 
auseinander gehen, befreit und befähigt sein, allen ihren 
Feinden zu widerstehen, den protestantischen Glauben über- 
all zu stützen und die Freiheit Europas aufrecht zu erhalten." 
Vorläufig jedoch drohte die Veröffentlichung des Entwurfs 
die alten nationalen Leidenschaften erst recht zu entfesseln. 
Die Parteien nahmen selbstverständlich Stellung für und 
wider. Da war es nun von weittragender Bedeutung, dass 
die breite presbyterianische Mitte im sicheren Besitz ihrer 
bevorrechteten Kirche dem Beginnen, durch welches sie 
selb^ nicht angetastet wurde, vertrauensvoll entgegen kam. 
Weder ging sie. auf den Bund ein, der ihr arglistig von 
jacobitischer Seite angetragen wurde, noch wandte sie sich 
den Eifisrem ihrer eigenen Confession zu, die sofort in 
einem „Protest und Zeugniss der vereinigten Gresellschafit 
des bekenntnisstreuen Rests der antipapistischen, antipräla- 
tistischen, antierastianischen, antisectirerischen, allein wahren 
Kirche Christi in Schottland wider die sündhafte Einver- 
leibungsunion" ihre Posaunentöne ausstiess und zumal gegen • 
England losdonnerte als ein Reich, das mit dem heiligen 
Covenant gebrochen und durch ketzerische Irrthümer und 
verabscheuungswürdige Gebräuche verpestet sei. Wie das 
politische Bekenntniss der Jacobiten an dem Stuartförsten 
und seinem Glauben haftete, so wurde die hannoversche 
Suqcession von dem covenantbchen £xtrem schon deshalb 



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44 



In den Bann gethan , weil der deutsche lutheriscfae Glaube 
ntefat hannonirte mit der reinen Ldire diesor in£Uliblen 
Fanatiker. Aber Milch eine ungeheuere Kluft trennte beide 
Extreme. Und wenn letztere auch gelegentlich immer noch 

an die Schärfe des Schwertes Gottes appellirten, so sind 
doch die Wühlereien im Volke fast ausnahmslos nur von 
den Jacobiten angezettelt worden. Die vornehmsten und 
einflussreichsten Herren des Landes \\airden zu Demagogen, 
vorzüglich doch weil mit der Annahme der Union jede Aus- 
sicht auf Restauration ihres Hofs und des ihnen schmeichebi- 
den Kirchenthums dor Jesuiten ein für allemal verloren 
sdiien. 

Bfit seltenem Eifier und einer damals ganz ungewdhn* 
fich^i Froductivitat bemaditigte sich nun aber auch die 
oppositionelle Presse der Angelegenheit, um alle nationalen 

Vorurtheile frisch aufzustacheln. Die zahllosen Monarchen 
einer angeblich tausendjährigen Vergangenheit, die altna- 
tionalen Kronjuwelen nebst Scepter und Schwert wurden 
um so lauter ^mgerufen, weil sie demnächst von einem un- 
ersättlichen Eroberer geraubt sein würden. In Folge der 
Handelseinheit müsste der schottische Kaufmann, durch das 
Fortbleiben des Hofs der Ladenhalter der High Street von 
Edinburgh zu Grunde gehen. Der kleine Mann vollends 
würde bei englischen Preisen verhungern, weil er Waseor 
statt Bier trinken und sdnen Haferbrei ohne Salz essen müsste. 
Es hat nicht an Entgegnungen von der anderen S^e ge- 
fehlt, deren eine, dem Sir David Dalrymple zugeschrieben, 
ganz besonders trefft^nde Argumente bot. Der Verfasser 
redete seine I.andsleute folgendermassen an : ,,Eine hoch- 
herzige, siegreiche und tapfere Nation ladet Euch zu einer 
engen Einigung mit sich selber ein, eine Nation, deren Gesetze 
gerechter, deren Regierung nulder, deren Volk freier, beluU 
biger, glücklicher sind als die irgend einer anderen in Europa, 
mne Nation, die durch ihren Reichthum, ihre Weisheit imd 
Tapferkeit die furchtbarste Macht gebrochen hat, von der 
die Christenheit jemals bedroht gewesen, deren siegreichen 
Waffen auch Ihr selber Eure gegenwSrtige Sicherheit ver« 
dankt. Diese Nation ladet Euch zur Theilnahme an allen 
Vortheilen ein, deren sie sich erfreut oder die sie noch 



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BmUtihung des EinktiUstatUs in Grossärüannütn. 



45 



verhoffiEen dar£" Statt nun auf ein solches Aaerbieten ein- 
sugaliea, werde es zuruckgestossesi und zwar aus „Stolz, 
Armutih und Txagheit ^ eine wdt schlinunere Vereinigui^ 
als diejen^» von der gegenwäirtigf die Rede ist.'* Er er- 
innert an Wales, an Yoiksliire, die, seitdem sie in Engrland 
aufgegangen, doch wahrhaftig an jedem englischen Privileg 
Antheil hätten. Und endJkh: „Verlieren wir unsere Selb- 
ständigkeit in irgend einem anderen Sinne als England sie 
verliert? Wird es nicht neue Titel, Siegel, Wappen und alle 
dieselben Umwandlung-en geben für England ebenso gut 
wie für uns? Ist es ehrenrühriger für Schottland, sich mit 
j^em, als für England sich mit ims zu verbinden ? Land und 
Leute werden nicht vernichtet, noch wird die Union alle 
Heldenthaten verschwinden machen, die zu irgend einer Zeit 
von der sdiottischen Natiop vollbracht worden sind." 

Die Debatten im Parlamentshause konnten, was die all- 
gemeine Lage betraf, kaum in dnem gOnstigeren Moment 
anheben als am 12. October. Der grosse Schirmherr des 
Jacobitismus , Ludwig XIV., war zu dieser Stunde bereits 
durch Marlboroughs Sieg bei Rammillies und durch die 
günstigen Erfolge der Verbündeten auf der pyrenäischen 
Halbinsel dermassen in 's Gedränge gebracht, dass ein fran- 
zösisch-schottischer Angriff auf England fur's Erste sehr 
unwahrscheinlich wurde. Die Regierung der Königin da^ 
gegen hatte die Fäden der allerdings von franzosischrjaco- 
bitischen Parteigangem geschmiedetan • Conqilotte in der 
Hand imd konnte, wenn sie wollte, die vornehmen Ver- 
schworer in . den eigenen Stricken fangen. Nur des hitz- 
köpfigen Pöbels der schottischen Hauptstadt, der im Gre- 
heimen von denselben Aufwieglern bearbeitet wurde, hatte 
sie sich keineswegs versichert. Der pßegte in diesen Tagen 
allabendlich dem gefeierten Herzoge von Hamilton, wenn 
er sich nach Beendigung der Sitzung im Tragsessel nach 
Holyrood hinab verfügte, tumultuarisches Geleit zu geben. 
Als er nun aber am 23. unterwegs noch seinen Partei- 
genossen, den Herzog von Atholl, zu besuchen ging, begann 
der lärmende Haufe an der in einem der Riesenhauser 
der High Street gelegenen Wohnung des Ex-Provost 
der Stadt Sur Patrick Johnson sein Muthchen zu kühlen. 



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46 



Entstehung des Einheitsstaats in GrossMianmün, 



Steine flogen gegen Jedermaim, der nur den Kopf zum 
Fenster hinaus zu stecken wagte. Auch der Dichter des 
Robinson Crusoe, Daniel Defoe, der sidi damals als Publi« 
dst der Whigs in Edinburgh aufhi^ und eine sdiwerfällige, 
bisher jedenfiUls sehr unkritisch herausgegebene GreschichtB 
der Union hinterlassen hat, versichert, dass es wie bei An- 
deren auch auf sein Leben abg-esehn gewesen sei. Die Stadt- 
wachen waren durchaus nicht im vStande, dem wüsten Treiben 
zu steuern, bis ein Bataillon der schottischen (jarden der 
König'in, die man so eifersüchtig nicht aus dem Lande lassen 
wollte, vom Schloss herbeigezogen wurde. Gegner der Union 
wie Lockhart behaupte dagi^fen, dass die im Grunde so 
unbedeutende Erneute bezeuge, wie unpopulär das Einheits* 
werk g'ewesen, dass aber leider die Bewegung f8r die Zwecke 
der Cavaliere viel zu früh ausgebrochen und selbst die Ab» 
Stimmung vieler Parlamentsmitglieder unter dem Druck des 
im Widerspruch thit den Gresetzen verwendeten MllitSis 
erzwungen worden sei. Als dieselbe Faction arglistig und 
lediglich zu politischer Agitation auf Abhaltung öffentlicher 
Fasten (Buss- und Bettag) drang, entwand ihnen die gerade 
versammelte General Assembly der schottischen Kirche, weil 
ihr allein die Ansetzung religiöser Feiertage zustehe, ge- 
schickt dieses gefährliche Werkzeug. Während nun aller- 
dings die Kirche aus ihrer Geneigtheit für den Anschhiss 
kein Hehl machte, unterliess sie doch ebenso wenig, in ge- 
legentlidien Anschreibe an das Parlament auf die Bedenken, 
die von ihrem Gesicht^unkt entgegen standen, aufmerksam 
zu machen, wenn auch nur, um sie aus dem Wege zu räumen* 
Die 26 Bischöfe als Mitglieder des englischen Oberhauses 
konnten doch unmöglich an der Gesetzgebung über ihr 
heimisches Kirchenthum Theil nehmen. „Wir bitten", so 
heisst es daher in einer jener Eingaben, ,,in aller Demuth 
und schuldigem Respect für Ew. Gnaden und die ehren- 
werthen Stande des Parlaments, ihnen vorstellen zu dürfen, 
dass es mit unseren Pnncipien imd Verträgen unvereinbar 
ist, wenn Kirchenmänner ein bürgerliches Amt bddeiden 
und Grewalt im Gremeinwesen ausüben wollen.*' Zugleich 
aber war auch für Adressen yon feindlicher Seite aus den 
Kreisen der Grundbesitzer und der Corporationen d^ zahl- 



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Entstehung d€S Einheitsstaats in Grossbritannien. 



47 



reichen Gra&chaftsstädte gesorgt. Sie suchten mehr oder 
weniger alle Über einen Leisten die beabsichtigte Union als 
^ Werk der Eroberung darzustellen und haben viel dazu 
beigetragen, dass diese Auf^usung nodi ein Jahrhundert 
lang am Leben bleiben konnte. Wer weiss nicht» wie Sir 
Walter Scott, der jene Tage der Nachwelt am lebendigsten 
zu vergegenwärtigen verstand, selber noch der Ueberzeugung 
lebte, die Union sei einst seiner Heimath gegen ihren Willen 
aufg-enöthigt worden. Dem entspricht nun freilich die Lang- 
müthigkeit am wjenigsten, mit welcher die englischen Bevoll- 
mächtigten dar wenig zuversichtlichen Haltung ihrer eigenen 
Freunde unter den Schotten aascheinend unthatig zusahen. 

Fast ein ganzer Monat war denn auch mit Präliminarien 
vertändelt worden, bis am 4. November und zwar auch nur 
gewissermassen zur Probe über den ersten Artikel des Ver- 
£i8sungsentwurfe abgesthnmt werden sollte. Bei jener Ge- 
legenheit schwang sich Lord Belhaven zu einer Rede auf, 
die den ganzen Groll des Patrioten ausströmte und, da er 
ohne alle Stuart'schen Neigungen war, den innersten Ge- 
danken vieler seiner Landsleute Luft machte. In Form, Ton 
und Vortrag erscheint sie wie ein mächtiger Appell weit 
mehr an das Land als an dessen Vertreter, die zumal auf 
den Bänken der Peers in Unthatigkeit verharrte. Bei der 
Abstimmung über jenen ersten Artikel erklärten sich trotz- 
dem Dank dem fliegenden Geschwader 116 gegen 83 für 
die MassregeL Nachdem nun zu Ausgang des Monats die 
Hauptstücke der BiU, welche die volle legislative und ad- 
ministrative Einigung beider Reidie so wie dieselbe Thron- 
folge vorzeichneten, durchgebracht waren, Hess sich die 
Regierung willig gefallen, dass in den wirthschaftlichen Ent- 
würfen allerlei zu noch grösserem Vortheil der Schotten 
amendirt wurde. So heftige Kämpfe es auch kostete, selbst 
für das schottische Ale, das damals wenigstens an Kraft 
den englischen Bieren noch nicht gleich kam, wurde eine 
mdu: als ent^nrechend niedrige Accise erobert. Im Uebrigen 
näherten sich die Berathtmgen einem ersichdich gunstigen 
Abschlüsse, fiüls es nicht den auf fremde Intervention sin- 
nenden Gegnern doch nodi gelang, einen vernichtenden 
Streich gegen denselben zu föhren. Es sind in der That 



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£ntstghun£^ des Einheitsstaats in Gr^ssbrUannien. 

- 

Beweise vorgelegt worden, dass 24 junge Vaterlandsfreunde 
im Gewände der halb civilisirten Hochländer sich verschwo- 
ren hätten, den Lord High Commissioner Quensberry zu 
ermorden« Auf den Strassen Edinburghs wurde es immer 
wieder unruhig; das Leben der unionsfreundlichen Politiker 
erscliieii stets von Neuem bedroht. Im Westen gährte es 
längfst unter den Covenanters wie unter der gaelischen Be- 
vdUceruog. Merkwürdig, wie Jaoobiten und Papisten das 
Blnd^lied waren zwischen diesen beiden heterogenen Ele- 
menten, und wie der Pobel von Glasgot^, aus sammtlicheii 
Bestandüieilen gemischt, Tage lang die Strassen der Stadt 
behmschte, selbst nadidem er dem zagenden Magistiat eine 
protestirende Adresse an das Parlament abgerungen hatte. 

Wirkliche Besorgniss frdlich erregte damals nur die 
Stimmung der Cameronianer in der südwestlichen Ecke des 
Landes. Im Hinblick gerade auf sie aber war ein Artikel 
der Sicherheitsacte suspendirt worden, so dass während der 
parlamentarischen Session keine Musterungen noch kriege- 
rische Uebungen Statt haben durften. Aber wie hätte eine 
Secte wie diese darauf hören sollen, deren kriegerisches und 
religiöses Feuer von einem und demselben Funken ange- 
schlagen wurde, welche über sich nur das Regiment Gottes 
und kein menschliches dulden wollte. Immerdar fühlten sie 
sidbi wie ein streitbares Heer des Herrn rings von Feinden 
uneben, £in Wille, ein Opfermuth beseelte ihre (xemein* 
Schaft, die jedoch, obwohl republikanischer Natur, dßc Zucht 
und Leitung herv<Hrragender Kopfe nicht entratiien konnte; 
Ein Edelmann, John Ker of Kersland, der zwar sehr gegen 
bessere Ueberzeugung, aber aus seiner ei^n erblichen 
Position heraus zu ihren Führern zahlte, hat in seinen 1726 
veröffendichten DenkwürdBgfkeiten die werthToBsten Aus* 
sagen hinterlassen über eine Erscheinung, die in einigen 
Stücken fast an die Camisards der Cevennen erinnert. In 
dem auf eigenen Füssen stehenden Staat ist für sie ebenso 
wenig Platz wie für eine Kirche, welche Herrin des Staats 
sein will. Ker sagt denn auch von den Cameronianem: 
„Sie sind streng religiös und handeln stets grundsätzlich, 
indem sie den Krieg zu einem Glaubensartikel und die Po» 
litik' zu Ueberzeugungssatien erheben. Sie fechten ^de sie 



beten imd beten wie sie fechten; ein jeder Kampf wird su 
einer neuen Prüfung des Glaubens^ denn nach ihrer Vor- 
steUung Aehea sie unter dem Baimer Chnsti einher. Fallen 
sie, so sterben sie in ihrem Beruf als MSr^rter der guten 
8adie; durch Vergiessea ihres Bhxts vollenden sie das Werk 
ihrer ErlÖsus^. Bei solchen Grundsätzen können dte Came- 
ronianer wohl erschlagen, aber nicht besiegt werden." Durch 
die Quartalberathungen ihrer Vertreter waren sie, wie der 
mit ihnen vertraute Verfasser am besten bezeugen konnte, 
in einer Weise organisirt, dass sie sofort zusammenzutreten 
vermochten und, da sie unbedenkUch Folge leisteten» wie 
schwach auch immer ihre Anzahl sein mochte, allen anderen 
imponirten. Nachdem ein Trupp von 200 Serittenen am 
zo, November dne Prodamatton an das Kreuz auf dem 
Markte von Dumfries geheftet, durch w^ohe das Land auf- 
gefordert wurde, sich für seine uralte nationale Unabhängig- 
keit zu erheben, schdnt es wirklidi im Werk gewesen zu 
sein, die katholischen Hochländer des Nord-Ostens und die 
Cameronianer von der entgegengesetzten Seite zusammen- 
stossen zu lassen, um das Parlament in der Mitte aufzu- 
heben. Verrath von hüben und drüben hat den Anschlag 
zu Schanden gemacht. In einem Zeitalter, dessen politische 
Moral noch unendlich niedrig stand, wusste der Herzog von 
Queensberry sogar die geistlichen und weltlichen Aeltesten 
der Cameroniatier, man sieht nidit, durch wekhe Form dar 
Bestedumg, an sich zu zi^ien, und Ker maxSat sehr naiv 
gar kein Hehl daraus, dass audi est sich zu nahem gewusst 
habe. Der Herzc>g von Hamikon hatte dann noch in eiHlber 
Stunde den Auszug abbestellt; seine Anhänger selber be- 
gannen bereits an ihm irre zu werden, seit er bei einem 
Massenaufzuge der kleinen Landjunker in Edinburgh, die 
ohne Unterschied der Partei zu protestiren kamen und poli- 
zeilich abgewiesen wurden, nicht freudig seine Hand geliehen. 

Iiiittlerweile aber war die Berathung des Unionsgesetzes, 
wenn auch langsam, doch entschieden vorgerückt. Die 
schottische Kirche hatte sich vom Parlament eine.Sicher- 
heitsacte bestätigen lassen, derzufolge ein jeder Souverän 
Grossbritannieps fortan bei seiner Thronbesteigung zu be» 
schworen hat, in diesem Reiche sie allein bei.dem Regiment, 

PM]|,A«ailn. H. F. 4 



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50 



£ntst4kuH^ des EinheiUstMts in Grossöriimtmim, 



dem Grottesdiaost» der Kirchenzucht und ihren Rechten be- 
sdiimien zu wollen. Die Eifersucht gegen die Episcopa- 
H^ten war noch so lebendig, dass allen Professoren und 
Lehrern an öffentlichen Schulen Grlaubenseide auüerlegft wor- 
den sind. Denn der in Kraft bestehenden Testacte der eng- 
lischen Kirche sollte mit dem gleichen Mittel begegnet 
werden , dessen diese sich bediente, was sich denn beide 
Theile mehr grollend als versöhnend gefallen lassen mussten. 
In anderen Stücken, wie z. B. der liberalen Entschädigung 
aller derjenigen, die in den Ruin der Darien - Compagnie 
verwickelt waren, zeigte sich, wie weise und wohlthäticf das 
Nachgeben der Engländer zu wirken begann. Bis auf das 
Haar aber musste das Geld-Aequivalent stimmen, denn auf 
Heller und Pfennig haben zwei mit diesem Greschafte betraute 
Professoren der Mathematik die Voranschläge nacfaredmen 
müssen. Auch eine Reihe von Personalprivil^fien, den Vor- 
zieht auf die nationale Münze, deren kleinstes Kupfer stück 
bisher seine Distel zur Schau getragen, deren Silberstucke 
meist unter dem Werth circulirt hatten, Hess man sich durch 
Prämienzahlung abkaufen. Die Bewahrung der eigenen 
Justiz konnte vom Parlament nur gut geheissen werden, 
doch ruhte der particularistische Hochmuth nicht, bis er in 
.den die Patrimonialgerichtsbarkeit betreffenden Paragraphen 
den unglücklichen Ausdruck superiorities einschmuggelte, 
als ob dieses feudale Standesrecht für alle Zeiten einer Ver- 
besserung durch die Gesetzgebung entz<^fen bleiben konnte. 

Noch einmal, als mit dem 22. Artikel Schottlands An- 
theil an der gemeinsamen Repräsentation zur Schlussbera- 
thung stand, sollte Sturm gelaufen werden gegen die nun- 
mehr so gut wie vollendete Arbeit. Feierlich wollten die 
Gegner durch den Mund Hamiltons und durch Vorlegung 
einer sehr geschickt entworfenen Denkschrift gegen diesen 
Selbstmord an sich selber und der Nation protestiren und 
alsdann in Masse austreten, damit das Haus beschlussunfähig 
werde, wahrend wiederum die Menge in Bewegung gerieth, 
weil etwas Ausserordentliches im Anzüge zu sein schien. 
Da hat dieser Edelmann sein und seiner Freunde Absicht 
zu Schanden gemacht, indem er zuerst unter dem Vörwande 
von Zahnschmerzen fortblieb und, als man ihn zu erscheinen 



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EntsUhung des Einheitsstaats in Grossbritannien, 



zwang, sich weigerte, der Wortführer zu sein. Er selber 
ein Stuart verstrickte sich wie sein unseliges Königshaus 
rettungslos in die eigenen Ränke. Jedesmal am Scheide- 
wege zuckte er furchtsam zurück; Leben und Gut — und 
er besass bedeutendes Eigenthum auch in England — wollte 
er eben so wenig auf das Spiel setzen, wie die Anwart» 
Schaft auf die schottische Krone, die ihm noch keinesw^^ 
völlig' begraben schien. So handelte er damals und famer* 
hin gegenüber dem Souverän in Westminster wie dem Prä- 
tendenten in St. Gennain. Ausserdem aber warira die pro* 
testirenden Patrioten ja selber unter sieb gespalten. Flet* 
eher und Belhaven hatten kirchlich und dynastisch Nichts 
mit den Jacobiten gemmn, und diese hinwiederum mochten 
doch auch wohl ihren Irrthum begreifen, dass, wie sie ver* 
geblich auf französische Intervention gerechnet, die ver- 
meintliche Abneigung ihrer Heimath gegen die Union sie 
eben so sehr in vStich lassen werde. Die Debatte ohne die 
entsprechende Führung verlief daher völlig ziellos. Selbst 
der Antrag, dass sich das Parlament Grossbritanniens jedes 
dritte Jahr in Edinburgh versammeln möge, ging zu Gunsten 
einer dauernden Hauptstadt des Gesammtstaats verloren. 
So blieb denn nichts Anderes übrig, als die vollendeten 
Geschicke einstweilen in der Uof&mng hinzunehmen, dass 
der Wind auch einmal wieder von der anderen Seite wehen 
und schliesslich doch den xerbrechlichen Kunstbau umstürzen 
werde. Am i6. Januar 1707 erfidigte die Schhnwabstimmung 
über den Unionsantrag und, nachdem 1 10 ihn angenommen, 
69 ihn verworfen, berührte zum letzten Mal Dunr Majestät 
Lord High Commissioiier die Acte mit dem königlichen 
Scepter. Lockhart erzählt, dass der Lord-Kanzler Seafield, 
als er mit der amtlichen Ausfertigung des Instruments fertig 
geworden, frivol in altschottischer Redensart ausgerufen 
habe: nun hat das alte Lied ein End' {iDid iJicre's an end 
oan auld sang). Auch Sir Walter Scott konnte ihm das 
nicht verzeihen und erklärte, Seafield hätte dafür gehängt 
zu werden verdient. Einer der Hauptförderer aber, Lord, 
Stair, war, nachdem er die Hauptartikel, insonderheit die 
gemeinsame Legislatur hatte in Sicherheit bringen helfen, 
der geistigen Ueberanstrengung erlegen. Kaum aus der 

4» 



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SnttUhum^ dds SinänttttamU im Gt'Mtkt'itmnmüm* 



Sitzung des 7. Januar nach Hause zurückgekehrt, nachdwn 
er mit allor Kiaft för den 22. Artikel eingetrefeCB war» wurde 
er von eiiwni lawchen Tode hinwoggeiBfiL 

Man hat die leitenden P<wtonlichkfitiMi , beeonderB die 
edioCtischefi Peers, beednildigt, daas sie 9^gen direde 
Bestechung ihre SÜmmen ve r kaiiR hatten. Der Jaoobit 
Lock hart will sogar mit bu^haftur Grenngthuung späterhin 
L. 20,540. 17. 7 herausrechnen, an welchen zu grossen und 
kleinen Theilen zwei und dreissig Herren participirt hätten 
— immerhin eine geringfügige Summe in Vergleich zu der- 
jenigen, welche im Jahre 1800 bei ähnlicher Gelegenheit 
ofienkimdig den bisher in Irland Berechteten ausgezahlt 
worden ist. Derselbe moralische Flecken aber würde den- 
noch dem Beefeecher und dem Bestochenen anhaften, wenn 
die Gelder mdit, zum gxoeaeii Thflüe wenig s t en s, sich als 
sehr berechtigte Zahlung nadiweisea liesaen. In eineoi 
Finanzberichte nämlich, den das Tory - Ministerium Harley 
und St. John, nachdem es Marlborough samint den Whigs 
gestürzt und Walpole wegen angebUchen Unterschleifs in 
den Tower gesteckt hatte , im Jahre 1 7 1 1 erstatten Hess, 
begegnen wir L. 12,325, die der schottischen Schatzkammer 
mit einer gewissen Heimlichkeit vorgeschossen worden sind, 
deren Rückzahlung aber nicht benimmt zu erkennen ist 
Da mm aber in Schottland erwiesener Massen eine Menge 
rückständiger Gehälter abzutragen waren — der Exkanader 
Graf Marchmont klagt in seinen Briefen über die ihm ans* 
stehenden S27 Pfand — da Lockhart selber <fie 12,325 Pfund 
für den Etat des Lord High Commissioner ansetzt, so schwin- 
den die vermeintlichen Bestechungsgelder auf L. 8215. 17. 7 
zusammen. Die ganze Transaction wird vermuthlich vor einer 
strengen Oberrechnungskammer nicht bestehen können, sie 
trägt aber das deutliche Gepräge, dass auch in diesem Stück 
die Mittel der englischen Schatzkammer die erschöpfte 
schottische Staatskasse ersetzen mussten. Man that dies 
mog^Jcfast ohne Aufsehen mid Enqpfindlichkeit za erreg en ; 
.und auch die zuletzt genannte, nicht verrechnete Summe 
wird trotz Lockhart bestimmt gewesen sein, noch ander* 
weitige Vepflichtmigen der schottischen Krone zu decken. 
Mit Geld sicherlich wurde der Ausgleich erkanft, aber, wie 



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i 

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Entstthung des Einheitsstaats in Grossbritannien. 



ynx schon wissen, gegen sebr bestUnmte Ansprudie der 
sdiottisdien Nsdon. . . 

Audi iiadi ibrer entscheidenden Absthnmung jedoch 
waren die Stande in Edinburgh noch beisammen geblieben.. 

Denn, so lange die Angelegenheit nicht auch in Westminster 
abgemacht, fungirten sie immer noch als unabhängige Legis- 
lative. In vollem Einklänge mit dem Sinn der Unionsacte 
beschlossen sie am 20. Januar, dass, da das gegenwärtige 
englische Parlament als englischer Bestandtheil zur Gesammt- 
repräsentation hinzutreten werde» auch die schottischen Peers, 
und Gemeinen aus den versammelten Ständen Schottlands 
zu wählen seien. £s war daher noch die Aeussemng eines 
selbständigen Acts, dass die 16 Peers, statt zu rotbren für jede 
Legislaturperiode aus ofifener Wahl ihrer Standesgenoasen 
hervorgehen und dass der gesammte Stand nebst seinen 
Erstgeborenen, weil sein Vorrecht auf erblichem Grundbesitz 
beruhte, von der Wählbarkeit für das vereinigte Unterhaus 
ausgeschlossen sein sollte. Eben so selbständig wurden die 
45 Plätze für die Gemeinen vertheilt, mit denen Schottland 
abgefunden worden, zu viel, wenn das Eigenthum, zu wenig, 
wenn die Bevölkerungsziffer den Massstab abgab. Dreissig 
Repräsentanten kamen auf die Grafschaften, und nur funf- 
zelin auf die 67 Städte und Flecken, unter denen Edinbuxgh 
allein bis zur Refonnbill von 1832 einen eigenen fOr sich 
besessen bat, wahrend die übrigen auf Wahlkreise bestimm- 
ter Stfidtegruppen mit indirectem Wahkedit vertiieilt wor« 
den sind. Das active verblieb* wie bisher auf dem Lande 
den Freigutbesitzem, nur dass jene Superiorität, eine in ihrem 
Wesen völlig verzerrte Grundherrlichkeit, bereits losgelöst 
von dem Gute vererbt und sogar veräussert werden konnte. 
In Städten und Flecken genoss die sich selbst ergänzende 
Corporation fast ausschliesslich das parlamentarische Privi- 
leg. Dass alle Papisten ausgeschlossen blieben^ entspradi 
dem Geist des durch die Revolution von 1688 emandiurten 
Staatswesens. 

Auch ein finanzielles Geschäft blieb necb zu eriedigen» 
namlirh die Vertheilung der Entschadigungssimimen, untsr 
denen sich gerade jene Gelder befonden, welche als Be- 
stechung gebrandmarkt worden sind. Und unliebsam genug 



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54 



MmUUhung des Einheitsstaats in Grossbritawueu. 



mochteii es die Schotten empfinden, dass sämmtlichen Com- 
missaren, sogar bis zu denen des Jahres 1702 hinauf, Re- 
munerationen zn Theil geworden sind. Eine eigene Com- 
mission vertheilte unter die Inhaber der Daxien-Actten die 
hübsche Summe von 232,884 Pfimd, indem zu dem einst 
wixldich eSi^pezahlten Ca|»ital von 219,094 Pfund die Zinsen 
bis zum II. Mai 1707 eingerechnet wcxrden sind. Nach einer 
kurzen beglückwfliischenden Ansprache vertagte der Herzog 
ven Queensberry am 25. yOkn die Stände, die nie wieder 
zusammentreten sollten. Ihre schone Halle ging an die 
Advocateninnung über. Der Obercommissar verfügte sich 
hierauf nach London, wo er noch einmal wie der Repräsen- 
tant einer selbständigen Macht in feierlicher Auffahrt em- 
pfangen worden ist. 

Wie sie Schottland den Vortritt gelassen, so setzten die 
englischen Staatsmänner auch voraus, dass das englische 
Parlament an den dort zu Stande gekommenen Beschlüssen 
nichts Wesentliches mehr ändern werde. Jedes Hin- und 
Herverhandeln hätte ja auf unabsehbare Abwege fuhren 
müssen. Sie hatten daher den Schotten solche Amenda- 
tionen des Vertrags hingehen lassen, von denen sich im 
Voraus annehmen liess, dass sie in Westminster nidit wieder 
umgestossen würden. Dort hatten die Verhandlungen schon 
im Januar und zunächst bei den Lords ihren An£emg ge- 
nommen. Es war ein alter Vertreter der königlichen Präro- 
gative und der hochkirchlichen Principien, Daniel Finch, 
Graf von Nottingham, der echt conservative Querkopf, wie 
er die Freunde des Fortschritts zur Verzweiflung zu bringen 
püegt, und doch eine jener sanften Persönlichkeiten, denen 
es zur anderen Natur geworden, sich schieben zu lassen, 
welcher am 14. des Monats, als er den Lord Godolphin um 
Vorlegung der schottiscden Verhandlungen ersuchte, seine 
Befürchtung nicht unterdrücken konnte, dass, wie verlaute, 
die zum Schutz der presbyterianischen Kirchenordnung ge- 
machten Concessionen die Staatskirche mit grosser Geüahr 
bedrohen würden. Er musste sich einstweilen mit der aus- 
weichenden Antwort zufrieden geben, dass es der englischen 
Nation zur Ehre gereiche, den Vertrag ratifidit vom schotti- 
schen Parlament entgegen zu nehmen. Am 28* erschien die 



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BmUtthung des JSinßuUsstaats tu Grossbritannien. 



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Konigin im Hause der Lords, um in ihrer Gegenwart den 
vereinigten Standen den Vertrag sammt der Notifications- 
acte überweisen zu lassen. Die Thronrede bewegte sich 
meist in Allgemeinheiten, indem oe auf eine zu erwartende 
glückliche Vollendong hinwies imd nur speciell die Gremdnen 
einlud, bereitwillig die Mittel für das vereinbarte Aequi- 
valent zu votiren. 

Parallel mit dem in Edinburgh beliebten V erfahren be- 
gann man auch hier mit einer „Acte zur Sicherung der 
Kirche von England, wde sie durch Gesetz besteht", die 
gleich der schottischen dem Unionsvertrage angehängt und 
der nicht minder durch den Eid des Souveräns allemal bei 
seiner Krönung Ausdruck gegeben werden sollte... £s galt 
also wesentlich, wozu bisher das englische Parlament ver- 
pflichtet gewesen, nunmehr auch das imperiale Parlament 
Gfossbritanniens zur Bewahrung der anglikanischen Kirche 
feierlich anzuhalten. Noch lebten Leute, die sich der Tage 
des Covenants sehnsüchtig erinnerten; auch rechnete manche 
calvinische vSecte auf vSprengung des staatlichen Princips im 
Anglikanismus , das ihnen die politischen Rechte entzog. 
Allein schon die Reciprocittät dem Presbyterianerthum ge- 
genüber erforderte eine solche Erklärung, die in der Hand 
der Whigs und kirchlichen Latitudinari^, wie Erzbischof 
T^iison und der meisten seiner Amtsbrüder, nodi müd genug 
ausfiel Denn ein Antrag von Tory-Seifce, an dem sich Not- 
tingham und vier Bischöfe betheiligten» die Acte Karls IL 
gegen papistische Recusanten zu erneuern, weil sie sich 
gegen Papisten und Dissenters gleich sehr wirksam er- 
wiesen habe, wurde am 3. Februar in Gegenwart der Köni- 
gin und ihres Gemahls, des Prinzen von Dänemark, die nach 
Gewohnheit früherer Stuart-Fürsten den Verhandlungen bei- 
zuwohnen kamen, erfolgreich abgeworfen. 

Die Debatten der Gemeinen, die am 4. als Gesammt- 
ausschuss des Hauses ebenfalls in Gr^enwart Annans eine 
königliche Botschaft entgegennahmen , in welcher sie auf* 
gefördert wurden, zunächst nur das Ganze anzunehmen oder 
abzulehnen, fielen demgemass sehr summarisch aus. Sie er- 
streckten sich nur bis zum 8. und wurden vorzugsweise von 
der Opposition belebt, die gar nicht begreifen wollte, dass 



L. 



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Entstehung des EinäiUuteuUs in Cfr^sbrümmSfm» 



man ihrem Hause nicht wie den Schotten an den einzehien 
Artikeln zu mäkeln und zu ändern gestattete. Im Unmuth 
wegen der Ueberstürzung riefen sie ein über das andere 
Mal dazwischen: Schnellpost! {poste hastet). Am heftigsten 
benahm sich Sir John Packington aus Worcestershire , der 
mit unverhüllten Worten die Mitglieder des schottischen 
Parlaments der Bestechung zu bezichtigen wagte und es dem 
Hause anheimgab , ob Männer von solchen Grundsätzea 
würdig seien , unter ihnen Platz zu nelunen. Wie es ihm 
unverständlich war, daas ein und derselbe Monarch die Pri- 
vilegien der beiden streitenden Kirchen beschwören könne» 
so würden sich andi 2wei Nationen ntmmemiehr vmhiigea 
lassen, deren TrirrMfihe Instttate, jedes für sidi, aus g5tt- 
Mcfaem Recht entsprungen zu sein behaupteten. General 
Mofdaunt entgegnete ihm nidit ungeschickt: wenn dies wirk- 
höh der Fall sei, so habe der Allmachtige doch zugelassen, 
dass die eine Kirche in England, die antee in Schotdand 
überwiege. Die Gremeiron genehmigten, da die Opposition 
keine Einzelabstimmung erzwingen konnte und eine spätere 
Gelegenheit dazu sich nicht mehr einstellte, rasch den Bericht 
ihres Ausschusses, der die Annahme der einzelnen Artikel 
in sich schloss. 

Mit dem 15. indess kamen dieselben Fragen noch ein- 
mal bei den Lords zur Discussion, wo die Regierung neben 
Burnet, dem hochverdienten Bischof von Salisbury, dem 
Vertrauten des verstorbenen Königs, fiir die Kirchenfrage 
einen trefflich dialektischen Wortführer an Dr. William 
Talbot, dem Bischof von Oxford, besass. Ein Tory-'Loird, 
der in dem überaus dürftigen Bericht nicht bei Namen ge- 
nannt wird, hatte an die Bank der Bischöfe, auf welcher 
die Latitudinarier allisrdinga Torherrschten, die verf Saglidie 
Herausforderung gerichtet: „Wenn die hochwurdigen PriU 
latan den Glauben der Kirche von England nicht £ur den 
reiiBten und schriftgonSseesten und ihre Verfassuqg nicht 
für confonn halten mit der ursprüngüdhen Kirche, wenn sie, 
(fie auch mioh unterwiesen, mich in der That irräiihnildi 
gd^irt, wemi sie selber ihre Meinung geändert haben — 
grut, dann sollen sie es sagen und mich enttäuschen." Sol- 
cher Engherzigkeit war nun der Bischof vollkommen ge- 



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i 

Entstehung des ßinhtitsstatLts in Grossbritannitn, 



wachsen, indem er neben der Ueberzeugnng die Tolercanz 
gelten Hess. Gewiss, erwiderte er, verharrte die schottische 
Kirche nicht aus Nothwendigkeit, sondern aus freier Wahl 
ohne bischöfliches Regiment; auch ist es nicht einfach zu 
entschuldigen, dass sie sich von dem apostolischen und ur- 
sprünglichen Mnater entfernt hat. Sie bezeichnet sich sogar 
als die wahre protestantische Religion. Aber werden dtee 
Ansichten von uns ctoe Weiteres gebilligt, indein wir In 
einem staatiichen Vertrage mit Achtung von der, Kirche 
Sdiotdands spredien? Es ist das Ein und Dasselbe, wie 
wenn Ludwig XIV. in volkerreditUchen Tractaten als der 
allerchriBtlichste Monarch angeredet wird." Dr. Talbot ver- 
gass audi nidit, an die geringfügige Ansahl su «rinnem, 
mit welcher die Schotten im Parlament erscheinen — und 
dass sie schwerlich allesammt zelotische Presbyterianer sein 
würden. Sehr fein wurde auf das Bekenntniss der Jacobiten 
angespielt, das doch sehr wenig mit dem Protestantismus 
gemein habe. 

Es war sicherlich ein eigenthümlicher Moment, als eben- 
falls im Beisein der Königin Bischof Burnet, von der Re- 
gierung mit der Oberleitung dieser Angelegenheit betraut, 
die Hauptdebatte der Lords eröffnete. Er selber von un- 
scheinbarer schottischer Herkunft hatte die hohe Ehre, als 
Kirchenmann und aufgeklärter Politiker von der stolzen 
Aristokratie Englands Gerechtigkeit für sein verachtetes, 
im Stülen vielleicht noch immer gefurchtetes Vaterland zu 
er wirken . Die Tory* Opposition hat da doch noch höchst 
eigenthumlkhe Einwürfe vorgebracht, wobei der Graf von 
Nottingham sich wieder erfindungsreicher zeigte als alle seine 
Standesgenossen. Er meinte, durdi die Beirichnung Gross- 
britanniea werde die alte Monardiie sammt ihren Grrund- 
sitzen entwivsdt, und verlangte, darüber das Urthell der 
Kronrichter zu vernehmen, die dann freilich dnstumnig er- 
kannten, dass durch die neue Benennung die Verfassung 
des Reichs in keiner Weise berührt würde, indem dessen 
Gesetze mit Ausnahme der zur Abänderung bestimmten nach 
wie vor der Union dieselben blieben. Von ernsterem Nach- 
denken und fast radicaler Tendenz zeugte andererseits der 
Angriff Lord Havershams. Er richtete sich gegen die von 



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58 



EnUUhung des Einheitsstaats in Grossbritannien, 



den Schotten zu bewahrende Patrimonialgerichtsbarkeit und 
die municipalen Corporationsrechte , „welche bereits Oliver 
so weise gewesen, durch einen staatsrechtlichen Act aufzu- 
heben", und warnte die Peers von England prophetisch 
gegen Annahme des Artikels, der nur einen Splitter ihrer 
schottischen Standesgenossen zuliess, während diese alle« 
sammt doch eben so gut erbliche Gesetzgeber sein müssten 
wie sie selber. Man möchte wissen, wie Königin Anna bei 
Erwähnung des verabscheuten Protectors dreingeschaut 
haben mag. Auch haben es die Lords in der Specialdebatte 
einige Mal auf Abstimmung ankommen lassen, namentlich 
als North und Grey die geringe Kinsch&tzimg Schottlands 
in die Grundsteuer anfochten. Lord Hali£äx, einer der besten 
Staatsmänner aus Wilhehns IIL Schule, erwiderte, dass die 
numerische Vertretung- — imd er behielt ja im achtzehnten 
Jahrhundert noch völlig Recht — dem Maasse der Besteue- 
rung nirgends entspreche. Cornwall bezahle bei Weitem 
nicht so viel wie Gloucester und schicke doch fünf mal mehr 
Abgeordnete in das Parlament. Schottlands wSteuerquote 
freilich sei sehr niedrig und ungleichmässig, wenn man sie 
mit der englischen zusammenhalte. Aber man dürfe doch 
auch nicht erwarten, von jedem Artikel des Vertrags die» 
selben Vortheile zu ernten. Wenn sie hier und da von den 
Schotten überboten worden, so würden sie doch durch das 
Ganze imendlich entschädigt Nachdem am 24. Februar 
auch der letzte Paragnqih votirt war, bat der Graf von 
Nottingham noch artig um Entsdiuldigung, wenn er von 
Stück zu Stück die 2jea± der Herren gar sehr in Anspruch 
genommen habe, und schloss dann mit ^em formlichen 
Grebet, dass es Grott gefallen wolle, die schrecklichen Folgen 
abzuwenden, welche möglicherweise aus der Ecnverleibung 
hervorgehen könnten. Wie alle Sitzungsberichte jener Zeit 
lassen auch diese viel zu wünschen übrig; man sieht nur, 
dass die Beschlüsse mit beträchtlicher Majorität, aber nicht 
ohne die in das Protokoll eingetragenen Proteste mehrerer 
Lords gefasst worden sind. 

Schliesslich haben die Schöpfer der Union ihren Zweck 
rasch und bündig mit Hilfe eines Kunstgriffs erreicht, wie 
er bei solchen über die Zukunft entscheidenden Krisen, wo 



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Entstehung des Einheitsstaats in Grosshritannien. 



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allemal die Zeit drängt, beinah umimganglich erscheint 
Die Oppo^on im Unteihause hatte mit Sicherhdt noch auf 
«ne Specialdebatte gerechnet, in welcher Allerlei umge- 
stossen, vor Allem aber vi^eiclH; doch noch der Absdiluss 
in's Unbestimmte hinaus verzög-ert werden konnte. Da 
woirden, wie man erzählt, auf den gescheuten Rath des 
General-Staats- Anwalts Harcourt, die Unionsartikel in Form 
eines Berichts in die Einleitung* [preaitible) der Bill einge- 
flochten, welche die Acten beider Parlamente zimi Schutz 
ihrer respectiven Kirchen umfasste. Es hiess dann in einem 
resumirenden Abschnitt: „dasa alle und jeder der Unions- 
artikel, wie sie in der erwähnten Parlamentaacte von Schott- 
land vollzogen und genehmigt worden sind, und ebenso die 
vorher erwähnte Parlamentaacte Schottlands w^fen Be- 
festigung der protestantischen Religion und des presby- 
terianischen Kirchenregimentes in jenem Königreiche, be- 
titelt 'eine Acte zum Schutz der protestantij>clien Religion 
und des presby terianischen Kirchenregimentes', und jeder 
Paragraph mit seinem ganzen Inhalt in den erwähnten Ar- 
tikeln wie in der Acte hierdurch auf immer vollzogen, ge- 
nehmigt und bestätigt werden." Durch diese Kriegslist 
sind die Gregner vollends überrascht worden, denn sie konn- 
ten, wie Bumet in der Greschichte seiner Zdt erzahlt, die 
Debatte nicht wieder aufnehmen, sondern nrassten die Ver- 
lesung des Instruments, in welchem Fertiges vorgel^ 
wurde, sie modbten wollen oder nicht, der Greschäftsordnung 
gemäss geschehen lassen. Noch ehe sie sich von ihrem 
Schreck erholt oder gar einen neuen Operationsplan er- 
sonnen hatten, wurde die Thätigkeit des Unterhauses an 
dem Gesetz perfect. Auch der Versuch der Lords, der Bill 
noch nachträglich einen Zusatz {rider) anzuhängen, durch 
welchen Verwahrung gegen den Anspruch des schottischen 
Bekenntnisses, das wahre protestantische zu sein, «ngelegt 
werden sollte, wurde. mit 55 Stimmen g^gen 19 zurück- 
gewiesen. 

Am 6. Marz 1707 erschien Konigin Anna nodi einmal, 
I um feierlich mit den alt&blichen franzo^schen Worten die* 
! XJnionsacte in den fest ausgeprägten Formen emes engli- 
schen Statuts zu sanctioniren und damit einen Process ab- 

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6o MnUUkuitff i€s JSMMitiiaatt im GrttsbrUtumim, 

zuschliessen, dessen Agonien ein Jahrhundert zurückreichten 
und der in den letzten Jahren noch die stärksten Anstren- 
gungen der Politiker herausgefordert hatte, um einem Bruche 
voraussichtlich auf alle Dauer zu begegnen. Es hiess des- 
halb auch in der Ansprache vom Throne: „Ich betrachte 
diese Vereinigimg als eine Angelegenheit von der grössten 
Bedeutung für den Wohlstand, die Kraft und die Sicherheit 
des ganzen Eilandes, zugleich aber als ein Werk von so 
grosser Schwierigkeit und innerster Feinheit, dass bis jetzt 
alle Versuche, es zu erreichen, die seit hundert Jahren ge- 
schehen sind, sich als unwirksam erwiesen haben. Ich be* 
zweifle daher nicliti dass man sein Gedachtniss cor Ehre 
derer bewahren wird, welche zu der glücklichen Losung- 
das Ihre beigetragen haben. Ich wnnsdie und erwarte von 
allen meinen Unfeerlhanen b^dar Nadonen, sie werden fbrtaii 
mit aller öffentlichen Acfatung* und Freundschaft gegen* 
einander handeln, auf dass alle Welt erkenne, wie sie von 
Herzen entschlossen shid, ^n Volk zu werden. Das soU 
mir die grösste Freude sein imd wird uns alle rasch die 
glückliche Wirkung dieser Einigung empfinden lassen." 
Statt eines Bundesstaats, den bis zum letzten Augenblick 
wenigstens der Norden vorgezogen haben würde, mit Insti- 
tutionen, welche beiden Theilen nationale Geltung auch in 
Vertretung, Verwaltung und Verkehrswesen bewahrt haben 
würde, wurde durch Aufgehen in einander der Einheitsstaat 
errichtet, der nur diejenigen Sonderrechte bestehen Hess, 
welche gerade den Bimdesstaat £un meisten gefährdet haben 
würden, nunmehr aber zum Wohl des Ganzen sich gegen- 
seitig die Waage halten mussten. Nachdem sich am i. Mai 
das erste Vereinigte Parlament Grossbritanniens Yersammelt 
hatte, begann andi sofort die ernste Frufimg, weldie wk 
soidMr Schritt im VSlkerieben zu bestehen hat; noch lag* 
im Sdioase der Zukunft, ob er zum Guten oder zum ^3i0seQ 
führen werde. Leidenschafüich haben auf beiden Seiten des 
Tweed die Partden der Erhaltung den Segen zu eikenneii 
verschmäht, den die Schopfer des Werks denn doch mit 
sicherem GrefShl voraus verkündeten. Wie die Jacobiten 
des Nordens nur auf die schwachen Stunden und die gefähr- 
lichen Strömungen in dem zusanunengeketteten Gemein* 



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6i 



wesen lauerten, um ihren Prätendenten auf Grrund der alten 
Ordnungen in beiden Landern wieder an die Spitze der 
Dinge zu bringen, so war es mdat minder höchst bezeich- 
nend, dass unter den vielen b^lflckwfinschenden Adressen, 
widche damals an die Königin gmdiAet worden sind, die 
Universität Oxfonl stumm verharrte. Einstweilen jedoch 
hatten diese Elemente nicht zu verhindern vermocht, dass 
die Partei, die sich am Ruder befand, Whigs und gemässigte 
Tories, einem stets drohenden Umschlage der Dinge in 
Schottland zuvorkam und sich durch den Erfolg eben so 
unsterblich machte, als ihr grosser Held, der Herzog von 
Marlborough, durch seine gleichzeitigen Siege über die Heere 
Ludwigs XIV. Brachte das reiche England für das mate- 
ri^e Zusammenleben Opfer, zu denen es sich Anfangs nicht 
verstehen wollte, so musste einem auf seine nationale Ehre 
so überaus eifersüchtigen Volke, wie dem sdiottischen, es 
wahrhaftig nicht leicht fallen, alle eigene gesetzgeberische 
und administrative Befugniss daran zu geben. Indess der 
grosse Krieg hielt glücklicherweise beiden Hälften die Gefahr 
vor Augen, welche aus der Trennung statt der Einheit ent- 
springen musste. Das Bedürfniss der letzteren wurde auch 
fernerhin wach gehalten durch den Hinblick auf das Ab- 
leben des Souveräns: nur die gemeinsame Suocession, und 
zwar eine protestantische, bot die Garantie gegen den stets 
noch zu befürchtenden Wiederausbruch des Bü r g er kri eges 
in beiden Ländern. — 

Die wie eine Schwergeburt in's Leben gerufene legis- 
lative Vminigung Schottlands mit England blieb doch noch 
über ein Menschenalter sehr ernsten Stürmen ausgesetzt. 

Als die Unionsacte noch nicht einmal Gesetz geworden, 
war bereits ein Abgesandter des Prätendenten, „des Königs 
jenseits des Wassers", auf den Schlössern Nordschottlands 
erschienen, um die getreuen Anhänger zu mahnen, dass sie 
sich bereit hielten. Sogar mit den Cameronianem hat der- 
selbe anzuknüpfen gesucht, da es hiess, sie würden sich der 
Union nun und nimmermdir fügen. Im März 1708 se^ta 
sich denn auch wirklich ein franz5sisches Geschwader mit 
Landungstruppen und dem awanzigjährigen Stuart selber aa 
Bord im Meeitmsen des Förth und an den nächsten Küsten, 



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62 



MnUUhuH^ äts Eink^iUstaals iH Crrossbritannieiu 



machte sich jedoch Angesichts englischer Wimpel und Mast- 
spitzen schleunig wieder davon. Einige Edelleute, welche 
vorzeitig ihre Reisigen um sich gesammelt, wurden deshalb 
in UnterBuchung' Terflochten. Im Ganzen aber erwies sich 
die Hakimg der Parteigänger übenaadiend Um und zu einer 
Erhebung mit den Wafiea nur dOrftig vorbereitet^ wahrend 
die Regierung entsprediende Anstalten zur Gegenwebr nicht 
verabsäumt hatte. Selbst der Hauptzweck Ludwigs XIV., 
durch jene Diversion den in Flandern siegenden Herzog 
von Marlborou^h von dort al^zuziehen, g'ing' also nicht in 
Erfüllung. Indem dann aber bald hernach die llofintrigue 
in England selber dafür sorgte, ein anderes Regiment an 
Sjtelle des den Krieg in grossem Stil fuhrenden Ministerituns 
zu setzen, versuchte sich der junge Einheitsstaat in seinen 
ersten tappenden Schritten, in steter Ge£Edir zu straucheln. 
Der gegen die politische Einigung herrschende üble Wille 
durfte aus solcher Wendung besdnunte Hoffinmg schöpfen. 

Wenn ganze Geschwader mit schottischem Kaufinanns- 
gut in die Themse segelten und ihre I^dung, französische 
Weine und andere hoch besteuerte Waare, als eingeschmug- 
i^elt vom Zollamt mit Beschlag* belegt wurde, so g•^lb es 
'^■ewalti^-cn Lärm, bis das Parlament ein Auge zudrückte 
und die (iüter „für dieses Mal'' freigeben hiess. Englische 
Beamte gar in schottischen Zoll- und Steuerämtern, deren 
Pacht bisher mit ähnlicher Lässigkeit wie in Frankreich an 
den Meistbietenden ausgethan zu werden pflegte, wurden 
als grausame Blutsauger verschrieen, weil sie kurz ange- 
bunden und pünktlich, wie es die Art ihres Volkes, ihren 
Dienst versahen, besonders aber der durch das neue Fiscal- 
system fast herausgeforderten Schmuggellust unnachsichtlich 
7x\ T.eibe gingen. Man grollte ausserdem, weil das für An- 
nahme der Union verschriebene Aequivalent einige Tag-e 
auf sich warten Hess und, als es dann, wie Defoe umständ- 
lich erzählt, auf zwölf Wagen in Edinburgh eintraf, nur zu 
einem Drittel in hartem Gelde, zum grössten Theile in Schatz- 
kammerscheinen ausgezahlt wurde. Nicht als ob die Re* 
gierung bei diesen Beschwerden völlig schuldlos gewesen. 
Oft genug vielmehr stiess sie durch echt eqglische Rück* 
sichtslosigkeit unbekümmert den flberreizbaren neuen Lands* 



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Entstehung des Einheitsstaats in Grossbritannien, 



63 



leuten vor den Kopf. Um eine zerrissene Küste wie die 
schottische zu bewachen, fehlte es in jenem Lande unstreitig 
d(?r Pohzeig-ewalt an den wesentHchen Mitteln, denn die 
Patrimonialgerichtsbarkeit der Feudalherren leistete wahr« 
haftig eher das Gegentheil. Als nun aber das englische 
Friedensrichterinstitut mit allen seinen herkömmlichen Bräu* 
chen und Scluiörkeln verpflanzt werden sollte, beging der 
Loidkanzler gar die Ungeschicklichkeit wie daheim, »/]ea 
sehr dirwuidigen Vater in Christo, unseren getreuen Rath 
Thomas l^tnschof von Canterbury u. s. w. an die Spitze dar 
Commission zu setzen, als ob er dem presbjrterianischen 
Volke jensmt des Tweed den allerargsten Hohn hatte anthun 
wollefi. Den alten schottischen Greheimen Rath (Secrei Coun» 
eil statt wie in England Privy Councü)^ eine imverantwort- 
lidie Behdrde, die stets nur der Willkür gedient, hätte wahr- 
lich kein Freund der nationalen Freiheit zu vertheidigen 
gewagt. Da jedoch ein Sieg der Opposition von der Regie- 
rung seine Aufhebung erzwang durch eine „Acte um die 
Union der beiden Königreiche vollkommen zu machen", wurde 
selbst dieses Verfahren als eine unbefugte und feindselige 
Erweiterung- der Competenz über die \ ertragsmässige Verei- 
nigung hinaus bezeichnet. Und was endlich schien die kaum 
stipulirten Artikel schnöder zu verletzen als das Begehren, die 
Principien des in dem umständlichsten Statutenrecht wur- 
zelnden englischen Hochverrathsprozesses den Schotten eben- 
falls aufzunöthigen , weil die Regienmg auf Grund der im 
Norden geltenden Gesetze sich mit Recht einer finanzdslschen 
Invasion, von der oft genug verlautete, nicht zu widerstehen 
getraute. Die schottischen Mil^lieder des Unterhauses wehr- 
ten sich denn auch mit Stein und Bein dagegen und hatten 
wenigstens die Genugthuung, mit Hilfe der Opposition die 
Verwirkung des Eigenthumes auf die Person des Verbre- 
chers zu beschränken, so dass sie sich nicht wie nach alt- 
englischem Recht auch auf seine direkten Erben erstreckte. 
In solchen Debatten lernten sie fest geschlossen zusammenzu- 
stehen und mit echt nationahir Eifersucht namentlich darüber 
zu wachen, dass der Antheil der auf ihr Land fallenden 
Auflagen nunmehr auch demselben ausschliesslich zu Gute 
komme. Am empfindlichsten berührten indess immerdar die 



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kirchlichen Dinge, die, so wemg erbaulich sie auch Min 

mögen«, nicht aus dem Auge gelassen werden dürfen. 

Man weiss, wie in Folge des Sturzes Marlboroughs unter 
dem Tory- Ministerium Harley's und St. Johns in England 
die hochkirchliche Richtung noch einmal Raum gewann. 
Königin Anna, die ihr stets zugethan gewesen, hoffte nun 
nachträglich auch der Episcopalkirche Schottlands freiL-re 
Bewegung verschaffen zu können, wenn diese selber nur 
nicht hartköpfig" einer Vereinigung mit der englischen hätte 
widerstreben und an ihrem eigenen liturgielosen Ritus fest- 
halten wollen. Da begannen in Edinburgh, offenbar unter 
höherer Connivenz, einzelne Kleriker den Gottesdienst nach 
der englischen Liturgie und dem Gemeinen Gebetbuch ab- 
mhalten, jenem Buche» das wie achtzig Jahre zuvor immer 
noch von jedem echten Calvinisten als eine verschlechterte 
Auflage des papistischen lifissale betrachtet wurde. Alle 
heimtschen Instanzen, das Polizeiamt der Stadt, die Synodal- 
behdrde, der oberste Grerichtshof des Reichs (^ke Court of 
S€sswn) entschieden strafrechtlich als gegen einen in Schott- 
land nicht zu duldenden Unfug. Der Verfolgte dagegen 
appellirte an das Haus der Lords, welches denn auch nach 
einigem Zögern zu seinen Gunsten entschied. Das glaubten 
sich hinwiederum Volk und Kirche von Schottland nicht 
bieten lassen zu dürfen von einc^r Versammlung, in welcher 
die verabscheuten Bischöfe sassen, von der überdies gar 
nicht einmal feststand, ob sie überhaupt einen Appell von 
der höchsten Instanz des Court of Session entgegennehmen, 
dürfe. Die Landeskirche vor Allem erhob sich schleunig 
und deputirte drei ihrer angesehensten Diener an den Mini- 
ster nach London, gerade als dort die sehr zwei£dhafte 
Toleranzacte vom Jahre 1712 zu Stande kam. Nichts wurde 
von ihnen übler vermerkt, als dass in diesem nenen Gesetz 
ihrer so elfersüchtig' gehüteten Kirche in euiem Athem wie 
den episcopalistischen Congregationen dieselben Vefhal- 
tungsmaser^r^ vorgeschrieben wurden. Noch sdilimmer 
aber, dass die englischen Staatsleute dch heinusnahsnen, 
bis zum 1. August auch solchen, die von den Presbyterien 
ein Kirchenamt erhielten, einen Abschwörungseid abzufor- 
dern. Unerhört, dass ein englisches Parlament in englischem 



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Entstehung des Einheitsstaats in Grosshritannien . 



Kanzleistil solche Anträge zu stellen wagen dürfe an die- 
jenige kirchliche Genossenschaft, der es wahrhaftig nicht um 
Rückkehr der Stuarts zu thun war, und sie mit den bischöf- 
lichen oder kryptokatholischen Jacobiten auf eine Stufe zu 
stellen. Die General Assembly berief sich denn auch laut 
auf die dem Unionsvertrage eingefügte Sicherheitsacte als 
„das einzige Regiment der christlichen Kirche in diesem 
Köniß-reiche". "Wie man sieht, musste jenes Toleranzedict 
um so böseres Blut machen, als es scheinbar der hannover- 
schen Dynastie den Weg zum Throne zu ebenen versprach, 
in Wirklichkeit jedoch dem verjagten Königshause die 
Hinterpforte zur Rückkehr öffnete. Kein Wunder, wenn 
die Bestimmung gar» dass der Thronfo^er Anglikaner sein 
müsse, machtig dazu beitrug, dass in Schottland nun auch 
aus den Reihen der Presbyterianer Eidverweigerer auftauch- 
ten. Und strdUe es nicht an Verrätherei, wenn die Gresetz- 
gebung den schottischen- Kirchenpatronat in alter Grestalt 
wieder aufrichten wollte, nachdem doch bald nach der Re- 
volution die Verleihung der Pfründen mit der Abneignng 
der kirchlichen Autoritäten gegen Annahme des Pfarrguts 
aus weltlicher Hand in grösseren Einklang gesetzt worden 
war. Noch nie sah man die General Assembly so besucht 
wie im Jahre 17 12, doch stellte sich bei aller Erregung der 
Cremüther bald heraus, dass die überwiegende M^urheit, 
zumal die jüngeren Schichten der Versammlung, sidi fügen 
würden. Man war fast stolz darauf, dass die grosse Masse 
derer, die den neuen Eid verweigerten, noch immer auf S^te 
der kircfilichen und politischen Gegner verblieb. Nonjurar 
wurde von nun an erst gleichbedeutend mit Jacobit. Nur 
von dem im Widerspruch gegen jeden Vergleich verharren- 
den äussersten Flügel der eigenen Confession war nichts 
Anderes zu erwarten, als dass er sich als die allein wahre 
Kirche, alle Uebrigen aber als die Abtrünnigen bezeichnete. 
Indem die Cameronianer auf der Synode zu Auchinshauch 
feierlich den Covenant erneuerten und Alles ausstiessen, 
was nicht in schroffer Enthaltung mit ihnen ging, eröffiieten 
sie dne Reihe von Secessionen, die nicht nur an der pres- 
b3rterianischen Einheit emstlich zu rüttdn, sondern durch die 
vor allen sie sich selber rasch zu verzehren begannen. 



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66 



EnttUhut^ d€s JünheiUstaats in Groabritammum, 



Andererseits nun begannen in den Tagen hochgehender 
Spannung, als die schottischen Tones in dem leitenden Mi- 
nister Lord Bolingbroke ihren Gresinnungsgenossen witter- 
ten, allerlei Symptome dner herannahenden Krisis. Da 
hatte die alte Herzogin von Gordon, eine leidenschaftlich 
katholische FraUt dem gelehrtesten und angeseboisten Kör- 
per des Landes, der Advocatenfnmnig zu Edinburgh, eine 
Medaille Übermacht, mit dem Brustbild Jacob Stuarts auf 
der Vorderseite und der Karte Britanniens mit der Unter- 
schrift cujus est auf dem Revers. Das hatte nicht nur sdir 
heftige Debatten im Schoosse der Onrporation, sondern eine 
Untersudiung gegen einige ihrer, literarisch bereits stark 
compromittirten Mitglieder zur Folge. Zu nicht geringer 
Verwunderung gingen dieselben frei aus. wie denn sogur 
einige verdächtige Bewegung-en im Hochlande mit Gewiss- 
heit auf Gelder zurückgeführt wurden, welche nur aus Re- 
gierungskasson in Westminster getiossen sein konnten. Fast • 
mochte die schottische Nation in den letzen Jahren der Kö- 
nigin Anna an sich selber irre werden, denn bald von dieser, 
bald von jener Seite, so schien es, wurde ihr Vertrauen ge- 
flissentlich auf die Probe gestellt. Die Wiederherstellung 
der Gerichtsferien zu Weihnachten {fhc Yule Vacance) z. B. 
stiess aUen denen vor den Kopf, die in der Feier dieses 
Festes mne papistische Ueberlieferung erblickten. £ine De- 
claration des Hauses der Lords gegen das Patent, durch 
weldies der Herzog von Hamilton zu seinem ML^liede 
ernannt worden, war hingegen eine sehr deutliche War- 
nung wider das reactionare Regiment, das sich anschickte, 
die in dem hohen Senat überwiegende Whig -Partei durch 
Peersschub zu brechen. Eine Reihe von Massregeln schien 
keinen anderen Zweck zu haben, als die Anhänger der han- 
noverschen Succession und der presbyterianischen Kirchen- 
form recht eigentlich zu vorletzen. Sogar die Auflage 
einer geringfügigen Alalzsteuer drohte der Zukunft der 
Union verhängnissvoll zu werden. Schliesslich erregte die 
Ernennung des Herzogs von Hamilton, den doch alle 
Welt für einen Jacobiten hielt, zum Gesandten in Paris 
das grösste Aufsehen, bis er gar kurz darauf im Duell 
zugleich mit seinem Gegner Lord Mahqn üeL £s hiess» 



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EntUehung des Einheitsstaats in Grossbritannien. 



67 



die Whigs hätten nicht geruht, bis sie ihn aus dem Wege 
geräumt. 

Beim Tode der Konigin Anna am i. August 1714 wurde 
bekanntlich das Ministerium Bolingbroke, ^las nach ge- 
wissen Anzeichen die Reiche Nord und Süd vom Tweed 
den Stuarts zu restituiren versucht haben würde, nicht ohne 
Ueberrumpelung <gesturzt und ungestört der Kurfürst von 
Braimschweig-Lihieburg als Georg L ausgerufen. Auch in 
Schottland war der Whigadd rechtzdtig zur Stelle und man 
hatte genügende VoAehrungen getroffen, um der Proklama- 
tion am Marktkreuze von Edinburgh Würde und Nadidruck 
zu verldhen, wahrend die Widersacher völlig überrascht nicht 
loszuschlagen wagten. Bei ihren Vereinigungen jedoch er- 
klangen hohe Worte und geschah manch tiefer Trunk auf 
den „König jenseits des Wassers". Allgemein trösteten 
sie sich der Hoffnung, Jacob III. werde demnächst mit frem- 
den Streitkräften auf der Rhede von Leith eintreffen. Sie 
mochten um so mehr Muth hegen, als im ersten Augenblick 
sogar Whigs und Presbytorianer die Lage geeignet fanden 
um der verbreiteten Missstimmung gegen die politische Union 
durch BetheiligTing an Adressen, welche deren Auflösung for- 
derten, Ausdruck zu leihen, bis sie freilich erkannten, wie 
jene Partei dahinter stak, welche das gottliche Recht der 
Könige in ihre Fahne geschrieben, abor die Knechtschaft 
des Gewissens zurückzuführen trachtete. Die schottischen 
Parlamentswahlen im März 1715 fielen daher unbedingt zu 
Gunsten der protestantischen Sucoession aus. Um dieselbe 
Stunde aber verschwor sich ber^ Ghraf Mar, einst ein her- 
vorragender Mitstifter der Union, der jüngst beim Empfange 
Greorgs I. in Chreenwich in seinem und mehrerer Hochlands- 
häuptlinge Namen eine derauthige Lo3ralitatsadresse über- 
reicht hatte, aber trotz seiner Verschwägerung mit den eng- 
lischen Whigs als Staatssecretär für Schottland durch den 
Herzog v^on Montrose ersetzt worden war, mit Allen, die 
im Norden das Gedeihen eines zu freier Verfassung ver- 
einigten Staiitswesens verhindern wollten. Unmittelbar von 
einer Cour in St. James hinweg verschwand Mar verkleidet 
zu Wasser, bis er im August im l iochlandsthale von Braemar 
unter die zur Jagd versammelten Clanhäupter trat Eine 

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^3 EnUUhung d«s Einheitsstaats in GrossMtanmen, 

A Tenge Herren von altem stolzem Blut, an 800 Bewaffnete, 
wie der selber betheiligte junge Keith, der nachmalige be- 
rühmte Feldmarschall Friedrichs des Grossen, in seiner Auto- 
biographie versichert, hatten sich eingefunden, wahrlich nicht 
zum Spiel, sondern um nach einiger Berathung und Vor- 
bereitung ihren mit Sicherheit erwarteten König in sein 
Eigenthum zurückzufuhren. 

£s ist dies nicht der Ort, die trauervolle Geschichte des 
Aufetandes vom Jahre 17 15 in ihrem vollen Zusammenhange 
zu wiederholen. Hier kommt es nur darauf an, hervorzuheben» 
wie durch dies Ereigniss und späterhin durch em zweites, 
noch tragischeres in der That die unmittelbarste Grefahr 
eintrat, dass das kunstvolle Einigungswerk vom Jahre 1707 
jah über den Haufen geworfen werden könne. Die eben 
erst brüderlich Verbundenen waren gar leicht in zwei feind- 
lidie Kationen gespalten worden. 

Auf die ersten Anzeichen zwar unterliess die Regierung 
der neuen Dynastie, die kurz nach Beendigung eines Welt- 
kriegs und mitten im Parteikampfe aMühe hatte, sich zu be- 
haupten, keineswegs geeignete Massregeln gegen die Re- 
bellion zu ergreifen. Ein Preis von 100,000 Pfund wurde 
auf Verhaftung des Prätendenten gesetzt. Damals ist jene 
Aufruhrakte genehmigt worden, die mehr oder weniger noch 
heute in Kraft besteht. Auch erging die übliche Vollmacht, 
in den aiifständischen Distrikten das Habeas Corpus zu sus- 
pendiren. Eine Anzahl verdächtiger Edelleute wurde nach 
Edinburgh geladen, damit sie für ihre loyale Aufführung 
Bürgschaft stellten. Dagegen mangelte wie so oft in alten 
und neuen Tagen in England die schlagfertige Heereskraft, 
deren Dasdn allein jeden Versuch dnes Aufruhrs behindert 
haben würde. Zwar Hess der Mmister Walpole die Armee 
um 7000 Mann verstarken und einige frmde im Solde der 
Krone befindliche Truppen herbeischaffian. Mehr Vertrauen 
jedoch, selbst als rathsam schien, musste er in die Selbst« 
hilfe dor schottischen Protestanten setzen. Und wirklich, 
die trotzköpfigen Cameronianer sogar witterten, dass ihre 
Glaubensfreiheit auf Seiten ( reorgs von Hannover denn doch 
mehr gesichert sein würde, als bei den Jacobiten, die ihnen 
freiUch noch einmal süsse Worte liehen. In Edinburgh 



A 



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BnUUhung des Einheitsstaats in Grossbritannien, 



69 



traten, wae einst in England unter Elisabeth zur Abwehr 
der spanischen Armada, wie noch im Jahre 1688, als Whig« 
und Tones Wilhelm den Üranier als Erretter von der uner* 
erträglichen Tyrannei Jacobs IL empfingen, bereits am 
I. August zwei Gesellschaften zusammen, von denen die eine 
wesentlich Gelder unterschrieb, die andere sich verpflichtete, 
zu Fuss und zu Pferde mit Gut und Blut „unsere treffliche 
Verfossung in Kirche und Staats wie es hn Circular hiess, 
also den Einheitsstaat unter dem protestantischen Kdnige 
zu verthetdigen. Doch eben darüber äusserte sich in Re- 
gierungskr^en einiges Misstrauen, weil man die Schotten 
doch unmöglich mit Greld und Frdcorps unbehindert ge- 
währen lassen dürfe. Militärisch war es immerhin klug ge- 
handelt, die Regierungstruppen, von denen etwa 1800 in der 
festen Position bei StirUng die Unzufnedenen im Gebirge 
von denen in der Niederung schieden, dem Herzoge von 
Argf>'le, dem Repräsentanten jenes hochangesehenen, stets 
für die Sache der Freiheit und des Fortschritts eintretenden, 
im westlichen Hochlande gebietenden Hauses zu über- 
tragen und alle Verstärkungen aus England, namentlich ein 
vortreffliches Corps von öooo Holländern, an ihn zu diri- 
griren. Die wohlgesinnten Landedelleute und die Städter 
zumal stellten sich mit ihrem Zuzug bereitwillig unter seinen 
Befehl. Sehr viel, wenn nicht gar Alles hing nun aber von 
der geographischen Vertheilung der Parteien und ihrer 
Streitkräfte ab. In den Grebieten südlich von Förth und 
Clyde, wo damals wie jetzt auf einem Drittel des König- 
reichs zwei Drittel seiner Bevölkerung lebten, hielt diese zur 
Regierung mit Ausnahme der Herrschaften der Lords Ken- 
mure und Nithsdale und einiger benachbarter Striche im 
äussersten Süden. Dagegen beherrschte der Jacobitismus 
das Hochland; nur die Grafschaft Argyle und Caithness im 
hohen Norden, der Besitz der Sutherlands, waren für Han- 
nover, während die Clans der Macleods, Grants, Fräsers so 
wie die flache Küste nordöstlich von Fife wenigstens ge- 
theilt waren oder aus anderen Gründen zurückhielten. Ein 
verwegener Handstreich der Insurgenten auf den Burgfelsen 
von Edinburgh scheiterte gleich zu Anfang, so dass auch 
dieses Symbol der Macht bei der Regierung verblieb. Diese 



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70 



BnUUi^mmg dtt Binkt^ttaats m Grastöriternnün. 



hatte endlich noch dadurch eine günstigere Stellung, dass 
die ihr anhängenden Landestheile in der Hauptsache zu- 
sammen lagen, während die Verschwörung sich an drei ge- 
trennten vStellen im Hochlande, in Südschottland und unter 
dem katholischen Adel Nordenglands entspann. Da that 
nun iMar, nachdem er von seinem Fürsten die höchsten Voll- 
machten empfangen, die Stadt Perth überrumpelt und Partei- 
g'äng'er angesammelt hatte, den ersten Schachzug, indem er 
am 12. October etwa 1600 seiner Hochländer durch Fife 
über den breiten Förth warf, Angesichts der Hauptstadt 
Leith besetzen und ihr Wesen in Lothian treiben Hess. 
WeU. Argyle oberhalb bei Stirling- die Uebergange zu decken 
hatte, vermochte die Regierung hier im Osten nicht, den 
Aufständischen den Weitermarsch zu legen, so dass diese 
am 22. wirklich mit ihren Grenossen zu Kelso im südlichen 
Hügellande der Borders zusammenstiess^ Reditzeitig 
trafen daselbst auch die Führer der Bewegung in North- 
nmberland, Lord. Derwentwater und Thomas Forster, Par- 
lamentsmitglied der Grafschaft, welche mit Mar die eifrigste 
Correspondenz unterhielten, an der Spitze ihrer Reitertrupps 
ein, so dass nunmehr die gleiche Partei Missvergnügter aus 
Schottland und England eine Vereinigung beider Länder 
unter einem anderen Zeichen aufzurichten versuchen konnte, 
als es durch die parlamentarische Union geschehen war. 
In dem vor einer ansehnlichen Streitmacht unter liatternden 
Fahnen und dem Klang von Trompeten und Sackpfeifen 
verlesenen „Manifest der Herren, Edelleute und Anderer, 
die pflichtschuldigst erschienen sind, um das unzweifelhafte 
Recht ihff s gesetzmässigen Souveräns Jacobs III., durch 
die (xnade Gottes Königs von Schottland, England, Frank- 
reich, Irland, Vertheidigers des Glaubens u. s. w. zu erharten 
und dies sdn altes Königreich von dem Druck und dem 
Nothstande, in dem es sich befindet, zu befir^ea'% wird die 
Union als die Quelle aller Ldden Schottlands bez^chnet 
Jedoch äusserst vorsichtig, als solle den Errungenschaften 
von 1688 nicht im mindesten zu nahe getreten werden, und 
sehr klug auf die englischen FMeigenossen berechnet, heisst 
es darin: ,4>ie Union hat sich nach Er&hrung so unvertrl^- 
lieh nut den Rechten, Privilegien und Interessen unserer 



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Mnisttkung tUs Minh^üsstaaU in GrattMimmiM, 



71 



selbst und unserer guten Nachbaren und Mitbürger in Eng- 
land erwiesen, dciss ihre Fortdauer unvermeidlich uns ver- 
der]3en und sie schädigen muss." AusdrückUch wurde als 
Zweck der Erhebung die Durchführung solcher Gesetze be- 
zeichnet, welche die beiden Reiche vor jeder willkürlichen 
Gewalt, vor Papisterei und allen ihren anderen Feinden 
sichern würden. „Auch haben wir keinen Grund, der Gnade 
Gottes, der Wahrheit und Reinheit unseres heiligen Glau- 
bens oder dem bekannten trefflichen Urtheil Sr. Majestät 
zu misstrauen, um nicht zu verhoffen, dass in geeigneter 
Zeit das gute Beispiel und der Verkehr mit unseren Gottes- 
gelehrten jene Vorurtheile entfernen werde, welche, wie 
man weiss, die Erziehung in einem papistischen Lande seinem 
komtglichen klaren Verstände nicht hat einprägen können.*' 
Solche Unwahrheiten, welche die versammelte Meog^ mit 
einigen ihr besonders mundgerechten Schlag wört er n ; „Kdne 
Union, kerne Maksteuer, keine Salzsteuerl" übertonte, waren 
acherlich nicht dazu angethan die seihr bedenklichen Lücken 
einer Verständigung zwischen den beiden Thdlen noth- 
dürftig zu bedecken. Nicht nur, dass die schottischen Herren 
die Hilfe der englischen Jacobiten gegen (rlasgow, Edin- 
burgh oder Argyle am Förth forderten, während die letz- 
teren jene zu einem Einbruch nach England mit der Vor- 
spiegelung verlocken wollten , dass bei ihrem Anmärsche 
sich in Eancashire sofort eine IMacht von 20,000 Alann er- 
heben würde. Die Schotten betrieben vorzüglich Aufhebung 
der Union und Wiederherstellung ihrer alten legislativen 
Selbständigkeit; sie meinten das am sichersten erreichen zu 
können, indem sie wieder einen König für sich hatten. Den 
Engländern ihrerseits lag herzlich wenig an Beseitigung der 
Union, dagegen Alles an Einsetzung eben desselben Königs, 
als des legitimen Inhabers eines göttlichen Rechts. Für die 
gemeinsame Sache wurde es daher durchaus verhSagniss- 
voU, dass die letzteren zahe an ihren Gründen festhielten 
und schliesslich die zaudernden, alle Zufälligkdten über- 
denkenden Schotten hinter sich herzogen. Nur mit listiger 
Ueberredung, zum Theil sogar mit Gewalt gelang es näm- 
lich, am letzten October die Hochlander zum Marsch über 
die Grenze nach dem Süden zu vermögen. In Cumberland 



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7« 



BntsUhung des EinkeiUstaaU in Grosshritannien. 



Stob da nun wohl die zahlreich versammelte, aber voUi^ 
undiscipUnute und wafGenlose Grafischaftsmük ohne Weiteres 
auseinander; die anglikanischen Geistlichen wurden ge- 
zwungen in der Litanei Jacob IBL und sdne Mutter einzu- 
setzen fSr '(reorg L und sem Haus'. Und als der eiüg 
marschirende Kaufe dann gar Preston erreichte, wurde er 
nicht nur von den Herren und Damen des eifrig katholi- 
schen Adels von Lancashiie freudig b^frusst, sondern sogar 
durch stattlichen Zuwachs bis auf einige tausend Mann 
verstärkt Aber damit hatten denn auch die trügerischen 
Lockungen ihr Ende erreicht, denn durch Forster, den ^gent- 
liehen Anstifter der entschieden wagehalsigen Expedition, 
waren sie allesammt in eine Sackgasse geführt worden. 
Eben dort bei und in Preston, wo ja auch Cromwell einst 
im Sommer 1648 mit den schottischen und nordenglischen 
Vertheidigern des Königthums blutig abgerechnet hatte, 
wurden die Insurgenten am 12. November von den eng- 
lischen (ieneralen Wills und Carpenter angegriffen und nach 
tapferer Gegenwehr überwältigt. Wer nicht fiel oder davon 
kam, sondern sich auf Gnade und Ungnade ergeben musste, 
durfte in der That seinen Hals in Acht nehmen. 

Nun trafen aber zur selben Stunde noch zwei andere, 
nicht minder empfindliche Schläge die Empörung, welche 
zwei Reiche in alte, längst überwundene Zustände hatte 
zurückschleudem wollen. Denn an dem nämlichen Sonntage, 
dem 13. November, brachten der Graf von Sutherland, Duncan 
Forbes imd andere Parteigänger Hannovers Invemess» den 
Schlüssel zum Hochland im Nordosten, in ihre Gewalt, und 
es wurde Graf Mar, der mit sdner Hauptmacht von vielleicht 
10,000 Mann bei Perth dem Herzoge von Argyle, welcher 
zwisdien Stirling und Dumblane stand, so lange unthatig 
gegenüber gelegen hatte, als er nun endlich nach Süden 
durchbreche wollte, auf dem Plateau von Sheriffinuir so 
vollständig geschlagen, dass die trotzigen Clans entmuthigt 
in hellen Haufen davonliefen und die Junker aus der Niede- 
rung sich beeilten ihren Frieden zu machen, so w^ das in 
der V ol lmac ht ihres hochherzigen Landsmanns Argyle stand. 

Noch tragischer aber waltete das Geschick, dass der- 
jenige, dem Tausende von Herzen zugeschworen, für den 



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Entstehung ä<;s Einheitsstaats in Grossbritannitn, 



73 



so oft die Gläser erklungen, an dem allein ein geheiligtes 
Recht haften sollte, dass der Stuart-König, wie er Mar, 
Montrose und anderen grossen Feudalherren angekündigt, 
eben jetzt und nun doch zu spät über das Wasser kam. 
Bei dem zwischen Frankreich und England bestehenden 
Frieden und zumal seit dem Tode seines hohen Protectors 
Ludwigs XrV., war es ihm nicht leicht geworden, über Dün- 
kirchen zu entschlüpfen und verkleidet zu Schiff die öde 
Granitküste von Peterhead zu erreichen. Auf einem Schlosse 
des jungen Grafen Marischal, desselben, der späterhin im 
Eadl der Vertraule Rousseaus und Friedrichs des Grossen 
wurde, gab er sich der benachbarten Grentry und den ortho- 
doxen Einwohnern von Aberdeen zu erkennen. Ihfit Hilfe 
dieser ungewohnten Erscheinung suchte Grraf Mar nun noch 
enimal die geschlagene und fast zersprengte Rebellion zu 
galvanistren. Als Jacob m. jedoch am 6. Januar 1 716 im 
Lager von Perth unter die Herren des Hochlands und ihr 
struppiges, knochenstarkes Gefolge trat, war deren Ent- 
täuschung* gross über das matte Auge, die eingefallene 
Wange, das fade Lächeln und die von den Spuren der Aus- 
schweifung durchfurchten Züge dessen, der der Krbe jener 
endlosen Reihe ihrer nationalen Könige sein sollte. Wahr- 
lich, hätte der gemeine Mann sich der Gerüchte erinnern 
können, die einst vor 27 Jahren bei Geburt des Prinzen 
von Wales ganz London erfüllt, er hätte wahrhaftig diese 
schlotternde Gestalt, v<m der die hohen Herren, die Pfaffen 
und alle verbissenen Hasser dner gesitteten Staatsordnung 
wie von einem Abgott redeten, ohne W^teres für einen 
Betruger erklart Die mystische Hofhaltung, die Decrete, 
„gegeben im fun&ehnten Jahr unserer Regierung^*, von 
denen dnes gar die Stände berief, ein anderes die Krönung 
auf den 23. des Monats ansetzte, die grausame Verwüstung 
einiger benachbarten loyal gesinnten Dor&chaften, Alles 
mit einander entsprach so wenig der trübseligsten Wirklich- 
keit, dass auch den ärgsten Royalisten das Vertrauen zu 
schwinden drohte. Als nun gar Argyle, um jene 6000 Hol- 
länder verstärkt, herandrang — es war der den Stuarts so 
verhängni ssvolle I ag des 30. Januars — rieth Mar im letzten 
Kriegsrath selber, den tiefen Winterschnee zu benutzen um 



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y^. EntiUktmg' des ^nheUssUMts in OrassMiannüu» 

zeitig auseiiiander m staiiben. Der Prinz und der Graf ^d 
über Montrose, eine andere Sdiar der am meisten Compro- 
mittirten über Aberdeen zur See entkommen; während viele 

andere so unglücklich waren den Siegern in die Hände zu 
fallen. Da stand nun die neue Dynastie und die Staats- 
ordnung vom Jahre 1 707 vor dem Dilemma, behufs der ei- 
genen Sicherheit zur Bestrafung des schlimmsten Verbre- 
chens wider das einheitliche Reich die ganze Schärfe der 
Hochverrathsgesetze anzulegen oder aber vor den nationalen 
Erinnerungen eines noch immer gesonderten Volkes, das 
auch in anderen als jacobitischen Schichten höchst ver- 
stimmt war, Erbarmen zu haben. Es war das Verdienst 
jenes Duncan Forbes, eines braven Juristen und königlichen 
Beamten, dass er in dnem eindringlichen Sir Robert Wal- 
pole eingereichten Gutachten die äussersten Züchtigui^fen 
von seiner Heimath abwehrte. Indem eme Anzahl Militärs 
in Preston erschossen, zwei Peers, die Lords Paamure und 
Derwentwater, auf Towerhill enthauptet wurden, indem in 
Carilsle^ und selbst in Perüi und Dundee noch im Jahre 1718 
ein hochpeinliches Verfahren angestrengt wurde, vor dem 
doch alle wirklich Schuldigen längst in das Ausland ent- 
kommen waren, nahm I',ngland noch einmal alle Gehässig- 
keit auf sich, welche stets mit Eingriffen in sogenannte be- 
* rechtigte KigenthümHchkeiten verbunden zu sein pflegt. Mit 

seinen harten, grausamen Institutionen traf es recht eigent- 
lich auf ein eifersüchtiges, freiheitsdurstiges Volk. Hätte 
die Whig-Regierung nicht in der Treue der Presbyterianer 
endlich ihre zuverlässigste Stütze erkannt und hätte sie sich 
nicht diese Unterthanen wiederum durch VerfolgTing der in 
der That vielfach compromittirten episcopalistischen Priester 
fast unwillkürlich verpflichtet, wer kann sagen, ob bald her- 
nach die vereinigten schwedisch-spanisch-jacobitischen An- 
schlage des Grrafen Görz, des Cardinais Alberoni, des Her- 
zogs von Ormond und seiner Genossen, durch welche im 
Frühling 1719 noch einmal Spanier und schottische Exilirte 
unter dem Grafen Marischal in die Wildnisse von Glenshiel 
geworfen wurden, nicht doch die tief erregte Bevölkerung 
der Berge wie der Niederung in wilden Brand versetzt 
haben würden. 



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Entstehung dei Einheitsstaats in G rossbritannien. 



75 



Man kann nicht behaupten, dass in den auf 17 15 fol- 
genden Friedensjahren, in einer Epoche materieller Blüthe, 
■während welcher freilich das eigentlich politische Gedeihen 
durch Parteihader mannigfach gelähmt wurde, die englische 
Regierung gegen Schottland mit viel Erleuchtung gehan- 
delt hätte. Höchlich zufrieden darüber , dass der Hof des 
Prätendenten, weder in Frankreich noch in Lothringen ge- 
duldet, nach Italien hatte weichen müssen, überliess sie ihn 
seinen eigenen £ifersiichteleien. Mit den feilen Höflingen, 
welche Jacob umgaben, vermochte sich, wie schon vor ihm 
Lord Boüngbroke, in ^er Folge auch Bischof Atterbury, 
der strenge, für seinen König in's Exil getriebene Nonjuror, 
niemals zu stellen. An Mar's und anderer Flüchtlinge Fersen 
dagegen hii^ sich unlösbar der schwere Verdacht der Ver* 
rällierd an der dgenen Sache. Endlich woUtm alle Aus- 
gestossenen mehr oder weniger denen» die daheim geblieben, 
Vorschriften machen und zankten sich mit ihnen aus der 
Feme. Das waren die Griuide, weshalb die allgemeinen 
Wahlen im Jahre 1722 wieder durchaus gegen den Anhang 
des Hauses Stuart entschieden. Lockhart, der den Präten- 
denten bestimmt hatte, ihn imd Andere zu seinen Vertrauens- 
männern in Schottland einzusetzen, verzweifelte, wie er nicfat 
verhehlt, sdber an der geringen Einsicht und dem guten 
Willen, womit man in Albano die nationalen Interessen be- 
trieb. Er schreibt: „Wir legten das Wagniss lieber in die 
Hand Gottes als solcher Leute, mit denen wir zu thun haben." 

Aber war die Kinheit und der gute Wille des Ministe- 
riums in Westminster etwa besser, als es — man weiss 
heute noch nicht weshalb — plötzlich und fast unmittelbar 
nach dessen glänzendsten Erfolgen den Herzog von Argyle 
in Ungnaden aus der hoherj Vertrauensstollung cntliess, die 
er gewonnen, und damit wieder den schottischen Whigs 
auf das Empfindlichste vor den Kopf stiess? Merkwürdig, 
die General Assembly von 1 7 1 6 beeilte sich, in einer Adresse 
an G^org T. dem populären Herzoge die Ehre beizulegen, 
dass durch ihn allein die Rebellion niedergeworfen worden, 
während, wie Lockhart erzahlt, die jacobitische Partei die 
angestrengtesten Versuche machte, ihn zu sich herüberzu- 
ziehen. Allein Walpole erkaxmte doch bald genug, welche 



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weseotiiche Grarantie f&r die verdnigten Rache in dner 
Verständigung mit dem Herzoge und in der Gewähr semer 

viceköniglichen Stellung lag. Durch ihn und seinen Bruder 
Lord Ilay, vor allen aber durch die weise Geschäftsführung- 
des nunmehrigen Lord Advocaten Duncan Forbes wurde die 
Regierungsbehörde des Nordens mit den in beiden Ländern 
vorwaltenden Ideen und Interessen einigermassen in Ein- 
klang gebracht. Trotzdem aber geschahen administrative 
Schritte, die nichts weniger als heilsame unitarische Re- 
formen, sondern im Gegentheil unkluge, weil einseitige Miss- 
griffe waren. Durch Parlamentsacte war eine Sequester* 
coounission eingesetzt worden, welche ohne Ueberlegung' 
nach englischen Rechtsnormen über die grossen verwirkten 
Herrschaften der Lords Mar, Tullibaidine, Marischal, Pan- 
mure und vieler anderen zu verfugen sich anschickte. Selbst- 
verstandlich gerieth sie darüber mit dem Rdchsgericht und 
der Advocatur m Edinburgh in Conflict, da diese sich als 
die Wahrer des heimatfalichen Rechts betrachteten. Sie 
hatten denn auch die grosse Genugthuung, dass, nachdem 
ihr Protest, dem sich der Herzog von Argyle und sein 
Bruder im Hause der Lords anschlössen, zurückgewiesen, 
die englischen Agenten mit der Veräusserung des confis- 
cirten Eigenthums an dem verwickelten schottischen Lehn- 
recht jämmerlich scheiterten. Als die Regierung gar einen 
der Commissare zum Alitgliede des schottischen Obergerichts 
ernannte, war dessen Widerstand so ausdauernd. das'> das 
Vorhaben, da es der Justiz selber gefährlich zu werden 
drohte, fallen gelassen \\airde. Im Jahre 1725 machte sich 
der commandirende General Wade, ein trefflicher Ingenieur» 
der im Hochlande die ersten Militärstrassen anlegte, feste 
Brücken baute, den Ghrundplan zu dem von einem Meere 
zum andmn gezogenen caledonischen Canal entwarf und 
an sdnen zw^ Endpunkten die Citadellen Fort William und 
Fort Augustus errichtete, viel mit Entwaffiiung der Glans, 
zu schaffen. Fast scheint^es, dass er der dnschmeichehiden 
Ergebenheit ihrer vornehmen, stets complottirenden Haupter 
viel zu viel Vertrauen schenkte; meinte er doch, die Natur« 
söhne der Berge durch die dargebotenen Wohllliaten de& 
erleid&terten Verkehrs ohne Weiteres der Civilisation ge- 



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EtU^itehung tUs Einheitsstaats in Grossbritannien. 



77 



Winnen und sie durch die Künste des Friedens von ihrem 
Räuberleben entwöhnen zu können. Allein auch ternr-rhin 
noch zogen sie es vor, baxfuss und hosenlos mit Schafen 
und Ziegren um die Wette sich auf schmalem Felspfad ent- 
lang zu stehlen oder den Stärksten voran in dichtem Klum- 
pen den Bergstrom zu überschreiten, statt sich der gepfla« 
Sterten Strasse und der bequemen Brücke zu bedienen. 
Gerade durch den Kam|>f mit den Elementen blieben sie. 
ihren primitiven Zustanden zugethan, während ihre nicht 
gälischen Landaleute voll Zweifel, unthatig imd beinah 
* schadenfroh dem vergeblichen Beginnen des tüchtigen Offi- 
ciers zusahen, obwohl es sie selber mit Ruhe und Ordnung 
zu beschenken den Zweck hatte. Waren sie doch um die- 
selbe Zeit durch einen Angriff auf ihre Tasche vollends 
entrüstet. 

Es war der ursprüngliche Gedanke gewesen, das Steuer- 
system der beiden unirten Länder langsam in ein natür- 
liches Gleichgewicht zu setzen. Nun aber wünschte die 
Regierung^ seit 1724 sofort 20,000 Pfund mittelst einer Malz- 
steuer in Schottland zu erzielen und brachte das betreffende 
Gesetz mit geringfügigen Modificationen durch. Was nun 
aber die schottischen Nationalvertreter nicht verhindern 
konnte das versuchte der Grundbesitz im Bunde mit den 
Brauern der Hauptstadt. In diesen Kreisen fiel es den Ja- 
cobiten Imcht, die Flammen der Widersetzlichkeit anzublasen. 
Als dem Herrn David Can^bell, M^Üed für Glasgow, sein 
schönes neues Haus demolirt werden sollte, rief er Wade 
um eine Compagnie englischer Soldaten an, deren Ein- 
schreiten erst recht Oel in's Feuer goss und dne förmliche 
Erneute veranlasste, bis eine noch ansehnlichere militärische 
Demonstration gegen die am meisten dem Fortschritt «!ge- 
bene, stets feuerige, nun aber von neuem Hass beseelte Stadt 
äusserlich Ruhe erzwang. Zu friedlicheren Mitteln hatten 
die Edinburgher Brauer gegriffen, als sie einfach durch Ein- 
stellen ihrer Thätigkeit Gesellschaft und Staat zum Nach- 
geben zwingen zu können meinten. Das Reichsgericht 
suchte alsdann, was heute nicht minder unmöglich, sie wegen 
Complotts einzusperren oder mit erhöhter Accise auf ihren 
Vorrath kirre zu machen, bis jene schliesslich dieses Spiels 



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7« 



Entstthung dts Einheitsstaats im Grossbritannien. 



Überdrüssig' einer nach dem anderen zu der gewohnten und 
einträs^hchen Arbeit zurückkehrten. Allein die Malzsteuer 
war nur ein winziger Theil der Last, um welche die grosse 
Mehrheit der Bevölkerung im Norden Jahre lang den kleinen 
Krieg mit der Regierung führte. Die unerträglich strenge 
Zollwacht, welche im Namen der gemeinsamen Schatzkammer 
geübt wurde, reizte die zehnmal kleinere Bevölkerung Schott- 
lands mit seinen gewundenen und zerklüfteten dem eng- 
lischen an Ausdehnung weit überlegenen Küstensaum zu 
jenem Grossschmuggel, der im achtzehnten Jahrhundert nörd- 
lich vom Tweed &st allgemein als eine ehrenvolle Heide»» 
that und als die verdiente Vergeltung an dem Räuber na- 
tionaler Freiheit gefeiert worden ist* In einer dem Heim 
Duncan Fcnrbes zugeschriebenen Flugschrift*) wird der po- 
puläre Unfug nüchtern und scharf gezeichnet: „UnglOck- 
Hcher Weise schlug das Volk den verderblichsten ein. 
Statt dirlich Handel zu treiben, warf sich alles mit Ausnahme 
von Glasgow, Aberdeen und einigen anderen Plätzen auf 
Schmuggeid, Man legte seine kleine Habe in Waaren an, 
auf denen mn hoher Eingangszoll stand, und schmei<äielte 
sich, indem man sie an unseren ausg^ehnten und schlecht 
bewachten Küsten landen Hess, durch Ersparung des hohen 
Zolls rasch reich zu werden. Obgleich dies Beginnen fast 
jedem Unternehmer verderblich wurde, da es auf Betrug 
und Unehrlichkeit beruhte, und obgleich es offenbar und 
um ein Kleines zum vollständigen Ruin des Landes führte, 
war das Volk doch so blind und verdreht, dass es ohne 
Bedenken und fast ohne Ausnahme sich damit befasste. 
Der Schmuggler war der allgemeine Liebling. Seine ver- 
botene und hoch besteuerte Waare wurde längs der ganzen 
Küste zu Boot an's Land geschafft, dort von den Bewoh- 
nern gegen die Zollbeamten bewacht, und, wenn einmal mit 
Beschlag belegt, fast immer frei gegeben: denn die Ge- 
schworenen standen stets dem Angeklagten bei. Dadurch 
gewann der Schmuggel den Schein absoluter Sicherheit, 
während die Einkünfte so* arg litten, dass das Zollamt seine 

♦) Some Considerations on the present State of ScoUanä, in a letter 
to the Commissio$urs and TnuUes fcr Jmprwing Fishmriu emd Jümw 
ftutures* 



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Entstehung des Einheitsstaats in Grossbritan$»i*n. 



79 



Beamten kaum noch bezahlen konnte. Der hohe Gewinn 
verlockte die Handelsleute zu diesem nichtswürdigen Treiben; 
Abneigung* gegfen die Union, böser Wille gegen die ersten 
hierher gesandten Zollwächter, der Vors^, dem Staatsein- 
kommen zu begegnen, weil man annahm, dass alles Geld 
nach England abfliesse, und Parteinahme für die unglück- 
lichen Landsleute, welche sich diesem Handel ergaben, wo- 
bei natürlich kleine Sportein und Geschenke von Seiten der ' 
Schmuggler mitwirkten, zogen die Masse des Volks ent- 
schieden auf ihre Seite." Man sieht, es war noch immer 
der JCrieg nationaler Eifersucht gegen den Fiscus der grossen 
überwiegenden Handelsmacht, in die Schottland selber auf- 
ging. Während es hier noch in hohem Grade an der Rou- 
tine der communalen Selbstverwaltung und der Friedens- 
wahrung von Sdten der Gremeinde mangelte, während sogar 
die nach englischem Muster eingesetzten Friedensrichter auf 
Beschützung der Contrebande ertappt wurden, gereichte es 
abgesehen von einigen einsichtsvollen Staatsmännern der 
schottischen Kirche zur Ehre, dass sie, zuerst in einer An- 
sprache der General Assembly von 1 7 1 g an die im Uebrigen 
so folgsame Gemeinde, die demoralisirende Wirkung eines 
so heillosen Treibens nach Gebühr geisselte. Auch in 
diesem Stück ist sie klar die Bahn des Einheitsstaats weiter 
geschritten und hat in den nächsten Jahrzehnten wesentlich 
mitgeholfen, ihre heissblütigen und zügellosen Landsleutr; zu 
den in aller erlau])ten Speculation, in Handel und Gewerbe 
betriebsamsten und gerade deshalb erfolgreichsten Concurren- 
ten ihrer viel gesetzteren Mitbürger im Süden zu machen. 

Auch traf dies Bemühen zusammen mit einer langsamen 
Abnahme des geistlichen Feuers, das so lange alles schotti- 
sche Leben in krankhafter Verzückung gehalten hatte. Das 
entsprang zunächst aus weiteren Spaltungen innerhalb der 
hadernden kirchlichen Institute selber, sowie aus dem Ver- 
tragfsverhSltniss, welches beim Abschluss der Union das 
herrschende Kirchenregiment seinen eigenen Prindpien zum 
Trotz denn doch mit dem Staate eingegangen war. Auf 
B^des ist noch einmal ein Blick zu werfen, ehe ich mich 
der Schlusskatastrophe zuwende, in welcher der von mate- 
riellen und geistlichen, von nationalen und d3mastischen 



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8o 



Entstehung des Einheitsstaats in Grossbritannien. 



Triebfedern unterhaltene Widerstand geg'en den Einheits- 
staat auf immer zusammengebrochen ist. 

Es ist keineswegs genau, wenn man die starre uner- 
bittliche Kirchenzucht, die disciplinarische Strenge, von 
welcher in Schottland, fast über das einst von Calvin in Grenf 
gegebene Muster hinaus, das ganze nationale Dasein ergriffen 
wurde, ausschliesslich dem herrschsüchtigen presbyteriani- 
schen Klerus zusdireibt Die breite Schicht der Bevölke* 
nmg, das an der kirchlichen Regierung im hohen Grade 
betheiligte Laienthum unterhielt und beförderte sie aus freien 
Stöcken Tifie dne lieb gewordene Gewohnhmt Die höheren 
Klassen dagegen, zumal der Landedehnaxm, in sdnen kleinen 
und engen Verhältnissen noch weit mehr der Cavalier des 
siebenzehnten Jahrhunderts, als das von seinem englischen 
Standesgenossen gesagt werden konnte, war diesem Wesen 
von Grund der Seele abgeneigt. Er hielt es entschieden 
mit Karl 11. , welcher einst erklärt hatte, dass der Presby- 
terianismus keine Religion für Gentlemen sei. So viel Ver- 
schränkung, Unnatur und äusserer Schein war von diesem 
Stande nur um einen hohen Preis in Kauf zu nehmen. Erst 
als die weifische Regierung, von den Whigs geleitet, in 
Bezug auf den Patronat und die Formel des Abschwörungs- 
eids Allerlei nachgab und dadurch dem Regiment der etab- 
lirten Kirche Schottlands aufrichtiger entgegen kam, hielt 
es gar mancher schottische Politiker gerathen, mit vollen« 
deter Heuchelei den Ultrapresbyterianer zu spielen. Ein 
grelleres Beispiel konnte es schwerlich geben als jenen 
James Erskine von Orange, einen der Oberrichter des König* 
retchs, den Bruder Mar's, so streng, so fromm wie Niemand 
sonst, und eben hinter dieser Maske in das allertiefste Com- 
plott mit den ausgestossenen Jacobiten verstrickt Seine 
leidenschaftliche Frau galt vor der Welt fih* wahnsinnig, 
und die Gemeinde beseufzte mit dem Gemahl das harte Loos, 
von dem diese Säule der Kirche betroffen. Erst aus seinen 
hiiuerhissenen Briefen, die ihm den Hals nicht mehr brechen 
konnten, ergibt sich, dass er, um von der Frau nicht ver- 
rathen und an den Galgen des Grasmarkts gebracht zu 
werden, sie unter dem Vonvande des Irrsinns zuerst in 
einer Einöde des Hochlands, dann auf Skye und schliess- 



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SntStehung des Einheitsstaats in Grossbritannien, 



8i 



lieh in St. Kilda, dem äussersten westlichen Felsenriffe des 
Oceans festsetzen Hess. Ein grauenhaftes Exempel , gleich 
sehr der persönlichen Verstellungskunst, richterlicher Will- 
kür und socialer Missstände, zum Glück aber auch ein vSymp- 
tom, dass der allgemeine Krankheitszustand bereits die 
äusserste Krisis überstanden. 

Das Bedürfniss nach Ruhe und Ordnung, und die Noth- 
wendigkeit, solche episcopalistischen Elemente, die zumal in . 
und um Aberdeen sich der Landeskirche zu confomuren 
wünschten, in sich aufEunehmen, ergriff um diese Zdt bereits 
die oberste Direction dersetben. Das licht des Jahrhimderts 
begfann doch mit seinem milden Schimmer die Spitzen des 
Berges zu beacheinen, der bisher in vollem Dunkel gelegen. 
Die Greneral Assembly als die oberste Synodal-Behorde, die 
ja audi zuerst ihren Frieden mit dem Staat und zwar dem 
protestantischen Unionsstaat gemacht hatte, hng an, der 
Mässigung zu huldigen, während sich die Extreme noch eine 
Weile in den Provinzialsynoden bargen. Als gar im Jahre 
1732 von dieser vStätte her die Annahme der Patronatsacte 
enipfohlen wurde, ein Schritt, welcher geeignet war, auch 
den kleinen Landadel mit der Kirche auf besseren Fuss zu 
stellen, da brach allerdings durch den Austritt Ebenezer 
Erskines und seiner Genossen ein anderes ihrer (flieder ab, 
jedoch zu ihrem eigenen Segen und menschenwürdiger Ent- 
wicklung. Natürlich bezeichneten sich die Abtrünnigen, als 
es nach langjährigen Verhandlungen endlich zu einer Aus- 
einandersetzung kam, als die allein wahre Kirche, fanden 
auch keinen Grrund, sich mit den langsam versiegenden, 
ihnen freundlich entgegen kommenden Cameronianem zu 
verbinden, weil sie zwar wie diese keinai weltlichen Patron 
ertragen, aber doch auch den Staat nicht als die Ausgeburt 
des Argen bekämpfen wollten. Nichts mochte Whitefield, 
den frommen Mitarbeiter Wealeys, als er auch in Schott- 
land pred^fte imd die Gemüther dort ebenfalls für eine 
Verjüngung des inneren Lebens empfänglich fend, mehr 
frappiren. Nicht nur, dass er, der von bischöflicher 
Hand Geweihte, von Secessionisten und Cameronianern um 
die Wette verketzert woirde, sondern sie thaten gegen den 
Leib ihrer Kirche wie unter einander dasselbe. In £ng- 

Pauli, AnfUtze. F. 6 



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82 



Entstehung des Einheitsstaats in Grossbritannien, 



1 



land bewahrte das Sectenwesen vor der Macht und dem 
Glanz der Staatskirche, von der man sich löste, um die Ge- 
wissen zu schonen, niedere, demüthig-e Gestalt und milde 
Formen. In Schottland hingesfen masste sich jeder Splitter, 
der sich von dem staatlich anerkannten Institut losriss, sofort 
die Stellung der Kirche mit der vollen kirchlichen Autorität 
an, indem er den Theil, von dem er geschieden, als ketze- 
risch und schismatisch bez^chnete. Doch gecade die auch 
fernerhin weitere Nachahmung finden<ie Trennung, das Prin- 
cip der FreiwilligiDeit in Besag auf die dem Staate schul- 
digen LeistungBn und der Umständ, dass, sobald nodi dn* 
mal das Resultat der Revolution von 1688 emstfich in Frage 
gosteUt wurde, auch die extremsten Presbyterianer sofort 
fSr die politische Ordnung in die Bresche getreten sind, 
AUes mit etnandor wirktö inmier erfolgreicher auf eine 
Duldung hin, vne sie vormals dem Presbyterianismus ganz 
fremd gewesen war. 

Auch von den Rissen, welche die schottische Episcopal- 
kirche zerklüfteten, muss hier noch ein Wort eingeschaltet 
werden. Von länger her standen sich in ihr eine loyale und 
eine Stuart-Partei gegenüber, welche der bestehenden Staats- 
gewalt jeden Eid verweigerte. Aengstlich und mit den künst- 
lichsten Mitteln suchte diese die regelrechte apostolische 
Succession ihrer Bischöfe zu bewahren, auch nachdem diesel- 
ben für das göttliche Recht ihres verbannten Königs jammer- 
voll hungern mussten. Der ruhelose Lockhart warf sich ab^ 
gerade desshalb als königlicher Vertrauensmann auf, um in 
seiner gewaltthatigen Art diesen Unglücklichen das Vor- 
handensein eines weltlichen Supi^mats fühlbar zu machen. 
Nun erschienen indess audi englische Nonjurors, nam^- 
lich aus London ein Dr. Gadderer, der den Bischofesitz 
von Aberdeen beansi»iichte, weil er zu ihm regdrecht ge- 
wShlt worden seL Die Parteien vertrugen six^ so wenig^ 
wie 17 15 die sdiottisdie und die englische Ritlersdiaft im 
Felde. Um sich jedoch im Gleichgewicht zu halten, machte 
sie förmlich aus, dass die eine wie die andere nur je sechs 
Bischöfe weihen dürfe. Als sich einmal die College-Partei 
— so nannten sich die Gegner Gadderers — auf Lockharts 
Anweisung ein ihren König, den römisch-katholischen Prä- 



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Entstehung des Einheitsstaats m Grossbritannien. ^3 

tendenten, wandte mit der Bitte, doch einen Bischof zu 
entsenden, der jenen Widersacher beseitige, da belobte der 
Chevalier sie kalt wegen ihrer Ergebenheit, warnte sie vor 
Zwietriicht, die ihnen wie ihm verderblich sei, und erinnerte 
an die Zusicherung seiner Gnade und seines Schutzes, die 
ihnen schon so häufig zu Theil geworden. Andererseits 
entging Sir Robert Walpole, so lange er Minister war und 
den Schlüssel zu jeder Chiffre auch der geheimsten Cone» 
spondenz sich, am verschaffen wusste, nicht leicht, was dem 
Treiben der verschiedenen Eidverweigerer Grefahrliches zu 
Grunde lag. Indess, wie er ee überhaupt nicht liebte, barseh 
drein zu &hren, lo suchte er auch dii»e Facüonen nur auf 
das Genaueste m überwachen. Als nun aber nadi seinen 
Tagen die unversShnlidie Bisdiofakirdie SchotdandB nodi 
einmal tief im Aufrohr ventrickt erschien, war es wahrüdi 
nicht zu verwundem, dass der Staat fortan sie zu unter« 
drücken trachtete. Erst mit dem Tode der beiden Sohne 
des Prüendenten ^nd die letzten AuaUnfer jener schotti« 
sehen Nonjurors verschwunden, während die heutigen ai^itt« 
Iranischen Bischöfe in dem nördUdien Königreich aus loyalen, 
den Anschhiss mit der engUsdien Kirche wahrenden Ele» 
menten hervorgegangen sind. Einen harten Stand endlich 
hatten stets katholische Ag^ten xmd vor allen die Jesuiten, 
deren doch immer noch einzelne auch in diesen Regionen 
um die Mitte des Jahrhunderts verkleidet und unstät auf- 
tauchten. Auf den Schlössern der Hochlandsmagnaten, in- 
sonderheit der (rordons , fanden die gewiegten Emissäre 
Schutz, um zui^leich die verpönte Messe zu lesen und die 
allergeheimsten Vereinbarungen zu treffen. Doch .schon 
gegen das nächste Clanhaupt mochten sie auf ihrer Hut 
sein, denn in diesen von der Patrimonialgewalt erfüllten 
Gebieten herrschte bis zuletzt im Kleinen derselbe (irund- 
satz, der einst einer Epoche unserer Reichsgeschichte das 
Gepräge gegeben: cujus regio ejus religio. 

Es sind bekanntlich die Hochlande, durch welche allein 
die letzte gewaltsame Reaction gegen die Einheit der beiden 
Reidie möglich wurde. Während seit Jahrhunderten alle 
Bewegung, das wirthschaftliche, geistige, politische Leben, 
wie wir es skizzirt haben, in der wesentlich germanischen 

6» 



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Entstthung dei EinheUntaatt m Lr raabritattnitn. 



Bevölkerung des Flachlandes vor sich ging, hauste jenseits 
von Förth, Tay und Spey das ursprüngliche Keltenthum 
mehr oder weniger noch unentvvurzelt. In die Wildniss 
seiner Berge hatten Geistliche und Schulmeister noch keine 
protestantische Mission zu tragen vermocht. Glaube und 
Cultur beleckten ein W)lk noch nicht, das dem übrigen 
Europa kaum näher stand als etwa die Rothhäute Amerikas, 
das aber seit einem Menschenalter doch mit Befremden den 
Soldaten, den Zollwächter, den Kleriker näher und näher 
heranrücken sah, um es der Raufsucht, der Räuberei und 
der Rohheit zu entreissen. Andererseits lockte noch kein 
ästhetischer Genuss die südlichen Nachbarn in die düstere 
hoch romantische Natur von Fels und Wasser hinaus. Die 
Offidere in Fort Augustus vielmehr sehnten sich hmw^, 
wdl man vor Regen und Sturmwind im Juli an Körper und 
Geist erkranke: „denn statt der Sonne", schreibt einer von 
ihnen, „erblickt man nur schwarzen Himmel und düstere 
Felsenhange, von nebelndem Regen und schneidendem Winde 
bedeckt, mit brausenden Wassern, welche nach heftigen 
Regen^füssen von allen Seiten herabstüTEen." Frdlich hatte 
es von Alters her mcfat gänzlich an Berührung zwischen 
den beiden Racen gefehlt Namentlich hatte sich das alt- 
keltische PatriarGfaals3rstem mit nicht unverwandten feudalen 
Elementen vermischt Allein die Stellung des Clanhaupt« 
lings war doch grundverschieden von der eines Lehnsherrn. 
Obwohl jener jetzt in der Regel den Schliff des europäischen 
Adels besass, hielten seine urvvüchsig-en Gefolgschaften doch 
keineswegs den Vergleich mit ritterlichen Vasallen aus. 
Bei ihnen galt der Abscheu vor jeder nutzbringenden Arbeit, 
vor Bestellung des Ackers und friedlichem Handelsverkehr 
doch gar zu sehr als heilige Ueberlieferung aus der Urzeit. 
Ihr Stolz war lediglich auf (rewaltthat gerichtet; auch sie 
wie die Cameronianer hielten sich stets kampfbereit wider 
den Staat, nur ohne zu ahnen, was dieser denn war und 
wollte. Alle Versuche, solchen Menschen die Wohlthaten 
der Civilisation schmackhaft zu machen, mussten nothwen- 
digerweise Weise scheitern, eine „Pflanzung", die einst der 
Idealist Jacob VL veranstaltete, noch ehe er nach England 
aufbrach, eben so gut wie hundert Jahre spater die Anlage 



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SlUitthung des Einheitsstaats in Grossbritannien* 



voll Eisenwerken in den Hochlandsthälern von Glengarry 
oder die Kunststrassen des General Wade. Einst unter 
Wilhelm III. war in Glencoe eine ganze Dorfschaft aus- 
gerottet worden, gewiss das untrügliche, aber wenig mensch* 
liehe Mittel, um sich eines ganzen Volkes von Räubern zu 
entledigen. Während dreissig Jahre lang von 17 15 bis 1745 
Garnisonen in festen Häusern das Hochland entwaffnen zu 
können mdnten, haben seine Naturkrieger um so eifriger 
ihre Muskeln gestählt und sich Waffen die Menge zustecken 
lassen. Man bat ihrem theatralischen CostOm ein höhere^ 
Alter beigelegt als es verdient Die umwickelten Schien- 
beitie und blossen Kniee, sowie die grellen Farben und 
bunten Fetzen mögen allerdings weit hinaufreichen. Allein 
Plaid und Tartan Kilt sind nachwetslich erst im ^ebzdmten 
Jahrhundert mit der Wollenindustrie der schottischen Städte 
aufgekommen» die frOh genug nach dem (xeschmack 6sx 
Hochschotten zu produciren b^fannen. Landschaftliche 
. Unterschiede riefen dann versdiiedenartige Farbenkreuzung 
hervor. An heraldische Merkmale jedoch dachte man damals 
um so weniger, als die civilisirten Häuptlinire erst nach und 
nach die Tracht des gemeinen Mannes .in 1 r ieten, anfänglich 
als besonders bequem bei der Hochjagd und erst später als 
militärische Uniform, um sich vom Feinde recht kenntlich 
zu unterscheiden. Auch hat die Staatsregierung frühzeitig, 
noch geraume Zeit vor Lord Chatham, das Experiment ge- 
macht, ob sich eine Truppe aus solchem Material und in . 
der ihr eigenthümlichen Tracht nicht zu Zwecken der Ord- 
■ nung und der Landesvertheidigung verwenden lasse. Allein 
als Polizeimacht im eigenen Lande erwies sie sich den staats- 
feindlichen Einflüssen nur allzu leicht zugänglich; und bei 
der ersten Probe, als man sie zu Kriegszwecken in's Aus- 
land schaffen wollte, gab es Meuterei. Bis es nicht gelang, 
sie der Führung ihrer angestammten Herren zu entziehen 
und durch Officiere anderer Herkunft in die militärische 
Disdplin einzufügen, blieb all dergleichen fruchtlos. 

Zwar fehlte es an dlnem Anlass, um das Unwesen des 
Viehdiebstahls im Grossen und- der Raubzolle an den Ge- 
birgspässen, die sich daraus entwickelt hatten, durch einen 
Gewaltstreich mit Stumpf und Stiel auszurotten , aber die 



* 

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86 



BtUi^hung d4s EinhtiUstaais in Grossbritannun, 



lang"same Festigung von Wohlstand und Ordnung, die 
bessere Hut, für welche die Gemeinde und namentlich so 
loyale Städte wie (xlasg-ow längs des südlichen Saumes des 
Berglandes sorgten, drängten dessen Bewohner bereits der 
bittersten Armuth und der Verzweiflung entgegen. Freilich 
war es eine irrige Folgerung, wenn man nun aber auch dort, 
wo überall in Handel und Wandel sich neues Leben regte, 
♦ jenen heillosen Zustand ganz vorzüglich der Union zur Last 
legte, weil sie das reiche Schottland aussauge und an seinem 
iiatörlichen Fortschritt behindere. Noch hatte die höchste 
Kunst des Landbaues Lothian, Haddingfton, Ko^diurg'h und 
andere südöstliche Striche allerdings nicht in jenen Muster- 
garten der Agricultur verwandelt, der heute stolz mit der 
Lombardei wetteifern darf. Aber die Leute bestellten doch 
daselbst Feld und Wiese, mit dem Verlangten es immer 
besser zu machen» während im Hochlande noch keine Waizen- 
ahre keunte, und die Menschen ihren kümmerlicheik Hafer 
von den s^runen Halmen rissen, um ihn mit patriardialisdber 
Handmühle zu zermalmen. Dort war die Pflugschar noch 
von Holz, Gefahrte gab es kaum. In der That, um nidit zu 
verhungern, weil sie nicht arbeiteten, frohnte die keltiadie 
Race dem Naturtriebe und stahl. Die germaniadie aber 
lallte imd meuite angesichts des ihr abverlangten Beitrags 
zu den gemeinsamen Staatslasten, sie werde von England 
nusshandelt, jedoch nur so lange, als sie veikannte, dass sie 
selber in ihrem Acker, in den noch halb verborgenen 
Schätzen ihres Bodens, in ihrer unvergleichlichen Fischerei, 
vor Allem aber in der volksthümlichen Anlage zu mercan- 
tiler und industrieller Unternehmung Quellen des Reich- 
tliums besass, durch welche sie rasch zu einem völlig eben- 
bürtigen Mitgliede der Union emporsteigen konnte. 

In jener wirklichen Armuth indess stak unleugbar ein 
Hauptgrund, wesshalb gewisse Bestandtheile der Be\ ölkerung 
sich dem modernen Staat schlechterdings nicht fügten, son- 
dern vielmehr schliesslich zu ihrem Verderben wider den- 
selben auflehnten. Das .Schlimmste war, dass Clanhäupter, 
die für sich, ihr Gefolge, ihre Gäste zu essen und zu trinken 
fanden, Gott weiss woher, aber selten ein paar Schilling 
* klingender Münze in der Tasche hatten, mit halb königlicher 



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ßnUtehun^ des ^inheiUstaaU in GrosibrüannUn, 



Macht, mit jener feudalen Gerichtsbarkeit ausgestattet waren, 
welche ung-lücklicher Weise der Unionsvertrag- nicht ange- 
rührt hatte. Selbst in den civilisirten Strichen in Süd und 
Ost war viel Aehnliches haften geblieben. Das Sheriffsamt 
wurde von Begüterten oft zu erblichem Recht besessen; 
grosse Gmndhemn bezeichneten sich als Lords of Regality 
und beanspruchten wie in einem elgünen Fürstenthum volle 
Jurisdiction. Wurde ein solcher I>e(q;>ot strafirechtlich be- 
langt, so forderte er wohl noch als Ehrenrecht, in der Halle 
fnx Edinburgh auf derselbett Bank sMl)eii dem Oberrichtcor 
2tt sitzen. Mit GefSogntss, Verschleppen in die Knecht* 
Schaft» mit Gelgen und Rad wollte er nodi im achtsehnten 
Jahrhundert a^ne Hoheitsrechte wahren* Hatte er haupt« 
sächlich galisdie Untertbanen*» so trat nodb. Blutrache und 
rohestes Kriegsrecht hinzu. Solche Localgewalten neutraH- 
sirten um so mehr alle Anstrengungen des Staats, weil sie 
mit wenig Ausnahmen den J.niissaren des verjagten Königs- 
hauses zugänglich waren und in dessen Rückführung die 
Hoffnung erblickten, ihre „Superioritäten" vollständig zu be- 
haupten. Daraus entspringt denn auch der grosse Unter- 
schied der Sympathien, welche für den jung-en Chevalier bei 
seinem Erscheinen in England und in Schottland sich zeigten. 
In England war der Jacobitismus lediglich die Sache par« 
Ifunentarischer Faction oder auch höchst persönlicher Ueber- 
zeugung, in Schottland dagegen war er durchaus nationale 
Farteifrage geblieben. Der grosse Herr des Nordens rech- 
nete auf seine hungernde Gefolgschaft, die er gewohnt war» 
nach seinem Willen handeln.xu lassen; und selbst der Latrd 
und der kleine Mann der Lowlands war zu sdhr schottisch, um 
jetzt schon den Segen aufkeimender Yolkswirthadiaft der parv 
lamentarischen Einigung mit den brutal rucksidhtslosen eng- 
lischen Nachbaren zu verdanken. Leibt doch nodi betrachtlich 
q;>ater ein sentimentaler Hang zum Jacobitenthum in den 
Versen von Robert Bums, obschon bereits der Gluthhauch der 
in Paris entzündeten Demokratie über sie hingefahren ist. 

Aus den unvergänglichen Dichtungen vSir Walter Scotts 
hat eine begierige Lesewelt ohne Ansehn der Nationalität 
das Interesse an dem hoch romantischen Unternehmen des 
Stuart-Prinzen Karl Eduard eingesogen. Auch die deutsche 



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88 



BnUUhung tUs EitUttitsstaais «» Gr^^ritatmun, 



Geschichtschreibung* hat mitunter dem exceptionellen Her- 
gang im Zusammenhang der Ereignisse seine Stelle ange- 
wiesen, ohne dass wir unsererseits das zeitgenössisch schot- 
tische Material, wie es etwa Robert Chambers gethan, noch 
einmal durchforscht und gesichtet hätten. Hier kann es nur 
darum zu thun sein, die Persönlichkeit und ihre gescheiterte 
That in Verbindung mit der Aufgabe dieser Zeilen zu fassen. 

Der günstige Moment, als Grossbritannien in den öster- 
reichischen Erbfolgekrieg verwickelt sich militärisch und 
durch das factiose Parteigezaak unter Georg II. politisch 
empfindliche Blossen gab, und gewisse unsichtbare Kräfte, 
die noch nicht erloschene Macht seiner Sache so wie ein 
fiatalistisdier Glaube an die eigene Mission, haben zusammen* 
gewirkt, um dem Prinzen fu!' einen Augenblick Erfolg zu 
versprechen. Der rasch vorüberziehende Schimmer ist weder 
sdnen Talenten nodi der Handlungsweise seines Anhangs 
zuzuschreiben. Frankreich hatte sich des lange zurück- 
gesetzten Hauses wieder angenommen, nachdem 1744 ein 
französischer Invasionsversuch an der englischen Küste ver- 
eitelt war. Statt des verkommenen Vaters machte sich der 
Erstgeborene auf, voll Schwomg, von französischen Politikern 
mit der Lehre vom göttlichen Rechte der Könige erfüllt. 
Zur Ueberraschung, ja, zum Entsetzen der Heimath seines 
Hauses kam er allein, verstohlen und ohne den erwarteten 
französischen Beistand. Niemals hat ein Prätendent mit 
elenderen Mitteln und jammer\ollerer Aussicht sein Recht 
beansprucht, das ihm von Anderen vorenthalten w orden. 

Als er am 23. Juli 1745 mit sieben exilirten Jacobiten 
als B^leitem auf einem wüsten Hebriden-Inselchen landete 
und von ihm auf das Festland in dem Loch Na Nuagh, 
nordlich vom Vorgebirge Ardnamurchan, übersetzte, predigte 
er h&. den Oberhäuptern auf boiden Seiten des Sundes von 
Skye längere Zeit tauben Ohren. Erst nachdem er Donald 
Cameron, genannt Locfaiel der Jüngere^ nach hollfindischem 
Brauch durch gemessene Verschreibung wie zu einem fönn- 
lichen Handel gewonnen, b^pann das Mtsstrauen zu welchea. 
Auch die so oft beschriebene Erhebung in dem engen Thal 
von Glenfinnan, wo sich 1500 Menschen zögernd zusammen 
fanden und der alte Marquis von TuUibardine, der sich 



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BntsUkun^ de* Emheüsttaa** m Grost^ttmuim, 3g 

lierzog von Athole nannte, die königliche Standarte hielt, 
war noch ein sehr kümmerUcher Hergang. Die bei dieser 
Grel^enheit verkündeten Manifeste verrathen indess keine 
ungeschickte Hand, unstreitig die John Murrays von Brough- 
ton, eines der wenigen Agenten, die seit zwei Jahren der In- 
surrection vorgearbeitet hatten, der jedoch im Angesicht des 
Verderbens die eigenen Genossen schmählich verrathen sc^te. 
Durch die Dedaration Jacobs aus Rom vom 23. December 
1743 hallte deutlich <fie berühmte Rede wieder, in welcher 
«nst Lord Belhaven bei Annahme der Union diesem' Be- 
schlüsse nur Unh^ vorausgesagt hatte. Und ein geeig- 
neterer Text konnte kaum gewählt werden, so lange es sich 
darum handelte, das schottische Volk von Bedrückungen 
wie die verhasste Malzsteuer zu befinden. Li allgemdnen 
Worten wurden die Glaubensgesetze und andere nationale 
Institutionen f3r heilig erklärt Um so heikler war jeder 
Ausspruch in Betreff des Parlaments, weil die Südschotten 
den Satz vom göttlichen Recht der Dynastie nicht g-elten 
liessen und diese sogar von einem freien schottischen Piirla- 
ment entthront worden war. So hiess es denn sehr zwei- 
deutig" : es solle sofort voll und frei von allem fremden Ein- 
fluss Ljowählt werden, doch nur berathende Stimme haben. 
Auf diese ^verde der König in freundlicher Güte 'hören, ^\ne 
ein Vater auf sein Volk. Alan sieht, wie vorsichtig- von der 
Prärogative auch nicht das Geringste aufgehoben wurde. 

Ebenso verwunderlich wäre es, dass diese Vorberei- 
tungen Tage lang und in der geringen Entfernung \'on 
zwanzig englischen Meilen westlich von Port William un- 
gestört geschehen konnten, wenn nicht berichtet wurde, dass 
die Regierung Georgs EL mitten im Kriege mit Frankreich 
viel zu geringschätzig gegen die unruhigen Bergbewohner 
des nördlichen Königreichs durch die ersten Nachrichten 
.vollständig überrascht worden wäre. Nun war es zu spät 
fOr den commandirenden Oföder Sir John Cope, als er mit 
seinen 1400 Mann am 20. August von Stirling aufbrach, 
den Anstand in seinem Herde durch Ueberraschung zu 
ersticken. Im Hochgebirge selber sah er sich gezwungen, 
nach Invemess auszuweichen, da er sich der anschwdlendea 
Sdiar des Prinzen und deren Kampf weise nicht gewachsen 



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90 



EntsUkung iUs ßüihtiUsitMU in Groubritannitn. 



fühlte. Dadurch j^ab er dem Gefrier, der am 4. September 
in Perth einrückte, die Niederung- mit ihren Streitmitteln 
und schlummernden vSympathien Preis. Keine 1 rage, Prinz 
Karl Eduard machte durch seine anziehende Erscheinung", 
Sinn für Popularität und begeisterte Aeusserungen dort einen 
eben so vortheilhaften Eindruck, als sein Vater dreissig Jahre 
zuvor abgestossen hatte. Was stand ihm nun besser als die 
malerische Hochlandstracht an der Spitze der bunten Trupps, 
die er endlich durch Aussicht auf ein «rtrag'Hches Dasein 
an sich grfesselt Allein eben diese ungewöhnliche Er- 
scbeinung' an der Grenzmark eines gesitteten Ldbens flösste 
dem beredmenden, hinterlialtigen Verstände des Nieder- 
schotten, so unzufrieden er auch über England war, wieder 
sehr triftige Bedenken ein. Der Prinz musste sich daher 
emstlidi hfiten, seine Tnqypen plfindem zu laaseo und statt 
mit ganzen Geschwadern begeisterter Anhänger mit dem 
Zutritt sehr vereünz^ter Eddleute voriieb ndmien. Unter 
ihnen war Lord George Murray, der jüngere Bruder dnes 
haimSverschen und eines Stuart-Pratöidenten des Hmog^ 
thums Athole, der bedeutendste, weil er fast als der Einage 
militärische Fähigkeiten besass. So zog man unbehindert 
weiter auf Edinburgh, das wenig Regierungstruj)pen, mei>t 
Dragoner, und das aus municipalen Zwistigkeiten aller Ord- 
nung bare städtische Aufgebot noch weniger vertheidigen 
konnten. Am 18. rückten die Insurgenten ohne Schwert- 
streich in die untere Stadt, wo sie durch die Hebungen und 
Senkungen des Felsenbodens vor dem groben Geschütz der 
Burg gesichert ist. Ks war ein wunderbarer ^Vugenblick, 
als der stattliche Jüngling Holyrood, das Schloss seiner 
• Väter, betrat, wo seit sechzig Jahren kein Stuart mehr ge- 

weilt, und als gleich hernach die Herolde König Jacob VIII. 
am alten Kreuz von Edinburgh ausriefen. Wahrlich, wer 
je von der gottlichen Succession dieser Königslinie geblendet 
worden , mochte nunmehr dem festesten Glauben huldigen. 
Und wie viele in Schottland vertrauten denn ernstlich noch 
auf die Haltbarkeit des von der Politik mit England ge- 
knüpften Bandes, als wenige Tage spater Cope, der seine 
Truppen zur See zurfickgeschafiit und durch Heransehen 
jener Dri^oner auf 3000 Mann gebracht hatte, unfern der 



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Küste bei Preston Pans von dem etwa 30Q0 Mana starken 
hochländischen Heere in einem einzigen stürmischen An- 
lauf, ganz wie dessen Väter es einst unter Dundee bei ICiliie* 
crankie gethan, vollständig geschlagnen wurde. Der Natur* 
krii^ schien über das Schicksal des Landes entschieden zu 
haben. Während eines funfwochentUchen Aufenthaltes in 
der Hauptstadt lächelte dem jugendlichen Sieger das Glück 
wenigstens in so weit, dasa ihm die Augen der Frauen und 
Mädchen folgten, dass sein Heer bei unerwartet guter Dis- 
dpHn zu zehr«! hatte und dass einige hervorragende epis* 
copaHstische Edelleute der Nachbarschaft sich mit ansehn- 
lichen Greschwadem ihm zuwandten. Er konnte nunmehr 
über eine Streitmacht von 6000 Mann verfugen. Nur die 
Presbyterianer zeigten sich allen Lockungen unzugänglich; 
ihr Klerus stellte lieber die Sabbathandacht ein, als dass er 
sich zwingen Hess , für jemand anders als König Georg zu 
beten. Ein Geistlicher sogar, dessen Kirche von den Kanonen 
der Burg bestrichen wurde, betete wacker drauf los: ..dass 
der junge Mann, der unter sie gekommen um eine irdische 
JOrone zu suchen, recht bald eine Glorienkrone empfangen 
möge." Nicht minder hartnäckig hatten alle Bankhauser ihre 
Depositen in die Burg geflüchtet, so dass, als im Namen des 
Königs Jacob alles Kroneigenthum confiscirt werden 8<^lte, 
wenig zu finden war. Mit Ausnahme dieser Sphären, der 
whiggistimdien Ackerbauer und Weber im Sfidwestai, der 
Ideinen CasteUe am Caledoniacfaen Canal und des Stadt- 
kreises von Invemess, wo Duncan Forbes die Regierung 
vertrat, konnte sieb Prinz Karl Eduard, so lange er in Edin- 
burgh weilte» Herr von St^ottland nennen. Freilich führte 
ilmi taglich der Burgfelsen vor seinen Augen zu Gremuthe, 
wie wesenlos diese Herrschaft war. Er war der Stadt nicht 
sicher, falls er sich emstlich an die Festung wagen würde. 
Die volle Gewalt über das nördliche Königreich meinte 
auch er auf englischem Boden erstreiten zu müssen und 
stürzte sich also in dasselbe Wagniss, an welchem schon 
17 15 der Aufstand zerschellte. Wieder ^-alt es die feind- 
liche parlamentarische Union zu zertrümmern durch jene 
unseüge Verbindung der Kronen, der zweimal schon das 
Haus der Stuart erlegen war. 



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9a 



EntsUhung des Emhmttstaats m Grassbritannuit, 



Weit freudiger als damals überschritten die Insurgenten 
im November die Grenze. Schon am i8. ritt der Prinz auf 
einem Schimmel, hundert Sackpfeifer voraus, in Carlisle dn, 
das elende Anstalten vor der Capitulation nicht hatten 
schützen können. Auch war es sehr vortheilhaft, dass der 
bisher zwischen Dnunmond, dem TitolarherEOge von Perfh» 
und Lord Greorge Muriay getheilt gewesene Oberbefehl jetzt 
einheitlich an den letzteren überging. Verdruss freilich 
musste erregen, dass die landsässige Ritterschaft in Cuniber* 
land und Northumberland sich noch weit ängstificher zurück- 
hielt als vor drdssig Jahren. Bei dem Durchmarsch durch 
Preston und Manchester läuteten wohl die Glocken und rief 
das Volk Hoch; auch zeigte sich in den Quartieren ähn- 
liches Entgegenkommen der Damen wie in Schottland. 
Am letzteren Orte erschienen nebst einer Gabe von drei- 
tciu;?end Pfund etwa 200 Bewaffnete. Aber augenscheinlich 
hatte auch im Adel von Lancashire, der noch 17 15 der 
Mittelpunkt des englischen Jacobitismus gewesen, diese 
Ueberzeug^g bedeutend abgenommen. So ging es weiter 
über Macdesfield nach Derby allem Anschein nach direkt 
auf London. Bis zum 4. December hatten die Hochländer 
dreihundert englische Pfeilen durch feindliches Grebiet ohne 
Unterbrechung zurückgelegt und standen nur noch hundert 
und dreissig von der grossen Hauptstadt entfernt, immerhin 
^e resi>ectable Leistnng in jener Marsch fe rüg ta t , durch 
welche sich schon die Kelten des Alterthums ausgezeichnet 
hatten. Noch einige Tagemarsche, so urtheilt man wohl 
noch heute leichthin, und es wäre um das Haus Hannover 
so wie um die protestantisch parlamentarische Staatsordnung 
geschehen gewesen. Man vergisst dabei, dass der Herzog 
von Cumberland, von Süden her bereits in Staflford ange- 
langt, London deckte, und dass die öifentliche Meinung, 
die Ueberzeugfung der breiten mittleren Schicht der Be- 
völkerung aller Umwälzung- länt^st überdrüssig und der fried- 
lichen pLntwickelung der bestehenden Institutionen zugethan 
war. Eben desshalb verhielt sie sich so kühl beim .Vnblick 
dieses phantastischen Einfalles. Indem die Verstimmung- 
weder Südschottland noch die zweifelhaften englischen Be- 
zirke bis zum Aufstand fortriss, wurde an diesen Stellen 



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Entstehung des Einheitsstaats in Grossbritannien, 



93 



bereits im Voraus über das Geschick des kecken Stuart- 
Prinzen entschieden. Das Jahrhundert war vorbei, in wel- 
chem eine waffenlustige Ritterschaft sich für Konig und 
Kirche aufs Pferd schwang. Als am 29. October im Unter- 
hause ein Misstrauensvotum gegen die Regierung versucht 
wurde, unterlag es einer bedeutenden Majorität So instinctiv 
richtig schob der Englander in dieser Stunde den Partei- 
hader zur Seite, so sicher war er seiner Sache, dass die 
Gr^genanstalten, wenn auch spit, doch völlig geuQgen 
würden, den wahnsinnigen Eintnruch abzuwehren. Nach* 
dem eine Anzahl Regimenter herbeigerufen, erhielt nicht 
nur General Wade Verstärkung, um nun von Newcastle 
her die Flanke der Hochlander zu bedrohen, sondern trat 
ihnen Cumberland gar mit 10,000 Mann entgegen, während 
ein. drittes Corps unter dem alten Marschall Lord Stair die 
Hauptstadt unmittelbar deckte. 

Und selbst Schottland rührte sich zur Vertheidigung 
der neuen Ordnung. Nach Edinburgh waren bereits am 
13. November Gerichtshof und Regierung zurückgekehrt, 
die während der Anwesenheit des jungen Chevalier davon- 
gegangen. Die Whigs von Glasgow und Dumfries griffen 
zu den Waffen. Besonders verdient aber machte sich hoch 
im Norden der Lord Präsident Duncan Forbes, dessen Ver- 
trautheit mit den Zuständen des Hochlandes sehr viel dazu 
bettrug, an 10,000 Bergschotten bis hinaus zu jenen Häupt- 
lingen von Skye vom Au&tande fem zu halten. Aus ihnen 
wurden sogar unabhängige Compagnien errichtet, welche 
beträ c htli c h e Strecken in Ihvemessshire dem Einheitsstaat 
bewahrten, während Ende November derselbe fast rettungslos 
verloren schien. Da war nämlich in Möntrose em franzO" 
sisches Greschwader mit 1000 Mann an Bord gelandet in der 
Erwartung, mit Hilfe des einflussreichen Hauses Gordon die 
Landschaften Angns und Aberdeen zu occupiren. Aber 
selbst hier begann die neue Zeit einzuwirken. Seitdem sich 
die Bischöflichen der etablirten Landeskirche anbequemten, 
schwebten die Factionen wenigstens im Gleichgewicht. Hier \ 
kam es vor, dass längs des Spey die Hochlandscompagnien 
des Präsidenten Forbes für die Union gegen die Franzosen 
und die Gordons aus dem F lachlande fochten. 



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94 



JiHtsukuHg dts Simkutsstaats tu (rrosibrÜMimtn, 



War es bei die>er Laije der Dinge noch verwunderlich, 
wenn am 5. December im Kriegsrath der Jacobiten zu Derby 
Lord George Murray die Umkehr als unerlässlich durch- 
setzte? Auch der hochtiiegende Prinz, der an der Spitze 
seiner ^000 nicht hatte weichen wollen, musste sich schliess- 
lich fugen ; und stets dem Herzoge von Cumberland um zwei 
Tagemärsche voraus ging es in iiile wieder der Gxeiuse ZU. 
Während die in Manchester formirte englische Truppe Town» 
leys schnöde bei der Uebergabe von Carlisle geopfert wurden 
warf sich der Prinz mit seinen Hochländieni sobald als mog^ 
lieh auf das wohlhabrade Glasgow» das von der Regierung 
mit unverantwordiclier Soiglosigkiait fiist ganz mik selbfit . 
überlassen war. Indess ist die schwere Contribution an 
wollenen Kleidern, Schuhen tmd Geld, weldie von den Ja- 
cobiten einer Stadt auferlegt wurde, deren Damen sogar 
den Stuart-Prinzen weder hübsch fendeo noch mit ihm tanzen 
weilten, ihr nachtraglidi wenigstens vom Pazlament, Dank 
einigen zähen schottischen Abgeordneten, mit lo/xo Pfund 
Steilii^ vergütet worden. Nachdem sie eine Woche in 
Glasgow gerastet, hatten sich die Insurgenten gen Nord- 
osten aufgemacht und sich mit ihrem Depot, das in Perth 
einen harten Stand hatte, und einigen kleinen Gruppen von 
Irl ändern und Franzosen vereinigt. Da sie aber Schloss 
Stirling nicht zu bezwingen vermochten, mussten sie sich 
am 17. Januar 1746, als ihnen der General Hawley mit 
8000 Mann bei Falkirk entgegentrat, den Weg zu bahnen 
suchen. Noch einmal gelang es mit jenem ungeordneten 
^lassensturm der mit ihrem breiten Schlachtschwert, mit 
Dolch und Tartsche bewaffneten Bergsöhne. Den gedrillten, 
in F^landern zu steifer Taktik herangebildeten englischen 
Truppen schien Nichts schwerer zu fallen als dieser bar- 
barischen Fechtart widerstehen zu müssen. Da hat denn 
endlich das Ministerium den jmigen Herzog von Cumber- 
land, der schon nach London zurückbeordert worden, an 
die Spitze des Angriffs gegen den zusammensinkenden Auf- 
stand gestellt und in ihm in der That den rechten Mann 
getroffen. Nicht nur, dass er durchschaute, wie- es im Ge- 
fecht mit jenen Naturkri^fem wesentlich auf Aushalten ihres 
einen wirkungsvollen Anlauft ankam, er war hauptsachlich 



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EtUsUhung dts JiinhtiUstaeUs in Grossbrüaunien, 



95 



in deutscher Kriegsschule gebildet und fühlte als deutscher 
Prinz soldatische Ehre. Man soll nicht vergessen, dass er 
seine ernste Pflicht unverrückt erfüllte und, obwohl wegen 
semer unnachskbtigen Härte von England wie von Schott- 
land verflucht, gnewiss nidit aus dem Vorurtheil des einen 
Landes wider das andere, sondern als strenger Soldat weit 
eher mit Geringschätzung* der bürgerlichen Freiheitsrechte 
beider handelte. Vor ihm und seinem 10,000 Mann starken, 
noch, durch einige hessische Regimenter ergänzten Heere 
wichen die Insurgenten schleunig gen Norden ans, die einen 
tmter dem Prinzen quer über das Gebirge von BUdr Athole, 
die anderen unter litoray über Aberdeen, so dass PrSudent 
Foibes und sdne Genossen ohne jede Unterstützung jenseits 
des Moray Firth oder auf Skye ihre Zuflucht suchen mussten 
und, da die Engländer, um den entscheidenden Schkig zu 
führen, den Frühling abwarteten, der kleine Hochlandskrieg 
ihnen sogar noch Fort Augustus kostete. Erst am 16. April 
hat Cumberland alsdann auf der öden I laide von Culloden 
unfern Inverne.ss und Angesichts der Nordsee das abge- 
hetzte und ausgehungerte^noch immer 6000 Mann zählende 
Heer Karl Eduards vollständig zu Schanden gemacht. Er 
siegte, weil er sich Zeit genommen, seine Truppen regel- 
recht zu dem einen Zweck einzuüben und zur Ausführung 
die flache Ebene gewählt hatte. Die Bergschotten aber 
erlagen für immer mit ihrer uralten Fechtart, da sie der Wind 
in's Cresidit traf und, ehe sie nur herankamen, Kartätschen 
nnd Gew^irsalven ihre unregelmassige Linie in Stücke 

Damit hatte das letzte verzweifelte Beginnen, gestützt 
auf den Rest einer kriegerischen Race das System der Ord- 
nung und Einigung zu Gunsten ausgestosseoer feindlicher 
Mächte wieder umzustürzen, sein Ende erreicht. Die aben- 
teuerliche Rettung des Prinzen so wie sein sehr wenig ro- 
mantisclies späteres ]>eben sind zur Genüge bekannt. Hier 
liegt mir nur noch daran, die nunmehr rasche detinitive 
Lösung des ConÜicts zu berühren. 

Wenn die Zeitgenossen in Nord und Süd vor dem un- 
erbittlichen Kriegsrecht zurückbebten und mit Entrüstung 
gewahrten, dass der Herzog imd seine Grenerale sich wenig 



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96 



Entstehung des EmheiUitaati in (J roisbritannien. 



um die Verfassung-sgrundsätze ihres Landes bekümmerten, 
so beachteten sie nicht, dass es nicht einfacher Bürgerkrieg" 
war, dem hier der Garaus gemacht wurde, sondern dass die 
Masse der Rebellen endgiltig als nationale Feinde unter- 
lagen. Als erfreulich aber muss es dennoch bezeichnet 
werden, wenn nun auch in Schottland die Grerichtshöfe sich 
selbständig dem rücksichtslosen Schalten der Officiere ent- 
gegenstellten, damit sobald als möglich friedliche Zustände 
zurückkehrten. Der Regierung freilich, die am Schutz des 
Landes so unendlich viel versäumt hatte, stand es nachtrag- 
lich schlecht an, wenn sie im peinlichen Grericht, auch über 
die wirkungsvolle Vernichtung der staatsfeindlichen Ele- 
mente hinaus, der Rachsucht die Zügel schiessen lassen 
wollte. Wir schweigen von jenen Bliitgerichtm» die in Car- 
Hsle, York und London in grosserer Anzahl noch einmal 
im alten Stil des englischen Hochverrathsproceeses vollzogen 
worden sind. Es war jeden£dls eine starke locongruenz 
den schottischen Peers mit ihrer hochlandisdien Regalitat 
dieselben Gesetze anzupassen, denen sich in England sdt 
Jahrhunderten ein jeder, auch der Jiochste Staad unterworfen 
hatte. Ein Glück, dass ein halbes Hundert schottischer 
Herren durch Parlamentsacte nur in canhimaciam verurdieilt 
werden konnte, da ihnen gleich dem Stuart die Fludit über 
die unwirthMche Natur von Berg und See gelungen war. 
Indess in den nächsten drei Jahren hat sich die Gesetz- 
gebung Üeissig und aufrichtig daran gemacht, die Uebel zu 
heben, deren Dasein die Union in der That bedroht hatte, 
und zwar mit sorgfältiger Berücksichtigung des in Schott- 
land bestehenden und durch die Unionsacte ausdrücklich 
gewahrten Rechts. Nur nach dessen Grundsätzen und mittelst 
seiner Tribunale wurde dieses Mal der von den Jacobiten 
verwirkte Grundbesitz veräussert. Das Haus der Lords 
einigte sich nunmehr mit dem Court of Scssioft wegen Unter- 
drückung der so unvorsichtig den Grundherren gelassenen 
erblichen Patrimonialgerichtsbarkeit, des Restes jener Terri- 
torialmacht, die, so lange sie bestand, den einheitlichen 
Rechtsstaat schlechterdings nicht duldete. Fortan hat das 
regelmässige Reisegericht nach dem Muster des englischen 
mit seinem Netz auch das Hochland umspannt und ist, nach- 



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I 

I 

EmtsUhun^ d§t Bin ht i Hi i a a U im GrwkriioimUtu 

dem alle erbÜdie Jurisdiction an die Krone übergegangen, 
das Tribunal des Sheiüfe das einzig geltende in der Graf- 
schaft geworden. England hat klug den loyal gebliebenen 
Inhabern jener nicht mehr zu duldenden feudalen Vorrechte 
die Summe von 150,000 Pfund Sterling zur Entschädigung 
ausgeworfen und dadurch mittelbar durch die hohen Herren 
von Argyle, Queensberry und andere den Anstoss zu dem 
schönen Aufschwünge des Ackerbaues im Flachlande ge- 
geben. Weniger weise freilich mochten die Gesetze sein, 
welche dem schottischen Episcopalismus und der Hochlands- 
tracht, die bei dem Anmarsch Karl Eduards so berühmt 
geworden, den Krieg erklärten. Indess die Elemente fehl- . 
ten, die sich der beiden Spielereien noch einmal zu gefähr- 
lichen Werken hätten bedienen können. 

Wie die Häupter der Jacobiten entweder im Kampfe 
und auf dem SchafiGot gefallen oder sich im Exil verzehrten, 
so schrumpft fortan auch das gälisch redende Volk vor 
' Kirche und Schule, Gericht und Polizei, vor dem Wildpark 

und d^ Schaftrift der Latifundien zu einer harmlosen Raritäl>- 
zusammen. In der schottischen Niederung aber, wo das 
theologische Grezänk und die Friedlosigkeit des öfßantUchen 
Lebens» wie einst im ^ehzehnten Jahrhundert audi bei uns 
in Deutschland, alle Blüthe der Literatur und der Kunst er- 
stickt hatte, wo seit der Union indess der Grewerbfleiss und 
die mercantile Speculation zuerst den Segen spürten, der 
aus der Beseitigung der unnatOrUchen internationalen Schran- 
ken entsprang — in diesen Regionen be&nd sich die Bev^- 
kerung von einem und demselben Ursprung mit der eng- 
lischen, was alles Schaffen und Arbeiten betraf, bald im 
gestreckten Wettlauf des Friedens mit ihren südlichen Nach- 
baren. Ja, als Robert Bums die heimische Mundart in zauber- 
vollen Weisen in die Dichtung zurückführte, und Scott gar 
die eben kurz berührten Ereignisse aus der ersten Hälfte 
des Jahrhunderts unverzüglicli zur Prosadichtung verwandte, 
da war die Zeit bereits vorüber, in welcher sich Schottland für 
seine Literatur eine eigene Sprache hätte entwickeln können 
wie etwa Holland, Was weise Staatsmänner in der Unions- 
acte von 1707 vorgezeichnet, seine Justiz und seine Kirchen- 
form, sind ihm eigenthümlich geblieben; in allem Uebrigen 

Paali, AufULUe. M, F. 7 



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9« 



£ntst4hun^ d*s EinheiUstaats in GrossbritannUn* 



ist es zu völliger Gütergemeinschaft und, wie man in der 
zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts gar nicht mehr 
verhehlte, zu seiner grossen Genugthuung in England auf- 
gegangen. Sir Walter Scott, der die Union der Ungerech- 
tigkeit bezichtigte und, nachdem kein Stuart mehr vor- 
handen, als Romantiker auch Jacobit zu sein behauptete^ 
bekannte sich doch zu dem loyalsten Torythum, wie es seit 
Georg m. der Dynastie gerade von Schottland aus zur Stütze 
dienen wollte. Und Georg IV., „der erste Gentleman Europas", 
stand 1822 unter dem Thronhimmel zu Holyrood in dem- 
selben grellen Theatercostum, das einst Karl Eduard den 
. Hochländem zu Liebe anlegte und das eben desshalb, aber 
vergebens wider die Narrheit, verboten worden war. An 
und für sich steckt wahrlich keine Poesie in dem Loose eines 
aus unverbesserlicher Schuld gestürzten Fürstenhauses, der 
Junker und der P&ffen, die ihren Herrn und sich selber 
ruiniren, indem sie ihn wider die Macht der Dinge zurudc- 
fuhren wollen. Es gehört der sdiarfete Contrast der Gregen- 
sätze, die Eigenart von Natur und Persönlichkeit, von Land 
imd Volk dazu, um dem zähen Ausharren bei der verlorenen 
Sache mit dem elektrischen Funken der dichterischen Sub- 
stanz zu lohnen. Aber mächtiger und im Grunde viel poeti- 
scher ist, was gerade das Aufgehen Schottlands in Gross- 
britannien darthut: der Einheitsdrang der Völker und Stämme, 
der alle Hindernisse, die ihm Geschichte und Natur gezogen, 
überwindet, damit eine politische und welthistorische Auf- 
gabe erfüllt werde. 



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HEINRICH V. (LANCASTER.) 

Eine Persönlichkeit wie die des lustigen Prinzen und 
ruhmgekrönten Königs, dem als liebling^elden des eng» 
lischen Volkes Shakspere drei seiner Ifistories widmete, 
und anderersdts das ungeheuerliche Unternehmen desselben 
Fürsten, das von Fäctionen zerrissene Frankrdch und das 
auf dem Omtinent erobernde England, zwei Reiche, welche 
in späteren Zeiten um die Wette die Welt haben beherr- 
schen wollen, unter Ein Scepter zu bringen, rechtfertigen 
mich, wenn ich es wage, Sie mit diesem etwas entlegenen 
Stoffe zu unterhalten. Unsere realistische Gr^genwart be- 
fesst sich imgem mit anderen, als sie materiell berührenden 
oder den moralischen Nenr nur rasch und flüchtig reizenden 
Gegenständen. Aber ist das Letztere nicht wenigstens 
einigermassen der Fall, wenn wir das Bild einer vergangenen 
Periode aufrollen und das helle Licht unserer Zeit darauf 
reflectiren lassen? Erkennen wir durch die vergleichende 
Lehre der Geschichte nicht erst vollends, wie und wesshalb 
Staat und Gesellschaft, Politik und Nationalität, Handlungen 
und Ideen der Völker und ihrer Herrscher im Laufe der 
Zeit oft so ganz andere Wendungen genommen haben, als 
es vordem geschienen, wie Vieles jetzt nicht mehr möglich 
ist, was sich vor Jahrhunderten ^lusführon Hess, und wie 
heute umgekehrt Dinge geschehen, von denen sich selbst die 
kühnste Phantasie des Mittelalters nicht hat träumen lassen? 

Der Poet freilich, und nun gar ein Dichter von der un- 
erreichten Grosse Shaksperes, verewigt in seiner Weise über 
alle Gegensätze der Zeit hinaus einen Stern ersten Ranges, 
den er, ihm in seinem eigenen grossen Herzen verwandt, 
über den Höhen und Tiefen des Lebens ruhig funkeln er- 
blickt und desshalb in Humor und Emst als Menschen und 

7* 



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lOO 



Heinrich V. {Lanca^ier.) 



als Helden mit stets g-leicher ungetheilter Bewunderung zu 
schildern vermag-. Ich brauche nicht zu sagen, dass ich 
weder mit Shakspere zu wetteifern, noch sein unvergleich- 
liches Charakterbild im Entferntesten zu stören gedenke, 
sondern mich vielmehr freudig auf Ihre Bekanntschaft mit 
dem Shakspereschen Heinrich V. berufe, wenn ich als Histo- 
riker versuche, das Zeitalter und den Mann vorzuführen, vor- 
nehmlich im Contrast zwischen dem Anfange des fünfzehn- 
ten und dem Ausgange des neunzehnten Jahrhunderts. 

7Amächst sei daran erinnert, wie einstmals das eng- 
lische Reich mit seiner normännisch-firanzösischen Dynastie 
und Nobilitat über den schmcden Meeressund hinweg* an 
das Festland gekettet war. Obwohl für ihre cootinentalen 
Besitzungen Vasallen der franzosischen Krone, drohten die 
in Westminster gekrönten Konige, das viel langsamer con- 
solidirte Konigthum der Franzosen mehr als einmal zu 
verschlingen. Im zwölften Jahrhundert umklammerte der 
. erste Plantagenet mit s^nen weiten Herrschaften das Gebiet 
semes Lehnsherrn von drei Seiten; und es fehlte wenig, so 
hatte er sich auch aus der letzten nominellen Abhängigkeit 
losgerissen. Unter Sohn und ^ik^ indess kehrte sich dies 
Verhaltniss in das Gegenth^ um, wahrend die ersten kraft- 
voll um sich greifenden Könige auf dem französischen Throne 
Sassen. Dann kam wieder im vierzehnten Jahrhundert die 
grosse, Jähre lang erfolgreiche Invasion, der sogenannte 
hundertjährige Krieg, der den Namen I^duards III. unver- 
gesslich macht. Beim Aussterben der Hauptlinie Capet suchte 
dieser dem Antritt des jüngeren Zweigs von Valois mittelst 
des von ihm angerut»-nen, al^er für den friinzösischen Thron 
nicht bestehenden weiblichen Erbrechts zu begegnen und 
beanspruchte selber die streitige Krone. Wer hat nicht von 
den Tagen von Crecy und Maupertuis und anderen strah- 
lenden Siegen zu Wasser und zu Lande, von dem im Jahre 
1360 zu Br^tig^y geschlossenen Vertrag gehört, in welchem 
der fremde Eroberer zwar auf jene Krone und das Erbe 
seiner Väter in Normandie, Maine, Touraine und Anjou ver- 
zichtete, dag^^n aber mindestens die Hälfte des Südens, 
ganz Poitou und Guienne, so wie im Norden Calais mit 
seinem Grebiet frei von jedem Lehnsnexus zu seinem voU^ 

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Heinrich \\ {LancasUr.) 



lOl 



Eigenthum erwarb. Und doch war diese Zumuthung für Land 
und Leute im Norden und Süden der Loire schon damals 
auf die Dauer viel zu stark. Nur vorübergehend sollten 
die Engländer ihre Rosse im (rolf du Lion wie im Golf 
von Biscaya tränken. Als sie unter ihrem schwarzen Prinzen 
über die Pyrenäen hinweg tief in die Geschicke Castiliens 
einzugreifen wagten, riss hinter ihnen der Faden entzwei. 
Die Magnaten und die Städte Aquitaniens und Langiiedocs 
fanden den natürlichen Schwerpunkt wieder in ihrem Ober- 
lehnsherm, dem Könige von Frankreich. Aus der erfolg- 
reichen Erhebung wider das Joch der Engländer verblieb 
^esen nach wen i gen Jahren kaum mehr als der Besitz ^ni* 
ger Seestädte wie Oüais, Bordeaux und Ba3rontte. 

Solche gewaltigen Einbussen wirkten nun aber höchst 
empfindlich auch auf das Inseliefch selber zuiüdc. Die Re- 
gierungsepoche Richards IIL mit ihren heftigen ErschOtte» 
nmgen hat nicht nur verfiEissungsgeschichtiich hervorragende 
Bedeutmig, sondern sie veranlasste wesentlidi die Rück- 
Schläge des folgenden Jahriimiderts. Crestatten Sie mir audv 
hierüber noch efaiige einleitende Bemerkungen. Während 
der Mindeijährigk^ und persönlichen Unfähigkeit Richards, 
des Enkels Eduards HL und Sohns des schwarzen Prinzen, 
wurde der sich berrits in parlamentarisdien Formen bewe- 
gende Staat von starkem Parteigeiste ergriffen. Die Peers, 
die von länger her den weiteren Rath der Krone bildeten, 
Hessen sich zwar die als Unterhaus mitberathenden Cominu- 
nen gefallen , aber wachten docli eitersüchtig über die Be- 
setzung der hohen Aemter. Dazu kam die mächtige Rom 
feindliche Bewegung, welche John Wiclif entfacht hatte, 
indem er nicht nur die weltliche dewalt des Papstthums, 
weil dem cvangrlischen Princip der habelosen Demuth grell 
zuwider, sondern sogar die Transsubstantiation als Kernlehre 
des hierarchischen Systems ernst und schonungslos angriff. 
Sein Satz von der lediglich in der subjectiven Würdigkeit 
ruhenden Berechtigung zu Herrschaft und Amt wurde \ on 
den stark erhitzten Köpfen der niederen Schichten in Stadt 
und I^and auf Gleichheit aller Menschen gedeutet Man 
weiss» wie der furchtbare communistische Aufstand der Leib- 
^genen und kleinen Leute im Jahre 13B1, der mit der Er« 



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102 



Heinrich V. {LancasUr.) 



hebung der deutschen Bauern anderthalb Jahrhunderte später 
so viel Aehnlichkeit hat, dem Könige bereits eine Eman- 
cipationscharte abgerungen hatte, bis die vereinten An- 
strengungen des Klerus, des Adels und der M unicipalität 
ihn noch einmal dämpften. Völlig zu untordrücken freilich 
waren diese geg^en die Herrschaft weniger Bevorrechteten 
gerichteten Tendenzen eben so wenig, wie der Klerus die 
Lehren Wiclifs und die daran gediehene Secte der Lollar- 
den wieder hatte aus der Welt schaffen können. Diesen 
Zustanden, vor allen aber den gesteigerten Ansprüchen des 
Parlaments, das sich damals schon die Reichsbeamten ver- 
antwortlich und folglich auch den Fürsten dienstwillig' za 
machen trachtete, war selbst der zu Jahren gekommene 
König durchaus nicht gewachsen. Unbeständig und leicht- 
fertig, obgleidi mit richtigem Instinct, rief er, um sich «ner 
solchen Abhängigkeit zu entwinden, die Reicihsricliter um 
ein Gutachten zu Gunsten seiner Prärogative an. Als sie 
ihm zu Willen entschieden, wurden die Unglücklichen vom 
Parlament sofort auf Hochverrath belangt, der Kdnig aber 
schmachtete noch zehn Jahre unter dem Druck der grossen 
Herren, vorzuglich unter semem herrschsüchtigen Oheim 
Gloucester, bis es ihm gelang sidi den Krieg mit Frank- 
reich vmn Halse zu schaffisn, indem er sich mit Isabella, der 
Tochter Karls VI. verlobte, und, gestützt auf eine Partei 
unwürdiger Grünstling«, im Juli 1397 durch einen Staats- 
streich sich seiner vornehmen Gegner in Aristokratie und 
(Teistlichkeit mit Hilfe von Iverker und Schatfot vollends 
entledigt zu haben meinte. Aber in seiner Willkür vergriff 
er sich nun nicht minder an einer Menge berechtigter und 
unberechtigter Gewalten. Die Kirche gar, der er ihren 
Primas gefangen gesetzt, hatte sich dieser Fürst nie be- 
freundet, das Bürgerthum neuerdings entfremdet. Ein ver- 
bannter Vetter, Herzog Heinrich von Lancaster, das Haupt 
der dritten von Eduard III. stammenden Linie, brauchte nur 
im Sommer 1399 im Nordosten des Reichs mit geringer 
Mannschaft zu landen, so fielen ihm nicht nur die zurück- 
gedrängten Grrossen mit ihrem Anhange zu, sondern auch 
die Masse von Volk und Klerus. Das Richard abgenöthigte 
Parlament hat dann in umständlicher Acte seine Absetzung 



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Mtimriek V, (Lamemtitr,) 



103 



ausgesprochen, eine That, wie sie in der wundertMuren Ver- 
faasungsgeadiiclrte dieses Reiciis die Unterthaaen mehr als 
einmal an ihren Königen vollzQgfen haben» sobald mit ihnen 

schlechterdings nicht auszukommen war. 

Während ein vereinzelter Widerspruch kaum beachtet 
verhallte, forderte nun unmittelbar Heinrich von Lancaster 
im Namen Gottes die Krone für sich und w-urde von den 
beiden Erzbischöfen zu dem erledigten Thron geleitet. So 
hatte das Reich doch wieder statt eines unwirschen Knaben 
einen i\Iann zum Fürsten. Allein gegen welche Conces- 
sionen erlangte dieser seine Anerkennung! Welche ge- 
waltigen Schwierigkeiten thürmten sich vor ihm auf! Wie 
erscheint fortan die einst so kraftvolle persönliche Monar- 
chie dieses Landes an den Willen der Stände gebunden! 
Heinrich IV. war unleugbar Usurpator einer Gewalt, die 
ihm erbrechtlich nicht zukam. Daher beständige Verschwö- 
rung alter und neuer Gegner und Prätendenten, mitunter mit 
besserer Anwartschaft. An den Aufstand der Percies im 
Norden, die ihn selber einst gerufen, schloss sich der Ver- 
such Wales wieder als nationales Fürstenthum loszureissen. 
Aus den noch vorhandenen Protokollen seines Greheimen 
Raths kann man sich eine Vorstelhmg' machen, welche 
Sorgen an der Seele dieses Fürsten genagt haben müss^. 
Kjem Wunder daher, dass, wie sein Vorganger durch die 
Eigenmacht des Parlaments entthront, sein eigener mangel- 
hafter Titel dagegen vom Parlament gut geheissen worden 
war, er sidi ängstlich befliss, ein streng parlamentarisches 
Regiment zu fuhren. Hinfort hört man nicht mehr von 
Erhebung unbewilligter Grelder: verantwortliche Rithe viel- 
mehr haben über Verwendung der vom Parlament votirten 
Subsidien Rechenschaft abzulegen, und die Stande selber con- 
troliren Hofetaat und Haushalt des Königs. Seat dem ersten 
Lancaster ist den Gremeinen das volle Bewilligungsredit und 
der Anspruch, die Statuten mitzubeschliessen , den Lords 
der Begrift der erblichen Pairie sowie die oberste Gerichts- 
barkeit staatsrechtlich zugewachsen. Und noch ängstHchere 
Rücksicht hatte der König, welcher seine Erhebung dem 
Bunde mit dem Parlament und der Geistlichkeit verdankte, 
auf die Kirche zu nehmen. So trat er denn höchst orthodox 



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104 



HHmrUh F. {LancasUr.) 



g-eg"en die Lollardcn auf, die unter Richard II. unbehelligt 
geblieben und sich nun durch das Gerücht, der abgesetzte 
und gemeuchelte Fürst sei noch am Leben, zu verzweifelten 
Versuchen hinreissen Hessen. Schon im zweiten Jahre 
Heinrichs IV. ist auf Andringen des Klerus mit Zuthun des 
grossen Raths, freilich zunächst noch im Widerspruch mit 
den Gremeinen, das berüchtigte Statut sanctionirt worden, 
nach welchem alle in den Irrthum rückfällige Ketzer zum 
Flammentode verurtheilt werden, zur Vollstreckung des 
bischöflichen Spruchs aber der Staat durch seine Behörden» 
die Sheriffe, den Ann leihen sollte. 

Merlcwurdig nun, wie solche Wandlungen im Innern 
in Kurzem wieder auf die europäische Stellung Englands 
reagirten, bis ^ese plötzlich zu einta ungeahnten Auf- 
schwünge gedieh. In Frankreich vollends , wo wegen des 
Blödsinns, in den Karl VL verfidlen, noch ärgere Gr^gen* 
Sätze der Factionen auf und nieder wogten, erregte das 
Schicksal des unglücklichen Richards, seines Eidams, das 
heftigste Mitgefühl. Der Herzog Ludwig von Orleans, 
welcher als Regent die entfesselten Leidenschaften zu bannen 
suchte, hat den Lancaster zum Zweikampf herausgefordert 
und, da er ablehnte, ihm den Krieg erklärt. Die zahlreichen 
Versch\v(">rer in England, namentlich auch Owen Glendower, 
der Prätendent von Wales, verliessen sich sämmtlich auf 
franz(*)sischen Beistand. Erst als Orleans im Jahre 1407 auf 
Anstiften seines Vetters des Herzogs Johann von Burgund 
auf offener Strasse in Paris ermordet, und Frankreich Jahre 
lang im Bürgerkriege der an diese Magnatenhäuser sich 
anlehnenden Parteien zerfleischt wurde, von denen nun eine 
jede um die Gunst des englischen Staats buhlte, durfte 
Heinrich IV. auf dem dornenvollen Throne etwas aufieuäimen. 
Im Ganzen aber entsprechen Shaksperes Dramen der histo- 
rischen Ueberlieferung von seiner kurzen sorgensohwefen 
Herrschaft auch darin, dass dieser FSrst, nachdem er alle 
Fährnisse der Schlacht und der Attentate überstanden, an 
unheitbarer Krankheit hinsiedite und seine Gredanken bis 
an's Ende darauf heftete, wie sich die usurpirte Gewalt bei 
seinem Gesdiledit bewahren lasse. Da war nun Mhe schon 
sein grosser Sohn hervorgetreten, über den ich vmuchen 



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Hfinrich V. \Lancaiter.) 



105 



möchte, so viel übersichtlich aus den ersten Quellen zusammen 
zu fassen, als vor der historischen Kritik bestehen kann. 

Heinrich, nach dem Orte seiner Geburt g-enannt von 
Monmouth, hat auf damals noch walisischem Boden am 
10. Aug-ust 1387 das Licht der Welt erblickt. Seine Mutter, 
dem aussterbenden Geschlecht der Grafen von Hereford an- 
gehörend, war seit 1394 todt« Noch im zweiten Jahre seines 
Königthums indess hat er seiner alten Amme Johanna Wann 
ein ansehnliches Jahrgeld zahlen lassen. Als der Vater 
seinen Staatsstreich vollzog, befand sich der Sohn kaum 
zwoXt Jahre alt im Gefolge Richards auf dessen zweiter 
Expedition nach Irland. Erst nach dem Sturs des Königs 
wurde er aus der Haft befreit, um alle Rechte und Würden 
des Prinzen von Wales anzutreten. Jubelnd sah das Volk 
ihn im Jahie 1400 zur Seite des Vaters in London einrmten. 
Nach einer Oxforder Tradition hat er dann im Königin- 
Collegium der dortigen Universität studirt und zwar unter 
der Leitung seines staatsklugen Oheims Heinrich Beaufort 
Bischof von Winchester, der in Folge zum Cardinal der 
römischen Kirche emporstieg. An der schottisdien und 
WaHser Mark lernte er zuerst das Leben im Felde kennen. 
Noch hat man ein Schreiben Henry Percys, des Heissspoms, 
vom 3. Mai 1401 , worin er dem jungen König^sohne das 
Zeugniss grosser Entschlossenheit ausstellt. Zwei Jahre 
später half dieser bei Shrewsbury siegen gegen eben jenen 
Percy und dessen Verbündete , und weigerte sich , selbst 
nachdem er von einem Pfeil im (fesicht verwundet, die Wal- 
statt zu verlassen. Im Jahre 1405 war ihm bereits die Lei- 
tung des schwierigen Gebirgskriegs in Wales übertragen. 
Nach f'ineni glücklichen Treffen schreibt er unter dem leb- 
haften Eindruck des Erfolgs an den König: ,,bei dieser 
Gelegenheit hat sich recht deutlich erwiesen, wie der Sieg 
nicht der Menge der Leute, sondern der Allmacht Gottes • 
und der Hilfe der heiligen Dreieinigkeit zuzuschreiben ist." 
Merkwürdige» überzeugung^volle Worte, die wir nicht ver- 
gessen wollen. Wenn irgend jemandem, so war es mit der 
Zeit ihm zu verdanken, dass Owen Glendower, der kühne 
Bergschütz, das Land, wonach der Prinz sich nannte, nicht 
behaupten konnte. Mehr als einmal haben, wie aus den 



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io6 



Htinrich Y. (Lancaster.) 



ParlamentsroUen hervorgeht, die Gemeinen in unterwürfiger 
Anrede ihm Dank gespendet, so wie ihm der König mit 
Verleihung des Gouvernements von Calais lohnt. Auch 
liegen die Beweise vor, dass er sich an den Verhandlungen 
des engeren und weiteren Raths betheiligte und ersterem 
gelegentlich bei Verhinderung des Vaters vorsass. 

Keine Frage, dass der Prinz von Wales frühzeitig mit 
scharfem Blick derselben dyntistischen Interessenpolitik 
huldigte und desshalb auch Partei für den Klerus gegen die 
Lollarden und Jünger Wiclifs ergriff. Man erzählt, dass er 
^nes Tags in seinem orthodoxen Eifer bei der Verbrennung 
eines Ketzers in Smithfield erschienen sei und trotz den 
Sympathien, welche die niederen Klassen noch immer fast 
ausnahmslos für die Venirtheilten hegten, das bereits in der 
Theertonne steckende, von den ersten Flammen umloderte 
Schlachtopfer aufgefordert habe, ein Wort des Widerrufs zu 
sprechen, dann aber, als der Heldenmuth des Märtyrers Stand 
gehalten, tmgerührt von dannen gegangen seL Durch seine 
schon hochangesehene Persönlichkeit hofite er vemmthlich 
auch das Volk an eia solches Schauspiel zu gewöhnen und 
vom Mitgefühl für die Ketzerd abzuziehen, wie er denn auch 
ber^ts im Jahre 1406 an der Spitze der weltlichen Lords 
em Statut durchbringen half, wonach alle und jede, welche 
gegen den Bedtz der Kirche predigten oder die Lüge ver- 
breiteten, dass Konig Richard noch am Leben sei und 
wiederkehren werde, nicht minder mit der Strafe des Feuer- 
todes bedroht wurden. — Und dennoch hat es eine Entfrem- 
dung, wenn nicht gar ein Zerwürfniss zwischen Vater und 
Sohn gegeben. 

Ich meine, die Spuren historischer Belege zu einigen 
der unvergleichlichsten Scenen Skaksperes fehlen keines- 
wegs, obschon namhafte Historiker das haben bezweifeln 
wollen. Jene tolle üngebundenheit des Prinzen Heinz, ge- 
paart mit geistvollem Witz, die doch wie eine wahrhafte 
Heldennatur sich nie in den .Schmutz der Gemeinheit herab- 
ziehen Hess, ist in ihren Grundzügen nicht einfache Erfin- 
dung des Dichtergoistes. Eben weil, wie wir sahen, der 
Königssohn selbständig handelnd früh dem Volke nahe ge- 
treten und sich ohne Frage auch in der derben Ausgelassen- 



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Heinrich V, {Lancaster.) 



107 



heit des englischen Lebens gefiel, konnte er ein Liebling 
dieses Volks werden wie kein anderer. Und machen geist- 
reiche lebenslustige Kronprinzen von anderen mit ähnlichen 
Gaben ausgestatteten Erdensöhnen etwa eine Ausnahme? 
Fehlt es etwa an humoristischen und tragischen Zügen in 
den Fehltritten und Erlebnissen, wegen deren der junge 
Friedrich von Preussen in so fürchterlichen Conflict mit seinem 
strengen cholerischen Vater gerieth ? Für den Prinzen von 
"Wales hat es nachweislich eine unbeschäftigte Zeit gegeben, 
als er sich in lockerer Gesellschaft herumtrieb und dem 
Hange der Sang und Klang liebenden Jugend nach Sinnes- 
rausch und Schwelgerei nachging. Wenn wir auch den 
Angaben der nicht ganz gleichzeitigen Geschichtschreiber 
nicht unbedingt trauen dürfen» so gewähren doch einige 
urkundliche Notizen gewisse verwandte Anklänge an den 
Prinzen, wie er im Drama auftritt Das in der City von 
London gelegene Haus der Herefords, welches ihm im Jahre 
14 10 der Vater vermachte, stand ganz nahe bei dem Wild« 
sdhweinskopf von Eastdieap. Um dieselbe Zeit ist das an- 
sehnliche Quantum von 100 Fuder Bordeaux- Wein für den 
Haushalt des Prinzen steuerfr^ Angeführt worden. Wur 
er&hren, dass sein gütiger Ohdm der Bischof von Win- 
chester die damals sehr erkleckliche Summe von L. 826.134 
für ihn bezahlt hat, und dass noch im achten Jahre seines 
Königthums die Schulden, die er in der Jugend gemacht, 
keineswegs getilgt waren. Ja, einmal im Jahre 1412 musste 
der königliche Rath sogar das böse Gerücht öffentlich u-ider- 
rufeii lassen, dass für die Vertheidigung von Cakiis ange- 
wiesene Gelder nut Heinrichs Vorwissen unterschlagen 
worden seien. So mag es Grund genug gegeben haben, 
wesshalb der Vater dem jungen Wüstling, der seine eigenen 
Wege ging, gram wurde, auch wenn die Anekdote von 
dem Richter Gascoigne, dem er in seinem Tribunal hand- 
greiflich Trotz bietet, und der ihn dafür verhaftet, nachweis- 
lich sehr späten Ursprungs ist. Ausserdem aber bestand 
eine politische Differenz zwischen Vater und Sohn. Wäh- 
rend dieser in den französischen Wirren lebhaft die Partei 
des Herzogs von Burgund ergriff, wünschte der Vater im 
Jahre 141 1 sich mit Orleans zu vertragen und liatte zu dem 



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io8 



Heinrich Y, (Lancaster.) 



Behuf bereits seinem zweiten Sohn Thomas Herzog von 
Clarence die Führung eines Geschwaders nach der Nor- 
mandie zugedacht. Jedenfalls also war der Prinz selber die 
Ursache, wesshalb er, wie urkundlich feststeht, längere Zeit 
vom Geheimen Rathe ausgeschlossen wurde und den könig- 
lichen Hof mied. Es scheint beinah, als ob eine Partei der 
Lords, zu welchen auch Heinrich Beaufort Bischof von Win- 
chester gehörte, den von unheilbarer Krankheit gemarterten» 
mit nuuichen Herren überworfenen König habe bewegen 
wollen, noch bei Lebzeiten zu Gunsten des Ersl^borenen 
abzudanken. Gretviss ist, dass sie scheiterten, denn der scfaim 
bedrängte Fflrst raffte sich noch einmal auf von seinem 
Schmerzenslager, um ^ch dem Volke zu zeigen. Auch ^ne 
andere von Shakspere köstlich verwendete EnäOihmg be* 
g^rnet ziemlich früh. Emst lag der Vater In Krämpfen 
ohnmachtig auf dem Lager. Als dar Sohn, ihn todt wSh* 
nend, die Krone an sich nahm, sei jener erwacht und habe 
unter tiefem Seu&en das Unrecht bd^lagt, durch welches 
er einst zu dem Diadem gelangt Die Antwort des Prinzen 
habe gelautet: er sei da, die Krone gegen Jedermann zu 
vertheidigen. €renug, die Entzweiung kann nidit lange ge- 
dauert haben. Der Sohn war bereits wieder in des Vaters 
Nähe, als dieser eines Tags am Schreine des Bekenners 
betend von einem heftigen Anfalle ergriffen wurde. In 
der benachbarten Jerusalemkammer der Abtei von West- 
minster gab er, nachdem er gebeichtet und den Sohn ge- 
segnet, am 20. März 1413 seinen Geist auf. Alle, die ihn 
einst als jugendlichen Kreuzfahrer zu den mit den Heiden 
kämpfenden Deutschrittern in's Preussenland hatten reisen 
sehn, gedachten der Prophezeiung, er werde in Jerusalem 
sterben. Aber nur unter Angst und Schmerzen hatte er 
von der Herrschaft, die er widerrechtlich an sich gerissen, 
gekostet. Und als ob es ihm auch im Tode unter einem 
Chorgewölbe mit seinen Ahnen, den Eduards, nicht geheuer 
wSre, hatte er befohlen, seinen Leib von Westminster hin- 
weg im Hohen Dome zu Canterbury zu Füssen des heiligen 
Thomas beizusetzen, wo heute noch ein schönes Alabaster* 
bildniss auch die neusten Fahrnisse des gewaltigen Baues 
überdauert 



« 



Heinrich \\ {LancasUr.) 



Nun aber trat Heinrich V., ein voller jugendfrischer 
Mann, eine jener hoch begnadigten, frühreifen Naturen, an 
die Stelle dessen, der früh und lange mit dem Tode ge- 
rungen. Sich die Thränen trocknend, stand er auf vom Bett 
des Verstorbenen, als König erfüllt mit dem ganzen Bewusst* 
sein seines hohen Berufs und allen Tand, alle Schlacken, 
mit denen auch ihn bisweilen das Leben bewoifen, von sich 
streifend. Wer konnte ihm noch die usurpatorische That 
jenes anrechnen? £benso gesucht, wie der Vater gemieden, 
athmete smne ganze Art zu sein, sein wahrhaft vaterlan- 
discher, königlicher Sinn, bereits eine Popularität, wie sie 
Wenige vor ihm besessen. Die hidbask Herren drängten sich 
ohne Unterschied noch vor der Krönung herbei, ihm ihre 
Ergebenheit zu bezeigen, und bei dem strahlenden Feste 
selber blickten die Massen mit jubelndem Entzücken auf die 
ihnen so vertraute Persönlichkeit, die nun ihr (Tcbieter 
geworden. Mit fester Hand hatte er denn auch die Zügel 
des Regiments ergriffen, indem allerdings sofort die lockeren 
Genossen der Jugend bei Seite gethan, aber keineswegs, wie 
so oft noch irrthümlich wiederholt wird, auch die Räthe 
des Vaters beibehalten wurden. Es ist vielmehr bezeich- 
nend, dass er seinen Oheim von Winchester zum Reichs- 
kanzler erhob und unter dessen Beistand die Eintracht mit 
dem Parlament, in welcher die Lancastersche Politik haupt- 
sächlich wurzelte, fortführte. Von Conflicten mit den Ständen, 
welche im Gegentheil auf die wiederholten Geldansprüche 
boneitwiltig eingingen, hört man unter diesem Konige gar 
Nichts mehr. Und welchen Eindruck hochherzigen Ver- 
trauens gar mussten die Amnestiedecrete mach^ mit deaea 
er sdne Herrschaft einwrihte. Der Sohn und l^be des als 
Verräther bei Shrewsbury ge&llenen Percy wurde wieder 
in das verwirkte Lehn und den Titel der Grafen von Nort- 
humberland eingesetzt Der junge Graf von March, Re- 
präsentant der zweiten von Eduard III. stammenden und 
erbrechtlich den usurpatorischen Lancasters entschieden vor- 
ausgehenden Linie der Plantagenets durfte die Haft ver- 
lassen, in der er bisher gelegen, und erhielt die Hausgüter 
zurück. Sogar um die Auslieferung des in englische Ge- 
fangenschaft gerathenen jugendlichen Königs von Schott- 



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HO 



Heinrich V. (LancasUr.) 



land wurde verhandelt, und ohne Bedenken, ja, mit voller 
Absicht, Lug und Trug zu ersticken, die echte Leiche Richards 
in der Gruft von AVestminster beigesetzt. Im hellen Tages- 
licht, offen handelnd, fürchtete König Heinrich alle An- 
sprüche und Handlungen Anderer am wenigsten. 

Ja, selbst die streng orthodoxe Haltung, in der er so früh 
schon die- andere Hauptstütze seines Throns erkannt hatte, 
brachte, wie jetzt ein trauriger Hergang darthat, die über- 
wiegende Mehrheit des Volks, das sich zu allen Zeiten in 
religiösen Dingen durch die Autcnritat hat mächtig be- 
stimmen lassen, zu seiner Anschauung herüber. Da war 
&n in Kent r^ch begiiterter Edelmann, Sir John Oldcastle, 
durch die Hand seiner Gremahlin als Lord Cobham in's Ober- 
haus berufen, der Mittelpunkt der materiell und geistig immer 
noch starken widifitischen Häresie. Der König selber, 
dem der edle Herr treu zogethan und dnst freundschaftlich 
nahe gestanden, hatte yergeblich versucht, ihn in Liebe und 
Gute von sräier Ueberzeugung zur Unterwerfung unter den 
Papst zurudczubringen. Jetzt überliess er ihn, worauf der 
hohe Klerus längst gelauert, den Censuren des geistlichen 
Grerichts, das, nachdem alle Bekehrungsversuche dem glau- 
bensstarken Manne keinen Widerruf hatten abnöthigen 
können, ihn zum Scheiterhaufen verurtheilte. Als jedoch der 
Erzbischof in Anbetracht der früheren Intimität zwischen 
Oldcastle und dem Könige die I linrichtung verzögerte, jener 
aber auf erklärliche Weise aus dem Tower nach Wales 
entsprang, haben die Lollarden sich zu gewagten Anzette- 
lungen und, wie gemunkelt wurde, sogar zu Anschlägen 
auf das T.eben des Königs verstiegen. Dieser hat für nöthig 
erachtet, in eigener Person die bei dunkler Wintersnacht 
auf dem Felde von St. Giles, einer Vorstadt Londons, zu- 
sammengeschlichenen Scharen mit Gewalt aufzuheben und 
einige ihrer Führer hinrichten zu lassen. Erst im Jahre 141 7 
wurde auch Sir John Oldcastle, längst vogelfrei und wie ein 
wildes Thier gehetzt, ergriffen und erbarmungslos verbrannt 
Das Parlament aber bekämpfte fortan ohne Zaudern mit 
blutigen Statuten nicht nur die lollardische Literatur, son- 
dern verhängte auch gegen die Ueberfuhrten Confiscation 
der Guter gleich wie über Hochverräther, weil sie wie den 



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Htinrich V, {LaiuasUr^) 



III 



Christenglauben so auch König, Stände und das Gresetz des 
Reichs hätten vernichten wollen. 

Nicht blinde Verfolglingssucht, sondern, eine reiflich 
überl^fte Politik bestimmte doch den König zu einer sol- 
chen Handlungsweise. Und was ihm behufs Erhaltung 
seiner Macht in dem tief erschütterten Lande Bedürfhiss 
war, das gereichte diesem zur selben Stunde zu hohem An- 
sehn vor den Nationen. Auf jenem ökumenischen Condl' 
zu Constanz, welches die Refonn der abendländischen Kirche 
an Haupt und GHedem anstrebte, aber auch die Lehren 
Wiclüs verwarf und den an ihnen erstarkten Böhmen 
Johann Hus zum Flammentode verdammte, nahm, Dank dem 
Glaubenseifer ihres Königs, die Kirche Englands eine her- 
vorragende Stelle unter den lateinischen Nationalkkchen 
^n. Neben dem römisdimi Könige Sigismund betheiligte 
sich kaum ein anderer Fürst so eifrig an den Werken dieser 
Kirchenversammlung, welche, indem sie das ungetheilte 
Papstthum aus der Dreispaltung- herstellte, nicht minder 
das Recht allg-emeiner Concilien so wie der Landeskirchen 
gegenüber der Universalgewalt des heiligen Stuhls vertrat. 
Das enge Bündniss, welches jene beiden Herrscher hierüber 
schlössen, galt wesentlich den höchsten gemeinsamen Anq-e- 
legenheiten der Christenheit und erhielt nicht nur von Seiten 
des englischen Parlaments eine feierliche Bestätigung, son- 
dern in einem von Heinrich V. schon 14 15 aufgesetzten letzten 
"Willen einen eigenthümlichen Ausdruck. Ausser 20,000 
Messen für das eigene Seelenheil und zahlreichen Legaten 
stiftete er ein kostbtires Schwert dem römischen Könige als 
demjenigen, so lauten die Worte, der nach seinem Urtheil 
der treuste Vertheidiger der Kirche und des Glaubens seu 

Dies Testament nun aber war im vollen Vertrauen auf 
einen solchen Bundesgenossen aufgesetzt worden, kurz vor 
derjenigen That, welche das Andenken Heinrichs V. un- 
sterblich gemadit hat Da fragen wir allerdings» mit welchm 
Rechte konnte er Ansprüche auf die Herrschaft in Frank- 
reich erheben oder die seiner Vorßihren erneuern? Genügt 
der blosse Durst nach Kriegsruhm, die Sehnsucht, es den 
Thaten der Englander unter Eduard ICE. und dem schwarzen 
Prinzen gleich zu thun? Auch die Unsicherheit der Waffen- 



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112 



Heinrich \\ {Lancaster,) 



ruhe, die nach gewaltig'en Verlusten seit einem Menschen- 
alter mit Frankreich factisch eingetreten, aber nie zu einem 
detinitiven Frieden, zu einer völkerrechtlichen Auseinander- 
setzung" über die Anrechte der Plantagenets auf ihre vor zwei 
Jahrhunderten verlorenen Stammländer, oder gar auf den 
Thron der Valois geführt hatte, kann die eigenmächtige 
Wiederaufnahme des Kampfes nicht rechtfertigen. Freilich 
*war alle Welt in jenem Zeitalter von der Auffassung des ge- 
genwartigen noch himmelweit entfernt. Noch war die Ach- 
tung vor nationalen Rechten, die sittliche Bedeutung der Na- 
tionalität überhaupt nicht dahin gediehen» dass es ein Frevel 
wider die Natur geheissen hatte, die beiden durch das Meer 
getrennten, wie Feuer und Wasser verschiedenen Volker 
unter dn Scepter vereinoi zu wollen. Von soldien Scrup^ 
waren damals Fürsten und Volker in der That noch frei, 
so dass wir uns hüten müssen, sie mit unserem Mass zu 
messen. Dagegen entsprangen Heinrichs Motive, abgesehen 
von dem Thatendrange, der ihn so leicht verführte, die von 
seinen Ahnen besessenen Gebiete zu revindiciren, doch auch 
aus realen Triebfedern. Der Vater hatte ihm auch nach 
Aussen und gegen Frankreich insbesondere eine bestimmte 
Politik vermacht. Er war sich bewusst, dass eine kriege- 
rische Unternehmung die Menge der über 1 hronsturz und 
Usurpation unruhigen und bedenklichen Elemente aus dem 
Eande hinweg, ja, sein ganzes Volk vielleicht einmüthig 
hinter ihm herziehn werde. Als Schirm vogt der Kirche 
zumal hatte er sich sobald nach seiner Thronbesteigung 
bereits eine europäische Stellung errungen, die ihn gewisser- 
massen befugte, in die Händel anderer Staaten einzugreifen. 
Und endlich, hatte ihn gleich Niemand gereizt, eine mächtige 
Aufforderung lag doch auch in den französischen Dingen 
selber. Der Mönch von St D^s, ein Franzose, welcher 
damals die Greschichte s^es unglücklichen Vaterlaads 
schrieb, sagt mit dörren Worten: „Der Zustand Frankrdchs 
gab ihm Grund genug zu hoffen, dass er sein Haupt eines 
Tags mit der Eilienkrone schmücken und seine Nach- 
folge auf dem französischen 1 hron fest begründen würde." 
Heinrich V. wusste von Alexander dem Grossen und dem 
in sich zerrissenen Ferserreich. 



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Semrieh V» {Laue^sUr.) 



113 



Wenn man nun aber die Art erwägt, wie er aidi in die 
trostlosen Wirren des Nachbarlands einmischte, so kann man 

s^e Politik nimmermehr von doppeltem Spiel freisprechen. 
Während er mit den Orleans, der Partei der Armagnacs, 
die sich dort vorübergehend wieder am Staatsruder befand, 
um die Hand Kathcirinas, der jüngsten Tochter ihres Königs, 
verhandelte, aber den Hof nicht bewegen konnte, ihm die 
ehemals englischen Provinzen zu verschreiben, Hess er im 
Geheimen dem ränkevollen Herzog von Burgund Schutz- 
und Trutzbündniss anbieten, damit sie Frankreich theilten 
und einer auch dessen Krone gewinne. Allerdings lagen auf 
Burgunder Seite, vertreten in den reichen flandrischen und 
nordfranzösischen .Städten, auch gemeinsame Interessen, wie 
sie den commerciellen und communalrechtlichen Aufgaben 
der Engländer weit mehr entsprachen, als die am französi- 
schen Hofe vorwaltenden, feudal-monarchischen Tendenzen. 
Jedenfalls stützte sich Heinrich V. auf diese Faction, als er 
zu Anfang des Jahres 141 5 noch einmal in feierlicher Ge- 
sandtschaft die höchsten Forderungen an die Ri^ntschafit 
in Paris richtete: Die Krone (trotz dem sehr zwdfelhaften 
Anrecht Eduards IIL und m^^eacfatet der ihm voigehenden» 
aber mit dem Thronsturz Richards IL zurückgesetzten äl- 
teren Linie), — oder aber mit der Hand Katharinas Ausliefe- 
rung von Normandie, Tourame» Maine und der Souveränität 
über Bretagne, Flandern, Aquitanien und die halbe Pro- 
vence. Was blieb denn da emstlich noch vom Reiche übrig ? 
Kein Wunder, wenn die schwer bedrängten französischen 
Bevollmächtigten solche unerhörten Bedingungen von sich 
wiesen und, als sie auch mit mässigem Angebot den Frieden 
nicht erkaufen konnten, an seiner Erhaltung verzw^elten. 

Noch waren die Verhandlungen nicht abgebrochen, als 
in England mit Zustimmung des Grossen Raths und der . 
Gemeinen gewaltige Rüstuiig^en in s Werk gesetzt wurden. 
Bei dem Klerus und den reichen Städten wurde das er- 
forderliche Geld aufgenommen, mit dem kriegslustigen Adel 
contractlich abgeschlossen, die Mannschaft vornehmlich aus 
der stämmi^^en waidmännischen Landbevölkerung angewor- 
ben. Da um ein starkes I leer überzusetzen, dies seefahrende 
Volk nicht Schiffe genug hatte, mussten solche in Holland 

ranli, AafUtxe. Ii. F. 8 



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114 



und Seelaad gemietliet werden. Wie staunten da die mit 
den letzten Anträgen eintreffimden Botschafter Karls VL, 

als sie Anfangs Juli den König inmitten der weit ge- 
diehenen Anstalten am Strande von Southampton und sehr 
wenig geneigt fanden, sich mit einem geringfugfigen Zuwachs 
seines Gebiets in Südfrankreich und Erhöhung der Mitgift 
Katharinas auf 850,000 Ecus abfinden zu lassen. Binnen 
vierzehn Tagen endete die sehr geschärfte mündliche und 
schriftUche Controverse mit der Kriegserklärung von seiner 
Seite. Da wurde der von Siegeslorbeeren träumende Herr- 
scher, der sein Volk bereits einmüthig glaubte und selbst 
auf Sympathien eines Theiles der französischen Bevölkerung 
rechnete, im Augenblick der Einschiffung durch die Ent- 
deckung eines Complotts noch einmal höchst unsanft daran 
gemahnt, wie gebrechlich doch das ganze Anrecht Lan- 
cästers auf die englische Krone war. Graf Richard von 
Cambridge, der zweite Sohn seines Oheims, des Herzogs 
von York, welcher die vierte von Eduard III. ausgehende 
Linie repräsentirte, war verheirathet mit einer Schwester 
des Grrafen von March, wodurch er die Ansprüche der 
zweiten Linie heranzog. Unmittelbar im königlichen Heer- 
lager hat er mit zwm nordenglischen Eddleiiten zur Be- 
seitigung seines Vettm des Königs consiririrt, nicht etwa, 
wie es bei Shak^)ere nach Holinsheds Chronik heisst, im 
Einvera^mien mit den Franzosen, sondern in der That auf 
Grund des legitimen Erbrechts. Dieses erste Vorspiel der 
Rosenkriege wurde indess sofort energisch niedergeschmet> 
tert Fast mehr nach einem kriegsrechtlichen als landes- 
rechtlichen Verfahren sind die Compromittirten hingerichtet 
worden, so dass das Urtheil wegen des bereits stark ent- 
wickelten formellen Rechtssinns der Engländer noch nach- 
• träglich vom Parlament hat bestätigt werden müssen. 

Am 1 1 . August ist nun aber das Geschwader von mehr 
als 1 500 Schiffen mit etwa 30,000 Mann an Bord, von denen 
6000 Ritterlanzen, 23,000 1 .^rngbogenschützen und 1 000 Schanz- 
gräber und Kanoniere waren, nach der vSeinemündung unter 
Segel gegangen. Am 17. lagerte man in geschlossener Ord- 
nung vor dem festen Harlieur, das erst nach heldenniüthiger 
Gegenwehr, als die Vertheidiger sich überzeugt hatten, dass 



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Utinrich \\ [J^ancaster .) 



an Kntsatz durch ihre Landsleute nicht zu denken war, mit ge- 
rechtfertigtem Vertrauen auf die Gnade des Siegers capitu- 
Hrte. Dessen Lage aber war schon nichts weniger als hoff- 
nungsreich, denn es mangelte die Verpflegung und Seuchen 
wütheten unter seiner kräftigen Mannschaft. Während kein 
Franzose übertrat, sammelte sich vielmehr ein starkes feind- 
liches Heer «n der mittleren Seine. Im Kriegsrath riethen 
daher vorsorgliche Stimmen, besonders auch weil die Jahres* 
zeit schon zu weit vorgerückt, zur Heimkehr. Allein Hein« 
rieh beharrte fest bei seinem Vorsatz; mit dem Belquel 
seines Urgrossvatets König Eduard vor Augen bescfaloss 
er quer durdi Frankreich auf Calais zu manddren. Nach« 
dem die Kranken und Schwachen nach Hanse dngesddfi^ 
auch eine Besatzung in Harfleur zurückgelassen, brach er 
am 8. Octxiber mit kaum nodi 15,000 Mann» & aber durch 

gehalten wurden, zu einem mit Recht bewunderten Zuge 
nach Norden auf. Erst an der SommeHnie atiess er ernst* 
lidi auf den Feind, der alle Uebergänge zerstört hatte, so 
dass die EnglSader lange suchen mussten, bis sie am 19. 
eine unbewachte Furth entdeckten und den Marsch auf Calais 
weiter fortsetzten. Am zweitfolgenden Tage jedoch gewahr- 
ten sie an der niedergetretenen Strasse, dass starke Heeres- 
massen vor ihnen auswichen. Am 24. endlich erspähte ihr 
Vortrab die dunklen Colonnen, die sich in der Absicht, Stand 
zu halten, gesetzt hatten. Mit Feldhermblick überzeugte sich 
König Heinrich noch am Abend von dem Terrain, stellte 
selber die Feldwachen aus und sorgte, indem er in den Quar- 
tieren keinerlei Lärm duldete, wie das auch später anderen 
grossen Generalen Englands nachgerühmt wird, dass der 
gemeine Mann seine Mahlzeit, seinen Trunk, und eine gute 
Streu zum Ausruhen habe. Ernste Stille herrschte im Lager, 
nur von dem Ruf der Wachtposten und rauschendem, alles 
Erdreich aufweichenden Regen unterbrochen. 

Davor nun, in geringer Entfernung von der unverges- 
senen Walstatt von Cr^y, flackerten die Wachtfeuer imd 
brauste das Zechgekige der Franzosen, die 50,000 stark, 
allein 14,000 Ritterlanzen zahlten, und deren vornehme Herren 
ihrer Sache so gewiss waren, dass sie bereits die noch nicht 

8* 



1 



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ii6 



HtimrUh V. (ZamtatUr,) 



einmal gemacfatenGefangfeineii auswürfelten. Warnende Stim- 
men. vennociiftQii nidit anfinikommen, und selbst die nulitiU 
rischen Anordnungen des Connteble fanden nic^ den schul* 
digen Grehorsam. Wie ganz anders Konig Heinrich und 

sein kleines, kaum den vierten Theil betragendes Heer. 
Wohl wussten sie, in welch tollkühnes Wagniss sie sich 
gestürzt, aber mit um so kälterem Blute, mit echt sittlicher 
Zucht gingen sie früh Morgens am 25. October an das blu- 
tige Tagewerk. Da sah man den König' und seine Leute 
beichten und das Sacrament empfangen. Wer möchte an 
der Aufrichtigkeit der Devotion derer zweifeln, denen auf 
demselben fremden Boden, wo ihre Väter gesiegt, die krie- 
gerische Ehre der Heimath bis zum Heldentode leuchtete. 
Als der König dann im bunten, über die glänzende Rüstung 
geworfenen Waffenrock und im stählernen Helm, den eine 
goldene mit Edelsteinen besetzte Krone zierte, seinen kleinen 
Schecken bestiegen und seine kaum 1000 Gehamischten imd 
10,000 Schützen ohne Trompetenschall einfach in Linie auf- 
stellte, wie die Engländer noch bis in die neuste Zeit ge* 
fochten» da erschienen sie den funkelnden und schmettam« 
den Scharen gegenüber vollends abgerissen an Kleidung 
und Schuhwerk. Auf die Bemericung emes Ritteramanns, 
dass doch jeder brave Engländer, der zu Pferde sitzen oder 
den Bogen spannen könne, jetzt dabei sein möge, entgeg- 
nete Heinrich: ,,Mit Nichten, ich will nicht einen liCann mehr; 
der allmächtige Crott kann doch auch der klonen Zahl den 
Sieg verldhen/' 

Und diese Gewissheit tauschte ihn nicht, während den 
Franzosen gerade ihre Ueberzahl Verderben bereitete. In 
drei Trefifen, 8000 abgesessene Ritter im ersten, standmi 
sie zu dicht, um rasche Bewegungen zu machen, konnten 
auch ihr schweres Greschütz über den aufgeweichten Boden 
nicht nach vorne bringen. Es mochte eilf Uhr sein , als 
König Heinrich: „Im Namen Gottes, St. Georg mit uns, vor- 
wärts!" rief, der greise IVIarschall, Sir Thomas Erpingham 
seinen Commandostab in. die Luft schleuderte, der gemeine 
Schütz, der englische Yeoman, noch einmal auf die Knie 
fiel und in seltsamer Symbolik einen Bissen Erde mit dem 
Munde tasste. Dann imter lautem Hurrah, in zwei kurzen 



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Heinrich V. {LatuatUr, 



kräftigen Anläufen stürmte die Linie heran, bis der Mann 
einen langen spitzen Pfahl zur eigenen Sicherheit wie zum 
Zielen eingerammt, und nun in geringer Entfernung die 
mörderisch trefiEenden Langbogen zu spielen begannen. Nicht 
Helm noch Harnisch mit ihren Fng«n schützten vor dam 
Pfeik^gen^ Der erste Lanzenwald wankte, eine Flanken» 
be we gang der Reiterei scheiterte vollends , als Mann und 
Ross über einander stürzten. Sobald sich auch das zweite 
Treffen zu einem formlosen Klumpen zusammenballte, war 
jede taktische Ordnung dahin. Die englischen Bauern- 
bursche, ihre Bogen über die Schulter werfend, grifEen jetzt 
zu Schwert und Axt und hieben unter dem stolzen, ächzen- 
den Adel Frankreichs ihrem Konige, der mit seiner Ritter- 
schaft zu Fuss herandrang, förmlich eine Gasse. In diesem 
entsetzlichen Knäuel, vor dem endlich auch das dritte und 
letzte Treffen des Feindes sich auflöste, sind englischerseits 
der Herzog von York, auf französischer die von Alengon 
und Brabant geblieben. Noch einmal erhob sich im Rücken 
der Sieger wüstes Geschrei. Der König, der nicht sofort 
erfuhr , dass nur ein plündernder Haufe in seinen Wagen- 
park gebrochen , liess darüber eine Menge vornehmer Ge- 
fangenen niedermachen. Sicher, obschon voll demüthigen 
Dankes gegen den Himmel, hielt er seinen beispiellosen 
£rfc^ fest. Man zahlte 10,000 gefallene Franzosen, darunter 
8000 allein von edelem Blut. Unter den 1500 gefimgenen 
Edelleuten be£and sich der junge Herzog Ton Orleans. Der 
Verlust der Engländer dagegen war so gering, dass man 
kaum tausend im Granzen henuisrechaet Erst durch die 
französischen Herolde, welche ihre Todten aufeulesen kamen, 
erfuhr Henrich den Namen der Burg, in deren Nähe er 
gestritten, und befisdil nun, dass die Schlacht hinfort von 
Agfincourt heisse und der Tag der Heiligen Crispin und 
Crispinian immerdar gefeiert werde. Aber mein: als den 
glänzenden Abschluss eines ruhmvollen und doch ziellosen 
Feldzugs bezeichnete er zunächst nicht. Nachdem der Sieger 
und sein tapferes Heer Calais erreicht, sind sie über den Canal 
gesetzt und am 23. November in prächtigem Triumph von 
der im Kriegsjubel schwelgenden Bevölkerung von London 
und Westminster empfangen worden. Ohne den Streithelm, 



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ii8 



Heinrich V. {LancaiUr,) 



im schlichten Gewände ritt allein der König einher. Zuvor 
aber hatte ihm das Parlament nicht nur die beantragte 
Subsidie, sondern für die Dauer seiner Regierung Woll- 
zoll und Tonnengeld ausgeworfen, schon damals zum Be- 
weise, was kriegerischer Erfolg über das Bewilligungsrecht 
und die Tadelsucht parlamentarischer Versammlungen ver- 
mag. Das Spiel der Waffen sollte auch durch vornehme 
Intervention nicht unterbrochen werden. 

Im Frühling 1416 nämlich traf der römische König in 
England ein, auf jener Reise, die der rührige, aber vöUig 
lialüose Fürst als Bevollmächtigter des Concils angetreten, 
vm nicht nur die abendländische Christenheit wieder unter 
einen kirchlichen Hut zu bringen, sondern wo unter den 
Völkern Streit, ihn legen zu helfen. Mit ausgesuchten Ehren, 
wie sie zum ersteoi Mal einem die Insel betretendai Nach- 
folger Karls des Grossen zukamen, aber auch gegen die 
bestimmte Grarantie auf diesem Boden keinerlm imperato- 
rische Rechte ausfiben zu wollen, ist er ein halbes Jahr 
Heinrichs Gast gewesen und von Pfaffan und Laien als 
Schirmherr des orthodoxen (Haubens gefuert worden. Aber 
die Friedensverhandlungen in London und Calais scheiterten 
sowohl an der Hartnäckigkeit und dem Rachegefuhl der 
Armagnacs wie an der Unnachgiebsgkeit Heinrichs, der sich 
den von Schidden erdrückten König Sigismund dermassen 
verpflichtete, dass dieser vor der Welt ihm allein Recht zu 
geben schien, indem er mit dem Könige von England und 
Frankreich, wie er ihn officiell betitelte, ein Schutz- und 
Trutzbündniss schloss. 

Mittlerweile hatte der Krieg mit den Franzosen nicht 
geruht. Als sie mit Hilfe Genueser Schiffe Harfleur hatten 
zurückgewinnen wollen, von der englischen Flotte aber ab- 
geschlagen worden waren, Hess Heinrich zu einer zweiten 
Invasion rüsten. Und ermunterte nicht die heillose Auf- 
lösung des französischen Staatswesens zu der HoflEnung, das 
Ganze statt eines noch so grossen Theils an sich zu bringen? 
Nachdem er die Königin Isabeau dem Herzoge Johann von 
Burgund in die Arme getrieben, übte der finstere Graf von 
Armagnac als Conn^table und R^rent über den Hof, den 
wahnsinnigen König und den unerwachsenen Dauphin eine 



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* 



Heinrich V. {LunciuUr.) 



119 



solche Schreckensherrschaft, dass er wie schon die städti- 
schen Communen, nun auch den Klerus und die Sorbonne 
sich zu Feinden machte. Die Hälfte des Landes ersehnte 
die Burgunder, wenn nicht die Engländer als Befreier. 
Darüber ist Heinrich V. am i. August 14 17 wiederum mit 
über tausend Segeln und 16,400 Mann, diesmal an dem Süd- 
ufer der Seine, bei Honfleur gielaadet. Sobald Ca«fi mit 
stürmender Hand genommen, wurde ein Platz der Nomiandie 
nach dem anderen zur Uebergabe geswungen. Fortan gab 
es wieder dne englische Regierung in dem Lande, aus 
welchem einst im Jahre 120$ König Jcrfumn scfamadivoll 
entwichen war. Ale sei dies nie gescfadm« knüpfte die Ur- 
kondenroUe unmittdbar an die von damals an; jetst sollte 
das gute Recht der Vorfahren mit den Waffen in der Hand 
zurückgefordert werden. Weder ein Einbrach der Schotten 
in Nordengland, noch die letzten Zuckungen der LoQarden, 
die nicht unwahrscheinlich von Frankreich aus angeregt 
waren, konnten verhindern, dass im Frühjahr 1418 dem 
ICönige in Bayeux beträchtliche X'erstärkungen durch zwei 
seiner jüngeren Brüder zugeführt wurden. 

Um diese Zeit suchten wohl päpstliche Nuntien unter 
den um die Übergewalt in Frankreich hadernden Parteien 
Eintracht zu stiften. Schon wurden in Paris Friedensfeste 
gefeiert, als der unversöhnliche Connetable die Bevölkerung 
dermasaen aufbrachte, dass sie den Burgundern ihre Thore 
öfiBiete und am 12. Juni in einem scheusslichen Blutbade 
Armagnac, den Kanzler von Frankreich und viele Toniehme 
Haupter hinmordete. Herzog Johann war nun Herr von 
Paris, aber der junge Dauphin war entronnen, imd demnach 
die Faotion CMians, obwohl schwer getroffen, als Vertreterin 
der Legitimität doch keineswegs entwurzelt. Solche furcht- 
baren Zustände aber sidierten dem Konige von England 
erst recht den Erfidg seiner Wafien. Ohne sich durch die 
Vermittehrngsantrage Papst Martins V. viel beirren zu lassen» 
zog er seme Kreise immer enger um Ronen, die alte Haupt- 
stadt des normannischen Herzogthums, zusammen. Freilich 
erbt nach einer grossartigen Vertheidigung , die länger als 
sechs Monate dauerte, und durch regelrechte Belagerung, 
während deren der König sich Burgund und den Dauphin 



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I20 



HtirnUh F. [LancasUr.) 



mehr durch geschickte, völlig windige Verhandlungen, als 
durch die Waffen vom Halse hielt, durch Hunger und Pe- 
stilenz bis zum Aeussersten getrieben, capitulirte die tapfere 
Stadt. Am ig. Januar 1419 zog Heinrich V. triumphirend 
ein, konnte aber von der Haltung solcher Bürger, welche 
seit 215 Jahren französisch gewesen und die frühere Zu- 
sammengehörigkeit mit England längst vergessen hatten, 
schwerlich erwarten, dass sie sich nuamehr der fremden 
Herrschaft mit gleicher Treue zuwenden würden. 

Andererseits aber versöhnte nicht einmal der Fall einer 
so wichtigen Stadt wie Ronen die hadernden Gemüther der 
Franzosen. Es lag zu sehr im Biterosse Heinrichs sie audi 
fernerhin geschickt auseinander zu halten. So verhandelte 
er denn mit beiden Theilen unablässig und hatte im Sommer, 
während seine Streifecharen schon bis in die Nähe von Paris 
schwärmten, mit Burgund und der Königin Isabeau eine 
persönliche Conferenz zu Meulant, bei welcher Gr^egenheit 
er auch zum ersten Mal der jugendlichen Tochter der letz- 
teren in die Augen sah, deren Hand bei allen diesen Trans- 
actionen von ihm zur Bedingung eines Abschlusses gemacht 
wurde. Da geschah es am 10. September, als der Herzog 
von Burgund nun ebenfalls unter den ceremoniöseii Formen 
der Zeit mit der Gegenpartei auf der Yonne- Brücke bei 
Montereau ein Gespräch hielt, dass er vor den Augen des 
Dauphin von dessen unversöhnlichen Hütern, dem Herrn 
Xannegui Duchätel und Genossen meuchlings ermordet 
wurde* £s war die primitive Blutrache für den durch Bur- 
gfund an dem Orleans begangenen Mord. Stadt und Land, 
Paris , der flüchtige Hof in Troyes starrten VW Entsetzen; 
die Königin fluchte dem eigenen Sohn zu ewigem Verderben. 
So trieb eine verruchte That nicht nur Alles, was in Frank* 
rdch mit den buigundischen Interessen sympathiBirte, son- 
dern einen grossen Theil der Nation verzweiHahid in die 
Arme des mSchtigen Eroberers als des einzigen Heilbringers 
in fürchterlicher Lage. 

König Heinrich wählte denn auch nicht lange unter den 
Beschuldigungen und Anträgen, mit denen ihn die Facti onen 
bestürmten. Zu Weihnachten hat er in Rouen mit den Be- 
vollmächtigten Herzog Philipps von Burgund, des Sohns 



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Heinrich V» {Lancaster.) 



121 



und Erben des Ermordeten, der sich nunmehr als Repräsen- 
tant Karls VI. von Frankreich aufwarf, eine feste Einigung 
vollzogen, in welcher er mit der Hand Katharinas die An- 
wartschaft auf die französische Krone erhielt, während beide 
Theile gelobten, den an jener Unthat compromittirtenDauphin 
nnd seinen Anhang bis zur Vernichtung zu verfolgen. Von 
dem in trübem Blödsinn hinsiechenden Vater, von der wuth- 
schnaubenden Mutter war Alles zu erlangen. Während die 
WaffiMi ruhten, das Volk au&ämiend Hdl rief, konnte der 
stolze ^eger unbehindert quer durch Frankreich nach der 
Champagne zldm, um selber in Troyes am 21. Mai 1420 
diese Präliminarien in einer grossen Urkunde zu ratifidren. 
Darin wurden, weit fiber Alles hinaus, was Eduard m. einst 
imFrieden vonBr^gny gewonnen, die unerhörtesten Erfolge 
und ein Resultat bestätigt, wie es in der Gresdüchte zweier 
verschiedener Reiche kaum wieder erscheint. Heinrich V. 
wird durch die Ehe mit Katharina, an die sich allem Her- 
kommen zuwider das Erbrecht des franzosischen Thrones 
knüpfen soll, der geliebte Sohn des Königspaares. Wie er 
mit Zustimmung der Stände schon jetzt als Vertreter Karls VI. 
schaltet, so ist er nach dessen Tode alleiniger Erbe der 
Krone, um diese <auf ewige Zeiten mit der englischen vereint 
bei seiner directen Nachkommenschaft zu bewahren. Die 
am 2. Juni gefeierte Hochzeit gewährte nur kurze Rast: mit 
dem französischen Hofe, mit dem jungen Schottenkönige 
und anderen vornehmen Geiseln in seinem Feldlager \'er- 
brachte er den Rest des Jahres mit Brechung der Burgen 
seiner Gregner, bis er im December in Paris einzog, um dort 
als Erbe von Frankreich die Stande des Reidis, wie die 
Mitglieder der Universität um sich zu versammeln. Er hat 
dem Parlament vorgesessen, welches Acht und Bann über 
die Mörder des Herzogs Johann verhängte; durch seine 
stramm soldatische Art indess, durch ^nsetzung seiner £ng« 
Ifinder in mehrere wichtige Posten und als Inhaber der Ba- 
stille sich nichts als die Furcht der allerdgenartigsten Be- 
völkerung erworben. Und auch auf der anderen S^te des 
Canals regte sich so etwas wie Eifersucht des Heimath- 
landes. Die Engländer beruhigten sich erst, als er im 
Februar 142 1 an der Seite der Cremahlin nochmals einen 



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122 



Htinrich V. {Lancaster,) 



Triumph feierte, Katharina in Westminster gekrönt wurde 
und beide nun im Lande weilten, bis bedenkliche Nach- 
richten von drüben einliefen. 

Wie hätten sich die national gesinnten Gemüther und 
die von dem flüchtigen Dauphin vertretene Legitimität in 
die durch den schmachvollen Vertrag von Troyes erzwungene 
Auslieferung des Reichs und in die Aechtung seines wahren 
Erben fugen sollen? ,3^c^t auf die Lilien, Ihr echten Fran> 
zosen das Königthums, blickt auf den schmählichen Ver- 
trag, den die Engländer» die alten Feinde der Lilien, dictirt 
haben, der vom Herzoge von Burgund beschworen worden 
ist*S hebt ^e der feuerigen Prodamatlonfla an. Südlich 
der Loire wie in der Bretagne und Anjou flatterte dies Feld« 
zeichen noch imm^ und wurde besonders von muthigen 
Parteigängern aus Schottland vertheidigt . Im März haben 
sie in einem kurzen heftigen Gefecht bei Beaxi^ Heinrichs 
nächstgeborenen Bruder, den Herzog von Clazenoe, besiegt 
und erschlagen. Das war die bose Kunden, die erste Schlappe 
in der That, die ihn selber ndthigte, als er eben den Ver- 
trag von Troyes auch durch das Parlament von West- 
minster hatte bestätigen und für weitere Mittel sorgen lassen, 
schleunig hinüber zu eilen, um die Gegner bis an die Loire 
zurückzutreiben und die Belagerung von Meaux an der 
^Marne zu unternehmen, das so nahe Paris noch immer Trotz 
bot. Erst im Mai 1422 wurde der Platz genommen, den 
kühnen Vertheidigern aber, Franzosen, Schotten und Iren 
das Leben nicht geschenkt. 

Noch einmal linden wir hierauf den strengen Monarchen 
in Paris, um dort mit seiner Gemahlin, die ihm inzwischen 
in Windsor einen Sohn geboren, Pfingsten zu feiern. Doch 
lässt ihm die spannende Sorge um den unsicheren Besitz 
keine Ruhe. Einer dringenden Auffordenuig des Herzogs 
Philipp folgend, avüI er im Juli von Senlis über Melun an 
die mittlere Loire eilen, als ihn eine innere Kranlcheit ergrdft, 
deren Heilung aller ärztliche Kunst jener Tage spottete. 
Unter verzehrenden Schmerzen muss er sich nach Vincennes 
zurückschalten lassen, um, nachdem er in Grottes Willen er- 
geben für die Vormundschaft seines Sohnleins und fiir die 
Statthaherschaft beider Rmche die notfaigste Sorge getroffen. 



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H tinrieh \\ {L^tußittr,) 



12$ 



am 31. August 1422, erst 35 Jahre alt, als demüthig katho- 
lischer Christ zu sterben. Man hat den Fürsten, der in- 
mitten seiner beispiellosen Erfolge abschied, als er bereits 
Nordfrankreich mit eiserner Hand festhielt und sich eben 
anschickte, auch den Süden vollends herbeizobnng«!!, noch 
im Tode hoch geehrt Ueber seinem Leichnam wurden bei 
-der Heimfühniiig nach England in St. Denis an der Gruft 
der Könige von Frankreich imd nochmal zu St. Paul in 
London feierliche Exequien gehalten. Dann wurde er, wie 
er gewünscht, zu Westminster in einer Kapelle von zierlich« 
fiter Grcthik ostlidi vom Schreine des Bekenners beigesetzt 

Auch seine politischen Ordnungen sind noch eine Weile 
aufrecht geblidt>en. Dank besonders der ebenbürtigen That- 
kraft seines ausgezeichnetsten Bruders des Herzogs Johann 
von Bedford, der fSae den unmündigen Heinrich VI. in Frank- 
reich regierte und diesen wirklich in Paris krönen liess, 
wurde die Herrschaft zusammengehalten, bis Karl VIL sich 
aufraffte, das Erscheinen des Mädchens von Orleans alle 
Stande des Rache für das gesalbte nationale Königthum 
entflammte und jener französische Befreiungskampf anhub, 
der nicht nur durch die Vertreibung der Engländer dieses 
Land endgiltig national consolidirte , sondern abermals auf 
deren Heimath zurückwirkend wenigstens e i n Motiv zu dem 
dreissigjährigen Kriege der beiden Rosen wurde, in wel- 
chem Lancaster vor York erlag, und die Nachkommen beider 
schliesslich Alles büssten, was auch die Grossten der Dy- 
nastie verbrochen. 

Was ist nun aber das Gesammturtheil über Heinrich V., 
den ich als Feldherrn und Diplomaten nicht höher zu preisen 
vermag als seine Thaten es thun? Es fehlt nicht an Zeug- 
nissen, dass er der Bildung und dem Geschmack des Zeit- 
alters nahe gestanden. Bei hohem Fluge der Gedanken 
aber war er doch eine wesentlich praktische Natur. Er ist 
der erste Plantagenet, der sich in seinen eigenhändigen £r*> 
lassen, deren mehrere im Autogn^h vorhanden sind, mit 
Vorliebe eines kernigen Englisch bediente. Wollte er doch 
einmal sogar die Franzosen nöthigen, in dieser Sprache mit 
Ihm zu verhandefai. Der Ghimdzug seiner Eroberungspolitik, 
wegen deren Erfolge sein Volk an ihm hing, wie es nur die 



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124 



Ji4inrich V, {Lancasttr») 



I 



* Lieblinge seiner Jugend gethan, in welcher aber auch die 
Widersprüche seines Wesens am grellsten zu Tage treten, 
war trotz dem Uebergriff auf fremden Boden entschieden 
national. Denn die Ehre imd Macht seines Insefareichs leuchp 
teten auf, als es Frankreich zu seinen Füssen sah. Indem 
er seinen jüngsten Bruder Hiunphrey von Gloucester an Jac 
quelina die Erbfrau yon Holland und Hennegmu vermahlte 
und den älteren der Konigin Johanna von Neapel zur Adop- 
tion empfiüil, indem sein Greschlecht vom Grossvater her 
bereits mit den Hausem von Spanien und Portugal ver- 
wandt und eine Schwester dem Pfalzgrafen am Rhein ver- 
mählt war, schien Westeuropa geradezu unter Lancastersche 
Vormacht zu gerathen. Ja, wie er auf dem Sterbelager noch 
an die von ihm gelobte Kreuzfahrt gedacht, — er horchte 
gespannt auf bei den Worten des Busspsahns: Baue die 
Mauern von Jerusalem — so hatte er auch bereits eine 
Mission in das jüngst von den Mamelucken überrannte HeiUge 
Land, nach Syrien und Egypten abgefertigt um die Aus- 
sichten für ein Unternehmen zu erkundschaften, dessen Ge- 
lingen, wenn irgend eines, vielleicht im Stande gewesen 
wäre» die von ihm beherrschten Lande an einander zu ketten. 
Zu sdner Lieblingslectüre hatten die Chroniken von Jeru- 
salem und eine Historie Grottfrieds von Bouillon gehört 

Aber jener praktisch nationale Zug spiegelt sich audh 
in seinem Regiment wieder. Durch und durch verstand er 
den gememen Mann, den Soldaten-, fSr dessen leibliches 
Wohl er auf den Märschen in Frankreich väterlich sorgte. 
Er gönnte ihm den W^, nur warnte er die Leute streqg 
vor dem schäumenden Getränk der Champagne, damit sie 
nicht, wie er sich einmal ausdrSckt, aus ihrem Leibe elii 
Fass machten. Seine constitutionellen Anschauungen stan- 
den ganz im Einklang mit der damaligen Entwicklung der 
parlamentarischen Regierung. Daher denn nicht nur völliges 
Einvernehmen zwischen ihm und seinen Ständen in West- 
minster, sondern die entschiedene Tendenz, dasselbe Princip, 
dessen verwandte .Vnklänge sich ja auch zuerst ihm zu- 
neigten, in dem eroberten Frankreich nicht minder zu fördern. 
Und dabei war er streng gegen sich selber, sittenrein wne 
Wenige, gerecht gegen Vornehm und Grering^ Niemand hat 



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Heinrich V, {Lancasttr.) 12^ 

ihn einen Schwer ausstossen hören, auf sein einfaches Ja 
und Nein durfte sich alle Welt verlassen. Die Franzosen 
staunten, wie er alle seine Geschäfte selber führe und, da 
er stets auch erwäge, nie etwas ohne Frucht thue. Selbst 
ein Gregner, wie der Mönch von St Denis nennt ihn hoch- 
herzig, tapfer, klug und fugt hinzu: „Kein Fürst seiner Zeit 
war durch die Weisheit setner Herrschaft, durch Verstand 
und andere treffliche Eigenschaften besser befähigt dn Land 
zu erobern." 

Gleich der unbeugsamen Orthodoxie, mit der er die 
Ketzer seiner Tage ausrotten und seine Herrschaft im Bunde 
mit der Kirche und dem römischen Könige fest begründen 
wollte, dOifen wir daher auch die Unterwerfung Frankreichs 
und dessen wid^matOrliche Vereinigung mit dem Inselstaate 
nur im Licht des gross anhebenden, aber kein einziges seiner 
Probleme lösenden fünfzehnten Jahrhunderts betrachten und 
nimmermehr den strengen Massstab unserer Zeit anlegen, 
welche die Unterjochung eines Volkes durch das andere 
nicht mehr verträgt und dem Kriege nur im Falle wirk- 
licher Nothwehr Berechtigung zuschreibt. Nur wenn wir 
uns aller solcher Anschauungen entschlagen und zu fühlen 
suchen, wie die Menschen damals in einem besonders wild 
k^menden Zeitalter empfanden, werden wir auch dem fünften 
Heinrich Englands gerecht werden und ihn weder der Heu- 
chelei noch des bewussten Unrechts an einer fremden Nation 
und einer ^frevelhaften Grewalt zeihen, sondern anstimmen 
in die Worte, welche Shakspere, seine Hörer entsflckend, 
dem Chorus zum vierten Aufruge des Stucks in den Mund 
legt: 

O, wer ihn. mm erblickt. 

Den hohen Hauptmann dieser Unglücksschar 
Von "Wacht zu Wacht, von Zelt zu Zelte wandelod. 
Der rufe : Preis und Ehren auf sein Haupt ! 
Denn er geht aus, besucht sein ganzes Herr, 
Beut guten Morgen mit bescheidnem L.ächeln 
Und nennet Freunde si^ Landdenle, Brüder. 



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DIE ANFÄNGE HEINRICHS Via*) 

(Fragment.) 



Am 21. AprÜ 1509 yerschied auf seinem lieblingsits 
RichnMMid an der Themse, im vier xaad funÜEigstea Lebens- 
jähre vor der Zeit a\ifgeridt>en, KSnig Heinrich VH In vier 

und zwanzigjährig-er mühevoller Regierung war es ihm ge- 
lungen, Königthum und Reich aus tiefstem Sturz wieder auf- 
zurichten. Er, Heinrich Tudor, der, seiner kymrischen Her- 
kunft von Vaters Seite gern eingedenk, Britannien von den 
Wahser Bergen aus zu verjüngen erschienen war, hatte die 
Krone auf Grund verwickelter Ansprüche getragen. Als 
Sieger hatte er sie immittelbar auf der Walstatt von Bos- 
worth aufgelesen. Als letzter Lancaster von mütterUcher 
Seite erblickte er in ihr sein gutes Recht. Nur erst in zweiter 
Linie wurde durch Vermählung mit Elisabeth, der ältesten 
Tochter Eduards von York, die Versöhnung der rothen mit 
der weissen Rose besiegelt Endlich aber hatte das Parkio 
ment zu Westndnster, wie der heilige Vater zu Rom, feier- 
lich erklärt, dass Heinrich Tudor und kein anderer K5nig 
von England sei 

Wie im drebsigjährigen Vernichtungskriege die gespal^* 
tene Dynastie zu Gminde ging, so wäre auch die Nation sammt 
ihren alt überkommenen Institutionen verloren gewesen, 
wenn der Erretter nicht an ihre Spitze trat. Das Haus Lan- 
caster war gesch«tert, obgleich es im Geiste des Baronial- 
rechts verfassungsmässig zu regieren getrachtet hatte. Das 

In Pulis Nachkne befindea sich Bfichotitel, Bemakimgeii fiber neue 
Erscheinungen, weite Ezcexpte cor Geschichte Heinrichs VIIL, und zwar auch 
zur späteren, die vielleicht einem künftig«!! Forscher werthvolles Material bieten 

könnten. Darunter besonders eine Uebertragung der Correspondens Hein- 
richs VIII. 1527—28 mit Anna Boteyn; cf. The Hacleian MisceU. X. 



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DU Anfängt Htinricht VlU, 



Haus York setzte sich scrupelfrei über die veredelnden Ideen 
der Verfassung hinweg, um die erbliche Tradition der Is rone 
um so schärfer zu betonen, verlor aber trotz der dämoni- 
sehen Grewalt seiner beiden Sprossen den Thron. Beiden 
Theilen war das Zeitalter gleich abhold. Aber keine Frage, 
nur indem er weit mehr das Beispiel seiner unmittelbaren 
VorgSnger Eduards IV. und Ridiards IIL als der drd Hein- 
riche von Lancaster befolgte, vermochte der Tüdor in un- 
endlidiem Wirrsal wieder Ordnui^ zu schaffen und ist, was 
das liGttelalter an Institutionen gesäet hatte, durch wunder- 
bare Fügungen in eine neue Zeit hinüber gerettet worden. 

Tief geknickt und erniedrigt liess sich das englische 
Volk den neuen Herrscher gefallen, weil es das dringende 
Bedürfhiss nach einer Macht empfand, die selbst ausser und 
über der Continuität des bestehenden Rechts Ruhe erzwingen 
konnte. Freilich wurde dieselbe noch Jahre lang durch Auf- 
ruhr und blutigen Krieg in Frage gestellt, indem die Partei 
York, keineswegs erstickt, wiederholt um die Fuhne falscher 
Prätendenten aufzuckte, die bei dem eifersüchtigen Aus- 
lande Zuflucht und Schutz fanden. Schliesslich aber war 
Heinrich VII. auch der gefahrlichsten Gregenbewegungen 
vorzüglich doch durch zwei Ghrundzäge seiner Politik Herr- 
geworden. Indem er nämlich erstens auf Krieg mit der 
Fremde und auf jede Wiedereroberung überseeischer Ge- 
lriete verzichtete und scäner Dynastie vielmehr in Nord und 
Sfid verwandtschaitiidie Stütsen bereitete, war er der erste 
ei^flische Monarch, der in vollem Bewusstsein des geogra* 
phisdien Vortheils sein Lisehreich an sich Grenüge haben, 
ja, sich selber auch durch die sehr nahe gelegte Verlockungv 
mit Spanien und Portugal um die Wette Pflanzungen zu 
begründen, nicht hinreissen liess. Vor Allem aber legte 
er den durch die vieljährigen französischen und bürgerlichen 
Kriege politisch verwilderten grossen Geschlechtern des 
Reichs einen scharfen Zaum an sowohl durch die Gesetz- 
gebung wider das Livreewesen, d. h. die grossen schlag- 
fertigen Kriegsgefolgschaften der Adelshäupter, als auch 
durch Abzweigfung der Stemkammer aus dem Geheimen 
Käthe zu einem Gerichtshofe, der frei von den Formen des 
kmdrechtlich^ Processes gegen jede verbotene Verbindung 



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128 



Die Anfänge Heinrichi VIII, 



wie gegen alle Anmassung königlicher Prärogativen sum- 
marisch einzuschreiten befugt wurde. Die rücksichtslose 
Strenge der von hier aus schaltenden Beamten hat dem 
Lande den ersehnten Frieden im Innern wieder geschenkt, 
musste aber auch frühzeitig selbst treue Unterthanen mit 
banger Ahnung erfüllen, zu welchem Missbrauch unter 
weniger klugen Fürsten eine so unerhörte Gewalt gar leicht 
hinreissen könnte. 

Dies war nun aber um so mehr der Fall, als die Re- 
stauration mit einer Rücksichtslasigkeit, die geradezu an 
Wilhelm den Eroberer erinnerte, ausgesprochen fiscalische 
Ziele verfolgte. Es galt nicht nur sehr bedeutendes, der 
Krone abhanden gekommenes Domänialgut wieder einzu- 
bringen, die halb veigessenen feudalen G^älle unnachsicht- 
lich wieder zu erheben, die Strafgelder, welche von dem 
neuen Institut für alle möglichen Uebertretungen veriiängt 
wurden, erbarmungslos einzutrüben. Heinrich folgte ausser- 
dem darin entschieden dem Beispiel Eduards IV., dass er, 
nachdem ihm die Hafen- und Zollgelder auf Lebenszeit be- 
willigt worden, sich ebenfalls durch Zwangsanldhen, die 
berüchtigten Benevolenzen, zu weiteren Einkünftmi verhalf, 
das Parlament jedoch nur im äussersten Fall und während 
der letzten dreizehn Jahre gar nicht mehr berief. 

Die Gründe, die ihn hierzu bestimmten, lagen auf der 
Hand. Die Schar der weltlichen Lords, welche durch die 
grauenvollen Hergänge eines Menschenalters stark gelichtet, 
unter der Aufsicht der Sternkammer standen, hütete er sich 
wohl durch unbesonnene Wiederv-erleihung so manchen heim- 
gefallenen Kronlehns zu vermehren. Die geistlichen Peers 
steuerten zwar wie bisher einen namhaften Zehnten von ihren 
unermesslichen Reichthümern. Indess entging bereits dem 
klugen Blick des Königs keineswegs, wie der moralische 
Halt des Klerus gerade durch die Doppelstellung in Kirche 
und Staat immer morscher wurde. Die Gemeinen endlich, 
die Grafechaftsritter, stets der unabhängigste Stand, und die 
Stadter, an Handel und Gewerbe gedeihend, hatten beide 
die dynastischen Wirren herzlich satt und begrüssten eben 
desshalb in dem Tudor ihr H^ Der wusste aber gleichwohl, 
dass er nach langer Erschöpiung von Land und Leuten 



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Die Anfänge Heinrichs VIII, 



129 



nicht Zumuthungen über die Gebühr an sie machen, am 
allerwenigsten ihren Stand zum bevorzugten im grossen 
Rath des Reichs erheben konnte. Indem er sich nun aber 
von allen auswärtigen Verwicklungen frei machte, entging 
er am leichtesten der Nothwendigkeit parlamentarischer 
Subsidien und forderte zugleich die so höchst wünschens- 
werthe Besänftigung der Gremüther. Zu der Gesetzgebung 
freilich konnte er Ober- und Unterhaus nicht entbehren. 
Mit ihrem Beistand schlug er denn zumal in der Agrar- und 
Handelspolitik schon diejenigen W^fe ein, auf denen der 
Nachfolger wesentlich beharrt Es galt den Grrossgrund« 
besitz, der den Bauerstand ausrottete, indem er seine Län* 
dereien einhegte und zur Scfaaa&ucht und Wollschur ver* 
pachtete, ohne freilich die neuen Productionskrafte geradezu 
auszuschliessen, wieder an friedlichen Ackerbau zu gewöhnen. 
Es kam darauf an, dem nach Selbständigkeit strebenden na- 
tionalen Handel auch auf den auswärtigen Märkten, zumal 
den niederländischen, durch Verträge und nicht durch Krieg, 
die Wege zu ebnen, ihn von dem Monopol der Fremden, 
der Osterlinge wie der Venetianer zu befreien. 

Nicht die Sucht des Selbstherrschers, sondern das eigene 
Bedürfniss und das des Reichs verhalf demnach dem Fürsten 
zu einer mit der unvergessenen Verfassung kaum verträg- 
lichen flacht. Mit seiner von den Gerichtshöfen unab- 
hängigen Staatspolizei, umgeben von klugen Rathen, dreisten 
Agenten und geschickten Spionen hatte Heinrich VIL per- 
sonlich von seinem Gremach aus die oberste Verwaltung 
geleitet und sich zuletzt erfolgreich Aufruhr und Venrath 
vom Halse gehalten. Wie ein gewiegte Kaufinann führte 
er Tag für Tag bis auf die Bruche im Pfennig seine Bücher 
und wttsste auch hierdurch seine. Finanzen der Art unab- 
hängig zu machen, dass es hiess, sdn Einkommen errdche 
an Hohe das des Königs von Frankrdch, glewh wohl aber 
werde nur zwei Drittel wieder verausgabt, und dass der 
Nachfolger in der That einen sehr bedeutenden Barschatz 
vorfand. Hart an sich selber und anderen, persönlich ein- 
fach und zurückgezogen, erweckte er weder hiebe noch 
Hass, galt aber drinnen und draussen mit vollem Recht für 
einen Meister der Staatskunst, der in seiner Zeit und seinem 

Pauli, Aufsätze. M. F. 9 



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130 



DU Jnf&ngt Hemrieks VIII, 



Reiche mit Salomo verglichen wurde. Als Begründer einer 
neuen Dynastie endlich spähte er mit sicherem Blick in die 
ferne Zukunft. Die politische Ehe, zu der er die älteste 
Tochter mit dem Schottenkönige verband, wurde die erste 

Stufe zu der Union der Kronen Grrossbritanniens. Die Ver- 
mählung des Erstgeborenen mit der Infantin von Aragon 
bezweckte die engste Verbindung mit der aufsteigenden 
Weltmacht des Zeitalters zu sichern. Er sagte wohl, dass i 
er durch die Verwandtschaft mit Spanien-Burgund sein Insel- 
reich wae mit einer ehernen Mauer umgeben wolle. 

Da war nun aber Arthur, Prinz von Wales, der zur 
. Fortpflanzung des neuen britischen Königshauses ausersehen 
schien, nachdem er fünfzehnjährig am 14. November 1501 
mit Katharina, der ein Jahr älteren vierten Tochter Ferdi- 
nands und Isabellas verbunden worden, bereits am a. April 

1502 verschieden. An Nachkommenschaft war nicht zu 
denken, da die Ehe wegen des jugendlichen Alters beider 
schwerlich zur Vollziehung gekommen. Und so ging denn 
die Thronfolge auf den jüngeren Bruder Henrich über, der 
in Kurzem als Prinz von Wales begrüsst, am 18. Februar 

1503 urkundlich in Titel und Rechte desselben Angesetzt 
wurde.*) 

Heinrich, geboren am 28. Juni 1491, erschien von Klein 
auf an Leib und Seele von ganz anderem Schlage. Nicht 
dem hageren, herben Vater oder der diesen .kurz überlebenden 
lancasterschen Grossmutter glich sein Aeusseres. Er trug 
die blühenden, lebensfrischen Züge Eduards IV. auf der 
Stirn und in den Adern rollte das feuerige Blut der Yorks. 
Als er heranwuchs, strotzten Körper und Geist zusehends 
von Kraft. Früh hatte der vorsichtige Vater den minder- 
geborenen, damit er dereinst in den geistlichen Stand trete, 
vielleicht gar als Cardinal den Thron auf das Engste mit 
der Kirche verbinde, dem Bildungsaufschwimge der Zeit 
entsprechf^nd vielseitig unterrichten lassen. Es spricht für 
die trefHichen Anlagen des Sohns, dass er auch als Souverain 
stets lebendiges Interesse für die in jungen Jahren em«> 
p£smgenen Lehren bewahrte und in Sprachen und Wissen- 
schaften wohl bewandert blieb. So lange der Vater lebte, 

1) (xeschichte von England V, 609. 

I 
I 



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Z>ü Anfängt S*mHehs VIII, 



131 



hatte er die Schnlstube kaum verlassen. Ueber den Tod 
des jung-en Königs Philipp von Castilien, mit dem er sich 
während dessen Aufenthalt in England jüngst befreundet 
hatte, schreibt er einmal in stilgerechtem Latein dem Eras- 
mus. *) Nur durch den sofort von Ferdinand dem ivatholi- 
schen angeregten Gedanken, ihn mit der Wittwe des ver- 
storbenen Bruders zu vermählen, erschien sein Name in 
Verbindung mit den öffentlichen Angelegenheiten. Und in 
der That die Saat, die epochemachend während seiner Herr- 
schaft aufgehn sollte, wurde bereits ausgeworfen, ehe er 
diese nur antrat. Im Sommer 1 503 nämlich begegneten sich in 
dieser Sache zwei solche Rechenmeister wie Don Ferdinand 
und Heinrich Vn. Jener wollte, nachdem er schon die Hälfte 
der Mitgift seiner Tochter ipch England ausgezahlt, keine 
zweite volle Ausstattung tragen, dieser die noch ausstehen- 
den 100,000 Kronen dazu gewinnen. Hatte bd der Ver- 
lobung mit Arthur Papst Alexander VL einen Dispens er- 
thdlt, die Minderjährigen zu verbinden, so bestätigte am 
26. December 1503 Julius II. nicht nur dasselbe, sondern 
gestattete, dass Katheirina dem Kirchenrecht zuwider ihren 
Schwager ehelichen dürfe, sobald er in das fünfzehnte Jahr 
getreten.**) Indess nicht lan^L' nach dem Tode der Kö- 
nigin Isabella stockte die Angelegenheit. Ferdinand über- 
warf sich mit seinem Eidam, Erzherzog Philipp. Der König 
von England, der die Allianz mit Habsburg-Bury und fest- 
hielt, gerieth in eine geradezu bedrohliche SpannuiiLj- nüt 
jenem. Darüber wurde weder der Rest jener Mitgift, wie 
der Vertrag vom 23. Juni 1503 verlangte, ausgezahlt, noch 
der päpstlichen Erlaubniss entsprechend die Verbindung 
Katharinas mit dem Prinzen Heinrich durch Procuration 
vollzogen. Letzterer erschien vielmehr aip 27. Juni 1505, 
dem Vorabende seines fünfzehnten Geburtstags, vor dem 
Consistorium des Bischöfe vön Winchester, um zu ProtocoU 
£U geben, dass er das während seiner Minderjährigkeit ge- 

*) Ellis, Original Letters II, I, 174 Jan. 17. [1507]. 

**) Bulle bei Rymer XIII, 89 unter den Actenstücken zu Ihirnets Hist. 
of the Reformation , Oxford ed. Pocock IV 15, registrirt bei Bergenroth : 
the Calendar of Leiters^ Despatches and StatepaperSy Spanish I, N. 389, 
vgl. Hookf Archbishops of Canterbury^ New Series I, 191. 

9» 



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DU Anfängt MnurUkg VI/l. 



schlossene Verlobniss nicht auszuföhren gedenke.*) Nichts 

desto weniger hütete sich Heinrich VII. die Infantin ihrem 
Vater auszuliefern, damit sie nicht etwa in ein anderes Königs- 
haus verheirathet w^rde. Während er selber nach dem Tode 
der Königin Elisabeth behufs der eigenen Wiedervermählung 
noch einmal Rundschau in Castilien und Neapel halten Hess, 
musste Katharina in jenem hässlichen Geldhandel als Geisel 
haften. Der eigene Vater dagegen umgab sie mit einer 
Hofhaltung von Landsleuten, welche spanische Tendenzen 
in England zu fördern siichte. Diese hat nicht nur den 
Thronfolger herüber ziehen wollen, nicht nur den Krieg als 
unvermeidlich durchblicken lassen, sondern den Zweifel in 
die Befesttgung der Dynastie Tudor o£fen zur Schau ge- 
tragen. Katharina ihrerseits in einer unerträglichen Lage, 
Getogene von England, von geistlichen und weltlichea 
Spionen ihrer eigenen Nation umgeben, zdgte Charakter 
und entschlossenen Willen.**) Sie beklagte sich nicht nur 
über die Harte, mit der Hemrich VH sie behandelte, zumal 
nachdem er seine Tochter Marie im Deoember 1 507 mit dem 
jungen Erzherzog Karl verlobt hatte, sondern auch über 
Knauserei und kalte IMisshandlung von Seiten des eigenen 
Vaters, über die Dienerschait , die er ihr zumuthete. ***) 
Gleichzeitig w'urde nach Spanien berichtet, dass es im Plan 
sei, den Prinzen von Wales mit einer Tochter des Herzogs 
Albert IV. von Bayern zu verloben, f) Es ging das Gerede, 
dass Heinrich ^^T. noch in der Sterbestunde dem Sohne 
widerrathen habe, die fast sechs Jahre ältere Wittwe des 
verstorbenen Bruders zu heirathen« ff) Mit dem Ableben 



♦) Bei Burnet IX, 17. 
*•) Nach Bergenroth, Letters, De^patches and Statepapers I, N. 448. 
513. 551. vgl. Hook\ Lives of the Archbischops of Canterbury VI, 191 ff. 

***) Por gue por my imposyble tengo poder gufryr lo que asta agora 
# fasado y pasa asy d$ ios detübrymyenhs dfl Rey y tU tos maturat gut 
crnmyg^ iy^^ ttp«cyai dufmt fut su fijm tt hm dnpotmdo com pry»» 
cyp* dt Castyüa, Kaduurin« an Ferdmand, RklmioDd 9. Ifln 1509 bei 
Bergenroth , SuppUmmit to Vols, I »nd II öf Lttttrs, Dsspatckss and 
Statepapers p. 17. 

t) Der Commtndador de la Mtmbrilia an Ferdinand, 30. Män 1509 
ibid. 23. 

tt) So Sumtt, Hut. of the Reformation I, 75. 



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DU Anfingt Hemrtchs VIII. 



133 



des Königs am 21. April 1509 jedoch schlug für die In- 
fimtin nach bangen Jahren die Stunde der Erlosiing. 

Heinrich Vm. hatte das achtzdinte Jahr noch nicht 
vollendet, als er an des Vaters Stelle trat und, obwohl Erbe 
sdner Politik, sofort In gar vielen St&cken eigene Wege 
-einzuschlagen b^fann. Sdne jugendlich lebensvolle Per- 
sönlichkeit machte sich alsbald bm Hofe, in der Verwaltung 
wie in den Beziehungen des Reichs nach aussen geltend. 
Mit seiner hohen, die meisten anderen Manner überragenden 
Grestalt, dem ofBenen fröhlichen Antlitz und dner Fülle 
körperlicher und geistiger Anlagen schaute er erwartungs- 
voll, nach Beifell begierig, in das Leben hinaus. Aufinerk- 
sam beobachtende Venetianer, die um ihre Handelspolitik 
besorgt, seit längerer Zeit die englischen Zustände erforsch- 
ten, haben ihn in den ersten Jahren seines Königthums 
wiederholt ^^enau gezeichnet. Unter den früh alternden, ab- 
gelebten Monarchen der Epoche wollten sie keinen schö- 
neren Mann erblickt haben. Als Südländer zumal bewun- 
derten sie das runde Gesicht, dessen blendende Weisse 
einem hübschen Weibe anstehen würde, das blond-rothe 
Haar, den goldenen Bart, die er nach französischem Schnitt 
trug. Nichts ist anmuthiger, als ihn in einem Hemde \ on 
feinstem Gewebe, so dass die zarte Haut durchschimmert, 
Ball schlagen zu sehn. Auf der Jagd reitet er acht bis 
zehn Rosse müde.*) Er spannt den stärksten Bogen mit 
dem körperkräftigsten Gesellai seiner Leibwache um die 
Wette**), schwingt das schwere zweihändige Schwert mit 
schmetterndem Schlage und nimmt es im Lanzenbrechen mit 
den Meistern des Turniers auf. Dabei aber war er ein guter 
Latinist, sprach fliessend französisch, ohne in Frankreich 
gewesen zu sein, verstand spanisch und ein wenig itaHenisch. 
Die Pünktlichkeit, mit der er tSglich zur Messe ging, Fertig- 
keit und Geschmack, mit der er die Laute und das Harp- 
slchocd stielte und vom Blatte sang, fiel zumal den Italie- 

♦) Piero Pasqualigo und Sebastian Giustiniani bei R. Brown, Four 
years at th4 CouTt 0/ Henry VIII., It 86. 1515. II, 31a ms Ghwthiianii 

Relation. 

**) At that tyme hys grace shotte as strong and u.v greate a i^ngih 
as any 0/ his garde. Hall^ ChromcU ed. 1809 p. 515. 



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134 



Die Anfing* Htimicht VIII. 



nem auf. Einer von ihnen, selber musikalisch, der jeden 
Tag in Ricfamond zuhorchte, konnte sich nicht satt hören, 
wenn der König sich Abends an das Virginal (Spinett) setzte 
und „gottlich" spielte und sang.*) Holbein hat ihn einmal 
mit der Harfe in der Hand gemalt Erasmus erwähnt Messen 
und Kirchengesange, die der König componirte. Burgun- - 
dische Gesandte bewunderten seine Manieren und hohen 
Gaben so überschwänglich, dass sie das Land glücklich 
priesen, das von einem so unvergleichlichen Könige be- 
herrscht wurde. ♦♦) 

In vollem Gegensatz zu seinem Vater trat Heinrich nun 
auch vom ersten Augenblick an unter das Volk hinaus und 
liess hinwiederum den Geringfsten zu sich eintreten. Seine 
Freude an allerlei Lustbarkeil und in.soiiderheit an den landes- 
üblichen Kraftspielen gewann ihm aller 1 lerzen. Hier Hegt der 
tiefste Grund der fast unbegreiflichen Popularität, welcher 
auch die Tage seiner Gewaltherrschaft weit überdauern sollte. 
Jedermann gewahrte, wie er sich mit persönlicher An- 
strengung Wissen und Können in allen möglichen, nament- 
lich auch dem Gemeinwohl nützlichen Dingen aneignete. 
Das Publicum überzeugte sich bald, dass Spiel und Tändelei 
keineswegs seinen Sinn gefangen hielten, dass er vielmehr 
unvergleichlich rührig mit nie erschlaffendem Eifer seinen 
Pflichten in der Rathskammer nachkam. Eine so selbstän- 
dige auf reale Ziele angelegte Natur nahm denn auch sofort 
ihre eigene Stellung zu den grossen und kleinen, den allge- 
meinen und persönlichen Angelegenheiten, die sich in der 
Continuität einer Monarchie verknüpfen. 

Vor allem erinnerte sich der junge Fürst derjenigen, 
der er vor sechs Jahren angetraut worden, der er dann feier« 
lieh hatte entsagen müssen. Hochachtung vor dem Tact 
und der Selbständigkeit, welche Katharina in schwerer Be* 
drangniss nie verleugnet hatte, erweckte die Neigung des 
königlichen Jünglings und wurde von ihr mit aufrichtiger 
Liebe erwidert. Es ist nicht zu zweifeln, dass beider Herzen 

*) Sagudino, des Gesandten Ginitiniani SecretSr, R» Bremm, Fwr 
ytars I, 80. 297. II, 75. 

♦*) Bericht vom 10. Juli 1517 bei R. ßrown^ CaUndar of State Paper 
V9mce II, N. 918. 



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Die Anjängt Heinrichs Vlll. 



in lauterem (jrefühle einander begegneten. Dazu kamen aber 
schwerwiegende politische Beweggründe. Durch den jüng- 

j sten Sieg Ludwigs XII. über Venedig erschien Frankreichs 

überwiegfende Macht auch für England bedrohlich. Eine 

I Sicherung war wesentlich in dem engen Wiederanschluss 

an Spanien zu haben. So setzte sich denn Heinrich VIII. 
gleich in den ersten Stunden seiner Selbstherrschaft über 
die Bedenken hinweg, mit denen sein Vater gestorben war, 
und gab damit selber das Zeichen, dass die ganze Situation 
wie mit einem Schlage umschwaag. Vor Ferdinand dem 
Katholischen als Freund und Verbündeten des jungen 

I Fürsten, fOgten sich auch solche, die bisher widersprochen. 

Da war William Warham, Frzbischof tron Canterbiury, dem 
verstorbenen Könige in seinem ganzen Wesen innerlich ver- 
wandt Hatte er, als Lordkanzler der oberste Grewissensrath, 

I Heinrich VIL zugerathen, das VerlotHiiss zu widerrufen, so 

vollzog er doch auch fem^hin an der Spitze der Kirche 
und der Regierung des Nachfolgers ohne Weigerung dessen 

; Willen, indem er sich bereit erklärte, den spanischen Ehe- 

bund einzusegnen.*) Als der spanische Wächter der In- 
tantin bei Don Ferdinand seine Bedenken nicht verschwieg, 
bekam er zur Antwort, dass die Heirath kraft der päpst- 
lichen Dispensation gesetzlich sei, dass König Manuel von 
Portugal mit zwei Schwestern nach einander glücklich lebe 
und dass der König von England eine Sünde begehe, wenn 
er das gegebene Wort breche.**) Selbst die (Tcwissen der 
Kleriker mussten schweigen, wenn der heilige Stuhl die 
entgegenstehenden Bestimmungen mit der Insinuation ausser 
Kraft gesetzt hatte, dass, wie Arthur kein Nachkomme ge- 
boren, seine Ehe auch gar nicht zur Ausführung gekommen 
und nicht mehr als ein Verlöbniss gewesen sei. Zur Be- 
ruhigung der öffentlichen Meinung wurde die papstliche 
Bulle noch einmal feierlich publicirt. 

I So geschah es denn, dass sechs Wochen nach dem Ab- 

i leben des Vaters, nachdem dessen Beisetzung am 10. Mai 

mit dem üblichen Geprange stattgefunden, Heinrich sich 



♦) Sook VI, 194. 

**) Btrgeiwotkt Calendar of LtHers TU N. 8 IX. Mai. 



I 



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136 



Die Anjänge Heinrichs VIII, 



am 4. Juni*) mit Katharina vermählte und sofort mit seinem 
ganzen Eifer Anstalten zu der gemeinsamen prunkvollen 
Krönung traf. Edward Herzog von Buckingham, gleich des 
Königs Grossmutter ein Spross des Hauses I^ncaster, wurde 
für den Anlass zum Lord High Constable und Lord High 
Steward, Thomas Earl von Surrey zum Marschall emannty 
was der durch den verstorbenen König unermüdlich ange- 
sammelte Kronschatz an Juwelen und Prachtgewändem 
besass hervorgeholt.'*'*) Am 23. sah man das königliche 
Paar, mit dem glänzendsten Staat umgeben, vom Tower aus 
durch die reichgeschmückte City den üblichen Aufisug nach 
Westminster halten, die Königin in ihrer von zwei ndt 
weissem Goldtuch bdhangenen Schimmeln getragenen Sanfte 
wie eine jungfräuliche Braut in weissen Atlas gekleidet mit 
lang herabwallendem blonden Haar.**"*) Tags darauf, zu 
Mittsommer, einem Sonntag, geschah nach dem bis minde- 
stens in das elfte Jahrhundert zurückreichenden Ritus mit 
verschwenderischer Pmcht die Krönung in der Abtei durch 
den Erzbischof von Canterbury. Nachdem die geistliidien * 
und weltlichen Lords gehuldigt, begab sich der Zug in 
die grosse Halle des Palasts zur feierlichen Tafel, vor der 
dem Herkommen gemäss hoch zu Ross mit den gekreuz- 
ten Wappen Englands und Frankreichs der geharnischte 
Kämpe aus dem erbberechtigten Hause Dimock erschien, 
um den Stahlhandschuh niederschleudernd allen, welche 
Heinrich VIIL als wahren Erben der Krone verleugneten, 
den Zweikampf zu bieten und mit dem goldenen Becher, 
aus welchem er des Königs Wohl getrunken, wieder ab- 
zureiten. Tage lang ergötzte man sich am Turnier und 
Lanzenstechen, an Quadrillereiten und üppig ausgestatteten 
lebenden Bildern, f) 

Ja, die rauschenden, verschwenderischen Festliclikeiten 
rissen zunächst nicht ab. £s schien, als ob mit Tanz, Gaste* 



*) Brief an Erzherzogin Margarete bei Brewer, Letters and Papers, 
foreign and domestic of the reign of Henry V/II, I, N. 224. Nach üaUs 
Chronicle ed. i8og p. 507 war die Hochzeit am 3. Juni. 

•♦) Erlasse vom 7. Juli bei Brewer^ Letters and Paper s I, N. 211— 214. 
HaU 508. 
t) HdU 509 ff. 



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DU Anfänge Heinrichs VJIJ, 



*37 



reien, Schaustellungen zur Weihnachtszeit, mit echt natio- 
naler Verkleidung und Bogenschiessen am Maitage, mit 
ritterlichen Kraftspielen während der übrigen Monate der 
Rundlauf des Jahrs ausgefüllt werden sollte. Die Königin, 
welche die Genussfähigkeit des Gemahls theilte, schrieb 
glückstrahlend ihrem Vater, dass sie beide seine aufrichtige 
Kinder seien, dass sie sich der Ruhe und Treue ihres Landes 
erfreuten.*) Heinrich selber, als er drei Tage nach der 
Krönung das grosse Ereigniss der Regentin Margareta der 
Niederlande notificirte, betonte, dass er den Wunsch des 
sterbenden Vaters zumal in Anbetracht der Verbindung 
zwischen Aragon, dem Kaiser und dem Hause Burgund 
befolge.**) Dem Konige Ferdinand» der endlich das Ziel 
seiner Wünsche erfüllt sah, erklarte er, dass seine liebe zu 
Katharina der Art sei« dass, wenn er noch frei gewesen, 
er nur sie allein wählen mochte.^**) Und in der Ihat die 
aus der Liga von Cambrai entspringenden Verwicklungen 
drängten machtig auf neue Constellationen unter den Mäch- 
ten hin. Zu Papst Julius IL und Ferdhiand dem Katho- 
lischen, die zuerst dem franzosischen Sieger in Italien ent- 
gegenwirkten , gesellte sich in Kurzem der junge König 
von England, der unter Spiel und Tanz das Begehren ver- 
rieth, die Politik des Enthalten s mit thatkräftigem Eingreifen 
in die Welthändel zu vertauschen. 

Die Venetianer, deren Galeeren vor den unnachgiebigen 
Handelsgrundsätzen Heinrichs VII. in englischen Häfen 
Jahre lang nicht Anker geworfen hatten, fanden auf der 
Stelle wieder Zutritt bei Hofe. Der König legte in Rom, 
bei Ferdinand und Maximilian gute Worte für sie ein und 
liess Ludwig XII. bedeuten, sie ferner nicht zu belästigen, 
falls er die Freundschaft Englands hoch halte, f) Sein 
schreibseliger Agent John Stile meldete aus Valladolid, dass 
ungeachtet der französischen Anstrengungen, die castilischen 
Händel zwischen Ferdinand und Maximilian auszutragen, 

♦) Brewer, Letters and Paptrs 1, N, 368. 29. JulL 
Ibid. N. 224. 27. Juni. 
••*) Ibid. 338. 26. Juli, 
t) Andrtas Badotr 34. Juli 1512 bei J?. Brem/t, Fcur ytars 63» Brtwtr I, 
N. 3333. »»berichtet über eine Audiens nicht sehn Tage Mdi der Krtenng'*. 



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«38 



Die Anfänge Heinrichs VlIL 



ersterer dem Könige Ludwig Anschlägfe auf Neapel zutraue, 
und dass an der Bidassoa zwischen den Unterthanen beider 
bereits Raufereien ausgebrochen seien.*) Eifrig wurden die 
mit dem Kaiser und Burgund geschlossenen Verträge durch- 
forscht. **) Nicht minder blickten die Gedanken durch, das 
Reich wehrhaft zu machen. 

Den Kern eines Heers bildete fortan die königliche 
Leibwache» deren Zusammensetzung nicht nur an das 
Kriegswesen der jüngsten Vergangenheit, sondern staats- 
rechtlich hoch hinauf bis an das alte Waffengesetz Hein- 
richs n. anknüpfte. Nach dem Statut vom 20. November***) 
bestand sie aus einer Anzahl edel geborener junger X<6ute» 
deren es noch immer genug gab. Ein jeder hatte schwere 
Rüstung für sich und zwei Kri^gsrosse und dazu dnen Pagen, 
einen Trabanten als Halblanze, zwei gute Bogenschützen 
beritten und in Stand zu halten. In des Königs Sold stan- 
den sie unter seinem Kri^gesetz. Sie leisteten ihm den Eid 
und lagen dann in dem ihnen angewiesenen Quartier. Unter 
dem Befehle des Grafen von Essex entwickelte diese Truppe 
jedoch in der Bekleidung ihrer Trabanten mit Brokat, Silber 
und Gold einen solchen Glanz, dass der Capitan Su* John 
Pechie froh war, in Kurzem nach Calais versetzt zu werden, f) 
Als Stamm des nationalen Fussvolks, das in der alten (iraf- 
schaftslandwehr ein weites Feld der Aushebung hatte, galten 
die Yeomen der Wache, dreihundert lang gewachsene 
Gesellen, die auch den Hoffesten regelmässig einen Bei- 
schmack kriegerischer Kraft verliehen. Bald bildeten diese 
Riesen in silbernem Brustharnisch, die Hellebarde in der 
Rechten, Spalier, bald waren sie im Schnitt deutscher 
Landsknechte, oder wie englische Schützen grün gekleidet 
und mit Langbogen und Pfeilen bewaffnet, ff ) Aber auch 
dem neuen Geschützwesen hatte Heinrich gleich allen rüh- 
rigen Fürsten der Zeit von Anbeginn die volle Auüatierk- 
samkeit zugewandt. Deutsche und Schweizer Kanoniere 

*) Brewer I. N. 706. II. Jan. 1510. 
**) Liste derselben bei Brevier I, N. 1267. 
•*♦) Brnur 1, 678. 
t) ffalit ChrmicU $13. 

tt) So PlasquaUgo 15x5 bei R, Brernm, Four ytars I, 8$. 9a 



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DU Anfang« HtinrUht VIII, 



dienten in seiner Artillerie. Sein Ag«nt in den Nieder- 
landen uberwachte in den Werkstätten des Meister Hans 
den Gruss von 48 Stücken versdiiedenen Calibers, die den 

stärksten in Frankreich gleich kommen sollten. Er hatte 

den Auftrag, auch die vom Schottenkönige bestellten, aber 
von der Regentin mit Beschlag belegten zu kaufen. *) Dass 
eifrig gerüstet wurde, und wem die Rüstung galt, konnte, 
auch wenn die bisherigen Verträge mit Frankreich wirklich 
erneuert werden sollten, nicht lange verborgen bleiben. 

Dieser kräftigen Betheiligung an den allgemeinen Her- 
gängen entsprach nun aber gleichzeitig das neue Wesen, 
das sich nicht minder in den einheimischen Verhältnissen 
kund gab. 

Gleich seinem Vater schaltete der junge König, sobald 
er sich als solcher nur einigermassen zurecht gefunden, un- 
beschränkt als lebendiger Mittelpunkt der Nation, zu welchem 
alle Parteien und GregensStze Stellung nehmen mussten. 
Es hing lediglich von seinem Willen ab, welche Herren, 
ob mit oder ohne Amt und Rang er in den Geheimen Rath 
ziehen, ob er ihre Meinungen befolgen wollte oder nicht 
Nichtsdestoweniger behielt er, wie noch die alte kluge^ 
wenige Tage nach der Krönung, am 29. Juni 1509, ver- 
storbene Gfrossmutter empföhle haben soll, die bewahrten 
Rathe des Vaters bei. William Warham Erzbischof von 
Canterbury als Lordkanzler, Thomas Howard Graf von 
Surrey als Lordschatzmdster, Richard Fox Bischof von 
Winchester als Greheimsiegelbewahrer, Sir Eduard Howard 
der Grossadmiral, der Graf von Shrewsbury als Vorstand 
des königlichen Hofhalts, Lord Herbert als Kammerherr 
und Thomas Ruthall, der auch nach seiner Erhebung auf 
den Bischofetohl von Durham Staatssecretär blieb, hatten 
die Aufgabe, den Fürsten in die Geschäfte einzuführen und 
sich selber in seinen Willen zu fügen. Dazu kamen noch 
einige alte treue Diener des Verstorbenen : Sir Thomas I.ovel 
als Con Stahle des Tower, Sir Henry Wyatt, Sir Edward Poi- 
nings, Sir Henry Mamy und Sir Thomas Darcy. Es waren 

♦) Brewtrlf 922—914 Conrcspondenz mit Spinelly, Februar 1510. Har- 
nische dagegen und andere Schutzwaffen wurden in Italien beiteilt, R, Brown, 
Calendar 0/ State Papcrs U, N. 63. 14. Mai 15 10. 



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140 



Dit Anfänge Htimrieks VIJI, 



theils kriegerische Staatsmanner, theils Geistliche und Ver- 
treter wohl des kirchlichen, aber keineswegs des gemeinen 
Rechts.*) Indem Warham sich vom ersten Tage an von 
der obersten Leitung auf die Verwaltung des Erzstifts und 
den Vorsitz der Kanzleigerichte zurückzog, wairden die ei- 
gentlichen Geschäfte, wie ihre Concepte ergeben, von Fox, 
Ruthall und einer jüngeren Kraft erledigt, welche, den neuen 
Anforderungen des Herrschers und des Reichs gewachsen, 
in der von dem mürrischen, bei Hofe wenig sympathischen 
und daher einflusslosen Erzbischof offen gelassenen Lücke 
rasch empor stieg. Dies war Thomas Wolsey, der schon 
nach dem ersten Jahre im Rathe unentbehrlich und der trei* 
bende Geist wurde, durch welchen die Regierung des Sohna 
denn doch so bald auf manchen Grebieten von dem väter- 
lichen Vorbild ablenkte. 

Dieser ausserordentliche Mann, im Marz 1471 zu Ipswich 
geboren, entstammte kleinbürgerlichem Kreise. Nur der böse 
Leumund**) indess hat den Vater, Robert Wuky, wie sich 
anfänglich auch der Sohn schrieb, zu einem Metzger ge- 
macht. Sein letzter Wille vom Jahre 1496 und eine Voll- 
macht Heinrichs VHI. vom 21. Februar 15 10, in St. Lauren- 
tius zu Ipswich ein Oratorium zu stiften, um wie für das Heil 
von König und Königin auch für die Seelenruhe Robert 
Wolseys und seiner Frau Messe zu lesen***), deuten jeden- 
falls auf ehrbare und nicht unansehnliche Verhältnisse. 
Thomas, zum Priester bestimmt, gewann zu Oxford früh 
akademische Ehren, wurde Mitglied des MagdalenencoUe- 
giums und erhielt vom Marquis von Dorset, dessen Söhne 
er unterrichtete y die erste geistliche Pfründe. Abgesehn 
von seinem guten Latein bemeisterte er schwerlich eine 
andere Spradie als die eigene. Obwohl er einige Ab- 

*) Letzteres hervorgehoben im Leben Heinrichs von Lord Herbert bei 
Ketm*t, Hütery of England II, 3 

**) Zaent nachrawdaeii i& den Spottveneii Sheltoiis tooi Jahre 1534: 
Wky comt ye not to eaurU V. 394. Works ed. A. Dyce 36: For drade 

of the mastyue cur, For drede of the hochers dogge Wold wyrry them 
lyke an hogge. Im Uebrigen s. Galt, Life of Cardinal Wolsey p. 5 ff. auf 
Gnmd des alten Werks von Cavendish heraxispepeben von Singer und der 
von Fiihles j^esammelten Urkunden, vor allem aber Brewer I, Prf facf xc. ff. 
•**) Jr'riv y ^eal für Edmund Daundy Kaulmann in Ipswich bei Brewer I, Ö99. 



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Dit Anfängt Stimrüht Vi IL 



141 



neigung zeigte, in den gdsdichen Stand zu treten und yitü 
mehr Vorliebe und G^chick f8r weltliche Auszeichnung 
verrieth, so war er doch in seiner Weise, wie selbst bittere 
Gegner*) einräumen, ein leidlicher Theologe und vor allen 
in den Schriften des Thomas von Aquino, des grössten 
Kirchenpohtikers der vergangenen Jahrhunderte bewandert, 
zu dessen Studium er denn auch frühzeitig den König 
Heinrich VIII. ermunterte. Seine angenehmen Manieren, 
Geist und gewandte Rede machten ihn sehr beliebt, so 
dass ihm ausser kirchlichen Aemtern sehr bald fbrdersame 
Aufträge zuwinkten und am Hofe Heinrichs VII. Bischof 
Fox und der Schatzkanzler Sir Thomas Lovel auf ihn auf- 
merksam wurden. Als jener Fürst kurz vor seinem Ende 
an Wiederverheirathung und zwar mit Margareta, der Toch- 
ter Maximilians, dachte, £euid sein Caplan Wolsey auf einer 
raschen Sendung an den römischen König Gel^fenheit in 
hohem Grade Umsicht und diplomatische Anlagen zu ent- 
falten**), wofür ihm mit Einsetzung zum Dechanten von 
Lincoln geleimt wurde. Keine Frage, dass der Bischof von 
Winchester ihn auch Heinrich Vm. dringend empfohlen 
und stets auf dem besten Fuss mit ihm gestanden hat Statt 
dass Wolsey, wie seme Verleumder bdiaupteten, ihn unter- 
graben hatte, ruhte er nach Ausweis der freundschaftlichen 
Briefe beider viehneiir nicht, den mönchisch gesinnten und 
im Grunde der Seele den politischen Dingen al^eneigten 
Prälaten an denselben festzuhalten. Beide bildeten von vom 
herein ein Gegengewicht gegen die habgierigen imd ehr- 
geizigen Absichten, mit denen der Grraf von Siurey und 
seine Sippe das Vertrauen des neuen Herrschers dadurch 
an sich zu fesseln suchte, dass sie seine Lust an kostspie- 
ligem Vergnügen und militärischer Verschwendung an- 
stachelten. Allerdings indess stiess Wolsey durch seine 
lebendige, ungezwungene Art, scli lagfertigen Witz und über- 
legenen Geist, der ihm in der Folge von den Neidern als 

*\ P^fydor Vergilt der schmälisnclitige Italiener, den Woltejr ecbwer ge- 
klinkt hatte, adupelbt Mist, An^L Lib. ZXVn. p. 17. 19 (L^fden 16$!): 
üoiHit täUris mm indcOusi,. m,.. Ug§M HuMose Ubros äM Tk^mat 
Afuinatis et hoc aggbat hortatu VoUaH, fid Mus «rat ThomittUut, 
**) Gesdiidite ▼00 England V, 6h< 



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142 



DU Anjän^ c Heinrichs VIII, 



Stolz zur Last gelegt wurde, bei den älteren, fast klöster- 
lich zurückhaltenden Staatsmännern Heinrichs VII. vielfach 
an. Um so mehr aber mussten gerade diese Eigenschaften 
dem offenen und heitern Wesen des Nachfolgers zusagen, 
der die geniale Tüchtigkeit des Mannes sehr wohl durch- 
schaute, an seinem Verkehr und an der Fähigkeit, nicht nur 
die Arbeit sondern auch die rauschenden Lustbarkeiten mit 
ihm und der jüngeren Generation zu theilen, sein Gefallen 
fand. So war es denn durchaus natürlich, wenn er ihm, 
der bald vierzigjährig, bisher durch Verwaltung' eigener 
Gütermassen nicht über die Gebühr in Anspruch genommen, 
sich mit imvergleichlicher Frische und Thatkraft den eigent- 
lich poHtiscfaen, ja, vorzugsweise diplomatischen Geschäften, 
wie sie auch den König besonders anzogen, hingab, alle 
mögliche Chmst zuwandte, um ihn an seinen Dienst zu fessehi. 
Gleich im ersten Jahre verlieh er ihm die durch Verwirkung- 
an die Krone gefallene Pfarrei von St. Bride in der City 
mit w^tlaufigen Gärten, erhob ihn zum königlichen Almo- 
senier und Mitglied des Greheimen Raths, verlieh ihm dann 
ein Canonicat in Windsor*), dem bald in kurzen Pausen die 
glänzendsten kirchlichen Pfründen folgen sollten. So be- 
gegnen denn von Anfang an seine Spuren in den Ver- 
fügungen, die der König mit seinen Rathen trifft. Sie 
steigern sich, sobald England in die europäischen \''erwick- 
lungen eintritt, rasch bis zum vorwiegenden Eintluss. Je 
mächtiger die allgemeinen 1^'ragen hervordringen, um so 
mehr erscheint Wolsey in seinem Fahrwasser. Kein anderer 
Engländer versteht sich so sicher und kühn darauf, den Inter- 
essen der Heimath in jedem einzelnen Falle zu nutzen. Die 
Papiere von seiner Hand mehren sich daher auch zusehends 
neben denen von Fox und des geschäftsgewandten RuthalL 
• Von einer Verdrängung Erzbischofe Warham durch Wolsey 
konnte schon desshalb nicht die Rede sein, weil jener den 
beiden letzteren, die seine Freunde nicht waren, die lau^- 

*) Brewer I, 555, 644. 837. 1506 Pol. Vergil 17: Vintoniensis paueis 
post diebus Vohaeiim fraefectum largitionis regiae inopibus hominibus 
f aciendae, quem eleinosinarium dicunt^ creandum et in ntimerum conHlia- 
norum regis adscribendum adsciscendum in consiliumque cum prinUs ad' 
hibendum curat. 



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Die Anfänge Heinrichs VIII . 



den Geschäfte im Geheimen Rathe zuvor schon Preis ge- 
geben hatte. 

Der Regierungswechsel hatte sich in tiefer Ruhe voll- 
zogen. Die lange Reihe der Krlasse unter den neuen »Siegeln, 
Ertheilung und Bestätigung von richterlichen Commissionen, 
Hinsetzung der SherifFs, Anstellungen bei Hofe zeigen das 
Räderwerk des Staats im altgewohnten Gange, den selbst 
di(^ heftigsten Erschütterungen des verflossenen Jahrhunderts 
nicht zu unterbrechen vermocht hatten. Die Proclamation 
vom 23. April, durch welche allen, die -darum nachsuchten, 
Amnestie zuge^chert wurde*), war wesentlich die Wieder- 
holung des uralten Konigsfnedens, mit welcher jeder neue 
Herrscher sm Amt antrat Eine beträchtliche Liste jedoch 
verzeichnete die Namen derer, die von der königlichen 
Grnade ausgeschlossen sdn sollten, darunter die Brüder de 
la Pole, Enkel Eduards IV., aber yorkistisdie Verschworer, 
denen Heinrich VlI. in ihren auswärtigen Schlupfwinkeln 
nicht hatte beikommen können, und Sir Richard Kmpson 
und Edmund Dudley, die fiscalischen Agenten, durch deren 
erbarmungslose »pressung der Verstorbene seine Unter- 
thanen, vornehm und gering, bis auf's Blut gequält hatte.**) 
Dass Dudleys Schätze, sein stattliches Haus bei London 
Stone mit Beschlag belegt, dass das an Empson unreclit- 
mässig verliehene Kirchengut in der City eingezogen und 
an Wolsey ausgethan wurde***), verkündete gleich in den 
ersten Monaten, dass die Bedrückungen ein Ende haben und 
gerechte Klagen Gehör finden sollten. Alle Welt bestürmte 
sofort den Rath mit Bitten um Genugthuung. Es erschien 
rathlich, dem Druck der öfientlichen Meinung statt zu geben 
und nach dniger Untersuchung die verhassten Handlanger 
einer unnachsichtigen finanziellen Strenge der Volksrache 
. zu opfern. Indem der neue K^ig, ohnehin nicht geneigt, 
lange Discussionen abzuwarten, sich gleich am ersten Tage 
zu dem Schritt entschloss, Empson, der ein Emporkömmling 
aus niederer Sphäre war, und Dudley, einen Mann von guter 
Herkunft, nebst einer Anzahl Helfershelfer verhaften und 

*i Brewer I, 2. 3. 
♦*) Bre^ver I, 12. 
**»> Brewer 1, 425. 555. 



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144 



Die Anfängt Heinrichs VIJI, 



in den Tower abführen zu lassen*), eroberte er sich im hellen 
Jubel die Herzen seiner Unterthanen. Die Geschworenen 
erkannten, da beide auch eines vor dem Ende Heinrichs VII. 
geschmiedeten Complots überwiesen wurden**), auf Hoch- 
verrath. Allein, mochte die Schuld noch so offen zu Tage 
liegen, die durch sie auf höchste Anordnung vollzogenen 
Confiscationen konnten doch nur auf dem Rechtswege rück- 
gängig gemacht werden. So ergingdn denn, was überdies 
bei einem Regierungswechsel aus anderen Ursachen unum- 
gänglich erschien, aber seit Jahren ganz unterlassen worden, 
bereits im November die Ladui^feo zum grossen Rath des 
Rdchs, dem Parlament, um was die Untersuchung im engeren 
Rathe efgeben und worüber von diesem die erforderlichen 
Beschlüsse ge&sst worden, nun auch in voller Versammlung' 
zu genehmigen und auszufuhren. 

Das Parlament wurde am 21. Januar in dem grossen 
Saal des Palasts zu Westminster in Gegenwart des Königs 
mit einer Rede des Erzbischofs von Canterbury im üblichen 
Stil über den Text: Fürchfct Gott, ehret den König er- 
öffnet. Nachdem die Gemeinen ihren Sprecher erwählt und 
präsentirt hatten, ging es an Erledigung- der Geschäfte, 
unter denen die Anklage auf Hochverrath wider Empson 
und Dudley die Gemüther selbstverständlich am tiefsten 
ergriff. ***) Hatte doch das Haupt der Kirche und der Ge- 
richte unter lautem Beifall die scharfe Bemerkung fallen 
lassen, dass Zöllner und Steuererheber zwar der Sporn des 
Gemeinwesens, selber aber in der Regel wenig werth seien. 

Unter den von dieser Versammlung beschlossenen Sta- 
tuten bezogen sich daher mehrere auf diese ernste Ange* 
l^fenheit. Gegen Inquisitionen, welche unrechtmässig« 
Eigenthumsentziehung zur Folge gehabt, wurde der Rechts- 
etnwand zugelassen. Dag^pen sdlten solche Personen, die • 
ohne verbrecherische Absicht ihren Grundbesitz den jetzt 
nach gememem Redit Verurüidlten in Verwaltung gegeben, 

•) Haü 505. 

*•) State Tri als . Lord Herbert bei Kennet II, 7. 

*♦•) Journals of the House of Lords I, 3. Auszug aus der Parlaments- 
rolle bei Bre-wer I, 811. Hall 512. Vgl. Hook^ Jirchbishops of Canttrbury 
N. b. I, 200. 



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Di« Anfänge Meinrichs VJIL 



'45 



dadurch nicht ihres Eii^enthums verlustig gehn. Ausdrück- 
lich zunächst wurde Robert Ratclif Lord Fitzwater, dessen 
Vater einst Eigenthum, Rang und Ehre an Heinrich VJX 
verwirkt hatte» nachdem schon der verstorbene Fürst den 
Grnadenweg zugelassen, in allen Stücken restituirt*) Von 
üscalischen Conunisaarai und selbst von (xeschworenen, die 
über Grundbesitz zu- und abzuerkennen hatten, sollte fortan 
ausser der moralischen eine Vermogensquahfication ge- 
fordert werden.**) Es wurden einige Statute Heinrichs VIL 
widerrufen, um nicht aUein ZoUdefiraudaticHien, sondern &1- 
schen Beschuldigungen vor Gericht um so sicherer beiz»- 
kommen.***) Auch dass Quittung der Stauern und die Gre- 
n^imigimg, in gewissen FUlen Domanialgut in Pa6ht zu 
nehmen, fest vorgescfarifibent), dass alles Strafv^erfahren im 
Namen des Könige in mindestens drei Jahren, im Namen 
Privater in mindestens einem statt haben, den Coroners jede 
Vergütung untersagt und der Meineid streng belangt werden 
sollte ff), zeigte zur Genüge, welche Ausdehnung das Un- 
wesen genommen haben musste, gegen das man einschritt. 
Die Berührung delicater Verhältnisse war dabei nicht zu 
umgehn. Doch wurden von den J^xecutoren des Testaments 
Heinrichs VIL grosse Summen an die (geschädigten gezahlt 
und endlich der Gerechtigkeit freier Lauf gelassen. Als 
der Hof im Sommer 1510 einen weiteren Umzug angetreten, 
ist am 17. August die Hinrichtung der beiden Verurtheilten 
auf Tower Hill vollstreckt worden, fff) 

Das Parlament jedoch hafte noch eii» Anzahl wesent- 
licher Getgenstände erledigt, die zumal nach einem 
mngswecfasel Berücksichtigung verlangten. Dass die Socge 
für das voltswirthschaftliche Wohl mit dem eigenen zu- 
sammenfiel, begriff Heinrich so gut, wie sein Vater. Wohl 
widerrief er ein Gesetz des letzteren, das, dem Könige von 
Danemark willfahrend, den Engländern den Fischfang in den 



*) I Senr, VUl, cap. 12. 15. 19 SMuUs of tkg JMm Voi m. 
•*) Cap. 8. 
* *•♦) Cap. 5. 6. 

t) Cap. 3. 10. 
tt) Cap. 4. 7. II. 

ttti ^aii 5H- 515- 

P»ali« AnfUtM. H. F. 10 



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146 



DU Jnfäng* Htinricki VIIl, 



Gewässern von Irland verbot. Er hob ein Statut Richards III. 

auf, weil es die I uchfabrikation benachtheiligte. Anderer- 
seits aber bestätigte er die von Heinrich VII. und Eduard IV. 
gegen die Ausfuhr von Landesmünzen, Silberzeug- und Ju- 
welen erlassenen Verbote und genehmigte im Stil früherer 
Jahrhunderte ein neues umständliches Gesetz, das den ein- 
zelnen Ständen Luxus und Kleiderordnung bis in's Einzelne 
vorschrieb. *) 

Dafür lieh das Parlament bereitwillig Hand, um durch 
zwei Statute über Ein- und Auszahlung den auf eine lange 
Reihe von Bezugsquellen angewiesenen königlichen Haus- 
halt und die grosse „Garderobe" zu reguüren. Der Jahres- 
etat des ersteren wurde auf L. 19,594.16.3, der letzteren 
auf 2015.19.11 angesetzt, so wie der durch mehrere 
Patente für die Königin ausgeworfene Brautschatz nach- 
träglich bestätig^**) Endlich aber wurden dem Könige von 
seinen getreuen Gremien, indem sie sich ausdrücklich als 
staatliche Gregenleistung die Fortdauer des Schutzes zur See 
ausbedangen, gegen Zusicherung der bestehenden Hax^^s- 
privilegien so wie der besonderen den Stapelkaufleuten und 
von Alters her den deutschen Hansen gewährten Vorrechte, 
auf Lebenszeit die Hafenzölle, das Tonnen- und Pfundgeld 
in gewohnter Höhe bewilligt.***) 

So war denn auf den wichtigsten Gebieten der Staats- 
verwaltung den Institutionen des Reichs entsprechend zweck- 
mässige Gesetzgebung getroffen , das Recht wieder einge- 
renkt, wo ihm Gewalt angethan worden, und überhaupt ein 
gutes Verhältniss zwischen der Krone und den Ständen 
angebahnt Ein Misston, durch den dasselbe empfindlich 
gestört worden wäre, Hess sich nicht vernehmen. Die Nation 
hatte ihre ungetrübte Freude und viel unmittelbaren Antheil 
an den in den ersten Jahren kaum abreissenden Lustbar- 
keiten und glanzenden Festen des jungen Hofs, die höch- 

♦) I Btitr. VIIL, cap. i. 2. 13. I4. 

**) Cap. t6. 17. 18. Brewerl, 812. Das Budget Heinrichs VII. betrag 
14,000 und 2000 L., Gesch. v. En !^ fand V, 639. 

*♦♦) Cap. 20. I>reiver T, 813. Genaue Abschrift der auf diesem Parla- 
ment beschlossci en Statute wurde Richard Pynson, des Königs Drucker, zur 
VervielfSltigung zugestellt, 3. Mai 1510. Brewer I, 1030. 



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DU Anfängt ütinhchf VIJJ, 



147 



stens durch die Jahreszeit oder Verlegxing des Hoflagers 
von einer prunkenden Residenz zur anderen Abwechslung' 
erhielton. Dass hierfür auf die Dauer die Einkünfte nicht 
ausreicheii, dass der von Heinrich VII. hinterlassene Kron- 
schatz, und wenn er auch wirklich L. 1,800,000 betrug, in 
drei, vier Jaluen «u^gpesehrt aein würde*), sagten sich einst- 
weilen die Allerwenigsten. Man lebte in fröhlichen Aus- 
siditen in die Zukunft, die wohl vorubeigehend getrübt, 
aber nicht so lödit entwurzelt wurden. 

Am Neiijahrstage 15 1 1 genas die Konigin 2U Richmond 
eines Sohns, d^ in der Taufe den Namen von Vater und 
Grossvater erhielt. Nach dem üblichen Kirchgang begab 
sich die Wöchnerin nach Westminster, wo ihr Gemahl mit 
dem 13. Februar wieder funkelnde Turniere**) und Aufzüge 
veranstaltete, in denen er selber wie immer die Hauptfigrir 
war. Schon wurde ein eig-ener Huf halt des kleinen Prinzen 
von Wales vorbereitet***), als dieser am 22. in Richmond ver- 
schied. Es war offenbar ein schwächliches Kind, denn um 
sein Leben vom Himmel zu erliehen, war der König vor 
£rö£&iung der Feste als devoter Pilger zur heiligen Jung- 
frau von Walsingham geritten. Indess die Trauer war kurz, 
die Lebenslust gross. Er liess sich so wenig die Freuden 
^es Maitags, wie die ihm zum Bedürfiiiss gewordenen männ- 
lich ritterlichen Uebungen entgehn. Auch wenn er im 
Würfelspiel und anderem Hazard, zu dem ihn die Höflinge 
mit Hilfe französischer imd italienisdier GlüdEsritter ver- 
lockten, schlimme Erfehnmgen madite, seine Lebensgdster 
erlitten darüber nicht den geringsten Abbruch, f) 

Sie beeinflussten auch inzwischen bereits die Lage der 
IHnge auf dem Conthient In der am i. December 1508 
in Cambrai geschlossenen Liga, zu welcher sich, um die 
Venetianer vom italienischen Festlande zu vertreiben, Kaiser 

*) Bacoy Historia regfd iegis Hewrici VIL, 634. Herbert, Life of 
Henry VII!. p. 4. 14. 

**) Das heraldische Programm von 12 noch vorhandenen ElliSf Original 
Letters II, i, 179 ff. Brewer I, 1491. 
. ♦♦♦) Brewer I, 1495. 14. Februar. 

t) ISall 516^520. Aneh Sebastian GinstiiiiMi er^Qih spater, dass d«r 
Kfinig mit InnsSsbclien Herren an einem Tage 6 bis 8000 Dacatan verapiehe. 
i?. Brown, Fomr years II, 312. 

10* 



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148 



Di« Anjängc Meinricks VI II. 



und Papst, die Könige von Frankreich und Aragon ver- 
bunden hatten, war für die EnthaltungspoUtik des Inselstaats 
ursprünglich kein Platz gewesen. Allein vor den strahlen- 
den Erfolq-en T udwigs XIL, unmittelbar nach seinem vSiege 
bei Agnadello am 14. Mai 1509, begannen wenigstens Julius IL 
und Don Ferdinand zu stutzen. Das traf mit der Thron- 
besteigung Heinrichs zusammen, der alsbald die hinter- 
hältigen Gedanken seines Schwiegervaters hatte erforschen 
lassen. Er erkannte, dass diesem jedes Gredeihen Maximi- 
liaas m ItaHen, wie bisher schon wegen Castiliens, nun auch 
w^fenNeapelseinDomunAugewar. Rasch hatteFerdinand 
denn auch den kuizsichtigeii Kaiser, was dessen Tochter, 
die staatokluge Margareta nicht ohne Genugtiiuung voraus- 
gesehn, hinter das Licht geführt Orakelhafik aber lautete 
femer die Mddung hinsichtlich Ludwigs Xn. von Frankreidi: 
Ferdinand nSmlich rieth seinem Eidam, gleich ihm selber, 
so lange es sich mit Ehre und Vortheil vertrüge, Frieden 
und Freundschaft zu wahren und nur, wenn wirklich grosse 
Fragen auf dem Spiel stünden, mit auswärtigen Herrschern 
überhaupt anzubinden. *) In Kurzem jedoch beschwerte sich 
Ferdinand selber über das verdächtige Beginnen Frankreichs, 
in die Differenz mit Maximilian wegen Castiliens einzugreifen, 
wie über französische Anschläge auf Neapel. In der Be- 
fürchtung, dass sich Ludwig ganz Italien unterwerfen wolle**), 
lud er Heinrich, der ihm freudig seineDienste angeboten, ein, 
sich mit ihm, dem Kaiser und dem jungen Prinzen von Casti- 
lien zu einigen. Nur schlimm, dass Ferdinand so wenig wie 
Maximilian offen und ehrlich mit Frankreich brechen wollte, 
sondern allen stürmischen Forderungen des Papsts zum Trotz, 
der schon am 20. Fehruar 1510 mit den Venedanem seinen 
Frieden machte, um ihnen gegen den französischen Eroberer 
beimspriagen, noch «ne Weile mit diesem wnter feilschte. 
Wie hatte Hemrich unter solchen Umstanden das gute Ver- 

*) OnU* iktii grgU eoMsyt schuld movt ytmr hyghnys tktrt unio, 
Chiffrirter Beridit Jolm Stylt'a, Valladolid, 9. Sept. 1509, Brwmar % 490. 

**) That the Freynscht hyng schal not nor maye not ataynt' unto hyM 
cruel purpose for to dysstroye al the cuntrays of the Ytaly and for to 
subdwe theym. Style 3. D«c. in einem chiffnrten Bericht vom ii. Jumar 1510. 
ßrewer I, 796. 



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Du Anfäng$ Manricks VJIJ, 



149 



hältniss zu Ludwig- XII. zu trüben wagten dürfen, der soeben 
in raschen Schritten nicht nur zum mächtigsten Herrscher 
in Italien, sondern in der Christenheit emporstieg. Pünktlich 
war ihm noch soeben aus Paris der von seinem Vater stam- 
mende Tribut gezahlt worden*), eine jährliche Abfindung, 
damit die im englischen Wappen prangenden Lilien nicfat re« 
clamirt worden. Die befan&Best&tigung der mit Heinrich Vn. 
bestehenden Vertrage dorthin abgefertigten Gresandten, der 
Johanniterprior Thomas Docwra und D*. West, Decfaant 
von Windsor**) , hatten sich am 26. Juli 1510 des herzlich- 
sten £mpfangs von Seiten des allerchristiiohsten Königs 
zu erfreuen imd verkündeten ihrerseits, dass ihr Herr in auf- 
richtiger Liebe ihm zu dienen mehr bereit sei als allen an- 
deren Fürsten.***) Aber hatten die heilig-sten Versiche- 
rungen aus ihrem Munde damals etwa höheren Werth als aus 
irgend einem anderen? 

Mehrere Monate zuvor schon hatte der junge Fürst 
durch Entsendung- eines mit den italienischen Zuständen 
vertrauten Botschafters einen selbständig^en Schritt gethan. 
Es war dies Christoph ürswick, genannt Bainbridire, kürz- 
lich vom Bischof von Durham zum Erzbischof von York 
emporgestiegen, einst unmittelbar nach dem Siege von Bos* 
worthheld von Heinrich VII. nach V^iedig abgefertigt, zu 
demjenigen Staate, der unter allen zuerst den Tudor aner- 
kannte. Jetzt erhieh er, wegen seines grossen Reicfathums 
für eine Sendung nach Rom besonders gee^fnet, offenbar 
auf Betrieb das venetianlschen Agenten Andreas Badoerf), 
der alles in Bewegung setzte, um seiner schwer bedrängten 
Vaterstadt durch das Dazwischentreten einer bisher unbe- t 
theihgten Macht Luft zu verschaffen, Aufträge an den ro- 
mischen Hof, die auf eine Verständigung zwischen der ihm 

*) 25,000 Goldkronen am i. Mai 1509 in Calais eingezahlt, Br einer I, 14, 
50,000 am 14. Jan. 15 10, Brozvn, Calendar II, 38. Am 23. Juli sind noch 
743,000 rückständig, Bre-oer I, 1182, Auch später unter Franz I. in vcne- 
tianischen Berichten öfter erwähnt, Four years II, 20. 137. 

**) Ihre Aufträge vom 20. Juni 15 lO Brtmtr I, II04—II08. 
***) Rigem fort stmptr tanfuam homm €t nahiralem ßUum ehrtsüa- 
nissimi rogis, L&Utms du rty LottU XIl^ I, 364. «d. 171a. 

t) Dessen Brief vom 24. Jvli 1513 Ab« MiDe diploioatiidtt T hUi gk a it 
in Rnglandi mitgetlieik nm R, Brornm^ Foitr ytars I» 68. 



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Die Anfänge Heinriche VIII. 



wohl bekannten Republik und Julius 11. abzielten. Am 
30. September 1509 war Bainbridg-e unterwejufs, am 24. No- 
vember traf er in Rom ein, wo die Bevollmächtigten Ve- 
nedigs, noch vom Banne nicht gelöst, begierig nach seiner 
YtTmiltlung i^riffen.*) Bainbridge half nicht nur Versöh- 
nung stiften, sondern unterstützte den Papst sogar im Felde, 
wofür ihm dieser im Jahre 151 1 mit dem Cardinalshut lohnte. 
Bis an seinen Tod hat er das Bündniss mit der Signorie, 
mit der Curie, mit Aragon verfochten. Eben diese Ver- 
mitÜttOg' nun gewährte dem auswärtigen Aultreten des K5* 
nigs von England einen starken Rückhalt, je mehr die Liga 
von Cambrai in Stücke ging und unter den Machten, welche 
beutegierig über Italien hergefallen, eine neue ConsteUation 
zur Abwehr französischer Eroberung eintrat 

Ln Grunde ist es doch Ludwig XIL selber gewesen, 
der durch einen einzigen Missgriff die glänzenden Erfolge 
seiner Waffen in Frage stellen und die unter sich wenig eini- 
gen Gregner zusammenfuhren sollte. Während die englisch- 
franzosischen Freondschaibb^mgungen sowie dieSchwieng- 
keit, den Kaiser mit hohen Summen auch nur zur Neutralitat 
zu bestimmen, in Venedig ernste Sorge bereiteten**), trug 
Ludwig nodi Bedenken, den Drohungen des kriegerischen 
Papsts, den Boden Italiens von den Galliern zu befrmen, mit 
den Wafifen entgegen zu treten, bis er ihm im Mai 1511 
nicht nur Bologna entriss, sondern unter dem Vorwand, die 
Kirche an Haupt und GUedern zu reformiren, die persön- 
liche Rachsucht dadurch an ihm ausliess, dass er im Sep- 
tember die französisch gesinnten Cardinäle nach Pisa berief 
und sich damit in den Augen der übrigen Christenheit ge- 
rddezu am heihgen Vater vergriff. Als dieser nicht säumte, 
den geisthchen Streit aufzunehmen und die allein recht- 
mässige Kirchenversammlung zum Frühling 1 5 1 2 nach Rom 
entbot, folgten ihm die deutschen K irchenfürsten ohne Wider- 
rede, obschon deutsche Truppen noch immer an der Seite 
der französischen fochten. Mit den spanischen Cardinälen 
war Ferdinand, der schon im November 15 10 dem Papste 

♦) Völlinaclit vom 34., Brief «q» Winc Jieltw ▼om 30. September Brtmtr I, 
520. 538. BrcwHt Caltndar II, ai. 'Hff« 
**) Brovmt CaUndar H, 71 ff. . 



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Die Anfanire HtiMrichs VIII. 



und Venedig die Hand gereicht, vollends eines Sinns. Die 
Diplomaäe Venedigs aber Uess überall um so eifriger an 
Schutz und Xrutzbündmssen arbdten, damit dem Angr^fer 
womöglich hinterrücks ein Brand entzündet werde. 

Zuerst gelang* es, die Einigmig mit Julius und Ferdinand 
zu festigen. Am 4. October wurde die zwischen ihnen und 
dem Dogen Leonardo Loredano abgeschlossene „heilige 
Liga*' verkündet, die Bologna und alle unmittelbaien Be- 
sitzungen des rdmischen Stuhls zurückzugewumen, die Ein- 
heit der Kirche herzustellen und sogar eventndl über aus* 
-wärtige Eroberungen zu verfügen bezweckte.*) Als viertes, 
besonders streitbares Glied suchte Matthias Schiner, Bischof 
von Sitten, ein entschlossener Parteigänger Julius* II. und 
desbhalb von ihm zum Cardinal erhoben, die Schweizer Eid- 
genossen aus dem französischen in den Sold der Curie und 
der Signorie hinüberzuziehen. Während der Kaiser, der 
durchaus seine norditalischen Städte von der Republik zu- 
rückerobern wollte, und desshalb zu Ludwig und dem Pisaner 
Concil hielt, bereits als Ketzer verspottet wurde, war im 
Sommer, um die vom Papste geweihte goldene Rose dem 
Könige Heinrich zu überbringen, der päpstliche Collector 
Pietro Grifo nebst Gefolge in England erschienen. 

Schon lebte und webte der König in dem Gedanken, 
kriegerischen Ruhm zu erwerben**), so dass auch die dem 
Grafen von Surrey feindlichen Mitglieder des Geheimen 
Raths nicht zu widersprechen wagten. Als ob der junge 
Fürst die Zeit nicht abwarten könnte, in der seine Eng- 
lander wieder unter den anderen Völkern in Waffen auf- 
treten winden, suchten sie sich mit dem Frühling an meh- 
reren Unternehmungen zu betheiligen. Merkwürdig, der 
heilige Krieg, dem wegen der allgemeinen Bedrangniss 
durch die Türken bei jeder Grelegenheit das Wort geredet 
wurde, ohne dass die christlichen Machte sich doch jemals 
darüber zu verstandigen vermochten, war das erste Augen- 
merk, indem eine Schar Engländer sich an dner spanische 
Expedition betheiligen sollte. Die Commission zu An- 

•) Rymer, Foedera XIII, 305 

**) (?'" tum viilitarem disciplinatn pluris quam caetera^ artet 

faciehat. Pol, Vergü 7. 



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152 



ZHe Anfänge Heinrichs VIII. 



Werbungen war Lord Darcy, der von der Burg" von Berwick 
aus an der schottischen Mark befehUgte, und einer Anzahl 
südenglischer Edelleute ertheilt worden.*) Doch erfolgte 
bereits am 20, Juni ein allgemeines Aufgebot sämmtlicher 
nordenglischer (frafschaften**), offenbar weil man in Schott- 
land wie in Frankreich Unrath ^vitterte und König Jacob IV. 
schon auf dem Meere nicht vor Feindseligkeiten zurück- 
schreckte. Mittler Weile aber, am i. Juni, war Lord Darcy 
auf vier königlichen vSchiften mit etwa 1500 Bogenschützen 
an Bord vor Cadix erschienen , um sich einem spanischen 
Geschwader gegen die Ungläubigen anzuschliessen. Allein 
schon nach wenigen Wochen kehrte er, wieder nach Ply- 
mouth zurück, da er nicht bevollmächtigt war, der Auf- 
forderung König Ferdinands gemäss, die Spanier nach Italieoi- 
zu begleiten. Einige junge englische Edelleute höchstens 
holten sich bei Hofe den spanischen Ritterschlag, während 
der gemeine Mann» wenn er gelegentlich das Land betrat, 
nur Excesse beging.***) 

Femer war um dieselbe 7j&t eine andere, gleich starke 
Truppe unter dem alten bewährten Statthalter von Calais, 
Sir Edward Poinings, in Holland gelandet und hatte^ nach- 
dem sie sich in Brabant mit den von der Erzherzogin Mar- 
gareta zusammengezogenen deutschen und flämischen R^- 
tem und Landsknechten vereinigt, wahrend des August an 
den Gefeciiten Thdl genommen, durcii weldie dem Herzog e 
von Geldern einige feste Platze an der Maas, nur frmlich 
Venlo nicht, an dem man sich veigeblidi versuchte, ent- 
rissen wurden, f) 

Endlich aber kam es in der That auf dem Wasser zum 
Schlagen. König Jacob YV. von Schottland, Heinrichs ehr- 
geiziger Schwager, war nicht ohne feinere Bildung, wie er 
denn ein elegantes Latein schrieb, aber überaus eitel, von 
der gewaltigen Vorstellung beseelt, die in seinem Hause 

*) Rymtr XIII, 294. 296, 8. 29. März 1511. Instructionen bei Brewer I, 
p. 967. Ferdinand an Darcy, ibid. 

Rymtr Xm, 300. Srem*r I, 1734. I73S» 
***) MaUt ChrmicU 521. 522. iV/. F«r^Y y. itm rt inftcta Thcmat 
ad Henricum rgdüt, 

t) MaU 523. 514. Pol. Vergü L c 



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jMr Anfängt Heinrichs VIII, 



153 



erblich wurde. In den grossen europäischen Angelegen- 
heiten glaubte er stets ein Wort mitreden, wenn nicht gar 
das Schiedsrichteramt führen zu können. Während er täg- 
lich, stündlich vor der Unruhe seiner eigenen ungebän- 
digten Vassalien auf der Hut sein musste, setzte er unge- 
messenes Vertrauen auf die alte französische Freundschaft 
und achtete die Uebereinkunft mit England, wonach die 
unablässigen Reibereien nicht durch Krieg, sondern Schieds- 
spruch ausgetragen werden sollten, gering. Auf seine ge- 
waltige Land- und Seemacht that er sich unendlich viel zu 
Grute. Er hatte ein Dutzend der grössten Kriegsfahrer 
«mn iern lassen, welche der „grosse Michael" noch weit 
überragte. Nur war dies Schiff so ungelenk, dass es sich 
nieinalfi in ein Seetreffen gewagt zu haben scheint. Auch 
entsprach das feudalistische Kriegswesen der Schotten nur 
unvollkommen den damals schon von der Nautik erhobenen 
ADforderungen. Wohl aber schmerzten die Engländer die 
Schläge noch, die ihnen in den Tegen Heimichs Vn. der 
adiottische Freibeoter Andrew Wood versetzt hatte. Als 
nun dessen Nachfolger, Andrew Barton, nut Kaperbriefon 
gegen Portagiesen und andere versehen, im Canal aufbrachte 
und ddi an englischen Schififon vergriff, war daher im Juni 
1511 die Züchtigung rasch bei der Hand. Lord Thomas 
Howard und sem Bruder Eduard, die Sohne des Grafen 
von Surrey, padcteo ihn mit zwei Schiffen an den Dunen. 
Man focht wutihend Bord an Bord und Mann an Mann, bis 
dem Schotten, der selber im Kampfe fiel, seine beiden Schiffe 
genommen wurden. Es fehlte wenig, so endeten sämmt- 
liche Gefangene mit einem Strick um den Hals. Auf Jacobs 
Beschwerde aber erfolgte die Antwort, dass mit Seeräubern 
kein Federlesen gemacht werde.*) Die Rivalität der beiden 
königlichen Nachbarn auf dem Wasser sollte bald auf das 
Land überspringen. Denn, wohin man blickte, tauchten die 
englischen Waffen bereits im Jahre 151 1 neben den von 
Aragon, Castilien und Burgund gegen Verbündete des Kö- 
nigs von Frankreich auf. 

Inmitten dieser spannenden Ereignisse nun war die von 

*) San, ChrowteU 53S« Von scbottiBclMr Seite Pttseottte und Bischof 
Ledie bei Burton^ Bütory of ScoUand ÜT» 68. 72 (ed. 1874). 



154 



Die Anfänf* Heinrichs VUl. 



Cardinal ßainbridge von Rom aus eifrig betriebene päpst- 
liche Sendung in England eingetroffen und vollzogen sich 
die letzten unerquicklichen Verhandlungen mit dem fran- 
zösischen Hof. Die Ermahnungen, welche Heinrich durch 
seinen Master of the Rolls John Yonge nach Paris über- 
mittelte, dem Papste Bologna auszuliefern und das schis- 
matische Concil abzustellen, blieben schon desshalb fruchtlos, 
weil der französische Gesandte, der Ritter Antoine Pierre- 
pont die Ziele der verdachtigen Rüstungen sehr wohl 
durchschaute. Dies gelang ihm mit Hilfe des Lucchesen 
Girolamo Bonvisi, der einst als Kaufinann in London be- 
trügerische Geschäfte gemacht hatte und dort übel beleu- 
mundet war*), jetzt aber in Begl^tung Grifo's als i^KMto- 
lischer Protonotar wieder zu erscheinen gewagt hatte, um, 
wie schon auf der Reise durch Fiankrdch, ein höchst ver- 
rätherisches Spiel zu trmben. Nur der Charakter als päpst- 
licher Beamter rettete ihn vom Gralgen.**) Weitere Er- 
örterungen mit dem französischen Hofe aber hatten fkn Ende: 
die Vorbereitungen zum Kriege brauchten sich hinfort nicht 
mehr zu verstecken. 

Am 13. November ratificirte Hdnridi, was im Greheiniea 
schon länger angebahnt worden, seinen Beitritt zur heiligen 
Liga.***) Vier Tage später unterzeichneten der spanische 
Gesandte Don Luis Carroz und die Grafen von Surrey und 
Shrewsbury zu Westminster einen besonderen Vertrag, nach 
welchem ausser Vertheidigung des Kirchenstaats und An- 
erkennung des lateranensischen Concils beide Mächte den 
König von Frankreich in Aquitanien angreifen, mit ihren 
. Schiffen die See zwischen Brest und der Themse bew achen 
wollten , etwa in Aquitanien gemachte Eroberungen aber 
dem Könige von England zufallen sollten, f) 

Seit Monaten wurde ohne Unterlass gerüstet Schon 



*) Brewer I, 1457. 
**) Pol. Vergil-;. Hall, C/ironicle ^26. bij, womit der aus dem Pariser 
Archiv ausgezogene Brief bei ßreiver I, p. XXXVIII zu vergleichen. Pierre- 
pont erscheint ebenda I, 11 82. 

♦♦*) Brewer X, 1967, Brown II, 128. 
t) Brewer I, 1980^ 17. Not., aufiOiriidier bei Berkenroth, CaUndar 

n, 59. i 

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Dit Anfänge Htinrichi VJJI» 



155 



im Juli rief der Könige einmal dem venetianischen (xesandten 
zu: „Bäld wirst Du Gutes von Rom zu hören bekommen." 
Badoer aber meldete froh nach Hause, dass 1000 Bogen- 
schützen und andere Truppen bereit stünden, um der Re- 
gentin der Niederlande wider den in französischem Solde 
stehenden Herzog von Geldern zu Hilfe zu eilen.*) In den 
Verhandlungen mit Venedig, das dem candiotischen Wein 
auf s^nen Galeeren sehnlichst wieder Zulass in Southampton 
zii verschaffen begehrte, wurde als Gegenforderung dne 
gegen die frühere Abmachung erhöhte Lieferang von Lang- 
bogen zur Bedingrung gemacht Wenn nur die Signoiie bei 
der Unsicberheit, die auf dem Meere herrschte, die Ver- 
schiffung hätte wagen dOrfenl Durch andere italienische 
GesdiSfteleute indess Hess die englische Regierung bedeu- 
tende Aufträge zur Anfiartigung von Wafien in Deutschland 
einleiten. Allein 2000 vollständige Harnische und der Guss 
von 18 schweren Geschützen wurden in Auftrag gegeben.**) 
Mit allen Kräften axbeitete der bom römischen Könige be- 
glaubigte Ritter Sir Robert Wingfield daran, den auf Padua 
und Vicenza versessenen Kaiser von der Verdnigung mit 
Ludwig hinweg zu einer Verständigung mit denVenetianem zu 
bewegen. Auf die Anmahnungen Heinrichs***), die Christen- 
heit nicht an den Türken zu verrathen und den Beitritt zum 
Pisaner Concil zu widerrufen , schien c^r taub zu bleiben. 
Indess eben jetzt liess Maximilian, dem im Felde gar Nichts 
glückte, die Ansprüche, Castilien für Karl von Burgund 
zu verwalten, fahren, indem es den angestrengten Be- 
mühungen Ferdinands gelang, eine Versöhnung anzubahnen. 
Cierade über die Aussichten ihres gemeinsamen Enkels auf 
Italien kam der Kaiser auch wiegen Mailands zur Besinnung 
und liess sich, indem auch Papst Julius mitwirkte, endlich 
am ö. April zunächst zu einem halbjährigen Waffenstillstand 
mit den Venetianern bewegen. Mit den dafür von der Sig- 
norie erhaltenen 40,000 Ducaten eilte er zu Anfang des 
Jahrs 151 2 in die Niederlande.!) schien es endlich zu 

*) Aus Badoers Briefen b« Brown^ Calendar II, 116. 
•*) Bremer I, 3414. 3425. 

DcsNH Biief von JuU 15x1t amgeMgen bei Brewttr \^ iSaS. 
t) Spinelly an Hefauich Vm., 17. lOn 1513 Bremer I* S077. iW. 



156 



Die 'Anfänge Meimriehs _ VI IL 



gelingen, dem grossen Bunde wider Frankreich das letzte 
Mittelglied einzufügen. 

Die ganze Situation nun wirkte bestimmend auf England 
zurück und nTithigte den König, sich wnederum an den grossen 
Rath des Reichs zu wenden. Schon gingen alle wichtigen 
Angelegenheiten durch die Hände des Almoseniers Wolsey, 
dessen Vertrauensstellung beim Könige gerade durch sie 
rasch gedieh. *) Indess die Eröffnung des Parlaments 
geschah am 4. Februar 151 2 wie üblich durch Warham. 
Er redete unter Berufung auf das Wort Gottes von der 
Rathsamkeit, die Reichsstände oft zu berufen, von der 
Unerlässlichkeit, wenn sich kein Friede behaupten Hesse, 
einen gerechten Krieg zu wagen. Nachdem er den Lords 
auseinandergesetzt, wie der Schottenkönig' die Feindselig*- 
keiten an den Nordmarken, der Herzog von (reldem wider 
Karl von CastUien Krieg begonnen, welche Beleidigungen der 
König von Frankreich sich wider den heiligen Vater hatte 
zu Schulden kommen lassen, •verfugte man sich zu den Gre- 
memen, um ihnen, da sie die Subsidien zu bewilligen hatten, 
dieselben Eröffnui^en zu machen.**) In der Commission, 
welche die Petitionen für den engeren Rath zu prüfen hatte, 
erschien zum ersten Mal auch der Name Thomas Wolsey's. 

Wohl handelte es sich wiederum um zahlreiche Statute 
wider Ausfuhr der Münzen, zum Schutz der Tuch- und Leder- 
bereitung, der Prdse von Lebensmitteln, der Oelwaaren, 
der Hutmacherzunfit, der gelehrten ärztlichen Praxis gegen 
jedwede Quacksalberei.***) Oder es erschien nötliig, den 
öffentlichen Verkehr vor Mummerei und Maskenunfug, wozu 
allerdings der Hof das verführerische Beispiel gab, zu sichern, 
das erst vor zwei Jahren gegen widerrechtliche Confiscationen 
erlassene Gesetz zu verlängern und den Sheriffs die Willkür 

V«rgil%x f actis imUr Maximilktnum et Venetos annuis induciis, ut eo tan^ 
tulo temporis intervallo aliqua pax eOHsiiiari posset, Vertrag in dtaLettres 
dmrov Louis XII., III, 217 ff. 

*\ Dominus Wulcy besorgt den Verkehr mit dem Kanzler mid schliesst 
die Waffenkäufe ßrewer I, 1685. 3414. 

*^ Auszug aus dar Fukmeiilsiione bei Bremer I, 3082. Jeeemals of 
the Haute of Lords I, 10. 13. HaU^ Chromiele 5^6. Vgl. Sooh^ Areh' 
hishopt of Canterhury N. S. I, a09. 303. 

3 Henr. VIII* Ctp. I. 6. 7. 8. lO. II. 14. 15. 



JOu ÄMfiM^ Stinrük» VIII. 



157 



bei Au&teUung der Junes zu legen.*) Auch mit Reati- 
tution solcher, die unter Heinrich VIL Ehre und Eigenthum 
verwirkt hatten, wurde fortgefahren. Neben Lord Audley 
und anderen, die damals schmählich v emrtheilt worden, 
wurde der noch unmündige Sohn des unlängst hingerich- 
teten Edmund Dudley wieder in Namen, Stand und Grüter 
eingesetzt, Acte der Gerechtigkeit, die jedoch nur unter 
bestimmten Reservationen zu erreichen waren.**) Im \^or- 
dergrunde aber standen doch bei Weitem die Anforderungen 
des Kriegs. Ohne Widerrede wurden die Subsidien be- 
wilUgt, nach der übUchen Einschätijung des beweglichen 
Eigenthums ein volles Fünfzehntel, sowie vom Einkommen 
des Klerus ein Zehntel gegen Anrechnung von 12,000 L., 
und mit Ausnahme gewisser bereits belasteter Orte und 
Corporationen. Die Gemeinen, welche das Umsichtrreifen 
Frankreichs in Italien, die Seeräuberei der Schotten und 
den Angriff auf Berwick beklagten, steuerten aus treuem 
und liebendem Herzen, imi dem Könige den grossen Auf- 
wand zu erseteen, den ihm die starke Rüstung zum Schutz 
seiner getreuen Unterthanen verursachte.***) Sodann ge- 
nehmigten die Stände ein Statut, das die ältesten nationalen 
Waffengesetze neu zu beleben bezweckte. Unter ausdrück- 
licher Berufung auf das Statut von Winchester vom Jahre 
i^Bst), wonadi alle» die kdnec anderen Classe der Volks- 
.snita eingereiht, Bogen und Pfeile zu fuhren hätten, sollte 
fortan die ganze männliche Bevölkerung mit Ausnahme der 
GreistUchkeit, wie ehedem vom 16. bis 60. Jahre, statt die Zeit 
mit allerhand Spielen zu vertändeln, sich vorschriftsmässtg 
im Schiessen mit dem Langbogen üben« Selbst Knaben 
von siebMi Jahren sollten spi^end begmnen, Bogenschäfter 
in jeder Gralschaft ansässig sein, die Scheiben von Gemdnde 
wegen aufgerichtet werden. Wiewohl es sich zunächst nur 
um die Landwehr handelte zu einer Zeit, die sich bereits 



*) Cap. 2. 9. la. **) Cap. i6~2i. 
**♦) GrtU and m](ghiy armes skippes and other habilyments wUh or* 
UUarie ntussarie for mar dtftm*, cap. 22. StahiUs of tht lUaim HI, 44. 
t) J«tit am sng&nglicluten bei Stubbs, Seilet CharUrt 472 ed. 1874: 

ckescun home entre quinze annz e seisaunte sott asis « jwrt as armes ,,»'0 
tut Us ßutres qi aver pount eient arcs e setes. 



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15S 



Die Anfängt Heinrichs VIII» 



mit dem Handrohr versuchte, so erinnerte das Gesetz doch 
stolz an den unvergessenen Vorrang der englischen Bogner, 
an Ruhm und vSchrecken, die sie einst bei Vertheidigung des 
Reichs gegen seine auswärtigen Feinde wie gegen die Un- 
gläubigen erworben.*) Dem entsprach älterem Herkommen 
gemäss ein strenges Verbot des Armbrustschiessens, das nur 
auf vornehme Herren und alle diejenigen, welche unter einen 
erhöhten C^ensus von 300 Mark fielen, keine Anwendung 
haben sollte.**) Endlich machte das zum Einschiffen be- 
stimmte Heer gewisse Massregeln erforderlich: Jedem, der 
dem Könige im Felde diente, wurde in seinen Rechtsver- 
hältnissen ein besonderer Schutz zugesichert, die kriegs- 
rechtlichen Strafen gegen Hauptleute, welche ihre Abthei* 
lung nicht vollzählig' halten oder nicht regelmässig löhnen 
würden, wie gegen desertirende Soldaten wurden gut ge- 
heissen. ***) 

Aus Allem ergab sich zur Genüge, dass ohne lebhafte 
BethdHgung der Stande in eine Kri^gspoUtik gar nicht dn- 
getreten werden konnte, dass dadurch aber auch in der 
Nation eine Begebterung für die Zwecke entzöndet wurde, 
welche die Regierung in's Auge ge&sst hatte. Grewiss dasa 
der Konig den Ehrgeiz h^fte, von dem französischen Erbe 
seiner Vorfahren wenigstens Einiges wiedor einzubringen; 
möglich dass Papst Julius den Titel des Allerchristlich» 
sten von Ludwig' XIL auf ihn übertragen wurde. Sicher- 
lich aber stimmte das Volk seinem Fürsten bei, als er be- 
zeichnend an demselben 4. Februar, an welchem das Parla- 
ment eröffnet wurde, den Auftrag zur Beschickung des 
Lateranconcils ertheilte. f) 

Auf Grund der mit Ferdinand abgeschlossenen und in- 
zwischen von beiden ratificirten Liga ff) hielt Heinrich 
7000 Schützen bereit, die zum Angriff auf Aquitanien sich 
mit ebenso viel Spaniern vereinigen sollten , während 5000 

*) To the grete honour fame and suerüe of tkis Reabne and Sui» 
Jedes and to the terrible dredä and fer* of all stravngt nadons O^. 3. 
Statutes of the Realm III, 25. 

Cap. 13. ***) Cap. 4. 5. 

t) Commission für die Bischöfe von Winchester und Rochester, den 
Jbhaniiiterprior und den AM von Winclicombe Bremer I, 1085. * 
tt) Brewer I, 2033. 2094, vgl. Polyd, Vergü 7. 



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IHt Anfängt ITHmriekt VUL 



159 



Retter auf gemeioschafdiche KoAten erhalten wOrden. In- 
dess lange bevor jene sich nur einschifften, drohte auf dem 
italienischen Kri^gstfaeater der heiligen Liga jähes Ver- 
derben« Zwar hatten zu Anfang des Jahres 1512 die Ve- 
netianer Bresda und einige andere Plätze eingenommen» aber 
Bologna wurde nicht nur von tischen franzSsischen Kräften 
unter dem jungen Herzog von Nemours, Gaston de Foix, 
dem Neffen Ludwigs XII. behauptet, sondern, nachdem den 
Venetianem Brescia wieder abgenommen, trieb er sie, die 
PäptUchen und die Spanier in das Gebiet der Kirche gen 
Ravenna. Hier wurden die Vertheidiger der letzteren am 
Ostersonntag (ri. April) so vollständig besiegt, dass Papst 
Julius und dem Könige von Aragon um Italien bange wurde. 
Allein am Ende der heissen Schlacht war Gaston der junge 
Held gefallen. Darüber stutzten die Franzosen und ihre 
italienischen und deutschen Verbündeten. Und während der 
Papst am 3. Mai im Lateran sein Concil eröffnete, und die 
Spanier, <5Üe schon nach Neapel zurückgeeilt, wieder um- 
kehrten, setzten sich die vom Cardinal von Sitten angewor- 
benen Schweizerhaufen in Bewegung, um über das Gebirge 
zu ziehn und dem Könige Ludwig das Herzogthum Mailand zu 
entreissen. Als sie in Padua eintrafen, hatte das französische 
Heer in der Befürchtung , durch den feindlichen Ansturm 
abgeschnitten zu werden, schl«migst Ravenna und Bologna 
geräumt, zu spät um Mailand vor der Einnahme durch jene 
zu retten. Während der Kaiser endlich auch die Deutschen 
abrufen liess, trat die Mitwirkung Englands in's Leben. . 

Am 8. Mai sduieb Heinrich an Maximilian, dass er zu 
seinem Kummer die Nachricht von der Niederlage bei Ra- 
venna erfahren, dass seine Truppen seit fünf Tagen in Sou- 
thampton nur auf günstigen Wind warteten, er selber aber 
auf Beiheiligung des Kaisers, des erhabenen Schirmherm 
der Kirche, an einem gerechten Kampf sein Vertrauen setze.*) 
Und so geschah es denn auch. Ein starkes Geschwader 
18 grosser Schiffe sollte den zahlreichen, zum Theil spani- 
schen Transporten das Geleit geben. Unter Sir Thomas 
Howard, der die Admiralsflagge auf dem Sovereign auf- 

*) ßrewer I, 3188. 



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lÖO 



Die Anfänge lieinricks VIII. 



hisste, und einer Reihe namhafter Capitäne*) lag- es im 
Hafen von Portsmouth vor Anker. Befehlshaber der Land- 
macht war der Marquib von Dorset, der mit den Lords 
Ferrers Dudley, Broke, Willoug-hby, Howard und einer An- 
zahl Kdelleute, die in eigener Person den Feldzug mitmachen 
wollten , 476g Mann angeworben hatte. Der Herzog von 
Buckingham, der Graf von Shrewsbury und andere hatten 
14 10 Mann gestellt. Einige kleinere Abtheilungen bildeten 
die Reserve. Auch eine Truppe- von 400 Deutschen in 
weissen kurz geschnittenen Röcken, deren Brabanter Hai^>t- 
mann, Sir Guyot de Heulle, der König bei der Musterung 
auf Blackheath eine goldene Kette ninhing, war zur Stdle.**) 
Ueber das leichte Geschütz, das man bei sich führte» wie 
xSofs Verpfl^gtiz^ und Rechnungswesen waren eigene I&i^- 
l^ite- eingesetzt Die englischen Herren hatten sich und 
ihre Leute in die prächtigsten Stoff» gekleidet und Hessen, 
dne Atigenweide für die gaffende Me^ge***), ihre Banner 
nach altem Kriegsbrauöh in buntesten Farböi, in Gt)ld und 
Silber flattern. Am 16. Mai endlich war Alles an Bord» ünd 
legten die Schiffs hinaus zu den Needles an der Südwest- 
spitze von Wight. Nach einer ungestörten Fahrt wurde die 
biscaysche Küste errdcht, am 8. Juni bd Passiiges Südwest* 
Uch von Fuenterrabia das Heer an das Land gesetzt, um 
am folgenden Tage bei itenteria unfern den Grenzmarken 
von Guipuzcoa, Navarra und Guienne ein Feldlager zu be- 
ziehen, f) Der Bischof von Siguenga, der als Ferdinands 
Abgesandter erschien, kündigte das Eintreffen des Herzogs 
von Alba mit 2500 Reitern und 6000 Mann Pussvolk als 
nahe bevorstehend an. Lord Dorset glaubte darauf im lun- 
klang mit seinen Aufträgen nicht anders, als dass es nun 
alsbald gemeinsam über die aquitanische Grenze gegen das 
Y^enige Meilen entfernte, niu: schwach geschützte Bayonae 



♦) Die Namen erwähnt Hall 527. 
**) Musterrolle bei Bt t--vcr\, 3231. Die Namen bei Hall 1. c. stimmen 
nicht durchweg; seine Zahlen sind zu hoch gegrillen. Ueber Sir Guyot 
Brtvm I, 3362 und später. 

*^ It tw a pUaturt to behotd. Sali 529. 
t) Datam nach d«m Bericht d«t W. WiOiMn Knig^ aa Wotoey, womit 
Zurita, AXaUf de Aragon ab«r nicht Mall stimmt, der den 3. Jnni «ogibt 



Die AnfäniT* H^mrith* VIII, i6i 

gehen nverde. Zu setner Verwunderung aber gewahrte er 
in der Na^barschaft auch nicht die geringsten Voran- 
stalten. Die Spanier blieben nicht nur aus» sondern mu- 
theten ihm zu, sie bei ^em Angriff auf Navarra zu unter- 
stützen, worüber seine Instruction Nichts aussagte, von wo 
vi^mehr sdne Truppen ihren Unterhalt bezogen. 

Um dieses zu beiden Seiten der Pyrenäen belagerte, 
aber auch von den consolidirteren Mächten in Nord und Süd 
bedrängte Königreich nämlich entbrannte jetzt derselbe 
dynastische Streit, der bisher in Italien gewüthet hatte. An 
der Hand seiner Gemahlin Katharina, Enkelin König Gastons, 
beherrschte Johann d' Albret das Land. Ludwig- von Frank- 
reich jedqch bestritt beider Anrecht im Interesse seines 
Neffen, des jungen Grafen von Foix, gleichfalls eines Enkels 
König Gastons. Der König von Aragon dagegen, als Lehns- 
herr einiger navarresischer Striche keineswegs um einen 
Prätendenten \erlegen. suchte König und Königin \-on Na- 
varra durch ISedrohung ihrer Selbständigkeit auch mittels 
der jüngst gegen Ludwig geschleuderten päpstlichen Cen- 
suren an sich zu fesseln. Und in der That sie hatten ver- 
sprochen, sich an dem Kriegsbund Spaniens und Englands 
gegen Frankreich zu betheiligen, bis sie der Tod des jungen 
Gaston bei Ravenna Ludwig in die Arme trieb. Nach- 
dem sie Ferdinand Geisehi, darunter ihren Erstgeborenen, 
auszuliefen;! verweigert» stand jetzt Navarra wie bisher B^am, 
das noidpyrenSische Lehn Frankreichs, auf dem Spiel, da 
an Gewährung einer Neutralitat von hüben und drüben nicht 
zu denken war.*) Vergebens drangen Spanier und Eng- 
lander einzeln und gem^schafUich auf Sicherheit durch 
Uebergabe der die Pässe sdiliessenden Plätze EstdAa, Maya 
und St. Jean Pied de Port Aber im englischen Feld* 
lager regte sich noch anderer Unmuth. Der Sommer des 
Südens forderte seine Opfer. John StUe und William Knight, 
die Vertreter ihres Herrn bei der spanischen Regierung, 
sandte Kunde über die Entschlüsse Ferdinands. Man 

*) Zurita; Pol. IVr^i/lO, II, als Factor des CanUnals Hadrian de Cor- 
netOf der das englische Bisthum Bath und "Wells besass, über den spanischen 
Feldzug gut unterrichtet. Vor allen Ranke, Geschichte der rom. and germ. 
Völker, S. W. XXXIII. XXXIV, 290ff. 

Pauli, AnMta». K. V. 11 



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102 



DU Anfänge Heinrichs Villi 



sehnte sich, da Alba ausblieb, ungeduldig nach dem Befehl, 
auch ohne spanische Hilfe gegen Navarra oder gegen 
Guienne vorzurücken.*) In den täglichen Scharmützehi an 
der Bidassoa wurde ein stetiges Anwachsen der französi- 
schen Streitkräfte beobachtet. wSo ging die Absicht des 
schlauen Ferdinand in Erfüllung, indem er den Gegner vom 
Po an die Pyrenäen hinweg zog und gleichwohl einen sicher 
treffenden Schlag gegen Navarra führte. Nachdem der Mar- 
quis von Dorset trotz sechswdchentlichen Verhandlungen 
nicht zu bewegen gewesen, von der Richtung auf Bayonae 
abzustehen und sich in Castilien mit Alba gegen Navarra 
zu verbinden**), wurde diesem befohlen, allein gegen Pam- 
plona vorzugehen. Sofort entwichen Katharina ujid ihr Ge- 
mahl über das (jebirge. Am 25. Juni fiel die feste Stadt, 
emige Wochen später auch die Pforten von St Jean. Na* 
vana, sowdt eß der Gebirgskamm begrenzt, wurde unter 
Grewahrong seiner alten Rechte auf immer der -spanischen 
Gesammtmonarchie einverleibt Obwohl sich Alba dem eng- 
lischen Marquis zu Füssen l^fte, obwohl Konig Ferdinand 
ihm von Burgos aus dafür dankte, dass er während der 
raschen Uebemimpelung Navarras die Franzosen festgehalten 
imd ein über das andere Mal betheuerte, nunmehr dem Kö- 
nige von England sein Herzogthum Guienne erobern zu 
helfen***), so regten sie doch keinen Finger, um mit den 
Engländern gemeinsam auf dem geraden Wege Bayonne 
anzugreifen. Diesen aber, die sich nicht über das Hoch- 
gebirge nach B^arn hinein verlocken lassen wollten, wurde 
ihre Lage immer peinlicher. Die Sonnengluth, die unge- 
wohnte Nahrung und der hitzige Wein des Landes erzeugten 
oft tödtlich endendes Fieber. Aus der langen Unthätigkeit 
entsprangen Insubordination und blutige Händel zwischen 
den Mannschafton und den baskischen Einwohnern, f) Die 
Briefe, in welchen Stile an den König und K night an 
Wolsey über das hinterhaltige Benehmen Ferdinands be- 

*) So Lord Thomas Howard an Wolsey 8. Juli, Brewer I, 3298. 
**) AblefaneiiAeB Scinrdlwi Donefci an Ferdinasd vom 14. Jnli. BrnMr 
I* 3313. 

Ihre Briefe vom i. mid 2. Axipuk Brtmtr \, 33Sa 3353. 
t) Hall Sa9--53i. 



Dit jMfintt Stinriclu VIII. 



163 



richteten, schilderten den Zustand als höchst bedenklich. 
Die Soldaten, die bei hohen Preisen mit der bewilligten 
Löhnung' nicht auskamen, forderten ungestüm 8 statt 6 Pence 
den Tag, verlangten, da sie an Wein und Obstmost er- 
krankten , nach dem heimischen Bier und erklärten nicht 
länger als Michaelis ausharren zu wollen. An jeder Action 
behindert, war die Truppe selbst durch Standrecht nicht 
wieder in Ordnung- zu bringen. Während Pferde und Maul- 
thiere zur Bespannung des englischen Geschützes, wozu 
Spanien sich vertragsmaasig verpflichtet hatte, nicht ge- 
' liefert wurdra, erfuhr man durch Spione, dass der Conn^ 
table von Bourbon mit beträchtlichen Streitkräften jedem 
Einmarsch in Guienne begegnen werde.*) Obwohl Hein- 
rich Vm. den Vorstellungen des spanischen Gesandten 
Carroz beipflichtete, auch schleunig durch den Windsor- 
Herold Verstärkungen ankfindigen und dem Marquis be> 
fehlen Hess, sich mit den Spaniern zu vereinigen**), so 
raeinte doch Wolsey bei Empfang jener Nachrichten, dass 
die Forderung der ^Soldaten, nach Hause zurückzukehren, 
einem Angfritf auf ( juienne eben so verderblich sein würde 
wie die durch Ferdinand bereiteten Schwierigkeiten.***) 
Jedenfalls kamen alle Befehle zu spät. Denn der Kriegsrath 
zu Renteria hatte bereits g*egen den Widerspruch des Zahl- 
meisters Sir William Sandys und anderer am 28. Aug^ust 
den Dr. Knight nach England abgeschickt, um die Heim- 
kehr zu rechtfertigen. Als Knight jedoch, durch Sturm 
zurückgehalten, noch einmal die Bedenken geilen den Ab- 
zug hervorhob, erklärte Lord Howard, der für den erkrank- 
ten Marquis von Dorset das Commando führte, dass er mit 
hinreichender Mannschaft lieber da bleiben und für König 
und Reich sterben, als zu deren Unehre davongehen wolle. 
Darüber erhob sich unter Herren und Gemeinen grosser 
Lärm. Einige bezeichneten Wolsey als den Anstifter des 
ganzen Unheils. Knight, obwohl er vor den entfesselten Ge- 
müthem seines Lebens nicht sicher war, suchte den Marquis 
doch wieder zum Ueberwintem zu bestimmen, um so mehr 

*) Brewer I, 3355. 3356. 5. August. 
•♦) So Polydor Vergil 13. 
***) Bremtr I, 3388 an Bischof Fox 26. Augwt. 

11* . 



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l64 ^ Anfänge BHmricht VIII* 

als Don Fefdinand jetzt die einzelneii EdeUeute dringend 
dazu ersuchen liess, imd die Spanier wiildich ihr schweres 
Geschfitz über das Gebirge zu schafien begannen.*) Nichts- • 

destoweniger wurden durch Sir Guyot de Heulle in Bilbao 
die nöthigen Transportschiffe gemiethet, und die einzelnen 
Abtheilungen auf den Rheden zwischen Fuenterrabid und 
San Sebastian eingeschifft. Unverrichteter Sache, nicht vor 
dem Feinde, sondern durch Nichtsthun zusammengeschrumpft, 
landete die Expedition, ohne von französischen Geschwadern 
beläijtigt zu werden , Anfang December in England. Der 
König, der den Marquis von Dorset und seine Begleiter 
sehr ungnädig emphng und sie streng zur Rechenschaft 
ziehn wollte, stand dann freihch davon ab, in Erwägung, dass 
wo alle schuldig kein Unterschied zu machen war, Dorset 
aber doch wesentlich nach seinen Instructionen gehandelt 
hatte.**) NachträgHch berichtete Stile vom spanischen Hofe, 
dass ein Versuch, den der König von Navarra mit Fran- 
zosen und deutschen Landsknechten unter Richard de la 
Pole, dem Prätendenten, der sich Herzog von Suffolk nannte, 
auf Pamplona gemacht, gescheitert wäre, dass der Dauphin 
Guipuzcoa angreifen wollte, die Herzöge von Alba und 
Najera mit einander zankten, und dass Ferdinand sich über 
Dcürset beklagte. Die Spanier wollten nun einmal, wie ihm 
jetzt klar geworden, einen englischen Generalcapitan an der 
Seite eines dgenen Heers nicht wieder bei sich dulden. 
Nur einzelne ZuzQge würden dem Konige willkommen sein, 
der schon mit Sir Guyot dnen Vertrag geschlossen, damit 
er ihm zum nächsten Sommer die uneriässlichen deotsdien 
Landsknechte anwihrbe.***) 

Mittlerweile kam es darauf an, wenigstens die See frei 
und die Schotten vom Einbruch in die nördlichen Graf- 
schaften abzuhalten. Admiral Howard verheerte daher, nach- 
dem er die Truppen nach Biscaya geleitet, im Mai und Juni 
die Gestade der Bretagne, woran ihn weder die Kriegs- 

«) Ki^bt an Widaey, San Sebastian 4. Oet Brnnr I, 3451: /«r / 
promise you in my msMdt here he many Kg^ht mm* 

**) Hall 532. Pol. Verg^, l. c, Lord Htrhort /. c, Abnchanng mit 

Sir Guyot 19. Oct. Brnver I, 3476. 

♦*♦) Stile f Logrono 13. December Brewer 1, 35S4. 



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Die Anfänge Heinrichs VII I. 



schiffe von Brest noch fnmzosische Landtruppen, die nicht 
genügend zur Stelle waren , hindern konnten. Sobald je- 
doch von grosserer Bereitschaft des Gegners verlautete, 
verstärkte der König, der selber nach Portsmoutfa eilte, auch 
sein Greschwader, indem er den Regent; den Sovereign und 
andere grosse Kriegs&hrer hinzufugte, auch einige Truppen» 
darunter 60 seiner längsten Leibwächter beigab unter kriegs- 
lustigen Eddleuten Knyvet, Carew, Ghuldford, Sur Qiarles 
Brandon, dem Sohn jenes Sir Robert, der dnst mit Hein- 
richs Vn. Staadarte in der Hand bei Bosworth gefiUlen 
war. Als nun Sir Edward Howard am 10. August 25 Segel 
stark in der Bai von Brest erschien, stiess er unweit Oues- 
sant auf ein feindliches (jeschwader von 39 Kriegsfahrem, 
das die inzwischen in Vertheidigung gesetzte Rhede decken 
sollte. Unverzüglich «itibfannte fka heftiges Grefecht. Wäh- 
rend der Sovereign mit Guildford und Brandon an Bord ein 
grosses Schiff von Dieppe enterte, aber mit zerschossenem 
Mast wieder los kam, legte der Regent , auf welchem sich 
Sir Thomas Knyvet und Sir Juhn Carew befanden, fest an die 
Seite der Cordeliere, die von dem bretonischen Admiral Herv6 
Primoguet befehligt wurde. Mit Bogen und Armbrust, mit 
den Feuerschlünden wurde in nächster Nähe erbittert ge- 
stritten. Schon sprangen die Engländer auf das feindliche 
Deck hinüber, als Primoguet oder sein Artillerist die Lunte 
in die Pulverkammer warf, und beide stolzen Schiffe mit allem, 
was in ihnen, an die 2000 Mann in die Luft gesprengt und 
in den Finthen begraben wurden.*) Wohl kam es einst- 
weilen zu keiner weitern blutigen B^egnung, aber wahrend 
auf beiden Seiten die Werften eifrig zimmerten**), konnten 
die Engländer im Herbst doch unbehelligt von der Bidassoa 
heimkehren. Erst zu Anfang des folgenden Jahrs erschien 
ihre Canalflotte wieder herausfordernd an der gegenüber- 
liegenden Käste. 



♦) Lebendig aber "wirr die Darstellung bei Hall 532-535« Pol. Ver» 
^il 14 \ind Wolsey in seinem Brief vom 26. lassen den Regent vor (1er Ex- 
plosion im Vortheil sein Brevier I, 3388. Henri Martin, Histoire de France 
VII, 420, der sich auf Beaucaire, in Wirklichkeit also auf Beilay beruft, setzt 
das Ereigniss irrig unter 15 13. 

^) EngUfch» ▲bncbnidigcn Brtwer I, 3422. 30. Sqit 



i66 



Die Anfänge Heinrichs VI II. 



Die Verhandlungen mit Schottland waren den Sommer 
über nicht abgerissen. Wohl hatte sich Jacob IV. gehütet, 
offen dem Pisaner Concil bei2Utreten, um so gespannter aber 
die englisch -spanische Einigmig beobachtet und, während 
er sich als Vermittler zwischen Ferdinand und Ludwig* auf* 
zuspielen suchte, trotzdem am lo. Juli die alte franzosische 
Allianz erneuert. *) Um nun das wahre Verhaltniss zu er- 
gründen, hatte Heinrich den Dr. West nach Edinburgh ge- 
schickt. Durch ihn und Lord Dacre, der von Cailisle aus 
die Grenze beobachtete, lief die Correspondenz, in welcher 
der Schottenkonig sich über die maritimen Grewalttfaaten der 
Englander, die jüngst wieder dnen Frmbeuter, David Fal- 
coner, aufgebracht hatten, über den von ihnen an den Mar* 
ken geschürten Unfrieden, über mangelnde Auszahlung der 
Mitgift Mau*garetas, über Bekriegung Geldems heftig be- 
schwerte. **) Er verhehlte gar nicht, dass er es mit Frank- 
reich hielt und seinen Leuten Ivaperbriefe ertheilt habe, 
obgleich er zur selben Zeit den Rischof von Murray nach 
England und Frankreich zu entsenden wünschte, angeblich 
um Ludwig zu bestimmen, den FlüchtUng Richard de la Pole 
fallen zu lassen. Heinrich erwiderte, dass er gern dem wür- 
digen Bischof von Murray, aber nicht französischen Zwischen- 
trägern Creleitsbriefe gewähre, dass Jacob wahrlich keinen 
Grund habe, dem Könige von l^Vankreich zu trauen, der, 
woran sonst wenig liege, Pole nur als Puppe benutze, dass 
der Vorschlag allgemeiner Friedensstiftung mit der heiligen 
Liga in Einklang stehen müsse, und dass hinsichtlich vor- 
enthaltener Gerechtigkeit es doch höchst seltsam sei, wenn 
Schotten, die als Kaper aufgebracht worden, sich für Fran- 
zosen ausgaben und, sobald sie in deren Gesellschaft ge- 
fangen genommen, Jacobs Unterthanen sein wollten. „Wir 
haben nicht die Absicht mit unserem Bruder zu brechen, 
können aber nicht dulden, dass unsere Unterthanen ohne 
(jenugthuung- beraubt werden."***) Indem der Schotten* 

♦) Brewer I, 3278. 327^7. 3303. 
♦*) Brewer I, 3320 3323. 3326. Das Schreiben vom 26. Juli N. 3329 
sagt Heinrich in's Gesicht, ,,that he will neither kepe good wais of jti- 
sHet and amytie nor groodness.*' Zu vergleichen ist Pol. Ver^il 13. 
***) An Jacob IV. und aa Dacre. Brtwr I, 3346. 3347. 



Dü Anfängt U«inrUhs Vi II, 

könig alle weiteren Erörterungen den beiderseitigen Befehls- 
habern an den Marken übertragen wissen wollte*), war die 
Spannung doch so weit gediehen, dass im Augxist zuerst 
in den mittleren und südlichen Grafschaften Truppen aus- 
gehoben wurden, über welche der Graf von Surrey von 
York aus den Oberbefehl fährte, bis mit dem Eintritt der 
rauheren Jahreszeit der Krieg noch einmal vertagt wurde.**) 
Geheime Kundschaft, zu der sich ein Priester bergab, hatte 
ergeben, dass die schottische Flotte ohne die Kaperschiffe 
wenig zahlreich und ohne dn Angreifen der Franzosen m 
Losbruch in diesem Jahre nicht zu erwarten sei.*^ Das 
wurde ^en Monat später durch die bezeichnende Meldung 
an den Bischof von Durham bestätigt: Jacob, äusserst be- 
gierig in .England einzubrechen, habe Ludwig XII, bereden 
wollen den Heinrich schuldigen Tribut auf ihn zu über- 
tragen, aber statt Greld nur gute Worte erhalten, f) 

So suchten sich die Reiche mit entgegengesetzten 
Bündnissen das Kriegswetter nach Kräften vom Leibe zu 
halten. Ferdinand band, nachdem er Navarra eingesteckt, 
sogar im tiefsten Geheimniss wieder mit dem König von 
Frankreich an, indem er, des Kaisers wenig sicher und von 
englischer Mitwirkung eben so wenig erbaut, an einem fran- 
zösischen Ehebund für Karl von Castilien zu arbeiten be- 
gann. Der Papst, der mit Hilfe seiner Verbündeten zwar 
grosse Erfolge in Italien erzielt hatte, konnte den Kaiser 
nur dadurch an sich fesseln, dass er ihn mehr als wünschens- 
werth gegen die Venetianer gewähren Hess und suchte den 
König von England zu weiteren Unternehmungen anzu- 
spornen, indem er ihm den von Frankreich verwirkten Titel 
des Allerchristlichsten K önigs in Aussicht stellte. EudwigXII. 
endlich spielte geschickt die verjagten Könige von Navarra 
gegen Spanien, Jacob von Schottland und Richard de la Pole 
gegen England aus. Wahrlich eine Lage voll unabsehbarer 
Gefahr für Heinrich VIIL, der mit grosser Anstrengung nur 
den Wasserw^ offen zu halten vermochte, nachdem der so 

*) Brewer I, 3372. 
•*) Sremtr I, 3358. 3380. 3393. Dam Polydor Vergil 14. 
***) Lord Dncy aas Berwick, 7. August Brtmer 1, 3359. 
t) iVtf good, but mone fayre tarUynggiSt i>> Sept. Brtwtr I, 3421. 



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i68 



Die Anjänge Heinrichs VIII. 



geräuschvoll eingfeleitete biscayische Feldzug ihm, statt der 
Herrschaft seiner Ahnen, in den Augen aller übrigen Mächte 
nur die Enthüllung kriegerischer Bedeutungslosigkeit ein- 
getragen hatte. Selbst die Regentin Margareta, gleich 
ihrem Vater Maximilian überaus geldbedürftig und für eine 
Anleihe von 50,000 Kronen zu den allerschönsten \''erspre- 
chungen bereit, konnte die Bemerkung nicht unterdrücken, 
dass die luit^-länder , von lange her des Kriegs entwöhnt, 
ihn rasch wieder satt zu haben schienen.*) Was half es, 
wenn ihr erwidert wurde, das würde nach einiger Uebung 
m wenigen Jahren schon besser werden. Mit leeren Aus- 
reden, dass nach einer formlichen Uebereinkunft mit Fer- 
dinand das Heer in bester Ordnung lediglich wegen der 
Regenzeit zurückberufen worden wäre**), konnte die Scharte, 
die der nationalen £hre und dem Thatendrang des jungen 
Königs geschlagen worden, doch unmöglich ausgewetzt 
werden. Um den Kaiser, der das englische Gold sehr gern 
in seine leere Tasche al^gel^tet hatte, aber fortfuhr nach 
dem yiel nachdrücklicheren Etnfluss Ludwigs Xn. zu schielen^ 
von der Kriegskraft Englands 2U uberzeugen und die Vor- 
munder des bdnah in der Wiege mit Maria Tudor verlobten 
Erzherzogs Karl von ihren franzosisdien Neigungen abzu- 
bringen, zwei Ziele, welche die diplomatischen Verhand- 
lungen in den Niederlanden unearmüdHch verfolgten, bedurfte 
es der nachhaltigsten allseitigen Anstrengungen und des 
klugen Raths der besten Köpfe. 

Das nationale Ansehn, das also auf dem Spiele stand, 
zu Ehren zu bringen, wurde fortan die Aufgabe Thomas 
Wolseys. Gleich seinem Gönner Bischof Fox ursprünglich 
ein Gegner der Kriegslust, welche das Haus Surrey beim 
Xonige anschürte, gewann er, obwohl noch in der beschei- 
denen Stellung eines Almoseniers, gerade durch die jüngsten 
Hergänge das unbeqrcn/tr A'ertrauen seines königlichen 
Herrn. Er hatte die ( reldmittel herbeizuschaffen gewusst 
und die Waffenankäufe geleitet. Sein Vertrauter begleitete 
die Heerfahrt nach Spanien und versah ihn mit eingehenden 
Berichten über das beängstigende Ergebniss. Als hieraus 

*) So Poyniiigs au BrfisieU I4* Oct. Brewr I, 3469. 
Weismi^ det Kdnics ao Foyniiigs Brtwtr I, 3555. 



Dit Anfingt Mtütrühs VJJJ, 



169 



nun gaas andere Anforderungen erwucbsen» fiel ihm, wie 
die Leitung der Dii^ im Einzelnen, von selbst die Ver- 
tretung einer Politik zu» die einzig und allein eine kriege- 
rische s^ konnte. Schon Hess ihn .der König auch in 
Windsor nicht von sich, wShrend er fast froh war, Surrey 
durch Uebertragung des Ob«:befehls gegen die Schotten 
loszuwerden.*) Er führte thatsächlich das Kriegfscommissa- 
riat, so wenig dies Amt auch mit seiner Herkunft und dem 
geistlichen Gewände, das er trug-, in Einklang stand. Er 
war es aber aucli, der uiner/üg-lich auf Berufung des am 
30. März**) nur vertagten Parlcinients drang. 

Es sass wieder vom 4. November bis 20. December und 
erledigte, ehe es abermals vertagt wurde, eine Anzahl wich- 
tiger Angelegenheiten, Neben weiteren Begnadigungen wie 
des Grafen Heinrich von Devonshire, Thomas Wyndhams, 
William Baskervilles und selbst des Sohns des unglück- 
lichen Empsons, neben Verfügungen zu Gunsten der alten 
Gräfin von Devonshire, als Tochter Eduards IV. Tante des 
Königs, des .Grafen von Surrey, Sir Robert South wells, 
eines Beamten der Schatzkammer und anderer, neben Sta- 
tuten in Betreff der Jury in London, der Criminal- und Han- 
delspolizei galt es vor allem, Mittel zur Vertheidigung wie 
zum Angriff zu erhalten.***) Die Organe der Localverwal- 
tung bedurften verstärkte Vollmachteu, der Sheriff von Cum- 
beriand um gegen Raubgesvidel an der schottischen Grenze 
einzuschreiten, die Grafschaftsbehorden von Comwall um 
gegen die von der Bretagne aus zu befürchtenden Lan- 
dungen geeignete Befestigungen anzulegen, eine Ermäch- 
tigung, die auch sämmtiüchen anderen Shures ertheilt wurde, f) 
Schon waren, offimbar durch die allgemeine Lage hervor- 
gerufen, neue Verfügungen über das Rechnungswesen des 
Hansministeriums, dem die grosse Garderobe einigermassen 
entsprach, erforderlich, f-f-) Haiqyts&chlich aber wurden nicht 



So der ent« eigenldhidice Brief Wnlcy's » Fox 3a Sept. Brtwtr 

h 3443- 

♦*) youmats of the House of Lords I, 17. 
■"*♦) Auszug aus der Parlamentsrolle bei Brewtr I, 3502. 

t) Statutes 4 Henr. VI II, cp. I. 20. 
j-f) Cap. 17. 



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170 



DU Anfänge Heinrichs VIII. 



nur die Subsidien in der hergebrachten Form des Fünf- 
zehnten und Zehnten von den Gemeinen erneuert, und Col- 
lectoren für die einzelnen Grafschaften so wie eine Be- 
schwerdeinstanz eingesetzt, sondern, um einfacher und rascher 
zu Geld zu kommen*), wurde das Parlament auch zur Er- 
hebung einer Kopfsteuer vermocht. Diese wurde nach 
dem Massstabe angelegt, dass vom Grundbesitz der Herzog 
L. 6.13.4. »IG Mark und eine lange Stufenreihe abwärts 
bis zum Ideinen Freigut oder Erbpacht von 40 sh. nur 1 2 d., 
die nach personlichem Eigenthum Eingeschätzten von 53 sh. 4d. 
«4 Mark bis herab zu 12 d, ja, alle die das fünfzehnte 
Jalir erreicht, ausgenommen verheirathete Weiber undBettler, 
wenigstens 4 d. zu steuern hatten. Weder Fremdgeborene 
noch Arbeiter und Dienstboten, weder die Hofdienerschaft 
des Königs noch anderer Herren gingen frei aus, nur dass 
in letzteren Fällen die Stewards für die Erhebung einzu- 
stehen hatten, während Commissionen mit genauen Dienst- 
anweisungen für alle Grafechaften des Reichs angesetzt 
wurden. Nur in Betreff der Universitäten und Collegien, 
der Crildhalle der Deutschen und der Merchant Taüors in 
London hatte iss bd den alten Privilegien sein Bewenden.**)' 
Den versammelten Ständen aber wurde als Motiv ange- 
kündigt, dass, da Ludwig XII. den heOigen Vater unab- 
lässig bedränge und nur Krieg haben wolle, der König zum 
Frühling selber über das Meer zu gehen gedenke, um den 
Feind geradeswegs anzugreifen.***) Unbekümmert um ernst- 
liche Vorstellungen wollte er die festländischen Fährten 
seiner ruhmreichsten Vorfahren Eduards III. und Heinrichs V. 
einschlagen. 

Es war das unstreitig eine Politik, welche auf Erneue- 
rung der alten Ans])rüche abzielte. Bisher hatte sie sich 
auf Cxuienne gerichtet, aber nur die Unlust Ferdinands, der 
sie doch zuerst angerathen, dazu mitzuwirken entlnillt. Jetzt 
wurden die alten normannisch -flandrischen Erinnerungen 
hervorgezogen, und wurde vorzugsweise der Kaiser bear- 

*) Asmell in shcrUr tyme as m mar* «asy unyvertüU and indifferent 
manner* S^aitOee 0/ the Reabn III, 75. 

**) Cap. X9. Statutes 0/ tke ReaUn m, 74—91. 

So mich Hall 535 und die Aiuföliniiig bei F»l. Vergil 19. 



Du Anfängt Htinrieks VIIL 



beitet, damit er in emem förmlichen Soldvertrag gebunden 
sdne in der Führung deutscher R^ter und Landsknechte 
erprobte Erfahrung herleihe. Alles jedoch hing von einer 
neuen Combination unter den Staaten ab. Wahrend näm- 
lich die Schweizer 'durch die Eroberung von Mailand eine 
den Franzosen sdir gefahrliche Stellung gewonnen, fanden 
diese sich wieder mit den Venetianem, die weder von Fer- 
dinand noch vom Papst die Städte zurückerhielten, welche 
sie an sich gebracht hatten. Mit g e w o h n t e m Feuer hatte 
der alte Julius II. am 3. December durch die versammel- 
ten Väter über Frankreich das Interdict verhängt. Wie 
sollte nun auch der Kaiser nicht die letzte Fühlung mit 
Ludwig XII. darangeben, nachdem die Kirche wieder Ve- 
nedig bekämpfte und die Eidgenossen im Dienste der Kirche 
seinen Candidaten, den Sforza, zum Herzoge von Mailand 
einzusetzen beabsichtigten. Gerade diese Umstände nun 
aber hatten den rührigen Fürsten wieder aus den Nieder- 
landen in seine Erblande abgerufen, so dass die englischen 
Unterhändler, die seit IMonaten am Hofe der Herzogin Mar- 
gareta thätig waren, bei der vSchwierigkeit der Communi- 
cation und den unberechenbaren Bewegungen Maximilians 
schier verzweifelten.*) Trotzdem kam die Sache in Fluss, 
nachdem am 20. December Sir Edward Po3mings, der Master 
of the Rolls Yonge, Sir Thomas Boleyn und Sir Richard 
Wingfield die Ermächtigung erhalten hatten, die mit dem 
Papst und Spanien bestehende heilige Liga auch mit dem 
Kaiser, s^nem Enkel Karl imd seiner Tochter Margareta 
abzuschliessen.**) Der Geldpunkt stand dabei wie immer 
im Vordergrunde, hinderte aber nicht, dass man in der Haupt- 
sache bald eini£^ wurde. Nach ^nigen Wochen überbrachte 
Pfalzgraf Friedrich die Erklärung, dass Maximilian bereit 
sei, als Feldhauptmann auszuziehn, freilich noch unter der 
Annahme, dass Heinrich VIIL d^^dm bldben werde.***) 
Am 10. Januar wurde der Vertrag fertig, wonach , der Papst 



'*') Poininu^ ist 10. Nov. noch ohne alle Auskunft, i^rtfstwr 1, 3514. 3525. 

♦*) Brewer I, 3603. 
***) Zwei zwischen Spinelly und Maroton gewechselte Briefe vom 9. Januar. 
Brewer I, 3647. 3648. 



u- kju,^Lo Google 



172 



Dit Anfängt HHnrichs VJJJ, 



in zwei Monaten Provence und Dauphin»^, Ferdinand B^am, 
Languedoc und Aquitanien und Maximilian, nachdem er 
die den schismatischen Cardinälent ertheilten Vollmachten 
«irückgezogen, mit den Engländern gegen 100,000 Kronen 
Frankreich angreifen sollte. Die Uebersendimg der Ur- 
künde nach London durch den politischen Agenten in 
Mechehi war von Nachrichten über die guten Beziehungen 
zu den Schweizern, die noch nicht geklartm Verhältnisse 
iwischoi dem jungen Karl und Gelderland und die feind- 
selige Einigung Schottlands mit Frankrmch b^fleitet*) 

Es war hiemach dringend erforderlich, angesichts der 
beabsichtigten Unternehmung überall möglichst sichere In- 
formation zu gewinnen, nirgends mehr als über das Treiben 
des ehrgeizigen Schottenkönigs. Wie von Mech^, so 
wurde er von Rom aus beobachtet DoppdzOngig führte 
Jacob b^m Papst Beschwerde, dass ihm die Abhaltung des 
lateranischen Concils nicht noüfidrt worden, Beschwerde 
über Heinrich von England, der sich als Kriegsmann Julius II. 
aufspiele, die Schotten plündere und ihren Boten das Geleit 
verweigere, über Cardinal Bainbridge, der einen bösen Ein- 
fluss auf die Curie übe.**) Um dieselbe Zeit hatte Jacob, 
von Ludwig XII. angetrieben, sich an den König von Däne- 
mark gemacht, nicht nur um sich über den Herzog von 
Holstein und die Hamburger zu beklagen, sondern um den 
seemächtigen Fürsten zimi Bundesgenossen gegen England 
zu gewinnen, das statt auf Frieden mit Frankreich einzu- 
gehn dasselbe jüngst von Spanien aus habe bekrieg-en 
wollen und auf dem Meere nur Gewaltthat übe. Ein Däne 
Beilde war beauftragt, dem Könige Johann vorzustellen, wie 
England alle Friedensvermittlung schnöde zurückgewiesen 
und soeben im Parlament beschlossen habe, Frankreich und 
Schottland zugleich anzugreifen, weil es dem einen nur 
durch Bezwingung des anderen beikommen könne. Die 
englischen Soldaten freilich Wörden nach den üblen Erfah- 
rungen in Biscaya und Gieldem wohl wenig Lust verspüren» 
mit den starken Land- und Seestreitkräften der Franzosen 

*) Brewer I, 3649. 3651. Spiselly 12. Januar. 

**) Brtmtr I, 3622—3626» ein Sdirdben avdi in den Epp. Reg, Sed, 
h 15«- 



»73 



anznlrinden. Das englische Volk, in sdner Art neuerungs- 
sfichtig, schreie doch über die Steuererhebung. Nichts- 
destoweniger verlange es über die armen, friedliebenden 
Schotten herzufidlen.*) Dass das franzodsch-sdiottische 
Bfindniss jüngst erneuert worden, wusste man nun am eng- « 
lischen Hofe sehr wohl. Trotzdem war der diplomatische 
Verkehr mit dem so nahe verwandten König-shause noch 
keineswegs abgebrochen. Wie am 24. Januar 1513 den 
schottischen Commissaren mit einem Gefolge von 100 Leuten 
freies Geleit bewilligt woirde, so erhielten Lord Dacre und 
Dr. West am 15. Februar neue Aufträge, um die vielen 
ungelösten Streitigkeiten auszutragen, zugleich aber darüber 
zu wachen, dass schottische Schiffe, die sich für friedliche 
Kauffahrer ausgäben, den Freipass nicht etwa zur Ver- 
einigung mit der französischen Flotte benützten.**) Aus 
Frankreich meldeten die Nachrichten nur von starker Kriegs- 
bereitschaft. Während die dortige Regierung keineswegs 
auf die italienischen Eroberungen, auf eventuelle Einigung 
mit dem Kaiser oder den Schweizern, auf ein Bündniss 
mit Karl von Burgund verzichtete, der dann Ren^, die 
Tochter Ludwigs XU., heirathen würde, hatte sie, von den 
englischen Plänen genau unterrichtet, mit dem Schotten- 
könige verabredet, Heinrichs Landung auf dem Continent 
sofort mit einem Einfall in Ncnrdengland zu beantworten. 
Um die Städte in der Picardie und in Flandem, deren man 
sicher zu sein glaubte, zu besetzen, waren ausser deutschen . 
Landsknechten 22,500 Mann Fussvolk ausgehoben und die 
Abgaben verdoppelt worden. Die Veibiodung mit Schott- 
land herzustellen war Aufgabe der starken Flotte in Brest, 
weldhe von einem er&hrenen Seemann, dem Johanniter 
Pr^ean de Bidoulx, befehligt wurda***) Dem entsprachen 
nun durchaus die Meldungen über die SeerQstungen König 
Jacobs, der fortfuhr, Kriegsschiffe zu bauen und an dem 
engen Fahrwasser des Förth Befestigungen anzulegen, f) 

*) Brtwtr I, 3617. 3637-3629. 3631—3635. Mtäti in den JSpp, Rgg, 

Scot. I, 152 ff. 

♦*) Bre-wer I, 3676. 3726. 381 1. 3812. ' 
***) So eine französische Zeitung vom Februar. Breiter I, 375^> 
f) Lord Dacre „m haist", 24. l'ebruar. Brewer I, 3571. 



174 



DU Anfängt H*ü»Heht VIU. 



Am bedenklichsten wohl lauteten die Berichte aus Spanien: 
Ferdinand, dem nur an Bewahrung von Neapel und Na- 

varra gelegen, behielt nicht nur seine Schifie für sich, indem 
er fernerhin auf kein offensives Bündniss einging, sondern 
machte gar kein Hehl von seinen \'erhandlungen mit dem 
französischen Hofe um einjährige Waffenruhe, für die man 
immer noch den Kaiser und seinen Enkel gewinnen zu 
können hoffte.*) 

Sokhen Verhältnissen gegenüber musste England also, 
um nicht allen Credit zu verlieren, seine Kräfte in einem 
Masse anspannen, wie es lange nicht geschehn war. »Schon 
die Rechnungsablage vom i. November über den Aufwand 
der Unternehmungen in Spanien und Geldern, für Schiffe, 
Befestigungen, Löhnungen, Waffen, Munition, im Gesammt- 
betrage vonL. 1731058.2.3**) hatte ergeben, wozu das Reich 
fähig war. Bereits im December waren 22 Schiffe mit einer 
Besatzung von 7000 Mann in Dienst gestellt und die nöthi- 
gen Anwwsungen zu ihrer Unterhaltung" ergangen. Hans 
Popenruyter in Mecheln hatte den Guss von 48 Geschützen 
schwersten Calibers für den König von England ausgeführt. 
Viele hundert Harnische waren in Mailand angdcauft**^ 
Zum Februar wurde die männliche Bevölkerung der sud- 
lichen Grafschaften zwischen 16 imd 60 Jahren aufgerufen, 
die Feuerzeichen in Stand zu halten, um bei der ersten 
Meldung einem Landungsversuch der Franzosen bewaffiiet 
entgegen zu treten, f) Der König schloss mit einzelnen 
Edelleuten, wie Lord Fitzwater, Contracte ab zur Expedition 
in's Ausland. Poynings war beauftragt in den Niederlanden 
womöglich in Uebereinstimmung mit dem Kaiser Reiterei 
anzuwerben. Calais, wo statt seiner Sir Richard Wingiield 
befehligte, war Ende Februar zur Vertheidigung wie zum 
Angriff gerüstet. Schon unternahmen Haufen von 1500 Mann 
Streifzüge in die benachbarte Picardie.ff) 

Solche Vorbereitungen namentlich auch zur See waren 

*) Stile's deduffUile Briefe vom 3. und 19. MS», ßremw 1, 3766. 3807. 
**) Bremtr I, 3496. cf. 3762. 
♦**) Die Listen bd Bttwer I, 359I. 3615. 3616. 3658. 

tl Ibid. 3688. 3723. 
tt) Ibid. 3731. 3744. 3750. 



Die Anfänge Heinrichs VIII. 



in vollem Zuge, als die Nachricht von dem am 2 1 . P'ebruar 
erfolgten Tode Papst Julius II. einlief, der unlängst noch 
allen, welche nur 6 Monate unter Heinrich VTII. wider 
Ludwig XTI. kämpfen würden, geistlichen Ablass verkündet 
hatte.*) Wie leicht konnte der Abgang dieses ungestüm 
auf Bekämpfung der Fremden und Consolidirung eines welt- 
lichen Kirchenstaats hinarbeitenden Greises die ganze Lage 
der Dinge zunächst in Italien umwerfen! Zum Glück jedoch 
wirkten die letzten gewaltigen Erfolge, deren sich der schon 
öfters todt gesagte Kirchenfürst zu erfreuen gehabt, auch 
über ihn hinaus und kamen zunächst mit der Wahl des erst 
37 jährigen Medicäers Leo X. der glücklichen Poliük Spaniens 
und der g^eihenden £iiiiguiig mit Habsburg zu Statten. 
Da nun der neue Papst, schon weil das Schisma nicht be- 
endet, in die Fusstapfen des Vorgängers zu treten genöthigt 
war, an Ludwig XU. seine Wahl nur höflich notifidrte, da^ 
gogen sich zum Kaiser freundschafUichst stellte und in seinen 
ersten Erlassen bei der Liga mit Aragon, England und den 
Eidgenossen zu verharren erklarte, behielten die englischen 
Rüstungm ihren ungehinderten Verlauf. Die Liga blieb auf- 
recht wie sie einst mit Julius verabredet worden. Am 5. April 
wurde sie zu Medieln erneuert: Leo X., Ferdinand, Maxi- 
milian, Heinrich VHI. verpflichteten sich, Frankreich von 
allen vier Seiten anzugreifen und gemeinsam die Schweizer 
in Sold zu halten, damit Frankreich auf bdden Seiten der 
Alpen beschäftigt bliebe.**) Da nun aber die Spanier und 
die Päpstlichen mit den Venetianern vollauf zu thun hatten, 
so fiel die Aufgabe diesseits den Deutschen und den Schwei- 
zern, besonders aber den Engländern zu. 

Für diese war und blieb das erste Erforderniss, auf der 
See jedem feindlichen Anfall dadurch vorzubeugen, dass 
man die Wasserstrasse selber beherrschte. 80 wurde denn 
nicht nur die Bewegung der französischen Kauffahrer zwi- 
schen der Bretagne und Holland, zwischen Dieppe und 

♦) Rymer XII, 344. 20. Dcc. 

**) Rymer Xm, 354. 358. 363. Brewr I, 3859—3868. Aach Pol, 
V«rgü 20: Is hoMuL aUud atfu* fuUus leboraverai tU comtimiattdo Mio 
ctmst&uonst gtiam früimm foodus cum Henrieo et ytUä amieü /oodoralit 
rtnonavit. 



176 



Di§ Anfang« Mtmrükt VIII, 



Schottland genau überwadit und bei Zelten gemeldet, dass 
Ritter Pir^ean — Prior John, wie die englischen Matrosen 
sagten — statt mit 4 mit 6 grossen Galeeren aus dem Mittel- 
meer vor Brest eingetro£Een sei, von wo aus Falmouth un- 
mittelbar bedroht erschien, — sondern Sur Edward Howard 
selber, neuerdings zmn Admiral von England, Wales, Irland, 
Normandie, Gascogne und Aquitanien ernannt*), war schon 
Mitte März mit seinem stattlichen Greschwader unter den 
Augen des Königs ausgelaufen. Seinem Auftrage gemäss 
berichtete er, wie jedes einzelne Schiff sich bei einer Ver- 
suchsfahrt den Canal entlang bewahrte und meinte stolz, 
eine solche Flotte sei in der Christenheit noch nicht erblickt 
worden.**) Am 5. April richtete er von Bord des Flaggen- 
schiffs der Mary Rose auf der Rhede von Plymouth ein 
Schreiben an Wolsey, in welchem er über eines seiner 
Schiffe, die Katcrina Fortilega, klagte, und auf raschere 
Verpflegung drang, an der es überhaupt noch gebrach, 
damit ihm nicht etwa, während Zwieback und Bier mangel- 
ten, die Franzosen durchschlüpften. In fünf bis sechs Tagen 
hoffte er sie zu packen, empfahl sich und sein Geschwader 
den Gebeten und Segenswünschen des Königs und der 
Königin, seines Herrn Vaters und aller guten Freunde. ***) 
Am 10. war er dann nach der Bretagne hinüber gesegelt, 
lun trotz der schwierigen Zugange sich an den Feind zu 
machen. Die Vorhut desselben, 15 Schiffe, eilte sofort von 
Pointe St. Mathieu in die durch Felsen, Batterien und 24 
entmastete Salzschiffe, die zusammengekoppelt als Brander 
dienten, beschützte Einfahrt in den Brester Hafen zurück. 
Howard, der das Schiff des Capitans Arthur Plantagenet auf 
dner Klippe verlor, erspähte jenseits der Barre 50 grosse 
Segel, vmiodite aber auch am nächsten Morgen mit Hoch» 
wasser nicht hindurch zu kommen, da der Wind heftig ans 
N.N.O. wehte. Höchstens konnte er Pr^ean, der rmt seinen 
Graleeren und einigen kleinen Fusten in der Bai von Con- 
quet lag, an der Verbindung mit seinem Hauptgeschwader 
verhindern. Als am 12. ein grosses Schiff des letzteren an 

♦) Brewer T, 3800. 38 14. 
♦*) 22. März ibid 382O. 

Sllis, Original Lttters^ Third Series I, 145, Brtmtr I, 145. 



Dü Anfang* Heinricks VIII. 



«77 



Grund g-erathen war, gelang- es wenigstens, dasselbe zu 
zerstören und durch die dazu mitwirkenden Fahrzeuge ein 
kurzes Gefecht anzubinden. So meldete der Admiral dem 
Xonigfe, indem er nochmals auf pünktliche Zufuhr drang, 
aber glücklich über die Trefflichkeit seiner Schiffe und Leute 
an einem sicheren Erfolg nicht zweifelte.*) Indess es war 
unendlich schwer, die Blockade in einen für die Gegner, 
deren Disposition die allerbeste war, gefährlichen Kampf 
zu verwandeln. Hierdurch, vielleicht auch durch aufreizende 
Worte semes Hofe gestadielt, wollte Howard die Ein£ihrt 
in verwegenem Angriff erzwingen. Nach einer Sdiein- 
kmdung auf der Seite von Brest, wobei seinen 1500 Leuten 
sofort 10,000 Franzosen en^p^fentraten, bemächtigte er sich 
der gegenüberliegenden Landzunge, zerstörte die dortigen 
Gebäude, beklagte aber den Mangel von Pferden, weil mit 
zwei Greschützen die aneinander geschlossenen Salzschiffe, 
welche den Hafen sperrten, zu beseitigen gewesen waren. 
Mittlerweile Hess aber auch er dnige Galeeren in Stand 
setzen, um mit einigen kleineren Booten Pr^ean in der 
Bucht von Conquet anzugreifen.**) Während indess die 
verlangte Zufuhr und weitere Schifte unterwegs waren***), 
fand der feuerige Ehrgeiz des kühnen Seemanns ein jähes 
Ende. 

Nachdem Prejean am 22. einen Ausfall gemacht, wobei 
ein enq-lisches Schiff zu Grunde ging, nachdem Howard ihn 
noch einmal vergeblich durch eine Landung in der Bai von 
Ouessant hatte fassen wollen, beschloss der Engländer, wage- 
halsig und ruhmdurstig zugleich, am 25. mit den beiden ein- 
zigen Galeeren, die ihm zur Verfügung standen und vier 
Booten, auf die er seine beherztesten Capitäne vertheilte, 
dem Gegner geradeswegs zu Leibe zu gehn. Ihn schreckte 
nicht, dass dieser in seichtem Wasser ankerte, und die An- 



•) Das etwts Tentfimmelte Original vom 12. April, ausgezogen bei 
Bremer I, 3877, weiss nichts von einer an Heinrich VITT, gerichteten Ein« 
hidung, dem Angrirt beizuwohnen, die scharf al)gewiesen worden sei, wie 
Hall 536 erzählt. Lord Herbert 13 geht zu weit, indem er Hall's wirre üx- 
sihlung mit der offidellen Darstellung zu veiUnden sacht. 
**) An den König 17* April Srnur I, 3903. 

Capitln Wllheim Gooeon an Wbbey, 24. ApiU I, 3946. cC 4005. 
. Fkvli, AvMtM. V.F. 1) 



178 



IH§ Anfängt Heinrichs VJJJ, 



greifer von zwei mit Geschützen und Arkebusen besetzten 
Klippen mit Steinkugeln und Bolzen so dicht wie Hagel- 
schauer bestreichen Hess. Während Lord Ferrers mit der 
einen Galeere etwas zurückblieb, ruderte der Admiral mit 
der anderen bis an das Flaggenschiff Pr^jeans, sprang, Degen 
• und Tartsche in den Händen, mit i6 Matrosen und dem 
spanischen Seemann Alfonse Charran'*') hinüber und Hess 
das Tau um das Gangspill legen, von dem es beim Aus- 
bruch eines Brandes leicht wieder abgeworfen werden konnte. 
Sofort entspann sich ein wütfaender Zusammenstoss unter 
den mit Schil&pieken aufeinander einstürmenden Mann- 
schaften, als das Tau, man erfuhr nicht, ob durch die Fran- 
zosen oder durch die englischen Seeleute selber, gelöst wurde, 
und ihre Galeere von der feindlichen hinw^ trieb. Doch 
sah man Howard heftig winken, horte ihn rufen: 'Wieder 
heran! Wieder heran!', gewahrte, als dies nicht geschah, wie 
er die Pfeife, das Zeichen des Befehlshabers, vom Halse 
riss und in's Meer warf. Bald war er in dem wilden Tumult 
verschwunden. Charran, der sich noch sein Handgewehr 
wollte reichen lassen, die meisten von denen, die geentert 
waren, wurden erschlagen, nur wenige von den Booten, 
die herangekommen, schwer verwundet aufgefischt. Ferrers 
hatte inzwischen, wie ihm befohlen, die feindlichen Schiffe 
und Batterien beschossen, bis ihm di(! Munition ausging und 
er bei der Umkehr der anderen Galeere annahm, dass der 
Admiral an Bord sei. Erst als derselbe bei Abbruch des 
Gefechts vermisst wurde, gingen drei Kdelleute als Parla- 
mentäre an das Land und erhielten von Pr^jean, der ihnen 
entgegen ritt, höflich die Auskunft, dass nur ein Seemann 
gefangen genommen, von dem er erst erfahren habe, dass 
derjenige, der mit einer vergoldeten Tartsche am Arm durch 
Schiffspieken über Bord gestossen worden, Admiral Howard 
gewesen sei. Die englische Flotte hob hiernach die Blockade 
auf, um so mehr als verlautete, dass die Franzosen noch sechs 
Galeeren aus Bordeaux erwarteten, und traf am 30. schwer 
geschädigt wieder in Plymouth ein. Der Capitän aber, welcher 
Howard die Verstärkungen zugeführt hatte, schrieb trauernd 



*) Dms er in esgüscbem SoUe stand, «sibt dch ras Brtwtr 1, 3983. 3983. 



Die Anjängt Heinricks Vili. 



an Wolsey : Niemals wurde ein tapfrerer Mann verloren, von 
so grossem Muth und Tug-enden, der ein solches Geschwa4er 
befehligt und in vorzüglicher Ordnung gehalten hatte".*) 

Das Ereigniss hatte nun allerdings zur Folge, dass auch 
die französischen Schiffe den Brester Hafen verliessen und 
von der normannischen Küste an die von Sussex übersetzten« 
Indess die Milizen waren rasch zur Hand und trieben den 
Feind an Bord surück, so dass höchstens einige Hütten an- 
gezündet, und englische Fischer auf offener See ihres Fangs 
beraubt wurden. Das kühne mit seinemUnfieigaQge besi^nelte 
Beginnen Sir Edwards brachte der Thatkraft der Englander 
auch bei den Fanden Achtung imd Ruhm. Der neidische 
Jacob' IV. hielt nicht damit zurück**), und die Franzosen 
beherrschten kdnesw^gs die See. Unverzüglich aber hatte 
Heinrich Vm. den Bruder des Grefiallenen Lord Thomas 
Howard zum Admiral bestellt, der nach den nöthigsten Re- 
paraturen und.nachdon Offidere und Mannschaften frischen 
Muth geschöpft***), wieder auslief und den Canal säuberte. 
Anstatt jedoch, wie er wohl gewünsdit hatte, die gfewandte 
Vertheidigung von Brest durch grosse, wenig tiefgehende 
mittelländische Fahrzeuge, mit Hilfe zahlreicher Landungs- 
truppen zu Schanden zu machen, erhielt er in Kurzem den 
Befehl, den Transport eines ansehnlichen künig-lichen Heers 
zu decken. Auch er war ein Mann, der keine Anstrengungen 
scheute. Er wollte lieber, wie er sagte, als Postreiter die 
Pferde zu Schanden jagen als in Schreiben und Arbeiten zu 
langsam befunden werden, f) 

Seit Monaten waren die Vorbereitungen zu dem grossen 
Unternehmen in vollem Zui^. Nur gaben die Bundesgenossen 
noch immer viel zu denken. Zwar machte sich der Kaiser 
anheischig, mit Reiterei, mit Schweizern und I^andsknechten 

Edwaid Ecliyngluttiit Bericht Tom 5. Mai Brewr I, 4005, jeHt m 
mekrtieil Stdkn verstümmelt, aber von L&rd Herbert 13 noch vollständig 
gelesen, wozu dann einige weitere Ergänxoagen bti HaU S36~537> gleich 

ÜÜIs directe Nachrichten vorlagen. 

**) Howards Verlust, quha decessit to his grete honour and laude, sei 
empfindlicher als die Nichteroberung der französischen Galeeren, an Heinrich, 
Mllis, Original Leiters I, i. 76. 

Zwei aeiiier Berichte vom 7. Ifii» Bremer I, 4019. 4020. 
t) So an Wdsqr Soafhampton 16. Mai von Boid der Maiy Roae I, 4076. 

12» 



i8o 



DU Anfingt Heinrichs VIII. 



und einem eigenen Geschützpark im Felde zu erscheinen, 
wenn Heinrich für deren Bezahlung aufkomme. Der Hess 
ihm dafür \v\e einem Vater innig danken und die Ueber- 
zeugiing ausdrücken, dass der gemeinsame Sieg sie nach 
Paris führen würde, war auch bereit, die Subsidien auf 
125,000 Kronen zu erhöhen, hütete sich jedoch wohlweislich, 
die Besoldung der kaiserlichen Truppen zu übernehmen*), 
weil von Maximilian zu gewärtigen war, er werde sie irgend 
anderswo, nur nicht in flandem verwenden. Die Räthe 
Karls von Burgund waren mit der Herzogin Margareta 
keineswegs einer Meinung. Vielmehr bereitete der unge- 
störte Fortgang des burgundisch-französiscshen Handels viel 
Aergemiss, indem die englischen Kreuzer flandrische mit 
Proviant für französische Häfen geladene Schiffe aufbrachten, 
und die Burgunder, ihrersdts Repressalien übten.**) Und 
mit dem alten Ferdinand gar kam Heinrich gar nicht m^ 
von der Stelle. Er hatte zwar nicht verhindern können, 
dass einige seiner Schiffe und Leute sich an den Angriffen 
gegen die Bretagne betheiligten, hatte auch bei einer Er- 
neuerung der liga gelobt, im Juni gleichzeitig mit seinem 
Eidam in Frankrmch einzubrechen, wozu Heinrich dann 6000 
für Aquitanien angeworbene deutsche Landsknechte besolden 
sollte.***) Wenn aber die Hoffnui^fen des letzteren rieh so 
weit verstiegen, dass er auch mit Ferdinand eines Tags vor 
den Mauern von Paris zusammen treffen könnte, so sollte 
er bald ernüchtert werden. Die Affaire vor Brest hatte in 



Yalladolid einen üblen Eindruck gemacht. Jetzt wurden 
nicht nur alle spanischen Schiffe aus englischen Gewässern 
abberufen, sondern deutlich zu verstehen gegeben, dass man 
mit Frankreich Waffenstillstand habe. Der englische Be- 
vollmächtigte wagte sogar als Vergeltung vorzuschlagen, 
gemeinsam mit dem Kaiser den König von Navarra wieder- 
einzusetzen, f ) Wohin man also blickte, fiel, abgesehn von 
dem Ivriegstheater in Italien, die ganze I^ast auf die Schul- 
tern Heinrichs von England, der denn namentlich auch in 

*) So du Entwiuf von Rudialb Hand. Bremer I, 3835. 
**) AehnKcher Entwurf Bremer 1, 3836. 
***) Der Vertrag Brewer I, 4038. 
t) Knight ans ValladdUd, la. Md. Bremer I, 4058. 




DU Anfängt Heinriche VIII. 



i8i 



Rom, wo Leo X. selber schon Annäherung- an die bisher 
für Frankreich und Scliottland eintretenden Cardinäle suchte, 
durch Erzbischof Bainbridge sehr bestimmt hatte erklären 
lassen, dass seine Rüstungen viel zu weit gediehen seien, 
als dass er, noch ohne Zustimmung aller Betheiligten, auf 
Anträge zu Friedensverhandlungen eingehen könne. *) 

Auf einem merkwürdigen Blatt von Wolsey's Hand aus 
dem April findet sich ein Ueb(^rschlag dessen verzeichnet, 
was für den vom König in Person zu unternehmenden Feld- 
zug erforderlich erschien. Vor allem war, die Operationen 
gegen Guienne und Schottland einbegriffen, für die runde 
Summe von 640,000 T.. das Jahr zu sorgen. Die Armee sollte 
aus 80,000 Combattanten bestehen, darunter zwei Trupps 
von 1000 Geharnischten mit ihren bewa&ieten Begleitem, 
3000 Halblanzen, von denen 500 Irländer, 10,000 Bogen zu 
Fuss, 4500 mit Hdlebarden und Piken bewaffnete Englander 
und Waliser, 5000 Landsknechte^ 500 Kanoniere und 1000 
Schaazgraber, die dem Feldzeugmetster Sir Saaopson Norton 
zu unterstellen sein wurden. Auch lag bermts eme Ordre 
de bataille vor. Zum Aufklaren wurden Sir Richard Wmg* 
field und anderen Qnartiermeistem in Calais 40 Sdiwer* 
bewaffiiete und Sir Richard Carew mit 1000 lifann ziige» 
theilt Den Vortnqpp von 3200 ICann sollte Lord Lisle, 
einen rechten Flügel mit schwerer Artillerie und 1516 Mann 
Lord Darcy, den linken mit leiditen Feldstücken und 1500 
Mann Sir William Sandes fuhren. Das Centrum, in welchem 
mit seinen Grarden und dem gesammten Hofstaat der König 
sich befände, ^vürde von 3100 und auf den Flügeln wieder 
von je 1500 Mann gedockt werden. Edelleute und Ritter 
wurden bereits im Voraus mit Namen den einzelnen Abthei- 
lungen beigegeben.**) Nur fragte sich, ob solchen Ent- 
würfen die vorhandenen finanziellen und militärischen Kräfte 
und Rücksichten auch entsprechen würden, l^ie nur frag- 
mentarisch erhaltenen Aufträge und Contracte ergeben nur 
ein wenig deutliches Bild. Während Poynings und Wing- 
field in den Niederlanden durch Isselstein und andere deutsche 
Herren Fanzerreiter bis zu 4000 Mann anzuwerben suchten, 

*) Br«wer l, 3876. 12. April. 
^ Die beiden Entwürfe Brrutr I, 3884. 388$. 



l82 Anfänge Mfinrichs VII J, 



schloss Lord Hasting-s in alter Weise gerichtlicli in der 
Staatskanzlei einen Vertrag ab, mit 60 Bognern und 40 Helle- 
barden dem König jenseits des Wassers zu dienen, wobei er 
sich und seiner besonderen Begleitutig auch freie Ueberfahrt 
ausbedan^.*) Der Johanniterprior Docwra verpflichtete 
sich, mit 300, Sir Edward Foynings mit 100 Mann und 
den entsprechenden Waffen zu erscheinen.**) Vor allem 
wurden genaue Ueberschläge über die Flottei^feschwader, 
Zahl, Grrösse und Bemannung der Schifie gemacht, auch in 
den Hafenorten von Dorset und Devonshire 39 Kauffiüirer 
£u Transporten angehalten. Man beredmete, dass die 
Geschwader unter Howard und Sir William FitzwilHam, 
der eine mit 10,289, ^ andere mit 10,759 Mann, jenes 
L. 3490.16.10 und dieses L. 3775.19.10 monatlich für Löhnung 
und Verpflegung erforderten.***) Die nothigen Summen 
wurden noch immer durch Benevolenzen, d. h. Zwaags- 
erhebungen h&. rdch Begüterten flüssig gemacht, f) Starke 
und Qualität der den englischen Grafschaften zugemutheten 
Aushebungen bleiben aus Mangel an Belegen dunkel, wäh- 
rend die einzelnen vornehmen und ritterbürtigen Engländern 
für den Feldzug verliehenen Commandos urkundlich ver- 
zeichnet T?vnirden. f f ) Ende Mai kam heran, bis Antoine de 
Eigne Ciraf Eaulcomberg" ermächtigt werden konnte, die 
Eandsknechte, auf die man von Anfang an reflectirte, in den 
Dominien des Kaisers anzuwerben, ff f) Daran war offen- 
bar Maximilian selber schuld, der bis tief in den Juni noch 
fern in Schwaben steckte. *f) Und als er dann endlich in 
Brüssel bei seiner Tochter eintraf, so meldete Poynings, 
dass bei der bekannten Armuth des hohen Herrn die deut- 
schen Reiter, die er mitzubringen übernommen, ohne Geld 
nicht zu haben sein würden, so dass nichts anderes übrig 

*) JBrtwtr I, 3849. 38S7. 
**) Brnter I, 394^. 39SO. 

♦**) Die Actenstücke 1. I. 3977—3981. 

t) Wolsey's Quittung für 1000 L., erste Einzahlung der Lady Margant 
Pole, die zu 5000 Mark veranlagt wurde, 25. Mai 1. 1. I, 4II9. 
tt) 1. 1. I, 4122 ff. 4132. 4186. 4187. 
ttt) 1. 1. I. 4129- 4130. 

*t) JeniiiMB Inabraclc 15. April L 1. 1, 3897 und Robert Winffield Angs- 
buig 17. Mai 1. 1. I, 4059. 



Die Anfänge Heinrichs VIII. 



blieb, als auch für sie Anweisiingen auf Antwerpen auszu- 
stellen.'*') Der Kaiser veibiess binnen acht Tagen seine 
Kriegserklärung' zu erlassen, nachdem Heinrich VUL schon 
vor Wochen die Herausforderung an König Ludwig mit 
mittelalterlichem Grepränge durch den Lancaster-Herold hattö 
nach Paris überbringen lassen.**) 

So waren denn die Vorbereitungen selbst in den Tagen, 
als die EinschifEung begann, noch keineswegs abgeschlossen. 
Dagegen ist die Nachricht von dem grossen Siege, welchen 
die Schweizer am 6. Juni bei Novara über die l^Vanzosen 
erfochten, noch rechtzeitig eingelaufen, um die Herzen mit 
freudigem Muth zu erfüllen, wie anderersdts Balnbridge aus 
Rom schrieb, dass man dort täglich zu vernehmen hoife, 
die Franzosen seien von den Engländern vernichtet wor- 
den.***) Offen vorbereitet und laut angekündigt, fesselte 
das Unternehmen im Voraus die Gedanken der Menschen 
drinnen und draussen, für und wider. Neben den für den 
Sommer beabsichtigten Plänen der Spanier und der Deut- 
schen gegen die Venetianer, der Schweizer gegen Burgund, 
erschien das Vorhaben des Königs von England ohne Frage 
als das bedeutsamste. 

Indess selbst daheim war es bis zuletzt mit Stockung 
bedroht. Die Be\'ölkerung von Yorkshire und Northumber- 
land, durch die unruhig-en Zustände an der schottischen Grenze 
stark mitgenommen, verweigerte die harte Kopfsteuer zu 
zahlen, die von jeher dem platten Lande besonders lästig fiel. 
Die Regierung fand es daher gerathen, den X«eiuten dort, 
gegenüber der wankenden Vertragstreue Jacobs von Schott- 
land, und weil sie selber, um Benevolenzen bettelnd, nicht zu 
erbarmungslos einschreiten durfte, durch die Finger zu sehn, f) 
Femer widersprachen immer noch einzelne Stimmen im Gre- 
heimen Rath der Absicht des Königs, selber in's Feld zu 
ziehn. Man erinnerte an den Mangel directer Nachkommen- 
schaft, an die Ueberreste Yorkistischer Sympathie, an 
Edmund de la Pole, den geachteten Herzog von Suffblk, 

*) 7. Juni. 1. l. 4182. 
*♦) 1. 1. 3986. 
*♦♦) 10. Juni. 1. L 4196. 
t) Nur von Vtrgü 23 bttichtet 



i84 



DiM Anfange Btimricks VIJI, 



der seit 1506 halb vergesaen im Tower gelegen.*) Obwohl 
ihm weder Anlass noch Möglichkeit gegeben war, wie einst 

in Heinrichs VII. Tagen zu conspiriren, so ruhten doch Hass 
und Argwohn nicht, bis er geopfert wurde. Man gab ihm 
Correspondenz mit seinem Bruder Richard Schuld**) und 
berief sich, wie es scheint, auf ein früheres mit der Acht 
gesprochenes Urtheil. Von einem rechtlichen Verfahren 
dagegen findet sich so wenig eine Spur, wie eine Bericht- 
erstattung über die Hinrichtung. ***) Nur aus einer Bittschrift 
über unerfüllt gebliebene Vermächtnisse des Unglücklichen 
verlautet zufällig, dass sie am 4. Mai in London vollstreckt 
worden ist. f) Nicht von ungefähr erfolgten gleich her- 
nach besondere Gnadenerweise an Sir Charles Brandon, den 
Genossen des jungen Königs in Ritterspiel und Mummen* 
schanz, den Sohn des Standartenträgers bei Bosworth, der 
nunmehr zum Viscount Lisle erhoben ff) wurde, um, wie in 
die confisdrten Güter der verfolgten Familie, so auch der- 
einst in den herzoglichen Titel von Suffolk einzutreten. 

Die grosste Schwierigkeit aber lag in dem Vorhaben * 
selbst Es war wahrlich keine Kleinigkeit für England, die 
30,000 Mann, zu ätsassn. sich I^inrich verpflichtete, sobald 
der Kaiser dem Vertrage nachkommen wQrde, rechtzeitig 
und schlagfertig in das Feld zu stellen, fff) Es fehlte nicht 
nur an um&ssender Er&hnmg, sondern an kundigen, staat- 
lichen Organen, um das sehr bunte, in der natürlichen An- 
lage zwar vorzügliche, der Vorbereitung aber meist völlig 
bare Menschenmaterial zu einer Armee zu gestalten. Da 
es kein Kriegsamt gab, fielen Ueberlegung, Fürsorge, Rath, 
^tschetdung nun vollends der grossartigen Arbeitakraft des 
Priesters Thomas Wolsey anheim. Auf seinen Schultern 
lasteten unabsehbare Geschäfte. Er persönlich schloss mit 
den Unternehmern die Lieferungen von Fleisch, Zwieback, 
Bier ab. Er besprach mit Generalen und 1- eldzeugmeistern 



*) Vgl. Gesch. V. England V, 620. **) Petri Martyr. Epp. 524. 
*•♦) StntenHa a paucis tUeta^ a paucis facile probaiur^ et Bdmtmdus 
securi percuHtur. PbL Vergil 22. 

t) Bremer I, 4254. ff) Brewer I, 4072, 15. MaL 
ttt) Heinrich VIII. nochmals an PoyningB wcfea Vantreckmig Yon 125,000 
Kronen, Mai. Brewer I, 4086. 



DU Anfingt BHmrichs VII J, 



185 



die Emeoutuii^ der Officiere, Vertiieilung der Mannscliafteii, 
Fortschaffung des Kriegsgeratfas, mit den Admiralen und 
Capitanen die kostbare Unterhaltung der Geschwader, ihre 
geschickte Verwendung, die Vertheilung der Schiffe, die 
Deckung der Transporte, die Sicherung des Canals. Alle 
diese versdiiedenen Zweige des dffentlidien Dienstes aber 
mussten wirksam in einander greifen, damit nicht irgendwo 
eine empfindliche Lücke klaffte, über die Alles in Stocken 
gerathen konnte. Allerdings war Wolsey bereits von tüch- 
tigen und dienstfertigen Männern umgeben, auf deren sach- 
und fachgemässe Erfahrung er, der Kleriker, sich stützen 
konnte. Aber trotzdem drohte selbst die Fülle seiner eige- 
nen Mittel unter dem ungeheueren Druck zu versiegen. 
In einem Briefe vom 21. Mai, in welchem der 15. Juni als 
Termin für die Ueberfahrt der Ilauptabtheilung bezeichnet, 
zugleich aber alle möglichen Anfragen, selbst nach leeren 
Bierfässern, gestellt wurden, schrieb ihm der alte Gönner 
Bischof Fox: ,,Die Zahlmeister verdienen gehängt zu werden. 
Ich bitte Gott, uns zu fördern und Euch bald von heilloser 
Mühe zu befreien, wenn Ihr nicht Erkältung, Schlaflosigkeit, 
bleiche Wangen und schlechte Verdauung davontragen 
sollt."*) 

Die Riesenanstrengxmgen des Einen Manns jedoch setz- 
ten es durch, dass bereits zum 15. Mai der Vortrab, 7 bis 
8000 Mann stark, nach Calais eingeschifft werden konnte. 
Graf Shrewsbury fahrte das Conunando. Die Lords Derby, 
Cobham, Hastiqgs, Fttzwater, der Waliser Sir Ryce ap 
Thomas als Führer der leichten Reiterei, der Feldzeug- 
meister Norton mit seinen Kanonieren, Reiter und Fuss- 
truppen, darunter 2500 Deutsche, Stabe aller Art, der Lan- 
caster-Herold, Wundärzte, Musiker waren ihm zugethdlt**) 
Gegen Ende des Monats folgten weitere 6000 Mann unter 
Lord Herbort mit den Grrafon von Northumberland, Kent, 
Wiltshire und anderen Edelleuten, die sich, nachdem sie 
gelandet, dem Grrafen von Shrewsbury als Nachhut an- 
schlössen. Dies Corps rückte, wie der Befehl lautete, am 

*) A thin helly cum pari egesticme, Bretcer T, 4103. 
**) Brenner I, 4070, daxu 4CX)9. 4030. Hall 537 erweist sich im Ganzen 
wieder gut unterrichtet. ^ 



Di* Anfänge Heinrichs VIII* 



15. Juni, zu welchem auch die Zelte geliefert worden zu 
sein scheinen*), von Calais aus und überschritt Tags darauf 
die nahe Grenze zuerst in einer Richtung, als sollte der 
Marsch längs der Küste auf Boulogne gehn, bis die Strasse 
landeinwärts eingeschlagen und am 27. angesichts der be- 
festigten Stadt Therouanne, südlich von St. Omer, das Lager 
bezogen und der (reschützpark aufgefahren wurde.**) Als 
Abends die Hauptleute im Zelte Lord Herberts Rath pflogen, 
fuhr eine Kugel aus der Stadt dazwischen, durch welche 
Lord Edward Carew getödtet wurde. vShrewsbury lagerte 
im Nordwesten, Herbert im Osten der Stadt, deren Be- 
satzung* unter dem Herrn von Pontremy sie durch Ausfälle 
zu belästigen b^[ann» die jedoch durch die Bogenschützen 
hinter rasch aufgeworfenen Feldschanzen mit Erfolg' abge- 
wiesen wurden. 

Während man nun Therouanne zu beschiessen anfing, 
maditen sich die unwdt zusammengezogenen starken feind- 
lichen Streitkräfte unter dem Herzog- von Longueville und 
dem Sire de Pienne sehr empfindlich bemerkbar, indem sie 
die Verbindung der Belagerer mit Calais zu stören suchten. 
Ein von dort am 27. abg^^g^u^ener Verpflegungszug von 
loö Wagen, von 500 Mann begldtet, wurde am folgenden 
Tage bei Ardes überfeUen und weggenommen. Es hiess, 
dn Theil der Bedeckung sei betrunken gewesen. Trotz 
tapferer Gr^genwehr der Schützoi wurden 200 erschlagen, 
sowie eine bedeut^de Anzahl Pferde getödtet***) Nach 
einer solchen Lection wurde der Veiblndung mit der Küste 
und einer regelmässigen Zufuhr auch von Flandern und 
Hennegau her grössere Sorgfalt gewidmet. 

Älittlerweile rüstete sich König Heinrich selber, mit dem 
,,Middleward", dem Centrum seiner Armee, an Bord zu gehn. 
Er zählte im Ganzen 14,032 Mann der verschiedenen Truppen- 
gattungen, die wiederum in drei Treffen, bei denen sich Lord 
Lisle, der Graf von Northumberland, der Herzog von Bucking- 

♦) Brewr I, 4232, 

**) 1. L I, 4253. Die Thipps mit Ihren Standarten vgl. Sali 538. 
Hierbe^imtdasTagelmchJolmTaylonyClarkdesFariameB^ Brtmer 
I, 4284, womit der sehr atufOhiliche Hall sa vcfig^eicliea ist. Kon aocli 
Fol, Vergü 23. 



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DU Anfänge HtSmriehs VIII, 



187 



ham befanden, gegliedert waren. Die königlichen Garden, 
Reiter, Schützen und sogar Kanoniere, dienten als Be- 
deckung der Capelle, der verschiedenen Zweige des Hof- 
halts, der Aemter des Geheimen Raths. Wie die Bischöfe 
von Winchester und Durham, wie die Ritter Mamey und 
Poynings, so gehörten der Meister Almosenier und Ammo- 
nius, der Secretär für die lateinische und italienische Sprache, 
zu der allernächsten Umgebung des Fürsten. Leibärzte, Mu- 
siker, darunter der berülunte Lautenschläger Peter von Brescia 
(Carmelianus), und alle Arten Pagen und Lakaien bildeten 
die prunkvolle Begleitung.*) Die Einschiffung der Truppen 
und des Trosses erfolgte zu Southampton und Dover auf 
400 Schiffen, da eine Menge Geschütz und Verpflegung zu- 
gfleich hinübergeschafFt werden musste. Die meiste Reiterei 
und starke Fähnlein Landsknechte erwartete man, Dank den 
Bemühungfen der Herzogin Margareta und ihres Vaters, 
drüben anzutreffen. 

Nachdem der König seine Gemahlin zur Regentin ein- 
gesetzt**) « ihr den Lordkanzler Warham und Sir Thomas 
Lovel als Rath beigt^feben und den Grate von Surrey mit 
der Beobachtung Schottlands betraut hatte, b^gab er sich 
zu Dover an Bord, um mit frisdiem Winde überzusetzen. 
Unter dem Donner der Geschütze und dem Schmettern der 
Trompeten, welche mit Spannung von Boulogne aus ver- 
nommen wurde, fuhr eine Flotte einher, „wie Nqitun keine 
je gesehn" und errdchte am 30. Juni jubelnd begrüsst die 
Rhede von Calais. In einem mit Teppichen behangenen 
Boot landete Henrich, der kostbare deutsche Rüstung und 
das Juwel des St. Georgsordens angelegt, und Hess sich, 
ehe er sein Quartier betrat, von der Geistiichkeit in Pro- 
cession in die Kirche des heihgen Nicolaus geleiten, um 
dem Himmel sein Dankopfer darzubringen.***) 

Sofort maclite sich der Krieg bemerkbar. In der kleinen 
beestadt Wissant, die sich seit dem Eintreffen ihrer starken 

*) Das wichtigste Docnment Brewtr 1, 4314, andere Zusammensteilungen, 
die von Wtdiaj aniging«!, 1. 1. 4306— 431 x. N. 4309 endiSlt & Beredmnng 
fBr eine Amee von 26,000 Fosstni^jen. 

*♦) I, 4179- 

•♦♦) John Taylor L c vgl mit Utdl 539. 



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Die Anjdnge Heinrichs VIII. 



Streitkräfte den Eng-ländern hatte ergeben müssen, sollten 
mit dem benachbarten Burg-und verrätherische Anzette- 
lungen stattfinden. Dafür wurde sie von Lord Howiird, der 
mit seinen Schiffen den König begleitet hatte, beschossen 
und beinah zerstört. Doch schämte man sich der grausamen 
That : ein gewaltiger Sturm, welcher in der folgenden Nacht 
dem Geschwader arg zusetzte, wurde als Züchtigung be- 
trachtet. Mittlerweile war Heinrich nicht müssig. Am 3. Juli 
beschwor er in der Marienkirche vor kaiserlichen Vertretern 
die Einigung mit Maximilian. In den Mussestunden schoss 
er mit seinen langen Bognem nach der Scheibe und über- 
bot alle als tüchtigster Schütz. Seit dem 8. wurden mit den 
Abgesandten von Grent und Brügge sowie des Sieur de 
Fiennes, des Statthalters von Flandern, die nöthigsten Ver- 
abredongen wegen Verfl^fung der Annee getroffen.*) Den 
befreundeten Städten zumal mussten gegpa das englische 
Kriegsvolk, dessen Disdplin viel zu wünschen Hess*'*'), doch 
aus kdoiglichem Munde sehr bestmimte Zusicherungen er- 
theilt werden. Welche Schwierigkeiten ein Ueberankommeii 
mit Flandern machte, dessen Herr als Vasall des Königs 
von Frankreich neutral bleiben woUte, erkannte Henrich 
sehr wohl, als er sich wegen der Zufuhr aus Artois dringend 
an den Statthalter wenden musste.***) 

Nichtsdestoweniger wurden auch in dieser Beaehung 
die Wege geebnet, so dass, nachdem am 16. d^ Vortrab 
unter den Lords Lisle, Darcy, Willoughby, Essex 7000 Mann 
Reiter und Fusstruppen vorausgezogen, der König am 21. 
selber mit dem Gros aufbrechen konnte, nunmehr durch 
8000 Deutsche beider Truppengattungen verstärkt, in schwer- 
fälliger Marschordnung unter einem bunten Walde wallender 
Banner. Die Nacht lagerte man bei Calkwell, die Linke 

*) Tvfian Tagelwch beilltigt dorch Fofydor Vergü 33: MaximHianus 
wisit oratores, gut pactionem nuper factam comßetrent : et vieinarmn civi" 

tatum legationes ad Henricum concurrebant , quae ciharia et otnnia alia 
exercitui necessaria pollicitae sunt^ si modo miles a maUßcio manum ab- 
stineret. 

**) Ans BroMd wird geklagt, da« dte EngWnder vor TlmoiiaBne „wtakt 
but Msy their sttMaracekit" (ScUldwadien) und dan die WaHacr tag maio- 

dieren. Spinelly 5. Juli Brewtr I, 4322. 

Sem Brief an Fieones vom 9. LeUrts dt Louis XIJ, IV, 175. 



DU Anfing Hthtriths VI II, 



189 



durch ^en Sumpf, die Rechte durch den Greschützpark 
gedeckt In strömendem Regen beritt der Fürst selber 
gl^ch Heinrich V. vor Aginoourt die Feldwachen, um ihnen 
Muth einzusprechen. 

Aus seinem Zeh hat er Tags darauf*) die wiederholten 
Sendungen erwidert, mit denen sein Schwiegervater, Fer- 
dinand der Katholische, nicht müde wurde, das Unternehmen 
zu hintertreiben. Dieser Fürst nämlich beharrte trotz Er- 
neuerung der Verträge bei der mit Frankreich abgeschlosse- 
nen Waffenruhe. Er machte für eine solche Politik nicht 
nur alle übrii*-en Mächte verantwortlich, deren Beziehungen 
überaus w andelbar blieben, verweigerte seinem Eidam nicht 
nur jede Beihilfe zu Lande und zu Wasser, sondern haschte 
auch nach den elendesten Ausflüchten. In lebensgefährlicher 
Krankheit sei ihm von seinem Beichtvater Enthaltung vom 
Kriege auferlegt worden. Während der lebhafteste Aus- 
tausch mit dem französischen Hofe statt fand, hatte Ferdi- 
nand dem König von England weiss machen wollen, dass 
die Massregeln gegen B^am, wo allerdings die Motive zu 
seinem Systemwechsel zu suchen waren, genügen würden, 
um auch die Vertheidigung der Franzosen in Burgund und 
Artois zu lähmen.**) Vor allem aber liess er nicht ab» 
seitdem im vorigen Jahre eine geiäeinsame Kriegführung 
in Nordspanien aus Verschuldung beider Theile gescheitert 
war, seine geringe Meinung von der Schlagfertigkeit der 
Engländer zu äussern. Der alte Politiker hielt, obwohl der 
Spanier an sich ein besserer Soldat wäre, die Franzosen, 
zumal wenn deutsche Veteranen neben ihnen fochten, &st 
für unwiderstehlich und suchte sich desshalb auch, womög- 
lich für englisches Greld, Landsknechte zu verscfaaffsn. Eng- 
lische Bogenschützen gar wurden, mdnte er, es niemals mit 
den Deutschen aufnehmen können, wenn sie nicht ebenfalls 
tüchtige Fähnlein dieser besten Ihfimterie zur Seite hätten. 
Und wenn e^ nur bei so triftigen Rathschlägen, die Heinrich 
eben jetzt befolgte, sein Bewenden gehabt hätte! Statt 

•) n. r^r^ nrotht CaUfUhr II, N. 125. 

♦*) Vgl. Nummer 104. 105. III. 1x8 bei Bergenroth. 
'*^*) Die pedantische Ausführung in einem langen an Caroz in London 
gerichteten Schreiben, Bergenroth II, 86. 



190 



Die Anfänge Heinriche VIJl» 



dessen schrieb Ferdinand geflissentlich auch seinen Ver- 
tretern bei Papst und Kaiser, die doch derselben Liga an- 
gehörten , dass er nur sehr wenig Vertrauen in die Kräfte 
und selbst den guten Willen der Engländer setzen könnte. *) 
Es war daher sehr bezeichnend, wenn Heinrich VIIL, höchst 
begierig, sich in der Welt einen Namen zu erwecken, ange- 
sichts des ersehnten Zusammenstosses mit den Franzosen, 
den Fürsten, den er so ehrerbietig als V^ater behandelte, 
emstlich noch eininal ersuchte, ihn nicht in Stich zu lassen, 
sondern die Franzosen mit seinen Spaniern direct anzugreifen. 
In den nächsten Tagen freilich drohten weit eher Ferdinands 
Befürchtungen, als Heinrichs sanguinische Hofifoiingen in 
Erfüllung zu gehn. 

Als das Heer nämlich auf seinem Weitennarsch m 
Feindesland am 26. JuH von Ardes angebrochen, auch die 
EdeUeute fortan in voller Rüstung, stürzte eines der schwer- 
sten Gesdiütze, einer der „Zwölf Apostel", in einen Teidi, 
und wurde die Abth^ung, die das Stück fortschafien sollte^ 
von franzosischen Plänklem, die stets auf den Fersen 
Sassen, über^en und zusammengehauen. Das Gros indess 
erreichte am Abend unbdielligt Domham. Als der König* 
am folgenden Morgen, da der Feind heranzukommen schien, 
die Seinen in Schlachtotdnung hatte ausrücken, auch schon 
einige Stücke hatte lösen lassen, entspann sich nur ein 
unbedeutendes Scharmützel, denn um Mittag gelang es 
Sir Rice ap Thomas, der mit seiner Truppe von Therouanne 
herbeigekommen, diti X^erbindung mit den Belagerern her- 
zustellen, so dass, obwohl abermals ein Proviantzug abge- 
fangen wurde, die Armee bei grosser Hitze einige Meilen 
gegen St. Omer weiter marschirte. Mittlerweile war noch 
eines der schweren Geschütze stecken geblieben, das jedoch 
am 29. die Mannschaften des Sir Rice und des Grafen 
Essex in Sicherheit zu bringen vermochten, während das 
erste zwar mit Mühe von den Stücksknechten aus dem 
W^asser gezogen, aber schliesslich doch von den Franzosen 
nach Boulogne aufgebracht wurde. Diese, die überall den 
Nachzüglern zusetzten, einige Mal auch scharf abgewiesen 
wurden, hüteten sich gleichwohl vor einem regelrechten 

*) lUd. N. 106. 11$. 



Die Anfänge Heinrichs VII J. 



191 



Treffen und konnten schliesslich nicht verhindern, dass der 
König- bis zum 3. August, nachdem die Hitze wieder 
in Sturm und Regen umgeschlagen , vor Therouanne 
eintraf und in prächtig mit golddurchwirktem Damast her- 
gerichteten Hütten und Zelten sein Lager bezog.*) Dass 
übrigens die Beschwerden des Feldzugs sich schon ertragen 
Hessen, bezeugte ein namhaftes Mitglied der königlichen 
Kanzlei einem damals in Rom weilenden Freunde, in der 
ausgesproclienen Absicht den fhuizosenfreundlichen Lugen 
zu heg^poßa. Der Schreiber pries die müde Witterung 
und rühmte, dass unter so vielen Menschen keine Seuche 
ausgebrochen, dass die Verpflegung reichlicher und billiger 
sei als zu Hause in Friedenszeit, und die verschiedenen Na- 
tionalitäten, aus denen die Armee zusammengesetzt war, 
sich gut vertrügen.**) Was freilich die mQitärischen An* 
stalten betraf, so urtiidlte ein unbe&ngener Augenzeuge, 
der Haushofineister der Herzogin Margareta, der zur Be- 
grüssung Heinrichs erschien, viel weniger günstig. Er be- 
riditete seiner Herrin, dass Hdnrich dringend die Ankunft 
des Kaisers herbeisehne, um Ordnung zu schaffen, da bis- 
her Alles nur nach dem Kopfe Lord Lisle's und Wolsey's 
geschähe. ♦♦♦) Indess bald genug drängten die Ereignisse 
vorwärts und wurden den Truppen und ihren Führern ernst- 
lichere Aufgaben zu Theil. Vor allem wurde Therouanne 
heftiger beschossen , worauf die Besatzung hinter ihren 
Rasenwällen kräftig antwortete. Ihre Ausfälle hingen noch 
immer mit den Ang-riffen zusammen, welche fast täglich von 
dem umschwärmenden Feinde versucht wurden. Am 10. hatte 
Kaiser Maximilian , dessen FJntreffen über Coblenz und 
Brüssel endlich der bei ihm beglaubigte Sir Robert "W'ing- 
iield mit der Bitte gemeldet hatte, von allen Ceremonien 

*) Taylor bd Brtwtr I, 4286 veii^idien mit dem aelur antfülulicfa ans 
ihnlicben Tagebächem sdidpAiideii Hall S40— 543« 

**) Brian Tuke, scHba regis^ an Richard Face, damals Cardinal Batl^ 
bridge's Secretär, in einem auch weiterhin wecthvfrilen Bericht vom 22. Sep- 
tember bei Brmvn, Calendar II, 316. 

*♦♦) Philippe de Bregilles, 2. Aug., Lettres de Louis XI IV, 189: Je 
vous asseure qu* il y a de bien mauvais ordre »,,le roy desire fort la vetme 
de Pempereur pour mettre ordre ,,,ilyalä deux opim/Uret quigouvement 
tout : le grand §euyer et Pawmmiier, 



192 



Du Anfänge Heinrichs VIIL 



abzusehen, bei Aire die erste Begegnung mit Heinrich, die 
aber wegen des abscheulichen Wetters von kurzer Dauer 
war.*) Der Kaiser, einfach schwarz gekleidet, begrüsste 
sich auf offenem Felde mit dem Könige, der mit zahkeichem 
(refolge in Gold- und Silberstoff funkelnd, hmausgeritten 
war. Am folgenden Tage erschien ein anderer Gast im 
Lager, der Lyon-Herold als Abgesandter Jacobs von Schott- 
land. In stolzem Wappenschmuck überbrachte er Absage 
und Herausforderung seines Herrn. Heinrich erklarte münd- 
lich, dass er nach den bisherigen Erfahrungen nichts An- 
deres erwartet und desshalb unter dem Grafen von Surrey 
alle Vorbereitungen getroffen habe, um dem Friedensbrudi 
gebührend zu beg^^en. Fortan rechnete er den ihm ver- 
schwägerten Schottenkonig nicht mehr zu seinen Verbün- 
deten, sondenx erhob, wie so mancher sdner Ahnen vor 
ihm, den Ah^nruch der Oberlehnsherrlichkdt über dessen 
Rdch. Da der Herold sich weigerte, dne solche Botschaft 
mündlich zu überbringen, wurde Jacobs Schreiben aus Edin- 
burgh vom 26. Juli, das noch dnmal die Streitpunkte einzeln 
aufzählte, am 12. August aus dem Lager' vor Therouanne 
schriftlich beantwortet. Dem nahe verwandten Fürsten, der, 
treubrüchig wie seine Väter und durch Verbindung mit 
Ludwig XII. gleichfalls Schismatiker, die Abwesenheit Hein- 
richs benutzte, um für Frankreich loszuschlagen, wurde das 
Schicksal des Königs von Navarra entgegen gehalten, und 
bei der Entscheidung durch die Waffen Gott und St. Georg 
zu Richtern angerufen.""^*) Da indess für die Vertheidigung 
der Heimath hinreichend vorgesorgt worden, wurde der Fest- 
landskrieg durch den schottischen Zwischenfall kaum berührt. 

Seit dem 12. entwickelte sich ein lebhafter Verkehr mit 
Maximilian, der für einige Tage in einem mit Goldbrocat 
und blauem Sammt bedeckten Zelte Wohnung nahm und 
mit seiner gedrungenen Gestalt, offenem Antlitz, grauem 
Bart und lebhaft zugänglichem Wesen, wie seine B^leiter 

*) Wingfield 6. Aug. ßre-ver I, 4389, dazu Taylors Tagebuch. 
*♦) Der Hergang sammt den Briefen englisch bei Hall 545. 548. Hein* 
* richs Antwort Imtefnisch bei Rywur XIII , 382. Dam Paul Armestorff an 
Maigaicta; ämi UOt rcy tPBm^UUrr* s*Mt ^a«r«r esbajf, emrüm kien 
pourveu en ictlle pari avant ton partement. LtUrts de Louu Xll., IV, 193. 



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I 



DU Ati/änjfe Heinrichs VIII. 

schlicht in schwarze Sölde und Wolle gekleidet, einen sehr 
vortheilhaften Eindruck machte. In Heinrichs Sold trug er 
willig dessen Insignicn , den heiligen Georg mit der Rose. 
Als Kaiser und König am 14. in heiterer Vertraulichkeit, 
als wären sie Vater und Sohn, mit einander tafelten, äusser- 
ten auch fremde Augenzeugen ihre herzliche Freude.*) Tags 
darauf freilich geriethen sich die englischen Bogenschützen 
und die deutschen Landsknechte der Art in die Haare, dass 
auf beiden Seiten eine Anzahl erschlagen wurde, und letz- 
tere gar sich des Greschützes bemächtigten, bis ihre Haupt- 
leute, Maximilian voran, Ordnung schufen. Vor allem aber 
hatte der Kaiser alsbald die mangelhaften Anstalten der 
Engländer durchschaut und im Kriegsrath darauf bestanden, 
dass die Stadt, vor der man lag, völlig umzingelt wurde, 
damit hinfort keine Seele mehr heraus, noch Zufuhr hinein- 
gelangen könnte. 

Auf Rettung Therouannes aber zielte entschieden die 
Kriegführung der Franzosen, die fortfuhren mit starken 
Reitergeschwadern die Landschaft zu durchstreifen, aber 
freilich den gemessenen Befehl hatten, angesichts des mit 
den verschiedenen Truppengattungen und Geschütz wohl 
versehenen Gegners, der Feldschlacht auszuweichen. In 
Amiens , wo Ludwig XII. , an der (xicht kränkelnd , sein 
Hauptquartier hatte, zählte man niuthig die Tage, welche 
die tapfere Stadt schon ausgeharrt und hoflfte, dass sie sich 
noch zwei Monate behaupten würde. Es war bei Hofe wohl 
bekannt, dass der Kaiser, der bis zuletzt in entgegengesetz- 
tem Sinn bearbeitet worden, mit achtzig Pferden in Hein- 
richs Lager eingetroffen war. Nur der Uebelstand , dass 
mit Ausnahme von La Palice und Chevalier Bayard die 
tüchtigsten Kriegsmänner Frankreichs jenseits der Alpen 
im Felde standen, verhinderte ein kräftigeres Vorgehen des 
von den vornehmsten Herren befehligten Nordheeres.**) 
Um so thatiger war der Kaiser, das von den Engländern 

*) Taylors Tagebuch bei Bt t-ver I, p. 625, ein anderer Bericht N. 4431, 
Paul Armestorft , KeUermeister Karls von Burgund an Margareta 1$. Aug. 
1. c. Wozu stets Hall 548 ff. 

Vor allen die ▼enetianischen Depeschen Marco Dandolos und andrer ein- 
geliend über die miHtlrische Lage, 4. 6. Aug. Brumm. U, 268. 269. 2S0. aSi. 
7m11, AiltttM. H. r. 13 



194 



Dit , Anfänge Heinrichs VIII. 



Versäumte nachzuholen, namentlich Therouanne auch vom 
rechten Ufer der hys einzuschliessen*), zu welchem Zweck 
fünf Brücken oberhalb g-eschlaj^^-en wurden. Als nun die 
königliche Armee am i6. Morgens den Fluss überschritt, 
um bei (iuinegate ein Lager zu beziehn, stiess sie auf 8000 
Mann starke feindliche Abtheilungen, welche die Weisung 
hatten, mit ihren leichten Mannschaften Lebensmittel in die 
bedrängrte Stadt zu werfen. 

So war der lang ersehnte Augenblick erschienien; für 
sein Leben gern hatte sich der junge Konig von England 
seinen Reitern voran geradesw^gs in die Schlacht gestürzt, 
wenn die Räthe und der Kaiser es gestattet hätten. Maxi* 
milian, zwar mit dem rothen Kreuze Englands auf der Brust 
und entschlossen nur als des Königs Diener unter dessen 
Standarte zu fechten, während er die eigene zu entfalten 
weigerte**), war doch bd Weitem der schlachtenkundigere. 
Indem er rieth, einen Theil der Truppen dem Feinde in 
Flanke und Rücken zu schicken und die leichteren Feld- 
stücke auf dem benachbarten Hügelrucken au^»flanzen Hess, 
um den Belagerten sammt ihren Befineiem entgegen zu 
wirken, setzte er sich selbst an die Spitze von 2000 Jbfann, 
mit denen er die feindliche Vorhut vor sich hertrieb. Nach- 
mittags um 4 Uhr erfolgte der Zusammenstoss mit dem Gros. 
Als dstöselbe nach langer Anstrengung bei dem Dorfe Bomy 
sich sicher wähnend eben die schweren Schlachtrosse mit 
leichten Pferden und Maulthieren vertauschte, wurde es plötz- 
lich von vorn und im Rücken zugleich angegriffen. Mit 
eingelegten Lanzen sprengten englische, burgundische, 
deutsche Reiter in die dichte Masse, die in wildem Ge- 
tümmel, auch von den Kugeln der Geschütze erreicht, arg 
mitgenommen wurde. In eint^m kurzen, scharfen Gemetzel 
war die Sporenschlacht entschieden , eine bedeutende 
Anzahl vornehmer Herren und tapferer Kitter, als sie noch 



*) [Sempereur cotiinu- es periDuntc de Ui i^ttcrre avecqiies son COnseil 
a trouv^ plusieur grandes dijjicult^s d'assaillir la vüle de Therouannet 
wBhrend die Engländer dnrchans stürmen wollten, Armestorff 1. c. Aehnlich 
Polydor Vergil 23 : censtbat Maximiiianus optimum factu, si rex cum pari* 
copiarum transiret ßumtn etc. 

**) Der Bericht des Aogensengen bei Brewtr I, 4431. 



Dit Anfang* Mnnrichi VII J» 



»95 



über eine Furt durchbrechen wollten, umzingelt und g"e- 
fang-en g-enommrn. *) Darunter befanden sich der jtinge 
Herzog von Longueville, de la Fayette, Bussy, Clermont» 
Bayard und andere Edelleute in kostbarer Rüstungf iidt>st 
sechs Bannerträgern mit ihren Standarten. **) Nur wenigen, 
wie La Palice, gelang es den nachsetzenden Burgundern und 
Engländern zu entkommen. An 3000 Franzosen sollen ge- 
fallen sein. Die Nacht brach' herein, ehe die königli^e 
Aimee wieder in das Lager von Guin^jate zurückkehrte. 
Da überdies ein Versuch von der Westseite einzubrechen 
an der Wachsamkeit des Grrafen von Shrewsbury und des 
Sir Rice ap Thomas und ein letzter verzweifelter Ausfall 
der Besatzung an dem Widerstande Lord Herberts schm- 
terte, so führte der eine heisse Tag in der That die Ent* 
Scheidung herbd. Sobald <fie t^yferen Vertheidiger nicht 
mehr zu leben, sondern selbst ihre Rosse verzehrt hatten, 
meldete der Herr de Pontreray die Uebergabe. Sie wurde 
am 22. gegen Ueberlassung der Stadt und. des Geschützes 
vollzogen. Am nächsten Morgm um 9 Uhr zog die Be- 
satzung, 4000 Mann „solche Leute, wie jeder Fürst zu haben 
•wünschen dürite", mit vollen kriegerischen Khren***) ab. 
Am Ikirtliolumaeustage selber ritten denn Kaiser und König 
in die halbzerschossene Stadt ein. Nur h'tzterem wurde, 
wie Maximilian verlangte, die Triutnphstandarte voraus- 
getragen. Ihm allein überreichte Cfraf Shrewsbury die 
Schlüssel. In d(^r Hauptkirche fand zu Khren der heiligen 
Jungfrau und St. (reorgs ein Dankgottesdienst statt. 

Der König verblieb zunächst im I* eldlager bei Guinegate, 
der Kaiser begab sich nach dem benachbarten vSt. Omer, 
so dass sie täglich mit einander verkehren konnten. Nach 



*) Die beiden Berichte in Veibiiidiiiig mit HaU 550. 551. BapCiste de 
Taads 16. Aug. vnd ftegület 17. Aug., der vx seinem Knmmer in St On^ 
verblieben war, an Mai^reta, LettresVJ^ 195. 196. Die Zahlen in Oandoloft 

beiden Berichten, Brown II, N. 288. 297 sind wenig zuverlässig. 

Englische Liste bei JSrtwerl, N. 4402, eine genauere aus Saunto bei 
Brown II, N. 294. 

***) Estandars ployes, die mit dem Grmfen von Sbrewslmry verabredeten 
Bedingungen Brewer 1, 4460. Die G«achntie wniden Haas Popenruyter som 
NeugttSB nbeigeben. 

13* 



196 



DU Anfänge ücinrichi VI II, 



längerer Besprechung*) kamen sie dem AVunsche des Raths 
von Flandern entsprechend überein, die Stadt aufzugeben, 
aber ihre durch Wall, Graben und Bollwerke starken Be- 
festigungen zu zerstören. Die Arbeit, zu welcher die be- 
nachbarten Ortschaften gern mithalfen, nahm die Zeit bis 
zum 6. September in Anspruch, wurde aber mittels Sprengung 
so gründlich verrichtet, dass Therouanne, auf seine Kirchen 
und wehrlosen Hauser beschränkt, dem gegen Toumai ab- 
ziehenden Heere im Rücken fernerhin keine Gefahr mehr bot. 

Während von fem und nah Glückswünsche einliefen, 
Königin Katharina in zärtlicher Sorge um die Sicherheit 
ihres Gremahls, aber stolz über das Zusammenwhrken mit 
6sm Kaiser, dessen Tochter, die khige Margareta, gewisser- 
massen die Se^ des Bundes, voll Befriedigung nament- 
lich auch über das gute Einvernehmen ihres Vaters mit 
Master Wolsey schrieben**), wurde die Siegesnachricht 
aus Flandern ein Sporn für die Schweizer und Oberdeutsche 
An 30,000 Mann stark unter kaiserliche Fahnen für eng- 
lisches Gdd zogen sie vom Oberrhein her gegen Dijon, so 
dass der Konig von Frankreich, auf den drei Landseiten 
gleichmässig bedrängt, fast seine einzige Hoffiiung auf 
Schottland setzte, das, seit Jahrhunderten den Herrschern 
von Paris eng verbündet, neuerdings sogar für seine Unter- 
thanen die grosse Bevorzugung erhielt, sich in Frankreich 
naturalisiren zu lassen.***) Ludwig XII. selber lag gicht- 
brüchig in Amiens und vertraute, dass, während seine 
Truppen, 2500 Lanzen und 30,000 Mann zu Fuss hinter der 
wohl verwahrten Sommelinie sich nicht wieder im offenen 
Felde abfangen Hessen, La Tremouille schon das obere Bur- 
gund halten, im niederen aber die Liga in sich selber Q-enug 
zu thun hnden würde. Im Hauptquartier ging das Gerücht, 
dass ein schottisches Hilfscorps unverzüglich in der Picardie 
oder Normandie landen solle, f) 

^ JM ioHgam disfutaiumgm Pol. V<er^l 24, £e Einsellieltai in den 
beiden Tagebüchern und bei ffall 552, doch Taylor und Brian Tuke by 
Brnirn II, 316 in SO weit abweichend, als sie auch die Stadt bis auf die 
Kirchen durch die Kaiserlichen verbrennen lassen. 

ßrewerly 4417.4429. ♦**) Burton, Hütory of ScotlandlH,']!. 

t) Bandolos DqMtciieo, deren Zahlen übertrieben, 1. c. und eine Meldung 
von Fknens an Venedig ana SamitOk Bramn n, 308. 



Di* Anfänge Heinrichs VIII. 



197 



Dass Jacob IV. nun freilich trotz seinen grossen Schiffen 
angesichts der überlegenen Seemacht der Engländer nicht 
auf eine überseeische Expedition, sondern auf einen l{infall 
in England sann, war seit Monaten aus seiner gesammten 
Haltung abzunehmen. Bereits am i. April hatte Dr. West 
an Heinrich berichtet, dass seine Schwester, Königin Mar- 
gareta, den Krieg Englands gegen Frankreich mit grosser 
Besorgniss betrachte, König Jacob und seine Käthe dagegen 
seine Anfragen, ob sie mittlerweile Frieden halten würden, 
stets nur ausweichend beantworteten. *) Vierzehn Tage später 
verabschiedete sich der Gesandte in linlithgow und Edin- 
burgh, nachdem er Jacob unausgesetzt mit Flotte und Ge- 
schütz beschäftigt gefunden, nur verächtliche Bemerkungen 
über den Feldzug gegen Frankreich gehört und ein Hand- 
schr^ben in Emp&ng genommen hatte, das neben den alten, 
langst landläufigen Klagen über die Vorenthattung des der 
Königin Margareta von ihrem Vater ausgesetzten Legats 
spottete. •*) 

Heinrich wusste daher was er zu gewartigen hatte, als 
er sich nach Calais mnschifiEte. Mit vollem Vertrauen jedoch 
hatte er den Ghrafen von Surrey als Statthalter in Nord- 
england eingesetzt, der im Juli um dieselbe Zeit auf seinen 

Posten abgegangen war, als sich der T. von -Herold auf den 
"Weg machte, um die Kriegserklärung stniies Herrn nach 
Flandern zu überbringen. Auch Wolsey hatte es an Vor- 
anschlägen für einen Krieg gegen Schottland nicht fehlen 
lassen. Ruthai, der Bischof von Durham, auf dem Wege 
nach Flandern, eilte sofort in seinen bedrohten Sprengel.***) 
Zu dem Aufgebot und den Edelleuten der nördlichen Graf- 
schaften stiessen einitre Trupps Halblanzen und eine Schaar 
weiss und grün gekleideter Bogenschützen. Auch wurde 
das nöthige Geschütz aus dem Tower herbeigeführt, f) 
Königin Katharina nahm mit Begeisterung an den Arbeiten 

♦) Brewer I, 3838, 
**) Breivt-r I, 3882. 3883: ye ma do to youre awin as ye think best^ 
scho sali have no los thereof. 

***) An WoImj, London 4. Ang.» Brewtr I, 4388. 
t) Rcebmmgen fib«r die Zeit vom 4. Angnst bis 27. October Bremer 

I» 4375« 



Die Anjänge Ileinric/u VIII. 



Theil. *) Allein so rasch auch der Anmarsch von Süden, 
so willig der Auszug der Herren und der Landwehren von 
York, Durham und Northumberland , man war nicht zur 
bteile, um den Vorstoss des Gegners rechtzeitig abzufangen. 

Jener Herold aber konnte unmöglich aus dem Lager 
vor Therouimne zurück suin, als König Jacob bereits die 
Grossen seines Reichs mit ihren feudalen, zum Theil auch 
wild hochländischen Gefolgschatten auf dem Boroughmuir 
unter den nördlichen Mauern von Edinburgh verscimmelte 
und sie eilends an die nahe Crrenze führte. Alle Warnungen 
seiner Umgebung* oder des eigenen Gewissens, die vielen 
Heinrich VIL und VIII. feierlich zugeschworenen Verträge 
schlug er in den Wind vor dem dringenden Rufe Ludwigs, 
der jüngst noch einem Schotten den Erzstuhl von Bourges 
zugewandt, und dessen Gemahlin, Königin Anna, die nach 
Zusendung einer klingenden Sunune den Schottenkonig im 
Stil der ZAt zu ihrem Kampen auserkoren hatte. Mit dem 
ritterlichen Sinne dieses Monarchen vertrug es sich gar wohl, 
wenn er in dem dringenden Verlangen, den einen Bundes- 
genossen zu entlasten, dem anderen die Treue brach und 
einen Stoss in dessen Rücken führte. 

So war denn schon An&ng August sein Grosskämmerer 
Alexander Home mit starken Reitergescltwadem in North- 
umberland eingebrochen, Ins Sir William Bulmer, der die 
Marken bewachte, sdne Rditer und Schützen zusammen- 
rafiEte, die Feinde im Ginstergestrüpp von Milfield über- 
raschte und ihnen die Beute wieder abjagte. Der Earl von 
Surrey, bei Pomfret noch mit Zusammenstellung seines Heers 
beschäftigt, liess sich in der iVnnahnic, dass man es nur mit 
einem der vielen alljährlichen ,,Raids" zii thun habe, von 
Lord Dacre bestimmen, die Schritte König Jacobs selber 
abzuwarten.**) Der zauderte aber nicht länger, sondern 
betrat am 22. August***) mit fliegenden Fahnen, wenn auch 
schwerlich mit 100,000 Mann, wie die Chroniken über- 

*) My haart is very good to it and l am horribly busy with making 
Standards, banners and badg^ss. Ab Wolsey 13. Aug. Ellü^ Original 
LstUrs I, X. 82. 

♦*) Hall 556. 

***) Nach Brian Take bei Brown II, 316 am Vocabend von Bartholomaeo». 



Anfänge Itnttricks VIII. 



199 



treiben, das englische Gebiet und Hess alsbald die Burg 
Norham bereonen, deren Befdalsbabw sich getraute, sie bis 
zum Eintreffen König Heinrichs vertheidigen zu wollen. 
Nun stand aber freilich im Schottenheer, als es am Südufer 
des Tweed lagerte, nic^t Alles nach Wunsch. Eine Anzahl 
Barone waren mit der kecken Unternehmung des Königs 
wenig einverstanden. Der auf ihm lastentle Bann der Kirche, 
so wie die Sprache, welche England führte, erweckten un- 
heimliche Ahnung. Durch ein in Feindesland abgehaltenes 
Parlament musste, ganz ungebräuchlich schon vor einem 
Treffen, zum Statut erhoben werden, dass Erben von Ge- 
fallenen ihr Lehen frei von Relevien und anderen Feudal- 
gefällen sollten antreten dürfen. *) Jedoch in einer Woche 
wurden die Mauern von Norham gebrochen, und das Schloss 
zum grossen Kummer seines Herrn, des Bischofs von Dur- 
ham, bis auf den Mittelthurm zerstört. Nachdem auch das 
kleine Werk bezwungen, wollte man sich gar an Berwick 
machen. Da Hess sich Jacob a«f Schloss Ford, wie es hiess, 
durch die Reize der Besitzerin fesseln» worüber denn ein 
Theil seiner Eeute in den öden, ausgeplünderten Strichen 
bereits zu verlaufen begann. Als nun die Englander, durch 
den Jammer der völlig ausgeraubten Grrenzbevölkerung 
angespcnmt, in Eilmarschen heranzogen, schien es g^rathen, 
' das Heer, das an die 60,000 Mann betragen haben mag, weiter 
Strom auf in dem Winkel, wo der Till in tiefem Felsenbett 
rechts in den Tweed fallt, in starke Stellimg zu lagern. 

Surrey aber war von York her über Durham, wo nach 
altem Brauch das Banner St Cuthberts zum «Heer stiess, 
und Newcasde am 3. September bei starkem Wind und 
Regen bis Alnwick herangekommen. **) Sein tapferer Sohn 
LcMrd Thomas Howard, der Admiral, der mit 1000 Mann die 
zur Seite folgenden Schiffe verlassen, stiess zum Vater und 
stellte dem Könige Jacob eine besondere Herausforderung 
zu ; dieser prahlte an ihm den Tod Andrew Bartons rächen 
zu wollen.***) Feierlich gelobte Lord ihomas, sich nicht 

*) BescUuss Ton TwesUbanch vom 24. August, Acta JParUam. Scct^ 
n, 378. Dazu TytUr, Hütory of Seotland IV, 73 vsd Burton III, 75. 

*♦) Hall 557. 

***) Ausführlich in dem lehrreichen Bericht Brian Tukes. 



200 



Die Anfänge Heinrichs VIII, 



lebend überwinden zu lassen, aber auch keinen P^irdon zu 
geben, und gälte es dem König selber. An demselben Tage 
wurden durch Vollmachten für Sir Thomas Lovel acht mitt- 
lere (xrafschaften in die Waffen gerufen, und dem Verthei- 
digungskriege überhaupt der nöthige Nachdruck gegeben.*) 
Im Vertrauen auf seine Streitkräfte, die in dem kriegs- 
tüchtigen nordenglischen Adel der Dacre, Clifford, Scroop, 
Latimer, Percy u. a. m. ihren eigentlichen Zusammenschluss 
gewonnen und sich in Vortrab, Centrum und Nachtrab mit ent- 
sprechenden Flügeln ordneten, hatte Surrey durch den Rouge 
Croix-Herold den Gegner zum Freitag* den g. herausfordern 
lassen tmd dieser durch Islay seine freudige Bereitwilligkeit 
kund gegeben. Am 7. schrieb der Graf selber aus dem Lager 
bei Wollerhaugh an Jacob und beschwerte sich, dass der- 
selbe nichtsdestoweniger wie in einer Festung verharre» statt 
in die £bene herabzusteigen. Er lud ihn ein; ihn am Freiti^ 
den 9., denn der 8. war Marientag*, zwischen 9 und 3 Uhr 
auf der schottischen Seite von Milfield mit seinem Heere 
zu erwarte. Gegen schriftliche Bescheinigung des Empfangs 
warnte er den Konig, der sich in seinem Stolze von einem 
Earl nichts wollte vorschrdben lassen, dass er die ehrenhafte 
Entscheidung durch die Waffen nicht langer hinzögere.**) 
Hierüber sollte es denn in der That zum blutigen Waffisn- 
g^ge kommen. 

Die Englander hatten zwischen Berg und Thal den 
oberen Lauf des Till erreicht und lagerten die letzte Nacht 
am rechten Ufer durch den Forst des Barmervvood gedeckt, 
kaum eine "halbe Meile vom Feinde, der alle Behausung 
ringsum verbrannt und sich auf seiner Höhe stark verschanzt 
hatte. Sobald der Morgen graute, setzte sich Lord Howard 
in Bewegung. Um r i Uhr hatte er bei Twiselbrigg unfern 
der Voreinigung mit dem Tweed, sein Vater weiter strom- 
auf bei Milford den Till überschritten. Ihre beiden Treffen 
mit je zwei Flügeln i^f wannen nicht nur Raum für eine ein- 
zige Linie, sondern schoben sich jetzt mit der Front gen 
Süden dem Feinde in den Rücken. Auf der äussersten 

*) Rymtr XIH, 374. 375. 

**) Ellis^ Original Letters I, i. 86» auch von Take gekannt. Sebr an»* 
fülurlich aber die Sendongen von hüben and drüben Sali 1. c. 



Di* Anfange Heinrich* VII J, 



201 



Rechten stand Sir Edward Howard mit dem Auszuge von 
Cheshire und Lancashire, Dann folgte sein Bruder Lord 
Thomas, der ausser den (Kapitänen und Mannschaften der 
flotte über eine Anzahl der nordenghschen Lords, insonder- 
heit über die Vassailen des Fürstbischofs von Durham, über 
das Banner St. Cuthberts unter Sir William Bulmer zu ver- 
fügen hatte. Sein linker Flüg-el, die Mannschaft des Herzog- 
thunts Lancaster, stand unter Sir Marmaduke Constable. 
Daran schloss sich das Treffen Surreys, vorzüglich Ritter- 
schaft und Auszug von York, der rechte Flügel, meist Rei- 
terei unter Lord Dacre, der linke äusserste unter Sir Edward 
Stanley. Noch aber harrten sie stundenlang hungernd und 
durstend auf dem Felde von Brankstone, nach wetehem 
en^lischerseits auch die Schlacht genannt wurde. Denn 
unbegreiflich, eben so lange hatte der Schottenkönig sie 
unb^indert gewähren lassen und selbst fussfälligen Auf- 
f<»derungen ergrauter Krieger, den Feind doch wahrend 
jener gewagten Bewegung anzugreifen, ein taubes Ohr ge- 
liehen. Zuletzt ergriff ihn doch selber die Besorgniss, dass 
Rückweg und Verpflegung abgeschnitten werden könnten. 
Auf den Rath seines bösen Genius, des leidenschaftlichen 
Bischofs von Moray*), nahm er bereits zu übler Stunde die 
Herausforderung an. Nachdem er sein Lager angezündet 
hatte, in der Hoffnung, der Rauch werde dem Feinde in's 
Gesicht schlage-n und ihn an Besetzung der noch zwischen 
ihnen liegenden Hochfläche von Floddon behindern, eilte er 
seine weit überleiifenen SchaartMi in fünf Gewalthaufen neben 
einander in Bogenschussweite aufzustellen. Kaum war er 
jedoch damit fertig, da drangen auch schon die Engländer 
— es war 4 Uhr Nachmittags — über die sumpfige Niede- 
rung bergan, während die Artillerie beider Theile von den 
Höhen dazwischen schoss und eine der ersten Steinkugeln 
den schottischen Stückmeister tödtete. 

Den Feind zu werfen, stürzte sich der Genvalthaufe 
unter den Grafen Huntley, Errolf, Crawfurd, welcher dem 
Feinde am nächsten war**), in guter Ordnung, „nach Art der 

*) So Ruthall an Wolsey, Brewer I, 4462. Ueber die Uneinigkeit im 
sdiottivclMii Heere Buehanan, 

**) Hall nennt nur Cravfiird vnd Montroee. 



202 



DU Anfänge Heinrichs VIII. 



Deutschen in festgeschlossener I^nzenschaar und ohne ein 
Wort zu sprechen", 6000 ^lann stark muthig vorwärts. Der 
Zusammenstoss war furchtbar. Aber Lord Thomas hielt ihn 
aus. Eine grosse Anzahl der Schotten wurde erschlagen. 
Der Ungestüm der Hochländer, Campbeils, Macleans. Mac- 
leods unter den Grafen von Lennox und Argyle, die in alt- 
keltischer Weise tollkühn heranstümiten , wurde von vorn- 
herein zu Schanden. Vergebens suchte La Motte mit seinen 
Franzosen unter diesen Naturkriegem die Ordnung herzu- 
stellen. Nur auf der äussersten Rechten, die bei der Schwen- 
kung auch wohl die schwierigste Aufgabe hatte, kam Sir 
Edmünd Howard durch den tapferen Alexander Home, den 
Lordkammerherm, in arges Gedränge. Zwei seiner Ritter 
wurden erschlagen, zwei geßuigen genommen. Bas Auf- 
gebot von ehester wandte dchunilihmlich zur Flucfat Schon 
war er selber dreimal niedergeworfen, als Lord Dacre mit 
seinen Reitern herbeiflog, ihn heraushieb und den feind- 
lichen Einbruch zurückwies.*) 

Zur selben Zeit war aber auch das Haiq>ttrefifen aufs 
heftigste angegriffien worden. Jacob IV., obwohl er von 
klein auf sich rastlos mit kriegerischen Dingen zu schaffen 
gemacht, war nicht Fdidherr, sondern Rittersmann. Kaimi 
sah er die Leute Edmund Howards wanken, so sprang er 
vom Pferde und warf sich taub gegen alle Vorstellungen 
der Seinigen mitten in das Getümmel. Viel zu stolz, dem 
Admiral zu willfahren, wollte er nur mit dem vornehmsten 
( regner schlagen und drang also geradeswegs auf Surrey 
ein. In ritterlicher Treue, obschon vielfach anderen wSinns. 
folgte ihm die Menge der edelsten Herren. Alle fochten 
zu Fuss, wie die dichten Reihen von Lanzen und Helle- 
barden hinter ihnen. Diese langen, sehnigen Gesellen ach- 
teten der Pfeile nicht, während die vSteinkugeln aus den 
eigenen Karthaunen unschädlich über die Köpfe hinsausten. 
Es war ein fürchterliches Handgemenge, in welchem die 
Geschosse verstummten, und ein jeder nun mit der Hand- 
waffe den Gegner zu tödten, nicht zu ergreifen trachtete. 
Bis unter das grosse Banner Surreys wogte eine Weile das 



*) Brief Daeret bei FinkerUm H, 460. 



Dü Anfänge Heinrichs VI Ii. 



2D3 



blutige Getümmel, in unmittelbarer Nähe desselben wurden die 
Lords Maxwell, Herries und viele andere erschlagen. vSchon 
aber konnten der Admiral und Lord Dacre dem Centrum 
beispringen, während der linke Flügel unter Sir Edward 
Stanley, nachdem er den Hügel erstiegen, sich sofort gegen 
die Flanke der Schotten gewendet hatte. Es glückte diesem 
tapferen Führer, nicht nur den Flüchtigen desjenigen Gewalt- 
haufens, welcher zuerst angegriffen, den Weg zu verlegen, 
sondern auch die Truppen des Königs der Art zu packen, 
dass in dem wilden Gremetzel, da Niemand Pardon gab und 
nahm, ein Entrinnen unmöglich und die Blüthe des schotti- 
schen Adels rings um seinen König und dessen Banner ge- 
tödtet wurde. Als nach dreistündigem Kampfe die Nacht 
herembrach, standen zwar zwei schottische Schlachthaufen 
£ist noch unberührt Da aber das Feld verloren, dankten 
sie es alldn der Dunkelheit, dass sie der (jefehr umzingelt 
zu werden sich entzi^en konnten. Auch der Lordkammer- 
herr mit seinen Grenzern hatte sich davon gemacht. Es 
fidilte hinterdrein nicht an solchen, die ihm die Schuld am 
Untergange des Königs beimassen. 

Erst am folgenden Morgan gewahrte der Sieger, wel- 
chen ungeheueren Erfolg er errungen. Der grosse Geschütz- 
park Jacobs stand auf der Höhe völlig verlassen. i{ine feind- 
liche Abllieilung, die ihn zu decken suchte, wurde, noch ehe 
der Adn^iral als Schirm vogt der Walstatt herankam, durch 
einige Schüsse auseinander getrieben. Man fand ausser 
Kanonen kleineren Kalibers siebenzehn grosse Stücke, diir- 
unter namentlich die sieben Schwestern von unverg-leich- 
licher Arbeit. Sämmtliches Geschütz, auch das englische, 
wurde unverzüg-lich durch Lord Dacre nach Schloss l^tall 
in Sicherheit gebracht. Graf Surrey Hess, nachdem 1 edeura 
gesungen und Victoria geschossen worden, vom Schlacht- 
feld auflesen, was sich vorfand; doch war das feindliche 
Lager über Nacht bereits völlig ausgeplündert und die Masse 
der erschlagenen Rittersleute ihrer Waffen und Kleider 
beraubt worden. So geschah es denn auch, dass erst am 
zweitfolgenden Tage der Körper des Schottenkönigs, der 
im dichtesten Getümmel verschwunden war, aufgefunden 
wurde. Nackt, mit einer todtlichen Pfeilwunde im Nacken 



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204 



Die Anfänge Heinrichs VJII, 



und von einer Streitaxt an der Hand schwer verletzt, wurde 
er von Lord Dacre und, ehe man ihn in Berwick einbalsa- 
mirte, von zwei seiner eigfenen Leute, die sich unter den 
wenigen Gefangenen befanden, mit Sicherheit erkannt. Die 
eigenthümUchen Umstände freilich und die Thatsache, dass 
mehrere seiner Begleiter gleiche Waffenröcke getragen, 
nährten unter seinem Volke noch länger die Sage, der ge- 
liebte König sei entkommen und nur auf der Wallfahrt nach 
Jerusalem begriffen. Die Engländer dagegen, dmen Ueber- 
bleibsel genug in die Hände gefallen, frohlockten: „das war 
das Ende Jacobs, des Königs der Schotten, des falschesten 
von allen."*) 

Unter denen, die fSr ihn starben, befiuiden sich sdn 
naturlicher Sohn, der Erzbischof von St Andrews, &rL Schaler 
des Erasmus, zwei Bischöfe, zwei Aebte, die 13 Earls von 
Montrose, Crawfurd, Argyle, Lennox, Glencaim, Catthness, 
Casillis, Bothwell, Errol, Athole, Morton, Huntley, Rothes, 
15 Lords und Qaiihäupter und eine ungezählte Menge Lairds 
und kläner Leute, so dass wenige ffiuser und Hütten 
von Trauer verschont und der thranenrdche Tag den spiU 
testen Gresdüechtem unvergessen geblieben ist Von den 
60,000, die unter den Fahnen gestanden, lagen mindestens 
10,000 erschlagen, während nur äusserst wenige in Gefangen- 
schaft fielen. 

Dass die Engländer, wie ihre Berichte fast überein- 
stimmend lauten, nur 400 Mann und darunter nur einen 
Edelmann verloren haben sollten, klingt unglaublich. Eine 
Relation wenigstens**) nennt zwei gefallene und zwei ge- 
fangene Herren. Andere sprechen von looo und 1500 Ge- 
fallenen.***) Viel sicherer ist die Nachricht, dass sie mit 
ungefähr 26,000 Mann im Gefecht standen, denen aber Ver- 
stärkungen auf dem 1 usse folgten, so dass sie bis an 40,000 
Mann zur Verfügung hatten. Weiter rückwärts hielt vSir 
Thomas Level mit 15,000 Mann bei Nottingham und hatte 

*) Et hic est Jinis Jacobi dudum Scotorutn regis prae ceteris /alsis* 
stmi, im Bericht Brian Xukes. 

♦•) Staig Papers IV, i. Brewer I, 4441. 

Radial an Wolsey, Brewer 1, 4462. P0I. Verg, 38: ctciitre gitüi>- 
deeim müUa Mcmimm, guomm pars tertia ex JngUs fuit. 



Die Anfänge Heinrichs VIII, 



205 



König-in Katharina selber bereits London an der Spitze von 
weiteren 40,000 verlassen. Surrey aber verdankte seinen 
Sieg den strategisch viel besseren und erfolgreich ausge- 
führten Dispositionen seiner Befehlshaber, dem kräftigen 
Einwirken seines Geschützes und der zweckmässigen Ver- 
wendung der für den Nahkampf bestimmten Waffen. Er 
hatte ihn nicht weiter verfolgt, da mit dem Urheber des 
Kriegs der feindliche Einbruch zu Schanden geworden, der 
kleine Thronerbe aber ein Neffe König Heinrichs war. An- 
gesichts der tiefen Erschütterung des Reichs, in welcher 
freilich auch fernerhin der französische Bund die Tudor- 
PoUtik überwog, konnte das englische Heer entlassen werden. 
Nur die Grenzhut von hüben und drüben setzte in verhee- 
renden Einbrüchen das alte Frfidewesen fort Vor allem 
aber lag die Entscheidung nicht am Tweed, sondern in dem 
zwischen der Liga und Ludwig XIL noch nicht ausgetra- 
genen Gregensatz. 

Surrey begab sich demnach auch alsbald zur Königin 
Katharina, um ihr die Trophäen zu überbringen, den ent- 
seelten in Blei gehüllten h&b Jacobs und seinen zerrissenen, 
blutgetränkten WaflFenrock, dar wieder aufgefunden.") Die 
Königin Hess denselben durch einen eigenen Boten mit 
näheren Nachrichten über die Schlacht bei P'loddon in das 
Feldlager nach Mandern überbringen und sclirieb da/.u dem 
Gemahl am 16. September aus der Abtei Woburne auf der 
Pilgerfahrt zur Lieben Prau von Walsingham: „Ich halte 
mein Versprechen, indem ich für Eure Banner eines Königs 
Rock sende. Ich hätte ihn gern selbst gesandt, aber die 
Herzen unserer Engländer duldeten es nicht. Es wäre ihm 
besser gewesen, Friede zu halten, als solchen Lohn zu haben. 
Doch Alles was (jott schickt ist zum Besten." In ihrem 
Briefe an Wolsey hiess es: „Das Ganze ist so wunderbar, 
dass es nur Gottes Werk sein kann. Ich vertraue, dass der 
König nicht vergisst, ihm dafür zu danken, wie hier das 

*) Lacerata paludamenta regis Scotorum huc missa fuerunt , tincta 
tangmne et variegata more nostro, Brian Tuke. Au£ der Beute erhielt auch 
Enumni von Bischof Rtlthal 10 Kronen, wie er an Ammoniiu sclureibt, 
Spp, Vm, 31 a6. Nov.» in den Antgahen inig unter 151t cf. Brtmtr 
It 457«. 



2o6 ^ Änf&ngt HHmrieht VIJJ, 



ganze Reich gethan hat."*) Derselbe Bote hatte ein merk- 
würdiges Document zu überbringen, das in der Tasche 
eines der ge^enen schottischen Grossen gefunden worden. 
Nach dem Wortlaut desselben hatte der König von Frank- 
reich im Hafen von Dunbar zwei Schiffe landen lassen, 
welche Jacob 25,000 (xoldkronen und 40 Wag-enladung^en 
Pulver, zwei Kanonen, 1000 Handgfewehre verschiedenen 
Calibers nebst Munition, 6000 Speere, 6000 Handkolben und 
andere Waffen in Menge zuführten. Ein französischer Ritter 
— La Motte war unter den (xebliebenen - war mit 50 (ie- 
harnischten und 40 liauptleuten eincfetroffen.**) Die ge- 
sammte Zufuhr wurde in der gewaltigen Niederlage zu 
Schanden. Die Kunde von derselben konnte die Verbün- 
deten in Flandern nur zu weiteren Thaten begeistern und 
eine Aenderung der allgemeinen Lage herbeiführen helfen. 

Der König von England war denn auch» seitdem er mit 
seiner Armee am 6. September von Guinegate aufgebrochen» 
nicht müssig gewesen. Viel eher gegen, als nach dem 
Wunsche Maximilians, dem Alles daran lag, in Frankreich 
einzu&llen, entfernte er sich von dessen Grrenzen und rich- 
tete seinen Marsdi nach Osten gegen Toumai, eine Stadt, 
die zwar der Grafechaft Flandern angehörte, aber, wie die 
freien Städte im Reich unter dem Kaiser standen, dem 
Könige von Frankreich gehuldigt hatte. Es war, als ob 
Henrich, der doch nicht aus denselben Ursachen, wie der 
Kaiser oder Ferdinand von Aragon mit Frankreich Kri^ 



♦) Die beiden Briefe bei EUiSt Original Letters \i i. ^8. 89. Brewer 
I| 445»- 4452« 

Gleichtdrige Berielite Sber die ScUacht bei Floddon aind nur von 
engliMher Seite vorlumden. Es and die folgenden: i) The BotayU ofFloidmt^ 
Feldtf ctklled Brainston Moare, wietler abgedruckt von Pitcaim und aus» 
gesogen von Tytler, Hist. of Scotland \W, 435." 2) Der französiscli u'^^cbrie- 
bene Bericht im Heroldsamt, Statepapers W, l, Brewer I, 4441; 31 Bi^cliof 
Ruthals zwei Schreiben an Wolscy, Brewer I, 4461. 4462; 4) Die Mitthei- 
lungen Brian iukes aus Heinrichs Feldlager, die aus denselben Quellen 
Mihj^n; 5) Die wufnliriicke BniUnng Hallt 560—564, die «hwifal!« enf 
diieöben heraldisdien nnd ndfitSiisdien Angaben berobt Die Uebetein^ 
stimmiiBg ist UaX allgemein, nnr dass die eine Quelle diese, die andere jene 
Einzelheiten hervorhebt. Auf schottiacber Seile ist hocbstens die qpitere £r> 
innemng bei Buchanan charakterisdsdi. 



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Die Anfänge Heinrichs Vlil. 



207 



führte, in Erinnerung- an die Eroberung" von Calais durch 
Eduard III., die Campagne mit Einnahme einer flandrischen 
Stadt am besten glaubte abschliessen zu können. Während 
das Heer in der Nähe Halt machte, begab er sich am 12. 
zunächst nach Lille, um die Herzogin Margareta und den 
jungen Prinzen von Castilien zu begrüssen. Der Adel und 
die Kaufmannschaft von Flandern, Brabant und Holland 
waren dazu in Scharen herbeigeeilt. Die Bürger hatten ihre 
Häuser mit bilderreichen Tapeten bedeckt und standen zu 
b^den Seiten der Strasse trotz hellem Tageslicht mit lodern- 
den Fackeln in den Händen. Junge Mädchen hielten dem 
fremden Fürsten, als er vom Pfalzgrafen eingeholt daher- 
ritt, Kränze und Guirlanden entgegnen, und Verbrecher warfen 
sich vor ihm auf die Knie» seine Fürsprache zu erflehen. 
Ja, selbst die Schlüssel der Stadt wurden ihm ehrerbietig 
dargebracht, deren Annahme er jedoch verweigerte, wie er 
aus Ergebenheit für den Kaiser, der ihm dnen gemasteten 
Ochsen zum Geschenk machte, Schwert und Scepter, die 
man ihm voraustrug, herab nehmen hiess. Der Empfiang, 
den ilun Maximilian, seine Tochter und sdn Enkel berei- 
teten, konnte nicht herzlicher sein. In ihrer GreseUschaflt 
rastete er drd Tage vom Feldzug, die denn neben allerhand 
Kurzweil*) auch zu Besprechung der politischen und mili- 
tärischen Lage verwendet wurden.**) Das Heer aber, das 
bereits von Lebensgefahr munkelte, der sich der König 
aussetzte, war froh, als er, im dichten Nebel fast den Weg 
verlierend, wieder im Lager eintraf und am 1 5. auf Xoumai 
weiter zog. 

Beim Herannahen der fremden Armee war die Land- 
bevölkerung in die Stadt getiohen, die dem Bunde mit Ludwig 
von Frankreich treu und stolz (als ,,la pucelle sans reproche", 
wie über ihren Thoren geschrieben stand) Widerstand zu 
leisten entschlossen war. Die Vorstädte wurden nieder- 
gebrannt und von den wohl versorgten Wällen und Bastionen 
das G^chütz auf den Feind gerichtet. Nachdem daher die 

*) Er Hess sich vor den Damen auf drei verschiedenen Instrumenten 
hören. Der Henog von Femra an die Sagnoria von Venedig, Broum II, 338. 

**) Ueber die ante Znsamm«ikiiaft in Lille iSTo// 553, Taylors Bericht 
bei Brewer 1» 4284 and Brian Tnkes bei Brmm II, 316. 



208 



Die Anfänge Heinrichs \ ill. 



Parlamentaire , die zur Uebergabe aufgefordert , unverrich- 
teter vSache heimgekehrt waren , schickten sich Engländer 
und Deutsche — denn auch Kaiser und Pfalzgraf waren 
wieder dabei abermals zu einer Belagerung an. König 
J [einrieb, der in Ork, einem der Vororte, Quartier genommen, 
recognoscirte , während das Geschütz herangefahren wurde 
und seine Heeresabtheilungen aufmarschirten , den statt- 
lichen, durch die Flüchtigen stark bevölkerten Ort in un- 
mittelbarer Nähe. Als die Bürg'er einen Ausfall wagten, 
wurden sie von den Bognern zurückgetrieben, und ihnen 
sofort ein Thor entrissen. In den nächsten Tagen hatten 
freilich wiederholt Verhandlungen statt, doch spielte von 
beiden Seiten auch das Geschütz und, wie sich bald zeigte, 
waren die von Lille herbeigeschafiten Zwölf Apostel der 
Festung entschieden überlegen. Die Englander nandich, 
denen die Umgegend zwar die Hülle und Fülle zu leben 
bot und die sich hinter ihren Laufgräben geradezu hauslich 
einrichteten, wünschten sich rasch imd dauernd der reichen 
Stadt zu bemächtigen. Schon berechneten sie, welchen 
Nutzen (üeselbe mit ihren Teppich- und Damastfabnken 
und als Lager von Burgunder und Rh^weinen dem hä- 
mischen Bedarf bringen würde. Ersatz durch die Franzosen, 
die hinter der Somme halten blieben, war schlechtei^ling^ 
nicht zu befürchten.*) 

Die ersten Anstalten zu einem wirksamen Sturm waren 
kaum getroffen, als der Bote mit dem Stahlhandschuh und 
den Briefen des Earl vou Surrey anlangte, welche den 
grossen Sieg am Tweed meldeten. Am i6. loderten im 
]>ager die Freudenfeuer; am 17. wwde unter einem der 
prachtvollen (Toldtuchzelte des Königs ein Dankgottesdienst 
gefeiert. Natürlich verwerthete man die stolze Kunde nach 
Kräften in den \''erhandlungen , um welche die Belagerten 
täglich nachsuchten. Am 21. endlich, als eben ein zweiter 
Bote mit jenen Schreiben der Katharina und mit Jacobs 
blutgetränktem Grewande eingetroffen war, hatte nach mehr- 
tägiger Beschiessung das schwere Geschütz, das von Lille 

*) Ymr allen Brian Tnke aus dem Lager vom 23. September, verglichen 
mit Taylor nnd Hall, in deasen Abdrndc leider die tagebnchaitigen Daten 
durchweg irrChnmlich, vidldclit eher verlesen als ^msduieben sind. 



Du Anfänge Heinrichs VIII. 



herbeigeschafft worden, Bresche gelegt, so dass angesichts 
der Erstürmung Stadtrath und Bürgerschaft gegen Zu- 
sicherung ihrer alten Privilegien dem Könige von England 
und seinen Erben die Uebergabe anboten. Sie fanden gnä- 
dige Aufnahme und vollzogen, nachdem auch der Kaiser 
zu Gunsten des allerchristlichsten Königs" auf seine An- 
sprudie verzichtet hatte, ihre Unterwerfung. Gr^en ein- 
malige Zahhrng von 100,000 Ducaten und 10,000 jährlich 
ausser den schuldigen Regalien*) ging Tournai an den 
neuen Landesherm über. Nachdem Lord Lisle mit 6000 
Mann die Stadt besetzt und Thomas Wolsey von Jung imd 
Alt, von 70,000 Köpfen, wie es hiess, den Treueid entgegen- 
genommen hatte^ ist Heinrich Vm. am Sonntag den 25. mit 
dem blanken Schwerte vor sich« dem die Herolde, Trom- 
peter und Musikanten vorausschritten, durch die Porte 
Sainte Fontaine in seiner Eigensdiaft als König von Frank- 
reich und Fi^land in die von ihm eroberte Stadt einge- 
zogen. Vier der ersten Bürger trugen über ihm dnen mit 
allen Emblemen der englische Krone geschmückten Bal- 
dachin. Ja, selbst die städtischen Pferde und Maulthiere 
waren bereits mit den neuen Wappen behängt Im Strahl 
der Wadiskerzett beschritt der Konig die Kathedrale, wo er 
nach dem Hochamt eine grosse Anzahl seiner Krieg^führer 
zu Rittern schlug. Nach dem Mittagsmahl, in einer Dom- 
curie, wo der Fürst abgestiegen, erfolgte dann auf dem 
Marktplatz die allgemeine Huldigung, bei der das Volk 
Vive le roi ! rief. Am zweitfolgenden Abend wurden Maxi- 
milian und Margareta, die Herren zu Ross, die Damen in 
Wagen, bei Fackellicht eingeholt und in ihre Herbergen 
geleitet.**) Nicht nur zu Festspielen, zu denen Heinrich 
eingeladen, waren sie erschienen. 

Was erstere betrifft, zumal nachdem auch der Prinz 
von Castilien sich eingefunden, so gipfelten sie in einem 
prachtvollen Turnier, zu welchem der junge König und sein 

*) So Brian Tiike. Polydor Vergil 25 dagegen: in annos singulos 
itfia eoronatorum miüiai ac in praesentia quinquaginta millia. 

**) Taylor, der tuk vSlUg mit Hait 566 ftiiBmt. Dun dto franaSsiacli 
CeKhikbeBe Besdmilnnf des Einngs, Arekatoiogia XXVII, 358 und Brtmtr 
I, 4467 sowie das Vetsdclniiss der nenen Ritter ibid* 44^« 



210 



Du Anfänge Heinrichs VIII» 



Busenfreund, Lord Lisle, jedermann herausgfdbrdert. Aber 
nicht nur im Lanzenstechen, auch bei Tafel und Tanz fesseltis 
Heinrich aller Augen, wie durch seinen Reichthum so durch 
Gewandtheit und Kraft. Ueber das Verhältniss zu Maxi- 
milian dagegen zogen bereits wieder XVolken auf. Da jenes 
Schweizerheer zwar Dijon berannt, aber am 13. September 
mit La Tremouille sich verglichen und gegen Verzicht 
Ludwigs XIL auf die Lombardei und 400,000 Thaler Bur- 
gund seinem Schicksal überlassen hatte, versuchte der Kaiser 
noch einmal, den Engländer mit sich gegen Frankreich fot* 
jEureissen. Vergeblich, denn durch die Schwenkung* geg<en 
Touniai hatte Heinrich schon hinreichend kund gegeben, 
dass er sich auf fem aussehende Unternehmungen, wie etwa 
die Rückeroberung' der Normandie, nicht einlassen würde. 
Mit Kriegslorbeern geschmückt, folgte er weisem Rath und 
hielt an sich, indem dadurdi am kachtesten auch König' 
Ludwig «um Nachgeben bewogen werden könnte. Nur der 
idealen Ursache, aus der er zum Schwerte gegiifien, 
dem Schute der Kirche wider Vergewaltigfungf, huld^fte er 
au£^ femer.*) Maximilian empfahl sich daher zu Ende des 
Monats imd 20g reich beschenkt an den Rhein und weiter 
gen Osten, ohne dass das Subsidiengeschäft, in welches er 
sidi eingelassen, zu beiderseitiger Befriedigung abgewickelt 
worden wäre. In dier Hauptsache hatte er indess allen Grund 
zu frdhkx^ken, denn wie am Tweed und an der Scheide die 
Anschl%e des franzodachen Systems gescheitert waren, so 
unterlag es vollends in Italien, nachdem die Verbündeten 
am 7. October angesichts der Lagunen über die Venetianer 
Sieger geblieben waren. 

Allein auch ohne ihn gab es in Toumai, das während 
des mehrtägigen Aufenthalts der fremden Gäste zu einem 
Brennpunkt der Entscheidung wurde, politische Arbeit genug. 



*) Nie Maxinuliant4S cum reife de toto belli ne^otio agere coepity 
qui vtdens res Uallicas tarn aperte Longe inßrmissimas esse, plurimum 
kcrMaiur JStmHetm md sggmmäcm victorüm. CwUra Henricm iuvenis 
quieto in^änU, qm mm jwm, std Rommmi ponHfitü imuria* vimiieamdm* 
causm MUm nuetptrait rai$u Fnmetim satü esse deeium ad srraium ' 
suum agnoscendum , in eo hello cessandum putabat^ quM tmUnUa cum 
iam kiems instaret, postremo rsüfuhtr, Fol, Vergü 25. 



Die Anfänge Heinrichs VIJI, 



211 



Von allen Seiten strömten hier nicht nur (xlückwünsche zu 
den errung-enen Erfolgen zusammen, sondern man war auch 
eifrig thätig, weitere Vortheile aus ihnen zu ziehn. Nament- 
lich der Verkehr mit Italien war sehr belebt. Wie Heinrich 
selber dem Herzoge Maximilian Sforza, seinem Verbündeten, 
die Einnahme Therouannes und die ersten Nachrichten vom 
Untergange Jacobs IV. mittheilte*), so gratulirten seine 
Vertreter in Rom, die Bischöfe von York und Wotrcester» 
alsbald auf die Kunde vom ersteren Ereigniss, während 
sie über die stark französischen S3mipathien im Cardinalat 
und die noch nicht vollzogene Bestätigung der Excommuni- 
cation des Schottenkönigs noch voll Besorgniss schrieben.**) 
Um dieselbe Zeit jedoch wurde bereits aus Rom nach Ve- 
nedig berichtet, irie wenig' die Ereignisse von Thorouanne^ 
Dijon.und Schottland den frangfisischnn AufiKhiimdecsiea 
entsprachen, so dass der Cardinal von England bereits 
Freudenfinier und Dankmesaen veranstalten lieas.***) Und. 
ah der' heilige Vater am u October gar von mehreren 
Seiten die BestStigung von der Schlacht bei Floddon und 
der Uebergabe Tounuds empfing, da lieasen mit Bainbridge 
um die Wette auch der kaaserUche und der ^Mansche Bot- 
schafter das üblidie Feuerweck abbrennen, f) IXe Curie 
zumal, wie sdir sie axich dem Könige von Frankreich beretia 
entgegen gekommen, hatte denen, die noch gegen ihir im 
Felde standen, vor allen Rechnung zu tragen. 

So schrieb denn auch Heinrich VIII. am 12. October, 
ehe er am lolgonden Morgen von Toumai aufbrach, um in 
sein Reich zurückzukehren, wohin ihn die schottische An- 
gelegenheit und das herannahende Parlament riefen, per- 
sönlich an Leo X.: alle seine Siege seien im Dienste Gottes 
und der heiligen Liga errungen, Jacob von Schottland aber, 
von Frankreich zum Treubruch verführt, wie er es verdient, 
untergegangen. Dies sei denn auch Grrund genug, um alle 
vom heiligen Stuhl den Schotten gewährten Concessionen 
zurückzunehmen, die Kirche von St. Andrews des erzbischöf- 
lichen Rangs zu entkleiden und wieder unter die Metropole 

•) Brown I, 309 16. Sept. Bremer I, 4455 i?« Sept. 

. «**^ Brwmn n, 315. Uponuno bei Saanto: ß'rmnetn nm 4iemw m»i il 
v»o, t) Brmm II« 32s* 337* 

t4* 



212 



DU Anfänge S^imielu Till. 



York zu stellen, das Stift von Colding^ham an Durham 
zurückzugLben und die durch den Tod ihrer Bischöfe im 
Felde beraubten schottischen Sprengel nicht ohne Berück- 
sichtigung der Wünsche Englands zu verleihen. Auch bat er 
um die Erlaubniss, den im Kirchenbann gefallenen Schotten- 
könig in der Paulskirche zu London kirchlich bestatten zu 
dürfen.*) Auf die Ermahnung, sich nicht zu überheben, viel- 
mehr auf einen allgemeinen Frieden hinzuwirken, versicherte 
der König den Papst einige Wochen später, dass er den 
Tod Jacobs, der so blind in sein Verderben gerannt, auf- 
richtig beklage, einen vorzeitigen Friedensschluss aber als 
eine Quelle noch ärgerer Kämpfe betrachte.**) Die Curie 
liess nach ihrem Brauch vor allem die Zeit sorgen. Am 
29. November wurde zunächst die Beisetzung Jacobs in 
London mit kirchlichen Ehren bewilligt.***) Doch sollte es 
nie dazu kommen, denn der Leichnam in seiner Bleihülle 
ist Jahre lang im Kloster Shene (heute Richmond in Surrey) 
verblieben und in Vergessenheit gerathen, bis nach der Auf- 
losung desselben unter Edward VI. zuletzt nur noch der 
Kopf an dem rothen Haar erkennbar bei einem Londoner 
Handwerker auftauchte, f) Femer aber drang Leo noch vor 
Ablauf des'Jahrs 1513 bei Heinrich, der sich durch seine 
AUürten gebunden meinte^ auf Frieden und kündigte, einem 
Condlbeschlusse gemäss, die Abfertigung eines Legaten an, 
zu welchem er aus Rücksicht vor den besonderen in Eng* 
land bestehenden Verhaltnissen Cardinal Baanbridge erlesen 
hatte. Gleichzeitig wusste er die Eitelkett des jungen Fürsten 
durch Uebersendung des geweihten Schwerts und Huts zu 
&ssen.tt) 

Dieser hatte schon vorher sich überzeugen können, wie 
sehr auch die besten Pläne, den Krieg gemeinsam fortzu- 

*) Brewer I, 4502. 
*'*) Ohne Datum, aber nach der Rückkehr nach England aus spanischen 
Sammlungen bei Bergenroth II, 141. 

***) Rymer XUI, 335. T keiner ^ VeUra MommeiUa Stbernomm et 
Scaiorum 54. Cf. Br§m«r l, 45c». Bgr^mrOh U, 137. 

t) Siv», Survey of London 459. Vgl. Burion, Hütory of ScoUamd 
m, 78. 

tt) Schreiben Leo's vom 17. und 19. December Rymer XIII, 386 und 
Statepapert VI, 28 und des Bischof von Worcester vom 31., ßrewer I, 4621. 



DU Jnfomgt Mtimriek» Till, 



213 



setzen, in der Luft schwebten. Er hatte, nachdem er Sir 
Edward Poynings mit einer Besatzung zurückgelassen und 
die Einkünfte des Bisthums Toumai, damit sie nicht an einen 
Franzosen fielen, an den um das Gelingen der Expedition 
hoch verdienten Thomas Wolsey übertragen hatte, von dort 
am 13. October den jungen Erzherzog und seine Tante nach 
Lille begleitet*), theils wegen der ihm zu Ehren dort veranstal- 
teten Ritterspiele, theils tun die politischen Besprechungen 
zum Abechluss zu bringen. Letetere fckhrten denn auch, 
ehe der König vom Maili^frafen von Brandenburg, von 
Nassau, Isselstein und anderen niederländischen Herren be- 
gleitet, am 17. seine Wetterreise über Ypem nach Calais 
antrat, von wo er am 21. nach Hause übersetzte, zu neuen 
Vertragsentwürfen, lifit den V ertr e tern des Königs von 
Aragon, der seine geringschätzige Meinung von der Kriegs- 
kunst der Engländer doch einigermassen g^Uidert und die 
ganze Zeit Über den unmittelbaren Verkehr zwischen Calais 
und Guipuzooa durch zwei Schnellsegler hatte unterhalten 
lassen**), und den Bevollmächtigten des Kaisers einigten 
sich der Bischof von Winchester und der Marquis von 
Dorset dahin, dass der Krieg im nächsten Jahre energisch 
von drei Seiten weiter geführt werden sollte. Es wurde 
festgestellt, wie viele spanische Truppen und welche eng- 
lische Gelder für den König von England Guienne erwerben 
und wie beide Mächte noch vor Ende April wieder ihre 
Flotten auslaufen lassen würden. Vor Ausgang des Juni 
war ein englischer Angriff auf die Picardie und Normandie 
in Aussicht genommen***), während der Kaiser mit 10,000 
Mann von Artois und Hennegau her dabei sein würde. 
Zum 15. Mai wollten Maximilian und Heinrich wieder in 
Calais zusammentreffen, um die lange verabredete Vermäh- 
lung des Erzherzog Karl mit Maria Tudor zu vollziehn.t) 



*) Taylors Tagebuch, HtM 567 und Pol, Vtrgil 25. 

♦*) Bergenroth II, 126. 
***) Entwurf und Bestäti^njj vom 7. October, Breiver I, 454, Bergen- 
roth II, 138. 139, von Zurita und Herbert^ Life 0/ Henry VIII. p. 17 
bmutit. 

t) Dmiligung det mit den kaiserfichen Vertretern am 16. puaphiiten 
BBtwmft Angtbus den 15. November Bremer 4560. 



2t4 



Die Anfänge Meinricks VIII. 



» 



Nach einer späteren Anmahnung von Seiten der Herzogin 
Margareta hat Heinrich in Lille ihrem Vater, dem Kaiser, 
sogar versprechen müssen , im 1 all ihm kein T.eibeserbe 
geboren würde, im Einvernehmen mit seinem Parlament 
das Anrecht auf den englischen Thron eben dieser Schwester 
zu übertragen*), was freilich mehr den Combinationen Maxi- 
milians als der Erbfolgeordnung in England entsprochen 
hätte. Einstweilen jedoch hatte es auch hiermit gute Wege, 
denn, während im Winter die Waffen ruhten, lockerten 
sich zusehends die verschiedenen Einigungen, insonderheit 
auch die Aussicht, den König von England den habsburg- 
btirgundischen Weltmachtsgedanken dauernd di^istbar m 
machen. 

Schon das eigenthumliche Auftreten des Kaisers im 
flandrischen Feldzuge hatte sehr verschiedenartige Bevr- 
theilung gefunden. Die Anhänger Frankreichs gratulirten 
spöttisch dem G^^ner zu dnem soldieii FeldhMm, der 
überall die Sache verderbe.**) Ludwig XIL selber nannte 
Ihn den Hauptmann und HeinridiVIII. seinen Zahlmeister.***) 
Die in England Hand^ treibenden Venettaner dagegen» 
welche den Rücktritt ihrer Vaterstadt vom französischen 
Bündniss ersehnten, warw ausser sich vor Entzücken über 
die ritterlichen Thaten des bereits ergrauten Kaisers und den 
vom Himmel gesandten jungen Konig von England.!) Die 
* eigenen Unterthanen desselben freilich waren weit entfernt, 
üm oder seinen vornehmen Bimdesgenossen mit gleicher 
Ueberschwänglichkeit zu preisen. Höchstens der joviale Sir 
Robert Wingffield, welcher Jahre lang den reisigen Hof Maxi- 
milians als Gesandter begleitete, schrieb im November aus 
Oberdeutschland, alle Welt behaupte, dass vor seinem Herrn 
dem Könige noch kein christlicher Fürst einen solchen Feld- 

*) Asseurer der er s vos estats et parlement la tuccession de vostre 
royaulme en deffaulte de hoirs de vostre corpSf MMgAKte Ul Hflinrich VIU. 
Febr. 1514 Lettres de Louis XII. TV, 239. 

♦*) Se non ha megliore fortuna in questa , ctie sia solito nelle altre, 
saria desiderarU gtivmrtiMlore M ttiUo, Florentiner Bericht aus Amiens, 
Brmen II, 322. 

Dandolo ans Amiens, ibid. 535. 
t) Non par pertana di qwtio mondo, ma venudo dal cielo, schreibt 
Antonio Bivatin, tt nattro magM re^ L. Pasqualigo aus Loodoo» ibid. 336. 340. 



Di4 Anfang 4 Heinricks VI II, 



215 



hauptmann gehabt habe, wae den Kaiser. In demselben 
Bericht war aber auch von der Milhon die Rede, um welche 
Maximilian bereit war, mit Venedig Frieden zu machen.*) 
Geld und weit mehr als ihm zukam, forderte er denn auch 
vor allen von I^ngland bis, wie er sich ausdrückte, Frank- 
reich „corrigirt" sei. Gerade darüber aber war bald nach 
der Trennung vor Toumai Entfremdung zwischen ihm und 
Heu^rich eingetreten. Denn dieser beklagte sich, dass die 
von ihm angewiesenen Summen nicht für die Truppen ver- 
wendet würden und die Ausgaben überhaupt zu den mit 
dem Kaiser geschlossenen Vertrage in keinem Verhältniss 
stünden. AusfuhrUdi suchte wohl Margfareta die Zweck* 
tnässigkelt der Verwendung zu beweisen*); aber auch aus 
anderen Grrfinden sdiwand das bisher vor allem durch sie 
wach gehaltene Vertrauen. 

Trotz seiner Betheiligung an dem zu Lille erneuten 
Kriegsbündnise nämlich hatte Ferdinand der Katholische 
im tiefen Greheimmss den Verkehr mit dem französischen 
Hofe dfrig fortgesetzt, zumal nachdem ihn die Konigin 
Anna inständig um Friedensvermittlung angerufen hatte.***) 
Am 16. November bereits that Ludwig XIL den klugen 
Schritt, das Herzogthum Mailand, auf welches er, obwohl 
es die Sdiweizer erobert hatten, sein Anredit nichft fehren 
Hess, auf seine jüngere Tochter Ren^ zu übertragen f), in 
in der Hoffnung, sie mit einem der beiden Enkel Ferdinands 
zu vermählen. Daraus entsprang am i. December der Ver- 
tragsentwurf von Blois, wonach der K(")nig von i rankreich 
auf Neapel verzichten und Mailand an der Hand Ren6es 
dem Erzherzog Karl oder Ferdinand überlassen würde, 
indem man annahm, es werde gelingen die Schweizer zu 
verjagen, Maximilian Sforza von ihnen zu trennen und für 
den Verlust seines Herzogthums zu entschädigen. Das Ziel 
war allgemeiner l-Viede, dem der Papst bereits das Wort 
redete, zu welchem dem Könige von England der Beitritt 
unter der Bedingung offen gelassen wurde, dass er Toumai 

^ Srtwer I, 4563. **) Dec S513, Ltttrtt dt LotUt JT//. IV, 217. 
Imtriictioii FerdiiMndi aa den IComicnr de Bonie 2. Oet Btr^tm- 
rttk n» 141. 

t) nunwHt^ TraiUi IV, X. 177. 



DU Jnfii^t Htüuriekt VIII. 



zurückgäbe.*) Am schwierigsten schien es natürlich den 
Kaiser breit zu schlagen, der, so lange andere zahlten, für 
sein Leben gern mit Venetianem und Franzosen weiter 
raufte. Indess Ferdinand hatte, noch äie er von den Ab- 
machungen in LiUe erfidiren, eine ausführliche Denkschrift 
an Maximilian gerichtet, in welcher er ihm die Nachtheile 
der bisherigen Liga und den grossen Vorzug auseinander 
setzte, der in einem Friedenschluss mit Frankreich lag, da 
er die Aussicht eröffnete, nicht nur Mailand, sondern bei 
Ludwigs Ableben vielleicht auch die Bretagne zu gewinnen 
und alsdann die Waffen gemeinsam gegen den Feind der 
Christenheit zu kehren. **) Welche Vorkehrungen Ferdinand 
andererseits auch mit den bisherigen Verbündeten wegen 
Fortführung des Kriegs treffen mochte, er hatte doch zur 
Genüge erkannt, dass er und der Kaiser nicht die Mittel 
besässen, den Bund zwischen Venedig und Frankreich zu 
sprengen, zumal nachdem sich die Curie mit beiden aus- 
gesöhnt. So drang er denn gegen Ende des Jahrs gleich- 
zMtig in England, Burgund und Tirol immer eifriger auf Aus- 
söhnung***), die auch durch das am 2. Januar 15 14 erfolgte 
Ableben der Königin Anna nicht mehr aufgehalten worden 
ist Don Pedro de Quintana, der Vertraute Ferdinands und 
seines tief eingeweihten Secretärs Almozan war Monate 
lang zwischen Burgos, Blois und Innsbruck geschäftig untei^- 
wegs. Es galt, den für den Feldzug im Frühjahr zu Lille 
verabredeten Rüstungen zuvor zu kommen und zunächst 
wenigstens einen Waffisnstillstand herbeizufuhren. Ein sol- 
cher ist denn auch im Namen aller am 13. März 1514 in 
Orleans auf ein Jahr unterzeichnet worden f), in der Voraus- 
setzung, dass sich daraus eine Einigung zu allgemeinem 
Frieden entwickeln werde. Aus den zahlreichen Anschreiben 
der spanischen Kanzlei ergibt sich, dass ofifidell von einer 
Vermählung des verwittweten Ludwigs Xn. mit der In- 
fantin Eteonora, Rente mit dem jungen Infanten Ferdinand 

*) Von de Borne nach Madrid nberbracht Bergtnroth II, 144 vgl. 

Dumont IV, r. 178. 

♦*) Entwurf vom November bei Bergenroth 142. 

***) Die lange Reihe der ausgesogenen Depeschen XxLBtrgtnroth II, I44ff. 
t) Jijmer XIII, 395. 



DU Anfängt Heinricht VIII, 



217 



die Rede war, während die Hintergedanken in Orleans und 
Madrid schon auf Aufhebung der Verlobung Erzherzog 
Karls mit Maria Tudor abzielten. Seine französische Ver- 
heirathung, so meinte man, würde den grossen spanisch- 
habsburgisch-burgixndischen Bund mit Frankreich vollends 
besiegeln, und König Heinrich als Ferdinands Eidam sich 
ihm willig anschliessen. Aber gerade deshalb und weil 
aiu^ fernerhin gar sehr auf seine Zahlungsfähigkeit ge- 
rechnet wurde, sind dem letzteren über die offidoeen Mtt- 
tiieilung^n hinaus die mit dem grossen Umschwung verbon* 
denen intimsten Absichten noch eine Weile vorenüialten* 
sowie mir Einseines unter dem Siegel der Versdiwiegenhett 
der Herzogin Margareta und ihrem Vater efofifiset worden. 

Ehe indess eine Reihe frappanter Wendungen eintrat, 
hatte Heinridi VIIL, der am 28. November in sein Reich 
zurOdcgdBehrt war» Gelegenheit» sich zwar der stolzen Siege 
seiner Waffen zu erfreuen, aber eben so sehr die bis dahin 
dem Dienste Europas und dem eigenen Kriegsrufam ge- 
brachten Opler emstUch zu überschlagen. l^nsichtsvoUe 
Beobachter» die den fesÜSndischen Feldzug mitgemacht 
hatten und über den günstigen Verlauf dessdben sehr be- 
friedigt waren, meinten doch, es sei dabei das englische 
(yeld, dessen Währung so viel höher als das fremde, mit 
unverzeihlichem Leichtsinn verausgabt worden. **) Und wenn 
dort nun auch während des Winters die Waffen ruhten, so 
herrschte doch an der schottischen Grenze der kleine Krieg- 
ohne Unterlass. Lord Dacre und seine Unterbefehlshiiber 
hatten den Auftrag, die südlichen Striche des unglücklichen 
Landes durch wiederholte Einfälle nicht zur Ruhe kommen 
zu lassen.***) Man erfuhr, dass die feindliehen Kriegs- 
schiffe bis auf drei aus den französischen Häfen zurück- 
gekehrt , dass die schottischen Stifter wieder besetzt , eine 
feste Regentschaft aber noch keineswegs vorhanden sei. 
So lange Margareta mit zuverlässigen Parteigängern sie für 

*) John Slyle, sein Gesandter in Madrid, scheint doch dies und jenes 
gewittert zu haben; s. dessen schwer zu entziffernde Depesche vom 21. März 
bei Strgmrvth TL, 165. 

**) So 4«r FttiaiiwniMecfetir Ttcfut am Schlut seines Tegeboche. 
***) Beriefale Itocve't and Rvtiulls bei Brnnr I, 45M. 4512. 4523. 4556. 



2l8 



DU Anfänge Heinrichs VIII. 



den unmündigen Sühn nicht ausübte, war an eine Locke- 
rung der französischen Allianz nicht zu denken und mussten 
auch nach dieser Seite fernerhin kostspielige Vorkehrungen 
getroffen werden. Mit peinlicher Sorgfalt wurden in den 
letzten Monaten des Jahrs die hoch angewachsenen Summen 
für die Flotte und die Feldtruppen überschlagen. Lange 
Verzeichnisse gewähren einige, wenn auch nicht voUstan* 
dige Einsicht in den Bestand der Schiffe, des Geschützes 
und anderen Kriegsmaterials, das zu weiterem Gebrauch 
fertig gehalten wurde, so wie über die Garnisonen in Calais 
und Tournai.*) DemgBmäss blieben die mit den Kriegs- 
angelegenheiten betrauten Bierden angespannt Üiat^, als ob 
mit Sicherhett auf Fortsetzung des Kampfe ru redmen wäxe. 

Das Pariament, das im letzten Frfihling wiederum nur 
vertagt worden, trat denn auch am 23. Januar von Neuem 
zusammen, um nicht nur die niemals ruhende Gresetzgebung 
in der Wirthschafts- und Handelspolizei aufeunehmen, son- 
dern mehreren Entschlüssen des Königs, wie sie aus dorn 
noch nicht abgeschlossenen Kriege entsprangen, die vor* 
fessungsmässige Bestätigung zu ertfaeilen.**) Das Civfl- 
processverfehren unter und mit den Bürgern der eroberten 
Stadt Toumai wurde dem G^chtshofe des Lordkanzlers 
von England fiberwiesen; der Statthalter daselbst, Sir Edward 
Po3mings, während seiner Abwesenheit gegen gerichtliche 
Verfügungen geschützt, durcli die er etwa in seinem Grund- 
eigenthum benachtheiligt werden könnte.***) Die Patente 
des Königs, durch welche für die im Felde geleisteten Dienste 
der Graf von Surrey zum Herzog von Norfolk, sein Sohn 
Lord Thomas Howard zum Grafen von Surrey und Hein- 
richs Busenfreund Lord Lisle, den die Umgebung der Her- 
zogin Margareta „le secondroi" nannte f), zum Herzog von 

*) Brewer I, 4526. 4537. 4533^' 4629 ff. 

**) Von den Geschichtsthreibern berührt nur Pol. Verg-il 29 die Session. 
Die Eröffnungsrede, die des festen Bündnisses mit Ferdinand und Maximilian, 
der als alter noatri t empor is Mavors gepriesen wurde, gedenkt, deren Ent- 
wurf bei Brewer I, 4849, ist schwerlich gehalten, weil ja kein neues Paria- 
nmit cfdflhflt mudc. 

5 Henr. VIII. c. i. 18. Statutes of the Realm m» 92 ff. Aw- 
wag «w der Parlamenlsnllt bd Mrewtr l, 4848; Patent fSr Toonud N. 4856. 
t) BregiUes an Maiigarata, Letirn d* Louis XII, IV, 196. 



DU Anfang* Utmriehs VI IL 



219 



SufFolk creirt wurden, erhielten unter den herkömmlichen 
Garantien Gesetzeskraft.*) Einige weitere Restitutionen 
erfolgten als die wirksamsten Gnadenbeweise der Krone. 
Sie wurden Margareta Pole, der Tochter des unglücklichen 
■Herzogs Georg von Clarence, welche als Erbin ihres ver- 
storbenen Bruders, des Grafen Edward von Warwick, Rang 
und Einkünfte einer Gräfin von Salisbury wiederlangte, so- 
wde Humphrey Stafford und John Audley zu Theil, die unter 
Heinrich VIL Habe und Gut verwirkt hatten. Ausdrück- 
lich aber wurden die Im Süden und Norden errungenen 
Siege und die daraus dem Konige erwachsenen hohen Kosten 
angerufen, damit die Gememen ntcfat säumten, abermals Sub- 
sidien im Betrage von 160,000 L. ni bewilligen.**) Daran 
schlössen sich die genauestem Vorschriften über Ihre Er- 
hebung, wonach die Fremden noch einmal so hoch wie die 
Eingeborenen dngesdhatzt waren, zugleich jedoch dbde 
doppelte Belastung durch Grund- und Personalsteuer ausge- 
schlossen, aber selbst der Curs nicht veigessen war, zu 
welchem die viel&ch zweifelhaften CouranbonhuBen ange- 
nommen werden sollten. Für jede Grafschaft wurden wie 
das erste Mal zahlreich besetzte Commissionen ernannt***) 

In dieselben Tage fiel die Erhebung Thomas Wolsey's 
zum Bischof von Lincoln, wozu er von nah und fern be- 
glückwünscht wurde, wofür er aber der geldbedürftigen 
Curie Leo's X. behufs Ausfertigung der Bullen nicht weniger 
als 6281 Ducaten bar zu entrichten hatte, f) 

Von Bedeutung war, dass sich unter den Beschlüssen 



*) 5 Henr. VII 1. c. 8. 9. lO. Die beiden ersten Patente waren am l., 
Suifolks am 8. Februar ausgefertigt. Dazwischen fiel eine Erkrankung des 
Königs zu Richmond, hinter wdcher man die Blattern befürchtete. Schon 
am 20. Sept. 15x3 beantragte Biachof Ruthall bei Wobqr Sturms Erhebnng 
mm Henog^ Bttmer 4460. 

**) Der Veoetiaiier Lorenzo Pasqunligo schrieb unendlich fibertreibend von 
600,000 L.y wozu die venetianischen Handelshämer ISOl» beigeatenert» Brown 
n, 397. *♦*) 5 Ilenr. VIII c. 17. 

f) Lord Darcy, der am 15. Januar gratuUrt, fügte hinzu: every man 
will naw stke to_ be your fr und and ta b€ in favour uoith you. Aus Rom 
der Biaebof Sihreater von Wofceater» Brtwar I» 4652. 4747. Die Bnllen vom 
6. Febmar bei Rymer UH, 390. 392, die Tempotalieii am 3. Mte iiber- 
tiagen Brawar 4855. 



220 



Die Anfänge Heinricht VIII. 



des am 4. März vertagten Parlaments kein einziger auf die 
ungesäumte Wiederaufnahme des Kriegs bezog, während 
nur vereinzelte Vollmachten an Suffolk und andere Kriegs- 
fiihrer begegnen, um in den Landen des Kaisers und des 
Königs von Castilien auch fernerhin fremde Truppen anzu- 
werben*), oder, wie man in Frankreich erfuhr, in den 
Niederlanden wiederum der Guss von 26 schweren Ge- 
schützen in Auftrag gegeben ^vurde.**) Mittlerweile näm- 
lich beg^ann die grosse diplomatische Intrigue durchzulecken. 
Am 27. Februar schrieb der König seinem Vertreter am 
buiigfuiidischen Hofe Thomas Spinelly, dass er Grund zu 
argwöhnen habe, dass sein Vater, der König von Aragon, 
hinter seinem Rücken durch die geheimen Sendungen Quin- 
tana's nach Frankreich und von dort zum Kaiser eine Ver- 
ständigung mit Ludwig betreibe, wahrend doch dem Ver- 
trage von Lille gemäss keiner von ihnen ohne Wissen des 
anderen einen solchen Schritt thun dürfe.***) Er wolle 
sich wohl hüten auf seine Kosten die von Ferdinand ge- 
wünschten Landsknechte anzuwerben» wahrend er seiner- 
seits unablässig von der venetianischen Regierung bestürmt 
werde, ihr Frieden mit Maximilian zu verschafien, gegen 
dessen Treulosigkeit allein sie sich im Bunde mit Frank- 
reich zu vertheidigen suche, f ) Spinelly berichtete am 
3. Marz aus Mecheln, dass man dort über die absonder- 
lichen Nachrichten aus Frankreidi, Spanien und vom Kaiser 
nicht minder verwundert sei. ff) Die Herzogin Margareta 
jedoch hielt so fest an der Allianz, dass sie eben jetzt den 
König Heinrich an sein Versprechen erinnerte, mit der Hand 
seiner Schwester dem Prinzen von Castilien eventuell Erb- 
ansprüche auf die englische Krone durch das Parlament be- 
stätigen zu lassen. f ff) Ihrem Vater, der den Lockungen 
Quintana's nicht zu widerstehen vermochte, bedeutete sie, 
dass es wahrlich nicht im Interesse Burgunds sein \vürde, 
den König von England in die ArmeJFrankreichs zu treiben.*!) 



*) Brrmtr I, 4736. 4797. II. 19. Febr. **) Brown n, 373. 
*♦♦) Lettres IV, 253. f) Die Antchieiben bei Brown II, 363. 364. 365. 
377* 378. +t) Brevaer I, 4844. ftt) Lettres IV, 239» 

♦f) ö^Aiy, Corräs^ondance d* M^ximitien tt MarguerÜt p. 227 1 far 



Die Anfänge Htinrichs VIII. 



221 



Schon aber \\^sste man in Spanien, dass unter Zu- 
stimmung von Papst und Kaiser auf ein Jahr mit Frank- 
reich Friede gemacht sei, worüber der König- von England 
sich in die Lippen beisse. *) Und gleichzeitig Uefen eigen- 
thümliche Gerüchte um, wonach der Wittwer Ludwig XII. 
um die Hcind der Maria Tudor werben**) und die bereits 
fünf und dreissigjährige Herzogin Margareta den jungen, 
lebenslustigen Herzog von Suffolk heirathen würde.***) 
Wegen der letzteren Zumuthung, die er als böswillig auf- 
fasste, wandte sich Heinrich am 4. März schriftlich an Maxi* 
niilian, damit er gleich ihm den Urhebern nachforschen und 
sie nach Verdienst bestrafen liesse.f) Beschämt, aber mit 
lidt>eiiswürdig6r Offenheit gab die Herzogin zu ProtocoU, 
wessen sie sich aus der kurzen Begegnung mit dem jungefi 
Gralant in Tournai und Lille erinnerte. Danras ergab sich, 
dass Hrazich ihr, sogar in Suffi>]k8 Gegenwart, seinen 
Liebling zum Gemahl hatte anfidr&ngen wollen, wogegen 
sie sich mit ihren Jahren und wiederholtem Unglück in der 
Ehe gewehrt hatte, dass Sufiolk ihr zweimal einen Ring 
vom Finger gezogen und, selbst als ihm der Ausruf ^rr^I 
durch flämisch dü/\ verdolmetscht werden musste, den Ring 
nicht zurückgegeben hatte, und dass die Fürstin von dem 
unglfickHchen Gerücht, das von England aus durch, die 
fremden Kaufleute nach Deutschland verbreitet wurde, 
äusserst betroffen war. Sie versicherte, den ihr zugedachten 
Jüngling nicht mehr mit offenen Augen anblicken zu können, 
wie sehr sie auch nach dem Wiedererscheinen des Königs 
und dem Eintreffen seiner Schwester Maria Verlangen trug.ff) 

Solche Heirathsanträge und Heinrichs Ableugnung 
waren in der That wenig geeignet, das Verhältniss zum 
Kiuser zu bessern, der in diesem Fall doch auch ein Wort 

guey «w ct^fue luy touch« Pm doü aUer de semÖiabU manüre, «t m tuy 

irwipre nulle promesse. 

♦) Peter Martyr, Epist. 537. 3. März. 
♦•) Schon am 23. Januar in Sanuto's Tagebuch, Brown II, 367. 

Badoer aus London, der Maria noch Prinz Karl und die Königin 
Wittwe von Schottland dem Kiiaer beitimint, 5. Febr., Brown II, 371. 
t) Ltttres IV» 274. . 
tt) Am Ms. Cotton. Titos B. i in der BcOage nr Ghtonik m CaUs» 
ed. Cftmden Society, vgL Brmr % 4B51. 



222 



Die Anfänge Heinrichs YJII» 



mitzureden hatte und nur darauf lauerte, seinen Zahlmeister 
ohne entsprechende Gegenleistung- auch fernerhin gründlich 
auszubeuten. Vielmehr schwirrten allerlei entgegengesetzte 
Heirathspläne in der Luft, ein sicheres Wetterzeichen, dass 
die Staaten sich neu zu gruppiren begannen. 

Kein Zweifel, dass Charles Brandon die glänzende 
Herzogs\vürde auch dem Wunsche seines königlichen Freun- 
des verdankte, ihn neben sich emporzuheben. Ob die lieb- 
lich erblühende Maria Tudor bereits ihr Auge auf ihn g^e- 
worfen, ist nicht bekannt, wohl aber, dass sie in den Revels 
bei Hofe wie ihr Bruder und der Herzog' mitwirkte. Zu- 
nächst war sie die Verlobte des Prinzen von Castilien und 
recht demonstrativ verkündete Heinrich VIU. eben jetzt ihr 
Erscheinen dem burgnndischen Hof. Von dort aber wurden 
nunmehr Bedenken laut, ob der König von Aragon und 
die castilische R^erung den einst im Jahre 1506 von 
Hdnridi Vn. dem Erzfaenog Philipp ' abgerungenen Ver- 
trag volhdefaen würde. Es wurde angesichts der liGnder* 
jahrigkest des Prinzen Karl noch um ein ferneres Jahr Ver- 
zug gebeten.*) tiefetem Geheimniss unteigrub der alte 
Ferdmand das Veclobniss ans Angst, dass i&igland und 
Burgund vereint ihm Castilien entrissen wibxlen. Die Ent- 
fremdung beider war daher bald nicht wskec zu verbergen, 
wähirend Ludwig von Frankreich sich bereits vorsichtig 
durch den iun ei^liscfaen Hofe als Gei&ngenen weilenden 
Herzog von Longfueville dem eben eii^fesetzten Bischof, 
Wolsey zu nähern begann.**) Er soll erfahren haben, dass 
Heinrich VIII, die Schwester doch lieber einem regieren- 
den Fürsten, als einem Unterthanen geben würde, und liess 
in der That durch Papst Leo, mit dem er sicli mittlerweile 
vollständig geeinigt hatte, zugleich um Frieden und um die 
Hand IMaria's anhalten.***) Jedenfalls war Leo X,, dessen 
Vorgänger das Haupt des Kriegs gewesen, der eigentliche 
Friedenbringer. Nicht umsonst hatte er dem Könige von 
England für seine Verdienste um den heiligen Stuhl vSchwert 
und Hut geweiht, die am 19. Mai in feierlichem Aufzuge in 

*> So bei Hall 567. 568. •*) Rynur Xm, 399. 16. Wktu 
**•) So Polydor Vtrgil 29: confestim per Uteras Leonis pontißcis Ro* 
mani et faetm *t soroHs eonntMum aö Henrica ptUvit et imfetravit. 



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Die. Anfängt Heinrichs VJII. 



223 



der Paulskirche überreicht wurden.*) Und wenn mit den 
Frühling auch der kleine Krieg zwischen Engländern und 
Franzosen wieder ausbrach, — Prejean fiel Brighton in 
Sussex an, wogegen Sir John Wallopp eine Anzahl nor- 
männischer Küstenorte verbrannte; die 1-ranzosen von Bou- 
logne und Artois demonstrirten gegen Guienne und Calais**) 
— allmählich gediehen die Einleitungen zu directen An- 
trägen durch beglaubigte Gesandte. 

Unter dem 2a Mai meldete der römische Resident, der 
Bischof Silvester von Worcester, dass Ludovico Canossa, 
Bischof von Tricarico, an den französischen Hof abgeiertigt 
werde, um dessen Aussöhnung mit dem englischen zu be- 
treiben.*^) Die venetianische Regierung frohlockte, als ihre 
anfinerksamen Agenten von mehreren Seiten anzeigten, dass 
Ludwig XIL, der nur zwei Gredanken hege, selber die 
Sdiwester Heinrichs zu gewinnen und seine zweite Toditer 
dem jüngeren gietchnamigen Enkel Ferdinands zu vermäh- 
len f)» directe Schritte der AnnShenmg ihue. Mit Ver- 
gnügen bemerkte man, wie englische und französische He- 
rdde immer geschäftiger hin- und hereilten. Der Herzogin 
Margareta wurde Ende April geschrieben, der Grreis 
em junges Mädchen nehmen, in der Hoffimng, Nachkommen- 
schaft zu erhalten, tt) Am 25. Mai wusste Lippomano in 
Rom, dass der Konig von Frankreidi dra Greneral der Nor- 
mandie, Thomas Bohier, als Specialgesandten nach England 
abfertigte. Nach Bankbriefen von dort wurde der Abschluss 
eines günstigen Vertrags schon gar nicht mehr bezweifelt. 
Bald wurde gewettet, dass die Franzosen noch im Laufe 
des Jahres nach Italien aufbrechen und die vom Kaiser be- 
drohten Städte entsetzen würden, fff) Nur über die Be- 
dingungen, unter denen man Frieden schliessen würde, 

*) Rymär Xm, 393. Mies. Rede des Ueberbringers Leonard Spimlly 
und Programm Brewer I, 51 II. Badoer's und Fairi's BetRhle bei Broten 
II, 433. 445. Dazu Ha/f. Chronicle 568. 

*♦) Hall l. c, Meldungen aus Calais vom 30. April «nd 4. Mai. ßrewtr 
I, 5021. 5032. •♦*) Brewer I, 5107. 

t) Dandolo ans Paris 7. Apifl Bromm TU 398* 

ft) ^ Am vu^ard vtuü mnir ia jwtu garet^ fomr tuayer sü 
pcurrä encoires mmg jUSf LtUrtS Vi% 30. 
ttt) Brown H, 405. 414. 419. 



224 



Die Anfänge Heinrichs VIII. 



gingen die Mittheilungen sehr auseinander. Bohier, so hiess 
es*), sei beim ersten Empfang von Heinrich mit der Forde- 
rung von I * 2 Millionen Ducaten und der Städte Therou- 
anne, Boulogne und St. Quentin begrüsst worden. Der 
Vertrag sei fertig, wenn Ludwig bereit sei, die Königin von 
Schottland zu heirathen. **) Indess schon am lo. Juni konnte 
Marino Sanuto gemüthsruhig in sein Tagebuch eintragen: 
Frankreich zahlt England 150,000 Ducaten, den üblichen 
Tribut und für Toumai jährlich 1000 Ducaten.***) Dass 
Lud\vig nach der jüngeren Schwester Heinrichs trachtete 
und sich wohl hüten ^vürde, durch Vermählung mit der Kö- 
nigin die alte dynastische Allianz mit Schottland zu stören, 
wusste man in Rom. f) Um dieselbe Zeit schrieb aber auch 
die Herzogin Margareta ihrem \^ater, dass der General der 
Normandie keineswegs nur um den Herzog von Eongue- 
ville aus der Gefangenschaft zu lösen nach England ge- 
gangen, sondern noch zu anderen Zwecken mit offenen 
Armen empfangen worden sei. ff) In der That, die un- 
mittelbare Verständigung zwischen England und Frankreich 
war denn auch nur zu sehr geeignet, um in Brüssel, Inns- 
bruck und Madrid, wo man bisher nur darauf aus gewesen, 
Heinrich VIII. für die habsburgisch - spanischen Interessen 
auszubeuten, Argwohn und Eifersucht zu erwecken. Jetzt 
kam vollends an den Tag, wie sehr der Vertrag von Orleans 
dem von Lille widersprach. 

Zwei Boten Maximilians, die sich um diese Zeit in Eng- 
land aufhielten, wurden doch durch den Empfang, welcher 
den Gesandten des Papsts und Ludwigs zu Theil wurde, 
und durch das allgemeine Misstrauen gegen den Kaiser 
einigermassen betroffen. Von den Mitgliedern des Geheimen 
Raths mussten sie strenge Worte hören über den hinter 
dem Rücken ihres Königs höchst ehrenrührig für denselben 
abgeschlossenen Vertrag. Wolsey sagte ihnen in das Gesicht. 

•) Dandolo aus Paris 20. Mai Brown II, ^ 
♦*) Hör! Sil vol la tnia sorella ptr 
Scozia, l'accorJo sarä fatto. 

♦♦*) Brown II, 425. t) Lippo 

tf) y^entends gu'il est fort bien 
luy fait Von tres bon r ecueil. 12. J 



Die Anfänge Heinricks VIII, 



225 



dass, wenn Heinrich sich jetzt mit Ludwig verbände, es dem 
Xaiser und seinem Enkel übel bekommen würde.*) Einige 
Tage später fragte er den einen dieser Herren, der sich in 
einem Briefe an Margareta mit Bewunderung über die schöne 
Erscheinung Maria Tudors äusserte, wesshalb denn deren 
Verlobung mit Karl von Castilien in den Niederlanden auf- 
geschoben oder gar abgebrochen wäre, worauf denn der 
Gefragte, in die Enge getrieben, «nräumen musste, dass 
der Wafißwistillstand von Orleans und des Iv aisers weite 
Entfernung die Schuld trügen. **) Noch eine Weile sträubte 
sich die Herzogin, die ehrlicher als andere an dem englisch- 
burgundischen Ehebimde festgehalten, den aus London an- 
dringenden Greröditen Glauben zu schenken. Noch empfind- 
licher und viel zu spät, als schon Niehls mehr zu ändern war, 
musste FetijcUnand der Katholische davon betroffen werden. 

Man sieht ihn, wie er in seinen alten Tagen eifrig an 
einem grossartigen dynastischen Netze strickte, wenn er dem 
Kaiser mitth^te, es gälte, den jungen Konig von England 
mit Ludwig zu versöhnen, ' damit sie beide diesen sicher 
hätten, um mit ihm gemdnsam Venedig nieder zu werfen. 
Mailand und Gremia hatte er sdnem LiebHng Don Ferdinand 
als Mitgift för die franzosische Ren^, seine Tochter Eleo- 
nore Ludwig XII. selber bestimmt. Maximilians Gedanke 
dagegen, dessen Tochter, die französische Claude, mit dem 
jungen Karl zu verbinden, wollte ihm nicht gefallen. Eigen- 
thümlicher Weise aber hätte die kluge Margareta, die doch 
am meisten Krieg und Frieden in der Hand hielt, selber 
ein Auge auf den körperlich hinfälligen König von Frank- 
reich geworfen, dem sie, die zweimal kinderlose Wittwe, 
doch schwerlich noch zu einem Nachkommen verhelfen 
würde. An ihr aber sei es, den König von England herbei- 
zubringen , damit eine einzige grosse Einigung die Reiche 
der abendländischen Christenheit zusammenhalte. ***) In ähn- 
licher Weise Hess Ferdinand seinen englischen Eidam be- 

*) In ruynam principis et vestrarum patriarum irijeriorum. Pleine 

und CdOa tu MniimiBim 19. Juni. LdUrti IV, 332. 

**) Gerard de Pleine an Ifaigaieta 30. Jnnt LHires IV, 33$. 

Zwei Schreiben Ferdinands an Juan de Lannia von Min und April 
bd Berkenroth II, 163. 169. 

Pamli. AnMtM. M. P. t5 



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236 



DU Anfäng« Hnnriehs YIII. 



arbeiten, mit dem er sich unauflöslich verbunden erachtete, 
den er durch geheime Eröffnungen über ein italienisches 
Complot an seine dortigen Entwürfe zu fesseln suchte, der 
aber, nachdem das kirchliche Schisma vollends beigelegt, 
vor allen doch eine Beruhigung der christlichen Gross- 
staaten in der Vermählung seiner Schwester Maria mit Karl 
von Castilien und dessen Schwester, der Inüuitin Eleonore, 
mit dem Könige von Frankreich erkennen müsste.*) Er 
meinte, Frankreich zwischen einem norditalischen Staat unter 
seinem Enkel Ferdinand und dem anderen grossen Complex, 
• bestehend aus Spanien, dem deutschen Reich, und den beiden 
Sidlien, welche Karl erben würde, fortan sicher im Zaum 
zu halten.**) Bald indess ber^tete ihm die fortgesetzte 
Zurückhaltung Englands stdgende Sorge. Im Juli klagte 
er dem Cardinal Ximenez, dass das Herzogfhum Mailand 
noch immer in der Grewalt der Schweizer sei, und Heinrich 
immer noch nicht mit Ludwig abgeschlossen habe, während 
Tricarico, des Papstes Botschafter, in England übel auf* 
genommen, nach Paris zurQckger^st sei, worüber denn frei- 
lich nach Venedig viel sicherer dahin berichtet wurde, dass 
diese Reise nur die letzten Schwierigkeiten, welche der 
Besitz von Tournai bereitete, hinwegräumen sollte. ♦*♦) Als 
überdies nun aber von den Absichten Ludwigs XIT. auf die 
Hand Maria's verlautete, wurde dem alten Ferdinand, obgleich 
er noch nicht ernstlich daran glauben wollte, bereits wegen 
des Gelingens seines Mailänder Plans bang-e.f) Gleichen 
Unglauben äusserte die Herzogin Margareta, als sie um 
dieselbe Zeit ihren Vertreter de Castres, den Bailly von 
Flandern, anwies, die Berather des Königs von England, 
die Herzöge von Norfolk und Suffolk sowie die Bischöfe 
von Lincoln, Winchester und Durham an ihre heilige Ver- 
pflichtung zu erinnern und die Vermählung Karls mit Maria 
herbeizuführen, ff) 



*) An Carrnz in I.nndon, Arril. Dergenroth 170. 
**) An den beim Kaiser beglaubigten Pedro de Urrea, Bersrenroth 171. 
••*) Bergenroth II, 176 verglichen mit Lippomano vom 26. und 30. Juli 
bd Brvmn II, 453. 454. 

t) An fdiie auamordenülcbeii Gesandten In B^nudaeich, 12. Apxü (?) 
Btrgmroth U, 186. ft) L^Urts TV, 349 Avguit. 



Di4 Anfangs HH$tri«kt VII J, 



227 



Eben jetzt aber gediehen die directen Verhandlungen 
zwischen dem englischen und dem französischen Hofe zum 
Abschluss. An demselben 30. Juli, an welchem Tricarico 
mit einer Rückäussemng König Ludwigs wieder in London 
eintraf, renuncirte Maria feierlich zu Wanstead in Ci^fen* 
wart des Geheimen Raths auf den mit dem Infanten abge- 
schlossenen Ehecontract unter Bezugnahme auf einen mit 
Ludwig bereits am 23. Mars unteneichneten Antrag.*) Die 
Unterhandlungen, zu welchen dieser ausser Thomas Bohier 
und Jean de Selva, Greneral und Präsident der Normandie, 
den von der Sporenschlacht her in Eng^d als Gefangenen 
weilenden Louis d'Orl^ans, Herzog von Longtieville, bevoll- 
mächtigt hatte, über die dann wieder Wolsey dem Konig 
Heinrich berichtete**) , betrafen eine Reihe spedeUer und 
allgemeiner Puncte. Sie griffen zurück auf den einst von 
Heinrich VIL im Jahre 1492 zu Eta^les geschlossene und 
1498 erneuerten Frieden und selbst auf eine Abkunft vom 
Jahre 1444 mit dem aus englischer Gefengenschaft befreiten 
Herzog Karl von Orleans, um die von Frankreich geschul- 
deten Jahrgelder durch eine Pauschsumme von einer Million 
Kronen abzulösen. Sie bezweckten einen Frieden, der bis 
ein Jahr nach dem Tode eines der beiden Paciscenten binden 
und durch jene Heirath eventuell auf die Descendenz über- 
tragen werden sollte. Der Friede W£ir aber auch bestimmt, 
wie Ludwig XII. in einem Schreiben an seine Bevollmäch- 
tigten, das für Heinrich VIIT. nicht schmeichelhafter lauten 
konnte, hervorhob, um ihm Mailand und seine übrigen ita- 
lienischen Anrechte zurück zu gewinnen***), also entschieden 
gegen den Waffenstillstand von Orleans gerichtet. Von der 
Rückgabe Tournais durch den König von Fngland aber 
konnte schon desshalb nicht abgegangen werden, weil ohne 
dieselbe die französischen Stände dem Ehebündniss nicht 
zustimmen würden. Obwohl diese Bedingung nicht alsbald 
vollzogen werden konnte, während die von Heinrich seiner 

*) Rymer XIII, 409 vgl. mit Lipomano bei Brown II, 465. 
**) Dahin gehören die Actenstücke bei Rymer Xill, 399. 403. 406. 407. 
«**) Dn Qricinal leider Tentiinnelt: «f priiuiipaUmti^ 
mmt dg sm dmekt de Myltm .... fifit a m ItttUe et de Imy aider au dü 
reeouvrement la faix de,,, traM*§t faiU et emehtte, Bremer I» 5285. 

15* 



1 



228 Die An/än^e Hemrichi VUL 



Schwester in Juwelen zum Werthe von 200,000 Kronen aus- 
geworfene Mitgift durchaus den Wünschen Ludwigs ent- 
sprach*), so stand, nachdem der Herzog von Norfolk und die 
Bischöfe von Lincoln und Winchester zuFriedenscommissaren 
bestellt worden ** 1, der Unterzeichnung doch Nichts im Wege. 
Am 5. dankte Ludwig XIL eigenhändig Wolsey für seine 
guten Dienste.***) Zwei Tage später wurden auf Grund 
der von beiden Seiten geprüften Entwürfe die Instrumente 
über die französische Zahlung und den Heirathsbund aus- 
gefertigt, f) Nachdem am 11. der Friede, der auch den 
unbehinderten Verkehr ztvischen beiden Reichen wieder 
eröffiiete, feierlich verkündet ff), wurde am 13. zu Green« 
wich vor versammeltem Hofe in Gregenwart der firemden 
Bevollmächtigten Maria Tudor per verha de praesenfi dem 
Herzoge von Longfueville als Mandatar seines Königs an« 
getraut Jeder Thdl ergriff die rechte Hand des anderen 
und verlas französisch den Hhecontract, worauf der Herzog 
der Königin Braut dnen Ring an den vierten' Finger der 
rechten Hand steckte und ein Notar den Act aufnahm, fff) 
Der l^bischof hielt eine lateinische Rede. Wie bei einer 
Hochzdt folgten Hochamt, Banket und Tanz. Da selbst 
hiermit dem ceremoniellen Geschmack des englischen Hofs 
noch nicht Grenüge gethan, wurde die Ffirstin im Beisein 
viele^ Zeugen zu Bett gebracht und erschien der Marquis 
von Rothelin, der eben^EÜls bd Guinegate gefimgen wurde, 
im Wamms und in rothen Hosen, um mit sdnem nackten 
Fusse den Marians zu berühren. *f ) Während die Ratification 
der Verträge von englischer am 20. August, von franzö- 
sischer Seite am 14. September erfolgte, nahmen die Vor- 

Vendixcitniiig in der Hand Ton Biichof Fox, Brtwer J, 5286. 
*^ Anifertigiing der Patente vom 3. Angust, Brewr \t 5294* 
•*♦) Brewer I, 5302. 

t) Rymer XIII, 412. 423. 428 vgl. Brrrter 5305— 5307. 
ff) Ausfertigungen vom 10. August, ßreuaer 5315» vgl* den langen Bericht 
des Nicolo de Farri bei Brown II, 505. 

ttt) I>ie butramenf» 1>ei Rymtr Xm, 428. 431. 432, Brewer I, 5322, 
Sdioo am 11. betiditet Dandolo nadi Venedig fiber die Ceremonie des Toear 
ia man aUm rtgima nomime freHtU rtgü, Brcwn IX« 470. 

*\) Bericht an den Bischof von Arti, ümmodscben Gesandten in Venedig 
18. August bei Brtwtr I, $337. 



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Die Anfänge HeinrUh* VIU, 



bereitungen zur Ueberführung der jungen Königin noch 
mehrere Wochen in Anspruch, zum nicht geringen Verdruss 
Ludwigs XII., der sich wie ein junger Liebhaber geber- 
dete.*) Von Maria aber hiess es in London, dass sie vor 
dem Glücke, Königin zu sein, über den bereits stark gicht* 
brüchigen Gemahl die Augen schliesse. **) 

Wohl Hess sich erwarten, dass diese bedeutsamen Her- 
gänge im Auslande sehr verschieden aufgenommen würden. 
Nirgends hat man mehr gejubelt, als in Venedig, dessen 
scharf spürende Residenten aller Orten den Gang der Ver- 
handlungen beobachtet hatten, die nun vollends bei ihren 
Wetten beharrten und das Unterließen des Kaisers und 
Aragons laut verkündeten. Niemand mache ein längeres 
Gesicht, als der spanische Gesandte am englischen Hofe. 
Am 27. August hielten gar der Rath der Zehn und die 
Junta feierlichen Kirchgang in S. Marco. Abends gab es 
Feuerwerk von allen Thünhen der Lagunenstadt. Der ahe 
Doge Leonardo Loredano aber schrieb einen dankerfüllten 
Brief an König Heinrich, der endlich geholfen habe.***) 

Höchst empfindUch getroffisfl dagegen erschien die habs- 
burg-spanische Allianz. Lange hatte die Erzherzogfin un- 
gläubig den Kopf geschüttelt. Während die flandrischen 
Vormünder dem alten Ferdinand alle Schuld beimassen und 
dagegen ihren Mündel, den Infanten Karl, nun vollends 
in die Arme Frankreichs treiben wollten , glaubte man in 
Brüssel selbst vor einer Erhebung der entrüsteten Bevölke- 
rung nicht sicher zu sein.f) Die Regentin hierüber ausser 
sichff) drohte jetzt die ihr einst von Heinrich VIII. ge- 
gebenen Verheissungen zu veröffentlichen. Vergeblich, denn 
der König hatte ihrem unberechenbaren Vater von Lille 
her wiederholten Vertragsbruch vorzuwerfen, Uess sie aber 



♦) Die Unge Reihe von Actenstücken bei Rymer XIII, 435—446. Er 
will tigjicli von ihr Nachricht haben und wünscht sie demilichst in Abbeville 
ta enpfimgen, Brewer T, 5329. 5330. 5359. 5360. 

**) Badoer aus London 14. August bei Brown IIj 482. 
***) Die Nummern 471—477 bei Brown II. 
t) Bericht Sir Ric. Wiafflidds tmd Spinelly*« vom 19. Angost, Brewer 

I. 5341- 

* ff) Cannot apaes« herseift dieaelben am 29. Aug. iWrf. 5362. 



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230 



J}ie Anjänge Heinrichs VI IL 



versichern, dass er einzig und allein aus Rücksicht für den 
jungen Karl den Tractat mit Frankreich, wie er es wohl 
gekonnt haben würde, nicht .cfecfen Burgund gericlitet liätte. *) 
Empört über das dreiste Gebahren des aragonesischen Ge- 
sandten an ihrem Hofe und die vielen verletzenden Aeusse- 
rungen, die gegen den Kaiser gethan wurden, blieb Mar- 
gareta doch auch fernerhin gerade von diesen beiden Fürsten 
abhängig. Von Maximilian hiess es, dass er auf die erste 
Andeutung einer englisch - französischen Verbindung sein 
Bedauern darüber ausgedrückt hätte, dass eine so schöne 
imd tu^ndhafte Dame wi^ Maria an einen gebrechlichen 
und bösartigen Fürsten weggeworfen werden solle. **) Nach 
Briefen aus Innsbruck war der Kaiser auf die Kunde vom 
Abschluss des Bündnisses unverzüglich aus sdnen Jagd- 
gehegen bei Wels dorthin geeilt und hatte geschworen, den 
£ng]andem vor Gott nnd der Welt die verdiente Antwort 
tOi geben. Seine Unigebung zi^ Heinrich des schwärzesten 
Undanks an dem, der doch wie dn gemdner Hauptmann 
ihm sdne Siege erfochten.***) Auch in Spanien wurde 
die Veihdrathung eines achtzehnjährigen Madchens an 
einen welken scorixitischen Mann, die ihm der Tod sein 
wurde, weidlich gespottet t) Der alte Ferdinand aber madite 
bei der Erzherzogin die letzten Anstrengungen, damit s^ne 
allgemeine Liga nicht in das Wasser fi^. Im Geiste jedoch 
sah 'er die Franzosen bereits wieder in Mailand und den 
Kaisor von den Venetianem zurSckgeschlagen. Schon ent- 
fernte er sich von der französischen Allianz wieder so weit, 
dass er dem Gedanken Margareta's, den Infanten Karl mit 
der Prinzess von Ungarn zu vermählen, Gehör schenkte, ff) 
Er erfuhr, dass Ludwig mit dem Herzoge von vSuffolk, der 
wie andere seiner Landsleute durch französische Pensionen 
bestochen worden sei, Anschläge auf Rückgewinnung Na- 
varra's und Ansprüche der englischen Krone auf Castilien 



♦) Lettres IV, 355. 11. Sept. ♦♦) Brewer I, 5404. 

Gattiiiara an Margareta, 11. 14. Sept Ltttres IV, 361 ff. se portant 

t) Nach Ztttres IV, 335 Pldne an Maifareta, 30. Juni 1514 hatte er die 

Blattern gehabt; Fefr. Martyr, Epist. 541 4. Oct nennt Ludwig tUphmmtin 
gravatus. ft) Btr^tnnUh II, 190^ Oct. 



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DU Anfängt Mfmricks VIII, 



231 



beredet hatte. *) Sein €lesandter in London, Don Lonis Carroz, 
fühlte sich, was die Venetianer langst mit Vec]gfnügen be< 
merkten, bei jeder Grelegenheit empfindlich zurückgesetzt 
und meinte, alle Welt schleudere Pfeile auf ihn, wie auf 
einen Stier.**) Da bereute Ferdinand der Katholische denn 
wohl vollends den Eifer, mit dem er einst, um Frieden 
zwischen Frankreich und England zu stiften, die Vermittlung 
des Papsts angerufen, während Leo X. eben jetzt seinem 
Eidam alle Huld zuwandte. 

König Heinrich, nachdem er der Curie in ihren ärgsten 
Nöthen beigesprungen und darüber in wenigen Jahren aus 
der bisherigen Abhängigkeit zu den bestimmenden Mächten 
der Zeit emporgestiegen, erfreute sich, zumal er mit Frank- 
reich einig wurde, in Rom in der That einer unbegrenzten 
Gunst. Leo X. war ihm nicht nur wegen der grossartigen 
opferfreudigen PVeigebigkeit , sondern auch wegen seines 
für Kunst und Wissenschaften empfänglichen Sinns ge- 
Avogfcn. Er ersuchte ihn um Abfertigung von Gelehrten, 
die sich an der damals schon beabsichtigten Justification des 
Kalenders betheiligen sollten.***) Bereitwillig, nur gegen 
recht hohe Summen, bestätigte er die königlichen Emen- 
nungen in der englischen Prälatur. Freilich machten sich 
dafür auch die corrupten Zustände der Curie bisweilen recht 
fühlbar. Da residirten als Agenten der englischen Krone 
in Rom neben dem kriegerischen Bainbridge, Cardinal Erz- 
bischof von York, zw^ Italiener Silvester de Griglis und der 
Cardmal Adrian de Cometo, beide von Heinrich VII., jener 
in das Bisthum Worcester, dieser in Bath eingesetzt Cometo 
galt überdies als Patron des Geschichtschrdbers Polydor 
Yergil, der damals unter ihm als päpstUcher Subcollector 
in England sein Wesen trieb. Die beiden ersten standen 
auf gespanntem Fuss mit einander, aber in gleichem Ver* 
trauen zu Wolsey, während Cometo und seine Creatur 
gegen diesen intriguiiten. Am 14. Juli wurde Bainbridge 
in seuiem Bette todt gefunden. f) Es biess sofort, er sei 
vergiftet. Ein italienisdier Priester Rinaldo aus der Um« 

*) /bid. 191. 193. **) 6. Dcc. /bi'd. 20t 
♦**) 21. Juli. Brewer I, 5262, cf. II, 545, I. Juni 1515. 
t) Meldung des Cardinal von Medici, Rymer XIII, 404. 



Dü Anfänge Heinrichs VIII, 



gebungf des Cardinais wurde erg-riüen und gestand unter 
der Folter in der Engelsburg sein Verbrechen, sowie die 
Mitschuld des Bischöfe von Worcester. £tne Gegenstro* 
mung, an der auch COTneto bedidligt, suchte nun den 
Bischof zu reinigen. Man schrieb <fie Unthat geflissentlich 
dem Koch und einem englischen Prälaten des Verstorbenen 
zu. Jener Priester widmief , gestand abermals und starb 
gleich darauf als Selbstmörder am 26. August.*) Auf Be- 
fehl des Papstes wurde der Ldchnam gevierthdlt und ge- 
henkt.**) Die Untersuchung, in welche Worcester ver- 
wickelt war, kam indess der Sache nicht auf den Grund, 
da et sich -mit Bezug auf des Priesters Rinaldo Widerruf 
und den Umstand, dass es ein Wahnsinniger gewesen, bei 
Wolsey zu rechtfertigen wusste. ***) Als Parteigänger Frank- 
reichs war er zu sehr an der neuesten politischen Wendung 
betheiligt, als dass Leo X. ihn nicht mit der Zeit aus der 
Haft hätte entlassen und Heinrich VIII. auf weitere Nach- 
forschung verzichten sollen, obwohl Richard Pace, Bain- 
bridge's Secretär, noch nachträglich dem Könige Andeu- 
tungen machte, nach welchen Silvester von Worcester doch 
äusserst compromittirt erschien, f) 

Vor allem aber hatte dieser zu einer neuen Erhebung 
Wolsey's mitgewirkt, die für die meisten Betheilig-ten höchst 
erwünscht mit dem Abschluss des französischen Friedens 
zusammentraf Kaum nämlich war Medici's Anzeige vom 
Tode Bainbridge's eingegangen, so übertrug der König die 
Custodie und die Temporalien des Frzstifts York an Wol« 
sey.ft) Eine Woche später, am 12. August, richtete er zwei 
Schreiben an den Papst. Das eine betraf die mit Ludwig XIL 
zu Stande gebrachten Verträge, vh&c welche sein Vertreter 
in Rom, eben der Bischof von Worcester, wtttere Auskunft 

*) Zwei Berichte von William BnrlMnk an Heinrich Vm. ▼om 28. bei 
SlUSt Original LgtUrs I, i. 99. 106. 

**) Lipomano a8. August bd Brmn II, 479. 

***) Brewer I, 5365. %\» Aug. ätnum qutdem Semper ac pene hellua 
fuit cf. Ellis l. c. p. IT 2. Dazu der Brief des Andreas Ammonius» Hetnrichs 
Lateinsecretärs, vom 25. Sept. Ibid. 5449. 

t) Pace an Heinrich VIII. aus Rom 25. Sept., EUiSt l. c. I. i. 108. 
Vergl. Pace an Wolsey, 13. Sept. Brewer I, 5405. 
tt) Rymer Xm, 412. 5. August. 



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Die Anfänge Heinrichs VIIJ, 



g-eben würde. In dem anderen ersuchte er ]^eo, Wolsev für 
seine grossen Verdienste in derselben Sache mit dem rothen 
Hut und mit Bestätigung der geistlichen Würden zu be- 
lohnen, welche Bainbridge von York besessen.*) Am 18. 
hat Wolsey 2000 L. für das Pallium auf genuesische Bank- 
hauser imd 5704 Ducaten für Face und Burbank, die £xe- 
cutoren des vergfifteten Cardinals, in Rom angewiesen.**) 
Am 15. vSeptember wurden unter Silvesters Mitwirkung die 
Bullen über Wolsey's Translation auf den Erzstuhl von York 
ausgefertigt.***) Da jener wie in allen übrigen Geschiften 
so in seinen Bemühungen um den Cardinalshut überaus 
dienstfertig fortfuhr, so hat ihm Wolsey nicht nur sdn un- 
vermindertes Vertrauen bewahrt, sondern ausdrücklich in 
Anbetracht jener bo8«i Beschuldigung versidiert, dass er 
dieselbe wie gegen seine eigene Person gerichtet verfolgen 
werde, damit die Welt an der Verleumdung ^es Bot- 
schafters des Komgs ein Beispiel nehme, f) Unter seiner 
Mitwirkung erhielt derselbe eine BuUe, durch die er von 
allem Verdacht gereinigt wurde, ff) Dass beide in der Po* 
litik des Moments einer Meinung waren, erhellt aus einem 
Schreiben Silvesters, in welchem er den Frieden begrüsste. 
Ferdinand von Aragon werde, so urtheilte er, mit Navarra, 
das er auf Englands Kosten gewonnen, schon genug liaben. 
Ob aber Ludwig XII. gegen Ferdinands Mailänder Pläne 
die Schütten England opfern, und der Kaiser den Vene- 
tianem mehr als Padua und Treviso hingeben werde, schien 
bei der Treulosigkeit aller dieser hohen Herren sehr zweifel- 
haft. Niemals aber habe es, ohne dass er ein Feind Englands 
wäre, einen treuloseren Judas gegeben als den Kaiser. fff) 
Während Wolsey von der Universität Oxford, seiner 
Alma Mater, beglückwünscht ^vurde, dass er mit kaum 
vierzig Jahren zum Erzbischof aufgestiegen *t)» konnte ihm 



♦) Brewer I, 5318. 5319. ••) Fbid. 5334. 

♦**) Rymer XIII, 450— 454 cf. Brewer I, 5416. 

f) Die undatirten Schreiben beider Breiver I, 5464. 5465. 
tt) Brewer II, 91. i. Febr. schreibt ihm Wolsey, numquam haesitavi. 
Audi PMce nutdite sdiieii FHedea II, isi. 
ttt) Bremer I, 5353 24. Aogutt 
*t) Abt Y«m Winchecombe, 26. Angott« Ikid. 5355. 



234 



Di* Anfärng« MHmrieks VIII. 



nicht entgiefaen, dass die neae Würde doch auch als ein 
Aequivalent für das unsicher werdende Bisthnm Toumai 
betrachtet wurde. In dieser Stadt war die Einigung mit 
Frankreich nicht nur sehr unpopulär, sondern es gingen 
auch alsbald Gerüchte über ihre Rückgabe.*) Wolsey's 
Vicar Sampson stiess auf die gioasten Schwierigkeiten, bis 
er nur Zutritt fand. Er sdirieb aus Brügge, dass ein im 
französischen Interesse zum Bischof erwählter Kleriker einen 
Generalvicar für Flandern eingesetzt habe und die Einkünfte 
erheben lasse, die für ein Jahr bereits verloren seien.**) 
Die apostolische Verschreibung, die Patente Margareta's 
hatten nicht den geringsten Werth, so lange der König 
von Frankreich nicht jenen Gegencandidaten fallen Hess. 
Da kam es nun darauf an, ob Wolsey durch weitere Ver- 
pflichtungen Ludwig XII. wirklich zu einer solchen Con- 
cession bewegen würde. Seine persönliche Angelegenheit 
verschlang sich mit der des Königs, für den nun aber die 
schleunige Vollziehung seiner Ehe geradezu von politischer 
Bedeutung war. 

Eben an Wolsey persönlich wandte sich denn auch 
Ludwigt um rasch in den Besitz seiner Gremahlin zu ge- 
langen, während der Hersog von Longueville gleichzeitig 
„seiner souveränen Dame" schreiben musste.***) Sie hat 
dem, Könige stilgerecht erwidert, dass sie gleichfalls Nichts 
mehr ersehne als ihn zu erblicken, und dass ihr Bruder mit 
grösstem Eifer ihre Reise betreibe, f) I>er alte Galant hatte 
Sachverstandige nach England geschickt, damit sie bereits 
nai(^ franzosischer Mode gekleidet zu ilmikoora AUdn 
die bei so ausserordentiichen Anlässen am englisdien Hofe 
vocgeschri^jenen Formen erforderten die entsprechende Zeit 
Erst am 23. September wurde an acht der höchsten Würden- 
träger die Commission ausgefertigt, um des Königs Schwester 



*) Foynings von dort» 7. Sept., Bremer I, 5390. 
**) IhiA, 5424* 5439. 5439. 5446. AfthnUdi Sfar Ridttid Wtogfiekl 

Sbid, 4567. 

•*♦) Rymer XIII, 439- Brewer l, 4^73 3. Sept. 

t) Vous suppliant Monsieur me vouloir cependant pour ma tresStH- 
guliere consolacion sourent faire scavoir de voz nouvelles, Ellis, l. c. II5. 
tt) Wolsey an Ludwig XII., ä la mode de France. Rymer XIII, 455. 



IHt Anfänge Heinrichs VIII. 



235 



nach Frankreich zu g-eleiten.*) Einem derselben, Lord 
Herbert, jetzt Graf von Worcester, hatte Wolsey gleich- 
zeitig politische Aufträge ausgearbeitet. Bei dem Empfang, 
den die junge Königin zum Abschied hielt, waren auch die 
fremden Kaufleute erschienen. Ein Venetianer fand ihre 
Schönheit in England ohne Gleichen und den Anzug von 
Goldtuch in französischem Schnitt überaus kostbar. Mehr 
als alles Andere aber wunderte ihn, dass von dem Diamant 
von Fingers Dicke, den sie am Halse trug, und von der 
Perle, so gross wie ein Taubenei, dem Angebinde Ludwigs, 
bisher im Juwelenmarkt noch Nichts verlautet war.**) Wäh* 
fend der französische Hof in die Picardie verlegt worden, 
und in iippigen Vorbereitungen nur an die Hochzeit zu 
denken sdiien***), gaben Heinrich und Katharina der 
Schwester nach Dover das Gdeit, wo aber, da die See 
stürmisch war und wcigen der EfaschiiTung der grossartigen 
Aussteuer und eines zahlreichen Gefolges von Herren und 
Damen nebst Pferden, 6respann und glänzendem Geschirr 
noch mehrere Tage verstrichen. Erst am 2. October früh 
Morgens war Alles fortig und ging ein Greschwader von 
mehreren hundert Schiffen imter S^geL Der Wind aber 
blies immer noch so stark, dass die Fahrsenge weit aus- 
einander geworfen wurdeo, eines scheiterte, und Maria am 
folgenden Tage nur mit Lebensgefahr bei Boulogne ge* 
landet wurde, f) Sie hatte eine Begleitung von 80 Herren 
bei sich, während der Bräutigam mit 200 in züchtiger Ent- 
fernung zu Abbeville ihrer harrte, ff) 

An demselben Tage jedoch hatte der Graf von Wor- 
cester, der voraus geeilt, dort bei Ludwig Audienz, über die 
er unverweilt an Wolsey berichtete. Auf alle Sonder- 
verträge mit Aragon, dem Kaiser und dem Infanten gelobte 
der König fortan verzichten, Zeit Lebens aber Heinrich VIIL, 
mit dem er eine baldige Begegnung zwischen Boulogne und 
Calais herbeiwünschte, zu Willen sein zu wollen. Er gab 
Wolsey, seinem besonders guten Freunde, die schönsten 

*) Rymer Xm, 448. **) Lonos Fasqualigo bei Br^m II, 500. 

*«•) DMdolo Otf. 496. 
t) Bericht iMl UM p. S70 vfL mit Dmdolo bei Brm» TL» Wl- 
tt) Romiidiar BfldUkt bei Brmmt. II» 499- 



2$6 



Du Anfängt Heinrichs VI II, 



"Worte wegen Tournai und sagte dem l^otschafter, als dieser 
staunend die kostbaren, der jungen Königin bestimmten 
Hochzeitsgeschenke betrachten durfte, darunter Diamanten, 
Rubinen und Perlen von unerhörtem Preis, mit lachender 
Miene: ,, Meine Frau soll sie nicht alle auf einmal, sondern 
nach einander haben, denn ich verlange oft und immer 
wieder Kuss und Dank dafür."*) Auch mit dem Herzoge 
Franz, dem eventuellen Thronfolger, ohne welchen am fran- 
zösischen Hofe schon gar Nichts mehr geschah, der nächst 
dem König« auch beim Empfange Maria's der erste sein 
wollte, und grosses Verlangen nach persönlicher Bekannt- 
schaft mit ihrem tumierlustigen Bruder trug, hatte der 
Herzog von Norfolk» der den Conduct auf englischer Seite 
leitete, angeknüpft***), ehe sich am Sonntag, dem 8., die 
Cavakade Abbeville näherte. 

Es war Nachmittags*3 Uhr, als Maria eme kurze Stredce 
vor der Stadt von Franz, an der Spitze der vornehmsten 
Herren des Rmchs, der Grarden zu Pferde und der Schweizer 
zu Fuss b^irusst wurde. Kurz darauf traf der Konig, der 
seiner Braut am Morgen ihre Revenuen in ders^ben Hohe 
wie der verstorbenen Gemahlin, Anna von der Bretagne, 
verschrieben hatte***), mit kleinem Gefolge ein. Er ritt ein 
prachtig aufgezäumtes spanisches k.oss und trug einen kurzen 
Reitrock von rothem Groldtuch, als wenn es auf die Vogel- 
beize gehn sollte. Nachdem beide einander Kusshand zu- 
geworfen, umschlaniT er seine Braut und küsste sie wieder- 
holt auf den Mund. Dann redete er einige Worte zu ihr, 
welche von den Umstehenden nicht verstanden wurden, 
wandte sein Ross und ritt in die Stadt zurück, worauf erst 
der in Gold und Silber, in Sammt und Seide strotzende 
Festzug sich in Bewegung setzte, f) Die Bürger Abbevilles 
schritten in bewaffneten Abtheilimgen voraus, an die sich 



*) Ellis, Original Letters II, I. 233. Vgl. liarigny M Wolsey über 
Ankunft in Boulogne 3. Oct. Brewer I, 5469. 

♦*) Norfolk an Wolsey 7. Oct. ßrevier I, 5477. 
♦♦♦) Rywur XHI, 459« 
t) Berichte von Theilnehmem, swd an dan Bischof von Asti ge- 
richtet, trddie Swoto in sein Journal aufgenommen, bei Brmm II, 508. 509, 
511, stimmen gut lu der kflncren Dantdhmg bei HM L <r. 



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DU Anfänge Heinrichs VIII, 



237 



in der Vorstadt der Klerus anschloss. Dann folgten die 
Schweizer mit ihrem Banner, die schottischen Bogner, die 
Garden, die französischen und die englischen Edelleute, die 
Gesandten des Papstes, von Florenz und Venedig", die Prinzen 
von Geblüt, die vornehmsten unmittelbar vor der Königin, 
der zur Seite Herzog Franz sein Ross tummelte. Auf Maria, 
die unter einem Baldachin einen weissen Zelter ritt, in den 
kostbarsten Stoffen, aber bei dieser Gelegenheit steif eng- 
lisch gekleidet war, ein Diadem in den Haaren und ein 
weisses Scepter in der Hand trug, richteten sich aller Blicke. 
£s herrschte nur eine Meinung, dass sie sehr gut aussah, 
ein reizendes Gresicht, eine schlanke Gestalt und anmuthige 
Manieren besass. Auch die schärfsten Kritiker, die viel- 
leicht Augen und Teint zu hell, die Brauen zu blond fanden, 
erklärten, sie sei in jungen Jahren ein „Paradies". Aber 
auch an den schweren goldenen Ketten der fremden Edel- 
leute, ihrem trefflichen Beritt und der gediegenen Pracht, 
mit der das (jefblge gekleidet war, hatte man sdne Augen- 
weide. Man staunte über die vielen schmucken Damen und 
Fräul§in, die gewandt auf ihren Thieren sassen, über die 
Staatssanfte, die Carrossen und die drei Abthdlungen Bogen- 
schützen, die eine jede in ihrer besonderen Farbe hinter- 
drein zogen. Nur schade, dass es die ganze Zmt über auf 
alle Herrlichkeit herabregnete und dass, während Maria bei 
der Herzogin von Angouleme, Ludwigs Tochter und Franzens 
Gemahlin, abstieg, wo Abends getanzt und musicirt wiu"de, 
auf der anderen Seite der Stadt ein heftiger Brand eine 
Anzahl Häuser zerstörte.*) 

Am Montag dem 9. in der Frühe war wieder Alles in 
Bewegung, denn Hochzeit und Beilager**) sollten gefeiert 
werden. Bald verliess denn auch die Königin herrlich ge- 
schmückt ihr Quartier, um von den Engländern in pro- 
grammmässigem Aufzuge durch die Spaliere der franzö- 
sischen Truppen in die Residenz des Königs geleitet zu 
werden, an deren Gartenpforte Prinzen und Grrosswürden- 



*) Aoaer dM Beiidifeeii bei Browm n, $0^ Sit Btndolo, dar als Ge* 
Mttdtar Vraedics den fainiosiichea Hof begleitete iMd* yij. 



Die Anjänge Heinrichs VIII, 



träger sie ehrerbietig empfingen.*) In der grossen Halle 
war ein Altar errichtet, zu dessen Seiten Schemel für König 
und Königin. Ludwig lüftete den Hut, küsste seine Braut, 
die sich tief verneigte und hing ihr ein kostbares Geschmeide 
um den Hals, welches der Schatzmeister Robertet dar- 
reichte. Sobald sie Platz genommen, gab der Herzog von 
Norfolk im Namen König Heinrichs die Braut fort, wozu 
Vendöme, Vater und Sohn, die Kerzen und Angouleme, nebst 
drei anderen Herzögen» den Baldachin hielten. Nachdem 
der Bischof von Bayeux das Hochamt gefeiert hatte, reichte 
er König* und Königin je eine Hälfte der gebrochenen 
Hostie, worauf Ludwig zuerst die „Pax" und alsdann seine 
Gremahlin küsste, die, sich tief verneigend, »bh nunmehr in 
die königlichen Gremacher zurückzog« Dort waren die Fest« 
tafeln gedeckt, zu denen an diesem und den beiden folgen- 
den Tagen Alles entboten war. Das Ceremoniel aber ver- 
langte, dass König und Königin an besonderen Tischen mit 
auserwahlten Grasten spdsten, während Herzog Franz, den 
man ausser nach Valois, Angoultae und Bretagne audi 
schon als Dauphin betitelte, die Gesandten bewurthete.*^ 
G^gen Abend folgten dann in der grossen Halle Tanz und 
Banket, wozu die junge Königin, in SdiÖnheit strahlend, 
ihre Gewänder nach französischem Schnitt angelegt hatte. 
Das dauerte nach venetianischer Zeitbestimmung von i bis 
8 Uhr, wonach endlich Madame von Angouleme ihrem 
Vater Maria in das Gemach zuführte. 

Am nächsten Morgen wollten die Höflinge den König 
besonders heiter erblickt haben und verbreiteten eifrig ein 
starkes Wort, das geflügelt von seinen Lippen gefallen. ***) 
Unter der Hand aber erfuhr man die Wahrheit, dass er von 

*) Die Liften der engüecben Geaandtachaft, des Condncts 
Damen unter dm Herzoge von Norfolk ond da* Yeraeicluiiss des fraoao- 
sischen Hoft bei Brewer I, 5481. 5482 beseagen ^ T^e der venetiaiiiscben 

Relationen auch in den Personalien. 

*♦) Ausser den Berichten 508. 510. 511 der leider nur verstümiuelt erhal- 
tene Bericht des Grafen von Worcester und des Dr. West an Heinrich VIII. 
bei BUi$t Original Letters II, i. 239. 

Tre votte questa noete ka fassüio'ta rHdera etpiü Pkmveria fact»t 
se Pavesse vahde. So die beiden Berichte an den nadiof von Aatl bei 
BrewH TL, 508. s"- 



Dü Anfang* Htinricht Vlll. 



^39 



einem heftigen Gichtanfall geplagt würde, der ihm nur lang- 
sam nach Paris zu reisen gestatten dürfte. An den folgen- 
de Tagen kam er nur Tisch zum Vorschein, .wobei er 
denn jedesmal, wie er sich vorgenommen, der Konigin einen 
neuen kostbaren Schmuck überreichte, während die Eng- 
lander der Reihe nach bei den französischen Herzögen 
speisten.*) Am Freitag trat ein grosser Theil derselben, 
nachdem sich <fie Herren bei Hofe verabschiedet hatten und 
rdch beschenkt worden, unter dem Herzoge von Norfolk 
den Hdmweg an. Andere verlangten, der Krönung der 
Königin und dem in Aussicht gestellten Lanzenbrechen in 
Paris beizuwohnen. Vor allem aber waren sie unter sich 
nicht einig, wie weit die Auftrage ihres Herrn sie mitzu- 
gehn ermächtigten, als der SelbstwÜle Ludwigs XIL, wahr- 
scheinficfa gepaart mit der üblen Laune des Kranken, sich 
zum Lendemain s^ empfindlich äusserte. Er selber hatte 
einst eigenhändig diejenigen Engländer bezdchnet, die als 
Kammerherren tmd Pagen, als Caplan und Arzt, als Hof- 
damen, Edelfräulein und Dienerinnen bei der Königin ver- 
bleiben sollten.**) Nun entliess er gerade diejenig-en, an denen 
Maria am meisten gelegen war, Knall und Fall, so dass 
sie in die grösste Verlegenheit geriethen.***) Die Königin 
aber klagte schon in Briefen vom 12. ihrem Bruder und 
Wolsey bitteres T.eid über eine so schmähliche Behandlung-, 
die sie dem leichtfertigen Verfahren Norfolks zur Last legte. 
Am schmerzlichsten tiel ihr die Trennung von T,ady Guild- 
ford. Keine franzosische Dame könne, so meinte sie, ihr 
und König Heinrich jemals ersetzen, was „Mutter Guild- 
ford" gewesen. Ja, sie wollte lieber allen Gewinn in Frank- 
reich daran geben, als deren Rath.f) Sie beschwor ihren 
Bruder und den Erzbischof von York, nur dieser Dame 

*) Woroeiter an Hduich Vm. L c 

♦♦) IMe Mlur TcntSmraelten Namen des Originals nach der Cottonschen 

Handschrift bei EUis , Original LetUrt 1^ I. 11$. Darantcr Mademoyselle 

Boleyne, doch wohl bemerkt, nicht Anna, sondern ihre ältere Schwester Maria, 
▼gl. die Liste bei ßrewer I, 5483. Lady Guildford erscheint nur in iler letzteren. 

Hall l. c, übertreibt, wenn er einige sterben oder wahnsinnig wer* 
den lisst. 

f ) / kad «# Ir/V hu ike wynnyng't I sehmll kavt yn FrmM€4 a# Ip 
hse her ewmtlL 



240 



Die Anfänge Heinrichs VIII, 



Glauben zu schenken, die ihr nie entrissen worden wäre, 
wenn Wolsey statt Norfolk sie begleitet hätte.*) Keine 
Frage, die Parteiung im englischen Geheimen Rathe, die 
Spannung Wolsey's und der Kleriker mit der vornehmen 
Sippe der Howards spielte in diese Verhältnisse hinein. 
Andererseits aber mochte der König von Frankreich seinen 
guten Grund haben, wesshalb er dch eine gescheute, auch 
in der Politik nicht unerfahrene Haushofmeisterin seiner 
jungen englischen Frau bei Zeiten vom Halse schafißbe. Der 
Graf von Worcester, der ihn, sobald die Cricht es zuliess, 
nach Paris bßg^atete und brieflich von Wolsey zur Rede 
gestellt wurde, schrieb denn auch, wie Ludwig ihm kurz 
und bundig erklart habe: dass die Königin erwachsen sd 
und keines anderen Raths, als des seinigen bedürfe, zumal 
nicht jener Lady, die im ersten Augenblick Alles an sich 
gerissen, überall sich dngedrangt und selbst ihn bü seiner 
schwachen Gresundheit nicht verschont habe.*^ Im Uebri- 
gen versicherte Ludwig, dass sdne Gremahlin giQcklich und 
zufrieden wäre, Hess auch im Voraus bereits, sobald es einen 
Sohn g-äbe, König Heinrich zu Gevatter bitten und durch 
■ denselben , überaus gläubigen Botschafter Wolsey alle bei 
seinem Parlament und in Rom gethanen Schritte mittheilen, 
mittels deren der erwählte Bischof von Tournai bewogen 
werden sollte, jenem den Platz zu räumen. Nichtsdesto- 
weniger stand diese Sache höchst zweifelhaft, denn Wolsey 
wusste aus Rom nur zu gut, dass die französischen Bevoll- 
mächtigten dort unbehindert ihm entgegen arbeiteten.***) 
Inzwischen aber war bereits ein Anderer unterwegs, um 
den NajChlassigkeiten oder gar den Intriguen der Faction 
zu begegnen und der jungen Königin Trost zu bringen, 

♦) Ellis I, I, 116. 117. Wolsey verwandte sich für Lady Guildford bei 
Ludwig, 23. Oct., abgedruckt b«i Brewer I, p. LXVI. 

**) H§ Said tkai h^isa sekely body and not at altynus tkat he woid 

msry «AA his wift U A«v« any sträng* woman witk hmr. St Benfe 
6. Nor. miu m 1. 343> Joan« Wittve des Sir Richard Gvildfiurd, hatte die 
Töchter Heinrichs VIT. erzogen und erhielt jetit ein Jalugehtlt von 30 
Rymer XIII, 470. 40 L. Breiver II, 569. 

***) All the court of Rome knoweth that I have not deseri ed that his 
ambassadors or any in his name should labor against me in any cause. 
An den Earl von Worcester 22. October, Brewer I, 5518. 



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Dit Anfänge Heinrichs ViH, 



kein geringerer, als der Herzog von Suffolk, der wie bei 
Heinrich selber, so auch bei seiner Schwester hoch in Gunst 
stand. Am 20. October setzte er von Dover nach Boulogtie 
.über*) und holte am 25. zu Beauvab den in kurzen Etappen 
reisenden französischen Hof ein. Bei der Audienz, die ihm 
Ludwig im Bette gewährte , während Maria daneben sass, 
kniete er nieder und wurde von jenem umarmt. In haar* 
sträubender Orthographie*^ beschrieb er Heinrich die freund- 
lichen Erkundigungen seines königlichen Bfudm vnd dessen 
ssärdiche Lobeserhebungen über die junge Königin« Dann 
wusste er nur von dem bevorst^ienden Laiusenbredien zu • 
erzählen, zu welchem er und der Marquis von Dorset die 
Herausforderung des Dauj^n tmd anderer hochgeborener 
Herren angenommen hatten, und von dem Abendessen, das 
sie beide mit dem Herzoge von Bourbon und dem Gross- 
staUmeister Graleazzo di San Severino, dem grössten Stutzer 
am französischen Hofe, eingenommen, der nicht genug von 
Heinrichs Fertigkeit zu Pferde habe hören können. Uebri- 
gens habe auch Ludwig dem Könige von England uine 
vollständige Rüstung nebst Streitross versprochen mit der 
scherzenden Bemerkung: er habe ihn so gut beritten gemacht, 
dass er die ganze Christenheit durchsuchen müsse, um ihn 
wieder zu ehren.***) 

Trotz aller Lebenslust indess waren dem jungen Her- 
zoge, der mit Wolsey auf besserem Fusse stand, als Nor- 
folk oder Worcester, doch auch intime politische Autträge 
mitgegeben, die er in den blendenden, ihn selber gewaltig 
in.Anspruch nehmenden Festlichkeiten nicht aus den Augen 
liess. Gleich nach der Ankunft in Paris klagte er, dass 
seine Briefe geöffnet würden, hatte auch mit Ludwig und 
'dessen Ministem wegen der in Aussicht genommenen Be-. 
g^gnung beider Höfe eine Besprechung, und überreichte in 
einer Privataudienz seine Creditive für unmittelbare Ver- 
handlungen, zu welchen jedoch der schlaue alte Fürst erst 
nach den Hoflfesten Müsse haben wollte, f) Zum 3. Noveinber 

♦) Brief an Wolsey, Bre-wer I, 55 12. 
**) How dows nun fsspysiea! ,^ood brodar^ lohome l am so moch^ 
banden to low/ abouj hall the warld 't 

♦**) lirtmtr I, 5523. t) 3. Nov. Brrmer I, 5547. 
PamU, ▲■Mm. H. F. 16 



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242 



ÄV Anfänge Heinrichs VIII. 



waren die englischen Botschafter und Gäste nach St. Denis 
beschieden, wo sich seit dem 31. October das Hoflager 
befand. Mehrere Besprechungen fanden statt, doch konnte 
man über den Tag und den Ort der Zusammenkunft zwi- 
schen Calais und Boulogne nicht einig* werden. Jedenfalls 
beharrte Ludwig bei derselben, ehe er, wie hier eröffnet 
wurde, im Frühling sich zu seinen Truppen begeben würde, 
um Mailand zurückzuerobern. *) Am 5. wurde Maria am Hoch- 
altar der Abtei von Saint-Denis nach uraltem Formular ge- 
krönt, wobei der Herzog von Angoul6me ihr die Krone, da sie 
deren Schwere nicht ertragen hatte, über dem Haupte hidt.**) 
Am 6. fimd der feierliche Einzug in Paris statt, an welchem 
Magistrat und Bürgerschaft, Rechnungshof, Parlament und 
Universität sich betheüigten. Vor den allegorisdien Dar- 
stellungen, die mit Balladen zum Prdse'der Verbindung von 
Lilie und Rose gefdert wurden, vor der en passant in 
Notre Dame und in der Sainte Chapelle verrichteten An- 
dacht kamen die viel geplagten Herrschaften erst spät 
Abends in der Residenz der Lournelles zur Ruhe. 

Am Sonntag darauf begannen dann die dreitägigen 
Kampfspiele, zu denen die englischen Herren ihre Rosse, 
Rüstungen und Waffen mitgebracht hatten. König und 
Königin waren zugegen, der erste so schwach, dass er 
auf einem Ruhebette lag, Maria in voller Schönheit aller 
Blicke fesselnd. Tm Rennen und Lanzenstechen, im Kampf 
mit Speer und Schwert stand, wie in der Schlacht, das 
Menschenleben auf dem Spiel. Suffolk, der wie Herzog 
Franz an der Hand verwundet wurde, und Dorset glänzten 
durch Geschick der Abwehr, wie durch die Kraft ihrer 
Stösse, die unter anderen auch einige Deutsche zu fühlen 
bekamen, die als die stärksten mit geschlossenem Visier 
von Franz selber in der zweifellosen Absicht, die Fremden 

*) Dandolo berichtete schon am 17. October von einem Gespräch mit 
dem Könige, wonacli adne Gemahlin swei WfinKlie ausgesprochen: die iti»- 
' lieniiche Expeditioa nnd einen Berach Venedigs Brcwn n, S07* 

•♦) Th4 taid Duc stode hehynd« htr^ Holding the crovm from her h*d 
to eas« her of the weight therof. Bericht Suffolks, Dorsels, Worcestcrs etc. 
an Heinrich VITT., Ullis Vi, i. 247. Ganz ähnlich Hall der seine heral- 
dischen Mittheilungen, wie es scheint, aus Dorsels Begleitung hatte. Vgl. 
EUis I, J. 119. 



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Di€ At^äng« Heinrichs VIJl, 



«43 



zu bezwingen, in die Schranken g-eschickt wurden. Sammt 
ihren Landsleuten aber bestanden beide trotz der Hinterlist 
s&mmtliche Gänge mit Ehren.*) Derselbe Brief, in welchem 
sich Suffolk dieses Ausgangs rühmte, machte aber auch 
über politische Ding-e weitere Mittheilung: der beste Beweis^ 
dass der Schreiber in Saus und Braus, in lebensgefährlichen 
Ritterspielen sich kühlen Kopf zu bewahren suchte. 
Gesandten nämlich hatten den Besuch des Herzogs voa 
Albany erhalten, der sie im Auftrage Ludwigs über Schott- 
land ausforschen wollte. Br war der Sohn jenes gleich- 
namigen Herzogs» des jüngeren Bruders König Jacobs IIL, 
der önst im Jahre 1483, als .Ludwig XI. und BÜchard III. 
regierten, nach Frankreich geflüchtet war. Dort zum Ad- 
miral des Reichs erhoben und den Prinzen von Geblüt bei- 
gezahlt, war er bei allen seit der Hochzeit in Abbeville ver- 
anstalteten Feslüchkeiten zugegen gewesen, aber aus guten 
Gründen vor den Engländern im Halbdunkel g^Ueben. Nach 
dem Untergange seines Vetters Jacob IV. hatte die in Sdiott- 
land vorherrschende französische Facdon dringend die Hilfe 
Ludwigs XII. angerufen, und dieser, wie man in London sehr 
wohl bemerkte, gegen die verwittwete Königin Margareta, 
Heinrichs Schwester, den Herzog von Albany in ganz ähn- 
licher Weise ausgespielt, wie gelegentlich die sogenannte 
„weisse Rose", den Flüchthng Richard de la Pole, gegen 
Heinrich selber. Dann kreuzte der Friede vom August 
jedes Unternehmen des Prätendenten, obschon die alte fran- 
zösisch-schottische Allianz gewahrt blieb, so lange sich die 
Schotten regelrechter Einbrüche über die englischen Grenzen 
enthielten. Der König von Frankreich war eben so wenig 
geneigt, über diese Angelegenheit, wie über das Bisthum 
Tournai dehnitiv zu entscheiden. Suffolk nahm daher auch 
Albany 's Mittheilun^en über seine Absicht, nach Schottland 
ZU gehn und dort einen für England vortheilhaften Zustand 
zu erwirken, mit der Bemerkung entgegen, in dieser Sache 
ohne Instruction zu sein, vorhehlte aber Wolsey nicht, dass 

*) Blistid God, alle our Englissh men sp^d wtU^ Suffolk an Wolsey, 
18. Noy. BlUi n, I. 258 md Donet an Wohey 23. Nov. 'Brnnr I, 5606 
vgL Sali 57a: Thntgfythmm rtctywd muekt hiMire and spoit of 
rebuktf y*t thtg^ were privgly sett at and in many U^pardies. 

16* 



244 



Die Anfänge Heinrichs VIII 



ihm der Mann sehr wenig Vertrauen einflösse. *) Ingleichem 
berichtete er, wie er und die übrigen Bevollmächtigten auf 
Bitten der Königin sie den vertrautesten Rathen Ludwigs 
empfohlen hätten, damit sie, deren Beistandes gewiss, dem 
•Gemahl unter allen Umständen willfahren könnte. Jiinige 
Tag^e später schrieb dann wieder Dorset von ihren Ver- 
suchen, den Köaig* über sein Vorhaben in Navarra auszu- 
forschen, der indess geschickt auswich, um zuvor ihre directen 
Aufträge in Erfahrung" zu bringen. Zuletzt habe er das 
Souper bestellt, sie an seinem Bette essen und trinken 
Jieissen und ihnen, nachdem er sie an seine Räthe gewiesen, 
gute Nacht gesagt.**) Die liess er dann allerdings schon 
am folgenden Tage Heinrichs £rdfi&iungen beantworten. 
Sie bezweckten nSmlich ein gemdnsames Anfitreten gegen 
Ferdinand von Aragon, der ihnen beiden sein Wort ge- 
brodien. Um ihn aber aus Navarra zu vertreiben und gar 
mit den Ansprüchen sdner Töchter auch in CastiUen zu 
bedrohen, müsste man nach der Meinung der Franzosen 
zuvor die spanischen Gresandten anshorchein. Als Aequi- 
valent forderte Ludwig englische Hilfe bei dem Unter- 
nehmen auf Mailand, indem er sdn Anrecht noch einmal 
ausföhrlich entwickeln Hess, sowie ein Dailehen von zoofioo 
Kronen. ***) Mit diesem Bescheid und dem Versi»!echen, dass 
weder der Herzc^ von Albany noch der Bischof von Moray, 
sondern eine untergeordnete Persönlichkeit f) von Paris 
nach Schottland gehn sollte, sind Suffolk und Dorset nach 
Hause zurückgereist. König Ludwig aber äusserte sich 
nicht nur höchst schmeichelhaft über den jungen Herzog, 
sondern betraute ihn auch mit einem besonderen Anliegen 



♦) / promyst you ht «nUndith not weil as /er as I jcan pereeyve, 
suis II, I. 256. 

That done a bade us goude nyde, ans dem telir verftfliiiltieltdk Ori« 
^iaal vom 25. November bei Breiver I, 5634. 

***) 26. Nov. Brewer I, 5637. Sehr merkwürdig, wie dasselbe Document 
auch in die spanischen Archive gerathen ist, Bergenroth II, 192. Von Lud- 
wigs AbiiehtcB wdK P«ter Ifsrtyr «n 27. , EpUM^e 544. Entsprechende 
Instmctioata ftr die ftnuSfiiclMB Ckssndten Bremer II, i. 

• t) But one in a long gemn ef n» great estimüom, «dMm aas Cks^ 
mont 38. Bremer I, 5649. • 



Die. Anfängt Utimrifikt VUL 



«45 



an Wolsey.*) Als Heinrich Vlll. ihm dann für die ehren- 
volle Aufnahme, die er seinem Freunde bereitet» gedankt 
hatte, pries er seinem königlichen Bruder noch einmal dessen 
vortreffliche Eigenschaften und die hohe Zufriedenheit, die 
ihm die Königin, seine Gemahlin, gewähre.**) Der ge- 
heimen Angelegenheit gedachte er nur beiläufig, da sie 
noch nicht beachlussretf wäre, versicherte aber» in guten und 
bösen Tagen unabänderlich ein treuer Bundesgenosse sein 
und bIMben xu wollen.***) M/le wen^ aufnditig tndess 
alle diese Bethenerungen ttner henlidien AUiaiu gemeint 
waren, orgab sidi daraus, dass keine einzige der Ange- 
legenheiten, über die sich England und Frankreich mvor 
hätten veiti age a mfiasen, vom Flec^ kam. Wolsey sdbcr 
konnte es an seinmn bisdiöfliciien Handel in Tournai ab« 
messen. Sein Vicar Sampson, der vergeblich in Paris ge- 
wesen, meinte, der König möge ihm noch so wohl gesinnt 
sein, so wären seine Käthe doch gute Franzosen, aber sehr 
schlechte Engländer, f) Trotzdem, entgegnete Wolsey, würde 
der Papst ihn auch um Tausend solcher, wie sein erwählter 
Rival, nicht beleidigen wollen, und dieser ohne Erlaubniss 
König Heinrichs sich nicht nach Tournai wagen, ff) 

Nach keiner Seite waren die durch die kriegerischen 
Ereignisse des Jahrs 1513 aufgeworfenen Fragen erledigt, 
als Ludwig XU., der trotz grosser körperlicher Schwäche 
an seinen Anschlägen rastlos weiter gesponnen und immer 
noch selber die Feder gefiihrt hatte, am i. Januar 15 15 
starb. Auch wenn er längst zarter Gresundheit gewesen,- 
so war der Ausgang doch seit Verheirathung mit einer 
jugendlichen Frau beschleunigt worden. An der Gicht, die 
ihm das Rfickgrat krununte, an allgemeiner Hinfälligkeit, 
die seine Leiden tmendlidt steigerte, starb er, ein Greis mit 



*) A Mamseffiuur 4*Y9rk mom hOH amy, 15. Dee., e^MMUg^ Rymgr 
Xm, 455- 

mtnt mfoers moy de sorte, que je ne sauroys ftt4 grtmitmti^ nu Iwtr tt 

contenter d'elle, 28. Dec. Ellis II, i. 261. 

♦♦♦) A bonne et a mauvaise forturu j* V4ttti vivt4 m&t^qius wms, 
15. Dec. Brewer I, 5697. 
tt) Ibid. 5698. 



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DU Anfängt Üeinrichi VIU. 



53 Jahren.*) Auf den ,,g-uten König", wie ihn die fried- 
liebenden Bürger hiessen, folgte sein Eidiim Franz, mit ein- 
undzwanzig Jahren früh reif, in seinem ganzen Wesen stür- 
misch und genusssüchtig. „Dieser lange Schlingel wird uns 
noch Alles verderben", hatte der Verstorbene einst traurig- 
von ihm gfesagt. Zunächst griff er doch zu , wo jener die 
Ding« verlassen hatte. Aber freilich für Italien und den 
Papst, für Habsburg und Aragon, für Burgund und Eng- 
land zogen alsbald mit seinem Eintritt unruhige Tage herauf. 

Wolsey meinte wohl, sein diplomatisches Meisterstück 
geliefert 2a haben, indem er durch den englisch •franrosi- 
schen Ehebimd der Obergewalt Frankreichs über die Cuiie, 
hl Italien und Europa einen Ri^^el vorgeschoben und seinen 
jungen Herrn zum Schiedsrichter in den allgemeinen An- 
gel^fenheiten erhoben hatte. Jetzt war der Riegel plotzHdi 
gesprengt Ein feueriger, thiUbenhistiger Fürst, war Frans 
wenig geneigt, Hebrich Vm. auch nur als Nebenbuhler zu 
dulden, während die Gewalten in Burgund tief verletzt, 
Ferdinand der Katholische voll Argwohn, der Kaiser den 
Meistbietenden käuflich, der Papst und die italischen Staaten 
angstvoll stutzten. Aber auch England wurde von dem 
rückschnellenden Stoss getroffen. Das französische Bünd- 
niss, dem die schöne Königstochter zum Opfer gebracht 
worden, war dort nie populär gewesen, vielmehr bis zuletzt 
von einer mächtigen Partei bekämpft worden. Es kam 
daher für den leitenden St^tatsmann .\lles darauf an, nicht 
nur das nationale Ansehen, das er jüngst gewonnen, zu be- 
haupten, sondern der persönlichsten Beziehungen selber ' 
Meister zu bleiben. Die enge Verbindung mit dem Herzoge 
von Suffolk erhielt darüber um so höhere Bedeutung, als 
dieser im Gegensatz zu den Howards am französischen Hofe 
i'reundschaft besass. 

Die junge Königin Wittwe soll beim letzten Athemzuge 
Ludwigs XII. den Dauphin Franz sofort als König begrüsst 
haben, da von ihr, wie alle Welt wusste, Nachkommen- 
schaft doch nicht zu erwarten war.*^ £r aber, eme durch 

*) Dandolo bei Avw» II, 562. Vgl. MmrÜn, Hüiair« dt Framet 
vn, 430. 

So Ifaicmtonio Cootttliii bei Brvmn II, 600. Auch fian ia Inn»- 



Die Anfänge Heinrichs VJIl' 



Hl 



und durch sinnliche Natur, fand es wie alle Welt unendlich 
reizend, wenn sie, obwohl wie eine Nonne schwarz gekleidet, 
das Köpfchen im weissen Wittwenschleier lebhaft hin und her 
bewegte.*) Täglich besuchte er sie, wie man meinte, sie 
in ihrem tiefen Schmerz zu trösten, in Wahrheit aber, um 
ihr mit wenig ehrsamer Zudringlichkeit lästig zu fallen.**) 
Wolsey, dem Nichts entging, hatte die schwierige Lage der 
Königstochter vorausgesehn und, indem er den Tod Ludwigs 
kaum abwartete, sie beschworen, alle Heirathsanträge abzu- 
wehren, damit sie in Ehren ihrem Wunsche gemäss in die 
Heimath zurückkommen könne.***) Sie antwortete um- 
gehend, dass sie keinen kindischen Schritt thun, sondern 
fort&hren werde, sich 2U ihres Bruders und ihrer eigenen 
Ehre so zu verhalten, wie es wahrlich bisher der Fall ge- 
wesen, t) Indess, wenn sie sich euieiii höheren Willen unter- 
ordnete, so verleugnete sie doch den dgenen eben so wei%. 
Dasselbe kra^^ Tudorblut rollte durch ihre Adern, wie 
bei Bruder und Schwester. Um sie aber nicht preb zol 
geben und asogleich den neuen Herrsdier zu begrussen, 
sandte Hdnrich alsbald den Hensog von Su£FoIk, breitet 
von Dr. West und Str Richard Wingfield. ff) SqjEolk war 
aber Maria's Jugendfreund so gut wie ihres Bruders, ixk 
den prächtigen Schaustellungen während der ersten Jahre 
Henrichs hatte die reisende „Priniess von Castilien" be- 
ständig neben dem schottischen Charles Branden mitzu- 
wirken, f ff) Dass er und seine Begleiter nun aber auch 
weitere Aufträge erhielten, war selbstverständlich. Am 
27. Januar erfuhren sie in vSenlis, dass Franz, der zwei Tage 
zuvor in Reims gesalbt worden, sie am i. Februar in Noyon 
empfangen wolle. Bei der feierlichen Audienz am 2., konnte 

bnick galt «ia als Jungfer, wkich I tkif$k vtrUy *k€ is, Sir Robert Wing- 
field, Brewer II, 26. 

♦) Non sta tnai fertnn, nwi-e Ia festa, Cantarini /. c. 

Brief aus Paris vom 8. Januar bei Sanuto, Brovon II, 574. cf. Brewer 
Iii 134- Bre-iver II, 15. 

t) / trust yt hathe ben to the konor 0/ the kyng my bratker and ma, 
sftu I C0mt ktthtr. 10. Jan. EUis L c. lai. 

tt") Bremw II, 24: 14. Jan. an Ehna L; N. 25 an den BbehoC von Farik. 
Am 19. wussten die Yenetiaaer von ihrem Kommen, Brown II, $82. 
ftt) S. die Recbnongen für die Revels bei Brewtr II, p. 1497 ff. 



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Die Anfänge Heinrichs VII i. 



er nicht artigfer scm, versicherte, dass ihm die Freundschaft 
mit Heinrich am Herzen läg-e, dass er vor allen es gewesen, 
der zu diesem Zweck die Heirath J.udwigs mit Maria ge- 
fördert hätte. Einer Beschwerde wegen Seeräuberei der 
Normannen lieh er willig Gehör.*) Mit derselben Sendung 
jedoch meldete Suffolk vertraulich an Wolsey, dass Franz 
gleich hernach ihn allein empfangen und ihm auf den Kopf 
zugesagt hätte, dass er, der Herzog, wie das (rerücht gehe, 
sich mit der Königin , der Schwester seines Herrn , ver- 
mählen wolle. Als er stotternd zu leugnen suchte, habe 
der König erklärt, dass er es, wie denn auch die Wahrheit 
war, aus Maria's eigenem Munde wüsste. Dem tief Be» 
schämten, der nun niclit mehr ausweichen konnte und sein 
Verderben vor Augen sah**), gab Franz jedoch sein könig- 
liches Wort, dass die Königin und er in ihm einen auf- 
richtigen Freund haben sollten, der nicht ruhea würde, bis 
sie ihr Ziel erreicht hatten. Suffolk meinte denn auch, einer 
grossen Angst enthoben zu sein, und hoffte, dass sein könig^ 
Udler Herr ihn vor dem Hasse seiner Cr^fner schon be- 
schirmen wQrde. Umgehend drückte Wolsey seine Be* 
fnedigung aus, drang auf Beschleunigung der von Frans 
verhdssenen Intervention und versicherte, dass der König 
dem Herzoge und seiner VermShlung mit Maria entschieden 
gewogen wäre, obgleich täglich von allen Seiften Versuche 
gesdiihen, derselben entgegen su wiricen.***) Er wollte 
als sein treuer Freund handeln und nach Kräften am firan» 
zÖsischen Bündniss festhalten. 

Indess diese Einig ung wurde doch von mehreren Seiten 
zugleich bedroht. Während die Engländer nach Paris weiter 
reisten, ertheilte Franz zu Compiegne den Gesandten des 

*) Die drei Botschafter an Heinricli VULt 3* Febr. Bremer n, T05« 

Gattinara an Margareta, Le Glay\ N^gociations entre la Prance et fAuMeke 

II, 41. Venetianischer Bericht bei Brown IT, 583 

/ schowd hes grace that I was lyke to by ondon , if the matter 
schold coume to the knollag of the kyng me massier. Brewcr II, 106. 
cf. p. XI, 

•**) AXbeÜ that fhere he iaüy en every side fracHcee müde U the 
of tke emme^ which I kave wühsktmdsd hitherto, amä doubt net ee tü de, 
tili ye sh^ll have aekieved yaur itUended purpete» Bremer II, 113 cf. 
p. XII. 



Z>4# Anfänge Heinrichs VIII, 



249 



Infanten Karl Audienz, welche um die Hand der Renee, 
der jüngsten Tochter Ludwigs XII. , anhielten , derselben, 
welche der alte Ferdinand seinem besonderen Günstlinge, 
dem jüngeren Bruder Karls, zugedacht hatte. Am franzö- 
sischen Hofe wurde von Auslieferung Tournais, Einmischung' 
in Schottland, einem Feldzug« über die Alpen gesprochen. 
Bei dem prächt^en Einzüge, den Franz am 13. in Paris 
hielt*), fehlten weder die Flanderer unter dem Grafen von 
Nassau noch die Engländer, welche bereits die Trauer ab- 
gelegt hatten, noch die junge Königinwittwe. 

Maria und SufiEblk aber hatten sich bereits vollständig' 
gefunden. Denn als er ihr am 5., gleich nachdem er wieder 
m Paris eingetroffm, aufwartete, xmi die Briefe ihres Bruders 
zu überrdchen, er5ffiiete sie ihm, wie sdur sich f^nanz um 
sie XU tbnn gemacht, auf die Nadiricht aber, dass Suffolk 
komme, sie davon su schweigen gebeten hatte, weil Heinrich 
es übel nehmen könnte. Der Herzog, der seinem Herrn 
sowohl hierftber, wie über die in Aussicht genommene Be- 
gegnung b«der Könige imd über bevorstehende Turniere 
berichtete, wollte dem König Franz gern glauben, wenn er 
versicherte, sich lediglich, wie ein treuer Selm zu seiner 
Mutter gestellt zu haben. Anderen Falls müsste er ja der 
unwahrste Mensch auf Erden sein.**) Als SufFolk, wie er 
gleichzeitig vertraulich Wolsey mittheilte, die Königin fragte, 
was Franz ihr denn zugemuthet, entgegnete sie, er habe sie 
so wirr und bange gemacht***), als ob er ihn, Suffolk, ver- 
derben wollte, worauf sie denn offen ihr zärtliches Ver- 
hältniss eingestanden und Franz bei seiner Ehre beschworen 
liabe, ihr die Gnade ihres Bruders, des Königs, zu erwirken. 
Indem der Schreiber nun den mächtigen Mini^ster Heinrichs 
um dieselbe Gnade anrief, war er sich des politischen Ge- 
wichts wohl bewusst, das seinem Liebeshandel anhing und 
ihm allein Verzeihung bereiten konnte. Dass ihre Herzen 
einander gehörten, wusste, wie nunmehr an den Tag kam, 

*) Le Glay, Nigociations entre la France et V Autricke II. 

/ thynke h[e nold] to do ane thyng^ that schold dyescountent your 
grac* . . . ar 9tt§s I wyel say^ that ht «f ths nwt* [umtru*] man tkat tyts» 
8. F<br. JSremw n, 133. 

Soo vtyrrt and too afytrdt Brtwer II, 134. 



Heinrich VIII. genau schon damals, als er die Schwester 
Ludwig XII. opferte.*) Jetzt erinnerte sie ihn selber an das 
Wort, das er ihr beim Abschied in Dover**) gesagt, dass, 
wenn sie diesmal nach seinem Willen heirathe, er sie später 
gewähren lassen wolle. Auch sie wusste sehr wohl , wie 
• viel bei den dynastischen Berechnungen des Bruders, dem 
die Königin Katharina noch immer keinen lebensfähigen 
Erben geboren hatte, auch auf sie ankam. 

In der That, von allen Seiten speculirte man auf ihre 
Hand. Alle Gesandtschaften in Paris erzählten von der 
schönen Wittwe, la Royne Blanche, wie man sie hiess; 
Dass Franz in unverhohlener Begierde an sie g^edacht, war 
auch anderen desshalb wahrscheinlich, weil seine Gemahlin 
Claude emem frühen Tode entgegen siechte.***) Andere 
wollten wissen, dass er Maria seinem Oheim, dem Herzog* 
Karl HL von Savoyen, zugedacht habe.t) Wie die Eng- 
lander selber einmal horten, sollte der Herzog von Loth- 
ringen der anserkorrae sein, ff) Wieder andere munkelten 
von einem Prinzen von Portugal, wahrend Kaiser Max, als 
es längst zu spät war, sie seinem Nefifen Wilhelm von 
Bayern, „dem machtigsten Fürsten des Reichs", gönnte fff) 
und er selber gar, der doch alles Heirathen „um Schönheit 
und Greld'* verschworen, nachdem er eine halbe Stunde lang 
unverwandt das schone Bildniss Maria's betraditet hatte, 
auf einen Augenblick wenigstens diesem Vorsatz untreu 
wurde. *t) Die so viel umworbene junge Fürstin durfte wahr- 

*) Though he -was very agcd and rickly . . . Suß'olk, to vhont I h ivf 
always beert of good mind^ as ye well know^ Maria an Heinrich, ßrewer 
U, 227. 

**| B§ th i^^ßUr s\yde^ II, 228 mcb bei Grten^ Royal and lUustrious 
LadUs I, 187, ebeniaUs olme Datum. 

***) Gattinai» an M aigaieta, 14. Febr. bei Le Glay II, 53. Dasu ikeaase- 

mng Leo's X., Bischof Silvester bei Breicer II, 647. 

t) Gattinara an Margareta. 4. Febr. bei Le Gl«^ II, 73 und Maria 
selber an Heinrich, Ih ever II, 228. 

tt) Suffolk, West, Wingfield an Heinrich VIII., 10. Febr., >9/v«'^r II, 139. 
Vtl) Sir Robert Wingfield aus Augsburg 8. April, ßrewer II, 308. 
i't) Luis Maraton an liaisareta 9. Febr. bei Z# Glay II, 73, vgl. Cwrre- 
sp«Hdam9 de MkximiUeH II, 379. Nach apaniidien Nachriditon wurde er 
Maria genommen baben, nm sieb an den Fransoaen an rieben, Bmrgtnroth 
n, 213. 



Dü An/än,fe Heinrichs VIII, 



251 



haftig keinen Tag zaudern. vSie musste zugreifen, selbst auf 
die Gefahr eines sehr ernsten Zusammenstosses mit den 
Gewalten ihrer Heimath. 

Maria hatte denn auch bei Zeiten ihrem Bruder die- 
selben Mittheilusig'en wie Suffolk an Wolsey gemacht, dass 
sie nämlich, um sich der Zudringlichkeit des Königs Franz 
zu envehren, ihm bei seinem erston Besuch umnittelbar nach 
der Rückkehr von Reims gerade herausgesagt habe, dass 
sie den Herzog liebe, worauf dann Franz in der That an 
Heinridi geschrieben.*) Als dieser nicht darauf einging» 
mahnte ihn die Schwester an das Versprechein von Dover. 
Ihr Sinn stfiade nicht dahin, wohin «ne Partei in England 
sie haben wollte '^), sondern, wenn ^ je wieder heixathen 
würde, nur bei dem einen einzigen. Würde man sie daran 
hindern, so drohte sie in's Kloster zu gehn, was dem Konige 
und s^em Rache denn doch sehr leid werden dürfte.***) 

Durch eme so entsdiiedene Sprache wünschte sie den 
Strmt, da: im englischen Greheimen Rathe herrschte, zu 
ihren Gunsten zu wenden und ganz besonders einer nieder- 
trächtigen Intrigue der Howards zu begegnen. Ein Bettel- 
bruder, Namens Langley, den man ihr als Beichtiger bei- 
zugeben gewusst, hatte ihr nämlich aufbinden wollen f), dass 
Wolsey und Suffolk mit dem Teufel im Bunde stünden und 
nur dadurch so viel (rewalt über den König- besässen. 
Suffolk hätte das kranke Bein eines anderen Günstlings, 
des Sir WiUiam Campton, behext. Mit solchem Unsinn 
indess war Maria am wenigsten von ihrem Entschluss ab- 
zubringen. Ihre und ihres Geliebten Sache vielmehr ver- 
schlang sich unauflöslich mit der Machtstellung- Wolsey's 
und der von ihm drinnen und drausson betriebenen Staats- 
kunst. Heinrichs VITT. Benehmen dageg-en, indem t-r Woche 
für Woche den offenherzigsten Erklärungen nur ein taubes 
Ohr lieh, als wollte er die Ehre der achtzehnjährigen 

♦) Green, Royal and I ilustrious Ladies I, 190 15. Febr. 
**) |J/r niyn]de ys not ther, 'u<er they wold have me, Hrewer II, 228. 
*•*) The wehe I thynckt yow{r gr\ace wold be very sory 0/ a\nd\ 
jumr rtmi aUso, 

t) ^Ao/ MmdSr« BmUieUt h§ mouU ihm divtri tkü^^s elc 
Snffblk tat Wolsey, sum TheU faa Wbgfidds Hand, 8. Felnr., Brntt n, 138. 



252 



Die Anfängt Heinrichs VIJl» 



Schwester den Lästerzungen der Höfe Preis geben, würde 
geradezu räthselhaft erscheinen , wären mit der diploma- 
tischen Sendung nach Paris nicht noch höchst greifbare 
Ziele verfolgt worden. 

Der König nämlich wünschte die herrlichen Juwelen, 
mit denen einst Ludwig seine junge Braut beschenkt und 
über welche damals der Graf von Worcester kaum Worte 
der Bewunderung genug gefunden hatte» ausgeliefert zu 
haben. Sie waren sehr willkommen, um seinem Schatz, der 
ber^ts auf die Neige ging, wieder aufzuhelfen. Sie dm 
Franzosen abzujagen, war also einer der Aufträge Suffolks» 
welchem dieser Edelmann, an sich zum- Diplomaten viel zu 
naturwüchsig, mit dem Preise von Maria's Hand vor Augen» 
um so eher erfolgreidi nachkommen würde. Allein dieaem 
wurde doch heiss und kalt dabei. Immer wieder rief er 
Wolsey um Beistand an, bat Heinrich, ihn und die Königin 
aus Paris, „diesem stmkenden Grefangniss"*), zurückkehren 
zu lassen, sprach seine Verwunderung aus, dass seine Gronner 
am engUschen Hofe ihn ohne alle Nadiricht fiessen.**) Nur 
Wolsey schrieb häufig, drang auf Geduld und berief sich 
auf ein Privatgespräch, das er nach beendigtem Conseil mit 
Heinrich VIII. gehabt. Der König würde, so schrieb er, 
den Heirathsconsens verweigern, so lange er sich nicht der 
Juwelen, des Gold- und Silbergeräths versichert hätte. Ohne 
dieselben sei geradezu die schlimmste Veränderung zu be- 
fürchten.***) Die von Franz den beiden Liebenden ange- 
tragene Intercession, ja, selbst der neue Freundschaftsvertrag, 
dem die Flanderer zuvorkommen wollten, wurde davon ab- 
hängig gemacht. Den englischen Gesandten standen in der 
That die Haare zu Berge, als sie nicht nur die Auslieferung 
des kostbaren Heirathsgfuts , sondern Wiedererstattung der 
gesammten Auslagen ihres Königs betreiben sollten, f) Die 



*) Brrmtr H, Appendix 6. ♦*) Brtwr H» 8a. 145. 146. 
♦*♦) Whrrcof all men here ^ «JtC*pt kit 'gra€€ mnS myseif, wmld b& 
right glad, Wolsey an Suffolk, Febr. Brewer II, 203. 

t) An Wolsey, Febr. Brewer II, 204. Sithence it is likely that we 
shall commune with reasonable men , we wold be rather loth to Jemand 
ai^thing out 0/ reason. N. 68 bewahrt die Kosten der Ueberführung 
Mmia's, dnranter 232 PMe Stifibik» und anderer. 



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Die Anfing* Heinrichs VJII, 



Gegner Suffolks andererseits hatten Nichts unterlassen, um 
die Angelegenheit von Grund aus zu verwickeln, worüber 
denn auch in Kurzem zwischen beiden Höfen eine gereizte 
Stimmung eintrat. Die Englander, welche wohl wussteti 
und bei ihrer ersten Berührung sdir- vemehmHch daran er- 
innert wurden, welchen Werth man in Paris auf die Rück- 
gabe von Tonmai l^e*), mossten eben gegen solchen Preis 
ilure Forderungen möglichst hoch steigern. Die Franzosen 
MunqiMen, dass jene Stadt schon durch den Ehecontract 
Ludwigs ihnen wieder zugefiülen, die Juwelen aber a6 Maria 
nur als Königin von Frankreich veriidito worden waren. 
So wmt denn audi an ihr lag, hatte sie kein Bedenken, 
jene kostbaren Gegenstände der Habgpyer ihres Bruders cur 
VetfOgung zu stellen. Nur bedauerte sie, dass es eben wegen 
des Hin* und Herzerrens nidit gar so viel sein wurde.**) 
Dafür aber sollte er sie selber so rasch wie moglidi aus 
den französischen Banden lösen, denn ihre einzige Sehn« 
sucht fiber Alles auf der Erde sei, wieder daheim bei ihrem 
Bruder zu sein. Sie stand nicht an, alles Süber- und Grold- 
geschirr, sowie die freie Auswahl unter den Geschmeiden, 
mit denen sie LudwijCf einst btischenkt hatte, ihm in aller 
Form zu verschreiben.***) 

Das stürmische Verlangen des jungen Geschöpfes ent- 
sprang nun aber nicht etwa aus schwesterlicher Liebe zu 
Heinrich, sondern hatte einen viel zwingenderen Anlass. 
Maria war bereits wieder verheirathet und dieser Schritt 
konnte nicht länger verborgen bleiben. Ein Schreiben Suf- 
folks an den Kcniig, das aber vorsichtig an den vertrauten 
Wolsey eingeschlossen und vielleicht nicht sogleich ver- 
wendet wurde, gestand den ganzen Hergang, f ) Kr beklagte 
zunächst, dass Maria und ihm so unendlich erschwert werde, 

*) Die Henogin Lodse, Fkins' Mutter, die Alles leitete, hatte Snflfblk 
aofort das gioase Beehren Ums Solms voisetragen, Bremer II, 82. 132. 

Par thyr [ir] mach* slyckigmg thyr ät, Mafia. an -Heinridi, Bremer 

II, 229. 

♦**) Das Original ist vom 9. Februar datirt, ob wirklich irrig statt <). März, 
vric jBreu'er 11, 237 meint r Die Venetianer wussten schon i tu Januar, dass ein 
iroiislliidiges Inventar des von IMmig XII. aMgewatfteen Heiiatkifats nach 
England gescUckt worden, Bremer II, $74. 

t) Bremer II, 80 nndalirt, aber geviss an firdh dem Janvar angercilit. 



254 



DU Anfängt Heinrichs VIII. 



den Konig zu befriedigen, obwohl erstere nicht nur die Ge- 
schenke des verstorbenen Gemahls willig daran gäbe, son- 
dern ihr ganzes Witthum und überhaupt Alles, was sie in 
dieser Welt hätte. Dann rechtfertigte er sich gegen die 
bösen Neider, die ihm vo r war fe n, zu bereitwillig auf die 
Gedanken des Königs Franz eingegangen zu sein, oder ihm 
gar Toumai ohne Weiteres versprochen zu haben. £r wollte 
ja lieber sterben, als der Ehre seines Königs das Geringste 
vergeben. Hilfe g^(en die Widersachar wollte er imiperdar 
nur bei dem suchen, der ihn selber aus dem Nichts enqwr- 
gehoben.*) Endlich aber kam es heraus mit dem (Midm- 
niss. Bei dem ersten Besuch» den er der jungen Königin 
gemacht — an jenem 5. Februar — hat sie ihm kurz und 
bündig gesagt, dass, wemi er sich von ihr bestimmen Hesse, 
sie kdnen anderen als ihn haben wollte. Sie hatte ihm in 
Verzweiflung die Herzensangst geklagt, welche ihr Langley 
und ein anderer Bettelbruder oder die schwerlich in England 
spukende Absiclit bereitete, sie jetzt noch zur Ehe mit Karl 
von Spanien zu zwingen.**) Lieber wollte sie in Stücke 
zerrissen, als dorthin geschleppt werden. Sie sprach sogar 
die Furcht aus, dass Suflfolk beauftragt sei, sie nach Brüssel 
auszuliefern. In Thränen gebadet riss das schöne Weib ihn 
hin. Sie hatte grösseres Vertrauen zu den beiden Königen, 
die in Wort und Schrift ihre Genehmigung verheissen, als 
zu den argen Plänen, die von anderen in England und 
Frankreich wider sie geschmiedet würden. Desshalb aber 
wollte sie auch unverzüglich ihren Willen haben und, wenn 
Sufifolk nicht einwilligte, ihm nimmermehr nach diesem Tage 
ihren Antrag erneuern.**'^) So wurden sie geheim in Gregen- 
wart von nur zehn Personen vermahlt, zu denen Dr. West 
und Wingfield nicht gehörten, weil iKaria befürchtete, dass 
sie widerrathen würden. 

Als Heinrich VIIL nun diese Eröffnungen höchst un- 
gnadig angenommen, lud Maria in einem ruhrenden eigen- 

*) That has tnaJe me of \nothing\ OHd Meiden me up hitherto» 
♦*) Nach einem Schreiben Spinelly's vom 29. Jan. ßre'iver IT, 70 war es 
noch immer der Lieblingsgedatike Margareta's. Vermuthlich aber hatte auch 
Franz sie mit solchen Anschlägen gequält. 

♦♦•) Look never a/Ur this d[ay to have] the projffer again. 



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Die Jnfäng€ JtHnriclu Vill, 

A, 



händigen, aber sicher von Wolsey beeinflussten Briefe alle 
Schuld auf sich. Nur nicht aus sinnlicher Begier wollte sie 
gehandelt haben, sondern gescheucht von den abscheulichen 
Bettelbrüdern, die lediglich von Mitgliedern des Geheimen 
Raths angestiftet worden. Indem sie vorzog, üeber das Er- 
barmen des Königs, als jen^ Herren anmmfen, hätte sie 
Suffolk die Wahl gelassen, sie innerhalb vier Tage oder gar 
nicht zu besitzen.*) Sie allein daher hatte ihn bewogen, ein 
dem Könige gegebenes Versprechen nicht zu halten, darum 
flehte sie nun um Barmherzigkeit fOr ihn imd sich. 

Nach bestimmten Andeutungen hatte Heinrich VIII. 
dem Busenfreunde allerdings endgiltig die Verbindung mit 
seiner Schwester verheissen, die Vollziehung aber von Maria's 
eigener und insonderheit von der Rückführung ihrer Schätze 
abhängig gemacht. Die eigenmächtige Ueberstürzung da- 
gegen erweckte seinen Zorn, vor dem sich Suffolk vollends 
wand, nachdem er in Kurzem Wolsey bekennen musste, 
dass seine heimliche Ehe bereits unentrinnbare Folgen 
drohe.**) In seiner Angst wollte er König Franz und dessen 
Mutter noch um ein weiteres Schreiben anrufen, da Hein- 
rich das erste***) bei Seite gelegt, und fugte, um andere 
Scnipel zu beschwichtigen, hinzu, dass man in Frankreich 
unter Licenz eines Bischofs in und ausser den Fasten zu 
heirathen pflege. Inständig legte er die delicate Angelegen- 
heit in die Handies gewieften Erzbischofe und gab dem 
Eilboten jenen überaus herrlidien nut einer grossen Perle 
zu einem Greschmeide verbundenen Diamanten mit, ein P&nd 
Maria's an den Bruder, dass ihm auch das Uebrige gehören 
sollte, sobald sie darüber verfügen könnte, f) Hierauf ant- 
wortete nun Wolsey, der die Sinnesart seines Herrn viel 

*) / ^ut my lord of Suffolk in choice^ whether h« wculd accompKsh 
the marriage ivithin four Jays, or eise that he should never kave en/pyed 
me. Green, Rvya! and n/iistriotts Ladies I, 199. 

**) / have marrwd lief harettylle and has fyen wyet her, in soo 
moche^ [as\ I fyer nie /yes, that ^che by wyet chyldy 5. März. Drewer II, 222. 

***) Nor in einem undatirten Fragment erlialten Brewer II, 135 que davant 
^out] autre ele äesyreroyt avegue [/a] bmme voulonti ei lamye . . . « mary' 
age äele et de luy se ^^t], 

f) TM he schall have the ehomse ef them aceuriyng unio her 
fermar wrettyng-, Bremer II, 323. 



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I 



Dit Anfang« «tinricht VIII, 



besser durchschaute, als der leichtlebige Herzog, tief betrübt 
und ernst. Der König, dem er ein solches Beginnen keinen 
Augenblick hätte verschweigen dürfen, wäre in hohem Grade 
aufgebracht, dass der Freund, dem er unbedingt vertraut, 
der ihm vor seiner Abreise in Eltham heilig geschworen, 
besonnen zu handeln, dies Vertrauen durch verwegene Ver- 
mählung- mit der Königin gebrochen. Um solcher Ent- 
rüstung zu begegnen, wüsste er keinen anderen Rath, als 
die wiederholte Fürsprache des französischen Hofs durch 
hellklingende Busse zu unterstützen. Er verlangte, dass 
nicht nur jene KosCbarkeiten beigebracht würden, Maria 
sich nicht nur verpflichtete, von ihrer Mi^ft 4000 L. jähr- 
lich dem Könige abzugeben, sondern das3 die aoo,ooo Kronen, 
welche Franz ihr vertragsmässig auszahlen musste, voll „de 
novisshms denariis** anHehirich übergingen« Er rieth ihm 
endlich in den Verhandlungen wegen Toumai und emes 
neuen Freundschaftsbündnisses inne zu halten, weil der König 
von Frankreich durch Begünstigung seines Fehltritts in po- 
litischen Sachen so \iel wie möglich abdingen würde.*) 

Vor solchen Anmahnungen des Freundes, der selber 
gefährdet schien, erkannte nun der Herzog vollends den 
Abgrund, an dessen Rand er schwebte. Seine politische 
Sendung war gescheitert, nachdem er zur höchsten Genug- 
thuung seiner englischen Gegner in einem höchst gewagten 
Liebeshandel nur der Selbstsucht gefröhnt hatte. Die Fran- 
zosen bestritten nicht nur den Anspruch auf das Heirathsgut, 
sondern verlangten sofort jenes Juwel zurück, das jetzt 
£igenthum der Konigin Claude sei. Thm stand vor allen 
diesen Einwürfen der Verstand still.**) Er glaubte schon, 
von Franz Toumai für Wolsey gewonnen und die Zusammen- 
kunft der beiden Könige für den Mai gesichert zu haben. 
Aber sein Ehrgefühl bäumte sich auf angesichts der Söhande, 
die sich über seinem und Maria's Haupt zusammenzog. 
,Jtfy Lord", schrieb er in Herzensangst weiter, „bei An- 
betung Grottes, helft mir, dass ich öfifentlich getraut werde, 
ehe ich Frankreich verlasse, um viele Dinge, von denen Ihr 

♦) Bre-ver II, 224. 

The wyche is past me lerneng^ Brevier II, Appendix 7, Suffoik an 
Wolsey, 12. März. • 



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DU Anfangt Bemriekt Vlli 



257 



nächstens erföhren sollt.... Rafhet, ob Franz und seine 
Mutter um die offene Hdxath nochmals schreiben sollen, 
da sie im Greheimen, wie ich nicht anders glaube, guter 
Hoffnung- ist."*) 

Der verzweifelte Aufschrei fand zunächst in dem h^irten 
Herzen Heinrichs keinen Widerhall, denn in den folgen- 
den drei, vier Wochen verstummte jeder I.aut aus England, 
während die beiden Unglücklichen fruchtlos ihre Anstren- 
gungen fortsetzten. Unter der Beschuldigung, die Sache 
seines Herrn verrathen zu haben, bot Suffolk seinen Kopf 
zur Sühne. **) Unverzüglich hatte die Herzogin Louise von 
Savoyen ihr Wort eingelegt.***) Noch dringender schrieb 
ihr Sohn, König Franz, nachdem Heinrich die auch von ihm 
erbetene Einwillig^g zur Rückkehr nicht ganz abgewie- 
sen, f) Maria, die gegen Franz den Wunsch geäussert, mit 
SufFolk verheirathet zu sein, feuerte durch eigenhändigen 
Dank Wolsey in seinen Bemühungen an. f f ) Erst am 2. April 
erhielt SuffoÜc wieder geschäftliche Aufträge und meldete an 
Wolsey Tags darauf, dass König Franz nunmehr die Abreise 
Maria's gestatten woUte.ttt) Mittlerweile galt es denn auch, 
die Hauptschwierigkdt hhiwegzuräumen» die eben darin lag, 
dass ein Unterthan das Unerhörte zu thun gewagt, was nur 
der König, den SufiFolks Feinde ingrimmig bestürmten, erlau- 
ben darfite. Indess die Dinge kamen doch langsam in Fluss. 
Am 4. verständigte sich die drei englischen BevoUn^htigten 
mit den französischen Behörden über eine Abschlagssumme 
von 20,000 Kronen für die Herführung der jungen Königin. *f) 
Am 14. bescheinigte sie in der Abtei Clugny bei Paris den 
Empfang von 200,000 Kronen, jene 20,000 inbegriffen, als 
die Hälfte der wieder ausbezahlten Mitgift. *ff) Obwohl sie 
zwei Tage später notariell hat bestätigen müssen , dass sie 
jenen grossen Diamanten mit der Perle daran, 'der Spiegel 



*) For thys hopon marage, seyng that thes pryivy marage <?.? dwnf, 
and that I thynke non oddar'ivyes bout that sehe es wyet chyeld. 
♦*) {Str^yke gf me hed and lyet nie not lyef, Brewer II, 22$. 
*♦*) 12. März, ibid. 240. f) Ibid, 281 undatirt. 
tt) Ibid. 256 aa. Man. Ihr Brief » Hdmicli 6. llSn bei EUis'U i. lai 
bKeb unbeantwortet. ftf) Brewer II, 296. *t) N. 304. 
♦tt) N. 318. 319. cf. 36S. 

PMlItAvMln. S. F. 17 



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258 



DU Anfängt Htinrichs VIII, 



von Neapel' geheissen, nebst 20 anderen kostbaren Juwelen 
in Empfang genommen*), behielt sie in Wahrheit nur vier 
Ringe von unbedeutendem Werth, weil die Franzosen trotz 
allem Feilschen den Miroir de Naples nicht hatten zurück- 
erhalten können. Allein an demselben 16. durfte denn doch 
das Paar, wie der nunmehr als alleiniger Gesandte zurück- 
bleibende Dr. West berichtete**), von Paris aufbrechen, 
von Konig Franz bis St Denis begleitet und unter ehren- 
vollem Gr^eit auch wdterhin. Unverzüglich wursten die 
Venetianer von der Heiralh, die sie beständig auf ein für 
ihre Hdmath gunstiges, enges englisch-französisches Bund- 
niss deuteten.***) 

Noch immer aber stand das Gewitter drohend über den 
beiden Missethätem. Angstvoll wandte sich SufFolk am 22, 
von Montreuil aus an seinen Souverän, da ihn dessen Räthe 
mit einziger Ausnahme Wolsey's entweder auf das Schaffot 
oder in den Kerker bringen wollten. Vor ihrer Bosheit 
flehte er demüthig des Königs Verzeihung an und legte 
anderenfalls seinen „armen I.eib" in dessen Hände, f) Nach- 
dem sie in Calais eingeritten, wagfte er nicht einmal das 
Haus zu verlassen aus Furcht, dass die Menge, erbittert über 
seine Heirath mit der Schwester des Königs, ihn umbringen 
würde, ft) Dort von Calais aus erinnerte Maria selber noch 
einmal auf das eindringlichste den Bruder an sdn Verhalten, 
seitdem sie dnst Ludwig XIL hatte h^rathen müssen. Ln 
Vertrauen auf seine ursprüngliche Zusage hatte sie allein 
die rasche Verbindung mit Sufiblk herbeigeführt Und so 
beschwor sie ihn denn bei den Banden des Bluts um mn 
liebevolles Wort, bis wohin sie, die ihm alle ihre Habe 
berdtwillig überlassen, hier unter sehier Jurisdiction ver- 
harren würde, ttt) 

Nirgends wird berichtet, wann und wie endlich die so 
lange vorenthaltene Gnade erfolgt ist. Man erfährt nur, 

•) I^wnzösische Quittung ßrewer II, 327. *♦) Ibid, 343. 21. April. 

*•♦) Fttw yeart ai th* emri of Htnry VIII. SeUction 0/ despatckes 
writUm hy tht VnuHan ambtusador, SebasHan GütsÜmian . . . iransMed ky 
Ramdo» Brcmn, London l8S4f If 62, vgL Brtmm CaUndart H, 586. 
t) Brtwer U, 367. ft) •'W* 399. 
ttt) Bremer n, 327 nndatirt, aber iirig unter Min eingeraht. 



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Die Anjängt Heinrichs VIII» 



259 



dass das Paar etwa am 3. Mai von Heinrich VIII. in Dover 
empfangen wurde.*) Aber wie bezeichnend für das wider- 
wärtige Gebahren des Königs, dass erst nachdem er für den 
Kostenersatz behufs Hin- und Herfühning seiner Schwester 
von ihr eine Obligation im Betrage von 24,000 L. zahlbar 
in Jahresraten zu 1000 L. und Verzicht auf die Mitgift von 
200,000 L. nebst Allem, was an Prachtgeschirr und Ge- 
schmmde zusammengerafit wurde, erhalten**), am 13. Mai 
zu Greenwich in Gregenwart von König und Konigin die 
Hochzeit des Herzogs und der Herzogin von Suffolk statt 
hatte. Nur fielen die üblichen Au&fige und offimtlichen 
Lustbarkdten fort, weil die geheime Ehe, über die inzwischen 
genug verlautet hatte, vieler Orten anstosrig erschien.***) 
•Die klugen venetianischen Bevollmächtigten beschlossen, 
zunächst nur den König zur Heimkehr seiner Schwester, 
das Paar selber aber nicht eher zu beglückwünschen, als 
bis der Hof das Beispiel gäbe, f ) Eben so wohl aber fehlte 
es nicht an Aeusserungen der Befriedigung darüber, dass 
der Herzog von Suffolk, der eine populäre Persönlichkeit 
war, von Heinrich nicht völlig Verstössen wurde, ff) Dieser 
jedoch fertigte nach der öffentlichen Trauung unverweilt. 
einen Verwandten Suffolks, Sir William Sidney, an Franz 
ab, um von ihm das Grelübde einzuholen, das (xeheimniss, 
in das er eingeweiht gewesen, für ewige Zeiten zu wahren, 
damit die Ehre der Königin von Frankreich nicht durch 
böse Grerucfate befleckt würdefff), als ob der Hergang aller 
Wdt zu beid^ Seiten des Wassers verborgen gebfielben 
wäre. Dar Bote erhielt überdies die Weisung, die An- 
spräche wegen der rückständigen Kostbarkeiten nicht ruhen 
zu lassen, weil es nicht zu erwarten wäre, dass die herz-* 

*) Badoer und Giustiniani, Brown II, 616. 
*♦) Braver II, 436 Ii. Mai, noch weitere Oljligationen p. 1488. 1489. 
♦**) Against this tnarriage many men grudged and sayd that is was 
a great lasse to the realme that she was not maryed to the prince of 
Castell, Hall 582. 

t) Brown, CaUn4ar n, 6iS 15. M«L Ent im August biacliteii lie 
ilne Gmtnbitioii an, GinitiiiM, DüfvUhtt I, 784. 

tt) Th4 M§ Mkav0d Mim tei/t sü, tkat he kad Mk the favour üf 
the kyng and of the peopUy Hall l. c. 

ttt) For awridmg all evtl bruits whieh may entmt fh^tof, Brevier U, 468. 

17» 



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26o 



DU Anfänge Heinricks VIII. 



liehe Freundschaft der beiden Monarchen über eine solche 
Kleinigkeit beeinträchtigt werden könnte. 

Während aber gerade hierin eine Quelle neuen Zwie- 
spalts erschlossen worden, erschienen fortan Suffolk und 
seine Gemahlin durch die harten finanziellen Bedingungen, 
unter denen sie begnadigt worden, in peinlicher Abhängig- 
keit. Maria verschwand fast bei Hofe, nur durch ihre Kind- 
betten, deren erstes am 1 1 . März 1 5 1 6 erfolgte, wurden die 
Engländer an ihr Dasein erinnert Einmal dankte sie in 
einem wortreichen Ergnss dem geliebten Bruder, dass er 
die Gnade gehabt, ihren Gemahl, der sich hinfort nur noch 
auf besondere Einladung mit ihm in den Schranken tummelte, 
zu sich zu entlneten.*) Auch seine politische Rolle hatte 
ein Ende. Dass er seinen Kopf gerettet und das Haus 
Howard bei Hofe nicht allmäditig wurde, hatte er nun aber 
lediglich der Gewandheit Wolsejr's zu verdanken, der es 
schwerlich vermocht hätte, diese heikle Sache zu bewäl- 
tigen, wenn es ihm nicht gleichzeitig gelungen wäre, zwei 
frühere Verbindungen , in die sich der jugendliche Charles 
Branden unbedachtsam eingelassen, den argwöhnischen und 
rachsüchtigen Augen der Welt zu entrücken.**) 

Der Verlauf, den die romantische Angelegenheit ge- 
nommen, war wahrlich nicht geeignet, die VerständigTing 
der beiden Rt-iche England und Frankreich zu fördern. 
Dr. West, ein tüchtiger, erfahrener Diplomat, der eben zum 
Bischof von Ely erhoben wurde, vermochte keineswegs am 
Pariser Hofe Alles wieder einzubringen, was durch SufFolks 
Leichtsinn verscherzt worden. Er hatte im Gegentheil voll- 
auf zu thun, damit, wesshalb doch von Anfang an lebhaft 
verhandelt wurde, dem französisch-burgundischen Bunde eine 
nicht minder wirksame AlUanz mit England entgegen ge- 
setzt würde. Dass König Franz nur darauf sann, Mailand 
an sich zu reissen, wurde überall gewittert. Die Venetianer 
befürchteten freilich, dass er weg&a der hohen Summen, die 

♦) JJe hys mer-t'o^ley rejoysyd and moche comfortyd that yt hathe 
lyked your Grace so to be playsayd, Ellis I, i. 124. Suffolks Bethciligung am 
Turnier, 29. Januar 1516, Rechnungen über die Kevels bei Bre-wer II, p. 1506. 

**) Eine Tochter von Anna Brown wnde am Hofe der Herzogin Mar- 
CMWto enogea, Brewer H, $29 dam die Note p. XXXm. 



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Die Anjänge Heinrichs VIII. 



261 



mit Maria Tudor aus dem Lande ging-en, im g-egenwärtigen 
Jahre noch nicht dazu kommen würde.*) Ferdinand der 
KathoUsche dagegen erklärte ihn von vonihorein für viel 
gefährlicher als seinen kranken Vorgangs und Hess an 
einer grossen Conioderation arbeiten , in die auch England 
wieder hineingezogen werden müsste. Wenn er nur seinen 
Enkel Karl der bösen Grewalt des ganz französisch gesinnten 
Herrn von Chi^vres hätte entwinden können!**) Alle diese 
Mächte aber rangen in Pajns mit einander, selbst über Neben- 
dinge wie w^fen der Zukunft von Toumai, die viel Staub 
anfwarf. Ludwigs XTT. Tod hatte dort die Umtriebe des 
franzosischen Bischöfe neu belebt Wenn Wolsey einem 
Diener Margareta's dne Pfründe des Sprengeis zuwenden 
woUte, so protestirte der Hof von Flandern.***) Den Eng- 
ländern wurde am Pariser Hctfe bei jeder Gelegraheit zu ver- 
. stehen gcgt;ben, dass die Stadt Frankreich gehöre. Nach 
ihrer Auslieferung könne Wolsey allenfalls als Bischof zu- 
gelassen werden, f) Als Anfang Februar die Statthalterschaft 
von Poynings auf Lord Mountjoy überging und in demselben 
Augenblick die Garnison wegen mangelnder Löhnung nicht 
nur, sondern, wie die Untersuchung ergab, angestachelt von 
dem Prätendenten de la Pole, meuterte ff), steigerte sich als- 
bald die französische Zuversicht. Franz selber sprach noch 
zu SufFolk von der Rückgabe gegen Entschädigung, wollte 
Wolsey gern dies oder ein anderes fettes Bisthum in seinem 
Kelche zuwenden imd versicherte, dass de la Guiche, den 
er nach London sandte, nur Frieden und Freundschaft im 
Auftrag habe.ftt) Sir Richard Wingfi^ war überzeugt, 
dass durch die eine Concession Alles gewonnen werden 
könnte.*t) Noch jomxA» Suffolk, dass die Flanderer mit 
der Verheirathung Karls keine Fortschritte machen und 
Englands Stellung auch in ihrem Vertrage gewährleistet sdn 
würde. *tt) Unter demselben Tage aber wurde aus Gent 
geschriebni, dass Grerüchte über seine dgene Ehe mit Maria 

*) Lando aus Rom Januar, Dandolo aus Paris, Apiil, Brown II, 570. 615. 
^«fr^t'«r<?/Ä II, 206. 207. 208. *♦♦) Sampson, is.Jaa. ßrtwerll,!^* 

t) Suffolk, West, Wingfield, 10. Febr. Jbiä. 140. 
tt) Bre^ver II, 147, 148. 165. 17 1. cf. 345. 326. 
ttt) ^^i^' »75« ^1^' *t) '^4- *tt) 26. Febr. Ibid. 189. 



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202 



DU Anfänge Heinrichs VJIJ. 



den Bestrebungen des Herrn von Chievres und seiner Ver- 
treter nur zu Statten kämen.*) Die Einignng gedieh denn 
auch ohne Hindemiss zum Vertrage vom 23. März, der nicht 
nur den Infanten Karl mit Renee verlobte, sondern seine 
Spitze Ferdinand kehrte, welcher aus Castilien ver- 

drängt werden, und gegen England, das fortan nicht wieder 
mit burgimdisdier Hilfe Frankreich bedrohen sollte, dessen 
Kaufleute aber, wie die Gesandten in Paris sich nicht ver- 
hehlten, ^e bedeutende Erhöhung* der flandrischen Zölle 
zu gewärtigen hatten^**) Auch war es k«n Geheinmiss, 
dass vor Abschluss des von England begehrten Vertrags 
die Aufiiahme Schottlands zur Bedingung gemacht wurde, 
denn lieber wurde Franz, wie es hiess, Toumai &hren 
lassen.***) In der That hatte er den Herzog von Albany 
ausersehn, um persönlich die alten Vertrage neu zu beleben 
und eventuell den König von England im Norden zu be- 
drohen, t) Englische Kundschafter meldeten denn andi Be- 
sorgniss erregend, dass, wie bestimmte Anzeichen auf einen 
nahe bevorstehenden italienischen Feldzug und eine Diver- 
sion des Herzogs von Geldern gegen Tournai deuteten, 
Albany sich zum i. April mit 400 Geharnischten und 4000 
Mann Fussvolk nach Schottland einschiffen würde, ff) Wäh- 
rend der englische Capitän, der in den Gewässern des Förth 
mit einigen Schiffen Wache hielt, erfuhr, dass der „Lord 
Protector*' mit einem starken Geschwader von den Schotten 
erwartet würde fff), und alle Versuche, Albany zurückzu- 
halten am Widerstande Königs Franz selber scheiterten *t), 
vermochte Dr. West in der That nur unter diesem Gegen- 
druck, am 5. April den Bimdesvertrag Englands mit Frank- 
reich zu Stande zu bringen. Derselbe erneuerte den einst 

*) Sampson, Spinelly 27. Febr. Ibid. 197. 198. 199. 
**) Giustiniani etc. Paris 21. 23. März. Brown II, 588. 589. 592 cf. 
Bremer II, 204. Bramn II, 583. 590. 

t) ÜDfltnietioii KD Ifdstre Jehan de Pluis bei TtuUtf PSkcet tt Düo^ 
metu reiaüfs ä PJStüMre de fBeotse I, 3. ff) Srtmtr n, 385. 
ttt) Chriatoplicr Coo an Wolsey, i. April ibid. 287. 
*f ) There ys no remedye but that he schall kepe hys voyag^e^ m so 
myche as he ys departed yestcrdaye towards Orleance and fro thens io 
Saynt Malo, Sir Ric. Wingiield an Wolsey. 3. April. Brewer II> 297 
cf. 296. 



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Die Att/'iftre TTeinrichs VITT. 



mit Ludwig XIL geschlossenen Frieden auf Lebenszeit beider 
Contrahenten, von denen jeder seine Verbündeten mit auf- 
nalmi, die Feinde des anderen nidit zu untmtiitzen, son- 
dern dnander mit 5000 Schützen, resp. Lanzen beizustehn 
gelobte. Franz übernahm ausserdem den Rest einer Million 
Kronen, jenen Tribut, zu dem Ludwig sich bekannt hatte, 
abzutragen.*) Nachdem diese Tractate unter den ent- 
sprechenden Vollmachten am 8. Mai zu Montargis besdiworen 
worden**), hat dann der Herzog von Albany, der am 18. 
in Dumbarton gelandet war, die Aufnahme Schottlands in 
den Vertrag beglaubigt***), durch welchen dies Reich nur, 
so lange es Frankreich gefiel, an dem alten Grenzkriege 
unter öffentlicher Autorität gehindert wurde. West, welcher 
dem nach Süden eilenden Könige von Frankreich bis Mont- 
argis gefolgt war, hatte das wenig erquickliche Gefühl, wie 
in diesem Stücke, so auch in anderen den Kürzeren ge- 
zogen zu haben. Franz, welcher alle englische B^leitung 
auf dem Marsche über die Alpen abschütteln wollte, machte 
jetzt die viel besprochene Begegnung mit Heinrich VIIL 
s<^gar von der vorherigen Entscheidung über den Besitz 
jener Kronjuwelen durdi Richterspruch abhangig. f) Kurz 
darauf rief er noch dnmal die Vermittlung Suffi>lks an, der 
ihm so viel verdankte, damit ihm die nächste Terminzahlung 
von 50^000 Krcmen gestundet würde, ff) 

K^ Wunder, wenn vor der neuen Gre&hr, welche die 
europSischen Verhältnisse bedrohte, andere Machte nach 
Gegenanstalten suchten. König Ferdinand arbeitete uner- 
müdlich an Wiederaufrichtung der heiligen Liga und hatte, 
um auch seinen Eidam herbeizubringen, den Bischof von 
Elna nach England abgefertigt, f ff) Aus Augsburg vom 
Hoflager Maximilians berichtete Sir Robert Wingfield nicht 
nur von den Reiherjagden des Kaisers, von seiner Bewir- 



♦) Rymtr XIII, 476. 387 ßrewer II, 301. 302. 
♦*) Rymer XIII, 491. 492. 498 ff. 
•♦*) Rymer XIII, $10, Glasgow 22. Mai, Frauz an Heinrich, Amboise 
16. Juui Rymer 51 1. VgL Burton^ Uist. oj Scottand III, 86. 
t) West an Hebrich VUL, FiiiB, 11. Mal Brmtr II, 437. 
ft) Lyon, Brtmer H, 533. 

ttt) Instradkm mi 2. Mai bei ßer^tmroih XU 211. 



L.iy,.,^uo Ly Google 



264 



thung im goldenen Rathhaussaal zu Augsburg, sondern dass 
die kaiserlichen Käthe eine zu grosse Intimität der Höfe 
von Paris und London für die habsbufgisch-burgundischen 
Interessen bedenklich fänden.*) Es dauerte nicht laiige, 
so drückte Maximilian selber seinen dringenden Wttnsdi 
nach Wiederannäherung aus.*^ Eine Zdtung aus Frank- 
reich beunruhigte nicht wenig durch die Meldung, dass 
Franz wie auf die Alpen, so auch 8000 Landsknechte auf 
Navarra gegen die Truppen Aragons marschiren Hesse und 
dass er dem in Metz wdlenden Richard de la Pole 6000 Lire 
zugestellt hätte, um die Englander in Toumai in Schach zu 
halten, während er sich wohl hütete, seine Streitkräfte aus 
Picardie und Normandie herauszuziehn. ***) Die Hauptsache 
aber war, dass Heinrich VIII. und sein Wolsey, während 
sie noch vollauf zu thun hatten, um Maria Tudor aus Paris 
loszuwickeln und dem burgiuidischen einen englischen 
Bundes vertrag- entgegenzusetzen, bereits über den vornehm- 
sten Contrahenten stutzig wurden. Schon am 6. März, lüs 
eben der Bischof von Elna in England anlangte, um eine 
Liga mit dem Kaiser, Spanien und Burgund zu betreiben, 
sagte der König dem venetianischen Gesandten: „der König 
von Frankreich ist zwar ein würdiger, ehrenwerthor Herr, 
aber trotzdem ein Franzose, dem man nicht trauen kann."f) 
Sobald die neue Gesandtschaft unter Sebastian Giustiniani 
eingetroffen, die so ungemein eingehend über die Verhält- 
nisse und die Personlichkdten in England zu berichte be- 
gann, hielt Wolsey zum Kummer der Venetianer mit seinen 
Klagen über Franz schon gar nicht mehr hinter dem Berge, 
sondern mehite, dass dessen Aufbreten sehr wenig geeignet 
sei, um gute Freundschaft zu wahren. ff) Je mehr der 
dgentliche Zweck der venetianischen Sendung an den Tag 
kam, die nicht nur den Galeeren mit ihren r^elmassigen 
Fraditen von Candia-Wein udeder Zulass in den englischen 
Häfen schaffen, sondern Heinrich an Frankreich festhalten 
sollte, damit die Lagunenstadt dem Kaiser endlich Verona, 

*) I. April, Bremer U, 386. 
♦♦) Wingfield ii. Mai, Brewer H, 438. 
***) Brewer IT, 399. f) Baducr, Brown U, 594. 

X[) Br<mn II, 619. 623 15. 29. Mai. 



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DU Anfängt Utinrickt VllL 265 

Bresda, Bergamo abränge, desto kühler wurden der Konig 
und sein Minister» „der Alles im Reiche zu leiten schien*'. 
Noch im Juli waren beide der Meinung, dass Franz aus 
Besorgniss vor Englands Machtstellung gar nicht in Italien 
einbrechen würde.*) 

Diese Zuversicht wurde genährt sowohl durch die im 
StOlen ged^ende Verständigung mit Spanien als auch 
durdi unmittdbare Anknüpfung mit Flandern -Burgund. 
Zwingende Gründe hatten w beschleunigt Durch die wider 
Frankreich reifende Coalition Hess sich der Besitz vonToumat 
sicher stellen**) und dem Traben Richards de la Pole be- 
gegnen, der von dnem Spion, einem niederländischen Musiker, 
beobachtet wurde, welcher der englischen Majestät gelegent- 
lich Instrumente und die neusten Compositionen zu besorgen 
hatte.***) Vor allem aber mussten die hohen Zölle be- 
kämpft werden, durch welche die englischen Kautieute (in 
ihrer Meinung nach irriger Auslegung der Handelsverträge 
von 1496 und 1506) durch die Regierung des Prinzen von 
Castilien wie bisher von den flandrischen IMärkten, so auch 
aus dem mächtig aufblühenden Antwerpen und Middelburg 
verdrängt wurden, so dass sie es selbst in Spanien und 
Portugal besser hätten. Sir Iidward Poynings wurde in 
Begleitung der Doctoren Tunstal und Knight nach Brüssel 
geschickt, um unter der Hand auch ein Defensivbündniss 
anzubahnen, da Biu*gund vor der aggressiven Politik Frank- 
reichs doch wieder der Hilfe Englands bedürfen würde, 
wahrend sich Spanien von der anderen Seite näherte, f) 
Die Gesandten folgten dem In&nten auf «ner Fahrt durch 
Seeland und Holland und &nden nicht nur den Kammer- 
herrn Jean de Berghes und den Kanzler von Burgund wohl 
geneigt, sondern namentlich die Herzogin Maxgareta in 
freudiger Thatigkeit, England sowohl mit Burgund, Wieden 
Kaiser mit Ferdinand zu vertragen, die immer noch wegen 
Castilien gespannt gewesen. Hier war in der That der Ort, 



*) Giustiiiiaiu, Dtspaieku l, 101, iio 3. 6. Juli. 
♦*) Sampson an Wdbey, 30. Mai Brewer II, 528. 

♦♦♦) Der Pseudonyme Alamire an Heinrich VIII. Brewer II, 541. 

t) Instructionen Brewer II, 539. 540. VgL Wolsey an Sampson 534. 



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r 



266 Anfällt Heinriche VllL 

um mit allen 1-Cräften „die neue Freundschaft" zu pflegen. *) 
Freilich arbeitete dem auch eine französische Gesandtschaft 
entgegen, welche gleichfalls den reisigen Hof des Prinzen 
begleitete, indem sie Ihm einen Ausgleich mit seinem alten 
Gr^gfner, dem Herzog von Geldern, vorgaukelte. Während 
der französische Bischof von Tournai sich dab^ befand, 
trugen sich die Englander noch immer mit der sanguinischen 
Hoffinmg, Wolsey demnächst mit der geistlichen Jurisdiction 
über Flandern bekl^det zu sehn, wozu freilich die Aner- 
kennung von S^ten des Metropoliten in Reims unerlässHch 
gewesen ware.*^ Ein noch wunderer Fleck blieb Schott- 
land, dessen Frotector, der Herzog von Albany, zwar der 
Waffenruhe zwischen Frankreich und England hatte be- 
treten müssen, den Konig Christian II. von Dänemark aber, 
der gleichfalls eingeschlossen, ganz unbefangen benach- 
richtigte, dass die Vergeltung für den Untergang Jacobs IV. 
nur autgeschoben sei. ***) Kein Wunder, wenn Lord Dacre 
an den Marken unabkömmlich war und dringend Verstär- 
kung der Besatzung von Northumberland forderte, f) Eine 
äusserst verschlagene Politik, welcher bald auch Papst Leo X. 
nicht mehr fem stand, suchte England von seinen wenig 
sicheren Verbündeten abzudrängen und durch Gefahr von 
mehreren Seiten vollends zu isoliren. 

Dem gegenüber beharrten Wolsey und sein Herr auf 
der einmal eingeschlagenen Bahn. Noch glaubten sie nicht, 
dass Franz vor der neuen Liga die Alpen zu übersteigen 
wagen würde. Eifersucht und Argwohn jedoch stachelten 
Heinrich VIII. gewaltig wider den jimgen Nebenbuhler. 
Sein Minister aber erklarte dem venetianischen Gresandten: 
der Friede, den er einst mit Ludwig XU zu Stande ge- 
bradit, würde von selbst dn Ende haben, wenn der Nach- 
folger fort&hre, das Erbieten, ihn mit den Schweizem zu 



*) Tht Bmfermir saÜM tkaiheisvtry weU nUtuUd iemmrds Ou tum 
amüy and alUanct Mwetn ymur graee and tke JPrince 0/ CasHU etc, 
Bericht all Hdnrich VIIL, 9. Juni, Brtwr II, 568. 

**) Sampson an Wolsey 8. 14. Jimi Breuer II, 566. 581. 

Mandata et articuiorum eapüa an den Hotgt Herold rom 16. Juni, 

ßrewer II, 588. 589. 

t) Jbid. 596— 598« 



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Dig Anfängt Htinricks VIII* 



267 



vertragen, mit schnödem Undank von sich zu weisen.*) 
Schiffe, prahlte er, seien genug da, um in acht Tagen 
60,000 Mann an die Küste von Frankreich zu werfen.**) 
Und doch kamen seine BevoUmächtigten in den Nieder- 
landen nur so langrsam vom Fleck« dass nur mit Noth der 
Streit über den Handelsvertrag* von 1506 auf fünf Jahre 
vertagt wurde, während Alles, was Wolsey als Bischof von 
Toumai verfQgte^ vor dem über seinen Generalvicar Sanqxson 
von ReisDS aus verhaiigten Bann völlig eitel war.***) 

• Nor dn Glfick, dass er eben jetzt an Ziel seines bren- 
nenden Ehrgeizes erreichen sollte! Wie er selber langst 
an der Curie für sich arbeiten liessf), so begriff auch Leo X. 
sehr wohl, wer in Westeuropa £ist päpstlichen ^uifluss gel- 
tend machte. Aber während der Papst von huldvollen 
* Worten f3r den Konig und seinen Minister überströmte 
und beiden ihren römischen Agenten, den jüngfst noch 
wegen Vergiftung Bainbridge's verdächtigten Bischof von 
Worcester zu weiterer Gunstbezeigung dringend empfahl ff), 
hatte er zaghaft und schwankend gegen Erhebung Wolsey's 
zum Cardinal doch eine Menge Ausflüchte, bis dieser, der 
den Bewegungen des Königs Franz gespannt folgte, in 
Rom ganz unverholen sein und König Heinrichs Befremden 
ausdrücken Hess, dass das betreffende Instrument noch immer 
nicht ausgefertigt sei. Würde Heinrich den Papst fallen 
lassen, so wikde dieser binnen zwei Jahren in ärgere Noth 
gerathen, als einst Julius ILfff) Noch einmal musste der 
König selber Leo „sein brennendes Verlangen" ausdrücken, 
den um ihn unendlich verdienten Staatsmann mit der höch- 
sten Würde geschmückt zu sehn und deren Ertheüung 
geradezu als Bedingung für Schutz und Trutz g^f^ dne 
franzosisdie Invasion hinstellen.*!) Und als dann endlich 



♦) Giastinianiy Despatches I, icxj. 107 3. 6. Juli. 

nU. I, US. i6- Juli. •♦*) Brtwer H, 679. 723. 769. 
t) SdKm am ai. Mai 1514 bericktet ein BifefPolydor Vosils tos Rom 
von den Bemnhuigai» Woisejr mm Cardinal an madtWi Brtww I, 5110. 
Daan die Sclureiben Heinrichs und Leo*! 5318. 5445. 

tt) Drei Schreiben Leo's vom 12. und 30. Juli, Brewer II, 700. 761. 762* 
ttt) Wolsey an Worcester, eigenhändiger Entwurf, ibid. 763. 
*\) Bei Martene^ Monumenta VetustaUl, 1296 cf. Brewer II, p. 1527. 



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268 



Dit Anfänge Heinrichs VIII. 



die lang begehrte Zusage eingetroffen, als er allein zum 
Cardinal nominirt worden, so war der Begnadigte noch 
immer nicht zufrieden. Jetzt verlangte er, dass ihm zu- 
gleich die Legation und die Vollmacht ertheilt würde, die 
exempten Klöster zu visitiren.*) Wohl \vusste er, wie 
sehr dem Bisch<^ Silvester, dem er reichliche Ducaten zur 
Verfugung stellen musste, die unter den Cardinälen vor- 
herrschende französische Stimmung zu schaffen machte.*^ 
Aber bis zur Parlamentseröffnung im November wollte er 
durchaus hn Besitz des Huts sein und liess schleunig in Rom 
die kostbaren Insignien und Gewander nach dortigem Schnitt 
anfertigen« Dem Konige von Frankrmch zum Trotz dem 
heiligen Stuhl einen recht vornehmen Utel abzuringen, war 
all sein Dichten und Trachten.'^**) Aber weder hiermit, noch 
mit dw Legation wollte es recht vorwärts f), sobald das ' 
französisdie Heer sich in Bewegung gesetzt hatte. Man 
musste sich daher mit dem Erreichbaren bescheiden. Nach- 
dem \V^jlsey's Wahl am lo. September vollzogen und ihm 
der Titel von S. Caecilia trans Tiberim beigelegt worden, der 
jedoch in der Folge in England vor der Bezeichnung als Car- 
dinal von York niemals gebräuchlich wurde, wies Leo die 
dortigen Bischöfe an, dem neuen Kirchenfürsten den üblichen 
Treueid zu leisten, und richtete Heinrich ein warmes Dank- 
schreiben an den Papst, worin er uneingedenk der der Er- 
hebung eines Unterthanen entgegen stehenden Praemunire- 
Statute, Wolsey's unvergleichliche Gaben noch einmal in 
den Himmel erhob.ff) Am 7. October erging endlich die 
Anzeige, dass der Hut nebst einem kostbaren Ring und der 
Einsetzungsbulle abgehn werde, zu spat um noch vor ver- 
sammelten Standen damit zu glänzen. Dagegen wurde vor 
Ende des Jahrs eine besondere Feier bdiu& Einkletdung 
durch Erzbischof Warham und Bischof Silvester in der 
Abtei zu Westminster veranstaltet, damit die Leute erfOhren, 



An Wofcoter, ßrnur II, 780. 
**) Worcester an Wolsey, 7. SqpC. Ibid. 887. 
♦♦♦) 10. Sept. Ibid. 894. 

t) Zwei Briefe Worceslers 966. 967. 
tt) 23. 30. Sept. Ibid. 940. 960. Am 12. üct. Übersandte Kaiser Max 
seine Glückwünsche. N. 1021. 



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Die Anfänge Heinrichs VIJI, 



269 



Wie dor Bürg-ersohn von Ipswich nunmehr über alle Stände 
hinausg-estiegen sei.*) 

Schon hingen sich daheim immer mehr Neid und Hass 
an seine Fersen, wozu ein persönliches Zenvürfniss mit 
einem federfertigen Italiener nicht wenig beitrug. Polydor 
Vergil nämlich, der Factor des Cardinals Hadrian de Cometo, 
Bischofs von Bath und Wells imd papstlichen Collectors 
für England, pflegte zur Zeit in London sdnen Herrn mit 
sarkastischen Finzelheiten über die Dinge und Personen 
am englischen Hofe zu unterhalten. Ein Brief vom 3, März, 
in welchem er Andreas Ammonius, des Königs Latdn- 
secretär und geistvollen Freund des Erasmus, dem jüngst 
die Stellvertretung als pa^tlichem G>llector übertragen 
worden, einen KlopfiFecliter, den Bischof von Woroester 
^en Maulwurf genannt, den Papst der Intriguen mit 
Heinrich VIIL beschuldigt und Wolsey als Himmel und 
HoUe verhasst und in Fraakrudi für Geld kauflich gebrand- 
markt hatte, war in die unrechten Hände gefallen.**) In 
den Tower geworfen und seiner Pflegschaft für Cardinal Ha- 
drian entkleidet, schmachtete Polydor lange nach Erbarmen, 
obwohl er in niedrigster Unterwürfigkeit Wolsey ,,aus den 
Schatten des Todes" anflehte.***) Dieser verhiess zwar Ha- 
drian, verzeihen zu wollen, doch sei der König zu aufge- 
bracht, da Polydor zwischen ihm und dem Papst Unfrieden 
zu säen gedacht hätte, f ) Schliesslich entsandte Leo selber 
einen Kammerherrn, damit der Unglückliche in Freiheit 
gesetzt und Hadrian nicht minder wieder zu Gnaden ange- 
nommen würde. Er wagte es sogar, Wolsey selber für die dem 
Italiener widerfahrene Härte verantwortlich zu machen. ff) 
Als Polydor dann zu Anfang des nächsten Jahrs in seine 
Heimath zurückkehren durfte, zauderte er nicht, sich in dem 
letzten Buche seiner Historia Anglica durch jenes Zerrbild 
Wolse3r's zu rächen, das diesen grossen Emporkömmling 



*) S« Mied Uun above all estates, so that all men aAtuti hated hym 
and disdayned hym. HalVs ChronicU p. 583. Dankschreiben Wolsey** aa 
TLeo, Brewer II, 1248. **) Brrwer II, 2l5cf. p. CCXXXIX. 

•**) Ibid 970. t) ^' f^ct. Ibid. 993. 

tt) I. Dec. Ibid. 1228. 1229, letzteres bereits in den Statepapers VI, 40 
abgedrackt. 



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270 



Die Anfänge Heinrichs VIII, 



und Staatsmann als masslos ehrgeizij;^, eitel und gewissenlos 
zeichnete, bereits den Hass der Zeitgenossen gegen den 
Lebenden anblies und von späteren Geschichtschreibem £ast 
ohne Ausnahme nachgemalt wurde. 

Mittlerweile aber hatte der Cardinal von York zu zwei 
Katastrophen Stellung zu nehmen, die im Norden und Süden 
fast gleichzeitig eintraten. 

Neben den französischen nnd englisdien £ingri£Een 
halfen namentlich auch römische das unglückliche Schott- 
land tief aufwühlen. Um den Erzstuhl von St« Andrews, 
dessen Inhaber bei Floddon gefallen war, zankten, vo|i ihren 
Facttonen angefeuert, (irawin Douglas, der Uebersetzer des 
Vergilius, welcher an England dnen Rückhalt besass, der 
Prior John Hepbum, aus dem Hause Boihwell, der sich des 
Schlosses von St. Andrews bemächtigt hatte und, selber 
halb französisch, es mit dem Regenten Albany hielt, und 
endlich Andrew Forman, der gewandte Bischof von Murray, 
den einst Ludwig XII. für seine Dienste gegen England 
mit dem Erzbisthum Bourges belohnt hatte, das er jetzt 
indess, da Leo X. einen Neffen damit auszustatten wünschte, 
mit dem schottischen Primat vertauschen sollte. „Jeder- 
mann", schreibt ein Secretar der Königin Margareta, „liest 
hier Abteien auf, wo er kann. Man wartet nicht, bis die 
Pfründen erledigt sind, sondern ergreift sie, ehe sie fallen, 
denn sie verlieren die Kraft, sobald sie den Boden be- 
rfihren...^ Ihr kennt die Weise dieses Landes. Jeder- 
mann sagt was ihm gefallt Keine Verleumdung wird be- 
straft. Der Diener hat mehr Worte als der Herr und ruht 
nicht, bis er dessen Anschlage kennt Es gibt keine Ord- 
nung unter uns." 

Hin solcher Zustand wurde nur ärger, seitdem die 
Konigin Wittwe noch nicht ein Jahr nach dem Untergange 
Jacobs IV. den Grafen Archibald von Angus geheirathet und 
sich damit seiner Sippe, den Douglas, in die Arme geworfen 
hatte. Sie war ohne Mittel, ohne Hilfe gelassen von ihrem 
Bruder, König Heinrich, der sie einmal gern, wie etwa an 



*) Thai tak tham or thai fall, for thaitym ih§v«rUmif ÜUdiwich€ 
grwndt James Inclis 22. Jan. Bremer H, 50. 



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DU AnfSmf^« Heinrichs VJIJ. 



271 



Ludwig Xn. so auch an Kaiser Maximilian verheirathet 
hätte, dem sie aber mit demselben i udor-Starrkopf begeg- 
nete, wie ihre jüngere Schwester. So war sie vom Schloss 
von Edinburgh zu dem von StirHng ausgetrieben, auf diesem 
vom Lordkammerherrn JTome gefangen genommen worden, 
bis sie ihren Hütern entwischte und sich mit Angus aber- 
mals nach Stirling warf; dort hielt sie der Prior Hepbum 
eng eingeschlossen zur Zeit, als der Herzog von Albany in 
Schottland landete. Während also in diesem Lande einer 
wider den anderen den Ann erhob, Hess es Heinrich bei 
schönen Worten bewenden. Seine Schwester aber schrieb : 
,,Wenn Grott gewollt hätte, dass ich als ein einfaches Weib 
mit meinen Kindern im Arm davon gehn könnte^ ich würde 
wahrhaftig nicht lang« von Euch fem bleiben.'**) 

Nachdem mm aber Schottland in das Bundniss zwischen 
Frankreich und England vom 5. April ausdrScklich auf- 
genommen worden, Hessen sich Albany und Hepbum gar 
nicht anders als durch gehmme Anzettelungen mit Marga- 
reta und durch Ghrenzeinfalle von englischer Seite bekäm- 
pfen, die in jenen Ver tr ag su rkunden nicht buchstäblich, wie 
die schottischen, untersagt worden waren. Waren doch die 
Nachbarvölker seit Grenerationen an die wildeste Art der 
Kriegsfuhrung, an Rauben, Brennen und Morden gewöhnt, 
so dass ein breiter Strich quer über die Insel hin von hüben 
und drüben längst in fürchterliche Einöde verwandelt wor- 
den. Und meisterhaft verst^md sich Lord Thomas Dacre, den 
Heinrich mit dem Oberbefehl an den Marken betraut, nicht 
nur auf dies Geschäft, sondern wusste als geschworener Feind 
Schottlands die dort tief zerklüfteten Gemüther vollends aus 
einander zu treiben. Leicht gelang ihm den Lordkammer- 
herm Home heranzuziehen, als dieser mit den bisherigen 
Grenossen darüber zerfiel , dass sie Albany auf dem Parla- 
ment im Juli zum Protector des Reichs erhoben, bis Jacob V. 
volljährig sein würde. Als ob er nur im Interesse der schotti- 
schen Grossen handelte, hatte er seinen Bruder Sir Christo- 
pher ansch^end zu der feierlichen Einsetzung des Herzogs, 
in der That aber abgefertigt, um die politischen IkfissgrifFe 



*) Grtent Letttrt of Kayai amd IUuttHm$s LadUt If 209. 33. Januar* 



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272 



DU Jnfinft Heinricks VIII. 



desselben geschickt auszubeuten. Denn aus personficher 
Rache wurde Lord Drummond, der alte Grossvater des 
Grafen Angus, v^haftet, Grawin Douglas, der erwählte 

Bischof von Dunkeid, weil er der Günstling Englands, in den 
Sectliurm von Saint Andrews j^resteckt, acht Lords alsRegfent- 
schaftsrath über den jungen König eingesetzt. Als vier 
derselben vor vSchloss Stirling erschienen, um Jacob in Em- 
pfang zu nehmen, schritt die beherzte Mutter, den königlichen 
Knaben an der Hand , während eine Amme den kleinen 
Bruder auf dem Arm trug, ihnen entgegen und erklärte, 
nachdem das Fallgatter zwischen ihnen herabgefallen, dass 
der verstorbene König die Burg ihr als Vormund ihrer 
Kinder vermacht hätte. Nur solchen, die auch ihr Vertrauen 
besässen, würde sie die Knaben überlassen. Albany, der 
sie dagegen ganz in seine Grewalt zu bringen, vielleicht gar 
^en Staatsstreich im eigenen Interesse zu fuhren beab- 
sichtigte, wusste nun aber den schwachen Angus zu ge- 
winnen und Stirling von aller Zufuhr abzuspemn. Dacre, 
überzeugt von dem Muthe der Konigin, die ihren Sohn mit 
Krone und Scepter von dw ACauer herab den Belagerern ent- 
gegen halten werde, meinte, nachdem em Hsndstreich zu 
ihrer B^rriung misslungen, sie werde sich schon ein Paar 
Monate behaupten, während er sich an Angus wie an Home 
machen wollte und gegen Albany die Intervention Franz I. 
anzurufen rieth.**) Indess bereits am 4. August war der 
Regent mit 7000 Mann, mit der ungefügen Karthaune Möns 
Meg und anderem schweren Geschütz vor der Felsenburg er- 
schienen. George Douglas und andere Vertheidiger, denen 
das IJerz sank, machten sich bei Zeiten davon, so dass 
Margareta genöthigt war, die Prinzen auszuliefern und Al- 
bany um Gnade anzurufen, der die Königin fortan unter 
sidrärer Hut in Stirling bewachen Hess.***) 

Dacre jedoch gab das Spiel nicht verloren. Nachdem 
er Lord Archibald Home und dessen Sippe zu todllkben 
Widersadiem des Regenten gemacht hatte, hoffi» er diesen 
zum ]^ruch des Vertrags durch eine Ghrenzverletzung zu ver- 

*) Bericht Lord Dacie's vom i. August, Brewer II, 779, 
♦♦) Bericht vom 4. August, ibid. 783. 
Bericbt vom 7., »id, 988. 



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DU AnfSngM Mnmnchs Vill» 



«71 

T 



locken. Allen Anträgen Albany*s, in einer personlichen 
Begegnung die Differenzen zu begleiche, wich er geschickt 
aus.'*') Und selbst als Margareta an ihn und ihren Bruder 
den König schreiben musste, wie Albany es ihr dictirte, 
dass sie sich mit ihm yefglidien, konnte er durch Uel>er« 
Sendung eines Briefs vom Lordkammerherm das Gregen* 
theil beweisen.**} Den letzteren aber» ehedem Grenzwart 
Sdiottlands, hatte er jetzt in einen erbitterten Kampf um 
sein Scfaloss Fast an den Marken verwickelt, das V09 Grund 
aus zertört wurde.***) Mochte darfiber auch Home selber 
ausgetrieben werden, Albany erreichte nimmermehr ein gfüt- 
liches Abkommen. Seinen Truppen aber wäre, wenn sie 
sich über die Grenze hätten hinreissen lassen, ein scharfer 
Empfang zu Theil geworden. 

Jetzt erst sann Margareta auf Flucht, nachdem sie lange 
dem dahin zielenden Rathe des Bruders mit der Nothwen- 
digkeit begegnet war. auf ihrem Posten ausharren zu müssen. 
Meinte Albany die Engländer von seiner Eintracht mit der 
Konigin dadurch zu überzeugen, dass sie sich wieder auf 
freiem Fusse bewegen durfte, so gab sie selber doch Dacre 
schpn am 20. Augnst von ihrem Vorhaben einen Wink, 
indem sie ihn wissen liess, dass sie in einigen Wochen ihr 
Wochenbett in Linltthgow zu halten gedachte, f) Vor 
allem hatte sie sich tief geheim mit Wolsey in Verbindung 
gesetzt und ihm dargethan, wie Albany ihr nur schöne 
Worte Heh, und während er sie von allen Mitten und In* 
formatiönen entblosst gehalten ff), sie zu Schr^ben wider 
ihren Willen an den Papst und die Konige von England 
und Schottland gezwungen hätte. Um so rascher musste 
für ihre Befreiung Sorge getragen werden. Am i. Sep- 
tember schrieb ihr Dacre, dass sie sich schleunig statt nach 
Linlithgow nach Blacater in die Nähe von Berwick begeben 
möge, wo er sie gegen weitere Verfolgung schützen wolle, fff) 
Durch einen sicheren Boten antwortete sie eigenhändig, 

*) Ihre CMrespondens Brtwtr II, 790. 795. 796. 799. 803. 808. 819. 
*^ Die Sdudbeii bd Brmtr U, 83a. 833. 834. 846. 

DMn?9 Bericht vom 35. Aagatt mi dn C^aa Fkealceleyii an Wolsey 
vom S9. fbid, 850. 861. f) Brtwtr H, 83t. 833. 



tt) n, 87a. 



ttt) n, 885. 



18 



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^74 



2>t> Anfängt Mtinrichs VIII. 



dass sie, obwohl man keine Vorstellung hätte, wie streng* 
sie in Edinburgh überwacht würde*), sich mit ihrem Ge- 
mahl und wenigen Dienern durchzuschleichen hoffe. Der 
Lordkammerherr sollte ihr mit einem Trupp beherzter Leute 
entgegen reisen. Als Zeichen ihrer VoUmacht übersandte 
sie dem Konige Ihrem Bmder ^en goldenen King.**) 
Allein Ifingere Zeit verstridi, bis der Anschlag' znr Aus- 
führung kam, denn erst am 30. September gelang es ihr, 
über die Grenze nach Harbotde unter Dacre's Sdiutz za 
entkommen, wo ^ bereits acht Tage darauf einer Tochter 
genas. Es war in der That die höchste Zeit, denn der 
Herzog von Albany erschien mit seinem Heere an den 
Marken , wo er in wenigen Tagen den Widerstand Lord 
Home's, seiner Brüder und ihres Anhangs, in den sich auch 
der Graf von Arran und der junge Angns verwickeln Hessen, 
aus einander trieb. *♦♦) 

Mit den Mitteln und Wegen seiner französischen Poli- 
tik schien der Regent Schottlands am Ziel. Nur begriff er 
nicht, wie wenig seine Schotten selber ein scharfes Durch- 
greifen ertragen konnten, wie sehr er durch den Uebertritt 
Margareta's, welcher bald auch ihr Gremahl, das Haupt der 
Douglas folgte, dem Könige von England in die Hände 
spielte. t) Noch immer Hess er nicht ab, jene an sidi zu 
locken. Er wollte sich der Konigsldnder nur so weit be* 
machtigt haben, als die Stände des Reichs es verlangten. 
Wollte die Mutter ihre Niederkunft daheim abwarten, so 
sollte ihr in adit Tagen AUes zurückerstattet werden, ft) 
Immer wieder bot er ihr volle Verfügung über ihre S51me 
nebst Ausfieferung- ihres Witthums und Befreiung des 
Bischöfe Douglas, fff) Mit Entrüstung jedoch wies Marga- 
reta die trügerischen Anträge zurück, obwohl sie der fran- 



*) / parcayve that ye ar not/ht sykerly informyd in what stat / stand 
in » , .vryten rvyt my hand yes Monday. £iiis, Original LetUrs 1» I. 127. 
Vollmacht bei Brewer II, 885. 
***) Bericht Dacra't vom 18. Oct., Brtwer II, 1044. Vgl. T^tUr^ SisU 
of Seetiand IV, 108. 

t) Bwnm^ Hüi, ScMand IV, 89. 
tt) Albany an Maffaitta, 5. Sept., Bremer II, 879. 
ftf) Gr*€n, Frimcen*s of England IV, 514. Brnur II, 1097. 13. Oct. 



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I 



Die Anfänge Heinrichs VIII, 275 



zösische Gesandte in Schottland mit seiner Autorität zu 
decken suchte. Auf die Anzeige von der Geburt ihrer 
Tochter, bei welcher Gelegenheit sie abermals die unbe- 
hinderte Vonnundschaft über ihre Sohne in Anspruch nahm, 
erwiderte nun aber der Rath von Schottland, dass mit 
Jacobs IV. Tod das Anrecht darauf erloschen und durch 
eine' zweite Ehe vollends verwifkt sei. In allen veltUchen 
Dingen st^ das Reich Schottland all^ unter Gott dem 
Allmaditigen und lasse weder den Papst noch einen anderen 
Oberherm auf Erden gelten.*) 

Vergebens aber suchte der Herzog von Albany die 
fransosisdie Obergewalt, unter welcher diese Absage er- 
folgte, zu verschlaem. Vergebens fuhr er fort, Margareten 
abwechselnd zu drohen und zu schmeicheln. Vergebens be- 
schuldigte er in Jiriefen an Heinrich VHI., an seine Schwester 
Maria und deren Gemahl Suflfolk, denen er unlängst in Paris 
begegnet war, und an Wolsey die englischen Grenzhüter, dass 
sie die Thatsachen verdrehten, während man seinem Boten, 
einem Kämmerling Franz* I., unbedingten Glauben schenken 
sollte.**) Lord Dacre fuhr daher unbehindert fort, ihm mittels 
der Uebergetretenen und der Parteigänger im eigenen Lande 
arg zuzusetzen. Die zügellosen „Masstroopers" von North* 
umberland, Riddesdale, Tynedale und Gillisland wichen 
jedesmal gewandt aus, wenn seine Reiter heran kamen und 
straften wieder bis unter die Mauern von Edinbuigh, sch 
bald er jene zurOcknahm. Alles veronigte sich, um dem 
Herzog das unaufhörliche Verwüsten, Brennen und Morden 
in Schottland zum Ekel zu machen.***) Die venetianischen 
Gesandten befürchteten, dass diese böse Verwidclung trotz 
der vorgeschrittenen Jahreszeit in offenen Krieg ausarten 
konnte. t) Ein Versuch dagegen, Lord Dacre zum Haupt- 
Sünder zu stempeln, don wdt mehr darum zu ^un sei, 
Home und Albany an einander zu hetzen, als der Königin 
Wittwe Gerechtigkeit zu verschaffen, blitzte an Cardinal 



*) Gre9Ht Frim€€ss«t IV* 314 WocUmII. 
♦♦) 13. Oct. Brewer II, JO24-IO26. 14. Oct IO30. 
Dacre an Heinrich VIII , 18. Oct. Brewer II, lOf^. 
t) Ginstmiaiii, Despatches I. 157. 39. Oct. 

IS* 



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276 



DU Anjänge üeinrichs VIII. 



Wolsey völlig ab, gegen den gerade Margareta ihr unbe- 
grenztes Vertrauen aussprach.*) 

Der Wunsch, sie zu den Weihnachtslustbarkeiten in 
London zu haben**), wurde nun freilich durch ihre schwere 
£rkrankung vereitelt. Garneys, der Bote ihres Bruders, 
welcher ihr dessen reidie Creschenke überbrachte, fand sie 
in Morpeth, wohin sie, von Angos, Home, Archibald Douglas 
und anderen schottischen Edelleuten begleitet, nur mit 
grosser Mühsal geschafft worden, vom Hüftweh der Art 
gebrochen, dass sie sich nidit aufrichten konnte. Trotzdem 
hatte sie an den vielen seidenen und brokatenen Gewändern, 
die man vor ihr ausbreitete, eine so kindische Freude, dass 
sie zu dem Lordkammerherm und seinen Landsleuten aus- 
rief: ,,Da seht, dass der König mein Bruder mich nicht 
vergessen, indem er mich nicht aus Mangel an Kleidern 
wollte sterben lassen." Die Trauerkunde dagegen vom 
Ableben ihres zweiten Knaben, des kleinen Herzogs von 
Rothesay, der ihr mehr als der ältere, Jacob V,, an das 
Herz gewachsen und am 18. December in Edinburgh plötz- 
lich gestorben war, wagte ihr noch Niemand mitzutheilen.***) 
Die Heftigkeit ihrer Leiden spottete noch längere Zeit aller 
sorgfältigen Pflege f), so dass sie erst im April nach Süden 
aufbrechen konnte. Lord Dacre aber war hierum gar sehr 
zu thun, weil er die schottischen Herren, mit denen Albany 
und der Franzose La Bastie noch immer transigirten, bis 
Angus und Home wurklich überliefen ff), von ihr absdiQtteln 
wollte. Während er an die Grenze zurückdlte, um wie 
zuvor die Nachbaren aneinandw zu hetzen, reiste Margareta 
endlich völlig genesen über Stony Stratfordftt) und £nfi^d 
weitor und wurde am 3. Mai von Hdnrich VUI. bei Totten« 
ham ebigeholt. Auf demselben Ross mit Sir Thomas Par 

*) Jean de Planis an Wolsey, Oct. /bid. 1096. For next the hyng^t 
grace my most trust is in you, Ellis, Original Letttrs I, I. 128. 
♦♦) Wolsey an Heinrich, Nov. Brewer II, 1223. 

•♦♦) Der lebeadige Bericht des Sir Christopher Gamey's, gegen den der 
IMdiler Skdiott Miae bittenten Invectiven lichltte, Bttm^r n, 1350. aS. Dec 
t) Dtcre imd Endechaat Ma(mu «n Hdnrfdi 6. Jan. 1516, iMf. 1387. 
tt) Dmw «n Hdnricli Vm., la. Afnll. Stmt n, 17S9. 
tft) / am in rygkt good heal ümd at j^yout öf my tayd /ourmy t»- 
warde ym «U, 27. April. EUU I, i. 129. 



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m» Anfimgt HtmHch* VIII. 



277 



durchritt sie Cheapside, um in Baynard Castle Wohnung- zu 
nehmen, ohne dass die schottischen Gesandten zuvor b^m 
Könige hätten Zutritt erhalten können.*) 

Während sie eine Weile in den lebenslustigen Zertreu- 
ungen des englischen Hofs au%ing, vorwi^end auf Unter- 
halt von Seiten ihres Bruders angewiesen war**) und wieder- 
holt den mächtigen Cardinal, um die audi für ihre weiteren 
Zwecke erforderlichen Mittel angdien musste***), behielt Lord 
Dacre die Hergänge in Schottland im Auge. Mit grossem 
Verdruss hatte er Angus und Home, weldie nicht nach 
glänzender unfreiwilliger Müsse in England gelüstete, auf die 
Krbietungen Albany's eingehn und in die Heimath zurück- 
kehren sehn: — eine Beleidigung Margareta's durch den eige- 
nen Gemahl und denjenigen, der ihre Sache bisher am be- 
herztesten verfochten. Während die wilde Fehde in ihrem 
J.ande kein Ende nahmf), während Heinrich VIII. sich unter- 
fing, den Herzog von Albany als den hauptsächlichsten 
Friedensstörer bei den schottischen Ständen zu denunciren, 
worauf diese abermals ihre nationale Unabhängigkeit feier- 
lich zu Beschluss erhoben ff), sollten einige der Herren die 
Rache des Regenten alsbald zu kosten bekommen. Gleich 
wie einst die alte Mutter der Home's vom Krankenbette 
Margareta's in festen Gewahrsam entführt wurde, so waren 
ihre Sohne trotz aller Amnestie vor dem Ausgang von Ver- 
rathem nicht sicher. Keine Frage, daes Dacre selber die 
Katastrophe herbeiführen half. „Ich arbeite was ich kann*', 
schreibt er am 23. August dem Cardinal, „um Zank und 
Zwietracht zu schüren, damit sie dem Herzog, wenn er 
uns nicht zu Willen ist, über den Kopf wachsen." Er hat 
wieder geheime Mittheilungen von Angus und 400 Ver- 
bannte in seinem Sold, durch die er täglich sengen und 
brennen lässt.ftf) Darüber führten nicht nur die Earls 

♦) Bericht vom 6. Mai II, i86i. 
**) In den Kcchnungen der Jahre 151t) und 15 17 werden viele Summen 
zu ihrem Gebrauch und Dienst verzeichnet, Brewer II, 1471 ff. 

♦♦♦) Zwei Briefe bei ElUs I, i. 130, ein dritter bei Wood, Letters 0/ 
Rtyal and Ilhutrimt LadU* I, aao. 

t) Ausfilvliche AnUagen Maigarcto't gegen Albany Brnur II, 167a. 
tfi Pail«mciitd»eiclihMi vom 4. JnU bei ^m*r Xin, |SO vgl. An- 
schreiben Heinricbs im Entwurf, Bremer II, 1975. fff) BUU I, i. 131. 



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378 



Die Anfängt Heinrich* ViJI, 



Arran, Lennox, Glencairn und andere wüthende Fehde im 
Westen wider den Kanzler, den Krzbischof Beaton von 
Glasgow, sondern wurden der Lordkammerherr Home und 
sein Bruder emes Tag» bei Hofe in Edinburgh — man 
erfährt nicht, wann, wie und auf welchen Anlass hin — 
verhaftet Da ersterer auch an England treulos gehandek, 
geschßh von doirt aus mcfat das Greringste, um ihn zu retten. 
Dun und dem Bruder wurde als HochverrSthem, die jetzt 
sogar an der Niederlage bei Floddon und dem Untergänge 
Jacobs IV. sdadd sein sollten, hastig der Proceas gemacht, 
auf den scUeunig am 8. und 9. October.die Hinriditttngen 
folgten.*) Lord Fleming erhielt das Amt des Kairnnw iie rrn , 
der Framose de la Bastae gar den Oberbeföbl an den 
Marken. IMe Fremdherrschaft stand in voller Blüthe, als 
ein Umschwung der allgemeinen Politik auch Veränderuner 
der Gewalt in Schottland mit sich brachte. Königin Mar- 
gareta sollte noch einmal zurückkehren, während Albany, 
wonach er sich oft genug gesehnt hatte, sich wieder nach 
Paris begab. 

Nach wie vor erwies sich der Gang der schottischen 
Ereignisse lediglich als Episode der mächtigen von Frank- 
reich ausgehenden Impulse. Während des Sommers 1515 
hatte sich die englische Politik zu dem italischen Vorhaben 
König Franz' I., obwohl höchst argwohnisch, doch zuwar- 
tend verhalten müssen, weil ein Bundesvertrag bestand, den 
sich jener weislich hütete, offen zu brechen. Aus demselben 
Grunde durfte ein Gegenbundniss nur äusserst vorsichtig 
und gdidm betrieben werden. Es hatte nicht viel auf 
sich, wenn etwa der Kaiser auf «n Ansdureiben Heinrichs 
versprach , seinen Grossneffian Karl von den franxosischen 
Sjonpathien seiner Regentschaft zu befteien, oder wenn er 
dem Konige, nadi dessen Subsidien ihn stets g^üstete, 
schmeicheln liess, er hoffe noch die Krone Frankreichs auf 
seinem Haupte zu sehn.**) Der Rath von Flandern zog 

♦) Dum an Wohey 36. Oct. bei Brtwsr II, 3481, wflw von dem Be- 
fehl rar Eaecatiaii. 

**) To bring which ab out , me Mtme tk th*t all or the principal part 
of Christian princes skould tio7v he mot» tkan incUtud, Bandit Sk Robett 
Wingfields 2Z, Aug- Bremer II, 8i8. cC 767. 807. 



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DU Anfänge Heinrichs VJJL 



27g 



beständig nach einer anderen Richtung, als die Erzherzogin 
für ihren Vater, während von engUscher Seite das Treiben 
des Prätendenten Richard de la Pole in Lothringen, sowie 
die Rüstungen in den bretonischen Häfen ängstlich beo- 
bachtet und Anstalten zu einer neuen Befestigung Tournai's 
getroffen wurden. *) Nachdem Heinrich im August den Herrn 
von Bapaume mit Aufträgen von Franz I. empfangen, hat 
er sofort nicht nur eigenhändig, sondern durch Abfertigung* 
des Sir Richard Wingfield gegen diesen Klage gefuhrt 
über den Seersub, welche franzosische Kreuzer unter 
schottischer Flagge trieben, wie über Albany's gewaltsames 
Auftreten in Schottland.**) Diejenigen, die an seinem Hofe 
eifrig nach allen Seiten zu begotigeii suchten, waren immer* 
dar die Venetianer. Sie bemei^ten, wie übel die Anzeige 
vom A^senflbergang, den Franz wie ein zweiter Hannibal 
ausführte, von der Un^gehnng der bei Susa arglos stehen« 
den Schw^zer, von der Ueberrumpelung des päpstlichen 
Generals Prospero Colonna aufgenommen und mit den bösen 
Agitationen in Schottland in Beziehung gebracht wurde. ***) 
Heinrich VIH., welcher einen Theil des Sommers auf einer 
Rundreise verbrachte, war genöthigt, still zu halten vor 
den kräftigen Schlägen, mit denen dann sein zwanzigjähriger 
Rival am 13. und 14. September bei Marignano die ver- 
zweifelte Tapferkeit der unter dem Cardinal von Sitten für 
ihren Kriegsruhm und die Kirche streitenden Eidgenossen 
niederwarf und ihm, dem Kaiser und dem Könige von 
Aragon zum Trotz sich zur bestimmenden Macht über Italien 
und den Papst aufschwang. Indem er Maximilian Sforza 
zu capituliren zwang, gewann er das Herzogthum Mailand. 
Indem der Vicekönig von Neapei, Don Ramon de Cardena, 
vom Po an die Abruzzen zurückeilte, sahen sich die Medici 
gmoMgtp schleunig mit dem Sieger ihren Frieden zu machen. 
Während Franz ihnen die republikanische Faction in Florenz 
Pros gab, versicherte er sich Parma's und Piacenza's. Er 
gewann den Papst alsbald dadurch, dass er ihm die Be- 
sitzungen der Kirche verbürgte, wogegen Leo seine Truppen 

*) Brewer II, 809. 813. 814. 820. 
**) An Franz 20. A.\xg. und Instructionen für Wingäeld ibid. 826. 827. 
) Brown II, 644. 645. 



2$0 



DU Amfimg€ Mtim ickt VII 1. 



sMuif widdie gegen die Venetianer im Felde gestanden 
hatten« Diese endlich, die unter Alviano bd Marignano 
nodi im letzten Augenblick wirksam eingegrifiiui, hatten 
jetzt nur nodi den Kaiser gegen sich, wddier fortfuhr, ihnen 
Bresda und Verona streitig zu madien. Ben Eidgenossen, 
schon vorher unter dch midns und nunmdur tief erbittert 
über die gewaltige Niederlage, welche ihrer Weltmacht- 
stellung ein jähes Ende bereitete, drohte ihr lockerer Bund 
vollends aus einander zu brechen. 

Diese ungeheuren Erfolge wurden nun natürlich an den 
Höfen sehr verschieden aufgenommen. Während die Glück- 
wünsche Karls von Burgund abermals zeigten, wie warm 
die Gefühle seiner Umgebung für Frankreich waren, stockte 
dem alten Ferdinand der Athem über das Scheitern aller 
seiner Anschläge. Nur in England begleitete man zunächst 
die \merfreulichen Ereignisse mit Unglauben \md fernerhin 
mit bitterer Kritik. 

Als Badoer und Griustiniani am 25. September Wolsey, 
der eben Cardinal geworden, in wohlgesetzter Rede gratu- 
lirten, wusste er zwar von dem gelungenen Alpenübergange^ 
schilderte aber auf Grund von Briefen aus Verona vom 12. 
und aus Brüssel vom 18. den Konig Franz und Venedigt 
falls es an ihm fest halte, als verloren. Heftige erging er 
sich über die Misshandhmg der Konigin von Schottland, 
wovon jene lebhaft den Konig von Frankreich schuldfirei zu 
sprechen suchten. *) Sie unterliessen nicht, zwei Tage darauf 
den franzosischen Gesandten, der eben zu Pferde steigen 
wollte, um König Hdnrich die Siegesnachrichten zu über- 
bringen, welche von Madame Louise, der Mutter Franz' I., 
eingegangen waren, von ihrer Unterredung und der steigen- 
den Animosität am englischen Hofe in Kenntniss zu setzen.**) 
Obwohl die Niederlage der Schweizer gleichzeitig über 
Brüssel und Calais bestätigt worden***), so thaten doch die 



♦) Oiustiiiiani, Despatches I, 129. Brown d^x. Ein Brief Spinelly's 
ans Brüssel vom 19.» Brtmw II, 927 wen» vom Manch der Fhmsosen durch 
Sslttzxo, denen Verderben durch die Sehweiaer gewünscht wird. 
**) Bciicht vom 27. Sept., Brtmn II, 653. 

^) S|^Uy, 33. 39. Shr Richard Whigfidd 37. Sept., Brnnr II, 
944. 953. 95«. 



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£h« Anfängt Btmrichs VlII. 



281 



englischen Staatsmänner noch Wochen lang, als ob Franz 
jetzt erst recht in eine Falle gerathen wäre.*) Als Giusti- 
niani und sein College am 15. October bei Heinrich VIII. 
gleich nach der Rückkehr von sdner Rundreise in Green- 
wich Audienz hatten, war zwar von Ungarn und Türken, 
aber von den Fransosen nur flüchtig die Rede, weil jene 
nichts Neues beizubriqgen hatten.**) Dagegen gewährte 
der König, obwohl er für nichts Anderes als den Bau semer 
grossen Galeere „The Virgin Mary" Sinn zu haben schien, 
am 26. dem franzosischen Gesandten Bapaume, welcher 
Schreiben von Madame Louise übenmchte, einen mark- 
würdigen Empfang. Er verbarg dabd die Missgunst so 
wenig, dass er die Einigung des ELonigs von Frankreich 
mit dem Papst in Abrede stellen und sogar wissen wollte, 
die vSchweizer hätten bei Marignano nicht 20,000, sondern 
nur 10,000 Mann verloren. Mit Mühe gelan^r os seiner Um- 
g-ebung- den gereizten Ton seiner Rede zu dämpfen. Er und 
Franz, meinte Heinrich darauf, thäten am besten sich zu 
verbinden und, stärker als irgend ein anderer Fürst seit Karl 
dem Grossen , dem Türken zu Leibe zu gehn. Eine viel 
freundlichere Aufnahme fand Bapaume beim Herzoge von 
SufFolk, welcher die englischen Rüstungen als sehr gering- 
fugig und lediglich um der öffentlichen Meinung zu will- 
fahren darstellte, während der König fest entschlossen sei, 
mit Frankreich Freundschaft zu halten. Der Cardinal, den 
der Gresandte in Westminster aufsuchte, machte endlich gute 
Miene zum bösen Spiel, gratulirte verbindlichst und ver- 
sicherte nach seiner Gewohnheit feierlich mit der Hand auf der 
Brust, dass England weder zur See noch zu Lande an Krieg 
(Sßohte und höchstens nur wegen der Gewaltsamkeiten des 
Herzogs von Albany in Schottland einzuschreiten gendthigt 
werden konnte. Trotzdem war Bapaume überzeugt, dass 
die Engländer, wenn Franz bei Marignano unterlagen wäre, 
ndi alsbald gerührt haben würden. Er fand dies bestätigt 
in der schleunigen Fertigstellung des gewaltigen Kriegs- 
schifiis, an dessen Bord Heinrich Vm. selber Tage lang in 



*) Yenetianischer Bericht vom Ii. Oct., Brown II, 653. 
♦♦) Brown II, 655. 



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202 



Die AnfäHg« Hemrichs VI IL 



kostbarer Matrosenkleidung den beiden Königinnen Katha- 
rina und Maria, der Pathin des Schiffs, glänzende Feste 
veranstaltete. Noch mehr aber in dem Eifer, mit welchem 
Wolsey, die Bischöfe von Winchester luid Durham sich be- 
mühten gewisse scharfe Atisdrücke, denen es die An- 
schreiben der Herzogin Louise nicht fehlen Hessen, als unver- 
dient zurückzuweisen. In Schottland allmn lag in der Tbat 
die Ge&hr eines Bruchs, denn bei jeder B^fegnung er- 
neuerte der Cardinal die Beschwerden, die nur durch Ab- 
berufung Alban/s besdtigt werden kdnnteii. Zum Glück, 
meinte Bapaume, verböte der Winter fOr sechs Monate dort 
Krieg zu führen.*) 

Wahrschmnlich würde die englische Regierung langst 
ganz anders aufgetreten sein, wäre sie zuverlässiger Bundes- 
genossen sicher gewesen. Der alte Ferdinand, der eben- 
falls erwartet haben mochte, dass der junge französische Hitz- 
kopf übel anrennen würde, blieb immerdar saumselig, zumal 
als er sich überzeugte, die Franzosen würden einstweilen 
mit der Lombardei genug haben und seinem Neapel nicht 
zu nahe treten. Der neue spanisch-englische Vertrag, den 
sein Botschafter Bischof de Mesa seit Monaten unterhan- 
delte, wurde zwar endlich am 19. October unterzeichnet, 
war aber doch wesentlich defensiver und commercieller 
Natur. **) 

Noch weniger war von Leo X. zu erwarten. Trotz aller 
Ableugnung und einigen verfi^ihen Versuchen, ihn fest 
zuhalten***), warf er sich doch in Kurzem dem^franzosischen 
Si^rer in die Arme. An der Curie beschuldigte man die 
Schweizer, den König von Aragon, den Kaiser, die ihn 
schnöde in Stich gelassen hatten, und heudielte geschäftig von 
«nem Kreuzzuge zur Rettung Ungarns, f) Der Papst selber 
wusste am besten, dass alle Anstrengungen Englands zu 
spät kamen. Den alten König von Aragon hatte er vollends 
überlistet, denn sein Eingehen auf dessen Plan, in Nord- 

*) x>er laufe Bericht Baiwiim^s vom 6. November, Bnwr 11 13, in 
voUitSiidiger Uebenetsnng p. XLVn— LH. 

♦♦) Rymer XIII, 520. 527 cft Bwgenroth II, 250—237. 
♦♦♦) Von sokhen Spinelly aus Brüssel, Oct. Brtmer II, IO96. 
t) Silvester von Worcester an Ammoniiit, 27. Nov., BrtW€r II, 1201. 



Di0 Jnfän^e MHmruht VJJJ. 283 

Italien eine Herrschaft für den jungm In&nten Ferdinand 
herauszuschlagen war durchaus erheuchelt gewesen.*) So 
traf er deim am 12. December zu Bologna mit Franz L**) 
ausanmen und immochte ihn, die Herrschaft des Hauses 
Media in MitteUtalien anzuettomea. Dass sie auch über 
die EventuafitSt einer engüschen Diversion» über nahe be« 
vorstehende Aenderungen in Spanien, Neapel und Burgund 
ihre Gedanken austansditen, verstand sic& von selbst Nach- 
dem Franz seinem Kanzler den Abschluss eines Concordats 
(in welchem die nationalen Grundstee der pragmatischen 
Sanction eines Vorgängers Karls VII. gegen das Recht, 
sämmtliche geistliche Stellen seines Landes , freilich unter 
Erhöhung der dem Papste zu zahlenden Annaten, zu besetzen, 
zum Opfer gebracht wurden) überlassen hatte, wandte er sich 
nordwärts, um, nachdem er die Verwaltung der Lombardei 
dem Connetable von Bourbon übertragen, am 6. Januar 15 16 
lorbeergeschmückt über die Alpen nach Frankreich zurück- 
zukehren. Papst Leo hielt es wenigstens für schicklich, 
den König von £ngland und seinen Minister alsbald von 
der Zusammenkunft zu benachrichtigen und beide recht 
salbungsvoll zu ermahnen, sich mit ähnlichem Eifer, wie 
Fians fOr eine gemeinsame Unternehmung wider die Un* 
gl&nbigen zu beg«i8tem.***) Er wunsdito dringend, die Am- 
mosität zu beschwichtigen gegenüber zwei Potenzen, von 
denen er die eine, Venedig, Usher heftig beikämpft' und die 
andere, die Sidgeoossen, als seine tapfersten Söldliqge hoch 
gepriesen hatte. Fortan unterstutzte «r die Forderung seines 
neuen Bundesgenossen, den Venetianem zu Bresda und 
Verona zu verhelfen und den Schweizern goldene Brücken 
zu bauen, um sie nach längerer Entfremdung wieder fest 
an den französischen Siegeswagen zu ketten. 

Mittlerweile aber führte dieser neuste Umschwung in 
den Greschicken Italiens denn doch zu eigenthümlichen Gegen- 
wirkungen. Zunächst war die englisch - spanische Freund- 
schaft, welche ebenfalls längere Zeit gestört gewesen, doch 
wieder aufgerichtet. Stolz schrieb Königin Katharina ihrem 

*) Fodiattid n idMii G^tandtwi in Rom, Btr^mrM II, 340. 
**) SilvesUt aehüdart die Becegwuig all Mhr ig c o t da H, Bremer II, laSi. 
***) 14. Dec. bei Bremer II, iiSa. »8$. 



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2^4 An/ingm Mnnrich* VIII* 

Vater: alle Welt bewundere seine reichen Geschenke an 
ihren Gemahl*), die — wahrlich eine seltene Ausnahme 
semerseits — gleich der Abänderung des frOheren Vertrags 
wesentlich zu einer Verständigung beigetragen. Vor allen 
aber seien die Engländer, welche die Königin für Missgunst 
über die Erfolge ihrer Gegner besonders empfänglich hielt, 
nun wieder fest auf seine Seite hinübefgetrieben. An dieser 
Stelle wenigstens galt der alte Fürst noch immer für die 
Seele jeder grossen Combination, fSr welche allerdings die 
Reichthümer seines Eidams dringend erforderlich schienen, 
um auch die nothigen Streitkräfte auf die Beine zu bringen. 
Sichtlich hatte sich denn ebenfalls das Verhaltniss zum 
Kaiser gebessert Der englische Gesandte, Sir Robert 
Wingfheld, der s^t Jahren als blinder Bewunderer den 
reisigen Hof Maximilians begleitete, führte die Feder eifriger 
denn je. Ihn dünkte, dass zu Innsbruck, wo im October 
die BevoUniäclitigten d(^s Papsts, die Gesandten von sechs 
Königen und vieler Fürsten Italiens und des Reichs zu- 
sammenströmten, die Entscheidung der Dinge läge. Nur 
wunderte es ihn, wie der ritterliche Max ohne Geld und 
Credit nicht nur zu rüsten, sondern für das kostbare Denk- 
mal zu sorgen fortfuhr, das er eben dort sich schon bei 
Lebzeiten zu errichten begann. Er meinte wahrlich, übör 
den Kaiser, der schon so viel erfahren und der doch un- 
möglich das Herzogthum Mailand, das er seinem Enkel Karl 
zugedacht hatte, in französisches Eigenthum verwandelt wün- 
schen konnte, wie über die gesammte Christenheit sei nun- 
mehr die grösste Prüfung hereingebrochen.**) Nur Schade, 
gegen eine vertrauensvolle Wiederaufnahme der von Eng- 
land an Maximilian gezahlten Subsidien sprach alle bis- 
herige Erfahrung. Dag^fen war unter dem dröhnenden 
Schlage von Marignano wie am Höfe zu Innsbruck***), so 
auch an dem zu Westminster die gespannte Aufmericsam- 



*) Sl fual esta tl mos soberHo M unmdo eon la fron daäiva fU0 
Vutitr« AUtna U embyo y todo su reyno clarammOe c^vtctn y conjUtam 

ifue ha svdo la mayor gue nunca a Vsfulaterra vino. 31. Oct Bergenroih 
ir, 238. Dies war auch tlen Vtnetianern nicht entgangen Bromn II, 653 
XI. Oct. ♦*) Bericht vom 0. Oct. bei Brewer II, 1006. 

•*♦) Wingfield wiederholt über die Schweizer ibid, 1006. 1037. 1043. 



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Dü Anfängt Hnnruht Vi II. 



285 



keit der Politiker auf die fernere Haltung der Schweizer 
Eidgenossen gerichtet. 

Schon am 8. October hatte Knight, einer der gescheu* 
testen Diener Wolsey'Sy äusserst erregt über die gewaltigen 
Fortschritte und was er als Treulosigkeit des Königs Franz 
beseichnete, von Brüssel aiis dem Cardinal vorgestellt: jetzt 
sei der Moment, um ein Bündniss mit den Schweizern zu 
sdiliessen, damit sie Frankrdoh zur Greissel würden. Viele 
in England freilich hielten sie für Spitzbuben. Aber trüge 
etwa Venedig Bedenken, wenn es in seinem Vortheil liege, 
den UnglSubigen beizuspringen? Die Kirche und das Reich, 
alle anderen Fürsten bemühten sich um die Eidgenossen, nur 
England nicht*) Um dieselbe Zeit meldete auch Wingffield, 
dass der Cardinal von Sitten, der nach der Niederlage 
seiner Landsleute schleunigst an den kaiserlichen Hof geeilt 
war, versicherte, die Schweizer sehnten sich danach, in des 
Königs Dienst zu treten: 20,000 Mann seien für 40,000 Gulden 
den Monat zu haben. Der Kaiser würde gern die nöthige 
Reiterei und Artillerie um eine entsprechende Summe bei- 
geben, da alle Welt nur zu gut wisse, dass er mit Geld 
schlecht versehen sei.**) Heinrich und sein Minister waren 
nun einmal in einer stark gereizten Stimmung, um nicht 
lange zu überlegen, dem Wagniss näher zu treten. Höchst 
wahrscheinlich hatten sie sich weniger beeilt, wenn die tief 
gehenden Spaltungen in der Conföderation jener Bündner 
in England durchschaut worden wären. 

Dort aber wusste man nicht, dass auf einer am 6. October 
zu Luzera gdiahenen Xagfahrt die national gesinnten Orte 
unter der Führui^ von Schwyz, obwohl von kaiserlichen 
tmd damals auch noch von papsUichen Agenten zur Fort- 
setzung des Widerstands angefeuert, vor der mfichtigen 
Einigung Berns mit Freiburg und Solothum hatten weichen 
müssen, die mit der Mehrzahl von Stinm»n den Herzog von 
Savo3ren als Vermittler zur Wiederaufrichtung des Friedens 
mit Frankreich anriefen.*^ Wolsey ergriff daher dne wenig 
hoffnungsvolle Partie, als er einen eigenen Gresandten an 

♦) Breiver II, 1003. *') Ibid, 982 2. Oct. 

Gtsi\ der Antheil der Eidgenossen an der eun^MÜschen PolUik in den 
Jahren 1512—1516, S. 196. 202, 



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286 



DU Anfängt Meinrich* VI Ii. 



die Eidgenossenschaft abfertigte, damit er dieselbe auf wei- 
teren Tagfahrten gehörig bearbeite. Es war dies Richard 
Pace, ein Geistlicher von bedeutendem lalent, der erst im 
März des Jahrs aus der Fremde heimg^Lehrt und, dem Car- 
dinal von Sir Richard Wing^eld bestens empfohlen'"), in 
dessen Dienste getreten war. Einst in jungen Jahren hatte 
ihn der verstorbene Bischof Thomas Langtim von Winchester, 
ein Freund der Wissenschaft, nach Padua auf die hohe Schale 
geschickt, der«i Humanismus ilm frühzestig mit firasmus 
und den eigenen Landsleuten Tunstal und William Latimer 
in Berührung brachte. Auf seinem späteren Stadiengang 
in Oxford war er dann Baanbridge nahe gekommen, der, als 
er, zum Erzbischof von York und zum Cardinal erhoben, als 
Botschafter Heinrichs VIII. nach Rom ging, Pace mit sich 
nahm. Es ist früher erzählt worden, wie unerschrocken 
dieser darauf aus war , diejenigen , welchen die Vergiftung 
seines Herrn zugeschrieben wurde, zur Rechenschaft zu 
ziehn.**) Jetzt schien er seines langjährigen Aufenthalts 
im Auslande, seiner Sprachkenntnisse und diplomatischen 
Erfahrung wegen so recht der Mann, um mit einer intimen 
aber überaus heiklen Sendung betraut zu werden. Seine 
Vollmachten an die Schweizer und verbündeten Italiener 
zielten ursprunglich auf Mailand und Maximilian Sforza, der, 
wenn ihm sein Herzogthum gerettet wärde, dem r^^rrfttü^i 
Wolsey hohe Jafargelder in Aussicht gestellt haben s<^ 
In besonderem Anschreiben des Königs Hess er sich dem 
Cardinal von Sitten und dem p&psttichen Gesandten, dem 
Bischof von VeroH, angelegentlich empfehlen, wahrend er 
ofifidell nur als Secretfir Wolsey's auf die Rase zu gehn 
wfinschte.***) Hr war ermächtigt, den Schweizern, wenn sie 
die Waffisn sofort gegen die Franzosen kehrten, 100,000 
Kronen für zwei Monate zu zahlen, f) Nachdem er am 25. 
durch Antwerpen gekommen, wo er eine kurze Begegnung 
mit Thomas Alore hatte, welcher der Mission an den Hof 
des Erzherzogs beigegeben war, und weitere Informationen 

*) Brtmtr II, 373. 

IMe Zn»ammcnrtdthmg bei Brnmr H, p LIV. 
**♦) Brewer II, 1065. 1066. 
t) Entiniif von Woltey*» Hand Brewtr II, 1095. 



DU Anfängt Mnitrüks VIJI, 



2Ä7 



von Spinelly in Brüssel erhalten hatte, nachdem er mit 
heiler Haut durch die Gebiete Roberts von der Mark, den man 
den Teufel hiess, und über Speier weiter geeilt war, erreichte 
er Innsbruck bereits am 8. November.*) Sofort eröffnete 
er seine Auftrage dem Cardinal Schinner, welcher ihm die 
franzöfiischen Anstmgungen unter den Eidgenossen nicht 
verhüllte» ihn aber versicherte, dass, wenn er genug' Geld 
mitgebracht hatte, dieselben sich in zdin Tagen auf die 
Franzosen gestiirzt haben würden. Indess grosse Summen 
wurden unverzüglich durch Bekämpfung der feindlichen 
Macfainadonen verschlungen, so dass Pace solbrt um mehr zu 
schreiben hatte, während Schinner, den er in hohem Grade 
unternehmungslustig fand, das Angeld von 100,000 Kronen 
auf 120,000 zu erhöhen vorschlug.**) Die Hauptsache jedoch 
war, dass beide beschlossen, sich alsbald auf den Weg zu 
machen, um den auf den 25. in Zürich anberaumten Tag 
zu besuchen, welcher den Genfer Beschlüssen vom 3. ent- 
gegen wirken sollte , denn noch konnte von einer vollen 
Abmachung zwischen Franzosen und Schweizern keine Rede 
sein. Ueber Kempten und Constanz, wo Pace am 22. ein 
Gespräch mit Franz Sforza hatte, den der Kaiser jetzt an 
Stelle seines von den Franzosen abgefundenen Bruders zum 
Herzog von Mailand machen wollte, trafen beide am 24. in 
Zürich ein. Mit einer Million Gold, so hiess es, suche Kon^ 
Franz die Eidgenossen an sich zu bringen. Der Cardinal 
von Sitten dagegen wollte wissen, die Zürcher Boten, 
welche jeder 100 Kronen genommen, seien darüber von den 
Ihrigen hart ange&faren. Zürich, so hoffle er, würde die 
Leute, welche Bern in den Graben geführt, schon wieder 
herausbringen. ♦**) Die Sachen standen dennoch überaus 
misslich, weÜ-die Gremüther der Schweizer selber bis zum 
Aeussersten erhitzt warenf), so dass der Cardinal es ge- 
rathen hielt, von dem Landtage fern und beim Kaiser zu 
bleiben, der ihm seine Vollmacht übertragen, aber selber 

*) Brtmtr II, 1067. 1096. IIOO. 1136. 

**) pMft's Berichte vom 13. und 16. Sitten an Woliey Tom 13. Nov., 
Brewtr U, 1135. 1146. Z162. ***) Brtwtr II, 1162. 1188. 1193. 

f ) Omnia afud üUs sttni initrhtrbaia pr^pttr largitsimmm frmistiO' 
mm GmUit l. e. 



288 



Du Anfängt Htinridu VIII. 



bis Memmingen herbei gekommen war um, er zu Wing"- 
field äusserte, nicht nur die Handel zwischen dem sdiwä- 
bischen Bunde und dem Herzogfe von Würtemberg* auszu- 
tragen, sondern bei den Verhandlungen mit den Eidgenossen 
zur Hand zu sein. Merkwürdig, wie der biedere Engländer 
eben jetzt seinem hohen Gönner Max sehr naiv die ihm aus 
den Niederlanden zugekommenen Gerüchte vorzuhattmi 
wagte, dass selbst er der Kaiser auf Frieden mit Franz 
sänne.*) Vor allem aber hatte Face, da ihn die Franzosen- 
freunde für einen Spanier ausgaben, viel Mühe, bis er Zutritt 
zu der Versammlung der ^dgenössischen Sendboten erhielt. 
Dort standen Ferdinand von Aragon und der Papst, die 
bisher Mitglieder der Liga gewesen, im übelsten Geruch. 
Nur das gemeine Volk, das bei Marignano am ärgsten 
mitgenommen worden, heftete die Augen auf den König 
von England und erwirkte, dass seinem Boten, nachdem er 
einige Tage hatte harren müssen, die Pforten geöffnet 
wurden.**) Im Verein mit dem kaiserlichen Gesandten, 
welcher die alten Beziehungen zum Reich und zum Hause 
Habsburg anrief, widrigfenfalls sogar mit einer Komsperre 
drohte, benutzte Pace geschickt die an der Tagsatzung vor- 
herrsdiende Stimmung, unter ' welcher die alten Verbote 
gegen Jahr gelder und Geschenke von fremden Herren er- 
neuert wurden. In seiner Ansprache wies er darauf hin, 
dass sein Herr zwar keine eigenen Mannschaften schicken 
könne, Wohl aber mit je 50,000 Kronen für zwei Monate 
die Schweizer besolden und, wenn ^di Ehre und Veriust in 
solcher Frist nicht herstellen Hessen, wohl noch auf ISngere 
Zeit Beihilfe gewähren werde. •♦•) Zwar habe er Frieden 
mit Frankreich und könne von dort nicht bedroht werden, 
da er mit dem Kaiser und dem katholischen Könige auf 
gutem Fusse stehe und so eben auch mit dem Erzherzog Karl 



♦) Brnver II, 1 198. **) Brewer II, 1244 vgl. Gisi a. a. O. 

***) i/t dum modo domi'ni Suitenses egregie honori ac reinstaurationi 
amissorum ac vindictae iniurtarum intendtrt velintf nihil dubitant Huncii, 
fntd äUam emtu, fuo in du^us mentüm ieimm n^tünm a äim p Urg neqni' 
rtnt, r§gia mtsU*§as propUrta mamun timiUs ndimwH&ntt non rtiraJürtit 
msqw md nürnm memstm, vei tlinm Hmnirt. Ans der sehr ventfimmelten 
Aaapnche aa öt Magiatii domiid ligae snperiorit Al>in«iii«e Br^wtr II, latd. 



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Dü JM/ämgt Uwuriclu VJIJ. 



2^9 



einen Vertrag geschlossen habe. Allein sollte es den 
Schweizern nicht gelingen, die Franzosen wieder aus Italien - 
zu vertreiben, so sei es ein Leichtes, mit 40 bis 50,000 Mann 
selbst im Winter an der französischen Küste zu landen. 
Solche dreiste Vorspiegelungen und die lockende Aussicht 
.auf die Gk^dnobels genügten wenigstens, um die Spannung 
unter den Orten, den Gegensatz zwischen den deutsch und 
den firanzdsiach gesinnten von Neuem 2u schüren. Doch 
iehlte noch unendlich viel, bis htk aller Gier nach Greld und 
erneutem Kampf das tief entzweite und verbitterte Bergvolk 
. den Eroffiiungen Pace's wirklich Vertrauen schenkte. Ueber- 
dies hatte MaxtnuHan Wind yosl ioo^ooo in Antwerpen 
liegenden englischen Kronen und schrieb daher an «eine 
Tochter Margareta, ob diese Summe nicht durdi Anwei- 
sung*) auf Jacob Fugger in Augsburg ihm in die Hände 
EU spielen sei. Um dieselbe Zeit beklagte Knight auf- 
richtig, dass man sich nicht schon früher an die Schweizer 
gemacht hätte, weil sie bis vor Kurzem biUiger zu haben 
gewesen wären.**) Und bald bestätigten Pace's Berichte, 
•von dem der Bischof von VeroH freiUch versicherte, er wisse 
mit den helvetischen Herren so gut umzugehn, als ob er 
mit ihren Sitten von Alters her vertraut gewesen***), diese 
Befürchtung nur zu sehr. Kr meldete nämlich, dass es ihm 
allerdings gelungen, die Ratification des französischen Frie- 
.dens zu verzögern, dass während Franz aber mit 200,000 
Kronen bar winke, er nichts als eine Aussicht zu bieten 
liabe. £r verlangte daher nicht nur die Summen selber, 
sondern unmittelbare Anschreiben des Königs an die Eid- 
genossen. Der Papst, so meinte er jetzt, hätte dieselben 
durdi den Cardinal von Sitten hintergangen. Dagegen sei 
Herr Galeaazo Visconti, der lieber im Felde fallen, als auf 
die französischen Anträge eingehn wolle, ihr Mann. Der- 
s^be würde geeignet sein, als kaiserlicher Botschafter nach 
England zu gehn.t) Einige Tage spater schrieb er, dass 

*) ßulUtte de recepissä, Gaekard L&Ures de Maximilien €t MargtmiU 
4?Autriche II, 304 I. Dec. **) Brewer II, 1238 3. Dec. 

***) Apud tuagnificos dominos Elvetios exhibet se non aliter quam si 
eorum mores optime novit. Ita agit, ut gratior eis quotidie appareat. Veroli 
an Heinrich VIll., Zürich 3. Dec. Brewer II, 1240. f) Brevier II, 1244. 

Vmdi,laftttn. KP. 19 . 



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290 



Di* Jnfatig« Utinrichs VIII» 



ihn die Franzosen zwar nicht mehr für einen Spanier, wohl 
aber für einen fictiven Gesandten verschrien, als welcher 
er indess am besten wirken könne. Nur das Geld müsse 
zu Händen sein. Dann könne die ganze Welt die Schweizer 
dem Könige nicht abspänstig machen, dem sie die grösste 
Verehrung zeigten, weil er allein sie nie betn^gen habe. 
Zweierlei sei ihm bis dahin zu verhindern gelungen, der Ab- 
schluss des Friedens zwischen ihnen und Franz L und eine 
Einigung des Kaisers mit demselben, der dafür die Vene> 
tianer Preis gegeben haben wQrde.*) Ein wdteree Hinder- 
niss jedoch machte sich immer fühlbarer, dass der Papst 
nicht nur sdne Subsidien einstellte, sondern in Folge des 
Vertrags von Bologna zu Ende des Jahrs die Ei<]^penos8en 
allesammt sowie den Grauen Bund dem Frieden mit König 
Franz beizutreten aufforderte. 

Von allen Seiten war daher die Sendung von Gefahren 
umlauert. Während Maximilian einen eigenen Botschafter 
an Heinrich VIII. abfertigte, und der gute Sir Robert Wing- 
field noch von Festigung der heiligen Liga mit Leo X. 
träumte und das gute Recht seines Herrn auf die franzö- 
sische Krone aus der (reschichte zu erweisen suchte**) und 
ein italienischer Parteigänger versicherte, dass, wenn sie 
klingendes Greld von Pace erhielten, die Schweizer den Fran- 
zosen noch vor Ende Januar aus Italien verjagen würden***), 
machte dessen Mission vieler Orten nicht geringen Lärm. 
Wolsey hielt es für gerathen, sowohl Leo X. wie Franz I. 
durch den Bevollmächtigten in Rom wissen zu lassen, dass 
nur auf seine Verantwortung Pace an Cardinal Schinner 
geschickt worden, was dann Bischof Silvester wieder als 
die Ursache der grossten Eibitterung des Franzosenkonigs, 
vielleicht gar der schleunigen Einigung mit dem Papst dar- 
stellte, f) Nicht minder machte sich der diplomatische 
Schachzug als Glied einer grossen Kette diplomatischer 
Action in Brüssel bemerkbar, wo noch immer eine eng- 

*) n, 125S 8. Dec. ^) Ans Füssen la Dec, Brtwr II, 1265. 

***) S* «l stcrttario del ve$iro str«m$iimo rr . . . havesse unm fmrU ü 
dinari contanti cht ^ofecisse , certamente non starteno Ii Francessi per 
tuto yinero in Italia. Simon de Taxis an Spinelly» Brrwer II, 1266. 

t) Brewer II, 1280. 1281. 



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I 



Die Anfänge Heinrichs VIII. 2i)l 



lische Botschaft weilte. Der Vertrag, den sie abgfeschlosseii, 
hatte, höchstens die Ausdnaadersetzimg wegen langjähriger 
Handelsdiffereozen vertagt In allen anderen Stucken hatte 
sie bestandig über die Doppelzüngigkeit der flandrischen 
Staatskunst und über die Intriguen zu klagen, welche Franz. 
hier eben so geschickt, wie in Sdiotdand spielen lless. 
Namentlich in Toumai» seiner eigenen Angelegenheit, kam 
Wolsey gegen den überwiegenden Einfluss des französischen 
Rivalen keinen Schritt vorwärts. *) Nichtsdestoweniger rich- 
tete sich zu JMide des Jahrs ein wahrer Sturrnlauf auf ihn 
und seine Entschlüsse. Am Hofe des Kaisers zu Ueber- 
lingen weilten am 21. December der Cardinal von Sitten, 
Franz Sforza, Galeazzo Visconti und Richard Pace.**) Wie 
Maximilian den Grafen Bartolomeo de Tatiano an Hein- 
rich VlU. abfertigte, so Schinner mit Pace's Empfehlung 
den Erzdechanten Melchior Lange» der einst Papst Julius' 
Kämmerling gewesen, als seinen dgenen Emissar an Wol- 
sey. Erasmus gar. dem Wolsey eine Prabende in Toumai 
in Aussicht gestellt, schrieb, wie Pace ihn gebeten, einen 
Empfehlungsbrief, den Visconti selber überbringen sollte. *••) 
Der Bischof von VeroH, der immer noch in Zürich ver- 
weilte, aber bedenklich in des Kaisers Fahrwasser gerathen 
war, befürwortete, um den letzten '\^derstand Berns, Frei- 
burgs und Solothums zu brechen, durch Schinner dringend 
die Uebersendung der englischen Grelder vermittelst des 
Bankhauses der Fugger. f) Wie verschieden auch ihr Stand- 
pimkt, so einigten sich Sitten, Wingfield und Pace doch zu 
einer gemeinsamen Vorstellung an den englischen Cardinal, 
um ihn zu ül)erzeugen, wie sehr es im Interesse des Königs 
von England liege, die Schweizer um jeden Preis durch 
AbschlusH einer Liga an sich zu fesseln, die im Zusammen- 
hang mit anderen Bundesgenossen eine unbezwingliche sein 
würde. ff) Galeazzo Visconti, der sich immer noch als 
lombardischer Generalcapitän betrachtete, verzichtete zwar 



♦) Briefe von Tunstal und Knight, 17. Dec. ßrewer II, 1291. 1296. 
**) Bericht Sir Robert Wingfields II, 1318. 
♦•♦) Brewer II, 1347— 1331. f) *34*' 
ff) Ad hoc ista Uga utihssima tsstt majestoH regieut siw paetm veüet 
sive bellum. Nam n paeem vtlUt, GalÜ non possent illam inUrrumptre 

19* 



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292 



Du Anfang« Heinrichs VUI. 



zunächst auf etnen Besuch am Hofe Heinrichs, aber ent- 
wickelte in einem Schreiben an den König, wie Bern und 
Genossen, durch deren Verrath die grosse Schlacht verloren 
gegangen, weiter bekämpft werden müssten, wie er selber 
• in unviefforfichlicher Treue an der grossen Au^^be fnt halte 
und anf UnterstQtnmg rechne.*) 

Wahrlidi die Entscheidung wurde dem englisdien Staats- 
mannes der es liebte, geschickt hmdnrch zu steuern, statt mit 
einem rasdien, kiiftigen Schlage zu handeln, durch ein so 
allgemeines Andrangen gerade nicht erleichtert. Vielleidit 
war es nicht von ungefihr, dass er eben jetst mit der höchsten 
Stellung im Reich und allen persönlichen Machtmitteln aus- 
gestattet wurde, welche sein ihm schrankenlos zugethaner 
Herr zu vergeben hatte. Nachdem ihm wenige Monate zuvor, 
was jetzt wohl schwerlich geschehen wäre, der Papst den 
rothen Hut verliehen, erhielt er am 22. December 15 15 auch 
das grosse Staatssiegel und leistete am Weihnachtsabend in 
seiner Capelle zu Eltham den Eid als Lordkanzler von Eng- 
land.**) 

^nor* SlveHonim; si Mimh uüra Bhmtias qui suffieerent, aUas quofme 
amU09 Maierat, Augslnirg 27. Dec Brewtr II, 1345. 
Brewgr Ii, 1349. **) Ifymtr XIU, 529. 



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THOMAS CROMWELL, DER HAMMER 

DER MÖNCHK 

Noch stehen Erforschui^ und Darstettung der engli- 
schen Creachichte Im sechzehnten Jahrhundert weit zurück 
gegen die Epoche der Stuarts und der Republik, der Riestau- 
ration und Wilhehns TEL Die Ergebnisse der welthisto- 
rischen Kampfe um das Verfassungsrecht haben seither für 
die Gegenwart ungleich mehr Anziehung geübt, als die ge- 
waltsame Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat 
im Zeitalter der Tudors, durch welche die bereits von insti- 
tutionellen wSchranken eingehegte Krone, sobald sie in diesem 
Inselreiche sich selber an die Stelle des Papstes setzte, nach 
allen Richtungen kirchlicher Verwaltung und Gerichtsbar- 
keit supreme, absolute Macht gewann. An sich schon wird 
die Erkenntniss eines solchen complicirten Staatswesens 
durch seine Doppelnatur erschwert. Und wie viel mehr erst 
durch den unendlichen Reichthum und die Zerstreuung der 
in Betracht kommenden Berichte über alle Länder des Abend- 
landes. Abgesehen von manchen tüchtigen Vorarbeiten und 
Versuchen hat denn auch eine wissenschaftliche Sichtung 
der ungdieueren Quellenmasse erst neuerdii^ mit dem 
riesigsten aller R^estenweike begonnen, von dem freilich „ 
nach bald zwanzigjähriger Arbeit heute noch nicht einmal 
zwanzig Jahre der Regierung Heinrichs VIIL yorUegea,*) 
Man kann demnach die Gründe ermessen, wesshalb der 
härteste Schlag, der Rom je versetzt wurde, und zwar gerade 

*) LttUrs and Päptrt foreign and domesHc of the Rgign of 
Henry VIII . arranged and catalogued hy J. S. Brwmtr^ M. A. Seit 1862 
bis jetzt 4 Theile in 7 mächtigen Bänden, die Jahre i|;09 — 1528 nmfassend 
nebst einem 8. Bande: Introduction and Apj^endix 1875. 



L.y,.,^uo Ly Google 



294 



Thomas Cromm^U, der Hummtr dtr MSnehe, 



durdi den genannten König, wesahalb gar das Heldenthum, 
mit welchem das eÜsabethanische England der Gewalt und 

Tücke des in der Weltmacht Spaniens wurzelnden Jesuitis- 
mus beg-e^nete, ihre verdiente Würdigung in der Geschicht- 
schreibung bisher auch nur annähernd nicht haben finden 
können. 

Lediglich die einleitende Periode, die Administration des 
Cardinais Wolsey, ist in jenen grossartigen Vorarbeiten fest 
abgeschlossen und wartet der Meisterhand, die einen so an- 
ziehenden Vonvurf plastisch zu gestalten vermag. Ueber 
denjenigen, welcher alsdann das Schisma staatsrechtlich 
durchführte und zuerst sich an die Spitze einer reformato- 
rischen Partei zu schwingen wagte, über Thomas Cromwell, 
den ,Jianmier der Mönche", lässt sich Gleiches höchstens 
in Bezug auf seine Anfänge behaupten. Während der zehn 
Jahre,. in welchen er die rechte Hand Heinrichs VUL war, 
bleibt der Historiker einstwdlen auf die noch im Urzustände 
vorliegenden Materialien angewiesen. FMen doch die beim 
Staatsprocesse diesig lifinisters mit Beschlag belegten und 
im grossen Staatsarchiv zu London bewahrten Actenstucke 
nicht weniger als 52 starke Bände. Dazu kommt nun aber, 
dass sein Bild nur in starker Verdunkelung überliefert ist: 
weniger weil die gewaltige Gestalt seines jüngeren Namens- 
vetters, des Protectors Oliver, der Betrachtung im Wege 
stand, als weil die Erinnerung an ihn selber von der Wuth 
der Gegensätze nicht verschont blieb. Römische und angli- 
kanische Orthodoxie findet in dem tragischen Ausgange 
des verwegenen Neuerers die Rüstkammer voll schwer- 
wiegender Gründe, um ihn diurchweg zu verdammen, w äh- 
rend das blindgläubige Puritanerthum, an der Hand des 
feuerigen Martyrologen John Foxe ihn ohne Weiteres zu 
den Blutzeugen eines freien, auch dem Staate aufsagenden 
gottseligen Gremeindelebens zählen möchte. Aber gerade 
in unseren Tagen verdient der Mann nicht minder als die 
Sache, fSr die er stritt und litt, aus den zahlreichen echten 
Beweisstücken wiederum zur Anschauung gebracht zu wer- 
den. Und Nichts ist lohnender, als den wirklichen Spuren 
dieses merkwürdigen Lebensweges bedäditig nachzugehen. 

Die Familie stammte aus Lincohishire, dner feld- und 



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Thomas CtomwtUt der Hainnur der Mönche» 



wiesenreichen Gegend, doch fehlen die heraldischen Nach- 
weise, ob sie mit den Lords Cromwell zusammenhing", welche, 
allerdings derselben Grafschaft angehörig, mindestens schon 
unter Johann auftreten, von Eduard II. zum Parlament ge- 
laden und in der Folge Peers des Reichs wurden, bis ihre 
Schwertmagen im Jahre 1471 ausstarben. Thomas aber 
wurde vermuthlich gegen die Wende vom 15. und 16. Jahr- 
hundert, denn jede nähere Zeitangabe fehlt, zu Putney, da- 
mals einem Dorfe im Norden von London, nicht eben wohl- 
habenden, oder sonderUch angesdientti Eltern geboren. Der 
Vater war nach den Einen ein Eisenhändler oder gar Gtob- 
schmied, nach den Anderen, was wahrscheinlicher, ein Tuch- 
scheerer. Die Mutter wenigstens hatte ausser den Be- 
ziehungen zu Lincoln auch Grevattsrschaft in Derbyshtre; 
Sie soll ihren Mann früh verloren und sich abermals , wie 
das die Zunft mit sich brachte» an einen Tuchh&ndler ver- 
helrathet haben. Wie der Knabe erster Ehe au%efwachsen, 
wo sein aufgeweckter Sinn die erste Bildung erhalten, ist 
völlig dunkel. Seine Jüngling^jahre aber umspielt von 
orthodoxer wie puritanischer Seite ein Stück Roman, von 
dem jedoch nur wenig Thatsächliches übrig bleibt, wenn 
man den Prüfstein historischer Kritik anlegt. 

Cardinal Reginald Pole, der seinen Stammbaum auf das 
Königthum des Hauses York zurückführte und im Dienste 
der Curie den Kampf wider Heinrich Vlll. aufnahm, kannte 
und hasste Cromwell aus Herzensgrund. In Italien erfuhr 
er, dass sich derselbe in jungen Jahren dort als Söldner 
und Kaufmannslehrling umhergetrieben, bis er des Aben- 
teuems mjade heimgekehrt sei, um als Anwalt Geschäfte 
zu machen. Viel ausgeschmückter jedoch begegnet dieselbe 
Erzählung SfMter imter Elisabeth in John Foxe's protestan- 
tischen Mart}n:ern, ausdrücklich zurückgeführt auf Bandello, 
dessen Novellen zu Lucca im Jahre 1554 erschienen waren. 
Den grossen Bankier Francesco Fresoobaldi in Florenz, 
dessen Haus von Alters her in Lombard Street zu London 
eine Commandite besass, spricht eines Tags dn junger Eng* 
ISnder um ein Almosen an, welcher abenteuernd nach Italien 
gerathen war und im franzosischen Heere — man erfahrt 
nicht, ob unter Ludwig XIL oder Franz L — Kriegsdienste 



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296 



Thomas Cromweii, der Hammer der Mönche» 



g-ethan hatte. Sein offener Blick erweckt das Vertrauen 
des Kaufmanns, der ihm ein Pferd und 16 Ducaten zur 
Heimreise schenkt. Viele Jahre später reitet Lord Crom- 
well einmal zu TTof, als er unter den Vorübergehenden be- 
tagt und sorgenvoll seinen Florentiner Wohlthäter erkennt. 
Denn das grosse Geschäft war zurückgegangen und eine 
in England ausstehende Forderung von 15,000 Ducaten hatte 
den alten Mann genöthigt, die weite Reiae aazutreteii. 
Cromw^ hat ihn alsbald in sein Haus au%«iioiiimai und 
nicht nur jenes Ahnoscn mit Zinsen his zu 1600 Ducaten 
reichlich zurückgegdt>en, sondern auch alle Schuldfigde- 
rangen des Italieners in England eintreiben helfen. Man 
sieht, 68 kommt dem puritanischen Bewunderer vonnglicli 
danraf an, den hochhendgen Eddmulh dieses enecgiscfaen 
Staatsmannes der R^onnation zu leiern. Darum h&i^^ er 
denn auch sofort eine andere Anekdote an, die man in 
London erzählte, wie Cromwell bei Aufhebung eines Klosters 
— das Karthäuser-Stift zu West Shene, dem heutigen Rich- 
mond an der Themse, scheint gemeint — an der Tafel 
sitzend einen armseligen Pförtner oder Glöckner als alten 
Bekannten herzlich begrüsst und zu der Umgebung gesagt 
habe: „My Lords, sein Vater war mein guter Freund und 
hat mir einst im Elend manchmal zu essen gegeben." Also 
isuner wieder im Contrast des Glücks der Rückblick auf 
eine darbende und bewegte Vergangenheit und neben dem 
gegenwärtigen Wohls^ warme Menschenliebe, ein Cha- 
rakterzug, der auch aus authentischen BriefBchaften Bestä- 
tigung erhalt. 

Nicht minder aber werden durch Briefe eben&lls frühe 
Begehungen Oomwdls zum Auslande bekundet So wenig 
es fest steht, dass er in Kanfhansem zu Venedig und Ant* 
werpen als Factor beschäftigt gewesen, er unteihielt in der 
Folge nicht nur viel auswärtige Correspondenz, sondern war 
vertraut mit fremder, namentlich italienischer Ltbmtur. 
Ging seiner Bildung auch die humanistische Grundlage ab, 
so soll er doch Dank einem trefflichen Gedächtniss die von 
Erasmus angefertigte lateinische Uebersetzung des Neuen 
Testaments auswendig gewusst haben. Im Jahre 1530 er- 
innert ihn Edward Bonner, der später unter der blutigen 



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Thonuu Cromwell, dtr Hammer der Mönche, 



•397 



Maria als Bischof von London und rückfälliger Papist einen 
so bösen Namen gewann, an sein Versprechen» einen guten 
Italiener aus ihm machen zu wollen. Er möge ihm daher 
nun auch Petrarca's Trionfi und den Cortegiano des Castig* 
Hon^ leihen. Im Jahre 1537 macht Lord Morley dem Ge- 
heiiiisiegdbewahrer CromweU ein (xesdienk mit Maccfaia- 
vdli's Florentiner Geschichte und fugt hinzu: Jteh habe 
Eure Lordadiaft oft sagen hören, dass Ihr mit den Fkwen- 
tinem vertraut und ihre Factionen und Sitten petsön* 
Hch kennen gelernt habt" Die letzte Angabe erscheint um 
so bedeutsamer, als Reginald Pole ee CromweU geradezu 
als Verbrechen vonnnrft, dass er ihm einst empfohlen habe, 
den Macchiavelli zu studiren. Solche Notizen eröffnen in 
der That eine höchst merkwürdige Perspective, während 
die Anekdoten, dass er im Gefolge des englischen Bot- 
schafters Sir John Rüssel der Schlacht bei Pavia beigewohnt 
oder gar drei Jahre später unter dem Conn^table Bourbon 
die von Benvenuto Cellini vertheidigten Mauern Roms habe 
erstürmen helfen, als unhaltbar verworfen werden müssen, 
denn imgefähr um das Jahr 1520 erscheint er mit Sicher- 
heit in London ansässig, verheirathet und in gedeihlichen 
Umständen. Während der nächsten Jahre wohnt er in 
Fenchmrch Street Seine Correspondenten reden ihn als 
warskdfful, righi worskifftU^ genUemmn an. Mehrere ver- 
gessen nldit sich audi seiner Frau Elisabeth, geborenen 
Wykys, und deren Mutter, ebner ausgezeichneten Frau, zu 
flffipfijhl^n« 

Nichts aber fesselt mehr als die bunte Mannigfaltigkeit 
der Geschäfte, die er in Folge der nun immer zahlreicher 
werdenden Briefe betreibt Zu den firOhesten Documenten - 
gehört unstreitig ein Anschreiben der verwittweten Mar- 
quise Cacüie von Dorset, die ihrem Sohne Lord Leonard 
Gray aus ihrem Eigenthum ein Bett und eine Anzahl Zelte 
besorgen lässt. Ueber das Erbe des minderjährigen Grafen 
von Oxford wird CromweU um ein Gutachten angegangen. 
Hauptsächlich aber sind es doch Kaufleute, mit denen er 
als Consulent in handelsrechtlichen Processen zu thun hat, 
. Hansagenossen mit deutschen und flandrischen Namen, 
Portugiesen, welche von Mitgliedern der Corporation der 



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Thomas CromweUt der Hammer der Mönche. 



Mcrcliiuit Advenfurcrs eine Schuld eintreiben wollen, ein 
ijfrosser italienischer Bankier Antonio Bonvisi (freilich kein 
Frescobaldi) und Engländer, welche in Flandern, Frankreich 
oder Spanien Handel treiben. Ihre Zeilen athmen meist un- 
bedingtes Vertrauen, mitunter fast schwärmerische Liebe 
für einen Mann, dessen Persönlichkeit und Umgangsformen 
in der That einen eigenthümlichen Zauber gehabt haben 
müssen. Ein gewisser John Creke, Mitglied der Tuchmacher- 
innmig (Merchant Taylors), der, als Karl V. im Sommer 1522 
von England aus nach Spanien zurückkehrte, als Factor 
nach Bilbao gmg, schreibt von dort am 17. Juli an Crom- 
well unter de^ Anrede: carissimo quanio homo in quesU 
mondo und beiheuert sdne unaussprechliche Sehnsucht nach 
ihm« „So wahr ich ein Christ bin, noch nie in meinem 
Leben habe idi nach kurzer Bekanntschaft «ne so innige 
Zuneigung gefasst; wie Feuer wichst sie täglich. Gott 
weiss, wie schmerzlich mir die Trennung geworden ist 
Wenn ich an unser geistliches (ghostly) Wandeln in Eurem 
Garten gedenke, so möchte ich schier verzweifeln." Und 
Cromwell macht ihm gerade im folgenden Jahre freimüthig 
Mittheilung über allgemeine politische Angelegenheiten. 

Er selber war nämlich, wie sich jetzt ergibt, Mitglied 
des denkwürdigen Parlaments, welches im Frühling und 
Sommer 1523 über die von Cardinal Wolsey geforderten 
Subsidien zur kräftigen Förderung des an der Seite Kaiser 
Karls wider Frankreich unternommenen Kriegs verhandelte. 
Auch hat sich der Auszug eiiiLr Rede gefunden, in welcher 
er den leitenden Staatsmann und den Sprecher des Unter- 
hauses, den berühmten Sir Thomas More, eifrig unterstützt. 
Aber in Erinnerung an die Vergangenheit und in loyalem 
Gefühl für die unlängst erst befestigte Dynastie räth er dem 
Könige dringend ab, durch perscmliche Uebemahme des 
Oberbefehls oder gar nur Erneuerung der alten Eroberungs- 
politik in Frankreich sich unberechenbaren Wechselfallen 
auszusetzen. Mit echt englischem Vorurtheil hegt er die 
Besorgniss» ob nicht ein französischer Krieg, ehe er nur 
drei Jahre gedauert, die klingende Münze aus dem Lande 
ziehen werde, so dass man gezwungen sei, „wie vor Alters'' 
wieder aus Leder zu prägen. Scharfblickend setzt er in das 



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Thomas Cromwellt der Hammer der MöncJu, 



«99 



mit dem Kaiser geschlossene Kriegsbündniss nur geringes 
Vertrauen. Von ganz besonders treffender Schärfe indess 
zeugt sein Kath, lieber Schottland anzugreifen. Denn es 
heisse: 

,,Wer Frankreich will gewinnen, 
Mit Schottland muss beginnen." 

Es ist die alte Politik Eduards L, die ja in der That 
mit mehr oder weniger Erfolg hernach vom Hause Tudor 
aufgenommen wurde. Ueber die hocfaerre^ften Debatten 
schreibt CromweU mm am 17. August 1523 seinem bogei?^- 
ten Freunde Creke: ,Jn der Annahme» dass Ihr unsere lau- 
fenden Neuigkeiten wissen wollt — denn man sagt ja: 
y^euigkdten erfrischen dieLeboisgeistar" — sollt Ihr wissen, 
dass ich gleich Anderen in dnem Parlament ausgeHalten 
habe, welches siebzehn ganze Wochen gedauert hat, wo 
wir über Krieg und Frieden, Streit und Murren, Reichthum 
und Armuth, Wahrheit, Falschheit, Gerechtigkeit, Billigkeit 
verhandelt haben, und wie in unserem Königreiche das 
Gemeinwohl am besten aufgerichtet und erhalten werden 
könne. Schliessüch haben wir gethan, wie unsere Alt- 
vordern vor uns, d. h. so gut als wir vermochten, und auf- 
gehört wo wir begonnen .... Wir haben des Königs 
Hoheit so hohe Steuern wie noch nie zuvor bewilligt." Dass 
Cromwell um dieselbe Zeit auch an der Verwaltung der 
Stadt London Theil hatte, ergibt sich aus seiner Unter- 
schrift zu kaimi minder interessanten, von dem Ward (Quar« 
üer) von Broadstreet am 2 1 . Oeoember g^e£ässten Beschlüssen. 

Seine Berufsgeschäfte kann man am besten aus zahl- 
reichen Entwürfen von dgener Hand zu verschiedenen ge* 
richtlichen Eingaben abnehmen. Da gilt es für seine dien- 
ten Schulden Antreiben, Anleihoi aufnehmen, P&ndbriefe 
umsetzen, Kaufund Verkauf besorgen« Merkwürdigerweise 
begegnet unter den Obfecten Usweilen noch Tuch, jedoch 
vorzuglich kostbarer Goldstoff, aber auch Geschmeide und 
ausser der Ehrenden Habe immer mehr liegende. Alle 
möglichen Leute, darunter der eigene Schwager, wenden 
sich an ihn, um durch seine Vertretung ihren Landbesitz 
vortheilhaft an den Markt zu bringen, oder damit er in einer 
Handelsdifferenz den Schiedsrichter abgebe. Er war also 



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300 



nadi Allem als viel gesuchter Anwalt beim Bllfigkeitsgericht, 
fÖr EftMdiaften und TestamentB M den Doctors Commons 
und ähnlichen, nicht nach dem gemeinen Recht entscheiden- 
den Tribunalen thätig. 

Schon aber stand er in näheren Beziehungen zu dem ge- 
waltigen Cardinal, dem der lebensfrohe Heinrich VIII. um 
diese Zeit noch mit unbedingtem Vertrauen die Zügel der 
Regierung überliess. Man weiss, wie sie beide zwar als 
echte Jünger der Staats- und Kirchenlehre des Thomas von 
Aquino jede Abweichung vom orthodoxen Dogma als straf- 
würdige Häresie betrachteten, aber an den machtigen Re- 
gungen des Humanismus in Kunst und Litarator ihr Ge- 
fallen fanden und in dem faulen, üppigen, schmarotzendea 
Möncfathum, das Dank den frommen Schenkungen eines 
Jahrtausends Ghrund und Boden des Landes überwuchert 
hatte, das vomehmste Ifindemlss jedes wirthschaftficiieii mid 
inteUectnellen Fcnrtschntts erbikkten. So stand denn Eras- 
mus» der PlK>tagonist im Kample gegen monastiscfae Ver- 
dmmnung, bei ihnen in hoher Gtmst, während König Hein- 
rich bekanntlich selber in schwerer scholastischer Rüstung 
Martin Tuther bekämpfen zu können meinte und dafür von 
der dankbaren Curie den noch an den Titeln der englischen 
Krone haftenden Ehrennamen eines Defensor fidei erhielt. 
Ja, Clemens VII. ertheilte Wolsey, als er ihn in der Te- 
gation für Britannien bestätigte, durch eine besondere Bulle 
in (xnaden die Vollmacht, eine Anzahl im Schlaraffenthum 
verkommener klösterlicher Stiftungen einzuziehen, um aus 
ihren Mitteln grosse akademische Anstalten zu errichten und 
dadurch seinen stolzen Namen in alle Zukunft zu ve r e wi g en. 
Für die intricate Auseinandersetzung bei Auflösung von 
zwanzig bis vierzig solcher frommen Hauser und der Uebar- 
weisung ihrer Einkünfte auf den neuen Unterrichtaswedc 
bot sich nun aber dem Cardinal kein gewiegterer A^fent, 
als Thomas CromwelL Wird doch schon hn Herbst 1520 
in einem bei der Curie zu Rom anhängigen Rechtshaodel 
auf ihn recorrirt Seit der Visitation des Jahres 1523 er- 
scheint er vollends im offiantlichen Dienst, wie eine Menge 
von ihm ausgehender oder an ihn gerichteter Schreiben 
darthun. Kein Instrument in Betreff des Klost^ von 



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Thomas Cromwellf dtr Hammer der Mönche. 



301 



St. Frideswide zu Oxford und der anderen zur Einziehung 
venir fl ieilten Stifter, auf dem nicht sein Name in erster Reihe 
begegnet Alle Welt wendet sich mit Gresuchea und offen, der 
Sitte der Zeit gmass» mit reidien Geschenken um feil wer- 
dende Benefiden an ihn, den einfluasreidisten Rath Wolsey's. 

Dem entsprechend wachst denn auch sein Ansehen in 
allen Stfidcen. Durch königliches Patent vom i. October 
1524 ist er mm MasUr of ihß Jemel Home eingesetzt Von 
seiner reich ausgestatteten Wohnung, die er um den Früh- 
ling desselben Jahres von Fencfaurch Street zu den Augu- 
stiner Brüdern [Austin Frtars) — heute noch ein ungemein 
belebtes Geschäfts viertel der City — , verlegte und mit einer 
stattlichen Front nach Throgmorton Street zierte, der spä- 
teren Drapers' Hall, hat sich ein höchst merkwürdiges In- 
ventar vorgefunden, datirt vom 26. Juni 1527. Cromwell 
besitzt, diesem urkundlichen Verzeichnisse zufolge, selber 
die kostbarsten Juwelen und Kleinode, eine Menge silber- 
ner Geräthe, Möbeln, Betten, Kleider, gewirkter Teppiche 
aus prächtigen ' werthvollen Stoffen. Wahre Kunstgegen- 
stande aber deuten auf den geläuterten Geschmack des 
Eigenthümers, denn unter den Oelgemälden begegnet ausser 
einem Christus, einer heiligen Jungfrau, St Christoph und 
St Antonius ein grosses Altarblatt, auf dessen Goldgrund 
die heiligen drei Könige von Kohi dargestdlt sind, eine 
Lucretia Romana und Kaiser Kari, ohne Frage seltene 
Stucke jener riieinisQh«niederl5ndischen Schulen, die in un- 
seren Tagen durch die Bruder Bolsseräe wieder zu ver- 
dienten Ehren gekommen sind. Sie deuten, wie auf Crom« 
wells Kunstsinn, vorzüglich auf seine festiSndischen Be-* 
äehungen. An mehreren Stellen seines Hauses hat der 
loyale Mann Wappen seines Königs und des Cardinais, der 
wissbegierige Zeitgenosse der folgenschwersten geographi- 
schen Entdeckungen grosse Weltkarten angebracht. Jeder 
Blick in diesem Haushalt fällt auf gediegenen Wohlstand 
und ein behagliches Dasein , dessen eifrigem Schöpfer das 
Leben in jeder Beziehung zu glücken scheint. Er vor allen 
gehört zu jenen hervorragenden Erscheinungen, an denen 
das sechzehnte Jahrhundert in England so reich ist. Neue 
Männer bürgerlicher und echt naticmaler Herkunft sind 



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302 



Thomas Cr«mw*ll, der Hawuner der Mönche. 



berufen, nicht nur den in den Rosenkriegen fast unter- 
gegangenen Adel normännisch-franzosischen Ursprungs zu 
ersetzen, sondern den erhöhten, an den Staat gestellten 
administrativen Anforderungen zu genügen. 

So ist denn Cromwell mit einer, nam^tlich auch finan- 
ziell bedeutenden Greschaftsfuhrung betraut Ans dem Zer- 
schlagen alter, unerspriesslicher Gütermassen sollen neue^ 
Nutzen bringende Anlagen hervdrgehen. Man BkAA gleidi- 
sam unter seinen Händen die Stiftungen Wc^sey's, das CoUe- 
giom zu Ipswich und insbesondere jenes unendlich reich 
ausgestattete Listitut zu Oxford emporwachsen, das heute 
Christ Church College heisst. Neben Lieferungen für die 
Bauten und die innere Einrichtung, neben Kauf und Ver- 
kauf, den Einzelheiten der Beptründung und Verwaltung 
interessirt am meisten der lebendige Verkehr mit dem De- 
chanten, seinen Klerikern und Scholaren. Hatte Thomas 
Cromwell auch in der Jugend keine Universitätsbildung 
empfangen, so war er doch unendlich befähigt, alle Mittel 
und Wege zu ergreifen, durch welche er selber, so wie 
-seine Zeit geistig befördert werden konnte. Wie anziehend 
sind da unter Anderem auch die Spuren seines Umgangs 
mit dem grossen Londoner Drucker Richard Pynson, der 
wieder auf vertrautem Fusse mit den englischen Humanisten 
und deren Freunde Erasmus stand Einmal vermittelt er 
zwischen ihm und John Palsgrave, dem bekannten Ptäben- 
dar der St. Paulskirdie, der die erste S3rstematische fran- 
zosische Grammatik fOr Englander verfasste, die darauf be- 
, zügUche buchhSndlerische Uebereinkunft Ganz besonders 
aber nimmt er AntheU an den neuen Studien in Oxford und 
Cambridge. Zahlt er dodi bedfirftigen jungen Leuten an 
beiden Orten aus eigenen Mitteln Stipendien. Im Jahre 1528 
hat er seinen Sohn Gregory in die Pembroke Halle nach 
Cambridge geschickt und lässt sich regelmässig über seine 
Fortschritte von dem Tutor John ChekynL;- berichten , der 
gelegentlich auch über literarische Erscheinungen, wie über 
die von Erasmus besorgte Ausgabe des Augustinus, Mit- 
theilung macht. 

Da wäre es denn in der That seltsam, wenn Crom- 
well ohne Kenntniss der die deutsche Welt ergreifenden 



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Thomas Cromwell^ der Hammer der Mönch«, 



Thaten und Schriften Luthers geblieben wäre, von denen 
letztere seit einigen Jahren namentlich in den Waarenballen 
d«r Stahlhofskaufleute , der Hansagenossen » mit denen er 
nachweislich in Verbindung stand, eingeschmuggelt wurden. 
Dem suchte die Regierung nun allerdings dnrdi ein all- 
gem^es Verbot zu beg^fnen, zumal nachdem Tyndal, dem 
Vorgange des Mdndis von Wittenberg folgend, das neue 
Testament in's Englische übersetzt und zu Antwerpen ge* 
druclct hatte, nachdem in London die „Christlichen Brüder^' 
und an beiden Landesuniversitäten begeisterte Jünglinge 
sich dem mächtigen Andränge erschlossen. Zu Anfang 1526 
hielt Thomas More persönHch in der Gildhalle der Deut- 
schen, dem Stahlhof, Haussuchung, und im nächsten Jahre 
erfolgte in der Diöcese London eine ansehnliche Reihe von 
Processen, wobei jedoch die der Häresie Bezichtigten im 
Ganzen glimpflich wegkamen. Und wie konnte das lun- 
dringen der reformirenden Tendenzen vom Festland nur 
irgend wie wirksam verhindert werden ? Sicherlich berührten 
sie dann auch den viel beschäftigten und geistig sehr auf- 
geweckten Mann, der in Austin Friars wohnte, aber in 
seiner engen Beziehung zum Cardinal und als loyaler Unter* 
than sich vorsichtig hütete, im Verkehr mit Solchen ertappt 
zu werden, welche sich der Hinneigung zu der verfolgten 
Lehre verdachtig machten. Nur ein einziger aus jenen Tagen 
stammender Brief in sdner Hinterlassenschaft erscheint com- 
promittirend. Am 27. August 1527 sdbreibt der Vertraute 
TyndalSy lifiles Coverdale, an Cromwell aus Cambridge: er 
wurde gern zu ihm kommen, wenn es gewünscht werde, 
und meldet, dass ein Magister zugleich des Todtschlags, 
der Ketzerei und des Diebstahls angeklagt werde. Ein 
etwas weniger getährliches theologisches Interesse wird 
durch die freundlichen Beziehungen zu Florentius Volusenus, 
dem Verfasser der berühmten Schrift ,,De animi trafiquil- 
litate'' bezeugt. Jedenfalls wusste Cromwell unbeirrt durch 
verfängliche Zeitläufte zu steuern , dio sich auch wieder 
besserten. Seine Verdienste, namentlich um das grosse 
Werk in Oxford, dessen rasches Gedeihen allgemeine Auf- 
merksamkeit erregte, hatten ihn der Art in der Gunst des 
Cardinais befestigt, dass ihn derselbe auch mit anderen 



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304 



Thoimu Cromwtilt der Hanmur d*r Mönch», 



wichtigen Aufträgen, z. B. mit Besorgung des Münzregals, 
betraute, welches ihm als Bischof-Pfalzgraf von Durham zu- 
stand. Das hinderte Cromwell jedoch noch keineswegs, wie 
bisher -seinem Berufe als Anwalt nachzugehen und die Ver- 
bindung mit dienten aller Art oder mit auswärtigen Ge- 
schäftsfreunden isu pfl^^ Mehrere von ihnen ze^^en sicdi 
zugleich ihm und Wolsey durch gewisse Artig^ceiten, z. B. 
durch Uebersendnng von WÜc^iret und anderen Delicatessen, 
erkenntilich. Nienumd schreibt im Jalm 1528 häufiger als 
Stephan Vanghan v der aus Antwerpen eingehend von der 
allgemeinen Weltlage, den Fortsdiritten der Framsosen in 
Neapel oder dem Eintre ffen kaiserlidier Gesandten berichtet, 
daneben aber auch den Ankauf einer dauerhaften eisernen 
Geldkiste vermittelt und niemals unterlässt, sich Cromwells 
Mutter, als seiner ganz besonderen Gönnerin, zu empfehlen. 
Er ist derselbe, der einige Jahre später, zum Ritter erhoben, 
im Dienste Heinrichs VIII. die Sendung an die Genossen des 
Schmalkaldischen Bundes mitmacht. Dann begegnet wieder 
Joachim Hochstetter, ein Mitglied der wohl bekannten Augs- 
burger Firma, den ein Process mit dem Londoner Hause 
Gresham nach England gebracht. Ueber seinen Besuch bei 
W olsey in Hampton Court berichtet er an Cromwell in ita^ 
lienischer Sprache. 

Ueber dies StilUebea indess wie über den wirthschaft- 
lichen und politischen Zustand des Reichs im Allgemeinen 
zogen längst dunkle Wetterwolken herauf, die von ver- 
schiedenen Seiten zunächst die überragende Stellung des 
allmachtigen Cardinais zu vernichten drohten. (jMsÜiche 
und weltliche Stände grollten dem aus niederer Sphäie fiber 
sie alle emporgestiegenen Prälaten, der, smt er ihnen im 
Jahre 1523 eine Einkommensteuer von 20 Procent hatte an^ 
bürden wollen, der Wiederberufung eines Parlaments aas 
dem Wege ging. Mit der Gentry und den ebenfalls Grund- 
besitz erstrebenden Kaufherren stand seine Regierung auf 
gespanntem Fusse, je mehr sie der Güterschlächterei, dem 
Bauerlegen zu Gunsten von Latifundien und der Einhegung 
grosser vSchaftriften entschieden, wenn auch vergeblich ent- 
gegenzutreten suchte. Ihr Credit sank vollends , als der 
Krieg in Frankreich, erbärmlich geführt, die Staatsmittel 



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Thomas Cromwell^ der Hammer der Mönche. 



rasch erschöpfte und Wolsey, persönlich dem Kaiser gfrol- 
lend, nach der Besiegung- und Gefangennahme Franz* I. bei 
Pavia, seine alte Lieblingspolitik, ein Bündniss mit Frank- 
reich, wieder aufnahm. Wohl hütete er sich vorsichtig, nach- 
dem der Friede von Madrid alsbald wieder gebrochen wurde, 
England nun auch ohne Weiteres für König Franz das 
Schwert ziehen zu lassen; meinte aber, durch Scheidung 
König Heinrichs v<m Katharina von Aragon, deren dieser 
überdrüssig geworden, schon weil sie ihm keinen Sohn ge- 
schenkt hatte» die dynastische Verbindung mit Karl V. und 
den Widerstaad dner spanischen Partm bei Hofe auf immer 
zu zerstören. Wenn nur sein Herr nicht an den schonen 
Augen Anna Boleyns unendlich mehr Wohlge&Uen ge- 
funden hätte, als an ^em französischen Ehebunde! 

Da aber des Königs Wille feststand, Anna» die sich nicht, 
wie Wolsey wShnte, als seine Maitresse hergab» zur (re- 
mahlin zu erheben» schCh^ sich der Knoten überaus ver« 
hSngnissvoU. Der Herzog von Norfolk und seine Sippe, 
den Bole3ms verschwägert, entwand dem Cardinal bereits 
den obersten Einfluss. Die Bischöfe bestanden auf einem 
regelrechten Verfahren bei der römischen Curie. Dem Kauf- 
mannsstande war durchaus nicht darum zu thun, einer engen 
Einigung mit Frankreich zu Liebe die einträglichen Be- 
ziehungen zu den spanisch-habsburgischen Territorien daran 
zu geben. 

Man weiss, wie dringend Heinrichs geheime Angelegen- 
heit Papst Clemens VII. nahe gelegt wurde, so lange er, 
von spanischen und deutschen Eroberem eingeschlossen, 
auf der Engelsburg sass; mit wie schwerem Herzen er sich 
im Jahre 1528 dazu verstand, die Cardinäle Wolsey imd 
Campeggio zu einem Ehegericht über Heinrich VIII. und 
Katharina abzuordnen. Dagegen verwandelte sich des 
Königs unendliche Huld gegen seinen obersten Diener 
bereits in Argwohn. Machte er ihn doch im JuU desselben 
Jahres eigenhändig aufinerksam, wie sehr das Volk wegen 
der Säcularisationen murrte, die, dem Gemeinwohl entgegen, 
lediglich der Ruhmgier des Cardtnals dienten. Und wäh- 
rend dann die Legaten im Sommer 1529 zu Blackfiriars fiber 
König und Königin zu (rericht sassen, glichen vollends 

P»«1I,AmMIm. H.r. 20 



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Thomas Cromwell, der Hammer der M9nek€^ 



Kaiser und Papst ihren Streit aus. Letzterer, der bereits 
von einem Monat zum anderen die Dispens zur Scheidung* 
hingehalten, lud nunmehr endlich Kläger und Beklagte vor 
sich nach Rom. Damit aber war nicht nur Heinrichs Ge- 
duld, sondern auch die Zähigkeit erschöpft, mit welcher sich 
der ihm so lange vertraute Rathgeber an jedem Strohhalme, 
der noch Rettung vor dem Versinken zu bieten schien, zu 
klammem suchte. Am i8. October wurde durch die Her- 
zoge von Norfolk iind Suffolk Wolsey das grosse Staats- 
siegel abgefordert» um demnächst einem Laien, Sir Thomas 
More, übertragen zu werden, zugleich aber auf alle seine 
Schlösser und Reichthümer Beschlag gelegt, er selber auf 
das Landgut Esher verwiesen. Während von allen Seiten 
Zorn und Rachedurst über das Haupt dessen zusammen- 
schlugen» den Clemens Vn. nodi zum Greneralvicar der 
römischen Kirche ernannt hatte, und der nun in klagücher* 
Zerknirschung nur noch zu der Gmade des Königs auf- 
blickte, wurde, was er so lange vermieden, alsbald ein Par- 
lament berufen, um nicht nur Heinrichs personlichste An- 
gel^fenheit, sondern ^e ganze Fülle zwischen Thron und 
Altar entstandener Difierenzen der eigenwilligsten Losung 
entgegenzuführen. 

Dies denkwürdige Parlament, welches während der 
nächsten Jahre in mehreren Absätzen die tiefst greifende 
Revolution über das Reich bringen sollte, wurde am 3. No- 
vember bei den Dominicanern [Blackfriars) eröffnet, nach- 
dem des Königs Anwalt auf Grund des Statuts vom 16. Jahre 
Richards II. (1393) den von seiner Höhe herabgestürzten 
Prälaten des Vergehens wider das Verbot des Praemunire 
hatte bezichtigen müssen. Merkwürdig, dieselben schweren 
Strafen, mit denen einst im 14. Jahrhundert weltliche und 
geistliche Stände den dreisten Anspruch der Curie, die 
fetten Kirchenpfründen Englands durch ihre Creaturen zu be- 
setzen und insbesondere Roms Competenzuberschreitungen 
in der Rechtsprechung zu ahnden trachteten, wurden jetzt 
dem Cardinal angedroht, weil er kraft seiner, ehedem doch 
auch dem Könige so hoch willkommenen, Legatengewalt 
über kir cM i c hes Eigenthum frei geschaltet und seine kirchen- 
richterliche Autorität über die königliche emporgehoben 



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Th&mat CramwtU, der Hammer der MSncke, 



307 



hatte. Das Haus der Lords, wo sich von Anbogmn die 
grösste Erbitterung wider ihn gesammelt, hat sich nicht 
gescheut, die Klage in 44 Artikeln umständlich zu erhärten, 
damit für alle Zeiten ein abschreckendes Beispiel statuirt 
werde. Als jedoch, zu Anfang December, das Verfahren 
an die Gemeinen weiter ging, fand Wolsey an zwei bis- 
herigen Dienern treue, dankbare Fürsprache. Dr. Stephan 
Gardiner, der jüng-st nuch Botschafter bei der Curie ge- 
wesen und nunmehr daheim als Staatssecretär fungirte, 
wusste immer noch seinen kläg-lichen Rufen nach Erbarmen 
das Ohr des Königs zugänglich zu machen. Und Thomas 
Cromwell vor Allen war hierbei nicht nur der Zwischen- 
träger , sondern trat , von seinem Platze im Unterhause 
aus, muthig als Vertheidiger des Gefallenen auf. Ein 
Augenzeuge erzählt, wie er zugegen war, als Cromwell, 
der verheissen, das Ding zu biegen oder zu brechen {/o mctke 
ar mar, sein Lieblingsausdruck), in Esher zu Pferde sti^g, 
um in's Parlament zu reiten. „Schon nach zwei Tagen", 
heisst es weiter bei Cavendish, Wolsey's vertrautem Bio- 
graphen, „kehrte er mit freudigerem Antlitz zurück und 
sagte mir, ehe er zu Sr. Gnaden eintrat, dass er es gewagt, 
seinen Fuss dahin zu setzen, wo er vertraue, in Kurzem, 
ehe Alles abgemacht, besser angesehen zu werden." Es 
war ihm denn auch in der That gelungen, jene Anklage- 
bill Stuck für Stuck zu widerlegen, so dass sie von den 
Gremeinen verworfen wurde. Er rettete dadurch nicht nur 
seinen alten, wie ein zertretener Wurm sich windenden 
Herrn vor der Verurtheilung wegen Hochverrath, sondern 
gewann durch seine Handlungsweise in manchen Kreisen, 
und nicht zum wenigsten bei Heinrich VIII., welcher ritter- 
liche That in jeder Gestalt zu schätzen wusste, Achtung. 
Darum wünschte er freilich keineswegs Jenen, der in seinen 
letzten Briefen ihn als meine einzige Zuflucht", ,,mein Er- 
retter aus unerträglicher Angst" anflehte und ihm doch 
schwerlich völlig traute, zu restituiren. 

Cardinal Wolsey hat vielmehr gegen Verzicht auf seine 
bisherige Gewalt, insonderheit auch auf die stolze Residenz 
zu Yorkhouse (dem späteren Whitehall), die königliche Ver- 
zeihung und zugleich die Erlaubniss erhalten, sich in sein 

20« 



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3o8 



Thomas Cromwell^ der Hammer der Mönche. 



nordenglisches Erzbisthum zurückzuziehen. Sobald jedoch 
die unerbittlichen Gegner wittern wollten, dass die volle 
Huld Heinrichs sich ihm wieder zuzuneigen beginne, haben 
sie mit Erfolg das Gerücht auszusprengen gewusst, dass er 
in Rom dessen Excommiinication betreibe. Noch einmal 
wurde er belangt und starb elend und würdelos, am 29. No- 
yember 1530, in sdner J^^berge beim Abt zu Leicesteri als 
man ihn eben gefangen von York nach dem Tower bringfen 
wollte. Schon aber ging ein beträchtliches Stück der Gewalt, 
die er vormals besessen, zunächst noch wenig bemerkt» an 
Denjenigen über, der in den Augen Vieler, treuer und mann- 
hafter als Kdner, die ihm erwiesene Gunst vergolten zu 
haben schien. Seine Freunde zumal hielten auch ihn ver- 
loren. Allein jene edle Treue hatte nidit nur in der Pflicht 
der Selbsterhaltung, sondern in der eigenen Förderung ihre 
Ghrenze. Auch £EUid Cromwell in dem Grafen von Bedford 
und dem Juristen Sir Christopher Haies elnflussrdche Für- 
sprecher bei dem so leicht Argwohn sdiopfenden Könige. 
Sein Ansehen wurde nicht mit dem des Cardinais begraben 
und schlug gerade bei Hofe — man sieht das bereits aus 
dem letzten Verkehr mit dem alten Gönner an der Auf- 
rechthaltung der grossartigen Oxforder Stiftung — feste 
Wurzel. Wer könnte seine Hand zumal in der entschlosse- 
nen Gesetzgebung verkennen, die sich sofort scharf und be- 
stimmt wider Rom und die Kirche zu richten begann? 

In heftiger Beschwerde über die geistliche Gerichtsbar- 
keit, durch welche die königliche Prärogative brach gelegt 
und der Bevölkerung unerträgliche Lasten aufgebürdet 
würden, hatten die Gemeinen den König als den „einzigen 
souveränen Herrn und Schirmvogt seiner geistlichen und 
weltlichen Unterthanen" angerufen. Ein Ruf, der ihm ge- 
rade jetzt besonders lockend klingen musste, da sich das 
Einverständniss zwischen Papst und Kaiser in allen Ange- 
legenheiten der Christenheit kund gab. Die Erklärungen 
des römischen Consistorium und die bedenkliche Wendung, 
welche die Ehefrage inzwischen genommen, Hessen darüber 
keinen Zweifel Andrerseits aber legten Parlament und 
Krone, nicht minder geeinigt, dem englischen Klerus, der 
ein ganzes Jahr lang je in den beiden Hiusem der Coii* 



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Tkmmu Crmmtt, dtr ^ammtr dtr MJSnek». 



309 



vocationen von Canterbury und York tagte, dasselbe Ver- 
gidien wider die alten, den Staat schinnendeü Statuten zur 
Last, an welchem unlängst der Cardinal zu Schanden ge- 
worden. Eben weil sie s«ne Legatengewalt anerkannt, galt 
die Kirche für nütscfauldig, die althergebrachte und erst 
neuerdings unterwühlte Oberhidieit der Krone ausser Acht 
gelassen zu haben. Vergebens bot die S3mode aus dem 
kirchlichen Reichthum ein hohes Sühngeld. Heinrich ver- 
weigerte die Annahme der ihm hingehaltenen Summen, 
sowie die Amnestie, so lange er nicht auch zugleich als 
„der alleinige Protector und das oberste Haupt der Kirche 
und des Klerus von England" anerkannt würde, ein poli- 
tischer Meisterzug, welcher in der That der Jüngerschaft 
macchiavellistischer Doctrin alle Ehre machte. Vergebens 
haben sich die Bischöfe und Procuratoren der Geistlichkeit 
gewunden und gesträubt. Gegen die Einfügung der höchst 
dehnbaren Formel: „so weit es nach Christi Gesetz erlaubt 
ist", haben sie schliesslich am 11. Februar 1531 in düsterem 
Schweigen diesen neuen Zuwachs der königlichen Titel und 
damit eine ungeheuere abs<^utistisclie Steigerung der welt- 
lichen Gewalt hinnehmen müssen. Ungemein bezeichnend 
hatte gerade Cromwell, der um diese Zeit bereits in Briefen 
als Secretär oder emer vom Ratfae des Königs angeredet 
wurde, die Aeusserung fallen lassen, dass mittelat des Prae- 
munire, mit Block und Axt des Hochverrathsprocesses im 
}£ntergrunde, die Geistlichen einfach imd leicht aus halben 
in ganze Unterthanen verwandelt werden könnten. Kein 
Anderer als er hatte an höchster Stelle den gescheuten 
Rath ertheilt. 

Bei den nächsten Schritten , die von der Geistlichkeit 
weit mehr freiwillig geschahen, ist seine Hand viel weniger 
erkennbar. Indem der Klerus gegen das Herantiuthen 
ketzerischer I.ehre und T.uther'scher Literatur in dem Könige 
thatsächlich seinen Schirmherm erblickte und sich an seine , 
Huld klammerte, drängte Cromwell im eigenen Interesse 
aus dem Rahmen des einen, grossen, allgemeinen Instituts 
heraus. Man hat daher gar nicht nöthig, ihm den Vor- 
wurf zu machen, dass er vorzüglich seinem geldbedürf- 
tigen Herrn cdne überaus ergiebige Quelle eroffiiet habe, als 



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Themas CromwUf tUr Htmmer d^r MSneke, 



im Jahre 1532 die Landeskirche aus freien Stucken das 
Parlament anging, die Annaten und ersten FrOchte, jene 
rddien Sporteki allen Irirchlichen Erledigungen, statt 
wie bisher nach Rom, in den königlichen Fiscus abzufShren. 
Wie hatte man da nun nicht auch zu der erst völlig ab- 
schliessenden Einigung,»- wider die oberste geistliche Juris- 
diction zu Rom gelangen sollen, deren Missbräuche sich in 
den intimsten Beziehungen des Privatlebens fühlbar machten 
und den heftigsten Klagen der weltlichen Stände den trif- 
tigsten Anlass boten. Dadurch, dass sich die Bischöfe an 
gemeinsamen Berathungen betheihgten, gelang es nun in 
der That, das Gebiet des canonischen Rechts gleich dem 
gemeinen Landrecht der Krone zu unterstellen, der Curie 
den ganzen bisherigen instanzenzug abzuschneiden und statt 
dessen die Appellationsordnung einer nationalen Kirche 
aufzurichten, in welche keine auswärtige Macht einzureden 
haben sollte. Jedem Versuch, dies dennoch zu thun, na- 
mentlich durch Interdict und Bann, wurde im Voraus wie- 
derum das furchtbare Statut des Praemunire entgegnen ge- 
halten. In der ganzen kirchlichen Verwaltung stieg somit 
Heinrich VIII. als Souverän empor, so dass nunmehr jene 
Clausel, kraft wacher zuerst der Klerus bewogen wurde, 
seinen Nacken zu beugen, von selbst fortfiel Unmöglidi 
konnte nun aber der mit solcher MachtfüUe ausgestattete 
Monarch der Ladung des Papstes Folge leisten, welche, 
wie eifrig auch die Jahre her über die Ehescheidung weiter 
verhandelt wurde^ wie nahezu möglich auch biswmlen unter 
den Abwandlungen der europäischen Politik ^ne Vecstän- 
digung erscheinen mochte, doch niemals zurückgenommen 
worden war. Von allen reformatorischen Sätzen fand jener 
paulinische, dass Jedermann der Obrigkeit unterthan sei, 
die Gewalt über ihn hat, nanientHch durch eine Schrift 
des als Iv etzer verfolgten Tyndal beim Hofe am frühesten 
Eingang. 

Gerade die (reliebte, die nur der Eigenwille zur Ge- 
mahlin erheben konnte, Anna Boleyn, spielte das Buch dem 
rechtgläubigen Verehrer in die Hände. Nachdem er sich 
bereits im Januar 15,33. zunächst geheim, mit ihr vermählt 
hatte, kam es durch den neuen Erzbischof Thomas Cranmer 



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Tkmtas CnmoMtli dtr Hamuur tUr MSneht. 



bekanntlich in aller Form am 23. Mai zu der Ehescheidung- 
von der Infantin. Dieser eigenthümliche Mann, bis dahin 
weder Protestant noch eigenthch Theolog, sondern weit 
eher von hervorragenden juristischen Anlagen und Nei- 
gungen, hegte die Ueberzeugung , dass Heinrichs Heirath 
mit Katharina, weil sie einst mit seinem älteren, aber in 
jungen Jahren verstorbenen Bruder, dem Prinzen Arthur 
von Wales, vermählt war, von Anfang ein. nach biblischem 
wie canonischem Recht null und nichtig gewesen, so dass 
sie auch nachtraglich durch den von Julius Q. ertheilten 
Dispens nicht hätte goit geheissen iirorden können. Diese, 
der päpstlichen Unfehlbarkeit stracks zuwiderlaufende Er- 
klärung' hatte Cranmer nodwipersönlich, nicht ohne einen 
gewissen Eindruck zu machen, am Hofe Qemens' VIL ver- 
treten, der ihn nicht nur zum Pönitentiar von England er- 
nannte, sondern ihm auch noch das erzbischoflicfae Pallium 
verlieh. Darüber aber wurde er vollends, sobald Henrich 
ihn durchschaut hatte, das Organ, um mittelst des neuen ein- 
heimischen Kirchenrechts im Widerspruch mit Rom jenen 
ersten Ehebund zu lösen und hinterdrein die Verbindung 
mit Anna zu segnen. Als jedoch der öffentliche Unmuth 
über ein so empörendes Verfahren sich auf den Kanzeln 
zu regen begann, ist Cranmer, der Autokratie des Königs 
entsprechend, hart und gewaltthätig dagegen eingeschritten. 
Obwohl im Geheim mit einer Nichte des Nürnberger Osl- 
ander verheirathet und nicht ohne Beziehung zu den Luthe- 
ranern, blieb er doch entschieden Anglikaner. Wohl hielt 
er zu der neuen Königin, die natürlich ihre Huld den An- 
hängern einer neuen Lehre zuwandte, so weit sich eine 
solche in England überhaupt festsetzen konnte, während 
die Vertheidiger der alten die Partei der schnöde verstosse- 
nen Infentin ergrififen. Aber von Cranmer so wenig wie 
von Thomas Cromwell lässt sich behaupten, dass sie damals 
den am orthodoxen Dogma festhaltenden König in das 
Lutherthum hätten hineintreiben wollen. 

Wohl aber gelangte vor allem unter der Leitung dieser 
beiden, sofort einander- nahe tretenden Männer das Schisma 
zum gesetzlichen Abschluss, der nicht nur dem bisherigen 
Hinhalten Roms ein Ende machte, sondern mit dem offenen 



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Thomas CrmnmMt der Uammur d*r Mönch*. 



Bruch auch die reagirenden Tendenzen im eigenen Lande 
wach rief. Die Krönung Anna's, die Taufe der bereits im 
September geborenen Elisabeth, durch Cranmer vollzogen» 
erschienen als brutale Herausforderung an Papst und Kaiser. 
Von beiden appellirte nun auch England an ein allgemeines 
.Concil. Aus langen, heftigen Debatten im Geheimen Rathe 
gingen im Frühling 1534 (während der heilige Stuhl, wieder 
zwischen Karl und Franz schwankend, sidi langsam mid 
ungern zu den Sentenzen anschickte, durch welche Katha- 
rina's Ehe als die einzig rechtmfissige bezeichnet imd Konig 
Heinrich mit dem Bann bedroht wurde), nachdem alle Sta- 
tionen in Flarlament und Convocatton durchlaufen, die fer- 
tigen Acten hervor, in welchen der König von England, 
kraft seines Supremats, an die Stelle des Papstes trat und 
jede Unterordnung des Inselreichs unter Rom fortan fort- 
fiel. Indem zugleich der Reichthum, die Selbstverwaltung, 
die eigene Gerichtsbarkeit der einheimischen Kirche, bis 
dahin die mächtigste Schranke gegen weltliche Willkür, 
gleich jedem anderen öffentlichen Amt , dem Königthum 
unterworfen wurden, fügte sich Alles einem massgebenden 
Gedanken, der mit Sicherheit auf die an italienischer Quelle 
geschöpfte Staatskunst Cromwells zurückgeführt werden 
kann. \V"ar nun aber bis dahin die volle Bedeutung der 
Suprematsacte unter der verzehrenden Gluth der Eheschei- 
dungsfrage versteckt geblieben, so gab sich mit der gewalt- 
samen Losung derselben sofort zu erkennen, in w^che 
Knechtschaft die Bischöfe durch die königliche Ernennung 
gerathen, wie Convocation und geistUches Grericht entweder 
ziun Schweigen verurtheilt waren oder nur beschliessen 
durften, was die Krone vorschrieb, welch' ungeheurer Zwang 
den Gewissen gethan wurde. Die Idee von der Omnqiotenc 
des Staats, welche dem Secretar von Florenz vorgeschwebt, 
hier war sie mit voller Energie in's Leben getretoi, und 
furchtbar dann auch die Kraft, mit welcher sie Diejenigen, 
die ihr aufzusagen wagten, niederschmetterte. 

Da Sir Thomas More und Grenossen, die Regierung, 
welche auf Wolsey gefolgt war, Curie und Kaiser nicht 
zu einer Verständigung in der Ehefrage zu bewegen ver- 
mocht hatten, da eine ganz andere Reform als die huma- 



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Iiistische des Srasmas die Oberhand gewonnen, hatten sie 
aus den Aemtem scheiden müssen. Jetzt kamen gar Mit- 
glieder des Königlichen Raths mit dem Supremat in Con- 
flict, sobald sie sich weigerten, dem Statut gemäss eidlich zu 
erhärten, dass die Verbindui^ mit Katharina schriftwidrig 
und von vornherein in sich nichtig gewesen seL Schon als im 
Jahre 1553 die sogenannte Nonne von Kent, welche längere 
Zeit unter Beistand einiger Franciscanerbrüder als Stigma- 
tisirte betrüg-erisch Wunder gethan und bei Wiederver- 
mählung Heinrichs ihm unmittelbaren Untergang geweissagt 
hatte, Dank dem Einschreiten Cromwells entlarvt und zur « 
Verantwortung gezogen wurde, hatten der geistvolle More 
und der beschränkte Bischof Fisher von Rochester, der schon 
in den entscheidenden Sitzungen der Convocation nicht ge- 
schwiegen, zu erkennen gegeben, wie tief sie noch in mittel- 
alterlichen Vorurtheilen staken und wie sie sich mit nichten 
aus der Gemeinschaft der Kirche wollten losreissen lassen. 
Jedoch auf Cromwells lebhaftes Verwenden hatte sich jener 
zu einer Abbitte bereit gefunden und des Königs Verzeihung 
tt-haltra, während der Bischof die zum Tode venirthdlte 
Betrfigerin für eme Heilige erklärte, ohne freilich von dem 
durch sie verkündeten Aufruhr etwas wissen zu wollen. 
Indess, obwohl verurthdllt, war auch er, fast wider Willen, 
begnadigt worden. Sobald nun aber allen Unterthanen, 
geistlichen und weltlichen, der Eid auf den Supremat unter 
Androhung der Strafe des Hochverraths zur Pflicht gemacht 
war, vermochten beide in ihrem Gewissen sich dem nicht 
zu fügen und starben, der Verschwörung und des Verraths 
bezichtigt, im Sommer 1535 mit den Mönchen der Londoner 
Karthause um die Wette als Märtyrer ihres kathoHschen 
Bekenntnisses, welches, abgesehen von der supremen Juris- 
diction, auch das ihres Königs war. 

Angesichts des tiefen Eindrucks jedoch, den diese Hin- 
richtungen in ganz Europa, im Reich, in Frankreich und 
ganz besonders in Rom hervorrufen mussten, sah sich 
Cromwell nun allerdings genöthigt, seinen Herrn in einem 
Schreiben an Cassale, einen italienischen Agenten, der noch 
immer in Rom thatig war und seine Berichte in lateinischer 
imd italienischer Sprache an ihn richtete, eingehend zu 



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314 



Thomas Cromwü, d§r Ifammor tUr M9meht, 



vertheidigen. Da hdsst es, dass Se. Majestät wegen ihrer 
Handlungen nur Gott Rechenschaft zu geben habe, dem er 
hnmerdar in Wort und That zu gehorchen verlange. Wäre 
dag-eg-en das verbrecherische Vorhaben Jener imbestraft 

geblieben, so wäre der König ja wegen unbehinderter Ver- 
breitung einer Ansteckung zum äussersten Verderben der 
Nation seiner Pflicht uneingedenk geworden. Während nun 
aber Papst Paul III. nach Bann und Interdict griff, um den 
schismatischen Fürsten von der übrigen christlichen Staaten- 
w^elt zu isoliren — musste dessen kühnen Minister da nicht 
mitunter das Gefühl unmittelbarster Verantwortlichkeit be- 
schleichen? 

Gerade um diese Zeit sehen wir Cromwell auch äusser- 
lich so rasch von Stufe zu Stufe auf schwindelnde Höhe 
emporstdgen, dass Freunden wie Vaughan zu grauen be- 
gann. Sie verhehlten sich nicht, er könne an (rewtnnsucht 
und Herrschgier, an der eigenen Verwegenheit zerschellen. 
Jetzt war er in der That der allmächtige Mizuster. Ln 
August 1533 suchte ein alter verdienter Beamter, IMan 
Tuke, der seit Jahren dem Postwesen vorstand, durch ihn, 
den vielgewandten Secretär des Königs, der eben auch auf 
Lebenszeit zum Sdiatzkanzler ernannt wcnxlen, eine sicherere 
Uebermittelung von Briefen und StafFetten herzustellen. 
Fortan sind die diplomatischen Berichte aus Rom und Deutsch- 
land, aus Flandern und Dänemark wesentlich an ihn gerich- 
tet, dem bei Leitung der auswärtigen Angelegenheiten lang- 
jährige Verbindungen zu Statten kamen. Im October 1534 
wurde er zum Master of the Rolls, im folgenden Jahre zum 
Vicegerenten und Generalvicar, d. h. zum Stellvertreter des 
Königs in allen kirchlichen Sachen, erhoben. Eben jetzt 
erhielt die, vorzugsweise -durch seine Einsicht und Kraft 
geförderte Gesetzgebung in allen nach Innen und Aussen 
zielenden Richtungen ihre thatsachliche Ausführung. Indem 
er durchschaute und ergriff, wovor Andere zuruckbebten, 
schuf er überall Beweg^g und Fortschritt Allein von 
vornherein hatte ihn sein Loos doch vor dnen Abgrund 
gestellt; denn das Geschlecht, das er zu beherrschen und 
zu führen bestimmt war, konnte ihn nur fürchten und hassen. 
Die Vornehmen und die Kirchenmanner, wie sehr sie auch 



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Thomas Cromweil, der Etemmer der M9ncht» ' 

um sdne (junst buhlten, bei ihm um fette Pfründen bettehi 
gingen, scheuten noch mehr als einst vor Wolsey vor diesem 
despotisch umwälzenden Emporkömmling zurück. Ueber- 
zeugungsvoile Protestanten, wie der offenherzige Bischof 
Latimer oder der fast puritanisch eifrige Stephan Vaughan, 
der vom Auslande her stets einen regen Briefwechsel mit ihm 
unterhielt, stiessen sich an der religiösen Gleichgültigkeit 
und dem berechnenden Verfahren des Staatsmanns, welcher 
sich hütete, ohne Weiteres auch einer vom alten Bekenntniss 
abweichenden, in ihren Ursprüngen unenglischen Lehrreform 
Thür und Thor zu öflFnen, oder es für gut fand, selbst un- 
würdige, verdächtige Persönlichkeiten im Kirchendienst zu 
befordern. Cromwell wusste nur zu wohl, dass, ehe sich 
der Nation eine neue Form des Glaubens vorschreiben Hess, 
die Träger des alten geknebelt und stunun gemacht werden 
müssten. Mit genialem Griff legte er daher die Hand auf 
die KanzeL Alle Kleriker, hoch oder niedrig, durften hin- 
fort nur unter königlicher Vollmacht predigen, die jeden 
Augenblick entzogen werden konnte. Bis auf Text und 
Tendenz ihrer Rede war Alles und Jedes vorgeschrieben, 
so dass sie, wie gegen die Usurpation des Papstes, bei jeder 
ferneren Wendung einzig und alldn als die g^orsamen 
MundstQcke des absoluten Willens reden sollten. Durch 
solche Wefkzeuge, mdnte er, wurde der König allmälig 
an neuor Ldire einführen, was er für Staat und Kirche, im 
engsten Bunde geeinigt, zuträglich hielt Einer Verjüngung 
des Glaubens durch evangelische Frömmigkeit, durch ernstes 
Studium und öffentliche Erziehung, oder gar aus spontanen 
Regungen des Volks heraus, hat sich Cromwell nie er- 
schlossen. Und doch sah er sich genöthigt, eben jetzt bei 
den deutschen Protestanten, Fürsten und Städten eifrig um 
ein Bündnis.s zu werben, während sein König nicht anstand, 
mit Jürgen Wullenwever und Marx Meyer, den verwegen- 
sten Agitatoren des Augenblicks, anzuknüpfen, als sie daran 
gingen, von Tilbeck aus wider Kaiser und Papst Nord- 
europa umzuwühlen. 

Es war im Herbst 1535, als Karl V. und Franz I. nach 
erbitterten Kämpfen sich wirklich einmal verbünden zu 
wollen schienen, indem jener seine Base Maria, die ver- 



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3i6 



Thomas Cromwell^ d*r Hammer der Mötuhe» 



stossene £rbm des englischen Throns, emem französiaclien 
Prinzen zur Gemahlin bot. Noch hatten die Genossen des 
Schmalkaldiscben Bundes ihr Verhaltniss zum Könige von 
Frankreich nicht abgebrochen. £& hiess sogar, dass sie 
durch ihn wieder mit der Curie versöhnt werden konnten. 
Gar sehr also musste Heinrich VIII. darum zu thun 8«n, 
diese neue Potenz» mit der bereits Alle rechneten, an sich 
heranzuziehen. Beide Theile waren denn auch der Meinung, 
sich auf das allgemeine Concil, wie es Papst Paul III. hin- 
hielt, nicht einzulassen. Man verhandelte dagegen lebhaft 
um ein Schutz- und Trutzbündniss , und König Heinrich 
verpflichtete sich, im Kriegsfall gegen die von den Deut- 
schen zu Wasser und zu Lande zu leistende Hilfe bedeutende 
Summen zu zahlen, wofür jene ihn zum Protector ihres 
Bundes erheben wollten. Selbst bessere Beziehungen des 
Königs zu Melanchthon und Luther sollten angebahnt wer- 
den. Wenn nur eine Verständigung über das religiöse Be- 
kenntniss, welches jenen Lebensfrage war, möglich gewesen 
wäre. Dort hatten Obrigkeiten und Unterthanen nicht nur 
eine Menge allgemeiner Missbräuche abgestellt, sondern aus 
innerstem Bedurfhiss, von ihren Theologen berathen, ein 
völlig neues Kirchenwesen aufgerichtet Von England aus 
aber musste Cromwell im Auftrage seines Herrn schreiben: 
„Der König betrachtet sich als den gelehrtesten Fürsten in 
Europa, dem es nicht ansteht, sich ihnen zu fugen, der viel- 
mehr erwarten kann, dass sie es thun.*' Christi Ldure wollte 
nun freilidi auch er mit Gut und Bhit vertheidigen , sich 
aber von keinem SterblicKen vorschreibet^ lassen, was er 
imd sein Reich zu glauben haben sollten. Auch die Ober- 
hoheit des Kaisers wurde, namentlich von Stephan Gardiner, 
entgegengehalten, obschon diesem Deutschlands Pursten und 
Städte wahrlich nicht in ähnlicher Weise untergeben waren, 
wie jetzt die englischen Stände dem Tudor - Könige. An- 
dererseits beklagte sich Cranmer tfeg-en Cromwell über die 
. eigenen Bischöfe, die ihre Genugthuung nicht verhehlten, 
dass, obwohl Jahr und Tag verhandelt wiurde, und man 
Willens schien, jeden Theil bei seinen Brauchen und Cere- 
monien zu belassen, ihr König in Sachen der Lehre mit 
den Lutheranern schlechterdings nicht einig werden konnte. 



L.y,.,^uu Ly GoOgl 



Themas CromwtU^ der Hammer der Mönche, 



Nichtsdestoweniger führte der diplomatische Verkehr 
zu einer tiefer greifenden Annäherung. Auch am englischen 
Hofe nämlich hatte die Ueberzeugung Wurzel geschlagen, 
dass die Grundlage wirklicher Kirchengemeinschaft einzig 
und allein in der Schrift vorhanden sei. Waren schon die 
wuchtigsten Beweise wider die finanziellen und jurisdictio- 
nellen Ansprüche der Curie der Bibel entnommen, so erfüllte 
der König eben im Jahre 1535 sein Versprechen, die ver« 
botehe Uebersietzung des in den Niederlanden als prote-' 
stantischer Märtyrer sterbenden Tyndal durch eine autori- 
sirte, in allen Kirchen zu Jedermanns Benutzung aufliegende 
zu ersetzen. Der Cambridger Theolog Miles Coverdale, der 
bereits im Zusammenhange mit CromWell begegnete, hatte 
unter Cranmers Schutz jene bisher verfolgte Version durch- 
gesehen und verbessert Auf dem Titelt^tte des stattlichen 
Drucks sieht man den Kdnig auf dem Throne und Cranmer 
und Crom well, wie sie das Buch an Priester und Laien aus- 
theilen. Unter königlichem Privileg erschien gleichzeitig 
die erste Zusammenstellung eines englischen Gebetbuchs. 
Gleich dem Erzbischof, der sich immer mehr als Anhänger 
weiter gehender Reform zu erkennen gab, dachte eine Reihe 
evangelisch gesinnter Männer, welche neuerdings die Bi- 
schofsstühle einzunehmen begann, der kühne Latimer von 
Worcester, Fox von Hereford, der, an der Spitze der Ge- 
sandtschaft zu den Schmalkaldenern, nicht anstand, den 
Papst als Antichrist zu bezeichnen, Hilsey von Rochester, 
Goodrich von Ely, Barlow von St. Davids. Es war in der 
wahrend des Juni und Juli 1536 tagenden Convocation von 
Canterbury, dass man zu Beschlüssen schritt, die denn doch 
das englische Kirchenwesen dem deutschen naher zu rücken 
verhiessen. CromweU s^ber nahm, nicht ohne Aufsehen zu 
errufen, als Vertreter der obersten Kircheogewalt zur Seite 
d^ Erzbischofe Platz und Hess s<^|ar durch den geehrten 
Schotten Alexander Alesse, der in Wittenberg gewesen, die 
dortige Lehre vortragen, 'nach welcher nur noch Taufe und 
Abendmahl als Sacrament betrachtet wurden. Wohl hatten 
sämmtliche Bischdfe, auch Erzbischof Lee und die Convo* 
cation von York, obschon mit Widerstreben, des Königs 
Supremat beschworen; doch fi^te viel, dass die Mehrz^, 



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31« 



der liiucMe. 



ZU der auch Gardmer voo Winchester gdiScte, das Gerüst 
der sidienSacfanieiite hätte fidirea lassen. Trotidem wurden, 

auf Heinrichs Befehl, zehn Artikel eing-ebracht, deren fünf 
erbte, hinsichtlich der Bibel und der Glaubensbekenntnisse 
der aken Kirche, des Sacraments der Taufe, Busse und 
Communion, der Rechtfertigring" durch den Glauben mit der 
Aug-sburger Contession übereinstimmten. Was ausserdem 
noch conservirend über Anbetimg der Heiligen. Bilderdienst, 
Ceremonien und Fegefeuer verfugt wurde, geschah ledig- 
lich, um die Widerstrebenden festzuhalten und bei der Be- 
schlussfassung eine ansehnliche Mehrheit zu erzielen. Die 
ausführenden Erlasse Cromwells als General vicar gingen 
doch wieder deutlich -darüber hinaus ; denn sie richteten sich 
gegen Wallfahrten und Wuiidei:]g^lauben und bezweckten» 
die Disciplin der Gremeinde vor allem auf den Gottesdienst 
in der Muttersprache zu begründen. Selbst der gemeine 
Mann sollte ein Vaterunser, die zehn Grebote und den 
Glauben auf Eng-lisch lernen. Man war also auf dem besten 
W^fe, die Reformation zu popularisiren, während das Par- 
lament fortfuhr» das Staatsrecht des R^chs mit immer 
stärkeren Wällen wider römische Sturmlaufe zu umgeben. 

Und felsenfest stand mittlerweile der gewandte Vor- 
kämpfer in der Gnade sdnes eigenwilligen, laummhaften 
Herrn. Am 29. Juni war er, an Stelle Thomas Bole3rns 
Grafen von Wiltshire, zum Geheimsiegelbewahrer eingesetzt 
worden. Am 9. Juli wurde er durch Patent als Lord Crom- 
well unter die Peers erhoben, am lö. im Sitzungssaal des 
Parlaments vom Könige zum Ritter geschlagen und ein 
Jahr später, am 26. August 1537, in Windsor unter die 
Genossen des Hosenbands aufgenommen. Um dieselbe Zeit 
galt es aber auch, die mächtigsten Trutzburgen, die immer 
noch verschont gebliebenen Klöster und Convente, von 
Grund aus zu brechen, dasjenige Unternehmen, durch welches 
Cromwells Name in gutem wie in bösem Klang am meisten 
fortlebt 

In unversöhnlichem Gegensatz zu dem Institut des mittel- 
alterlichen Mönchthums stand schon der humanistische 
Aufschwung. Noch entschiedener wandte sich der D^rang 
nach religiöser Besserung von den Statten der Schlenmierei 



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Thomas Cromwllf der ffammer der MSncke. 



und der Unzucht ob, über die in allen Ländern, und in 

England wahrlich nicht zum wenigsten, der Leumund längst 
grauenhafte Dinge erzählte. Es woichs die Erkenntniss, dass 
eine Besitzmenge, die mindestens ein Fünftel des Reichs 
bedeckte, den meisten Pflichten der Welt enthoben und nur 
mit Vorrechten ausgestattet, welche für heilig galten, in 
wirth schaftlicher Beziehung sich zum grössten Nachtheil des 
öffentlichen Wohls in solchen Händen befinde. Endlich 
standen unbescholtene, ernstgläubige Klostermänner wie die 
Londoner Karthäuser aus innerster Ueberzeugung vorn an 
im Kampfe wider den königlichen Supremat und starben 
als die Protomartyre der katholischen Kirche. Wie viele 
Grründe, nach allen diesen Richtungen sämmtliche Stifter 
einer strengen Visitation zu unterwerfen. Indem der Staat 
nun aber, zumal auch den Bischöfen gegenüber, kraft seiner 
Neuordnung das unbehinderte Recht dazu beanspruchte, 
indem Cromwell sdir gemessene Instructionen ausarbeitete^ 
war doch ursprünglich znu: Abstellung von IkGssbrauchen, 
und keineswegs Auf losung ohne Unterschied in Aussicht 
genommen. Ab^ seine Commissare, die sich alsbald über 
Gta&chaften und Sprengel vertheilten, meist moderne, der 
Pietät gegen das Mönchthum entwachsene Grelster, waren 
geschickt gewählt, ihre Vollmachten weit gei&sst, das Er- 
gebniss zunächst bei der grossen Mehrzahl der Kloster der 
Art, dass durch die Untersuchung die ärgsten Gerüchte fast 
ausnahmslos bestätigt wwden. Und selbst wenn nur die 
geringere Hälfte von dem wahr gewesen, w as in Hunderten 
von Berichten an Cromwell über die Entfremdung von den 
ursprünglichen Absichten der Gründer, über den Bruch der 
Gelübde der Armuth und der Keuschheit durch Aebte und 
Aebtissinnen , Mönche und Nonnen , mitunter durch un- 
mittelbare Ertappung höchst drastisch aufgedeckt worden, 
sie genügte, um den Kntschluss vollständiger Unterdrückung 
reifen zu lassen. Wie oft führte die Abfassung von Inven- 
taren über Silberzeug und Juwelen zu der Entdeckung von 
Diebstahl, betrügerischer Vorenthaltung und selbst thät- . 
lichem Widerstande. Als mancher Orten Männer und 
Weiber, der Klosterzucht und der Heuchelei überdrüssig, 
sich ehrlich nach Befreiung sehnten und gar oft ein in jungen 



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Thomas Cromw*ii, der Hammer der Mönche, 



Jahren erzwungener Eintritt nachgewiesen wurde, hat man 
allen Mönchen unter 24, allen Nonnen unter 2 1 Jahren ohne 
Weiteres die Entbindung von ihren Gelübden anheim ge- 
geben. Den Congregationen, die noch beisammen blieben, 
schärften die Visitatoren mit dem Gehorsam gegen das su- 
preme Haupt von Kirche und Staat strenge Befolgung der 
Regel und namentlich ein Verbot des, vorzüglich von den 
Bettelorden betriebenen, Vagirens ein. Als im Frühjahr 
1536 das Parlament — noch immer das im Jahre 1529 ge- 
^i^hlte — zusammentrat, legften sie den Gemeinen ihren 
Generalbericht in Gestalt eines „Schwarzen Buchs** vor, 
wonach auf Grund der Thatsacfaen, und mitunter dem eigen- 
handigen Eingeständniss der Betreffenden zufolge, höchstens 
ein Drittel des gesammten Ellosterwesens als nicht über- 
führt gelten konnte. Demungeachtet und trotz der popu- 
lären Abneigung, die wider die Ordois-Creistlichkeit auch 
auf der einst so klosterseligen Insel um sich gegriffien hatte, 
erhoben sich noch einmal heftige Debatten. Man schreckte 
doch vor der Sprengung so vieler durch Jahrhunderte ge- 
heiligten Brüderschaften zurück. Wie vielen Abgeordneten 
der Fundatoren und Benefactoren schlug nicht das Ge- 
wissen ! Ein Staatsmann wie Cromwell, ein echt reformato- 
rischer Bischof wie Latimer, hegten noch den Gedanken 
Wolsey's, das Gut verderbter und verurtheilter Orden für die 
Zwecke des gereinigten Gottesdienstes und des Unterrichts, 
namentlich des höheren, beisammen halten zu können, wie 
ja die klösterlichen CoUegien von Oxford und Cambridge 
als besserungsfähig die Visitation bestanden hatten. Allein 
der Instinct der Laien, dem wesentlich entscheidend audi 
Erzbischof Cranmer huldigte, überwand die gerechtesten 
Bedenken, und dem Zuge der Zeit gemäss am leichtesten, 
wenn sie von Klerikern erhoben wurden. Die Habsucht der 
weltlichen Grrossen und die Idee, die £inlieit des Reidis auch 
dadurch zu fördern, dass so vide bisher steuerfreie Gebiete 
fortan die bürgerlichen Pflichten thdlen sollten, trugen den 
Sieg davon. Schon im MSrz kam die Acte zu Stande, die, 
bis auf geringfügige Ausnahmen, zu Gunsten der Krone alle 
solche Häuser untecdrüdcte, weiche weniger als 200 Pfund 
jährlidi abwarfen. Die Insassen sollten entweder in den 



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j 



Thottuu Cromwtll, der Hammer der Mönche, 



321 



nicht verurtheilten grossen Häusern untergebracht oder mit 
Jahrgeld abgefunden werden. Mit den ersten Anfängen 
eines Annengesetzes und eines neuen Strafrechts, wie sie 
nothwendig aus Beseitigung der alten wirthschafitUchen 
Unterlagen der Mildherzigkeit und Arbeit erwachsen muss- 
ten, beschloss das denkwürdige Reformparlament seine um- 
wälzende Thatigkeit 

Merkwürdig, unmittelbar mit seuiem Ausgange bäumten 
sidi in den tief verletzten Sduciiten der Bevölkerung ele- 
mentare KrSfte'des Widerstands auf, um dem Könige und 
allen Denen, <fie mit seiner Billigung so gewaltige Neue- 
rungen f5rderten, hemmend in den Weg zu treten. Da hatte 
sich kurz zuvor die furchtbare Katastrophe Anna Boleyns 
ereignet. Was die Ursache der raschen Entfremdung des 
einst so heiss für sie erglühten Königs gewesen; ob die 
erst neuerdings aus dem Geheimbündel [Baga de secrefts) 
hervorgegangenen Processacten mehr ergeben, als die bru- 
tale Willkür, mit welcher der selbstherrliche Tudor die 
Freiheit der Gerichte und die Unantastbarkeit der Geschwo- 
renen seinen höchst eigenen Zwecken und Begierden dienst» 
bar zu machen wusste, ob der Unglücklichen wirklich Ehe- 
bruch oder gar Blutschande nachgewiesen werden kann, 
das soll hier nicht in Betracht kommen. Genug, noch am 
Maitage war die Königin zu Greenwich der Mittelpunkt des 
Festes gewesen, arglos, während das Beil bereits über ihrem 
weissen Nacken schwebte. Am folgende Tage wurde ^e 
in den Tower abgeföhrt Am 19. fiel ihr Haupt dort auf 
dem grünen Rasen. Schon Tags darauf vermählte sich 
Heinrich VIIL, der Blaubart, mit Lady Jane Seymour. 
Welche Stellung aber nahmen zu diesem entsetzlichen Her- 
gange die Tr%er der Reformation? Erschien ihr Werk 
nicht von Grund aus erschüttert, da Diejenige vmichtet 
wurde, unter deren königlichem Mantel in der That eine 
Strömung protestantischen Lebens Schutz und Förderung 
gefunden ? 

Dass Anna nun freilich eben darin der eigenen Anver- 
wandtschaft, dem Hause Norfolk, viel zu weit ging, ist be- 
kannt. Auch war es nur zu natürlich, wenn die Anhänger 
der alten Lehre, wahrscheinlich auch Bischof Gardiner, der 

Pauli, AafUts«. K. F. 21 



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neuerdiiigs die Zurücksetzung' vor CromweU dchwer ertrugf , 
gerade diese Schirmerin der Refonnpartei zu entwurzeln 
trachteten. Der schwache Ersblscfaof war erst hinzugezogen 
worden, als das Verfahreo bereits in vollem Gange war, 
und loste alsdann willenlos, tief erschfittart die Ehe» von 
der Anna selber gestand, dass sie nicht rechtlich geschlossen 
worden, er, der gleich Matthew Parker und anderen jüngeren, 
später von Anna's Tochter Elisabeth hervorgezogenen Geist- 
lichen doch nimmermehr von der Schuld überzeugt sein 
konnte, welche die Gerichte feststellten mussten. Dagegen 
handelte CromweU, um diese Zeit, wie es heisst, ,,des Königs 
Ohr und Sinn", durchweg entschlossen, wie er gewohnt ^var, 
und diesmal nur zu gewiss unter der Nothwendigkeit der 
Selbsterhaltung. Höchst unklug nämlich hatte die Königin 
ihn sich zum Feinde gemacht, indem sie behauptete, dasa er 
und seine Leute unter dem Deckmantel des Evangeliums das 
Klostergut in Stücke schlügen, um sich selber zu bereichern, 
ja, dass er der Bestechung auch durch die unwürdigsten 
Personen zuganglich sei. Also er oder sie musste foUen, 
Da hat er denn den keimenden Argwohn seines Herrn 
geschürt und, indem ohne Frage er selber den tückischeit 
Schlag vorberdtete und als StaotssecretSr in Person die 
Königin gefiEu^gen nahm, über sdnen Nebenbuhler von dev 
entgegengesetzten conservativen Richtung- triumphirt Ge- 
rade in die nächsten Monate fallen die sdion erwähnten 
Rangerhöhungen als untrügliche Zeichen der allerhöchsten 
Zufriedenheit. Und gerade durch sein Verfahren hielt er 
auch, noch ärgeren Drohungen gegenüber, den König an 
der Ausführung der neuen Gesetze fest. Es war wahrlich 
nicht so leicht, einen Fürsten, der doch die Augen weit offen 
hatte und mit gewaltigem Instinct immerdar der Wendung 
der Dinge voraus war, über den ungeheueren Zuwachs an 
Macht, den ihm der Gang der .^eignisse gewährte, stutzig 
zu machen. 

Längst gährte es bedenklich in den nördHchen Sprengein 
des Reichs, wo sich die Gemüther unendlich schwer aus dem 
allgemeinen hierarchischen Zusammenhange losreissen und 
nicht begreifen konnten, wie so Manches, waä bisher als 
verdammungswürd^ Ketzerei gegolten, nun plötzlich, airf 



Geheiss der weltlichen Obrigkeit, dem Heil der Seelen zu- 
träglich sein sollte. Trotz aller Beschlüsse in Parlament 
und Convocation hielt die grosse Menge von Geistlichen 
und Laien zum Papst, und wollte von dem Supremat der 
Krone wenig wissen. Trotz aller Schäden, welche die Vi- 
sitation der Klöster aufdeckte, Hess sich Vornehm und 
Gering nicht irre machen. Denn seit vielen Menschenaltern 
hingen ja diese Institute, fast ein jedes wegen seines be- 
sonderen Cultus, mit der andächtigen Verehrung der Menge» 
mit Versorgung und Dankbarkeit der Armuth eng zusam- 
men. Und nicht minder hex^gebraoht waren für Bitterschaft 
und Adel die vielverscblungenen Beziehungen von Pacht 
und I-ehn, die bequeme Verpflegung alter Diener in der 
dem Geschlechte verbundenen Stiftung, sowie die behag- 
liche Unterkunft jüngerer Söhne, die das Ordensgewand 
angelegt Aus Anhängltchkett an das btaherige Daadn^ 
und fest entschlossen, den Urhebern der Umwälzung das 
Handwerk m l^fen, schreckten die verBdüedenen Clasaen 
s^st vor Aufruhr nicht zurück. Wie an Wafien fehlte es' 
auch nicht an Leitung von Oben und Aussen. Nachdem 
in den ersten Tage^ des Octobers die Bewegung in Lin- 
colnshire ausgebrochmi, nahm sie einige Wochen später in 
Yorkshire einen hödist bedenklichen Auftchwung. Die 
Hauptstadt der nördlichen Kirchenprovinz öfihete ihr die 
Thore. Lord Darcy, der einst noch gegen die Mauern von 
Grranada d£ii> Kreuz getragen hatte, bot ihr in dem festen 
Pomfret Castle eine bedeutende Stütze; Robert Aske, ein 
rechtskundiger Advocat, erschien neben ihm als der eigent- 
lich geistige Leiter. Sechs kurze Artikel, die wahrlich nicht 
das Mindeste mit denen der deutschen Bauern gemein hatten, 
formulirten, für den gemeinen Mann verständlich, die For- 
derungen wider die Krone dahin : dass sie die Klöster nicht 
antaste, die vom Parlament lyenehmigten Subsidien nach- 
lasse, vom Klerus nicht Zehnten und Annaten erhebe, die 
jüngste lehnsrechtliche Verordnung widerrufe^ das gemeine 
J^ut, das in den Geheimen Rath eingedrungen, ausstosse 
und die ketzerischen Bischöfe entferne. Man sieht, es galt 
die Wiederaufrichtung des alten, zwischen Kirche und Staat 
bestehenden Verhältnisses und die Austreibung aller Derer» 

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3^4 



Thomas Cromweli, dir Hammer der Mönche. 



die daran zu rütteln gewagt, insonderheit Thomas Cromwells. 
BewafFete Massen, die bis zu 30,000 Mann anschwollen, 
sollten auf einem Anmarsch gegen London durch „die Pilger- 
fahrt der Gnade'S wie man es hiess, den Willen der Reaction 
erzwingen. 

Und wirklich, angesichts der Gefahren, welche das Re- 
giment auch vom Festlande und von dem aufständischen 
Irland umlagerten, sind im königlichen Rathe Stimmen laut 
geworden, die zur Umkehr riethen. Allein Heinrich VIU. 
blieb fest Derb \md entschieden wies er die Artikel von 
Homcastle zurück. Er habe nie gelesen oder gehört, dass 
die Rathe des Fürsten durch das gemeine, unwissende Volk 
bezeichnet worden waren, und nun gar durch „die roheste 
und viehischste Gra&chaft des R^chs!" Gottes und Men- 
schen*Gesetz fordern, dem Konige zu gehorchen, statt ihm 
zu widersprechen. Doch berief er sich ausdrüdcHcfa auf die 
im Parlament vollzogene Gesetzgebung und wollte aHenfoUs 
genehmigen, dass ein Reichstag nach York berufen werde. 
Und in der That, der iVufstand bebte doch vor dem Aeusser- 
sten zurück, sobald ihm auch im Einzelnen ein Entgegen- 
kommen hingehalten wurde. Das vielgewandte Genie Crom- 
wells sann auf Mittel, wie die Abteilande zwar den Mönchen 
entrissen bleiben, aber statt in Domänen umgewandelt zu 
werden, Arm und Reich zu Gute kommen könnten. In einem 
eigenhändigen Entwürfe schlug er vor, die Meinung der 
Stände zu hören, durch Verbreitung gedruckter Glaubens- 
artikel dem Volke zu Gemüth zu führen, dass des Königs 
Absicht, die Einheit der Religion zu wahren, an den bisherigen 
Grundlagen derselben nicht im geringsten rüttle, aber freiBch 
auch durch Einsetzung stacker Behörden und sogar duidi 
Besatzungen den Norden des Landes bei Gehorsam zu er- 
halten. Als indess, trotz alledem, das Vertrauen nicht 
wiederkehren wollte und vielmehr neue Gewahthaten ge- 
schahen, hielt sich der König seinerseits von aller Zusage 
entbunden. Da schritten im Frühling 1 537 seine Heerführer 
mit aller Kraft ein. Lord Darcy, Aske und andere Rädels- 
führer aber endetmi auf dem Blutgerüst. 

Und war es nicht hohe Zeit, so energisch dreinzu- 
fahren, da mittlerweile abermals von einem Angriffsbündniss 



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Thomas Cromwii, dtr Hammtr d*r Mäneht, 



325 



zwischen ICarl V. und Franz I. gemunkelt wurde, und Papst 
Paul m., welcher längst die Bannbulle ausgefertigt hatte» 
den Augenblick gekonunen meinte, sie zu vollstrecken? 
Ein Engländer von vornehmer Herkunft war ausersehen» 
die Sente faz en der Kirche zu verkOnden, die grossen Mächte 
der Zeit gegen den schismatischen König zu einen und ganz 
besonders Land und Leute, die sich in Nordengland für den 
alten Glauben erhoben hatten, zur Ehre Gottes in ihrem 
Widerstande anzufeuern. 

Man weiss, dass Reginald Pole, ein Enkel jenes Herzogs 
von Clarence, den einst der eigene Bruder Richard III. um's 
Leben bringen Hess, sich lange der besonderen Gunst seines 
Vetters, König Heinrichs, zu erfreuen gehabt hatte. Nicht 
genug, dass er für die humanistischen und theologischen 
Studien, denen der talentvolle Jüngling in Italien und in 
Paris oblag, liebevoll Sorge trug; — er hatte ihn zu Wolsey's 
Nachfolger in den reichen Sprengein von York und Win- 
chester auserseheii. Wenn Pole sich nur von der Rechte 
mässigkeit der Scheidung von der In&ntin und des könig^ 
Hohen Supremats hatte überzeugen können! Alle Versuche 
einer Verständigung wurden über dem Schisnur zu Schanden. 
Von der Heimath ausgestossen, barg sich jener fortan unter 
den Mantel der Kirche, bis, nicht ohne s^ Widerstreben, 
der Papst ihn hervorzog. Zum Cardinal erhoben, wurde er 
jetzt zu Anfeng 1537, um die Christenheit zu besänftigen 
und wieder zu einigen, nach Frankreich und den Nieder- 
landen abgefertigt. Er verfehlte nicht, den Vetter auf dem 
englischen Throne von seinem Herannahen pflichtschuldigst 
in Kenutniss zu setzen. Durch seine Vollmachten, durch 
eine ausführliche Druckschrift getraute er sich noch immer» 
die schwankende Ueberzeugung seiner Landsleute, ja viel- 
leicht des Königs selber, wieder aufzurichten. 

Allein, wie viel fehlte doch, dass die Herrscher Spaniens 
und Frankreichs sich jemals ehrlich vertrügen ! Der Kaiser, 
ohnehin mit dem famesischen Papste gespannt, stand, seit 
dem Tode Katharina's, den Ehehändeln des Tudors wieder 
ferner. Seine Länder wollten den friedlichen Handelsverkehr 
mit dem Insehreicfae nidit missen. £in Ausgleich mit der 
Curie und Frankreich hatte König Heinrich den deutschen 



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Thomas CrommtU, tUr Hammtr dtr M9mck§, 



Pkotastanten voUstfindlg- in ifie Anne treiben müssen. Noch 
aber war die Lage der eofopaischen Quistenbeit an keiner 
Stelle der Art, dass der Kaiser einer rücksichtslosen Her- 
stellung der Hierarchie bitte die Hand leihen dürfen. 
Eine Uebereinkunft ndt dem Papste, zimial hinsiditlicli das 
allgemeinen Concils, stand noch in weitem Felde. So fiel 
es denn den englischen Geschäftsträgern in Paris und Brüssel 
nicht sonderlich schwer, dem Cardinal Pole die Wege zu 
verlegen. Cromwell aber, sein persönlicher Feind, der sich 
jüngst gegen Bischof Latimer gerühmt hatte, er \vürde Pole 
das eigene Herz essen machen, hielt nicht nur alle Fäden 
der heimischen Politik fest in der Hand, sondern hatte seine 
geheimen Agenten selbst in der zum Theil englischen Reise- 
gesellschaft des Cardinais. Nachdem er schliesslich seinem 
Herrn die Beweise über Pole's Beziehungen zu den nord- 
eogUschen Rebellen verschafit, hat dieser jede NachsiGht 
fahren lassen. Der Vetter wurde zom Hochverräther er- 
klärt, ein Preis von 50,000 Kronen auf senien Kopf gesetzt 
Da gl^chsekig vei^tete, englische Tmi^pen würden Karl V. 
wider Franz I. zu Hille zidien, wich er bestürzt, ohne in 
Brüssel Zutritt gelunden zu haben, von Cambray nach Lille 
bei Seite und wurde bereits im April nach Rom zurück- 
berufen» 

So war denn sowohl die kathoHsdie Enq>örang in Eng- 
land wie der päpstliche Angriff wider das Reich mit den- 
selben diplomatischen Künsten erfol^eich abgeschlagen. 
Aber eine tiefer greifende Wirkung, und zwar nach ent- 
gegengesetzter Seite, sollte die Niederwerfung dieser aus 
Einem Princip stammenden Gegensätze denn doch hervor- 
rufen. Zunächst entschied sie wider die bis dahin von der 
Auflösung verschonten grossen und mächtigen Klöster. So 
lange noch eins derselben aufrecht steht, lautete der Rath 
des gewaltigen Ministers, ist der Thron nicht sicher. Der 
König war, bei der grenzenlosen Verschwendung, die an 
seinem Hofe herrschte, über die bisherigen Erfolge der 
Commission enttäuscht. Die Vertheidigungsanstalten des 
Reichs bedurften höherer Summen. Auch gab es kein ge* 
eigneteres Mittel, die murrenden Stände vor unliebsamer 
Erhöhung der Steum und gleichzeitig die Bedenken vieler 



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TMömas Cr^mwM, der Himmr der Mönche. 



327 



Gewissmi vor unheiligem Kirchenraub zu bewahren, als 
Hinweisung' auf die Gefahren, von denen allesammt be- 
droht wurden, sowie auf die Schätze, die durch umfassende 
Säcularisatioii, um allen möglichen Bedurfhissen und Be- 
gierden 2u genfigen, fifissig gemacht werden könnten. Da^ 
mit Eeseon sich d^n audi die Bedenken, die gar manches 
aufrichtige Gemfitii hegte, und die jfingst noch im Parkt- 
ment laut geworden, am dnfodistra aus dem Vfegp räumen. 

Auch in .diesem StOcke war^ dodi von An&ng an 
nicht anders, als bei der Aufrichtung des Supremats, höchst 
unreine Motive im Schwange. So lange es galt, den from- 
men Schwindel aufzudecken, der vieler Orten mit Wunder- 
quellen , augenverdrehenden und blutenden Heiligenbildern 
und ähnlichem heuchlerischem Spuk getrieben wurde, und 
der schal gewordenen Lüge die Maske herunterzureissen, 
kam Cromwells Verfahren einer Rettung durch die heilende 
Hand des Arztes gleich. Vergebens suchte der Prior von 
Canterbury in inständigen Anschreiben zu verhüten, dass 
der mit Juwelen bedeckte Schrein des Nationalheiligen 
Thomas Becket zerschlagen würde. Ueber der Zerstörung 
dieses Denkmals erwies sich auch dem blödesten Auge, 
dass für Ausplünderung der dummgläubigen Massen mit 
Hilfe geistlicher Gaukelei die Zeit vorüber seL Alleui, 
weldie Ausschweifangen der Habgier und <ter Verschleu- 
derung rief nicht die Aufhebung der grossen Stift»: unter 
Denen hervor, die sie seit 1537 in's Werk seteteä! 

Wer hätte sie nicht kommen sehen? Sagte doch ein 
Anhänger der alten Kirche: die kl^en seien nur wie Dom* 
gestrüpp gewesen, während die grossen wie morsche alte 
Eichen dastanden. Freilich regten auch jetzt wiederum 
weder die Bischöfe noch die Convocation einen Finger 
für die Orden, welche seit Jahrhunderten auch von ihnen 
exempt sein und nur unter dem Papste hatten stehen wollen. 
Dem Sturme schutzlos preisgegeben, sind sie von einer 
geriebenen Staatskunst gefällt worden. Oft Hessen sich die 
Mönche, sobald nur die Commissare nahten, durch Jahr- 
gelder abfinden. Seltener geschah es, dass einige, aus 
innerster Ueberzeugung, mit der Kutte auch die verfehlten 
Gelübde abthaten. Aber es gab auch Aebte, w^che, stolz 



328 



Thomas Cromwel/, der Hammer der Mönche. 



auf die Vergangenheit und die mächtigen Verbindungen 
ihres Hauses, kein Mittel, k(?inen Ausweg unversucht Hessen, 
um die Gunst des ärgsten Feindes zu erkaufen. Ihnen vor 
allen gegenüber zeigt sich denn auch die sehr ecken volle 
Gestalt Cromwells aus seinen eigenen Documenten beson* 
ders grell beleuchtet. Wie er seinen Boten und Dienern 
gestattete, zuzugreifen, wo nur Klostergut auf der Strasse 
lag, so war Aufschub oder gar Milderung des Verhängnis- 
ses käuflich zu haben für Diejenigen, die dennoch, wie der 
Fisch an der Leine, weiter zappelten. Nicht nur, dass sie 
ihm WUdpret und andere Herrlichkeiten sandten. Derreidie 
Abt von Glastonbury hat ihm noch ein Patronat, einigen 
sdner Leute Armenpfrunden im Kloster übertragen. Und 
als es dann trotzdem an ein Zerschlagen der ungeheueren 
Herrschaften ging, wie bettelten da habgierige Laien, vor- 
nehm und gering, bei dem allmachtigen Minister, der, wie 
sdn König und Herr, ohne eine Abgabe kaiun irgend 
Etwas gewährt zu haben scheint! Unzart, derb, aber freilich 
der Sinnesart der Zdt g^emäss, war das Verfahren. Aus 
einem, noch nicht verSffentlichten , Notizbuche Cromwells 
geht hervor, dass Grafen und Bischöfe, ja die Königin 
Johanna selbst, ihn mit hohen Summen verpflichteten. 
Kleinere Beträge wurden ihm gelegentlich in einem Paar 
weisser Handschuhe, in einem Taschentuche, in Börsen aus 
schwarzem Sammet oder Scharlach Atlas, „unter einem 
Kissen im mittleren Fenster der Gallerie" zugesteckt. Die 
Gründe einer solchen Bereicherung von Seiten des durch 
eigenen beharrlichen Fleiss längst wohlhabenden Mannes 
liegen keineswegs fern ab. In die Peerage erhoben, for- 
derte er behufs Ausstattung sdner Familie noch viel nach- 
haltigere Hebel zum Reichthum, und ging darin, indem ihm 
nach Art von Emporkömmlingen jedes Nüttel recht war, 
zahllosen Strebern der Zeit mit dreistem Beispiel voran. 
• Auch Cromwell hat sich nachweislich in acht Grafschaften 
aus den Abteilanden ansehnliche Grutercomplexe verschafilt, 
wie ja gleichzeitig, und Dank vor allen ihm, die Hauser 
Russell, Seymoiir, Paget, Cecil u. a. m. an sacularisirter 
Beute aus ritterbürtiger Gentry zu einer neuen Nobility 
emporstiegen. Eben so wenig aber ging die Krone leer 



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Thomas Cromwellt der Hammer dtr Mönche. 



aus, sondern Hess sich im Gegentheil einen namhaften Zu- 
wachs der Domäne gern gefallen. Sorgfältige Berech- 
nung ergibt, dass im Ganzen 643 Klöster und Convente, 
90 Collegien, 2374 Cantoreien mit einem Jahresertrage von 
L. 152,517. 18. 10 damaligen Geldes eingezogen und zer- 
fl^chlagen worden sind. Was bedeutet gagen die Verschleu- 
derung des ergiebigsten, zum Theil immer noch best bewirth» 
scl>afteten Bodens der Insel die Ausstattung fünf neuer, von 
Heimich VIII. aus alten Abteien errichteter Btsthumer; 
oder der Aufwand, den der K&iig, stets befOrchtend, dass 
ein fremder Fmnd landen könne, und wohl wissend, dass 
Lords und Gemeine, um nur nicht die Steuern zu erhöhen, 
damit einverstanden sein würden, aus dem angezogenen 
Eigentfaum Anderer fOr den Bau von Kriegssdüffen und 
Vertheidigungswerken an der Küste machen musstel Un- 
endlich viel weiser sind da doch in Deutschland Fürsten und 
Städte, als sie lutherisch wurden und zugleich mit den 
Klöstern auch die katholische Hierarchie beseitigten, zu 
Werke gegangen. In den meisten Fällen hat man dort die 
reichen Erträge von (rrund und Boden sorgfältig gehütet 
und sie nun erst recht Kirche und Schule zufliessen lassen. 

Aber noch ein anderer Charakterzug Cromwells kam 
in den Hergängen der Jahre 1538 und 1539 zu voller Er- 
scheinung. Wenn alle Künste der Ueberredung und Be- 
strickung nicht halfen , so bebte er vor keinem Mittel der 
Tücke und vernichtender Gewalt zurück. Nicht umsonst 
hatte er in der Jugend sich in Italien umgesehen, nicht um- 
sonst die Lehre Macchiavelli's erfasst. Mit den Medici, den 
Borgia, den Este um die Wette wusste er durch schmettern- 
den Schlag die Opfer zu treffen, die geschickt und hinter- 
haltig ihm ausweidien oder ähnliche Künste aufbieten woll- 
ten. Und eine unfehlbar vernichtende, nur allerdings auch 
zweischneidige Waffe hatte er selber ja seinra Herrn seit 
1529 in die Hand gedrückt.. Der Supremat War, mit HUfe 
des alten Fraemunire-Statuts, allen widerstrebenden Kräften 
abgerungen» und daran hing das Bdl des Hochverraths- 
gesetzes, wodurch, seit den Tagen der Eduards, schon so 
Mancher, der im Wege stand, gefällt worden. Das hat nun 
auch die stolzen Aebte von Reading und von Glastonbury, 



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Thomas Cromwll, dtr Hammer der Mönche. 



den Prior von St. John in Colchester, im Ganzen 59 Kloster- 
leute, die nicht entkommen konnten, auf's Schaffot gebracht, 
sie aber gleich Fisher, More und den Karthäusem zu Märty- 
rern des Glaubens gemacht, deren Blut zum Himmel schrie. 
Man schaudert vor dem umsichtig entschlossenen, kaltblütigen 
Mann, wenn man in den Auszügen aus den eigenhändigen 
Aufzeichnung'en blättert, die er im königlichen Rathe oder 
im Parlament zur Hand zu haben pflegte. Zeile für Zeile 
hand^ sie von ConfiBcation und peinlichem Ver^EUuren, von 
Folter und Hinriditimg jener Bekenner, von Verfolgung' 
der Papister^ und zwangsweiser Aufrichtung der Tudor- 
Kirche. Das Praemunire und der Hochverrath nnd die 
Säulen, zwischen denen cBese in die Allmädit des Reichs 
aufgeht Cromwell hat dabm, so weit whr s^en können» 
leidenschaftslos, ohne personliche Liebe oder Hass gegen 
Diejenigen, welche er vernichtet, lediglieh aus Princip ge- 
handelt, das fürchterliche Blutgericht geradezu in ein System 
gebracht. Sein Terrorisnius ähnelte weder dem der Wider- 
täufer noch der französischen Septembermänner. Aber mit 
blutigen vSchreckmitteln, auch wenn sie von starker, staats- 
männischer Hand angelegt wurden, Hess sich doch nimmer- 
mehr der Glaube einer Nation in neue Bahnen zwängen. 

Noch eine andere Wirkung aber hatte jene in ihrem 
eigenen Ungestüm gehemmte Reaction, an der nun vollends 
deutlich wird, wie wenig der staatskluge Generalvicar Hein- 
richs VIII., trotz der puritanischen Vergotterer, den Prote- 
stanten beizurechnen ist. Sein Lebensweg hatte ihn nicht 
zum Forsche gemacht, dem durch I^en und Nadidenken 
die Augen über die InthOmer der Veigaogenheit hätten 
aufgehen können. Dar Mangel dner tieferen dassischen 
Bildung äussert sich vielmehr auch darin, dass er bei Auf- 
hebung der Klöster nie und nimmer Sorge trug, die Bücher- 
schätze, die doch seit Jahrhunderten an mancher Stelle 
angesammelt worden, vor Zerstreuung und Untergang zu 
bewahren. Durchaus ein modemer Mensch, hatte er da- 
gegen frühe an einem Zweige südeuropäischer Literatur 
Geschmack gefunden, die, wae umgestaltend auch im Uebri- 
gen ihre Tendenz, doch das Gebiet des Glaubenslebens 
kaum streifte. Freilich hat Cromweü der englischen Bibel 



L.iyu,^ccl by Goot^Ie 



Tkmiuu CrommtU, dtr Hamm» der MStuht, 



erfolgreich das Wort geredet und den einen oder andecen 
Landsmann gar wohl gekannt, der vom Greiste Luthers oder 
Melancfathons ergriffen worden. Aber er 'hat diese Be- 
aahimgen mit dar ihm eigenen Vorsicht nicht nur geheim 
at halten gewusst, sondern in seinem Testament, das er 
noch als Wolse/s Diener im Juni 1529 entwarf imd .fünf 
oder sechs Jahre später wieder dnfchsah mid ergänzte, die 
hohen Legate für Seelemnessen nach seinem Tode unbe- 
denklich fortgeführt Man kann sweifiihi, ob er aus Aber- 
glauben, 9m der noch kaum erschütterten iiewohnheit oder 
wiederum aus Klugheit dabei beharrte. Als Politiker theilte 
er jedenfalls die Ueberseugung seines Herrn und Meisters, 
dass wegen Versddedenlieit in der Lehre der Herrscher und 
sein Volk nicht auseinander kommen dürfen. Jene „Pilger- 
fahrt der Gnade" hat Heinrich VIII. nicht zurückgeschreckt 
von dem Entschluss, allen seinen Unterthanen die Bibel nahe 
zu bringen , die ja lehrte , dass Alle ohne Unterschied der 
Obrigkeit unterthan seien. Auch wurde unbekümmert mit 
Aufräumung der Klöster fortgefahren. Aus demselben Sep- 
tember des Jahres 1538 datiren denn auch gemessene Befehle 
Cromwells, die heilige Schrift in allen Kirchen aufzulegen 
imd die Gebeine Beckets, einerlei, ob echt oder unecht, 
aus der Welt zu schaffen. Aber eine Reihe anderer Verord- 
nungen huldigte auf's bestimmteste dem katholisch«! Glau- 
ben, von dem das Volk nicht lassen wollte. Streng* sollten, 
nach wie vor, die alten Ceremonien des Kirchendienstes und 
die Ehelosigkeit der Priester beobachtet werden» — Gebote 
nadi dem Henan verschiedener Anglikaner, denen sidi aber 
jene hitfaeriach angehauchten BischiSfe nidht minder fugen 
mussten. Das Kmgthum übte eine Censnr gegen fremde 
und einheimische Drucdnachen, unendlich viel wirksamer 
als je zuvor die Hierarchie. 

Wahrend jedoch Heinrich Vm. mit grossem, selbstherr- 
lichem Greschick die Befreiung von Rom mit der alten Ortho* 
doxie, trotz ihrer Divergenz, zu verbinden wusste^ hatte sein 
Minister vor Neidern und Gegnern im königlichen Rathe 
tagtäglich mehr auf der Hut zu sein. Da standen ihm und 
einigen anderen neugeschaffenen Peers, dem Krzbischof 
Cranmer und ähnlich denkenden Prälaten die Herren von 



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altem Adel, wie jene Herzöge von Norfolk und SufColk, und 
die Mehrheit der Bischöfe, vor allen Gardiner von Win- 
chester und Bonner von LoikUm, gegenüber, welche der 
Uebertragung der Gewalt vom Papste auf den Kön^ und 
der Unterdrückung der Klöster nidit widersprochen hatten» 
aber mit Begier auf jede Ketzerd lauerten, zu welcher Herz 
und GrefÜhl Andere hiiirdssen kc»mten, die nicht, gleich 
ihnen, in der alten Doctrin wumltea. Es kam hinzu, dass 
Heinrich VIIL, thinnistisch gesdmlt, die besondere Heilige 
keit des Priesterthums niemals daranzugeben vermochte und 
mit bezeichnender Vorliebe die bischöfliche Würde durch 
Förderung des gottesdienstlichen Amts in den Kathedralen 
zu stützen beflissen war. Mit unvergleichlichem Instinct traf 
er, vollkommen richtig, die in den bestimmenden Kreisen der 
Nation vorherrschenden Gedanken, die sich keineswegs von 
den hergebrachten Formen lossagten. Im monarchischen 
und im nationalen Interesse Ruhe und Frieden gebietend 
die Mitte zu halten zwischen Rom und Wittenberg, erschien 
dem Fürsten als sein vornehmstes, höchst persönliches ZieL 
Und ihm suchte sein erster Rath, der mehr als ein anderer 
die Dinge so weit gebracht, nach Kräften zu folgen, so 
lange ihm die aufrichtig hassend^ Nebenbuhler nicht das 
Vertrauen des überaus argwöhnischen Grebieters entzogen. 

' Wie viel hing da nicht audi in Tagen, in welchen die 
freiheitsrechtlichen Grundlagen der engtischen Zustände von 
despotischen Kräften weit überwogen wurden, von den Neu- 
wahlen zum Parlament ab, die sich im April 1539 vollzogen I 
Selbst aus der in diesen Stücken recht dürftigen Ueber- 
lieferung schinunert der Kampf der beiden Factionen deut- 
lich hindurch. Cromwell hat, als Grosssiegelbewahrer und 
Schatzmeister, als Generalvicar mit ganz ungewöhnlicher 
Machtbefugniss ausgestattet, wo er nur konnte, diesen Ein- 
fluss spielen lassen, um seine Creaturen in's Unterhaus zu 
bringen, und durfte holfen, den Auffassungen, wie er sie 
im Einklänge mit dem Könige hegte, die Majorität zu 
sichern. Das neue Parlament hat denn auch in der That 
die Unterdrückimg der letzten grossen Stifter legalisirt, 
aber nicht minder einen Glaubensausschuss eingesetzt, der, 
obwohl jene beiden Schichten in ihm vertreten waren, die 




Thomas Cromwell, der Hammer der Mönche. 



333 



berüchtigten sechs Artikel, „die Peitsche mit sechs Riemen", 
zu Beschluss erhob, wonach Transsubstantiation und Ent- 
ziehung des Laienkelchs , Ehelosigkeit der Priester und 
Giltigkeit von Keuschheitsgelübden, Privatmesse und Ohren- 
beichte unabänderlich, fortbestanden» nachdem Krone und 
Reich dem Bischöfe von Rom noch so derb aufgesagt 
hatten. Schwerlich konnte das nach dem Wunsche Cran- 
mers oder I..atimers und der Minderheit der Bischöfe sein, 
die vidmehr von der al^laubigen Mehrheit ihrer Bruder 
überstimmt wurden. Dass Qomwell weder im Ausschusse 
noch im Oberhause gegen letztere durchdrang, st^t fest. 
Indess fehlte ihm nicht nur jede Neigung zu theologischen 
Distinctionen, sondern er fügte sich der reacttonSren Strö- 
mung, wahrscheinlich ohne viel inneres Sträuben, geschmei» 
* diger als die Kleriker seiner Partei, denen doch das Gre- 
wissen zu schlagen begann. 

Die f&rchterlichen sechs Artikel hat Hdnrich Vm., so 
lange er lebte, nicht antasten lassen, obwohl seine ganze 
Politik auch fernerhin starken Abwandlungen ausgesetzt 
blieb, deren auswärtige und einheimische Fäden sich meist 
wirr verschlangen. Um so schärfer jedoch spähte das wach- 
same Auge und fasste der sichere Griff seines ersten Raths, 
bis auch dessen Mass voll war, und das Verhängniss, das 
er kühn herausgefordert, auch ihn jäh ereilte. Längst wurde 
jede dem herrschenden Despotismus widersprechende Aeusse- 
rung auf Hochverrath gedeutet. Um so gefährlicher, je 
näher dem Throne sie sich hervorgewagt. 

Bald nachdem det Schrein Thomas Beckets und mit 
ihm die höchsten Truggebilde römischer Hierarchie zer- 
trümmert worden, hatte Paul HL endlich den Bannstrahl 
wider Heinrich VIII. geschleudert, der nunmehr als faules 
Glied vom Leibe der Kirche abgehauen sein sollte. Gleich* 
zeitig veroffsntlichte Cardinal Pole seine bereit gehaltene 
Schrift mit einer an den Kaiser geriditeten Vertheidigung. 
Darin wurde Cromwell den ärgsten Räubern und Mördern 
beigezahlt, der Botschafter des Teufeb, ein Satan in Men- 
schengestalt genannt Vom Festlande, von Schottland her 
sollte das Reich angegriffen werden, Irland an Spanien und 
die Curie Anschluss findoti. Wahrlich, zu Lande und zu 



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334 



TJÜtmas Cromweii, der Hammer der JJoncke. 



Wasser hatte sich der dem Fluche der Christenheit Preis ge- 
gebene Tudor zur Wehr zu setzen und tief in den mit Kloster- 
raub gefüllten Beutel zu greifen. Bei einer prunkvollen Muste- 
rung, welche im Mai 1539 über die bewaffneten Mannschaften 
der Hauptstadt gehalten wurde, sah man in kostbarster 
RüstiUD^ auch Lord Cromweii nebst seinem Sohne Ghregar 
und seinem Neffen Riohard ihre Geschwader vorüberfiihren. 
Wenige Monate xuvor waren zwei Sprossen altkönigUcben 
Greschlechts, der Marquis von Exeter, ein Enkel Eduards IV^ 
und Loid Montague^ der Bruder Pole's, n^Mt Einigen von 
der Sippe der Nevils hingeriditet worden. Eraterer, den 
Geheimsiegelbewahrer seit der ,^gerfahrt der Gnade" 
^^ochst verdächtig, hatte nicht nur geprahlt, die Sdiurkea 
ans der Umgebmig des Königs abthun m wollen, sondern 
es wurde ihm zur Last gelegt, dass er, nachdem Karl V. 
jeden Gedanken eines Ehebundes mit dem Hause Tudor 
von sich wies, mit der Hand der Lady Mary ein besseres 
Anrecht auf den Thrun , als das Heinrichs VIII. selber, 
geltend zu machen und zugleich die alte Kirche wieder auf- 
zurichten gedenke. Die Verwandtschaft mit Pole genügte, 
dass auch seine alte ^Mutter, Clarence's Tochter, die Grälin 
Salisbury, eingekerkert und einem gleich schrecklichen Ende 
vorbehalten wurde. Mit verhäiignissvollem Griffel hatte 
Cromweii bereits weitere Verfügmig auch über ihr Loos in 
seinem Notizbuch angemerkt. 

Einstweilen jedoch beschäftigten ihn vorwiegend Ver- 
handlungen, die mit den deutschen Protestanten wieder auf- 
genommen worden. Eigenthumlidi» *sie traten jedes Mal in 
den Vordergrund, sobald die kalholiachen Weltmachte über 
die eigenen Spannungen einig zu werden und dem achsma^ 
tischen Reidie England das so oft vetheissene Verderben- 
bereiten zu wollen schienen. Höchst bedenklieh freilich 
konnten sie sich für die Partei g^talten, die um dieselbe 
Zeit in Parlament und Convocation, was das Glaubens- 
bekenntniss betraf, vor den orthodoxen Neigungen des 
Königs und den überwiegenden Tendenzen altgläubiger 
Bischöfe den Kürzeren zog. Andererseits hatten Johann 
Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen, die gleich 
ihren geistlichen Berathem niemals den Argwohn unter- 



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Thomas CromwUt dtr Hatnmtr der Mönche, 



135 



drückten, dass es sich in England allein um staatliche und 
höchst nebensächlich nur um religiöse Zwecke handelte, 
sich lediglich durch die seit dem Frieden von Nizza vom 
Papste zwischen Karl V. und Franz I. angebahnten engeren 
Beziehungen bestimmen lassen, ihre Theologen und Juristen 
nach England abzufertigen. Statt aber der lutherischen 
Glaubensformel freudig entgegenzuk<»mnen, zeigte sich der 
Konig Stolz und unnachgiebig, und sahen die Botschafter 
vielmehr die sechs blutige Artikel zu Stande kommen. 
Wenn Landgraf Philipp eigenhändig dem Könige rieih, vor 
Wiedertäufern auf seiner Hut zu sein» so hinderte jetzt weder 
Cranmer noch Cromwell, dass Engländer auf den Scheiter- 
haufen geschleppt wurden, deren Lehre im Grunde die 
Luthers war. 

Im October 1537 bereits war Johanna» die dritte Ge- 
mahlin Hemrichs, nachdem sie endlich ihm den ersehnten 

Sohn geschenkt, im Kindbett gestorben. Der König selber 
dachte nach einer Weile an eine auswärtige Verbindung, 
und verschiedene Damen sind dabei in Betracht gekommen. 
Statt jedoch der Herzogin von Mailand seine Hand zu bieten, 
wozu aus guten Gründen der Kaiser noch seine Unter- 
stützung verhiess, machte sich die tiefe Entfremdung von 
demselben um die Zeit seiner Reise durch Frankreich auch 
darin geltend, dass die Wahl Heinrichs schliesslich auf Anna 
von Cleve tiel, die dem Hause Sachsen nahe verwandt war, 
deren Bruder im Wideri^uruch gegen den Kaiser Geldern 
behauptete. War das nun auch im Einklang mit einer 
schon früher auftauchenden Politik, SO fragt sich doch sehr, 
ob selbst Cromwell im Stande gewesen wäre, seinen wähle* 
riechen Herrn durch eine Heirathsintrigue an den Prote- 
stantisnitts vx ketten. Das Unglück wollte yidmehr, dass, 
als Ann» am 27. Deoeniber 1539 in Crreenwidi landete, die 
Grefiahr eines spanisch-französischen Bundes bereits wieder 
vorüberzog, wahrend Konig Heinrich sehr wen^ Lust ver- 
^»6rte, -asi den Sdimalkaktenem hangen zu bleiben, die sich * 
eben ihrem neuen Grenossen, dem Herzc^ von Cleve, zu 
liebe in bedenkliche Wetterungen wegen Geldems ein- 
Hessen. Dazu kam'dann die persSnliche Enttäuschung dieses 
Kenners weiblicher Reize, denn beim ersten Anblick seiner 



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336 



Tkoma4 Cromwidt d«r Jiamm€r tUr Mönch*. 



Braut entsprach die Wirklichkeit keineswegs der bildlichen 
Darstellung. Und Cromwell war in der That schon vorher 
gemeldet worden, dass sie niclit gerade durch Schönheit 
einnehme. Sollte er, der die eigene schwindelnde Lage scharf 
überwachende Mann, diesen Wink leichtfertig für sich be- 
halten haben? Musste er nicht seinen eigenwilligen Fürsten 
gfewShren lassen, dem wahrhaftig' keine Macht der Welt die 
Wahl dner Cremahlin vorschreiben durfte? Weil jedoch 
diese Ehe mm einmal, aus Gründen der Allianz, entschieden 
populär war, hat Heinrich sie am 6. Januar 1540 durch 
Cranmer einsegnen lassen. Weil ihm dieselben GrCbde aber 
schon nicht mehr in Betracht kamen und seine Abneigung 
gegen die Königin täglich wuchs, fasste er selbständig den 
Gedanken, sich auch ihrer zu entledigen, dabei aber, soweit 
davon überhaupt noch die Rede sein konnte, die Formen 
des Anstands zu wahren. 

An sich nun freilich war dadurch die Stellung Crom- 
wells nicht mehr als schon ohne sie g^efährdet. Es erfolgte 
im Gegentheil am 18. April, als greifbares Zeichen der 
damals noch wirksamen königlichen Huld, seine Standes- 
erhöhung zum Grraien von Essex und gleichzeitig die seines 
Neffen Richard zum Ritter. Gleichwohl zitterte ihm der 
Boden unter den Füssen: denn nicht nur das deutsche Bünd* 
niss, das er eingefädelt, zerbröckelte ihm in den Händen, 
während der König sich neuerdings fd£ng mit Fraakreidi 
befreundete, sondern s^e Widersacher, der HerEOg von 
Norfolk, Bischof Gardiner imd Genosse, die er aus dem 
königlichen Rathe verdrangen zu können meinte, eroberten 
Schritt für Schritt den verlorenen Boden zurück. Schon 
wurde von einer Heirath des Königs aus dem altgläubigen 
Hause Howard gemunkelt. Ein verzweifeltes Ringen der 
Parteien bildete die Unterströmung des seit dem 12. April 
versammelten Parlaments. Vergebens entwickelte Cromwell 
in einer Rede vor den Lords, wie England Einheit des 
Glaubens bedürfe, der sich von papistischer und ketzerischer 
Lehre gleich fern hielt. Vergebens sorgte er mit gewohntem 
Eifer für starke Wehr des Reichs zu Wasser und zu Lande. 
Was ihm dann freilich Sir Thomas Wriothesley, ein Mit- 
glied des Geheimen Raths, dringend anempfahl, die Gre« 



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Thomas Cromwellt der Hammer der Mönche^ 



337 



hässigkeit der Ehescheidung des Königs von Lady Anna 
auf sich zu nehmen, dazu war er schlechterdings ausser 
Stande. Denn gerade in diesem Handel hatten seine Wider- 
sacher die verwundbare Stelle erspäht, wo ihr Dolch treffen 
musste. Aus dem begehrenden Blick, welchen Heinrich auf 
die Nichte Norfolks, Katharina Howard, richtete, zuckte der 
Wetteratrahl, welcher Denjenigen, den der König zehn Jahre 
hindurch mit so ungeheueren Staats- und kirchenrechtUch^ 
Erfolgen hatte schalten lassen, niederschmetterte. 

Mit den Herren von altadligem Grdl>lüt, wie sdir auch 
alle und jede den ^emalig^ Sachwalter für sich aus2u» 
nutzen gesucht, hatte er sich nie zu stellen vermocht Die 
Geistlichen, die nicht so wollten wie er, hatte er seine harte 
Hand fShlen lassen, so dass beide Kreise diesen Abenteurer 
niederer Herkunft, der sich unersättlich an dem ihnen viel 
eher zukommenden Gute in masslosem Prunk erging, noch 
ärger hassten, als einst den stolzen Cardinal. Bischof 
Gardiner, der damals doch mit ihm zugleich Wolsey ge- 
dient, verachtete in ihm vollends den lUiteraten, und wusste 
ihm am Ende nun doch, mit klerikalen Anschlägen von der 
alten erprobten Art, den Wind abzufangen. Die Ordnung, 
welche Crom well im Lande aufrichtete, war in dauernden 
Schrecken ausgeartet, der Friede draussen, statt gesichert 
zu sein, von stetem Schwanken in den Bündnissen bedroht. 
Das definitive Scheitern des Projects, seinen Herrn an die 
Spitze eines romfeindlichen, in Europa mitsprechenden' 
Bundes zu stellen, schlug bei Heinrich, die unterschiedslose 
Hinrichtung von Romlingen und Protestanten beim Volke 
dem Fass den Boden aus. Dem Kdnige leuditete eine Com* 
bination nicht em, s4s deren Besiegehmg sein Minister die 
Ehe mit der harmlosen Anna betrachtete. Die Londoner, aus 
denen er doch sdber hervorgegangen, waren sichtlich an 
ihm irre geworden, so dass sie bei seinem Sturz aufjubelten. 

Es war am lo. Juni 1540, als der von allen Seiten aufge- 
sammelten Rache freier Lauf gelassen wurde. Eine Morgen- 
sitzung des Parlaments war vorüber. Nachmittags jedoch 
war der Geheime Rath zusammengetreten, als sich der 
Herzog von Norfolk mit den Worten erhob: ,,Mylord Essex, 
ich verhafte Euch wegen Hochverraths," Während die 



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33« 



Thoma* CromwU, dtr Hanmur der Mönche. 



Collegen ihn der ärgsten Vergehen ziehen, wurden ihm die 
Ins^gnien des hohen Ordens, den er trug, von der Brust 
gerissen, er selber unmittelbar aus der Rathskammer in das 
Verliess des Towers geschleppt Statt nun aber auf dem 
umständlichen Wege Rechtens zu verfahren, wiurde das rasch 
tre£Gende Instrument des Aitainäer gewählt, wie es zwar 
nicht etwa von Cromwell selber, sondern von Eduard HL 
stammte, doch in den nicht minder grausamen Tagen Hein- 
richs VnL gang und gebe war. In Ermangehmg näherer 
Beweise beruht es auf einer moralisdien Ueberzeugung der 
Schuld, die jetzt gegen Cromwell darin gipfelte, dass er, 
Ketzern wohlgesinnt, auf «gene Hand StaatsveH»echer in 
Freiheit gesetzt, ihre orthodoxen Ankläger dagegen nieder- 
gehalten, dass er sich durch Erpressung bereichert und den 
Edelgeborenen des Landes schnöde mitgespielt habe. In 
den gesetzmässigen Formen eines Statuts wurde Wahres 
und Falsches hastig zusammengekoppelt, um die schwere 
Verurtheilung auf Verrath und die damit verbundene Cor- 
ruption des Bluts herbeizufuhren. Schon nach einer Woche 
stand es allein beim Könige, ob er den Diener noch schir- 
men wollte, dessen volle, wahre Schuld er allein mittrug. 
Erzbischof Cranmer besass in der Xhat niemals einen Ein- 
fluss über den Herrscher, wie der nun Gestürzte, obwohl 
er für den „Freund" am 14. ein inständiges Wort einlegte 
und an das Verbrechen dessen nicht glauben wollte , „den 
Ew. Majestät so hoch erhoben, dessen einziger Bürge 
Ew. Majestät war, der Ew. Majestät, wie ich immer glaubte, 
nicht weniger liebte als Grott, der einzig und allein Ew. 
Majestät Willen und Grefallen zu fördern bemüht war, der 
keines Menschen Missfallen fürchtete, um nur Ew. Majestät 
zu dienen, der mir in Weisheit, Fleiss, Treue und Er&hrung 
ein solcher Diener schien, wie ihn kein FlQrst dieses Raehs 
je besessen." Indess Cranmer, obwohl seit der letzten Sen- 
dung aus Deutschland den sechs Artikeln zum Trotz in 
innerster Seele Lutheraner, blieb stets ein zaghaftes Gemüth 
und handelte nicht nach seinen Worten. Da also die Bill 
0/ attaindcr ohne eine abweichende Stimme das Haus der 
Lords durchlief, schwankte Heinrich um so weniger. Er stiess 
den letzten Menschen, dem er vertraut, von sich, imi fortan. 



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I 



Thomas Crmiwtllt d*r Hammer der Mötuht, 



ohne frei schaltende Minister, aber mit den von Cromwell 
geschmiedeten Werkzeugen, Alleinherr der Gewalt zu sein. 
Erstaunt fragte auf die Kunde selbst Kaiser Karl V. : „Was, 
ist er im Tower von London, und auf des Königs Greheiss?*^ 

Dort wurde nun der Unglückliche so lange aufbehalten, 
als die Ehescheidung des Königs von der deutschen Gr©- 
mahlin Parlament und Consistoriiun in Anspruch nahmt Am 
24. Juli wuxde ersteres« nachdem es seine Schuldigkdt geäian» 
au%elo8t Auf den 28. war CromweIl8 Hinrichtung befohlen. 
Mittlerweile aber war der Verhehr swischen ihm und Heinrich 
noch nicht ganz verstummt. In räiem, leider nur fragmen- 
tarisch erhaltenen Briefe protestirt er gegen das Atiainder^ 
weil er, „geboren, den Gresetzen zu geh<Mrchen'S wohl wisse,, 
dass eine rechtmässige Üntersuchung nur auf ehrenwerther 
Zeugenschaft beruhen könne. Noch klammert er sich an 
gewisse Aeusserungen königlicher Gnade und recapitulirt 
den Hergang seit jenem Empfange der Lady Anna zu 
Greenwich. Das zweite Schreiben ist mit zitternder Hand, 
mit dem Tode vor Augen geschrieben. Von Bruch der 
Trtme will der gefallene Staatsmann nichts wissen; doch 
bedauert er, nicht immer den Weisungen der Majestät 
nachgekommen zu sein, denn auf deren Befehl ja habe er 
sich mit so vielen Angelegenheiten befassen müssen, dass 
er nicht für alle verantwortlich gemacht werden könne. 
Ausdrücklich verwahrt er sein Benehmen in der letzten ver» 
*fanglichen Sache und ruft, in ähnlich tief zerknirschtem Ton 
wie einst Wolsey, Gmade und Erbarmen an* Es ist dies 
möglicherweise das Schxdben, welches» wie Foxe behauptot^ 
ein aker Diener Wolaey's, Sir Ralph Sedier, dem Könige 
uberi>rachte, der nicht cdme Bewegung es sich dreimal habe 
vorlesen lassen. 

Umsonst Der „Hammer der Möndie*S der mit droh* 
nendem, bluttriefendem Griff die staatsrechtlichen Pfeiler 
der Reform in England aufgerichtet, starb zur festgesetzten 
Stunde auf Tower Hill, nachdem er das umstehende Volk 
in einigen Worten ermahnt, für den König zu beten, und 
selber sein letztes Gebet gesprochen. Weder die ofhciell 
verbreiteten letzten Worte, wonach er bekannt hätte, zur 

Ketzerei verführt worden zu sein, aber im Glauben an die 

22* 



I 



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2'homas Cromwell, der Hammer dtr Mönche. 



heilige katholische^ Kirche gestorben wäre, noch die in pu- 
ritanischer Ausfertigung bei Foxe begegnende ausführliche 
Gebetsformel, welche das Blut Jesu Christi, des Heilands 
der Sünder, um Errettung seiner Seele anruft, können echt 
sein. Man sieht, ein jedes der beiden Extreme suchte ihn 
nachträglich an sich zu reissen, während er doch im Leben 
keinem von beiden huldigte und das grossartige staats- 
mannische Wagniss gerade desshalb an s^ner Personlichkmt 
stockte, weil es ihr nicht nur an wirklich rel^fidser Trieb- 
kraft, sondern an der Wurzel alles Glaubens, an einer wahr- 
haft sittlichea Haltung, gebrach. 

Indess die Bitte um Grnade für seinen „amen Sohn, 
sein g^tes und tngendsames Weib und ihre armen Kinder", 
wie sie der erste jener Briefe enthält, hat Hmrich für gut 
befunden, nicht zu verweigern. Ohne Frage hat dazu ein 
unterthäniges Gesuch Elisabeth Cromwells (einer Tochter 
Sir ]ohr\ vSeymours, Schwester der verstorbenen Königin 
Johanna und des nachmaligen Herzogs von Somerset, des 
Protectors Eduards VI., welche Gregory geheirathet hatte) 
trotz der „abscheulichen Uebertretungen und schweren Ver- 
gehen des Schwiegervaters", wesentlich beigetragen. Bis 
in die Verschwägerungen mit dem fürchterlichen und doch 
voUcsthümlichen Tudor also war der Sohn des Tuchscheerers 
von Putney empoigestiegen« Fünf Monate nach des Vaters 
Tode wnirde Gregory zum Baron Cromwell erhoben. Auch 
ist die Peerage bei seinen Nachkommen verblieben, bis sie* 
im Jahre 1687 unter Jacob II. ausstarben. Nicht von Thomas 
Cromwell, sondern von einem Neffen Richard Williams, der 
aus Dankbarkeit für die auch ihm zugewendete Kloster- 
spolien den Namen Cromwell annahm, stammt die Familie, 
welcher der gewaltige Protector glichen Namens, der Bän- 
diger der Stuarts und der Revolution, entspriessen sollte. 

„Die zweite Person im Reiche England", wie ihn einst 
ein armer Mönch anredete, war jahrelang Thomas Cromwell 
gewesen. Im Staatssecretariat und in der Schatzkammer, im 
engeren wie in dem Grossen Rathe des Reichs, ja, an der 
Spitze des Kirchenregiments hatte er, obwohl der Diener eines 
absoluten Fürsten, mit einer Gewalt geschaltet, welche gar 
wohl an die des grösseren späteren Namensvetters erinnert 



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Thomas CromwtU, dtr Hammer d*r Mönche. 



Seinen Namen aber verfolgte von allen Seiten ingrimmiger 
Hass, so dass er, der weder nach rechts noch links vor 
Gewaltthat und Blut zurückbebte, schliesslich selber darin 
unterginge. Und doch war er im Leben wie im Sterben das 
Werkzeug» welches, mehr als irgend ein anderes, die Kirche 
von England so fest in den Staat einruckte, dass sie sich 
aus der Umklammerung nicht wieder lostrennen konnte. 
Einzig und allein im Hinblick auf das von ihm erkannte 
Ziel, und nicht zum wenigsten im Greiste des 2Seitalters und 
der Nation, kann man dem Wesen des verwegenen Mannes 
gerecht werden. Statt ihn entweder dnfach zu verdammen 
oder zu vergöttern, sollten daher insonderheit die Anglikaner 
unbefangener urtheilen, als es in der Regel geschieht. Der 
evangelisch begeisterte Bischof Latimer bat doch einst Gott, 
„dass er Seine Lordschaft bei langem Leben erhalten möge 
für alle die guten Zwecke, zu denen er ihn abgeordnet." Was 
als solche aber den denkenden Zeitgenossen vorschwebte, 
das fasste der Geschichtschreiber des Tags, Edward Hall, in 
den Worten zusammen : „Cromwell war ein abgesagter Feind 
der Papisterei in jeglicher Gestalt." . Auch eine äussere Ein- 
richtung verewigt den von ihm erstrittenen Sieg über die- 
selbe, denn England verdankt ihm noch heute seine, die 
Civüstands- Ordnung schützenden Pfarrregister. Und wer 
mochte nicht einer Inlrgerlichen Stimme beipflichtefi, die, aus 
eigenster Er&hrung, in Königin Elisabeths Tagen, die denk- 
würdige Sta a t sve r wa ltung von 1529 bis 1540 überblickend, 
das ^Hche Zeugniss ablegte: „dass Cromwell durch seinen 
Muth der Mann gewesen, um als Gottes Werkzeug Alles 
zu einem guten Ende hinauszuführen."* Wer nicht pfäfiBadi 
und hierarchisch fühlt, nmss ebenfiüls beipflichten, wenn es 
fernerhin, nachdem die Erinnerung an so manche Launen 
und Schrecken des Augenblicks bereits in den Hintergrund 
getreten, im Geiste des Zeitalters der grossen Königin heisst: 
„Cromwell überzeugte den Konig, dass er durch Bewahrung 
eines gleichen Rechts, durch Niederhaltung der übermü- 
thigen Gewalt der Grossen, die vor Zeiten gleich Glocken- 
Widdern die Schaafheerden Englands gegen ihre Fürsten 
trieben, die Liebe der Gemeinen und zumal der City von 
London fest an sich knüpfen könne." 



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DIE AUSSICHTEN DES HAUSES 
HANNOVER AUF DEN ENGUSCHEN THRON 

IM JAHRE 1711. 

Die Anwartschaft des Weifenhauses auf den englischen 
Thron war schon sehr früh zur Sprache g-ekommen. Noch 
trieb Karl II. leichtsinnig und lustig sein Wesen in St. James, 
noch hatte so wenig wie er selber sein Bruder und Nach- 
folger, der Herzog Jacob von York einen legitimen Sohn, 
als im Jahre 1 680 von dem Prinzen Ruprecht von der Pfalz, 
(dem alten Cavalier, dem Sohne der Elisabeth Stuart) und 
von Wilhelm von Oranien (dem Sohne einer Tochter des 
enthaupteten Karls L) .Georg Ludwig, der Erstgeborene 
des in Hannover residirenden Herzogs Ernst Augnst von 
Kalenberg und Grubenhagen und Sophia's von der Pfalz, 
Ruprechts jüngster Schwester, als der geeignete Candidat 
in's Auge gefasst wurde. Zwanzig Jahre alt erschien er 
•denn auch im Winter 1680/81 in London, damit er, wie seine 
Gönner es wünschten, um die Hand Annans, der zweiten 
Tochter Jacobs, würben wodurch er in der That der Schwager 
des grossen Oraniers geworden wäre und daher möglicher 
Weise schon im Jahre 1702 hatte in England suocediien 
können. Zum Verdruss Wühehns indess unterliess der junge 
Fürst nicht nur gänzlich um Anna Stuart zu freien, sondern 
vermählte sich im Jahre 1682 mit Sophia Dorothea, der 
Tochter seines Oheims von Celle und der d'Olbreuse, in der 
nach deutscher Fürstenweise richtigen dynastischen Berech- 
nung, dass durch diese Vereinigung demnächst auch die 
Fürstenthümer Kalenberg und Grubenhagen mit Celle-Lüne- 
burg verbunden würden. Im Unmuth darüber schrieb der 
Oranier, welcher zwar die Prinzessin von Celle ihrem Vetter 
August, dem zweitgeborenen Prinzen von Hannover, dessen 



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DU Aussichten des Hauses Hannover auj den engl. Thron imJ. 171 1, 



ältestem Bruder dagegen seine eigene Schwägerin Anna 
Stuart zugedacht hatte: ,,Ich sehe, dass in unserem Jahrhun- 
dert das Geld jede andere Berechnung bei Seite drängt.'**) 

Man weiss, wie wenig Gefallen die geistvolle Herzogin 
Sophia, stolz auf ihr Wittelsbacher und Stuart-Blut, an der 
Legitimirung jener Französin in Celle gehabt, wie wenig die 
Ehe ihres Sohnes mit deren Tochter nach ihrem Geschmack 
war. Um so schrecklicher war dann für «alle BetheUigtmi 
die Katastrophe vom Jahre 1694 im Schlosse zu Hannover,' 
Graf Königsmarks Ermordung und die lebenslängliche Ver- 
bannung der Prinzessin Sophie Dorothea nach Scfaloss 
Ahlden. Ehebund und Ehescheidung, die Erheibung Han- 
novers zum Kurfurstenthum und Georg Ludwigs Naclifölge 
beim Tode des Vaters, Alles vc^lzog sidi im streng dyna- 
stisdien Hausinteresse, wobei auf die Sympatifaien und Anti- 
pathien der Herzogin Sophie als Gemahlin und Mutter sehr 
wenig Rücksicht gfenommen, ihre Ansprüche auf die Suc- 
cession in England gar eine Reihe von Jahren hindurch mit 
unverkennbarer Geichgültigkeit behandelt wurden. 

Im Herbst 1 700 besuchten Sophie und ihre Tochter, die 
Kurfürstin von Brandenburg, von den Bädern von Aachen 
aus Brüssel und den Haag und machten einen Abstecher 
zu König Wilhelm im T.oo. Sie hatten den jungen Branden- 
burger Kurprinzen Friedrich Wilhelm bei sich, von dem die 
Grossmutter frohlockend erklärte, sie habe nie etwas so 
Artiges gesehen, denn mit zwölf Jahren freche er so ver- 
nünftig, als wäre er dreissig. Da ist denn auch dem Oranier, 
der stets das Anrecht seiner Cousine von Hannover betonte, 
während diese in köhler Zurückhaltung beharrte, in der That 
durch den Kopf gegangen, ob sich nicht der jugendliche 
hoffiiungsvoUe Hohenzoller als Ersatz für den vor wenigen 
Monaten verstorbenen Herzog von Gloucester, den Sohn 
seiner Schwägerin Anna, zum Throncandidatea in Englaad 
eignen würde.**) Schon damals klagt ein treuer Staats* 

*) Jt vois gw dam U sücU cA naus sommes PargttU faü fass§r 
tottU autre s&rtt de considiration 8 Sept. 1682 bei P. L. Müller, AVilhclm III. 
Ton Onmicii «nd Georg Friedrich von WaUkck, I» 189, vgL Bodemann, Jobst 
Hamann v. Ilten, S. 10—12. 

O. Klopp, der Fall des Hauses Stuart^ VIII. 570. 572} ■ Anl. 6j6. 



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344 



iMir AttisicAiem des Matws Mmmover 



diener des Hauses Lüneburg *) : ,^KJomg von Pmissen sein, 
Statthalter und GreneratcapitSn der Vermnigten Provinzen 
und sogar Konig von England werden ist walirlich begeh- 

renswerth: . . . das Berliner Ministerium lässt daran sein 
erhabenes Genie erkennen, durch welches es so berühmt in 
aller Welt wird.** Bald nach jener Begegnung freilich, im 
März 1701, wurde von Wilhelm III. die Thronfolgeordnung 
in jenem Ac^ of- settlcmoit sanctionirt, kraft welcher mit 
Uebergehung aller katholischen Nachfolger des I lauses Stuart 
nach seiner und seiner Schwägerin Anna Ableben der eng- 
lische Thron der Kurfürstin Sophie und ihrer Descendenz 
als protestantischen Nachkommen des Königshauses zu- 
stehen sollte. Es wurde damit nachgeholt, was einst mit 
Rücksicht auf die Stimmung der Engländer und auf die 
MogUchk^t einer protestantischen Descendenz in England 
selber in der Dedaration der Rechte vom Jahre 1689 behut- 
sam bei Seite gelassen worden. Gleich nach Wilhekns Tode, 
am 8. Marz 1702, erneuerte denn auch der Geheime Rath 
der Königin Anna den-Wunsch des Vmtorbenen, nunmehr 
den Kronprinzen Georg herüberkommen jsu lassen. Einge- 
weihte daheim freilich befürchteten, er würde kaum mehr 
Geschmack an dieser Krone finden als sein Vater, der Kur- 
fürst; „was denn freilich nicht gut wäre, wenn die Herren 
Engländer unsere Gleichgültigkeit in diesem Punkte er- 
führen." **) 

So völlig gleichgültig indess ist Keiner der Betheiligten 
gewesen in Tagen, als in allen Himmelsrichtungen deutsche 
Fürstenhäuser nach fremden Kronen griffen. Und noch 
weniger liegen die Beweise vor, dass die verwittwete Kur- 
furstin ganz wider die abmahnenden Stimmen im eigenen 
Herzen in jene britische Thronfolge hereingezogen worden 
seL Wohl aber haben verschiedene gewichtige Beweg- 
gründe, die grossen Wechselfälle des spanischen Erbfolge- 
krieges, die unberechenbaren Farteiverhaltnisse in den bri- 
tischen Reichen und die souveräne Gresinnung ihres Sohnes, 



*) J. B. von Bothmer an Ilten, 31. August 1700 bei Bodemann 197. 
**) Bothmer an Ilten, 15. April ijoi» nach unserer Zeitrechnung natür- 
lich 1702, bei Bodemann 198. 



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auf den englischen Thron im Jahre 171 1. 



des Kurfürsten, besonders auch Bedenken*) vor einer er- 
drückenden ständischen Mitregiemng zusammengewirkt, um 
ihr, nicht sowohl obgleich, sondern weil sie sich vcm einem 
Leibniz berathen Hess, die äusserste Vorsicht vorzuschrmben. 
Die hannoverisdie PoHtik als solche nrasste nicht minder 
jedes vorlaute Begehren unterdrücken, einmal der Konigin 
Anna gegenüber, die nicht nur gleich jedem Throninhaber 
auf den Nachfolger, sondern zumal auf diejenige eifersüchtig 
war, deren Aussichten noch keineswegs fest standen, und 
ganz besonders vor dem Parteitreiben der Tories und der 
Whigs, das sich zusehends von Jahr zu Jahr in eine be- 
denkliche Krisis zuspitzte. Während sich beide mit An- 
. trägen, dass die Kurfürstin herüberkommen und den Titel 
einer Prinzessin von Wales annehmen möge, den Rang 
abzulaufen suchten, hatte diese viel Noth, immer wieder die 
Entscheidung ihrer königlichen Base anheim zu geben, die 
sich denn auch niemals dazu herbeigelassen und erst nach 
langen Weiterungen im Jahre 1707 zugestanden hat, dass 
der Kurprinz Georg in der englischen Pairie den Titel eines 
Herzogs von Cambridge erhielt Die angestammten Rechte 
aber waren an sich stark genug, um in Schweigen und Aus- 
harren, im Vertrauen auf die Zukunft iest gehalten zu werden. 
Wie eine Menge Faden, von hüben und 'drüben, doi bestan- 
digen Verkehr zwischen beiden Hofen vermittelten und die 
vornehmsten Häupter der sich in England entgegen arbei- 
tenden Richtungen um die Wette in Hannover anklopften, 
so wurde dort nicht minder kein für die grosse Eventua- 
lität nothwendig erforderlicher vSchritt verabsäumt. Um bei 
einer plötzlichen Erledigung des Thrones sofort eine Regent- 
schaft zur Stelle und einige Mittel zur Verfügung zu haben, 
wurde dem Bevollmächtigten in England die Summe von 
300,000 Thalem anvertraut, die man in so tiefem Geheim- 
niss der Kal^beigischen Standecasse entnahm, dass über 
deren Verwendung der Ausschuss des Fürstenthums siebendg 
Jahre lang unverbrüchliches Stillschwogen beobachtet hat*^ 

*) Auf diese weist mit Recht bin Meinardus, die Succession des Hauses 
Hannover in England, S. 69. 

/ **) Rehberg, Sämmtliche Schriften II, 158. 159. 163 vgl. Dahlmann 
Politik, 2. Ausg. S. 128, Anm. 5. 



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346 



Die Aufsichten des Hauses Hannover 



Als es den Whigs im Jahre 1706 gelang*, Suocesaion und 
Katuralisation der Frau Kurfurstin und ihrer protestantischea 
Nachkommenschaft in drei weiteren Statuten zu begründen, 
weiche mit allem urkundlidien Geprange ausgefertigt und 
in Hannover niedergelegt wurden, da konnte die kluge 
Politik, die zwischen den beiden Factionen hindurch im 
Gegensatz zu dem Stuart-Prätendenten, der sich Prinz von 
Wales nannte, auf eine überwiegende Ergebenheit für die 
protestantische Thronfolge rechnete, einen anderen Schritt 
vorwärts thun. Auf Grund der Act 0/ sccurity vom Jahre 
1706 wurde eine Urkunde ausgefertigt, in welcher die Kur- 
furstin für den Fall eines plötzlichen Ablebens der Königin 
Anna eigenhändig- die Namen von neunzehn englischen 
Peers und Grosswürdenträgern eintrug, die als Lords-Ober- 
richter bis zum Erscheinen des neuen Souveräns die Regent- 
schaft führen sollten. Wohl versiegelt unter der Ueber^ 
Schrift : »»Unmittelbar nach dem Ableben der Königin Anna 
zu eröfEnen'' befand sich das Instrument fortan in Verwah- 
rung des kurfürstlichen Bevollmächtigten in London.*) 

Da brach sich nun aber in England seit 1709, durch 
Iderikale und l^timistische Agitation geschürt, bei Hofe 
•wie in der Nation ein jäher Umschwung Bahn, bis es 
in Jahresinst dem Zusammenwirken aller möglichen KiSfte 
gelang, das Regiment der Whig^, in welches die Lords 
Godolphin, Sunderland und ihre Freunde eiuch den Herzog 
von Marlborough hineingezogen hiitten, zu entwurzeln, die 
Königin aus den Händen einer langjährigen Freundschaft 
zu lösen und die bei ihr immerdar vorhandenen Stuart- 
Sympathien zu entfesseln. Mit der hochkirchlichen Rich- 
tung, der sie stets gehuldigt, vertrug sich insonderheit das 
Mitgefühl für den Stiefbruder, den katholischen Präten- 
denten. Sobald die Herren Uarley und St. John Schatz^ 
kammerer und Stciatssecretär geworden, der eine ein Rene- 
gat aus den Wlugs, dieser das blendende, verwogene Genie^ 
das sich zum Lord BoUngbroke ent&lten sollte^ sobald der 
im grossen Weltkriege um das spanische Erbe bereits am 
Boden Hegende Konig von Frankreich Friedensantrage zu 

*) Schaumann, Geschichte der Erwerbung der Krone Grossbritanniens von 
Seiten des Hauses Hannover, S. 57. 



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auf Sem engütekem Tkrem im ^mkre 171 1. 



347 



nmchen begann, krwizten sich ohne Unterlass die Gerüchte, 
dass alle jene Sichedidtsacten widerrufen und der Stuart als 
einzig kgitimer Nachfolger prodamirt, dass dagegen der 
Herzog von Marlborough, der ruhmvollste Vorkämpfer des 
grossen Kriegsbündnisses wider Ludwig XIV., demnächst in 
allerhöchster Ungnade entlassen werden würde, wie das 
jüngst seiner gebieterischen Gemahlin, der Herzogin, wider- 
fahren war. Zwar hat die Konigin nicht unterlassen, durch 
die ausserordentliche Sendung des Lord Rivers, dem Hofe in 
Herrenhausen zu melden, dass sie nach wie vor in der pro- 
testantischen Succession allein den Ausweg aus allen Schwie- 
rigkeiten erbhcke. Aber welche Ueberraschungen schweb- 
ten bei der Schwäche des Weibes und der Schärfe der 
sich unaufhaltsam vollziehenden Rückwandelung doch auch 
fernerhin gleichsam in der Luft! So war es denn auch 
wahrlich an der Zeit, dass von Hannover aus neben dem 
poUtischen Residenten ein gewiegter Diplomat in ausser* 
' ordentlicher Mission in London erschien, um mit bestimmten 
Auftragen nadi allen Seiten genau zu beobachten, gege- 
benen Falls zu handeln, vor allem aber daheim zuverlässige 
Berichte zu erstatten, nach denen man seine Entschlüsse 
&S8en konnte. 

Zu diesem ernsten Werk wurde Hans Caspar von 
Bothmer*) ausersehen, der jahrelang in weifischen Diensten 
stand und, gleich sehr mit den dynastischen wie mit den 
grossen europäischen Fragen vertraut, ein treuer und ent- 
schlossener Anhänger seines Herrscherhauses war. Seit 
1 702 befand er sich im Haag, damals noch immer die hohe 
Warte, der eigentliche Mittelpunkt des internationalen Ver- 
kehrs, um von da aus der mindestens kühlen und wenig 
freundlichen Gesinnung Anna's im stillen Austausch mit 
xlen hervorragenden englischen, namentlich whiggislischen 
Staatsmännern zu begegnen, als praktischer Träger der 
Gedanken, welche Leibniz in der Umgebung der Kurföcstin 
lebendig erhielt. Von sanftem Temperament, so dass seine 
Freunde späterhin wohl über Mangel an Thatkiaft klag- 

♦) L'ebcr ihn Schauniann in der AUgem. Deutschen Biographie, III, 197, 
Seine Correspondenz mit Leibniz bezeugt J. M. Kemble, StaUpapers and 
Corr49p<)$^Une€^ p. 331. 



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348 



Die Aussichten des Hauses Hannover 



ten*}, war Bothmer doch ausnehmend geeignet, der gemein- 
samen Kriegfuhnmg, durch welche die Vereinigang' Frank- 
rdchs mit Spanien verhindert werden sollte, im eigentlichen 
Herzen der Allianz Nachdruck zu verleihen und dem WelfÄ- 
hause wie gegen die fiinwiiknngeii des nordischen Kriegs 
und die entfachte Rivalität des Königs von Preussen Sicher- 
heit zu wahren, so vor allem den mit ISndenitsaen aller Art 
besäeten Weg zur englischen Krone zu ebnen. Es bezeich- 
nete den weifischen, legitimistischen Standpunkt der han- 
noverschen Staatsmänner, dass sie um keinen Preis zugeben 
wollten, der von der Act of se ff lerne fit geforderte Prote- 
stantismus könne etwa bei den Hohenzollem eher zutreffen 
als bei ihren lutherischen Gebietern, und vielmehr dem Par- 
lament vertrauten, dass es diejenigen nimmermehr zurück- 
weisen werde, welche dem Kronprinzen von Preussen durch 
die Geburt voraus gehen. **) Zumal seit im Jahre 1 705 naidi 
dem Tode Georg Wilhelms die Herzogthümer Lüneburg und 
Kalenberg vereinigt wurden, gingen vollends die Verband* * 
lungen mit England, wie der Abschluss der wichtige Acten 
vom Jahre 1706 durch Botfainer's Hand. £r war daher nadi 
allen Seiten vorbereitet und eingeweiht, als er zu Ende des 
Jahres 1710 den Auftrag erhielt, sich selber nach London 
zu verfugen, imi officieli Unterliandlungen wegen Neutralitat 
Hannovers In dem von Norden und Osten heranfluthenden 
schwedisch - russischen Kriege zu leiten, einer geheimen 
Instruction gemäss aber Alles zu überwachen, was mit der 
Succession zusammenhing. 

Seine ungemein lehrreichen, im königlichen Staatsarchiv 
zu Hannover aufbewahrten Berichte erstrecken sich über 
sechs bis sieben für die innere Geschichte Englands höchst 
bedeutsame Monate und zerfallen auch äusserlich in zwei 
Grruppen. Die eine, durchweg deutsch abgefasst, richtet 
sich unmittelbar an den Kurfürsten, um ihm den Gang der 
amtlichen Unterhandlungen darzulegen, vom Befinden der 
Königin, den ^>annenden Hergangen bei Hofe und be* 

*) Der jüngere Uten bei Bodemann S. 159. 
**) „ — il ne pourra pas laisser en arriere -ceux , qui sont par nais- 
sance äevant le Prince Royal de Prusse"^ Aeusserung des Grafen von Platen 
bei Bodemaim S. 193. 



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auf den MurHsehen Tkrom im Jahre 171 1. 



349 



sonders den militärischen Dingen zu erzählen, für welche 
der hohe Herr, seitdem er dnst gegen Türken und Fran- 
zosen im Felde gestanden, eine ausgesprocfaene Vorliebe 
bewahrte. Die andore, bei weitem bedeutendste, in fran- 
zösischer Sprache und in Chiffire, ist bestimmt für den leiten- 
den Minister in Hannover, Graf Andreas GottUeb von Bern- 
storff, und dessen rechte Hand, M. Robethon, der gleich 
einigen anderen protestantisdien Franzosen im diploma- 
tischen Dienst des Hauses wirkte.*) Man gewinnt aus 
<fiesen Depeschen über die von Intriguen aller Art durch- 
kreuzten Abwandlungen der britischen Politik ein lebendiges 
Bild, das für die englischen Berichte und Aufzeichnungen 
in vielen Einzelheiten ein erwünschtes Correctiv bietet. 

Am 4. Januar 171 1 schiffte sich Bothmer, den einst- 
weilen Robethon im Haag vertreten musste**), in Helvoet- 
sluis ein : auf demselben Packetboot mit dem Herzoge von 
Marlborough, der nach dem Sturze seiner Freunde, zumal 
wenn seine Gemahlin nun wirklich in höchster Ungnade 
auch aus allen Aemtem und Ehren Verstössen werden sollte, 
den Oberbefehl im Felde niederzulegen und sich aus den 
Staatshändeln zurückzuzielm entschlossen war; So mögen 
es soigenv(^e Unterredungen gewesen sein, mit denen man 
sidi die lange Ueber&hrt verkürzte, denn vor widrigen 
"Wilnden konnte erst am 7. Abends in Solebay an der Küste 
von Suffolk gelandet werden."^) Dar Herzog aber fertigte 
alsbald einen Eilboten an seine Gremahlin ab, gegen die 



*) Robethon hatte einst schon Wilhelm III. iiiul cicssen Freunde, tlem 
Grafen von Fembroke, als Secretär gedient, war 1702 zu Georg Wilhelm von 
Cdle «ad aaeh deitai Tode sacik Hannover gekommeD, um, in den Add^ 
9tand erlwben, aeit 1714 in Loodon eine sdir bedeutende Stalle einnoehment 
da er ansser seiner Mntteraiwache fertig en^iseli aduieb und mit den Parteien 
und ihren Führern genao bekannt war. Er hat in der englischen Successions- 
sache die Hauptcorrespondenz von Hannover aus fast allein geführt. „Ohne 
ihn wäre Kurfürst Georg Ludwig nie König Georg geworden." So Spittler, 
dem Robethons hinterlassene Papiere in sieben Quartbänden zu Gebote standen, 
in Meiners und Spittler, Gotting, iüblor. Magazin I, S. 54öff, 

**) Seine Bericfaie von dort reidien vom 13. Mira Ina i. Angwt a. a. O. 
S. S53. 

*^ S. im Allgemeinen Coxe^ Memoirs •/ John Duke 0/ Maribarau^k, 
Y, 404ff. VI» Iff. 



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350 



Du Auaickten «Us Uauits Hannover 



doch bisher der letzte Streich aus dem triftigen Grunde 
zurückgehalten wurde, dass sie nach langjähriger Intimität 
mit Anna Stuart vielleicht sehr unliebsame Enthüllungen 
zu machen im Stande war. Am folgenden Abend traf sie 
selber» wie wir von Bothmer erfahren, in Begleitting ihres 
Sdiwiegersohnes, Lord Godolphin, in der Hoberge von 
Chebnsford „imvermuthlich" mit Marlborough zusammen» 
der bei allem Respect vor der gewaltsamen Frau ihr doch 
eine seltene Liebe schenkte. „Damit es nun aber bei ein 
oder anderem allhier nicht das Ansehen haben mochte, als 
hätte ich an solcher ihrer Unterredung Theil, so bin Ssäx 
des folgenden Morgens von dannen voraus anhero ge- 
gangen", fügt Bothmer hinzu, unterlässt aber nicht des 
Weiteren zu erzählen, wie der Sieger von Oudenarde und 
Malplaquet nicht nur in allen Ortschaften, welche er auf der 
Reise berührte, sondern selbst trotz dem Abenddunkel bei 
der Einfahrt in London vom Volke alsbald erkannt und nüt 
stürmischem „Zujauchzen" empfangen worden sei. Um sich 
jedoch ferneren Ovationen der Art zu entziehen, habe er 
bei sdnem Schwiegersohn, Lord Montagu, Wohnung ge- 
nommen, sich von dort unverzüglich im Greheimen zu Hof 
begeben, sm auch von Königin Anna zwar kurz, aber huld- 
voll empfangen worden. Ueber die dnstündige Audienz, 
die ihm Tags darauf,, und noch andere, die rasdi hinterdrein 
gewahrt wurden, „bezeigte er sich sehr wohl zufrieden und 
vergnügt zu sdn, so dass man wieder hoffte^ er werde sich 
bewegen lassen, bm sdnem Commando zu verbleiben«'' 
Frölich fehlte es auch nicht an ungünstigen Au£^sungen der 
Lage. Denn während alle übrigen Minister dem Feldherm 
den Besuch erwiderten, Hess Mr. Harley auf sich warten und 
machte zur Bedingung, dass die erste Begegnung mit ihm 
nur im Geheimen Rathe oder bei Hute statthaben könne. 
Von torystischer Seite aber wurde Marlborough deutlich zu 
verstehen gegeben, dass man zwar sein tapferes Schwert, 
so lange es noch von Nöthen, nicht missen wollte, er selber 
aber sich in die endgültige Beseitigung seiner politischen 
Freunde und vor allem auch seiner Gremahlin zu finden 
haben würde. 

Bothmer, der gleich am Morgen nach seiner Ankunft 



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<kuf dm eng-Ufchm Thron im fahre 1711. 



von einigen Whigf-Hauptern, den Lords Sunderland, Galway, 
Stamford, Halifax aufgesucht worden, dagegen den Staats- 
secretär für did auswartigeii Angelegenheiten, Mr. St. John*) 
verfehlt hatte, wurde von diesem am folgenden Sonntag 
der Konigin eingefiShrt, ,,die sich gnadigst nach Kur« 
fuist und Kurfürstin Durchlaucht erkundigt" Als Eindruck 
seiner ersten Berfihrung mit den Ministem berichtete er 
insbesondere eine „steigende Indination zum Frieden". Einer 
überwiegenden Besorgniss indess, dass Frankreich die ver* 
wickelte Lage benutzen könnte, um den Prätendenten nach 
England zu werfen, wie eben jetzt der hannoverische Agent 
D. lJuldenberg aus Wien nach Aeusserungen des Prinzen 
Eugen von Savoyen meldete, begegnete er nicht; wohl aber 
dem festen Entschluss der im Besitz der Macht befindlichen 
Hotpartei, alle Mittel aufzubieten, damit die Whigs nun und 
nimmer in dieselbe zurückgelangten. Erst nachdem er eiiK* 
Weile beobachtend sich umgesehen hatte , schickte er am 
1 6. einen geheimen Bericht über eine Unterredung mit Lord 
Hali£EüL ein, der, nach einer langen Erörterung über den 
Besorgniss erregenden Niedergang des Credits in England, 
zur Unterstützung der unleugbar in Grefahr schwebenden 
protestantischen Thronfolge das persönliche ^tocbeinen des 
KurfQrsten dringend anrieth: entweder auf Besuch bd der 
Königin, oder noch besser um den Oberbefehl über die ver^ 
bOndeten Armeen zu übemdmien, könne er sich einfinden. 
Denn dass der Herzog von Marlborough, auch wenn er 
noch einmal nachgäbe, sich lange behaupten würde, hofften 
selbst seine besten Freunde nicht, während man ihm viel- 
leicht das Commando unter des Kurfürsten Durchlaucht 
sichern könnte. Geschickt wich der Gesandte mit dem Be- 
merken aus, dass sein gnädiger Herr ja schon früher den 
Oberbefehl über die Reichsarmee, wegen der seinen Staaten 
nahe tretenden Gefahr, in den nordischen Krieg verwickelt 
zu werden, nied(?rgelegt hätte; dass diese Gefahr inzwischen 
nur gewachsen wäre und er daher aus demselben Grunde 
sich nicht zu einem Besuche bei der Königin entfernen 

* *) Steta St. Jean gcKluiebeii. Aof einer damals gcsclilagenep Medaille 
wofde das TriimiTiiat St John, Harley, Lord Raby als Jean Potage, Harle- 
qoiB, RaibUn verliMn^ Scbaumann, Erwerbung S. 62. 



Die Autsichten des Hauses Hannovtr 



dürfte. Es käme vielmehr darauf an, von allen Seiten dazu 
brizutrag-en , dem Herzoge das Commando zu bewahren. 
Als Halifax darauf fragte, ob man denn in Hannover die 
bisherigfen Voranstalten zur Succession für genügend erachte; 
ob nicht yiehnehr so bald als möglich die Rangverhaltnisse 
des Kurfürsten und soner Familie geregelt werden müssten, 
um zu ermöglichen, dass sie in der ihnen zuerkannten Eigen- 
schaft, so oft -sie wollten, England besuchen könnten; ob 
es nicht geradezu gecathen sei, den Artikel der grossen 
Allianz zu erneuern , demzufolge der Kaiser verpflichtet 
worden war, der Krone von England Genugthuung für die 
Anerkennung des Prätendenten durch Ludwig XIV. zu ver- 
schaffen: meinte Bothmer, dass sich nur in England selber 
beurtheilen Hesse, ob die Gar^mtien genügen und ob weitere 
vom Parlament zu haben seien, der kaiserliche Hof dagegen 
behufs einer Erneuerung jenes Artikels schon in den über 
einen Barrieren vertrag mit den Niederlanden schwebenden 
Unterhandlungen erhebliche Schwierigkeiten finden wurde. 

Einige Tage später, in einer Depesche vom 20., die von 
denselben Dingen handelt, findet Bothmer die Aussichten 
auf Fortführung des Commando durch den Herzog schon 
etwas besser. Am schwierigsten wird es freilich sein, Harley 
und dessen Anhänger geneigt zu machen. Doch hat er sich 
bereits bei Lord Rochester davon überzeugt, dem Oheim 
der Konigin Anna, Hochtory und den Jacobitmi nicht fm 
stehend. Mit dem Herzoge von Shrewsbury und Mr. St. John 
gleichfedls zu reden, hat ^ch Idder die Grelegenheit noch 
nicht geboten. Marlborough selber, der in eben diesen 
Tagen wiederholt die Gnade der Königin anrief, verkehrte 
in der That nur am dritten Ort, z. B. im Schatzamt, mit 
Harley. Indess konnte die Herzogin, welche seit Jahresfrist 
nicht mehr von Anna empfangen worden war, nachdem die 
Intriguen der Mistress Masham und Harley's die alte Freund- 
schaft von Grund aus zerstört hatten, auf kein Erbarmen 
hoffen, und ihrem Gemahl sagte die Königfin selber in's 
Gesicht, dass sie mit ihm nicht eher von Geschäften reden 
würde, als bis seine Frau den goldenen Schlüssel der Ober- 
hofmeisterin zurückgegeben hatte. Darüber tauchte nun der 
Gedanke auf, dass sie sich um die Königin wie um den 



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auf im tngUtcJun Thron im Jahre 171 1. 



353 



Staat durch freiwilligen Rücktritt von ihren Aemtern ein 
Verdienst erwerben könnte, wie Bothmer denn auch dem 
Herzoge nicht verschwieg, der seinerseits ebenfalls durch- 
blicken liess, dass ihm nicht minder der starke Wille seiner 
Frau im Wege stand. 

Am 23. ist es dem Gesandten trotz wiederholter Ver- 
suche noch immer nicht gelungen, Mr. Harley 2u spreche. 
Doch haben ihn St. John und der Herzog von Shrewsbury 
versichert, sie wollten Alles aufbieten, dass Marlborough 
auf seinem Posten verUeibe. Shrewsbury besonders liess es 
an Anerkennung für den grossen Feldherm nicht fehlen. 
Man würde ihm Alles, sagte er, was er nur irg^end wünschte, 
g"ern gewähren, wenn er nur nicht zur Bedingung machen 
wollte, dass die Herzogin nach wie vor die erste Dame der 
Königin bliebe. Ja, um ihr den freiwilligen Rücktritt an- 
nehmbar 7Ai machen, überredete er endlich den deutschen 
Diplomaten, dass dieser selber sich im Interesse der Tories 
und Whigs zu ihr verfügen und, da die grosse Sarah nicht 
Französisch, Bothmer aber nicht Englisch sprach, sich des 
Lord Halifax als Interpreten der Beweggründe bedienen 
wolle, die ihnen allen einleuchteten. Leider fand Bothmer 
den Whig-Lord wenig geneigt, theils weil er sich nicht 
rutraute, die aufgebrachte Frau anderen Sinnes zu machen, 
theils weil er Shrewsbury's Auffassung von der entgegen* 
kommenden Stimmung der anderen Sate nicht für mass- 
gebend hidt. Indess Boümier wurde in dmselben Tagen 
-von den Häuptern der Whig- Junta, den Lords Halifax, 
Sunderland und dem Herzog von Devonshire fleissig zum 
Diner eingeladen, wo er nicht nur mit den Lords Wharton, 
Oxford, Cowper, Somers, dem grossen Juristen, einst Wil- 
helms III. Kanzler und bis vor Kurzem Präsidenten des 
Geheimen Raths , zusammentraf, sondern in ihrer Gesell- 
schaft vollends sich über seine Handlungsweise klar wurde. 
Fr verhehlte sich nicht, dass die Tories einen so regen 
Verkehr mit den Gegnern übel vermerken könnten, benutzte 
ihn aber, um, was nun der Herzog von Marlborough selber 
dringend wünschte, statt Halifax Lord Sunderland, des Her- 
zoge Eidam , als Beistand für den bedenklichen Besuch zu 
-gewinnen« Auch sie beide indess würden sich schwerlich 



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354 



DU Aussichten des Haasts Hannover 



geeinigt haben, wenn nicht Lady Sunderland sie hätte wdssen 
lassen, dass ihre Mutter bereits den Vorstellungen Lord 
Oxfords Gehör zu leihen anfinge. So begaben sie sich denn 
' am 27., wie Bothmer unverzüglich nach Hannover berichtete, 
zu ihr. »,Ihre Erregung schien gross bei den Eroffiiungen, 
welche Sunderland an meiner Statt machte. Doch erwi- 
derte sie so hofUch wie möglich, indem sie erklärte, dass 
sie von Erkenntlichkeit für alle Gnadenbewdse tief durch- 
drungen sei, welche Ew. KurfOrstL Durchlaucht zumal in 
der gegenwärtigen Verwickelung dem Herzoge ihrem Gre- 
mahl gegeben hätte, und dass es undankbar sein würde, 
wenn sie nicht ihrerseits Alles, was von ihr abhing, bei- 
trüge, um den Erfolg weiser und angelegentlicher Rath- 
schläge zu erleichtern, mit denen Ew. Kurfürstl. Durchlaucht 
sie beehrten. Sie versicherte uns, dass sie demgemäss bereit 
wäre, 'hinsichtUch ihrer Aemter Alles zu thun, was man ihr 
vorschlüge, imi dem Herzoge ihrem Gemahl die seinigen 
zu bewahren. Auch bat sie mich, £w. KiurfürstL Durchlaucht 
die unwandelbare Ergebenheit ihrer ganzen Familie auszu- 
drücken, der in alle Wege die Succession so sehr am Herzen 
läge, dass, wenn auch ihr Eifer noch nicht hinreichend kund 
gethan sein sollte, um Ew. KurfurstL Durchlaucht davon 
zu überzeugen, es doch, wie sie verhoffie, der Fall s^ 
würde. Dank der Abhängigkeit von Ew. Kurförstl. Durch- 
laucht, in weildie der Herzog sammt seiner ganzen Familie 
versetzt worden wären, seit sie sich den unversöhnlichen 
Hass des Prinzen von Wales zugezogen. Sie fürchtete aber 
trotzdem, dass aus demselben Grunde diejenigen, die hier 
diesem Prätendenten anhingen, nicht ruhen wiirden, bis sie 
ihren Gemahl auf eine oder die andere Weise von seinem 
Posten vertrieben hätten , wie viel auch er oder sie jetzt 
thun möchten, um ihn darin zu behaupten. Nachdem ich 
ihr für die höfliche Antwort Dank gesagt, fügte ich hinzu, 
dass, wenn dies gegen mein Erwarten eintreten sollte, der 
Herzog alle seine Feinde durch eine Verantwortung vor der 
ganzen Welt in Unrecht versetzen würde, nachdem er seiner- 
seits Alles gethan, was von ihm verlangt werden konnte^ 
um auch fernerhin seine Dienste so ruhmvoll wie bisher 
dem Vaterlande zu widm^. Das wird dann auch unter 



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auf <Un englischen Thron im Jahre 1711, 



355 



seinen Freunden wirken, welche bezweifeln, ob er selbst 
nach der Abdankung- seiner Frau sich auf seinem Posten 
halten und von gleichem Nutzen wie bisher sein werde. 
Auch scheint mir fast, dass einige seiner Freunde es lieber 
gesehn haben würden, er hätte ihn jetzt aufgegeben, als so 
viele Schritte zu thun, um ihn zu bewahren, weil sie furchten, 
er könne durch ein solches Anklammern genöthig^ werden, 
auch sie daran und sich selber ganz dem Willen der neuen 
Partei hinzugeben/' Also auch an dieser Stelle das, so 
lange Marlborough im d£fentlidien Leben blieb, nie völlig 
verschwindende Misstrauen, er könne noch einmal rum 
Ueberläufer werden und das grosse Problem, ob Stuart oder 
Weif, zu Ungunsten des letzteren zum Austrage bringen 
helfien. Keine Frage, der berühmte Feldherr, tief gekränkt, 
wie er war, wäre in jenem Augenblick am liebsten dem 
Zuge seines Herzens und dem Ungestüm der Gemahlin ge- 
folgt und hätte den Dienst verlassen. Dass Lord Godolphin 
und die Whigs, dass unter seinen auswärtigen Freunden 
Prinz Eugen und der Rathspensionarius Heinsius in ihn 
drangen, trotzdem sich im Interesse Europa's zu überwinden, 
um das Werk der Bezwingung Frankreichs auszuführen, 
wusste alsbald alle Wellt. Eine wie persönliche Rolle der 
hannoverische Gesandte im Einklang mit seiner Instruction ' 
dabei spielte, erfahren wir erst jetzt aus seiner gehdmen | 
Depesche. I 

Der Herzog hat denn auch nicht verfehlt, ihm alsbald 
anzuzeigen, dass er am 30. den goldenen Schlüssel, den 
seine Gemahlin dnst von der Königin erhalten, als Zeichen 
ihrer U n terwerfung zurückgegeben, und ihm far die Vor- 
.st^ungen, die er der heftigen Dame mit so gutem Erfolg 
gemacht, den wärmsten Dank auszusprechen. Fr selber 
entging doch gern der Schande, gleich ihr mit all^ Folgen 
königlicher Ungnade ausgestossen zu werden und unterlieas 
hinfort Nichts, um das Misstrauen {pmbrage), mit welchem 
ihn das neue Ministerium begleitete, zu beschwichtigen, 
wobei die alte Freundschaft mit dem Herzoge von Shrews- | 
bury treifliche Dienste that. Selbst mit Lord Orrery suchte i 
er sich auszusöhnen, der ohne seine Genehmigung in der j 
Armee befördert worden, als einige höhere Officiere bei 

i 

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356 



Die Ansuchten d*s Hauses Hannover 



einem Toast auf den Herzog den Minister verdammt hätten 
und dafür von diesem, ohne dass der Chef befragt worden, 
ihrer Regimenter verlustig erklärt waren. Obgleich er 
den K.ummer hierüber, wie Marlborough auch dem Kur- 
ISrsten in Hannover aussprechen Hess, tief empfand und die 
ganz ungewöhnliche Vollmacht, die er seit dem Ableb^ 
Wilhekns HL beinah ererbt hatte, wesentlich zusammen'- 
schmmpfte, gab er doch Denjenigen nicht nach, die ihn 
immer wieder bestOrmten, er solle den Dienst quittiren. 
Bothmer hat diese Herren in vollem Knver^andniss not 
dem Herzoge darauf anfinerksam gemacht, dass, wenn der 
Konigin mn Marlboroughs Dienste zu thun sei, das doch 
nur dadurch geschehn könne, dass er für den bevorstehen- 
den Fddzug wie bisher ausgerüstet und alle Ofificiere nach 
wie vor auch seinen Befehlen unterstellt sein wOrden. 

Als bei diesen Verhandlungen Mitglieder beider Par- 
teien um die Wette dem Gesandten ihre Ergebenheit für 
den Kurfürsten und ihr Einstehen für sein Erbrecht aus- 
sprachen und wissen w^ollten, wie und wodurch sie dasselbe 
noch mehr befestigen könnten, deutete er stets auf einen 
für die Verbündeten vortheilhaften Frieden mit Frankreich 
hin, so wie auf die Nothwendigkeit , ihren ganzen Einfluss 
aufzubieten, auf dass der Krieg mit aller Energie bald zu 
diesem Ziele fortgesetzt würde, denn Englands Freiheit und 
die Besiegelung der Freiheit Europa's falle zusammen mit 
Durchführung" der protestantischen Succession. 

In einem etwas späteren Schreiben vom 6. Februar heisst 
es, dass der Herzog seiner Sache nun sicher und dafür be^' 
sonders den Lords Shrewsbury und Rochester verpflichtet 
sei, während Harley sich wenigstes so stellt, als ob auch 
er damit einverstanden gewesen, andererseits aber die er- 
bitterten Whigs behaupten, Marlborough werd^ <^me sme 
beiden VoUmachten dem Vaterlande nimmermehr Dienste 
leisten können wie ehedem. Einige haben sogar Bothmer 
über die von ihm befolgte Politik Vorstellungen machen 
wollen, während er gerade davon überzeugt blieb, durch 
seine Handlungsweise den Intentionen seines Herrn sowohl 
wie dem gemeinsamen Interesse am besten zu dienen, selbst 
wenn Marlboroughs Vollmacht in der That beschränkt 



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auf den englischen Thron im Jahre 171 1. 



357 



würde. I>ie grosse Popularität, welche ihm seine Siege 
eingetragen, und die unbezweifelte Thatsache, dass Keiner 
wie er die Truppen zu fuhren im Stande war» wurden davon 
schwerlich berührt Der Herzog von Shrewsbury meinte» 
die Königin selber müsse durch ehrenvi^e Aeusserungen 
das etwa bei den Generalstaaten erscfafitterte Vertrauen zu 
dem Feldherm wieder aufrichten, er selber aber, um sich 
der mit Widerreden und Intriguen aller Art erfüllten Luft 
Englands zu entziehen, so bald als möglich zur Armee ab- 
gehen. Der Herzog unterliess denn auch Nichts, um sich 
mit Harley zu verständigen, ja, hatte die Ueberwindung 
sich der neuen P^avoritin, der Mistress Masham, zu nähern, 
so dass sogar die Whigs auf eine Versöhnung mit den 
Beiden zu specuhren begannen, um sich günstigen Falls 
mit der noch immer in der Mitte haltenden Hofpartei gegen 
die Tories zu verbinden, deren geschlossene Reihen in man- 
cher Beziehung auch Harley bedrohlich, erscheinen mussten. 
Vi^eicht Hessen sich alsdann auch andere in ihren Stel- 
lungen gefährdete Persmilichkdten, die mit dem gestürzten 
Calnnet auch zusammenhingen, wie Lord Townshend im 
Haag fest halten, was; wenn die Friedmsverhandlungen 
wirklich in Gang kommen sollten, von der allergrösstan 
Wichtigkeit sein musste. Verrieth doch Frankreich immer 
deutiicher eine verdachtige Annäherung an die neue Regie- 
rung, indem es, um einen wirksamen Keil zwischen die Ver- 
bfinlteten zu treiben, höchst auffallend mitten im Kriege 
den Handel der Engländer gegen den der Holländer be- 
günstigte. Wiederholt hatten Herren, welche mit Harley 
- auf Verkehrsfuss standen, dem Gesandten auch von seinem 
sehnlichen Verlangen nach Frieden gesprochen. 

Daneben ruhte inzwischen keineswegs der Plan, durch 
das Haus der Lords der Kurfürstin Sophie, dem Kurfürsten 
und seinem ältesten Sohne, der bereits den Titel eines 
Herzogs von Cambridge führte, Rang und Prärogative von 
Prinzen der königlichen Familie zu verschaffen, das Recht 
bei ihrer Anwesenheit im Parlament am Thron zu sitzen, 
und ihnen dn Jahrgehalt von 40 bis 50,000 Ffimd Sterling 
auszuwerfen. B^ythmer bewahrte wie immer auch bei diesen 
Anträgen seinen Gleichmuth und meinte, die Herren müssten 



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35» 



Die AussichUn des Harnes Hannover 



jedenfalls selber am bebten wissen, wie weit sie die Majo- 
rität besässen. Mr. Harley aber, der schon ähnliche Ge- 
danken gehegt, würde \^on der hierfür w^nig geneigten 
Gesinnung der Xönigin doch ganz gewass unterrichtet sein. 
Aber auch von Seiten des höchst einflussreichen £arl von 
Nottingham, der als überzeugungsvollster Tory und bei 
Manchen sogar als Jacobit galt, ist durch seinen Eidam, 
den Herzog von Roxborough, dem Gesandten vertraulich 
hinterbracht worden, dass er sich durchaus vx der prote- 
stantischen Succession bekenne, in der gegenwärtigen Lage 
aber Alles auf dem Spiel stehn würde, wenn nicht Kurfürst 
oder Kurprinz schleunig herüber kämen. Eine Einladung 
durch das Parlament wäre mit Sicherheit zu erreichen, wenn 
es die Whigs nur wollten, aber selbst ohne Einladung* wäre 
ein solches Hervortreten dringend erforderlich. Es war das 
ein Fühler, der im tiefsten Geheimniss, vor allem vor der 
anderen Partei, sich vorwagte. Indess auch solchen Zwischen - 
gängern begegnete Bothmer geschickt mit denselben Ein- 
wendungen, unter denen die Rücksicht auf die Abneigung* 
der Konigin Anna stets obenan stand, Ueberdies meinte 
er hinter der vertraulichen Mittheilung- sogar einen Kunst- 
griff zu wittern , um Harley und die Hofpartei vollends an 
die mächtige Gruppe der Tones heranzuziehn und darüber 
eine Angelegenheit, welche den Grefühlen Anna's ganz ent- 
sdiieden zuwider war, ein für alle Mal aus der Welt zu 
schaffen. So galt es denn wieder bei den Whigs darauf 
hinzuwirken, dass sie Ero&ungen der Art nach Kräften 
widerstünden und vielmehr Alles aufböten, um durch ener- 
gische Kriegführung einen Frieden herbeizufuhren, durch 
welchen Ludwig XIV. endlich genöthigt sein würde, den 
Prinzen von A\^ales auszuweisen. Es ist doch sehr bezeich- 
nend, dass der Depesche vom 17. Februar eine Abschrift 
jenes Artikels des grossen Allianztractats beigelegt wurde, 
in welchem sich die englische Regierung feierlich verpflichtet 
hatte, mit Frankreich niemals Frieden zu schliessen, bis 
nicht für die von Ludwig XIV. vollzogene Anerkennung 
Jacobs in. der Königin Anna vollständige Genugthuui^ zu 
Theil geworden wäre.*) Die neuen Minister schienen bis« 

*) Dtmec pro eadem atroci injuria reparatio facta sÜ. 



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auf tUn engUsehen Thron im Jahre 171 !• 



359 



her gar kdne Notiz davon zu nehmen. Um so wirksamer 
Wörde es s^, wenn vor Schluss des Parlaments daran 
erinnert würde. Angfesichts der Thronfolgeacte, welche das 
kurfürstliche I laus der Krone am nächsten verwandt erklärte, 
erschien eine weitere Declaration des Rangverhältnisses 
überflüssig". Man sieht aus den Reibungen der Factionen 
um Ziele, die oft genug zusammen fielen, wie sehr die Ent- 
scheidung davon abhing, welcher Seite sich Harley schliess- 
lich zuwenden würde. Schon nahten die Tories in heftiger 
Ungeduld ihn ernst an die Erfüllung seiner Versprechungen 
zu mahnen. Mittlerweile aber erfolgte in der That die Be- 
stätigung Marlboroughs in der Weiterfuhrung des Kri^es. 
Nachdem er einige Tage verreist gewesen, um den Bau 
seines prachtigen Landsitzes Blenheim zu besichtigen, hatte 
er, schon mit der Abreise nach dem Festlande beschäftigt, 
am 26. in Gregenwart Sunderlands nochmals eine längere 
Unterredung mit Bothmer. Auch der Herzog hatte seine 
Freunde dafür besthnmen wollen, dass die Lords noch vor 
dem Schlüsse der Session sich mit dem Range des Kur- 
prinzen und die Gemeinen mit einer Dotation der kurfürst- 
lichen Familie befassen sollten. Selbst wenn die Tories 
opponiren würden, könnte ihr Widerspruch vielleicht der 
Anlass werden, die Partei zu sprengen, indem die falschen 
Freunde sich endlich als Jacobiten zu erkennen geben und 
die hannoverisch Gesinnten, von jenen „IVhiffisicals"' und 
„Hanoverian rats'' verspottet, sich absondern müssten. Als 
Bothmer einwarf, er könnte es nur dem Urtheil Ihrer Lord- 
schaften anheim geben, ob ein so gewagte Versuch gerade 
in diesem AugenbUck rathsam wäre, gestand doch auch 
Sunderland, dass man nicht vorgehn dürfe, ohne sich mit 
ihm verständigt zu haben. Nochmals Jcam die Absicht zur 
Sprache — ohne Frage auf Anregung des Herzogs von Rox« 
Ijoroi^h, der sich frdlich wohl hütete, seinen Schwieger- 
vater zu compromittiren — , mit oder ohne königliche Ein- 
ladung ein Mitglied der kurfürstlichen Familie aus Hannover 
kommen zu lassen. Und wieder erfolgte die Antwort, die 
Sache sei viel zu delicat, um darüber auch nur dem Kur- 
fürsten Bericht zu erstatten , dessen Fhrerbietung vor der 
Königin ihm niemals erlauben würde, zu einem Schritte 



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360 



Du AH4tiektm des Hmutts Samnover 



die Hand za bieten, der nicht nach dem Sinn ihrer Majestät 
seL Dris^gend bat der Gesandte alle seine Freunde, diesra 
Gredanken fahren zu lassen. 

Zunächst war es denn doch gelungen, den Herzog gegfen 
die warnenden Stimmen seines eigenen Innern und der 
heftigeren Whigs wie gegen die von Swift und Prior be- 
diente Tory- Presse, welche in boshaftester Weise ihn zu 
verleumden fortfuhr, dem Dienst im Felde und dadurch dem 
bereits wimkenden, gegen Frankreichs Weltmacht geschlos- 
senen Bunde zu erhalten. Wie er selber und Bothmer es 
bezeichnend ausdrückten , hatte er in einer Art Vertrag, 
gegen das Versprechen der Minister, sein Commando und 
die Unterhaltung der Armee nicht anzutasten, ihnen ihre 
Angelegenheiten Preis gegeben. Darüber eröffneten sich 
freiUch tiefe Blicke in die Reibungen des Cabinets und der 
Parteien, welche für die Zukunft wenig erfreulich waren. 
Bei Mariborough wurde die alte Neigung für den geist- 
vollen St. John wieder rege, wahrend er kaum Vertmnen 
m Harley hatte, dessen Huld wegen sdnes grossen Ein- 
flusses Bxd die Königin er doch nicht minder cultiviren 
musste. Er hat dem Gresandten erzahlt, dass Anna ihm mit 
Thranen in den Augen geradezu befohlen habe, sich mit 
Harley gut zu stellen. Allein auch dieser war nicht auf 
Rosen gebettet, da die Tories sich immer schroffer zeigten 
und die Whigs zwar sehr nach einer Verständig-ung be- 
gehrten . aber mit ihrem Wunsche nach einer Parlaments- 
aut lösung^ und uiner weil» Ten Annäherung zurückhielten, bis 
sie überzeugt wären, dass er sich für sie entscheiden würde. 
Im Ganzen schied Mariborough doch nur wenig ausgesöhnt 
mit den nun einmal herrschenden Zuständen. Die Königin 
zwar hatte ihm sehr bestimmt und zu wiederholten Malen 
die Fortdauer ihrer Huld ausgesprochen. Er war überzeugt, 
dass sie ihm unt^ vier Augen mehr gesagt, als sie es vor 
den Leiiten, weldie sie gegenwärtig in Händen hatten, ge- 
wagt haben würde. Auch an en^fegenkonmienden Be- 
theuerungen Shrewsbury's, St Johns und selbst Harley's 
hatte es nicht gefehlt Nur war ihr Werth sehr ungleich- 
artig, und emen Zweifel wurde Mariborough nicht mehr los, 
ob nämlich alle schönen Zusagen, für einen recht energischen 



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auj den englischen Thron im Jahre 171 1, ' 361 

Feldzug zu sorg-en, nicht vor der bchwierigen Lage der 
Finanzen, vielleicht gar vor der Unmöglichkeit, die erforder* 
liehen Summen aufzubringen, zu Schanden werden müssten. 
Der Nationalcredit hatte in der Xhat den harten Stoss» den 
er hauptsächlich durch den Systemwechael des Jahres 1710 
erlitten, nicht verwunden. Harley suchte nun wohl den 
entwertheten Fonds durch Auslosung von Actien, an denen 
sich die HoQpartei eifrig 2u betheiligen begann, auf Grund 
einer neuen Handelscompagnie, die ganz nach der Weise 
der Whig-Corporationen mit besonderen Privilegien fSr die 
Nationalgläubiger ausgestattet wnrde, nach Möglichkeit auf- 
zuhelfen. Aber günstige Ergebnisse waren zunächst doch 
nur wenig zu verspüren, obgleich am ersten Tage bereits 
so stark überzeichnet wurde, dass die Herren in Hannover, 
die in ihrer (jewinnsucht ebenfalls Aufträge gegeben, mit 
diesen zu spät kamen. *) 

Beim Abschiedt' sprach der Herzog noch einmal seine 
tief empfundene Verehrung und ewige Erkenntlichkeit für 
die vielen Gmadenbeweise des Kurfürsten aus. Nachdem er 
sich bei günstigem Winde eingeschifft, erreichte er am 6. März 
den Haag.'^'*^) Ueber seine Thätigkeit im Felde während 
der nächsten Monate nach Hannover Bericht zu erstatten, 
musste Bothmer den deutschen Offideren in der Umgebung 
Marlboroughs überlassen. 

Mittlerweile Hessen die Parteifahrer beider Theile nicht 
ab, wegen Einladung eines Mitgliedes des Hauses immar 
wieder in den kurfürstlichen Bevollmächtigten zu dringen. 
Er beharrte bei seiner ablehnenden Haltung, indem er den 
Einen sehr wenig traute, die ^Vnderen ernstlich zur Vorsicht 
ermahnte und nur Wenigen, w ie Lord Halifax, die Erkennt- 
niss beibrachte, dass es rathsam sei, den Dingen für's Erste 
ihren Lauf zu lassen. Seiner Instruction gemäss aber fuhr 
er fort, die Lntwickelung derselben aufmerksam zu über- 
wachen und alle seine Wahrnehmungen ausführlich nach 
Hause zu melden. So erkannte er denn, dass die Einen, 
namhatte Mitglieder des Unterhauses und der Herzog von 

*) nVoust MoHsifur, «t ttms nas cvmpatriatts tont vmus irop tard 
pot$r ia U/tttrü**, Bothmer an RoImCIioii, 13^19. Min. 

**) Leütrs and Ditpntehgs of tki Bukt 0/ Mnrlbarm^h, W, p. 261. 



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362 



Die Aussichten des Hauses Hannover 



Roxborough wegen seiner Beziehungen in Schottland in der 
That den ehrlichen Wunsch hegften,- Jemanden zur Stelle 
zu haben, an dem das Volk im Gregensatz zum Prätendenten 
einen Halt gewinnen könnte. Andere dagegen verlangten 
sehnlichst nach einem fürstlichen Parteihaupt gegen die 
Tones, durch das sie bei gewissen Anlässen sogar die Kö- 
nigin ihnen zu Willen zü sein notiiigen konnten. Eine dritte 
Grruppe wollte ledigUch dem Cabinet, das sie zu beerben 
begehrten, Verlegenheit bereiten, wie etwa der Herzog von 
Argyle, der auch aus anderen Gründen anstand, nach Spa^ 
nien abzugehen, um das ihm dort übertragene Commando 
anzutreten. Die Tories endlich forderten die Herüberkunft 
eines Mitgliedes des Weifenhauses vor allen Dingen doch 
nur, um liarley an sich zu ketten und dann vielleicht die 
Missgunst Anna's zu benutzen, um die ganze protestantische 
Erbfolgeordnung über den Haufen zu werfen. Wenn alle 
um die Wette von jäher Gefahr redeten, in welcher die 
grosse Angelegenheit schwebte, so meinte Bothmer uner- 
schütterlich, die einzige Gefahr, welche er befürchten müsste, 
wäre ein fauler Friede statt eines guten. Für den einen wie 
für den anderen Fall hing das Meiste also von den wenig 
sicheren Verhältnissen in £ngland selber ab, wo bestandige 
Gerüchte über Auflösung des Parlaments und bevorstehende 
Neuwahlen die Parteien in Athem hielten und die Tories 
dem leitenden Minister geradezu die Pistole auf die Brust 
setzten. Argyle, sein Bruder, Lord Islay, der Barl von Mar, 
welche der Hof bei den Wahlen „schottischer Lords" für 
das gegenwärtigfe Parlament verwendet hatte, drohten laut 
und ungebärdig, dass, wenn Harley nicht, wie er verheissen, 
ihre Auslagen bis zu einer bestimmten Frist vergütet hätte, 
sie völlig frei von jeder Verpliichtung gegen ihn und den 
Hof, dem Lande und seinen Interessen dienen würden. 
Allerlei bedenklich legimistische Pamphlets bearbeiteten 
nebenher die öffentliche Meinung. Das eine wiederholte 
die unleugbaren Beweise von der echten Geburt des Sohns 
Jacobs IL, welcher dessen Erbe in Anspruch nahm, und 
konnte leicht auch der Königin in die Hände gespielt werden 
und alsdann die übelste Wirkimg. thun, so wenig auch da- 
durch staatsrechtlich das Statut von 1701, die Act of setHc" 



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auf den ■'ni^Usciwn Tliron im yahre 171 1. 



menf, umgestossen wurde. Ein anderes erzählte sehr hand- 
greiflich, wie Schweden jüngst unter Karl XI. seine Freiheit 
verloren und wie mit denselben Mitteln Englaad der sei- 
nigen beraubt werden könnte, so dass der schwedische Ge- 
sandte Gyllenboig' in einer an dmi Herzog von Queensbury 
gerichteten Note amtlich Einsprache «(hob. 

Nachdem man sich mehrmals verfehlt, gelang les Bothmer 
endlich, einmal Lord Somers zu sprechen, nur leider nicht 
allein, sondern in Gesellschaft des heissblütigen Whig Sun- 
derland. Indess bestanden bei dieser Gelegenheit schon 
beide Herren nicht mehr auf die Anwesenheit eines Welfen- 
fürsten, drangen aber um so mehr auf eine andere Mass- 
regel, um die Gemüther zu beruhigen; denn die Klugheit 
erfordere, dass man nicht still sitze, während der Präten- 
dent unendlich rührig sei und alle verfügbaren Kräfte auf- 
biete, um seinem Ziele näher zu kommen. Der Gesandte 
wusste freilich kein anderes Mittel als das längst ergriffene: 
die im Interesse der Nation im Jahre 1701 beschlossene 
Acte, zumal wenn sie durch einen guten Frieden eine neue 
Stütze erhielte. Da mnsste denn auch Sunderland einräu- 
men, dass Lord Somers, der Vater des Settlements an einer 
solchen Politik mehr als irgend Jemand sonst betheü^ sei. 
Beide verj^Bichteten sich in der Thot, keinen Schritt tiiun 
zu wollen, der nicht die Billigung Sr. Kmtförstlichen Durch- 
laucht erhalten haben würde. Nachträglich trat auch Lord 
Godolphin dieser Abkunft bei, indem er die Ueberzeugung 
aussprach, dass, wenn die Tories mit dem ehrlichen Wunsch 
nach einer protestantischen Thronfolge die Einladung be- 
antragen sollten, die Whigs ohne Eifersucht einem solchen 
Antrage nur beipflichten könnten ; dass dagegen, falls diese 
Initiative ergriffen, der Widerspruch jener in alter Hitze 
entbrennen und der Ausgang leicht gefährlich werden könnte. 
Er verschwieg sogar nicht, dass der Gesandte nach Schluss 
des Parlaments, um bei den G^neralstaaten auf emen guten 
Frieden hinzuwirken , im Haag* weit mehr an seiner Stelle 
sein würde als in London, was denn allerdings durchaus 
mit den Absichtmi in Hannover wie mit Bothmers eigener 
AufEassung zusammen traf. 

Da sollte nun ein Attentat auf Harley die Situation 



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3^4 



JHt Aumchten des Hauses Hannover 



einigermassen aufhellen und den Parteiverhältnissen endlich 
eine andere Wendung geben. Am 8/ ig. März nämlich wurde 
ein französischer Abenteurer, der Marquis (fuiscard, der 
zuvor den Engländern Kriegs- und Spionsdienste geleistet 
hatte, jüngst aber in seiner Pension verkürzt worden war 
und, darüber erbittert, der französischen Regierung all^lei 
hinterbracht hatte, in dem Augenblick verhaitet, als er aus 
der zu Ehren der zehnjährig-en RegierUQg Anna's abgehal- 
ten«i Cour heraustrat Alsbald vor dem Geheimen Rath 
zur Rechenschaft gesogen, ergriff er ein Federmesser, um 
damit St John zu ermorden, stach aber in blinder Wuth 
statt seiner nach dem daneben sitzenden Harley so heftig, 
dass die Klinge am Bnistknodien abbrach. Die Minister 
. zogen sofort ihre Degen, und verwundeten den UebeUMter 
der Art, dass er wenige Tage hernach im Gefängniss von 
Newgate starb. Das Ereigniss verursachte eine gewaltige 
Aufregung und bereitete vor allen dem glücklicher Weise 
nur unbedeutend verletzten Harley einen ungemeinen Vor- 
theil. Selbstverständlich Hess der hannoverische Gesandte 
die acuten Nachwirkungen dieses Ereignisses nicht aus den 
Augen. 

Vor allem wurde die Königin, deren Befinden schon 
längere Zeit wenig befriedigte, durch weit übertriebene Be- 
richte über den Hergang auf das Heftigste erschüttert, so 
dass alle möglichen Gerüchte durch die Luft schwirrten und 
Bothmer darauf ge&sst war» dass sich das stürmische Be- 
gehren nach der Anwesenheit eines hannovmdien Prinzen 
alsbald erneuern wiurde. Natürlich war auch wieder leb- 
hafter als bisher von Anschlägen des sog. Prinzen von 
Wales die Rede. Andere wollten sogar wissen, wie Boüi« 
mer doch der Mühe werth hielt, seinem Kurfürsten direct 
in einem deutschen Briefe zu melden, der Prätendent Ner- 
iasse Frankreich und gehe in die Schweiz , um dort zum 
Protestantismus überzutreten und alsdann die Prinzessin 
Ulrike von Schweden zu heirathen. In einer chiffrirten 
Depesche vom selben Tage, dem 27., berichtete er indess 
vertraulich , was ihm von Lord Godolphin , an den er sich 
in der Sache gewendet hatte, erzählt worden war. Dieser 
Führer der jüngst gestürzten Whig -Regierung hatte einst 



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auf d*n engtuckm^ Thron im Jahr« 171 1. 



365 



beim Ausbruch der unblutigen Revolution im Jahre 1688 
der Königin Maria, einer gebcHrenen Prinzessin Este, um 
ihrem Gemahl Jacob IL die Krone zu retten, emstlidi vor- 
geschlagen, ihren jüngst g^xirenen Sohn ohne Verzug dem 
Erzbischof von Canterbmy in Lambeth zur Erziehux^ zu 
übeigebeo, damit er Anglikaner wurde. Sie hatte erwidert, 
sie würde das Kind, wenn es ein Ketzer werden sollte, Hebier 
verbrennen als am Leben sehen. Alle, welche die noch im 
Exil lebende, tief bigote Königin -Mutter kannten, waren 
überzeugt, dass sie auch dem inzwischen Erwachsenen, den 
Ludwig Xl\'. beim Tode des Vaters im Jahre 1701 feier- 
lich als König von Grossbritannien und Irland begrüsst 
hatte, nimmermehr gestatten würde, seinen dlauben abzu- 
schwören. Obwohl nun sein Anrecht ans^esichts der vor 
zehn Jahren durch Parlamentsstatut vollzogenen (farantien 
selbst durch einen Religionswechsel um kein Haar verstärkt 
worden wäre, so wuchs doch die Unruhe der Whigs von einem 
Tage zum andern. Ein ungeheurer Zulauf der Schotten, 
welche anlangst in die parlamentarische Union hineinge- 
nöthigt worden, galt im Voraus als ausgemacht, sobald dem 
Stuart eine Landung in Nordbritannien geBngen würde. 
Nicht minder sollte Kön^n Anna ihm unwanddbar geneigt 
sein. Ein Vertreter der protestantischen Linie müsste dess- 
halb unverzüglich herbeigerufen werden. Der Gesandte 
blieb b^ allen solchen Zumuthungen unbeugsam, da m 
Schritt der Art ohne Genehmigung der Königin die bereits 
vortheilhafte Constellation des Prinzen von Wales nur noch 
günstiger gestalten und, weil von den Whigs ausgehend, 
unfehUjar auf Widerstand der ihnen im Parlament entschie- 
den überlegenen Tories stossen würde. Wie leicht könnten 
alsdann diejenigen Mitglieder dieser Partei, die bisher für 
die protestantische Erbfolge eingestanden, davon abgedrängt 
und diese thatsächlich in Frage gestellt werden. Kr ver- 
traute, dass die Königin imd ihr Rath trotzdem die Lage 
beherrschten und rühmte mit Grenugthuung, dass Staats- 
männer, wie die Lords Halifax und Somers, ^ch zu seiner 
M«nung hinndgten. Uebrigens unterliess er bä keiner 
Grelegenheit, den Eifer seiner Freunde zu loben, versuchte 
auch wohl in der Folge, so lange sie noch die Hoffirang 



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366 



Die Aussichten dts Hauses Hannover 



hegten, Harley für sich zu gewinnen, sie in ihrem Vorhaben 
zu bestärken, diesen Minister zu einer Parlamentsauflösungr 
zu bestimmen, um durch Neuwahlen wo möglich ihre Partei 
wieder an das Ruder zu brinj^en. 

Zehn Tage nach jener Unterredung glaubte Bothmer 
aus dem Grerücht von einer schweren Erkrankung der Kö- 
nigin doch so viel abnehmen zu können, dass ihre Gesund- 
heit in der That keine gute sei und nadi aUerld Anzeichen 
kein langes Leben verspredie. Harley's Martyrerthum aber 
hatte sein Ansehen im Volke wie unter dm lifitgliedem 
des Parlaments bedeutend gehoboi, so dass es sehr zweifel- 
haft wurde, ob er noch, wie es bisweilen den Anschein hatte, 
das Parlament aufzulösen geneigt sei oder gar die Königin 
dafür gewinnen könne. Da sich diese durchaus den Tones 
zuwandte, wöirden deren Gegner sicherlich mit allen Kräften 
Harley berannt haben, wenn er jetzt in seinem Kranken- 
zimmer nicht vollends unzugänglich geworden wäre. 

Zum Glück brachte das Osterfest (iinige besänftigende 
Unterbrechung, aus welcher Bothmer seinem 1 lerrn mit der 
nächsten Post Folgendes meldete: ,,Weil das gemeine Volk 
des Festes halber diese gantze Woche müssig zu gehen und 
also mit dem Druncke sich lustig zu machen pfleget, so hat 
man zu Verhütung aller durch etwan entstehenden Auflaufe 
und Unordnung gestern angefangen, die Burgerwachen in 
den meisten Quartieren aufziehen zu lassen, bevorab da viel 
Reden von Brandstiftungen und dergleidien hier ausge- 
streut werden. Die Königin hat das Podagra am Arm und 
kommt dannheto aus ihrem Zimmer nicht. Wdlen aber der 
Arm geschwollen und die Schmertzen sich geleget haben, 
so hoffet man baldige Besserung." 

Nach einem kurzen Ausfluge war bald auch da- G«8afidle 
wieder auf seinem Posten. „Ich habe eine kleine Reise 
nach Newmarket gethan", meldet er am 21. April, „wohin 
der Duc de Devonshire und einige andere Herren mich 
eingeladen haben, den gebriiuchlichen Wettlauf ihrer Pferde 
zu sehn." Dort hatte sich aber auch der Herzog von Somer- 
set eingefunden , der noch vor einem Jahre gegen Marl- 
borough und Godolphin frondirt hatte und jetzt, nachdem 
er sich von den neuen Ministern zurückgestossen sah, ob- 



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auf den tnglüchtn Thron im Jahr« 171 1. ^fyj 

wohl seine Gemahlin kürzlich in einige der Hofamter der 
grossen Sarah aufgerückt war, nicht Unwillens schien, mit 
den alten Freunden wieder anzubinden. Devonshire, mit 
dem er nie auseinander gekommen, brachte ihn in der Xhat 
mit Lord Grodolphin zusammen. Doch bemerkte Bothmer 
sehr wohl, wie beide Peers bd einem Versohntmgsmahl 
recht frostige Haltung gegen einander bewahrten. Gleich- 
zeitig erfuhr er von dem Herzoge von Devonshire, dass das 
Ministerium j^zt wirkUdi verhofifte, noch mit dem gegen- 
wärtigen Parlament den Frieden mit Frankreich einzuleiten 
und dass Harley, um die Session hinauszuschleppen , sich 
kränker stelle, als er es in der That war. Während viele 
Mitglieder beider 1 läuser bereits die Heimathsorte aufsuch- 
ten, wurden die vornehmen Whig-Lords, die unter dem Ver- 
wände der Wettrennen in Newmarket Parteipolitik trieben, 
plötzlich durch Lord Sunderland zu einem anderen poli- 
tischen Zweck nach London zurückberufen. „W^eilen jetzt 
die Zeit vorhanden ist, dass die Directeurs von der Bank 
verändert werden sollen, so bemühet eine jede Parthey sich, 
die Wahl auf die Seinigen zu bringen. Weil ein jeder, so 
nur 500 Pfund in der Bank hat, bei solchen Fällen sein 
Votum eben so wohl führet also der alleigrosste CapitaUst, 
so wird gesaget, dass viele ihre Capitalia zertheilen und auf 
andere Nahmen schreiben lassen, tmi auf solche Wdse die 
Vota von ihrer Parthey zu vermehren." Einige Tage später 
verlautete das Ergebniss: „Es haben sowohl in Erwahlung 
der Gouverneure und der Directeurs der Ostindischen Com- 
pagnie als der Bank die Whigfs den Vorzug vor den Tories 
durch eine grosse Majorität erlanget." So wurde in der 
That bestätigt, was ja die Börse täglich notirte, dass die 
gestürzte Partei in der Finanzverwaltung des Staats ein 
grösseres Vertrauen genoss als ihre Gegner, die auch des- 
wegen Nichts unversucht Hessen, um Harley zu dem Ihrigen 
zu machen. 

Um dieselbe Zeit rief die Nachricht vom Tode des 
Dauphin weitere Aufregung hervor, „weilen dieser Herr 
zur Beybehaltung der Spanischen Monarchie vor den Duo 
d'Anjou allzeit sehr begierig gewesen, anstatt der Duc de 
Bourgogne dieselbe, um den Frieden zu erlangen, gam hindan 



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368 



Die JmtsUktm dts HtmtM Hamwver 



gesetzet sehen mögen, damit die Crohn Fraiikrei<di in ihrer 

Consistenz erhalten werden könnte." Hiermit stand ohne 
I rage in Verbindung, dass sowohl die Königin wie Harley, 
die sich beide von der Aussenwelt abgesperrt hatten, wieder 
zugänglicher zu werden schienen. Erstere empfing eine Ab- 
ordnung des Parlaments, das ihr in aller Devotion die Mittel 
zur Erbauung von fünfzig neuen Kirchen bewilligt hatte. 
Zwar fehlte es nicht daran in London, aber alle, ausser 
St. Pauli und Westminster, waren winzige Gebäude und 
man bedurfte vor allem ein Gegengewicht gegfen die bedenk- 
liche Zunahme der Katholiken.*) Den Minister aber be» 
schloss das Haus der Gemeinen zu seiner Genesung* zu 
beglückwünschen, sobald er sich nach St Stephens hinaus* 
wagen würde. Auch verlautete, die Huld seiner GrebiBterin 
würde ihn demnächst in den -Grafenstand und zum Gross- 
schatzmeist^ erheben, was dann wieder weitere Verände- 
rungen nach sich ziehen wurde. Mit Schrecken bemerkten 
die Whigs, dass der Minister nicht nur dem Parlament, 
sundern der October-Club, die Vereinigung der entschieden 
feindlich gesinnten Tories, ihm selber viel mehr Entgegen- 
kommen zeigte als bisher , obwohl ihr Führer , der Earl 
von Rochester, den Nebenbuhler gewiss nicht gleichmüthig 
zum Posten des ersten Ministers emporsteigen sah. Nichts- 
destoweniger schmeichelten sich die Herren von der Oppo- 
sition immer noch mit der eitlen Ho&umg, die Königin 
selber würde in ihrer Angst vor einem Streiche wie der 
Gruiscards oder vor einer Invasion ihres Bruders, des Prä- 
tendenten, den hannoverischen Vetter zu sich berufen und 
einer freigebigen Dotirung seines Hauses berdtwillig- zu- 
stimmen. 

Nicht lange indess, so sollten die Herren durch weitere 
Zwischenfälle noch mehr enttäuscht werden. Der unvorher- 



♦) Bothmer an die Kurfurstin Sophie 10./21. April bei Kemble, StaU' 
pafers p. 479: „(7» ^«udrtit eloigiur Us CatkoHfuet deL^märes: etia tu 
Paroist Pas pracÜcoiU, on let a ecmü a C4U$ cccmsim et oh a iromvd m, 
60 persomnet de cetie reUgioH dans eette vilU . . . Les eeeUsiastiguee o»- 
roient en mfme temps grand hesoin d'une reformey mais personne veut 
toucher icy ä vne corde si delicate ; ils se melent tous de poKHque, ^ett 
la morale qu'ils traitent dam leur 



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«tf/ diH tHgrütckm Thron im Jährt 1711. 



geseh«! rasche Tod Kaiser Josephs L am 17. April 1711 
war ganz geeignet^ um, wie namenflich liAarlborough mid 
Prinz Eugen kernen Augenblick vefkannten, eine bedenk- 
liche Zersetzung des grossen Bündnisses einzuleiten. Nicht 
mir, dass die Kaiserlichen Truppen, fern von den Kriegs- 
sdiauplätzen gegen die Franzosen, an anderen Orten unetat- 
beliifich wurden. Karl, nach des Bruders Tode voraus- 
sichtlich römischer König, bis dahin der habsburg^sche 
Throncandidat im Kampfe um das spanische Erbe, als 
welcher er sich den Engländern zumal in einem wenig vor- 
theilhaften IJcht gezeigt hatte, verrieth nicht übel Lust, alle 
Kronen seines Gesammthauses in Anspruch zu nehmen, 
wodurch man wieder vor demselben Dilemma stehen würde, 
wie einst in König Wilhelms Tagen. Die Friedensaus- 
sichten erhielten • darüber in Englamd neue Nahrung; die 
Aussichten für Ludwig XIV. imd seinen Enkel Philipp V., 
glimpflich davon zu kommen, mehrten sich unverkennbar. 
Königin Anna, begierig bei Zeiten zu erfahren, wie im Reich 
die Königswahl ausfallen wurde, hatte angeaidits des in 
Frankfurt bevorstehenden Actes dem KnrArsten in Hau* 
nover eigeiüiSndig schreiben wollen, war aber durch Ihre 
kranke Hand daran veiimidert worden. DalSr wurde der 
Gresandte wenigstens vom StaatssecretSr St. John empfangen. 
Er „rühmte Dero 'EüSkac vor die gemone Wohlfahrt und die 
auch in ^esem Falle vor dieselbe bezeigte Vorsorge mit 
der Verridierung, dass 1. M. die K6n^fin auf Ew. KmfClrstl. 
Durchlaucht hoch erleuchtete Sentiments jederzeit beson- 
dere Reflexions nehmen würde." Auch erwähnte er ver- 
traulich, dass Mr. Witworth, der als Gesandter zum Czaren 
Peter gehen sollte, designirt sei, im Namen der Königin 
die Kurfürsten bei ihrem Zusammentreten zu begrüssen. 
Einer Bitte des Gesandten , in Sachen der Succession in 
Spanien keinen Schritt ohne die Generalstaaten thun zu 
wollen, schien er dagegen mit der Bemerkung auszuweichen, 
dass man im Haag nur allzu geneigt sei, die Verhandlungen 
zu verschleppen. Durch eine Indiscretion des savoyischen 
Gesandten erfuhr Bothmer hinterdrein, dass St. John zwar 
der Erwerbung der Kaiserkrone durch Karl von Oesterreich 
gfinstig gestimmt sei, aber die Verbindung derselben wkt 



XMr AtuticJkUu dt* üausts Hannwtr 



der spanischen Monarchie fiir durchaus gefährlich erkläre; 
dass er diese dagegen dem Herzoge von Savoyen zuzu- 
wenden trachten werde, was, da dieser Fürst zu den katho- 
lischen Ryptfitantf*!! auf die englische Krone gehörte, in 
Hannover wenig angenehm berühren konnte. Bald nach- 
dem Harley um dieselbe Zeit im Hause der Gemeinen er- 
schienen ttüid die Coniplimente des Sprechers entgqgr^ ge* 
nonunen, madite er auch Bothmer men höflichen, nur leider 
recht eiligen BeaiidL £r hOtete sich wohl» von „Affiurßn" 
zu sprechen und that im Uelirigen ,,gro88e Versicherungen 
von seiner £igebenheit g^gen Ew. KurfikrsÜ. Ducfalancht 
und Dero durchlauchtiges KurfürstL Haus." 

Zudem aber starb am 15. Mai Abends plotilich am 
Schh^uss Laurence Hyde, £ari von Rochester, wodurch 
die Stelle eines Präsidenten des Königlichen Greheimen 
Raths erledigt und der bereits in der Luft schwebende 
Aemterwechsel nunmehr leichter, und zwar im Tory-lnter- 
esse in Fluss kam , weil Rochester von dieser Seite für 
Harley der bedenklichste Widersacher gewesen. Da fielen 
denn die Whigs höchst empfindlich aus den Wolken, nach- 
dem sie so eben noch, als, allerdings im tiefsten Geheim- 
niss, Lord Somers und Lord Cowper von der Königin 
empfangen worden, höchst sanguinisch den Widereintritt 
einiger der Ihrigen in das Cabinet verhofft hatten. Jetzt 
ergab sich vielmehr» dass alle dahin zielenden Gerüchte 
von Harley schlau benutzt wurden, um sich die Tories des 
October-Qubs etwas gefügiger zu machen. Der Kurfürst- 
liche Gesan d t e entnahm alsbald auch aus der unvermeid- 
lichen Wiederholung ihrer Anträge und der steigenden 
Besorgniss vcw den Aussichten des Stuart - Prätendenten, 
wie übel es um die Oppositioa stand, bdiatrte jedoch fest 
bei der Versicherung, dass er vaA sein Herr, wie bis dahin, 
so auch fernerhin, von Ihtriguen jeder Art fem blähen 
würden. Am 26. Mai berichtete er in Chiffre, dass die AVTiigs 
endlich ihren Process bei Air. Harley verloren und die Hoff- 
nung aufgegeben hätten, ihn zu sich herüber zu ziehn, da 
sie endlich wahrgenommen, dass der Stellenwechsel, von 
dem bereits bis in's Einzelnste verlautete, gegen sie aus- 
fallen würde. 



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auj den englischen Thrm im Jahre 1711 



Am 4. Juni erschien denn auch das Patent, durch 
welches Robert Harley zum Earl von Oxford und Mortimer 
erhoben und als solcher Tags darauf in das Haus der Lords 
eingeführt wurde. Die Königin hatte den Jahrestag der 
Rückkehr Karls IL aus dem Exil gewählt» den 29. Mai/ 
9. Juni» um den neuen Grafen sofort audi zum GroBffichatz- 
msBtBr» d. h* Aun Premier» zu ernennen, und überraicdite 
ihm eigenhändig den weissen Amtsstab, mit dem er sie 
darauf fdierÜch zum Gottesdienst begldtete. Daran schloss 
sidi alsbald die erwartete Neubesetsung der Amts*- und 
Ho&tellen, sowie &sk Wedisel m den Gesandtsdiaften. Es 
war vorauazosehea, daas der eine oder andere auch die 
hannoverische Politik nahe berühren würde. 

Bei einer anderen Begegnung sah sich derselbe Staats- 
secretär veranlasst, dem Gesandten die Mittheilung zu 
machen, ,,dass ohngeachtet der in Schottland vor den Printzen 
von Wales noch vorhandenen Parthey und des Zwiespalts 
zwischen dortiger Geistlichkeit, deren Convocation vor die 
protestantische Succession erklähret und beschlossen hätte, 
in ihren Kirchen und Gebeten näx^st der Königin nun- 
mehr auch vor Ihro Durchlaucht die Churfurstin «und vor 
die Protesdrende Religion, wie sie durch die Parlamentsacte 
befestigt worden» zu litten.*' Man aieht» auch St. John war 
noch immer darum zu thun» sich beide Thören sorglich 
offen zu halten* 

Bothmer wuaete in tiefem Vertrauen von Lord Halifeac, 
dass Harley diesen bewegen wollte» sich bei den mit Frank- 
reich bevorstehenden Friedensverhandlungen verwenden zu 
lassen. So wenig Lust Halüto auch emf^Emd» darauf ein- 
zugehen, so wünschte er doch eventuell des Wohlwollens 
des Kurfürsten versichert zu sein. Mit Lord Townshend, 
dem in seiner »Stellung im Haag schwer bedrohten Ge- 
sandten, getraute er sich in gutem Einvernehmen zu handeln, 
während ein solches mit Lord Raby, der, bisher Gesandter 
am Berliner Hof und von St. John*) für den Haag aus- 



*) üBteressant itt Robefhogi UiOieil über iho, Loid Raby nd du Toijr- 
m iaiateiiim« Xr sdndbt am 11. Jmi ans 4fem H^: „Un minütirä eompat^ 
4U novices *t d§ gmu^ ftd tmU ravis irmtvtr bnßgn« faä»» Z# uml 

24* 



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37^ 



Die AiuiUiU*n des Harnes MawMvmr 



ersehen, eben mit Sehnsucht in London erwartet wurde, 
sich schwer würde anbahnen lassen. Immer deutlicher ver- 
lautete überdies, dass es bei der internationalen Verhandlung 
auf eine Theilungf der spanischen Monarchie hiwaBskomnsen 
würde und dass die Vertagiuig des Parlaments nur dass-» 
lialb so lange anf sich warten liess, um nicht abermals, wie 
das vorherg^iende, einem Theilung^toi im Wege za sttthen, 
Lord Townshend aber wurde nachgetrag e n, dass er vor 
•einem Jahre die Greneralstaaten bewogen hatte, sidi su 
Gunsten des alten lifinisteriums und des Torigen Farlamants 
unmittelbar an die Könlgfhi zu wenden. 

Eine andere in Aussicht genommene Beförderung erregte 
noch ernstere Bedenken. Es hiess, der Earl von Jersey s« 
zum ersten Lord der Admiralität bestimmt, derselbe Herr, 
der einst schon den König Wilhelm hatte bewegen wollen, 
dem Stuart-Prinzen vor der Frau Kurfürstin den Vorzug zu 
geben. Man musste in der That staunen, schreibt Bothmer 
am 1 0. vertraulich, einen Mann von solcher Unfähigkeit und 
solchen Ueberzeugungen, dessen Gemahün eine Papistin, 
dessen Haus die Herberge aller Leute dieses Glaubens ist, 
an der- Spitze eines solchen Amts und in einer so hohen 
Stellung zu sehn, in welcher er einer der Regenten des König- 
reichs werden wurden im falle die Königin unerwartet mit 
Tode -abginge. Wenn nun audi Lord Jersey's 'Unfähigkeit 
gross sei, so könne er doch selbst unter fähigen und wohl- 
gesinnten CoUegen mit vmxa bösen Intentione n .viel Schaden 
stiften. Da hat denn der Gesandte im Stillen keinen Augen- 
blidc geruht, um eine .sotefae Ernennung vx hintBftreiben. 
Nur kostete es hinterdrein viel Mühe, den Freunden, wekhe 
den Hergang witterten, Schweigen aufzuerlegen*), damit 
jeder Lärm vermieden würde und die Königin nicht etwa 
gar Verdacht schöpfte, dass er sich in Sachen mischte, die 
ihre Regierung angingen. Immerhin aber war Lord Jersey 
in der neuen Combination nichtsdestoweniger ein eintluss- 
reicher Posten zugedacht, nämlich in folge des plötzlichen 

St. Jean travailh et mylord Rahy a un grand eucendamt sur itd," Mdners 
nad Spittkr, Q3tt.!]ditor..llacMiii I, S. 565. 

*) »*T^y tasehd tU Uur dts ii m mie r et gue J*ay fmie* eU, •L«late 
driffiiite Itep«oiw «ob London^vom 7. JaU. 



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373 



Todes des Herzoge von Newcastle die Stelle des Geheim- 
siegel^Bewahrers, als er am Tage yor der Ausferdgung' 
selber vom Schlage todtlieh getmßea wurde. „Idi eaU 
rinne Buch mclit:", schrieb Swift, der damals in eeinm 
„Knamtner** die Reaction mit allen Kriftel» anblies, „das» 
in so kureer Zeit so viele hervorragende Persönlichkeiten 
gestorben sind." 

Keine Frage, dass die Ifinbter Raby's Ankunft sehn- 
li^ist erwarte t en ? verrMien sie doch die grSsste Hast, an 
das Friedenswerk zu gehen und womogflich den Holländern 
die mitbestimmende Rolle zu entwinden. Darüber erwarteten 
denn Lords und Gemeine von einem Tage zum anderen 
vergeblich das Ende der Session. Die ersteren waren ver- 
stimmt über das vermehrte Eindringen von schottischen 
Adlichen, selbstverständlich nur Trabanten der neuen Ord- 
nung, im Oberhaus. Die lauten Klagen der Gemeinen 
suchte St. John für den Augenblick mit der UnpässUchkeit 
der Königin zu beschwichtigen. 

An der mittlerweile Lord Townshend bewiesenen Un- 
gnade — auf St. Johns Betreiben wurde ihm ein vornehmes 
Hofamt^ das Commando der Schlossgarde, entsogen — kam 
vollends die Entfremdung des Tory-Cabinets von den Ge- 
neralstaaten an den Tag. Der nunmehrige Leiter der aus- 
wärtigen Politik nämlich warf ihm ausser seinen Sympathien 
f3r die Whigs ganz besonders vor, dass er mit HoUaöid den 
B a rrier en vertrag abgeschlossoi, in wachem auch von dieser 
Macht die protestantische Thronfolge in England garantirt 
wurde. Mr. St. John nahm keinen Anstand, dem im Haag sehr 
wohl bewanderten Herrn von Bothmer rund heraus zu sagen : 
jener Vertrag kiufe den Interessen der englischen Nation so 
sehr zuwider, dass, wenn man eine Ahnung davon gehabt 
hätte, im Parlament sofort Lärm geschlagen worden wäre; 
er zweifelte nicht, dass die Rüge in der nächsten vSession 
nicht ausbleiben würde. Auf I^othmers Einwurf, dass man 
dem Vertrage denn doch die Festigkeit zu verdanken hätte, 
mit welcher die Niederlande den Krieg fortführten und dass 
es schon desshalb nöthig wäre, eine Meinung wie die eben 
vernommene nicht ruchbar werden zu lassen, entgegnete der 
verschlagene Minister, dass er sich nur im vollen Vertrauen 



374 



DU AutsichUn dts üaustt Mannover 



geäussert haben wollte , — während dem Gesandten sehr 
wohl bekannt war, wie doch schon Andere darum wussten. 
Mit Recht befürchtete er , der Hof zu Wien würde daraus 
Vortheil ziehen und Anlass nehmen, nun auch seinerseits die 
Auflösimg eines Bündnisses zu besiegeln, dem sammtliche 
Hitig^lieder bis dahin die namhaftesten £rfolge za verdanken 
gehabt hatten. 

Am 25. Jmii wurden endlich die Emennungen und 
Standeserhohungen in der „Gazette^ verdflEentficht 3Eail 
Poulett» bis dahin das nomindle Haupt der Schatzkammer» 
machte dem Grafen von Oxford Platz und wurde dafür Lord 
Steward. Dem Herzoge von Buckingham, der mit St John 
auf einem guten Fusse stand, wurde das Au%eben dieses 
Postens und die Uebemahme der Präsidentschaft des Ge- 
heimen Raths mit einem höheren Einkommen versüsst. Zum 
letzten Mal wurde ein Kleriker, Bischof Robinson von Bristol, 
Geheimsiegel - Bewahrer , nachdem er freilich den grössten 
Theil seines Lebens sich mit Staatsangelegenheiten befasst 
hatte. Als endlich Lord Raby aus dem I faag eintraf, um dem- 
nächst als Earl von Strafford und als Townshends Nachfolger 
dorthin zurückzugehen, hiess es in der Stadt all gemein, ein 
Friedensschluss stünde bevor, was denn allerdings die Mi- 
nister nicht wahr haben wollten. Bothmer hatte wenigstens 
mit Recht behauptet, dass für den im Augenblick wichtig- 
sten Posten, den im Haag, eine Null wie Paget, V)(m dem 
die Höflinge munkelten, nicht designirt worden, und gab 
selbst die Hoffiiung' nidit auf, dasa.stdi sein Freund Lord 
Halifax unter den Conmissaren befinden würde. Sehr be- 
zeichnend aber ist sein Stossseufiser in der Depeache vom 
selben Tage: »JEs ist leider nidit UMlir die Fähigkeit der 
Menschen ifa capaeiii des kommes), welche gegenwSrtig' bei 
Vertheilung' der Aemter bestlmmeod ist'* Lord Oxford 
bildete sich eben Cablnet und Dienst, wie sie den Interessen 
der von ihm eroberten Herrschaft und seiner Gunst bei der 
Königin entsprachen. Darm war weder für einen Tory- 
Führer, wie den Earl von Nottingham, noch für den ge- 
sinnungsvollen und gesetzkundigen ^\' big Lord Somers Platz, 
von denen der eine es im Herzen, der andere freimüthig' und 
oÖen mit Hannover hielL 



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Off/ dm ett^ÜKkm Throm im fmkrt 171 1 



375 



An demselben 23. Juni erfolgte denn endlich auch durch 
Königin Anna in Person die Vertagung des Parlaments 
nach einer Session von ganz ungewöhnlicher Dauer. Der 
hannoverische Gesandte hatte, wie seine Berichte gleich- 
falls darthun, ein scharfes Verständniss für die Thätigkeit 
und die gesteigerten Vorrechte dieses hohen Raths Gross- 
britanniens entwickelt. Namentlich bei zwei Anlässen scheint 
er die Verhandlungen besonders aufmerksam verfolgt zu 
haben. Der von Harley am 15. Mai den Gemeinen vor- 
gelegte Finanzplan, nach welchem die Staatsschulden den 
Gläubigem zu sechs Procent vendnst und sie selber zu einer 
Gesellschaft mit der Anweisung auf ein Handelsmonopol in 
der Südsee incorporirt wurden, erschien für die Gr^gBnwart 
om so blendender, als das Publicum der gestürzten Regie- 
rung blindlings vorwarf, die öffandkhiea Recfantiiigen zum 
mindesten nut grosser Sorglosigkeit gefShrt zu haben. „Ob- 
gleich die Acte wegen der Lotterie", meldete Bothmer seinem 
Herrn «m 22, Sfai, „noch nicht passtrt worden, so ist die- 
selbe dessemmgeachtet bereits voll von Propositionen, welche 
Mr. Harley ohnlängst gethan, die Schulden des Königreichs 
abzutragen. Es wird zwar unterschiedlich darüber geur- 
theilt, jedoch scheinen die Meisten davon zu halten, es werde 
damit zu Stande kommen, und dann das Parlament kurz 
nach dem Fest prorogirt werden können." Da nun das 
Parlament mit seiner Beistimmung nicht zurückhielt, so 
gingen die neuen Actien im Vergleich zu der im Jahre zuvor 
veranstalteten Ziehung so gewaltig in die Höhe, dass die 
Nachfrage, die sich sofort auch bis Hannover erstreckte, 
nicht befriedigt werden konnte. Schon am 27. März schrieb 
Bothmer dem Grafen Bemstorff: „Man glaubt, dass die 
bereits über mehr als 1,500,000 Pfimd Sterling ausgegebenen 
Scheine noch vermehrt werden sollen, um das Greld nicht 
zurückzuweisen. Niemand freilidi weiss^ wer unter den Dar- 
lehn^den dor erste und der letzte ist Aber dne zweite 
Lotterie wird diesmal nicht stattfinden, weil man den Aus- 
gang eines neuen Fcddzugs im Ai^^ hat'* Uebrigens waren 
unter der Hand doch genug Sch^e zu haben; denn, wie 
Bothmer am 21. April der alten Kurfurstin Sophie rieth, 
die sich ebenßdls betheiligen wollte, aber nicht Geld genug 



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376 



Die Aussichten des Hauses Hannover 



eingeschickt hatte, war es noch ixnmer Zeit, die Summe bis 
ftuf loo Pfund zu erhöhen, um eine Actie zu kaufen. Auch 
Hessen sich die alten Scheine g^fen die der neuen Ziehungf 
austauschen.*) 

Ein anderer Gregenstaad, welcher das Parlament mehr- 
fach beschäftigt hatte, war die Postverwaltung. Die Ge- 
meinen zeigten sich nicht wenig aufgebracht über die grosse 
Freihdt, welche sich die R^erung mit dem Brie%eheim- 
nissnahm. Die Tories vom October-Chib forderten geradem, 
dass alle Postbeamten hinfort eidlich beschworen sollten, 
sich nun und nimmer an Briefen zu vergfreifen. Als Mr. 
St. John lebhafte Vorstellungen erhob, dass das Ministerium 
in grosse Verlegenheit kommen würde, wenn es sich die 
Hände dergestalt binden Hesse, wurde der A^orschlag ge- 
macht, dass, um die fragliche Befugniss zu ertheilen, in 
jedem einzelnen Fall ein schriftliches Mandat von einem der 
beiden Staatssecretäre vorliegen müsse. Aber auch dies 
schien den das Staatsruder führenden Herren noch nicht zu 
genügen, imd Bothmer zweifelte daher sehr, ob sie sich über- 
haupt ihre Willkür durch ein Statut würden beschränken 
lass^ — was denn auch noch über hundert Jahre später, im 
Sommer 1844, als Sir James Grraham die Briefe Griuseppe ' 
Mazzini's hatte öffiien lassen, als zu dnem solchen Act den 
Staatsanwalt. berechtigend in Ansprudi genommen worden 
ist Unter Königin Anna handelte es sich ausserdem um 
eine Erhöhung des Brie^rtos, das, wie überhaupt die Re- 
venuen der Post, durch das Statut von 1 7 1 1 dem Kronfiscus 
entzogen und fortan den öfifentüchen Fonds einverleibt 
wurde. 

Ehe jedoch der Herr von Bothmer, der nur in beson- 
dererer Mission nach London gegangen war und sich am 
3. Juli bei der Königin Anna verabschiedete, die Rück- 
reise nach dem Haag antrat, w^o er für die nächste Zeit viel 
nöthiger am Platze war, hatte er noch einige besondere 
Geschäfte seines i h^rrn abzuwickeln. An vStelle des bis 
dahin in London functionirenden Agenten, Wilhelm Beyrie, 
der wegen seines Alters in Pension ging, wurde Herr 



*) KenMe a« a, O. 



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auf den englischen Thron im Jahre 1711. 



377 



Kreyenberg vorgestellt. Ausserdem aber hatte sich der 
Gesandte unter Mitwirkung dieser Beamten die im JaJire 1 706 
deponirte geheime Urkunde, durch welche im Voraus ein 
Regentschaftsrath iiü Fall des plötzlichen Ablebens der 
Königin designirt worden, zurückgeben lassen, um dafür 
eine andere unter denselben Sicherheiten niederzulegen, in 
welcher die ZaUder IxxnUhOb^rrichtei' noch vemdhrt wurde. 
Biteressant ist die hierüber in einer gdieimen Depesche vom 
30. Januar begegnende Notiz: „Lord Somer's hat mir gesagt, 
dass, da die gehdme Acte der Frau Kurfürstin, welche sich 
hier in triplo befindet und in wacher Ihre KurförstL Durch- 
laucht einige Persönlichkeiten dieses Königreichs nach dem 
Tode der Königin als Regierung ernannt, vor der Union 
Englands mit Schottland aufgesetzt ist, die Schotten mit 
einem gewissen Anschein von Recht dagegen Einwendung 
erheben könnten, und dass es ihm daher rathsam erscheine, 
eine neue Nominationsacte auszufertigen." Bothmer stellte 
seine Bedenken entgegen, denen Somers und Halifax bei- 
zupflichten schienen. Indess am 6. März bescheinigte er, 
dass er die bisher von Beyrie in Verwahrung gehaltene Acte 
nebst einer Verschreibung von 375,000 Thalem an sich 
gmommen habe. Nach Lord Somers Rath hat dann in der 
Folge die Ersetzung durch ein anderes Instrument statt- 
gefimden und ist dies fortan bei Kzeyenberg hinterlegt 
worden. 

Erst nachdem alle diese Gesdiafte erledigt waren, schiffte 
sichBothmer auf emer königlichen Yacht wieder nachHolland 
ein, nidit gerade mit sehr erfreulichen Aussichten in die 
Zukunft der grossen Angelegenheit, der er mit aufopfernder 
Treue diente. Noch in seiner letzten Depesche vom 7. Juli 
171 1 hatte er ausdrücklich hervorgehoben, dass er mit Lord 
Halifax in vollem Einverständniss verbleibe und das Ver- 
trauen habe, auch der kurfürstliche Hof werde diesen 

• 

englischen Staatsmann mit PVeuden als Friedenscommissar 
neben ihm wirken sehen. Vier Jahre und einige Monate, 
Wechselfälle, die mehr als einmal jede Hoffnung auf das 
Zustandekommen der Succession zu vernichten schienen, 
lagen dazwischen, bis er im Gefolge seines Herrn, König 
Georgs I.« abermals nach England kam, als der einzige unter 



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I>ig Jmncktgn dts Stmstt Hannaver auf den en^L Thron im f. 171 1. 

den deutschen Ministem, welcher mit daa dortigen Ver- 
hältnissen vertraut war und daher an der ersten Einrich- 
tung" der Dynastie, besonders auch der Vergebung der 
Aemter, weldie den Whigs zufielen, henromgenden An- 
theü nahm.*) 

Cf. «J. H. Yom Ilten* von Bodenttn. 



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CONFESSIONELLE BEDENKEN 
BEI DER THRONBESTEIGUNG DES HAUSES 

HANNOVER IN ENGLAND. 

Mit der zweiten , sogenannten glorreichen Revolution 
trat Wilhelm III., der Oranier, in die Bresche, um den 
Nationen Britanniens, von denen die eine bischöflich, die 
andere presbyterianisch regiert sein wollte, wie in den 
bürgerlichen so auch in den kirchlichen Institutionen ihr 
Selbstbestimmtmgsrecht und beide zugleich vor der Rück- 
kehr des verfassungsfeindlichen Papismus zu sichern. £r 
selber, bereits ein Epigone der harten confessioneUen Gegfen- 
sätze seiner calvinischen Heimath, ein Zeitgenosse von 
Letbmz, betrieb emsdkli, obw<^ ReUgionsgenosse der 
Schotten, einen Modus vivendi zwisdien den verschiedenen 
Kirdien und Secten, eine Unicm oder, wie man damals 
sagte, eine Comprehension insonderheit der nordbritischen 
mit der sfidbritischen Kirchenform, welche letztere meist 
nur mit tiefem Widerstreben in diesem HoUinder ihr welt- 
liches Haupt duldete. Wohl hat er durch die parlamenta- 
rische Union den Einheitsstaat zwischen England und Schott- 
land angebahnt. Um die streitenden Kirchen aber ein noch 
so lockeres Band zu schlingen , vermochte er nimmermehr. 
Dagegen gediehen latitudinarische Principien , an welchen 
beide im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts arg verflachen 
sollten. 

Merkwürdig nun aber, wie Wilhelm, welcher kinderlos 
war und dessen Erbin, Anna Stuart, bereits am lo. August 
1700 ihren einzigen Sohn verlor, sich in Kurzem mit dem 
Gedanken an einen lutherischen Thronfolger vertraut zu 
machen hatte. Vorübergehend freilich, während der han- 
noverische Hof sich zu den eigenen Aussichten noch mehr 



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380 



als lau veiliielt, hat der staatsmSimische Fürst euunal einen 
anderen Plan gehegt Als nandich im September 1700 

Sophie, die Kurfürstin- Wittwe von Braunschweig-Löneburg-, 
nebst ihrer Tochter, der Kurfürstin von Brandenburg und 
deren Erstgeborenem bei ihm im Haag zu Besuch waren, fiel 
sein Auge auf diesen, den aufgeweckten zwölfjährigen Kur- 
prinzen Friedrich Wilhelm, der wenigstens reformirter Con- 
fession war. Schon gerieth Graf Platen in Hannover wegen 
des Erbrechts seines Herrn zur englischen Krone in Unruhe : 
commc si eile rcgardoit plutost Ic Prince Royal de Prusse 
estant Protestant que nostre Electeur et nostre Prince JSleC" 
foral estans Luthiriens , schreibt er am 14. April 1701 an 
Ut^.*) Indess ein Conflict Ottoh auf diesem Felde sollte 
denn doch der hinreichend erregten Eifersucht zwischen dem 
weifischen und dem hohenzollem'schen Hause erspart bleiben. 
Friedrich Wilhelm L von Prenssen auf dem englischen Ihrem 
ist kaum auszudenken. Im Jahre 1701, dem letzten seines 
Lebens t als bereits der spanische Erbfolgekrieg drohend 
über Europa heraufzog, gelang es dem Oranier, die gründe 
legende Act of settlement mit dem Parlament zu verein- 
baren , derzufolge nach Anna's Ableben nicht ihr Stief- 
bruder, der katholische Sohn Jacobs II., sondern die in 
directer Linie von Jacob I. stammende Kurfürstin Sophie 
und deren Leibeserben in den britischen Reichen succediren 
sollten, bcing prafisfants, wie ohne bestimmtere Confe&sions- 
bezeichnung das Statut lautet. 

Erst zwölf Jahre später, als Anna's Regierung, von 
Lord Bolingbroke inspirirt, sehr gegen die Interessen der 
Verbündeten, Hollands, der deutschen Fürsten und des 
Kaisers, den Frieden von Utrecht schloss und verdacht^ 
Sympathien für den von Ludwig XIV. geschützten Präten^ 
deuten, der sich Jacob HL nannte, durchblicken liess, wurde 
die grosse Anwartschaft vom hannoverischen Hofe lebhafter 
in die Hand genommen. Seit December 17 12 weilte der 
geheime Rath Freiherr Thomas von Grote als Gesandter 
des Kurfürsten in London, dem nach Entwürfen und Origi- 
nalen im Königlichen Staatsarchiv zu Hannover sehr ge- 

Bodemann, Jobst Hermann von Ilten, ein hannoverischer Staats- 
mann, S. 192. 



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des Hauses Hannover in England. 



3«! 



tnessene Instructionen ertheilt waren, welche do<^ audi die 
ia £i^^ftiid hemchende mit deni katholisclMB JaoebHisiiius 
eng Terbaadene hoc^hkirdhlidie Reectton in's Auge &sseii 
tDBusflIeii. I^e sind von dem Herrn t* R.obeÜu>ii dxdigfesetzt» 
emem Hugenotten, derln Wilhelms IH Cabinet den StuM»- 
•dieiist gelernt, seit ^702 aber dem Welfenhause mit Leib 
und Seele diente, um die eine grosse Sache wider den Stuart, 
<len Papet und den Konig von Frankreich durchzuffikren. 

In der Instruction vom 7. November 17 12, die im Namen 
der Kurfürstin Sophie ertheilt wird, ist zum ersten Mal der 
Versuch gemacht, die Abneigung, die sich gegen die Con- 
fession Hannovers zu erkennen gegeben, zu beschwichtigen. 
Der Gesandte soll sich befleissigen, der anglikanischen Geist- 
lichkeit nahezutreten , weil einige sich beklagen : que cefte 
cour negligeoit trop un corps^ qui peut avoir tiuit d'in- 
fluence stir l'affaire de la successton. Aus der Feder des 
sehr entschieden calvimstischen Condpient«! heisst es dann 
welter: On peut insinuer ä ees messieurs, que le gouverne» 
mmU 0ecUsiasHqu€ tieH aucunemenf fresdyten'en cken les 
4oang9Up&eSt f^tls oni Uurs sufermtendanis, dmi ks 
f&ncHans sani fuas$ les mSmes ^ue des Soeptes. In ^em 
]ai^;en Berfdit vom 17. Februar 1713 scfaiktarte Grote die 
fOr die hanndverischen Aussichten sdir bedenkBdien Zu- 
stBnde. Er eagt: ,,Das aUerfibdste ist, dass die Geistlichen 
der englischen Kirche -mehrentheils Übel disponiret zu seyn 
scheinen, und ist es -nicht so wohl von denen übrigen als 
von solchem Orden, dass Euere Kurfürstliche Durchlaucht 
und Dero durchlauchtiges Haus allerley falsche Suggestiones 
leyden müssen, da man Sie bald gahr keine Absicht auf 
hiesige Crohn mehr zu haben, bald mit allen Feinden von 
England allzu genau verbunden zu seyn, bald auch eine 
gahr zu despotische Regierung, so England unerträglich 
wäre, gewohnet zu seyn accusiret" Die meisten Presby- 
terianer in Schottland dagegen seien gute Freunde und be- 
sonders durch Wiederaufhebung der politischen Union zu 
g;ewinnen, womit der Stuart sie ebenfalls zu ködern suchte. 

Uebec diese Beziehungen war Robethon indess durch 
intime Mittheilungen von Schotten selber 9tka genau unter- 
richtet Dort gahrte ee gewaltig, seitdem die presbyteria- 



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ConJessUmeUe Bedenken bei der I hronbeiteigung 



nische Kirche, einst von Wilhelm III. als die des Landes 
anerkannt, zugleich von ang-likanischer Intoleranz und jaco- 
bitisch-katholischer Reaction bedroht wurde. Ein gewisser 
Ridpath befand sich in den Niederlanden als Agent der im 
nordischen Königreich der protestantischen Succession er- 
gebenen Partei, der das Lutherthum Hannovers kein solches 
Aergerniss war wie den englische Hochkirchlem. Rid» 
path drang in seinen Briefen, die nur in Robetfaons Privat» 
correspondenz vorgelegen, auf £rnditttng einer nationalen 
Association, behuft Abw^ des Stuart und Bdiebnng des 
Kurfürsten, von Schottland aus» ganz wie einst unter König' 
Wilhelm und schon unter Elisabeth die treuen Ptotestantso 
zum Schutz ihrer Hmscher gegen fim^HaritA MrtiA><i«/*it^|ig^ 
zusammengetreten waren. Vor allem aber insinuirte er Auf- 
hebung^ der Union, des Einheitsstciats, der allen schottischen 
Factionen gleich sehr in der Seele verhasst war. Robethon 
hat der ersten Idee in einer vertraulichen Denkschrift leb- 
haft das Wort geredet.*) Die so schwer zu Stande ge- 
kommene politische Einigung dagegen hätte er als Zög- 
ling des Oraniers nimmermehr antasten mögen, wie sie denn 
auch in der Folge vor allen in stürmischen Tagen die 
sicherste Garantie zur Behauptung des Weifenhauses in den 
britischen Reichen blieb. 

Zunächst aber wurden die Beziehungen der bald ans* 
schliesslich von Bolingbroke geleiteten Königin Anna zum 
Hofe in Hannover geradezu imfreundlich. Dem Herrn 
von Grote, der am 15. Marz 1713 in London starb, wurde in 
dem Crdieimen Rathe Smold von Schütz ein Nachfeiger be- 
stellt mit fest gleich lautenden Auftragen. £r hat über die 
lebensgefahrlidie ErJcrankung der Konigin im Winter 1713 
zu 1714 werthvolle, noch völlig unbenutzte Berichte dng^ 
sandt, im Frühling aber die englische Regierung dadurch 
auf die Probe stellen wollen, dass er kraft einer eigen- 
händigen Vollmacht der alten Kurfurstin Sophie die Be- 
rufung ihres Enkels, des Kurprinzen Cieorg, auf Grund seines 

*) Je crey^ fue Pextmpie de eettt assodaHon devroü estr* dumi 
far VEglUe nationale d^Ecosse^ et qyfafrit eekt Us vities, ioitrge ei cor^ 
poraüons en Eeosse suiveroient , ce qui se eammtmifmer^it em Jkiig^ittiemt 
Aa. dta Fxeihenm fiothmo: 17. Oct 1713. 



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d«s Hauses Uannwtr in England. 



Titels als Herzog* von Cambridge in das Oberhaus forderte. 
Bolingbroke zauderte nicht, den Gresandten, seinem Cha« 
rakter zum Trotz, aus dem Lande zu weisen. Anna ridi- 
tete zornige Schgeihim an ihre Cousine und den Kurfürsten, 
Sophie starb tief erschüttert, vom Schlage gerührt, am 
8. Juni in Herrenhausen. Die Aei 0/ seiÜeftutU wäre ver« 
loren gewesen» wenn nicht an Annans Sterbelager am 
10. August die Herzoge von Shrewsbury und Argyle, ein 
englischer und ein schottischer Peer, fEbr das Statut gegen 
3olingbroke eingetreten und nicht schon vorher in Erwar- 
tung jenes Endes der Herr von Bothmer zur Stelle gewesen 
wäre, ein bewanderter Diplomat, um alle früheren Verab- 
redungen im Namen Georgs I. klug und energisch festzu- 
halten. Aus seinen Berichten und Tage])üchern, die mir in 
dem Archiv zu Hannover zugänglich gewesen, wird sich 
das sechswöchentliche Interregnum bis zur Ankunft des 
neuen Herrschers viel sicherer darstellen lassen, als es bis- 
her in der englischen Geschichtschreibung geschehen ist 
Unter den Acten findet sich der £ntwurf zu einem könig- 
lichen Handschreiben datirt den 25« September aus dem 
Haag, worin Bothmer au^^geben wird, den Grrafen von 
. Nottingham, Führer einer der Succession treuen Fraction 
der Tones und Mitglied des RegentschaftsraÜis, zu ver- 
slchem: „dasa der englischen Kirche nicht die geringste 
ombrage geschehen solle." Die Whigs, durch Bolingbroke's 
Sturz aus langjähriger Zurücksetzung erlost, waren von 
jeher Parteigänger der prutestantischen Erbfolge und jubel- 
ten ihr nun vollends zu. Mit ihnen haben denn £iuch in der 
Folge die beiden ersten George fast ausschliesslich regieren 
müssen. 

lieber die Reise des neuen Königs von Hannover durch 
Holland und geleitet von einer stattlichen englischen Flotte 
von Helvoetsluys bis Greenwich und London ist ein inter- 
essantes Journal zum Vorschein gekommen, das, wie ich 
vermuthe, von einem der Hofprediger herrührt, die sich in 
dem zahlreichen Gefolge befanden. Es gedenkt der feiere 
liehen Krönung Greorgs L zu Westminster am 20, October 
alten Stils. Dem englisch imd deutsch gedruckt vorliegen- 
den Cerem<»iiell gemäss trug der König nach Wilhelms m. 



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Beispiel kein Bedenken dabei, das Sacrament nach ang-li- 
kanischem Ritus zu empfangen, was einst Jacob II. als offener 
Katholik, da er keinen katholischen Bischof zur Stelle hatte, 
noch kraft seines Supremats aus dem uralten Ritual zu 
eliminiren gewagt hatte. Allein eine eigenthümliche Be- 
gegnung verschiedenartiger Kirchenordnungen hing nun 
einmal mit der Einrichtung eines deutschen Königshauses 
in St. James zusammen. Das Reisejoumal notirt unter dem 
26. October a. St.: 

,,Was den Statum ecclesiasticum betrifft, so ist der 
König, der Cron Printz, wie auch die Cron Printzessin seit 
Ihrer Ankunft bisher immer in die EngHscfae Capelle ge- 
gangen" — wohl bemerkt, Georg L, der nie ein W<tft 
]Snglisdi lernte — . , JXe beiden jungen Printzessinnen aber 
haben 3 mahl dem teutscfaen evangdischen Gottesdienste 
bdgewohnet, in w^diem man den 5. November N. St. an^ 
ge&ngfen hat, Englische Betstunden Nachmittags um i Uhr 
zu halten, welches in's Künftige continuiren wird. Die Oron 
Printzessin gehet allezeit in diese Betstunden. In der KSnigL 
Englischen Hof Capelle*) wird gleichfalls alle Tage Bet- 
stunde gehalten, welche die Könige und Königinnen hie- 
siger Gewohnheit nach, wenn sie in London sind, mit zu 
besuchen pflegen ; man glaubet aber nicht, dass der König 
oder Printz bis dato diesen alltäglichen Betstunden bei- 
gewohnet habe. 

„Unser Teutscher Evangelischer Gottesdienst wird bloss 
den Sonntag Vor und Nachmittags in vorgedachter Teut- 
scher Capelle verrichtet und zwar auf Verordnung und Gut- 
befinden der Herren Ministres. Die Capelle ist so klein 
und so schlecht aptiret, dass kaum der halbe Theil von der 
Königlich Teutschen Hofetatt und die Damen gar nicht 
hineingehn können: wannhero emige in die Savcy^ andere 
einen gar weiten Weg in die SchwedJsdi Teutsdie Kirche 
&hren und gehen.*" 

Zur Geschichte dieser unmittelbar bei St James be- 
findlichen Capelle sei bemerkt , dass sie fOr den Prinzen 
(xeorg von Dänemark, den im October 1706 verstorbenen 



') Die St. James Chapel im Palais gleichen Namens. 



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des Hauses Hannover in England. 



Gremahl der Königin Anna (gewöhnlich Prinz £st-il-po6sible 
geheissen, e&neo überaus einfaltigen Manschen) und Är seine 
dentache Begkdtung erbaut war. Es ist interessant, jetzt 
ans dem Reisejoumal zn erfahren, bei weldier Gelegenh^ 
hier die englisdie Liturgie eingeSahrt wnrde, wi« sie heute 
noch des Sonntags nadi dem yerdeutschten Common Prayer 
Book gelesen wird. 

Dasselbe Journal verzeichnet noch viel wichtigere Dinge. 
Es heisst unter dem 17., 28. November: „Es ist ohnlängst ein 
eintzeler Bogen gedruckt heraus gekommen unter dem Titel: 
The History of the Luthcran Church or An exact account 
of King Georges Religion, i. e. eine genaue Nachricht von 
Könißf Georges Religion, worin der Autor zu zeigen sich 
bemühet, dass unter den Evangelisch-Lutherischen und der 
Episcopal Kirche von England gar kein Unterschied sey, 
indem die Kirchen Ceremonien und Ritus einerley — da er 
denn den öffentlichen Gottesdienst in der Teutschen Hoff 
Capelle su St James mit dem in denen Englischen Kirchen 
en parallele setzet — ; und in dootrinalibus sey nnr in dem 
eintzigen artlcolo de coena ein gar geringer und nicht zu 
attendirender Unterschied. So gut nun dieses Mames In- 
tention und so moderst seine Priiidpia sind, so hefiiig ist 
hergegen der Tractatus anonymi (welcher aber dn Oxfimr^ 
tisdier Magister sein soll) unter dem Titd: A UHer of a 
schoolboy to the author of the History of the Luthcran 
Church, i. e. Ein Brieff von einem vSchulknaben an den 
Auctorem der Historie der Lutherischen Kirche. Der Zweck 
des Auctoris in diesem Briefe gehet dahin, dass er seiner 
Meinung nach beweisen möge, es sei zwischen uns und der 
Kirche von England nimmer eine Vereinigung oder Recon- 
ciliation, wie er redet, zu hoffen, und sein Hauptargument 
ist, weil wir rechte gottlose, blasphemante imd dampnable 
Dogmata in unserer Kirche hegeten und glaubten, dahin er 
rechnet das Evangelische und schriftmässige Dogma da 
reali praesentia corporis et saliguims Christi in Sancta coena. 
Er imputiret uns auch sonst» dass wir mit den Paptsten 
nidtt allein die Reliquien und Bilder unserer Kirche beibe- 
hielten, sondern dieselbe auch religieusement verehreten und 
kSsseten. Dann sagt er ferner, wir bitten keine Biscfaoffs 



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Confessionelle Bedenken bei der T hronbesteigung 



und per consequens keine Pastores rite ordinatos. Von 
dem Könige selbst» welchen der Auetor von The account 
einen Lmäieraner nennet, schreibel er also : 'Ich weiea wohl, 
dass der ChurfQrst von Bnmasdiwdlg' ein Lutheraner war; 
was aber König* George betrifft, so ist derselbe kein Luthe- 
raner, sondern ein Glied der Kirche von JEngelland und 
nach den Gooctz en verbunden, unsere Religion wider alle 
andere irrige Secten und Religionee zu mainteniien' und 
was dgl. hefftigfe und impertinente Passagen mehr sind. 
Ein anderer Prediger in der Provinz Kant, Doct. Brett, 
welcher einen dgl. Tractat heraussgegeben , welchen er 
nennet: ^.viciv of fhe Lutheraii principlcs'\ i. e. eine Muste- 
rung der Lutherischen principiorum , ist eben so hart und 
hat expressiones , die eben so hart und von der Wahrheit 
eben so weit entfernet sind als des ersteren; e. gr. p. 13 
sagt er: Der Lutheraner Kirchen Staat dependire von der 
Ordination ihrer Prediger; wenn sie nun keine rechtmässige 
ordinationes und ordines haben, so können sie auch vor 
keine rechtmässige Gemeine gerechnet werden, das ist, 
setzet er hinzu, sie können vor keine christliche Kixdae 
oder Sodetat gehalten werden. Und da er uns vorher 
zu Papisten gemacht, so sdiilt er uns hernach vor Pres« 
byterianer und endUch achtet er uns nicht besser als Ana- 
baptisten, Indepeodenten, Quacker und dgL Dieser Auetor 
sagt weiter: Wir glauben in dem h. Abendmahl eine Con- 
substantiation, welche Doctrina ebenso gottlos und ver- 
dammlich sey als der Papisten Transsubstantiation. Femer 
schreibet er fälschlich von uns, wir wollten einige Bücher 
in dem Neuen Testament nicht pro canonicis passiren lassen, 
als die 2 Ep. Petri, die 2 und 3 Johannis, die Epistola Jacobi, 
Judac und die ()ffenbarung Johannis, und citirt dieses zu 
probiren den Chemnitium, entweder fälschlich oder corrupt 
und ausser dem Context Da nim diese und dgl. Xheologi 
Episcopales jetzo solche hefftigen princtpia annehmen und 
solche zu propagiren sich nicht scheuen, so verkennet man 
nicht daraus, cuius £aurinae sie seyn, und dass sie den König' 
wegen der Religion vwhasst zu machen und den Präten- 
denten zu fiBkvorisiren suchen.** Die irisdien Anglikaner 
gaben ihren englischen Brüdern Nichts nach und schalten 



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dss Hausts Ha$inoMr m England, 



387 



das Bekenntniss des neuen Herrachers als mindestens ebenso 
schlimm wie das papistische.*) 

Mein sieht hieraus, wie tief erregt die auf ihre aposfeo* 
üsche SuGcession stolze Kirche war, und wie nicht nur die 
schon unter König Wilhelm ansgeechiedanen Not^urorB, 
sondern die streitbare Phalanx des Anglikanismus über^ 
hanpt fOr den katholiedien Stuart mehr Mitgefühl hegte als 
für den hitheriaohen Wei£. Man sieht femer: die Presse, 
seit zwei Decennien in England gesetzlich frei, hatte sofot 
den Federkrieg geg^ die fremde Dynastie aufgenommen, 
nachdem man, bestfirzt fEber die unbehinderte Procla- 
mation bei Anna's Tode, nicht im Stande ^»-ewesen, den 
Bürgerkrieg zu entzünden. So wimmelte es denn in Kurzem 
von jacobitischen Brandschriften, die nach Kräften /um 
Sommer 1 7 1 5 den Aufstand in den schottischen Hochlanden 
und in den nordengUschen Grafschaften anblasen halfen, 
der jedoch, obwohl der Prätendent selber herbei eilte, blutig 
niedergeschlagen wurde. Unter dieser Literatur machte ein 
Pamphlet: English advicc to the Frecholdcrs of J^n^land 
am Hofe Georgs I. mit Recht böses Blut. Officios erschie- 
nen alsbald zwei Antworten vom Standpunkt der Whigs 
und der hannöverischen Dynastie. Unter Robethons Pa- 
friaren, in einem heute dem Niedersachaischen Geschichte- 
Verein in Hannover gehdrenden Convolot, finde ich von 
seiner Hand, sowie in druckfertiger Abschrift eine dritte 
Erwiderung, von der ich nicht weiss, ob sie veroffMitlicht 
worden ist Sie ist französisch abgefiiMst und bekämpft mit 
sdmeidiger Sdbarfe Satz fOr Satz den giftigen Auslall der 
jacöbitisclien Tones, Nn/ame libeüe, wie Röbethon ihn 
nennt. Selbstverständlich suchte die feindliche Partei wie- 
derum die religiösen Gegensätze zu Gunsten des Präten- 
denten auszubeuten und die Gemüther über die Confession 
des hann(")verischen Königs vollends zu verwirren. Ich will 
zum Schluss den betreffenden Absatz übersetzen, weil er die 
Lage, wie sie sich mehr oder weniger noch über ein Men- 
schenaher hinzog. (If^utlich vergegenwärtigt. 

„Der Verfasser schreibt Robethoo, „gesteht auf 19 



*) Ledcy, GcicUdite F.ngtoiiri« itt ach t uha t i Jahrhundert II, 432. 

25* 



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ConftsHomlU ßedtnken bei der Thronbesteigung 



Ireimüthig, dass er während der Lebenszeit der König-iu 
Anna die Kirche niemals in (jefahr geglaubt hat. Allein 
jedermann wird sich des Lärms erinnern, den die Partei 
gerade desshalb vor einigen Jahren durch die ganze Nation 
hin gemacht hat'*'), mid dass man damals Whig oder Pres- 
bytorianer gvschdtoi wurde, wenn man nicht ans vollem 
Halse mttschrie: „die Kirdie ist in Ge&hr.*' Da haben wir 
nun einen von denen, die damals am lautesten geschrieen, 
der jetzt gesteht, dass er niemals daran geglaubt hat und 
dass der ganze Larm nur ein Kunstgriff gewesen, um die 
gemässigte Partei niederzusdireien. Ich glaube, dass nach 
diesem Beispiel od» besser nach diesem Eingeständniss 
von mala fides man leicht erkennen wird, dass das, was er 
S. 20 von der gegenwärtigen Gefahr der Kirche hinzufügt, 
ein Kunstgriff derselben Art ist und dass er an dieser Stelle 
gegen sein Gewissen spricht, wenn er überhaupt ein solches 
hat. Er begründet diese Gefahr auf angebliche Beziehungen 
zwischen dem Lutherthum und dem Papismus. Gerade hier- 
bei aber begegnet eine solche Menge von Absurditäten, 
dass man staunt, wie derer so viele auf so geringem Raum 
angehäuft werden konnten. Der Verfasser zeigt über Dis* 
dplin und Lehre der Lutheraner die gMdie Unwissenheit 
Es ist bekannt, dass ihr Kircfaenregiment mit dem angli- 
kanischen ein und dasselbe ist, dass sie in Schweden und 
Dinenuuk Bischöfe, in den anderen Landern Superinten- 
denten haben, die sich von den Bischöfen nur dem Namen 
nach unterscheiden, welche dieselben Functionen verrichten, 
dieselbe Aufsidit und cBeselbe Oberleitung üben wie jene. 
Der Verfasser zeiht die Lutheraner des Glaubens, dass 
Christus der Substanz nach .das geweihte Brot sei, was kein 
Lutheraner jemals gesagt und gedacht hat. Die Kinder 
wissen, dass die Lutheraner die Gegenwart des Leibes Jesu 
Christi im Abendmahl lediglich in dem Moment erblicken, 
wenn der würdige Communicant ihn im wahren Glauben 
empfangt, und dass niemals ein^ von ilmen behauptet hat, 
dass der Leib Christi sich etwa in dem unbenutEten ge- 
weihten Brot befinde, was der Fall sein musste, wenn das 



*) Die AngdegtalMit 4m Dr. Sftdwfodl Im J«bi» 1709. 



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des Hauses Hannover in England. 



389 



Brot substantiell Christus wäre, wie unser seltener Theologe 
sie zu g-lauben beschuldigt 

stellt als wahr hin, dass die Kronprinzessin*) strenge 
Calvinistin und Presbyterianerin seL Ich eridSre dagegen, 
dass es in Grossbritannien nicht einen Freisassen oder einen 
Sdiuljungen von 10 Jahren geben wird, der nicht wüsste, 
dass sie die Schwester des Markgrafen von Ansbach und 
wie er in der hitheriscfaen Religion erzogen ist Der Ver- 
fasser hätte hierüber den berOlimten Bischof von Bristol*^ 
befragen sollen; aber es ist hinreichend deutlich, daSs er 
mit den weisen und maassvollen Persönlichkeiten, die 
unserer Kirche die grösste Ehre machen, keine Gemein- 
schaft hat. 

.,Er fügt hinzu, dass dieselbe Prinzessin sich geweigert 
habe, das Sacriiment nach anglikanischer Vorschrift zu 
empfangen , obgleich gerade sie es in der Capelle von 
St. James vor den Augen aller Welt mehrere Wochen vor 
Erscheinen des Libells genommen hat, was jedermann in 
verschiedenen Zeitungen lesen konnte. Der Verfasser über- 
g^t mit Stillschweigen den Eifer, mit welchem diese Prin- 
zessin die taglichen Andachten besucht, sowie die Com- 
munionr des Königs und des Kronprinzen. Endlich sdieint 
er die Freisassen als Wesen einer andern Welt zu be- 
trachten, denen man die albernsten Unwahrheiten aufbinden 
kdnne. Ein Mensdi, der eine so ofientiüche Thatsache ver- 
sdiweigt, die sich vor vielen Augenzeugen in St. James voll- 
zieht, sollte etwa den guten Willen hegen, die Freisassen von 
allem zu belehren, was bei Hofe geschieht, von den Persön- 
lichkeiten, die von den Herren Tories caressirt werden, 
welche ihre Stellung nur Dank ihren Frauen bewahren, 
sowie von Einzelheiten, von denen er spricht, wie der Blinde 
von der Farbe? — Auf S. 20 erweist er dem Könige die Ehre, 
dass, sobald es sich darum handele, die Verfassung der 
anglikanischen Kirche zu beseitigen, er seinen Krönungsrnd 
zu brechen bereit sein werde. Kann man einen Fürsten 
unwürdiger behandeln, der es niemals an der geringsten 

*) Die treffUcihe Kandme vom BTaadenbnig-Ansbach. 
**) Vennodüich Jolm Robnucm, Diplomat und Lord Piivy Seal ia 
Attna's Ifinifterium, seit 1713 Bisehof von London. 



390 



ConfessionelU Bedenken bei der Thronbesteigung 



seiner Versprechungen hat fehlen lassen, als wenn man ihm 
die Absicht imputirt, eine Kirche mnzustürzen, deren Haupt 
er ist imd die zu erhalten und zu beschirmen er feierlich 
geschworen hat? 

,^ber wo bleibt da der gesunde Menschenverstand? 
Wenn der protestantische Thronerbe als ein erklärter Feind 
unserer Kirche betrachtet werden und wenn das Luther- 
thum nicht besser sein soll als der Papismc»» wesshalb 
macht dann der Ver&sser ein so grosses Verdienst aus dem. 
Eifer 'seiner Freunde für die Sucoession, aus der Sorge, die 
ihre Parlamente getragen, sie zu befestigen und dem Zu- 
jauchzen der Tories bei der Ankunft Sr. Majestät? Soll 
man den Leuten dafür Dank wissen, dass sie die Succession 
einem Feinde der Kirche zugewendet und das Lutherthum 
auf den Thron gesetzt haben, welches uns der Verfasser 
als ein so gefährliches Ungeheuer schildert? Soll man 
glauben, dass er und seine Freunde diese Religion erst seit 
Ankunft des Königs gekannt haben ? Keineswegs ; aber sie 
wurden nicht umschmeichelt, dass sie in Amt imd Würden 
verblieben, in welchem Falle sie ohne Frage das Lob des 
Lutherthums und seiner Conformitat mit der anglikanischen 
Kirche gesungen haben würden. Statt dessen vom Hofe 
geschieden, wird ihnen diese Rdigion auf einmal so furcht- 
bar wie der Papiamus selber und der protestantische Thron- 
erbe der Nation eben so verdadit^, wie der Prätendent 

„Wenn die Herren bei der schlaffien VbanX bdiarrten, 
die in ihrer Handlungsweise und an so vielen Unregel- 
mässigkeiten erschdnt, die ihr Leben entdboren, so könnte 
man sich entschliessen, darüber einen Schleier zu werfen. 
Aber aüe Greduld hat ein Ende, wenn man sieht, wie Leute 
ohne Religion die Kirche in jene Verachtung herabziehen, 
die ihnen selber mit Recht anhaftet, und ihre eigene Sache 
zur Sache der anglikanischen Kirche machen wollen. Diese 
Kirche, so berühmt durch so viele grosse Männer und so 
viele würdige Prälaten, die sie hervorgebracht, so ehrwürdig 
durch die Reinheit ihrer Lehre, ihrer Disciplin und ihres 
Cultus, ist es nicht minder durch ihre weite Nächstenliebe 
{par rcstendue de sa charite). Sie hat behufs völliger 
Wiedervereinigung der Protestanten und zur Bekehrung 



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dts Hautts Hannover in England. 



der Ungläubigen Nichts ver^lbsäumt. Die von dem ver- 
storbenen Könige Wilhelm gestiftete Gesellschaft zur Aus- 
breitung des Evangeliums hat daran mit unermüdlicher 
Sorge gearbeitet. Dieselbe Kirche hat mit ihrer mild- 
herzigen Beihilfe die Protestanten anderer Communionen 
überschüttet, welche um des Glaubens willen verfolgt ein 
Asyl in ihrem Schoss gesucht. In dieser Beziehung hat 
sich die verstorbene Königin ruhmreichen Andenkens wäh- 
rend des ganzen Verlaufe ihrer Rjegierong ausgezeichnet 
Nodi die letzten Soigen ihrer Frömmigkeit waren erq>riess- 
lich darauf gerichtet, treue Bekenner der Wahifaeit von den 
Galeeren*) zu eridsen. Und da ist nun eine Handvoll Un- 
glücklicher, sehr unwQrdiger Ihfilglieder dieser Kirche, als 
deren Eiferer ^ sidi hrüsten, welche sie zum Vorwand des 
Ehrgeizes und privater Rachsucht n^unen und ihr den- 
selben Verfolgungseifer einflössen möchten, von dem man 
diese Leute beseelt gesehen, während sie die Macht in Händen 
hatten, um die Ueberzeugung zu erwecken, dass diese Kirche 
die Protestanten anderer Communionen mit denselben Augen 
betrachte wie die Papisten, und um sie vom Geiste der 
Nächstenliebe zu entkleiden, ohne welche es kein Christen- 
thum gibt. Das also sind die Leute, welche sich Churchmen 
par cxcellencc nennen, die in Wahrheit den Namen ver- 
dienen würden, wenn Grausamkeit, Wüdheit und unver- 
söhnlicher Hass die Eigenschaften wären, welche genügen, 
um Solches zu beanspruchen.** 

Soweit Robethon, der hier vorausschauend die Kirchen- 
politik zeichnet, an welche die Herrscher aus dem Welfea- 
hause auf dem englischen Thron sich im Grossen und€raazen 
gehalten haben. 

*) Der Barbaresken. 



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SIR ROBERT PEEL. 



Nach ewigen Grasetsen, deren taannoinsdiefi Walten 
unser begrenttes Auge nicht zu durchdringen vermag*, ist 
die Losung der groesten Au%aben der Menschheit auf be- 
stimmte Völker und bestimmte Epochen vertheilt Um die 
Zeit, als andere hervorragende Staaten des Abendlandes 
sich zu grosseren Einheiten sammelten und über den Ocean 
in eine neue Welt bis zu den Antipoden hinausgriffen, um 
die fernsten Gestade zu besiedeln und dem menschlichen 
Gedeihen in Ihmdel und (rewerbe neue unermessliche 
Fürthen zu eröffnen, hatte die deutsche Nation im Kampfe 
mit römischer Kirchensatzung die evangelische Freiheit des 
Einzelnen und der Gemeinde für die übrigen Völker und 
für die Welt mit ihrem Herzblut, ja, um den Preis ihrer 
politischen Auflösung zu erkaufen. Fast scheint es, als ob 
wir in diesen höchsten Dingen, in Sachen des Glaubens und 
der geistigen Selbständigkeit, immerdar die Vorkänq>fer der 
Anderen blmben sollen, und zwar erst redit, nachdem wir 
uns endlich wiedei^efunden, um mit Gottes Hülfe die feste 
Wölbung des nationalen Staats über das eigene Dasein zu 
spannen. Andererseits aber war es dem wirthschafäichen 
instinct der Engländer vorbehalten, die gewaltigste Ent- 
wicklung auf dem Gebiete des materiellen Lebens, den Ueber- 
gang vom geschlossenen Monopolismus zur commerciellen 
und industriellen Befreiung an sich selber den übrigen 
voraus und zum Nutzen der Gesammtheit durchzukämpfen. 
Seit jener Schifffahrtsacte des grossen Protectors, die noch 
aus der maritimen Phase der (rlaubenskriege stammt, hatten 
sie in einer Reihe grosser Friedensschlüsse des achtzehnten 
Jalirliimderts romanischen und germanischen Seemacht^ 
den katholischen Spaniern und Franzosen wie den prote- 



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Sir Jiobtrt FteL 



593 



stantischen Niederländern, die wichtigsten Stützen des Welt- 
handels abgerungen. Auch als in Nordamerika sich das 
eigene fleisch und Bein losriss , erschien dieser warnende 
Stofls so .wenig nachhaltig-, dass, wahrend sich das Fest- 
land TOT der Despotie Napoleons und seiner Continental- 
sperre beugte, nur das Weltmeer frei bBeb, aber allenfings 
eben dadurdi, dass Britaama nnbescfarSnkt die Wogen be- 
herrschte. Die Unnatur eines Gegensatzes, wie die Gre- 
schichte keinen zweiten keont, schrie denn auch mit dem 
Sturz Napoleons und dem Anbruch der Restauration nach 
Sühne, und aus dieser unansbleibHchen Sühne ist der Riesen- 
aufschwung der materiellen Interessen erwachsen, auf den 
unsere Gegenwart stolz ist. 

Dasselbe England indess, dessen Handelsmonopol da- 
mals höchstens nur in der Republik der Vereinigten Staaten 
einen Rivalen achten lernte, zog im eigenen Schosse 
bereits eine entfesselnde Kraft heran. Nicht zufrieden, die 
grosse Umsatzstelle für die Waaren aller Zonen zu sein, 
hatte es sich mit nationaler Zähigkeit auch auf Verar- 
beitung der allerwichtigsten derselben geworfen. Seitdem 
die Dampfkraft mit Hülfe der reichsten einheimischen Mi- 
neralschätze, der schwarzen Diamanten und des Eisens, die 
elementaren Gewalten zu bändigen begann, schienen vollends 
der englischen Massenproductkxi und ihrem Masaenabsatz 
alle Küsten des Erdballs verfEÜlen zu sein. Allein es er- 
wuchsen moht minder hemmende Momente: daheim das 
P^X)letariat mit den nodi unersdüossenen sibyllinischen 
Büchern der socialen Frage, das Bleigewicht der ungeheueren 
Nationalschuld, die ersten Erfolge demokratischer Anläufe 
gegen den nicht mehr ausreichenden Aristokratismus des 
parlamentarischen Selfgovernments und der hartnäckige, 
von allen monopolistischen Corporationen erhobene Wider- 
stand — draussen aber der lintschluss der wieder frei gewor- 
denen europäischen Staaten, selber zu ebenbürtigem wirth- 
schaftlichem Dasein zu gedeihen. Später als anderswo 
drohte in England über solche von dem neuen Zeitalter 
angeworfene Fragen die Revolution. Die moderne Staats- 
knnst hat ihr bis heute durch Reformen auszuweichen ge- 
wusst Das geadiidit dann aber um manchen kostbaren 



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394 



Sir Robert PmL 



Preis, gieg«ii gar viele schwere Opfer nnd selbst ein Stück 
MSrtyrerthum, sobald one grosse PersMilidikdt in sich 
gewissamaassen den Confliot des Jahrhunderts zusammen- 
fasst. Diese Erscheinung tritt uns smch an dem edlen Staats- 

manne entgegen, dessen Bild hier noch einmal aufgerollt 

werde zur Belehrung unser selbst, die wir als Epig-onen 
noch keineswegs Alles gelöst haben, woran er sich einst 
versuchte. 

Auch wenn ich sein J.eben in mehr als skizzenhafter 
Ausführung erzählen wollte, würde man es arm an drama- 
tischen Effecten linden. Das, worauf es uns dagegen an- 
kommt, ist ausser dem allgemein menschlichen Gehalt das 
geschlossene Wesen des Mannes und seiner politischen 
Leistung, die ihn doch in eigener Weise über den Berich 
von Raum und Zeit hinausheben. 

Peel hat sich bekanntlich nicht zur Schande geredmet, 
dass auch seine Wiege einst am Wel>stuhl seines Vaters 
gestanden. In der viel wmter hinaufreichenden Familien- 
Chronik freilich erscheinen die Vor&hren nicht sofort als 
Weber oder Spinner, sondern sie waren seit Jahrhunderten 
im Norden des Landes Bauern und kleine Grundbesitzer, 
als um 1600 ein William Peel, der, wie es scheint, wegen 
Glaubensdifferenzen aus Yorkshire auswanderte, sich bei 
Blackburn in Lancashire niederliess. Genealogen haben 
sich nachträglich abgequält, den Familiennamen zu einem 
aristokratischen zu stempeln, weil Peel im nordenglischen 
Dialekt einen Burgthurm bedeute. Aber der Grossvater 
des Ministers noch schüttelte den Kopf, wenn man seinem 
Namen auf Briefadressen die Titulatur Esquire hinzufügte. 
„Ein schöner Esquire dasl" pflegte er zu sagen. Ein Enkä 
jenes William, Robert Peel, besass zuerst um 1640 eine 
WoUwaareniabrik in Blackburn und erwarb sidi ungeachtet 
der Bfirgerkriege ein fOr seine Zeit nicht imbetzSditlioheB 
Vermögen. Von ihm stammt denn auch ein noch im Besitz 
der Familie befindlidies kldnes Gnt in jener Cr^end, Peel- 
fold. Sein Urenkel erst ist jener Grossvater Robert FM, 
der, mit einer Frau aus guter Familie verheirathet, sowohl 
Landwirthschaft als auch (mit einer damals öfter auftreten- 
den Vorliebe für Mechanik) Baumwollspinnerei trieb, ein 



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395 



gewagtes Unternehmen, da die Gesetzgebung- noch in der 
ersten Hälfte des i8. Jahrhunderts den WoU- und Leinen- 
atolfon unbedingten Schutz zusicherte; Erst in Folge der 
Erfindung Arkwrights, auf Grund dnes Statuts von 1744, 
durfte reiner undurchwiikter Cattun gewoben und bedruckt 
werden. Diesem Peel nun, der selber erfinderischer Art 
war, geschah es bereits, dass ihm neidisdie Handweber 
seine Spinn- und Drudcmaschinen zerstörten, worauf er mit 
seinen beiden Partnern nach Burton am Trent in StafFord- 
shire übersiedelte und in den von ihnen gemeinsam ange- 
legten P'abriken sehr bald sein Glück machte. Er wird 
uns, wie schon angedeutet, als überaus schlicht und einfach 
geschildert, obschon nicht ungebildet, sondern vielmehr voll 
Nachdenkens, so dass ihn die 1-eute wegen seiner l£r>chei- 
nung wohl den Philosophen nannt(Mi, Solche Eigenschatten, 
insonderheit aber einen ausdauernden Fleiss und jene puri- 
tanisch schüchterne Sprödigkeit, die man so oft unter den 
gediegensten Naturen in England antrifit, hat er auf seine 
Nachkommen vererbt. Die Familie wurde in den Tagen 
Greorgs lEL in politischer Bezi^ung als- Xory bezeichnet, 
was damals kaum mehr heisaen mochte, als dass sie für gut 
loyale Unterthanen galten, welche fSr ihr ungestört emsiges 
Dasein Dankbarkeit g^fen einen väteriich gesinnten Mo- 
narchen hegten. Als der 72 jährige alte Herr im September 
1795 starb, hinterÜess er se^er zahlreichen Nachkommen- 
schaft in dem auch auf das Wappen des Enkels über- 
gegangenen Motto Industria den Ausdruck dessen, was 
zugleich die Quelle seines Wohlstands und die wSumme 
seiner Lebensweisheit gewesen war. Noch oft genug hatte 
er das Kind eines seiner Söhne, die beide nach ihm Robert 
hiessen, auf seinen Knieen geschaukelt. 

Der erste Sir Robert, Vater des Ministers, dem als 
Kind schon von grossem Reichthum träumte, pflanzte beides, 
den Unternehmungsgeist des Grossvaters und jenen fest auf 
sein Ziel gerichteten Glauben, auf den berühmten Sohn fort, 
dessen Charakterbildung der Einsicht und der Treue eines 
solchen Vaters unendlich viel verdanken sollte. Als dieser, 
um ein eigenes Geschäft derselben Art zu begründen, sich 
von dem Alten getrennt hatte, und spater die Tochter eines 



396 



Sir JUbtrt FwU 



jener Partner, Ellen Yates, heirathete» war er Dank setner 
lasüosen Thätigkeit, auf welcher, wie Thomas Carlyle sagt, 
die Fiindamente von Königfreichen beruhen, bereits ein sehr 

wohlhabender Mann. Auch trieb ihn der Ehrgeiz, beständig 
weitere Schätze zu sammeln, aber nicht ihrer selbst wegen, 
sondern er vertiefte sich gedankenvoll in die wunderbare 
Macht des Geldes, welche sowohl unverschuldet Leidende 
zu erquicken und Unzählige glücklich zu machen, als auch 
Staaten zu heben und zu erniedrigen im Stande ist. So 
stand auch die Gottesfurcht dem Millionär nicht übel, be- 
sonders da er als guter Patriot während des Riesenwdt* 
kampfies seines Vaterlandes den vollen Stolz darein setzte, 
an der productiven Macht desselben mitnischaffen. Ob- 
wohl in manchen wichtigen Fragen, wie Handel, Bank- 
wesen und Staatsschuld, nicht frei von den Vonutheilen 
seiner Zeit, eäte er ihr doch wieder voraus. Ein entscdue- 
dener Tory und Anhänger WUHam Pitts, opponirte er dodi 
aus voller Ueberzeugung dem Statut, wdches mittidst hoher 
Zölle die Erzeugfnisse der einheimischen Landwirthschaft 
beschützen zu können vermeinte. Aus alter industrieller 
Tradition war er allen solchen Monopolen entschieden ab- 
geneigt und daher, ehe nur die Sätze Adam Smiths ihre 
wahre Feuerprobe bestanden, schon durchaus freihändlerisch 
gesinnt. Die väterlichen Grundanschauungen sind denn 
auch auf den Sohn übergegangen, der ihm in einem Land- 
hause unweit Bury in Lancashire am 5. Februar 1788 g-e- 
boren wurde. Bei der Nachricht, dass es nach zwei Töch- 
tern ein Sohn sei, hat er Grott auf den Knieen gedankt und das 
Kind dem Vaterlande zu weihen gelobt Wohl möglich, 
dass er diesen Vorsatz dem älteren Pitt abgelauscht, jeden^ 
£sd]8 überwog aber auch bei ihm der patriotische Credanke 
weitaus die weniger reinen Motive der Eigenliebe. Als 
Sir Robert, dem sein Reichlhum und die grossartig ofGsne 
Hand, mit der er in den Jahren des französischen Kriegs 
zu witerzei<dmen pflegte, ausser dem Parlamentsitz fSr Tain* 
Worth auch den Baronetstitel eingetragen, im Jahre 1 802 in 
einer im Unterhause gehaltenen Rede die Politik W'illiam 
Pitts des Jüngeren vertheidigte , nannte er ihn geradezu 
einen Wohlthäter des Staats. Kein Minister habe so wie 




Sir Jioötrt Peel. 



397 



er die Handel;>interessen begriffen, denn er wisse, dass die 
wahre Quelle ihrer Grosse in der erzeugenden Industrie 
liege. Einen solchen Mann also hatte er für die Erziehung 
des Sohnes zum Vorbild genommen. Nur der erfinderische 
Mythos, von dem nun einmal keine Grösse irgend welcher 
Art verschont bleibt, erzahlt, dass er dem Knaben, ganz 
wie Lord Chatham dem seinigen, firuhzett^ in praktisdier 
Uebung die Kunst der Beredsamkeit als das wirksamste 
Werkzeug des parlamentarisdifin Staatsmannes habe bd« 
bringen wollen. Das stimmt nicht zu dem Wesen des Fabri- 
kanten, der bei allen sehien ecfahrungsreiehen Kenntnisseii 
doch kaum gleich dem alten Pitt ein Vergötterer des Cicero 
und Deniosthenes sein konnte. 

Er trachtete vielmehr die vorhandenen Geistesgaben 
des Sohnes bestens zu entfalten, die, wenn auch nicht von 
der seltenen Art des Genies, sich doch in einem trefflichen 
Gedächtniss, in rascher Fassungskraft und selbständiger 
Ueberlegung äusserten. Das fühlte schon der wilde Lord 
Byron durch, als er auf dem Spielplatze der Schule von 
Harrow sich mit kräftiger Faust des nicht besonders rauf- 
lustigen, aber Oberaus gewissenhaften Knaben annahm, dem 
Lehre»: und Mitschüler um die Wette eine grosse Ijiufbahn 
voraussagten. W«m Peel also sich in so jungen Jahren 
durch Ordnungssinn und Pfliditgefuhl auszeichnete, so ver- 
dankte er das vomehmlich dem Vater, der.anch seinen Gmst 
lehrte, sich beharrlidh auf dn Ziel zu riditen, wobei dann 
Arb^ und Studium zur Gewohnheit werden. Dodi will ich 
nicht versdiweigen, dass aus derselben Quelle zu vid £m8t 
statt Fröhlichkeit, wie sie namentlich jungen Jahr^oi wohl 
ansteht, eine gewisse formelle Steifheit in Manieren und Ge- 
danken und besonders die Neignng entsprang, eher Anderen 
zu folgen als selber zu leiten. Die Spuren, dass an ihm zu 
viel erzogen worden, dass er zu früh unbehindert in den 
Staatsdienst getreten, hat er lange mit sich herumgetragen. 
Stark reizbar und so empfindlich, dass es ihm stets schwer 
w^urde, Widerspruch zu ertragen, lernte er doch dergleichen 
überwinden und hinter einer kühlen zurückhaltenden Miene 
die wärmsten Gefühle bemeistern. Sehr selten gestattete er, 
auch darin em echter Peel, der starken Ader von Humor, 



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398 



die er besass, vor Anderen als den nächsten Verwandten zu 

pulsiren. Daher kam es , dass er mit einem zart und leb- 
haft besaiteten Herzen vor der Welt fast immer für kalt 
gegolten hat. Dieser ang-elernten und fertig'en Aussenseite 
g"ing" also Zeit J.ebtms der frische ^eiiussvolle Schwung- eines 
Canning- oder Palmerston so gut wie die treffende urg-esunde 
Spontaneität John Brights ab. 

Tüchtig vorbereitet bezog Peel das vornehme Christ 
Church Collegiom in Oxfocd und suchte es wSrend seines 
akademischen Trienniimis den Commilitonen wie in den 
Studien so auch im Rudern und Cricketqpiel gleich 2U thmi: 
denn nach dem Wunsdie des Vaters sollte ihm die gaaxe 
gesellschaftUehe Ausbildung eu Theil werden, wie sie in 
diesem Lande nur auf der orthodox^aristokratisdien Toiy- 
Hochschule zu holen war. Nachdem er mm aber, was bei 
sonen Kenntnissen und reichen Anlagen zwar nicht zu ver* 
wundem, aber bis dahin doch unerhört gewesen war, in 
der klassischen wie der mathematischen Prüfung die erste 
Note erhalten, ein Erfolg, der dem alten Sir Robert noch 
lange die Thränen der Freude in die Augen trieb, hatte 
er mit 21 Jahren die Lehre hinter sich und trat nunmehr 
die staatsmännische T^aufbahn an, auf der, wie der Vater 
sich vorstellte, ihm im engen Anschluss an die Oxforder 
Doctrinen von Kirche und Staat die höchsten Ehren nicht 
entgehen könnten. Wie glücklich war der Alte, als der 
Sohn, für Cashel in Irland gewählt, im Unterhause auf seiner 
Seite hinter den dauerhaften Regierungsstanden der Tories 
Platz nahm. Damals ein J^gling von schlanker wsogkt- 
mender Erschdnung, in körperiicher Uehung gestahlt, und 
von freiem Urtheil, so weit' er steh über die anerzogenen 
Vorurtheile zu erheben vermochte. 

Guizot sagt in seiner bekannten Studie über Peel: II 
nagudi Tory^ und das ist insofern richtig, als dieses Partei- 
bekenntniss nunmehr schon in der dritten Generation der 
Familie vertreten war. Pitt und das politische Dogma, das 
an ihn anknüpft, hatten während des Kampfes mit Napo- 
leon den bei weitem grösseren Theil der Nation, vorzüglich 
auch die höheren Alittelclassen, den Nährstand, hinter sich 
hergezogen. Tory hiess zu Anfang des Jahrhunderts Alles, 



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Sir Robtrt PttL 



was den letzten Schilling, den letzten Blutstropfen freudig 
darangeben wollte, um (Ue nationale Eigenart Englands mit 
semen bewährten politischen Institutionen frei zu halten von 
den als zerstörend und unmoralisch geltenden fremden Grund- 
sätzen der Revohttion. Indem die Whigs im Gegentheil 
diesen allzu eifrig das Wort geredet imd, scheinbar weniger 
bek&nmert um die nationale Ehre, wiederholt einen Ver- 
gleich mit dem Feinde angerathen hatten, waren sie auf 
lange Zeit für das Regiment unmöglich geworden. Der 
Tory, an «ch von yfkast toskst befugt für eine stetige und 
geordnete Staatsverwaltung, scheute aus Vorliebe für die 
Organe, in die er sich eingelebt, vor jeder Veränderung 
derselben zurück und liess desshalb lieber das veraltete 
Schlechte und selbst Verderbliche fortbestehen. Der Whig, 
dessen Parteiprogramm von jeher die Lehre vom Recht des 
Widerstands umfasste , leicht ein Idealist in Verfassungs- 
dingen und seit bald einem Menschenalter aller Amtspraxis 
entwöhnt, liebte es hingegen, mit Projecten zu experimen- 
tiren und, soweit die Farteidisc^n es zuliess, den Ideen 
der Neuzeit Spielraimi zu gönnen. Beide Parteien indesa 
waren Schichten einer und derselben gea^schaftUchen Ord* 
mmg, von einem Fleisch und Blut, zwar nadi Familien meot 
traditionell und etUich geschieden, aber in der Selbstver- 
waltung des communalen Lebens wie im Parlament poHtiadi 
an einander gekettet und von einander abhangig, wie etwa 
die Pfundgewichte eines Uhrwerks; beide aus denselben 
nationalen Kämpfen um die bürgerliche und religiöse Frei- 
heit hervorgegangen, beide hoch verdient um die Grösse 
und die Macht des Vaterlandes. Darum berührten sich auch 
Torythum und Whigthum tausendfältig und erschienen über- 
haupt niemals so schroff feindselig, wie etwa die aristukra- 
tisch-conservative gegen die liberal-demokratische Kaste in 
der continentalen Gegenwart. Vor allem das Torythum eines 
grossen Industriellen und Bankiers wie des älteren Sir Robert, 
obwohl er nun auch zu Drayton Manor unweit Tamworth 
einen stattlichen Landsitz bewohnte, hatte wenig gemein 
mit dem des gewöhnlichen Landedelmanns und Fuchajagers. 
Er glänzte ja in Bewunderung Pitts: und dessen Anteoe- 
dentien waröi doch entsdüeden die des Whig, ja, sogar des 



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400 



Sir Jioö^t FtäL 



Freihändlers gewesen. Auch leben Handel und Gross- 
gewerbe eben so sehr in der Anschauung des Werdenden 
und der Zukunft, wie auf dem Grunde des Gewordenen und 
der Veigwigenheit : sie fallen daher auf die Dauer keines- 
wegs unter die Disciplin derjenigen Partei, welche nur er« 
halieii will. Und das steckte denn auch dem jungen Tory 
als väterliches Erbthnl im Bhxte und musste sich g^tend 
machen, sobald der genraltige Nährstand Englands bei 
diesen Grundsätzen nicht mehr seine Rechnung fand. "Exa» 
Erzählung Gutzots froUch, dass ihn s«n Vater dem Minister 
vorgestellt habe mit deif Bitte, ihm adileunig einen Poeten 
zu geben, weil er sonst an die Whigs verloren gehe, kann 
nach dem volhviegenden Zeugniss eines nahen Anver- 
wandten getrost zu den Mythen geworfen werden. Da- 
gecfen ist es allerdings bezeichnend, dass er. zuerst IVivat- 
secretär Lord Liverpools, dann Unterstaatssecretär für die 
Colonien und in Liverpools Ministerium nacheinander seit 
1812 Secretär für Irland, seit 1821 Minister des Innern, sich 
wohl hütete, über sogenannte Parteitagen eine eigene Mei- 
nung zu äussern, um so eifriger aber sociale und wirth- 
schaftliche Probleme anfasste. Allein das genügte schont 
den Verdross der Landjunker, des fli gwatilrimw Stammes der 
Partei, ZQ erregen, so dass sie ihn mit dem radicalen Cobbett 
um die Wette verächtlich den Sohn des Cotton^mmers 
sdbahen und sein Wissen und Können eher mit Argwohn 
als mit Vertrauen betrachteten. Nicht als Redner im Par- 
lament, sondern als Verwalter seines irischen Postens zog 
er suerst ifie Augen auf sich. Zwar empfing ihn O'Connell, 
der auf religiöse und nationale Losreissung Irlands hin- 
arbeitete, mit der höhnischen Bemerkung: „Da haben sie, 
um uns zu regieren, einen unerzogenen Jungen gesandt, 
aus dem Abfall ich weiss nicht welcher Fabrik, der aber 
über das Stutzerthum parfümirter Taschentücher und dünner 
Schuhe noch nicht hinaus ist." Peel war viel zu maassvoll, 
um sich an die Spitze der ultraprotestantischen Faction der 
Orangemanner zu stellen. Und doch erwarben ihm seine 
Vorsicht, Gerechtigkeit und Geschäftsgewatidtheit wenn 
nicht Hochachtung, so doch Req)eet Auf einem von beideii 
Seiten tief au^ewühlten Boden riditete er zuerst wieder 



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Sir Xäbtrt PtiL 



401 



Ordnung auf vermittelBt der von ihm fonnfaten, noch heute 
wirksamen Lan^^fonsdannerie. Nlenak hat et die hirfss* 
bHttigen Eingeborenen reizen wollen: <yConn^ Tlehnehr, 
der echt keltische Prahlhaiis, santo ihm eine Pistolen» 
^»rderung, weil ihm nidit behi^fte, dato England, ehe es 
spät und tappend den Iren gerecht zu werden versuchte, 
zunächst mit starker Hand OrdAung und eine rechtschaffene 
Verwaltung schuf. 

Und schon lernte Peel auch im Unterhause trefflich zur 
Sache reden, obschon er freilich, Dank der gewohnheits- 
mässigen Herrschaft über seine Gefühle, die höchsten Zinnen 
der Eloquenz nie erklomm. Als ihn 181 7 die Universität 
Oxford zu ihrem Vertreter im Unterhause erkor, eine Ehre, 
zu der ihm Canning, der sich vergebens darum beworben, 
neidlos in schönen Worten Glück wünschte, musste er 
Wegen der ausgesprochenen antikatholischen Richtung seiner 
Wählerschaft seine Stelle in der Regierung Irlands nieder- 
legen. Dafür wurüe er aber bereits eine Autorität in finan<« 
^»ellen Dingen, zuerst als efio^riutig GroldwShjrung eingeführt 
wurde, beson<krs aber als Vorsitzender des berühmten Par« 
lamentsafisschüBseB, welcher im Jahfe 1819 Wiederaiufiiahflie 
der von Pitt sistfarten Gold^ahhmgdn durch ^0 Bank von 
England dringend anempfahl, um das neuerdings im Werth 
Ifesaidcene incoitverl£ble Papier eMdabar und sohttttweise 
mit dem Metall wieder zu «änem festen Zahhiättel m machen. 
Noch vor acht Jahren hatte Peel wie sein Vater und die 
ganze Regierungsseite die von liberailen Nationalökonomen 
hauptsächlich vertretene Massregel zurückgewiesen. Jetzt 
hiess er sie gut, im Widerspruch mit dem Alten, einmal 
weil die nationale Ehre erheische, Pitts Versprechen zu er- 
füllen und mit Abschluss des Kriegs aucli den Ausnahme- 
zustand zu beseitigen, und zweitens, was einen neuen vor- 
theilhaften Einblick in sein Nachdenken eröffnet, weil eine 
feste Valuta dem kleinen Manne und Arbeiter zu Gute 
kommen müsse. Peels Acte wurde mit grosser Mehrheit 
2um Gesetz erhoben. Die Frage jedoch, ob unbeschränkte 
Ausgabe uneinldsbaren Papieres oder bestittunte Deckung 
durch Barren oder Greid, ist bekanmUch heute noch strittig« 
Damals widersprach Alles, was mit dem Wee^selgeschäfto 
pai», AvfUttM. v.r. 26 



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402 



Sir Robert PeeL 



zusammenhing; aber auch Andere, wie namentlich die Tory- 
Junker, ziehen den jüngeren Peel der Abtrünnigkeit, weil 
er das Wohl des Ganzen und gar der abhängigen Klassen 
über die bisherige Doctrin der Partei stellte. 

Bald hernach war es ein Glück für ihn, dass er zur 
Zeit des scandalösen Ehescheidungsprocesses Georgs IV., 
der für die Regierung so tief erniedrigend endete, kein 
öffentliches Amt bekleidete, sondern erst 1 821 als Minister 
des Innern in das Cabinet eintrat, zugleich nut den finet- 
sinnigen Anhängern Lord GrenviUe's, dnrch deren Auf- 
nahme Lord Liverpool die erBchütterte Position ausbessern 
musste. Als Canning gar nach dem Selbstmorde Castle* 
reaghs das Auswärtige übernahm, ersetite wieder frisches 
Leben die bisherige Versompliing. In seinem eigenen 
Ressort, dem Innern, dem in England ausser Ortsver- 
waltung und Polizei auch ein gutes Stück Justiz und selbst 
Militän^^esen untersteht, legte Peel rüstig Hand an, um die 
schlimmsten Missbräuche abzustellen und namentlich im 
Strafrecht den Anforderungen der Zeit nachzukommen. Er 
hat der Bestechunt,»' bei Aufstellung der Geschwornenlisten 
einen starken Riegel vorgeschoben, und indem er freimüthig 
die Bestrebungen zweier edler Whig-Reformer, Mackintosh 
und Romilly, aufnahm, die fürchterlichsten Grreuel aus den 
GefängnisiMm beseitigt und die Todesstrafe doch wenigsten» 
für gemeinen Diebstahl und noch geringere Verbrechen 
an%ehoben. Auch ist er der Schöpfer, der Londoner Polizei» 
die in Kunem beikancntlich daheim und draussen zu einer 
Musteranstalt wurde. Als ihn im Jahre 1^27 die liberale 
Opposition, gerade wdl er nicht zum Schlage der unbe- 
lehrbaren Tories zihlte, viel ärgerte und quälte, s|»ach er 
skh über diese Dinge nach dem Geschmack Mancher mit 
etwas zu ttailcem Selbstlob, aber jeden&lls offen vor dem 
Unterhause aus: „Es ist mir eine Grenugthuung daran zu 
erinnern", sagte er, „dass jede civile oder militärische Ein- 
richtung, die mit meinem Amt zusammenhängt, während der 
letzten vier Jahre einer sehr genauen Prüfung unterzogen 
worden ist, und dass ich im Stande gewesen bin, solche 
massvolle und schrittweise Verbesserungen vorzunehmen, 
welche ich dem allgemeinen und dauernden Wohl für zu- 



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Sir lUUrt Fä4l. 



403 



träglich erachte. Möglich, dass ich ein Tory, daas ich 
illiberal bin, aber die Thatsache ist unbestreitbar, dass, als 
ich merst das Ministerium des Innern abemahm, noch Ge- 
setze bestanden, welche den Unterthanen dieses Reichs un- 
gew^mlidm Zwang anthaten. Die Sache ist unbestreitbar, 
dass diese Gesetse jetzt getilgt sind. Tory, wie idi bin, 
habe kh die Genugthwing zu wissen, dass in Verbindung 
mit mehiem Namen nicht ein «nziges Gesetz existtrt, wel- 
ches nicht eine Milderung in die Strenge des Strafrechts, 
eine Verhinderung des Missbrauchs oder Sidierung unpar- 
teiischer Ausübung zum Zweck hätte. Ich darf mit Freudmi 
daran erinnem, dass wahrend der schweren Prüfungen, 
welche die Industrie in den beiden letzten Wintern zu be- 
stehn hatte, ich die Ruhe im Lande wahren konnte ohne 
mich jemals um strenge Ausnahmsmassregeln an daö Haus 
wenden zu müssen." 

Als bald hernach durch den Tod Lord Liverpools das 
Cabinet, das allmählich die Gunst der Mittelklassen wieder- 
g"ewonnen, sein Haupt verlor und der König nach längerem 
Schwanken endlich Canning zum Premier berief, der, wie 
er die britische Politik bereits aus dem Gängelbande der 
heiligen Allianz frei gemacht, längst auch der beredte Für« 
Sprecher der Emandpation Andersgläubiger, namentlich der 
Katholiken Irlands» gewesen war, da verschmähte es Peel, 
gleich dem Hecsoge von Wellington und Anderen unter 
seiner Ftbrung zu dienen. So nahe auch sein Tor3rthum 
dem Cannings stand, so hoch er dessen kdsdtche Gaben 
schätzte, ihn persönlich achtete und liebte» so ging er doch 
noch einmal mit der alten unnachgieUgen Seite der Partei, 
während die Minderzahl unier Canning eine Annäherung 
an die Whigs sodite. Was waren sräe Motive? fragen wir. 
Gewiss stand er Jenen innerlich naher als dem lediglich im 
Beharren beim Alten alle Staatsfcunst erblickenden Lord- 
kanzler Eldon und der Fraction der Ultras. Auch wäre 
es vielleicht anders gekommen, wenn Peel damals schon 
die volle Hochachtung des Herzogs von Wellington be- 
sessen hätte. Dagegen hegte er selber nicht ungegründete 
Besorgniss vor dem freien Walten eines Genius wie Canning 
und vor der unberechenbaren Wirkung, welche eine Ent- 

20* 



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404 



Sir Ro^t PetU 



protestantisirung mit dem anglikanischen Kkdienifistitut 
auf das Engste T«rwaohseii«n Staatsverfassung nothwendig 
nach sich ziehen musste. Man weiss, wie bald nach Cantungs 
viel zu frfihem Tode sein Widersacher der Herzog von 
Wellington an die Spitze der R^emng bemte waid tmd 
wie nodi im Laufe des Jafam 1828 die übenden Elemente, 
namentlich auch der um die erste Ermässigimg unverstän- 
diger Schutzzölle hochverdiente Handelsmittister Hoskissofi 
aus dem Cabinet verdrängt wurden. Indess schon vorher 
war ein Sieg der liberalen Opposition, der erste Schritt in 
der Richtung religiöser Freiheit erfolgt, als die noch aus 
der Intoleranz des 17. Jahrhunderts stammende Corporations- 
und Testacte, welche die Dissenters von aller Theilnahme 
am staatlichen Leben aussperrte , aufgehoben wurde. Peel 
als Minister und Mitglied für Oxford hatte dagegen ge- 
sprochen, jedoch nur mit dem Wunsche, stille Wasser nicht 
aufzurühren, und keineswegs nach dem schroffen Glaubens- 
bekenntniss seiner Universität, welche den Besitz gleicher 
bürgerlicher Rechte von Seiten Andersgläubiger mit dem 
Staatskirch^thum imvereinbar fand. Wie der Zahn der 
Zeit bereits an dem Eckstein der Xorydoctrin au aageo 
begann, so dass selbst ^n Premier wie der Herzog Toa 
WelUngtott trotz der Gewohnheiten des Feldherm und Dicta^ 
tors sich accommodiren musste, so verschob sich auch Peels 
Steihmg um so Idditer, da er zwar der politischen Schule 
seüier Partei nldit wieder entbuifen konnte, aber docit 
allerlei irelmfithige Familientraditiott^ ndtbraelite. In der 
über Htiddssoiis Ausscheiden geführten unerquicklichen 
Debatte gab er den für seine spätere Handlungsweise höchst 
bedeutsamen W^ink : dass er entschlossen sei weder die Po- 
litik Lord Liverpools noch Cannings noch irgend eines 
Menschen zu befolgen, sondern jede Frage, wie sie sich 
erhob , unabhängig zu würdigen und , so lange er Minister 
sei, dem Könige nach bester Ueberzeugung zu rathen. Wir 
sehen nochmals, wie ihm die Initiative des Genius abging, 
wie er aber, obwohl an die sinkende Seite des Schilb ge- 
bannt, sich trotzdem für das sehr bedeutende Mass adner 
Facohaten den Weg offen zu halten verstand. 

Gerade nadi dem Rücktritt der Freonde Cannings unter 



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405 



dem Soldaten Wellington offenbarte sich doch, wie sehr 
sich das Toryregiment überlebt hatte« Als DMiiel O'Connell 
im Jahre 1829 an der Spitze seiner gewaltigen Association 
über das ganze nativistisch« katholische Irland verfugend 
aeine Wahl in Cläre durchsetzte imd schwor, als Katholik 
den Gesetzen zum Trotz todt oder lebendig nun auch seinen 
Parlam^tssits einzunehmen, als hierüber Bürger- und Glau- 
benskrieg drohte, da fugten aidi Pe^ und der Henog dem, 
wogegen sie Zeit Lebens wider^rochen haHea, der von der 
dffsntUchen Meinung und der Majoritit des Unterhauses 
so oft geforderten- Aufhebung jener die Katholiken aus- 
schliessenden Statuten. Durch die Emancipationsacte des 
Jahres 1829 wurde in der That die Schleuse der Reformen 
hoch aufgezogen, so dass sie sich seither bis in's Unbe- 
grenzte auflösend über Kirche und Staat, über Gesellschaft 
und Bildung ergossen halben. Wohl war es kein erfreu- 
liches Schauspiel, als Männer wie die Beiden sich darüber 
verantworten mussten, dass sie fahren Hessen, was sie an 
ihre Partei gebunden hatte. Noch in den erst nach seinem 
Tod erschienenen Memoiren hält Peel für nöthig daran zu 
erinnern, da89 er nicht von £igennutz bestimmt gewesen 
sei» Er war das auch so wenig, dasa er vielmehr mit Ver- 
lust seines Ox£cMrdier Parlamentssitzes büsste und seitcktm 
unabltoig aus den Reihen alter Genossen die erbittertsten 
Vorwurfe au hdren bekam» so wie Wellington sich mit 
einem Hochtory auf Pistolm schlug« Aber mnthig haben 
sie nicht 8pw<^ für sich als iür die Nation and den Staat ' 
diesen verhaiignissvoQen Schritt gethan und mdk den elen* 
den Konig Greorg, als er sie schliesslich stecken lassen 
wollte, gezwungen, das Gesetz zu sanctioniren. Der Fall 
des Ministeriums Wellingtuii unter den XVellenschlägen der 
Pariser Julirevulution und dem unwiderstehlichen Geschrei 
nach parlamentarischer Wahlreform war nur noch eine 
weitere Sühne, wie sie die Tragik auch des Staatslebens 
erheischt, 

Eilf Jahre lang unter den Whig-Cabinetten Lord Grey's 
und Lord Melbourne's bewegte sich Peel alsdann in der 
Rolle des in die Opposition verdrängten Staatsmannes. Als 
Führer der ^erspUtterten Tones im Unterhanse, als Ke- 



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4o6 



Of^gfanisator einer neuen conservativen Partei, als Mitarbeiter 
an einer wahrhaft unerschöpflichen Gesetzgebung erscheint 
Sir Robert — denn seit 1830 war auch der alte Vater todt 
— durchaus gereifter als zuvor. Traten auch für ihn diese 
wirkKch politischen Lehrjahre aemlich spät ein, so sollten 
sie ihm doch nidit minder einen reidien Ertrag gewahren. 
Hier kann ich nur daran erinnern, dass Peel in den Kftniq>fen 
mn die Reformbill, durch welche sich die liflttelklassen das 
Unterhaus eroberten und die fizdusivität des alten Parla- 
mentarismus sprengten, dessen Tüchtigkeit bis zuletzt aus 
voller Ueberzeugfung mannhaft vertheidigte. Nur selten 
trat er während der zweijährigen WafFengänge aus seiner 
Reserve heraus, dann aber jedesmal, um vor einer über- 
stürzten Demokratisirung- ernstlich zu warnen. Den seligen 
Canning hat er in schönen Worten vor Palmerstons leicht- 
fertiger Behauptung in Schutz genon^men, dass er im Stande 
gewesen wäre, seine ideale Auffassung von der harmoni- 
schen Vollendung der alten Constitution Preis zu geben. 
Auch ihn selber erinnerten die vulgären Schlagworter von 
der Gleichheit der Rechte Aller imd der Nothwendigkeit 
gleicher Wahlkreise gar zu sehr an jene zahlreichen Nach- 
ahmungen aus der fsdschen französischen Constitutions&brik, 
die in aller Welt so kläglich Fiasco machten. Im Verein 
mit der staatsmannischen Einsidit der Lords, welche selbst 
ergrimmten Gegnern imponiren musste, half er die erste Vor- 
ige der Whigs verwerfen und bekämpfte die folgendoi 
Schritt fOr Schritt. Nicht den Mittelklassen als solchen galt 
sein Widerstand. „Ich bin selbst aus ihnen hervorgegangen 
und bin stolz darauf ihnen anzugehören", rief er aus. Mit 
dem Beispiel Frankreichs vor Augen widersetzte er sich 
vielmehr jener demokratischen Begier, die ruhelos von einem 
Wechsel zum anderen drängt, und sah besorgten Geistes 
eine Succession von Reformbills die Verfassung zu Grunde 
richten. Wer möchte in der Gegenwart leugnen, dass ihm 
namentlich jener Sprung ins Dunkel, die von Disraeli zu- 
gelassene nivellirende Wahlreform des Jahres 1867, noch 
nachträglich bis zu einem gewissem Grade Recht gegeben 
hat ? Und doch musste damals schon der lange hartnackige 
Widerstand wie eine nutzlose Kraftprobe erschehien, es sei 



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Sir Roötrt Peel. 



407 



denn dass sie ihn belehrte, bei rechter Gelegenheit auch 
einmal weise nachgeben zu können. Für sich selber be- 
gehrte er indess auch diesmal nicht das Geringste. Als 
einst Lord Grey am Zustandekommen der Reformbill ver- 
zweifelte und dem zagenden Kön^ Wilhelm IV. rieth, den 
Herzog von Wellington zu berufen, wollte dieser zwar 
jvfliditschuldigst wie immer sidi der Au%abe unterdelieo, 
allein Peel weigerte sich entschieden mitzuwirken. ,,Nimmer^ 
mehr'S so sagte er, „hätte ich die Reform, Welche den 
Whigs nicht gelingen will, durdbfÜhren können." 

Als dann aber das erste auf der neuen breiten Ba^ 
^wählte Unterhaus zusammentrat, nahm Keiner so ehrlich 
"vvie er die veränderte Lage der Dinge an. Es war ihm 
schwer ^^eworden, die alte Zusammensetzung"" daranzugeben, 
da er vertraute, es würden auch aus ihr sichere und nütz- 
liche Aenderungen hervorgehen, doch gewahrte er sofort, 
dass sich mit der er^veiterten Vertretung nicht minder sehr 
wohl zum Heil des Landes werde arbeiten lassen. So 
blickte er denn getrost in die Zukunft, nahm die Verfassung 
wie sie geworden und beurtheilte nun erst recht eine jede 
Frage nach ihrem inneren Werth. Wenn irgend jemand, 
so hat er die auf der unterl^enen Seite hoch gehenden 
Leidenschaften zu calmiren gewusst. Seine gegen Freund 
imd Feind gleich loyale Haltung half der bis auf ein Fünftel 
des Hauses zusammengeschmolzenen Tory*Opposition über 
die schlimmsten Zeiten hinweg. Bald zeigte sich, wie sein 
Wissen, seine Erfehrung in der Debatte wieder zu Ehren 
kam, indem er auch den Widerwilligaten Achtung ab- 
nothigte. Fast schien es, als werde in der überführenden 
Macht der Beredsamkeit unter so viel mehr wirklichen 
Stahdesgenossen seine Zunge Jetzt erst gelost, denn man 
hörte ihm viel andächtiger zu als einst in den Tagen des 
Tory-Parlaments. Auch als Parteiführer wusste der schein- 
bar so linkische Mann seine Talente wirken zu lassen. 
Dadurch, dass er die Opposition höchst massvoll und um- 
f^ichtig leitete, kamen die Conservativen wieder stetig zu 
Kräften und stieg er selber vor allem in der öffentlichen 
Meinung. Noch waren nicht zwei Jahre verflossen, als die 
Whigs, nunmehr unter Lord Melbourne, sich dermassen 



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4o8 



abgewirtlischaftet hatten, dass der schwache König, wekter 
längst kopfscheu geworden war, im November 1834 aus 
eigenem Antrieb die erste beste Gelegenheit ergriff imd sie 
entliess. Wellington war sogleich zur Stelle, Peel, der in 
Italien reiste, musste durch StafFette herbeigerufen werden. 

Der Versuch, auf den er sich einliess, verdient eine 
kurj:;e Besprechung, schon weil er dabei zum ersten ^lal als 
Premierminister fungirte. Aber noch mehr. Konnte er für 
die Entlassung seiner Vorgänger die Verantwortung über- 
nehmen? Wie sollte er ein Cabinet bilden, das bei den 
Gemeinen auf Mehrheit rechnen könnte ? Und doch musste 
er dem Konige in solche^: Lage beispringen, die dieser sich, 
geschaffen. Dies allein und nicht der Ehrgeiz, endlich das 
höchste Ziel erreicht zu haben, für daa der Vater ihn so 
früh bestimmt glaubte, bewcig ihn anzunehmen. Dass frei* 
lieh Lord «Stanley uii4 Sir James Graham, Mttschöpfer der 
RefofmbtUt aber jüngst auf gespanntem Fus^e mit den 
Whigs, ablehnten in sein Catunet zu treten, war eine arge 
EnttaHSchung, Dagegen legte er in einem Briefe an sein# 
Wähler von Tamw<urtii wo möglich zur Beruhigung des 
PubHcums die Haupdinien seines Programms dar. £r ver^ 
sicherte darin, dass er frOher von ihm bekannten Grondp 
Sätzen nicht untreu werden könne, aber ebenso wie früher 
auf Abstellung von Missbräuchen hinarbeiten werde. An 
seiner Ueberzeugung indess, dass die Principien der Reform- 
bill unzerstörbar Wurzel geschlagen, solle eben so wenig 
gezweifelt werden. Sein Cabinet dauerte bekanntlich nur 
wenige Monate, denn selbst eine Neuwahl brachte der Partei 
zwar einen sehr bedeutenden Zuwachs, aber doch immer 
keine Majorität. Dagegen erwarb ihm der Kampf gegen 
die Uebermacht, sein edles Mass in der Debatte, die Würde» 
mit der er schlies^ch vor den wenig edalmüthigen An- 
griffen zahlreicher, aber staatsmannisch viel germgerer 
Feinde unterlag, die Anerkennung, dass er die erste poli» 
tische Capacität Englands sei und seine Partei wieder 
regierungsfähig gemcht habe. Und Beides wurde bewnhr» 
heitet durcsh die noch einnud zurückkehrenden Wh%s, die^ 
ohnmachtig Neues xu schaffian« un6rmwj]% da^ Pu^own in 
der Mmnuz^ beßtarkten, der Fortsohritt werde viel eher 



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Sir Robert F*tL 



gedeihen mit Sir Robert Peel an der Spitze als mit ihnen, 
welche die junge Königin Victoria bei ihrer Thronbesteigung 
ganz für sich zu gewinnen trachteten und auch dadurch ihre 
hinschwindende Popularität sichtlich einbüssten, und die 
endlich in Jahren des Misswachses und der Handelskrisen 
das Land mit einem steigenden Deficit und mit gefährlicher 
soduüer Gehrung besdienlcten. Als diese Regierung im 
Jahre 1859 ^umt ColonlSlftage geschlagen wurde und 
zoruclLtnit, wandte sich die Kdnigin mit Widerstreben an 
Peel, der denn auch sofort bei der mten Besprechung auf 
ihre hartnackige Weigerung stieas, die Hofdamen der ober* 
sten Chargen, die wetbUdien Haxqiter der grossen Whig- 
fiunilien, m entlassen. Während die Whigs in so jämmer» 
lieber Weise sich auch fernerhin hinter die junge unerfahrene 
Fürstin steckten, Peel illoyal schalten und ihn bei iiol gründ- 
lich ungeniessbar machten, hat dieser, wie heute Niemand 
bestreitet, eine constitutione!! durchaus correcte Forderung 
gestellt und lieber auf die Cabinetsbildung verzichtet. Dar- 
über sind dann jene bis zum Aui»-ust 1841 im Amt ver- 
blieben, um vollends in's Verderben zu rennen, bis sie, vom 
ganzen Lande verlassen, im Volke als schlechte Wirth- 
schafter verspottet, von der (^position ein Mal über das 
andere erbärmlich geschlagen, das Staatsruder endlich an 
^ Robert abgeben mussten und dieser sein zweites grosses, 
ewig denkwCurdiges Ministerium antrat £inst hatte er im 
Widerspruch mit den Parteisätsen die pcditische Emand- 
pation der Katholiken vollzidien mSssen, dann, obschon in 
der Oppositioo, die Demokratisirung der Wahlrechte accep- 
tbrt, jet^t an der obersten Stufe angelangt forderte sein Loos 
von ihm, dem Tory, das Aeussersts; die tiefeingreifendste 
Umwandlung nicht nur fOr seine Nation, sondern für die 
Menschheit überhaupt, nämlich Abnahme aller jener künst- 
lichen Fesseln, in denen bisher Handel und Wandel ge- 
hangen. Vergegenwärtigen wir ims vor allem, wie er 
diese höchste Probe bestanden. 

Sein Verhältniss zur Krone zunächst wurde dadurch 
ein besseres, dass der jugendliche, aber von dem weisen 
Rathe des Herrn von Stockmar geleitete deutsche Prinz 
Albert noch vor Melboume's definitivem Rücktritt und sogar 



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• 



Sir Robert Peel. 



mit dessen Zustimmung- Beziehungen zu demjenigen Staats- 
manne anknüpfte, der nach der Lage der Dinge als einziger 
Retter in der Xoth erschien. Bald gewann nicht nur die 
Königin persönliches Zutrauen, da sie gewahrte, dass ihre 
Prärogative in diesen Händen gewissenhafter geschützt sein 
würden, als von den expmmratirenden Vorgängern, son- 
dern die frühere Abneigung vor der kalten und steifen 
Manier Peels schlug mit der Erkenntniss von dem echten 
Werth des Menschen und Staatsmannes in volle Hoch- 
achtung um. Und solch dn wechselseitiger Halt bleibt 
erforderlich, so lange es in Englaad überhaupt noch ehien 
Rest der Monardiie geben wird. Darauf gestützt konnte 
Peel denn nun aus d^ tüchtigsten Kräften an starkes 
Ministerium bilden, um statt allgemaner Erlahmung end* 
lieh wieder Thaten und Schöpfungen zu erzielen. Aber 
welche Schwierigkeiten thürmten sich nach allen Seiten auf. 
Irland schwebte durch die Repealagitation O'Connells, seines 
alten persönlichen Feindes, am Rande des Aufruhrs. In 
England wühlte dunkel und unklar der Communismus der 
Chartisten und erhob sich in immer blankerer Rüstung von 
Manchester aus durch Männer wie Richard Cobden und die 
unbedingten Freihändler, die energisch nur auf das eine 
Ziel lossteuernde Agitation gegen die KornzöUe. Ueberall 
wichen die alten Parteibande aus ihrem Gefüge, während 
Millionen Hände in Stadt und I-and feierten und zahllose 
Darbende nach Nahrung schrieen. Auch in den Confessionjen 
aller drei Reiche deutete ein Wetterleuchten auf Sturm. 
Wer konnte inmitten einer solchen materiellen Bedrängniss 
sagen, ob das Gewitter den Glauben entwurzeln, oder ob 
«s ihn erfrischen wfirde? Nach Aussen war^ durch die 
Whigs alle Allianzen getrübt, in Ostäsien hatteik sie schweren 
Krieg, mit Amerika ernste Verwicklungen hinterlassen. 
Und dem gegenüber nun der Staatsmann,- der allerdings 
hohe politische Fähigkeiten und Allen voraus eine seltene 
Rechtschaffenheit des Willens besass, als Erbdidl seiner 
Jugend aber das Misstrauen in sich selber und in Andere 
niemals abstreifen konnte. Es entsprang aus dem gewissen- 
haften Zweifel, der sich selbst ernst prüfenden Erw^ägung, 
ob dieser oder jener Schritt auch zum Heile führe, denn 



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Sir R9b€rt Pttl, 



411 



keineswegs als gewöhnlicher Parteunaim nahm er die ernsten 
Probleme in die Hand. Er wusste sehr wohl, mit welchem 
Argwohn alle Seiten, und jetzt die alten Freunde zumeist 
Shn begleiteten, wie die Gwter, zumal in der brennenden 
Frage des Tags, nach der Windrose auseinander stcfben und 
wie sein eigenes ansduanend starkes Ministerium gar nicht 
anders als aus h e terogenen in ^ch nicht m^ dnigen Ele- 
menten componirt werden konnte. Er war sich aber auch 
ebensowohl s^er vv^en Tfichtigkeit gerade in den Stücken 
bewusst, auf die es ankam, in den finanziellen und commer- 
ciellen Interessen, für die er von Kindesbeinen an nach dem 
Muster Pitts geschult worden war. Ein solcher Staatsmann 
vor allem verlangte, um in seiner wahren Grösse zu wirken, 
ruhige Zeiten; und war er etwa mehr als Pitt stürmischen 
gewachsen ? * 

Nach reiflicher Ueberlegimg, für Freund und Feind viel 
zu lange, machte er endlich dem Parlament von 1842 seine 
Vorlagen, die, wer möchte es leugnen, wenig befriedigten. 
Denn in dem Kampfe zwischen Fr^handel und Schutzzoll, 
der bereits zum Kampf der Vielen gegen die Wenigen und 
fanmmer ausschliesslidier zum Kampf für und wider die 
Komz^e angeschw(^en war, stellte er sich, in allen an- 
dere Stucken aufrichtig Freihändler, zwischen beide hin, 
indem er, um mit den Parteigrundsatzen und dem vor- 
hemchenden Ackeibauinteresse der Tories nicht zu colli- 
diren, alles Getreide sowie auch den Colonialzucker als 
Gegenstände behandelte, bei denen die wechselseitigen Prin- 
cipien von Angebot und Nachfrage nicht in erster Reihe 
zur Anwendung kämen. Zwar wurden die Kornzölle auf 
ein niederes Mass herabgesetzt, aber, um sie den Land- 
wirthrn mund^-> 'recht zu erhalten, je nach dem Ausfall der 
Ernte mit einer gleitenden Scala der Preise in künstliches 
Gleichgewicht gebracht. Ausserdem erweckten zwei andere 
Gesetze, welche das Deficit beseitigen und den Jahresetat 
wieder in's Reine bringen sollten, gleichzeitig den Einen 
die Erwartung, der Minister werde doch dermaleinst vollends 
nachgeben, wahrend andererseits die Schutzzöllner auf's 
Empfindlichste aufgerüttelt wurden. Peel führte nämlich, 
und zwar mit beträchtlicher Majorität die seit Beendigung 



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^12 Sir Robert Petl, 

des grossen Krieges aufgehobene Einkommensteuer \vieder 
ein, an sich schon in Friedenszeiten eine kühne Massregel^ 
an die ein Tory-Ministerium mit einem Parlament des alten 
Stils sich niemals hätte wagen können, die aber ihre volle 
Bedeutung erst durch das Aequivalent gewann, welches eia 
anderes Gesetz bot. Von 750 Gegenständen wurde ettt» 
weder eine jede oder doch der grösste Theil der Steuer 
abgenonunen, so dass eine umfassende Vereinfachung de» 
Taxi& alle Wortführer von Handel und Waod^ för steh 
hatte, während die Protectionisten, durch die wandelbare 
ZoUroUe für Kom captivirt, wenn auch unwillig mitgehen, 
nuissten. Man sieht, wie er (>)mpronus8e sdiliesst» sich, 
accommodirt, den Zeitumständen an den Puls fühlt; alle 
Uebersturzung, jede grossarttge Initiative^ ^dn olfener Bruch 
mit der eigenen politischen Vergangenheit lieg^ ihm fem. 
Indem auch keines der nächstfolgenden Jahre ohne einen 
namhaften Fortschritt blieb, gelang es ihm, die schlimmsten 
Stürme wie die Handelsklemme und den Rückgang der 
Staatseinnahmen, besonders auch die Repealbewegung in 
Irland zu durchwettern. Indem er endlich O'Connell selber 
belangen liess, hat er ihn doch vor den Millionen seiner 
düpirten Landsleute persönlich entlarvt. Andererseits stiess 
er freilich sofort bei aller staatskirchlichen und freikirch«' 
liehen Bigotterie an, als er dem misshandelten Irland zu 
helfen trachtete durch eine höhere Staatsbewilligung an da» 
katholisch -theologische Institttt von Maynooth und durdi 
die Errichtung von confessionslosen, wi« Katholiken* Angtt-' 
kaner und Dissenters sie um die Wette schalten, gottloseo 
Hochschulen« Wer hatte gar dem orthodoxen Peel zuge- 
traut, dass er, wie es nun gesdiah, dar Zulassung der Juden 
in municipale Aemter das Wort reden werdew Als daa. 
Wunderbarste jedoch in dieser Zeit erscheint, wie er fßr 
seine Gesetze stets eine Mehrheit erzielte, meist aus den 
entgegengesetzten Kreisen, und eben so oft im Widerspruch 
mit der eigenen Partei. So halfen ihm die liberalen Gegner 
die Einkommensteuer auch über drei Jahre hinaus verlängern, 
so stützte er sich auf die gesunde Erkenntniss des Handels- 
standes und der Industrie, als er 1844 der Bankacte von 
181 9 eine noch festere Gestalt gab. Um nämlich die Circu- 



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Sir R9bert P*«L 



4U 



lation des Papierg^es in dauernden Einklang mit den vor- 
liandenen Baarfimd» za setMn, schlug* er vor, die Bank von 
England in zwei Departements zu theUen, eins für Aus- 
gabe von Noten, das andere für das e&gentlkhe Baak- 
gesdiSft Beide aber -«raren fortan gehalten, alle Wochen 
ehie Uebersicht des GeschSfbbetriebes zu verdffentHchen. 
Sein Sjrstem, audt auf Sdiottland und Irland fibertragen, 
bat sich in der Folge bewährt, obschon bis auf diesen Tag 
Vertreter des Gegentheils versichern, es müsse in kritischer 
Zeit dem Wohlstande unfehlbar zum Verderben gereichen. 
Nach Aussen befolgte er sein Programm, den Frieden auf- 
zurichten, wo er wie im fernen Osten gebrochen worden, 
ihn zu erhalten , wo er bedroht schien , sei es mit Nord- 
amerika wegen gewisser Grenzstreitigkeiten, sei es mit 
Frankreich wegen eigenmächtiger Entfaltung der Tricolore 
auf Tahiti. Guizot ergeht sich in seiner Studie wie in den 
Memoiren mit unausstehlich selbstgerechter Breite in einer 
Schilderung der unveigleichlichen Eintracht zwischen sdnem 
Cabinet und dem Peels, in welchem aUerdings der gegen 
die Polhik Louis Philipps doch gar zu vertranaiiBselige Lord 
Aberdeen das Auswfirtige leitete. Wfihread der offidell 
gefeierten inienie eordüUe^ gegen welche der Kaiser Nioo- 
kras bei änem übemschenden Besuche In London vergeh- 
üdi In Person anktoplte, wHhrend dar her^chsten Visiten, 
4lBe ^c3i der englische und der französische Hof abstatteten, 
spielten freilich von den Tuilerien aus jene Intrigfuen, durch 
welche die berüchtigten spanischen Heirathen angezettelt 
worden sind. Peel selber, der sich die auswärtige Politik 
niemals zum I.ieblingsfeld erkor, wahrte Frieden mit dem 
reizbaren Nachbarlande, wie die Whigs ihm vorwarfen, um 
jeden Preis; er meinte dadurch auch Russland mit seinen 
verlockenden Anträgen im Orient am besten ruhig halten 
zu können. 

Wir verharren vorwiegend bei seiner inneren Staats- 
verwaltung, die vermuthlich auch ohne jenen finalen mäch- 
tigen Anstoss einer höheren Gewalt zu vollständiger Ent- • 
üemung aller Handelsschraidcen geführt haben würde. Idi 
brauche an dieser Stätte wohl nicht des Breiteren 2u er- 
zählen, wie, durdi <ne bldierigen Massregeln des Ministers 



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Sir Robwt P0§U 



selber angespornt, die von Cobden, Bright, Wilson, Villiers 
11. A. kraftvoll geleitete Liga zur Unterdrückung der Korn- 
zolle an Zuwachs und Macht gewann. Diese grossartige 
Agitation hatte nunmehr über bedeutende Finanzmittel, über 
dne mächtige Presse und die glühmdste Beredsamkeit zu 
verfQgen, hatte bddes, Capital und Aibeit der Städte hinter 
sich hergerissen und aller Verleumdung zum Trotz selbst 
auf manchmn Edelsitz und in mancher Pächterversammlnng 
Gehör gefunden. Mehr als einen heftigen Strauss hatte 
namentlich Cobdens gerade und derb herausfic^demde Natur 
mit Peel personlich bestanden fSb&R. desshalb, weil er Ihn 
mit Recht als Anhänger seiner eigenen einfachen Theorie 
betrachten zu dürfen meinte, Peel aber selbst von den For- 
derungen des gesunden Menschenverstandes sich seine Kreise 
nicht wollte stören lassen. Da legte sich die Natur, die 
Vorsehung in's Mittel, indem nach dem aussergewöhnlich 
nassen Sommer von 1845 in Irland zuerst das einzige N£ih- 
rungsmittel der Massen, die Kartoffel, in bisher unerhörte 
Fäulniss überging und aus ganz Europa Nachrichten über 
eine höchst mangelhafte Ernte einliefen. Während die Man- 
chester Liga ihre Anstrengungen verdoppelte, um schleu- 
nigst Freigebung aller Lebensmitteleinfuhr zu erwirken, ver- 
schloss sidi auch das Ministerium, PedL und Graham zumal, 
welche angstvoll wie vcm einer Warte umherspähten, keines- 
wegs der Nothwendigkeit, rasche Abhülfe zu schaffen. Daza 
boten sich nun zwei Möglichkeiten, entweder auf eigene 
Hand gegen nachtraglidie Indonnitat durch das Parlament 
den Getreid^andel bedingungslos zu offnen, oder aber das 
Parlament selber entscheiden zu lassen. Letzteres war Peela 
Gredanke, doch konnte er die Mehrzahl seiner Collegen, 
von denen kaum vier Freihändler waren, schlechterdings 
nicht überzeugen. Schon leckte der Zwiespalt durch, als 
Lord John Russell, der Führer der Whigs, durch einen Brief 
an seine Wähler vom 22. November das Frävenire zu spielen 
suchte, indem er, der bisher für einen mässigen aber festen 
Zoll gewesen, sich für unbedingte Freigebung und sofortige 
Berufung des Parlaments aussprach, dasselbe, was seinem 
grossen Nebenbuhler längst klar geworden war. Aber wäh- 
rend die Thnes bereits auf Peels Eatschhiss hindeutete» 



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Sir Robtri FttU 



415 



vermochte dieser nicht den hartnäckigen Widerstand einiger 
CoUegen, namentlich Lord Stanley's zu bewältigen. Die er- 
staunte Welt erfuhr davon, als er am 5. December resig- 
nirte. £r, der Parlament und Land hinter sich gehabt, der 
stark und erfolgrdch regiert hatte, fiel vor der Kartoffel- 
f Sule, d. h. vor der eigenen morschen Gesetzgebung, deren 
wundesten Fleck er sich nicht zu hdlen getraute, lediglich 
desshalb, weil er als Tory, als Verfechter des Getreide» 
monopols das Ministerium übernommen hatte. Lidess da. 
die Whigs ohne genügenden Rückhalt imd noch weniger 
einig sich vecgebUch abmühten ihn zu ersetzen, da gar ein 
protectonistisches Tory-Ministerium nicht die geringste Aus- 
sicht hatte, wurde er in Kurzem wiederberufen, jetzt aber 
mit der bestimmten Voraussetzung, die unerlässliche Ver- 
änderung zu vollziehen, und nur mit solchen, die ihm folgen 
wollten, ohne Lord wStanley, mit Gladstone an dessen Stelle. 

Das war nun aber einmal sein Geschick, das Monopol, 
zu dessen Schutz er durch die Partei verpflichtet war, zer- 
stören zu müssen, noch einmal also ein Parteiwechsel, noch 
einmal politische Untreue, sagten aile diejenigen, die ihm 
nicht vergeben konnten. Aber, fragen wir, waren die alten 
geschlossenen Parteien, seit die modernen wissenschaftlich«! 
und liberalen Richtungen mit der Reformbill die Landes« 
Vertretung überflutheten , nicht ber^ts in voller Auflösung 
b^grififen? Grewiss. Indess eine so grosse Umwandlung im 
individuellen Ldben eines Staatsmannes wie der Uebergaag^ 
zum entgegengesetzten Stuidpunkte ist damit noch keines- 
wegs entschuldigt. Nach Stockmars freier Auslegung fehlte 
es Peel zwar nicht aa sdiarilsm BHck, aber er war voa 
Natur kurzsichtig, sah zuerst nur auf das N&chste und Exn» 
seine, bis er langsam zu einem Ueberblick der Dii^ im 
Grossen gelangte. Endlich aber, meine ich, war er gleich- 
sam bestimmt, aus dem alten Zustand in den neuen hinüber 
zu leiten, wie immer langsam, bedächtig, selbstlos und 
desshalb auch bereit die Vergeltung, die ihm nicht erspart 
werden konnte, auf sich zu nehmen. Die Protectionisten, 
bald gesammelt unter Lord George Bentink, Disraeli, Lord 
Stanley, haben fortan in Presse und Parlament ihn als Ver- 
räther gehetzt, während er mit einem kleinen treuen Häuflein 



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4i6 



Sir Rodert Peel. 



aus den Tories» den Peeliten, mit den Whigs und vor allen 
den Manohestermännem hinter sich nur noch den grossen 
UiiHMähWttngmderHaiidäispoiitilcmlegalisiM Wohl 
Mterte der Grundbesite, ^ber die Stftdte, die Maasen, die 
offiHitUche Meifiaiig' bc^fritoste In Ihtii daa elnat^ HeiL 
Wimd^bar» Ricl^fd Cobden bereitete jetzt ab Herold den 
letzten l^xHshe madhendeä Gesetzen Peels den Weg. I^e 
bestanden in einer noch nmfassenderma Herabsetzttng des 
Tarifs, als schon die von 1842 gewesen, und in der in heissen 
Debatten endlich erstrittenen Aufhebung- der Kornzölle, 
d. h. also dem vollständigen »Siege des Freihandelsprincips. 
Indem Peel erkannte, welch unermessliche Impulse der ge- 
werblichen Kraft der Nation gegeben, und welch neue un- 
übersehbare Verkehrswege durch ihr Beispiel allen anderen 
Völkern vorgezeichnet wurden, ,,war er sich eben so sehr 
bewusst, dass er persönlich darüber zum Märtyrer gewor* 
den." „Wenn ich fallen sollte", sagte er vor der entschei- 
denden Abstimmung, „so werde ich eine Genugthuung in 
dem Gedanken haben« dass ich nicht gefallen bin, weil ich 
mich einer Partei untergeordnet habe. Ich werde vielmehr 
^ Genugthuung mit mir n^mien, wahrend der Dauer meines 
Amte Alles gethan zu haben, was die Wohlßdirt des Landes 
fSfdem kotmta" Die pariamentarische NemesiB Hess denn 
auch nicht lange auf sidi warten« Nachdem lediglich mnr 
fOr die eine grosse Sache sich alle möglichen demente 
imter seiner Fahne vereinigt hatten, gingen sie wieder weit 
auseinander, sobald der Minister ein Sicherheitsgesetz gegen 
die agrarischen Verbrechen in Irland einbrachte. An diesem 
alten Probirstein seiner Staatskunst sollte er schliesslich 
scheitern. In denkwürdiger Rede kündigte er selber am 
29. Juni 1846 seinen definitiven Rücktritt an. Nachdem er 
noch einen freudig stolzen Blick auf die Geschichte und das 
vornehmste Resultat seiner Administration geworfen, ehrte 
er sich selber durch jenen berühmt gewordenen Lobspruch 
auf Kichard Cobden : „Es gilt den Namen eines Mannes'% 
sagte er, ,^er nach meiner Ansicht stets in den reinsten 
und uneigennützigsten Absichten mit unermüdlicher Energie 
für jene Massn^gein gewirkt hat, hidem «r skfa ufftrasge- 
setst an unsere Vernunft wandte und uns mit ^ner amscr* 



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I 

I 

l 

Sir Jipbtrt FttL 



ordentlichen Beredsamkeit überzeugte, die um so mehr 
bewundert werden muss, als sie stets ungekünstelt und 
ungeschmückt war." Sich selber aber widmete er das Ab- 
schiedswort: „Ich furchte, dass ich mein Amt nicht ver- 
lasfiCBi werde, <Am& dass meia Name bitter getadelt wird 
von vielen ehren warth^ Mäniwn, welche aus öffentlichen 
Gründen die Lockerung der PartnlNinde tief beklagen, 
welche sie beklagen nicht aus persönlichen oder interessir- 
ten Motiven, sondern weil sie glauben, dass das Vorhan- 
densein «ner grossen Partei, dass Treue gegen dieselbe 
und Aufrechthaltimg derselben seihr wirksame Mittel zu 
einer guten Regierung sind. Eben so, furchte ich, werden 
andere ehren werthe Männer mich tadeln, welche gleichfalls 
nicht aus persünlichen Motiven den Grundsätzen des Schutzes 
anhangen, sondern weil sie ihn als unerlässlich für die Wohl- 
fahrt und die Interessen des Landes betrachten. Ich weiss 
auch, mein Name wird verwünscht werden von jedem Mo- 
nopolisten, der unter dem Verwände ehrenhafter Meinungen 
rein individuelle Vortheile erstrebt. Aber dagegen wird 
man wohl meiner mit Wohlwollen gedenken an allen Orten, 
wo Männer weilen, deren Loos die Arbeit ist und die ihr 
tägliches Brod im Schweisse des Angesichts verdienen, so 
oft sie ihre erschöpfte Kraft durch reichliche und unbe- 
steuerte Nahrung wiederherstdlen." 

Und so geschah es denn a,uch. Sir Robert Peel hat 
nodi vier Jahre verlebt in schöner freier Thätigkeit, von 
den Einen verflucht, von Millionen gesegnet, und er hat 
seinen Beistand, sow^t es ihm die UebenEeugung gestattete, 
gern der Whigregierung gewährt, weldie als seine Nach- 
folgerin ernste Fragen zu lösen, insonderheit die schweren 
Jahre 1847 und 1848 zu durchwettern hatte. Noch am Tage 
seiner letzten Anwesenheit im Unterhause hat er ihr Re- 
giment als liberalconservatives bezeichnet und den Lord 
Palmerston, als er von ingrimmigen Feinden angegriffen 
wiu*de, wegen seines warmen nationalen Ehrgefühls herz- 
lich beglückwünscht. Neben seinem edlen Freunde, dem 
Prinzen Albert, sass er, der erfahrenste Fachmann, dem 
Ausschuss vor, welcher die erste grosse Weltausstellung in 
Londmi, jene gewerblichen olympischen Spiele, den Wettr 

Pavli, AvMtet. H. 7. 27 



I 



417 ' 



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4l8 S$r R^*rt PetL 

kämpf der Friedensarbeit aller Völker, einleitete. Auf ^netn 
Spazierritt nach dem Schluss einer solchen Sitzung that er 
einen so unglücklichen Sturz, dass in wenigen Tagen, den 
2. Juni 1850, das Ende erfolgte. Man muss in den Tagen 
und Stunden vorlier die dicht gedrängten schweigenden 
Massen gesehen haben, um das Zeugniss, das er sich selber 
ausgest^t, in vollster Wahrheit bestätigt zu finden. In deo 
Herzen des Volkes lebt die Dankbarkeit für das von Peel 
billig gemachte Brod fester als in den vielen ehernen Biki» 
Säulen, die ihm aller Orten gesetzt worden sind und als in 
den Lobreden von Freund und Feind. So wenig er jemals 
der Mann der exacten Freihandelsschule von Manchester 
gewesen oder gar lediglich auf Entfesselung des Capital s 
hingearbeitet hätte, eben so sehr hat er als Staatsmann das 
materielle und moralische Wohl der Arbeit, jenes unerläss- 
liche (Tegengewicht gegen die Einseitigkeiten des Industria- 
lismus, stets ehrlich im Auge gehabt. 

Nur noch wenige Striche mögen genügen, um das Bild 
des Mannes abzurunden, der eigenartig war wie wenige und 
weit über den Kreis seiner Nationalität hinaus zu den rein- 
sten heilbringenden Geistern tmserer Epoche zählen wird. 
Das eine Hemmniss, oder soll ich sagen, das Bfiasgeachick, auf 
der Tory-Seite, der verlierenden, an dem gewaltigsten Fort- 
schritt der Zeit mitarbeiten zu müssen, wird doch in schöner 
Vmolmung dadurch aufgewogen, dass Peel sich immerdar 
aus dem Volke entsprossen fühlte und seine demokratisdien 
Wurzeln nicht ausgerissen haben wollte. So zeigte er die 
seltene Vereinigung des tory und des Demokraten, und 
war ein Freund des Volkes ohne jemals sein Schmeidiler 
zu werden. Gleich Walpole und Pitt verharrte er im Unter- 
hause, der einzigen Arena, von der aus dieser Staat nun- 
mehr zu regieren ist, als deren erste Autorität er während 
der letzten zehn Jahre seines Lebens unbestritten gelten 
durfte. Wilhelm IV. bot ihm vergebens eine Pairie, Vic- 
toria vergebens das Hosenband. Sterbend noch hat er sich 
die Ehre einer öffentlichen Bestattung verbeten und den 
Hinterbleibenden untersagt, für die von ihm dem Vater- 
lande geleisteten Dienste nachträglich irgend welchen höhe- 
ren Rang anzunehmen. Wie das Maass dieser Dienste, so 



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Str Robtrt PttU 



419 



Überschätzte er am wenigsten das Maass seiner Gaben. Der 
greise Herzog von Wellington, dessen Heldenthaten er einst 
in sräien frühesten rednerischen Versuchen gefeiert, mit 
dem er in der wichtigsten Epoche seiner staatsmannischen 
Laufbahn innig verbunden vorgegangen war, &sste sie 
dahin zusammen, dass er Peel den zuverlässigsten Menschen 
nannte, den er je gekannt Prinz Albert, nunmehr dn reifer 
Beurtheiler, bezeichnete ihn als einen Liberalen von Herzen, 
dnen Conservativen aus Prindp^ dessen ruhig abwägender 
Gdst zunächst stets alle Bedenken grundlich geprüft habe, 
ob und wie weit an fundamentalen Sätzen gerüttelt werden 
dürfe. Sobald er sich jedoch von der Richtigkeit imd Aus- 
führbarkeit des Schrittes überzeugt habe, sei Alles an ihm 
Muth und Zuversicht des Gelingens gewesen. Herr von 
Stockmar endlich pries in einem trefflichen Nachruf die echt 
sittlichen Grundlagen, aus denen wie sein schönes edles 
Familienleben, wie sein feiner selbständiger Geschmack in 
Wissenschaft und Kunst, so in der Politik seine Redlichkeit, 
Mässigung und der einzige Stolz entsprang, zu der Wohl- 
fahrt des Vaterlandes beigetragen zu haben. Von ihm allein 
darf man sagen, dass, während seit 1830 aUe englischen 
Staatsmänner, was leider viel zu wenig gerügt zu werden 
pflegt, unter der Onmipotenz des Hauses der Gemeinen be- 
wusst oder unbewusst an der Zerstörung der Verfassung 
arfoetten, dieser Vorwurf ihn nicht trifft. Und dass er mit 
hellem, aufrichtigem Verständniss auch anderen Völkern 
dasselbe wirthschaftÜche und geistige Gedeilien wie dem 
eigenen gönnte, dass er namentlich stets der warme An- 
hänger einer Allianz mit Deutschland gewesen, das bezeugt 
die prophetische Stelle aus wem am 10. October 1841 an 
Bunsen gerichteten Brie^ mit der ich schliessen will: „Die 
Einigung imd die Vaterlandsliebe jenes Volkes, welches das 
Herz Europa's bewohnt, wird für den Frieden der Welt die 
sicherste Gewähr und zugleich den mächtigsten Schutz bieten 
gegen die Ausbreitung aller verderblichen Lehren, \velche 
der Sache der Religion und Ordnung und derjenigen Frei- 
heit, welche die Rechte Anderer achtet, feindlich sind/' 



27* 



C K. J. VON DUNSEN. 



Christian Karl Joslas Freiherr von Bunsen, geboren zu 
Korbach am 25. August 1791, gestorben zu Bonn am 28. No- 
vember i860y stammte aus bürgerlicher Familie, die, seit 
lange im Waldeddschen ansässig, auch In anderen Zweigen 

über die engeren Grenzen hinaus zu ehrenvollem Ansehn 
gelangt ist. Das einzige Kind aus einer zweiten, späten Ehe 
des Vaters, der an dreissig Jahre in einem waldeckischen Re- 
giment den Holländern diente und sich in bescheidener Stel- 
lung treu und ehrenfest einen reinen frommen und unab- 
hängigen Sinn bewahrt hatte, verdankte er, an Körper und 
Gemüth reich ausgestattet, ihm vor Allen die Entwicklung 
gleicher Eigenschaften. Nachdem er seit 1798, besonders 
die alten und neuen Sprachen lebhaft erfassend, das Gym- 
nasium seines Geburtsorts besucht hatte, bezog er im Herbst 
t8o8 die Universität Marburg um Theologie und Philologie 
zu Studiren. Schon nach einem Jahre trieb es ihn trotz 
kargen Mitteln nach Gröttingen, wo sich Heyne mit väter- 
licher Grüte seiner annahm. Eine HülfislehrenteUe am Gvym* 
nanum und die Unterw^sung ^es reichen Jünglings ans' 
New-York, W. B. Astor, halfen über die drückenden Soigen 
hinweg, während er mit energischem Willen und rascher 
Fassungsgabe den Kreis sdner Studien erwdterte. Audi 
nachdem er 18 12 mit einer ^JDisquisiiio de ptre Atkmiei^ 
süm hereditaric^ den Facultatspreis gewonnen und nach 
dem Druck der Arbeit ehrenhalber aus Jena die philoso- 
phische Doctorwürde erhalten, arbeitete er rüstig weiter, 
durch seinen Feuereifer das belebende Element eines philo- 
sophischen Bundes, aus welchem Lücke der i heolog, Lach- 
mann der Philolog, Ernst Schulze der Dichter der bezau- 
berten Rose, Brandis der Philosoph hervorragen. Während 



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C. K. y. von Bunsen. 



4-1 



Andere in den Befreiungskrieg hinauszog-en , löste Bunsen 
zwar jedes Dienstverhältniss zur westfälischen Regierungf, 
entwarf auch eine erste politische Denkschrift zu Grünsten 
seines kleinen Helmathlandes, verharrte aber, Ausflüge nach 
Süddeutsdiland, an den Rhein und nach Holland abge- 
rechnet, in Gottingen, erfönt von dm unter Benecke betrie- 
benen germanistischen Studien, von idealer Begeisterung 
fBr das Alterthum und dem Wunsche, „des weiten und fern- 
sten Ostens Sprache und Geist hinüberzuziehen in seine 
Wissenschaft und sein Vaterland", bis er im Frühling 1813 
zunächst Brandis über Kiel nach Kopenhagen begleitete, 
wo Finn Magnussen sein Lehrer im Isländischen wurde. 
Von dort begab er sich im Herbst nach Berlin, um in dem 
Staate, ,,der sich freut, jeden Deutschen aufzunehmen", den 
grossen Meistern der Wissenschaft, namentlich Niebuhr, 
nahe zu treten. Ein dem letzteren vorgelegter Arbeits- und 
Lebensplan, „die Idee der Philosophie in ihrem Verhältniss 
zum Glauben, zur Philologie und Historie", in welchem 
Bunsen seinen in Sprache und Gottesanschauung wurzeln- 
den Forschungen das Ziel einer Geschichte der Menschheit 
steckte, solhe alsbald in Angriff geno mm en werden. So 
begab er nch im Frfihling 1816 nach Paris, wo er unter 
Silvestre de Sacy seine Kenntniss des Perdschen erwn- 
terte und das Arabische begann, in der Höffiiung, am Ganges 
selber mit dem Sanskrit die Weisheit Z<MX>asters, Brahma's 
und Buddha's zu ergrunden. Diesen luftigen Plan ge- 
dachte er als Mentor Astors, mit dem er wie zu Paris so 
auch im August zu Florenz wieder zusammentraf, auszu- 
führen. Allein die Rückkehr jenes nach New -York trat 
dazwischen, und Bunsen, obwohl enttäuscht, begriff, dass 
sich sein Zweck auch in Europa erreichen lasse. Da zog 
ihn Niebuhr, der, von Brandis als Legationssecretär be- 
gleitet, als Gesandter nach Rom ging, im November hinter- 
drein in die ewige Stadt Hier nun nahmen angesichts der 
Herrlichkeit aller Zeiten die Wanderjahre ein unverhofft 
glückliches Ende. Statt die Summe alles Endlichen und 
Unendlichen im Sturm zu erobern, begann Bunsen im Kreise 
der deutschen Kihisderschaft, im Verkehr mit hochgebil- 
deten Engländern und unter Niebuhrs machtiger Einwirkung 



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422 



C» VMI BtttUfM» 



sich in wissenschaftlicher Methode auf positive Ziele zu 
richteii« Am i. JuH 1817 wurde die Verheirathung' des 
in seiner Erscheinung ungemein anziehenden Mannes, der 
auf der Reise durch Sudfrankreich fast als Napoleonide 
angehalten worden wäre» mit der durch seltene Graben des 
Cieistes und Heizens ausgeieidmeten Fanny Waddington 
ans Monmouthshire entscheidend für sein Ldben. Nicht 
minder folgenrekii war es» als er im Sommer 1818 an Stdle 
des in die Hesmath zurfickk^nrenden Brandis als Seccetar 
bei Niebuhr Antrat In Amtsgesdiaften wurde er nidit nur, * 
während in Deutschland der politisciie Starrkrampf anhub 
und in Italien die Revolution unterlag, auf die realen Zu- 
stände der Gegenwart hingewiesen, sondern an Xiebulirs 
grossem Werke erschloss sich ihm der volle Blick für die 
Geschichte Roms. Das um diese Zeit von Cotta unter- 
nommene Sammelwerk: „Beschreibung der Stadt Rom**, 
Stuttgart 1830 — 1843, 3 Bde., wäre nach Niebuhrs Zeugniss 
ohne Bunsens Eifer niemals ausgeführt worden, so wenig 
es ihm auch behagte, neben eigenen topographischen und 
antiquarischen Beiträgen zur Geschichte der antiken und 
frühchristlichen Stadt Jahre lang die Verpfliditungen An* 
derer zu übemebmen. , J)ie Basiliken des christlichen Roms 
nach ihrem Zusammenhange mit Idee und Geschidit» der 
Kirchenbaukunst^, MQnchen 1843» erschienen nachtiSgüch 
als erläuternder Text zu Gutensohn und Knapp, „Denkmale 
der christlichen Religion oder Sammlung der ältesten christ- 
lichen Kirchen und Basiliken Roms." Aber awdi sein m> 
sprünglicher Axbotsplan erhielt neues Leben, als sich um 
die evangelische Gesandtschaftscapelle eine kleine deutsche 
Gemeinde bildete, in biblischer Kritik, kirchengeschicht- 
lichen und liturgischen Furscliungen, die mit der HäusUch- 
keit im Palazzo Caffarelli auf dem Capitol, wo Freude am 
deutschen Kirchenliede wie an altitalienischer geistlicher 
Musik herrschte, in schöner Wechselwirkung standen. Als 
im Herbst 1822 Friedrich Wilhelm III. von Verona aus Rom 
besuchte und auf die von ihm eingeführte preussische Agende 
mit Bunsen zu reden kam, fand dessen freimüthige Ein- 
sprache nicht nur gnädige Aufoahme, sondern erfolgte 
sogar die überraschende Ernennung zum Legationsratii. 



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Bei Niebuhrs Rückkehr im Mai 18^4 ersetzte er ihn bereits 
als Geschäftsträger, indem jener selber airedete in einer 
Laufbahn zu verharren, die zu den eigenen Entwürfen so 
wenig stimmte. Indess Bunaens Pecsonllchkeit, sein Urtbeil 
über Uturgiacfae Dinge und die warme Liebe ^ die Sadie 
der evangelisdien Union bewahrten ihm die königliche Huld, 
wie sehr auch der Durchführung sdner Ideen daheim das 
monarchische Princq;> und die Abneigung der Cremeinde» 
bei Ihm selber, der fietwiUige Annahme durch die kirch- 
lichen Organe voraussetzte, damals wenigstens Ueberschä- 
tzung der englischen Liturgie im Wege standen. Den Vor- 
zügen des Lebens in Rom mit seinem universellen Verkehr 
erw^uchs aus der räumlichen Entfernung freilich ein be- 
stimmter Nachtheil. Wie ihm die wirklichen Zustände der 
deutschen Heimath in idealem Lichte oder schief erschienen, 
so wurde er von Vielen , welche seine Stellung in Rom nicht 
begriffen, verkannt, wohl gar als Glücksritter, als Reac- 
tionär oder katholisirender Frömmler verschrien. Es war 
daher sehr wichtig, dass, nachdem durch die von Niebuhr 
erwirkte Bulle Ds saluie animarum die Verhältniaae des 
pceuBsischen Staats zur Curie im AUgemeinen geregt 
worden, Verhandlungen namentlich wegen der gemischten 
Ehen den mit dem romischen Greschäftegang Vertrauten im 
Herbst 1827 nach Berlin zogen, wo er mit den einfluss- 
rdchen Kreise in vielseitige Berührung trat Damals er- 
tiieilte der König dnem Herzenswunsch Bunsens, der Ein- 
fuhrung dner von ihm nach den gründficfasten Vorarbeiten* 
mit Richard Rothe's Unterstützung entworfenen Agende in 
den Gottesdienst der capitolinischen Gemeinde, seine Sanc- 
tion. Hat doch Friedrich Wilhelm III. die zu seinen Ge- 
danken nicht immer stimmende Arbeit drucken lassen und 
eigenhändig mit einem Wjrwort versehen. Nach Rom 
brachte Buusen nur günstige Eindrücke heim; seine Stellung 
schien vollends gesichert, als im Herbst 1828 die römische 
K.eise des Kronprinzen von X^reussen den innigen Austausch 
zweiet merkwürdig ähnlich gestimmter Seelen fest begrün- 
dete. Unter dem Protectorat des geistvollen Fürsten ge- 
wann das Archäologische Institut {Instituto dt corris^^n» 
dem» arckeülogiea) die erste Gestalt, bei dessen fernerem 



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424 



C, K* von Butuen» 



Gedeihen die eigentlichen Stifter Eduard Gerhard und 
Bunsen stets unvergessen bleiben werden, und wurde nicht 
minder der Grund zum protestantischen Hospital gelegt, 
2wm segensreiche Anstalten, die seit 1835 in eigenen Lo- 
calen neben der Gesandtschaft auf dem Capitol imterge- 
bracht sind. Im Bereidi des earsteren beiheUigte sich Bansen 
an der Erforschung der neu entdeckten etruskiscfaen Alter- 
thümer und begann, 1826 durch ChampoUions Anwesenhdt 
angeregt, sidi mit den Rathsebi Aegyptens zu befiwen, 
wofür er späteihin Richard Lepsius zu gewinnen wusste« 
Aus den hymnologischen Studien ging hervor: „Versuch 
eines allgemeinen evangelischen Gesang- und Gebetbuchs 
zum Kirchen- und Hausgebrauch", Hamburg, F. Perthes, 
1833. Später folgte: „Die heilige Leidensgeschichte und 
die stille Woche. Die Liturgie der stillen Woche in Musik 
gesetzt von Sigmund Neukomm", Hamburg 1841, woraus 
sich die zweite veränderte Ausgabe des ersten Werks ent- 
wickelte, die ohne seinen Namen erschien: „Allgemeines 
evangelisches Gesangbuch", Verlag des Rauhen Hauses zu 
Hambuig", 1846. Daneben liefen amtliche Aufgaben, die 
Verhandlungen mit dem pa{>stlichen Stuhle imd die durch 
die Julirevolution belebte grosse Politik. Angesichts der 
in Iisdien ausgebrodienen Bewegung machten die Vertreter 
der Grossmachte das von Bunsen entworfene Memorandum 
vom 21. Mai 1831, in welchem der R^fierung des Kirchen- 
staats freilich vergeblich Reformation in der Richtung des 
Xaienregiments angerathen wurde, zu dem ihrigen. Bunsen 
hatte sich allmählich von Niebuhrs düsterer Anschauimg 
der Weltlage emancipirt und war ein Anhänger des Re- 
präsentativsystems geworden. Die Freundschaft mit ähn- 
lich gesinnten Engländern wie Thomas Arnold und Julius 
Hare, in Rom für das Leben geschlossen, verwandelte ihn in 
der Folge aus einem Tory in einen gemässigten Whig. In- 
zwischen machte sich an der Curie und im Katholicismus 
überhaupt jener Geist geltend, der auf Trennung zwischen 
Kirche und Staat, auf autonome imd zugleich, hierarchische 
Gewalt ersterer hinarbeitete. Die Verhandlungen über die 
gemischten Ehen kamen nicht vom Fleck, weil sich kein 
Vergleich zwischen der einer jeden akatholischen Verfoin* 



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düng- abholden Kirche und dem preussischen Landrecht 
finden Hess, welches die Mischehen als fördersam für das 
friedliche Zusammenleben der beiden Confessionen betrach« 
tele» aber die Endehimg der Kinder ganz in die Hand des 
Vaters legte. Zwar gestattete das Breve Pius' VICL vom 
25. Marz 1830 nun auch ffir die Erzdiöoese Köln, selbst wenn 
d^ katholische Braut keine Zusage wegen Confession der 
Kinder gegeben, die Ehe unter passiver Assistenz des Geist- 
lidien za einer legalen m machen. Allebi vielen Glaubigen 
geschah hiermit nicht g^nug, und unter dem strengen 
Gregor XVL wurde jener Erlass bald missgünstig inter- 
pretirt. Bunsen, zum Frühjahr 1834 wieder in Berlin, rieth 
im Einverständniss mit dem würdigen Erzbischof von Köln, 
dem Freiherrn v. Spiegel, der zaudernden Regierung zur An- 
nahme jenes allerdings dehnbaren Zugeständnisses. So kam 
es in der That mit den Bischöfen der westlichen Sprengel 
zu der Uebereinkunft vom 19. Juni 1834. Obwohl Bunsen, als 
ausserordentlicher Gesandter nach Rom zurückgekehrt, vom 
Papst überaus gnädig empfangen wurde, hatte der Schein- 
friede doch bald eia Ende. Curie und Klerus wollten unduld- 
sam die Seelen nur für sich gewinnen, die preussische Regie- 
rung in ihrer parHädschen Hahuug versftumte selber die 
Ausfcilirung des Beschlossenen. Als Erzbischof Spiegel 
nach ehaem Jahre starb, wahrend entstdlte Berichte vom 
Rhein aus das gute Vernehmen zwischen Curie imd Ge- 
sandtschaft untergruben, trat mit der Wahl des Fr^erm 
Droste v. Vischering der schrofiste Umschlag ein. Der 
neue Erzbischof setzte sich über den Modus vivendi der 
Convention hinweg und verdammte gleichzeitig die herme- 
sianische Lehre an der katholisch-theologischen Facultät zu 
Bonn. In ihrer Verlegenheit berief die Regierung im 
Sommer 1837 ihren Vertreter abermals nach Berlin zu den 
Verhandlungen, die am 20. November mit der gewaltsamen 
Abfuhrung des Erzbischofs jäh abschlössen. £s war die 
freie Willensäusserung der absoluten Staatsgewalt, doch 
rechtfertigte Bunsen ihr Verfahren in der , J)enkschrift über 
die katholischen Angdegenheiten in den westlichen Pro- 
vinzen Preussens" vom 25. August, in der er noch immer an 
dem friedlichen Beisammenson beider Kirchen festhielt. 



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426 



C* von Bunsen, 



Vertrauensselig weigerte er sich seinen Posten in Rom mit 
der Stelle Mnes Greneraldirectors des Museums in Berlin zu 
vertauschen und gab sich sanguinisch wie immer sogar zum 
Vermittlfir her, als er im December über Wien, wo er die 
Unterstützung des Fürsten Metternich gewonnen zu haben 
meinte, nach Rom zurückkehrte, um dort sofort sich s^es 
Irrthums bewusst zu werden. Der am Rhdn entbrannte 
Kampf, persönliche Verleumdung und die offisne Feind- 
schaft des Vadcans brachen über ihn zusarnmen. Der Papst 
verweigerte den Empfang, die Curie jede wdtere Trans* 
action. Demgegenüber erschien die preussische Regierung, 
noch lediglich der Polizeistaat und ohne alle Stütze in der 
öffentlichen Meinung, völlig rathlos. Diesem Contlict fiel 
Bunsen nicht ohne eigene Schuld zum Opfer. Am i . April 
1838 erhielt er seine Entlassung in Form eines gnädigen 
Urlaubs. Nachdem er und die Seinen sich am 28. vom 
Capitol, aus jenen Pflanzungen, in denen sein Name fort- 
lebt, losgerissen, zogen sie über die Alpen, sich ein „neues 
Capitol'* zu suchen. Er rastete in München, froh des Wieder- 
sehns mit Cornelius imd Schnorr, des schöpferischen Ver- 
kehrs mit Schölling. Dort wurde ihm die Weisung, zu- 
nächst nicht nach Berlin zu kommen, acmdem den Urlaub 
zur Rdse nach England zu verwenden. U^)er ^ Jahr 
verbrachte er in der HeimaÜi seiner Frau. In London 
fesselte vorzüglich der geistige Austausch und das Paria- 
ment, daran schlösse sich Besuche in Oxford, bei Amx^ 
in Rugby, in Wales tu s. w. Er bewegte «ch frei in den 
edelsten Kreisen der Tories und Whigs. Die kirchlichen 
Dinge boten den Hauptgegenstand der Discussion und der 
Arbeit. Dem jung-en Gladstone, dessen Buch über Kirche 
und Staat eben erschienen war, verhiess er, dass er dereinst 
England regieren werde. Man irrt indess, wenn man 
Bunsen zeiht, sich damals der Lehre von der aposto- 
lischen Succession zugeneigt zu haben. Gleich Arnold ver- 
warf er vielmehr alle katholi^irende Richtung. Pusey und 
H. Newman durchschaute er sofort. Seit Ende 1839 als 
Gesandter in der Schweiz wieder angestellt, verlebte Bunsen 
auf dem Hubel bei Bern eine m Stille und Arbeit erquick- 
liche Zeit, aus wekdier die als Handschrift gedrudcte An- 



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C. h'. y. 7'oti Bunsen. 



V-1 



spräche: „Elisabeth Fry an die christlidiai Frauen und 
Jungfrauen Deutschlands**, Bern 1842, stammt Lebhaft 
wandtse er s^ fortan den Bestrebungen der inneren lifission, 
insonderheit dem Diacomssenwesen zu. Nach der so manche 
Wendungen anbahnenden Thronbesteigung Friedrich Wil- 
hehns IV. vermittelte Bunsen die Berufung Stahls, ohne 
in ihm den Ze rstör er der evangelischen Union zu ahnen, 
Sch^lings, Cornelius', Felix Mendelssohns nach Berlin und 
die Rehabilitation E. M. Arndts in seiner Bonner Professur. 
Irn April 1841 berief ihn der König in innigster Zuneigung 
nach Berlin, um ihm eine Specialmission nach England an- 
zuvertrauen. Sie sollte, gestützt auf die jüngsten Erfolge der 
Cabinette im Orient, der protestantischen Kirchengemein- 
schaft zur Anerkennung im türkischen Reiche verhelfen, 
vorzüglich die evangelische Gemeinde in Jerusalem sichern. 
Das war für Preussen und das evangelische Deutschland 
nur ausführbar, wenn sie sich an ein Unternehmen der eng- 
lischen Kirche anlehnten. Aus den Unterhandlungen mit 
den namhaftesten Wortführern, von Whigs und Tones ge- 
fordert, ist das Bisüram von Jerusalem hervorgegangen, im 
AnscUuss an die bereits bestdiende Judenmis^n, zur Hälfte 
von England, zur andern von Preussen ausgestattet Auch 
«Be Ernennung des Bischöfe, der anglikanisch ist, altemirt, 
ohne dass eine Confession In die andere aufgeht oder ihr 
zu nahe tritt. Des Könige und Bunsens Gesichtspunkt hat 
letzterer, unterstützt von H. Abekcn, dargelegt in der Schrift: 
„Das evangelische Bistlium zu Jerusalem", Berlin 1842. 
Wie in England dieser Bund vorzüglich von den Puseyiten 
als ketzerisch verlästert worden ist, so fehlte es daheim 
nicht an thörichtem Argwolin, es solle auf Umwegen der 
protestantischen Kirche bischöfliche Weihe autgedrängt 
werden. Des Königs freie 1 luld aber schuf einen neuen 
Wendepunkt in Bunsens Leben, indem er ihm noch vor 
Ablauf des Jahrs dem Wunsche der Königin Victoria ent- 
sprechend den hochwichtigen Posten seines Gesandten in 
London übertrug und 1845 <^ Ernennung zum WtricHchen 
€reheimen Rath hinzufügte. Seine l^ederlassung in Carlton 
Terrace, zuerst Nr. 4, sieben Jahre spfiter Nr. 9 (Prussia 
ffause^ Eigenthum der preussisdien Regierung), erhielt gleich 



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4-« 



C. K. y. von Bunsen. 



zn Anfang besondere Weihe durch den Besuch Friedrich 
Wilhelms IV. als Pathen bei der Taufe des Prinzen von 
Wales im Januar 1642, In der Zdt politischer Windstille^ 
als Überigfrosse Hoffiiung in Enttiuschung innschlag, berei* 
tete er sidi im Drang des Londoner Dasdns durch seltene 
Arbeitskraft und unvergleichliche Gabe anzudehen und em> 
zuwirken eme Stellung, die ihn auf der Höhe der Thätig* 
keit und der Gesellschaft zu einem Organ des Austausches 
zwischen deutschem und englischem Leben gfemacht hat, 
wie es noch keines gegeben. In einer unendlichen Fülle 
persönlicher Beziehungen , Pflichten und Arbeiten diente er 
seinem königlichen Herrn und Freunde. Ein Aufsatz: „Die 
Vollendung des Kölner Doms. Eine Stimme aus England", 
zuerst in der Augsb. Allg. Zeitung 1842, Nr. 103 — 105, dann 
separat, die Betheiligung an dem Dombauproject in Berlin, 
der in England besorgte Ankauf der Teppiche Raphaels 
für das Berliner Museum weisen darauf hin. Noch wich» 
tiger war ein Aufenthalt in Berlin in der ersten Hälfte 1844 
wegen des Ehescheidungsgesetzes und der bereits brennen- 
den Verfassungsfrage. Im August b^leitete er dann wieder 
den Prinzen von Preussen auf einer Rundreise durch Eng- 
land. Bei dem Gegenbesuch der Königin Victoria am Rhein 
im August 1845 war Bunsen anwesend und sah den König 
nochmab in Berlin, ohne jedoch auf dessen Entsdilüsse 
einwirken zu können. Bereits seit 1843 ^vu^de es ihm klar, 
dass Fürst und Diener in den Grundanschauungen über 
Kirche und Staat auseinander gingen. Als endlich die Ver- 
fassung vom 3. Februar 1847 erschien, verfehlte sie beides, 
Zeit und Ziel. Bunsens öffentliche Wirksamkeit blieb auf 
innige Verbindung der beiden protestantischen Grossmächte 
gerichtet, wobei der Zollverein und der Sieg des Freihandels 
in England, die spanischen Heirathen und die Unterdrückung 
Krakau's, der Sonderbundskrieg und die Stellung Neuen- 
bürgs nach der Reihe in Betracht kamen. An dem Ver- 
trauen der Königin Victoria und des Prinzen Albert, an der 
Freundschaft des Freihemi Stockmar gewann ^ staiken 
Hah. • Sein religifises Ihteiesse war 1845 der Bedmer 
Generalsynode und 1846 der ersten Vereinigiing der evan- 
gelischen Allianz in London zugewendet Bas deutsche 



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C. K, y. von Dunsen, 



Hospital zu Dalston in Verbindung mit den Diaconissen 
von Kaiserswerth gedieh unter seiner thätigen Förderung. 
Dabei fand er Zeit zur Abfassung der Schrift: „Die Kirche 
der Zukunft", Hamburg 1 845 (in's Englische übersetzt 1847), 
anknüpfend an das Bisthiun zu Jerusalem in Briefen an den 
Hochkirchenmann Gladstone zur Verthetdigung der Recht- 
mässigkdt und ApostoUdtat der deutsdien evangelischen 
Kirche; zur Herausgabe von «»Ignatius von Antiodiien. 
Sieben Sendschreiben an A. Neander", Hamburg 1847; zu 
einem sprachwtssenschafUidken Vortrage (in „Three Lin* 
guisHc DüsertaHans read ai the Muting 0/ the British 
Association in Oxford — am 29. Juni 1847 — ^ Bansen, 
C. Meyer and M. Müller'', London 1848); zu der Vollendung 
der ersten Stücke seines ägyptischen Werks, als eben Freund 
Lepsius von seiner Forscherreise am Nil zurückkehrte. So 
kam das Jahr 1848 heran. Bunsen, der sofort jede Privat- 
beschäftigung daran gab, hoffte mit der ganzen Kraft seiner 
Seele, die Aufrichtung eines deutschen Bundesstaats unter 
Preussens Führung werde im Einvernehmen mit der Frank- 
furter Nationalversammlung gelingen. Er that es, obwohl 
stark verleumdet, als tmier Diener seines Herrn, wovon 
sidi kein Greringerer als der Prinz von Preussen während 
seines Aufenthalts in Carlton Terrace überzeugte. Zwei 
Sendschreiben an das deutsche Parlament, in welches ihn 
die Scfaleswiger wählten, ohne dass er sie v e rtreten konnte, 
legten seine Auffassung dar: „Die deutsche Bundesverfassung 
und ihr eigenthümliches Verhaltniss zu den Ver&ssungen 
Englands und der Vereinigten Staaten*', London 7. Mai 1848, 
und „Vorschlag für die unverzügliche Bildung einer voll- 
ständigen Reichsverfassung während der Verweserschaft", 
Frankfurt a. M. 5. September 1848. Amtlich und als Patriot 
hatte er sich mit der schleswig-holsteinschen Frage zu be- 
fassen, die wie die ganze Bewegung in England fast all- 
gemein auf Unverstand, ( Tieichgültigkeit und Eifersucht 
stiess. Das Wenige, was sich bei der Regierung und in 
der ötfentlichen Meinung bessern Hess, war durchaus sein 
Werk. Bereits im April erschien sein „Memoir on fhe cori' 
stitutional rights 0/ the Duchies of Schleswig and Holstein, 
fresented to Lord JPalmerston** ^ London, Longmans 1848 



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* 



(„Denkschrift" u. s. w. Aus dem Englischen. Berlin 1848). 
In der Folge wurde er von Berlin und Frankfurt mit Be- 
arbeitung* der durch den Waffenstillstand von Malmö arg* 
verfohrenen Angelegenheit betraut. Wohl bewog ihn der 
steigende Conflict zwischen jet^n beiden Polen, das Reichs» 
ministerinm für die auswärtigen Angelegenhaten abzu- 
läinen, doch besorgte er einstweilen die deutsche Vertre- 
tung in London, wo er doch eini^ Staatsmänner über- 
zeugte, dass Oesterreich aus einem Gesammtdeutschland 
ausscheiden müsse. Ln August war er auf Wuns^ des 
Ministers Auerswald in Berlin und 'mit dem Könige und 
Reichsverweser beim Dombaufest in Köln. Hatte er schon 
früher seine Bestimmung darin erkannt, „oben am Mast- 
korb schauend zeitige Winke zu geben", so verhehlte er 
dem tief erregten Könige das Ergebniss seiner Wahrneh- 
mungen keinen Augenblick. Angesichts der ,,schwarz- 
weissen Reaction" schrieb er: „Die Macht der Zeit liegt 
in dem Streben Deutschlands zur Einheit. Von ihm hängt 
Leben und Tod ab/* Bei abermaliger Anwesenheit in B^lin 
im Januar 1849, wo inzwischen die Wendung des Novem» 
bers eingetreten, stiess er in den ihm stets missgünstigen 
Sphären bereits auf östarreidiische Gegenwirkung. Den« 
noch begab er sich im Einklang mit Graf Brandenburg 
nadi Frankfurt, ostensibel in Sachen der Henogthumer» 
in Wahrheit um bd Gagem und anderen nationalen Füh- 
rern, die s«n Herz erwärmten, dm zaghaften, gerade auf 
Oesterreich und die Fürsten blickenden Gedanken des Königs 
als Fürsprech zu dienen. Als er am 11. Februar wieder in 
Berlin eintraf, war lange vor dem 3. April gegen Annahme 
der Kaiserkrone entschieden. Bunsen, nach London zurück- 
gekehrt, sah dann in der Doppelstellung als preussischer 
und deutscher Staatsmann voll Schmerz in den nächsten 
Monaten alle grossen Ziele schwinden, die Nationalversamm- 
limg Preis gegeben, den Bürgerkrieg- zwar durch preussische 
Waffen unterdrückt, aber die Ehre seines Staats vor der 
Welt erniedrigt. Während die preussasch-deutsche Union» 
die auch ihm noch als Rettungsanker erschien, an der ei- 
genen Mattherzigkeit wie dem falschen Spiele Anderer 
acheiterte und die Reacüon in Berlin und Frankfurt weiter 



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C, y, 9m Jßuium» 



431 



ausgrifF, als nach der Bezwingung der Ungarn Oesterreich 
und sein Anhang auf RuBsland gestützt über Hessen und 
Schleswig«Holstein hinweg zu Ohnütz Preussen unter ihren 
Willen beagtan und den Bundestag" wiedereiasetzten, trach- 
tete Bimsen verg^ebtich über alles, was verloren g^ng, in 
England die Augen zu offioen. Klagend beaelchneta er die 
K^iigin, den Prinsen Albert und Sir Robert Peel als die 
einzigen, die es doch ehrlich mit Preussen und Deusdiland 
meinten. Die ,3rMs des Grennamcus", die 2U Anfiuig 1850 
im Londoner Globe ersdiienen, stammten aus seiner Feder* 
Wohl freute er sich der am 6. Februar vom Könige be- 
schworenen preussischen Verfassung, aber sie hielt die 
Katastrophe nicht auf, die zu Ende des Jahrs den General 
V. Radowitz, als er ihr zum Opfer fiel, auf einige Zeit nach 
London und in sein Haus brachte. Der König selber hatte 
die beiden ihm innig vertrauten Männer zusammengeführt, 
die sich lange gekannt, nun aber in den Stürmen der Zeit 
gereift einander vollends erschlossen. Durch den König 
allein yerblieb auch Bunsen auf sdnem Posten. Vergebens 
wurde von Oesterreich seine Entlassung gefordert und vom 
Ministerpräsidenten Manteufiiel beantragt. An dem Ent* 
schluss, freiwillig zurückzutreten und sich zunächst in Form 
eines einjährigen Urlaubs in Rom niederzulassen wurde er 
durch eine emstliche Erkrankung behindert Noch hofiie 
er von Schleswig-Holstein das Aeusserste abzuwenden und 
hatte im Juli 1B50 Betheiligung an den von den übrigen 
Mächten in Lonlkm gepflogenen Con fe re nz e n mannhaft zu- 
rückgewiesen. Gleichwohl entschloss er sich späterhin, „um 
dem Könige sein Opfer nicht noch schwerer zu machen**, 
das ProtocoU vom 8. Mai 1852, welches die Herzogthümer 
einer nie vorhandenen Integrität der dänischen Monarchie 
opferte, zu unterzeichnen, vielleicht der dunkelste und 
wenigst tadelsfreie Schritt seines Lebens. Mancher Andere 
wäre den erschütternden Stössen, welche jene Jahre Leib 
und Seele versetzten, erlegen, Bunsen vermochte, nachdem 
er nicht mehr in die Speichen des rückwärts rollenden Rades 
eingreifen konnte, durch die unvergleichliche Elasticität 
seines Wesens tmd bald auch wieder durch ungewöhnliche 
Thatigkdt auf anderen Gebieten sich aufrecht zu erhalten. 



432 



C. A". jf, von Bunsen. 



Er war das eig-entliche Bindeglied der auf englische und 
preussische Kosten von Richardson, von Barth, Overweg" 
und Vogel nach Centraiafrika unternommenen Entdeckungs- 
reise. Er betheiligte sich an der Vorberathvmg' der vom 
Prinzen Albert in's Leben gerufenen ersten grossen Welt- 
ausstellung des Jahres 1851. Auch nach dem Tode des 
hochverehrten Peel, des Vorsitzenden der Commission, der 
auf dem Sterbebette wiederholt sein Verlangen nach Bunsen 
aussprach, widmete dieser dem grossen Unternehmen treue 
Thdlnahme, war von dem mächtigen Eindruck der Eröff- 
nung imd den hochgespannten Hoffiiungen f&r das Friedrais- 
glück der Nationen ergriffen und freute sich der Anwesen- 
heit des Prinzen und der Prinzessin von Preussen, deren 
Reise als nach einem von Verschwörern erfüllten Lande die 
Berliner Schwarzseher auf jede Weise zu hintertreiben ge- 
sucht hatten. Daneben aber hatte er die ernsten Studien 
seines Lebens wieder aufgenommen. Mit den Documenten 
des Urchristenthums vor sich begann er ein schon früher 
entworfenes „Leben Jesu" zu überarbeiten, nahm das ägyp- 
tische Werk wieder auf und wagte sich an die Grrundele* 
mente des chinesischen Sprach- und Schriftsystems, um 
dessen Zusammenhang mit dem Aegyptischen darzuthun, 
als one auf dem Berge Aihos entdeckte Handscfarifit <9iila* 
aafovfispa ij wnä ttaatSv ui^9m %Xßjfxog, von K Miller in 
Paris 1851 herausgegeben und dem Origenes beigelegt ihn 
nicht nur auf die Fährte des wahren Ver&ssers brachte, 
sondern seinen theologisch -kirchengeschichtlicheii und phi-* 
losophisch -sprachwissenschaftlichen Forsdnmgeo zu einem 
gemeinsamen Schwerpunkt verhalf. Mit unverwGstlicher 
Arbeitskraft veröffentlichte er: ,,Hippolyfus and his age ; 
of the docfrtnc a)id practice of thc Church of Romc under 
Commudiis and Alexander Severus ; and ancicnt and moderji 
Christianity and Divinify coinpared^' , London, Longniajis 
1852, 4 Vols, Der erste Band handelt in fünf Sendschreiben » 
an Julius Hare über den wirklichen Autor der neu ent- 
deckten Schrift, den heiligen Märtyrer Hippolytus, der im 
dritten Jahrhundert Bischof von Portus bei Rom war, über 
die Lage der Kirche^ wie sie sich aus diesem urkundlichen 
Bruchstuck ihres inneren Lebens ergibt Im zwdten Bande 



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C, Km J, von £uMS€n, 



433 



sind von Bunsen scljpn früher entworfene Ai»horismen zur 
Philosoplue der Geodiichte der Menschheit, vorzüglich der 
Religionsgeschichte, verbunden mit einer Anwendimg auf 
Giauben vad Cvltus jener nachapostolischen Kirche. Daran 
nSbt der dritte die Liturgie sowie die Constitittioiien mid 
Canoses der Sliesten Gemdnde» mcfat nur kritisch ans den 
Documenten selber auf die ursprünglichen Formen zurück- 
geführt, sondern zu emem lebensvollen Bilde des Daseins 
im h&usHchen wie im offmtHchen Gottesdienst gestaltet 
Der vierte Band beginnt mit eaner Vertheidigungsrede des 
Hippolytus an das englische Volk, einer sokratischen Nach- 
bildung, in welcher Bunsen die eigene Stellung zum Evan- 
gelium, seine Auffassung des Verhältnisses der Gegenwart 
zum Urchristenthum darzulegen sucht. Dann folgen J^eli- 
qtiiae Lifurgicac, die ältesten Bücher der orientalischen wie 
der abendländischen Kirche, lateinisch edirt und dem An- 
denken Niebuhrs gewidmet. Gleichzeitig erschien in deut- 
scher Uebersetzung : „Hippolytus und seine Zeit", 2 Bde., 
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1852. 1853. Form und Tendenz 
jedoch erzielten, weil mehr auf die Engländer berechnet, 
kaum eine voUe Wirkung; auch stiess sich die deutsche 
Grelehrtenw^ an der kühnen Phantasie, mit welcher Bimsen 
seine Ideen rasch in Thatsachen umzusetzen pflegte, allein 
die besondere Vorrede, ein „gehamisohtes Vorwort*' inr 
Regierungen und Volk, in welchem eif seine im Leben und 
ernsten Nachdenken gereiften innersten Ueberzeugungen 
muthig aussprach, erwarb ihm viele aufineiicsame Leser, 
freilich auch solche, die in unbeweglicher Gr^tesrichtung 
an ihm irre wurden. In England jedoch erschien schon 1854 
als Frucht des eisernsten Fleisses eine neue Ausgabe oder 
vielmehr eine Erweiterung zu drei eigenen unter sich lose 
verbundenen Werken unter dem Gesammttitel: „Christianüy 
and Mankind. Thcir Bcginnings and Prosptxts'' Die 
beiden ersten Bände: Historical Section: Hippolytus and 
his age; or beginnings and prospects of christianity , er- 
scheinen in mehr kirdiiengeschichtUcher Darstellung mit den 
Briefen an Hare und der Apologie im Anhang. Zwei weitere 
Bände: Philosophical Section: OutUnes of the philosophy 
of universal hiUory applied to language tmd religien en^ 

Pkiil!, laftlta^ K. r. 28 



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434 



C» JT» y, von ßunsen. 



wickelten anschliessend an Beiträge von Max Müller und 
Th. Aufrecht über den Stand der verg^leichenden Sprach- 
kunde Bunsens eigenste Ideen von der Sprache, Gottes- 
bewusstsein und Bestimmung der Menschheit durchziehen- 
den Bande. Zu drei Bänden endlich ist angewachsen: 
Phüologtcal Sectton: AmUecta AnUnicaena, i. Reliquiae 
lüerariae, 2. Reliquiae canonicae, 3. Reliqmae Uturgicae 
als ein Urknadenbuch 2ur GreschiditB der nadiapostoliachefi 
Kirche. In ttnersättlicher Lust zu schafiPen that sich Bunsen 
selber nie genug. Auch ^^egjpam SteDe In der Welt- 
gesdiichte'S dessen drei ersten Bftnde 1845 Haaibarg, dessen 
^vierter und fOnfter 1856 und 1857 Gotha bei Perthes er- 
schienen, veidankt den Riesenanstrengungen cBeser Jahre 
das Allermeiste. Die englische Uebersetzung: „Egypfs 
Place in universal history , translalcd by H. Cottrell with 
addilions by Samuel Birch'' I — V, 1848 — 1867 London, 
Longmans ist vom Verfasser, der auf diesem Gebiete rast- 
los thätig blieb, in eine neue Bearbeitung umgeschaffen. 
Bunsen war einer der Ersten, die an die grosse Entdeckung 
Champollions anknüpften , und verfolgte, obwohl in bestän- 
digem Arbeitsaustausch mit Lepsius, Birch u. A., unter- 
suchend und darstellend doch seinen eigenen Weg. Er 
will gestützt auf Urkunden und Geschichte des alten Aegyp- 
tens durch Synchronismus der arischen, semitischen und 
chinesischen Cuhurwelt die Epodien bis zu den Anfingen 
der Menschhc^ htnauCrtsetgeiL Die Ideen seiner akade- 
mischen Jugend, in denen sich bereits Spcadie und Ge- 
schidite, Philosophie und Religion verschlangen^ gewinnen 
in diesem Werke fosslidh wissenschaftliche Gestalt Und 
noch zu manchem anderen fand er Zeit Der Uebersetzung 
von Niebuhrs Leben und Briefen durch Miss Winkworth 
wird von ihm ein längeres Sendschreiben: „Niebuhr^s Polt" 
tical Opinions and Character'\ 31. October 1852 hinzugefügt, 
und ähnlich Letter to Miss ]Vink7üorth'\ 11. Mai 1854, der 
von ihr übersetzten, von Bunsen hochgeschätzten „Deut- 
schen Theologie". Bis zur letzten Stunde seines englischen 
Daseins druckte und corrigirte er an seinen Werken, denn 
inzwischen wurde nochmals ein Abschied von ihm gefordert, 
nicht minder bitter als der einst von Rom gewesen. Nach- 



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C, K, jf. von ßuHsen, 



dem er sich zu Anfang- 1852 entschlossen hatte auf seinem 
Posten auszuharren, musste er zwar viel über sich erg-ehen 
lassen, stazul aber mit ungebrochenem Muth stets für seine 
Ueberzeugungf ein. So hat er die von einer staodisclMii 
Rückwandlung bedrohte preassische Verfawnng beschirmen 
h^en und nach Einsetoing des zw e iUfli Napoleonbdien 
KaiserttuuBB nur Erhaltung des aUganemen FHedens red- 
lich mitgewirkt Voll sangninlacfaer Hoffinmgen erblickte 
er in der orientalischen Kriais des Jahre 1853 eine Sddok- 
salsedSUnng, die Deutschkad und Preuasen wieder zu Ehren 
bringen mösae. In tdnen Deiücschrifien iussette er sidi 
freimfithig gegen das Pr o tec toi rat, weldies Kaiser Nicolaus 
dem Vaterlande ansann, und drang auf Preussens Anschluss 
an die Westmächte. Während die en^-'lische Presse den 
zaudernden König mit Hohn bewarf und das Londoner 
Cabinet seinen Gesandten bestürmte, gab er, wie er am 
4. März 1854 nach Berlin telegraphirte, Lord Clarendon die 
Erklärung ab, Preussen müsse zuvor an seiner Nordost- 
grenze Sicherheit erhalten und für Russlands Erniedrigung 
in der Ostsee Sorge g-etrag-en werden. Das stürzte ihn 
schon am folgenden Tage. Der König hatte triftige Grründe, 
seinem Lande den Frieden zu wahren; Herr v. Manteufiel 
opferte alle Gegner Russlands bereitwillig der Kraizzdtmga* 
partei; und, nachdem sogar Bunsens Depesdien in ge* 
heinmissToUer Weise ans dem königlichen Cabinet in die 
Hände des rusnachen Gesandten gespi^ worden, triom^ 
phirte die Csmerilla. Der König selber hätte ihn hatten 
mögen, der Prinz von Preussen that sein Möglichstes. Einen 
Urlaub wcdhe er nidit nehmen» sondern definitiv ausfahren, 
was ihm schon dnige Jahre zuvor wünschenswerth erschien. 
Auf sein Entlassungsgesuch erfolgte endlich die Abberufung, 
und am 17. Juni verliess er London, aus allen Sphären, hoch 
und niedrig, öffentlich und häuslich mit Aeusserungen der 
aufrichtigsten Theilnahme und Verehrung begleitet. Wie 
schwer auch die Trennung von der dritten Heimath, in 
welcher er zahllose Wurzeln geschlagen und mehrere Kinder 
verheirathet hatte, die Elasticität seines Geistes half ihm 
abermals. Sofort begründete er sich in der Villa Charlotten- 
burg b^ HeiddUtierg', ausserhalb Preussens» obwohl nun- 



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436 



mehr Bonner Bürgper» aber am Sitie einer deutschen Hoch- 
schule, Häuslichkeit und Arbettsatätte. Der amtiicheii Hut«» 
. tigkeit enthoben schöpfte er aus Beruhnuig- des vaterlan- 
dischea Bodens neue freudige Kraft für den Dimist der 
geistigen Freiheit seiner Nation. Ohne Unterbrechung 
wurden die weitreichenden Arbeiten wieder aufgenommen 
und mit gelehrten Freunden in der Nähe oder auf Aus- 
flügen nach Bonn und Göttingen besprochen. Die kirch- 
lichen Fragen der Gegenwart jedoch, die ultramontane Ag- 
gression (unbefleckte Emj^fang-niss, Bonifaciusfeier, Bischof 
Ketteier von Mainz) so gut wie das unionsfeindliche Treiben 
der Lutheraner (Stahl und Hengstenberg), worüber er auf 
des Königs Anregung freimüthig auch mit diesem corre- 
spondirte, gaben zunächst Veranlassung zu der populären 
und weit hinauswirkenden Schrift: „Die Zeichen der Zeit. 
Briefe an Freunde über die Gewissensfreiheit und das Recht 
der christlichen Gemeinde", Leipcig« 2 Bde. 1855. Es sind 
z^bn Briefe an £. M. Arndt gegen drei Femde: die UltTM 
montaaaa» die ConfaasionaMfiten, den verfblgungaadditigmi 
Despotiamus det Gegenwart JDie Rettang llogt in dem 
Glauben an die ewige und gdtdiche Wahfhflit" Das Heil 
der Volker, der romanisdien wie der germaalscfaea, ist mir 
„gesetssiidie und religiöse Freiheit". • Heftige Erwiderungen 
wie die Stabk nfitzten dem Buch tuigemein, das wie eine 
That zu rediter Zeit lauten Beifall hervorrief und rasch 
nach einander drei Auflagen erlebte. Den Händen des 
Verfassers entwuchs bereits ein anderes Werk: „Gott in 
der Geschichte oder der Fortschritt des Glaubens an die 
sittliche Weltordnung", Leipzig, 3 Bde. 1857, 1858, das so- 
fort auch in's Englische und Französische übersetzt wurde. 
Bunsen tasst hier die Grundanschauungen zusammen, denen 
er von Jugend auf Nachdenken und Forschen gewidmet 
hatte, die Selbstoffenbarung Gottes in den Nationen, bei 
den alten Hebräern wie bei den Hellenen, in der Weisheit 
der Orientalen wie in den Liedern du: £dda, in dem Gegen- 
satz der mittelalterlichen und der evangelischen Kirchen* 
Mit dem Gesetz des sich entwickelnden Gottesbewnsstseins 
w^ zugleich das Gesetz und das Ziel des menschlidien 
Fortschritts überiiaiqit erkannt Audi hier drang er auf 



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C' AT. y, von Bunten, 



das freie Walten der christlichen Gemeinde, in welcher der 
Geist Grottes wirkt, stiws aber den Gelehrten durch manche 
allxu kfihne Hypodiese, viden kirchlich Frommen durch pan* 
iheistische AnUSage Tcr den Kopf. Während er daneben 
Zeit übdA eine in Edliibucgli essdidneode Uebenetzong von 
Freitags Roman „Soll imd Haben*', die dentsche Ueber* 
Setzung einer Predigt des Schotten Caird: ,J)ie Religion 
im gremefnen Leben** , auf Wunsdi der Verleger mit Vor- 
reden zu versehen, in inniger Ueberetnstunmung mit Richard 
Cobden für die Friedensgesellschaft ein Memoire über ein 
Weltschiedsg-ericht zu entwerfen und 1857 für die bei Black 
in Edinburgh erscheinende „Biographia Britannica'' den 
Artikel Luther zu schreiben, woraus sich sofort der Riesen- 
plan entwickelte, dem deutschen Volke seinen gewaltigsten 
Mann in einem geschichtlichen Gemälde selbstschildernd 
vorzufuhren, wandte er die volle Kraft der Aufgabe zu, die 
ihm für die letzten Jahre Lebensberuf wurde. Aus lang- 
jährigen Vorstudien über Psalmen, Propheten, Leben Jesu, 
£vangelienliarmome, in der Müsse zu Heidelbeig erwuchs: 
,3°nBens voHstSncUges Bibehrerk für die Gemeinde**, Leipog, 
9 Bde. 1850--70. Es Idetet auf Grund der lutberischen reii* 
dirten UeberseCzung die Sdiriften ahen und neuen Testa» 
mentes n^ nmfimgrdchem Apparat, insondeilidt einem 
Urafenden Commeiitar, und ist bestimmt den halb versun- 
kenen Schatz, das Wort Gottes, dem allein die Kraft, Kirche 
und Gemeinde zu verjüngen entströmt, von neuem zu heben. 
Bei der gewissenhaften philologischen Durcharbeitung des 
Ungeheuern Stoffs gingen ihm die Doctoren Haug und 
Kamphausen zur Hand; die letzten Abtheilungen sind nach 
seinem Tode von H. A. IToltzmann bearbeitet. Ausser Her- 
stellung des deutschen Textes aber wird dem Volke, damit 
es selber urtheile, im Gegensatz zu der Inspirationstheorie 
aus den „Bibelurkunden" Kritik und Greschichte der Bücher 
aufgerollt. Als Gremeingut Aller, nicht als verschlossener 
Schatz der Theologen, als Zeuge der ewigen Wunder Gottes 
und nicht von Mirakeln erscheint ihm die Bibel „Die 
Menschhtrit besitzt in ihr eine wahrhaftige Gottesgesdiichte 
mit dem Evang^um als ihrer Blüthe und mit der Persdn- 
lichkeit Jesu QirisÜ, des Sohnes Gottes, als ihrem Heilig- 



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438 



C. K, y. von üunstn. 



thum." Welche Schwächen und Schattenseiten dabei auch 
hervortreten mögen, Bunsen unterzog sich der Aufgabe mit 
voller Wahrhaftigkeit und heiligem Ernst. Zwei Bände^ 
einen grossen Xheil des alten Testamentes sah er noch voll- 
endet, anderes war druckfertig, dem neuen Testamente, in 
welchem das immer wieder umgearbeitete Lebensbild Jesu 
Christi als der vollen persönlichen Offenbarung Crottes, nicht 
als Product der Mythenhildung und deashalb auch Im G^gen- 
satz zu der Tübinger Schule im Anachhiss an das Evan-- 
gelium Johannis den Wtttkptaaikt bildet, waren die schmer» 
zensfrmn Stunden 8«nes letcten Lebenajahres gewidmet. 
Die von ihm aii%eseiehneten Bruchstücke sind dem Denk- 
mal eingefugt, das ihm sdne MtaiMter in der Vollendangr 
des Bibelwerks zu setzen geholfen haben. Bunsen erfreut» 
rfch in Heidelberg des regsten Verkehrs mit ansässigen 
Gelehrten und Freunden und sehr vielen, die aus Deutsch- 
land, England, Frankreich und Amerika ihn zu besuchen 
kamen. Auch das Band, welches ihn mit dem König ver- 
knüpfte, war nicht gerissen. Im September 1855 hatten sie 
eine kurze Begegnung auf dem B^ihnhof zu Marburg, wo 
jedoch die bedrängte Lage der evangelischen Kirche nicht 
berührt werden konnte. Aber trotz aller Abweichung Hess. 
Friedrich Wilhelm nicht von ihm und ruhte nicht, bis der 
alte Freund zur Versammlung der Evangelical Alliance im 
September 1857 drei Wochen hindurch sein Gast im Berliner 
Schloss war. Alle Anachwärzungen mit Hinweis auf die 
neuesten Schriften Bunsens vermochten die vertraumsvoUe- 
liebe des Fürsten nicht zu entwurzeln, dem eben&Us im 
Grunde des Herzens das Chriatenthum mehr galt aU alle». 
Blendwerk der Dogmatik. Beide tansditan noch einmal tol 
Mund zu Mund ihre Gedanken. In ehiem fipwmiithjgen Vor» I 
trag combimrte Bmuen behufs gegenseitiger Verständigung" 
den Baustil des für Berlin projectinen Domes mit 6sx Selb- 
ständigmachung der evangelischen Kirche. Am Tage seiner 
Abreise, dem 3. October, wurde der König von dem Schlag- 
anfall gerührt, der den traurigsten Zustand und schliesslich 
das Ende herbeiführte. Einer seiner letzten Acte war Bun- 
sens Berufung in das Herrenhaus und seine Erhebung zum 
f reiherrn gewesen. Bisher hatte dieser wie Niebuhr eine 



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C. y* vom Bumstn. 



439 



^Standeseriioliimg stets von sich gewiesen, jetzt fl^fte er sich 
in der HoffiEaung, dass einer seiner Söhne den entsprechen- 
den Grundbesitz erwarben werde. Dem Herrenhause wohnte 
er nur einmal bei im October 1858, als mit der Emsetnmg 
der Regentschaft des Prinzen von Preussen die von ihm 
herzlich begrüsste neue Wendnng anhub. Bei dieser Ge- 
legenheit sah er licrlin und Alexander v. Humboldt zum 
letzten Mal, mit dem ihn seil 18 16 die freundschaftlichsten 
Beziehungen verbunden hatten, deren Andenken er sich 
auch durch die boshaften PubUcationen aus Varnhagens 
Nachlass nicht verkümmern liess (s. Briefe von Alexander 
V. Humboldt an Bunsen, Leipzig 1869, S. 211 ff.). Die Huld 
des Fürsten hätte ihn gern ^vieder herangezogen, er selber 
dachte nur vorübergehend daran, denn ausser seinen Ar- 
beiten gebot ihm der Zustand seiner Gesundheit darauf zu 
verzichten. Gesteigerte asdunatische Beschwerden, deren 
Vorboten sich schon seit Jahren meldeten, nöthigten ihn im 
Winter von 1858 auf 1859 unter der liebevollen Pflege der 
Seinen, stets unermüdlich thatig, in Cannes ein milderes 
KHma an&usucfaen und firoh tber den sdidnbaren Erfolg 
denselben Aufonüialt im nächsten Winter zu wiederholen. 
Das zweite Mal nahm er den Weg über Paris, wo ihn der 
Umgang mit alten und neuen Bekannten, darunter auch 
E. Renan, uncfemein anzog. In Cannes stand er am Sterbe- 
lager des hochverehrten Tocqueville. Sehnsüchtig aber 
blickte er über das Wasser nach dem geliebten Italien hin, 
das er im Morgenroth seiner jungen Freiheit wieder zu er- 
blicken hoffte. Treffend hatte er im voraus die Krisis er- 
fasst ; im Vertrauen auf Napoleon und Cavour, von gleichem 
Enthusiasmus mit Garibaldi zürnte er der Apathie der Hei- 
math, zumal der österreichischen Strömung in Süddeutsch- 
land. Die eigene prophetische Natur sah stets die Ideale 
ihrer Verwirklichung nahe, wie oft er sich auch im Ein- 
zelnen täusdien mochte. Der Haltung Preussens zollte er 
Beifall, verkannte aber mit dem Liberalismus die neue ge- 
setzliche Ordnung des lifilitärdienstes. Denn wie Cobden die 
RQstung zmr See hielt er die Verstärkung zu Lande für un- 
nothig. Weniger erquickt war er im Mai 1860 aus dem 
Süden zurückgekehrt nach Bonn, wo er endlich den alten 



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440 C, JT. y, vom Bumm, « 

Wunsdi erfüUt und aine eigfene Wohnung' erworben hatte, 
m der Hoffirang, gleich Niebuhr nodi als Lehrer auf die 
akadeimache Jugend wirken zu können. Allein die Aeuase- 
nmgen des unheilbaren Hersfibels wurdoi immer heftiger, 
die Stunden scfamerzensireier Arbeit und ungetrübter Le'bens- 
freude seltener. Am 25. August feierte er zum letzten Male 
seinen Geburtstag- im Kreise der i amilie und der Freunde, 
die auch aus der Ferne ihn zu besuchen kamen. Nur der 
Geist blieb frisch und lebendig trotz fürchterlicher Be- 
klemmungen, denen er mehrmals zu erliegen meinte. Voll 
Ergebung in den Willen Gottes als der ewigen Liebe nahm 
er Abschied mit Segensworten für die Gegenwärtigen und 
Abwesenden, im Gebet für das Vaterland, für Preussens 
Königshaus, für Italien und England. Im Bewusstsein, für 
das Reich Grottes gearbeitet zu haben » war er bereit ans 
der zu scheiden „ohne Hass g^fen* irgend jemand", 

ohne Furcht vor den Schrecken des Todes. Um 5 Uhr 
Morgens am a8. November hatte die letzte Stunde geschla- 
gen. Am I. December beim scheidenden Strahl der Sonne 
trug man den Sarg hinaus auf den Bonner Kirchhof, wo 
er luifem von Niebuhr und Arndt beigesetzt worden ist. 
Neben Rang, Titel und Orden erfreute er sich noch mehr 
der wissenschaftlichen Ehren: 1839 hatte ihn die Universität 
Oxford, 1853 die von Edinburgh zum Khrendoctor der Rechte 
creirt; 1857 wurde er wirkliches Mitglied der Berliner 
Akademie, 185g correspondirendes der Academie des In- 
scriptions et Lettres. Neben der Liebe der Seinen hat selten 
jemand in so reichem Maasse Freundschaft erworben und 
ervvidert. Wie er die Dienste Anderer zu benutzen ver- 
stand, hat er uneigennützig eine grosse Menge strebsamer 
Männer auf ihrer Lebensbahn gefördert. Ein Werkzeug 
der Liebe» des Hoffens und des Glaubens hat er nach d^ 
verschiedensten Richtungen des Lebens in Kirche und Staat 
das Licht, das ihn durchströmte, scheinen lassen, dessen 
Wirken und Andenken durch menschliche Schwache und 
Irrthum nicht verdunkelt werden. 



Dnok TOD J. B. HiTt«hf«ld iB Ulffiiff. 



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I 



I 



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ÜSrV€«SITY Or WICHICiS 



BOU.MD 





3 9015 01979 6641 



I 



UWlV. OF MICH. 




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